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“Ir Be Ye’
1 . / ’
Die Reformation
und
die älteren Reformparteien.
— —
In ihrem Zuſammenhange
dargeſtellt
von
Dr. Sudwig Keller
2. Staatsarchivar.
Keipzig
Berlag von © Hirzel
1885.
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Yo. ae. HN
Die Reformation
und
die älteren Reformparteien.
In ihrem Zufammenbange
dargeſtellt
von
Dr. FSudwig Keller
K. Staatsarchivar.
Leipzig
Verlag von S. Hirzel
1885.
VYorwort.
— —— r —
Drei große Epochen haben die Entwicklung des religiös⸗kirch⸗
lichen Lebens in Deutjchland in ganz hervorragender Weife beein-
flußt, nämlich einmal die Zeit, in welcher unter den gewaltigen
Kämpfen zwifchen Kaifer Ludwig dem Baiern und dem Papſtthum
Meiſter Edart zuerft eine deutfche Theologie fchuf, ſodann
"die Periode, in welcher unter der Fahne eben diefer „de utſchen
Theologie” fich die große Majorität der Deutfchen für die Reform
der Kirche erhob, und endlich die Epoche, in welcher die Fürften des
deutſchen Geifteslebens vor nunmehr hundert Jahren — um mit
Herder zu reden — an jenem „beiligen Dreieck“ arbeiteten,
nämlich „der Boefie, Philoſophie und Gefchichte, ven Drei Lichtern,
welche die Nationen, die Selten und bie Gejchlechter erleuchten‘.
Es ift wahr, daß diefe drei Epochen viele äußerliche und inner-
liche Unterfchiede zeigen, aber es ift zugleich längſt anerkannt, daß
die deutfche Reformation des 16. Jahrhunderts bis zu den Jahren,
wo fie durch mancherlei Verirrungen einen Lauf nahm, welcher die
Gegenfäge der fpäteren Jahrhunderte vorbereitet bat, ihre befte Kraft
aus der Erneuerung der altdeutichen Theologie nahm, und daß das
Chriſtenthum Leffings und die Philofophie Kants als die organifche
Sortjegung jener „Philoſophie Chriſti“ gelten können, deren Anfänge
im 14. Jahrhundert gefchaffen worden find.
Aber wichtiger noch ift der Umftand, daß zwifchen diefen Perio-
den auch ein enger biftorifcher Zufammenbang befteht — ein
Zufammenbang, welcher auf das Geiftesleben jener Epochen und bie
Quellen ihrer religidfen und philofophifchen Weberzeugungen ein
ganz Überrafchendes Licht wirft.
IV
Die Träger diefes Zufammenhanges waren, wie die nachfol-
genden Blätter zeigen follen, jene Brüdergemeinden, die unter
wechfelnden Namen jeit vielen hundert Jahren wohl befannt find,
deren wahre &efchichte aber unter dem Schleier verborgen liegt,
welchen die orthodoxen Kirchen aus guten &ründen über die Schid-
fale jener verfolgten Chriften gebreitet haben, die man „Ketzer“
oder „Selten“ nannte, und ferner jene großartige Corporation
ber Bauleute und Steinmegen, welche in ven Bauhütten der
verfchiedenen Länder ihre Vertretung befaß, und die in Deutjchland
feit dem 13. Jahrhundert durch die Bruderfchaft des „deutſchen
Steinwerfs” einen viel größeren Einfluß ausgeübt bat, als in
der Gegenwart befannt iſt. Diefe Bruderfchaft ift es geweſen,
welche jeit Siebenhundert Jahren die „Brüdergemeinven‘ jedesmal
hriftlih und brüberlih in Schu genommen hat, wenn bie vecht-
gläubigen Parteien im Namen Chriſti mit Teuer und Schwert gegen
die „ Selten” Krieg führten und die Wogen des Neligionshaffes
iiber den Verfolgten zufammenzufchlagen drobten.
Die Geſchichte dieſer „Brüdergemeinden“, die fich einfach
„Chriften” nannten, erinnert in ber Art, wie fie bargeftellt wor⸗
den ift, und in dem Verlauf, den fie genommen bat, ungemein an
die Vorgänge der erjten chriftlichen Jahrhunderte. Eben diejenigen
„Chriſten“, welche von hervorragenden Schriftftellern des Alterthums
als Auswurf der Menfchheit dargeftellt und von der orthodoxen
Priefterfchaft unter Yuden .und Heiden als „Sekten“ gehaßt und
verfolgt wurden — man weiß ja, daß felbit Paulus einft als „An⸗
führer der Selte der Nazarener“ vor Gericht ftand (Acta
Apost. 24, 5) — eben diefelben find es geweſen, welche Die heidnifche
und jüdische Welt auf eine neue Entwicklungsſtufe geführt Haben.
Gemäß der Vorberfagung Chrifti: „Wenn fie mich verfolgt
haben, werben fie auch euch verfolgen‘‘, find die „rechten Chriften‘‘
von jeher als „Sekten“ und „Sektirer“ verfolgt, verleumbet und
gehaßt worben, aber gemäß der weiteren Zufage des Erlöfers haben
ſie fich ftetd von Neuem aus der Aſche erhoben und die Welt hat
fie umfonft gebaßt.
„Die göttliche Wahrheit ift untöbtlich”‘, hat einft einer biefer
„Sektirer“ gejagt, der felbft den Scheiterhaufen bat befttigen müffen,
V
— — — ——
„und wiewohl ſie ſich etwa lange fangen läßt, geißeln, krönen, kreu⸗
zigen und in das Grab legen, wird ſie doch am dritten Tage wieder
auferſtehen und in Ewigkeit regieren und triumphiren“.
Das vorliegende Werk ſtellt einen Verſuch dar, die Geſchichte
der „Brüdergemeinden“ und der mit ihnen eng verbundenen Bru-
derichaft der deutjchen „Bauhütte” in ihren Hauptmomenten zur
Anſchauung zu bringen. Wenn ich mich dem herrſchenden Sprach-
gebrauch hätte anpaſſen wollen, fo hätte ich Daffelbe auch eine „Ge⸗
Thichte der Sekten und der Sektirer“ — denn auch die Corporation
der „Hüttenbrüder” wird feitens der berrfchenden Kirchen dahin
gerechnet — nennen fünnen; indem ich dies nicht gethban, ſondern
den obenſtehenden Titel gewählt habe, war e8 meine Abficht, anzu-
deuten, daß ich den großen Wendepunkt in der Gefchichte ver „Brü⸗
dergemeinden” und der „Bauhütte“, nämlich das 16. Jahrhundert,
zum Mittelpunft meiner Unterfuchungen gemacht babe. Sobald e8
gelungen fein wird, dieſe wichtigfte Periode der Gefchichte der „Brü-
der’ hinreichend aufzuhellen, jo wird von ba aus der weitere Auf-
bau fich Teichter vollziehen, als es bisher möglich war.
Wer die Vorurtheile und Hinderniffe zu beurtheilen weiß,
welche ſich der Erforſchung und Darſtellung diefer Dinge entgegen
ftellen, der wird nicht erwarten, daß hier eine abjchließende Gefchichte
der „Brüder gegeben wird. Nachdem in Folge eben diefer Schwierig-
feiten bisher überhaupt jede zufammenfafjende Darftellung gefehlt
Bat, ift e8 unmöglich, diefen Mangel gleich beim erjten Anlauf zu
erjegen oder den traditionellen Widerſtand zu befiegen, auf welchen
jeder derartige Verfuch non Seiten der alten Gegner jener „Reber“
rechnen muß. Cine folche Gefchichte läßt fich nicht fchreiben, ohne
dag mancherlet Vorgänge an das Tageslicht Tommen, über welche
noch heute Viele lieber Schweigen beobachtet ſähen, und wer dies
Schweigen bricht, der wirb darauf zu rechnen haben, daß ibm, fo
weit die Zeitverhältnifje e8 geftatten, diejenige Behandlung zu Theil
wird, welche in folchen Fällen bisher üblih war. Doch möchte ich
mit einem ver alten „Sektirer“, der einjt in ähnlicher Lage ein &e-
ſchichtswerk fchrieb, bier betonen, daß, „wenn gleich die Irrthümer
und Fehler nicht verfchwiegen find, ich wohl weiß, daß nichts menſch⸗
licher ift, denn Irren, und daß in allen Parteien die menfchliche
VI
Natur dem Irrthum ausgeſetzt iſt; doch bin ich um keines Irr⸗
thums oder Fehls willen Jemandem feind oder gram, und möchte
gegen meines Nächſten Irrſal und Fehler alſo geſinnt ſein als ich
will, daß Gott um meiner Fehler willen mir es ſei“.
Zum Schluß ift e8 meine Pflicht, allen Denjenigen, welche bei
diefen ſchwierigen Unterfuchungen mich freundlich unterftütt haben,
Öffentlid meinen Dank auszufprehen. Zablreihe Archive und
Bibliothefen haben fich im Intereffe meiner Forſchungen mannig-
facher Mühewaltung unterzogen, befonvers aber bin ich den Herren
Beamten der Königlihen Baulinifchen Bibliothek zu Münfter für
vielfältige Hilfe zu Dank verpflichtet.
Münfter, am 23. November 1884.
Ludwig Keller.
Inhalts⸗Ueberſicht.
Erſtes Capitel.
Die Kirche und Die Ketzer.
Die Gewiſſensfreiheit In den erften Hriftliden Jahrhunderten. — Die römifche Ketzergeſetz⸗
gebung. — Die Waldenfer, — Berichte ber Zeitgenofien über fie. — Ungebliches Sektenchaos.
— Die Keber bed 16. Jahrhunderts. — Waldenfer und Täufer. — Die Quellen der Keberge-
ſchichte und ihre Verftümmelung. — Petrus Waldus unb ber Urfprung ber „Brüder. — Fran⸗
cisfaner und Waldenfer. — Ausbreitung ber Partei. — Begharden und Beghinen. Seite 1—35.
Zweites Capitel,
Das Slanbensbekeuntniß der altevaugelifhden Gemeinden.
Glaube und Kirchenverfaffung der erſten chriftlicden Jahrhunderte. — Anlehnung an bie
urſprünglichſten Quellen ber chriſtlichen Geſchichte. — Nachwirkungen einer großen Weberlieferung.
— Giellung ber Waldenfer zum Canon. — Die Infpiration ber 5. Schriften. — Chriſti Worte,
Befehle und beren befonbere Bebeutung. — Die Nachfolge Chriſti. — Das Alte Teftament und
ber Lehrtypuß bed Paulus. — Die aus der Heiligung bed Willens fließende innere Erleuchtung
und ihre Bedeutung als Erkenntnißprincip. — Die Bedeutung ber Bergprebigt bei ben Wal⸗
benfern. — Blutvergießen, Gewiſſensfreiheit, Recht der Nothwehr, Schwur, Feindesliebe. — Stel-
ung zu ben Mofterien ber Bibel. — Die Heilmittel ber Kirche. — Gegenfag von Welt unb
Ehriften. — Willensfreiheit, Heiligung, Gnade. — Schlußbetradptungen. Seite 36 — 62.
Drittes Capitel.
verfaſſung und Gottesdieuf Der altevaugelifhen Kirde.
Die Grundgedanken und bie Quellen ber Kirhenorbnung. — Der Begriff der Kirche. —
Apoſtoliſche Succeffion. — Gemeindekirche. — Kirchenzucht. — Die Einrihtung und Verfaſſung
bes Apoſtolats. — Die „Armuth““. — Die apoſtoliſche Regel. — Die „Gotteßfreunde.“ — Der
„Aelteſten⸗Rath⸗ — Episcopat, Sacerdotium und Diakonat bei den Waldenſern. — Synoden
und Conferenzen. — Der Gottesdienſt. — Die Hausandadten. — Die Gotteshäuſer. — Die
Predigt. — Das Abendmahl. — Die Beichte. — Die Taufe auf ben Glauben. — Hinder⸗
niſſe ihrer Ausbreitung — Stellung zum Möonchthum. — Schlußbetrachtung. Seite 63—94.
Viertes Capitel.
Kaiſer Ludwig und die deutſchen Banhütten. 1314 - 1347.
Die Souveränetät des Papfies Tiber ben Kaiſer. — Thomas von Aquino und Bonifacius
VIII. (1294 — 1303). — Kampf zwiſchen Kaiſerthum und Papſtihum. — Johann XXI. und
König Ludwig ber Baier. — Der König unter Anklage wegen Ketzerel. — Marſilius von Padua.
— Sohn Wycliffe und Marſilius. — Der „iriebendanwalt“. — Eniftehung und Bebentung des
Wertes ald Duelle des altevangelifchen Kirchenrechts. — Auszüge aus dem Bud. — Der Kaiſer
und bie Städte — Patriciat und Gilden. — Die deutſche Bauhütte. Seite 095 —122.
Fünftes Capitel.
Die Waldenſer und die altdentſche Fiteratur.
Alvarus Pelagius wiber Marſillus. — Die Keber in Straßburg unb ihre Literatur. —
Der Magifter Walther in Köln. — Daß Berbot Kaifer Karls IV. gegen bie deutſchen Bücher
der Sektirer. — Sind deutſche Schriften aus ben Kreifen ber Waldenfer erhalten? — Die Neun
VIII
Felſen. — Das Meiſterbuch oder die „Hiſtorie von Taulers Bekehrung“. — Auszug aus dieſem
Bud. — Verſchiedene Bearbeitungen deſſelben. — Das goldene ABC unb die „allgemeinen
Regeln” ver Waldenſer. Seite 123—151.
Sechſtes Capitel.
Aeiſter Ekart, Johannes Tanler und die dentſche Theologie.
Straßburg und die Ketzer. — Die fogenannte „Sekte bes freien Geiſtes“. — Meiſter Edart.
— Hat er zur „Sekte des freien Geifte‘ Beziehungen beſeſſen? — Eckart und die altevange
lichen Gemeinden. — Die Bannbulle witer Edart von 27. März 1329. — Ekart ift ber
hervorragendſte deuiſche Philofoph des Mittelalters, — Die Begründung einer „Deutihen Theo⸗
logie” durch Edart. — Edart und Thomas von Aquino. — Die Schule Eckarts. — Johannes
Tauler. — Xauler auf dem Inder. — Der „erpurgirte” und ber wahre Tauler. — Das Büchlein
von ber Deutfchen Theologie. Eeite 152— 172.
Eiebentes Capitel.
Das Merfwin’fhe Beghardenhans zn Straßburg.
Die Zuftände im Rei ſeit 1343. — Das Geſchlecht ter Merfwine und bie Beghinen. —
Nulman Merjwin (geb. 1308). — Gr ftiftet ein „Fluchthaus“ oder „Gotteshaus. — Deſſen
Leitung erhält ein „„Soltesfreund”. — Das Gotteshaus geht in die Hände des Johanniterordens
über. — Ber „Gottesfreund“ übermiltelt den Goiteshauſe eine reihe Literatur. — Diefe Lite
ratur iſt erhalten. — Bebentung und Charakter der erhaltenen Schriften. Seite 173—187.
Achtes Capitel.
Ein berühmter Gottesfreund.
Die heimlichen Gottesfreunde. — Der berühmte „Gottesfreund aus dem Oberlande”’. —
Der Gottesfreund und die „Chriſtenbrüder“ — Der Gottedfreund empfiehlt deutfhe Bücher. —
Seine Stellung zum Möndthum — Dogmatiſch⸗ religiöſer Standpunkt des Gottesfreundes. —
Waldenſiſche Beſonderheiten. — Zahlen⸗Symbolik. — Die zwei Wege. — Glaube, Hoffnung,
Liebe. — Weltliche und geiſtliche Gerichte — Fegfeuer. — Die Zuſammenkünfte der Gottes⸗
freunde und die Capitel der Waldenſer. — Sendſchreiben unſeres Gottesfreundes an feine Ge⸗
meinden. — Der „Gottesfreund aus dem Oberlande“ bat Sacramente geſpendet und Beichte ge:
hört. Seite 188—208. -
Neuntes Eapitel.
Die dentfheu BSauhütten und die altevangelifden Gemeinden.
Der „Gottesfreund auß tem Oberland” und die Bauleute. — Die religiöfe Bewegung ber
deuiſchen „Myſtiker“ in ihrer Einwirlung auf bie beutfche Kunftl. — Die Entwidlung bed Stein:
baus feit dem 12. Jahrhundert in ihrem Verhältniß zur Geſchichte der altevangelifhen Gemeinten.
— Der Bund ber deutſchen Bauhütten. — Einfluß und Mat deſſelben. — Verfaflung, Bräuche
und Weſen ber Bruderſchaft ber Hütte im Vergleih mit ber Bruderſchaft der ‚„„Walbenfer‘. —
Die Stellung Straßburgs im Hüttenbunte und in ber Organifatlon ter altevangelifchen Gemein
ten. — Die Verfolgung der „„Chriftenbrüter” feit 1360 und Rüdwirkung berfelben auf tie
Banhütten. — Die „Liebhaber des Handwerks”. — Die Tendenz des „geiftigen Bauens”.
Seite 209—238.
Zehntes Kapitel.
Die dentfhen Waldenfer nad der großen Verfolgnngsperiode,
Das Shisma ber Jahre 1378 — 1417. — Fortdauer ber Keßerverbrennungen. — Die
Hinrichtung des Johann Huf und ded Hieronymus von Prag, — Die Folgen dieſer Ereignifie
in Böhme. — Die Böhmen greifen zur Nothwehr gegen bie Keterrichter. — Wer trägt bie
Schuld ber Empdrung? — Ruckwirkung der böhmiſchen Ereigniffe auf Deutſchland. — Johann
von Schlieben, gen. Dranborf (T 1425). — Die „Keger” in Sübweftdeutfchland. — Leben und
Lehre der deutfhen Waldenfer im 15. Jahrhundert. — Die Keperprozeile zu Freiburg i. U. im
Sabre 1430. — Der Codex Teplenfit. — Die walbenfifhe Bibelüberfegung. Seite 239— 260.
IX
Eilftes Capitel.
Der Waldenferbifhof Friedrich Reifer (+ 1458) nnd die „Brüder“
in Franken.
Conrad Reifer und fein Sohn Friedrich — Die „Brüber” in Nürnberg und Hans von
Plauen. — Erziehung Friedrich Relferd in Plauen? Haufe — „Bater” Marmelh aus Freiburg
. N. — Der Eintritt Friedrichs in bie erften geiftlihen Zunctionn. — Sein Dienft als Be:
gleiter ter Wpoftel in Deutfchland und in ter Schweiz. — Die Weihe zum „‚Apoftel” in Prag
durch Biſchof Nicolaus. — Friedrichs Xhätigfeit als „Sendbote Chrifti”. — Die religidfen Zu:
ſtände in Franken. — Die Synode zu Heroldsberg bei Nürnberg (1447) und Friedrichs Wahl
zum Biſchof. — Die Synobe zu Tabor in Böhmen. — Reiſer wird zum Sentor ber Bifchdfe
erwählt und Straßburg wird fein Sig. — Seine Verhaftung und Hinrihtung — Reiſers Be⸗
teutung. Seite 261— 281.
Zwölftes Capitel.
Die „Brüder“ in Böhmen.
Die Walbenfer in Böhmen. — Peter Chelcidy. — Die Begründung einer felbftändigen böh⸗
mifchen Brubergemeinfchaft. — Die Taufe auf den Glauben. — Die „Pikarden“ und die „Täufer“.
— Die Weihe dur den Waldenferbifgof Stephan. — Die Rüdlehr zur alten chriftlichen Kirche.
— Die Religiondanfhauungen ber Brüdergemetnten. — Zahl und Ausbreitung. — Die „Brüter“
und bie Buchbruder. — Die Schulen. — Geiftige und wifjenfchaftliche Regfamleit. Seite 282— 295.
Dreizehntes Capitel,
Die altevangelifhen Gemeinden beim Beginn der Reformation.
Der internationale Zufanmenhang ber Gemeinden. — Die wälfchen Brüder und ihre Bes
ztehungen zur Schweiz, — Die „Bekannten“ in England, — Die „Begharben” in ben Nieder⸗
landen und bie „Brüder des gemeinfamen Lebend”. — Die „Brübergemeinden” im Reihe —
Der innere Zuftand be Waldenſerthums vor ber Reformation. — Der Waldenjer- Katechismus
bes 15. Jahrhunderts. — Die religtds -Firdjlichen Principien und ihre Verlümmerung. — Die
Verwirrung und Verſtümmelung ver alten Tradition. — Verkehrte Auffaſſung ber Gleichheit und
Brüberlichleit. — Der Mißverftand der Xehre vom „Innern Wort. — Gänzlicher Abfall einzelner
Gemeinden von den Gruntprincipien. — Nothwendigkeit einer burdhgreifenden Regeneration.
Seite 296 — 316.
Bierzehntes Kapitel.
Die Erneuerung der altevangelifdhen Literatur.
Die deutfhen Bauhütten und Katfer Darimiltan I. — Wolfgang Dend, Meifter vom Stuhl
zu Steyer. — Die „Liebhaber des Handwerks“. — Die beutfhen Werfleute und bie Erfindung
ber Buchbruderkunft. — Die „Zormfchneider” und die Steinmegen. — Die beutfhen Buchdrucker
und ihr Antheil an ter Erneuerung des deutſchen Geifteslebend im 15. Jahrhundert, — Die
Typographie in Franken, befonderd in Nürnberg. — Buchdrucker, Künftler und Gelehrte. — Joh.
von Staupig in Nürnberg. — Bafel als vornehnifter Pla des beutfchen Buchhandels. — Die
Bruberfhaft „zum Himmel’. — Die Gelehrten und die Buchbruder in Bafel. — Erasmus, Rhe⸗
nanus, Pellican, Dend, Decolampad, Eapito u. A. — Die Erneuerung ber Bibel und ter Lite
ratur ber „„Sotlesfreunde”. Seite 317—338.
Fünfzehntes Capitel.
Johann von Staupik und Dr. Martin Luther.
Staupik und die altdeulfche Theologie. — Seine erfte Begegnung mit Luther zu Erfurt. —
Staupig führt Luther zu Tauler und den „Myſtikern“. — Luther Begeifterung für die „deut:
hen Theologen“ in ven Jahren 1517— 1520. — Luther wird als Führer anerkannt. — Staupitz'
fernere Unterftügung bis zum Sabre 1521. — Plöglihe Erkaltung des Verbältniffes zwiſchen
Luther und Staupig. — Wer bat feine Anfchauungen gewechſelt? — Die Spaltung ber Nation.
— uUrſachen der Spaltung. — Die Lehre von ber Genugthuung Chriftt. — Die Willensfreiheit.
— Die Crfenntnißquellen der relgiöjen Wahrheit. — Luthers kirchenpolitiſche Anſchauungen.
Seite 339— 363.
X
Sechzehntes Kapitel.
Das Täufertham.
Die Bedeutung ber Bewegung. — Der wahre Name ber Partei. — Gründung einer neuen
oder Erneuerung einer alten Kirche? — Die Wiege des Täuferthums. — Die Capitelsverſamm⸗
fungen ber „Brüder” zu Bafel. — Balthaſar Hubmeler. — Die Bafeler Officinen. — Hans
Dend, Eurio und Eratander. — Conrad Grebel. — Wilh. Reublin, Ulrich Hugwald, Ludwig
Haͤtzer, Simon Etumpf, Helurih von Eppendorf, Hartmuth von Erondberg, Dtto Brunfeld, Andreas
Gaftelberg. — Die Ausländer M. Bentinus, Heinrich Rode, R. Erocuß, Anemund be Coct u. A.
— „Apoſtel, Bischöfe und Evangeliſten“. — Die Refultate der Brüder» Synoden. — Die Taufe
auf den Stauden. Sete 364 — 391.
Siebzehntes Tapitel.
Die Schweizer Brüder.
Die Refte der alten Gemeinden in ber Schweiz. — Urtheile von Zeitgenoffen über ben Zus
fammenhang mit den älteren „Keen. — Die „Ketzerſchule“ der Spiritualen zu Züri im
Sabre 1522. — Wie Jautet die Tradition ber Brübergemeinden über ben Urfprung ihrer Partei ?
— Anfihten neuerer Forfcher. — Das erfte Hervortreten ber alten Gemeinde in Züri. — Eine
volftändige Organifation ber Gemeluben in der Schweiz iſt fon um 1521 nachweisbar. —
Im Herbie 1522 ſchließt ſich €. Grebel der alten Züricher Gemeinde an. — Die Zins: und
Zehntenfrage. — Die Berlümmerung ber alten Gemeinden. — Die Haupiſtreitpunkte. — Die
Einführung ber Spättaufe im Jahre 1525. — Der literarifhe Kampf. — Die „Heiligen. —
Die Brüber des „freien Geifted”. — Der Brudermorb in S. Gallen. — Die Ausbreitung ber
„Brüder. Seite 392-—412.
Achtzehntes Kapitel.
Bie große Beit der altevangelifhen Kirche.
Die zweite Periode bed fogenannten Anabaptismus fett 1526. — Die Führer diefer Be⸗
wegung: Denk und Hubmeier. — Das Anfehen biefer Männer bei ben fpäteren „Taufgefinnten”.
— Unterſchied der erfien und zweiten Periode ber Brüdergemeinden. — Der Beginn ber Altion
in Nürnberg. — Die erfte und zweite Synode ber Brüder zu Augsburg 1526 und 1527. —
Die Refultate der Berathungen und Dends Büchlein von der Liebe. — Die Literatur ber Brüber
in jenen Jahren. Seite 413—1435.
Neunzehntes Kapitel.
Der Aampf nm den alten Glanben.
Kirchenverfaffung und Cultus der erneuerten Gemeinden. — Einfluß der Bauhütle — Die
Taufe, ber Bann, das Abendmahl, tie Gottesdienſte. — Diakonen, Acltefte, Vorſteher, Diener
des Wort, Paftoren, Coangeliften. — Die Hanbauflegung der Senioren. — Die Aelteften ber
Geſammtkirche und die Bifchöfe. — Vorrechte der Biſchͤfe. — Die Synoden, die Monatsver⸗
fammlungen, Jahresverfammlungen. — Die Apoftel. — Die Verfolgungen und Hinrichtungen. —
Der Reichstagsabſchied vom Jahre 1529. — Luther und Melanchthon über bie Hinrichtungen. —
Die Ereigniffe in Münfter. — Job. v. Leyden. — Das neue Israel. Seite 436—457,
Zwanzigſtes Capitel.
Aeberſicht über die ſpäteren Entwicklungen.
Religids⸗kirchliche Zuſtände des 17. und 18. Jahrhunderts. — Sebaftian Frand und Casp.
v. Schwenkfeld. — Die Stellung ter Fürften von Brandenburg, Heffen und Baden zu Schwenk
feld. — Die Pfalzgräfin Elifabetb und bie altevangelifchen Gemeinden. — Altevangelifche Unter⸗
ftrömungen in ber reformirten Kirche. — Joh. Sigismund, Ehurfürft von Brandenburg. — Die
Bruderſchaften ber beuifchen Werkleute. — Rofenkreuzer und Freimaurer. — Die altevangelifchen
Gemeinden. — Der ältere deutfche Pietismus. — Puritaner und Independenten. — Leffing und
Kant. Seite 158 — 438.
Die Reformation.
„Das hoͤchſte Lob gebührt ber hriftlichen Religion,
beren reiner ebler Urſprung fih immerfort dadurch
bethätigt, daß nach ben größten Verirrungen, in welche
fie ber dunkle Menſch Hineinzog, ehe man ſichs ver-
ſieht, fie fih in ihrer erſten lieblichen Eigenthümlich⸗
keit zu Erquickung bed fittlihen Menfchenbebürfnifies
immer wieber hervorthut“. Goethe.
Erſtes Capitel.
Die Kirche und die Ketzer.
Die Gewifjensfreiheit in den erften chriftlichen Jahrhunderten. — Die römifche
Ketzergeſetzgebung. — Die Waldenfer. — Berichte der Zeitgenofien über fie — .
Angebliches Sektenchaos. — Die Ketzer des 16. Jahrhunderts. — Waldenfer
und Täufer. — Die Duellen der Keßergefchichte und ihre Verſtümmelung. —
Petrus Waldus und der Urjprung ver „Brüder“. — Francisfaner und Wal⸗
denfer. — Ausbreitung der Partei. — Begbarden und Beghinen.
Die hriftliche Kirche der erſten drei Jahrhunderte kannte in
Uebereinftimmung mit der Lehre ihres Stifter und in bewußtem
Gegenfag zum Judenthum feinen weltlihden Zwang in Glaubens-
ſachen.
Erſt in den Zeiten, wo unter Kaiſer Conſtantin der Bund
zwiſchen dem Beherrſcher des römiſchen Weltreichs und dem Biſchof
von Rom ſich vollzog, begann die Lehre Glauben zu finden, daß
auf Erfordern der Kirche der weltliche Arm diejenigen als Ver⸗
brecher beſtrafen müſſe, welche trotz empfangener Belehrung den
Dogmen der Kirche ſich nicht unterwarfen.
Schon in das römiſche Recht des 5. und 6. Jahrhunderts waren
einzelne Beſtimmungen wider die „Häretiker“ aufgenommen worden!),
und in der Periode der größten Machtfülle des Papſtthums, im
12. und 13. Jahrhundert, wurden diejelben durch die Eonftitutionen
der römiſch⸗deutſchen Kaifer betätigt und erweitert.
Bom 12. Jahrhundert an ift die Theorie zur allgemeinen An-
erfennung gebracht, daß die Abweichung von der römifchen Kirchen
1) Vgl. diefe Beitimmungen bei Richter Lehrb. d. evang. u. kath. Kirchen
rechts, Lpzg. 1867 ©. 610. — Die Erlaffe des Codex Justin. (Lib. I tit. 6. 7)
gegen biejenigen Keter, welche die Spättaufe ertheilten, ſ. b. Richter a. O.
©. 609 Anm. 4.
Keller, Die Reformation. 1
2
lehre der perfünliden Sünde zugufchreiben ſei). Der Aus-
druck „häretifche Schlechtigkeit" wurde im Tirchlichen Necht zur Be⸗
zeichnung eines ftrafwürbigen Verbrechens.
Die Ketzer find feit den Zeiten der päpftlichen Weltberrfchaft
„peitilenzialifche Perſonen“, die fich einer fchwereren Strafe ſchuldig
machen als die, welche fonjtige fleiſchliche Sünden begehen.
Es war dieſe Lehre ein integrirender Theil des Shftems, welches
in Kirche und Religion fich feitgejegt Hatte. Es gab in dieſem wohl-
gefügten Lehrgebäude Teinen Theil, am wenigjten einen fo wichtigen,
welcher ein überflüffiges Glied gewejen wäre; vielmehr forderte der
Begriff der Kirche, wie er ausgebildet worden war, mit Noth-
wendigkeit, daß das Recht zur Forderung ber Ketzerſtrafen den Ver-
tretern der Kirche gewahrt werde.
Es ift von einer Autorität, welche in diefen Fragen gerade von
römiſch⸗katholiſcher Seite anerkannt werden dürfte, nämlich von
Profeſſor Dr. W. Martens, der Nachweis erbracht worden, daß bie
gejeßlichen Beftimmungen über die criminalvechtliche Verfolgung der
Ketzer in der katholiſchen Kirche „eine dogmatiſche Baſis“
haben, d. h. daß fie mit.dem ganzen Syſtem des Glaubens, an
welchem die Seligfeit der Menfchen hängt, untrennbar verbunden
find und daher einen dauernden und unveränberlichen Charakter
für alle Zeiten, und fomit auch für unfere Zeit befigend. .
Die Bulle Papft Leo X. v. 15. Sunt 1520 — fo führt Brof.
Martens aus — ift ein Hinreichender Beweis für die Dogmatifche
Grundlage, welche die Lehre von den Ketzerſtrafen in der Tatholifchen
Kirche beſitzt. „Der Papſt wollte (in der genannten Bulle) es als
übereinftimmend mit dem depositum fidei bezeichnen, daß es dem
1) Befonders ift e8 Thomas von Aquino geweſen, welcher dieſes Syften in
eine wiſſenſchaftliche Form gebracht Hat. Er ſucht den Beweis zu führen, baß
die Härefie ein Vergeben fei, welches ſchlimmer ift als bie jchwerften weltlichen
- Berbrechen. Th. v. Aquino Summa Il. 2. Quaest. XI Art. 3 „Meruerunt non
solum ab ecclesia per excommunicalionem separari, sed etiam per mortem
amundo excludi.... statim ex quo de haeresi convincuntur possunt non
solum excommunicari, sed et juste occidi.“ Thomas hält alſo eine Be-
lehrung der überführten Ketzer nicht für nöthig.
2) Dr. W. Martens, kathol. Prof. am bifchöfl. Seminar zu Pelplin, im
Archiv für kathol. Kirchenrecht Bd. VIE S. 201 ff.
3
göttlichen Willen nicht widerfpreche, wenn Die weltliche Obrigkeit auf
Grund der empfangenen Vollmacht die Häretifer als Webelthäter
beftrafe und fogar hinrichte“. „Deßhalb“, fährt Martens fort,
„müſſen wir ung als Katholiken hüten, die Praxis (der älteren Jahr⸗
Hunderte) mit dem falfchen Liberalismus für Die Eruption einer
fanatifchen Bornirtbeit oder eines unerfättlichen Blutdurſtes zu hal
ten.” „Waren aber die Fürften des Mittelalters berechtigt, bie
Härefie als ein Stantöverbrechen anzufeben, fo muß auf Grund der
päpftliden Decifion auch noch heute den (katholifchen) Trägern
der weltlichen Obrigfeit jenes Recht an und für fich eingeräumt
werben‘ 1).
In dem Buche Numeri Cap. 45 V. 32—36 (fo führt Martens
weiter aus) berichtet Moſes Folgendes: „Es begab fich aber, da bie
Söhne Israels in der Wüfte waren, daß fie einen Menfchen fanden,
der Holz fammelte am Tage des Sabbath und fie brachten ihn vor
Moſes und Aaron und die ganze Gemeine: und biefe verjchloffen
ihn ind Gefängniß, weil fie nicht wußten, was fie mit ihm thun
folften. Und der Herr fprach zu Mofes: „Diefer Menſch ſoll fterben ;
die ganze Gemeine fol ihn fteinigen außerhalb des Lagers. Und
jie führten ihn hinaus und fteinigten ihn und er ftarb, wie e8 der
Herr geboten Hatte”.
Ferner fpricht Mofes Deuter. 13, 1ff.: „Wenn in deiner Mitte
ein Prophet auffteht, oder einer vorgiebt, er babe einen Traum ge-
fehen und jagt ein Zeichen oder ein Wunder vor und e8 gejchiebt,
was er gefagt hat und fpricht zu dir: laß ung hingehen und frem⸗
den Göttern folgen, die Du nicht Fennft, und ihnen dienen, fo ſollſt
du die Worte diefes Propheten und Träumers nicht hören u. f. w.
Denſelben Propheten und Traumerdichter joll man tödten: denn
er bat gerevet, euch abwendig zu machen von dem Herrn. Wenn
bein Bruder, der Sohn deiner Mutter oder deine Toch—
ter oder das Weib in deinen Armen oder der Freund,
den Du liebft wie deine Seele, zu dir redet: laß uns hin-
gehen und fremden Göttern dienen, die du nicht fennft noch beine
Väter, jo willige nicht ein und gehorche ihm nicht und dein Auge
1) Martens, a. O. ©. 205.
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ſchone feiner nicht, daß du dich erbarmeft und ihn verbergeſt, ſon⸗
dern tödte ihn alsbald“.
In dem neuen Bunde nun, fährt Martens fort, hat Chriſtus
feinen Apoſteln und deren Nachfolgern allerdings nicht die Voll-
macht gegeben, die Todesftrafe über faljche Propheten zu verhängen.
Aber „es läßt fich zeigen, daß es der weltlichen Obrig-
feit anheimfällt, gegen jene einzuſchreiten“y. In dem
13. Capitel des Römerbriefs nämlich lehrt der 5. Paulus: „Sie
(die Obrigkeit) ift Gottes Dienerin, dir zum Beßten: wenn bu aber
Böſes thuft, fo fürchte Dich; denn nicht umſonſt trägt fie Das
Schwert: denn fie tft Gottes Dienerin, eine Rächerin zur Beſtra⸗
fung für den, der das Böſe thut“.
Auf die Frage, was die Beitrafung der Böfen mit der Hin-
richtung „falicher Propheten” zu thun babe, giebt Martens die
Antwort, dag „die Abweichung von ber wahren Glaubensregel etwas
Sündhaftes iſt“.
Die Ausbildung dieſer Theorie fällt zeitlich etwa zuſammen
mit den heftigen Verfolgungen, welche die römiſche Kirche im 12.
und 13. Jahrhundert gegen diejenigen „Sekten“ anſtellte, welche an
der Glaubenslehre und Kirchenverfaſſung der erſten chriſtlichen Jahr⸗
hunderte auch dann noch -feitgehalten hatten, ale der Biſchof von
Rom von derjelden abgefallen war.
Man kennt ven Haß, welcher damals von dem Mittelpunkt
des alten Weltreihs aus überall bin gegen diejenigen verbreitet
warb, welche fich gegen die Theorien, die in der Dauptftabt zur
Herrſchaft gelommen waren, auflehnten.
Genau in derſelben Weife wie einft Paulus vor den römifchen
Landpfleger gejchleppt ward, weil er der „Rädelsführer fei der Sekte
der Nazarener” (Apoftelgeich. 24, 5), wurden jet von ben römischen
Officialen unter demfelben Vorwurf andere Chriften abgeurtheilt
und zum Tode geführt. Die Verurtheilten aber pflegten zu fagen,
daß, wie zu Paulus Zeit die rechten Chriften als „Sekte“ be-
zeichnet worden feien, fo vielleicht auch heute Das Chriſtenthum mehr
auf der Seite der Verfolgten als der Verfolger fich finde.
1) Martens, a. O. ©. 203.
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Den erften Platz unter diefen „Sekten“ nimmt eine Religions
gemeinschaft ein, welche in Uebereinftimmung mit dem Gebrauch ver
apoftolifcden Jahrhunderte ſich einfah „Chriſten“ nannte und im
gegenfeitigen Verkehr die Bezeichnung „Brüder“ gebrauchte.
Der Name „Chriften” konnte in den fpäteren Jahrhunderten
als charakteriftifche Bezeichnung von den herrſchenden Parteien ſchon
um befwillen nicht anerfannt werben, weil in dieſem Zugeſtändniß
eine Beeinträchtigung des eignen Ehriftennamens gelegen hätte, und
fo Tamen von frühen Zeiten an für die „Brüder“ die mannig-
fachiten Namen auf, welche die Erforſchung ihrer Gefchichte unge-
mein erjchwerent.
In Italien wurden die „Brüder“ vielfach „lombardiſche Arme‘,
in Deutfchland „Arme von Lyon“ (Leoniften) genannt; unter dem
Volke biegen fie „Iombarbifche Brüder”, „Schweizer Brüder“, „Wälfche
Brüder“ und „Böhmiſche Brüder”.
Die Bezeichnung, unter welcher fie in ver heutigen Literatur
am belannteften find, die aber von der Partei ſelbſt Jahrhunderte
Yang zurücgewiefen worben ift, lautet „Waldenſer“.
Für die allgemeine Charakteriftif diefer Religionsgemeinfchaft,
ihr Alter, ihre Ausbreitung und ihre Tendenzen tft die Schilverung
eines römischen Inquifitors 1), des fog. Pſeudo⸗Reiner, ſehr wichtig,
welche etwa im J. 1250 aufgezeichnet worden tft. In diefer Schil-
derung heißt e8 wörtlich:
„Unter allen Sekten ift Teine verberblicher für die Kirche als
diejenige der Leoniften. Und dies aus drei Gründen: zunächit, weil
fie am weiteften hinaufreicht; denn einige fagen, fie beftehe
feit der Zeit Sylveſters (c. 315 n. Chr.), einige feit der Zeit ber
Apoſtel; ferner, weil fie die ausgebreitetite tft, denn es giebt faft
fein Land, in welchem diefe Sekte fih nicht findet; drit—
tens, weil, während andere Sekten Durch die Größe der Blasphemien
1) Man Hat die Schrift, die unter dem Zitel „Summa de Catharis et
Leonistis“ belannt ift, früher dem Inguifitor Reinerius Sacchoni.(f 1259) zu-
geſchrieben. Es ift dies ſehr zweifelhaft. Jedenfalls aber rührt fie von einem
Keßerrichter ber, der um 1250 lebte. — Diejelbe Schrift ift fpäter von Jacob
Gretſer (t 1625) unter dem Titel „Contra Waldenses* wieder herausgegeben
worden; |. ven Abbrud in ber Max. Bibl. Patrum Vol. XXV p. 262 ff.
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gegen Gott den Hörern Schrecken einflößen, dieſe Sefte der Leoniften
einen großen Schein von Frömmigkeit befittt und zwar deßhalb, weil
fie in den Augen der Menſchen veblich Ieben und alles Gute von
Gott glauben, auch alle Artikel, welche im Symbolum ftehen; nur
die römische Kirche verabfcheuen fie und ihr Prieſterthum und dies
zu glauben ift die Menge der Laien leicht geneigt” 1).
Um feinen Amtöbrübern die Auffpürung der „Seltirer” zu er-
Yeichtern, zählt verfelbe Autor folgende Merkmale auf. „Die Häre-
tifer find zu erfennen an ihrem Lebenswandel und an ihrer Nebe-
weife. Sie find nämlich in ihrem Wandel geſetzt und befcheiden,
fie tragen feinen Hochmuth zur Schau in ihrem Aeußeren, indem
Ste fich weder koſtbarer noch fchlechter Kleider bedienen. Negotiationen
treiben fie nicht um die Unwahrheit, Eid und Betrug zu meiden. —
Reichthümer erjtreben fie nicht, fondern find mit dem Nothwendigen
zufrieden. Auch find fie Teufch, beſonders die Leoniften. Auch find
fie mäßig in Speife und Tran. In die Schenken gehen fie nicht,
auch nicht zum Tanz und zu andern eitlen Vergnügungen. Auch
vom Zorn halten fie fich fern; fortwährend find fie fleißig, lernen
oder lehren und beten deßhalb zu wenig. — Dean erkennt fie ferner
an ihrer fchlichten und beſcheidenen Redeweiſe; fie hüten fich vor
unnügen Worten, vor üblem Nachreden und leichtfertigen Sprechen
ebenfo wie vor Lüge und Schwur“?).
Es ift befannt, daß in der landläufigen Literatur die ſchlimmſten
Schilderungen über ihre „Irrlehren“ zu finden find. Doch würbe
e8 von großer Naivität zeugen, wenn man biefe Ausfagen ohne
Weiteres für baare Münze nehmen wollte. Einer der neueren
1) Die interefianten Worte Yauten: „Inter omnes sectas.... non est per-
niciosior ecclesiae quam Leonistarum. Et hoc tribus de causis. Prima est,
quia est diuturnior. Aliqui enim dicunt, quod duraverit a tempore Sylvestri,
aliqui a tempore Apostolorum. Secunda, quia est generalior. Fere enim nulla
est terra, in qua haec secta non sit. Tertia, quia cum aliae sectae imanitate
blasphemiarum in Deum audientibus horrorem inducunt, haec scilicet Leoni-
starum magnam habet speciem pietatis; eo quod coram hominibus juste
vivant et bene omnia de Deo credant et omnes articulos, qui in symbolo
‚continentur; solummodo Romanam ecclesiam blasphemant et Clerum, cui
multitudo Laicorum facilis est ad credendum. Max. bibl, Patrum Lugd. 1676
Vol. XXV p. 264.
