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Full text of "Die reformation und die älteren reformparteien. In ihrem zusammenhange"

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Die Reformation 


und 


die älteren Reformparteien. 


— — 


In ihrem Zuſammenhange 


dargeſtellt 


von 


Dr. Sudwig Keller 


2. Staatsarchivar. 


Keipzig 
Berlag von © Hirzel 
1885. 





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Die Reformation 


und 


die älteren Reformparteien. 


In ihrem Zufammenbange 


dargeſtellt 


von 


Dr. FSudwig Keller 


K. Staatsarchivar. 





Leipzig 
Verlag von S. Hirzel 
1885. 


VYorwort. 


— —— r — 


Drei große Epochen haben die Entwicklung des religiös⸗kirch⸗ 
lichen Lebens in Deutjchland in ganz hervorragender Weife beein- 
flußt, nämlich einmal die Zeit, in welcher unter den gewaltigen 
Kämpfen zwifchen Kaifer Ludwig dem Baiern und dem Papſtthum 
Meiſter Edart zuerft eine deutfche Theologie fchuf, ſodann 
"die Periode, in welcher unter der Fahne eben diefer „de utſchen 
Theologie” fich die große Majorität der Deutfchen für die Reform 
der Kirche erhob, und endlich die Epoche, in welcher die Fürften des 
deutſchen Geifteslebens vor nunmehr hundert Jahren — um mit 
Herder zu reden — an jenem „beiligen Dreieck“ arbeiteten, 
nämlich „der Boefie, Philoſophie und Gefchichte, ven Drei Lichtern, 
welche die Nationen, die Selten und bie Gejchlechter erleuchten‘. 

Es ift wahr, daß diefe drei Epochen viele äußerliche und inner- 
liche Unterfchiede zeigen, aber es ift zugleich längſt anerkannt, daß 
die deutfche Reformation des 16. Jahrhunderts bis zu den Jahren, 
wo fie durch mancherlei Verirrungen einen Lauf nahm, welcher die 
Gegenfäge der fpäteren Jahrhunderte vorbereitet bat, ihre befte Kraft 
aus der Erneuerung der altdeutichen Theologie nahm, und daß das 
Chriſtenthum Leffings und die Philofophie Kants als die organifche 
Sortjegung jener „Philoſophie Chriſti“ gelten können, deren Anfänge 
im 14. Jahrhundert gefchaffen worden find. 

Aber wichtiger noch ift der Umftand, daß zwifchen diefen Perio- 
den auch ein enger biftorifcher Zufammenbang befteht — ein 
Zufammenbang, welcher auf das Geiftesleben jener Epochen und bie 
Quellen ihrer religidfen und philofophifchen Weberzeugungen ein 
ganz Überrafchendes Licht wirft. 


IV 


Die Träger diefes Zufammenhanges waren, wie die nachfol- 
genden Blätter zeigen follen, jene Brüdergemeinden, die unter 
wechfelnden Namen jeit vielen hundert Jahren wohl befannt find, 
deren wahre &efchichte aber unter dem Schleier verborgen liegt, 
welchen die orthodoxen Kirchen aus guten &ründen über die Schid- 
fale jener verfolgten Chriften gebreitet haben, die man „Ketzer“ 
oder „Selten“ nannte, und ferner jene großartige Corporation 
ber Bauleute und Steinmegen, welche in ven Bauhütten der 
verfchiedenen Länder ihre Vertretung befaß, und die in Deutjchland 
feit dem 13. Jahrhundert durch die Bruderfchaft des „deutſchen 
Steinwerfs” einen viel größeren Einfluß ausgeübt bat, als in 
der Gegenwart befannt iſt. Diefe Bruderfchaft ift es geweſen, 
welche jeit Siebenhundert Jahren die „Brüdergemeinven‘ jedesmal 
hriftlih und brüberlih in Schu genommen hat, wenn bie vecht- 
gläubigen Parteien im Namen Chriſti mit Teuer und Schwert gegen 
die „ Selten” Krieg führten und die Wogen des Neligionshaffes 
iiber den Verfolgten zufammenzufchlagen drobten. 

Die Geſchichte dieſer „Brüdergemeinden“, die fich einfach 
„Chriften” nannten, erinnert in ber Art, wie fie bargeftellt wor⸗ 
den ift, und in dem Verlauf, den fie genommen bat, ungemein an 
die Vorgänge der erjten chriftlichen Jahrhunderte. Eben diejenigen 
„Chriſten“, welche von hervorragenden Schriftftellern des Alterthums 
als Auswurf der Menfchheit dargeftellt und von der orthodoxen 
Priefterfchaft unter Yuden .und Heiden als „Sekten“ gehaßt und 
verfolgt wurden — man weiß ja, daß felbit Paulus einft als „An⸗ 
führer der Selte der Nazarener“ vor Gericht ftand (Acta 
Apost. 24, 5) — eben diefelben find es geweſen, welche Die heidnifche 
und jüdische Welt auf eine neue Entwicklungsſtufe geführt Haben. 

Gemäß der Vorberfagung Chrifti: „Wenn fie mich verfolgt 
haben, werben fie auch euch verfolgen‘‘, find die „rechten Chriften‘‘ 
von jeher als „Sekten“ und „Sektirer“ verfolgt, verleumbet und 
gehaßt worben, aber gemäß der weiteren Zufage des Erlöfers haben 
ſie fich ftetd von Neuem aus der Aſche erhoben und die Welt hat 
fie umfonft gebaßt. 

„Die göttliche Wahrheit ift untöbtlich”‘, hat einft einer biefer 
„Sektirer“ gejagt, der felbft den Scheiterhaufen bat befttigen müffen, 





V 


— — — —— 


„und wiewohl ſie ſich etwa lange fangen läßt, geißeln, krönen, kreu⸗ 
zigen und in das Grab legen, wird ſie doch am dritten Tage wieder 
auferſtehen und in Ewigkeit regieren und triumphiren“. 

Das vorliegende Werk ſtellt einen Verſuch dar, die Geſchichte 
der „Brüdergemeinden“ und der mit ihnen eng verbundenen Bru- 
derichaft der deutjchen „Bauhütte” in ihren Hauptmomenten zur 
Anſchauung zu bringen. Wenn ich mich dem herrſchenden Sprach- 
gebrauch hätte anpaſſen wollen, fo hätte ich Daffelbe auch eine „Ge⸗ 
Thichte der Sekten und der Sektirer“ — denn auch die Corporation 
der „Hüttenbrüder” wird feitens der berrfchenden Kirchen dahin 
gerechnet — nennen fünnen; indem ich dies nicht gethban, ſondern 
den obenſtehenden Titel gewählt habe, war e8 meine Abficht, anzu- 
deuten, daß ich den großen Wendepunkt in der Gefchichte ver „Brü⸗ 
dergemeinden” und der „Bauhütte“, nämlich das 16. Jahrhundert, 
zum Mittelpunft meiner Unterfuchungen gemacht babe. Sobald e8 
gelungen fein wird, dieſe wichtigfte Periode der Gefchichte der „Brü- 
der’ hinreichend aufzuhellen, jo wird von ba aus der weitere Auf- 
bau fich Teichter vollziehen, als es bisher möglich war. 

Wer die Vorurtheile und Hinderniffe zu beurtheilen weiß, 
welche ſich der Erforſchung und Darſtellung diefer Dinge entgegen 
ftellen, der wird nicht erwarten, daß hier eine abjchließende Gefchichte 
der „Brüder gegeben wird. Nachdem in Folge eben diefer Schwierig- 
feiten bisher überhaupt jede zufammenfafjende Darftellung gefehlt 
Bat, ift e8 unmöglich, diefen Mangel gleich beim erjten Anlauf zu 
erjegen oder den traditionellen Widerſtand zu befiegen, auf welchen 
jeder derartige Verfuch non Seiten der alten Gegner jener „Reber“ 
rechnen muß. Cine folche Gefchichte läßt fich nicht fchreiben, ohne 
dag mancherlet Vorgänge an das Tageslicht Tommen, über welche 
noch heute Viele lieber Schweigen beobachtet ſähen, und wer dies 
Schweigen bricht, der wirb darauf zu rechnen haben, daß ibm, fo 
weit die Zeitverhältnifje e8 geftatten, diejenige Behandlung zu Theil 
wird, welche in folchen Fällen bisher üblih war. Doch möchte ich 
mit einem ver alten „Sektirer“, der einjt in ähnlicher Lage ein &e- 
ſchichtswerk fchrieb, bier betonen, daß, „wenn gleich die Irrthümer 
und Fehler nicht verfchwiegen find, ich wohl weiß, daß nichts menſch⸗ 
licher ift, denn Irren, und daß in allen Parteien die menfchliche 


VI 


Natur dem Irrthum ausgeſetzt iſt; doch bin ich um keines Irr⸗ 
thums oder Fehls willen Jemandem feind oder gram, und möchte 
gegen meines Nächſten Irrſal und Fehler alſo geſinnt ſein als ich 
will, daß Gott um meiner Fehler willen mir es ſei“. 


Zum Schluß ift e8 meine Pflicht, allen Denjenigen, welche bei 
diefen ſchwierigen Unterfuchungen mich freundlich unterftütt haben, 
Öffentlid meinen Dank auszufprehen. Zablreihe Archive und 
Bibliothefen haben fich im Intereffe meiner Forſchungen mannig- 
facher Mühewaltung unterzogen, befonvers aber bin ich den Herren 
Beamten der Königlihen Baulinifchen Bibliothek zu Münfter für 
vielfältige Hilfe zu Dank verpflichtet. 


Münfter, am 23. November 1884. 


Ludwig Keller. 


Inhalts⸗Ueberſicht. 





Erſtes Capitel. 
Die Kirche und Die Ketzer. 


Die Gewiſſensfreiheit In den erften Hriftliden Jahrhunderten. — Die römifche Ketzergeſetz⸗ 
gebung. — Die Waldenfer, — Berichte ber Zeitgenofien über fie. — Ungebliches Sektenchaos. 
— Die Keber bed 16. Jahrhunderts. — Waldenfer und Täufer. — Die Quellen der Keberge- 
ſchichte und ihre Verftümmelung. — Petrus Waldus unb ber Urfprung ber „Brüder. — Fran⸗ 
cisfaner und Waldenfer. — Ausbreitung ber Partei. — Begharden und Beghinen. Seite 1—35. 


Zweites Capitel, 
Das Slanbensbekeuntniß der altevaugelifhden Gemeinden. 


Glaube und Kirchenverfaffung der erſten chriftlicden Jahrhunderte. — Anlehnung an bie 
urſprünglichſten Quellen ber chriſtlichen Geſchichte. — Nachwirkungen einer großen Weberlieferung. 
— Giellung ber Waldenfer zum Canon. — Die Infpiration ber 5. Schriften. — Chriſti Worte, 
Befehle und beren befonbere Bebeutung. — Die Nachfolge Chriſti. — Das Alte Teftament und 
ber Lehrtypuß bed Paulus. — Die aus der Heiligung bed Willens fließende innere Erleuchtung 
und ihre Bedeutung als Erkenntnißprincip. — Die Bedeutung ber Bergprebigt bei ben Wal⸗ 
benfern. — Blutvergießen, Gewiſſensfreiheit, Recht der Nothwehr, Schwur, Feindesliebe. — Stel- 
ung zu ben Mofterien ber Bibel. — Die Heilmittel ber Kirche. — Gegenfag von Welt unb 
Ehriften. — Willensfreiheit, Heiligung, Gnade. — Schlußbetradptungen. Seite 36 — 62. 


Drittes Capitel. 


verfaſſung und Gottesdieuf Der altevaugelifhen Kirde. 


Die Grundgedanken und bie Quellen ber Kirhenorbnung. — Der Begriff der Kirche. — 
Apoſtoliſche Succeffion. — Gemeindekirche. — Kirchenzucht. — Die Einrihtung und Verfaſſung 
bes Apoſtolats. — Die „Armuth““. — Die apoſtoliſche Regel. — Die „Gotteßfreunde.“ — Der 
„Aelteſten⸗Rath⸗ — Episcopat, Sacerdotium und Diakonat bei den Waldenſern. — Synoden 
und Conferenzen. — Der Gottesdienſt. — Die Hausandadten. — Die Gotteshäuſer. — Die 
Predigt. — Das Abendmahl. — Die Beichte. — Die Taufe auf ben Glauben. — Hinder⸗ 
niſſe ihrer Ausbreitung — Stellung zum Möonchthum. — Schlußbetrachtung. Seite 63—94. 


Viertes Capitel. 
Kaiſer Ludwig und die deutſchen Banhütten. 1314 - 1347. 


Die Souveränetät des Papfies Tiber ben Kaiſer. — Thomas von Aquino und Bonifacius 
VIII. (1294 — 1303). — Kampf zwiſchen Kaiſerthum und Papſtihum. — Johann XXI. und 
König Ludwig ber Baier. — Der König unter Anklage wegen Ketzerel. — Marſilius von Padua. 
— Sohn Wycliffe und Marſilius. — Der „iriebendanwalt“. — Eniftehung und Bebentung des 
Wertes ald Duelle des altevangelifchen Kirchenrechts. — Auszüge aus dem Bud. — Der Kaiſer 
und bie Städte — Patriciat und Gilden. — Die deutſche Bauhütte. Seite 095 —122. 


Fünftes Capitel. 
Die Waldenſer und die altdentſche Fiteratur. 


Alvarus Pelagius wiber Marſillus. — Die Keber in Straßburg unb ihre Literatur. — 
Der Magifter Walther in Köln. — Daß Berbot Kaifer Karls IV. gegen bie deutſchen Bücher 
der Sektirer. — Sind deutſche Schriften aus ben Kreifen ber Waldenfer erhalten? — Die Neun 


VIII 


Felſen. — Das Meiſterbuch oder die „Hiſtorie von Taulers Bekehrung“. — Auszug aus dieſem 
Bud. — Verſchiedene Bearbeitungen deſſelben. — Das goldene ABC unb die „allgemeinen 
Regeln” ver Waldenſer. Seite 123—151. 


Sechſtes Capitel. 
Aeiſter Ekart, Johannes Tanler und die dentſche Theologie. 


Straßburg und die Ketzer. — Die fogenannte „Sekte bes freien Geiſtes“. — Meiſter Edart. 
— Hat er zur „Sekte des freien Geifte‘ Beziehungen beſeſſen? — Eckart und die altevange 
lichen Gemeinden. — Die Bannbulle witer Edart von 27. März 1329. — Ekart ift ber 
hervorragendſte deuiſche Philofoph des Mittelalters, — Die Begründung einer „Deutihen Theo⸗ 
logie” durch Edart. — Edart und Thomas von Aquino. — Die Schule Eckarts. — Johannes 
Tauler. — Xauler auf dem Inder. — Der „erpurgirte” und ber wahre Tauler. — Das Büchlein 
von ber Deutfchen Theologie. Eeite 152— 172. 


Eiebentes Capitel. 
Das Merfwin’fhe Beghardenhans zn Straßburg. 


Die Zuftände im Rei ſeit 1343. — Das Geſchlecht ter Merfwine und bie Beghinen. — 
Nulman Merjwin (geb. 1308). — Gr ftiftet ein „Fluchthaus“ oder „Gotteshaus. — Deſſen 
Leitung erhält ein „„Soltesfreund”. — Das Gotteshaus geht in die Hände des Johanniterordens 
über. — Ber „Gottesfreund“ übermiltelt den Goiteshauſe eine reihe Literatur. — Diefe Lite 
ratur iſt erhalten. — Bebentung und Charakter der erhaltenen Schriften. Seite 173—187. 


Achtes Capitel. 
Ein berühmter Gottesfreund. 


Die heimlichen Gottesfreunde. — Der berühmte „Gottesfreund aus dem Oberlande”’. — 
Der Gottesfreund und die „Chriſtenbrüder“ — Der Gottedfreund empfiehlt deutfhe Bücher. — 
Seine Stellung zum Möndthum — Dogmatiſch⸗ religiöſer Standpunkt des Gottesfreundes. — 
Waldenſiſche Beſonderheiten. — Zahlen⸗Symbolik. — Die zwei Wege. — Glaube, Hoffnung, 
Liebe. — Weltliche und geiſtliche Gerichte — Fegfeuer. — Die Zuſammenkünfte der Gottes⸗ 
freunde und die Capitel der Waldenſer. — Sendſchreiben unſeres Gottesfreundes an feine Ge⸗ 
meinden. — Der „Gottesfreund aus dem Oberlande“ bat Sacramente geſpendet und Beichte ge: 
hört. Seite 188—208. - 


Neuntes Eapitel. 
Die dentfheu BSauhütten und die altevangelifden Gemeinden. 


Der „Gottesfreund auß tem Oberland” und die Bauleute. — Die religiöfe Bewegung ber 
deuiſchen „Myſtiker“ in ihrer Einwirlung auf bie beutfche Kunftl. — Die Entwidlung bed Stein: 
baus feit dem 12. Jahrhundert in ihrem Verhältniß zur Geſchichte der altevangelifhen Gemeinten. 
— Der Bund ber deutſchen Bauhütten. — Einfluß und Mat deſſelben. — Verfaflung, Bräuche 
und Weſen ber Bruderſchaft ber Hütte im Vergleih mit ber Bruderſchaft der ‚„„Walbenfer‘. — 
Die Stellung Straßburgs im Hüttenbunte und in ber Organifatlon ter altevangelifchen Gemein 
ten. — Die Verfolgung der „„Chriftenbrüter” feit 1360 und Rüdwirkung berfelben auf tie 
Banhütten. — Die „Liebhaber des Handwerks”. — Die Tendenz des „geiftigen Bauens”. 
Seite 209—238. 


Zehntes Kapitel. 


Die dentfhen Waldenfer nad der großen Verfolgnngsperiode, 


Das Shisma ber Jahre 1378 — 1417. — Fortdauer ber Keßerverbrennungen. — Die 
Hinrichtung des Johann Huf und ded Hieronymus von Prag, — Die Folgen dieſer Ereignifie 
in Böhme. — Die Böhmen greifen zur Nothwehr gegen bie Keterrichter. — Wer trägt bie 
Schuld ber Empdrung? — Ruckwirkung der böhmiſchen Ereigniffe auf Deutſchland. — Johann 
von Schlieben, gen. Dranborf (T 1425). — Die „Keger” in Sübweftdeutfchland. — Leben und 
Lehre der deutfhen Waldenfer im 15. Jahrhundert. — Die Keperprozeile zu Freiburg i. U. im 
Sabre 1430. — Der Codex Teplenfit. — Die walbenfifhe Bibelüberfegung. Seite 239— 260. 











IX 


Eilftes Capitel. 


Der Waldenferbifhof Friedrich Reifer (+ 1458) nnd die „Brüder“ 
in Franken. 


Conrad Reifer und fein Sohn Friedrich — Die „Brüber” in Nürnberg und Hans von 
Plauen. — Erziehung Friedrich Relferd in Plauen? Haufe — „Bater” Marmelh aus Freiburg 
. N. — Der Eintritt Friedrichs in bie erften geiftlihen Zunctionn. — Sein Dienft als Be: 
gleiter ter Wpoftel in Deutfchland und in ter Schweiz. — Die Weihe zum „‚Apoftel” in Prag 
durch Biſchof Nicolaus. — Friedrichs Xhätigfeit als „Sendbote Chrifti”. — Die religidfen Zu: 
ſtände in Franken. — Die Synode zu Heroldsberg bei Nürnberg (1447) und Friedrichs Wahl 
zum Biſchof. — Die Synobe zu Tabor in Böhmen. — Reiſer wird zum Sentor ber Bifchdfe 
erwählt und Straßburg wird fein Sig. — Seine Verhaftung und Hinrihtung — Reiſers Be⸗ 
teutung. Seite 261— 281. 


Zwölftes Capitel. 
Die „Brüder“ in Böhmen. 


Die Walbenfer in Böhmen. — Peter Chelcidy. — Die Begründung einer felbftändigen böh⸗ 
mifchen Brubergemeinfchaft. — Die Taufe auf den Glauben. — Die „Pikarden“ und die „Täufer“. 
— Die Weihe dur den Waldenferbifgof Stephan. — Die Rüdlehr zur alten chriftlichen Kirche. 
— Die Religiondanfhauungen ber Brüdergemetnten. — Zahl und Ausbreitung. — Die „Brüter“ 
und bie Buchbruder. — Die Schulen. — Geiftige und wifjenfchaftliche Regfamleit. Seite 282— 295. 


Dreizehntes Capitel, 
Die altevangelifhen Gemeinden beim Beginn der Reformation. 


Der internationale Zufanmenhang ber Gemeinden. — Die wälfchen Brüder und ihre Bes 
ztehungen zur Schweiz, — Die „Bekannten“ in England, — Die „Begharben” in ben Nieder⸗ 
landen und bie „Brüder des gemeinfamen Lebend”. — Die „Brübergemeinden” im Reihe — 
Der innere Zuftand be Waldenſerthums vor ber Reformation. — Der Waldenjer- Katechismus 
bes 15. Jahrhunderts. — Die religtds -Firdjlichen Principien und ihre Verlümmerung. — Die 
Verwirrung und Verſtümmelung ver alten Tradition. — Verkehrte Auffaſſung ber Gleichheit und 
Brüberlichleit. — Der Mißverftand der Xehre vom „Innern Wort. — Gänzlicher Abfall einzelner 
Gemeinden von den Gruntprincipien. — Nothwendigkeit einer burdhgreifenden Regeneration. 
Seite 296 — 316. 


Bierzehntes Kapitel. 
Die Erneuerung der altevangelifdhen Literatur. 


Die deutfhen Bauhütten und Katfer Darimiltan I. — Wolfgang Dend, Meifter vom Stuhl 
zu Steyer. — Die „Liebhaber des Handwerks“. — Die beutfhen Werfleute und bie Erfindung 
ber Buchbruderkunft. — Die „Zormfchneider” und die Steinmegen. — Die beutfhen Buchdrucker 
und ihr Antheil an ter Erneuerung des deutſchen Geifteslebend im 15. Jahrhundert, — Die 
Typographie in Franken, befonderd in Nürnberg. — Buchdrucker, Künftler und Gelehrte. — Joh. 
von Staupig in Nürnberg. — Bafel als vornehnifter Pla des beutfchen Buchhandels. — Die 
Bruberfhaft „zum Himmel’. — Die Gelehrten und die Buchbruder in Bafel. — Erasmus, Rhe⸗ 
nanus, Pellican, Dend, Decolampad, Eapito u. A. — Die Erneuerung ber Bibel und ter Lite 
ratur ber „„Sotlesfreunde”. Seite 317—338. 


Fünfzehntes Capitel. 
Johann von Staupik und Dr. Martin Luther. 


Staupik und die altdeulfche Theologie. — Seine erfte Begegnung mit Luther zu Erfurt. — 
Staupig führt Luther zu Tauler und den „Myſtikern“. — Luther Begeifterung für die „deut: 
hen Theologen“ in ven Jahren 1517— 1520. — Luther wird als Führer anerkannt. — Staupitz' 
fernere Unterftügung bis zum Sabre 1521. — Plöglihe Erkaltung des Verbältniffes zwiſchen 
Luther und Staupig. — Wer bat feine Anfchauungen gewechſelt? — Die Spaltung ber Nation. 
— uUrſachen der Spaltung. — Die Lehre von ber Genugthuung Chriftt. — Die Willensfreiheit. 
— Die Crfenntnißquellen der relgiöjen Wahrheit. — Luthers kirchenpolitiſche Anſchauungen. 
Seite 339— 363. 


X 


Sechzehntes Kapitel. 
Das Täufertham. 

Die Bedeutung ber Bewegung. — Der wahre Name ber Partei. — Gründung einer neuen 
oder Erneuerung einer alten Kirche? — Die Wiege des Täuferthums. — Die Capitelsverſamm⸗ 
fungen ber „Brüder” zu Bafel. — Balthaſar Hubmeler. — Die Bafeler Officinen. — Hans 
Dend, Eurio und Eratander. — Conrad Grebel. — Wilh. Reublin, Ulrich Hugwald, Ludwig 
Haͤtzer, Simon Etumpf, Helurih von Eppendorf, Hartmuth von Erondberg, Dtto Brunfeld, Andreas 
Gaftelberg. — Die Ausländer M. Bentinus, Heinrich Rode, R. Erocuß, Anemund be Coct u. A. 


— „Apoſtel, Bischöfe und Evangeliſten“. — Die Refultate der Brüder» Synoden. — Die Taufe 
auf den Stauden. Sete 364 — 391. 


Siebzehntes Tapitel. 


Die Schweizer Brüder. 


Die Refte der alten Gemeinden in ber Schweiz. — Urtheile von Zeitgenoffen über ben Zus 
fammenhang mit den älteren „Keen. — Die „Ketzerſchule“ der Spiritualen zu Züri im 
Sabre 1522. — Wie Jautet die Tradition ber Brübergemeinden über ben Urfprung ihrer Partei ? 
— Anfihten neuerer Forfcher. — Das erfte Hervortreten ber alten Gemeinde in Züri. — Eine 
volftändige Organifation ber Gemeluben in der Schweiz iſt fon um 1521 nachweisbar. — 
Im Herbie 1522 ſchließt ſich €. Grebel der alten Züricher Gemeinde an. — Die Zins: und 
Zehntenfrage. — Die Berlümmerung ber alten Gemeinden. — Die Haupiſtreitpunkte. — Die 
Einführung ber Spättaufe im Jahre 1525. — Der literarifhe Kampf. — Die „Heiligen. — 
Die Brüber des „freien Geifted”. — Der Brudermorb in S. Gallen. — Die Ausbreitung ber 
„Brüder. Seite 392-—412. 


Achtzehntes Kapitel. 


Bie große Beit der altevangelifhen Kirche. 


Die zweite Periode bed fogenannten Anabaptismus fett 1526. — Die Führer diefer Be⸗ 
wegung: Denk und Hubmeier. — Das Anfehen biefer Männer bei ben fpäteren „Taufgefinnten”. 
— Unterſchied der erfien und zweiten Periode ber Brüdergemeinden. — Der Beginn ber Altion 
in Nürnberg. — Die erfte und zweite Synode ber Brüder zu Augsburg 1526 und 1527. — 
Die Refultate der Berathungen und Dends Büchlein von der Liebe. — Die Literatur ber Brüber 
in jenen Jahren. Seite 413—1435. 


Neunzehntes Kapitel. 


Der Aampf nm den alten Glanben. 


Kirchenverfaffung und Cultus der erneuerten Gemeinden. — Einfluß der Bauhütle — Die 
Taufe, ber Bann, das Abendmahl, tie Gottesdienſte. — Diakonen, Acltefte, Vorſteher, Diener 
des Wort, Paftoren, Coangeliften. — Die Hanbauflegung der Senioren. — Die Aelteften ber 
Geſammtkirche und die Bifchöfe. — Vorrechte der Biſchͤfe. — Die Synoden, die Monatsver⸗ 
fammlungen, Jahresverfammlungen. — Die Apoftel. — Die Verfolgungen und Hinrichtungen. — 
Der Reichstagsabſchied vom Jahre 1529. — Luther und Melanchthon über bie Hinrichtungen. — 
Die Ereigniffe in Münfter. — Job. v. Leyden. — Das neue Israel. Seite 436—457, 


Zwanzigſtes Capitel. 
Aeberſicht über die ſpäteren Entwicklungen. 


Religids⸗kirchliche Zuſtände des 17. und 18. Jahrhunderts. — Sebaftian Frand und Casp. 
v. Schwenkfeld. — Die Stellung ter Fürften von Brandenburg, Heffen und Baden zu Schwenk 
feld. — Die Pfalzgräfin Elifabetb und bie altevangelifchen Gemeinden. — Altevangelifche Unter⸗ 
ftrömungen in ber reformirten Kirche. — Joh. Sigismund, Ehurfürft von Brandenburg. — Die 
Bruderſchaften ber beuifchen Werkleute. — Rofenkreuzer und Freimaurer. — Die altevangelifchen 
Gemeinden. — Der ältere deutfche Pietismus. — Puritaner und Independenten. — Leffing und 
Kant. Seite 158 — 438. 








Die Reformation. 


„Das hoͤchſte Lob gebührt ber hriftlichen Religion, 
beren reiner ebler Urſprung fih immerfort dadurch 
bethätigt, daß nach ben größten Verirrungen, in welche 
fie ber dunkle Menſch Hineinzog, ehe man ſichs ver- 
ſieht, fie fih in ihrer erſten lieblichen Eigenthümlich⸗ 
keit zu Erquickung bed fittlihen Menfchenbebürfnifies 
immer wieber hervorthut“. Goethe. 


Erſtes Capitel. 
Die Kirche und die Ketzer. 


Die Gewifjensfreiheit in den erften chriftlichen Jahrhunderten. — Die römifche 
Ketzergeſetzgebung. — Die Waldenfer. — Berichte der Zeitgenofien über fie — . 
Angebliches Sektenchaos. — Die Ketzer des 16. Jahrhunderts. — Waldenfer 
und Täufer. — Die Duellen der Keßergefchichte und ihre Verſtümmelung. — 
Petrus Waldus und der Urjprung ver „Brüder“. — Francisfaner und Wal⸗ 
denfer. — Ausbreitung der Partei. — Begbarden und Beghinen. 


Die hriftliche Kirche der erſten drei Jahrhunderte kannte in 
Uebereinftimmung mit der Lehre ihres Stifter und in bewußtem 
Gegenfag zum Judenthum feinen weltlihden Zwang in Glaubens- 
ſachen. 
Erſt in den Zeiten, wo unter Kaiſer Conſtantin der Bund 
zwiſchen dem Beherrſcher des römiſchen Weltreichs und dem Biſchof 
von Rom ſich vollzog, begann die Lehre Glauben zu finden, daß 
auf Erfordern der Kirche der weltliche Arm diejenigen als Ver⸗ 
brecher beſtrafen müſſe, welche trotz empfangener Belehrung den 
Dogmen der Kirche ſich nicht unterwarfen. 

Schon in das römiſche Recht des 5. und 6. Jahrhunderts waren 
einzelne Beſtimmungen wider die „Häretiker“ aufgenommen worden!), 
und in der Periode der größten Machtfülle des Papſtthums, im 
12. und 13. Jahrhundert, wurden diejelben durch die Eonftitutionen 
der römiſch⸗deutſchen Kaifer betätigt und erweitert. 

Bom 12. Jahrhundert an ift die Theorie zur allgemeinen An- 
erfennung gebracht, daß die Abweichung von der römifchen Kirchen 


1) Vgl. diefe Beitimmungen bei Richter Lehrb. d. evang. u. kath. Kirchen 
rechts, Lpzg. 1867 ©. 610. — Die Erlaffe des Codex Justin. (Lib. I tit. 6. 7) 
gegen biejenigen Keter, welche die Spättaufe ertheilten, ſ. b. Richter a. O. 
©. 609 Anm. 4. 

Keller, Die Reformation. 1 





2 


lehre der perfünliden Sünde zugufchreiben ſei). Der Aus- 
druck „häretifche Schlechtigkeit" wurde im Tirchlichen Necht zur Be⸗ 
zeichnung eines ftrafwürbigen Verbrechens. 

Die Ketzer find feit den Zeiten der päpftlichen Weltberrfchaft 
„peitilenzialifche Perſonen“, die fich einer fchwereren Strafe ſchuldig 
machen als die, welche fonjtige fleiſchliche Sünden begehen. 

Es war dieſe Lehre ein integrirender Theil des Shftems, welches 
in Kirche und Religion fich feitgejegt Hatte. Es gab in dieſem wohl- 
gefügten Lehrgebäude Teinen Theil, am wenigjten einen fo wichtigen, 
welcher ein überflüffiges Glied gewejen wäre; vielmehr forderte der 

Begriff der Kirche, wie er ausgebildet worden war, mit Noth- 
wendigkeit, daß das Recht zur Forderung ber Ketzerſtrafen den Ver- 
tretern der Kirche gewahrt werde. 

Es ift von einer Autorität, welche in diefen Fragen gerade von 
römiſch⸗katholiſcher Seite anerkannt werden dürfte, nämlich von 
Profeſſor Dr. W. Martens, der Nachweis erbracht worden, daß bie 
gejeßlichen Beftimmungen über die criminalvechtliche Verfolgung der 
Ketzer in der katholiſchen Kirche „eine dogmatiſche Baſis“ 
haben, d. h. daß fie mit.dem ganzen Syſtem des Glaubens, an 
welchem die Seligfeit der Menfchen hängt, untrennbar verbunden 
find und daher einen dauernden und unveränberlichen Charakter 
für alle Zeiten, und fomit auch für unfere Zeit befigend. . 

Die Bulle Papft Leo X. v. 15. Sunt 1520 — fo führt Brof. 
Martens aus — ift ein Hinreichender Beweis für die Dogmatifche 
Grundlage, welche die Lehre von den Ketzerſtrafen in der Tatholifchen 
Kirche beſitzt. „Der Papſt wollte (in der genannten Bulle) es als 
übereinftimmend mit dem depositum fidei bezeichnen, daß es dem 


1) Befonders ift e8 Thomas von Aquino geweſen, welcher dieſes Syften in 
eine wiſſenſchaftliche Form gebracht Hat. Er ſucht den Beweis zu führen, baß 
die Härefie ein Vergeben fei, welches ſchlimmer ift als bie jchwerften weltlichen 
- Berbrechen. Th. v. Aquino Summa Il. 2. Quaest. XI Art. 3 „Meruerunt non 
solum ab ecclesia per excommunicalionem separari, sed etiam per mortem 
amundo excludi.... statim ex quo de haeresi convincuntur possunt non 
solum excommunicari, sed et juste occidi.“ Thomas hält alſo eine Be- 
lehrung der überführten Ketzer nicht für nöthig. 

2) Dr. W. Martens, kathol. Prof. am bifchöfl. Seminar zu Pelplin, im 
Archiv für kathol. Kirchenrecht Bd. VIE S. 201 ff. 











3 


göttlichen Willen nicht widerfpreche, wenn Die weltliche Obrigkeit auf 
Grund der empfangenen Vollmacht die Häretifer als Webelthäter 
beftrafe und fogar hinrichte“. „Deßhalb“, fährt Martens fort, 
„müſſen wir ung als Katholiken hüten, die Praxis (der älteren Jahr⸗ 
Hunderte) mit dem falfchen Liberalismus für Die Eruption einer 
fanatifchen Bornirtbeit oder eines unerfättlichen Blutdurſtes zu hal 
ten.” „Waren aber die Fürften des Mittelalters berechtigt, bie 
Härefie als ein Stantöverbrechen anzufeben, fo muß auf Grund der 
päpftliden Decifion auch noch heute den (katholifchen) Trägern 
der weltlichen Obrigfeit jenes Recht an und für fich eingeräumt 
werben‘ 1). 

In dem Buche Numeri Cap. 45 V. 32—36 (fo führt Martens 
weiter aus) berichtet Moſes Folgendes: „Es begab fich aber, da bie 
Söhne Israels in der Wüfte waren, daß fie einen Menfchen fanden, 
der Holz fammelte am Tage des Sabbath und fie brachten ihn vor 
Moſes und Aaron und die ganze Gemeine: und biefe verjchloffen 
ihn ind Gefängniß, weil fie nicht wußten, was fie mit ihm thun 
folften. Und der Herr fprach zu Mofes: „Diefer Menſch ſoll fterben ; 
die ganze Gemeine fol ihn fteinigen außerhalb des Lagers. Und 
jie führten ihn hinaus und fteinigten ihn und er ftarb, wie e8 der 
Herr geboten Hatte”. 

Ferner fpricht Mofes Deuter. 13, 1ff.: „Wenn in deiner Mitte 
ein Prophet auffteht, oder einer vorgiebt, er babe einen Traum ge- 
fehen und jagt ein Zeichen oder ein Wunder vor und e8 gejchiebt, 
was er gefagt hat und fpricht zu dir: laß ung hingehen und frem⸗ 
den Göttern folgen, die Du nicht Fennft, und ihnen dienen, fo ſollſt 
du die Worte diefes Propheten und Träumers nicht hören u. f. w. 
Denſelben Propheten und Traumerdichter joll man tödten: denn 
er bat gerevet, euch abwendig zu machen von dem Herrn. Wenn 
bein Bruder, der Sohn deiner Mutter oder deine Toch— 
ter oder das Weib in deinen Armen oder der Freund, 
den Du liebft wie deine Seele, zu dir redet: laß uns hin- 
gehen und fremden Göttern dienen, die du nicht fennft noch beine 
Väter, jo willige nicht ein und gehorche ihm nicht und dein Auge 


1) Martens, a. O. ©. 205. 


4 


ſchone feiner nicht, daß du dich erbarmeft und ihn verbergeſt, ſon⸗ 
dern tödte ihn alsbald“. 

In dem neuen Bunde nun, fährt Martens fort, hat Chriſtus 
feinen Apoſteln und deren Nachfolgern allerdings nicht die Voll- 
macht gegeben, die Todesftrafe über faljche Propheten zu verhängen. 
Aber „es läßt fich zeigen, daß es der weltlichen Obrig- 
feit anheimfällt, gegen jene einzuſchreiten“y. In dem 
13. Capitel des Römerbriefs nämlich lehrt der 5. Paulus: „Sie 
(die Obrigkeit) ift Gottes Dienerin, dir zum Beßten: wenn bu aber 
Böſes thuft, fo fürchte Dich; denn nicht umſonſt trägt fie Das 
Schwert: denn fie tft Gottes Dienerin, eine Rächerin zur Beſtra⸗ 
fung für den, der das Böſe thut“. 

Auf die Frage, was die Beitrafung der Böfen mit der Hin- 
richtung „falicher Propheten” zu thun babe, giebt Martens die 
Antwort, dag „die Abweichung von ber wahren Glaubensregel etwas 
Sündhaftes iſt“. 


Die Ausbildung dieſer Theorie fällt zeitlich etwa zuſammen 
mit den heftigen Verfolgungen, welche die römiſche Kirche im 12. 
und 13. Jahrhundert gegen diejenigen „Sekten“ anſtellte, welche an 
der Glaubenslehre und Kirchenverfaſſung der erſten chriſtlichen Jahr⸗ 
hunderte auch dann noch -feitgehalten hatten, ale der Biſchof von 
Rom von derjelden abgefallen war. 

Man kennt ven Haß, welcher damals von dem Mittelpunkt 
des alten Weltreihs aus überall bin gegen diejenigen verbreitet 
warb, welche fich gegen die Theorien, die in der Dauptftabt zur 
Herrſchaft gelommen waren, auflehnten. 

Genau in derſelben Weife wie einft Paulus vor den römifchen 
Landpfleger gejchleppt ward, weil er der „Rädelsführer fei der Sekte 
der Nazarener” (Apoftelgeich. 24, 5), wurden jet von ben römischen 
Officialen unter demfelben Vorwurf andere Chriften abgeurtheilt 
und zum Tode geführt. Die Verurtheilten aber pflegten zu fagen, 
daß, wie zu Paulus Zeit die rechten Chriften als „Sekte“ be- 
zeichnet worden feien, fo vielleicht auch heute Das Chriſtenthum mehr 
auf der Seite der Verfolgten als der Verfolger fich finde. 


1) Martens, a. O. ©. 203. 


5 


Den erften Platz unter diefen „Sekten“ nimmt eine Religions 
gemeinschaft ein, welche in Uebereinftimmung mit dem Gebrauch ver 
apoftolifcden Jahrhunderte ſich einfah „Chriſten“ nannte und im 
gegenfeitigen Verkehr die Bezeichnung „Brüder“ gebrauchte. 

Der Name „Chriften” konnte in den fpäteren Jahrhunderten 
als charakteriftifche Bezeichnung von den herrſchenden Parteien ſchon 
um befwillen nicht anerfannt werben, weil in dieſem Zugeſtändniß 
eine Beeinträchtigung des eignen Ehriftennamens gelegen hätte, und 
fo Tamen von frühen Zeiten an für die „Brüder“ die mannig- 
fachiten Namen auf, welche die Erforſchung ihrer Gefchichte unge- 
mein erjchwerent. 

In Italien wurden die „Brüder“ vielfach „lombardiſche Arme‘, 
in Deutfchland „Arme von Lyon“ (Leoniften) genannt; unter dem 
Volke biegen fie „Iombarbifche Brüder”, „Schweizer Brüder“, „Wälfche 
Brüder“ und „Böhmiſche Brüder”. 

Die Bezeichnung, unter welcher fie in ver heutigen Literatur 
am belannteften find, die aber von der Partei ſelbſt Jahrhunderte 
Yang zurücgewiefen worben ift, lautet „Waldenſer“. 

Für die allgemeine Charakteriftif diefer Religionsgemeinfchaft, 
ihr Alter, ihre Ausbreitung und ihre Tendenzen tft die Schilverung 
eines römischen Inquifitors 1), des fog. Pſeudo⸗Reiner, ſehr wichtig, 
welche etwa im J. 1250 aufgezeichnet worden tft. In diefer Schil- 
derung heißt e8 wörtlich: 

„Unter allen Sekten ift Teine verberblicher für die Kirche als 
diejenige der Leoniften. Und dies aus drei Gründen: zunächit, weil 
fie am weiteften hinaufreicht; denn einige fagen, fie beftehe 
feit der Zeit Sylveſters (c. 315 n. Chr.), einige feit der Zeit ber 
Apoſtel; ferner, weil fie die ausgebreitetite tft, denn es giebt faft 
fein Land, in welchem diefe Sekte fih nicht findet; drit— 
tens, weil, während andere Sekten Durch die Größe der Blasphemien 


1) Man Hat die Schrift, die unter dem Zitel „Summa de Catharis et 
Leonistis“ belannt ift, früher dem Inguifitor Reinerius Sacchoni.(f 1259) zu- 
geſchrieben. Es ift dies ſehr zweifelhaft. Jedenfalls aber rührt fie von einem 
Keßerrichter ber, der um 1250 lebte. — Diejelbe Schrift ift fpäter von Jacob 
Gretſer (t 1625) unter dem Titel „Contra Waldenses* wieder herausgegeben 
worden; |. ven Abbrud in ber Max. Bibl. Patrum Vol. XXV p. 262 ff. 


6 


gegen Gott den Hörern Schrecken einflößen, dieſe Sefte der Leoniften 
einen großen Schein von Frömmigkeit befittt und zwar deßhalb, weil 
fie in den Augen der Menſchen veblich Ieben und alles Gute von 
Gott glauben, auch alle Artikel, welche im Symbolum ftehen; nur 
die römische Kirche verabfcheuen fie und ihr Prieſterthum und dies 
zu glauben ift die Menge der Laien leicht geneigt” 1). 

Um feinen Amtöbrübern die Auffpürung der „Seltirer” zu er- 
Yeichtern, zählt verfelbe Autor folgende Merkmale auf. „Die Häre- 
tifer find zu erfennen an ihrem Lebenswandel und an ihrer Nebe- 
weife. Sie find nämlich in ihrem Wandel geſetzt und befcheiden, 
fie tragen feinen Hochmuth zur Schau in ihrem Aeußeren, indem 
Ste fich weder koſtbarer noch fchlechter Kleider bedienen. Negotiationen 
treiben fie nicht um die Unwahrheit, Eid und Betrug zu meiden. — 
Reichthümer erjtreben fie nicht, fondern find mit dem Nothwendigen 
zufrieden. Auch find fie Teufch, beſonders die Leoniften. Auch find 
fie mäßig in Speife und Tran. In die Schenken gehen fie nicht, 
auch nicht zum Tanz und zu andern eitlen Vergnügungen. Auch 
vom Zorn halten fie fich fern; fortwährend find fie fleißig, lernen 
oder lehren und beten deßhalb zu wenig. — Dean erkennt fie ferner 
an ihrer fchlichten und beſcheidenen Redeweiſe; fie hüten fich vor 
unnügen Worten, vor üblem Nachreden und leichtfertigen Sprechen 
ebenfo wie vor Lüge und Schwur“?). 

Es ift befannt, daß in der landläufigen Literatur die ſchlimmſten 
Schilderungen über ihre „Irrlehren“ zu finden find. Doch würbe 
e8 von großer Naivität zeugen, wenn man biefe Ausfagen ohne 
Weiteres für baare Münze nehmen wollte. Einer der neueren 


1) Die interefianten Worte Yauten: „Inter omnes sectas.... non est per- 
niciosior ecclesiae quam Leonistarum. Et hoc tribus de causis. Prima est, 
quia est diuturnior. Aliqui enim dicunt, quod duraverit a tempore Sylvestri, 
aliqui a tempore Apostolorum. Secunda, quia est generalior. Fere enim nulla 
est terra, in qua haec secta non sit. Tertia, quia cum aliae sectae imanitate 
blasphemiarum in Deum audientibus horrorem inducunt, haec scilicet Leoni- 
starum magnam habet speciem pietatis; eo quod coram hominibus juste 
vivant et bene omnia de Deo credant et omnes articulos, qui in symbolo 
‚continentur; solummodo Romanam ecclesiam blasphemant et Clerum, cui 
multitudo Laicorum facilis est ad credendum. Max. bibl, Patrum Lugd. 1676 
Vol. XXV p. 264. 

2) Nach ©retfer in der Max. Bibl. patrum Vol. XXV p. 272, 








7 


Forſcher auf diefem Gebiete, der mit großer Gewiſſenhaftigkeit den 
balbverlorenen Spuren nachgegangen ift, ift zu dem Refultat ge 
kommen, daß „Die Waldenfer in wahrhaft ſataniſcher Weife ver- 
leumdet, der Zauberei, der Anbetung Lucifer8 und der furcht- 
barjten Sittenlofigfeit befchuldigt worden find‘), | 

Sm 13. Jahrhundert wurde von ihren Gegnern 3. B. behauptet, 
daß bei ihren abendlichen Zuſammenkünften plöglich die Lichter ges 
löfcht würden, und dag alsdann allgemein Ausfchweifungen ftatt- 
fänden; andere wollten wifjen, daß Teufelsbeſchwörungen bei ihren 
Gottespienften vorgenommen würben, und daß der Teufel wirklich 
von ihnen gefehen werde; noch andere fagten, daß fie Raten und 
Fröſche in ihren „Kirchen“ zu küſſen pflegten u. f. w. 

. David von Augsburg, welcher ums Jahr 1260 uns dies bes 
richtet, fügt aufrichtig genug hinzu, er glaube nicht, daß folches bei 
diefer Sekte vorkomme?). 

Aber trotz dieſes Widerſpruchs einſichtigerer Männer blieben 
Vorſtellungen, wie die erwähnten, in der Öffentlichen Meinung maß⸗ 
gebend. Der Chronift Samuel Müller berichtet zum Jahre 1453: 
„sn diefem Jahr erhob fich die Kegerei in Thüringen, befonders in 
Sangerbaufen und im Schwarzburgifchent Gebiete vor dem Harze. 
Mann und Weib, Bruder und Schweiter gingen zuſammen heimlich 
in ein Haus und beteten in einem Keller den Teufel an. ‘Diefer 
kam in Geftalt einer Hummel und flog Jedem in ven Mund. Wer 
fich gegen die Hummel verneigte, dem ward viel Gutes. Hierauf 
wurden bie Lichter ausgelöfcht, und Feder griff um fich und fündigte 
mit der Ergriffenen, war e8 auch Mutter, Schweiter oder Tochter‘ 3), _ 
Für ſolche Schlechtigfeit wurden denn laut unferer Quelle die Ketzer 
im ganzen Lande zahlreich verbrannt. 

Derjelbe David von Augsburg, welcher als Inquiſitor nach 
feinem eigenen Bericht viel mit Waldenfern zufammtengelommen tft, 
erzählt: „Die Selte der Armen von Lyon und die ihr Ähnlichen 


1) Herm. Haupt, Die religidfen Selten in Franken ©. 24 Anm. 3. Vgl. die 
bort angeführten Belegitellen für dieſe Behauptung. 

2) Der Bericht in ven Abhandlgg. der 1. Cl. d. K. B. A. d. W. zu M. 1878 
Bd. XIV Abth. II ©. 211. 

3) Förſtemann, Die riftlichen Geißlergefellihaften 1828 S. 172. 


8 


find um fo gefährlicher, je mehr fie fich mit dem Schein der Fröm⸗ 
migfeit ſchmücken“). An einer anderen Stelle heißt e8: „Ihr 
Lebenswandel ift dem äußeren Scheine nach demüthig und bejchei- 
ben, aber im Herzen find fie Hochmüthig u. ſ. w.“?). Sie be 
haupten, fromme Männer unter fich zu haben, meint David, aber 
fie jehen nicht, „daß wir unter uns unendlich viel ausgezeichnetere 
befigen, da fie mit feinem Schein fich fehmüden, während bei den 
Häretilern alles durch Verbrechen überbedte Heuchelei iſt“9. 
„Die Waldenfer beſuchen die Kirchen und die Predigten und 
zeigen fich in Allem durchaus religiös, fie haben gejekte Sitten, 
überlegte, vorfichtige Worte, fie fprechen gern von Gott, von heiligen 
Männern und von den Tugenden, von der Meidung des Lafters 
und von dem Thun des Guten, um dadurch für aut gehalten zu 
werden und... um fo geheimer das Gift ihrer Perfivie anderen 
einzuflögen und Begünftigung ihrer Lafter zu erwerben‘ 4), 


Schon in den früheften Quellen wird von den Walbenfern 
behauptet, daß fie in eine Reihe von „Selten“ zerfielen, und 
außer den oben bereit8 genannten Seftennamen werben noch eine 
große Anzahl anderer aufgeführt. 

Sm 12. und 13. Iahrhundert wird der Name Sabbatati, Sab- 
batarii oder Insabbatati als identifch mit demjenigen der Walden⸗ 
fer ausdrüdlich in amtlichen Erlaffen bezeichnet). Andere Schrift- 
ftelfer haben daraus in leicht erfennbarer Tendenz eine befondere 
„Sekte“ der Waldenfer gemacht, während in Wahrheit der Name 
von der Tracht einzelner Waldenfer-Prediger hergenommen ift und 
eine bejondere Fraction nicht beftanden hat. Ä 

Sehr frühzeitig begegnet uns ferner die Bezeichnung „apo—⸗ 
ſtoliſche Brüder”, deren Urſprung unten ſich vollkommen er- 


1) David von Augsburg a. O. S. 211. 

2) A. O. S. 212. Abſchnitt 12 des Tractats. 

3) A. O. S. 212. Abſchnitt 13. 

4) David v. Augsburg a. O. ©. 217. 

5) So in ben Beichlüffen des Concil8 von Zaracone von 1242; ferner in 
einem Edikt von 11935 ſodann bei Eberharb von Bethune (Max. bibl. Patr. Vol. 
XXIV, 1526) im 12, Jahrh. — Weitere Belegitellen für dies Wort als Partei⸗ 
name der Walbdenfer bei Du Cange Glossarium se. v. 


9 


Hären wird, und die gleichfall8 nur ein anderer Name für dieſelbe 
Richtung iſt. 

Im 14. Jahrhundert taucht im weitlichen Deutfchland ver Name 
„Winkeler“ auf und gleichzeitig werben fie im Often „Sruben- 
heimer“ genannt — eine Bezeichnung, die daſſelbe befagt, und bie 
fpäterhin ihre Erflärung finden foll. 

Abſichtliche oder unabfichtlihe Entjtelung bat dieſer Partei 
dann auch Namen eingetragen, welche auf die von ihr principiell 
verichiedene Richtung der Katharer angewendet zu werben pflegten, 
beſonders die Bezeichnung „Bolllommene”; 

Dagegen jcheint e8, als ob der Ausdruck „Spirituales‘“ oder 
„Enthusiastae‘‘ vorwiegend auf Die Waldenfer zu beziehen fei, ohne 
daß indeifen, wie man vorgiebt, eine bejonvere „Sekte“ unter ihnen 
fih fo genannt hätte. 

Es ift richtig, daß gewilfe lokale Verfchievenheiten unter ihnen 
vorhanden waren. Aber es ift Doch bezeichnend, daß ſelbſt die In⸗ 
quifitoren zugeben, nicht bloß Die „Sekten“ feien früher „eine 
Sekte’ gewefen!), fondern auch, daß fie ihren Feinden gegenüber 
feft zuſammenhalten. 

Wenn man eine „Selte” diejenige Partei nennt, welche unter 
befonderen Eultusformen und eigner Kirchenverfaffung fich als felb- 
ftändige Gemeinſchaft conftituirt, fo bat es unter den Walbenfern 
derartige Selten überhaupt nicht gegeben. 

Wenn man aber abweichende Auffaffungen in einzelnen Bunt- 
ten, die fich als „Schulen“ in jeder Kirche finden, als „Sektirerei“ 
bezeichnet, fo bat freilich diejenige Gefchichtichreibung recht, welche 
3.3. im Franciskaner⸗Orden des 14. Jahrhunderts mehr als ein 
Dutzend „Selten“ unterjcheivet. Man weiß ja in der That, daß 
bie verſchiedenen Richtungen dieſes Ordens fich heftiger befämpft 
haben, als es bei den Waldenſern je ver Ball geweſen ift. 

Zur Charakterifirung diefer ganzen Sektenſpürerei mag die 
Thatfache dienen, daß die katholiſchen Parteifchriftfteller des 16. Jahr⸗ 
hunderts unter ven Qutheranern eine ganze Reihe von „Sekten 
entbedft haben. Dr. Eajp. Trande zählt im Jahre 1576 unter 


1) David von Augsburg a. O. ©. 216. 


10 


Anderem auf): 1. Die Sekte der Ambsdorfianer, welche lehren, 
dag die guten Werke ſchädlich find zur Seligkeit?). 2. Die Selte 
der Adiaphoriſten, welche gewilfe Bräuche und Lehren für gleich“ 
gültig erflärt. 3. Die Selte der Illyrikaner. 4A Die Selte 
der Majoriften. 5. Die Sekte der Dfiandriften. 6. Die 
Sekte der Confeſſioniſten u. |. w. 

Hingegen war e8 den rechtgläubigen Qutheranern ihrerjeits ge- 
lungen, unter ihren Tatholifchen und pietiftiichen Gegnern noch viel 
zahlreichere „Sekten“ zu entveden. Ja, nachdem einzelne ſchrift⸗ 
gelehrte Männer es fertig gebracht Hatten, in Spenerd Theologie 
164 Härefien zu entdeden, fanden ſich alsbald Nachfolger, welche 
behaupteten, daß bie Spenerfche partei unter fi in 164 Selten 
zerfalle. 


Ein Mitglied der Gefellfchaft Jeſu, Jacob Gretſer (geb. 1560), 
bat den Tractat des Pfeudo-Neiner zufammen mit mehreren an- 
deren Streitjchriften gegen die „Keter” um das Jahr 1600 von 
Neuem abbruden laſſen. Gretjer war in feiner Zeit jo berühmt 
als Vorkämpfer der rechtgläubigen Kirche, dag man ihn „Ketzer⸗ 
hammer” zu nennen pflegte, und fein Urtheil in biefen Dingen ver- 
dient baber beſondere Beachtung. 

Da iſt nun merkwürdig, daß er den Abbrud der erwähnten 
Schrift mit der Randbemerkung verfehen bat: „Hier fieht man ein 
wahres Bild der Häretifer unferer Zeit, befonders der Ana— 
baptiften” 3). 

Man bat e8 bisher zu wenig beachtet, daß fowohl die Männer, 
welhe vom 12. Jahrhundert ab in ven Schriften ihrer Gegner 


1) Dr. Caſp. Frande Catalogus Haereticorum. Ingolftabt 1576 fol. 26. 

2) Daß Amsborf in der That eine derartige Auffaffung gelegentlich wertbei- 
digt bat, fteht feſt. Dr. Bernd. Pünjer fagt: „Die lutheriſche Orthodorie fteigert 
diefen Grundſatz (dev Rechtfertigung allein aus dem Glauben) bis zu der ver⸗ 
einzelten Behauptung, gute Werte feien ſchädlich zur Seligfeit, und 
entleert den Glauben immer mehr zur bloßen Annahme des Tircjlichen Lehrbe- 
griffs“. Geſch. der chriſtl. Rel,-Philofophie. 1880. I, 143, 

3) Die Worte Iauten: „Vera effigies haereticorum nostrae aetalis, prae- 
sertim Anabaptistarum“. Reineri Ord, Praed. contra Wald, haereticos liber 
nunc primum integre ex manuscripto codice editus per Jac. Gretser Societ. 
Jesu. Max. bibliotheca patrum. Lugduni 1677. Vol. XXV p. 273, 





11 


„Waldenſer“ heißen, als auch diejenige Partei, welche im 16. Jahr⸗ 
hundert unter dem entſchiedenſten Proteſt ihrer Angehörigen ben 
Schelt- und Spottnamen „Wiedertäufer‘ erhalten hat, fich ſelbſt 
in der Regel einfach „Brüder“ (societas fratrum) zu nennen 
pflegten. 

Diefe Bezeichnung ift im Volke für die „Täufer ebenfo wie 
für die Waldenfer üblich geblieben und der Name „Schweizer Brü- 
der” ift im 16. Jahrhundert befannt genug. 

Wo der gemeine Dann einen anderen Namen für fe brauchte, 
ba wird felten ‘ober nie von „Wiebertäufern‘ gerebet, fonbern es 
begegnen uns diefelben Seltennamen, welche im 12., 13. und 
14. Jahrhundert im Volksmund für die Waldenfer üblich waren. 

Die älteften und befannteften Schriftftelfer, welche wir aus der 
Neformationgzeit über das Täuferthum befigen, beftätigen es, daß 
die Täufer von vielen Zeitgenoffen „Apoftolifche Brüder” genannt 
worben feien. Dies berichten Bullinger, Wigand, Cloppenburg u. 4.1). 

Der Seltenname „Sabbatarii‘‘ ferner, für welchen den &e- 
lehrten des 16. Jahrhunderts jedes Verſtändniß abhanden gelom- 
men war, Tehrt mit der Maßgabe wieder, daß es angeblich eine 
Traction unter den Täufern gegeben babe, welche nach ihrer Sab⸗ 
batbfeier fich alfo genannt hätte?). 

Der Name „Clancularii‘, welcher nah Meshonius und Ottius 
diejenige „Sekte der Täufer bezeichnet, bie in „Gärten‘’3) ober 
abgelegenen Winkeln zufammen zu fommen pflegt, ift natürlich nichts 
anderes als die Ueberfegung der uralten Bezeichnung „Winkeler“, 
und wenn berfelde Ottius jagt, daß die „Srubenheimer-Sefte‘ von 
Anderen auch „Geißler“ genannt werde, fo leuchtet ein, daß Das 
Volk einen gewiffen Zufammenhang der Täufer mit den Geiplern 
zu finden glaubte, 

Schon im 12. Jahrhundert ergiebt ſich aus Eberhard von 
Bethunes Relation, daß der Name „Magistri barbati“ als Be—⸗ 

1) Die einzelnen Stellen aus diefen Schriftftellern hat Ottius in ben 
Annales Anab. 1672 Praef. Bl. d. 2b gefammelt. 

2) Ottins a. O. Praef. Bl. d. 4b, 

3) Zu Augsburg bießen, wie gleichzeitige Ouellen fagen, um 1530 bie 


„Wiedertäufer“ „Gartenbrüder“; das eine ift der gelehrte, das andere der Volks⸗ 
ausdrud. 


12 


zeichnung für die Prediger-Brüder der Waldenfer im Volke üblich 
gewefen ift!). Der Ausprud „Bartmänner” aber — berfelbe 
ift aus der Bezeichnung des Gegenfates zur den bartlofen Geift- 
lichen ver Tatholifchen Kirche entftanden — warb nicht bloß im 
16. Jahrhundert, jondern fogar bis auf unfere Zeit in manchen 
Gegenden Deutfchlands auf Diejenigen Perſonen angewendet, welche 
anderwärts Mennoniten genannt zu werben pflegen. 

Wenn man diefe Umftände ins Auge faßt und dazu erwägt, 
daß nachweislich der Name „Anabaptiften” in den Kreiſen der ge⸗ 
lehrten Theologen des 16. Jahrhunderts erfunden worben ift, fo 
kann man ſich der Vermuthung nicht erwehren, daß es fich bei 
diefer Bezeichnung nur um einen neuen Selten-Namen für 
eine alte Partei handelt, die in ihrer langen Gefchichte deren un« 
zäblige beſeſſen und verloren bat. 

Daß eine ſolche Vermuthung wirklich zutrifft, dafür wird ber 
vollgültige Beweis in den nachfolgenden Erörterungen erbracht werben. 


Ehe wir in dieſe Beweisführung eintreten, müſſen folgende 
Punkte kurz berührt werben. 

Es giebt faum ein Gebiet der politifchen oder kirchlichen Ge⸗ 
ſchichte der chrijtlichen Zeit, welches fo verwirrt und entftellt ift wie 
bie Gefchichte der „Ketzer“. 

Die Quellen, welche uns zu Gebote ftehen, find nicht bloß 
verbältnifmäßig ſpärlich, fondern, was weit jchlimmer ift, fie find 
im böchiten Grabe unzuverläffig und entfteltt. 

Die Berichte der Älteren Theologen müſſen bis in das 17. 
und 18. Jahrhundert hinein befonders deßhalb mit der größten 
Borficht verwendet werben, weil ihre Verfaffer faft regelmäßig die 
Meberzeugung begen, daß „ketzeriſche Irrlehren“ aus natürlicher 
Bosheit und Schlechtigfeit herſtammen. „Ketzer müſſen Schlecht 
fein und wenn man nur genau zufieht, jo wird man ihre Schlech- 
tigkeit Schon entdecken“ — das ift der ausgefprochene Grundſatz ber 
ganzen älteren Keterliteratur, foweit fie aus römifcher ober recht. 
gläubig Iutherifcher Feder der älteren Zeit hervorgegangen it. 


1) Max. bibl. Patrum Vol. XXFV p. 1964. 








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Es ift ganz natürlich, daß derjenige, der überall Bosheit finden 
will, auch die harmloſeſten Perſonen in feiner Vorftellung leicht 
zu Verbrechern ftempelt. 

Auf den Belenntniffen der „Ketzer“ felbft baut ſich gewöhn⸗ 
lich die ältere Hiftoriographie der Sekten auf. In der That ent- 
halten die Belenntniffe, wie fie uns vielfach noch heute in den 
Alten vorliegen, bisweilen die ungeheuerlichften Dinge; die An- 
geflagten geben genaue Auskunft über ihren Verkehr mit dem 
Teufel, über ihre moralifche Schlechtigfeit, ihre Verachtung alles 
Heiligen u. f. w. | 

Aber wie find diefe „Bekenntniſſe“ in der Regel zu Stande 
gelommen? Es läßt fich darthun, daß vielfach die betr. Protocolle 
ſchon vor der Vernehmung des Angefchuldigten nach den Ausfagen 
ber Denuncianten aufgefeßt worden find. Trat der Angeklagte nun 
vor das Tribunal, jo wurden ihm die Punkte der Denunciation 
vorgelefen und er befragt, ob er fich derſelben fchuldig wilfe. Wenn 
ber Delinquent, wie e8 gewöhnlich geſchah, Teugnete, jo warb bie 
Folter angewendet und mit diefer Procedur dem unglücdlichen 
Dpfer fo lange zugefett, bis er alles befannte, was die Richter in 
ihn binein fragten. Sobald das beftätigende „Ja“ erlangt war, 
jo hatte man die Grundlage für die Erecution gewonnen '). 

Natürlich gab e8 auch gewiſſenhafte Inquifitoren. Aber jelbft 
da, wo die Protocolle nicht auf die vorftehende Weiſe entftanden 
find, ward, nach der Sitte und den Rechtsgrundſätzen der Zeit, Die 
Tolter als nothwendiges Mittel zur Erforfchung der Wahrheit bes 
trachtet. Wo dieſe aber zur Anwendung gelommen tft, va darf von 
vornberein allen benjenigen Ausfagen, welche die Gefangenen zu 
ihrem Nachtheil machen, die Glaubwürdigkeit abgeftritten werben. 

Es ijt eine längſt anerfannte Thatfache, daß viele von dieſen 
„Bekenntniſſen“ als abfichtlich oder unabſichtlich gefälichte Dofu- 
mente angejehen werden müflen 2). 


1) Höchſt inſtruktiv ift in dieſer Richtung das ganz ähnliche Prozekverfahren, 
welches gegen die „Heren‘ zur Anwendung gelommen if. Das Nähere darüber 
vgl. bei Dr. 5. Leitſchuh Beiträge zur Gefchichte des Hexenweſens in Franken. 
Bamberg 1883, | 

2) Beifpiele bei Hahn Gef. der Keber II, 414f. 


14 


Hierzu kommt, daß, wie e8 feinen Heftigeren Haß giebt als 
Religionshaß, hier die Leivenfchaften Leider die Wahrheit mehr als 
irgendwo fonft getrübt haben. 

Man fühlte gleihfam das Bedürfniß, die entfeglichen Grau⸗ 
ſamkeiten, die an den „Ketzern“ verübt worden find, vor ſich und 
vor der Nachwelt dadurch zu entichuldigen, daß man diefe Leute 
als ganz verworfene Subjefte hinſtellte. 

Nachdem mit Hülfe äußerer Gewalt der Sieg der einen Partei 
entichieden war, wurde mit derfelben Energie, mit welcher man gegen 
die Perfonen vorging, auch der Kampf gegen die Literatur des unter- 
legenen Theils eröffnet. So Tommt es, daß wir aus den wichtigften 
Perioden des Waldenſerthums fat ausfchlieglich auf die Berichte 
ihrer Gegner angewiefen find. 

Um fih eine Vorftellung davon zu bilden, wie gegenwärtig bie 
Gefchichte der „Ketzer“ ausfieht, braucht man fich nur zu vergegen- 
wärtigen, wie die Gefchichte des Proteftantismus ausfehen würde, 
wenn e8 etwa Karl V. im Jahre 1547 gelungen wäre, ihn gänzlich 
nieberzumerfen und bie Literatur deſſelben zu unterbrüden. Welche 
Schilderungen über die Evangelifchen im 16. Jahrh. im Schwange 
waren, berichtet und gelegentlich Wolfgang Capito, indem er fagt: 
„Wie viel feltfame Lügen baben fie auf uns erbichtet. Dem legen 
fie zu, er jet bei den Knechten H....» Weibel gewefen, dem anderen, 
er fet bei ver Magd im Chebruch begriffen worden, dem britten, 
daß er geftohlen habe. Jetzt bringen fie das Gerücht auf, dag wir 
alle Obrigkeit begehren umzuftürzen” u.f.w. 

Wenn die Schriften, in welchen derartige Beichimpfungen ftan« 
den, die einzigen Quellen über die Reformation wären, würde es 
ſchwer fein, über fie hinweg zur Wahrheit hindurch zu dringen. 

Die Härefiologen der herrſchenden Kirchen haben in ihre Be- 
richte bisweilen Aeußerungen ihrer Gegner verwebt, die zum Theil 
wohl in der That den Kreifen ver „Ketzer“ felbft entjtammen, und 
man könnte glauben, wenigſtens hierin feten Boden zu befiken. 
Aber die näheren Nachforfchungen zeigen, daß die Aeußerungen in 
der Regel foldden Schriften oder Schriftitellern entnommen find, 
welche als Repräfentanten der Gefammtpartei weder zu 
ihrer Zeit galten noch jemals gelten wollten. 


15 


Es verjteht ſich von jelbft, daß e8 unter den „Ketzern“ wie 
unter jeber anderen Richtung fonderbare Schwärmter gegeben bat, 
ja, man kann ruhig einräumen, daß e8 viele unter ihnen gab. Die 
furchtbaren Verfolgungen, die Heimlichkeit, in welcher die Bewegung 
gehalten werden mußte, haben jede freie Entfaltung der Ideen ge- 
bemmt und manchen gefunden Kern verkümmert. Der unparteiiſche 
Sefchichtichreiber, welcher bei Beobachtung der Rauchwolfen, die von 
Zeit zu Zeit hier aufiteigen, nach den Urfachen forfcht und bie 
Schuldfrage abwägt, wird nicht umbin Tönnen, zu jagen, daß die- 
jenigen, welche das Teuer in Brand geſetzt haben, fein echt ber 
figen, nachher auf die Trümmerbaufen zu weifen und zu fagen: 
„Seht, das find die Früchte, welche die “Tegerifche Schlechtigkeit” 
zeitigt“. 

Es iſt wahr, daß einzelne durchaus verkehrte Auffaſſungen 
unter den Ketzern zeitweilig viele Anhänger gefunden haben. In 
den unteren Volksſchichten und in der Enge der Verhältniſſe, in 
welche dieſe Bewegung gedrängt ward, fand manche Lehre, die ur⸗ 
ſprünglich einen wohlbegründeten Sinn hatte, eine durchaus miß⸗ 
verſtandene Auslegung. 

Wenn man aber die Frage aufwirft, ob die Doctrinen der herr⸗ 
ſchenden Kirchen keine Mißverſtändniſſe herbeigeführt haben, ſo wird 
ſich für jeden unbefangenen Beobachter die Thatſache ergeben, daß 
ſchwere Irrthümer ſich an die wichtigſten Sätze aller Confeſſionen 
zeitweilig angeſchloſſen haben. 

Ja, man kann noch weiter gehen. Es läßt ſich darthun, daß 
ſolche Lehren, wie diejenige von der Hinrichtung um des Glaubens 
willen, welche von den höchſten Autoritäten der herrſchenden Con⸗ 
feſſionen officiell gebilligt worden ſind, niemals bei den „Ketzern“ 
Vertreter gefunden haben. 

Für die augenfälligſten Verirrungen der Sektirer aber können 
als Repräſentanten ſtets nur ſolche Männer namhaft gemacht wer⸗ 
den, die ein allgemeines Anſehen unter jenen nicht genoſſen 
haben. 

Man hat denjenigen Richtungen, welche im 16. Jahrhundert 
im nachweislichen Anſchluß an die älteren antirömiſchen Parteien 
erwachſen find, vielfach, zumal in ber proteftantifchen Literatur, es 


. 16 


geradezu zum Vorwurfe gemacht, daß fie ihre Wurzel in fogenannten 
„mittelalterlichen”, ſoll heißen überwundenen Bildungen beſitzen. 
Als ob nicht jede der heute herrſchenden Kirchen einen großen Theil 
ihrer Eigenart ebendaher ableiten müßte! Einer der beſten Kenner 
der neueren Kirchengeſchichte, Albrecht Ritſchl, ſagt mit vollem Recht 
wörtlich: „In der lutheriſchen Kirche ſind wirklich manche Elemente 
mittelalterlicher Herkunft reproducirt worden, welche in den 
anderen Kirchen weggefallen find‘ N). 

ALS wirkfamfter Beweisgrund gegen bie „Ketzer“ gilt in den 
Augen der Menge die Thatfache, daß der Erfolg mehr auf der 
Seite ihrer Gegner gewejen tft. Aber diefe Erwägung ift in ber 
That nur ein Argument für die Mafjfen. Denn wenn man bie 
Wahrheit eines Bekenntniſſes nach der Zahl der Vertreter beurtheilen 
will, fo ijt e8 fein Zweifel, daß z. B. der Bubbhismus einen un⸗ 
gleich größeren Wahrheitsgehalt befitt als das Chriftenthum. 

Das Wahre, was in biefem Argument Yiegt, bezieht fich nicht 
ſowohl auf Die Kopfzahl als auf die innere Stärke und die Dauer 
einer Bewegung. Und in diefer Richtung Tönnen die „Ketzer“ ven 
Vergleich mit jeder anderen Confefjion aushalten. 

Einer der wenigen neueren Gelehrten, welche ſich von allge 
meineren Gefichtspunften aus eingehender mit der Gejchichte dieſer 
Partei beichäftigt haben, Hermann Weingarten, vinbicirt ihr mit 
Recht eine „weltgefhichtlihe Bedeutung‘) und Albrecht 
Ritſchl fagt, daß das fiegreiche Fortfchreiten derſelben nur Durch die 
„Gewalt der Obrigkeit‘ verhindert worden fei. 

Außerdem aber giebt es Teine einzige chriftliche Confeſſion oder 
Kirche, welche eine fo große Zahl von Märtyrern aufzumeiien 
hätte, als dieſe „Ketzer“. Es wird dadurch beiwiefen, daß ihre Ideen 
unter ihren Anhängern eine Opferwilfigkeit, eine Ausdauer und einen 
Heldenmuth wach gerufen haben, ber in der Kirchengefchichte ohne 
Beiſpiel daſteht. Wenn irgendiwo, fo hat unter dieſen „Nachfolgern 
Ehrijtt das Chriftentbum wahre Wunder gewirkt und feine gött- 
liche Miffion bewieſen. | 


1) Geſchichte des Pietismus I, S. 81. 
2 Weingarten Die englifcden Revolutionskirchen 1867. 














17 


Der Urfprung der „Brüder“ Tiegt einftweilen im Dunklen. Es 
ift dev Wiſſenſchaft noch nicht gelungen ihn vollftändig aufzubellen. 

Man hat, zumal von Seiten der Gegner, gejagt, daß ein ge 
wiffer Waldus, welcher um das Jahr 1170 lebte, der Urheber ber 
„Sekte“ fei, und es ſteht allerdings feft, daß ein Mann diefes Na- 
mens zu der angegebenen Zeit bei ven franzöfifchen „Brüdern“ 
großes Anſehen genojjen und großen Einfluß ausgeübt bat. 

Indeſſen ift e8 doch merkwürdig, dag im Jahr 1218 die itali» 
ſchen „Armen‘, welche auf der Synode von Bergamo!) in engfter 
Berbindung mit den franzöfifchen „Brüdern“ erfcheinen und (abge 
jeben von Iofalen Abweichungen in der Lehre) einen übereinftimmen- 
den Glauben befennen, nachweislich eine von Waldus unabhängige 
Vorgeſchichte haben. 

Es kann fein Zweifel fein, daß die letztere Partei iventifch ift 
mit derjenigen, welche im 12, Jahrhundert als „Arnoldiſten“ in der 
Lombardei wie im übrigen Stalten eine große Rolle fpielt?). Wie in 
Frankreich Waldus als „Sektenſtifter“ bezeichnet ward, fo in Ita⸗ 
lien Arnold von Brescia (F 1155). Wer nun der wahre Stifter 
der ganzen Partei geweſen ift, das iſt noch keineswegs aufgeklärt. 

Es ift ja begreiflich, daß Die Gegner diejer „Chriſten“ ein In⸗ 
terejje daran haben, das Alter derjelben berabzufegen, aber es ver- 
dient Doch Beachtung, daß die citirte Abhandlung des Pſeudo⸗Reiner 
um das Jahr 1250 die „Sekte“ deßhalb fo gefährlich nennt, weil fie 
von längerer Dauer gemwejen als die übrigen. Wenn der Verfafjer 
den Arnold von Brescia oder Waldus als die Stifter anfab, fo 
hätte er unmöglich in diefem Sinne reden können. 

So Iange daher pofitive Beweife dafür fehlen, daß die Partei 
vor Arnold oder Waldus nicht beftanden bat, wird der Zrabition 
der „Brüder“ ſelbſt Beachtung gefchenft werden müſſen. Dieſe aber 
fagt ganz ausprüdlich, daß fie in Waldus ihren erften Stifter nicht 
anerkennt), Vielmehr behauptet die Ueberlieferung, daß die Partei 
bis in die erſten chriftlichen Jahrhunderte Hinaufreiche, 


1) Näheres darüber bei Preger in den Abhandlgg. ber III. &. d. K. B. U. 
d. W. 1877 ©, 184 u. 234. 

2) Preger a. O. ©. 209. 

3) Man vergleiche u. A. die Behauptung der fogenannten „Waldenſer“, 

Keller, Die Reformation. 2 


18 


Zn der Zeit des Papftes Sylveſter und des Kaiſers Genftan- 
tin (etwa 305 nach Chr.) babe die Kirche angefangen in Wider- 
fpruch mit der Lehre Chriſti und dem Beifpiel der Apoftel mit welt- 
licher Herrſchaft fich zu umgeben und ein troifches Neich zu gründen; 
der Papft und die Bifchöfe feien Fürften geworben, hätten über 
Land und Leute geherrſcht und das Schwert gebraucht nicht allein 
in weltlichen, fondern auch in Glaubendfachen. Das fei aber den 
Defehlen Chriſti, die er feinen Nachfolgern gegeben, zuwider, und 
deßhalb Habe fich der Theil der Gläubigen, der an der urjprüng- 
lichen Einrichtung feitgehalten, von diefem weltförmigen Clerus ge- 
trennt. Dann babe man das Schwert gegen fie gelehrt und jo 
feien fie geflüchtet bi8 in die fernen Gebirge und Thäler, wo in 
ipäteren Zeiten die Nefte der alten Gemeinden lebten. 

Dabei verbient e8 Beachtung, daß die Zeit, in welcher die Kirche 
eine weltförmige Geftalt gewann und die Päpfte Herrfcher wurden, 
Yange Jahrhunderte Hinburch felbft bei folcden Männern, die inner- 
halb der Kirche blieben, als die Entjtehungszeit der Schäden galt, 
an welchen fie fpäterhin fo oft gefranft bat. Selbft Bernhard von 
Clairvaur, der Edelſten einer, welchen die Gefchichte der alten Kirche 
kennt, fchrteb einft an Papft Eugen, nachdem er den weltlichen Pomp, 
mit dem fich der Bapft umgab, getadelt hat, wörtlich: „In biejen 
Dingen bift du fein Nachfolger des 5. Petrus, fonbern des Kaifers 
Conſtantin“). Auch Dante erkannte in diefem Punkt den Krebs⸗ 
ſchaden der Kirche. 

Eine Meberlieferung, welche aus einer waldenfiichen Weber- 
familie Südfrankreichs herrührt, und die bi8 in das 13. Jahrhundert 


bag Beter von Bruis in der erften Hälfte des 12. Jahrhunderts einer der 
ihrigen geweſen fei. Diedhoff Die Waldenfer 1851 ©. 166. — Aus den Pro- 
tocollen der Ingnifition von Touloufe (1307—1323) erhellt ganz unzweibentig, 
daß der Name „Malbenfer von der Partei Damals noch confequent abgewieſen 
worben ift; fie nannte fich ſelbſt einfach „Brüder. Es heißt 3.3. dort (ſ. Lim- 
borch Lib. Ing. Tolos. Amst. 1692 ©. 365) von einigen „Brübern‘: „nec aude- 
bant ire palam, quia erant de illis, quiin Burgundia vocantur Valden- 
ses“ etc. — Ferner ib. ©. 366: „Vocabant seilli, qui erant de illa so- 
cietate, fratres.“ — ferner ib. ©. 367: „Gentes persequebantur eos (fratres) 
et vocabant eos Valdenses et reputabant eos haereticos“. 

1) De consideratione ad Eugenium papam Lib. IV c. 6. Siernad Herzog 
Die rom. Waldenfer 1853 ©. 204. 


19 


binaufzeicht, fagt über den Urfprung der Brüdergemeinden Folgen- 
des: „Die Waldenjer gehören zu ber Zahl jener Schüler, welche 
herſtammen von den Schülern und Apofteln Ehrifti, von venfelben 
Apofteln, auf welche Ehriftus feine Vollmacht übertrug, zu binden 
und zu löfen; und dieſe Schüler (Waldenſer) befigen jene Vol. 
macht, wie fie Chriftus dem h. Petrus und Anderen nach ihm ge- 
geben bat. Die Eapläne und die Mönche erkennen wohl den Sinn 
der 6. Schrift und des göttlichen Gefetes, aber fie wollen nicht, daß 
er dem Volke veutlih werde, um ihre Herrſchaft über das Volt 
beffer zu begrünben; denn wenn fie Har und unverhüllt das Geſetz 
Gottes, wie es Chriftus offenbart hat, Iehrten, fo würden fie nicht 
wie jet die Mittel haben, die fie brauchen‘). 

Wenn man erwägt, daß es eine Frau ift — Jaqueta textrix 
de cumba Rotgier wird fie genannt — welche dieſe Ueberlieferung 
uns mittheilt, jo wird jeder Verdacht einer gelehrten Erfindung 
ichwinden und angefichts der Thatfache, daß Diefelbe Lleberlieferung 
überall in den verfchiedenen europäiſchen Ländern wieberfehrt, wo 
Waldenſer fich finden, wird man eine uralte Wurzel derſelben nicht 
verfennen können. 

Es ift Yängft auch von der neueren Forſchung anerkannt, daß 
im 12. Jahrhundert das Waldenſerthum „nicht derart als etwas 
Neues auftritt, daß es nicht auf vworbereitende Vorentwicklungen 
zurüchwiefe” 2), und daß dieſe Vorentwidlungen nicht in der Ge- 
Schichte der römischen Kirche, ſondern in „Häretifchen Entwicklungen“ 
ihre vornehmſten Repräſentanten haben?) 

Wenn man num einerfeits erwägt, daß die hiſtoriſchen Quellen 


1) Limbord Liber Inquisitionis Tolosanae. Amsterd. 1692 S. 377: „Item, 
quod ipsi Valdenses erant de illis discipulis, qui descenderunt a discipulis et 
apostolis Christi, quibus dedit potestatem suam ligandi et solvendi et quod 
ipsi habebant illam potestatem, quam Christus dedit beato Petro et aliis post 
eum. Item quod capellani et religiosi licet intelligant scripturas et legem 
dei, nolunt revelare clare populo, ut ex hoc melius dominentur in populo, 
quia si dicerent manifeste et discooperte legem Dei sicut Christus manifestavit 
eam non haberent ita necessaria sua“. Das Belenntmiß rührt aus 1311 ber; 
aber die Angeflagte gehörte feit alter Zeit der Partei an. 

2) Diedhoff a. ©. ©. 211. 

3) Einigen Aufſchluß über dieſe Entwiclungen findet man bei Neander 
Der 5. Bernhard ©. 133 ff. u. ©. 387 ff. 

2* 





20 


über bie befiegten Parteien in jenen dunklen erften Sahrhunderten 
des Chriſtenthums naturgemäß ſehr Tpärlich fließen,. und anderer 
ſeits ins Auge faßt, wie zäh münbliche Ueberlieferungen fich nach- 
weislich Jahrhunderte lang in diefer Partei fortgepflanzt haben, fo 
iſt es nicht erlaubt, die erwähnte Tradition, Die noch nicht hat wider- 
legt werben können, einfach zu verwerfen. 

Immerhin ift in der Erzählung von Betrug Waldus, wie oben 
bemerkt, ſoviel jedenfalls richtig, daß er es gewefen ift, unter deſſen 
Leitung die Partei einen befonderen Auffhwung genommen bat. 
Seine Verdienſte erflären e8, daß die ganze Richtung fpäterhin nach 
feinem Namen benannt zu werben pflegte !). 

Ueber feine Perfönlichkeit und feine befonderen Ideen find nicht 
viele Quellen vorhanden. Immerhin aber fließen fie reichlich genug, 
um ung ein Urtheil über ihn zu ermöglichen und einer der beiten 
Kenner faßt daſſelbe dahin zufammen, daß wir in Waldus ben 
Bertreter einer „unabbängigen und felbftändigen Geiſtes— 
richtung“ zu erkennen haben. „An einem folden Dann kann 
nicht der Stifter eines neuen Mönchsordens ſtecken, ſelbſt wenn 
er in anderer Beziehung noch fo ſehr mönchiſch ausſehen und fich 
benehmen würde‘ 2). 

Wenn es bierfür des Beweiſes bebürfte, fo läge derſelbe in 


1) Die Geſchichte der Waldenfer hat bis jett Teineswegs die Beachtung ge= 
funden, welche fie verdient. Die vornehmften Werke find: Hahn Gedichte der 
Ketzer B. II 1847; ferner die Werte von Diedhoff (1851) und von Herzog 
(1853). Beſondere Beachtung verdient v. Zezſchwitz Die Katechismen der Wal- 
denſer und Böhm. Brüder. Erlangen 1863. — Bgl, ferner Preger in den Ab⸗ 
handlungen der II. EI. der Kal. Bair. Al. d. Wiff. zu München 1877 ©. 241 ff.; 
Preger a. a. DO. 1878 Abth. 2 S. 181. — Comba Valdo ed i Valdesi 
avanti la riforma. Firenze 1880. — 3. Tron Pierre Valdo et les pauvres de 
Lyon. Pignerol. 1879. — Sie eriftiren unter diefem Namen befanntlich noch 
heute. Seitdem fie im Jahre 1848 durch Patent König Alberts vom 17. Febr. ej. a. 
gleiche Rechte mit den Katholifen erlanzt haben, befinden fie fih in Italien in 
ftetigem Fortſchreiten. 

2) Herzog a... DO. ©. 119. — Herzog fommt wiederholt (S. 152) auf Die 
Frage zurüd, ob man es hier mit möndifchen Beitrebungen zu tbun babe 
ober nicht, und er lehnt eine foldhe Behauptung aus den verfhiedenften Gründen 
durchaus ab. Ihre Principien, fagt er, heben die Waldenſer über bie Stufe des 
katholiſchen Mönchthums hinaus. Zu demfelben Refultat it Diedhoff in feinen 
forgfältigen Unterfuchungen gelangt. 








21 


der Thatfache, daß e8 der römiſchen Kirche, (die bis dahin faft alle 
Ströme eigenartigen religiöfen Reben® in der Form von Mönchsorden 
fich angegliebert Hatte), troß der ungeheuren Machtmittel, über welche 
fie in jenen Sahrhunderten verfügte, nicht gelungen ift, die Selbft- 
ftändigfeit dieſer Religionspartei zu untergraben. 

Mit vollem Recht jagt Wild. Diedhoff, daß das reine Walben- 
ſerthum fich ftetS ebenfo von mönchifcher Myſtik wie von freigeiftiger 
Schwärmerei fern gehalten bat!). 

„Freiheit“ und „Evangelium“ — war die Lofung, welche 
ebenſo wie in Arnold von Breſcia auch in Petrus Waldus ihre Ver⸗ 
körperung fand. Das Evangelium war die Baſis, auf welcher dieſe 
Männer die Freiheit aufbauen wollten, die Freiheit von Menſchen⸗ 
ſatzungen ſowohl in der Kirche wie im politiſchen Leben, die Freiheit 
des Glaubens und des Denkens, die nur gebunden iſt durch die 
ewigen Geſetze, welche Chriſtus denjenigen hinterlaſſen hat, die ſeine 
rechten Nachfolger ſein wollen. 

Es iſt wahr, daß die Idee der „Nachfolge Chriſti“ kein 
Merkmal iſt, welches dieſer Richtung ausſchließlich eigen wäre. Man 
weiß, daß der große Reformator Franz von Aſſiſi, welchen ein 
bekannter evangeliſcher Theologe „den liebevollſten und liebenswür⸗ 
digſten aller Mönche“ nennt, gerade dieſe Idee beſonders betont 
bat, und daß es ihm völliger Ernſt war mit der Abſicht, das apo⸗ 
jtolifche Leben nach dem Befehle Chrifti zu verwirklichen. Franz 
von Aſſiſis Ideal war, die Welt in einen ſchönen Garten zu ver- 
wandeln, ver befiedelt wäre mit gottinnigen, Chriftus nachahmenden, 
bevürfnißlofen Menjchen. 

Es ließe fich vielleicht der Beweis erbringen, dag ein innerer 
Zuſammenhang dieſes Ideals mit den Anfchauungen der Waldenfer 
infofern wirklich vorhanden ift, al8 jenes aus den Anregungen ber 
Letzteren erwachien ift. 

Aber was folgt weiter daraus? Mag das Ziel, das wahrlich 
ein edles iſt, bei beiden ein ähnliches geweſen ſein, ſo ſind doch die 
Mittel, mit welchen beide große Strömungen daſſelbe zu erreichen 
ſtreben, grundverſchieden. Aſſiſi kennt zwar die geiſtliche Armuth, 


— 


1) Dieckhoff a. ©. ©. 171f. 


22 


aber nicht die Freiheit, zwar die Nachfolge Chriſti, aber nicht 
das Evangelium, wie die Brüder e8 faßten. 

Man weiß, daß Affıfi in der „Armuth” und ver Weltentfagung 
gemäß den Grundſätzen des Mönchthums und der römifchen Kirche 
das Lebensideal für alle Chriſten erblickte, welche Die höchite Stufe 
ber Lebensheiligfeit erreichen wollten. 

Dagegen werden die nachfolgenden Unterfuchungen den Beweis 
erbringen, dag Waldus und die „Brüder“ ihre Lebensaufgabe in 
werkthätiger Pflichterfüllung innerhalb der chriftlichen Gemeinden 
und in der Ausübung opferfähiger Nächitenliebe erblickten. Sie haben 
die Aufgabe perfönlicden Befites und Reichthums niemals zum 
Lebensideale aller Menfchen gemacht und die Höfterliche Abſonderung 
war ihnen durchaus unſympathiſch. Aber von den Predigern und 
Berkündern der Lehre Ehrifti verlangten fie gemäß den Befehlen 
Chrifti (Matth. 10) allerdings, daß fie nicht den Laien den Himmel 
verfprechen, ſich felbft aber in den Beſitz der Erde theilen follten. 

Der Unterſchied diefer Auffaffung von dem francistanifchen 
Lebensideal wird weiter unten in noch größerer Schärfe hervortreten. 


Es hängt mit des Waldus Thätigleit unzweifelhaft zuſammen, 
daß die Partei gerade in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts 
weit und breit Auffehen erregte!) und daß fie alsbald in faft allen 
weſteuropäiſchen Ländern in erheblicher Stärke nachweisbar ift. 

Um das Yahr 1170 wurde den Waldenfern vom Erzbifchof 
von Lyon das Predigen verboten. 


1) Es find bis jet Über die erfie Epoche ver Walvenfer (bis 1215) vor⸗ 
nehmlich folgende Quellen befannt: 1) Bulle Papft Lucius III v. 1184, abge- 
drudt bei D’Argentr& Coll. jud. I, 71. — 2) Das Edikt des Königs Alphons v. 
Aragonien vom Jahre 1194 bei Argentre a. O. ©. 83. — 3) Das Urtheil des 
4. Lateranconcils Cap. 3. — 4) Einige Briefe des Papſtes Innocenz IL. — 
5) Die Schrift des Alanus de Insulis (Lille) gegen Die Häretifer von c. 1200 (ed. 
Viſch Antw. 1654 ©, 119 ff). — 6) Das Werl des Bernd. v. Fontcaude 
gegen die Walbenfer aus c. 1190 (Max. bibl. Patrum Bd. XXIV ©. 1585 ff). — 
7) „Liber Antihaeresis* des Eberhard v. Bethune (ib. ©. 1525). — 8) Berichte 
bes Walther Mapes (vgl. Usser. de Christ. Eccl. succ. Lond. 1682, ab- 
gebrudt bei Hahn a. O. ©. 257) — 9) Petr, von Baur-Cernay Geh. d. 
Aldigenfer (bei Argentre a. O. ©. 73). — 10) Die Ursbergifche Chronik (Monu- 
menta Germ. hist. SS XXIII p. 376). 





23 


Noch vor Schluß des Jahrhunderts giebt es bereits in Metz 
eine jehr ſtarke Waldenſergemeinde, welche den Fatholifchen Geift- 
lichen viel zu jchaffen macht. Bei ihr find Bibelüberfegungen in 
Gebrauch '), 

Um das Jahr 1177, fo Heißt es in einer alten Chronik, „find 
etlihe Schüler des Petrus Waldenfis von Lyon nach Deutichland 
tommen, haben um Frankfurt und an anderen Orten, nachmals 
auch zu Nürnberg zu predigen angefangen, weil aber ber Rath 
zu Nürnberg gewarnt worden, daß er fie ergreifen und verbrennen 
Yaffen möchte, find fie in Böhmen gewichen”), Es fcheint in 
der That, als ob fie im 13. Jahrhundert bereits am Mittelrhein 
und in Franken feiten Fuß gefaßt hätten. 

Beiondere Beachtung verdient das Erfcheinen dieſer Keker in 
Köln, welches bereitd um das Jahr 1150 nachweisbar ift. ALS 
Eigenart derjelben führen die Inquifitoren an, daß fie unter Be⸗ 
rufung auf Marc. 16, 16 die Erwachſenen tauften Die 
jenigen, deren man babhaft wurde, ftarben auf dem Scheiterhaufen. 
„Nicht nur mit Geduld, fondern mit Begeifterung” — fo erzählt 
ber Reßerrichter ſelbſt — „gingen fie in den Tod’ 3), 

Schon. Joh. Laurentius v. Mosheim, einer der beten Kenner 
des älteren Ketzerthums, bat im Jahre 1770 den Beweis erfolg. 
reich angetreten, daß dieſe Kölnifchen Reber zu den „Armen von 
Lyon“ zu zählen find — ein Umjtand, welcher von Neuem die 
Richtigkeit der Behauptung zu erſchüttern geeignet ift, daß Die 


1) Herzog Die romanifhen Waldenſer S.26. — Einzelheiten bei Kaltner 
Konrad von Marburg 1882 ©. 37; vgl. bie dort angeführten Quellen. 

2) Haupt, 9. Die religiöfen Sekten in Franken. Würzb. 1882 ©. 15 Ann 5. 

3) Einzeleiten Bei Kaltner a. DO. ©. 38. Alle Kennzeichen, welche bie 
erwähnte Nelation des Inquiſitors angiebt, ftimmen (wenn man bie üblichen 
Zuthaten diefer gegnerifchen Duelle abziebt), fo volllommen mit den Merkmalen 
der fogenannten „Waldenſer“ überein, daß unzweifelhaft diefe Partei darin zu 
erfennen ift. Dahin gebört auch Die Taufe der Erwadfenen; ferner ver Um— 
ftand, daß fie ftreng Über die Ehe dachten, daß fie den Gebräuchen (db. h. den 
Sacramenten) der Kirche die heilsvermittelnde Kraft abiprachen, daß fie das Feg⸗ 
feuer Teugneten, einen Biſchof hatten u. |. w. Eine Spezialunterfudung hier⸗ 
über wäre fehr erwünfcht. Diefelbe müßte das Waldenferthum und die „Beghar⸗ 
ben” am ganzen Rhein um bdiefe Zeit in Betracht ziehen. Bol, Details bei 
Mosheim De Beghardis Lips. 1790 ©. 198 u. 210. 


\ 


24 


„Brüder“ erjt feit etwa 1170 aufgetreten feien!). “Die Köiner Ge- 
meinde bat dann einige der berborragenditen geiftigen Vertreter 
diefer Richtung groß gezogen oder doch beeinflußt, vor Allem einen 
der bebeutenbften Ausleger der „Philoſophie Chrifti” — wie fpätere 
Genoſſen der Waldenfer zu jagen pflegen — den Meifter Eckhart. 

Wenig fpäter wurden in Spanien Maßregeln gegen die Wal- 
denfer ergriffen. Im Sabre 1192 veröffentlichte König Alphons 
von Aragonien einen Erlaß gegen fie und erwähnt darin ausdrück⸗ 
ih, daß er Hierbei nach dem Beiſpiel feiner Vorfahren handle?). 

Alphons' Nachfolger wiederholte das Edikt im Jahre 1194. 
| Auch Papit Lucius II. Hielt im Jahre 1184 die Sache für 
jo wichtig, daß er ein Dekret gegen bie „Humiliati“ ober „bie 
Armen von Lyon“ publicirte?). 

Aus dem Jahre 1210 Haben wir ein Zeugniß, daß die Wal- 
denfer ihre Lehren in ber Didcefe Turin ausbreiteten. In dieſem 
Jahr nämlich erhielt Bifchof Jacob von Turin von Kaifer Otto IV. 
ein Dekret, welches ihn ermächtigte, in feiner Diöcefe Waldenfer 
und Andere, welche „das Unkraut der Lüge ausſäen“, zu verfolgen‘). 

Im Jahre 1220 jekten der Graf Thomas von Savoyen und 
die Obrigfeit der. Stadt Pignerol eine Geldbuße für diejenigen 
fejt, welche wifjentlich einem Waldenfer Gaftfreundichaft gewähren 
würben. Ä | 

Im Iahre 1297 wurden Berfolgungen ver Waldenfer im Thal 
Perofa angeftellt und im Sabre 1312 erfahren wir von der Ver- 
brennung eines Waldenfers 5). | 

Zu Beginn des 13. Jahrhunderts glaubte Leopold der Glor- 
reihe von Deftreich ebenfalls gezwungen zu fein gegen fie einzu» 
fohreiten. Um das Jahr 1240 ijt bereits eine felbftändige Organisation 
der Brüder in Deftreich nachweisbar, denn e8 wird ein Biſchof 
derſelben erwähnt, welcher in Einzinspach feinen Aufenthalt hatte). 
Nah einer Stelle in dem oben citirten Tractat des ‘David von 

1) Mos heim De Beghardis. Lips. 1790 p. 484. 

2) Ein vollftändiger Abdrud des Erlaffes bei Hahn Gefchichte der Ketzer II, 703. 
3) Jaffé Reg. Pontif. Rom. Berl. 1851 ©. 847 N. 9635 (Nov. 1184). 
4) Das Dekret ſ. bei Comba Valdo etc. ©, 26 Anm. 6. 


5) Herzog Die roman. Waldenfer S. 272f. 
6) Preger a. O. ©. 222. 











25 


Augsburg Scheint Herzog Friedrich der Streitbare von Oeſtreich 
jelöft einer ihrer Gönner geweſen zu fein), deren fte bort viele in 
pornehmen Kreiſen befaßen. — In der Diöcefe Paſſau find be 
reits um das Jahr 1260 zweiunbvierzig Gemeinden nachweisbar 2), 
in welchen die Bartei Fuß gefaßt hatte. Im der Didcefe Regens- 
burg tauchen fie im Sabre 1265 auf?). 

Im Jahre 1257 bittet Ottolar von Böhmen den Papſt um 
Snquifitoren zur Ausrottung der „Keter” in feinem Lande. 

Jener Paſſauer Priejter, welcher bisher unter dem Namen des 
Keiner Sacchoni befannt war und der um 1260 fchrieb, erzählt: 
„In der Lombardei, ver Provence und anderwärts hatten bie 
Häretiker mehr Schulen als die Theologen und auch mehr 
Zubörer. Sie disputirten öffentlich und riefen das Volk zu feter- 
lichen Verfammlungen auf den Markt over das freie Feld. Nie- 
mand wagte, fie daran zu hindern wegen der Macht und der Menge 
ihrer Gönner”), Biemont und bie Dauphine gehörten zu 
ihren vornehmſten Sitzen. 

In den Ländern des alten Aquitaniens, zwiſchen Garonne 
und Pyrenäen zeigen ſich frühzeitig ihre Gemeinden; in Neapel 
und ſelbſt in Sicilien ſcheinen ſich Spuren zu finden. Gleich⸗ 
zeitig tauchen ſie an der Küſte vor Kent in England auf, wo der 
Erzbiſchof von Canterbury gegen ſie einſchreitet. Desgleichen ſind 
fie in den Niederlanden zahlreich vertreten, beſonders in Flan⸗ 
dern und Brabant; in Nordfrankreich haben fie ihre vornehmiten 
Site in der Picardie, und fo giebt es fast fein Land, welches von 
ihnen frei geblieben wäre >). 

Unter diefen Umſtänden begreift man die Tyatſache, daß die 
meiſten größeren Concilien der römiſchen Kirche dieſen „Ketzern“ 
ihre beſondere Aufmerkſamkeit widmeten. So war es mit dem 
Lateranconcil vom Jahre 12156) und mit dem Concil von Tarra⸗ 
cone von 1241. 


1) Preger a. O. 1877 S. 226. 

2) Das Verzeichniß giebt Preger a. O. (bei den Urkunden). 

3) Haupt, Die relig. Sekten u. ſ. w. ©. 3. 

4) Preger a. O. S. 226. 5) Vgl. Comba a. a. O. ©. 20f. 

6) Das Jahr 1215 bezeichnet (wie Diechhoff a. DO. ©. 156 mit Recht bes 
merkt) den Abichluß der erfien Epoche der Waldenſiſchen Gemeinfchaft. Diefe 


26 


Ueber ganz Italien ſcheint die Partei Verbreitung gefunden zu 
haben und e8 verdient Beachtung, daß in Apulien und Calabrien 
noch in fpäteren Zeiten Gemeinden beftanden, welche mit den „Brü⸗ 
dern” in Piemont und Frankreich gemeinfame Synoden abhielten !). 

In Straßburg hatten die Dominikaner ſchon im Jahre 1212 
500 Perfonen aufgefpürt, welche zur Waldenfergemeinde gehörten. 
Es waren Leute aus allen Ständen, Adelige, Priefter, Reiche und 
Arme, Männer und Frauen. Die Gefangenen fagten aus, e8 feien 
ihrer Viele in der Schweiz, in Italien, Deutſchland, Böh— 
men u. ſ. w. Achtzig Perfonen, darunter 12 Briefter und 23 Frauen, 
wurden dem eier übergeben. 

Ihr Vorfteher und Biſchof — Iohannes wird er genannt — 
erklärte im Angeficht des Todes: „Wir find alle Sünder, aber nicht 
um unferes Glaubens willen und nicht um der Lafter willen, die 
man ohne Grund ung vorwirft; aber wir erwarten Verzeihung ber 
Sünde, doch ohne Menfchenhülfe (d. b. ohne Vermittlung der Priefter) 
und nit durch das Verdienft unferer Werte?) 

Die Habe der Hingerichteten wurde confiscirt, Die eine Hälfte 
erbielt die Kirche, die andere der Magiftrat der Stadt Straßburg, 
welcher der Kirche den weltlichen Arm zur Verfügung geftellt Hatte?). 





endete mit einer durch die Albigenferkriege beichleunigten Kataftrophe für bie 
neue Partei. Es wird ihr dadurch eine ganz andere Wendung mit Gewalt 
aufgedrängt als die erften Vertreter der Partei zu geben Willend gemwejen waren. — 
Für die zweite Periode des Waldenſerthums, welche etwa bis zum Beginn bes 
14. Jahrhunderts zu rechnen ift, kommen hauptfächlich folgende Quellen in Be— 
trat: 1) Die ur bergiſche Chronil, — 2) Stephanus de Borbone De sep- 
tem donis spiritus sancti c. 1250 (bei D’Argentre a. a. O.). — 3) Der mehr- 
erwähnte Pfeudo-Reiner. — 4) Der citirte Zractat de8 Dapid von 
Augsburg (Yvonetus). — 5) Eine Streitfchrift de8 Dominitanerd Moneta 
aus Eremona. — 6) Doctrina de modo procedendi contra haereticos (Martene 
et Durand Thes. Vol. V p. 1779... — 7) Phil. v. Limbord Liber senten- 
tiarum inquisitionis Tolosanae in deſſen Historia inquisitionis. Amst. 1692, 

1) Herzog Die roman. Waldenfer S. 274. Bincenz Ferrerius erzählt aus 
dem Jahre 1403, daß in der Lombardei, Montferrat u. f. w. zweimal jährlich 
MWaldenfer- Prediger aus Apulien zu prebigen pflegten. Dieſe Verbindung be= 
ftand nach Herzog a. D. ©. 35f. noch im Jahre 1532. 

2) Kaltner Konrad von Marburg 1882 ©, 44 nebft den bort angeführ- 
ten Quellen. 

3) Die Beftimmungen über die Confiscation waren fehr ftreng. Nach Kalt- 











27 


Jeder Berfuch, einen Ueberblid über die Ausbreitung der Reber 
zu geben, ftößt bei dem gegenwärtigen Stand der Forfchungen auf 
faft unüberfteigliche Hinderniffe. 

Die abfichtliche Verftümmelung unferer Quellen, die Verwir⸗ 
rung, welche durch Die Verſchiedenheit der Sekten--Namen und durch 
die wirklich vorhandenen lokalen Differenzen herbeigeführt worden 
ift, machen vorläufig eine zufammenfaffende und abjchliegende Be⸗ 
arbeitung dieſes vernachläffigten Theils der SKirchengefchichte ganz 
unmöglich. 

Aber felbit ehe die heute noch fehlenden fpeciellen Unterfuchungen 
über das gegenfeitige Verhältniß der Waldenfer zu ben angeblich 
jelbftändigen Sekten-Gruppen der Begharden, Beghinen, Lollbar- 
den u. f. w. volle Klarheit gebracht haben, kann eine Darftellung, 
wie Die vorliegende nicht darauf verzichten, dieſe „Selten“, die man 
bisher meift getrennt von den Waldenfern betrachtet hat, mit in 
den Kreis ihrer Erörterung zu ziehen. Denn e8 fteht über allen 
Zweifel feft, daß eine nahe Beziehung der urfprüng- 
lichen „Begharden“ u. j. w. zu den Waldenſern vorhanden ge- 
weſen iſt. 

Es iſt dies ſchon von Zeitgenoſſen, welche Gelegenheit hatten, 
ſowohl die ſogenannten „Waldenſer“ wie die „Begharden“ zu ken⸗ 
nen, ausdrücklich hervorgehoben worden. So ſchreibt der Domherr 
zu Regensburg Conradus de Monte Puellarum, daß die „Schüler 
der Waldenſer oder Armen von Lyon ſich häufig hinter dem Ge⸗ 
wand der Begharden zu verbergen pflegten” '), und Mosheim, der 
uns dies berichtet, fügt Hinzu, daß „Viele der Anficht wären, es 
fet zwiichen den Waldenſern und Begharben Fein Unterſchied; doch 
hätten vielleicht die Waldenſer, die in einem fchlechten Ruf geftan- 


ner a. D. 26 beitimmte das Recht, „daß bie Häufer niebergerifien und ſelbſt Die 
‚Kinder bis zur zweiten Generation aller Lehen, Aemter und Ehren verluftig 
gingen, außer wenn bie Kinder ihre Eltern ſelbſt denuncirt hatten“. 
Es genügte übrigens zur Erhebung ver Anklage eine einfache Denunciation, felbft 
wenn der Ankläger feinen Namen nicht nannte (Raltner S. 27). „Allen Anfchein 
nah — fagt Kaltuer S. 24 — wurden felbft die Güter derjenigen, welde nur 
der Härefie verdächtig waren — verſchleppt“. Wenigſtens wiſſen wir, baß ein 
Coneil diefe Art des Verfahrens ſpäterhin verbot. 
1) Mosheim De Beghardis ©. 317. ® 


28 


ven, fich Hinter den Begharven, deren Achtung groß gewefen, zu 
verſtecken gefucht! 

Es giebt kaum ein Gebiet, welches Dunkler ift al8 die Gefchichte 
eben biejer Begharben, und es wird meines Erachtens auch nie ge- 
lingen, volle Klarheit in Dafjelbe zu bringen, wenn man nicht be- 
ftimmte, feite Perioden unterfcheibet. 

Und fo bemerfe ich hier von vornherein, daß ich nur von den⸗ 
jenigen Begharden und Beghinen rede, wie ſie vor dem Jahre 1375 
beſtanden haben; alle diejenigen ſogenannten Beghinen, welche im 
letzten Viertel des 14. Jahrhunderts oder gar im 15. und 16. Jahr⸗ 
hundert auftauchen, haben mit der älteren gleichnamigen Richtung 
nicht viel mehr als den Namen gemein und bleiben hier durchaus 
unberüdfichtigt ). 

Und felbft in der älteren Epoche muß man ftetS im Auge bes 
balten, daß die Inguifitoren und die Chroniften die Begharden und 
Beghinen ſehr häufig mit den Mlitglievern der Tertiarier des Fran⸗ 
ciskaner⸗Ordens in unrichtiger Weife zufammengeworfen haben. Da 
dieſe Tertiarier höchſt wahrjcheinlich eine Nachbildung des Beghinen- 
wefens find und unzweifelhaft viele PBerfonen, welche heimlich ber 
Sekte angehörten, formell und äußerlich zur Täuſchung ihrer Ver⸗ 
folger Mitglieder des 3. Ordens ©. Francisci blieben, fo war eine 
ſolche Verwechfelung für denjenigen, welcher die Verhältniſſe nicht 
genau Tannte, ſehr leicht möglich. 

Der Name Beghinen und Begharden, deren eriter Frauen 
und deren zweiter Männer bezeichnet, bat in jeiner etymologiſchen 
Entftehung bis jeßt feine nllgemein anerkannte und befriedigende 
Deutung gefunden. Es tft wahrjcheinlich, daß derſelbe franzöfifchen 
Urfprungs ift und von Südfrankreich aus fich verbreitet hat. 

Der Name ift, wie viele andere, ein Seltenname, welchen bie 
Perfonen, die jo bezeichnet wurden, nie von fich ſelbſt gebraucht haben. 
Er warb angewendet auf folche Männer und Frauen, welche unter 
der Bezeichnung „Brüder und „Schweitern‘ eine gemeinfame Haus- 


1) Seit etwa 1375 war die Selbftändigkeit der meiften Beghinenhäuſer ge 
brochen. Die Bulle Papft Nicolaus V. von 1453 Febr. 12 nahm alle Eonvente 
in den Schooß der Kirche auch formell‘ auf und verlieh ihnen die Nechte ber 
Tertiarier. Mosheim ©. 185. 


29 


haltung führten und unter Beobachtung eines gewiſſen Herkommens 
im Aeußeren nach Art unferer heutigen evangelijchen „Trauenftifter‘‘ 
gemeinfam lebten. Sie nannten fich felbft „Pauperes Christi“. 

Urfprünglich waren diefe Beghinen und Begharben, wie und 
beſtimmt überliefert ift, lediglich arme, fchwächliche und heimath⸗ 
Iofe Perfonen („pauperes beginae‘‘), welche in ver Stiftung Woh- 
nung, Heizung und Licht unentgeltlich empfingen. Um den übrigen 
Lebensunterhalt zu verbieten, pflegten fie nach dem Map ihrer 
Körper- und Geiftesträfte fich zu befchäftigen, bie Frauen mit 
Weben, Spinnen u. f. w., die Männer mit Handarbeiten, auch mit 
Abjchreiben und Kindererziehung u. f. w.!). Das DBetteln war ihnen 
principiell verboten. 

Don den Mönchsorden unterjchieden fte fich principiell und 
bewußt dadurch, daß „Regel“ oder „Gelübde“ bei ihnen unbelannt 
waren. Sie kannten, wie die alten Quellen vorwurfsvoll hervor⸗ 
heben, weder das Gelübde des Gehorfams, noch Das der Armuth, 
noch Das der Keufchheit auf Lebenszeit?). Sie gehörten Teinem 
Drvensverband an, genofjen feine päpftlichen Eremtionen ober irgend 
welche römifche Rechte und Privilegien. Ihre einzige „Regel“ war, 
daß ihre Mitglieder in ihrer äußeren Erfcheinung fich Gleichmäßig⸗ 
feit und böchite Einfachheit der Kleidung zur Pflicht machten. 

In ihrer befferen Zeit fanden die Infaffen der Frauenftifter 
ihren bejonderen Beruf in der Krankenpflege fowohl innerhalb 
als außerhalb ihrer Niederlafjungen. Dies wird uns von ben 
Beghinen zu Antwerpen um das Jahr 1220 ausdrücklich berichtet. 
In den Niederlanden pflegten die Stifter ein beſonderes Neben- 
gebäude zu haben, welches als „domus hospitalis‘‘ oder „infir- 
maria“ bezeichnet wird. In demjelben fanden, wie Mosheim be 
richtet), die Heimathlofen, Armen und Kranken Pflege durch bie 
Schweitern. Es iſt bezeichnend, daß der Name Beghine geradezu 


1) „Miserae quidem, ab humano auxilio omni relictae, morbis confectae 
publico sumtu seu ex thesauro pauperum (Beguinarum) alebantur; ceterae la- 
borando, in primis texendo, aliisque artibus et officiis, quae praestare po- 
terant, si fortunis carerent, res, quarum indigebant, sibi quaerere debebant. 
Mendicandi facultas nulli dabatur.* Mosheim a. DO. ©. 152, 


2) Mosheim a. O. ©.43. 3) O. ©. 150. 


30 


in dem Sinn von „Krankenfchweiter gebraucht wird und Daß bie 
Beshinenhäufer den „Diakoniffenhäufern durchaus entfprechen. 

Hiftorifch nachweisbar find dieſe Congregationen erft feit dem 
Ende des 12. Jahrhunderts. Wir hören zuerft von ihnen bei Ge 
Vegenbeit von Vermächtniſſen, welche wohlhabende Perfonen in den 
Niederlanden um das Jahr 1180 an Beghinenhäuſer machen. Vom 
13. Jahrhundert an wird ihr Name jehr vielfach genannt'). Aber 
anfänglich ift für die Stiftungen nicht der fpätere Name, fondern 
die Bezeichnung „Gotteshäuſer“ gebräuchlich. 

Um dieſelbe Zeit, wo dieſe Stifter eine größere Ausbreitung 
erhielten, taucht in der überlieferten Literatur der Vorwurf auf, 
daß diefe Armenbäufer die Herbergen von „Ketzern“ feiern, und 
feit dem 13. Jahrhundert ift der Name Beghine und Begharde 
zum Kebernamen geworden. Da die jo verrufenen Leute äußerlich 
ein durchaus frommes Leben führten, fo warb die Sage verbreitet, 
dies fei bei ihnen wie bei allen Ketzern Scheinhetligfeit, Heuchelei 
und böswillige Verftellung. 

Die Inquiſition nahm alsbald Veranlaffung, gegen fie einzu- 
fchreiten, und fowohl in Südfrankreich wie am Rhein wurden zahl- 
reiche Begharden als Ketzer verbrannt. 

Im Jahre 1311 erließ Clemens V. auf dem Concil zu Vienne 
zwei Bullen, welche den Befehl enthielten, alle Beghinen zu unter- 
brüden, da fie mit Ketzerei befledt feiern. Die Inguifition von 
Touloufe 309 in den Jahren 1307—1323 Beghinen in großer Zahl 
ein und verurtbeilte fie wie die gleichfall8 gefangenen Walvenfer 
zur Einmauerung oder zur Verbrennung. 

AS in Folge diefes Drudes manche Häufer der Beghinen eine 
Annäherung an bie herrfchende Richtung zu fuchen begannen und 
bie Möglichkeit in den Gefichtsfreis trat, die Güter diefer Stiftun- 
gen für den Francisfanerorden zu erwerben, ließ die Verfolgung 
einigermaßen nach. Bapft Sohann XXIL erklärte in einem Schrei- 
ben vom 7. März 1319, daß diejenigen Begbarden, welche die Regel 
der Tertiarier annehmen wollten, von den Strafbeitimmungen der 
Verdammungsbullen eximirt fein follten ?). 


1) Mosheim De Beghardis et Beguinabus. Lips. 1790 p. 1. 
2) Mosheim a. DO. ©. 189. 

















31 


Sp ging z. B. das „Collegium Beguinorum“ — in Süb- 
frankreich pflegte man die Begharden Beguini, die Beghinen Be- 
guinae zu nennen —, welches feit dem Jahre 1287 in Touloufe 
gegründet worden war, etwa 50 Jahre fpäter in den Belig von 
Francisfaner-Tertiariern über). In Antwerpen hatte fich bei dem 
bortigen Beghardenhaus die gleiche Entwiclung ſchon früher voll⸗ 
zogen, indem bereits im Jahre 1290 das im 12. Jahrhundert ge- 
gründete Haus an die Franciskaner überging; im 15. Jahrhundert 
wurde daſſelbe in ein vollitändiges Männerflofter verwandelt 2). 

Wenn man nun dem Urfprung dieſer „Pauperes Christi“ 
nachgebt, jo muß es zunächſt auffallen, dag, wie urkundlich feit- 
jtebt, innerhalb der waldenſiſchen Gemeinfchaft Stiftungen von 
durchaus gleichem Charakter feit mindeſtens 1218 beſtanden haben. 

Aus dem mehrfach erwähnten Sendichreiben der „italifchen 
Armen” aus etwa 1230 ergiebt fih, Daß „Congregationes 
laborantium“, d. h. Häufer, in welchen Arne gemeinfam ibren 
Unterhalt fanden, unter ihnen bergebracht waren. Es hatten fich 
damals in biefen Häufern unter dem niederen Volt, dem man 
darin ein Aſyl gegeben, allerlei Ungehörigfeiten zugetragen — eine 
Ericheinung, die fih auch fpäter zeigt und die in den DVerhält- 
niffen ihre Erklärung findet — und es war die Frage aufgeivorfen 
worden, ob man die Einrichtung in jener Form befteben Yaffen 
Tonne. Dean entjchied fich, wie der Brief ergiebt, für die Beibe⸗ 
haltung 3), doch mit der Maßgabe, daß die Mängel befeitigt werben 
jollten ®). 

In der Lehre und der Kirchenverfaflung der Waldenfer haben, 
wie wir unten ſehen werden, ſolche Armen- und Arbeitshäufer in 
der That feit uralten Zeiten eine begründete Stellung. 

Der Grundfag, daß es innerhalb der „Gemeinden Chriſti“ 
Piemanden geben dürfe, welcher Noth leide und zum Betteln ge- 


1) Mosheim a. O. S. 39. — Zwei „Collegia Beguinarum* beftanben ſchon 
länger zu Toulouſe. 

2) Mosheim a. O. S. 172. Weitere ähnliche Beifpiele bei Mosheim S. 179 ff. 

3) ©. Preger a. a. D. 1877 ©. 235. 

4) Volumus vitia omnia..., si insunt, de congregatione laborantium pe- 
nitus amputari. 


32 


zwungen jet, hatte bei den „Brüdern“ den Charakter eines Dogmas 
und einer religiöfen Pflicht angenommen. Sie hielten daran fo 
ftreng fejt wie etwa die römifche Kirche an der Lehre .von dem 
Primat des römischen Biſchofs oder ähnlichen Dogmen. 

Um diefe Lehre in der Praxis zu verwirklichen boten fich eine 
Reihe von Schwierigkeiten dar. Schlieglich fiel man auf den Ge 
danken, Arbeitsbäufer mit ven Mitteln frommer Vermächtniſſe für 
altersſchwache und kranke Berjonen einzurichten, und fo fehen wir, 
daß dieſe Partei niemals eine Kirche baute ohne daneben derartige 
Stiftungen zu errichten, ja auch da, wo fie Anbachtshäufer zu bauen 
Durch ihre Gegner verhindert wurden, ftifteten fie jene „Gottes⸗- 
häuſer“, um, wie fie fagten, aus Meenfchenfeelen Gottestempel 
aufzurichten. 

So kam dieſe Partei lediglich auf Grund ihrer Glaubenslehre 
dahin, daß ſie das Chriſtenthum nach ſeiner Bedeutung für die 
Löſung der ſchwierigen Aufgaben faßte, welche ſich aus den unver⸗ 
meidlichen Unterſchieden von Wohlhabenden und Armen, von Starken 
und Schwachen allezeit ergeben. Sie hat das Verdienſt, daß ſie 
als Gemeinſchaft zu den erſten gehört, welche frei von 
jeglichen Nebenabſichten und Herrſchaftszwecken jene 
großen Aufgaben, die man heute als ſociale Probleme 
zu bezeichnen pflegt, einer praktiſchen Löſung näher 
geführt hat. Aus dieſem Geſichtspunkt verdienten dieſe „Armen- 
häuſer“ der Waldenſer eine eingehendere Beachtung als ihnen bis 
jetzt zu Theil geworden iſt. 

Es ſcheint, als ob in dieſe Aſyle auch ſolche Perſonen Auf⸗ 
nahme gefunden hätten, welche nicht ſelbſt Waldenſer waren — eine 
Thatſache, aus welcher ſich die differirenden Religionsanſichten der 
Leute, die in den „Ketzeranſtalten“ waren, leicht erklären — aber 
vorwiegend waren es doch (wenigſtens anfänglich) Mitglieder der 
„Gemeinden Chriſti“, die Hier in ihrem Alter ein Unterkommen er⸗ 
hielten und fo von ber chriftlichen „Gütergemeinfchaft”, bie man 
den Waldenfern jo oft zum Vorwurf gemacht bat, in praftifcher 
Weile Nuten zogen. 

Wenn man nun weiß, daß einer der Seftennamen, welche Die 
Walvenfer in jener Zeit befaßen, die „guten Xeute‘ (les bons 











33 


gens) oder „boni juvenes“ lautet), fo muß e8 ſehr bemerkt wer- 
den, daß in alten Schriftftellern der Name „Beghardi‘ over 
„Boghardi“ als gleichbedeutend mit „boni Valeti“ (==boni 
pueri) gebraucht wird 2). 

Schon frühzeitig wurde der Name Beghardi oder Beguini, 
welcher urſprünglich nur auf die Infafjen eines Armenaſyls Anwen- 
bung gefunden hatte, auch auf Die „Predigerbrüber” oder „Apoftel‘ 
der Waldenfer übertragen, welche Die Begründer der Häufer und 
bie geiftlichen Berather jener Armen waren. Schon im 13. Jahr⸗ 
hundert unterfcheivet Guilelmus de Amore in diefem Sinne zwifchen 
iogenannten „regulirten‘, d. h. in einem Stift gemeinfam lebenden 
(Beguini regulares), und zwifchen „weltlichen Beghinen (Beguini 
saeeulares), welch letztere angeblich die Seelforger und Beichtoäter 
der regulirten Brüder und Schweitern waren). 

In einer alten Chronik der Benedictiner wird zum Jahre 1176 
als ein folder berühmter „Beguinus saecularis‘“ ein gewiffer 
Petrus im füblichen Frankreich genannt, welcher „gottlofe Dog- 
men” verbreitet und viele Anhänger gefunden babe. Es fei um 
jeinetwillen, fo will die Chronik wiffen, ein Concil der Theologen 
berufen worden‘). Sollte diefer Beguinus Petrus etwa gar Betrug 
Waldus ſelbſt fein? 

Abgeſehen von den ſchwerlich zufälligen Umſtänden, daß gerade 
die Gegenden, wo nachweislich die meiſten Waldenſer vorhanden 
waren, auch die meiſten Beghinenhäuſer vorkommen und daß dieſe 
in größerer Zahl erſt ſeit der Zeit erſcheinen, wo auch die Wal⸗ 
denſer ihren größten Aufſchwung nahmen, iſt es doch ſehr bemer⸗ 
kenswerth, daß dieſelben Berufsarten, welche unter den Waldenſern 
am häufigſten angetroffen werden, beſonders die Handwerke der 
Weber und Spinner, ganz ausdrücklich in unſeren Quellen auch 
als die vornehmſten Beſchäftigungen der Beghinen angegeben mwer- 
den. „Es ift ganz befannt”, jagt Mosheim, „daß die eriten So- 
dalitäten der Beghinen aus den Kreifen der Weber ftammten‘ 5), 

Wir Haben oben bereits erwähnt, daß die Walvenfer von ben 


1) Das Nähere vgl, unten. 2) Mosheim a. DO. ©, 38 u. 39, 
3) Mosheim a. ©. S. 50. 4) Mosheim da. O. ©, 53. 
5) Mosheim a. DO. ©. 117. U 

Keller, Die Reformation. 3 


34 


Zeitgenoffen vielfach als „Fratres Apostolici‘ bezeichnet werben. 
Wem follte, wenn er fich deſſen erinnert, nicht die merkwürdige 
Berwandtichaft zwiſchen dieſen und den Beghinen auffallen, welche 
bereit von Mosheim in Bezug anf einzelne Punkte nachgewieſen 
worden ijt?!) 

Diefe Verwandtfchaft ift bereits den Zeitgenoffen fo jehr in 
die Augen getreten, dag Erzbifhof Heinrih von Köln in einem 
Edikt gegen die „Ketzer“ vom Jahre 1306 ausdrücklich fagt, jene 
pflegten „Beghinen, Begharden und Apoftel” genannt zu werben?). 

Wenn man die Protocolle der Inquifition von Toulouſe in 
den Jahren 1307—1323 durchlieſt, fo fällt auf den erften Bid 
bie Verwandtſchaft derjenigen „Ketzereien“, welche die fogenannten 
Waldenfer befennen, mit denjenigen, welche den Beguinen zur Laft 
gelegt werden, in die Augen. Alle die fpeciellen Ausvrüde und bie 
ganze Vorjtellungswelt der Waldenfer, wie wir fie kennen lernen 
werden, Tehren bei dieſen wieder 3). 

Die gleiche Beobachtung kann man machen, wenn man bie 
Schilderung des Guilelmus de Amore, eines Schriftftellers aus 
dem 13. Jahrhundert, über die Lehre und das Leben der Beghinen 
in Frankreich lieſt). Kehrt bier doch fogar der Name Gottes» 
freunde wieder, (den wir als Bezeichnung der Apoftel Tennen 
lernen werden), von denen gefagt wird, daß fie in den Stiftern An⸗ 
dachten abhielten und durch ihre Previgten erbauend wirkten. 

Natürlich darf man bei der Betrachtung diefer „Arbeitshäufer” 
und ihrer Infaffen nicht vergefien, daß fie in feiner Richtung Die 
geiftigen Träger der Waldenferbewegung waren, fondern gerade um⸗ 
gelehrt von Diefer geftütt und gehalten wurben. 

Es wäre daher ganz falſch, vorauszufegen, daß in der „Sekte 
der Begharden die Grundgedanken der Partei oder gar die vor» 


1) Mosheim S. 114 ff. Diefer Paſſus ift für die Charakteriſtik der „Fratres 
Apostolici“, welche al$ homines barbati und als „textores“ bezeichnet wer- 
den, ebenfo interefiant wie für diejenige der Begbinen. Die Identität beider mit 
den Waldenfern ift ganz unverlennbar. 

2) Das Edikt bei Mosheim a. O. S.21Q ff. — Das Concilium Trevirense 
vom Jahre 1310 identificirt ebenfalls „Apoftel” und Begharden; |. Mosheim 
S. 222. | 

3) Vgl. Limborh a. DO. S. 303. 4) Mosheim a. O. ©. 42. 





35 


nehmſten Vertreter der Waldenfer zu finden feien. Vielmehr zeigt 
das Leben und Treiben dieſer „Pauperes Christi“ oft ein Bild, 
welches bie Ideen der „Brüder“ recht verzerrt wiedergiebt, und gerade 
biefe Verzerrung der Tendenzen ift e8, die ihren Gegnern willkom⸗ 
menen Anlaß gegeben bat, die ganze Partei anzufchwärzen. 

Ebenso wenig wie man heute, wenn man bie Lehre und bie 
Kirchenverfaſſung einer Confefjion Tennen lernen will, in deren 
Armenhäufer geht, um fie zu erfahren,. ebenfo wenig tft e8 für jene 
Zeit geftattet, die Ausfagen gefangerer Begharden als ben zu- 
treffenden Ausdruck des Waldenſerthums Hinzuftellen. 

Aber — und darauf fomint es bier zunächſt an — die Aus- 
breitung und das Vorkommen bon jogenannten Begharden⸗ und 
Beghinenhäufern ift lange Zeit hindurch ein ficherer Fingerzeig für 
das Vorhandenfein von Waldenfergemeinden und fomit für bie 
Statiftif ihrer Ausbreitung innerhalb der abenbländifchen Welt. 

Und wenn man dies einräumt, fo ergiebt fich, daß die „Brüder“ 
im 13. und 14. Jahrhundert weit und breit einen Anhang und 
einen Einfluß befeffen haben, der weit über das Maß desjenigen 
Anhangs Hinausgeht, der ihnen bisher zugefchrieben wurde. 

Denn in dem größten Theil Weit-Europas, befonders in Ober- 
italien, Südfrankreich, Weſt⸗Deutſchland, Deftreich, den Nieverlan- 
den, ja bis an die Nord» und Oſtſee jehen wir in dem angegebenen 
Zeitraum die Begharden- und Begbinen-Convente aus der Erbe 
wachfen‘). Und der genannte Guilelmus de Amore verfichert: 
„Groß war bei allem Volk die Verehrung, welche dieſe Perfonen 
auf Grund ihrer Frömmigkeit genofjen‘ 2). 


1) „Nascente saeculo decimo tertio tot repente Beguinarum collegia per 
Galliam, Germaniam, Belgium efflorescebant, ut, medio saeculo elapso vix 
ulla nominis alicujus urbs ejusmodi mulieribus careret“. So Mosheim 
a. O. ©1283. 

2) Mosheim a. O. ©. 43. 


3% 


Zweites Capitel. 
Das Glaubenöbelenntniß der altevangelifchen Gemeinden. 


Glaube und Kirhenverfaffung ver erften chriſtlichen Jahrhunderte. — Anlehnung 
an die urfprünglichiten Quellen der chriftlichen Geſchichte. — Nachwirkungen 
einer großen Ueberlieferung. — Stellung der Waldenſer zum Canon. — Die 
Snfpiration der h. Schriften. — Ehrifti Worte, Befehle und deren befonbere 
Bedeutung. — Die Nachfolge Ehrifti. — Das Alte Teftament und ber Lehr⸗ 
typus des Paulus, — Die aus der Heiligung des Willens fließenve innere 

Erleuchtung und ihre Bedeutung al8 Erfenntnißprineip. — Die Bedeutung 
der Bergprebigt bei den Waldenſern. — Blutvergießen, Gewifjensfreiheit, 
Recht der Nothwehr, Schwur, Feindesliebe. — Stellung zu ven Myſterien 
der Bibel. — Die Heildmittel der Kirche. — Gegenfag von Welt und Chri- 
ſten. — Willensfreiheit, Heiligung, Gnade. — Schlußbetrachtungen. 


Die breite und fichere Grundlage, auf welcher fich das religiös⸗ 
firchliche Leben der Waldenſer aufbaute, war diejenige Lehre und 
Kirchenverfaffung, welche in ber chriftlichen Gemeinfchaft der apofto- 
liſchen Jahrhunderte in Kraft gewejen war. 

Die Männer und die Zeiten, welche der Einwirkung des gött- 
lichen Stifterd der Kirche am nächiten geftanden Hatten, mußten 
nach der Meberzeugung der „Brüder“ auch Die Gedanken und Ziele 
Chriſti am reinften wiederfpiegeln. Der Einwurf, daß die Bor- 
ſchriften, die jenen Gemeinden gegeben waren, auf die veränderte 
und fortgefchrittene Geiftes- und Culturentwidlung der neueren Zeit 
nicht mehr paßten, warb von ihnen mit Entichievenheit zurückge⸗ 
wiejen. Die Lehren Chriftt und der Apoftel, fagten fie, haben nicht 
ntinder in der Lehre wie in der Kirchenverfaffung ewige Gültigkeit. 

Größer als alle anderen Wunder und Geheimniffe der chrift- 
lichen Gefchichte erſchien ihnen eben Die Gefchichte der fogenannten 
apoftolifchen Jahrhunderte felbjt und die wunderbare Kraft, die in 
jener Epoche von den chriftlichen Ideen an den Tag gelegt worden war. 





37 


Sind doch die drei erſten Iahrhunderte die Zeiten jenes un. 
aufbaltfamen und großartigen Stegeszugs, ben Die chriftliche Lehre 
über den ganzen gebildeten Erdkreis gehalten hat. Und mit welchen 
Mitteln wurben diefe Triumphe erzielt? Arme Fiſcher und Hand- 
werfer, welche in all den Dingen, die man Wiſſenſchaft und Bil- 
dung nennt, mit nichten auf der „Höhe der Zeit‘ ſtanden, haben 
ohne Anwendung irgend welcher äußeren Gewalt die große Eultur 
der griechifch-römifchen Welt in wenigen Generationen aus den An⸗ 
geln. gehoben. Es war dies ein in aller Religions- und Profan- 
geſchichte unerbörtes Reſultat. 

Und eine Lehre, welche ihre innere Kraft ſo glänzend bewährt 
hatte, ſollte nicht im Stande ſein, für alle Zeiten maßgebende 
Normen in Glauben und Gemeindeverfaſſung darzuſtellen? Viel⸗ 
mehr waren die Waldenſer der Ueberzeugung, daß der Abfall von 
jener apoſtoliſchen Tradition Mitſchuld trage an all dem Un⸗ 
glüd, welches jeit dem Beginn der Völlerwanderung über Die abend- 
ländifche und die chriftliche Welt in Kriegen und Religionskämpfen 
und Berfolgungen aller Art hereingebrochen war. 


Das ganze Denken und Thun biefer „Chrijten‘ wird gekenn⸗ 
zeichnet durch das Beitreben, das Weſen des urfprünglicden 
Chriftentbums feſtzuhalten. 

Sie waren einig darin, daß dies Ziel nur in Anlehnung an 
bie urfprünglichiten Quellen des chriftlihen Glaubens zu erreichen 
ſei. „Dieſe Irrlehrer fagen‘, fo erzählt ein Inquifitor des 13. Jahr⸗ 
hunderts, „daß Die Lehre Chrijti und der Apoftel zur Erlangung 
bes Heils binreiche, auch ohne die Statuten der Kirche“i), 
und in der That wird Durch diefen Kampf für die h. Schriften 
und gegen die „Statuten‘‘, welche die neue römiſche Kirche feit 
dem 4. Jahrhundert fo ſtark beeinflußt Hatten, das Wefen der alt- 
evangeliſchen Gemeinjchaft charakterifirt. . 

Ihre Gegner höhnten, daß die „Waldenſer“ feine andere Wiffeh- 
fchaft verftänden, und daß fie nichts lehrten und lernten als die 
h. Schrift. Ein Paſſauer Keterrichter von 1260 erzählt: „Alle, fo- 


1) Pfeubo-Jteiner in ber Max. bibl. patrum Vol. XXV p. 265 H. 


38 


wohl Männer als Frauen, Klein und Groß, bei Nacht und bei Tag, 
hören nicht auf zu lehren und zu lernen. Der Handwerker, der 
den Tag fein Brod verdienen muß, lernt in der Nacht oder lehrt 
und deßhalb beten fie zu wenig in Folge dieſes Studiums‘ 1). 

Bei folcher Werthhaltung der h. Schrift war es für fie natürs 
fh unumgänglich nothwendig, Ueberſetzungen derjelben zu ver- 
anftalten. Auf dieſem Wege tft diefe Partei es geweſen, welche, 
wenigftens in Deutfehland, die Profa der Mutteriprache in religiöfen 
Dingen zuerjt zur Anwendung gebracht hat. Schon vor dem Jahre 
1203 gab e8 in Deutjchland Ueberſetzungen aus der h. Schrift 2). 

David von Augsburg, deſſen Schrift über die Waldenſer fich 
auf den Beobachtungen aufbaut, die er perfönlich in Deutfchland 
gefammelt hatte, erzählt: „Die Gelehrigen unter ihren Complicen 
und die Beredten unterweift man darin, die Worte des Evangeliums 
und die Ausſprüche der Apoftel und anderer heiliger Männer in 
der Volksſprache fich einzuprägen“8). „So verführen fie die 
Unfchuldigen‘‘ 9). | 

Gleich in dieſem Punkte ergab fich ein fcharfer Gegenfag zu 
den Principien der römischen Kirche. Denn ſchon der 8. 14 der 
Beſchlüſſe des Concils von Touloufe vom Jahre 1229 lautet wörts 
lich: „Wir verbieten auch, daß den Laien der Befik der Bücher des 
Alten und Neuen Teſtaments geftattet werde .... und verhindern 
auf das Strengite, daß man diefe Bücher in Ueberſetzungen befite, 
welche in der Landesſprache angefertigt find 5). 

1) Omnes, sc. viri et feminae, parvi et magni nocte et die non cessant 
docere et discere. Operarius enim in die laborans in nocte discit vel docet 
et ideo parum orant propter studium. Pſeudo-Reiner bei Gretfer a. O. 

2) Libri scripti Romane et Teutonice de divinis scripturis episcopo tra- 
dantur. Gesta ep. Leod. ad 1203 M.G. H. SS. XXV, 133. 

3) Abhandlgg. d. IH. EL. ver 8. B. A. d. W. 1878 Bd. XIV Abth. II ©. 209, 
Deutſche Bibeln, welche im Jahre 1430 zu Freiburg im U. von den Waldenfern 


gebraucht wurden, werben erwähnt bei Ochienbein Die Waldenfer. Bern 1881. 
©. 387. 

4) Auch Pfendo-Reiner (Max. bibl. Patrum Vol. XXV p. 265 G.) rechnet 
zu den Irrlehren der Waldenſer, daß fie fagen, „quod sacra seriptura eundem 
effectum habeat in vulgari, quam in Latino“. Daß fie auch ihre Gottesbienfte 
in der Landesſprache abhielten wird an berfelben Stelle beftätigt: „Conficiunt in 
vulgari et dant sacramenta“. 

5) Comba Valdo ed i Valdesi ©. 39 Anm. 2. 


* 39 


Um dieſe Befehle zu umgeben, fcheint es gefcheben zu fein, 
daß die Waldenfer die Lehren der h. Schrift in der Form von Ge 
dichten den Ihrigen vermittelten. 

David von Augsburg kannte von jolchen Gebichten eins, welches 
den Titel führte: „Die dreißig Stufen des h. Auguftinus”. Darin 
lehrten fie, wie man die Tugend üben und das Lafter fliehen müſſe. 
„Auch andere ſchöne Gedichte diefer Art haben fie ge- 
Dichtet" N), 

Der Grundſatz, daß die h. Schriften (wenigſtens diejenigen des 
Neuen Teftaments) für Jedermann zugänglich fein müßten, ward 
von ihnen bis zu der Forderung gefteigert, daß jeder Erwachfene 
bie Lectüre derfelben als religidje Pflicht zu betrachten Habe. 

Wenn man dies erwägt, fo darf man billig fragen, ob dieſes 
Shitem nicht infofern Gefahren in fi barg, als die Möglichkeit 
verjchiedenartiger Auslegung, welche die Worte der h. Schrift bes 
fanntlich bieten, unter Umftänden leicht zur Neigung felbftändiger 
Interpretation und damit zu Glaubensipaltungen PVeranlaffung 
geben Tonnte. 

Man weiß, daß die römische Kirche eben aus dieſem Grund 
andere Wege eingefchlagen hat. In der That hätte unter ben un- 
günftigen Verhältniffen, in welchen die getrennten und verfolgten 
Gemeinden ohne feften, alles beherrfchenden Mittelpuntt Iebten, 
dieſe Gefahr ficherlich viel größere Dimenfionen annehmen müffen 
als fie in Wirklichkeit angenommen hat, wenn in der altenangeli- 
ſchen Gemeinſchaft nicht eine fefte, klare und tiefbegründete reli« 
giöfe Weberlieferung fett Jahrhunderten bejtanden hätte, 

Angefichts des Umftandes, daß die Waldenfer niemals außer 
der b. Schrift befondere religiöfe Beken ntnißſchriften (Sym- 
bole) aufgejtellt Haben (wie e8 in allen anderen Confeffionen ge- 
ſchehen ift) und in Anbetracht, daß weder das Anfehen berühmter 

1) Es Tann kein Zweifel fein, daß bier für bie beutfche Literaturgeſchichte 
intereflante Winke vorliegen. Die beveutfame Stelle findet fi in dem Abdruck 
de8 D. v. A. von Preger a. a. DO. 1878 II S. 215. — Der Einfluß diefer Partei 
auf bie deutſche Literatur ift viel größer als man im der Regel annimmt. Mert- 
würdig ift es z. B., daß Walther v. d. Vogelweide einzelne ihrer Grundgebanten 
Bu er gegen die römische Kirche verficht. Aehnliches ift bei Frauen- 


— — — — — — — —— ———— — —— — 


40 ° 


Namen noch die Autorität eines höchſten Pontifer ſolche Symbole 
erfegte, ift ed eine geradezu frappirende Thatfache, daß berfelbe 
Grundftod religiöfer Ideen (und zwar häufig bis in alle Einzeln- 
heiten) mindeſtens fieben Jahrhunderte hindurch bei allen alt- 
evangeliichen Gemeinden, mögen fie in Spanien oder Ungarn, in 
Apulien oder in Belgien, in der Provence oder in Oftpreußen fich 
finden, wieberfehrt. | 

Wer einigermaßen in der Kirchengefchichte bewandert ift, wird 
einräumen, daß dies eine ganz merkwürdige Thatfache ift, und daß 
befondere Gründe vorhanden gewefen fein müffen, welche daſſelbe 
ermöglicht haben. 

Wir werden einen Theil diefer Gründe weiter unten Tennen 
lernen; einiges muß aber fchon bier betont werben. 

Die außerordentliche Zähigkeit der waldenfifchen Grundgedanken 
ift nur zu erflären, wenn man annimmt, daß diefelben durch eine 
uralte Tradition geheiligt waren und ähnlich wie die Sprache 
von Gejchlecht zu Gefchlecht in feiter Form feit Jahrhunderten weiter 
gegeben worden find. ‘Die Uebereinftimmung der Ideen aber, wie 
fie fih troß mander Nuancen unter den verjchiedeniten Nationen 
zeigt, deutet auf eine gemeinfame Wurzel und auf ein centrales 
Entjtehungsgebiet etwa wie die Gefchichte der Eulturpflanzen, welche 
das Abendland aus dem Drient erhalten bat. Und e8 kann zu- 
gleich mit Beftimmtheit gejagt werden, daß die Männer, welche jenen 
Ideen ihre Form gaben, zu ihrer Zeit ein ungewöhnliches Anſehen 
genofjen haben müſſen. Es war bewußt oder unbewußt ein heiliges 
Vermächtniß, welches dieſe altenangelifchen Gemeinden beiwahrten; 
heilige Männer hatten es den erften Gläubigen überliefert, und 
mit den Lehren felbft pflanzte fich die Empfindung fort, daß e8 
unerlaubt fei, an dieſem theuren Gut zu rütteln ober feinen ur- 
ſprünglichen Gehalt durch neue Zuthaten zu verändern. 

Und welches waren num die Grundgedanken dieſes Vermächt- 
niſſes? Es iſt nicht Leicht, Diefelben zufammenfafiend zu charakte- 
rijiren, und e8 würde fogar im gegenwärtigen Stadium der Forſchung 
unmöglich fein, wenn nicht die Art des Glaubensbelenntniffes jelbft 
ben Verſuch jehr erleichterte. Denn es ift eben Das Eigenthümliche 
biefer altevangelifchen Richtung, dag fie im Vergleich ſowohl zur 














4 


römischen wie zur fpäteren proteftantifchen Kirche eine viel be 
ſchränktere Zahl von Glaubenswahrbeiten als das für Alle ver- 
bindlihe Bekenntniß bingejtellt bat. Es ift eine leicht überfehbare 
Zahl von einfachen, großen Säten, deren Anerkennung die alt 
evangelifche Kirche von den Chriften fordert. In allen Gebieten, 
welche über diefe Punkte Hinausliegen, hat fie ganz bewußt und ab» 
fichtlich der Speculation volle Freiheit gelaffen. Es verdient Be⸗ 
achtung, daß die Walvenfer, fo fehr fie auf der einen Seite mit 
Treue, ja mit Zäbigfeit an ihren Grunddogmen in conſervati— 
ver Weife feitbielten, doch auf der anderen freifinniger als 
irgend eine andere Richtung den verfchievenen Auffafjungen Spiel- 
raum gegeben haben. Ihr Streben war die Verwirklichung des 
altchriftliden Grundſatzes: In necessariis unitas, in dubiis 
libertas, in omnibus caritas, und eine unparteiifche Be⸗ 
trachtung muß ihnen das Zeugniß geben, daß fie diefem Ideal näher 
gefommen find als irgend eine andere Kirche, 


Einer der beberrichenden Gefichtspunfte des ganzen Syſtems 
iſt bereitS in der Bemerkung enthalten, daß die altenangelifchen &e- 
meinden in den urjprünglichiten Quellen des Chriſtenthums 
alle Lehren, die zur Erlangung des Heils im Dieffeit8 und Ien- 
feit8 nothwendig feien, enthalten glaubten. 

Aber als folche urfprünglide Quellen betrachteten fie nicht 
allein diejenigen Bücher, welche in den Concilien des 2. Jahrhun⸗ 
derts als die ausſchließlich maßgebenden Normen („Canon“) be- 
zeichnet worden waren, fondern fie lehnten die Anerkennung dieſes 
„Canons“ ausdrücklich und principiell ab. Es gebe auch noch andere 
Schriften, fagten fie, welchen ein gleiches Anjehen zufomme, und 
wenn fie auch darin mit der römifchen Kirche einig waren, daß der 
„Canon“ die vornehmften Quellen des Chriftentbums umfalfe, fo 
wollten fie doch daran nicht ausfchlieplich gebunden fein. Noch im 
16. Jahrh. war bei den franzöfifchen Waldenſern ebenfo wie bei den 
Täufern die ſcharfe Unterfcheivung, welche die römifche Kirche zwifchen 
canonifhhen und nicht canonifchen Schriften machte, nicht üblich !). 


1) Herzog a. ©. ©. 352. — Ueber Ludw. Hätzers bezügliche Anfichten be- 
richtet Meshovius, Hist. Anab. Libri VII. Cöln 1607. ©. 76. 


42 


Wenn man fie zur Anerkennung des „Canons“ zwingen wollte, 
jo forderten fie auf Grundlage ihrer Glaubensnormen den Beweis 
feiner ausſchließlichen Gültigkeit. Die Berufung auf die Conctlien, 
welche mar ihnen entgegendielt, wiejen fie zurüd. „Wenn Ihr ung‘, 
-pflegten fie zu erwidern, „aus den h. Schriften felbft den Beweis 
erbringen könnt, daß Chriftus gerade die fogenannten “canonifchen” 
Bücher und nur diefe als Heilsnormen bezeichnet bat, fo wollen 
wir feinem Befehl Gehorfam leiſten“. Das war denn freilich eine 
Unmöglichkeit. 

Und ebenjo wie gegen die Alleingültigfeit des römischen „Ca- 
nons“ machten fie gegen die Meinung Oppofition, als babe Gott 
bie Apoftel gleichſam nur wie Schreibmafchinen gebraucht. Schon 
frühzeitig machten fie darauf aufmerkfam, daß mancherlei „Gegen- 
ſchriften“, d. h. unvereinbare und ſich ausfchließende Angaben in 
den Schriften vorhanden jeien. Ihr Grundſatz war, daß, wie über- 
haupt das Maß der Erleuchtung von dem Grad der perfönlichen 
Heiligung beeinflußt werde, fo auch bei den Apofteln verfchiedene 
Stufen der Erleuchtung vorausgefegt werden müßten. 

Es wird von allen Confeffionen anerkannt und geht aus der 
Schrift felbft unzweifelhaft hervor, daß in Bezug auf perfünliche 
Heiligung Unterſchiede unter den Apofteln vorhanden find und von 
Sündlofigfeit bei ihnen nicht die Rede fein darf. 

Während die herrjchenden Kirchen aber aus burchfichtigen Grün⸗ 
den die innere Heiligung als unabhängig von geiftiger Erleuchtung 
binftellen, behaupteten die Walvenfer auf Grundlage von Chrifti 
Worten, welche fie allein für unfehlbar hielten, daß der Geift der 
Wahrheit nur in wahrhaft heiligen Seelen Wohnung mache. 

Sie glaubten, daß die Annahme, der heilige Geift fei aus- 
fchlieglich in den Männern wirkſam gemwefen, welche uns jene Bücher 
binterlajfen haben, der Verheißung Chrifti widerfpreche, wo er jagt: 
„Siebe, ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt’ (Matth. 
28, 20), und daß der Geiſt ſelbſt uns in alle Wahrheit leiter werde. 

In den überlieferten Quellen der chriftlihen Gefchichte unter» 
ſchieden fie forgfältig zwiſchen denjenigen Lehren, die fie zum Heil 
nothwendig erachteten, und ſolchen Säben, denen fie den Charakter 
des Dogmas beitritten. 


43 


Nun würde man freilich fehl geben, wenn man glaubte, daß 
die Waldenfer nicht gleichfalls einen feften „Canon“, d. h. eine 
Grundlage von Offenbarungen bejeffen hätten, für welche fie ab- 
folute Unfehlbarkeit in Anſpruch nahmen. 

Sie waren nämlich tief von der Ueberzeugung durchbrungen, 
Daß der göttliche Stifter unferer Religion alle diejenigen Lehren, 
welche er für das Seelenheil im Dieſſeits und Jenſeits nothwendig 
gehalten, in feinen eigenen Befehlen und Anweifungen niedergelegt, 
und daß er feine Apoſtel in den Stand gefett babe, die Worte, 
die fie von ihm gehört, der Wahrheit gemäß zu berichten. Sie 
fanden die Beftätigung dieſer Heberzeugung in der h. Schrift jelbft, 
da Gott befiehlt (Matth. 17, 5), daß Chriftus es fer, den wir 
bören follen. 

Affe die uralten oder doch auf uralten Traditionen beruhen- 
den poetifchen Belenntniffe der piemontefifchen Walvenfer, welche 
uns erhalten find, behandeln die Idee, daß der Gehorſam gegen 
Chriftt Worte und Befehle — fie werden die „epangelifchen 
Gebote‘ genannt — das Merkmal der rechten Gemeinde Chriſti fet. 

Aber nicht nur die Verheißungen und Predigten Chriſti er- 
Härten fie für die Gläubigen als maßgebende, unfehlbare Lehren 
und troftreihe Zufagen, jondern fie glaubten zugleih, daß das 
Leben EChrifti und das Vorbild, welches er und gegeben, ver- 
bindliche Vorfchriften für unferen Wandel enthalte. Wie Chriftus 
allein e8 war, der in feinem Leben einen abfolut heiligen Wandel 
geführt bat, fo ift auch er allein abfolut unfehlbar in feinen 
Worten. 

Es kann Niemanden, welcher Chriftt Worte mit Aufmerkfam- 
feit Tieft, entgehen, daß durch alle Gleichniffe, Reden und Predigten 
fih die Mahnung zur Nachfolge und zur Beachtung des Vor- 
bilds, das er uns gegeben, wie ein rother Baden hindurchzieht. 
Sprit nicht Chriftus (Matth. 11, 28—29): „Kommt ber zu mir 
Alle, die ihr mühſelig und beladen feid, ich will euch erquiden. 
Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir; denn ich bin ge 
duldig und demüthig von Herzen; fo werbet ihr Ruhe finden für 
eure Seelen“, und fteht nicht Matth. 10, 24 die Aufforderung: 
„Wil mir ISemand nachfolgen, der verleugne ſich felbjt und nehme 





44 


fein Kreuz auf fih und folge mir“. (Vgl. Matth. 10, 38; Marc. 
8, 34; Luc. 9, 23; Luc. 9, 27; Joh. 10; Matth. 19, 21.) 

chriſtus bat“, fo beißt e8 in einem alten Ratedismus der 
Waldenfer, „pie Seligteit verfprochen denen, die gehorſam find 
jeinen Worten, ihn lieben und ibm nachfolgen“ i). 

So ſehr fie nun auch einerfeitS betonten, daß fie in denjenigen 
Slaubensfägen, die fte zum Heil nothwendig bielten, auf 
Ehrifti Worten ftehen wollten, fo weit waren fie natürlich davon 
entfernt, die überlieferten Schriften in ihrer Bedeutung als 
Ganzes zu unterfhägen?). Ihre Gefchichte beweift, daß fie die 
Evangelien wie die übrigen Bücher und Briefe überaus hochhielten ; 
in ihren Predigten haben ſich die Geiftlichen der Waldenſer ftets 
auf die ganze h. Schrift gejtüßt?). 

Gleichwohl war e8 ein weittragendes PBrincip, welchem fie Durch 
bie obigen Grundſätze Ausdruck gaben. 

Die natürliche Folge deſſelben war, daß fie dem Alten Tefta- 
ment (wenigftens rückſichtlich der Heilslehren) nur infoweit Bedeu- 
tung beilegten, als dafjelbe mit Chrifti Worten in unzweifelhafter 
Harmonie ftand ?). 

Noch im 16. Jahrhundert waren die ſüdfranzöſiſchen Waldenſer 
im Zweifel, ob e8 erlaubt fei, alle Bücher des Alten Teftaments, 
bie fie ihren Predigern in die Hand gaben, den Laien in gleicher 
Weife zu empfehlen, wie fie e8 bezüglich des Neuen für ihre Pflicht 
hielten 5). Die „Schweizer Brüder“, welche man Täufer nannte, 
tbeilten im 16. Jahrhundert volljtändig diefe Auffafjung und wenn 
fie auch die prophetifchen Bücher unter fich verbreiteten, fo ſcheint 


1) Wir werden den Katehismus unten näher Tennen lernen. 

2) vw. die bezüglichen Ausführungen Pregerd, Geſch. d. deutſchen Myſtik 
Bd. 1J S 

3) enio« Reimer: Quidquid praedicatur, quod per textum Bibliae non 
probatur, pro fabulis habent. Hahn a. O. ©, 271. 

4) Näheres darüber bei Herzog a. D. ©. 128. 129. — David von Augs- 
burg zählte diefe Stellung zum Alten Teftament unter die „Ketzereien“ der Wal- 
. benfer. Er fagt: Vetus Testamentum non recipiunt ad credendum, sed tan- 
tum aliqua inde discunt, ut nos per ea impugnent et se defendant, dicentes, 
quod superveniente evangelio vetera omnia transierunt. Abh. der IL. EL. b. 
8.23 Ak. d. W. 1878 II, ©. 199. 

5) Herzog a. a. O. ©, 352, 





45 


doch der Vorwurf, welcher ihnen von Bullinger, Gaftius, Wigand 
u. A. gemacht wird, daß fie das Alte Teſtament im Vergleich zum 
Neuen vernachläffigten, begründet gewejen zu fein !). . 

Neuere Gegner haben von den Walvenfern behauptet, fie hätten 
den ‚„Lehrtupus des Paulus wie gefliffentlich umgangen”). Wenn 
eine folche Behauptung auch nur von einer Seite aufgejtellt wer- 
den kann, welche den Lehrtypus des Paulus threrfeits gefliffentlich 
bevorzugt, fo ift doch daran fo viel wahr, daß fie bet allen Lehren 
der Apoftel zuerſt fragten: Wie ſtimmen diefelben mit Chrifti Worten? 
und daß fie Paulus’ Doctrinen nur dann fich zu eigen gemacht 
haben, wenn bie Webereinftimmung mit Chrifti Befehlen als voll- 
fommen zweifellos betrachtet werden mußte. 

Die altevangelifchen Gemeinden haben, wie wir oben ſahen, 
die fleißige Lektüre des Neuen Teſtaments ihren Anhängern etwa 
in berfelben Weife zur religidfen Pflicht gemacht, wie die rö⸗ 
mifche Kirche den regelmäßigen Bejuch der Gottesdienfte?). 

Aber dabei haben fie zugleich. ftet8 hervorgehoben, daß nur 
bemjenigen die rechte Erfenntniß der Worte Chriftt werde zu Theil 
werben, welcher mit Ernſt danach ftrebt, unter Gottes Hülfe Das Leben 
Chriſti zu leben, ein Leben der Liebe zu Gott und den Menfchen. 

Sie beriefen ſich dabei auf Chriftt Wort (Joh. 8, 12): „Ich 
bin das Licht der Welt, wer mir nachfolgt, der wird nicht warı- 
deln in Finfternig, jondern das Licht des ewigen Lebens haben‘, 
Auch andere Stellen machten fie für fich geltend, 3. B. bie 
Worte: „So Iemand will defien Willen thun, der mich gefandt 
bat, der wird inne werben, ob biefe Lehre von Gott fei oder ob ich 
von mir felber rede”. 

So gewann die Idee der „Nachfolge Chriſti“ für diefe Partei 
eine ſolche Bedeutung, daß fie durch Teine Bezeichnung fich beffer 
harakterifiren läßt als durch die, welche fie fich felbit gegeben hat, 
nämlih durch den Namen „Nachfolger Chriſti“. 


1) Bullinger, Der Wiebertäufer Urfprung 1560 ©. 73. — Gaſtius, 
De Anab, exordio 1544 S. 33. — Wigand, De Anabaptismo p. 1. 
2) Herzog S. 190. 
3) Sieben Tugenden zählten fie auf als Pflichten bes rechten Chriften und 
eine darunter mar bie Pflicht des Lejens der h. Schrift. Vgl. Herzog a. O. ©. 121. 


46 


In einem alten Waldenferbuche, welches u. A. von der Erkennt 
niß der göttlichen Dinge handelt, wird dies PBrincip in folgende 
Worte gefaßt: 

„Der Knecht Gottes ſoll zuerft vom Böſen ablaffen; wenn 
du das gethan haben wirft, dann wirft du (in den heiligen Schriften) 
diejenigen Dinge finden, die du zu willen begehrit“. „Wir follen 
in unferen Herzen tiefe Brunnen graben, indem wir alles Irdiſche 
hinauswerfen, bis wir bie verborgene Ader lebendigen Waffers 
finden‘. „Hütet euch, daß ihr den lebendigen Quell, aus dem bie 
Weisheit quilit, nicht verfchüttet durch irdiſche Leidenschaften‘). 

Es leuchtet ein, daß mit den obigen Süßen ein Erfenntnif- 
princip von fundamentaler Wichtigkeit in das Lehrſyſtem einge 
führt wird. | 

Inden die Waldenfer darauf binwiefen, daß Chriftus ſelbſt 
verheißen Hat: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende 
der Welt‘, legten fie diefe wichtige Zufage in dem Sinne aus, daß 
der Geift Chrifti in allen Menfchen in dem Maße wirkfam fein 
werde, al8 diefe Chrifti Worten gehorfam und feine rechten Nach— 
folger find. 

Chriſtus felbit aber ift e8, der, wie er bereit den Apofteln 
„pen Verſtand zur Einficht in die Schrift eröffnet hat“ (Luc. 24, 45), 
jo auch noch heute feinen wahren Jüngern die Fähigkeit zum rechten 
Verftändnig jeiner Worte vermittelt. 

Wenn man die Worte Ehrifti genau durchlieft, jo erkennt man, 
dag Ehriftus wirklich den Geift wahrer Erfenntniß demjenigen ver» 
beißen bat, welcher den Willen zum Guten in wahren Sinn bejikt. 

So jagt Jeſus ganz deutlich (bei Joh. 14): „Wenn ihr mid 
liebt, jo werbet ihr meine Gebote halten, dann werde ich den Vater 
bitten und er wird euch einen anderen Fürſprecher geben, daß er 
bei euch jei in Ewigkeit: den Geiſt der Wahrheit”, und ew 
läuternd führt er fort, daß die „Welt“, d. h. die Nichtehriften, 
diefen Geift nicht empfangen Tann. 

Nun bat ja wohl niemals eine chriftliche Confeſſion bejtritten, 
daß der h. Geiſt den Chriften zugefagt jet. Aber die römische Kirche 


1) Herzog a. a. O. ©. 131f. 











47 


Yegte die bezüglichen Stellen in dem Sinne aus, daß Chriftus feiner 
Kirche und deren trdifchen Vertretern eine unfehlbare Lehrentfchei- 
dung übertragen habe, während die fpätere lutheriſche Kirche die 
betreffenden Worte auf die Erfenntnig der Schriftwahrbeit gar nicht 
anwandte. 

Die altevangeliſche Gemeinſchaft dagegen glaubte und lehrte 
geradezu, daß Chriſtus den Geift der Wahrheit!) allen feinen 
Gläubigen nach dem Maße des rechten Gehorfams gegen Chrifti 
Gebote zugefagt und verliehen babe. 

Der bejonvdere Werth, welchen die Walvdenfer auf den Sat 
Yegten: „Die Furcht Gottes ift der Weisheit Anfang‘, erhält eben 
aus diefer Idee feine Erläuterung. Sie wollten damit andeuten, 
daß fich Gott nicht bloß durch Äußere Offenbarung, fondern zugleich 
dadurch zu erkennen giebt, daß er auf die Beſſerung unſeres 
Willens dur das Gewilfen unausgefegt einwirkt. Wenn man 
diefer inneren Mahnung, dem „Geifte Chriſti“, Gehör fchentt, 
fo wird man fühlen, daß Gott dem guten Menfchen nabe ift, und - 
eben der Geift Gottes wird uns dann in alle Wahrheit leiten. Gott 
hat gewollt, daß die höchſten Wahrheiten durch das Herz in ven 
Berftand kommen, nicht umgekehrt. 

Dabei muß übrigens ausprüdlich hervorgehoben werden, daß 
die altevangelifche Gemeinfchaft in dieſem Erfenntnikprincip nicht 
eine göttliche „Infpiration” in dem Sinne einer übernatürlichen 
Dffenbarung erbliden wollte. Eine folche Infpiration würde dem 
Menſchengeiſte neue Wahrheiten materiell und inhaltlich mittheilen. 
Aber das „innere Wort”, wie e8 hier gefaßt wird, oder der „Geift 
Chrifti” (wie Einzelne fagten) ſchärft nur das innere geiſtige 
Auge und giebt ihm die Fähigkeit einer reineren Auffaffung der 
anberweit geoffenbarten Wahrheit. Es iſt eine erleuchtende Mit- 
wirkung Gottes, welche Gottes Gnade allen wahrhaft guten Men- 
fchen zu Theil werben läßt. 

Daß es eine „innere Offenbarung — in dem angedeuteten 


1) Daß dieſer Ausdruck bei den Waldenſern ſich nicht etwa deckt mit der 
Bezeichnung „Vernunft“ ſoll hier gleich hervorgehoben werben. Es iſt bie 
von ber Heiligung bes Willens ausgehende Erleuchtung gemeint, nicht etwa 
das bloße Erkenntnißvermögen. 


48 


Sinne — in der That giebt, bezeugt die h. Schrift ganz unzweifel- 
baft in Paulus’ Worten: „Denn was von Gott zu erkennen ift, 
tft unter ihnen offenbar, denn Gott hat es ihnen geoffen- 
bart“ (Röm. 1,19) und: „Wenn bie Heiden, die das Geſetz nicht 
haben, von Natur thun, was das Geſetz fagt, fo find fie, bie fein 
Geſetz Haben, fich ſelbſt Geſetz, da ſie ja zeigen, wie des Geſetzes 
Wert gefhrieben tft in ihren Herzen, indem ihr Gewiffen 
fein Zeugniß dazu giebt” (Röm. 2, 14f.). 

In Uebereinftimmung biermit glaubten die Walvenfer, daß 
Gott Durch das Gewiffen täglich an die Thür des Menſchenherzens 
Hopft, um ihm die innere Erleuchtung, welche mit der rechten Er- 
fenntniß erft den rechten Frieden giebt, nahe zu bringen. Aber die 
wenigſten Menfchen hören ven leifen Ruf. Dann fendet Gott oft 
ihnen Heimjuchungen, inneren Unfrieden, ſchwere Schidfale und 
pocht lauter und lauter an die Pforte. So kommt dann ſchon im 
Diefleits für Viele wohl der Tag, der ihnen die Erleuchtung bringt 
. und fie fähig macht, das Wort zu fallen, das bis dahin für fie 
todter Buchitabe gewefen war. Im diefem Sinne fagt Johannes: 
Chriftus „ift das wahre Licht, das jeden Menſchen erleuchtet, der 
in die Welt kommt“. 

Und indem fich fo durch Chriſti Geift der innere Zwiefpalt 
bes Herzens, der in jedem Menfchen zwifchen ven guten und den 
böfen Zrieben ausgelämpft wird, löft, wird das Wort zur Wahr- 
beit, daß Chriftus es ift, welcher denjenigen erlöft, der feinen 
Worten glaubt und gehorfam iſt. Denn er ift, wie er felbit jagt, 
in die Welt gekommen, „zu geben fein Leben zum Löfegeld für 
Viele“ (Marc. 10). 

So ift das „innere Licht” gleich einem Samenkorn, aus welchem 
die Kraft Chrifti erleuchtendes und erlöfendes Leben im Menfchen- 
berzen entwidelt. 


Alle neueren Forſchungen beftätigen die Thatfache, Daß die Lehre 
der Waldenſer fich durch Die befondere Bedeutung charakterifirt, 
welche fie den Weifungen Chrifti im Allgemeinen, beſonders aber 
der Bergpredigt beilegten. 

Schon W. Diedhoff hat heroorgehoben, daß e8 „Die Vorfchriften 





49 


ChHriftt in der Bergpredigt find, auf welche die Waldenfer ihre eigen- 
thümlichen Auffaffungen über die chriftliche Frömmigkeit überhaupt 
jtügen N), Ein anderer ausgezeichneter Kenner der „Brüder“ fagt 
mit Recht: „Für die Armen von Thon hatte die Bergpredigt bie 
Bedeutung des Evangeliums xar’ &doynv‘‘?). — Die Vorfhriften 
der Bergprebigt find in der That für die Waldenfer der Canon 
bed neuen Bundes, der für ben „rechten Ehriften verbindlich ift?). 

Sie war e8, aus welcher fie gemäß Chriſti Worten ftetS den 
Sab betonten‘): „Alles nun, was ihr wollt, daß euch die Leute 
tbun, das thut ihr ihnen”; fie erkannten in dieſem Befehl (wie 
Chriſtus jagt) „das Gejek und die Propheten” (Mattb. 7, 12). Ihr 
entnabmen fie all die Fülle unvergänglicher Weisheit, wie fie fo 
einfach und doch fo tief in ihr enthalten ift. „Selig find die Barm⸗ 
berzigen, denn fie werden Barmherzigkeit erfahren; felig find, bie 
reines Herzens find”. „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet 
werbet”. „An den Früchten follt ihr fie erfennen”. Ihr entſtammte 
das Gebet, das fie beteten, ihr die Form der Andacht, die fie am 
meiften Tiebten, nämlich der Gottesdienft im ftillen Kämmerlein 5). 

Sie war e8 aber auch, auf welche fie diejenigen Anfichten grün- 
beten, die ihren Gegnern von jeher am anftößigften geweſen find 
und die ihnen die meiſte Verfolgung eingetragen haben. 

Dahin gehört vor Allem der tiefe Wideriwillen gegen alles Blut- 
vergießen und jede Menfchentödtung, gleichviel unter welchen 
Modalitäten fie erfolgte. Chriftt Reich fer bejtimmt, ein Reich des 
Friedens und der Liebe zu fein, fagten fie, und fie wollten nach 
Kräften dahin wirken, daß dies Ideal verwirklicht werde. 


1) Diechhoff a. ©. 1851 ©. 189. 2) v. Zezſchwitz a. O. ©. 102. 

3) Man beachte bie leider allerbings ſehr fragmentarifchen Andeutungen ber 
Protocolle der Inquifition von Tonloufe (1307—1323) über den Inhalt der Pre» 
digten der „Brüder. Wo die Notarien diefen ihrem Verſtändniß ferner Tiegen- 
ven Punkt aus den Bekenntniſſen der Angeklagten genauer verzeichnet haben, 
treten die wörtliden Anklänge an die Bergprebigt fofort hervor. Vgl. Lim⸗ 
borch a. a. D. ©. 367, 

4) ©, die Belegftelle bei Hahn a, O. II, 371 nad dem Lib. sent. Inquisi- 
tionis Tolosanae aus ca. 1310. 

5) Daß fie Die Bevorzugung ber Hausgottesdienſte (vgl. unten) ausdrücklich 
auf Matth. 6, 6 gräündeten, beftätigt Eberh. v. Bethune in der Max. bibl. Patr. 
XXIV, 1602. 

Keller, Die Reformation. 4 


50 


Indem fie diefe Idee in feften Grundſätzen zu geftalten be- 
müht waren, ſchien e8 ihnen vor Allem Gewifjenspflicht, der Boll- 
ziehung ber Todesſtrafe ihre Zuftimmung zu verfagen, und fie 
ftellten damit eine Lehre auf, welche in jenen frühen Jahrhunderten 
als unerbörte Neuerung erjcheinen mußte und erfcien !). 

Schon einer der früheften römischen Polemiler erzählt, daß die 
Waldenſer die Hinrichtung eines Menfchen deßhalb für unerlaubt 
erklärt hätten, weil Chriftus fie verbiete; e8 dürfe, ſagten fie, feinem 
Menſchen die Zeit für die Beiferung und Reue abgekürzt werben. 

Ihre theologischen Gegner behaupten bis auf den heutigen Tag, 
dies fei eine „falfche, äußerliche, gejeliche Weife in der Behand⸗ 
lung einzelner Schriftftellen‘ 2), allein ihr Grundprincip brachte 
dies Verbot mit fich. 

Dabei lag es ihnen durchaus fern, die übrigen Straf- und 
Zuchtmittel des Staats irgendwie anzugreifen. Es ift in: ihrer 
ganzen Literatur, foweit fie mir befannt geworden ift, feine einzige 
Stelle nachweisbar, in welcher gegen die Zuchtmittel der bürger- 
lichen Gefellichaft im Allgemeinen polemifirt würde. Aber ihre 
Gegner haben in burchfichtiger Tendenz ihnen vielfach die Behaup- 
tung untergefchoben, daß fie mit der Verwerfung der Todesſtrafe 
alle Staatliche Ordnung zugleich negirten. 

Es lag in der Eonfequenz ihrer Auffafjung, daß fie auch in 
Glaubensſachen die Anwendung der Tobesftrafe als fchwere Sünde 
erflärten 3). Aber fie gingen in diefer Nichtung unter Berufung 
auf Chrifti Wort und Vorbild und auf das Beifpiel der apoftoli- 
ſchen Gemeinden noch einen erheblichen Schritt weiter und erklärten 


1) Es ift uns ein „Berzeichniß der Irrlehren der Waldenſer“ (Saec. XIV) 
erhalten; barin heißt e8: „Item omne homicidium quorumcunque maleficorum 
credunt esse mortale peccatum, dicentes, sicut nos non posse vivificare sic 
nec debere occidere“. Max. bibl. Patrum XXV, 308 D. — Zahlreiche weitere 
Belegftellen bei Hahn a. a. O. II, 289. — Der Walbenfer Andr. Garini fagt im 
Sabre 1320 aus: „Quicungue judex judicat hominem ad mortem, peccat mor- 
taliter*. Limborch a. DO. S. 370. — Faft wörtlich ebenſo Limborch S. 354, 

2) Diedhoff a. O. ©. 322, 

3) Petrus Lucenſis fagt (c. 1320) aus: „Quod unus Christianus, maxime, 
quando est clericus literatus et intelligens scripturam sanctam, non debet tra- 
dere ad mortem alium Christianum“. ©, Limborch Lib. ing. Tol. Amst, 1692. 
©. 360, 














51 


jeden äußeren Zwang in Glaubensjachen für durchaus un⸗ 
erlaubt!), 

Mit großer Lebhaftigkeit fprechen fie fich in ihren Schriften 
gegen diejenigen aus, welche, „anjtatt die Irrthümer der Reber 
durch rechte Predigt zu überwinden, als fchlechte Jäger das Erjagte 
tödten“. „Sich für geiftliche Jäger ausgebend“, fagt ber wal-- 
denfifche Ausleger des Hohen Liedes, „find fie böfe Füchſe geworden, 
welche die armen Küchlein Chriſti töbten mit böfen Zähnen”, „Sie 
jegen an die Stelle der Sanftmutb des Evangeliums die Grau- 
jamteit des Mofed. Denn fie haben die Sanftmuth Des 
Evangeliums im Munde und das Schwert des Mofes 
in den Händen. Darum werden fie mit dem ewigen Schwerte. 
geftraft werden‘ 2). 

Intereffant ift es, wie die Waldenfer die Ausrede der Hierarchie 
abweifen, daß fie es nicht fei, ſondern der weltlicde Arm, welcher 
das Schwert gegen die Ketzer gebrauche. „Sie (die Prieiter) bes 
wegen ben weltlichen Arm und wollen rein fein von Morb und 
Wohlthäter genannt werden. Gewiß, wie zu den Zeiten Chrifti 
Annas und Caiphas und die anderen Phariſäer thaten, jo jet 
Innocenz?); fie gingen nicht in das Haus des Pilatus, damit fie 
nicht verunreinigt würden; fie überlieferten Chriſtum dem 
weltliden Arm wie jeßt”®), 

Chriſti VBorfchriften in der Bergprebigt "waren e8 ferner, auf 
Grund deren fie jede perſönliche Race für unerlaubt erflärten. 
Das fei eben, fagten fie unter Bezugnahme auf Matth. 5, 38, das 
Eigenthümliche des Chriſtenthums, daß es das jüdiſche Geſetz der 
Wiedervergeltung — „Auge um Auge, Zahn um Zahn” — über- 
wunden babe. Sie nahmen diefe Vorfchrift jo ernit, daß fie an 


1) In der Schrift des Pfeubo-Reiner von c. 1260 wird ihnen vorgeworfen, 
fie lehrten, „quod nullus sit cogendus ad fidem“; Max. bibl. Patrum 
Bo. XXV ©, 265. Weitere Belegftelle bei Hahn a. O. I, 368. — Desgl. bei 
Comba a. a. DO. S. 51 Anm. 7. 

2) Herzog a. O. ©. 199. 

3) Es ift Papſt Innocenz IV. (1243—1254) gemeint, unter deſſen Regierung 
die Verfolgungen eine große Ausbehnung annahmen. 

4) Herzog a. O. ©. 201. — Die Weiffagungen des Propheten Daniel wer- 
den von ihnen gern auf biefe Zeiten der Verfolgung angemenbet. 

4% 


52 


demjenigen, ver ihnen Böſes getban Hatte, nicht nur perjönlich fich 
nicht rächen wollten, ſondern daß fie auch die Anrufung der &e- 
richte zur Beftrafung des Uebelthäters ablehnten. 

Es mag fein, dag Einzelne in einer allzu buchjtäblichen Auf 
faffung von Chriftt Worten über Chriſti eigne Abficht hinausge- 
gangen find und infofern den Vorwurf der Schwärmeret einiger- 
maßen verbient haben. Aber es ſcheint mir anjtatt eines Vorwurfs 
ein Lob, wenn einer ihrer neueren Gegner tadelnd bemerkt: „Sie 
wollen, dag man fich gegen die Angriffe anderer blos verthei- 
bigend verhalten folle‘ 1). 

Das tft in der That richtig. Die Waldenfer haben als Partei 
das Verbot der Wiedervergeltung zwar ftetS aufrecht erhalten, aber 
das Recht der Nothwehr, ſelbſt mit den Waffen, nie beftritten 2). 

Sie haben. in ihrer Gefchichte, und zwar in den beiten Perio- 
den berjelben, wiederholt den Beweis geliefert, daß fie den Gebrauch 
der Waffen, foweit er in gerechter Notbwehr unvermeidlich ift, für 
erlaubt bielten. So im 14. Jahrhundert, als die piemontefifchen 
Waldenſer fich mit bewaffneter Hand gegen den Inquifitor Albert 
erhoben 3), 

Es fteht in der Bergprebigt nichts davon, daß die Nothwehr 
gegen den, der dem Angegriffenen nach dem Leben trachtet, unerlaubt 
oder verboten fet, und deßhalb haben die Waldenſer, wenigjtens in 
ihrem einfichtigen Theil, nie ein folches Verbot aufgeftelit %). 


1) Diedboff a. O. ©. 324. 

2) Bgl. die bezüglichen Belegſtellen bei Hahn a. O. II, 289, 

3) Herzog a. O. ©. 273, 

4) Es ift möglich, daß e& unter den Waldenſern einzelne Berfonen gegeben 
hat, welche aus dem Verbot des Tödtens auch das Verbot des Waffengebrauchs 
ableiteten. Allein daß die Partei als foldhe das Verbot des Tödtens nicht als 
Derbot der Nothwehr faßte, erhellt deutlich aus der Polemik ihrer römifchen 
Gegner. ebenfalls fteht es feit, daß die Waldenſer felbft Krieg geführt Haben, 
wenn fie mit Kriegsmacht überzogen wurden. Auch ift in ihrer ganzen Fiteratur 
bis jeßt Teine Stelle nachgewiefen worden, worin fie den Bertheidigungsfrieg für 
umerlaubt erflärt haben. Der Inquifitor Petrus hat im Jahre 1399 ein fehr 
detaillirtes Verzeichniß der Irrlehren ver W. aufgeftellt; darin wird (in Nr. 72) 
das Verbot der Tödtung ausdrücklich als Verbot der Hinrichtung (judicialiter) 
bezeichnet. Auch von dem Krieg handelt eine Irrlehre (Nr. 73); aber darin heißt 
e8: „Item dampnant et reprobant, dominum apostolicum mittentem bellatores 
contra sarracenos et crucem dantem vel praedicantem contra quoscunque pa- 








53 


Die Bergpredigt war e8 ferner, auf. welche fie das Verbot des 
Schwörens gründeten, welches trotz gewifjer Einſchränkungen, die 
fie demfelben zu verſchiedenen Zeiten gaben !), als Eigenart diefer 
Partei gelten muß. 

Die beitimmte Anweifung Chrifti, wie fie Matth. 5, 34 ff. vor⸗ 
liegt?), und die ebenfo bejtimmte Beitätigung diefes Verbots durch 
Jacobus 5, 12, jchien ihnen alfe die Gegengründe zu überwiegen, 
welche fowohl aus dem Alten Teſtament wie aus Paulus’ Briefen 
beigebracht werben können. Paulus bezeichnet (Bebr. 6, 16) in 
Vebereinftimmung mit dem jüdischen Brauch ven Eid als das Mittel, 
aller Hader zu endigen, und er bebient fich wiederholt folcher For- 
meln, in welchen Gott zum Zeugen angerufen wird (2 Cor. 11, 31; 
Röm. 1,9). 

Die Theologen der berrichenden Kirchen haben das Verbot 
oder die Einfchränfung des Schwurs als „Buchftabenglauben” und 
Ausflug eines bejchränkten Gefichtsfreifes feit alten Zeiten hart an- 
gefochten. Ä 

Es ift ja richtig, dag die Traditionen ſowohl des Judenthums 
wie des römiſchen Rechts, deren Stärke doch Niemand leugnen follte, 
ſich in anderer Richtung als Chriftt ſehr beftimmte Anweifung bewegen. 
Abber für eine Partei, welche ihre Stärke in der befonderen 
Betonung der Worte. Chrifti fand, konnte conſequenterweiſe weder 
die Erwägung der Zwedmäßigfeit noch die Autorität des Paulus 
jenen beitimmten Befehl umwerfen. 


ganos“. Daß fie die Kriegführung des Papftes verwarfen, hat feinen Grund in 
der Berwerfung der weltlichen Funktionen des Papſtthums überhaupt. Bon all- 
gemeiner VBerwerfung des Kriegs ift mit Teinem Wort die Rebe. Das Verzeichniß 
bei Preger in den Abhandlungen der III. Cl. d. K. B. A. d. W. zu M. Bd. XII 
Abth. J. S. 248. 

1) S. unten S. 54. 

2) Die Stelle lautet bekanntlich: „Ihr habt weiter gehört, daß zu den Alten 
geſagt iſt: Du ſollſt keinen falſchen Eid thun und ſollſt Gott deinen Eid halten. 
Sch aber ſage euch, daß ihr allerdings nicht ſchwören ſollt weder bei dem Him⸗ 
mel, denn er iſt Gottes Stuhl, noch bei der Erde, denn ſie iſt ſeiner Füße Sche⸗ 
mel; noch bei Jeruſalem, denn fie iſt eines großen Königs Stadt. Auch ſollſt 
du nicht bei deinem Haupt ſchwören, denn du vermagft nicht ein einziges Haar 
weiß oder ſchwarz zu machen. Eure Rebe aber fei: Ia, ja, nein, nein; was 
darüber ift, das ift vom Uebel“. 


54 


In Folge deſſen dachten fie über jede Art des Schwörend viel 
ernster als alle anderen chriftlichen Parteien. Im Beſonderen ver- 
boten fie und betrachteten als ſchwere Sünde jene leichtfertige Weife, 
welche Gott und die göttlichen Dinge bei jedem geringen Anlaß zum 
Zeugen zu nehmen pflegt und die fich nicht nur in der Art Des 
Schwörens fund giebt, die man als Sluchen bezeichnet, ſondern Die 
auch in vielen approbirten bürgerlichen Gewohnheiten geübt wird. 

Auch Steht es feft, daß fie zu allen Zeiten der Anficht waren, 
e8 fet um des Gewiſſens willen ficherer und empfehlenswerther, 
überhaupt niemals zu ſchwören !). 

In ihren beiferen Perioden aber Hat ein gefunder Takt vie 
Waldenfer auf einen Mittelweg geleitet, welcher fowohl den Vor⸗ 
ſchriften Chriftt wie der Anficht des Paulus Genüge leiſtet. 

Es geht aus den Erörterungen des David von Augsburg fc. 1260) 
mit Sicherheit hervor, daß fie in gewillen Fällen ven Schwur für 
mehr oder weniger erlaubt hielten. 

Auch Pſeudo⸗Reiner beftätigt Dies dadurch, daß er die aus- 
nabmsweife Geftattung des Schwurs bei den „apoftolifhen Brü- 
bern‘ einräumt?). Es ſcheint, als ob ein Verbot des Schwörens 
nur in Bezug auf eivliche Gelöbniſſe auf zufünftige Dinge beftan- 
den habe3), daß fie aber die Anrufung Gottes zum Zeugniß der 
Wahrheit nicht immer für abjolut unerlaubt erklärt haben. 
Auf eine eingefhräntte Geftattung des Schwurs fcheint näm⸗ 
lich Chriftus felbft Hinzumeifen, indem er fein Verbot damit bes 
gründet: „Denn du vermagft nicht ein einziges Haar weiß oder 
ſchwarz zu machen”. Alfo ift derjenige Schwur unbedingt verboten, 
deſſen Erfüllung nicht in unſerem Vermögen ſteht. 


1) Die Ausſagen angeklagter Waldenſer, wie ſie ſich z. B. in dem Lib. Inq. 
Tolosanae bei Limborch finden, müſſen ſehr vorſichtig verwendet werben (vgl. oben). 
Einzelne dort vorfindliche Aeußerungen bedürfen noch der Aufklärung, z. B. Lim⸗ 
borch ©. 377: „nunquam debet homo jurare super librum in aliquo casu 
nec in curia nec extra curiam“ etc. 

2) Maxima bibl. Patrum XXV, 266D. 

3) „Item dicunt, promissa esse superbiam et vanitatem“ f. Preger in ven 
Abh. d. III. Cl. d. K. B. A. d. W. Bd. XII S. 247. — Petrus Lucenfis er⸗ 
Märt (c. 1320): „Si juraret, faceret contra conscientiam suam et forsitan 
non posset tenere illud, quod juraret et sic peccaret*. Limborch 
a. a. O. ©. 362, 





55 


Wenn man fih über den Begriff des Schwurs und über 
dasjenige, was von Chriftus darin als verboten hat bezeichnet wer- 
den follen, verftändigt, jo ift eine Löfung des Problems wohl mög⸗ 
lich. Immerhin waren die Waldenfer gegenüber denjenigen, welche 
auf Paulus Worte hin den Schwur uneingefchränft geftatteten, un- 
zweifelhaft im Recht, wenn fie im Namen Chriftt Dagegen proteftirten. 
Denn dag Chriftus den Schwur in gewiffem Sinn verboten hat, 
fann gar feinem Zweifel unterliegen. 

Die Bergpredigt war es endlich, aus welcher fie das Gebot 
der Feindesliebe entnahmen. Gerade diefe Forderung fehrt nach 
dem Zeugniß Dr. Herzogs in allen Schriften der Waldenſer in 
„unzähligen Wendungen” wieder 1). 

Eine der älteften waldenfifchen Predigten, welche uns erhalten 
ift, führt uns in dies Thema ein. „In dieſem Evangelium”, fagt 
ber Prediger, „zieht und der Herr hinweg von der Fleinen Liebe, die 
da tft die Freunde lieben, und führt uns zur großen und weiten 
Liebe bin, die darin befteht, die Feinde zu lieben“. 

Die praftifche Anwendung, die fie dieſem Satze gaben, lag darin, 
daß fie e8 zur Sünde vechneten, Scheltwort mit Scheltwort zu ver- 
gelten), Böfes zu thun dem, der und Böſes thut. | 

Einer der Vorwürfe, welche den Waldenſern ſchon in alter 
Zeit von rechigläubiger Seite gemacht worden find, ift der, daß 
fie angeblih von den Wundern und Gebeimnifjen, welche in ben 
h. Schriften fich finden, zu wenig gehalten hätten. 

Diefer Vorwurf ift in folder Allgemeinheit falſch; denn es 
wird fich feine Stelle ihrer Literatur nachweifen laffen, in welcher 
fie die Myſterien der chriftlichen Religion angezweifelt haben. Aber 
wahr iſt es, daß fie die meiften Wunder, welche die römifche Kirche 
befonder8 betonte, nicht zu vem Hetlsglauben im engeren Sinne 
rechneten, deſſen Bekenntniß fie von Jedem ald nothwendig for- 
derten 3). Sie lehnten e8 ab, über Begriffe und Lehrſätze, welche 


1) Herzog a. DO. ©. 174. 

2) Es verdient alle Beachtung, daß in ihrer Literatur grobe Invectiven gegen 
ihre Gegner viel feltener nachweisbar find als bei allen anderen Parteien. Bol. 
Ochſen bein Der Inquiſitionsprozeß gegen die Walbenfer u. ſ. w. ©. 112. 