2) Nach ©retfer in der Max. Bibl. patrum Vol. XXV p. 272,
7
Forſcher auf diefem Gebiete, der mit großer Gewiſſenhaftigkeit den
balbverlorenen Spuren nachgegangen ift, ift zu dem Refultat ge
kommen, daß „Die Waldenfer in wahrhaft ſataniſcher Weife ver-
leumdet, der Zauberei, der Anbetung Lucifer8 und der furcht-
barjten Sittenlofigfeit befchuldigt worden find‘), |
Sm 13. Jahrhundert wurde von ihren Gegnern 3. B. behauptet,
daß bei ihren abendlichen Zuſammenkünften plöglich die Lichter ges
löfcht würden, und dag alsdann allgemein Ausfchweifungen ftatt-
fänden; andere wollten wifjen, daß Teufelsbeſchwörungen bei ihren
Gottespienften vorgenommen würben, und daß der Teufel wirklich
von ihnen gefehen werde; noch andere fagten, daß fie Raten und
Fröſche in ihren „Kirchen“ zu küſſen pflegten u. f. w.
. David von Augsburg, welcher ums Jahr 1260 uns dies bes
richtet, fügt aufrichtig genug hinzu, er glaube nicht, daß folches bei
diefer Sekte vorkomme?).
Aber trotz dieſes Widerſpruchs einſichtigerer Männer blieben
Vorſtellungen, wie die erwähnten, in der Öffentlichen Meinung maß⸗
gebend. Der Chronift Samuel Müller berichtet zum Jahre 1453:
„sn diefem Jahr erhob fich die Kegerei in Thüringen, befonders in
Sangerbaufen und im Schwarzburgifchent Gebiete vor dem Harze.
Mann und Weib, Bruder und Schweiter gingen zuſammen heimlich
in ein Haus und beteten in einem Keller den Teufel an. ‘Diefer
kam in Geftalt einer Hummel und flog Jedem in ven Mund. Wer
fich gegen die Hummel verneigte, dem ward viel Gutes. Hierauf
wurden bie Lichter ausgelöfcht, und Feder griff um fich und fündigte
mit der Ergriffenen, war e8 auch Mutter, Schweiter oder Tochter‘ 3), _
Für ſolche Schlechtigfeit wurden denn laut unferer Quelle die Ketzer
im ganzen Lande zahlreich verbrannt.
Derjelbe David von Augsburg, welcher als Inquiſitor nach
feinem eigenen Bericht viel mit Waldenfern zufammtengelommen tft,
erzählt: „Die Selte der Armen von Lyon und die ihr Ähnlichen
1) Herm. Haupt, Die religidfen Selten in Franken ©. 24 Anm. 3. Vgl. die
bort angeführten Belegitellen für dieſe Behauptung.
2) Der Bericht in ven Abhandlgg. der 1. Cl. d. K. B. A. d. W. zu M. 1878
Bd. XIV Abth. II ©. 211.
3) Förſtemann, Die riftlichen Geißlergefellihaften 1828 S. 172.
8
find um fo gefährlicher, je mehr fie fich mit dem Schein der Fröm⸗
migfeit ſchmücken“). An einer anderen Stelle heißt e8: „Ihr
Lebenswandel ift dem äußeren Scheine nach demüthig und bejchei-
ben, aber im Herzen find fie Hochmüthig u. ſ. w.“?). Sie be
haupten, fromme Männer unter fich zu haben, meint David, aber
fie jehen nicht, „daß wir unter uns unendlich viel ausgezeichnetere
befigen, da fie mit feinem Schein fich fehmüden, während bei den
Häretilern alles durch Verbrechen überbedte Heuchelei iſt“9.
„Die Waldenfer beſuchen die Kirchen und die Predigten und
zeigen fich in Allem durchaus religiös, fie haben gejekte Sitten,
überlegte, vorfichtige Worte, fie fprechen gern von Gott, von heiligen
Männern und von den Tugenden, von der Meidung des Lafters
und von dem Thun des Guten, um dadurch für aut gehalten zu
werden und... um fo geheimer das Gift ihrer Perfivie anderen
einzuflögen und Begünftigung ihrer Lafter zu erwerben‘ 4),
Schon in den früheften Quellen wird von den Walbenfern
behauptet, daß fie in eine Reihe von „Selten“ zerfielen, und
außer den oben bereit8 genannten Seftennamen werben noch eine
große Anzahl anderer aufgeführt.
Sm 12. und 13. Iahrhundert wird der Name Sabbatati, Sab-
batarii oder Insabbatati als identifch mit demjenigen der Walden⸗
fer ausdrüdlich in amtlichen Erlaffen bezeichnet). Andere Schrift-
ftelfer haben daraus in leicht erfennbarer Tendenz eine befondere
„Sekte“ der Waldenfer gemacht, während in Wahrheit der Name
von der Tracht einzelner Waldenfer-Prediger hergenommen ift und
eine bejondere Fraction nicht beftanden hat. Ä
Sehr frühzeitig begegnet uns ferner die Bezeichnung „apo—⸗
ſtoliſche Brüder”, deren Urſprung unten ſich vollkommen er-
1) David von Augsburg a. O. S. 211.
2) A. O. S. 212. Abſchnitt 12 des Tractats.
3) A. O. S. 212. Abſchnitt 13.
4) David v. Augsburg a. O. ©. 217.
5) So in ben Beichlüffen des Concil8 von Zaracone von 1242; ferner in
einem Edikt von 11935 ſodann bei Eberharb von Bethune (Max. bibl. Patr. Vol.
XXIV, 1526) im 12, Jahrh. — Weitere Belegitellen für dies Wort als Partei⸗
name der Walbdenfer bei Du Cange Glossarium se. v.
9
Hären wird, und die gleichfall8 nur ein anderer Name für dieſelbe
Richtung iſt.
Im 14. Jahrhundert taucht im weitlichen Deutfchland ver Name
„Winkeler“ auf und gleichzeitig werben fie im Often „Sruben-
heimer“ genannt — eine Bezeichnung, die daſſelbe befagt, und bie
fpäterhin ihre Erflärung finden foll.
Abſichtliche oder unabfichtlihe Entjtelung bat dieſer Partei
dann auch Namen eingetragen, welche auf die von ihr principiell
verichiedene Richtung der Katharer angewendet zu werben pflegten,
beſonders die Bezeichnung „Bolllommene”;
Dagegen jcheint e8, als ob der Ausdruck „Spirituales‘“ oder
„Enthusiastae‘‘ vorwiegend auf Die Waldenfer zu beziehen fei, ohne
daß indeifen, wie man vorgiebt, eine bejonvere „Sekte“ unter ihnen
fih fo genannt hätte.
Es ift richtig, daß gewilfe lokale Verfchievenheiten unter ihnen
vorhanden waren. Aber es ift Doch bezeichnend, daß ſelbſt die In⸗
quifitoren zugeben, nicht bloß Die „Sekten“ feien früher „eine
Sekte’ gewefen!), fondern auch, daß fie ihren Feinden gegenüber
feft zuſammenhalten.
Wenn man eine „Selte” diejenige Partei nennt, welche unter
befonderen Eultusformen und eigner Kirchenverfaffung fich als felb-
ftändige Gemeinſchaft conftituirt, fo bat es unter den Walbenfern
derartige Selten überhaupt nicht gegeben.
Wenn man aber abweichende Auffaffungen in einzelnen Bunt-
ten, die fich als „Schulen“ in jeder Kirche finden, als „Sektirerei“
bezeichnet, fo bat freilich diejenige Gefchichtichreibung recht, welche
3.3. im Franciskaner⸗Orden des 14. Jahrhunderts mehr als ein
Dutzend „Selten“ unterjcheivet. Man weiß ja in der That, daß
bie verſchiedenen Richtungen dieſes Ordens fich heftiger befämpft
haben, als es bei den Waldenſern je ver Ball geweſen ift.
Zur Charakterifirung diefer ganzen Sektenſpürerei mag die
Thatfache dienen, daß die katholiſchen Parteifchriftfteller des 16. Jahr⸗
hunderts unter ven Qutheranern eine ganze Reihe von „Sekten
entbedft haben. Dr. Eajp. Trande zählt im Jahre 1576 unter
1) David von Augsburg a. O. ©. 216.
10
Anderem auf): 1. Die Sekte der Ambsdorfianer, welche lehren,
dag die guten Werke ſchädlich find zur Seligkeit?). 2. Die Selte
der Adiaphoriſten, welche gewilfe Bräuche und Lehren für gleich“
gültig erflärt. 3. Die Selte der Illyrikaner. 4A Die Selte
der Majoriften. 5. Die Sekte der Dfiandriften. 6. Die
Sekte der Confeſſioniſten u. |. w.
Hingegen war e8 den rechtgläubigen Qutheranern ihrerjeits ge-
lungen, unter ihren Tatholifchen und pietiftiichen Gegnern noch viel
zahlreichere „Sekten“ zu entveden. Ja, nachdem einzelne ſchrift⸗
gelehrte Männer es fertig gebracht Hatten, in Spenerd Theologie
164 Härefien zu entdeden, fanden ſich alsbald Nachfolger, welche
behaupteten, daß bie Spenerfche partei unter fi in 164 Selten
zerfalle.
Ein Mitglied der Gefellfchaft Jeſu, Jacob Gretſer (geb. 1560),
bat den Tractat des Pfeudo-Neiner zufammen mit mehreren an-
deren Streitjchriften gegen die „Keter” um das Jahr 1600 von
Neuem abbruden laſſen. Gretjer war in feiner Zeit jo berühmt
als Vorkämpfer der rechtgläubigen Kirche, dag man ihn „Ketzer⸗
hammer” zu nennen pflegte, und fein Urtheil in biefen Dingen ver-
dient baber beſondere Beachtung.
Da iſt nun merkwürdig, daß er den Abbrud der erwähnten
Schrift mit der Randbemerkung verfehen bat: „Hier fieht man ein
wahres Bild der Häretifer unferer Zeit, befonders der Ana—
baptiften” 3).
Man bat e8 bisher zu wenig beachtet, daß fowohl die Männer,
welhe vom 12. Jahrhundert ab in ven Schriften ihrer Gegner
1) Dr. Caſp. Frande Catalogus Haereticorum. Ingolftabt 1576 fol. 26.
2) Daß Amsborf in der That eine derartige Auffaffung gelegentlich wertbei-
digt bat, fteht feſt. Dr. Bernd. Pünjer fagt: „Die lutheriſche Orthodorie fteigert
diefen Grundſatz (dev Rechtfertigung allein aus dem Glauben) bis zu der ver⸗
einzelten Behauptung, gute Werte feien ſchädlich zur Seligfeit, und
entleert den Glauben immer mehr zur bloßen Annahme des Tircjlichen Lehrbe-
griffs“. Geſch. der chriſtl. Rel,-Philofophie. 1880. I, 143,
3) Die Worte Iauten: „Vera effigies haereticorum nostrae aetalis, prae-
sertim Anabaptistarum“. Reineri Ord, Praed. contra Wald, haereticos liber
nunc primum integre ex manuscripto codice editus per Jac. Gretser Societ.
Jesu. Max. bibliotheca patrum. Lugduni 1677. Vol. XXV p. 273,
11
„Waldenſer“ heißen, als auch diejenige Partei, welche im 16. Jahr⸗
hundert unter dem entſchiedenſten Proteſt ihrer Angehörigen ben
Schelt- und Spottnamen „Wiedertäufer‘ erhalten hat, fich ſelbſt
in der Regel einfach „Brüder“ (societas fratrum) zu nennen
pflegten.
Diefe Bezeichnung ift im Volke für die „Täufer ebenfo wie
für die Waldenfer üblich geblieben und der Name „Schweizer Brü-
der” ift im 16. Jahrhundert befannt genug.
Wo der gemeine Dann einen anderen Namen für fe brauchte,
ba wird felten ‘ober nie von „Wiebertäufern‘ gerebet, fonbern es
begegnen uns diefelben Seltennamen, welche im 12., 13. und
14. Jahrhundert im Volksmund für die Waldenfer üblich waren.
Die älteften und befannteften Schriftftelfer, welche wir aus der
Neformationgzeit über das Täuferthum befigen, beftätigen es, daß
die Täufer von vielen Zeitgenoffen „Apoftolifche Brüder” genannt
worben feien. Dies berichten Bullinger, Wigand, Cloppenburg u. 4.1).
Der Seltenname „Sabbatarii‘‘ ferner, für welchen den &e-
lehrten des 16. Jahrhunderts jedes Verſtändniß abhanden gelom-
men war, Tehrt mit der Maßgabe wieder, daß es angeblich eine
Traction unter den Täufern gegeben babe, welche nach ihrer Sab⸗
batbfeier fich alfo genannt hätte?).
Der Name „Clancularii‘, welcher nah Meshonius und Ottius
diejenige „Sekte der Täufer bezeichnet, bie in „Gärten‘’3) ober
abgelegenen Winkeln zufammen zu fommen pflegt, ift natürlich nichts
anderes als die Ueberfegung der uralten Bezeichnung „Winkeler“,
und wenn berfelde Ottius jagt, daß die „Srubenheimer-Sefte‘ von
Anderen auch „Geißler“ genannt werde, fo leuchtet ein, daß Das
Volk einen gewiffen Zufammenhang der Täufer mit den Geiplern
zu finden glaubte,
Schon im 12. Jahrhundert ergiebt ſich aus Eberhard von
Bethunes Relation, daß der Name „Magistri barbati“ als Be—⸗
1) Die einzelnen Stellen aus diefen Schriftftellern hat Ottius in ben
Annales Anab. 1672 Praef. Bl. d. 2b gefammelt.
2) Ottins a. O. Praef. Bl. d. 4b,
3) Zu Augsburg bießen, wie gleichzeitige Ouellen fagen, um 1530 bie
„Wiedertäufer“ „Gartenbrüder“; das eine ift der gelehrte, das andere der Volks⸗
ausdrud.
12
zeichnung für die Prediger-Brüder der Waldenfer im Volke üblich
gewefen ift!). Der Ausprud „Bartmänner” aber — berfelbe
ift aus der Bezeichnung des Gegenfates zur den bartlofen Geift-
lichen ver Tatholifchen Kirche entftanden — warb nicht bloß im
16. Jahrhundert, jondern fogar bis auf unfere Zeit in manchen
Gegenden Deutfchlands auf Diejenigen Perſonen angewendet, welche
anderwärts Mennoniten genannt zu werben pflegen.
Wenn man diefe Umftände ins Auge faßt und dazu erwägt,
daß nachweislich der Name „Anabaptiften” in den Kreiſen der ge⸗
lehrten Theologen des 16. Jahrhunderts erfunden worben ift, fo
kann man ſich der Vermuthung nicht erwehren, daß es fich bei
diefer Bezeichnung nur um einen neuen Selten-Namen für
eine alte Partei handelt, die in ihrer langen Gefchichte deren un«
zäblige beſeſſen und verloren bat.
Daß eine ſolche Vermuthung wirklich zutrifft, dafür wird ber
vollgültige Beweis in den nachfolgenden Erörterungen erbracht werben.
Ehe wir in dieſe Beweisführung eintreten, müſſen folgende
Punkte kurz berührt werben.
Es giebt faum ein Gebiet der politifchen oder kirchlichen Ge⸗
ſchichte der chrijtlichen Zeit, welches fo verwirrt und entftellt ift wie
bie Gefchichte der „Ketzer“.
Die Quellen, welche uns zu Gebote ftehen, find nicht bloß
verbältnifmäßig ſpärlich, fondern, was weit jchlimmer ift, fie find
im böchiten Grabe unzuverläffig und entfteltt.
Die Berichte der Älteren Theologen müſſen bis in das 17.
und 18. Jahrhundert hinein befonders deßhalb mit der größten
Borficht verwendet werben, weil ihre Verfaffer faft regelmäßig die
Meberzeugung begen, daß „ketzeriſche Irrlehren“ aus natürlicher
Bosheit und Schlechtigfeit herſtammen. „Ketzer müſſen Schlecht
fein und wenn man nur genau zufieht, jo wird man ihre Schlech-
tigkeit Schon entdecken“ — das ift der ausgefprochene Grundſatz ber
ganzen älteren Keterliteratur, foweit fie aus römifcher ober recht.
gläubig Iutherifcher Feder der älteren Zeit hervorgegangen it.
1) Max. bibl. Patrum Vol. XXFV p. 1964.
13
Es ift ganz natürlich, daß derjenige, der überall Bosheit finden
will, auch die harmloſeſten Perſonen in feiner Vorftellung leicht
zu Verbrechern ftempelt.
Auf den Belenntniffen der „Ketzer“ felbft baut ſich gewöhn⸗
lich die ältere Hiftoriographie der Sekten auf. In der That ent-
halten die Belenntniffe, wie fie uns vielfach noch heute in den
Alten vorliegen, bisweilen die ungeheuerlichften Dinge; die An-
geflagten geben genaue Auskunft über ihren Verkehr mit dem
Teufel, über ihre moralifche Schlechtigfeit, ihre Verachtung alles
Heiligen u. f. w. |
Aber wie find diefe „Bekenntniſſe“ in der Regel zu Stande
gelommen? Es läßt fich darthun, daß vielfach die betr. Protocolle
ſchon vor der Vernehmung des Angefchuldigten nach den Ausfagen
ber Denuncianten aufgefeßt worden find. Trat der Angeklagte nun
vor das Tribunal, jo wurden ihm die Punkte der Denunciation
vorgelefen und er befragt, ob er fich derſelben fchuldig wilfe. Wenn
ber Delinquent, wie e8 gewöhnlich geſchah, Teugnete, jo warb bie
Folter angewendet und mit diefer Procedur dem unglücdlichen
Dpfer fo lange zugefett, bis er alles befannte, was die Richter in
ihn binein fragten. Sobald das beftätigende „Ja“ erlangt war,
jo hatte man die Grundlage für die Erecution gewonnen ').
Natürlich gab e8 auch gewiſſenhafte Inquifitoren. Aber jelbft
da, wo die Protocolle nicht auf die vorftehende Weiſe entftanden
find, ward, nach der Sitte und den Rechtsgrundſätzen der Zeit, Die
Tolter als nothwendiges Mittel zur Erforfchung der Wahrheit bes
trachtet. Wo dieſe aber zur Anwendung gelommen tft, va darf von
vornberein allen benjenigen Ausfagen, welche die Gefangenen zu
ihrem Nachtheil machen, die Glaubwürdigkeit abgeftritten werben.
Es ijt eine längſt anerfannte Thatfache, daß viele von dieſen
„Bekenntniſſen“ als abfichtlich oder unabſichtlich gefälichte Dofu-
mente angejehen werden müflen 2).
1) Höchſt inſtruktiv ift in dieſer Richtung das ganz ähnliche Prozekverfahren,
welches gegen die „Heren‘ zur Anwendung gelommen if. Das Nähere darüber
vgl. bei Dr. 5. Leitſchuh Beiträge zur Gefchichte des Hexenweſens in Franken.
Bamberg 1883, |
2) Beifpiele bei Hahn Gef. der Keber II, 414f.
14
Hierzu kommt, daß, wie e8 feinen Heftigeren Haß giebt als
Religionshaß, hier die Leivenfchaften Leider die Wahrheit mehr als
irgendwo fonft getrübt haben.
Man fühlte gleihfam das Bedürfniß, die entfeglichen Grau⸗
ſamkeiten, die an den „Ketzern“ verübt worden find, vor ſich und
vor der Nachwelt dadurch zu entichuldigen, daß man diefe Leute
als ganz verworfene Subjefte hinſtellte.
Nachdem mit Hülfe äußerer Gewalt der Sieg der einen Partei
entichieden war, wurde mit derfelben Energie, mit welcher man gegen
die Perfonen vorging, auch der Kampf gegen die Literatur des unter-
legenen Theils eröffnet. So Tommt es, daß wir aus den wichtigften
Perioden des Waldenſerthums fat ausfchlieglich auf die Berichte
ihrer Gegner angewiefen find.
Um fih eine Vorftellung davon zu bilden, wie gegenwärtig bie
Gefchichte der „Ketzer“ ausfieht, braucht man fich nur zu vergegen-
wärtigen, wie die Gefchichte des Proteftantismus ausfehen würde,
wenn e8 etwa Karl V. im Jahre 1547 gelungen wäre, ihn gänzlich
nieberzumerfen und bie Literatur deſſelben zu unterbrüden. Welche
Schilderungen über die Evangelifchen im 16. Jahrh. im Schwange
waren, berichtet und gelegentlich Wolfgang Capito, indem er fagt:
„Wie viel feltfame Lügen baben fie auf uns erbichtet. Dem legen
fie zu, er jet bei den Knechten H....» Weibel gewefen, dem anderen,
er fet bei ver Magd im Chebruch begriffen worden, dem britten,
daß er geftohlen habe. Jetzt bringen fie das Gerücht auf, dag wir
alle Obrigkeit begehren umzuftürzen” u.f.w.
Wenn die Schriften, in welchen derartige Beichimpfungen ftan«
den, die einzigen Quellen über die Reformation wären, würde es
ſchwer fein, über fie hinweg zur Wahrheit hindurch zu dringen.
Die Härefiologen der herrſchenden Kirchen haben in ihre Be-
richte bisweilen Aeußerungen ihrer Gegner verwebt, die zum Theil
wohl in der That den Kreifen ver „Ketzer“ felbft entjtammen, und
man könnte glauben, wenigſtens hierin feten Boden zu befiken.
Aber die näheren Nachforfchungen zeigen, daß die Aeußerungen in
der Regel foldden Schriften oder Schriftitellern entnommen find,
welche als Repräfentanten der Gefammtpartei weder zu
ihrer Zeit galten noch jemals gelten wollten.
15
Es verjteht ſich von jelbft, daß e8 unter den „Ketzern“ wie
unter jeber anderen Richtung fonderbare Schwärmter gegeben bat,
ja, man kann ruhig einräumen, daß e8 viele unter ihnen gab. Die
furchtbaren Verfolgungen, die Heimlichkeit, in welcher die Bewegung
gehalten werden mußte, haben jede freie Entfaltung der Ideen ge-
bemmt und manchen gefunden Kern verkümmert. Der unparteiiſche
Sefchichtichreiber, welcher bei Beobachtung der Rauchwolfen, die von
Zeit zu Zeit hier aufiteigen, nach den Urfachen forfcht und bie
Schuldfrage abwägt, wird nicht umbin Tönnen, zu jagen, daß die-
jenigen, welche das Teuer in Brand geſetzt haben, fein echt ber
figen, nachher auf die Trümmerbaufen zu weifen und zu fagen:
„Seht, das find die Früchte, welche die “Tegerifche Schlechtigkeit”
zeitigt“.
Es iſt wahr, daß einzelne durchaus verkehrte Auffaſſungen
unter den Ketzern zeitweilig viele Anhänger gefunden haben. In
den unteren Volksſchichten und in der Enge der Verhältniſſe, in
welche dieſe Bewegung gedrängt ward, fand manche Lehre, die ur⸗
ſprünglich einen wohlbegründeten Sinn hatte, eine durchaus miß⸗
verſtandene Auslegung.
Wenn man aber die Frage aufwirft, ob die Doctrinen der herr⸗
ſchenden Kirchen keine Mißverſtändniſſe herbeigeführt haben, ſo wird
ſich für jeden unbefangenen Beobachter die Thatſache ergeben, daß
ſchwere Irrthümer ſich an die wichtigſten Sätze aller Confeſſionen
zeitweilig angeſchloſſen haben.
Ja, man kann noch weiter gehen. Es läßt ſich darthun, daß
ſolche Lehren, wie diejenige von der Hinrichtung um des Glaubens
willen, welche von den höchſten Autoritäten der herrſchenden Con⸗
feſſionen officiell gebilligt worden ſind, niemals bei den „Ketzern“
Vertreter gefunden haben.
Für die augenfälligſten Verirrungen der Sektirer aber können
als Repräſentanten ſtets nur ſolche Männer namhaft gemacht wer⸗
den, die ein allgemeines Anſehen unter jenen nicht genoſſen
haben.
Man hat denjenigen Richtungen, welche im 16. Jahrhundert
im nachweislichen Anſchluß an die älteren antirömiſchen Parteien
erwachſen find, vielfach, zumal in ber proteftantifchen Literatur, es
. 16
geradezu zum Vorwurfe gemacht, daß fie ihre Wurzel in fogenannten
„mittelalterlichen”, ſoll heißen überwundenen Bildungen beſitzen.
Als ob nicht jede der heute herrſchenden Kirchen einen großen Theil
ihrer Eigenart ebendaher ableiten müßte! Einer der beſten Kenner
der neueren Kirchengeſchichte, Albrecht Ritſchl, ſagt mit vollem Recht
wörtlich: „In der lutheriſchen Kirche ſind wirklich manche Elemente
mittelalterlicher Herkunft reproducirt worden, welche in den
anderen Kirchen weggefallen find‘ N).
ALS wirkfamfter Beweisgrund gegen bie „Ketzer“ gilt in den
Augen der Menge die Thatfache, daß der Erfolg mehr auf der
Seite ihrer Gegner gewejen tft. Aber diefe Erwägung ift in ber
That nur ein Argument für die Mafjfen. Denn wenn man bie
Wahrheit eines Bekenntniſſes nach der Zahl der Vertreter beurtheilen
will, fo ijt e8 fein Zweifel, daß z. B. der Bubbhismus einen un⸗
gleich größeren Wahrheitsgehalt befitt als das Chriftenthum.
Das Wahre, was in biefem Argument Yiegt, bezieht fich nicht
ſowohl auf Die Kopfzahl als auf die innere Stärke und die Dauer
einer Bewegung. Und in diefer Richtung Tönnen die „Ketzer“ ven
Vergleich mit jeder anderen Confefjion aushalten.
Einer der wenigen neueren Gelehrten, welche ſich von allge
meineren Gefichtspunften aus eingehender mit der Gejchichte dieſer
Partei beichäftigt haben, Hermann Weingarten, vinbicirt ihr mit
Recht eine „weltgefhichtlihe Bedeutung‘) und Albrecht
Ritſchl fagt, daß das fiegreiche Fortfchreiten derſelben nur Durch die
„Gewalt der Obrigkeit‘ verhindert worden fei.
Außerdem aber giebt es Teine einzige chriftliche Confeſſion oder
Kirche, welche eine fo große Zahl von Märtyrern aufzumeiien
hätte, als dieſe „Ketzer“. Es wird dadurch beiwiefen, daß ihre Ideen
unter ihren Anhängern eine Opferwilfigkeit, eine Ausdauer und einen
Heldenmuth wach gerufen haben, ber in der Kirchengefchichte ohne
Beiſpiel daſteht. Wenn irgendiwo, fo hat unter dieſen „Nachfolgern
Ehrijtt das Chriftentbum wahre Wunder gewirkt und feine gött-
liche Miffion bewieſen. |
1) Geſchichte des Pietismus I, S. 81.
2 Weingarten Die englifcden Revolutionskirchen 1867.
17
Der Urfprung der „Brüder“ Tiegt einftweilen im Dunklen. Es
ift dev Wiſſenſchaft noch nicht gelungen ihn vollftändig aufzubellen.
Man hat, zumal von Seiten der Gegner, gejagt, daß ein ge
wiffer Waldus, welcher um das Jahr 1170 lebte, der Urheber ber
„Sekte“ fei, und es ſteht allerdings feft, daß ein Mann diefes Na-
mens zu der angegebenen Zeit bei ven franzöfifchen „Brüdern“
großes Anſehen genojjen und großen Einfluß ausgeübt bat.
Indeſſen ift e8 doch merkwürdig, dag im Jahr 1218 die itali»
ſchen „Armen‘, welche auf der Synode von Bergamo!) in engfter
Berbindung mit den franzöfifchen „Brüdern“ erfcheinen und (abge
jeben von Iofalen Abweichungen in der Lehre) einen übereinftimmen-
den Glauben befennen, nachweislich eine von Waldus unabhängige
Vorgeſchichte haben.
Es kann fein Zweifel fein, daß die letztere Partei iventifch ift
mit derjenigen, welche im 12, Jahrhundert als „Arnoldiſten“ in der
Lombardei wie im übrigen Stalten eine große Rolle fpielt?). Wie in
Frankreich Waldus als „Sektenſtifter“ bezeichnet ward, fo in Ita⸗
lien Arnold von Brescia (F 1155). Wer nun der wahre Stifter
der ganzen Partei geweſen ift, das iſt noch keineswegs aufgeklärt.
Es ift ja begreiflich, daß Die Gegner diejer „Chriſten“ ein In⸗
terejje daran haben, das Alter derjelben berabzufegen, aber es ver-
dient Doch Beachtung, daß die citirte Abhandlung des Pſeudo⸗Reiner
um das Jahr 1250 die „Sekte“ deßhalb fo gefährlich nennt, weil fie
von längerer Dauer gemwejen als die übrigen. Wenn der Verfafjer
den Arnold von Brescia oder Waldus als die Stifter anfab, fo
hätte er unmöglich in diefem Sinne reden können.
So Iange daher pofitive Beweife dafür fehlen, daß die Partei
vor Arnold oder Waldus nicht beftanden bat, wird der Zrabition
der „Brüder“ ſelbſt Beachtung gefchenft werden müſſen. Dieſe aber
fagt ganz ausprüdlich, daß fie in Waldus ihren erften Stifter nicht
anerkennt), Vielmehr behauptet die Ueberlieferung, daß die Partei
bis in die erſten chriftlichen Jahrhunderte Hinaufreiche,
1) Näheres darüber bei Preger in den Abhandlgg. ber III. &. d. K. B. U.
d. W. 1877 ©, 184 u. 234.
2) Preger a. O. ©. 209.
3) Man vergleiche u. A. die Behauptung der fogenannten „Waldenſer“,
Keller, Die Reformation. 2
18
Zn der Zeit des Papftes Sylveſter und des Kaiſers Genftan-
tin (etwa 305 nach Chr.) babe die Kirche angefangen in Wider-
fpruch mit der Lehre Chriſti und dem Beifpiel der Apoftel mit welt-
licher Herrſchaft fich zu umgeben und ein troifches Neich zu gründen;
der Papft und die Bifchöfe feien Fürften geworben, hätten über
Land und Leute geherrſcht und das Schwert gebraucht nicht allein
in weltlichen, fondern auch in Glaubendfachen. Das fei aber den
Defehlen Chriſti, die er feinen Nachfolgern gegeben, zuwider, und
deßhalb Habe fich der Theil der Gläubigen, der an der urjprüng-
lichen Einrichtung feitgehalten, von diefem weltförmigen Clerus ge-
trennt. Dann babe man das Schwert gegen fie gelehrt und jo
feien fie geflüchtet bi8 in die fernen Gebirge und Thäler, wo in
ipäteren Zeiten die Nefte der alten Gemeinden lebten.
Dabei verbient e8 Beachtung, daß die Zeit, in welcher die Kirche
eine weltförmige Geftalt gewann und die Päpfte Herrfcher wurden,
Yange Jahrhunderte Hinburch felbft bei folcden Männern, die inner-
halb der Kirche blieben, als die Entjtehungszeit der Schäden galt,
an welchen fie fpäterhin fo oft gefranft bat. Selbft Bernhard von
Clairvaur, der Edelſten einer, welchen die Gefchichte der alten Kirche
kennt, fchrteb einft an Papft Eugen, nachdem er den weltlichen Pomp,
mit dem fich der Bapft umgab, getadelt hat, wörtlich: „In biejen
Dingen bift du fein Nachfolger des 5. Petrus, fonbern des Kaifers
Conſtantin“). Auch Dante erkannte in diefem Punkt den Krebs⸗
ſchaden der Kirche.
Eine Meberlieferung, welche aus einer waldenfiichen Weber-
familie Südfrankreichs herrührt, und die bi8 in das 13. Jahrhundert
bag Beter von Bruis in der erften Hälfte des 12. Jahrhunderts einer der
ihrigen geweſen fei. Diedhoff Die Waldenfer 1851 ©. 166. — Aus den Pro-
tocollen der Ingnifition von Touloufe (1307—1323) erhellt ganz unzweibentig,
daß der Name „Malbenfer von der Partei Damals noch confequent abgewieſen
worben ift; fie nannte fich ſelbſt einfach „Brüder. Es heißt 3.3. dort (ſ. Lim-
borch Lib. Ing. Tolos. Amst. 1692 ©. 365) von einigen „Brübern‘: „nec aude-
bant ire palam, quia erant de illis, quiin Burgundia vocantur Valden-
ses“ etc. — Ferner ib. ©. 366: „Vocabant seilli, qui erant de illa so-
cietate, fratres.“ — ferner ib. ©. 367: „Gentes persequebantur eos (fratres)
et vocabant eos Valdenses et reputabant eos haereticos“.
1) De consideratione ad Eugenium papam Lib. IV c. 6. Siernad Herzog
Die rom. Waldenfer 1853 ©. 204.
19
binaufzeicht, fagt über den Urfprung der Brüdergemeinden Folgen-
des: „Die Waldenjer gehören zu ber Zahl jener Schüler, welche
herſtammen von den Schülern und Apofteln Ehrifti, von venfelben
Apofteln, auf welche Ehriftus feine Vollmacht übertrug, zu binden
und zu löfen; und dieſe Schüler (Waldenſer) befigen jene Vol.
macht, wie fie Chriftus dem h. Petrus und Anderen nach ihm ge-
geben bat. Die Eapläne und die Mönche erkennen wohl den Sinn
der 6. Schrift und des göttlichen Gefetes, aber fie wollen nicht, daß
er dem Volke veutlih werde, um ihre Herrſchaft über das Volt
beffer zu begrünben; denn wenn fie Har und unverhüllt das Geſetz
Gottes, wie es Chriftus offenbart hat, Iehrten, fo würden fie nicht
wie jet die Mittel haben, die fie brauchen‘).
Wenn man erwägt, daß es eine Frau ift — Jaqueta textrix
de cumba Rotgier wird fie genannt — welche dieſe Ueberlieferung
uns mittheilt, jo wird jeder Verdacht einer gelehrten Erfindung
ichwinden und angefichts der Thatfache, daß Diefelbe Lleberlieferung
überall in den verfchiedenen europäiſchen Ländern wieberfehrt, wo
Waldenſer fich finden, wird man eine uralte Wurzel derſelben nicht
verfennen können.
Es ift Yängft auch von der neueren Forſchung anerkannt, daß
im 12. Jahrhundert das Waldenſerthum „nicht derart als etwas
Neues auftritt, daß es nicht auf vworbereitende Vorentwicklungen
zurüchwiefe” 2), und daß dieſe Vorentwidlungen nicht in der Ge-
Schichte der römischen Kirche, ſondern in „Häretifchen Entwicklungen“
ihre vornehmſten Repräſentanten haben?)
Wenn man num einerfeits erwägt, daß die hiſtoriſchen Quellen
1) Limbord Liber Inquisitionis Tolosanae. Amsterd. 1692 S. 377: „Item,
quod ipsi Valdenses erant de illis discipulis, qui descenderunt a discipulis et
apostolis Christi, quibus dedit potestatem suam ligandi et solvendi et quod
ipsi habebant illam potestatem, quam Christus dedit beato Petro et aliis post
eum. Item quod capellani et religiosi licet intelligant scripturas et legem
dei, nolunt revelare clare populo, ut ex hoc melius dominentur in populo,
quia si dicerent manifeste et discooperte legem Dei sicut Christus manifestavit
eam non haberent ita necessaria sua“. Das Belenntmiß rührt aus 1311 ber;
aber die Angeflagte gehörte feit alter Zeit der Partei an.
2) Diedhoff a. ©. ©. 211.
3) Einigen Aufſchluß über dieſe Entwiclungen findet man bei Neander
Der 5. Bernhard ©. 133 ff. u. ©. 387 ff.
2*
20
über bie befiegten Parteien in jenen dunklen erften Sahrhunderten
des Chriſtenthums naturgemäß ſehr Tpärlich fließen,. und anderer
ſeits ins Auge faßt, wie zäh münbliche Ueberlieferungen fich nach-
weislich Jahrhunderte lang in diefer Partei fortgepflanzt haben, fo
iſt es nicht erlaubt, die erwähnte Tradition, Die noch nicht hat wider-
legt werben können, einfach zu verwerfen.
Immerhin ift in der Erzählung von Betrug Waldus, wie oben
bemerkt, ſoviel jedenfalls richtig, daß er es gewefen ift, unter deſſen
Leitung die Partei einen befonderen Auffhwung genommen bat.
Seine Verdienſte erflären e8, daß die ganze Richtung fpäterhin nach
feinem Namen benannt zu werben pflegte !).
Ueber feine Perfönlichkeit und feine befonderen Ideen find nicht
viele Quellen vorhanden. Immerhin aber fließen fie reichlich genug,
um ung ein Urtheil über ihn zu ermöglichen und einer der beiten
Kenner faßt daſſelbe dahin zufammen, daß wir in Waldus ben
Bertreter einer „unabbängigen und felbftändigen Geiſtes—
richtung“ zu erkennen haben. „An einem folden Dann kann
nicht der Stifter eines neuen Mönchsordens ſtecken, ſelbſt wenn
er in anderer Beziehung noch fo ſehr mönchiſch ausſehen und fich
benehmen würde‘ 2).
Wenn es bierfür des Beweiſes bebürfte, fo läge derſelbe in
1) Die Geſchichte der Waldenfer hat bis jett Teineswegs die Beachtung ge=
funden, welche fie verdient. Die vornehmften Werke find: Hahn Gedichte der
Ketzer B. II 1847; ferner die Werte von Diedhoff (1851) und von Herzog
(1853). Beſondere Beachtung verdient v. Zezſchwitz Die Katechismen der Wal-
denſer und Böhm. Brüder. Erlangen 1863. — Bgl, ferner Preger in den Ab⸗
handlungen der II. EI. der Kal. Bair. Al. d. Wiff. zu München 1877 ©. 241 ff.;
Preger a. a. DO. 1878 Abth. 2 S. 181. — Comba Valdo ed i Valdesi
avanti la riforma. Firenze 1880. — 3. Tron Pierre Valdo et les pauvres de
Lyon. Pignerol. 1879. — Sie eriftiren unter diefem Namen befanntlich noch
heute. Seitdem fie im Jahre 1848 durch Patent König Alberts vom 17. Febr. ej. a.
gleiche Rechte mit den Katholifen erlanzt haben, befinden fie fih in Italien in
ftetigem Fortſchreiten.
2) Herzog a... DO. ©. 119. — Herzog fommt wiederholt (S. 152) auf Die
Frage zurüd, ob man es hier mit möndifchen Beitrebungen zu tbun babe
ober nicht, und er lehnt eine foldhe Behauptung aus den verfhiedenften Gründen
durchaus ab. Ihre Principien, fagt er, heben die Waldenſer über bie Stufe des
katholiſchen Mönchthums hinaus. Zu demfelben Refultat it Diedhoff in feinen
forgfältigen Unterfuchungen gelangt.
21
der Thatfache, daß e8 der römiſchen Kirche, (die bis dahin faft alle
Ströme eigenartigen religiöfen Reben® in der Form von Mönchsorden
fich angegliebert Hatte), troß der ungeheuren Machtmittel, über welche
fie in jenen Sahrhunderten verfügte, nicht gelungen ift, die Selbft-
ftändigfeit dieſer Religionspartei zu untergraben.
Mit vollem Recht jagt Wild. Diedhoff, daß das reine Walben-
ſerthum fich ftetS ebenfo von mönchifcher Myſtik wie von freigeiftiger
Schwärmerei fern gehalten bat!).
„Freiheit“ und „Evangelium“ — war die Lofung, welche
ebenſo wie in Arnold von Breſcia auch in Petrus Waldus ihre Ver⸗
körperung fand. Das Evangelium war die Baſis, auf welcher dieſe
Männer die Freiheit aufbauen wollten, die Freiheit von Menſchen⸗
ſatzungen ſowohl in der Kirche wie im politiſchen Leben, die Freiheit
des Glaubens und des Denkens, die nur gebunden iſt durch die
ewigen Geſetze, welche Chriſtus denjenigen hinterlaſſen hat, die ſeine
rechten Nachfolger ſein wollen.
Es iſt wahr, daß die Idee der „Nachfolge Chriſti“ kein
Merkmal iſt, welches dieſer Richtung ausſchließlich eigen wäre. Man
weiß, daß der große Reformator Franz von Aſſiſi, welchen ein
bekannter evangeliſcher Theologe „den liebevollſten und liebenswür⸗
digſten aller Mönche“ nennt, gerade dieſe Idee beſonders betont
bat, und daß es ihm völliger Ernſt war mit der Abſicht, das apo⸗
jtolifche Leben nach dem Befehle Chrifti zu verwirklichen. Franz
von Aſſiſis Ideal war, die Welt in einen ſchönen Garten zu ver-
wandeln, ver befiedelt wäre mit gottinnigen, Chriftus nachahmenden,
bevürfnißlofen Menjchen.
Es ließe fich vielleicht der Beweis erbringen, dag ein innerer
Zuſammenhang dieſes Ideals mit den Anfchauungen der Waldenfer
infofern wirklich vorhanden ift, al8 jenes aus den Anregungen ber
Letzteren erwachien ift.
Aber was folgt weiter daraus? Mag das Ziel, das wahrlich
ein edles iſt, bei beiden ein ähnliches geweſen ſein, ſo ſind doch die
Mittel, mit welchen beide große Strömungen daſſelbe zu erreichen
ſtreben, grundverſchieden. Aſſiſi kennt zwar die geiſtliche Armuth,
—
1) Dieckhoff a. ©. ©. 171f.
22
aber nicht die Freiheit, zwar die Nachfolge Chriſti, aber nicht
das Evangelium, wie die Brüder e8 faßten.
Man weiß, daß Affıfi in der „Armuth” und ver Weltentfagung
gemäß den Grundſätzen des Mönchthums und der römifchen Kirche
das Lebensideal für alle Chriſten erblickte, welche Die höchite Stufe
ber Lebensheiligfeit erreichen wollten.
Dagegen werden die nachfolgenden Unterfuchungen den Beweis
erbringen, dag Waldus und die „Brüder“ ihre Lebensaufgabe in
werkthätiger Pflichterfüllung innerhalb der chriftlichen Gemeinden
und in der Ausübung opferfähiger Nächitenliebe erblickten. Sie haben
die Aufgabe perfönlicden Befites und Reichthums niemals zum
Lebensideale aller Menfchen gemacht und die Höfterliche Abſonderung
war ihnen durchaus unſympathiſch. Aber von den Predigern und
Berkündern der Lehre Ehrifti verlangten fie gemäß den Befehlen
Chrifti (Matth. 10) allerdings, daß fie nicht den Laien den Himmel
verfprechen, ſich felbft aber in den Beſitz der Erde theilen follten.
Der Unterſchied diefer Auffaffung von dem francistanifchen
Lebensideal wird weiter unten in noch größerer Schärfe hervortreten.
Es hängt mit des Waldus Thätigleit unzweifelhaft zuſammen,
daß die Partei gerade in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts
weit und breit Auffehen erregte!) und daß fie alsbald in faft allen
weſteuropäiſchen Ländern in erheblicher Stärke nachweisbar ift.
Um das Yahr 1170 wurde den Waldenfern vom Erzbifchof
von Lyon das Predigen verboten.
1) Es find bis jet Über die erfie Epoche ver Walvenfer (bis 1215) vor⸗
nehmlich folgende Quellen befannt: 1) Bulle Papft Lucius III v. 1184, abge-
drudt bei D’Argentr& Coll. jud. I, 71. — 2) Das Edikt des Königs Alphons v.
Aragonien vom Jahre 1194 bei Argentre a. O. ©. 83. — 3) Das Urtheil des
4. Lateranconcils Cap. 3. — 4) Einige Briefe des Papſtes Innocenz IL. —
5) Die Schrift des Alanus de Insulis (Lille) gegen Die Häretifer von c. 1200 (ed.
Viſch Antw. 1654 ©, 119 ff). — 6) Das Werl des Bernd. v. Fontcaude
gegen die Walbenfer aus c. 1190 (Max. bibl. Patrum Bd. XXIV ©. 1585 ff). —
7) „Liber Antihaeresis* des Eberhard v. Bethune (ib. ©. 1525). — 8) Berichte
bes Walther Mapes (vgl. Usser. de Christ. Eccl. succ. Lond. 1682, ab-
gebrudt bei Hahn a. O. ©. 257) — 9) Petr, von Baur-Cernay Geh. d.
Aldigenfer (bei Argentre a. O. ©. 73). — 10) Die Ursbergifche Chronik (Monu-
menta Germ. hist. SS XXIII p. 376).
23
Noch vor Schluß des Jahrhunderts giebt es bereits in Metz
eine jehr ſtarke Waldenſergemeinde, welche den Fatholifchen Geift-
lichen viel zu jchaffen macht. Bei ihr find Bibelüberfegungen in
Gebrauch '),
Um das Jahr 1177, fo Heißt es in einer alten Chronik, „find
etlihe Schüler des Petrus Waldenfis von Lyon nach Deutichland
tommen, haben um Frankfurt und an anderen Orten, nachmals
auch zu Nürnberg zu predigen angefangen, weil aber ber Rath
zu Nürnberg gewarnt worden, daß er fie ergreifen und verbrennen
Yaffen möchte, find fie in Böhmen gewichen”), Es fcheint in
der That, als ob fie im 13. Jahrhundert bereits am Mittelrhein
und in Franken feiten Fuß gefaßt hätten.
Beiondere Beachtung verdient das Erfcheinen dieſer Keker in
Köln, welches bereitd um das Jahr 1150 nachweisbar ift. ALS
Eigenart derjelben führen die Inquifitoren an, daß fie unter Be⸗
rufung auf Marc. 16, 16 die Erwachſenen tauften Die
jenigen, deren man babhaft wurde, ftarben auf dem Scheiterhaufen.
„Nicht nur mit Geduld, fondern mit Begeifterung” — fo erzählt
ber Reßerrichter ſelbſt — „gingen fie in den Tod’ 3),
Schon. Joh. Laurentius v. Mosheim, einer der beten Kenner
des älteren Ketzerthums, bat im Jahre 1770 den Beweis erfolg.
reich angetreten, daß dieſe Kölnifchen Reber zu den „Armen von
Lyon“ zu zählen find — ein Umjtand, welcher von Neuem die
Richtigkeit der Behauptung zu erſchüttern geeignet ift, daß Die
1) Herzog Die romanifhen Waldenſer S.26. — Einzelheiten bei Kaltner
Konrad von Marburg 1882 ©. 37; vgl. bie dort angeführten Quellen.
2) Haupt, 9. Die religiöfen Sekten in Franken. Würzb. 1882 ©. 15 Ann 5.
3) Einzeleiten Bei Kaltner a. DO. ©. 38. Alle Kennzeichen, welche bie
erwähnte Nelation des Inquiſitors angiebt, ftimmen (wenn man bie üblichen
Zuthaten diefer gegnerifchen Duelle abziebt), fo volllommen mit den Merkmalen
der fogenannten „Waldenſer“ überein, daß unzweifelhaft diefe Partei darin zu
erfennen ift. Dahin gebört auch Die Taufe der Erwadfenen; ferner ver Um—
ftand, daß fie ftreng Über die Ehe dachten, daß fie den Gebräuchen (db. h. den
Sacramenten) der Kirche die heilsvermittelnde Kraft abiprachen, daß fie das Feg⸗
feuer Teugneten, einen Biſchof hatten u. |. w. Eine Spezialunterfudung hier⸗
über wäre fehr erwünfcht. Diefelbe müßte das Waldenferthum und die „Beghar⸗
ben” am ganzen Rhein um bdiefe Zeit in Betracht ziehen. Bol, Details bei
Mosheim De Beghardis Lips. 1790 ©. 198 u. 210.
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24
„Brüder“ erjt feit etwa 1170 aufgetreten feien!). “Die Köiner Ge-
meinde bat dann einige der berborragenditen geiftigen Vertreter
diefer Richtung groß gezogen oder doch beeinflußt, vor Allem einen
der bebeutenbften Ausleger der „Philoſophie Chrifti” — wie fpätere
Genoſſen der Waldenfer zu jagen pflegen — den Meifter Eckhart.
Wenig fpäter wurden in Spanien Maßregeln gegen die Wal-
denfer ergriffen. Im Sabre 1192 veröffentlichte König Alphons
von Aragonien einen Erlaß gegen fie und erwähnt darin ausdrück⸗
ih, daß er Hierbei nach dem Beiſpiel feiner Vorfahren handle?).
Alphons' Nachfolger wiederholte das Edikt im Jahre 1194.
| Auch Papit Lucius II. Hielt im Jahre 1184 die Sache für
jo wichtig, daß er ein Dekret gegen bie „Humiliati“ ober „bie
Armen von Lyon“ publicirte?).
Aus dem Jahre 1210 Haben wir ein Zeugniß, daß die Wal-
denfer ihre Lehren in ber Didcefe Turin ausbreiteten. In dieſem
Jahr nämlich erhielt Bifchof Jacob von Turin von Kaifer Otto IV.
ein Dekret, welches ihn ermächtigte, in feiner Diöcefe Waldenfer
und Andere, welche „das Unkraut der Lüge ausſäen“, zu verfolgen‘).
Im Jahre 1220 jekten der Graf Thomas von Savoyen und
die Obrigfeit der. Stadt Pignerol eine Geldbuße für diejenigen
fejt, welche wifjentlich einem Waldenfer Gaftfreundichaft gewähren
würben. Ä |
Im Iahre 1297 wurden Berfolgungen ver Waldenfer im Thal
Perofa angeftellt und im Sabre 1312 erfahren wir von der Ver-
brennung eines Waldenfers 5). |
Zu Beginn des 13. Jahrhunderts glaubte Leopold der Glor-
reihe von Deftreich ebenfalls gezwungen zu fein gegen fie einzu»
fohreiten. Um das Jahr 1240 ijt bereits eine felbftändige Organisation
der Brüder in Deftreich nachweisbar, denn e8 wird ein Biſchof
derſelben erwähnt, welcher in Einzinspach feinen Aufenthalt hatte).
Nah einer Stelle in dem oben citirten Tractat des ‘David von
1) Mos heim De Beghardis. Lips. 1790 p. 484.
2) Ein vollftändiger Abdrud des Erlaffes bei Hahn Gefchichte der Ketzer II, 703.
3) Jaffé Reg. Pontif. Rom. Berl. 1851 ©. 847 N. 9635 (Nov. 1184).
4) Das Dekret ſ. bei Comba Valdo etc. ©, 26 Anm. 6.
5) Herzog Die roman. Waldenfer S. 272f.
6) Preger a. O. ©. 222.
25
Augsburg Scheint Herzog Friedrich der Streitbare von Oeſtreich
jelöft einer ihrer Gönner geweſen zu fein), deren fte bort viele in
pornehmen Kreiſen befaßen. — In der Diöcefe Paſſau find be
reits um das Jahr 1260 zweiunbvierzig Gemeinden nachweisbar 2),
in welchen die Bartei Fuß gefaßt hatte. Im der Didcefe Regens-
burg tauchen fie im Sabre 1265 auf?).
Im Jahre 1257 bittet Ottolar von Böhmen den Papſt um
Snquifitoren zur Ausrottung der „Keter” in feinem Lande.
Jener Paſſauer Priejter, welcher bisher unter dem Namen des
Keiner Sacchoni befannt war und der um 1260 fchrieb, erzählt:
„In der Lombardei, ver Provence und anderwärts hatten bie
Häretiker mehr Schulen als die Theologen und auch mehr
Zubörer. Sie disputirten öffentlich und riefen das Volk zu feter-
lichen Verfammlungen auf den Markt over das freie Feld. Nie-
mand wagte, fie daran zu hindern wegen der Macht und der Menge
ihrer Gönner”), Biemont und bie Dauphine gehörten zu
ihren vornehmſten Sitzen.
In den Ländern des alten Aquitaniens, zwiſchen Garonne
und Pyrenäen zeigen ſich frühzeitig ihre Gemeinden; in Neapel
und ſelbſt in Sicilien ſcheinen ſich Spuren zu finden. Gleich⸗
zeitig tauchen ſie an der Küſte vor Kent in England auf, wo der
Erzbiſchof von Canterbury gegen ſie einſchreitet. Desgleichen ſind
fie in den Niederlanden zahlreich vertreten, beſonders in Flan⸗
dern und Brabant; in Nordfrankreich haben fie ihre vornehmiten
Site in der Picardie, und fo giebt es fast fein Land, welches von
ihnen frei geblieben wäre >).
Unter diefen Umſtänden begreift man die Tyatſache, daß die
meiſten größeren Concilien der römiſchen Kirche dieſen „Ketzern“
ihre beſondere Aufmerkſamkeit widmeten. So war es mit dem
Lateranconcil vom Jahre 12156) und mit dem Concil von Tarra⸗
cone von 1241.
1) Preger a. O. 1877 S. 226.
2) Das Verzeichniß giebt Preger a. O. (bei den Urkunden).
3) Haupt, Die relig. Sekten u. ſ. w. ©. 3.
4) Preger a. O. S. 226. 5) Vgl. Comba a. a. O. ©. 20f.
6) Das Jahr 1215 bezeichnet (wie Diechhoff a. DO. ©. 156 mit Recht bes
merkt) den Abichluß der erfien Epoche der Waldenſiſchen Gemeinfchaft. Diefe
26
Ueber ganz Italien ſcheint die Partei Verbreitung gefunden zu
haben und e8 verdient Beachtung, daß in Apulien und Calabrien
noch in fpäteren Zeiten Gemeinden beftanden, welche mit den „Brü⸗
dern” in Piemont und Frankreich gemeinfame Synoden abhielten !).
In Straßburg hatten die Dominikaner ſchon im Jahre 1212
500 Perfonen aufgefpürt, welche zur Waldenfergemeinde gehörten.
Es waren Leute aus allen Ständen, Adelige, Priefter, Reiche und
Arme, Männer und Frauen. Die Gefangenen fagten aus, e8 feien
ihrer Viele in der Schweiz, in Italien, Deutſchland, Böh—
men u. ſ. w. Achtzig Perfonen, darunter 12 Briefter und 23 Frauen,
wurden dem eier übergeben.
Ihr Vorfteher und Biſchof — Iohannes wird er genannt —
erklärte im Angeficht des Todes: „Wir find alle Sünder, aber nicht
um unferes Glaubens willen und nicht um der Lafter willen, die
man ohne Grund ung vorwirft; aber wir erwarten Verzeihung ber
Sünde, doch ohne Menfchenhülfe (d. b. ohne Vermittlung der Priefter)
und nit durch das Verdienft unferer Werte?)
Die Habe der Hingerichteten wurde confiscirt, Die eine Hälfte
erbielt die Kirche, die andere der Magiftrat der Stadt Straßburg,
welcher der Kirche den weltlichen Arm zur Verfügung geftellt Hatte?).
endete mit einer durch die Albigenferkriege beichleunigten Kataftrophe für bie
neue Partei. Es wird ihr dadurch eine ganz andere Wendung mit Gewalt
aufgedrängt als die erften Vertreter der Partei zu geben Willend gemwejen waren. —
Für die zweite Periode des Waldenſerthums, welche etwa bis zum Beginn bes
14. Jahrhunderts zu rechnen ift, kommen hauptfächlich folgende Quellen in Be—
trat: 1) Die ur bergiſche Chronil, — 2) Stephanus de Borbone De sep-
tem donis spiritus sancti c. 1250 (bei D’Argentre a. a. O.). — 3) Der mehr-
erwähnte Pfeudo-Reiner. — 4) Der citirte Zractat de8 Dapid von
Augsburg (Yvonetus). — 5) Eine Streitfchrift de8 Dominitanerd Moneta
aus Eremona. — 6) Doctrina de modo procedendi contra haereticos (Martene
et Durand Thes. Vol. V p. 1779... — 7) Phil. v. Limbord Liber senten-
tiarum inquisitionis Tolosanae in deſſen Historia inquisitionis. Amst. 1692,
1) Herzog Die roman. Waldenfer S. 274. Bincenz Ferrerius erzählt aus
dem Jahre 1403, daß in der Lombardei, Montferrat u. f. w. zweimal jährlich
MWaldenfer- Prediger aus Apulien zu prebigen pflegten. Dieſe Verbindung be=
ftand nach Herzog a. D. ©. 35f. noch im Jahre 1532.
2) Kaltner Konrad von Marburg 1882 ©, 44 nebft den bort angeführ-
ten Quellen.
3) Die Beftimmungen über die Confiscation waren fehr ftreng. Nach Kalt-
27
Jeder Berfuch, einen Ueberblid über die Ausbreitung der Reber
zu geben, ftößt bei dem gegenwärtigen Stand der Forfchungen auf
faft unüberfteigliche Hinderniffe.
Die abfichtliche Verftümmelung unferer Quellen, die Verwir⸗
rung, welche durch Die Verſchiedenheit der Sekten--Namen und durch
die wirklich vorhandenen lokalen Differenzen herbeigeführt worden
ift, machen vorläufig eine zufammenfaffende und abjchliegende Be⸗
arbeitung dieſes vernachläffigten Theils der SKirchengefchichte ganz
unmöglich.
Aber felbit ehe die heute noch fehlenden fpeciellen Unterfuchungen
über das gegenfeitige Verhältniß der Waldenfer zu ben angeblich
jelbftändigen Sekten-Gruppen der Begharden, Beghinen, Lollbar-
den u. f. w. volle Klarheit gebracht haben, kann eine Darftellung,
wie Die vorliegende nicht darauf verzichten, dieſe „Selten“, die man
bisher meift getrennt von den Waldenfern betrachtet hat, mit in
den Kreis ihrer Erörterung zu ziehen. Denn e8 fteht über allen
Zweifel feft, daß eine nahe Beziehung der urfprüng-
lichen „Begharden“ u. j. w. zu den Waldenſern vorhanden ge-
weſen iſt.
Es iſt dies ſchon von Zeitgenoſſen, welche Gelegenheit hatten,
ſowohl die ſogenannten „Waldenſer“ wie die „Begharden“ zu ken⸗
nen, ausdrücklich hervorgehoben worden. So ſchreibt der Domherr
zu Regensburg Conradus de Monte Puellarum, daß die „Schüler
der Waldenſer oder Armen von Lyon ſich häufig hinter dem Ge⸗
wand der Begharden zu verbergen pflegten” '), und Mosheim, der
uns dies berichtet, fügt Hinzu, daß „Viele der Anficht wären, es
fet zwiichen den Waldenſern und Begharben Fein Unterſchied; doch
hätten vielleicht die Waldenſer, die in einem fchlechten Ruf geftan-
ner a. D. 26 beitimmte das Recht, „daß bie Häufer niebergerifien und ſelbſt Die
‚Kinder bis zur zweiten Generation aller Lehen, Aemter und Ehren verluftig
gingen, außer wenn bie Kinder ihre Eltern ſelbſt denuncirt hatten“.
Es genügte übrigens zur Erhebung ver Anklage eine einfache Denunciation, felbft
wenn der Ankläger feinen Namen nicht nannte (Raltner S. 27). „Allen Anfchein
nah — fagt Kaltuer S. 24 — wurden felbft die Güter derjenigen, welde nur
der Härefie verdächtig waren — verſchleppt“. Wenigſtens wiſſen wir, baß ein
Coneil diefe Art des Verfahrens ſpäterhin verbot.
1) Mosheim De Beghardis ©. 317. ®
28
ven, fich Hinter den Begharven, deren Achtung groß gewefen, zu
verſtecken gefucht!
Es giebt kaum ein Gebiet, welches Dunkler ift al8 die Gefchichte
eben biejer Begharben, und es wird meines Erachtens auch nie ge-
lingen, volle Klarheit in Dafjelbe zu bringen, wenn man nicht be-
ftimmte, feite Perioden unterfcheibet.
Und fo bemerfe ich hier von vornherein, daß ich nur von den⸗
jenigen Begharden und Beghinen rede, wie ſie vor dem Jahre 1375
beſtanden haben; alle diejenigen ſogenannten Beghinen, welche im
letzten Viertel des 14. Jahrhunderts oder gar im 15. und 16. Jahr⸗
hundert auftauchen, haben mit der älteren gleichnamigen Richtung
nicht viel mehr als den Namen gemein und bleiben hier durchaus
unberüdfichtigt ).
Und felbft in der älteren Epoche muß man ftetS im Auge bes
balten, daß die Inguifitoren und die Chroniften die Begharden und
Beghinen ſehr häufig mit den Mlitglievern der Tertiarier des Fran⸗
ciskaner⸗Ordens in unrichtiger Weife zufammengeworfen haben. Da
dieſe Tertiarier höchſt wahrjcheinlich eine Nachbildung des Beghinen-
wefens find und unzweifelhaft viele PBerfonen, welche heimlich ber
Sekte angehörten, formell und äußerlich zur Täuſchung ihrer Ver⸗
folger Mitglieder des 3. Ordens ©. Francisci blieben, fo war eine
ſolche Verwechfelung für denjenigen, welcher die Verhältniſſe nicht
genau Tannte, ſehr leicht möglich.
Der Name Beghinen und Begharden, deren eriter Frauen
und deren zweiter Männer bezeichnet, bat in jeiner etymologiſchen
Entftehung bis jeßt feine nllgemein anerkannte und befriedigende
Deutung gefunden. Es tft wahrjcheinlich, daß derſelbe franzöfifchen
Urfprungs ift und von Südfrankreich aus fich verbreitet hat.
Der Name ift, wie viele andere, ein Seltenname, welchen bie
Perfonen, die jo bezeichnet wurden, nie von fich ſelbſt gebraucht haben.
Er warb angewendet auf folche Männer und Frauen, welche unter
der Bezeichnung „Brüder und „Schweitern‘ eine gemeinfame Haus-
1) Seit etwa 1375 war die Selbftändigkeit der meiften Beghinenhäuſer ge
brochen. Die Bulle Papft Nicolaus V. von 1453 Febr. 12 nahm alle Eonvente
in den Schooß der Kirche auch formell‘ auf und verlieh ihnen die Nechte ber
Tertiarier. Mosheim ©. 185.
29
haltung führten und unter Beobachtung eines gewiſſen Herkommens
im Aeußeren nach Art unferer heutigen evangelijchen „Trauenftifter‘‘
gemeinfam lebten. Sie nannten fich felbft „Pauperes Christi“.
Urfprünglich waren diefe Beghinen und Begharben, wie und
beſtimmt überliefert ift, lediglich arme, fchwächliche und heimath⸗
Iofe Perfonen („pauperes beginae‘‘), welche in ver Stiftung Woh-
nung, Heizung und Licht unentgeltlich empfingen. Um den übrigen
Lebensunterhalt zu verbieten, pflegten fie nach dem Map ihrer
Körper- und Geiftesträfte fich zu befchäftigen, bie Frauen mit
Weben, Spinnen u. f. w., die Männer mit Handarbeiten, auch mit
Abjchreiben und Kindererziehung u. f. w.!). Das DBetteln war ihnen
principiell verboten.
Don den Mönchsorden unterjchieden fte fich principiell und
bewußt dadurch, daß „Regel“ oder „Gelübde“ bei ihnen unbelannt
waren. Sie kannten, wie die alten Quellen vorwurfsvoll hervor⸗
heben, weder das Gelübde des Gehorfams, noch Das der Armuth,
noch Das der Keufchheit auf Lebenszeit?). Sie gehörten Teinem
Drvensverband an, genofjen feine päpftlichen Eremtionen ober irgend
welche römifche Rechte und Privilegien. Ihre einzige „Regel“ war,
daß ihre Mitglieder in ihrer äußeren Erfcheinung fich Gleichmäßig⸗
feit und böchite Einfachheit der Kleidung zur Pflicht machten.
In ihrer befferen Zeit fanden die Infaffen der Frauenftifter
ihren bejonderen Beruf in der Krankenpflege fowohl innerhalb
als außerhalb ihrer Niederlafjungen. Dies wird uns von ben
Beghinen zu Antwerpen um das Jahr 1220 ausdrücklich berichtet.
In den Niederlanden pflegten die Stifter ein beſonderes Neben-
gebäude zu haben, welches als „domus hospitalis‘‘ oder „infir-
maria“ bezeichnet wird. In demjelben fanden, wie Mosheim be
richtet), die Heimathlofen, Armen und Kranken Pflege durch bie
Schweitern. Es iſt bezeichnend, daß der Name Beghine geradezu
1) „Miserae quidem, ab humano auxilio omni relictae, morbis confectae
publico sumtu seu ex thesauro pauperum (Beguinarum) alebantur; ceterae la-
borando, in primis texendo, aliisque artibus et officiis, quae praestare po-
terant, si fortunis carerent, res, quarum indigebant, sibi quaerere debebant.
Mendicandi facultas nulli dabatur.* Mosheim a. DO. ©. 152,
2) Mosheim a. O. ©.43. 3) O. ©. 150.
30
in dem Sinn von „Krankenfchweiter gebraucht wird und Daß bie
Beshinenhäufer den „Diakoniffenhäufern durchaus entfprechen.
Hiftorifch nachweisbar find dieſe Congregationen erft feit dem
Ende des 12. Jahrhunderts. Wir hören zuerft von ihnen bei Ge
Vegenbeit von Vermächtniſſen, welche wohlhabende Perfonen in den
Niederlanden um das Jahr 1180 an Beghinenhäuſer machen. Vom
13. Jahrhundert an wird ihr Name jehr vielfach genannt'). Aber
anfänglich ift für die Stiftungen nicht der fpätere Name, fondern
die Bezeichnung „Gotteshäuſer“ gebräuchlich.
Um dieſelbe Zeit, wo dieſe Stifter eine größere Ausbreitung
erhielten, taucht in der überlieferten Literatur der Vorwurf auf,
daß diefe Armenbäufer die Herbergen von „Ketzern“ feiern, und
feit dem 13. Jahrhundert ift der Name Beghine und Begharde
zum Kebernamen geworden. Da die jo verrufenen Leute äußerlich
ein durchaus frommes Leben führten, fo warb die Sage verbreitet,
dies fei bei ihnen wie bei allen Ketzern Scheinhetligfeit, Heuchelei
und böswillige Verftellung.
Die Inquiſition nahm alsbald Veranlaffung, gegen fie einzu-
fchreiten, und fowohl in Südfrankreich wie am Rhein wurden zahl-
reiche Begharden als Ketzer verbrannt.
Im Jahre 1311 erließ Clemens V. auf dem Concil zu Vienne
zwei Bullen, welche den Befehl enthielten, alle Beghinen zu unter-
brüden, da fie mit Ketzerei befledt feiern. Die Inguifition von
Touloufe 309 in den Jahren 1307—1323 Beghinen in großer Zahl
ein und verurtbeilte fie wie die gleichfall8 gefangenen Walvenfer
zur Einmauerung oder zur Verbrennung.
AS in Folge diefes Drudes manche Häufer der Beghinen eine
Annäherung an bie herrfchende Richtung zu fuchen begannen und
bie Möglichkeit in den Gefichtsfreis trat, die Güter diefer Stiftun-
gen für den Francisfanerorden zu erwerben, ließ die Verfolgung
einigermaßen nach. Bapft Sohann XXIL erklärte in einem Schrei-
ben vom 7. März 1319, daß diejenigen Begbarden, welche die Regel
der Tertiarier annehmen wollten, von den Strafbeitimmungen der
Verdammungsbullen eximirt fein follten ?).
1) Mosheim De Beghardis et Beguinabus. Lips. 1790 p. 1.
2) Mosheim a. DO. ©. 189.
31
Sp ging z. B. das „Collegium Beguinorum“ — in Süb-
frankreich pflegte man die Begharden Beguini, die Beghinen Be-
guinae zu nennen —, welches feit dem Jahre 1287 in Touloufe
gegründet worden war, etwa 50 Jahre fpäter in den Belig von
Francisfaner-Tertiariern über). In Antwerpen hatte fich bei dem
bortigen Beghardenhaus die gleiche Entwiclung ſchon früher voll⸗
zogen, indem bereits im Jahre 1290 das im 12. Jahrhundert ge-
gründete Haus an die Franciskaner überging; im 15. Jahrhundert
wurde daſſelbe in ein vollitändiges Männerflofter verwandelt 2).
Wenn man nun dem Urfprung dieſer „Pauperes Christi“
nachgebt, jo muß es zunächſt auffallen, dag, wie urkundlich feit-
jtebt, innerhalb der waldenſiſchen Gemeinfchaft Stiftungen von
durchaus gleichem Charakter feit mindeſtens 1218 beſtanden haben.
Aus dem mehrfach erwähnten Sendichreiben der „italifchen
Armen” aus etwa 1230 ergiebt fih, Daß „Congregationes
laborantium“, d. h. Häufer, in welchen Arne gemeinfam ibren
Unterhalt fanden, unter ihnen bergebracht waren. Es hatten fich
damals in biefen Häufern unter dem niederen Volt, dem man
darin ein Aſyl gegeben, allerlei Ungehörigfeiten zugetragen — eine
Ericheinung, die fih auch fpäter zeigt und die in den DVerhält-
niffen ihre Erklärung findet — und es war die Frage aufgeivorfen
worden, ob man die Einrichtung in jener Form befteben Yaffen
Tonne. Dean entjchied fich, wie der Brief ergiebt, für die Beibe⸗
haltung 3), doch mit der Maßgabe, daß die Mängel befeitigt werben
jollten ®).
In der Lehre und der Kirchenverfaflung der Waldenfer haben,
wie wir unten ſehen werden, ſolche Armen- und Arbeitshäufer in
der That feit uralten Zeiten eine begründete Stellung.
Der Grundfag, daß es innerhalb der „Gemeinden Chriſti“
Piemanden geben dürfe, welcher Noth leide und zum Betteln ge-
1) Mosheim a. O. S. 39. — Zwei „Collegia Beguinarum* beftanben ſchon
länger zu Toulouſe.
2) Mosheim a. O. S. 172. Weitere ähnliche Beifpiele bei Mosheim S. 179 ff.
3) ©. Preger a. a. D. 1877 ©. 235.
4) Volumus vitia omnia..., si insunt, de congregatione laborantium pe-
nitus amputari.
32
zwungen jet, hatte bei den „Brüdern“ den Charakter eines Dogmas
und einer religiöfen Pflicht angenommen. Sie hielten daran fo
ftreng fejt wie etwa die römifche Kirche an der Lehre .von dem
Primat des römischen Biſchofs oder ähnlichen Dogmen.
Um diefe Lehre in der Praxis zu verwirklichen boten fich eine
Reihe von Schwierigkeiten dar. Schlieglich fiel man auf den Ge
danken, Arbeitsbäufer mit ven Mitteln frommer Vermächtniſſe für
altersſchwache und kranke Berjonen einzurichten, und fo fehen wir,
daß dieſe Partei niemals eine Kirche baute ohne daneben derartige
Stiftungen zu errichten, ja auch da, wo fie Anbachtshäufer zu bauen
Durch ihre Gegner verhindert wurden, ftifteten fie jene „Gottes⸗-
häuſer“, um, wie fie fagten, aus Meenfchenfeelen Gottestempel
aufzurichten.
So kam dieſe Partei lediglich auf Grund ihrer Glaubenslehre
dahin, daß ſie das Chriſtenthum nach ſeiner Bedeutung für die
Löſung der ſchwierigen Aufgaben faßte, welche ſich aus den unver⸗
meidlichen Unterſchieden von Wohlhabenden und Armen, von Starken
und Schwachen allezeit ergeben. Sie hat das Verdienſt, daß ſie
als Gemeinſchaft zu den erſten gehört, welche frei von
jeglichen Nebenabſichten und Herrſchaftszwecken jene
großen Aufgaben, die man heute als ſociale Probleme
zu bezeichnen pflegt, einer praktiſchen Löſung näher
geführt hat. Aus dieſem Geſichtspunkt verdienten dieſe „Armen-
häuſer“ der Waldenſer eine eingehendere Beachtung als ihnen bis
jetzt zu Theil geworden iſt.
Es ſcheint, als ob in dieſe Aſyle auch ſolche Perſonen Auf⸗
nahme gefunden hätten, welche nicht ſelbſt Waldenſer waren — eine
Thatſache, aus welcher ſich die differirenden Religionsanſichten der
Leute, die in den „Ketzeranſtalten“ waren, leicht erklären — aber
vorwiegend waren es doch (wenigſtens anfänglich) Mitglieder der
„Gemeinden Chriſti“, die Hier in ihrem Alter ein Unterkommen er⸗
hielten und fo von ber chriftlichen „Gütergemeinfchaft”, bie man
den Waldenfern jo oft zum Vorwurf gemacht bat, in praftifcher
Weile Nuten zogen.
Wenn man nun weiß, daß einer der Seftennamen, welche Die
Walvenfer in jener Zeit befaßen, die „guten Xeute‘ (les bons
33
gens) oder „boni juvenes“ lautet), fo muß e8 ſehr bemerkt wer-
den, daß in alten Schriftftellern der Name „Beghardi‘ over
„Boghardi“ als gleichbedeutend mit „boni Valeti“ (==boni
pueri) gebraucht wird 2).
Schon frühzeitig wurde der Name Beghardi oder Beguini,
welcher urſprünglich nur auf die Infafjen eines Armenaſyls Anwen-
bung gefunden hatte, auch auf Die „Predigerbrüber” oder „Apoftel‘
der Waldenfer übertragen, welche Die Begründer der Häufer und
bie geiftlichen Berather jener Armen waren. Schon im 13. Jahr⸗
hundert unterfcheivet Guilelmus de Amore in diefem Sinne zwifchen
iogenannten „regulirten‘, d. h. in einem Stift gemeinfam lebenden
(Beguini regulares), und zwifchen „weltlichen Beghinen (Beguini
saeeulares), welch letztere angeblich die Seelforger und Beichtoäter
der regulirten Brüder und Schweitern waren).
In einer alten Chronik der Benedictiner wird zum Jahre 1176
als ein folder berühmter „Beguinus saecularis‘“ ein gewiffer
Petrus im füblichen Frankreich genannt, welcher „gottlofe Dog-
men” verbreitet und viele Anhänger gefunden babe. Es fei um
jeinetwillen, fo will die Chronik wiffen, ein Concil der Theologen
berufen worden‘). Sollte diefer Beguinus Petrus etwa gar Betrug
Waldus ſelbſt fein?
Abgeſehen von den ſchwerlich zufälligen Umſtänden, daß gerade
die Gegenden, wo nachweislich die meiſten Waldenſer vorhanden
waren, auch die meiſten Beghinenhäuſer vorkommen und daß dieſe
in größerer Zahl erſt ſeit der Zeit erſcheinen, wo auch die Wal⸗
denſer ihren größten Aufſchwung nahmen, iſt es doch ſehr bemer⸗
kenswerth, daß dieſelben Berufsarten, welche unter den Waldenſern
am häufigſten angetroffen werden, beſonders die Handwerke der
Weber und Spinner, ganz ausdrücklich in unſeren Quellen auch
als die vornehmſten Beſchäftigungen der Beghinen angegeben mwer-
den. „Es ift ganz befannt”, jagt Mosheim, „daß die eriten So-
dalitäten der Beghinen aus den Kreifen der Weber ftammten‘ 5),
Wir Haben oben bereits erwähnt, daß die Walvenfer von ben
1) Das Nähere vgl, unten. 2) Mosheim a. DO. ©, 38 u. 39,
3) Mosheim a. ©. S. 50. 4) Mosheim da. O. ©, 53.
5) Mosheim a. DO. ©. 117. U
Keller, Die Reformation. 3
34
Zeitgenoffen vielfach als „Fratres Apostolici‘ bezeichnet werben.
Wem follte, wenn er fich deſſen erinnert, nicht die merkwürdige
Berwandtichaft zwiſchen dieſen und den Beghinen auffallen, welche
bereit von Mosheim in Bezug anf einzelne Punkte nachgewieſen
worden ijt?!)
Diefe Verwandtfchaft ift bereits den Zeitgenoffen fo jehr in
die Augen getreten, dag Erzbifhof Heinrih von Köln in einem
Edikt gegen die „Ketzer“ vom Jahre 1306 ausdrücklich fagt, jene
pflegten „Beghinen, Begharden und Apoftel” genannt zu werben?).
Wenn man die Protocolle der Inquifition von Toulouſe in
den Jahren 1307—1323 durchlieſt, fo fällt auf den erften Bid
bie Verwandtſchaft derjenigen „Ketzereien“, welche die fogenannten
Waldenfer befennen, mit denjenigen, welche den Beguinen zur Laft
gelegt werden, in die Augen. Alle die fpeciellen Ausvrüde und bie
ganze Vorjtellungswelt der Waldenfer, wie wir fie kennen lernen
werden, Tehren bei dieſen wieder 3).
Die gleiche Beobachtung kann man machen, wenn man bie
Schilderung des Guilelmus de Amore, eines Schriftftellers aus
dem 13. Jahrhundert, über die Lehre und das Leben der Beghinen
in Frankreich lieſt). Kehrt bier doch fogar der Name Gottes»
freunde wieder, (den wir als Bezeichnung der Apoftel Tennen
lernen werden), von denen gefagt wird, daß fie in den Stiftern An⸗
dachten abhielten und durch ihre Previgten erbauend wirkten.
Natürlich darf man bei der Betrachtung diefer „Arbeitshäufer”
und ihrer Infaffen nicht vergefien, daß fie in feiner Richtung Die
geiftigen Träger der Waldenferbewegung waren, fondern gerade um⸗
gelehrt von Diefer geftütt und gehalten wurben.
Es wäre daher ganz falſch, vorauszufegen, daß in der „Sekte
der Begharden die Grundgedanken der Partei oder gar die vor»
1) Mosheim S. 114 ff. Diefer Paſſus ift für die Charakteriſtik der „Fratres
Apostolici“, welche al$ homines barbati und als „textores“ bezeichnet wer-
den, ebenfo interefiant wie für diejenige der Begbinen. Die Identität beider mit
den Waldenfern ift ganz unverlennbar.
2) Das Edikt bei Mosheim a. O. S.21Q ff. — Das Concilium Trevirense
vom Jahre 1310 identificirt ebenfalls „Apoftel” und Begharden; |. Mosheim
S. 222. |
3) Vgl. Limborh a. DO. S. 303. 4) Mosheim a. O. ©. 42.
35
nehmſten Vertreter der Waldenfer zu finden feien. Vielmehr zeigt
das Leben und Treiben dieſer „Pauperes Christi“ oft ein Bild,
welches bie Ideen der „Brüder“ recht verzerrt wiedergiebt, und gerade
biefe Verzerrung der Tendenzen ift e8, die ihren Gegnern willkom⸗
menen Anlaß gegeben bat, die ganze Partei anzufchwärzen.
Ebenso wenig wie man heute, wenn man bie Lehre und bie
Kirchenverfaſſung einer Confefjion Tennen lernen will, in deren
Armenhäufer geht, um fie zu erfahren,. ebenfo wenig tft e8 für jene
Zeit geftattet, die Ausfagen gefangerer Begharden als ben zu-
treffenden Ausdruck des Waldenſerthums Hinzuftellen.
Aber — und darauf fomint es bier zunächſt an — die Aus-
breitung und das Vorkommen bon jogenannten Begharden⸗ und
Beghinenhäufern ift lange Zeit hindurch ein ficherer Fingerzeig für
das Vorhandenfein von Waldenfergemeinden und fomit für bie
Statiftif ihrer Ausbreitung innerhalb der abenbländifchen Welt.
Und wenn man dies einräumt, fo ergiebt fich, daß die „Brüder“
im 13. und 14. Jahrhundert weit und breit einen Anhang und
einen Einfluß befeffen haben, der weit über das Maß desjenigen
Anhangs Hinausgeht, der ihnen bisher zugefchrieben wurde.
Denn in dem größten Theil Weit-Europas, befonders in Ober-
italien, Südfrankreich, Weſt⸗Deutſchland, Deftreich, den Nieverlan-
den, ja bis an die Nord» und Oſtſee jehen wir in dem angegebenen
Zeitraum die Begharden- und Begbinen-Convente aus der Erbe
wachfen‘). Und der genannte Guilelmus de Amore verfichert:
„Groß war bei allem Volk die Verehrung, welche dieſe Perfonen
auf Grund ihrer Frömmigkeit genofjen‘ 2).
1) „Nascente saeculo decimo tertio tot repente Beguinarum collegia per
Galliam, Germaniam, Belgium efflorescebant, ut, medio saeculo elapso vix
ulla nominis alicujus urbs ejusmodi mulieribus careret“. So Mosheim
a. O. ©1283.
2) Mosheim a. O. ©. 43.
3%
Zweites Capitel.
Das Glaubenöbelenntniß der altevangelifchen Gemeinden.
Glaube und Kirhenverfaffung ver erften chriſtlichen Jahrhunderte. — Anlehnung
an die urfprünglichiten Quellen der chriftlichen Geſchichte. — Nachwirkungen
einer großen Ueberlieferung. — Stellung der Waldenſer zum Canon. — Die
Snfpiration der h. Schriften. — Ehrifti Worte, Befehle und deren befonbere
Bedeutung. — Die Nachfolge Ehrifti. — Das Alte Teftament und ber Lehr⸗
typus des Paulus, — Die aus der Heiligung des Willens fließenve innere
Erleuchtung und ihre Bedeutung al8 Erfenntnißprineip. — Die Bedeutung
der Bergprebigt bei den Waldenſern. — Blutvergießen, Gewifjensfreiheit,
Recht der Nothwehr, Schwur, Feindesliebe. — Stellung zu ven Myſterien
der Bibel. — Die Heildmittel der Kirche. — Gegenfag von Welt und Chri-
ſten. — Willensfreiheit, Heiligung, Gnade. — Schlußbetrachtungen.
Die breite und fichere Grundlage, auf welcher fich das religiös⸗
firchliche Leben der Waldenſer aufbaute, war diejenige Lehre und
Kirchenverfaffung, welche in ber chriftlichen Gemeinfchaft der apofto-
liſchen Jahrhunderte in Kraft gewejen war.
Die Männer und die Zeiten, welche der Einwirkung des gött-
lichen Stifterd der Kirche am nächiten geftanden Hatten, mußten
nach der Meberzeugung der „Brüder“ auch Die Gedanken und Ziele
Chriſti am reinften wiederfpiegeln. Der Einwurf, daß die Bor-
ſchriften, die jenen Gemeinden gegeben waren, auf die veränderte
und fortgefchrittene Geiftes- und Culturentwidlung der neueren Zeit
nicht mehr paßten, warb von ihnen mit Entichievenheit zurückge⸗
wiejen. Die Lehren Chriftt und der Apoftel, fagten fie, haben nicht
ntinder in der Lehre wie in der Kirchenverfaffung ewige Gültigkeit.
Größer als alle anderen Wunder und Geheimniffe der chrift-
lichen Gefchichte erſchien ihnen eben Die Gefchichte der fogenannten
apoftolifchen Jahrhunderte felbjt und die wunderbare Kraft, die in
jener Epoche von den chriftlichen Ideen an den Tag gelegt worden war.
37
Sind doch die drei erſten Iahrhunderte die Zeiten jenes un.
aufbaltfamen und großartigen Stegeszugs, ben Die chriftliche Lehre
über den ganzen gebildeten Erdkreis gehalten hat. Und mit welchen
Mitteln wurben diefe Triumphe erzielt? Arme Fiſcher und Hand-
werfer, welche in all den Dingen, die man Wiſſenſchaft und Bil-
dung nennt, mit nichten auf der „Höhe der Zeit‘ ſtanden, haben
ohne Anwendung irgend welcher äußeren Gewalt die große Eultur
der griechifch-römifchen Welt in wenigen Generationen aus den An⸗
geln. gehoben. Es war dies ein in aller Religions- und Profan-
geſchichte unerbörtes Reſultat.
Und eine Lehre, welche ihre innere Kraft ſo glänzend bewährt
hatte, ſollte nicht im Stande ſein, für alle Zeiten maßgebende
Normen in Glauben und Gemeindeverfaſſung darzuſtellen? Viel⸗
mehr waren die Waldenſer der Ueberzeugung, daß der Abfall von
jener apoſtoliſchen Tradition Mitſchuld trage an all dem Un⸗
glüd, welches jeit dem Beginn der Völlerwanderung über Die abend-
ländifche und die chriftliche Welt in Kriegen und Religionskämpfen
und Berfolgungen aller Art hereingebrochen war.
Das ganze Denken und Thun biefer „Chrijten‘ wird gekenn⸗
zeichnet durch das Beitreben, das Weſen des urfprünglicden
Chriftentbums feſtzuhalten.
Sie waren einig darin, daß dies Ziel nur in Anlehnung an
bie urfprünglichiten Quellen des chriftlihen Glaubens zu erreichen
ſei. „Dieſe Irrlehrer fagen‘, fo erzählt ein Inquifitor des 13. Jahr⸗
hunderts, „daß Die Lehre Chrijti und der Apoftel zur Erlangung
bes Heils binreiche, auch ohne die Statuten der Kirche“i),
und in der That wird Durch diefen Kampf für die h. Schriften
und gegen die „Statuten‘‘, welche die neue römiſche Kirche feit
dem 4. Jahrhundert fo ſtark beeinflußt Hatten, das Wefen der alt-
evangeliſchen Gemeinjchaft charakterifirt. .
Ihre Gegner höhnten, daß die „Waldenſer“ feine andere Wiffeh-
fchaft verftänden, und daß fie nichts lehrten und lernten als die
h. Schrift. Ein Paſſauer Keterrichter von 1260 erzählt: „Alle, fo-
1) Pfeubo-Jteiner in ber Max. bibl. patrum Vol. XXV p. 265 H.
38
wohl Männer als Frauen, Klein und Groß, bei Nacht und bei Tag,
hören nicht auf zu lehren und zu lernen. Der Handwerker, der
den Tag fein Brod verdienen muß, lernt in der Nacht oder lehrt
und deßhalb beten fie zu wenig in Folge dieſes Studiums‘ 1).