3) Bol. Hahn a. ©. I, S. 267 Anm. 3. 


“ 


56 


in Chrifti Worten nicht Har enthalten waren, zu ftreiten. Sie 
Iegten als Gemeinfchaft hierin den einzelnen Gläubigen Teine Feſſeln 
anf, und es findet fich daher unter ihnen fogar die Thatjache, daß 
- fie foldde Männer, welche über die Dreieinigfeit, den Begriff 
der Erbfünde u, ſ. w. keine völlig gleiche Auffafjung hegten, un⸗ 
gekränkt unter fich duldeten. Ihre Gegner warfen ihnen vor, daß 
fie in diefen Punkten die Lehre der römischen Kirche nicht durchaus 
theilten. Da anerkannte Autoritäten der „Brüder aber fich nie 
darüber ausgefprochen haben, fo läßt fich der Sachverhalt nur ſchwer 
feititellen. Etwas Wahres lag dem Vorwurf jedenfall® zu Grunde. 

Ein Grundgedanke des Waldenſerthums lag in der Xehre, daß 
die herrſchende Kirche die ausfchliegliche Befähigung, ven Weg des 
Heils zu öffnen oder zu fchließen, nicht beſitze !). 

Anstatt an die Vermittlung zu glauben, welche die Kirche für 
fih, ihre Priefter und ihre Heilmittel (Sacramente) in Anfpruch 
nahm, hegten die Walvenfer die Ueberzeugung, daß der Weg zum 
Seelenheil auch ohne diefelbe demjenigen nicht verjchloffen jet, welcher 
die gnäbige Hülfe Chrifti durch einen Glauben, ver in ber Liebe 
tbätig ift, ſich erworben habe, 

Auch fie kannten mithin ein „Heilsmittel”, nämlich den Geiſt 
Chriſti. Diefer ift es, deffen Aufnahme in uns (neben ver Lehre 
und dem Vorbild Ehrifti) zur Wieberhberftellung des Ebenbildes Got- 
tes in ung nöthig ift. Chrifti Beiſtand allein macht e8 uns mög- 
ih, Gott recht zu 'erfennen. Der Weg zu Chriftus aber wird ung 
durch das Äußere und innere Wort, wie wir fie oben gezeichnet 
haben, aber nicht durch die „Gnadengaben“ des firchlichen Dogmas 
oder Tirchlicher Geremonien eröffnet. Die „Kirche oder die „Ber 
meinde“ ift nur infofern Trägerin der Vermittlung, als fie bie 
Trägerin und Bewahrerin des äußeren Wortes und die Inhaberin 
der Vollmacht ift, den Bann und die Kirchenzucht zu üben. 


1) Daß dies der Cardinalpunkt ihres ganzen Syſtems war, haben frhon bie 
alten Imquifitoren hervorgehoben. David von Augsburg fchreibt um das Jahr 
1260: Haec fuit prima heresis eorum, contemptus ecclesiae potestatis. 
Ex hoc traditi sathane precipitati sunt ab ipso in errores innumeros etc, 
Abhdlg. der II. &. d. K. B. A. d. W. 1878 Vol. XIV Abth. I ©. 206. — Zu 
biefen Irrlehren zählt David: „Nulla miracula dicunt esse vera, que fiunt 
in ecclesia, quia nullus ipsorum aliquando miracula fecit“. A. O. S. 207. 








57 


Angeſichts der fittlichen Zuftände, welche fich unter der Priefter- 
Schaft fo vielfach gezeigt Hatten, war e8 immer größeren Vollskreifen 
zur Gewißheit geworden, daß die göttlihen Gaben nicht ausſchließ⸗ 
lich an die Willführ einzelner Menſchen gebunden fein Tönnten, 
welche die Bollmachten, die fie zu Haben glaubten, jo häufig zu 
felbftfüchtigen Zwecken mißbrauchten. 

Weit und breit kam die Veberzeugung zum Durchbruch, daß 
das Heilige in tiefem Gegenjat zur fittlichen Schlechtigkeit jtehe, und 
man fragte fich, ob es Gottes Wille ſei, fchlechte und gute Priefter 
ohne Unterjchied gleichſam zum Canal feiner Gaben zu machen. 

Die Waldenfer leugneten nicht, dag Chriftus feinen Apofteln 
und deren Nachfolgern!) die Vollmacht, zu löſen und zu binden, 
gegeben babe, und fie wußten wohl, daß die Apoftel unter Mit- 
wirfung der Gemeinde von dem Rechte der Kirchenzucht feit 
alten Zeiten Gebrauch gemacht hatten. Aber fie jagten: „Ein Uns 
reiner kann einen Anderen nicht rein Sprechen und ein (in Sünde) 
Gebundener kann einen Anderen nicht löſen; ein Schuldiger Tann 
den über einen anderen Schuldigen erzürnten Richter nicht befünf- 
tigen, und wer jelbft auf dent Weg der Verderbniß wandelt, kann 
für Niemanden der Führer zum Himmel fein‘ 2). 

Es war daber, wie wir al8bald näber ſehen werben, in ihren 
Augen neben der apoftolifhen Succeffion auch bie fittlihe Rein⸗ 
beit, wie fie ven Apofteln felbjt eigen gewejen war, nothwendig, um 
die Vollmacht Chriſti wirkſam zur Anwendung bringen zu Tönnen. 

Wo fie jene Reinheit des Herzens in Selbftverleugnung und 
rechter Nachahmung des Lebens Chrifti nicht fanden — fie ftellten 
dafür ganz beitinnmte Normen auf — habe Gott die Macht, fagten 
fie, das Gewiſſen der Menſchen durch die unmittelbare Wir- 
fung feiner Gnade zu binden und zu löſen. Doch ift überall ba, 
wo das rechte Apoftolat und die rechte Gemeinde fich findet, dieſe 
ſchon auf Erden die Trägerin des Geiſtes Chrifti und gleichfam bie 
erfte Inftanz der Vermittlung, welche Chriftus ſelbſt eingefett Kat 
und die Niemand obne gerechten Grund umgehen darf. — 

1) Daß diefe Vollmacht nicht etwa bloß dem Petrus allein gegeben ift, lehrt 


fon Hieronymus im Kommentar zu Matth. 16. 
2) So bei David von Augsburg a. a. DO. I, 214. 


58 


Wie fich dieſe ganze altenangelifche Richtung durch eine gewiffe 
Borliebe für den’ Evangeliften Johannes charakterifirt, fo tritt bei 
ihr wie bei letzterem jener Gegenſatz fcharf hervor, welchen Chriſtus 
(308. 16) zwifchen „ver Welt” und feinen wahren Süngern macht. 
Dort heißt e8: „Wenn euch die Welt haffet, fo bedenket, daß fie 
mich zuerſt gehaßt hat. Wenn thr von der Welt wäret, jo würde 
die Welt das ihrige lieben. Weil ihr aber nicht von der Welt ſeid, 
jondern ich euch von der Welt ausgeleſen habe, deßwegen haſſet euch 
die Welt”. " 

In einem ihrer berühmteften Gedichte wird der Gedanke dieſes 
Gegenjates fehr ausführlich. behandelt. Hier wird derjelbe einfach 
al8 der der Guten und Böſen beftimmt!); die Einen bewähren 
an der Erfüllung der Gebote, befonders an den ſechs Geboten Chriftt, 
welche in der Bergprebigt enthalten find, daß fie die wahren 
Chriften find; die anderen, welche dieſe Gebote nicht erfüllen, find 
bie falfchen Ehriften. | 

Beſonders häufig wird der Gegenſatz unter dem Bild ber 
„Heerde Chriſti“ und der Phariſäer und Schriftgelehrten, 
welche erſtere verfolgen, anjchaulich gemacht. 

In allen diefen Fällen find e8 nicht die Ceremonien over Glau⸗ 
bensbekenntniſſe, an welche fie die Seligfeit oder Verdammniß Tnüpfen, 
fondern der Gehorſam gegen Chrifti Worte. 

Es verfteht fich für dieſe Richtung im Grunde von jelbft, daß 
fie die Freiheit des Willens entichieven feſthielt. Es zeigt fich 
in diefem wichtigen Punkte eine ähnliche Differenz mit dem pau- 
linifchen Lehrtropus, wie fie uns bereit8 an anderer Stelle begegnet 
iſt; denn Paulus ift, das Tann kein Zweifel fein, ein Vertreter der 
Prädeſtination. | 

Es ift, wie wir fpäter fehen werben, ein befonderer Vorzug 
des Lehrſyſtems der Waldenſer, daß es ihm gelungen tft, die Idee 
der göttlichen Gnade mit der Feſthaltung der Willensfreiheit in 
glücklichſter Weiſe zu verbinden. 

Aber im Princip haben fie gegen Paulus an ver Lehre, welche 
Chriftus in feinen Predigten zwar nicht ausbrüdlich auseinander- 
legt, aber überall vorausfegt, ſtets confequent feitgebalten. 


1) Zezſchwitz S. 130. 





59 


Wir wiſſen, dag die Katharer bereits im frühen Mittelalter 
die Willensfreiheit Teugneten. Im bewußten und ausgefprochenen 
Gegenfag zu diefer Partei wird in dem waldenfifchen Lehrgedicht 
„Payre eternal‘ die $reiheit des Willens mit Entſchiedenheit ver- 
fochten y. Im 16. Jahrhundert war e8 Luthers Theorie vom ge 
bundenen Willen, welche bei den rangöftiegen Waldenjern den meiſten 
Anſtoß erregte?). 

Es ift für das ganze Lehrſyſtem ber Waldenjer charakteriftiich, 
daß e8 den Glauben und das Verhältniß des Menfchen zu Gott 
von der Seite des Willens ber zu erfaffen bemüht iſt. Es gebt 
als Grundgedanke durch alle feine Anfchauungen die Idee hindurch, 
daß die Liebe es tft, welche den Menjchen in das rechte Verbältnig 
feßt zu Gott. Die Liebe aber wird in den Willen verlegt. Die 
Liebe zu Gott ift nach ihrer Idee die Vebereinftimmung unferes 
Willens mit dem göttlichen Willen, und gemäß dem Wort (1 Joh. 
4, 16): „Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in 
ihm‘ lehrten fie, Daß die Liebe es fei, welche die Einheit Gottes 
und des Menfchen zu Wege bringt. So fagten fie, daß in ben 
guten Menjchen Chriftus täglich neu geboren werde 3). 

Aber bei all diefer Betonung der Wiedergeburt und Heiligung 
haben fie nie vergefien, hervorzuheben, daß es ein faliher Wahr 
Sei, als könne der Menfch aus eigner Kraft ein Verbienft in Gottes 
Augen oder einen Anfpruch auf Lohn fich erwerben. Die gnäbige 
Hülfe Gottes allein tft es, welche das Vollbringen des Guten in 
uns zu Wege bringt. Die Bedingtheit unferes fittlichen Handelns 
durch die Abhängigkeit von Gott haben fie ftetS anerkannt und find 
immer. der Meberzeugung gewefen, daß alle echte Religiofität als das 
Refultat göttlicher Einwirkung anzufehen ift. 

Der oben erwähnte Gegenfat gegen die Katharer jcheint noch 
einen anderen wichtigen Punkt ihrer Lehre beeinflußt zu baben, 
nämlich ihre Auffaffung vom Teufel und von den böfen Geijtern. 


1) Herzog a. a. O. ©. 244. 2) von Zezſchwitz a. O. S. 120. 

3) Bol. den Katechismus ber Waldenſer bei v. Zezſchwitz a. a. DO. — Dies 
iſt auch der Sinn der Stelle bei Pſeudo⸗Reiner (Max. bibl. Patrum Vol. XXV 
p. 265 DJ): Quod semel in anno fideles (die Katholiten) communicant hoc re- 
probant, quia ipsi quotidie communicant. 


60 


Es ift befannt, daß das Shftem der Katharer fich charakterifirt 
durch den Dualismus, den fie infofern ftatuirten, als fie neben 
das Reich Gottes ein organifirtes Neich des Teufels ftellten und 
den letzteren gleichſam als den Herricher liber Die Welt der Dü- 
monen betrachteten. 

Im Gegenjag hierzu lehrten die Waldenſer, daß böſe Geifter, 
welche angeblich als perſönliche Weſen in den Menſchen wohnen, 
nicht exiſtiren, und daß Alles, was damit zuſammenhänge, leerer 
Wahn ſei!). Wenn es jemals perſönlich zu denkende Dämonen 
gegeben habe, dann feien diefe — fo fagten fie — nad Chrifti 
Zod nunmehr ficherlich nicht mehr vorhanden 2). 

Ueber die Stellung der älteren Waldenfer zu dem Symbo- 
lum apostolicum, welches befanntlich erſt in ſpäter, nachapo⸗ 
jtolifcher Zeit feine Form erhalten bat und der griechifchen Kirche 
unbefannt ift, babe ich vorläufig fichere Nejultate nicht erzielen 
fönnen. Im 15. Sahrhundert haben fie dies wie manches Andere 
in beabfichtigter Annäherung an die berrichende Kirche allerdings 
acceptirt, Aber in früherer Zeit findet fich bier und da unter ihnen 
gegen einzelne Säte des Symbolums eine ftarfe Oppofition. So 
wird im Sabre 1321 ein gewilfer Guilelmus verurtheilt, weil er 
die „Auferftehung des Fleiſches“ geleugnet hatte 9). 

Viele unter ihnen nahmen zum Symbolum apostolicum etwa 
biefelbe Stellung ein wie zur Dreieinigfeitslehre und anderen Diy- 
iterien. Da fie einen ausprüdlichen und Haren Ausfpruch Chrifti 
darüber in den h. Schriften nicht fanden, fo wollten fie feine bindende 
Norm darüber aufitellen. AS im Jahre 1538 ein ſüddeutſcher Geift- 
licher einige gefangene „Brüder“ verhörte, ob fie das apoftolifche 
Glaubensbekenntniß als Theil ihres Glaubens anerkannten, eriwiver- 
ten jene wörtlich: „Wo hat Chriftus dies gelehrt?" Jener Geiftliche 
antwortete: „Leugnet ihr, dag das Symbolum göttlichen Urſprung 
bat?” und erhielt als Replik das Bekenntniß: „Ich glaube an ven 
Bater und an Chriftus und das iſt genug, um das ewige Heil zu 


1) Max. bibl. Patrum Vol. XXV p. 308 F. Item dicunt, quod nemo possit 
a daemone obsideri et vexari et quod talia sint vana vesania, quae circa 
daemoniacos peraguntur. 

2) Pfendo-Reiner a. a. DO. ©. 297. 3) Limborch a. a, DO. ©, 288, 





61 


erwerben‘ 1), Damit war ber religiöfe Standpunkt der „Brüder“ 
folden ragen gegenüber ganz deutlich und Har firirt. 

Als einer ihrer Grundirrthümer ferner wird von ihren Gegnern 
die Verwerfung des Fegfeuers bezeichnet. In der That lehrten 
fie, daß „diejenigen, welche mit reinem Herzen abfcheiven, durch Teine 
Strafe des Fegfeuers werden gereinigt werben‘ 2). 

Die Stelle, auf welche die römische Kirche die Lehre vom Feg⸗ 
feuer ftügt (1 Cor. 3, 12—13), deuteten fie in dem Sinn, daß das 
Teuer die Anfechtungen und Leiden des diefjeitigen Lebens bedeutet 
und in ihrer Polemik beriefen fie fich darauf, daß auch Gregor ver 
Große die Möglichkeit einer ſolchen Auslegung zugegeben habe. 

Es ftand für die Walvenfer feft, daß es immer in der Chri⸗ 
ſtenheit und unter allen Bormen der Gottesverehrung erleuchtete 
Menichen gegeben habe, welche die Wahrheit erfannten und zum‘ 
Heile gelangt find. Es lebte bei ihnen die Vorftellung von einer 
Succeffion hriftlicher Lehrer, welche bis zum apoftolifchen Zeitalter 
binaufreihend den Weg Chrifti wiefen®). Unter dieſen legten fie 
den vier großen Lehrern Ambrofius, Auguftinus, Hieronymus und 
Gregorius eine befondere Bebeutung bei, und Auszüge aus ihren 
Schriften, zumal Commentare zu den Evangelien, wurden unter 
ihnen ſehr gefchätt, auch ven Chryſoſtomus, Bernhard von Clair- 
vaur u. U. benugten fie gern. Wir willen, daß fie die Warnungen 
des Iſidor vor dem Eidſchwören für fich verwertheten. 

„Es zeigt ſich ung in allen diefen Dingen”, jagt Dr. Herzog, 
„meben der an ven Tag gelegten Achtung vor den Tatholifchen Leh⸗ 
rern ein Tritifcher Gebrauch derfelben, ein forgfältiges Aus- 
wählen deſſen, was der Schriftwahrbeit, wie die Waldenfer fie 
faßten, conform ift, und namentlich ein getreues Feſthalten 
eines älteren reineren Lehrtropus“. — „Auch in diefer Be- 
ziehung haben die Waldenfer einige Aehnlichkeit mit den Pietiften, 
Methodiſten umd anderen proteitantifchen Sekten‘ ®), 

1) Das intereffante Verhör findet fi) bei Gaſtius De anabaptismi ex- 
ordio etc. Basel 1544 p. 493. 

2) Max. bibl. Patr. a. O. ©. 307 A. — Bol. Limborch a. a. DO. ©. 374. 

3) Herzog a. O. ©. 140, 


4) Wörtlich bei Herzog a. DO. ©. 140. — Sehr merkwilrbig ift die Stellung 
Speners zum Waldenſerthum. Als diefer in Bafel ſtudirte (1659—1660) erflärte 


62 * 


Es war, wie oben bereit$ bemerkt, ein Turzes und einfaches 
Belenntniß, welches aus den Grunbprincipien der Waldenfer ber- 
vorwuchs. Es ift ihnen ſtets eigenthümlich geblieben, daß fie auf 
theologiſch⸗ dogmatiſche Streitfragen fich nicht gern einließen, und ber 
polemifche Belenntnißeifer anderer Richtungen ift ihnen immer zu- 
wider gewejen. 

Dagegen baben fie mit der ganzen Energie des Märtyrerthums 
das Heilige Vermächtnig der Vorfahren vertheidigt, und wenn bie 
theologiſche Wilfenjchaft nicht das Feld war, auf welchem fie glänzen 
fonnten oder wollten, jo baben fie in der religiös⸗praktiſchen 
Betbätigung ihrer einfachen Lehre um jo Größeres geleiftet. In 
aller Stille nah ihrer Weife Gott zu dienen und Gutes zu 
thun — darin lag ihr einziges Streben. 


ex im feiner Differtation: (Waldenses) uti tum docuerint, scilicet inde a 
temporibus Petri Waldi, vere genuinam et orthodoxam hodiernae ovuyr- 
yo» ecclesiam constituisse*. Wegen diefer Bemerkung fam er in Differenzen 
mit der reformirten Theologen-Facultät zu Bafel und er wurde gezwungen, ben 
Pafſus zurüdzunehmen. Näheres in der Ztichr. für hiſt. Theol. 1840 I, 161 ff. 














Drittes Eapitel. 
Berfaffung und Gottesdienſt der altevangelifchen Kirche. 


Die Grundgebanten und die Duellen der Kirchenorbnung. — Der Begriff der 
Kirche, — Apoftolifche Succeffion. — Gemeindekirche. — Kirchenzucht. — Die 
Einrichtung und Verfaſſung des Apoftolats. — Die „Armuth“. — Die apo- 
ftolifche Regel, — Die „Sottesfreunde‘. — Der „Aelteften-Ratb“. — Epidco- 
pat, Sacerbotium und Dialonat bei den Walbenfern. — Synoben und Con⸗ 
ferenzen. — Der Gottesdienft. — Die Hausandachten. — Die Gotteshäufer. 
— Die Predigt. — Das Abendmahl, — Die Beichte. — Die Taufe auf ben 
Glauben. — Hinderniffe ihrer Ausbreitung. — Stellung zum Mönchthum. — 
Schlußbetrachtung. 


Die Ueberzeugung, daß der Stifter der chriſtlichen Religion 
alle die Glaubenslehren, welche er zum Frieden im Dieſſeits und 
zum jenſeitigen Heil nothwendig hielt, in ſeinen eignen Worten 
und in dem Vorbild ſeines Lebens hinreichend klar uns übermittelt 
habe, hat die Waldenſer nicht irre geführt. In der That läßt ſich 
auf dieſer Grundlage ein Lehrſyſtem aufbauen, welches allen ge⸗ 
rechten Anforderungen an Tiefe, Zuſammenhang, Klarheit und Voll⸗ 
ſtändigkeit Genüge thut. 

War aber daſſelbe Princip hinreichend, um ſichere Normen für 
den Aufbau der Kirchenverfaſſung und des Gottesdienſtes in 
Ritus, Disciplin und Ceremonien darin zu finden? 

Bei der Beantwortung dieſer Frage kam es darauf an, was 
man unter Kirchenverfaſſung zu verſtehen habe. Die Hierarchie 
und der Cultus der herrſchenden Kirche ließ ſich in dem Umfang, 
wie er ausgebildet worden war, allerdings weder aus Chriſti Be⸗ 
fehlen noch aus den Schriften des Canons ableiten. Allein war 
denn ein ſolches Gebäude von Formen überhaupt für die „Gemein⸗ 
den Chriſti“ ein Erforderniß, oder ftand daſſelbe nicht vielmehr mit 
der Tradition der apoftolifhen Zeit in Widerfpruch? 


64 


Wenn man nun an der urfprünglichen Einfachheit des chrift- 
lichen Gemeinweſens fefthielt, waren alsdann nicht dennoch viel- 
leicht bereits in den Evangelien und in Chriſti Befehlen die Grund⸗ 
züge einer Drdnung gegeben, welche zum Zweck bes Gottes- 
reiches und echter Erbauung genügten? 

Würde Chriftus, wenn es fein Wille gewefen wäre, ein Shftem 
von Ceremonien und Eultusformen aufzurichten, wie es ſpäterhin 
in der herrſchenden Kirche erwuchs, nicht ſelbſt mehr darüber gejagt 
haben als er gefagt hat? 

Er hat e8 aus wohldurchdachtem Rathſchluß nicht gethan. Denn 
er wußte, daß eine Frömmigkeit, welche unter ſolchen Formen fich 
vollzieht, der Gefahr der Veräußerlichung ſtark ausgeſetzt ift, und 
daß ein Gottesdienſt, der feinen Schwerpuntt in äußerlichen Uebun⸗ 
gen findet, die Menfchen zur Unduldſamkeit erzieht gegen die⸗ 
jenigen, welche die gleichen Formen nicht üben. 

So jehr die menfchliche Natur zu ſolchen Eultusformen neigt, 
und fo groß bie Vortheile find, welche für eine Prieſterkirche Daraus 
erwachien, fo ift doch ficher, daß fie nicht fowohl die reine Flamme 
religiöfer Begeiſterung ald den Feuerbrand des Fanatismus zu weden 
dienlich find. 

Darum bat e8 Chriftus gefallen, in feiner Gemeinfchaft folche 
Seremonien nicht ausdrüdlich anzuorbnen. Aber immerhin bat er 
in dieſer Richtung eine gewiſſe Breiheit der Bewegung denjenigen 
geftattet, welche die Grundgedanken feiner bezüglichen Vorfchriften 
fefthielten; gleich in den erjten Sahrhunderten warb von dieſer Frei- 
heit Gebrauch gemacht, und es bildete fich eine apoftolifche Kirchen 
verfaffung in beftimmten Formen aus. 

Da nach der VUeberzeugung der Waldenfer der Geiſt Ehrifti 
gerade in dieſen apoftolifchen Gemeinden nach der Verheißung ihres 
Stifters wirkſam gewejen war, jo fonnte und mußte man die äußeren 
Einrichtungen des Gemeindelebens, wie fie fich ausgebildet hatten, 
als Ergänzung der Befehle Chrifti faffen, welche die Evangeliften 
uns überliefert haben, und fomit erhielt diefe urfprüngliche Tradi⸗ 
tion der apoſtoliſchen Jahrhunderte ein normatives Anſehen in all 
den Punkten, über welche in den Evangelien eine Mare und genü⸗ 
gende Beitimmung nicht getroffen war. 





65 


Eine Ergänzung der fehlenden Normen blieb inveffen auch für 
bie fpäteren Gemeinben deßhalb unverboten, weil Ehrifti Geift feiner 
Verheißung gemäß in feinen rechten Belennern dauernd wirkſam war. 

Dei diefer Auffaffung kam e8 nun vor Allem darauf an, an 
welchen Merkmalen die rechte Gemeinfchaft Chriftt zu erkennen ſei. 

In diefer Richtung iſt es für die Waldenfer ftetS charakteri- 
ftifch geblieben, daß fie ihren Kirchenbegriff in keiner Periode an 
beftimmte, von ihnen aufgeftellte Symbole, Belenntnifichriften, Con⸗ 
cilbejchlüffe oder Kirchenftatuten und deren „rechte Lehre” geknüpft 
haben. Ihr einziges Symbol war und blieb die Lehre Chrifti, wie 
fie in den h. Schriften enthalten war. Asch Hierin wollten fie Dem 
Vorbild der apoftoliihen Jahrhunderte nicht untren werben. 

Hat ihnen aber deßhalb eine fefte Begriffsbeitimmung ver 
„Kirche“ gefehlt? Ä 

Sie. fagten zunächſt in allgemeinem Sinn: „Die Gemeinde 
Chrifti wird gemäß Chrifti Worten (oh. 13, 35) an dem Spruch 
erfannt: Dabei wird Jedermann erkennen, daß ihr meine Jünger 
feid, fo ihr Liebe untereinander habt". Sie forderten mithin Briü- 
derlichkeit und Gleichheit!) und als rechte Frucht echter Näch⸗ 
ftenliebe die praktiſche Bethätigung des Chriftenglaubens durch Wohl- 
thun und. Selbjtverleugrtung. 

Indem fie entſchieden an ber göttlichen Stiftung ber Kirche 
fefthielten, erklärten fie, daß nur infoweit als Die „Gemeinde Chrifti“ 
jene Merkmale befitt, fie in Wahrheit bie Trägerin des „Geiftes 
Chriſti“ ift, und daß die Gemeinde nur als folche diefen Geift 
ihren einzelnen Gliedern vermitteln Tann. 

Chriſtus Hat eine fichtbare Kirche gegründet und feinen Geift 
derſelben mitgetheilt. Diejenige „Gemeinde“, welche in äußerer und 
innerer Gemeinſchaft mit dieſer urſprünglichen und reinen „Kirche“ 
geblieben iſt, muß nach wie vor als die Bewahrerin jenes Geiſtes 
betrachtet werden. 

Sofern ſie dies wirklich iſt, wird ſie eine erziehende und er⸗ 


1) Es iſt eine uralte Tradition bei den „Brüdern“, daß es in der „rechten 
Chriftengemeinfchaft“ weder Sklaven noch Leibeigene geben dürfe. Sie Achten e8 
für „ungebührlich“, fagt Bullinger im Jahre 1560, „daß Jemand unter chrift- 
lichem Bolt, leibeigen ſei und bie Pflicht oder Schuld der Knechtſchaft bezahlen ſolle“. 

Keller, Die Reformation. 


66 


leuchtende Kraft auf biejenigen zu übertragen fähig fein, welche 
innerhalb ihres Verbandes ſich befinden. 

Es läßt fich bereits im 13. Jahrhundert nachweifen, daß Die 
Waldenſer als weiteres Kennzeichen der Kirche!) die rechte Berwal- 
tung des Apoftelomts (gemäß Matth. 10) und den Nachweis der 
apoftoliihen Succeſſion für ihre Bifchöfe forderten. 

Es ift bezeichnend, Daß fie behaupteten, der Beſitz der apoito- 
liſchen Volimachten fei der römischen Kirche von dem Moment ab 
verloren gegangen, wo Papſt Silvefter den Vorfehriften Chrifti zu- 
wider die altapoftolifchen Grundſätze fallen Tieß?). Dagegen lehrten 
fie, daß das apoftoliiche Charisma in ihrer Gemeinjchaft von ur⸗ 
alten Zeiten ber fich fortgepflanzt habes), und fie nüpften an den 
Beſitz deſſelben das Hecht, ſich als wahre „Gemeinden Chrifti” zu 
bezeichnen. 

In der That fehen wir noch im 15. Jahrhundert bei den 
Walvdenfern und in allen folgenden Iahrhunderten bei den aus 
ihrer Gemeinfchaft hervorgegangenen Täufern, daß fie nur diejenige 
„Gemeinde“ für rechtmäßig conftituirt Halten, welche wenigitens 
einen „Aelteften‘‘ oder einen „Biſchof“ beſitzt, der durch „Hand⸗ 
auflegung“ feinen Zuſammenhang mit der Tradition der apo- 
ftofiichen Brüder nachzuweifen im Stande ift. Dies ift die. Be 
deutung der Einrichtung, daß unter die „Diener des Worts“ Nie- 
mand aufgenommen wird, es jet ihm denn zuvor die Handauflegung 
zu Theil geworden. 

So ſehr ſie aber einerſeits die erziehende und erleuchtende Kraft 
der Zugehsörigkeit zu der „rechten Gemeinde“ betonten, ſo wenig 
Yäßt fich bei ihnen die Behauptung nachweifen, daß ver einzige 
Weg zur Seligfeit darin gelegen ſei. Vielmehr fagten fie aus⸗ 

1) Der päpſtliche Pönitentiar Alvarus Pelagius ſchreibt im Jahre 1331: 
„(Waldenses) in tantum ecclesiam esse dicunt, quantum per Successores apo- 
stolorum fuit continuata vel reparata“ (De planctu ecclesiae, edit. de a. 1516 
fol. XIVE). 

2) Pſendo⸗Reiner in ber Max. bibl. Patrum Vol. XXV, 279 B und in ber 
Refutatio errorum etc. a. a. O. 303 A: Secundo dicunt, sacerdotes Ecclesiae 
catholicae sine ratione ideo non esse veros et legitimos successores discipu- 
lorum Christi, quia possident propria, quod secundum eos Apostoli non fe- 


cerunt praecipiendo Domino Matth. 10. 
3) Bgl. das Belenntnig der Jaqueta XZertrir v. 1311 oben ©. 19. 











67 


drüdlich, daß diejenigen Menſchen, welche ohne ihre Schul bie 
Meöglichkeit nicht befitten, der rechten Gemeinschaft anzugehören und 
welche dennoch in Liebe und Selbitverleugnung die Gnade Gottes 
aufrichtig juchen, den Weg zu. Chriftus finden können, indem Leb- 
terer fih ihnen durch das „innere Wort" offenbart und ihnen bie 
Fähigkeit giebt, feinen Geift ohne Vermittlung fich zu eigen zu machen. 
Doch wer die Wahrheit kennt und den Weg, der dahin führt, 
vor ſich fieht, ohne ihn zu wandeln, dem gereicht e8 zur Schuld 
und zum Verderben. 

Neben der apoftolifchen Succeffion, auf deren befondere Ge- 
ftaltung wir fofort zu fprechen kommen werben, betonten die Wals 
denſer als Kennzeichen der rechten Kirche die Mitwirkung der 
Gemeinde in den firchlichen Angelegenheiten, wie fie Chriftus 
ſelbſt (Matth. 18) befohlen Hat. 

Auf Grund dieſes Befehles Chriftt war es, daß fie fagten, 
fie wollten weber eine Briefterfirche noch eine Staatskirche, 
fondern eine Gemeindekirche haben. Die Gemeinde follte die 
Trägerin der ganzen Verfaflung fein!), welche ſowohl Das Wahl⸗ 
recht der „Diener des Worts“ wie das Recht zur Mitwirkung bei 
der Kirchenzucht inne hatte, 

Das Necht zur Ausübung des Bann ift ein befonderes Merk⸗ 
mal ver „rechten Gemeinde”. Die Walvenfer legten beſonderen 
Werth auf diefe Funktion, aber es ift intereflant zu ſehen, wie 
vorfichtig fie auf Grund der bei ihnen herrſchenden Traditionen bei 
der Ausübung defjelben zu Werke gingen. 

Auf Grund von Matth. 18, 17 ftand für fie die Befugniß der 
Gemeinde feit, aber aus Matth. 18, 18 leiteten fie das Recht und 
die Pflicht der „Apoſtel“ bezw. deren Nachfolger zur Mitwirkung 
bei dem Gemeindebeſchluſſe ab. 

Um die ganze Bedeutung diefer Auslegung zu verftehen ift es 
nothiwendig, daß wir zuvor bie merkwürdige Einrichtung des Apoftel- 
amtes bei den „Brüdern“ kennen lernen. 

Wenn für Die Lehre der Waldenſer die Bergprebigt eine ber 
fondere Bedeutung befist, jo charakterifirt fich ihr Kirchenweſen 


1) Diechhoff a. O. ©. 250. — Preger Abb. der Bayr. Ak. 1877. ©. 198. 
5% 


68 
burch die eigenthümliche Betonung der befonderen Regeln, welche 
Chriſtus feinen Apofteln als Verkündern feiner Lehre und deren 
Nachfolgern Im engeren und weiteren Kreis gegeben Bat. 

Denn zunächft ſtand es für fie feit, daß Chriftus in feinen 
Worten und Befehlen fich theilweife ausfchlieklich an die Verkünder 
feiner Lehre, theilweiſe aber an alle feine Anhänger gewendet Babe). 

In die erfte Kategorie von Anweifungen jtellten fie (offenbar 
auf Grund uralter Traditionen) die Befehle, welche ſich Matth. 10 
finden und die dann an zahlreichen anderen Stellen in den Evan⸗ 
gelten ergänzt und erläutert werben. 

Zu bdiefen ergänzenden und erläuternden Stellen gehört zu- 
nähft Marc. 6, 6 ff., dann Luc. 9, 1 und 10, 1; dann in weite- 
rem Sinn Luc. 12, 22 ff. und 22, 35 ff. und zu einem Theil auch 
Joh. 13—17. 

Aus der Gefammtheit diefer Stellen entnahmen fie zunächſt 
die Meberzeugung, daß Ehriftus den Prebigern feiner Lehre für alle 
Zeiten bejondere Vollmachten und Borrechte gegeben habe, und 
fie glaubten, daß diefe Vollmachten allen denen eigen feien, welche 
innerhalb der apoftolifchen Succeffion jtänden oder durch bie Hand⸗ 
auflegung feitens eines folchen den Segen des apoftolifchen Cha⸗ 
risma erlangt hätten. 

Diefe Ueberzeugung hatten fie fich aus jenen Zeiten der apo⸗ 
ſtoliſchen Kirche bewahrt, wo die römifche Kirche fich noch nicht als 
felbftändige Organifatton conftituirt und ihnen feindlich gegenüber- 
geftellt Hatte). 

Aber — und darin lag der wejentliche und principielle Unter- 
ſchied von ber römiſch⸗katholiſchen Auffaffung — aus den erwähnten 
Zeugniffen der h. Schrift entnahmen fie nicht nur die Zufage von 
Vollmachten, jondern vor Allem auch die Forderung beftimmter 
Schwerer Pflichten, ohne deren Erfüllung fie die Fähigkeit zum 
Apoſtelamt troß der Succeſſion gänzlich leugneten. 

1) Lucas 12 ift Petrus in einem fpeciellen Falle zweifelhaft, ob Chriſtus 
Regeln file feine Apoftel ober alle feine Anhänger babe geben wollen; er fragt 
daher: „Herr, fagft du dieſes Gleichniß zur uns oder auch zu Allen?“ 

2) Limborch Lib. Sent. Ing. Tolos. f. 377 Die Walbenfer glaubten, „quod 


ipsi Valdenses erant de illis discipulis, qui descenderunt a discipulis et apo- 
‚stolis Christi“. 











69 


Diefe Pflichten faßten fie zufammen als die von Ehriftus be» 
fohlene Armuth und gaben damit einer Idee Ausbrud, die, fo 
wenig. deutlich der Ausdruck „Armuth“ diefelbe bezeichnet, doch in 
der Geſammtlehre Chriſti eine Mare und unzweidentige Begründung 
befikt. 

Es steht feit, daß. feine Partei entſchiedener und wirkungsvoller - 
innerhalb ihrer Grenzen gegen jene Seite menfchlichen Unglücks 
angekämpft bat, bie im engeren Sinne „Armuth” ober Ver- 
armung genannt wird. Sie iſt e8 gewefen, welche ben Grund⸗ 
fat ausgefprochen und durchzuführen verfucht bat, daß es feine 
Bettler in den Gemeinden Chriſti geben bürfe und daß berjenige, 
welcher Mangel leide, von ſolchen unterjtüßt werden müſſe, bie mehr 
haben als fie brauchen. Die ganze Einrichtung ihrer gemeinblichen 
Drganifation zielte darauf ab, dag Einer dem Anderen thatkräftig 
helfen müſſe, und fie fagten geradezu, dag Mittbeilen und Gutes 
thun der beite Gottesbienft jet. ' 

Aber diefelbe Partei forderte von denjenigen, welche als Schüler 
der Apoftel unter ihnen wirken wollten — ohne unter dieſer Rubrit 
alle „Diener des Worts“ zujammenzufaflen —, daß fie gemäß: 
Chriſti Befehlen ſich felbjt erniebrigten und allen eigenen Beſitz, 
ſei es in Häufern, Höfen, Gütern oder Renten, zuvor an bie Armen 
gäben, ehe fie als Apoftel in die Lande zogen. 

Der Grundgedanke biejer Borderung war, daß die Selbit- 
verleugnung und die Seelenreinheit des Geiftlichen es tft, an 
welche Ehriftus in tiefer Wahrheit die Fähigkeit zu wirkſamer Ver⸗ 
kündung bes göttlihen Wortes gebunden bat. Nur beilige und 
reine Hände werden das apoftolifche Charisma rein und lauter 
verwalten. _ 

Niemand wird die Lehre Gottes und Chriftt recht verkünden, 
fagten fie, wer nicht den Geift Ehrifti in fih Hat. Aber jo lange 
man an einem Dinge haftet, das nicht göttlich ift, fo lange ift e8 
ungewiß, ob Gott in den Menfchen tft oder nicht. Die Liebe zu 
Gott wird nur da im höchſten Sinn gedeihen, wo das 
Herz nit hängt an Reichthum, Befig und Gütern 
ähnlicher Art. | 

„Verkaufet Euere Habe, ſpricht Ehriftus (Luc. 12), und gebet 


70 


Almofen; erwerbet Euch Beutel, die nicht alt werden, einen Schatz, 
der nicht ausgeht, in dem Himmel, wo kein Dieb Hinlommt und 
ven feine Motte zerftört. Denn wo Euer Schatz tit, da ift 
auch Euer Herz”. 

Nur derjenige vermag wirkſam ein Bote der chriftlichen Lehre 
zu fein, welcher ebenfo durch fein Beispiel, wie durch feine Predigt - 
aufbauend und erbebend zu wirken im Stande ift. Der aber ift 
gar Fein Bevollmächtigter Chrifti, welcher deſſen Lehre lehrt, 
aber nicht ſelbſt danach Handelt. 

Den weſentlichen Inhalt und Zweck der Vorſchriften, welche 
Chriſtus an den oben erwähnten Stellen zuerſt den zwölf, ſpäter 
auch den ſiebzig Männern, die er ausſandte, gegeben bat, erkannten 
fie in dieſer Selbftverleugnung Nur wer in Entjagung, Armuth 
und Niedrigkeit faͤhig ift, fich jelbit zu opfern für die Ideen, welche 
Chriſtus verkündet hat, wird als echter Abgeſandter Chriftt Die Voll⸗ 
machten auszuüben im Stande fein, welche Jener feinen Apofteln 
und deren Nachfolgern gegeben Hat. 

Nun tft e8 zwar nicht fchwer, fo hohe fittlihe Forderungen 
aufzuftellen, aber jede kirchliche Semeinjchaft, welche an dieſen Be⸗ 
fehlen Chrifti fefthält, wird mit der Schwierigfeit zu kämpfen haben, 
Männer zu finden, welche Willens und fähig find, ihr zu entfprechen. 

Die Waldenſer aber haben das Glück gehabt, Jahrhunderte 
hindurch troß ber entjeßlichiten Verfolgungen, Perfonen unter fich 
zu beſitzen, welche mit Recht „Schüler der Apoftel” Heißen Tonnten, 
und bie nachfolgenden Andeutungen mögen zeigen, wie weit e8 ihnen 
gelungen ift, auch denjenigen Befehlen Chriſti einen tiefen, allzeit 
gültigen Sinn abzugewinnen, welchen der „aufgeflärte” Sinn ber 
herrſchenden Kirchen damals längſt als überlebt befeitigt Hatte. 

David von Augsburg befchreibt diefe „Apoftel” der Wal 
benfer um das Jahr 1260 wörtlich folgendermaßen ): „Einige unter 
ihnen werden Perfectt (Volllommene) genannt und dieſe heißen im 
engeren Sinn „Arme von Lyon”; doch werden nicht alle zu 
diefer Form genommten, ſondern fie erhalten vorher eine langbauernde 
Unterweifung, auf daß fie auch andere zu unterweifen wiffen. Dieſe 


1) Abhandlungen ver IN. EL. ver. B. A. d. W. z. M. XIV, 2 S. 209 Art. 7. 





71 


behaupten von fich, dag fie fein Eigenthum befiten, weder Häufer 
noch liegende Güter noch beitimmte Nievderlaffung noch rauen; 
wenn fie folches früher beſeſſen Haben, fo verlaffen ſie es. ‘Diefe 
fagen von fi, fie feien der Apoftel Nachfolger (apostolorum 
successores) und fie find Lehrer (magistri) und empfangen die 
Beichte und wandern durch die Lande und befuchen und befeitigen 
ihre Schüler in ihren Irrlehren. Diefen bringen die Schüler dar, 
was fie brauchen. Wo fie anlommen, theilt man fich heimlich deren 
Anfunft mit, und e8 kommen zu ihnen Mehrere an filherem Ort 
und Schlupfwinkeln, um fie zu hören und zu ſehen, und fie ſchicken 
ihnen das Beſte von aller Speife und Trank, was fie haben‘ 1). 

In einem Bekenntniß von Straßburger Waldenſern, welches 
aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts zu ftammen jcheint, wer⸗ 
ben die Apoftel in folgender Weile bejchrieben: „Ste gingen von 
Gottes wegen durch die Lande an der Zwölfboten (Apoftel) Statt 
und waren auch Zwölfboten und Hatte fie Gott darzu georonet, 
daß fie die Chriſtenheit aufenthielten” 2). Ste wurden zu Straß- 
burg „Winkeler“ genannt und man übertrug diefe Bezeichnung dann 
auch auf die ganze Partei in verfelben Weife, wie e8 bei dem Na- 
men „Arme von Lyon“ der Fall war. 

Wo fie auch in den uns erhaltenen Quellen auftauchen, bes 
merken wir, daß fie rafch, wie fie gelommen find, auch wieber ver- 
schwinden). Nur tageweife find fie in einem beftimmten Haufe 
und in Schlupfwinkeln friften fie ihr Dafein ®). 

Sie ziehen ſtets zu zwei und zwei auf ihre Miffion und zwar 
find es regelmäßig ein älterer und ein jüngerer Mann, welche ge- 


1) Um das Jahr 1179 beſchreibt Walther Mappes diefe Apoftel folgenber- 
maßen: „Hi certa nusquam habent domicilia, bini et bini circumeunt, nudi 
pedes, laneis induti, nihil habentes, omnia sibi communia tanquam Apostoli 
nudi nudum Christum sequentes*“. 

2) Röhrih Ztſchr. f. hiſt. Theol. 1840 I S.147 Anm. 63. — Bol. Röhrich 
a. DO. ©. 158, wo ausdrücklich gefagt ift: Die Winkeler, die ſich die Zwölfboten 
(= Apoftel) nennen, mag man wohl rügen u. ſ. w. 

3) Bol. Ochfenbein a. D. und Limborch Lib. Ing. Amst. 1692 p. 242 
Recepit in domo sua alium (Apostelum) ... una die vel duabus. 

4) Sie hielten in den Häufern, wohin fen kamen, Collekten für bie Armen 
ab. ©. David a. a. O. ©. 211. 


72 


meinfchaftlich thätig find‘). Man nennt fie Magister major und 
Magister minor?), und der Iüngere, welcher für den Aelteren und. 
deffen Lebensbebürfniffe forgt, ift diefem zu Dienft und Gehorſam 
unbedingt verpflichtet. Es fcheint, als ob der jüngere Mann ein 
„Novize“ geweſen jet, welcher der „Sodalitas Apostolorum‘‘ noch 
nicht formell angehörte. 

Um der Verfolgung ihrer Gegner zu entgehen, zogen fie in der 
Regel in der Tracht von Kaufleuten von Ort zu Ort. Bielfach 
führten fie — oder wenigftens der jüngere Begleiter — auch wirk- 
lich Teicht transportable Waaren mit fi, z. B. Meifer, Nadeln, 
Perlen u. ſ. w. In den Häufern, die fie gajtfrei aufnahmen, gaben 
fie folche Gegenftände wohl als Gaſtgeſchenke, empfingen aber in 
der Regel dafür andere Dinge, deren fie bedurften, als Gegengabe. 
Geld zu nehmen haben fi die Apoftel nach Ausweis der Ingui- 
fittonsprotocolle in der Regel geweigert; ob die jüngeren Begleiter 
zur gleichen Weigerung verpflichtet waren, vermag ich nicht zu fagen. 
Hatte ja doch auch unter den Apofteln in der Umgebung Chrifti 
einer den „Beutel geführt (Judas) und für die Lebensbebürfniffe 
auf der Neife Sorge getragen (Joh. 13, 29). 

Wir finden in den Quellen, daß die Waldenſer ihren Apofteln 
eine ebenfo große Verehrung und Zuneigung wie forgende Liebe 
zuwandten. Es Hatte fich bald gemäß Chrifti Verbeißung die Ueber⸗ 
zeugung ausgebildet, daß, wer diefer edlen Männer einen bei fich 
aufnehme, Chriftum felbft beherberge und in ibm den Geift des. 
Guten, und im Jahre 1321 fagt die Waldenferin Agnes de Vineis 
geradezu aus, es fei unter ihnen Glaubensfag, daß derjenige ein 
gottwohlgefälliged Werk thue, welcher den wandernden Brebigern 
eine Gutthat erweiſe 8). 

Sp konnten dieſe „Schüler der Apoſtel“ auf Chriſti Trage: 
„Wann ich Euch ausfandte ohne Beutel und Taſche und Schuhe, 


1) Bol. Limbord a, DO. ©. 344, 359 und öfter. Es ift in ber Regel ber 
eine ein Greis (senex) der andere ein Jüngling (juvenis). 

2) Es verdient Beachtung, daß dieſelbe Bezeichnung Magister bezw. Magistra 
major et minor in den Beghinenhäuſern wieberlehrt. In römifchen Klöſtern 
tennt man fie nicht. ©. Mosheim a. DO. ©. 150. 

3) Limborch a. O. ©. 359. 








73. 


babet Ihr Mangel an etwas gehabt?‘ wie einft die Apoftel mit 
Wahrheit antworten: „An nichts” (Luc. 22). 

Die Apoftel jollten nach Chrifti ausprüdlicher Meinung ihre 
felbftvergefiene Demuth auch in ihrem äußeren Auftreten zu er» 
kennen geben und bebürfnißlos zu fein in ihrem Leben fich ge- 
wöhnen. Indem fie ihr ganzes Dichten und Trachten auf das Jen⸗ 
ſeits richteten, follten fie der Sorge um das Dieſſeits möglichft fich 
entjchlagen lernen (Luc, 12). | 

In diefem Sinne befahl ihnen Chriftus (Luc. 9, 3): „Ihr folit 
nicht8 auf den Weg mitnehmen, weder Stab noch Reiſetaſche, noch 
Brod noch Geld noch einen zweiten Anzug”), und dies war bie 
Bedeutung der Worte: „Ihr ſollt nicht Gold, noch Silber noch Erz 
in Euern Gürteln haben’ (Matth. 10). 

Und zum Zeichen deffen, daß fie fich felbft ernieprigt, follen 
fie „ Sandalen” tragen (Marc. 6) und feine Schuhe. Chriftus 
wußte es wohl, daß auch diefes geringe äußere Zeichen dann höheren 
Zweden zu dienen geeignet war, wenn es das Gefühl der Zufam- 
mengebörigfeit erhöhte. Doc; wäre es falſch, hier wie anderwärts 
auf den Buchſtaben und nicht vielmehr auf den Sinn der An⸗ 
weiſung zu ſehen. 

Auch die Befehle (Matth. 10, 8- 10): „Umſonſt habt ihr es 
empfangen, umfonft, gebt e8 auch” und: „Ein Arbeiter ift feiner 
Speije werth“ empfingen in der Auslegung: der Waldenfer ihren 
wohldurchdachten Sinn. 

Denn fie fagten, e8 gezieme fich nicht, für Wohlthaten Gelb. 
zu nehmen, und um die Verſuchung auszufchliefen für die, welche 
e8 bei ſich tragen, follen fie e8 überhaupt nicht mit fich führen. 
„Nur Speife und Herberge und Gejchente außer Geld dürfen fie als 
Saftgefchente nehmen in dem Haufe, das fie freundlich aufnimmt, 
aber das Betteln ift ihnen ftreng unterfagt‘‘ 2). 

Befondere Beachtung verdient die Thatſache, daß auch die An⸗ 
weifung Chrifti, Durch welche er befiehlt, die Schwachen und Kranken 
zu beilen (Marc. 6, 13), von den Apofteln der Waldenſer nicht 

1) Nach Weizfäder Das Neue Teftament 2. Aufl. Tübingen 1882 ©. 118 


lautet bie richtige Ueberfeung nicht „Zwei Ride”, fonbern einen „zweiten Anzug“. 
2) Dies berichtet ſchon Eberbarb von Bethune. 


14 


bloß in geiftlidem Sinn verftanden und aufgefaßt wurde. Viel- 
mehr waren fie nach dem Vorbild ihres Lehrers und Meifters ebenfo 
für das feelifche Wohl und die geiftliche „Auferwedung der Todten“ 
wie für das leibliche Gedeihen derer lebhaft beforgt, die ihnen an“ 
vertraut waren, und wir finden in den Quellen Häufig, daß Die 
Geiſtlichen der „Ketzer zugleih ernfthafte medicinifche Studien ge- 
macht hatten. 

Auch bei diefen Apojteln bewahrbeitete ſich das Wort, daß, 
„wer fich felbft erniedrigt, erhöht werden fol". 

Ueberali in den Gemeinden genoffen fie ein ganz befonderes 
Anfehen. In Straßburg fagte eine gefangene Waldenſerin, fie wifle 
e8 nicht anders, als dag die „heimlichen Lehrer (Apoftel) „Heilige 
und göttliche Leute wären” 1). Weberall wurden fie unter dem Volt 
furzweg die „guten Leute‘ genannt, und ihr Wort galt für Die 
Gläubigen als unbedingte Norm: unweigerlich leiftete man ihnen 
Gehorſam?). 

Obwohl ſie, wie wir gleich ſehen werden, außerhalb der regel⸗ 
mäßigen Organiſation der waldenſiſchen Gemeinſchaft ſtanden, ſo 
bildeten ſie doch ein ungemein wichtiges Glied derſelben. 

Die Mittheilung Davids von Augsburg, daß die Apoſtel vor 
ihrer Aufnahme oder Beſtätigung eine langdauernde Vorbereitungs⸗ 
zeit durchmachen mußten, liefert ven Beweis,, daß dieſelben unter 
fih ein Collegium oder einen corporativen Verband bildeten 3), der 
fih nach feiten Grundfägen ergänzte. Ohne die Anerkennung 
und Dandauflegung dieſes „Aelteſten-Kaths“ ward Niemand in 
feinem Lehramt beftätigt. 

Es hat fpäter eine Zeit gegeben, wo nach Lockerung der alten 
Organiſation manche Perſonen, die ſich unmittelbar von Gott ber 
rufen und vom „Geiſte“ berührt wähnten, den Beruf der , Apoſtel“ 


1) Schon Stephanus de Borbone berichtet, daß dieſes Anfehen ber Apoftel 
auf Matth. 10, 20 berubt habe. ©. Hahn a. O. 266. 

2) Röhrih a. O. S. 147 Anm. 64. 

3) Eine Art von Organifation fcheint innerhalb dieſes Collegiums vorhan⸗ 
den geweien zu fein. Denn bei Limborch S. 377 wird ausdrücklich ein Mann 
nambaft gemacht unter ven Apofteln „qui erat major inter eos“. Ander⸗ 
wärts beißt berfelbe „majoralis“. | 





75 


wilſkürlich an fich riffen. Es waren dies, wie es in der Natur der 
Sache lag, die Vorftabien der Auflöfung. 

Noch im 14. Jahrhundert fanden folche „Propbeten‘ bet ven 
Waldenſern fein Vertrauen. Eine gefangene Waldenferin, die von 
Kindheit auf in diefer Lehre erzogen war, erklärte vor Gericht, daß 
der Apoftel Johannes von Lothringen die Vollmachten feines Be⸗ 
rufs „von Gott und von denen befige, die ihn auf dieſen 
Platz geſtellt hätten“ Y. 

Die „langdauernde Unterweiſung“ wird fo zu verſtehen fein, 
daß die Apoftel in der Hegel vorher alle Stufen der regelmäßigen 
ſeelſorgeriſchen Aemter verwalten mußten, und vor Allem machten 
fie im fpeciellen Dienft als Begleiter der älteren und erfahrenen 
Männer ihre praktifche Vorbereitungszeit für ben fpäteren Beruf 
durch?). Selbft nach all dieſen Vorftadien aber war e8 erft der 
freiwillige Entfchluß der höchſten Selbftverleugnung und bie Darauf 
bin erfolgte Handauflegung, welche die volle Einführung in den 
Beruf enthielt. So waren die Apoftel fait immer ältere Männer. 

Wir haben oben bereit8 bemerkt, daß die Angehörigen biefer 
„Gemeinden Chriſti“ fich unter einander „Brüder“ nannten und 
danach auch wohl von Außenftehenden als „Brüdergemeinden‘ bes 
zeichnet wurden. 

Da ift e8 nun in mehr als einer Beziehung wichtig, Daß, wie 
urkundlich feftjteht, das Collegium der Apoftel (deren Zahl fich übri- 
gens nicht firiren Yäßt) in der Gemeinfchaft den Namen „Gottes- 
freunde” trug und daß jene Männer felbft ſich unter einander 
„Breunde” nannten. 

Das mehrerwähnte Sendſchreiben der italifchen Armen aus 
etwa 12303) berichtet, daß e8 nach den Beichlüffen der Synode von 
Bergamo (1218) den Gemeinden frei ftehen foll, ihre „Ministri“ 
(„Diener des Worts") oder ihre regelmäßigen Seelforger, auf welche 
wir unten zurüdtommen werben, zu wählen entweder aus der Zahl 

1) Limborch Lib. Ing. Tolos. ©. 291. 

2) Aus den Protocollen der Inguifition zu Toulouſe erhellt biefe Thatjache 
auf das ewidentefte. Vgl. die Gedichte des nachmaligen „Apoſtels“ der Wal⸗ 
denſer Huguetus Garni bei Limborch a. a. O. ©, 365. Für die Erziehung durch 
den Apoftel Bartholomäus gaben die Eltern dem Huguetus eine Summe Geldes mit. 

3) Preger in den Abh. der IL. EL d. K. B. Ad. W. 1877 ©, 234 ff. 





76 


ber „nuper conversi“ ober ber „amici“, und bezeichnet da⸗ 
mit deutlich den Unterſchied der Lebteren von ber Gemeinde. 

Noch deutlicher drückt fich der Unterfchieb der „Freunde“. und 
der „Brüder“ in der Adreſſe jenes Sendſchreibens aus, wo ganz 
ausdrücklich gejagt wird, dag die Mittheilung fowohl an die „Brü- 
der” und „Schweitern” wie an (ben engeren Kreis) der „Freunde“ 
gerichtet fein folle!). 

Auch David von Augsburg beftätigt ums Jahr 1260 den &e- 
brauch des Namens „Gottesfreunde” ganz ausdrücklich und 
indem er denjelben zufammenftellt mit der Bezeichnung „Arme von 
Lyon“ oder „Arne Gottes”, welcher auf die „Apoſtel“ Anwendung 
zu finden pflegte, jo wird dadurch beren Identität eriviefen?). 

Im 13., 14. und 15. Iahrhundert Tehrt in Deutichland, zu⸗ 
mal in Oeſtreich, Baiern, der Schweiz u. f. w. der Name „Freunde“ 
in der Iateinifchen Bezeichnung „noti‘ wieder und eine unzutreffende 
Meberfegung Hat daraus bie „Kunden (die Belannten) gemacht. 
Daß nichts anderes als der Name „Gottesfreunde” dahinter fteckt, 
erhellt u. A. aus dem Waldenferprozeß, der ſich zu Freiburg im 
Uechtland im Sabre 1430 abfpielte, wo es beißt, die Walbenfer 
feien die „Gott bekannten“, die andern die „Gott unbelannten‘‘ 
(„deo ignoti‘‘)3), was natürlich eine Verftümmelung aus dem Worte 
„Sottesfreunde” ift. ALS Gegenfag zu dem Worte Kunden“ wird 
ber Ausdruck die „Welt“ in den Prozeßakten ber ſüddeutſchen In⸗ 
quifition angegeben und e8 erhellt daraus, daß im 14. und 15. Jahr⸗ 
hundert der Name „Gottesfreunde” bereits auf bie ganze „Gemeinde 
Chriſti“, die man fich ja im Gegenfat zu der „Gemeinde ver Welt” 
dachte, Anwendung zu finden begann. _ 

Es lag in der Natur der Verbältniffe, daß bie „Gottesfreunde‘ 
im engeren Sinn ſich mit der Zeit zu einem „Aelteftenrath‘ und 
zu einer Art von Geſammtvertretung der Gemeinfchaft ausbilbeten. 


1) Die Wahl des Namens beruht unzweifelhaft auf Ehrifti Anweiſung Job. 
15, 12—14. | 

2) Isti ypocritae diversa sibi nomina tribuunt; non enim appellant se, quoü 
sunt, idest haereticos, sed vocant se veros christianos et amicos dei et 
pauperes dei et hujusmodi nominibus. Preger in den Abb. der IL. EL. d. K. B. AM. 
1878 11, 211. 

3) Ochſenbein Der Inquifitionsprozeß u. f. w. 1881 ©. 208. 








77 


Und in der That waren die Angelegenheiten ber Partei in 
einer ſolchen Körperfchaft, deren Vertreter für ihre Perjon mit dem 
Leben abgeſchloſſen und ihr ganzes Sein der Idee geweiht batten, 
die fie leitete, gut aufgehoben. In regelmäßigen Zufammenfünften 
beriethen die „Gottesfreunde“ über das Wohl. der Gemeinden in 
Nah und Fern, und was fie beſchlofſen hatten, warb mündlich ober 
in Briefen überall ven Genoffen fund getban. In der Regel fan- 
den dieſe Rathſchläge williges Gehör. 

Man wird nicht fehl gehen, wenn man die beſondere Art von 
Literatur, welche dieſe Gemeinden in den ſogenannten „Send⸗ 
ſchreiben“, d. h. in den religiöſen Belehrungen in der Form von 
Briefen beſitzt, ſpeciell an die Einrichtung dieſer „Apoſtel“ anfnüpft!). 

Urſprünglich fcheinen diefelben in poetifcher Form abgefaßt wor- 
den zu fein und den Charakter religiöfer Lehrgedichte gehabt zu 
haben. Im 14. Sahrhundert finden wir fie in Deutſchland bereits 
in Proſa — wir werden unten darauf zurückkommen — und zwar 
natürlich in deutſcher Sprache. 

Der Zweck der „Sendſchreiben“ war, die perſönliche Belehrung 
ver abweſenden „Magistri“ zu erſetzen. Es wurde vermieden, die 
Namen der Gemeinde zu nennen, an welche ſie gerichtet waren, da 
ſchriftliche Aufzeichnungen leicht in falſche Hände fallen konnten und 
dann die namhaft gemachten Orte verrathen haben würden. Deß⸗ 
bald find fie gewöhnlich ganz allgemein an die „chriftlichen Brüder“ 
oder an bie „Chriſtenheit“ gerichtet und wurden dann von Hand 
zu Hand gegeben. Die Schriften der Männer, die ihr Leben ge- 
laſſen hatten für ihren Glauben, genoſſen bei den Brüdern beſon⸗ 
deres Anjchen. 

So ward die Tradition von Gefchlecht zu Gefchlecht fortgepflanzt 
und wenn man beobachtet, mit welcher Zähigkeit fich diefe Lehre in 
biftorifcher Zeit unter unfäglichem Leid behauptet hat, fo darf man 
auf die vorbiftorifchen Epochen einen Rückſchluß gleicher Art machen. 


1) Diefer Literaturzweig ift noch faft gar nicht beachtet worden; es wäre 
eine fehr wichtige und daukbare Aufgabe, die früheſten „Sendſchreiben“ der Häre⸗ 
titer einmal zuſammenzuſtellen. Es würde fich dann zeigen, daß Dir bie erſten 
größeren Verſuche deutſcher Proſa zu erkennen find. 


78 


Die Apoſtel waren aber nicht bloß die Träger der Ueberliefe- 
‚rung in Lehre und Ritus, fondern fie bewahrten in ihrem engeren 
Kreife zugleich die apoftolifchen Vollmachten, ohne welche nad Tra- 
dition und Recht diefer Gemeinfchaft eine ordnungsmäßige Verwal⸗ 
tung des getjtlicden Amtes nicht zu Stande kommen Tonnte?). 

Denn natürlich bepurften die Gemeinden für die Verſehung 
ihrer vegelmäßigen Andachtsübungen noch befondere Geiftliche und 
fchon David von Augsburg beftätigt, daß außer den Apofteln Magistri 
oder Lehrer — eine Bezeichnung, welche im weiteren Sinn auch 
die Apoftel mitumfaßte — und Studirende („Studentes‘) vorhan⸗ 
ben geweſen feien, indem er berichtet, daß bei den Gottesbienften 
für diefe Geld gefammelt worden fei?). 

Aus dem oben erwähnten Senbfchreiben von c. 1230 erhellt 
gleichfalls, dag neben den Apofteln, welche hier unter dem Namen 
„Arme” auftreten®), auch „Diener („Ministri“) vorhanden 
waren, über deren Erwählung der Art. 5 jenes Schreibens Be⸗ 
jtimmungen trifft. Es wird darin geftattet, die Diener” ſowohl 
auf einen beſchränkten Zeitraum wie für Lebensdauer einzufegen. 
Bon einer Wahl der Apoftel ift dagegen mit feiner Silbe bie Rede. 
Wohl aber lehrt der Ausprud „Ordinatio ministrorum“, dag man 
eine formelle Bejtätigung der erwählten Diener Tannte‘). 

„In Abwefenbeit des Meiſters“ (Apoſtels), jagt Nöhrich, „unters 


1) Die „Handauflegung” dieſes Presbyteriums oder eines Mitgliedes 
deſſelben fcheint die nothwendige VBorausfegung fir die rechtmäßige Amtsführung 
der Bifchöfe oder, wie e8 im einer fpäteren Zeit heißt, ver Prediger „im vollen 
Dienſt“ geweien zu fein. Bon jenem „Aelteften-Kolleg” ver Apoftel ging fpä- 
ter, al8 diefes nicht mehr beftand, das Recht und bie Pflicht der Hanbauflegung 
an die Aelteften ber einzelnen Gemeinden über. Es war bie aber nur ein Noth- 
bebelf. 

2) David von Augsburg a. a. O. ©. 209. 

3) Abhandlungen der II. Cl. d. K. B. A. d. W. zu Münden Bd. XIN Abth. I 
S. 235: „Si aliqua persona consilium ‘Pauperum’ petierit... detur illi 
consilium secundum deum et ejus legem“. 

4) Zugleich Handelt jene Urkunde in einem befonderen Artifel „De preponi- 
mento“, und es wirb barin beftimmt, baß (neben ben Ministri) gemeinfam 
(communiter) zu wählen feier entweder „Praepositi“ auf Lebenszeit ober „Rec- 
tores“ für beſtimmte Jahre, je nachdem e8 für die Gemeinfchaft nützlicher fchien. 
Ich bin einftweilen nicht im Stande, die Funktionen diefer Würbenträger näber 
zu beftimmen. 














79 


wies und ermahnte Einer aus der Gemeinde”, und da die Ab⸗ 
wefenbeit die Regel war, jo befand fich faft das ganze Jahr hin⸗ 
durch die Funktion des Seelforgers bet den von den Gemeinden 
erwählten „Dienern“. 

E83 lag in der Natur der Verhältniſſe, daß da, wo die Ge⸗ 
meinden klein und mittellos waren, eine Art von Snienprebigern 
aushülfsweiſe den Dienft verfehen mußten. 

Zu Anfang des 14. Jahrhunderts bekannte der Waldenfer 
Johannes de Vienna, daß er drei geiftlihe Stufen (Ordines) an- 
ertenne, nämlich den Episcopat, das Sacerbotium und das 
Diakonaty. 

In der That begegnen uns Biſchöfe der Waldenſer von den 
früheſten Zeiten an. Dieckhoff hat mit Recht hervorgehoben?), daß 
eine Vergleichung des Wortlauts des 3. Capitels des Laterancon⸗ 
cils vom Jahre 1215 mit der Bulle Lucius' III. vom Jahre 1184 
den Schluß geitattet, „Daß es bereit damals häretiiche Biſchöfe der 
Walbenfer gegeben Hat”. Jedenfalls fteht es feit, daß die „Freunde” 
in Deftreich bereits im Jahre 1240 einen Bifchof befaßen. Zum 
Jahre 1260 erzählt Pſeudo⸗Reiner, daß die wanderndernden Evan⸗ 
geliften, wenn fie in Die Lombardei famen, „ihre Bifchöfe befuchten‘ >). 
Don den Waldenjer-Biichöfen des 15. Jahrhunderts wird weiter 
unten bie Rede fein ?). | 

Ueber die Funktionen des Bifchof85) wird Durch den bei den 
Waldenſern urkundlich bezeugten Gebrauch Licht verbreitet, daß bie 


1) „Item, quod in ecclesia non sunt nisi tres ordines, episcopalis, sacer- 
dotalis et diaconalis*. Limborch Lib. Sentent. Ing. Tolos. S. 290. Bgl. Died- 
hoff a. a. ©. ©. 260. — Hahn a. O. II, 370, 

2) A. O. ©, 168, 

3) Max. bibl. Patrum Vol. XXV. 266. 

4) Moneta berichtet Folgendes: „Ordinem ecclesiasticum ... ipsi ad minus 
triplicem confitentur, scilicet Episcopatum, Presbyteratum et Diaconatum, sine 
quo triplici ordine Ecclesia Dei non potest esse nec debet, ut 
ipsi testantur“. Comba a. O. ©.55 Anm.3. — Der Ausbrud Presbyteratus 
ober Presbyter ift in ben von Walbenfern ſelbſt herrührenden Documenten nicht 
nachweisbar. Joh. v. Vienna fagt ftatt deſſen ausdrücklich Sacerdotium; f. oben, 

5) Daß die dreifache Grababfiufung Teineswegs mit berjenigen ber klerikalen 
Hierarchie zufammenfält, und daß fie auf ganz anderen Grundlagen erwachfen 
ift, ſ. bei Dieckhoff a. O. ©. 261. 





80 


Aufnahme in die Gemeinſchaft der Prediger ſchon in frühen Zeiten 
mit einer Weihe (Ordination) verbunden war). Aus dem 15. Jahr⸗ 
hundert wiflen wir, daß dieſe Weihe von dem Biſchof vollzogen 
wurde, und es ift Tein Zweifel, daß dieſer Brauch auf uralter 
Tradition berubte. 

Es iſt fehr wahricheinlich, dag eine organifche Verbindung 
zwischen Apoftolat und Episcopat beftanden bat. Nicht ald ob Je⸗ 
mand gleichzeitig Apoftel und Bifchof hätte fein Tönnen — denn 
bie Bifchöfe, welche uns begegnen, haben in der Regel feite Sitze —, 
aber es jcheint, al8 ob folche Apoftel, denen ihr Alter verbot, den 
Wanderftab zu führen, von den Gemeinden oder deren Vertretern 
gern in die Würde des Biſchofs eingefetst worden wären. 

Die regelmäßigen Funktionen der Prediger dürften in der Hand 
des Standes gelegen haben, welchen Johannes von Vienna als 
„Sacerdotium“ bezeichttet. 

Es fteht urkundlich feit, daß „ihre Priefter nicht follten geweiht 
werben, fie hätten denn dreißig und vier Jahr ihres Alters 
überfchritten" 2). 

Als Vorbereitungsſtadium für den Prebigerberuf ift vielleicht 
das Diakonat anzufehen. In der Hand der Diakfonen lag der 
„Dienſt der Nothourft (wie e8 in ſpäterer Zeit heißt), das ift Die 
Berwaltung der Gemeinbe-Armenpflege, die hier beſondere Beach⸗ 
tung fand, die Kafjenführung und fonjtige äußere Bebienungen. 

Auch Tann die Thätigfeit jener „Magistri minores“, welche 
wir oben als Begleiter der „Apoftel” Tennen gelernt haben, als 
Durchgangs- und Lehrzeit für den Prebigerberuf gegolten haben. 

Alle Nachrichten bezeugen, daß die Waldenſer in ihrer beiferen 
Zeit denjenigen Geiftlichen, Die ſich dieſem Beruf ausfchlieglich wid⸗ 
meten, eine fichere materielle Erxiftenz gewährleifteten. Es wurden 
feſte Umlagen und Opfer bei den Gottesdienften erhoben und biefe 
floffen in einen gemeinfamen „Raften”. Erſt in einer verfümmerten 
Periode fahen Die „Diener Des Worts“ ſich genöthigt, ihren Unter- 
halt jelbft zu verdienen 3), 


1) Diedhoff a. DO. ©. 226. 
2) Ochfenbein a. O. S. 111. Die Notiz Hamm aus einem Protocoll vom 
Jahre 1399. 3) Diedhoff a. O. ©. 202. 





81 


Gleichzeitig fteht e8 feit, daß die Gemeinden in ihrer Blüthe⸗ 
zeit gewilfe Anforberungen an bie wiffenjchaftliche Bildung ihrer 
Geiſtlichen ftellten. Schon Papſt Innocenz II. (1198—1216) bes 
ftätigt, daß bei den Waldenfern gebildete Laien („laiei literati“) 
bie Funktionen ber Prediger verjehen bätten!), und es ift fein Zu- 
fall, daß die Magistri nit felten den afademifchen Grad ber 
Magistri liberalium artium fich erworben batten ?). 

Auch in fpäteren Perioden machten die jungen Männer eine 
Vorbereitungszeit durch, welche bejtimmt war, fie auf das Niveau 
der Zeitbildung zu heben. 

Sndeffen war und blieb auch bei ihren vegelmäßigen Seel- 
forgern die Hauptforverung die, daß es bewährte, Yeife und wir, 
bige Männer feien, welche das Wort verfünbeten. 

Die Waldenſer erflärten, der zu erwählende Geiftliche folfe 
durch feinen Lebenswandel ven Beweis führen, daß er „Chriftumt 
in ſich trage” 3), und fie erläuterten dies mit Chriftt Zufage: „Wer 
in ber Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm“. Papft 
Innocenz III. berichtet, die Waldenſer wollten nur einem Mann 
gehorchen, der „Gott in fich hat“ (qui Deum habet in se); einen 
fchlechten Prieſter aber wollten fie troß entpfangener Weihe nicht 
aneriennen. | 

Sie leugneten gar nicht, daß ſolche Männer, welche wirklich 
‚im Geifte” Gottes wandeln und prebigen, felten feien, und daß fie ' 
fich die Möglichkeit der Wahl fehr bejchränkten. Aber fie fagten, 
daß ein einziger rechter Bote Chrijti mehr wirke als Hundert 
falſche und fie wollten die Predigt lieber ganz entbehren als fie in 
die Hände folder Männer legen, deren Worte mehr Widerwillen 
gegen die Wahrheit als rechte Erbauung wirke. Ueberhaupt wollten 
fie, wie wir gleich ſehen werden, die Predigt allein nicht zum Mittel- 
punkte ihres Gottesdienſtes machen. 

Es fteht urkundlich feft, daß die regelmäßige Geiftlichfeit Der 
Waldenſer in den früheren Sahrhunderten (im Gegenjag zu den 


1) Diedhoff S. 176 Anm. 1. 
2) So Johannes von Blumſtein zu Straßburg aus ablichem Gefchlecht und 
Stadtſchreiber. S. Röohrich Ztſchr. f. Hift. Theol. 1840. I, ©. 152. 
3) Diedhoff a. O. ©. 175f. 
Keller, Die Reformation. 6 


82 


„Apoſteln“) verbeirathet war ober fein durfte. Um dieſelbe Zeit, 
wo David von Augsburg das Eheverbot der „Apoſtel“ meldet, be 
richtet Pſeudo⸗Reiner, die Waldenſer lehrten, daß „die römische Kirche 
im Cheverbot der Geiftlichen irre, während auch die orientalische 
Kirche fie geſtatte“). Nach DiedHoffs Unterfuchungen find bei ihnen 
verbeiratbete Geiftliche oft nachweisbar 2). 

Eine Eigenthümlichkeit Tiegt darin, daß die „Diener des Worte“ 
in mehr ober weniger beftimmten Zwifchenräumen, gewöhnlich alfe 
brei Jahre, die Gemeinde wechfelten >). 

Es lag hierin eine Art von Annäherung an das Wanderleben 
der Apoftel, wie Chriftus e8 befohlen hat. Noch im 16. Jahrhun⸗ 
dert mißbilfigte e8 Decolampab an den Waldenfern, daß ihre Geift- 
lichen von drei zu drei Jahren verfegt würben®), und Joh. Calvin 
befchuldigt die fogenannten Täufer, daß fie behaupteten, beſtimmte 
Arten von Dienern des Worts follten gleich den Apofteln als wars 
dernde Prediger von Ort zu Ort zieben 5). 

Eine wichtige Einrichtung find die regelmäßigen Synoden und 
Conferenzen, die fie abhielten. 

Diefelben bildeten ein Bindeglied fowohl für die Geſammtheit 
wie für die einzelnen Diftrikte, und es liegen Gründe für die An- 
nahme vor, daß feite Normen und feite Termine feit alten Zeiten 
hierfür gültig und in Uebung waren. 

Natürlich erjchwerte die Verfolgung das Tagen größerer Ber- 
Sammlungen ungemein. Um fo häufiger fanden fich die Apoſtel 
und die Aelteften aus Heineren Kreifen zu einer Art von „Diſtrikts⸗ 
verfammlung‘ an abgelegenen Orten oder in dem Haufe eines zu- 
verläffigen Parteigängers zufammen. Anbaltende Andachtsübungen 
gingen den Berathungen voraus. | 

Wo eine freiere Bewegung möglich war, fanden fich auch eine 
größere Zahl von „Brüdern“ gelegentlich zufammen. So wird be 
vichtet, daß um bie Mitte des 14. Jahrhunderts die Waldenfer von 
Piemont fich bisweilen 500 Perfonen ſtark capitelöweife („per modum 


1) Max. bibl. Patrum Vol. XXV p. 265. 2) Diedhoff a. O. ©. 191f. 
3) W. Diedhoff a. DO. ©. 202. — Ochſenbein a. DO. ©. 386, 

4) Herzog a. DO. ©. 368, 

5) Calvin Instructio adversus Anab.; Opusc. p. 485. 











83 


capituli“) verfammelten. Es iſt jehr wahrfcheinlich, daß dies vor⸗ 
zugsweife Prediger und Aelteite oder Diakonen waren!). — 

In Bezug auf ihren Gottesdienſt tritt als Eigenthümlich- 
feit Schon in den alten Quellen die Thatſache hervor, daß fie den 
häuslichen Gottesvienften eine ganz beſondere Bebeutung beilegten. 

Und zwar hielten fie nicht etwa Bloß einfache Gebete, fonbern 
fürmliche Andachten, an welchen alle, die dem Hauſe angehörig 
waren over Gaſtrecht Dort genoffen, Antheil nahmen. 

Wir befiten über die Form dieſer Hausgottesvienfte in den 
Inquiſitionsprotocollen die genaueften Nachrichten. 

Sie fanden in jeder waldenfifchen Familie der Regel nach täg- 
lich und zwar nach der Abenpmahlzeit ftatt 2). 

Wenn ein „Apoſtel“ zugegen war, fo leitete dieſer die Andacht 
und zwar in folgender Weife. 

Bor der Mahlzeit Sprach er den Segen?) nach hergebrachten, 
leider nicht überliefertem Ritual. Nach Tiſch verließ man das Speife- 
zimmer und fand fih in dem Raum zufammen, welchen man für 
die Hausandachten beftimmt hatte 9. 

Dort knieten alle Anweſenden nieder, jeder vor ſeinem Betpult 
(super bancam), und der Geiſtliche (oder deſſen Vertreter) ſprach 
laut das Baterunfer, welches die Hörer mit beteten. Dann ver- 
harrten fie eine Weile Jeder in ftillem Gebet bis der Prebiger das 
Zeichen zum Aufitehen gab 5). 

Tehlte der Geiftliche, jo ward die Andacht mit der Vorleſung 


1) ©. Herzog a. a. O. ©. 273, 

2) Limborch a. DO. ©, 242: „Item ipsa (Agnes Chanoati im Sabre 1315) 
et maritus suus servabant modum orandi praedictum post cenam de sero et 
aliquando de mane, sicut viderant dietum Johannem (Valdensem) facientem“. 
Diefer Johannes war ein Apoftel. 

3) Bol. u. A. Limborch a. DO. ©. 231 und öfter. 

4) Limborch a. O. ©. 345 (Magistri) benedixerunt mensam secundum mo- 
dum suum et post cenam intraverunt quandam cameram, ubi dietus Bartholo- 
maeus Valdensis dixit multa verba etc. 

5) Oft ſcheint man Yange fo in kniendem Gebet verharrt zu haben. Die 
Protocolle wieberholen dies wenigſtens ausdrücklich. Vgl. Limborch a. O. ©. 242 
S. 355. — VBgl. Über die Einzelheiten Limborch ©. 353, 355, 368 und öfter. 
Das Iniende Beten ift firengfte VBorfchrift in Gemäßheit des Vorbilds Chrifti 


bei Luc. 22, 41. 
6* 


a 


84 


(lectio) eines Abfchnitt8 der h. Schrift befchloffen, die entweder 
burch den Leiter des Gebets oder in abwechjelnvder Reihe durch alle 
Anwejenden erfolgt fein dürfte. War aber ver „Apoftel” zur Stelle, 
io Inüpfte er an das Gebet eine Ansprache, die fich ſtets an Die 
h. Schrift anlehnte!) und in der Lanbesiprache 2) vorgetragen wurde; 
je nach jeiner Begabung ließ er ven Troft und die Mahnungen der 
froben Botjchaft von Chriſto auf die Hörer zur Wirkung kommen. 
Zulett betete er für die, melde in gajtfreiem Daufe den Send⸗ 
boten Chrifti Schutz und Schirm zu gewähren fich nicht gejcheut 
hatten?), und erinnerte an Chrifti Wort, der da ſpricht: „Wer 
euch aufnimmt, nimmt mich auf, und wer mich aufnimmt, nimmt 
den auf, ber mich gefanpt hat’ (Matth. 10). 

Es war dieſe Form des Gottespienftes Teineswegs ein bloßer 
Nothbehelf, den fie, wenn fie im Beſitz von Kirchen gewefen wären, 
fallen gelaffen hätten; vielmehr berubte biejelbe auf einem feſten 
Geſetz, welches fie auf die Stelle der Bergprebigt gründeten, wo 
Ehriftus fagt Matth. 6, 5—6: „Und wenn ihr betet, fo foll es 
bei euch nicht fein wie bei den Heuchlern, denn fie verrichten gerne 
ihr Gebet in den Synagogen und an den Straßeneden ftehend, um 
fi den Menschen zu zeigen. Wahrlich, ich fage euch, fie haben ihren 
Lohn dahin. Du aber, wenn bu beteft, [jo gehe in deine Kammer 
und fhließe deine Thür und bete zu deinem Bater”. 

Da nun Chriftus ſelbſt verheißen bat: „Wo zwei oder drei 
verfammelt find in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen“, 
jo fühlten fie fi dem Göttlichen: nahe auch da, wo in ungeweihtem 
Raume fromme Herzen 'fich aus freiem Antrieb zum Gebet zu⸗ 
jammenfanden. 

Es ift eine ganz merkwürdige Erfcheinung, daß fie gegen Die 
fteingewölbten Kirchen eine gewiſſe Abneigung nie haben überwinden 
Innen). Sie haben fi) zwar nie geweigert, an ven Tirchlichen 

1) Dies wird ausdrücklich bezeugt bei Limbord a, O. ©. 353. 

2) S. Limborch a. O. ©.254. 3) Bgl. Limborch a. D. S. 359. — Ueber 
das Schlufgebet nach ber „praedicatio“ vgl, auch Limborch S. 345. 

4) Alle Ouellen ftiimmen darin überein. So fagt Pfeubo-Reiner: Derident 
ecclesiam muratam..... et appellant eam vulgariter „Steinhaus“. Max. bibl. 


Patr. XXV, 266D. — Die Emiruug dieſer Erſcheinung wird ſich unten finden; 
vgl. das 7. Capitel. 





85 


Gottesdienſten theilzunehmen, aber fie erkannten darin mehr eine 
Nachahmung jübifcher und heibnifcher Synagogen und Tempel als 
eine Befolgung der Befehle Chriſti und der Apoſtel. 

Steht nicht Apoſtelgeſch. 17 unter ausprüdlicher Bezugnahme 
auf den Gottesdienſt der Athener: „Gott, der die Welt gemacht bat 
und Alles, was darinnen ift, fintemal er ein Herr ift Himmels und 
der Erde, wohnt nicht in Tempeln mit Händen gemacht“. 
— „Gott tft nicht ferne einem Seglichen unter uns; denn in ihm 
leben und weben und find wir”, 

Ihre Idee war die, daß eine reine Menſchenſeele der einzige 
Tempel fei, in welchem Gott wohne, und wo eine folche ift, fei ed - 
in den Kirchen ober anderwärts, ba ift er dem Menſchen nahe. 

Um ihre Oppofition gegen die „Kirchen“ zu veritehen, muß man 
ihre Motive ins Auge faffen. Sie fagten (wie uns ein Ingquifitor 
des 13. Jahrhunderts berichtet), „es jet beſſer Die Armen zu 
befleiden als Kirchenwände zu [hmüden“!) und fie deu- 
teten damit an, daß fie den ungeheuren Luxus, welcher in biefer 
Richtung getrieben ward, mißbilligten. In der That finden wir, 
daß in Zeiten, wo der arme Mann in fchwerer Noth feufzte, die 
Kirchen von Gold und Prachtgeräthen ftroßten, die bier unfruchtbar 
ebenfo für die Volkswohlfahrt wie für Die Steigerung echter Fröm⸗ 
migkeit aufgeſpeichert lagen. 

Ihre Apoſtel und Lehrer predigten mit Vorliebe nach uraltem 
Vorbild unter freiem Himmel. Wo dies nicht möglich war und wo 
die Verhältniffe es ihnen geſtatteten, für die gemeinſamen Verſamm⸗ 
lungen und das Abendmahl ein eigenes Gebäude aufzuführen, da 
bauten fie ihr „Andachtshaus“ zwar gediegen, aber einfach und an⸗ 
ftatt die Wände mit Foftbaren Gegenftänvden zu ſchmücken, bauten 
ſie neben ihre Kirchen Afyle für die Armen und machten es ſich 
zum Geſetz, daß in der Societät der „Brüder“ Niemand fein Dürfe, 
welcher gezwungen wäre, Noth zu leiden ober durch DBetteln fein 
Brod zu verdienen. 

Die Feier der Meffe und die ftetS erneute Opferung des Hei 
lands durch den Briefter kannten fie nicht; aber ihren Gottesdienſten 


1) Pieudo-Reiner a. O. (Item dicunt) quod melius esset vestire pauperes 
quam ornare parietes. 


86 


ward dennoch keineswegs das erhebende Gefühl entzogen, welchen 
das empfängliche Gemüth aus dem Glauben an die Gegenwart des 
Heilands zu entnehmen im Stande ti. Denn nach ihrer Lehre 
war Chriftus auf Grund feiner eigenen Verheißungen in den guten 
Menfchen, die andächtig feiner gedenken, wirkſam und gegenwärtig, 
und die Ueberzeugung von dem Befi des apoftolifchen Charisma, 
das ihre Geiftlichen durch die Dandauflegung empfangen hatten, 
war es, welche dieſe Menfchen bei ihren fchlichten Gottesdienſten 
mit beiliger Ehrfurcht erfüllte, fie tröjtete und ſtärkte. 

Die Erbauung und Erhebung beruhbte Teineswegs in erfter Tinte 
auf der Predigt. Wenn der Prediger aus dem Grunde geijterfüllten 
Gemüths wahrhaft Worte des Lebens herborzubringen wußte, fo 
hatte diefer Theil des Gottesdienſtes natürlich die tiefſte Wirkung 
auf die Andächtigen. Aber fchon der Mangel an Tunfigerechten 
Predigern zwang fie, der Liturgie und dem gemeinfamen Gebet eine 
viel größere Bedeutung zu geben, al8 man fie vielfach heute Tennt. 
Das einzige, was fie im Gotteshaufe fuchten, war die Nähe ihres 
Heilands, und diefe wirkte auch ohne Predigt erquidend und tröſtend 
auf fie, wenn fie in innigem Gebet ihn fuchten. 

Es verdient die befondere Bedeutung hervorgehoben zu werben, 
welche fie in ihren Gottespienften dem „Vater unfer” gaben. Ich 
babe nirgends gelejen, daß das Apoftolifhe Shmbolum in ihrem 
Rituale eine Rolle geipielt hätte, aber das Gebet Chriſti Tehrt ftets 
(und zwar oft in vielfacher Wiederholung) in lautem und ftillem 
Gebet des Einzelnen wie der Gemeinde wieder. Auslegungen des⸗ 
jelben gehörten zu den beliebteften Thematen begabter Prediger und 
dabei ift e8 intereffant, wie mannigfache Seiten fie den einfachen 
Sägen abzugewinnen wußten. „Dein Reich komme“ — diefe wenigen 
Worte regten eine ganze Gebantenwelt bei ihnen an, die das Ge⸗ 
müth biefer Männer wie ein mächtiger Zauber erregte und erfüllte, 
Das Kommen des Gottesreich8 oder mit andern Worten die Ver- 
wirflihung des fittlihen Ideals auf Erden war ihr in- 
brünftiger Wunſch und ihr heißeftes Gebet. Aber nicht bloß beten 
wollten fie darum, fie wollten an ihrem Theile nach Kräften mit- 
wirken, das Neich der Liebe und des Friedens, das Chriftus ver- 
heißen bat, aufzubauen und ihm die Wege zu bereiten. Der feite 














87 


Glaube an dies Ideal bat ihnen einen Muth und eine Begeiſte⸗ 
rung verliehen, welche troß der wunderlichen Zuthaten, welche fich 
in einzelnen Köpfen daran Tnüpften, ftetS die Bewunderung von 
Chriften und Nichtehriften behalten wird. 

In Bezug auf die heiligen Handlungen, welche die chriftliche 
Gemeinfchaft unter dem Namen der Sacramente Tennt und gemäß 
Chriſti Einfegung übt, ſteht e8 feſt, daß ſie das Abendmahl unter 
beider Geſtalt zu feiern pflegten. Durch Gebet bereiteten ſie ſich 
darauf vor. 

Eine volle Uebereinſtimmung über die Auffaſſung des Myſte⸗ 
riums, welches fich nach der Kirchenlehre daran knüpft, Scheint unter 
ihnen nicht vorbanden gewejen zu fein. Bei den religiöfen Vor⸗ 
ftellungen, wie wir fie kennen gelernt haben, beburften fie eines 
näberen Eingebens darauf auch nicht; denn wenn die Kirche lehrt, 
daß Gott ſich nur durch die „Mittel ven Menſchen nabe, fo waren 
fie eben ganz im Gegentheil der Anficht, daß c8 eine unvermit- 
telte Gemeinfchaft der guten Menfchen mit dem Göttlichen gebe. 

Jedenfalls fteht es feit, daß fie weder die damalige katholiſche 
noch die fpätere Iutberifche Auffaffung teilten; vorherrſchend war 
bei ihnen die Meberzeugung, daß das Abendmahl eingefetzt ſei ebenso 
als Zeichen der Erinnerung wie der Mahnung, — der Erinnerung 
daran, daß Chriftus, welcher für die Seinen das Brod des Lebens 
geworden ift, für deren Heil gebrochen ward am Kreuze, zur Er 
mahnung, daß wir für einander ebenfo bereit fein follen, uns brechen 
zu laffen, und daß Diejenigen, bie reined Herzens das geweihte 
Brod genießen, eins und einig feien in ber Liebe und in der Hin- 
gebung für einander. 

Aber e8 war bei ihnen allerdings Geſetz, daß e8 geweihtes oder, 
wie fie.fagten, „gefegnete8 Brod“ (panis benedictus) fein müffe, 
welches zur Abendmahlsfeier verwendet werde. Der Segen, wie fie 
ibn faßten, fonnte nur von demjenigen ertbeilt werben, welcher inner⸗ 
halb ver apoftolifchen Succeffion ſtand oder durch die Handauflegung 
eines „Apoſtels“ die Vollmacht zur Segenſpendung erhalten hattet). 


1) David von Augsburg giebt über die Abendmahlsfeier folgendes wichtige 
Referat: „Corpus Christi et sanguinem non credunt vere esse, sed panem tan- 
tum benedictum, qui in figura quadam dicitur Corpus Christi, sicut dicitur: 








88 


In Bezug auf die Beichte waren fie durchaus von der Ueber⸗ 
zeugung durchdrungen, daß Gott im Stande ift, ohne Mitte- 
Lungen venjenigen Ioszufprechen, welcher in wahrer Neue vemüthig 
darum bittet. 

Den Glauben an die den Apofteln und ihren Nachfolgern ge- 
gebene Vollmacht des „Bindend und Löſens“ Hielten fie zwar feft, 
aber fie deuteten dies nicht als einen richterlichen Akt, fondern gleich 
fam als Bezeichnung für die Funktion des „Schlüffelträgers des himm⸗ 
liſchen Richters". Der BPriefter ift nicht im Stande, fagten fie, einen 
Reue heuchelnden Menſchen in Wahrheit zu Löfen und ebenfo wenig 
einem wahrhaft Reumüthigen die Losſprechung wirkfam zu verwehren. 

Gleichwohl hatte die Beichte in ihren Augen einen ganz be 
ftimmten Werth, und fie hielten gemäß Chrifti Worten nur den- 
jenigen Geiftlichen zum Beichthören berechtigt, auf welchen die Voll⸗ 
machten der Apoftel Traft der Handauflegung übergegangen waren. 

Sie fagten nämlich, dag die Beichte nicht nur den Zweck habe, 
durch die Neue zu der zeitweilig eingebüßten Gnade Gottes zurüd- 
zuführen, jondern daß fie auch der Anlaß zum Anfang ernfter Beſſe⸗ 
rung werben folle. Den Weg zu folder Selbfterneuerung aber 
kann und foll der Geiftliche zeigen, dem wir vertrauensvoll und 
reumüthig unfer inneres Herz eröffnen. 

Für diefe Auffaffung ift das Bekenntniß fehr intereffant, welches 
die Walvenferin Hugueta, die Gemahlin Johanns v. Vienna, im 
Jahre 1321 vor dem Ingquifitionsgericht von Touloufe ablegte; da 
fte in dem waldenfifchen Glauben von Iugend auf erzogen war 
und ihrem Sinn jede bevechnende Entjtellung ihrer Religion fern 
lag, fo befigt ihr Zeugniß befondere Bedeutung. Sie fagte aus, 
ihr Glaube fei, „daß Gott allein abfolvirt von den Sünden und daß 
jener (Geiftliche), vor dem die Beichte der Sünden geſchieht, allein 
einen Rathſchlag giebt, wie ver Menſch (ferner) handeln foll“'). 


Petra autem erat Christus et simile. Hoc autem quidam dicunt, tantum per 
bonos fieri, alii autem per omnes, qui verba consecracionis sciunt. Hoc etiam 
in conventiculis suis celebrant, recitantes verba illa ewangelii in mensa sua 
et sibi mutuo participantes sicut in cena Christi“, Preger a. ©. II, 207. 

1) imbor a. O. ©. 290: dixit, „se credere, quod solus Deus absolvit 
de peccatis et ille, cui fit confessio, solummodo dat consilium, quid de- 
beat homo facere“. 








89 


Um einen ſolchen guten Rath zu ertbeilen, bedarf es natürlich 
nicht Sowohl der Firchlihen Ordination als der wahren Seelenrein- 
heit und weifen Einficht des Beichtvaters. | 

In den Inguifitionsprotocollen wird fehr häufig erwähnt, daß 
die „Waldenſer“ ihren Beichtlindern eifriges Gebet al8 „Buße“ 
auferlegt hätten; e8 muß aber ausdrüdlich betont werden, daß einer 
der genaueften Kenner des Walvenfertbums, der fogenannte Pſeudo⸗ 
Reiner, zu den Irrlehren der Partei die zählt, daß fie feine Bußen 
und Pönitenzen auferlegen wollten. Fälſchlich beriefen fie fich, fagt 
jener, darauf, daß Chriſtus felbit feine Buße habe auferlegent wollen 
und zu der Sünberin gefprochen Habe: „Gehe hin und fünbige ferner 
nicht mehr” N). | 

- &8 leuchtet ein, daß das, was die Notarien der Inguifition 
„Buße nennen, eben nur jene Anweifüngen auf Beilerung bes 
Lebens waren. | " 

Es veriteht fich von felbft, daß diefe Art der Beichte nur in 
der Specialbeichte möglich war. Eine beftimmte Vorfchrift über Die 
Nothwendigkeit ſolches Beichtens bat nachweislich bei ihnen nie bes 
ſtanden. | 

Daneben deuten Anzeichen darauf bin, daß (auf Grund von 
Sacob. 5) eine Art von genereller Beichte gebräuchlich geweſen ift. 
Es wird aber ausdrücklich berichtet, daß diefelbe nur im allgemeinen 
Bekenntniß des Schufpgefühls beſtand, und es fcheint, als ob ihre 
Liturgie eine Form befeffen Habe, um dies zum allgemeinen Aus- 
druck zu bringen. 

Auch der Taufe legten fie folgerecht nicht die Bedeutung bei, 
welche bie rechtgläubigen Gegner ihr gaben. ‘Denn während dieſe 
Yehrten, es fei eine Abwaſchung der Sünden, welche feit Adams 
Salt in Geftalt ver „Erbfünde” allen Menſchen einwohne, fo 
tonnten fie eine ſolche Auffaffung ſchon deshalb nicht theilen, weil 
fte jenen Begriff der Erbfünde nicht kannten 2). 

Eine übereinftimmende Praxis fcheint bei ihnen in diefer Rich» 
tung in Folge des Drudes, unter welchem fie lebten, nicht zu Stande 
gekommen zu fein. 


1) Max. bibl. Patrum Vol.XXV p.265E. 2) Rod; im Jahre 1530 fehlte 
ihnen der Begriff der „Erbſünde“. Vgl. Herzog a. a. ©. ©, 357 und 360. 


90 


Meiſtens Tießen fie ihre Kinder taufen, doch mit dem Vor⸗ 
behalt, daß dieſe Ceremonie weder ſchade noch nüße !). 

Es Tiegen Anzeihen dafür vor, daß fie eine Aufnahme ber 
Kinder in die chriftliche Gemeinfchaft allerdings für erforderlich 
hielten; fie vollzogen biefelbe durch Handauflegung unter Gebet der 
Gemeinde. 

Sehr viele Waldenſer betrachteten, wie wir beſtimmt wiſſen, 
die Taufe auf den Glauben als diejenige Form, welche Chriſti 
Worten und Befehlen gemäß ſei. Sie hielten dieſelbe für das Zeichen 
des Bundes eines guten Gewiſſens mit Gott, und es ſtand ihnen 
feſt, daß ſie nur als ſolches Werth beſitze. Die bekannten Stellen 
"Marc. 16, 16 und Matth. 28, 19 führten fie für ſich an. 

Schon aus dem Sabre 1260 berichtet Pſeudo⸗Reiner wörtlich 
von den Waldenjern: „In Betreff der Taufe irren Einige, indem 
fie behaupten, die Heinen Kinder würden durch die Taufe nicht 
felig, denn der Herr jage: "Wer da glaubt und getauft wird, der 
wird felig werden’; nun glaube aber ein Kind noch nicht“. 

„Einige taufen von Neuem“, fährt der Inquifitor fort, 
„andere legen die Hände auf anftatt der Taufe‘). 

Der Dominilaner Stephanus de Borbone, welcher Durch feinen 
Aufenthalt in Lyon Gelegenheit hatte, die Partei zu kennen, be- 
richtet um das Jahr 1250 von den Walvenfern: „Einige find 
Wiedergetaufte, welche lehren, daß die Gläubigen von der Kirche 
wieder zu taufen ſeien“9). 

Auh David von Augsburg beftätigt um diefelbe Zeit die An- 
fiht der Waldenſer, daß die Zaufe nur den Glaubenden nützlich 
fei, indem er fagt: „Sie fprechen, erft dann werde der Menfch in 
Wahrheit getauft, wenn er in ihre Kegerei eingeführt ſei. Einige 
aber fagen, die Taufe nüge den Kindern nichts, weil ie noch nicht 
einen thätigen Glauben hätten“ 2), 


1) Der Belimpfung der Seringfchätung der Kindertaufe hat Eberhard von 
Betbune ein befonderes Eapitel gewidmet; f. Max. bibl. Patrum XXIV ©. 1543, 

2) Preger a. a. O. ©. 206. 

3) „Alii rebaptisali, qui rebaptisandos ab Ecclesia esse dicunt“ bei Died- 
boff a. a. ©. ©. 160 Anm, nach D’Argentre a. O. ©. 86, 

4) „Dicunt, tunc hominem primo vere baptizari, cum in eorum heresim 
fuerit inductus. Quidam autem dicunt, baplismum non valere parvulis eo 


91 


In der Abhandlung des Ermengardus: „Wider die Waldenfer“ 
heißt e8 von der Taufe: „Es fagen auch die Häretiker, daß Keinem 
dies Sacrament nübe, wenn er nicht mit eignem Mund und Herzen 
begehrt" 1). 

Diefelbe Anſchauung tritt auch im 15. Jahrhundert bei ihnen 
zu Tage), wie wir weiter unten bei den böhmifchen Brüdern im 
Näheren ſehen werben. 


Wenn wir rückblickend den Geſammteindruck zuſammenfaſſen, 
den die Partei in dem Beobachter erweckt, ſo kann man ſich der 
Ueberzeugung nicht erwehren, daß ſie auf Grund ihrer Principien 
mit glücklichem Takt ihren Zielen ſich angenähert hat. In feſten 
Normen gebunden hat dieſe Richtung ſich und ihren Anhängern 
doch eine Freiheit der Bewegung geſichert, die es ihr möglich ge⸗ 
macht hat, unter den ungünſtigſten Umſtänden ſtets neu ſich zu 
organiſiren, wenn der Haß ihrer Feinde immer wieder ihre beſten 
Männer zum Schaffot geführt hatte. 

Es iſt wahr, daß auch ſie der menſchlichen Natur den Tribut 
der Schwäche entrichtet hat; aber derjenige Fehler, der ihnen für 
die Begründung einer Maſſenherrſchaft am meiſten hinderlich ge⸗ 
weſen iſt, war ihr Idealismus und die hohen ſittlichen For— 
derungen, welche ſie in einer rohen Zeit an Die „rechten Chriften‘ 
ſtellten. 

Ganz beſonders ſind ihre äußeren Erfolge beeinträchtigt worden 
durch die grundſätzliche Ablehnung, welche ſie jeder weltlichen Macht 
gegenüber an den Tag legten. Nicht, daß fie jemals den Obrig⸗ 
keiten den Gehorfam verweigert hätten — auch nicht einmal ber 
Schein eines folchen Verdachts ruht auf ihnen —, aber fie fagten, 
daß die Religion Chriftt, wie fie fie faßten, fich in feiner Richtung 
bes weltlihen Arms bedienen dürfe, wenn fie dem Vorbild ihres 
göttlichen Stifters entiprechen wolle. 

Aus diefem Gefichtspunfte befämpften fie die geiftlihe Ge- 


quod nondum actualiter possint credere“. Abbolg. d. II. Cl. d. K. B. A.d. W. 
1978 Bd. XIV Abth. I ©. 207. 

1) Max. bibl. Patrum XXIV ©, 1609 Cap. 12. 

2) Bol. Zezſchwitz a. a. O. ©. 198. 


92 


richtsbarkeit nicht nur in ihren Auswüchſen, ſondern principiell 
und fagten, man lefe wohl in den 5. Schriften, dag die Apoftel 
vor die Gerichte gefchleppt worben feien, daß fie aber felbft zu &e- 
richt geſeſſen hätten, ftehe nirgends gejchrieben 1). 

Ihre Geiftlichen lehnten e8 aus demfelben Grunde ſtets ab, in 
irgend einer Thätigkeit weltlicher Art fich gebrauchen zu laſſen; ja 
es jcheint, als ob ſelbſt diejenigen ‘Diener der Genteinfchaft, welche 
nur zeitweilig in einer geiftlichen Funktion ftanden (fei es auch nur 
als Gemeinde-Aeltefte), jedes weltliche Regiment während ihrer kirch⸗ 
lichen Amtsführung abgelehnt hätten. 

Es beruhte dies wichtige Princip auf Chrifti Befehl, welchen 
er bei Luc. 22, 25 feinen Apofteln gegeben bat. Dort beißt es 
allerdings ganz unzweideutig: „Die Könige der Völker herrichen und 
ihre Machthaber laſſen fich gnädige Herrn nennen; ihr aber nicht 
alſo“ u. ſ. w. 

Mit ausdrücklicher Bezugnahme hierauf weigerten ſich die 
Apoſtel, wie die Bifchöfe und Diakonen der Waldenſer, Herrſchafts⸗ 
rechte irgend einer Art über Andere zu üben und dies in einer Zeit, 
wo die römische Kirche durch ihre Fürftbiichöfe, Prälaten u. ſ. w. 
einen großen Theil der chriftlihen Welt regierte. 

Natürlich war es aber die einfache Confequenz dieſes Stand- 
punktes, daß fie den Vertretern der weltlichen Macht auf die An- 
gelegenheiten der Kirche einen Einfluß nicht geftatten Tonnten. 

Bei der fchwierigen Grenzbeftimmung der Befugniſſe beider 
Faktoren haben aber zu allen Zeiten diejenigen religiöfen Gentein- 
ſchaften die größten Erfolge zu verzeichnen gehabt, welche entiweber 
(wie die römifche Kirche) fich die Staaten bienftbar machten, oder 
aber (wie fpätere Confeſſionen) ſich rücdhaltlos in den Dienft Der 
Füriten ftellten. — 

Für eine oberflächliche Betrachtung, wie fie leiver gerade „ven 
Sekten‘ fo vielfach zu Theil geivorden ift, Liegt Die Berfuchung nahe, 
biefe „mittelalterlichen‘ Bildungen in das übliche Schema des Mönch- 
thums einzuſchachteln. 

Wir wollen hier nochmals hervorheben, daß jede nähere Unter- 


1) Pfeubo-Reiner in ver Max. bibl. Patrum XXV p. 266 E. 


.93 


ſuchung die vollſtändige Unrichtigfeit einer ſolchen Schematifirung 
darthut. 

Es verdient an ſich ſchon Beachtung, daß die Waldenſer nach 
den Berichten ihrer alten Gegner angeblich darin Irrlehren vor⸗ 
trugen, daß ſie „die Regeln ſowohl der Mönche wie der Nonnen 
verwarfen“1) und ſagten, daß die „Obſervanzen der Religioſen aus 
pharifätichen Weberlieferungen berftammten‘‘ 2). 

Selbſt W. Diedhoff hebt ganz ausdrücklich hervor, daß „die 
Verſchiedenheit nicht überſehen werden darf, die zwiſchen der Idee 
des apoſtoliſchen Lebens, welcher die waldenſiſchen Predigerbrüder 
folgen, und der Idee des Mönchthums beſteht“8). „Das Bild des 
apoftolifchen Lebens der Waldenſer“, fagt derſelbe Autor, „bietet, 
vornehmlich in der erfiten Periode ihrer Gejchichte, Züge dar, die 
der mönchifchen Form des vollfommeneren Lebens ganz fremd, ja 
berfelben widerſprechen waren.” „Während im Mönchthum, 
wie es fich bis zur Zeit des Petrus Waldus geſtaltet hatte, bie 
Mönche das Irdiſche verließen und fich in der Abgefchiedenheit von 
der Welt frommen Uebungen bingaben, — ſahen die Waldenfer 
ganz im Gegentbeil das vollfommenere, der Welt entfagende Leben, 
dem auch fie fich ergaben, nur für die nothwendige Grundlage für 
bie von ihnen übernommene, im Dienfte Gottes in die Welt 
bineinwirfenbe Thätigfeit der Predigt an” 9. 

Wenn Dies nun aber von dem Stand der waldenfifchen Geiſt⸗ 
lien gilt, um wie viel weniger ift man dann bereditigt, im Bezug 
auf die Walvdenfer im Allgemeinen von „myſtiſcher Askeſe“ oder 
„mönchiſchem Lebensideal“ zu fprechen. So beliebt ſolche Schlag. 
worte fein mögen, fo wenig zutreffend find fie wenigftens in unferem 
Falle. David von Augsburg erzählt ausdrücklich, daß die Waldenfer 
den Baftengeboten u. ſ. w. wenig Werth beilegten. „Sie fagten 
nämlich, daß Gott feine Freude daran bat, wenn feine Freunde 
ih peinigen, da er im Stande fei, fie auch ohne Dies felig zumachen‘ 5). 

1) Max. bibl. Patrum Vol. XXV p.308F. 2) Max. bibl. a. ©. ©. 265 C. 

3) So wörtlich bei Diedhoff a. DO. ©. 203. 4) Diedhoff a. O. S. 205. 

5) „In quadragesima et in aliis diebus jejuniorum ecclesiae non jejunant, 
sed carnem comedunt, ubi audent, dicentes, quod deus non delectatur in affli- 


clionibus amicorum suorum, cum sine his sit potens eos salvare*. Abhdl. a. O. 
(1878) ©. 208. Man beachte den Ausbrud „Gottes Freunde“, 


94 


Wir haben bereit8 angedeutet, daß die Waldenfer, obwohl ihre 
„Apoftel” gemäß Chrifti ausdrücklicher Vorſchrift als folche freiwillig 
- auf Neichthum verzichteten, weit Davon entfernt waren, hieraus eine 
„Regel oder das Lebensideal für alle Menſchen zu machen). 

Wir befigen eines ihrer alten Gedichte, darin beißt es aus⸗ 
drüdlich: „Sorge, daß du nicht in zu große Armuth geräthft, de nn 
wer die Armuth nicht in großem Frieden erträgt, Dem 
tft ſie gefährlih.... Erwerbe rechtichaffen, was dir zum leben 
nöthig tft, verſchenke das Mebrige, jo wirft du einen unvergänglichen 
Schatz im Himmel haben‘), — 

Es ist eine merkwürdige Erfcheinung, daß fo radicale Neuerungen 
in der Zeit, wo die Kirche auf dem Höhepunkte ihrer materiellen 
Macht ftand, weit und breit Anhänger haben finden können. 

Und doch lag ihre Bedeutung nicht darin, daß zahlreiche Ge⸗ 
meinden zu diefem Syitem hielten, ſondern vielmehr darin, daß fie 
auf weite Kreife derer, die nicht officiell zu ihnen gehörten, einen 
großen Einfluß nusübten. 

Sobald der äußere Drud nachließ, durfte die Heine Shaar 
einen großen Zuzug erwarten; auch wird von ben Chroniſten be— 
richtet, daß jedesmal die „Häretiker“ jubelten, wenn die römtfche 
Kirche das Interdikt über ein Land verhängte. 

In beider Richtung traten während des 14. Jahrhunderts Ver⸗ 
hältniſſe ein, welche eine große Rückwirkung auf die „Gottesfreunde“ 
und ihre Anhänger äußern mußten. 


1) Daß die Waldenfer die Forderung der Armuth ausprüdlih auf ihre 
„Apoſtel“ einſchränkten, erhellt u. A. auch aus dem Belenntniß des Petrus Lu⸗ 
cenfis bei Limborch a. DO. ©. 360. 

2) Novel sermon ®. 146—152 nad Herzog a. a. O. ©. 176. 





an EEE u ME 1 an nn an — — — —— — — 


Diertes Capitel, 


Kaifer Ludwig und die deutihen Bauhütten. 
1314—1347. 


Die Souveränetät des Papftes über den Kaifer. — Thomas von Aquino unb 
Bonifacius VII. (1294—1303), — Kampf zwiſchen Kaifertfum und Papft- 
tum. — Johann XXI. und König Ludwig der Baier. — Der König unter 
Anklage wegen Keberei. — Marfilius von Padua. — John Wycliffe und 
Marſilius. — Der „Friedensanwalt“. — Entftehung und Bedeutung bes 
Werkes als Duelle des altevangeliichen Kirchenrechts. — Auszüge aus dem 
Bud. — Der Kaifer und die Städte. — Patriciat und Gilden. — Die 
deutſche Baubütte. 


Um diefelbe Zeit, als die Lehre von den Ketzerſtrafen feftge- 
ftelit ward, wurde auch die Theorie von der Souveränetät Des 
Papftes über die weltliche Gewalt theoretifch und praftifch zu einem 
fejten Syſteme ausgebildet. 

Auch bier war e8 Thomas von Aquino, welcher fich das 
Hauptverdienft um die Formulirung der päpftlichen Anfprüche er- 
worben bat!). 

Indem er von dem Sag ausging, daß Chriftus es fei, welcher 


1) Durch die Eneyclica Aeterni Patris vom Jahre 1879 find neuerbings 
fännmtliche Lehren des Thomas von Aquino ausdrücklich gut geheißen worben. 
Diefe Encyclica bezweckt nach ben Worten eines Tatholifchen Autors, Dr. Morgott 
(Liter. Rundſchau für das kath. Deutfchland 1884 Nr. 10), eine „durchgreifende 
Rehabilitation ber Lehre des 5. Thomas in den Kriftliden Schu- 
len”. „Seit ber Encyclica Quanta cura und dem Syllabus“, fagt verfelbe, „hat 
fein päpftlices Rundſchreiben die forſchende Welt fo ſehr in Bewegung geſetzt“. 
„zahlreiche Zuftimmungen des kath. Episcopat8 und ber philofophifchstheot. Lehr⸗ 
anftalten des kathol. Erdkreiſes“ bezeugen bie begeifterte Aufnahme der Wieder⸗ 
belebung des Thomas. — Am 13. Octbr. 1879 hat der Papft die Grün- 
bung „ber Alademie bes h. Thomas“ zu Rom vollzogen, welche beftimmt ift, 
deſſen Lehren immer weiteren Kreifen zugänglich zu machen. 


96 
alle Gewalt im Himmel und auf Erden befite, und daran Das 
Dogma Tnüpfte, daß der Bapft der Stellvertreter Ehrifti auf Erden 
jet, kam er zu dem Schluß, daß diefem Statthalter Gottes alle 
Könige und Völker zum Gehorſam verpflichtet find). 

Die Thatfache, daß Chriſtus felbit jeden Einfluß auf die welt- 
liche Macht mit Entfchienenheit von fich abgewiefen, und daß Die 
apoftoliichen Sahrhunderte einen ſolchen Anſpruch nie gekannt hatten, 
ward nicht beachtet. 

Die neue Kirche, welche ſich ſeit dem 4. Jahrhundert an die 
Stelle der alten Gemeinſchaft geſetzt hatte, begann alle Conſequenzen 
ihrer Neuerungen zu ziehen und das conſtantiniſche Syſtem i immer 
vollſtändiger durchzuführen. 

Die berühmte Bulle Papft Bonifacius' VIII. Unam sanetam 
vom 18. Nov. 1302 erklärte dann in Uebereinftimmung mit diefer 
Doctrin: „Die Unterthänigfeit unter dem vömifchen Papft erflären, 
bezeichnen, definiren und verfünden wir für jedes menfchliche Wefen 
durchaus als Vorbedingung feines Seelenheils"?, 

Der päpftlihe Annalift Raynaldus bat fpäterhin ausdrücklich 
verfichert, daß diefe Bulle als ein Ausfpruch ex cathedra zu be- 
trachten ift und erläuternd fügt derjelbe hinzu, die Meinung Bonis- 
facius’ VIIL fei gewefen, daß alle Fürften und Völker erfahren 
follten, wozu das weltliche Schwert vorhanden ei, nämlih „ad 
nutum et patientiam sacerdotis“?). 


1) Siehe den fehr forgfältigen Auszug aus den beiven erſten Büchern von 
Thomas Schrift „De regimine principis“ bei 3.3. Baumann Die Staat$lehre 
bes heiligen Thomas von Aquino, des größten Theologen u. f. w. Lpz. 1873 
©. 80. — Die Schrift De regimine princ. ift abgebrudt in Thomae Aquinatis 
Opera, Parmae. Vol. XVI, 224sqgq. Die entfcheidenden Stellen ib. Lib. I Cap. 14. — 
Daß bie heutige Auffaffung der Tatholifchen Kirche diefer Theorie entfpricht, ſ. bei 
Eathrein, P. Soc. Jes., Die Aufgabe der Staatsgewalt und ihre Grenzen. 
Freiburg 1.3. Herber 1882, 

2) Die Worte lauten: „Porro subesse Romano pontific| omnem humanam 
creaturam declaramus, diecimus et diffinimus et pronunciamus omnino esse de 
necessitate salutis“. — Die Bulle ift vollftändig abgedrudt bei O. Ra yn al⸗ 
dus Annales eccles. ad an. 1302 No. 13. — Die Worte der Bulle lehnen ſich 
genau an folgende Stelle des Thomas von Aquino: „Ostenditur enim, quod 
subesse Romano Pontifici sit de necessitate salutis (Opusc., Contra errores 
Graec.). 


3) Höfler Die Avignoneſiſchen Päpfte, Wien 1871 ©. 14. 


97 


Papſt Bonifacius aber brachte den Anfpruch auf die höchſte 
irdiſche Machtvollkommenheit im Sabre 1300 auch öffentlich zum 
Ausorud, indem er bei Gelegenheit des großen Subiläums, wo 
Taufenbe. nad Rom geftrömt waren, an einem Tage im Gewande 
bes Bapftes, amt andern in dem bes Kaifers allem Volle fich zeigte). 

Unter den Vertretern der kirchlichen Wiffenfchaft warb von num 
an der Glaubensſatz Gefek, daß nur die Gewalt des Papſtes 
von Gott ftamme, alle übrige Gewalt ſei nur ein Amt zur Dienft- 
leiſtung (ministerium), fo weit der Bapft diefelbe verleihe?). 

E83 war doch felbft in jenen Jahrhunderten unmöglich, jolche 
Lehren und Anſprüche aufzuftellen, ohne den lauten Widerſpruch 
weiter reife wachzurufen. Der römische Stuhl mußte e8 erleben, 
daß fich zahlreiche „Reber und „Sekten“ fanden, welche jene Theorien 
als einen Abfall von der Lehre Chriſti verabfchenten, und ein hef⸗ 
tiger geiftiger Kampf war die Folge. 

Als die Curie einem entjchiedenen Widerſtand begegnete, und 
als Kaifer Ludwig der Baier felbft fih an die Spike jtellte, griff 
der römiſche Stuhl, welcher feit Beginn des 14. Jahrhunderts in 
Avignon refidirte, zu dem Mittel, daß er über ven größten Theil 
bes Reiches das Interbift verhängte. 

Die Majorität der Nation war der Vleberzeugung, daß Bapt 
Johann XXL. (1316—1334), ein ehemaliger franzöfiicher Mönch, 
im Bunde mit den franzöfifchen Königen darauf ausging, die Macht 
bes deutfchen Kaiſers zu fchwächen. 

Man Tann fich die Aufregung, welche damals in Deutjchland 
berichte, nicht groß genug denken. Die heftigen Styeitfchriften, 
welche uns erhalten find, enthalten den Wiederhall der Kampfrufe, 
welche durch das Abendland fchaliten. 

Dazu kam, daß in demfelben Moment, wo der Bapit die Kirche 
und ihr Oberhaupt als die Inhaberin aller geiftlichen und welt 
Iihen Macht erklärte, eine tiefe fittliche Zerrüttung der ganzen rö⸗ 
miſchen Priefterichaft zu Tage trat. 

Einer der beften Kenner diefer Zeiten, der Dominikaner Heinrich 


1) Höfler a. a. O. ©. 14. 
2) Dal. die Ausführungen des Auguftinus Triumphus bei Friedberg 3 it- 
ſchrift f. Kirchenrecht VII, 94f. 
Keller, Die Reformation, 7 


98 


S. Denifle, fehildert die Zuſtände des Clerus folgendermaßen 1): 
„Der biftorifche Hintergrund für das Meiſterbuch'“ — wir ver 
ven dieſes merkwürdige Buch alsbald kennen lernen — „tt das 
14. Sahrhundert mit feiner vollftändigen Zerfegung der Geſellſchaft 
und den vielfachen Aergerniffen, die auch aus dem Schooße 
des BriefterthHums hervorgingen“. „Der. fittlide Zuftend 
der damaligen Zeit und die in derſelben herrſchende allgemeine 
fieberbhafte Erregung der Geifter erklären, warum auch 
Laien ihre Stimme erheben und mitwirken wollten an ber fittliden 
Erneuerung ihrer Zeitgenofien. Das Elend des Volles und der 
Umftand, daß auch ein Theil der Leiter deſſelben, ſelbſt aus dem 
Welt- und Drbens-Elerus, vom Verderben mehr oder weniger 
ergriffen waren, ging ihnen zu Herzen. Es war an fich nicht 
unrichtig, daß fie dem ſchlechten Elerus einen großen 
Theil ver Schuld an den Sünden ber Zeitgenoffen bei=- 
maßen”. 

Wir werben unten fehen, daß der Bund des Bapftes und des 
franzöfifchen Königthums fchließlich über feine Gegner einen vor⸗ 
läufigen Sieg davon getragen bat. 

Aber der Kampf, ven Kaifer Ludwig gelämpft hat, Bat fir 
fpätere Generationen bie Grundlage der religiöfen Freiheit geſchaffen. 
Die oppofitionelle Literatir, die unter dem Schub bes Kaiſers er⸗ 
wachfen, ift fir das ganze geiftige und religibſe Leben des deutſchen 
Bolfes in den fpäteren Sahrhunderten von maßgebender Bebeutung 
geworben. Die Schriften jener Tage haben eine Wirkung ausge- 
übt bis in ferne Zeiten, ja bi8 auf den heutigen Tag und fie for⸗ 
dern daher troß ihres hohen Alters eine Beachtung, wie fie von 
wenigen anderen geiftigen Schöpfungen jener längft entſchwundenen 
Zeiten in Anspruch genommen werben bürfte. 


- Unter dem 3. April 1327 erließ Johann XXIL eine Bulle 
an den deutſchen Kaifer Ludwig von Baiern, in welcher dieſer 
unter der Anklage der „Ketzerei“ öffentlich aufgefordert warb, bis 

1) Quellen und Forſchungen zur Sprach⸗ und Culturgeſchichte ber germani- 


fchen Völker Herausgeg. von B. ten Brind, E. Martin u. W. Scherer. Bd. 36 
Straßb. 1879 ©, 131 f, 


99 


fpäteftens zum 1. October perfönlich in Avignon zu erfcheinen, um 
den Urtbeilsipruch zu vernehmen, welchen ver Papft in Gegenwart 
der Gläubigen über den Kaifer fällen werbe !). 

Derſelbe Papft hatte bereits in ver Bulle vom 11. Juli 1324 
den Kaiſer als Beichüter und Beförberer folder Männer bezeichnet, 
welche von den zujtändigen Richtern des „Verbrechens der Ketzerei“ 
(de crimine haeresis) ſchuldig befunden worben waren, und es ver- 
dient Beachtung, daß es lombardiſche Keker waren, auf welche 
der Papit Bezug nimmt?). Eben bie Lombarbei war ja einer ber 
vornehmſten Site jener Reber, die wir oben unter dem Namen 
„Waldenſer“ Tennen gelernt haben. 

Da Kaifer Ludwig e8 nicht feiner Würde gemäß hielt, fich per- 
fönlih vor dem Inquifitionsgericht in Avignon zu verantworten, 
fo ift der Prozeß gegen ihn nicht zu feiner Endfchaft gefommen, 
und wir wiſſen nicht, ob das Verhör die Anklage der Ketzerei be 
ftätigt haben würde, 

Aber auf Ludwigs Anſchauungen fällt allerdings durch den 
Umſtand ein bezeichnendes Licht, daR derjenige Mann bei ihm das 
größte Vertrauen genoß, welcher als einer ver geiftoollften Vor⸗ 
kämpfer der altenangelifchen Gemeinden von Freund wie Feind an- 
erfannt ift, nämlich der berühmte „Ketzer“ Marfilius von Badua?). 

Papit Johann XXI. Hat in der Bulle vom 3. April 1327 
ausdrücklich ausgefprochen, dag das Hauptwerk des Marſilius, wel⸗ 
ches wir bald näher Tennen lernen werden, voll ſei von mannig- 

1) Die Bulle ift abgebruct bei Martene u. Duranb Thesaurus II, 683. 

2) Martene u. Durand II, 660. 

3) Die wifjenfchaftlichen Forſchungen über Marfilius find leider noch fehr im 
Rückſtand. Eine Monographie über ihn eriftirt nicht, obwohl er zweifello8 einer 
der einflußreicäften Perfönlichkeiten in dem großen Kampf zwiſchen Kaiferthum 
und Papfttbum im 14. Jahrhundert geweien ifl. Die beften und vollftänbigiten 
Nachrichten finden fih bei S. Riezler Die lit. Wiberfacher der Päpfte u. f. w. 
Lpz. 19874. — Beſondere Beachtung verdient ferner der Aufſatz Friedbergs 
„Die mittelalterlicden Lehren über das Verhältuiß von Staat und Kirche“ in 
der Zeitfchrift f. Kirchenrecht Bd. VII Tüb. 1869 S. 69 ff. — Bol, Schodels 
Abhandlung im Programm des Gymnaſfiums zu Buchsweiler 1877 Progr. Nr. 408. 
— Einige wichtige Notizen finden fich bei &, Müller Der Kampf Ludwig's bes 
B. mit der röm. Eurie Tüb. 1879. 1880. — Bol, ferner Herzog u. Plitt Real⸗ 
encyklopäbie s. v. Marſilins und Bird im Progr. d. höheren Bürgerſchule zu 
Muͤhlheim a. R. 1868. 


7* 


100 


fahen Kegereien!) und Papſt Clemens VI hat in einer Rebe, 
die er am 10. April 1343 gehalten hat, die merkwürdigen Worte 
gefprocden: „Wir getrauen uns zu behaupten, daß wir nie einen 
ſchlimmeren Steger gelefen haben als dieſen Marſilius“. 

Um das Jahr 1375 aber erklärte die Curie die Lehren und 
Behauptungen des englifhen Ketzers John Wyclif einfach für 
eine Erneuerung der Ketzerei, welcher Marſilius von Padua an⸗ 
gehangen habe?). 

Es iſt von zuſtändiger Seite bereits früher hervorgehoben wor⸗ 
den, daß Niemand weder unter ſeinen Gegnern noch unter ſeinen 
Freunden an Tiefe und Selbſtändigkeit des Denkens dem Marſilius 
gleich Tommt. „Wenn irgend einem Manne“, ſagt Emil Friedberg, 
„jo kommt biefem die Bezeichnung eines politifchen Luther zu“3). 

Er war um das Jahr 1270 zu Padua als bürgerlicher Eltern 
Kind geboren, hatte um das Jahr 1302 nach der Sitte vieler Ita⸗ 
liener die Univerfität Paris bezogen, um fich Hier in ben theologi⸗ 
fen und anderen Wifjenjehnften weiter auszubilden. Im Jahre 
1312 war er Rector diefer berühmten Hochichule. Obwohl die Theo⸗ 
Yogie fein Spezialfach war, fo fcheint er doch die höheren Weihen 
nie empfangen zu haben. Mit Unterftügung eines Freundes, Joh. 
von Jandun, verfaßte er ein Werk über das Verhältniß des Staats 
zur Kirche, dem er den Namen „Defensor pacis‘ gab. 

Das Buch tft zu Paris gefchrieben, und es Tann nach Den 
neueren Unterfuchungen als feitftehend betrachtet werden, daß es 
3u Ende Yuni 1324 vollendet wurde ?). 

Raum war dafjelbe befannt geworden, fo warb feitend Des 
päpftlichen Hofes ein Prozeß eingeleitet, und ein Samulus des Mar⸗ 
figlio, Franz von Venedig, ward, ald der Theilnahme verbächtig, 
verhaftet; im Sabre 1327 wurden Marfiglio und Jandun in aller 
Form ercommunicirt und am 23. Oct. 1328 durch päpftliche Bulle 


1) Martene u. Durand Thes. I, 683. — d’Argentre Coll. judic. Ia. 304. 

2) Höfler Die Aoignonefifchen Päpfte Wien 1871 ©. 30. 

3) Friedberg a. DO. ©. 92, 

4) C. Müller hat im Jahre 1879 eine. Sanbfchrift des Werkes in Wien 
aufgefunden, welche als Termin ber Vollendung ben 24. Juni 1324 angiebt. 
©. Müller a. O. 1, 368. 








101 


bes Verbrechend der Ketzerei ſchuldig erklärt. Ehe indeſſen die Ver- 
faffer jelbit Hatten ergriffen werden können, hatten fie Paris ver- 
offen. Sie nahmen ihren Weg nach Deutfchland und wandten 
fih diveft an das Hoflager Kaifer Ludwigs, um dieſem ihr Wert 
zu überreichen. 

Es ift uns ein Bericht Über die erjte Begegnung der „Ketzer“ 
mit dem Kaifer erhalten, welcher einige intereffante Züge enthält. 
Ludwig konnte nicht; begreifen, wie man Paris verlaffen könne, 
um in Deutſchland an den fchweren Kämpfen, welche das Reich 
bewegten, theilzunehmen. Bei Gott — Soll er ihnen zugerufen 
haben. — wer hat euch beivogen, aus dem Lande des Friedens und 
des Ruhms in dies Friegerifche Reich zu Tommen? Die Gelehrten 
antworteten, daß die Liebe zur Kirche Chrifti fie getrieben Habe. 
Denn die Kirche des Papftes fei voller Anmaßung. Die Wahrheit, 
wie fie fie erkannt hätten, wollten fie gegen Jedermann vertheidigen 
und, wenn nöthig, dafür ein ſtehen mit ihrem Leben‘). 

Dan erkennt, daß es religiöfe Motive waren, welche bier das 
treibende Moment bildeten, und da Kaiſer Ludwig bald erfahren 
fonnte, wen er vor fich habe, fo verbient e8 um fo größere Be⸗ 
achtung, daß er die Flüchtlinge bei fich behielt und den Marfiliug, 
der in der Medicin erfahren war, zu feinem Leibarzt ernannte. 
Selbit die gegen den Paduaner verhängte Ereommunication und 
jelbft die Warnungen, Die von Rom aus vor dem „Häretiker“ er- 
gingen, konnten den Kaiſer von feiner Sympathie für den „Ketzer“ 
nicht zurückbringen, und Marfilius ftieg von Jahr zu Jahr an An 
ſehen und an Einfluß am beutfchen Kaiſerhof. 

Man kann ſich von der Wichtigkeit, welche die Curie dieſer 
Perfonalfrage beilegte, eine Vorftellung aus dem Umftand bilden, 
daß im Sahre 1334, als der Kaiſer eine Annäherung an Rom 
juchte, die Carbinäle als vornehmfte Bedingung die Entlaffung des 
Marfilius forderten 2). Aber der Kaifer entließ ihn nicht. 

Die gleiche Forderung ward nach dem Tode Johanns XXII. 
von Papft Benedict XII. geſtellt. Marfilius folle fich der Eurie 
unterwerfen — das war der Refrain aller Unterhandlungen. An 


1) Shodel a. a. O. S. 5. 
2) Riezler Die lit. Widerſacher der Päpſte ©. 85. 


102 


der Spite des „Ketzerverzeichniſſes“, welches dem Kaifer überreicht 
ward mit dem Erjuchen, diefe Männer auszurotten, ftand der Name 
des Marfilius von Padua. Aber das Bündniß zwiichen dem Kaifer 
und dem Lebteren war fo feit, daß e8 alle Diefe Proben überbauerte!). 


„Der “Defensor pacis’“, fagt Emil Frienberg?), „wurbe die 
leitende Richtſchnur ver Taiferlichen Politik und Ludwig zeigte, mit 
welchen Erfolge er ihn ſtudirt hatte‘. 

Das Wert enthält in vielen Punkten jo vollitändig das Glau⸗ 
bensbefenntniß der „Ketzer“, welche wir oben kennen gelernt haben, 
ja, e8 copixt in Einzelnheiten ihre Lehre und Tradition fo genau, 
dag man ſich Taum der Annahme erwehren Tann, es feien feine 
Berfaffer felbft Angehörige jener „heimlichen Gemeinden‘ geweſen, 
welche in Oberitalien weit verbreitet waren und bie ihre jüngeren 
begabten Mitglieder erfahrungsmäßig gern nach Paris ſchickten, um 
fih dort in den Wiſſenſchaften auszubilden. 

Wie dem aber auch fein mag, fo fteht Doch feft, daß ein innerer 
Zujammenhang der Grundſätze des „Fridſchirm⸗Buchs“ (wie man 
daſſelbe im 16. Jahrhundert zu nennen pflegte) mit Denjenigen ber 
„Brüder“ unzweifelhaft vorhanden if. Das Werk tft, mögen feine 
Verfaſſer mit den „Waldenſern“ over „Arnoldiften” in Verbindung 
geftanden haben oder nicht, eines ber beveutenditen Titerarifchen 
Erzeugniffe, welche zur Vertheivigung ihrer Ideen gejchrieben wor⸗ 
den find. 

Die oben erwähnte Aeußerung, nach welcher man zu Avignon 
in John Wyclifs Keterei nur eine Wieberbelebung des Marfilius 
ſehen zu müffen glaubte, ift in dieſer Richtung eine vollgültig be- 
weifende Thatſache. 

Dazu kommt ferner, daß Diejenigen Parteien, welche die Be⸗ 
ftrebungen der „Waldenſer“ am reinften bewahrt und fortgefeßt 
haben, gerade in Marfilius von Padua einen ihrer vorzüglichiten 
Sähriftfteller anerlannt haben. 


1) Nah C. Miller a. a. O. 1,253 iſt Marfilius im Jahre 1342 im Dienft 
des Kaiſers geftorben. Er ift mit dem Anfichten, die er im Leben vertheibigt bat, 
entſchlafen. Er war mithin von 1324—1342, faft 18 Jahre Yang, im Dienft 
Kaifer Ludwigs. 2) Ztſchr. f. Kirchenrecht VIIL 117. 








103 


Wer die Grunbfäge des altevangeliſchen Kirchenrechts, 
die leitenden Gedanken der firchlichen Organifation und die Formen 
der Kirchenverfaſſung Tennen lernen will, kann Teine vollſtändigere 
und zuverläffigere Duelle finden als Marfilius von Paduai. 

Zwei und Inhalt des Buches werben gleich in den erften 
Sätzen deſſelben in treffender Weije gekennzeichnet, 

„Jedem Reiche”, jagt Marfilius?), „muß Trieben und Sicher- 
beit erftrebenswerth gelten, bei welcher bie Völker gedeihen und der 
Nutzen der Nationen gewahrt wird”. Auch die heidniſchen Schrift- 
fteller haben ebenjo wie die Heiligen Bücher des Alten Teſtaments 
den Frieden als Duelle aller guter Dinge bezeichnet. Chriſtus 
aber ward, als er geboren war, ber Herold des Friedens, da er 
verkünden ließ: „Ehre fei Gott in der Höhe, Frieden auf Erben”, 
Und durch alle Lehren und Worte Chrifti hindurch (ſagt Marſilius) 
geht die Mahnung zum Frieden. Wie oft fpricht er nicht zu feinen 
Jüngern: „Friede fei mit euch!" und „Haltet Frieden unter einander‘ 
oder „Friede fei diefem Haufe”. So ſteht e8 bei Johannes, bei 
Marcus, bei Matthäus. | | 

Und wie aus dem Frieden Segen erwächit, jo aus dem Un⸗ 
frieven Unfegen. Das zeigen die Völker und die Staaten hin⸗ 
teichend; aber Feines mehr als das Reich Italien. 

Solches Unfriedens, der die Völker ins Unglüd ftürgt, giebt 
es viele und mannigfache Urjachen, wie man fehon bei Ariftoteles 
findet. Mer nun tft noch eine Urfache, welche Arijtoteles nicht 
Iannte, dazu gekommen, an welcher vor Allem das Römiſche Reich 
feit langer Zeit gekrankt bat und noch fortvauernd krankt. 

Diefe Urfache des Unfrievens ift es, welche in dem vorliegen 
den Werk unterfucht werden joll, nämlich das Verhältniß zwiſchen 
Staat und Kirche. Wache Sorgfalt und unermübeten Fleiß Diefer 


1) Da gerade diefe Tirchenrechtlichen Kragen höchſt intereffant find, fo Tann 
eine erneute Detail-Unterfuchung des Marfilius nicht angelegentlih genug ge⸗ 
wünfdt werben. Es wirb dadurch anf die Tirchlichen Berfafiungsbeftimmungen 
und die Organtfation der Walbenfer, die bis jet vielfach dunkel find, ein ganz 
neues Licht fallen. 

2) Der nachfolgende Auszug ift angefertigt nach ber Ausgabe, welche zu 
Baſel im Sabre 1522 gebrudt worben iſt. Ein Exemplar berfelben — fie find 
felten — befitt das Königliche Staatsarchiv zu Müniter. 


104 


Frage zuzuwenden ift Pflicht für den, welcher das allgemeine Wohl 
im Auge bat. Und biefe Pflicht darf Niemand bernachläffigen aus 
Furcht oder Trägheit. 

In Erwägung der Mahnungen Ehriftid), ver Heiligen und 
ber Philoſophen, wie fte oben erwähnt find, babe ich, ein Mann 
aus Padua, aus Liebe zur Wahrbeit und zu meinen Brüdern — 
zugleich in Rückſicht auf Dich, Kaiſer Ludwig — die Summe der 
nachfolgenden Sentenzen nach ſorgfaltier Prüfung der Schrift über⸗ 
geben. 


Unter den verſchiedenen Staatsformen will Marſilius keine 
generell für die abſolut beſte oder ſchlechteſte erkläven. 

Im Ganzen aber iſt unter ſonſt gleichen Bedingungen nach 
ſeiner Anſicht die „königliche Monarchie“ vorzuziehen und zwar 
um fo mehr, je mehr fie als Ausdruck des Willens der über- 
wiegenden Mehrheit des Volkes betrachtet werben kann, und 
je mehr fie ſich im Einklang mit diefem befindet. 

Die Einfegung des Königthums aber beruht auf göttlichem 
Willen, felbjt wenn auch die Ausübung der Herrichafts- und 
Hoheitsrechte zugleich von bem Willen der Volksmajorität mit 
beftimmt wird. 

Dur diefe Begriffsbeftimmung tft der Weg gewieſen für eine 
Auffaffung des Stantslebens, welche neben dem Königthum bie 
Mehrheit der Staatsgemeinde befonders betont — eine Auf- 
fafjung, welche die charakteriftiiche Eigenthümlichkeit der religiäfen 
Richtung geblieben ift, welche in den Tirchenpolitifchen Tragen an 
Marſilius fich angefchloffen hat. 

Es follen zweierlei Gewalten im Staate vorhanden fein, eine 
ausübende und eine geſetzgebende. Denn es foll kein Fürft ohne 
Geſetze regieren, Fein Richter ohne Geſetze urtheilen. 

Wenn nun, wie Marfilius einräumt, die ausübende Gewalt 
in einer beſchränkten Monarchie gut aufgehoben ift, fo entſteht Die 
Trage, wer ſoll Geſetzgeber fein? Darauf antwortet Marfilius: 
„Wir aber fagen gemäß der Wahrpeit und dem Rath des Arifto- 


1) Man beachte die Betonung der „Befehle Ehrifti“, wie fie ben Waldenſern 
eigenthümlich iſt. 


105 


tele8 (IH. Polit. Cap. VD, der Gefetgeber over ber erſte und eigent- 
liche effective Urheber des Gefetes ift das Volt oder die Gefammt- 
heit der Bürger ober deren Majorität. Die Majorität verftehe ich 
in Rückſicht auf bie Geſammtheit derer, für welche das Gefe Gültig- 
Teit haben fol, mag dies nun die obenerwähnte Gefammtheit oder 
ihre Majorität unmittelbar ſelbſt oder mag fie e8 durch ihre er- 
wählten Bertreter thun‘ N), 

Marfilius, welcher wohl fühlen mochte, daß er hierin grund⸗ 
ſtürzende Neuerungen verfocht, ſucht ſorgfältig die Einwendungen 
zu widerlegen, welche hiergegen gemacht werden könnten. Dieſe 
Erörterungen dienen dazu, ſeine Meinung näher zu begründen. Die 
Geſetz⸗Vorſchläge, ſagt er, ſollen von Erfahrenen und Weiſen 
ausgehen, die zu deren Ausarbeitung beſtimmt werden. Doch ſollen 
bie Vorſchläge von ſolchen geprüft werben, welche Die Autorität ‘der 
Gefammtheit repräfentiren. Diefe mögen bie Gefege, welche für 
Alle gelten follen, bilfigen, ändern oder verwerfen. 

Dei all diefen freifinnigen Ideen ift e8 intereffant, daß Mar- 
filius der ausübenden Gewalt eine gewiffe Stärke zu geben burch- 
aus Willens if. Im 14. Capitel des erften Theils führt er aus, 
daß dem Negenten äußere Werkzeuge zur Verfügung ftehen müffen, 
durch welche er der Vollziehung des Rechtes Nachdruck geben Tann. 
Es joll eine bewaffnete Macht da fein. Aber die Stärke dieſer 
Bewaffneten an Zahl und Ausrüftung foll der „Geſetzgeber“, d. h. 
die Majorität der freien Männer over ihre Repräfentanten beftimmen. 

Die vollziehende Gewalt foll nah Marfilius in der Hand eines 
einzelnen Mannes, eines Fürften, nicht aber in der Hand 
Diehrerer oder eines Collegiums (Oligarchie, Ariftofratie) liegen 
(Cap. 17)2). A 

Nachdem Marjilius dur diefe Begriffsbeftimmungen fich den 
Weg zu feinem eigentlichen Thema gebahnt hat, geht er im zweiten 
Theil zu diefem Punkte über, 


1) Marfilius Bafeler Ausgabe 1522 fol. 36. 

2) Marſilius a. O. f. 65. „Hunc autem solummodo principatum, supremum 
scilicet, dico unum numero ex necessitate fore, non plures, si debeat regnum 
aut civitas bene disponi“, 


106 


Auch bier geht er fehr vorfichtig zunächft mit Definitionen über 
ben Begriff der Kirche vorwärts. 

„In neuerer Zeit”, Sagt er, „wendet man das Wort Kirche auf 
die Diener der Kirche an, auf Briefter, Bifchöfe und Diakonen“N). 

Diefe Anwendung aber wideripricht dem Brauch der Apoftel 
ganz und gar. Die Abficht derer, welche die „Kirche“ gründeten, 
war bie, bie Gemeinde, d. 5. die Gefammtbeit derer, welche an 
Chriſtum glauben, damit zu bezeichnen. 

In diefem Sinn fchreibt Paulus (1 Cor, 1,2) „An die Ge- 
meinde Gottes in Korinth”. 

Es ift Dies aber nicht ein zufälliger Mißbrauch des Wortes, 
fondern er ift aus wohldurchdachten Gründen aufgebracht worden 
und Hat für die Priefterfchaft nütliche, aber für die Chriftenheit 
verberbliche Folgen mit fich geführt. | 

Mit Hilfe dieſer falichen Begriffsbeftimmung und der für fie 
zurecht gelegten Auffaffung einzelner Schriftftellen tft das hierarchiſche 
Syſtem aufgebaut worden, wie es jetzt zu Recht befteht und welches 
eine oberfte richterliche Gewalt nicht nur in rein geiftlichen 
Dingen, fondern auch in der Grenzbeſtimmung über geiftliche und 
weltliche Sachen (in rebus contentiosis), ja, mitwirkend auch in 
rein weltlichen Gegenftänden (in coaotivo prineipatu) für ſich in 
Anſpruch nimmt. 

Gegenüber diefem Anfpruch erflärt Marfiliug, zeigen zu wollen, 
daß „pie h. Schrift, die Befehle Chriſti, feine Ratbichläge und 
fein Vorbild, heilige und bewährte Ausleger der evangelifchen 
Lehren” demfelben widerſprechen?). Ja, jever Geiftliche ober Late, 
welchem eine folche oberfte Gewalt angetragen würde, müßte nad 
Chriſti Rath und Vorbild diefelbe zurückweiſen. 

Vielmehr ift die höchſte Autorität, von welcher Biſchöfe wie 
Prieſter die ihrige erft erhalten, die Hriftlide Gemeinde — 

Es iſt gewiß, dag Chriftus die Macht gehabt Hätte, feinen 
Apofteln und Nachfolgern eine richterliche Gewalt zu übertragen. 


1) „Apud modernos maxime importat hoc nomen ecclesia ministros illos, 
presbyteros, seu episcopos atque diaconos“ etc. a. O. ©. 84, 

2) ©. bie Ueberihrift zu Eap. IV: „De canonieis scripturis, Christi man- 
datis, vel consiliis et exemplis“ ete. A. O. ©. 92. 








107 


Wenn man aber feine Worte und fein Vorbild prüft, fo bat er 
weder dem Petrus noch den anderen Apofteln eine ſolche Macht 
gegeben noch zu geben die Abficht beſeſſen. „Chriſtus Hat fich von 
ſolcher richterlichen Gewalt oder Herrichaft gemäß feinem Ziele aus- 
fohlteßen wollen und Hat ausgefchloffen ſich und die Apoftel und 
feine Schüler, deren Nachfolger, feien es Biſchöfe oder Priefter, von 
allem Herrſchen oder ſolchem weltlichen Regieren, wie e8 in einer 
derartigen Mitwirfung zu Tage tritt, durch fein Veifpiel, durch 
feine Rebe, durch feinen Rath und. feinen Befehl" N). 

Hat nicht Paulus gejagt (2 Tim. 2): Kein Streiter Chrifti ſolle 
ſich in weltliche Dinge mifchen, und fagt nicht die Gloſſe des Am⸗ 
brofius zu Diefer Stelle, daß, wer ſich in weltliche Dinge mifcht, 
vergeblich fucht, zweien Herrn zu dienen. Man lieft wohl, dag Die 
Apoftel vor Gericht geftanden Haben, daß fie zu Gericht geſeſſen 
haben über Andere Babe ich nie gelejen. 

Doch ſei e8 ferne von mir, bie Ehrfurcht oder den Gehorſam 
zu fchmälern, welcher dem Lehrer der Gemeinde zukommt in all den 
Dingen, die er gemäß der h. Schrift fordert von feinen Gläubigen. 
Aber der Lehrer und Hirte darf und foll zu folder Be- 
folgung Niemanden mit Zwang oder Strafe, fie fei 
ſächlich oder perfönlich, in Diefer Welt zwingen?) 

Wenn nun feine vichterliche oder weltliche Gewalt von Chriſtus 
feinen Nachfolgern gegeben ift, fo entfteht die Frage, welche Autorität 
und welche Rechte über die Ehriftgläubigen haben ſie Dann erhalten? 

Dies tft das Recht und die Pflicht, welche Chriſtus den Apofteln 


1) A tali judicio seu principatu secundum propositum (Christus) exclu- 
dere voluit et exclusit se ipsum et apostolos ac discipulos etiam suos, ipso- 
rumque successores consequenter episcopos seu presbyteros ab omni princi- 
patu seu mundano regimine tali, coactivo scilicet exclusit exemplo et 
per sermonem etiam consilio vel praecepto. X. a. O. ©. 94. 

2) Die merkwürdige Stelle Iautet wörtlih: Non tamen ex his dicere vo- 
lumus, quin doctori seu pastori ecclesiastico debeatur reverentia et obedientia 
in his, quae praecipit seu docet observanda secundum legem evangelicam — 
quamvis etiam ipse ad talium observationem neminem debeat nec possit arcere 
in hoc seculo poena vel supplicio quoquam reali vel personali. Quoniam 
talem potestatem arcendi et dominandi cuiquam in hoc seculo sibi ex evan- 
gelica scriptura concessam non legimus, sed potius interdictum consilio vel 
praecepto. 4. O. ©, 111. 


108 


gegeben hat (Matth. 28): „Gebet Hin in alle Welt und lehret alle 
Völker und taufet fie im Namen des Vaters, des Sohnes und des 
h. Geiftes und lehret fie Halten Alles, was ich euch befohlen Habe”). 

Und wie die Vollzieher der Taufe, fo find die Apoftel und 
deren Nachfolger auch die Spender des Buß⸗Sacraments, welches 
Chriſtus eingefett Bat. 

Diefe Aemter bat Chriſtus dem Petrus übertragen, als er ihm 
und damit allen Apofteln die Gewalt gab, zu binden und zu Idfen. 
Sagt doch jelbft Hieronymus zu Matth. 16, daß diefelbe Macht, 
welche Petrus erhalten, auch die übrigen Apoftel empfangen hätten. 
Zur wahren Buße oder dem Bußfacrament werben mehrere 
Borbedingungen erfordert: erjtlich Die innere Traurigkeit des Sün- 
ders über feine That; zweitens der Borfag und die Bereitwilligfeit 
zur Beichte; wenn dafür ein Priefter mangelt, fo genügt der Vorſatz. 
Denn ein wahrhaft reumüthiges Herz darf auch Gott beichten, und 
Gott übernimmt dann die Funktion des Priefters, d. 5. die Löfung 
von der Schuld und die Wiebereinfegung in bie Herde?). Sagt 
nicht der Pfalmift: „Sch allein tilge Die Unbilligfeiten und die Sün- 
den des Volks“? Auch Ambrofius jagt: Das Wort Gottes verzeibt 
die Sünden als Priefter und Richter, und ebenfo: der allein ver- 
zeiht Die Sünde, der für unfere Sünden geftorben ift. 

„Wie der Thürſchließer (claviger) des weltlichen Nichters fein 
Amt dadurch erfüllt, daß er ven Kerker auf- und zujchließt, ohne 
deßhalb das Recht richterlicher Gewalt zu üben — nur in dieſem 
Sinn übt der Priefter durch Verkündung der Abfolution oder Male⸗ 
biction das Amt eines Schlüffelträgers des himmliſchen Richters”. 

Nur Gott allein fieht in das Menſchenherz, nicht der Priefter; 
der Reue heuchelnde Menfch ift von feinen Sünden nicht losge⸗ 
fprochen, auch wenn ihn der Priefter Iosgefprochen bat; Dagegen ift 
der Reumüthige felbjt dann befreit, wenn ein Priefter ihm Abfo- 
lution verwehrt. Es giebt auch noch einen anderen Punkt, bei 

1) „Et hoc fait officium, quod suis successoribus apostolis exercendum 
commisit: cum eisdem post resurrectionem quasi omuium novissime dixit illud 
Matth. 28 et ultimo: Euntes ergo docete omnes gentes baptizantes eos in 
nomine patris et filii et spiritus sancti docentes eos, servare Omnia, quae- 


cunque mandavi vobis“. 4. O. ©. 116. 
2) A. a. O. S. 117f. 








109 


welchem die Thätigfeit des Priefters in Betracht kommt, nämlich 
die Ercommunilation ober der Bann. 

Die Ausfchliegung von ſolchen, welche ein offenbares Delict 
begangen haben, ift fchriftgemäß. Aber e8 fteht feit, daß dieſe Strafe 
demjenigen nichtS ſchadet, welcher von dem Priefter unfchulbig ex⸗ 
communicirt wird, Ferner tft ficher, daß durch den Ausschluß der 
Betroffene zugleich in feiner bürgerlichen Eriftenz geſchädigt wird 
(etiam .civili communione et commoditate privatur)., Daher 
müſſen für diefen Alt Vorfichtsmaßregeln getroffen werden. Chriftus 
felbft giebt dafür den Weg an (Matth. 18): „Sündiget dein Bru- 
der an dir, fo gehe hin und ftrafe ihn zwifchen dir und ihm allein, 
Höret er dich, fo Haft du deinen Bruder gewonnen. Höret er dich 
nicht, jo nimm noch einen oder zwei zu bir, auf daß alle Sache 
bestehe auf zweier oder dreier Zeugen Mund. Höret er bie nicht, 
fo fage es der Gemeinde. Höret er bie Gemeinde nicht, fo 
halte ihn als einen Heiden und Zöllner”. Daber foll der Bann 
nicht in ber Hand eines einzelnen Priefterd liegen, wer er auch fei, 
oder in der Hand eines Collegiums von Prieftern, jondern er fteht 
bei der Gemeinde der Gläubigen!) Chriftus ſagt ausprüd,- 
lich: fage e8 der Gemeinde, er fagt nicht: fage e8 dem Apoſtel over 
Biſchof oder Priefter. Chriftus meint, dag für diefes Amt des 
Bindens und Löſens, wie e8 im Banne liegt, feine (Chriftt) Autorität 
auf die Gemeinde, nicht aber auf einen einzelnen Priefter, über- 
gegangen fei. Die Gemeinde aber ift die Gemeinfchaft derer, bie 
an Chriftus glauben. - 

Und wie es Chriftus befohlen bat, fo ift der Bann in ber 
apoftolifchen Kirche gebraucht worden. Paulus fchreibt (1 Cor. 5) 
an bie Corinther: „Sch meinerjeits, zwar abwejend bem Leibe, doch 
anweſend dem Geift nach, babe über ben, der fich fo vergangen, 
fchon wie anwefend entfchieben, dahin, dag wir im Namen des 
Herrn Jeſus zufammentreten, ihr und mein Geift mit der 
Kraft unferes Herrn Jeſus und übergeben denjelbigen dem Satan 


1) A. O. S. 123.— „Dixit ergo Christus, dic ecclesiae, nec dixit apostolo 
vel episcopo seu presbytero aut ipsorum soli collegio. Et intellexit ibi Chri- 
stus ecclesiam fidelium aut judicem ad haec illius autoritate institutum, quo- 
modo usi sunt hoc nomine apostoli et ecclesia primitiva“. 


110 


zum DVerberben des Fleiſches, Damit der Geift gerettet werde am 
Tag des Herren Jeſus“. Mit vollem Recht erläutert diefe Stelle 
Auguftinus dahin: „Sch habe in dem Sinn entſchieden (ſpricht Pau⸗ 
lus), daß wir in gemeinfanter VBerfammlung, mit Einbelligfeit, unter 
Mitwirkung meiner Autorität und der Kraft Ehrifti, den Schulpigen 
dem Satan befehlen”. 

Die Bemeinde bat mithin die befchließende und gefeßgebende 
Gewalt; der Geiftliche ift der Vollzieher ihres Willens, indem 
er ausfchliegt oder wieder aufnimmt. Inſofern ift er es allerdings, 
welcher löſt und bindet. 

Das Amt des Bindens und Löfens im höchſten Sinn bat 
Einer ſich vorbehalten, das ift Chriftus. Dies bezeugt ausdrücklich 
Yacobus (4, 12): „Einer tft der Geſetzgeber, der kann felig machen 
ober verdammen“). 

Doch dieſes Geſetzgebers und Nichterd Abficht war es nicht, 
durch zeitliche Strafen oder Belohnungen die Menfchen zur Selig. 
teit zu zwingen. Chriftus bat nicht befohlen, bag Jemand in 
diefer Welt zur Beobachtung feiner Gefege gezivungen werde (Non 
enim ordinavit Christus, arceri quemquam ad legis latae per 
ipsum observationem in hoc saeculo). Selbft wenn man welt 
liche Strafmittel gegen Talfchgläubige anwenden wollte, fo würde 
dadurch Tein Nuten für deren oder Anderer Seligkeit erzielt wer- 
den. Wer aus Zwang und nicht aus eignem Antrieb glaubt over 
Gutes thut, deffen Thun ift nichts werth. „Wer mir nachfolgen 
will”, fagt Chriftus, „ber überwinbe fich ſelbſt“. Auch Haben bie 
Kirchenväter Chrufoftomus, Dilarius u. N. in gleichem Sinne ge- 
lehrt. Gemäß der Wahrheit und der offenbaren Abſicht des Apoftels 
und der Heiligen fol Niemand gezwungen werben in biefer Welt 
Durch Pön ober Strafe zur Haltung der Vorfchriften des evange⸗ 
liichen Geſetzes, ganz bejonders nicht durch einen Priefter, und zwar 
weder der Gläubige noch der Ungläubige 2). 

1) A. a. O. ©. 137 (Cap. IX im Anfang). 

2) A. O. S. 140: Secundum veritatem igitur et apertam intentionem 
apostoli atque Sanctorum, qui doctores ecclesiae seu fidei exstiterunt aliorum 
praeeipui, nemo cogi praecipitur in hoc seculo poena vel supplicio ad legis 


evangelicae praecepta servanda per sacerdotem praecipue nedum fidelis verum 
etiam nec infidelis. 





111 


Jene Strafgewalt, die nach Maßgabe des göttlichen Geſetzes 
gehandhabt wird, bat nur ber göttliche Richter, und dieſer wird fie 
erft im Jenſeits ausüben. Heute aber werden irbifche Verurthei- 
lungen zur Empfehlung des göttlichen Glaubens angewendet, und 
indem man Chriftus durch menjchliche Bemühungen zu Hülfe fommt, 
wird er der Machtlofigleit geziehen. Durch Exil und Kerker ver- 
breitet Die Kirche Schreden und zwingt die Menfchen, dag mar fie, 
die fich auf ſolche Machtmittel ftütt, für Die wahre Kirche Chriſti 
halte. 

Es iſt wahr, daß Moſes im alten Geſet andere Vorſchriften 
gegeben hat. Aber hat denn nicht Chriſtus ein höheres Geſetz ge⸗ 
geben als Moſes? Um euere jüdiſchen Einrichtungen zu vertheidigen, 
ſagt ihr, das evangeliſche Geſetz ſei unvollſtändig und es Könnten 
nicht alle Dinge auf Grund des neuen geregelt werden. „Wir aber 
ſagen, daß wir durch das evangeliſche Geſetz hinreichend angeleitet 
werden zu dem, was wir in dieſem Leben thun oder laſſen ſollen, 
ſoweit unſer Zuſtand im jenſeitigen Leben und die Erreichung des 
ewigen Heils in Betracht kommt. Zur Regelung ſtreitiger Fragen 
bürgerlicher Art iſt es freilich nicht gegeben“ i). 

Es ſind nicht bloß die Worte und Befehle Chriſti, welche die 
Norm unſeres Glaubens und Lebens ſein müſſen, ſondern vor Allem 
ſein Beiſpiel. (Voluit Christus, ut suo nos prius exemplo, 
quam sermone doceret.) 

Und wie Chriftus nun demüthig, arm und einfach Durch bie 
Welt gegangen tft, fo follen auch feine Schüler und Nachfolger es 
fein, beſonders aber diejenigen, welche auch Chriſti Nachfolger find 
m dem Amte, zu deſſen Vollziehung er in die Welt gelommen tft. 
Hat nicht Chriſtus ſelbſt gejagt: Keiner von Euch, der nicht Allem, 
was er Kat, entjagt, kann mein Schüler fein? und fpricht er nicht, 


1) Objieiet autem aliquis imperfectionem evangelicae legis, si per ipsam, 
ut diximus, sufficienter regulari nequeant actus humani contentiosi pro statu 
et in statu vitae praesentis. Nos autem dicamus, quod per legem evangeli- 
cam sufficienter dirigimur in agendis aut declinandis in, vita praesenti pro 
statu venturi geculi seu aeternae salutis consequendae aut supplicii declinandi _ 
propter quae lata est, non quidem pro contentiosis actibus hominum civiliter 
reducendis ad equalitafem aut commensurationem debitam pro statu seu suf- 
ficientia vitae praesentis. ©. 143. 


112 


feine Worte erläuternd, in gleichem Sinne bei Matth. 19: Ber 
Taufe, was du haſt, und gieb dein Gut den Armen? Die Bijchäfe 
und Hirten follen nach Chriſti und der Apoftel Vorbild weder Städte 
noch Dörfer noch Tiegende Güter oder Reichthümer ihr eigen nennen, 
fondern, was ſie von folchen Haben, das follen fie den Armen geben. 
Zinfen und Zehnten von Früchten aber find die Priefter nach den 
Worten der h. Schrift zu fordern nicht berechtigt. 

Wem fteht nun das Recht zu, Biſchöfe, Pfarrer und über- 
haupt die Diener der Kirche einzufegen? Für die Apoſtel ift Chriftus 
die Duelle ihrer Autorität gewefen; für deren Nachfolger die Apoftel. 
Nach dem Tode der Apoftel aber ift das Recht ver Wahl auf bie 
Gemeinde der Gläubigen übergegangen '). 

Einen Beweis hierfür liefern in der Apoftelgefchichte die Wahlen 
des Stephanus und Philippus. Wenn e8 fchon in Anwefenheit 
der Apoftel und bei der Wahl der Diakonen fo gehalten wurde, 
daß die Gemeinde gewählt bat, um wie viel mehr muß dieſes Ver- 
fahren nach dem Tode der Apoftel und bei der Wahl von Brieftern 
beobachtet werden. Eben der Gemeinde fteht e8 auch zu, im Noth⸗ 
fall aus triftigen Gründen einen Priefter feines Amts zu entjeßen. 

Dabei kommt e8 vor Allem darauf an, würbige und achtbare 
Männer zu Prieftern zu machen. Ein fchlechter Fürft Tann viel 
Unheil anrichten, ein fchlechter Priefter aber noch mehr. 

Wie ift e8 gelommen, daß wider die Anorbnungen der Apoftel 
nicht mehr die Gemeinden, ſondern die Hierarchie und der Papft 
die Inbaber‘ver Tirchlichen Rechte find? 2) 

Die Verhältniffe des römifchen Reichs brachten es mit fich, Daß 
pie Chriften, welche in Rom lebten, ven Mittelpunkt für die Glau⸗ 
bensgenofjen bildeten. War doch bier die größte Gemeinde, der 


1) Ex his amplius per necessitatem inferre volo, quod in communitatibus 
jam perfectis ad legislatorem humanum solummodo seu fidelium multi- 
tudinem ejus loci super quam intendere debet promovendus minister pertineat 
eligere, determinare ac praesentare personas promovendas ad ecclesiasticos 
ordines. Et quod nemini sacerdoti vel episcopo singulariter neque ipsorum 
soli collegio cuiquam cooperari liceat ad hujusmodi suscipiendos ordines abs- 
que legislatoris humani vel ipsius autoritate principantis licentia. Hoc autem 
primum ex scriptura sacra demonstrabo etc. — ©. 216. 

2) Cap. XVIM a. O. fol. 223, 








113 


Mittelpunkt des geiftigen Lebens überhaupt und natürlich auch für 
die Chriften. So Tam es, daß der erfte Geiftliche der römischen 
Gemeinde bald weit und breit befannt war, daß Die Gemeinden in 
der Provinz feinen Rath wie feine Unterftügung gern in Anspruch 
nahmen. 

Nun gelang es den Bemühungen Sylveſters, den Raifer 
Conftantin zur öffentlichen Annahme des Chriftentbums zu be- 
wegen, und es fcheint, als ob Conftantin alddann ber römischen 
Kirche die Autorität über die anderen Biſchöfe und Kirchen ver- 
ſchafft babet). 

Wo ift Die Stelle der h. Schrift, welche lehrt, daß ein Bifchof 
über allen anderen ſtehen folle. Das Haupt feiner Kirche ift allein 
Chriſtus, nicht irgend ein Apoftel oder deren Nachfolger, wie 
deutlich fteht Eph. A u. 5, Col. 1 und 1 Cor. 102. 

„Möge der römische Bifchof mit feinen Nachfolgern auf diefem 
Stuhl, möchten alle übrigen Priefter und Diakonen und geiftlichen 
Diener, an welche meine Worte nicht wie an Feinde — dafür rufe 
ih Gott zum Zeugen an bei meiner Seele und meinem Körper — 
fondern wie an Väter und Brüber in Chrifto gerichtet find, möchten 
fie danach trachten, dem Vorbild Chrifti und Ber Apoſtel zu 
folgen”. „Sch Habe verfucht auf den Weg ber Wahrheit an ber 
Hand der heiligen Schriften und menfchlichen Nechts fie zurüdzu- 
führen, auf daß fie gewarnt feien“. 


Die religiöfen Ideen, zu deren Patron fich Kaifer Ludwig ge- 
macht batte und die mit feiner Zuftimmung durch eine fo bedeu⸗ 
tende Autorität wie Marfilius vertreten wurden, fanden im ganzen 
Reiche lebhaften Wiederhallt), am lebhaftejten aber in den deutſchen 


1) A. O. fol, 226, 

2) Caput enim ecclesiae simpliciter et fidei fundamentum dei ordinatione 
immediata secundum scripturam sive veritatem unicum est Christus ipse, 
non aliquis apostolus, episcopus aut sacerdos, ut aperte dicit Apost. ad Eph. 
4 et5 ad Col. 1 et 1 Cor. 10. A. O. fol. 252. 

3) A. O. fol. 306. 

4) Es ift doch merkwürdig, daß das Erfcheinen des Defensor pacis in Straße 
burg ein folches Auffehen machte, daß ein Chronift (Fritſche Elofener) deſſen wie 
eines Tagesereignifjes gedachte. Chroniken der beutfchen Städte VII, 70. 

Keller, Die Reformation. . 8 


114 


Städten, welche in jener Zeit bereits bie wichtigiten Mittelpunkte 
des geijtigen Lebens bildeten. 

„um dieje Zeit”, fo erzählt ein römiſch gefinnter Chronift jener 
Tage, „war der Klerus in großer Verachtung bei den 
Laien und man hielt die Juden böher als ihn”). Es waren 
leineswegs nur die Mißbräuche des Syſtems, gegen welches fich die 
Beratung des deutſchen Bürgertbums gekehrt hatte, jondern mit 
ſchwerem Ernjt und unter gewaltiger Erregung der Gemüther voll- 
308 jich ein Principienfampf, der eine neue Zeit vorzubereiten fchien. 

Die Stadt Straßburg war in dieſem Kampf injofern voran- 
gegangen, als fie die Priefter, welche gemäß dem päpftlichen Befehle 
den Gottesdienft eingeftellt hatten, zwaug, die Stabt zu räumen. 
Die Stadt Züri hatte ſchon feit 1331 Feine päpftlichen Kleriker 
mehr gebulvet. In Conſtanz forderte der Magiftrat von feinen 
@eiftliden, daß fie ihre Funktionen wieder aufnehmen follten und 
gab ihnen eine Frift zur Ueberlegung; als viefe abgelaufen war 
(1339 Ian. 6), mußten Alle, welche nicht fungiren wollten, die Stadt 
verlajien. Zu Reutlingen ließ der Rath öffentlich ausrufen, daß 
Niemand bei einer Strafe von 15 Pfund einen Priefter aufnehmen 
dürfe, welcher dem Papft Gehorfam leiſte In Regensburg zwang 
bie Obrigleit ihre Priefter Durch Hunger zur Abhaltung des Gottes⸗ 
bienftes, In Nürnberg, wo die ftädtifchen Dligarchen eine Zeit 
lang mit dem römifchen Klerus gemeinfame Sache gemacht hatten, 
kam e8 bierüber mit den Zünften zum offenen Kampfe, der mit 
der Niederlage der Geſchlechter und der Briefter endigte. Kaum 
war dieſer Sieg erfochten, da fchloß ſich Nürnberg der Partei des 
gebannten Kaiferd an. Ueberhaupt kann man beobachten — wir 
werden unten darauf zurüdfommen —, daß alle deutſchen Städte, 
welche nicht von dem Batriciat regiert wurden, unbebingte Gegner 
Noms und treue Anhänger Ludwigs geweſen find. 

Eine fo tiefe, principielle und allgemeine Kriegserflärung gegen 
die herrſchende Kirche war bisher in Deutichland noch nicht da⸗ 
gewejen. Während früher die Ueberzeugung herrſchend gewejen war, 
daß derjenige, welcher von Rom gefchieden fei, von feinem Heil ge- 


1) Preger in den Abhh. d. IM. EL. d.R. B. Ak. d. W. zu Münden Bd. XIV, 1. 
©. 59. 


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ſchieden wäre, ſchien fich jegt im &egentbeil der Glaube Bahn zu 
brechen, daß die Verbindung mit dem römifchen Oberpriefter für die 
Seele des „rechten Chriſten“ Gefahren in fich berge. 

So war der Boden vorbereitet und die Bahn gebrochen für das 
Wachsthum derjenigen Ideen, welche jene Heine Schaar der „Brü⸗ 
der” und ihre „Apoftel” im Namen Chriftt feit Jahrhunderten ver 
fochten hatten. In der That find diefe Jahrzehnte es gewefen, in 
welchen der Samen einer neuen Weltanſchauung ausgeftreut wor⸗ 
den ift. " 

Im Sabre 1332, zu einer Zeit, als Papſt Johann XXIL den 
Kaiſer längft wegen „Ketzerei“ vor das geiftliche Gericht zu Avignon 
eitirt hatte, richteten die Städte Augsburg, Conftanz, Eplingen, 
Reutlingen, Rottweil, Gemund, Hall, Heilbronn, Wimpfen, Weins- 
berg und Weil ein Schreiben an den Erzbifchof von Trier, welches 
zu den merkwürdigſten Aktenſtücken dieſer ereignißreichen Epoche zu 
zählen ift!). 

- Die Städte erklären darin zunächſt, daß fie in ihrem „durch⸗ 
lauchtigften Herrn, Ludwig, von Gottes Gnaden römischen Kaiſer“ 
einen Fürſten erfennen, welcher dem rechten Chriftenglauben zus- 
getban ſei. 

„Kaifer Ludwig”, fahren fie fort, ‚pflegt das Rechte und ftrebt 
nach Gerechtigkeit; unter allen Fürften der Welt lebt er 
am meiften nah Chriſti Lehre und im Glauben wie in be- 
fcheidener Gelaſſenheit leuchtet er als Vorbild hervor vor Anderen; 
ihm wollen wir mit der fejten und unwanbelbaren Treue, die aus 
Glauben, Ergebenbeit und lauterem Gehorſam entfpringt, als unferem 
rechten Kaiſer und natürlichen Herrn anhangen und zwar für alle 
Zeit und bis zum Tode. „Bon dieſes unferes rechten und legi- 
timen Kaifers und Heren Gehorſam wollen wir niemals Lafjen, 
fein Unglüd, feine Neuerung, Tein Ereigniß irgend einer Art, woher 
es auch kommen mag, ſoll uns je von ihm fcheiven‘, 


1) Das Schreiben Augsburgs datirt vom 18, Febr., dasjenige von Eonftanz 
vom 21. März, die Gejammteingabe der übrigen Städte vom 2. Ian. 1332. 
Das letztgenannte Original beruht im Hausarchiv zu München und ift abgebrudt 
von Preger in den Abhh. d. 11. Cl. d. K. B. Ak. d. W. zu Münden Bd. XIV. 


1. Abth. ©. 69f. 
8 % 


116 


Diefer Schwur der Treue ift dann von den Städten in den 
Tagen der Gefahr wirklich gehalten worden. Als die römifche Curie 
den Karl von Mähren gegen den Raifer zum deutfchen Herrfcher 
erhoben hatte und Ludwig auf dieſe Nachricht im Jahre 1346 die 
Städte nach Speier berief, fand ſich auch nicht eine einzige am 
Rhein, in Schwaben und in Franken, welche ausgeblieben wäre ober 
dem Kaifer ihre thätige Hülfe verweigert hätte. 

Es verfteht fich won felbft, Daß nicht alle Anhänger des Kaiſers 
in ihrer Theilnahme Durch religiöfe Motive geleitet waren; aber 
die Haltung der Städte geht ganz unzweifelhaft in erfter Linie 
auf ſolche zurüd, Das erwähnte Schreiben vom 2. Ian. 1332 
giebt hierüber einen jo unzweidentigen Auffchluß, daß die Frage 
dadurch als erledigt angefehen werben Tan. 

Die Städte erflären nämlich feierlich, dag das Zeugniß ber 
h. Schriften e8 fei, auf Grund deſſen fie ihre Stellung in dem 
Kampf genommen bätten. Die 5. Schriften bezeugen, fagen fie, 
dag der allmächtige Gott allein e8 ift, von welchem alle Macht und 
alle Herrichaft auf Erden abgeleitet wird!), Mithin verwerfen fie 
die Theorie, daß alles weltliche Regiment als Ausflug der geift- 
lichen Gewalt zu betrachten fei, und fie rufen dafür eine Autorität 
an, deren Entgegenfekung gegen die Entſcheidungen der Kirche ſchon 
an fich den religiöfen Standpunkt deutlich dokumentirt. 

„Als der Baumeister und Bildner der Welt nach feinem un⸗ 
erforfchlichen Plane das Gebäude unferer Welt in weiſem Voraus- 
ſchauen zu errichten befchloß, da bat er zwei große Lichter 
unter des Himmels Firmament gejtellt und ihnen ihre Funktionen 
fo zugetheilt, daß durch ihren wirkenden Dienft uns, die wir auf 
der Erde wohnen, des doppelten Tichtes 2) Klarheit leuchte, und Dies 
fo, daß, obwohl Jedes auf das Andere Bezug bat, doch eins das 
Andere nicht beeinträchtige, tm Gegentheil Jedes, indem es feine 
Dewegung und feinen Lauf im Weltenrund gleichmäßig bewahrt, 
das Andere in feinem Beitand und feiner Kraft ſtärke und erhalte‘, 


1) Breger a. O. ©. 69. 

2) Der Ausdrud „Licht“ in der dreifachen Form luminar, lumen, lux wich 
in dem relativ kurzen Schreiben ſechsmal gebraudt und, wie wir fehen wer⸗ 
den, in verſchiedenem ſymboliſchen Sinn angewenbet. 





117 


Alfo Hat auch des ewigen Vaters Vorſehung, nah weilen Plane 
alles planend, zwei Autoritäten, eine in geistlichen und eine in welt- 
Iihen Dingen angeordnet, welche, obwohl fie gegenfeitig Rückſicht 
auf einander nehmen follen, doch fich nicht feindlich begegnen dürfen. 
„Indeſſen ſehen wir mit dem fehmerzlichiten Bedauern, daß Die 
Gier nad irdifher Ehre die Lichter unferes Heiles für die 
ganze Welt verfinftert bat und daß der Weltkörper der zeitlichen 
Sntereffen, der fi in der Sphäre jener leuchtenden Geftirne und 
Lichter bewegt, fie gegenwärtig in gefährlicher und ſchlimmer Diftanz 
getrennt bat. Darum bitten und fleben wir „Armen Chrijten”, 
die wir in unjerem Herrn und Fürften die feftefte Säule des Glau- 
bens, des Lichts und des Baus (structurae) der Katferlichen Kuppel 
erfennen und fein anderes Mittel und feinen Zufluchtsort fehen..... 
Daß der chriftliche Glaube und fein Vertreter keinen Schaden nehme 
und geiftliche und weltliche Autorität, welche des Weltall Ordnung 
ſich nicht zum Vorbild nehmen, fich nicht zum Nachtheil der Chriften- 
beit verfinftern‘!). 


In den deutſchen Städten gab es, wie oben bemerkt, zwei Bar- 
teien, die fich fchroff gegenüber ftanden, den ſtädtiſchen Adel, ver 
meist mit dem Landadel gleichen Urjprung und gleiche Rechte hatte, 
und die freien Gewerke oder Bruderſchaften und Zunftgenofien. 

Daß die Legteren in jenen Jahren, wo die Städte ihrem Kaifer 


1) Die intereffante Stelle lautet wörtlih: „Dum fabricator mundi sua dis- 
positione ineffabili presentis saeculi machinam censuit erigendam provisione 
provida, in celi firmamento posuit duo luminaria magna, ea officiis propriis 
sic distinguens, quod ipsorum ministeriis nobis in regione ista degentibus 
duplicis luminis claritas inclarescit et hec licet se in aliquo respiciant, unum 
tamen alterum non offendit, immo utrumque, suo motu et cursu in eircuitu 
uniformiter servatis alterum in suo esse et robore fortificat et conservat.... 
Nos igitur pater clementissime, immensa compassione compatimur, quod terreni 
honoris aviditas nostrae salutis luminaria toti mundo adeo dampnatbiliter eclip- 
savit, quodque globus rerum temporalium in spera ipsorum luminum se in- 
volvens ipsa hiis temporibus valde periculosa et dampnabili distancia sepa- 
ravit. Pauperes igitur christicole fidei dominum principem lucis ac 
structurae imperialis culminis columpnam firmissimamagno- 
scentes, aliud remedium aliudque receptaculi refugium non 
scientes vos invocamus“ etc. Die geiperrten Worte finden fich in dem Schrei= 
ben von Conftanz, in den übrigen nicht. 


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ewige Treue fchwuren, Die Xeiter der Bewegung waren und bie 
Oligarchie des Patriciats mit fich fortriffen, ſollte fich in den fpäteren 
Zeiten, wo die allgemeine Lage der ‘Dinge fich verändert Batte, 
beutlich zeigen. In dem Moment, wo die beufche Krone es vergaß, 
daß zu ihren Ehrenpflichten die Stügung der Schwachen von je 
gehört hatte, und der Bund mit dem Klerus und dem Adel von 
Neuem gefchloffen ward, da zeigte es fich, daß diefe Bundesgenoffen 
jet wie früher nicht bloß die Beugung des Kaiſerthums, ſondern 
zugleich die Knechtung des Bürgertbums zur Bebingung ihrer 
Hülfe machten. 

"Unter den deutſchen Gewerken aber bejaß in jener Zeit Teines 
größeres Anfehen und wichtigeren Einfluß auf die übrigen Gilden 
als der Bund der deutſchen Bauhütten. ES tft längit an- 
erfannt, daß dieſer mächtige Bund auf die meiften deutichen Gilden, 
befonders auf bie ihm nabeftehbenden ver Kunſthandwerker, Gold- 
ſchmiede, Glodengießer, Eifenfchmiede, Bildhauer, Maler, Form⸗ 
Schneider u. f. w. tonangebend einwirkte!). 

Wir werden unten auf die Organifation, die Geſchichte und 
das Wefen der deutichen Baubütte noch eingehender zurückkommen 
müffen. Bier mag einftweilen nur jo viel erinnert werden, daß dieſer 
Bund Schon im 14. Jahrhundert durch feine Macht, feine Bildung 
und feine Leiftungen bei Fürften und Volk im böchiten Anfehen ftand. 

So kann 883.3. als erwiesen gelten, daß Herzog Rudolph IV. 
von Deftreich und Steiermark (geb. 1. Nov. 1339, geft. 17. April 
1365), einer der mächtigften Fürften des Neichs, zu der „Bauhütte“ 
in einem nahen und freundfchaftlichen Verhältnig geftanden Hat 2). 
Er ſcheint als „Bauherr” von S. Stephan in Wien, deſſen Erbauung 
er der Hütte übertrug, ſogar Mitglied des Bundes gewefen zu fein 3). 

Wenn man diefe Thatfachen erwägt, dann fcheint es Doch Fein 
Zufall zu fein, daß die erwähnte Eingabe der oberdeutichen Städte 
vom 2. Januar 1332 in ihrer ganzen Form den Eindrud macht, 

1) Bgl. den vortreffligden Auffak von Rziha Weber die deutſchen Stein- 
meßzeichen in den Mittheilungen ver 8. 8. Eentral-Commifi, für d. Erforfchung 
der Kunft- u. Geſch.⸗Denk. in Deftreih. Wien 1881. 1882. 

2) Vgl. die Beweife bei Riha a, O. 

3) Hiermit ftimmt die Tradition der Bauhütte volllommen überein. Die 
jelbe verbient überhaupt größere Beachtung, als man ihr hat einräumen wollen. 











119 


als ob an ihrer Abfafjung Männer des Baus und der ‚Geometrie‘ 
betbeiligt geweſen feien. 

Alle Vergleihe und Bilder, welche der Verfaſſer anwendet, 
find entweder der Himmelsfunde, wie man fie damals fahte, oder 
dem Sprachgebraudh der Baumeijter und der Werkftätten entnom- 
men. Gleich die Bezeichnung Gottes als des „Baumeiſters 
der Welt‘ (fabricator mundi) wird in dem Sprachgebrauch römi- 
fcher Theologen niemals nachweisbar fein. ‘Der Ausprud fabrica 
ift Dagegen in verfchievenen Zufammenfegungen gerade in den reifen 
der Steinmegen während jener Zeit zur Bezeichnung des Baus und 
des DBaumeifters üblich i. 

Auf die Erd» und Himmelsfunde deutet der ganze Eingang 
des Schreibens, mo von den zwei „großen Litern‘ (magna 
luminaria), welche an der „Himmels Feſte“ ftehen, von ihrem „Lauf“ 
und ihrer „Bewegung und ihrem „Umgang“ (eireuitus)?) die Rede 
iſt. Der Ausdrud „eclipsare“, welcher fonft nur in der Aſtro⸗ 
nomie vorkommt, ehrt bier mehrmals wieder und auch die Worte 
„sphaera“, „globus“, „coelestis ordo“ find einem in ver Him- 
melsfunde unerfahrenen Manne nicht geläufig. | 

Bon dem „Baumeiſter der Welt‘ (welcher an anderer Stelle 
durchaus umtheologifch der „Derr des Alls“ genannt wird) heißt es 
dann, daß er der „Ordner der Weltleitung‘ (dispositor uni- 
versalis regiminis) fei, welche durch feine „unausfprechlihe Dis- 
poſition“ das „Weltgerüft‘ (machina hujus seculi) errichtet hat. 
Diefer unüberjegbare Ausdruck „dispositio“ fehrt in dem Schreiben 
fünfmal wieder. Gewiß ein auffallender Gebrauch, wenn man weiß, 
daß „dispositio“ im Mittelalter vorwiegend von den Bautechnikern 
in dem Sinn von „Riß“ (Bauplan) u. f. w. angewendet worden ift?). 

Die Worte columna (Säule), basis, fundamentum, structura, 
stabilire, distancia, machina u. f. w. find durchaus bautechrrifcher 
Art; ja, das letztgenannte ift in einzelnen Ableitungen ein ganz 
ausschließlicher Kunſtausdruck des mittelalterlichen Bauhandwerks. 

1) S. Jauner Die Baubütten u. f. w. 1876 ©. 108. 

2) Da „cursus* (Lauf) ſchon gebraucht ift, fo bebeutet circuitus feiner ety⸗ 
mologiſchen Entftehung (von circumire) gemäß bier „Umgang“, 


3) Du Cange Glossarium u. ſ. w. „Dispositio: Urbis, templi situs, structurae 
elegantia apud Alypium Antiochium in Descript. orbis“. 


120 


Beſondere Beachtung verdient die Wendung, in welcher Kaiſer 
Ludwig als Die „feftefte Säule des Glaubens (fidei), des Lichts 
(lueis) und des Baus (structurae) des kaiſerlichen Culmen“ be- 
zeichnet wird. Was bezeichnet „culmen ?“ Die beiten Lexikographen, 
bie wir befiken, fagen uns, daß culmen oder columen „im Be 
fonveren von Gebäuden und Mauerwerk” gebraucht werde und „pen 
ſchief zulaufenden Höhepunkt A’) bezeichne?). 


Wir haben bereit an mehreren Stellen darauf hingewieſen, 
daß gerade im ftädtifchen Bürgerthum die vornehmften Träger Des 
Waldenſerthums lebten. Alle älteren Quellen und alle neueren 
Bearbeiter bejtätigen dieſe Thatſache. Sp fagt T. W. Nöhrich bei 
der Schilderung der Ausbreitung der „Gemeinden Chriſti“: „In 
weiter Verzweigung von Spanien bis nach Böhmen, von Calabrien 
bis in die Niederlande, zog fih im 14. Jahrhundert eine Reihe 
verborgener Vereine oder Eleinerer oder größerer Gemeinden, welche 
vornehmlich auch unter dem freifinnigen, gewerbfleißigen und reg- 
famen Bürgerftande per Städte zahlreiche Anhänger fanden”). 

Schon um das Jahr 1260 war dem Inquifitor, welcher unter 
dem Namen Pſeudo⸗Reiner bekannt ift, Die Thatfache, daß der Sit 
des „Ketzerthums“ fich vornehmlich in Bürgerkreifen fand, derart 
aufgefallen, daß er behauptete, die „Waldenſer“ feten ausfchließlich 
oder fat ausſchließlich Handwerker, und e8 liege diejer Erfcheinung 
ein religidfes Princip zu Grunde. Um die Verfehrtbeit ihrer Lehre 
und die Inferiorität ihrer Geistlichen recht deutlih ins Licht zu 
jegen, fügt er zugleich Hinzu, auch ihre Lehrer feien Handwerker, 
nämlich Schufter oder Weber). 

Obwohl man die tendenzisfe Wendung leicht herausfühlt, bie 
der Inquiſitor dieſer Thatfache giebt, fo tft Doch unzweifelhaft etwas 
Wahres daran. Denn auch der päpftliche Pönitentiar Alvarus 
Pelagius berichtet im Jahre 1330, wie wir alsbald ſehen werben, 

1) Es Tiegt bier entweder eine Anfpielung auf das Dreied oder den rechten 
Winkel vor. Der lettere war das böchite Zeichen des Maurerbundes. 

2) So wörtlich Klog Handwörterbuch der lat. Sprade Braunſchweig 1866 
s. v. culmen und columen. 


3) Ztſch. f. d. hiſt. Theol. 1540. ©. 144. 
4) Max. Bibl. Patrum Vol. XXV p. 272. 





121 


daß von den „Magistri“ der „Begharden‘ manche aus den Hand- 
werferfreifen hervorgegangen ſeien; einzelne nämlich feien früher 
Baunleute und Maurer!), andere Eifenfchmiede u. f. w. gewefen. 

Nur derjenige Tann mit den genannten Gewährsmännern etwas 
Verächtliches in biefen Umſtand Hineinlegen, welcher von der Ver- 
fümmerung fpäterer Zeiten auf die ehemaligen Handwerkerverhält⸗ 
niffe einen Rückſchluß macht. Aber es muß doch daran erinnert 
werben, daß im 14. Jahrhundert eben dieſe Handwerker und bejon- 
ders die Gilden der Steinmegen, Bauleute, Goldſchmiede u. ſ. w. 
technisch und geiftig auf einer Höhe geftanden haben, daß fpäterhin 
ganze Generationen geijtig von ihnen abhängig gewefen find. Denn 
diefe gering gefchägten Werkleute find die Erfinder und Zeichner 
jener Kunſtwerke, die von den Künftlern fpäterer Zeiten vielfach 
nur copirt worden find. 

Auh das oben erwähnte Schreiben der deutjchen Städte be 
ftätigt die Thatfache, daß die Bürgerfreife, in deren Namen es ver- 
faßt ift, von waldenſiſchen Ideen ftark beeinflußt geweſen find. 

Wer den Tirchlichen Sprachgebrauch der waldenfifchen Gottes- 
gelehrten einigermaßen Tennt, wird mit mir übereinstimmen, wenn 
ih behaupte, daß daſſelbe aus der Feder eines Mannes geflofjen 
fein muß, welcher mit der bejonderen Denf- und Schreibiweife 
biefer Partei vertraut war. 