Bei folcher Werthhaltung der h. Schrift war es für fie natürs
fh unumgänglich nothwendig, Ueberſetzungen derjelben zu ver-
anftalten. Auf dieſem Wege tft diefe Partei es geweſen, welche,
wenigftens in Deutfehland, die Profa der Mutteriprache in religiöfen
Dingen zuerjt zur Anwendung gebracht hat. Schon vor dem Jahre
1203 gab e8 in Deutjchland Ueberſetzungen aus der h. Schrift 2).
David von Augsburg, deſſen Schrift über die Waldenſer fich
auf den Beobachtungen aufbaut, die er perfönlich in Deutfchland
gefammelt hatte, erzählt: „Die Gelehrigen unter ihren Complicen
und die Beredten unterweift man darin, die Worte des Evangeliums
und die Ausſprüche der Apoftel und anderer heiliger Männer in
der Volksſprache fich einzuprägen“8). „So verführen fie die
Unfchuldigen‘‘ 9). |
Gleich in dieſem Punkte ergab fich ein fcharfer Gegenfag zu
den Principien der römischen Kirche. Denn ſchon der 8. 14 der
Beſchlüſſe des Concils von Touloufe vom Jahre 1229 lautet wörts
lich: „Wir verbieten auch, daß den Laien der Befik der Bücher des
Alten und Neuen Teſtaments geftattet werde .... und verhindern
auf das Strengite, daß man diefe Bücher in Ueberſetzungen befite,
welche in der Landesſprache angefertigt find 5).
1) Omnes, sc. viri et feminae, parvi et magni nocte et die non cessant
docere et discere. Operarius enim in die laborans in nocte discit vel docet
et ideo parum orant propter studium. Pſeudo-Reiner bei Gretfer a. O.
2) Libri scripti Romane et Teutonice de divinis scripturis episcopo tra-
dantur. Gesta ep. Leod. ad 1203 M.G. H. SS. XXV, 133.
3) Abhandlgg. d. IH. EL. ver 8. B. A. d. W. 1878 Bd. XIV Abth. II ©. 209,
Deutſche Bibeln, welche im Jahre 1430 zu Freiburg im U. von den Waldenfern
gebraucht wurden, werben erwähnt bei Ochienbein Die Waldenfer. Bern 1881.
©. 387.
4) Auch Pfendo-Reiner (Max. bibl. Patrum Vol. XXV p. 265 G.) rechnet
zu den Irrlehren der Waldenſer, daß fie fagen, „quod sacra seriptura eundem
effectum habeat in vulgari, quam in Latino“. Daß fie auch ihre Gottesbienfte
in der Landesſprache abhielten wird an berfelben Stelle beftätigt: „Conficiunt in
vulgari et dant sacramenta“.
5) Comba Valdo ed i Valdesi ©. 39 Anm. 2.
* 39
Um dieſe Befehle zu umgeben, fcheint es gefcheben zu fein,
daß die Waldenfer die Lehren der h. Schrift in der Form von Ge
dichten den Ihrigen vermittelten.
David von Augsburg kannte von jolchen Gebichten eins, welches
den Titel führte: „Die dreißig Stufen des h. Auguftinus”. Darin
lehrten fie, wie man die Tugend üben und das Lafter fliehen müſſe.
„Auch andere ſchöne Gedichte diefer Art haben fie ge-
Dichtet" N),
Der Grundſatz, daß die h. Schriften (wenigſtens diejenigen des
Neuen Teftaments) für Jedermann zugänglich fein müßten, ward
von ihnen bis zu der Forderung gefteigert, daß jeder Erwachfene
bie Lectüre derfelben als religidje Pflicht zu betrachten Habe.
Wenn man dies erwägt, fo darf man billig fragen, ob dieſes
Shitem nicht infofern Gefahren in fi barg, als die Möglichkeit
verjchiedenartiger Auslegung, welche die Worte der h. Schrift bes
fanntlich bieten, unter Umftänden leicht zur Neigung felbftändiger
Interpretation und damit zu Glaubensipaltungen PVeranlaffung
geben Tonnte.
Man weiß, daß die römische Kirche eben aus dieſem Grund
andere Wege eingefchlagen hat. In der That hätte unter ben un-
günftigen Verhältniffen, in welchen die getrennten und verfolgten
Gemeinden ohne feften, alles beherrfchenden Mittelpuntt Iebten,
dieſe Gefahr ficherlich viel größere Dimenfionen annehmen müffen
als fie in Wirklichkeit angenommen hat, wenn in der altenangeli-
ſchen Gemeinſchaft nicht eine fefte, klare und tiefbegründete reli«
giöfe Weberlieferung fett Jahrhunderten bejtanden hätte,
Angefichts des Umftandes, daß die Waldenfer niemals außer
der b. Schrift befondere religiöfe Beken ntnißſchriften (Sym-
bole) aufgejtellt Haben (wie e8 in allen anderen Confeffionen ge-
ſchehen ift) und in Anbetracht, daß weder das Anfehen berühmter
1) Es Tann kein Zweifel fein, daß bier für bie beutfche Literaturgeſchichte
intereflante Winke vorliegen. Die beveutfame Stelle findet fi in dem Abdruck
de8 D. v. A. von Preger a. a. DO. 1878 II S. 215. — Der Einfluß diefer Partei
auf bie deutſche Literatur ift viel größer als man im der Regel annimmt. Mert-
würdig ift es z. B., daß Walther v. d. Vogelweide einzelne ihrer Grundgebanten
Bu er gegen die römische Kirche verficht. Aehnliches ift bei Frauen-
— — — — — — — —— ———— — —— —
40 °
Namen noch die Autorität eines höchſten Pontifer ſolche Symbole
erfegte, ift ed eine geradezu frappirende Thatfache, daß berfelbe
Grundftod religiöfer Ideen (und zwar häufig bis in alle Einzeln-
heiten) mindeſtens fieben Jahrhunderte hindurch bei allen alt-
evangeliichen Gemeinden, mögen fie in Spanien oder Ungarn, in
Apulien oder in Belgien, in der Provence oder in Oftpreußen fich
finden, wieberfehrt. |
Wer einigermaßen in der Kirchengefchichte bewandert ift, wird
einräumen, daß dies eine ganz merkwürdige Thatfache ift, und daß
befondere Gründe vorhanden gewefen fein müffen, welche daſſelbe
ermöglicht haben.
Wir werden einen Theil diefer Gründe weiter unten Tennen
lernen; einiges muß aber fchon bier betont werben.
Die außerordentliche Zähigkeit der waldenfifchen Grundgedanken
ift nur zu erflären, wenn man annimmt, daß diefelben durch eine
uralte Tradition geheiligt waren und ähnlich wie die Sprache
von Gejchlecht zu Gefchlecht in feiter Form feit Jahrhunderten weiter
gegeben worden find. ‘Die Uebereinftimmung der Ideen aber, wie
fie fih troß mander Nuancen unter den verjchiedeniten Nationen
zeigt, deutet auf eine gemeinfame Wurzel und auf ein centrales
Entjtehungsgebiet etwa wie die Gefchichte der Eulturpflanzen, welche
das Abendland aus dem Drient erhalten bat. Und e8 kann zu-
gleich mit Beftimmtheit gejagt werden, daß die Männer, welche jenen
Ideen ihre Form gaben, zu ihrer Zeit ein ungewöhnliches Anſehen
genofjen haben müſſen. Es war bewußt oder unbewußt ein heiliges
Vermächtniß, welches dieſe altenangelifchen Gemeinden beiwahrten;
heilige Männer hatten es den erften Gläubigen überliefert, und
mit den Lehren felbft pflanzte fich die Empfindung fort, daß e8
unerlaubt fei, an dieſem theuren Gut zu rütteln ober feinen ur-
ſprünglichen Gehalt durch neue Zuthaten zu verändern.
Und welches waren num die Grundgedanken dieſes Vermächt-
niſſes? Es iſt nicht Leicht, Diefelben zufammenfafiend zu charakte-
rijiren, und e8 würde fogar im gegenwärtigen Stadium der Forſchung
unmöglich fein, wenn nicht die Art des Glaubensbelenntniffes jelbft
ben Verſuch jehr erleichterte. Denn es ift eben Das Eigenthümliche
biefer altevangelifchen Richtung, dag fie im Vergleich ſowohl zur
4
römischen wie zur fpäteren proteftantifchen Kirche eine viel be
ſchränktere Zahl von Glaubenswahrbeiten als das für Alle ver-
bindlihe Bekenntniß bingejtellt bat. Es ift eine leicht überfehbare
Zahl von einfachen, großen Säten, deren Anerkennung die alt
evangelifche Kirche von den Chriften fordert. In allen Gebieten,
welche über diefe Punkte Hinausliegen, hat fie ganz bewußt und ab»
fichtlich der Speculation volle Freiheit gelaffen. Es verdient Be⸗
achtung, daß die Walvenfer, fo fehr fie auf der einen Seite mit
Treue, ja mit Zäbigfeit an ihren Grunddogmen in conſervati—
ver Weife feitbielten, doch auf der anderen freifinniger als
irgend eine andere Richtung den verfchievenen Auffafjungen Spiel-
raum gegeben haben. Ihr Streben war die Verwirklichung des
altchriftliden Grundſatzes: In necessariis unitas, in dubiis
libertas, in omnibus caritas, und eine unparteiifche Be⸗
trachtung muß ihnen das Zeugniß geben, daß fie diefem Ideal näher
gefommen find als irgend eine andere Kirche,
Einer der beberrichenden Gefichtspunfte des ganzen Syſtems
iſt bereitS in der Bemerkung enthalten, daß die altenangelifchen &e-
meinden in den urjprünglichiten Quellen des Chriſtenthums
alle Lehren, die zur Erlangung des Heils im Dieffeit8 und Ien-
feit8 nothwendig feien, enthalten glaubten.
Aber als folche urfprünglide Quellen betrachteten fie nicht
allein diejenigen Bücher, welche in den Concilien des 2. Jahrhun⸗
derts als die ausſchließlich maßgebenden Normen („Canon“) be-
zeichnet worden waren, fondern fie lehnten die Anerkennung dieſes
„Canons“ ausdrücklich und principiell ab. Es gebe auch noch andere
Schriften, fagten fie, welchen ein gleiches Anjehen zufomme, und
wenn fie auch darin mit der römifchen Kirche einig waren, daß der
„Canon“ die vornehmften Quellen des Chriftentbums umfalfe, fo
wollten fie doch daran nicht ausfchlieplich gebunden fein. Noch im
16. Jahrh. war bei den franzöfifchen Waldenſern ebenfo wie bei den
Täufern die ſcharfe Unterfcheivung, welche die römifche Kirche zwifchen
canonifhhen und nicht canonifchen Schriften machte, nicht üblich !).
1) Herzog a. ©. ©. 352. — Ueber Ludw. Hätzers bezügliche Anfichten be-
richtet Meshovius, Hist. Anab. Libri VII. Cöln 1607. ©. 76.
42
Wenn man fie zur Anerkennung des „Canons“ zwingen wollte,
jo forderten fie auf Grundlage ihrer Glaubensnormen den Beweis
feiner ausſchließlichen Gültigkeit. Die Berufung auf die Conctlien,
welche mar ihnen entgegendielt, wiejen fie zurüd. „Wenn Ihr ung‘,
-pflegten fie zu erwidern, „aus den h. Schriften felbft den Beweis
erbringen könnt, daß Chriftus gerade die fogenannten “canonifchen”
Bücher und nur diefe als Heilsnormen bezeichnet bat, fo wollen
wir feinem Befehl Gehorfam leiſten“. Das war denn freilich eine
Unmöglichkeit.
Und ebenjo wie gegen die Alleingültigfeit des römischen „Ca-
nons“ machten fie gegen die Meinung Oppofition, als babe Gott
bie Apoftel gleichſam nur wie Schreibmafchinen gebraucht. Schon
frühzeitig machten fie darauf aufmerkfam, daß mancherlei „Gegen-
ſchriften“, d. h. unvereinbare und ſich ausfchließende Angaben in
den Schriften vorhanden jeien. Ihr Grundſatz war, daß, wie über-
haupt das Maß der Erleuchtung von dem Grad der perfönlichen
Heiligung beeinflußt werde, fo auch bei den Apofteln verfchiedene
Stufen der Erleuchtung vorausgefegt werden müßten.
Es wird von allen Confeffionen anerkannt und geht aus der
Schrift felbft unzweifelhaft hervor, daß in Bezug auf perfünliche
Heiligung Unterſchiede unter den Apofteln vorhanden find und von
Sündlofigfeit bei ihnen nicht die Rede fein darf.
Während die herrjchenden Kirchen aber aus burchfichtigen Grün⸗
den die innere Heiligung als unabhängig von geiftiger Erleuchtung
binftellen, behaupteten die Walvenfer auf Grundlage von Chrifti
Worten, welche fie allein für unfehlbar hielten, daß der Geift der
Wahrheit nur in wahrhaft heiligen Seelen Wohnung mache.
Sie glaubten, daß die Annahme, der heilige Geift fei aus-
fchlieglich in den Männern wirkſam gemwefen, welche uns jene Bücher
binterlajfen haben, der Verheißung Chrifti widerfpreche, wo er jagt:
„Siebe, ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt’ (Matth.
28, 20), und daß der Geiſt ſelbſt uns in alle Wahrheit leiter werde.
In den überlieferten Quellen der chriftlihen Gefchichte unter»
ſchieden fie forgfältig zwiſchen denjenigen Lehren, die fie zum Heil
nothwendig erachteten, und ſolchen Säben, denen fie den Charakter
des Dogmas beitritten.
43
Nun würde man freilich fehl geben, wenn man glaubte, daß
die Waldenfer nicht gleichfalls einen feften „Canon“, d. h. eine
Grundlage von Offenbarungen bejeffen hätten, für welche fie ab-
folute Unfehlbarkeit in Anſpruch nahmen.
Sie waren nämlich tief von der Ueberzeugung durchbrungen,
Daß der göttliche Stifter unferer Religion alle diejenigen Lehren,
welche er für das Seelenheil im Dieſſeits und Jenſeits nothwendig
gehalten, in feinen eigenen Befehlen und Anweifungen niedergelegt,
und daß er feine Apoſtel in den Stand gefett babe, die Worte,
die fie von ihm gehört, der Wahrheit gemäß zu berichten. Sie
fanden die Beftätigung dieſer Heberzeugung in der h. Schrift jelbft,
da Gott befiehlt (Matth. 17, 5), daß Chriftus es fer, den wir
bören follen.
Affe die uralten oder doch auf uralten Traditionen beruhen-
den poetifchen Belenntniffe der piemontefifchen Walvenfer, welche
uns erhalten find, behandeln die Idee, daß der Gehorſam gegen
Chriftt Worte und Befehle — fie werden die „epangelifchen
Gebote‘ genannt — das Merkmal der rechten Gemeinde Chriſti fet.
Aber nicht nur die Verheißungen und Predigten Chriſti er-
Härten fie für die Gläubigen als maßgebende, unfehlbare Lehren
und troftreihe Zufagen, jondern fie glaubten zugleih, daß das
Leben EChrifti und das Vorbild, welches er und gegeben, ver-
bindliche Vorfchriften für unferen Wandel enthalte. Wie Chriftus
allein e8 war, der in feinem Leben einen abfolut heiligen Wandel
geführt bat, fo ift auch er allein abfolut unfehlbar in feinen
Worten.
Es kann Niemanden, welcher Chriftt Worte mit Aufmerkfam-
feit Tieft, entgehen, daß durch alle Gleichniffe, Reden und Predigten
fih die Mahnung zur Nachfolge und zur Beachtung des Vor-
bilds, das er uns gegeben, wie ein rother Baden hindurchzieht.
Sprit nicht Chriftus (Matth. 11, 28—29): „Kommt ber zu mir
Alle, die ihr mühſelig und beladen feid, ich will euch erquiden.
Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir; denn ich bin ge
duldig und demüthig von Herzen; fo werbet ihr Ruhe finden für
eure Seelen“, und fteht nicht Matth. 10, 24 die Aufforderung:
„Wil mir ISemand nachfolgen, der verleugne ſich felbjt und nehme
44
fein Kreuz auf fih und folge mir“. (Vgl. Matth. 10, 38; Marc.
8, 34; Luc. 9, 23; Luc. 9, 27; Joh. 10; Matth. 19, 21.)
chriſtus bat“, fo beißt e8 in einem alten Ratedismus der
Waldenfer, „pie Seligteit verfprochen denen, die gehorſam find
jeinen Worten, ihn lieben und ibm nachfolgen“ i).
So ſehr fie nun auch einerfeitS betonten, daß fie in denjenigen
Slaubensfägen, die fte zum Heil nothwendig bielten, auf
Ehrifti Worten ftehen wollten, fo weit waren fie natürlich davon
entfernt, die überlieferten Schriften in ihrer Bedeutung als
Ganzes zu unterfhägen?). Ihre Gefchichte beweift, daß fie die
Evangelien wie die übrigen Bücher und Briefe überaus hochhielten ;
in ihren Predigten haben ſich die Geiftlichen der Waldenſer ftets
auf die ganze h. Schrift gejtüßt?).
Gleichwohl war e8 ein weittragendes PBrincip, welchem fie Durch
bie obigen Grundſätze Ausdruck gaben.
Die natürliche Folge deſſelben war, daß fie dem Alten Tefta-
ment (wenigftens rückſichtlich der Heilslehren) nur infoweit Bedeu-
tung beilegten, als dafjelbe mit Chrifti Worten in unzweifelhafter
Harmonie ftand ?).
Noch im 16. Jahrhundert waren die ſüdfranzöſiſchen Waldenſer
im Zweifel, ob e8 erlaubt fei, alle Bücher des Alten Teftaments,
bie fie ihren Predigern in die Hand gaben, den Laien in gleicher
Weife zu empfehlen, wie fie e8 bezüglich des Neuen für ihre Pflicht
hielten 5). Die „Schweizer Brüder“, welche man Täufer nannte,
tbeilten im 16. Jahrhundert volljtändig diefe Auffafjung und wenn
fie auch die prophetifchen Bücher unter fich verbreiteten, fo ſcheint
1) Wir werden den Katehismus unten näher Tennen lernen.
2) vw. die bezüglichen Ausführungen Pregerd, Geſch. d. deutſchen Myſtik
Bd. 1J S
3) enio« Reimer: Quidquid praedicatur, quod per textum Bibliae non
probatur, pro fabulis habent. Hahn a. O. ©, 271.
4) Näheres darüber bei Herzog a. D. ©. 128. 129. — David von Augs-
burg zählte diefe Stellung zum Alten Teftament unter die „Ketzereien“ der Wal-
. benfer. Er fagt: Vetus Testamentum non recipiunt ad credendum, sed tan-
tum aliqua inde discunt, ut nos per ea impugnent et se defendant, dicentes,
quod superveniente evangelio vetera omnia transierunt. Abh. der IL. EL. b.
8.23 Ak. d. W. 1878 II, ©. 199.
5) Herzog a. a. O. ©, 352,
45
doch der Vorwurf, welcher ihnen von Bullinger, Gaftius, Wigand
u. A. gemacht wird, daß fie das Alte Teſtament im Vergleich zum
Neuen vernachläffigten, begründet gewejen zu fein !). .
Neuere Gegner haben von den Walvenfern behauptet, fie hätten
den ‚„Lehrtupus des Paulus wie gefliffentlich umgangen”). Wenn
eine folche Behauptung auch nur von einer Seite aufgejtellt wer-
den kann, welche den Lehrtypus des Paulus threrfeits gefliffentlich
bevorzugt, fo ift doch daran fo viel wahr, daß fie bet allen Lehren
der Apoftel zuerſt fragten: Wie ſtimmen diefelben mit Chrifti Worten?
und daß fie Paulus’ Doctrinen nur dann fich zu eigen gemacht
haben, wenn bie Webereinftimmung mit Chrifti Befehlen als voll-
fommen zweifellos betrachtet werden mußte.
Die altevangelifchen Gemeinden haben, wie wir oben ſahen,
die fleißige Lektüre des Neuen Teſtaments ihren Anhängern etwa
in berfelben Weife zur religidfen Pflicht gemacht, wie die rö⸗
mifche Kirche den regelmäßigen Bejuch der Gottesdienfte?).
Aber dabei haben fie zugleich. ftet8 hervorgehoben, daß nur
bemjenigen die rechte Erfenntniß der Worte Chriftt werde zu Theil
werben, welcher mit Ernſt danach ftrebt, unter Gottes Hülfe Das Leben
Chriſti zu leben, ein Leben der Liebe zu Gott und den Menfchen.
Sie beriefen ſich dabei auf Chriftt Wort (Joh. 8, 12): „Ich
bin das Licht der Welt, wer mir nachfolgt, der wird nicht warı-
deln in Finfternig, jondern das Licht des ewigen Lebens haben‘,
Auch andere Stellen machten fie für fich geltend, 3. B. bie
Worte: „So Iemand will defien Willen thun, der mich gefandt
bat, der wird inne werben, ob biefe Lehre von Gott fei oder ob ich
von mir felber rede”.
So gewann die Idee der „Nachfolge Chriſti“ für diefe Partei
eine ſolche Bedeutung, daß fie durch Teine Bezeichnung fich beffer
harakterifiren läßt als durch die, welche fie fich felbit gegeben hat,
nämlih durch den Namen „Nachfolger Chriſti“.
1) Bullinger, Der Wiebertäufer Urfprung 1560 ©. 73. — Gaſtius,
De Anab, exordio 1544 S. 33. — Wigand, De Anabaptismo p. 1.
2) Herzog S. 190.
3) Sieben Tugenden zählten fie auf als Pflichten bes rechten Chriften und
eine darunter mar bie Pflicht des Lejens der h. Schrift. Vgl. Herzog a. O. ©. 121.
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In einem alten Waldenferbuche, welches u. A. von der Erkennt
niß der göttlichen Dinge handelt, wird dies PBrincip in folgende
Worte gefaßt:
„Der Knecht Gottes ſoll zuerft vom Böſen ablaffen; wenn
du das gethan haben wirft, dann wirft du (in den heiligen Schriften)
diejenigen Dinge finden, die du zu willen begehrit“. „Wir follen
in unferen Herzen tiefe Brunnen graben, indem wir alles Irdiſche
hinauswerfen, bis wir bie verborgene Ader lebendigen Waffers
finden‘. „Hütet euch, daß ihr den lebendigen Quell, aus dem bie
Weisheit quilit, nicht verfchüttet durch irdiſche Leidenschaften‘).
Es leuchtet ein, daß mit den obigen Süßen ein Erfenntnif-
princip von fundamentaler Wichtigkeit in das Lehrſyſtem einge
führt wird. |
Inden die Waldenfer darauf binwiefen, daß Chriftus ſelbſt
verheißen Hat: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende
der Welt‘, legten fie diefe wichtige Zufage in dem Sinne aus, daß
der Geift Chrifti in allen Menfchen in dem Maße wirkfam fein
werde, al8 diefe Chrifti Worten gehorfam und feine rechten Nach—
folger find.
Chriſtus felbit aber ift e8, der, wie er bereit den Apofteln
„pen Verſtand zur Einficht in die Schrift eröffnet hat“ (Luc. 24, 45),
jo auch noch heute feinen wahren Jüngern die Fähigkeit zum rechten
Verftändnig jeiner Worte vermittelt.
Wenn man die Worte Ehrifti genau durchlieft, jo erkennt man,
dag Ehriftus wirklich den Geift wahrer Erfenntniß demjenigen ver»
beißen bat, welcher den Willen zum Guten in wahren Sinn bejikt.
So jagt Jeſus ganz deutlich (bei Joh. 14): „Wenn ihr mid
liebt, jo werbet ihr meine Gebote halten, dann werde ich den Vater
bitten und er wird euch einen anderen Fürſprecher geben, daß er
bei euch jei in Ewigkeit: den Geiſt der Wahrheit”, und ew
läuternd führt er fort, daß die „Welt“, d. h. die Nichtehriften,
diefen Geift nicht empfangen Tann.
Nun bat ja wohl niemals eine chriftliche Confeſſion bejtritten,
daß der h. Geiſt den Chriften zugefagt jet. Aber die römische Kirche
1) Herzog a. a. O. ©. 131f.
47
Yegte die bezüglichen Stellen in dem Sinne aus, daß Chriftus feiner
Kirche und deren trdifchen Vertretern eine unfehlbare Lehrentfchei-
dung übertragen habe, während die fpätere lutheriſche Kirche die
betreffenden Worte auf die Erfenntnig der Schriftwahrbeit gar nicht
anwandte.
Die altevangeliſche Gemeinſchaft dagegen glaubte und lehrte
geradezu, daß Chriſtus den Geift der Wahrheit!) allen feinen
Gläubigen nach dem Maße des rechten Gehorfams gegen Chrifti
Gebote zugefagt und verliehen babe.
Der bejonvdere Werth, welchen die Walvdenfer auf den Sat
Yegten: „Die Furcht Gottes ift der Weisheit Anfang‘, erhält eben
aus diefer Idee feine Erläuterung. Sie wollten damit andeuten,
daß fich Gott nicht bloß durch Äußere Offenbarung, fondern zugleich
dadurch zu erkennen giebt, daß er auf die Beſſerung unſeres
Willens dur das Gewilfen unausgefegt einwirkt. Wenn man
diefer inneren Mahnung, dem „Geifte Chriſti“, Gehör fchentt,
fo wird man fühlen, daß Gott dem guten Menfchen nabe ift, und -
eben der Geift Gottes wird uns dann in alle Wahrheit leiten. Gott
hat gewollt, daß die höchſten Wahrheiten durch das Herz in ven
Berftand kommen, nicht umgekehrt.
Dabei muß übrigens ausprüdlich hervorgehoben werden, daß
die altevangelifche Gemeinfchaft in dieſem Erfenntnikprincip nicht
eine göttliche „Infpiration” in dem Sinne einer übernatürlichen
Dffenbarung erbliden wollte. Eine folche Infpiration würde dem
Menſchengeiſte neue Wahrheiten materiell und inhaltlich mittheilen.
Aber das „innere Wort”, wie e8 hier gefaßt wird, oder der „Geift
Chrifti” (wie Einzelne fagten) ſchärft nur das innere geiſtige
Auge und giebt ihm die Fähigkeit einer reineren Auffaffung der
anberweit geoffenbarten Wahrheit. Es iſt eine erleuchtende Mit-
wirkung Gottes, welche Gottes Gnade allen wahrhaft guten Men-
fchen zu Theil werben läßt.
Daß es eine „innere Offenbarung — in dem angedeuteten
1) Daß dieſer Ausdruck bei den Waldenſern ſich nicht etwa deckt mit der
Bezeichnung „Vernunft“ ſoll hier gleich hervorgehoben werben. Es iſt bie
von ber Heiligung bes Willens ausgehende Erleuchtung gemeint, nicht etwa
das bloße Erkenntnißvermögen.
48
Sinne — in der That giebt, bezeugt die h. Schrift ganz unzweifel-
baft in Paulus’ Worten: „Denn was von Gott zu erkennen ift,
tft unter ihnen offenbar, denn Gott hat es ihnen geoffen-
bart“ (Röm. 1,19) und: „Wenn bie Heiden, die das Geſetz nicht
haben, von Natur thun, was das Geſetz fagt, fo find fie, bie fein
Geſetz Haben, fich ſelbſt Geſetz, da ſie ja zeigen, wie des Geſetzes
Wert gefhrieben tft in ihren Herzen, indem ihr Gewiffen
fein Zeugniß dazu giebt” (Röm. 2, 14f.).
In Uebereinftimmung biermit glaubten die Walvenfer, daß
Gott Durch das Gewiffen täglich an die Thür des Menſchenherzens
Hopft, um ihm die innere Erleuchtung, welche mit der rechten Er-
fenntniß erft den rechten Frieden giebt, nahe zu bringen. Aber die
wenigſten Menfchen hören ven leifen Ruf. Dann fendet Gott oft
ihnen Heimjuchungen, inneren Unfrieden, ſchwere Schidfale und
pocht lauter und lauter an die Pforte. So kommt dann ſchon im
Diefleits für Viele wohl der Tag, der ihnen die Erleuchtung bringt
. und fie fähig macht, das Wort zu fallen, das bis dahin für fie
todter Buchitabe gewefen war. Im diefem Sinne fagt Johannes:
Chriftus „ift das wahre Licht, das jeden Menſchen erleuchtet, der
in die Welt kommt“.
Und indem fich fo durch Chriſti Geift der innere Zwiefpalt
bes Herzens, der in jedem Menfchen zwifchen ven guten und den
böfen Zrieben ausgelämpft wird, löft, wird das Wort zur Wahr-
beit, daß Chriftus es ift, welcher denjenigen erlöft, der feinen
Worten glaubt und gehorfam iſt. Denn er ift, wie er felbit jagt,
in die Welt gekommen, „zu geben fein Leben zum Löfegeld für
Viele“ (Marc. 10).
So ift das „innere Licht” gleich einem Samenkorn, aus welchem
die Kraft Chrifti erleuchtendes und erlöfendes Leben im Menfchen-
berzen entwidelt.
Alle neueren Forſchungen beftätigen die Thatfache, Daß die Lehre
der Waldenſer fich durch Die befondere Bedeutung charakterifirt,
welche fie den Weifungen Chrifti im Allgemeinen, beſonders aber
der Bergpredigt beilegten.
Schon W. Diedhoff hat heroorgehoben, daß e8 „Die Vorfchriften
49
ChHriftt in der Bergpredigt find, auf welche die Waldenfer ihre eigen-
thümlichen Auffaffungen über die chriftliche Frömmigkeit überhaupt
jtügen N), Ein anderer ausgezeichneter Kenner der „Brüder“ fagt
mit Recht: „Für die Armen von Thon hatte die Bergpredigt bie
Bedeutung des Evangeliums xar’ &doynv‘‘?). — Die Vorfhriften
der Bergprebigt find in der That für die Waldenfer der Canon
bed neuen Bundes, der für ben „rechten Ehriften verbindlich ift?).
Sie war e8, aus welcher fie gemäß Chriſti Worten ftetS den
Sab betonten‘): „Alles nun, was ihr wollt, daß euch die Leute
tbun, das thut ihr ihnen”; fie erkannten in dieſem Befehl (wie
Chriſtus jagt) „das Gejek und die Propheten” (Mattb. 7, 12). Ihr
entnabmen fie all die Fülle unvergänglicher Weisheit, wie fie fo
einfach und doch fo tief in ihr enthalten ift. „Selig find die Barm⸗
berzigen, denn fie werden Barmherzigkeit erfahren; felig find, bie
reines Herzens find”. „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet
werbet”. „An den Früchten follt ihr fie erfennen”. Ihr entſtammte
das Gebet, das fie beteten, ihr die Form der Andacht, die fie am
meiften Tiebten, nämlich der Gottesdienft im ftillen Kämmerlein 5).
Sie war e8 aber auch, auf welche fie diejenigen Anfichten grün-
beten, die ihren Gegnern von jeher am anftößigften geweſen find
und die ihnen die meiſte Verfolgung eingetragen haben.
Dahin gehört vor Allem der tiefe Wideriwillen gegen alles Blut-
vergießen und jede Menfchentödtung, gleichviel unter welchen
Modalitäten fie erfolgte. Chriftt Reich fer bejtimmt, ein Reich des
Friedens und der Liebe zu fein, fagten fie, und fie wollten nach
Kräften dahin wirken, daß dies Ideal verwirklicht werde.
1) Diechhoff a. ©. 1851 ©. 189. 2) v. Zezſchwitz a. O. ©. 102.
3) Man beachte bie leider allerbings ſehr fragmentarifchen Andeutungen ber
Protocolle der Inquifition von Tonloufe (1307—1323) über den Inhalt der Pre»
digten der „Brüder. Wo die Notarien diefen ihrem Verſtändniß ferner Tiegen-
ven Punkt aus den Bekenntniſſen der Angeklagten genauer verzeichnet haben,
treten die wörtliden Anklänge an die Bergprebigt fofort hervor. Vgl. Lim⸗
borch a. a. D. ©. 367,
4) ©, die Belegftelle bei Hahn a, O. II, 371 nad dem Lib. sent. Inquisi-
tionis Tolosanae aus ca. 1310.
5) Daß fie Die Bevorzugung ber Hausgottesdienſte (vgl. unten) ausdrücklich
auf Matth. 6, 6 gräündeten, beftätigt Eberh. v. Bethune in der Max. bibl. Patr.
XXIV, 1602.
Keller, Die Reformation. 4
50
Indem fie diefe Idee in feften Grundſätzen zu geftalten be-
müht waren, ſchien e8 ihnen vor Allem Gewifjenspflicht, der Boll-
ziehung ber Todesſtrafe ihre Zuftimmung zu verfagen, und fie
ftellten damit eine Lehre auf, welche in jenen frühen Jahrhunderten
als unerbörte Neuerung erjcheinen mußte und erfcien !).
Schon einer der früheften römischen Polemiler erzählt, daß die
Waldenſer die Hinrichtung eines Menfchen deßhalb für unerlaubt
erklärt hätten, weil Chriftus fie verbiete; e8 dürfe, ſagten fie, feinem
Menſchen die Zeit für die Beiferung und Reue abgekürzt werben.
Ihre theologischen Gegner behaupten bis auf den heutigen Tag,
dies fei eine „falfche, äußerliche, gejeliche Weife in der Behand⸗
lung einzelner Schriftftellen‘ 2), allein ihr Grundprincip brachte
dies Verbot mit fich.
Dabei lag es ihnen durchaus fern, die übrigen Straf- und
Zuchtmittel des Staats irgendwie anzugreifen. Es ift in: ihrer
ganzen Literatur, foweit fie mir befannt geworden ift, feine einzige
Stelle nachweisbar, in welcher gegen die Zuchtmittel der bürger-
lichen Gefellichaft im Allgemeinen polemifirt würde. Aber ihre
Gegner haben in burchfichtiger Tendenz ihnen vielfach die Behaup-
tung untergefchoben, daß fie mit der Verwerfung der Todesſtrafe
alle Staatliche Ordnung zugleich negirten.
Es lag in der Eonfequenz ihrer Auffafjung, daß fie auch in
Glaubensſachen die Anwendung der Tobesftrafe als fchwere Sünde
erflärten 3). Aber fie gingen in diefer Nichtung unter Berufung
auf Chrifti Wort und Vorbild und auf das Beifpiel der apoftoli-
ſchen Gemeinden noch einen erheblichen Schritt weiter und erklärten
1) Es ift uns ein „Berzeichniß der Irrlehren der Waldenſer“ (Saec. XIV)
erhalten; barin heißt e8: „Item omne homicidium quorumcunque maleficorum
credunt esse mortale peccatum, dicentes, sicut nos non posse vivificare sic
nec debere occidere“. Max. bibl. Patrum XXV, 308 D. — Zahlreiche weitere
Belegftellen bei Hahn a. a. O. II, 289. — Der Walbenfer Andr. Garini fagt im
Sabre 1320 aus: „Quicungue judex judicat hominem ad mortem, peccat mor-
taliter*. Limborch a. DO. S. 370. — Faft wörtlich ebenſo Limborch S. 354,
2) Diedhoff a. O. ©. 322,
3) Petrus Lucenſis fagt (c. 1320) aus: „Quod unus Christianus, maxime,
quando est clericus literatus et intelligens scripturam sanctam, non debet tra-
dere ad mortem alium Christianum“. ©, Limborch Lib. ing. Tol. Amst, 1692.
©. 360,
51
jeden äußeren Zwang in Glaubensjachen für durchaus un⸗
erlaubt!),
Mit großer Lebhaftigkeit fprechen fie fich in ihren Schriften
gegen diejenigen aus, welche, „anjtatt die Irrthümer der Reber
durch rechte Predigt zu überwinden, als fchlechte Jäger das Erjagte
tödten“. „Sich für geiftliche Jäger ausgebend“, fagt ber wal--
denfifche Ausleger des Hohen Liedes, „find fie böfe Füchſe geworden,
welche die armen Küchlein Chriſti töbten mit böfen Zähnen”, „Sie
jegen an die Stelle der Sanftmutb des Evangeliums die Grau-
jamteit des Mofed. Denn fie haben die Sanftmuth Des
Evangeliums im Munde und das Schwert des Mofes
in den Händen. Darum werden fie mit dem ewigen Schwerte.
geftraft werden‘ 2).
Intereffant ift es, wie die Waldenfer die Ausrede der Hierarchie
abweifen, daß fie es nicht fei, ſondern der weltlicde Arm, welcher
das Schwert gegen die Ketzer gebrauche. „Sie (die Prieiter) bes
wegen ben weltlichen Arm und wollen rein fein von Morb und
Wohlthäter genannt werden. Gewiß, wie zu den Zeiten Chrifti
Annas und Caiphas und die anderen Phariſäer thaten, jo jet
Innocenz?); fie gingen nicht in das Haus des Pilatus, damit fie
nicht verunreinigt würden; fie überlieferten Chriſtum dem
weltliden Arm wie jeßt”®),
Chriſti VBorfchriften in der Bergprebigt "waren e8 ferner, auf
Grund deren fie jede perſönliche Race für unerlaubt erflärten.
Das fei eben, fagten fie unter Bezugnahme auf Matth. 5, 38, das
Eigenthümliche des Chriſtenthums, daß es das jüdiſche Geſetz der
Wiedervergeltung — „Auge um Auge, Zahn um Zahn” — über-
wunden babe. Sie nahmen diefe Vorfchrift jo ernit, daß fie an
1) In der Schrift des Pfeubo-Reiner von c. 1260 wird ihnen vorgeworfen,
fie lehrten, „quod nullus sit cogendus ad fidem“; Max. bibl. Patrum
Bo. XXV ©, 265. Weitere Belegftelle bei Hahn a. O. I, 368. — Desgl. bei
Comba a. a. DO. S. 51 Anm. 7.
2) Herzog a. O. ©. 199.
3) Es ift Papſt Innocenz IV. (1243—1254) gemeint, unter deſſen Regierung
die Verfolgungen eine große Ausbehnung annahmen.
4) Herzog a. O. ©. 201. — Die Weiffagungen des Propheten Daniel wer-
den von ihnen gern auf biefe Zeiten der Verfolgung angemenbet.
4%
52
demjenigen, ver ihnen Böſes getban Hatte, nicht nur perjönlich fich
nicht rächen wollten, ſondern daß fie auch die Anrufung der &e-
richte zur Beftrafung des Uebelthäters ablehnten.
Es mag fein, dag Einzelne in einer allzu buchjtäblichen Auf
faffung von Chriftt Worten über Chriſti eigne Abficht hinausge-
gangen find und infofern den Vorwurf der Schwärmeret einiger-
maßen verbient haben. Aber es ſcheint mir anjtatt eines Vorwurfs
ein Lob, wenn einer ihrer neueren Gegner tadelnd bemerkt: „Sie
wollen, dag man fich gegen die Angriffe anderer blos verthei-
bigend verhalten folle‘ 1).
Das tft in der That richtig. Die Waldenfer haben als Partei
das Verbot der Wiedervergeltung zwar ftetS aufrecht erhalten, aber
das Recht der Nothwehr, ſelbſt mit den Waffen, nie beftritten 2).
Sie haben. in ihrer Gefchichte, und zwar in den beiten Perio-
den berjelben, wiederholt den Beweis geliefert, daß fie den Gebrauch
der Waffen, foweit er in gerechter Notbwehr unvermeidlich ift, für
erlaubt bielten. So im 14. Jahrhundert, als die piemontefifchen
Waldenſer fich mit bewaffneter Hand gegen den Inquifitor Albert
erhoben 3),
Es fteht in der Bergprebigt nichts davon, daß die Nothwehr
gegen den, der dem Angegriffenen nach dem Leben trachtet, unerlaubt
oder verboten fet, und deßhalb haben die Waldenſer, wenigjtens in
ihrem einfichtigen Theil, nie ein folches Verbot aufgeftelit %).
1) Diedboff a. O. ©. 324.
2) Bgl. die bezüglichen Belegſtellen bei Hahn a. O. II, 289,
3) Herzog a. O. ©. 273,
4) Es ift möglich, daß e& unter den Waldenſern einzelne Berfonen gegeben
hat, welche aus dem Verbot des Tödtens auch das Verbot des Waffengebrauchs
ableiteten. Allein daß die Partei als foldhe das Verbot des Tödtens nicht als
Derbot der Nothwehr faßte, erhellt deutlich aus der Polemik ihrer römifchen
Gegner. ebenfalls fteht es feit, daß die Waldenſer felbft Krieg geführt Haben,
wenn fie mit Kriegsmacht überzogen wurden. Auch ift in ihrer ganzen Fiteratur
bis jeßt Teine Stelle nachgewiefen worden, worin fie den Bertheidigungsfrieg für
umerlaubt erflärt haben. Der Inquifitor Petrus hat im Jahre 1399 ein fehr
detaillirtes Verzeichniß der Irrlehren ver W. aufgeftellt; darin wird (in Nr. 72)
das Verbot der Tödtung ausdrücklich als Verbot der Hinrichtung (judicialiter)
bezeichnet. Auch von dem Krieg handelt eine Irrlehre (Nr. 73); aber darin heißt
e8: „Item dampnant et reprobant, dominum apostolicum mittentem bellatores
contra sarracenos et crucem dantem vel praedicantem contra quoscunque pa-
53
Die Bergpredigt war e8 ferner, auf. welche fie das Verbot des
Schwörens gründeten, welches trotz gewifjer Einſchränkungen, die
fie demfelben zu verſchiedenen Zeiten gaben !), als Eigenart diefer
Partei gelten muß.
Die beitimmte Anweifung Chrifti, wie fie Matth. 5, 34 ff. vor⸗
liegt?), und die ebenfo bejtimmte Beitätigung diefes Verbots durch
Jacobus 5, 12, jchien ihnen alfe die Gegengründe zu überwiegen,
welche fowohl aus dem Alten Teſtament wie aus Paulus’ Briefen
beigebracht werben können. Paulus bezeichnet (Bebr. 6, 16) in
Vebereinftimmung mit dem jüdischen Brauch ven Eid als das Mittel,
aller Hader zu endigen, und er bebient fich wiederholt folcher For-
meln, in welchen Gott zum Zeugen angerufen wird (2 Cor. 11, 31;
Röm. 1,9).
Die Theologen der berrichenden Kirchen haben das Verbot
oder die Einfchränfung des Schwurs als „Buchftabenglauben” und
Ausflug eines bejchränkten Gefichtsfreifes feit alten Zeiten hart an-
gefochten. Ä
Es ift ja richtig, dag die Traditionen ſowohl des Judenthums
wie des römiſchen Rechts, deren Stärke doch Niemand leugnen follte,
ſich in anderer Richtung als Chriftt ſehr beftimmte Anweifung bewegen.
Abber für eine Partei, welche ihre Stärke in der befonderen
Betonung der Worte. Chrifti fand, konnte conſequenterweiſe weder
die Erwägung der Zwedmäßigfeit noch die Autorität des Paulus
jenen beitimmten Befehl umwerfen.
ganos“. Daß fie die Kriegführung des Papftes verwarfen, hat feinen Grund in
der Berwerfung der weltlichen Funktionen des Papſtthums überhaupt. Bon all-
gemeiner VBerwerfung des Kriegs ift mit Teinem Wort die Rebe. Das Verzeichniß
bei Preger in den Abhandlungen der III. Cl. d. K. B. A. d. W. zu M. Bd. XII
Abth. J. S. 248.