Ich will bier gar nicht von dem Gedankengang und den Mo⸗ 
tiven reden, die deutlich genug auf diefelbe Quelle weifen; denn bie 
Berufung auf die h. Schrift, die Hervorhebung, daß Kaiſer Lud- 
wig nicht allein „im rechten Chriftenglauben gläubig“ ift, ſondern 
auch unter allen Fürften am meiften nach Chriſti Lehre lebt „und 
jowohl im Glauben wie in vemüthiger Gelaſſenheit als Bei- 
fpiel Teuchtet“, daß er das „Nechte liebt“ und „nach Gerechtigkeit 
ſtrebt“, daß er ein „‚Frommer Fürſt“, „milde, wohlwollend und gütig”, 
„wahrhaft Tatholifch” 2) und „gottergeben”‘ fei, ift beachtenswerth. 


1) Der Ausdruck „cementarius“, welchen Alvarus gebraucht, ift nach Du Cange 
Glossarium = mac on; cementare bedeutet nach derfelben Autorität aedificare, 
exstruere. 

2) Daß die Walvenfer die Bezeichnung „katholiſch“ für fih in Anfprud 
nahmen, ift erwiefen. Siehe v. Zezſchwitz Katechismen der Walbenfer ©. 13. 





122 


Aber bezeichnender noch find die fpecififch waldenfifhen Aus- 
brüdte, die in bem Schreiben vorlommen. Der „reihte Glaube 
Chrijti” (vere recta Christi fides) Tehrt als Bezeichnung ber 
Waldenſerlehre im Gegenjag zu dem falſchen Glauben ver „Titel 
hriften‘‘ bei ihnen Hundertfach wieder. Indem die Stadtmagiftrate, 
welche das Schreiben unterzeichnet haben, fih „Arme Chriſten“ 
(Pauperes christicolae) nennen, flingt die Bezeichnung „Arme“, 
die wir fennen, doch ſehr deutlih an. Befonders charakteriftiich ift 
die Wendung, daß die „Gier nad irdiſcher Ehre‘ (terreni 
honoris aviditas) die „Lichter unferes Heils“ verfinſtert hat. 
Denn diefe irdifche Begier war es ja eben, welche (wie wir fahen) 
nach der Tradition der „Brüder“ feit den Tagen Kaifer Conftan- 
tins und Papſt Sylvefters zur Entftellung und Verbunfelung ber 
wahren und urfprünglichen Befehle Chrifti und des apoftolifchen 
Chriſtenthums am meiften beigetragen hatte. 

Die „Lichter unferes Heils“ (luminaria nostrae salutis) 
find bier natürlich nicht (wie oben) die Weltfugeln oder Lichter 
des Weltalls, Sonne und Mond, fondern nach altwaldenfifchen 
Sprachgebrau „das äußere Licht“ und das „innere Licht“, 
die den Weg zum Heil leiten und führen. Das innere Licht oder 
die „innere Offenbarung“ tft die Offenbarung des Wortes (Logos) 
im Herzen des Menfchen und die Stimme des Gewifjens, die Das 
Sittengefeg ankündigt; die „äußere Offenbarung‘, welche in ben 
Schriften der „Brüder“ ganz ausprüdlich als die „Leuchte auf 
dem dunklen Pfade over als ein „Licht, welches Menfchen in ver 
Nacht anzünden“, bezeichnet wird, ift die heilige Schrift Alten und 
Neuen Teftamentes over „das Gefek und das Evangelium”, von Denen 
das letztere „Nicht“ dem erfteren als das Volllommenere und als uns 
entbehrliches Hülfsmittel für jeden „rechten Chriſten“ gegenüberfteht. 
So giebt e8 zwei oder nach anderem Sprachgebrauch drei „Lichter 
unferes Heils“, welche nach Angabe unjeres Schreibens damals 
durch „irdiſche Begierden“ in der herrjchenden Kirche verbunfelt 
waren. 





Fünftes Capitel. 
Die Waldenfer und die altdeutjche Literatur. 


Alvarus Pelagius wider Marfilius. — Die Keter in Straßburg und ihre Lites 
ratur. — Der Magifter Walther in Köln. — Das Berbot Kaifer Karls IV. 
gegen die beutichen Bücher der Seltirer. — Sind deutfche Schriften aus ben 
Kreifen der Waldenſer erhalten? — Die Neun Feljen. — Das Meifterbud 
oder die „Hiftorie von Taulers Belehrung“. — Auszug aus diefem Buch. — 
Verſchiedene Bearbeitungen deſſelben. — Das goldene ABE und die „allge- 
meinen Regeln‘ der Waldenfer. 


„Die Beförderung, welche von Kaifer Ludwig den Schismati- 
fern zu den böchiten Ehrenjtellen zu Theil wurde“, fagt ein Chronift 
ber Srancisfaner, „und Die Straflofigkeit ihrer Verbrechen begünftigte 
bie Frechheit und den Troß Anderer, welche aus allen Orden bei 
ber geringften gegebenen oder herbeigezogenen Beranlafjung von 
dem Papfte abfielen und die Sefte der „Brüder“, die aus ihren 
Schlupfwinteln ſich unverfchäimt hervorwagte und die Handlungen 
bed Petrus Corbarius (d. b. des Gegenpapftes Nicolaus V.) und 
Ludwigs billigte, zum großen Abbruch der Tatholifhen Sache ver- 
mehrten‘'1). 

Es bat in der That Taum eine Periode der deutſchen Geſchichte 
gegeben, in welcher bie altevangelifchen Gemeinden, die mar Wal» 
benfer, Begharden oder Fratricellen?) nannte, einen fo 
großen Einfluß auf das deutſche Geijtesleben befejjen haben, wie die 
erite Hälfte des 14. Jahrhunderts. 


1) Die intereffante Stelle aus den Annalibus Minorum Tom. VII ad a. 1328 
$. 11 p. 81 ed. novae bei Mo$heim de Beghardis ©, 320. 

2) Schon Mosheim De Beghardis ©. 67. 201. 262. 484. 491 bat den Nach- 
weiß erbracht, daß der Name Fratricellen gerabe in den Schriften ber Gegner 
durchaus gleichbebeutend mit Begharden gebraucht worben ift. 





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Wenn man fich durch die Berichte der Inquifitoren und Durch 
bie befannte Seltenjpüreret der Härejiologen nicht die Augen hätte 
trüben laffen, würde man der Einwirkung der altevangelifchen &e- 
meinden auf das deutſche Geiftesleben längſt auf die Spur ge 
fommen fein. In den lanpläufigen Tirchengefchichtlichen Compen- 
bien findet man wohl Notizen über die Literatur der fogenannten 
„Selte des freien Geiſtes“, auf die wir alsbald zurückkommen wer- 
den, oder über die fogenannten „Lollharden“, die „Ortliebarier”, 
„Schweftrionen‘ und wie die fonderbaren Namen alle lauten, aber 
über den eigentlihen Hintergrund diefer großen Bewegung, über 
ihre Träger und deren Schriften fucht man vergeblich befriedigen- 
den Aufichluf. Ä 

Oder find e8 etwa lauter unbedeutende Köpfe gewefen, welche 
ben fittlihen Muth fanden, gegenüber -einer Weltmacht wie Die 
römische Kirche eine felbjtändige Meberzeugung zu vertreten? 

Es iſt ganz falih, wenn man durch gegnerifche Berichte und 
burch Analogien fpäterer Jahrhunderte verführt, bereits im 13. und 
14. Jahrhundert ein Gewirr heterogener Kirchengemeinfchaften auf 
deutſchem Boden zu finden wähnt. Allerdings gab es Sowohl in 
ber römischen Kirche wie in den „Gemeinden Chrifti“ unter dem 
Einfluß angeſehener Männer gewilfe Richtungen oder Schulen, 
aber im Grunde find es in ‘Deutfchland während jener Zeit Doch 
nur zwei große Strömungen, welche auf der einen Seite burch bie 
römifche Hierarchie, auf der anderen durch die fogenannten „Wal- 
denſer“ rvepräfentirt werben. 

Alle Geftaltungen geiftigen Lebens in jener Epoche beruhen auf 
großen, allgemeinen Impulfen und auf dem breiten Strom einer 
weit hinauf rveichenden Tradition. Wie in der Baufunft der ein- 
zelne Meifter wohl Einzelnheiten aus feinem geiftigen Eigenthum 
zu dem Entwurf eines Münſters binzufügt, deſſen Ausführung ihm 
übertragen ift, aber in allen Grundfragen fich doch ftreng an die 
traditionellen Formen und Mittel Hält, jo ift es auch mit ber reli- 
giöfen Literatur, die uns aus damaliger Zeit überliefert ift. 

Ja, man kann noch weiter gehen. Wie der Fachmann, welcher 
ein Monumentalbauwerf jener Sahrhunderte betrachtet, jofort er- 
fennt, ob e8 dem Kreife romanijcher oder gothifcher Kunft angehört, 


125 





fo ſieht auch der Hiftorifer, welcher die religiöfe Ideenwelt ber 
Chriftengemeinven einerſeits und der römifchen Kirche andererfeits 
kennt, auf den erſten Blick, ob ein Schriftventmal religidfer Art 
innerhalb dieſes oder jenes Kreifes erwachlen tft. 

Die Gejege, welche in der Baukunſt gültig find, laffen ven 
Kenner fogar dann über die Zugehörigkeit nicht in Zweifel, wenn 
er nur Bruchitüde, ja, nur Trümmer eines Kunſtwerks ald Be- 
obachtungsobjekt vor fich fiebt; die Form von Tragbalfen und Ge 
wölben, die Höhe und Stärke der Strebepfeiler, ja, ſelbſt folche Dinge, 
die dem Laien ganz gleichgültig erfcheinen, genügen für den Techniker, 
um die Principien des ganzen Baus mit Sicherheit anzugeben. 

Sollte für die religiöfe Literatur vielleicht etwas Aehnliches zu⸗ 
treffen? In der That find genau die gleichen Geſetze bier wie dort 
geltend und aus einem Sag, einer Wendung, ja, aus einem 
Wort kann man unter Umftänden fichere Schlußfolgerungen auf 
bie Frage machen, ob wir den römifchen oder den „chriftlichen‘‘ 
Lehrtypus vor uns haben. 

Die Wichtigkeit dieſes Grundgejege8 muß demjenigen einleuch- 
ten, welcher erwägt, daß fat fein einziger Schriftfteller waldenfifcher 
Herkunft e8 Hat wagen bürfen, fein ganzes Lehrgebäude öffentlich 
aufzubauen, und daß da, wo e8 gewagt worben ift, eben dieſer Bau 
jofort in Trümmer gefchlagen wurde,‘ 

Sp find leider aus dem Lager der unterlegenen Partei faft 
nur zerftücelte Literarifche Denkmale auf uns gekommen. 


Um die große geiftige Bewegung des Ketzerthums auch mit 
geiftigen Mitteln zu befämpfen, wurden durch die Curie felbft mehrere 
hervorragende Männer veranlagt, den gefährlichen Angriffen Mar- 
figlios und der „Ketzer“ entgegenzutreten. 

Das vornehmite Werk, welches aus diefer Titerarifchen Fehde 
auf Seite der römiſchen Partei entftanden ift, ift das Buch Des 
päpftlichen Pönitentiars Alvaro Pelayo, eines frommen Francis- 
kaners aus Spanien, welches den Titel führt „De planctu ecclesiae“ 
und einige Jahre nach dem „Friedensanwalt“ erfchienen ift!). 


1) Das Bud Hat feit 1474—1560 eine Reihe von Evitionen erlebt. Die 
letzte erſchien zu Venedig. 





126 


Als die Deutſchen unter Raifer Ludwigs Führung im Jahre 
1328 die Stadt Rom eroberten und Petrus von Eorbara, ein Ordens⸗ 
bruder des Alvarus, die päpftliche Krone als Gegenpapft annahm, 
befand ſich auch Alvarus in Rom. Er rettete fich durch die Flucht. 

Eine erbitterte Feindfchaft trennte von da an den Alvarus von 
Corbara und derjenigen Partei der Francisfaner, welche auf der 
Seite Kaiſer Ludwigs ftand. Papft Johann XXII. zeichnete den 
Alvarus befonders aus und berief ihn zu einflußreihen Aemtern 
nah Avignon. | 

Pelagius war im Gegenſatz zu Marfiltius von der Ueberzeugung 
durchdrungen, daß der römifche Papft feit Petri Zeiten als Urquell 
aller geiftlihen und weltlichen Gewalt zu betrachten fei. Der Papft 
Scheint dem, jagt er, welcher ihn mit dem Auge des Geiſtes be- 
trachtet, nicht ein Menfch, fondern ein Gott zu fein; feine Macht» 
fülfe ift ohne Zahl, Map und Gewicht. Er Tann für recht erklären, 
was er will, und kann Jedem feine Rechte entziehen, wie er es für 
gut findet. | 

Ein Zweifel an diefer Allgewalt hat die Ausfchliegung vom 
ewigen Heil zur Folge. 

Alvarus begt die Ueberzeugung, daß diefe Wahrheiten auch 
allgemein anerkannt fein würden, wenn nicht eine große Verwelt- 
lichung und Verderbniß in der Kirche eingerijjen wäre. Er bält 
diefe Verderbniß für fo fchlimm, daß er es einigermaßen erflärlich 
findet, wenn von den Keßern die Kirche mit der babylonifchen Hure 
verglichen werde. Es ſei eine allgemeine Verfinfterung eingetreten; 
ſelbſt Wohlgefinnte würden irre an dem Beruf der Kirche und bie 
Kegerei nehme immer mehr überband. 

Segen dieſe Letztere, als die fehwerfte Feindin der Kirche, ift 
dann ein wichtiger Abfchnitt von Pelagius’ Ausführungen gerichtet. 
Wenn man auch von dem Spanier und dem leivenfchaftlichen Feinde 
der „Sekten weder genauere Kenntniß der deutſchen Verhältnifie 
noch ein billiges Urtheil erwarten darf, fo find Doch feine Schilve- 
rungen aus mehreren Gründen und befonvers deßhalb wichtig, weil 
fie beweifen, daß die „Ketzer“ auch literariich zu einer Bedeutung 
gelangt waren, daß der Hof zu Avignon auch feinerfeits fie auf 
literarifhem Wege befämpfen zu follen glaubte. 











127 


„Meberaus zahlreich”, fagt Alvarus, „find in der jüngften Zeit 
in Italien, in Deutfchland, in der Provence (wo fie Begharden 
und Beghinen genannt werben) folche Leute, welche das Joch des 
wahren Gehorfams nicht tragen wollen. — Einige nennen fie Brü— 
der’, andere “vom armen Leben’, andere Apoſtel', einige 
Begharden', welche anſcheinend ihren Ursprung in Deutfchland 
haben und die dem Äußeren Menſchen nach auf die Welt zu ver- 
zichten fcheinen,..... aber fie füllen nur ihren Bauch an, fliehen 
die Arbeit, weil fie einen müheloſen Broderwerb gefunden haben”. 
„Ein fettes Leben fuchen fie, verbunden mit Freiheit und Müffig- 
gang; fie find ganz Hingegeben an Träumereien und fortwährendes 
Umberfchweifen‘‘ 1). 

„Die Apoftolifchen und Begharven‘‘, fährt unfer Autor fort, 
„beiiten Keinen feften Wohnort, auch tragen fie nichts mit ſich auf 
ihren Reifen; fie machen ſich ein Gewiffen daraus, Etwas von Je⸗ 
mandem zu erbitten; auch wollen fie nicht Körperliche Arbeit thun, 
da fie fortwährend beten, um nicht in Verfuchung zu fallen”, 

Alvarus findet diefe Weigerung des Arbeitens um fo tadelns- 
werther, weil, wie er fagt, einzelne von ihnen früher Handwerker, 
nämlich Bauleute, Eifenfchmiede u. f. w. gewefen ſeien. Früher 
hätten fie fich redlich mit ihrer Hände Arbeit genährt, jett feien 
fie von der Arbeit zum Nichtsthun herabgefunfen. 

Es ift zwar unrichtig, wenn Pelagius meint, daß die „Beghar⸗ 
den” ihren Ursprung in Deutjchland Hätten, aber etwas Wahres 
lag infofern in feiner Behauptung, als die „Brüder“ um das Jahr 
1330 in der That ihren Hauptftügpunft in Deutjchland Hatten. 

Ein Straßburger Chronift berichtet zum Jahre 1317, das Keker- 
thum fei fowohl unter den Brieftern wie unter den Laien, unter 
- Weltgeiftlichen wie unter den Mönchen fo allgemein gewefen, daß „es 
hier das ganze Elſaß einnahm” 2). Die Didceje hatte damals einen 
Biſchof, welcher ſich nach dem Urtheil römischer Chroniften durch 
ben Eifer, den er in ber Verfolgung der „Ketzer“ an den Tag legte, 
beſonders verdient gemacht hat?), Johann von Ochfenftein (} 1328). 


1) Bgl. die Auszüge bei Mosheim De Beghardis ©. 287 ff. 
2) C. Schmidt Joh. Tauler ©. 7. 
3) Wimpheling Catal. Episc. Argentin. p. 78. 


128 


Im August 1317 Tieß diefer ein Eircularjchreiben an die Geift- 
Iichfeit feiner Didcefe ergehen — wir werden auf daſſelbe zurüd- 
fommen — in welchem er, gemäß den Befchlüffen der Synode zu 
Mainz (1310), die Ausrottung der „Begharden“ anbefiehlt. Es 
waren zum Theil ſehr harte Beftimmungen. 

Doch Hatte das Edict, wie eine bald darauf Durch den Biſchof 
perjönlich geleitete Kirchenvifttation ergab, wenig Erfolg. 

Wir befigen ein Dekret Bapft Johanns XXI. d. d. Avignon 
aus 1321, woraus erhellt, daß der Biſchof die Curie um weitere 
SInftruftionen bitten mußte. Jener, jagt der Papft !), habe ange 
zeigt, daß in feiner Diöcefe ebenjo wie in dem mehreren Theil 
Deutfhlande fogenannte „Begbinen” in großer Menge?) 
vorhanden feiern. 

Diefe Beghinen lebten gemeinfam und trügen eine befondere 
Tracht; auch feien fie arm und befäßen einen erlogenen Schein von 
frommem Lebenswandel. Sie fetten fich einen Dann ihrer Sefte 
als „Idol“ und unterwürfen fich ihm gleihfam wie ihrem Haupte 3). 
Einige von ihnen wanderten umber von Ort zu Ort. Sie hätten 
bie Anmaßung, über die böchfte Trinität, über den Gehorſam gegen 
die Kirche und über die Artikel des Glaubens unbebacht zu Disputiren. 

Gegen dieſe Seltirer einzufchreiten ertheilt ver Bapft dann dem 
Biihof die Ermächtigung. 

Das Straßburger Ediet von 1317) ift deßhalb beſonders in⸗ 
tereſſant, weil es ausdrücklich auf die Literatur dieſer Ketzer Bezug 
nimmt. Der Verfaſſer des Erlaſſes, welcher dieſe Literatur gekannt 
haben muß, unterſcheidet drei Gattungen: 1) Bücher oder Abhand⸗ 
lungen, 2) Gedichte und 3) Lehrſtücke oder Regeln:) und fügt Hinzu, 
daß alle derartigen Geiftespropufte zugleich mit ihren Verfaſſern 
verdammt ſeien. Sedermann, welcher folche Schriften befite, Tolle 


1) Das Dekret ift wörtlich abgebrudt bei Baluze Vitae Paparum Avigno- 
nens. Paris 1693. Vol. II 436 ff. 

2) „In pluribus Alemanniae partibus in copiosa multitudine“ lauten die 
Worte. 

3) „Unum sibi ejusdem sectae idolum erigentes se illi velut Gapiti.... 
subjecerunt“, 

4) Daffelbe ift abgebrudt bei Mosheim De Beghardis p. 255. 

5) 1) Scripta 2) Cantilenae 3) Doctrinae Mosheim a. O. ©. 259. 





129 


fie binnen vierzehn Tagen einliefern, da ſie ſämmtlich verbrannt 
werden jollen. 

Um diefelbe Zeit als Bischof Johann von Straßburg mit ven 
Ketzern feiner Diöcefe in einem vergeblichen Kampfe lag, fpielten 
fih zu Köln unter Erzbifchof Heinrich von Virneburg ganz ähnliche 
Vorgänge ab!). Diefelben intereffiren uns bier befonders deßhalb, 
weil darin auf die Literatur der „Begharden“ und auf einen da⸗ 
mals berühmten Schriftfteller Diefer Partei, Namens Walther, Bezug 
genommen wird. 

Im Jahre 1322 berief Churfürft Heinrich von Köln die Bifchöfe 
von Osnabrüd, Minden und Münfter zu einer Zufammenkunft, 
um Maßregeln wider die „Sekten zu berathen. ‘Die Quelle, welche 
ung über diefe Synode berichtet, erzählt ausbrüdlich, daß. auf der- 
felben ein gewiffer Waltherus als Magifter der Sekte und böchft 
gefährlicher Menſch bezeichnet worden ſei?). Weber defien jchrift- 
jtelleriiche Thätigkeit und über feine weiteren Schickſale wird be- 
richtet: „Der Meagifter und Lehrer, Walther mit Namen, ward, 
nachdem er von Mainz nah Köln gelommen war und feine in 
de utſcher Sprache abgefakten Schriften unter das Volk gebracht 
hatte, ergriffen und in das Gefängniß geworfen; vor feiner Hin- 
richtung befannte er, daß er viele Schüler feiner Lehre ſowohl in 
der Stadt als in ven benachbarten Gegenden zurüd Laffe‘ 3). 

Die Titerarifche Wirkſamkeit dieſes Walther bat fchon die Auf⸗ 
merkſamkeit des gelehrten Abtes von Spanheim, Joh. Tritheim 
(f 1516), erregt, welcher in ven Quellen feiner Chronik von Hirfau 
Nachrichten darüber vorgefunden bat. 

Er erzählt über Walther Folgendes: „Im angeführten Jahr 
ward ein gewiffer Häretifer, Walther mit Namen, ein Haupt der 
„Brüber"4) und ein gefährlicher Härefiarh, der viele Jahre Hin- 


1) Die Quellen über dieſe Kölnifchen Kämpfe fließen ziemlich reichlich und 
diejelben erhalten ein befonderes Interefie durch Die Verwicklung Meifter Edarts 
in die Keßerprogefie. Gleichwohl fehlt eine zufammenbängende Würdigung. Einiges 
bei Binterim Deutfche Eoncilien VI, 132. gl. ferner Joh. Vitorudani Chro- 
nicon ed. G. de Wyss ad a. 1328. — Matthäus, Veteris aevi analecta II, 643; 
Joh. Bictorienf. bei Böhmer Fontes I, 40 etc. 

2) Schaten Annales Paderb., 1775 Tom. II, p. 177sq. 3) Ibid. II, 178. 

4) Es ift fein Zweifel, daß ber Ausdruck „Fratricelli“ von Frichenn, bezw. 


Keller, Die Reformation. 


130 


durch verborgen geblieben war und viele in feine gefährlichen Irr⸗ 
lehren verwidelt hatte, bei Köln ergriffen und durch Richterſpruch 
dem Feuer übergeben und verbrannt. Er war ein Mann voll des 
Teufels, vor allen Anderen geſchickt, beharrlich in feiner Irrlehre, 
Hug in feinen Antworten, im Glauben 'verberbt und Tonnte Durch 
feine Verjprehungen, feine Drohungen, ja felbjt durch die furcht- 
barften Folterungen nicht dahin gebracht werben, daß er feine Mit- 
ſchuldigen, deren e8 doch viele gab, verrieth. — Dieſer Lollharde 
Walther, von Herkunft ein Niederländer, Hatte geringe Kenntniß 
ber Iateinifchen Sprache und fehrieb die zahlreihen Schriften 
feines Srrglaubens, da er es in römifcher Rede nicht konnte, in 
deutfcher Sprache nieder und theilte fie denjenigen, die er betrogen 
und verführt hatte, ganz heimlich mit. Da er die Umkehr und 
den Widerruf zurüdwies und auf das ſtandhafteſte, um nicht zu 
jagen hartnädigfte, feine Irrlehren vertheidigte, ward er ind Teuer 
geworfen und ließ nichts als feine Aſche zurüd” 1), 

Daß die fogenannten „Begharden“ eine umfangreiche deutſche 
Literatur erzeugt und befeffen baben, gebt deutlich hervor aus Dem 
Mandat Kaifer Karls IV., welches diefer unter vem 17. Juni 1369 
von Lucca aus in das Reich erließ). Daffelbe iſt ausſchließlich 
gegen bie „deutſchen Bücher” der Begharden und Beghinen gerichtet, 
zu beren Vernichtung alle Erzbifchöfe und Biſchöfe, ſowie alle Her- 
zöge, Fürſten, Markgrafen u. ſ. w. aufgefordert werden. Es Tiegt 
den Inguifitoren ob, fagt der Kaifer, die Bücher, fowohl diejenigen 
der Weltlihen wie der Geiftlichen zu unterfuchen und zwar „ber 
fonders deßhalb, da es den Laien beiverlei Geſchlechts 
auf Grund der faiferliden Vorfähriften nicht erlaubt 
ift, irgend welde Bücher in deutſcher Sprache über Die 
h. Schrift zu gebrauchen”), um nicht in die Kegerei verführt 


feiner Duelle bier im allgemeineren Sinne für bie Sekte der „„Brüber‘ gebraucht 
iftz im engeren Sinn nannte man eine Richtung im Francisfanerorben „Frairi- 
celli*. — Tritheim ibentifieirt an einer anderen Stelle die Ausprüde Beghardi 
et Beguinae und Fratricelli. . 

1) Mosheim De Beghardis ©. 273. 

2) Bollftändig abgebrudt bei Mosheim De Beghardis ©. 368 ff. 

3) „Praesertim cum laieis utriusque sexus secundum canonicas sanctiones 
etiam libris vulgaribus quibuscungue de sacra scriptura uti non liceat*. Auf 


131 


zu werden, in welcher gegenwärtig die „Begharden und Beghinen“ 
leben. Alle, an die das Mandat gerichtet ift, follen den Inquiſi⸗ 
toren mit vollem Gehorſam beiftehen und Jedermann zur Präfen- 
tation ſolcher Bücher unter Ausschluß des Rechtsweges zwingen. 


Natürlich bat das Mandat die Wirkung gehabt, daß von Diefer 
Literatur ein erheblicher Theil vernichtet worden if. Aber follte 
wirklich nichts davon erhalten fein? 

Schon Mosheim bat in Beantwortung diefer Frage auf den 
Tractat des „Begharden“ Gerardus bingewiefen, welcher im Jahr 
1747 nad Ausweis eines Katalogs in einer öſtreichiſchen Benedic- 
tiner-Bihliothef vorhanden war ?). 

Neuerdings hat ferner Denifle mit vollem Recht darauf auf- 
merkſam gemacht, daß ber bisher an den Namen des Meifter Edart 
angefnüpfte Tractat: „Daz ist Swester Katrei, Meister Ekehar- 
tes Tohter von Strazburg“ wenigjtens zum Theil begharbifchen 
Urfprungs fei 2). 

Aber ich glaube, daß, ſobald man der Sache näher nachgeht, 
ſich noch ganz andere Schriften als Erzeugniſſe der Waldenſer⸗ 
Literatur herausſtellen werden. 

Mosheim hat die nicht unbegründete Vermuthung ausgeſprochen, 
daß der im Jahre 1325 hingerichtete Waldenſer⸗Apoſtel Walther 
der Verfaſſer der „beghardiſchen“ Schrift „Von den neun Fel— 
fen” ſeis), welche damals nachweislich unter den Waldenſern ſehr 
befannt und verbreitet war. 

In dem Edikt des Bifchofs Johann von Straßburg vom 13. Aug. 
1317 wird auf dieſe Schrift durch die ausprüdliche Erwähnung ber 
„Neun Felſen“ angefpielt). 


die Unklarheit des Ausdruckes „de sacra scriptura“ bat ſchon Mosheim a. O. 
S. 375 aufmerkſam gemacht. In der Praxis wandte man das Mandat auf alle 
religiöſen deutſchen Schriften an. 

1) Mosheim a. O. S. 376 Gerardus De spirituali exercitatione repara- 
tionis lapsus nach M. Kropff Bibl. Benedicto-Mellicensis Vindob. 1747 p. 218. 

2) Denifle Duellen und Forſchungen Bd. 36. Der Tractat b. Pfeiffer 
Deutſche Myſtiker I, 448 ff. 3) Mosheim De Beghardis ©; 247. 

4) Dies ift zuerft von T. W. Röhrich Ztſchr. f. hiſt. Theol. 1840 I. ©. 131 
bemerkt und ausgefprochen worden. 

9* 


132 


Nun ift uns ein Buch, welches den Titel „Von den neun 
Selen” führt, erhalten und zwar, was beſonders wichtig ift, in 
mehreren Nebactionen, die unter fich erheblich abweichen. 

Wir befigen ein Exemplar deſſelben, welches im Jahre 1352 
von Bem Straßburger Patricier Rulman Merjwin, den wir als- 
bald kennen lernen werben, nievergejchrieben und überarbeitet wor⸗ 
ven ift!). Es fteht feit, daß die Infalfen der Johanniter⸗Commende 
zu Straßburg, welche jene Merfwinjche Handſchrift befaßen, ber 
Anſicht waren, dag ber Schreiber auch der Verfafjer fei. Allein, 
daß die Johanniter in ähnlichen Punkten ganz ununterrichtet waren, 
wird fich fpäter zeigen. 

Diefe Merſwinſche Bearbeitung ift dann die Vorlage für eine 
andere geworden, welche jeit uralten Zeiten unter die Schriften 
Heinrich Suſos Aufnahme gefunden Hat und in den gebrudten 
Ausgaben dieſes Myſtikers fich regelmäßig wiederholt findet. 

Es galt deßhalb Bis in unfer Jahrhundert hinein 9. Sufo 
unbeftritten als der Verfafjer ver „Neun Felſen“ — eine An- 
ficht, die in ihrer Unbaltbarfeit längft allgemein erfannt tft. 

Diefe Suſoſche Redaction nämlich Hat fich einfach als ein Aus⸗ 
zug aus der Merfwinfchen Edition entpuppt — ein Auszug frei- 
lich, der nach ganz beftimmten Gefichtspunften angefertigt ift. 

Geftrichen find nämlich diejenigen Stellen, welche dogmatifch 
anftößig fchienen, z. B. ein Paſſus über gottesfürchtige Heiden und 
Juden, den wir fofort erwähnen werden. Uber dabei ift e8 leider 
nicht geblieben. Vielmehr ift einiges gefliffentlih gefälfcht; To 
beißt e8 bei Sufo: „Wiltu wilfen, was die Juden ertödtet Hat? 
Wille, Das that der Geiz der Ju den und ihre heimliche Sünde“, 
während e8 bei Merfwin heißt: „Du follft wiffen, das that ber 
Chriftenheit Geiz” 2). 

Wenn man den Inhalt des ung erhaltenen Büchleins mit ben 
angeblichen „Irrlehren“ der Begharden vergleicht, wie fie das Mandat 


1) Nach diefer Handfchrift herausg. von C. Schmidt Leipzig ©. Hirzel 1859. 

2) Das Nähere bei C. Schmidt Das Buch von den neun Feljen Leipzig 
1859 Vorrede S. VI. Im diefer verunftalteten Form ift das Buch abgedrudt in 
Diepenbrods Ausg. von Suſos Werken (Regensburg 1829) fowie von Ludwig 
Hofmann al8 befondere Schrift im Jahre 1841. 


133 


vom 17. Auguft 1317 namhaft macht, jo tritt fofort zu Tage, daß 
der Verfaſſer des Edikts wenigſtens einen Theil unferer Schrift 
gekannt haben muß. 

Das erhaltene Büchlein macht es ſich unter Anderem zur Auf⸗ 
gabe, in ausführlicher Deduction den Nachweis zu erbringen, wie 
es Gottes Barmherzigkeit widerſpreche, alle Heiden und Juden der 
ewigen Verdammniß zu übergeben !), und eben dieſe Theorie wird 
dann von der Straßburger Inquifition als beghardiſche Härefie 
verbannt. 

Im vorigen Jahrhundert bat Joh. Laurentius Mosheim die 
Handichrift eines Büchleins gekannt und benutt, welches gleichfalls _ 
ben Titel „Von den neun Zelfen” führte, und von dem er fagt, 
daß die Neun Felſen in der Lehre der Sekte, aus deren Schooß 
es ftamme, neun Stufen bebeuteten, welche ver Menſch, der Gott 
* Tiebt, emporklimmen muß, um zur Vereinigung mit ihm zu ge- 
langen 2). Mosheim legt die Entftehungszeit diefer Schrift in das 
13. Jahrhundert und jagt ausprüdlich, daß biefelbe ſehr verjchieben 
fei von derjenigen, welche Suſo unter demjelben Titel herausge- 
geben und gejchrieben habe. Er belegt dies auch durch einige kurze 
Säke, die er aus feiner Handjchrift giebt?), und die fich in der That 
bei Sufo nicht finden, Eine Vergleichung biefer Süße mit der 
Merfwinfchen Bearbeitung ergiebt, daß auch Die Letztere dieſelben 
nicht gefannt bat. 

Gleichwohl Tann ſchon jest mit der größten Wahrfcheinlichkeit 
behauptet werben, daß die Mosheimſche Handſchrift nichts Anderes 
it ald eine Dritte Nedaction deſſelben Büchleins, welches wir heute 
befigen. Nur daß vielleicht Diefe urfprüngliche Form fich wirklich 
jehr erheblich von den Bearbeitungen des 14. Jahrhunderts unter- 
jheibet, die, wie jede nähere Einficht ergiebt, fehr ſtark verwäffert 
und unendlich in die Breite gezogen find). . 

1) & Schmidt a. ©. ©. 55 ff. 

2) 3. 2. Mosheim Institutionum Histor. eccles. Libri IV. Helmstadii 1755. 
©. 552 ff, 

3) N ift zu bedauern, daß es nur jo kurze Bruchſtücke find, welche Mos⸗ 
beim giebt, und daß er nicht angiebt, woher er feine Handſchrift erhalten hat. 


Die Wiederauffindung derſelben würde von Werth fein. 
4) Mit welcher Willkür Rulman Merfwin alte Vorlagen bisweilen ver⸗ 


134 

Die Procedur, welche bereits im 14. Jahrhundert auf folche 
Weile mit dem Büchlein „Von den neun Feljen” vollzogen ift, legt 
die Vermuthung nah, daß vielleicht auch andere ähnliche Schriften 
das gleiche Schickſal erfahren Haben, nur daß man es nicht überall 
nachweifen Tann. 

Wir befiten eine Reihe von Schriften, deren innere Aehnlich⸗ 
feit mit den Ideen des Vüchleins „Von den neun Felſen“ Tängft 
anerkannt ift, fo 3. B. die Schriften „Von der geiftlichen Leiter“ 
und ber „Geiftlihen Stiege” u. A. Sollten dieſelben etwa gleich- 
falls „beghardiſchen“ Uriprungs fein?!) 

Bielleicht Tein Büchlein aber ift in feinen Grundgedanken näher 
mit den Neun Felfen verwandt als das fogenannte „Meiſterbuch“, 
welches unter dem Titel „Hiftorievon Taulers Belehrung“ 
in vielen Auflagen und Ausgaben befannt und verbreitet ift. 

Mit vollem Recht fagt Denifle bei der Befprechung dieſes Buchs 
gelegentlich: „Das Meiſterbuch erjcheint auch bier wie immer als 
eine weitere Ausführung einzelner Punkte im Büchlein von den 
neun Felſen“?). 

Die Trage nah dem Zuſammenhang diefer Schrift mit einem 
„beghardiſchen“ Geiftespropuft wie die „Neun Felſen“ nimmt dep- 
halb ein beſonderes Intereffe in Anfpruch, weil, wenn eine wirk⸗ 
liche Geiftesnerwandtfchaft vorhanden fein follte — wie fie denn 
ganz unzweifelhaft vorhanden ift — bamit ber Beweis erbracht fein 
würde, daß dieſe verachteten „Begharden“ wenigftens mit einer ihrer 
Schriften fünf Jahrhunderte hindurch auf viele Dunbertiaufende 
einen großen Einfluß ausgeübt haben. 

Welcher Werth jchon feit dem Mittelalter von Geiſtlichen, Ge⸗ 
arbeitet und entſtellt hat ſ. bei Jundt Les Amis de Dieu ©, 23, Dieſe Be- 
arbeitungen haben in ber Regel den Bildern Saft und Kraft genommen. Auch 
den „Neun Felfen“ fehlt e8 in ihrer uns heute bekannten (Mierfwinfchen) Geftalt 
jehr an Tiefe und Selbſtändigkeit. 

1) Auf die „Neun Felſen“ wird auch in einer Handſchrift Bezug genommen, 
in welcher Denifle Quellen und Forſchungen Bd. 36 S. 137 ff.) den Tractat: 
„Von den drien fragen, in dien beschlossen ist anvahent, zunement und voll- 
kommen leben“ gefunden bat. Bol. Denifle a. DO. ©, 39. 

2) Quellen und Forfhungen zur Sprach⸗ und Eulturgefchichte der Germ. 


Völker Bd. 36 S. 119. — Dies Refultat beftätigt Jundt Les Amis de Dieu 
1879 ©. 182, ber im Uebrigen bon ganz anderen Geſichtspunkten ausgeht. 





135 


Iehrten und Laien dieſer merkwürdigen Schrift beigelegt ward, fieht 
man daraus, dag man feit alten Zeiten bi8 auf unfere Tage ber 
Anficht war, Fein Anderer als Johannes Tauler fer der Held 
ber Hiftorie. Thatſächlich eriftirt Teine einzige ältere gedruckte Aus- 
gabe von Taulers Predigten, in welcher nicht zugleich die Gefchichte 
ver Belehrung enthalten wäre. Ja, Zauler verdankt, wie SDenifle 
mit Recht beroorhebt, eben diefem Büchlein einen Theil feines 
Ruhmes). 

Wie lebhaft die Nachfrage und wie groß die Wirkung ver Heinen 
Schrift ſchon im 14. und 15. Jahrhundert gewefen tft, Tann man 
aus der relativ großen Anzahl von Hanpfchriften ſchließen, die bis 
jetzt davon wieder aufgefunden worden ſind?). 

Daß nun aber Tauler nicht der Held der Geſchichte, auch an 
der Abfaſſung nicht betheiligt iſt, haben die Forſchungen Denifles 
mit Evidenz feſtgeſtellt. 

Es hat dieſes Reſultat nicht nur nichts Auffallendes, ſondern 
es ſteht mit zahlreichen analogen Erſcheinungen im vollſten Einklang. 

Eben dem Johannes Tauler iſt z. B. ſeit uralten Zeiten ein 
Sendſchreiben an die Chriſtenheit beigelegt und in den 
gedruckten Sammlungen ſeiner Briefe wiederholt worden ?), welches 
unzweifelhaft einem anderen Autor angehört‘). Und dies ift um 
jo beachtenswerther, weil dieſes Sendfchreiben feinem Charakter nach 
auf denfelben Autor hinweift wie das „Meifterbuch” und die „Neun 
Felſen“ — ein Umftand, welcher ergiebt, dag diejenigen Perfonen, 
welche mit Erfolg die Meinung in Umlauf jegten, daß Tauler der 
Berfaffer fei, eine gewilfe Aehnlichkeit zwiichen Tauler und jenen 
Schriften gefunden haben müſſen. Und wenn nicht wirklich eine 
getwiffe Verwandtſchaft vorhanden gewefen wäre, fo würde nicht erft 
in unferen Tagen bie Verſchiedenheit der Verfaſſer an das Licht 
kommen. 

Ganz ähnlich wie Johannes Tauler iſt es dem Meiſter Eckart 

1) Denifle Quellen und Forſchungen Bd. 36 ©. 111. 

2) Denifle Hat deren allein aus den Jahren 1425—1486 eilf ermittelt. 

3) Kölner Ausgabe von Taulers Werken 1543 fol. 323°, 

4) C. Schmidt Joh. Tauler 1847 S. 187, welcher dies zuerft dargethan 


hat, nennt Rulman Merfwin al8 Verfaſſer. Wer verfelbe auch geweſen fein 
mag, fo ift fo viel ficher, daß Tauler e8 nicht if. 





136 


ergangen. Auch an feinen Namen find anonyme Schriften ange 
fnüpft worden, welche zum Theil der Literatur der Begharden an- 
gehören. | 

Wenn nun Tauler weder der Held der „Hiſtorie“ noch an 
der Abfaſſung betheiligt ift, jo entfteht Die Trage, wen wir dann 
als Urheber anzujehen haben. 

Es Tann im Allgemeinen als erwiejen gelten, daß der Ber- 
faffer fein fchulmäßig ausgebildeter Theologe der römiſchen Kirche 
geweſen ift. Auch hat Denifle vom römifchen Standpunkt aus die 
„Rechtgläubigkeit“ des Autors ernftlich in Zweifel gezogen. Ob es 
wahr ift, daß das Buch, wie Denifle fagt, „den Priefterjtand in 
allen feinen Funktionen bloßſtellt“), möchte ich dahingeſtellt fein 
laſſen. 

Bei der großen Bedeutung, welche die Schrift für die deutſche 
Literatur gewonnen hat, erſcheint die Löſung der Trage nach dem 
Autor allerdings von großer Erheblichkeit. 

Ein zutreffendes Urtbeil darüber aber wird, wie ich glaube, 
nur durch die Vergegenwärtigung feines Inhalts fich ermöglichen 
laſſen, und ich halte es daher, ehe ich meine Anficht äußere, für 
geboten, einen möglichit getreuen Auszug aus dem berühmten Bude 
zu geben. 


Von Straßburg aus — fo lautet die Erzählung — war ber 
Ruf eines Meifters der h. Schrift bis in die Einfiebelei eines „Gottes⸗ 
freundes” gebrungen, welche diefer im „Oberland bewohnte. Da 
machte Iener fih auf gen Straßburg, um den großen Prediger 
fennen zu lernen, und als er ihn fünfmal gehört hatte, da fagte 
er fich, dag der Meifter das Werkzeug werben könne, durch welches 
Gott Großes wirken möchte, und er fuchte ihn auf und bat ihn, 
daß er feine Beichte hören möge. So Tamen die beiven Männer 
zuerft in Berührung, und e8 gefchah, daß fie Freunde wurden. Als 
nach einer Reihe von Wochen der Laie wieder abreifen wollte, da 
bat der Meiſter ihn, daß er bleiben möge, und fagte ihm zu, daß 
er ihm ferner predigen wolle. Da fprach der Laie: „Lieber Meilter, 
ihr ſollt fürwahr wilfen, daß ich nicht bin gefommen um eurer 


1) Ouellen u. 5. Bd. 36 ©. 118, 


137 


Predigt willen!), ich Fam darum ber, daß ich gedachte, ich follte mit 
der Hülfe Gottes etwas Rath ſchaffen“. Antwortete ver Meifter: 
„Was Rathes wollteft du jchaffen, du bift doch ein Late und ver- 
fteheit die Schrift nicht und gebührt dir auch nicht, dag du folleft 
predigen”. Darauf fprach ver Late: „Herr Meifter, ihr feid ein 
großer Pfaffe und ihr habt in eurer Predigt gute Lehren gethan, 
ibr lebt aber felber nit Darnach und redet dazu etwas und 
fprecht zu mir, ich ſoll bleiben, ihr wollet mir noch eine Predigt 
tun. Herr, ihr follt wiffen, daß eure Predigt und die äußeren 
Worte, die man in der Zeit reden mag, in mir nichts fchaffen 
mögen, denn fie haben mich unterweilen mehr gehindert denn ge- 
fördert. Ihr Habt doch felber geprebigt: wenn ber höchſte Meeifter 
alter Wahrheit zu dem Menſchen kommen jolle, fo müſſe diefer ledig 
und 108 werden aller vergänglicen Dinge Wiffet, wenn der- 
felbe Meifter zu mir fommt, fo lehret er mi mehr in 
einer Stunde, denn ihr und alle die Xebrer, die von 
der Welt find, bis an den jüngſten Tag thun möchten”, 
Und diefe Worte drangen wie Pfeile in des Meifters Herz. Aber 
wie mag man der Erleuchtung und der Nähe des göttlichen Getftes 
theilhaft werben, die uns in einer Stunde mehr lehrt als alle Lehrer 
der Welt in Ewigkeit? Auch darauf gab der Laie ihm Antwort; 
Ihr müßt die Lehre leben, die ihr lehrt, und bie Liebe, die ihr 
predigt, Durch die That beweifen. Ihr ſeid geneigt zu den Crea- 
turen, und euer Herz hängt an Dingen diefer Well. Sp lange 
ihr aber nicht ein reines, lieb habendes Herz durch Selbitentfagung 
und Aufopferung befitt, jo lange feid ihr wie ein unreines Faß; 
nur der Wein, der durch reine Schläuche geht, will Freude und 
Gnade bringen. 

„Herr, ihr jollet wiſſen, daß ihr viel guter Lehre habt gegeben 


1) Dem nachfolgenden Auszug aus dem Meifterbuch ift diejenige Ausgabe 
defielben zu Grund gelegt, die zu Baſel im Jahre 1521 erfchienen ift, nämlich: 
„Joannis Tauleri des heiligen Lerers Prebigten u. ſ. w. Gedrudt zu Bafel bei 
Betri 1521” fol. BL. a—c, Die neuefte Ausgabe if: C. Schmidt Nic. von 
Baſels Beriht von der Belehrung Taulers Straßb. 1875. — Im Jahre 1865 
ift das Meifterbuch abgedruckt worben in der Ztfchr. „Damaris“ herausg. bon 
Giefebreht und Böhmer Stettin 1865 ©. 148—210. Faft alle Ausgaben von 
Tauler enthalten das Bud, 


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in eurem Sermon. Aber mir fiel ein Bild ein, dieweil ihr pre- 
Diget, das war recht, al8 wer da nähme guten Haren Wein und 
menget den mit Hefe, daß er trüb wird”. Da fprach der Meifter: 
„Sieber Sohn, wie meinst Dur Dies?” Sprach der Dann: „Ich meine, 
daß euer Faß unrein ift und Elebet noch viel Hefen daran und das 
liegt daran, daß ihr euch Habt vom Buchſtaben töbten laſſen, und 
er tödtet euch noch alle Tage und alle Stunde und ihr wiſſet Doch 
felber wohl, dag die Schrift ſpricht: der Buchftabe töbtet und der 
Geift macht lebendig Nun wifjet, derfelbige Buchftabe, der 
euch num tödtet, derfelbige Buchftabe wird euch wohl wieder lebendig 
machen, alfo fern als ihr felber wollt. Aber in dem Leben als ihr 
noch feid, fo wißt, daß ihr noch nicht Lichtes habt, fondern ihr feid 
in der Nacht, darin ihr den Buchftaben wohl möget erkennen, aber 
die Süßigkeit des 5. Geiftes Habt ihr noch nicht geſchmeckt. Dazu 
fo jeid ihr noch ein Phariſäer“. 

Da fprach der Meijter: „Lieber Sohn, du follft wiffen, daß 
ih jo alt worden bin und dag mir nie foldhe Worte wurden zu- 
gefprochen”. Sprach der Mann: „Nun will ich euch zu dem erften 
jagen, wie das kommt, daß euch der Buchftabe tödtet. Lieber Herr, 
ihr wiffet felber wohl, da die Zeit Tam, daß ihr Böſes und Gutes 
unterjcheiden lerntet, da fingt ihr an, den Buchftaben zu lernen. 
Bei diefem Lernen aber juchtet ihr eueren eignen Nugen und noch 
heut des Tags feid ihr im demfelbigen Sinn, d. h. ihr getröftet 
euch euerer vernünftigen finnreichen Meeifterjchaft in der h. Schrift, 
aber ihr Habt nicht ganz in euch, daß ihr Gott allein lieben 
ſollt; ihr meinet und fuchet euch felber und nicht die Ehre 
Gottes, während uns doch darauf die Schrift weifet. Ihr ſeid ge- 
neigt zu den Creaturen und fonderlich zu einer Ereatur (d. h. euch 
ſelbſt) gegen die göttliche Ordnung. Und das ift auch der Grund, 
weßhalb euch der Buchſtabe tödtet. Und daß ich gefprochen babe, 
daß ihr ein unreines Faß habt, das iſt infofern wahr, als ihr Gott 
nicht meinet in allen Dingen. Wenn ihr euch felbjt prüft, werbet 
ihr es finden. Und darum, fo der reine lautere Wein der gött- 
lichen Lehre durch ein unreines Faß gehet, dann kommt es, baf 
dem reinen liebhabenden Herzen eure Lehre nicht ſchmeckt noch Frucht 
bringt. Und daß ich Sprach, ihr wäret noch in der Nacht, das ift 





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auch wahr, das fiehbt man daran wohl, daß alfo wenige Leute 
lauterlih und empfänglich werben bes h. Geiſtes non euerer Lehre. 
Und daß ich fprach, ihr wäret ein Pharifäus, das ift auch wahr, 
aber nicht der falfchen Pharifäer einer. Hatten die Pharifäer nicht 
an fih, daß fie fich jelber Tieb hatten und meinten fich felber in 
allen Dingen und nicht die Ehre Gottes?“ 

Und da der Mann diefe Worte gefprochen hatte zu dem Meifter, 
da nahm ihn der Meifter und umfing ihn und füßte ihn und ſprach: 
„Mir tft ein Gleichniß eingefallen: mir ift gejcheben, wie der heib- 
nifchen Frau bei dem Brunnen geſchah. Du follft wiſſen, lieber 
Sohn, daß mir von dir alle meine Gebrechen geoffenbart find, und 
du baft mir gejagt, was ich in mir heimlich verborgen hatte. Nun, 
lieber Sohn, ich bitte dich, du feieft mein getftlicher Vater und 
laß mich fein deinen armen fündigen Sohn”. Da ſprach der Mann: 
„Wollet ihr alfo wider Ordnung reden, fo bleib ich mit nichten bei 
euch, ſondern ich fahre wieder heim, das follet ihr fürwahr wiſſen“. 
Da ſprach der Meifter: „Ach nein, durch Gott, das thuet nicht, 
ich will dir gern geloben, daß ich nicht mehr alfo reden will. Ich 
babe Willen mich zu befjeren mit der Hülfe Gottes und nach deinem 
Rath; was dich gutdünket, danach will ich mich willig richten, zu 
beſſern mein Leben”. Da ſprach der Mann: „Ich ſage euch für- 
wahr, daß mancher Meifter der h. Schrift und Schriftgelehrte, der 
feine Kunſt wohl kann und jeden Buchftaben weiß, der in der Schrift 
ftebt, gleichwohl in ſchweres Leid im Jenſeits kommen wird, je nach- 
dem fein Leben Hier gewefen iſt“. Es liegt eine große Verant⸗ 
wortung darin, daß Iemand die Schrift Tennt und fie Dennoch 
nicht übet. 

Da fprach der Meifter und bat, daß ibm ber Laie feine eigene 
Geſchichte erzählen möge und wie er den Weg gefunden babe, auf 
dem er jet ſei. Der Mann antwortete: „Das erjte, was Noth 
thut, ift eine gar gelaffene, grundlofe Demuth. Auch ich, ſagte 
er, babe lange geglaubt, daß man mit Uebungen äußerer Askeſe 
(wie fie in den Klöftern getrieben ward) zum inneren Trieben ges 
langen könne, und babe verjucht, mein Fleiſch zu tödten, und ich 
ward alfo krank, daß ich gar nahe geftorben war. Denn ihr follt 
wiſſen, lieber Herr, ich hatte damals die h. Schrift noch nicht, wie 


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ihr fie habt. Aber während ich mich fo Tafteiete und übte, fühlte 
ih in mir eine Stimme, die mir fagte, es ſei beifer, wir Tießen 
uns von Gott übent), und ich fah zudem, daß ich troß aller Uebung 
in der Selbſtbeherrſchung und Abtödtung nicht demüthiger ward, 
fondern im Gegentheil batte ich allerlei hochmüthige Anfechtungen 
und glaubte, ich würde etwas erfinden, das da über alle finnliche 
Vernunft wäre. Doch als ich das getban, da erfchraf ich gar ſehr 
und demüthigte mich in großer Innigfeit und bat Gott um Barm- 
berzigfeit. Und als ich ſo im Gebet lag, da fühlte ich, daß ich in 
diefer Stunde mehr Wahrheit und Lichtreichen Unterjchieb fand, als 
es mir bis dahin war zu Theil geworden”, 

Und als der Meifter und der Gottesfreund abermals zuſam⸗ 
men kamen, da fprach der Lettere: „Lieber Herr, ich fürchte, Daß 
ich euch etlich Ding gefagt habe, das euch in euerm Sinn gar ſehr 
verbrießt". Und der Meifter antwortete: „Es wundert mid gar 
jebr in meinem Sinn und ift mir gar ſchwer, daß bu ein Laie biſt 
und ich Bin ein Pfaff und ich ſoll von bir. Lehre empfangen; auch 
befümmert mich das fehr in meinem Sinn, daß du ſpracheſt, ich 
wär ein Phariſäer“. Da fprach der Mann: „Gebricht euch nicht 
mehr? Sagt mir, lieber Herr, wie fam das oder wer that das, Daß 
©. Catharina, die doch eine Jungfrau war, wohl fünfzig der großen 
Meifter überwand und machte, daß fie willig in den Tod gingen; 
wer wirkte dies?“ Da fprach der Meifter: „Das that der heilige 
Geiſt“; antwortete der Mann: „Glaubt ihr nicht, daß der h. Geiſt 
noch heute dieſelbe Macht hat?“ 

„Es verdrießt euch auch, daß ich ſprach, ihr wäret ein Phariſäer. 
Lieber Herr, ihr wiſſet gar wohl, daß unſer Herr Jeſus Chriſtus 
ſelber hat geſprochen: Hütet euch vor den Phariſäern, denn ſie legen 
euch ſchwere Bürden auf euern Hals und wollen fie ſelber nicht 


1) Durch diefe ganze Literatur geht im Gegenfag zur mönchifchen Myſtik, 
aber in Hebereinftimmung mit waldenfifchen Anfchauungen, eine fcharfe Oppofition 
‚gegen die äußeren Kafteiungen. So fagt Tauler: „Das sullent die lute mer- 
ken, die das arme fleisch martelent und tötent mit der boesen sipschaft die 
in dem grunde verborgen lit. Was het dir das arme fleisch geton? Und wel- 
lent soliche rechte also su mit den Köpfen durch die muren varen wellent. 
Döte die untugent und nut das fleisch*. Bafeler Ausg. von 1521 fol, 126 und 
öfter in gleichem Sinn. 





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mit dem Heinften Finger anrühren. Nun, lieber Herr, habt ihr 
es nicht alfo gemacht? Doch feid ihr nicht der böfen, falſchen Phari⸗ 
füer einer, die da gehören in die Hölfifche Pein“. Da ſprach der 
Meifter: „Ich weiß nicht, was ich reden ſoll; ich erfenne wohl, daß 
ib ein Sünder bin, und will nun mein Leben befferen und folit 
ich darum fterben. Lieber Sohn, ich bitte dich Tauterlich, daß du 
mir ratheſt, wie ich mein Leben angreifen fol, und mich weifeft und 
lehreſt, wie ich kommen ſoll zu der allerhöchiten Vollkommenheit, 
Dazu der Menſch in diefer Zeit kommen mag”. 

Da ſprach der Mann: „Lieber Herr, erzürnet nicht, wenn ich 
fage, daß euch fchwerlich zu rathen if. Soll euer Sinn erneuert 
und umgekehrt werben, jo muß euern gewöhnlichen Sitten gar webe 
gefchehen. Dazu möget ihr wohl bei fünfzig Jahr alt fein”. Sprach 
der Meifter: „Ich will dir fagen, Tieber Sohn, ich Habe mich de 
berathen und habe es alſo feit in mein Herz gefegt und müßte ich 
fürwahr, daß ich fterben follte, ich will von meiner Sinnlichkeit ab- 
gehen mit der Hülfe Gottes und nach deinem Rath”. 

Da antwortete ver Mann: „Nun jebe ich, daß ihr mit Gottes 
Gnade Willens feid, euch zu vemüthigen; ja, ihr vemüthigt euch, 
indem ihr euch bereit erflärt, eines unmwürbigen, armen Mannes 
Rath zu folgen. Doch geben wir Gott die Ehre, deſſen fie billig 
tft. Lieber Herr, dieweil ich euch nun lehren ſoll und rathen um 
Gottes wegen, jo will ich Gottes Hülfe mir erbitten, und will euch 
in göttlicher Liebe rathen und will euch eine Lektion fürgeben, wie 
man fie in der Schule den Kindern fürgiebt, für das erfte, das iſt 
bie erfte Zeile die 23 Buchitaben und will anheben am A. 

Ain gutes Leben jollt ihr anheben, mit rechtem Ernſt, mit männ- 
lihem Sinn. 

Bosheit laſſen und das Gute thun mit wohlbenachten Muthe 
fleißiglich. 

Cimlih und mäßig in allen Dingen lernet die Mitte Halten. 

Demüthig ſollt ihr fein in Worten und in Werken. 

Euern eignen Willen müßt ihr Yaffen und mit Ernft an und in 
Gott bleiben. 

Fleißiglich, gehorſam und wilfiglich zu allen guten Werfen ſollt ihr 
fein und feine Ausrede haben. 


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Gänzlich üben ſollt ihr euch in allen göttlichen Werfen der Barm- 
berzigfeit, leiblichen und geiftlichen. 

Hinter euch ſollt ihr nicht fehen nach der Welt oder ihren Crea—⸗ 
‚turen oder nach ihrem Geſchäft. 

Inwendig in dem Herzen follt ihr das alte Leben bevenfen mit 
rechter Wahrheit, wahrer Neue und in. bitteren Leid bes 
Herzens. 

Kühn und ſtark follt ihr widerjtehen des Teufels Anfechtungen fo 
wohl des Tleifches wie der Welt. 

Zange Trägheit lernet mit Kraft überwinden und alle Weichlichteit 

| und Gemächlichkeit. 

Mit brennender Liebe, in gewiffer Hoffnung, in ftarfem Glauben 
in Gott ſollt ihr bleiben und gegen den Nächften wie gegen 


euch felbit. 
Niemandes Gut follt ihr begehren, es ſei was e8 fei, geiftlich oder 
leiblich. 
Ordentlich follt ihr alle Dinge zum Beiten auslegen und nicht zum 
Schlimmiten. 
Pönitenz, das tft Buße um eurer Sünde willen, fie fomme von 
. Gott oder von den Leuten ober von den Creaturen, die 


jollet ihr williglich hinnehmen. 

Quit, ledig und los follt ihr laſſen Alle, die euch je Leides gethan 
mit Gedanken, Worten oder Werten. 

Reinheit des Leibe und der Seele, eures Guts und eurer Ehre 
folt ihr halten mit ganzem Fleiß. 

Sanftmütbig follt ihr fein in allen Fällen des Lebens und Belle 
rung daraus nehmen. 

Treu und Wahrheit follet ihr zu allen Leuten haben ohne Arglift. 

Ueber Maß foltt ihr nicht effen, es ſei, mwelcherlei Weife es wolle, 
das follt ihr Iernen abthun und davon laſſen mit vechtem 
Ernit. 

CHriftil) unferes lieben Herren Leben nachfolgen und 
euch gänzlih danach richten nah allem euren 
Vermögen. 


1) Das Wort iſt geſchrieben Xchriſti. Daher ſteht es an dieſer Stelle. 


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De und je ohn Unterlaß unfere liebe Braut) bitten, daß fie euch 
helfe, daß ihr unfere Lektion wohl lernet. 

Ziehen follt ihr eueren Willen und euere Sinnlichkeit, daß fie ftill 
halten in allen Dingen, die Gott thut mit euch und mit 
allen Ereaturen. 


Und diefe Lektion follt ihr lernen ohne Widerrede, von freiem 
Herzen und Willen“, 

Als der Meifter nach einiger Zeit die Lektion zu können glaubte, 
bat er den Laien, daß er ihm weitere Aufgabe ftelle, und der Letztere 
ging nun ftufenweife und methodiſch vor2). 

„Wiſſet“, Tprach der Gottesfreund, „ihr müſſet euer Kreuz auf 
euch nehmen und unferm Herrn Jeſu Chrifto nachfolgen und feinem 
Bilde, in rechter Wahrheit, in Demüthigfeit und in Geduld und 
müſſet alle euere ftolze, finnreiche Vernunft ablaffen, die ihr durch 
euere Schriftgelehrſamkeit habt. Und fo beginnet damit euere Uebung, 
daß ihr auf all euere Bücher eine Zeit Yang verzichtet, daß ihr 
nicht ftubiret noch prebiget, ſondern ſtill in euere Zelle geht und 
euere Zeiten left, auch im Chor helfet fingen; aber was euch Zeit 
übrig bleibt, in der follt ihr die Leivensgefchichte unferes Herrn 
für euch nehmen und betrachten wie euer Leben gewesen 
ift im Vergleih mit feinem Leben. Und bedenket, wie gar 
Hein euere Liebe geweſen tft gegen ſeine Liebe und wie viel Arbeit 
ihr verloren habt in der Zeit, wo ihr euch felbft fuchtet. 

Diefe Dinge follt ihr jett eine Zeit lang ausschlieglich ftudiren, 


1) Diefe Stelle hat von jeher als ein Hauptargument berjenigen neueren 
Forſcher dienen müflen, welche die Anfiht C. Schmidts, daß der „Gottesfreund“ 
ein Waldenfer geweſen fei, verwarfen (vgl. Gieſeler KG II, 3 ©. 251), Es ift 
richtig, daß in den älteften Druden fieht „unser liebe frawen bitten dass sy 
ete.“; aber eine weit ältere Handſchrift bietet den Xert: „Unser frowen bitten, 
daz er uch helfe“ (f. Schmidt a. ©. ©. 33 Anm.). Der Text ift mithin offenbar 
verberbt und anftatt „frowen* foll e8 wohl heißen fronen (— Herrn). Auf eine 
verberbte Tertftelle farın man unmöglih Argumente gründen. 

2) Die Verwandtſchaft der Gottesfreunde mit dem Methodismus iſt faft 
allen Forſchern aufgefallen, welche fih mit den erfteren befhäftigt haben. So be= 
banptet ſchon im Iahre 1840 Röhrich, daß man „das lberreiche, vorherrichenbe 
religiöſe Gefühl biefer Gottesfreunde ziemlich treffend mit den Methodiften 
unferer Zeit vergleichen Tann“. Ztſchr. f. h. Theol, 1840 ©, 139, 


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dann werbet ihr euch wohl biemit eurer alten Gewohnheit entwöhnen 
und abgeben und zu wahrer Demüthigkeit kommen. 

Wenn es aber Gott Zeit dünkt, fo macht er dann aus euch 
einen neuen Menfchen, alfo daß ihr von Gott andermal ge- 
boren werdet. | 

Aber ehe dies gejchieht, müßt ihr (wie Chriftus jagt) "Alles 
verkaufen, was ihr habt und e8 Gott vemüthiglich aufgeben’; damit 
ift gemeint, daß ihr innerlich zur Ehre und im Dienjte Gotted auf 
Alles verzichtet (und, falls Gott e8 fordert, im Stande feid, Alles 
zu lafien), was ihr in eurer ftolzgen Sinnesart zu beſitzen wähnt. 
Ihr ſollt fahren Laffen Alles, womiteuh Ehre in Diefer 
Welt Fönnte erboten werden und davon ihr Xieb oder 
Luft vor Zeiten möchtet gehabt haben, Ihr ſollt dahin 
fommen, daß ihr es als ein Gefchent von Gott anjebet, wenn all 
euer Thun und all euer Laffen und alles euer Leben ungeachtet 
und vernichtiget wird in der Leute Augen. Wenn die Leute fagen, 
ihr habet eine wunderliche Weife angenommen, und wenn fie von 
euch gehen und euch meiden, fo freuet euch, jo ift nahe euer Heil. 
Aber die Demüthigung, die ihr euch jett felbft zur Uebung auf 
erlegt, wird euch nicht nügen, wenn ihr nicht in Wahrheit könnet 
fpreden: Mein Herr und mein Gott, auch wenn es dein Wille 
wäre, daß ich in dieſem Leiden und biefem Gedränge bis am ven 
jüngften Tag follte bleiben, dennoch wollte ich nicht abſtehen, fon- 
dern ſtets in deinem Dienfte bleiben. 

Lieber Herr, ich erfenne wohl, dag ihr in euerm Herzen denkt, 
daß Died gar eine fchwere Sache ſei. Doch weiß ich feinen 
näheren und fihereren Weg denn diefen, nämlich dem 
wahren Bilde unferes Herrn Jeſu Chrifti nachzu— 
folgen. Aber, lieber Herr, ich rathe euch ganz auf alle meine 
Treu, daß ihr zu euch nehmet eine Zeit und bevenfet euch gar 
eben”. 

Da ſprach der Meifter: „Das will ich thun und will warten, 
ob ich mich mit der Hülfe Gottes überwinden möge”. 

Und nach 11 Tagen erklärte der Meifter, daß er fich demüthigen 
wolle, ihm gejchehe wohl oder wehe. Da fprach der Gottesfreund: 
„Run bebt e8 an in dem Namen unferes Herrn Jeſu Chriſti“, und 





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verabfchiedete filh und 309 hinweg, und der Meiſer that, was er 
geheißen war. 

Und als das erſte Jahr um war, da geſchah, was der Mann 
vorausgeſagt hatte, nämlich ver Meiſter ward alſo unwerth gehal- 
ten, daß alle feine Freunde fich von ihm trennten, recht als ob fie 
ihn nie hätten gejehen. Das war ibm gar fehwer und that ihm 
zumal wehe. So warb er Frank am Haupt und auch faft Frank 
am Leib. 

Da fandte er zu dem Mann und ließ ihm fagen, wie es ihm 
gebe. Und als der Gottesfreund Tom, erkannte er wohl, mit welchem 
Ernft der Meifter fich vorgefett hatte, zu tbun, was ihm gerathen 
war, aber er ſah auch, wie jener feine Lehren zum Theil mißver- 
ftanden hatte und in eine mönchifche Astefe mit Törperlichen Selbit- 
peinigungen verfallen war. Und er Sprach: „Lieber Herr, ihr wiſſet 
wohl, wer auf den rechten Weg will fommen, der muß freilich etwas 
das Leiden Chriftt an fich ſelbſt erfahren und ihm nachfolgen, aber 
ihr follet eurem Leib zu Hülfe kommen mit guter Speife, denn 
fobalb ihr e8 erreicht habt, daß der Körper dem Geift gehorjant ift, 
fo hieße es Gott verſuchen, wenn ihr eurem Leib nicht helfen 
wollte. Darum braucht ihr nicht unordentlich zu leben, das foll 
nicht fein. Ihr follt bleiben in dem Gehorſam Gottes und das⸗ 
jenige wilfiglich-leiven, was die Erfüllung feiner rechtverſtandenen 
Gebote mit fich bringt, aber ihr follt weislich und verſtändig Teben, 
und wenn euch etwas Geld gebricht, fo verfegt einen Theil eurer 
Bücher und leidet feinen Mangel, aber mit nichten follet ihr Die 
Bücher verlaufen. Denn es Tommt noch die Zeit, daß euch die 
Bücher gar nütze ſein werden“. 

Und der Meiſter verbrachte in Armuth und Niedrigkeit und 
verſchmäht von allen ſeinen Freunden auch noch das zweite Jahr, 
und oft fühlte er ſich krank und matt. Dann aber gedachte er 
des Leidens Jeſu Chriſti und an die große Liebe, die er zu uns 
hatte, und bedachte ſein eigen Leben, wie gar klein ſeine eigne Liebe 
geweſen wäre gegen die Liebe Gottes. Und er empfand tiefe Reue 
um ſeine Sünden und um ſeine verlorene Zeit. 

Und als er eines Tags fo inbrünſtig betete, da fühlte er ſich 


mehr geſtärkt und erhoben als je zuvor, und er warb von da an 
Keller, Die Reformation. 10 


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in allen feinen äußerlichen und innerlichen Kräften eine neue Kraft 
gewahr und er fand in fich einen Hareren Unterjchieb der Dinge, 
als er ihn früher befeffen zu haben glaubte. | 

Darauf fandte er abermals zu dem Gottesfreund und erzählte 
ihm, daß er ſich neu geboren fühle Und der Mann kam und 
freute fich jehr und fagte: „Lieber Herr, ihr follt wiſſen, daß ihr 
jet allererft dem göttlichen Geifte nahe gewejen ſeid und von dem 
Höchften zuerſt feiv berührt worden. Wie der Buchftabe, falfch ver- 
jtanden ; euch getödtet hat, aljo Hat die Xehre der h. Schrift ober 
derſelbe Buchſtabe, feitvem ihr ihn recht verftanven, eich wieber 
lebendig gemacht. Niemand aber vermag diefe Xehre, die der h. Geift 
gegeben bat, recht zu verftehen als der, ver ſelbſt vom h. Geiſt bes 
rührt worden iſt. Jetzt Habt ihr in euch die h. Schrift und ihr 
habt den großen Vortbeil, dag ihr jett viel mehr lauterliche Dinge 
daraus erfennen werdet, denn ihr zuvor thatet. ‘Denn ihr wiſſet 
wohl, dag die Schrift an viel Enden lautet, als wäre fie tiber 
einander. Da ihr aber nun das Licht des h. Geiftes Durch Gottes 
Hülfe Habt empfangen, jo daß ihr in euch Habt die h. Schrift, fo 
werdet ihr erfennen, daß alle Schrift hat einen gleichen Webertrag 
und fich felbit nicht entgegen ift und werdet nun dem Bilde 
unferes Herren Iefu Chrifti recht nachfolgen. Ihr follt 
auch nun wieder anheben, eueren Mitmenjchen anzugehören und 
ihr jollt ihnen lehren und weifen den Weg zum ewigen eben. 
Nun fommt die Zeit, daß euch gute Bücher werben nüge fein. Und 
wijjet, daß eine einzige Predigt, die ihr jet werbet halten, mehr 
Befjerung fchaffen wird unter den Menfchen, denn früher hundert, 
denn Die Worte, die ihr nun ausſprechen werdet, geben 
aus einer lauteren Seele gar einfältiglic. 

„Doch wird e8 euch inſonders noth fein, daß ihr fortfahrt, eu 
demüthiglich zu halten. Denn wiljet, der Geift des Böſen, 
der nie raftet, wird mit Eifer danach trachten, euch des Schatzes 
zu berauben, den ihr mühfam erworben habt. Und es wird ihm 
gelingen, wenn ihr euch nicht Fünnt bewahren mit grunblofer De 
müthigfeit. Gäbe e8 euch Gott zu thun, fo deuchte es mich gut, 
daß ihr nun wieder anhübet zu predigen”. Da fprach der Meifter: 
„Lieber Sohn, ich habe, wie du riethft, viele gute Bücher verfekt, 





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. wohl für 30 Gulden”. Da fprad der Mann: „Sehbet, die will ich 
euch von Gottes wegen geben und bitte euch, daß ihr das, was 
euch übrig bleibt, Gott wiedergebet; denn fein ift Alles, was wir 
haben, jet e8 geiftig oder leiblich Gut”. 

Und nun begann der Meifter wiederum zu prebigen; aber er 
that es nicht mehr wie früher in lateinifcher Sprache und nach ven 
vorgejchriebenen Regeln tbeologifcher Kunſt, fondern deutſch und wie 
das Herz es ihm eingab. So lehrte er, daß Gott allen feinen 
lieben heiligen Freunden und fonderlich feinem eingeborenen Sohn 
groß Leiden giebt in diefer Welt, wer fie willig trägt und fich zu 
Demuth und Geduld dadurch erziehen läßt, dem giebt er einen er- 
leuchteten Sinn, und wie die Tugend bewährt wird im Leiden, fo 
wird die wahre Erfenntniß gefchaffen durch die Tugend. Und in 
wem die Tugend wohnt, in dem wohnt Chriftus. Niemand mag 
die göttlichen Dinge begreifen und Niemand fchmeden die Süßigfeit 
der Nähe des göttlichen Geiftes, wer nicht Zorn und Haß und Bes 
gierde austilgt aus feiner Seele. Wir follen uns erbilden 
in das minniglihe Bild unferes Herrn Jeſu Ehrifti. 

Sndem der Meeifter diefe und andere Gedanken aus lauterer 
Seele immer und immer wieder vortrug, ging eine wunderbare 
Wirkung aus von feinen Worten. Und er warb in dem Land alio 
lieb und werth und auch in der Stadt, daß, was die Leute auch 
zu befchiefen hatten, das mußte er allzumal ausrichten mit feiner 
Weisheit, es fer geiftliche oder weltliche Sache, und was er ihnen 
rieth, dazu waren fie willig und ganz gehorfam. Und e8 gefchah, 
Daß der Meifter wohl neun Jahre in dieſem fruchtbaren Leben war. 
Da die Zeit um war, da wollte Gott feinen Diener nicht länger 
in biefem Elend laſſen und ließ ihn ohne Fegfeuer zu fich kom⸗ 
men in fein Reich. 

Es ift nicht leicht, den Zwed und Inhalt der Schrift mit 
wenigen Worten erjchöpfend zu haralterifiven. Am beiten faßt, wie 
ich glaube, der neueſte und bejte Kenner des Werkchens, Denifle, 
den Zwed dahin zufammen: Das Meifterbuch will lehren, jagt eri), 


1) Denifle Ouellen und Forſch. Bd. 36 ©. 127. 
10* 


4148 
wie ein Prieſter, der ſeinen Phariſäerſtolz noch nicht abgelegt hat, 
durch den Unterricht eines begnadigten Laien ein „Nachfolger 
Chriſti“ werde. 

Diefe Tendenz — ſelbſt der Name „Nachfolger Chriſti“ kommt 
in dieſer Literatur häufig vor!) — ift in der That ein bervor- 
jtechendes Merkmal des „Meiſterbuchs“. 

Sollte darin nun nicht ein gewiſſer Fingerzeig liegen, unter 
welcher Richtung wir den Verfaffer zu fuchen haben? Es giebt außer 
dem Francisfanerorven in jener Zeit nur eine Religionspartei, deren 
ganzes Dichten und Denken ſich auf die „Nachfolge Chriſti“ con- 
centrirt — das ift, wie wir oben nachgewiejen Haben, das Wal—⸗ 
denſerthum. | 

Doch find wir weit entfernt, auf fo. allgemeine Geſichtopuntte 
ein Urtheil zu gründen. Aber finden dieſelben nicht aus ganz ſpe⸗ 
ciellen Wahrnehmungen ihre Betätigung? Welche andere Bartet 
fann denn Werth darauf gelegt haben, daß der Priefter, Der zu 
einem „Nachfolger Jeſu“ geworben ift, fchlieglih ohne Fegfeuer 
die Seligfeit erlangt, wenn nicht die Waldenfer? 

Es ftellen fich unferer Frage deßhalb befondere Schwierigkeiten 
entgegen, weil die Schrift in mehreren Bearbeitungen auf ung ge- 
fommen ift, die zum Theil erheblich von einander abweichen. Es 
entjteht dadurch die Frage, welche Partien müffen auf den urfprüng- 
lichen Autor zurüdgeführt werden und welche find etwa aus Zu- 
ſätzen folcher Bearbeiter entjtanden, die dem Meifterbuch feinen 
„begbardifchen‘ Charakter nehmen wollten? Und ift etwa die ältefte 
und echte Redaction gar nicht erhalten? 

Die frühefte Nachricht, welche uns bis jet über das Vorhan⸗ 
denjein des Buchs befannt ift, enthält ein Brief vom 20. Januar 
1369, welchen ein „Gottesfreund aus dem Oberlande” — ber 
fanntlih nannten fi auch die „Apoftel der Waldenfer Gottes- 
freunde — an ein „Beghardenhaus“ zu Straßburg gerichtet bat. 
Wir werden den Gottesfreund und das Haus noch Tennen lernen. 
Darin fagt der Schreiber, indem er das Meifterbuch überfenbet: 
„Dies Büchlein, das fendet man euch und empfabet es von ber 


1) 8. Schmidt Nie. v. Bafel S. 274. 277. 





149 


Hand Gottes.... Ich hätte euch gerne das alte Büchlein ge- 
fandt; fo tft es wohl in einer ſolchen fremden Sprache, die ihr 
nicht verjteben Tonntet”, Darum babe der Abjenver vier Tage und 
Nächte daran gearbeitet, um es in die Sprache der Empfänger zu 
bringen !). 

Daraus folgt, dag das Büchlein fchon im Jahre 1369 durch 
den Mann, welcher uns die erfte Nachricht darüber giebt, eine 
zweite Form erhalten bat. Wenn man aber auf den Text der 
Handichriften fieht?), die unbedingt auf fehr verfchiebene deutſche 
Bearbeitungen zurüdgehen, fo muß man fich fagen, daß nicht 
ein Autor, fondern mehrere Bearbeiter vorausgefegt werben 
müſſen. Diefe Autoren waren unter fich weder in der Bega⸗ 
bung noch in den religidfen Anſchauungen durchaus gleich, fo 
daß, was wir Heute „Meifterbuch” nennen, nicht auf die Rech 
nung eines einzigen Mannes oder einer einzigen Nichtung gefett 
werben barf. 

Wie dem aber auch ſei, ſo behaupte ich, daß der Grundſtock 
waldenſiſchen Urſprungs iſt, und halte es für ſehr wahr- 
ſcheinlich, daß das „alte Büchlein“, wie es unſerem Gottes- 
freund vorlag, direkt von einem Apoſtel der Waldenſer verfaßt ward. 

Die neueren Forſcher haben zahlreiche Gründe dafür beige— 
bracht, daß jener „Gottesfreund aus dem Dberlande” felbft Der 
Autor des Buches war. Nun, wenn dies richtig ift, fo hoffe ich 
die Trage nach der „beghardifchen‘ Duelle unten hinreichend auf- 
Hären zu können. Denn „der Gottesfreund” war, wie ich zu be- 
weifen hoffe, jelbit ein Apoftel der Waldenfer. 

Spliten ih nun aber in einem Buche, das von Waldenſern 
herrührt, keine Anklänge an die uns erhaltene Literatur der Wal⸗ 
denfer finden? Bielmehr find die Anklänge fo ſtark und fo auf- 
fallend, daß, wenn weiter gar feine Indicien vorlägen, auf dieſem 
Wege die innere VBerwandtfchaft dargethan werden könnte. 

Einen der vornehmften Abjchnitte des „Meiſterbuchs“ bilden 
die Sprüche und Regeln des fogenannten „Goldenen ABC“, d. h. 
die Memorialverfe, welche an die 23 Buchftaben des Alphabets an- 


1) C. Schmidt Nic. v. Bafel ©. 282. 
2) Denifle in den Quellen und Forfhungen Bd. 36 ©. 65 ff. 


150 


gefnüpft worden find. Welchen Werth die erjten Empfänger des 
Buchs gerade auf diefe Regeln legten, fieht man Daraus, daß fie 
e8 das „Buch von dem Meijter nannten, welchem bie Zeilen des 
ABC von dem Gottesfreund gelehrt wurven‘N), Diefe Regeln 
haben dann jpäter die Iohanniter, an welche im Jahre 1371 das 
„Beghardenhaus“ überging, vielfach in ihre Codices eingetragen, 
aus welchen wir die Form, in der fie damals befannt waren und 
die von den jpäteren Druden erheblich abweicht, erfennen können ?). 

Wer nun die Grundgedanken des Waldenſerthums genauer 
fennt, dem muß bei der Lektüre der „Regeln“ der waldenfifche Zug 
fofort auffallen. 

Es ift durchaus waldenfifh, wenn auf Mäßigkeit in allen 
Dingen ernft gebrungen wird. „Mäßig, jagen die Regeln, follt ihr 
lernen in allen Dingen die Mitte halten‘; „Uebermaß, es 
fei in welcher Weife e8 wolle, das jollt ihr lernen abtbun. Be- 
fcheiden und demüthig follt ihr euch auswendig und .inwendig in 
allen Dingen halten”. Mean erinnere fih der Schilderung Des 
Pſeudo⸗Reiner von den Waldenſern, die wir oben wiedergegeben 
haben). Sodann beachte man die Betonung der Lehre Chrifti 
und des Leben 8 Ehrifti, die Hervorhebung des Gegenfates zwifchen 
„Welt“ und „Ehriftus‘ und endlich die poetiiche Einfleivung Der 
Vorſchriften der Bergpredigt, wie fie fich in den Regeln findet. 
Schon C. Schmidt hat mit Recht auf die innere VBerwandtfchaft 
einzelner Sprüche mit den in der alten Disciplin der Waldenfer 
enthaltenen Regeln aufmerkſam gemacht 9. 

. Aber noch bezeichnender und, wie ich glaube, geradezu ſchlagend 
ift die Gleichheit der äußeren Form, die bier wie dort zur Ein«- 
Heibung gewählt if. Wiffen wir doch, daß folde Memorial- 
jtrophen, wie fie das Meeifterbuch giebt, faft genau in der gleichen 


1) C. Schmidt Nic. dv. Bafel S. 281. Alte Weberfchrift des Brief vom 
20. Sanuar 1369. 

2) &. Schmidt Joh. Tauler 1847 ©. 32 Anm, 1 giebt einen Abdruck aus 
den Sohanniter-Hanbfchriften. 

3) ©. 6. Mäßigkeit in Speife und Trank, mittelmäßig in Kleivung, mäßig 
im Spreden u. f. w. 

4) C. Schmidt Joh. Tauler ©. 33. Anm. 5 vermweift auf Xeger Hist. des 
€glises vaudoises Tom. I p. 198. 











151 


Zahl feit dem 13. Jahrhundert bei den Waldenfern gebräuchlich 
waren’). 

Kun ift e8 ja allerdings richtig, daß die Annahme ver „beghar- 
diſchen“ Autorfehaft für ein fo einflußreiches und im echt chriſtlichem 
Geiſt gehaltenes Werk wie das „Meiſterbuch“ all den VBorausfegungen 
widerspricht, welche über dieſe „Sekte“, die mit den Verirrungen ber 
fogenannten „Brüder des freien Geiſtes“ angeblich fo ſtark verquickt 
gewefen ift, im Umlauf find. 

Wenn nun aber alle diefe VBorausfegungen etwa nur Vorurtheile 
ſein ſollten, die durch hiſtoriſche Entſtellungen aller Art herbeigeführt 
worden ſind? 

Daß ſie es in der That ſind, werden die nachfolgenden Unter⸗ 
ſuchungen recht deutlich vor Augen führen. 

— — 2 


1) David von Augsburg a. a. O. bei Preger 1878 I ©. 215. 


Sechfles Lapitel. | 
Meifter Eckart, Johannes Tauler umd die dentiche Theologie. 


Straßburg und die Keser. — Die fogenannte „Sekte des freien Geiſtes“. — 
Meifter Edart. — Hat er zur „Selte des freien Geiſtes“ Beziehungen be 
feffen? — Edart und die altevangelifches Gemeinden. — Die Bannbulle 
wider Edart vom 27. März 1329. — Edart ift der hervorragendſte beutjche 
Philofoph des Mittelalters. — Die Begründung einer „Deutſchen Theologie‘ 
durch Edart. — Edart und Thomas von Aquino. — Die Schule Edarts. — 
Johannes Tauler. — Tauler auf dem Inder. — Der „erpurgirte‘ umd der 
wahre Tauler. — Das Büchlein von ber Deutichen Theologie. 


Wir haben oben bereitS bemerkt, daß die erſte Nachricht, welche 
über das Erfcheinen von dem Werk des Marfilius zu uns berüber- 
flingt, aus Straßburg ftammt. 

Sn der That lebten gerade bier eine Reihe von Bundesge⸗ 
nofjen Kaiſer Ludwigs, und die ftäbtifchen Obrigfeiten felbft hatten 
unter Führung einer Anzahl von Geiftlichen gegen bie Mißbräuche 
der herrſchenden Kirche Partei genommen. 

Ob dieſe Stellungnahme zu dem Kaifer wohl ohne Zufam- 
menbang iſt mit der Thatfache, daß gerade Straßburg ſeit Jahr⸗ 
hunderten der Hauptfig der deutſchen „Ketzer“ geweſen war? 

Die furchtbaren Strafen, welche im 13. Jahrhundert über die 
Straßburger Waldenfer verhängt worden waren, hatten bie „Ge- 
meinde“ wohl zur Zurüdhaltung und BVorficht gezwungen, aber 
feineswegs vernichtet. Gerade mit der Thronbefteigung Kaifer Lud⸗ 
wigs fand ein neuer Auffchwung der Partei ftatt. 

Unter dem 13. Auguft 1317 erließ Bifchof Johann von Straß- 
burg das oben erwähnte Edikt gegen die Häretifer in feinem Bezirk, 
welches, obwohl es diefen die unerhörteften Irrlehren und Ver 





153 


brechen aufbürbet, bei vorfichtiger Verwendung doch manden An- 
haltspunkt für die Hiftorifche Forſchung darbietet!). 

Danach ift das Mandat unter Anderem gegen Diejenigen ge- 
richtet, welche das Voll Begharden?) nennt und die fich ſelbſt als 
„freie Geiſter“, „Arme“ oder „Brüder“ bezeichnen. Der Bilchof 
ſpricht es mit Bedauern aus, daß Mitglieder fatholifcher 
Drdensgefellihaften und Männer, welche die heiligen Weihen 
empfangen haben, und viele Andere nach ihren eigenen Belenntniffen 
zu jener „Sekte“ gehören. 

Diefe Männer lehren unter Anderem, beißt es, daß diejenigen, 
welche auf dem „neunten Felſen“ angelommen find, unveränverlich 
find, derart, daß fie fich felbft von dem Tode, wenn fie es auch mit 
einem Wort könnten, nicht befreien würden. Ferner glauben fie 
die Lehre, „daß fie felbft alle Dinge gejchaffen haben, ja, daß fie 
mehr geichaffen haben als Gott”, 

Sodann fagen fie fälſchlich, daß der Menſch fein gutes Wert 
thun folle wegen irgend einer zu erwartenden Belohnung, jelbft 
nicht um des Himmtelreiches willen >). 

Auch haben fie die verberbliche Anficht, daß fein Menſch, weder 
ein Zube noch ein Sarazene von Gott ewig verbammt werben wird. 
Denn e8 gebe eine innere Stimme, welche als Offenbarungs- 
quelle für alle Menjchen anzufehen ſei. 

Sie fennen drei vornehmſte Tugenden, Glaube, Liebe, Hoff- 
nung, und find der Anficht, daß diefe für den Menfchen nicht un. 
erreichbar find. 

Gleichwohl fagen dieſe Menſchen, daß der Diebftahl erlaubt 
ſei und andere unerhörte Dinge mehr. 


1) Abgedrudt bei Mosheim de Beghardis ©. 255 ff. 

2) Wir erfahren daraus einige intereffante Detail, 3. DB. die Tracht ber 
Begharden und Beghinen. Danach trugen erftere eine Art von langen Röden, 
welche vorn herab von dem Gürtel an aufgejchnitten waren; das Haupt be= 
pedten fie mit einer Kleinen, nicht an dem Rod befeftigten Kapuze (Indumenta 
ab umbilico deorsum scissa, desuper cum capucii parvi, non tamen tunicae 
consuti). Die Beghinen verhällten das Haupt mit barüber gejchlagenem Mantel 
(Pallium replicant super caput), Mosheim a. O. ©. 259, 

3) Die Keter find zu verdammen (reprobandi), weil fe fagen, „quod nihil 
debeat fieri propter praemium quodcungue, etiam propter regnum coelorum*. 


A. a. O. ©. 257, 


154 


Alle ihre Habe foll eingezogen, alle ihre Schriften verbrannt 
und die ſchärfſte Ueberwachung gehandhabt werben. 

Diefes bifchöfliche Mandat hat feit Yanger Zeit als urkund⸗ 
licher Beleg für die Verberblichleit der Tendenzen gelten müffen, 
welchen die Häretifer in Straßburg angehangen haben. Man Hat 
daraus unter Anderem den Schluß gezogen, daß die „Waldenfer”, 
deren Lehren das Edikt offenbar in erjter Linie treffen will, fich um 
jene Zeit in engjter Verbindung mit der fittenlojen „Selte des 
freien Geiſtes“ bewegt habe, ja vielleicht ganz mit Diefer verſchmolzen 
gewefen ſei. 

Es hatten in jenen Iahrhunderten von Paris aus im öftlichen 
Frankreich und im weitlichen Deutjchland Parteien fich verbreitet, 
welche unter Führung Amalrihs von Bena, der um 1200 
Magister der Theologie in Paris war, den Ideen eines falfchen 
Pantheismus huldigten und in Entjtellung riftlicher Lehrſätze unter 
Anderem zu dem Reſultat gelommen waren, daß alle Regungen 
ihres eigenen Willens Regungen des göttlichen Willens jeien. 

Sie folgerten aus diefen Vorderfägen, dag man allen Ans- 
trieben der Natur deßhalb Folge geben dürfe, weil fie Antriebe 
des göttlichen Geiftes in uns find, und indem fie dies z. B. auf 
finnliche Triebe anwandten, entitand eine Auffaffung, welche alle 
Schranken der Sittlichleit beſeitigte. 

Aus ihrer pantheiftiichen Grundanſchauung leiteten fie folge 
richtig den Sag ab, daß Alles, was die Menjchen thun, aus gött- 
licher Anordnung gefchehe, und daß daher die Annahme ver Wil- 
lensfreiheit abfolut ausgefchlojfen jeit). 

Indem fie von jever Gebundenheit und jeder Pflicht der Selbit- 
beherrichung fich frei erflärten, wollten fie lediglich den Geift Gottes 
in fich wirken laſſen und deſſen Weifungen folgen. 

Sp fiher es ift, daß einige Theologen diefe und ähnliche An- 
ihauungen in ein Shitem gebracht und bafür Schüler gefunden 
, haben, jo unerwiefen und unerweisbar ift e8, daß eine Firchliche 
Gemeinſchaft auf Grund diefer Lehre aufgebaut worben fei. 
Schon Preger hat bemerkt, daß die oben angeführten Säge für bie 


1) Nachgewiefen bei Preger Geſch. d. deutſch. Myſtik I, ©. 208. 











155 


Bildung einer Sekte nicht hingereicht haben würden, und Dazu 
fommt, daß es bis jest noch feinem Forſcher gelungen ift, auch nur 
eine einzige Befonderheit ihrer kirchlichen Organifation und ihres 
Eultus oder eine Bekenntnißſchrift nachzuweiſen. 

Die Wahrheit ift vielmehr, daß jene Theologen wie Amalrich 
von Bena Anhänger in den verſchiedenen damals bejtehenden 
Gemeinſchaften und nicht etwa ausfchlieglich oder vornehmlich bei 
den „Begharden‘ gefunden haben. 

Daß die „Selte des freien Geiftes‘ im 14. Jahrhundert gerade 
unter den Minoriten und unter den weltlichen Mitgliedern, des 
Tertiarierordens viele Anhänger bejeflen hat, bezeugt ung fein Ge⸗ 
ringerer als der päpftliche Pönitentiar Alvarus Belagius, welcher 
ſelbſt Francisfaner war und in feiner Zeit ein großes Anfehen genof. 

„zu meiner Zeit", erzählt diefer, „find in dem Orden bes 
bh. Franciskus viele weltliche Mitglieder. und Mlinderbrüder für 
jenen fleifchlichen Geift der Freiheit durch die Erforfcher der häre- 
tischen Schlechtigfeit eingekerkert geweſen“. Ja, fogar einzelne Häup- 
ter diefer „Sekte“ waren Franciskaner; darunter einer, welchen 
Alvarus Pelagius einft, als er Novize war, um feinen Rath an- 
ging, da jener in großem Anfehen ftand. „Aber als er gefangen 
worden war wegen jenes freien Geiftes, da babe ich eingefeben, 
daß... er that, was ihm fein Fleiſch und feine Sinnlichkeit ein» 
flüſterte“. „Er ift im Gefängniß der Brüder zu Florenz geftorben‘'1). 

Die bekannte Seftenfpürerei der rechtgläubigen Theologie hat 
dann eine befondere „Sekte aus diefen Meinungen gemacht und 
fo geht diefe ungreifbare Gemeinfchaft noch heute wie ein Geſpenſt 
durch die Literatur?). 

Wir würden Hier auf diefe Sache nicht weiter einzugehen 
brauchen, wenn e8 nicht feft ftände, daß die Inquifitoren in Folge 


1) Alv. Belagius De planctu ecclesiae 1516 fol. CLXIX Col. a: Tempore 
meo in provincia beati Francisci multi saeculares et fratres minores pro 
isto carnali spiritu libertatis per inquisitores heretice pravitatis incarcerati 
fuerunt etc. 

2) Zur weiteren Charafteriftit diefer Sektenſpürerei will ich noch bemerken, 
daß fich die Wahrnehmung machen läßt, wie faft an jeben befannteren Namen 
eines Führers der altevangelifchen Gemeinden fofort eine neue Sekte angeknüpft 
mworben ift. Man vergl. bie angeblichen Sekten der „Arnoldiften‘‘, „Waldenſer“, 


ber zufälligen Wahrnehmung, daß auch in den walbenfifchen Ge⸗ 
meinden ſich „Brüder des freien Geiftes” fanden, abfichtlich oder 
unabfichtlich deren Ideen als Theile des waldenfischen Glaubens- 
befenntniffes bingeftellt haben. 

Sie thaten das etwa mit demjelben Recht, mit welchem man 
heute die Lehre des Darwinismus als Beftandtheil des Glaubens 
der englifchen Hochkirche bezeichnen würde, weil viele Angehörige 
diefer Kirche fich dazu bekennen. 

Sp hat Schon Giefeler bemerkt, daß der Inquifitor Stephanus 
de Borbone „ein Gemifch von waldenfifchen Lehren und folchen des 
freien Geiftes als Lehrſyſtem der Waldenfer hinſtellt“i). Daffelbe 
thut der Abt Tritheim in feinen Hirſauer Annalen, und andere 
Duellen machen e8 ähnlich. Was von Gottespieniten, Cultusfor- 
men u. ſ. w. der Sekte bes „freien Geiftes“ erzählt wird, ift in ber 
Regel nichts anderes als eine Befchreibung der Gottespienfte ber 
Walvdenfer, nur dag in dDurchfichtiger Tendenz anftatt Diefes Namens 
der noch mehr compromittirte jener „Sekte“ eingeſetzt worden ift. 

Die „Sekte des „freien Geiſtes“ ward von anderen auch bie 
des „neuen Geiſtes“ genannt?), und da ift e8 num interefiant, 
baß fein Geringerer als Johannes Tauler, deſſen fittlicher Adel 
über jeden Zweifel erhaben ift, fich gelegentlich gegen den Vorwurf 
vertheidigt, feine Rede fei die der „neuen Geiſter“. Wer die 
Menſchen warnt und fie an den Tod erinnert, um fie zu befiern, 
deß fpotten fie und fprechen: „Lug Dies find die neuen 
Geiſter“9). 

Daſſelbe Verfahren, welches Tauler hier ſchildert und welches 
Stephanus von Borbone u. A. zur Anwendung gebracht haben, iſt 
auch in jenem Straßburger Edikt beobachtet worden. Man hat ein 
Gemiſch verſchiedenartiger Anſichten, welche die Kirche verdammt 
hatte, zuſammengeſtellt und daſſelbe dann ohne Weiteres als Lehr⸗ 


„Ortliebarier“, „Wyklefiſten“, „Waltherianer“ u. ſ. w. Der letztere ift kein An⸗ 
derer als der zu Köln 1325 hingerichtete Walther, welcher angeblich bie „Sekte“ 
der Lollharben gegründet haben fol. Die gänzliche Untriftigkeit dieſer Aufftellung 
bat ſchon Mosheim Histoire eccles. Yverdon 1776 Tom. Il. 499 nachgewiefen. 

1) Giefeler KG. I. 2 ©. 643, 

2) Preger Gefch. der deutſchen Myſtik I S. 207. 

3) Ausgabe von 1521 fol. 77 Col. 1. 


157 


ſyſtem der „Sekte“ des freien Geiftes bezeichnet und deren innere 
Zufammengehörigkeit mit „Begharden“, „Brüdern“ oder „Armen 
Chriſti“ Turzweg behauptet!). 

Welche Verwirrung durch ein folches Verfahren angerichtet wird, 
fann man am beften aus den Confequenzen jehen, die fich daraus 
ergeben. | 

Das Edikt enthält nämlich unter Anderem eine Charakteriftil. 
und wörtliche Wiederholung folcher Lehren, welche Meifter Edart 
damals in Straßburg vorgetragen hat?). Edart war zu feiner Zeit 
einer der berühmtesten Gottesgelehrten, eine Zierde und der Ruhm 
des mächtigjten Ordens der Chriftenbeit. Nicht nur bie geiftige 
Größe dieſes Mönchs ward von den Zeitgenofjen bewundert, fon- 
dern auch feine fittliche Erfcheinung machte wegen ihrer Reinheit 
und ihres Adels auf alle, die mit ihm in Beziehung traten, den 
tiefjten Eindrud, Seine Schüler nennen ihn einen beiligen, einen 
göttlichen Meiſter. 

Wenn nun, wie e8 wahrjcheinlich tft, eben diefe Schüler auf 
Grund jenes Edikts aus Straßburg ausgewiejen wurden?) und 
wenn Edart ſelbſt anfcheinend im Iahre 1317 Straßburg verlaffen 
mußte, follen wir daraus folgern dürfen, daß er mit ver „Sekte 
des freien Geiſtes“ Beziehungen gehabt habe? 

Auch wenn Edart fpäterhin nicht gegen derartige VBerbächtigungen 
protejtirt hätte, würbe eine jolche Annahme von vornherein aus- 
geſchloſſen fein. - 

Es iſt unbeiwiefen, daß Eckart mit einer Partei, welche Die Lehre 
des Chriſtenthums in der angebeuteten Weife entitellte, Verbindun⸗ 
gen unterhalten babe, unbewiefen auch, daß Die alteuangelifchen Ge- 
meinden der „Brüder fich je mit den ihrem ganzen Shitem wider- 
fprechenden Theorien Amalrih8 von Bena in irgend eine Trans- 


1) Denfelben Weg bat die orthodoxe Polemik der eurialiſtiſchen Schriftfteller 
aus nahe liegenden Gründen feit uralten Zeiten befchritten. So das befannte 
Bert des päpftlichen Pönitentiars Alvarus Pelagins De planctu ecclesiae. Aus- 
gabe von 1516 (Kal. Bibl. in Berlin) fol. CLXIX ff. 

2) Eine fehr vollftändige Weberficht über bie Literatur bezüglich Eckarts (bis 
1874) giebt Preger in der Allg. Deut. Biogr. V, 618 ff. — Bol. dazu Lütolf 
in der Tübinger Theol. Duartalfchrift 1875 ©. 578 ff. 

3) Vgl. Preger Gef. d. deutfchen Myſtik I ©. 351. 





158 


action eingelafjen hätten, aber e8 ift richtig, daß Meifter Edart 
eben zu-diefen fogenannten „Waldenjfern” und deren 
Apofteln in einem naben Verhältniß geftanden Hat. 

Die Bulle Papſt Johanns XXI. vom 27. März 1329 wider 
Edart bat die Frage, ob defien Lehre vom Standpunkt der römi- 
fchen Kirche aus rechtgläubig fei, Har und endgültig dahin ent- 
.ſchieden, daß dieſelbe als häretiſche Doctrin betrachtet werben 
müſſei). Sie hat fiebzehn feiner wichtigften Lehrſätze für Tegerifch, 
eilf weitere als der Härefie verdächtig erklärt. - 

Im Jahr 1430 Hat auch die Tatbolifch-theologifche Facultät zu 
Heidelberg Edartd Lehre ausbrüdlich und feierlich verdammt 2). 

Wenn man die ganze Bedeutung der päpftlichen Entſcheidung 
würdigen will, jo erwäge man, daß Edart Mitglied vesjenigen Or- 
dens war, welcher auf feine Nechtgläubigfeit von jeher ftolz und 
eiferfüchtig gewefen iſt. Eben auf diefem Auf berubte, wie oben 
bemerft, das außerordentliche VBorrecht, welches die Päpfte dem Orden 
gegeben hatten, indem fie gerade ihm ſeit dem 13. Jahrhundert die 
Handhabung der Inquiſition übertrugen. 

Meifter Edart war fein gewöhnlicher Ordensbruder. Vielmehr 
hatten feit dem Sabre 1303 die Ordensoberen ihn durch die Meber- 
tragung der ehrenvollſten Aemter ausgezeichnet. Nachdem er an 
der berühmteften Hochſchule der Welt, in Paris, als Lehrer thätig 
geweſen, Hatte man ihm, ver fich den Grad eines Meiſters ver 
h. Schrift erworben, zunächft das Amt eines Provinzials in Sachfen, 
dann die Verwaltung der großen und wichtigen böhmischen Or- 
densprovinz al8 Generalvicar übertragen. Im Jahre 1312 fcheint 
er als Lehrer an die Schule zu Stragburg verjegt worden zu fein. 
Aber wenn er etwa damals bereits bei feinen Ordensoberen an 
Bertrauen eingebüßt hatte, fo ward dies reichlich erſetzt durch ben 
außerorbentlichen Auf, den er fich als Gelehrter und Prediger er- 
warb. Zahlreich drängten fich die Schüler um ihn, und voll Be- 
geifterung hingen fie an dem edlen Manne?), 


1) Die Bulle bei Ripoll Bullarium Ordinis Praedic. Tom. VII und danach 
bei Preger Geſch. d. veutfchen Myſtik I, 478ff. 2) Reufch Der Inder ©. 26. 

3) Ueber den „untadeligen, ja erbaulichen Lebenswandel“ Edarts |. Lütolf 
in der Tübinger Theol. Ouartalfchrift 1875 ©. 581. 








159 


Mit einem ſolchen Manne konnte die Kirche nicht wie mit ge- 
wöhnlichen „Begharden“ verfahren. Nicht nur Edarts Auf, fon- 
dern auch der des Dominikanerordens ftand auf dem Spiele. 

Es ift ungemein bezeichnend, daß der Dominikaner Heinrich 
von Herford, welcher die Bulle mittheilt, in. welcher Papft Johann 
XXI. die Lehre Eckarts verdammt, den Namen Eckarts wegläßt und 
ganz im Allgemeinen jagt, daß die Bulle gegen folche erlafjen wor- 
den fei, welche die Lehren der „Begharden“ Hätten ftügen wollen!) 

Dan könnte die Entfernung Edarts aus Straßburg außer 
Zufammenhang mit dem Edift von 1317 finden, wenn nicht im 
Sahre 1320, als er fih in Frankfurt aufbielt, fofort von Neuem 
die Anklage auf verbächtige Verbindungen gegen ihn erhoben wor⸗ 
den wäre. Und zwar war dies keineswegs ein bloßes Gerücht, das 
feine Feinde ausgeftreut hatten, fondern eine förmliche gerichtliche 
Prozedur mußte gegen ihn eingeleitet werben. 

Unter dem 12. Auguft 1320 richtete der Ordensmeifter Herveus 
ein Schreiben an die Prioren von Worms und Mainz, Ioh. de 
Lobiis und Philippus, in welchem er fie mit der Inquifition wider 
Edart und einen gewiffen Dietrih von ©. Martin beauftragte. 
Schwere Anklagen waren dem Ordensmeiſter, nach feinen eigenen 
Worten, über verbotene Verbindungen, in welchen jene geftanden, 
zu Obren gelommen?). 

Das Generalfapitel des Ordens erließ im Jahre 1321 auf 
Grund der jüngjten Erfahrungen ſchwere Androhungen gegen Die- 
jenigen Mitglieder, welche mit Ketzern Umgang pflegen würden. 

Unfere Quellen berichten uns nicht, welche Sentenz in Frank⸗ 
furt gefällt ward; aber es fteht feſt, daß Edart von dort ſchied 
und nach Köln ging. 

Hier traf es ſich nun, daß alsbald nach ſeiner Ankunft Erz⸗ 
biſchof Heinrich von Virneburg mit aller Energie gegen bie Köl⸗ 
nifchen „Ketzer einfchritt. Wir haben oben gefehen, daß der Wal- 
denjer-Apoftel Walther diefem Prozeß zum Opfer fiel: Andere wurden 
im Rhein ertränft, noch andere verbrannt. 

1) Preger Abhandlungen d. II. Cl. d. K. B. A. d. W. 1869 Abth. II ©. 13. 


2) Das Schreiben ift aus einer Frankfurter Handſchrift abgebrudt bei Pre— 
ger Geld. d. deutſchen Myſtik I, ©. 352. — Val. dazu Lütolf a. a. DO. ©. 581. 


160 


In derfelben Zeit war e8, als der Erzbifchof entdeckte, daß 
auch Meiſter Edart der Kekerei ſchuldig fei, und feinen Entſchluß 
fund gab, denfelben vor das Inquifitionstribunal zu ftellen. Die 
Suche erregte das größte Aufſehen, und als der Ordensmeiſter von 
des Erzbiſchofs Vorhaben Kenntniß erhielt, traf er feine Maßregeln. 

Es gelang wirklich, die Unterfuhung abermals in der Hand 
des Ordens zu behalten. Der Dominikaner Nicolaus von Straß- 
burg warb mit der Anftrengung des Prozeſſes beauftragt. 

Das Refultat war, daß Edart freigefproden wurbe. 

Hierüber war indeffen Heinrich von Virneburg, welcher die 
Schuldbeweife in der Hand zu haben glaubte und, wie ber weitere 
Verlauf des Prozeffes zeigte, wirklich in der Hand hatte, jo empört, 
daß er wider alles geiftliche Necht ven einmal entichievenen Prozeß 
gegen Edart wiever aufnehmen wollte. Ia, er citirte jegt nicht nur 
den Eckart, fondern auch den Nicolaus von Straßburg vor fein 
Tribunal. 

Die Angeklagten machten dagegen von ihrem Hecht Gebrauch, 
gegen ein jolches Verfahren zu proteftiren. Sie legten Berufung 
ein an das höchſte Gericht zu Anignon, und es gelang, den Erz- 
biſchof von feinem Vorgehen abzuhalten. 

Aber jelbit in Avignon Tam.diefe Sache zunächſt nicht zur 
Entſcheidung. 

Dieſe Ereigniſſe erregten weit und breit in rechtgläubigen Kreiſen 
einen Sturm der Entrüſtung; man war ſo feſt von der Schuld 
Eckarts überzeugt, daß man ſogar wagte, ven Papſt ſelbſt der Be- 
günſtigung eines Häretikers anzuklagen. 

Wir beſitzen ein höchſt intereſſantes Dokument, welches von 
den Häuptern ber ſtrengeren Partei des Franciskanerordens, Wil⸗ 
helm von Occam, Franz von Asculum, Heinrich von Thalheim und 
Bonagratia von Bergamo herrührt und welches geradezu eine An⸗ 
Hagefchrift gegen den Papſt jelbft wegen der Edartichen Sache 
darſtellt. 

„Notoriſch iſt es“, ſagen die Genannten, „nicht minder bei der 
‚Curie zu Avignon als in Deutſchland, daß Bruder Eckart vom Pre- 
digerorven durch Wort und Schrift öffentlich und unzweideutig ver- 
abicheuenswerthe und unerhörte Ketereien gelehrt und gepredigt hat... 





161 


Bekannt ift es auch, daß Bruder Edart eine große Menge bes 
Volks in erwähnten Deutſchland und anderwärts zum Glauben an 
diefe Kegereien und zur Ausbreitung derfelben verführt hat und 
daß Bruder Nicolaus ein großer Gönner und Vertheidiger des er» 
wähnten Bruder Edart, des offenbaren Ketzers, geweſen ift”1), 

Sie verlangen deßhalb fategorifch, Daß die Verurtheilung Edarts 
erfolge, und in der That erjchien denn auch unter dem 27. März 
1329 jene berühmte Bulle, in welcher der Papft nach forgfältiger 
perjönlicher Prüfung die Lehren Edlarts, wie oben erwähnt, für häre⸗ 
tiſch erflärt. 

Es war ein ſchwerer Schlag für den Dominitanerorden und 
eine glänzende Rechtfertigung derjenigen, welche, wie jene Francis- 
kaner, von vorn herein den Edart für einen Ketzer erklärt batten. 
„Der Mehrzahl der Dominikaner”, fagt Lütolf, „war die Verur⸗ 
theilung eines ihrer Brüder ficher nicht angenehm und fchwerlich 
hätte man fie fo ſchweigend hingenommen, wären nicht Beweife im 
Wege geitanden‘‘ 2). 


Eckart ift, wie oben bemerkt, vielleicht der beveutendfte Vertreter 
ber „Philoſophie Chriſti“, welchen Die Deutfche Nation hervorgebracht 
hat). Kein mittelalterlicher Theologe hat dem menſchlichen Geifte 
höhere Ziele geftect, Teiner von der Freiheit und Selbſtändigkeit 
des Denkens einen kühneren Gebrauch gemacht al8 Edart. 

Aber fo fehr er fich dieſe Freiheit wahrt, fo entfchieven hält 
er an den Grundlagen der chriftlichen Lehre nicht aus conventios 
nellen NRüdfichten, fondern aus freier Veberzeugung feſt. Er bat 
die Frage von dem Wefen des Geiſtes und feines Verhältnifies zur 
Natur in einer Weife ihrer Löfung entgegengeführt, welche den Ideen 
Chriſti in jeder Richtung entſpricht und Genüge thut. 

Es ift wahr, daß er mit feiner Philofophie das überlieferte 
Dogma der römischen Kirche in den wichtigsten Punkten durchlöchert 
bat, aber gleichzeitig tft e8 ihm gelungen, die urchriftlichen Elemente 


1) Das wichtige Dofument ift abgebrudt bei Preger Gefch. der beutfchen 
Myſtik I, 483. 
2) Tübinger Theol. Duartalichrift 1875 ©. 603, 
3) Eine kritiſche Ausgabe feiner Schriften giebt Pfeiffer Deutſche ‚nfier Bd. 11. 
Keller, Die Reformation. 


162 


und bie tiefiten Gedanken Chrifti in um jo größerer Reinheit aus 
der bogmatischen Umhüllung herauszulöien und ihren Wabrheite- 
gehalt aufzuzeigen. Indem er feine religiöfen Ideen auf der Er- 
fabrung aufbaut und fo von einer feſten Baſis der Philofophie 
ausgeht, kommt er doch zu dem Schluß, daß die fo gewonnenen 
Refultate mit der richtig aufgefaßten Lehre Chrifti wortrefflich über- 
einftimmen. 

Es ift eine geniale, jchöpferifche Kraft, Die und aus den Schhrif- 
ten dieſes jeltenen Mannes entgegentritt — fchöpferifch nicht bloß 
in Bezug auf die Ideen, die er vorträgt, jondern auch in Betreff 
der Sprache, die er handhabt und die er für diefe Wiflenfchaft 
erit gefchaffen Hat. 

Es ift zu bevauern, daß das deutjche Volk fich dieſes Mannes 
bis jegt viel weniger erinnert hat als folder Autoren, welche den 
Stempel kirchlicher Nechtgläubigkeit mehr am fich tragen. 

Während die Schriften des Thomas von Aquing in Deutich- 
land zu Taufenden noch heute verbreitet werden, willen von Edart 
faum wenige Gelehrte etwas Genaueres zu fagen. 

Im Gegenſatz zu Anderen iſt Eckart der Vertreter einer ſpezifiſch 
deutfhen Theologie. Die Lehre, wie er fie in eine Haffifche 
Form gebracht Hat, tft nicht nur der Heimath ihres Autors und 
dem fprachlichen Gewande nach eine deutſche, ſondern fie ift auch 
mebr als irgend eine andere theologifche Ueberzeugung aus dem 
deutſchen Geifte erwachfen und dem deutfchen Gemüth homogen 
und ſympathiſch. 

Und wenn die päpftliche Entfcheivung Recht hat, welche den 
Edart den Kegern zuzählt — wie fie denn in ver That Recht bat — 
jo fteht e8 feit, daß das Kegerthum für die Entwicklung des deutfchen 
Geiſteslebens und für die nationale Cultur von grundlegender Wich- 
tigfeit geworden ift. 

Was die allgemeine Wirkung der Eckartſchen Ideen noch be 
ſonders fteigert, tft Die Thatfache, Daß er das Haupt und ver Mittel- 
punkt eines zahlreichen Sreifes von Schülern geworben ift. Dabei 
find freilich nur Wenige mit der Begabung, der Conſequenz umd 
dem Muth vorgegangen, die jener an den Tag gelegt bat; bie 
meiften haben nur eine Art äußerer und äufßerlicher Antriebe von 





163 


ihm erfahren, aber immerhin ift er der Urheber von Impulſen ge 
worden, von welchen alle die Parteien, die in fpäteren Jahrhun⸗ 
derten aus dem Waldenſerthum erwachlen find, mehr oder weniger 
berührt worden find. Ä 

Man pflegt die Literatur, die von Edarts Ideen getragen tft, 
feit langer Zeit Turzweg dadurch zu Tennzeichnen, dag man fie Die 
Literatur der „Gottesfreunde” nennt und fie zugleich in den 
weitfchichtigen Begriff der „Myſtik“ einfchachtelt. 

Eine nähere Betrachtung ergiebt indeffen, daß durch diefe Na⸗ 
men weder eine Hare Charakteriftif ver Tendenzen noch der Autoren 
erreicht wird. 

Der Begriff „Gottesfreund“ ift im 14. Jahrhundert ein Durch“ 
aus unbeftimmter. Männer, welche im Grunde auf fehr verfchie- 
dener Grundlage jteben, werden in Bauſch und Bogen „Gottes- 
freunde” genannt, fobald fie nur für gewiſſe Lieblingsvorjtellungen 
der „Myſtik“ eine Hinneigung an ven Tag legen. 

Auch der Begriff „Myſtik“ befördert Unklarheiten aller Art. 
Dean bat Erzeugniffe, welche im Grunde nichts weiter als Lebens⸗ 
regeln für Bettelmönche enthalten, mit verjenigen Literatur, die wir 
unten Tennen lernen werden und die ausgejprochen gegnerifch gegen 
die Ideale der Mönche gefinnt ift, einfach zuſammengeworfen und 
beide als „Myſtik“ bezeichnet. 

Wenn man denſelben Namen für zwei Richtungen gebraucht, 
die ſich zu ihrer Zeit auf das entſchiedenſte bekämpft haben, ſo wird 
die Thatſache gänzlich verdunkelt, daß trotz gewiſſer Berührungs⸗ 
punkte im Grunde doch eine principielle Verſchiedenheit vorhanden 
geweſen iſt. 

Es ſteht hiſtoriſch feſt, daß man heute ſolche Männer unter 
dem Namen „Gottesfreunde“ und „Myſtiker“ als eine religiöſe 
Richtung zuſammenfaßt, von denen einzelne in dem großen Kampfe 
zwiſchen dem Papſt und dem „ketzeriſchen“ Kaiſer auf des erſteren 
Seite, die anderen auf des letzteren Partei ftanden!). Ein ſolches 


° 1) Die neueren Forſchungen haben das unzweifelhafte Reſultat ergeben, daß 
Tauler ebenfo wie feine Freundin Margaretha Ebner in dem Kampf mit bem 
Bapftthum auf Seite des Kaifers Ludwig geftanden hat. S. den Beweis hier⸗ 
für bei Preger in den Abhandlungen ber II. Cl. d. K. B. A. d. W. zu München 

11* 


164 


Verfahren beißt den hiſtoriſchen Thatfachen. einigen dogmatifchen 
Beſonderheiten zu Liebe Gewalt anthun. 

Aus diefen Gründen erkläre ich hier ausprüdlich, daß die nach« 
folgenden Erörterungen Teine Charakteriftit der „Myſtiker“ im Alls 
gemeinen ober der Gottesfreunde im weiteren Sinn enthalten follen. 
Vielmehr können als wahre und ganze Schüler Edarts nur die⸗ 
jenigen Männer angejeben werden, welche, wie Johannes Tau» 
fer, der fogenannte „Sottesfreund aus dem Oberlande“ u. A., nicht 
bloß in einzelnen Auffaffungen, fondern in der gefammten Haltung 
fih an Eckart angefchloffen Haben. So fehr Heinrich Sufo, Hein⸗ 
ri von Nördlingen, Chrijtina Ebner u. A. von Edart und Tauler 
beeinflußt waren, jo find fie im Grunde doch von diefen ganz ver- 
ſchieden. Edart, Tauler und insbefonvere der fogenannte Gottes- 
freund aus dem Oberlande hängen unter fich auf das engfte zu⸗ 
fammen. Der erjtere war der Lehrer Taulers und Tauler jeiner- 
feit8 unterhielt nahe Beziehungen zu dem großen Unbefannten aus 
dem Dberlande, welchen viele Perfonen zu jener Zeit fih „an 
Gottes Statt zu Grunde gelaffen”, d. 5. ihm Treue und Geborfam 
zugefagt hatten, wie die „Brüder“, die man Waldenfer nannte, um 
diefelbe Zeit fich ihren „Apoſteln“ zur Treue verpflichteten. 


Unzäblige find heute guten Glaubens der Anficht, daß Tauler 
nichts mit den „Häretikern“ zu thun Habe, und fie gründen dieſe 
Meinung auf dejjen eigene Werke, die fie genau zu kennen glauben. 
Aber was die Meiften von Zauler kennen, tft nichts Anderes als 
die Ueberarbeitung, welche dem großen Prebiger von den Vertretern 
der römischen Kirche zu Theil geworben ift. 

Det der Bedeutung, welche Tauler erlangt bat, bat bisher noch 
jede Richtung danach gejtrebt, ihn ganz oder zum Theil als ihren 
Parteigenofjen in Anspruch zu nehmen. Die LQutheraner nennen 
ihn einen Vorläufer der Reformatoren, vie Tatholifche Kirche ver⸗ 


Bd. XIV, 1 S. 43 ff. — Vgl, auch Preger Gef. d. deutſchen Myſtik II, 291. — 
Ueber Margaretha Ebner Sympathien für Ludwig ſ. Strauch Marg. Ebner und 
H. von Nördlingen. Freiburg 1882 ©, 32 u. 38, 








165 


breitet fortwährend Schriften, die Taulers Namen tragen, die aber 
in Wirklichkeit nur ftarf „erpurgirte” Auszüge enthalten‘). 

Die Wahrheit ift, daß ſowohl die ftrenggläubige Lutherifche 
Orthodoxie des 16. und 17. Jahrhunderts als bie römifche Curie 
durch faſt alle fpäteren Sahrhunderte hindurch den Zauler als 
„Häretiker“ bezeichnet haben und daß diefer Vorwurf fo alt ift 
als Tauler jelbft. 

Schon in feinen eignen Schriften findet fich die Klage, daß 
man die „Gottesfreunde“, zu denen er fich zählt, als „Sekte“ 
bezeichne, 

Wenn die Guten fih fondern von den Schlechten, fagt er, 
find das Selten? „Der Fürft diefer Welt bat jegt an allen Enden 
gefäet das Unkraut unter die Rojen, fo daß die Rofen oft von den 
Dornen verdrüdt oder fehr geftochen werden. Es muß eine Flucht 
oder eine Ungleichheit oder eine Sonderung entſtehen, es jet in den 
Klöftern oder draußen. Und das find feine Sekten, daß fi 
Gottesfreunde ungleich ausgeben der Welt Freunden‘? 

In einer Predigt, die er am 3. Sonntag nach Zrinitatis über 
Luc. 15 bielt, fpricht er fich in höchſt intereffanter Weife über feine 
und ver „Gottesfreunde” Stellung aus). Darin eifert er gegen 
jene „kalten und fchläfrigen Menſchen“, die ſich darauf verlaffen, 
daß fie alles gethan haben, „was die h. Kirche geboten oder ver- 
boten bat“, Aber wenn fie auch alles dies gethan haben, fie wer⸗ 
den nicht Raft noch Ruhe finden in ihrem Herzen ewiglich, wenn 
nicht „das ungeſchaffene ewige Wort des himmliſchen Vaters‘ fie im 
Innern erneut und wahrhaft neu geftaltet. Anftatt deſſen wiegen 
fie fich in falfche Ruhe und fprechen: „Wir find in einem hei— 
Itgen Orden und haben die h. Geſellſchaft und beten und leſen“. 
„Dieſe blinden Menſchen meinen, daß das koſtbare Leiden unfers 


1) Dies ift Schon feit der Kölner Ausgabe von 1543, die Peter von Nymwegen 
beforgt bat, nachweisbar. Die Grundſätze, welche Peter in dieſer Richtung ge= 
handhabt Hat, find ſehr inftructiv. Vgl. C. Schmidt Joh. Tauler ©. 70f. — 
Peters Ausgabe Tiegt dann faft allen fpäteren katholiſchen und fonderbarer Weife 
auch ſehr vielen Iutherifchen Nachdrucken zu Grunde Da ift denn freilich von 
Taulers wahren Geficht recht wenig mehr zu erfennen. 

2) Taulers Predigten Ausg, v. 1521 fol, 129, 

3) Predigten a. O. fol. 76 ff. 


166 


Herrn Jeſu Ehrifti und fein theures Blut aljo mit Spielen ſoll 
hingehen ohne Frucht. Nein, Kinder, nein, e8 geht nicht alfo”. 
„Wer dann aber kommt und warnt fie der greulichen Angft, in 
ber fie leben und wie fie mit Sorgen fterben werben, deſſen ſpotten 
fie und fpredden: Es ift eines Begharden Rede’. „Das 
thun fie denen, die da ungern ſehen ihres Nächiten Unglüd und 
fie davon weifen auf die vechte Straße”. 

Der gleihe Zug gebt durch die meiften feiner Prebigten bin- 
durch. In einem Vortrage, den er über Mattb. 15 hielt, Magt er 
die Geiftlihen an, „die fich felber für gut halten und Halten viel 
von fich feldft und ſtehen dazu auf ihren Sägen und Weifen und 
balten ihre Gewohnheiten für das Wefen aller Dinge”. Das 
find die „Phariſäer“, und dieſe find es, fügt er binzu, „Die da 
vernichten die Freunde Gottes" N), 

In Webereinftimmung mit Taulers gleichzeitigen Gegnern bat 
im Beginn des 16. Jahrhunderts auch Dr. Ed die Rechtgläubig- 
feit des großen deutſchen Predigers für verpächtig erflärt und im 
Sabre 1556 behauptete der berühmte römiſch⸗katholiſche Theologe 
Melchior Cano geradezu, dag Johannes Tauler die Lehren ‚einer 
Sekte vortrage‘ 2) und deßhalb ververblich ſei. Zwanzig Iahre fpäter 
verorbniete der General der Jeſuiten Everard Mercurian wörtlich 
Folgendes: 

„Auch ſollen gewiſſe Spiritualen, welche unſeren Abſichten 
weniger gleichkommen, als da ſind Tauler, Rusbroeck, Heinrich 
Suſo u. ſ. w. und ähnliche ihrer Art den Unſrigen nicht erlaubt 
werben. Nichts von deren Büchern foll irgendwo in unferen Col⸗ 
legien aufbewahrt werben, e8 ſei denn mit dem Willen des Bater 
Provincialis‘ 3). 

Ya, im Jahre 1590 ließ Papſt Sixtus V. Taulers Pre- 
dDigten auf den Inder der verbotenen Bücher fegen und 


1) A. a. O. fol. 248, 

2) Reufch Der Inder der verbotenen Bücher. Bonn 1883. ©. 589. 

3) „Neque spirituales quidam, qui instituto nostro minus conveniunt, nostris 
permittantur, quales sunt Taulerus, Rusbrochius, Henr. Suso etc. et alii 
hujusmodi. Nihil vero horum librorum uspiam servetur in nostris collegiis 
nisi ex P. Provincialis sententia“. Friedrich Beiträge zur Geſch. b. Jeſuiten⸗ 
ordens. 1881 S. 47. 








167 


e8 wäre verfehrt, anzunehmen, daß diefer Beichluß etiva nur der 
perjönlichen Antipathie des PBapftes entiprungen fei!). In Ueber- 
einftimmung Hiermit fehrieb der Carbinal Alexander von Efte am 
25. Suli 1603 an P. Maeſtro Tommado zu Florenz: „Die Carvinäle 
der Inder-Eongregation erwarten die ihnen aufgetragene Erpur- 
gation (censura) der Werke Taulers und Saponarolas, damit 
fie gemäß den Regeln des Inder approbirt werben‘'2). 

Wenn uns alle Schriften Taulers erhalten wären, dann würbe 
es fich zeigen, daß ſowohl die Iutherifche wie die katholiſche Kirche 
von ihrem Standpunkt aus den großen Prediger und feine Freunde 
mit vollen Rechte als „Ketzer“ bezeichnet haben. 

Aber leider find eine Anzahl Schriften und gerade diejenigen 
vernichtet worden, welche von dem Verhältniß zwifchen Staat und 
Kirche und anderen wichtigen Fragen handeln und worin Tauler 
lehrte, daR geiftliche Obrigfeit und weltliches Schwert „feines mit 
dem Andern zu thun hätte“ 3). Der PBapft befahl, wie die Chronik 
berichtet, diefe Bücher zu verbrennen, „und follten ſolche Bücher die 
Geiftlichen noch die Laien beim Bann nicht leſen“. Biſchof Berthold 
von Straßburg ließ um das Jahr 1348 wirklich die Bücher aufs 
beben, und es iſt kein Wunder, daß fie nicht erhalten find. 

„Als Kaifer Karl IV. nad Straßburg kam“ (1348), fo erzählt 
die Chronik, „da gebot man den Gottesfreunden, wider die chrijt- 
liche Kirche und den Bann nicht mehr freventlih zu handeln; in- 
fonder® wurden Artikel, die aus ihren Schriften gezogen waren, 
verboten und für ketzeriſch erklärt", 

Zauler mußte um das Jahr 1350 die Stadt räumen und 
anderwärts eine AYufluchtsftätte fuchen. Heinrich von Nördlingen 
fohrieb an Margaretba Ebner: „Bittet Gott für unferen lieben 
Bater, den Tauler; der ift auch in großen Leiden, weil er Die 
Wahrheitlehrt und ihr nachlebt, jo gänzlich wie-ich einen weiß" *). 


Die Familie Taulers erjcheint im Jahre 1313 als rathsfähiges 
Geſchlecht in Straßburg. Johannes war wohlhabender Eltern Kind 
1) Reufh a. O. ©. 523. 2) Reufh a. O. ©. 370. 


3) Riezler Die lit. Widerfacher der Päpfte S. 280, 
4) Derſ. Die lit. Widerſacher ©. 232. 


168 


und es ift nabeliegend anzunehmen, daß e8 eine alte Samilienver- 
Bindung war, welche den Straßburger Patrizier Rulman Merſwin, 
ven wir fennen lernen werden, und Johannes Tauler zu inniger 
Freundſchaft zufammenführte. 

Es ift ungewiß, wann Tauler in den Dominilanerorden ge- 
treten iſt. Es jcheint in einer Zeit gejchehen zu fein, wo er ein 
majorennes Alter noch nicht erreicht Hatte. ‘Denn er thut gelegent- 
lich die merkwürdige Aeußerung: „Hätte ich gewußt, als ich noch 
Sohn meines Vaters war, was ich jegt weiß, ich wollte nicht 
des Almofens gelebt haben‘ 1). 

Seine Jugend fällt in die Jahre, wo Meifter Edart in Straß- 
burg lehrte, und es fteht feft, daß Tauler ihn als feinen Lehrer 
verehrte. Wenn irgend ein Mann, jo war Edart dazır geeignet, 
auf jugendliche Gemüther einen unauslöfchlichen Eindrud zu machen. 

Johannes Tauler fcheint feine Thätigkeit als Prediger in jenen 
Sahren begonnen zu haben, wo zu Straßburg die Anhänger Kaiſer 
Ludwigs, befonders die Werfleute und die Gilden, über ihre und 
Ludwigs Gegner einen vollitändigen Sieg davon getragen batten. 
Im Jahr 1332 war es zum offenen Kampfe in der Stadt gefom- 
men und Straßburg war von da an in den Händen. ber antipäpft- 
lichen und antibifchöflichen Partei. . 

Jetzt waren die Männer, welche Bifchof Johann im Jahre 1317 
als feine Feinde aus der Stadt getrieben Hatte, die natürlichen ' 
Verbündeten der fiegreichen Werkleute, und alle Schüler Edarts, 
Darunter auch Tauler, fttegen naturgemäß an Anfeben und an Ein- 
fing. Bald erjcholl der Ruhm feines Namens über ganz Deutjch- 
land und weit darüber hinaus; beſonders aus Südfrankreich und 
Italien dringt in den uns erhaltenen Briefen des Bruders Ven⸗ 
turint aus Bergamo feit 1336 fein Lob zu ung berüber. 

Es iſt wahr, daß die Schriften Zaulers, welche auf uns ge 
tommen find, im Ganzen rubig und gemäßigt gehalten find und 
eine „ketzeriſche“ Gejinnung nicht berausfehren. 

Dabei muß inbefien berüdfichtigt werben, daß, wie wir ſahen, 
jofort nach Zanlers Flucht aus Straßburg und der Niederlage feiner 


1) D. 5. er würde nicht in einen Bettelorden eingetreten fein. Basler Ausg. 
von 1521 fol, 1206, 








169 


Bartei im Jahre 1348 alle Diejenigen feiner Schriften, welche häretifch 
ſchienen, auf Befehl der geiftlichen Behörden aufgefucht und ver- 
nichtet worden find!). 

Sodann aber hat Zauler (ebenjo wie Edart) feinen religiöfen 
Srundfägen gemäß in den von ihm veröffentlichten Schriften ganz 
abfichtlich alle dogmatiſchen Zänfereien vermieden. Ihm kam es 
nur darauf an, die höchften und allgemeinften Geſichtspunkte bes 
Ehriftentbums zum Zwed der Beſſerung der Menfchen ſtets von 
Neuem in Erinnerung zu bringen; theologifche Streitfragen zu 
discutiren überließ er den „Schriftgelehrten” und felbft da, wo er 
zur Polemik gezwungen war, that er es in einer Weife, welche, 
wenigjtens der Form nach, durchaus gemäßigt war. 

Einer der Punkte, gegen welche fih am häufigften fein Eifer 
wendet, find die „auswendigen Uebungen“, durch welche die Men- 
ſchen fäljchlih wähnen, die Seligfeit und alle Höchften Güter zu 
erwerben. Zu folchen „Werken“ rechnet er die Fahrten, welche die 
Menfchen „nach Rom oder nach Avignon oder nach Jeruſalem“ 
machen, um dort die Gnade zu fuchen. Wenn fie wiederlommen, 
find fie allzumal „unfinnig und rafende Köpfe”. „Willſt du aber 
dem vechten Wegleiter (Chrifto) folgen, jo weifet er dich in Dich 
jelber”. Kaum aber find ihm diefe Worte entjchlüpft, fo fügt er 
mäßigend und abjehwächend Hinzu: „Dies fpreche ich nicht Darum, 
daß ich dir die Romfahrt wehre; denn dies ift verboten von den 
heiligen Päpften. Gingeft du aber in dich jelber, wo das Reich 
Gottes in Wahrbeit ift, fo fändeft du Avignon und Rom und Ablaß 
aller Schuld und das Subeljahr fröhlicher, denn e8 all die Heilige 
Chriſtenheit von Anfang der Welt bis ans Ende der Welt je finden 
mag in auswendigen Werfen”? 

Sn derſelben Weife fpricht Tauler fich gegen Diejenigen aus, 
welche im Mönchtbum etwas Verbienftliches ober gar das höchſte 
Ziel der Heiligkeit erblicken. Im einer Predigt, die er zu Mariä 
Geburt gehalten Kat, fagt er: „Daß du des Tages zu zehn Dial 
beichteft, das Hilft dich alles nichts, du wolleft denn ablafjen”. „Der 


1) Eine neue ritifche Ausgabe von Taufers Werten wäre in hohem Grade 
zu wünſchen. 
2) Wadernagel, W., Altdeutſche Prebigten u. Gebete Baſel 1876 S. 594. 


170 


Orden mat auch nicht felig noch heilig. Weber meine Kappe noch 
meine Platte, noch mein Klofter, noch meine heilige Gefellichaft, das 
Alles macht mich nicht heilig . ... Nein, nein, es gehört Anderes 
dazu; betrügft du dich, der Schaden fei dein und nicht mein‘ N). 
Und in einem anderen Vortrag äußert er: „Man findet manche 
Menschen, die das Kreuz wohl auswendig tragen mit guter aus⸗ 
wendiger Uebung und tragen eine Bürde eines Ordens. Gie 
fingen und lefen und gehn zum Chor und zum Refektor und thun 
unjerm Herrn alfo einen fchmalen Dienft mit ihrem äußeren Men⸗ 
ſchen. Wähnet ihr, dag euch Gott darum gefchaffen und gemacht 
hab allein, dag ihr feine Vögel fein, er wollte auch fein ſonderlich 
Gemahl und Freunde an euch haben. Nun, Ddiefe tragen das 
Kreuz auswendig, aber mit allem Fleiß hüten fie fich, daß es nicht 
in fie fomme” 9. Nachdem Tauler jo ganz unzweideutig die Prin- 
cipien der Gottesfreunde über diejenigen der Mönche geftelit, 
fügt er befchwichtigend binzu: „Aber es ift Doch faft gut, daſſelbe 
(das Aufere Kreuz des Ordens) tragen, es behütet fie wohl vor 
mancher Untugend und Leichtfertigteit”‘. 

Zur Charakteriftif von Taulers hervorragender Begabung fei 
eg mir geftattet, die treffende Schilderung Denifles hier wieberzu- 
geben: „Ihm mangelt es nie an hoher Kraft”, jagt jener, „fei es, 
dag er von der Vereinigung der Seele mit Gott fpricht, ſei es, Daß 
er feine Zubörer zur Buße ermahnt. Hart und unerbittlich ift er 
dem Beifpiele Chrifti gemäß bloß gegen bie Pharifäer, aber auch 
nur gegen fie. Tauler ift ein Mann großer Leivenfchaften, fonft 
wäre er ja kein großer Dann, aber er verfteht e8 immer, dieſelben 
gleich feurigen Roſſen zu bändigen und mit ficherer Hand am Zaune 
zu führen.... Zauler ift geradezu zum Typus geworden hoher 
Kraft gepaart mit Innigfett‘3), 


Es ift eine ſehr umfangreiche Literatur erhalten, welche ſich an 
die Namen Meifter Eckarts und Iohannes Taulers anfchließt. Die 
meiften Schriften, die und anonym überliefert find, werden unter 


1) Basler Ausg. von 1521 fol, 146=. 
2) A. O. fol. 1528 (col. 1). 
3) Quellen und Forſchungen Bd. 36 ©. 72, 








171 


dem Begriff „myſtiſcher“ Tractate in der Literatur mit den Werfen 
jener Männer zufammengefaßt. 

Nun haben wir oben bereit$ gefehen, Daß aus diefer anonymen 
Literatur felbft ſolche Schriften, die man zeitweilig für Geiftespro- 
dukte Edart8 oder Taulers hielt und unter deren Namen publi- 
cirte, nicht dieſen, ſondern ungenannten Apofteln der Waldenfer 
zuzufchreiben find. 

Sollte e8 nicht möglich fein, daß noch weitere Buůcher derſelben 
Quelle entſtammen? 

Angeſichts der Thatſache, daß man bei „Leerifchen" Schriften 
in der Regel eine „Erpurgation” vorausfegen muß, tft es nicht 
leicht, den wahren Sachverhalt Har zu ftelflen. Doch dürfte eine 
vorfichtige Unterfuchung Anhaltspunkte genug finden. 

Um nur eins zu erwähnen, jo ift e8 nicht unwahrfcheinlich, 
daß zu diefen überarbeiteten Produkten der Waldenferliteratur auch 
jene berühmte Fleine Schrift des 14. Jahrhunderts gehört, welche 
im 16. Jahrhundert eine jo außerorbentliche Wirkung in Deutſch⸗ 
land hervorgebracht hat, nämlich die Abhandlung, welche früher dem 
Joh. Tanler zugefchrieben wurde und die von Luther unter dem 
Titel „Deutſche Theologie‘ Herausgegeben worden ift. 

Die Gründe, welche für Diefe Annahme fprechen, werden zum 
Theil erſt im weiteren Verlauf unjerer Unterfuchung klar werben. 

Jedenfalls ift e8 beachtenswertb, daß mar von römiſch⸗katho⸗ 
liſcher Seite die lateiniſchen Ueberſetzungen diefer Schrift auf den 
Inder fegen zu follen geglaubt bat. Es find im Jahr 1621 ſo⸗ 
wohl die Ueberfegung, die bei Chriſtian Plantin zu Antwerpen im 
Jahr 1558, wie diejenige, welche im’ Iahr 1580 zu Lyon im Drud 
erfehienen waren, verboten worden. Schon im Jahr 1580 hatte 
Blantın Angriffe abzuwehren, die gegen ihn aus Anlaß dieſes Druckes ˖ 
gerichtet worden waren !). 

Außerdem mag daran erinnert werben, daß das Werkchen nach 
dem Wortlaut der handfchriftlich überlieferten Vorrede von einem 
„Gottesfreund“, der ehemals ein Deutfchordensherr geweſen, verfaßt 


1) Reufch Der Inder ©. 604. — Es muß allerdings bemerkt werben, daß 
die römifche Kirche das Blichlein nicht confequent verurtheilt hat, ſondern zeit- 
weilig geneigt war, daſſelbe paſſiren zu laſſen. 


172 


worben ift.. Die nahen Beziehungen der Walvenfer zu dem deutſchen 
Orden wie zu den Iohannitern werden wir unten Tennen lernen. 

Wenn man weiß, daß die „Apoftel” in einem fortwährenden 
Kampfe Iagen mit einzelnen Perfonen, welche in falſchem Pan⸗ 
theismus den chriftlichen Ideen eine mißverſtandene Auslegung gaben 
— es find dies die fogenannten „Brüder des freien Geiſtes“ — 
fo gewinnt der Zufag unjerer Vorreve, daß das Büchlein Iehren 
wolle, „wie man erfennen möge die wahrhaften, gerechten Got- 
tesfreunde und auch die ungerechten, falfchen freien Geifter‘ eine 
befondere Bedeutung, 

Beſonders charakteriſtiſch aber ift die nachfolgende Wendung 
bes Borworts: „Dies Büchlein hat der allmäcdhtige ewige 
Gott ausgefproden durch einen weifen, verftändigen, 
wabrhaftigen, gerechten Menjchen, feinen Freund“, 

Es Tiegt darin unzweifelhaft eine Anfpielung auf die walden⸗ 
fifche Ueberzeugung, daß Die Schriften, welche die „Apoſtel“ verfaßt 
hatten, eine befondere Autorität befäßen. 

Es läßt fich nachweifen, daß der obige Zufag von den „Brü⸗ 
dern” ſolchen Büchern, welche bei ihnen das hochſte Anſehen ge⸗ 
noſſen, gern beigefügt ward. 

So hat eine unbekannte Hand dem Büchlein von den „Neun 
Felſen“ eine Schlußbemerkung angefügt, welche in Inhalt und Form 
der Vorrede der „Deutjchen Theologie” ungemein ähnlich ift. Auch 
hier wird der Verfaſſer ganz abfichtlich verfchleiert. „Niemand darf 
noch ſoll fragen, wer der Menfch war, durch den Gott dies Bud 
gefchrieben hat’. „Gedenket durch Gott des armen Menfchen, durch 
ben Gott diefe warnende Lehre geichrieben hat“ 1). 

Indeſſen Tann die Frage nach der Urheberfchaft der „Deutjchen 
Theologie” an dieſer Stelle nur angeregt, nicht entſchieden werben. 
Für unferen Zwed genügt e8, zu willen, daß die Grundgebanten 
dieſes Büchleins mit denjenigen der „Gemeinden Chriſti“ durchaus 
übereintommen und daß der Zuſammenhang, in welchen das Bud 
früher mit Tauler gebracht ward, auf der inneren Verwandtſchaft 
mit diefem beruht. 


1) &. Schmidt Das Buch von den neun Fellen S. 147. 











Siebentes Capitel. 
Das Merſwinſche Beghardenhaus zu Straßburg. 


Die Zuftände im Neich feit 1348. — Das Gefchleht der Merfwine und bie 
Beghinen. — Rulman Merfwin (geb. 1308). — Er ftiftet ein „Fluchthaus“ 
oder „Gotteshaus“. — Deſſen Leitung erhält ein „Sottesfreund‘. — Das 
Gotteshaus geht in die Hände des Johanniterordens über, — Der „Gottes⸗ 
fremd‘ übermittelt dem Gotteshaufe eine reiche Literatur. — Diefe Literatur 
ift erhalten. — Bedeutung und Charakter der erhaltenen Schriften. 


Es war feit dem Tode Kaiſer Ludwigs und der Thronbefteigung 
Karls IV. im Jahre 1348 eine fchwere Reaction über Deutſchland 
hereingebrochen — eine Reaction, welcher manche Blüthe des geiftigen 
Lebens zum Opfer gefallen ift. 

Bereits im Frühling 1346 waren König Johann von Böhmen 
und fein Sohn, Markgraf Karl, in Avignon gewefen und e8 war 
dort zwifchen Erfterem und dem Papſt Clemens VI. ein Abkommen 
über die Kaiſerwahl getroffen worden. 

König Sohann und fein Sohn erfüllten alle Bedingungen, 
welche die Curie ihnen auferlegte, gegen Die Zuficherung der päpft 
lichen Unterftügung bei Der bevorſtehenden Wahl. Die Bulle Unam 
Sanctam wurde durch einen deutſchen König und Tünftigen Kaifer 
officiell anerkannt und in die politifche Ordnung der abendländi- 
ſchen Welt eingeführt. 

Die Unterwerfung war fo vollftändig, daß die Italiener es 
laut ausfprachen, diefer Karl von Mähren ſei ein „Pfaffenkönig“, 
und ſelbſt in Avignon ſoll die Rede gefallen fein, er fei ein Mieth- 
ling und Botenläufer‘). 


1) Höflee Die avignoneſiſchen Päpfte S. 44. 


174 


Im Jahre 1353 wurde von Papft Innocenz VII der Domis 
nilaner Johannes de Schandeland mit umfafjenden Vollmachten zu 
dem ausdrüdlichen Zwed nach Deutfchland gejchieft, um die „Peſt“ 
‚ver Teterifchen Begharden aus dem Schooß der h. Kirche auszuftoßen. 

Bald darauf folgten die ſchärfſten Mandate geiftlicher und welt- 
licher Fürften. Aber bei den Edieten blieb es nicht; alles, was ver 
bächtig war, wurde eingezogen und weit über das deutſche Land fah 
man die Scheiterhaufen lodern !). 

Nur in einzelnen Reichsſtädten, wo man den Wandel der Zeiten 
nicht fo vafch mit machte, fanden die „Brüder“ fortbauernd eine 
ſtille Duldung, zumal in der Metropole des Oberrheins und bem 
Hauptfite des Ketzerthums, in Straßburg, und die Entwicklung, 
welche die Dinge Bier nahmen, ift dann von ganz erheblicher Be 
deutung geivorben. 

Denn Straßburg tft e8 gewefen, wo fich unter eigenthümlichen 
Berhältniffen eine wichtige und umfangreiche Literatur entwidelt 
und erhalten bat. 

Diefelbe ift, wenigjtens zum Theil, in der Gegenwart bekannt 
genug. Aber indem man fie unterfchievslos in den allgemeinen 
Begriff der „Myſtik“ Hineingezwängt bat, ift ihr fpecifiicher Charal⸗ 
ter ganz überjehen worden. 

Es muß Hier leider hervorgehoben werden, daß auf dem Ge 
biete der fogenannten „deutſchen Myſtik“ trog mancher vortrefflicher 
Forſchungen eine große Verwirrung vorhanden ift. Es berrfcht vor- 
läufig eine folche Unficherheit in Betreff der Autoren der einzelnen 
myſtiſchen Schriften?) und ein ſolcher Mangel an guten Texten, 
dag die Zuſammenwürfelung ganz beterogener Geijtesprodufte, bie 
ung in späteren Jahrzehnten gewiß unbegreiflich fcheinen wird, heute 
noch zu den alltäglichen Vorkommniſſen gehört. 

Die Literatur, welche wir hier im Auge haben, erhält ihr ganz 
beftimmte8 Gepräge durch den Umstand, daß ihre Entjtehung wie 
ihre Gefchichte mit derjenigen des Merſwinſchen „Gotteshaufes” zu 


1) Die Einzelnheiten bei Moſsheim De Beghardis ©. 324 ff. 

2) Vgl. Denifle Das Buch von geiftliher Armutb Münden 1877 ©.1. 
„Maucher deutſche Myſtiker würde bezüglich feiner Lehre in einem andern Lichte 
erjcheinnen, wenn die untergefehobenen Schriften von dem echten ausgefchteben wären“. 





175 


Straßburg, welches anfangs den Charakter eines „Begbarbenhaufes‘ 
trug, ſpäter aber, anftatt (wie die übrigen Häufer) an die Tertiarier 
bes Franciskanerorden, an bie Sohanniter überging, auf das engjte 
verfnüpft ift. 


In Straßburg hatten, wie in anderen Stäbten, die „Brüder“ 
ihre vornehmfte Stüße in den Werkleuten und Gilden beſeſſen. 
Aber feit alten Zeiten waren auch eine Reihe von vornehmen Ge⸗ 
ichlechtern Mitglieder der Partei gewefen, wie wir oben bereits ge» 
ſehen haben. Im Jahre 1229 ward ein gewiffer Gulden ver- 
brannt, welcher, wie die Chronik berichtet, einer der angejehenften 
und reichiten Bürger Straßburgs gewejen wart). Ebenſo war hier 
wie anderwärts die Beziehung der Begharden und Beghinen zu 
den „Brüdern“ von je fehr innig; denn ums Jahr 1400 war 
unter den verurtbeilten „Waldenſern“ auch die „Meiſterin“ eines 
Schweiternhaufes 2). 

Nun war zu Straßburg um das Jahr 1266 ein Gefchlecht 
eingewandert, welches den Beinamen Delphinus befaß und Daher 
wahrfcheinlich aus dem Delphinat ftammte, Die Familie verbeutfchte 
in fpäterer Zeit ihren Namen und nannte ſich Merjwin (Merjchwein). 
Es war ihr gelungen, fich einen ausgezeichneten Play unter den 
älteren Gefchlechtern zu erwerben. 

Der Name der Familie war feit alten Zeiten in Straßburg 
mit vielen frommen Stiftungen verknüpft. Noch im Jahr 1509 
wird in allen Dofumenten „ber Merſchwin Gotzhus“9) erwähnt, 
eine Stiftung, welche in anderen Quellen‘) al8 Beghinenbaus 
bezeichnet wird, das von den Merſwins begründet worden war. 
Es verdient Beachtung, daß der urjprünglich waldenfifche Ausprud 
„Gotteshaus“ fich bis in jene fpäte Zeit erhalten hat. 

Diejer Familie gehörte Rulman Merſwin an, welcher um das 
Jahr 1308 geboren zu fein fcheint. 

1) Chron. Dominic. Colmar. bei Urstitius II, p. 6. Im Jahre 1230 war 
ein Hugo Gulden Schöffenmeifter von Straßburg. 

2) Rohrich Ztſchr. f. Hit. Theol. 1840 I. S. 145 u. 152. 

3) &. Schmidt Ich. Tauler 1841 S.187 Anm. A aus Seb. Mungs Coll.f.761. 


4) Röhrih Ztſchr. f. Hiftor. Theol. 1840 I, ©. 136 Anm. 41 aus Schöpflin 
Alsatia illustr. II, 657. 


176 


„Während andere im Waffendienfte glänzten‘‘, fo erzählt bie 
Chronik, „oder nach politifchen Würden ftrebten, hat Rulman fich 
ganz und gar der Wiflenfchaft von dem Ewigen gewidmet, zumal 
feit der Zeit, wo feine Gattin von ihm getrennt war”. „Er war 
ein Dann von einfach ftiller Weife, beiteren Gemüths, liebens⸗ 
würdig im Verkehr und von zart befaitetem Gewiſſen, deſſen Leitung 
er in die Hände Johannes Taulers, des berühmten Mannes, ge- 
legt hatte“. 

Nachdem er ſich von den Geſchäften zurückgezogen, lebte er nur 
der Aufgabe, mit ſeinem großen Vermögen und ſeinem Wiſſen ſeinen 
Mitmenſchen zu dienen. 

Wir willen, daß er vielerlei geheime Verbindungen beſaß, be⸗ 
fonder8 in der Schweiz, am Rhein und in Süpfranfreich N). 

Nah dem Beifpiel feiner Vorfahren faßte er den Entſchluß 
eine Stiftung zu machen. 

Er ging darüber zu Rathe mit einem „Gottesfreunde” 2), deſſen 
Namen uns nicht überliefert ift, und dieſer berichtet gelegentlich in 
einem Briefe vom 24. April 1377 über die Conferenzen, die bef- 
wegen zwifchen Rulman und ihm gehalten worven feien?). „ALS 
wir ebemals zu manchem Male bei einander waren und oft und 
viel gedacht hatten, daß es uns durchaus nicht wohlgefiel, daß man 
neue Klöfter made, verwarfen wir e8 in unferem Sinne ganz 
und gar und unfere Meinung war alfo, finde man Berjonen, bie 
in ein Klofter gehörten, fo finde man erft recht der Klöfter genug.” 


1) Ueber die Verbindung Benturinis (von Avignon) mit den Gottesfremm- 
ben f. Preger Geſch. d. deutſchen Myſtik II, 301. Weber deffen Conflikte mit ber 
Eurie . a. a. O. 

2) Ich will hier gleich bemerken, daß ich den Unterſuchungen Denifles über 
Merſwin und den „Gottesfreund“ (ſ. Ztſchr. f. deut. Alterth. 1880 S. 200 ff. 
©. 280 ff.; ebend. 1881 ©. 101 ff.) nach ſorgfältiger Nachprüfung inſofern voll⸗ 
kommen beiftimme, als bie bisher verfuchten Wege, den Namen bes „Gottes⸗ 
freundes“ feftzuftellen, al8 mißlungen zu betrachten find. Dagegen balte ich ben 
von Denifle verjuchten Nachweis, daß Merfwin und der Gottesfreund eine 
Perſon find, nicht für erbracht. So lange dies nicht geſchehen ift, bleibt bie gut 
bezeugte Verſchiedenheit beftehen und forbert eine Löfung des Problems — Auf 
die umfangreiche Literatur über den „Gottesfreund im Oberlande‘ werben wir 
unten binweifen. 

3) C. Schmidt Nicol. v. Bafel ©. 303. 


177 


Die beiden Freunde waren der Anficht, daß es beſſer fei, anftatt 
beffen „ver Noth der Armen zu Hülfe zu kommen“). 

Schließlich kamen beide Männer überein, „ein Haus der Flucht 
für ebrbare, gutherzige Männer, Pfaffen oder Laien, Nitter oder 
Knete zu gründen, die in göttlicher Meinung die Welt zu fliehen 
und ihr Leben zu befleren verlangen”, und es tft merfwürbig, daß 
ver „Sottesfreund” in einem Schreiben an Rulman vom 1. Aug. 
1377, wo er gelegentlich auf die erften Berathungen zurüdtommt, 
bie neue Stiftung felbft ein „Gotteshaus“ nennt?) 

Diefelde trug mithin in ihrer erften Zeit fogar den Nanten 
verjenigen Häuſer, die man fonft Begbardenhäufer nannte, 

Mit dem „Gotteshaus war zunächft Feine im Gebrauch be- 
findliche Kirche verbunden, fondern die Andachten wurden in einer 
Rapelle abgehalten. 

Erft in fpäterer Zeit, al8 das Haus an den Iohanniterorven 
übergeben worden war — wir werben fofort darauf zurüdtommen — 
begann diefer eine Kirche zu errichten. 

“Die Correipondenz, welche über diefen Neubau geführt ward, 
enthält fo charakteriftifche Punkte, daß Durch fie ein helles Licht auf 
bie Männer fällt, welche an der Stiftung betbeiligt waren. 

Es geht nämlich aus den Briefen unferes Gottesfreundes her⸗ 
vor, daß er ein entjchievener Gegner fteingewölbter Kirchen ift 
und den Bau „großer Münfter mit Toftbaren Gemwölben‘ dringend 
wiberräth. j 

Am 24. April 1377 fchreibt er an den Comthur des Haufes 
zu Straßburg in Bezug auf den Kirchenbau, den die Johanniter 
damals vorbatten, ver Bau jet ohne den Rath des h. Gelftes unter- 
nommen, er fei von der verborgenen Eitelleit eingegeben, e8 anderen 
Orden zuvorzuthun. Gott babe ſolchen Stolz häufig beftraft; „ihr 
jollt wiffen, daß ich es in dreißig Jahren in vielen Landen und 
Städten geſehen babe — demnach war der „Gottesfreund im Ober- 
land‘ 30 Jahre Yang durch Länder und Städte gewandert wie bie 
älteren Gottesfreunde — „wie Gott an diefen blinden Unterneb- 


1) Schmidt a. O. ©. 36. — Ueber die weitere Entwidlung der Sade zu 
einem Iohanniterconvent |. unten. 
2) C. Schmidt Nic. v. Bafel ©. 318. 
Keller, Die Reformation, 12 


178 


mungen fich gerächt bat; ich Habe große Münfter gefeben mit 
dicken Mauern und koftbaren Gewölben, die Durch Das Erbbeben 
umgeftürzt worden; einfache, von Holz gebaute Kirchen find 
dagegen ftehen geblieben; dar um rathe ich euch aus gättlicher 
Liebe, bauet auch nur ein hölzernes Gewölbe"! 

Nun haben wir oben bereits gejehen, Daß zu den fpecififchen Eigen- 
thümlichkeiten der altevangelifchen Gemeinden, die man „Waldenfer 
nannte, eben diefer Widerwille gegen fteingewölbte Kirchen gehört 2). 

Wir haben einzelne der Erwägungen, aus welchen diefe Son- 
derbarkeit hervorging, fchon angeführt. Aber ein Punkt, der bort 
nicht angebeutet ward, muß hier betont werden, daß nämlich Diefe 
Stellung der „Chriftenbrüder” zu den Steingewölben unzweifelhaft 
auf uralter Tradition berußt. 

Man erinnere fih nämlich, daß die altchkiſtlichen Kirchen 
in der That den Mittelraum ihrer Halle ſtets nur mit Holz und 
zwar mit einem Dach gewölbt haben, deſſen Balken durch eine 
Felderdecke verbunden waren. Auch die Thürme fehlten dieſen älteſten 
Baſiliken und die Wände der Seitenmauern waren grundſätzlich 
durchaus einfach gehalten. Sachverſtändige bezeugen, daß dieſe Ge⸗ 
bäude eben durch ihre einfache, aber oft großartige Anlage ernſt und 
bedeutend auf den Beſchauer wirkten. 

Die urkundlich bezeugte Antipathie der „Waldenſer“ gegen die 
neue Form der Steingewölbe iſt nichts Anderes als die von Ge⸗ 
ichlecht zu Gefchlecht fortgepflanzte Erinnerung an die Principien 
ihrer Vorfahren und es iſt fein Zweifel, daß darin zugleich ein 
Vingerzeig liegt, welcher auf das hohe Alter der „Brüdergemeinden“ 
hinweiſt. 

Um die Verwandtſchaft der Ideen unſeres „Gottesfreundes“ 
mit denjenigen der „Waldenſer“ voll zu machen, beachte man, daß 
er in demſelben Briefe, in welchem er ſich gegen die Steingewölbe 
ausſpricht, empfiehlt, ein Spital zu bauen. „Ihr finget ein Spital 
an mit Rath und Geheiß eures Herrn des Meiſters; es kam der⸗ 
ſelbe Rath aus dem h. Geiſte, das weiß Gott wohl; dieſes ſelbe 
Spital habt ihr ganz und gar laſſen untergehen; wie das unſere 
Nebenmenſchen aufgenommen haben, das weiß auch Gott wohl“. 

1) Schmidt Nie. v. Baſel S. 301. 2) Vgl. oben ©. 84. 





179 
Wo tft die Partei außer den „Waldenſern“, welche gleiche 
Grundfäge ausgejprochen bat? Wenn man gleichwohl zufällige An- 
Hänge hierin erbliden will, jo werben, wie ich hoffe, die Erörterungen 
der nachfolgenden Capitel das Gegentheil erweifen. Nur muß man 
die Beweisgründe nicht ftüchweife, fondern in ihrem Zufammenhange 
betrachten. 


Rulman Taufte für feine Zwede ein Grundftüd in der Nähe 
der Stadt auf einer Ill⸗Inſel bei Straßburg, den fogenannten 
Grünen Wörth. Das Haus war fertig etwa im Jahre 1366. Drei 
weltliche Pfleger erhielten die Leitung und entjchieden über die Auf- 
nahme der „Brüber”. Die Aufgenommenen mußten fich ſelbſt be- 
föftigen, erhielten aber Wohnung, Heizung und Licht. Sie lebten 
nach Beitimmungen, die ihre Freiheit nicht fehr beeinträchtigten. 

Der oben erwähnte „Gottesfreund” war der Freund und Be- 
rather der Inſaſſen; nicht bloß auf das äußere Wohlergeben, fon- 
dern vor Allem auf das geiftige Leben der „Brüder“ erftredte er 
jeine Fürforge. ‚Er genoß einen unbedingten Gehorſam bei Rulman 
Merfwin und deſſen Schüßlingen, die fich dem Gottesfreunde an 
„Gottes Statt zu Grund gelaſſen hatten‘, 

In früheren Iahrzehnten würde die Stiftung in dieſer Form 
unangefochtenen Beitand gewonnen haben. Seitdem aber im Jahre 
1365 mit der Thronbefteigung des Biſchofs Johann ein Neffe Kaifer 
Karls IV. das Regiment im Bisthum führte, war die Stadt außer 
Stande, die frühere Haltung in der Neligionsfache beizubehalten. 
Rulman mußte fich dazu verftehen, die geiftliche Leitung feiner neuen 
Anſtalt dem Elerus des Bifchofs zu übergeben. Durch päpftlichen 
Erlaß vom Jahre 1368 erhielten vier Weltpriefter die Seelforge in 
dem Hauſe. 

Wir Tennen einen der Männer, auf welchen die Wahl als 
Geiftlicher des Haufes fiel, nämlich Nicolaus von Laufen, der 
wie wir willen, dem Rulman unbedingt ergeben war. “Diefer be- 
richtet und über fein Leben felbft, daß er im Jahre 1359 im Alter 
von 20 Jahren in das Tuchgeſchäft des Heinrich Blankarts von 
Laufen eingetreten war und fieben Jahre dort gedient hatte. Im 


Sahr 1366 kam er auf Rulmans Veranlaffung und als deſſen 
12* 


180 


Sekretär in das Stift zum „Grünen Wörth“. Im Sabre 1367 
ließ er fich zum Briefter weihen und wurde einer ber Geiftlichen 
des Stifts. 

Gründe, die wir nicht Tennen, zwangen Merſwin, vie Ueber⸗ 
gabe feines „Gotteshauſes“ an eine Ordensgeſellſchaft ins Auge zu 
fafien!), und fo entjchloß er fich im Jahr 1371, das Haus dem 
Sobanniterorden zu übergeben. Nicolaus von Laufen wurde 
ber erite Conventual der neuen Niederlaffung; Heinrich von Wol- 
fach, welcher dem „Sottesfreunde im Oberland” durchaus ergeben 
war, wurbe eriter Comthur. 


Der „Gottesfreund aus dem Oberland” unterhielt, wie wir 
wiffen, nahe Beziehungen zu den Sohannitern und er war bet dem 
Comthur Conrad von Sulzınatt zu Sulz im Ober-Elfaß kurz vor 
bem Zuftandeflommen der Uebertragung des Grünen Wörth an den 
Orden gemwejen. Der Gottesfreund behauptete, daß er Tein geift- 
liches Inftitut kenne, welches mehr „Freiheiten“ befige2), und der 
Meister des Ordens in Deutfchland, Conrad von Brunsberg, welcher 
den Ideen Merfwins freundlich gegenüber ftand, gewährte, in Ueber⸗ 
einftimmung mit dem Großmeifter auf Rhodus, ber neuen Nieder- 
loffung die günftigiten Bebingungen?). 

Es läßt fich eine Hinneigung der Ritterorden und zwar ſowohl 
der Deutjchherrn wie der Iohanniter zu der Richtung, welche Mer- 
fwin vertrat, deutlich beobachten. Wir willen, daß diefe Orden in 
dem Kampfe zwifchen SKatfer Ludwig und der Curie fich durch ihre 


1) Die Eorrefpondenz, welche Nic. dv. Laufen mit dem „Sottesfreunbe im 
Oberland‘ vor ber Uebergabe führte, ift erhalten. ©. Schmidt N. v. B. ©. 284 ff. 
RN. dv. Laufen war gegen bie Uebergabe an die Johanniter, jedenfall wollte er 
„den Orden nicht annehmen“ ohne ein befonderes Ablommen wegen ber Frei- 
beiten des Haufe. Schlieglich Tam ein Vertrag zu Stande, welcher alle Theile 
befriedigte, 

2) Schmidt N. v. B. S. 294: „Wissent, alse ich habe gehoert, so weiss 
ich deheinen orden in der christenheit, der me friheite habe denne der Jo- 
hanser orden“. 

3) Daß die Freunde der Beghinen zugleich auch Beglnftiger der Johanniter 
waren, läßt ſich Häufig in jener Zeit nachweiſen. So z. B. Heinrich von Lone, 
welcher den Johannitern und den Beghinen zu Wefel fein Vermögen zuwandte. 
Vgl. Heidemann in ber Ztfchr. des Berg. Gefch.-Vereins Bd. IV, 89, 





181 


entihiedene Parteinahme für ven erfteren hervortbaten !). In den 
Kreifen des deutfchen Ordens erwuchs gerade um jene Zeit die Heine 
Schrift, welche jpäterhin unter dem Namen der „deutſchen Theologie‘ 
fo großes Auffehen machen follte. 

Das Ablommen, welches Merjwin mit den Iohannitern ge» 
troffen Hatte, ward dem „Gottesfreund im Oberlande” zur Ge- 
nebmigung vorgelegt 2). 

Diefe Veränderung vollzog fich im Iahre 1371. Seit 1370 
batte ſich Merſwin nach dem Tode feiner Frau gleichfalls in das 
„Bruderhaus“ zurüdgezogen. 

Die Leitung des Hauſes hatte bis zum Sabre 1369 der „Got⸗ 
tesfreund“, der feit etwa 1350 vielfach mit Rulman perjönlich ver- 
tehrte, zwar nicht formell, aber faktifch in der Hand gehabt. 

Seit 1369, d. b. fett demſelben Jahr, wo Kaifer Karl IV. von 
Lucca aus das furchtbare Dekret vom 10. Juni 1369 wider Die 
Begharden mit den außerordentlihen Vollmachten für die Ingquifi- 
toren erließ?), fehen wir den „Gottesfreund im Oberlande” niemals 
wieder mündlich, fondern ſtets nur jchriftlich mit Merſwin und den 
‚Brüdern im Grünen Wörth verkehren. 

Die Schickſale des Merſwinſchen „Bruderhauſes“ und nach 
maligen JohanniterConvents find denjenigen aller übrigen Beghar- 
benhäufer durchaus verwandt, nur mit dem Unterſchied, daß bie 
übrigen Brüber- und Schweiternbäufer feit der großen Reactions⸗ 
periode in der Regel nicht in die Hände der Johanniter, fondern 
- der Francisfaner übergingen. | 

Wir haben an anderer Stelle die Thatjache eriviefen, daß bie 
jogenannten „Beghinenhäufer” (wie man die Brüber- und Schwe⸗ 
fternhäufer zufammtenfafjend bezeichnete) unter der geiftlichen Leitung 
eines „Apoſtels“ der Brüder ftanvden. Es ſteht aber auch feft, 
dag in vielen Zällen die Infaffen des Haufes den Namen - ihres 
geiftlichen „Waters“ nicht kannten, da es in ihrem eigenen Intereſſe 


1) Preger in den Abhandlgg. ber IL Cl. d. K. B. Ak. d. W. Bd. XIV. 
Abth. J. S. 47. 

2) Schmidt a. DO. ©. 37 u. ©, 293f. Der Gottesfreund nennt das Ab⸗ 
fommen „verbuntnisse“. 

3) Dafielbe ift abgedrudt bei Mosheim a. DO. ©. 343 ff. 


182 


Yag, den „heimlichen Gottesfreund" und ihren Wohlthäter eventuell 
nicht verrathen zu müffen. Gewöhnlich Tehrte der „heimliche Freund 
in beftimmten Zwifchenräumen perfönlich in dem Stifte ein, ja, es 
war unter Umftänden auch für ihn ein „Fluchthaus“. In den 
Zeiten fehwerer Verfolgung aber, wenn jene nicht wagen durften, ihre 
Schlupfwinkel zu verlaffen, pflegten heimliche Boten oder einzelne 
beftimmte Bertrauensperfonen den Verkehr der Gottesfreunde 
mit den Häufern zu vermitteln. Das find die „Botjchaften‘, von 
welchen Alvarus Belagius in Bezug auf die Beghinenhäuſer Thon 
im Sabre 1330 berichtet. 

Ein folder Bertrauensmann war in unferem Falle Rulman 
Merfwin. Durch Nicolas von Laufen vermittelte er die Bücher 
und Botichaften des heimlichen „Gottesfreundes” den übrigen Mit- 
gliedern des Convents und die Ritter nahmen, ohne eine Ahnung 
von dem wahren Urfprung der Schriften, die man ihnen empfahl, 
zu befigen, nicht nur deren Ideen in ſich auf, ſondern fie forgten 
auch dafür, dag diefe in ihren Augen fo koſtbare Literatur ihren 
Nachkommen erhalten werde. Zu diefem Zweck Tießen fie mehrere 
große Pergament⸗Codices anlegen, in welche Nicolaus von Laufen 
und Andere die Bücher abjchrieben, und ein günftiges Geſchick hat 
es gefügt, daß biefelben bis auf diefen Tag erhalten find. 

Es ift von allen Seiten anerkannt, daß bie fo erhaltenen Werfe 
zu den intereffanteften Erzeugniffen der deutſchen Profa-Kiteratur 
des Mittelalters gehören ). Mehrere Umſtände haben bewirkt, daß 
fih an Entftehung, Charakter und Wefen dieſer Bücher eine Reihe - 
ungelöfter Probleme Tnüpfen. 

Keine der Schriften, die uns vorliegen, iſt bivelt aus der Hand 
des Autors und unter feinem Namen auf uns gelommen. Viel⸗ 
mehr befigen wir fie nur durch eine mindeſtens breifache Vermitt⸗ 


1) Man Tann ihre Bedeutung ſchon aus der Fülle von Monographien er⸗ 
kennen, welche in den Testen Jahren über fie entftanden find. Bel. & Schmidt 
Nicolaus von Baſel Wien 1866. Denifle Hiftor. polit. BL. 1875. — Derf. 
Ztſchr. f. deutſches Alterth. 1880 ©. 200 ff. 280 ff. u. ebd. 1881 ©. 101 ff. — 
A. SJundt Les Amis de Dieu. Paris 1879. — Derf. in Herzog u. Plitts Real- 
eneyklopädie 2. Aufl. s. v. Johann v. Chur, — Liltolf Der Gottesfreund im 
Oberland in den Jahrbb. d. fchweiz. Geſch. I. Zirih 1877. — 8, Tobler im 
Anz. f. ſchweiz. Gef. 1880 ©. 244 ff. 


183 


lung, nämlich diejenige des „Gottesfreundes“, Merſwins und des 
Abſchreibers. Nun läßt fih an Beifpielen darthun, Daß einzelne 
Schriften, für welche unfere Quelle den „Oottesfreund” als Autor 
nambaft macht, entſchieden nicht von dieſem verfaßt worben finb!), 
daß ferner andere, die derſelbe Unbelannte verfaßt haben fol, von 
Merfwin und vielleicht auch von dem Abfchreiber ſtark interpolirt 
und verändert worben find. Da ergiebt, fich denn nun die ſchwierige 
Frage, welches find Die Bücher oder die Abjchnitte der Bücher, bie 
wirklich der „Gottesfreund“ nievergefchrieben bat, und welches an⸗ 
bererjeit8 die Werke, die von den Vermittlern nur an feinen Na- 
men angelnüpft wurden, vielleicht zu dem Zweck, ihren eignen An⸗ 
fihten ein größeres Anfeben zu geben? 

Selbft aber, wenn es gelingen follte, eine ſolche Scheidung 
jemals zu vollziehen, fo ergiebt fich die weitere Frage: Sind die 
Bücher, welche der „Gottesfreund‘ mit feiner Hand gefchrieben bat, 
wirklich die Erzeugnifje feines eigenen Geiftes oder find es etwa 
blog Abfchriften Älterer Tractate, die er angefertigt Hatte, 
um fie feinen Freunden zuzufenden. Sp gewiß es einerfeits ift, 
daß unfer „Gottesfreund aus dem Dberlande” ſelbſt productiv lite⸗ 
rarifch thätig war, fo viele Anzeichen fprechen dafür, dag mehrere 
Bücher — e8 gehen unter feinem Nanten gegenwärtig 16 Schriften, 
von welchen einige noch ungebrudt find?) — Erzeugnifie einer ur- 
alten Literatur der altevangelifchen Gemeinden find, die unſer Got- 
tesfreund entweber in Abjchrift oder in Ueberarbeitung nach Straß- 
burg gefandt bat. Manches davon bat dann Merfwin, ehe er es 
aus den Händen gab, nochmals überarbeitet und ſchließlich Hat der 
Anfchreider auch aus dem Seinigen einiges binzugethan. 

Hierzu kommt aber noch ein Anderes. Unter dem ‘Drude ber 
gefährlichen Zeiten, in welchen die drei genannten Mittelsperfonen 
jene Schriften an Nichteingeweihte weiter. gaben, hielten fie e8 für 
notwendig, ven wahren Urjprung und Charakter verfelben zu ver- 
ſchleiern und fie in eine durchaus unverbächtige Form zu bringen. 
Dies Motiv war bei dem „Gottesfreunde” wie bei Merſwin, wie 


1) Vgl. Jundt Les Amis de Dieu ©. 22 Nr. XX. u 
2) Das vollftändige Verzeichniß nebft Angabe bes Drudorts bei Jundt a. O. 
©. If. 


184 


fchlieplich auch bei Nicolaus von Laufen wirkſam, und feiner von 
ihnen gab ein Werk aus der Hand, dem er nicht zuvor alle ketzeri⸗ 
ſchen Spitzen nach Möglichkeit genommen hätte 

In dem einzigen Buche, deſſen Autograph uns erhalten zu 
fein fcheint, dem „Buch von den fünf Mannen”, welches unfer 
Sottesfreund im Jahre 1377 zur Erbauung und Mahnung für 
die Sobanniter gefchrieben. hatte und ihnen zufandte, jagt der 
Autor ganz ausdrücklich: „Wiſſet, wenn ihr mich kenntet, ich 
ſchriebe euch nicht“). Er bätte auch fagen können: „Wiſſet, 
wenn ihr mich kenntet, ihr würdet nichts Gejchriebenes von mir 
nehmen.” 

Um auf die Sohanniter Einfluß zu behalten und fie nicht zum 
Abbruch der Beziehungen zu zwingen — man bevenfe Die Keter- 
gefege — hat der „Gottesfreund“ in feinen Schriften abfichtlich bis 
zu einem gewiflen Grade fih dem Sprachgebrauch und ſelbſt ge- 
wiljen Ideen feiner Lefer angepaßt, wie wir dies bei den Walden- 
fern oft genug beobachten Tönnen. Er nennt die Feier des Abend- 
mahls „Meſſe“; er fpricht von unferer „lieben Frau” und von den 
Heiligen, ohne indeffen von dem Gebete zu erfterer oder der An- 
rufung diefer eine Silbe zu erwähnen. Gleichwohl bemerkt ein ge- 
übtes Auge, wie fich unten zeigen wird, ſelbſt unter der Verhüllung 
den Waldenſer. 

Eine ſchwere Schule der „Heimlichkeit“ hatte bei den „Apoſteln“ 
allmählich eine förmliche Geſchicklichkeit in der Verhüllung ihrer Ziele 
zu Wege gebracht. Schon im 13. Jahrhundert iſt ein Hauptvor⸗ 
wurf des David von Augsburg gegen die „Häretiker“, daß ſie mit 
der größten „Schlauheit“ ſich in ihren Worten zu wenden wüßten, 
und von einem Apoſtel der Waldenſer aus dem 14. Jahrhundert 
fagt eine alte Quelle wörtlich: „Er war ungemein ſcharfſinnig und 
veritand es, mit Worten feine Irrlehren zu färben und zu ver- 
fchleiern 2). 

In Anbetracht diefer Umftände wundere ich mich nicht ſowohl 
darüber, daß mancherlei Anklänge an die rechtgläubige Ausdrucks⸗ 
weife in biefer Literatur vorhanden find, als vielmehr darüber, daß 


1) C. Schmidt Nic. v. Baſel ©. 132. 
2) Derfelbe, Nic. v. Bafel ©. 69. 








185 


trog der Verſtümmelung der Charakter der waldenſiſchen Weltan- 
ihauung fo unzweideutig berausipringt. 

Es ift von einem der genaueften Kenner diefer Schriften, dem 
päpftlichen Subarchivar und Dominikaner Denifle, die Thatſache, 
daß die Anſchauungen des „Gottesfreundes“ nicht rechtgläubig find, 
infofern anerfannt worden, als er im Sabre 1880 verfichert hat, 
daß deſſen Lehre in vielen Punkten „irrthumsvoll“ jet), 


Bon der gleichen Anficht ift in früheren Jahren ber proteftan- 


tiiche Forfcher C. Schmidt ausgegangen, indent er behauptete, unfer 
„Gottesfreund“ ſei identifch mit dem berühmten Waldenfer-Apoftel 
Nicolaus von Bafel, welcher um das Jahr 1409 zu Wien als 
„Begharde“ verbrannt worden iſt. Denifle, welcher dieſe Vermuthung 
mit Recht zurücdgewiefen bat, giebt zu, daß die Annahme von der 
Identität mit einem „Häretiker“ auf „einigen zweideutigen Umftän- 
den“ beruhe 2). | 

Es trifft vollkommen zu, wenn Denifle behauptet, daß es der 
Zweck diefer Literatur gewefen fei, die Schäden der Kirche zu 
„reformiren“s). In der That ift e8 eine reformatorifche 
Tendenz, welche durch die Schriften ver „Apoſtel“ fich hindurchzieht. 

Zugleich nehmen wir aber auch Akt von dem Zeugniß des er- 
wähnten Forſchers, wo er jagt‘): „Was das Streben diejer Gottes⸗ 
freunde) an fich betrifft, jo fan man nicht leugnen, daß es ernit 
war und aus einem wohlmeinenden Herzen ſtammte“. 

Die Hauptbedeutung diefer Literatur Liegt nicht in der Feinheit 
ihrer tbeologifchen Ausarbeitung, auch nicht in dem Reichthum fpecu- 
lativer, moralifcher oder dogmatifcher Erörterungen, jondern in ber 
Fülle gemüthvoller, inniger und echt chriftlicher Anregungen, bie 
ih darin finden. 

Der Werth der einzelnen Abhandlungen ift im jeder Richtung 
ein fo ungleicher, daß man unmöglich für alle den gleichen Autor 


1) Ztſchr. f. deutſches Alterthum 1880 ©. 503. — Ebenda 1881 ©. 121. 
Denifle widerruft damit ausdrücklich feine früheren Bemerkungen in ben Hiftor. 
polit. Blättern Bd. 75. 

2) Ztſchr. f. d. U. 1880. ©. 200. 3) Ztſchr. f. d. A. 1881 S. 109. 

4) Duellen und Forſchungen 1879 Bd. 36. 

5) Es ift Merfwin und der Gottesfreund im Oberland gemeint. 


186 


porausfegen darf. Manchen geht jedes Verbienft ab, andere find 
mittelmäßig. Aber felbft wenn man biefe abzieht, bleiben doch noch 
genug übrig, bie uns berechtigen, in biefen Neften einer großen 
Literatur ein ausgezeichnetes Denkmal, nicht theologischer Gelehrfam- 
feit, fondern religiöſer Innigkeit und deutfcher Gemüthstiefe zu er- 
blicken. 

Ich halte es mit Denifle für erwieſen, daß dieſe Literatur nicht 
aus der Feder eines in der Schule römiſcher Theologen erzogenen 
Mannes hervorgegangen fein kann )). 

Zu den Gründen, welche Denifle mit Recht angeführt hat, 
hätte er noch den hinzufügen können, daß unfere Literatur ihre 
Lehre nicht im Anſchluß an die in der herrichenden Dogmatik her⸗ 
kömmlichen Begriffe, als da find Erbfünde, Todſünde, Trinität u. f. w. 
anknüpft, fondern die chriftlichen Lehren vorwiegend im Anfchluf 
an die Worte Chrifti, zumal an die Xehren der Bergpredigt, vor⸗ 
trägt. Man wird in diefen Büchern wenige theologifche Kunftaus- 
drücke finden, es ſei denn, daß fie auch zugleich in der Bibel ge- 
braucht werben. 

Es ift ja ganz erflärlich, daß die fchulmäßige Theologie auf 
folche angeblich „Inienhafte” Produkte ziemlich geringichägig herab⸗ 
fieht. Wenn man fich dadurch nicht beirren läßt und etwas genauer 
zufieht, wird man einen reichen Gedankeninhalt und ein wohlab- 
gerundetes, wenn auch einfaches Syſtem religiöfer Lehren wahr- 
nehmen, ein Shftem freilich, welches nicht zu kirchlichen Herr- 
ſchaftszwecken, fondern lediglich zur Befriedigung religiöfer Bedürf⸗ 
niffe formulirt und in Anlehnung an Chriftt Worte aufgebaut 
worden tft. 

Wie mar aber auch über den Werth oder Unwerth dieſer 
Schriften urtheilen mag, fo fteht doch fo viel feft, Daß einzelne der- 
felben auf bie religiöfe Entwidlung der nachfolgenden Jahrhunderte 
eine außerorventlihe Wirkung ausgeübt haben. Viele Tauſende 


1) ©. Duellen und Forfhungen ©. 123 und öfter. Denifle fagt, der Ber- 
fofler des „Meiſterbuchs“ fei kein „Theologe“ geweſen. Da er mit Recht bie 
Ipentität dieſes Verfaſſers (wenigftend dem Weſen nad) mit dem „Gottesfreund 
im Oberlande“ und Merfwin dargethan bat, fo paßt fein Ausbrud für bie 
ganze Literatur, 











187 


haben Anregung, Belehrung und rveligiöfen Frieden darin gefucht 
und gefunden. Ob diefe Thatjache für oder gegen die Bedeutung 
der Schriften fpricht, mag jeder Leſer fich felbft jagen. Ein neuerer 
Kirchenhiftoriter hat in Bezug auf den angeblichen Verfafler viefer 
Literatur, den jogenannten „Gottesfreund aus dem Oberlande” 
geradezu gejagt: „Ihm waren die Geifter unterthan wie nur immer 
einem Bapfte; er war der unfichtbare Papft einer unfichtbaren 
Kirche“ 1), 


1) Hagenbach 8. Geſch. 1869 II, 496. 


Achtes Eapitel. 
Ein berühmter Gottesfrennd, 


Die heimlichen Gottesfreunde. — Der berühmte ‚„‚Gottesfreund aus dem Ober- 
lande“. — Der Gottesfreund und die „Chriſtenbrüder“. — Der Gottesfreund 
eınpftehlt deutſche Bücher. — Seine Stellung zum Möndtbum. — Dogma- 
tifchereligidfer Standpunkt des Gottesfreundse. — Waldenſiſche Beionberhei- 
ten. — Zablen-Symbolit. — Die zwei Wege. — Glaube, Hoffnung, Liebe. — 
Weltlihe und geiftlide Gerichte. — Fegfeuer. — Die Zufammentinfte Der 
Gottesfreunde und die Capitel der Waldenfer. — Sendſchreiben unſeres Got- 
tesfreunbs an feine Gemeinden. — Der „Gottesfreumb aus dem Oberlanbe“‘ 
bat Sacramente gefpendet und Beichte gehört. 


Unter der großen ‚Zahl von Berfonen, die im 14. Jahrhun⸗ 
dert als „Gottesfreunde‘ bezeichnet werben, gab es nach den Zeug. 
niffen von Zeitgenoffen folche, welche al8 „heimliche Gottesfreunde‘‘ 
von den übrigen unterfchteden wurden. Ru ysbroek, der belannte 
Gefinnungsgenofje Taulers, welchen der Sefuitengeneral Eberhard 
Mercurian im Jahre 1576 ausprüdlich als der Härefie verdächtig 
bezeichnet hat, kennt dieſe „geheimen Gottesfreunde” und jagt von 
ihnen, es feien ſolche Männer, welche allem irdiſchen Befig 
entfagt hätten und Gott allein anbingen !). 

Auch Tauler hatte zu Gottesfreunden, deren Namen zu ver⸗ 
fchweigen er für nüglich Hielt, perjönliche Beziehungen. Er beruft 
fih wiederholt auf deren Autorität, ohne einen Namen zu nennen 2). 


1) C. Schmidt Joh. Tauler ©. 163. 

2) Bafeler Ausg. 1521 f. 1292: „Ja, ich höret von einem grossen freund 
Gottes, der ein heilig fromm mensch was, das er sprach: Ich muss meinem 
nechsten mer himmelreichs wunschen und wollen in begerender weiss dann 
mir selber, das heiss ich Lieb“. Ferner Basler Ausg. fol, 95: „Ich weiss 
einen der allerhöchsten frunt gottes, der ist alle sine tage ein ackermann 
gesin, me denne viertzig ior“ etc. 











189 


Ya, er fagt einmal geradezu: „Wären diefe Leute nicht, fo 
wären wir übel daran” und fpricht damit diejenige Ueber- 
zeugung aus, welche wir fo oft bezüglich ver „Apoſtel“ von den 
Waldenfern äußern hören. 

Es ift nach Lage der Verhältniſſe nicht zu verwundern, daß 
aus einer Zeit, in welche überhaupt nur ein verhältnigmäßig ſchwaches 
Licht der Tradition fällt, über Männer, die fogar ihren Freunden 
und Anhängern ihre Namen nur in Ausnahmefällen Tundgaben, 
wenig Nachrichten erhalten find. 

Einftweilen tft es nur einer biefer „beimlichen” Freunde Got- 
te8, der aus dem Dunkel, in welches er fich gehüllt hat, wenigſtens 
mit einigen fchwachen Umriffen bervortritt. Auch fein Name ift, 
wie oben bereit$ erwähnt, unbelannt, und über feine Lebensumſtände 
ſteht nicht viel feft, aber immerhin läßt fich Doch einiges wahr⸗ 
ſcheinlich machen ?). 

Die frübeften Daten, die wir über jeine Miffionsthätigfeit be- 
fiten — denn gleich vom erjten Moment ab begegnet er uns als 
„Apoſtel“ — jcheinen auf das Jahr 1340 binzudeuten. 

Seit dem Jahre 1344 fehen wir ihn mit den Genoffen in 
Italien in Beziehung, wo er in der Umgegend von Verona an- 
weiend war. Wir willen, daß er nicht nur der veutfchen, ſondern 
auch der „wälſchen“ Sprache mächtig war?). Etwas Später hielt er 
fih nach feiner eigenen Erzählung in Ungarn auf und ums Jahr 
1350 iſt er in Straßburg. 

In diefen Straßburger Aufenthalt fcheint bie erſte Beziehung 
zu Merfwin zu fallen. Bet der zweiten Anwefenheit im Jahre 
1352 ward die Begegnung erneuert. Es fteht feit, daß in dieſem 
Jahr Rulman das Buch „Von den neun Felſen“ niederfchrieb. 

1) C. Schmidt Joh. Tauler ©. 167 nad ber Leipziger Ausg. von 1498. 
Der Basler Edition fehlt diefe Stelle. Tanler bat bier. ſicherlich beſtimmte 
einzelne Perſonen vor Augen. 

2) Eine ſehr vollſtändige, bis zum Juni 1884 reichende Ueberſicht über bie 
umfangreiche neuere Literatur in Betreff des „Gottesfreundes im Oberlande“ 
giebt BP. Odilo Rottmanner O0. S. B. zu Münden in der „Literarifchen 
Rundſchau für das kathol. Deutſchland“ Nr. 12 vom 15. Juni 1884. Indem 
ich darauf verweiſe, verzichte ich Hier auf bie detaillivte Angabe der Ouellen. 