1) S. unten S. 54.
2) Die Stelle lautet bekanntlich: „Ihr habt weiter gehört, daß zu den Alten
geſagt iſt: Du ſollſt keinen falſchen Eid thun und ſollſt Gott deinen Eid halten.
Sch aber ſage euch, daß ihr allerdings nicht ſchwören ſollt weder bei dem Him⸗
mel, denn er iſt Gottes Stuhl, noch bei der Erde, denn ſie iſt ſeiner Füße Sche⸗
mel; noch bei Jeruſalem, denn fie iſt eines großen Königs Stadt. Auch ſollſt
du nicht bei deinem Haupt ſchwören, denn du vermagft nicht ein einziges Haar
weiß oder ſchwarz zu machen. Eure Rebe aber fei: Ia, ja, nein, nein; was
darüber ift, das ift vom Uebel“.
54
In Folge deſſen dachten fie über jede Art des Schwörend viel
ernster als alle anderen chriftlichen Parteien. Im Beſonderen ver-
boten fie und betrachteten als ſchwere Sünde jene leichtfertige Weife,
welche Gott und die göttlichen Dinge bei jedem geringen Anlaß zum
Zeugen zu nehmen pflegt und die fich nicht nur in der Art Des
Schwörens fund giebt, die man als Sluchen bezeichnet, ſondern Die
auch in vielen approbirten bürgerlichen Gewohnheiten geübt wird.
Auch Steht es feft, daß fie zu allen Zeiten der Anficht waren,
e8 fet um des Gewiſſens willen ficherer und empfehlenswerther,
überhaupt niemals zu ſchwören !).
In ihren beiferen Perioden aber Hat ein gefunder Takt vie
Waldenfer auf einen Mittelweg geleitet, welcher fowohl den Vor⸗
ſchriften Chriftt wie der Anficht des Paulus Genüge leiſtet.
Es geht aus den Erörterungen des David von Augsburg fc. 1260)
mit Sicherheit hervor, daß fie in gewillen Fällen ven Schwur für
mehr oder weniger erlaubt hielten.
Auch Pſeudo⸗Reiner beftätigt Dies dadurch, daß er die aus-
nabmsweife Geftattung des Schwurs bei den „apoftolifhen Brü-
bern‘ einräumt?). Es ſcheint, als ob ein Verbot des Schwörens
nur in Bezug auf eivliche Gelöbniſſe auf zufünftige Dinge beftan-
den habe3), daß fie aber die Anrufung Gottes zum Zeugniß der
Wahrheit nicht immer für abjolut unerlaubt erklärt haben.
Auf eine eingefhräntte Geftattung des Schwurs fcheint näm⸗
lich Chriftus felbft Hinzumeifen, indem er fein Verbot damit bes
gründet: „Denn du vermagft nicht ein einziges Haar weiß oder
ſchwarz zu machen”. Alfo ift derjenige Schwur unbedingt verboten,
deſſen Erfüllung nicht in unſerem Vermögen ſteht.
1) Die Ausſagen angeklagter Waldenſer, wie ſie ſich z. B. in dem Lib. Inq.
Tolosanae bei Limborch finden, müſſen ſehr vorſichtig verwendet werben (vgl. oben).
Einzelne dort vorfindliche Aeußerungen bedürfen noch der Aufklärung, z. B. Lim⸗
borch ©. 377: „nunquam debet homo jurare super librum in aliquo casu
nec in curia nec extra curiam“ etc.
2) Maxima bibl. Patrum XXV, 266D.
3) „Item dicunt, promissa esse superbiam et vanitatem“ f. Preger in ven
Abh. d. III. Cl. d. K. B. A. d. W. Bd. XII S. 247. — Petrus Lucenfis er⸗
Märt (c. 1320): „Si juraret, faceret contra conscientiam suam et forsitan
non posset tenere illud, quod juraret et sic peccaret*. Limborch
a. a. O. ©. 362,
55
Wenn man fih über den Begriff des Schwurs und über
dasjenige, was von Chriftus darin als verboten hat bezeichnet wer-
den follen, verftändigt, jo ift eine Löfung des Problems wohl mög⸗
lich. Immerhin waren die Waldenfer gegenüber denjenigen, welche
auf Paulus Worte hin den Schwur uneingefchränft geftatteten, un-
zweifelhaft im Recht, wenn fie im Namen Chriftt Dagegen proteftirten.
Denn dag Chriftus den Schwur in gewiffem Sinn verboten hat,
fann gar feinem Zweifel unterliegen.
Die Bergpredigt war es endlich, aus welcher fie das Gebot
der Feindesliebe entnahmen. Gerade diefe Forderung fehrt nach
dem Zeugniß Dr. Herzogs in allen Schriften der Waldenſer in
„unzähligen Wendungen” wieder 1).
Eine der älteften waldenfifchen Predigten, welche uns erhalten
ift, führt uns in dies Thema ein. „In dieſem Evangelium”, fagt
ber Prediger, „zieht und der Herr hinweg von der Fleinen Liebe, die
da tft die Freunde lieben, und führt uns zur großen und weiten
Liebe bin, die darin befteht, die Feinde zu lieben“.
Die praftifche Anwendung, die fie dieſem Satze gaben, lag darin,
daß fie e8 zur Sünde vechneten, Scheltwort mit Scheltwort zu ver-
gelten), Böfes zu thun dem, der und Böſes thut. |
Einer der Vorwürfe, welche den Waldenſern ſchon in alter
Zeit von rechigläubiger Seite gemacht worden find, ift der, daß
fie angeblih von den Wundern und Gebeimnifjen, welche in ben
h. Schriften fich finden, zu wenig gehalten hätten.
Diefer Vorwurf ift in folder Allgemeinheit falſch; denn es
wird fich feine Stelle ihrer Literatur nachweifen laffen, in welcher
fie die Myſterien der chriftlichen Religion angezweifelt haben. Aber
wahr iſt es, daß fie die meiften Wunder, welche die römifche Kirche
befonder8 betonte, nicht zu vem Hetlsglauben im engeren Sinne
rechneten, deſſen Bekenntniß fie von Jedem ald nothwendig for-
derten 3). Sie lehnten e8 ab, über Begriffe und Lehrſätze, welche
1) Herzog a. DO. ©. 174.
2) Es verdient alle Beachtung, daß in ihrer Literatur grobe Invectiven gegen
ihre Gegner viel feltener nachweisbar find als bei allen anderen Parteien. Bol.
Ochſen bein Der Inquiſitionsprozeß gegen die Walbenfer u. ſ. w. ©. 112.
3) Bol. Hahn a. ©. I, S. 267 Anm. 3.
“
56
in Chrifti Worten nicht Har enthalten waren, zu ftreiten. Sie
Iegten als Gemeinfchaft hierin den einzelnen Gläubigen Teine Feſſeln
anf, und es findet fich daher unter ihnen fogar die Thatjache, daß
- fie foldde Männer, welche über die Dreieinigfeit, den Begriff
der Erbfünde u, ſ. w. keine völlig gleiche Auffafjung hegten, un⸗
gekränkt unter fich duldeten. Ihre Gegner warfen ihnen vor, daß
fie in diefen Punkten die Lehre der römischen Kirche nicht durchaus
theilten. Da anerkannte Autoritäten der „Brüder aber fich nie
darüber ausgefprochen haben, fo läßt fich der Sachverhalt nur ſchwer
feititellen. Etwas Wahres lag dem Vorwurf jedenfall® zu Grunde.
Ein Grundgedanke des Waldenſerthums lag in der Xehre, daß
die herrſchende Kirche die ausfchliegliche Befähigung, ven Weg des
Heils zu öffnen oder zu fchließen, nicht beſitze !).
Anstatt an die Vermittlung zu glauben, welche die Kirche für
fih, ihre Priefter und ihre Heilmittel (Sacramente) in Anfpruch
nahm, hegten die Walvenfer die Ueberzeugung, daß der Weg zum
Seelenheil auch ohne diefelbe demjenigen nicht verjchloffen jet, welcher
die gnäbige Hülfe Chrifti durch einen Glauben, ver in ber Liebe
tbätig ift, ſich erworben habe,
Auch fie kannten mithin ein „Heilsmittel”, nämlich den Geiſt
Chriſti. Diefer ift es, deffen Aufnahme in uns (neben ver Lehre
und dem Vorbild Ehrifti) zur Wieberhberftellung des Ebenbildes Got-
tes in ung nöthig ift. Chrifti Beiſtand allein macht e8 uns mög-
ih, Gott recht zu 'erfennen. Der Weg zu Chriftus aber wird ung
durch das Äußere und innere Wort, wie wir fie oben gezeichnet
haben, aber nicht durch die „Gnadengaben“ des firchlichen Dogmas
oder Tirchlicher Geremonien eröffnet. Die „Kirche oder die „Ber
meinde“ ift nur infofern Trägerin der Vermittlung, als fie bie
Trägerin und Bewahrerin des äußeren Wortes und die Inhaberin
der Vollmacht ift, den Bann und die Kirchenzucht zu üben.
1) Daß dies der Cardinalpunkt ihres ganzen Syſtems war, haben frhon bie
alten Imquifitoren hervorgehoben. David von Augsburg fchreibt um das Jahr
1260: Haec fuit prima heresis eorum, contemptus ecclesiae potestatis.
Ex hoc traditi sathane precipitati sunt ab ipso in errores innumeros etc,
Abhdlg. der II. &. d. K. B. A. d. W. 1878 Vol. XIV Abth. I ©. 206. — Zu
biefen Irrlehren zählt David: „Nulla miracula dicunt esse vera, que fiunt
in ecclesia, quia nullus ipsorum aliquando miracula fecit“. A. O. S. 207.
57
Angeſichts der fittlichen Zuftände, welche fich unter der Priefter-
Schaft fo vielfach gezeigt Hatten, war e8 immer größeren Vollskreifen
zur Gewißheit geworden, daß die göttlihen Gaben nicht ausſchließ⸗
lich an die Willführ einzelner Menſchen gebunden fein Tönnten,
welche die Bollmachten, die fie zu Haben glaubten, jo häufig zu
felbftfüchtigen Zwecken mißbrauchten.
Weit und breit kam die Veberzeugung zum Durchbruch, daß
das Heilige in tiefem Gegenjat zur fittlichen Schlechtigkeit jtehe, und
man fragte fich, ob es Gottes Wille ſei, fchlechte und gute Priefter
ohne Unterjchied gleichſam zum Canal feiner Gaben zu machen.
Die Waldenfer leugneten nicht, dag Chriftus feinen Apofteln
und deren Nachfolgern!) die Vollmacht, zu löſen und zu binden,
gegeben babe, und fie wußten wohl, daß die Apoftel unter Mit-
wirfung der Gemeinde von dem Rechte der Kirchenzucht feit
alten Zeiten Gebrauch gemacht hatten. Aber fie jagten: „Ein Uns
reiner kann einen Anderen nicht rein Sprechen und ein (in Sünde)
Gebundener kann einen Anderen nicht löſen; ein Schuldiger Tann
den über einen anderen Schuldigen erzürnten Richter nicht befünf-
tigen, und wer jelbft auf dent Weg der Verderbniß wandelt, kann
für Niemanden der Führer zum Himmel fein‘ 2).
Es war daber, wie wir al8bald näber ſehen werben, in ihren
Augen neben der apoftolifhen Succeffion auch bie fittlihe Rein⸗
beit, wie fie ven Apofteln felbjt eigen gewejen war, nothwendig, um
die Vollmacht Chriſti wirkſam zur Anwendung bringen zu Tönnen.
Wo fie jene Reinheit des Herzens in Selbftverleugnung und
rechter Nachahmung des Lebens Chrifti nicht fanden — fie ftellten
dafür ganz beitinnmte Normen auf — habe Gott die Macht, fagten
fie, das Gewiſſen der Menſchen durch die unmittelbare Wir-
fung feiner Gnade zu binden und zu löſen. Doch ift überall ba,
wo das rechte Apoftolat und die rechte Gemeinde fich findet, dieſe
ſchon auf Erden die Trägerin des Geiſtes Chrifti und gleichfam bie
erfte Inftanz der Vermittlung, welche Chriftus ſelbſt eingefett Kat
und die Niemand obne gerechten Grund umgehen darf. —
1) Daß diefe Vollmacht nicht etwa bloß dem Petrus allein gegeben ift, lehrt
fon Hieronymus im Kommentar zu Matth. 16.
2) So bei David von Augsburg a. a. DO. I, 214.
58
Wie fich dieſe ganze altenangelifche Richtung durch eine gewiffe
Borliebe für den’ Evangeliften Johannes charakterifirt, fo tritt bei
ihr wie bei letzterem jener Gegenſatz fcharf hervor, welchen Chriſtus
(308. 16) zwifchen „ver Welt” und feinen wahren Süngern macht.
Dort heißt e8: „Wenn euch die Welt haffet, fo bedenket, daß fie
mich zuerſt gehaßt hat. Wenn thr von der Welt wäret, jo würde
die Welt das ihrige lieben. Weil ihr aber nicht von der Welt ſeid,
jondern ich euch von der Welt ausgeleſen habe, deßwegen haſſet euch
die Welt”. "
In einem ihrer berühmteften Gedichte wird der Gedanke dieſes
Gegenjates fehr ausführlich. behandelt. Hier wird derjelbe einfach
al8 der der Guten und Böſen beftimmt!); die Einen bewähren
an der Erfüllung der Gebote, befonders an den ſechs Geboten Chriftt,
welche in der Bergprebigt enthalten find, daß fie die wahren
Chriften find; die anderen, welche dieſe Gebote nicht erfüllen, find
bie falfchen Ehriften. |
Beſonders häufig wird der Gegenſatz unter dem Bild ber
„Heerde Chriſti“ und der Phariſäer und Schriftgelehrten,
welche erſtere verfolgen, anjchaulich gemacht.
In allen diefen Fällen find e8 nicht die Ceremonien over Glau⸗
bensbekenntniſſe, an welche fie die Seligfeit oder Verdammniß Tnüpfen,
fondern der Gehorſam gegen Chrifti Worte.
Es verfteht fich für dieſe Richtung im Grunde von jelbft, daß
fie die Freiheit des Willens entichieven feſthielt. Es zeigt fich
in diefem wichtigen Punkte eine ähnliche Differenz mit dem pau-
linifchen Lehrtropus, wie fie uns bereit8 an anderer Stelle begegnet
iſt; denn Paulus ift, das Tann kein Zweifel fein, ein Vertreter der
Prädeſtination. |
Es ift, wie wir fpäter fehen werben, ein befonderer Vorzug
des Lehrſyſtems der Waldenſer, daß es ihm gelungen tft, die Idee
der göttlichen Gnade mit der Feſthaltung der Willensfreiheit in
glücklichſter Weiſe zu verbinden.
Aber im Princip haben fie gegen Paulus an ver Lehre, welche
Chriftus in feinen Predigten zwar nicht ausbrüdlich auseinander-
legt, aber überall vorausfegt, ſtets confequent feitgebalten.
1) Zezſchwitz S. 130.
59
Wir wiſſen, dag die Katharer bereits im frühen Mittelalter
die Willensfreiheit Teugneten. Im bewußten und ausgefprochenen
Gegenfag zu diefer Partei wird in dem waldenfifchen Lehrgedicht
„Payre eternal‘ die $reiheit des Willens mit Entſchiedenheit ver-
fochten y. Im 16. Jahrhundert war e8 Luthers Theorie vom ge
bundenen Willen, welche bei den rangöftiegen Waldenjern den meiſten
Anſtoß erregte?).
Es ift für das ganze Lehrſyſtem ber Waldenjer charakteriftiich,
daß e8 den Glauben und das Verhältniß des Menfchen zu Gott
von der Seite des Willens ber zu erfaffen bemüht iſt. Es gebt
als Grundgedanke durch alle feine Anfchauungen die Idee hindurch,
daß die Liebe es tft, welche den Menjchen in das rechte Verbältnig
feßt zu Gott. Die Liebe aber wird in den Willen verlegt. Die
Liebe zu Gott ift nach ihrer Idee die Vebereinftimmung unferes
Willens mit dem göttlichen Willen, und gemäß dem Wort (1 Joh.
4, 16): „Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in
ihm‘ lehrten fie, Daß die Liebe es fei, welche die Einheit Gottes
und des Menfchen zu Wege bringt. So fagten fie, daß in ben
guten Menjchen Chriftus täglich neu geboren werde 3).
Aber bei all diefer Betonung der Wiedergeburt und Heiligung
haben fie nie vergefien, hervorzuheben, daß es ein faliher Wahr
Sei, als könne der Menfch aus eigner Kraft ein Verbienft in Gottes
Augen oder einen Anfpruch auf Lohn fich erwerben. Die gnäbige
Hülfe Gottes allein tft es, welche das Vollbringen des Guten in
uns zu Wege bringt. Die Bedingtheit unferes fittlichen Handelns
durch die Abhängigkeit von Gott haben fie ftetS anerkannt und find
immer. der Meberzeugung gewefen, daß alle echte Religiofität als das
Refultat göttlicher Einwirkung anzufehen ift.
Der oben erwähnte Gegenfat gegen die Katharer jcheint noch
einen anderen wichtigen Punkt ihrer Lehre beeinflußt zu baben,
nämlich ihre Auffaffung vom Teufel und von den böfen Geijtern.
1) Herzog a. a. O. ©. 244. 2) von Zezſchwitz a. O. S. 120.
3) Bol. den Katechismus ber Waldenſer bei v. Zezſchwitz a. a. DO. — Dies
iſt auch der Sinn der Stelle bei Pſeudo⸗Reiner (Max. bibl. Patrum Vol. XXV
p. 265 DJ): Quod semel in anno fideles (die Katholiten) communicant hoc re-
probant, quia ipsi quotidie communicant.
60
Es ift befannt, daß das Shftem der Katharer fich charakterifirt
durch den Dualismus, den fie infofern ftatuirten, als fie neben
das Reich Gottes ein organifirtes Neich des Teufels ftellten und
den letzteren gleichſam als den Herricher liber Die Welt der Dü-
monen betrachteten.
Im Gegenjag hierzu lehrten die Waldenſer, daß böſe Geifter,
welche angeblich als perſönliche Weſen in den Menſchen wohnen,
nicht exiſtiren, und daß Alles, was damit zuſammenhänge, leerer
Wahn ſei!). Wenn es jemals perſönlich zu denkende Dämonen
gegeben habe, dann feien diefe — fo fagten fie — nad Chrifti
Zod nunmehr ficherlich nicht mehr vorhanden 2).
Ueber die Stellung der älteren Waldenfer zu dem Symbo-
lum apostolicum, welches befanntlich erſt in ſpäter, nachapo⸗
jtolifcher Zeit feine Form erhalten bat und der griechifchen Kirche
unbefannt ift, babe ich vorläufig fichere Nejultate nicht erzielen
fönnen. Im 15. Sahrhundert haben fie dies wie manches Andere
in beabfichtigter Annäherung an die berrichende Kirche allerdings
acceptirt, Aber in früherer Zeit findet fich bier und da unter ihnen
gegen einzelne Säte des Symbolums eine ftarfe Oppofition. So
wird im Sabre 1321 ein gewilfer Guilelmus verurtheilt, weil er
die „Auferftehung des Fleiſches“ geleugnet hatte 9).
Viele unter ihnen nahmen zum Symbolum apostolicum etwa
biefelbe Stellung ein wie zur Dreieinigfeitslehre und anderen Diy-
iterien. Da fie einen ausprüdlichen und Haren Ausfpruch Chrifti
darüber in den h. Schriften nicht fanden, fo wollten fie feine bindende
Norm darüber aufitellen. AS im Jahre 1538 ein ſüddeutſcher Geift-
licher einige gefangene „Brüder“ verhörte, ob fie das apoftolifche
Glaubensbekenntniß als Theil ihres Glaubens anerkannten, eriwiver-
ten jene wörtlich: „Wo hat Chriftus dies gelehrt?" Jener Geiftliche
antwortete: „Leugnet ihr, dag das Symbolum göttlichen Urſprung
bat?” und erhielt als Replik das Bekenntniß: „Ich glaube an ven
Bater und an Chriftus und das iſt genug, um das ewige Heil zu
1) Max. bibl. Patrum Vol. XXV p. 308 F. Item dicunt, quod nemo possit
a daemone obsideri et vexari et quod talia sint vana vesania, quae circa
daemoniacos peraguntur.
2) Pfendo-Reiner a. a. DO. ©. 297. 3) Limborch a. a, DO. ©, 288,
61
erwerben‘ 1), Damit war ber religiöfe Standpunkt der „Brüder“
folden ragen gegenüber ganz deutlich und Har firirt.
Als einer ihrer Grundirrthümer ferner wird von ihren Gegnern
die Verwerfung des Fegfeuers bezeichnet. In der That lehrten
fie, daß „diejenigen, welche mit reinem Herzen abfcheiven, durch Teine
Strafe des Fegfeuers werden gereinigt werben‘ 2).
Die Stelle, auf welche die römische Kirche die Lehre vom Feg⸗
feuer ftügt (1 Cor. 3, 12—13), deuteten fie in dem Sinn, daß das
Teuer die Anfechtungen und Leiden des diefjeitigen Lebens bedeutet
und in ihrer Polemik beriefen fie fich darauf, daß auch Gregor ver
Große die Möglichkeit einer ſolchen Auslegung zugegeben habe.
Es ftand für die Walvenfer feft, daß es immer in der Chri⸗
ſtenheit und unter allen Bormen der Gottesverehrung erleuchtete
Menichen gegeben habe, welche die Wahrheit erfannten und zum‘
Heile gelangt find. Es lebte bei ihnen die Vorftellung von einer
Succeffion hriftlicher Lehrer, welche bis zum apoftolifchen Zeitalter
binaufreihend den Weg Chrifti wiefen®). Unter dieſen legten fie
den vier großen Lehrern Ambrofius, Auguftinus, Hieronymus und
Gregorius eine befondere Bebeutung bei, und Auszüge aus ihren
Schriften, zumal Commentare zu den Evangelien, wurden unter
ihnen ſehr gefchätt, auch ven Chryſoſtomus, Bernhard von Clair-
vaur u. U. benugten fie gern. Wir willen, daß fie die Warnungen
des Iſidor vor dem Eidſchwören für fich verwertheten.
„Es zeigt ſich ung in allen diefen Dingen”, jagt Dr. Herzog,
„meben der an ven Tag gelegten Achtung vor den Tatholifchen Leh⸗
rern ein Tritifcher Gebrauch derfelben, ein forgfältiges Aus-
wählen deſſen, was der Schriftwahrbeit, wie die Waldenfer fie
faßten, conform ift, und namentlich ein getreues Feſthalten
eines älteren reineren Lehrtropus“. — „Auch in diefer Be-
ziehung haben die Waldenfer einige Aehnlichkeit mit den Pietiften,
Methodiſten umd anderen proteitantifchen Sekten‘ ®),
1) Das intereffante Verhör findet fi) bei Gaſtius De anabaptismi ex-
ordio etc. Basel 1544 p. 493.
2) Max. bibl. Patr. a. O. ©. 307 A. — Bol. Limborch a. a. DO. ©. 374.
3) Herzog a. O. ©. 140,
4) Wörtlich bei Herzog a. DO. ©. 140. — Sehr merkwilrbig ift die Stellung
Speners zum Waldenſerthum. Als diefer in Bafel ſtudirte (1659—1660) erflärte
62 *
Es war, wie oben bereit$ bemerkt, ein Turzes und einfaches
Belenntniß, welches aus den Grunbprincipien der Waldenfer ber-
vorwuchs. Es ift ihnen ſtets eigenthümlich geblieben, daß fie auf
theologiſch⸗ dogmatiſche Streitfragen fich nicht gern einließen, und ber
polemifche Belenntnißeifer anderer Richtungen ift ihnen immer zu-
wider gewejen.
Dagegen baben fie mit der ganzen Energie des Märtyrerthums
das Heilige Vermächtnig der Vorfahren vertheidigt, und wenn bie
theologiſche Wilfenjchaft nicht das Feld war, auf welchem fie glänzen
fonnten oder wollten, jo baben fie in der religiös⸗praktiſchen
Betbätigung ihrer einfachen Lehre um jo Größeres geleiftet. In
aller Stille nah ihrer Weife Gott zu dienen und Gutes zu
thun — darin lag ihr einziges Streben.
ex im feiner Differtation: (Waldenses) uti tum docuerint, scilicet inde a
temporibus Petri Waldi, vere genuinam et orthodoxam hodiernae ovuyr-
yo» ecclesiam constituisse*. Wegen diefer Bemerkung fam er in Differenzen
mit der reformirten Theologen-Facultät zu Bafel und er wurde gezwungen, ben
Pafſus zurüdzunehmen. Näheres in der Ztichr. für hiſt. Theol. 1840 I, 161 ff.
Drittes Eapitel.
Berfaffung und Gottesdienſt der altevangelifchen Kirche.
Die Grundgebanten und die Duellen der Kirchenorbnung. — Der Begriff der
Kirche, — Apoftolifche Succeffion. — Gemeindekirche. — Kirchenzucht. — Die
Einrichtung und Verfaſſung des Apoftolats. — Die „Armuth“. — Die apo-
ftolifche Regel, — Die „Sottesfreunde‘. — Der „Aelteften-Ratb“. — Epidco-
pat, Sacerbotium und Dialonat bei den Walbenfern. — Synoben und Con⸗
ferenzen. — Der Gottesdienft. — Die Hausandachten. — Die Gotteshäufer.
— Die Predigt. — Das Abendmahl, — Die Beichte. — Die Taufe auf ben
Glauben. — Hinderniffe ihrer Ausbreitung. — Stellung zum Mönchthum. —
Schlußbetrachtung.
Die Ueberzeugung, daß der Stifter der chriſtlichen Religion
alle die Glaubenslehren, welche er zum Frieden im Dieſſeits und
zum jenſeitigen Heil nothwendig hielt, in ſeinen eignen Worten
und in dem Vorbild ſeines Lebens hinreichend klar uns übermittelt
habe, hat die Waldenſer nicht irre geführt. In der That läßt ſich
auf dieſer Grundlage ein Lehrſyſtem aufbauen, welches allen ge⸗
rechten Anforderungen an Tiefe, Zuſammenhang, Klarheit und Voll⸗
ſtändigkeit Genüge thut.
War aber daſſelbe Princip hinreichend, um ſichere Normen für
den Aufbau der Kirchenverfaſſung und des Gottesdienſtes in
Ritus, Disciplin und Ceremonien darin zu finden?
Bei der Beantwortung dieſer Frage kam es darauf an, was
man unter Kirchenverfaſſung zu verſtehen habe. Die Hierarchie
und der Cultus der herrſchenden Kirche ließ ſich in dem Umfang,
wie er ausgebildet worden war, allerdings weder aus Chriſti Be⸗
fehlen noch aus den Schriften des Canons ableiten. Allein war
denn ein ſolches Gebäude von Formen überhaupt für die „Gemein⸗
den Chriſti“ ein Erforderniß, oder ftand daſſelbe nicht vielmehr mit
der Tradition der apoftolifhen Zeit in Widerfpruch?
64
Wenn man nun an der urfprünglichen Einfachheit des chrift-
lichen Gemeinweſens fefthielt, waren alsdann nicht dennoch viel-
leicht bereits in den Evangelien und in Chriſti Befehlen die Grund⸗
züge einer Drdnung gegeben, welche zum Zweck bes Gottes-
reiches und echter Erbauung genügten?
Würde Chriftus, wenn es fein Wille gewefen wäre, ein Shftem
von Ceremonien und Eultusformen aufzurichten, wie es ſpäterhin
in der herrſchenden Kirche erwuchs, nicht ſelbſt mehr darüber gejagt
haben als er gefagt hat?
Er hat e8 aus wohldurchdachtem Rathſchluß nicht gethan. Denn
er wußte, daß eine Frömmigkeit, welche unter ſolchen Formen fich
vollzieht, der Gefahr der Veräußerlichung ſtark ausgeſetzt ift, und
daß ein Gottesdienſt, der feinen Schwerpuntt in äußerlichen Uebun⸗
gen findet, die Menfchen zur Unduldſamkeit erzieht gegen die⸗
jenigen, welche die gleichen Formen nicht üben.
So jehr die menfchliche Natur zu ſolchen Eultusformen neigt,
und fo groß bie Vortheile find, welche für eine Prieſterkirche Daraus
erwachien, fo ift doch ficher, daß fie nicht fowohl die reine Flamme
religiöfer Begeiſterung ald den Feuerbrand des Fanatismus zu weden
dienlich find.
Darum bat e8 Chriftus gefallen, in feiner Gemeinfchaft folche
Seremonien nicht ausdrüdlich anzuorbnen. Aber immerhin bat er
in dieſer Richtung eine gewiſſe Breiheit der Bewegung denjenigen
geftattet, welche die Grundgedanken feiner bezüglichen Vorfchriften
fefthielten; gleich in den erjten Sahrhunderten warb von dieſer Frei-
heit Gebrauch gemacht, und es bildete fich eine apoftolifche Kirchen
verfaffung in beftimmten Formen aus.
Da nach der VUeberzeugung der Waldenfer der Geiſt Ehrifti
gerade in dieſen apoftolifchen Gemeinden nach der Verheißung ihres
Stifters wirkſam gewejen war, jo fonnte und mußte man die äußeren
Einrichtungen des Gemeindelebens, wie fie fich ausgebildet hatten,
als Ergänzung der Befehle Chrifti faffen, welche die Evangeliften
uns überliefert haben, und fomit erhielt diefe urfprüngliche Tradi⸗
tion der apoſtoliſchen Jahrhunderte ein normatives Anſehen in all
den Punkten, über welche in den Evangelien eine Mare und genü⸗
gende Beitimmung nicht getroffen war.
65
Eine Ergänzung der fehlenden Normen blieb inveffen auch für
bie fpäteren Gemeinben deßhalb unverboten, weil Ehrifti Geift feiner
Verheißung gemäß in feinen rechten Belennern dauernd wirkſam war.
Dei diefer Auffaffung kam e8 nun vor Allem darauf an, an
welchen Merkmalen die rechte Gemeinfchaft Chriftt zu erkennen ſei.
In diefer Richtung iſt es für die Waldenfer ftetS charakteri-
ftifch geblieben, daß fie ihren Kirchenbegriff in keiner Periode an
beftimmte, von ihnen aufgeftellte Symbole, Belenntnifichriften, Con⸗
cilbejchlüffe oder Kirchenftatuten und deren „rechte Lehre” geknüpft
haben. Ihr einziges Symbol war und blieb die Lehre Chrifti, wie
fie in den h. Schriften enthalten war. Asch Hierin wollten fie Dem
Vorbild der apoftoliihen Jahrhunderte nicht untren werben.
Hat ihnen aber deßhalb eine fefte Begriffsbeitimmung ver
„Kirche“ gefehlt? Ä
Sie. fagten zunächſt in allgemeinem Sinn: „Die Gemeinde
Chrifti wird gemäß Chrifti Worten (oh. 13, 35) an dem Spruch
erfannt: Dabei wird Jedermann erkennen, daß ihr meine Jünger
feid, fo ihr Liebe untereinander habt". Sie forderten mithin Briü-
derlichkeit und Gleichheit!) und als rechte Frucht echter Näch⸗
ftenliebe die praktiſche Bethätigung des Chriftenglaubens durch Wohl-
thun und. Selbjtverleugrtung.
Indem fie entſchieden an ber göttlichen Stiftung ber Kirche
fefthielten, erklärten fie, daß nur infoweit als Die „Gemeinde Chrifti“
jene Merkmale befitt, fie in Wahrheit bie Trägerin des „Geiftes
Chriſti“ ift, und daß die Gemeinde nur als folche diefen Geift
ihren einzelnen Gliedern vermitteln Tann.
Chriſtus Hat eine fichtbare Kirche gegründet und feinen Geift
derſelben mitgetheilt. Diejenige „Gemeinde“, welche in äußerer und
innerer Gemeinſchaft mit dieſer urſprünglichen und reinen „Kirche“
geblieben iſt, muß nach wie vor als die Bewahrerin jenes Geiſtes
betrachtet werden.
Sofern ſie dies wirklich iſt, wird ſie eine erziehende und er⸗
1) Es iſt eine uralte Tradition bei den „Brüdern“, daß es in der „rechten
Chriftengemeinfchaft“ weder Sklaven noch Leibeigene geben dürfe. Sie Achten e8
für „ungebührlich“, fagt Bullinger im Jahre 1560, „daß Jemand unter chrift-
lichem Bolt, leibeigen ſei und bie Pflicht oder Schuld der Knechtſchaft bezahlen ſolle“.
Keller, Die Reformation.
66
leuchtende Kraft auf biejenigen zu übertragen fähig fein, welche
innerhalb ihres Verbandes ſich befinden.
Es läßt fich bereits im 13. Jahrhundert nachweifen, daß Die
Waldenſer als weiteres Kennzeichen der Kirche!) die rechte Berwal-
tung des Apoftelomts (gemäß Matth. 10) und den Nachweis der
apoftoliihen Succeſſion für ihre Bifchöfe forderten.
Es ift bezeichnend, Daß fie behaupteten, der Beſitz der apoito-
liſchen Volimachten fei der römischen Kirche von dem Moment ab
verloren gegangen, wo Papſt Silvefter den Vorfehriften Chrifti zu-
wider die altapoftolifchen Grundſätze fallen Tieß?). Dagegen lehrten
fie, daß das apoftoliiche Charisma in ihrer Gemeinjchaft von ur⸗
alten Zeiten ber fich fortgepflanzt habes), und fie nüpften an den
Beſitz deſſelben das Hecht, ſich als wahre „Gemeinden Chrifti” zu
bezeichnen.
In der That fehen wir noch im 15. Jahrhundert bei den
Walvdenfern und in allen folgenden Iahrhunderten bei den aus
ihrer Gemeinfchaft hervorgegangenen Täufern, daß fie nur diejenige
„Gemeinde“ für rechtmäßig conftituirt Halten, welche wenigitens
einen „Aelteften‘‘ oder einen „Biſchof“ beſitzt, der durch „Hand⸗
auflegung“ feinen Zuſammenhang mit der Tradition der apo-
ftofiichen Brüder nachzuweifen im Stande ift. Dies ift die. Be
deutung der Einrichtung, daß unter die „Diener des Worts“ Nie-
mand aufgenommen wird, es jet ihm denn zuvor die Handauflegung
zu Theil geworden.
So ſehr ſie aber einerſeits die erziehende und erleuchtende Kraft
der Zugehsörigkeit zu der „rechten Gemeinde“ betonten, ſo wenig
Yäßt fich bei ihnen die Behauptung nachweifen, daß ver einzige
Weg zur Seligfeit darin gelegen ſei. Vielmehr fagten fie aus⸗
1) Der päpſtliche Pönitentiar Alvarus Pelagius ſchreibt im Jahre 1331:
„(Waldenses) in tantum ecclesiam esse dicunt, quantum per Successores apo-
stolorum fuit continuata vel reparata“ (De planctu ecclesiae, edit. de a. 1516
fol. XIVE).
2) Pſendo⸗Reiner in ber Max. bibl. Patrum Vol. XXV, 279 B und in ber
Refutatio errorum etc. a. a. O. 303 A: Secundo dicunt, sacerdotes Ecclesiae
catholicae sine ratione ideo non esse veros et legitimos successores discipu-
lorum Christi, quia possident propria, quod secundum eos Apostoli non fe-
cerunt praecipiendo Domino Matth. 10.
3) Bgl. das Belenntnig der Jaqueta XZertrir v. 1311 oben ©. 19.
67
drüdlich, daß diejenigen Menſchen, welche ohne ihre Schul bie
Meöglichkeit nicht befitten, der rechten Gemeinschaft anzugehören und
welche dennoch in Liebe und Selbitverleugnung die Gnade Gottes
aufrichtig juchen, den Weg zu. Chriftus finden können, indem Leb-
terer fih ihnen durch das „innere Wort" offenbart und ihnen bie
Fähigkeit giebt, feinen Geift ohne Vermittlung fich zu eigen zu machen.
Doch wer die Wahrheit kennt und den Weg, der dahin führt,
vor ſich fieht, ohne ihn zu wandeln, dem gereicht e8 zur Schuld
und zum Verderben.
Neben der apoftolifchen Succeffion, auf deren befondere Ge-
ftaltung wir fofort zu fprechen kommen werben, betonten die Wals
denſer als Kennzeichen der rechten Kirche die Mitwirkung der
Gemeinde in den firchlichen Angelegenheiten, wie fie Chriftus
ſelbſt (Matth. 18) befohlen Hat.
Auf Grund dieſes Befehles Chriftt war es, daß fie fagten,
fie wollten weber eine Briefterfirche noch eine Staatskirche,
fondern eine Gemeindekirche haben. Die Gemeinde follte die
Trägerin der ganzen Verfaflung fein!), welche ſowohl Das Wahl⸗
recht der „Diener des Worts“ wie das Recht zur Mitwirkung bei
der Kirchenzucht inne hatte,
Das Necht zur Ausübung des Bann ift ein befonderes Merk⸗
mal ver „rechten Gemeinde”. Die Walvenfer legten beſonderen
Werth auf diefe Funktion, aber es ift intereflant zu ſehen, wie
vorfichtig fie auf Grund der bei ihnen herrſchenden Traditionen bei
der Ausübung defjelben zu Werke gingen.
Auf Grund von Matth. 18, 17 ftand für fie die Befugniß der
Gemeinde feit, aber aus Matth. 18, 18 leiteten fie das Recht und
die Pflicht der „Apoſtel“ bezw. deren Nachfolger zur Mitwirkung
bei dem Gemeindebeſchluſſe ab.
Um die ganze Bedeutung diefer Auslegung zu verftehen ift es
nothiwendig, daß wir zuvor bie merkwürdige Einrichtung des Apoftel-
amtes bei den „Brüdern“ kennen lernen.
Wenn für Die Lehre der Waldenſer die Bergprebigt eine ber
fondere Bedeutung befist, jo charakterifirt fich ihr Kirchenweſen
1) Diechhoff a. O. ©. 250. — Preger Abb. der Bayr. Ak. 1877. ©. 198.
5%
68
burch die eigenthümliche Betonung der befonderen Regeln, welche
Chriſtus feinen Apofteln als Verkündern feiner Lehre und deren
Nachfolgern Im engeren und weiteren Kreis gegeben Bat.
Denn zunächft ſtand es für fie feit, daß Chriftus in feinen
Worten und Befehlen fich theilweife ausfchlieklich an die Verkünder
feiner Lehre, theilweiſe aber an alle feine Anhänger gewendet Babe).
In die erfte Kategorie von Anweifungen jtellten fie (offenbar
auf Grund uralter Traditionen) die Befehle, welche ſich Matth. 10
finden und die dann an zahlreichen anderen Stellen in den Evan⸗
gelten ergänzt und erläutert werben.
Zu bdiefen ergänzenden und erläuternden Stellen gehört zu-
nähft Marc. 6, 6 ff., dann Luc. 9, 1 und 10, 1; dann in weite-
rem Sinn Luc. 12, 22 ff. und 22, 35 ff. und zu einem Theil auch
Joh. 13—17.
Aus der Gefammtheit diefer Stellen entnahmen fie zunächſt
die Meberzeugung, daß Ehriftus den Prebigern feiner Lehre für alle
Zeiten bejondere Vollmachten und Borrechte gegeben habe, und
fie glaubten, daß diefe Vollmachten allen denen eigen feien, welche
innerhalb der apoftolifchen Succeffion jtänden oder durch bie Hand⸗
auflegung feitens eines folchen den Segen des apoftolifchen Cha⸗
risma erlangt hätten.
Diefe Ueberzeugung hatten fie fich aus jenen Zeiten der apo⸗
ſtoliſchen Kirche bewahrt, wo die römifche Kirche fich noch nicht als
felbftändige Organifatton conftituirt und ihnen feindlich gegenüber-
geftellt Hatte).
Aber — und darin lag der wejentliche und principielle Unter-
ſchied von ber römiſch⸗katholiſchen Auffaffung — aus den erwähnten
Zeugniffen der h. Schrift entnahmen fie nicht nur die Zufage von
Vollmachten, jondern vor Allem auch die Forderung beftimmter
Schwerer Pflichten, ohne deren Erfüllung fie die Fähigkeit zum
Apoſtelamt troß der Succeſſion gänzlich leugneten.
1) Lucas 12 ift Petrus in einem fpeciellen Falle zweifelhaft, ob Chriſtus
Regeln file feine Apoftel ober alle feine Anhänger babe geben wollen; er fragt
daher: „Herr, fagft du dieſes Gleichniß zur uns oder auch zu Allen?“
2) Limborch Lib. Sent. Ing. Tolos. f. 377 Die Walbenfer glaubten, „quod
ipsi Valdenses erant de illis discipulis, qui descenderunt a discipulis et apo-
‚stolis Christi“.
69
Diefe Pflichten faßten fie zufammen als die von Ehriftus be»
fohlene Armuth und gaben damit einer Idee Ausbrud, die, fo
wenig. deutlich der Ausdruck „Armuth“ diefelbe bezeichnet, doch in
der Geſammtlehre Chriſti eine Mare und unzweidentige Begründung
befikt.
Es steht feit, daß. feine Partei entſchiedener und wirkungsvoller -
innerhalb ihrer Grenzen gegen jene Seite menfchlichen Unglücks
angekämpft bat, bie im engeren Sinne „Armuth” ober Ver-
armung genannt wird. Sie iſt e8 gewefen, welche ben Grund⸗
fat ausgefprochen und durchzuführen verfucht bat, daß es feine
Bettler in den Gemeinden Chriſti geben bürfe und daß berjenige,
welcher Mangel leide, von ſolchen unterjtüßt werden müſſe, bie mehr
haben als fie brauchen. Die ganze Einrichtung ihrer gemeinblichen
Drganifation zielte darauf ab, dag Einer dem Anderen thatkräftig
helfen müſſe, und fie fagten geradezu, dag Mittbeilen und Gutes
thun der beite Gottesbienft jet. '
Aber diefelbe Partei forderte von denjenigen, welche als Schüler
der Apoftel unter ihnen wirken wollten — ohne unter dieſer Rubrit
alle „Diener des Worts“ zujammenzufaflen —, daß fie gemäß:
Chriſti Befehlen ſich felbjt erniebrigten und allen eigenen Beſitz,
ſei es in Häufern, Höfen, Gütern oder Renten, zuvor an bie Armen
gäben, ehe fie als Apoftel in die Lande zogen.
Der Grundgedanke biejer Borderung war, daß die Selbit-
verleugnung und die Seelenreinheit des Geiftlichen es tft, an
welche Ehriftus in tiefer Wahrheit die Fähigkeit zu wirkſamer Ver⸗
kündung bes göttlihen Wortes gebunden bat. Nur beilige und
reine Hände werden das apoftolifche Charisma rein und lauter
verwalten. _
Niemand wird die Lehre Gottes und Chriftt recht verkünden,
fagten fie, wer nicht den Geift Ehrifti in fih Hat. Aber jo lange
man an einem Dinge haftet, das nicht göttlich ift, fo lange ift e8
ungewiß, ob Gott in den Menfchen tft oder nicht. Die Liebe zu
Gott wird nur da im höchſten Sinn gedeihen, wo das
Herz nit hängt an Reichthum, Befig und Gütern
ähnlicher Art. |
„Verkaufet Euere Habe, ſpricht Ehriftus (Luc. 12), und gebet
70
Almofen; erwerbet Euch Beutel, die nicht alt werden, einen Schatz,
der nicht ausgeht, in dem Himmel, wo kein Dieb Hinlommt und
ven feine Motte zerftört. Denn wo Euer Schatz tit, da ift
auch Euer Herz”.
Nur derjenige vermag wirkſam ein Bote der chriftlichen Lehre
zu fein, welcher ebenfo durch fein Beispiel, wie durch feine Predigt -
aufbauend und erbebend zu wirken im Stande ift. Der aber ift
gar Fein Bevollmächtigter Chrifti, welcher deſſen Lehre lehrt,
aber nicht ſelbſt danach Handelt.
Den weſentlichen Inhalt und Zweck der Vorſchriften, welche
Chriſtus an den oben erwähnten Stellen zuerſt den zwölf, ſpäter
auch den ſiebzig Männern, die er ausſandte, gegeben bat, erkannten
fie in dieſer Selbftverleugnung Nur wer in Entjagung, Armuth
und Niedrigkeit faͤhig ift, fich jelbit zu opfern für die Ideen, welche
Chriſtus verkündet hat, wird als echter Abgeſandter Chriftt Die Voll⸗
machten auszuüben im Stande fein, welche Jener feinen Apofteln
und deren Nachfolgern gegeben Hat.
Nun tft e8 zwar nicht fchwer, fo hohe fittlihe Forderungen
aufzuftellen, aber jede kirchliche Semeinjchaft, welche an dieſen Be⸗
fehlen Chrifti fefthält, wird mit der Schwierigfeit zu kämpfen haben,
Männer zu finden, welche Willens und fähig find, ihr zu entfprechen.
Die Waldenſer aber haben das Glück gehabt, Jahrhunderte
hindurch troß ber entjeßlichiten Verfolgungen, Perfonen unter fich
zu beſitzen, welche mit Recht „Schüler der Apoftel” Heißen Tonnten,
und bie nachfolgenden Andeutungen mögen zeigen, wie weit e8 ihnen
gelungen ift, auch denjenigen Befehlen Chriſti einen tiefen, allzeit
gültigen Sinn abzugewinnen, welchen der „aufgeflärte” Sinn ber
herrſchenden Kirchen damals längſt als überlebt befeitigt Hatte.
David von Augsburg befchreibt diefe „Apoftel” der Wal
benfer um das Jahr 1260 wörtlich folgendermaßen ): „Einige unter
ihnen werden Perfectt (Volllommene) genannt und dieſe heißen im
engeren Sinn „Arme von Lyon”; doch werden nicht alle zu
diefer Form genommten, ſondern fie erhalten vorher eine langbauernde
Unterweifung, auf daß fie auch andere zu unterweifen wiffen. Dieſe
1) Abhandlungen ver IN. EL. ver. B. A. d. W. z. M. XIV, 2 S. 209 Art. 7.
71
behaupten von fich, dag fie fein Eigenthum befiten, weder Häufer
noch liegende Güter noch beitimmte Nievderlaffung noch rauen;
wenn fie folches früher beſeſſen Haben, fo verlaffen ſie es. ‘Diefe
fagen von fi, fie feien der Apoftel Nachfolger (apostolorum
successores) und fie find Lehrer (magistri) und empfangen die
Beichte und wandern durch die Lande und befuchen und befeitigen
ihre Schüler in ihren Irrlehren. Diefen bringen die Schüler dar,
was fie brauchen. Wo fie anlommen, theilt man fich heimlich deren
Anfunft mit, und e8 kommen zu ihnen Mehrere an filherem Ort
und Schlupfwinkeln, um fie zu hören und zu ſehen, und fie ſchicken
ihnen das Beſte von aller Speife und Trank, was fie haben‘ 1).
In einem Bekenntniß von Straßburger Waldenſern, welches
aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts zu ftammen jcheint, wer⸗
ben die Apoftel in folgender Weile bejchrieben: „Ste gingen von
Gottes wegen durch die Lande an der Zwölfboten (Apoftel) Statt
und waren auch Zwölfboten und Hatte fie Gott darzu georonet,
daß fie die Chriſtenheit aufenthielten” 2). Ste wurden zu Straß-
burg „Winkeler“ genannt und man übertrug diefe Bezeichnung dann
auch auf die ganze Partei in verfelben Weife, wie e8 bei dem Na-
men „Arme von Lyon“ der Fall war.
Wo fie auch in den uns erhaltenen Quellen auftauchen, bes
merken wir, daß fie rafch, wie fie gelommen find, auch wieber ver-
schwinden). Nur tageweife find fie in einem beftimmten Haufe
und in Schlupfwinkeln friften fie ihr Dafein ®).
Sie ziehen ſtets zu zwei und zwei auf ihre Miffion und zwar
find es regelmäßig ein älterer und ein jüngerer Mann, welche ge-
1) Um das Jahr 1179 beſchreibt Walther Mappes diefe Apoftel folgenber-
maßen: „Hi certa nusquam habent domicilia, bini et bini circumeunt, nudi
pedes, laneis induti, nihil habentes, omnia sibi communia tanquam Apostoli
nudi nudum Christum sequentes*“.
2) Röhrih Ztſchr. f. hiſt. Theol. 1840 I S.147 Anm. 63. — Bol. Röhrich
a. DO. ©. 158, wo ausdrücklich gefagt ift: Die Winkeler, die ſich die Zwölfboten
(= Apoftel) nennen, mag man wohl rügen u. ſ. w.
3) Bol. Ochfenbein a. D. und Limborch Lib. Ing. Amst. 1692 p. 242
Recepit in domo sua alium (Apostelum) ... una die vel duabus.
4) Sie hielten in den Häufern, wohin fen kamen, Collekten für bie Armen
ab. ©. David a. a. O. ©. 211.
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meinfchaftlich thätig find‘). Man nennt fie Magister major und
Magister minor?), und der Iüngere, welcher für den Aelteren und.
deffen Lebensbebürfniffe forgt, ift diefem zu Dienft und Gehorſam
unbedingt verpflichtet. Es fcheint, als ob der jüngere Mann ein
„Novize“ geweſen jet, welcher der „Sodalitas Apostolorum‘‘ noch
nicht formell angehörte.
Um der Verfolgung ihrer Gegner zu entgehen, zogen fie in der
Regel in der Tracht von Kaufleuten von Ort zu Ort. Bielfach
führten fie — oder wenigftens der jüngere Begleiter — auch wirk-
lich Teicht transportable Waaren mit fi, z. B. Meifer, Nadeln,
Perlen u. ſ. w. In den Häufern, die fie gajtfrei aufnahmen, gaben
fie folche Gegenftände wohl als Gaſtgeſchenke, empfingen aber in
der Regel dafür andere Dinge, deren fie bedurften, als Gegengabe.
Geld zu nehmen haben fi die Apoftel nach Ausweis der Ingui-
fittonsprotocolle in der Regel geweigert; ob die jüngeren Begleiter
zur gleichen Weigerung verpflichtet waren, vermag ich nicht zu fagen.
Hatte ja doch auch unter den Apofteln in der Umgebung Chrifti
einer den „Beutel geführt (Judas) und für die Lebensbebürfniffe
auf der Neife Sorge getragen (Joh. 13, 29).
Wir finden in den Quellen, daß die Waldenſer ihren Apofteln
eine ebenfo große Verehrung und Zuneigung wie forgende Liebe
zuwandten. Es Hatte fich bald gemäß Chrifti Verbeißung die Ueber⸗
zeugung ausgebildet, daß, wer diefer edlen Männer einen bei fich
aufnehme, Chriftum felbft beherberge und in ibm den Geift des.
Guten, und im Jahre 1321 fagt die Waldenferin Agnes de Vineis
geradezu aus, es fei unter ihnen Glaubensfag, daß derjenige ein
gottwohlgefälliged Werk thue, welcher den wandernden Brebigern
eine Gutthat erweiſe 8).
Sp konnten dieſe „Schüler der Apoſtel“ auf Chriſti Trage:
„Wann ich Euch ausfandte ohne Beutel und Taſche und Schuhe,
1) Bol. Limbord a, DO. ©. 344, 359 und öfter. Es ift in ber Regel ber
eine ein Greis (senex) der andere ein Jüngling (juvenis).
2) Es verdient Beachtung, daß dieſelbe Bezeichnung Magister bezw. Magistra
major et minor in den Beghinenhäuſern wieberlehrt. In römifchen Klöſtern
tennt man fie nicht. ©. Mosheim a. DO. ©. 150.
3) Limborch a. O. ©. 359.
73.
babet Ihr Mangel an etwas gehabt?‘ wie einft die Apoftel mit
Wahrheit antworten: „An nichts” (Luc. 22).
Die Apoftel jollten nach Chrifti ausprüdlicher Meinung ihre
felbftvergefiene Demuth auch in ihrem äußeren Auftreten zu er»
kennen geben und bebürfnißlos zu fein in ihrem Leben fich ge-
wöhnen. Indem fie ihr ganzes Dichten und Trachten auf das Jen⸗
ſeits richteten, follten fie der Sorge um das Dieſſeits möglichft fich
entjchlagen lernen (Luc, 12). |
In diefem Sinne befahl ihnen Chriftus (Luc. 9, 3): „Ihr folit
nicht8 auf den Weg mitnehmen, weder Stab noch Reiſetaſche, noch
Brod noch Geld noch einen zweiten Anzug”), und dies war bie
Bedeutung der Worte: „Ihr ſollt nicht Gold, noch Silber noch Erz
in Euern Gürteln haben’ (Matth. 10).
Und zum Zeichen deffen, daß fie fich felbft ernieprigt, follen
fie „ Sandalen” tragen (Marc. 6) und feine Schuhe. Chriftus
wußte es wohl, daß auch diefes geringe äußere Zeichen dann höheren
Zweden zu dienen geeignet war, wenn es das Gefühl der Zufam-
mengebörigfeit erhöhte. Doc; wäre es falſch, hier wie anderwärts
auf den Buchſtaben und nicht vielmehr auf den Sinn der An⸗
weiſung zu ſehen.
Auch die Befehle (Matth. 10, 8- 10): „Umſonſt habt ihr es
empfangen, umfonft, gebt e8 auch” und: „Ein Arbeiter ift feiner
Speije werth“ empfingen in der Auslegung: der Waldenfer ihren
wohldurchdachten Sinn.
Denn fie fagten, e8 gezieme fich nicht, für Wohlthaten Gelb.
zu nehmen, und um die Verſuchung auszufchliefen für die, welche
e8 bei ſich tragen, follen fie e8 überhaupt nicht mit fich führen.
„Nur Speife und Herberge und Gejchente außer Geld dürfen fie als
Saftgefchente nehmen in dem Haufe, das fie freundlich aufnimmt,
aber das Betteln ift ihnen ftreng unterfagt‘‘ 2).
Befondere Beachtung verdient die Thatſache, daß auch die An⸗
weifung Chrifti, Durch welche er befiehlt, die Schwachen und Kranken
zu beilen (Marc. 6, 13), von den Apofteln der Waldenſer nicht
1) Nach Weizfäder Das Neue Teftament 2. Aufl. Tübingen 1882 ©. 118
lautet bie richtige Ueberfeung nicht „Zwei Ride”, fonbern einen „zweiten Anzug“.
2) Dies berichtet ſchon Eberbarb von Bethune.
14
bloß in geiftlidem Sinn verftanden und aufgefaßt wurde. Viel-
mehr waren fie nach dem Vorbild ihres Lehrers und Meifters ebenfo
für das feelifche Wohl und die geiftliche „Auferwedung der Todten“
wie für das leibliche Gedeihen derer lebhaft beforgt, die ihnen an“
vertraut waren, und wir finden in den Quellen Häufig, daß Die
Geiſtlichen der „Ketzer zugleih ernfthafte medicinifche Studien ge-
macht hatten.
Auch bei diefen Apojteln bewahrbeitete ſich das Wort, daß,
„wer fich felbft erniedrigt, erhöht werden fol".
Ueberali in den Gemeinden genoffen fie ein ganz befonderes
Anfehen. In Straßburg fagte eine gefangene Waldenſerin, fie wifle
e8 nicht anders, als dag die „heimlichen Lehrer (Apoftel) „Heilige
und göttliche Leute wären” 1). Weberall wurden fie unter dem Volt
furzweg die „guten Leute‘ genannt, und ihr Wort galt für Die
Gläubigen als unbedingte Norm: unweigerlich leiftete man ihnen
Gehorſam?).
Obwohl ſie, wie wir gleich ſehen werden, außerhalb der regel⸗
mäßigen Organiſation der waldenſiſchen Gemeinſchaft ſtanden, ſo
bildeten ſie doch ein ungemein wichtiges Glied derſelben.
Die Mittheilung Davids von Augsburg, daß die Apoſtel vor
ihrer Aufnahme oder Beſtätigung eine langdauernde Vorbereitungs⸗
zeit durchmachen mußten, liefert ven Beweis,, daß dieſelben unter
fih ein Collegium oder einen corporativen Verband bildeten 3), der
fih nach feiten Grundfägen ergänzte. Ohne die Anerkennung
und Dandauflegung dieſes „Aelteſten-Kaths“ ward Niemand in
feinem Lehramt beftätigt.
Es hat fpäter eine Zeit gegeben, wo nach Lockerung der alten
Organiſation manche Perſonen, die ſich unmittelbar von Gott ber
rufen und vom „Geiſte“ berührt wähnten, den Beruf der , Apoſtel“
1) Schon Stephanus de Borbone berichtet, daß dieſes Anfehen ber Apoftel
auf Matth. 10, 20 berubt habe. ©. Hahn a. O. 266.
2) Röhrih a. O. S. 147 Anm. 64.
3) Eine Art von Organifation fcheint innerhalb dieſes Collegiums vorhan⸗
den geweien zu fein. Denn bei Limborch S. 377 wird ausdrücklich ein Mann
nambaft gemacht unter ven Apofteln „qui erat major inter eos“. Ander⸗
wärts beißt berfelbe „majoralis“. |
75
wilſkürlich an fich riffen. Es waren dies, wie es in der Natur der
Sache lag, die Vorftabien der Auflöfung.
Noch im 14. Jahrhundert fanden folche „Propbeten‘ bet ven
Waldenſern fein Vertrauen. Eine gefangene Waldenferin, die von
Kindheit auf in diefer Lehre erzogen war, erklärte vor Gericht, daß
der Apoftel Johannes von Lothringen die Vollmachten feines Be⸗
rufs „von Gott und von denen befige, die ihn auf dieſen
Platz geſtellt hätten“ Y.
Die „langdauernde Unterweiſung“ wird fo zu verſtehen fein,
daß die Apoftel in der Hegel vorher alle Stufen der regelmäßigen
ſeelſorgeriſchen Aemter verwalten mußten, und vor Allem machten
fie im fpeciellen Dienft als Begleiter der älteren und erfahrenen
Männer ihre praktifche Vorbereitungszeit für ben fpäteren Beruf
durch?). Selbft nach all dieſen Vorftadien aber war e8 erft der
freiwillige Entfchluß der höchſten Selbftverleugnung und bie Darauf
bin erfolgte Handauflegung, welche die volle Einführung in den
Beruf enthielt. So waren die Apoftel fait immer ältere Männer.
Wir haben oben bereit8 bemerkt, daß die Angehörigen biefer
„Gemeinden Chriſti“ fich unter einander „Brüder“ nannten und
danach auch wohl von Außenftehenden als „Brüdergemeinden‘ bes
zeichnet wurden.
Da ift e8 nun in mehr als einer Beziehung wichtig, Daß, wie
urkundlich feftjteht, das Collegium der Apoftel (deren Zahl fich übri-
gens nicht firiren Yäßt) in der Gemeinfchaft den Namen „Gottes-
freunde” trug und daß jene Männer felbft ſich unter einander
„Breunde” nannten.
Das mehrerwähnte Sendſchreiben der italifchen Armen aus
etwa 12303) berichtet, daß e8 nach den Beichlüffen der Synode von
Bergamo (1218) den Gemeinden frei ftehen foll, ihre „Ministri“
(„Diener des Worts") oder ihre regelmäßigen Seelforger, auf welche
wir unten zurüdtommen werben, zu wählen entweder aus der Zahl
1) Limborch Lib. Ing. Tolos. ©. 291.
2) Aus den Protocollen der Inguifition zu Toulouſe erhellt biefe Thatjache
auf das ewidentefte. Vgl. die Gedichte des nachmaligen „Apoſtels“ der Wal⸗
denſer Huguetus Garni bei Limborch a. a. O. ©, 365. Für die Erziehung durch
den Apoftel Bartholomäus gaben die Eltern dem Huguetus eine Summe Geldes mit.
3) Preger in den Abh. der IL. EL d. K. B. Ad. W. 1877 ©, 234 ff.
76
ber „nuper conversi“ ober ber „amici“, und bezeichnet da⸗
mit deutlich den Unterſchied der Lebteren von ber Gemeinde.
Noch deutlicher drückt fich der Unterfchieb der „Freunde“. und
der „Brüder“ in der Adreſſe jenes Sendſchreibens aus, wo ganz
ausdrücklich gejagt wird, dag die Mittheilung fowohl an die „Brü-
der” und „Schweitern” wie an (ben engeren Kreis) der „Freunde“
gerichtet fein folle!).
Auch David von Augsburg beftätigt ums Jahr 1260 den &e-
brauch des Namens „Gottesfreunde” ganz ausdrücklich und
indem er denjelben zufammenftellt mit der Bezeichnung „Arme von
Lyon“ oder „Arne Gottes”, welcher auf die „Apoſtel“ Anwendung
zu finden pflegte, jo wird dadurch beren Identität eriviefen?).
Im 13., 14. und 15. Iahrhundert Tehrt in Deutichland, zu⸗
mal in Oeſtreich, Baiern, der Schweiz u. f. w. der Name „Freunde“
in der Iateinifchen Bezeichnung „noti‘ wieder und eine unzutreffende
Meberfegung Hat daraus bie „Kunden (die Belannten) gemacht.
Daß nichts anderes als der Name „Gottesfreunde” dahinter fteckt,
erhellt u. A. aus dem Waldenferprozeß, der ſich zu Freiburg im
Uechtland im Sabre 1430 abfpielte, wo es beißt, die Walbenfer
feien die „Gott bekannten“, die andern die „Gott unbelannten‘‘
(„deo ignoti‘‘)3), was natürlich eine Verftümmelung aus dem Worte
„Sottesfreunde” ift. ALS Gegenfag zu dem Worte Kunden“ wird
ber Ausdruck die „Welt“ in den Prozeßakten ber ſüddeutſchen In⸗
quifition angegeben und e8 erhellt daraus, daß im 14. und 15. Jahr⸗
hundert der Name „Gottesfreunde” bereits auf bie ganze „Gemeinde
Chriſti“, die man fich ja im Gegenfat zu der „Gemeinde ver Welt”
dachte, Anwendung zu finden begann. _
Es lag in der Natur der Verbältniffe, daß bie „Gottesfreunde‘
im engeren Sinn ſich mit der Zeit zu einem „Aelteftenrath‘ und
zu einer Art von Geſammtvertretung der Gemeinfchaft ausbilbeten.
1) Die Wahl des Namens beruht unzweifelhaft auf Ehrifti Anweiſung Job.
15, 12—14. |
2) Isti ypocritae diversa sibi nomina tribuunt; non enim appellant se, quoü
sunt, idest haereticos, sed vocant se veros christianos et amicos dei et
pauperes dei et hujusmodi nominibus. Preger in den Abb. der IL. EL. d. K. B. AM.
1878 11, 211.
3) Ochſenbein Der Inquifitionsprozeß u. f. w. 1881 ©. 208.
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Und in der That waren die Angelegenheiten ber Partei in
einer ſolchen Körperfchaft, deren Vertreter für ihre Perjon mit dem
Leben abgeſchloſſen und ihr ganzes Sein der Idee geweiht batten,
die fie leitete, gut aufgehoben. In regelmäßigen Zufammenfünften
beriethen die „Gottesfreunde“ über das Wohl. der Gemeinden in
Nah und Fern, und was fie beſchlofſen hatten, warb mündlich ober
in Briefen überall ven Genoffen fund getban. In der Regel fan-
den dieſe Rathſchläge williges Gehör.
Man wird nicht fehl gehen, wenn man die beſondere Art von
Literatur, welche dieſe Gemeinden in den ſogenannten „Send⸗
ſchreiben“, d. h. in den religiöſen Belehrungen in der Form von
Briefen beſitzt, ſpeciell an die Einrichtung dieſer „Apoſtel“ anfnüpft!).
Urſprünglich fcheinen diefelben in poetifcher Form abgefaßt wor-
den zu fein und den Charakter religiöfer Lehrgedichte gehabt zu
haben. Im 14. Sahrhundert finden wir fie in Deutſchland bereits
in Proſa — wir werden unten darauf zurückkommen — und zwar
natürlich in deutſcher Sprache.
Der Zweck der „Sendſchreiben“ war, die perſönliche Belehrung
ver abweſenden „Magistri“ zu erſetzen. Es wurde vermieden, die
Namen der Gemeinde zu nennen, an welche ſie gerichtet waren, da
ſchriftliche Aufzeichnungen leicht in falſche Hände fallen konnten und
dann die namhaft gemachten Orte verrathen haben würden. Deß⸗
bald find fie gewöhnlich ganz allgemein an die „chriftlichen Brüder“
oder an bie „Chriſtenheit“ gerichtet und wurden dann von Hand
zu Hand gegeben. Die Schriften der Männer, die ihr Leben ge-
laſſen hatten für ihren Glauben, genoſſen bei den Brüdern beſon⸗
deres Anjchen.
So ward die Tradition von Gefchlecht zu Gefchlecht fortgepflanzt
und wenn man beobachtet, mit welcher Zähigkeit fich diefe Lehre in
biftorifcher Zeit unter unfäglichem Leid behauptet hat, fo darf man
auf die vorbiftorifchen Epochen einen Rückſchluß gleicher Art machen.
1) Diefer Literaturzweig ift noch faft gar nicht beachtet worden; es wäre
eine fehr wichtige und daukbare Aufgabe, die früheſten „Sendſchreiben“ der Häre⸗
titer einmal zuſammenzuſtellen. Es würde fich dann zeigen, daß Dir bie erſten
größeren Verſuche deutſcher Proſa zu erkennen find.
78
Die Apoſtel waren aber nicht bloß die Träger der Ueberliefe-
‚rung in Lehre und Ritus, fondern fie bewahrten in ihrem engeren
Kreife zugleich die apoftolifchen Vollmachten, ohne welche nad Tra-
dition und Recht diefer Gemeinfchaft eine ordnungsmäßige Verwal⸗
tung des getjtlicden Amtes nicht zu Stande kommen Tonnte?).
Denn natürlich bepurften die Gemeinden für die Verſehung
ihrer vegelmäßigen Andachtsübungen noch befondere Geiftliche und
fchon David von Augsburg beftätigt, daß außer den Apofteln Magistri
oder Lehrer — eine Bezeichnung, welche im weiteren Sinn auch
die Apoftel mitumfaßte — und Studirende („Studentes‘) vorhan⸗
ben geweſen feien, indem er berichtet, daß bei den Gottesbienften
für diefe Geld gefammelt worden fei?).
Aus dem oben erwähnten Senbfchreiben von c. 1230 erhellt
gleichfalls, dag neben den Apofteln, welche hier unter dem Namen
„Arme” auftreten®), auch „Diener („Ministri“) vorhanden
waren, über deren Erwählung der Art. 5 jenes Schreibens Be⸗
jtimmungen trifft. Es wird darin geftattet, die Diener” ſowohl
auf einen beſchränkten Zeitraum wie für Lebensdauer einzufegen.
Bon einer Wahl der Apoftel ift dagegen mit feiner Silbe bie Rede.
Wohl aber lehrt der Ausprud „Ordinatio ministrorum“, dag man
eine formelle Bejtätigung der erwählten Diener Tannte‘).
„In Abwefenbeit des Meiſters“ (Apoſtels), jagt Nöhrich, „unters
1) Die „Handauflegung” dieſes Presbyteriums oder eines Mitgliedes
deſſelben fcheint die nothwendige VBorausfegung fir die rechtmäßige Amtsführung
der Bifchöfe oder, wie e8 im einer fpäteren Zeit heißt, ver Prediger „im vollen
Dienſt“ geweien zu fein. Bon jenem „Aelteften-Kolleg” ver Apoftel ging fpä-
ter, al8 diefes nicht mehr beftand, das Recht und bie Pflicht der Hanbauflegung
an die Aelteften ber einzelnen Gemeinden über. Es war bie aber nur ein Noth-
bebelf.
2) David von Augsburg a. a. O. ©. 209.
3) Abhandlungen der II. Cl. d. K. B. A. d. W. zu Münden Bd. XIN Abth. I
S. 235: „Si aliqua persona consilium ‘Pauperum’ petierit... detur illi
consilium secundum deum et ejus legem“.
4) Zugleich Handelt jene Urkunde in einem befonderen Artifel „De preponi-
mento“, und es wirb barin beftimmt, baß (neben ben Ministri) gemeinfam
(communiter) zu wählen feier entweder „Praepositi“ auf Lebenszeit ober „Rec-
tores“ für beſtimmte Jahre, je nachdem e8 für die Gemeinfchaft nützlicher fchien.
Ich bin einftweilen nicht im Stande, die Funktionen diefer Würbenträger näber
zu beftimmen.
79
wies und ermahnte Einer aus der Gemeinde”, und da die Ab⸗
wefenbeit die Regel war, jo befand fich faft das ganze Jahr hin⸗
durch die Funktion des Seelforgers bet den von den Gemeinden
erwählten „Dienern“.
E83 lag in der Natur der Verhältniſſe, daß da, wo die Ge⸗
meinden klein und mittellos waren, eine Art von Snienprebigern
aushülfsweiſe den Dienft verfehen mußten.
Zu Anfang des 14. Jahrhunderts bekannte der Waldenfer
Johannes de Vienna, daß er drei geiftlihe Stufen (Ordines) an-
ertenne, nämlich den Episcopat, das Sacerbotium und das
Diakonaty.
In der That begegnen uns Biſchöfe der Waldenſer von den
früheſten Zeiten an. Dieckhoff hat mit Recht hervorgehoben?), daß
eine Vergleichung des Wortlauts des 3. Capitels des Laterancon⸗
cils vom Jahre 1215 mit der Bulle Lucius' III. vom Jahre 1184
den Schluß geitattet, „Daß es bereit damals häretiiche Biſchöfe der
Walbenfer gegeben Hat”. Jedenfalls fteht es feit, daß die „Freunde”
in Deftreich bereits im Jahre 1240 einen Bifchof befaßen. Zum
Jahre 1260 erzählt Pſeudo⸗Reiner, daß die wanderndernden Evan⸗
geliften, wenn fie in Die Lombardei famen, „ihre Bifchöfe befuchten‘ >).
Don den Waldenjer-Biichöfen des 15. Jahrhunderts wird weiter
unten bie Rede fein ?). |
Ueber die Funktionen des Bifchof85) wird Durch den bei den
Waldenſern urkundlich bezeugten Gebrauch Licht verbreitet, daß bie
1) „Item, quod in ecclesia non sunt nisi tres ordines, episcopalis, sacer-
dotalis et diaconalis*. Limborch Lib. Sentent. Ing. Tolos. S. 290. Bgl. Died-
hoff a. a. ©. ©. 260. — Hahn a. O. II, 370,
2) A. O. ©, 168,
3) Max. bibl. Patrum Vol. XXV. 266.
4) Moneta berichtet Folgendes: „Ordinem ecclesiasticum ... ipsi ad minus
triplicem confitentur, scilicet Episcopatum, Presbyteratum et Diaconatum, sine
quo triplici ordine Ecclesia Dei non potest esse nec debet, ut
ipsi testantur“. Comba a. O. ©.55 Anm.3. — Der Ausbrud Presbyteratus
ober Presbyter ift in ben von Walbenfern ſelbſt herrührenden Documenten nicht
nachweisbar. Joh. v. Vienna fagt ftatt deſſen ausdrücklich Sacerdotium; f. oben,
5) Daß die dreifache Grababfiufung Teineswegs mit berjenigen ber klerikalen
Hierarchie zufammenfält, und daß fie auf ganz anderen Grundlagen erwachfen
ift, ſ. bei Dieckhoff a. O. ©. 261.
80
Aufnahme in die Gemeinſchaft der Prediger ſchon in frühen Zeiten
mit einer Weihe (Ordination) verbunden war). Aus dem 15. Jahr⸗
hundert wiflen wir, daß dieſe Weihe von dem Biſchof vollzogen
wurde, und es ift Tein Zweifel, daß dieſer Brauch auf uralter
Tradition berubte.
Es iſt fehr wahricheinlich, dag eine organifche Verbindung
zwischen Apoftolat und Episcopat beftanden bat. Nicht ald ob Je⸗
mand gleichzeitig Apoftel und Bifchof hätte fein Tönnen — denn
bie Bifchöfe, welche uns begegnen, haben in der Regel feite Sitze —,
aber es jcheint, al8 ob folche Apoftel, denen ihr Alter verbot, den
Wanderftab zu führen, von den Gemeinden oder deren Vertretern
gern in die Würde des Biſchofs eingefetst worden wären.
Die regelmäßigen Funktionen der Prediger dürften in der Hand
des Standes gelegen haben, welchen Johannes von Vienna als
„Sacerdotium“ bezeichttet.
Es fteht urkundlich feit, daß „ihre Priefter nicht follten geweiht
werben, fie hätten denn dreißig und vier Jahr ihres Alters
überfchritten" 2).
Als Vorbereitungsſtadium für den Prebigerberuf ift vielleicht
das Diakonat anzufehen. In der Hand der Diakfonen lag der
„Dienſt der Nothourft (wie e8 in ſpäterer Zeit heißt), das ift Die
Berwaltung der Gemeinbe-Armenpflege, die hier beſondere Beach⸗
tung fand, die Kafjenführung und fonjtige äußere Bebienungen.
Auch Tann die Thätigfeit jener „Magistri minores“, welche
wir oben als Begleiter der „Apoftel” Tennen gelernt haben, als
Durchgangs- und Lehrzeit für den Prebigerberuf gegolten haben.
Alle Nachrichten bezeugen, daß die Waldenſer in ihrer beiferen
Zeit denjenigen Geiftlichen, Die ſich dieſem Beruf ausfchlieglich wid⸗
meten, eine fichere materielle Erxiftenz gewährleifteten. Es wurden
feſte Umlagen und Opfer bei den Gottesdienften erhoben und biefe
floffen in einen gemeinfamen „Raften”. Erſt in einer verfümmerten
Periode fahen Die „Diener Des Worts“ ſich genöthigt, ihren Unter-
halt jelbft zu verdienen 3),
1) Diedhoff a. DO. ©. 226.
2) Ochfenbein a. O. S. 111. Die Notiz Hamm aus einem Protocoll vom
Jahre 1399. 3) Diedhoff a. O. ©. 202.
81
Gleichzeitig fteht e8 feit, daß die Gemeinden in ihrer Blüthe⸗
zeit gewilfe Anforberungen an bie wiffenjchaftliche Bildung ihrer
Geiſtlichen ftellten. Schon Papſt Innocenz II. (1198—1216) bes
ftätigt, daß bei den Waldenfern gebildete Laien („laiei literati“)
bie Funktionen ber Prediger verjehen bätten!), und es ift fein Zu-
fall, daß die Magistri nit felten den afademifchen Grad ber
Magistri liberalium artium fich erworben batten ?).
Auch in fpäteren Perioden machten die jungen Männer eine
Vorbereitungszeit durch, welche bejtimmt war, fie auf das Niveau
der Zeitbildung zu heben.
Sndeffen war und blieb auch bei ihren vegelmäßigen Seel-
forgern die Hauptforverung die, daß es bewährte, Yeife und wir,
bige Männer feien, welche das Wort verfünbeten.
Die Waldenſer erflärten, der zu erwählende Geiftliche folfe
durch feinen Lebenswandel ven Beweis führen, daß er „Chriftumt
in ſich trage” 3), und fie erläuterten dies mit Chriftt Zufage: „Wer
in ber Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm“. Papft
Innocenz III. berichtet, die Waldenſer wollten nur einem Mann
gehorchen, der „Gott in fich hat“ (qui Deum habet in se); einen
fchlechten Prieſter aber wollten fie troß entpfangener Weihe nicht
aneriennen. |
Sie leugneten gar nicht, daß ſolche Männer, welche wirklich
‚im Geifte” Gottes wandeln und prebigen, felten feien, und daß fie '
fich die Möglichkeit der Wahl fehr bejchränkten. Aber fie fagten,
daß ein einziger rechter Bote Chrijti mehr wirke als Hundert
falſche und fie wollten die Predigt lieber ganz entbehren als fie in
die Hände folder Männer legen, deren Worte mehr Widerwillen
gegen die Wahrheit als rechte Erbauung wirke. Ueberhaupt wollten
fie, wie wir gleich ſehen werden, die Predigt allein nicht zum Mittel-
punkte ihres Gottesdienſtes machen.
Es fteht urkundlich feft, daß die regelmäßige Geiftlichfeit Der
Waldenſer in den früheren Sahrhunderten (im Gegenjag zu den
1) Diedhoff S. 176 Anm. 1.
2) So Johannes von Blumſtein zu Straßburg aus ablichem Gefchlecht und
Stadtſchreiber. S. Röohrich Ztſchr. f. Hift. Theol. 1840. I, ©. 152.
3) Diedhoff a. O. ©. 175f.
Keller, Die Reformation. 6
82
„Apoſteln“) verbeirathet war ober fein durfte. Um dieſelbe Zeit,
wo David von Augsburg das Eheverbot der „Apoſtel“ meldet, be
richtet Pſeudo⸗Reiner, die Waldenſer lehrten, daß „die römische Kirche
im Cheverbot der Geiftlichen irre, während auch die orientalische
Kirche fie geſtatte“). Nach DiedHoffs Unterfuchungen find bei ihnen
verbeiratbete Geiftliche oft nachweisbar 2).
Eine Eigenthümlichkeit Tiegt darin, daß die „Diener des Worte“
in mehr ober weniger beftimmten Zwifchenräumen, gewöhnlich alfe
brei Jahre, die Gemeinde wechfelten >).
Es lag hierin eine Art von Annäherung an das Wanderleben
der Apoftel, wie Chriftus e8 befohlen hat. Noch im 16. Jahrhun⸗
dert mißbilfigte e8 Decolampab an den Waldenfern, daß ihre Geift-
lichen von drei zu drei Jahren verfegt würben®), und Joh. Calvin
befchuldigt die fogenannten Täufer, daß fie behaupteten, beſtimmte
Arten von Dienern des Worts follten gleich den Apofteln als wars
dernde Prediger von Ort zu Ort zieben 5).
Eine wichtige Einrichtung find die regelmäßigen Synoden und
Conferenzen, die fie abhielten.
Diefelben bildeten ein Bindeglied fowohl für die Geſammtheit
wie für die einzelnen Diftrikte, und es liegen Gründe für die An-
nahme vor, daß feite Normen und feite Termine feit alten Zeiten
hierfür gültig und in Uebung waren.
Natürlich erjchwerte die Verfolgung das Tagen größerer Ber-
Sammlungen ungemein. Um fo häufiger fanden fich die Apoſtel
und die Aelteften aus Heineren Kreifen zu einer Art von „Diſtrikts⸗
verfammlung‘ an abgelegenen Orten oder in dem Haufe eines zu-
verläffigen Parteigängers zufammen. Anbaltende Andachtsübungen
gingen den Berathungen voraus. |
Wo eine freiere Bewegung möglich war, fanden fich auch eine
größere Zahl von „Brüdern“ gelegentlich zufammen. So wird be
vichtet, daß um bie Mitte des 14. Jahrhunderts die Waldenfer von
Piemont fich bisweilen 500 Perfonen ſtark capitelöweife („per modum
1) Max. bibl. Patrum Vol. XXV p. 265. 2) Diedhoff a. O. ©. 191f.
3) W. Diedhoff a. DO. ©. 202. — Ochſenbein a. DO. ©. 386,
4) Herzog a. DO. ©. 368,
5) Calvin Instructio adversus Anab.; Opusc. p. 485.
83
capituli“) verfammelten. Es iſt jehr wahrfcheinlich, daß dies vor⸗
zugsweife Prediger und Aelteite oder Diakonen waren!). —
In Bezug auf ihren Gottesdienſt tritt als Eigenthümlich-
feit Schon in den alten Quellen die Thatſache hervor, daß fie den
häuslichen Gottesvienften eine ganz beſondere Bebeutung beilegten.
Und zwar hielten fie nicht etwa Bloß einfache Gebete, fonbern
fürmliche Andachten, an welchen alle, die dem Hauſe angehörig
waren over Gaſtrecht Dort genoffen, Antheil nahmen.
Wir befiten über die Form dieſer Hausgottesvienfte in den
Inquiſitionsprotocollen die genaueften Nachrichten.
Sie fanden in jeder waldenfifchen Familie der Regel nach täg-
lich und zwar nach der Abenpmahlzeit ftatt 2).
Wenn ein „Apoſtel“ zugegen war, fo leitete dieſer die Andacht
und zwar in folgender Weife.
Bor der Mahlzeit Sprach er den Segen?) nach hergebrachten,
leider nicht überliefertem Ritual. Nach Tiſch verließ man das Speife-
zimmer und fand fih in dem Raum zufammen, welchen man für
die Hausandachten beftimmt hatte 9.
Dort knieten alle Anweſenden nieder, jeder vor ſeinem Betpult
(super bancam), und der Geiſtliche (oder deſſen Vertreter) ſprach
laut das Baterunfer, welches die Hörer mit beteten. Dann ver-
harrten fie eine Weile Jeder in ftillem Gebet bis der Prebiger das
Zeichen zum Aufitehen gab 5).
Tehlte der Geiftliche, jo ward die Andacht mit der Vorleſung
1) ©. Herzog a. a. O. ©. 273,
2) Limborch a. DO. ©, 242: „Item ipsa (Agnes Chanoati im Sabre 1315)
et maritus suus servabant modum orandi praedictum post cenam de sero et
aliquando de mane, sicut viderant dietum Johannem (Valdensem) facientem“.
Diefer Johannes war ein Apoftel.
3) Bol. u. A. Limborch a. DO. ©. 231 und öfter.
4) Limborch a. O. ©. 345 (Magistri) benedixerunt mensam secundum mo-
dum suum et post cenam intraverunt quandam cameram, ubi dietus Bartholo-
maeus Valdensis dixit multa verba etc.
5) Oft ſcheint man Yange fo in kniendem Gebet verharrt zu haben. Die
Protocolle wieberholen dies wenigſtens ausdrücklich. Vgl. Limborch a. O. ©. 242
S. 355. — VBgl. Über die Einzelheiten Limborch ©. 353, 355, 368 und öfter.
Das Iniende Beten ift firengfte VBorfchrift in Gemäßheit des Vorbilds Chrifti
bei Luc. 22, 41.
6*
a
84
(lectio) eines Abfchnitt8 der h. Schrift befchloffen, die entweder
burch den Leiter des Gebets oder in abwechjelnvder Reihe durch alle
Anwejenden erfolgt fein dürfte. War aber ver „Apoftel” zur Stelle,
io Inüpfte er an das Gebet eine Ansprache, die fich ſtets an Die
h. Schrift anlehnte!) und in der Lanbesiprache 2) vorgetragen wurde;
je nach jeiner Begabung ließ er ven Troft und die Mahnungen der
froben Botjchaft von Chriſto auf die Hörer zur Wirkung kommen.
Zulett betete er für die, melde in gajtfreiem Daufe den Send⸗
boten Chrifti Schutz und Schirm zu gewähren fich nicht gejcheut
hatten?), und erinnerte an Chrifti Wort, der da ſpricht: „Wer
euch aufnimmt, nimmt mich auf, und wer mich aufnimmt, nimmt
den auf, ber mich gefanpt hat’ (Matth. 10).
Es war dieſe Form des Gottespienftes Teineswegs ein bloßer
Nothbehelf, den fie, wenn fie im Beſitz von Kirchen gewefen wären,
fallen gelaffen hätten; vielmehr berubte biejelbe auf einem feſten
Geſetz, welches fie auf die Stelle der Bergprebigt gründeten, wo
Ehriftus fagt Matth. 6, 5—6: „Und wenn ihr betet, fo foll es
bei euch nicht fein wie bei den Heuchlern, denn fie verrichten gerne
ihr Gebet in den Synagogen und an den Straßeneden ftehend, um
fi den Menschen zu zeigen. Wahrlich, ich fage euch, fie haben ihren
Lohn dahin. Du aber, wenn bu beteft, [jo gehe in deine Kammer
und fhließe deine Thür und bete zu deinem Bater”.
Da nun Chriftus ſelbſt verheißen bat: „Wo zwei oder drei
verfammelt find in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen“,
jo fühlten fie fi dem Göttlichen: nahe auch da, wo in ungeweihtem
Raume fromme Herzen 'fich aus freiem Antrieb zum Gebet zu⸗
jammenfanden.
Es ift eine ganz merkwürdige Erfcheinung, daß fie gegen Die
fteingewölbten Kirchen eine gewiſſe Abneigung nie haben überwinden
Innen). Sie haben fi) zwar nie geweigert, an ven Tirchlichen
1) Dies wird ausdrücklich bezeugt bei Limbord a, O. ©. 353.
2) S. Limborch a. O. ©.254. 3) Bgl. Limborch a. D. S. 359. — Ueber
das Schlufgebet nach ber „praedicatio“ vgl, auch Limborch S. 345.
4) Alle Ouellen ftiimmen darin überein. So fagt Pfeubo-Reiner: Derident
ecclesiam muratam..... et appellant eam vulgariter „Steinhaus“. Max. bibl.
Patr. XXV, 266D. — Die Emiruug dieſer Erſcheinung wird ſich unten finden;
vgl. das 7. Capitel.
85
Gottesdienſten theilzunehmen, aber fie erkannten darin mehr eine
Nachahmung jübifcher und heibnifcher Synagogen und Tempel als
eine Befolgung der Befehle Chriſti und der Apoſtel.
Steht nicht Apoſtelgeſch. 17 unter ausprüdlicher Bezugnahme
auf den Gottesdienſt der Athener: „Gott, der die Welt gemacht bat
und Alles, was darinnen ift, fintemal er ein Herr ift Himmels und
der Erde, wohnt nicht in Tempeln mit Händen gemacht“.
— „Gott tft nicht ferne einem Seglichen unter uns; denn in ihm
leben und weben und find wir”,
Ihre Idee war die, daß eine reine Menſchenſeele der einzige
Tempel fei, in welchem Gott wohne, und wo eine folche ift, fei ed -
in den Kirchen ober anderwärts, ba ift er dem Menſchen nahe.