3) Er überfette kleine Schriften aus dem Wälfchen ins Deutfche. Jundt 
Les Amis ©, 364, 


190 


Im Jahre 1356 nach dem Erdbeben von Baſel richtete ber 
Sottesfreund nach Art der „Apoftel” ein Senpfchreiben an bie 
Chrijtenheit, welches wir Tennen lernen werben. 

Später beſchloß er, eine Einftevelet zu beziehen. Er fand Dazu 
mebrere Genofjen und fie begannen nach Art der „Brüberhäufer” 
ein gemeinfantes Leben. 

Bon da an feheint ver „Gottesfreund” die Neifen aufgegeben 
zu baben. Er verkehrte nur noch fchriftlich mit feinen Vertrauens“ 
männern und al8 ber einzige, ben wir Tennen, gejtorben war, dringt 
feine Runde mehr von den einfamen Leuten zu und berüber. 

Der „Gottesfreund” war ehevem ein „weltweifer, wmeltjeliger 
Dann’ gewejen und hatte auch des „zeitlichen zergänglichen Gutes 
genug” beſeſſen. Als er fich entfchloß, der Welt „Urlaub zu geben“, 
entjagte er feinem ganzen Vermögen. Doch theilte er nicht Alles 
jofort aus, fondern verwaltete e8 noch eine Zeit lang als „Lehens⸗ 
mann Gottes”. Er verwandte es allmählich zu beitimmten, „gött- 
lichen” Zweden. Auch Iebte er (ebenfo wie die „Apoftel”) in Ehe- 
Iofigfeit. 

Int Iahre 1377 fandte er den ISohannitern im Grünen Wörth 
zur geiftlichen Nahrung, wie er zu tbun pflegte, ein Büchlein, in 
welchen er das Leben fchilvert, welches er felbjt und feine nächſte 
Umgebung damals führte). Diefe Schrift fcheint im Autograph 
erhalten zu fein und bietet Daher eine verhältnißmäßig fichere Grund- 
lage bar. 

Darin bezeichnet unfer Freund die Heine Gemeinde, die fich 
im Oberlande zufammengefunden hatte, ganz nach Walbenfer Art 
„als einfältige, gute, fehlichte Chriſten brüder“. „Und das wilfet”, 
fährt er fort, „daß wir alle des Glaubens find, daß die Brüder 
der Welt unbekannt bleiben follen bis an die Zeit, wo Gott etwas, 
was noch verborgen ift, wirken wird, und wenn er dies thut, fo 
mag es dann wohl gefchehen, daß wir heraus müflen und Einer 
bei dem Andern nicht bleiben mag und daß wir an fünf Enden 
der Chriftenheit zertheilet werden. Ach, lieben Brüder, bittet Gott 
in feiner grundlofen Barmherzigkeit, daß er fich in biefen gegen- 


1) Abgedruckt bei Schmidt Nicolaus v. Baſel S. 102 ff. 


191 


wärtigen Zeiten über die Chriſtenheit erbarmen wolle; denn wijfet, 
die Freunde Gottes, die find etwas im Gedränge”. 

Die Berfolgungen, welche die „Brüder“ wie gefcheuchtes Wild 
in die Berge getrieben hatten, hatten ihre Hoffnung und ihren Muth 
noch immer nicht gebrochen. Sie Hofften fortvauernd, daß „Gott 
etwas wirken werde”, was eine Aenderung der allgemeinen Zuftände 
zu ihren Gunften herbeiführe, wie e8 unter Kaifer Ludwigs Regie 
rung der Fall gewefen war. Dann wollten fie die unterbrochene 
Miffionsthätigfeit an ben fünf Enden ver Chriftenheit wieder auf- 
nehmen und unter dem Panier Chriftt (wie fte fagten) ftreiten 
„wider ven Teufel, wider das Fleiſch und wider die Welt”. In— 
zwiſchen aber — fo verfichert unfer Büchlein — find fie bereit zu 
leiden, daß Gott ihnen den füßen Becher mit Bitterkeit mifche, da 
fie wohl willen und befennen, daß ihnen ihr Haupt und Herr in 
bitterem Leiden vorangegangen tft). 


Denifle bezeichnet als den oberften Zweck der uns erhaltenen 
Schriften, „Die Gottesfreunde als die einzigen Stützen der Chriften- 
beit Hinzuftellen” 2) und ich glaube, daß in ber That diefe Tendenz 
durch alle Erörterungen hindurchgeht. Wenn Dies aber richtig ift, 
jo theilt unfer Gotteöfreund die Ueberzeugung der übrigen älter 
ren „Sottesfreunde”, d. h. der Waldenjer-Apojtel und ihrer 
Anhänger vollitändig. 

Als Heilmittel ihrer Gebrechen empfiehlt der Gottesfreund aus 
dem Oberlande in dem „Sendſchreiben an die Chriftenheit‘ Die Nach» 
folge Chriſti. „Chriftus ift unfer Haupt und wir find feine Glie⸗ 
der. Wir aber find gar weit ihm aus dem Wege gegangen, während 
er ung doch gar barmberziglich geheißen bat, ihm nachzugehen. Er 
ſprach: Nehmet euer Kreuz auf euch und folget mir nah. Damit 
meinte er nicht, wir follten ihm mit einem bitteren Tode nachgeben, 
wie er und vorgegangen tft; er meinte, wir follten unfer Kreuz auf 
ung nehmen, das tft fo viel gefprochen, daß wir thun jollen, was 
wir vermögen. Damit will er fich mild und barmherziglich laſſen 
genügen und will dazu in allen unferen Sachen mild uns beiftehen 


1) Schmidt a. O. ©. 136. 
2) Ztiehr, f. deut. Altertb. 1881 ©. 108, 


192 


und nach diefer Zeit, fo will er, daß wir mit ihm und bei ihm im 
feines Vaters Reich ewiglich unjere Wohnung haben‘, 

„Sieben Ehriftenmenfchen, ich rathe euch in allen Treuen, Daß 
ihr wider alle Untugenden lernet ftreiten, denn die Zeit des Kampfes 
nabt. Und wer noch nicht zum Streit bereit ift, der foll folche 
Menſchen fuchen, die in der ewigen Wahrheit wohl gelehrt find, und 
foll die bitten, daß fie ihn lehren, wider alle Untugend ftreiten, und 
fol auch gerne Prebigten hören und gute Büchlein lefen, aus denen 
er auch wohl gelehrt mag werben. Aber etliche Lehrer fprechen, 
deutſche Bücher find ſchädlich der Chriftenheit”. 

„Solche Büchlein als dies Büchlein ift und auch andere deutſche 
Bücher, die auch in dieſem Maße find und nicht wider bie heilige 
Schrift, ſolche deut ſche Bücher find einfachen Laien gar nüte und 
gar gut. Ihr follet fie euch nicht Taffen von den großen Lehrern 
abſprechen. Diefelben Lehrer find voll der Schrift und der Lehre 
Gottes, aber fie ſuchen fich felber und die Ehre diefer 
Welt mehr denn Gott. Aber wo ihr Lehrer findet, die fich 
ſelbſt nicht meinende find, denen follet ihr gar gern gehorfant fein, 
denn was folche Lehrer rathen, ver Rath kommt aus dem h. Geifte”. 

„Und foll auch die heilige Chriftenheit jemals wieder in chrift⸗ 
lihe Orbnung Tommen, fo muß man Rath Haben, der aus Dem 
b. Geiſte kommend ift, und folder Rath ift auch nicht wider 
die h. Schrift, denn die h. Schrift und der h. Geiſt find einhelfig 
miteinander... Den Rath (aus dem h. Geifte) follte man nehmen, 
wo man ihn auch fände, und follte ihn denn gar gerne haben, Denn 
er wäre der Chriftenheit gar noth in biefen gegenwärtigen Zeiten. 
Aber ſolche Menſchen, die aus dem h. Geifte Rath geben möchten, 
die find gar faum zu finden, aber wie wenige ihrer auch 
find, man findet ihrer noch in der Zeit. Aber wie Flug 
auch dieſe weltweifen Menſchen in Diefen Zeiten find, fo find ihren 
doch ſolche Menſchen gar zumal unbelannt‘. 

Zwei Quellen find es aljo, aus denen die Wahrheit fließt, Die 
b. Schrift und der Rath, der aus dem 5b. Geifte kommt. Aber 
ſolcher Rath kann nur durch die vermittelt werben, welche ihr Herz 
gereinigt haben von aller Liebe zu irbifchen Dingen, d. h. von jolchen 
Männern, wie die Apoftel ver Waldenfer fein follen. 





193 


Diefe ganze Stelle ift ungemein charalteriftiich. Um nur eins 
bervorzubeben, jo beachte man die Betonung der h. Schrift und 
des „Raths, der aus dem h. Getfte kommt“, fowie die Erläuterung, 
welche über das Verhältniß dieſer beiden höchſten Erkenntnißquellen 
gegeben wird. 

Man muß hiermit zuſammenhalten, was der „Gottesfreund 
im Oberlande“ über die „inneren Offenbarungen“ an anderer Stelle 
fagt. Er behauptet nämlich, dag zu den vier größten Verfuchungen 
auch die inwendigen und auswendigen Offenbarungen von Xichten, 
Formen, Geſprächen und BVifionen gehören, denen, obgleich Gott 
feinen Freunden zuweilen in biefer Weife etwas Wahrheit zukom⸗ 
men laffe, nicht Leicht zu glauben ſei. 

Man Hat troß diefer Erklärung unferem Gottesfreund aus der 
häufigen Erwähnung von Träumen und Vifionen, welche in feinen 
Säriften vorlommen, nicht felten einen Vorwurf gemacht. Eine ' 
nähere Betrachtung ergiebt indeſſen, daß fait an allen Stellen dieſe 
Vifionen nur vorfichtige Einkleidungen von Gedanken und Wünfchen 
find, welche der GSottesfreund in unangreifbarer Form der Oeffent⸗ 
lichleit vermitteln wollte. Sie treten befonders da auf, wo ber 
Gottesfreund Urfache zu Haben glaubte, feine perjönlichen Ideen 
verfchleiern zu müflen, jo 3.3. bei ver Erörterung über die kirch⸗ 
lihe Dreieinigfeitslehret) u. ſ. w. 


Für die Beurtheilung der innern Verwandtſchaft unferer „Got- 
tesfreunde“ mit den älteren „Gottesfreunden“ ift die Thatſache wichtig, 
daß beide zu ben Klöftern und dem Mönchthum durchaus die gleiche 
Stellung einnehmen. 

Nachdem wir bezüglich der älteren „Gottesfreunde“ bereits bie 
nötigen Beweife beigebracht haben, mag bier nur kurz darauf bin- 
gewieſen werden, baß auch bie „heimlichen Gottesfreunde” des 
14, Zahrhunderis ſich ebenſo ablehnend zu dem Kloſterweſen ver⸗ 
halten haben wie jene. 

Im Gegenſatz zu den bisher üblichen Auffaſſungen über dieſe 
Literatur, welche durch den vieldeutigen Ausdruck „Myſtik“ beför⸗ 
dert worden find, muß feſtgeſtellt werden, daß ſich die ganze Lite⸗ 


1) Denifle Ztſchr. f. deut. Alterth. 1880 ©. 524, 
Keller, Die Reformation. 13 


194 


ratur, welche fi um den „Gottesfreund aus dem Oberland” grup⸗ 
pirt, im direkten Widerfpruch zu ber mönchiſchen Myſtik der 
firchlichen Drden bewegt. 

Der Mönch und der Klausner ziehen fich aus der menjchlichen 
Geſellſchaft zurüd, um in felbjterwählter oder vorgejchriebener Askeſe 
Gott zu leben und fo ihre eigne Seele zu retten. Selbſt wenn fie 
mittelbar auf die Entwidlung oder Wieberherftellung der menjch- 
lichen Geſellſchaft einwirken, fo fteht Doch feft, daß fie fih im Princip 
von der Allgemeinheit abwenden. 

Der Mönch und die Nonne betbätigen ihren Chriſtenſtand da⸗ 
durch, daß fie fich Iosreigen von Allem, was den natürlichen Men⸗ 
ichen mit der Welt verbindet und eine ftille, abgelehrte Frömmigkeit 
fuchen, die fich mehr um das eigne Heil im Himmel als um bas 
Wohl des Nächften in der Welt befiimmert. 

Es läßt fich nicht leugnen, dag ein tiefer Drang zu folder 
Abwendung in vielen Menſchen wohnt und e8 wird fich nicht leicht 
eine Kirche oder Confeſſion finden, welche nicht in ihrer Weife und 
nach den bei ihr gebräuchlichen Formen ihre Convente oder ihre 
Conventikel hätte. | 

Dagegen liegt ein erheblicher Unterſchied darin, ob eine Kirche 
in folder Abfonderung das höchſte Ideal chriftlicher Vollkommenheit 
offictell erblict, ober ob fie dieſes Lebensideal nicht vielmehr im 
werkthätiger Menſchenliebe und Pflichttreue in der Welt fucht, wie 
Chriftus durch fein Vorbild fie ung gelehrt Hat. 

Es ift ganz begründet, wenn man behauptet — und e8 iſt Dies 
ſowohl von katholiſchen wie evangeliſchen Schriftftellern behauptet 
worden —, daß bie religidfen Anfchauungen des confequenten Mönch⸗ 
thums, die man vorzugsweife unter dem Namen der „Myſtik“ zu 
veriteben pflegt, eine Zerftörung der menschlichen Perſönlichkeit und 
Treibeit, Indifferentismus und Quietismus, zur Folge zu haben 
pflegen. Bei unferem Gottesfreunde läßt fich aber im direkten Gegen- 
jag zum Princip des Mönchthums ein fortwährendes Dringen auf 
den praftifch-fittlichen Gebrauch der perfünlichen Freiheit zum Zweck 
des allgemeinen Wohles beobachten!). In dem Buch von den „Zwei 


1) Schon Denifle bat (Hiftor.-polit. Blätter 1875 ©. 262 ff.) die Gottes- 
freunde mit großer Entichievenheit und überzeugenden Gründen gegen den Bor- 














195. 


Mannen“ polemifirt der Gottesfreund im Oberlande ausdrücklich 
gegen bie, welche „fich von der Welt kehrende find" und dabei träge, 
kalte, zornmüthige Menſchen bleiben!), ja, durch die ganze Schrift 
geht eine principielle Oppofition gegen die hergebrachte Selbftquälerei 
und Askeſe der „ſtrengen, übenden Menſchen“, Die alle ihre Weife 
und ihre Uebungen aus felbfterwähltem Anlaß treiben, anftatt daß 
fie ir „inwendiges Blut” in rechter Demuth in der Weife 
vergießen, wie e8 Chriftus vergoffen hat, d. h. in Aufopferung für 
feine Mitmenſchen?). Je länger die Menfchen, fagt der Gottes- 
freund, in folchen „felbiteigens angenommenen” äußerlichen Weifen 
die Gnade Gottes fuchen, je mehr bleiben fie „Eebende” am Aeußeren 
und es werben „ihnen auch die große Gnade, die großen übernatür- 
lichen Gaben unbelannt bleiben”. Nur derjenige, der den feiten ganzen 
Willen hat, eher den Tod zu leiden, denn er von Chrifto ab wollte 
laffen, ver wird der Gnade Chrifti würdig werben. „Sch will euch 
fogen ein Gleichniß. Wo ein folcher fteter fefter Wille ift, was 
thut da Chriftus? Er fpricht zu feinem himmliſchen Vater: Lieber 
Bater, ich Habe einen Menſchen in der Zeit gefunden, ber feinen 
eignen Willen laſſen und mir gehorfam fein will bis zum Tode; 
lieber Vater, laß uns ihm helfen. Dann geht Ehriftus hernieder 
und nimmt diefen Menjchen und führt ihn gar verborgen einen 
Theil des Wegs, den er felbft vorangegangen ifl. Und Chriftus 
übet auch diefen Menſchen durch alferlei Leid bis zu der Stunde, 
wo der Bater fpricht: Hör auf, mein lieber Sohn, e8 ift genug, 
und führe ihn an das Ziel des Friedens in Zeit und in Ewigkeit, 
Zu diefem Allen Hilft uns die Betrachtung des Vorbilds Chrifti 
und feines bitteren Leidens‘‘3), 

Wenn ber Gottesfreund biswetlen kurzweg davon fpricht, daß 


wurf des „Quietismus“ vertheidigt, der denſelben von C. Schmidt gemacht 
worden war. Daß einzelne Ausprüde, wie „fich ſelbſt abfterben“, „ſich entwer⸗ 
den“ u. f. w. aud im quietiftiihem Sinn gebeutet werben können (obgleich fie 
biefen urfprünglich nicht haben), wird Niemand leugnen. Es kommt bier aber 
nicht auf einzelne Wendungen, fonbern auf die dauernde Geſinnung dieſer 
Männer an. In welcher Richtung dieſe fich bewegt, kann nicht dem geringften 
Zweifel unterliegen. 

1) & Schmidt Nic. v. Bafel Wien 1866 ©. 266. 

2) ©. Schmidt a. O. ©. 216. 3) Schmidt a. O. ©. 2461. 

13* 


196 


er der „Welt abgeftorben” jet, jo erläutert er dies an anderen 
Stellen deutlich genug mit den Worten, er habe „ver Welt Urlaub 
gegeben in feinem Herzen‘ und er hänge nicht mehr mit feinen 
Sinnen an „ben Dingen‘, fondern babe fein Herz zu Gott gelehrt. 
Er erflärt feine Anfichten ganz unzweideutig in folgenden Worten: 
„Anfere Meinung ift nicht alfo, daß wir meinen, daß ein Dann 
von der Welt allzumal geben foll und ein Mönch werben foll, 
unfere Meinung tft, daß er in der Welt bleiben ſoll, 
aber er follte fein Herz und feine finnliche Vernunft nicht alſo gar 
verzehren und auf Freunde und auf weltliche Ehre legen; bekennt 
er doch felbft, daß er, dieweil er in biefem Leben war, fich jelber 
und fein ſelbſt Ehre mehr fucht und meint und liebt, denn bie 
Ehre Gottes; gäbe er dieſe weltliche Ehre auf und fuchte in allen 
feinen Werfen die göttliche Ehre, wie es ihm oft genug von Gott felbft 
geratben ward, fo bin ich gewiß, Gott werde ihn erleuchten in feiner 
göttlichen Weishett und mit diefer Weisheit werde er mehr weifen 
Raths geben können in einer Stunde als früher in einem Jahre i). 

Gleich in einem der früheften Briefe, die ung aus der Feder 
unferes „Gottesfreundes“ aus dem Jahre 1371 erhalten find, nimmt 
er Gelegenheit, feine Stellung zu den kirchlichen Orden zu kenn⸗ 
zeichnen. Es handelte fich damals um die Frage, in welches Ordens 
Händen das Merſwinſche YBruderhaus am beiten aufgehoben ſei. 
Der Gottesfreund entſchied fich für Die Johanniter, weil, wie er jagt, 
diefer Orden die meiften Freiheiten babe. Er giebt zu, daß auch 
unter diefen Unkraut gewachfen jet; „ſollte man aber das Un— 


1) Unser meinung ist nut also, das wir meinent, das dirre man von der 
welte alzumole gon soll und ein munich werden soll, unser meinung ist, das 
er in der welt bliben solte, aber er solte sin hertze und sine sinneliche ver- 
nunft nut also gar verzerren unde uffe frunt unde uffe weltliche ere legen, 
alse er selber gar wol bekennende ist, die wile er in diseme lebende ist, 
das er sich selber und sin selbes ere me suochende und meinende und min- 
nende ist denne die ere gottes und gebe er ouch dise weltliche ere uf und 
suochte in allen sinen werken die gotteliche ere, das ime ouch selber dicke 
von gotte geraten wurt und dete er das so getruwe ich, got solte in erlüch- 
ten mit siner gottelichen wisheit; so denne die gotteliche erlüchtete wisheit 
wurde kummende zuo siner weltwisheit, so wurde er alse gar wise, das er 
uf eine stunde me wises gottlichen rates gegeben kunde, denne er vor geton 
hette in eime gantzen jare. Schmidt a. DO. ©. 254. 


- 


197 


traut aus anderen Orden ausjäten, jo würde man viel 
Arbeit haben‘ N). 

Wir haben oben fehon darauf Hingewiefen, daß der Gottes⸗ 
freund in einem Schreiben vom 24. April 1377 ausdrücklich ſagt, 
daß es ihm und Rulman nicht wohlgefalle, wenn man neue 
Klöſter mache. 

Dieſelbe Anficht wiederholt er in einem Brief an den Comthur 
des Grünen Wörths vom 18. Febr. 1379: „Lieber Comthur!“ ſagt 
er, „ich war zu den Zeiten (1364) viel zu Straßburg, und wenn 
es geſchah, daß Rulman und ich zuſammenkamen und wir derſelben 
Sache (des Kloſterbaues) gedachten, ſo ſprachen wir zuſammen: 
Was ſoll dieſes Dings ſein? wem wäre es nütze? wäre es nicht 
beſſer, daß man armen Leuten hülfe, denn daß man 
Klöſter machet?“). 

Darf man nach dieſen Zeugniſſen den Gottesfreunden Quie⸗ 
tismus“ ober mönchiſche Weltflucht vorwerfen? Es iſt wahr, daß 
in beiden Richtungen eine Befriedigung der Bedürfniſſe des from⸗ 
men Gemüths in und durch bie Erreichung des „Gottnaheſeins““ 
oder der Lebensgemeinfchaft mit Gott gefucht wird. Aber der Weg 
dahin war durchaus verfchieven. Während die einen fich der un⸗ 
mittelbaren Mitwirkung an der allgemeinen Wohlfahrt principiell 
entzogen, erkannten bie Andern, daß gerade innerhalb ver menfchlicher 
Geſellſchaft die menfchliche Tugend ſich am höchſten bewähren Tann. 

Wenn e8 richtig ift, daß die „Myſtik“ für die Ausbildung that» 
kräftiger und ftarfer Geifter hinderlich ift, fo ſteht es feit, daß in 
den Anfchauungen unferes Gottesfreundes und feiner Genoffen keine 
Myſtik zu fuchen ift. Denn in ven fehweren Kämpfen, welche dieſe 
Männer mit den berrichenden Gewalten und Doctrinen geführt 
haben — wir werben bald darauf zurückkommen — haben fie einen 
Muth, eine Ausdauer und bei perfönlicher Demuth eine Ruhe und 
Freudigkeit bewiejen?), welche wenige Barteien in gleichem Maß von 


1) Schmidt Nic. v. Bafel ©. 29. 2) Derf. Nic, v. Baſel ©. 324. 

3) T. W. Röhrih, einer der wenigen Däuner, die fi) mit ben Gottes⸗ 
freunden näher befchäftigt haben, unterläßt nicht, die „myſtiſchen Verirrungen“ 
ſtark hervorzuheben. Gleichwohl fieht er fich zu folgendem Zugeſtändniß genöthigt: 
„Die Gottesfreunde beförberten in ihren Umgebungen jenen ftillen, chriſtlich- 


198 


ihren Vertretern rühmen können. Wenn man aber behaupten will, 
daß auch ein folches Shftem des Mißbrauchs fähig ſei und Aus- 
wuüchſe nicht ausfchließe, fo giebt mar freilich nur einer fehr trivialen 
Wahrheit Ausprud. 


Wir haben oben als den Grundgedanken ber älteren „Ketzer“ 
und „Gottesfreunde‘ bezeichnet, daß fie die Vermittlung der Kirche 
zur Erlangung des Heil und der Gnade nicht für nothwendig er- 
Härten und einen unmittelbaren Zugang zu Gott im Glauben an 
Chriſtus zu befiten meinten. 

Nach den bisherigen Andeutungen Tann man erwarten, daß 
auch die „heimlichen Gottesfreunde” des 14. Jahrhunderts diefelbe 
Idee begen, und in ver That erfennt man fofort die Richtigkeit dieſer 
Vorausſetzung. 

Wenn ber Gottesfreund ſagt: Der wahrhaft gute Menſch Hat 
„Seldft einen Schlüffel zu der göttliden Gnade und 
nimmt felber das Sacrament, denn ein folder Menſch ift mit 
Gott eins geworden“1), jo kann Über die Confequenz diefer Auf- 
faffung nicht wohl ein Zweifel herrſchen. 


religidfen Geift, der, indem er den Menſchen über finnliche Antriebe und über 
bie gewöhnlichen Beranlaffungen zur Berfäumung heiliger Pflichten erhebt, ihm 
das Bemußtfein feiner Menfchen- und Chriftenwürbe, feiner Verbindung mit 
Gott, ſowie Selbſtachtung, Gebuld und ausharrenden Muth einflößt. Denn ihr 
Leben war nicht bloß auf bie Betrachtung Üüberirbifcher Wahrheiten gerichtet, viel⸗ 
mehr wollten fie, daß diefelben auch im Leben ihre Wirkſamkeit bewährten“. 
Röhrich Ztſchr. f. hiſt. Theol. 1840. I. ©. 140. 

1) Die Stelle lautet: „So will ich dir aber me sagen: und were ich ein 
bihter, ich wolte alzuomole milte sin gottes lichamen zuo gebende do ich 
einen menschen funde, der alle wisen und alle uebunge mit Christus an dem 
Crutze in rehter demuetiger zuo grunde erstorbener gelossenheit durchstorben 
were; do ein solicher mensche ist, der ist ouch alzuomole gottes eigen und 
ist ouch gott widerumb sin eigen; were ich ein bihter, do ich einen solichen 
menschen funde und solte ich dem nut gottes lichamen geben und were ich 
gegen eime solichen menschen karg, so tete ich gar toerliche, das ich ime 
das sine vor beslusse, wenne er het selber einen slussel zuo der 
göttelichen gnaden und nimet selber, wenne ein solicher mensch ist 
mit gotte eins worden, wenne er wil nut anders denne alse got wil; wer eime 
solichen menschen got in dem sacramente vorbehebet, der behebet ime sin 
eigin vor; wurt ime aber got nut in dem sacramente, so wurtime 
aber in allen dingen got mit seiner gnaden*“, C. Schmidt Nicol. 
dv. Bafel Wien 1866 ©, 267, 





199 


Man bat wohl gejagt, dag in den Schriften des „Gottes⸗ 
freundes” ein befonverer bogmatifcher Standpunkt überhaupt nicht 
zu erfennen ſei; ich fage im &egentheil, der Umftand, daß der 
Öotiesfreund das Dogmatifche nicht herauskehrt, iſt charakteriftiich 
für feinen waldenfifchen Standpunkt. 

Und nit minder waldenfifch ift e8, Daß Durch dieſe ganze 
Kiteraturr, die an den Namen des „Gottesfreundes im Oberlande“ 
angelnüpft wird, das Streben hindurchgeht, den verſchiedenen Stän- 
den und Berufszweigen Anleitung und „Regeln“ darzubieten, 
welche e8 ihnen ermöglichen follen, fich von dem Wege der „Welt 
zu dem Wege des „Lebens zu wenden. 

Seit uralten Zeiten waren derartige Negeln, die man gewöhn- 
ich in eine Form gebracht Hatte, welche fich dem Gebächtniß Leicht 
einprägte, in den „Gemeinden“ überliefert. 

Nun Haben wir gejeben, daß bereits das „Meifterbuch” Ans 
weifungen enthielt, wie man die Tugend üben und das Lafter fliehen 
jolle. Außer den allgemeinen Regeln des goldenen ABE gab der 
„Sottesfreund‘ auch noch beſondere Rathſchläge, wie ein rechter 
Prediger ſich verbalten folle. In den Büchern von dem „gefangenen 
Nitter” und befonders in dem Büchlein von den „Zwei Knaben‘, 
das man treffender das „Ritterbuch“ nennen könnte, finden fich 
ähnliche Rathſchläge für das Thun und Laffen vornehmer Laien‘). 

Es ift für das religidfe Syſtem der „Oottesfreunde” durchaus 
charakteriſtiſch, daß fie die göttlichen Dinge von der Seite des Wil- 
lens her zu erfaffen bemüht find. 

„Es giebt Menfchen, Heißt e8 in dem „Buch von ben zwei 
Mannen“, die fagen auf jede Ermahnung zur Beflerung: Ad, 
hätte ich die Gnade, wie fie Gott anderen giebt zur Beſſerung, 
fo wollte ich auch gern mein Leben befjern. Du ſollſt wilfen, folche 
Menfchen reden nicht die Wahrheit und reden wider Gott, denn 
Gott bat feine Gnade in alle Menſchen gegoffen, wenn fie 
nur felber wollen. Es darf und ſoll ſich Niemand entjchul« 
digen und Gott die Schuld geben. Ich will e8 dir fagen: 
wo Die göttliche Gnade dem Menfchen unfindbar ift und ihm nicht 


1) Bgl. C. Schmidt Nic. v. Bafel S. 91 u. 99 


200 


zu Hülfe fommt, da ift die Schuld allein des Menfchen und nicht 
Gottes. Ih will dir jagen, wie bie Sade ift. Die Seele des 
Menfchen ftammt von Gott und tft nach ihm felber gebildet, und 
wenn Gott fie zu dem Körper thut, fo wird es ein Menſch. Und 
Gott giebt der Seele einen eigenen freien Willen und in dem Willen 
ift verborgen feine göttliche Gnade. Und wenn der Menſch zu den 
Zeiten Tommt, daß er alt genug wird, fo giebt ihm Gott vernünftige 
Erfenntniß und läßt ibm frei die Wahl bes Guten und Böſen. 
Geſchieht es nun, dag der Menſch der Natur nachgeht und dem Rath 
des Böſen, fo flieht vie göttliche Gnade in einen verborgenen Winkel 
ber Seele. Aber welcher Menjch ſich auf das Gute befinnet und 
feinen Willen Tehrt auf den rechten Weg umd feiner Natur nicht 
mehr folgt und giebt, als was die Nothdurft heiſcht — denn Dies 
bat Gott wohl erlaubt —, fo Hilft die göttliche Gnade dem Men- 
ſchen je fürbag und je fürbaß; und je länger ber Menſch die gött- 
fiche Gnade wahrnimmt und ihr folgt und feinen eignen. Willen 
Gott lauteren Sinnes aufopfert, um fo mehr ziebet die Gnade Den 
Menichen näher und näher zu Gott. Unb wäre e8 auch, daß es 
dem Menfchen unfindbar war, das fehadet nichts; denn Gott Der 
wirfet darum nichts deſtominder in eines ſolchen Menfchen Seele. 
Nein, e8 darf Niemand in der weiten Welt Gott Die Schuld geben; 
Gott Hat feine Gnade mitgetheilt Heiden und Juden, ob fie nur 
jelber wollen, denn er ſandte ihnen feine Apoftel und andere Heilige, 
bie ihr Blut vergoffen um der Wahrheit willen und es joll fich 
Niemand entſchuldigen und Gott die Schuld geben; font handelt 
er ganz und gar wider Gott“i. 


Es kann als Spezialität der Waldenfer gelten, daß bei ihren 
Einfachheit in Tracht und Kleidung ftrenge Forderung Der 
Sitte war. Schon Pfeudo-Neiner führt (wie wir oben jahen) es 
als charakteriftiiches Merkmal ver Partei an, daß fie fih „weber 
koſtbarer noch fohlechter Kleider bevienen wollen” 2), und die Ent- 
wicklung der fpäteren Jahrhunderte beweist, daß bie „Chriften” auf 


1) Die wichtige Stelle ſ. Schmibt Nic. v. Baſel S. 264 ff. 
2) Siehe oben ©. 6. 











201 


diefe Aenperlichkeit, die übrigens einen wohldurchdachten Sinn hatte, 
befonderen Werth legten i). 

Wie mag es nun Tommen, daß auch unſer Gottesfreund fort- 
während auf denjelben Punkt dringt? In dem Bud) von den „Fünf 
Mannen‘ räth er einem Ritter, der feinen Rath erbittet, wie er 
ein neues Leben anfangen folle: „Halt Di in Deinen Kleidern 
und in allen Sachen auf der Mittelſtraße?). ALS bei einer anderen 
Gelegenheit eine Familie auf die Vorftellungen des Gottesfreundes 
bin fich entichloffen Hatte, ein neues Xeben zu beginnen, erzählt 
ber Gottesfreund als den erjten Schritt ihrer Umkehr: „Und fie 
gingen bin und verwanbelten all ihr beiver Gewand und auch 
all ihrer Kinder Gewand und machten fie ehrbarlich, doch in dem 
mittleren Maße). in Ritter erhält gleichzeitig von ihm ben 
Rath: „Lieber Herr, ihr felber follet auch euch etwas ehrbarlicher 
Heiden und in allem Wandel etwas ehrbarlicher halten und alle 
Dinge lernen in mitteliher Befcheivenbeit Kalten” u. |. wm. Gebt 
nicht ein Princip durch biefe Ermahnungen? — 

Es ſteht feft, daß die Zahlen 11 und 13 für die „Apoſtel“ 
der Waldenfer deßhalb Bedeutung hatten, weil fie mit den befannten 
Zahlen Ebrifti und der Apoſtel vor und nach Ehrifti Tob überein- 
jtimmten. Aber auch für den unbelannten Sottesfreund aus dem 
Oberland haben dieſe Zahlen ihren befonderen Sinn. Am 24. April 
1377 fchreibt er an den Comthur des Iohanniterhaufes zu Straß- 
burg über die Zahl der Eonventualen im Grünen Wörth; er ift 
eventuell damit einverjtanden, daß e8 11 oder dag e8 13 find; „die 
machen einen Konvent; doch wäre es ſchadbar, daß ihr mehr denn 
13 Brüder hättet” u. |. w.). 

Ueberbaupt tritt ung die Zahlen-Symbolif bei den „Rekern‘ 
ſchon frühzeitig entgegen. Das Straßburger Edikt von 1317 po⸗ 
lemifirt gegen die Idee von den „neun Stufen der Volllommen- 
beit", die angeblich bei den Begharden vorhanden geweien fei. 

1) In einem im Sabre 1404 aufgezeichneten Manuſeript „Secta Walden- 
sium“ wird ausdrücklich geſagt: „Item in verbis sunt sibi cauti; mendacia vo- 
luntaria et verba turpia maxime solent evitare; vestimentis non pretiosis 
utuntur“ etc. Schmidt in Niedners Ztſchr. f. d. hiſt. Theol, 1852. ©. 244, 


2) Schmidt Nic. v. Bafel ©. 113. 3) A. O. ©. 9. 
4) Schmidt Nic. v. Baſel a. O. S. 305. 


202 


Solite e8 wohl ein Zufall fein, daß in der Literatur, die an 
den Namen des heimlichen „Gottesfreundes aus dem Oberlande” 
angelnüpft wird, dieſelbe Idee und dieſelbe Zahl neun eine ganz 
befondere Rolle ſpielt? Schon Denifle hat, obwohl von ganz anderen 
Ausgangspunkten ausgehend, diefelbe Beobachtung gemacht. 

Neun Iahre find es, durch welche der gefangene Ritter fich 
in einem heiligen Leben übt; neun Jahre bringt ver Meeifter ber 
h. Schrift in dem Meeifterbuch nach feiner Belehrung noch im irdi- 
ſchen Leben zu; neun Sabre lang thut die ehemalige Geliebte Des 
Gottesfreundes Buße u. f. w. 

In Bezug auf die Idee der Stufen, weldhe den Weg zur 
Selbfterneuerung und Heiligung binaufführen, wechfeln allerdings 
in biefer Literatur die Zahlen, indem fie auf Drei, fieben und 
neun angegeben werben; aber das Bild ſelbſt Tehrt überall wieder 
und eine Reihe von Schriften variirt daſſelbe Thema 1), — 

Durch diefe ganze Literatur zieht fich ebenfo, wie bei ven Wal- 
denfern, der ſtets betonte Gegenſatz zwijchen den zwei Wegen, Des 
einen, welcher zum Leben, und des andern, welcher zum Tode führt. 
Diefer Gegenfat wird gewöhnlich bezeichnet durch Die Ausdrücke: 
„Welt“ und „Gott“, „weltliche Liebe” und „göttliche Liebe“, 
„Licht“ und „Finſterniß“, „Gemeinde der Welt” und „Gemeine 
Chriſti“. 

Auch iſt es charakteriſtiſch, daß in Bezug auf die Zahl der 
Tugenden und Untugenden dieſelbe Symbolik wiederkehrt, wie wir 
ſie eben beobachtet haben, und zwar ſind hier in der Regel die Zahlen 
drei und ſieben. 

Die Zahl drei ſcheint entſprechend der chriſtlichen Lehre von 
der Dreifaltigkeit in dieſen Ideenkreiſen ſo ſtark betont zu werden. 
Wenigſtens werben die drei Grundkräfte: Kraft, Weisheit, 
Liebe, welche die Waldenfer als höchſte Eigenjchaften Gottes be⸗ 
zeichnen, als „Kraft des Vaters“, „Weisheit des Sohnes” und 
„Liebe des h. Geiſtes“ bezeichnet 2). Diefen drei Kennzeichen Gottes 


1) So das Büchlein von der „geiftlichen Stiege‘, desgl. von ber „geiftlichen 
Leiter” u. |. w. Ferner ift da8 6. Cap. der Schrift von ven zwei Mannen 
(Schmidt Nic. v. Bafel S. 247f.) der Erläuterung ber fieben Stufen gewidmet. 

2) Schmidt Nic. v. Bafel ©. 311. 


203 


jtehen auf Seite des Menſchen drei Pflichten gegenüber, die Pflicht 
bes Glaubens, der Hoffnung und der Liebe. — 

Es iſt nicht ohne Interefje, die Stellung zu Tennzeichnen, welche 
ber Gottesfreund in dem damaligen Kampf zwifchen geiftlidher 
und weltliher Gewalt einnimmt. Unter dem 8. Juni 1379 
fchreibt er über dieſe Fragen einen Brief an den Comthur des 
Johanniterhauſes und jagt, er fürchte, daß aus Gottes Verhängung 
und Zulaffung das weltliche Schwert unterbrücdt werde. Davon 
werde, führt er fort, „viel Xeidens in der Chriftenheit wer- 
den”). Bet der vorfichtigen Art, die den Gottesfreund kennzeichnet, 
ift hiermit feine Auffaffung hinreichend dargethan. 

Sehr auffallend ift Doch auch die Antipathie, welche ver Got- 
tesfreund gegen die geiftlichen Gerichte offen ausipricht; ja, 
jelbft Die Anrufung weltlicher Gerichte durch die „Brüder“ ift ihm 
anftögig. „Mit dieſen Gerichten‘, jagt er, „geicbieht gar großes 
Unrecht, welches Gott gar widerfam tft“. Es dürfe nach „chriſt⸗ 
licher Ordnung“ nicht geſchehen; e8 werde vieles, was wider Gott 
jei, vor diefen Gerichten vollbracht u. f. w. 2). 

In ähnlichem Sinn fchreibt er am 20. Febr. 1377 an Nicolaus 
von Saufen, welcher ihm berichtet hatte, daß bie Johanniter viel 
Arbeit mit weltlichen und geiftlichen Gerichten gehabt hätten?). „Und 
das wiſſet, es ift mir leid, daß es der Comthur thut, benn der 
Grüne Wörth ward nicht alſo angefangen, daß die Priefter, die drin 
wohnen follten, dag die follten mit weltlichen Sachen umgehen‘. — 

Es ftebt im Gegenſatz zu der Lehre der römifchen Kirche, wenn 
ber Gottesfreund jagt, daR es möglich ſei, ohne Fegfeuer das 
ewige Reben zu erlangen. Ä 

Denjenigen Menfchen — fo führt der Gottesfreund aus — 
welcher einen ftarfen, fteten Willen bat, fich zu beifern, den nimmt 
Chriftus und führt ihn einen Theil des Weges, den er felber vor- 
angegangen ift. Dann fpricht Gott zu feinem Sohn: „Er tft des 
Tegfeuers ledig geworden und lohne bu es bemielben hier 
in der Zeit und gieb ihm darnach das ewige Leben”). Mio ge 
ſchieht es durch die Nachfolge Chrifti, daß Gott den Menfchen von 


1) Schmidt a. DO. S. 328. 2) Schmidt Nic. v. Bafel S. 192f. 
3) AD. ©. 299. 4) Schmidt Nic. v. Bafel ©. 247. 





204 


dem Tegefeuer losſpricht und ihm das ewige Leben giebt. Man 
weiß, daß dies Die Lehre der Waldenſer gewefen ift. 

Und diefe Meinung Tehrt bei unferem „Gottesfreunde‘ nicht 
bloß an jener Stelle, ſondern häufig wieder. Wir befigen ein Bud 
unter dem Titel „Urfula und Adelaide”, in welchem erftere ihre 
Lebensgefchichte zum Nuten einer edlen Jungfrau erzählt. Dies 
Buch warb von dem Gottesfreund aus der „wälichen Sprache” ins 
Deutſche überfegt und an Rulman Merſwin gefandt. Darin wird 
berichtet, wie Adelaide 30 Tage nach Urfulas Tod einen Traum 
hatte, in welchem ihr leßtere erfcheint und ihr erzählt, wie es ihr 
ergangen fei, jeitvem fie der Erde entrückt worden. Urſula fagt: „Ich 
fahre nun zur Stunde aus dem Baradiefe, darin ich Diefe dreißig 
Tage ohne Weh gereinigt bin und fahre dann mit den beiligen 
Engeln auf in das ewige Leben”. Mio auch Urfula kommt wie 
der Meifter im Meifterbuh ohne Fegfeuer zum ewigen Leben. 

Es zieht ſich durch die Walvenferliteratur feit alten Zeiten ein 
Kampf gegen die Anhänger derjenigen Theorien, welche durch Amalrich 
von Bena eine wiffenfchaftlihe Ausgeftaltung erhalten batten und 
die, weil fie, wie bie Walbenfer, in Oppofition zur herrſchenden 
Kirche ftanden, von Letzterer, wie wir ſahen, vielfach mit den Wal, 
benjern zufammengeworfen wurden. Es ift fein Zweifel, daß bie 
„Amalrilaner” in den „Bruder- und Schwefterhäufern‘, in melden 
viel armes, verwahrloſtes Volt Aufnahme gefunden hatte, damals 
manche Anhänger zählten, und e8 war eine LXebensfrage für das 
Waldenſerthum, gegen das Umfichgreifen jener Ideen mit allen Mit- 
teln anzulämpfen. 

Diefer Aufgabe Hat fich auch unfer Gottesfreund unterzogen. 
Das Buch von den „Zwei Mannen“ giebt in feinem zweiten Capitel 
eine Schilderung ber Berirrungen, zu welchen jene Lehren von ber 
„Breiheit des Geiftes” führen, und warnt bie Lefer vor den „falſchen 
Ketzern“, welche die Lehren des Chriftenthums zu fleifchlicher Frei⸗ 
beit mißbrauden ). — 

Es verdient doch auch Veachtung, daß unſer „Gottesfreund 
im Oberlande“ und ſeine Genoſſen gerade an ſolchen Orten und 


1) Jundt Les Amis de Dieu 1879 ©, 390 f. 
2) C. Schmidt Nic, v. Bafel ©. 220 ff. 





205 


nur an folhen Orten und Gegenden Beziehungen befiten, wo nach» 
weislich auch Die „Apoftel” Freunde beſeſſen haben, d. h. am Ober- 
rhein, in Straßburg, Bafel, Mes, dann in Oberitalten, in Deftreich, 
Böhmen, Ungarn u. ſ. w. — 

Wie im Jahre 1179 die „Waldenfer” zu Rom vor dem Papft 
erſchienen, um durch Einwirkung auf ihn befürchtete Irrungen fern 
zu halten, fo hoffen auch unfere „heimlichen Gottesfreunde im Ober- 
land“, daß e8 ihnen durch ihre Bitten möglich fein werde, den Lauf 
der Dinge zu hemmen. — 

Wenn man die Schilderungen der Zuſammenkünfte Tieft, welche 
der „Gottesfreund im Oberland” mit anderen „Gottesfreunden‘ 
an heimlichen Orten gehalten bat!), fo jcheint e8, als ob dieſelben 
von Niemandem gefchrieben fein könnten, der nicht wirklich bei ven 
„Sapiteln‘ der Apoftel zugegen geweſen ift. 

So fommt unfer „Gottesfreund” am 17. März 1379 mit fieben 
anderen „beimlichen‘ Gottesfreunden in einem abgelegenen Gebirge 
zufammen. Dort ift eine Kapelle, d. h. ein Andachtshaus der Gläu⸗ 
digen, in den Telfen gehauen; Daneben findet ſich eine Heine Wohn- 
jtätte, worin nach Waldenfer-Brauch ein Greis und ein Jüngling, 
garız wie der uns befannte magister major und magister minor, 
wohnen; ein „Winkel“ oder eine „Grube“ (daher Winteler und 
Grubenheimer) find die Zufluchtsitätte der „Armen“. 

Dann ward nah Waldenfer-Art eine anhaltende Verfammlung 
in Gebet und Gottesbienft vom 17. bi8 25. März, d. 9 eine Woche 
lang, abgehalten. 

Ein Jahr ſpäter kommen abermals an benjelben Ort die Got- 
tesfreunde; darunter waren einer aus Mailand, einer aus Genua, 
ein Kaufmann, ver all feinen Reichtum um Chrifti willen geopfert, 
zwei au8 dem Lande Ungarn. Am 22. März trafen fie an ber 
Felſenkapelle im Gebirge ein. ALS fie beifammen waren, waren e8 
13 Perfonen. Sie begannen mit anhaltendem Gebet; darauf em- 
pfingen fie das Abendmahl, Dann begannen ihre Berathungen 
ufd ihre Beſchlüſſe wurden alsbald in ven Landen ben heimlichen 
Sreunden, jo wie in Straßburg dem Rulman Merfwin befannt 2). 


1) &. Schmidt Nic. v. Bafel S. 329 ff. 
2) Die Einzelnheiten über bie Zufammentünfte bei C. Schmidt a. O. ©. 43 ff. 


& 


206 


Was war nun der Grund, daß die „Gottesfreunde ftet8 alles 
heimlich betrieben? Die Verfolgung war es, die den „Ketern” drohte. 

Wem jollten nicht die „Gemeinden Ehrifti” in den Sinn kom⸗ 
men, wenn er in den Schriften des „Gottesfreundes aus dem Ober- 
lande“ Tieft, er babe „aus großer göttlicher Liebe eine Botjchaft 
gefandt und begehrt, daß fie ver Gemeinde mit Ernft verfünbet 
werde1), Was für Gemeinden mögen das gewefen fein? Wiffen 
wir doch, daß auch Die Apoftel der „Chriftenbrüder” Sendfchreiben 
an ihre „Gemeinden“ richteten. 

Eben der Inhalt dieſer „Botſchaft“ it dann auch fo voll 
ftändig identiſch mit den Anweifungen, wie fie bei ven Brüdern in 
Kraft waren, daß man über die Kenntniß unferes Gottesfreundes 
in Waldenferbräuchen billig ftaunen muß. 

Darin beißt e8, daß die Ehriften Abends, bevor fie fchlafen 
gehen, ihr Gemüth jammeln und bei fich felber Einkehr halten 
follen. Dann follen fie beten und ihr Tagewerk betrachten und, 
falls fie etwas Gutes gewirkt, Gott mit demüthiger Dankbarkeit 
die Ehre geben und fich felber Kalten für unnüte Knechte Wenn . 
fie aber gefehlt haben, es ſei mit Hoffahrt, mit Haß, mit Un— 
wahrheit, mit Nachrede, mit Feindſchaft, mit Unmäßig- 
feit ober mit Trägheit — e8 find die „jieben Hauptlafter”, 
wie fie Die Waldenjerlehre Tennt, mit merkwürdiger Genauigkeit hier 
angegeben — fo follen fie fich ſelbſt die Schuld geben und reuig 
bitten „Vergieb mir heute alle meine Sünden“. So follen fie (wie 
die Waldenſer) das Vater unfer beten. 

Man bat gejagt, unfer Gottesfreund dürfe deßhalb den „Häre⸗ 
tikern“ nicht beigezählt werden, weil ſich nirgends finde, daß er ſolche 
Funktionen, die in der Regel nur von den Prieſtern der römiſchen 
Kirche vorgenommen wurden, vollzogen babe. Nun, es wäre kein 
Wunder, wenn der „Gottesfreund” in Schriften, die er Nichtwal- 
denſern zufandte, davon gefchwiegen hätte; aber e8 würde aus dieſem 
Schweigen mit nichten folgen, daß er nie Beichte gehört oder das 


Abendmahl ausgetheilt Habe, wie die „Apoſtel“ e8 zu thun pflegten. 


1) Sp wörtlich bei Schmidt Nic. v. Bafel S. 203: „Darumb het er es 
nuo aber us grosser göttelicher minnen har verbotschaftet und begeret, das 
es der gemeinde mit erneste verkündet werde“. 








207 


Iſt e8 denn aber richtig, dag in den uns erhaltenen Schriften 
von ſolchen Bunktionen nie geredet wird? Wenn man genau zu- 
gejehen hätte, würde man fich eines Beſſeren haben belehren können. 

In dem „Ritterbuch” — wie ich das Gegenftücd zum „Meeifter- 
buch“ nennen möchte — wird uns die Zufammenfunft des „Got 
tesfreundes“ mit einem weitberühmten Ritter und deſſen Belehrung 
erzählt), Diefer Ritter war als Knabe des Gottesfreundes Spiel- 
geſelle geweſen und in fpäteren Jahren hatte Erfterer von einem 
weltlichen Deann, ver „va heimlich fein guter Freund war”, ges 
bört, daß fein ehemaliger Spielcamerad der weltlichiten, weltfeligften 
Kitter einer geworben, die nur in diefen Landen waren. Er machte 
fih auf, um ihn zu fehen, und e8 gelang ihm, den Ritter von böfen 
Wegen, auf denen er fich befand — er liebte die Frau eines feiner 
Gönner — zurüdzurufen. AS der Gottesfreund fich entfernen 
wollte, bat der Ritter, jener möge „durch Gott” fein „heimlicher“ 
Freund werden und ihn heimlich öfter befuchen. 

In der Nacht nach diefer Zuſammenkunft überfiel den Ritter 
bittere Reue über fein bisheriges Leben und er jehnte fich, Seman- 
bem zu beichten, wollte e8 aber „feinem Beichter“ nicht thun, da 
ihm biefer, wie er fagte, „zu leicht wäre”. Auf diefe Klage ent- 
Ihloß fich des Ritters Gattin, noch in derſelben Nacht gegen Morgen 
ben Öottesfreund in feiner Herberge perfünlich aufzujuchen und ihn 
zu ihrem Mann zu rufen. | 

Der Gottesfreund Tam, doch nicht mit der Gattin auf dem 
gleichen Wege, ſondern auf einem beſonderen Pfade, d. h. alfo heim- 
lich in das Schloß. „Alſo kamen fie beide zugleich zu dem Haufe 
und famen auch beide vor ihn und fanden ihn noch im Bette”. 

Da ſprach der Gottesfreund: „Da ihr nun einen ganzen Willen 
babt, die Sünden nicht mehr zu thun, fo willet, daß euch Gott 
barmberzig ift, und ich rathe euch aus aller Treue, daß ihr nun 
jollt beichten und jollet unferen großen Herrn in dem Sacrantent 
empfangen. Wenn ihr das getban habt, fo will ich euch mit ber 
Hülfe Gottes tröften, daß ihr dann am Leib und an der Seele 
geneft und auch dann fofort vom Bett werdet aufitehn”. 


1) & Schmidt Nic. v. Bafel S. 79 ff. 


208 


Und dann fährt der-Erzähler unmittelbar fort: „Und dies 
geſchah au. Da er gebeichtet und unfern Herrn empfangen, da 
ftand er auch gefchwinde von dent Bette auf und fiel in der Kam⸗ 
mer nieder auf feine Knie und betete da mit großem Ernſt“. Dann 
faß er mit ihnen zu Tiſch und war fröhlich mit ihnen. „Und 
alsdann nach dem Imbiß bat den Gottesfreund der Nitter und 
deffen Frau mit großem Ernft, daß er länger bei ihnen bleibe. Da 
ſprach der Gottesfreund: „Danket Gott für das Gute, das er an 
euch getban bat, und laßt mich nun gehn”. Bald darauf baten 
der Ritter und die Frau, daß der Gottesfreund ihnen eine „Ord⸗ 
nung gejchrieben gäbe, wie fie fich in allem ihrem Leben, in allen 
ihren Sachen, im Thun und im Laffen halten follten“. 

Wer ift e8 nun wohl gewejen, welchem der Nitter bet dieſer 
heimlihen Zuſammenkunft mit dem Gottesfreund gebeichtet bat, und 
von wem bat er das Sacrament empfangen? Seinem regelmäßigen 
Beichter wollte er ja nicht beichten und wer war denn in der frühen 
Morgenſtunde ſonſt noch an des Ritters Bett? 

Es ift wahr, unfer Büchlein fagt nicht: Darauf beichtete mir 
der Ritter; aber e8 jagt auch nicht, Darauf beichtete er feinem Beichter. 
Doch für denjenigen, welcher feine Augen nicht ganz verfchliekt, 
bevarf e8 weiterer Beweife nicht. Für jeine eingeweihten Leſer hatte 
der Gottesfreund deutlich genug geiprochen; bie anderen follten 
28 nicht verſtehen. 


Neuntes Capitel. 
Die deutſchen Bauhütten und die altevangelifchen Gemeinden. 


Der „Sottesfreund aus dem Oberland” und die Bauleute. — Die religidfe Be⸗ 
wegung ber beutichen „Myſtiker“ in ihrer Einwirkung auf die deutſche Kunft. — 
Die Entwidlung des Steinbaus feit dem 12. Jahrhundert in ihrem Ver⸗ 
hältniß zur Geſchichte der altevangeliihen Gemeinden. — Der Bund ber 
deutſchen Bauhütten. — Einfluß und Macht deſſelben. — Berfaffung, Bräuche 
und Wefen der Brüberfchaft der Hlitte im Vergleich mit der Brüberfchaft der 
„Waldenſer“. — Die Stellung Straßburgs im Hüttenbunde und in ber 
Organifation ber altevangelifchen Gemeinden. — Die Verfolgung ber „Ehriften- 
Brüder“ feit 1360 und Rückwirkung berfelden auf bie Baubütten. — Die 
„Liebhaber des Handwerks“. — Die Tendenz bed „geiftigen Bauens“, 


Wir haben oben bereit8 wiederholt erwähnt, daß der berühmte 
Franciskaner und päpftliche Apologet Dr. jur. Alvarus Pelagius in 
feinem Wert „De planctu ecclesiae“ die „Schaaren der häretifchen 
Apoftel und Begharden“ beſonders dadurch vor aller Welt ver- 
ächtlich zu machen fucht, daß er ihre nahen Beziehungen zu den 
Gilden der deutfchen Werfleute hervorhebt. Während die Priefter 
ber römifchen Kirche auf Hochſchulen die Tiefen der Wiſſenſchaft 
ergründen und fich in der Theologie die höchſten Grabe erwerben, 
find diefe „Apoftel”, meint Pelagius, zum Theil ehemals Maurer 
und Bauleute, Eifenjchmiede, Wagner und folcher Art Leute 
gewejen. 

Derartige Nachrichten begegnen uns jo häufig in den Quellen, 
dag eine allgemeine Erfcheinung ihren zu Grund gelegen haben muß. 

Wenn nun aber wirklich die „Apoſtel“ ver altenangelifchen Ge- 
meinden nicht felten aus ven Kreifen der Werkleute bervorgingen, 
jo Tiegt die Frage nahe, ob fich denn gar Feine weiteren thatjäch- 
lichen Anhaltspunkte dafür finden Yafjen. 

Keller, Die Reformation. 14 


210 


Aus der Zahl der Waldenjer-Geiftlichen treten einftweilen, wie 
oben bemerkt, für und nur wenige Perſonen beftimmt heraus. Ver⸗ 
hältnigmäßig am meilten wiffen wir noch von dem vielbeiprochenen 
„Bottesfreund ans dem Oberlande”. 

Da ift e8 num merkwürdig, daß gerade biefer „Gottesfreund” 
in den Briefen, die uns von ihm erhalten find, von keinem Gegen- 
ſtand häufiger und von Teinem Thema mit mehr jachlichem Ver⸗ 
ſtändniß Ipricht, al8 vom Steinhauen!), Bauen, Mauernziehen, 
von Werfleuten, Bauplänen u. vergl. Gerade in foldden Tragen 
holt man feinen Rath ein; er äußert feine Vorfchläge, man befolgt 
fie — kurz, er ift für feine Straßburger Freunde nicht nur der 
Beiftand in geiftlihen Dingen, ſondern auch vor Allem ein Rath 
geber in bautechnijchen Angelegenheiten 2). 

Gleich in dem dritten Brief, der uns von ihm erhalten ift 
(1371), Tommt der Gottesfreund auf einen Baupları zu fprechen, 
den er und feine Freunde begen?). In dem vierten Brief vom 
20. Febr. 1377 findet fich ein fpecielles Eingehen auf den Bau bes 
Kirchenchors, welchen die Johanniter des Merfwinfchen Bruder- 
hauſes beabjichtigten, der Gottesfreund und feine Brüder haben 
angeblich ſchon dreimal über diefen Bau berathen). Am 24. April 
deſſelben Jahres jchreibt der Gottesfreund an den Comthur des 
Sohanniterhaufes auf des letzteren bezügliche Anfrage abermals 
wegen dieſes Baue85); er räth ihm ab, den Chor in der projeltirten 
Weife zu bauen. Er erzählt bei dieſer Gelegenheit, wie er viele 
große Bauwerke „mit Töftlichen Zierrathen und Köftlichen Gewölben“ 
kennen gelernt habe. Er habe e8 aber auch erlebt, wie bei Erd» 
beben dieſe Steingewölbe herakftürzten und die „Münftermauern” 
ftehen blieben. Aber die Mauern hätten auch ſolchen Schaden ge- 
Titten, „daß man nicht mehr darauf mauern konnte“. Er Tennt 
Gewölbe von Stein und Gewölbe „mit hultzinen tilen ane die 


1) Die ausdrüdlihe Erwähnung des „Steinhauens‘ f. u. A. bei Schmibt 
Nic. v. Bafel ©. 315. 

2) Diefe Thatfache ift Tängft auch von Anderen, 3. B. von Denifle erkannt 
worben; vergl. unten. 

3) Schmidt Nic. v. Bafel S. 294 und 296. 

4) A. a. O. ©. 298. 5) A. a. 0. ©. 300, 





211 


büne gemachet“. Er ift alfo fehr gut orientirt über bie ver- 
ihiedene Technik des Gewölbebaus. 

Ia, jogar in feinen Träumen befchäftigt fich der Gottesfreund 
mit Neubauten, Anlegung von Altären, Herftellung von Bildwerk 
u. ſ. w. Und dies begegnet ihm nicht einmal, ſondern wiederholt. 
Dabei fchweben ihm Dimenfionen und Größen, Berechnungen aller 
Art vor. Auch bedient er fich ſolcher Ausdrücke und Worte, welche 
man nicht Teicht von Andern als von Bauverftändigen hören wird!), 

Der Gottesfreund entwirft förmliche Baupläne; auch Rulman 
Merfwin thut das Gleiche und zwei fo zu Stande gekommene Skizzen 
jendet der Gottesfreund im Sabre 1377 den Iohannitern 2). Die 
Letzteren hatten zuvor auch ihrerfeits dem Gottesfreund eine Skizze 
eingefandt, um deſſen Rath zu hören. Er erwiberte u. A. datauf, 
fie jollten die Kapelle nicht zu einer Sakriftei machen, „wanne die 
muren sint zuo krang darzuo“. Er hat aljo Berechnungen über 
nothwendige Mauerſtärken angeftellt. Auch Hat er erkannt, daß 
ber Bau nach der Merfwinichen Skizze 3—400 Gulden theurer 
lommen werde; aber das Geld, meint er, fei gut angelegt. „Nun, 
biel lieber Freund, wollet ihr diefen Bau anfangen, jo fanget ihn 
auch Fröhlich am zur Ehre der h. Dreifaltigkeit und brechet Diefen 
Sommer die Steine von dem neuen Chore ab und vermauert fie 
wieder an die lange Mauer” u. f.w. Außer dieſem Gutachten foll 
der Comthur auch dasjenige Heinrich Wetzels und Rulman Merfwins 
einholen. 

Im Mai deffelden Jahres bringt der Gottesfreund abermals 
wegen des Neubaus zu „Ehren der h. Dreifaltigkeit und ©. Johanns“ 
in die Johanniter. Er fagt, dag man die Koften für Sertigftellung 
des Dachs und der Mauern nur zu 200 Gulden veranichlagen 
könne; er begreife nicht, warum man ben angefangenen Bau alſo 
ſtehen laſſe. Es fei gut, wenn bie Brüder felbft Hand anlegten, 
Steine und Holz zu tragen. „Wanne wiszent, wie alt daz unser 
briieder sint, so wir buwent, so helfent su“. Unter dem 6. Juli 
1377 kommt unſer Gottesfreund wieder auf Diefen Neubau zurüd. 
Er empfiehlt dem Comthur für Die neue Kirche (zur Ehre S. Iohanns) 


1) ©. €. Schmidt Nic, v. Baſel S.316f. 2) Schmidt a. D. ©. 304, 
j 14* 





212 


Werkleute anzunehmen. Der Comthur batte nochmals bei ven 
„Sottesfreunden im Oberland‘, beſonders auch bei dem „Bruder“ 
Ruprecht um Rath gefragt; der Iektere legte Dann die Frage un. 
ferem befannten‘ „Sottesfreunde” vor. In dem citirten Schreiben 
veferirt Xetterer über feine bezügliche Eonferenz mit Ruprecht. „Do 
sprach ich: vil lieber Ruopreht, du weist doch wol, daz ich 
min zit nit vil mit gebuwe vertriben habe, darumb so bitte 
ich dich, daz du mir wellest sagen, weler sin dich der we- 
geste und der beste dunket“. 

Aus diefen Worten gebt Hervor, daß unfer Gottesfreund ſich 
eine Zeit hindurch in der That mit Bauen befchäftigt haben muß; 
daß es feine lange Zeit geweſen tft, begreift man, wenn man an 
die 30 jährige Apoftelthätigleit fich erinnert, und ferner ſieht man 
daraus, Daß Bruder Ruprecht in diefen Dingen noch erfahrener 
war al8 der Gottesfreund. 

Sollten vielleicht unter den Gottesfreunden im Oberlande 
mebrere ehemalige Werfleute gewejen fein? Wenn man bie bau- 
technischen Erörterungen, welche Bruder Ruprecht auf des. Gottes. 
freundes Erfuchen giebt!), durchlieft, fo kann man fich allerdings 
der Ueberzeugung nicht erwehren, daß eine nahe Beziehung zu ben 
Bruderſchaften der Werkleute vorhanden gewejen fein muß. 

Auch Denifle ift es aufgefallen, „daß der Gottesfreund ſich 
immer gerire als verftebe er die Baukunſt“?). 

Man könnte bei ver nahen Beziehung, welche unfer Gotted- 
freund zu den Sohannitern befaß, e8 erflärlich finden, daß er ver- 
ſchiedene Neubauten und Anlagen gern zu Ehren ©. Johanns aus 
geführt willen will. Immerhin ift e8 aber bemerfenswerth, daß er 
wiederholt eine bejondere Theilnahme für „beide sante Johan- 
nesen“ d. h. für Johannes den Täufer (ven Schubpatron ber 
Sohanniter) und für Johannes den Evangeliften zu erkennen giebt?). 

Auch der S. Johannistag und die S. Johannisnacht Spielen bei 
ihm, 3. B. in den ſymboliſchen Andeutungen feiner Entfchlüffe, die 


1) Schmidt Nic. v. Bafel S. 312. 

2) Ztſchr. f. deut. Altertb. 1881 ©. 111. 

3) C. Schmibt Nic. v. Bafel S. 317: „Nu solt du aber me wiszen, daz 
die algeweltige heilge ewige drivaltikeit wil, alse der nuwe gebu angefangen 


213 


er. oft in Träume leidet, eine merkwürdige Rolle. Ein Traum, der 
ihm in der Johannisnacht geworden ift!), Hat für ihn eine befon- 
bere Bedeutung?) und einer Eröffnung, bie ihm „her Johans‘ am 
©. Yobannistage macht, legt er große Wichtigkeit bei. Eben diejer 
Herr Johannes hatte feinen Namen erhalten, als er fich den „Brü⸗ 
dern” angefchloffen Hatte und vom Judenthum zum Chriftenthum 
übergetreten war. 


Die innere Verwandtfchaft, welche zwiſchen unſerm ,Gottes⸗ 
freunde” und den Werkleuten und ihren Schöpfungen befteht, ift 
von den Kunfthiftorifern längſt auf ganz anderen Wegen erkannt 
und dargetban worden. 

Wir Haben oben gefehen, daß diejenige religiöfe Richtung, als 
beren Repräfentanten Rulman Merſwin und der „pttesfreund 
aus dem Oberlande‘ zu betrachten find und welde in dem ge- 
lehrten Sprachgebrauch der Theologen mit dem Namen „Myſtik“ 
bezeichnet zu werden pflegt, in den Kreifen ver „Waldenſer“ ihre 
urfprüngliche und eigentliche Heimath befikt. 

Der beherrſchende Einfluß dieſer jogenannten Myſtik auf Die 
bildenden Künfte jener Tage ift von den ausgezeichnetiten Kunft- 
biftorifern nachgewiejen worden. Carl Schnanfe jagt geradezu, daß 
nur berjenige die Kunſtwerke des 14. Jahrhunderts recht zu ver- 
fteben im Stande fei, welcher die Schriften der „Gottesfreunde” 
gelejen habe). Und umgekehrt behauptet er von der Theologie der 


ist, daz der gantz und gerwe für sich sölle gon und man in sol loszen gantz 
also ston zuo erwirdikeit der lieben groszen hohen heilgen den beiden 
sante Johannesen; und denselben nuwen fronaltar, den man do machende 
wurt, und den kor und daz nuwe gebuweze alles mitenander wihen in ere 
der lieben groszen heiligen der beder sante Johannese“. 

1) Ric, v. Baſel ©. 330. 

2) Daß bei den Bauleuten der S. Jobannistag (24. Juni) eine befonbere 
Bedeutung hatte, ift bereit8 im 15. Jahrhundert urkundlich zu belegen. Diefer 
Brauch ift aber nicht etwa erft damals aufgelommen, fondern wie alle derartigen 
Bräuche uralt. Man pflegte an biefem Tag die Bauhütte mit Laub zu ſchmücken 
und mit Kränzen zu ‚zieren; auch war „Hüttenzeche“, d. h. ein Feſtgelage. Siehe 
Janner Die Bauhütten Lpz. 1876 ©. 226. Janner giebt Nachweife aus ben 
Jahren 1459, 1487—89; 1530 u. 1532, 

3) Schnanfe Geſch. d. bild. Künfte Bd. VI ©. 58. 





214 


Myſtiker: „Ste nimmt augenjcheinlich einen. künſtleriſchen An- 
lauf und wir werben bei näherer Betrachtung gleichzeitiger Male 
reien unwilltürlih an ihre Verwanbtichaft mit dieſen Vorftellungen 
der Myſtiker erinnert” 1), „Beide, Myſtiker und Künftler, gehen 
auf demfelben Wege weiter‘ 2), 

Es beruht diefe Wahrnehmung nicht auf allgemeinen Eindrüden 
oder Empfindungen, fondern auf ganz fpeziellen Thatfachen. Das 
zeigt fih z.B. in ver Syumbolit, welche jowohl bei den Gottes. 
freunden wie bei den Werkleuten vorkommt. 

Die Symbolik fpielt bei den „Myſtikern“ eine ganz bervor- 
ragende Rolle. Anfichten, Rathſchläge, Lehrſätze, welche fie aus 
Furcht vor den Keßergerichten nicht mit ihren wirkliden Nanten 
nennen durften, bezeichneten fie mit einer Art von Zeichenſprache, 
welche meist nur den „Brüdern“ ſelbſt befannt war. Schnaafe 
weift mit Necht darauf bin, daß fie abfichtlich ihren Natbichlägen 
eine allegorifche Einkleidung gegeben zu haben feheinen ?). 

In diefer Symbolik fpielen nun die Ericheinungen des Lichtes, 
der Wärme, der Schwere, des Weltalls, „mit einem Worte des all- 
gemeinen Naturlebeng‘'t) eine ganz befondere Rolle. 

Das Licht ift das Symbol des Geiftes des Guten, Gottes, 
Chriftt, der Heiligen. Die Rofe ift pas Symbol zeitlichen Leidens, 
der Adler dasjenige ver Kraft; weiße Gewänder find das Symbol 
der Reinheit. Edle Steine, leuchtende Kreuze, mit Blutstropfen 
beiprengte Kleider, Kryſtalle, Blumen aller Art find die noch viel- 
fach ungebenteten Zeichen ihrer Sprade?). „Sie redet faft nichts 
obne bildliche äußere Zeichen von Gott‘, fagt Schnaaſe. 

Auch ſolche Symbole, welche fpeciell an die Baukunſt erinnern, 
kehren häufig in dieſer Literatur wieder, befonvers das Bild ber 
Stufen oder Staffeln, der Stiege oder Leiter, wie wir Dies oben 
an den erwähnten Schriften: „Von der geiftlichen Leiter” und „Von 
der geiftlichen Stiege” oder dem „Buch von den neun Felfen’ bereits 
gefeben haben. 


1) A. a. O. S. 50. 2) A. a. O. S. 599. 3) A. a. O. © 44 

4) Schnaaſe a. O. S. 46. 

5) Eine nähere Unterſuchung der Zeichenſprache der Myſtiler wäre ſehr 
wünſchenswerth. 








215 


Meift werden biefe Stufen nicht in der Neunzahl, ſondern 
in ber Siebenzahl vorgeftellt, entfprechend den „fieben Gaben des 
b. Geiſtes“ und „ven fteben Werken der Barmberzigkeit”, welche 
nah dem Zeugniß Auguft Jundts zu den Lieblingsthematen ver 
gottesfreundlichen Literatur gehören!) Die „fteben Gaben des 
b. Geiſtes“ find nah Merfwin Weisheit, Verftand, Rath, Stärke, 
Erfenntniß, Gottesfurcht und Liebe, und die fieben Werke der Barm⸗ 
berzigfeit werben gemäß Chrifti Worten Matth. 25, 35 —36 beftimmt, 
bob mit der Maßgabe, daß zu den Dort genannten als fiebentes 
Werk das Todtengeleit hinzugefügt wird. 

Die Symbole werben in den Schriften der Gotteöfreunde in 
bie Viſionen verwebt, deren. häufige Verwendung wir bei ihnen 
ihon früher conftatirt haben. Wenn irgend etwas für den geiftigen 
Urfprung dieſer Religionsanichauungen bezeichnend ift, jo ift es Die 
Thatfache, daß die „Myſtiker“ jelbft in den Geftaltungen ihrer 
Phantafie nur ſolche Vorjtellungen Tennen, welche der Lehre der 
Brüder” befannt waren, daß dagegen die Ideen des Fegfeuers, 
der Hölle, der böfen Geiſter felten oder nie in den Viſionen 
auftreten). „Ihre Symbolik ift einfach”, jagt Schnaafe, „ihre 
Bilder find ſanft“. „Alle ihre Vifionen find freundlich und zart, 
einfach und Licht”. 

Und die gleichen Merkmale der Einfachheit, Zartbeit und lichten 
Klarheit befigen die Erzeugniffe der eriten Künftler jener Tage, 
zumal in der Plaftif und Malerei. 

Wenn wir die Leiftungen der deutſchen Dealer, jagt Schnaaſe, 
mit den Bildern vergleichen, von denen der Gottesfreund im Ober- 
lande träumt, und noch mehr mit den Bildern, welche ihrer Phan- 
tafie vorfchwebten, jo Tann uns die Verwandtfhaft nicht 
entgehen. Erſt dadurch, meint derfelbe Autor, lernen wir bie 
Abſichten der Künſtler recht verjtehen, und es jei eine „unerwartete 
Klarheit”, welche von der myſtiſch⸗religiöſſen Bewegung aus auf 
die gleichzeitige Kunſt falle 8). 








1) Les Amis de Dieu au quatorzième siècle. Paris 1879 ©. 25 Anm. 2 
und ©. 23 Anm. 2. | 

2) Schon von Schnaafe beobachtet a. O. ©. 49, 

3) Schnaafe a. O. ©. 58. 


216 


Seit dem 12. Jahrhundert Hatte der Steinbau in Deutfchland 
eine Bedeutung gewonnen, die man bis dahin nicht gekannt Hatte, 

Ein neuerer Kunftlenner, Auguft Neichenfperger, ſchildert Die 
Entwidlung, welche der Steinbau feit jener Zeit nahm, in folgender 
Weiſei): „In der That grenzt e8 ans Sabelhafte, was vom 12. Jahr⸗ 
hundert an bis zum 16. in dem Bereich der chriftlichen Civiliſation 
gebaut, gemeißelt, gemalt worden iſt. Noch immer fteht, wie fehr 
auch die fpäteren Gefchlechter darin gewüthet haben, ein Wald von 
Kathedralen aufrecht, an deren bloßer Erhaltung Die Gegenwart 
verzagt. Nehmen wir noch die fonftigen Kirchengebäude dazu, die 
Klöfter, die Paläfte der Fürften und Stadtgemeinden, ſowie bie 
Befeftigungsbauten aller Art, und erwägt man, wie vollendet und 
künſtleriſch durchgebildet ein jeder ſolcher Bau in feiner Weiſe er⸗ 
fcheint bis herab zu den fchlichteiten Wohnungen, — erwägt man 
endlich noch, daß ſeither in Betreff der mechaniſchen Hülfsmittel 
ungeheure Fortſchritte gemacht worben find, fo leuchtet ein, daß 
vormals Hebel ganz befonderer Art wirkſam gewejen fein müffen. 
Ein Hauptbebel diefer Gattung it zweifeldohne in ven Bauhütten 
des Mittelalters... . zu ſuchen“. 

Nun ift e8 doch beachtenswertb, daß eben das 12. Jahrhundert 
der Anfangspunft der großen geijtigen Bewegung ift, welche von 
Stalien und Frankreich aus über ganz Weftenropa fich durch bie 
ungewöhnliche Ausbreitung der altchriftlihen Gemeinden fund 
giebt. 

Eben von Norditalien und Frankreich ber kamen ja auch die 
„Meiſter“, welche die Grundzüge der Bautechnik mitbrachten, welche 
dann in Deutſchland ihre felbftändige Entwidlung und höchfte Blüthe 
finden jollte. 

Dazu kommt, daß, wie nach Alvarus’ Zeugnig urkundlich feit- 
fteht, die „Lehrer der „Waldenſer“ ehemals jelbft Häufig ausübende 
Werkleute gewejen waren. 

Liegt unter ſolchen Umftänden nicht die Vermuthung nah, daß 
zwifchen ver Ausbreitung des Steinhaus und dem Auffchwung ver 
altchriftlichen Gemeinden eine Wechfelwirkung ftattgefunden hat? 


1) Bermifchte Schriften Über chriſtliche Kunſt Lpz. 1856 ©. 156 ff. 








217 


Diefe Anficht erhält eine merkwürdige Beftätigung durch die 
Thatfache, daß gerade diejenigen Ränder und Stäbte, in welchen bie 
großartigften deutſchen Steinbauten jener Iahrhunderte erwachien 
find, die vornehmften Site der walbenfifchen „Keterei” wurden und 
blieben. Dean vente an Straßburg, Köln und Wien, welche 
neben den berrlichiten Domen zugleich Die größten „Ketzergemeinden“ 
erzeugt haben. Von diefen Mittelpunkten aus find dann die ganzen 
umliegenden Lande beeinflußt worden. 

Wie dem auch fein mag, fo fteht doch fo viel feſt, daß feit dem 
12, Jahrhundert die „Bruderihaften” der Steinntegen in 
Deutſchland eine große Rolle unter den Gilden zu fpielen beginnen. 
Die überlegene Stellung, welche die Eultur des Südens damals 
noch befaß, mußte, in welchem Berufe auch ihre Träger nach dem 
Norden wanderten, ven Perfonen, bie mit den Sübländern in dem 
gleichen Bunde thätig waren, die Errungenschaften einer älteren 
und reicheren Cultur bi8 zu einem gewilfen Grade vermitteln. In» 
dem die Fremden zugleich einen feiten Zuſammenhalt und eine be 
währte Organifation mitbrachten, übertrugen fie auch dieſe Vorzüge 
auf das Handwerk, an deſſen Spige fie fich ftellten. 

Es ift bekannt, daß die Werfleute, wo fie fich zur Ausführung 
eines Baus zufammenfanden, ſich in einer „Hütte vereinigten. 

Die „Hütte, d. h. der gemeinfame Arbeitsraum, den fie in 
ver Nähe des Baus fich zimmerten, war ver lokale Mittelpunkt 
aller der Techniker, welche bei dem Bau mitzuwirken berufen waren. 

Die „Hütte war, wo möglich, im Viereck errichtet; im Oſten 
hatte der Meeifter feinen Pla und feine Werkbant. Im der Regel 
enthielt fie nicht nur die Arbeitöftätten, jondern auch Berathungs- 
zimmer, Regiſtratur⸗ und Werkzeugsräume. Sie war ein fried- 
beiliger Ort, welchen Niemand bewaffttet betreten burfte. 

In jeder Hütte waren außer dem Meifter ald weitere Ordner 
und Beamte ein „Parlierer” und ein Kafjenverwalter thätig; bei 
größeren Bauten war auch ein Baufchreiber angeitellt. 

Es ift überliefert, daß die Bauhütten häufig mit Kapellen oder 
mit einem Raum zur Uebung des Gottesdienftes verbunden waren und 
daß der „Baufchreiber vie Funktionen des Geiſtlichen wahrnahm?). 

1) Janner a. O. ©. 102. 


218 


Der Platz der Hütte und ihre Infaffen waren häufig von der 
niederen Gerichtsbarkeit erimirt und ber „Meiſter“ fchaltete auf 
feinem Boden als Richter unter den „Brüdern“. 

Sp entwidelte ſich ſchon in früben Zeiten aus der Bauhütte 
eine Bruderſchaft, welche ihrem Urjprung und ihrem Wefen 
nach von den lokalen Hanbwerkerzünften fich erheblich unterſchied!). 

Naturgemäß waren bie Glieder diefer „Bruderſchaft“ darauf 
hingewieſen, fich nicht mit einer lokalen Organifation zu begnügen; 
vielmehr beburften fie bei dem häufigen Ortswechſel eines allge 
meinen Bundes aller derer, welche Steinmegbrauch und Gewohn⸗ 
heit kannten. | 

Gleichzeitig umſchlang fie ein feſtes Band durch den Beſitz 
vieler befonderer Kenntniffe, welche die Ausübung ihrer ſchwierigen 
Kunft erforderte. Um fich die Ausübung des Gewerkes gleichfam 
als Monopol zu fichern, Hüteten fie diefen Befig vor jedem unbe 
rufenen Auge und die Geheimhaltung ward jevem eintretenden 
Bruder zur jtrengften Pflicht gemacht. 

Die Bauhütte ſelbſt ift in den Grundzügen ihrer Ordnung 
ficherlich uralt, vielleicht fo alt wie die höhere Technik des Stein. 
baus überhaupt. Aber der fpecielle Bund der deutſchen Baus 
hütten, wie er bi8 in das 18. und 19. Jahrhundert, wenn aud 
zulett in verfümmerter Geftalt, bejtanden hat?), dürfte ſchwerlich 


1) Nur noch ein einziger Berufszweig bedurfte, fo viel ich jehe, in Damaliger 
Zeit ebenfo wie die Bauleute einer „Hütte“, nämlich die großen Eifenwerte, 
wie fie in einzelnen Theilen Deutichlands fchon frühzeitig unter dem Namen von 
„Hammerbütten” vorlommen. Auch in diefen Werfen vereinigten fich Mo—⸗ 
beflirer, Schmiede u. |. w. in einer gemeinfamen Werkftatt, und es ift ſehr be- 
zeichnend, baß, wie wir ſehen werben, auch bei ben „Hammerhütten“ wichtige 
principielle Unterjchiede von der Zunftverfafiung der übrigen Handwerke in ihren 
Statuten zu Tage treten. 

2) Eine Gefchichte des Steinmelbunbes ber fpäteren Jahrhunderte eriftirt 
Yeider nicht. Am 12. Auguft 1671 beichloß ber Reichstag zu Regensburg, daß 
die Straßburger Hütten-Oberhobeit, welche fortwährend in praftifcher Geltung 
war, aufhören ſolle. Zrot der Eroberung Straßburgs durch die Franzofen ward 
die alte Ordnung nicht völlig unterbrochen. Der Reichstag erneuerte die Ber- 
bote 1707, 1727 und 1731. Endlih am 15. Juli 1771 wurde bie beutfche Bau⸗ 
hütte durch Reichsbeſchluß als Corporation ganz aufgehoben. Sie beftebt 
gleichwohl mit etwa 100 Brüdern formell bis auf ben heutigen 
Tag. Näheres bei Riha a. D. ©. 38. 





219 


über das 12. Jahrhundert hinausreichen, ja es feheint, daß die nach“ 
malige Organifation aller deutichen Hütten, die wir kennen lernen 
werden, erit im 13. Sahrhundert entftanden ift. 

Darauf deutet die Tradition des deutfchen Steinmeßbundes 
ſelbſt Hin. Diefelbe ift in verfchievenen Formen auf uns gefommen, 
aber von jieben befannten Verfionen!) deuten nicht weniger als vier 
ganz ausprüdlich auf die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts. 

Nach der erjten diefer vier Verſionen follen die Statuten des 
deutſchen Hüttenbundes in Köln zur Zeit des Albertus Magnus?) 
(r 1280) entworfen worden fein; die zweite jagt, daß Meifter Erwin 
am Münfter zu Straßburg der erfte Großmeifter der beutfchen 
Hütten geweſen fei und daß die Straßburger Hütte bereits feit 1275 
als Großhütte anerkannt worden jet. 

Die dritte Berfion endlich ift injofern interejjant, als fie fagt, 
daß Papſt Nicolaus III. ums Jahr 1278 den Steinmeken gewiffe 
Borrechte eingeräumt babe. Wenn man nämlich die eigenthümliche 
Stellung Tennt, welche Papft Nicolaus III. zu gewiffen geijtigen 
Strömungen, 3. B. im Franciskanerorden, im ausgefprochenen Ge- 
genſatz zu feinen Vorgängern und Nachfolgern eingenommen hat, 
fo erjcheint diefe Tradition mehr als eine bloße Sage zu enthalten. 

Die vierte Form endlich bringt Kaifer Rudolf von Habsburg 
mit der Begründung des Bundes in Beziehung. 

Selbſt wenn diefe Traditionen bis zu einem gewilfen Grade 
mit Zunftfagen vermischt fein follten, jo liegt ihnen Doch unzweifel- 
haft ein Kern Biftorifcher Wahrheit zu Grunde. Alle Schlußfolge- 
rungen, die man an der Hand der Urkunden machen kann, weifen 
ebenfalls auf die Wende des 13. und 14. Jahrhunderts Bin, 

Da eine große, weitreichende und durch das Monopol geficherte 
Bundesgenofjenichaft die „Brüder“ zu einem einflußreichen Macht- 
faktor machte, jo ergab fich, daß fie viel weniger als die lokalen 
Zünfte von der Gunft oder Ungunft der herrſchenden Gewalten in 


1) Diefelben finden ſich aufgezählt bei Rziba a. a. D. 1881 ©, 35. 

2) Wenn die Trabition den Mlbertus felbft an der Abfafiung theilnehmen 
läßt, fo ift das natürlich eine Verwechſelung. Aber wer erinnert ſich nicht an 
Meifter Edart, den Apoftel Walther und bie große Gemeinde zu Köln in ben 
erften Jahrzehnten des Dombaus? 


220 


Kirche und Staat abhängig waren. Ein berechtigtes Selbftvertrauen 
gab felbit dem gewöhnlichen Steinmegen einen freieren Zug und 
ein felbjtbewußtes Streben. Während in einer Zeit, wo das Hand 
wert immer mehr von Fürften und Adel gefnechtet warb, defien 
einzelne Glieder geiſtig vielfach verkümmerten, haben fich das deutſche 
Bauhandwerk und die von ihm beeinflußten Kunſthandwerke lange 
Zeit ihre geiftige Selbftändigfeit zu wahren verſtanden. 

Denn es gehört eben zu den wichtigften Erfolgen der „Bau 
* hütte‘‘, daß fie unter allen verwandten Gewerkszweigen fich eine 
beberrfchende Stellung zu verfchaffen gewußt Hat. Die naben Ber 
ziehungen, weldde Maler, Formſchneider, Schmiede aller Akt, 
Zimmerleute und andere Dolzarbeiter, mit den Hütten verban⸗ 
‘den, waren ja durch die Natur des Bauweſens gegeben. Die na 
türliche Folge der beſtehenden Meachtverhältniffe aber war, daß die 
jtärfere Corporation die ſchwächeren in den Kreis ihres Einfluffes 
hineinzog und fo gleichfam der geijtige Mittelpunkt und das Haupt 
eines mächtigen Verbandes deutfcher Gilden wurde. An Orten, 
wo feine bejondere Maler⸗ und Schmiedegilde beftand, fcheinen die 
einzelnen Vertreter dieſes Handwerks fogar bei den Hütten freien 
Zutritt befefjen zu haben. 

„Sp entwidelte ich", ſagt Auguft Reichenfperger, „zugleich mit 
ben übrigen ftäbtifchen Gewerken jene großartige Corporation 
(der Bauhütte), die auf dem Kunftgebiete eine Art Univerfal- 
herrſchaft ausübte” '), 

Es tft eriwiefen, daß in diefer Corporation eine genaue Kennt- 
niß derh. Schriften Alten und Neuen Teſtaments beimifch war. 
Man bat gejagt, daß die Mitwirkung an den Kirchenbauten und 
die darin zum Ausdruck kommende Symbolik die Kenntniß der Bibel 
für fie nothwendig gemacht habe, und es liegt darin allerdings etwas 
Wahres. Allein angefichts des Umftands, daß die herrſchende Kirche 
damals ſyſtematiſch den Laien die Bibel entzog, muß es doch be 
merkt werben, daß die „Bruderſchaften“ fich dieſen Schag niemals 
haben entziehen laſſen. 

Es würde, wie ich glaube, möglich fein, den Nachweis zu führen, 


1) A. Reichenfperger Bermifchte Schriften Lpz. 1856. ©. 158. 








221 


daß die mit dieſen Bruderfchaften zufammenhängenden ,Torm- 
ſchneider“, aus deren Schooß die Buchdrucker hervorgegangen 
find, mehr als irgend eine tbeologifche Richtung zur Verbreitung 
ber Bibel beigetragen haben. Auf diefe wichtige Thatſache werben 
wir weiter unten zurückkommen. 

Es wird uns heute nicht ganz leicht, uns in die Gedanken⸗ 
welt jener Zeiten zu verſetzen. Es ift ficher, daß die religiöfen und 
inshefondere die chriftlichen Ideen alle Stände und alle gefellichaft- 
Iihen Geftaltungen in einer Weife durchdrungen Haben, wie es 
beute nicht mehr der Fall ift. 

Eine mittelalterlide Corporation ift ohne eine beftimmte „hrift- 
lie Ordnung” gar nicht denkbar, d. 5. eine jede Gemeinfchaft 
hatte wenigftens einmal im Jahr ihren gemeinfamen Gottesdienſt, 
fie begann und ſchloß ihre regelmäßigen Zufammenfünfte, Wahl- 
acte u. ſ. w. mit bejtimmten Gebeten, fie befaß ihr religiöfes Cere- 
moniell bei der Aufnahme neuer Glieder, fie hielt Trauerverfamm- 
lungen mit &ebet beim Tode eined „Bruders u. f. w. 

Faſt alle Gilden und Zünfte ftanden in Bezug auf ihre reli- 
giöfen Bebürfniffe unmittelbar unter der Leitung des herrfchenden 
Clerus. Ihre Gottesdienfte wurden in den Kirchen abgehalten, ihre 
Verfammlungen felbft vielfach von Prieftern eingeleitet und ge 
ſchloſſen. 

Es verſteht ſich, daß auch die Steinmetzen und die Hütten ſich 
dieſer Einwirkung der herrſchenden Kirche nicht ganz entziehen konnten. 
Allein viele Anzeichen ſprechen dafür, daß ſie auch hierin ſich inſofern 
ihre Selbſtändigkeit wahrten, als ſie ihren Verſammlungen durch 
einen der Ihrigen die religiöſe Weihe ertheilen ließen. Sie beſaßen 
ja die Bibel und ein Gebet daraus von dem Meiſter vorgeleſen 
ſchien ihnen ebenſo erbauend und ſtärkend, als wenn ein Prieſter 
es geſprochen hätte. 

Um dies zu verſtehen, muß man ſich erinnern, daß, wie wir 
oben geſehen haben, die Ideen der Waldenſer tiefen Boden gerade 
bier geſchlagen hatten. Wenn aus den „Werkleuten“ oft „Apoſtel“ 
wurden, warum follen dann nicht vielleicht anftatt der Priefter eben- 
biefe „Sendboten‘ die Leitung der „Bruderſchaften“ ebenfo in der 
Hand gehabt Haben, wie fie die geiftliche Bührung der Begharden 


222 


und Beghinen befafen? Daß davon freilich nichts aufgezeichnet 
worden ift, kann jeder Einfichtige fich felbft jagen. 

Schon nad dem gegenwärtig vorliegenden Material kann man 
meines Erachtens erfolgreich den Beweis antreten, nicht bloß, Daß 
eine folche geiftliche Beziehung der „Hütten” zu den „Brüdern“, 
die ſich „Chriſten“ nannten, feit alten Zeiten beftanden hat, fon- 
dern auch, daß bie Formen, Ceremonien, die ganze VBerfaffung und 
Organifation der „Bauhütten“ wie des gefammten Bundes, unter 
dem Einfluß jener „Gemeinden Chriſti“ entftanden ift, Die als 
Waldenfer oder Begharden in der Kirchengefchichte befannt find. 


Die Vororte der Waldenferbewegung in Deutfchland waren 
Köln und Straßburg, und feit den furchtbaren Verfolgungen Des 
Erzbifchofs Heinrich von Virneburg war legtere Stabt unbeftritten 
der Hauptfig der Brüder. Die nächft wichtigen Orte waren in ber 
Schweiz Bafel, Bern und Zürich, in Deutfchland Ulm, Augsburg, 
Regensburg, Nürnberg, in Deftreih Wien, Steier.u. N. 

- E83 war ein enges Band, welches die Gemeinden umfchlang, 
doch nur auf mündlichen Gefegen berubte die Verfaffung und rei- 
jende Senbboten waren die regelmäßigen und heimlichen Vermittler. 

Berjchwiegenheit gegen Außenftehende, Geheimhaltung der eignen 
Wiſſenſchaft war Gewiſſenspflicht jedes Einzelnen. Unter einander 
lebten fie wie Brüder und Schweftern, fanden fich heimlich zufam- 
men zum Gebet und zum Genuß des Abendmahls, worauf fie 
großen Werth legten. Nicht in äußeren Uebungen, fondern im 
Wohlthun und Hülfeleiften an Freund und an Feind fanden fie 
den Schwerpunft ihres Gottesdienſtes, ja fie nannten ſolche Pflicht- 
erfüllung mit Vorliebe „Gottesdienſt“. 

DBruderliebe, Treue, Verſchwiegenheit, Wahrhaftigkeit) und 
Barmberzigfeit gehörten zu den Tugenden, welche in den Gemein- 
den beſonders betont wurden. 


1) Daß die Pflicht der unbebingten Wahrbaftigfeit bei den Waldenfern be- 
fonber8 betont wurde, fehen wir aus einer Aufzeichnung aus dem Jahre 1404 
über bie „Secta Waldensium“; bort heißt e&8 „Mendacia voluntaria maxime 
solent evitare“; ebenjo wirb am berfelben Stelle ihre Verſchwiegenheit an- 
gedeutet durch die Worte: „in verbis sunt sibi cauti“. C. Schmibt in 
Niedners Ztſchr. f. d. Hift. Theol. 1852 ©. 244, 





223 


Die Grundlage der ganzen Verfaffung war die Verfammlung 
ber „Brüder“. Ye mehr diefe darauf hielten, daß der Aufnahme 
in die vollen Rechte eine ernitliche Unterweifung voranging, um fo 
unbebenklicher konnte bie Bruderſchaft den Recipirten fpäter wichtige - 
Rechte einräumen. Die „Gemeinde” wählte bie „Magistri“, jo» 
wie die Aelteften und Diakonen, welche alle äußeren und in- 
neren Angelegenheiten verwalteten. “Die Magistri hatten die geift- 
Iihen Funktionen zu üben,. die Aelteften waren die Stützen ber 
eriteren und repräfentirten die Gemeinde, die Diakonen empfingen 
das Geld, welches für die Armen gefammelt wurbe, und vertheilten 
es als Almofenpfleger an die Bebürftigen. 

Die Hierarchie war mithin in drei Stufen geglievert; die Drei 
„Ordines“ waren gleichfam die Stügen und Träger des Ganzen. 

Für beftimmte Bezirke waren die Gemeinden zu einem Ver⸗ 
waltungskörper vereinigt. Deſſen Organe waren die Verſammlun⸗ 
gen der Magistri und Xelteften, welche, wie ausdrücklich berichtet 
wird, capitelsweiſe zufammentraten!), Biſchöfe waren die Res 
präfentanten und Vorſteher der Bezirfe und ein „Senior (ober 
Majoralis) führte unter den Bifchöfen felbft ven Vorſitz. „Capis 
telsweiſe“ ſaß man zu Gericht über ftreitige Tragen, traf Anorb- 
nungen über bie Verwendung von gefammelten Geldern u. f. w. 

Ein wichtiges Glied des Ganzen bildeten jene Senbboten, welche 
fraft apoftolifcher Succeffion das Apoftelamt in der Kirche übten 
und fih durch Cooptation ergänzten. Aus ihrer Mitte gingen bie 
Biſchöfe hervor und bei wichtigen Maßregeln heifchte man ihre Mit- 
wirkung. | | 

Ein fehr durchgebildetes Shitem religiös-Firchliher Formen und 
Gebräuche, auf die wir fpäter zurückkommen werben), war als be- 
jondere Wiffenfchaft den Geiftlichen vorbehalten. Sie bewahrten 
die Trabition bes Nitus zum Theil durch mündliche Fortpflanzung, 
zum Theil in Büchern, welche vie Biſchöfe forgfältig hüteten und 
wahrten. Niemand, der nicht unter die „Magistri‘ recipirt worden 
war, kannte die Ritualformeln. Aber Ieder, welcher fie wußte, fonnte 
abfolviren, predigen und den Gottesdienft halten 3). 


1) Bol. oben ©. 82. 2) VBgl. das zehnte Kapitel. 
3) Ein römiſch⸗katholiſcher Gegner wirft ihnen dies mit den Worten vor: 


224 


Auch die Brüder unter fich befaßen Erlennungszeichen und es 
ift beachtenswerth, daß zu dieſen, wie uns überliefert ift, die Kenntniß 
der biblifchen Gebete in der Landesfprache gehörte. Zu Anfang 
des 16. Iahrhunderts, wo, wie wir ſehen werben, die „Brüder“ 
in England wieder einen neuen Auffhwung nahmen, ward Thomas 
Hempftevt von dem zu der Sekte gehörigen Pfarrer For dadurch 
al8 „brother in Christ‘ und „a knowne man“ erkannt, daß er 
das „Vater unfer” in englifcher Sprache wußte), So allgemein 
war ber Gebrauch der lateinischen Sprache noch damals für dieſe 
Dinge. 

Gegenfeitige Hülfsbereitfchaft, aus welcher die Gegner mit 
Vorliebe wider fie den Vorwurf der Gütergemeinfchaft ableiten 
zu können glaubten, war ftrenge Pflicht bei diefen „Chriſten“. Aber 
eben jo jtreng war die Forderung thätiger Arbeit, Nüchternbeit und 
Sparſamkeit für denjenigen, welcher zu arbeiten und zu erwerben 
fähig war?). | 

Die Gemeinden übten in ihrem Kreife eine ftrenge Zucht. Der⸗ 
jenige, zu deſſen Befferung Mahnungen nichts mehr beizutragen 
vermochten, ward zeitweilig oder dauernd ausgefchloffen. Unmäßig- 
feit in finnlichen Genüffen, vor allem die Verlegung der ehelichen 
Schranken, war durchaus verpönt. Aber wer unverfchulpet vom 
Unglüd heimgefucht ward, für den ftand die Gemeinde ein wie für 
einen Bruder?). 


„Dicunt, quod quilibet potest absolvere, conficere et ligare, dummodo sciat 
verba*, Ztſchr. f. bift. Theol. 1852 ©. 245. 

1) Lechler Joh. v. Wichf II, 456 Anm. 2. 

2) Der mährifche Landeshauptmann Friedrich von Zierotin berichtet unter 
dem 14, October 1596 über bie „Brüder in Mähren, die man damals, Täufer“ 
nannte, daß „unter ihnen ein groß Spital herrſche und einer, ber arbeiten 
könne, müſſe ſechs bis fieben andere, die ihr Brot nicht erfchwingen können, er- 
halten.” S. den ſchönen Auffag von I. Loſerth über die Brüder in Mähren 
in ber „Zeitfchrift f. allg. Geſch.“ Stuttg. 1884 Heft 6 ©. 238 ff. 

3) Es ift bei den Waldenfern die Sitte urkundlich bezeugt, daß biejenigen, 
welche ein Teftament über ihr Vermögen machten, eine gewifie Summe ber Ge 
meinbe für Stiftungen und milde Zwecke überwiefen (j. Ochfenbein a. O. Bern 
1881 ©. 184). Sollten aus foldden Fonds bie Armenbäufer („Gotteshäuſer'“) 
gegründet worben fein? — Vgl. über das Princip der Waldenſer, daß fie über 
ber Familie das Reich Gottes und die „Brüder“ nicht vergeflen follen, Ochſen⸗ 
bein a. O. ©. 209. 

















225 


Niemals war es erlaubt, daß zwei „Brüder“, welche unter fich 
Streit hatten, ſich an die öffentlichen Gerichte wenbeten. ‘Die Ver⸗ 
fammlung von bejonders ernannten Schiebsrichtern hatte über den 
Tall zu urtbeilen und ihr Spruch galt unbebingt und rechtskräftig. — 

Nun vergleiche man mit diefen Gemeinden bie Brüperfchaften 
und Hütten der Werkleute; es ift ein Bild, welches bis in alle 
Einzelheiten diefelben Züge trägt. 

Leider befigen wir aus den früheſten Zeiten ftatutarifche Auf- 
zeichnungen über der „Steinmeten Brauch und Gewohnheit" nicht!); 
wahrfcheinlich find fchriftlihe Gefege und Ordnungen bei ihnen wie 
bet den Walvenfern zur beiferen Wahrung des Geheimniffes lange 
Zeit vermieden worden. 

Im 15. Jahrhundert, als die Tradition fich zu verflüchtigen 
begann, befchlofjen die Vertreter der vornehmften Hütten, an ihrer 
Spitze Yoft Doginger von Straßburg, Meiſter Lorenz von Wien u. A., 
die alten Orbnungen zu codificiren und nieverzufchreiben. 

Es iſt fehr wahrjcheinlih, daß diefer Codex manche charakte- 
riftifche Eigenart der älteſten Satungen nicht wieberjpiegelt und 
einzelne neue Zuthaten aufgenommen bat; aber im Großen und 
Ganzen ift darin doch eine Zufammenfaffung uralter Regeln 
zu eriennen. 


1) Es find bis jest folgende Urkunden ber deutſchen Bauhütten bis zur Re⸗ 
formation befannt geworben: 

1. Bom 22. Oct. 1397 (abgebrudt im Kölner Domblatt 1851). 

2. Die fogenannten Wiener Urkunben von 1412, 1430 Juni 6. und 
1435 Auguft 2. (abgebrudt bei Hormayer, Wien. 1833 Bd. V). 

3. Allg. beutfche Hüttenorbnung vom Jahre 1459, 

4. Torgauer Ordnung vom Jahre 1462. 

5. Capitel⸗Ordnung bon Speyer 1464, 

6. Desgl. vom Jahre 1469. 

7. Orbmung der Bruberfhaft der Steinmeten ber Grafſchaft Tyrol 
bom Jahre 1480. 

8. Regensburger Steinmetorbnung vom Jahre 1514. 

Bol. Heideloff Die Bauhütten des Mittelalters. Nürnb. 1844. — Ian- 
ner Die Bauhltten bes beutfchen Mittelalters. Lpz. 1876. — Bei weiten am 
wichtigften ift die allg. deutiche Hüttenorbnnung von 1459, die im Auszug auch 
bei 3. ©. Findel Geſchichte der Freimaurerei. Lpz. 1878 (4. Aufl.) S. 774 ff. 
fich findet. 


Keller, Die Reformation. 15 


226 


Die Urkunde feldft, die uns glücklicherweife erhalten ift!), nimmt 
eingangs ausdrücklich aufdas „alte Herlommen Bezug, welches 
„pie Altvorderen und bie Liebhaber des Handwerks vor alten Zeiten 
in guter Meinung gehandhabt”, und fährt dann unmittelbar fort: 
„Aber darin in rechten friedlichen Wegen zu fuchen und fürbaf 
zu bleiben, fo haben wir Meifter und Gefellen befjelben Hand- 
werks alle, die dann in Kapitels Weife bei einander gewefen find 
zu Speier, Straßburg und Regensburg im Namen und anftatt 
unfer und aller anderen Meifter und Gefellen unfere8 ganzen ge 
meinen Handwerks obgemelbt, [olich alt Herfommen erneuert”. 

Diefe Ordnung will nur, wie fie felbft fagt, die allgemeinen 
Grundzüge aufftellen; fie giebt den provinciellen und lokalen Haupt 
hütten und Hütten ausdrüdlich die Treibeit, „die Artikel zu mildern, 
zu mindern oder zu mehren, je nach der Zeit und des Landes 
Nothdurft und nach den Zeitläuften‘; doch jollen alle Statuten 
„in Kapitels Weiſe“ d. 6. in berufener VBerfammlung befchloffen 
werben. Ihr befonderes Augenmerk hat die Orbnung auf die Co 
dificirung folcher Regeln gerichtet, welche den Verkehr und bie Ver 
handlung der Bruderfchaft mit den Bauherren und Auftraggebern 
zum Gegenftand haben; gerade dies ift denn freilich für die Er- 
kenntniß des wahren Weſens des Bundes verhältnißmäßig am neben- 
fächlichften. | 

Der Schwerpunkt der Organifation Tiegt nach unferer Orb 
nung in der „Hütte“, d. h. der rechtmäßig conftituirten Verſamm⸗ 
fung der Brüder, die ein Meifter zum Bau eines Werfs um fih 
gefchnart bat. Die Ordnung gilt nur für Diejenigen, denen „Hüt- 
tenförderung“, d. b. die Aufnahme in eine Hütte Durch den Beſchluß 
der Brüder, zu Theil geworben iſt. Es wird von biefer „Hütten- 
förderung” ganz ausdrüdlich Die „Förderung“ Durch den Meifter 
unterſchieden; gemwöhnlihe Maurer und Steinbreder wer 
den durch den Meeifter geförbert (d. b. angenommen) und für fie 
gilt diefe Ordnung nicht. Der $.2 ſagt ganz ausbrüdlic, 
„Das follen die Meifter fein, die folche Löftliche Bauten und Werke 
fönnen machen, die da aufgefreiet find und mit feinem Hand» 


1) Heldmann Die drei älteften gefchichtlichen Denkmale ber teutfchen Frei⸗ 
maurerbrüberfchaft (Aarau 1819) giebt den beften Abdruck. 





227 


werk dienen”. Alfo nur die „aufgefreiten” oder freien Maurer 
und Steinmegen find befähigt, das Meifterrecht zu üben. 

Es ift zu bedauern, daß die Ordnung nicht erläutert, was 
man nah „Steinwerksbrauch” unter der „Auffreiung” zu ver- 
jtehen bat. Jedenfalls erhellt deutlich, daß die Meijter eine Stel- 
lung befaßen, die ihnen befondere Vorrechte ſicherte. | 

Außer dem Meeifter befteht die Hütte aus den Parlierern (Ober⸗ 
gejellen) und Gefellen, fowie ven Lehrlingen over Dienern. Eine 
langjährige Unterweifung tft e8, welche. Die Letzteren durchzumachen 
haben, ebe fie Geſellenrecht erhalten. 

Ueber den einzelnen Hütten fteben diejenigen, welchen „dieſer 
Ordnung Gefchrift und Gewalt befohlen iſt“, d. h. die Auffichts- 
beamten der Haupthütten. Sie haben. ‚Gewalt und Macht, in allen 
Spännen und Sachen, welche Steinwerf berühren, in ihrem Gebiet 
vorzunehmen und zu ftrafen und follen ihnen darin alle Meiſter, 
Barlierer und Diener gehorfam fein“. 

Es ſcheinen dies diejenigen Meifter geweſen zu fein, die, wie 
e8 an einer anderen Stelle der Ordnung heißt, „ver Bücher eines 
hinter fich haben“, 

Diefe follen Aufficht haben und, „bei dem Gelübde der 
Dronung‘'), verpflichtet fein, zu verbüten, daß das Buch von 
Jemanden ausgejährieben, verliehen oder gegeben werde, ſowie daß 
die Bücher „bei ihren Kräften bleiben, wie das die Werkhütten be» 
ſchließen“. | 

Ebenfo wie unfere „Ordnung“ von 1459 auf den Verſamm⸗ 
Yungen zu Speier, zu Straßburg und Regensburg, von den Meiſtern 
und Gefellen, die dort „in Kapitelsweiſe“ vereinigt waren, be» 
ichloffen worden ift, jo kennt fie felbft auf Grund des Herkommens 
folche Verfammlungen von Meiftern und Gefellen zur Erledigung 
von Streitfragen. 

Sehr merkwürdig ift folgende Beitimmung: „Wäre e8 auch, 


1) Es gab alfo für diefe AuffichtSbeamten ein „Gelübde“ — warım wird 
nicht der Ausorud „Eid“ gebraucht? — und zwar war beifen Form in „der 
Ordnung“ borgefchrieben. Leider befigen wir biefe Orbnung ebenfo wenig wie eins 
der erwähnten geheimen Bücher, — Der Ausdruck „Gelübde“ kommt wieber- 
bolt vor in umferer Ordnung. 

15* 


228 


daß zwei Meiiter ober mehr, bie in diefer Orbnung find, jpännig 
ober uneind mit einander würden um Sachen, die Steinwerl 
nicht berühren, fo follen fie dennoch einander um ſolche Spänne 
nirgend anderswo vornehmen denn vor Steinwerf und die follen 
fie auch richten und vertragen nach dem Beſten nach allem ihrem 
Vermögen, doch alſo den Herren oder Städten.... unſchädlich“. 

Alſo ſelbſt in Streitfachen, welche rein privater Art find, follen 
bie „Brüder nicht am die Gerichte gehen. Ebenſo war e8 bei den⸗ 
jenigen „Brüdern“, die man Waldenfer nannte, 

Es Tiegt auf der Hand, daß eine Gilde ihre gemeinjame Kaſſe 
befigen muß, aber beachtenswerth ift e8, dag nach unferer Ordnung 
bei den Hütten ein Bonds gefammelt werden foll, welcher den Zwed 
bat, „Gottesdienſt damit zu fördern‘, d. 5. Gutes zu thun 
denen, die deſſen bepürftig find. 

Daneben eriftiren befondere Mittel und beſondere Beftimmtungen 
für die Unterftügung der „Brüder“, welche Verfolgung leiden um 
ihrer Mitgliedfchaft und Zugehörigkeit zu ber Steinwerfsorbnung 
willen — eine Eventualität, deren Erwähnung an fich bezeichnend 
genug iſt — fowie zur Zahlung einer „Nothpfründe” ar Diejenigen 
Meifter und Gefellen, welche in Krankheit fallen. 

Unfere Ordnung enthält. genaue und ftrenge Bejtimmungen 
religiöfer Natur für die Brüder. Welchen Wertb man auf religiöfe 
Bethätigung einer chriftlichen Gefinnung legte, erhellt deutlich dar⸗ 
aus, daß die Ablehnung jeder weiteren &Gemeinfchaft mit einem 
Steinmeßen, der fich nicht nach „hriftlicher Ordnung“ balte, direkt 
zur Pflicht gemacht wird, 

Aber während in allen anderen Gildeordnungen eine deutliche 
und Hare Beziehung auf den römifch-katholiichen Glauben und bie 
römiſch⸗katholiſche Kirche genommen wird, lautet hier die Verpflich- 
tung ganz allgemein auf Haltung „hriftlicher Ordnung” — man 
könnte dabei direkt am diejenige „chriſtliche“ Orbnung denen, 
welche die „Gemeinden Chriſti“ einhielten — und auf den regel- 
mäßigen Empfang bes b. Sacraments. Gerade der lettere Punkt 
wurde ja auch von den altevangelifchen Gemeinden ihren Gliedern 
zur Pflicht gemacht. 

Und wem follte nicht, wenn er die überaus ftrenge Auffajjung 


229 


von der Ehe bei den „Waldenſern“ Tennt, die befondere Betonung 
auffallen, welche in der Steinmetzordnung ber Neinhaltung der 
ehelichen Verhältniffe gewidmet wird? Auch Keujchheit, Mäßigkeit 
und Nüchternheit werden hervorgehoben, und die ftrengften Strafen 
fteben auf leichtfertigem Spielen. 

Die „Hütte befitt das Recht und die Pflicht einer ftrengen 
Zucht und wird diejenigen ausfchließen, welche Aergerniß erregen 
und der Bruderſchaft Unehre bereiten. 

Die Schlußbeſtimmungen unferer Ordnung enthalten die Feft- 
fegung, daß Straßburg der Vorort aller „Hütten“ fein fol. Am 
©. Diarcustage des Jahres 1459 ward — fo heißt e8 — zu Negens- 
burg vereinbart, daß der Werkmeifter des Münfters zu Straßburg 
„und alle feine Nachkommen unferer Ordnung des 
Steinwerks oberfter Richter fein ſoll“. 

So kommt unjere Unterfuchung auf demſelben Flecken deutfcher 
Erde wieder an, auf welchen wir von ganz anderen Geſichtspunkten 
aus bezüglich der fogenannten „Waldenſer“ geführt worden waren. 

Es ift doch immerhin ein merkwürdiges Zufammentreffen, daß 
gerade auch in dem Bund der „Brüder“, die fich „Chriften” nannten, 
Straßburg die Stelle des Vororts beſeſſen bat. Wir werben unten 
feben, daß der Senior der Waldenſer-Biſchöfe im 15. Jahr⸗ 
hundert als Vorfikender des Collegiums der deutſchen Biſchöfe in 
Straßburg feinen Wohnfig Hatte. 





Indem ich nochmals daran erinnere, daß die intime Beziehung 
der altevangelifchen Gemeinden zu ben Steinmegen durch bie That- 
fache urkundlich belegt ijt, daß die „Apoftel” der „Brüder“ aus dem 
Kreis der Werkleute wiederholt hervorgegangen find, Tarın fernerbin 
fein Zweifel darüber obwalten, daß es feit dem 13. Jahrhundert 
in Deutfchland eine Reihe corporativer Verbände gab, welche die 
Pflege waldenfifcher Ideen fich zum Ziel gefegt Hatten. Es waren 
dies (außer den „&emeinden‘‘) die „Brubder- und Schweiterhäufer” 
und ferner die Bruderſchaften der veutfhen Baubütten. 

Verfolgen wir nun die Schieffale diefer drei Genoſſenſchaften, 
fo fehen wir, daß die römifche Kirche in den Ketergejegen und den 
Taiferlichen Conftitutionen überaus ſtarke geſetzliche Handhaben gegen 


230 


bie beiden erjtgenannten befaß und entfchloffen war, diefelben mit 
äußerfter Strenge zur Anwendung zu bringen. 

ALS Kaifer Ludwig geftorben und Karl IV. Katfer geworden war, 
hatte die römische Kirche freie Bahn, um die beftehenden Beftim- 
mungen zur Wirkſamkeit gelangen zu laffen, und man muß ein- 
räumen, daß fie die günftigen Jahrzehnte, welche jett für fie an- 
brachen, voll und ganz und mit den durchichlagendften Erfolgen 
ausgenutzt hat. | 

Die erjten Opfer fielen in den Rheingegenden nach faft vierzig. 
jähriger Pauſe um diefelbe Zeit, in welcher der Gottesfreund aus 
dem Oberlande und Rulman Merfwin als „Bauherrn“ der Stif- 
tungen zu Ehren ©. Johannes des Täufers mit den Werkleuten 
in naben Beziehungen ftanden. 

Unter dem 6. Yuni 1366 erfolgte das ZTodesurtheil!) wider 
Mechtildis von Wefthopen, welche der Ketzerei angellagt und 
überführt war. Sie wurde verbrannt. 

Leiter der Inguifition waren ein Dominikaner und der General 
vicar des Biſchofs Johann von Straßburg. 

Im Jahre 1367 fandte Papft Urban V. zwei Inquifitoren nad 
Deutihland, und Karl IV. gab ihnen in drei befonderen Erlafien 
außerordentliche Vollmachten zur gründlichen Durchführung ihrer 
Million. 

Papft Gregor XI. war der Anficht, daß die Arbeit für Die ge- 
nannten zwei Commifjare zu umfangreich fei und fandte im Sabre 
1372 deren weitere fünf in das Reich. Bonifacius IX. ernannte 
zur ferneren Verſtärkung des Perfonals im Sabre 1399 allein für 
Norddeutſchland ſechs Bevollmächtigte 2). 

Leider ſind die Forſchungen noch nicht weit genug vorgeſchritten, 
um bie Thätigkeit dieſer Männer im Einzelnen urkundlich zu ver 
folgen. Nur einige Thatfachen mögen beiläufig Erwähnung finden. 

Der Cöleftiner- Provinzial Petrus und ber Priefter Martin 
von Prag waren e8, welche fih in Süd⸗ und Mittelveutfchland 
feit dem Sabre 1380 bei der Auffpürung und Beftrafung der Wal, 
denfer hervorgethan haben. Der Lettere hat nachweislich por dem 


1) Das Urtheil ift abgebrucdt bei Mosheim De Beghardis p. 333 sq. 
2) C. Schmibt Ztſchr. f. hiſt. Theol. 1840 III ©. 68, 


231 


Sabre 1390 in Regensburg und im Jahre 1391 zu Erfurt 
über Walvenfer zu Gericht gefeffen!), In demſelben Iahre fand 
zu Würzburg ein Strafgericht über diefe Partei ftatt 2). Einzelne 
derjelben wurden verurtheilt, angeheftete Kreuze auf ihren Kleidern 
zu tragen. Kurz danach wurden in Donauwörth 16, in Din- 
kelsbühl 2 und in Wemding 10 Walvenfer zum Feuertode ver- 
urtheilt und verbrannt ?). 

Befonderes Auffehen erregte das Autobafe, welches zu Nürn- 
berg im Jahre 1399 vollzogen wurbe. „Des Jahres 1399, fo 
heißt es in den Nürnberger Chroniken, „verprant man ſechs Frauen 
und einen Dann, die waren Keßer, und fonft viel Mann und 
Frauen, die ließen fich Kreuze annähen und büßeten am Erichtag 
vor Sant Walburgen Tag” ?). 

In der Diöcefe Bafjau war der Inquifitor Petrus erfolgreich 
tbätig. Er konnte im Jahre 1395 feftitellen, daß die „Sekten“ fich 
140 Sabre hindurch ziemlich unverändert behauptet hätten. Im 
Jahre 1397 wurden allein zu Steier etwa 100 Männer und 
Frauen verbrannt. Im Jahre 1391 wurden nach Ausweis ver 
Inauifitionsakten in Pommern und ver Mark Brandenburg 
400 Berfonen unter der Anklage der Zugehörigkeit zu den Wal- 
denjern vor Gericht geftellt. Ein Tractat aus dem Jahre 1395 
erzählt, daß in Thüringen, Böhmen und Mähren von den Inquiſi⸗ 
toren etwa 1000 Perjonen zum Tatholifchen Glauben befehrt wor- 
den feien; wie viele bingerichtet, ausgewiefen und nicht entdeckt 
wurden, erwähnt die Quelle nicht. Die Inquifitoren begten die 
Hoffnung, daß in Deftreih und Ungarn die gleiche Anzahl von 
ihnen „dem Schlund Leviathans“ entriffen werben würden 5). 

Und biefe Länder waren doch nur die Außenpoften ver Partei; 
die Hauptheerde der Bewegung waren, wie wir ſahen, die Nhein- 
lande und Süddeutſchland. 


1) Saupt a. a. 0. ©. 22. 2) Die Einzelnbeiten bei Haupt a. a. O. ©. 23. 

3) Haupt a. a. O. ©. 27. 

4) Derſ. ©. 27. Daß diefe Waldenfer waren, weißt Haupt nad. — Ueber 
einen Ketzerprozeß in Lübed im Jahre 1402 ſ. bei Mosheim De Beghardis 1790 
S. 224. 

5) Weitere Nachrichten iiber ihre Ausbreitung bei v. Zezſchwitz Die Katechis⸗ 
men der Waldenſer u. ſ. w. Erl. 1863 ©. 134 ff. 


232 


In Mainz wurden im Jahre 1395 auf Befehl des Erzbifchofs 
Conrad II. ſechsunddreißig Walvenfer verbrannt. In Augsburg 
wurden 1393 auf ein Mal 280 Perſonen deſſelben „Verbrechens“ 
wegen gefangen gelegt). Im Jahre 1396 wurde über ben Grafen 
Heinrich von Fürftenderg als „Keter” der Bann verhängt ?). 

Eine ähnliche Kataſtrophe wie in Deutjchland brach gegen Ende 
des Jahrhunderts in der Schweiz über die Gemeinden herein. Zum 
Jahr 1399 erzählt eine Berner Chronik: „Es wurden viel Leute zu 
Bern und auf dem Lande, Frauen und Männer, Reich und Arm, 
mehr denn Hundert und breißig Perfonen in dem Unglauben fun- 
den und durch Bruder Hans von Landau, Prediger⸗Ordens und 
andere Gelehrte gerechtfertigt". Ein Erkenntniß von Schultheig, 
Räthen und Gemeinde bejtätigt ausprüdlich, daß dies Waldenſer 
waren 3), 

Zu Freiburg ftanden in demſelben Jahr 53 Perſonen vor 
den Inguifitoren, die zu der gleichen Partei gehörten wie die in Bern. 

Straßburg war bis zum Beginn des 15. Sahrhunderts ein 
Hauptfig der Partei. Hier Tehrten die wandernden Apoſtel ein 
— es werben uns aus jener Zeit u. A, Eberhard von Weißenburg, 
Conrad von Sachſen und Salomo von Solothurn als „Magistri“ 
genannt‘) —, bier fanden die vertriebenen Glaubensgenoſſen aus 
anderen Städten gaftfreie Aufnahme und bülfreichen Beiftanb. 

Der Ketermeijter Johann Arnoldi hatte, obwohl er Kenntniß 
von dem Beftehen ver Gemeinde befaß, e8 vorgezogen, fich ruhig 
zu verhalten. Denn bis in den Rath hinein hatten die Keker 
Freunde, ja, der Stabtjchreiber Johann von Blumſtein war Mit- 
glied der „Sekte“. 

Arnoldis Nachfolger, Johann Böckeler, ſchlug den Weg ber 
Strenge ein. Die Veranlaffung dazu feheint der Dominikanerorden 
gegeben zu haben, welcher um das Jahr 1400 am Oberrbein eine 


1) Wichtige nähere Nachrichten darliber in Stäublins und Tzfchirners Archiv 
f. Kirchengeſch. Bd. 2. St. 2 ©. 349 ff. 

2) Röhrich Ztſchr. f. d. Hift. Theol. 1840 ©. 149. 

3) Näheres bei Ochfenbein Aus dem fchweizerifchen Boltsleben des 15. Jahr⸗ 
hunderts Bern 1881 ©.96. — Dort auch weitere Nachrichten über vie Walbenfer 
in der Schweiz von 1277 an. 

4) Röhrich in d. Zſchr. f. Hift. Theol. 1840 I ©. 148, 














233 


eifrige Thätigfeit in der Kegerauffpürung entwidelte; zu Baſel hatte 
der Dominikaner Joh. Mulberg in dem Prozeßverfahren gegen vie 
Beghinen die Hauptrolle gefpielt, und ein Ordensbruder von diefem 
begann auch in Straßburg den Kampf durch öffentliche Predigten 
wider die Reber. 

Um das Jahr 1404 wurden plößlich zwei und dreißig Mitglieder 
der Gemeinde verhaftet und ind Gefängniß geworfen). Sie wur- 
ven gefoltert und befannten fich ſchuldig. Sie hatten nach den 
Geſetzen das Leben verwirkt und Die geiftlichen Behörden forberten 
ihre Hinrichtung, aber der Magiftrat lehnte biefelbe ab und be- 
ſchloß, die Gefangenen mit Verbannung zu beitrafen. 

Aus dem Verhör ergab fich unter Anderem, daß die Verhaf⸗ 
teten Genofjen befaßen in Nördlingen, Regensburg, Augs- 
burg, Tiſchingen in Schwaben, Solothurn, Bern, Weißen» 
burg, Hagenau, Speier, Holzbaufen bei Frankfurt a. M., 
Schwäbiſch Wörth, Friedberg, Mainz, Wien. In Hagenau 
und Mainz befaßen die Häretifer, wie ausbrüdlich angegeben wird, 
befondere Schulen ?). 


Die ſchweren Schickſale, welche die altevangelifchen Gemeinben 
während dieſer Sahrzehnte betrafen, mußten auf die nah befreun« 
deten corporativen Verbände der „Gotteshäuſer“ undder Bau» 
hütten eine tiefgehende Rückwirkung ausüben. 

Die „Bruder und Schweiterhäufer" verloren den Halt, welchen 
fie bisher an den „Apofteln” und den Gemeinden bejeffen batten, 
bollitändig. Der gleichzeitig auf fie ausgeübte Eirchliche Drud zwang 
fie bei ihrer an fich geringen Widerftandsfähigfeit, ſich bedingungs⸗ 
los den kirchlich approbirten Orden in die Arme zu werfen; feit 
etwa 1375 find die alten „Gotteshäuſer“ faft verſchwunden, ob» 
wohl der Name Begharden und Beghinen fich noch lange erhal 
ten bat. 

Weit kräftiger und widerſtandsfähiger ftanden die „Bruder⸗ 
ſchaften“ da. Da die Ketzergeſetze auf bie Zugehörigkeit zu einer Gilde 
feine Anwendung finden konnten, fo wurde wenigſtens der äußere 
Verband der „Hütten“ niemals gefprengt. Selbft wenn gelegentlich 


1) Röhrich a. a. ©. ©. 157. 2) Röhrich a. a. O. ©. 151. 





234 


ein Meijter oder Gefelle unvorfichtig genug war, die Geheimlehren 
irgend wie durchleuchten zu laſſen, jo konnte man ben einzelnen 
wohl als Keter Hinrichten, aber dem Bund des deutjchen Stein- 
werks war nicht beizufommen. 

"Sowohl in Rüdficht auf Organisation wie auf Disciplin und 
Zucht ftanden die „Hütten“ mächtig ba. Eine ernfte Schule in 
Verſchwiegenheit und Gehorfam, die des echten Steinmeken 
erfte Pflicht waren, Hatte ſelbſt die jüngeren Leute darin geübt, 
vor ihren Feinden auf der Hut zu fein. Man wußte es wohl, daß 
die heimlichen VBerfammlungen, die fich bei Gelegenheit der Meifter- 
wahl, ber „Förderung“ oder der Todtenfeier zu förmlichen Andachten 
geftalteten, der Verdacht der Kekerei erregten. Aber wie es im 
Princip des ganzen Shitems lag, im „itillen Kämmerlein‘ und 
von Jedermann ungeſehen nach Chriſti Vorfchrift zu beten, fo Ing 
auch die Verfuchung für den „Maurer fern, mit feiner religiöfen 
Ueberzeugung zugleich feine Haut zu Markt zu tragen. Es wird 
felten oder nie vorgefommen fein, daß die „Brüder anders als 
unter fich über Religion und Gottesdienſt Tprachen. 

Dazu kam noch ein anderes fehr wichtiges Moment. Die 
deutſchen Steinmeten beſaßen perfönliche Beziehungen und brüber- 
liche Bande in ganz Weſteuropa. Die Meifter arbeiteten zeitweilig 
ebenſo in Ulm, Pafjau oder Lübeck wie in Brüffel, Antwerpen, 
London oder Dorf oder einer anderen englifhen Stadt. Ging 
ihr Stern auf dem einen Punkte unter, fo erhob er ſich auf dem 
anderen und irgend eine Zufluchtöftätte konnte bei einem fo aus- 
gedehnten Arbeitsbezirk einem Flüchtigen oder Angellagten fich Teicht 
eröffnen. 

Da traf e8 fich num befonders glücklich, dag um biefelbe Zeit, 
wo die Inguifition in Deutſchland wüthete, in England velative 
Sicherheit vor Verfolgung herrichte. 

Unter König Edward III. (1328—1377), wo überhaupt ber 
englifche Vollsgeift einen neuen Auffchwung nahm, hatte fich die 
öffentliche Meinung mit Entſchiedenheit gegen die Tendenzen ber 
römischen - Hierarchie erhoben. 

Unter Begünftigung der Stimmung, welche damals herrfcte, 
batten die Schriften John Wichfs (F 1384), den die Curie, wie 


235 


wir jahen, als neuen Marfilius von Padua!) bezeichnete, eine weit 
ausgebreitete und tiefgehende Bewegung hervorgebracht. 

Die Firchlich-politifchen Auffaffungen, wie fie von Wiclif in 
Vebereinftimmung mit Marfilius vorgetragen wurben, fanden in der 
aufftrebenden englifchen Vollsvertretung lebhaften Wiederhall. Das 
fogenannte „gute Parlament” vom Jahre 1367 ftellte ſich an die 
Spike der Oppofition und gewährte nicht nur Wichf, fondern allen 
Gefinnungsgenoffen defjelben, deren e8 weit und breit viele gab, 
feinen mächtigen Schu. 

Selbſt König Edward ILL, anftatt den Ketergefegen gemäß den 
Wiclif zu beitrafen, ehrte diefen und feine Freunde durch beſonderes 
Vertrauen. 

Sp wieverbolten fih während der zweiten Hälfte des Jahr⸗ 
bundert8 in England die Vorgänge, welche vor fünfzig Jahren in 
Deutfchland zwifchen Kaifer Ludwig und Marfilius fich abgefpielt 
hatten, und die „Gemeinden Chriſti“ Hatten das Glück, wenigſtens 
hier eine Stütze zu befiken. 

Aber ſelbſt in Deutjchland führte die Verfolgung der Gemein- 
den anftatt zur Untergrabung der Baubütten, vielmehr zur inneren 
Stärkung derfelben und zur weiteren Ausbildung von Einrich- 
tungen und Beitrebungen, die ihnen fpäterhin eine große Zukunft 
verichaffen follten. 

Dei dem tiefen Schleier des Geheimmifjes, welcher die inneren 
Einrichtungen der „Bruderſchaft“ felbjt vor den Augen der Zeit- 
genoffen verbarg, ift e8 natürlich in unferen Tagen erft recht fchiwierig, 
die früheften Geftaltungen der Gildeverfaſſung urkundlich zu belegen. 


1) Die Berwandtichaft, welche man zu Avignon zwiſchen Wichf und Mar- 
ſilius entbedt zu haben glaubte, berubt ſehr wahrfcheinlih auf dem Umſtande, 
daß Wichif den Letteren gefannt und benutt hat. Der „Defensor pacis* bat 
in jenen Sahrzehnten ein außerorbentliches Auffehen gemacht; er erlebte u. U. 
mehrere franzöfiiche Ueberfegungen. Nun ift Wiclif felbft in den Niederlanden 
und vielleicht auch in Frankreich geweſen; ſoll ihm das bedeutendſte Buch, welches 
zur Vertheidigung antirömiſcher Tendenzen eriftirte, unbelannt geblieben fein? 
Jedenfalls eriftirten in England frühzeitig Spuren des Defensor pacis. Der 
zweite Drud des Werkes, welchen wir Tennen, ift eine englifche Ueberfegung 
von William Marfhall, London 1535 fol. — Auch eine alte Handſchrift eriftirt 
im Collegium magnum zu Orford. Riezler Die literar. Widerfacher u. ſ. m. 
S. 19. 


236 


Da indeffen die Stärke der Tradition es zu Wege gebracht 
bat, daß uralte Einrichtungen fich bis in eine fpäte Zeit fortgepflanzt 
haben, fo fällt von bier aus in vielen Fällen ein helles Licht auf 
die dunklen Epochen. Wir haben im dieſer Richtung bereits er- 
wähnt, daß die Ordnung von 1459 fih nur als eine Codifikation 
uralter mündlich fortgepflanzter Normen darftellt. 

In diefem Maurer-Coder nun findet fich bereits bie Andeu⸗ 
tung, daß es neben den Meiſtern und Geſellen in der Bruderſchaft 
auch „Liebhaber des Handwerks“ gegeben hat, und es wird 
ausdrücklich geſagt, daß das „alte Herkommen“ von Meiſtern und 
Geſellen ſowie von dieſen „Liebhabern“ gehandhabt worden ſei. 

Wir haben ſchon angedeutet!), daß unter den deutſchen Ge 
werten keines der Hüttenverfafiung näher fteht als die fogenannten 
Hammerhütten. Da und nun die Conftitution einer uralten 
Hammerbütte im Fürftentbum Siegen erhalten ift, fo tft e8 wichtig, 
die ähnlichen Bejtimmungen Tennen zu lernen. 

Im Jahre 1516 beftätigt Graf Johann von Naſſau die Ger 
rechtfame, welche feine Voreltern der Hütte „zum heiligen 
Kreuz”? in Siegen gegeben hatten. 

Da heißt e8 gleich in $. 2: „Item wäre Semand, ber in dieſer 
Bruderſchaft zu fein begehrte und nicht Bruder oder Schwefter wäre, 
auch ſich der Handwerke obgemelt nicht gebrauden 
wollte, der oder bie follen in die Bruderfchaft angenommen wer- 
den, indem fie der Hütte zum heiligen Kreuz ein Pfund Wachs, 
den Brüdern 2 Quart Weins geben”. 

Mithin gehörte die Aufnahmefähigkeit folcher Perfonen, die Das 
Handwerk nicht gebrauchen wollten, im Mittelalter bei gewiſſen Gil- 
ben unter die verfaffungsmäßigen Möglichkeiten und es kann als 
feitftehend erachtet werben, daß viele Perfonen gerade bei folchen 
„Bruderſchaften“, die einflußreich und geachtet daftanden, gern eine 
Anlehnung juchten. 

In demfelben Maß nun wie der Gemeindeverband der alt- 
enangelifchen Kirche geiprengt ward, trat ein fluchtartiger Rückzug 
der Weberlebenden in den fchügenden Hafen der verwandten Eor- 


1) Vgl. oben ©. 218 Anm. 1. 
2) Alten im Staatsardiv zu Münfter, Sieg. L. A. N. 23 (Zunftfadgen). 














237 


porationen ein. War fchon von jeher Die Verbindung eine enge 
gewefen, fo fteigerte fich jetzt der Zuſammenhalt erheblich. Wie ges 
ſcheuchte Lämmer drängten fich Die Verfolgten an einander und da 
es feine Gefebe gab, welche auf die Zugehörigkeit zu einer Gilde 
Strafen fetten, fo Tonnte die Bauhütte ungehindert den ‚Brüdern‘ 
einen Erſatz für die verlorene „Bruderjchaft” gewähren. 

Wenn nun fchon bisher die „Hütte großes Gewicht auf eine 
religiöfe Bethätigung ihrer Glieder gelegt hatte, fo fteigerte fich Die 
vorhandene Tendenz des „geiftigen Bauens” durch den Eintritt 
jolher „Liebhaber des Handwerks" natürlich ganz erheblich. 

Bon da an bauten die deutfchen Hütten nicht nur ſtolze Münfter 
und Dome, jondern es befeelte fie zugleich jenes Streben, welches 
wir bei den „Gemeinden Chriſti“ bereit8 oben kennen gelernt und 
in den Sat zufammengefaßt haben, daß fie nicht in erfter Linie 
Tempel aus Stein zu bauen trachteten, fondern daß fie „aus 
Menſchenſeelen Tempel Gottes" errichten wollten !). 

So kam es dahin, daß die Bauleute e8 waren, welche in ſchwerer 
Zeit die Trümmer der „Gemeinden Chrifti” unter Dach und Fach 
brachten. 

Es vollzog ſich dieſe Entwicklung allerdings nicht ohne die Ver- 
faſſung und da8 Leben der altevangelifchen Kirche ſchwer zu ſchädigen. 
Aber die Grundgebanten ihres Glaubens wurden doch gerettet und 
auf die kommenden Jahrhunderte fortgepflanzt. 

Dieſer Zuwachs an geiſtigen Kräften mußte die Bruderſchaft 
um ſo mehr ſtärken, als das Bewußtſein der religiöſen Ueberein⸗ 
ſtimmung ein ungemein wirkſames Bindemittel abgab. 

Es iſt intereſſant, daß die berühmte „Reformation des Kaiſer 
Sigismund” um das Jahr 1430 über die Macht dieſer Bruder⸗ 
haften die fehmerzlichiten Klagen anftellt. „Es ift auch zu wiſſen“, 


1) Ueber die Bauhütten in ihrem Verhältniß zu den Freimaurern vgl, 
Bogel Briefe über Sreimaurerei. 1785. — Albrecht Materialien zu einer kri⸗ 
tiſchen Geſchichte der Freimautrerei. Hamb. 1792, — Klo ©. Die Freimaurerei 
in ihrer wahren Bedeutung. Berlin 1855. — Schauberg Symbolif der Frei« 
manrerei. Schaffh. 1860—1872, — Lennig Encyklopäbie ber Freimaurerei. Lpz. 
1861. — Findel 3. ©. Geſchichte der Freimaurerei. 4, Aufl Lpz. 1878, — 
Hallimell-Afher Die ältefte Urkunde ber Freimaurerei in England. Hamburg 
1840, — Schneider Altenburger Eonftitutionenbud. 1803 u, |. w. 


238 


. beißt es darin, „daß im den guten Städten, nämlich den Reichs⸗ 
jtädten, Zünfte find, die num ſehr gewaltig worden find... Sie 
machen Geſetze unter fich, wie früher die Städte e8 getban haben. 
Sie ordnen in vielen Städten den Rath” u. ſ. w.'). 

Man Hat bisher vergeblich verfucht, die innere Kraft der 
„Hütte”. aus der Vortrefflichteit der Organifation, aus dem Ge 
heimniß der Bräuche und anderen Aeußerlichkeiten abzuleiten. Selbit 
ein jo vortrefflider Kunſtkenner wie Kugler hat diefe Anficht ver 
tbeidigen zu jollen geglaubt. 

Aber wenn man der Sache tiefer auf den Grund fiebt, fo 
erfennt man wohl, daß nicht Reglements oder Handwerksgriffe, jon- 
dern die geiftige Einheit und die innere Uebereinftimmung in 
ven beiligjten Meberzeugungen e8 gewefen tft, welche den Bund zu 
jo großartigen Leiftungen wie auf dem Gebiet der Kunſt, fo auf 
in der Wahrung und Vertheidigung ver höchſten Ideale befähigt hat. 

Die Kunſtwerke und Bauten, in welchen biefe Männer ihre 
Ideen gleihjam mit Lapidarjchrift niedergefchrieben haben, werben 
allmählich von der deutjchen Nation wieder in ihrem vollen Werthe 
gewürdigt. Die Thatfache aber, daß die Bauleute e8 zugleich ge- 
wefen find, welche im jchwerer Zeit die Ideen der „deutſchen Theo 
logie” zwar nicht mit den Waffen, aber mit zäher Paffivität ſiegreich 
vertbeidigt und in eine bejjere Zeit binübergerettet haben, tft noch 
nicht genügend erkannt. 

Bielleicht werben die nachfolgenden Erörterungen einen Heinen 
Beitrag zur Rlarftellung diefer Thatſache Tiefern. 


1) ©. Die Ausgabe der Reformation des K. Sigmund von Dr. W. Böhm 
Lpz. 1876 ©. 216. 








Zehntes Capitel. 
Die dentichen Waldenjer nad der großen Verfolguugsperiode. 


Das Schisma der Jahre 1378-1417, — Fortdauer der Kegerwerbrennungen. — 
Die Hinrichtung des Johann Huß und des Hieronymus von Prag. — Die 
Folgen dieſer Ereigniffe in Böhmen. — Die Böhmen greifen zur Nothwehr 
gegen die Keterrichter. — Wer trägt die Schuld der Empörung? — Rüde 
wirkung ber böhmischen Ereigniffe auf Deutſchland. — Joh. von Schlieben, 
gen. Dranborf (} 1425). — Die „Ketzer“ in Südweſtdeutſchland. — Leben 
und Lehre der beutfchen Waldenfer im 15. Jahrhundert. — Die Keßerprogeffe 
zu Freiburg i. U. im Sabre 1430. — Der Eoder Teplenſis. — Die wal- 
denfiſche Bibelüberfeung. 


Am 49. Jahrestag der Krönung Ludwigs des Baiern war Papft 
Gregor XI. von Avignon in Rom wieder eingezogen. Aber fchon 
am 27. März 1378 ereilte ihn ber Tod, und das Conclave wählte 
Urban VL, einen Italiener, zu feinem Nachfolger. ALS ein Wert 
bes h. Geiſtes warb allen Fürften und Völkern die Neuwahl des 
Stellvertreters Chrifti verkündet. Doch faum war die Publikation 
geichehen, da fielen die franzöfifchen Carbinäle von Urban ab, und 
bald warb der chriftlichen Welt fund, der wahre Papft ſei erft jet 
gewählt und heiße Robert von Genf, Clemens VIL 

So erfolgte das große Schisma der Jahre 1378—1417, welches 
die Tatholifche Welt in zwei Hälften theilte. 

Die alte Kirche hatte, um derartigen Conflilten vorzubeugen, . 
die Autorität der Concilien über diejenige der Päpfte geftellt. Jetzt 
aber erklärten die Päpfte geradezu, daß, was dort beſchloſſen werde, 
immerwährend noch nachher von dem Papfte geändert werben könnet), 

So wankte der ganze Bau der römiichen Kirche in feinen 


1) Höfler a. a. O. ©. 51. 


240 


Tundamenten. Während auf der einen Seite der weltliche Arm auf 
Befehl der geiftlichen Autorität die „Keger blutig verfolgte, fant 
das Anjehen eben diefer Autorität von Jahr zu Jahr tiefer. 

Am 30. Januar 1394 erließ Papft Bonifaz IX. ein Ebilt‘), 
welches, indem es alle früheren Erlaffe zuſammenfaßte, die Keker 
gänzlich ausrotten follte Der apoftolifche Stuhl, jagt der Papft, 
wende gern (libenter) alle geeigneten Mittel an, um die Seuche ber 
häretiſchen Schlechtigfeit zu vertilgen. Nun liege ihm ein Gutachten 
jeiner geliebten Söhne, nämlich ſämmtlicher Inquifitoren Deutid- 
lands über die Keter jenes Landes vor, die das Volt Begharben, 
Lollharden und Schweftrionen nenne, welche fich ſelbſt aber mit dem 
Namen „Arme und „Brüder“ bezeichneten. 

Seit mehr als 100 Jahren verberge fich diefe Keterei unter 
denjelben Formen und es feien in verichtedenen Städten deßwegen 
fajt in jedem Jahre mehrere von diefer Sekte al8 Halsftarrige 
auf Richterfpruch hin verbrannt worden). Der Papft errteuere 
deßhalb alle Erlajfe Urbans V., Gregors XI und feiner ſämmtlichen 
Vorgänger unter Bezugnahme auf die Mandate Raifer Karls IV. 
und unter ausbrüdlicher Annullirung aller etwa entgegenftehendven 
Beitimmungen. 

„Mit planmäßiger und fhonungslofer Energie”, jagt ein neuerer 
Forſcher, „machten fich im 14. Jahrhundert die "Erforfcher der kege- 
riſchen Bosheit" an die Verfolgung der Waldenfer, und bald fehen 
wir von der Lombardei bis zum baltifchen leere, von der Raab 
bis zum Nheine die Scheiterhaufen emporlodern”, 

Im Jahre 1395 konnte der Fromme Inquifitor Petrus Pilich⸗ 
dorf mit triumphirendem Hohne behaupten, daß es gelungen jei, 
dieſer Ketzer Herr zu werben). 


Allein faft um diefelbe Zeit, wo dieſe Worte gefprochen wurden, 
trugen einzelne Männer die Lehren Iohn Wiclifs von England 


1) Daſſelbe ift abgedrudt bei Moſsheim De Beghardis etc. p. 409. 

2) Die Worte lauten: „sub quorum etiam habitu et ritu vivendi ante 
centum annos usque in praesentiarum semper haereses et haeretici latitarunt 
et ob id in diversis civitatibus partium praedictarum fere singulis annis de 
hujusmodi sectis plures pertinaces judicialiter concremantur“. 


3) 9. Haupt Die religidfen Selten in Franken. Würzb. 1882 ©. 22. 








241 


aus nach dem Continent. AS Hieronymus von Prag im Jahre 
1398 von Oxford, wo er ſtudirt hatte, in die Heimath zurüdkehrte, 
begann er, erfüllt von der Begeifterung, die der große Brite in 
ihm erweckt hatte, laut zu verkünden, daß die römifche Kirche ab- 
gefallen fei von der Lehre Chrifti, und daß Jeder, dem das Heil 
feiner Seele am Herzen liege, zur Lehre des Evangeliums zurüd- 
tehren möge. Dean weiß, wie feine Worte zündeten. 

Der Berlauf, welchen die Ereigniffe in Böhmen jeit 1398 
nahmen, ift zu bekannt, als daß es nöthig wäre, näher Darauf ein- 
zugehen. 2 

Des Hieronymus Worte fielen zunächit bei dem Magifter Job. 
Huß, Lehrer der Theologie zu Prag und feit 1402 Prediger an der 
Bethlehemkapelle und Beichtuater der Königin Sophia, auf frucht- 
baren Boden. 

Der Widerjtand, den Huß fand, indem der Erzbifchof von Prag 
auf päpftlichen Befehl die Schriften Wiclifs verbrennen ließ und 
dem Huß das Prebigen unterfagte, brachte e8 zu Wege, daß die 
Königin und der König, Adel und Univerfität fich auf die Seite 
Huſſens ftellten. 

Trotz dieſer Unterjtügung verfolgte die Curie den kühnen An⸗ 
greifer, unD es ward, nachdem eine römische Synode die Schriften 
Wiclifs verdammt hatte, im Jahre 1413 die Excommunikation 
gegen Huß ausgeſprochen und fein Aufenthaltsort mit dem Inter- 
dict belegt. 

Bald darauf wurde das Concil zu Conftanz eröffnet. Kaiſer 
Sigmund forderte ven Huß auf, fich vor demfelben zu ftelfen. Da 
ein Taiferlicher Geleitshrief ihm Sicherheit zu gewähren fchien, fo 
reiſte Huß in der That nach Conftanz und traf am 3. Nov. 1414 
bajelbit ein. 

Aber bereit8 fünfundzwanzig Tage nach feiner Ankunft, am 
28. Nov., wurde Huß auf Beſchluß des Concils als Reber gefangen 
gejegt, und obwohl man ſich von Böhmen aus feiner jehr annahm, 
jo wurde er dennoch immer härter behandelt, ihm die Bitte, fich 
vertheidigen zu dürfen, abgefchlagen und ein unbebingter Widerruf 
gefordert. 


Es jeheint, als ob zu dieſer Strenge die Nachrichten aus Böhmen 
Keller, Die Reformation. 16 


242 


beigetragen hätten. Denn plötlich erfuhr man in Conſtanz, daß 
der Pfarrer Jacob von Mifa zu Prag auf Veranlaffung des Wal 
denjers Petrus von Dresven und unter dem Beifall der Bevölkerung 
den Laien den Abendmahlskelch wieder gereicht Habe. Auch Huf 
hatte fich im Princip für den Laienkelch ausgejprochen. 

Da Huf den verlangten Wiverruf nicht leiften wollte, warb 
er zum Tode verurtheilt und am 6. Juli 1415 verbrannt. 

Kaifer Sigmund Hatte anfangs darauf bejtanden, daß fein 
Wort, welches er verpfändet, gehalten werde. Allein einflußreiche 
Perſonen überzeugten ihn, daß er ven „Ketzer“ des gegebenen Wortes 
wegen nicht ber Todesftrafe entziehen dürfe. König Yerdinand von 
Aragonien fchrieb unter dem 18. April 1415 an Sigmund, daß er 
demjenigen die Treue nicht zu halten brauche, der fie Gott gegen 
über nicht gehalten habe!). 

In diefem Sinne erließ das Concil zur Rechtfertigung feines 
Verhaltens am 23. Sept. 1415 in feiner 19. Sitzung ein feierliches 
Decret, in welddem es ausfprach, das die Kirche einem „Ketzer“ die 
Treue zu balten nicht verpflichtet jei?). Ä 

Da die Concilsbeſchlüſſe als Eingebungen des h. Geiſtes gelten 
und unfehlbare und ewige Gültigkeit befigen, fo Tiegt in dem bier 
ausgeſprochenen Grundjag allerdings ein Princip von erheblicher 
Tragiveite. 

Dis zu diefem Zeitpunkte hatten die „Keker” Jahrhunderte 
hindurch es gebuldig ertragen, daß die römiſche Kirche im Wider 


1) Der Brief ift abgebrudt in Schelhorns Ergötlichleiten aus der Kirchen⸗ 
biftorie u. ſ. w. Bd.1 ©. 217 ff. 

2) Das Decret des Eoncil8 dd. Sess. gen. XIX. d. 23. Sept. 1415: Praesens 
sancta Synodus ex quovis salve conductu, per Imperatorem, Reges et alios 
saeculi Principes haereticis, vel de haeresi diffamatis, putantes eosdem sic & 
suis erroribus revocare, quocunque vinculo se astrinxerint, concesso, nullum 
fidei catholicae vel jurisdictionis ecclesiasticae praejudicium generari vel im- 
pedimentum praestari posse seu debere, declarat, quominus salvo dicto con- 
ductu non obstante liceat judici competenti ecclesiastico de hujusmodi per- 
sonarum erroribus inquirere et alias contra eas debite procedere, easdemgue 
punire, quantum justitia suadebit, si suos pertinaciter recusaverint revocare 
errores, etiamsi de salvo conductu confisi ad locum venerint judicii, alias 
non venturi. Abgebr, bei von d. Hardt Conc. Const. IV. p. 521. Dazu vgl. 
das fpecielle Decret De salvo conductu Hussonis bei Hardt a. a. O. 


243 


ipruch mit der Lehre Chrifti das weltliche Schwert gegen ihre beiten 
Männer in Bewegung gefettt hatte. Jetzt aber war das Maß voll, 
und die Geduld der gequälten Menſchen war zu Ende. 

Eine furchtbare Gährung verbreitete fich über Das ganze eich, 
om furchtbarften natürlich in Böhmen, wo religiöfe und nationale 
Motive die Aufregung jteigerten. ‘Die erjten Schritte, welche bie 
Partei des Hingerichteten that, waren noch durchaus friepfertiger 
Art; man beſchloß, und zwar faft alle angefehenen Männer Böh- 
mens, einen Bund auf fech8 Sabre zur Vertheivigung gegen weitere 
Ungerechtigkeiten zu jtiften. | 

Eben als man darüber einig geworden war, traf die Kunde 
ein, daß auch Hieronymus von Prag am 30. Mai 1416 der Ver⸗ 
folgung zum Opfer gefallen war; auch ihn Hatte man verbrannt. 

In unbegreiflicher Verblendung beſchloß das Concil, die „Ketzer 
in Böhmen auf dem altbewährten Wege der höchſten Strenge nie- 
derzubalten. Daſſelbe erließ für bie geijtlichen Gerichte und die 
weltlichen Autoritäten eine genaue Injtruftion in 24 Artikeln, wie 
men gegen bie Freunde des Huf vorgehen folle, und der Papit 
fandte Inquiſitoren mit außerorventlichen Vollmachten, wie e8 in 
ähnlichen Fällen in Deutſchland fich vortrefflich bewährt Hatte, nach 
Böhmen. 

Allein während am Rhein, in Deftreih und in Norddeutſch⸗ 
land die Ketzerrichter ungeftört hatten wirken können, begegneten fie 
in Böhmen plößlich einer entfchloffenen und thatkräftigen Abwehr. 

Unter Führung zweier Edelleute, des Nicolaus von Huſſinecz 
und des Sohannes Ziska, fammelten ſich große Schaaren, zunächt 
zu Teinem anderen Zwecke, als um das Abendmahl gemäß der Ein- 
jegung Chrifti und nach uraltem Brauch der Waldenjergemeinden 
unter beider Geftalt fich reichen zu laffen. ‘Der Berg Tabor war 
eg, wo dieje erjten großen Demonjtrationen ftattfanden. 

Nachdem die ‘Dinge jo weit gelommen waren, riß die Ent- 
frembung von der römifchen Kirche immer tiefer ein, und e8 ift ja 
befannt genug, daß ein blutiger Kampf die Folge war. 

Als König Sigmund einen Kreuzzug gegen die ketzeriſchen Böh⸗ 
men anfündigen Tieß, Tam es zu den furchtbaren Kriegen, welche 


das ganze Abenpland erfchütterten. 
16* 


244 


Es giebt eine neuere Gefchichtfchreibung, welche, indem fie auf 
biefe Kriege hinweiſt, vol fittlicher Entrüftung über die „revolutio- 
nären Tendenzen” und die „Umijturztbeorien‘ aller derjenigen Par- 
teien Tpricht, welche e8 gewagt haben, fich dem Gehorfam ver römi- 
ſchen Kirche zu entziehen. Es wird dann „quellenmäßig‘ ver 
Beweis erbracht, Daß die revolutionären „Selten Aufruhr und 
Empörung vor fich her getragen haben. Es ift wahrlich nicht jchwer, 
diefen „Beweis aus den Quellen zu führen. 

Doch ift zu bebauern, daß folche „unpartheiiſche“ Gejchicht- 
ichreiber meift vergeilen, binzuzufügen, wo denn eigentlich die Ur- 
fachen der „Empörung gelegen Haben). 


Die Erfolge der Böhmen mußten au in den Nachbarländern 
auf diejenigen Parteien ſtärkend zurüdwirken, welche in Oppofition 
zu den herrichenden kirchlichen Gewalten ftanben. 

Um den Beginn der zwanziger Jahre des 15. Jahrhunderts 
begegnet uns als einer der Führer ber beutichen Oppofttion ver 
jächfifche Edelmann Johann von Schlieben, gen. Dranborf. 

ALS fich der Adel in Böhmen an die Spike der empörten Menge 
ftellte, Tonnte bei den vielfachen freundfchaftlichen und verwandt- 
ſchaftlichen Beziehungen, welche jenen mit den deutjchen Nachbarn 
verband, eine Rückwirkung auch auf den Adel der Grenzprovinzen 
nicht ausbleiben. Nur wenn man annimmt, daß bie „Brüder“ in 
den fächfifchen Ländern ſchon frühzeitig mächtige Protektoren fanden, 
erklärt fich die Thatfache, die wir kennen lernen werben, daß bie 
Berfammlungen der Bifchdfe und „Apoſtel“ aus dem ganzen Reiche 
fpäterhin in Sachſen, z. B. im Meißnifchen, abgehalten wurden. 
Ehen aus dem Meißnifchen ftammte ja auch jener fächfifche Ebdel- 
mann, der mehr als viele andere fpäterhin ein Beſchützer der kirch⸗ 
lichen Oppofition geworden tft, nämlih Johann von Staupiß. 
Die Familie Staupis aber war nachweislich feit dem 14. Jahr⸗ 
hundert in den böhmifchen Grenzprovinzen begütert und angejehen. 

Während aber die Mehrzahl der veformfreundlicden Adligen 
jener Tage nach der Sitte ihres Standes für die erkannte Wahr- 


1) Dan vgl. Sanffen Geſch. des beutfchen Volles I, 391 u. öfter. 


245 


beit fochten, ift Iohann von Schlieben auf einem anderen, viel 
ſchwereren Weg gewandelt, nämlich auf dem des Märtyrers!). 

Johann war im Jahre 1390 als reicher Eltern Kind geboren. 
In Dresden, wo er feine VBorbildung empfangen hatte, war er mit 
dem Waldenſer Petrus in Beziehung gelommen, der, wie erwähnt, 
bald darauf in den böhmischen Kämpfen eine Rolle fpielte. 

Um das Jahr 1409 feheint es gewefen zu fein, wo Schlieben 
bie Univerfität Leipzig bezog, um jich in der theologifchen Wiſſen⸗ 
haft auszubilden. Nach fiebenjähriger Vorbereitungszeit, alſo um 
das Jahr 1416, trat er in den Prebigerberuf ein. “Der erſte Schritt, 
den er nach feiner Ordination that, war der, daß er fich feines 
Vermögens zum Nuten feiner armen Mitbrüder entäußerte. Es 
erhellt aus dieſer beglaubigt überlieferten Thatſache, daß Schlieben 
in den Verband der „Apoftel” eintrat, und in der That begann er 
von da an ein Wanberleben als Sendbote Chriſti. 

Er fand als folcher zunächſt genug Beichäftigung in den zahl- 
reihen Gemeinden, die in feiner engeren Heimath, in Sachien, 
Meißen und im Bogtland vorhanden waren. Bon dort begab er 
fih im Beginn der zwanziger Sabre an den Rhein. 

Daß Hier trog der Kataſtrophe, die wir gefchildert haben, noch 
fortwährend, felbft unter den Gebilveten und den Geiftliden, Ge- 
finnungsgenoffen Schliebens vorhanden waren, ergeben die Be- 
ziehungen, die Letterer nach feinen Ausfagen vor dem Inquifitions- 
gericht Dort vorfand. Schlieben wandte fich zunächit an einen Kölner 
Geiftlichen, deffen Namen er den Kegerrichtern aber nicht verrathen 
bat; dann zu Speier an den zur Zeit des Verhörs bereits gefangenen 
Schulreftor Peter Turnau. Durch ihre Vermittlung warb er 
in die rheinischen Gemeinden eingeführt und prebigte bier, wie er 
jelbft jagt, gegen den Eid und gegen gewiſſe Irrthümer, die fich in 
die Waldenfergemeinden eingejchlichen hatten. 

Die zur Didcefe Würzburg gehörigen Städte Heilbronn und 


1) 305. v. Schlieben bat in der Kirchengefchichte noch nicht bie Berüdfichtigung. 
gefunden, bie ex verbient. Es ruht ſicher über ihn noch manches Material an 
verborgenen Orten. Bgl. über ihn Haupt a. O. ©. 32 ff. u. die ©. 32 Anm. 5 
aufgeführten Ouellen. Hier ift neben Haupt noch ber Auffak Krummels in den 
Theol. Stud. u. Krit. 1869 ©. 130 ff. benußt worden. 


246 


Weinsberg befanden fich damals im Banne, ven Biſchof Johann II. 
ivegen einer rein weltlichen Frage über fie verhängt hatte. Mit der 
durch das Interdikt tief empörten Bevölkerung knüpfte Drandorf 
Beziehungen an und der Rath von Weinsberg lud ihn ein, dort- 
bin zu kommen. 

Auf dem Wege aber, in Heilbronn, warb er von ben Häfchern 
erreicht und nach Heivelberg in das Gefängniß abgeführt. Die Ver- 
baftung Peter Turnaus war der einigen bereit8 vorangegangen. 

Es wurde im Frühjahr 1425 ein Inquiſitionstribunal zu Heidel⸗ 
berg unter Anweſenheit des Bifhofs Johann von Worms und einiger 
Bevollmächtigten des Biſchofs von Würzburg, ſowie unter Mitwir- 
fung der Univerfität eröffnet und den Gefangenen der Prozeß ge» 
macht. 

Das Ende war, daß Schlieben im Jahre 1425 zu Worms 
und Peter Turnau im Jahre 1426 zu Speier von der heiligen In⸗ 
quiſition dem Tode in den Flammen übergeben wurden. 


Ueber die weiteren Hinrichtungen von „Ketzern“ aus dieſer Zeit, 
welche in den Schriften der rechtgläubigen Theologen als Beghar⸗ 
den ober Lollarden bezeichnet werben, die aber fich ſelbſt „Brüder“ 
nannten, giebt eine Schrift des zu feiner Zeit fehr bekannten Chor⸗ 
bern und Propftes am Großen Münfter zu Zürich, Felix Hem⸗ 
merlin!) (geftorben ca. 1460), nähere Auskunft. 

Unter den mannigfachen Zractaten dieſes Autors befindet fich 
auch eine Streitfchrift gegen die „Begharden aus etwa 1440, welder 
er den Titel gegeben hat: „Contra validos mendicantes“‘ 2). Iſt 
die Thatfache ſchon an fich merkwürdig, daß noch um 1440 ein 
Mann von Hemmerlins Anfehen e8 für nöthig hielt, gegen bie ver» 
achtete „Sekte“ Literarifch zu Felde zu ziehen, fo erhält das Buch 
Doch eine größere Bedeutung durch die thatfächlichen Angaben über 
die Ausbreitung der Partei in der Schweiz und Oberbeutfchland 
während der angegebenen Epoche. 

1) Bgl. über ihn die Allg. deutfche Biographie s. v. 

2) Diefelbe ift abgebrudt in der Sammlung: Clarissimi viri juriumque 
doctoris Felicis Hemmerlin cantoris quondam Thuricensis Varie oblectationis 


opuscula et tractatus Basileae 1479. Hier citire ich nach dem in der Kaiferl. 
Bibl. zu Straßburg befindlichen Exemplar. 








247 


„zu meinen Tagen“, fagt Hemmerlin, „haben auch in ber 
Didcefe Conftanz diefe Menjchen unzählige Irrlehren ausgefäet; 
daber hat man fehr viele zu Öffentlicher Buße gebracht, andere durch 
Feuer verbrannt. Deßhalb haben in unferen Tagen (d. 5. im Jahre 
1438) Einige die Irrlehre in neue Artikel gebracht und in ihren 
Büchern niedergefchrieben‘ 1). 

Seitdem die eigentlichen Begharden⸗ und Beghinenconvente 
meiftentheild in den britten Orden des h. Franciscus aufgenommen 
worden waren, Tonnte Niemand, auch Hemmerlin nicht, die alte 
Dezeihnung in ihrer Allgemeinheit al8 Kegernamen beibehalten. 
Hemmerlin räumt daher ein, daß einzelne unter Ienen vechtgläubig 
feien. | 

„Aber“, fagt er, „es ift Häufig der Fall gewefen, daß unter jener 
ſchlechten Gefellichaft Selten und Conventifel von Häretifern zu 
unferer Zeit und in unjeren Gegenden fich befunden haben, wie 
dies feftfteht von einem gewiſſen Begharden, Namens Burkhard 
mit feinen “Brüdern in dem Gebiet von Zürich, welche nach ab- 
gelegter Buße und Aufbeftung des Kreuzes in ihre Ketzerei zurück⸗ 
fielen und verbrannt wurden. Ebenſo war es mit einem gewifjen 
“Bruder” Karl, welcher einen großen Anhang in dem Lande Uri 
hatte und aus demfelben Grunde mit feinen Genofjen durch das 
Teuer verzehrt worden iſt; ebenfo mit einem gewiffen Heinrich 
von Tierrenz bei Conftanz, welcher nebjt einem großen Anbang 
öffentlich Buße that; ebenjo mit einem gewilfen Sohannes im 
Gebiet von Ulm mit vieler Gefellfchaft, der wegen ver genannten 
Sache dffentlih Buße that; ebenfo mit einem Magifter und Häre- 
fiarchen in der Herrichaft Würtemberg, der mit der größten Schwierig⸗ 
Teit in einer Verfammlung der Sachverftändigen überwunden ward, . 
Ebenfo war e8 mit gewiſſen Begharden, welche jedes Jahr aus 
Böhmen kamen und ungezählte Schaaren Volks in den Städten 


1) Die Stelle lautet a. O. fol. Xllb: „Et insuper in diebus meis et in dyo- - 
cesi Constantiensi isti homines infinitos seminaverunt errores, unde plerique 
sunt ad poenitentiam publicam positi, alii igne cremati; unde his diebus, vi- 
delicet de anno domini MCCCGCXXXVII, quidam novos fecerant erroris arti- 
eulos in suis libris conscriptos et in occultis conventiculis dogmatizatos, qui 
demum et vix informati poenitentiam publicam peregerunt“, 


248 


Bern, Solothurn und in vielen Dörfern und Gegenden, Die den 
Städten unterivorfen waren, in die fehredliche Ketzerei verführten. 
Und in Summa, im ganzen obern Deutjchland iſt Teine Ketzerei 
wider ben Tatholifchen Glauben eingeführt, e8 ſei denn durch die 
Füchſe jener Sekte der Begharven, Lollarden und Beghinen auf das 
nichtswürdigſte bewirkt worden” 1). 

Im Hinblid hierauf fordert Hemmerlin die äußerſte Strenge 
gegen dieſe Menſchen. „Laßt uns”, ruft er aus, „Das Recht, bie 
Canones und die b. Gefege und die Waffen derer, die der Geſetze 
Diener find, männlich fchärfen, und laßt uns die Schwerter des 
geiftlichen und weltlichen echtes züden (Gladii vibrentur), um die 
Verbrechen jener Menfchen direkt oder indirekt zu unterbrüden (com- 
pescantur). Denn es fteht gefchrieben bei Mofes: "Wehe dem, 
welcher reizt den Herrn zum Zorn'“. 


Zur Charakteriftif der Lehre und des Lebens der „Brüder 
gemeinden”, wie fie um dieſe Zeit fich geftaltet Hatten, find bie 
Aufzeichnungen einer Handſchrift von Wichtigkeit, welche aus dem 
Jahre 1404 ſtammt, und die in der alten Bibliothek zu Straßburg 
aufbewahrt ward. Wenn man die Angaben der Handſchrift, welche 
von einem Gegner berrührt, mit Vorficht verwertbet, Tann man 
einige wichtige Notizen daraus fchöpfen. 

Zunächſt tft und durch diefelbe eine Predigt erhalten, die, wenn 
fie auch vielleicht von einem römiſchen Geiftlichen ihre jetige Latei- 
nifhe Form erhalten bat, doch unzweifelhaft in allen wefentlichen 
Punkten echt ift. Diefelbe enthält Troſt und Zuſpruch, wie ihn 
die unter der Verfolgung zufammenbrechenden Gemeinden um das 
Jahr 1400, wo fie gehalten ift, brauchten. 

Zwei Jahrhunderte Hindurch, jagt der Prediger, bat fich unfere 
Gemeinfhaft guter Zeiten erfreut, und die Brüder waren fo zahl 
reich geworden, daß bei ihren Concilien 700 und mehr Perfonen 
zugegen waren. Großes Hat Gott für die Gemeinfchaft gethan. 
Dann ift ſchwere Verfolgung über die Knechte Chrifti hereingebrochen, 


1) Die Stelle a. O. BL. X. 
2) Vgl. C. Schmidt Aktenftüde, beſonders zur Geſch. der Walbenfer, in 
Niedners Ztſchr. f. d. hiſt. Theol. 1852 S. 238 ff, 








249 


von Land zu Land Hat man fie getrieben und bis auf den heutigen 
Tag dauert die Grauſamkeit gegen fie an. 

Doc ſeitdem die Kirche Chrifti gegründet ift, haben die wahren 
Chriften niemal8 derart abgenommen, daß nicht in der Welt oder 
wenigftend in einzelnen Ländern einige „Heilige“ vorhanden 
waren!). Im den Ländern jenſeits des Meeres hat die Kirche im 
Anfang zuerft ihr Wachsthum genommen. Niemals wird diefjeits 
und jenſeits bes Meeres zugleich die Leuchte ver „Heiligen“ er- 
lichen. 

Auch unfere Brüder haben einft wegen der Verfolgung das 
Meer überſchifft und in einer beftimmten Gegend Brü- 
der gefunden; doch weil fie die Sprache des Landes nicht ver- 
ftanden, ward der Verkehr ihnen ſchwer und fie find zurückgekehrt 2). 

Das Antlig der Kirche wechfelt wie Die Scheibe des Mordes. 
Oft blüht Die Kirche durch die Zahl der „Heiligen und ift ftarf 
auf diefer Erde, und bisweilen fcheint fie ganz zu zerfallen und zu 
verſchwinden. Doch wenn fie an der einen Stelle verſchwunden ift, 
jo wiffen wir, daß fie in andern Ländern fichtbar ift, fei es auch 
nur in geringer Zahl der Heiligen, die ein gutes Xeben führen und 
in dem heiligen Verbande geblieben find. 

Und wir glauben, baß die Gemeinde wieber erjtehen wird in 
großer Zahl und Stärke. Diejes unferes Bundes (ordinis) Ur- 
beber ift Chriſtus und unferer Kirche Haupt ift Jeſus, der Sohn 
Gottes. — 

Die Charakteriftif der Waldenſer, welche fich in unferer Hands 
ſchrift an die Predigt anfchließt, hebt als vornehmites Merkmal der 
Partei die Leugnung des Fegfeuers hervor. Dann trifft fie mit 
richtigem Blick fofort die wichtigften Unterjcheidungslehren, indem 
der Autor tabelnd jagt: die Waldenfer Spalten die Einheit der Kirche 
dadurch, daß fie glauben und fagen, ein Menſch, welcher 


1) Die Bezeichnung „Heilige“ kommt in berfelben Bebentung wie „rechte 
Chriſten“, d. h. ſolche, welche Ehrifti Lehre glauben und ihr gehorfam find, in 
dieſer Gemeinſchaft häufig vor. 

2) Es fcheint, daß hier an England gedacht werben muß; ber Verkehr des 
Engländers Peter Payne mit ben Waldenſern um biefe Zeit wirb unten Er⸗ 
wähnung finden.’ 


250 


tugendhaft lebe, werde allein dur feinen Glauben 
des Heils theilhaftigt). 

Bom Ablaß wollen fie nichts wiſſen, fährt er fort, um Wall⸗ 
fahrten kümmern fie fich nicht, jeden Eid verbieten fie; ebenio 
behaupten fie, daß Niemand die Todesftrafe anwenden dürfe. 
Auch find fie des Glaubens, daß der Bapft Feine Gerichtsbarkeit in 
weltlichen Dingen üben dürfe; auch bürfe er Niemanden in ben 
Bann thun?). Der Papft und alle Geiftlichen, welche ein Leben 
führen, das den Befehlen Chriftt nicht entipricht, befigen auch bie 
Bollmachten Chriſti nicht. Wer die Ordination in rechter Weile 
erbalten bat, der befitt die Macht zum Löfen und Binden; be 
ſondere reſervirte VBollmachten, wie Papft und Carbinäle fie zu haben 
alauben, giebt es nicht. 

Wichtig ift, Daß unfere Quelle die Nitualformel iiedergieht, 
welche bei ver Abfolution gebräuchlich war; Diefelbe ift unzweifel 
Haft den alten Bormularbüchern entnommen, auf die wir weiter 
unten noch zurückkommen werben 3). 

Während unfere Quelle in diefer Hinficht offenbar gut unter 
richtet ift, enthält fie eine Neihe von gänzlich ſchiefen Auffafjungen 
und legt diefe in der befannten Weife den „Ketzern“ unter, um ihre 
Verkehrtheit zu demonftriren. Dahin gehört e8, wenn der Autor 
fagt, daß die „Sekte“ den Auguftinus, Hieronymus u. A. ver 
damme (dampnant); wir wifjen vielmehr, daß Dies keineswegs ber 
Fall war. 

Wichtig iſt Die Schilderung, welche die Handſchrift von ben 


1) Item dividunt unitatem ecclesiae, credentes et dicentes, hominem vir- 
tuose viventem solum in sua fide salvandum. Schmidt a. O. ©. 243. 

2) Die Waldenfer forberten gemäß der h. Schrift die Mitwirkung ber Gr 
meinde beim Bann.. 

3) Die Formel lautet: „Unser herre, der do vergab Zacheo, Magdalene 
und Paulo, der do enbant Petrum von den banden der Kethen, und Marthen 
und anderen puesseren, der welle dir vergeben dine sunde. Der herre ge- 
segen dich und behuete dich; der herre zeige dir sin antlit und erbarm sich 
din; der herre kere sin antlit zu dir und geb dir den friden. Und der fride 
gottes, der do überhoehet allen sin, der behuete din hertze und din verne- 
mung in Christo Jhesu. Gesegen dich der vatter und der sun und der heilig 
geist, Amen“. 














251 


„Apoſteln“ und ihrer Weife giebt). „Steben Mal täglich beten 
fie, und nichts anderes beten fie al8 das Vater unfer; weder 
das Ave Maria noch das Syumbolum?) fügen fie Hinzu‘. 

„Ebenſo pflegen fie nur im Geheimen zu lehren. Desgleichen 
find fie in ihren Worten vorfichtig; freiwillige Unwahrheiten und 
Schmähworte pflegen fie auf das forgfältigfte zu meiden; einfacher 
Kleidung bedienen fie fich; fleißig unterweifen fie ihre Untergebenen 
in der Uebung der Tugend und in der Meidung des Lafters; und 
weil ihre Haltung äußerlich empfehlenswerth fcheint, darum werben 
ihre Untergebenen fehr darin beftärkt, daß man ihnen in allen 
Dingen Vertrauen ſchenkt“ 3). 

Weber die Gebetsordnung, wie fie bei den Andachten üblich 
war, enthält die Straßburger Handſchrift die intereffante Angabe, 
daß die „Brüder“ Feine vorgefchriebene Gebetszahl und Länge Ten- 
nen; „vielmehr beginnt der Aeltefte unter ihnen das Gebet und 
bält ein langes oder kurzes, je nachdem es ihm nützlich ſcheint“ 9. 

„Die h. Schrift‘, heißt es weiter, „haben fie in ihrer Mutter⸗ 
fprache im Gebächtniß umd geben fie in diefer Sprache (beim Got⸗ 
tesbienft) wieder‘, 

Ueber die Vorbedingungen, an welche die Aufnahme unter die 
„Apoftel” geknüpft war, giebt Die Quelle einige Andeutungen, Die, 
obwohl fie ficher theilmeife entftellte Angaben enthalten, doch von 


1) Die Duelle fpricht nicht von „apostoli“, fonbern von den „Seniores inter 
eos“; es find aber offenbar die Apoftel gemeint. 

2) Im Jahre 1430 bekennt die Waldenferin Anguilla Brechiller zu Freiburg 
i U, daß beim Gebet das Ave Maria nicht gejagt werben foll, noch andere 
Gebete an bie Heiligen, fondern allein und einzig das Bater unfer. Vom „Glau- 
ben“ (Symbolum) babe fie nicht gehört, ob fie ihn fagen follten oder nicht. 
©, Ochſenbein a. O. Bern 1881 ©. 207. 

3) Schmidt a. O. ©. 244: „Item solent tantum docere in occulto. Item 
in verbis sunt sibi cauti; mendacia voluntaria et verba turpia maxime so- 
lent evitare; vestimentis non pretiosis utuntur; diligenter suos subditos in- 
struunt ad exercendum- virtutes et cavendum a vitiis; et quia eorum Conver- 
satio extrinseca apparet commendabilis, ex hoc subditi eorum multum con- 
fortantur fidem eis in omnibus adhibendo“. 

4) Item in orando non habent numerum determinatum, sed senior inter 
eos incipit orationem et facit eam prolixam vel brevem, secundum quod sibi 
videtur expedire. ©. 243. 


252 


Werth find. „Wenn fie Semanden unter die Träger ihres Gewands 
aufnehmen wollen!), jo examiniren fie ihn vorher eine Zeit lang 
und zur Zeit der Ordination muß er ein Belenntniß feiner Sün- 
den ablegen”. Sie legen ihm fieben Artikel vor: Ob er an den 
breieinigen Gott glaubt; ob er diefen Gott für den Schöpfer aller 
fihtbaren und unfichtbaren Dinge hält; daß er das Geſetz Mofis 
gegeben; daß er feinen Sohn bat Menjch werben laſſen; daß er 
fih eine unbefledte Kirche erwählt bat; Daß es eine Auferftehung 
giebt; daß er kommen wird, zu richten Die Lebendigen und bie 
Todten ?). 

Zugleich werden eine Reihe von Gelübden (vota) von ihm ab⸗ 
gelegt, die fich kurz als die Gelübde des Gehorſams gegen Hottes 
Gebote, der Keufchheit, der Treue gegen die Gemeinde, der freiwil- 
ligen Armuth 3) und der Brüderlichkeit bezeichnen laſſen. 

Sobald er diefe Gelübde abgelegt hat, wird er Durch Die Hands 
auflegung geweiht. 

Schon aus diefen Andeutungen, die wir unten vervollftändigen 
werden, erhellt, daß die Regeln und Ordnungen der altevange 
liſchen Gemeinden viel ausgebildeter waren, als man bisher vor 
ausgeſetzt hat. 

Man bat eingeräumt, daß in den „Sekten“ des Mittelalters 
wohl religiöfer Enthufiasmus vorhanden geweſen fe, aber fefte 
Normen und ftrenge Ordnungen hat man allein der römiſch⸗katho⸗ 
lifchen Chriftenheit vinbiciren zu müffen geglaubt. 

- Eine folche Anficht ift durchaus falſch. Die Verfaffung, welde 
die Gemeinden verband, unterftand wohldurchdachten und gutbe 
währten, uralten Regeln, die als Produkt nüchterner praktifcher 
Ueberlegung betrachtet werden Dürfen. 


1) Die Quelle fagt: Item quando volunt assumere aliquem ad eorum 
habitum etc. Da aber nur die „Apoſtel“ vworgefchriebene Kleidung beſaßen, 
fo iſt au nur an fie zu denken. 

2) Nach v. Zezſchwitz Die Katechismen u. |. w. S- 184 find diefelben Artikel 
in der waldenfifchen Schrift De li articles de la f& enthalten. 

3) Im Jahre 1430 fagt der Waldenfer Willi von Kriftanberg aus auf bie 
Frage: „Ob den Geiftlichen etwas gegeben werben ſolle“ — „Biermalim 
Jahre folle man ihnen Opfer [penden” ©. Odfenbein a. O. Ben 
1881 ©. 192. 





253 


Zur Gefchichte des Waldenfertbums im Anfange des 15. Iahr- 
hunderts enthalten die Protocolle der Freiburger Ketzerproceſſe, die 
und aus dem Jahre 1430 erhalten find, wichtige Deaterialien‘). 

Die Gegenden um Freiburg, Bern und Schwarzenburg waren 
nachweislich feit mindeftens dem Jahre 12772) Ketzerſitze. Durch 
ihre Lage an der großen Straße, welche das fübliche Frankreich mit 
dem Oberrhein verband, vermittelten fie den Verkehr zwifchen ben 
deutſchen und welſchen Gemeinden. 

Die Hinrichtungen, welche bereits im 13. Sahrhundert ftatt« 
gefunden hatten, waren nicht im Stande gewefen, die Gemeinden 
zu zeritören. 

Die Berfolgungen wiederholten fih im Jahre 1374 und in 
großem Maßſtabe im Sabre 1399. 

Die Chronik berichtet zu diefem Iahre: „Es wurden viel Leute 
zu Bern und auf dem Lande, Frauen und Männer, Gewaltige, 
Reihe und Arme, mehr denn 130 Perfonen in dem Unglauben 
befunden u. |. w.“3). Man ftrafte fie nicht am Leben, fondern zwang. 
fie zur Abſchwörung; wer nicht abjchwur, unterlag nach den Ge⸗ 
feßen der Ausweifung. Die Milde des Gerichts erklärt fich aus 
der Andeutung der Chronik über bie Detheiligung von „Gewaltigen 
und Reichen”. 

In der That ftellte e8 fich 30 Jahre fpäter heraus, daß die 
Gemeinden nicht nur fortbeftanden, fondern daß nach wie vor ein- 
zelne der vornehmften Familien den „Chriftenbrübern” angehörten. 
Zu diefen zählte im Jahre 1430 der Ritter Richard von Magen- 
berg, welcher fein Schloß und feinen Einfluß in den Dienft der 
„Ketzer“ geſtellt Hatte. 

Die Magenbergs waren ſeit alten Zeiten in der Gegend von 
Freiburg anſäſſig. In dem Volksliede, welches über die Schlacht 
bei Laupen im Jahre 1339 erhalten iſt, wird auch ein Johann 


1) Ochſenbein ©. F. Der Inquifitionsprozeß wider die Waldenſer u. ſ. w. 
Bern 1881. Leider hat Ochſenbein nicht einen Abdruck, ſondern eine populari⸗ 
firende Meberarbeitung der Protocolle gegeben. 

2) Die Nachrichten aus Juſtingers Berner ehronit zu 1277 hei Odfen- 
bein a. a. O. Bern 1881 ©. 95. 

3) Dal, oben ©. 232, 





254 


von Magenberg nebft anderen vornehmen Yamilien der Gegend, 
3 BD. denen von Teng oder „ven Tengen“ genannt). 

Auch ein Herr von Fülistorf wird in dem Liebe zugleich 
mit den Magenbergen und Tengen erwähnt, und es ift merf- 
würdig, daß Mitgliever eben dieſes Geſchlechts von Fülistorf mit 


1) Bgl. v. Lilieneron Die hiſtoriſchen Bollsliever u. ſ. w. 1,49 ff. Die be- 
treffenden Strophen lauten: 

8 Sie zugend mit einaubern bar, 
der baner namends eben war, 
mitten im forft ruft Inte 
eine von Tengen: „ach richer Chriſt, 
dag difer forft fo lange ift! 
zun Welfchen fund min gemüth, 
daß ichs in irem harniſch ſäch 
und mich mit in erbeißet!“ 
Dem forſt and end was inen gach: 
der zug bört häre reifet, 
die welſchen Herren mit großer macht 
zwölfbundert brißig tufend. 
Do machet fih die fchlacht. 

9 Do hieltends ftill zu beiber fit. 
von Magenberg einr dört bar rit 
gar nach zum ber von Bären, 
zu inen ruft er Treftiglich: 
„ie zwen von Bärn beftan hüt ich“. 
fach fie doch nit vaſt gerne. 
Noch me fo redt der ftolge man: 
„ie find wol halbe wibe?“ 
Kunz von Rinkenberg ſchnalt in au 
„nun band wir boch an dem libe 
nah mannes art ouch mengen bart! 
Ich wil dich ſtrits geweren 
allein uf diefer fart!“ 


Die Strophe 8, in weldder der Name Tengen vorlommt, ift von Aegibius 
Tſchudi (1505— 1572), welcher das Lieb wiebergiebt, weggelaflen worben. Lilien- 
cron I, 51 bemerkt dazu: „„er wollte wol dem fonft nirgends bezeugten Herm von 
Tengen nicht um eines kurzen erfolglofen Wortes willen aufnehmen“. 

Dazu mag bemerkt werben, daß ber Name Teng in ber Zeit, wo Tſchudi 
fchrieb, von einem Manne getragen wurbe, welcher Tſchudi fehr unſympathiſch 
war. „Hans Teng“ — diefe Form des Namens von Hans Dend if ur- 
kundlich beglaubigt —, vor welchem die Stadt Zürich noch im Jahre 1527 eine 
Warnung als „des Wiedertaufs Ergtänfer“ erlafien hatte, war gelichtet 
in den Schweizer Kantonen. 





255 


Richard von Magenberg im Jahre 1430 zu Freiburg als Waldenſer 
vor dem Inguifitionsgericht ftehen?). | 

Wenn man fich erinnert, daß gerade die erfte Hälfte des 
14. Jahrhunderts e8 war, wo die „Chriſten“ ihre größten Erfolge 
errangen, und daß, nach Ausweis der Alten, viele vom Adel um 
Freiburg bereit8 in jener Zeit zu den Ketzern bielten, fo wird man 
nicht fehl gehen, wenn man annimmt, daß die genannten Gefchlechter 
ſchon um 1339 den Waldenfern zuzuzählen find. 

Mit welchem Nachdruck die Verfolgung betrieben warb, fieht 
man daraus, daß das Schloß Richards von Magenberg mit Waf- 
fengewalt genommen und der Befiger in den Kerker geivorfen wurde. 
Doch entlam er und eilte auf fein Schloß zurüd. ALS die Geift- 
lichen, welche dem Gericht vorfaßen, Dies vernahmen, warb ein neuer 
Ueberfall des Schloffes zur Nachtzeit befchloffen und ausgeführt, aber 
man traf auf einen wohlvorbereiteten Widerſtand und mußte abziehen. 

Indeflen wurde Magenberg aller feiner Befigungen verluftig 
erflärt und die Letteren auch thatfächlich eingezogen. Auf feine 
Perfon ward fo lange gefahndet, bis man endlich nach fieben Jahren 
feiner habhaft wurde. Als der PVerfolgte fich jo aller Hoffnung 
beraubt fah, wandte er ſich Durch feinen Sohn an die weitphä- 
liſche Vehme, die ihm auch in der That Beiſtand gewährte). 

Ueber ven Belenntnißftand und die Verfaſſung ver Gemeinden 
geben die Alten des Prozefjes einen erwünfchten Auffchlug 3). 

Es ergiebt fich daraus die Thatfache, daß die Zähigkeit, mit 
welcher die Gemeinden feit Jahrhunderten an ihren Principien feſt⸗ 
gehalten hatten, keineswegs gebrochen war. Es find in den meiften 
Punkten nur die Wiederholungen der Angaben, die wir bereit aus 
den Bekenntniſſen der Protocolle des 13. und 14. Jahrhunderts 
kennen. | 

Nur Einiges ſoll bier notirt werben. 

Die Anklageakte wider Die Gefangenen war in 22 Artikeln 


1) Ochfenbein a. DO. Bern 1881 ©. 193. — Anguilla von Fülistorf war. 
die Gattin des Willi von Chriftenderg. Ein Montchrift aber war ver erſte Com- 
thur der Iohanmiter zu Freiburg. 

2) Ochienbein a. a. DO. ©, 373. 

3) Ochſenbein a. a. O. 





256 


formulirt!). Darin heißt unter Anderen der 8. Artikel: „Item fagen 
und balten die Menfchen von befagter Sekte, daß fie in dieſer Welt 
allezeit gewiſſe gute Leute mit fich haben, welche ihnen prebigen und 
am Plage der Apoftel oder Jünger unferes Herrn Jeſu Chriftt 
jeien”. Die Gefangenen Konrad Wafen und Elfa Troger bemerkten 
erläuternd dazu, daß die Zahl diefer Apoftel auf 72 normirt fe. 

Artikel 10 lautet: „Stem glauben befagter Angellagter und 
Andere von genannter Selte nicht an das Sacrament der Eucha⸗ 
riſtie“; eine Behauptung, der gegenüber Elſa Troger bemerkt, daß 
bei ihnen das Saframent des Altars in großer Ehrfurcht gebalten 
werde. 

Artikel 12 ſagt: „Item ſagen, halten und predigen ſie, daß die 
geiſtlichen Perſonen nichts Anderes haben ſollen, als nur das Nöthige: 
Nahrung und Kleidung“. Die Erklärung, welche die erwähnte Elſa 
hierzu giebt, verdient beſondere Beachtung. Sie beſtreitet nämlich 
die Richtigkeit dieſes Satzes in ſolcher Allgemeinheit; vielmehr ſolle 
man denjenigen unter den Weltgeiſtlichen, welche ſeßhaft auf dem 
Lande ihr Amt ausüben, Mittel geben; ſie will damit andeuten, 
daß die freiwillige Armuth nur für die Apoſtel zutrifft 2). 

Der Artifel 16 legt ven „Brüdern die fonderbare Behaup 
tung unter, daß fie glauben, alle Güter dieſer Welt gehörten ibnen. 
Die Angeklagten wiefen dies zurüd. Elſa Troger bemerkt, aller 
dings glaubten fie, daß das Gefe ihrer Lehre (lex ipsorum) über 
alle anderen Lehren vor dem Tag bes letzten Gerichts den Sieg da⸗ 
von tragen werde, 

Der Artifel 19 der Anklageakte lautet wörtlich: „Item fagen 
fie, daß, wenn fie Viele tödten könnten, jo würden fie Gott einen 
großen Dienft erweisen”. 