Um ihre Oppofition gegen die „Kirchen“ zu veritehen, muß man
ihre Motive ins Auge faffen. Sie fagten (wie uns ein Ingquifitor
des 13. Jahrhunderts berichtet), „es jet beſſer Die Armen zu
befleiden als Kirchenwände zu [hmüden“!) und fie deu-
teten damit an, daß fie den ungeheuren Luxus, welcher in biefer
Richtung getrieben ward, mißbilligten. In der That finden wir,
daß in Zeiten, wo der arme Mann in fchwerer Noth feufzte, die
Kirchen von Gold und Prachtgeräthen ftroßten, die bier unfruchtbar
ebenfo für die Volkswohlfahrt wie für Die Steigerung echter Fröm⸗
migkeit aufgeſpeichert lagen.
Ihre Apoſtel und Lehrer predigten mit Vorliebe nach uraltem
Vorbild unter freiem Himmel. Wo dies nicht möglich war und wo
die Verhältniffe es ihnen geſtatteten, für die gemeinſamen Verſamm⸗
lungen und das Abendmahl ein eigenes Gebäude aufzuführen, da
bauten fie ihr „Andachtshaus“ zwar gediegen, aber einfach und an⸗
ftatt die Wände mit Foftbaren Gegenftänvden zu ſchmücken, bauten
ſie neben ihre Kirchen Afyle für die Armen und machten es ſich
zum Geſetz, daß in der Societät der „Brüder“ Niemand fein Dürfe,
welcher gezwungen wäre, Noth zu leiden ober durch DBetteln fein
Brod zu verdienen.
Die Feier der Meffe und die ftetS erneute Opferung des Hei
lands durch den Briefter kannten fie nicht; aber ihren Gottesdienſten
1) Pieudo-Reiner a. O. (Item dicunt) quod melius esset vestire pauperes
quam ornare parietes.
86
ward dennoch keineswegs das erhebende Gefühl entzogen, welchen
das empfängliche Gemüth aus dem Glauben an die Gegenwart des
Heilands zu entnehmen im Stande ti. Denn nach ihrer Lehre
war Chriftus auf Grund feiner eigenen Verheißungen in den guten
Menfchen, die andächtig feiner gedenken, wirkſam und gegenwärtig,
und die Ueberzeugung von dem Befi des apoftolifchen Charisma,
das ihre Geiftlichen durch die Dandauflegung empfangen hatten,
war es, welche dieſe Menfchen bei ihren fchlichten Gottesdienſten
mit beiliger Ehrfurcht erfüllte, fie tröjtete und ſtärkte.
Die Erbauung und Erhebung beruhbte Teineswegs in erfter Tinte
auf der Predigt. Wenn der Prediger aus dem Grunde geijterfüllten
Gemüths wahrhaft Worte des Lebens herborzubringen wußte, fo
hatte diefer Theil des Gottesdienſtes natürlich die tiefſte Wirkung
auf die Andächtigen. Aber fchon der Mangel an Tunfigerechten
Predigern zwang fie, der Liturgie und dem gemeinfamen Gebet eine
viel größere Bedeutung zu geben, al8 man fie vielfach heute Tennt.
Das einzige, was fie im Gotteshaufe fuchten, war die Nähe ihres
Heilands, und diefe wirkte auch ohne Predigt erquidend und tröſtend
auf fie, wenn fie in innigem Gebet ihn fuchten.
Es verdient die befondere Bedeutung hervorgehoben zu werben,
welche fie in ihren Gottespienften dem „Vater unfer” gaben. Ich
babe nirgends gelejen, daß das Apoftolifhe Shmbolum in ihrem
Rituale eine Rolle geipielt hätte, aber das Gebet Chriſti Tehrt ftets
(und zwar oft in vielfacher Wiederholung) in lautem und ftillem
Gebet des Einzelnen wie der Gemeinde wieder. Auslegungen des⸗
jelben gehörten zu den beliebteften Thematen begabter Prediger und
dabei ift e8 intereffant, wie mannigfache Seiten fie den einfachen
Sägen abzugewinnen wußten. „Dein Reich komme“ — diefe wenigen
Worte regten eine ganze Gebantenwelt bei ihnen an, die das Ge⸗
müth biefer Männer wie ein mächtiger Zauber erregte und erfüllte,
Das Kommen des Gottesreich8 oder mit andern Worten die Ver-
wirflihung des fittlihen Ideals auf Erden war ihr in-
brünftiger Wunſch und ihr heißeftes Gebet. Aber nicht bloß beten
wollten fie darum, fie wollten an ihrem Theile nach Kräften mit-
wirken, das Neich der Liebe und des Friedens, das Chriftus ver-
heißen bat, aufzubauen und ihm die Wege zu bereiten. Der feite
87
Glaube an dies Ideal bat ihnen einen Muth und eine Begeiſte⸗
rung verliehen, welche troß der wunderlichen Zuthaten, welche fich
in einzelnen Köpfen daran Tnüpften, ftetS die Bewunderung von
Chriften und Nichtehriften behalten wird.
In Bezug auf die heiligen Handlungen, welche die chriftliche
Gemeinfchaft unter dem Namen der Sacramente Tennt und gemäß
Chriſti Einfegung übt, ſteht e8 feſt, daß ſie das Abendmahl unter
beider Geſtalt zu feiern pflegten. Durch Gebet bereiteten ſie ſich
darauf vor.
Eine volle Uebereinſtimmung über die Auffaſſung des Myſte⸗
riums, welches fich nach der Kirchenlehre daran knüpft, Scheint unter
ihnen nicht vorbanden gewejen zu fein. Bei den religiöfen Vor⸗
ftellungen, wie wir fie kennen gelernt haben, beburften fie eines
näberen Eingebens darauf auch nicht; denn wenn die Kirche lehrt,
daß Gott ſich nur durch die „Mittel ven Menſchen nabe, fo waren
fie eben ganz im Gegentheil der Anficht, daß c8 eine unvermit-
telte Gemeinfchaft der guten Menfchen mit dem Göttlichen gebe.
Jedenfalls fteht es feit, daß fie weder die damalige katholiſche
noch die fpätere Iutberifche Auffaffung teilten; vorherrſchend war
bei ihnen die Meberzeugung, daß das Abendmahl eingefetzt ſei ebenso
als Zeichen der Erinnerung wie der Mahnung, — der Erinnerung
daran, daß Chriftus, welcher für die Seinen das Brod des Lebens
geworden ift, für deren Heil gebrochen ward am Kreuze, zur Er
mahnung, daß wir für einander ebenfo bereit fein follen, uns brechen
zu laffen, und daß Diejenigen, bie reined Herzens das geweihte
Brod genießen, eins und einig feien in ber Liebe und in der Hin-
gebung für einander.
Aber e8 war bei ihnen allerdings Geſetz, daß e8 geweihtes oder,
wie fie.fagten, „gefegnete8 Brod“ (panis benedictus) fein müffe,
welches zur Abendmahlsfeier verwendet werde. Der Segen, wie fie
ibn faßten, fonnte nur von demjenigen ertbeilt werben, welcher inner⸗
halb ver apoftolifchen Succeffion ſtand oder durch die Handauflegung
eines „Apoſtels“ die Vollmacht zur Segenſpendung erhalten hattet).
1) David von Augsburg giebt über die Abendmahlsfeier folgendes wichtige
Referat: „Corpus Christi et sanguinem non credunt vere esse, sed panem tan-
tum benedictum, qui in figura quadam dicitur Corpus Christi, sicut dicitur:
88
In Bezug auf die Beichte waren fie durchaus von der Ueber⸗
zeugung durchdrungen, daß Gott im Stande ift, ohne Mitte-
Lungen venjenigen Ioszufprechen, welcher in wahrer Neue vemüthig
darum bittet.
Den Glauben an die den Apofteln und ihren Nachfolgern ge-
gebene Vollmacht des „Bindend und Löſens“ Hielten fie zwar feft,
aber fie deuteten dies nicht als einen richterlichen Akt, fondern gleich
fam als Bezeichnung für die Funktion des „Schlüffelträgers des himm⸗
liſchen Richters". Der BPriefter ift nicht im Stande, fagten fie, einen
Reue heuchelnden Menſchen in Wahrheit zu Löfen und ebenfo wenig
einem wahrhaft Reumüthigen die Losſprechung wirkfam zu verwehren.
Gleichwohl hatte die Beichte in ihren Augen einen ganz be
ftimmten Werth, und fie hielten gemäß Chrifti Worten nur den-
jenigen Geiftlichen zum Beichthören berechtigt, auf welchen die Voll⸗
machten der Apoftel Traft der Handauflegung übergegangen waren.
Sie fagten nämlich, dag die Beichte nicht nur den Zweck habe,
durch die Neue zu der zeitweilig eingebüßten Gnade Gottes zurüd-
zuführen, jondern daß fie auch der Anlaß zum Anfang ernfter Beſſe⸗
rung werben folle. Den Weg zu folder Selbfterneuerung aber
kann und foll der Geiftliche zeigen, dem wir vertrauensvoll und
reumüthig unfer inneres Herz eröffnen.
Für diefe Auffaffung ift das Bekenntniß fehr intereffant, welches
die Walvenferin Hugueta, die Gemahlin Johanns v. Vienna, im
Jahre 1321 vor dem Ingquifitionsgericht von Touloufe ablegte; da
fte in dem waldenfifchen Glauben von Iugend auf erzogen war
und ihrem Sinn jede bevechnende Entjtellung ihrer Religion fern
lag, fo befigt ihr Zeugniß befondere Bedeutung. Sie fagte aus,
ihr Glaube fei, „daß Gott allein abfolvirt von den Sünden und daß
jener (Geiftliche), vor dem die Beichte der Sünden geſchieht, allein
einen Rathſchlag giebt, wie ver Menſch (ferner) handeln foll“').
Petra autem erat Christus et simile. Hoc autem quidam dicunt, tantum per
bonos fieri, alii autem per omnes, qui verba consecracionis sciunt. Hoc etiam
in conventiculis suis celebrant, recitantes verba illa ewangelii in mensa sua
et sibi mutuo participantes sicut in cena Christi“, Preger a. ©. II, 207.
1) imbor a. O. ©. 290: dixit, „se credere, quod solus Deus absolvit
de peccatis et ille, cui fit confessio, solummodo dat consilium, quid de-
beat homo facere“.
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Um einen ſolchen guten Rath zu ertbeilen, bedarf es natürlich
nicht Sowohl der Firchlihen Ordination als der wahren Seelenrein-
heit und weifen Einficht des Beichtvaters. |
In den Inguifitionsprotocollen wird fehr häufig erwähnt, daß
die „Waldenſer“ ihren Beichtlindern eifriges Gebet al8 „Buße“
auferlegt hätten; e8 muß aber ausdrüdlich betont werden, daß einer
der genaueften Kenner des Walvenfertbums, der fogenannte Pſeudo⸗
Reiner, zu den Irrlehren der Partei die zählt, daß fie feine Bußen
und Pönitenzen auferlegen wollten. Fälſchlich beriefen fie fich, fagt
jener, darauf, daß Chriſtus felbit feine Buße habe auferlegent wollen
und zu der Sünberin gefprochen Habe: „Gehe hin und fünbige ferner
nicht mehr” N). |
- &8 leuchtet ein, daß das, was die Notarien der Inguifition
„Buße nennen, eben nur jene Anweifüngen auf Beilerung bes
Lebens waren. | "
Es veriteht fich von felbft, daß diefe Art der Beichte nur in
der Specialbeichte möglich war. Eine beftimmte Vorfchrift über Die
Nothwendigkeit ſolches Beichtens bat nachweislich bei ihnen nie bes
ſtanden. |
Daneben deuten Anzeichen darauf bin, daß (auf Grund von
Sacob. 5) eine Art von genereller Beichte gebräuchlich geweſen ift.
Es wird aber ausdrücklich berichtet, daß diefelbe nur im allgemeinen
Bekenntniß des Schufpgefühls beſtand, und es fcheint, als ob ihre
Liturgie eine Form befeffen Habe, um dies zum allgemeinen Aus-
druck zu bringen.
Auch der Taufe legten fie folgerecht nicht die Bedeutung bei,
welche bie rechtgläubigen Gegner ihr gaben. ‘Denn während dieſe
Yehrten, es fei eine Abwaſchung der Sünden, welche feit Adams
Salt in Geftalt ver „Erbfünde” allen Menſchen einwohne, fo
tonnten fie eine ſolche Auffaffung ſchon deshalb nicht theilen, weil
fte jenen Begriff der Erbfünde nicht kannten 2).
Eine übereinftimmende Praxis fcheint bei ihnen in diefer Rich»
tung in Folge des Drudes, unter welchem fie lebten, nicht zu Stande
gekommen zu fein.
1) Max. bibl. Patrum Vol.XXV p.265E. 2) Rod; im Jahre 1530 fehlte
ihnen der Begriff der „Erbſünde“. Vgl. Herzog a. a. ©. ©, 357 und 360.
90
Meiſtens Tießen fie ihre Kinder taufen, doch mit dem Vor⸗
behalt, daß dieſe Ceremonie weder ſchade noch nüße !).
Es Tiegen Anzeihen dafür vor, daß fie eine Aufnahme ber
Kinder in die chriftliche Gemeinfchaft allerdings für erforderlich
hielten; fie vollzogen biefelbe durch Handauflegung unter Gebet der
Gemeinde.
Sehr viele Waldenſer betrachteten, wie wir beſtimmt wiſſen,
die Taufe auf den Glauben als diejenige Form, welche Chriſti
Worten und Befehlen gemäß ſei. Sie hielten dieſelbe für das Zeichen
des Bundes eines guten Gewiſſens mit Gott, und es ſtand ihnen
feſt, daß ſie nur als ſolches Werth beſitze. Die bekannten Stellen
"Marc. 16, 16 und Matth. 28, 19 führten fie für ſich an.
Schon aus dem Sabre 1260 berichtet Pſeudo⸗Reiner wörtlich
von den Waldenjern: „In Betreff der Taufe irren Einige, indem
fie behaupten, die Heinen Kinder würden durch die Taufe nicht
felig, denn der Herr jage: "Wer da glaubt und getauft wird, der
wird felig werden’; nun glaube aber ein Kind noch nicht“.
„Einige taufen von Neuem“, fährt der Inquifitor fort,
„andere legen die Hände auf anftatt der Taufe‘).
Der Dominilaner Stephanus de Borbone, welcher Durch feinen
Aufenthalt in Lyon Gelegenheit hatte, die Partei zu kennen, be-
richtet um das Jahr 1250 von den Walvenfern: „Einige find
Wiedergetaufte, welche lehren, daß die Gläubigen von der Kirche
wieder zu taufen ſeien“9).
Auh David von Augsburg beftätigt um diefelbe Zeit die An-
fiht der Waldenſer, daß die Zaufe nur den Glaubenden nützlich
fei, indem er fagt: „Sie fprechen, erft dann werde der Menfch in
Wahrheit getauft, wenn er in ihre Kegerei eingeführt ſei. Einige
aber fagen, die Taufe nüge den Kindern nichts, weil ie noch nicht
einen thätigen Glauben hätten“ 2),
1) Der Belimpfung der Seringfchätung der Kindertaufe hat Eberhard von
Betbune ein befonderes Eapitel gewidmet; f. Max. bibl. Patrum XXIV ©. 1543,
2) Preger a. a. O. ©. 206.
3) „Alii rebaptisali, qui rebaptisandos ab Ecclesia esse dicunt“ bei Died-
boff a. a. ©. ©. 160 Anm, nach D’Argentre a. O. ©. 86,
4) „Dicunt, tunc hominem primo vere baptizari, cum in eorum heresim
fuerit inductus. Quidam autem dicunt, baplismum non valere parvulis eo
91
In der Abhandlung des Ermengardus: „Wider die Waldenfer“
heißt e8 von der Taufe: „Es fagen auch die Häretiker, daß Keinem
dies Sacrament nübe, wenn er nicht mit eignem Mund und Herzen
begehrt" 1).
Diefelbe Anſchauung tritt auch im 15. Jahrhundert bei ihnen
zu Tage), wie wir weiter unten bei den böhmifchen Brüdern im
Näheren ſehen werben.
Wenn wir rückblickend den Geſammteindruck zuſammenfaſſen,
den die Partei in dem Beobachter erweckt, ſo kann man ſich der
Ueberzeugung nicht erwehren, daß ſie auf Grund ihrer Principien
mit glücklichem Takt ihren Zielen ſich angenähert hat. In feſten
Normen gebunden hat dieſe Richtung ſich und ihren Anhängern
doch eine Freiheit der Bewegung geſichert, die es ihr möglich ge⸗
macht hat, unter den ungünſtigſten Umſtänden ſtets neu ſich zu
organiſiren, wenn der Haß ihrer Feinde immer wieder ihre beſten
Männer zum Schaffot geführt hatte.
Es iſt wahr, daß auch ſie der menſchlichen Natur den Tribut
der Schwäche entrichtet hat; aber derjenige Fehler, der ihnen für
die Begründung einer Maſſenherrſchaft am meiſten hinderlich ge⸗
weſen iſt, war ihr Idealismus und die hohen ſittlichen For—
derungen, welche ſie in einer rohen Zeit an Die „rechten Chriften‘
ſtellten.
Ganz beſonders ſind ihre äußeren Erfolge beeinträchtigt worden
durch die grundſätzliche Ablehnung, welche ſie jeder weltlichen Macht
gegenüber an den Tag legten. Nicht, daß fie jemals den Obrig⸗
keiten den Gehorfam verweigert hätten — auch nicht einmal ber
Schein eines folchen Verdachts ruht auf ihnen —, aber fie fagten,
daß die Religion Chriftt, wie fie fie faßten, fich in feiner Richtung
bes weltlihen Arms bedienen dürfe, wenn fie dem Vorbild ihres
göttlichen Stifters entiprechen wolle.
Aus diefem Gefichtspunfte befämpften fie die geiftlihe Ge-
quod nondum actualiter possint credere“. Abbolg. d. II. Cl. d. K. B. A.d. W.
1978 Bd. XIV Abth. I ©. 207.
1) Max. bibl. Patrum XXIV ©, 1609 Cap. 12.
2) Bol. Zezſchwitz a. a. O. ©. 198.
92
richtsbarkeit nicht nur in ihren Auswüchſen, ſondern principiell
und fagten, man lefe wohl in den 5. Schriften, dag die Apoftel
vor die Gerichte gefchleppt worben feien, daß fie aber felbft zu &e-
richt geſeſſen hätten, ftehe nirgends gejchrieben 1).
Ihre Geiftlichen lehnten e8 aus demfelben Grunde ſtets ab, in
irgend einer Thätigkeit weltlicher Art fich gebrauchen zu laſſen; ja
es jcheint, als ob ſelbſt diejenigen ‘Diener der Genteinfchaft, welche
nur zeitweilig in einer geiftlichen Funktion ftanden (fei es auch nur
als Gemeinde-Aeltefte), jedes weltliche Regiment während ihrer kirch⸗
lichen Amtsführung abgelehnt hätten.
Es beruhte dies wichtige Princip auf Chrifti Befehl, welchen
er bei Luc. 22, 25 feinen Apofteln gegeben bat. Dort beißt es
allerdings ganz unzweideutig: „Die Könige der Völker herrichen und
ihre Machthaber laſſen fich gnädige Herrn nennen; ihr aber nicht
alſo“ u. ſ. w.
Mit ausdrücklicher Bezugnahme hierauf weigerten ſich die
Apoſtel, wie die Bifchöfe und Diakonen der Waldenſer, Herrſchafts⸗
rechte irgend einer Art über Andere zu üben und dies in einer Zeit,
wo die römische Kirche durch ihre Fürftbiichöfe, Prälaten u. ſ. w.
einen großen Theil der chriftlihen Welt regierte.
Natürlich war es aber die einfache Confequenz dieſes Stand-
punktes, daß fie den Vertretern der weltlichen Macht auf die An-
gelegenheiten der Kirche einen Einfluß nicht geftatten Tonnten.
Bei der fchwierigen Grenzbeftimmung der Befugniſſe beider
Faktoren haben aber zu allen Zeiten diejenigen religiöfen Gentein-
ſchaften die größten Erfolge zu verzeichnen gehabt, welche entiweber
(wie die römifche Kirche) fich die Staaten bienftbar machten, oder
aber (wie fpätere Confeſſionen) ſich rücdhaltlos in den Dienft Der
Füriten ftellten. —
Für eine oberflächliche Betrachtung, wie fie leiver gerade „ven
Sekten‘ fo vielfach zu Theil geivorden ift, Liegt Die Berfuchung nahe,
biefe „mittelalterlichen‘ Bildungen in das übliche Schema des Mönch-
thums einzuſchachteln.
Wir wollen hier nochmals hervorheben, daß jede nähere Unter-
1) Pfeubo-Reiner in ver Max. bibl. Patrum XXV p. 266 E.
.93
ſuchung die vollſtändige Unrichtigfeit einer ſolchen Schematifirung
darthut.
Es verdient an ſich ſchon Beachtung, daß die Waldenſer nach
den Berichten ihrer alten Gegner angeblich darin Irrlehren vor⸗
trugen, daß ſie „die Regeln ſowohl der Mönche wie der Nonnen
verwarfen“1) und ſagten, daß die „Obſervanzen der Religioſen aus
pharifätichen Weberlieferungen berftammten‘‘ 2).
Selbſt W. Diedhoff hebt ganz ausdrücklich hervor, daß „die
Verſchiedenheit nicht überſehen werden darf, die zwiſchen der Idee
des apoſtoliſchen Lebens, welcher die waldenſiſchen Predigerbrüder
folgen, und der Idee des Mönchthums beſteht“8). „Das Bild des
apoftolifchen Lebens der Waldenſer“, fagt derſelbe Autor, „bietet,
vornehmlich in der erfiten Periode ihrer Gejchichte, Züge dar, die
der mönchifchen Form des vollfommeneren Lebens ganz fremd, ja
berfelben widerſprechen waren.” „Während im Mönchthum,
wie es fich bis zur Zeit des Petrus Waldus geſtaltet hatte, bie
Mönche das Irdiſche verließen und fich in der Abgefchiedenheit von
der Welt frommen Uebungen bingaben, — ſahen die Waldenfer
ganz im Gegentbeil das vollfommenere, der Welt entfagende Leben,
dem auch fie fich ergaben, nur für die nothwendige Grundlage für
bie von ihnen übernommene, im Dienfte Gottes in die Welt
bineinwirfenbe Thätigfeit der Predigt an” 9.
Wenn Dies nun aber von dem Stand der waldenfifchen Geiſt⸗
lien gilt, um wie viel weniger ift man dann bereditigt, im Bezug
auf die Walvdenfer im Allgemeinen von „myſtiſcher Askeſe“ oder
„mönchiſchem Lebensideal“ zu fprechen. So beliebt ſolche Schlag.
worte fein mögen, fo wenig zutreffend find fie wenigftens in unferem
Falle. David von Augsburg erzählt ausdrücklich, daß die Waldenfer
den Baftengeboten u. ſ. w. wenig Werth beilegten. „Sie fagten
nämlich, daß Gott feine Freude daran bat, wenn feine Freunde
ih peinigen, da er im Stande fei, fie auch ohne Dies felig zumachen‘ 5).
1) Max. bibl. Patrum Vol. XXV p.308F. 2) Max. bibl. a. ©. ©. 265 C.
3) So wörtlich bei Diedhoff a. DO. ©. 203. 4) Diedhoff a. O. S. 205.
5) „In quadragesima et in aliis diebus jejuniorum ecclesiae non jejunant,
sed carnem comedunt, ubi audent, dicentes, quod deus non delectatur in affli-
clionibus amicorum suorum, cum sine his sit potens eos salvare*. Abhdl. a. O.
(1878) ©. 208. Man beachte den Ausbrud „Gottes Freunde“,
94
Wir haben bereit8 angedeutet, daß die Waldenfer, obwohl ihre
„Apoftel” gemäß Chrifti ausdrücklicher Vorſchrift als folche freiwillig
- auf Neichthum verzichteten, weit Davon entfernt waren, hieraus eine
„Regel oder das Lebensideal für alle Menſchen zu machen).
Wir befigen eines ihrer alten Gedichte, darin beißt es aus⸗
drüdlich: „Sorge, daß du nicht in zu große Armuth geräthft, de nn
wer die Armuth nicht in großem Frieden erträgt, Dem
tft ſie gefährlih.... Erwerbe rechtichaffen, was dir zum leben
nöthig tft, verſchenke das Mebrige, jo wirft du einen unvergänglichen
Schatz im Himmel haben‘), —
Es ist eine merkwürdige Erfcheinung, daß fo radicale Neuerungen
in der Zeit, wo die Kirche auf dem Höhepunkte ihrer materiellen
Macht ftand, weit und breit Anhänger haben finden können.
Und doch lag ihre Bedeutung nicht darin, daß zahlreiche Ge⸗
meinden zu diefem Syitem hielten, ſondern vielmehr darin, daß fie
auf weite Kreife derer, die nicht officiell zu ihnen gehörten, einen
großen Einfluß nusübten.
Sobald der äußere Drud nachließ, durfte die Heine Shaar
einen großen Zuzug erwarten; auch wird von ben Chroniſten be—
richtet, daß jedesmal die „Häretiker“ jubelten, wenn die römtfche
Kirche das Interdikt über ein Land verhängte.
In beider Richtung traten während des 14. Jahrhunderts Ver⸗
hältniſſe ein, welche eine große Rückwirkung auf die „Gottesfreunde“
und ihre Anhänger äußern mußten.
1) Daß die Waldenfer die Forderung der Armuth ausprüdlih auf ihre
„Apoſtel“ einſchränkten, erhellt u. A. auch aus dem Belenntniß des Petrus Lu⸗
cenfis bei Limborch a. DO. ©. 360.
2) Novel sermon ®. 146—152 nad Herzog a. a. O. ©. 176.
an EEE u ME 1 an nn an — — — —— — —
Diertes Capitel,
Kaifer Ludwig und die deutihen Bauhütten.
1314—1347.
Die Souveränetät des Papftes über den Kaifer. — Thomas von Aquino unb
Bonifacius VII. (1294—1303), — Kampf zwiſchen Kaifertfum und Papft-
tum. — Johann XXI. und König Ludwig der Baier. — Der König unter
Anklage wegen Keberei. — Marfilius von Padua. — John Wycliffe und
Marſilius. — Der „Friedensanwalt“. — Entftehung und Bedeutung bes
Werkes als Duelle des altevangeliichen Kirchenrechts. — Auszüge aus dem
Bud. — Der Kaifer und die Städte. — Patriciat und Gilden. — Die
deutſche Baubütte.
Um diefelbe Zeit, als die Lehre von den Ketzerſtrafen feftge-
ftelit ward, wurde auch die Theorie von der Souveränetät Des
Papftes über die weltliche Gewalt theoretifch und praftifch zu einem
fejten Syſteme ausgebildet.
Auch bier war e8 Thomas von Aquino, welcher fich das
Hauptverdienft um die Formulirung der päpftlichen Anfprüche er-
worben bat!).
Indem er von dem Sag ausging, daß Chriftus es fei, welcher
1) Durch die Eneyclica Aeterni Patris vom Jahre 1879 find neuerbings
fännmtliche Lehren des Thomas von Aquino ausdrücklich gut geheißen worben.
Diefe Encyclica bezweckt nach ben Worten eines Tatholifchen Autors, Dr. Morgott
(Liter. Rundſchau für das kath. Deutfchland 1884 Nr. 10), eine „durchgreifende
Rehabilitation ber Lehre des 5. Thomas in den Kriftliden Schu-
len”. „Seit ber Encyclica Quanta cura und dem Syllabus“, fagt verfelbe, „hat
fein päpftlices Rundſchreiben die forſchende Welt fo ſehr in Bewegung geſetzt“.
„zahlreiche Zuftimmungen des kath. Episcopat8 und ber philofophifchstheot. Lehr⸗
anftalten des kathol. Erdkreiſes“ bezeugen bie begeifterte Aufnahme der Wieder⸗
belebung des Thomas. — Am 13. Octbr. 1879 hat der Papft die Grün-
bung „ber Alademie bes h. Thomas“ zu Rom vollzogen, welche beftimmt ift,
deſſen Lehren immer weiteren Kreifen zugänglich zu machen.
96
alle Gewalt im Himmel und auf Erden befite, und daran Das
Dogma Tnüpfte, daß der Bapft der Stellvertreter Ehrifti auf Erden
jet, kam er zu dem Schluß, daß diefem Statthalter Gottes alle
Könige und Völker zum Gehorſam verpflichtet find).
Die Thatfache, daß Chriſtus felbit jeden Einfluß auf die welt-
liche Macht mit Entfchienenheit von fich abgewiefen, und daß Die
apoftoliichen Sahrhunderte einen ſolchen Anſpruch nie gekannt hatten,
ward nicht beachtet.
Die neue Kirche, welche ſich ſeit dem 4. Jahrhundert an die
Stelle der alten Gemeinſchaft geſetzt hatte, begann alle Conſequenzen
ihrer Neuerungen zu ziehen und das conſtantiniſche Syſtem i immer
vollſtändiger durchzuführen.
Die berühmte Bulle Papft Bonifacius' VIII. Unam sanetam
vom 18. Nov. 1302 erklärte dann in Uebereinftimmung mit diefer
Doctrin: „Die Unterthänigfeit unter dem vömifchen Papft erflären,
bezeichnen, definiren und verfünden wir für jedes menfchliche Wefen
durchaus als Vorbedingung feines Seelenheils"?,
Der päpftlihe Annalift Raynaldus bat fpäterhin ausdrücklich
verfichert, daß diefe Bulle als ein Ausfpruch ex cathedra zu be-
trachten ift und erläuternd fügt derjelbe hinzu, die Meinung Bonis-
facius’ VIIL fei gewefen, daß alle Fürften und Völker erfahren
follten, wozu das weltliche Schwert vorhanden ei, nämlih „ad
nutum et patientiam sacerdotis“?).
1) Siehe den fehr forgfältigen Auszug aus den beiven erſten Büchern von
Thomas Schrift „De regimine principis“ bei 3.3. Baumann Die Staat$lehre
bes heiligen Thomas von Aquino, des größten Theologen u. f. w. Lpz. 1873
©. 80. — Die Schrift De regimine princ. ift abgebrudt in Thomae Aquinatis
Opera, Parmae. Vol. XVI, 224sqgq. Die entfcheidenden Stellen ib. Lib. I Cap. 14. —
Daß bie heutige Auffaffung der Tatholifchen Kirche diefer Theorie entfpricht, ſ. bei
Eathrein, P. Soc. Jes., Die Aufgabe der Staatsgewalt und ihre Grenzen.
Freiburg 1.3. Herber 1882,
2) Die Worte lauten: „Porro subesse Romano pontific| omnem humanam
creaturam declaramus, diecimus et diffinimus et pronunciamus omnino esse de
necessitate salutis“. — Die Bulle ift vollftändig abgedrudt bei O. Ra yn al⸗
dus Annales eccles. ad an. 1302 No. 13. — Die Worte der Bulle lehnen ſich
genau an folgende Stelle des Thomas von Aquino: „Ostenditur enim, quod
subesse Romano Pontifici sit de necessitate salutis (Opusc., Contra errores
Graec.).
3) Höfler Die Avignoneſiſchen Päpfte, Wien 1871 ©. 14.
97
Papſt Bonifacius aber brachte den Anfpruch auf die höchſte
irdiſche Machtvollkommenheit im Sabre 1300 auch öffentlich zum
Ausorud, indem er bei Gelegenheit des großen Subiläums, wo
Taufenbe. nad Rom geftrömt waren, an einem Tage im Gewande
bes Bapftes, amt andern in dem bes Kaifers allem Volle fich zeigte).
Unter den Vertretern der kirchlichen Wiffenfchaft warb von num
an der Glaubensſatz Gefek, daß nur die Gewalt des Papſtes
von Gott ftamme, alle übrige Gewalt ſei nur ein Amt zur Dienft-
leiſtung (ministerium), fo weit der Bapft diefelbe verleihe?).
E83 war doch felbft in jenen Jahrhunderten unmöglich, jolche
Lehren und Anſprüche aufzuftellen, ohne den lauten Widerſpruch
weiter reife wachzurufen. Der römische Stuhl mußte e8 erleben,
daß fich zahlreiche „Reber und „Sekten“ fanden, welche jene Theorien
als einen Abfall von der Lehre Chriſti verabfchenten, und ein hef⸗
tiger geiftiger Kampf war die Folge.
Als die Curie einem entjchiedenen Widerſtand begegnete, und
als Kaifer Ludwig der Baier felbft fih an die Spike jtellte, griff
der römiſche Stuhl, welcher feit Beginn des 14. Jahrhunderts in
Avignon refidirte, zu dem Mittel, daß er über ven größten Theil
bes Reiches das Interbift verhängte.
Die Majorität der Nation war der Vleberzeugung, daß Bapt
Johann XXL. (1316—1334), ein ehemaliger franzöfiicher Mönch,
im Bunde mit den franzöfifchen Königen darauf ausging, die Macht
bes deutfchen Kaiſers zu fchwächen.
Man Tann fich die Aufregung, welche damals in Deutjchland
berichte, nicht groß genug denken. Die heftigen Styeitfchriften,
welche uns erhalten find, enthalten den Wiederhall der Kampfrufe,
welche durch das Abendland fchaliten.
Dazu kam, daß in demfelben Moment, wo der Bapit die Kirche
und ihr Oberhaupt als die Inhaberin aller geiftlichen und welt
Iihen Macht erklärte, eine tiefe fittliche Zerrüttung der ganzen rö⸗
miſchen Priefterichaft zu Tage trat.
Einer der beften Kenner diefer Zeiten, der Dominikaner Heinrich
1) Höfler a. a. O. ©. 14.
2) Dal. die Ausführungen des Auguftinus Triumphus bei Friedberg 3 it-
ſchrift f. Kirchenrecht VII, 94f.
Keller, Die Reformation, 7
98
S. Denifle, fehildert die Zuſtände des Clerus folgendermaßen 1):
„Der biftorifche Hintergrund für das Meiſterbuch'“ — wir ver
ven dieſes merkwürdige Buch alsbald kennen lernen — „tt das
14. Sahrhundert mit feiner vollftändigen Zerfegung der Geſellſchaft
und den vielfachen Aergerniffen, die auch aus dem Schooße
des BriefterthHums hervorgingen“. „Der. fittlide Zuftend
der damaligen Zeit und die in derſelben herrſchende allgemeine
fieberbhafte Erregung der Geifter erklären, warum auch
Laien ihre Stimme erheben und mitwirken wollten an ber fittliden
Erneuerung ihrer Zeitgenofien. Das Elend des Volles und der
Umftand, daß auch ein Theil der Leiter deſſelben, ſelbſt aus dem
Welt- und Drbens-Elerus, vom Verderben mehr oder weniger
ergriffen waren, ging ihnen zu Herzen. Es war an fich nicht
unrichtig, daß fie dem ſchlechten Elerus einen großen
Theil ver Schuld an den Sünden ber Zeitgenoffen bei=-
maßen”.
Wir werben unten fehen, daß der Bund des Bapftes und des
franzöfifchen Königthums fchließlich über feine Gegner einen vor⸗
läufigen Sieg davon getragen bat.
Aber der Kampf, ven Kaifer Ludwig gelämpft hat, Bat fir
fpätere Generationen bie Grundlage der religiöfen Freiheit geſchaffen.
Die oppofitionelle Literatir, die unter dem Schub bes Kaiſers er⸗
wachfen, ift fir das ganze geiftige und religibſe Leben des deutſchen
Bolfes in den fpäteren Sahrhunderten von maßgebender Bebeutung
geworben. Die Schriften jener Tage haben eine Wirkung ausge-
übt bis in ferne Zeiten, ja bi8 auf den heutigen Tag und fie for⸗
dern daher troß ihres hohen Alters eine Beachtung, wie fie von
wenigen anderen geiftigen Schöpfungen jener längft entſchwundenen
Zeiten in Anspruch genommen werben bürfte.
- Unter dem 3. April 1327 erließ Johann XXIL eine Bulle
an den deutſchen Kaifer Ludwig von Baiern, in welcher dieſer
unter der Anklage der „Ketzerei“ öffentlich aufgefordert warb, bis
1) Quellen und Forſchungen zur Sprach⸗ und Culturgeſchichte ber germani-
fchen Völker Herausgeg. von B. ten Brind, E. Martin u. W. Scherer. Bd. 36
Straßb. 1879 ©, 131 f,
99
fpäteftens zum 1. October perfönlich in Avignon zu erfcheinen, um
den Urtbeilsipruch zu vernehmen, welchen ver Papft in Gegenwart
der Gläubigen über den Kaifer fällen werbe !).
Derſelbe Papft hatte bereits in ver Bulle vom 11. Juli 1324
den Kaiſer als Beichüter und Beförberer folder Männer bezeichnet,
welche von den zujtändigen Richtern des „Verbrechens der Ketzerei“
(de crimine haeresis) ſchuldig befunden worben waren, und es ver-
dient Beachtung, daß es lombardiſche Keker waren, auf welche
der Papit Bezug nimmt?). Eben bie Lombarbei war ja einer ber
vornehmſten Site jener Reber, die wir oben unter dem Namen
„Waldenſer“ Tennen gelernt haben.
Da Kaifer Ludwig e8 nicht feiner Würde gemäß hielt, fich per-
fönlih vor dem Inquifitionsgericht in Avignon zu verantworten,
fo ift der Prozeß gegen ihn nicht zu feiner Endfchaft gefommen,
und wir wiſſen nicht, ob das Verhör die Anklage der Ketzerei be
ftätigt haben würde,
Aber auf Ludwigs Anſchauungen fällt allerdings durch den
Umſtand ein bezeichnendes Licht, daR derjenige Mann bei ihm das
größte Vertrauen genoß, welcher als einer ver geiftoollften Vor⸗
kämpfer der altenangelifchen Gemeinden von Freund wie Feind an-
erfannt ift, nämlich der berühmte „Ketzer“ Marfilius von Badua?).
Papit Johann XXI. Hat in der Bulle vom 3. April 1327
ausdrücklich ausgefprochen, dag das Hauptwerk des Marſilius, wel⸗
ches wir bald näher Tennen lernen werden, voll ſei von mannig-
1) Die Bulle ift abgebruct bei Martene u. Duranb Thesaurus II, 683.
2) Martene u. Durand II, 660.
3) Die wifjenfchaftlichen Forſchungen über Marfilius find leider noch fehr im
Rückſtand. Eine Monographie über ihn eriftirt nicht, obwohl er zweifello8 einer
der einflußreicäften Perfönlichkeiten in dem großen Kampf zwiſchen Kaiferthum
und Papfttbum im 14. Jahrhundert geweien ifl. Die beften und vollftänbigiten
Nachrichten finden fih bei S. Riezler Die lit. Wiberfacher der Päpfte u. f. w.
Lpz. 19874. — Beſondere Beachtung verdient ferner der Aufſatz Friedbergs
„Die mittelalterlicden Lehren über das Verhältuiß von Staat und Kirche“ in
der Zeitfchrift f. Kirchenrecht Bd. VII Tüb. 1869 S. 69 ff. — Bol, Schodels
Abhandlung im Programm des Gymnaſfiums zu Buchsweiler 1877 Progr. Nr. 408.
— Einige wichtige Notizen finden fich bei &, Müller Der Kampf Ludwig's bes
B. mit der röm. Eurie Tüb. 1879. 1880. — Bol, ferner Herzog u. Plitt Real⸗
encyklopäbie s. v. Marſilins und Bird im Progr. d. höheren Bürgerſchule zu
Muͤhlheim a. R. 1868.
7*
100
fahen Kegereien!) und Papſt Clemens VI hat in einer Rebe,
die er am 10. April 1343 gehalten hat, die merkwürdigen Worte
gefprocden: „Wir getrauen uns zu behaupten, daß wir nie einen
ſchlimmeren Steger gelefen haben als dieſen Marſilius“.
Um das Jahr 1375 aber erklärte die Curie die Lehren und
Behauptungen des englifhen Ketzers John Wyclif einfach für
eine Erneuerung der Ketzerei, welcher Marſilius von Padua an⸗
gehangen habe?).
Es iſt von zuſtändiger Seite bereits früher hervorgehoben wor⸗
den, daß Niemand weder unter ſeinen Gegnern noch unter ſeinen
Freunden an Tiefe und Selbſtändigkeit des Denkens dem Marſilius
gleich Tommt. „Wenn irgend einem Manne“, ſagt Emil Friedberg,
„jo kommt biefem die Bezeichnung eines politifchen Luther zu“3).
Er war um das Jahr 1270 zu Padua als bürgerlicher Eltern
Kind geboren, hatte um das Jahr 1302 nach der Sitte vieler Ita⸗
liener die Univerfität Paris bezogen, um fich Hier in ben theologi⸗
fen und anderen Wifjenjehnften weiter auszubilden. Im Jahre
1312 war er Rector diefer berühmten Hochichule. Obwohl die Theo⸗
Yogie fein Spezialfach war, fo fcheint er doch die höheren Weihen
nie empfangen zu haben. Mit Unterftügung eines Freundes, Joh.
von Jandun, verfaßte er ein Werk über das Verhältniß des Staats
zur Kirche, dem er den Namen „Defensor pacis‘ gab.
Das Buch tft zu Paris gefchrieben, und es Tann nach Den
neueren Unterfuchungen als feitftehend betrachtet werden, daß es
3u Ende Yuni 1324 vollendet wurde ?).
Raum war dafjelbe befannt geworden, fo warb feitend Des
päpftlichen Hofes ein Prozeß eingeleitet, und ein Samulus des Mar⸗
figlio, Franz von Venedig, ward, ald der Theilnahme verbächtig,
verhaftet; im Sabre 1327 wurden Marfiglio und Jandun in aller
Form ercommunicirt und am 23. Oct. 1328 durch päpftliche Bulle
1) Martene u. Durand Thes. I, 683. — d’Argentre Coll. judic. Ia. 304.
2) Höfler Die Aoignonefifchen Päpfte Wien 1871 ©. 30.
3) Friedberg a. DO. ©. 92,
4) C. Müller hat im Jahre 1879 eine. Sanbfchrift des Werkes in Wien
aufgefunden, welche als Termin ber Vollendung ben 24. Juni 1324 angiebt.
©. Müller a. O. 1, 368.
101
bes Verbrechend der Ketzerei ſchuldig erklärt. Ehe indeſſen die Ver-
faffer jelbit Hatten ergriffen werden können, hatten fie Paris ver-
offen. Sie nahmen ihren Weg nach Deutfchland und wandten
fih diveft an das Hoflager Kaifer Ludwigs, um dieſem ihr Wert
zu überreichen.
Es ift uns ein Bericht Über die erjte Begegnung der „Ketzer“
mit dem Kaifer erhalten, welcher einige intereffante Züge enthält.
Ludwig konnte nicht; begreifen, wie man Paris verlaffen könne,
um in Deutſchland an den fchweren Kämpfen, welche das Reich
bewegten, theilzunehmen. Bei Gott — Soll er ihnen zugerufen
haben. — wer hat euch beivogen, aus dem Lande des Friedens und
des Ruhms in dies Friegerifche Reich zu Tommen? Die Gelehrten
antworteten, daß die Liebe zur Kirche Chrifti fie getrieben Habe.
Denn die Kirche des Papftes fei voller Anmaßung. Die Wahrheit,
wie fie fie erkannt hätten, wollten fie gegen Jedermann vertheidigen
und, wenn nöthig, dafür ein ſtehen mit ihrem Leben‘).