Mit Entrüftung erhoben ſich dagegen die Gefangenen; ihre 
Meinung fei vielmehr, daß jeder Todtſchlag eine Sünde fei. 


Es trifft fich befonders glüdlich, dag eins der waldenfifchen 
Sormularbücder, wie fie in deutſcher Sprache während bes 


1) Abgebrudt bei Ochſenbein a. DO. ©. 210. 
2) Der Gefangene Konrad Wafen erflärt fih dahin, daß die Schenkungen 
an die Armen beſſer ſeien als die an die „viri ecclesiastici“. 


— | __| C— — —— 


257 


14. Jahrhunderts aufgezeichnet worden \ find, uns erbalten ift; es 
ift dies der fogenannte Codex Teplensis, welcher kürzlich der 
Deffentlichkeit übergeben worden ift!). 

Die Prämonftratenfer-Abtei Tepl, in deren Bibliothek ſich das 
merkwürdige Buch vorfindet, Liegt etwa 30 Kilometer öſtlich des 
Sichtelgebirge8 und des Böhmerwaldes, d. h. mitten in den Diftrik- 
ten, welche nachweislich Jahrhunderte Yang die vornehmften Zufluchts- 
orte vertriebener deutſcher „Brüder“ gewejen find. 

Das Formularbuch iſt eine Pergamenthandſchrift von 629 Sei⸗ 
ten, welche von drei verſ chiedenen Händen herrührt. Auf jeder 
Vlottſeite ſtehen 31 Zeilen zwiſchen feingezogenen Linien. Dem 
Coder fehlt der Titel. 

„Die Art der an dem ftark angegriffenen Coder angebrachten 
Marginalien“, jagt der Herausgeber, „läßt auf feinen vielfachen 
Gebrauch im eigentlichen Seelforgsgottesdienfte, vor der Prebigt und 
namentlich auch beim Krankenbeſuche, ſchließen“. 

Der Eober bilbet ein zufammengehöriges Ganzes; er ftellt nicht 
etwa eine Sammlung gelehrter Notizen dar, jondern ift zum Zived 
des täglichen praktifchen Gebrauches aufgezeichnet. 

„Den Schluß des Cover macht eine äußerſt beachtenswerthe Art 
von Heinem Katechismus über die “fieben Stüde des heiligen chrift- 
lihen Slaubens’” — fagt der Herausgeber. 

Abber dieſer angebliche Heine Katechismus ift von Wort zu Wort 
identiſch mit dem uns urkundlich aus Straßburg überlieferten Ordis 
nationsformular der „Brüder“, die man Waldenfer nannte, nur 
daß die Straßburger Handjchrift, die wir oben erwähnt haben, den 
Text des Formulars Iateinifch, der Tepler Codex aber deutjch giebt. 

Hier ift das deutſche Bormular?): „Das erfte Stüd, das wir 
glauben: zu fein ein Gott in ber Dreifaltigfeit und die Dreifaltig- 
feit zu ehren in der Einheit. Das zweite ift, das wir glauben: 
daß Gott felber Hat gefchaffen alle Dinge, die unter ihm find. Das 
dritte, daß er bat gegeben das Gefek Moſes an dem Berg Sinai. 
Das vierte, daß er bat gefandt den Sohn von dem Himmel in den 


1) Der Codex Teplensis u. f. w. nebft drei Anhängen. Augsburg — Münden. 
Drud und Berlag des Literariſchen Inftitut8 von Dr. M. Huttler. 1884. 
2) Der Codex Teplensis. Dritter Theil S. 101 (1. Anhang Nr. D). 
Keller, Die Reformation. 17 


258 


Leib der feligen Maid. Das fünfte, daß er fich felber hat ermählt 
eine reine Kirche. Das jechite ift die künftige Auferjtehung bes 
Fleiſches. Das fiebente iſt das ewige Gericht” 1). 

Außerdem giebt der „Heine Katechismus” eine Aufzählung über 
fieben beilige Handlungen, welche in der Kirche vorkommen; er 
nennt diefelben „die fieben Heiligkeiten“ oder die „fieben geiftlichen 
Säulen, welche die Kirche tragen” und will augenfcheinlich durch 
die Vermeidung des Ausprudes „Sakramente“ andeuten, daß er 
nicht die fieben Sakramente der römischen Kirche darunter verftan- 
den willen will. 

Die Straßburger Handſchrift Tennt diefen Abfchnitt des For 
mularbuchs gleichfalls, macht aber aus ven „fieben Heiligkeiten“ 
fieben Sakramente und deutet auf den Text des Formelbuchs hin, 
indem fie an erfter Stelle (wie dieſes) von der Taufe handelt. 

Da unfere Kenntniß von ven Tirchlichen Formeln der Wal 
benfer vorläufig aus anderweitigen Quellen eine geringe ift, jo bin 
ich nicht im Stande, für die weiteren Theile des Codex Teplensis 
die Parallelen beizubringen. 

Sehr wichtig ift das Verzeichniß der Lefeftüde für alle Sonn 
und Feiertage (Perikopen⸗Regiſter), welches unjer Cover giebt. Es 
erhellt daraus, dag die Waldenſer faſt alle Heiligenfeite be- 
feitigt hatten; die Gedenktage Johannes des Täufers, der Jung 
frau Maria und der Apoftel pflegten fie dagegen feftlich zu begehen. 

Sodann verdienen die Formeln Beachtung, mit welchen bei 
den Gottesbienften bie regelmäßige Lektüre der h. Schrift den Glänu⸗ 
bigen ans Herz gelegt zu werden pflegte. Man bat dazu Stellen 
aus Chryfoftomus benutzt — einem Autor, welchen die Waldenſer, 
wie wir willen, jehr hoch hielten. Sehr merhvürbig ift der Abfchnitt, 
welcher von der häuslichen Erbauung handelt, die bei den Walben- 
fern, wie wir fahen, eine fo große Rolle fpielte, 

1) Die Straßburger Handſchrift lautet: „Item tempore ordinationis inter- 
rogant (Waldenses) de septem articulis fidei, scilicet utrum credat unum Deum 
in trinitate personarum et unilate essentiae. 2. quod idem Deus sit creator 
omnium visibilium et invisibilium. 3. quod condidit legem Moysi in monte 
Synay. 4. quod misit filium suum ad incarnandum de virgine incorrupta. 


5. quod elegit sibi ecclesiam immaculatam. 6. carnis resurrectionem. 7. quod 
venturus est judicare vivos et mortuos. 





259 


Um auch für die Empfehlung diefer Art des Gottesdienftes an 
eine Autorität ficb anzulehnen, enthält unfer Codex eine Stelle aus 
Auguftinus (Homilie über die Worte Nisi granum frumenti), worin 
diefer jagt, dag nicht bloß die Biſchöfe und Cleriker, ſondern jeder 
Familienvater in feinem Haufe ein Firchliches und gleichfam biſchöf⸗ 
liches Officium im Dienjte Chriftt einzurichten babe!). 

Dei weitem der wichtigfte und umfangreichfte Theil unferes 
Coder begreift eine deutſche Ueberſetzung der h. Schrift des 
Neuen Zeftaments und mithin desjenigen Buches, welches ein im 
Kirchendienft ftehender Geiftlicher am meiften beburfte. 

Der Herausgeber, P. Klimefch in Tepl, bat, wie oben be- 
merkt, auf die Spuren eines vielfachen Gebrauchs unſeres Coder 
im Seelforgsdienfte hingewieſen. Selbjt wenn derfelbe daher nicht 
nachweisbar walbenfifche Ceremonialformeln enthielte, fo würde fich 
aus dem häufigen Gebrauch einer deutſchen Bibel im Seeljorg®- 
dienfte der Schluß ziehen laffen, dag ein römiſch⸗katholiſcher Priefter 
das Buch wohl nicht benutzt Haben dürfte, 

Aber unfer Neues Tejtament iſt nicht nur in der Yandesfprache 
abgefaßt, fondern die Ueberfegung weiht auch von der 
in der römischen Kirche vorgefchriebenen Vulgata ganz 
erheblich ab, und damit ift der vollgültige Beweis erbracht, daß 
ein römiſcher Geiftlicher fie nicht benußt haben Tann. 

Dagegen ift es wichtig, daß diefe veutfche Ueberſetzung aus dem 
14. Jahrhundert die Grundlage aller derjenigen deutſchen Bibeln 
geworben ift, welche feit der Erfindung der Buchdruckerkunſt bis 
zum Sabre 1522 gebrudt worden find; ja ſelbſt Luthers Ueber⸗ 
jegung bes Neuen Teſtaments iſt ſtark von ihr beeinflußt?) 

1) Die Stelle Yautet: Item Augustinus in Omelia sup. verbo: „Nisi gra- 
num frumenti“ dicit: Nolite tantum bonos episcopos vel clericos cogitare, 
etiam vos pro modo vestro ministrate Christo bene vivendo, elemosinas fa- 
ciendo..... doctrinamque ejus, quibus potueritis praedicando, ut unusquisque 
etiam paterfamilias hoc nomine agnoscat paternum aflectum suae familiae se 
debere pro Christo et pro vita eterna suos omnes moneat, doceat, hortetur, 
corripiat, impendat benevolenciam, exerceat disciplinam, ita, ut in domo sua 
ecclesiasticum et quasimodo episcopale implebit officium ministrans Christo, 
ut in eternum sit cum Christo Hie. 

2) Die merkwürdige Uebereinftimmung de8 Codex Teplensis mit der fogen. 


„Taäuferbibel“, welche zuerft im Jahre 1529 zu Worms bei Peter Schöffer er- 
17* 


260 


Der Zuftand des Textes, wie er in dem Codex Teplensis 
vorliegt, ift dem Zuftande des Italatertes zu vergleichen, wie er zur 
Zeit des b. Hieronymus (geb. c. 340) im Gebrauch war). 

Die deutiche Ueberjegung bietet in einzelnen Wendungen merk 
würdige Anklänge an die Ausprude- und Denkweiſe deutſcher Werk⸗ 
leute 2). | 

Es ift überliefert, daß im Jahre 1351 ein gewiffer Hans Weiler 
aus Coburg eine Meberfegung des Neuen Teftaments angefertigt hat?). 

"Die Tamilie Weiler gehörte zu den angejehbenen Waldenfer- 
familien, welche in Franken noch im 15. Jahrhundert in den „Se 
meinden‘ eine Rolle gefpielt haben), und e8 Tann fein Zweifel fein, 
daß es fich bei jener Ueberfegung von 1351 um eine waldenfiſche 
Reproduction handelt. 

Es mag bier dahin geftellt bleiben, ob der Codex Teplensis 
eine Abſchrift der Coburger Ausgabe enthält oder nicht. Die Frage 
verbiente in hohem Grabe eine nähere Unterfuchung. Indeſſen ſelbſt 
wenn eine Verwandtſchaft nicht vorhanden fein follte, jo wird dw 
durch das Refultat nicht alterirt, daß unfer Codex eine. waldenfifhe 
Bibel bietet. 

Angefichts der Thatſache, daß der Codex im Widerſpruch mit 
der römiſchen Kirche, aber in Webereinftimmung mit ber 
Tradition der Waldenfer ven fogenannten Brief des Paulus 
an die Laodicäer unter die canonifchen Bücher zählt, wird jeder 
Zweifel an dem wahren Urfprung des Coder verſtummen müſſen. 


ſchien und die wahrfcheinlih von Häßer und Dend beforgt worden ift — fie it 
über ein Jahrhundert lang in den Mennoniten- Gemeinden im Gebraud ge 
blieben — wird fpäter Erwähnung finden. 

1) gl. Schanz in der Literar. Rundſchau für das tatholifche Deutſchland 
1884 Nr. 8. 

2) Luc. 20, 17 beißt es im Cod. Tepl.: „Den ftein, den die pauwer ber- 
ſprachen, dirr ift gemadt in den haubt bez winkels“. Luther Hat ben 
„BBintel‘ befeitigt und überſetzt: „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, 
if zum Edftein geworden“. 

3) Ochſenbein, Der Inquiſitionsproceß u. |. w. ©. 251 Anm. 

4) Dal. unten ©. 212. 


Eilftes Eapitel. 


Der Waldenjerbifchof Friedrich Reiſer (F 1458) und die 
„Brüder in Kranken. 


Conrad Reifer und fein Sohn Friedrich. — Die „Brüder“ in Nürnberg und 
Hans von Plauen. — Erziehung Friedrich Reifers in Plauens Haufe. — 
„Vater“ Marmeth aus Freiburg i. U. — Der Eintritt Friedrichs in die 
erſten geiftlichen Funktionen. — Sein Dienft als Begleiter der Apoftel in 
Deutſchland und in der Schweiz. — Die Weihe zum „Apoftel“ in Prag 
Durch Biihof Nicolaus. — Friedrichs Thätigkeit als „Sendbote Chriſti“. — 
Die religidfen Zuftände in Franten. — Die Synode zu Heroldsberg bei. 
Nürnberg (1447) und Friedrichs Wahl zum Biſchof. — Die Synode zu Tabor 
in Böhmen. — Reifer wird zum Senior der Biſchöfe erwählt und Straß- 
burg wird fein Sig. — Seine Berbaftung und Hinrichtung. — Reiſers Be— 

Deutung. 


Einer der wenigen Waldenferprebiger, welche der großen Kata⸗ 
ftrophe des 14. Jahrhunderts entgangen waren, war Conrad 
Reijer!). | 

Die Familie Reifer hatte im 14. Jahrhundert zu Ulm. in ver 
Zunftlämpfen eine Rolle gefpielt. Ein Reifer war im Jahre 1388 
von den ftegreichen Zünften zum Bürgermeifter gewählt worben. 
AS das Blatt fih wandte und die ftäbtifche Oligarchie mit Hülfe 


1) Die nachfolgende Darftellung beruht auf A. Jung Friedrich Reifer. Eine 
Ketzergeichichte aus dem 15. Jahrhundert in der Zeitfchrift Timotheus, 2. Bd. 
Jahrg. 1822 ©. 37ff.; ©. 69 ff.; ©. 137 ff.; ©. 234 ff. — Yung hat Hierfür 
eine Abſchrift aus dem gleichzeitigen GerichtSprotocolle der Stadt Straßburg als 
Duelle benutt. Leider bat fich weder dieſe Abfchrift noch das Gerichtsprotocoll 
ſelbſt bis jetst wieder auffinden laſſen. Vgl. Dr. W. Böhm Friedrich Reifers 
Reformation des K. Sigmund Lpz. 1876 ©. 78 ff. — Eine inzwifchen bekannt 
geworbene Duelle (abgebrudt bei Jar. Soll Duellen und Unterfudungen zur 
Geld. der Böhm. Brüder. Prag 1878 ©. 104ff.) beftätigt bie Angaben des Straß 
burger Protoeollbuchs in einigen wichtigen Punkten durchaus, 


262 


des Kaiſers und des Papfte8 wieder ans Ruder gelommen war, 
mußte Reifer zugleich mit 38 Ulmer Zunftmeiftern aus der Stadt 
weichen. Das geſchah am 18. Juni 13891), Ohne entfcheiden zu 
wollen, ob Conrad Reiſer zu den ausgewiefenen Bürgern gehört 
bat, und ob feine Familie tventifch ift mit derjenigen, welcher ber 
Maler Baſtian Neifer entſtammt, fteht e8 feft, daß feit etwa 1399 
in einem einfamen Dorfe bei Schwähilfh- Wörth, Deutach mit 
Namen, ſich ein fremder Mann niederließ, von dem die Bauern 
ſpäterhin erfuhren, daß er Conrad Neifer heiße und ein Kaufmann 
fet, welcher bi8 zu feiner Niederlafjung in Deutach weite Reifen, 
befonders in Frankreich und Italien, gemacht habe. 

Die Nachbarn merkten bald, dag der Fremde fich nicht bei 
ihnen heimisch gemacht babe, um ihren Verkehr zu ſuchen. Gtill 
und eingezogen lebte er mit einer bejahrten Frau und einem Kinde, 
welche er mitgebracht hatte, in feiner Befigung, und mit den Bauern 
kam die Familie nicht anders in Berührung, als wenn es galt, 
Armen und Kranken Hülfe zu leiften. 

Die Art, wie Reiſer lebte, erwecte bald den Verdacht, daß 
heimliche Künfte oder Zauberei in dem geheimnißvollen Haufe ge 
trieben würden, durch bie vielleicht das Geld, welches Reiſer offenbar 
beſaß und fo freigebig austheilte, auf leichte Weife erivorben werbe. 

Diefer Verdacht fteigerte fich Dadurch, daß Neifer fich auch an 
der Meſſe nicht eifrig betbeiligte und daß fremde Wanderer, von 
denen nie Iemand den Namen erfuhr, häufig bei ihm einfehrten. 

Conrad Neifer liebte e8, die milden Gaben, die er den Armen 
gab, durch feinen Sohn Friedrich auszuthetlen; er wollte den Knaben 
frühzeitig die Freude des Wohlthuns empfinden laſſen. 

Beſondere Pläne waren es, welche Conrad mit dem Süngling 
im Sinne hatte. Da er den regſamen Geiſt deſſelben erkannt 
batte, fo jollte er an dem Werk des Vaters weiter bauen, nachdem 
diefer unter dem Drucke der Zeiten und der Jahre fich in die Stille 
batte begeben müſſen. 

Es zeigte fich Hier wie an zahlreichen anderen Beifpielen 2), 


1) Mone Quellenſammlungen I, 318, bier nad W. Böhm Friedrich Reifer 
Lpz. 1876 ©. 79 Anm. 2. 
2) Beifpiele ſ. bei Ochfenbein a. a. O. ©. 200; 226; 244 und öfter. 





263 


daß die Lehre der „Brüder“ fich mit außerorventlicher Zähigfeit vom 
Bater auf die Kinder und fomit von Gefchlecht zu Gefchlecht in 
denfelben Familien fortpflanzte 2). 

Ein ſchweres Opfer war e8 für bie alten, einfamen Leute, als 
Friedrich im 16. Xebensjahr von dem Vater nach Nürnberg gebracht 
wurbe, um bier, in dem damaligen Hauptfi der „Gemeinden Chrifti”, 
feine weitere Ausbildung zu erhalten. 

In Nürnberg batte fich die Partei bis in die vornehmſten 
Gefchlechter hinein erhalten. Da waren die Tucher?), die von 
Plauen u. A., welche zu den Stützen der Gemeinde zählten. 

Die Tucher beſaßen feit alten Zeiten ein Handelsgeſchäft in 
gewebten Stoffen, Seive und Wollwaaren, und eine Filiale des⸗ 
felben befand fih in Lyon. Ein Mitglied der Familie pflegte fich 
regelmäßig dort aufzuhalten, und die Inhaber des Nürnberger 
Haupthaufes waren ftetS eine Reihe von Jahren in Frankreich und 
Stalien gereift. 

Die Beziehungen der Tucher zu denjenigen Familien, welche 
an der Spite der Zünfte gegen das Patriciat und die ftädtifche 
Oligarchie kämpften, fcheinen frühzeitig intime gewejen zu fein. Im 
Jahre 1349 war der Führer der Zünfte gegen den Rath der Bäder 
Roburger, und es vervient Beachtung, daß bereit im Jahre 
1352 eine perfönliche Verbindung zwifchen Berthold Tucher und 
Rudger Koburger nachweisbar ijt >). 

Sn naber Freundſchaft mit ven Tuchers ftanden ferner bie 
von Blauen oder von Plowen, nach welchen noch heute ein 
Nürnberger Pla der Plobenhof heißt. 

Die Familie ftammte aus Plauen im BVoigtland, und die erften 


1) Dieſelbe Erfcheinung Hat G. Lechler (Joh. v. Wiclif Lpz. 1873 Bd. II 
©. 456) in Bezug auf diejenige Partei in England beobachtet, welche ſich „Brü⸗ 
der in Ehrifto“ nennen und fih unter einander als „known man“ (die „Be- 
Tannten‘) bezeichnen; Lechler nennt diefe Partei die Träger bes „wicelifitiſchen 
Geiſtes“ in England; natürlich find es dieſelben „Brüder“, die in Deutfchland 
Begharden, Lollharden oder Waldenfer genannt wurden. 

2) In der Lifte überführter Ketzer, welche der Inquifitor dem Rath der 
Stadt Nürnberg im Sabre 1332 übergab, fanben fich allein drei Mitglieder der 
Samilie Tuer. S. Haupt a. O. ©. 19. 

3) Oscar Hafe Die Koburger Lpz. 1869 ©. 9. 





264 


Glieder derfelden in Nürnberg waren, jo weit nachweisbar, Gold⸗ 
I&hmiedegewefen‘). Anfehen und Reichthum erhob fie unter das 
Patriciat der Reichsſtadt und wir lefen in den Chroniken, daß ein 
Herr von Plauen mit dem von Haydeck um das Jahr 1450 im 
Turnier gefochten bat?). 

Das Haus des Hans von Plauen war es, in welches im 
Jahre 1418 Friedrich Reiſer von feinen Water gebracht wurde. 
Seit alten Zeiten war der Lettere mit Hans befreundet und er 
wußte, daß Triebrich Hier fich am beſten auf feinen Beruf vorbe- 
reiten Tonnte. Denn Plauens Haus war das gaftfreie Heim für 
die wandernden Prediger, welche durch Deutjchland zogen und bie 
oft genug Hier einkehrten und prebigten. 

Gleich bei feiner Ankunft traf Friedrich in Plauens Wohnung 
einen Mann, den er als Kind in Deutach gefehen hatte, nämlich 
Peter von England, d. 5. den befannten Anhänger John Wiclifs 
Peter Bayned). „Meifter Peter‘, wie ihn Aeifer. felbft Häufig 
nennt, blieb von da an mit Friedrich nah befreundet. H. von 
Plauen machte es fich zur Aufgabe, feinen Zögling in die Literatur 
einzuführen, welche den Ausdruck der waldenfifchen Anfichten enthielt. 

Unter den Büchern, die er befonders empfahl, fcheinen die Bre- 
digten Taulers und die veriwandten Erzeugniffe der vergangenen 
Epoche eine große Rolle gefpielt zu haben). — 

Wir haben oben gefehen, daß die jüngeren Geiftlichen ber 
Brüdergemeinden eine längere Vorbereitungszeit als Begleiter ber 
„Apoftel” durchzumachen pflegten. | 

ALS Friedrich nach zwei Jahren die Grundlagen der Bildung 
fi erworben hatte, befchloffen feine Anverwanbten, daß er nun 


1) S. Loofe Anton Tuchers Haushaltsbuch ©. 135 Anm. 3. 

2) Nürnberger Chroniken I, 410; IV, 66 Anm. 1; IV, 179 Anm. 6. 

3) Peter Payne war Magifter der Hochichule zu Orford. Aus England 
vertrieben warb er am 13. Febr. 1417 unter die Magifter der Prager Univerfität 
aufgenommen. Er hatte zu ber Zeit, als Friedrich Reifer ihn traf, in ben böh— 
miſchen Parteilämpfen, wie e8 fcheint, noch Feine fefte Stellung genommen. Er 
bat nachher eine große Rolle -gefpielt und war auch fchriftftellerifch thätig. Wal. 
Höfler Gefchichtfehreib. zur huſſ. Bewegung II, 704 ff. 

4) Nah Jung a. O. 81f. beſaß Johann dv. Plauen die Prebigten Taulers 
und Suſos. Mertwürdig ift, daß H. v. Plauen eine gewiſſe Antipathie gegen 
Sufo zu erlennen giebt. " 


265 . 


mehr als „Magister minor“ zunächft fich dem Dienfte eines wan- 
dernden Sendboten widmen folle; und man verabrebete eine feier- 
Ihe Zufammenkunft, bei welcher die Formalitäten, welche dieſen 
Lebensabſchnitt Friedrichs einleiteten, vollzogen werben follten. 

Zu diefer Berfainmlung trafen in Hans von Plauens Haufe 
eine größere Anzahl von Prebigern und Glaubensgenofjen ein; 
von Deutach kam Conrad Reiſer und von Freiburg im Uechtland 
Biſchof Marmeth, Conrads Jugendfreund, nebſt mehreren Be⸗ 
gleitern. 

Marmeth wird uns geſchildert als ehrwürdiger Greis; er hatte 
den Weg nach Nürnberg nicht, wie die meiſten übrigen Gäſte, zu 
Fuß, ſondern zu Wagen zurückgelegt. Als er in die Verſammlung 
trat, begrüßten ihn alle Anweſenden mit Ehrfurcht und bekundeten 
ihre Hochachtung dadurch, daß fie ihm den Vaternamen!) gaben. 
In der einen Hand trug er einen Stab, welcher oben gebogen 
war, wie e8 der Würde. feines Amtes zufam; mit der anderen 
jtüßte er fich auf das junge Mädchen, das ihn führte, feine Enkelin. 

Es tritt uns in der erhaltenen Schilderung diefer Scene fehr 
lebendig das hohe Anſehen entgegen, welches die Waldenfer ben 
bewährten Dienern ihrer Kirche von jeber bewiefen haben. Es 
läßt fich diefe Erjcheinung feit uralten Zeiten beobachten. In einem 
alten waldenfifchen Gedicht werben die „Diener des Amts’ als bie 
„Zräger des Lichts” oder als die „Säulen der Kirche‘ bezeichnet?) 
und durch den ganzen Text klingt die Verehrung bindurch, die 
wir bereit früher aus den Zeugniffen gefangener Waldenſer feft- 
geftellt Haben). Sie find die Balken und Stügen, die das Dach 
des Haufes tragen, fie werden erwählt nach langer, ftrenger Prü- 

1) Es ift interefjant, daß unter den „Lollharden“ in England noch um 1530 
der Gebrauch des Namens „Vater“ im Sinne von Biſchof oder Apoſtel nad- 
weisbar if. Es find dieſe „Lollharden“ natürlich nichts Anderes als die „Brü⸗ 
dergemeinden“, für welche um biefelbe Zeit im Deutfchland bereit8 der Name 
„Täufer aufgelommen war. — Bol. Lechler John Wichif II, 454 ff. Lechler 
beruft fih auf Strype Kirchliche Denkſchriften zur Geſch. d. Religion und ber 
Reformation in England. Dort wird zum Jahre 1527 ein „Vater Hader‘ als 
Borfteher der „Sekte nambaft gemacht. Wir werben auf diefe engliſchen „Brü« 
der” zurückkommen. 


2) v. Zezſchwitz a. O. ©. 205 f. 
3) Bol, oben ©. 74. 


266 


fung; fie find die Wächter der Kirche und die Inhaber ver Ge 
heimniſſe; fie tbeilen gute Gaben aus, beſonders durch weifen Rath 
und wahre Liebe; darum aber find die Gläubigen zum Gehorſam 
gegen fie verpflichtet. 

Marmeth war e8, welcher dem jungen Triebrich Reiſer von 
Neuem die Lektüre der Schriften ans Herz legte, welche in feiner 
Jugend von einzelnen weit berühmten Brüdern des Ordens, ben 
©. Dominicus geftiftet, verfaßt worden feien. Dieſe Brüder pre 
digten, fagte jener, erleuchteten und erbauten wirklich die zahlreichen 
Gemeinden, die fich um fie gefammelt hatten, und ftimmten in ihren 
Neben völlig mit unferen, jegt von dem Papſt verdammten Anfichten 
überein?). 

Auch bei den gottesdienftlichen Handlungen, welche an bem 
Dfterfeft, das man für die Zuſammenkunft gewählt hatte, ftatt- 
fanden, tritt Marmeths Perfon durchaus in den Vordergrund ?). 

Eine gemeinfame Andacht, welde mit der Vorlefung ber 
hierhergehörigen Abfchnitte der h. Schrift auf Anordnung Dar 
meth8 durch mehrere Anweſende verbunden war, ging ber feier des 
Abendmahls voraus. 

Nach Beendigung der VBorlefung trat Marmeth an den Altar, 
über welchen ein fehwarzes Tuch mit weißem Kreuz gebreitet war, 
und bielt eine kurze Predigt. 

„Ihr habt gehört, gläubige Chriſten“, fagte er, „wie bey Herr 
an dem Tage feines Einzugs in Ierufalem zum legtenmal das 
Dfterlamm mit feinen Jüngern genoffen hat und wie er ihnen 
auftrug, deffen Feier zu feinem Gebächtniffe Tünftighin immer zu 
wiederholen. Aber an dieſes heilige Mahl knüpft fich roch eine 
höchſt wichtige Bedeutung: Es ift nämlich daffelbe nicht bloß Das 
Erinnerungsfeit an Chriftus und fein wohlthätiges Wirken über 
haupt, jondern noch insbejondere an feine Hinopferung für das 
Wohl der Menjchheit. Es ift ferner das Abenpmahl ein öffent 
liches Bekenntniß, dag wir zu den Verehrern des göttlichen Lehrers 
zählen; eine bedeutungsvolle Handlung, durch welche wir in nähere 
Gemeinſchaft mit ihm treten. 


1) Merkwürdig find die abfälligen Bemerkungen Marmeths über Sufo. 
2) Jung a. O. ©. 88, 











267 


Fragt Euch: mit welchen Empfindungen follen wir an dieſem 
heiligen Maple theilnehmen? Fromm und demüthig in Glaube, 
Hoffnung und Liebe, mit Ehrfurcht und ernten Gemüthe Sollen 
wir und bem heiligen Tiſche nähern. Denn es fagt der Apoftel: 
Es prüfe fih der Menſch, und dann erſt effe er das Prob und 
trinte aus dem Kelche. So prüfe fich denn Jeder und blide in 
fein Inneres, damit er genieße den Leib des Herrn und trinte 
fein Blut auf eine würdige Weife zur Erwerbung des ewigen 
Lebens und nicht unwürbig, Daß es ihm Verwerfung vor Gott 
zuziebe. 

Bor Allem jehe er zu, ob er die drei hohen Tugenden babe: 
den Glauben, die Liebe und die Hoffnung Ob er glaube 
auch an das, was die Vernunft nicht zu erfaſſen vermag, das 
ihr aber auch nicht wiberftreitet? ob er glaube an die Heiligkeit 
des Sacramentd und der von Chriftus gefammtelten Gemeinde? 
Es prüfe fich jever, ob in ihm die Hoffnung lebendig fet auf eine 
einftige unvergänglicde Verklärung, welche fich gründet auf die 
Gnade des Herren und des Menfchen vechtliches Leben und Thun? 
Es prüfe fih der Menſch, ob die Liebe fein Gemüth ergriffen, ob 
er von Liebe zu Gott und feinen Brüdern erfüllt fei? 

Iſt er dies, fo werben dieſe hohen Tugenden auch herrliche 
Früchte tragen. Gerecht wird er Jedem das geben, was ihm ge- 
bührt: Gott wird er Ehrfurcht, Liebe, Gehorfam weihen, dem 
Nächiten Liebe, fich ſelbſt Meäßigkeit und Demuth, Mäßig wird 
er fein in Speifen und in der Befriedigung feiner Bebürfniffe, 
ftarf wird er auch den Gefahren entgegentreten und bi8 zum Tode 
bereit fein, für die von ChHriftus gelehrte Wahrheit zu leiden; denn 
auch er opferte fein Leben in dem leidenvolliten Tode. Behutfam 
wird er fein in Gedanken, Wort und That. Er erinnere fich des 
Wortes: Der Menſch wird einſt Nechenfchaft geben müflen von 
jevem unnüten Worte, das er geredet (Matth. 12), Reuig wird 
er mit tiefem Schmerze feiner Sünden gedenken und fie unver- 
Kohlen dem Lehrer beichten. Feſt wird endlich fein Entſchluß 
fteben, nie wieder zu fünbigen und unabläffig wird er dahin ftreben, 
das göttliche Wohlgefallen, das er verloren bat, fich wieder zu 
erwerben. 


268 


Sehet, alfo_wird der Menſch fich prüfen nach den Worten 
des Apofteld. Nein und mit unbefchiwertem Gewilfen wird er das 
Brod, welches Leben giebt, efjen und aus dem Kelche das Blut 
trinten, das zu feinem Heile vergoffen worben if. Amen‘. 

. Nicht fogleich nach dieſer Rede begann die Feier des Heiligen 
Mahles. Denn die Tradition der Gemeinden fehrieb vor, daß die 
jenigen, welche den Wunſch hatten, perjönlich dem Geiftlichen vor 
der Feier zu beichten, die Möglichkeit dazu erhielten. 

Sp empfing „Vater Marmeth die Beichte Conrad Reiſers 
und Johanns von Plauen, und nachdem dieſe abjolvirt waren, 
nahmen fie die Beichte derer entgegen, welche ihnen ihr beſchwertes 
Gewiffen zu eröffnen wünſchten. 

Der junge Friedrich Neifer aber beichtete geichfalls Marmeth, 
und nachdem dies geſchehen war, ertheilte der Letztere ihm den 
Segen. 

Dann trat Marmeth wieder vor den Altar, wiederholte die 
Einſetzungsworte und nun empfingen der Reihe nach Männer und 
Frauen das Brot und den Kelch. 

Ein kurzes Gebet ſchloß die Feier. 


Nach dieſer Aufnahme Friedrichs brach er mit Marmeth und 
deſſen Begleitern von Nürnberg auf und wanderte über Ansbach, 
Schwäbiſch⸗Hall und Schaffhaufen zunächft nach Bafel. Man wählte 
diefen Weg, weil gerade in Franken und in Schwaben viele Brüder 
wohnten, welche des Zufpruchs und der Tröftung durch die wan—⸗ 
dernden Prediger bepürftig waren. 

Noch immer beftand die Sitte, von der ſchon die Kekerrichter 
bes 13. Jahrhunderts berichten, daß es vornehmfte Pflicht der 
Geiftlihen fei, nach der Weife der guten Hirten die Gläubigen 
durh Befuche zufammenzubalten!), und noch immer war es, wie 
früher, für jedes Haus ein Treudentag, wenn einer ber Apoftel 
jeine Schwelle betrat. Eine unbeſchränkte Gaſtfreundſchaft war 
jeit uralter Zeit die Pflicht der „Chriften” und fie bat fich in 

1) Vgl. die Bemerkung Davids von Augsburg, der ausbrüdlih von ben 


Beſuchen ber Gläubigen durch die Magistri fpricht, fowie den Auszug aus dem 
waldenfifchen Gedicht Cantica bei v. Zezſchwitz a. O. ©. 204. 








269 


dieſen Kreifen bis in fpäte Sahrhunderte erhalten, Die wandernden 
Prediger waren ja auch das vornehmfte Mittel, um die Zuſammen⸗ 
gehörigfeit der Einzelgemeinden zum Bewußtfein zu bringen und 
den Beitand der Gefammtgemeinde zu erhalten. | 

Bon Bafel aus kamen die Wanderer nach mehreren Tages 
reifen zu Freiburg im Uechtland an. 

Damals befand ſich — e8 war etwa 9 Yahre vor dem Aus- 
Bruch der oben erzählten Kataftrophe — eine blühende Gemeinde 
in diefer Stadt. 

Die uns erhaltenen Prozeßacten werfen manches Sicht. auf 
Perjonen und Zuftände jener Tage. Es ift beachtenswertb, daß 
alle Angellagten, und befonders auch Peter Sager, welcher durch 
Erfenntniß der Ingquifitoren vont 4. Mai 14301) zum Tode ver- 
urtheilt und fogleich auch verbrannt wurde, befonders des Mar- 
meth Hugo erwähnen, deſſen Haus der Mittelpunkt der Partei 
war. Dort kehrten die Apoftel ein, bort fanden die Gottesbienfte 
ftatt und Sager felbjt Hatte dort gebeichtet 2). 

Es läßt fich nicht mehr fetftellen, ob Friedrich Reiſer den 
Sager, Maggenberg u. A. kennen gelernt hat. Jedenfalls wiſſen 
wir, daß er von num an die ganze Schweiz, befonders St. Gallen, 
mit den „Apofteln‘‘ bereifte, und er erfüllte damit das erfte Stadium 
feiner Vorbereitungszeit. 

Es iſt möglich, daß Reiſers Weggang aus der Schweiz mit 
den Verfolgungen, welche ſeit 1429 dort ausbrachen, zuſammenhängt. 

Er wandte ſich, wie es ſcheint, zunächſt nach Nürnberg zurück, 
um bei Joh. von Plauen eine Zuflucht zu ſuchen. Aber dieſer 
hatte ſelbſt flüchten müſſen und war dann, wie es hieß, den ſieg⸗ 
reichen Böhmen in die Hände gefallen, die ihn mitgeſchleppt hatten. 

Reiſer machte ſich auf, um ihn zu ſuchen, und durchwanderte 
Deutſchland und Oeſtreich, wo die „Brüder“ in Steyer, Linz, Wien 
u. ſ. w. zahlreich wohnten. In dem kleinen Städtchen Heilsbronn 
gerieth auch er mit den Böhmen in Beziehung und halb freiwillig, 


1) Das Erkenntniß iſt abgedruckt bei Ochſenbein a. O. ©. 276. 

2) A. a. O. S. 273. — Vgl. S. 185 wo eine gewiſſe Greda (d. h. Marga⸗ 
retha) eine andere Frau in Marmeths Haus einführt. Greda war die Botin 
der „Apoſtel“. | 


270 


halb gezwungen, zog er mit nach Prag, wo damals wenigitens 
Sicherheit vor Verfolgungen herrſchte. 

Er benuste diefen Aufenthalt in der Univerfitätsftadt, um fich 
in den Wiffenfchaften weiter auszubilden. Er erzählt felbit, daß 
ein BPriefter und einige Studenten ibm Unterricht ertheilt Hätten. 








Triedrich fcheint den Wunſch gehabt zu haben, formell in das 
Collegium der „Apoftel einzutreten. Er wußte, daß die Aufnahme 
in daffelbe nur von einem Manne wirkſam vorgenommen werben 
könne, welcher innerhalb der apoftolifchen Succejfion ftand, aber er 
war in DVerlegenheit, wer in Böhmen diefe Eigenfchaft befige und 
zugleih Willens ei, ihm die Handauflegung zu ertheilen. 

Auf der Seite der Taboriten ftanden einige Geiftliche, welche 
in der Zeit, wo fie noch im Verband der römiſch⸗katholiſchen Kirche 
waren, die Weihe empfangen hatten, darunter der Biſchof Nico- 
laus vom Sand!) Daß die apoftolifche Succeffion der römi- 
ſchen Bischöfe unanfechtbar fei, war in den altevangelifchen Ge 
meinden von jeher anerkannt worden. Daher war Nicolaus wohl 
befähigt, die Weihe zu ertbeilen, und in der That erbat und er- 
hielt Friedrich von dieſem Bifchof die Ordination. 

Diefe Weihe erfolgte zu Prag im Slavenklofter am Feſt des 
b. Kreuzes im Jahre 1433 unter der Regierung Kaiſer Sigmund®?). 


1) Es ift ſehr wahrfcheinlih Nicolaus von Pilgram gen. Bisfupec gemeint. 
Goll Duellen und Unterfuhungen ©. 27 Anm. 1. 

2) Die Thatſache diefer Weihe ift ungemein wichtig, und es trifft fi) be 
ſonders günftig, daß fie von zwei Seiten her urkundlich beglaubigt vor- 
- liegt. Die eine Duelle ift die Ausfage Reiſers laut dem Gericht8protocoll bei 
Jung a. O. ©.166 ff. Iung a. O. ©. 169 Anm. führt Reiſers protocollirted 
Bekenntniß wörtlid an; Reiſer fagte danach: „Der Bifchof (Nicolaus) meinte 
darum, ob er wol Priefter weyhete, jo wurden fie boch von den Bragifchen ge 
ihmäbet, Da babe er (Reifer) ihn durch den Englifchen (Meyſter Peter) gepeten, 
ihne zu weihen; ba habe nun derſelb Bifchof feinen Willen darzu geben und ge- 
ſprochen, er wollt ihne orbiniren und habe alfo ihne geweyhet und noch einen 
Wallachen, hieß Johannes. — Dies geſchahe in der Fronfaften im Herbft (Fron⸗ 
faften im Herbft = Mittwoch nad Kreuzerhöhung [14. Sept.) 6i8 Sonnabend der- 
jelben Woche). Wie lang e8 fey, wiſſe er nicht, aber e8 gefchahe doch vor dem 
Concilio zu Baſel. Und geſchahe die Ordnung ſchlechtlich nit mit Salbung, 
meßgewandt und anderen Ordnungen und Gezierd als hie zu landt, dann mit 
aufflegung der handt und mit ſprechen etlich Wort in Latein. Und (der 








271 


Peter Payne war es gewejen, welcher ven Biſchof Nicolaus zur 
Bollziehung der heiligen Handlung bewogen hatte. Im Iahre 1434 
verließ Neifer Böhmen und begab fih zunächſt nach Baſel, wo 
fortdauernd viele „Brüder“ wohnten. 

Schon bei dem Freiburger Inquifittonsproceß vom Sabre 1430 
war e8 zu Tage gelommen, daß die Waldenfer in Baſel um die- 
jelbe Zeit troß aller Verfolgungen noch nicht ausgerottet waren !). 
Wenn auch die ftarfe Bewegung, wie fie in früheren Jahrhunderten 
bier vorhanden gewefen, einigermaßen eingebämmt worden war, jo 
batten fich die religiöfen Ideen der „Gottesfreunde“ feit den Tagen, 
wo Tauler hier Aufnahme und Schuß gefunden Batte, von Gene- 
ration zu Generation fortgepflanzt. 

Papft Eugen IV. behauptet in einem Briefe vom 13. Nov. 1431, 
den er an das in Baſel verjammelte Concil gelangen ließ, die 
„Böhmische Pest’ Habe mit ihrem Gift enblofe Standale in Bafel 
angerichtet, indem die Bürgerfchaft die Geiftlichleit verfolge und 
niebermeßele?). 


Biſchof) Hat ihnen beeden da das Sakrament geben unter beeb Geftalt“. — Die 
zweite Relation ftammt von einer ganz anderen Seite ber, nämlich aus dem 
fogenannten „Buch der Magifter von den 10 Artikeln‘, weldes um 1470 in 
Böhmen entftanden zu fein fcheint. Dort heißt e8 (abgevrudt bei Soll a. a. O. 
S. 106): (Die Waldenfer) „nahmen ihre Zuflucht zu einem gewiſſen Biſchof 
Nicolaus, einem Priefter römischer Weihe und zwar im Jahre 1433 unter der 
Regierung Kaifer Sigismunds und baten ihn inftändigft, ihnen Priefter zu weihen: 
und er willigte ein. Da ſchickten fie zu ihm zwei, einen gewiſſen Friedrich den 
Deutſchen und Johann den Welchen und dieſe weihte derfelbe Priefterbifchof zu 
Prag im Slavenflofter am Fefte des h. Kreuzes (14. Sept.), im Herbſte deſſelben 
Jahrs. Dann wurden die gemeldeten zwei Priefter zu Biſchöfen 
ihrer Gemeinfhaft gewählt. Und im Jahre 1434 wurden fie nach Bafel 
gejendet und dort im Sommer angefommen zu Bifchöfen geweiht und beftätigt 
wiederum von einem Priefterbifchof römifcher Ordnung, da im jener Stadt bie 
Berfammlung aller Priefterfchaft tagte.“ 

1) ©. Ochfenbein a. a. DO. S. 186, 220 und 383. — In dem Haufe eines 
gewifien Watower zu Bafel kehrten die „Apoſtel“ ein. Defien Frau war bie 
Tochter des Marmeth Hugo von Freiburg. 

2) Die bezügliche Stelle Yautet, der Papft habe erfahren, baß „pestis illa 
Bohemica ad multas Alemanniae partes serpens venenum suum effuderat et 
partes illas detestabili labe inquinaverat quodque etiam exinde in partibus 
Basileae infinita scandala suborta erant, cum nonulli oppidani sectam Bohe- 
morum imitantes clerum persequerentur et crudeliter trucidarent“. Theol. Stud. 
u. Kritiken 1869 ©. 142. 


272 


Auf diefen Brief erwiderte ver Carbinal Julius Gefarint im 
Namen und Auftrag des Eoncild, es fei nicht wahr, daß Baſeler 
Bürger den Clerus verfolgten und es fei Teine „Sekte“ wahrnehm- 
bar; aber der Bapft hielt diefen Ausfpruch des Eoncils für jo wenig 
zutreffend, Daß er aus den angeführten Gründen das Concil auflöfte. 

In der Gemeinde, welche Reifer befuchte, traf er unter Anderen 

auch die Enkelin feines Lehrers Marmeth, Margaretha, wieder. 
Sie war es, welche ihn in ſchwerer Krankheit, die ihn in Baſel 
befgllen hatte, pflegte und rettete. 
In Baſel vollzog Reiſer die Weihe an zwei jüngeren Männern, 
welche bis dahin ihm und dem „Wälfchen” Johannes als Begleiter 
(magistri minores) gebient hatten. Der Mann, der Reiſers per 
ſönlicher Adjunkt gewefen war, hieß Martin. Die Ritualvorfchriften 
für die Weihe fanden fich, wie Reiſer vor Gericht erklärte, in einem 
Buch, welches er fpäter mit nach Straßburg gebracht hatte. 

Es ift merkwürdig, daß Reiſer von fich behauptet, er habe 
von denen, die ihm weihten, bie Vollmacht erhalten, Andere zu 
weiben, und Hinzufügt, er habe den Sohannes Weiler erft zum 
„Evangelier“ (Evangeliften) und dann zum Priefter geweiht). Es 
fcheint, al8 ob der Name „Evangelier“ diejenigen Geiftlichen be 
zeichne, welche den regelmäßigen Gottesdienft unter den Gemeinden 
als ſeßhafte Prediger verfahen, aber noch nicht zur Ausübung des 
vollen Dienjte8 berechtigt waren. 

Die Familie Weiler oder Wiler ftand Reiſer ſehr nahe und 
war erweislich feit alten Zeiten in der „Sekte. Der Ontel be 
oben genannten Hans Weiler, ebenfalls Hans Weiler mit Namen, 
begegnet uns als Walvdenfer zu Windsheim in Franken?) und 
Anna Weiler wurde fpäter mit Reifer zufammen hingerichtet. 

Wie mächtig die Traditionen in diefen Männern nachwirkten, 
kann man daraus abnehmen, daß Friedrich auch die uralten De 
ziebungen zu ben Beghinenhäufern wieder aufnahm, obwohl die 
Zeit längft vorüber war, wo deren Infaffen in ihrer Gefammtheit 
als Anhänger over Anhängerinnen der „Brüder“ gelten Tonnten 3). 

1) Sung a. a. O. S. 242. 2) Haupt a. a. O. ©. 47. 


3) Daß auch noch 1430 das Waldenſerthum unter ven Beghinen einzelne 
Anhängerinnen beſaß, ſ. bei Ochſenbein a. a. DO. ©, 241 u. öfter. 





273 


Marmeths Enkelin führte Friedrich in ein Beghinenhaus bei Baſel, 
und erjterer fand wirklich bei einigen Schweitern Gehör. Bald aber 
machte er jo trübe Erfahrungen, daß er von jedem weiteren Unter⸗ 
nehmen ähnlicher Art abftand N). 

Nachdem Neifer noch im Anfang des Iahres 1435 einigen 
Situngen des Concils beigewohnt hatte, verließ er Bafel und 
wandte fich zumächit nach Straßburg, wo die Gemeinde ihn freudig 
empfing Im Haufe des Heinrich Dietfch pflegten die Wanber- 
prediger fih zu treffen; Hier war vor Reiſer deifen Freund, ber 
Apojtel Stephan aus Deftreich, ven Reiſer Schon in Prag kennen 
gelernt hatte, eingekehrt?), und Friedrich traf dort felbft mit dem 
Sohne eines alten Wanderprebigers zufammen, der Johann vom 
Rheine genannt wird, 

Die ehemaligen Hauptſtützpunkte der Partei, die Aheinlande, 
boten im 15. Jahrhundert, wie Neifer felbft fpäter erfahren follte, 
feineswegs mehr jene Sicherheit wie ehedem, und jo entfchloß fich 
Friedrich, feinen Aufenthalt dort abzufürzen und auf einige Sabre 
nah Franken zu geben, welches Land in jenen Iahren durchaus 
die Führerrolle in der Bewegung übernommen hatte. 


Die Gebirgsgegenven, welche fich ſüdlich und öftlich des oberen 
Mains ausdehnen und um den Frankenwald, das Fichtelgebirge, ben 
Böhmerwald und die Berge des Voigtlands lagern, waren im den 
Sahrzehnten der Noth, welche feit etwa 1380 über die Waldenfer 
gelommten waren, in berfelben Weife die Rückzugsorte geworden, 
wie die cottifehen Alpen und der Jura vor Jahrhunderten ben 
italienifchen und franzöſiſchen „Brüdern“ als letzte Schlupfwintel 
gebient hatten. 

Da geſchah e8 nun, daß feit dem Beginn des 15. Jahrhun⸗ 
bert8 in bem benachbarten Böhmen der offene Kampf mit ber 
Hierarchie ausbrach. Es tft wahr, daß, wie Reiſer ausdrücklich ver- 
fichert, die deutſchen Waldenfer zunächſt an dem Auftreten der 


1) Sung a. O. ©. 243 ff. 


2) Es ift dies unzweifelhaft der Bifhof Stephan, ber ung fpäter wie 
der begegnen wird. 
Keller, Die Reformation. 18 


274 


Böhmen kein befonderes Gefallen fanden; viele Grundſätze ber 
Huffiten widerfprachen ihren Traditionen durchaus. Aber wenn die 
deutfchen Gemeinden fich deßhalb auch ziemlich reſervirt verhielten 
— ein Umftand, dem e8 allein zuzufchreiben ift, daß nicht alsbald 
auch ganz Süboftveutfchland in Flammen ftand — fo Tonnte e8 
doch nicht ausbleiben, daß bie Erfolge der antirömifchen böhmifchen 
Parteien die verivandten deutfchen Richtungen beeinflußten. 

Es Tiegt außerhalb des Rahmens diefer Unterfuchung, die Be- 
wegungen genauer zu verfolgen, welche fich parallel mit ven böh—⸗ 
mifchen Kämpfen und in fteter Wechfelwirkung mit denfelben in 
Ober⸗, Unter- und Mittelfranten vollzogen. 

Diefe Vorgänge haben vor Kurzem von Dr. Hermann Daupt 
eine eingehenvere Behandlung erfahren, und ich bin deßhalb im der 
Lage, für die Einzelheiten darauf verweifen zu Tlönnen!), Nur 
einige Taten mögen hier einen Plaß finden. 

Der Hauptfig der „Ketzer“ war, wie oben angedeutet, Nürn- 
berg. Es wäre zwar falfeh, ven Magiftrat eines Einvernehmens 
mit den Böhmen zu zeihen, aber neben dem officiellen Nürnberg 
gab es auch ein nichtofficielfes und ſtarke Unterftrömungen in ber 
Bürgerſchaft; diefe neigten entſchieden in wichtigen Principienfragen 
nah Böhmen bin. 

Ein Kölner Auguftiner befchuldigte von der Kanzel berab die 
Nürnberger der Begünftigung der Keker; in Rom waren im Jahre 
1426 nachtheilige Gerüchte über die Nechtgläubigleit der Stadt ver⸗ 
breitet, der Kaifer Sigmund, der Cardinallegat Julian Cefarini, 
die Herzöge von Baiern u, A. befehwerten fich, daß die böhmischen 
Keger von Nürnberg aus Zufuhr erhielten 2). 

In der richtigen Vorausfegung diefer Unterftrömungen rich 
teten die Taboriten im Jahre 1431 ein Schreiben an die Stabt 
Nürnberg, in welchem fie diefelbe aufforderten, das Joch der römi- 
ſchen Herrihaft abzuwerfen. 

Und ähnlich wie in Nürnberg lagen die Verbältniffe in den 
übrigen größeren Städten Frankens. Die Stadt Bamberg trat 


1) Dr. 9. Haupt Die religiöfen Selten in Franken vor der Reformation. 
Würzb. 1882 ©. 31ff. 
2) 9. Haupt a. O. ©. 37, 








275 


im Sabre 1430 fogar felbftändig mit Procop dem Großen in Ber- 
banblung. Am 2. Febr. 1430 ſchrieb Letterer einen Brief an bie 
Stadt, in welchen er fie zum Anſchluß aufforverte, indem er fagte, 
die Bamberger möchten zu den alten „evangelifhen Wabhr- 
heiten zurückkehren“. 

Noch im Iahre 1448 Hatte fich eine Synode des Bamberger 
Clerus mit dem Verhöre des damaligen Domprebigers, Magiſter 
Heinrich Steinbach, zu befaffen, welcher „Teterifche” Lehren auf 
der Kanzel vorgetragen hatte. Die Synode fand den Domprediger 
ichuldig des angegebenen Verbrechens und veruriheilte ihn demgemäß. 

Es ift ungemein bezeichnend, daß der bekannte Dominilaner- 
prior und Inguifitor Nider im Jahre 1432 in die laute Klage 
ausbricht: In Franken ſei das Volt und der Elerus über den Papit 
aufs Aeuferfte aufgebracht; man ergebe fih in Schmähungen gegen 
ihn, gegen die Cardinäle und die beutjchen Biſchöfe. 

Es hatte wirklich zeitweilig den Anjchein, als ob bereits 100 
Jahre früher, als e8 wirklich gejchab, der große Kampf von Franken 
aus beginnen werde. Ein Bolfslied aus jenen Tagen ſchildert 
treffend die damalige Stimmung: 

Ich hore manichen in der gemeinde claffen 

uf der pfaffen übermut 

die zit sie hie, dals man sie sülle strafen; 
das ist die glut, 

von der ich dicht, got well uns friden schaffen! 


Es wart nie für so grofs uls cleinen funken, 
bischof von Menz, merk disen sinn: 

es glüt ein schedelich für, will mich bedunken, 
giels walser drin! 

ein schemeliches spil, das wil sich brunken. 
Versehent irs nit, so mag uch wol gedihen, 
Dafs man in uwerem lande sicht 

von Behemer lande snöde ketzerie; 

ob das geschicht 

versehent irs nit, so sprechen ich uch pfie!!) 


Unter diefen Umftänden fanb Reiſer gerade in Franken und 
der Oberpfalz ein Arbeitsfeld vor, welches mehr als irgend eine 


1) von Lilieneron Die Hiftor. Voll8liever der Deutichen. 1865 I, 359, 
18* 


276 


deutfche Gegend reiche Ernte verhieß. Wir erfahren von ihm, baf 
er in Nürnberg, Würzburg, dem mittelfränkiſchen Städtchen Heils- 
bronn und anderwärts erfolgreich thätig war. Das mag im fünften 
Jahrzehnt des Jahrhunderts gefcheben fein. 

In der Zeit, in der Friedrich in Franken wirkte, ward eine 
Synode der Apoftel zu Heroldsberg bei Nürnberg gehalten, wo Reiſer 
im Jahre 1447 krank lagiy. Die Verſammlung wählte ihn, wie 
er felbft erzählt, zu einem „Oberen“ ®), d. 5. zum Majoralis ober 
Biſchof, wie wir gleich fehen werben. 

Einige Jahre Später fand unter dem Schug der Gewiſſens⸗ 
freiheit, welche die Böhmen fich erkämpft hatten, eine VBerfammlung 
deutſcher Waldenfer zu Tabor ftatt. Dort kamen zufammen außer 
Reiſer die Sendboten der öftreichijchen Lande, unter Anderen jener 
Stephan und Hans Weiler; auch böhmifche Waldenſer ſcheinen fich 
betheiligt zu baben?). Es warb befchloffen, die alte Organifation, 
fo weit fte erjchüttert war, wieberherzuftellen unb vor Allem bie 
Zahl der Apoftel wieder zu ergänzen. 

Am intereffanteften ift der Beſchluß über die Biſchöfe. Dean 
ſetzte nämlich feft, daß die Zahl der Bifchöfe für Deutſchland vier 
betragen jolle und bejtätigte von Neuem die alte Einrichtung, daß 
dieje Bifchöfe den Mittelpunkt der ganzen Organijation bilden foliten. 
Sn regelmäßigen Zuſammenkünften — bie nächfte wurde wirklich 
nach drei Jahren zu Engelsdorf in Meißen abgehalten, die dann 
folgende zu Saat in Böhmen, und eine dritte war auf 1459 nad 
Straßburg einberufen‘) — follten die „Oberen“ die Angelegen- 
heiten der ganzen Gemeinfchaft beratben und Vollmacht haben, An- 
ordnungen zu treffen. 

Die Biſchöfe fjollten den Apofteln beſtimmte Bezirke zumeifen, 
deren Berichte in Empfang nehmen und ihrer Thätigleit beftimmte 
Normen geben. Man nannte Eritere auch „Majorales“5) oder 

1) Wir können das Jahr dadurch beftimmen, daß Reiſers Krankheit zu 
Heroldsberg im biefelbe Zeit fällt, wo Biſchof Gotfried v. Würzburg (1443 —1455) 
die erfte Verfolgung in feiner Didcefe anftellte Das war im sone 1447, 

2) Jung a. a. DO. ©. 252 Anm, 28. 

3) Jung a. a. O. ©. 235 f. 


4) So berichtet Reifer, vgl. Jung a. a. DO. ©, 256. 
5) Die Bezeichnung „Majoralis“ wird den Bijchöfen gegeben, um anzudenten, 








277 


Aeltefte (Seniores)!), da, wie es jcheint, für fie ebenfo wie für 
bie Prediger, eine beſtimmte Altersgrenze Geſetz war. 

Da Biſchof Friedrich feit jenen Beſchlüſſen von Tabor ſich wie- 
derum in Straßburg nieberließ, fo fieht man, daß ihm Oberdeutſch⸗ 
land als Provinz zugeiwiefen war. Der oben genannte Stephan 
erſcheint einige Jahre jpäter als Bifchof der Waldenfer in Oeſtreich. 
Bon den übrigen ift feine Nachricht erhalten. 

Aus Reiſers eigenem Bekenntniß wilfen wir, baß er Bifchof 
gewefen fei und folgenden Titel geführt habe: „Friedrich, von Got- 
tes Gnaden Bifchof der Gläubigen innerhalb ber römifchen Kirche, 
welche die Schenkung Conftantins nicht anerkennen‘ 2). 

Außerdem fagt er jelbft aus, daß er unter den Bifchöfen der 
„Obere“ (oder Majoralis) geivefen fei, d. 5. daß er unter feinen 
Brüdern ald Senior den Vorſitz geführt habe. Doch lehnt er es 
ausbrüdlich ab, daß man diefe Einrichtung mit berjenigen ver- 
gleiche, wie fie die römifche Kirche im Papſtthum beſitze. 

Das Streben der „Apoſtel“ jet, meint Neifer, den Befehlen 
Chriſti, die er den „Zwölfboten“ gegeben, in Armuth und Auf- 
opferung nachzufolgen. 

Es betrachteten fich die Bifchöfe auch nach ihrer Wahl zu dieſer 
Würde fortpauernd als Mitglieder des Collegiums der Apoftel, aus 
welchem fie heroorgegangen waren. Sie bilbeten offenbar nur den 
engeren Ausſchuß des größeren Kreiſes, der von der Mehrheit der 
Sendboten auf Grund von Alter und Verdienſten erwählt wupde. 

Man würde fehl gehen, wenn man in der Uebertragung Straß- 
burgs und Oberbeutichlands an den Seniorbifchof eine Neuerung 


daß fie primi inter pares, d. h. im Wejen ben Apofteln gleih und gleichſam nur 
Borfigende des Anpoftel-Eollegiums mit gewiſſen Präfivialrechten find. Es gab 
auch unter den Bifchöfen felbft, wie wir gleich fehen werben, einen „Majoralis“, 
d. h. einen präſidirenden Bifchof, welcher bie Verſammlungen berief, Teitete u. ſ. w. 

1) Schon Mosheim Inst. hist. eccles. Helmstadt 1755 p. 488 hat ganz 
richtig bemerkt: „Regebatur Waldensium ecclesia ab episcopis, quos Ma- 
jorales seu Seniores appellabant“. 

2) Jung a. D. ©. 254: „Er ſey gehalten worben für einen Bilchof und 
fei fein Titul: Fridericus dei gratia episcopus fidelium in Romana ecclesia, 
donationem Constantini spernentium*. — Intereſſant ift, daß nach Reiſers Aus⸗ 
fage die Bilchöfe (und Apoftel?) „dunkel grau Kleider“ getragen haben 
(Iung u. O. ©. 254 Anm. 29). 





278 


fehen wollte. Vielmehr tft dieſe Stadt zweifellos feit Jahrhunderten 
der Vorort der deutſchen Gemeinden gewefen. 

In Straßburg zog Neifer in das Haus feines Freundes Franz 
Berner am Fiſchmarkt und traf Anftalten, das Bürgerrecht zu 
erwerben, um den Schuß der Reichsſtadt zu erlangen. 

Dabei waltete er feines Amtes durch Predigt, Unterweifung 
und Belehrung. Er war e8, welcher bie Bücher unter Obhut Hatte, 
in welchen die Vorjchriften für die Tirchlichen Handlungen und 
die Gebete verzeichnet ſtanden ). Aus ihnen ertbeilte er den jünge 
ren Geiftlichen Anweifungen, foweit die mündliche Tradition nicht 
ausreichte. | 

Im Januar 1458 warb Reiſer plöglich nebit einer Anzahl 
feinex Freunde verhaftet. Die Straßbnrger Dominikaner hatten 
von einem Dienjtboten die erjte Nachricht erhalten, und der regierenbe 
Ammeifter Hans Drachenfels Tieß auf Erforbern bes geiftlichen 
Gerichts den Reiſer durch die Stabtinechte in feiner Wohnung 
ergreifen. Alle Bücher, Briefe u. ſ. w. wurben ebenfalls confiscirt 
und in das Dominikanerflofter gebracht 2). 

Der Prozeß wurde mit eiferner Strenge begonnen und zu Ende 
geführt. Die Proceburen, welche die geiftlichen Inquifitoren an dem 
Unglüdlichen mit der Folter vornahmen, waren nach dem Zeugniß 
des Hans Drachenfels jo ſchrecklich, daß Lekterer fich ins Mittel 
legte und nach fünfmal wiederholten Folterungen dem biſchöflichen 
Official den weiteren Beiftand der weltlichen Gewalt verfagte 3). 

Nah Erledigung der üblichen Formalitäten warb das Urtheil 
gefällt, welches auf Verbrennung lautete. Auf den Roßmarkt zu 
Straßburg wurde baffelbe verkündet. 

Dann trat der Henker zu den Verurtheilten, Bifchof Friedrich 
und Anna Weiler, band ihnen die Hände und führte fie hinaus 
bor die Stadt. Dort war ein Pfahl gefchlagen, von hoben Holzſtößen 
umgeben. An denfelben wurden fie gebunden und zu Aſche verbrannt. 

1) Jung a. ©. ©. 263. | 

2) Sollten die Nachforſchungen nach dem Berbleib des Dominikaner⸗Archivs 
nicht vielleicht auch Über Reiſers Nachlaß und defien Schidfale Auhaltspunkte 
geben koönnen? Einen Theil hat Reifer allerdings vor feiner eignen Verbrennung 


den Flammen übergeben müſſen. 
3) Sp nad dem Straßburger GerichtSprotocoll Jung a. O. ©. 277. 





279 


In Friedrich Reiſer war fein unbedeutender Mann geftorben. 
Die Zeitgenofjen Tannten ihn fehr wohl, und es iſt bezeichnend für 
das Anfehen, welches er genoß, bag man ſchon im 15. Sahrhundert 
ihn für den Verfaſſer einer derjenigen Schriften reformatorifcher 
Tendenz bielt, welche damals und fpäter großes Auffehen gemacht 
haben, nämlich der jog. „Reformation des Kaiſers Sigmund”, die 
um das Jahr 1438 verfaßt fein dürfte. N 

Diefe Schrift, welche mit Schärfe und Folgerichtigfeit eine 
Reihe von Reformgedanken verficht, ift von 1476 ab in zahlreichen 
Ausgaben verbreitet gewejen und bat unleugbar eine große Wirkung 
ausgeübt. 

ALS Verfaſſer wird in den erhaltenen Hanpfchriften ein „Frie⸗ 
drich von Lancironii“ angegeben und es fcheint zweifellos, daß Dies 
„Friedrich von Landskron“ fein fol — ein Name, der auf Friebrich 
Reifer, welcher eine Zeit lang in Landskron Iebte, durchaus paſſen 
würde. 

Alle Anzeichen ſprechen dafür, daß die Abſchreiber jener Hand⸗ 
ſchriften wirklich der Meinung waren, daß Friedrich Reiſer der 
Verfaſſer ſei, aber ob dieſe Anſicht zutreffend iſt, iſt freilich damit 
noch nicht bewieſen. 

Vielmehr ergiebt der Inhalt der „Reformation“ einen Stand⸗ 
punkt, welcher von demjenigen Reiſers in den wichtigiten Punkten 
abweicht, und Niemand, welcher fich mit der Partei, der Reiſer an- 
gehörte, näher bejchäftigt hat, wird zugeben können, daß bie Schrift, 
wie fie heute vorliegt, auf einen Waldenferbifchof zurüdgeht 1). 

Nichtsdeſtoweniger Tönnte die heute befannte „Reformation“ 
die Weberarbeitung einer Schrift fein, welche wirklich von Reiſer 
verfaßt if. Wenn man nämlich weiß, wie derartige anonyme Werke 
in jener Zeit vielfach zu Stande gelommten find, jo wird man es 
nicht für unmöglich halten, daß uns gerade diejenige Bearbeitung 
erhalten tft, welche der „ketzeriſchen“ Vorlage die Spitzen abgebrochen 
hatte und durch Abſchwächung des Gegenjages zugleich den Zweck 
erreichte, den Kaifer Sigismund felbft mit der Schrift in Zufam- 

1) Diefe Anficht ift bereit8 von Bernhardi in ber Ienaer Lit.Ztg. 1876 


September gegen Böhm Friedrich Reiſers Ref. d. K. Sigm. Lpz. 1876 mit Hin- 
reichenben Gründen vertheidigt worden. 


280 


menhang bringen zu Einnen. So ift aus dem Zufammenwirken 
mehrerer Perſonen denn vielleicht das heute befannte Buch ent- 
ſtanden. 

Wie dem aber auch ſein mag, ſo ſteht doch feſt, daß Reiſer 
von den Zeitgenoſſen der Autorſchaft für fähig gehalten wurde, 
und es ſpricht dies dafür, daß ſein Name in jenen Kämpfen des 
15. Jahrhunderts bekannter war, als wir heute anzunehmen 
geneigt ſind. 

Es iſt nicht zu bezweifeln, daß Reiſer literariſch thätig geweſen 
iſt. Er ſelbſt ſagt aus, daß er die Gegenſtände, welche während 
ſeiner Anweſenheit in den Sitzungen des Basler Concils verhan⸗ 
belt worden ſeien, aufgezeichnet habet). 

Reiſer Hat der Literatur, welche in feiner Partei, als empfeb- 
lenswerth galt, ftetS eine bejonvere Beachtung zugewendet. Es 
gebt dies aus den Geftänbniffen hervor, nach welchen er an ver 
ſchiedenen Orten Bücher in größerer Zahl nievergelegt hatte. 

Er war, wie die Zeugen ausfagen, eifrig bemüht, die Bibel 
unter dem Volke zu verbreiten; er verkaufte Exemplare derfelßen 
an jeine Freunde und Gefinnungsgenofien. Es verjteht fich, daß 
dies nur deutfche Bibeln waren. 

Sn Heilsbronn hatte Reifer nach feinem Geftändniß bei dem 
Tuchmacher Dieme fünf oder ſechs Bücher niedergelegt; e8 ſeien dies, 
fagt ex, Commentare zur b,. Schrift. 

Sole Commentare, befonvders zu den Evangelien, waren 
überhaupt unter den altevangelifchen Gemeinden fehr beliebt und 
verbreitet. Auch in dem Freiburger Waldenferprozgeß von 1430 
war dies zu Tage getreten ?). 

Welcher Art die übrige Literatur war, bie in Reiſers reifen 
gelefen warb, haben wir oben bereit aus den Aeußerungen Mar- 
meths feitgejtellt: e8 war die Literatur der „Sottesfreunde”. — 

Friedrich Reiſer gehört zu den Männern, welche in ſchwerer 
Zeit ein beilige8 Vermächtniß der Vorfahren unter Gefahren aller 


1) Jung a. O. ©. 263 Anm. 32. 

2) ©. Ochſenbein a. O. ©, 220. Antonie Perrotet zu Freiburg fenbet 
ihrer Schwefter zu Bafel Commentare zu ben Evangelien und zu den Briefen 
des Baulus, 





281 


Art vertheidigt haben. Seinen Glauben Hat er mit feinem Blut 
bejiegelt. 

Sein Tod war für die „Brüder zugleich Deshalb ein fchwerer 
Schlag, weil dadurch der Zuſammenhang und die Organisation 
der Gemeinfchaft mitbetroffen worden war. 

Da die Waldenjer fich äußerlich von der herrſchenden Kirche 
nicht abgelöft Hatten, fo beruhte die Feſthaltung ihrer Selbftändig- 
feit auf dem Maß und der Seftigfeit ihrer Organifation. 
Ihr Gemeindezufammenhang war durch Fein Symbol, Tein offenes 
Bekenntniß und Teinen Belenntnißzwang geſchützt; Teine gemeinfamen 
materiellen Interefien oder Herrichaftszwede hielten die verjchie- 
denen Gruppen zufammen. Weite Iofale Trennung und eine 
durch die Verfolgung jehr erfchwerte Communieation hielt die Ver- 
ſchmelzung zu einem Ganzen natürlich noch befonvers auf. 

Wer alle diefe Schwierigkeiten recht erwägt und fich vergegen- 
wärtigt, wie groß die Auffaugungsfähigkeit und die Attraktionskraft 
der Majorität auf Heine Minoritäten ftetS zu fein pflegt, der wird 
es als eine ganz erftaunliche Leiftung dieſer „Chriſten“ betrachten, 
daß fie es fertig gebracht haben, ihr Gemeinſchafsbewußtſein ohne 
Abfonderung Jahrhunderte lang zu bewahren. Es giebt dafür 
faum ein Beifpiel in der Kirchengefchichte, und wenn ein Vergleich 
erlaubt ift, der allerdings das Vorbild nicht erreicht, jo wüßte ich 
eine ähnliche Erfcheinung nur in der Gefchichte des Methodis— 
m us nachzumweifen. Auch diefe jest fo mächtige Kirche!) Hat lange 
Zeit in demſelben Verhältniß zur englifchen Hochkirche geftanden, 
wie die Waldenſer zur römiſchen Kirche, aber gleichwohl wie bie 
„Brüder“ fich ihre Selbftändigfeit volffommen gewahrt. 

Dies Reſultat ift in beiden Fällen nur durch die Stärke der 
Organiſation erreicht worden. 

1) Man kann die Zahl der Anhänger bes Methobismus gegenwärtig im 


Ganzen anf etwa 20 Millionen Seelen veranfchlagen. Vgl. den Artilel Ph. Schaffs 
in Herzog und Plitts Real-Encyklopäbie 2. Aufl. s. v. Methodismus. 


 Bwölftes Capitel. 
Die „„Briider” in Böhmen. 


Die Waldenfer in Böhmen. — Peter Cheleicky. — Die Begründung einer felb- 
ftändigen böhmifchen Brüdergemeinfchaft. — Die Taufe auf den Glauben. — 
Die „Pikarden“ umd die „Täufer“. — Die Weihe dur den Walbenfer- 
biſchof Stephan. — Die Rückkehr zur alten chriftlichen Kirche. — Die Reli- 
gionsanfhauungen ber Brübergemeinden. — Zahl und Ausbreitung. — Die 
„Brüder“ und die Buchbruder. — Die Schulen, — Geiftige und wiſſenſchaft⸗ 
liche Regſamkeit. 


Es ift nicht unfere Adficht, Hier eine Gejchichte derjenigen 
„Brüder“ zu fchreiben, welche jpeciell unter dem Namen der 
„Böhmiſchen Brüder” in der Kirchengefchichte bekannt ſind i). 

Es ift wahr, daß Diefe Bewegung mit der ganzen -böhmifchen 
Neforntation im Zufammenbange fteht, aber fie tft nicht mit dem 
Huffitismus identiſch, ſondern muß als eine davon wejentlich ver- 
ſchiedene Erfcheinung gelten. 

Seit alten Zeiten Hatten die deutſchen „Waldenſer“ in einer 
naben Verbindung mit Böhmen geftanden. Dies wird durch man⸗ 
cherlei Quellen betätigt, und es ift 3. B. eriviefen, daß im Jahre 
1418 verfolgte Waldenferfamilten eine Zufluchtsftätte in Prag ge- 
ſucht und gefunden haben. Die Königin felbft befuchte fie öfters 
mit den Hofleuten des Königs in ihren Wohnungen 2). 

- Der Freiburger Waldenferprozeß vom Jahre 1430 ergab eine 
alte Verbindung zwifchen der Schweiz und Böhmen, und ſchon Preger 


1) Eine zufammenfafiende Darftellung giebt v. Zezſchwitz im Herzog und 
Plitts Realencyklopädie fir prot. Theol, 2. Aufl. Bd. II ©. 648—673. — Dort 
finden fih auch alle Quellen angegeben. 

2) Krummel Böhmiſche Reformation S. 52. — Daß im Jahre 1430 
„Apoſtel“, welche in Freiburg im Uechtland prebigten, aus Böhmen kamen, ſ. Dei 
Ochſenbein a. DO. Bern 1881 ©. 200. 











283 


und Zezſchwitz haben mit Recht auf das frühzeitige Erfcheinen der 
MWaldenfer in Böhmen aufmerkſam gemacht. 

Die Entwidlung, welche die Religionstämpfe in Böhmen nah- 
men, war den „Brüdern anfünglich nicht ſympathiſch. Abgeſehen 
von der feindfeligen Haltung, welche Die Ezechen gegen die Deutjchen 
überhaupt beobachteten, ftellten deren Führer auch Grundſätze auf, 
die nichts weniger als waldenſiſch waren. Ohne fich daher vor- 
läufig als Corporation an dem Kamıpfe zu betbeiligen, benutten jte 
nur die Religionsfreiheit, die ihnen wenigftens theilweife hier ver- 
gönnt war, um fih in aller Stilfe weiter auszubreiten. 

Einer ihrer Wortführer war in ber erjten Hälfte des Iahr- 
hunderts ein gewiffer Peter, von feinem Wohnort, dem Dorfe 
Chelcie bei Wodnan, Chelcicky zubenannt. Er fcheint um das 
Jahr 1390 geboren zu fein, Hatte auf der Prager Hochfchule ftudirt 
und ſchon tm Jahre 1420 durch gelehrte Disputationen mit den 
Theologen fich befannt gemacht. 

Abgeſtoßen von dem Treiben der Barteien, welche in maßlojem 
Sanatismus bald fich felbit zerfleiichten, Hatte er fich in das oben 
erwähnte einjame Dorf zurüdgezogen, um von bier aus zwar durch 
Schriften zu wirken, im Webrigen aber bejjere Zeiten abzuwarten. 

Eben derſelbe Beter Payne, welcher auch hervorragenden beut- 
schen Waldenſern nahe ftand, war mit Peter Chelcidy eng verbunden. 
Als Payne im Jahre 1437 aus Prag vertrieben war, flüchtete er 
in das ftilfe Dorf und hielt fich zwei Sabre lang bei dem Freunde auf, 

Es find uns eine Reihe von Schriften Chelcickys erhalten, 
welche den Beweis liefern, dag wir in ihm einen echten Vertreter 
des Waldenfertbums vor uns haben‘), 

Er vertritt als Grundgedanken die Anfchauung, daß der Weg 
zur Seligfeit im Dieſſeits und Ienfeits an feine Mittelung irgend 
welcher Art gebunden ſei. Es giebt ein unmittelbares Verhältniß 
der guten Menſchen zu Gott, welches von der Erfüllung der Ger 
feße und Formen, bie in ber Kirche gelten, unbhängig tft. Es ift 
falſch, wenn die Kirche behauptet, fie felbft und ihre Gnadenmittel 
ſeien e8, welche das Heil fchaffen. Der Glaube, welcher ſich Darauf 


1) Vgl. die Auszüge bei Goll Quellen und Unterfuchungen zur Geſch. d. 
Böhm. Brüder. Prag 1882 II S. 5ff. 


284 


verläßt, ift blind und tobt. Der lebendige Glaube und fomit das 
wahre Chriftenthum bethätigt fich in der Nachahmung Ehrifti'). 
Was wir thun follen, um felig zu werben, ift in ben Geboten 
Gottes und Chriftt enthalten: das Vorbild Chrifti aber ift ebenſo 
verbinplich wie dieſe Gebote. Doch ift Chriftus nicht allein Lehrer 
und Vorbild, jondern auch der Heiland und Mittler. Er fteht 
als aligenügender Fürfprecher vor dem Throne Gottes. Durch fein 
Erſcheinen und feinen Tod hat er die Menfchen, bie feine vechten 
Jünger find, erlöft und verföhnt mit Gott. 

„Der menjchlide Wille ift auch nach dem Sündenfalle frei 
geblieben. Gutes und Böfes fteht vor ihm: wählel Nur das frei 
gewählte Gute ift wahrhaft gut und werthuoll. Aber den noch 
gelangt der Menſch zu diefer Wahl nicht ohne Hülfe 
Gottes. Die innere Wiedergeburt Tann ohne feine Gnade 
nicht eingeleitet, ver Wille des Menfchen dem Willen Gottes nicht 
gefügig werden. Die innere Wiedergeburt ift e8, welche dem Men- 
ichen ein neues Herz giebt" 2. 

Das Gute follen wir vollbringen aus Liebe zu Gott, aber nicht 
ans Furcht vor Strafe und noch weniger aus Hoffnung auf Lohn 
ober in dem Wahn, dag wir das Heil verbienen könnten. Nie 
mand kann Gott je vollkommen gefallen. Verzeihung haben wir alle 
wege nöthig und diefe zu erlangen, dazu Hilft nur die Gnade und 
das Verbienft Chrifti. „Jeſus, der vor dem Vater ſtehend die Un- 
zulänglichkeit der Sünder ergänzt, hält bie Menfchen in der rechten 
Hoffnung aufrecht”. „Weber lange roch kurze Arbeit Tönnte das 
himmlifche Königreih verdienen, nur durch Gottes Gnade 
kannſt du es erlangen”. 

Die Sakramente, jo weit fie Chriftus eingefegt bat, bürfen 
nicht vernachläffigt werden. Durch ihren Empfang wird der Glaube 
bezeugt und fie dienen zur Mehrung der Liebe und des Glaubens, 

Die innere Wiedergeburt, die Erneuerung des Herzens, welche 
freilich nur durch Gottes Mitwirkung und feinen gnädigen Beiftand 
möglich ist, find die Vorausfegungen für die rechte Wirkung der 
Sacramente. Diefe legteren fteigern und bezeugen uns die Grabe 
Gottes, Doch fchaffen fie fie nicht. „Darum wäre e8 beffer nach 


1) Goll a. O. S. 28. 2) So wörtlich Boll a. O. ©. 29, 





285 


Art der alten Kirhe nur Erwachſene zu taufen, die dur 
ihre Werte ihren Glauben bereits bethätigen Tönnen” N). Doch ver 
wirft Chelcicky darum die Kindertaufe nicht. 

Einen Priefterftand foll e8 nach apoftolifcher Einrichtung geben. 
Aber nur ein guter Menſch Tann ein guter Priefter werben. Iſt 
er das erftere, fo tft er von Gott erwählt. 

Die Gemeinde bat das echt, zum Briefterftande zu berufen. 
Diefe Berufung genügt dann zur Ausübung der Priefterrechte, 
wenn der Berufene die nothiwendigen Vorausjegungen erfüllt bat. 

„Die Kirchen”, jagt unjer Autor, „find Häufer Gottes, aber 
wir find nicht gebunden, in geweihten Kirchen zu beten. Es ift 
uns bie Freiheit gegeben, an jedem paffenden Orte zu beten“ 2), 

Alle Forſcher, welche fich mit ver Lehre Chelcickys näher bes 
ſchäftigt Haben, find zu der Meberzeugung gekommen, baß biefelbe 
mit derjenigen der Waldenfer im engften Zuſammenhang ſteht ?). 

Chelcicky ift al8 Anhänger der Waldenferlehre aus dem jüd- 
lichen Böhmen nad Prag gelommen und hat in ber Folgezeit im 
Gegenſatz zu Huf und den Taboriten ftet8 daran feitgebalten 9. 

Er ift e8 dann nach dem Selbftzeugniß der fpäteren Bruder⸗ 
firche gewefen, welcher auf die Begründer der Gemeinschaft einen 
bervorragenden Einfluß gelibt hat. 


Dis nach der Mitte des 15. Jahrhunderts Hatten auch Die 
böhmischen Waldenfer den äußeren Zuſammenhang mit ben herr- 
ſchenden Firchlichen Gemeinjchaften nicht abgebrochen. Obwohl fie 
bier wie in anderen europätfchen Ländern eine feſte Organifation 
und eigene Eultusformen bejaßen, jo hatten fie fich doch formell 
von der allgemeinen Kirche nicht getrennt. 

Da faßten nun um den Beginn des ſechſten Jahrzehnts mehrere 
angejebene Männer ven Entſchluß, jich auch äußerlich von ber Kirche 
loszuſagen und eine felbftändige Neugeftaltung der Partei ins Leben 
zu rufen. 


1) Goll a. DO. ©. 32. 2) Sol a. O. ©. 43. 

3) Palacky fagt: „Ich bezweifle jetst nicht mehr, daß Peter Chelcidy früb- 
zeitig eine umfafjende Kenntniß ber Waldenſerlehre beſaß und daran Gefallen 
fand”. Nach Soll a. O. ©, 42, 

4) Soll a. O. ©, 42, 





286 


Eine allgemeine Verfammlung fand in dem Iahre 1463 in 
den Bergen von Reichenau ftatt, eine andere warb zu Lhota im 
Yahre 1467 abgehalten und Hier wurden die Grundzüge jener Ge⸗ 
meinfchaft feftgeftelit, welche nachmals unter dem Namen der „Böh⸗ 
mifchen Brüder” in der Kirchengefchichte eine große Nolle ge 
ſpielt Hatt). 

Der erfte Act, welcher in der Gemeinfchaft nach ihrer Con- - 
ftituirung vorgenommen ward, war die Taufe der Anweſenden ?). 
- Man folgte damit einem uralten Brauche. Denn die Waldenfer 
haben principiell die Taufe auf ven Glauben allezeit feitgehalten; 
wo man fie unterließ, geſchah es unter dem Druck der Zwangs⸗ 
lage, in der man fich befand. 

Man war, wie wir alsbald fehen werben, Teineswegs Willens, 
durch dieſe äußerliche Lostrennung von der römischen Kirche den 
Zufammenbang mit den übrigen „Brüdergemeinden‘ zu löſen, man 
hoffte im Gegentheil, daß das Beispiel der Böhmen die „Brüder“ 
aller anderen Länder zu gleichen Maßregeln ermuthigen werbe. 

Indeſſen konnte e8 doch nicht aushleiben, daß diefe eine 
wichtige Neuerung weitere Berfafjungsänderungen nach fich 308; 
und jo falſch es wäre, behaupten zu wollen, daß bie bei den ge 
nannten Verſammlungen gefaßten Beichlüffe die Continuität 
der Gemeinihaft und den Zufammenhang mit den älteren Ge- 
meinden abgebrochen hätten, jo richtig ift e8, Daß die Tage von 
Reichenau und Lhota eine neue Phafe in ver Gefhichte des böh- 
miſchen Walvenfertbums begründen. 

Es vollzogen fich bier dieſelben Entwidlungen, wie wir fie 
ſechzig Jahre fpäter in unjerem eigenen Vaterlande beobachten können. 
Auch in Deutſchland und der Schweiz warb unter Begünftigung 
der Zeitverhältniffe feit 1524 der Verfuch gemacht, die „Brüber- 
gemeinden“, welche feit Sahrhunderten vorhanden waren, felbitändig 
zu machen und von den herrfchenden Kirchen abzutrennen. Natur- 
gemäß führte diefe fundamentale Neuerung andere Umgeftaltungen 
mit fih und da auch die deutſchen „Brüder“, ebenfo wie bie 
Böhmen, als erfte Handlung die Taufe der Erwachfenen vollzogen, 


1) Sindely Geſch. d. Böhmiſchen Brüder. 
2) Gindely a. a. ©. 1, 36. 





287 


fo erhielten fie von ihren Gegnern einen neuen, bi8 dahin uns 
gebörten Seftennamen, nämlich den Namen „Anabaptiiten”. 
Aber die Partei jelbft Hat, wie wir ſehen werben, ihren Zufam- 
menbang mit den älteren „Gemeinden“ jo zäh feitgehalten, daß 
fie den neuen Namen ftet8 zurücgewiefen und fich wie ihre Vor⸗ 
fabren einfach „Brüder genannt bat. Auch Hier ift demnach bie 
neue Phafe einer alten Gemeinfchaft zu erfennen, aber es ift feine 
neue Gemeinfchaft ins Leben getreten. 

Es verdient Beachtung, daß gleich an den conftituirenden Ver- 
fammlungen von Neichenau und Lhota eine Reihe angefebener 
Perfünlichkeiten tbeilnahmen. Da waren unter Anderen der Neffe 
bes Erzbiſchofs Rokycana, Georg mit Namen, ferner der ehemalige 
Abt Andreas vom Stift Emaus, die Tatholifch geweihten Priefter 
Heinrih von Tabor, Johann Chelecicky, Michael von Senftenberg 
u. ſ. w. Aus dem gelehrten Stande betheiligten ſich Ambroſius 
von Prag, Procop von Neuhaus, Jeſaias Wenzl von Reichenau 
und Andere; befonders aber war der Herren- und Nitterftand 
durch einflußreiche Familien vertreten. 

Die Betheiligung des Adels bat im Laufe der Iahrzehnte fich 
jtetig gefteigert und ift für die Brüder in den Zeiten der Noth ein 
wichtiger Faktor geworben. So bat Ulrich von Kaunitz ſeit dem Jahre 
1511 das feiner Oberhobeit unterjtehende Städtchen Aufterlig zu 
einem Zufluchtsort der „Brüder gemacht; er Tieß ſich darin auch 
nicht irre machen, al8 man ihn mit Prozeffen verfolgte. Und als 
im Jahre 1529 eine furchtbare Verfolgung über die „Brüder“ 
hereingebrochen war, welche man feit 1525 mit dem Namen „Täufer 
belegt Hatte, da war es derſelbe Ulrich von Kaunitz, welcher bie 
flüchtigen „Brüder aus dem Reich aufnahm. So wurde Auſter⸗ 
fig einer der vornehmften Site des fog. Anabaptismus und ift e8 
bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts geblieben 1). | 

Ebenſo wie Ulrich von Kaunitz gehörte der Ritter Hhned 
Bilik von Kornic in Mähren zu der Partei der „Brüder“, welche 
von ihren Gegnern „Pikarden“ genannt wurde, und e8 tft bezeich- 
nend, baß dieſer im Uebereinſtimmung mit Ulrich von Kaunitz feine 

1) Bed Geſchichtsbücher der Wiebertäufer in Deftreih-Ungarn Wien 1883. 
©. 74 Anm. 


288 
eigenen Genofjen zu ſchützen alaubte, als er die „Brüder“, die man 
als „Wiedertäufer“ anderwärts verfolgte, auf feinen Gütern aufs 
nahm und ihnen Schuß gewährte 1), 


In den Schriften der älteren Brüdergemeinde — bie Gefchichte 
der böhmischen Brüder zerfällt in mehrere Perioden, deren zweiter 
Anfchnitt von 1496 an beginnt — wird ber Zuſammenhang mit 
den „Waldenſern“ ganz unverhohlen anerkannt?). 

Der Schritt, den die Synode von 1467 that, ſollte nach dem 
ausdrücklichen Zeugniß der Theilnehmer nicht die Aufrichtung einer 
neuen Kirche bedeuten; ſie lehnten es ausdrücklich ab, etwas 
Neues in Religion und Kirche eingeführt zu haben oder einführen 
zu wollen; vielmehr war es ihre Abſicht, ſich jener Gemeinſchaft der 
„chriſtlichen Brüder“, welche in Deutſchland, Italien, Frankreich 
u. ſ. w. beſtand, anzuſchließen und ihre Zugehörigkeit zu dieſer alten 
Kirche zu erklären. 

So ſehr die Generation, welche ſeit 1496 in der Brüder⸗ 
unität dominirte, aus beſtimmten Gründen beſtrebt geweſen iſt, 
dieſe urſprünglichen Erwägungen und Tendenzen ihrer Väter zu 
verwiſchen — ein Umſtand, der den wirklichen Sachverhalt zeit⸗ 
weilig in der That verdunkelt hat —, fo unzweifelhaft erhellt aus 
den Vorgängen, die fih an die Synode von 1467 anjchloffen, bie 
Richtigkeit der obigen Bemerkung. 

Das Brüder-Archiv, welches feit dem Jahre 1840 mit dem 
Archiv zu Herrnhut vereinigt ift, enthält fieben Schreiben der Brüder 
an den Erzbiſchof NRolycana ®), von welchen das erfte am 2. Mai 
1468 überbracht worden it. 

Diefe Briefe geben über die urfprüngliche Bewegung einen 
unzweideutigen Aufſchluß. 

Nach dem vierten Schreiben ſind drei Verſammlungen zu 
unterſcheiden; bei der erſten waren Brüder aus Böhmen und aus 

1) Beck a. a. O. S. 165. 

2) Ueber die Uebereinſtimmung in der Lehre ſ. von Zezſchwitz Die Kate⸗ 
hismen! der Waldenſer u. |. w. 1863 ©. 134 ff. Die Thatſache wirb hier trotz 
des Widerſpruchs der älteren „Brüber-Unität” als völlig zweifellos erwieſen. 


3) Auszüge daraus bei Jar. Soll Quellen und Unterfuchungen zur Geld. 
d. Böhm. Brüder. Prag 1878 I, S. 17 ff. 








289 


Mähren und auch deutſche Waldenfer erjähienen; bier wurben 
Die vorbereitenden Beichlüffe gefaßt. Die dritte Verſammlung, an 
welcher 60 Brüder theilnahmen, wählte die neun würbigften Männer 
‘aus und unter diejen beftimmte das Loos drei Perfonen, welche zu 
‚Prieftern beftimmt fein follten und von denen einer „die erſte Stelle 
in der Gewalt des Amtes“ einnehmen ſollte. 

Mit dieſer Erwählung aber Hatten bie Erkorenen keineswegs 
ſofort die Vollmachten des geiſtlichen Amtes erlangt; vielmehr 
beſchloß die Verſammlung, daß die Erwählten durch einen Biſchof 
der Waldenſer die Weihe mittelſt Handauflegung nachſuchen 
müßten. Damit erklärte ſie formell ihren Anſchluß an dieſe Ge⸗ 
meinſchaft. 

Das erwähnte Schreiben ſagt dann ausdrücklich, daß die Be⸗ 
ſtätigung durch den Waldenſer⸗Prieſter nachmals wirklich erfolgt iſt i. 

Als Erzbiſchof Rokycana von den Kanzeln herab die Gläubigen 
vor den Brüdern warnen ließ, ſandten Letztere ein neues Recht⸗ 
fertigungsjchreiben an ihn. Dafielbe tft deshalb ſehr merkwürdig, 
weil e8 das Vorgehen der Brüderſchaft nur als eine Rückkehr tn 
die wahre Kirche der erften Chriften, welche fich bei ven Waldenſern 
erhalten habe, darſtellt. | 

Seit Papſt Sylveſter, heißt es darin, ſei die römiſche Kirche 
mit den Befehlen und dem Vorbild Chriſti in Widerſpruch getre- 
ten, indem die Männer, welche als Nachfolger der Apoftel in Selbft- 
verleugnung Chriſti Fußtapfen folgen follten, weltliche Macht und 
Neichthum und füritliche Würde fich angemapt Hätten. Während 
die erften Diener der Kirche Ehriftt mit dem heiligen Petrus von 
der weltlichen Gewalt Marter gelitten hätten, übten Die Nachfolger 
auf dem römischen Stuhl und die römiſchen Bifchöfe ſelbſt welt- 
lihe Gewalt aus und marterten die Gläubigen, welche ſich ihrer 
Herrfchaft nicht unterwerfen wollten. 

Deßhalb Hätten fie die „Gewalt des Antes”, d. h. den Beſitz 
des apoſtoliſchen Charisma, eingebüßt und koͤnnten bie Vollmachten 
Chriſti nicht mehr rechtskräftig verwalten. 

„Und, Meiſter, jene Prieſter mit Petrus, dem Waldenſer, 


1) Goll a. O. S. 20. | | 
Keller, Die Reformation 19 














290 


die, bei dem erften Urfprunge verharrend, dem Shloefter bein 
Empfang deſſen nicht beiftimmten, was er nahm — tft bei ihnen nicht 
das ursprüngliche Prieftertbum und die Gewalt des Amtes und 
die Wiffenfchaft der Schlüffel verblieben? Wir find der Hoff- 
nung, e8 fei bet ihnen von Anfang an geblieben und 
bleibe bis heute, wie ja da find und tin verfchiedenen Ländern 
beitehen Briefter mit vielem Volle, denn fie find geblieben 
beim Ursprung der erften Kirche aus den Apofteln“. 

Dieſes Nechtfertigungsfchreiben ward bald darauf von den 
„Brüdern in umgearbeiteter Form der Deffentlichkeit übergeben. 
Es wird darin 1) wiederholt betont, daß man bei der Wahl und 
Beftätigung eigener Priefter nichts Neues begonnen, fordern fich 
nach dem DBeifpiele der erften Kirche gehalten habe. Mit diefer 
urfprüngliden Kirche feien fie durch die Waldenjer 
verinüpft. „Es tft ein großes Volt (d. h. Die Waldenſer) in vielen 
Ländern, und fie befiten Bifchöfe und Prieſter.“ 

Biſchof der Waldenfer in Deftreich war damals ein gewiſſer 
Stephan und zwar unzweifelhaft berfelbe, welchen Biſchof Reiſer 
im Jahre 1458 als noch lebend bezeichnet. 

Diefer Stephan tft es gewefen, welcher um das Jahr 1468 
den Matthias von Kunwald zum erften Bifchof der böhmischen 
Brüder geweiht hat?). Damit befaß die Brüder-Unität die Duelle 
bes Priefteramts in fih und Matthias weihte die übrigen Geift- 
lichen. 

AS Matthias von Kunwald geftorben war (1500) traten an 
feine Stelle vier Senioren und Biſchöfe, nämlich Lukas von Prag, 
Ambrofius von Skuz, Thomas von Prelauz und Elias von Chrenopiz. 


Einer der Vorwürfe, welche diefer Gemeinfchaft Häufig gemacht 
worden find, befteht darin, dag fie mit der Abſonderung, die fie 
für ihre Pflicht hielt, zugleich der Anficht Ausbruc gebe, daß in 


1) Goll a. O. ©. 93. 

2) Einer der Theilnehmer an der conftituirenden Synode, der ehemalige 
Yatholifche Priefter Michael, erzählt über die Vorgänge, daß nach ber Wahl der 
brei Prediger einträchtig befchloffen worden fei, zu dem Waldenferbifhof zu 
fenden, um die Weihe zu erhalten. Dies geſchah. (Goll a. O. I, 25.) 





291 


ihrer Kirche allein die „Erwählten” zu finven feien, benen das 
ewige Heil zu theil werde. 

Dean hat ihnen darin aber entichieven Unrecht getban. Biel- 
mehr glaubten fie, daß e8 über die Grenzen ihres fpeciellen Bundes 
hinaus eine Gemeinfchaft der „rechten Chriften” gebe. Sie waren 
ganz anderer Anficht als die, welche das wahre Chriftenthum an 
beftimmte Lehrfäte und Formen banden. 

Wir verbammten diejenigen nicht, fagten fie, welche nicht in 
unjeren Gemeinden leben, und Halten e8 für fünblich, daß bie 
römische Kirche alle von ber Seligteit ausjchließt, welche dem Papfte 
nicht unterthan find. 

Bruder Gregor, ein Neffe Rokycanas, jchrieb eine beſondere 
Abhandlung über diefe wichtige Frage und jagt darin u. A.:, Es 
könnte Iemand jagen, dag wir alle diejenigen verbammen und 
verwerfen, jo im Gehorſam der römischen Kirche ſtehen, feit Con⸗ 
ftantin den Glauben empfangen und Sylveſter den Reichthum .... 
Das ift aber unfere Meinung mit nihten.... Denn wie wir 
die Erwählten in der indiſchen und griechifchen Kirche nicht ver- 
werfen, ſo verdammen wir auch nicht die Erwählten unter den 
Römern ....“y. 

Die Seligkeit iſt weder an Ort noch an Zeit noch an äußere 
Mittel (als welche ſie ausdrücklich die Sacramente bezeichnen) ge⸗ 
bunden. Aber nach ihrer Anſicht ſollten diejenigen, welche in ihrer 
Gemeinſchaft lebten, ein reines Volk ſein in dem Sinne, wie es 
Chriſtus und die Apoſtel gefordert hatten. Eben die Mittel, welche 
zur Erzielung einer ſolchen Reinheit (ſoweit ſie auf dieſer Welt 
möglich) in den h. Schriften vorgezeichnet waren, unter Anderen 
die Kirchenzucht durch Ermahnung und Bann, wollten ſie gewiſſen⸗ 
haft in Anwendung bringen. Sie legten darum den größten Werth 
auf deren Handhabung. 

In der Heilighaltung der Gewiſſensfreiheit gingen fie jo weit, 
Daß fie felbit die von ihnen aufgeitellten Glaubensnormen und 


1) Soll a. O. ©. 12. Anm. — Unter der indiſchen Kirche verfteht Gregor 
bie „großen Länder unter dem Priefter Johannes“. „Auch waren zwei Männer 
in Prag zugegen geweſen und erzählten, wie die Menfchen bort leben“. 

. 19* 


292 


Belenntniffe nur dadurch zur Geltung bringen wollten, daß fie 
beren Annahme empfablen. 

Die Lehre von der Freiheit des menjchlichen Willens hielten 
ste mit allen Folgerungen, die fich daran für die Auffafjung von 
Rechtfertigung und Erlöfung knüpfen, entfchieden feft. 

Im ganzen 15. Jahrhundert und bis zum Sabre 1536 war 
bei ihnen gültiges Geſetz, daß fie die Erwachſenen tauften. 
Sie fagten, dieſe Taufe fei ein Zeichen des Bundes, welchen der 
Einzelne in feinem Gewiſſen mit Gott eingehe!), Dabei hatten 
fie aber die Eigenthümlichkeit, daß fie auch an den Kindern eine 
Waffertaufe vollzogen; doch knüpften fie eine Gnadenwirkung richt 
daran, jondern betrachteten dieſen Alt als eine Art von Namen- 
taufe. Beſondere Umſtände veranlaßten die Führer der Brüder, 
‚biefen Gebrauch im Jahre 1536 aufzugeben und an die Stelle ber 
zweiten Taufe die Handauflegung zu feten, die Kindertaufe aber 
‚nach dem Muſter der herrſchenden Kirche in Gebrauch zu nehmen. 

Dezeichnend für den Ernft, mit welchem fie das Chriftenthum 
‚auffaßten, war es, daß fie fofort daran gingen, die Vorfchriften 
‘befjelben auf das praktiſche Leben zu übertragen. Ste forderten 
zunächft von Jedem, auch von dem Reichen eine einfache Lebens» 
haltung, welche im ganzen Auftreten äußere Pracht und Lurus 
ausſchloß. Innerhalb ver Brübergemeinfchaft follte e8 Feine Armen, 
d. 5. Nothleivende geben; ohne die Gütergemeinfchaft einzuführen 
‚war jeder wohlhabende Bruder verpflichtet, foniel von dem Seinigen 
‘zu geben, als zur Abwehr der Noth unter den Brüdern erforderlich war. 

- Alfe unpartheitfchen Forfcher ftimmen darin überein, daß ein 
‚tiefer fittliher Exrnft dem Beginnen der Brüder zu Grunde lag; 
das Ideal einer chriftlichen Gemeinde zu verwirklichen, war ihr 
Streben. 

Gleichwohl iſt e8 ihren Gegnern gelungen, fie in ber öffent» 
Then Meinung frübzeitig herabzıfegen. Man Hat ihnen erfolg. 
reich einen Scheltnamen angebangen, indem es üblich ward, fie 
Pidarden zu nennen. Der Name Beghard oder Pidard hatte 
in jener Zeit einen üblen Klang in Deutjchland. 


1) v. Zezſchwitz bei Herzog u. Plitt Realencyklopädie 2. Aufl. II, 672. — 
Goll a... O. 1, S. 38 und 125. 








293 


Je mehr diefe „Stillen im Lande” fich von der Oeffentlichteit 
zurüdgogen und nur wenig von fich reden machten, um fo leichter 
ward es ihren Gegnern, die Unkenntniß der Mafjen zu Verun⸗ 
glimpfungen aller Art zu benutzen. 

Natürlich gab es auch unter ihnen ſchlechte Menſchen. Da 
die Gemeinden gerade auf die Rettung der „Sünder“ ihr chriſtliches 
Abſehen gerichtet hatten, ſo geſchah es wohl, daß ſie von ſolchen 
Perſonen, die ohne wahre Beſſerung zu ihnen übertraten, ſpäter 
ſchwere Enttäuſchungen erfuhren. Denn man weiß ja, daß ſolche 
Perſonen ſelbſt bei gutem Willen dem Rückfall leicht ausgeſetzt ſind. 


Da die Jahre, welche dem Tode König George (F 1471) 
folgten, ven Gemeinden zeitweilig Ruhe und Frieden brachten, fo 
zeigte e8 fich raſch, Daß die waldenſiſchen Ideen dort, wo man ihnen 
Spielraum gewährte, eine jehr ſtarke Erpanfionskraft bejaßen. 

Um das Jahr 1500 waren ihre Gemeinden auf 300—400 
und die Zahl ihrer Mitglieder auf vielleicht 200,000 angewachſen; 
in Böhmen und Mäpren hatten fie ihre Hauptfige. Auch wiſſen⸗ 
ſchaftlich gebildete Männer und fruchtbare Schriftfteller gab es 
unter ihnen, und vor Allem warb die neu aufgelommene Kunft des 
Buchdrucks eifrig von ihnen geübt‘). 

Es verdient Doch Beachtung, daß eriviefenermaßen von ben 60 
während der Sabre 1500—1510 in Böhmen erjchienenen Schriften 
allein 50 den „Brüdern und nur 10 den Katholifen und Utra- 
quiften angehören, welche viel zahlveicher waren als jene. Während 
die Brüder im Jahre 1519 über zwei Drudereien verfügten, ber 
jaßen ihre Gegner zufammengenommen nur eine einzige. 

Die Schulen ber Brüder waren weit und breit berühmt; 
als die Bewegung bereit8 unter dem äußeren Drucke wieder ſchwer 
Yitt, erfreute fich die unter Rudingers Leitung ftehende Schule zu 
Evanziz eines folden Ruf, daß ihr Zöglinge aus allen Theilen 
Deutſchlands anvertraut wurden). — 


1) Krummel L., Utraquiſten und Taboriten. Gotha 1871 ©. 247. 
2) v. Zezſchwitz, a. O. ©. 144. Später war Joh. Dend (r 1605) Reetor 
der Schule (Font. Rer. Austr. Script. V. p.300). 





294 


In der neueren Kirchengefchichte finden fich feine Mittheilungen 
von ber geiftigen Regſamkeit und von der Fülle der Gaben, welche 
in dieſer Heinen Gemeinfchaft fich vereinigt fanden. 

Ein neuerer Forſcher hat nachgewiefen, dag Bifchof Lukas von 
Prag (F 1528) allein über 80 Schriften veröffentlicht Hat, darunter 
Manche von bedeutendem Umfange. Ein anderer „Bruder“, Bla 
hoslav (F 1571), fteht al8 Autor von 22 Schriften da, einer ber 
Begründer der Gemeinfchaft, Gregor, bat mehr denn zehn verfaßt). 
Viele von diefen Büchern find Iateinifch gejchrieben und verratben 
nach dem Urtbeil eines Fachmanns eine nicht gewöhnliche theolo- 
giſche Begabung. 

Beſondere Beachtung verdienen die Confeffionen und Apologien, 
welche aus ihrem Kreis hervorgegangen find. Abgefehen von den 
älteren Schriftftüden bejiken wir aus ben Jahren 1503—1508 
allein deren fünf, und zwar drei für König Wladislav aus ben 
Jahren 1503, 1504 und 1507, eine an die böhmischen Stände und 
eine aus 1508 als Apologie für Jedermann 2). 

Eine Ueberfegung des Neuen Teſtaments veröffentlichte der 
oben erwähnte Blahoslan. 

. Aber e8 war mit nichten blos das Gebiet der Theologie, auf 
welchem bie „Brüder“ thätig waren. Blahoslavs böhmifche Gram⸗ 
matik gilt für ein Wert von jo hoher Linguiftticher Bedeutung, daß 
man fie noch in unjerem Jahrhundert wieder aufgelegt bat. ‘Der 
jelbe Hat ein epochemachendes Werk über Muſik gejchrieben; e8 er- 
lebte, ſpäter erft veröffentlicht, nach zwei Jahren fchon die zweite 
Auflage. In Bezug auf die Kirchliche Lieberbichtung der „Brüder 
jagt ein Sachverjtändiger, Daß fie allein ſchon geeignet ift, ben 
Letzteren ein unſterbliches Gedächtniß in der Kirche zu fichern 3). 

Um ihre umfangreiche Literatur zum Druck zu bringen, fuchten 
fie Verleger und Buchdrucker in den benachbarten größeren deutſchen 


1) v. Zezſchwitz a. DO. ©. 143. 

2) Fontes Rerum Austriacarum 2 Abth. Bd. XIX 1859 ©. 453 ff. — Man 
kann aus den Jahren 1467—1671 34 Eonfeffionen in böhmiſcher, Tateinifcher 
und deutſcher Sprache nachweiſen. So erſchien z. B. ſchon die Eonfeifion von 
1524 im deutſcher Ueberſetzung. Vgl. v. Zezſchwitz bei Herzog und Plitt a. O. 
II, 660. 

3) v. Zezſchwitz a. O. S. 143. 














295 


Städten auf.. Beſonders war e8 Nürnberg und feine Prefien, 
welches ihren Wünjchen hierin entgegenkam. So wurbe die Apo⸗ 
logie des Jahres 1508 in Nürnberg zuerit böhmifch, dann im Sabre 
1511 auch in lateinifher Sprache gebrudt !). 

Es iſt ganz unrichtig, wenn man glaubt, daß eine folche Fülle 
geiftigen Lebens ohne Rückwirkung auf die verwandten Ideenkreiſe 
und Beitrebungen in den Nachbarländern hätte bleiben können. 

Schon die Literatur felbft, welche zum größten Theil in la⸗ 
teinifcher Sprache gejchrieben war, fand ihren Weg naturgemäß in 
das Reich. AS nun aber feit dem Jahre 1503 eine ſchwere DVer- 
folgung über die Brüder hereinbrach, mußten bie verfprengten Mit⸗ 
glieder wie weithin verwehte Funken zündend wirken. Wir wiſſen, 
daß die vertriebenen Böhmen überall, wohin fie kamen, fofort mit 
den Neften der alten Brüdergemeinden im Neiche, in ber Schweiz 
und in Frankreich Fühlung fuchten. 


1) Dal. Goll I, 124. 


| Dreischntes Capitel. 
Die altevangelifchen Gemeinden beim Beginn der Reformation. 


Der internationale Zufammenbang der Gemeinten. — Die „wälfchen‘ Brüder 
‚und- ihre Beziehungen zur Schweiz. — Die „Belannten” in England. — 
Die „Begharden“ in den Niederlanden und die „Brüber des gemeinfamen 

Lebens“. — Die „Brübergemeinden‘ im Reiche. — Der innere Zuftand bes 
- MWaldenfertbums vor der Reformation. — Der Waldenfer- Katechismus bes 
15. Jahrhunderts. — Die religids-firchlichen Principien und ihre Verküm⸗ 
merung. — Die Verwirrung und Verſtümmelung der alten Tradition. — 
Verkehrte Auffafjung der Gleichheit und Brüderlichkeit. — Der Mißverſtand 
der Lehre vom „inneren Wort“. — Gänzlicher Abfall einzelner Gemeinden von 
den Grundprineipien. — Nothwendigfeit einer burchgreifenden Regeneration. 


Eine Hiftorifhe Unterfuchung, welche ven Einfluß ber älteren 
Neformparteien auf die religiöfe Bewegung des 16. Jahrhunderts 
fejtzuftellen trachtet, muß die Thatfache im Auge behalten, daß nicht 
bloß die deutſchen Brüdergemeinden e8 gewefen find, welche ihre 
Einwirkung zur Geltung gebracht haben, fondern daß bie „Brüder 
anderer Länder an der deutfchen Entwiclung fich betheiligt haben). 

Tür den engen Zuſammenhang ſelbſt unter den verjchieden- 
Iprachigen Gemeinden ift die Thatfache bezeichnend, daß ein und 
daffelbe Lehrbuch für den Neligionsunterricht in den Schulen in 
Frankreich wie in Italien, in Deutfchland wie in Böhmen noch um 
das Jahr 1500 und darüber hinaus bei den Gemeinden im &e- 
brauche geweſen ift. 

Es ift uns ein „waldenſiſches“ Fragebuch für den Kinderunter⸗ 
richt (Katechismus) in drei Sprachen und Bearbeitungen aus 
dem 15. Jahrhundert erhalten. 


1) Ich bemerke ausdrücklich, daß noch im 15. und im Anfang bes 16. Jahr⸗ 
bundert8 der Name „Waldenfer‘‘ vor der ‘Partei jelbft nie und von Anbern 
felten gebraudt wird. Es find nur die Namen der „Brüber‘ over ber „Ge 
meinden‘ oder die befannten Kegernamen, welche vorlommen. 


297 


Die neueren Unterfuchungen!) haben ergeben, daß die proven- 
caliſche Form des Katechismus als älteſte Bearbeitung zu gelten bat. 

Die Brüder in Böhmen haben, als fie das Werk für ihre 
Schulen übernahmen und es in die böhmifche Sprache überfekten, 
eine Reihe von Abänderungen darin vorgenommen, die indeſſen bie 
religiöfen Grundgedanken nicht berühren. 

Diefe böhmifche Form ift dann bei den deutfchen Gemeinden 
(natürlich in deutfcher Sprache) recipirt worden und bat bier eine 
Bedeutung erlangt, welche bei weiten noch nicht genügend gewür⸗ 
digt ift?). 

Da die Verbreitung, welche dieſes Buch in Deutſchland erlangt 
hat, zugleich einen Fingerzeig für die Verbreitung waldenſiſcher Ideen 
giebt, ſo will ich darauf aufmerkſam machen, daß von Zezſchwitz be⸗ 
reits im Jahre 1863 zehn verſchiedene deutſche Auflagen und Aus⸗ 
gaben bis zum Sabre 1530 und zwei alte Bearbeitungen (aus 1524 
und 1527) nachweifen Tonnte?). 

Ehe wir indeffen auf den Inhalt Diefer wichtigen Duelle näher 
eingeben, ift e8 nothwendig, daß wir uns ein Bild darüber zu ver- 
ichaffen fuchen, mit welcher Gemeindezahl die „Brüder“ in die große 
religiöje Bewegung des 16. Jahrhunderts eintraten. 

Zeider find Die Forfchungen gerade über dieſen Punkt noch 
außerorventlih im Rückſtand, aber e8 laſſen fich doch wenigitens 
einige Thatjachen beibringen. 


Die erften Jahrzehnte des 15. Jahrhunderts waren in den 
romanifchen Ländern ebenfo wie anderwärts für die „Brüder“ 


1) Zezſchwitz Die Katehismen der Walbenfer und böhmifchen Brüder 
Erl. 1863. 

2) Es wäre im Anichluß an Zezichwit eine neue Unterfuchung über die Ber- 
breitung biefes Katechismus, beſonders auch unter den nachmaligen Täuferge- 
meinben, ſehr wünfchenswerth. 

3) Es ift merfwürbig, daß ſowohl die Orte, wo dieſer Katechismus gedruckt 
und gebraucht ward, wie die Perfonen, welche in ihren uns erhaltenen Schriften 
nachweislich ſich an deſſen Ideen anlehnen, mit dem fogenannten „Täuferthum“ 
in engſter Beziehung ſtehen. So hat nachweislich die Gemeinde zu S. Gallen 
das Fragebuch im Gebrauch gehabt (ſ. v. Zezſchwitz S. 267), dieſelbe Gemeinde, 
in der die täuferiſchen Bewegungen beſonders frühzeitig Wurzeln geſchlagen haben. 
Unter ben Autoren aber, welche ſich an ben Katechismus anlehnen, ift in erſter 
Linie Hans Dend zu nennen. 


298 


ſchwere Zeiten gewejen. Bon da an hatten fie eine Zeit lang Ruhe 
gehabt; fie Hielten fich äußerlich zur katholiſchen Kirche, und Die 
Obrigkeit Tieß fie gewähren. 

Das Jahr 1476 brachte für die „Brüder“ in Savoyen einen 
traurigen Umſchwung mit fi. Herzogin Solanta, welche damals 
als Vormünderin ihres Sohnes Carl das Land regierte, Tieß ſich 
durch den Erzbifchof von Turin zu dem Entſchluß beftimmen, alle 
„Häretiker“ auszurotten?). 

Seit dem Regierungsantritt Papft Innocenz VIII. (1484) be 
gann ein planmäßig angelegter Vernichtungskrieg. Der päpftliche 
Legat Albert de Eapitaneis ftellte fih an Die Spike einer Armee 
von 10,000 Mann und brang damit in die Walbenferthäler ein. 
Er erreichte fein Ziel nicht, da die „Brüder“, welche gemäß ihren 
uralten Grundfägen zwar den Krieg verwarfen, aber die Nothwehr 
für erlaubt Hielten,, fi mannhaft zur Wehr ſetzten. Der Legat 
berichtete im Jahre 1489, daß die Zahl der Ketzer 50,000 betrage. 

Im Jahre 1500 begann Margaretha von Foix, Herzogin von 
Saluzzo, ebenfalls ihre waldenfifchen Unterthanen zu verfolgen). 

Nicht beſſer wie den italtenifchen „Brüdern erging es ben- 
jenigen, welche unter franzöfifcher Oberhoheit lebten. Es waren 
bier im 15. Jahrhundert ebenfo wie früher die Stadt Lyon ſowie 
die Daupbine und die Provence, wo die Brüder zahlreich wohnten. 
Es wird ausdrücklich berichtet, daß in der Dauphine auch viele vor- 
nehme Familien fich nicht fcheuten, die Häretiker aufzunehmen und 
zu begünftigen 9). | 

Schon 1380 begann die Verfolgung; in den Thälern Val⸗Pute, 
Argentiere und Fratfjiniere jowte in Grenoble und Embrun fanden 
Hinrichtungen ftatt. 

Während der Mitte des 15. Jahrhunderts war es dann ftill 
in diefen Gegenden. 

Die Verhaftungen und Verhöre, welche fett dem Jahre 1486 
porfielen, und deren Protocolfe uns theilweife erhalten find, beftätigen 
nicht nur die fortgefeßte Strenge der Regierungen, jondern auch 


1) Das bezügliche Religionsedict vom 23. Januar 476 ift abgebrudt bei 
Hahn Gefchichte der Ketzer II, 705. 
2) Herzog Die rom. Waldenjer S. 274. 3) Herzog a. O. ©. 275. 











299 


die Thatfache, Daß gegen Ende des 15. Jahrhunderts im füblichen 
Frankreich die Verfaſſung und die Lehre des älteren Waldenſer⸗ 
thums noch immer in ihren Hauptpunkten vorhanden war. Der 
gefangene Anton Blafius von Angrogne kennt im Jahre 1486 noch 
die „Apoftel”; Franz von Gerundino im Jahre 1492 den befannten 
„Magister major und minor“. Der lettgenannte weift in alter 
Weife auch den Namen „Waldenjer” zurüd und nennt als Namen 
feiner Bartei die Bezeichnungen „Arme von Lyon“ over „Fratres“ '). 

Welche Bedeutung das Waldenfertfum um das Jahr 1500 
noch hatte — die Zahl der Prediger (Barben) wird von einem 
Waldenjer auf 400 angegeben?) — erjeben wir aus den Verband» 
ungen, welche um diefe Zeit vor den erften Würbenträgern des 
Reichs, den Abgefandten des Parlaments von Grenoble, dem Erz 
biihof von Embrun und den Vertretern der „Brüder“ zu Paris 
ftattfanden. König Ludwig XII. beftätigte in einem Briefe aus Lhon 
vom 12. Dct. 1502 die Beichlüffe diefer Verſammlung. 

Sm Jahre 1503 zeigte e8 fih, daß auch in Paris, welches 
in früheren Jahrhunderten zahlreiche Ketzer beherbergt batte, noch 
immer folche vorhanden waren. Der Begharde Hemon, welcher fich 
die Provocation eines römijchen Geiftlichen hatte zu Schulden kom⸗ 
men laffen, wurde zum Tod in den Flammen verurtheilt und in 
dem genannten Jahr wirklich hingerichtet 3). 

Auch in Savoyen ſah man fich veranlaßt, zu. Beginn des 
16. Sahrhunderts den „Ketzern“ eine größere Beachtung zu ſchenken 
als bisher. | 

Herzog Franz IL ließ im Jahre 1502 eine Disputation mit 
ihnen veranitalten, ver er ſelbſt beiwohnte. 

Im Jahre 1517, alfo in demſelben Jahre, wo in Ehurfachien 
die religiöfe Bewegung begann, bielt ver Erzbiſchof von Zurin, der 
Cardinal Claudius Sehffel, das Waldenfertbum für fo gefährlich, 

1) Herzog a. O. ©. 277ff. — Die Protocolle find ungemein wichtig für 
die Kenntniß des Zuftands der Waldenfer vor der Reformation und verdienten 
eine beiondere Veröffentlichung. 

2) D’Argentre Coll. judic. I, 105: In alio processu quispiam e secta Wal- 
densium interrogatus, quot Barbae in istis regionibus Delphinatus et Sabau- 


diae essent, respondit, eos omnino esse quadringentos, hoc est 400 pastores. 
3) D’Argentre Coll. jud. I, 547. 


300 


daß er fich entſchloß, perſönlich in einen literarifchen Kampf mit 
ihnen einzutreten. Er fchrieb ein Buch, welchem er den Titel gab: 
„Disputatio adversus errores et sectam Waldensium“ 1). 

‚ Indefien gelang es diefen Bemühungen jo wenig wie allen 
früheren, die Partei von ihren Ideen abzubringen. 

Die erften Schritte zu einer erneuten Ausbreitung waren bes 
reits vor dem Ausbruch der lutherifchen Bewegung dadurch geſchehen, 
dag die Bebrängniffe ver letzten Jahrzehnte zahlreiche franzöfifche 
und italifche Brüder zur Auswanderung in die Schweiz und deren 
Nachbarländer bewogen batten. 

Sie brachten ihre Schriften mit an die Orte, wohin fie kamen 
— daber rühren unzweifelhaft die Sammlungen romaniſcher Wal- 
denfer-Literatur, welche fich in Genf und Zürich bis heute erhalten 
haben — und lateiniſche Neberjegungen ermöglichten auch Denjenigen 
das Studium, welche der romaniſchen Sprache nicht mächtig waren. 

Es verfteht fich, daß die Thätigkeit der Flüchtlinge nicht ſofort 
in größeren religiöfen Bewegungen fichtbar wurde. Aber ein Same 
ward ausgeftreut und gepflanzt, der, fobald die Zeitläufte fich 
günftig geftalteten, der Aktion den Boden bereitete. 


Bei dem erwähnten innigen Zuſammenhange ver „Brüderge⸗ 
meinden‘ der verfchievdenen Länder mußte e8 auch für Deutſchland 
ins Gewicht fallen, daß die „Belannten” in England in ben 
erjten beiden Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts und vor Luthers 
Auftreten neu erwachten und erjtarkten und nach dem Zeugniß 
G. Lechlers felbit die Perfonen höherer Stände geiftesmächtig von 
der Bewegung erfaßt wurden ?). \ 

Techler belegt feine Behauptung mit einer Reihe urkundlich be 
glaubigter Thatſachen, deren Einzelheiten man dort nachleſen mag. 
| „Bemerkenswerth“, fagt LXechler, „find mehrere Züge, welche aus 

diefen und andern damit zufammenhängenden Verhören bervor- 


1) Ein Auszug bei D’Argentre a. ©. 1,105f. Ich Habe mich in einer großen 
Anzahl Bibliotheken vergeblich bemüht, das Wert felbft zu erhalten. Für bie de 
nrtbeilung des Belenntnißftandes der Waldenſer im Jahre 1517 ift baffelbe von 
erheblicher Bebeutung. 

2) Lechler Joh. v. Wichf und bie Vorgeſchichte der Reformation 1873 Bd. I, 
©. 454 ff. 








301 


leuchten. Einmal der geichloffene Verein, die innige brüderliche Ge⸗ 
meinſchaft zwifchen jenen Leuten, welche Durch die gemeinfame Liebe 
zu Gottes Wort, aus dem fie fich erbauten, verbunden waren. Sie 
nennen fich “Brüder in Chrifto’, beißen ihren Verein die Bruder⸗ 
Schaft’, bezeichnen fich auch als die Erkannten'“. 

Wenn man zweifelt, ob dieſes Erwachen des altevangelifchen 
Geiftes in England auf die deutſchen Verhältniffe von Einfluß 
‚babe fein Tönnen, jo will ich bemerken, daß um jene Zeit einzelne 
teformfreundliche Engländer fich eine angefehene Stellung im Reiche 
verſchafft Batten. | 

Ich rechne dahin den Engländer Richard Erocus, den 
intimen Freund und Gefinnungsgenofjen des Ulrich von Hutten 
und des Grafen Hermann von Neuenahr. 

Crocus war feit 1515 Profeſſor der griechifchen und Iateinifchen 
Sprache zu Leipzig, und er hat in diefer- Stellung nicht nur in 
ſprachlicher Hinficht auf Die deutſche Jugend eingewirkt. 

Wir fehen aus Huttens Briefen, daß Erocus an den reli- 
giöfen Tragen ben lebbafteften Antheil nahm. Auch Joachim Came- 
rarius und andere deutſche Sünglinge verehrten den Crocus. 

Derielde kam im Jahre 1517 nad Bafel, und hier traf er 
an dem uralten Sike der „Brüder“ eine Reihe von Freunden, 
welche in der nachmaligen großen Geiftesbewegung eine hervor⸗ 
tragende Rolle gefpielt Haben, unter Anderen den Wolfgang Ca» 
pito und Hans Dend — ein Umitand, auf welchen wir fpäter 
zurüdfommen werben. 


Als die „Pickarden“ — wie man die Begharden oder „Brüder“ 
in Böhmen nannte — um das Jahr 1512 eine Gejandtfchaft in 
die Niederlande fandten, um mit Erasmus Beziehungen ans 
zufnüpfen, wußten fie wohl, daß auch in dieſen Gegenden noch Nefte 
der „Brüdergemeinden‘ vorhanden waren. 

Die Ideen der älteren niederländifchen „Begharben” waren 
gerade hier in einer neuen Geftalt zu Bedeutung gelangt, nämlich 
in jenen „Brüdern“, welche man „Brüder des gemeinfamen 
Lebens" nannte, 

Erasmus felbft Hatte feine Schulbildung in einer „Begharden⸗ 


302 


Schule" — denn jo nannte das Voll in den Niederlanden bie 
Schulen der „Sraterheren‘‘, welche von Gerhard Groot berftammten') 
— erhalten. 

Es war freilich nicht nur das Volk, welches von „Begharden“ 
ſprach, wenn von den Braterheren die Rebe war. Vielmehr er- 
fannten auch einzelne Inquifitoren die Verwandtſchaft an, indem 
fie die gefeglichen Beftimmungen, welche früher gegen bie Teßerifchen 
„Begharden“ erlaffen waren, auf die „Brüder“ zur Anwendung 
brachten und ihre Schulen einfach ſchloſſen). Ja, ein amtliches 
Gutachten der Juriſten⸗Facultät zu Köln vom Jahre 1398 3), welches 
in einer Streitfache mit den Inquifitoren ergangen war, gebraucht 
anftatt des Ausdruckes „Fratres vitae communis“ immer die De- 
zeichnung „Beghardi“, und der Inquisitor Belgieus fpricht in 
einem Promemoria einfach von ber „Secta Gerardinorum“ 9). 
Das Kölnische Gutachten fiel nicht gegen die „Brüder“ aus; aber 
das Promemoria des Ingquifitors behauptet, daß Die Anwendung ber 
Kegerparagraphen auf die „Brüder“ feitens der Kölner nur aus 
mangelnder Kenntniß der wahren Tendenzen der „Sekte unter- 
blieben ſei. 

Schon Gerhard Groot felbft Hatte ſich und Die Seinigen gegen 
- ben Vorwurf vertheidigen müffen, daß feine Lehre ketzeriſch jei?), 
und der Dominikaner Matthäus Grabow Tonnte e8 in einer eigens 
zu biefem Zwecke verfaßten Schrift wagen, die Fraterherrn öffentlich 
deſſelben Verbrechens anzuflagen. 

Im Iahre 1504 ftellt der Auguftiner-Eremit Joh. Schiphower 
ben Gerhard root als denjenigen bin, welcher den Primat unter 
den Teterifchen Lollharden führe, 

In der rechtgläubigen Literatur jener Tage wurden die „Beg- 
hardi“ und „Gerardini‘ als gleiche &emeinfchaften bezeichnet. 


1) Vulgus eis... illud multiplicis potestatis Beghardorum et Lolhardo- 
rum nomen imponebat, quia non secus atque Beghardi sine votis vitae el 
victus societatem colebant, vestimentis insolitis utebantur et pietatem tam ver- 
bis quam exemplis vulgari majorem profitebantur. Mosheim De Beghardis©.432. 

2) Mosheim a. O. ©. 432. 

3) Abgedruckt bei Mosheim S. 433. 4) Mosheim a. O. ©. 483. 

5) Buſch Chron. Windesh. lib. I. c. 3 nad Giefeler KG. II, 3 ©. 231 
Anm. 20. 


303 


Indeſſen darf gleichwohl nicht überjehen werden, daß, wenig. 
ſtens der Form nach, zwifchen den älteren „Brüdern — denn 
diefe find unter „Beghardi“ zu verftehen — und den Fraterherrn 
ein Unterfchied vorhanden war. 


Wie fteht e8 num mit der Ausbreitung der „Gemeinden“ in 
Dentichland während unferer Periode? 

Wenn man erwägt, dag ein Buch von fo ausgeprägt walden- 
ſiſchem Charakter wie jener Katechismus in acht Jahren zehn Auf- 
lagen bei uns erleben konnte, fo darf man daraus den Rückſchluß 
machen, daß das deutſche Waldenferthum auch um den Beginn ver 
Reformation noch eine ftarke Vertretung im Reiche befelfen bat. 

In der That laſſen ſich in den Jahren 1460 bis 1520 eine 
Reihe von Gemeinden biftorifch nachweifen, und es tft mit Sicher- 
beit vorauszufagen, daß bei fortjchreitender Forſchung fich noch 
weitere Spuren finden werben. 

Im Jahre 1461 Hören wir von einer blutigen Verfolgung der 
„Brüder“ im Bisthum Eichſtädt, wo fehon im Sahre 1447 
über deren Verbreitung Klage geführt worden wart). 

Biſchof Johann III. von Eichſtädt überfandte die Prozeßakten 
an diejenigen feiner Amtsbrüber, welche von denſelben zum Zweck 
der Inguifition Gebrauch machen Tonnten. So erhielt fie auch 
Biſchof Arnold von Basel, in deffen Didcefe demnach die Eichftädter 
Kleber Verbindungen befeffen haben. 

Um 1470 fol eine große Anzahl von „Ketzern“ in der Nähe 
von Windsheim in Franken zur Strafe gezogen worben fein. Um 
das Jahr 1475 fchreibt Matthias von Kemnat: „Der Ver—⸗ 
fehrer und Winkelprebiger find faft viel vor dem Böhmermwalde, 
befonders um Eger und im Vogtland”. „Aber was unmäßlicher 
großer Bosheit, Schalfheit, Büberei die Begharden und Lollar— 
den treiben und die Winkelprebiger vor dem Böhmer Walde”, heißt 
e8 an einer andern Stelle, „will ich zu diefem Mal nicht von 
jchreiben, denn e8 bebürfte mehr Schreiben, denn eine Biblia inhalt 2). 

Derjelbe Matthias von Kemmat beftätigte die gleiche Thatſache 
in Bezug auf Schwaben und bie fübmweitlichen Reichsgebiete. Er 


1) 8. Haupt a. O. ©. 4. 2) H. Haupt a. DO. ©, 48. 


304 


erzählt: . „Deßgleichen zu Ulm und voraus in dem Schwarzwald 
und Würtembergifchen Lande find über Die Maßen viel Lollar 
ven, Begharden und Beghinen, von denen man viel Uebles Tagt 
mit Unteufchheit und anderer Buberei zu vollbringen‘ N). 

Sn der Mart Brandenburg braden um das Yahr 1480 
fchwere Verfolgungen wider die „Brüder“ aus. „Diele, heißt es 
in der Chronik, „find Damals in der Mark getödtet worden mit 
Schwert, Waffer und Feuer”. Da fehrieben fie an die Brüder in 
Böhmen — der Brief ift noch erhalten) — und Hagten ihr Leib 
und erzählten, daß fie in die Wälder Hätten flüchten müſſen, wo 
ste noch feien. Darauf ſchickten die „Chriften” in Böhmen eine 
Gefandtfehaft in Die Mark und die Geretteten wanderten aus und 
famen nach Böhmen, wo fie ſich meiſt in Landskron und Fulnek 
niederliegen ). Es ift fein Zweifel, daß die Mehrzahl der Gemein 
den jener Jahre fich in die Gebirge, welche im Often und Süden 
das Reich begrenzten, zurückgezogen hatten. Aus den verfteckten Thä⸗ 
lern aber, in welchen fie unter dem Schleier des größten Geheim⸗ 
niſſes eriftirten, ift natürlich Teine Kunde in die Alten gedrungen, 
aus welchen wir heute unfere Geſchichtskenntniß ſchöpfen. Aus diefem 
Mangel an Nachrichten auf die Nichteriftenz zu Schließen ift indeſſen 
gänzlich unerlaubt. 

Abgelegene Mühlen, Weiler, Höfe wurden bie gewöhnlichen 
‚Site der „Brüder“, und im Heinften Sreife fammelten fie fich, wenn 
fie ihren Gottesdienſt hielten, um jedes Auffehen zu vermeiden. 

Dies find die Verfammlungen, welde in Tritheims Spon- 
heimer Chronit zum Sabre 1501 befchrieben werben 2). „Sie kom⸗ 
men zuſammen“, fagt Tritheim, „in Gruben und verborgenen 
Höhlen zur Nachtzeit; Hier treiben fie wie Beftien ſchaͤndliche Un- 
zucht u. ſ. w. Diefes niederträchtige Gefchlecht wächlt und mehrt 
fih täglich auf eine wunderbare Weile”. In Böhmen ſei ihre Zahl 
im Jahre 1501 größer als 19,000 gefunden worden, darunter ſehr 
viele nom Adel und den Mächtigen des Landes, von welchen einer, 
Namens Chriftopb, 40,000 Goldgulden für feine armen Genoffen 

1) Haupt a. O. S. 10. 2) Abgedruckt bei Goll a. O. ©. 121. Anm. 18. 


3) Näheres bei Goll a. DO. ©. 122f. 
4) Vgl, D’Argentre Coll. judie, I, 342, 





305 


in der Sekte hergegeben babe. Diefe Menfchen, fährt der fromme 
Abt fort, welche keinen Gott und fein Herz Haben und voll bes 
Satans find, behaupten von fich, Daß fie das veben der apoftolifchen 

Gemeinden nachahmten. 

Aus dem Jahre 1515 erfahren wir aus einem Gerichtshuch 
von Münchberg in Oberfranken, dag ein Bauer von Markersreuth 
feinen Nachbar einen „heimlichen Ketzer“ genannt hattet). Im Jahre 
1517 bat Willibald Pirkheimer eine Notiz aufgezeichnet, in welcher 
er ausbrüdlich darauf hinweiſt, daß den DVerfolgungen zum Troß 
die böhmischen Irrlehren fortwährend neue Anhänger gewännen. 
Es kann ebenfowenig zweifelhaft fein, daß er damit auf die erfolg- 
reihe Propaganda der „Brüder“ hinweiſt, als daß Die Notiz fich 
auf Beobachtungen ftütt, die Pirkheimer in feiner fränkiſchen Heimath 
gemacht Hatte. 

Im Jahre 1504 tönt ung aus der Nähe Baſels eine ähnliche 
Klage entgegen. In diefem Jahr ſchrieb Jacob Wimpheling, damals 
in Schlettſtadt, einen Brief an den Erzbiſchof Jacob von Mainz, 
in welchem er Vorſchläge macht, um eine Reform des Clerus her⸗ 
beizuführen. Als einen ſeiner Gründe führt er den Umſtand an, 
daß man auf dieſem Wege „das böhmiſche Gift von Deutſch⸗ 
land abhalten” werde). 

Es ift uns zufällig überliefert, was man in Wimphelings da- 
maliger Heimath unter dem Ausdruck der böhmischen oder huſſiti⸗ 
fchen Ketzerei verſtand. Im Jahre 1525 nämlich, als die Stadt 
Waldshut unter Führung des „Wiedertäufers“ Balthbafar Hub- 
meter die Tirchliche Neform begonnen hatte, erließen bie Städte 
Freiburg und Breiſach ein Schreiben an Waldshut und forderten 
fie auf, „von der kegerifhen und huſſiſchen Lehre abzuftehen‘ 3). 


1) H. Haupt a. O. ©, 49, 

2) Hagen Deutichlands lit. u. rel. Verhältniffe im Zeitalter der Reform. 
Sranff. 1868 I, 358, 

3) Schreiber Taſchenbuch für Süddeutſchland 1839 S. 84. Die Stelle, 
welche aus der „Berantwortung der Stadt Waldshut an alle chriftgläubigen 
Menfchen ‘ entnommen ift, lautet: „Zum vierten werben wir fezerifch und 
hufſſiſch gefcholten; alsdenn unfere Herrn und Nachbarn die zwei Stäbte Frei- 
burg und.Breifach im Breisgau uns jüngft zugefchrieben: wir follen der ketzeri⸗ 
ſchen und huſſiſchen Lehre abſtehen“. 


Keller, Die Reformation. 20 





306 


Es erhellt Daraus deutlich, daß die Lehre, welche damals xar” 
&doynv als „Böhmische Ketzerei“ betrachtet ward, Diejenige der 
böhmifchen Brüder war, welcher Hubmeier, wie fich zeigen wird, 
außerordentlich nahe ftand. 

Wenn man fich dies gegenwärtig hält, fo tritt eine intereffante 
Aeußerung Wolfgang Sapitos aus dem Jahre 1524 in ein neues Nicht. 

In der „Antwort auf Bruder Conrads Auguftiner-Provinzials 
Vermahnung” fpricht Capito von den böhmifchen Märtyrern und 
fährt dann fort: „Nach ihrem feligen Tod ift die ganze Markgraf⸗ 
ſchaft Mähren mit vielen mächtigen Städten dem Wort, das durch 
fie gepredigt, angehangen. Der Same iſt noch in England!)... 
In deutfher Nation bei alten Laien ift er allweg ge- 
wefen und geblieben, wie ich manchen in meinen kindbaren 
Fahren reden gehört habe, daß ich mich jet verwundere; dazumal 
verftand ich8 noch nicht, wohin es reicht" 2). 

Der böhmiſche „Same”, welcher nach Capitos Zeugniß in 
Deutjchland bei alten Laien ſtets gewefen und geblieben ift, bezeichnet 
nicht8 anderes ald die Ideen ber böhmifchen Brübdergemeinden, und 
wenn Capito verfichert, dag er in feinen Kinderjahren — er war 
im Jahre 1472 geboren — in dieſem Sinne habe reden Hören, fo 
bezieht fich dies natürlich auf feine Heimath Hagenau, wo Capitos 
Bater das ehrbare Schmiedehandwerk geübt hat. 

Zu Hagenau aber ift im 15. Iahrhundert, wie oben bemerkt, 
eine Waldenjergemeinde vorhanden geweſen. Diefelbe erfcheint in 
den Alten unter der Bezeichnung einer „Schule” over „Ketzer⸗ 
Schule‘ >). 


Bon noch größerer Erheblichkeit als die Kenntniß der Ausbrei⸗ 
tung des vorreformatorischen Waldenfertbums ift für unfere Zwecke 
der Einblid in das innere Leben der Gemeinden, wie es ſich um 
diefe Zeit geftaltet Hatte. 


1): Auf den Aufſchwung der Brübergemeinden in England feit dem Beginn 
bes 16. Jahrhunderts und auf die perfänlichen Beziehungen Capitos zu engliſchen 
Brüdern haben wir oben bingewiefen. 

2) Die „Antwort“ erichien zu Straßburg bei W. Köpfel 1524. Die Stelle 
findet fh 81. H. 1. Bol Röhrich Ztſchr. f. Hift. Theol. 1840 I, 151. 

3) Röhrig Ztſchr. f. hiſt. Theol. 1840 I, 151. 














307 


Es trifft fich glücklich, dag wir für die Beurtheilung Diefer 
Trage eine vorzügliche urkundliche Grundlage befiten — nämlich 
den oben befprochenen Katechismus, 

Das Fragebuch in feiner provengalifchen Form berubt in feinen 
Haupttheilen unzweifelhaft auf uralten Traditionen; aber Die Zeit, 
in welcher es feine heutige Geftalt erhalten hat, wird kaum höher 
als Die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts anzufegen fein‘). 

Daſſelbe enthält in feiner ältejten Geftalt, die wir hier billig 
zu Grunde legen, ſowohl nach Form wie nach Inhalt ein ausge- 
zeichnete8 Denkmal der Brüdergemeinden. Ein wohldurchdachtes 
religiöfes Syſtem wird in dem Tleinen Buche Kar, einfach und con- 
fequent auseinandergelegt. 

Hier können nur einzelne Andeutungen daraus ihren gi 
finden, 

Nachdem im Eingang die Beftimmung des Menfchen dahin 
präciſirt iſt, daß es Gottes Wille ſei, denſelben zur Seligkeit zu 
führen, und daß wir dazu durch ſeine Mitwirkung und Hülfe 
(„Gnade'“9 gelangen ſollen, werden die Mittel angegeben, wodurch 
Gottes Wille erreicht wird, nämlich durch Die drei Haupttugenden: 
den Glauben, die Liebe und die Hoffnung. 

Damit find zugleich die drei Önupttheile bezeichnet, in welche 
das Fragebuch feinen Stoff zerlegt. 

Wie kommt man zu den Haupttugenden? Antwort: durch bie 
Gaben des h. Geiftes; dieſer Gaben aber giebt e8 fieben: Weis- 
heit, Verftand, Rath, Muth, Erkenntniß, Trömmig- 
feit und Gottesfurcht?. 

Nachdem der Glaube an Gott, Ehriftus und ben’h. Geift er- 
Örtert ift, wird das Verhältniß derfelben zu einander dargelegt und 
alsdann die Bethätigung des Glaubens im Gottesdienſte aus— 
einandergeſetzt. 

Wie es einen lebendigen und todten Glauben giebt, ſo giebt 
es eine innere und eine äußere Bethätigung; in beiden ruht der 


1) Nach v. Zezſchwitz a. DO. S. 4 u. 87 ff. dürfte der Katechismus etwa um 
1498 verfaßt ſein. 
2) Die ſieben Gaben des h. Geiſtes haben für die Waldenſer eine ganz be⸗ 
fondere Bedeutung; f. Darüber Zezſchwitz a. a. O. Cap. I, ferner Cap. II ©. 100. 
20* 


308 


wahre Gottesdienſt. Den inneren Gottesvienft bethätigt man Durch 
gleiden Willen mit Gott oder Durch kindliche Liebe; den äußeren 
durch Gebete, Kniebeugen, LXobliever u. f. w. 

Das Gebet aber, das wir beten follen, ift Das, welches Gott 
durch feinen Sohn uns überliefert hat: Vater unfer, der du bift 
im Himmel u. ſ. w. 

Das zweite Hauptſtück handelt von der Liebe, und bier findet 
ſich gleich zu Eingang jene tieffinnige und wichtige Begriffsheftim- 
mung der Liebe, welche diefelbe in den Willen legt und fie als 
Einheit des menſchlichen und des göttlichen Willens bezeichnet. 
Treffend wird auf das Wort verwiefen: „Gott ift die Liebe, und 
wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm“ 
(1 30h. 4, 16). „Gott ift der Liebesgrund”, ſagt das Fragebuch 
wörtlich, „mit welchem vereinigt zu fein das ewige Leben iſt“ 1), 

Wie man den lebendigen Glauben erkennt an der Erfüllung 
der Gebote Gottes und Chrifti, fo die rechte Liebe in der rechten 
Willensgemeinfchaft ver Menfchen und deren Bethätigung, d. h. in 
der Gemeinde oder Kirche. Denn das Kennzeichen der rechten 
Gemeinde Chriftt ift nicht das bloße gemeinfame Belenntniß des 
Glaubens, fondern vor Allem bie gemeinfame Liebe zu Gott und 
zu einander. 

Deßhalb handelt das zweite Hauptſtück beſonders von der rechten 
Gemeinfchaft und von der faljchen Gemeinfchaft, d. h. von der rechten 
Kirche Ehrifti und von der falfchen Kirche Chrifti. 

Da wird nun zunächft derjenige Glaube zurückgewieſen, welcher 
in der Kirche ein Gnadenmittel erfennt. Glaubſt Du an die heilige 
Kirche? Antwort: Nein, denn fie ift eine Creatur, aber ich glaube 
von ihr, d. h. ich behaupte von ihr, daß fie zweierlei Art fer und 
zwar ihrem Weſen und ihrer Erfcheinungsform nach. 


1) Die Stelle 1 305.4, 16 hat eine ganz beſondere Bebentung für die Wal 
denfer. Dan bat ihnen, zumal von Iutberifcher Seite, den Vorwurf gemacht, 
ba an bie Stelle des Chriſtus für uns bei ihnen der Chriſtus in und 
trete (ſ. Herzog db. rom. Wald. ©. 190). In der That wird bei ihnen bie Ein- 
wohnung Ehrifti und die Einwohnung der guten Menfchen in Chriſto ſtets be- 
jonder8 betont. Indem wir felbft wiebergeboren werben, meinten fie, wird ber 
Geiſt Gottes oder Ehrifti in uns geboren. In dieſem Sinne fagten fie, baf ber 
heilige Geift das Leben ber Gläubigen fei. 


309 


Nachdem der Begriff der kirchlichen Gemeinſchaft näher bes 
ftimmt worden ift, geht das Fragebuch zu der Betrachtung der 
Gegenſätze zwifchen rechter und falfcher Gemeinschaft über. 

Dean erkennt die rechte Kirche an den rechten Dienern und 
an der Gemeinde, die in Wahrheit in Glauben, Hoffnung und Liebe 
der Dienfte verfelben fich bebient. 

Der rechte Diener ift aber derjenige, welcher feine apoftolifche 
Miffion durch einen Wandel nach dem Vorbilde der Apoftel beftätigt 
und in dem Sinne den Glaube faßt, wie er im erften Hauptſtück 
gefennzeichnet ift. 

Diefe Begriffe werden noch durch ihre Gegenfäge des näheren 
erläutert und bejonders wird gegenüber ber rechten Lehre die faljche 
Lehre definirt. „Was Gott allein nach feiner Macht und Chrifto . 
nach feinem Verdienſte zugehört, das legen fie (die Balfchgläubigen) 
dem Menſchen und dem Werke feiner Hände ober feinen Worten 
oder feinem Anſehen bet, fo daß die Menfchen blindlings glauben 
meinen, mit Gott verbunden zu fein durch falfche Mittel und durch 
babfüchtige Simonie der Prieſter“. 

Es heißt Chrifti Abficht bei den Sacramenten verfennen, wenn 
bie Priefter fagen, „daß Gnade und Wahrheit allein in die äußeren 
Ceremonien eingefchlofien ſeien“. 

Wie wird die Gemeinſchaft mit der heiligen Kirche erlangt und 
geübt? Antwort: Derjenige hat Gemeinſchaft mit ihr, welcher durch 
Glauben, Hoffnung und Liebe und durch Beobachtung der Gebote 
und durch Beharren bis ans Ende mit ihr verbunden iſt. 

Um auch die Zugehörigkeit zur Kirche nach ihrer äußeren Er⸗ 
ſcheinungsform zu bethätigen, bedarf es des Gebrauchs der Mittel 
des Gemeinſchaftslebens. Dieſe Mittel find: „das evangeliſche Wort“ 
und die Sacramente, deren Chriftus zwei vorgefchrieben hat. 

Wie das erſte Hauptftüd mit dem Vater Unfer, fo ſchließt das 
zweite mit den Sacramenten cab. 

Der dritte Haupttheil handelt von der Hoffnung und giebt 
zunächſt eine Begriffsbeftimmung des Wortes Hoffnung: „fie ift 
eine fihere Erwartung der Gnade und der künftigen VBerklä- 
rung”. | 

Sodann tritt wieder (wie früher der lebendige und der tobte 


310 


— — — — — 


Glaube, die rechte und die falſche Gemeinſchaft) die rechte und die 
irrende Hoffnung in klarer Unterſcheidung auseinander !). 

Wann darf man mit Recht Hoffen auf die Gnade? Wenn man 
Yebendigen Glauben hat und wahre Buße thut. Zur rechten Buße 
aber foll uns helfen die rechte Gemeinfchaft und die Diener des 
Worts durch ihre Pflichten. 

Wie Hofft man recht auf künftige Verklärung? Dur Beharren 
im lebendigen Glauben, welcher in der Liebe thätig ift bis an den Tod. 

Worauf gründet fich die rechte Hoffnung? Antwort: Gott felbit 
bat verjprochen, daß, wenn Jemand ihn erkennt und Buße thut 
und Hoffnung bat, jo will er Mitleid haben und Verzeibung üben. 
-Und Gottes Sohn, Chriftus, Hat gleichfalls die Seligkeit verfprochen 
. in den acht Seligpreifungen?), wenn wir geborfam find feinen 
Worten, ihn lieben und ihm nacfolgen. 

Aber die irrende Hoffnung bofft auf die Kirche und bie 
Priefter und die Heiligen, auf Sacramente, Reliquien und das 
„erträumte und erbichtete Segfeuer und lehrt die Hoffnung auf 
die Mittel fegen, die der Wahrheit gerade entgegenlaufen. Die 
falſche Hoffnung verläßt die Quelle des lebendigen Waſſers, läuft 
bin und her zu den erwähnten Cifternen; betet an, ehrt, verehrt 
bie Creatur wie den Schöpfer, dient ihr Durch Gebete, Baften, Opfer, 
Gaben, durch Darbringungen, Wallfahrten, Anrufungen u. vergl. 
und traut fich die Gnade zu erwerben, die feiner geben Tann ale 
allein Gott in Chriſto. So arbeiten fie vergeblih, verlieren das 
Geld und das Leben. 

Worin befteht das ewige Leben? In dem lebendigen und 
werfthätigen Glauben und in dem Verharren darin. „Das tft das 
ewige Leben“, Tpricht Chriftus (Joh. 17, 3), „daß fie dich den allein 
wahren Gott, erfennen und Jeſum Chriftum, den du gefandt Haft". 
Und ferner: „Wenn du zum Leben eingehen willft, fo halte die 
Gebote”. Und endlich: „Wer beharret bis ans Ende, der wird felig 
werden. Amen. 


1) Es ift überhaupt für das ganze Fragebuch charakteriftiich, daß überall ber 
Gegenſatz der zwei Wege, bes einen, welcher zum Xeben, des anderen, welcher 
zum Tode führt, betont wird. Man vgl. oben S. 202. 

2) Hier findet fi) abermals die Hinweifung auf die VBergprebigt. 











311 


Wenn uns bloß dies Sragebuch vorläge, fo würde das Urtheil 
über den Zuftand, in welchem das religidfe Leben der Gemeinden 
um das Jahr 1500 ſich befand, ſich durchaus nicht ungünftig zu 
geftalten haben. 

Indeſſen repräfentirt der Inhalt des Katechismus doch nur 
einen Theil der gejammten Ideenwelt, die man mit dem Begriff 
„Waldenſerthum“ zufammenfaßt; das ganze Gebäude kirchlicher 
BVorftellungen, welche für jeve Gemeinfchaft von größter Wichtigkeit 
find, wird darin kaum geftreift. 

Und wenn man nun auf diefe und andere Buntte jein Augen- 
merf richtet, fo läßt fich doch nicht leugnen, daß die „Gemeinden“ 
die Spuren ber Berkümmerung in vielen Richtungen an ſich 
trageni. 

Es iſt wahr: fie hatten den bedrohten Glaubensſchatz der 
Väter in den wichtigjten Punkten treu bewahrt und Durch vie 
Sahrhunderte unter unfäglichem Leid fortgepflanzt. Aber das fort 
währende Unglüd hatte die freie Entfaltung der guten Keime ver- 
hindert; in die vereinfamten Gebirgsthäler, wo fie als fleifige und 
ftilfe Leute wohnten, drang fein frifcher Luftzug der fortfchreitenden 
Zeit, und fein Lichtftrahl einer aufitrebenden Wiſſenſchaft erhellte 
das Dunkel, das bier herrſchte. Es war ihnen, wie es in folchen 
Berhältniffen zu geben pflegt, der rechte Maßſtab für die Dinge ver 
wirklichen Welt verloren gegangen, und in ihrem überlieferten 
Idealismus hielten fie wie unerfahrene Kinder die Realifirung fo 
mancher Borftellung, die in ihrem engen Kreife vielleicht durch⸗ 
führbar war, auch in der weiten Menfchenwelt für möglich, ja für 
nothwendig. 

Es trifft vollkommen zu, was ein geiſtvoller Beobachter dieſer 
Partei, J. A. Möhler, gelegentlich geäußert hat: „Eine geniale 
Kindlichkeit in der Betrachtungsweiſe der Menſchenwelt iſt unver⸗ 
kennbar bei dieſen Schwärmern 2)". Die nüchtern⸗verſtändige Er- 

1) Es ift dies von Seiten der romaniſchen Walvenfer alsbald dadurch um- 
ummunben zugeftanden worben, daß fie fi 15 Sahre nach dem Beginne der Re- 
formation an Decolampad und Bucer wandten, um bon biefen gute Rathichläge 
für die Erneuerung ihrer Einrichtungen zu erhalten. Sie erhielten denn auch 


ſolche und befolgten fie. 
2) Symbolik. 4. Aufl. 1835. ©. 470. 


312 


wägung, wie fie im 13. und 14. Jahrhundert zu Tage tritt, war 
in der unglüdlichen Situation, in die fie fich gedrängt fahen, mehr 
und mehr verloren gegangen. 

Am fchlimmften aber war e8, daß in Folge ver ausſchließlich 
mündlichen Fortpflanzung der Tradition — denn die Möglichkeit 
fchriftlicher Firtrung war durch den äußeren Druck fehr beſchränkt 
— in diefer Tradition felbft eine gewiffe Verwirrung eingetreten 
war, eine Verwirrung, die ſehr unheilvolle Folgen nach fich ziehen 
ſollte. 

Wir haben oben geſehen, daß die „Brüder“ in ihrer beſſeren 
Zeit auf wiſſenſchaftliche Bildung ſowohl im Allgemeinen, wie ins⸗ 
beſondere auf diejenige ihrer Geiftlihen großen Werth gelegt hatten. 
Dezüglich der romanifch-walpenfifchen Literatur, ſelbſt in der ſpäteren 
Periode, hebt von Zezſchwitz mit Recht hervor, daß gelebrte und 
begabte Männer unter ihnen gewefen fein müſſen). In einem 
berühmten und viel gelefenen waldenfifchen Buche, der Auslegung 
des hohen Liedes, werden von den „Barben“ ausprüdlich höhere 
Kenntniffe gefordert. 

Ganz im Gegenfat bierzu bilvete fich feit vem 15. Jahrhun⸗ 
dert bei vielen deutfchen und außerbeutfchen Gemeinden die ſonder⸗ 
bare Borftellung aus, als ob die „brüberliche Gleichheit”, welche 
die Väter ftetS verfochten. hatten, in dem Sinne zu verftehen jet, 
bag Keiner eine höhere Geiftesbildung empfangen dürfe als ber 
Andere. Seitdem durch unglüdliche Zeitverhältniffe vie Majorität 
der Brüder auf einem ſehr elementaren Bildungsftandpunft zurüd- 
gehalten worden mar, fing man an, aus der Noth eine Tugend 
‚zu machen, und man war nicht übel geneigt, bie ganze Welt auf 
das Niveau zur Stellen, auf welchem fie jelbft fich größtentheils befanden. 
Es war nicht jehwer, auch hierfür Bibelftellen beizubringen, und mit 
Hülfe derjelden ward fühn behauptet, daß alle „Schriftgelehrten‘ 
Phariſäer feien und alle Kunſt überflüfjig wäre. In richtiger Con⸗ 
jequenz dieſes Satzes wollten fie feine Prediger haben, welche hohe 
Schulen befucht hätten; fie verlangten, daß alle Menſchen in gleicher 
Weiſe fich durch ein Handwerk ernährten und wollten die „Brüder 
lichkeit" durch Aufhebung aller Titel, Stände u. |. w. ins Leben jegen. 


1) Die Katechismen der Walbenfer u.f.w. ©. 141. 








313 


Und in ähnlicher Weife, wie das Princip der Gleichheit in der 


Enge des Geſichtskreiſes Diefer vereinfamten Leute die wunderlichſte 


Tormen annahm, fo war e8 auch mit der uralten Vorjtellung des 
„inneren Worts“. 

Auch bier hatte das ältere Waldenjerthum durch eine verftänbige 
Umgrenzung bes Begriffs dem Mißbrauche veffelben entgegengewirkt. 

Seht, als der regulivende Faktor eines gefunden öffentlichen 
Lebens den alten Märtyrer⸗Gemeinden fehlte, fingen unerfahrene 
Männer an, die Gedanken der Väter in gänzlich mißverftandener 
Weife auszudeuten. 

Während noch der „Gottesfreund aus dem Oberlande“ um 
das Jahr 1375 zu den vier größten Verfuchungen die inwendigen 
und auswendigen Dffenbarungen von „Lichten, Formen, Gejprächen 
und Träumen‘ rechnet und fagt, daß, obgleich Gott feinen Freun⸗ 
den bisweilen in biefer Weife etwas Wahrheit zukommen Yaffe, 
ihnen doch nicht leicht zu glauben ſei, fo gaben ſich in unferer 
Periode die „Brüder“ ſolchen „Offenbarungen‘ vielfach rüdhalt- 
108 bin und legten ihnen einen Werth bei, welcher Die geſahrũichſten 
Irrthümer befördern mußte. 

Man beachte wohl, daß der „Gottesfreund aus dem Oberland“ 
ausprüdlich jagt, daß Gott durch die innere Offenbarung bisweilen 
„feinen Freunden” etwas Wahrheit zukommen laſſe. Er bes 
ſchränkt damit feine Bemerkung ausprüdlich auf diefenigen Männer, 
welche zu den „Gottesfreunden“ in waldenfifchem Sinne zählten, 
d. 5. auf folche, welche das Apoftelamt befleiveten. Bon ſolcher 
Beſchränkung war aber in unferer Epoche nicht mehr die Rebe. 

Ueberhaupt haben viele Abweichungen des vorreformatorifchen 
Waldenſerthums von ver alten Tradition darin ihren letzten Grund, 
daß bie Regeln, welche in alter Zeit für die „Apoftel“ Geltung be 
ieffen Hatten, fpäterhin in mißverftänplicher Weiſe als Regeln und 
Normen für die ganze Gemeinschaft angefehen wurden. 

So baben wir oben gefjehen, daß in alter Zeit nur für die 
Apoftel und Biſchöfe die Ehelofigfeit vorgefchrieben war, während 
die regelmäßige Geiſtlichkeit heirathen durfte Im Gegenſatz bier- 
zu war es bei den romanischen Waldenfern in der vorreformato- 
riſchen Epoche Gejeß, dag alle Prediger im Cölibat leben follten. 


314 


Ferner haben wir oben!) daranf aufmerkſam gemacht, daß 
die Bischöfe und Apoftel im Gegenſatz zu den damaligen römifchen 
Bischöfen und Prälaten keinerlei weltliche Herrfchaftsrechte ausüben 
durften. Die Waldenſer beriefen fich dabei auf Ehrifti Befehl, den 
er bei Luc. 22, 25 feinen Apofteln gegeben Hat: „Die Könige der 
Völker herrichen und ihre Machthaber laſſen fich gnädige Herren 
nennen; ihr aber nicht alſo“ u. f. w. 

In alter Zeit hatte man wohl eingefehen, daß Chrijtus mit 
biefen Worten nur eine Vorfchrift für die Sendboten feiner Lehre 
hatte geben wollen; fpäter aber ward Durch unglüdliche Umftände 
diefe Thatfache innerhalb der „Gemeinden verbunfelt und es 
bildete fich der Lehrfat aus, daß e8 feinem Mitgliede ber 
Brüdergemeinden erlaubt ſei, irgend ein obrigfeitliches Amt zu be- 
Heiden. Man verbot mithin den „Brüdern“ nicht nur die Führung 
des Schwerte, fondern die Bekleidung jedes öffentlichen Amtes. 
Man kann ermefien, daß aus einer folchen verkehrten Theorie fich 
die fchweriten Verwidlungen mit den berrfchenden Autoritäten er- 
geben mußten. 

Trotz diefer und ähnlicher Entjtellungen oder Uebertreibungen 
waren doch im Ganzen die Grundprincipien beftehen geblieben; 
auch der äußere Zufammenbang mit den alten Gemeinden war 
durch die fortdauernde Uebung der Handauflegung und ber Teft- 
haltung der apoftolifchen Succeffion erhalten worden. Es war 
bet ihnen genau in derſelben Weife wie gleichzeitig im römischen 
Katholicismus eine Entartung eingetreten, aber e8 war immer noch 
ber alte Stamm, wie er feit mindeſtens dem 12. Jahrhundert nach« 
weisbar ijt. 

Nur an einer Stelle der weitverzweigten Gemeinfchaft, nämlich 
an den böhmifch-deutfchen -Gränzen, wohnten manche Brüder, denen 
man bie vechtmäßige Zugehörigkeit zu den alten Chriftengemeinden 
billig beftreiten Tann. Denn fo gewiß auch diefe einft „Waldenſer“ 
gewefen waren, jo Hatten fie doch unter dem Einfluß der böhmi- 
ſchen Seftenfreife fich vielfach gerade in grundlegenden Fragen von 
den „Brüdern“ getrennt und fich damit, wenn nicht formell, Fo 


1) ©. oben ©. 92. 








315 


doch thatfächlich in einen direkten Gegenſatz zu den alten Genoſſen 
geitellt. 

Wir haben oben gejeben, daß die „Brüder“ die Berechtigung 
ihres Lehrgebäudes ebenfo wie ihren Namen „Chriften‘ auf bie 
Stellung gründeten, die fie zu Chrifti eigenen Worten und Befehlen 
einnahbmen‘). Es war durchaus der fundamtentaljte Punkt des 
ganzen Shitems, daß fie auf Chrifti Lehren ftehen wollten. Dar- 
auf berubte ihre Auffaffung vom Eid, von der Kirche, von ber 
Erlöfung u. ſ. w. 

Im Gegenfat hierzu geſchah es num in den erwähnten Ländern, 
daß fih in den „Chriften-Gemeinvden” Männer fanden, die im An⸗ 
ſchluß an gewiſſe böhmiſche Vorjtellungen das alte Teftament 
über das neue ftellten und alle Confequenzen in Bezug auf 
die Kirchen -Verfaffung, den Glaubenszwang und den Schwertge- 
brauch zogen, die ſich Daraus ergeben. 

Wenn die „Gemeinden‘, die Diefe Säge adoptirten, auch einen 
gewiſſen Zufammenhang mit den „Brüdern‘ aufrecht zu erhalten 
fuchten, fo leuchtet Doch ein, daß bier nicht bloß eine Verftümmelung 
oder Vebertreibung einer alten Tradition, fondern eine principielle 
Umkehrung derjelben vorlag. 

Es war ein Unglüd für Diejenigen, welche „rechte Chriſten“ 
blieben, daß diefe abgefallenen „Brüder“ zeitweilig e8 wagen konnten, 
fi$ als die wahre Gemeinjchaft in den Vordergrund zu ftellen. 
Sie haben fich felbft und Anderen dadurch ſchweres Unheil zugezogen. 


Alles in Allen genommen war foviel jedenfalls ficher: Die 
„Brüdergemeinden” waren in dem Zuftanve, wie fie um das Jahr 
1515 exiftirten, nicht befähigt, an einer großen Erneuerung des 
religiös-Kirchlichen Lebens wirkfamen Antheil zu nehmen. Sie be- 
durften zunächſt einer burchgreifenden Aegeneration ihrer eignen 
Berhältniffe, einer Sichtung und Klärung ihrer verjtümmelten 
Trabition, ihrer Theologie wie ihrer Firchlichen Verfaſſung. Waren 
die Elemente, aus welchen eine folche Wiedergeburt erfolgen Tonnte, 


1) S. oben ©. 43 und öfter. 





316 


vorhanden oder nicht? In den „Gemeinden felbft waren fie that» 
jächlich nicht vorhanden; aber neben biefen hatte fich Die große 
Literatur aus der Glanzepoche des 14. Jahrhunderts erhalten und 
die „Bruderſchaften“ der deutſchen Werkleute hatten als 
treue Pfleger diejer Literatur die Erinnerungen aus den Tagen bed 
Raifer Ludwig und des Marfilius von Padua feft bewahrt. Wenn 
das geiftige Leben, welches einft aus ven verfolgten „Gemeinden“ 
in die „Bruderſchaften“ fich geflüchtet Hatte, jett als friſches Ele 
ment in den Tranten Körper der Brüber-Rirche zurückkehrte, fo 
war noch nicht alle Hoffnung auf eine neue, große Zukunft auf 
zugeben. 











Dierzehntes Capitel. 
Die Ernenerung der altevangeliſchen Literatur. 


Die deutſchen Bauhütten und Kaifer Marimilian J. — Wolfgang Dend, Meifter 
vom Stuhl zu Steyer. — Die „Liebhaber des Handwerks“. — Die beutfchen 
Werkleute und die Erfindung der Buchdruckerkunſt. — Die „Formſchneider“ 
und die Steinmesen. — Die deutjchen Buchdrucker und ihr Antheil an ber 
Erneuerung des -deutfchen Geifteslebens im 15. Jahrhundert. — Die Typo— 
graphie in Franken, befonders in Nürnberg. — Buchdrucker, Künftler und 
Gelehrte. — Johann von Staupig in Nürnberg. — Bajel als vornehmfter 
Plag des deutſchen Buchhandels. — Die Bruderfhaft „Zum Himmel“. — 
Die Gelehrten und die Buchdruder in Baſel. — Erasmus, Rhenanus, Pel- 
Tican, Dend, Decolampad, Capito 1. A. — Die Erneuerung der Bibel und 
der Literatur ber „Gottesfreunde“. 


Die Gefchichte der deutſchen Bauhütte des 15. Jahrhunderts 
iſt noch nicht Gegenſtand einer genaueren Unterſuchung geweſen. 
Indeſſen wiſſen wir, daß die alte Verfaſſung in allen weſentlichen 
Punkten fortdauerte. 

An der Spitze des ganzen Bundes ſtand nach wie vor als 
Großmeiſter der Meiſter vom Stuhl der Hütte zu Straßburg; ihm 
zunächſt ſtanden die Vorſteher der vier Haupthütten Straßburg, 
Bern, Wien und Köln, und unter dieſe waren die einzelnen Hütten 
des Reiches vertheilt. 

Die Hütte Hatte das Glück, in Kaiſer Maximilian J. einen 
mächtigen Proteltor zu finden. Es ift ja befannt genug, daß ber 
Kaifer ven Bauleuten ftetS befondere Sympathien zugewendet bat; 
der Text des Theuerdank lehrt aber auch, dag jener in den Hütten» 
bräuchen wohl bewandert war!). Da diefe Bräuche Zunftgeheimniß 


1) Das Nähere bei Rziha, Mittheil. ver K. K. Centralcommiffion 1881 ©. 35. 


318 


waren, jo iſt e8 höchſt wahrfcheinlich, daß Kaifer Maximilian ebenio 
wie einft Herzog Rudolph von Deftreih der Bauhütte als Aggre- 
girter angehörte. Die Tradition der deutſchen Bauhütte fteht hier, 
mit in vollem Einklang, da fie feit alten Zeiten den Raifer zu den 
fürftlihen Mitgliedern des Hüttenbundes zählt. 

Albrecht Dürer bat ihn in den Pforten der Ehre unter den 
Bauleuten als Anordner verewigt. ! 

Maximilian ift der erfte und lebte deutſche Kaifer geweien, 
welcher durch alferhöchite Beſtätigung die Conftitutionen der Hütte 
ſanctionirt hat. Nachdem bie ſämmtlichen capitelberechtigten Meifter 
auf zwei großen Capiteleverfammlungen zu Bafel (1497) und zu 
Straßburg (1498) die Conftitution von 1459 einer Revifion unter 
zogen hatten, hat Raifer Max die repidirte Orbnung am 3. Oct. 
1498 mit feiner kaiſerlichen Sanction verfehen. 

Unter den Meiftern vom Stuhl, welche aus jener Zeit uns 
befannt find, verdient in mehr als einer Beziehung der Erbauer 
der Stadtlirche zu Steyer in Oberöftreich, ſowie der Kirche zu Lid» 
tenfel8 in Bayern, Wolfgang Dend, befondere Erwähnung). 

Wolfgang Dend ift laut der erhaltenen Grabjchrift im Jahre 
1513 geftorben. Er führte als Zeichen feiner Würde einen Ham- 
mer im Wappen, während der Großmeifter des ganzen Bundes 
‚ deren zwei führt. Es geht daraus hervor, daß Dend, welcher auch 
als Meijter in Wien genannt wird, einer Haupthütte vorjtand und 
es ijt fein Zweifel, daß es der öftreichifche Hüttengau war, dem er 
präfidirte, 

Dend (oder Ten) feheint ein zu feiner Zeit vielgefuchter Bau- 
meister gewefen, zu fein. Außer an den genannten Bauwerken findet 
fich fein Meifterzeichen an der Stadtmauer zu Nürnberg und an 
der Pfarrfirche zu Purchholdsdorf bei Wien?). Aus Anton Tuchers 
Daumeifterbuh willen wir, daß die Stadt Nürnberg faft aus 
ſchließlich Einheimische bei ihren Bauten befchäftigte und da dieſe 


1) Sein Grabdentmal befindet ſich in der Stadtkirche zu Steyer und ift re= 
produeirt in den Mittheilungen ver 8. 8, Centraleommiffion Wien 1872 (XVII. Bb.). 

2) Ich verdanke diefe Mittheilungen ver Güte des Herrn Prof. F. v. Riha 
in Wien, durch deſſen vortreffliche Arbeiten über die Bauhütten ich zuerft auf 
Dend aufmerlfam wurde. u 








319 


Angabe ungefähr aus verfelden Zeit jtammt, wo W. Dend in 
Nürnberg thätig war, fo tft es ſehr wahricheinlih, daß Dencks 
Familie eine Zeit lang in Nürnberg beimifch gewejen iſt. Alsdann 
bat W. Dend in Baiern und zulegt, wie bemerkt, in Deftreich feine 
Lebenszeit zugebracht, Welches Anſehen er genofjen Hat, zeigt richt 
nur die Wahl zum Meifter vom Stuhl, fondern auch das Funft- 
volle Grabdenkmal, welches man ihm errichtet hat. 


In den „Bruderſchaften“ der deutfchen Werkleute, zumal in 
der „Bauhütte“ und den mit ihr verwandten Corporationen nimmt 
im Laufe des 15. Jahrhunderts die fchon früher beobachtete Zur- 
nahme der fogenannten „Liebhaber des Handwerks” immer größere 
Verhältniſſe an. 

So beitand zu Brügge um das Jahr 1454 und fpäter eine 
„Bruderſchaft“, welche unter dem Schu St. Johannes’ des Evan⸗ 
geliften ihre Situngen hielt. Es befanden fich darin vornehmlich 
Bildſchnitzer, Maler (Sluminatoren), Bildermacher (Steinmegen), 
Tormenfchneiver und andere Handwerker. Aber zugleich waren 
Schulmeifter, Schreiber, Buchhändler und Briefbpruder 
Mitglieder der Bruderfchaft N). 

In ganz ähnlicher Weife begegnen uns um die Wende des 
15. Jahrhunderts und fpäter zu Baſel, Straßburg und Schlett— 
ſta dt „Bruderſchaften“, von welchen ausdrücklich überliefert iſt, 
daß fie nach Art der Zunftverfaſſung organiſirt waren)). Aber 
bier, an biefen Hauptſitzen deutſcher Gelehrfamteit, überwogen in 
den „Societäten” die Gelehrten, die Schulmeifter, Schreiber u. f. w. 
derart, daß die „Bruderſchaft“ faft Das Anfehen einer Humaniften- 
Geſellſchaft erhielt, und die Werkleute einigermaßen in ben Hinter- 
grund gedrängt wurden. 

Es war eine Fügung weltgejchichtlicher Art, daß gerade die 
Bruderfchaften deutſcher Werkleute e8 waren, von welchen bie 
Buchdruckerkunſt ihren Ausgang genommen bat. 

Die Erfindung der Schriftvervielfältigung mit gegoffenen Typen 
(Typographie) vollzog ſich im Anfchluß an Die bereits früher vor- 


1) 8. Lord Handbuch der Geſch. der Buchbruderkunft Lpz. 1882 ©, 19. 
2) Röhrich Mittheilungen zur Geſch. der evangel. Kirche im Elſaß I, 97. 





320 


handene Xylographie, d. h. an bie Kunft des Briefdrucks oder 
Tafeldrucks. 

Dieſe Tafeldrucker gehörten urſprünglich durchweg den Kreiſen 
der Bildſchnitzer an, welch' Letztere vielfach aus dem Stein— 
metz⸗Handwerk hervorgingen 1). 

Als nun ſeit 1455 die Gutenberg'ſche Erfindung ſich über 
Deutſchland zu verbreiten begann, da waren es zunächſt die „Form⸗ 
ſchneider“, welche in den Beſitz der Kunſt gelangten, und eine 
Zeit Yang blieb das Verfahren vorwiegend Eigenthbum der SKreife, 
in welchen es erwachjen war 2). 

Urfachen und Berhältniffe, deren Erörterung an dieſer Stelle 
nicht angänglich ift, brachten es mit fich, Daß die erjten großen 
„Officinen“ fih gleichſam als Tochter-Bruderfchaften ver be- 
jtehenden Hütten-Bruderfchaften conftituirten, und e8 war natürlich, 
daß jene ſich durchaus in den Ideenkreiſen der Letteren bewegten?). 

Das Machtmittel, welches durch diefe weltbewegende Erfindung 
eine Zeit hindurch vorwiegend in den Händen ver „Hüttenbrüder“ 
und ihrer Freunde Yag, kann in feiner Bedeutung nicht Hoch genug 
angejchlagen werben. Indem die „Preſſe“ ven Ideen der „Brüder“ 
in erſter Linie dienftbar wurde, war die Heine Corporation plötzlich 
zu einem ausjchlaggebenden Factor herangewachfen. Die deutſchen 


1) Sp war ein gewifier Hans Schwark noch um 1500 zugleih Steinme 
und Bildſchnitzer. Woltmann, Holbein I, 71. 

2) Dazu gehörten allerdings auch die Zunftmitgliever im weiteren Sinn; 
jo war ein Bafeler Druder, Leonbart Eifenbut, im Jahre 1458 noch Maler, 
dagegen im Jahre 1485 Typograph zu Bafel. Der Buchdrucker Cennini zu Florenz 
war früher Goldfchmieb geweſen. Peter Schöffer der ältere, der Nachfolger Gu⸗ 
tenbergs, fol fih vor feinem Eintritt in die Gutenbergſche Offiein als Illumi⸗ 
nator durch feine techniſchen Fertigkeiten einen Ruf erworben haben. — Ich ver⸗ 
ftehe unter dem Ausbrud „Formſchneider“ auch die Metallſchneider (Ehalko- 
graphen), welde für die Typographie die wichtigften Techniker wurden. Sie 
gingen fehr vielfach aus den Kreifen ber Goldſchmiede hervor. 

3) E8 wäre eine Aufgabe von höchſtem Belang für bie Geſchichte der Bud- 
druderfunft wie für die allgemeine Gejchichte, das BVerhältniß der Officinen zu 
den „Bruderſchaften“ einmal zum Gegenftand einer befonberen Abhandlung zu 
maden. Darin würde ber Schlüffel für eine Reihe bisher unerflärter Erſchei⸗ 
nungen zu finden fein. Der Gang, ben die Typographie genommen hat, ift nur 
zu verftehen, wenn man ihren Zuſammenhang mit den „Hütten und beren 
Hauptfigen, ihren vornehmften Freunden und „Liebhabern‘ zugleich berüdichtigt. 








321 


Buchdrucker und Buchhändler find es gewefen, welche 
die große Literatur der altevangelifden Gemeinden 
zuerft wieder zu Ehren gebracht haben, und an der Er- 
neuerung bes deutſchen Geifteslebens gebührt ihnen ein berbor- 
ragender, noch längft nicht genügend gewürbigter Antheil. 


Kein deutſches Land hat die Erfindung frühzeitiger und voll 
ftändiger ausgenutzt als Franken. 

Man kann doch nicht ſagen, daß Bamberg zu jener Zeit ein 
Mittelpunkt deutſcher Cultur geweſen ſei. Gleichwohl nimmt gerade 
dieſe Stadt in der früheſten Geſchichte der Buchdruckerkunſt nach 
Mainz die erſte Stelle ein!). Hier wirkte Albrecht Pfiſter (geb. 1420, 
geſt. um 1470), welcher von Vielen für einen jelbjtändigen Erfinder 
der Typographie gehalten wird). Er war es, welcher die erfte 
deutſche Bibel (eine fogenannte Armenbibel) druckte. Bamberg war 
es, welches durch den berühmten Druder Joh. Senjenfhmidt, 
welcher früher gemeinjam mit einem Gehülfen &utenbergs, Heinrich 
Kefer, gearbeitet hatte, zum Verlagsort gemacht wurbe. Joh. Sen- 
ſenſchmidt ftammte aus Eger, d. b. aus verfelben Stadt, welche 
nach dem Zeugniß des Matthias von Kemnat damals mit „Ketzern“ 
angefüllt war). Und war nicht daſſelbe mit Bamberg der Fall? 

Die hervorragendſte Rolle unter den früheften Druckorten fpielt 
indeffen Nürnberg. Kein Dann bat in Deutfchland während der 
Sabre 1473—1513 einen größeren Namen als Buhdruder und 
Buchhändler bejeffen al8 Anton Koburger ver Aeltere ?), 


1) S. Klemm Belchreibender Katalog u. |. w. 1884. 

2) Eine der erften Autoritäten auf diefem Felde, Klemm, hält Pfifter für 
den Druder der berühmten (erftgebrucdten) 36 geiligen Bibel, 

3) Es verdient Beachtung, daß die Familie Senſenſchmidt fpäter in Nord⸗ 
wie im Sübbeutichland unter den als „Täufer“ bezeichneten Gefchlechtern erfcheint. 
Der Name kommt unter ven mähriſchen Täufern vor (vgl. Bed Geſchichtsbücher 
ver Wiedertäufer in Oeftreih-IUngarn. Wien 1883) und ebenjo unter ven Jülich“ 
fchen Täufern ſchon im Jahre 1533. Ein Zillis Senſenſchmidt wirb zu- 
gleih mit einem gewiffen Peter „aus dem Lande von Franken‘ im Jahre 1533 
als Landfremdber aus dem Julichſchen ausgewiefen (Staatsardiv zu Düſſeldorf. 
Jül. B.L. A. Abth. IV, c. 6. fol. 59). 

4) Dies ift das Urtbeil des genaueften Kenners des älteren deutſchen Buch⸗ 


Handels, |. Kirchhoff Beiträge zur Geſch. d. deutſchen Buchbandels &pz. 1851. 
Keller, Die Reformation. 


322 


Die Wirkſamkeit Koburgers als Verleger war jo bebeutend, 
daß feine Officin troß eines fehr großen Perſonals nicht ausreichte, 
um alle Werfe berzuftellen. Er ließ deßhalb andere Firmen für 
ſich drucken, beſonders den Joh. Amerbach, Johannes Froben, 
Joh. Petri in Bafel!) und Friedr. Peypus in Nürnberg. 

Joh. Amerbacd (geb. zu Reutlingen im Iahre 1434) Hatte 
in Italien und Paris ftubirt. Er war dann als Eorreltor in Ko 
burgers Officin eingetreten und hatte um 1480 felbit eine Officin 
in Basel eröffnet. In einem Basler „Kundfchaftsbuche” vom Sabre 
1482 erisheint er unter der Bezeichnung: „Herr Hans von Venedig, 
Meifter der Schrift, Buchdrucker und Bürger zu Bafel”2). Es 
erhellt daraus, daß er fih in Venedig längere Zeit aufgehalten 
haben muß 3). 
 Sohannes Sroben, der „König der Druder” und intime 
Treund des Erasmus, war ein Landsmann des Anton Roburger; 
er ftammte ebenfalls aus Franken (Hammelburg) und war im 
Jahre 1460 geboren. 

Johannes Petri, welcher gleichfalls in Franken (in Langen- 
dorf) geboren war, feheint e8 geweſen zu fein, welcher den Froben 
zuerft nach Baſel 309. 

In diefen Männern hatte Anton Koburger die vornehmften 
Buchdrucker Baſels zu Mitarbeitern gewonnen ?). 

Schon O. Dafe Hat in feiner Monographie über die Koburger 
das innige Zuſammenwirken zwifchen Künftlern, Buchorudern und 
Bd. 1. Dal. dazu DO. Hafe Die Koburger Lpz. 1869 S. 5. Dr. Chriſtoph Scheurl 
ſchreibt am 30. Mai 1517 an Erasmus Stella: „Apud Germanos Coburgius 
primatum obtinet“. Eitelberger Duellenfhriften zur Kunſtgeſch. X, 174. 

1) ©. Haſe a. O. ©. 53. 

2) Fechter Basler Taſchenbuch für 1863 ©. 256. 

3) Venedig ift frühzeitig ein Sammelpuntt folcher Deutfcher geweſen, welche 
ihr Vaterland aus Furt wor religidfer Verfolgung verließen. Deutſche waren 
e8, welche bier die Buchbruderfunft heimiſch machten. Merkwürdig ift folgender 
deutſche Drud aus Benedig: „Das Buch der zehen gepot“. Venedig. Erbart 
Ratdolt 1483, Fol. Vielleicht Handelt e8 fi bier um ein Product malbenfifcher 
teratur. Das Buch wird befchrieben von Klemm Beſchreibender Katalog u. f. w. 
1884 ©. 291. 

4) Ueber Koburger8 ausgedehnte Gefchäftsverbindungen mit Lyon unb bem 


übrigen Frankreich ſ. O. Hafe Die Koburger ©. 25; Eitelberger Ouellen- 
ſchriften zur Kunſtgeſch. X, 173; Baader, Jahrbb. für Kunſtwiſſ. 1868 S. 235. 


323 


Gelehrten, wie e8 in den Nürnberger Officinen ftattfand, hervor⸗ 
gehoben. Seit alten Zeiten war felbft zwifchen den Familien aller 
diefer Männer ein brüberliches Verkehr üblich, Anton Koburger 
hatte in dem Haufe des Goldſchmieds Dürer bei deſſen dritten Sohne 
Pathenftelle vertreten und in dem Knaben feinen anderen als Albrecht 
Dürer aus der Taufe gehoben; ein Hausfreund Koburgers, Michael 
Wohlgemuth, wurde Dürers Lehrer. 

Da waren aber außer den Namen erjten Ranges noch eine 
Reihe anderer Künftlerfamilien; 3. B. das Gefchlecht der Krugs, 
darunter Hans Krug der Aeltere und Süngere!) und Ludwig 
Krug, des Lekteren Sohn. Ein gleichzeitiger Chroniſt, welcher ben 
Ludwig Krug perfünlich kannte, fagt von ihm: „Sch könnt nicht er⸗ 
denken, was diefem Ludwig Krug, obvermelten Krugen Sohn, an 
Berftand der Silber- und Golvarbeit, im Reifen, Stechen, Grabenz 
Schmelzen, Treiben, Malen, Schneiden, Conterfecten jollt abgangen 
fein“. Derjelbe ftand mit feiner Kunft im Dienfte Hans Kobur- 
ger, welcher ihm feine Arbeit „für und für abkaufte“. Neudörffer 
fügt ausprüdiih Hinzu: „Er batte einen fcharffinnigen Kopf zu 
philofophiren” 2. Da war ferner ver Goldſchmied Hans Krafft, 
welchen im Jahre 1509 der Magiftrat zu Nürnberg als Stempel- 
fchneiver in Dienft nahm). Anton Tucher ftand mit ihm in Bes 
ziehung ). 

Derſelbe Tucher unterhielt auch mit Sebald Baumhauer, 
den Albrecht Dürer ausdrücklich als „guten alten Maler“ bezeichnet >), 
freundliche Relationen. 

Zu den Rreifen ver Buchdrucker gehörte ferner Hans Frank). 
Ferner Wolfgang Reſch, ebenfalls Formfchneiver und als Illu⸗ 

1) Er heirathete im Jahre 1512 die Barbara Lotther. Nähere Nachxrichten 
bei Eitelberger Onellenfchriften zur Kunſtgeſch. 3b, X (1875) ©. 121. — 
Ferner Baader Beiträge u. ſ. w. I, 37 ff.; II, 19 ff. „Einer der berühmteften 
Eifengraber der Stabt, fagt Baader II, 20, war Hans Krug ber Aeltere“. Er 
erhielt 1484 Bürger- und Meiſter⸗Recht; er arbeitete für ben König von Ungarn 
und für Churf. Friedrich von Sachſen. 

2) Eitelberger a, O. ©. 124, 

3) Baader Beiträge S. 22. — Ein Hans Krafft wurde um 1527 als „Täufer“ 
aus Augsburg vertrieben. Keim, Schwäb. Ref.Geſch. ©. 62. 

4) ©. Loofe, Anton Tuchers Haushaltsbuch S. 114, 

5) Eitelberger a. DO. ©. 180. 6) Eitelberger a. O. —— 


324 


minift und Verfertiger von Holzichnitten für Verleger thätig N). 
Außerdem feien hier erwähnt der Bilbfchniger Hans Kaifer?) 
(oder Käfer), Die Meifter Thomas Maller und Beter Trechfel?). 

Einen belannten Namen unter ven damaligen Nürnberger Künſt⸗ 
ern batte Georg Penz, welcher als Gehilfe in Dürer Werl 
ftatt bezeichnet wird ®). 

Ers) war nah befreundet mit den Brüdern Hans Sebalb 
Beheim und Barthel Beheim, weldhe allgemein als die tüch— 
tigften Schüler Dürers gelten. Sie gehörten der vielfach verzweigten 
Steinmetfamilie der Beheims an, die feit alten Zeiten als Bau⸗ 
meifter und Werkleute in Nürnberg eine Rolle fpielten. 


Der Mittelpunkt, um welchen fich ein großer Theil der eben 
gefchilderten Perfonen gruppirte, war das Haus und das Gefchlecht 
der Tucher nebft feinen näheren und entfernteren Verwandten 
wie Hieronymus Holzſchuher, Hieronymus Ebner, Chriftoph Scheurl 
und Anderen. 

Dr. Chriſtoph Scheurl, deſſen Mutter die Tochter Herbegen 
Tuchers war, hatte bi$ zum Sabre 1512 eine Brofeffur an der new 
errichteten Hochichule zu Wittenberg befleivet, war dann aber auf 
den ausprüdlichen Wunſch Anton Tuchers, welcher damals der ein- 
flußreichſte Mann in Nürnberg war, in den Dienft feiner Bater- 
jtadt als Syndicus übergetreten. 

In demjelben Jahr 1512 Hatte ein anderer berühmter Witten- 
berger Brofefior, Dr. Johann von Staupis, fein Amt nieder 
gelegt. Er war, wie feine Freunde ung berichten, „unzufrieden mit 
den Beitverhältniffen” 6), d. b. ein tiefer Widerwille gegen das herr- 
ſchende Syitem hatte fich feiner bemächtigt. 

Staupis war feit alten Zeiten in Nürnberg wohl bekannt; tm 
Sabre 1504 Hatte er dort einer Verfammlung von Auguftinern 


1) Eitelberger .D.©.198. 2) Baaberl,5. 3) Baader ll, 110u.111. 

4) Eitelberger a. DO. ©. 137. 

5) ©. Penz malte auch ein Bild des Erasmus, welches jett zu Winbfor 
Caſile fich befindet. Woltmann Holbein S. 290. 

6) Ehriftoph Scheurl fchreibt Mitte October 1511: Doctor Staupitz etipse 
temporum pertaesus abeundi petit consensum. 











325 


präfibirt, welche bejchloß, den Ordensbrüdern das Stubium der 
Heiligen Schrift ans Herz zu legen. 

Bet dieſen Beſuchen Hatte Staupig auch mit Anton Tucher 
intime Beziehungen angelnüpft; der lettere verzeichnet in feinem 
uns erhaltenen „Haushaltsbuch“ fowohl in den Jahren 1508 wie 
1511 und 1517 Gefchenfe, die er diefem gemacht hat. 

ALS Staupitz fich von feiner Wittenberger Stellung losgefagt 
hatte, waren e8 die Nürnberger Freunde, denen er ſich auf Das 
engite anjchloß. „Sp oft er konnte“, jagt TH. Kolde, „ſuchte Staupitz 
bie blühende Reichsſtadt auf"). Er lebte von da an, wenn er ſich 
nicht auf Reifen befand, in Nürnberg, München oder Salzburg und 
wenn er auch nicht, wie etiva gleichzeitig Erasmus, fich unter den 
Buchdruckern und Gefchäftsleuten ganz nieberließ, jo war ihm doch 
fein Aufenthalt Tieber als der unter den Patriciern Nürnbergs. 

Sp war Staupik auch im Herbft des Jahres 1516 einer Ein- 
labung diejer Freunde gefolgt, und es iſt intereffant zu eben, wie 
innig das Verbältniß der Nürnberger Kaufleute und Künftler zu 
dem gelebrten Theologen fich geftaltet hatte. Männer wie Dürer, 
Holzſchuher, Ebner, Tucher wetteiferten in Sreundfchaftsbezeugungen, 
und die Neben, die Staupik bielt, fanden ein begeiftertes Publikum. 
Man zeichnete fie auf und fie wurden fofort in Lateinifcher und 
deutſcher Sprache dem Drud übergeben ?). 

Der Inhalt derfelben zeigt, daß es die Vebereinftimmung in 
der religiöfen Frage war, welche das Band zwifchen Staupig und 
dem Nürnberger Kreife geknüpft hatte. Schon vor Luthers Auf- 
treten ftand die religidfe Frage durchaus im Vordergrund der Dis⸗ 
cuffion und es ift bezeichnend, daß fich die Spike von Staupitz 
geiftuoflen Reden ſehr fcharf gegen die römische Kirche kehrte. Unter 
dem 2. Sanuar 1517 fchreibt Scheurl unter dem Eindrud der im 
Winter gehörten Predigten des Staupig an Luther: „Einige nennen 
ihn einen Schüler, ja, die Zunge des Paulus, andere einen Herold 
des Evangeliums und einen wahren Gottesgelehrten”) und am 
22. Jan. deſſelben Jahres verfichert er dem Staupit felbft: „Gerade: 


1) Kolde Die deutſche Auguftiner- Congregation und Joh. v. Staupik. 
Gotha 1879 ©. 256. " 
2) Scheurls Briefbuch II, 2. 3) A. O. Il S. 1. 


326 


bie erften in Nürnberg fprechen über dich amt meijten in dent Sinn, 
al8 feieft du derjenige, welcher Israel retten wird‘), 

Es treten mithin bereitS vor Luthers Auftreten in Nürnberg 
Tendenzen zu Tage, welche eine Befreiung bes „erwählten Volles“ 
aus ver „babylonifchen Gefangenjchaft" im Auge haben. War dies 
nicht ein Gedanke der „Brüder“, die man Walbenfer nannte? 

Seit jenen Predigten vom Jahre 1516 feßte fich bei ben 
Nürnberger Freunden und in den von bier aus beeinflußten Kreiſen 
wirklich die Hoffnung feft, daß in Staupig ver Vorlämpfer einer 
großen religiöfen Bewegung gewonnen ſei, und es tft merkwürdig, 
daß die Nürnberger Patricier fich zu einer Heinen Gemeinde ver- 
banden, welche Scheurl uns unter dem Namen der „Sodalitas 
Staupitiana‘“ vorführt. 

Am 7. Ian. 1518 fendet Scheurl eine Einladung an Staupig 
und giebt an, daß er diefelbe im Namen der „Sodalitas Staupi- 
tiana“ ausſpreche. Wer waren deren Mitglieder? Schein! nennt 
ung glücklicherweife hier und an anderen Stellen ihre Namen: 
„Pater patriae Anthonius Tucher, Heronimus Ebner, 
mel et deliciae vel certe margarita populi Nurnbergensis, Cas- 
par Nuzel, homo gravissimus, Heronimus Holzschuher, 
Andreas et Martinus Tucher, Sigismundus et Chri- 
stofferus Furer, Lazarus Spengler, Albertus Durer, 
Germanus Apelles, Wolfgangus Hoffmann et ego im- 
primis“. Dieſe Lifte ift ſehr interefjant. Anton Tucher fteht voran; 
er iſt das Haupt der ganzen Partei. Dann finden fich noch zwei 
Mitglieder derſelben Familie Tucher und fchlieplich außer Dürer 
und einigen Andern ſolche Namen, die in Tuchers Familiengeſchichte 
ſich ſämmtlich dürften nachweifen laſſen. Scheurl wiederholt, wie 
gejagt, Die Namen häufiger; immer kehren in der Lifte Die Tuchers 
und Albrecht Dürer wieder, aber niemals wird Willibald Birk 
beimer genannt, 

Wenn man nun die religiöfen Ideen Tennen lernen will, wie 
fie in der Familie Tucher und deren Verwandten damals vorherr- 
ſchend waren, fo wird man boch nicht umhin Tönnen, auf bie 


1) A. O. II, 5. 








327 


Trabitionen zu verweifen, welche in dieſem altwaldenſ iſ chen 
Geſchlecht überliefert waren. 

Hat nun vielleicht Staupit eben diefen Ideen nahe gejtanden? 
In der That muß Staupis, wie ich an anderer Stelle nachgeiviejen 
babe), und wie ſich unten noch näher ergeben wird, als Anhänger 
der „altevangelifchen Gemeinden‘ betrachtet werben. 


Es ift uns oben bereit die enge Verbindung entgegengetreten, 
welche die Nürnberger Buchdrucker und Künftler mit den: gleichen 
Kreifen in Bafel befaßen. Es gab eine Zeit, wo die legtere Stadt 
von den Nürnberger großen Häuſern mehr oder weniger abhängig 
ſchien; aber bald überflügelten die Tochtergefchäfte ven Mutterfig 
und um den Beginn der Reformation war Baſel für den Buch—⸗ 
drud und Buchhandel durchaus der vornehmſte Ort im ganzen 
deutſchen Sprachgebiet. 

Wir haben die bedeutendſten Firmen, Amerbach, Froben, Petri, 
bereits genannt. Neben dieſen etablirten ſich frühzeitig eine Reihe 
anderer, zugleich wiſſenſchaftlich gebildeter wie geſchäftlich tüchtiger 
Männer, darunter Pamphilus Gengenbach?, Andreas Era- 
tander?) und Valentin Curio‘). 

Den Bertrieb der Bücher, welche in biefen Drudereien ber- 
gejtellt wurden, beforgten frühzeitig befondere Firmen, z. B. Con⸗ 
rad Ref, Joh. Wattenfhnee und Jean Vaugris, ein 
Neffe der beiden vorgenannten. 

Bon jeher Hatten die Baſeler Geſchäfte fehr intime Beziehun- 
gen zu Lyon und Südfrankreich beſeſſen; zahlreiche Deutſche wohnten 
dort und hatten fich, wie 3. B. der Nürnberger Ioh. Kleeberger, 
den man al8 den Fugger Lyons bezeichnete, eine angejehene Stel- 
lung erworben. | 


1) Hiftorifches Taſchenbuch VI. Folge Bd. IV ©. 115 ff. 

2) Bol. das erihöpfende Werl: 8. Goed ete, Pamphilus Gengenbach. 
Hannover 1856. 

3) Ueber Eratander exiftirt leider feine monograpbifche Arbeit, obwohl er fie 
febr verdiente. — Wir werben ihn unten vielfach zu nennen haben, 

4) Weber Eurios intime Beziehungen zu Zwingli f. Zwinglis Epp. I, 134 
und 260, 


328 


Befonders innig waren und blieben Joh. Amerbachs Beziehun⸗ 
gen zum Süden. Sein Sohn Bonifacins, welcher mit Hutten be 
freunbet war, bat ſich Sabre lang in Avignon aufgehalten; bei feiner 
legten Anweſenheit dafelbft wohnte er in dem Haufe des D. Mon. 
tagne. Diefer war ein Verwandter des nachmals jehr befannten 
Tranz Lambert von Avignon!), welcher in Folge feiner Hin 
neigung zum Walbenfertfum, wie wir fehen. werben, aus Franl, 
reich flüchten mußte und im Jahre 1522 in Bafel Schuß ſuchte. 

Der Lyoner Buchdruck war ebenfo wie der Venediger lange 
Zeit vorwiegend in deutfchen Hänben. In erfigenannter Stabt Hatte 
Joh. Trechfel ſchon feit 1487 eine Druderet befeifen; feine Söhne 
Cafpar und Melchior führten im Beginn des 16. Jahrhunderts das 
Geſchäft erfolgreich fort. Sie unterhielten den regften Verkehr mit 
Bafel und Hans Holbein war es, welder für ihre Verlags 
artitel die Holzſchnitte anfertigte 2). 

Daſſelbe intime Verbältnig, welches wir in Nürnberg zwiſchen 
den Buchdrudern und Künftlern kennen gelernt Haben, Hatte fich 
in Baſel ausgebildet. Mit Net fagt C. B. Lord von jener Periode 
des Bajeler Buchdrucks: „Selten haben Wifjenfchaft, Kunft umd 
Technik brüderlicher zufammengewirkt als dort". Männer wie Hand 
Holbein, Burgkmeier, Urs Graf und die ſchon genannten Künftler 
Schäuffelein, Hans Frank u. A. arbeiteten Hier zufammen 3). 

Hans Trank gehörte, wie wir zufällig willen, der Bruder- 
haft „Zum Himmel” an‘) und e8 Tann fein Zweifel fein, 
daß wir bier eine der uralten Hüttenbruderfchaften vor uns haben. 
Es ift Sehr wahrſcheinlich, daß die Bruderfhaft „Zum Himmel“ 
als „Liebhaber des Handwerks’ auch die Buchdruder, die wir ge 
nannt baben und einen Theil der Gelehrten, die wir kennen lernen 
werden, mit umfaßte. 


Als Mitarbeiter und Correktoren ihrer fremdiprachigen Werte 
wählten die Verleger gern ſolche Gelehrte, welche ven Standpunkt 
ber Officin theilten, und es finden fich Beifpiele, daß bie Ge 

1) Serminjarb Corresp. des Ref. II, 116 Anm. 3. 

2) Näheres hierüber bei Woltmann H. Holbein Lpz. 1874 I, 225f. 


3) Handbuch der Geſch. der Buchdruckerkunſt. Lpz. 1882. S. 136, 
4) Nagler Die Monogrammiften II, 313. 





329 


ſchäftsinhaber auch in geiftiger Beziehung einen Einfluß auf ihre 
Mitarbeiter ausübten)). 

Joh. Amerbach Hatte noch in ber letzten Zeit feines Lebens für 
jeine Officin den gelehrten Beatus Rhenanus gewonnen, welcher 
mit Ulrich Zwingli befreundet ward). Auch der Franciskaner Bel- 
lican, welcher zu Tübingen mit Joh. von Staupig Beziehungen 
angelnüpft hatte, war damals bei Amerbach thätig. 

Im Jahre 1514 war e8 dem Joh. Sroben gelungen, gegen 
bedeutende DVerfprechungen ven berühmteſten Schriftfteller der Zeit, 
ben Defiderius Erasmus, zu beftimmen, feine Thätigfeit in 
den Dienft der berühmten Officin zu ftellen; Froben nahm ven Ge⸗ 
lehrten, der ohne feſte Stellung nur von feiner Feder lebte, in 
feinem Haufe glänzend auf und Erasmus fühlte fich in der neuen 
Stellung fehr wohl?). 

In der Offiein des Eratander und nachmals des Curio 
war ferner als Gefchäftstheilnehmer und Eorreftor ein junger Ge⸗ 
lehrter, ver Magiſter Hans Dend), thätig. 

Er ftammte aus Baiern 5) und war in jenen Örenzgegenben 
bes Böhmerwaldes geboren, in welchen noch um 1517 nachweislich 
zahlreiche Brüdergemeinden ertjtirten. 

Eben dieſelben Verhältniſſe, welche jene Buchdrucker und Künſtler 
aus Oberfranken 6) nach Baſel geführt hatten, waren es ſicherlich 


1) 305. Decolampab war feit Nov. 1522 bei Andreas Cratander beſchäftigt 
und wohnte in deſſen Haufe. ME er endlich im Jahre 1525 eine feite Stellung 
im kirchlichen Dienft erhalten hatte, fehrieb er aufathmend an Zwingli: „A Cra- 
tandro liber ero“. Heß Decolampabs Leben ©. 443. 

2) Zwinglii Epistolae Opp. VII, 174 M. Bucer an Zwingli d. d. 1521 Mat 23: 
Municeps et Patronus meus est amicissimus tibi Beatus Rhenanus. 

3) Faber Stapulenfis an Def. Eramus d. d. 1514 Oct. 23: „Uberiore laetitia 
animum meum opplevit, quod te intellexi in Germania apud typographos versari‘“. 

4) Der Name kommt fowohl in diefer al8 in der Schreibung Hans Zend 
ober Tenk vor. Hans Hut und Hans Schlaffer, die ihn perſönlich kannten, ſprechen 
regelmäßig von Hans Tend (Itſchr für Schwaben und Neuburg 1874 ©, 223 ff.). 
Er felbft nennt fih Hans Dend, H. Dengt oder Johann Denk. 

5) Joh. Keflers Sabbatha (Mittheilungen des hiſt. Vereins v. ©. Gallen 
1866) I, 280. 

6) Anch Deutſche ans Böhmen waren in den Bafeler Drudereien frühzeitig 
beichäftigt, 3. B. ift Siegmund Gelenius aus Prag 30 Jahre lang bei Amer- 
bach⸗Froben Inſpektor geweſen. Heß, Erasmus II, 374. 


330 


auch geweſen, welche die Ueberfievelung Dends dorthin bewirkt 
batten. 

Joh. Oecolampad berichtet uns!), dag Dend fchon 1515 Ge⸗ 
legenheit hatte, an ber Thätigkeit jenes „erasmiſchen Kreifes Theil 
zu nehmen, wie er fich feit 1514 gebildet hatte. 

Außer Rhenanus und Bellican gehörten eben dieſem Kreife in 
jenen Jahren noch Heinrich Loriti aus Glarus, genannt Glarean?), 
der ein intimer Freund des jungen Züricher Patriciers Conrad 
Srebel war?), der junge Niederländer Michael Bentinust), 
welcher mit Dend in naher Freundſchaft lebte, der Engländer 
Richard Erocus und vor Allem Wolfgang Capito und Joh. 


Decolampad an?). 
Die beiden leßtgenannten ſtanden ven Buchdruckern Eratander 


und Curio fehr nahe. Wir erwähnten fchon, daß Decolampad in 
Cratanders Haus längere Zeit gelebt hat, und es fteht feit, daß 
Capito mit Curio befreundet war). 


Das vornehmfte Intereffe diefes Kreijes concentrirte fih auf 
das Neue Teftament und auf die Wiffenchaften, welche zumt rechten 


1) Oecolampad fchreibt am 25. April 1525 an Willibald Pirfheimer: „Denckius 
a me nullum venenum hausit, si venenum hausit. — Audivit aliquot lectiones 
Jesajae. Sed quales illae sint, judicet lector. Nihil impudentius illis dixi. 
Et non opinor, multum in illis veneni. Praeterea de eucharistia quam timide 
locutus sim, sciunt, qui audierunt. Sed cum Denckio nihil: tametsi ab- 
hinc decennium est (alfo 1515), quum multa super ea re a doctissimis 
quibusdam inter angulos referri audirem, a quibus fortasse etille audiit“., 
Herzog Decol, II, 273, 

2) Erasmus hielt ſehr viel von ihm; im Sabre 1517 gab er ihm ein Em- 
pfehlungsfchreiben nach Paris an den Biſchof Stephan Poncher mit. 

3) Vgl. Zwingli Epp. I, 157 u. öfter. Glarean jchreibt am 29. Dec. 1522 
an Zwingli: Saluta nomine nostro C. Grebelium, Joh. Jac. Ammanum.... 
Dominos multis ab annis mihi cognitos“. 

4) Michael Bentinus war einer ber vertrauteften Freunde Dends. Bel. 
Keller, Ein Apoftel der Wiebertäufer ©. 253, wo Bentinus von Dend ſelbſt 
als fein intimfter Bertrauensmann bezeichnet wird. Dend ift [päter in bes Ben- 
tinus Haus geftorben. 

5) Unter ben Stubirenden der Bafeler Hochſchule befanden fi um das Jahr 
1514 Eonrad Grebel aus Züri, Petrus Toſſanus aus Metz u, Andere 
(Herminjarb Corresp. des Ref. I, 250 Anm. 1). Beide traten fpäter zu bem 
erasmifchen Kreis in nahe Beziehungen. 

6) Am 21. Mai 1523 fchreibt Bal, Curio an Capito nach Straßburg: 





331 


Verſtändniß deſſelben nothwendig waren, zumal auf bie griechifche 
Sprade und Grammatit. 

Erasmus, welcher neben Neuchlin als vornehmfter Beförberer 
der griechifchen Grammatik galt, pflegte gerade feine begabteiten 
Schüler auf diefes Gebiet binzulenten. 

In Würdigung der ausgezeichneten Vorarbeiten, welche der 
Griehe Theodor Gaza aus Theffalonich (F 1478) in feiner Gram- 
matil!) gegeben hatte, hatte Erasmus im Jahre 1516 das erfte 
Buch diefes größeren Werks mit lateinifcher Meberfegung bei Troben 
erfcheinnen laſſen. 

In demfelben Sabre gab der oben erwähnte Crocus das vierte 
Buch des Gaza in Leipzig bei Schumann Heraus und ein anderer 
Schüler des Erasmus, Conrad Heresbah?%), bielt im Winter 
1521/22 über das dritte und vierte Buch Vorlefungen. 

Es fehlte mithin troß der Thätigkeit vieler Gelehrter eine Ge⸗ 
fammtausgabe der vier Bücher und es verbient Beachtung, Daß 
Dend e8 war, welcher eine folde im September des Jahres 1523 
in Gemeinjchaft mit Valentin Curio beforgte >). 

Auf dem Titel bat Dend fih durch folgendes Diftihon als 
Herausgeber gefennzeichnet: 

- Avayvworz Aévyxioqç. 
Aovog dorıg doüg yAvxconv xnmoıo Tugavnv 
Tevr« 001 evoduor Bıßala Inxe 60dov. 


Statuebam his diebus, te invisere atque de nostris communibus 
rebus praesentiloqui, sed vide nuntiatur hodie: Conradum Heresbachium, 
officinae jam meae Maecenatem postridie adfuturum, quem in rem meam de- 
sideratissime jam exspecto; proinde me excusatum tuae praestantiae spero 
etc. Wolters Konrad v. Heresbadh. Elberfeld 1867 ©. 33. 

1) Introductivae Grammatices libri IV Venet. 1495. 

2) Konrad Heresbad hatte zu Val. Eurio nähere Beziehungen; Curio druckte 
im März 1523 ein Buch Heresbachs. S. Panzer Annales Typogr. 

3) Theodori Gazae introductionis grammaticae libri quatuor, una cum in- 
terpretatione Latina eorum usui dicati, qui vel citra praeceptoris operam 
Graecari cupiunt. Ubi quid expectes sequentis paginae indicat epistolium: — 
Basileae An. M.D. XXIII. 

Ein Eremplar diefer Ausgabe befindet fih in der Kgl. Univ.-Bibliothel zu 
Marburg. — Dieſes Buch hat fpäterhin eine große Zahl von Auflagen erlebt. 
Eine Edition erfdien zu Coln im Jahre 1525, zwei zu Paris (1529 und 1534), 
drei zu Bafel (1529. 1540. 1541) und eine zu Venedig (1534). 


332 


und das Werk felbft, welches übrigens nach der Sitte der Zeit au 
eine Vorrede des Druders enthielt, hat er mit folgender lateinifcher 
Stropbe eingeleitet: 
Graecarum Literarum studiosis Johannes Dengkius. 
Heus puer, heus juvenis, heus tu quoque cana senectus 
Quae cupis in Grajo nare renare sinu, 
Brachia cujus adhuc fluctus indocta marinos 
Pellere, sublimem ferre per alta negant. 
Ecce tibi cortex, qui te, dum libera possint 
Brachia per Syrteis, per vada tuta vehet. 


Erasmus fchreibt im Sabre 1516 an Sapidus: „Sch ſcheine 
mich in einent förmlichen Mufenfige zu befinden, fo viele Gelehrte, 
ja, fo viele ausgezeichnete Gelehrte fehe ih um mich. Keiner, ber 
nicht lateiniſch, feiner, der nicht griechifch verfteht. Die Meeiften 
können auch noch hebräiſch“. 

„ver Eine‘, fährt er fort, „ist in der Gefchichte, der Andere 
in der Theologie, ein Dritter in der Mathematik, der in den Alter: 
thümern, Sener im Rechte erfahren. Wie jelten das jich trifft, weißt 
bu ſelbſt; ich wenigſtens habe e8 noch nicht erlebt, in einer fo glüd- 
lichen Genofjenfchaft zu verkehren. Und was noch mehr ins Ge 
wicht fällt, ift Die Reinheit der Gefinnung bei Allen, bie 
Heiterkeit des Verkehrs und beſonders die Eintracht“. 

Da iſt e8 nun merkwürdig, daß, wie Decolampab in dem oben 
erwähnten Briefe an Pirkheimer verfichert, in dieſem Kreiſe eine 
der wichtigften Doctrinen der ſpäteren reformirten und täuferifchen 
Gemeinſchaft bereit8 im Jahre 1515 vorgetragen worben ift. Es 
ftimmt dies überein mit der anderweit beglaubigten Nachricht, daß 
ihon im Jahre 1514 fowohl Pellican als Capito die Auffaflung 
ber römischen Kirche vom Altarfacrament verworfen hätten. 

Decolampad war im Jahre 1515 dieſer „Keterei” noch nicht 
verfallen. Erasmus verfichert in einem feiner Briefe, daß ihm und 
feinen Freunden Decolampad „durch feinen Aberglauben” 
läftig geworben jei!). Ganz plöglich Iegte Decolampad feine Stel- 
Yung in Bafel nieder. und ging bald darauf ins Kloiter. 

Wir haben uns in der erasmifchen Gefellfchaft, wie fie um 


1) Herzog Decolampads Leben I, 122. 











333 


das Jahr 1515 beitand, eine „Societas“ zu denken, welche in ihren 
Formen den „Brubderfchaften” fehr nahe ftand. 

Im Haufe Frobens und natürlich unter Mitwirkung biefes 
gelehrten Mannes verfammelten fich die Freunde und hielten ihre 
Situngen, deren Nejultate uns unten noch bejchäftigen werben. 

Aeußerſt bezeichnend ift die Art, in welcher die berühmten 
„Dunlelmänner-Briefe‘ den Ruf ſchildern, den diefer Freundeskreis 
fih unter den römischen Theologen erivorben hatte. ‘Dort heißt e8: 


„Sed in domo Frobenii 
Sunt multi pravi haeretici“ etc. 


In dem Werke, welches G. A. Will im Jahre 1773 über die 
Geſchichte des Anabaptismus veröffentlicht bat, fagt er unter Be⸗ 
zugnahme auf die oben erwähnten Mittheilungen Decolampads über 
Dend: „Diefe Stelle beweist zugleich, daß die wiedertäuferifchen 
Grillen ſchon ungefähr um 1515 in der Schweiz feien aus⸗ 
geheckt, Doch noch immer heimlich gehalten worden“ 1), 

Selbft wenn man diefe Behauptung nicht vollſtändig aufrecht 
erbalten will, muß man einräumen, daß fie etwas Wahres enthält. 
Die Ideen des nachmaligen Täuferthbums find damals zwar nicht 
„ausgeheckt“ worden, aber fie find doch in den Kreifen der „Bru- 
derfhaften”, wie fie zu Bafel eriftirten, vorhanden geweſen. 
Um fie an das Tageslicht zu treiben, bedurfte es noch beſonderer 
Anftöge, aber dem Keime nach waren fie vorhanden und zwar nicht 
erft fett 1515, fondern feit uralten Zeiten. 

Dend erflärt in dem Glaubensbekenntniß vom 16. San. 1525, 
dem er fein Leben hindurch treu geblieben iſt, ausprüdlich: „Ich 
bab von Kindheit auf von meinen Eltern den Glauben gelernt”. 

Niemand darf mithin fagen, daß der Mann, welcher für die 
wiſſenſchaftliche Ausgeſtaltung der nachmals unter dem Namen des 
„Anabaptismus" bekannt gewordenen Lehre bei weiten das Meifte 
getban bat, feine Ideen erft um 1515 gleihfam erfunden over von 
Erasmus und Anderen gelernt babe. 

Die Familie Dends war, mag Wolfgang Dend Hans Dends 


1) Beyträge zur Geichichte des Antibaptismus 1773 ©. 14. 


334 


Bater!) oder Onkel gewejen fein, mit der Bruderſchaft der 
deutfhen Steinmegen auf das innigfte verbunden. Hier waren 
die Ideen ber älteren „Semeinden” am treueften bewahrt worden 
und nun wollte e8 die Vorfehung, daß der port aufbewahrte Glau⸗ 
bensichag aus den Gilden wieder heraustrat und in das Firchliche 
Leben zurücverpflanzt wurde. ‘Die Mittelsperſon dieſes Vorgangs 
war Hans Dend, der deßhalb unſer befonderes Intereffe in An- 
ſpruch zu nehmen geeignet ift. 


Wenn Oscar Hafe in feiner Schrift über die Koburger ber- 
vorhebt, daß die Thätigkeit diefer großen Firma fich durch die Eulti- 
virung eines Buches, nämlich ver Bibel, fennzeichnet, To ließe 
ſich dieſe Wahrnehmung in dem Maße verallgemeinern, daß fie 
faft auf alle größeren deutſchen Buchhändlerfirmen ded 
15. Jahrhunderts Anwendung fände. 

Aus Koburgers Preſſen find im Laufe der Jahre nicht weniger 
als dreißig verfchienene, Yateinifche, deutſche und böhmiſche Bibel- 
ausgaben hervorgegangen; bis zum Sabre 1500 Hatte er bereits 
15 Editionen veranftaltet. 

Aber die übrigen Verleger ſtehen binter ihm keineswegs zurüd; 
Yaffen fich doch bis zum Ende des 15. Jahrhunderts nicht weniger 
als 98 vollftändige lateinifche Bibeln nachweifen?) — ganz 
ungerechnet bie weit größeren Zahlen lateinijcher Pfalter, Evan- 
gelien, Epifteln oder fonftiger Theil-Ausgaben der Bibel. 

Indeſſen ift für uns nicht in erfter Linie die Eultivtrung der 
Inteinifchen Bibel von Intereffe; viel wichtiger tft die Verbreitung 
beutfher Bibeln im 15. und zu Anfang des 16. Jahrhunderts. 

Da noch im Sabre 1468 der erjte Kirchenfürft des Aeiches, 
der Erzbifchof Berthold von Mainz, die alten Verbote der römifchen 
Kirche gegen den Gebrauch deutscher Bibeln erneuert Hatte), fo 
darf man nicht annehmen, daß treue Söhne biefer Kirche fich dazu 

1) Joachim Vadian, welcher von 1502—1518 in Deftreih (Wien) lebte, 
fpricht mit Bezug auf Hand Dend und einige andere Führer ber „Täufer“ aus⸗ 
brüdlich von der „Claritas familiae“, Durch welche fie berühmt geweſen feien. 
S. Füßlin Beiträge zur Hiftorie der Kirchenreformation V, 398. 

2) Hain Repert. typogr. Stuttg. 1826. 

3) Das Nähere bei Giefeler Kirchengefhichte I, 4 ©. 311. 











335 


verftanden haben, in Widerſpruch mit ihren kirchlichen Oberen fich 
zu ſetzen. 

Es ift gewiß, daß Diejenigen Männer, welche es wagten, veutfche 
Bibeln unter das Volt zu Bringen, nicht fowohl der römischen Kirche 
als den Oppofitionsparteien nah ftanven!). 

Man bat von dem Umfang, in welchem vie veutfche Bibel feit 
ber Erfindung der Buchdruckerkunſt verbreitet worben ift, in Deutfch- 
land gewöhnlich ganz unzutreffende Vorftellungen. 

Es find zwijchen den Jahren 1466—1518 nicht weniger als 
vierzehn vollftändige deutſche Bibeln alten und neuen Tefta- 
mentes in hochdeutſcher Sprache und vier in niederdeutſchem Dialekt, 
alſo im Ganzen ahtzehn Ausgaben im Drud erfchienen 2); außer- 
dem aber find bi8 zum Sabre 1518 die Evangelien etwa fünfund- 
zwanzigmal, der Pfalter bis zum Jahre 1513 etwa breizehnmal und 
andere Theil-Editionen in unberechneter Anzahl herausgegeben wor⸗ 
ben. Auch die Zahl der deutſchen Plenarien, d. h. der Evan⸗ 
gelten und Epifteln mit Auslegung, it eine ſehr erhebliche. 

Schon im Jahre 1494 konnte Sebaftian Brant im „Narren- 
ſchiff“ mit Necht jagen: 

„AU land ſynt yet voll heiliger gefchrifft, 
Und was der Seelen beil antrifft, 

Bibel, der Heiligen Väter ler 

Und ander vergleichen Bücher mehr“. 

Wenn man nun biefe vorlutherijchen deutſchen Bibeln, welche 
in den verfchieveniten deutſchen Städten bergeftellt wurden, mit 
einander vergleicht, fo ftellt fich die merfwürbige Thatfache heraus, 


1) Die deuntſche Bibel von 1483 bat Michael Wohlgemuth, Dürers Lehrer, 
mit Holzſchnitten ausgeftattet. Neben dem künſtleriſchen und culturbiftoriichen . 
Snterefie, welches dieſelben barbieten, find auch einzelne Darftellungen ſelbſt fehr 
merkwürdig. Denn wenn auf mehreren Bildern zur Apocalypfe der Papft als 
das Haupt der Schanren bargeftellt wird, welche von den Engeln gefchlagen und 
geſtürzt werben, fo hat man, wie e8 feit alten Zeiten gefchehen ift, barin in ber 
That den Ausdruck eines Gedankens zu fuchen, wie er von ben Anhängern jener 
Waldenſergemeinde in Nürnberg, welche wir nachgewielen haben, gehegt und ver- 
breitet warb. 

2) Die Einzelheiten bei ©. L. Krafft Ueber Die deutfche Bibel vor Luther 
Bonn 1883. — Schott Dr. M. Luther und die dentſche Bibel. Stuttg. 1883. — 
Kehrein Deutiche Bibelüberfegung vor Luther. Stuttg. 1851. 


336 


daß fie alle, abgejehen von mundartlichen und ähnlichen Verſchie⸗ 
denbeiten, unter einander gleich find und daß fomit eine Art 
deutſcher Bulgata eriftirt bat. 

Dieſe Erſcheinung wird um jo beachtenswerther Durch ven Um⸗ 
ftand, daß Die Gejchichte dieſer vorlutheriſchen Bibelüberfegung fih 
bis in das 14. Jahrhundert zurüd verfolgen läßt. 

Derberübmte Codex Teplensis nämlich bietet, wie 
oben bemerft, diefelbe Leberfegung dar, welde im ber 
erften deutſchen gedbrudten und danach in allen folgen, 
ben deutſchen nihtlutherifhen Bibeln fich findet. 

Wenn man fich nun daran erinnert, daß wir in dem genannten 
Goder nichts anderes als ein Formularbuch eines @eiftlichen ber 
„Brüdergemeinden“ vor uns haben, fo fällt von Hier aus auf bie 
aanze Gefchichte der deutſchen Bibelüberjegung ein neues Licht. 

Es Yag ja in der Natur der Sache, daß die Bruderfchaften, 
welche durch ihre Typographen die Bibel vervielfältigen ließen, bie 
jenige Ueberfegung auswählten, welche bei ihren Gottesdienſten feit 
alten Zeiten gebraucht und gebilligt war. Aber es tft für den feften 
Zuſammenhalt der Buchdruder mit den „Gemeinden bezeichnend, 
daß Jeder nur die von den Vätern überlommene und von der Tras 
dition gebeiligte Ueberfegung bat reproduciren und in den Gebrauch 
geben wollen. 

Und andererfeits ift e8 für die Beurtheilung des Zufammen- 
hangs der altevangelifchen Gemeinden, die man „Täufer nannte, 
mit den älteren Gemeinden wichtig, daß auch jene fich noch bis in 
das 17. Sahrhundert im Wefentlihen nur an diejenige Form der 
deutſchen Bibel haben halten wollen, welche fchon im 14. Jahr⸗ 
hundert bei ihren Vätern im Gebrauch war. 


Und diefelbe Erfcheinung, welche fich bezüglich der altwalben- 
fiihen Bibelüberjegung beobachten läßt, tritt bezüglich derjenigen 
Literatur zu Tage, welche an bie „Gottesfreunde“ des 14. Jahr 
hunderts angelnüpft zu werden pflegt, deren wahren Charakter wir 
aber oben kennen gelernt haben '). 


1) Es ift dies eine längſt beobachtete Erfcheinung. Janſſen Gefchichte bes 
deutſchen Volks I, 263 fagt mit Recht: „Viele ihrer (d. h. ber Myſtiler) Abhand⸗ 





337 


Sowohl in den „Gemeinden wie in den Kreifen der Werk⸗ 
Bruderſchaften war die Erinnerung an die großen Wortführer ber 
„Brüder“ aus der Zeit des Kaifer Ludwig ftetd wach erhalten wor⸗ 
den. As Ulrich von Hutten im Mai 1520 zufällig in Boppard 
war, fand er dort in dem Haufe eines Bürgers, Ejchenfelver war 
fein Name, zu feinem Erftaunen eine alte Handſchrift, welche reli- 
giöfe und kirchliche Tractate aus dem 14. Jahrhundert enthielt; 
er entſchloß fich fofort, da er fich jehr ſympathiſch dadurch berührt 
fühlte, einen Theil der Schrift durch den Drud zu vervielfältigen?). 

Auf ähnlihem Wege wurden andere religidfe Abhandlungen, 
welche, wie fich zeigen wird, in ben Kreifen der römiſch gebildeten 
Theologen meift völlig unbekannt geworben waren, feit der Erfin- 
dung der Buchdruckerkunſt mafjenweife unter das Volt gebracht. 
Hier kann nur Einzelnes erwähnt werben. 

Bor Allem erneuerte man folche Werke wie das „Meiſter⸗ 
buch“ mit den altevangelifchen Lebensregeln des goldnen ABE und 
die Meinen Tractate oder Predigten, die an Taulers Namen an- 
geknüpft worben waren. So erſchien das „Meifterbuch” in. ven 
Jahren 1498, 1508, 1521, 1522 und 1523 zu Leipzig, Augsburg, 
Baſel u. |. w. 

Man dructe dies Buch nicht allein, fondern publicirte zugleich 
die Predigten Taufers. Auch Separatausgaben einzelner Sermone 
Taulers, wie 3. DB. derjenigen über die Worte Chrifti, die fich 
Joh. 10, 1 finden, wurden im Drud bergeftellt. Ferner zog man 
Gebete aus feinen Schriften aus und Lebensregeln, wonach 
der „inwenbige und auswendige Menfch möge regiert werben?) — 
furz, der „erleuchtete Doctor”, wie er noch im 16. Jahr⸗ 
hundert beißt, wurde nach allen Richtungen Hin wieder zu Ehren 
gebracht. 

Auch minder beveutende Schriften der „Gottesfreunde“ wur- 


{ungen und Sammlungen, Ausfprüde umd Regeln für das beichauliche Leben, 
erſchienen feit der Erfindung der Buchdruckerkunſt in zahlreichen Ausgaben; be- 
ſonders die von H. Seufe (Sufo), Joh. Tauler, Otto von Paſſau und beutfche 
Ueberfegimgen der Nachfolge Chrifti von Th. v. Kempen“. 
1) Strauß, Ulri von Hutten II, 55. 
2) Weller Repert. typographicum No, 2708, 
Keller, Die Reformation. 22 


338 


ben aufs Neue ans Licht gezogen, Darunter die „Auslegung der 
Zehn Gebote‘ (welche 1483, 1516 und 1520 erſchien) !), ferner „das 
Buch von den 24 Alten‘ (1480, 1483, 1500) und vieles Andere. 


Da fich bei vielen dieſer und ähnlicher Editionen Die Verleger 
aus guten Gründen nicht genannt haben, fo ift e8 vorläufig un⸗ 
möglich, eine zuverläffige Ueberficht über Die Druder, welche fich 
der oppofitionelfen Literatur annahmen, zu geben. 

Indeſſen muß bier doch auf einige Punkte aufmerkfam gemacht 
werden. 

Der Katechismus der Waldenfer, ven wir oben befprochen haben, 
giebt, ſoweit die Druder der Ausgaben feitftehen, einen gewiffen 
Anhaltspunkt für die Beurtheilung des Standpunkts der Officinen. 

Nun ift es Doch merkwürdig, daß die Firmen, welche nad 
Zezſchwitz' Unterfuchungen ſich als Druder des Katechismus er- 
mitteln Taffen, auch gerade diefelben find, welche die deutſchen Bibeln 
bergeftellt haben. So drudte Hans Schönfperger in Augsburg 
neben jenem Fragebuch die 11. und 12. deutiche Bibel (1487 u. 1490); 
Friedrich Peypus in Nürnberg, welcher, wie wir ſahen, damals 
im Auftrage der Koburger arbeitete, ftellte (offenbar ebenfalls im 
Auftrag feiner Arbeitgeber) eine andere Edition des Waldenferbuches 
her. Georg Gaftel in Zwidau, welcher fich „Des Schönfpergers 
Diener zu Augsburg” nennt, drudte wahrfcheinlich eine dritte Aus⸗ 
gabe des Fragebuchs, ficher aber eine Apologie der böhmischen Brüder, 
welche fich heute noch in der Brüderbibliothek zu Herrnhut erhalten 
hat?) und andere ähnliche Schriften der böhmifchen „Ketzer“. 

Ganz etwas ähnliches läßt fich ſodann bezüglich der Schriften 
Taulers, Suſos u. A. beobachten. 

Die Ausgabe von Taulers Predigten, welche im Jahre 1508 
erſchien, druckkte Hans Otmar zu Augsburg, derſelbe Otmar, welcher 
im Jahre 1507 die 13. deutſche Bibel gedruckt hatte; deſſen Sohn 
Silvan Otmar beſorgte im Jahre 1518 die 14. deutſche Bibel. 


1) Schmidt, Nicolaus von Baſel. Wien 1866 S. 73 Anm. 15. 
2) Eyn kurtz unterricht von dem urſprunck der Brüder in Behmen u. ſ. w. 
40. 8 Bl. Zwickaun; Jorg Gaſtel. 








Sünfehntes Capitel. 
Johann von Staupis und Dr. Martin Luther. 


Staupig und bie altbeutfche Theologie. — Seine erfte Begegnung mit Luther 
zu Erfurt. — Staupis führt Luther zu Tauler und den „Myſtikern“. — 
Luthers Begeifterung für die „deutſchen Theologen” in ben Jahren 1517 big 
1520. — Luther wird als Führer anerlannt. — Staupit’ fernere Unter- 
ſtützung bis zum Jahre 1521. — Plößliche Erkaltung des Verhältniſſes zwischen 
Luther und Staupig. — Wer bat feine Anfchauungen gewechſelt? — Die 
Spaltung der Nation. — Urſachen der Spaltung. — Die Lehre von ber 
Genugthuung Ehrifti. — Die Willensfreiheit. — Die Erfenntnifquellen ber 
religidfen Wahrheit. — Luthers Firchenpolitifche Anſchauungen. 

Die Wirkungen der Erneuerung diefer altveutfchen Literatur 
äußerten fich zunächſt natürlich vorwiegend in denjenigen Streifen, 
welche von jeher die vornehmften Träger derfelben geweſen waren, 
befonders im deutfchen Bürgerthum. Allmählich aber kam es da⸗ 
hin, daß auch einzelne Mitglieder des geiſtlichen Standes den 
Geiſt dieſer Theologie in ſich aufnahmen, und es traf ſich glücklich, 
daß darunter einige ausgezeichnete Männer ſich befanden, welche 
die Fähigkeit beſaßen, die Ideen der Vorfahren in ſelbſtändiger 
geiſtiger Reproduction den Zeitgenoſſen zu vermitteln. Zu dieſen 
Gottesgelehrten gehörte neben vielen Anderen beſonders der edle 
Johann von Staupitz. 

Die kleinen Schriften, welche Staupitz im engſten Anſchluß an 
die Ideen der deutſchen „Myſtik“ ſeit 1515 veröffentlicht hat, haben 
bei Weitem noch nicht diejenige Beachtung gefunden, welche ſie nach 
der Wirkung, die fie zu ihrer Zeit ausgeübt haben, verdienen‘). 
Im Jahre 1515 publicirte er zumächft ein Kleines Buch über die 


1) 3.8.5. Knaake, welcher im Jahre 1867 den Berfuch machte (Johannis 
Staupitii Opera. Potsdam 1867. Vol. I) eine neue Ausgabe herzuftellen, hat den⸗ 
ſelben wegen mangelnder Theilnahme des Publikums aufgeben mäflen. - 

22* 


340 


„Nachfolge Chrifti”. Daſſelbe erſchien bei M. Lother in Leipzig 
— in bemfelben Verlag, in welchem drei Jahre zuvor eine Apologie 
der „Waldenſer“ erfchienen war — und fand rafch eine große Ver⸗ 
breitung; einige Sabre darauf erlebte e8 eine zweite Auflage. Eine 
der gelefenften und wirkungsvollſten Schriften jener Jahre aber 
wurde des Staupis Büchlein „Von ber Liebe Gottes‘, welches zu- 
erft im Sabre 1518 gedruckt ward und raſch nach einander drei 
weitere Ausgaben erlebte. 

Das Anfehen, welches Staupig in jenen Jahren als Vor⸗ 
fümpfer für die erfehnte veligiöfe Reform genoß, tft oben gefchilvert 
worden. Im Sabre 1518 ſprach Dr. Scheurl, wie erwähnt, bie 
Hoffnung. aus, dag Staupit e8 fei, welcher das „Volt Israel” aus 
der Gefangenfchaft führen werve. 

Eben Johann von Staupis war es denn, welcher im Jahre 
1505 auf einer der Inſpektionsreiſen, die er al8 Generalvicar bes 
Auguſtinerordens zu machen pflegte, in dem Convent zu Erfurt 
einen jungen Ordenshruder, Namens Martin, Tennen lernte. Der 
Mönch war in jenen Jahren durch ſchwere Gewiſſensbedenken über 
die Tragen des Seelenheild und der Erlöfung beunruhigt, und 
Staupis, der davon erfuhr, nahm fich freundlich feiner an. Er 
belehrte ihn, wie ausdrüdlich überliefert ift, daß das Studium der 
h. Schrift, fowie die Lectüre des Auguftinus und ber „Myſtiker“ 
das menjchliche Gemüth am eheiten zum inneren Frieden zu führen 
im Stande feit). 

Luther ſelbſt erzählt und, daß unter den fchulmäßigen Theo⸗ 
logen feiner Yugendzeit die altveutfche Theologie Taulers faft ganz 
unbekannt gewefen fei; auch er Hatte bis dahin nichts davon Tennen 
gelernt?). Die Worte des Staupik eröffneten ihm daher eine ganz 
neue Welt und je mehr er fich darein vertiefte, um fo mehr wurde 
er davon ergriffen, ja, er fühlte fich wie neu geboren und nannte feit 
biefer Zeit den Staupig in dieſem Sinn feinen „getftlihen Bater“. 


1) Theol. Studien u. Kritiken 1869 S. 192. 

2) Wie fehr Luther anfänglich unter der Herrfchaft mittelalterlicher religiöſer 
Borftelungen und Gefühle ftand und wie er durchaus nur mit den Anſchauungen 
ber mittelalterlicden Scholaftit genährt war |. bei Mauren brecher Ge. der 
katholiſchen Reformation. Nörblingen 1880 Bd. I, ©. 158, 





341 


Im Büchlein vom Ablaß fchildert Quther die Wirkungen, welche 
Zauler bei ihm hervorbrachte, folgendermaßen: „Was den Lehrer 
Taulerum belangt, ob er gleich den Theologis in Schulen 
unbelannt und beßbalb Bei ihnen verachtet tft, fo weiß 
ich doch, ob er gleich durchaus deutſch ift, daß ich mehr ber veinen 
göttlichen Lehre darinnen gefunden, denn in allen Büchern ber 
Schullehrer auf allen Univerfitäten ich gefunden habe und darinnen 
gefunden werben mag”. 

Bon nun an war Luther von warmer Begeifterung für Tauler 
und die. altveutfche Theologie erfüllt. In einem Briefe an Spa- 
latin ſchreibt er: „Ich bitte dich noch einmal, glaube mir Doch und 
folge mir und Taufe dir das Buch Taulers, dazu ich Dich auch zu- 
vor vermahnet babe, wo du es nur immer befommen kannſt. — 
Denn das ift ein Buch, darinnen dur finden wirft folche Kunſt der 
reinen und beilfamen Lehre, dargegen jett alle andere Kunſt eifern 
und irdiſch tft“. 

Bon biefem Moment an hatte die Literatur der altenangelifchen 
Gemeinden außer Staupig noch einen anderen Vorkämpfer gefun⸗ 
den, ‚welcher an Energie und Entſchiedenheit dieſem weit überlegen 
war. Luther ift esgewefen, welder inden Jahren 1517 
bis 1520 für die Erneuerung der altdeutſchen Theo- 
Iogie das Meiſte gethan bat. 

Im Sabre 1515 Hatte ein Anhänger diefer Literatur dem Luther 
die Handichrift eines Heinen Büchleins übermittelt, welches ebenfalls 
im 14. Jahrhundert entjtanden und, wie Luther nachher fand, von 
einem Deutſchordensherrn in Frankfurt verfaßt worden war. 

Luther hielt anfänglich dafür, daß Zauler der Verfaffer fei; 
er entfchloß fich, daſſelbe durch den Drud allgemein zugänglich zu 
machen, und gab dem Buch, welches er ohne Titel vorgefunden 
hatte, in treffender Weife die Bezeihnung „Eyn deutſch Theo- 
logia“, um damit, wie er jagte, anzubeuten, daß die Gedanken 
der Schrift ein charakteriftifches Eigenthum ver älteren deutſchen 
Theologie ſeien. „Sch danke Gott", fchreibt er, „daß ich in deutfcher 
Zunge meinen Gott alſo höre und finde”. „Gott gebe, daß 
diefer Büchlein mehr an Tag kommen, jo werben wir fin- 
den, daß die deutfchen Theologen ohne Zweifel die beften Theologen 


342 


find“. Er fehe daraus, daß auch vorhin und anderswo Leute ge- 
wefen, die recht gelehrt hätten, nur habe man fie nicht gelannt!). 

Wie tief der Eindrud war, den die Schrift dieſes „Gottes⸗ 
freundes” aus Frankfurt damals auf ihn machte, jehen wir aus 
der Vorrede zu der (nollftändigen) Ausgabe von 1516, wo Luther 
fagt: „Es ift mir nächſt der Bibel und ©. Auguftino nicht vor⸗ 
fommen ein Buch, daraus ich mehr erlernt hab und will, was 
Gott, Chriſtus, Menſch und alle Dinge feien”. In einem Briefe, 
mit welchen Luther dem Spalatin ein Exemplar feiner erjten Aus⸗ 
gabe ſchickte, Heißt e8: „Wenn es bich erfreut, die reine, tüchtige, 
und ber alten ähnlichite Theologie zu leſen wie fie in beutfcher 
Sprache ausgegangen ift, jo kannſt bu die Predigten Taulers aus 
dem Previgerorven dir anfchaffen; aber aus biefen Allen Tchiele ich 
bir hier gleichfam einen Auszug. Ich Habe wahrlich weder in 
Iateinifher no in unferer Sprache eine Theologie 
gefunden, die hbeilfamer wäre und mit dem Evangelium 
mebr übereinftimmte‘?2), 

Diefe Literatur und Johanns von Staupig um dieſelbe Zeit 
ericheinende Kleine Schriften waren nach Luthers eigenem Belenntniß 
die Quellen, denen er nächſt der Bibel in feinen eigenen Büchern 
" damals am meiften folgte. Im März 1518 jchrieb er an Staupig, 
er glaube es wohl, daß fein Name bei vielen „ſtinkend“ geworden 
ſei; Doch jet er nur der Theologie Taulers und des 
Büchleins gefolgt, welches Staupik vor Kurzem inden 
Drud gegeben babe?) 

In der That durchweht alle die Schriften Luthers, welche 
zwiſchen den Jahren 1517—1520 erſchienen find — man bat Diefe 
Periode mit Recht die Zeit des „großen reformatorifchen Zeugniffes” 
genannt — derſelbe Zug des Fühlens und Denkens, der uns in 
der Literatur der „Gottesfreunde” entgegentritt. Wenn man fidh 
davon überzeugen will, jo lefe man 3. DB. die „Auslegung des Vater 


1) Kritifche Geſammtausgabe von Luthers Schriften. Weimar 1883 I, 153. 

2) A. a. O. I, 152, 

3) de Wette I, 102. — Kolde (Die deutſche Auguftiner-Congr,. S. 313) fagt 
in Uebereinftimmung mit Köftlin mit Net, daß hier Staupig’ Büchlein „Bon 
ber Liebe” gemeint fei. 


343 


Unjer” vom Jahre 1518 oder die „Auslegung des 110. Pſalms“ 
aus demselben Jahr oder Luthers „Schlußreven wider die Theologie 
der Schullehrer und die Träume des Ariftoteles” (1517). 

Luther Hatte, bevor er bie beutfche Theologie Tennen Ternte, 
durch die Mittel, welche bie berrichende Richtung im damaligen 
Clerus als Heilsweg bezeichnete, d. h. durch die Vermittlung ber 
Kirche und der von dieſer vorgejchriebenen Leiſtungen vergeblich ver- 
fucht, zum Frieden mit Gott hindurchzudringen. Jetzt trat ibm 
nun eine Weberzeugung entgegen, welche jagte, daß das Heil an 
die Mittelung irgend eines äußeren Dinges oder Werkes nicht ge- 
bunden fei, fondern daß es einen unmittelbaren Weg zu Gott gebe, 
der in dem Glauben an Chriftus und dem Gehorſam gegen feine 
Gebote liege. 

Zugleich trat aber mit überwältigenver Kraft bie Ueberzeugung 
in fein Bewußtfein, daß fein Menſch aus eigener Kraft allein im 
Stande ift, den fehweren Pfad zu wandeln, den Ehriftus uns Durch 
den Befehl der Nachfolge zu wandeln vorgefchrieben bat; vielmehr 
bebärfen wir dazu der Hülfe und Mitwirkung Gottes, der „Gnade“. 

Sp gelangte er zu der Erkenntniß der Lehre, bie von da an 
das Grundprincip der evangelifchen Welt und aller ihrer verfchie- 
denen Parteien geblieben ift: Wir werden ohne unfer Ver— 
dienft und ohne die Mittel äußerer Leiftungen und Einrichtungen 
gerecht aus Gottes Gnade durch die Erlöfung, die durch Chriftus 
gefcheben ijt. 


Es traf fich glücklich, Daß die Theologie des 14. Jahrhunderts 
feit fünfzig Jahren wieder das Gemeingut aller derjenigen Deutjchen 
geworben war, bie ben noch vorhandenen „Gemeinden“ und den „Bru- 
derſchaften“ der deutfchen Werkleute angehörten over nahe ftanden. 

Alle diefe Kreife begrüßten jubelnd die Thatſache, dag fich jet 
auch unter den fchulmäßigen Theologen der römiſchen Kirche ein 
Mann fand, welcher mit dem außerordentlichen Talent, das ibm 
eigen war, fi zum Vorkämpfer diefer Literatur aufwarf. Die 
Zeiten fchienen wiederzufehren, wo Männer wie Zauler, Edhart 
und Marfilius ihre gewaltige Stimme für die Ideen der Brüber- 
gemeinden erhoben hatten, und noch lange Sahrzehnte Danach fchrieben 


344 


die Ehriften der alten „Brübergemeinden‘, die man inzwifchen als 
„Täufer“ blutig verfolgte, begeiftert von ben fchönen Jahren, bie 
im Anfange der Reformation gewefen waren!) Dean erkennt die 
Stimmung der Nation an der Thatjache, daß bie „Deutiche Theo- 
logie“ in den Jahren 1518—1520 nicht weniger als 10 Ausgaben 
und Auflagen erlebte. . 

Was tief in den Herzen von Hunderttaufenden gefchlummert 
batte und als fehnfüchtiger Wunfch im Stillen gehegt worben war, 
das ſchien fich jetzt verwirklichen zu follen: der Führer jchien ge- 
funden, welcher die alten Märtyrergemeinden aus der „babyloni- 
then Gefangenſchaft“ in das Land der Befreiung führen werbe. 

Rückhaltlos und voll Vertrauen warf fih die Majorität aller 
reformfreundlichen Deutichen Luther in die Arme; unter der Fahne 
der „deutſchen Theologie” war die Nation in ihrer großen Mehr⸗ 
beit unter Luthers Führung geeinigt. 

„Die Thatfache”, jagt 3. v. Dölfinger im Iahre 1846, „daß 
Jeder, der nur in Deutfchland fich zu den Unterrichteten zählte, im 
Anfange auf Luthers Seite ftand, tritt uns allentbalben entgegen. 
Selbſt Männer, die nachher ihr ganzes Leben der Bekämpfung des 
Proteftantismus widmeten, gehörten in den Sahren 1518 und 1519 
zu Luthers Bewunderern und verhehlten e8 nicht, wie viele Sym⸗ 
pathien fie für feine Sache hegten‘ 2). 

Das war das Nejultat der großen Sabre 1517 bis 1520. — 

Man kann ermeffen, daß über diefe Wendung der Dinge Nie- 
mand größere Freude empfand als Johann von Staupig, der Luthern 
zuerft auf die Pfade geleitet hatte, auf welchen jener nun mit fo 
großem Talent und fo außerorventlihen Erfolgen weiter jchritt. 

Staupig bat von da an wie ein Vater für Luther geforgt. Er 
führte ihn von Stufe zu Stufe in die Stellung, welche die Unter- 
lage für Luthers nachmalige Wirkfamfeit werben follte. Man weiß, 
welchen hohen Werth fpäter für Luther in banger Zeit feine Ver⸗ 
pflichtung als Doctor der h. Schrift gehabt Hat — Staupig war 
es, welcher im Frühjahr 1512 den wiberftrebenden Freund Traft 

1) Bed Geſchichtsbücher der Wiebertäufer in Oeſtreich-Ungarn 1883. S. 14. 


2) Die Reformation, ihre innere Entwidlung und ihre Wirkungen. Regens- 
burg 1846 I, 510, 


345 


feiner Autorität als Ordensvorgeſetzter dahin brachte, daß er dieſe 
Würde und damit den Eintritt in den Senat der theologischen Facultät 
erwarb; Staupig war es, welcher Luther bewog, fein vhetorifches 
Talent auf der Kanzel zur Ausübung zu bringen. 

Luther ſelbſt erzählt, Daß Staupig e8 geweſen ſei, „Durch welchen 
zuerft das Licht des Evangeliums zu leuchten begann in feinem 
Herzen), Nach Luthers eigenen Worten hat Staupig ihn „auf- 
geftachelt gegen den Papſt“) und ihm Muth zugefprochen,. 
als es fi darum handelte, wider Tegel und den Ablaß aufzu- 
treten. Andererjeitd war Staupitz Luthers Fürfprecher, als biefer 
mit feiner geiftlihen Dbrigfeit in Conflift gerieth und im Sabre 
1518 zu Augsburg vor Cajetan erfcheinen mußte. 

Luther war an die Führung Staupigend ſowie an deſſen ftän- 
dige Unterftügung und Mitwirkung fo ſehr gewöhnt, daß er am 
3. Det. 1519, als Staupik aus zufälligen Anläffen einige Zeit 
hindurch Luthers Briefe nicht Hatte beantworten können, folgende 
Worte an ihn fehrieb: „Du verläffeft mich allzu ſehr; ich war 
Deinetwegen, wie ein entwöhntes Kind über feine Mut- 
ter, jehr traurig; ich beſchwöre Dich, preife den Heren auch in 
mir fündigen Menjchen. Heute Nacht babe ich von Dir geträumt; 
es war mir, al8 ob Du von mir fchieveft, ich aber weinte bit- 
terlih und war betrübt. Da winkteft Du mit der Hand, ich 
möge ruhig fein, Du werbeft zu mir zurüdfehren‘ 3). 


Wenn. man bdiefe Thatfachen ins Auge faßt, fo ericheint es 
auffallend, daß Luther einige Jahre fpäter (1522) wörtlich jagt: 
„Die Briefe des Staupit verftehe ich nicht, außer daß ich fehe, daß 
fie ſehr leer an Geift find; auch fchreibt er nicht, wie er 

pflegte; möge Gott ihn zurüdführen‘ 9). 


1) De Wette Luthers Briefe II, 408: „Per quem primum coepit Evangelii 
lux de tenebris splendescere in cordibus nostris“. — Aehnliche Aeußerungen bei 
de Wette IV, 187 und öfter. 

2) „Colloquia“, ed. Bindseil III, 188: „D. Staupitius me incitavit contra 
Papam“ ; nach P. Zeller8 Aufſatz über Staupitz (Theol. Stud. u. Krit. 1879 ©, 8). 

3) De Wette a, O. I, 340. 

4) „Litteras Staupitii non intelligo, nisi quod spiritu inanissimas video, 
ac non, ut solebat, scribit; dominus revocet eum“. Der Brief ift an Wenceslaus 
Lind gerichtet und findet fich bei Döllinger, Die Reformation I, 155. 


346 


Unter dem 1. April 1524 verficherte dann Staupig dem Luther 
auch feinerjeits, „Daß er wegen der Langſamkeit feines Geiftes bis⸗ 
weilen Luthers Thun nicht fafje; er bitte deßhalb um Verzeihung, 
wenn er daſſelbe mit Stilffchweigen übergebe. „Möge Chriftus hel- 
fen“, ſchließt er, „daß wir nach dem Evangelium, das jet wor unfern 
Ohren tönt und das viele im Munde führen, endlich leben; denn 
ih fehe, daß Unzählige das Evangelium mißbrauden 
zur Freiheit des Fleiſches. Möchten meine Bitten, ber ih 
einst der Vorläufer der beiligen evangelifchen Lehre gewejen bin, 
doch etwas bei dir vermögen”). | 

Die letzte Schrift, welche Staupik verfaßt hat, ift zu Dem Zwed 
gejchrieben, um vor der ganzen Welt e8 auszufprechen, daß die Pfade 
Luthers von den jeinigen fich getrennt hätten. Er gab ihr ben 
Titel: „Von dem heiligen rechten chriftlihen Glauben‘, und gab 
fomit ſchon in der Weberjchrift zur erkennen, daß er gegen ben 
falſchen Glauben fchreiben wolle. In der Vorrede nimmt er aus⸗ 
drücklich auf die ausgebrochenen- Streitigkeiten Bezug und erklärt 
feine Abſicht, nun auch ſeinerſeits Rechenſchaft zu geben?) 

In diefer Schrift num findet fich ein Capitel, welches die Ueber, 
ichrift trägt: „Von der Titelchriften Irrung“. Dafjelbe ftellt ben 
Namenchriften die „rechten Chriften” gegenüber — man bemerle 
die Anlehnung an den waldenfifchen Sprachgebrauh — und er 
läutert den Begriff des wahren ChriftenthHums in folgenden wid» 
tigen Sätzen: Man bildet jetzt den Menfchen „thörichten Glau—⸗ 
ben ein und trennt vom Glauben das evangeliiche Leben; — 
fie theilen und fcheiven auch Die Werke vom Glauben, gleich als 
möcht man unvergleicht mit dem Leben Chrifti recht glauben. O Kit 
des Feindes; o DVerleitung des Volks. Derjenige glaubt gar nicht 
in Chriftum, der nicht thun will wie Chriftus gethan hat. 
Eben der Glaube, der dir das Vertrauen in Chriftum auflegt, der 


1) Der Brief ift zuerft veröffentlicht von 8. Krafft Briefe und Documente 
aus ber Zeit der Reformation. Elberfeld 1876 S. 54f. 
9 Bon dem beyligen rechten Chriftfichen glauben. Johannes Staubik. Nach 
feinem abfchayben an tag kummen und außgangen. 1525. S. Knaake Staupitii 
opp. I, 119. Die Schrift erlebte zwei Ausgaben im Sabre 1525, welche im einem 
Punkte eine intereffante Differenz zeigen; |. Knaale a. D. ©. 130 (Notiz zu dem 
Schluß von Kapitel 10 in den Varianten). 








347 


bringt dich zur Nachfolge Chriſti, der uns in allen guten Werfen 
und Leiden vorgegangen ift und uns ihm nachzufolgen aufgeforvert 
bat, der um unjertwillen gelitten und uns damit das Exempel ge- 
geben Bat, in feine Fußftapfen zu treten. Hör der Narren Rebe: 
der in Chriftum glaubt, der bedarf feiner Werke. Hör 
dagegen Sprüche ver Wahrheit: — Wer mir dient, der folge mir 
nach; wer mir, nachfolgen will, der verleugne fich ſelbſt und folge 
mir mit feinem Kreuz und thue daſſelbe täglich; wer mich liebt, 
der wird meine Worte halten; — der meine Gebote hat und hält 
fie, der liebt mich und wird vom Vater geliebt, und ich werde ihn 
lieben und mich ihm offenbaren; item willft du in das Leben ein- 
geben, jo halte die Gebote, David fragt, wer auf ven Berg des 
Herren fteige und ftehe in feiner, h. Statt, Antwort: deſſen Hände 
unfchuldig find und deſſen Herz rein ift, der ohne Makel eingeht 
und wirkt Gerechtigkeit, der die Wahrheit redet und Niemanden be- 
trügt, der von dem Böſen weicht und das Gute thut, der im Glau⸗ 
ben und in der Liebe und in der Heiligung bleibt. — Aber der 
böfe Geift giebt feinen fleifhlihen Chriften ein, man 
werde obne die Werfe gerechtfertigt, mit Anzeigung als 
babe e8 Paulus dermaßen geprebigt, wie ihm fälſchlich und mit 
Unwahrbeit wird aufgelegt. Paulus hat wohl wider die Werke bes 
Geſetzes, die aus Furcht und nicht aus Xiebe, die aus Eigenliebe, 
nicht aus göttlicher Liebe entipringen, in welche die Gleißner ihr 
Vertrauen gründen und des Menfchen Heil in nichtige äußere 
Werte fegen, bisputirt und geftritten und beſchloſſen, daß bie- 
felbigen Werke nicht gut, nicht verbienftlih, fondern verdammlich 
feien; der Werke aber, die im Gehorfam der himmlischen Gebote, 
in Glauben und Liebe geichehen, bat er nie Übel gedacht und von 
ihnen nichts dann das Beßte geredet, ja fie zu der Seligfeit noth 
und nüß verfündet und geprediget, wovon alle jeine Epifteln Zeugniß 
geben‘, „ChHriftus will das Gefek vollbracht haben, die Narren 
wollen e8 vertilgen; Paulus lobt das Geſetz, daß es gut fei, bie 
Narren ſcheltens, daß es böfe fet, darum daß fie nach dem Fleiſch 
wandern und den Geſchmack des Geiftes nicht haben’ 1). 


1) Knaake I, 130 ff. 


348 


Wer Staupis’ milde Formen und die vornehme Mäßigung, 
wie fie feinem Weſen entiprach, kennt, wird in dieſer Auseinander⸗ 
jegung eine ganz entjchievene und definitive Abjage an das Luther 
tbum erfennen müfjen. 

Es würde ung zu weit führen, wenn wir bier alle die un, 
richtigen Behauptungen widerlegen wollten, welche über die angeb- 
lichen Motive Staupitzens von den Anhängern Luthers beigebracht 
worden find. Nachdem ich am anderer Stelle an der Hand ber 
Urkunden den Beweis erbracht habe, daß Staupit feine ablehnende 
Stellung der römifchen Kirche gegerrüber nie verändert bat und daß 
er diefelben religidfen Anfchauungen, die er im Iahre 1524 vor 
trug, bereit8 im Jahre 1515 gehegt hat, kann ich an dieſer Stelle 
einfach auf jene Ausführungen verweifen!). 

Es war in der That nicht Staupik, welcher feine Anschauungen 
zwiichen den Jahren 1517 und 1522 geändert hatte, fondern Luther 
ift e8 geweſen, in deſſen Ideen fich während jener Epoche eine tiefe, 
principielle Umkehr vollzog. 

Es wird diefe Thatjache von allen Borfchern und von allen 
Parteien unummunden anerkannt 2), und nur Darüber herrfcht gegen- 
wärtig Meinungsverfchiedenheit, ob Luthers Wandlung aus ber 
Confequenz feines Standpunftes erwachfen ſei odes nicht, und ob 
fie günftige oder unheilvolle Wirkungen gehabt babe. 

Wenn wir nun in der Epoche, die mit 1521 beginnt, gleich. 
falls nur eine vorübergehende Entwidlung Luthers zu ſehen hätten, 
jo würde darin eine Phaſe zur erbliden fein, welche etwa nur die 
Bedeutung bejäße wie jene Zeit, wo Luther nach feinen eigenen 
Aeußerungen eifrig päpftlich gefinnt ward). Aber die Periode, die 

1) Johann von Staupis und das Walbenferthum im Hiſtoriſchen Tafchen- 
buch Sechſte Folge Bd. IV. (1885) ©. 115 ff. 

2) Bgl. H. Vorreiter Luthers Ringen mit den antichrifllichen Principien 
der Revolution. Halle 1860. — Ferner H. Hering Die Myſtik Luthers im Zu⸗ 
fammenbange feiner Theologie. Lpzg. 1879. — Köftlin (Luthers Theologie in 
ihrer gefchichtlicden Entwidlung I, 289) erflärt die Veränderung mit den Worten, 
daß Luthers „Denk⸗ und Lehrweife damals (1517—1520) noch nicht jo Durd- 
gebildet war als fie es naher wurde“, 

3) Daß Luther felbft noch in Wittenberg, wo er feit 1508 lebte, lange Zeit 
durchaus in den Gedankenkreiſen des firengen und eifrigen Mönchthums ſtand 
f. bei Maurenbreder a. a, O. J, ©. 159. 








349 


mit 1521 beginnt, ftellt diejenige Zeit dar, in welcher die „luthe⸗ 
riſche Kirche” und die lutheriſchen Bekenntniſſe unter ber per- 
fönlichiten Einwirkung Luthers diejenige Geftalt erhielten, welche eine 
autoritative Geltung für alle Folgezeit und bis auf den heu⸗ 
tigen Tag erlangt bat. In der Epoche, in der Luther der Apoftel der 
„deutſchen Theologie” war, ift e8 zu dauernden und feſten Ver⸗ 
ftänbigungen nicht gelommen; bie Zeit war eben noch nicht reif 
dazu; als aber die Früchte jener Periode des „großen reformatori- 
fen Zeugniffes" (1517—1520) gebrochen werden konnten, und das 
flüffige Metall in die Form gegoffen ward, die e8 behalten follte, 
ba war der Meifter, der den Guß vollzog, bereit nicht mehr der, 
der er früher gewefen war. 

Man kann wohl fragen, wie fommt es, daß Quther, obwohl 
er feine Geſichtspunkte verändert hatte, der Führer der Bewegung 
blieb? Nun, er ift es, wie fich zeigen wird, in weiten reifen nicht 
geblieben, aber Daß er aller feiner Gegner Herr geworben ift und 
das Feld fchlieplich behauptet Hat, dafür laſſen fich Doch noch andere 
Gründe als die Begeiſterung des Volles beibringen '). 

Luther Hatte als Führer und Herold der uralten beutfchen 
Dppofition faft die ganze Nation Hinter fich gehabt. Sein Name 
war feit diefer Zeit fo eng mit den Wünfchen und Hoffnungen des 
Bolfes verknüpft und zugleich war fein Anfehen fo groß, daß Hun« 
derttauſende ihm vertrauensvoll auf jeder Bahn, die er eingefchlagen 
hätte, gefolgt fein würden, vorausgeſetzt nur, daß fie die Befreiung 
von bem verhaßten römifchen Ioche brachte. Denn diefer Gefichts- 
punkt war e3 doch in erjter Linie, der die breiteren Maſſen Ieitete; 
welche Spezielle Geftalt die neue Kirche in Lehre nnd Verfafjung an- 
nahm, war ihnen im Ganzen genommen gleichgültig. 

Dazu kam aber der noch wichtigere Umftand, daß Luther im 
erften Theil feiner reformatorifchen Laufbahn das Glück gehabt 
hatte, feinen und feiner Freunde Einfluß an mächtigen deutſchen 
Fürftenböfen und bei einem großen Theil des Adels feſt zu be- 
gründen. Sein eigener Landesherr, ber Churfürft von Sachen, 


1) A. Ritſchl Geſchichte des Pietismus 1880 I, ©. 36 fagt: „Die Entfchei- 
dung zu Ungunften ber Wiedertäufer ift durch die Gewalt der Obrigfeiten 
herbeigeführt worben“. 


350 


welcher der mächtigfte Fürft im Reiche war nach dem Kaiſer, war 
Luther in hohem Grabe gewogen. Da es in jener Zeit unmöglich 
war, ohne die Mitwirkung oder wenigſtens ohne die Zulafjung der 
weltlichen Gewalt, die Losfagung von der alten Kirche burchzuführen, 
fo lag in diefem Verhältniß Luthers zu den maßgebenden Autori- 
täten der Kernpunkt der Trage, wer das Feld fiegreich werde be- 
baupten können. Luther hatte durch fein Anfehen bei dem genannten 
Fürften eine Bafis für die Geltendmachung feiner Ideen gewonnen, 
wie fie niemals einem anderen Manne zur Verfügung geftanden hat. 

Es ging in dem Jahrzehnt von 1515 bis 1525 eine ungeheure 
fociale und religidfe Bewegung durch das Reid. Ein folder 
Zuftand konnte nicht lange dauern; nach Turzer Zeit war für bie 
Meiften die Lage fo unerträglich, daß man um jeden Preis Ruhe, 
Stetigfeit und Sicherheit verlangte. So waren ed nur wenige Jahre, 
in welchen bie Maſſen weich und bildfam waren für neue Formen, 
und gerade in dem enticheivenden Moment gab es feinen anderen 
Mann in Deutfchland, der fo ſehr wie Luther alle VBorbedingungen 
vereinigte, um die erregte Menge mit fefter Hand in neue ftetige 
Berhältniffe zurücdzuführen. Ob bei dieſer ſchwierigen Procedur die 
neuen Formen den Idealen entſprachen, wie fie in den Jahren 1517 
bis 1520 Luther und feinen Freunden vorgefchwebt Hatten, ward 
von vielen Männern für nebenjächlich angejehen. 

Zu diefen Männern gehörte aber gerade der Mann nicht, 
welcher mit Recht von fich jagen konnte, daß er der „Vorläufer 
der beiligen evangelifchen Lehre“ geweſen ji — Iohann von 
Staupig. Und der Name Staupik bedeutete damals viel in 
Deutſchland; er hatte eine große, weitverzweigte und mächtige Partei 
hinter fi) — diefelbe Bartei, in deren Kreifen Staupig zu Nürn- 
berg, wie wir oben fahen, fo gern und fo viel verkehrte. Noch lange 
nach Luthers Auftreten nannte Dr. Chriftoph Scheurl nicht dieſen, 
ſondern den Staupitz „unjferen Primas“. 

Seit jenen Tagen aber, wo der Sieg in Luthers Sinn ent- 
ſchieden war, bat die fiegreiche Partei bis auf den heutigen Tag 
erfolgreich die Anfchauung verbreitet, nicht nur, daß die Entwid- 
Yung der Jahre 1517 bis 1525 die allein richtige war, ſondern auch, 
daß die Männer, welche fich ſelbſt und ihren früheren Ideen treu 














351 


bleibend Luthers Wandlungen nicht mitmachen Tonnten, wie Ver⸗ 
räther an der guten Sache anzufehen feien. 

Um die Berechtigung und die Tragweite der evangelifchen Op⸗ 
pofition gegen die Entwidlung der „lutheriſchen Kirche‘, wie fie fich 
feit 1521 vollzog, unparthetifch zu prüfen, ift es nothwendig, eben 
bieje Entwidlung etwas genauer zu betrachten. 


Unter allen den wichtigen Punkten, in welchen das neu auf⸗ 
kommende lutheriſche Shftem fich von der älteren deutſchen Tiheo- 
logie unterſchied, war vielleicht der wichtigfte Die Idee, daß das 
Evangelium Chrifti ausjchließlich die frohe Botſchaft von der ftell- 
vertretenden Genugthuung Chrifti und der ſündenvergebenden 
Gnade fei. 

So richtig e8 ift, daß das Evangelium diefe Botjchaft enthält, 
fo ging doch über der Betonung diefer Eigenfchaft die Hervorhebung 
der anderen Thatjache fait ganz verloren, daß bie Lehre Chriſti zu⸗ 
gleich doch auch eine Mahnung und Aufforderung zur fittlichen 
Selbjterneuerung, zur Buße, Selbftentfagung und Auf- 
opferung oder mit anderen Worten zur Nachfolge Jeſu ft. 

Wir haben oben gefehen, daß die Theologie der älteren deutſchen 
DOppofitionsparteien, fo jehr fie auch die ganze b. Schrift als Norm 
ihres Glaubens betrachtete, boch ven Worten und Lehren Chriſti, 
wie fie in den vier Evangelien uns erhalten find, eine befonbere 
Beachtung zuertheilen zu müfjen glaubte. Das charakteriftiiche Merk⸗ 
mal bes Iutherifchen Syſtems aber war, daß daſſelbe bei aller Ver⸗ 
ebrung der h. Schrift als Ganzem, doch den Hauptftüßpunft feiner 
Theologie in den Briefen des Apoftels Paulus fuchte und fand. 

Es ift ungemein bezeichnend, daß Luther, wie oben bereits er- 
wähnt, es einem feiner Gegner feit 1522 geradezu zum Vorwurf 
anrechnete, baß biefer fortwährend die „Nachfolge Chriſti“ betone; 
„Carlſtadts Theologie“, fagter, „ift nicht höher kommen, 
denn daß ſie lehret wie wir Chriſto nach ſollen folgen“. 
Noch prägnanter aber kommt die Entwicklung, welche Luthers An- 
ſchauung damals nahm, in feiner Stellung gegenüber dem Jaco⸗ 
busbrief, auf welchen fich die ältere deutſche Theologie mit Vor- 
liebe berief, zum Ausdruck. Nachdem Luther fchon bei Gelegenheit 


352 


ber Leipziger Disputation Zweifel an der Echtheit dieſer Epiftel aus⸗ 
geiprochen hattet), äußerte er im Jahre 1520 in der Schrift „Von 
der babyloniſchen Gefangenschaft": „Sch will jegt nicht gedenken, 
daß dieſe Epiftel des Apoſtels Jacobus nichts fei, auch nicht würbig 
eines apoftolifchen Geiftes, wie ihrer gar viele bewährlich fchreiben‘ 2) 
und legte dann im Jahre 1522 (in der Vorrede zur Ueberſetzung 
des Neuen Tejtaments) nochmald die Unechtheit überzeugend (wie 
er meinte) dar. Im Jahre 1524 that er dann den befannten Aus- 
ſpruch, der Jacobusbrief jet eine „ftroherne Epijtel”, die „Leine 
evangelifhe Art an fih habe“. 

Luther giebt in Diefer Polemik ganz unzweideutig zu erkennen, 
dag Paulus für ihn die Norm ift, an welchem er wenigftens ven 
Jacobus gemefjen ſehen will. Es ftimmt dies Verfahren durchaus 
überein mit der fonftigen Betonung der paulinifchen Lehre, wie wir 
fie bei ihm finden). Es war bisher in der deutjchen Theologie 
allgemein anerkannt gewefen, daß Chriftus neben feinem Erlöfungs- 


zwec zugleich deßhalb in die Welt gekommen fei, um ein höheres 


und reineres Sittengejeß, als es die Welt bisher gekannt hatte, zu 


1) Luther fagte damals: „Quod autem Jacobi Apostoli epistola indueitur: 
fides sine operibus mortua est: primum stilus epistolae illius longe est infra 
Apostolicam majestatem nec cum Paulino ullo modo comparandus“. Löſcher 
Reformationsacta II, 772. 

2) Walch, M. Luthers ſämmtl. Schriften XIX, 142. — VBgl. im Uebrigen 
Köftlin, Luthers Theologie I, 279. 

3) Es ift doch merkwürdig, daß biefe Betonung des Paulus unter Luthers 
Anhängern fo verbreitet war, daß fie als Eigenthümlichleit derfelben im den 
Schriften der Satiriker dem Spotte preisgegeben wird. So bichtete im Jahre 
1522 Nicolaus Manuel in Bern ein Faftnachtsfpiel „ver Tobtenfreffer“, barin 
finden ſich folgende Stellen: 

„Sie hand das evangelium gfressen 

Und sind jetzt mit dem Paulus besessen“. 
Er läßt die Bauern fagen: 

„Paulus thut uns liden wee 

Mit sin tieff gegrunten episteln“, 
und an einer anderen Stelle fagt er: „bie Bauern 

„Wend all das evangelium lesn 

Das rimpt sich nit zu unserem wäsen. 

Sie zeigen uns im Paulo an 

Wie das wir sollen eewiber han“, 


353 


prebigen und zu lehren, das Geſetz der Liebe, Dagegen fagte 
nun Luther mit ausdrüdlicher Berufung auf Paulus: „Lerne aus 
©. Baulo, daß pas Evangelium lehret von Chrifto, dag 
er gelommen ſei nicht darum, daß er ein neu Geſetz gebe, 
darnach wir wandeln ſollen, ſondern darum, daß er 
ſich ſelbſt zum Opfer gebe für die Sünden der ganzen 
Welt“. An einer anderen Stelle ſagt er in dem gleichen Sinne: 
„Darum er (Chriftus) fürnehmlich auf Erden kommen tft, (nicht) 
daß er das Geſetz ehren follt, ſondern daß ers erfüllete;, daß er 
es auch mitunterlehrt, geſchieht außerhalb feinem Amt, 
zufälligerweife”. Luther faßte die Summe der Lehre Chrifti 
oder des Evangeliums in folgende Worte zufammen: „Chriftus 
ſpricht“, jagt er, „Nimm Hin, du bift nicht fromm, ich Habe es 
aber für dich gethan, remissa sunt tibi peccata‘, und fagt 
an derſelben Stelle, die Eigenfchaft des Mahnens, Forderns und 
Gebietens ſei eine Eigenthümlichkeit der Lehre Mofis, die mit Chriftt 
Erſcheinen aufgehoben fei!). 

Die Begriffsbeitimmung, welche die altveutiche Oppofitton dem 
Worte „Chriſten“ oder ‚rechte Chriſten“ gab — wir haben gejeben, 
daß fie auf diefen Namen bejonderen Werth legte — beitand darin, 
daß fie im Gegenjag zu den „Zitel-Chriften” diejenigen mit Diefem 
Kamen nennen wollte, welche „Nachfolger Chriſti“ find und 
mit feiner gnädigen Hülfe die Befehle zu erfüllen ftreben, die er in 
feinen Worten und in feinem Vorbild uns hinterlafjen bat. 

Im Gegenſatz hierzu giebt Luther in feiner Erklärung des Ga- 
laterbrief8 folgende Definition: „Wir befiniren: derjenige ift ein 
Chriſt, nicht wer feine Sünde hat oder fein Schulobewußtfein hegt, 
fondern derjenige, welchem die Sünde von Gott wegen feines 
Glaubens an Chriftus nit angerehnet wirb”2). 

Zur Erläuterung dieſes wichtigen Sates fagt Luther an der» 
felben Stelle wörtlich: „Wir befiten immer eine Zuflucht in jenem 
Artikel, der da jagt, daß unfere Sünden zugededt find und daß 


1) Wald a. a. ©. VII, 2321. 

2) Comment. in Galat. Frankof. 1543 fol. 118 „Definimus ergo, hunc esse 
Christianum, non qui non habet aut non sentit peccatum, sed cui illud a Deo 
propter fidem in Christum non imputatur“. 

Keller, Die Reformation. 23 


354 


Chriſtus fie uns nicht zurechnen will, nicht als ob Die Sünde 
nicht vorhanden fei, fie ift vielmehr in Wirklichfeit da umd die From⸗ 
men fühlen fie, aber fie ift verdedt und wird uns non Gott nicht 
angerechnet wegen Chriftus; ſofern wir dieſen im Glauben ergreifen, 
fo find nothwendigerweiſe alle unjere Sünden feine Sünden‘ 1). 


Es ließen fich viele Momente beibringen, welche bie Trennung 
fo mancher Reformfreunde von Luther bewirkt haben. Aber es Tann 
als erwiefen betrachtet werben, daß unter ben veligiöfen Motiven 
keines mehr dazu beigetragen bat, die Spaltung unheilbar zu machen, 
als die von Luther aufgebrachte Läugnung der Willensfrei- 
heit — eine Lehre, welche den Meberzeugungen aller früheren chrijt- 
lichen Jahrhunderte, aller Bhilofopben, Theologen, Kirchenväter und 
Berfammlungen widerfpracdh 2). 

Es iſt wahr, daß Quther Schon frühzeitig und zwar in ver Zeit, 
wo er im Uebrigen noch rechtgläubiges Mitglied der römifchen Kirche 
war (1516), theoretijch Zweifel über die Frage der natürlichen Kräfte, 
welche dem Menſchen nach dem Falle geblieben feien, geäußert hat. 
Deutlicher tritt dann feine Idee im Sabre 1519 hervor, aber prak⸗ 
tifch bat er die Läugnung der Willensfreiheit als Fundamentalſatz 
für fein übriges Lehrgebäude doch erft nach dem Sabre 1520 aus» 
gebildet, wo die Bulle Papſt Leos X., welche auch dieſer Idee Luthers 
widerſprach, feinen Widerfpruch noch beſonders herausgeforvert hatte. 
Bon da ab bat er diefe Lehre mit allen ihren Conſequenzen theo- 
vetiich ausgebildet und in der Praxis zur Anwendung gebracht. 

Ein Gegenjtand des Glaubens wird ja allerdings die fittliche 
Freiheit ſtets bleiben, da fie an fich etwas ganz Unbegreifliches ift; 


1) Habemus semper regressum ad istum articulum, quod peccata nostra 
tecta sint, quodque deus ea non velit nobis imputare, non quod peccatum 
‘ non adsit, immo peccatum adest vere et pii illud sentiunt, sed absconditum 
est et non imputatur nobis aDeo propter Christum, quem quia fide apprehen- 
dimus, oportet omnia peccata non esse peccata. 

2) Es ift im Laufe der Zeit über biefe lutheriſche Doctrin, welche Luther 
ſelbſt als den „Kern und das Hauptſtück“ feiner ganzer Lehre bezeichnete, eine 
große Literatur erwachſen. Man vgl, Dr. 3. A. Dorner Geld. d. Wiſſ. in 
Deutichland Bd. V,194—212; Pland Entfiehung bes prot. Lehrbegrifis Bd. II; 
Boigt Ueber Freiheit und Nothwendigkeit Lpz. 1828 u. ſ. w. 





355 


boch waren bi8 zu Luthers Auftreten wenigftend in der chriftlichen 
Welt faft Alle Darüber einig gewefen, daß die Freiheit auf das engſte 
mit den tiefiten fittlichen Anfchauungen nothiwendig zufammenhänge, 
und daß wir geradezu gezivungen werben, fie zu ftatuiren. Denn 
ans dem ung innewohnenden Gefühl des „Sollens“ wird Die Mög⸗ 
lichkeit des „Könnens“ unwiverleglich abgeleitet. Ohne die fittliche 
Freiheit tft eine Pflicht der Anftrengung, Entfagung, Selbftver- 
leugnung u. ſ. w. in feiner Weife zu begründen. Ja, alles menſch⸗ 
liche Leid iſt nur dann in feiner Nothwendigfeit begreiffich, wenn 
wir annehmen, daß wir einen eigenen Willen haben und doch dazu 
beftimmt find, mit Gottes Willen eins zu werben; nur jo ift ber 
Gedanke möglih, daß alles Unglüd einen erzichlicden 
Zweck bat. 

Sy gewiß es einerfeitd eine chriftliche Idee iſt, daß es Fein 
„Verdienſt“ vor Gott giebt, und daß wir in Wahrheit Alles der 
göttlichen Gnade verdanken, jo gewiß ift e8 ein Gedanke der chrift- 
lichen Weltanſchauung, daß jeder Einzelne als ein im fich ſelbſt 
fußendes und wurzelndes Wefen Gott gegenüber ſteht. Das Chris 
ſtenthum bezeichnet dieſen Gedanken durch die Worte, daß der Menſch 
ein „Ebenbild Gottes“ und „gottähnlich”, daß wir Gottes „Kinder“ 
und er unfer „Vater“ if. Dadurch wird das Verhältniß als ein 
ſolches von Berjönlichkeit zu Perfönlichkeit gekennzeichnet. 

Trotz aller diefer Erwägungen ſchienen Quther diejenigen Gründe 
zu überwiegen, welche aus einzelnen Lehren, befonders aus feiner 
Auffoffung der Lehre von der Erbfünde, gegen die fittliche Frei 
beit geltend gemacht werden Tünnen. 

Zuther ging von der Vorausfegung aus, dag Adam und Eva 
einft in abfoluter und höchſter Vollkommenheit im Paradieſe lebten. 
ATS fie aber die Sünde begingen, ift diefe Volllommenbeit für fie 
und alle ihre Nachkommen gänzlich verloren gegangen. Seit dem 
Sündenfall fehlt (nach Luther) dem Menfchen nicht nur jede Fähig- 
feit zum Streben nach dem Guten, fondern auch jede Möglichkeit 
zum Erfennen ver göttlichen Dinge !), 


1) Diefe Lehre ift noch Heute Glaubensfag der rechtgläubigen Yutherifchen 
Theologie und fteht in den Glaubensbelenntniffen, auf welche die Theologen ben 
Eid ablegen müflen. Vgl. Winer Eomparative Darftellung bes Lehrbegriffs 

23 * 








356 


In diefem Sinne fagte er: „Das ganze menfchliche Gefchlecht, 
wie herrlich auch feine Weisheit oder Gerechtigkeit vor den Menfchen 
Veuchtet, tft doch anders nichts, denn ein verderbter und ver- 
fluchter Klumpen“i. 

Darauf hin behauptete er: „In den Dingen, ſo Gott angehen 
und über uns ſind, hat der Menſch keinen freien Willen, ſondern 
iſt gewißlich wie ein Lehmklos in der Hand des Töpfers, in welchem 
allein gewirkt wird; er ſelbſt aber wirkt nichts" 2. 

Die biblifche Begründung diefer Anficht fand er in dem Spruch 
2 Tim. 2, indem er fagte: „Wenn gleich Tein Spruch wäre denn 
der einige ©. Bauli, 2 Tim. 2: "Sie find des Teufels Gefangene‘, 
fo hätten wir damit Schrift und Grund genug gegen den freien 
Willen”, 

„Nicht blog mit Bezug auf Die berrichende Sünde”, fagt Jul. 
Köftlin 3), „erflärt Luther den Menſchen für unfrei, ſondern er zieht 
biblifche Worte bei, wornach aus dem allgemeinen Verhältnig zu 
Gott ihre Unfreiheit folge. — Wie könne nun der Menſch zum Guten 
fich bereiten, da es nicht einmal in feiner Macht fei, feine böfen 
Wege einzufchlagen? Denn auch Die böſen Wege regiere Gott 
in den Gottloſen“. — „Hiermit ift Quther bereits zu Ausfagen 
fortgejchritten, welche offenbar ven freien Willen überhaupt, auch 
abgejehen von ver Sünde, aufheben‘). 

Es iſt wichtig, daß die Concorvienformel, Die noch heute in den 
meiften proteftantifchen Ländern von den Geiftlichen beſchworen wer- 
den muß, die Anſchauungen Luthers in allen wejentlicden Punkten 
aufrecht erhält. Nur fagt biefelbe, daß dem Menfchen „nach der 
Bekehrung“ eine gewilfe Mitwirkung zum Guten ermöglicht ift, 
nicht aber vermöge feiner natürlichen, ſondern ber übernatürlichen 
Kräfte, welche ihm durch die „Belehrung“ zu Theil geworben find. 


ber verfchied. chriftl. Kirchenparteien. 4. Aufl. berausg. von PB. Ewald Lpz. 1832 
©. 92. Gleich hier bei der Lehre von der Erbfünde fest bie Grunbbifferenz 
be8 Tutherthums von dem Anabaptismus (Mennoniten, Onitern, Armi⸗ 
nianern, Socinianern u. f. w.) ein. 

1) Kurze Sprüche aus Dr. Martin Luthers Schriften. Gutersloh, Bertels⸗ 
mann, 1880. ©. 90. 

2) A. O. ©. 92. 3) Luthers Theologie u. ſ. w. I, 380. 

4) Köftlin a. ©. I, 381. 





357 


Was man freilich unter dem Wort „Belehrung (conversio) fich 
zu denfen bat, das fagt die Concorvienformel nicht. 

In Uebereinftimmung Hiermit lehrt die lutheriſche Dogmatik 
bis auf den heutigen Tag, daß der Menfch feit und durch ven 
Sündenfall „nicht mehr frei wählen kann zwifchen Gutem und 
Böſem, fondern die Kraft, Gutes zu wollen und zu thun, verloren 
bat, „Wollen wir daher das liberum arbitrium‘‘, jagt der be- 
kannte Dogmatifer Heinrid Schmid !), „wie es fich bei den ge 
fallenen Menjchen vorfindet, befchreiben, jo werben wir fagen müffen: 
der Menſch vermag jekt, vermöge bes böfen Sinneg, der ihm feit 
dem Fall inne wohnt, nichts wahrhaft Gutes und Gottwohlgefälliges 
mehr zu wollen noch zu thun, nichts von Alle dem, was die h. Schrift 
als folches bezeichnet und vorfchreibt, weil dieſes Alles nur da voll 
bracht werden kann, wo der Menfch unter dem befonveren Einfluß 
des Geiftes Gottes jteht. Es fehlt ihm darnach fo jehr das libe- 
rum arbitrium in spiritualibus, daß er nicht einmal aus eigenen 
Kräften nah dem Heil und nad einer Umwandlung 
feines jegigen verderbten Zuftandes zu begehren ver- 
mag”, 


Aber auch noch in einem anderen ſehr wichtigen Punfte, näm⸗ 
lich in Bezug auf die Erkenntnißquellen der religiöfen Wahr- 
heit verließ Luther feit dem Beginn ber zwanziger Jahre und zu- 
mal feit 1525 den Standpunkt, den er bis dahin in Mebereinftimmung 
mit der Auffaffung der deutjch-chriftlichen Theologie der vergangenen 
Jahrhunderte feftgehalten Hatte. 

Man weiß, daß Luther in Uebereinftimmung mit der ganzen 
großen Reformpartei des Reiches den Entſcheidungen der Kirche und 
der Tradition die göttliche Autorität Beitritt. Auch Männer wie 
Tauler, auf deren Ideen die ganze Oppofition fich ftüßte, hatten 
die Unfehlbarkeit ver Eoncilien im Grunde nur theoretisch feit« 
gehalten, tbatfächlich aber in ihren Lehren fich vorwiegend auf 
ſolche Punkte eingelafjen, die auf Grund der höheren Erfenntniß- 

1) 9. Schmid, Prof. theol., Dogmatik der evangeliſch⸗-lutheriſchen Kirche 


6. Aufl. 1876. S. 186. Schmid fügt ſich in feinen Ausführungen auf die ſämmt⸗ 
fichen älteren lutheriſchen Dogmatiker von Bedeutung. 


358 


quellen feſt ftanden. Cultus, Disciplin und Kicchenverfafjung, bie 
allerdings auf Tradition und Kirche beruhten, Tonnten fie dabei in 
derfelben Weife beibehalten, wie Luther fpäterhin die Kindertaufe 
und Anderes beibebielt, obwohl fich dafür lediglich die Tradition, 
nicht aber eine Schriftftelle beibringen ließ. 

Dagegen bat Luther in der Zeit „des großen reformatorifchen 
Zeugniſſes“ die im religiöfen Gefühl und Gewiſſen fich kundgebende 
und auf der Heiligung des Willens berubende „innere Erleuchtung” 
neben der heiligen Schrift auf das entfchievenfte zur Geltung ge 
bracht. Allerdings kann ich nicht finden, daß er Die wichtige Unter- 
Scheivung zwifhen „Vernunft“ und „innerer Erleuchtung” 
betonte; indeffen braucht er Das Wort „Vernunft häufig in einem 
Sinne, daß er offenbar fowohl die aus der Natur wie aus dem 
Gewiſſen gefchöpften Beweisgründe gemeinfam damit bezeichnen will. 
In dem Buche „An den Bock zu Leipzig” 1521 fagt Luther: „Alſo 
Hat auch S. Auguftinus gethan und fehreibt, daß er Teinem Lehrer 
glaube, wie heilig und gelehrt er fei, er beweife denn feine Lehre 
mit der Schrift over heller Vernunft. Aus welchem wir 
aber lernen, wie die Väter zu lefen find, nämlich, daß wir nicht 
achten follen, was fie fagen, fonvern ob fie auch Hare Schrift 
oder Bernunft führen”. — In der Schrift „Wider Die Bulle des 
Endchriſts“ 1520 rühmt fich Luther, daß feine Lehre mit Schrift 
und Vernunft übereinftimme, indem er den „Papiſten“ vorwirft, 
daß ihre Meinungen „wider alle Schrift und Vernunft” wären. 
Sn „Grund und Urach aller Artikel, jo in päpftlicher Bulle ver- 
dammt” (1521) jagt er unter Anderm: „Dies Alles beweifet auch 
bie Vernunft und gemeiner Sinn aller Menfchen”. Derartige Stellen 
ließen fich viele beibringen. 

Sn den folgenden Iahren bis um 1525 zeigt fih dann bei 
Luther ein gewiſſes Schwanfen. Bisweilen finden fich Anklänge an 
die alte Auffaffung; mehr und mehr aber bilvet fich bei ihm eine 
entſchiedene Beindfchaft gegen Die „Vernunft“ aus. Seine Motive 
find dabei genau diefelben, welche fpäterhin von den orthodoxen 
Parteien gegen die Vernunft als Urheberin des „Nationalismus 
geltend gemacht worben find; von einem gewiſſen Zeitpunft an leugnet 
er die Berechtigung desjenigen Faktors, den die deutſche Myſtik als 





359 


„innere Erleuchtung‘ bezeichnet, den er jelbft aber „Vernunft“ ge 
nannt batte, für die Erkenntniß der höchſten und legten Dinge auf 
das entſchiedenſte. 

Nun tft es merkwürdig, daß diefe Wendung Luthers genau zu⸗ 
fammenfältt mit der Umbildung feiner Auffaffung über die Willens- 
freiheit. Gerade in der Schrift, in welcher er den Nachweis zu 
erbringen Tuchte, daß der Menfch einen „Inechtifchen Willen”) Habe 
(1524), bringt er zum erjten Mal eine ausführliche Darlegung der 
Gründe, weßhalb die „Vernunft” in „göttlichen Dingen‘ eine fchlechte 
Rathgeberin jet. 

Das Gefühl der perfönlichen Verantivortlichkeit, welches fich in 
der Stimme des Gewiffens offenbart, deutet allerdings für den⸗ 
jenigen, der die in diefer NRegung zum Ausprud kommende „Ver⸗ 
nunft” in erfter Linie befragt, auf eine gewiſſe Freiheit Hirt, bie 
uns in der Wahl des Guten und Böfen gegeben tft. Das geftand 
Luther ein. Um nun aber diefer Einreve zu begegnen, behauptet 
er, daß menjchliche Einficht in ſolchen Fragen nicht in Betracht 
fomme; vielmehr find die „göttlihen Geheimniſſe“ ausfchlteplich nach 
dem Wortlaut der 5. Schrift zu beurtbeilen, die für den Glauben 
nicht nur die nöthige Vollftändigfeit (sufficientia), fondern auch die 
erforderliche Deutlichfeit (perspicuitas) befitt. Man weiß, daß dieſe 
Doctrin alsdann Dogma der Lutherifchen Kirche geworben ift und 
bis auf den heutigen Tag ald Glaubensnorm zu Necht beitebt. 

Die Vernunft, fagt Luther in verfelben Schrift, iſt „blind, 
fchläft und ſchnarcht, fühlet und empfindet nicht, wie Gott 
wirft oder regiert, fondern fie verachtet Gottes Wert". Man bringe 
gegen ben unfreien Willen nur vor, daß „Jich die menschliche Ver- 
nunft daran ärgere. Aber die menfchliche Vernunft tft gar eine 
„geborene Närrin, gottlos und gottesläfterlich”. 

„Alſo ftehen der tollen Vernunft Gedanken von Gott, als 
babe er ven Menfchen die Mühe und Arbeit befohlen, feinen Zorn 
und feine Güte alfo anzunehmen und auszufchlagen”. „Man muß 
Gott und Gottes Wert niht nach menschlicher Vernunft 


1) S. die Meberfegung der Schrift De servo arbitrio in Luthers Werken 
ed. Walch XVII, 2286. 


360 


wollen abmefjen und Gott entjchuldigen wollen, warım er 
etfiche verſtocke“. | 

Ganz befondere Nahrung erhielt Luthers Gegnerfchaft wider 
die „Vernunft“ durch den Kampf mit denjenigen feiner ehemaligen 
Genofjen, welche an Luthers früherer Vorftellung und dem gemein- 
famen Grunde derdeutjchen Theologie auch dann noch feithielten, 
als Luther dieſen Standpunkt verlaffen hatte. Der perſönliche 
Gegenſatz, der ſich zwiſchen Luther und Carlſtadt durch allerlei 
Differenzen aufthat, deren Schuld Teineswegs auf einer Seite aus» 
ſchließlich zu fuchen ift, bat ſehr dazu beigetragen, auch den Gegen- 
jag der Anfchauungen beiberfeits zu verjchärfen. Es war ein großes 
Unglüd für die ganze Bewegung, daß ver Principienfampf durch 
bie perjönlichen Gonflilte der beiden Profefioren zu Wittenberg von 
vornherein eine tiefe Verbitterung empfing. " 


Es liegt auf der Hand, daß die eben gejchilverten religiöfen 
Lehren fich in Luthers Geift nicht auf einmal, fondern allmählich 
zu einem fejten Shftem gejtalteten. Jedenfalls aber wurden fie das 
Merkmal ver Gemeinjchaft, welche um das Jahr 1530 als „Luthe- 
rifche Kirche” zu Necht beitand. 

Gleichzeitig mit der Entwicklung dieſer religiöfen Ideen vollzog 
ſich nun in wichtigen kirchlich-politiſchen Auffaffungen des 
maßgebenden Reformators!) eine auffallende Annäherung an bie 
Principien der römifchen Kirche. Während Yuther in der Periode 
von 1517—1521 auch in feinen firchenpolitifehen Gedanken auf dem 
Boden der altveutfchen Oppofition, wie fie Durch die Brüdergemein- 
den repräſentirt war?), geftanden hatte, Tehrte er im Laufe ber 
zwanziger Iahre zu den Anfchauungen, in welchen er geboren und 
erzogen war, in vielen Punkten zurück. 

Schon die Zeitgenoffen wollten bemerken, daß Luther nach der 


1) Daß Zwingli außer in der Abendmahlslehre in allen principiellen Fra⸗ 
gen fih an Luther anfchloß, ift bekannt. 

2) Auf dem Reichstag zu Worms, im Frühjahr 1521, erfärte der Vertreter 
der römischen Kirche Luther gegenüber öffentlih: „Plurima eorum, quae adducis, 
Pegardorum sunt, Waldensium sunt, Pauperum de Lugduno sunt, Wicleff et 
Huysz et aliorum jam dudum sinodaliter explose hereses.* ®. Balan Mo- 
numenta Ref. Lutheranae. Regensb. 1884 ©. 182. 











361 


furzen Periode feines Zuſammenwirkens mit Staupitz allmählich 
wieder in die Gedankenkreiſe einlenkte, welchen er noch bis um das 
Jahr 1515 als treuer Sohn der römischen Kirche und eifriger Mönch 
ergeben gewejen war. Seine Auffafjungen über die Nothwendigfeit 
des weltlichen Zwanges in Glaubensſachen, fein Kirchenbegriff und 
felbit feine Ideen vom geiftlichen Stande fchienen nur ein Wieder⸗ 
aufleben der Erinnerungen zu fein, die aus einer früheren Periode 
jeine8 Lebens auf dem Grunde feiner Seele ruhten!). 

In der That fteht es ja feit, daß Quther ein reifer Mann war, 
als Staupis ihn in Die Ideen der „Gottesfreunde“ einführte, er 
hatte mithin nicht, wie viele andere feiner Zeitgenoffen, gleichjam 
mit der Muttermilch die Ideen der altveutjchen Oppofition einge 
jogen. Als das VBerhältnig zu Staupig fich löfte, da wurden von 
Luther andere Wege eingejchlagen und „Die Ideen der Myſtik“ 
— wie ein neuerer Anhänger Luthers jagt — wurden von ihm 
immer mehr „abgeftoßen und abgeſchliffen“?). 


Es dauerte nicht lange, fo waren die Gegenfäte zwifchen Luther 
und der mit ihm verbündeten Staatögewalt einerfeit8 und der rö⸗ 
miſchen Kirche andererfeit$ zu folder Schärfe gediehen, daß Die Rath- 
Schläge einzelner Perfonen ungehört verhalten. Es galt, in dem 
großen Kampfe Stellung zu nehmen, und der Mann oder die Partei, 
welche es wagte, um das Jahr 1525 eine felbjtändige Meberzeugung 


1) In Bezug auf Luthers Stellung zu den „Kegerftrafen‘ bezw. zur 
Gewiſſensfreiheit |. 3. Köftlin Luthers Theologie in ihrer gefhichtl. Entwid- 
lung I, 556. Köftlin jagt, feit dem Jahre 1525 habe Luther in dieſer Richtung 
„wefentlich diefelbe Anfhauung vorgetragen, von welderaud bie 
Gegenpartei ausging und welde in der ganzen berfömmliden 
Theorie und Praris herrſchte“. Die „herkömmliche Theorie‘ haben wir 
oben ©. 1 ff. beſprochen. — In Bezug auf Luthers Anfchauung von der Kirche 
jagt einer der genaueften Kenner, Albrecht Ritſchl, wörtlich, daß fih darin all» 
mäblih „eine Annäherung an den katholiſchen Kirdhenbegriffvoll- 
309° Griegers Ztſchr. f. Kirchengeich. I, 83). 

2) 9. Hering Die Myſtik Luthers im Zufammenbange feiner Theologie 
Lpz. 1879 ©. 247. Schon in den Jahren 1521 und 1522, fagt Hering, ift von 
Luthers bisherigen Anfichten Vieles „abgeftoßen und abgefchliffen‘. Dem Reichs— 
tag zu Worms (1521), fährt derſelbe Autor fort, fehen wir Luther „hinausge⸗ 
wachen über die Myſtik“ entgegengeben. 


362 


zu vertreten, mußte auf den Kampf gegen zwei liberlegene Gegner 
rechnen. 

Seit mindeftens 1524 war jede Ausficht, daß die neue luthe⸗ 
rifche Kirche Die Gedanken der altenangelifchen Gemeinven zur Ber- 
wirffihung und Darftelung bringen werde, verſchwunden. Wenn 
die „Brüder“ aber die Hoffnung gehegt Hatten, daß in dieſer neuen 
Kirche die alten Gemeinden wenigſtens zu einer gewiſſen Duldung 
gelangen würden, fo follten fie bald eines Anveren belehrt werben. 
Waren fie unter den römijchen Inquifitoren mit Ruthen gezüchtigt 
worden, fo follten fie jest mit Skorpionen gezüchtigt werben und 
das Blut der Armen floß wie Waſſerbäche. 

Sp geſchah es, daß viele Taufende, welche in Wahrheit weber 
Zutheraner noch Katholiken waren, fih um des Friedens willen 
äußerlich als folche befannten!). Sie reveten fich ein, Daß die wahre 
Klugheit fie zur Oppofition gegen die „Sekten“ zwinge, aber es be 
ftätigte fih bald die alte Xehre: Wer die Wahrheit erfennt und fie 
verleugnet, der thut e8 nicht ohne Schaden zu nehmen am feiner 
Seele. So blieb der Kampf gegen die beiden großen Meächte fehr 
bald der geringen Zahl folder Männer überlaffen, welche fähig 
waren, für bie idealen Güter dieſes Lebens den äußeren Trieben 
zum Opfer zu bringen. 

Es fteht feit, daß diefe Verhältniffe e8 waren, welche einen 
großen Theil von Luthers ehemaligen Freunden zum Verbleiben in 
der römischen Kirche beftimmt Haben. Wenn man ihnen vehhalb 
Vorwürfe machte, fo pflegten fie zu erwidern, Daß der Abfall von 
den urreformatorifchen Tendenzen — wenn ein folcher vorhanden 
fein jollte — nicht größer fein würde als derjenige, den die Wit 
tenberger und Züricher Staatskicchen fich hätten zu Schulden fom- 

1) Luther fchreibt an feinen Freund Hausmann: „Nichts ift mir jet wiber- 
wärtiger als diefer unfer großer Haufe, ver mit Hintanfekung des Worts, 
bes Glaubens und der Liebe nur darum fi rühmt, hriftlih und evangeliſch zu 
fein, weil er an Fafttagen Fleiſch efien, das Abendmahl unter beider Geftalt 
empfangen, das Faften und Gebet unterlafien Tann“. — Im Jahre 1525 fchreibt 
derſelbe Luther: „Die Chriften find nicht fo gemein, daß fo viele fich follten auf 
einen Haufen verfammeln; e8 iftein feltfamer Bogel um einen Ehriften; 
wollte Gott, wir wären das Mebrertheil gute fromme Heiden, die das natürfice 


Recht halten, geſchweige das chriftliche”. S. Döllinger Die Reformation u. |. w. 
I, 283 f. 





363 


men lafien; denn e8 hätten fich in ven neuen Kirchen vielfach nur 
die Formen und die Namen geändert, im Wejen aber jeien 
die alte und die neue Kirche ungemein verwandt. 

Sp ſchien es einen Augenblid, als ob die altdeutiche Theologie 
nach Jahrhunderte langem Beſtand dem Untergange geweiht jet. 
Das Martyrium, unter welchem fie bisher fortgepflanzt war, war 
vergeblich gewejen, wenn fich nicht Männer fanden, welche von 
Neuem dafür zu Märtyrern zu werben entfchloffen waren. Wenn 
man einige Jahre hindurch Hatte hoffen dürfen, daß Die ſchwere 
Zeit der „babyloniſchen Gefangenfchaft‘ beendet ſei, jo follte e8 fich 
jetst zeigen, daß eine jchwerere Leidenszeit als je vorher im Anbruch 
begriffen war. 


Sechzehntes Capitel. 
Das Täuferthum. 


Die Bedeutung ber Bewegung. — Der wahre Name ber Partei. — Gründung 
einer neuen oder Erneuerung einer alten Kirche? — Die Wiege des Täufer- 
thums. — Die Capiteld-Berfammlungen der „Brüder“ zu Bafel. — Bal- 
thaſar Hubmeier. — Die Bafeler Offteinen. — Hans Dend, Curio und 
Eratander. — Conrad Grebel. — Wilh. Reublin, Ui Hugwald, Ludwig 
Hätzer, Simon Stumpf, Heinrich v. Eppendorf, Hartmuth v. Eronberg, 
Dtto Brunfels, Andreas Eaftelberg. — Die Ausländer M. Bentinus, Heinr. 
Rode, R. Crocus, Anemund de Coct u. A. — „Apoftel, Biichöfe und Evan⸗ 
geliſten“. — Die Refultate der Brüber-Synoben. — Die Taufe auf ben 
Glauben. 

Um das Jahr 1525, fo erzählen die Chroniken der „Brüder⸗ 
gemeinden‘, die man Täufer nannte, unter dem Kaifer Karl, feines 
Namens dem Fünften, „bat die lang unterbrüdte Kirche an- 
gefangen, das Haupt wieder empor zu beben“ und von 
der berrfchenden Kirche (von der fie bisher nicht äußerlich gefchieden 
war) fich Loszuldfen!). „Wie mit Donnerfchlägen‘‘, fährt ver Chronift 
fort, „haben Quther und Zwingli und andere ihres Anhangs Alles 
niedergefchlagen, aber fie haben doch fein Beſſeres aufgerichtet.“ 

Sie haben zwar „zum Theil ein Licht aufgefteckt, aber demſelben 
nicht richtig Folge gegeben, ſondern fich an die weltliche Gewalt ge- 
hängt .... und auch Fein frömmeres Volk (denn im Papftthum) 
anferzogen.” „Und um biefer Urſach willen, ob es vorher wohl 
einen guten Anfang göttliher Erfcheinung und Anmuths gehabt, 
ift ihnen doch das Licht der rechten Wahrheit wiederum verbunfelt.” 

„And folche ihre Lehre haben fie mit dem Schwert zu glauben 


1) Bed 3. Die Geſchichtsbücher der Wiedertäufer in Deftreih-Ungarn Wien 
1883 ©. 12f. (Fontes Rer. Austr., Dipl. et Acta Vol. XLIN). 











365 


die Menfchen nöthigen wollen, fo Doch der Glaub nicht Gewalt der 
Menſchen, fondern eine Gabe Gottes tft‘). 

Bon der furchtbaren Kataftrop'be, welche fich im Anſchluß 
an diefe Erhebung der altveutfchen Oppofition vollzogen hat — fie 
gehört zu den traurigften und folgenfchwerften Epijoden der deutſchen 
Geſchichte — wird in der landläufigen Geſchichtſchreibung ſowohl 
auf katholiſcher wie auf Iutherifcher Seite in der Regel nicht viel 
berichtet, und von dem Blutbad, welches heraufbejchworen worden 
ift, haben heute bie Meeiften ebenjowenig Kenntniß wie von dem 
Heldenmuth und der Aufopferung, mit welcher auf ber anberen 
Seite gekämpft wurde. 

Man ift faſt immer mit dieſen Dingen raſch fertig, indem 
man geringihäßig von den „Sekten“ fpricht, oder auf die Scenen 
verweiſt, die fih in Münfter zugetragen haben follen. Nun, auf 
diefe letztere Epifode werden wir unten zurüdfommen und nach» 
weifen, wie fich gerade bier eine Umwälzung der bisherigen Auf- 
fafjungen vorbereitet. Was aber die „Selten“ betrifft, fo jollten 
doch diejenigen mit diefem Namen vorfichtiger umgehen, welche bei 
Geltendmachung diefes Wortes in feinem alten Sinn Gelegenheit 
geben, felbjt eine „Sekte“ genannt zu werben; aber ift e8 denn 
zuläffig, Die Partei der altevangelifchen Oppofition, wie fie zwifchen 
den Jahren 1525 — 1530 mit einer großartigen Machtentfaltung 
an die Deffentlichkett tritt, eine „Sekte zu nennen, während man 
gleichzeitig bei Lutheranern und Zwinglianern einen ſolchen Namen 
zurüdweilt? Es tft wahr, daß die gewaltfame Unterbrüdung, 
welche die altevangelifche Bartei durch den Bund ihrer Gegner mit 
ber weltlicden Gewalt erfahren hat, allmählich das große, weltum⸗ 
faffende Streben derſelben gelähmt und die fehöpferifche geiftige Kraft, 
bie wir Tennen lernen werben, geknickt hat. Dadurch ift fie in 
Deutſchland etwa feit der Mitte des 16. Jahrhunderts in ein ver 
finnmertes Stillleben gebrängt worden und bat vielleicht den Cha- 
alter einer „Sekte“ wirklich angenommen. Aber die erfte große 
Periode des Täuferthums Hat fo weite Volkskreife in die Bahnen 
ihrer Bewegung gezogen, hat ihren Glievern einen ſolchen Schwung 


1) Bed a. O. ©. 14, 


366 


des Geiftes und eine foldhe Erhebung des Gemüths mitgetheilt und 
mit den Zielen, die ihr im Anfchluß an die altchriftlichen Principien 
oorjchwebten, einen fo umfafjenden Einfluß ausgeübt, daß fie fich 
gleichberechtigt jeder anderen großen Religionspartei 
unferes Baterlandes an die Seite ftellen fann. Und 
wenn dann fpäter diefe Partei in Deutfchland wirklich zeitweilig zur 
Selte berabgebrüdt worden ift — weiß man denn nicht, Daß fie 
gleichzeitig in anderen Ländern Europas zu einer weltgejhidt- 
lien Bedeutung gelangt tft? Iſt nicht die zweite englifche 
Reformation im 17. Jahrhundert vorwiegend von ihr beftimmt 
worden? Und wer will fagen, daß ihre Gefchichte beendet ift? 

Es ift wahr, daß in dem Wettftreit um den Befig der Macht 
diefe Partei in ihrem Urſprungs⸗ und Heimath-Lande ebenfo ihren 
Gegnern unterlegen tft, wie das Chriſtenthum in jenen Orientländern, 
wo feine Wiege ftand, feinen Zeinden das Feld bat überlaffen müſſen, 
um im Abendland freilich fih um fo glänzenver zu entfalten. Ich 
will nicht davon reden, daß es unter Chriften einen ſolchen Kampf 
mit Feuer und Schwert gegen Mitchriften nie hätte geben jollen, und 
Daß es eher ein Zeichen des wahren Chriftenthbums tft, fich kreu⸗ 
zigen zu lafien, als andere ans Kreuz zu ſchlagen; aber e8 ift ficher, 
daß, wenn man den Blick von jenem Wettitreit um die Macht auf 
den edleren Streit um die Fülle der Hingabe und Begeijterung 
richtet, fid der Vergleich in ganz anderem Lichte daritellt. 

Wie dem auch fein mag, fo trägt die unterlegene Partei doch 
das Merkmal ihrer Niederlage infofern noch heute an fich, als es 
ihren Gegnern erlaubt ift, fie noch fortvauernd mit jenem alten 
Scelt- und Spottnamen „Wiedertäufer” zu bezeichnen, ben bie 
Partei jelbft ftetS mit Entfchievenheit zurüdigewiefen bat. Man be 
Ihimpft die Partei durch den Gebrauch dieſes Namens aus ber 
jtimmten Gründen noch fchlimmer als wenn man heute die katho⸗ 
liche Kirche mit dem Namen „Papiſten“ ober die reformirte 
Gemeinſchaft mit dem Namen „Sakramentirer“ bezeichnet. 

Wenn jede Partei das Necht Hat, von ihren wifjenfchaftlichen 
Gegnern mit dem Namen genannt zu werben, mit bem fie ſich 
jelbft nennt, warum will man gerade diefer evangelifchreligiöfen 
Richtung dieſes Necht vorenthalten? 


367 


Schon feit dem Sabre 1615 bat Tileman von Braght in allen 
Ausgaben feiner großen Chronif der „Brüdergemeinden“, welche 
unter dem Namen „Märtyrerſpiegel“ befannt ift, hervorgehoben, 
daß „ber Name Täufer' von feiner Partei nicht auf deren De 
gehren angenommen: worden ſei“; „ihr eigentlicher Name‘, fährt 
derſelbe fort, „iſt "Chriften’, "Chriftgefinnte” oder "Evangelifche‘, 
wie fie von alther, ja feit vielen Hundert Jahren find ge 
nannt worden‘!), 

Schon die Mitglieder jener Brübergemeinde zu Zürich, Die, 
wie fich zeigen wird, in den Gerichtsaften zuerft al8 „Spiritualen“ 
bezeichnet werden und bie fpäter in den Streitfchriften der Theologen 
als „Täufer oder „Wiedertäufer“ vorkommen, nennen fi und bie 
ihrigen einfah Evangelifche?), und es ift ſehr beachtenswerth, daß 
die Schriften der Brübergemeinden feit 1525, wo derfelbe Name in 
Bezug auf die Lutberaner und Zwinglianer in erfter Linie in Uebung 
gefommen war, dieſe Ießteren Parteien ganz ausdrücklich als die 
Neuevangeliſchen bezeichnen). 

Daher iſt e8 offenbar eine Ueberlieferung aus uralten Zeiten, 
wenn bis auf den heutigen Tag diejenigen Parteien, welche von 
jenen Brübergemeinden abjtammen, in einzelnen Ländern ſich „alt- 
evangelifhe Taufgefinnte” nennen und es ift vie Pflicht 
einer unparteiifchen Gefchichtsfchreibung, fich diefer biftorifchen und 
von den Brüdergemeinden ſelbſt gebilligten Bezeichnung anjtatt jener 
Scheltnamen zu bedienen. 


Es würde der großen Bewegung der altevangelifchen Brüber- 
gemeinden, welche in der Gefchichte unter dem durchaus unzutreffenden 
Namen des „Anabaptismus“ zufammengefaßt werben, längft 
eine größere Beachtung und eine veränderte Beurtheilung zu Theil 
geworden fein, wenn nicht zugleich mit der Partei ſelbſt auch fait 


1) v. Braght Het bloedig Tooneel etc. Amsterd. 1685 Bl. A. 6. 

2) E. Egli Mtenfammlung zur Geſch. d. Züricher Reformation. I. Zürich 
1879 ©. 82 (Verhöre über eine „Schenke“ der Evangelifchen [Iacob Grebel, Claus 
Hottinger u. f.w.] auf dem Lindenhofe zu Anfang 1522). 

3) Bgl. Ludwig Hätzer Von den Evangeliichen Zechen und von der Ehri- 
ften red auf Heiliger gefchrifft. O Gott erlöß die gefangenen M.D. XXV. Bl, a—c. 
Hier ſpricht H. wieberbolt von ben Neu-Evangelifchen. 


568 


die ganze Literatur derfelben von ben Siegern vernichtet worden 
wäre. Was die Meiften von der Gefchichte der „Täufer“ und 
von ihren Schriften kennen, beruht auf den Zeugniffen ihrer 
Veinde!); aber fo gewiß die Anhänger Luthers ein Necht haben, 
daß man über den Begründer ihrer Kirche außer dem Urtheil des 
Cochläus, Dr. Ed oder des Joh. Janſſen auch noch des angegriffenen 
Theiles eigenes Zeugniß bört, jo gewiß ift diejenige Gefchicht- 
fohreibung nicht unparteiiſch, welche, wie es bisher gejcheben ift, 
auf die Ausfagen Luthers, Zwinglis oder Bullingers hin ein Urs 
theil über die „Täufer abgiebt. 

Es läßt ſich die Erfcheinung beobachten, daß alle Diejenigen 
Forſcher, welche über die landläufigen Darftellungen hinweg zu ven, 
allerdings ſchwer erreichbaren, Schriften der „Täufer“ felbft Hin- 
durchgedrungen find, ihr Urtbeil wefentlich Haben mobificiren müffen. 

Zu den wenigen Männern, welche fich mit der täuferifchen 
Literatur und Poeſie beichäftigt haben, gehört R. von Liliencron. 
Derſelbe conftatirt bei der Wiedergabe der Eindrüde, Die er em- 
pfangen 9, daß in der Poefie der „Wiedertäufer” nichts von den 
Verirrungen dogmatifcher oder fittliher Art zu bemerken fei, die 
man ihnen gewöhnlich zum Vorwurf macht. „Liebe“, jagt er, „it 
da8 große und unerjchöpfliche Thema dieſes Gefanges; denn Liebe 
alfein ift das Kennzeichen der Kinder Gottes. Der Glaube Hört 
auf im Schauen und die Hoffnung ftirbt in der Erfüllung, aber 
die Liebe bleibt ewig, Darum gilt fie den Brüdern als die "Haupt- 
ſumme' ihres Wefens 3)‘. 

„Es ift bekannt”, fährt derfelbe Autor fort, „welche Feuerprobe 


1) Sehr richtig fagt ſchon im Jahre 1753 J. C. Füßlin (Beiträge zur Er- 
läuterung der Kirchen-Ref.-Gefch. u. |. w. II, CXXX VI) in Bezug auf die Berfaffer 
des Anhangs zur Eoncorbienformel und deren Aufftellungen über die Täufer, 
„daß dieſe guten Väter geneigt gewefen, ihrer Widerwärtigen Irrthümer zu ver- 
mehren und zu vergrößern‘, 

. 2) „Zur %eberbichtung der MWiebertäufer‘ in den Abhandl. d. Kgl. Bair. 
Akad. d. Wiſſ. Phil.-biit. KL. 1877 ©. 123 ff. 

3) In Bezug auf die Kirchenlieder der lutheriſchen Kirche ift längſt anerfannt 
(. Ritſchl Rechtfertigung und Verſöhnung I, 353), daß deren Charakter zur Kenn- 
zeihnung der Gemüthsrichtung der ganzen Kirche dienen Tann. Sollte ber 
gleiche Rückſchluß nicht auch von der täuferifchen Liederdichtung auf den Geift der 
„Wiedertäufer‘ gemacht werben bürfen? 














369 


mafjenbaften Märtyrerthums den Brüdern Gelegenheit gab, folche 
Heiligung durch Die That zu bewähren; denn mit der ſchonungs⸗ 
Iojeften Härte veligiöfen Hafjes, mit allen Qualen der Folter und 
des Todes find. fie von den Regierungen, Tatholifchen wie evange- 
lifchen, während eines ganzen Jahrhunderts verfolgt worden”. — 
„Auch ung ergreift Hochachtung, ja ftaunende Beivunderung, wenn 
wir fehen, mit welcher Freudigkeit und Ergebenheit, mit welchem 
Sieg über alles Irdifche diefe Männer und Greife, diefe Mäbchen 
und Frauen den Tod über fich ergehen laſſen“!). — 

In derfelben Weife wie e8 den Gefchichtsforfchern der römi- 
ſchen Kirche gelungen ift, bei ven Angehörigen ihrer Kirche die Ueber⸗ 
zeugung zu befeftigen, daß Luther wie Zwingli Aufwiegler und 
Revolutionäre waren, und daß ein Mann wie Thomas Münzer ein 
rechter Schüler Luthers gewefen fei, in derfelben Weife ift in faft 
„allen Iutherifchen und zwinglifchen Geſchichtswerken Die faljche Be- 
hauptung zu lejen, daß die Häupter der „Wiedertäufer vorwiegend 
fociale und politiiche Ziele verfolgt hätten?), und daß Thomas 
Münzer und die fogenannten Zwidauer Propheten?) bie 
Bäter und Begründer des „Anabaptismus” feien. 

Und was den „Zäufern” von den Lutheranern und Ziwing- 
lianern nachgefagt worben ift, das Haben die „Sacramentirer” lange 
Zeit fih von Luther und feinen Anhängern ebenfall® nachjagen 
laſſen müfjen. Ä 

In der Vorrede, welche Luther im Jahre 1544 zu einem Buch 

1) Ein anderer Forfcher, der bis zu den Originalquellen vorgedrungen ift, 
iſt T. W. Röhrig. Er ſpricht das Nefultat feiner Studien in den Worten 
aus (Ztſchr. f. biftor. Theol. 1860 ©. 3): „Daß die Mehrzahl der Wiedertäufer 
recht würbige Leute waren, die e8 mit ihrem Glauben ganz ernft nahmen, das 
zeigen bie Alten‘ Man darf Iedem, ber nicht ſelbſt „vie Alten geprüft‘ 
bat, das Recht beftreiten, die Wahrheit dieſes Ausſpruchs anzufechten. 

2) Die Unrichtigfeit diefer Behauptung wird fih in Bezug auf die art» 
erkannten Führer der „Brübergemeinden” unten ergeben. Daß einzelne Täufer 
ihre Lehre zur Erreichung politifcher Ziele mißbraucht haben, ſoll nicht beftritten 
werben; aber bat e8 denn niemals katholiſche Priefter ober lutheriſche Paſtoren 
gegeben, denen neben ber Verkündigung des göttlichen Wortes auch gewifle andere 
Ziele vor Augen ſchwebten? 

3) Schon T. W. Röhrichs Forfehungen haben feitgeftellt, daß fih am Ober- 
rhein „kein unmiztelbarer Einfluß der Zwickauer Propheten‘ nachweiſen läßt. 


Ztſchr. f. d. hiſt. Theol. 1860 ©. 4. 
Keller, Die Reformation. . 24 


370 


bes Juſtus Menius über die Wiedertäufer fchrieb, jagt er ausdrück⸗ 
lich, daß der Geift der „Wiebertäufer” und der „Sacramentirer” 
ein Geift fei, und im Jahre 1530 erklärten die zahlreich zu Augs- 
burg anwejenden lutheriſchen Theologen jede Verftändigung mit den 
Sacramentirern deßhalb für unmöglich, weil in diefer Gemeinschaft 
der „Münzerifche Geiſt“ erkannt werben müſſe!). 

Diejenigen Schriftiteller ), welche noch Heute derartige unbe 
wiefene wie unbeweisbare Verdächtigungen aussprechen, könnten fich 
in Bezug auf die altevangelifchen Gemeinden von Luther ſelbſt be 
lehren laſſen, daß fie falfche Angaben machen. Luther nämlich, 
welcher die Lehre feiner fächfifchen Gegner genau Tannte, verjichert 
im Sabre 1528 in feiner Schrift: „Von der Wiedertaufe am zwei 
Pfarrherren”, daß in feines Fürften Landen noch nie ein 
Wiedertäufervorbandengewefen fei, und fährt dann fort: 
„Sch weiß noch nicht recht, was fie für Urfah und Grund ihre®, 
Glaubens Haben‘ 3), 

Wir werden unten fehen, daß die Erneuerung der altevange- 
liſchen Gemeinden, die man „Täufer“ nannte, ſich zwifchen den 
Jahren 1515—1522 vollzogen bat, und daß bie erneuerte Ausbrei⸗ 
tung der Partei ſchon mit 1523 beginnt. Die erfte Beziehung aber, 
welche zwifchen den oberveutfchen „Brüdern und den fogenannten 


1) Keim Th., Schwäbifche Reformationsgefhichte. Tübingen 1855 ©. 166. 

2) Seitvem Cornelius (Münft. Aufr. Lpz. 1860 II, 14 und 24) auf Grund 
der eingehendſten Forſchungen feftgeftellt bat, daß die Bewegungen ber fächfifchen 
Radicalen ohne irgend welche Nachwirkungen oder Keime zu Neubilbungen ge- 
blieben find, und daß Münzer in Hauptpuntten fi mit den Täufern in Wider- 
fpruch befand, und nachdem Männer wie H. W. Erblam (1848) conftatirt Haben, 
dag man Münzer nicht mit vollem Nechte unter die „„Wiedertäufer‘‘ rechnen fan, 
giebt es für wiflenfchaftliche Autoren eine Entſchuldigung mehr, wenn fie folche 
faliche Behauptungen immer von Neuem unter das Bolt bringen. Aber noch 
die 'neueften Auflagen ber befannteften firchengefchichtlihen Handbücher wiederholen 
jene Verdächtigungen (ſ. 3. 3. Herzog Abriß der gefammten Kirchengefchichte 
II. Th. Erlangen 1882 ©. 48 ff.). Beziehungen Miünzers zu Anabaptiften 
beweifen an fich fo wenig wie die Beziehungen deſſelben Mannes zu Luther, 
Decolampab und Pirfbeimer, welche zum Theil befanntlich fehr freundſchaftlicher 
Art waren. ’ 

3) Ein Originaldrud dieſer Schrift befindet fich in der Herz. Bibliothek zu 
Wolfenbüttel, 


371 


fächfifchen Nadicalen ftattgefunden hat, fällt erwiejenermaßen in 
den September des Jahres 15241), 

Derjenige Kirchenhiftorifer, welcher diefe Beziehungen am ge 
naueſten erforfcht und dargeftellt hat, Heberle, faßt fein Nefultat 
in folgenden Worten zufammen: „Man fieht daraus,. . . daß fie 
(die Anabaptiften in der Schweiz) weit entfernt, ſich Münzer 
unterzuorbnen, eine durchaus felbftändige Stellung 
ibm gegenüber bewahrten und fich fogar berufen glaubten, 
Belehrungen und Ermahnungen an ihn zu richten”, „Ihre Ein- 
fprache gegen jeden Verfuh, die Anhänger des Evangeliums mit 
bewaffneter Hand zu fohirmen, darf al8 Beweis gelten, daß fie 
Münzers aufrühreriihen Tendenzen abgeneigt waren”. 

Mit gutem Grunde haben deßhalb wahrheitsliebende Autoren 
wie im Sabre 1733 TH. Wald?) und neuerdings 9. W. Erbkam 
bervorgeboben, „daß man Münzer nicht mit vollem Recht 
unter die Wiedertäufer rehnen fann“?), und von einem 
der genaueften Kenner des nachmaligen oberbeutfchen Anabaptismus, 
Th. Reim, tft die Thatjache feitgeftellt worden, daß „die Wirkſam⸗ 
fett der Sachſen Storh, Münzer u. f. w. an den Hauptſitzen des 
Anabaptismus ziemlich ſpurlos vorübergegangen ift“). 

Die genauen Unterfuchungen, welche ich in langjährigen Stu- 
dien über diefe Trage angeftellt habe, beftätigen durchaus die An- 
fibten der eben angeführten Männer, welche zudem mit der Tra⸗ 
bition und den Chroniken der Täufer, die man bisher ganz unbe- 
achtet gelajjen bat, volllommen übereinftimmen. Es mag fein und 
ſoll nicht geleugnet werben, dag fowohl die Zwickauer wie Münzer 
manche Ideen der „Täufer theilten, aber theilten nicht auch Deco- 
lampad und ſelbſt Luther gewiſſe Gefichtspunkte mit ihnen? Wei- 

1) ©. Heberle Die Anfänge des Anabaptismus in der Schweiz in den 
Jahrbb. für deut. Theol, 1858 S. 258. — Grebel, deſſen religiöfe Ueberzeugun- 
gen fih ſchon im Jahre 1522 feftftellen Iafien, hat nach feinem eigenen Zeugniß 
die erfte Schrift Münzers etwa im Auguft 1524 in bie Hände befommen. 

2) Einleitung in die NReligionsftreitigfeiten u. f. w. I, 592, 

3) Erdlam Geld. d. prot. Selten. Gotha 1848 ©. 495. 

4) Schwäbiſche Reformationsgefhichte. Tübingen 1855 ©. 59. — Es Tiefen 
ſich diefe Zeugnifje leicht vermehren. Auch hat Cornelius Münft. Aufruhr 
I, 28 hervorgehoben, dag Münzer nie daran gedacht habe, die Spättaufe einzit- 


führen. 
21* 


372 


tered wird Niemand nachzumweifen im Stande fein. Man bat auch 
eine Zeit Yang erfolgreih die Behauptung verbreitet, dag Willibald 
Pirkheimer ein „Freund Münzers“ gewefen ſei; ja zulett kam e8 da⸗ 
“Hin, daß Jeder, den die orthodoren Parteien den Obrigfeiten denun⸗ 
ciren wollten, ein „Schüler Münzers“ gefcholten ward. 


Die Geſchichte des „Täuferthums“, d. h. die Gejchichte Der 
Wiederaufridtung der altevangelifen Gemeinden im 
16. Jahrhundert kann nicht an die Thätigkeit eines einzelnen Mannes 
etwa in der Weife wie die Gefchichte der lutheriſchen Kirche ange- 
fnüpft werden. Der ganze Charakter diefer Gefchichte unterſcheidet 
fih von demjenigen der Tutherifchen und zwinglifchen Kirche da⸗ 
durch, daß e8 fich bei leßterer um die Gründung einer neuen, bei 
jener um die Erneuerung einer alten Gemeinfchaft handelt. 

Es ist ein ganz vergebliches Bemühen, in der Gejchichte Der 
altevangeliichen Gemeinden nach dem oder den Urhebern fuchen 
zu wollen. So gewiß um die Wiedergeburt der alten Gemeinden 
einzelne Männer fich hervorragende Verbienfte erworben haben, fo 
gewiß fehlt die Möglichkeit, irgend einen Grundgevanfen des „Ana⸗ 
baptismus“ aufzuzeigen, welcher von diefen Männern erfunden oder 
zuerſt formulirt wäre, und nicht fchon feit dem 12. Jahrhundert ſich 
in den „Brüdergemeinden“ nachweifen Tieße. 

Aber gleichwohl ift es von großer Erheblichkeit, die Gefchichte 
der inneren Wiedergeburt der alten Kirche zu verfolgen. Wir 
haben gejehen, daß der Zujtand, in welchem fich Die Gemeinden um 
das Yahr 1500 befanden, einer Erneuerung in hohem Grabe be- 
dürftig war. Ein ausgedehntes Arbeitsfeld eröffnete ſich ſolchen 
Männern, welche die Entftellungen der Tradition befeitigen und Die 
unverfälfchte Lehre wieder ans Licht bringen wollten — ganz zu ge 
ſchweigen der großen Aufgaben, die fich ergaben, wenn die „Brüder“ 
auf dem Wege der Miffion die alte Zahl und Bedeutung wieder- 
gewinnen wollten. 

Es ift nicht zu leugnen, daß die Geſchichte der reformatoriſchen 
Brüdergemeinden eine der wichtigſten Phaſen der altevangeliſchen 
Kirche ſchon deßhalb darſtellt, weil erſt feit diefem Moment bie 
formelle Loslöſung von der römiſchen Kirche vollzogen 


373 


wurde. Inſofern bilden die Jahre, welche zwifchen 1515 — 1535 
liegen, einen wichtigeren Abfchnitt der altenangeliichen Kirchenge- 
ſchichte als alle früheren Epochen, felbft die große Zeit des 14. Jahr⸗ 
hunderts unter Kaifer Ludwig dem Baiern Taum ausgenommen. 
Es ift ganz natürlich, daß die Männer, welche in dieſer Zeit bie 
Schidjale der „Gemeinden“ geleitet haben, ein ganz hervorragendes 
Anfeben unter den „Brüdern“ noch heute genießen, und daß ihre 
Chroniten wie ihre Literatur in erjter Linie an diefe Jahre an⸗ 
fnüpfen. 

Indeſſen ift über der in den Gefchichtsbüchern üblichen Hervor- 
bebung derjenigen äußeren Ereigniffe, welche feit etwa 1524 die Los⸗ 
löfung der erften Gemeinden von der berrichenden Kirche begleiteten, 
der Umftand überfehben worven, daß die innere Wiedergeburt der 
„Semeinden” eine Vorgefchichte befitt, welche fich allerdings nicht 
in firchlichen, aber doch in wiſſenſchaftlichen Entwidlungen 
feit dem Jahre 1516 vollzogen hat, und in welcher die nachmaligen 
Führer der Bewegung, zumal Hubmeier und Dend, eine hervor- 
ragende Rolle fpielen!). 


Die Verbältniffe, welche wir oben gefchilvert haben, hatten es 
zu Wege gebracht, daß zwiſchen den Jahren 1515 — 1524 die Stadt 
Baſel einer der vornehmften Sammelpunfte der Männer wurde, 
welche mit den Beftrebungen ber altdeutſchen Oppofition fhmpa- 
tbifirten. Im Jahre 1524 ſchreibt der Franzoſe Sean Canaye aus 
Paris an feinen Landsmann Wilh. Tarel, welcher, wie zahlreiche 
andere Franzofen, Niederländer, Italiener, Sachſen, 
Böhmen u. ſ. w. fih damals zu vorübergehender Anmwefenbeit 
nach Baſel begeben hatte: „Wir Alle würden dein Scheiden fchmerz- 
lich bedauern, wenn ich nicht einfähe, dag du gleihfam zum Hafen 
und dem Zufluchtsort des Heiles geflüchtet bift, nach Baſel 
meine ich, der wahrbaft königlichen Stadt, weil der König der Könige 
will, dag in ihr fein Evangelium und feine ewigen Geſetze blühen 
und gelefen und verkündet werben‘ 2). 

1) Auch die Geſchichte der lutheriſchen Kirche beginnt nicht erſt mit der Con- 
ftituirung ber erſten lutberifchen Gemeinden um das Jahr 1523, fondern mit ber 


erften wiſſenſchaftlichen Proclamirung ihrer Grundfäge, d. h. feit dem Jahre 1517. 
2) Herminjard A. %, Correspondance des Reformateurs dans les pays 


374 


Es steht feit, daß die Männer, welche hier das „Evangelium“ 
verfochten, damals noch an verfelben Lehre fefthielten, welche Luther 
jeit vem Sabre 1521 verlafien hatte. Allein es ift bisher gelungen, 
die Thatfache zu verdunfeln, daß fait alle Anhänger der evange⸗ 
liſchen Bewegung in Bafel bis zum Jahre 1525 denjenigen Stand- 
punkt getheilt haben, den wir Später von Männern wie Dend und 
Hubmeier vertheidigt fehen. 

Decolampad, welcher damals in Baſel lebte, behauptet im 
Sommer 1525, daß der Kampf um die Taufe vor zwei Jahren 
begonnen babe!), Dieje Angabe trifft indejfen nicht zu; denn im 
Juni 1522 edirte ein gewifjer Coccinius Doggius zu Bafel eine 
Reihe von Thefen Ulrich Hugwalds, welche diefer im Winter-Se 
meister 1521/22 feinen Zuhörern vorgetragen hatte, und barunter 
find ſechs Sätze (Nr. 42 — 47), welche die Taufe auf den Glauben 
zum Gegenjtand haben 2). 

Im Sommer 1524 war diefer Streit, der zunächſt natürlich 
theovetifch geführt wurde, bereits bi8 zu den Ohren des Erasmus 
gedrungen, welcher in demfelben Brief, in dem er der beiden Freunde 
Wild. Farel und Michael Bentinus Erwähnung thut, bemerkt: 
„Schon find Viele Gegner der KRindertaufe‘ 3). 

Am 6. Febr. 1525 aber konnte Decolampad klagend aus Baſel 
berichten: „In der Frage der Kindertaufe babe ich nichts als einige 
Briefe an Freunde, in welchen fie begründet wird, aber es will 
faft Feiner auf mid hören”. Alſo waren in Decolampads 
Baſeler Kreife die Meeiften gegen ihn. 

Sleihwohl wäre e8 denkbar, daß die Wiege des fogenannten 
‚ „Anabaptismus”, wie man beute in den Kirchengefchichten lieſt, 
de langue francaise. Vol. I (1866) p. 242: „Sed statim auditus est tuus re- 
pentinus discessus..... quem dolendum nobis omnibus dicerem, nisi intelli- 
gerem, te velut ad salutis portum et asylum confugisse, Basileam inquam, 
vere Baoılıxnv, quod Rex Regum in ea Evangelium suum legesque aether- 
nas vigere, legi, promulgari velit“. 

1) Herzog Leben Decolampads I, 309. 

2) Est tibi Lector brevissimo compendio per Ulrichum Hugualdum, unde 
hominum perditio, in quoque sit eorum salus etc. In fine: Anno MDXXII Junio 
Mense BL. A—B. kII. 8°, 


3) Erasmi Opp. 1703 Ill, 804. 
4) Serminjarb Corresp. des Ref. I, 335. 








375 


nicht in Bafel, jondern in Zürich geftanvden hätte, wenn uns nicht 
von gleichzeitigen ausländifchen Theologen bezeugt würde, daß biefe 
wenigjtens noch im Jahre 1524 als Urfprungsort des Täuferthums 
nicht Zürich, fondern Bafel betrachteten. Der befannte franzöfifche 
Reformator Gerhard Rouffel fchreibt aus Meaux am 24, Au- 
guſt 1524 an Joh. Decolampad als neuefte ihm zugelommene Mit- 
theilung, daß in Bafel die Lehre aufgetaucht fei, man folle die Taufe 
auf die Jahre des reifen Alters verjchieben 1). 


Zu den Dokumenten, welche für die frühefte Entwidlung des 
„Täuferthums“ eine befondere Bedeutung befiten, bat Schon T. W. 
Röhrich das merkwürdige Statut der fogenannten „Him mliſchen 
Bruderſchaft“ gerechnet, welches in einer Ausfertigung, bie in 
den eriten Monaten des Jahres 1522 aufgezeichnet worden ift, auf 
ung gelommen tft 2). Dieſes Statut enthält im Keime ſowohl die 
Lehre wie die Verfaffung der nachmaligen „Brüdergemeinden‘ in 
merhvürdiger Vollftändigfeit. Es Tann fein Zweifel fein, daß die 
oben von uns erwähnte Bruderfchaft „zum Himmel” in Bafel nach 
denfelben Grundſätzen wie diefe „Himmliſche Bruderſchaft“ orga⸗ 
niſirt war, und es iſt wahrſcheinlich, daß die uns bekannten Männer 
Mitglieder derſelben geweſen ſind. | 

Da iſt e8 nun weiter fehr beachtenswerth, daß uns gerade in 
diejen reifen um 1524 auch jene „Capitel8-VBerfammlungen“ 
wieder entgegentreten, bie wir in früheren Jahrhunderten unter 
den „Brüdern“ Tennen gelernt haben. 

Es iſt uns die Einladung zu einer ſolchen Verſammlung er» 
halten, welche Dr. Baltbafar Hubmeier unter dem 11. Juni 1524 
an feine „Capitel- Brüder” erlaffen hat?). Er fordert darin 
die „Brüder“ auf, „fih mit ihren Bibeln bei dem nächſten Ca- 


1) Herminjarb Corresp. des Ref. I, 278. 

2) Das vorhandene Exemplar (f. Ztichr. f. hiſt. Theol. 1860 ©. 26 f.) ift 
für die „Brüder und Schweftern‘ in Eronberg bei Frankfurt a/M. aufgezeichnet 
worden. Wolfgang Capito bat darauf gefchrieben „Himmelſch Brüderſchaft“. Die 
Ausfertigung findet fih in Bafel, 

3) Acht und dreißig ſchlußreden, fo betreffende ein gantz chriftlich Leben u. |. w. 
1524, Bl. B. 3 (Exemplar in der Hof und Staatsbibl. zu München), 


376 


pitel, fo wir zu Waldshut halten werden‘ 1), in feinem Haufe eins 
zufinden. „Darnach will ich euch Alle nach meinem Vermögen mit 
einem brüderlihen Mahl?) in meinen Koften ungefpeift und uns 
getränkt nicht hinweg laſſen“. 

Zugleich überfendet er den „Brüdern“ die Tages» Orbnnung 
des Capitels, welche in 18 Theſen beftand, die er über bie religiöfen 
Tragen aufgeftellt Hatte. „Darum bitt und ermahn ich euch, Tieben 
Herrn und Brüder bei dem Bande brüderlicher Liebe, bei der Hei- 
ligkeit des chriftlichen Friedens und bei dem Namen unferes Herrn 
Jeſu Chrifti, daß ihr euch in diefen Schlußreven, in Trage» und 
Unterrihtungs-Weife von mir ausgegangen, erfehet und die Schrift 
ergründet”, 

ALS Zweck der VBerfammlung giebt Hubmeier an, daß in „Weis 
bung der chriftlihen Schäflein nach Inhalt des göttlichen Wortes 
einhelliglicb fortgefahren werde”, und er beruft fih darauf, daß 
„ein alter Brauch von der Zeit der Apoftel ber’ es mit 
fich bringe, daß, „wo ſchwere Sachen einfallen, die den Glauben be- 
treffen, fich Etliche, denen das göttliche Wort zu reden befohlen, 
hriftlicher Meinung verfammeln”. Bor Zeiten babe man bdiefe 
Berfammlungen Synoden genannt, jetzt aber würden fie „Capi- 
tula oder Bruderſchaften geheißen“, 

Eben zu diefen Berfammlungen war Balthafar Hubmeier 3) im 
Jahre 1522 von Waldshut aus, wo er fih damals aufhielt, wieder- 


1) Man beachte, daß Hubmeier damit auf frühere und anderwärts als in 
Waldshut gehaltene Eapitel hinmeift. 

2) Es find dies die ‚Schenken‘ (Collatien), die wir fpäter kennen lernen 
werben. 

3) Eine fehr eingehende Ueberficht über Die Literatur bezüglich Hubmeiers bat 
neuerdings Dr. 3. Bed in feinem vorzüglichen Werke: „Die Geſchichtsbücher der 
Wiedertäufer in Deftreih-Ungarn von 1526— 1785 Wien 1883 (Fontes Rer. Austr. 

“ Abth. I Vol. XLIII) ©. 47 gegeben. Indem ich darauf verweife, will ich noch 
folgende Quellen hinzufügen: Mittheilungen aus dem Antiquariate von S. Cal- 
vary u. Co. in Berlin. 1. Bd. Berlin 1870 S. 111 ff. (nebft Bildniß Hubmeiers 
und Berzeichniß feiner Schriften). — Prantl Geld. der Ludwig-Mar.-Univerfität 
Münden 1872 1,113; 1,484. — Reufch Der Inder. Bonn 1883 ©. 230. — 
Phil. Schaff Bibliotheca Symbolica Ecclesiae universalis. New-York 1878 
1, 842. — De H00p-Scheffer Geschied. d. Kerkhervorming etc. 1873 p. 406 f. 
— A. Stern in der Allg. D. Biogr. Bd, XIII, 264 f. und Cunitz bei Herzog 
u. Plitt, Realencyel, 2. Aufl. VI, 344 ff. 





377 


holt in Bafel gewefen. Er, erzählt jelbft, daß er zu Anfang 1522 
mit feinen Freunden zu Bafel die h. Schrift eifrig erforfcht und 
mit Einzelnen über beftimmte Fragen, 3. B. über das Tegfeuer, 
Berhandlungen. gepflogen babe ı). 


In Hubmeier tritt uns nun fofort derjenige Mann entgegen, 
deſſen Namen mit der Gefchichte der reformatorifchen Brüderge- 
meinden auf das engjte verknüpft ift. 

Seit alten Zeiten haben felbft Hubmeiers Gegner, foweit fie 
jih bemüht Haben, den Mann wirklich Tennen zu lernen, einen 
tiefen Eindrud von der Perſönlichkeit empfangen, welcher fie fich 
gegenüber fanden. Theodor Keim fagt: „Kein gewöhnlicher Dann 
jtarb in Hubmeier“, und fpriht von der „ungewöhnlichen, 
wunderwirkenden Berebfamfeit und Energie” fowie von der „bedeu⸗ 
tenden Berjönlichkeit”, die Hubmeier befaß 2). 

Auh Hubmeiers Biograph Schreiber jagt wörtlich: „Erwägt 
man unbefangen alles Bisherige, was von Hubmeier, und die Art 
und Weife, wie e8 vorgetragen wurde, jo läßt fich doch ein ehren» 
werther, aufridtignah Wahrheit ftrebender Charakter 
in ihm fchwerlich verfennen‘ 2), 

Es iſt Hubmeier ergangen wie allen feinen Parteigenofjen: die 
Urtheile, welche die fiegreichen Gegner über fie verbreitet haben, 
jind ohne felbftändige Nachprüfung in allen Büchern reproducirt 
worben; mit Recht Tonnte ſchon ums Jahr 1750 Füßlin hervorheben, 
„daß man biefem Hubmeier viele Glaubens⸗Artikel unbillig zuge- 
meſſen habe‘). 

Hubmeier Hatte von frühen Jahren her fein Hauptintereffe auf 
religiös-philofophifche Fragen concentrirt. „Mit wunderfamer Be- 
gierde”, jo erzählt Dr. Ed, „folgte Hubmeier dem Unterricht in 
der Philoſophie“. Auf Grund feiner ausgezeichneten Kenntniffe 
in diefem Tach fei ihm, fügt derjelbe Ed hinzu, die Magifterwürbe 
mit dem höchſten Ruhme zu Theil geworben. 


1) S. Schreiber im Taſchenbuch für Süddeutſchland 1839 ©, 20 ff. 
2) Schwäbifche Reformationsgejhichte S. 36; 47. 

3) Schreiber Tafchenbuch für Süddeutſchland 1839 ©. 34. 

4) Füßlin Beiträge u.|.w. I, ©. 126, 





378 


Die Univerfität Freiburg, an welcher Hubmeier feit dem Jahre 
1503 ſtudirt hatte, nahm ihn im Sabre 1511 unter ihre Docenten 
auf. Schon im Jahre 1512 erhielt er einen Ruf als Profejjor der 
Theologie nach Ingolftabt, wo er noch in demſelben Jahr die theo- 
logifche Doctorwürde empfing. Im Jahre 1515 wurde er zum 
Prorector der berühmten Hochſchule gewählt; e8 war Died daſſelbe 
Jahr, in welchem der damals zu Ingoljtadt ftudivende Markgraf 
Trievrih von Brandenburg, der Sohn des Churfürften Albrecht 
Achilles und der Vater des Hochmeifters Albrecht in Preußen, Das 
Rectorat diefer Hochjchule bekleidete 1). 

Bon da an ftieg Hubmeiers Ruf von. Jahr zu Jahr; 1516 
wurde er Domprebiger zu Regensburg und trat damit in eine 
Stellung ein, die ihm einen großen Wirkungskreis ficherte. Selbft 
bie Chroniften jener QTage berichten von dem ungeheuern Zulauf, 
den feine Predigten fanden. 

Das Jahr 1519 brachte für ihn die Wendung; als er fi 
mit dem offenen Wahrhbeitsfinn, der ihn ftetS ausgezeichnet Hat, 
öffentlich für Quther erklärte, glaubte das Domkapitel ihn nicht 
länger dulden zu können. Der berühmte Prediger und Theologe 
3098 ſich in eine Heine Landſtadt zurüd: er ging nach Waldshut. 

Man Tann ermeifen, daß fein regfamer Geift Hier nicht die 
Nahrung fand, die er brauchte, und fo benutte er die Gelegenheit, 
um die Städte Bafel, Freiburg und Zürich fleißig von Waldshut 
aus zu befuchen. 

Wenn man nun fragt, wer bie Männer waren, mit welchen 
Hubmeier damals jene „Capitels⸗Verſammlungen“ gehalten bat, fo 
werden wir zunächit wieder auf die Mitglieder jener großen Bafeler 
Dffieinen geführt, die wir zum Theil bereit Tennen gelernt haben. 

In feiner deutſchen Stadt haben ſich die Buchdrucker mit 
folder Energie auf die Erneuerung der alten oppofitionelfen Litera- 
tur geworfen wie in Baſel. Hier erfchienen nicht nur jene oben 
erwähnten Schriften der „Sottesfreunde”, ſondern es wurden vor 
Allem auch folche alte Bücher von Neuem unter das Volk gebracht, 
deren Verfaſſer vor Alters in aller Form als „Keter” in den Bann 


1) Schreiber a. DO. 1839 ©. 12, 


379 


gethban worden waren, darunter Sohn Wiclif!, Joh. Weifel 
von Groningen ?)- und vor Allem Marfilius von Padua. 

Bon allen den alten Wortführern der Oppofition beſaß Mar- 
jilius für unfere Epoche bei weiten die größte MWichtigfeit; bie 
Erneuerung jeines Werkes hat auf die Ausgeftaltung der kirchlich⸗ 
religiöjen Principien der reformatoriſchen „Brüdergemeinden“ einen 
Einfluß ausgeübt, welcher noch in Feiner Weife genügend gewürdigt ift. 

Da ift e8 nun zunächft von erheblichem Intereffe, daß die Ba- 
jeler Ausgabe des „Fridſchirmbuchs“ — e8 ift die erfte gebruckte, 
welche wir beſitzen — in ver Officin des Valentin Curio im 
Sabre 1522 bergeftellt worden ift?), deffen Gefchäftstheilnehmer und 
Correftor damals, wie wir fahen, der Magifter Hans Dend war ?), 

Der Paftor Wolfgang Weißenburger, welcher im Jahre 1522 
Prediger an der Spitallirche zu Bafel war’) und den Reformfreuns 
den nahe ftand, berichtet, daß der Mann, welcher unter dem Pfeu- 
donym Lucretius Evangelus die Vorrede gefchrieben hat, Niemand 
anders als der Druder Valentin Curio felbjt ſei 9). 

Der Defensor pacis von 1522 trägt aber auf der Rückſeite 
des Titel8 und vor der Vorrede Curios den Namen eines anderen 
Mannes, der fich „Philalethes“ nennt, und der, wie ich bei anderer 
Gelegenheit zu zeigen hoffe, fein anderer als Dend gewejen ift. 


Die oben erwähnten Strophen der „Duntelmänner- Briefe" 
trafen um das Jahr 1522 keineswegs bloß auf die Officin Frobens, 
fondern auch auf diejenige Curios und Cratanders zu. 


1) Joh. Wielif Dialogorum libri IV. 1525. 4°. 

2) Weffelus Farrago Rerum Theologicarum etc, Bajel 1522. 

3) Opus insigne, cujus titulum fecit autor Defensorem pacis, quod 
questionem illam jam olim controversam de potestate Papae et Imperatoris 
excusissime tractet, profuturum Theologis, Jureconsultis etc.... Das Titel- 
blatt zeigt einen Holzſchnitt: Kaifer. Ludwig vor Rom barftellend. Am Schluß 
ift al8 Jahr der Vollendung 1522 angegeben. 

4) Es ift beachtenswerth, daß in der oben (S. 331) erwähnten Denckſchen 
Saza- Ausgabe von 1523 bdiefelben Holzftöde (man vgl. Gaza BL. A. 2° mit 
Defensor pacis fol. 357) und dieſelben Typen für Die Marginalnotizen gebraucht 
worben find, wie im Defensor pacis. 

5) ©. Basler Chroniken. Bd. I (hrsg. v. W. Viſcher u. fr, Stern) Lpzg. 
1872 ©. 35. 

6) Wolfg. Weißenburger Praef. ad Antilog. Papae. Basil. 1555. 8°. 


380 


Gratander war e8, welcher im Jahre 1522 ein Buch verlegte 
— 28 war Vadians Ausgabe des Pomponius Mela — zu weldhem 
Conrad Grebel, der Sohn des Züricher Patricierd und Sena- 
tors Jacob Grebel, die Vorrede gefchrieben hatte. Grebel lebte um 
die Zeit, als dies Buch erfchien, in Bafel; er war im Auguft 1521 
dahin gefommen und befaß, wie wir wiſſen, in dem Kreife, zu wel- 
hem Dend und Hubmeier gehörten, feine nÄächjten Freunde. 

Einer der Männer, mit welchen Grebel damals in Bafel ver- 
fehrte, „Urfinus, nennt am 1. Dectober 1521 den Grebel einen „in 
jeder Richtung ausgezeichneten jungen Mann, welcher: gegen Alle 
höchft gefällig fer”. 

In der That ftimmen alle feine Freunde und feine Gegner 
darin überein, daß Grebel fich ebenjo durch feine Begabung wie 
durch feine hervorragende Gelehrſamkeit auszeichnete. Vadian, wel- 
her den Standpunkt Grebels befanntlich durchaus nicht theilte, aber 
aus langjährigem Verkehr ihn Tannte, behauptet, daß er „mit großen 
Talenten ausgerüftet geweſen fei”, und dies Urtheil wird von Zwingli 
vollfommen beftätigt!). 

Grebel hatte fich in feiner Studienzeit vorwiegend mit der claf- 
ſiſchen Literatur beſchäftigt. Erſt im Jahre 1522 tritt und in den 
Quellen die Nachricht entgegen, daß er ein Vorkämpfer der Tirch- 
lichen Reform geworden fe. Am 15. October 1522 theilt Grebels 
Yangjähriger Freund, Melchior Macrinus, an Ziwingli aus Solo- 
thurn mit, daß „&rebel, wie Macrinus höre, ein ausgezeichneter 
Patron des Evangeliums geworben ſei“. „Sch freue mich wahrhaftig 
nicht wenig, daß auch Sünglinge, welche an Geift und Bildung her- 
borragen, fich zu biefen Studien wenden‘ 2), 

Es Fällt demnach der Umſchwung in Grebels geijtiger Richtung 
genau in die Zeit feines Bafeler Aufenthalts, in dieſelbe Zeit, welche 
auch infofern einen neuen Lebensabfcehnitt für ihn eröffnete, als er 
fich dort verheirathete und damit einen Schritt that, der ihn in 
ſchwere Conflikte mit feinen Eltern brachte. 

1) Zwingli fchreibt an Myconius: „Versaberis inter Grebelios, Amma- 
nos, Binderos candidissimos et doctissimos adolescentes“. Zwingli Epp. I, 218. 

2) Heberle a. a. O.: Salutem die — C. Grebelio, quem audio singularem 


'evangelii patronum factum, quod me hercle non mediocriter gaudeo, etiam 
juvenes, qui ingenio et eruditione praestant, ad ea studia convertere etc, 














381 


Da iſt e8 num intereffant, daß Vadian, Grebels Schwager und 
damaliger Genofje, ausprüdlich fagt, Grebel habe „auf die Ein- 
gebung“ einzelner Männer Hin feine Dogmen in Zürich auszu- 
breiten angefangen '). 

Wer find diefe Männer gewefen? Diejenigen Perfonen waren 
es, welche in Bafel feit langen Jahren die Ideen ver „Brüberge- 
meinden‘ gepflegt hatten, beſonders der Freundeskreis, welcher fich 
in Cratanders Haus verfammelte. 

Zu dieſem Kreife gehörten außer den oben genannten Perſonen 
als Einheimifche der Leutpriefter von S. Alban, Wilhelm Reublin, 
der aus Schwaben gebürtig war. Diefer Iegte damals, wie ber 
Ehronift Fridolyn Ryff verfichert 2), „die heilige Schrift fo chriſt— 
lich und wohl aus, daß dergleichen vorher nie war ge» 
hört. worden, fo daß er ein mächtig Volk überfam” 3). Ferner 
gehörte dahin der Profeffor an der Bafeler Hochſchule, Ulrich Hug- 
wald, welcher, wie und Decolampad berichtet, bereits im Sommer 1525 
die Spättaufe empfangen hat‘). Hugmwald>) ftammte aus Bifchof- 
zell im Thurgau und war mithin ein Landsmann Ludwig Hätzers 6), 
welcher um 1524 fich ebenfall® vorübergehend in Baſel aufhielt. 


1) Grebelius quum dogma.... paucorum suggestione animatus 
spargere Tiguri et invulgare coepisset etc. in Antilogia J. Vadiani ad claris- 
simi Viri Gasp. Schwenkfeldii argumenta 1540 (Vorwort). 

2) Basler Chroniken, hrsg. v. W. Viſcher und A. Stern Lpzg. 1872 1, 33, 

3) Ueber Reublin |. Ochs Geſch. Bafeld. 1796 V, 357 ff.; 436. — Heß 
Joh. Decolampad ©. 50 Anm. — Bullinger Reformationsgefchichte I, 108. — 
Füplin Beiträge zur Reformationsgeſchichte u. ſ. w. I, 2165 IV, 43, 45. — 
Eornelins Geſch. des Münft. Aufruhrs. Lpzg. 1860 II, 16 ff. — Basler Ehro- 
niten I. Bd. (Lpzg. 1872) ©. 33 ff. — Herzog Das Leben Oecolampads I, 90 ff. 
— Forfhungen zur Deut. Gef. Bd. XXI, 445. — Genaue Quellennachweiſe 
bei Dr. Bed Geſchichtsbücher der Wiedertäufer in Oeftreih. Wien 1883 ©. 86; 
90. — Dazu vgl. Heyd Ulrich, Herzog zu Würtemberg. II, 314 ff. — Es ruht 
noch manches ungedrudte Material -über ihn in den Archiven. 

4) Herzog Das Leben Joh. Decol. Baſel 1843 11, 271. 

5) Hugwalds Briefe an Badian, die vornehmfte Duelle für feine Lebensge- 
fchichte, beruhen unbenutzt in der Bibliothel zu S. Gallen. Hugmwald hat eine 
Heide intereffanter Heiner Schriften veröffentlicht. Alle ftehen auf dem römifchen 
Inder unter den Libri prohibiti primae Classis (Reufch Der Inder ©. 271). 
Sein Name wird in den Eorrefpondenzen der franzöfiihen Reformatoren viel- 
fach erwähnt; |. Herminjard, Corresp. I, passim. 

6) Ueber Häger ſ. bie bei Bed Geſchichtsbücher der Wiebertäufer in Deftreich- 


382 


Aus dem dftlichen Deutfchland Tamen Simon Stumpf aus 
Franken !), welcher alsbald ein Vorkämpfer der Brübergemeinven 
in der Schweiz wurde, und aus Sachſen Heinrih von Eppen- 
Dorf, welcher fich ftetS auf der Seite der „Brüder“ gehalten hat, 
aus Cronberg bei Frankfurt a/M. der Ritter Hartmuth von 
Cronberg, welcher fih damals und fpäter als intimer Freund 
Eppendorfs wie anderer altevangelifcher Männer bewährt hat?). 

Vom Mittelrhein ber war Otto Brunfels nach Bafel ge 
fommen; Andreas Cratander verlegte im März 1523 eine Heine 
Schrift deſſelben ?), und Heinrich Eppendorf und deſſen Treunde ge 
hörten zu feinen Vertrauten. Brunfels ftammte aus Mainz, wo 
fein Vater als Küfermeifter gelebt batte; jeine Familie fcheint ſchon 
länger dort anfäffig gewefen zu fein, denn im Jahre 1459 war 
Hans Brunfels auf dem Capitelötag zu Negensburg Vertreter der 
Bauhütte von Mainz Otto Brunfels bat fpäter ſowohl auf dem 
Gebiet der Theologie wie der Mebiein und Botanik fich bervor- 
ragende, noch nicht genügend anerkannte Verdienſte erworben. 

Aus den rhäto⸗romaniſchen Theilen der Schweiz, wo nachiweid- 
lich feit alten Zeiten „heimliche Gemeinden‘ beſtanden, war ber 
Bücherhändler Andreas Caftelberg, genannt Andreas auf ber 
Stülzen, damals in Bafel anwejend‘). Diefer Mann, der mit 
Ungarn 1883 ©. 33 Anm. 3 citirten Ouellen, und vgl. ferner die neuefte Ab- 
handlung über ihn bei A. Brons Urjprung, Entwidlung und Schidfale ber 
Zaufgefinnten oder Mennoniten. Norden 1884 ©. 408 ff. Die üblen Nachreben, 
die man Häger gemadt, find zum größten Theil erfunden. Nach A. Brous 
a. a. O. ftammte er aus einer alten Waldenferfamilie. 

1) ©. Zwinglii Epistolae VII, 184. Danad war Stumpf [don im Spät 
berbft 1521 in Bafel. 

2) Es liegen eine Reihe ſchwerwiegender Beweisgründe vor, auf Grund beren 
ih den Hartmuth von Cronberg in jenen Jahren für diefe Partei in Anfprud 
nehme. Leider geftattet mir bier der Raum nicht, in biefe Beweisführung ein 
zutreten. Ich verweiſe vorläufig auf das von Röhrich in der Ztſchr. f. hiſt. 
Theol. 1860 ©. 26f. abgebrudte und ib. S. 14 mit Recht dem Cronberg zu⸗ 
gefchriebene wichtige Aktenſtück betr. die „Bruderfchaft“ in Eronberg, welches 
wir oben bereit8 erwähnt haben. 

3) Ut afflictionibus Rhodiorum militum ordinis S. Jo. Baptistae succurra- 
tur ad Principes et christianos omnes Othonis Brunfelsii oratio. Anno MDXXIII. 
Basileae ap. Andr, Gratandrum. 


4) Unter dem 17. April 1520 fchreibt ein gewifler Jacobus Nepos (Pſendo⸗ 
num?) an Zwingli aus Bafel: „Dialogum tuum, humanissime domine, ante- 





383 


mehreren Schweizer Oppofitionsmännern in Beziehung ftandt), be- 
gegnet uns bald in Bafel, bald in Zürich (wo wir feine Thätigfeit 
als „Diener des Worts“ in der heimlichen Gemeinde bald kennen 
lernen werden), bald in Chur?), und fo fcheint er fich vorwiegend 
auf ver Wanberfchaft befunden zu baben. 

Eine ſehr wichtige, noch lange nicht genügend gewürbigte Rolle 
fpielt in diefem Kreife der junge Gelehrte aus Flandern, den wir 
als Freund Dends und Correktor Cratanders bereits fennen gelernt 
haben, Michael Bentinugs). Er hat an den religiöfen Kämpfen 
den lebhafteſten Antheil genommen, und der Standpunkt, den er 
dabei einnahm, wird durch die Thatjache beleuchtet, daß er den ge- 
ächteten und flüchtigen Dend auf Gefahr feines eigenen Lebens im 
Sabre 1527 in feinem Haufe brübderlih aufnahm. 

Auch noch andere Ausländer fanden fih in dem Haufe Era- 
tander8 um diefe Zeit ein: aus Nord und Süd, aus Oft und 
Weit kamen fie wie auf eine allgemeine Verabredung in demfelben 
Sahre bier zufammen. Es war ein Kommen und Geben, wie e8 
in den großen Mittelpunkten der „Brüdergemeinden“ in den Häufern 
derjenigen Brüder der Fall zu fein pflegte, welche die wandernden 
„Apoſtel“ aufnahmen. 


quam amicos meos inviserem, per bibliopolam claudum miseram. — 
Praeterea Myconii, doctissimi viri, geAelonvov, per eundem remisi“. Dieſer 
Nepos verkehrte nach feinem eigenen Zeugniß in Bafel mit Froben, Slarean u. 4. 
— Zwinglii Epp. I, 130. — Ueber die Iventität des Mannes mit Andreas Stül⸗ 
zer |. Heberle Die Anfänge des Anabaptismus in der Schweiz in ben Jahrbb. 
f. deut. Theol. 1858 ©. 257. 

1) Jac. Salandronius an Zwingli d. d. Rhaetien, 1522 Aug. 26: „Mira, 
quae apud nos de vobis narrantur, scripsi M. Gregorio et claudicanti illi biblio- 
polae Andreae* (Zw. Epp. I, 221). 

2) Joh. Comander an Zwingli d. d. Chur, 1525 Aug. 8: Protonotarius Cu- 
riensis — utitur Andrea Magistro (Zw. Epp. I, 401). — 2gl. dazu Zw. Epp. II, 
142. — Andreas ift neben Grebel ein Führer der Züricher Täufergemeinde geweſen. 

3) Bgl. Erasmi Opp. 1703. II (Regifter s. v. Bentinus). — Weitere Ouellen 
finden fih bei Herminjarb Correspondance des Reformateurs I, 219, 224, 
280, 304, 366, 398 u. öfter. — Bal. den Brief Dends an Oecolampab v. 1527 
bei Keller Ein Apoftel u.f.w. 1882 ©. 253. — Herzog Leben Decolampabs 
1, 245. — Ueber Bentinus’ pbilologifche Arbeiten |. Schweiger Handbuch der 
claffifchen Philologie. — Vita Erasmi Lugd. Bat. 1642 S. 173. — Sehr wahr- 
fcheinlich ift die Ausgabe Nicolai Perotti Cornucopiae etc. Bajel, Eratander 1521 
von Bentinus beforgt; ich habe fie nicht einfehen können. 


384 


Im Januar 1523 erzählt uns Decolampad, daß er in Era 
tanbers Haufe einen Niederländer, Namens Rodtius, getroffen 
habe; derſelbe hatte Schriften feines Landsmannes Joh. Weſſel mit- 
gebracht und Cratander war bereit fic zu bruden?). 

Diefer Node ift Tein anderer als jener Heinrich Rode, von 
welchem Jürgen Wullenweber fpäterhin (1536) ausfagt, verfelbe habe 
ihn zur Wiedertaufe beredet 2). Rode war bis zum Jahre 1522 
Borftand der „Brüder⸗Schule“ zu Utrecht gewejen und Hatte dann 
flüchten müffen. Er fehrte fpäteftens im Jahre 1525 nach den 
Niederlanden zurüd, erfüllt mit den religiöfen Vorftellungen, vie 
er in Cratanders Haufe gehört hatte, und ift dann einer'der vor 
nehmſten Vermittler des oberbeutfchen „Täuferthums“ im Norben, 
befonders in Oftfriesland, wo er lange lebte, geworden. Es ift in 
bobem Grade wahrjcheinlich, daß die niederlänbifche Bibel, welde 
damals zu Bafel gedruckt wurde 3), ſowie die niederländifche Ueber 
fegung jener oben erwähnten Hubmeierichen Schrift, welche die Ein, 
ladung zu der „Capiteldverfammlung” enthielt), auf Rodes Bafeler 
Aufenthalt zurüdgeht. 

Aus England war, wie wir oben ſahen, ber gelehrte Richard 
Crocus anweſend; außer ihm hielten fih aber auch Thomas 
Lupfet5), ein Freund Heresbachs und Andere gerade Damals in 
Baſel auf. 

Beſonders zahlreich aber waren die fünfranzöfifchen „Brüder“, 
zumal aus der Dauphine und aus Lyon, welde in Cratanders 
Haufe eintehrten. Da war aufer vielen Anderen der Sprößling 
eines alten füdfranzöfifchen Adelsgefchechts, der ehemalige Johanniter⸗ 
Nitter Anemund de Eoct, Herr von Chajtelard, ein Mann von 
hervorragenden Eigenjchaften des Geiftes und Charafters. 

De Coct war als „Däretifer” aus der Dauphiné ausgewiefen 


1) Oecolampadii et Zwinglii Epistolae fol. 209b. 

2) Wait Jürgen Wullenweber III, 492. 

3) Näheres darüber, fowie über Rode im Allgemeinen in dem vortrefflichen 
Bud von de Hoop⸗Scheffer Geschiedenis d. Kerkhervorming etc. Amst. 
1873 ©. 30 u. 262. 

4) de Hoop-Sceffer a. D. ©. 406, 

5) Er Hat fpäterhin beſonders auf dem Gebiet ber Batriftit gearbeitet; 
ſ. Wolters Conrad von Heresbad ©. 16. 





385 


worden !) und hatte darin das Schiefal fo vieler feiner Landsleute, 
die jich zu den „Brüdergemeinden“ bielten, getbeilt. Er nahm den 
Weg in die Schweiz und von dort nach Deutjchland und hat dann 
in den Entwidlungen diefer Jahre eine viel größere Rolle gefpielt, 
als man nach den bisher über ihn befannt gewordenen Nachrichten 
annehmen follte?), Er hat mit allen einflußreichen Männern jener 
Zage, mit Luther, Spalatin, Zwingli, Erasmus Beziehungen an- 
geknüpft und Deutſchland, Italien, Frankreich und die Schweiz von 
einem Ende zum andern durchwandert. Etwa im Juli 1523 fchrieb 
er auf den Wunfch des befannten Reformators Franz Nambert 
von Avignon eine Vorrede zu deffen „Evangelifchen Commentar”, 
der gegen die Sranciscaner gerichtet war, und e8 mag hier erwähnt 
werden, daß diefe durch das Zuſammenwirken der beiden Südfran- 
zojen entitandene und zu Wittenberg gedruckte Schrift alsbald eine 
niederländifche Veberfegung erlebte, an deren Herftellung jener 
Rode, wie ich vermuthe, mitgewirkt hat 3). So nahmen biefe Männer 
gleich von vornherein gemeinfam entſchiedene Stellung gegen das 
Mönchthum. | 

De Coct hatte, wie aus feinen Correſpondenzen hervorgeht, 
viele Beziehungen in Savoyen; diefelben reichten hinauf bis zum 
Hofe Herzog Carls IH., den er im Jahre 1523, als er von Wit- 
tenberg nach Savoyen gereift war, befuchte, um dem Fürften einen 
Brief Luthers zu überbringen ?). | 

Die „Brüder“ im Süden waren es, zu denen Anemund, wie 
er jelbft fagt, gehörte. „Ich erwarte”, fchreibt er am 2. September 
1524 an feinen Landsmann Wilhelm Farel, „täglich Briefe von den 
Unferigen dur meinen Boten Johannes“. „Sobald Vaugris“ 

1) Herminjard Corresp. des Ref..I, 339 (No. 141), — Das Schloß 
Chaftelard, der Familienfiz de Coct8, Tag 3 Stunden nordweſtlich von Barce- 
Ionette (Dep. Baſſes⸗Alpes). 

2). Herminjard Corresp. des Ref. I veröffentlicht allein aus den Jahren 
1523—1525 acht Briefe von ihm bezw. an ihn. Sein Name wird in den gleich⸗ 
zeitigen Correſpondenzen fehr häufig und alljeitig mit der größten Hochachtung 
erwähnt. 

3) „Gulden opschrift in der Minnerbroders Reghel, wat van die en an- 
deren monniken regulen te houden zy. Brief van Anemundus Coctus“ etc. 
Geprent in Eutopia 1526. ©. Scheffer a. ©. ©. 406, 

4) Der Brief ift abgebrudt bei Herminjarb I, 151, Vgl. dazu I, 184, 

Keller, Die Reformation. 25 








386 


— es ift der uns befannte Buchhändler gemeint — „nach Lyon 
geht, werbe ih an bie Brüder fchreiben, daß fie mir etwas Geld 
ſchicken“ N). „Unfer gemeinfamer Bruder Bentinus“, fährt 
er fort, „ſchreibt an Dich". „Ich Habe mit Michael zuſammen ben 
Curio überredet, daß er ein Buch gegen die falfchen Biſchöfe druckt“. 
„Schreibe mir franzöfiiche Briefe, damit all unfer Thun möglichft 
geheim?) bleibt” 3), 

Es war wie vor alten Zeiten Verfchtwiegenheit ftrenge Pflicht 
unter den „Brüdern“, und nur im engjten Kreife ift e8 befannt ge- 
worben, wer als „Apoftel” ausgefandt ward, um für die Ausbrei⸗ 
tung des Evangeliums zu wirken. Beſonders hütete man fich, Dies 
Ichriftlich aufzuzeichnen, und wenn etwas aufgezeichnet worden wäre, 
jo würbe man fich bei dem Dunkel, welches bisher über der früheſten 
Geſchichte des Anabaptismus lagert, nicht zu wundern haben, daß 
es noch nicht ans Licht gezogen worben tft‘). 


1) Der fehr intereffante Brief bei Herminjarb Corresp. des Reform. I, 280. 

2) Ganz richtig hat ſchon T. W. Röhrich bemerli, daß die altevangelifchen 
Gemeinden, auch als fie nad dem Beginn der großen Bewegung bereits jehr 
activ in diefelbe eingriffen, „ver Sicherheit wegen ihre Heimlichkeit und ihre ſtille 
Bruderſchaft bewahrten““. Ztſchr. für Hift. Theol, 1860 ©. 3. 

3) Wild. Farel nannte fi) „Urſinſis“. Ms er im Jahre 1525 fi) bei dem 
Grafen von Neufchätel die Erlaubniß erbat, dort predigen zu dürfen, nannte er 
aus Furcht vor Verfolgung weber feinen Namen nod feinen Stand (Hermin- 
jard Correspond. des Reform. I, 461 Anm. 15). Als er fih dann in der Funk⸗ 
tion als Schulrektor in Aigle niebergelafien batte, um die dortige beimlide 
Gemeinde zu paftoriren, nennt einer feiner Freunde ihn gelegentlih: „Ursi- 
nus, Aelae Episcopus“ (Herminjarb a. DO.) Wer konnte darunter ben 
Schulrektor Farel vermutben? ft aber nicht der Titel Biſchof höchſt bezeichnend? 

4) Es ift bis jeßt nicht genügend befannt, daß Wilhelm Farel, ber geiftig 
bebeutenbfte unter den Reformatoren franzöfifcher Zunge, ebenjo wie in allen 
anderen Punkten, fo aud in ber Tauffrage den Standpunkt Hubmeierd und 
Dencks zeitweilig getheilt bat. Farel fchreibt am 7. Sept. 1527 (Herminjarb 
a... O. II, 48): „Latet enim (plurimis), quid sit dare nomen Christo, velleque 
Christo militare, juxta legem Domini omnia posthabere, inque vitae profi- 
cisci et durare novitate, antiquata priore et vetere (vita), jam per Spiritus 
infusionem, quo suos tingit Christus, hoc in animo destinasse, hujusque gratia 
coram Christiana plebe intingi aqua velle, ut palam protestetur, 
quod corde credit, ut fratribus carior sit et Christo magis hac solemni ad- 
strictus professione, quod majusculis ad nos ab impiis confugientibus 
fieret, singula si recte dispensarentur, ut magnus ille coepit Joannes ac 
omnium maximus praecepit Christus; non abarcendo parvulos, ut 














387 


Gleichwohl finden fich folgende merkwürbige Notizen. Unter 
dem 17. December 1524 fehreibt ein Freund des Michael Bentinus, 
nämlich Petrus Toffanus!), an Wilhelm Farel aus Bafel, indem 
er von Franz Lambert von Avignon und deijen Freunden fpricht: 

„Sie laſſen fih Apoftel, Evangeliften und Bifchöfe 
nennen” 2), und in der That kommen diefe Bezeichnungen in ben 
GCorrefpondenzen des Lambertſchen Freundeskreiſes, zu welchem auch 
Grebel, Dend, de Coct, Hubmeter u. U. gehörten, wiederholt vor. 

Liegt nicht in dieſem Gebrauch uralter, und zwar fpecififch 
waldenſiſcher Benennungen ein deutlicher Hinweis auf bie 
Gemeinschaft, die wir bier vor uns haben? 

Verner wirb in den vertraulichen Correfpondenzen Wilhelm 
Farels die alte, in dieſem Sinn ausjähließlich in den „Gemeinden 
Chriſti“ nachweisbare 3) Bezeichnung „Heilige“ in der gleichen Be⸗ 
deutung wie „Gläubige oder „Brüber” verwendet. Während in 
den fonftigen Briefen jener Tage am Schluß fich gewöhnlich die 
Worte finden: „Ich grüße alle Freunde“, fehreibt Michel d'Arande 
im Jahre 1526 an Wild. Farel: „Ich grüße alle Heiligen” 4), 
und im Februar 1527 nennt oh. v. Steinwort in einem vertrau- 
lichen Brief an Farel den Anemund de Coct: „Sanetus frater 
Anemundus Coctus“). 

Jede nähere Unterfuhung ®) wird Die Thatfache beftätigen, daß 
Anemund de Coct als „Sendbote“ der ſüdfranzöſiſchen Brüderge⸗ 


nonnulli voluerunt“. Alſo Chriſtus befiehlt, Die Erwachſenen, wenn fie Mitglieder 
der „Gemeinden“ werben wollen, zu taufen. Doch will Karel die Kindertaufe 
nicht verbieten. 

1) Toſſanus bat zwar in feinen Anſchauungen den „Brüdern“ ſehr nahe 
geſtanden, aber er iſt ſchwerlich ſelbſt Mitglied einer Gemeinde geweſen. Er ſtammte 
aus Metz. 

2) Herminjard Corresp. des Réf. I, 313: „Item faciunt se vocari Apo- 
stolos, Evangelistas et Episcopos“. 

3) ©. oben ©. 249. 4) Herminjarb a. O. I, 470. 

5) Herminjarb a. O. II, 12. 

6) Es wäre eine fpecielle Unterfuchung iiber de Eoct fehr wünfeenswertb, 
Er Hat nahe Beziehungen zu ſämmtlichen Kührern der nachmaligen „Täufer“ 
unterhalten, beſonders zu Grebel; fehr befreunbet war er nach feinem eigenen 
Zeugniß mit Martin Eellarius (f. Herminjarb Corresp. des Ref. I, 311). 
Luther fchreibt am 13. Sanıtar 1525: „Anemundus minatur mihi, nisi cedam 
mea opinione, sese adversus me scripturum“ (de Wette Luthers Briefe II, 613). 

25* 


388 


meinden nach Bafel gelommen ift, und es wird dadurch in hohem 
Grabe wahrfcheinlich, daß auch Die übrigen Männer, welche mit ihm 
gemeinfam dort tagten und bie er zum Theil ausprüdlich als „Brü- 
der“ bezeichnet '), al8 Abgefandte der alten Gemeinden an 
den Capitelsverfammlungen Theil genommen haben. 

Bei der Heimlichkeit, mit welcher man zu verfahren gezwungen 
war, find fehr wahrjcheinlich protocoffarifche Aufzeichnungen vermie- 
den worben ?). 

Aber auch ohne derartige Aufzeichnungen befigen wir in ben 
Bublicationen, die aus dem Zuſammenwirken ber „Capitels⸗Brüder“ 
hervorgegangen find ®), eine fichere Grundlage zur Beurthetlung der 
Refultate jener Berathungen. Und wenn wir weiter fein Wert, 
als die neue Ausgabe des Marfilius von Padua in der Hand hätten, 
fo würbe Dies genügen. Man beachte nur Die von jenem „Licen- 
tius Evangelus‘‘ im Sabre 1522 verfaßte Vorrede, und man wird 
finden, daß barin eine vollftändige Heine Befenntnigfchrift der „Brü⸗ 
bergemeinden” enthalten ift®). | 


1) Es ſteht fe, daß die Mitglieder der Waldenfergemeinden die Bezeichnung 
„Bruder“ Niemandem zu geben pflegten al8 einem anderen Mitgliede der Ge- 
meinde. 

2) Es Scheint, daß zu den Beichlüfien die Schaffung und Organifirung von 
„Bruderſchaften“, welche als Uebergang zur Gemeindegründung dienen konnten, 
gehört habe. Das Statut der neu zu errichtenden „Himmliſchen Bruderſchaft“ 
zu Cronberg (f. oben) ift in denjelben Monaten aufgezeichnet, in welchen die Ber- 
fammlungen fattgefunden haben. 

3) Es gehören dahin, wie ich glaube darthun zu können, unter Anderem bie 
Heine im Jahre 1522 zu Bafel anonym erfchienene Schrift: „Von drien Chri- 
ften, dem römiſchen Ehriften, dem Böhemſchen Ehriften, dem Thürkifchen Chriſten“ 
u.f.w. (f. Gödeke Pamphilus Gengenbach Hannov. 1856 S. 214 ff.); ferner 
die ebenfall® 1522 zu Bafel bei P. Gengenbach anonym erfchienene und fpäter 
mindeftend in brei Ausgaben wiederholte Schrift: „Der Evangeliſch Burger“ 
(ſ. E. Weller, Repertor. typograph. u. f. w. Nördl. 1864 N. 2078 ff... Sehr 
ſtark beeinflußt von den Brüberverfammlungen find die im Jahre 1519 zuerft 
jelhftändig erfchienenen „Annotationes in Novum Testamentum“, welche zwar bes 
Erasmus Namen tragen, aber nach defjen eigenem Zeugniß mehr auf die Red- 
nung feiner Mitarbeiter als auf feine eigene zu fegen find. 

4) Die Anlehnung an die Bergprebigt muß felbft demjenigen auffallen, welcer 
die Betonung derfelben durch die „Brüder nicht Fennt. Die Sache verbient eine 
nähere Unterſuchung. 





389 


Wir haben oben gejehen, daß die Auffaffung über die Taufe 
jeit Jahrhunderten einen wejentlichen Differenzpunft zwischen ben 
„Brübergemeinden” und der herrſchenden Kirche bildete. Seit ur 
alten Zeiten hatten bie „Brüder“ principiell daran feftgehalten, daß 
die Taufe auf den Glauben in der Praxis der apoftolifchen Jahr⸗ 
bunderte und in den heiligen Schriften ihre Begründung befike 1). 
Es ift wahr, daß fie gleichwohl die Kindertaufe ſelbſt an ihren eigenen 
Kindern haben vollziehen laſſen, aber fie thaten dies nur mit dem 
Vorbehalt, daß fie in der Beiprengung der Neugeborenen eine vor- 
bereitende, Später zu ergänzende Waffer- oder Namentaufe erblickten 2) 
und eine innere Wirkung von der wahren Taufe nur dann er« 
warteten, wenn das Bekenntniß des Glaubens feitend bes 
Zäuflings hinzukomme. Aber auch dieſe innere Wirkung dachten fie 
ſich nicht wie die herrfchende Kirche als eine übernatürliche Kraft 
zur Wiedergeburt, fondern als eine finnbildlihe Zuſicherung 
der göttlihen Gnade. Die Wiedergeburt, fagten fie, erfolgt 
nicht durch ein äußeres „Gnadenmittel“, ſondern durch die unmittel- 
bare Wirfung Gottes in dem Menjchenherzen; denn Joh. 1, 13 fteht, 
daß wir von Gott geboren werden 9). 

Sie waren fich volljtändig Har darüber, daß ihre Grundprin- 
cipien ebenjo wie ‚diejenigen der evangelifchen Kirche überhaupt e8 
völlig unmöglich machen, die göttliche Einfegung der Kindertaufe als 
Gnadenmittel mit Erfolg zu vertheibdigen. 


1) ©. oben ©. 89. 

2) Es ift dies auch der Standpuntt, den fpäter Caſp. v. Scwentfetb und 
feine zahlreichen Anhänger eingenommen haben. Im einem Briefe vom 5. April 
1543 erllärte er einem feiner Freunde, daß kein Kind durch die Taufe felig werbe, 
„jondern daß Jeſus Chriftus mit feiner Gnade beider, der jungen Kinber und 
der Alten, Seligmader fei“. Doc rieth er (wie früher auch Hubmeier), den bis- 
ber geübten feierlichen Akt als „Kirchentaufe“ (Baptisma ecclesiasticum) bei- 
zubehalten. Ms. 45. 9. fol. 374 der Herzogl. Bibliothek zu Wolfenbüttel! 

3) Es ift eine ftetS wieberfehrende Behauptung in den landläufigen proteft. 
Kirchengeſchichten, daß die „Myſtik“, nachdem fie von Luther überwunden 
worben fei, ſich in den Kreifen der „Täufer“ als Reſt des mittelalterlihen Katho- 
licismus fortgepflanzt habe. Um fo merkwürdiger ift folgender Ausſpruch F. C. 
Baurs Kirhengeih. d. neueren Zeit ©. 440: „Der Anabaptismus bat keinen 
Sinn für die myftifche Bedeutung des Glaubens, die den Proteftanten auch 
die Kindertaufe beibehalten läßt, und fett verfelben fein Berftandesinterefie 
entgegen“. Wo ift in biefem Falle die „Myſtik“? 


390 


Die Ereigniffe in Böhmen, welche fich bei der Verſammlung 
zu Lhota im Jahre 1467 vollzogen!), beweifen, daß die „Brüder“ 
überall dort, wo die Möglichkeit fich zeigte, die Rückkehr zu dem Ge⸗ 
brauch der apoftoliihen Jahrhunderte als ihre Pflicht betrachteten, 
und es ift ſehr merkwürdig, daß auch die „Eapiteldverfammlungen‘ 
zu Bafel in ven Jahren 1521—1522 fofort diefelbe Angelegenheit 
auf die Tagesordnung jegten. Aber zugleich geſchah dies in einem 
Geift der Mäßigung, der ſehr beachtenswerth ift. 

In einem Brief, welden Balthbafar Hubmeier unter dem 
16. Sanuar 1525 über die Tauffrage an Joh. Decolamıpad richtete, 
ipricht er fich wie alle feine Gefinnungsgenofjen principiell für 
die Spättaufe aus. Dann fährt er fort: „Statt der Taufe 
Lafje ich die Kirche zufammenkfommen und erkläre in deutſcher Sprache 
das Evangelium: “Man brachte Kindlein dar" (Matth. 9, 13 ff.). 
Dann wird dem Kinde der Name beigelegt; die ganze Gemeinde 
betet mit gebogenen Knieen für daſſelbe und empfiehlt es Chriftus, 
daß er ihm gnädig fei und für daffelbe bitte. Sind aber die Eltern 
noch ſchwach und wollen durchaus, daß das Kind getauft werde, fo 
taufe ich es und bin einftweilen ſchwach mit den Schwachen, bis 
fie befjer unterrichtet fein werden. Im Worte aber weiche id 
ihnen auch nicht im kleinſten Bunkte” 2. 

Der Schwerpunkt der Oppofition gegen die Taufe lag mithin 
. dei Hubmeier wie bei deſſen Freunden nicht fowohl und nicht in 
erfter Linie in der Laufzeit als in der Beitreitung der Durch Die 
Zaufe angeblich erfolgenden Wiedergeburt ?). 

Zudivig Hüter, welcher wie Hubmeier in der Zrabition der 
„Zaufgefinnten” zu den Vorlämpfern der Partei gezählt wird, hat 
gelegentlich erklärt, daß er die Ertheilung der Spättaufe nie für 
eine VBorbedingung der Seligkeit gehalten babe; er habe fogar, fagt 


1) ©. oben ©. 286. 

2) Der Brief ift abgebrudt in Oecolamp. et Zwinglii Epistolae 1536 
fol. 64%, 

3) Einer der erftien Züricher Täufer, Pfr. Ulrich, erklärte: „Ob fchon ber 
Menſch nicht mehr getauft würde und glaubte an das Leiden Chriſti, fo würde 
er nichts deſto minder behalten, Es ſteht Feine Seligleit in dem Kauf“. Egli E. 
Die Wiebertäufer in Züri ©. 96, 


391 


er, ein Mißfallen anihrer Einführung gehabt, was unter 
den damaligen Verhältniſſen ganz begreiflich ift '). 

Allein derſelbe Häter fpricht fich ganz entfchieven gegen bie 
übernatürliche Heilsfraft der Taufe aus. „O wie viel elenver, bes 
trübter Herzen”, ruft er aus, „hat mar vielen frommen Müttern ge- 
macht, die nicht anders vermeinten, denn ihre ungetauften Kinder 
würden verdammt”. Man bat „beionvere Stätten der Begräbniß 
hergerichtet, da man fie nicht zu anderen Menſchen begraben wollte, 
allein aus der Urfache, daß ſie Gottes Angeſicht nicht mehr 
feben werden” ?). 

Wer könnte leugnen, daß e8 reine und wohlbegründete Motive 
waren, welche in diefen Worten zum Ausprud Tommen ? 


1) Keim Ludw. Häßer in ben Jahrbb. f. deut. Theol. 1856 ©, 238, 
2) Keim a. a. DO. ©. 238, 





Siebzehntes Capitel. 
Die Schweizer Brüder, 


Die Refte der alten Gemeinden in der Schweiz. — Urtheile von Zeitgenofien 
über den Zuſammenhang mit ben älteren „Ketzern“. — Die „Ketzerſchule“ 
der „Spiritualen‘ zu Zürih im Jahre 1522. — Wie lautet die Tradition 
der Brüdergemeinden über ven Urfprung ihrer Partei? — Anfichten neuerer 
Forſcher. — Das erſte Herwortreten ber alten Gemeinde in Züri. — Eine 
vollftändige Organifation der Gemeinden in der Schweiz ift ſchon um 1521 
nachweisbar. — Im Herbft 1522 fchliegt fih C. Grebel der alten Züricher 
Gemeinde an. — Die Zins» und Zehntenfrage. — Die Verkümmerung ber 
alten Gemeinden. — Die Hauptftreitpuntte. — Die Einführung der Spät 
taufe im Jahre 1525. — Der literarifhe Kampf. — Die „Heiligen“. — Die 
Brüber des „freien Geiſtes“. — Der „Brubermorb“ in S. Gallen. — Die 
Ausbreitung der „Brüder“. 


Durch das Zufammenwirken fo bedeutender und ausgezeich- 
neter Männer, wie fie fich zu den Eapiteldverfammlungen in Bafel 
einfanden, wurde das wichtige Refultat gewonnen, daß man zugleich 
mit einer Verftändigung über die gemeinfamen Ziele eine Läute- 
rung und Klärung der uralten, aber vielfach verjtümmelten Tra- 
dition erreichte. Die Aufgabe, an welcher in den Kreifen der „Bru⸗ 
derſchaften“ feit mehr als fünfzig Jahren mit Hülfe der neuen 
Kunſt des Schriftprudes gearbeitet worden war, hatte in einer 
Verſammlung bewährter „Brüder“ einen gewiffen Abfchluß ge- 
funden. Die Zeit war da, daß man in die Altion eintreten 
konnte. 
Aber ehe noch die Früchte dieſer Geiftesarbeit vollitändig reifen 
und die Beichlüffe der „Sapitelsverfammlungen‘ zu allfeitiger Wir- 
fung gebracht werden fonnten, erhoben die Refte der alten Ge- 
meinden, welche fich in den Bergen dieſeits und jenſeits der Alpen 











393. 


in ben nieberen Vollsichichten erhalten batten!), das Haupt, und 
zwar trat an ihre Spite derjenige Mann des Bafeler Kreifes, der 
am meiften der Gefahr ausgeſetzt war, fich ganz von der Tradition, 
wie fie ihm in jenen „Brüdern“ in ihrer erftarrten Form gegen- 

übertrat; beherrichen zu Iaffen. 

Es wäre durchaus unrichtig, wenn man bie Bewegung, wie 
fie jeit 1522 unter Leitung Conrad Grebels ausbrach, mit dem 
ſächſiſchen Radicalismus gleichitellen wollte. Aber gleichwohl könnte 
doch nur eine unbiftoriiche Voreingenommenheit leugnen, daß auch 
bie Schweizer Brüder einzelne Ideen aufgeftellt und verfochten ba- 
ben, die den echten altchriftlicden Gemeinden des 13. und 14. Jahr⸗ 
hunderts entweder fremd waren, ober doch von Letteren in ganz 
anderem Sinne verjtanden wurben als von den Vorfahren. Man⸗ 
cherlei Mißverftändniffe und Entftellungen ver alten Lehre hatten 
fich in der trüben Zeit des 15. Jahrhunderts auch hier eingeftellt. 

Diejenigen Schriftiteller, welche aus einer folchen zeitweiligen 
Depravation Gründe gegen die Richtigkeit eines Shftems überhaupt 
ableiten zu dürfen glauben, überſehen meiftens, daß es in jeder 
Gemeinſchaft folche Perioden gegeben hat, und daß ſowohl in ver 
Tatholifchen wie in der Iutherifchen Kirche zeitweilig ‘Doctrinen die 
allgemeine Bilfigung gefunden haben, die heute Niemand mehr wird 
billigen wollen. 

Ich will bier nicht von jener religiöſen Efitafe reden, wie fie 
als Ausgeburten einer krankhaft erregten Phantafie z. B. in den 
Wallfahrten zum h. Blut nah Wilsnad (1475) und in den feit 
1500 beginnenden Kreuzwundern zu Tage traten — Erjcheinungen, 
welche die vielfach übertriebenen Vorgänge innerhalb gewiljer Täu⸗ 
fergemeinden noch weit überbieten —, aber man denke Doch nur 
an die Herenprocefje und die damit verbundenen unerhörten 
Ausichreitungen. Die berühmte Herenbulle Papſt Innocenz VII 
vom 5. Dec. 14842) hat die Herenverfolgungen auf Grund un⸗ 
fehlbarer Lehrentfcheivung in ein feites, noch heute im Princip 


1) Daß fie no um 1500 felbft unter dem Namen „Waldenſer“ in ber 
Schweiz bekannt waren |. bei Hottinger Kirhen- u. Ketergefch. der mittleren 
Zeit I, 30 ff.; 60 ff.; 66— 72, 

2) Abgebrudt bei Cherubini Bull, Magnum. Luxemb. 1742. T.I p. 429. 


394 


gültiges Syſtem gebracht; Sprengers Herenhammer und Eymerichs 
Leitfaden für Inquifitoren find zu einem normativen Anfehen in 
ber ganzen römifchen Kirche gelangt. Und wie bat fich die Luthe- 
riſche Kirche im 16. und 17. Jahrhundert zu den Hexenproceſſen 
geftellt? Die einzige Gemeinschaft, welche fich ftetS auch im Prin- 
cip gegen die Einwohnung von Dämonen in der Menſchenſeele er: 
Härt hat, find eben jene vielgefhmähten „Täufer“. 

Unter den zahlreichen, um das Jahr 1517 inner- und außerhalb 
bes Reiches eriftirenden „Brubdergemeinden‘' 1) ift es bekanntlich die 
Gemeinde zu Zürich geweien, welche zuerſt in die Deffentlichkeit 
trat und fich formell neben den berrfchenden Kirchen als felbitän- 
dige Gemeinfchaft conftituirt bat. Nah ihrem Vorgang bat fich 
dann weit und breit die Loslöfung vollzogen, und es find von da 
an zahlreiche Tochtergemeinden über ganz Weiteuropa bin gegrün. 
det worden. 

Es beftebt nun bis auf den heutigen Tag vielfach die Mei⸗ 
nung, es feien die Männer, welde an den Züricher Ereignifjen 
betheiligt waren, als ſelbſtändige Gründer einer neuen Kirche 
zu betrachten, deren Hauptmerkmal die Spättaufe gewejen fei, und 
deren Mitgliever den Namen „Wiedertäufer” erhalten hätten; 
bie Lehre und die Verfaffung dieſer neuen Kirche aber fei aus dem 
jeit Luther erneuten Bibelftubium erwachſen. Man ventt fich bie 
Vorgänge mithin etwa fo wie in Wittenberg, wo Luther allerdings 
ber. Schöpfer und Vater einer neuen Kirche geworben ift, welche 
unter: dem Namen ber „Lutherifchen‘ Gemeinfchaft feit etwa 
1523 Beſtand gewonneh bat, und die auf der Luther'ſchen Ausle- 
gung der Bibel, befonders des Paulus, in erjter Linte aufgebaut iſt. 

Schon die alten Gegner der Täufer find aus verjchiedenen 
Gründen bemüht gewejen, derartige Vorftellungen über den Ur- 
Iprung der Partei zu verbreiten; allein diefelben find in jeder Nic 
tung falſch und unzutreffend. 

Es ift allerdings wahr, daß Luther durch feine im Sabre 1522 


1) Die Gemeinbe der „Brüder“ zu Kitzbüchl in Tyrol iſt noch im Jahre 
1522 nachweisbar; „Diener des Worts“ war damals Thomas Herrmann, welcher 
fpäter als „Täufer“ belannt geworben if. S. Bed Geſchichtsbücher der Wie 
dertäufer ©. 56 Anm. 1, 








395 


erfchienene Ueberfegung des Neuen Teftamentes den alten Gemein- 
den in hohem Grade genügt hat, aber die Behauptung, dag Gre- 
bel, Manz, Blaurod u. A. erft feit den Tagen, wo fie dieſe Meber- 
fegung in die Hand befamen, auf ihre „anabaptiftifchen Ideen’ 
verfallen feien, ift völlig aus der Luft gegriffen. Steht es Doch 
feft, daß dieſe „Täufer“ von Anfang an den Gebrauch der Luthe- 
riſchen Ueberſetzung principiell abgelehnt haben und fib nur an 
die alte Meberjegung haben halten wollen — biejelbe Ueber⸗ 
fegung, welche feit der Erfindung der Buchoruderfunft innerhalb 
der „Brüdergemeinden“ minbeftens ebenfo verbreitet war, wie bie 
Iutberifche e8 nachmals außerhalb verfelben wurde. 

Es ift wahr, daß die Lehren und bie Kirchenverfaflung, 
wie fie von Zürich aus feit 1522 im Reiche befannt wurbe, für 
die Meiften etwas ganz Neues, ja Unerhörte8 waren; aber viele 
andere Männer, und zwar nicht bloß die Mitglieder der „Gemein- 
den’ felbft, jonvern auch deren Gegner, haben vom erjten Moment 
an deutlich zu erfennen gegeben, daß in ven „Täufern“ jene ur- 
alten „Keter" von Neuem ihr Haupt erhoben hätten, welche ebe- 
dem in Frankreich „Waldenſer“, in Deutjchland und der Schweiz 
„Brüder bes freien Geiſtes“, „Spiritualen” oder „Apoftolifche Brü⸗ 
der” genannt worben feien. 

So erließ unter dem 23. Januar 1525 der Official des Erz⸗ 
Bischofs von Lyon ein Edict wider einen Mann, welcher zu den 
nächften Freunden der uns befannten Anemund de Coct und Mi- 
chael Bentinus gehörte, nämlich Amadeus Macrinus. Darin heißt 
ed: „Es wachſen jegt aus der Aſche des Waldus neue 
Sprößlinge zahlreih auf und es ift nöthig, Daß man das 
Beiſpiel einer ſchweren und ernten Strafe ftatuirt” t).. 

Zehn Jahre fpäter ward von den Räthen des Erzbifchofs zu 
Köln ein Bericht über die anabaptiftifche Bewegung an Raifer Karl V. 
aufgefegt und eingereicht. Es iſt jehr wahrfcheinlich, daß der aus⸗ 
gezeichnete Theologe Johannes Gropper der Verfaſſer geweſen tft. 
Darin beißt e8 von den „Wiebertäufern”, daß fie fich „rechte 
Chriſten“ nennen, daß fie alle Güter theilen wollen u.f.w., „wie 


1) Herminjarb Corresp. des Ref. I, 324. 


396 


dann der Widerteuffer Art allezeit gewefen tft, als die 
alten Hiftorien und das Faiferlih Recht, vor taufend 
Jahren gemacht, bezeugen”. Der gelehrte Verfaſſer diefer 
Relation will offenbar andeuten, daß die Conftitutionen des Codex 
Juftinianeus aus dem 5. Jahrhundert gegen die „Wiedertäufer" 
ſchon diejelbe „Sekte im Auge gehabt haben, wie er fie im Sabre 
1534 vor fi ſah i). 

Wir haben oben bereits gefehen, daß im Volksmund während 
des ganzen 16. Jahrhunderts und weit barüber hinaus der Name 
„Täufer“ felten oder nie vorkommt, fondern daß zur Bezeichnung 
der „Brüdergemeinden‘ die uralten Namen der „Apoſtoliſchen 
Drüder”, „Spiritualen” u. f. w. gebraucht werben 2). 

Da tft ed nun wichtig, daß die nachmals fogenannte „Täufer⸗ 
gemeinde” zu Zürich, auf deren Gefchichte wir fofort zurüdfommen 
werden, längſt vor der Einführung der Spättaufe, d. h. jeit etwa 
1522 in den Gerichtsaften unter dem alten Namen der „Keber- 
ſchule“ erjcheint, und daß diefelden Männer, denen fpäter als 
„Wiedertäufern” der Proceß gemacht wurde, damals noch als „Spi⸗ 
ritualen” over „Spirituöfer” bezeichnet wurden ?). Kann es zweifel⸗ 
haft fein, daß die Richter damit diefelben „Ketzer“ meinten, welche 
unter eben dieſem Namen in den früheren Gerichtöprotocolien 
porlommen ? 

Die Mitglieder diefer Zuricher wie aller anderen Gemeinden 
nannten ſich wie vor Alters einfach „Brüder“ und „Schweſtern“, 
und ihr Zuſammenhang mit den Vorfahren war ihnen deutlich 
bewußt, wenn fie auch in der erſten Zeit ihres Beſtehens es ab- 
fichtlich vermieden haben, fich als die Nachfolger der alten „Ketzer“ 
öffentlich zu bezeichnen und damit die Anwendung der alten Keter- 
geſetze gegen ihre Glieder zu erleichtern. Während des ganzen Sahr- 
hunderts ward in den fogenannten „Qäufergemeinden‘ vie alte 
Pflicht der BVerfchwiegenheit aus guten Gründen fehr ftreng feft- 
gehalten, 


1) Die Relation ift ungedrudt; fie findet fi im Staatsardiv zu Münfter 
sub M. L. A. 518/19 Vol. IV. f. 172f. 

2) Bgl. oben ©. 10f. 

3) Egli Die Züricher Wiedertäufer. Zürich 1878 ©, 15. 














397 


Seit dem Moment aber, wo die Religionsfreibeit erkämpft war 
— es geſchah Dies zuerft in Holland im 17. Jahrhundert — haben 
die Nachfolger und Gefinnungsgenoffen der alten „Zäufer”, die in- 
zwijchen den Namen Mennoniten angenommen hatten, es einftimmig 
und mit aller Beftimmtheit öffentlich ausgefprochen, daß ihre Ge- 
meinſchaft dieſelbe Kirche fei, welche längjt vor der Reformation 
als „Ketzer“ und „Sektirer“ verfolgt wurden, und daß den Män- 
nern, die feit 1522 die „Gemeinden“ erneuert hätten, nichts ferner 
gelegen babe, als eine neue Kirche zu begründen. 

Die fämmtlichen älteren Chroniken diefer Partei, welche unter 
dem Titel der „Märtyrerbücher” befannt find !), heben ausdrücklich 
hervor, daß die fogenannten „Täufer“ feit vielen hundert Jahren 
in der Chriftenheit vorhanden gewefen und feineswegs erſt ſeit 1523 
aufgekommen ſeien. 

Dieſelbe Tradition iſt dann in allen lirchengeſchichtlichen Wer⸗ 
fen, ſoweit fie aus der Partei der „Taufgeſinnten“ hervorgegangen 
find, feit dem 17. Jahrhundert bis auf unfere Zeit feitgehalten 
toorben 2). | 

Ganz befonderes Gewicht aber lege ich Darauf, daß gerade bie 
ausgezeichnetften Kenner der mittelalterlichen „Selten“ in unferem 
wie im vorigen Jahrhundert genau zu bemfelben Rejultat gelom- 
men find, obwohl fie von der täuferifchen Tradition nicht beeinflußt 
waren. Hierzu gehörten der oben oft citirte 3. 2%. Mosheim, 
welcher gelegentlich jagt: „Die Waldenjer ... . . lebten nach der 
Weiſe der ſtrengeren Mennoniten 3), und ein andermal ausdrück⸗ 


1) Diefe Wartyrologien enthalten ein intereſſantes hiſtoriſches Material; ſie 
verdienten eine nähere Unterſuchung, zumal in Bezug auf ihre Quellen. Das 
berühmtefte Wert ift von Braght Het Bloedig Toeneel of martelaars Spiegel 
der Doops-Gesinde etc. 1615. 1631. 1660. 1685. 

2) S. Galenus Abrahams Verdediging der Christenen, die Doops- 
gesinde genaamt worden ete. Amsterd. 1699 p. 29. — Gerh. Roofe Un- 
fhuld und Gegenbericht der evangelifchen taufgefinnten Chriften u. f. w. Ratze⸗ 
burg 1702 ©. 26. — 3. 9. Halbertsma De Doopsgezinden en hunne her- 
kompst Deventer 1843. — Blaupot ten Cate Geschiedskundig onderzoek 
naar den Waldenzischen oorsprong van de nederlandsche Doopsgezinden Amst. 
1844. — U. M. Cramer Het Leven en de Verrigtingen van Menno Simons. 
Amst. 1837 p. Tff. 

3) Mosheim Instit. hist. eccl. Libri IV. Helmst. 1755 p. 488. 


398 


fich bervorhebt, daß er den Zuſammenhang zwifchen den Menno- 
niten und den Waldenjern nicht bejtreiten könne), ſodann aber 
ans neuerer Zeit die ausgezeichneten Kenner des Waldenſerthums 
und ber Gotteöfreunde T. W. Röhrich“), 9 W. Erbkam?) 
und Hermann Haupt‘). — 

Die Stadt Züri war als volfreiche und blühende Stadt ſo⸗ 
wie als Hauptort des führenden Staates in der Eidgenoffenfchaft 
feit alten Zeiten ein Hauptzielpunkt der flüchtigen Brüder gewefen, 
welche aus den fünlichen Gegenden als Reber vertrieben worden 
waren. Wir wiflen, daß die Verfolgungen dort auch im Anfang 
des 16. Jahrhunderts ihren Fortgang nahmen >). 

Unter den Männern, welche in den Züricher Procefacten zu⸗ 
erft als „Spiritualen”, jpäter als „Wiedertäufer” nambaft gemacht 
werben, fpielt ein gewiffer Balentin Gredig eine Rolle, von 
welchen ausprüdlich bezeugt wird, daß er aus Savoyen ftamnte®). 
Ebenfo werden Männer aus der italienifhen und franzöfifchen 
Schweiz, unter denen e8 nachweislich feit uralter Zeit „Waldenſer“ 
gab, in Zürich verurtheilt ). 

In aller Stille hatten die „Brüder“ in Zürich gelebt und 
unter dem Schleier des Geheimnifjes ihre Andachten gehalten. 


1) Mosheim a. a. DO. ©. 791. 

2) T. W. Röhrich Geh. der Reformation im Elſaß 1830 I, 326 fagt: 
„Dit leichter Mühe Liegen ſich die von I. A. Stard Geſch. der Taufe Lypzg. 
1789 ©. 132 beigebrachten Beweife vermehren, beſonders wenn die Gefchichte der 
erſten Wiebertäufer noch beſſer aufgeflärt wäre als fie es bis jet ift“. 

3) Erbkam Geld. der proteft. Selten. Gotha 1848 ©. 481. 

4) 9. Haupt Die religidfen Selten in Franken vor der Reformation 
Würzb. 1882 S. 59 fagt: „Luther verlor durch feine Parteinahme gegen bie 
bäuerliche und ftäbtifche Demokratie einen großen Theil feiner Popularität gerade 
in den Kreifen, denen er feine bisherigen Erfolge bauptfächlich verbantte.... und 
trieb namentlich das aus der waldenfifch-taboritifhen Sekte hervorge⸗ 
gangene Wiedertäufertfum ben anardiftiichen Parteien in die Arme. Es war 
dann nur eine nothwendige Eonfequenz, daß... . die Wiebertäufer..... zum 
großen Theile den Berfolgungen evangelifcher Fürften und Stäbte zum Opfer 
fielen“, 

5) S. oben S. 299. 

6) E. Egli Altenfammlung zur Geſch. d. Züricher Keformation. 1. Hälfte 
Züri 1879 Nr. 675 u. 795. Er bat an anderen bie Taufe vollzogen, alfo 
innerhalb der Gemeinde al8 „Diener des Worts“ gewirkt. 

7) So Wilhelm Exel aus dem Wallis, Egli a. DO. Ar. 691. 





399 


AS nun die große religiöfe Bewegung durch das Land zog 
und die Menfchen nach der Wahrheit zu fragen anfingen, da fand 
die Heine Schaar Zuzug von Einheimifhen und Auswärtigen, und 
e8 wurde bald ftabtbefannt, daß in Zürich eine „Ketzerſchule“ 
erijtire. 

So kam e8, daß im Frühjahr 1522 eines Nachts mehrere 
Ratholiten vor das Haus des Züricher Bürgers Claus Hottin- 
ger zogen und dort, wie in den Akten aufgezeichnet ſteht, laut 
ſchrien: „Du, Teufel Hottinger, fteh auf; nimm Deine Ketzer 
mit Dir und gebt in die KegerfhuleN)”. ALS diefe Sache 
zur Renntniß der Behörden gefommen war, wurden im Mai bes 
Jahres 1522 die Betheiligten vernommen, und es ftellte fich her⸗ 
aus, daß die „Keterichule” eine von vielen „Brüdern“ befuchte 
Andacht fer, bei welcher damals der Buchhändler Andreas auf 
der Stülzen als Lehrer thätig war 2). 

Claus Hottinger ift derjelbe, welcher einige Sabre darauf als 
„Wiedertäufer“ Hingerichtet wurbe?), und Andreas auf der 
Stülzen kennen wir bereit aus Baſel, wo er in der Zeit jener 
Sapitelsverfammlungen mit vielen anderen „Brüdern“ anweſend 
war. Die Spötter nannten ihn „Herr Leutpriefter”‘, und fein gan⸗ 
38 Verhalten macht es unzweifelhaft, daß wir in ihm einen „Apo⸗ 
ftel” der Brüdergemeinden vor uns haben. 

Diefe Gefellichaft des Hottinger und der mit ihm bverbrüber- 
ten Lorenz Hochrütiner, Hans Ockenfuß, Heinrich Aberli, Bartho- 
lomäus Pur u. A. ift es, in welcher wir dem Leutpriefter Ulrich 
Zwingli im April des Jahres 1522 bei einem freunbfchaftlichen 
Fleiſchmahl in der Faftenzeit begegnen). Es wurde dieſes Mahl 


1) Egli a. a. O. S. 85: Claus Hotlinger dicit: An der Uffart abent nächst- 
verschienen .... sigend iro etliche an sin hus kommen (und hettind) daran 
gestossen und angelütet und namlich im gerüft und gesprochen: du, tüfel 
Hottinger, stand uf! nimm dine Ketzer mit dir und gondindie 
Ketzerschuol! 

2) E. Egli a. O. ©. 85. 

3) S. Stähelin R., Die erften Märtyrer des ebangelifhen Glaubens in 
ber Schweiz. SHeibelberg 1883 ©. 205 ff. 

4) In den Alten bei Eglia.a. DO. Nr.233. Es wird berichtet, daß Zwingli 
fein Fleiſch gegefien habe. Das Belenntnig Frofchauers bei Egli a. O. Nr. 234 
enthält ganz fpecififch waldenſiſche Grundſätze. 


400 


in dem Haufe des Buchdruders Froſchauer gehalten, es waren 
dabei auch ein ungenannter Steinmeß und ein „Tiſchmacher“ zu- 
gegen. 

In denfelben Wochen hatten Claus Hottinger, Heini Aberli 
u. A. in dem Haufe Iacob Grebeld eine „Schenke der Evange- 
fifchen auf dem Lindenhofe verabrebet. Hottinger jagt aus, man 
babe dieſe „Schenke“ deßhalb halten wollen, um die Anhänger 
des Evangeliums dort zu vereinigen. Die Schenke fam zu Stande 
und e8 waren 34 Abgeoronete anmwefend. 

Bor diefer „Schenke hatten Hottinger und feine Freunde eine 
Berfammlung zu Baden gehabt, und man hatte bort die „Schenke“ 
auf dem Lindenhofe!) aus dem Grunde bejchlofien, weil „Briefe 
von Conſtanz gelommen feien; bie wollten fie (die Evan- 
geliichen) Hören und ſehen, ob fie die halten müßten, 
oder ob fie anders tbun müßten, denn ihr Xeutpriefter 
prebige?)”. 

Damit tritt uns bereit vor dem Frühjahr 1522 ein feit or- 
gantfirter Bund entgegen, deſſen Glieder auf die Befehle, die ihm 
von einer bejtimmten Stelle bezüglich veligiöfer Tragen zufommten, 
zu handeln pflegen. 

NNachweislich waren folde „Schenken unter den Brüdern feit 
Jahren gehalten worden. Als Claus Hottinger dem Aberli gegen- 
über äußerte: „Man bätte vor etwas Jahren den Unfern auf 
dem Land wollen verbieten, daß fie zufammen gingen zu Schenten 
und fonjt", .erwiderte Aberli: „Sa, man hätte denfelben den Kopf 
abgehauen” 3) Mean weiß ja, daß auf der Ketzere i die Tobes- 

ftrafe ftand. 

Man bat nun wohl gejagt, dag Männer, wie Hottinger, an- 


1) Man erinnere ſich, daß die „Brüder des gemeinfamen Lebens“ ihre An- 
daten „Collatien“ nannten. Diefer Ausbrud, welder von den nach dem 
Effen üblichen gemeinfamen Andachten herrührt, jagt genau bafielbe wie das 
deutſche Wort „Schente“. 

2) Egli a. O. Nr. 246, ©. 82. — Der Lentpriefter if höchſt wahrſcheinlich 
Ulrich Zwingli; die „Brüder“ waren ſchon im Frühjahre 1522 mit feinem Ber- 
halten nicht mehr ganz einverfianden. Die Kluft erweiterte fih von ba an fort- 
dauernd. | 

3) Soli a. a. O. ©. 84. 











1 


fänglich gute „Zwinglianer” gewefen feien; es ift im &egentheil 
zweifellos, daß Zwingli einige Jahre hindurch unter dem Einfluß 
der „Brüber” gejtanden bat, und daß dieſe Partei e8 geweſen ift, 
auf deren Schultern er fich zu Einfluß erhoben hat. Sie war es, 
an beren Spike er, nachdem er bereit8 am 3. Januar 1523 als 
Rathsverordneter in die Büchercenfur-Commiffion gelangt war 1), 
am 29. Januar feine erften großen Triumphe über feine Gegner 
davongetragen bat. 

Int Spätfommer des Jahres 1522 war Conrad Grebel?), 
erfüllt von den Ideen des Bafeler Freundeskreifes, nach Zürich 
zurüdgefehrt und bei den nahen Beziehungen, welche, wie wir ſahen, 
fein Bater zu Claus Hottinger und der „Ketzerſchule“ Hatte, war 
es natürlich, daß er fofort in den Verband der „Brüdergemeinde“ 
eintrat, in welchem Andreas u der Stülzen noch immer Pre- 
diger war. 

Es wäre nun ein großes Glück für die geſammte Partei ge 
weſen, wenn e8 Grebel gelungen wäre, dem Einfluß der reife, 
welche die Mehrzahl der Gemeinde ausmachten, einigermaßen das 
Gleichgewicht zu halten. Aber er gerieth alsbald ganz unter ihren 
Einfluß, und nun ward er gleichfam das Mundſtück, durch welches 
neben den alten, echt chriftlihen Traditionen zugleich zahlreiche 
Principien eines ftarf verfümmerten Gemeindelebens in ihrer vollen 
Schroffheit verkündet und verfochten wurden. 

Freilich muß hierbei berüdfichtigt werben, daß wir Grebels 
Grundſätze weder aus ſeinen eigenen Schriften ‚noch aus denen 
feiner nächften Mitarbeiter, fondern nur aus ben Relationen feiner 
Gegner oder aus Gerichtsprotocolien, die in ſolchen Fällen fehr vor- 


1) Soli a. DO. Nr. 319. 

2) Es ift fo lange unmöglich, über Grebel, welcher in der erften (jchweizeri- 
chen) Periode des Anabaptismus die wichtigfte Rolle gefpielt hat, ein endgültiges 
Urtbeil abzugeben, al8 die einzigen jchriftlichen Aeußerungen, die wir von ihm be— 
figen, nämlich feine Briefe, fo gut wie unbelannt find. Es beruhen gegen 60 
Driginalbriefe von ihm allein in ©. Gallen. Eine Monographie über ihn wäre 
fehr nothwendig. Doc würden umfaſſende Nachforſchungen an Ort und Stelle 
dazu unerläßlich fein. Es ſchlummert noch mandye Nachricht in Archiven und 
Bibliotheken. — Die Ouellen, fo weit fie zugänglich find, |. bei Bed a. a. O. 
S. 17 und in dem Artikel Meyers von Knonau ber Allg. D. opt. 8. v. Grebel. 

Keller, Die Reformation. 


402 


ſichtig verwerthet werben müffen, kennen. Es fteht feit, daß in 
Folge dieſes Umftandes ihm manches mißverftändlich zugemeſſen 
worden tft. 

Unter all den Streitpuntten, welche ſich Damals in Zürich er- 
hoben, hat feiner mehr und feiner früher dazu beigetragen, ven Bund 
Zwinglis mit den alten Freunden zu fprengen und im weiteren 
Verlauf die Nieverlage der „Spiritualen” zu befiegeln, wie die fo 
genannte Zins- und Zehntenfrage. 

In feiner Schrift „An den chriftlichen Adel deutſcher Nation‘ 
fagt Luther im Jahre 1520: „Aber das größte Unglüd deutfcher 
Nation ift gewißlich der Zinslauf..... Der Teufel hat ihn er- 
dacht und der Papſt wehe gethban aller Welt mit feinem Beftäti- 
gen” u. ſ. w.N). 

In Vebereinftimmung Hiermit war auch in den Kreifen der 
Züricher „Brüder“ die Meinung zum Glaubensjat geworben, daß 
die Zinfenfrage einer Reform bebürfe — ein Satz, der nur aus 
den Zeitverhältniffen verftanden werben Tann, über deffen Unhalt- 
barkeit aber ja heute wohl Nientand zweifelhaft ift. 

Dazu kam aber noch als ein weiterer Punkt die JZehnten- 
ftreitigleit. Die Weigerung vieler „Brüder, den Tatholifchen 
Sanonitern, Mönchen und Pfarrern den bisher üblichen Zehnten 
zu zablen, ift unbeftreitbar; aber die Motive find, fo viel ich fehe, 
noch nicht genügend erörtert. Seitdem viele Bürger und Bauern 
aus dem Verband der berrfchenden Kirche fich als ausgefchieden 
betrachteten — fie Hatten eigene Gemeinden gegründet — zogen fie 
die Conſequenz dieſes Schritte auch in Bezug auf die Zahlung 
ihrer Kirchenftenern — eine Folgerung, die uns heute ganz natür- 
Tich erfcheint, die aber damals den höchſten Unwillen weiter reife 
wach rief. 

Es wird in den Akten eine Reihe von Zeugen nambaft ge- 
macht, welche gehört haben wollen, daß Zwingli in dieſen wie in 
anderen Fragen anfänglich die Anſchauungen der „Brüder“ theilte2). 

Gegen diefe Theorien aber faßte der große Rath zu Zürid 

1) ©. die neuefte Ausgabe von Karl Benrath Halle 1884 (Schriften bes 


Bereins für Reformationsgeſch. 4) S. 78. 
2) Bgl. Egli a, D. Nr. 432. 


403 


am 22. Juni 1523 den folgenreichen Beichluß, daß Die Zehntrechte 
der Kirchen nicht angetaftet werden bürften, und fo war mit Be⸗ 
ftimmtheit vorauszufehen, daß eine Kirchliche Aeform, welche dieſe 
Zind- und Zehntfrage in ihr Programm aufnahm, niemals auf 
die Hülfe, fondern ſtets auf Die Gegnerfchaft des Magiſtrats werde 
zählen müfjen. 

Zwinglis weltgeübter Bli erkannte fofort die Sachlage, und 
e3 fteht feit, daß er am 25. Juni 1523 eine Predigt im großen 
Münfter gehalten bat, in welcher er fich auf den Standpunkt des 
Rathsbeſchluſſes ſtellte. Dagegen befiten wir eine Aeußerung Gre- 
bels vom 13. Juli 1523 1), worin er den Beſchluß vom 22. Juni 
entjchieven bekämpfte, und man weiß, daß er und feine Züricher 
Freunde diefe Oppofition mit großer Heftigleit fortgeführt haben. 

Es war ein verhängnißvoller Schritt, den bie „Brüber” hier⸗ 
mit tbaten. Inden fie fofort bei ihrem Bffentlichen Hervortreten 
gerade diefe Frage betonten, gewannen viele, und zwar auch fonft 
wohldenfende Männer, den Eindruck, daß dieſe und ähnliche, vor- 
wiegend fociale Probleme den Kernpunkt des Lehrſyſtems bilbe- 
ten, welches ja der Majorität ſelbſt der Züricher Bürger neu und 
unbefannt war. 

Da Zwingli feinen Grund hatte, die Fehler feiner Gegner zu 
vertufchen, fo bildete ſich alsbald eine öffentliche Meinung in und 
außerhalb Zürich8 dahin aus, daß Zwingli fich einer vorwiegend 
focialiftiichen Partei gegenüber befinde, die unerhörte Neuerungen 
lehre und im Grunde auf den Umſturz aller göttlichen und menſch⸗ 
lichen Ordnung hinziele. Es war die Erwedung folcher Vorftel- 
lungen ſeitens der Männer, welche die Büchercenfur in ber Hand 
hatten, um jo leichter, al8 Zwingli von vorn herein, wie feftiteht, 
feinen Gegnern die Möglichkeit Titerarifcher Vertheidigung abge- 
fhnitten bat, und außer der Zinsfrage manche andere Lehren ber 
„Brüder in der That von Zwingli mit vollftem Recht zurüdge- 
wiefen wurden. 

Jede nähere Unterſuchung würde, wie ich glaube, Die oben 
bereit8 von mir angebeutete Tchatfache beftätigen, daß das Ver⸗ 

1) S. Heberle Die Anfänge des Anabaptismus in der Schweiz in ben 


Jahrbb. für deut. Theologie 1858 ©. 232, 
26* 


404 


halten der Schweizer „Brüder” in dem Bejtreben feinen lebten 
Grund bat, die Einrichtung und Verfaffung bes alten Collegiums 
der „Apoſtel“, wie die altevangelifche Kirche des 14. und 15. Jahr⸗ 
hunderts e8 gekannt hatte, jegt auf Die Gemeinden felbft zu über- 
tragen. 

Es wird uns nämlich glaubwürdig berichtet, daß die Täufer 
in Zürich wirklich der Anficht waren, e8 fei verboten, feſte Wohn- 
fie den Geiftlichen in beftimmten Gemeinden anzuweiſen; die Die- 
ner des Wortes follten ohne Pfrünven und nach dem Vorbild der 
Apoſtel von Ort zu Ort wandernd predigenD). 

Viel verderblichere und nachhaltigere Folgen als biefer Irr- 
tbum bat die in der Schweiz aufgebrachte Lehre gehabt, welche auf 
Grund von Luc. 22, 25 nicht bloß den „Apofteln” die Ausübung 
politiicher Funktionen unterfagte, jondern dieſe Vorfchrift auf alle 
Gemeindeglieder und alle obrigfeitlichen ober ftäntifchen Aemter 
ohne Unterſchied ausdehnte. 

So beſtätigte ſich die Thatſache, die wir oben des Näheren 
erörtert haben, daß nämlich die alten Gemeinden, wie ſie um 1520 
beſtanden, ihrem ganzen damaligen Zuſtande nach nicht fähig wa- 
ven, wirkſam in die große Bewegung einzugreifen. Noch Hundert 
Jahre zuvor würden Die „Brüder” eine weit reinere Tradition ver⸗ 
treten baben 2). 

Wenn demnach in diefen Punkten unzweifelhaft verhängniß- 
volle Irrthümer ven „Spiritualen‘ — denn noch war ber neue 
Namen „Wievertäufer” nicht aufgelommen — zur Laft fallen , ſo 
kann man bezüglich anderer Differenzpunkte nicht das Gleiche ſagen. 

Bereits im Sommer oder ſpäteſtens im Herbſte 1523 forderten 
bie „Brüder“ durch wiederholte Deputationen den Zwingli auf?), 


1) Bgl. Joh. Calvinus, Brevis instr. adversus errores Anabaptistarum Arti- 
culus 5 (f. J. Calvini Tractatus theol. omnes. Amsterd. 1667 p. 364). — Bgl. 
den Ausfpruch des Täufers Peter Fuchs von Bülach: „Ein Präbicant foll wie 
die Apoftel das Gotteswort verkünden, ohne Sädel und Taſche, und keine 
Pfründbe darum einnehmen“. Egli Die Züricher Wiebertäufer. Zürich 1878 ©. 9%. 

2) Es find zum Theil ganz fonderbare Entftellungen der alten Tradition in 
diefen Kämpfen zu Tage getreten; allein es läßt fih fat immer der urfprüng- 
liche Grundgedanle dahinter erfennen. 

3) ©. Heberles Auffat a. a. O. ©, 235. 


‚405 


die in der Bildung begriffene neue Kirche nach den Grundſätzen 
der alten Gemeinden derart zu organifiren, daß unter Ausfchluß 
des ftaatlichen Eingreifens in die religiöfen Fragen von der Ma—⸗ 
jorität der Kirchengemeinde bie nothiwendigen Aenberungen bes 
Gottesdienftes u. |. w. beichloffen und zugleich. ver bisher unter- 
laffene Kirchenbann gegen offenbare Uebertreter der GSittenge- 
feße mieder in Uebung genommter würde. 

E8 Yag diefen Forderungen das uralte Princip der „Brüder” 
zu Grunde, daß evangelifche Gemeinden nicht wie Die römische Kirche 
eine Rechtsgemeinſchaft, zu welcher die Mitglieder auch bereits 
als Unmündige oder durch Zwang gehören konnten, ſondern frei- 
willige Vereinigungen folder Menfchen ſeien, welche ihren Willen 
kundgegeben haben, fernerhin im Glauben und im Gehorfam ihres 
Heilands oder (wie Lienhart Bleuler von Zollifon fagte) ihres 
„Hauptmanns” Jeſus Chriftus zu leben und zu wandeln. Gläu- 
bige, und nur Gläubige allein wollten fie auf Grund freien Ent- 
fchluffes in ihre Gemeinfchaft aufnehmen und diejenigen, welche 
diefem Entfchluffe Durch Verlegung des Gehorfams gegen Chrifti 
Befehle untreu wurden und es troß Ermahnung und Warnung 
blieben, wollten fie dur den Bann zeitweilig ober ganz aus- 
ſchließen. 

Zwingli lehnte bereits im Sommer 1523 die Wiedereinführung 
des Bannes ab!) Im Herbſte 1523 aber, nach der berühmten 
Detober-Disputation, erfolgte die formelle Einführung der Staats- 
firde in Züri, deren Spite ſich fofort durch Unterdrückungs⸗ 
maßregeln gegen die „Brüder“ kehrte. Seitdem das Urtheil in 
dogmatifch-Firchlichen Fragen dem großen Rath von Zürich anheim- 
gegeben war, konnten die Brüder auf die entjchievene Belämpfung 
auch ihrer religidien Ideen rechnen. Zwingli aber, welcher vom 


1) Dem Felix Manz, welcher bei einer der bezliglichen Eonferenzen die Aus- 
fchliegung offenbarer Verbrecher aus der Gemeinde verlangte, erwiberte Zwingli, 
das möge jener (Manz) jeldft thun. Darauf antwortete Manz, dies ſei nicht 
feine, fonbern Zwinglis Sade, da er nicht Bifchof fei wie Zwingli (Heberle 
a. O. ©. 237). Die Stelle ift jehr merkwürdig. Sollte Zwingli wirklich zeit- 
weilig innerhalb der altevangelifchen Gemeinde ein kirchliches Amt bejefien haben? 
— Aehnlich erflärte fpäter Grebel, Zwingli habe nicht gehandelt wie e8 einem 
„Hirten“ zukomme. 


406 


Detober 1523 an die Herrichaft über Die Hauptftadt des führenden 
Staates in der Eidgenoſſenſchaft unbeftritten befaß, war nunmehr 
im Stande, alle feine Gegner zu vernichten ). 

War Zwingli in einzelnen Fragen im Rechte gewefen, jo nahmen 
die Dinge jett eine Entwidlung, welche ihn und feine Partei entjchie- 
den ing Unrecht ſetzte. Schon im October 1523 batte Stumpf dem 
Zwingli mit Recht zugerufen: „Ihr habt def nicht Gewalt, meinen 
Herrn das Urtheil (in der Neligionsfrage) in die Hand zu geben“, und 
ein einfacher Mann aus Medikon, Hans Müller mit Namen, ſprach 
nach feiner Gefangennahme folgende beherzigenswertbe Mahnungen: 

„Wollet mir mein Gewiffen nicht befchweren, bieweil ber 
Glaube eine freie Gabe und Schenkung des erbarmenden Gottes 
und nicht Jedermanns Ding if. Das Geheimnig Gottes Tiegt 
verborgen und ift gleich einem Schag im Ader, den Niemand fin- 
den kann, er werde ihm denn vom Geift des Herren gezeigt. So 
bitt ih euch, ihr Diener Gottes, ihr wollet mir den 
Glauben laffen frei ftehen” 2. 

Diefe Bitte wurde dann allerdings nicht gewährt; alsbald 
wurde in der neuen Staatslicche das Verfahren der alten Kirche 
gegen die Ketzer für richtig erfannt und demgemäß fofort mit Ein- 
terferungen, alsbald auch mit Hinrichtungen vorgegangen. Felix 
Manz wurde am 5. Januar 1527 erträntt?). 

Zwinglis Haß gegen diejenige Partei, der er ehemals felhft 
angehört hatte‘), nahm von Jahr zu Jahr zu. Es gelang ihm 
in der That, derfelben ſchweren, unerfeglihen Schaben zuzufügen 


1) In Bezug auf das Bündniß zwiſchen Zwingli und dem Magiftrat äußerte 
der Täufer Mar Boßhard: „Meine Herren fehen dem Zwingli durch die Finger 
und der Zwingli Deinen Herrn“. Egli Die Züricher Wiebertäufer 1878 ©. 97. 

2) Egli Die Züricher Wiedertäufer. Züri 1878 ©. 96, 

3) Näheres darüber bei Egli a. DO. ©. 61. — Beachtenswerth ift, daß bie 
„Täufer in Uebereinftiimmung mit ben älteren Brübergemeinben überhaupt jeve 
Hinrichtung mißbilligten. Hand Bruppader von Zumilon fagte: „Eine Obrig- 
feit darf mit keinem chriftlichen Gemüth weder Mörder noch Diebe töbten; aber 
fie ſoll diefelben Taut den Worten des Paulus zwilchen bie Wände Iegen und bis 
zur Belehrung verwahren“. Egli a. DO. ©. 97. 

4) Heberle fagt mit Recht: „Ohne Zweifel waren feine früheren Ber- 
trauten und nımmehrigen Antagoniften berechtigt, ihn nunmehr des Abfalls 
von feiner Vergangenheit zu befchuldigen“. Die Anfänge des Anabaptismus im 











407 


und vor Allem die öffentliche Meinung weit und breit in feinem 
Sinne wider die „Aufrührer” in Bewegung zu feßen. 

Zu Anfang 1525 Hatte eine der Züricher Verſammlungen, 
welche nunmehr von den „Brüdern“ aus Nah und Fern durch 
Abgeordnete beſchickt zu werden pflegten, den Zeitpunkt für gelommen 
erachtet, — man erinnere fich der ähnlichen Verſammlung zu Lhota 
in Böhmen!) —, mit der öffentlichen Wiebereinführung der Spät- 
taufe vorzugehen. So wenig dies für die „Brüder“ eine Neuerung 
war, fo neu und überraſchend mußte die Maßregel der Majorität 
des Volkes erfheinen, und fo nahmen die Züricher Gelehrten den 
Anlaß wahr, einen neuen Seltennamen in Umlauf zu feßen: man 
erfand den Namen „Wievertäufer”‘, welchen die Partei ſelbſt, wie 
oben bemerkt, vom erften Moment an zurücdgewiejen und ftets als 
Spott- und Scheltnamen bezeichnet bat?), Derfelbe, rajch in Um⸗ 
lauf gefegt, gewährte für die Gegner den Vortheil, daß Uneinge 
weibte fich eine ganz neue Partei vorftellten, welche alle die Merk 
male an fi trage, die Zwingli und feine Freunde von ihr an 
den maßgebenden Stellen zur Kenntniß brachten. Nur ganz all 
mählich kamen einfichtige Männer von den fo erwecken Vorurthei- 
len zurüd?). 
der Schweiz a. O. S. 280. Zwingli war nach feinem eigenen Zeugniß urſprüng⸗ 
lich ſelbſt für die Spättaufe geweſen. Aber ſchon im Jahre 1525 predigte er, 
daß man die „Wiedertäufer“ enthaupten ſoll „kraft der Kaiſerlichen Rechte“. 
Ein Geſprech Balth. Hubmörs u. ſ. w. 1526 Bl. A. 32. 

1) S. oben S. 286. 

2) ©. die Schrift: Ein geſprech Balthaſar Hubmörs von Fridberg. Nicols- 
burg 1526. Bl. A. 41, wo Hubmeier den Namen zurücdweift. 

3) Es ift fehr bezeichnend, daß felbft Farel, ver doch dem befieren Zäufer- 
thum anfänglich vollkommen gleihftand, fich zuerft durch Zwinglis Schilverungen 
bat beeinflufien Yaffen (f. Herminjard II, 18f.). Zu Ende 1528 war er aber 
bereit8 anderer Anficht geworben und vertheidigte die „„Anabaptiften‘ gegen ibre 
Angreifer (Herminjard a. O. ©. 164), — Erasmus fchreibt wenige Monate 
nach dem Auflommen bed neuen Seltennamens (1525): „Avaoxlav jam pridem 
mussant ii, quos Anabaptistas vocant; aluntur et dogmatum monstra“ 
(Erasmi Opp. 1703 II, 911). Wenige Jahre fpäter war er zu total veränderten 
Auffafiungen gelangt. Er fchreibt unter dem 25. März 1529 an den Erzbifchof 
von Tolebo (Opp. II. 1175): „Anabaptistae, tametsi magno sint ubique 
numero, tamen 'nusquam obtinuerunt propriam ecelesiam. Hi vitae in- 
nocentia prae caeteris commendantur, sed ab reliquis quoque sectis 
opprimuntur, non solum ab orthodoxis“. — Ganz ähnlich Yautet fein Urtheil in 


408 


Es würbe die Erweckung derartiger Vorurtheile indeſſen nicht 
in dem Maße, als e8 gefchehen ift, möglich geworben fein, wenn 
nicht die Partei felbft ven Bemühungen ihrer Gegner wirkſam Bor- 
ſchub geleiftet Hätte. Alle die alten, zum Theil veralteten, mißver- 
ftandenen oder dem Mißverſtändniß ausgefegten Formen, Bezeich⸗ 
nungen und Bräuche !) follten wieder bervorgeholt und auf ganz ver- 
änderte Weltverhältniffe übertragen werben! &8 war ein Beginnen, 
welches undurchführbar war. Ich will bier, um von allem andern 
zu ſchweigen, nur auf die fchweren Mißverſtändniſſe aufmerkſam 
machen, die fich an bie von den „Brüdern gebrauchte alte Bezeich- 
nung „Gemeinde der Heiligen’ gefnüpft haben. 

Es ſteht feit, daß die „Brüder“, indem fie ſich und die ihrigen 
als die „Heiligen‘ bezeichneten, durchaus nicht die Abficht Hatten, 
dies Wort in dem damals gebräuchlichen Sinne von abfolut voll- 
fommenen Menfchen anzuwenden. Es war bei ihnen eine uralte 
Tradition vorhanden, nach welcher jenes Wort nichts anderes be- 
deutete al8 „Gläubige“ oder „Gemeindeglieder“, auch „Chriſten“ 
oder „rechte Chriften”. Im 16. Jahrhundert aber verſtand dies 
Niemand mehr; die „Heiligen” waren eben die von der römifchen 
Kirche Heilig gefprochenen Männer und Frauen, und diejenigen Ber- 
fonen, welche fih auf Erben dieſe Bezeichnung beilegten, waren 
natürlich Menſchen voll geiftlihen Hochmuths und unerträglicher 
Anmaßung. Das ernfte Dringen auf fittliche Erneuerung, welches 
fih unter ihnen fand, mußte befonders diejenigen, denen Dies an 
fih unbequem war, in folhen Vorftellungen beſtärken, und feine 


einem Briefe an Lubwig Ber vom 13. April 1529 (Opp. IU, 1186). Erasmus 
fagt ausdrücklich: „nee templum habent usquam nec regnum moliuntur 
nec ulla vi se tuentur et habere dicuntur multos moribus longe sincerioribus 
quam caeteri*“, 

1) Einer der Streitpuntte, in welche die „Spiritualen‘ mit Zwingli ge- 
riethen, war die Liturgie beim Gottesvienfte. Während Zwingli e8 für an- 
gezeigt hielt, manches katholiſche beizubehalten, forberten bie „Brüder“ bie firenge 
Anwendung des altwaldenfifchen Rituals und wollten 3. B. fein anderes Gebet 
beim Gottesbienite zulaſſen als das Vaterunſer. Vgl. Heberle in ber Zfchr. 
f. deut. Theol. 1858 ©. 238. — In Bezug auf die Einrichtung der Gemeinbe- 
verfaffung und bie Kirchenordnung beriefen fich die Züricher „Brüber” ebenfo vor- 
wiegenb auf Matth. 18, wie wir dies bei ben „„Waldenfern‘ des 14. Jahrhuu- 
derts gefeben haben. (f. oben ©. 67). _ 








409 


Berfiherung ver „Täufer“, daß fie fich weber für vollkommen, noch 
für ſündlos, noch für beifer als andere Menſchen hielten‘), Tonnte 
den ſtark erweckten Argwohn wieder bejeitigen. 
Es war ein Unglüc für die „Brüder“, daß mancherlei Ereig- 
niffe, welche fih in den plößlich überall berbortretenden alten Ge⸗ 
meinden der Schweiz unter den Aufregungen jener Jahre vollzogen, 
fehr geeignet waren, die Vorurtheile felbft befonnener Männer zu 
veritärfen. 

Es Hatten fich in den Gebirgsthälern der Schweiz außer den 
eigentlichen „Brüdergemeinden” auch die Nefte jener Theorien, welche 
man im 14. Jahrhundert ald „Sefte des freien Geiftes“ bezeichnete, 
erhalten. Seßt traten auch diefe Ideen wieder an das Licht, und 
es ift wahr, daß Die Männer, welche fie vortrugen, bemüht waren, 
fi an die Brüdergemeinden zu hängen. 

Allein ſchon ein Zeitgenoffe, der evangelifche Pfarrer Kepler in 
©. Gallen, ein heftiger Gegner der Täufer, erzählt in feiner Chronik: 
„Es baben vorgemelte Conrad Grebel und Felix Manz, Erzwieder- 
täufer, ob folhen groben Irrthumen und Fantaſieen ein [ehr groß 
Mißfallen gehabt, ift auch ſolchs angehende nit ihr Vornehmen 
gewejen. Derhalben fie Beide verurfacht, in dem Land Abbacell 
und Gotzhus wider folliche Irrthumb zu lehren und zu predigen‘‘ 2), 
Demgemäß hat auch bereits Egli feitgeftellt ), daß dDiefe fogenannten 
‚freien Brüder” von den eigentlichen Führern der Bewegung ver- 
pönt worden find, und wenn wir bei Keßler lefen, daß jene zulett 
auch ihrerfeitS die Führer der Täufer als „falſche Propheten” zu- 


1) Bullinger H. Der Wiberteufferen Urfprung 20. Zürich 1560 fol. 11 
fagt: „Sie ſchrüwend Träftig wider alle Hochfahrt, wider Frefien und Sau- 
fen, wider alle Gottesläfterung und grobe Lafter, fie führten auch einen Schein 
eines geiftlichen Lebens, waren ernftbaft.... rebeten wenig, bamit machten fie 
fi felbft ein Bermwunberen und etwas Anſehen bei den einfältigen frommen Leıt- 
ten, bie ba fpradden: "Man fage gleich von den Täufern, was man wolle, ich 
ſehe nicht8 an ihnen denn Ernft und höre nichts von ihnen, denn daß man nicht 
ſchwören und nicht unrecht, fondern Jedermann recht thun folle; bedünkt mich 
nichts unrechts fein. Alfo blendeten fie viele Leute bin und her in 
dieſen fanden“. 

2) Mittheilungen zur vaterländifchen Geſch. Herausg. vom hiſt. Verein zu 
©. Gallen. ©. Gallen (1866 Bd. V u. VD) ©. 304. 

3) Egli Die Züricher Wiebertäufer ©. 43. 


410 


rückgewieſen haben, welches Necht exiſtirt dann roch, hier von einer 
Partei zu reden? 

Um bie Art, wie man felbft bloße Unglüdsfälle, welche inner- 
halb der Gemeinden fich zutrugen, zur Vernichtung des guten Rufes 
derſelben auszubeuten gefucht hat, will ich hier nur jene jeit Slei- 
dans Commentarien in unzähligen Geſchichtswerken wiederholte Er- 
zäblung von dem ©. Galler „Brudermorb” berühren, welchen bes 
reits im Jahre 1526 Martin Bucer gegen Dend ausnukte, um 
biefen als Vertheidiger dejjelben zu brandmarlen ). Seitdem Va⸗ 
dians deutſche hiſtoriſche Schriften gedruckt vorliegen 2), find wir im 
Stande nachzuweifen, daß diefer „Brudermord‘ mit täuferifchen 
Grundſätzen nicht das mindefte zu thun bat, ſondern daß es ſich 
lediglih um die That eines geiftestranten Menſchen 
handelt. Joachim VBadian war damals Bürgermeifter und Unter 
juchungsrichter in der Angelegenheit, welche fich zwiſchen Lienbart 
und Thomas Schuder in der Nacht vom 7. auf den 8. Febr. 1526 
zu ©. Gallen zugetragen bat. Er giebt ung eine ausführliche Schil- 
derung des Vorganges und fagt: „Wie aber dem Thomas gejchehen 
ſei (d. h. als er nach feinem Bruder fchlug), ob er des Weins zu 
viel genommen oder in anderem Weg feines Gemüths entſetzt wor- 
den: ift er gegen nahenden Tag, nämlich den achten Tag Hornung 
(ed war der unfinnig Donnerftag, wie man ihn im Thurgau nennt), 
zugefabren und feinen Bruder Lienharten ... . . das Haupt abge- 
ſchlagen“. Alsbald darauf fei Thomas „ohne Wams und Schuh 
in bloßem Hemd und Hoſen“ in fein (Vadians) Haus gelaufen ge 
fommen und babe gejagt, e8 jei Eſſig und Galle getrunfen, ohne 
jeiner That zu gedenken. Vadian ließ ihn Darauf, da er „wohl 
ſah, daß er nicht recht war und er fich Arges zu ihm verſah“, 
einfperren. Als man ihn fpäter ins Verhör nahm, führt Vadian 
fort, jah man wohl, daß Thomas „auch eigentlich nicht bei 
Sinnen war”, 

Der Schluß der Darftellung Iautet: „Und e8 trug fein Jeder⸗ 
mann Kummer. Denn er, Thomas, auch ein ftark, perfönlih Dann 
gewejen und alle feine Freundſchaft ein frommes, aufrichtiges und 


F, 1) gl über diefe Verleumdung meine Schrift: Ein Apoftel u. ſ. w. ©. 171. 
2) Herausg. von E. Ödkinger ©, Gallen 1877. 














411 


redliches Volt war. Denn der Taufhandel bat in jenen Qagen 
Niemand mehr angegriffen und beftridt, denn die von Art eines 
frommen und einfältigen Wefens waren”. 

Wenn hier wirklich ein Verbrechen vorgelegen hätte, wie hätte 
Vadian eine ſolche Schilderung geben können?!). 

Es ift Hier nicht unfere Abficht, den Verlauf der Schweizer 
Creigniffe im Einzelnen zu verfolgen. Dan darf als befannt vor- 
ausſetzen ?), daß trotz der Hinderniſſe, auf welche Die Bewegung ftieß, 
eine außerorventlich raſche Ausbreitung über fast alle Schweizer 
Cantone ftattfand?), und daß die bärteften Maßregeln der Negie- 
rungen, und felbjt der Verluſt der Führer wohl eine gewiffe innere 
und äußere Zerrüttung der Gemeinden, aber Teineswegs ihre Aus- 
rottung zur Folge hatten. 

Gleichwohl darf mit voller Sicherheit behauptet werden, daß 
die altevangelifche Kirche zu einer dauernden gefchichtlichen Eriftenz 
nicht gefommen fein würde, wenn die Bewegung in denjenigen 
Bahnen geblieben wäre, auf welche fie in der Schweiz unter dem 
porwiegenden Einfluß der Mitglieder jener zurücgebliebenen &e- 
meinden gerathen war. 


1) No im neueften Bande von Herzog und Plitts Realenchel. der prot. 
Theol. 2. Aufl. (1883 Art. Ring) fructificirt Hochhuth diefen „Brubermorb“, um 
den Mel, Rind als „Schüler Thomas Schuggers“ zu brandmarken. Ich babe 
um Beweife für dieſe fonderbare Behauptung gebeten, aber keine Antwort er- 
halten. So werben bie alten Berläumbungen fortwährend von Neuem für zweck⸗ 
entiprechend gehalten. 

2) Die befte Darftellung dieſer Ereigniſſe [. bei H. ©. Burrage A History 
of the Anabaptists in Switzerland. Philadelphia 1881. Dort find alle früheren 
Bearbeitungen und alle gedruckten Quellen mit großer Bollftändigfeit zufammen- 
geftellt. 

3) Es laſſen fich genauere ftatiftifche Angaben vorläufig nur über den Can- 
ton Zürich maden. E. Egli (Die Züricher Wiebertäufer Zürich 1878) thut 
dar, daß in den Jahren 1523—1525 an 6 Orten des Cantons, in den Jahren 
1525—1527 bereit8 an 26, in den Jahren 1527—1531 an 56, in den Jahren 
1531—1535 an 70 Orten Täufer vorhanden geweſen find. Dabei muß man bes 
denken, daß bei der geheimen Ausbreitung fich bei weiten die meiften Vorgänge 
unferer Kenntniß entziehen. Aehnlich wie im Kanton Zürich war e8 in den Can⸗ 
tonen S. Sallen, Schaffhauſen, Bafel und Bern, fowie in Grau- 
bünden. Alein im Gebiet. von Bern waren in wenigen Jahren 34 Berfonen 
als Täufer hingerichtet. — Dieſes Refultat war troß der heftigiten Belimpfung 
„durch Feuer, Schwert und Waſſer“ erreicht worden. 





412 


Die Trübungen der alten und reinen Tradition mußten in 
Verbindung mit einer Reihe anderer unglüclicher Umftände noth⸗ 
wendig auch die berechtigten Gedanken der alten Gemeinden mit 
ins Verderben ziehen, wenn es nicht gelang, von anderen Aus. 
gangspunkten ber und durch andere Männer die Bewegung jelb- 
ftändig wieder aufzunehmen und unter Vermeidung jener Entftel- 
[ungen die unverfälfchten Ideale ber altdeutfchen Oppofition ſoweit 
als möglich zu retten. 

Allerdings ftand dabei fo viel von vornherein feft: Die Männer, 
welche e8 nach den Schweizer Ereigniffen wagten, die Grundgedanken 
der „Schweizer Brüber” in ihr Programm aufzunehmen, mußten 
auch für fih auf all den Haß rechnen, welchen jene zum Theil 
ohne, zum Theil mit ihrer Schuld auf fich geladen Hatten. Es 
war ein fchwieriges Beginnen, ein Beginnen, welches von vornherein 
mit Vorurtheilen aller Art, felbft bei wohlventenden Männern zu 
kämpfen hatte, und das im beiten Falle vorausfichtlich Doch nur da⸗ 
bin führen fonnte, neben den neuen Staatskirchen wenigftens zur 
Duldung zu gelangen. 


Achtzehntes Eapitel. 
Die große Zeit der altevangelifchen Kirche. 


Die zweite Periode des fogenannten Anabaptismus feit 1526. — Die Führer 
biefer Bewegung: Dend und Hubmeier. — Das Anfehen dieſer Männer bei 
ben fpäteren „Taufgeſinnten“. — Unterfchieb der erſten und zweiten Periode 
ber Brübergemeinben. — Der Beginn ber Altion in Nürnberg. — Die erfte 

‚und zweite Synobe der Brüder zu Augsburg 1526 und 1527. — Die Re- 
fultate der Berathungen und Dends Büchlein von ber Liebe. — Die Fitera- 
tur der Brüder in jenen Jahren. 


Die allgemeine Lage, wie fie fich zu Ende des Jahres 1525 im 
Reiche geftaltet hatte, war die, daß nach der großen Niederlage Des 
britten Standes die fürftliche Gewalt abfolute Herrin innerhalb ihrer 
Territorien geworben war; noch nie in der deutſchen Geſchichte waren 
Bauern und Bürger fo tief gevemüthigt wie nach dem fogenannten 
Bauernkrieg. Gleichzeitig mit dieſem großen Erfolg des Fürften- 
tbums hatte daffelbe auch die Führer der geiftlichen Gewalt auf 
beiden Seiten zu Bundesgenoſſen gewonnen, und die Lutheraner wie 
‚ die römischen Geiftlichen zogen mit an dem Triumphiwagen des fieg« 
reichen Theiles. 

Unter diefen Umständen wäre felbft der Beginn eines Unter- 
nehmens, welches eine Gemeinfchaft begründen wollte, Die weder 
lutheriſch noch römiſch, noch ſtaatskirchlich in irgend einer Form fein 
wollte, unmöglich gewejen, wenn nicht jene geiftigen und materiellen 
Faktoren, die wir oben im Deutichen Bürgertfum und zwar vor- 
nehmlich in den von diefen getragenen Bauhütten und den Bruder- 
haften kennen gelernt haben, mit einem bevundernswerthen Opfer- 
mutb für die von allen Seiten bedrohten religiöfen Principien in 
den Kampf getreten wären. 


414 


Es iſt ſowohl von Zeitgenoffen wie von fpäteren Autoren längft 
hervorgehoben, aber in der Gegenwart doch noch nicht genügend be- 
fannt, daß die erfte Beriode bes fogenannten Anabaptismus mit 
der gewaltfamen Zurückdrängung der „Schweizer Brüber” ihren Ab⸗ 
ſchluß findet, und daß feit 1526 eine neue Bewegung einfetst, welche 
bie gemäßigteren Elemente der im Rüdzug begriffenen alten Gemein- 
den aufnimmt und unter neuen Führern von Oberdeutjchland aus 
mit großartiger Machtentfaltung eine neue Periode der altevan- 
gelifchen Kirche einleitet. 

Schon Sebaftian Frand, der in diefen Dingen als ſehr unter- 
richteter Angenzeuge ein competenter Beurtheiler ift, hat die Unter 
ſchiede zwiſchen Der fchweizerifchen und der oberbeutichen Periode des 
Anabaptismus hervorgehoben und den Beginn der großen allgemeinen 
Bewegung des Täufertbums in das Jahr 1526 gefekt. 

In durchſichtiger Tendenz werden überall die fchroff formulirten 
und zum Theil entjtellten PBrincipien ver verlümmerten Brüderge⸗ 
meinden in der Schweiz als die eigentlichen Kennzeichen des „Zäufer- 
thums“ Hingeftellt; prüft man aber die Quellen, fo zeigt fich die 
Thatjache, daß Diejenigen Führer der Altevangelifchen, welche von den 
Zeitgenofjen wie von den Nachlommen als folche in erjter Linie an- 
erfannt worden find, von den Verirrungen der ſchweizer Nadicalen 
nicht bloß in der Zins⸗ und Zehnten-Frage, fondern auch in der 
Auffaffung von der Obrigkeit u. ſ. w. vollftändig frei gewejen find. 

Die rechtgläubigen Parteien haben ſich den Kampf gegen dieſe 
Richtung dadurch erleichtert, daß fie bemüht geweſen find, folche 
Männer als die eigentlichen Träger des „Anabaptismus” in den. 
Vordergrund zu jchieben, deren Verkehrtheit Leicht zu demonſtriren 
war. Gerade da die altenangelifchen „Gemeinden“ e8 ſtets prin- 
ciptell abgelehnt haben, fich auf die Autorität irgend eines einzelnen 
Theologen ausjchlieglich zu ftüten, fo war die Möglichkeit gegeben, 
einen oft genannten Namen als maßgebenden Nepräfentanten der 
„Brüdergemeinden“ auch dann hinzuftellen, wenn bie Partei den- 
felben niemals al8 einen ihrer Führer anerkannt hatte. 

Auch im 16. Jahrhundert find die „Brüder ihrem Brincip, 
dag ſie fih allein an Chriftus und feine Worte als ihren einzigen 
Führer und ihre einzige „Bekenntnißſchrift“ halten wollten, nicht 














415 


untreu geworden, und einen Dann, der Luthers oder Zwinglis Stel- 
lung eingenommen hätte, hat e8 bei ihnen nicht gegeben und Tonnte 
es nicht geben. 

Aber dennoch bezeugen ſowohl die Chroniften der fpäteren „Zauf- 
gefinnten‘ mie die gleichzeitigen „Brüber” und vor Allem auch Deren 
Gegner, dag beftimmte Männer im Neformationszeitalter das Vers 
trauen der ihrigen mehr al8 andere befejfen haben, und eine un⸗ 
partheitfche Geſchichtſchreibung wird fi, wenn fie die wahren Mei- 


nungen der „Täufer“ Tennen lernen will, eben an dieſe Repräſen⸗ 


tanten und an feine anberen zu halten haben. 

Da ift es nun fehr wichtig, daß Wolfgang Capito, ber 
von allen Reformatoren den altevangelifchen Gemeinden vielleicht am 
nächiten geftanden bat, in einem Brief vom 31. Juli 1528, nad 
dem er von den Häuptern und Führern der Täufer gehandelt bat, 
äußert: „Derjenige Anabaptift täufcht fich daher, welcher in mir einen 
tröftlichen Erfag für die mit Schmerzen vermißten Hubmeier und 
Dend gewinnen zu können meint‘). 

Joachim Vadian ferner, welcher die Entwidlungsgefchichte des 
„Täuferthums“ auf das allergenauefte kannte, hat es im Jahre 1540 
ausgefprochen, daß Hubmeier, Dend, Hätzer und Grebel als 
die Begründer der reformatorifchen „Brüdergemeinden“ galten 2). 

Sebaftian Frand erzählt: Im Jahre 1526 erhob jich eine neue 
Partei, „veren Vorſteher und Bifchöfe waren Dr. Balthafar 
Hubmeier, Melchior Rind), Joh. Hut, Joh. Dend, Lud- 

1) Zwinglii Epistolae II, 208. 

2) Joachimi Vadiani Epistola ad Jo. Zuiceium Gonstantiensem Cal. Aug. 
MDXL vor deſſen Antilogia ad clarissimi Viri Gasparis Schwenkfeldii Argu- 
menta. : Diejer Brief ift zum Theil abgebrudt bei 3. C. Füßlin Beyträge zur 
Erläuterung der Kirchen.⸗Ref.⸗Geſch. u. ſ. w. Bb. V. (1753) ©. 396 Anm. 8. — 
Aus diefem Briefe erhellt, jagt Füplin, „daß alle vier (Hubmeier, Dend, 
Hätzer und Grebel) gejhidte und tüchtige Leute geweſen“. 

3) Ueber Rind vgl. ven Brief Witzels an M. B. F. 1531 Dec. 24: „Rin- 
chium veterem sodalem per literas monui, ut anabaptismo renuntiaret et do- 
ceret, quae propius ad salutem animarum faciunt, sed in proposito perstat. 
Vir est incredibili fortitudine, vita austera et excellenti eru- 
ditione, si modo favente deo ab illa retingendi dementia avocari posset“. 
Cornelius I, 53. — Die neueften, aber allerdings zum Theil erfunbenen Nad- 
richten über Rind giebt Hochhuth bei Herzog und Plitt Realenevel. 2. Aufl, 
Art. Ring. 


“ 


410 


wig Hätzer. Deren Lauf ging fo ſchnell, daß ihre Lehre balb das 
ganze Land burchzog und fie bald einen großen Anhang erlangten 
und viele auch guter Herzen, die nach Gott eiferten.... . zu fi 
zogen”. „Denn fie lehrten im Scheitt nichts denn Liebe, Glauben 
und Kreuz, erzeigten fich in vielen Leiden gebulbig, vemüthig, brachen 
das Brod mit einander zum Zeichen der Einigkeit und Liebe, halfen 
einander treulih”. „Sie Hielten fih zufammen und nahmen fo 
jäbling zu, daß die Welt fich eines Aufruhrs vor ihnen beforgte, 
beifen fie aber doch allenthalben, wie ich höre, unſchuldig gefunden 
worben find. Und man griff nach ihnen an viel Orten mit großer 
Tyranney“ 1). 

Der zeitgendffifche römiſch⸗katholiſche Chronift Kilian Leib, 
Prior zu Rebdorf und Freund Willibald Pirfheimers, jagt ganz 
ausprüdiih: Balth. Hubmeier und Joh. Dend feien die Ur- 
heber jener „Belt“ gewefen, welche als Wiebergetaufte an verfchie- 
denen Orten zur Strafe gezogen worden feien?). 

In den Gerichtsprotocolien, welche fih aus jenen Jahren zu 
Reutlingen erhalten haben, jagen die gefangenen Täufer aus, ihre 
Führer feien: Balthafar (feil. Hubmeier), Dend und Häter?), Im 
ganz Schwaben galten unter den Brüdern, nach dem von Theod. 
Keim aus den Urkunden gefammelten Zeugnifjen, Dend und Hub» 
meier al8 Wortführer der Gemeinſchafty. Aus Thüringen berichtet 
Yuftus Menius, daß „etliche ver Täufer ARottenmeifter” „ich hören 
Tießen, daß fie vom Hanſen Denken gelernt hätten‘ 5). 

Die Männer, weldde in der Pfalz feit 1527 als Vorkämpfer 
des „Anabaptismus” auftraten, befannten fich öffentlich als Dencks 
Schüler 9). 

1) Chronika, Zeytbuch und Gejchychtbibel u. ſ. w. 1565 fol. 164 (Gremplar 
der Paulin. Bibliothek zu Münſter). 

2) Döllinger Beiträge zur politifchen, kirchlichen u. Culturgeſch. u. f. w. 
3b. 11,516: „Hoc (scil. Balih. Hubmeiero) itaque et quodam Joanne Denckio 
autoribus pestis illa rebaptizantium diversis locis poenas luit“, 

3) Gayler Dentwürbigleiten ver Stadt Reutlingen 1840 ©. 317. 

4) Keim Schwäbiſche Reformationsgeſch. ©. 61. 

5) Der Wiebertäufer Lehre u. Geheimniß u. |. w. 1530. 

6) S. Bullinger Der Wiebertäufer Urfprung u. |. w. Zürich 1560 fol. 16. 


— Bol. Bucer an Zwingli d. d. 1527 Aug. 13 (Zw. Epp. Il, 81): „Plus ni- 
mium illic (in der Pfalz) adhuc vigeat spiritus Denckiani“. 





417 


Heinrid Bullinger nennt den Dend „eine vornehme Säule 
des Wiedertaufs und der Wiebertäufer Führer”. Martin Bucer 
bezeichnet denfelben als „Papſt“ unter den Täufern; Urbanus 
Rhegius fpricht in dem gleichen Sinne von Dend als dem „Abt” 
der Brüder; Berthold Haller fchreibt am 2. ‘Dec. 1527 an Zwingli, 
Dend, der „Anabaptiften Apollo”, fer zu Bafel geftorben, und 
Ihon im Jahre 1526 fonnte ein gewiſſer Gynoräus verfihhern, Dend 
jet das „Haupt der Wiebergetauften‘‘ 1). 

Genau auf daffelde Refultat werben wir geführt, wenn wir 
die polemifchen Schriften purchmuftern, welche in jenen Jahren von 
katholiſcher wie reformatorifcher Seite gegen bie „Anabaptiften,” 
publicirt worden find. Es eriftirt kaum eine einzige dieſer Streit- 
fchriften, in welcher nicht ausdrücklich auf Hubmeier, Dend oder 
Hätzer oder deren unmittelbare Schüler Bezug genommen wird 2). 

Selbft für Zwingli war, wie feine bezügliche Streitfchrift aus 
dem Juli 15273) ergiebt, der Kampf gegen feine Schweizer Gegner 
damals bereit8 beendet; die Männer, welche er namhaft macht, find 
Dend, Hätzer und Kautz. 

Ueberhaupt läßt fich beobachten, daß ſelbſt in der Schweiz feit 
etwa 1528 nicht mehr Grebel, Manz und Andere, fondern Hub» 
meier, Dend und Häter als die annerfannten Repräfentanten des 
Täuferthums galten. ‘Der ehemalige Comthur zu Küßnacht und 
intime Freund Zwinglis, Conrad Schmid, welcher fchon bie 
erjten Züriher Kämpfe miterlebt hatte, nennt in feiner Schrift 
über die Disputation zu Bern (1528) den Hans Dend „per Wie- 
bertäufer Hauptmann”*). 


1) ©. Keller, Ein Apoftel der Wiebertäufer Lpz. 1882 ©. 7. 

2) Bullinger Der Wiebertäufer Urfprung 1560 Vorrede BL. bb. 1 hebt 
hervor, daß faft „fein gelehrter und treuer Diener Ehrifti gewefen ift, ber nit 
der Wiedertäufer gedacht habe“. „So bat inſonders wider fie geichrieben feliger 
Gedächtniß Dr. M. Luther, Huldreich Zwingli, Dr. Joh, Decolampad, M. Bu- 
cerus, Urb. Rhegius, Joh. Calvinus, Juſtus Menius und viele andere Diener 
der Kirche und bochgelehrte Leute mehr”. 

3) Zwingli Huldr. In catabaptistarum strophas elenchus. Tiguri prid. 
Cal. Aug. 1527. 8%. (Wieder abgedrudt in Oec. et Zw. Epp. libri IV etc. Bas. 
1536 f. 81b—113».) 

4) „VBerwerffen der Artideln und Stüden, fo die Wiebertäuffer uff dem 
gefpräch zu Bern vor erfamen großen Rabt fürgewendt habend“. Die Schrift 

Keller, Die Reformation. 27 


418 


Aber nicht nur bei den Zeitgenofien 1), fondern auch noch in 
fpäteren Epochen haben die genannten Männer, zumal Dend und 
Hubmeier, als die vornehmften Autoritäten der nachreformatorifchen 
Brüdergemeinden gegolten. 

In Bezug auf Nürnberg bezeugt der Chronift Bonif. Teu⸗ 
fenbach um das Jahr 1555, daß „noch Samen von ſolchen ohn- 
mächtigen Leuten (Dendianern) übergeblieben fei; wenn man fie 
nicht Tennte”, fährt er fort, „wollt ich fie frei mit Namen nennen, 
rechte natürliche Wiedertäufer” 2). Um biefelbe Zeit warb Dends 
Name in die Lifte der verbotenen Schriftfteller aufgenommen, welche 
zu Mailend und zu Venedig gebrudt wurde. Im Jahre 1559 
Hat Bapft Paul IV. Dends Schriften ebenfall8 auf den Inder ge 
ſetzt). Im Jahre 1576 gab Dr. Casp. Trand zu Ingolftabt einen 
Ketzerkatalog heraus, in welchem er Dend und Hubmeier feine be 
fondere Aufmerkſamkeit widmet und unter den Vorftehern der „Drei 
fürnemen Sekten, nämlich der Iutherifchzwinglifchen und wieber- 
täufferifchen” unter Anderen den Balth. Hubmeier, Hans Denck, 
Melchior Aind nambaft macht‘). Einige Jahre fpäter (1582) be- 
ftätigt der Bifchof von Pomefanien, Wigand, daß Joh. Dend der 
Anabaptiften „Bahnenträger” feis), und derartige Zeugniffe ließen 
fih vielfach beibringen. 

Auch in der Literatur der nachmaligen „Zaufgefinnten‘ felbft, 
die allerbings aus gleich zu erwähnenden Gründen immer mehr in 
Verfall Tam, find die Spuren Dends fortdauernd zu verfolgen. 
findet ſich auf der Berner Bibliothel. Ich verbanke diefe Notiz dem Herrn Lic. 
theol. O. zur Linden. — Es ließen ſich dieſe Zeugnifje für Dends und Hub- 
meiers Bebeutung aus ben gleichzeitigen Quellen noch erheblich vermehren. Doch 
glaube ich an diefer Stelle darauf verzichten zu follen. 

1) Der vortrefflihe Auffag Heberles Johann Dend und bie Ausbreitung 
feiner Lehre in den Theol. Studien und Kritiken 1855 S. 817 ff. ftellt die Be⸗ 
weife für Dends Einfluß in den verfchiebenften Länbern zufammen. „Am Rhein, 
in der Schweiz, in Franken, in Schwaben bis nach Mähren hinein zeigt fich uns 
ums Jahr 1527 der Einfluß feiner Theologie“ (S. 865). 

2) Will Beyträge zur Geſch. des Antibaptismus 1773 ©. 3, 

3) Reufch Der Inder. Bonn 1883 ©. 231. 

4) C. Frand Ortr. Dr. theol. Catalogus Haereticorum , das ift warbafftige 


erzelung u. ſ. w. Sngolftabt 1576 ©. 257 f. 
5) Wigandus De Anabaptismo etc. Lipsiae 1582 p. 448: Joh Denckius — 
antesignanus Anabaptistarum. 


419 


Im Jahre 1581 fehrieb der in den oberbeutfchen Brüdergemeinden 
wohlbefannte Sebaftian Kremfer eine Sammlung von ſolchen Trac- 
taten nieder, welche in feiner Gemeinjchaft ein bejonderes Anſehen 
genofjen 1). In Diefe Sammlung bat er auch Dends Schrift: 
„Die Ordnung Gottes” mit aufgenommen. Im Jahre 1618 ward 
bon einem anderen „ZTäufer” eine ähnliche Colleftion veranftaltet, 
welche drei Schriften Dencks enthielt, und im Jahre 1760 ward 
in Ungarn ein „Wiedertäufer” verhaftet, bei welchem man eine 
Abſchrift von Dends Büchlein „Von der wahren Liebe” vorfand 
und als fektirerifches und verbotenes Buch confiscirte. 

Beſonders intereffant ift die Gefammtausgabe der Dendichen 
Söhriften, welche im Jahre 1680 angeblich in Amfterdam, wahr- 
fcheinlich aber in einer anderen Stadt erſchienen tft 2). 

Diefe Werthhaltung Dencks und Hubmeiers unter den Täu- 
fern der fpäteren Zeit ift auch aus den Chroniken erfichtlich, welche 
die Namen derfelben mehrfach an erjter Stelle citiren ?). 

Wenn e8 gleichwohl richtig fein mag, daß in ben fpäteren 
Zeiten wenigftens der unmittelbare Einfluß der genannten Schrift- 
fteller einigermaßen in den Hintergrund getreten ift, fo lag dies 
nicht ſowohl in principiellen Gründen als in den unglüdlichen Ver- 
hältnifien, in welche bie Gemeinden ſich nachmals gebrängt fahen. 
Denn wenn es den alten Gemeinden felbft unter den jchweriten 
Berfolgungen und Unglüdsfällen gelungen tft, die wejentlichiten 
Punkte ihres Lehrſyſtems wie ihrer Kirchenverfaflung zu bewahren, 
jo konnte dies Reſultat Doch nicht durch die Pflege einer theolo- 
gifehen Literatur, fondern nur burch das zähe Feſthalten, an münd⸗ 
lichen Weberlieferungen erreicht werben. Auf diefem Wege Hat fich 
in den Ländern, wo man fie geiftig und phyſiſch Tnechtete, faft gar 
feine Literatur unter ihnen fortgepflanzt. Als aber ſeit der Mitte 
des 16. Jahrhunderts endlich in Holland ein Aſyl gefunden war 
und geiftige Kräfte fich wieder rühren durften, da geſchah es, daß 

1) „Etliche Tractat und Geſchichten, auch Lieder, fo von etlichen gottgelehr- 
ten Liebhabern der Wahrheit und Dienern, auch Nachfolgern Ehrifti gemacht“, 
Ein Exemplar beruht in der Bibliothek des Domkapitel! zu Preßburg. 

2) Näheres in den „DMennonitifchen Blättern” herausg. von H. v. d. Smiſſen 
in Altona. XXX. Jahrg. ©. 56. 
3) Bed Geſchichtsbücher der Wiebertäufer u. ſ. w. Wien 1883. 


27* 


420 


der Einfluß Holländischer Schriftfteller, zumal derjenige des Menno 
Simons, die letten Refte der großen deutſchen Literatur verdrängte. 
Damit war aber auch zugleich jeder weiteren Ausbreitung der „Brü⸗ 
bergemeinden” innerhalb des Neiches ein Riegel vorgefchoben. 


Wenn wir nun die Gejchichte der zweiten großen Phaſe der 
altevangelifchen Gemeinden, wie fie unter Führung der genannten 
Perfonen verlaufen ift, näher betrachten, fo ftellt ſich Die Thatſache 
heraus, daß die drei großen Städte Nürnberg, Augsburg und Straß- 
burg die Hauptjtügpunfte der Partei gewejen find, und daß die 
Träger der Bewegung eben jene Bruderfchaften waren !), Die wir 
bereit8 im 14. Yahrbundert al8 Verbündete Kaifer Ludwigs des 
Daiern zu feinem großen Kampfe wider die römifche Kirche Tennen 
gelernt haben. | 

Wir haben fchon erwähnt, wie Har Sebaftian Brand den Unter- 
ſchied erfannt bat, welcher die zweite (Deutfche) Periode des Täufer- 
thums von der erjten trennt, und es tft beachtenswerth, dag nach 
jeinem ausdrüdlichen Zeugniffe um das Jahr 1530 die Anhänger 
der „Schweizer Brüder” auf eine geringe Anzahl zufammenge- 
ſchwunden waren 2). 

„Etliche unter ihnen”, fagt Trand, „aber gar wenige, 
halten .... daß ein Chrift Feine Obrigkeit möge fein .... benn 
Chriften haben allein den Bann und nicht das Schwert unter 
fih; auch dag ein Chrift nicht mög Triegen oder töbten, e8 ſei aus 
was Urfach es wolle. Diefer Meinung ift gewejen Michael Satt- 
ler und fein Anhang und noch gar Wenige. Die Andern und 
faft Alle... .laffen auch eine Oberkeit Chriften fein, fo fie nach 
dem Befehl Gottes handeln und billigen auch die Nothwehr 
und den Krieg, fo mans nicht freventlih, fondern aus 
Noth und Gehorſam fürnebmen muß‘ 3). 


1) Diefe Thatſache Hat ſchon Ranke Deutſche Gef. im Zeitalter d. Ref. 
5. Aufl. MI ©. 368 und Ritſchl Geſch. d. Pietismus 1880 I, 27 ausgeſprochen. 
2) Bezüglich Straßburgs, welches den Schweizer Flüchtlingen doch beſonders 
offen Tag, beftätigt Röhrich, daß auch bort erft in der zweiten Periode feit 1526 
ein ftärfere8 Auftreten der Täufer fühlbar wird. Ztjchr. f. hiſt. Theol. 1860 ©. 4. 
3) Chronik, Ausg. v. 1565 fol. 1586, 


421 


„Dieſes haben mir zur Antwort geben, foviel ich darum bab 
angeredt“. .... 

„Tadlen auch Alle, die einen kriegeriſchen Chriſten lehren und 
das Evangelium mit dem Schwert wollen verfechten, deſſen ſie weder 
Lehre oder Exempel Chriſti, der Apoſtel und der erſten Kirche haben“. 

Auch Wolfgang Capito und der um 1527 mit dieſem nah be- 
freundete Martin Cellarius haben klar ven Unterjchied empfunden, 
welcher zwifchen den „Schweizer Brüdern” und den erneuerten alt- 
evangelifchen Gemeinden in Deutfchland vorhanden war. In dem- 
felben Moment, in dem Dend die genannten Männer in Straßburg 
feine Freunde nennen konnte, bielten jene fich principiell von ben 
Kreifen der jchweizer Emigranten fern, welche von ihnen xar' 2&0- 
xrr als „Wiedertäufer” oder Katabaptiften bezeichnet wurden 1), 
Dezeugt Doch auch Joh. Keßler, der damals evangelifcher Previger 
in ©. Gallen war, daß Dend bei feinem Aufenthalt in dieſer 
Stadt im Sabre 1525 zwar bei Täufern abgeftiegen war, aber 
gleichwohl nicht volfftändig mit ihnen einer Meinung gewefen fei 2). 

Diefe Beobachtungen erhalten ihre Beftätigung durch man⸗ 
cherlet anderweite Nachrichten. Bei der Synode, welche im Jahre 
1527 zu Nicolsburg in Mähren ftattfand, wohin damals die „Brü⸗ 
der“ der verſchiedenen Länder und Geiſtesrichtungen geflüchtet wa⸗ 
ren, trafen die „Schweizer Brüder” mit den deutſchen altevange⸗ 
lichen Zaufgefinnten ſehr ernftlih aufeinander. An der Spike 
der Majorität, welche unter principieller Mißbilligung jeves Krieges 
und jedes Blutvergießend doch unter Umftänden die Nothwehr 
geftatten wollte, jtand Balthafar Hubmeier. Er vertrat mit 
feinen Freunden ben Standpunkt der alten „Gemeinden Chrifti“, 
wie wir fie feit dem 12. Jahrhundert Tennen gelernt haben. In 
der That bat es denn auch alle Zeit unter den „Tauf- 
gefinnten” eine Richtung gegeben, welche dieſer älte- 
ften Tradition treu geblieben ift?). 


1) S. meine Schrift: Ein Apoftel der Wiebertäufer. Lpz. 1882 ©. 150. 

2) Götzinger Sabbata 1, 280. 

3) Die uralten „Täufergemeinden” in Lothringen umd in ben Vogeſen ver- 
werfen noch gegenwärtig dem Kriegsbienft nicht. S. A. Brons Urfprung, Entw. 
u. Schidjale der Taufgefinnten, Norden 1884 ©, 353. 


422 


Die Anfänge der deutfchen „altevangelifchen Gemeinden” find 
in jenen Bafeler Capitelsverfammlungen zu fuchen, bie wir 
befprochen Haben. Zum offenen Conflikt mit der Wittenberger 
Kirche haben die Dort vereinbarten Principien aber zuerft in Nürn⸗ 
berg und zwar zu Ende des Jahres 1524 geführt. Bon dort aus 
bat die Bewegung fich raſch über das ganze Reich verbreitet. 

Die Urfachen, welche gerade Nürnberg zum Ausgangspunkt 
machten, lagen keineswegs allein darin, daß Dend feit dem Sommer 
1523 das Rectorat der Nürnberger S. Sebaldusſchule übernommen 
batte, Vielmehr könnte man fagen, daß die längſt beſtehende Nürn- 
berger „Brüdergemeinde“ und deren Freunde es gewejen find, welche 
den Dend dorthin beriefen‘), und daß ohne diefe „Gemeinde“ 
ficherlich der Eonflikt, in welchen Dend mit Oſiander gerieth, nicht 
die weittragende Bedeutung gewonnen bätte, die er in ber That 
gewonnen bat. u 

Man muß fi daran erinnern, daß Nürnberg feit ven Tagen, 
als Johann von Staupig bier das religiöfe Leben geweckt hatte, 
auch in diefer Beziehung eine Führerrolle innehatte. Die Tradi⸗ 
tionen ber „Brübergemeinden‘ waren hier befonders ftark vertreten, 
und wir haben oben die Kreife Tennen gelernt, in welchen die An- 
ſchauungen des Staupik den lebhaftejten Anklang gefunden batten. 

Gegen Ende des Jahres 1524 gefchah es nun — es war wenige 
Monate nach Anton Tuchers Tod —, daß der Schulrector 2) Dend, 
ferner A. Dürers Schüler Jörg Penz und die Brüder Hans Sebald 
und Barthel Beheim, fowie die oben erwähnten Ludwig Krug und Se⸗ 
bald Baumbauer unter der Anklage der „Ketzerei“ verhaftet wurden. 

Aus den erhaltenen Procekalten ?) ergiebt fich die Thatſache, 

1) Anton Zucher, welcher den Wolfgang Dend von ber Zeit ber, wo biefer 
als Baumeifter an der Stabtmauer thätig war, beftimmt gefannt bat, war in 
ven Jahren 1505 —1523 Pfleger des S. Sebaldus⸗-Kirchſpiels. Sein Einfluß 
war baber der maßgebende bei ber Beſetzung des Schulrectorat®. 

2) Die S. Sebaldusſchule war im Jahre 1509 dur Hinzufügung von 
Eurjen in den fog. Humanitätsftudien zu einer Anftalt, die etwa unferen Gym⸗ 
nafien entſprach, erweitert worden. Sie hatte im Jahre 1554 fech8 Klaſſen mit 
etwa 440 Schülern. S. Heerwagen Zur Gef. d. Nürnberger Gelehrtenſchulen 
1860 (Progr.) S. 15—16. 

3) Diefelben beruhen im Kreisarchiv zu Nürnberg, und ich hoffe fie demmächſt 
zu publiciren. Die Sache bebarf deßhalb einer genauen wifienfchaftlichen Unter⸗ 


423 


dag wir in den Gefangenen die Glieder einer „Brüdergemeinde“ 
vor und haben, die unter dem Schleier des Geheimniſſes feit 
langer Zeit!) bejtand, und die auswärts, 3.3. in Erlangen, Bes 
ziehungen bejaß. 

Das Refultat des Procefjes war, daß die Hauptangefchuldigten, 
befonders Denck, aus der Stadt verwiefen wurden. 

Dieſe Ereigniffe erregten weit und breit das größte Auffeben 2), 
und Dends Name begann von da an befannt zu werben. 

Man bat bisher nicht beachtet, daß Nürnberg, und zwar ſpe⸗ 
ciell Dends Haus, bereits im Jahre 1524 ein Sammelpuntt folcder 
Männer geweſen ift, welche fpäter unter dem Namen „Täufer” 
befannt geworben find. So fagt Hans Hut felbft aus, daß er nach 
Nürnberg gereift jet und Dend aufgejucht Habe?). Hans Schlaf- 
fer, ein „Bruder aus Deftreih, bat in Nürnberg, wie er jagt, 
„pen Ludwig Hüter und Hans Dend, treffliche, in Gott gelehrte 
Männer zween“9, geiprochen. Sollte Dend jchon damals ein 
Mitglied der „Brüdergemeinden“ geweſen fein? 

Nachdem der Verbannte fich eine Zeit lang in der Schweiz 
aufgehalten hatte, ging er etwa im Herbſte 1525 nach Augsburg, 
und dieſe Stadt ift dann die Wiege der erneuerten 
Gemeinden geworden. 

Einige der angejehenften Bürger, wie Georg Regel und Seb. 


fuchung, weil ftarle Anzeichen dafür vorliegen, daß einzelne Protocolle in weſent⸗ 
lichen Punkten abfichtlih oder umabfichtlich entftellt find. Es fpielen in biefe 
Sache die Parteilämpfe des Patriciats Hinein. Im Jahre 1524 war Friedrich 
Beheim ans der mit den bürgerlichen Beheims beftig verfeindeten Patricierfamtilie 
Bürgermeifter. 

1) Der Maler Sebald Beheym erflärt ausdrücklich: „Er fey auch ab Luthers 
Schreiben oder anderen Predigten nit irr gemacht worden, fondern alle wege 
der Meynung gemefen“. 

2) Bgl. Keller Ein Apoftel ver Wiedertäufer (Hans Dend) Lpz. 1882 ©. 40 ff. 
Beachtenswerth ift, daß auch aus Straßburg alsbald von einer Barteinahme für 
die Gefangenen wider Ofiander berichtet wird. Capito fchreibt am 31. Dec. 1524 
an Zwingli: „Contendebant quidam, non decere christianum magistratum verbi 
corruptores arcere, moti, ni fallor, ex litteris aut verbis Osiandri“ (Zw. Epp. 
I, 375). 

3) & Meyer Beiträge zur Geſchichte d. Wiebertäufer in Schwaben in der 
Ztſchr. d. h. V. f. Schwaben u. Neuburg 1874 ©. 224. 

4) Bed Geſchichtsbücher der Wiebertäufer ©. 63 Anm. 1. 


424 


von Freiburg, gewährten Dend ihren Schuß; Die „Gemeinde be- 
faß hier, wie in Nürnberg, ihre Hauptftüge in den angejebenen 
Bürgerkreifen,; der Zunftmeifter der Zimmerleute, Lucas Haffner, 
und der Bildſchnitzer Chrift. Murmann werben befonder8 nam⸗ 
haft gemacht. 

Hier in Augsburg fanden die erften großen „Capitelsver- 
Sammlungen” der oberbeutfchen, fehweizerifchen und öftreichifchen 
Drübergemeinden ftatt, welche die erneuerte Gemeinjchaft conſtitu⸗ 
irten, und deren Geſchichte, da ſie unter dem Schleier des Geheim⸗ 
niſſes gehalten wurde, leider noch nicht genügende Beachtung ge- 

funden hat. 
| Die erfte Verſammlung fand im Frühjahr 1526 ſtatt. Wir 
kennen als Theilnehmer folgende Männer: Hans Dend, Hans 
Hut!), Ludwig Häßer, Jacob Groß aus Waldshut, Caspar 
Färber aus dem Innthal und vor Allem Balthafar Hub- 
meier?). 8 verjteht fich von felbft, daß außer dieſen Fremden 
auch die Führer der Augsburger Gemeinde theilgenommen Haben. 

Der erfte und vornehmfte Befchluß war die Einführung ber 
bisher in Oberbeutfchland nicht vollgogenen Spättaufe; Hans 
Hut erzählt ausprüdlich, daß er, als er im Frühjahr 1526 nach 
Augsburg fam, nicht die Mbficht hatte, fich taufen zu laffen; erft 
da Caspar Färber als Vertreter und Anwalt ber Gemeinden im 
Innthal für die Einführung der dort bereitS bejtehenden Taufe 
auf den Glauben eintrat und Hans Dend fih Färbers An- 
ſicht anſchloß, Tieß Hut fih taufen. Dies gefchab in ver Wohr- 
nung Dends, in einem Heinen Haufe in ver Nähe des Heiligkreuz⸗ 
thores. Diejelbe VBerfammlung war auf Grund der Vollmachten, 
welche Färber offenbar aus den im Innthal bereit8 beſtehenden &e- 
meinden mtitbrachte, in der Lage, fich felbft als Gemeinde zu con⸗ 
ftituiren und den von ihr erwählten „Lehrer“ mittelit der Hand» 
auflegung zu weiben. 

So lange Dend in Augsburg wirkte, jcheint er die Zeitung der 


1) Einige Quellen über Hut bei Cornelius Münft. Aufrubr II, 40 (Anm.); 
ferner Roth Augsburgs Ref.Geſch. Münden 1881 ©. 199ff. — I. Hart- 
mann in ber Allg. Deut. Biogr. XIII, 459. 

2) Es ift die Forſchung über diefe Berfammlung noch fehr im Rückſtand. 


425 


dortigen Gemeinde in der Hand gehabt zu haben!). Aber die Ge- 
fahr, welche ihm von feinen Gegnern drohte, veranlapte ihn, die 
Stadt zu verlaffen und nah Straßburg zu geben, wo Capitos 
freundfchaftliche Gefinnungen 2) den „Brüdern“ einftweilen eine Frei- 
jtatt ficherten. Bier waren Michael Bentinus, Heinrich von 
Eppendorf, Wilhelm Farel und befonders Dtto Brunfels, 
welch Letzterer, obwohl er an ber Partei feinen Antheil genommen 
bat, doch in feinen zahlreichen Schriften?) den Standpunkt der 
altevangelifchen Theologie ftet8 vertreten hat und zu den von ben 
„Gemeinden“ anerkannten Autoritäten gehört®). 


Die Hauptanhaltspuntte finden fih bei C. Meyer Beiträge zur Geſch. der Wie- 
dertäufer in Oberfchwaben in der Ztſchr. d. bift. Vereins f. Schwaben u. Neu⸗ 
burg 1874 ©. 209 ff. und in ben eben dort abgebrudten Ausfagen Huts. 

1) Es ift dies daraus zu fchliegen, daß kurz nach feinem Weggang, wie wir 
wiſſen, eine Neuwahl ftattfand, die auf Sigmund Salminger fiel. Derfelbe wurbe 
bei Hans Huts Anweſenheit (durch Hut felbft?) im März 1527 beftätigt. Vgl. 
Meyer a. O. ©. 212. 

2) Decolampad an Zwingli d. d. 1528 Juli 9: Nuper accepisti, quid ve- 
lim Gapitonem moveri, sed nolim prodi me instigatorem. Geteri Ana- 
baptistae favore et benevolentia ejus abutuntur ac gloriantur. — 
Derf. an denſ. d. d. 1528 Aug. 6: Ex Buceri litteris accipio, tandem Cata- 
baptistarum fallacem spiritum Gapitoni innotescere, ut quotidie eis minus fidat 
etc. ©. Heß Joh. Oecol. S. 514f. 

3) Es befinden fich darunter nach einer oberflächlichen eftftellung — es 
eriftirt Teine Monographie über Brunfel® — mindeſtens 10 theologifche Werke, 
die zum Theil eine große Wirkung geübt haben und in zahlreichen Auflagen ver- 
breitet worben find. Dazu fommt eine erhebliche Zahl philologifcher, pädago— 
gifcher, mebicinifcher und botanifcher Schriften. Er ift der Begründer der neueren 
Botanik geworden. ©. Allg. Deut. Biogr. s. v. Brunfels. 

4) Unter den Theologen, die fich fpäter auf Brunfels' Autorität ftügen, ver⸗ 
bient befonders Menno Simons genannt zu werben. Menno citirt in feinen 
zahlreichen Schriften fehr wenige deutſche Theologen; auf Otto Brunfels (defien 
Name übrigens auch Brunsveld gefchrieben wird) aber beruft er fih in einem 
der angefochtenften Punkte feines ganzen Syſtems, nämlich in Bezug auf bie 
Spättaufe; |. Menno Simons gefammelte Werke. Amfterdam 1681 p. 275. 
Dort heißt e8: „(Sententia Otto Brunsv. Actor. 8,37: Si credas ex toto 
corde etc... Ick meyne, hier zy immers den Kerckendienara wel en klaer 
exempel voorgestelt, hoe sy de bekenntenisse des geloofs niet van andere, 
maer van de Doopelingen selve vragen ende hooren sullen, gelick oock Otto 
Brunsv. over dese plaetse (Act. 8,37) anteekent“. — Außer auf Brunfels- be= 
ruft fih Menno befonders auf Sebaft. Frand, Decolampad, Beatus 
Rhenanus, Martin Cellarius und einige Andere. 


426 


Dend batte in Straßburg das Glück, ſich mit der Mehrzahl 
der dort anwefenden Theologen, beſonders auch mit Capito, voll 
kommen zu verftändigen. Allein hier, wie überall in dieſen Kämpfen, 
wurde die religiös⸗kirchliche Entwicklung nicht in erfter Linie, Durch 
die Erwägungen ber Theologen, jondern durch Machtfragen po» 
litiſcher Art beftimmt. Da der Magiftrat der Stadt Straßburg 
das bringendfte Intereffe daran Hatte, die Freundſchaft der von 
Zwingli geleiteten evangelifchen Cantone fich zu erhalten, jo gelang 
e8 dem mit dem Rath verbündeten Bucer, den drohenden Gefahren 
rechtzeitig zu begegnen. Dend wurde auch aus Straßburg vertrieben. 

Nach einem längeren Aufenthalt in ver Pfalz, wo Dend eine 
große Partei zurüdließ, wandte er fich abermals nach Augsburg, 
wohin eine allgemeine Synode der Brüdergemeinden ausge- 
ſchrieben war. 

Diefelbe fand in den letzten Auguftwochen des Jahres 1527 
unter Dends Vorſitz wirdlich ftatt und gebört wegen ver Bedeu⸗ 
tung, die fie gewonnen Bat, zu den intereffanteften Ereigniffen 
diefer Epoche 1), 

E83 waren damals in Augsburg unter anderen, außer Dend, 
anwefend: Ludwig Hätzer aus Bifchofzell, Sigmund Sal- 
minger aus Mündend, Hans Hut aus Haina in Franten, 


1) Das Datum läßt ih aus dem Bekenntniß Georg Noſpitzers genau feſt⸗ 
ftellen (Akten im Kreis⸗Archiv zu Nürnberg). Dieſes und das ebendort be= 
rubende Bekenntniß Marr Mayers find für umjere Kenntnig von biefer Synode 
beſonders wichtig; f. ferner da8 Schreiben des Raths der Stabt Augsburg an 
den Rath v. Straßburg vom 20. Sept. 1527 (bei Röhrich in der Ztſchr. f. 
bift. Theol, 1860 ©. 32). Auch Schlaffers Ausfagen über feine Begegnung 
mit anderen Täufern in Augsburg bei Bed a. DO. ©. 63 Anm. find wichtig. 
Das Schreiben Augsburgs an Ulm im Ulmer Ardiv vom 16. Sept. 1527, 
welches Roth Augsburgs Ref.Geſch. 1881 ©. 214 erwähnt, babe ich nicht ein- 
feben können. C. Meyer a. a. O. ©. 213 citirt ein Verhör Iac. Dachfers 
v. 26. Aug. 1527, worin er unter anderen gefragt warb: „ob die Borfteber ber 
Wiebertäufer noch in Augsburg ſeien“; auch über dies Verhör fehlt mir nähere 
Kenntnig. — Sehr wichtig find Hut DBelenntnifie bei C. Meyer a. a, O. 
©. 221 ff. 

2) Wir befigen von Salminger außer vielen Lievern zwei gebrudte Schrif- 
ten: 1. Aus was grund die lieb entfpringt u. f. w. (Weller Rep. typogr. Nr. 
3633), in welcher er ven Schluß von (Taulers) „Nacfolgung des armen Lebens 
Ehrifti‘ neu herausgegeben hat. 2. Der „Guldin Schatz“. Auch gab er eine 


427 


Jacob Dachſer aus Ingolftabt '), Hans Schlaffer aus Ober- 
öftreich 2), welcher alsbald feinen Glauben mit feinem Blute be- 
fiegelte, Jacob Widemann aus Memmingen, welcher 1535 zu 
Wien hingerichtet wurde 3), Jacob Kautz aus Worms), Eitel- 
bans Langenmantel aus Augsburg), Sigmund Hofer, 
Hans Leupold, das erfte Opfer der unter U. Rhegius' Leitung 
in Augsburg organifirten Verfolgung, ferner Hans Gulden von 
Biberach in Franken, Jacob Groß aus Waldshut‘), Pilgram 
Marbeck, ein Baumeifter aus Schwag im Inntbal”), Peter 
Scheppad, ein Maler aus Augsburg, Eularius Binder?) 
aus Coburg, welcher am 25. October 1527 verbrannt wurde, 
Thomas Waldhaufer?), aus Steyer in Deftreich, früher Ta- 
tbolifcher Geiftlicher und alsbald Märtyrer (7 1528), Leonhard 
Schiemer, ein ehemaliger Franciscaner aus Jüdenburg, nad. 
beriger Biſchof der Brübergemeinden in Oberöftreich 10) und gleich- 


Sammlung geiftlicher Gedichte heraus: „Der ganze Pfalter u. ſ. w.“ (1537). — 
Ich verdanke dieſe Notizen zum Theil der Güte des Herrn Prof. Dr. Preger 
in Münden. 

1) Ueber ihn finden fich intereflante Nachrichten im Archiv der Lubwig- 
Mar. -Univerfität in Münden; ſ. Prantl, Geld. d. Ludw.-Mar.-Univ, I, 149, 
— Dachſer war Liederdichter. — Sein Name fteht im Inder von Benebig; 
ſ. Renjh Der Inder ©. 231. 

2)», Schlaffer gehört zu den intereffanteften, aber faft ganz unbelannten 
Schülern und Anhängern Dends. Er hat zahlreiche, ausgezeichnete Schriften 
hinterlaſſen, welche in hohem Grabe der Bearbeitung werth wären. Näheres bei 
Bed Geſchichtsbücher der Wiebertäufer u. |. w. ©. 60 u. ©. 63 Anm. 1. — 
vo. Bragbt Martelarspiegel 1685 II, 14. — Ottius Ann. Anab. 1672 ©. 46. 

3) Nähere Nachrichten über ihn bei Bed a. ©. ©. 50 Anm. 2. 

4) Ueber Kautz f. Brechers Art. in d. A. D. Biogr. Bd. XV, 510 und 
Riggenbachs Aufſatz in Herzog u. Plitts Realencycl. 2. Aufl, 

5) Ueber Eitelh. Langenmantel |. den Artikel d. Allg. D. Biographie; er 
verdiente eine monographiiche Bearbeitung. 

6) Einige Quellen über ihn bei Cornelius Münft. Aufruhr II, 39 (Anm.). 

7) ©. meine Artikel in ver Allg. deut. Biographie s. v. Marbed. 

8) Ueber Binder ſ. Bed a. DO. S. 57. — Er war ftänbiger Begleiter Hans 
Huts auf defien Miffionsreifen als Apoftel und mit diefem in Augsburg; ſ. €. 
Meyer a. DO. ©, 214 u. 225. 

9) Ueber Thomas Waldhaufer, feine Anweſenheit in Augsburg 1527, feine 
ſchriftſtelleriſche Thätigkeit und feine Lebensgeihichte ſ. Beck a. a. O. S. 65 Anm. 

10) Hans Hut giebt in ſeinem Verhör (C. Meyer a. O. S. 226. Auf den 
42, Art.) an, daß man zu Augsburg den „Leonhardten, jo ain menich geweſen, 


428 


falls getöbtet, ferner ein Deutſchordensherr aus Nürnberg, Namens 
Leonhard, ein gewiffer Sobannes, der um Ingoljtabt einhei- 
mifh war !), ferner Georg Nofpiger von Lauingen, Yörg von 
Paflau genannt, Gregor Maler von Chur, Hans Bed von 
Dafel, Hans Kiekling von Friedberg?), Andreas Widholz 
und Lukas Haffner aus Augsburg, Marx Maier von Baiers- 
dorf und viele Andere, 

Es waren im Ganzen, wie der lettgenannte Zeuge uns be 
richtet, mehr al8 fechzig Abgeordnete anweſendꝰ). Die erjten 
Sigungen fanden in dem Haufe des Gallus Fiſcher ftatt, welcher 
jpäter hingerichtet wurde, die anderen in „eines Metzlers Haus, der 
Fieder genannt”. Georg Nofpiker berichtet in Webereinftimmung 
mit Marx Maier, daß Hans Dend und Hans Hut in diefer 
Berfammlung die „Vornehmſten“ geweſen, und Nofpiger fügt 
hinzu, daß er auf Befehl Hans Dends und anderer Pfaffen mehr 
am 24. Auguft 1527 das Apoftelamt übernommen babe. 

Die Verfammlung ſcheint e8 als ihre befondere Aufgabe be 
trachtet zu haben, in alle Länder „Apoftel” abzuoronen. So wiſſen 
wir, daß von ben oben genannten Theilnehmern Ulrich Trechſel 
und Beter Scheppach in die Pfalz gefanbt wurben, daß ferner in 
das Gebiet von Zürich und Bafel Dend, Gregor Maler und Hans 
Beck zogen‘); der Deutjchordensherr Leonhard warb nach, Linz, 


in das Bayrlandt‘ abgefandt babe. Dies kann nur Leonhard Schiemer geweſen 
fein. Er ift eine fehr interefiante Perfönlichkeit, welche viele Schriften binter- 
laſſen hat; näheres bei Bed a. O. ©. 59 ff. — Er ift aud in v. Braghts 
Märtyreripiegel verewigt worden. ©. ferner Ottius Annal. Anab. 1672 zu 
1528. 4 und 1551. 3. 

1) Die zwei lettgenannten, von welden Hut (C. Meyer a. a. DO.) am 
16. Sept. 1527 ausfagt, daß man fie von Augsburg aus abgefandt habe, kann 
ih einftweilen nicht ibentificiren. 

2) Er wurde im Auguft 1527 verhaftet; von ihm erfuhr der Rath die Na- 
men der übrigen und fofort folgten weitere Berhaftungen; |. Roth Ref.-Geid. 
Augsburgs 1881 ©. 219, 

3) Marz Mayer fagt aus: „Zum dritten find fie wiberumb ungeverlich in 
breien oder zweien tagen gein Augspurg in eines metlers Hauß, der Fieber ge 
nannt, zufamen fomen, find ir ungeverlih mer dann ſecht zigk gewejen und 
aber der Hutt und Dend bei inen erfchine und fih aldo verglichen“ u. ſ. w. 
Kreis⸗Archiv zu Nürnberg). 

4) Röhrich in der Ztſchr. f. bift. Theol, 1560 ©. 32, 








429 


Yörg von Pafjau in das Frankenland, der erwähnte Iohannes in 
das „Ofterland” und Leonhard Schiemer in das batrifche Gebiet 
abgeſandt 1), 

Ueber die Beſchlüſſe diefer Verſammlung fehlen uns leider die 
Protocolle. Indeſſen ſteht wenigſtens ſoviel feſt, daß die Abgeord⸗ 
neten nach längeren Debatten, bei welchen ſich eine Differenz ziwi- 
ſchen Dend und Hut berausftellte, fchlieglih in voller Einmü- 
thigfeit ihre Befchlüffe faßten, und daß Dencks Ideen e8 waren, 
welche den Sieg davontrugen 2). 

Ich halte es für feitftehend, daß Dends Keine Schrift „Von 
der wahren Liebe“, welche etwa im Auguft 1527 erſchienen ift, Dazu 
bejtimmt war, unter harmlojem Gewande das auf der Synode 
formulirte Belenntniß allen Brüdern in der Nähe und Ferne zu 
vermitteln 3). 

Schon Cornelius hat mit Recht bemerkt, daß von dieſer Augs⸗ 
burger Verſammlung eine Thätigkeit ausging, die ſich weithin fühl⸗ 
bar machte ). Die weiteren Forſchungen werben ergeben, daß dies 
in noch viel ausgevehnterem Maße der Tall gewefen ift als man 
bisher annehmen konnte. 


Es würde die Grenzen, welche der vorliegenden Unterſuchung 
geſteckt find, erheblich überfchreiten, wenn wir auf das Lehriyftem 


1) C. Meyer a. a. O. ©. 226. 

2) E8 wird dies von Jörg Nofpiser und Mare Mayer ausdrücklich bezeugt. 

3) Es liegen bafür eine Reihe von Gründen vor, bie ich in einer beſonderen 
Unterfugung über jene wichtige Synobe darzuthun hoffe. Einftweilen mache ich 
nur auf Huts Belenntniffe (C. Meyer a. a. DO.) und deren Berhältniß zu Dends 
Schrift aufmerkſam. Ich Habe hier Übrigens bie Form der Schrift „„ Von ber 
wahren Liebe“ im Auge, welche 1527 erfchienen ift, nicht die Ausgabe von 1550. 
(Bgl. mein Buch Über Dend ©. 243.) 

4) Cornelius Münft. Aufruhr'(1860) II, 43 fagt: „Damals wurden bort (in 
Augsburg) in beſtimmten Häufern regelmäßige und äußerft zahlreich befuchte Ver⸗ 
ſammlungen gehalten; e8 wurben Lehrpunkte berathen, Beſchlüſſe gefaßt, Apoſtel 
verordnet und ausgeſandt, Sendſchreiben an die Brüder in die Ferne geſchickt: 
eine Thätigkeit, die ſich weithin fühlbar machte und ohne Zweifel 
ganz Süddeutſchland zu umfaſſen beſtimmt war.“ — Dieſe Synode iſt nebſt der 
von 1557 zu Straßburg (ſ. Ottius Ann. Anab. ad h. a.) und 1591 zu Köln 
unzweifelhaft die bebeutenbfte im 16. Jahrhundert. 





430 


ver altenangelifchen Gemeinden, wie es fich unter dem Einfluß jener 
Synoden und ihrer Führer geftaltet hatte, näher eingeben wollten 1). 

Aber wir können die Aufgabe nicht abweifen, dem weitverbrei- 
teten Vorurtheil, als ob es gar feine ober Doch Teine erhebliche 
tbeologifche Literatur des Täufertbums gebe, wenigſtens mit 
einigen Andeutungen entgegenzutreten. Freilich zeigt fich Hier als 
Hinderniß eines ſolchen Verfuches in erhöhten Maße dieſelbe That⸗ 
fadhe, bie wir bei der Literatur der „Gottesfreunde” beobachten 
konnten: es herrſcht bei der wiſſenſchaftlichen Vernachläſſigung, 
welche die beſiegte Partei erfahren hat, eine große Unſicherheit über 
die Autoren vieler anonymer Tractate, und es fehlt vollſtändig an 
leicht zugänglichen Texten; es ſind durchweg ſeltene Schriften, 
um die es ſich handelt, Schriften, die in Folge von Confiscation 
und Vernichtung ſich vielfach nur in einzelnen Exemplaren erhalten 
haben, oder von denen einſtweilen nur die Verzeichniſſe der „ver⸗ 
botenen Bücher” uns Kenntniß geben. 

Wenn man dies bedenkt, jo muß man fich darüber wundern, 
bag immerhin noch ein guter Theil erhalten ift, jedenfalls viel 
mehr als diejenigen ahnen, welche um dieſe Litteratur ſich bisher 
nicht gefümmert haben. 

Dr. Balthafar Hubmeier gehörte bereits in der Zeit, als er 
in die Bewegung eintrat, zu den berühmteften theologijchen Schrift- 
jtellern in Oberdeutfchland 2), In den Alten des Tridentiner Concils 
ericheint Hubmeier in gleicher Linie mit Calvin, Zwingli und Luther 
als Haupt der Ketzer, und der fpanifche Inder des Bernd. von 
Sandoval verdammt deſſen Schriften ebenjo wie der Inder von 
Venedig vom Jahre 1554 und der römiſche Inder Pauls IV. vom 
Jahre 1559; noch im Yahre 1758 bat Benebict XIV. das Verbot 
wiederholt. 

Erasmus zählt in einem Briefe vom Jahre 1526 die Häupter 
der jtreitenden evangelifchen Parteien auf und nennt dabei Zwingli 


1) Daffelbe bat eine zufammenfaflende Bearbeitung erfahren in meinem 
Buche: Ein Apoftel der Wiebertäufer (Hand Dend). Lpz. S. Hirzel. 1882, 

2) In einem Schreiben vom 30. Sept. 1524 nennt der Magiftrat der Stabt 
Freiburg als „der vornehmften Einen“ umter ben „‚tekeriichen Pfaffen‘ ven Dr. 
Balthaſar Hubmeier; f. Schreiber Taſchenbuch für Süddeutſchland 1839 ©. 74. 


431 


und Decolampad fowie Luther, und ftellt al8 Führer der dritten 
Richtung den Balthafar Hubmeier Hin). 

Es find von Hubmeier bis jetzt nicht weniger als vierund⸗ 
zwanzig Schriften wieder befannt geworden ?). Nicht wenige der- 
jelben Haben mehrere Ausgaben erlebt, manche auch Ueberſetzungen 
ins Niederländische und Lateinifihe. Sie zeugen ſämmtlich nach den 
Worten 3. &. Schelhorns „von einem Scharfjinn, den man 
bei fanatifchen Köpfen nicht vermutbet..... und immer von einem 
redliden Herzen”. 

Es ift eine Fülle jelbftändiger und tiefer Gedanken in dieſen 
Werfen enthalten, und wenn fie nicht eben von einem geächteten 
Manne herrührten, würden fie ſchon längjt als ein ausgezeichnetes 
Denkmal deutfchen Geiftes wieder zu ihrem Rechte gelangt fein. 

Neben Hubmeier nimmt auch in fchriftftellerifcher Beziehung 
Dend die erfte Stelle ein. Sehr treffend hat Cornelius über diefen 
gefagt: Dend, „obwohl noch jung, war bereit ein vielgenannter 
Schriftſteller (al8 er jih an die Spite der Bewegung geftellt ſah), 
ber durch feine hervorragende Gelehrſamkeit in den heiligen Sprachen 
und noch mehr durch die Selbftändigkeit und Tiefe feines theolo- 
giſchen Denkens die Aufmerkfamfeit der Zeitgenofjen gefejjelt, durch 
die Innigkeit feiner myſtiſchen Schriften den Weg zu vielen Herzen 
gefunden hatte‘ 3). 

Die Andeutungen, welche ich an anderer Stelle vor zwei Jahren 
über Dencks gelehrte und fehriftftellerifche Thätigfeit, ſowie über die 
Ausgaben feiner Werke gegeben habe *), müſſen nach den weiteren 
Refultaten meiner Forſchungen ganz erheblich erweitert werben, und 
doch find dieſe Forfehungen noch keineswegs abgefchloffen. Ich will 
bier nur Einzelne anführen. 

Dends Mitwirkung bei der Herausgabe von Marſilius', Fried⸗ 
ſchirmbuch“ (1522) fowie die Edition der Grammatik des Theod. 
Gaza (1523), welche mindeftens fieben Auflagen erlebte, find fchon 
erwähnt worben. Von ben theologijchen Schriften erlebte die Feine 

1) Erasmi Opp. 1701 Vol. ll, 964. 

2) Ein Berzeihni in den Mittheilungen aus dem Antiquariate von ©. Cal⸗ 
vary & Co. Berlin 1870 S. 114 fi. 

3) Cornelius Minft. Aufruhr II, 41. 

4) Ein Apoftel n.f.w. ©. 241 ff. 


432 


Abhandlung: „Wer die Wahrheit wahrlich Tieb Hat“ u. ſ. w. min- 
deſtens drei, die Schrift vom freien Willen („Was gerebt ſei“) vier, 
die „Ordnung Gottes" mindeſtens fünf, das Büchlein „Vom Geſetz 
Gottes" mindestens fieben, „Bon der wahren Liebe” vier, die „Pro⸗ 
teftation” wenigftens drei verſchiedene Ausgaben, ohne Mitzählung 
gelegentliher Reprobuctionen in Tirchenhiftorifchen oder anderen 
Werken. Bon exegetifhen Schriften Dencks kennen wir vorläufig 
nur die höchſt intereffante Auslegung des Propheten Micha, die fich 
in mehreren Eremplaren wiedergefunden bat. 

Daß Dend neben Hüter zu den muftergiltigen Bibel⸗Ueber⸗ 
fegern gehört, ift von allen Autoritäten anerkannt. Bon der Ver- 
dollmetſchung der Propheten Yaffen fich jett fiebzehn Ausgaben 
nachweifen. Gar nicht beachtet ift aber bis jet die Thatſache, daß 
die erfte vollftändige reformatorifche Bibelüberjegung, welche wir be 
figen, nämlich die fogenannte Wormfer Bibel vom Jahre 15291), 
in den Kreifen der „Täufer“ entftanden ift, und daß nach meiner 
Meberzeugung die Mitwirkung Dends an diefem großen Werk nicht 
zweifelhaft fein kann. Diefelbe bat verfchievene Editionen erlebt. 

Ganz merkwürdige Schieffale hat eine theologifche Abhandlung 
Dencks dadurch gehabt, daß fie ohne den Namen des Autors er- 
ſchienen iſt. Niemand ahnte, daß Diefelbe aus der Feder des „Erz 
wiedertäufers“ ſtammte, jo haben viele Hunderttaufenve fie bis in 
unfere Tage jtet8 von Neuem mit Andacht gelejen und an der echten 
Frömmigkeit, die daraus fpricht, fich erbaut. 

Jene Abhandlung nämlich, welche als „Etliche Hauptreden” , 
in den ungezählten Ausgaben der „Deutjchen Theologie”, welde . 
jeit dem Jahre 1528 gedruckt worden find, fich findet, ift nichts 
Anderes als der gleichnamige Tractat Dends, welchen Urbanus 
Rhegius Schon im Jahre 1526 kannte ?). 


1) Biblia beyder Allt und Newen Teſtamentes, Teutſch. Worms. Peter 
Schöffer 1529. Folo. (Exemplare in Bonn und Stuttgart.) — Cine andere 
bei H. Steyner zu Augsburg im 3. 1534 erfchienene Auflage ift mit Holzfchnitten 
H. Schäuffeleins illuftrirt. — Graeſſe (Tresor des libres rares et pre&cieux 
1859 I, 377) nennt Dend, Häter und Kaut als VBerfafler. Die Sache verbiente 
eine nähere Unterfuchung. 

2) Ih Hoffe an anderer Stelle auf diefe interefjante Thatfache zurüdzu- 
fommen und bie nöthigen Beweife beizubringen. Die Thatfache felbft ift Übrigens 





433 


Sind aber Hubmeier und Dend etwa die einzigen theologischen 
Scähriftfteller der „altevangelifhen Gemeinden” geweien ? 

Dean überfiebt bei der Betrachtung der Literatur des „Zäufer- 
thums“ vielfach, daß daſſelbe bereitS im Befig einer folchen war, 
als e8 in die veformatorifche Bewegung eintrat. Die „Brüberge- 
meinden” find fich wohl bewußt gemwefen, daß fie ihre eigene Lite- 
ratur verbreiteten, al8 fie fett der Erfindung der Buchbruderfunit 
bie Schriften der „Gottesfreunde” wieder ans Gicht zogen, und bie 
fogenannten „Zäufer”, wie Dend, Hätzer, Salminger u. A. find 
feit 1526 ſyſtematiſch bemüht geweſen, auch ihrerfeitS die alten 
Tractate Durch neue Ausgaben unter das Volk zu bringen. 

Auch Ludwig Häbers felbjtändige Yiterarifch- wifjenfchaftliche 
Production war eine fehr bedeutende 1), Doch würde ung ein näheres 
Eingehen zu weit führen und ich will deßhalb bier nur noch einige 
Namen von foldhen unmittelbaren Schülern und Anhängern Dencks 
nennen, welche für deifen Ideen als Schriftiteller aufgetreten find. 

Der Pfarrer zu Bibra, Georg Haug, verfahte eine Schrift 
„An hriftlihe Ordnung“ u. ſ. w., welche mindeſtens vier Ausgaben 
erlebte und weit verbreitet war; fie bat lange fortgelebt in den „Brü⸗ 
dergemeinden“). Sehr gefhägt und angefehen war als Schrift. 
fteller Hans Langenmantel; außer ben vier gedruckten Abhand- 
lungen, die wir befiten, baben fich mehrere andere handſchriftlich 
erhalten. Eine befondere Unterfuhung verdiente wegen feiner gei- 
ftigen und fchriftftellerifehen Bedeutung Chriftian Endtfelder, 
deſſen Schriften bis in das 17. Jahrhundert hinein neue Auflagen 
und Weberfegungen erfahren haben. Er war mit Hubmeier nah 
befreundet und war längere Zeit „Vorſteher“ in einer Gemeine in 
bereit8 von ©. Arnold und Heberle (Theol. Stud. u. Krit. 1851 ©. 194) 
anerkannt worben. 

1) Bed, Gef. Bücher der Wiebertäufer u. |. w. ©. 33 Anm. 3 nennt 
Häter mit Recht einen „muftergültigen Bibelüberfeker und der Bellen Einen 
unter den Dichtern der alten proteftantifchen Kirche.” Ganz richtig deutet Bed 
an, daß e8 bi jet nicht erwiefen ift, daß Hätzer die göttliche Natur in Chrifto 
beftritten bat. Bielmehr beruht diefe wie andere Behauptungen über ihn auf 
den Ausftreuungen feiner Feinde. Es wäre dringend nothwendig, die Materia- 
lien über den Proceß gegen Häßer einmal zu ſammeln. 

2) Weller, Rep. typ. Nr. 2900 und 2901. Es find in vielen Biblio- 


thelen Exemplare vorhanden. 
Keller, Die Reformation. 28 


434 


Mähren. Mir find drei Schriften von ihm befannt geworden, die 
zum Theil noch 1659 neu gedrudt worden find. Unter dem Pſeu⸗ 
bonym Eleutberobion ſchrieb ein Anhänger Dends eine Schrift 
von der Taufe, welche mehrere Editionen erlebte. Beſonders frucht- 
bar als Schriftfteller war Johannes Yandsberger?'). 

Ein eifriger Anhänger Dends war der Pfarrer zu Eltersborf 
bei Nürnberg, Wolfgang Vogel, welcher im Jahre 1525 zu den 
Zäufern übertrat und am 26. März 1527 den Märtyrertob erlitt. 
Don feiner Schrift „Ayn troſtlicher Sendbrief“ u. f. w. (1526) er- 
ſchienen verſchiedene Ausgaben ; die letzte bejorgte Job. Daniel Her- 
renſchmidt in Halle im Sabre 1717 und empfahl fie als einen aus» 
"gezeichneten lutberifhen Tractat! „Es ift zu verwundern“, ſagt im 
Jahre 1773 Will, „daß das Buch noch fo gut evangelifch abge 
faßt ift, da doch Vogels Irrtblimer und Aufruhr ſchon in dem Jahr 
ausgebrochen waren, da er dies Schreiben herausgab“. 

Ueber Siam. Salminger, Jacob Dachfer, Leonhard Schiemer, 
Hans Schlaffer, Ulrih Hugwald haben wir oben fchon gefprochen. 
Als Gehülfen Hubmeiers traten in Mähren als Verfaſſer deutſcher 
Drudichriften auf Hans Spitelmeier und Oswald Glaidt. 
Bon Melchior Rind, deſſen Schriften auf dem VBenetianifchen 
Inder ftehen, glaubte man bisher nichts zu befigen. Neuerdings aber 
haben fich zweit handſchriftliche Abhandlungen von ihm gefunden. Auch 
von Hans Hut iſt einzelnes im Drud erfchtenen?), während freilich 
von ihm wie von feinen und Dends Genofien, wie Thomas Wald- 
baufer, Thomasderman, Wolfgang Brandhuber, Mar- 
tin Maler, Georg Zaunring und vielen Anderen vorwiegend 
bandichriftliche Tractate erhalten find. ALS. Verfaffer vielgelefener 
Drudiäriften verdienen Pilgram Marbed, Joh. Bünderlin, 
Clemens Ziegler aus diefem Kreife genannt zu werben. 


1) Eine Ueberficht (10 Nummern aufweifend) in ven Mittheilungen aus d. 
Antiquariat von Calvary ©. 131 ff. — Meber feine Perfon berrfcht eine große 
Dunkelheit; ein anderer Job. Landsberger, welcher Gegner ver Täufer war (1538), 
ift mit ihm verwechfelt worden. Ueber unferen 2. f. Ottius Ann. Anab. p. 47. 
— Lorenz Landsberger fand mit Dend in Beziehung (Ztjchr. für hiſt. Theol. 
1860 ©. 35). 

2) S. Huts Ausfagen in der Ztſchr. d. hiſt. Vereins für Schwaben und 
Neuburg 1874 ©, 236. 








435 


Alle dieſe Männer waren nachweisitch ſelbſt Mitglieder ber alt- 
evangelifchen Gemeinden und haben meistens ihren Glauben mit 
ihrem Blut befiegelt. Aber die „Brüder“ hatten das Glück, auch 
außerhalb ihres engeren Kreifes manchen Schriftfteller zu befiten, 
der ihre Ideen vertrat, und es wird von ihnen jelbft bezeugt, daß 
fie die Bücher des Joh. von Staupik ebenfo Hoch hielten wie 
diejenigen Dencks oder Endtfelders '). 

Ganz befonders aber waren unter ihnen die Schriften Seba- 
ftian Francks gefhägt?), welcher von den Zeitgenoffen ausprüd- 
lich als Schüler Dencks und Hätzers bezeichnet wird). Zwar waren 
die „Täufer“ nicht mit allen Neußerungen dieſes Mannes einver- 
ftanden, aber fie fühlten wohl, daß Franck feine Grundgedanken 
aus den „Brüdergemeinden” überfommen hatte. Franck ift, wie wir 
fehen werben, einer ber wichtigiten Vermittler der altevangelifchen 
Principien für die Folgezeit geworben. 

Schließlich darf nicht unerwähnt bleiben, daß die „Brüder“ 
aus Gründen, deren Erörterung uns hier zu weit führen würde, 
eine Reihe von theologiſchen Schriften, welche heute unter dem Namen 
des Deſiderius Erasmus in der Literatur bekannt find, als 
geiftiges Eigenthbum ihrer Gemeinschaft in Anfpruch zu nehmen be 
rechtigt find. Es hat mit diefen Schriften eine eigenthümliche, noch 
nicht genügend aufgeklärte Bewandtniß. 

Jedenfalls iſt es Thatſache, daß Menno Simons fi in 
ſeinen Schriften auf keinen Mann häufiger ſtützt als auf Erasmus. 
Er nennt dieſen ganz im Gegenſatz zu der Beurtheilungsweiſe, welche 
damals in proteſtantiſchen Kreiſen üblich war, einen „hoch verſtän⸗— 
digen, gelebrten Mann”. 

Wer könnte unter diefen Umftänden behaupten, daß die „Brü- 
ber’ feine hinreichende Vertretung in der Siteratun jener Tage be- 
ſeſſen haben? 

1) S. meinen Aufſatz: Joh. v. Staupitz und das Waldenſerthum im Hi— 
ſtoriſchen Taſchenbuch 1885 ©. 143. 

2) Menno Simons beruft fi) auf ihn (Opp. Amfterdam 1681. p. 21). 

3) Martin Frecht, welcher Gelegenheit hatte, beide Männer und ihre Schriften 
zu kennen, fchreibt anı 24. Octob. 1535 an Bullinger: „Non ignoras, ut olim 


cum Verbo externo luserit Denckius et Hätzerus. Jurares eos in Franco 
et ejus complicibus revixisse.‘“ Ottius Annal. Anab. 1672 ©. 82. 


28* 





Neunzehntes Capitel. 
Der Kampf um den alten Glauben. 


Kirchenverfaffung und Eultus der erneuerten Gemeinden. — Einfluß der Bau⸗ 
hütte. — Die Taufe, der Bann, das Abendmahl, die Gottesbienfte. — Dia⸗ 
onen, Aeltefte, Borfteher, Diener des Worts, Evangeliften. — Die Handauf⸗ 
legung der Senioren. — Die Aelteften der Geſammtkirche d. h. die Bifchöfe. — 
Borrechte ber Bifchöfe. — Die Synoden, die Monatsverfammlungen, Jahres⸗ 
verfammlungen. — Die Apoftel. — Die Berfolgungen und Hinrichtungen. — 
Der Reichstagsabichied vom Jahre 1529. — Luther und Melandthon über 
die Hinrichtungen. — Die Ereignifje in Münfter. — Iob. v. Leyen. — Das 
neue Israel. . 


Man gebt vielfach von der Vorftellung aus, daß zwar die Lehre 
der altevangeliichen Gemeinden in jenen Jahren eine Läuterung und 
Erneuerung erfahren Habe, aber die Kirhenverfaffung und ver 
Eultus doch zu feften Geftaltungen nicht gelangt feien. Diefe An- 
nahme ift indeſſen feineswegs richtig, und wenn auch bei dem heu- 
tigen Stand der Forſchungen fih noch nicht die ganze Frage klar⸗ 
ftellen Yäßt, fo fann man doch ſoviel fagen, daß fefte Formen 
überall in den Gemeinden in ziemlich gleichmäßiger Art vorhanden 
geweſen find. 

Es war im Wefentlichen die feit uralten Zeiten vorhandene 
und erprobte Organifation, welche auch jett wieder von den „Brü⸗ 
dern” auf bie erweiterten und erneuerten Gemeinden übertragen 
wurde, nur mit der Maßgabe, daß die Grundfäße der Bauhütte 
und ber Gilden, auf deren Schultern die Gemeinden fih von Neuem 
erhoben, auch in diefer Richtung einen größeren Einfluß als früher 
geltend machten. Die Verwandtfchaft ver Verfaffung der „Brüder⸗ 
gemeinden” mit derjenigen der Hüttenbrüder ift ganz ebivent und 
wird mehr und mehr an das Tageslicht Tommen. 











437 


Was zunäcft die Aufnahme in die Gemeinde betrifft, jo ſteht 
es aus den Mittheilungen eines Zeugen feit, daß unter Dends Ein⸗ 
fluß die bezüglichen Nitualformeln wenigftens für Oberdeutſchland 
fejtgeftellt worden waren!) Das Gelübde, welches von dem Auf- 
zunehmenden verlangt warb, beftand darin, daß er verſprach, hin⸗ 
fort das Lafter zu fliehen und die Tugend zu üben?), und zwar 
gelobte er im Befonderen, die fieben Hauptfehler und Lafter 
zu meiden und die fieben Haupttugenben, nämlih Weisheit, Ver- 
ftand, Rath, Muth, Erfenntniß, Frömmigkeit und Got 
tesfurcht mit der Hülfe Gottes zu erwerben ?). 

Wenn der Aufzunehmende diefe und andere Zufagen abgelegt 
hatte, ward er in die „Gemeinde“ aufgenommen und als „Bruder“ 
von den Mitgliedern anerfannt. Zum Zeichen des Bundes, den 
er aus freiem Entfchluß mit Gott und den Brüdern gefchlofjfen 
hatte, empfing er die Taufe gemäß dem Gebrauch der apoftolifchen 
Jahrhunderte und dem Befehle Chrifti: „Gebet Hin in alle Welt 
und lehret alle Völter und taufet fie im Namen des Vaters, des 
Sohnes und des heiligen Geiſtes“. 

An Stelle der Kindertaufe übten bie Gemeinden eine Einfeg- 
nung der Neugebornen. Die beilige Handlung der Taufe auf den 
Glauben wurde in der älteſten Zeit faft immer durch Beiprengung 
vollzogen). Sie fand jtatt in Gegenwart der Gemeinde, welche 


1) Juſtus Menius Der Wieberteuffer lere aus Heiliger Schrift wiber- 
legt. 1530. 

2) Hans Hut fagt aus (C. Meyer a. a. O. ©. 227): „ES bedarf Keiner 
keine andere Berpflihtung thun, wenn er ſich taufen läßt, denn die, daß er alſo 
leben wolle, wie es ihm das Wort des Herrn anzeige und wolle die Liebe 
gegen Jedermann erzeigen und alle Tage das Kreuz erwarten.‘ 

3) Es ift fein Zweifel, daß diefe Formel nichts anderes ift, als eine direkte 
Entlehnung aus dem oben erwähnten Katehismus; vgl. ©. 306 ff. — Es find 
dies offenbar die „Sieben Artikel ihrer Bruderſchaft“, nach melchen ber 
Rath zu Nürnberg ven gefangenen Hut gefragt wifjen will (C. Meyer a. a. O. 
©. 222, Nr. 14). 

4) Die Taufe durch Tauchung des Täuflings ift in einzelnen Fällen gleich- 
fall8 nachweisbar, Es läßt fi beobachten, daß die „Gemeinden“ aus dieſer 
Frage kein Princip machten und ven Wunſch des Täuflings Hierin maßgebend 
fein ließen. Daß auch in den apoftolifchen Jahrhunderten kein Prineip daraus 
gemacht wurde, lehrt die „Lehre der Apoftel” ed, Wünſche, Lpz. 1884 ©. 6, 


438 


Inieend ') und unter Gebet die feierliche Erklärung desjenigen, der 
das Zeichen des Bundes mit Gott begehrte, anbörte. 

Wenn der Täufling das Gelübde brach und ven Weg des offen- 
baren Lafters einfchlug, jo waren die Vertreter ver Gemeinde be- 
vechtigt und verpflichtet, die Kirchenzucht zur Anwendung zu bringen. 
Wenn die Mahnung nichts fruchtete, jo wurde die Mitwirkung ber 
Gemeinde angerufen, und wenn er diefe nicht hörte, fo warb feier- 
li der Bann über ihn ausgefprochen. ‘Doch wenn er fich beffert, 
„jo beut ihm die Kirche die Hand, daß er wieder von ihr ange- 
nommen und ein Glied der Kirche gezählt wird‘ 2), 

Das Abendmahl Chrifti oder der „Zifch des Herrn” ift ihnen 
eine Einjegung Gotte8 und darum feine Feier das höchſte Feſt; 
Gott hat das Abendmahl verordnet, damit wir ung, indem wir das 
Brod brechen, erinnern des Urhebers aller Gnade, der für uns ge- 
brocden ward am Kreuze, damit wir zugleich auch die Gemeinfchaft 
mit ihm durch die Bethätigung gegenjeitiger Liebe erweifen. Denn 
wie die Glieder der Gemeinde durch den gemeinfamen Zutritt zu 
dem Tiſch des Herrn fich als Chriften und als Brüder und Schweftern 
beiennen, fo jollen fie eins fein und eins werden zu einen Leibe 
im Geifte des Herrn). 

Der Feier dieſes Hochfeites ging in der Regel eine mehrtägige 
Vorbereitung voraus. Allabendlich fanden fie fich zahlreich ein zu 
Gebet, Ermahnungen und Gefang; befonders waren e8 die Kirchen- 
lieder, welche die Andacht wedten, und die auch noch heute auf jedes 
Gemüth einen tiefen Eindruck zu machen im Stande find. 

Die Einfachheit ihrer fonntäglichen Gottesdienfte*) hat bie Le- 
bendigfeit ihres Glaubens nicht beeinträchtigt. So lange die Haus- 


1) Die Gemeinde betete ftet8 knieend; dies war auch im vorigen 
Sahrhundert noch in vielen Mennoniten= Gemeinden üblih; f. A. Brons 
Urfprung u. |. w. Norden 1884 ©, 219. 

2) So wörtlich in ben alten Ritualoorfchriften; vgl. Beda.a.D. ©. 650. 

3) Die täuferifche Auslegung des Abendmahls, wie fie ‚Cornelius, Münſt. 
Aufruhr 11, 51 wiedergiebt, erinnert auffallend an das 10. Cap. ber „Lehre ber 
Apoftel” ed. Wünfche 1884 ©. 17, 

4) Ich vermag nicht anzugeben, ob fchon in unferer Periode bei den alt- 
evangeliichen Gemeinden auch jene „ftillen Andachten“ üblih waren, welche 
fie jpäterhin neben Predigt und Gebet von Zeit zu Zeit hielten (Barclay R. 
The inner life of (he Religious Societies etc. London 1877 ©. 86); doch if 











439 


gottesdienſte als Ergänzung der Gemeindegottespienfte in Uebung 
waren, hat fich in diefen Kreifen ein veges, weder heuchlerifches noch 
fcheinheiliges veligidfes Xeben wach erhalten. Den beiten Theil ihres 
Gottesdienſtes freilich juchten fie in der praftiichen Bethätigung der 
Nächftenliebe und in brüderlicher Unterſtützung. 


Der Aufbau der Einzelgemeinde vollzog fich wie feit Alters in 
drei Hauptftufen. Die erſte Stufe bildeten die fogenannten „Diener 
der Nothdurft“, d. 5. die Diakonen, deren Zahl je nach ver Größe 
der Gemeinde firirt war; fie wurden auf eine Reihe von Jahren 
gewählt und man fuchte dazu jüngere Kräfte aus. 

Die zweite Stufe bildeten die „Aelteften” und „Vorſteher“, 
welche gemeinfam mit den Geiftlichen die Gemeinde nach außen zu 
vertreten hatten und diefen die Bürde des Amtes tragen balfen. 
Es war dafür eine beftimmte Altersgrenze feſtgeſetzt. 

Die dritte Stufe nahmen die „Magiftri‘ oder, wie die un. 
glückliche deutjche Ueberſetzung diefes alten Ausdrucks lautet, bie 
„Lehrer“ ein. 

Diefe Xehrer oder „Diener des Worts“ glieverten ſich in a) die 
Funktion des „Hirten — wie man das Wort Paftor überjegt 
hatte —, welcher Die geiftliche Leitung der Gemeinde zu feinem Le 
bensberuf machte, und b) diejenige des „Ermahners” oder „Evans 
geliften‘, welcher als „Helfer im Nebenamt dem „Hirten“ nad) 
deſſen Anmweifungen diente, das Volk lehrte, die Kranken tröftete und 
etwaige geijtliche Vereinigungen leitete). 

Kur die Lehrer oder Paſtoren (nicht die Evangeliften) hatten 


es wahrfcheinlih. Eine ſolche ftille Andacht ward in der Regel durch die Ber- 
Yefung einiger Worte aus der h. Schrift eingeleitet; im Uebrigen waren die An- 
weſenden nur zu ftillem Gebet verſammelt. Es entjpricht diefer Gebrauch durch— 
aus den Brincipien ber älteren Brübdergemeinden, welche ausbrüdlich erklärten 
(f. oben S. 86), daß fie den Schwerpunkt ihres Gottesdienſtes nicht ausſchließ⸗ 
lich in die Predigt legen wollten. 

1) Einzelne Gemeinden befaßen oft im Ganzen 5 bi8 6 Paftoren und 
Evangeliften. Da die „Brüder“ auch in unſerer Periode das Princip aufrecht 
erhielten, nur in Kapellen oder kleineren Verſammlungsräumen ihren Gotte8- 
bienft zu verrichten, fo ergab fich bisweilen die Nothwenbigkeit, deren mehrere zu 
befiten und zu bedienen, wo bie berrichenden Parteien ſich mit einer einzigen 
großen Kirche begnügen konnten. 


440 


das Recht, die Heiligen Handlungen, welche Chriftus als Zeichen 
ſeines Bundes eingefegt hat, zu verwalten 1), vor allem die Taufe 
zu ertheilen, das Abendmahl zu fpenden und die Ehen einzufegnen. 
Aber auch der Paftor erhielt dies Necht nur durch die fürmliche 
Weihe, welche durch die Handanflegung feifens eines der „Se- 
nioren“ erlangt wurde. Doch bedienten fie ſich des Ausprudes 
„Weihe“ nicht, um nicht Die Idee zu erwecken, daß fie römiſche Vor- 
jtellungen damit verbänden. 

Der Name „Senioren beveutet hier nicht die „Aelteſten“ der 
Einzelgemeinde, fondern die „Aelteſten“ der Gefammtgemeinde, 
denn auch diefe wurde burch erwählte Xeltejte regiert. 

Die ſämmtlichen Aelteften, Paftoren und Diafonen der Einzel- 
gemeinen eines größeren Bezirks wählten aus ihrer Mitte mehrere 
Diſtriktsvorſteher und Aeltejte, und der aus den „Dienern des Wort” 
erwählte Senior erhielt und gebrauchte nach uralter Tradition und 
gemäß dem Gebrauch der apoftolifhen Sahrhunderte den Namen 
eines Biſchofs; doch wußte er felbft wie feine Wähler ſehr wohl, 
daß er fein Bifchof war in römischen Sinne. 

Zu den Vorrechten der Bifchöfe gehörte die Ertheilung der 
Weihe durch Handauflegung, und e8 verdient bemerkt zu wer- 
den, daß noch im 17. und 18. Sahrhundert bei den „Zäufern‘ nur 
diejenige Gemeinde für rechtmäßig conjtituirt galt 2), welche wenigſtens 
einen Geiftlichen befaß, der durch die Handauflegung eines Bifchofs 
die Weihe empfangen hatte. Im einzelnen Ländern, befonders in 
Norvdeutichland ?) und den Niederlanden, war allerdings damals 
der Name „Biſchof“ ſchon außer Gebrauch gefommen und an feine 
Stelle die Bezeichnung „Senioren” oder „Aeltefte‘ getreten. Doc 
batte damit nur der Name, nicht aber die Sache eine Aenderung 


1) Es ift merkwürdig, daß der Ausprud „Salramente” in dieſer Ge- 
meinſchaft prineipiell vermieden zu werben pflegt. — Als „heilige Handlung‘ 
faßten fie übrigens neben Taufe, Abendmahl und Ehe au die „Hanbanf- 
legung‘ auf. Diefe Auffaffung ift bis in das 18. Jahrh. nachweisbar; |. Bed 
Seihichtsbücher u. |. w. Vorrede S. XVI. 

2) ©, A. Brons Uriprung u. |. w. Norden 1884 ©. 224. 

3) Einer der letzten „Biſchöfe“, die ich in Norbdeutichland nachweiſen Tann, 
ift Emald Wandſcherer; er lebte um die Mitte des Jahrhunderts. Alten im 
Münſt. 2. 9. 518/19. Vol. X. 











441 


erfahren 1), Natürlich galt daſſelbe Gefeg der Handauflegung auch 
in der Berfaffung ver Gefammtgemeinde, und Fein DBifchof 
burfte weihen, der nicht ſelbſt geweiht war. 

Den wichtigften Faktor der Geſammtverfaſſung bildeten Die 
Sapitelsverfommlungen oder Synoden, die nach feften Princi- 
pien und in feften Terminen abgehalten wurden. Auch hier war 
die dreifache Abitufung durchgeführt. Die erfte Inftanz, wenn man 
fo fagen will, bildeten die Monatsverfammlungen, bei welchen 
die Paſtoren, Aelteften und Diakonen der Einzelgemeinde, die ja 
oft über mehrere Orte vertbeilt war, zur Berathung fich ein» 
fanden 2). 

Ueber der Monatsverfammlung fcheint die VBierteljahrs- 
verfammlung geftanden zu haben, bei welcher die Vorſteher und 
Geiſtlichen größerer Bezirke vertreten waren, die man nad) lands⸗ 
mannſchaftlicher Zufammengehörigfeit zu bilden pflegte. Es ift mög- 
lich, daß die „Apoftel” hier präſidirt haben. 

Die dritte und legte Injtanz bildeten die allgemeinen Sy— 
noden, welche, ſoweit e8 angänglich war, alljährlich ?) zuſammen⸗ 
traten. Ob die Wahlen zu denſelben durch die Monatsverfanm- 
lungen oder durch die Vierteljahrsconferenzen vollzogen wurden, 
babe ich nicht fefttellen können. Jedenfalls fanden die allgemeinen 


1) Es war ganz natürlich, daß in den Ländern, in welden die Geſammt⸗ 
verfaffung zu Grunde gegangen war, auch die NRepräfentanten der Gefammt- 
gemeinde wegfielen. In Oefterreih-Ungarn, wo ein Zufammenbang blieb, 
ift der letzte Biſchof erſt um das Jahr 1790 geftorben. Bed Geſchichts⸗ 
Bücher u. f. w. 1883. Anfänge an bie alte Verfaſſung finden fih auch unter 
ben beutfchen Mennoniten noch gegenwärtig ; man vgl. Allg. Formularbuch u, f. w. 
Monsheim 1852 S. 195: „Wer ein Bifhofsamt begehrt u. f. w.“ Eben 
dieſes Buch enthält im Uebrigen freilich viele Entftellungen der alten Tradition. 

2) Näheres darüber bei R. Barclay The inner life etc. 1877 ©. 87, 
welcher auf Grund des Brauchs zu Mennos Zeit darüber veferirt. Man barf 
aber von dort aus mit Sicherheit rückwärts fchließen. 

3) Barclay a. ©. ©. 88: „They (the Mennonites) sent delegates to a 
yearly meeting of the Churches, where they decided upon measures concern- 
ing the support of the poor, the maintenance of public worship and the 
distribution of the ministers to congregations, which needed them; and any 
causes of dissension, which could not be settled in the particular congre- 
gations, where brought here for settlement by way of appeal.“ — „These 
yearly Meetings were not always held in the same place, but circulated.“ 





442 


Berfammlungen unter Mitwirtung der Biſchöfe und Apoftel 
ftatt, welche bie geiftlichen Nepräfentanten der Geſammtkirche waren. 

Daß die bifchöfliche Verfaffung, wie fie bei den älteren Ge— 
meinden in Kraft gewejen war, auch in ven erneuerten altevan- 
gelifhen Gemeinden bereit8 im Jahre 1527 zu Recht bejtand, er- 
heilt aus Hubmeiers Zaufagende, welche etwa im Auguft 1527 
erichienen ift!). Wir haben oben bereitd den Leonhard Schiemer 
als Biſchof der ſämmtlichen Gemeinden in Oberöftreih Tennen 
gelernt?). Auch die „Brüder“ in Mähren haben Jahrhunderte 
hindurch ihre Bifchöfe gehabt, und es kann als ficher betrachtet 
werben, Daß auch die übrigen Bezirke Bifchöfe befaßen; doch hatten 
die Inhaber der Würde Grund, diefelbe möglichft geheim zu Halten, 
da die Gegner befonders die Häupter der „Sekte“ zu beftrafen 
juchten. 

Neben den Bifchöfen und wahrjcheinlich unter ihrer Juris⸗ 
bietion ftanden jene Sendboten oder Apoſtel, aus deren Zahl, 
wie e8 feheint, Die Bifchöfe in der Regel bervorgingen. Sie hatten 
das fchwerfte Amt in der Gemeinfchaft, aber auch. das wichtigjte. 

„Die Senbboten der täuferifchen Kirche‘, jagt Cornelius 3), „be⸗ 
gannen ihre Predigt mit dem Ruf zu Buße und mit der Verkün⸗ 
digung der nahen Zukunft des Herrn, des Gerichts über die Welt 
. und der Strafe der Gottlofen. Nicht von dem Evangelium, fagten 
fie, welches in den letzten Jahren gepredigt worden, Tann die Rettung 
ber Menfchen kommen. Es widerlegt fich ſelbſt durch die Früchte, 
welche e8 bringt. Seine Prediger vermögen nur zu zerftören, nicht 
zu bauen: nirgends haben fie eine wahrhaft chriftlide Gemeine 
gegründet, die Laſter werden nicht geftraft, der Bann nicht gebraucht, 
feine Befjerung des Lebens bewirkt“. — „Die Männer, welche 
biefe Botfchaft brachten, kamen in unfcheinbarem Gewand, arm 
wie bie Apoftel, demüthiger Haltung. Sie wandten fi an die 
Armen und Niedrigen, denn zu dieſen, fagten fie, habe Gott fie 


1) Ein Form zu touffen im Wafler Die underrichten im glauben, Nicols- 
burg 1527. 4.4 Bl. Neu gedrudt von Schelhorn Beyträge zur Erleu⸗ 
terung ber Geſch. u. ſ. w. Memmingen 1772. II. Stüd S. 91—98, 

2) Bol. Bed a. a. DO. ©. 61 Anm. 2. 

3) Münft. Aufruhr II, 47 f. 


% 








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gefchickt. Mit dem Gruß des Friedens betraten fie die Hütten, 
ſprachen von den Werfen der Liebe und von der Ververbniß der 
Welt, laſen aus der h. Schrift, erklärten und lebrten. — Die 
Redner waren Belenner und Märtyrer, und die Flamme, von ber 
fie felbjt ergriffen waren, entzündete auch die Hörer. VBerfolgt und 
flüchtig, ihrer Nahrung und ihres Lebens nicht ficher, legten fie 
durch die That ein Zeugniß für ihre Worte ab: darum wirkten 
diefe mit ber vollen Macht ihres biblifchen Inhalts, erbaulich und 
berzgewinnend, erfchütternd und nieverwerfend”. 

Es läßt fich nicht mehr feftftellen, ob die Forderungen, welche 
an die Brüderapoitel der älteren Zeit geftellt wurden, auch roch 
in den reformatorifchen Gemeinden Gefeg waren. Dagegen wiljen 
wir, daß bei Gelegenheit ver allgemeinen Verfammlungen die Aus 
ſendung erfolgte, und daß zwifchen ven bort Defignirten zulett Das 
2008 entſchied!); auch ift fiher, daß die Erwählten in der Regel 
zu Zweien auszogen, und daß ein jüngerer Geiftlicher des eigent⸗ 
lichen „Apoſtels“ vienftbereiter Begleiter war 2). 


Es war ein Glück für die altevangelifche Partei, daß fie bes 
reits ziemlich feft confolidirt war, als mit dem Jahre 1527 eine 
Reihe fchwerer Schieffalsfchläge über fie hereinbrach. 

Nachdem die Stadt Züri zu Anfang 1527 mit den erften 
Hinrihtungen vorangegangen war, folgte zunächit der Damals von 
Zwingli ſtark beeinflußte Urbanus Rhegius in Augsburg mit einer 
fgitematifchen Verfolgung. Die große VBerfammlung von 1527 gab 
die erfte Veranlafjung zum Einjchreiten; am 25. April 1528 fand 
in Augsburg die erfte Hinrichtung ftatt, Joh. Leupold ward als 


1) Bgl. die oben erwähnten Ausfagen Georg Nofpigers. 

2) Noch zur Zeit Mennos beftimmten die Jahres⸗Verſammlungen diejenigen 
Männer, welche als Senpboten zu fungiren und beſonders diejenigen einzelnen 
Berfonen oder kleineren Kreife aufzufuchen hatten, die feine Gemeinde bilden 
tonnten. ©. R. Barclay The inner life etc. ©. 88. Barclay fügt Hinzu: 
„The travelling expenses of the teachers, who were engaged in supplying 
the needs of the congregations, who were imperfectly supplied with mini- 
sters, were contributed by the Yearly Meeting of the united Churches. They 
also supplied Ihe pecuniary necessities of Ihe poorer congregalions“. 


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Täufer entbauptet 1), Dann wiederholten fich bort die entſetzlichſten 
Scenen von Monat zu Monat. 

Der Nechtögelehrte Dr. Hepftein äußerte am 25. San. 1529: 
„Die von Augsburg haben viel gewürgt und tödten lajfen, hat 
aber nicht8 Gutes gebracht”, 

„Meberall in Schwaben, Baiern, Franken‘, jagt Friedrich Roth, 
„erhob fich eine wahre Hetze auf die Wievertäufer” 2). Die ſämmt⸗ 
lichen fchwähifchen Städte, die neugläubigen wie die altgläubigen, 
folgten dem Beifpiel Augsburgs. In Eßlingen leitete Ambrofius 
Dlaurer die Verfolgung; in Tübingen wurden im Jahre 1536 
jech8 Frauen verbrannt, in Kaufbeuren fünf Männer enthauptet, 
in Böblingen fieben Perfonen gerichtet, in Stuttgart und 
Kirchheim gefhah das Gleiche. Im September 1527 bejchloffen 
die Stände des ſchwäbiſchen Bundes, durch bewaffnete Reiterfchaaren 
im ganzen Lande auf die Täufer jtreifen zu laffen; die Hauptleute 
hatten Vollmacht, die Verdächtigen ohne Urtbeil und Recht zum 
Tode zu bringen, und entjeßlih war das Blutbad, welches unter 
den Unfchuldigen angerichtet ward. 

Es verſteht fih, daß die römiſch⸗katholiſchen Fürſten und 
Städte die alten Principien ihrer Kirche mit Energie zur Anwen⸗ 
dung brachten. Der Befehl Herzog Wilhelms von Baiern: „Wer 
revocirt, den ſoll man köpfen; wer nicht revocirt, den ſoll man 
brennen“ bezeichnet die Geſinnung, welche man dort den Täufern 
entgegenbrachte. Das Reſultat war in Baiern in Bezug auf Hin⸗ 
richtungen Folgendes: E8 wurden verbrannt zu Landshut 5, zu 
Münden 8, zu Mühldorf 5, zu Dettingen 7, zu Burg- 
haufen 6, zu Ingolftadt 1, zu Landsberg 2, zu Tipmanig 4, 
zu Grießbach 5, zu Paſſau 2 — kurz, in wenigen Jahren 
57 Berfonen. Ganz entjeglih war die Hetzjagd in den öftreichifchen 
Landen, im Innthal (mo 210 Scheiterhaufen brannten), in Tyrol, 
im Salzburger Land, in Steiermark, in Ober» und Unterdjtreich. 
Für Tyrol erließ König Ferdinand feit dem Jahre 1527 zehn Straf- 
mandate tm immer fteigender Strenge. „Ich glaube”, fchreibt ein 

1) Gassari Annales Augsburgenses bei Mencken Scriptores I, 1777. — 


Im 3. 1531 betrug die Zahl der Getödteten in Augsburg bereit 12, 
2) Augsburgs Ref.Geſch. 1881 ©. 226, 


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— — 





Zeitgenoſſe, „daß allein im Land Tyrol und Görz tauſend Men— 
ſchen um der Taufe willen verbrannt, geköpft und ertränkt worden 
find. Denn die Wiedertäufer unterſtunden ſich einer großen Hart 
nädigfeit"N). Die vorberöftreichifche Regierung zu Enfisheim Hatte - 
es nach einigen Jahren dahin gebracht, daß fie auf ein Leichenfeld 
von 600 Täufern verweiſen konnte. 

Nach einiger Zeit fing man an nach der Weiſe, die in Italien 
bei politiſchen Verbrechen üblich war, vorzugehen: man ließ die Ge⸗ 
fangenen in den Kerkern langſam umkommen oder richtete fie heim- 
lich zur Nachtzeit hin. Der „Täufer“ Conrad Koch, welcher ſelbſt 
den Tod erlitt, beſchwerte ſich vor der Execution: „Diebe und 
Mörder pflegt man zu verurtheilen mit Vorwiſſen des ganzen 
Landes; aber die Frommen ermordet man heimlich“. 

Der Kaiſerliche Rath und Procurator am Reichskammergericht, 
Leop. Dickius, welcher ein Buch wider die Anabaptiſten ſchrieb, 
„quibus jam totus conflagratus orbis immanissime saevit“, 
ſchreibt im Jahre 1533 wörtlich: „Man ſchont kein Alter und kein 
Geſchlecht und (während man die Männer tödtet) verkommen die 
Frauen und Kinder in Elend und Hunger. Dieſer, in gräßlichem, 
ewigen Gefängniß gehalten, verſchmachtet in Unrath und Entbeh- 
rungen; Teine Sreundjchaft, feine Wohlthat, Feine Pflicht Tennt man 
gegen dieſe Menſchen; jeder wird als ein folcher behandelt, welcher 
des ſchwerſten und peftilenzialifchen Verbrechens fchuldig iſt“?). Der 
römiſch⸗katholiſche Chronift Kilian Leib erzählt: „Zu Salzburg und 
München wurden fie mit ernfter Strenge beftraft durch Schwert, 
Feuer und Waſſer, und alle diefe Todesarten haben die verhärteten, 
unglüdlihen Männer, Mädchen und Frauen nicht nur ge 
duldig, ſondern bisweilen auch freudig ertragen, indem der Teufel 
fein Spiel und feine Schauftüde mit den Armen trieb‘). Weber 
die Hinrichtung eines jungen Mädchens von 16 Jahren in Salz 
burg wird berichtet, daß fie auf feine Weife zum Widerruf gebracht 


1) Näheres über Tyrol bei v. Kripp Die Wiebertäufer in Tyrol. Inns⸗ 
bruder Gymn.⸗Progr. 1857. 

2) 8, Dickius, Adversus impios Anab. errores 1533. Bl. B. (Exemplar 
im Beſitz des Staatsarchivs zu Münſter.) | 

3) Dillinger Beiträge u. ſ. w. Il, 517. 


446 





— 


werben konnte. Jedermann bat um ihr Leben, denn alle fühlten, 
daß fie rein und unfchuldig war wie ein Kind. Der Nachrichter 
nahm fie auf den Arm, trug fie an die Roßtränke, tauchte fie unter 
das Waffer, bis fie ertrunfen war, dann 309 er den entfeelten Leib 
wieber hervor und übergab ihn dem Feuer). 

Es ift unmöglich, auch nur annähernd ein zutreffendes Bil 
von den Gräuelthaten zu geben, beren bie herrſchenden Parteien 
fih an diefen Leuten ſchuldig gemacht haben. Keine Stadt, Tein 
Flecken, ja faft fein Dorf blieb von Verfolgungen, Einterferungen, 
Austreibungen und Hinrichtungen verfhont. Wenn Sebaftian 
Srand ſchon im Jahre 1530 die Zahl der Getödteten auf etwa 
2000 angiebt, jo kann man annehmen, daß mehr als die zehnfache 
Zahl durch Einkerkerung, Folterung, Brandmarkung, Ausweifung 
und Verfolgungen aller Art bejtraft worden ift. Und doch begann 
die ſchlimmſte Hetjagb erft nach dem Jahre 1530. | 

Wer bejchreiht den Kummer und das Elend, welches in Den zer- 
rütteten Familien vieler Hunderttaufende im Laufe der Jahre Durch 
den frommen Eifer ver herrſchenden Geiftlichkeit angerichtet worden 
ft? Wie viele Wittwen hat man verkommen laſſen, wie viel Waifen 
find elend dem Tode entgegengefhmacte. Und dies Alles im 
Namen Chriſti und der chriftlichen Liebe! 2) 

Es iſt ein charakteriftifches Kennzeichen der Unkenntniß über 
die wahren Vorgänge jener Epoche, daß fehr viele Menfchen noch 
heute von der Vorftellung ausgeben, daß diefe Hinrichtungen und: 
Berfolgungen gegen Die „Wiedertäufer" nur wegen Aufruhrs ver- 
hängt ſeien und daß die Reformatoren an diefen Dingen unbe 
tbeiligt wären. Nein, e8 war weder „Aufruhr”, was man beftrafte, 
noch ift eine ber beiden herrſchenden Kirchen unjchuldiger als die 


1) S. Ranke, L. v., Deut. Geſch. im Zeitalter der Ref. 5. Aufl. II, 363. 

2) v. Braght Het bloedig Tooneel of Martelaers-Spiegel etc. Amf. 
1685 erzählt die Leidensgejchichte von etwa 900 namentlih aufgeführten Mär⸗ 
tyrern zwifchen 1524—1672. Dazu fommen etwa 1000 bingerichtete Perfonen, 
iiber welche er nur einzelne Notizen hat erfahren können, zumal Frauen, Mäb- 
hen und Jünglinge. — R. v. Liliencron (Abh. d. Mind. Al. 1877 ©. 
134 ff.) hat die „Märtyrerlieder“ ber Iutherifchen und der altevangelifchen Kirche 
zujammengeftellt; e8 giebt 3 luth. (auf 4 Märtyrer) und 62 täuferifche (auf 300 
Perjonen). 


447 


andere, nur Landgraf Philipp von Helfen und die Stadt Straß- 
berg haben ihre Hände wenigftens von Blut rein gehalten, während 
fie freilich Einferferungen und Ausweifungen gegen die „Häre- 
tiker“ gleichfalls in Anwendung bringen zu müſſen glaubten. 

Einer der verhängnißvoliften Befchlüffe, welche je von einen 
deutjchen NReichstage gefaßt worden find, tft das blutige Mandat 
gegen die „Ketzer“, welches von lutheriſchen und römiſch-katho⸗ 
liſchen Fürften und Städten auf demfelben Reichstag zu Speier 
(1529) bejchloffen ward, auf welchem bie „‚proteftirenden Reichs⸗ 
ſtände“ fich gegen die Beichlüffe der Majorität in Sachen ihres 
Glaubens verwahrten. 

Diefes Mandat bildet den Mittelpunft einer Epifode der deut- 
jhen Geſchichte, welche in ihren Conſequenzen unfägliches Unglüd 
über unjer Vaterland beraufbefchworen bat. 

Nachdem bereitS am 4. Januar 1528 der erfte kaiſerliche Erlaß 
erfohienen und in allen Städten, Fleden und Dörfern von den 
Kanzeln publieirt war, daß jeder Taufgefinnte fowie alle Eltern, 
welche ihre Kinder nicht rechtzeitig zur Taufe brächten, nach geift- 
lichem und meltlichem Rechte dem Tode verfallen jeien, beantragten 
die Raiferlihen Commiffarien auf dem Reichstag zu Speier eine 
im Namen des Kaifers und der NReihsftände zu erlaffende neue 
Verfügung, und nach längeren Verhandlungen fam e8 dahin, daß 
dem Kaifer unter Zuftimmung aller Stände die erbetene 
Vollmacht ertbeilt wırde'). 

Der $ 6 des Reichstagsabſchiedes vom Jahre 15292) enthält 
folgenden Beſchluß: „Nachdem auch Fürzlich eine neue Sekt des 
Widertaufs entftanden, fo in gemeinen Rechten verboten 
und vor viel Hundert Jahren verdammt worden tft, 
welche Sekt über Kaiferlich ausgangen Mandat, je länger je mehr 
jchwerlicher einbricht und überhand nimmt und dann ihre Maje- 

I) Der Reichstag von Augsburg im Jahre 1530 beftätigte die Speierer Be— 
ſchlüſſe. Höchſt intereffant, aber bis jeßt faft ganz unbelannt find die Bemühun⸗ 
gen des Landgrafen Philipp von Helfen, die Xutheraner von der Zuftimmung 
abzuhalten; es gelang ihm nicht. Einiges darüber bei Keim Schwäb. Ref.⸗ 
Geh. Tüb. 1855 ©. 164 ff. 


2) Abgebruct in der Neuen und vollft. Sammlung der Reich8-Abfchiebe 
Frankfurt a. M. 1747. Vol. II, ©. 294. 





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ftät folch fchwer Uebel und was daraus folgen mag zu fürkommen 
und Fried und Einigkeit im h. Neich zu erhalten, ein rechtmäßig 
Sonftitution, Satzung und Ordnung aufgeriht und alfenthalben 
im 5. Reich zu verfünbigen verfchafft, alfo Tautend: „daß alfe und 
jede Widertäuffer und Wivergetaufte, Mann und Weibsperjonen 
verftändigs Alters vom natürlichen Leben zum Tode mit Teuer, 
Schwert oder dergleichen nach Gelegenheit der Perfonen ohne vor⸗ 
gehende der geiftliden Richter Inquiſition gerichtet oder 
gebracht werden”. 

Man hätte erwarten follen, daß Die Vertreter der neuen Staats⸗ 
firchen gegen die Erneuerung der alten Ketzergeſetze, welche gelegent- 
Yich mit vemfelben Recht gegen die Qutheraner und Zwinglianer 
wieber in Anwendung gebracht werben Tonnten, proteftirt hätten. 
Aber fie willigten nicht nur in die Wiederherftellung, ſondern fogar 
in die Verſchärfung der alten Beitimmungen; denn e8 war un⸗ 
erhört, daß ben „Täufern“ nunmehr ſelbſt das Verhör vor den 
Inguifitoren abgefchnitten wurde. Man wollte fie wie bie wilden 
Thiere zu Tode hetzen — jede Menschlichkeit, jede Gerechtigkeit 
ſchien dieſen „Verbrechern“ gegenüber erlofchen zu jein. 

Der einzige Reichsfürſt, welcher wenigftens in Bezug auf bie 
Bollziehung der Todesftrafe dem Reichstagsabſchied fich nicht unter- 
warf, war, wie gefagt, Landgraf Philipp. Er gerieth darüber in- 
deſſen fofort in einen heftigen Conflikt mit feinem Nachbarn, dem 
Churfürften von Sachſen, bezw. mit den Wittenberger Theologen 
Luther und Melanchthon. 

Die Letzteren nämlich hatten ſich etwä im November 1529 
gutachtlich dahin ausgefprochen, dag das Mandat au in Sachen 
nach feiner vollen Strenge zur Anwendung zu bringen fei. Der 
Churfürft erklärte dem Landgrafen, er balte fich für verpflich- 
tet, an dieſem Mandat, „barin er feines Theil neben anbern 
Churfürjten, Zürften und Ständen des Reichs auch bewilligt, des⸗ 
gleihen an feinem offenen Ausjchreiben, fo diefer Selten halben 
hernachmals geſchehen“ nach dem Rath feiner Gelehrten 
feftzuhalten. Hiergegen erwiderte Philipp: „Wir können in une 
rem Gewiſſen nicht finden, Jemanden des Glaubens hal— 
ben, wo wir nicht fonft genugſam Urfache der Verwirfung haben 





449 


mögen, mitdem Schwert richten zu laffen”!) und bezeugte 
damit zugleich, daß das Kaiferliche Mandat nicht etwa wegen Auf- 
ruhrs gegen die Täufer gerichtet war. 

Der Streit zwifchen den beiden Fürften nahm größere Di- 
menfionen an, als es fich darum Bandelte, das Amt Hausbreiten- 
bach, welches unter der gemeinſchaftlichen Iurisbiction von Sachfen 
und Helfen jtand und das von Täufern angefüllt war, von der 
„Sekte“ zu reinigen. Es fand eine perfünliche Zufammenkunft ver 
Fürſten ftatt, bei welcher Churfürft Johann Friedrich auf Hinrich- 
tung der Schuldigen drang. 

Zur Begründung feiner Anficht legte er ein Gutachten feiner 
vornehmften Theologen in Wittenberg vor, unter welches Luther 
die Worte gefchrieben hatte: „Placet mihi Luthero“2) und in 
welchem unter Anderem gejagt war: „Es weiß auch ver Poteſtat 
(d. h. die Obrigkeit) Diefes, daß, obſchon etliche Anabaptiften mögen 
aus Einfalt irren, daß dennoch ihre Sekte gewißlih vom Teufel 
ift und gereicht zur Vertilgung der rechten, reinen Lehre des Evan⸗ 
gelii. — Derbalben muß der Poteftat der Sekte wehren, ob er 
ſchon etwa mit einer Perfon zu gefchwind führe, thut er dennoch 
recht, daß er der Sekte wehrt u. ſ. w.“8). 

Geſtützt auf dieſes Gutachten Tieß der Churfürft im Sahre 1531 
eine Anzahl „Wiedertäufer“ nach Eifenach fchleppen, foltern und 
einen gewiffen Fritz Erbe zum Tode verurtbeilen. ALS der Land⸗ 
graf dies erfuhr, legte er feterlich Proteft ein und erklärte: „Da 
diefer Mann allein der Irrung halben der Wiedertaufe 
gefangen und berüchtigt tft, fo wollen wir nicht bergen, daß 
wir bisher in folchen Fällen feinen Menſchen um Sachen willen 
den Glauben belangend mit dem Schwert haben richten laſſen.“ 

Erbe wurde denn in der That nicht Hingerichtet, fondern in 
Iebenslangem Kerker gehalten, wo er, wie Zeugen berichten, Yang- 
fam verkommen tft‘). 


1) Schmidt, ©. L., Juſtus Menius. Gotha 1867 1, 143. 
2) Schmidt Juſtus Menius I, 165. 

3) Schmidt a. a. O. ©. 162. 

4) Das Nähere bei Schmidt Juſtus Menius I, 176 ff. 
Keller, Die Refornation, 29 


450 


Der unglüdlihe Fritz Erbe ift bei Weitem nicht das einzige 
Opfer geblieben, welches auf die Gutachten der Wittenberger Theo⸗ 
logen Hin in den churſächſiſchen Ländern hingerichtet worden ift. 
Eine Anzahl feiner Glaubensgenoſſen wurde im Jahre 1533 ge- 
tödtet; am 27. Januar 1536 beftiegen zu Jena drei Täufer, die 
Melanchthon felbft zum Tode begleitete, das Schaffot, im Sahre 
1537 unterfchrieb der Churfürſt das Todesurtbeil gegen zwei Män- 
ner, denen nicht anderes als Irrthum im Glauben nachgewiefen 
war, und im Jahre 1543 wurde ebenfalls ein Abtrünniger mit dem 
Schwert gerichtet). 


Es ift in der Kirchengefchichte der fiegreichen Parteien aus er- 
klärlichen Gründen üblich geworden, als Inbegriff ver Gefchichte des 
Anabaptismus diejenigen Vorgänge binzuftellen, welche fich im Jahre 
1535 zu Münfter vollzogen haben, und feine Bearbeitung des Täufer- 
thums Tann umbin, auf diefe Ereigniſſe wenigjtend mit einigen 
Worten Rüdficht zu nehmen. 

Da will ih nun von vorn herein bemerken, daß die Vorgänge, 
welche fich in der Phafe des legten Todeskampfes dieſer großen 
Stabt unter der ungebeuren religidfen Efitafe der unglüdlichen 
Menſchen abgejpielt haben, ebenfowenig jemals eine Nechtfertigung 
finden werden, wie jene blutige Hetzjagd, welche die herrſchenden 
Parteien in den Jahren 1527—1533 und Später unter unfchuldi- 
gen Männern und Frauen angerichtet haben. 

Aber wenn auf irgend einem Gebiete der Kirchengejchichte ber 
Haß der fiegreichen Parteien ein Zerrbild der wahren Ereigniffe 
geſchaffen bat, jo ift es in der Gefchichte des fogenannten Deünfter- 
ſchen Aufruhrs gefchehen, und es fteht gerade hier eine Ummälzung 
der bisherigen Betrachtungsweife wenigjtens ber erjten Stadien bes 
Kampfes zu erwarten, welche diejenigen in Erjtaunen jegen bürfte, 


1) Daß die BVerfolgungen gegen die „Täufer“ mit blutiger Gewaltthat 
faft zwei Jahrhunderte lang in Tatholifhen wie evangelifchen Ländern fortge- 
dauert haben, kann man al® befannt vorausfegen. Daß aber felbft noch im 
19. Jahrh. in einzelnen europäiſchen Ländern die Regierungen mit Einferferun- 
gen und Zwangsmaßregeln gegen fie eingefchritten find, werde ich vielleicht bei 
anderer Gelegenheit zur erwähnen Gelegenheit haben. 








451 


bie als legten Trumpf gegen die „Wiebertäufer" bisher ſtets bie 
„Münſterſche Raſerei“ auszufpielen pflegten!). 

Dean bat bisher fast immer überfeben, daß, nachdem dem großen 
Blutbad des Jahres 1535 Taum einige Frauen entronnen waren, 
jeder zuwerläffige und unparteitfche Berichterftatter über die Dinge, 
welche jich während der Belagerung in ber Stadt zugetragen 
haben, fehlte, und daß unjere bisherige Kenntnig auf den Rela- 
tionen jener Verräther und Ueberläufer beruht, welche wie &res- 
bet u. U. der Partei, die fie verrathen hatten, allen jenen Haß 
entgegenbrachten, welchen man gegen diejenigen zu hegen pflegt, gegen 
die man fich eines Unrechts bewußt ift. | 

Es gehört zu den gröbjten Entjtellungen, wenn man jenen 
Tauſenden Münfterfcher Bürger, die fi damals die Spättaufe 
ertbeilen Tießen 2), unterlegt, daß fie plößlich in eine revolutionäre 
und blutgterige „Sekte umgewandelt feien. B 

Es wohnte damals wie heute in der Stadt eine ruhige, reli- 
g188 gefinnte und mit nichten zum Umfturz neigende Bevölkerung, 
und e8 wird fich zeigen, daß nur die unerhörtefte, graufamfte Uns 
gerechtigfeit dieſe Bürger jchlieglih dahin gebracht hat, ihre Väter, 
Mütter, Söhne und Töchter auf dem Wege der Nothivehr vor der 
weiteren Hinfchlachtung durch die Henker der Ingutifition zu ſchützen?). 


1) Es find feit dem Erjcheinen meines Buches: Geſch. d. Wiebertäufer und 
ihres Reichs zu Minfter, Münfter 1880, durch glückliche Umftände eine Reihe 
wichtiger neuer Duellen aufgefunden worben, welche viele Fragen in einem ganz 
veränderten Lichte zeigen. So hat ſich 3.8. berausgeftellt, daß das bisher ver⸗ 
loren geglaubte Archiv des vor Münfter als Taiferlicher Feldherr commanbiren- 
den Grafen Dhaun, welches wichtige Eorrefponbenzen mit der Stadt Münfter 
enthält, erhalten if. Dazu kommt eine bisher. unbelannte Chronik, mehrere 
Heinere Schriften von „Täufern“, viele Briefe, Regifter und fonftige Aktenſtücke. 

2) Die Namen-Berzeichniffe beruhen im Staatsarchiv zu Münfter; es find 
viele ſehr angejehene, noch heute blühende Familien darunter. Vielleicht werde 
ich biefelben demnächſt der Deffentlichfeit übergeben. 

3) Auf die Art, wie die Stabt Münfter damals von ihren Gegnern bes 
handelt worben ift, wirft ſchon folgende einzelne Thatfache ein Licht. Am 20. März 
1533 überfendet der Propft des Stiftes Herford und erzbifchäflich trierfche Official 
zu Coblenz Dr. Bernd. Dorind ein Rechtsgutachten an Biſchof Franz, in wel 
hem er auf Grund von Beitimmungen des canonifchen und weltlichen Rechts 
darthut, „daß E. fürftl. Gnaden diefelben Eide, Siegel und Briefe 
mit allen denjenigen, damit fie zu tbun haben, nidt ſchuldig 

29* 


452 


Es ift fonderbar: die blutige Gewilfenstyrannei der herrfchenden 
Parteien pflegt man noch heute mit dem wohlfeilen Hinweis auf 
ven „Charakter der Zeit”, aus welchem diefelbe begriffen wer- 
ben müffe, zu entjchuldigen; wenn man aber unter Hindeutung auf 
die ſchrecklichen Ereigniffe, welche bie tiefiten Tiefen, ſelbſt eines 
treuen und stillen Volkes, aufregen mußten, etwaige Ausschreitungen 
des angegriffenen Theiles zu erklären fucht, fo ift der Hinweis auf 
den Charakter des Zeitalters unzuläffig, und man wird der Sym- 
pathte mit Leuten bejchuldigt, welche in den Augen ihrer heutigen 
Gegner noch immer al8 der Auswurf aller Menſchen gelten. 

Ein geiftvoller und erfahrener Kirchenbiftorifer, welcher für die 
Münfter’ichen ebenfo wenig Sympathie hegt wie wir, bat ſchon im 
Sabre 1863 die ganz Tichtige Bemerkung gemacht, dag die gräß- 
lichen VBerfolgungen, denen die zu Verbrechern geftempelten Schwär- 
mer eine Reihe von Iahren ausgejegt waren, „aus ven Schwär- 
mern [ohlieglich nothwendig Verbrecher machen mußten“i. 

Es find in der Gefchichte der Münfter’fchen Ereigniffe zwei 
Perioden ſcharf zu unterfcheiden: die erſte ift diejenige, in welcher 
die Majorität der einheimifchen Bürgerjchaft nach vem Empfang der 
Taufe die „Gemeinde Chrifti” im Anſchluß an die Ideen ver äl- 
teren Täufer organifirt bat; Die zweite ift die, in welcher nach ber 
Revolution, die wegen ber Frage der Polygamie ausbrach, die Herr- 
ihaft in der Stadt an jenes fremde Geſindel überging, welches 
jih in der Noth der Hungerjabre, wie fie fett 1529 auf Deutjch- 
land lafteten 2), nah Münfter geflüchtet hatte, 


find zu halten” Ein geiftlicher Fürft brauche Häretifern niemals einen 
ihnen gegebenen Eid zu halten; „nec est opus“, heit e8 weiter, „petere abso- 
lutionem, quia jure conceditur“. Biſchof Franz, anftatt diefen Treubrud mit 
Entrüftung zurüdzuweifen, bittet in feiner Antwort den Dorind, das bifchöfliche 
Offteialat in Münfter zu übernehmen. Den gleichzeitig ausgefprochenen Wunſch 
des Officials, daß der Bifchof feinen (Dorinds) Sohn zu einem geiftlichen Bene⸗ 
fitum befördern möge, hofft der Bifchof fpäter zu erfüllen. — Ich vente biefe 
intereffante Correſpondenz, welche ſich M. L. U. 518/19 Vol. I findet, fpäter zu 
publiciren. Die Berträge wurden vom Bifhof nachher wirktlid 
gebroden. 

1) Nippold David Ioris. Ztſch. f. hiſt. Theol. 1863 ©. 523. 

2) Die Beweife für die fociale Noth in jenen Jahren ſ. in meiner Geſch. 
der Wiebertäufer u. ſ. w. 1880 ©. 91 ff. 


453 


Diefes Gefindel Hat dann mit allen Mitteln blutiger Gewalt 
die von der Außenwelt durch die Belagerung abgefchnittene und 
wegen des Empfangs der Taufe mit dem Tode bedrohte, aljo gänz- 
lich rathloſe einheimische Bevölkerung etwa in derſelben Weile ty⸗ 
rannifirt, wie bei einer ähnlichen Belagerung in unferen Tagen 
fchlieglich gleichfall8 der unterfte Pöbel alle gemäßigten Elemente 
niedergeiworfen und ein Regiment nach feinen Idealen aufgerichtet hat. 

Aber jo gewiß Die Ideen der „Commune“ nicht iventifch waren 
mit denjenigen, welche bis zu ihrer Proclamirung in Frankreich, bezw. 
in Paris herrfchten, jo gewiß haben die Ideen Johanns von Leyden 
. und feiner Freunde nichts gemein mit den Beitrebungen derjenigen 
Münfterfchen Bürger, die jener erft nach einer fchweren Nieberlage 
hat zwingen können, ſich feine Grundfäge gefallen zu lafjen‘). 

Es war eine ungeheure Kataftrophe, welche nicht nur über 
Münfter, ſondern über das ganze Neich und beſonders über bie 
Partei der „Brüdergemeinden“ feit jener Erftürmung des Rath- 
hauſes durch die Holländer am 1. Auguft 1534 bereingebrochen war. 

Die herrichenden Parteien hatten auf Grund des Alten Tefta- 
ments fo lange mit Teuer und Schwert gegen die altevangelifchen 
Gemeinden gewüthet, bis fich aus den Trümmern der Partei zuletst 
eine Anzahl verzweifelter Fanatiker ausfonderte, welche das gegebene 
Princip aboptirte und fich entichloß, fih mit denſelben Waffen zu 
wehren, mit denen fie angegriffen wurden. Das geſchah in Meünfter 
feit der Einführung des neuen „Israel“. 

Und nachdem einmal die vorwiegende Gültigfeit des Alten 
Teftaments wenigftens in einem Punkte feftgeftellt war, warum 
ſollte man nicht auch in allen andern Punkten ſich auf daſſelbe 
ftügen birfen? War nicht im Alten Bunde die Bolygamie felbft 
bei Patriarchen und Königen erlaubt gewejen? Warum jollte es 
jest in dem neuen „Israel“ anders fein? 

Und bier ift nun einer der Punkte, welcher die fchärfite Ver⸗ 
urtheilung verdient und erfahren Hat, und zwar fowohl von ben 


1) Ueber den Aufftanb und bie ſchließliche Niederlage der einheimiſchen Bür⸗ 
ger |. meine Geſch. d. Wiebertäufer S. 212 ff. — Joh. v. Leyden fagt in feinem 
Bekenntniß felbft aus, daß, als er anfing von ber Ehe zu predigen, die Bilrger 
ihn ins Gefängniß werfen wollten. Niefert Urkunden-Sammlung I, 178. 


454 


„Brüdergemeinden“ wie von den berrichenden Parteien. Denn in 
der ganzen, vwielhundertjährigen Gejchichte der altevangelifchen Ge⸗ 
meinden tft niemals ein einziger Dann aufgetreten, welcher bie 
Polygamie zu vertheidigen gewagt hätte !), 

Und felbft in Münfter, wo diefe Einrichtung erft im t zweiten 
Stadium des Kampfes durchgefegt ward, find vom erften Moment 
an die Prebiger, beſonders Dionyſius Vinne, Gotfried Stralen, 
Staprade, Kloppriß und Andere mit der großen Majorität der Bür- 

gerfchaft Heftig dagegen gewejen. Und auch nach der Niederlage der 
Oppoſition haben die Geiftlichen es confequent abgelehnt, daß es 

ihnen erlaubt fei, eine Doppelehe zu jchließen 2). 

Sind denn aber nicht Derartige Doppelehen überhaupt im ganzen 
16..und 17. Jahrhundert in Deutfchland fogar an einzelnen Höfen 
vorgelommen? Und wie haben Luther, Melanchthon, Buter, Bus 
genhagen fich dazu gejtellt? 

Am 3. Juli 1540 fandte der Churfürft von Sachſen an den 
Landgrafen Philipp die Eopie eines Briefes Luthers, welcher alſo 
lautet: „Ich befennees, daß ichs nicht verbiete, dag einer . 
mehr Weiber denn eins nehme, denn es iſt der h. Schrift 
nicht entgegen; doch wollt ich nicht gern, daß dies Beiſpiel bei 
den Chriften erjtlich jollt eingeführt werben, bet denen fich ziemt 
auch die Dinge zu unterlaffen, die fich fonft ziemen, allein zu Ver⸗ 
meidung Aergerniß und um ehrlich8 Weſen willen‘ 3). 

Melanchthon hatte ſich Schon unter dem 27. Auguft 1531 
bei Gelegenheit der Doppelehe des Königs von England in ähn- 
lichem Sinne dahin geäußert, daß „pie Bolygamie nach gött- 
lichem Recht nicht verboten ſei“. „Obgleich ih‘, fügt 
er Binzu, „die Bolygamie dem Volke nicht erlauben 
möchte, fo fage ih doch in diefem alle wegen des großen Nu⸗ 
tens des Königreich und vielleicht auch wegen des Gewiſſens des 


1) Ich bemerfe bier, daß derjenige, welcher von Ludwig Häßer etwas der⸗ 
artiges behauptet, eine unbewiefene und unbeweisbare Angabe macht. Häter hat 
fih nie für die Polygamie- ausgefprochen. 

2) Es wird dies ausdrüdtich bezeugt von Samelmann Opp. p. 1233, der 
bierin gewiß ein unverbächtiger Zeuge ift. 

3) Lenz Briefwechiel Philipps des Großmüthigen mit Bucer. Xpz. 1880 
Il, 342 Anm. 


455 


Königs: es wäre das ficherfte für den König, wenn er eine zweite 
Frau nähme” N), 

In der Angelegenheit der Doppelehe des Landgrafen Philipp 
ift Martin Butzer der Vertrauensmann des Landgrafen gewefen 
und bat die Einwilligung der Wittenberger Theologen eingeholt ?). 
Zutber und Melanchthon erklärten am 10. November 1539 in dieſer 
Sache dem Landgrafen gegenüber ): „Was vom Eheftande zu- 
gelaffen im Geſetz Mofes, ift nit im Evangelio ver- 
boten. Alfo bat Ew. Gnaden nicht allein unfer Gezeugniß im 
Falle der Nothdurft, fondern auch unfere Erinnerung”. Bugen- 
bagen aber war es vorbehalten, ſogar aus dem Beifpiel der älteften 
Chriften die Vielweiberei zu rechtfertigen 9). 

Und was die Väter und Begründer ber neuen Kirche für 
rechtmäßig erklärten, das billigten natürlich einzelne lutheriſche 
Geiftliche. Der Hofprediger Philipp’s, Dionyſ. Melander, hatte ſelbſt 
mehrere Frauen, Joh. Lening verwies auf die ſchriftmäßigen Erentpel 
der Ejtber und Abigail, und die Theologen Anton Corvinus und 
Juſtus Winter unterzeichneten das oben erwähnte Gutachten Luthers 
und Melanchthonss). Es fteht außerdem feft, daß Landgraf Phi 


1) Corpus Reformatorum II, 526. 

2) Die Imftruftion des Landgrafen fir Bucer vom 29. Nov. 1539 f. bei 
Heppe H. Kirchengefchichte beider Helfen. Marb. 1876 ©, 267. 

3) Das Gutachten ift zum erften Mal genau nad dem Original abgebruct 
von 9. Heppe Urkundliche Beiträge zur Geſch. d. Doppelehe des L. Phil, v. 
Heflen in der Ztſchr. f. hit. Theol. 1852 ©. 263 —283. 

4) Dr. Sailer an Landgraf Philipp d. d. Augsburg 1540 Febr. 11: „Es 
fchreibt auch Pugenhagen frei, das die Chriften zu Corinth mehr weiber gehabt, 
das auch in fulen Fellen ain „permittamus“ (alfo nennen fie das zugeben) fei”. 
Lenz Briefmechfel Phil, des Großm. mit Bucer. Lpz. 1880 ©. 456. 

5) Sehr wichtig ift folgender Brief der Geiftlihen Adam Kraft, Ich. Ky⸗ 
meus, Dionyſ. Melander und Joh. Lening an Luther u. Melanchthon vom J. 
1540; Gratia et pax. Quid actum sit Rotembergae (Philipps VBermählung mit 
Margarethe von der Saal am 4. März 1540) ante proxima comitia Smal- 
kaldica, optimi in Christo patres ei praeceptores, non ignoratis. Nos vero 
sperabamus fore, ut res illa juxta vestrum consilium, cui quidam ex nostris 
subscripserunt, celaretur. Caeterum contra principis nostri voluntatem ad- 
eoque omnibus vobis invitis fama sparsa est longissime, quae res (ut par 
est) non mediocri nos afficit dolore metuentes, obfuturum Evangelio Christi 
istum rumorem. Hoc autem sentimus de vobis, quod cum antea multo gra- 
vioribus periculis vos volentes pro Deo pietate et libertate objeceritis, in 


456 . 


lipp im Jahre 1540 allen Ernſtes die Idee gefaßt hatte, in feinem: 
ganzen Lande die Bigamie frei zu geben). 

Aber bat denn die Partei, deren Gejchichte wir feit dem 
12. Jahrhundert verfolgt haben, wirklich irgend eine Veranlaffung, 
die Anklagen, die gegen Johann von Leyden und das holländische 
Gefindel, das fih um ihn jammelte, gerichtet werden können, als 
gegen fich gerichtet zu betrachten ? 

Sind zwei Parteien bloß deshalb für eine Bartei zu erklären, 
weil fie gemeinfam die Spättaufe fordern? Mit vemfelben Rechte 
könnte man auch alle diejenigen Confeſſionen für eine Confeffion 
erflären, welche gemeinfam die Kindertaufe lehren, und fo theilte 
fih die hriftliche Neligion fehr einfach in die beiden großen Gruppen 
der Kindertäufer und der Wievertäufer. Liegen aber bie Gegenjäte 
wirklich jo? 

Johann von Leyden und Knipperdolling haben in beutlicher 
Erfenntnig des Gegenjates, in welchen fie fich zu den Täufern 
befanden, ganz ausbrüdlich alle anderen Taufgefinnten, wo fie auch 
feien, verdammt?). Die „Brübergemeinven‘ außer Münſter aber 
haben alsbald gemeinfam den Beichluß gefaßt und ausgeführt, daß 
fie Teinen, welcher zu Münfter die Taufe empfangen batte, bei fich 
als Bruder anerkennen wollten?) 

Darf unter folden Umftänden der Mißbrauch, welcher mit 
dem Namen „Wiedertäufer” getrieben wird, die falfche Behauptung 
vereiwigen, daß es fich Hier um eine Partei handle? Das „Reich 
Israel“ zu Münfter hat mit den „rechten Chriſten“ fo wenig 
gemein al8 Judenthum und Chriftenthum, nach welchem fich beide 
fehr treffend genannt haben, und jeder wifjenfchaftliche Autor muß 
gegen den burchfichtigen Kunftgriff derjenigen Polemiker Front 


hac causa non sitis vestri dissimiles futuri, maxime cum extet vestrum 
pium pro causae hujus. conditione consilium, quod quosdam ex 
nostris ad subsceribendum (quod nunquam alioqui facturi erant) permovit. 
Th. Kolde Analecta Lutherana. Gotha 1883 ©. 353, 

1) Heppe Kirchengefchichte beider Heſſen I, 270. 

2) Newe Zeittung von den Widerteuffern zu Münfter 1535. Bl. A. 4 beißt 
es: „Auch find bei ihnen verdampt alle andern Wiederteuffer, 
wo fie aud find“. 

3) Collogquium Emdanum (1578). Praefatio p. 9 fl. 


457 


machen, welche fich noch heute geftatten, alte ParteirScheltnamen, 
die von deren Trägern ſtets zurücgewiefen find, in wiljenfchaft- 
lichen Werken zu gebrauchen. Wenn es heute, wie oben bemerft, 
der wiffenfchaftliche Anſtand verbietet, zur Bezeihnung der refor⸗ 
mirten Kirche den Namen „Sakramentirer“ anzuwenden ober 
die römischen Katholiken al8 „Papiſten“ zu bezeichnen, jo haben 
die vielgefhmähten Märtyrer-Gemeinvden das gleiche Recht, daß fie 
hinfort nicht mehr „Wiedertäufer”, fondern „altevangelifche 
Brüdergemeinden“ nach ihrem eigenen Gebrauch genannt werden. 


Zwanzigſtes Eapitel. 
Ueberſicht über die fpäteren Entwidlungen. 


Religids-fichlicde Zuftände bes 17. und 18. Jahrhunderts. — Sebaftian Frand 
und Easp. v. Schwenkfeld. — Die Stellung der Fürften von Brandenburg, 
Heſſen und Baden zu Schwentfeld. — Die Pfalzgräfin Elifabet) und die alt- 
eoangelifchen Gemeinden. — Altevangeliihe Unterftrömungen in der refor- 
mirten Kirche. — Joh. Sigismund, Churfürft von Brandenburg — Die 
Bruderſchaften der deutfchen Werkleute. — Roſenkreuzer und Freimaurer. — 
Die altewangelifchen Gemeinden. — Der ältere deutſche Pietismus. — PBuri- 
tauer und Independenten. — Leffing und Kant. 


Die Zuftände, welche fich in ‘Deutjchland nach der Nieberlage 
der altevangelifchen Gemeinden entwidelten, bieten ein überaus trau- 
riges Bild dar. 

„Ein Feder glaubt der Obrigkeit zu Lieb‘, bemerkte ſchon 
im Jahre 1534 einer der geiftvolliten Männer jener Tage, „und 
muß den Landesgott anbeten. Stirbt ein Fürft und Tommt 
ein anberer Anrichter des Glaubens, fo wechjelt auch bald das Gottes- 
wort!). So fällt der gemeine Mann ohne allen Grund bin und 
her; und auch die, welche feine Vorgänger und Biſchöfe fein wollen 
— weß Lofung ift, deß haben fie Münze”. So gerietb der Glaube 
in Verachtung und feine Verfünder nicht minder. 

Um die Erfolge, welche man über die „Seltirer‘ davon ge 
tragen hatte, ficher zu ftellen, hielten Tatbolifche wie proteftantifche 


1) In einer Heinen täuferifhen Schrift aus dem December 1534 heißt e8: 
„Bekennt nicht alle Welt fchier, daß die Wahrheit Chrifti mit Gewalt nieberge- 
halten wird? Es ift gemeine Rebe: “e8 ift zwar wahr, aber Fürften und Herrn 
wollen es nicht leiden”. S. Bouterwet Zur Lit. u. Geſch. ber Wiedertäufer 
©. 74, 





459 


Obrigfeiten e8 für angezeigt, die feit Sahrhunderten üblichen Mittel 
gegen die Ketzer mit verfchärfter Strenge zur Anwendung zu bringen. 

Es ift merkwürdig, wie genau bie neuen Staatsfirchen nicht 
blog in der Inquiſition, fondern befonders auch in Bezug auf die 
Indergeſetzgebung das Verfahren der römifchen Kirche copirten N). 

Ya, e8 war, als ob jegt ein förmlicher Wetteifer hierin ent- 
brannt ſei; die katholiſchen wie die Lutherifchen Obrigkeiten fuchten 
ſich in einer „heilfamen Strenge” während ganzer Jahrhunderte zu 
überbieten, und theoretifch wird in der lutheriſchen Dogmatif noch 
bis auf den heutigen Tag die Pflicht der Obrigfett zur Ausrottung 
der Reber aufrecht erhalten 2). 

Biele find der Anficht, daß dieſe Grundfäge doch nur gegen bie 
„Rotten der Täufer‘ zur Anwendung gekommen feten, deren Theorien 
angeblich den ganzen „Glaubensgrund“ bebrohten. Indeſſen jteht 
es feit, daß Melanchthon fogar die Gegner der Majoriften, die im 
Uebrigen entſchiedene Lutheraner waren, mit Leibesitrafen von der 
weltlichen Obrigkeit beimgefucht wiſſen wollte). Sa, als in den 
fünfziger Jahren bei Gelegenheit der Oſianderſchen Streitigkeiten ein 
Anhänger veffelben hingerichtet worden war, ſchrieb Melanchthon im 
Sabre 1555 an die Kirche zu Nürnberg, daß diefem Manne recht 


1) Die Beweife hierfür bei Reufh H., Der Inder der verbotenen Bücher 
S. 595 ff. Man braudte freilih in proteftantifchen Ländern nicht ben alten Na 
men, fondern man fprad von „Cenſur-Commiſſionen“. 

2) H. Schmid (Dogmatit der evang.luth. Kirche 5. Aufl. 1876 ©. 459) 
beruft fih auf Baier Comp. theol. posit. 1686 ©. 809 und führt aus dieſem 
Wert zur Erläuterung feiner Anſchauung über die Kekeritrafe folgende Stelle an, 
Es gehört zu den Pflichten der Obrigkeit: „constituere idoneos ecclesiae mini- 
stros, scholas ac templa erigere ac conservare, ministris utrinque de honesta 
sustentatione prospicere, visitationes et concilia instituere, leges ecclesiasticas 
condere ac tueri, bona ecclesiastica dispensare, disciplinam ecclesiasticam 
conservare; in haereticos, itemque in improbos ecclesiarum et 
scholarum ministros aeque atque alios quosvis similesinqui- 
rere et ut sese judicio sistant compellere; convictos haereseos cul- 
tusque idolatricos abrogare et ut ecclesia ab illis purgetur 
curare“. Es gilt doch auch Hier das Wort, welches Kahnis gelegentlich aus— 
geiprochen bat, daß derjenige, welcher Die Gewaltmittel des Staats gegen 
die Keßerei aufruft, dem Staate überlaffen muß, welche Mittel diefer anwenden 
will. Mit H. Schmids Ausführungen vergleiche man diejenigen Lutharbt$ (Kom- 
penbium ber Dogmatik. 6. Aufl. Lpz. 1882 ©. 356). 

3) Corp. Ref. IX, 798, 


460 


gefchehen fer, fowohl um der Ehre Chrifti willen al8 wegen des 
Beifpiels i). | 

Mit fchwerem Craft ift diefe Theorie. von den Anhängern 
Luthers und Zwinglis vertheidigt worden, und es ift interejjant, die 
Schriften zu lejen, welche von vielen Reformatoren zur Begründung 
ihres Verhaltens veröffentlicht worden find 2). 

Man hat wohl gejagt, „Der Geift der Zeit“ habe die Hand- 
lungs⸗ und Denkweiſe der NReformatoren beftimmt; aber bat nicht 
die große Partei der altevangeliichen Gemeinden, welche die Ketzer⸗ 
itrafen verwarf, ebenfall8 unter dem Geift der Zeit geftanden? Andere 
meinen, baß die Errichtung zufammenhängender proteftantifcher Kir⸗ 
hen nur durch dies Mittel zu erreichen gewefen fei; aber abgeſehen 
davon, daß der Zwed niemals die Mittel heiligt, überfieht man da- 
bei, daß jehr viele Hinrichtungen gerade in der Zeit ftattgefunden 
haben, wo die Iutherifchen und zwinglifchen Staatsfirchen bereits zu 
Recht beftanden, befonders nach dem Jahre 1552, wo Niemand es 
für möglich hielt, daß die gefchebenen Dinge rüdgängig gemacht 
werden fünnten. 

Vielmehr lag der Grund für die entichievene Feſthaltung des 
Slaubenszwanges in dem Umftand, daß dieſe Doctrin mit dem 
ganzen Gebäude des Lehrſyſtems auf das engfte verfnüpft war, 
und daß man gezwungen war, entweder das ganze Xehrgebäude mit 


1) Corp. Ref. VIII, 553: Notum est etiam, quosdam tetra et dvognuw 
dixisse de sanguine Christi, quos puniri oportuit et propter gloriam Christi 
et exempli causa, 

2) Galvini Defensio orthodoxae fidei de sacra trinitate contra prodig. 
errores M. Serveti Hispani, ubi ostenditur, haereticos jure gladii coercen- 
dos esse et nominatim de homine hoc tam impio juste et merito sumtum 
Genevae supplicium 1554. — M. Bucer BDialogi oder Geſprech von ber ge= 
mainfame und ben Kirchenübungen der Chriften und mas jeder Oberfeit von 
ampts wegen auf Göttlichem befelh am benjelbigen zu verjehen und zu befieren 
gebüre 1535 0.9, (Kgl. Bibl. zu Berlin Cu. 9213). — Rhegius Urb. Ein be= 
denden ber Rüneburgifchen, Ob einer Oberleyt gezyme, bie wiberteuffer oder andere 
feßer zum rechten glauben zu bringen und fo fy in ber ketzerey beharrenbt der 
ketzerey halb mit dem Schwert zu richten. Celle Saxonum 1538. 3 Bogen 4°, 
Melanchthon Phil. Bedenken, daß weltliche Obrigkeit fchulbig fei, den Wieber- 
täufern mit leiblicher Strafe zu wehren 1536 (abgedrudt bei Walch Luthers 
Schriften XX, 2189). — Meuflin Wolfg. Vom Ampt der Oberkeit in Saden 
ber Religion und Gottesbienft 2c. Augsb. 1535. 








461 


den Ketzerſtrafen beizubehalten oder aber dafjelbe Gebäude durch Auf- 
geben dieſes Punktes in feinem innerften Grunde zu erfchüttern ?). 
Und fo liegt die Sache noch heute. Mit der Leugnung des Glau⸗ 
benszwanges iſt in dieſes Syſtem eine Breſche gelegt, welche früher 
oder ſpäter den Einſturz des Ganzen mit Sicherheit nach ſich 
ziehen wird. 

Schon im 17. Jahrhundert, in der Zeit der tiefſten Erniedri⸗ 
gung unjeres Volkes, wo auf der einen Seite jene ertödtende Herr- 
fchaft jtarrer Ortbodorie, auf der andern die Blüthezeit des Yeuitis- 
mus fich entwickelte, war die Maforität der Laten der Gleichgültig- 
feit gegen alle Religion verfallen. Der befannte Johann Valentin 
Andreä (f 1654), der Enkel des Verfafjers der Eoncordienformel, felbft 
Theologe und ein ausgezeichneter Kenner feiner Zeit, fchreibt: „Durch 
die offenen Thore diefes eifernen Zeitalter dringen drei Dämonen 
ein: Atheismus, Barbaret und Sklaverei“. Gleichwohl hielten 
die herrichenden Shiteme das 17. Jahrhundert hindurch die Laien 
wenigſtens in einem äußerlichen Gehorfam feit, als aber im 18. Jahr⸗ 
hundert die Stürme des Nationalismus bereinbrachen, da zeigte e8 
fih, daß daſſelbe Schieffal allgemeiner Verachtung, wie dieſe Partei 
es früher den „Wiebertäufern” Hatte zu Theil werben laffen, jetzt 
über fie hereinbrach. Im Jahre 1750 konnte Leſſing ſchreiben: „Die 
Drthodorie ift zum Gefpdtte geworden”, und diefes Verdikt 
ift von allen mafgebenden Männern jener Tage beitätigt worden, 


Wir Haben oben gefeben, daß innerhalb des Neiches um das 
Jahr 1535 für die altenangelifche Kirche jede Ausficht verſchwunden 
war, fich in einiger Freiheit organifiren und entwideln zu können. 

Aber mit der Verbinderung diefer äußeren Feſtſetzung ftand 
die weltliche Gewalt an der Grenze deſſen, was fie mit ihren Mitteln 
erreichen Tonnte. Die altevangelifchen Grundgedanken ſelbſt Tießen 
fih nicht ausrotten, und nachdem man ihren Trägern die Befrie- 
digung ihrer religiöſen Bebürfniffe innerhalb einer eigenen Gemein- 
ſchaft unmöglich gemacht hatte, fuchten viele diefelbe in aufßerfirch- 

1) Ih muß mir bier leider ein näheres Eingehen auf diefen Punkt verfagen. 


Doch behalte ich mir vor, dem leicht zu erbringenven Beweis an anderm Ort zu 
führen. 


462 


lichen Vereinigungen und zum Theil im Gegenfa zu den herr- 
ichenden Kirchen zu erreichen. 
, Sehr beiveglich find die Klagen Bullingers (1560) über dieſe 
„Selte der freien Täufer”. „Und find zwaren“, jagt jener, 
„dieſer Zeit Leider viel mehr denn Jemand meint, die weder 
Wiedertäufer find, noch Wiebertäufer wollen gefcholten werden, welche 
aber nichts defto minder tief in den erzählten (täuferifchen) Artikeln 
ſtecken“. „Ste haben gar feinen Glauben, find weder Ehriften (d. 5. 
Lutheriſche oder Zwinglifche) noch Papiſten, noch irgend eines an⸗ 
deren Glaubens Genofjen, fondern fie find Gleißner und Lügner, 
leichtfertige und öde Leute” u. ſ. w. )). 

Zu den vornehmften Vertretern biefer „freien Täufer‘, welche 
fonberbarer Weife auch eine „Sekte“ gefcholten werden, gehören 
Sebaftian Frand und Easp. v. Schwenkffeld, zwei Männer, 
deren Bedeutung in der Gefchichte des deutſchen Geifteslebend viel 
größer ift als man bei der Vernachläſſigung, die ihnen in der Lite⸗ 
ratur zu Theil geworben ift, annehmen follte. 

Sebaftian Frands Schriften find der getreue Ausdruck jener 
zu feiner Zeit ( 1543) bet zahlloſen Deutfchen herrſchenden Stim- 
mung: weber die Staatsfirchen, noch die römifche Priefterkicche, noch 
die Damals bereitS verfümmernde täuferifche Gemeinſchaft entfpricht 
ihren Idealen, und daher ift — fo fchließen jene — überhaupt in 
allen Kirchen und Tirchlichen Anftalten nichts Gutes zu finden. 
Wenn man aber genauer zufieht, fo iſt Srand (wie fchon die Zeit- 
genofjen jagten) ein rechter „Täufer“, d. h. er fteht derjenigen Ge⸗ 
meinfchaft am nächiten, welche unter Führung Dencks und Hub» 
meiers feit 1526 ben vergeblichen Verfuch gemacht hatte, ich Firch- 
lich zu organifiven. Jedenfalls hat kaum ein deutſcher Schriftfteller 
fo viel dazu beigetragen, Dends Schriften unter das Volk zu brin- 
gen als Seb. Frand. Seine Chronik, die zuerjt im Jahre 1531 
und von da an in zahlreichen Ausgaben und Ueberfegungen er- 
Schienen ift, giebt jo ausführliche Auszüge aus Dencks vornehmften 
Schriften, daß dieſe dadurch bis zu einem gewiſſen Grabe erjeßt 
werben. 

Caspar von Schwenkfeld, welcher die Ideen Dends und Francks 


1) Bullinger Der Wibertäufferen urſprung ꝛc. Zürich 1560 fol. 42. 





463 


im Ganzen theilte, freilich nicht ohne dabei feine befonderen Neigun⸗ 
gen und Auffafjungen zu bejigen, tft ber Vermittler dieſer im 
beutfchen Bürgerthum anfänglich heimifchen Gedanken für eine Reihe 
deutſcher Fürftenhöfe geworden, deren Angehörige fich indeſſen zu- 
nächſt noch nicht offen für ihn erklären durften. 

| Schwenkfeld (1490—1562), welcher die bejte Erziehung feiner 
Zeit genofjen hatte, Hatte die erften Jahre feines Mannesalters im 
Dienfte einiger Heinen Höfe feiner Provinz zugebracht. Der Herzog 
von Liegnig, deſſen Hof und Land unter Schwenkfelds Einfluß jehr 
entſchieden altevangelifch gefinnt war), wurde von König Ferdi—⸗ 
nand, dem Bruder Kaiſer Karls V. gezwungen, den Schwenffeld 
aus feinem Dienfte zu entlaffen; der Vertriebene flüchtete im Jahre 
1529 na Straßburg. Tortpauernd blieb der Liegniger Hof ihm 
geivogen, und die Herzogin Anna war feine erklärte Beſchützerin. 

Trotz der Verfolgung feiner mächtigen Feinde ſchenkten Chur- 
fürſt Joachim von Brandenburg, der Markgraf Ernit von 
Baden und Landgraf Philipp von Heſſen ihm Vertrauen, 
und überall an dieſen Höfen iſt jeit der Mitte des Jahrhunderts 
eine Hinneigung zu den altevangelifchen Principien zu bemerken. 
Es wäre von der höchiten Wichtigkeit, die umfangreiche und in⸗ 
tereffante Correſpondenz Schwenkfelds ans Licht zu ziehen; man 
würde überrajchende Nefultate daraus gewinnen. 

Diefe intimen Beziehungen mächtiger und vornehmer Gefchlechter 
wurden angefnüpft, obwohl die ganze Welt wußte, daß Schwenk⸗ 
feld im Grunde ein „Wiedertäufer” war. Er bat allerdings ben 
altevangelifchen Gemeinden, fo viel bekannt, nicht formell angehört, 
vielmehr zeitweilig mit Necht darauf hingewieſen, daß bie „Brüder“ 
immer tiefer in Verfall kämen, aber er war nicht nur perjönlich 
mit Männern wie Bilgram Marbeck nah befreundet, fondern er bat 
fih auch mit dem Wahrheitsfinn, der ihn auszeichnete, der „Täufer“ 
ganz offer angenommen. „Die Wiedertäufer”, fagte er, „find mir 
deßhalb deſto Lieber, daß fie fich um göttliche Wahrheit etwas mehr, 


1) Die Prediger Petrus Zenker und Edel, welche in Liegnit zu Schwenkfeld 
gehalten Hatten, gingen, als fie von dort vertrieben waren und bei Herzog Albrecht 
von Preußen Schuß gefunden hatten, offen zu den Täufern über, 


464 
» 
denn viele der Gelehrten befümmern. Wer Gott ſucht im Ernft, 
der wirb ihn finden“. 

Im Jahre 1546 äußerte er in ähnlichen Sinn: „Das ſünd⸗ 
Yiche Xeben und bie Ungerechtigkeit ver Menſchen ift nun Yeiver fchier 
zum Höchiten gefommen, die wahre Erkenntniß Chrifti wird ver- 
achtet, Die Weisheit Gottes für eine menſchliche Spitzfindigkeit ge- 
achtet, desgleichen auch bei vielen die rechte Gottfeligfeit ſchier für 
eine Wiedertäuferei, ja von. etlichen Prädikanten für eine Aotterei 
und Meuterei gegen bie Obrigkeit eingebildet“ 1). 

Er befand fich in Diefen und ähnlichen Auffaffungen ganz in 
Uebereinftimmung mit Landgraf Philipp von Hefjen, welcher ge- 
legentlich gejagt hat: „Ich ſehe mehr Befjerung bei denen, die 
man Schwärmer beißt, denn bei denen, die Lutherif 
find“), 

Es ift in hohem Grade wahrfcheinlich, daß fchon im 16. Jahr⸗ 
hundert die Stellung mancher deutscher Fürften zu der altenange- 
lifchen Lehre eine andere geworben fein würbe — wie fie denn im 
17. und 18, Jahrhundert fih in der That an einzelnen Höfen ver- 
ändert hat?) —, wenn nicht der Reichstagsabſchied vom Jahre 1529 
die Reichsacht Jedem in Ausficht geftelit hätte, welcher Anlaß dazu 
gab, daß man ihn zu den „Wiedertäufern” zählen konnte. Jener 
verbängnißvolle Beſchluß bat das deutſche Geiftesfeben in einer 
außerordentlichen Weiſe beeinflußt. 

Gleich einer der erften Verjuche, welche von fürftlicher Seite 
ber gemacht worden find, den altevangelifchen Gemeinden einen 
Stützpunkt zu gewähren, wurde durch Die Intervention der Reichs⸗ 
gewalt auf Grund ver erwähnten Befchlüffe verhindert. Diefer Ver⸗ 
ſuch fällt in das Jahr 1670—1672 und hängt mit der Gefchichte 
des Großen Kurfürften von Brandenburg und der Häufer Hohen⸗ 


1) Döllinger Die Reformation I, 247, 

2) Rommel Philipp der Großmüthige II, 40. 

3) Zu den frübeften und entjchiebenften Beſchützern ber altevangeliſchen Ge⸗ 
meinden gehören bie Fürſten von Wittgenſtein. Näheres bei Göbel Geſch. 
des chriſtl. Lebens in d. rhein.=weitph. evang. Kirche, Coblenz. 3 Bde. 1849 60. 
Es waren allerdings vielfach verkümmerte Bildungen, welche in jenen Ländern 
zuerſt ans Tageslicht traten. 


465 


3 
zolfern und Oranien fo eng zufammten, daß er bier nothwendig be⸗ 
rührt werden muß. 

Im Jahre 1667 hatte Friedrich Wilhelm J. von Brandenburg 
es durchgeſetzt, daß die Reichsabtei Herford ſeiner Verwandten, der 
Pfalzgräfin Eliſabeth, übergeben wurde. 

Eliſabeth war die Tochter Friedrichs V. von der Pfalz, Königs 
von Böhmen, und der Eliſabeth Stuart, Tochter König Jacobs J. 
von Großbritannien und Irland. Sie war geboren im Jahr 1618 
und hatte die erſte Erziehung von ihrer Großmutter, der Tochter 
Wilhelms J. von Oranien, erhalten. Dieſe, ſelbſt eine ausgezeichnete 
Frau, ſiedelte mit ihrer Pflegebefohlenen ſpäter an den Hof ihrer 
Tochter nach Berlin über, welche dort als Gemahlin des Kurfürſten 
Georg Wilhelm lebte. Nach der Niederlage und Vertreibung ihres 
Vaters aus der Pfalz zogen ihre Eltern fih nach Holland zurüd, 
wo fie im Haag und bei Utrecht einen Heinen Hof hielten. Dort- 
bin kam auch Elifabeth zu längerem Aufenthalt, und ber Kurprinz 
von Brandenburg, ihr Vetter, der nachmalige Große Kurfürft, hatte 
bei feinem Aufenthalt in Holland in der Familie feiner Verwandten, 
wo er viel verfehrte, Gelegenheit, fie Tennen zu lernen. Es fchien 
eine Zeit lang, als ob Elifabeth, welche damals bereit8 die Ehe mit 
König Ladislaus von Polen ausgefchlagen Hatte, um nicht katholiſch 
werben zu müfjen, Churfürftin von Brandenburg werden würde — 
eine Ausficht, welche dadurch ſchwand, dag Friedrich Wilhelm fich 
mit Louiſe Henriette von Oranien, Eliſabeths Coufine, vermählte. 

Nachdem Elifabeth fich einige Jahre in Heidelberg und ſeit 
1662 in Kaffel bei ihrer Verwandten (der Schwefter des Großen 
Kurfüriten), der Landgräfin Hedwig Sophie, aufgehalten hatte, fievelte 
fie im Jahre 1667 als Aebtiffin nach Herford über, wo fie im Jahre 
1680 gejtorben ift. 

Sie gehört zu den ausgezeichnetften Srauen ihrer und aller 
Zeiten; fie Hat mit den ebelften und bedeutenvften Männern ihres 
Jahrhunderts in Beziehung geftanden und Durch ihre Kenntniſſe — 
fie -verftand fechd Sprachen — wie durch ihre Talente einen weite 
reichenden geiftigen Einfluß ausgeübt; fie war e8, welche die Werfe 
des Carteſius und andere Schriften zuerſt am Berliner Hofe be⸗ 


kannt machte. 
Keller, Die Reformation. 30 


466 


Da iſt es nun auffallend, daß wider dieſe ausgezeichnete Frau 
im Jahre 1672 ein Kaiferlides Mandat erging, welches fie Direkt 
ber Befhügung und Beförderung der „Widertäufer” anklagt und 
die Säuberung der Reichsabtei von dieſen Sektirern forbert?). 

Sn der That ift es ja befannt genug, daß Elifabeth in freund- 
ſchaftlichen Beziehungen zu ſolchen Männern gejtanden bat, welche 
die Führer der altevangelifchen Bewegung des 17. Jahrhunderts 
waren, befonders mit William Benn, Georg For, Robert 
Barclay, Labadie, Gichtel und Anderen. W. Benn hat fie in Her⸗ 
ford befuchen Dürfen 2), und fie bat ihm gegenüber ihre Gefinnung 
mit den Worten fund gegeben: „Das Evangelium ift urfprünglich 
von England nach Deutfchland gefommen und auch heute ift es 
der Fall”. Die altevangelifhe Gemeinde, welche der ehemalige 
Yefuit Labadie um fich gefammelt Hatte, bat in Herford eine Zu- 
Flucht gefunden, bis die Austreibung durch das oben erwähnte 
Mandat erfolgte. Elifabeth aber ließ fich in ihren Ueberzeugungen 
dadurch nicht irre machen, ſondern erklärte, daß fie in den Vertrie⸗ 
benen die wahren, von Gott gelehrten Diener Chrifti erkenne). — 

Bon ganz befonderem Interefje ift für die altevangelifche Kir⸗ 
chengejchiähte die Thatfache, daß die reformirte Kirche in vielen 
deutſchen und außerdeutfchen Territorien feit der Mitte des 16. Jahr⸗ 
hunderts eine Entwidlung nahm, welche die wichtigften Principien 
der altveutfchen Theologie zur Darftellung brachte. 

Einer der beiten Kenner diefer Kirche bat geradezu behauptet, 
„daR Die ganze zwinglifhsreformirte Kirche von der 
Wiedertäufereiangeftedt war‘), und ein anderer reformirter 
Kirchenbiftorifer, Ebrard, faßt diefelbe, Beobachtung: in die Worte 
1) Dafielbe findet fih im Pantheon Anabaptisticum et Enthusiasticum ober 
Geiftliches Rüſthaus u. ſ. w. O. O. 1702, — Dort find auch die Reichsabſchiede 
vom Jahre 1529 ab gegen die Wiedertäufer zu finden. 

2) Dgl, DO. Seidenftider William Penns Travels in Holland and Ger- 
many in 1677. Philadelph. 1877. 

3) Eine felbftändige Biographie der Pfalzgräfin fehlt bis auf den heutigen 
Tag. Man muß die verichiedenen Notizen über fie aus ben Zeitfchriften ober 
Handbüchern zufammen fuchen. Die vorhandenen Ouellen hat Hölſcher in ber 
Alg. Deut. Biogr. Bd. VI S. 22f. zufammen geftellt. gl. außerdem Herzog 


u. Plitt 2. Aufl. IV, ©. 182. 
4) Göbel Geſch. d. chriftl, Lebens I, 156. 


467 


zufammen, daß „die gediegeneren Elemente allmählich aus dem Ana⸗ 
baptismus heraus und bis zum Anfchluß an die reformirte Kirche 
gedrängt worden jeien” 1), Ohne über den Charakter derjenigen 
Altenangelifchen, welche fich der reformirten Kirche anfchloffen, ftreiten 
zu wollen, beftätigen Doch die Beobachtungen, bie ich in der Gefchichte 
der nordweſtdeutſchen reformirten Kirche gemacht habe, unzweifelhaft 
die Thatfache, daß fehr viele ehemalige „Täufer“ und deren Fanti- 
lien fpäterhin in der reformirten Kirche Schug vor Verfolgungen 
gefucht haben, und daß ganz fpecififch täuferifche Ideen fich bei ſo— 
genannten NReformirten wiederfinden. 

Wir haben oben gefehen, daß eine Reihe fürftlicher Gefchlechter 
und deren Vertreter der Lehre Schwenkfelds fich freundlich gegen- 
übergeftellt hatten. Sollte e8 num wohl Zufall fein, daß Diefelben 
Gejchlechter jeit dem Ende des 16. und dem Anfang des 17. Jahr⸗ 
hunderts vom lutheriſchen zum veformirten Belenntnig übergegangen 
find? Dies ift ebenfo bei den Nachlommen des Landgrafen Philipp 
wie bei denjenigen Joachims IL. von Brandenburg der Fall gewefen, 
und wenn man bie Ausfprüche lieſt, mit welchen Kurfürft Johann 
Sigismund feinen Uebertritt (1613) zur veformirten Lehre rechts 
fertigt, jo wird man unwillkürlich an bie Schriften altevangeliſcher 
Wortführer erinnert. 


Wenn wir unferen Blid auf die weiteren Schieffale des „Täufer⸗ 
thums“ lenken, fo zeigt fich zunächft die fchon im 15. Sahrhundert 
nach der großen Verfolgungsperiode von 1380— 1410 beobachtete 
Thatfache, daß der äußere Drud das religiöfe Leben aus den Firch- 
ih organifirten Gemeinden in weltliche Corporationen zurüd- 
. drängte, 

Abermals waren e8 die Bruderſchaften ber deutſchen 
Werkleute, melde als Rückzugslinie den verfolgten „Brüdern“ 
offen ftanden und ihnen Schuß gewährten. Es verfteht fich indeſſen 
von felbft, daß dieſe Entwiclung fich jett wie früher unter dem 
Schleier des Geheimniſſes vollzog, und daraus erklärt e8 ſich, daß 
die „Gelehrten“, welche die uns zugängliche Literatur verfaßt haben, 
wenig davon zu erzählen willen, 


1) Ebrard Kirchengeichichte I, 317. 
30* 


468 


Es blieben in den-Kreifen der „Brüder“ die alten Ordnungen 
und die alten Namen im Gebrauch; wir haben oben bereits die 
Bruderfchaften „zum Himmel”, „zum heiligen Kreuz” und andere 
fennen gelernt. Da tft e8 num beachtenswertb, daß um das Jahr 
1620 eine „Bruderſchaft“ in die Literatur eingeführt wird, welche 
fih angeblich „zum vofenen (d. b. rofenfarbenen) Kreuz oder die 
„Rofentreuzer”!) genannt bat. 

Die Forſchungen, welche über dieſe „Roſenkreuzer“ ebenfo wie 
über viele andere wichtige ragen der -altenangeliichen Kirchen- 
gefchichte jehr im Rückſtande find, Haben noch Fein ficheres Reſultat 
über Die Frage ergeben, ob nicht die erjten Schriften, welche unter 
dem Namen der Nofenkreuzer feit 1614 erfchtenen find, auf einer 
Moftififation berufen. In der That möchte ich annehmen, daß 
die Männer, welche im Namen der Rofenfreuzer die Fama Frater- 
nitatis und die „Confeſſion“ herausgaben und dadurch einen Streit 
anregten, der ganz Weiteuropa zeitweilig in Aufregung febte 2), 
weder jelbjt Mitglieder des Bundes waren, noch in deſſen Auftrag 
gefchrieben haben. Die Schriften fcheinen auf einige Theologen 
(vielleicht auf Val. Andreae und Joh. Arndt) zurüdzugehen. Aber 
felbft wern man dies einräumt, jo fteht doch feft, daß die religiöfen 
und politifchen Ideen jener Schriften fich vollftändig decken mit den 
Ideen der Bruderſchaften deutſcher Werkleute, welche wir früher 
fennen gelernt haben, und baß ſchon im Jahre 1622 in Holland 
wirklich eine Bruberfchaft an das Tageslicht tritt, in welcher ber 
Kante Rojenkreuzer vorkommt 3), 

Diie beſte und zuperläffigfte Auskunft über diefe Dinge erhalten 
wir aus den Mittheilungen eines Profeffors der Phyſik zu Kiel, 
welcher im Sabre 1696 Folgendes fehrieb: „Unter ven Adeptis 
giebt es auch verjchiedene Grade der Vollkommenheit: die vor⸗ 


1) Ich vermuthe, daß der Name „Brüder vom rofen Kreuz“ ſehr alt ift 
and vielleicht mit den rothen Kreuzen zufammenhängt, welche ven Ketern als 
Bußkreuze aufgebeftet zu werben pflegten. 

2)6. Kloß Bibliographie der Freimaurerei. Frankf. a/M. 1844 ©. 174ff. 
führt aus den Jahren 1614—1783 nicht weniger al8 274 Schriften Über biefen 
Streit auf. 

3) ©, ven Aufſatz Klüpfels bei Herzog u. Plitt Realenchflopäbie d. prot. 

Theol. 2. Aufl. Bd. XII ©. 68. 





469 


nehmften Darunter find die Rofenfreuzer, deren aller- 
heiligite Gejellichaft Durch Die Welt zerftreut if. Jedoch macht 
fie fih ohne Urfade nit befannt” „Es fliegen viel 
Säriften unter ihrem Namen berum, aber bisher bat fie unter 
dem Namen des Roſenkreuzes nichts herausgegeben; die Schriften, 
die mit diefem Namen prahlen, find nicht der Roſenkreuzer, ſondern 
Anderer, die mit biefem Namen ihren Schriften ein Anſehen machen 
wollen” 1). 

Es geht aus dieſen Worten hervor, daß e8 in ber That, wie 
vielfach behauptet worben tft, eine Bruderfhaft des Roſen— 
freuzes nie gegeben bat, fondern daß innerhalb einer größeren 
Bruderſchaft diejenigen, welche gewiffe Vorbedingungen erfüllten, 
mit dem Namen „Roſenkreuzer“ benannt wurden. 

Laffen fih nun Anhaltspunkte dafür beibringen, welcher Art 
und welches Urfprungs jene „Bruderſchaft“ geweſen ift, welche fich 
„ohne Urfache nicht befannt machte” und verjchievene „Grade der 
Vollkommenheit“ beſaß? Ich glaube mit Sicherheit fagen zu können, 
daß wir Hier im 17. Jahrhundert den Nachlommen jener alten. 
deutſchen Bruderjchaften wiederum begegnen, welche, wie wir oben: 
ſahen, in Anlehnung an die deutſche Bauhütte erwachfen waren 
und die burch den Beitritt von „Liebhabern des Handwerks‘ fich 
vielfach zu eimer Humaniften-Gefellfehaft erweitert hatten. Doch 
bildeten den Stamm der Organifation fortwährend bie Werkbruder⸗ 
ſchaften der Hütte 2). 

Beſonderes Intereffe bildet die bisher noch nirgends hervor⸗ 
gehobene Thatfache, daß einzelne ver im 17. Jahrhundert unter 
dem Namen der „Roſenkreuzer“ befannt gewordenen Schriften nichts 
anderes find, als Reproductionen folcher Werke, welche im 16. Jahr⸗ 
hundert innerhalb der altevangelifhen Gemeinden, die man 
„Täufer“ nannte, entjtanden find. Ich will zum Beweiſe dieſer 
Behauptung nur folgenden Umftand herausgreifen. 

1) ©. Arnold Kirden- und Kekerhiftorie Th. IV Sect. 3 8. 11. 

2) Ich ftüße diefe Behauptung unter Anderem auf die merkwürdige That⸗ 
ſache, daß alle Eigenarten jener Bruberfchaft des 17. Jahrhunderts, von denen 
wir Kenntniß befien, ſich auch bereit8 in den alten Bruderſchaften nachweifen 


Yafien, und daß 3. B. der Name „Sottesfreunde‘ bier wie bort innerhalb 
der Bruberfhaft vorlommt (©. Arnold a. a. O. Th. II Bd. XVII Cap. 18 81). 





470 


Zu den berühmtejten und bis in unjer Jahrhundert hinein 
Teprobucirten Schriften der „Roſenkreuzer“ gehört der Tractat: 
„Geiftlicher Discurs und Betrachtung, was für eine Gottfeligfeit 
und Art der Liebe erfordert wird‘ '). 

Diefer „Geiftliche Discurs“, welcher laut Titel im Sabre 1618 
„von Neuem ans Taglicht geruckt“ worben ift, enthält zwei Tractate, 
deren erfter nach der Vorrede den Titel hat: „Bon der Gott— 
feligfeit“ umd deren zweiter „Bon der Liebe‘ heißt. 

Bon diefen Abhandlungen nun tft die erjte nichtS anderes als 
eine freie, meift aber wörtlich abgefchriebene Reproduction von 
Chriftian Endtfelders Schrift „Von wahrer Gottfeligfeit‘‘, 
welche zuerft (fowiel ich ehe) im Jahre 1530, dann 1538 und 
öfter?) aufgelegt worben ift. | 

Der zweite Tractat aber enthält in feinem ganzen Tenor 
lediglich eine Meberarbeitung von der oben citixten Schrift Dends 
„Bon der wahren Liebe” — eine Weberarbeitung, welche fih an 
einzelnen Stellen nur in den Ausprüden von dem ihr zu Grunde 
liegenden Original unterfcheibet. 

Sp heißt e8 gegen Ende des „Geiftlichen Discurjes‘ 3) wörtlich: 

„Der halben, wo die Lieb vecht lauter und rein ift, ba weichet 
und fleucht der Liebhaber nit von dent Geliebten, gleich eine Roſe 
nit von ihrem Tieblichen Geruch fern fein Tann, noch ein Bräutigam 
von feiner Braut, die er inbrünftlich Lieb Hat, fondern er vergiffet 
fein felbft als ob er nicht mehr wäre, und achtet allen Unkoſt, Kreuz 
und Schaden nicht, ven er um des Geliebten willen leiden fol, ja 


1) Die Ausgabe von 1618 wird genau befchrieben von ©. Kloß Biblio- 
graphie der Freimaurerei Nr. 2538. Bon neuem gebrudt wurde der Tractat 
zugleich mit ber Fama Fraternitatis und der „Allgemeinen und Generalrefor- 
mation” durch Fr. Nicolai (angeblihd Regensburg 1681) zu Berlin 1781. — Ein 
Auszug daraus findet fih bei (3. Fr. von Meyer) die beiden Hauptichriften ber 
Roſenkreuzer. Frankf. 1827. 8°, 

2) Nah Jehring Gründlice Hiftorie u. |. w. Iena 1720 ©. 94 findet fi 
die Schrift auch gemeinfam mit Taulers Poſtille Später vielfach; ich habe eine 
ſolche Ausgabe nicht einfehen können. Ueber Enbtfelber als Schüler Dends ſ. 
oben ©. 433. 

3) Mir liegt die Ausgabe von Berlin (1781) vor; vol. ©. Kloß a. O. 
Nr. 2429. Die citirte Stelle findet fich vier auf ©, 187 (Eremplar der Kal. 

Paulin. Bibl, zu Münfter W>5, 64). 


471 


der Liebhaber ift nicht ruhig noch zufrieden was er anfängt, bis er 
die Liebe gegen dent Seltebten auf das alferhächite beweiſet, auch in 
aller Gefahr und wo e8 möglich wäre (als möglich ift), daß es dem 
Geliebten zu gut gejchehen möcht, fo begeb ſich der Liebhaber für 
den Geliebten willig und fröhlich in den Tod“. Diefe ganze Stelle 
findet fich Thon im Jahre 1527 in der erwähnten Denckſchen Schrift), 
von welcher. wir oben gejagt haben, daß fie als „Augsburger Con⸗ 
feffion” der Brüdergemeinden gelten Tann, 

Wenn man biefe Thatjache, die fih durch ähnliche Beobach- 
tungen ?) erweitern ließe, ins Auge faßt, jo erklärt fich auch der 
Umftand, daß eine andere Heine Schrift Dencks, welche unter dem 
Titel „Etlibe Hauptreden“ zuerft im Jahre 1528 bei P. 
Schöffer in Worms erfchienen war, feit dem Sabre 1621 von einem 
Manne, welcher den Rofenkreuzern erwieſenermaßen nah geſtanden 
hat (Joh. Arndt), in ſtets neuen Auflagen gemeinſam mit der „Deut⸗ 
ſchen Theologie‘ Hat reproducirt werden können. Und der Um⸗ 
ftand, daß die Reproduction der „Deutſchen Theologie” nach der von 
Dend und Hätzer im Jahre 1528 veranjtalteten Edition, nicht aber 
nach der von Luther feit 1516 oft wiederholten Ausgabe erfolgt ift, 
giebt gleichfall® einen Fingerzeig dafür, aus welchen Streifen ber 
Mann, ver Die deutſche Theologie im Jahre 1621 wieder ans Licht 
309, ſeine Vorlage empfangen bat, 

Wir haben oben gejehen, daß die Heine Schrift des Frankfurter 
„Sottesfreundes” in den Brüdergemeinden von jeher überaus hoch 

1) Dend jagt: „Wo die Lieb volllommen ift, ftellet der Liebhaber nicht ab 
gegen dem Geliebten, ſondern vergiffet fein ſelbſt, als ob er nicht mehr wäre, und 
gilt ihm aller Schaden nicht8, den er um bes Geliebten willen leiden fol, Ja, 
der Liebhaber ift nicht zufrieden, wa8 er anfahet, bis er die Liebe gegen dem Ge- 
liebten aufs allerhöchfte beweije in allen Gefährlichleiten, und wo e8 möglich wäre 
(als es möglich ift), daß e8 dem Geliebten zu gut geichehen möcht, fo gäb fich ver 


Liebhaber für das Geliebte willig und frößfi in ben Tod“. Bon der waren 


Lieb ꝛc. Hanns Dend MDXVII. O. O. u. J. Bla. 1 (Eremplar der Hof» und 
Staatsbibl, zu Münden). 

2) Sehr merkwürdig ift die Auffaffung bes „Geiftlichen Discurfes“ won ber 
Beveutung der Taufe. Der Berfaffer jagt (©. 156), daß an ber Wiebergeburt 
und inneren Erneuerung des Herzens Alles gelegen fei, und führt dann fort: „Dieſe 
Adfterbung und Auferftehung wird durch die heilige Taufe eingebilbet, bebeutet und 
bezeuget“. Kann bei Kindern von innerer Erneuerung bes Herzens, von Ab- 
fterbung und Auferftehung die Rebe fein? 


472 


gehalten worden war, und daß Luther in feiner erſten Zeit fie gleich- 
falls fehr gelobt Hat. Aber ſchon im Jahre 1537 hatte Luther im 
Gegenfag zu feiner früheren Haltung zu einem Buch des Joh. 
Kymeus, welches die Ideen der „deutſchen Theologie‘ befämpfte, eine 
empfehlende Vorrede gefchrieben. In Uebereinſtimmung hiermit er- 
Härte der berühmte Iutheriiche Dogmatifer Nicolaus Hunnius 
(F 1643), daß die deutfche Theologie die Grundlage jener Ketze⸗ 
reien) fei, welche die „Weigelianer” und die „Roſenkreuzer“ vor⸗ 
trügen, und befindet damit ſowohl den Gegenſatz der Orthoborie 
gegen diefe Schrift wie das treue Feſthalten der „Bruderſchaften“ 
an dem alt überflommenen Eigentbum ihrer Väter. 

Aus diefen Verhältniffen erklärt e8 fich, wie e8 kommt, daß be- 
reits Die Zeitgenoffen die „Roſenkreuzer“ direkt als „Wiedertäufer“ 
bezeichnet oder fie mit den verwandten Beitrebungen in eine Linie 
geitellt haben ?). 

Es Tann feinem Zweifel unterliegen, dag noch im 17. Jahr⸗ 
hundert in Deutfchland jene „Bruderſchaften“ beftanden baben, 
welche, nachdem fie aus bem Tirchlichen Leben zurüdgedrängt waren, 
abermals in Anlehnung an die Bauhütte die Ideen der „Brüber- 
gemeinden“ fefthielten, um fie in eine glüclichere Zeit hinüberzuretten. 


1) Bon Nicol. Hunnius fagt Dr. C. E. Lutharbt, daß er in ber Lehre von 
den Funbamentalartiteln „auf lange hinaus maßgebend“ geweſen ift (Comp. d. 
Dogmatik. Lpz. 1882 ©. 48). Eine nicht minder berühmte dogmatiſche Autorität 
berfelben Kirche, Ehregott Daniel Colberg (geb. 1659), findet in der beutfchen 
Theologie „Zweideutige irrige Redensarten und von ber Wahrheit bes Glaubens 
abgehende Lehren”. D. Michael Walther aber und Hornbed jagen von dem Büch⸗ 
lein, der erftere, e8 enthalte grobe Irrthlimer, ber andere, e8 fei bie Grundlage 
des „Enthuſiasmus und Libertinismus“ — zwei Bezeichnungen, welche das 
„Täuferthum“ treffen follen, die al8 „Freigeiſter“ von jeher verrufen waren. 
Hornbeck gehörte zu den beften Kennern des Anabaptismus im 17. Jahrhundert. 
2) Dal, Griesmann Getrewer Ehart, welcher in den erften neun ge= 
meinen Fragen ber Wiebertäuferiihen, Schwentfelbifchen 2c., Roſenkreutzeriſchen 
Ketzerey im Lande herinnftreichende wäfte Heer zu fliehen und als feelenmörberifche 
Räuberei zu meiden verwarnt. Gera. Munitzſch. 1623. 4°. (Kloß Bibliographie 
Nr. 2608.) — Nah Will Beyträge zur Gef. d. Antibaptismus S. 123 hat 
Zah. Theobald in feiner Schrift: Wiebertäuferifcher Geift u. f. w. (1623) ©. 
112—156 bargethan, daß „die Rofentreuzer wahre Wiedertäufer“ 
fein. — Die Belege ließen fich Teicht vermehren wie eine Durchſicht der bei Kloß 
a. a. O. gegebenen Büchertitel ergiebt. 


473 


Das 17. Jahrhundert zeigt bezüglich der altevangelifchen Kirchen- 
gefchichte ganz frappante Achnlichkeiten mit dem oben beiprochenen 
15. Jahrhundert. Damals wie jett Tiefen die beiden Strömungen 
der Gemeinden und ber Bruderfchaften neben einander ber, 
und in beiden Perioden waren die erjteren, wie fich zum Theil fo- 
gleich zeigen wird, in hohem Maß verfümmert, und jet wie ehedem 
waren die Bruderfchaften die erjten, welche fich von der großen Nie- 
derlage erbolten, diesmal freilich nicht in Deutfchland, fondern in 
England. | 

Schon in dem literarifchen Kampf, der aus Anlaß der Roſen⸗ 
freuzer-Schriften entftanden war, war e8 zu Tage getreten, baß 
die Bruderſchaft in England und Holland bejonders eifrige Ver⸗ 
tbeidiger befaß!). 

England ift auch dasjenige Land, in welchem die „Bruder⸗ 
Schaft" Den Schleier des Geheimniſſes zuerjt foweit fallen Yäßt, 
dag wir ihre Gefchichte wenigftens mit einigen Daten feftftellen 
fönnen. Ä 
Im Jahre 1685, nach dem Tode des bisherigen Großmeifters 
(de8 Grafen von Arlington), hielten die „Brüder eine Verfamm- 
lung und erwählten Sir Chriſtoph Wren zu ihrem Oberhaupt. 
Die unglüdlichen Sabre 1688 —89 reducirten die englifche Bruder- 
ſchaft derart, daß es in London nur fieben Hütten gab. Aber 
ſchon wenige Jahre darauf trat ein glüdlicher Umfchwung ein. 

Die neue Periode beginnt mit dem heimlichen Eintritt König 
Wilhelms II. von Großbritannien und Irland in ven Bund, 
welcher im Jahre 1695 erfolgte?). Das Haus Naſſau⸗Oranien 
hatte feit den Tagen, wo der Vater des großen Befreiers der Nie 
derlande, Graf Wilhelm, in feinem deutſchen Ländchen die evange- 
liſche Lehre einführte, den Ioeen der „Brüdergemeinden‘ außeror- 
dentlich nah geftanden, und der Schritt, den König Wilhelm II. 
that, befaß mithin nicht nur in dem Verhalten jener mächtigen 
Souveräne wie Raifer Ludwigs des Batern und Kaiſer Marimilians J. 


1) Man vgl. ©. Arnold a. a. O. 8. 25 und ©. Klof Bibliographie d. 
Freim. 1344, 

2) ©. Kloß Geld. d. Freimaurerei in England, Irland und Schottland 
aus ächten Urkunden bargeftellt (1685—1784) Lpzg. ©. 2. 


474 


wichtige Präzedenzfälle, fondern er entjprach auch den Traditionen, 
wie fie in dem Gefchlechte ver Dranier überliefert waren. 

Bon nun an nahmen die Hütten, welche damals bereit$ mit 
der italienifchen Form des Wortes fih Logen nannten, einen rafchen 
Aufſchwungi). 

Gerade in jenen Jahrzehnten, in welchen ſeit der Einnahme 
Straßburgs durch die Franzoſen (1681) ihr bisheriger Vorort 
der deutſchen Hütte entfremdet ward, und in denen ein formeller 
Reichstagsbeſchluß (v. 16. März 1707) behufs Sprengung der alten 
deutſchen Hüttenorganiſation erlaſſen wurde, fanden in England die 
Vorbereitungen zu einer inneren Erneuerung der alten Bruder⸗ 
ſchaft ſtatt, welche von weltgeſchichtlichen Folgen werden ſollte. Jene 
vier Logen Londons, welche im Jahre 1717 dem Bunde der Frei— 
maurer feine heutige Form und Geſtalt gaben, waren Logen von 
Werkleuten und von Angenommenen?. Mithin war e8 bamals 
noch immer der alte Bund, welcher von innen heraus unter dem 
allgemeinen Aufſchwung des englifchen Lebens die Regeneration 
vollzog. Der große’ Schritt, welcher dann alsbald folgte, und der 
die neue Periode des alten Bundes einleitete, war ver Beſchluß, 
welcher in erjter Linie das geiftige Bauen zum Ziel und Zwed 
des Bundes proflamirte. Doch behielt man in echt confervativer 
Weife ſowohl die alten Formen wie die alten Grundgedanten der 
Bruderſchaft bei. Man kennt die großartige Entwicdlung, welche 
die „Brüder“ auf diefem Wege erlebt haben. 


Diefer Aufihwung der „Bruderſchaft“ (brotherhood) in Eng- 
land hängt unzweifelhaft mit der Thatjache zufammen, daß auch Die 
altevangeliihen Gemeinden in eben biefem Lande zu einer groß- 
artigen Machtentfaltung gelangt waren. 

Ehe wir jedoch diefe Entwiclung näher berühren, ift e8 noth- 
wendig, die Schickſale zu betrachten, welche die „Brüdergemeinden“ 
in ihrem Heimathlanve in ven fpäteren Zeiten erlitten haben. 

1) Nicht unwichtig ift, daß die Organifation des Bundes VBierteljahrs - 
Berfammlungen und Jahres-Berfammlungen aufmeilt (©. Kloß a. O. 
&.5); unzweifelhaft gab e8 auh Monat8-Berfammlungen, nur babe ich 
einftweilen feine Notiz darüber gefunden. 

2) Findel Geſch. d. Freimaurerei. Lpg. 1878. A. Aufl. ©, 53. 


475 


Es ift wahr, daß die Gemeinden, wie fie feit etwa 1560 in 
Deutfchland beftanden, im Ganzen einen traurigen Anblick darbie⸗ 
ten; aber die Empfindung, die man bei dem Stubium ihrer opfer- 
reichen Gefchichte empfängt, ift weit mehr Mitleid als Unwillen; 
denn ſelbſt die Verirrungen und die mancherlei Streitigkeiten, 
welche auch bier ausbrachen, find, wenn man auf die weit größeren 
Verirrungen und die weit heftigeren Streitigleiten innerhalb ber 
berrjchenden Kirchen das Augenmerk richtet, wenn nicht entjchuld- 
bar, fo doch begreiflich. 

Man überfieht meift, daß bis in das 18. Jahrhundert hinein 
diefe Männer durch blutige Strenge am öffentlichen Auftreten ver- 
hindert worden find. Indem man fie fo zu heimlicher Vereini- 
gung nötbigte, ging ihnen fowohl die nothwendige Förderung wie 
die nothwendige Zügelung verloren, welche die öffentliche Be— 
thbätigung des allgemeinen Tirchlichen Bewußtſeins gewährt. 

In merkwürdigem Widerfpruch zu ihrer früheren Gefchichte, 
wo ihre Führer auf eine Reformation der ganzen Welt im großr 
artigften Maßſtabe Hinarbeiteten, fuchten jet die aus diefem Stre- 
ben übriggebliebenen Kräfte gleichjam eine Ableitung in Anoronungen 
und Beitimmungen äußerer Lebensverhältniffe von untergesrbneter 
Bedeutung. Im Zufammenhang mit gewiffen uralten Traditionen, 
wie fie aus der Blüthezeit ver waldenfifhen Bruderhäufer 
(Begbarden und Beghinen) fich erhalten hatten, begannen in ein- 
zelnen Ländern (befonders in Mähren) die Gemeinden fich in folche 
Hänfer umzuwandeln, und indem fie in verlehrter Weife das ganze 
Leben in die veralteten Formen dieſer Anftalten einzwängten, bes 
raubten fie ſich jeder Einwirkung auf die allgemeinen Verhältniffe 
und fanten vielfach auf Die Stufe einer verfümmerten Sefte herab. 

Diefe begharbifchen Traditionen — wenn man fo jagen darf — 
machten auch außerhalb Mährens ihre Wirkungen dadurch bemerk⸗ 
bar, daß die „Brüder“ in gänzlichem Mißverſtändniß der Abfichten 
ihrer Vorfahren die „Regeln der „Bruder⸗ und Schweiternhäufer“ 
auf das Leben der Gemeinden übertrugen und ihre geiftige Kraft 
in unglüdlichen Verfuchen, die äußeren Ordnungen nach den miß- 
verftandenen Ueberlieferungen berzuftellen, vergeubdeten. Die Strenge, 
mit welcher derartige „Regeln“ von Einzelnen aufgefaßt und mit 


476 


der Kirchenzucht, deren Ausübung in jeder Gemeinfchaft befonvere 
Gefahren und Schwierigfeiten bietet, verbunden wurbe, führte zu 
zahlreichen Streitigfeiten und Parteiungen, welche die Kraft der 
Gemeinschaft fchließlich noch mehr als die VBerfolgungen ſchwächten. 
Doch muß gegenüber der in den üblichen Kirchengejchichten herlömm- 
lihen Betonung diefer Differenzen darauf bingewiefen werben, daß 
ſchon feit 1626 eine Ausföhnung der verſchiedenen Richtungen fich 
anzubahnen begann, welche durch die Synoden zu Haarlem (1649) !) 
und zu Utrecht (1661) ihre Beftätigung empfing. 

Trotz folder Mängel und Schwächen, welche fie übrigens 
gegenwärtig fowohl in Deutichland wie in Holland gänzlich abe 
geftreift haben 9, ift ihnen in der Behandlung dogmatifcher Tragen 
immer eine Weitherzigfeit und Duldſamkeit eigen geblieben, welche 
im Gegenfate zu den tbeologifchen Zänfereien der Ortboborie einen 
überaus wohlthuenden Eindrud macht. 

Der fortvauernd von ihnen feitgehaltene Grundſatz, daß fein 
von Menfchen formulirtes Bekenntniß unter ihnen etwa in ber 
Weife wie unter Zutheranern und Katholiken verbindliche Autorität 
befigen jolle, und daß weder einzelne Gelehrte noch ein oberſter Bontifer 
als höchſte Lehrinſtanz Geltung haben bürften, bat fich ausgezeichnet 
bewährt. Noch heute verweifen fie Seven, welcher nach ihrem Glau- 
ben fragt, auf Chrifti Worte, und den Spruch, welchen einft Menno 
Simons als feinen Denkſpruch erflärte: „Einen anberen Grund kann 
Niemand legen, außer dem, ver gelegt ift, nämlich Jeſus Chriftus‘ 
(1. Cor. 3, 11), haben fie in diefem Sinne ftetS aufrecht erhalten. 
Sie nennen fih zwar meistens „Mennoniten”, aber fie verwahren 
ſich ausbrüdlich dagegen, daß fie ſich Damit an diefen oder an irgend 
einen anderen fterblichen Menfchen gebunden erachten 3). 


1) Handlung ber vereinigten Flämifchen und Teutſchen Taufgefinnten Ge— 
meinen, gepflogen zu Saarlem anno 1649 im Junio, famt den dreien Confef- 
fionen, fo daſelbſt approbirt und angenommen. 8°. Bliffingen 1666. 

2) Selbſt in Bezug auf die Wehrpflicht haben die heutigen Mennoniten 
fih faſt ſämmtlich wieder derjenigen Anſchauung zugewendet, welche in der beften 
Zeit ihrer Gemeinschaft Gefeg war, daß nämlich die Nothwehr, ſelbſt mit dem 
Waffen, nicht verboten ſei. 

3) Vgl. A. M. Cramer Het Leven en de Veriiglingen van Menno Simons. 
Amst. 1837 p. 160. u 








477 


In der Dogmatik wie in den theologischen Wiflenfchaften über- 
baupt Haben fie wenig geleiftet, aber auch wenig leiften Finnen; 
wo Zweifel vorhanden waren, baben fie fi am Tiebften auf die 
Ueberlieferung fowohl in Bezug auf die Lehre wie auf den Eultus 
und die Kirchenverfaffung geftügt. Es Hat dies mancherlei Nach- 
tbeile für fie gehabt, aber fie find dem Einfluffe von Zeitftrömungen, 
der zeitweilig fehr verberblich fein Tann, Dadurch viel weniger aus⸗ 
geſetzt geweſen als die übrigen proteftantifchen Kirchen. 

Die vornehmfte Stärke diefer Gemeinfchaft hat wie von je ber 
fo auch in ven letzten Jahrhunderten in den Beftrebungen fitt- 
licher Art gelegen, worin fie im Vergleich zu ihrer Zahl Großes 
geleiftet haben. Auch bei ihnen hat e8 nicht bloß im 15., fondern 
auch im 17. und 18. Sahrhundert Zeiten der Oede und Stagnation 
gegeben; aber die tiefe religiöfe Innigfeit, welche das Erbtheil der 
Gemeinfchaft war, hat von Zeit zu Zeit immer wieder frifche Reifer 
getrieben, und alsdann bat fich ftetS eine fo echte Flamme reiner 
Frömmigkeit offenbart, daß fie felbjt ihren Gegnern Achtung ab- 
gendthigt haben. 

Frei von Engberzigfeit, Aberglauben und Scheinheiligleit — 
Fehlern, welche der orthoboren Frömmigkeit fo leicht anbaften — hat 
dieſe Gemeinfchaft religiöfe Wärme, ja Begeifterung mit freifinniger 
Toleranz, praktiſche Frömmigkeit mit echter Demuth in ihren befjeren 
Perioden ſtets zu vereinigen verftanden, und ein Schatz uralter 
Traditionen, die fie nicht nur in Bezug auf Glaubensſätze, jondern 
auch in Rüdficht auf Sitte und Leben überlommen haben und 
heilig halten, bewirkt noch heute, daß ihre Kinder in jenen Tugenden 
auferzogen werden, welche ſchon im 13. Jahrhundert ver Inguifitor 
David von Augsburg als Merkmale ver „Brüder aufgezählt hat!). 

Einer der wefentlichiten Nachtbeile, den biefe altenangelifchen 
Täufer fi Durch ihre Vernachläffigung der theologischen Wiſſen⸗ 
ſchaften zugezogen haben, befteht in ihrer Unbekanntſchaft mit ihrer 
eigenen Gefchichte. Dadurch erklärt fich auch manches Mißverftänd- 
niß ihrer Meberlieferungen, die ohne fehriftliche Fixirung natürlich 
Entjtellungen ſtark ausgeſetzt waren. 


1) ©. oben ©. 6. 


478 


Die Zahl und Bedeutung der Gemeinden ift im weitlichen 
Europa im ganzen 16. Jahrhundert erheblicher geweſen, als heute 
befannt ift. Der Bifchof von Pomefanien, Joh. Wigand, richtete 
im Jahre 1582 ein offenes Senpdjchreiben an alle Fürften und 
Staaten der Augsburger Confeffion und jagt in deſſen Eingang 
wörtlich: 

„Es giebt Leute, welche glauben, daß die Sekte der Anabaptiften 
von geringer Bedeutung fei, aber fie irren fich in ihrer Unkenntniß 
ihmählih. Denn daß fehr viele Menſchen in diefe Phantasmen 
verjtrickt find, und daß an zahlreichen Orten jene Art von Menſchen 
ſich ausbreitet, wird burch offene Erfahrung betätigt. Denn fie 
haben ihre beftimmten Zufluchtsftätten in Polen, in Preußen haben 
fie gewiffe Gegenden occupirt, in den Nieberlanden aber haben fie 
feit lange gleichfam ihr Königreich; nach Schwaben und in andere 
Gegenden haben fie fich verbreitet”), 

Es wäre eine dankbare Aufgabe, der Gefchichte der altenange- 
liſchen Gemeinden in Deutfchland nach dem Jahre 1535 einmal 
genauer nachzugehen. Noch im Jahre 1556 läßt fich der enge Zu- 
fammenbalt der Brüder in Sübbeutfchland, der Pfalz, der Schweiz, 
am Niederrhein, in Holftein, Medlenburg und Mähren mit den- 
jenigen in Holland fowie in Oberitalien 2) ziemlich genau feititellen 3). 
In diefem Jahre tagte unter Mennos Borfik eine Synode in Köln. 
Im Jahre 1557 Hören wir von einer VBerfammlung der oberdeutſchen 
Brüder in Straßburg, bei welcher etwa 50 Vertreter anwefend waren. 

Bon befonderer Bebeutung ift dann die große Synode geworden, 
welche im Frühjahr 1591 zu Köln zufammentrat. Die Artikel, welche 
die dort anweſenden deutfchen und nieberländifchen „Brüder“ unter- 
zeichneten, geben ein intereffantes Bild von dem damaligen Stand 
ber Anfichten‘). ine der legten größeren Verſammlungen in 


1) Wigandus De Anabaptismo Leipz. 1582, in 4°, 

2) Ueber die Wiebertäufer im Venetianiſchen und ihre Beziehungen zu den 
„Brüdern“ in Mähren f. den intereffanten Auffag Karl Benraths in ben 
Theologifchen Studien n. Krit. Jahrg. 1885 ©. 9 ff. 

3) S. A. M. Eramer aa O. ©. 133, 

4) Sie find gebrudt in der Schrift: De algemeene Belydenissen der Ver- 
eenighde Vlaemsche, Vriesche, en Hooghduytsche Doopgesinde Gemeynte 
Gods etc. t’Amsterdam. Anno 1665. p. 1 fl 





479 


Deutjchland, über die ich Nachrichten gefunden babe, ift diejenige, 
welche in der Pfalz (auf dem Ihersheimer Hof) im Jahre 1803 ge 
halten worden ift. Leider ift mir fein vollſtändiges Brotocoll bes 
kannt geworden !). 

Dei einer näheren Betrachtung dürfte man finden, daß in Be⸗ 
zug auf die Lehre fich in diefen „Gemeinven‘ vielfach eine Trür 
bung der alten Tradition eingeftellt hat; aber rüdfichtlich der Kir- 
chenverfafjung und vieler Tirchlich-focialer Principien gebührt der 
Heinen Gemeinſchaft das Verdienft, daß fie diefelben mit zäher Aus- 
bauer feftgehalten und in eine Zeit binübergerettet bat, wo fie auch 
auf die herrſchenden Kirchen von großem Einfluß werden follten. 
Ich zähle dahin den von den „Täufern“ zuerft und am entjchie- 
denften geltend gemachten Grunbfaß, daß die Tirchlichen Dinge unter 
Mitwirkung der Laien in ſynodalen Organifationen ihre Erledigung 
finden follten, und das Princip, daß alle Menfchen Brüder feiern, 
und daß e8 mithin weder Keibeigene noch Sklaven geben dürfe. 

Der legtere Grundſatz bat feit uralten Zeiten einen Theil der 
Forderungen gebilbet, welche die Brüder aufgeftellt hatten, und wir 
fehen ihn fofort beim Beginn der Reformation von Neuem auf 
tauchen. Heinrich Bullinger eifert gegen die angebliche Irrlehre 
der „Wiedertäufer”‘, welche lehren, daß e8 „ungebührlich fei, daß 
Jemand unter chriftlihem Volk Teibeigen ſei und die Pflicht oder 
Schuld der Knechtichaft zahlen folle”. Dies fei ganz falfch, meint 
Bulfinger, „denn fundbar genug ifts, daß Abraham, der 
Bater ver Gläubigen, leibeigene Leute gehabt bat und 
deren nit wenig”). 

Es ift beachtenswerth, daß die „Sektirer“ fich in dieſem Punkte 
nicht nur mit der neuen Orthoborie, fondern auch mit der Tatho- 


1) Einiges darüber in dem von Wiggers in der Zt. f. hiſt. Theol. 1848 
©. 508 reprobueirten Aufſatz 2. Weydmanns über die Mennoniten in der Pfalz, 
Dort beißt e8 über die Beichlüffe unter Anderm: „Es war feitgefeßt, daß Die 
aus andern Gemeinfhaften Mebertretenden nur auf ausdrüd- 
liches Berlangen getauft werden follten, daß die Unterweifung ein 
volles halbes Jahr dauern ſolle“ u.f.w. Den interefianten Auffag Weydmanns 
ſ. in dem Jaarboekje voor de Doopsgezinde Gemeenten in de Nederlanden 
1838 en 1839. 

2) Bullinger Der Wiebertäufer Urfprung u. ſ. w. 1560 f. 38, 


480 


liſchen Nechtgläubigfeit in Wiverfpruch befanden. Denn die Bulle 
Papft Nikolaus’ V. vom 8. Januar 1454 erklärt ausdrücklich, daß 
es erlaubt fei „alle Sarazenen, Heiden und andere Feinde 
Ehrifti in ewige Sklaverei zu bringen”, und dieſes zunächft 
den Bortugiefen bewilligte Recht ift durch fpätere Päpfte, wie Sirtus 
IV. (1471— 1484), Innocenz VIIL (1484—1492), bejtätigt und von 
Clemens VII. (1523— 1534) dahin erweitert worden, daß es erlaubt 
fei, auch alle Keßer in die Sklaverei zu verlaufen !). 

Diefen Anschauungen gegenüber muß man e8 den Täufer, 
gemeinven zum hohen Verdienſte anrechnen, daß fie von ihrem 
traditionellen Widerfpruche gegen die Sklaverei niemals abgelaffen 
haben. Deutjche Mennoniten find die erften geweſen, welche gegen 
die Sklaverei, welche fie in Amerika vorfanden, nicht nur mit ent- 
ſchiedenen Proteften, fondern auch mit thatkräftigem Handeln auf- 
getreten find, und die Duäler haben dieſe Beitrebungen fpäter 
erfolgreich fortgejegt 2). 

- Die Gefchichte der altevangelifhen QTäufergemeinden bes 16. 
und 17. Jahrhunderts follte ſchon deßhalb in der Kirchengejchichte 
eingehender berüdfichtigt werden, als e8 bisher geſchehen ift, weil 
es nach dem Stande der heutigen Forſchungen völlig zweifellos ift, 


1) Die Bulle vom 8. Ian. 1454 ift wörtlich abgebrudt bei Leibnitz Cod. 
Dipl. Part. I. p. 406 ff.; ferner bei Cherubini Bull. Magn. IX p. 261 und bei 
Raynald Cont. Annal. Baronii zum Jahre 1454. Die enticheivende Stelle, in 
welcher der Papft auf ein bereits früher ergangenes Altenſtück verweift, lautet: 
„Nos praemissa omnia et singula debita meditatione pensantes et attendentes, 
quod cum olim praefato Alfonso Regi quoscunque Saracenos ac pa- 
ganos aliosque Christi inimicos ubicunque constitutos ac Regna, 
Ducatus, Principatus, Dominia, possessiones et mobilia et immobilia bona 
quaecunque per eos detenta ac possessa invadendi, conquirendi, expugnandi, 
debellandi et subjungandi, illorumque personas in perpetuam ser- 
vitutem redigendi, ac Regna, Ducatus, Comitatus, Principatus, Dominia, 
possessiones et bona sibi et successoribus suis applicandi, appropriandi ac 
in suos successorumque usus et utilitatem convertendi aliis nostris lit- 
teris plenam et liberam inter caetera concessimus faculta- 
tem —“ etc. Es muß übrigens bemerkt werben, daß Gregor XVI. (1831—1846) 
eine andere Anficht Yundgegeben bat als feine Vorgänger. 

2) Ueber die hervorragenden Berbienfte der Mennoniten um die Abſchaffung 
der Sklaverei vgl. den Auffat von de Hoop- Scheffer in den Doopsgezinden 
Bijdragen f. 1884, 


481 


daß Diejenigen Männer, welche die Begründer des älteren deut- - 
Then Pietismus find — es eriftirt vorläufig fein anderer Name 
für die Anhänger Speners und feiner Freunde — ihre wichtigften 
Anregungen aus der Literatur des älteren Anabaptismus erhalten 
haben. 

Es ift an diefer Stelle unmöglich, auf diefe Entwidlungen 
näher einzugehen !). Es mag genügen, auf ein Werk binzumeifen, 
welches dieſen Zuſammenhang bereit im Jahre 1722 genügend 
Har gelegt Hat. J. J. Wolleb, welcher jelbft zu den „Pietiſten“ 
gehörte, fchrieb ein Buch — er nannte e8 „Geſpräche zwifchen einem 
Pietiften und Wiedertäufer”2) —, in welchem er ausprüdlich jagt, 
daß man „insgemein feinen Unterſchied zwiſchen den 
jogenannten BPietiften und Wiedertäufern zu maden 
pflege”. Der Zwed feines Werkes fei, daran zu erinnern, daß 
doch gewiſſe Unterfchieve vorhanden feien, und zwar befonders bie 
Lehre vom Eid und von der Obrigfeit. — 

Es iſt auffallend, daß Das oben erwähnte Sendfchreiben Joh. 
Wigands nom Jahre 1582 nicht der „Wiedertäufer” in England 
Erwähnung thut, während doch bereit damals dort jene folgen- 
reihen Bewegungen fich vorzubereiten begannen, welche feit dem 
"17. Jahrhundert zwei Welttbeile in Bewegung erhalten follten. 

Sch kann Hier nur im Vorbeigehen darauf Hinweifen, daß bie 
uralten Beziehungen der „Brüder“ diesfeits und jenfeitS des Meeres 
auch nach dem Sabre 1522 fofort wieder zu Tage treten ?). 

Wir haben gefehen, daß noch um 1527 die alten „Brüderge⸗ 
meinden” in England vorhanden waren); e8 war ganz natürlich, 


1) Sehr beachtenswertb ift, daß die Täufergemeinden in Deutfchlandb bie 
Schriften von Arndt und anderen „Pietiſten“ wie ihre eigene Literatur ſchätzten 
und behandelten. S. den angeführten Auffat von 2. Weydmann (Zt. f. hiſt. 
Theol. 1848 ©. 507). 

2) Wolleb 3. 3. Geſpräche zwiſchen einem wPietiften und MWiebertäuffer, 
in welchem einige Vorurtbeile und Lehrpunkten der Wiebertäufer unterfuchet und 
worinnen wahre Pietiften von ihnen unterjchieden find, an den Tag gelegt wird. 
Bafel 1722. 8%. (Exemplar in ber Bibl. der Taufgefinnten zu Amfterbam.) 

3) Sehr merkwürdig ift, daß nach Ausweis ber Alten bereits im Frühjahre 
1525 einzelne verfolgte Zitricher Täufer die Abficht ausiprechen „über das Meer 
zu geben” Egli Altenfammlung u.f.w. Züri 1879 ©, 307 (Nr. 691). 

4) Lechler Job, v. Wichf II, 454. 

Keller, Die Reformation. 31 


482 


daß die deutfchen Brüder jet wie früher hier Schuß fuchten. Schon 
im Jahre 1536 erfcheint ein Vertreter englifcher Gemeinden, Nas 
mens Heinrich, auf der Täufer⸗Synode zu Bocholt in Weftphalen!). 

Größere Dimenfionen nahm die Auswanderung deutfcher und 
niederläändiſcher „Täufer“ feit dem Jahre 1535 an, und Holland 
blieb von da an gleichfam die Brüde, über welche der Uebergang 
erft nach England und fpäter nach Amerika gewonnen mwurbe 2). 
Man weiß ja, daß die Niederlande feit dem Beginn des Befrei—⸗ 
ungefriegs das Aſyl aller Flüchtigen wurde, und mit Recht fonnte 
Joh. Wigand im Jahre 1582 fagen, daß „Belgien gleichſam das 
Königreich der Anabaptiften fer”. Die großartige Bedeutung, welche 
bie altevangelifchen Principien in dieſem Lande in der Geftalt von 
Täuferthum und Arminiantsmus gewonnen haben, bat noch Feine 
entfprechende Bearbeitung gefunden; bier mag e8 genug fein, dar- 
auf Hinzumeifen, vaß Hugo Grotius (F 1645), Oldenbarneveld 
u. A. Arminianer gewefen find. Daffelde Holland, welches von 
dem proteftantifchen Europa im 17. Jahrhundert mit Recht als 
das vornehmſte Bollwerk der evangelifchen Lehre angefehen wurde, 
war von täuferifchen Anſchauungen durch und durch erfüllt. 

Die Einwirkung des holländifch-veutfchen Anabaptismus ift in 
England nicht fofort in größeren Vollsbewegungen in die Erjchei- 
nung getreten. In aller Stille entwidelten fich die „Gemeinden 
in Großbritannien, bis fie feit dem 17. Jahrhundert mit großer 
Macht für die Ideen, um dverentwillen einft ihre Brüder in Deutjch- 
land vergeblich geblutet Hatten, erfolgreich in den Kampf traten. 

Die Gefchichte diefer für die ganze chriftlihe Welt überaus 
folgenreichen Bewegungen bat durch Hermann Weingarten?) eine 
jo eingehende Bearbeitung erfahren, daß es geftattet ift, an dieſer 
Stelle einfach darauf zu verweilen. . 


1) ©. L. Keller Zur Geſch. d. Wiebertäufer u. ſ. w. in ber Wefident. Ztf. 
f. Geſch. u. Kunft I. 4 (1882) ©. 441. 

2) Ganz intereffante Mittbeilungen über bie erften Beziehungen zwiichen 
Deutihland und England f. bei E. M. P. Enideıyua sive specimen Historiae 
anabaptisticae. Anno MDCCI p. 195f. (Exemplar im K. Staatsarchiv zu Münfter). 

3) H. Weingarten Die Revolutionsticchen Englands. Lpz. 1869. — Ueber 
die Quäker f. den Artilel R. Buddenfiegs bei Herzog u. Plitt 2. Aufl. 
Bd. XII ©. 425—455 5 desgl. Möhler Symbolik 4. Aufl. S. 497 ff. 


483 


„Der Puritanismus‘, fagt Weingarten, „war e8, der die Ne- 
formation in die Herzen eingeführt und fie aus einem Staats⸗ 
kirchenthum in ein Gemeindechriftenthum umgewandelt bat. Daß 
in England und Amerila briftlide Frömmigkeit eine 
nationale Macht geworden und geblieben, ift die Frucht 
der von ihm geführten Geiftes- und Glaubenskämpfe“i. 


Die Ueberſicht über die Nachwirkungen der deutſchen Bewegung 
des Täuferthums würde eine weſentliche Lücke darbieten, wenn wir 
nicht des Einfluſſes gedenken wollten, welchen die altevangeliſchen 
Brüdergemeinden durch Vermittlung der „Roſenkreuzer“, der „Pie⸗ 
tiſten“ und der engliſchen Puritaner auf zwei Heroen des deutſchen 
Geiſteslebens im 18. Jahrhundert, nämlich auf Leſſing und Kant, 
ausgeübt haben ?). 

Es iſt wahr, daß Leſſing ebenſo wie die meiſten anderen großen 
Lehrer deutſcher Geiſtesbildung im 18. Jahrhundert dem Kirchen⸗ 
thum ſehr entfremdet war. Indeſſen würde man gerade Leſſing 


1) Der Independentismus hat ſich bekanntlich in mannigfachen Geſtaltungen 
in England und Amerika entwickelt. Doch beruhen ſie alle auf der gemeinſamen 
Wurzel der altevangeliſchen Kirche. Ihre Verſchiedenheit hat, anſtatt nach- 
theilig zu wirken, einen Reichthum des inneren Lebens erzielt, welchen man 
in den Staatsfirchen oder ber römiſchen Kirche vergeblich fucht. 

2) Ein näheres Eingehen auf Schleiermader und Schiller würde ung 
bier zu weit führen. Ich will bier bezüglich des Erfteren nur darauf verweilen, 
daß fhon Weingarten (Engl. Revolutionsfirchen ©. 365. 370) auf feine merkwür⸗ 
dige Verwandtſchaft mit den Quäkern bingewiefen bat. Für Schleiermacher waren 
wahrſcheinlich die Herrnhuter die Vermittler der Brüder- Traditionen. — Was 
Schiller anbetrifft, fo ift e8 ja befannt, daß Niemand mehr dazu beigetragen 
hat, Kants Grundgedanken (befonders auch die Lehre von ber Willensfreiheit) po= 
pulär zu machen, al8 er. Someit Schiller überhaupt an chriftlichen Ideen feft- 
hielt, trug er fie durchaus in altevangelifcher, gänzlich unlutherifcher Weife vor. 
Uebrigens hoffte auch Schiller auf eine „Veredlung des Proteftantismus”. Im 
Jahre 1804 ſchreibt er an Zelter: „Berlin bat in den dunklen Zeiten des Aber- 
glaubens zuerft die Fadel einer vernünftigen Neligionsfreiheit angezündet; das 
war bamals ein Ruhm und ein Bedürfniß. Sekt, in Zeiten des Unglaubens, 
ift ein anderer Ruhm zu erlangen, ohne den erften einzubüßen; e8 gebe auch Die 
Wärme zu dem Licht und veredle den Proteftantismus, deſſen Metro- 
pole e8 einmal zu fein beftimmt ift“. 

31* 


484 _ 
fehr Unrecht thun, wenn man ben tief veligiöfen und zwar fpecielf 
chriſtlichen Kern feiner Auffaffungen bejtreiten wollte?) 

Wenn feine Freunde wie feine Gegner Leſſings pofitives Chri⸗ 
ſtenthum bisweilen unterfehätt haben, fo Tiegt Dies zum Theil daran, 
daß ihm die Religion, wie fie in den herrfchenden Kirchen gefaßt 
wurde, innerlich in hohem Grabe zuwider war, und daß die Quellen, 
aus welchen er feine Weberzeugungen fchöpfte, bis jett nicht völlig 
aufgeklärt find. 

In Teßterer Richtung ift es nun, wie ich glaube, fehr erwäh⸗ 
nenswerth, daß Leflings Freund, Friedrich Nicolai, e8 geweſen ift, 
welcher jene oben befprochenen neuen Ausgaben von Dends Büchlein 
„Von der Liebe” und Chriftian Endtfelders Schrift „Von 
wahrer Gottjeligfeit” im Jahre 1781 zu Berlin herausgegeben und 
als Geiftesprobufte Des Ordens der Roſenkreuzer ausprüdlich em- 
pfohlen hat?). Bücher, auf welche Nicolai einen derartigen Werth 
legte, daß er fie neu auflegte, find Leffing ficherlich nicht unbefannt 
geblieben. Die Ausgabe von 1618, welche Nicolai benußte, dürfte 
au in Leſſings Händen geweſen fein. 

Ferner fteht aus Leffings eigenem Zeugniß feft, daß er fich mit 
einzelnen Schriften Sebaftian Francks befehäftigt bat; Leffing 
war es, welcher den von den Theologen gänzlich vergeffenen Dann 
zuerft wieder ans Licht 3083). 

Im Zufammenbang hiermit gewinnt folgende merfwürbige 
Aeußerung Leffings befondere Bedeutung: „Ste wird gewiß Tommen 
die Zeit der Vollendung, da der Menſch das Gute thun wird, weil 
e8 das Gute ift, nicht weil willfürliche Belohnungen darauf geſetzt 
find. — Vielleicht dag gewiffe Schwärmer des 13. und 14. 
Sahrbunderts einen Strahl diefe8 neuen Evangeliums 
aufgefangen hatten” 4). Das neue Evangelium, nach welchem er 


15 Er. nannte das Chriſtenthum geradezu fein Vaterhaus, aus welchem 
er ſich durch Teinen intoleranten Heuchler (Göte) heraus werfen laſſen werde. 

2) Bol. oben ©. 470. 

3) In Leſſings Collectaneen (ed. Maltzahn Lpz. 1857 Bd. XI, 2 ©. 325 —339) 
finden fih Spridwörter au8 der Sammlung Francks. 

4) Gelzer Dr. H. Die deutſche poetifche Literatur feit Klopftod u. Leffing 
u.ſ. w. Lpz. 1841 ©, 35, 


485 


fich ſehnte, erblicte er mithin angekündigt in jenen „Schwärmern”, 
welche die „Brüdergemeinden“ als ihre Wortführer verehrten. 

Bon diefem Standpunkt aus erklärt ſich auch die Thatfache, 
dag ein Mann wie Leffing, in deſſen Adern im Ganzen fo wenig 
berrnbutifchen Blutes floß, Doch gegen biefen verfümmerten Neft 
einer großen Vergangenheit ftet8 eine gewiſſe Pietät an den Tag 
gelegt bat. Er fühlte, daß bier Ankflänge an die Tendenzen vor- 
lagen, die ihm als das neue Evangelium der „Schwärmer“ vor- 
jchwebten. 

Und wenn man nun auf Lejfings religiöfe Gedanken achtet, 
jo ift e8 ganz frappant, wie eng er ſich an bie Grundſätze ber 
altevangelifchen Gemeinden in vielen wichtigen Tragen anſchließt. 


„Genug“, jagt er einmal, „wer Gott leugnen kann, muß fih auch 


leugnen Können; bin ich, fo ift auch Gott. Er ift von mir zu 
trennen, ich aber nicht von ihm. Er wär, wär ich nicht. Und 
ih fühl was in mir, was für fein Dafein ſpricht. Weh 
dem, der es nicht fühlt und doch will glücklich werden, Gott aus 
dem Himmel treibt und dieſen ſucht auf Erden“!). Wer erkennt 
bier nicht die innere Stimme, wie Dend fie fahte? 

Ferner: „Die Religion hat weit höhere Abfichten als ben recht- 
ſchaffenen Mann zu bilden. Sie fest ihn voraus, und ihr 
Hauptzweck ift, den vechtichaffenen Mann zu höherer Einficht zu 
erheben”. Doch können „dieſe höheren Einfichten, neue Beweg⸗ 
gründe, vechtfchaffen zu handeln, werden”. Liegt hierin nicht jene 
Wahrheit, daß der Wille zum Guten die Vorausſetzung rechter 
Erkenntniß der Worte Chrifti und aller Religion bildet? 

Leffing war es, welcher im 18. Jahrhundert zuerſt bervor- 
gehoben hat, daß der hrijtliche Glaube am reinften und belliten in 
den apojtolifchen oder altkatholifchen Jahrhunderten geleuchtet bat, 
an welche befanntlich auch die „Täufer“ anfnüpfen wollten. Und 
er fprach den von letteren verfochtenen Gedanken aus, daß das 
Neue Teftament in feiner heutigen Form als Canon des Neuen 
Bundes gerade in jenen Jahrhunderten noch gar nicht eriftirt habe 2), 


1) Ueber die menjchliche Glüchkſeligkeit I, 203. 
2) Leffing fagt: „Der Buchſtabe ift nicht der Geift und die Bibel ift nicht 
die Religion. Folglich find Einwürfe gegen den Buchftaben und gegen bie Bibel 


% 





486 


daß mithin die erften Chriften zwar wohl die Befehle Ehrifti, aber 
nicht die zum Theil erft fpäter entjtandenen Briefe und Bücher 
als unfehlbare Lehrnorm bejeflen und benußt haben könnten. ‘Den 
Standpunkt der erften Chriften aber erklärte er als den einzig ver- 
nünftigen, und bier wollte er felbjt feine Stellung nehmen. „Es 
wird eine andere Zeit kommen und e8 wäre Schade, wenn fie nicht 
fommen follte, da ed der Wohlanftändigfeit gemäß fein wird, ein 
guter Chrijt zu heißen, fo wie es jetzo bie Artigkeit erfordert, 
fih für nichts fchlechteres als einen Atheiften — jo lange man 
gefund ift — halten zu Lafjen‘ N). 

Ebenfo evident ift die innere Veriwandtfchaft, welche Kants 
Lehre in vielen wichtigen Punkten mit den Hauptgefichtspunften ver 
altevangeliichen Wortführer des 16. Jahrhunderts Darbietet. 

- Schon früher hat Albrecht Ritſchl von der Theorie Kants in 
einer wichtigen veligidfen Trage wörtlich gefagt: „Diefe Idee Kants 
ift nichtS weniger al8 neu. Denn fchon der Wiedertäufer Job. 
Dend bat die ethifche Autonomie des einzelnen Subjekts mit dem 
Gedanken der nothwendigen Straffatisfaction für die begangenen 
Sünden dur die Annahme ausgeglichen, daß der Wiedergeborene, 
indem er in feine urfprüngliche Verdammniß willigt und fein Fleiſch 
tödtet, die Geltung des Geſetzes zur Beftrafung feiner früheren 
* Sünden berftelle" 2). 

Es iſt möglich, ja wahrfcheinlich, daR beide Männer felbftändig 
auf den gleichen Gedanken gekommen find, aber dies ift ficherlich 
doch nur dadurch geſchehen, daß fie von fehr verwandten Principien 


— —— — — 


nicht eben auch Einwürfe gegen den Geiſt und gegen die Religion. Denn die 
Bibel enthält offenbar mehr als zur Religion gehöriges; und es iſt bloße Hypo—⸗ 
theſe, daß fie in biefem Mehreren gleich unfehlbar fein müſſe. Auch war die Re- 
ligion ebe eine Bibel war. Das Chriftenthbum war ehe Evangeliften 
und Apoftel gefhrieben hatten. Es verlief eine geraume Zeit, ehe der 
erite won ihnen fchrieb, und eine fehr beträchtliche, ehe der ganze Canon zu Stande 
kam. Es mag alfo von diefem noch foviel abhängen, fo kann doch 
unmöglich die ganze Wahrheit ver Religion auf ihm beruben“. 

1) E8 verdiente der Einfluß, welchen die altenangelifche Literatur auf Leffing 
gehabt, einmal eine nähere Unterfuhung Natürlich müßte man babei auch bie 
Ausläufer der Quäker, die englifchen Deiften, berückſichtigen. 

2) Ritſchl Rechtfertigung und Verſöhnung I, 454. 


487 


ansgingen. Und in diefer Richtung find die religidfen Strömun- 
gen, in denen Kant erzogen und aufgewachfen ift, unzweifelhaft von 
großem Einfluß gewefen. 

Der Philologe Ruhnken in Leyden, Kants Mitfchüler, schreibt 
im Jahre 1771 einen Brief an Xebteren, in welcbem er den Jugend⸗ 
freund daran erinnert, wie fie vor 30 Jahren gemeinfam in der 
„Lehre der Fanatiker“ (Schwärmer) unterrichtet worden 
feien !). 

Kant ſelbſt fpricht fich über die religidfe Nichtung, welche for 
wohl im Haufe feiner Eltern, wie in feiner fonjtigen Umgebung 
berrichte, folgendermaßen aus: „Man fage dem Pietismus nach, 
was man wolle, genug, die Xeute, denen cr ein Ernſt war, zeichneten 
fih auf eine ehrwürbige Weife aus. Sie befaßen das Höchſte, was 
man befiten kann, jene Ruhe, jene Heiterkeit, jenen Frieden, der 
durch Feine Leivenfchaften beunruhigt wurde. Keine Noth, Teine 
Berfolgungen fetten fie in Mißmuth, Feine Streitigfeit war ver- 
mögend, fie zum Zorn und Feindſchaft zu reizen”, 

Die Mahnung, welche die Mutter ihrem Sohne Emanuel tief 
in die Seele geprägt batte, lautete: „Ihr follt Heilig fein“), 
und wirklich durchzieht Kants ganze Philofophie der eine große Ge— 
danfe, daß als die Aufgabe alles Lebens die Sittlichfeit oder ber 
Wille zum Guten betrachtet werden müfje?). 

Wenn e8 nun wahr ift — wie e& denn in der That wahr ift 
— daß „pie Fortbildung der Erkenntnißmethode durch Kant zugleich 
die Bedeutung einer praftifhen Wiederberftellung des 
Proteftantismus befigt" (Albrecht Ritſchl), fo leuchtet ein, 


1) Ruhnken an Kant: „Anni triginta sunt lapsi, cum ulerque tetrica illa 
quidem, sed utili nec poenitenda fanaticorum disciplina conlinebamur“. S. ben 
Aufſatz Feuerleins in den Philoſ. Monatsheften Hrsg. v. Schaarſchmidt Bd. XIX 
Hft. 8 S. 453. 

2) Feuerlein a. a. O. ©. 456. 

3) E. Fenerlein, welcher a. a. O. intereſſante Enthüllungen über Kants 
Verhältniß zum Pietismus giebt, auf die ich hier verweiſe, fagt mit Hecht: „Im 
ber Religion innerhalb der bloßen Bernunft mag der Pietismus manchmal Modell 
gefeffen haben”. — Vgl. Übrigens auch Zeller Geſch. d. Philof. feit Leibnig. 
1873 © 404, 


488 


daß die Grundgedanken ber altdeutſchen Theologie feit und Durch 
Kant eine Auferftehung gefeiert haben, die ihre Wirkungen auf das 
ganze beutfche Leben bereits in hervorragender Weife geltend ges 
macht bat, und troß des Widerfpruchs, den jerre Ideen noch heute 
bei ihren alten Gegnern finden, fich immer burchichlagender geltend 
machen wird. 


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Keller, Die Reformation. 32 


Sah-Regifer. 


N. 


ABLE, das gölbne, d. h. allgem. Regeln 
der „Brüder“ 337. Bol. Allg. Regeln. 
Re ae ung Fr FR im 
13—14. Jahrh. 87 f. — Ho tung 
der „Brüder“ vor demfelben 256. — 
ier, Ceremoniell bei derſ. im 15. Jahr⸗ 
undert 266. — Auffaffung u. Feier 
im 16. Jahrh. 438. — Stellung des 
Abendmahl unter den „Heiligen Hand⸗ 
lungen“ der Brüdergemeinden 440, 

Aeltefte, der Einzelgemeinde im 
13—15. Jahrh. 223. — Desgl. im 
16. Jahrh. 439. — Aeltefte der Ge- 
jemmt emeinde (Senioren) heißen 

ifchöfe in älterer Zeit 66. 277. — 
Dee ‚im 16. Jahrh. 440. — Bol. die 
Artikel Bifchöfe, Senioren und Ma- 
joralis. 

Aeclteften-Rath — Berfammlung der 
Biſchöfe 76. 

Allgemeine Regeln in Form von Ge- 
dichten 39. 141 ff. 150. 199. — Er- 
neuerung derf. im 16. Jahrh. 337. — 
Vgl. Stufen des 5. Auguftinus. 

Altes Teſtament, Stellungber „Brü- 
der‘ zu demf. 44. — Betonung alt- 
teftamentlicher Lehren durch die von 
den Zaboriten beeinflußten Gemeinben 
im 15. Jahrh. 314 f. —- Desgl. durch 
die Anhänger des neuen Israel in 
Miünfter 453 f. 


Altevangelifche Zaufgeſinnte, als 


hiſtoriſcher Name 367. 
arhlarberif e Jahrhunderte 485. 
Andachten, 


ille, als Form des Got⸗ 

tesdienſtes 438. 

Apoſtel Chriſti: ihr Vorbild als Norm 
18f. 289. 300. — Die ihnen von 
Chriſtus Übergebenen Bollmachten 19. 
— Uebertragung dieſer Bollmachten 


rund 

Apoftel 376. 

Apoftel (Sendboten) der Brübergemein- 
den. Sieerfcheinen in den Ouellen unter 
folgenden Namen: 1) „Pauperes‘ (78); 
2) „Arme‘‘(78); 3), Arme v. Lyon(70); 
4)„Beghardi saeculares“ ober einf 
„Begharden“ (34, 127); 5) „Bottes- 
freunde” (75 ff.); 6) „Freunde“ (75); 
7) Die „Bekannten“ (noti), „Kunden“ 
(76); 8) „©ute Leute” (bons gens) 
(256); 9) „Winfeler“ (71); 10) „Ma- 
gistri majores* (72); 11) „Zwölfbo- 
ten‘’ (71). 

Sie erfcheinen auf ihrer Wander- 
ſchaft ftet8 zu Zweien 71. 443, — 
Der Magister major und minor 72. — 
Ihre Tracht 252. 277, 442. — Sie 
find Nachfolger der Apoftel Chriſti 
(Successores Apostolorum) 71, — 
Apoftofifche Succeffion 66. — Reprä- 
fentanten ber Gefammigemeinbe ſ. Kir⸗ 
chenverfaſſung. — Werden im 16. Jahr⸗ 
undert (unter den Täufern) von den 
Ügemeinen Synoden deſignirt und 
ſchließlich durch das Loos ausgewählt 
443. — Ihre Vorrechte und Bollmad 
ten bei Ausübung der Kirchenzucht 67. 
— Genießen 20 Berehrung 72. — 
Strenge Borbedingungen der Auf 
nahme als „Apoſtel“ 251f. — Ihr 
Verhältniß zu den Biſchöfen 80. — 
Nur tageweife halten fie fih auf an 
einem Orte 71. — Ihre „Regeln“ laut 
Matth. 10 u.f.w. 73f. — Die „Are 
muth“ 69. 245. — Sie tammen häufig 
aus den Kreifen der Bauleute, Eifen- 
ſchmiede u. ſ. w. 127. — Ihre „Send⸗ 





499 





ſchreiben“ an bie Ehriftenbeit und an] Ausf ließung f. Bann. 
einzelne Gemeinden 77. — Ihr Ber- Ausſchweifungen, angebliche, ber 


ſternhaͤ —* Begharden u. Beghinen) 
128. 233. 272f. — Ihre Zahl 256. 
Geheimhaltung der Amtswürde 386. 
— Der Titel „Apoftel‘‘ in Bafel 1524 

in gewiſſen Kreifen urkundlich nachweis⸗ 
bar — erg Heber- 
tragun ür die „Apoſtel“ gültigen 
Borfehriften auf alle Seifliden und 
Gemeinden feit dem 15. u. 16. Jahrh. 
313 f. 403 Fi — YAusjendung von 
„Apofteln“ bei der Synobe der „Wie- 
bertäufer” zu Augsburg (1527) 428. 
— Stellung in ber Geſammtverfaſſung 
der „Zaufgefinnten” 441f. — Mit 
dem Zufammenbrud der Gefammt- 
verfafiung find fpäter auch die Apoftel 
und Bifchöfe weggefallen 441 Anm. 1. 
Bol. „Chrifti Apofel“ u. ſ. w. 

Apoſtoliſche Brüder als Bezeichnun 
ber „Brübergemeindben‘‘ 8.11.34.395f. 

Apoftolifche Gemeinden, Vorbild der- 
felben 36f. 50. 305. 

— Jahrhunderte, Anfnüpfung an die— 
(en 6 f 0. u 1 erh 

— Kirchenverfaflung f. Kirchenverfaſſung. 

— Succeſſion, Forderung derſelben ei 
die Bertreter der Gelammtgemeinbe, 
nämlich Apoftel und Biſchöfe 19. 57. 
66. 223. 314. 

— Symbolum 6. 60. 86. 251 (vgl. Got- 
te8dienft). . 

— Trabition 37. 

— Bollmadıten 66. 289. 

Arme (Pauperes) f. Apoftel. — Als Bar- 

teiname der Brüdergemeinben 5. 

— italiſche 17. 

— lombardiſche 5. 

— von Lyon (vgl Apoſtel) 5. 7. 23f. 
299. 360. 


Arme Chriſten = „Brüder“ 122. 240. 
Armenbibel 321. 
Armenhäuſer der Brüder 30f. 224. 
Bgl. „Gotteshäuſer“ und „Gottes⸗ 
Armuth, geiſtliche, im Sinne der Fran⸗ 
cisfaner 21f. — Kampf der „Brüder“ 
gegen die „Armuth“ im Sinte von 
„Derarmung“ 69. 94. — Belitlofig- 
keit der „Apoſtel“ gemäß der Forde⸗ 
rung Chriftt 69f. 256. 
Atheismus im 17. Jahrh. 461. 
Auffreiung der Maurer und Stein- 
meten 226, vgl. freie Maurer. 
Aufruhr, angeblider, der „Täufer“ 
407. 416, 


Brüder 7. 


B. 

Bann, Kirchenbann 56 f. 67. 109. 224. 
250. 291. 405. 420. 438. 442. 476. 

Bauhütten, dentſche. Ihr Einfluß 
unter ben Gewerken 118 f. 220f. — 
Organifation der einzelnen Hütte 217 f. 
— Der Bund der fümmtlicden Hütten 
218 f. — Tradition über die Grün- 

dung de8 Bundes 219 f. — Der erfte 

Großmeiter 219. — Die Großhütte 

u Straßburg 219. — Kenntniß ber 

— Schrift unter den Hüttenbrüdern 
220. — Verwandtſchaft der Organi⸗ 
ſation der „Brüdergemeinden“ und 

„Baubütte 222 ff. — Die älteften 
Eonftitutionen 225. — Die Sonfi- 
tution von 1459 226 f. — Die „Ca⸗ 
an der Areilter en ren en 

enſt“ im Sinne von Pfli ng 
228. — Bauleute, Maurer u. f. w. 
als „Apoſtel“ der Brüder 209. — 
Disciplin und Zucht 229. — Ver⸗ 
Ihwiegenheit und Gehorfam 234. — 
Internationaler Zufammenbang der 
Hütten im 14. Jahrhundert 234 f. — 
Die Liebhaber des Handwerks 236. — 
Das „geiftige Bauen” 237. — Die 
„Banbütten‘ gewährten den verfolgten 
Brübdergemeinden Sau 236f. — Kai⸗ 
fer Marimilian 1. beftätigt bie revi⸗ 
dirte Eonftitution von 1459 im Jahre 
1498 318. — Die Capitels⸗Verſamm⸗ 
hingen zu Bafel und Straßburg 318. 
— Die Fhtten-Bruberfaften und bie 
erften Buchdrucker 319 ff. — Die „Bru⸗ 
derihaften‘ und bie „Täufer“ 413 f. 
436 f. — Die Bauhütten und Die Ro- 
fenfreuzer im 17. Jahrh. 469 f. — Die 
Reorganiation in England feit 1717 

Baumeifter der Welt als Bezeidh- 
nung Gottes 119. 

Begharden- und Begbinen-Hän- 
fer 27 ff. — Brubder- und Schweitern- 
Häufer 28f. — Beghinen — Kranken⸗ 
ſchweſtern 29 f. — Beguini regulares 
und Beguini saeculares 33 f. — Be- 

rden — Apoftel 34. 127. — Ihre 

Shreitung 35. — Walbenfer, Beghar- 
den und Fratricellen 1235. — Ihre 
Literatur 128f. — Verhältniß zur Sekte 
bes „freien Geiſtes“ 154 f.— Tauler 
und bie Begharden 166. — Das 
Merſwinſche Beghardenhaus zu Straß⸗ 

32* 


500 


burg 173 ff. — Ketzeriſche Begharden“ 
im 15. Jahrh. 246 f. — Bilchof Fried- 
rich Reifer und die Beghinen 272 f. — 
Begharden und Beghinen um 1500 
303 f. — Luthers angebliche Ideen⸗ 
Berwanbtfchaft mit den Begharben 
1521 360, — Beghardiſche Traditio- 
nen unter den „Zäufern“ im 17. u. 
18. Jahrh. 475. . 

Beichte, Auffaffung berfelben in den 
„Brüdergemeinden‘ 88 f. 268. 

Belenntnigihriften, Ablehnung fol- 
cher in frübefter Zeit 39. — Die Tehre 
Chrifti als einziges von ihnen aner- 

kanntes Symbol 65. — Betonung 
deſſelben Princips feitens der „Täu⸗ 

fer im 16. Jahrh. 414. — Desgl. 
in neuerer Zeit 476. 

Bergpredigt, fpecielle Bebeutung der- 
felden als ‚Symbol‘ der Brlüderge- 
meinben 1 — ALS Grundlage der 
Predigt 49 Anm. 3. — Die Berg- 
prebigt und die Allg. Regeln 150. — 

- Xebren der Bergpredigt 186. — Der 
Brüper-Ratehismus und die erapre- 
bigt 310. — Bergpredigt und die Lite⸗ 
ratur der „Zäufer‘ 388 Anm. 4. 

Beten, Nitualvorfchrift bezüglich bes 
knieenden Betens im 13. u. 14. —3 
83. — Desgl. im 16.— 18. Jahrh. 
438. — S. Gottesdienſt. 

Bibel: Grundlage des Glaubens der 
„Brüder“ 37 ff. — Ueberſetzungen aus 
der Bibel vor 1203 38. — Desgl. in 
den ſpäteren Jahrhh. ſ. Neues Teſta⸗ 
ment. — Die Bibel in der Bruder⸗ 
ſchaft der Bauhütte 220. — Commen⸗ 
tare ſ. Neues Teſtament. — Auffaſ⸗ 
fung der „Brüder über die Verbind⸗ 
lichfeit des Canons Alf. vgl. 485. — 
Die deutſche Bibel und die beutfchen 
Buchdrucker im 15. Jahrh. 334ff. — 
Eine Beige Bulgata 336. — Die 
vorlutheriiche beutihe B. 334f. — 
Haben die „Wiedertäufer‘ ihre Ideen 
aus Luthers deutſcher Bibel entnom⸗ 
men? 394. — Die Wormier „ZTäu- 
fer⸗Bibel“ v. 1529 432. — Die Täu⸗ 
fer des 17. Seh. und die vorluthe- 
rifche deutſche Bibel 336. 

Bifchöfe der Brüder, Ihr Verhältniß 
u den Apofteln |. Apoftel. — Seit 

en 12. Jahrh. nachweisbar 23 Anm. 
3. — Biſchöfe im 13. Jahrh. 79. — 
Biſchof Johannes in Straßburg 1212 
26. — Biſchof Friedrich Reiſer (F 1458) 
261 ff. — Deutſche Bilchöfe im 15. 
Jahrh. 276 ff. — Deftreichiiche Biſchöfe 


im 13.1. 15. Jahrh. 79. 273. — Böh⸗ 
miſche Biſchöfe 290. — Lombardiſche 
Bil Hi im 13. Jahrh. 79. — Schwei⸗ 
zer Biſchof Marmeth 265. — Abzeichen 
der Wilrde 265. — Tracht 277 Anm. 2. 
— Apoſtoliſche Succeſſion ſ. dieſe. — 
„Biſchöfe“ unter den „Brüdern“ des 
Baſeler Freundeskreiſes im I. 1524 
nachweisbar 387. — Biſchof Wilhelm 
Farel (1525) 386 Anm. 3. — Biſchöfe 
ber „Brüder“, die man „Wiedertäufer“ 
nannte (1527) 427. 442. — Biſchöfe 
im 17,, 18. Jahrhundert in Deftreich“ 
Ungarn 441. — Mit dem Zerfall der 
Geſammt-⸗Verfaſſung gleichfalls weg⸗ 
gefallen 440, — An ihre Stelle treten 
ie „Aelteften‘‘ 440. — Vorrechte und 
nltionen ber Biſchöfe 79f. 440. — 
gl. „Senioren“. 
Blutvergießen, Wiberwille der, Brü⸗ 
ber‘ gegen jebe8 Blutvergießen 49. 
Vgl. „Hinrichtung“, „Krieg“. 
Böoöſe Geiſter ſ. Dämonen. 
Bons gens ſ. Apoſtel. 
Bruberigaft f. Baubütte, 
— — Gapitel 375. 
— zum beiligen Kreuz 236. 
—, bimmlife 375. 388, 
— zum Simmel 328, 
— zum „rofen Kreuz‘ 468 ff. 
— zu Brügge, deren Patron ©. Johan⸗ 
Bruder- und Schweftern-Häufer 
f. „Begharden und Beghinen“, desgl. 
v ee uſche, und bie beutfee 
uchdrucker, veutiche, und die deut 
Bibel, ſ. Bibel, 
—, die, und die Erneuerung der altevan- 
geliichen Literatur des 14. Jahrh. 320 f. 
—, innige8 Verhältniß zu Klinfilern u. 
Gelehrten zu Nürnberg und Baſel 
(1460—1525) 321f. 
Buhdrudertunft, Verhältniß ber 
Dfficinen zu den Baubütten |. Bau- 
hütten. 


C. 


Canon ſ. „Bibel“. 

Capitel der Baubütte zu Straßburg 
und Regensburg (1459) 227. — Zu 
Dal (1497) und Straßburg (1498) 

— der Brüdergemeinden (= Synoben) 
um 1350 82f. — Capiteld-Berfamm- 
lungen der „Brüder die man „Zäu- 
fer nannte (1524) 375 ff. — Bal. 
„Verſammlungen“. 











501 


Capitel-Brüder 375. 

Chriften, als fpezifiiche Parteibezeich- 
nung. der Brüder 5. 

f. Pauperes. 

enfatz wichen rechten und fal⸗ 

. Titelchriſten. 


Chriſti Agren Worte, Gebote als „Ca⸗ 
non’ und „Bekenntnißſchrift“ (Sym⸗ 
bol) ſowie als unfehlbare Lehrnorm 
rüdergemeinden 41 ſi Chriſti 
Anweiſungen an ſeine Apoſtel als 
Grundgedanken der Kirchenverfaſſun 
ee nen Jun keit 67 fi. 
— Chrifti Lehre gegenüber dem Pau⸗ 
liniſchen hrtygu⸗ bezůglich des Sri ⸗ 
rens 53. — Desgl. in Bezug auf die 
Willensfreiheit 58. — Betonung ber 
Gebote Chriſti (evangelif Gebote) 
im Katechismus des 15. Jahrh. 308. 
— Worte Chrifti 315. — Betonung 
der Befehle Chrifti bei den „Zäufern‘“ 
des 16. Jahrh. 405. 414. 437 
Desgl. bei den „Taufgefinnten‘ 476, 
— gl. „Neues Teſtament“, „Berg⸗ 
predigt“. 

— Vorbild, die darin enthaltenen Vor⸗ 
ſchriften für die „Chriſten“ 43 f. 111f. 
150, 195. 284. Vgl. Nachfolge Chriſti. 

— Opfertod ſ. Erl hung, 

Chriftus als einziger Mittler |. Heils- 
mittel. 

Eollatien 400. 

Eoncilien ſ. „Sapitel“ und Verſamm⸗ 
tungen. 

Congregationes laborantium 31. — 
Bol. Armenhäufer. 

en tonenberBanbikten ſ. Ban- 

en. 

Cultus f. Gottesdienſt. 

D. 

Dämonen, Auffaſſung der Brüder über 
dieſelben 59 f. 394. — Bal. Teufel. 

Deutſche Bibeln f. Bibeln. 

— Literatur der Brüder im 14. N 
Gebichte vor 1260 39. — Proſaſchrif⸗ 


ten 123 ff. 
— Theologie (Zractat) 170 ff. 341 f. 
471 


— als Wiſſenſchaft, Edart Begrän- 
ber berfelben 162f. 


Dialonen als erfie Stufe (Ordo) der 
Berfaflung ver Einzelgemeinde 80.223. 
439 


Diener des Worts (Ministri) 78. 82. 
265. 439. 
Drei, ſymboliſche Bedeutung der Zahl 


Evangeliſche als 





drei |. Symbolil, — Drei hohe Tu⸗ 
genben (Pflichten) 202. 203. 267. 307. 


Dreied |. Winkel. Ob ibentifch mit 


culmen? 120. 


Dreieinigfeit ſ. Trinität. 


€. 


Eid, Berbot des Saure in der Berg- 
rebigt 53ff. — Warnungen des h. 
Fee vor d. Schwur 61. — Paulus 
über das Schwören 61. — Verbot bes 
Schwörens im 13. Jahrh. 6. 53f. — 
Um 1400 245. 250. — Im 16. Jahrh. 
. 409, — Zufammenbang ber Lehre v. 
Eid mit der befonderen Betonung ber 
Worte Chrifti 53f. 315. 


Ehe, zu den „Heiligfeiten‘ gehörig 440. 


Enthuſiasmus 472 Anm. 1. 

Erbfünde. Die „Brüder“ kennen die— 
elde in der innerhalb ber herrichen- 
en Kirche Überlommenen Begriffsform 
nicht 89. — Es ſcheint eine völlige 
Vebereinftimmung über diefen Punkt 
unter ihnen nicht vorhanden geweſen A 
ein 56. — Luthers Betonung der Erb⸗ 
ünde 355. — Grundbifferenz 356 Anm. 

Erfenntniß - Brincipien zw. 
Quellen ber religiöfen Wahrheit: 
Anlehnung an bie urſprungü ſten 
Duellen 41f. — Canon, ſ. Canon. 
j. Bibel. — Chriſti Vorbild, ſ. dieſes. 
— Erleuchtung, innere, abhängig von 
der Heiligung des Willens 42. 45ff. 
357ff. 485. — Mißverſtändliche Auf⸗ 
faſſung der inneren Erleuchtung im 
15. Jahrh. 313. 

Erlöſung durch Chriſtus 48. 284. 351. 

arteiname von 
den „Brüdern“ der Züricher Gemeinde 
gebraucht (1522) 400. 

— Gebote bezw. Geſetz 43. 111. 

Evangeliſten (Evangeliere) als geift- 
liches Amt 272. 387. 439. 


F. 

eindesliebe, Gebot derſelben 55. 
ormularbücher für Ritualvorſchrif⸗ 
ten 250. 256ff. 272. 336. 441. 
reie Maurer 227..Bgl. Auffreiung. 
reimaurer, Bund ber 474, 
reier Wille f. Willensfreibeit. 
reigeifter = Täufer 472 Anm. 1. — 
Treien Geiftes, Selte des, 124. 153 ff. 
— Freigeiftige Schwärmerei 21. — 
Freie Täufer 462. 

Freunde = Öottesfreunde, Apoftel 75f. 


502 


®. 
Gaftfreunpfhaft, Pflicht der „Chri⸗ 
ſten“ 84. 268. 


68 
Gebet re . Vater unfer. 
—, ſtilles ſ. Andachten. 
Gedichte im 13. Jahrh. 39. 
Gehorſam u. Verſchwiegenheit |. Ver⸗ 


ſchwiegenheit. 
Geiſtliche ſ. Prediger, Biſchöfe, Ael⸗ 
teſte, Diener des Worts. 
Gemeinde Chriſti, im Gegenſatz zur 
Gemeinde der Welt 76. 202. — Merk⸗ 
male ber rechten Gemeinde 43. 65. 
308. (Bol. Kirche.) — Die rechte Ge⸗ 
meinbe al8 Trägerin des Geiftes Chriſti 
65. 
— der Gläubigen: Die Mitwirkung bei 
der Kirchenzucht und bei der Wahl ber 
„Diener des Wort“ 67. 109, 110. 
— Verwandtſchaft ihrer Organifation 
mit der der Bauhbütte 225. — Die 
Gemeinde al8 Grundlage der Kirche 
106. — Gemeinde⸗Kirche im Gegenſatz 
zur Staatskirche und Priefterficche 67. 
— Die Gemeinde joll feine Fege 
emeinſchaft, ſondern eine freiwillige 
ereinigung von Gläubigen fein 405. 
Gemeinfames Leben der Brüber- und 
Schwefternhäufer (Begbarden- und 
Beabinenhäufer) 28. u 
Gerichte, öffentliche, Meidung derfel- 


ben jeitens der „Chriftenbrüder‘ 52. |. 


— Desgl. durch die Hüttenbrüber 228. 
„Geſetz Gottes, wie es Chriftus 
offenbart bat“ 19. — Gele Chrifti, 
f. Chriſti Befehle u. ſ. w. 
Gewiſſensfreiheit, Kampf der 
„Brüder“ für bie 50f. 291f. 406. 


421. — Stellung Luther dazu 361. 


449. — Desgl. der Übrigen Reforma- 
toren 459. 
Glaube als alleiniges Heilsmittel 249. 
—, Liebe, Hoffnung 267. 367. 
Glaubenszwang 1ff. 15. 110f. 361. 
364. 421. 423, Bal. Gewiſſensfreiheit. 
Gnade, göttliche, ihre umvermittelte 
Wirkung 57. — Feithaltung an ber 
göttlichen Gnade 58. — Das Voll⸗ 
ringen des Guten ift nur durch die 
Gnade Gottes möglih 59. — Gnade 
und Wiedergeburt 389. 
Gottesdienft und Eultus der Brü⸗ 
dergemeinden. Allgemeine Principien 
63? — Anflug an die älteften For⸗ 
men 64. — Einfachheit des Cultus 
64. — Bedeutung der Predigt im 
Gottesdienſt 81. 86. 439. — Stille 


Andachten 438. — Sauegotteebieufie 
49. 83f. 258. 438. — Gottesdienfte 
außerhalb der Kirchen (im Freien) 25. 
84. — Antipathie gegen fteingewölbte _ 
Kirchen 85. 177. — „Gottespienit‘‘ == 
Pflichterfüllung 222. 228. — Gottes- 
dienft in der Landesſprache gehalten 
38. 84. 251. — Gottesbienft, innerer 
und äußerer 307f. — Gebetsorbnung 
251. — Gebete ſtets kniend verrichtet 
83. 438 vgl. „Gebet“. — „Stein⸗ 
haus“ = Kirdeim 13. Jahrh. gebraucht 
84. — Symbolum Apostolicum im 
Gottespienft nicht vorgefchrieben 251. 
— Das „Bater unfer” beim Gottes- 
dienft 251. — Lektüre des Neuen Ze- 
ſtaments religiöfe Pfliht 45. Bal. 
die Stichworte: SHeiligfeiten, Abend⸗ 
mahl, Taufe, Beichte u. |. w. 
Gottesfreunde in den Beghardenhäu⸗ 
fern 34. — Gottesfreunde = Arme von 
Lyon (1260) 76. — Amici und nuper 
conversi unter den Waldenſern 76. 


Dal. Apoftel. 

—, Erneuerung ihrer Fiteratur feit der 
Erfindung der Buchdruderfunft 336. 

— in der Roſenkreuzer⸗Literatur des 
17. Jahrh. 469 Anm. 2. 

—, heimliche 188. 205. 

Gottesfreund, der, au8 dem Ober- 
land 176ff. — Sein Verhältniß zum 
Merſwinſchen, Gotteshaus“ in Straß- 
burg 176. 180. 182. — Stellung zum 
Mönchthum 1935. — Hat Sacra⸗ 
mente geſpendet und Beichte gehört 
207. — Auffallende Kenntniß bau 
techniſcher Dinge 210f. 

Gotteshaus — Armenhaus (Beghar- 

denhaus, Bruder- und Schweitern- 

aut, Fluchthaus) 30.32. 174 ff. 177. 


— der Merjwine in Straßburg Beghi- 
nenbaus 175. 

Großmeiſter, erfter deutfcher 219. — 
Wappen des Großmeifters 318. — 
Großmeifter der Brüderſchaft in Eng- 
land 473, 

Gute Leute f. Apoftel. 


Handanflegung (Weihe) ald aus⸗ 
fchliegliche8 Vorrecht der Biſchöfe (Ael⸗ 
teften, Seniores) 79f. 440. — Sie 
vermittelt die apoftoliiche Succeffion 
66. — Die Eribeilung der Hanbauf- 
legung durch einen Biſchof römifcher 

eihe von den Brüdern als rechts⸗ 





503 


fräftig anerkannt 270. — Fortdauer 
der Handauflegung bei den Zäufern 
und Taufgefinnten 440. — Webergang 
bes Vorrechtes auf die „Aelteften‘‘ der 


Einzelgemeinden 440 
Hausgottespien — Gottesdienſt. 
vbciuiseꝭ — Gläubige, Chriſten 249. 

7. 4 


— Beſeitigung derſ. 258. 

Heilige Handlungen = Sacramente. 
Bermeidung des Namen! „Sacra⸗ 
mente‘ 440. — Die Brüder kennen 
bi8 in das 18. Sahebunbert vier heilige 
Handlungen: Taufe, Abendmahl, ci. 

— — 2 Um, al 
eriftiren „teben Heiligkeiten“ — 
J l. „Sieben“ und „Sacramente“. 

Heilige Schrift |. Bibel. 

zulizteten R &e Deilige Zandlungen. 
Heiligung un 

Heilsmittel, ee Seifsmittel ift 
Chriſti Geift_56. 

Hütte f. Baubütte, 


J. 


Inquiſition ſ. Glaubenszwang. 
Inſpiration der h. Schrift 47. 


K. 


Katechismus der Brüdergemeinden 44. 
257 ff. 296 ff. 303. 307 ff. 337 f. 437. 

Katholiſch, be eihnung, welche auch 
von den „Brüdern“ in Bezug auf 
ihre Gemeinfchaft gebraucht wi 122. 

Ketzerſchulen 25. 233. 306. 396. 399. 
401. 


Keterftrafen ſ. Glaubenszwang. 
Kinbertaufe, anftatt der Kindertaufe 
inſegrun der Neugebornen 437. 
aufe. 


Kirchenbann ſ. Bann. 
Kirchenbau, Grumbfäße und Tradition 
in Betreff deſſelben 84 f. 177. 
sirgenbegeiti der Brüder 56. 65. 
Bol. Kirchenverfaſſung. — 
— 5 Sirdenbenait 361. 
Kirchenlieder ber Brüder 368. 438, 
— Lutheriſche Kirchenlieder 368. 
Kirchenrecht ber Brübergemeinven, 
niebergelegt im Defensor pacis 103 f. 
Kirchentaufe f. Taufe 
Kirdenderfaifun ber Brübergemein- 
den. Allgemeine Frincipien berfelben 
63 ff. 436 ff. — Anlehnung an bie 
Einrihtungen des Gemeindelebens der 
Fa hr Jahrhunderte 64. — Kir⸗ 
nbegeifi 65. — Apoſtoliſche Succef- 
fon 6 Gemeindelirche im Gegen- 


t der „Diener bes 
orige 67. — Kirchenz u 67. — 
Bebeutung d. Befehle Hei iMattb. 

68. — Bertretung ber Gefammt- 
gemeinde durch Apoftel und —5 
8ff. 79f. 223. 440 f. — Allgemeine 
Synoden 82. 248. 441. 479. — Mo- 
natsperfammlungen, Vierteljahrsver⸗ 
famnlungen 441. — Die drei Stufen 
(Ordines)" ber kirchlichen Verwaltung 
Inner) el ber Geſammtgemeinde wie 
elgemeinve 79. 439. 441. — 
5 Beraftu ng der Ein Tarıgemeine 79. 
Vgl. die Stichworte Apoftel, 
aipoftoliiche Succeſſion, Bilchöfe, ae 
tonen, Handauflegung, Eoangeliften, 
Synoden, ——— (Sym⸗ 
bole) u. ſ. w 
Kirchenz udt f. Bann. 
Krieg. Blntvergiehen, Waffengebrauch. 


L. 


Lebensregeln ſ. Allg. Regeln. 
vehren, De gemeinden (Magistri) 71. 


——— Kampf der Brüder 

egen dieſ. 479. Vgl. Sklaverei. 

Libertinismus, angeblich auf dem 
Boden der „deutſchen Theologie“ er⸗ 
wachſen 472. 

Licht als Symbol 214. 

—, äußeres und inneres 48. 122. 137ff. 

Lichter, die großen 119. 

— unſeres Heils 122. 

Liebe als Grundforderung 59. 

Liebhaberdes Handwerks 236. 319. 
320. 469. Bgl Bauhütte, 

Lieder, ſ. Gedichte und Kirchenlieder. 

Loge 474. Bol, Hütte, bezw. Bauhütte 
und Bruderichaft. 

Lo 58, ‚Anwendung befielben bei Wahlen 


M. 


Magister und Magistra in den Bru- 
der- und Schweitern-Häufern 72. 

Magistri der Gemeinden |. Lehrer. 

— barbati 11, 12. 34. 

— majores et minores 72. 299. Bgl. 


oftel. 
Maroelis 714. 223. 276. 
Ministri f. Diener de8 Worts. 
Möndthum bezw. Mönchsorden, Ver⸗ 
hältniß der Bruͤder zu gdenſelben 20 f. 
92. 140. 193. 196. 385. 
Monatsverfammlungen |. Ber- 
fammlungen. 


Ies zur Aricherhrche und Staatskirche 
Wahlrecht 


504 


Myſterien der Bibel, ‚Stellung ber 
rüber zu denſelben 55. 60. 
Myſtik 163. 174. 193 f. — Sinftuß 
der [78 Myſtik auf die bildende Kun 

213 ngeblide myſtiſche Ver⸗ 
irrungen ber „Gottesfreunde“ 197. — 
Staupis und bie „Myſtik“ 339. — 
sutber und die Myſtik 361. — Wider» 
prücde der Gelehrten in Bezug auf 
ie angebliche Myſtik im Lut 
und Täufertbum 389, 


N. | 


Nachfolge Ehrifti, ‚Unterfchieb ver 
Auffaſſung zwiſchen Franz v. Aſſiſt 
und den Brübern 21f. — Bedeutung 
der Nachfolge in der Lehre der Brüber 
435. — Betonung der Nachfolge in 
den Kal. Regeln‘ der Brüder 142. 
— Die Nachfolge in den Schriften 
des Gottesfreundes im Oberland 191 f. 
203. — Desgl. im Katechismus der 
Brüder 310. — Staupitz' Betonung 
der Nachfolge 347. — Luthers Aeuße⸗ 
rungen über bie Idee ber Nachfolge 

1 


351. 

Nachfolger Chrifti a8 Parteibe- 
kei nung ber Brliver 16. 45. — Der 
ame in der Literatur der Gottes⸗ 
freunde 148. 

Namentaufe |. Taufe, 

Neues Teftament: Seine Bedeutung 
für die Brüder 37f. 315. — Pflicht 
der Lektüre 39. 45. 258. — Ueber⸗ 
fegungen in der Landesſprache ſchon 
por 1203 38. — Desgl. im 13. Jahrh. 
in deutiher Sprade 38. — Desgl. 
im 14. Jahrh. 259. — Desgl. um 
1400 251. — Desgl. um 1430 38 
Anm. 3. — Commentare dazu be= 
onders beliebt 280. — Anſchauungen 

ber das BVerbältnig des Neuen zum 

Alten Teftament, |. Altes Teftament. 

Neucvangelifhe — Anhänger Luthers 
7 


Neun Telfen, Buch von ben 131f. 
1 


— — Neun Stufen 133. 

Neun Stufen 133. 201f. 

Nothwehr, Recht berfelben innerhalb 
gewiſſer Grenzen 52. 420f. 476. 


O. 
Oberer = Majoralis 276. 
Obrigkeit, Ablehnung ne iger 
Funktionen feiten® aller Geiftlichen 
und Gemeinde» Beamten der Brüber 


‘ 


hum 


in älterer ßet 92. — Mißverſtänd⸗ 
liche Ausdehnung der Lehre von der 
Obrigkeit auf alle gemeindenuder ſeit 
dem 15. Jahrh. 314. — I. bei 
den Schweizer- Brüdern („Wieder⸗ 
täufern‘‘) im 16. Jahrh. 404. — Er 
neuerung. ber älteren Trabition feit 
1526 420. — Neuere Auffaffung 
Zaufgefinnten 481. 

Offenbarung f. Erlenntnifquellen. 

Ordinatio ministrorum 78, 250. 257. 

Ordines f. Stufen. 


P. 


Paulinifher Lebrtypus, angebliche 
Umgehung deſſelben ſeitens ber Bru⸗ 
der 45. — In Bezug auf den Schwur 
53. — In Bezug auf die Prädeſtina⸗ 
tion 58. — Seine Bedeutung im 
Syſtem Luthers 351f. 

BE 55 —— el. 

iloſophie Chriſti 24. 161. 

— Kants Urtheil über denſ. 

Pradefingtion 58. 
raepositi ſ. Vorſteher. 

Prediger (Diener des Worts), Vor⸗ 
bildung und Eigenſchaften derſ. 80f. 
— F Beſoldung in älterer Zeit 80. 
— Bflichten, befonders in Bezug auf 
die eigentliche Seelforge 268. — Hohes 
Anfeben derf. 265. 

Prebigten unter freiem Simmel 25. 
— Deren Bedeutung im Gottesdienſt 
81. 439. — Auszüge aus Predigten 
der Brüder 248f. 266.‘ 


Q. 


Quietismus, angeblicher, der Gottes⸗ 
freunde 195. - 


N. 


Race, perfünliche, Verbot berf. 51. 

Nationalismus 358. 461. 

Rectores als Amt in ben Gemein- 
ben 78. 

Reformation ber ganzen Welt 475. 

Reformatoriſche Tendenzen der Got⸗ 
tesfreunde 185. 

Negeln f. Allgemeine Regeln. 

— der Bruder- und Schweitern-Häufer 
29. 475. 

Rituale für die Abfolution 250. — 
Degt. für den Segen 250 Ann. 3. 
— Desgl. ber eben 250 
Anm. 3. — Ritualformeln, ihre Kennt⸗ 


505 


niß allein den Orbinirten eigen 223. 
— Rituale bei der Taufe 437. 

N | e als Symbol zeitlichen Leidens 214. 
Roſen-Kreuz 468. Vgl. Brüderſchaft. 


S. 


Sacerdotium 79. 

Sacramente, der Name den „Brü⸗— 
dern‘ unbelannt 440. — Desgl. ſa⸗ — 
amentale Heilsmittel 23. 56. 309, — 

©. Heilige Handlungen. 
Sata = Anda ten 400. 
© 


ulen, —5 ulen. 
öhmen 293. 
S ner —— 


meiternhäufer f. Beg inenhäufer. 

S wören ſ. Eid, 

Seelforge durch Beſuche der Gläubigen 
als Pflicht der ante“ (Paftore) 
neben der Prebigt 

SenbiczeidenbesApofetr 135.206. 

Seutor ber Bifchöfe (= Majoralis) 


Senioren als Acltefte der Geſammt⸗ 
geweinge- — Ziſchsfe oder Apoſtel 251. 


Bien —8 der Bruder 252. 437. 
Gaben bes h. Geiftes 215. 307. 
ine Handlungen, ſ. Heiligkeiten. 


— Side des chriftl. Glaubens 257. 

— Stufen 215. 

— Zugenden 45. 437. 

— Werke der Barmberzigfeit 215. 

Stlaverei, Wiberipruch der Brüder 
gegen beren Rechtmäßigkeit 65. 461. 
4795. — ©. Leibeigenſchaft. 

Speinte Beftrebungen 32. 403. 

Spättanfe im Cod. Justin. verboten 

— In won c, 1150 geübt 23. — 

Sl Tau 

Sthtetingenthum, Dppofition da= 
gegen 67. 405. 

Sieinme eu 121. 217 f. Bgl. 210. — 


tte. 
Stille Andachten f. „ambachten, 
Stufen, Idee ber, 
—, ober Staffeln, omborifd gebraucht 


— er Volllommenheit 133. 153. 201f. 
— ber kirchlichen Ordnung 223. 439, 
—, die 30 Stufen des h. Hanfinus 39, 
Succef Ruh ion, gboftofiiche, | poſtoliſche. 
icher Lehrer 6 

Somönte ſ. Befenntnißferiften. 
Sympotit 214f. Vgl. Zahlen- Sym- 


Synodale Organifation unter Mit- 
wirkung ber Taien 479. — ©, Ge- 
meinde. Bgl. lan Capitel. 

Synoden, gemeinſame, der ſüditaliſchen, 
frangäfigen und piemontefifchen Brü⸗ 


Synode zu Augsburg (1527) 426 f. 
— zu Bergamo (1218) 17. 
— zu Bafel (1521 f.) 383 fl. 
zu Bocholt (1536) 482,5 
— zu Herclosber (1447) 276. 
— . auf dem Ibers heimer FR (1803) 479. 
— in Köln (1556) 478, 
— in Köln (1591) 478, 
— zu Straßburg (1557) 478, 


T. 


Taufagende Hubmeierd (1527) 442. 

Taufe auf ben gNauben bei den Wal⸗ 
den —I— 23. — Desgl. bei den 

dern in 8 ‚men 285. 286. 292. 

— Beginn des Kampfes um die Taufe 
jeit 1522 374f. — Wild. Farels An- 
ſchauung 386. — Desgl. B. Hub- 
meier$ Se, — Desgl. C.v. Schwenl- 
felds 389, — Desgl. udwig ibers 
390 f. — Biebereinfilfrung erſelb 
durch die Brüder in Zürich 407. — 
Desgl. in Augsburg 424. — Menno 
Simons und Otto Brunfels 425. — 
Ceremonial bei der Taufe 437. — 
Eine Roſenkreuzer⸗Schrift über bie 
Taufe 471, 

Teufel, Reich des 59f. — Bol. Dä- 
monen. 

Titeldriften 122. 353. 

Todesftrafe, Mikbilligung derſelben 
50. 250. 406, 

Toleranz 291. 477. 

Trinitätslehre 56. 60, 


V. 


Vater unſer, das, ſeine Bedeutung im 
Gottesdienſt 86. 224. 251. 308. 408. 

Vater — Bilcho 265. 

Vehme, weſtphäͤliſche 255. 

Vernunft, ihr Verhältniß zu der von 
der Heiligung des Willens ausgehen⸗ 
den Erleuchtung 47. — Luthers an⸗ 
fängliche u. fpätere Stellung zur Ver⸗ 
nunft 358 

Berl ammlunge n der Brüder⸗Biſchöfe 
276. — der Brüder 248. Bol, Sy⸗ 
noden und Kapitel, Monatöver- 
fammlungen ierteljahrsverſamm⸗ 
ungen, ohresverfamm ungen 441. 

74, 


506 


Berichwiegenbeit, Gebot „orefelben 1 ff. 405. Bol. Glaubenszwang, Ge- 
218. 222. 234. 386. twitfen Sfreibeit. 

Bolllommene 9. Weltliche Herricaft, Ausübung derfel- 

Borfteher, in den Briüvergemeinden| ben durch Geiftlihe92. Bgl. Obrigkeit. 
26. 78. 433. 439. Bgl. Praepositi. | Werkleute ſ. Bauleute. 

Bulgata, Verhältniß der Brüderbibel Wiedergeburt 59. 
zur älteren und neneren Bulgata 259. | Wiedertaufe f. Spättaufe u. Taufe. 

Wiebervergeltung, Berbot berfelben 


öl f. 
W. Willensfreiheit, Kernpunkt des Sy- 
Welfengebrung 52. 420f. Bol. ems 58. 154. 199ff. 292. 354 ff. 
Schwert, Wehrpflicht, Nothwehr. gl. Gnade, 
Wa reiben Gemeinden 67.112.285. | Winkel (Dreied) 260 Anm. 
Wa EA et, Setonung dieſer Wunder, bibliſche, Stellung Ger Brise 
Pflicht 6. 222. der zu benf. 55. 
Wanverprebiger (- Apoftel. 
Weberei unter Begharben und Wal⸗ 
denſern 29. 33. Zablen-Symbolit 201f. Dal. Sym- 
Behrpfliät 476 Kam. 2. Bgl. Noth⸗ bolik. 
errüttung ber Gemeinden 311 ff. 
Be e ſ. Hanbauflegung. ins⸗ —8 gu tenfrage 402f. 
Beih, Im Gegenfas Pi „Chriſten“ ei Wege, Gegenfat der 199. 202. 


Belitige at in The Bensiodien Zmölfboten f. Apoftel. 





Derfonen- und 


Orts-Regifter. 


A. 


Aberli, H. 399. 400. 

Alanus 22. 

Alban, ©. 381. 

Aldertus Magnus 219, 

Albrecht Achilles, f. Frandenburg. 

Alpen, die cottiſchen 273 

Alphons von Aragonien, 

Alvarus Pelagius, |. P 

Amalrich von Bena, f. Be 

Amalritaner 204. 

Ambrofius, der Heilige, Perufung der — 
Brüder auf ihn 61. 107. 108 

Ambsdorf, Nic. 10. 

Amerbach, Bonif. 328, 
—, Joh. 322. 327 ff. 

Amerita 483, 

Amman, Iob. 3. 330. 

Amore, Guil, de 33 ff. 

Andrei, Joh. Bal. 461. 

Andreas, Abt zu Emmaus 287. 

Angrogne, Ant. Blaſius v. 299. 

Ansbach 268. 

Antwerpen 29. 234, 

Apulien 26. 40, 

Aquino, Th. v. 2. 95. 

Aquitanien 25. 

Aragonien, Alphons einig v v. 22. 24. 
— Ferdinand König v. 242. 

Arande, Michel d’ 378. 

Argentiere 298. 

Arminianer 356. 

Arnoldi, Joh. 232, 

Arnoldiften in Stadien 17. 155. 

Asculum, F. v. 

Aſſiſi, F. v. 21. 8 

Augsburg, Stadt 115. 222. 232f. 
338. 370. 420, 423, 424 ff. 426 ff. 427. 
443. 444, 

—, David von 7.8. 9. 26.38.56. 57. 
70. 14, 76. 78. 82. 93. 151. 184. 


;Izsonien. 


Auguſtinus, der heilige 61. 110. 259. 
340. 342. 

Juguſtinug Zriumphus 97. 

Auſterlitz 28 

Avi non, —— 97. 328. 

anz Lambert v. 328. 385. 387. 


B. 


Baden, Ort 400. 

—, Markgraf Ernſt v. 463, 

Baiern, Herzöge von 274. 

—, Herzog Wilhelm v. 444. 

Baiersdorf 428, 

Bamberg, Stabt 274f. 321. 

Karclan, Ro . 

Bartho omäus, Apoftelder Brüder 75. 

Bartmänner— Diennoniten 12. (©. 
Magistri barbati). 

Bafel, Stabt 61. 62. 205. 222. 232, 
268. 271 ff. 280.301. 305.318. 319, 
320. 322. 327, 373. 375 ff. 378f. 
390. 392. 411. 

—, Nikolaus von 185. 

—, Biſchof von 303. 

Baumbaner, Sebalb 323. 422. 

Bed, Hans 428, 

Beheim, Bartel 324, 422. 

—, Hand Sebald 324, 422. 

Belgien 40, 482. 

Bena, Amalrich von 154. 157. 204, 

Benediet XL, Papft 101. 

— XIV., Bapft 430. 

Bentinus, Nichael 330. 374. 383. 
387. 395. 

Bergamo, Synode zu (1218) 75. 

—, Bonagratia von 160. 

Berlin dB 483. 

—, 90 

Bern, Stadt 222. 232. 233. 248, 253, 
317. 417 

Bern, Santon 411. 


508 


Berner, Franz 278. 
Bethune, Eberhard von 8. 11. 22. 73. 


Biberag 427. 

Bilik, Hyned 287. 

Binder, Eucharius 427. 
Biſchofzell 381. 426. 
Blahoslav 294. 

Blankart, Hent., von garten 179. 
Blaurer, Ambrofius 
Blaurod, ©. 395. 
Bleuler, Lieuh. 405. 
Blumſtein, Joh. v. 81. 232. 
Bocholt, Synode zu 482. 
Boͤblingen 444. 

Bödeler, Joh. 232. 
Böhmen 23. 205. 231. 

—, Joh. König v. 173. 

—, Ottokar König v. 25. 
Böhmerwald 257. 273. 303. 329. 
Böhmifhe Brüder 5. 2er fl 
Bonifacius VII, ſt 9 

— RX, 230. 240, 

Bop ard, Stadt 337, 


Borbont, Stepkanus de 26. 74. 90. 
15 


Boßhard, Mar 406. 
Brabant, Waldenfer daf. 25. 


Brandenburg, Churfürftenthum 231. 


—, ihre t Achilles Churfürſt 378. 


ried anaetgraf von 378. 
= Gremium 
5 


—, —438* ir 464. 
— Joachim v. 46 3. 

—, Joh. Sigismund 467. 
Dranbpuber, Polſgang 434. 
Brant, Seb. 3 
Dredillen, — *8*— 251. 
Breiſach, Stadt 305. 
Brescia, Arnold v. 17. 21. 
Brügge, Stabt 319. 
Brit el, Stadt 234. 
Bruis, Peler von 18. 
Brunfels, Hans 382. - 

Dtto 3 25. 


Brunsberg, Conr. v. 180, 
Bruppacher, Hand 406, 
Bucer, 
454. 460. 
Binderlin, Hans 434. 
Bugenbagen, Job. 455. 
Bulad 404. 
Bullinger, 9. 416. 
Burgbaufen 444. 
Sure meier, Maler 328. 
Burkhard, Begharde 247. 


artin 311. 329. 410. A16f.| _ 


‘ 


Calabrien 26. 

Calvin, Joh. 430. 460. 
Eamerarius, Ioadim 301. 
Canaye, Jean 373. 


375. 421. 
Carlſtadt, Andreas 351. 
Carteſius 465. 

Caſtelberg, Andreas, gen. auf ber 

Stülzgen 382f. 399. 

Cellarius, Martin 387. 421. 425. 
Ceſarini, Julius 272. 274. 
Chanoati, Agnes 83. 
Chaftelard f. Eoct. 

Chelcic 283. 

€ dcietn, zo 287. 


dena ias von 290. 
Chriſtenberg (Kriftanderg), Willy von 


era 6öpmifiger Bruber 304, 
Chryſoſtomus, d. heilige 61. 110. 


€ sur, Stabt 383. 428, 
Elairvaur, Bernd, v. 18. 
Claneularii 11. 
Clemens V., Papſt 30. 
— VL, Bapft 1d0, 
— VI, Bapft 239. 
Coburg, Stadt 280. 427. 
Cochläus, Joh. 
Coet, Anemun ve Er 395. 
Comanber, Joh. 383. 
Conrad, Augufin ner Brosingiol 306. 
CGonradus de Monte Puellarum 27; 
Conſtantin, Kaifer 1. 291. 
Conßanz, Stadt 114. 115. 241. 247. 
0 
Eorbarius, Petrus 123f. 
Corvinus, Anton 455. 
Gratanber, Andreas 327. 329. 379. 
Cremona, Stabi 26. 
Crocus, Richard 301. 330f. 384, 
Cronberg, Dorf 375. 382. 388. 
artmuth von 382. 
Eutio, Balent. 327.329.330f.379.388. 
Czeden 283. 
D. 


Dealer Jacob 427. 434. 

Dante 18. 

Dauphine 25. 298. 384. 

David von Augsburg, ſ. Augsburg. 


509 


Delphinus |. Merjwin. 

Dend (Denk, Dengt, Tend, Teng), 
Familie 334, 
—, Hans (T 1527) 254. 297. 301. 329 ff. 
379. 383. 387, 410. 415. 416ff. 
432, 462. 470f. 484. 486, 

—, Johann (f 1605) 293 Anm. 2. 

—, Beltgang (f 1513) 318f, 334. 
Deutadh, Dorf 262. 264f. 

Dhaun, Graf von, 451. 

Didius, Leopold 445. 

Dieme, ‚Tuämader 280. 

Dietrig v. S. Martin ſ. Martin. 
Dietſch, Heinr. 273. 

Dindelsbä I, Stadt 231. 

Doggius, oeeinins 374. 

Dominifaner in Straßburg 278. 

Dominikus, der Heilige 266. 

Donaumörth, Stadt 231. 

Dorind, Dr. Bernhard 451. 

Dokinger, Soft 225. 

Drakbenfels, Hans 278. 

Drandorf, f. Schlieben. 

Dresden, eter bon 242, 

Dürer, Albr. 318. 323f. 326. 335. 422, 


€. 


Ebner, Chriftine 163. 

—, Hieron. 324, 325f. 
—, Marg. 163. 167. 
Cd, —* 166. 368. 377. 
Edel, Prediger 463. 
Edhart, Meifter 24. 129. 157ff. 219. 
Eduard IM, König v. England 234f, 
Eger, Stabt 303. 321. 
Eipftäbt, Bi: Joh. 303. 

‚ Bisthbum 3 

Einzinäbag, Dorf 24, 
Eifenad, Stadt 449. 
Eifenhut, Leonh. 320. 
Eleuterobion 434, 
Elifabeth, Pfalz ln 465. 
Eltersporf, Do 
Emaus, Stift — 
Embrun 298. 299, 
Endtfelder, Ehrift. 433. 434. 470.484. 
Engelsborf, orf 276. 
England 235. 300. 301. 306. 454. 


481f. 

—, Bauhütte in 473. 

—, Peter von, ſ. Payne. 
Enfisheim, Ort 445. 
Enthusiastae — Waldenſer 9. 
Eppendorf, Heinr. v. 382. 425. 
Erasmus, Dei. 301. 325. 329, 330f. 

374. 335. 388. 407. 435. 
Erasmus Stella, |. Stella. 


Erbe, Fritz 449 f. 
Erfurt, Stabt bi. 340. 
Erlangen, Stadt 423, 
Ermengarbus 91. 
Ernin, Meifter 219. 

8 enfelder 337. 
Eplingen, Stadt 115. 444. 


Eite, Alerander von 167. 
a Ca ıl, Papft 18. 


Goanäii, tobt 293. 
Erel, Wilh. 398. 
Eymerid 398. 

F. 


aber Stapulenfiß, f Stapulenfis. 
Barden Caspar 4 


Ken Wilh. * os, 386 f. 407. 


erbinanb J. deutſcher König 444, 
errering, Bincenz 26, 
iötelgebirge 257. 273, 
inder 428. 
ber, Gallus 428. 
landern 25. 
loren;z, Berka in 320. 
Dit, . dv. 298, 
Ontcande, Bernd. v. 22. 
507, Georg 466. 
Pfarrer 224. 
3 298, , 
ranciscaner 8 
gran! Casp. 4 
—, © 414, io. G25. 435. 446. 462f. 
rant, Hans 323. 328. 
ranten 23. 273ff. 321. 
rankenwald 273. 
rankfurt a. M. 23. 
rankreich 25. 295f. 453. 
raterherrn 302. 
ratricelli 123. 129f. 
rauenlob, 9. 39. 
recht, Martin 435. 
reiberg, Seb. v. 424. 
reiburg i. B. 305. 378. 
u Res 16. 232. 253. 265. 269. 271. 


riebher Stadt 233. 428, 

toben, Kos. 322. 327. 329. 379. 
rofhauer 399. 400. 

sure Peter 404. 
ülistorf, Anguile v. 255. 

Herrn v. 

Sürer, Speitons 326. 

—, Sigism. 326. 

girpenberg, Graf 9. v. 232. 
ulne 


510 


G. 

Gallen, S. 269. 297. 410. 421. 

Garini, Andr. 50. 

— 5 Hug. 75. 

Gartenbrüder— Wiedertäufer 11. 

Gaſtel, Georg 338. 

Gaza, Theod. 331. 

Gelenius, Sigm. 329. 

Gemund, Stadt 1186. 

Genf, Stadt 300. 

Gengenbach, Pamph. 327. 

Genua, Stadt 208. 

Gerarbini 302. 

Gerundino, F. v. 299. 

Gichtel 466. 

Glaidt, Osw. 434. 

Glarean ſ. Loriti. 

Görz 444 

Gottfried, Biſchof von Würzburg, |. 
Witrzburg. 

Grabow, Matt. 302. 

Graf, Urs 328. 

Graubünden 411. 

Grebel, Eonrab 330. 380. 387. 401, 
403. 405. 409. 415. 417. 

— Jacob, 367. 386. 400. 

Gredig, Valentin 398. 

Gregor ber Große 61. 

—, einer der Gründer der böhm. Brü- 
bergemeinde 294. 

— XI, Bapft 230. 

Grenoble 298. 299. 

Gresbeck 451. 

Gretfer, Jacob 10. 

Grießbach 444. 

Groot, Gerh. 302. 

Gropper, Joh. 39. 

Groß, Jacob 424. 427f. 

Großbritannien, Kg. Wilh. J. 1695 


473. 
— Kg. Jacob I. 465. 
Grotius, Hugo 482, 
Grubenheimer 9. 11. 205. 
Grüner Wörth in Straßburg 179. 
180. 190. 201. 
Guilelmus de Amore ſ. Amore. 
Gulden, Hans 427. 
—, Hugo 175. 
Gutenberg 320. 321. 
Gynoraeus 41T. 


Haag 465. 

Haarlem, Synode zu 476. 

Hader 265. 

Häßer, Ludwig 41. 367. 381. 390. 415. 
417. 423. 424. 426. 432. 454. 


Huſſineez, Nic. v. 


Haffner, Lucas 428. 
Hagenau, Stadt 233. 306. 
Haina, in Franken 426. 
Hall, Stadt 115. 268. 
Halle, Stadt 434. 
Haller, Berth. 417. 
Hammelburg, Stadt 322. 
Haug, Georg 433. 
Hausbreitenbach, Amt 449. 
Hausmann, Nie. 361. 
Haydeck, Herr v. 264. 
Heidelberg 158. 246. 
Heilbronn 115. 246. 
Heilsbronn 269. 276. 280. 
Hemmerlin, Felix 246. 
Hemon, Begharde 299. 
Hempſtedt, Thomas 224. 
Heresbach, Conrad 331. 
Herford, Abtei 465. 466. 
—, Heim. v. 159. 
Hermann, Thom. 394. 434, 
geroibsberg 276. 
Herrenfhmid, I. D. 434, 
Herrnhut 288. 338. 
Hervéus 159. 
Heffen, Landgräfin Hedw. Sophie 465. 
re Fbilipp 447f. 455. 456. 
Hieronymus, der h. 57. 61.108. 260. 
Hilarius, der h. 110. 
Hochrütiner, Xorenz 399. 
Hofer, Sigm. 427, 
Hoffmann, Wolfg. 326. 
Hohenzollern, Haus 464. 
Holbein, Hans 328. 
Holland 397. 465. 482. 
—, Brüder in 473. 478. 
Holftein, Brüder in 478. 
Holzhauſen 223. 
Holzihuber 324. 325. 326. . 
Hottinger, Claus 367. 399. 400 f. 
Hubmeter, Balth. 305 f. 373. 378. 

386f. 407. A15 f. 421. 424. 430. 462. 
Hugueta von Vienna 88. 
Hugmwald, Ulr. 374. 381. 
Hunnius, Nic 472. 
Huß, Joh. 241. 242. 

243. 

Hut, Hans 329. 415. 423 f. 426f. 434. 


437. 
Hutten, Ulr. v. 301. 337. 


3 


Jandun, oh. v. 100. 
Jaqueta textrix de cumba Rotgier 


19. 66. 
Ibersheimer Hof (1803) 479. 














511 


Köln, Synode in 478. 
Krafft, Adam 455. 

‚ Hans 323, 
Kremfer, Seb. 419. 
Kriftandberg ſ. hriſtenberg. 
Krug, Sans 323 

, ubwig 323. 422. 
Küßne t 417. 
Kunwald, Mattb. v. 290. 
Kymeus, Joh⸗ 456. 472. 


L. 
Labadie 466. 
Lambert, F. |. Avignon. 
Lancirznii, Fr.v. = Friedr. v. Lands⸗ 

on 2 
Landsberg 444, 
Sandsberger, Joh. 433, 
Landshut, Stadt 444, 
Landskron 304. 
Langendorf 322. 
sangenmanter, Hans 427. 433, 
Laufen, Nic. v. 179f, 182 ff. 203. 
tauingen 428, 
Leipzig 301. 331. 337. 340. 352. 
tening, Joh. 455. 
Leo X., Papit 2. 354. 
Leoniften 5. 
Leonhard, Deufgorbensger 428. 
selling 461. 483 
Leupold, Hans 1 443. 
Leyden, oh, v. 453. 456. 
Lhota in Böhmen 286. 287. 390. 407, 
Licentius Evangelus ſ. Curio. 
Lichtenfels 318. 
Ste. he Serzo in Anna 463, 
’ er 

Lind, —E 345. 
Lindenhof 367. 400, 
Linz 269. 428. 
Lobiis, Joh. de 159. 
Sollharden 27. 124. 263. 265. 303. 


Sena, Stadt 450. 
Andependenten 483. 
Ingolſtadt 378. 418. 444. 
Innocenz IL, mern 22. 81. 
‚ Bapft 5 
— vi, Papſt 17a, 
— VII, Bapft 298. 393. 
Innthal 424. 444. 
Johann XXII. Bapfı 30. 97f. 126. 152, 
158, 160 f. 
Sohannes, ©. 212. 319. 
—, ein Zäufer 428. 
—, ein Apoftel 83. 
—, Bifhof der Brliber 26. 
„Begharde in Ulm 247. 
—, ber Wälfche 272. 
Joͤhanniter in Straßburg 177. 180 
Solanta, Herzogin von Savoyen, f. 
Savoyen. 
Iſidor, der Heilige 61. 
Israel, das neue 453. 456, 
Stalien 205. 445. 
Judenburg, Stabt 427. 
Jura, Gebirge 273. 


8. 


Kaifer (Käfer) 324. 

Raijerl, ranbat von 1672 466. 
Kant, 3. 486. 

Karl IV., Kaifer 116. 130. 167. 173. 


181. 
— V., Kaifer 364. 395. 
—, Beate e 247. 
Dergog 0! von Sapoyen, |. Savoyen. 
Korlkabt 


Katharer 8 

Kaufbeuren 44. 

Kaunitz, Ulr. v. 287. 
Kautz, J. 417. 427, 

Kefer, Heinr. 321. 

Kemnat, Matth. v. 303. 321. 
Kempen, Thom. v. 337. 








Kent Lombarbei 25. 99. 
Sehen. gJoh. 409. 421. Lombardiſche Brüder 5 
Kiel 468. London 234 


Lone, Heinr. v. 180. 
Lorenz, Meiſter 225. 
Loriti, Heinr. (Ölarean) 330. 
Lother, 340 


Kießling, Hans 428. 
Kirchheim 444. 
Kitzbüchl 394. 
areebetget, Joh. 327. 


Kloppriß 454. arbara 323. 
Knipperbolling. 456. othringen 75. 421. 
Koburger, Anton 321 f. 334, 338. Lucca 130. 

—, Hans 323. Lucenſis, Petrus 50. 94. 
—, Rudger 263. Lucius Il., Papſt 22. 24. 79. 


Ludwig IV, Kaifer 97ff. 126..191. 
316. 373. 379. 420. 473, 
Ludwig XII. König von Frankreich 299. 


Roc, onrad 445. 
Köln 23. 217. 219. 222. 302, 317. 331. 
—, Heinrich Erb. v. 34. 129, 


512 


Lübeck 231. 234. Minden 129. 

Lukas von Prag f. Prag. Mifa, Iac. v. 242, 
zukget Thom. 384. Mittelfranken ſ. Franken. 
Luther, Marlin 259. 325 f. 340 ff. 352. | Moneta 26. 79. 

360 f. 370f. 385. 394, 402. 430. |Montagne, D. 328, 

448 f. 454 f. 460. Montferrat 26. 
Lyon 22. 90. 263. 298. 327f. 384. Muhldorf 44. 
—, erzbiſchöfl. Official 395. Müller, Hans 406. 
— Sam. T. 
"Mm Müncdberg 305. 

' Münden 425. 444f. 
Mähren 231. 306. Münfter, Biſchof v. 129. 451. 
—, Brüder in 478, —, Stabt 365. 450 ff. 
Maestro Tommado ſ. Tommabo. Münzer, Thom. 369 ff. 
Magenberg 253f. 269. Mulberg, So. 233. 
Magistri barbati 12. 34. Murmann, Chrift. 424. 
Maier, Marr 428, Myconius 380. 

Mailand 205. 418, Myſtik 163. 339 f. 389, 
Mainz 128. 232. Myſtiker 213f. 

—, Erzb. Berthold 334. 

—, Erzb. Conrad II. 232. N 

—, Erzb. Jacob 305. 
Majoriften 459. Naffau, Joh. Graf v. 236. 

afrinus, Amabens 395. Naffau-Oranien, Haus 413. 
—, Melchior 380. Nazarener, Secte der 4. 
Maler, Gregor 428. Neapel 26. 

—, Martin 434. MNepos, Jac. 382, 

Maller, Thomas 324. Neufchatel, Graf v. 386. 
Manuel, Nic. 352. Neuhaus, Procop v. 287, 
Manz, Tel. 395. 405. 406. 409. Nicolaus II., Papſt 219. 
Mappes, Walther 22. 71. — V., Papſt 28, 

Marbed, Pilger. 427. 434, 463. Nicolsburg 421. 
Martersrenth 305. Nider 275. 

Marmeth, Bilchof 265 ff. Niederlande 25. 302. 

—, Hugo 269. Niederrhein, Brüder am 478. 
Mariball, Wil. 235. Nördlingen 233. 

arfilius von Padua 99—101. 316.| —, Heinr. v. 163. 167. 

343, 379. .388, Nospitzer, Georg 428. 
Martin, ©., Dietr. v. 159. Nürnberg 23. 144. 222. 231. 263 ff. 
mozimitien l., Raifer 317. 473, 274 ff. 294. 319f. 321ff. 335. 338. 
Me tenburg, Brüder in 478. 422f. 459, 

Medikon 406, Nuzel, Easp. 326. 

eigen 245. 

Melandtbon, Ph. 448. 454. 455. O 

459. 460. 
Melander, Dionys 455. Oberfranken 274. 329. 

emmingen 427. Oberitalien, Brüder in 488. 

enius, Juſt. 370. Oberpfalz 275. 

Menno, Simons 420. 425. 435. 443. | Occam, Wilh. v. 160. 

476. 478, Ochſenſtein, Joh. v., Bild. v. Straß- 
Mennoniten 12.356.397f.474ff.480.| burg 127f. 131. 

ereurian, Eberh. 166. 168, Ddenfuß, 9. 399. 

Meriwin, Rulm. 132 f. 168. 175.177f. | DOecolampad, J. 82. 311. 329ff. 

189, 205. 211. 370ff. 383f. 390. 425. 
Methodismus 281. Deftreich 24. 205. 444, 
Methopiften 61. 143. 281. —, Leop. d. Glorreiche 24. 25. 
Met 23. 205. —, Herzog Rudolph IV. 118, 318. 


Meuflin, Wolfg. 460. !Dettingen 444. 


513 


Oldenbarneveld 482. 
Dranien, Louife Henriette v. 465. 
—, Wilh. v. 397. 465. 
DOrtliebarier 124. 156. 
Dfiander 459. 
Osnabrück, Biſchof v. 129. 
Sſifriestand 384. 
Oſtpreußen 40. 
Dtmar, Hans 338. 

—, Sylvan 338, 
Dtto IV., Kaiſer 24. 
Öttofer. bon 1 Böhmen ſ. Böhmen. 
Orford 264 


P. 


Pabua, „arfifius v. 99ff. 235. 316. 


Boris 288. 330. 
Paſſau 25. 234. 444, 


—, Ss bu f. Nospiter. 
—, Otto v. 337. 


Baul IV, —78 418. 430. 
nenne, Peter 249. 264. 270f. 283. 
Pelagius, Alvarus 66. 121. 125ff. 
156f. 182. 209. 
Pellikan 329f. 
Penn, William 466. 
Penz, Georg 324. 422, 
Peroſa 24. 
Perrotet, Antonie 280, 
Petri, Joh. 322. 327. 
Petrus, Bfeftiner- Provinzial 230. 
‚ Begharbe 33. 
—, Inquiſitor 52. 
— Lucenſis 50. 94. 
Peypus, Fr. 322. 338. 
Pfa ‚8 der in ber 478, 
— urf. riedr. 4 


—— Denck. 
ilippus, Prior 159. 
— 25. 
Vidarden 287. 292. 
Piemont 25. 26. 82, 
Vietiften 61. 481. 
Bilgram 24. 
Bir ram, Nic. dv. 270f. 
ilichdorf, Peter 240, 
Pirkheimer, Willib. 305. 330. 370. 
Plantin, Chriſt. 171. 
Plauen, Hans v. 263. 
Polen, Kg. Ladislaus v. 465. 
Pomeſanien 418. 
Pommern 231. 
Pomponius Mela 380. 
Keller, Die Reformation. 


Poncher, Steph. 330. 
Stadt 270f. 282. 
mbroſ. v. 287. 
ieronym. v. 241. 243. 
ucas v. 290. 294, 
—, , Martin von 230. 231. 
Prelauz, Thom. v. 290. 
Preußen, Albr. v. 378. 463. 
Procop d. Große 275. 
— v. Neubaus, |. Neuhaus. 
Provence 25. 40. 298, 
Pfeudo-Reiner 5f. 17. 25. 37. 44, 
St. 54. 59f. 66. 79. 84f. 90ff. 120, 


Pur, Barth. 399. 
Purchholdsdorf 318. 
PBuritaner 483. 


Q. 
QDuäler 356. 486. 


R. 
Rebdorf 416. 
Reformirte Kirche 466f. 
Regel, G. 423. 
nee nehurg % 25. 114. 218. 222, 227. 


Reiche nau 286 287. 
Reihstags-Abfchieb v. 1529 464, 
Reinerus Sachoni f. Pſeudo—⸗ 
Keiner. 
Keifer, Baftian 262. 
—, ee 26 ir. 
edri Off. 268. 272. 279 
ee Conrad 327. n. 
—, en 323. 
Reubli ith. 381. 
Reutlingen 114f. 322. 416. 
Rhegius, ba 427. 443. 460. 
Rhein, Joh. v. 273 
Rheinlande 273, 
Rbenanus, Beat. 329f. 425, 
Rhodus 180, 
Rind, Melch. 415. 434, 
Rodius, Heinr. 384f. 
Rotycana, Georg 287. 291. 
Joh. 287 ff. 


Rofentreuzer 458 ff. 

Rottweil ER 

Rouffel, Gerh. 375. 

Rudinger, 293. 

Rudolf v. Habsburg, Köni En 
—, Herzog d. Oeſtreich, |. Oeſtr 
Rupredt, ein „„Vottesfreun “ Sn. 

Ruysbroed 166. 188, 

Ryff, Fribolin 381, 


33 


914 


©. 


Saa ß, Verſammlung der Biſchöfe zu 276. 
Sab Aa Sabbatati, Infabbatati 
— Waldenfer 8. 11. 
Sae om, f. Reinerus Sacchoni. 
Sachſen, d. Land 244, 
—, Churf. Beier v. 323, 448, 449. 
—, Conrad v. 
Segen Peter, Deärtprer 269, 
andronius, Yac. 383. 
Salminnen, Sigm. 426, 433, 
Salomo v. Solothurn |. Solothurn. 
——Aã Foir. 
Salzburg 444f. 
Sand, Tec. v., Biſchof 270f. 
Sandovat, vernh v. 430. 
Sangerhaufen T. 
Sapidus, Joh. 332. 
Sattler, Mich. 420. 
Savonarola 167. 
Sasoyen, d. Land 24. 298, 398. 
ranz Herzog v. 299. 
olantha Herzogin v. 298, 
—, 9 Herzog v. 298. 
Karl UL, Seraog v. 298. 385, 
Thomas Graf v. 24. 
Shäuf elein, Hans 328, 
affbaufen 268. 411. 
a Joh. v. 174, 
eppach, Peter 427. 
eurl, € gi 322. 324fj. 340. 350, 
alemer, FO Biſchof d. Brüder 


Hiller 483. 

7 ower, Joh. 302. 

[4 er Hans 329, 423. 427. 
leiermader 483, 

lettſtadt 305. 319. 

Re Joh. v., gen. Dranborff 


er ler, Peter, Buchdruder 320. 
S gnsperger, Hans, Buchdrucker 


Shuker, Lienh. 410, 
—, Thom. 410. 
waben 268. 303. 
wart, Hans 320. 
warzburg 7. 
warzenburg in der Schweiz 253. 
warzwald, Benharben im 304, 
wat im Annthal 4 
weiz, Waldenſer bat 26. 269. 282, 
295. 300. 
—, Täufer daf. 286. 333. 403 ff. 
—, Brüder daſ. 478, 
Schwentfeld, Casp. v. Stellung zur 
Taufe 389, 


288888 ROSEN 


—A— 462f. 

weſtrionen 124. 

Senftenberg, Mid. v. 287. 

Senſenſchmidt, Familie 321. 
—, Br Buchdrucker 321. 

er i8 321. 

Se el, Claud. 299, 

Sicilien 25. 

Siegen, Land 236 

Sigmund, Kaifer 237. 241ff. 270. 
274. 279. 

guet a Papſt 166. 
irtus apft 1 

Skuz, Ambr. d. 290, 

Socinianer 356. 

Solothurn 233. 248, 

—, Salomo v. 232, 

Spalatin, Georg 341. 342. 385. 

Spanien 24. 40. 

Speier 116. 227. 233. 245, 447. 

Spener, Jac. 10. 61. 

Spengler, Laz. 326, 

Spiritualen 9, 367. 395. 396 — 404. 

Spiritusſer ſ. Spiritualen, 

Spitelmeier, Hans 434. 

Sponheimer Chronik 304. 

Sprengers Hexenhammer 394. 

Staprade, Herm. 454, 

Stapulenſis, Faber 329. 

Staupik, Job. v, |. gwilie 21. — 
Prof. in Mittenberg — Berh. 
zur Brüdergemeinde 7. 135. — Be. 
in Nürnb. öl. — Schriften 340. — 
Einfluß auf Luther 342ff. 361. — 
Trennung v. Luther 346 

Steier (©teyer) 222, 231. 269. 318, 

Steiermark 444. 

Steinbad, H. 275. 

Stella, Erasmus 322. 

Stepban, Zulof der Brüder 273. 
276. 277. 

Stord, Gier. 371. 

Siuamota, Hern. v. 287. 
Stralen, Gottfr. 454. 

Straßburg, Waldenfer baf. 26. 74. 
174. 205. 222. 232. 276. 277f. — 
de; arben u. Beghinen 148. 174. 201. 

ei 217, 218.219. 227.317 ff. 

— Verſchiedene Nachrichten 114, 133, 
152, 260. 272. 278. 425. 447, 463, 

—, —— Berthold v. 167. 

of Joh. dv. 127f. 131. 

—, Nicol. v. 160, 

—, Synode in 478. 

Stumpf, Simon 382. 406. 

Stuttgart 444. 

Sulz 180. 

Sulzmatt, Conr. v. 180, 


515 





Sufo, Heinr. 132. 163 ff. 264. 266. 
337. 


Sylbeter, Papſt 5. 18, 66. 122. 289. | Vadian, 
1. 


T. 


Tabor 243. 276. 277. 
—, Heinr. v. 287, 
Taboriten 270. 274. 

Tarracone, Coneil v. 8. 25. 
Tauler, Joh. 134. 135. 164. 166. 167 ff. 
171. 188. 264. 337 ff. 340 f. 357. 

Tend f. Denck. 

Tengen, von 254, 

Tepl, Prämonftratenfer-Abtei 257. 
Tetel, Joh. v. 345. 

Teufenbach, Bonif. 4118. 
Thalheim, Heiur. v. 160. 
Thüringen 7. 231. 

Thurgau 381, 

Tipmanig 444, 

Tiſchingen 233, 

Toledo, Erzb. v. 407. 

Zommado, Maefiro in Florenz 167. 
Toffanus, Petrus 330. 387. 
Touloufe 30f. 34. 38, 49, 75. 88, 
wreil el, Casp., Buchbruder in Lyon 


_—, Joh., desgl. 328. 

—, Melchior, desgl. 328. 

—, Peter 324. 

—, Ulrich, Täufer 428. 
Tritheim, Joh. 129. 156. 304. 
Troger, Elſa 256, 

Tſchudi, Aegidius 254. 
Tucher, Geſchlecht der 263. 324f. 
—, Andreas 326. 

—, Anton 318. 323 ff, 422. 


. — Berthold 263. 


—, Herdegen 324, 
—, Martin 326. 
Tübingen 444. 
Turin 24. 298f, 

— 5 Erzb. v. 24. 299. 
Turnau, Peter 245. 
Tyrol 44f. 


u. 
Ulm 222. 234, 247. 261. 304, 
Ulrich, Pfr., Täufer 390, 
Ungarı 40. 205, 419, 
Unterfranten 274. 
Urban V., Papſt 230. 
— VL, Bapft 239. 
Uri, Begharben in 247. 
Urſinus 380, (= Wild. Farel) 386. 
Utraquiften 293, 
Utrecht 384. 465, 
—, Synode zu 476. 


V. 
Joach. 334. 380f. 410. 
Val⸗Pute 298. 


Vaugris, Jean 327. 385f. 
Vaur⸗Cernay, Pet. v. 22. 
Venedig 322. 418, 430. 434, 
—, $ranz v. 100. 

Benturini 168, 176, 
Bienna, Joh. v. 79, 80. 
Bienne, Coucil in 30. 
Vineis, Agnes de 72. 

Vinne, Dionyfins 454. 
Birneburg, Heinr. v. 129. 169f. 222. 
Vogel, Wolfgang 434. 
Vogelweide, Walther v. d. 39. 
Vogtland 245. 263. 273. 303. 


W. 


Wälſche Brüder 5. 

Waldenſer, Ausbreitung 5. 22ff. 205. 
231f. 269. 273. 306. — Abweifung 
de8 Namens 18. 269. — Alter der 
W. 5. 17, — Apoftolifche Succeffion 
19. — Grundgedanken ihrer Lehre 
40 ff. — Kirhen-Berfaflung 63 ff. — 
Armuth 69. — Gaftfreiheit 268. — 
Bejondere Grundſätze gie des 
Kirchenbaus 84. 85. — Spättaufe 
23. — Formen des Gottesdienftes 
il — Apoſtel 67ff. ſ. Apoftel, — 

Biſchöfe |. Biſchöfe. — Anficht über 

den Canon 260. — Verhältniß zur 

„Selte des freien Geiſtes“ 204. — 

Stellung zum Syınbolum apostolicum 

60. — Aehnlichkeit mit neueren Rich⸗ 

tungen 61. — Einfluß auf das gei- 

N e Leben des Mittelalter8 123 ff, — 
* Literatur 127ff. — Bibelüber- 

ſetzung 23. 38. 259. — Deutſche Ge» 

dichte 39. — Katechismus 296. 303. 

338. — Regeln ſ. Allgemeine Regeln. 

— Internationaler Zuſammenhang 

297 ff. — Verbältnig zur Bauhütte 
219. 222, — Depravation 311ff. 
Man vergl. die Stichworte des Sach⸗ 
Regiſters. 

Waldhauſer, Thomas 427. 434. 

Waldshut 305. 376. 378. 424. 427. 

Waldus, Petr. 17. 20f. 93. 289. 395. 

Wallis, Canton 398. 

Walther, Apoſtel der Brüder 129 ff. 
159, 219. 


— v. d. Bogelweide |. Vogelweide. 

Waltherianer 156, 

Wandſcherer, Ewald, Bifchof ber 
Brüder 440, 


516 


Wafen, Conrad 256. 
Wattenfchnee, Iob., Bugpruder 327. 
Watzower, Waldenfer 2 

Weil, Stadt 115. 

Weiler, Anna 272, 278. 

— (Biler), Hans 267. 272. 276, 
Weinsberg, Stabt 115. 246. 
Weißenburg, Stadt 233. 

berbarb v. 232, 
Weißenbur er, Wolfg. 379. 
is 231. 


Wemding, Waldenf 

Wenzl, el. 287. 

Wefel, Kr in 180. 

Weffel, Joh. 379. 384, 

Weſthoven, Pestidi⸗ v. 230. 

Widemann, Jac. 4 

Wid holz, Andreas 108. 

MWiedertä ufer, der Name als Schelt- 
und Spottname 11. 366. 407. — Der 
Ausdrud der abeotngen u. der Don 
name für die „B “1. — 
Degeihnung für die aacger ‚Briber" 

407. — In Baſel Thomas 
Münzer und die F Minen vo Die 
Münſterſchen W. |. Munſter. — Ro⸗ 
ſenkreuzer und Wiedertäufer 472. 

Bien 118. 185. 217. 222. 233. 269.317. 
427 

Wiler ſ. Weiler. 

Wimpfen, Stabt 115. 

Wimpheling, ac. 305. 

Windsheim, Stadt 272. 303. 

Winkeler 9. 11.-205. 

Winter, Juſtus 455 

Wittenberg 324, 318, 385. 394. 

Wittgenftein, Fürft v. 464, 


Witzel, Georg 415. 
Wlabislan, "ing 294. 
Wodnan in Böhmen 283. 
Wörth, Grüner, |. Grüner Wörth, 
—, Schwäbiſch⸗, Stadt 233, 262. 
Wo Igemuth, Midael 323.335. 
Wolfach, Heinr. v. 180, 
Worms, Stabt 360. 361. 427. 

—, Joh. Biſchof v. 246. 
Wormſer Bibel 432. 
Würtemberg, Begharben in 247, 304. 
Bärgburg, 231. 
—, Gottfr. v re 

—, 306. 1. Biichof v. 246, 
Wnllenmweber, 3. 384, 
Wyklif, Sohn 100. 102. 235. 241. 379. 
Wyllifiten 156. 


_ I. 
York, Stabt 234, 


3. 


eg 434, 
iegler, ©. 434. 


is Fr. v. 224. 


aunrin 


t8fa, Joh. 243. 
olliton 405. 
ürich 114. 222. 246. 300. 367. 378, 
394. 396. 399. 401 ff. 405. 420 ff. 443. 
umilon 406. 
widau, Druder zu 338. 
widauer Bropheien 369f. 

wingli, Ulr. 329f. 360 368. 380. 
385. 399, 400 ff. 405. 406. A16f. 
430. 460, 


Drudfebler. 


418 „16, 
zwin 


©. 
©. 
©. 
©. 
©. 425 „ 1 LA} „ 
©. 

©. 


108 Zeile 17 von oben lied „Gnade“ ftatt Heerde“. 

119 Anm. 1 lies „Janner“ Statt „Jauner“. 

379 Zeile 16 von oben lieg „Licentius“ ftatt „Lucretius 

„ na en, —— — ſtatt, lutheriſch⸗ 


„„anu der Kr t ung der Partei“ Ratt „an der Partei‘. 
427 Anm. 7 lieg „meinen‘ ftatt „meine. 
432 Zeile 21 von oben lied „Da niemand ahnte⸗ ſtatt „Niemand ahnte“. 


Druck von J. B. Hirſchfeld in Leipzig. 








Ber ©. Hirzel in Leipzig ift früher erichienen: 


Ein Apoitel 


der 


von 


Dr. Ludwig Keller. 


gr. 8 Preis: A 3. 60. 





Die Gegenreformation 


Weftfalen und am Nieberrhein. 





Actenftüde und Erläuterung 
zufammengeftellt 
von 


Dr. Ludwig Keller. 


Erfter Theil. 
(1555 —1585.) 


A. u. d. T.: Publicationen aus den K. Preuß. Staatsarchiven 
| Royal⸗Octav. Preis: A 14. — 





_ 


— — — — 
Druck von Hirſchfeld, Leipzig. 


| 
Wiedertäufer 
en 


IX. Band, 











m — —— 


Bei ©. Hirzel in Leipzig ift früher erichienen: 


Ein Apoitel 


der 


Wiedertäufer 


von 


Dr. £ndwig Keller. 
gr. 8 Preis: A 3. 60. 


Die Gegenreformation 


Weftfalen und am Niederrhein. 





Actenftüde und Erläuterungen 
zufammengeftellt 
von 


Dr. Ludwig Keller. 


Erſter Theil. 
(1555 —1585.) 


A. u. d. T.: Bublicationen aus den K. Preuß. Stantsardiven IX. Band. 
| Royal⸗Octav. Preis: M 14. — ' 





Drud von Hirſchfeld, Leipzig.