Dan erkennt, daß es religiöfe Motive waren, welche bier das
treibende Moment bildeten, und da Kaiſer Ludwig bald erfahren
fonnte, wen er vor fich habe, fo verbient e8 um fo größere Be⸗
achtung, daß er die Flüchtlinge bei fich behielt und den Marfiliug,
der in der Medicin erfahren war, zu feinem Leibarzt ernannte.
Selbit die gegen den Paduaner verhängte Ereommunication und
jelbft die Warnungen, Die von Rom aus vor dem „Häretiker“ er-
gingen, konnten den Kaiſer von feiner Sympathie für den „Ketzer“
nicht zurückbringen, und Marfilius ftieg von Jahr zu Jahr an An
ſehen und an Einfluß am beutfchen Kaiſerhof.
Man kann ſich von der Wichtigkeit, welche die Curie dieſer
Perfonalfrage beilegte, eine Vorftellung aus dem Umftand bilden,
daß im Sahre 1334, als der Kaiſer eine Annäherung an Rom
juchte, die Carbinäle als vornehmfte Bedingung die Entlaffung des
Marfilius forderten 2). Aber der Kaifer entließ ihn nicht.
Die gleiche Forderung ward nach dem Tode Johanns XXII.
von Papft Benedict XII. geſtellt. Marfilius folle fich der Eurie
unterwerfen — das war der Refrain aller Unterhandlungen. An
1) Shodel a. a. O. S. 5.
2) Riezler Die lit. Widerſacher der Päpſte ©. 85.
102
der Spite des „Ketzerverzeichniſſes“, welches dem Kaifer überreicht
ward mit dem Erjuchen, diefe Männer auszurotten, ftand der Name
des Marfilius von Padua. Aber das Bündniß zwiichen dem Kaifer
und dem Lebteren war fo feit, daß e8 alle Diefe Proben überbauerte!).
„Der “Defensor pacis’“, fagt Emil Frienberg?), „wurbe die
leitende Richtſchnur ver Taiferlichen Politik und Ludwig zeigte, mit
welchen Erfolge er ihn ſtudirt hatte‘.
Das Wert enthält in vielen Punkten jo vollitändig das Glau⸗
bensbefenntniß der „Ketzer“, welche wir oben kennen gelernt haben,
ja, e8 copixt in Einzelnheiten ihre Lehre und Tradition fo genau,
dag man ſich Taum der Annahme erwehren Tann, es feien feine
Berfaffer felbft Angehörige jener „heimlichen Gemeinden‘ geweſen,
welche in Oberitalien weit verbreitet waren und bie ihre jüngeren
begabten Mitglieder erfahrungsmäßig gern nach Paris ſchickten, um
fih dort in den Wiſſenſchaften auszubilden.
Wie dem aber auch fein mag, fo fteht Doch feft, daß ein innerer
Zujammenhang der Grundſätze des „Fridſchirm⸗Buchs“ (wie man
daſſelbe im 16. Jahrhundert zu nennen pflegte) mit Denjenigen ber
„Brüder“ unzweifelhaft vorhanden if. Das Werk tft, mögen feine
Verfaſſer mit den „Waldenſern“ over „Arnoldiften” in Verbindung
geftanden haben oder nicht, eines ber beveutenditen Titerarifchen
Erzeugniffe, welche zur Vertheivigung ihrer Ideen gejchrieben wor⸗
den find.
Die oben erwähnte Aeußerung, nach welcher man zu Avignon
in John Wyclifs Keterei nur eine Wieberbelebung des Marfilius
ſehen zu müffen glaubte, ift in dieſer Richtung eine vollgültig be-
weifende Thatſache.
Dazu kommt ferner, daß Diejenigen Parteien, welche die Be⸗
ftrebungen der „Waldenſer“ am reinften bewahrt und fortgefeßt
haben, gerade in Marfilius von Padua einen ihrer vorzüglichiten
Sähriftfteller anerlannt haben.
1) Nah C. Miller a. a. O. 1,253 iſt Marfilius im Jahre 1342 im Dienft
des Kaiſers geftorben. Er ift mit dem Anfichten, die er im Leben vertheibigt bat,
entſchlafen. Er war mithin von 1324—1342, faft 18 Jahre Yang, im Dienft
Kaifer Ludwigs. 2) Ztſchr. f. Kirchenrecht VIIL 117.
103
Wer die Grunbfäge des altevangeliſchen Kirchenrechts,
die leitenden Gedanken der firchlichen Organifation und die Formen
der Kirchenverfaſſung Tennen lernen will, kann Teine vollſtändigere
und zuverläffigere Duelle finden als Marfilius von Paduai.
Zwei und Inhalt des Buches werben gleich in den erften
Sätzen deſſelben in treffender Weije gekennzeichnet,
„Jedem Reiche”, jagt Marfilius?), „muß Trieben und Sicher-
beit erftrebenswerth gelten, bei welcher bie Völker gedeihen und der
Nutzen der Nationen gewahrt wird”. Auch die heidniſchen Schrift-
fteller haben ebenjo wie die Heiligen Bücher des Alten Teſtaments
den Frieden als Duelle aller guter Dinge bezeichnet. Chriſtus
aber ward, als er geboren war, ber Herold des Friedens, da er
verkünden ließ: „Ehre fei Gott in der Höhe, Frieden auf Erben”,
Und durch alle Lehren und Worte Chrifti hindurch (ſagt Marſilius)
geht die Mahnung zum Frieden. Wie oft fpricht er nicht zu feinen
Jüngern: „Friede fei mit euch!" und „Haltet Frieden unter einander‘
oder „Friede fei diefem Haufe”. So ſteht e8 bei Johannes, bei
Marcus, bei Matthäus. | |
Und wie aus dem Frieden Segen erwächit, jo aus dem Un⸗
frieven Unfegen. Das zeigen die Völker und die Staaten hin⸗
teichend; aber Feines mehr als das Reich Italien.
Solches Unfriedens, der die Völker ins Unglüd ftürgt, giebt
es viele und mannigfache Urjachen, wie man fehon bei Ariftoteles
findet. Mer nun tft noch eine Urfache, welche Arijtoteles nicht
Iannte, dazu gekommen, an welcher vor Allem das Römiſche Reich
feit langer Zeit gekrankt bat und noch fortvauernd krankt.
Diefe Urfache des Unfrievens ift es, welche in dem vorliegen
den Werk unterfucht werden joll, nämlich das Verhältniß zwiſchen
Staat und Kirche. Wache Sorgfalt und unermübeten Fleiß Diefer
1) Da gerade diefe Tirchenrechtlichen Kragen höchſt intereffant find, fo Tann
eine erneute Detail-Unterfuchung des Marfilius nicht angelegentlih genug ge⸗
wünfdt werben. Es wirb dadurch anf die Tirchlichen Berfafiungsbeftimmungen
und die Organtfation der Walbenfer, die bis jet vielfach dunkel find, ein ganz
neues Licht fallen.
2) Der nachfolgende Auszug ift angefertigt nach ber Ausgabe, welche zu
Baſel im Sabre 1522 gebrudt worben iſt. Ein Exemplar berfelben — fie find
felten — befitt das Königliche Staatsarchiv zu Müniter.
104
Frage zuzuwenden ift Pflicht für den, welcher das allgemeine Wohl
im Auge bat. Und biefe Pflicht darf Niemand bernachläffigen aus
Furcht oder Trägheit.
In Erwägung der Mahnungen Ehriftid), ver Heiligen und
ber Philoſophen, wie fte oben erwähnt find, babe ich, ein Mann
aus Padua, aus Liebe zur Wahrbeit und zu meinen Brüdern —
zugleich in Rückſicht auf Dich, Kaiſer Ludwig — die Summe der
nachfolgenden Sentenzen nach ſorgfaltier Prüfung der Schrift über⸗
geben.
Unter den verſchiedenen Staatsformen will Marſilius keine
generell für die abſolut beſte oder ſchlechteſte erkläven.
Im Ganzen aber iſt unter ſonſt gleichen Bedingungen nach
ſeiner Anſicht die „königliche Monarchie“ vorzuziehen und zwar
um fo mehr, je mehr fie als Ausdruck des Willens der über-
wiegenden Mehrheit des Volkes betrachtet werben kann, und
je mehr fie ſich im Einklang mit diefem befindet.
Die Einfegung des Königthums aber beruht auf göttlichem
Willen, felbjt wenn auch die Ausübung der Herrichafts- und
Hoheitsrechte zugleich von bem Willen der Volksmajorität mit
beftimmt wird.
Dur diefe Begriffsbeftimmung tft der Weg gewieſen für eine
Auffaffung des Stantslebens, welche neben dem Königthum bie
Mehrheit der Staatsgemeinde befonders betont — eine Auf-
fafjung, welche die charakteriftiiche Eigenthümlichkeit der religiäfen
Richtung geblieben ift, welche in den Tirchenpolitifchen Tragen an
Marſilius fich angefchloffen hat.
Es follen zweierlei Gewalten im Staate vorhanden fein, eine
ausübende und eine geſetzgebende. Denn es foll kein Fürft ohne
Geſetze regieren, Fein Richter ohne Geſetze urtheilen.
Wenn nun, wie Marfilius einräumt, die ausübende Gewalt
in einer beſchränkten Monarchie gut aufgehoben ift, fo entſteht Die
Trage, wer ſoll Geſetzgeber fein? Darauf antwortet Marfilius:
„Wir aber fagen gemäß der Wahrpeit und dem Rath des Arifto-
1) Man beachte die Betonung der „Befehle Ehrifti“, wie fie ben Waldenſern
eigenthümlich iſt.
105
tele8 (IH. Polit. Cap. VD, der Gefetgeber over ber erſte und eigent-
liche effective Urheber des Gefetes ift das Volt oder die Gefammt-
heit der Bürger ober deren Majorität. Die Majorität verftehe ich
in Rückſicht auf bie Geſammtheit derer, für welche das Gefe Gültig-
Teit haben fol, mag dies nun die obenerwähnte Gefammtheit oder
ihre Majorität unmittelbar ſelbſt oder mag fie e8 durch ihre er-
wählten Bertreter thun‘ N),
Marfilius, welcher wohl fühlen mochte, daß er hierin grund⸗
ſtürzende Neuerungen verfocht, ſucht ſorgfältig die Einwendungen
zu widerlegen, welche hiergegen gemacht werden könnten. Dieſe
Erörterungen dienen dazu, ſeine Meinung näher zu begründen. Die
Geſetz⸗Vorſchläge, ſagt er, ſollen von Erfahrenen und Weiſen
ausgehen, die zu deren Ausarbeitung beſtimmt werden. Doch ſollen
bie Vorſchläge von ſolchen geprüft werben, welche Die Autorität ‘der
Gefammtheit repräfentiren. Diefe mögen bie Gefege, welche für
Alle gelten follen, bilfigen, ändern oder verwerfen.
Dei all diefen freifinnigen Ideen ift e8 intereffant, daß Mar-
filius der ausübenden Gewalt eine gewiffe Stärke zu geben burch-
aus Willens if. Im 14. Capitel des erften Theils führt er aus,
daß dem Negenten äußere Werkzeuge zur Verfügung ftehen müffen,
durch welche er der Vollziehung des Rechtes Nachdruck geben Tann.
Es joll eine bewaffnete Macht da fein. Aber die Stärke dieſer
Bewaffneten an Zahl und Ausrüftung foll der „Geſetzgeber“, d. h.
die Majorität der freien Männer over ihre Repräfentanten beftimmen.
Die vollziehende Gewalt foll nah Marfilius in der Hand eines
einzelnen Mannes, eines Fürften, nicht aber in der Hand
Diehrerer oder eines Collegiums (Oligarchie, Ariftofratie) liegen
(Cap. 17)2). A
Nachdem Marjilius dur diefe Begriffsbeftimmungen fich den
Weg zu feinem eigentlichen Thema gebahnt hat, geht er im zweiten
Theil zu diefem Punkte über,
1) Marfilius Bafeler Ausgabe 1522 fol. 36.
2) Marſilius a. O. f. 65. „Hunc autem solummodo principatum, supremum
scilicet, dico unum numero ex necessitate fore, non plures, si debeat regnum
aut civitas bene disponi“,
106
Auch bier geht er fehr vorfichtig zunächft mit Definitionen über
ben Begriff der Kirche vorwärts.
„In neuerer Zeit”, Sagt er, „wendet man das Wort Kirche auf
die Diener der Kirche an, auf Briefter, Bifchöfe und Diakonen“N).
Diefe Anwendung aber wideripricht dem Brauch der Apoftel
ganz und gar. Die Abficht derer, welche die „Kirche“ gründeten,
war bie, bie Gemeinde, d. 5. die Gefammtbeit derer, welche an
Chriſtum glauben, damit zu bezeichnen.
In diefem Sinn fchreibt Paulus (1 Cor, 1,2) „An die Ge-
meinde Gottes in Korinth”.
Es ift Dies aber nicht ein zufälliger Mißbrauch des Wortes,
fondern er ift aus wohldurchdachten Gründen aufgebracht worden
und Hat für die Priefterfchaft nütliche, aber für die Chriftenheit
verberbliche Folgen mit fich geführt. |
Mit Hilfe dieſer falichen Begriffsbeftimmung und der für fie
zurecht gelegten Auffaffung einzelner Schriftftellen tft das hierarchiſche
Syſtem aufgebaut worden, wie es jetzt zu Recht befteht und welches
eine oberfte richterliche Gewalt nicht nur in rein geiftlichen
Dingen, fondern auch in der Grenzbeſtimmung über geiftliche und
weltliche Sachen (in rebus contentiosis), ja, mitwirkend auch in
rein weltlichen Gegenftänden (in coaotivo prineipatu) für ſich in
Anſpruch nimmt.
Gegenüber diefem Anfpruch erflärt Marfiliug, zeigen zu wollen,
daß „pie h. Schrift, die Befehle Chriſti, feine Ratbichläge und
fein Vorbild, heilige und bewährte Ausleger der evangelifchen
Lehren” demfelben widerſprechen?). Ja, jever Geiftliche ober Late,
welchem eine folche oberfte Gewalt angetragen würde, müßte nad
Chriſti Rath und Vorbild diefelbe zurückweiſen.
Vielmehr ift die höchſte Autorität, von welcher Biſchöfe wie
Prieſter die ihrige erft erhalten, die Hriftlide Gemeinde —
Es iſt gewiß, dag Chriftus die Macht gehabt Hätte, feinen
Apofteln und Nachfolgern eine richterliche Gewalt zu übertragen.
1) „Apud modernos maxime importat hoc nomen ecclesia ministros illos,
presbyteros, seu episcopos atque diaconos“ etc. a. O. ©. 84,
2) ©. bie Ueberihrift zu Eap. IV: „De canonieis scripturis, Christi man-
datis, vel consiliis et exemplis“ ete. A. O. ©. 92.
107
Wenn man aber feine Worte und fein Vorbild prüft, fo bat er
weder dem Petrus noch den anderen Apofteln eine ſolche Macht
gegeben noch zu geben die Abficht beſeſſen. „Chriſtus Hat fich von
ſolcher richterlichen Gewalt oder Herrichaft gemäß feinem Ziele aus-
fohlteßen wollen und Hat ausgefchloffen ſich und die Apoftel und
feine Schüler, deren Nachfolger, feien es Biſchöfe oder Priefter, von
allem Herrſchen oder ſolchem weltlichen Regieren, wie e8 in einer
derartigen Mitwirfung zu Tage tritt, durch fein Veifpiel, durch
feine Rebe, durch feinen Rath und. feinen Befehl" N).
Hat nicht Paulus gejagt (2 Tim. 2): Kein Streiter Chrifti ſolle
ſich in weltliche Dinge mifchen, und fagt nicht die Gloſſe des Am⸗
brofius zu Diefer Stelle, daß, wer ſich in weltliche Dinge mifcht,
vergeblich fucht, zweien Herrn zu dienen. Man lieft wohl, dag Die
Apoftel vor Gericht geftanden Haben, daß fie zu Gericht geſeſſen
haben über Andere Babe ich nie gelejen.
Doch ſei e8 ferne von mir, bie Ehrfurcht oder den Gehorſam
zu fchmälern, welcher dem Lehrer der Gemeinde zukommt in all den
Dingen, die er gemäß der h. Schrift fordert von feinen Gläubigen.
Aber der Lehrer und Hirte darf und foll zu folder Be-
folgung Niemanden mit Zwang oder Strafe, fie fei
ſächlich oder perfönlich, in Diefer Welt zwingen?)
Wenn nun feine vichterliche oder weltliche Gewalt von Chriſtus
feinen Nachfolgern gegeben ift, fo entfteht die Frage, welche Autorität
und welche Rechte über die Ehriftgläubigen haben ſie Dann erhalten?
Dies tft das Recht und die Pflicht, welche Chriſtus den Apofteln
1) A tali judicio seu principatu secundum propositum (Christus) exclu-
dere voluit et exclusit se ipsum et apostolos ac discipulos etiam suos, ipso-
rumque successores consequenter episcopos seu presbyteros ab omni princi-
patu seu mundano regimine tali, coactivo scilicet exclusit exemplo et
per sermonem etiam consilio vel praecepto. X. a. O. ©. 94.
2) Die merkwürdige Stelle Iautet wörtlih: Non tamen ex his dicere vo-
lumus, quin doctori seu pastori ecclesiastico debeatur reverentia et obedientia
in his, quae praecipit seu docet observanda secundum legem evangelicam —
quamvis etiam ipse ad talium observationem neminem debeat nec possit arcere
in hoc seculo poena vel supplicio quoquam reali vel personali. Quoniam
talem potestatem arcendi et dominandi cuiquam in hoc seculo sibi ex evan-
gelica scriptura concessam non legimus, sed potius interdictum consilio vel
praecepto. 4. O. ©, 111.
108
gegeben hat (Matth. 28): „Gebet Hin in alle Welt und lehret alle
Völker und taufet fie im Namen des Vaters, des Sohnes und des
h. Geiftes und lehret fie Halten Alles, was ich euch befohlen Habe”).
Und wie die Vollzieher der Taufe, fo find die Apoftel und
deren Nachfolger auch die Spender des Buß⸗Sacraments, welches
Chriſtus eingefett Bat.
Diefe Aemter bat Chriſtus dem Petrus übertragen, als er ihm
und damit allen Apofteln die Gewalt gab, zu binden und zu Idfen.
Sagt doch jelbft Hieronymus zu Matth. 16, daß diefelbe Macht,
welche Petrus erhalten, auch die übrigen Apoftel empfangen hätten.
Zur wahren Buße oder dem Bußfacrament werben mehrere
Borbedingungen erfordert: erjtlich Die innere Traurigkeit des Sün-
ders über feine That; zweitens der Borfag und die Bereitwilligfeit
zur Beichte; wenn dafür ein Priefter mangelt, fo genügt der Vorſatz.
Denn ein wahrhaft reumüthiges Herz darf auch Gott beichten, und
Gott übernimmt dann die Funktion des Priefters, d. 5. die Löfung
von der Schuld und die Wiebereinfegung in bie Herde?). Sagt
nicht der Pfalmift: „Sch allein tilge Die Unbilligfeiten und die Sün-
den des Volks“? Auch Ambrofius jagt: Das Wort Gottes verzeibt
die Sünden als Priefter und Richter, und ebenfo: der allein ver-
zeiht Die Sünde, der für unfere Sünden geftorben ift.
„Wie der Thürſchließer (claviger) des weltlichen Nichters fein
Amt dadurch erfüllt, daß er ven Kerker auf- und zujchließt, ohne
deßhalb das Recht richterlicher Gewalt zu üben — nur in dieſem
Sinn übt der Priefter durch Verkündung der Abfolution oder Male⸗
biction das Amt eines Schlüffelträgers des himmliſchen Richters”.
Nur Gott allein fieht in das Menſchenherz, nicht der Priefter;
der Reue heuchelnde Menfch ift von feinen Sünden nicht losge⸗
fprochen, auch wenn ihn der Priefter Iosgefprochen bat; Dagegen ift
der Reumüthige felbjt dann befreit, wenn ein Priefter ihm Abfo-
lution verwehrt. Es giebt auch noch einen anderen Punkt, bei
1) „Et hoc fait officium, quod suis successoribus apostolis exercendum
commisit: cum eisdem post resurrectionem quasi omuium novissime dixit illud
Matth. 28 et ultimo: Euntes ergo docete omnes gentes baptizantes eos in
nomine patris et filii et spiritus sancti docentes eos, servare Omnia, quae-
cunque mandavi vobis“. 4. O. ©. 116.
2) A. a. O. S. 117f.
109
welchem die Thätigfeit des Priefters in Betracht kommt, nämlich
die Ercommunilation ober der Bann.
Die Ausfchliegung von ſolchen, welche ein offenbares Delict
begangen haben, ift fchriftgemäß. Aber e8 fteht feit, daß dieſe Strafe
demjenigen nichtS ſchadet, welcher von dem Priefter unfchulbig ex⸗
communicirt wird, Ferner tft ficher, daß durch den Ausschluß der
Betroffene zugleich in feiner bürgerlichen Eriftenz geſchädigt wird
(etiam .civili communione et commoditate privatur)., Daher
müſſen für diefen Alt Vorfichtsmaßregeln getroffen werden. Chriftus
felbft giebt dafür den Weg an (Matth. 18): „Sündiget dein Bru-
der an dir, fo gehe hin und ftrafe ihn zwifchen dir und ihm allein,
Höret er dich, fo Haft du deinen Bruder gewonnen. Höret er dich
nicht, jo nimm noch einen oder zwei zu bir, auf daß alle Sache
bestehe auf zweier oder dreier Zeugen Mund. Höret er bie nicht,
fo fage es der Gemeinde. Höret er bie Gemeinde nicht, fo
halte ihn als einen Heiden und Zöllner”. Daber foll der Bann
nicht in ber Hand eines einzelnen Priefterd liegen, wer er auch fei,
oder in der Hand eines Collegiums von Prieftern, jondern er fteht
bei der Gemeinde der Gläubigen!) Chriftus ſagt ausprüd,-
lich: fage e8 der Gemeinde, er fagt nicht: fage e8 dem Apoſtel over
Biſchof oder Priefter. Chriftus meint, dag für diefes Amt des
Bindens und Löſens, wie e8 im Banne liegt, feine (Chriftt) Autorität
auf die Gemeinde, nicht aber auf einen einzelnen Priefter, über-
gegangen fei. Die Gemeinde aber ift die Gemeinfchaft derer, bie
an Chriftus glauben. -
Und wie es Chriftus befohlen bat, fo ift der Bann in ber
apoftolifchen Kirche gebraucht worden. Paulus fchreibt (1 Cor. 5)
an bie Corinther: „Sch meinerjeits, zwar abwejend bem Leibe, doch
anweſend dem Geift nach, babe über ben, der fich fo vergangen,
fchon wie anwefend entfchieben, dahin, dag wir im Namen des
Herrn Jeſus zufammentreten, ihr und mein Geift mit der
Kraft unferes Herrn Jeſus und übergeben denjelbigen dem Satan
1) A. O. S. 123.— „Dixit ergo Christus, dic ecclesiae, nec dixit apostolo
vel episcopo seu presbytero aut ipsorum soli collegio. Et intellexit ibi Chri-
stus ecclesiam fidelium aut judicem ad haec illius autoritate institutum, quo-
modo usi sunt hoc nomine apostoli et ecclesia primitiva“.
110
zum DVerberben des Fleiſches, Damit der Geift gerettet werde am
Tag des Herren Jeſus“. Mit vollem Recht erläutert diefe Stelle
Auguftinus dahin: „Sch habe in dem Sinn entſchieden (ſpricht Pau⸗
lus), daß wir in gemeinfanter VBerfammlung, mit Einbelligfeit, unter
Mitwirkung meiner Autorität und der Kraft Ehrifti, den Schulpigen
dem Satan befehlen”.
Die Bemeinde bat mithin die befchließende und gefeßgebende
Gewalt; der Geiftliche ift der Vollzieher ihres Willens, indem
er ausfchliegt oder wieder aufnimmt. Inſofern ift er es allerdings,
welcher löſt und bindet.
Das Amt des Bindens und Löfens im höchſten Sinn bat
Einer ſich vorbehalten, das ift Chriftus. Dies bezeugt ausdrücklich
Yacobus (4, 12): „Einer tft der Geſetzgeber, der kann felig machen
ober verdammen“).
Doch dieſes Geſetzgebers und Nichterd Abficht war es nicht,
durch zeitliche Strafen oder Belohnungen die Menfchen zur Selig.
teit zu zwingen. Chriftus bat nicht befohlen, bag Jemand in
diefer Welt zur Beobachtung feiner Gefege gezivungen werde (Non
enim ordinavit Christus, arceri quemquam ad legis latae per
ipsum observationem in hoc saeculo). Selbft wenn man welt
liche Strafmittel gegen Talfchgläubige anwenden wollte, fo würde
dadurch Tein Nuten für deren oder Anderer Seligkeit erzielt wer-
den. Wer aus Zwang und nicht aus eignem Antrieb glaubt over
Gutes thut, deffen Thun ift nichts werth. „Wer mir nachfolgen
will”, fagt Chriftus, „ber überwinbe fich ſelbſt“. Auch Haben bie
Kirchenväter Chrufoftomus, Dilarius u. N. in gleichem Sinne ge-
lehrt. Gemäß der Wahrheit und der offenbaren Abſicht des Apoftels
und der Heiligen fol Niemand gezwungen werben in biefer Welt
Durch Pön ober Strafe zur Haltung der Vorfchriften des evange⸗
liichen Geſetzes, ganz bejonders nicht durch einen Priefter, und zwar
weder der Gläubige noch der Ungläubige 2).
1) A. a. O. ©. 137 (Cap. IX im Anfang).
2) A. O. S. 140: Secundum veritatem igitur et apertam intentionem
apostoli atque Sanctorum, qui doctores ecclesiae seu fidei exstiterunt aliorum
praeeipui, nemo cogi praecipitur in hoc seculo poena vel supplicio ad legis
evangelicae praecepta servanda per sacerdotem praecipue nedum fidelis verum
etiam nec infidelis.
111
Jene Strafgewalt, die nach Maßgabe des göttlichen Geſetzes
gehandhabt wird, bat nur ber göttliche Richter, und dieſer wird fie
erft im Jenſeits ausüben. Heute aber werden irbifche Verurthei-
lungen zur Empfehlung des göttlichen Glaubens angewendet, und
indem man Chriftus durch menjchliche Bemühungen zu Hülfe fommt,
wird er der Machtlofigleit geziehen. Durch Exil und Kerker ver-
breitet Die Kirche Schreden und zwingt die Menfchen, dag mar fie,
die fich auf ſolche Machtmittel ftütt, für Die wahre Kirche Chriſti
halte.
Es iſt wahr, daß Moſes im alten Geſet andere Vorſchriften
gegeben hat. Aber hat denn nicht Chriſtus ein höheres Geſetz ge⸗
geben als Moſes? Um euere jüdiſchen Einrichtungen zu vertheidigen,
ſagt ihr, das evangeliſche Geſetz ſei unvollſtändig und es Könnten
nicht alle Dinge auf Grund des neuen geregelt werden. „Wir aber
ſagen, daß wir durch das evangeliſche Geſetz hinreichend angeleitet
werden zu dem, was wir in dieſem Leben thun oder laſſen ſollen,
ſoweit unſer Zuſtand im jenſeitigen Leben und die Erreichung des
ewigen Heils in Betracht kommt. Zur Regelung ſtreitiger Fragen
bürgerlicher Art iſt es freilich nicht gegeben“ i).
Es ſind nicht bloß die Worte und Befehle Chriſti, welche die
Norm unſeres Glaubens und Lebens ſein müſſen, ſondern vor Allem
ſein Beiſpiel. (Voluit Christus, ut suo nos prius exemplo,
quam sermone doceret.)
Und wie Chriftus nun demüthig, arm und einfach Durch bie
Welt gegangen tft, fo follen auch feine Schüler und Nachfolger es
fein, beſonders aber diejenigen, welche auch Chriſti Nachfolger find
m dem Amte, zu deſſen Vollziehung er in die Welt gelommen tft.
Hat nicht Chriſtus ſelbſt gejagt: Keiner von Euch, der nicht Allem,
was er Kat, entjagt, kann mein Schüler fein? und fpricht er nicht,
1) Objieiet autem aliquis imperfectionem evangelicae legis, si per ipsam,
ut diximus, sufficienter regulari nequeant actus humani contentiosi pro statu
et in statu vitae praesentis. Nos autem dicamus, quod per legem evangeli-
cam sufficienter dirigimur in agendis aut declinandis in, vita praesenti pro
statu venturi geculi seu aeternae salutis consequendae aut supplicii declinandi _
propter quae lata est, non quidem pro contentiosis actibus hominum civiliter
reducendis ad equalitafem aut commensurationem debitam pro statu seu suf-
ficientia vitae praesentis. ©. 143.
112
feine Worte erläuternd, in gleichem Sinne bei Matth. 19: Ber
Taufe, was du haſt, und gieb dein Gut den Armen? Die Bijchäfe
und Hirten follen nach Chriſti und der Apoftel Vorbild weder Städte
noch Dörfer noch Tiegende Güter oder Reichthümer ihr eigen nennen,
fondern, was ſie von folchen Haben, das follen fie den Armen geben.
Zinfen und Zehnten von Früchten aber find die Priefter nach den
Worten der h. Schrift zu fordern nicht berechtigt.
Wem fteht nun das Recht zu, Biſchöfe, Pfarrer und über-
haupt die Diener der Kirche einzufegen? Für die Apoſtel ift Chriftus
die Duelle ihrer Autorität gewefen; für deren Nachfolger die Apoftel.
Nach dem Tode der Apoftel aber ift das Recht ver Wahl auf bie
Gemeinde der Gläubigen übergegangen ').
Einen Beweis hierfür liefern in der Apoftelgefchichte die Wahlen
des Stephanus und Philippus. Wenn e8 fchon in Anwefenheit
der Apoftel und bei der Wahl der Diakonen fo gehalten wurde,
daß die Gemeinde gewählt bat, um wie viel mehr muß dieſes Ver-
fahren nach dem Tode der Apoftel und bei der Wahl von Brieftern
beobachtet werden. Eben der Gemeinde fteht e8 auch zu, im Noth⸗
fall aus triftigen Gründen einen Priefter feines Amts zu entjeßen.
Dabei kommt e8 vor Allem darauf an, würbige und achtbare
Männer zu Prieftern zu machen. Ein fchlechter Fürft Tann viel
Unheil anrichten, ein fchlechter Priefter aber noch mehr.
Wie ift e8 gelommen, daß wider die Anorbnungen der Apoftel
nicht mehr die Gemeinden, ſondern die Hierarchie und der Papft
die Inbaber‘ver Tirchlichen Rechte find? 2)
Die Verhältniffe des römifchen Reichs brachten es mit fich, Daß
pie Chriften, welche in Rom lebten, ven Mittelpunkt für die Glau⸗
bensgenofjen bildeten. War doch bier die größte Gemeinde, der
1) Ex his amplius per necessitatem inferre volo, quod in communitatibus
jam perfectis ad legislatorem humanum solummodo seu fidelium multi-
tudinem ejus loci super quam intendere debet promovendus minister pertineat
eligere, determinare ac praesentare personas promovendas ad ecclesiasticos
ordines. Et quod nemini sacerdoti vel episcopo singulariter neque ipsorum
soli collegio cuiquam cooperari liceat ad hujusmodi suscipiendos ordines abs-
que legislatoris humani vel ipsius autoritate principantis licentia. Hoc autem
primum ex scriptura sacra demonstrabo etc. — ©. 216.
2) Cap. XVIM a. O. fol. 223,
113
Mittelpunkt des geiftigen Lebens überhaupt und natürlich auch für
die Chriften. So Tam es, daß der erfte Geiftliche der römischen
Gemeinde bald weit und breit befannt war, daß Die Gemeinden in
der Provinz feinen Rath wie feine Unterftügung gern in Anspruch
nahmen.
Nun gelang es den Bemühungen Sylveſters, den Raifer
Conftantin zur öffentlichen Annahme des Chriftentbums zu be-
wegen, und es fcheint, als ob Conftantin alddann ber römischen
Kirche die Autorität über die anderen Biſchöfe und Kirchen ver-
ſchafft babet).
Wo ift Die Stelle der h. Schrift, welche lehrt, daß ein Bifchof
über allen anderen ſtehen folle. Das Haupt feiner Kirche ift allein
Chriſtus, nicht irgend ein Apoftel oder deren Nachfolger, wie
deutlich fteht Eph. A u. 5, Col. 1 und 1 Cor. 102.
„Möge der römische Bifchof mit feinen Nachfolgern auf diefem
Stuhl, möchten alle übrigen Priefter und Diakonen und geiftlichen
Diener, an welche meine Worte nicht wie an Feinde — dafür rufe
ih Gott zum Zeugen an bei meiner Seele und meinem Körper —
fondern wie an Väter und Brüber in Chrifto gerichtet find, möchten
fie danach trachten, dem Vorbild Chrifti und Ber Apoſtel zu
folgen”. „Sch Habe verfucht auf den Weg ber Wahrheit an ber
Hand der heiligen Schriften und menfchlichen Nechts fie zurüdzu-
führen, auf daß fie gewarnt feien“.
Die religiöfen Ideen, zu deren Patron fich Kaifer Ludwig ge-
macht batte und die mit feiner Zuftimmung durch eine fo bedeu⸗
tende Autorität wie Marfilius vertreten wurden, fanden im ganzen
Reiche lebhaften Wiederhallt), am lebhaftejten aber in den deutſchen
1) A. O. fol, 226,
2) Caput enim ecclesiae simpliciter et fidei fundamentum dei ordinatione
immediata secundum scripturam sive veritatem unicum est Christus ipse,
non aliquis apostolus, episcopus aut sacerdos, ut aperte dicit Apost. ad Eph.
4 et5 ad Col. 1 et 1 Cor. 10. A. O. fol. 252.
3) A. O. fol. 306.
4) Es ift doch merkwürdig, daß das Erfcheinen des Defensor pacis in Straße
burg ein folches Auffehen machte, daß ein Chronift (Fritſche Elofener) deſſen wie
eines Tagesereignifjes gedachte. Chroniken der beutfchen Städte VII, 70.
Keller, Die Reformation. . 8
114
Städten, welche in jener Zeit bereits bie wichtigiten Mittelpunkte
des geijtigen Lebens bildeten.
„um dieje Zeit”, fo erzählt ein römiſch gefinnter Chronift jener
Tage, „war der Klerus in großer Verachtung bei den
Laien und man hielt die Juden böher als ihn”). Es waren
leineswegs nur die Mißbräuche des Syſtems, gegen welches fich die
Beratung des deutſchen Bürgertbums gekehrt hatte, jondern mit
ſchwerem Ernjt und unter gewaltiger Erregung der Gemüther voll-
308 jich ein Principienfampf, der eine neue Zeit vorzubereiten fchien.
Die Stadt Straßburg war in dieſem Kampf injofern voran-
gegangen, als fie die Priefter, welche gemäß dem päpftlichen Befehle
den Gottesdienft eingeftellt hatten, zwaug, die Stabt zu räumen.
Die Stadt Züri hatte ſchon feit 1331 Feine päpftlichen Kleriker
mehr gebulvet. In Conſtanz forderte der Magiftrat von feinen
@eiftliden, daß fie ihre Funktionen wieder aufnehmen follten und
gab ihnen eine Frift zur Ueberlegung; als viefe abgelaufen war
(1339 Ian. 6), mußten Alle, welche nicht fungiren wollten, die Stadt
verlajien. Zu Reutlingen ließ der Rath öffentlich ausrufen, daß
Niemand bei einer Strafe von 15 Pfund einen Priefter aufnehmen
dürfe, welcher dem Papft Gehorfam leiſte In Regensburg zwang
bie Obrigleit ihre Priefter Durch Hunger zur Abhaltung des Gottes⸗
bienftes, In Nürnberg, wo die ftädtifchen Dligarchen eine Zeit
lang mit dem römifchen Klerus gemeinfame Sache gemacht hatten,
kam e8 bierüber mit den Zünften zum offenen Kampfe, der mit
der Niederlage der Geſchlechter und der Briefter endigte. Kaum
war dieſer Sieg erfochten, da fchloß ſich Nürnberg der Partei des
gebannten Kaiferd an. Ueberhaupt kann man beobachten — wir
werden unten darauf zurüdfommen —, daß alle deutſchen Städte,
welche nicht von dem Batriciat regiert wurden, unbebingte Gegner
Noms und treue Anhänger Ludwigs geweſen find.
Eine fo tiefe, principielle und allgemeine Kriegserflärung gegen
die herrſchende Kirche war bisher in Deutichland noch nicht da⸗
gewejen. Während früher die Ueberzeugung herrſchend gewejen war,
daß derjenige, welcher von Rom gefchieden fei, von feinem Heil ge-
1) Preger in den Abhh. d. IM. EL. d.R. B. Ak. d. W. zu Münden Bd. XIV, 1.
©. 59.
115
ſchieden wäre, ſchien fich jegt im &egentbeil der Glaube Bahn zu
brechen, daß die Verbindung mit dem römifchen Oberpriefter für die
Seele des „rechten Chriſten“ Gefahren in fich berge.
So war der Boden vorbereitet und die Bahn gebrochen für das
Wachsthum derjenigen Ideen, welche jene Heine Schaar der „Brü⸗
der” und ihre „Apoftel” im Namen Chriftt feit Jahrhunderten ver
fochten hatten. In der That find diefe Jahrzehnte es gewefen, in
welchen der Samen einer neuen Weltanſchauung ausgeftreut wor⸗
den ift. "
Im Sabre 1332, zu einer Zeit, als Papſt Johann XXIL den
Kaiſer längft wegen „Ketzerei“ vor das geiftliche Gericht zu Avignon
eitirt hatte, richteten die Städte Augsburg, Conftanz, Eplingen,
Reutlingen, Rottweil, Gemund, Hall, Heilbronn, Wimpfen, Weins-
berg und Weil ein Schreiben an den Erzbifchof von Trier, welches
zu den merkwürdigſten Aktenſtücken dieſer ereignißreichen Epoche zu
zählen ift!).
- Die Städte erklären darin zunächſt, daß fie in ihrem „durch⸗
lauchtigften Herrn, Ludwig, von Gottes Gnaden römischen Kaiſer“
einen Fürſten erfennen, welcher dem rechten Chriftenglauben zus-
getban ſei.
„Kaifer Ludwig”, fahren fie fort, ‚pflegt das Rechte und ftrebt
nach Gerechtigkeit; unter allen Fürften der Welt lebt er
am meiften nah Chriſti Lehre und im Glauben wie in be-
fcheidener Gelaſſenheit leuchtet er als Vorbild hervor vor Anderen;
ihm wollen wir mit der fejten und unwanbelbaren Treue, die aus
Glauben, Ergebenbeit und lauterem Gehorſam entfpringt, als unferem
rechten Kaiſer und natürlichen Herrn anhangen und zwar für alle
Zeit und bis zum Tode. „Bon dieſes unferes rechten und legi-
timen Kaifers und Heren Gehorſam wollen wir niemals Lafjen,
fein Unglüd, feine Neuerung, Tein Ereigniß irgend einer Art, woher
es auch kommen mag, ſoll uns je von ihm fcheiven‘,
1) Das Schreiben Augsburgs datirt vom 18, Febr., dasjenige von Eonftanz
vom 21. März, die Gejammteingabe der übrigen Städte vom 2. Ian. 1332.
Das letztgenannte Original beruht im Hausarchiv zu München und ift abgebrudt
von Preger in den Abhh. d. 11. Cl. d. K. B. Ak. d. W. zu Münden Bd. XIV.
1. Abth. ©. 69f.
8 %
116
Diefer Schwur der Treue ift dann von den Städten in den
Tagen der Gefahr wirklich gehalten worden. Als die römifche Curie
den Karl von Mähren gegen den Raifer zum deutfchen Herrfcher
erhoben hatte und Ludwig auf dieſe Nachricht im Jahre 1346 die
Städte nach Speier berief, fand ſich auch nicht eine einzige am
Rhein, in Schwaben und in Franken, welche ausgeblieben wäre ober
dem Kaifer ihre thätige Hülfe verweigert hätte.
Es verfteht fich won felbft, Daß nicht alle Anhänger des Kaiſers
in ihrer Theilnahme Durch religiöfe Motive geleitet waren; aber
die Haltung der Städte geht ganz unzweifelhaft in erfter Linie
auf ſolche zurüd, Das erwähnte Schreiben vom 2. Ian. 1332
giebt hierüber einen jo unzweidentigen Auffchluß, daß die Frage
dadurch als erledigt angefehen werben Tan.
Die Städte erflären nämlich feierlich, dag das Zeugniß ber
h. Schriften e8 fei, auf Grund deſſen fie ihre Stellung in dem
Kampf genommen bätten. Die 5. Schriften bezeugen, fagen fie,
dag der allmächtige Gott allein e8 ift, von welchem alle Macht und
alle Herrichaft auf Erden abgeleitet wird!), Mithin verwerfen fie
die Theorie, daß alles weltliche Regiment als Ausflug der geift-
lichen Gewalt zu betrachten fei, und fie rufen dafür eine Autorität
an, deren Entgegenfekung gegen die Entſcheidungen der Kirche ſchon
an fich den religiöfen Standpunkt deutlich dokumentirt.
„Als der Baumeister und Bildner der Welt nach feinem un⸗
erforfchlichen Plane das Gebäude unferer Welt in weiſem Voraus-
ſchauen zu errichten befchloß, da bat er zwei große Lichter
unter des Himmels Firmament gejtellt und ihnen ihre Funktionen
fo zugetheilt, daß durch ihren wirkenden Dienft uns, die wir auf
der Erde wohnen, des doppelten Tichtes 2) Klarheit leuchte, und Dies
fo, daß, obwohl Jedes auf das Andere Bezug bat, doch eins das
Andere nicht beeinträchtige, tm Gegentheil Jedes, indem es feine
Dewegung und feinen Lauf im Weltenrund gleichmäßig bewahrt,
das Andere in feinem Beitand und feiner Kraft ſtärke und erhalte‘,
1) Breger a. O. ©. 69.
2) Der Ausdrud „Licht“ in der dreifachen Form luminar, lumen, lux wich
in dem relativ kurzen Schreiben ſechsmal gebraudt und, wie wir fehen wer⸗
den, in verſchiedenem ſymboliſchen Sinn angewenbet.
117
Alfo Hat auch des ewigen Vaters Vorſehung, nah weilen Plane
alles planend, zwei Autoritäten, eine in geistlichen und eine in welt-
Iihen Dingen angeordnet, welche, obwohl fie gegenfeitig Rückſicht
auf einander nehmen follen, doch fich nicht feindlich begegnen dürfen.
„Indeſſen ſehen wir mit dem fehmerzlichiten Bedauern, daß Die
Gier nad irdifher Ehre die Lichter unferes Heiles für die
ganze Welt verfinftert bat und daß der Weltkörper der zeitlichen
Sntereffen, der fi in der Sphäre jener leuchtenden Geftirne und
Lichter bewegt, fie gegenwärtig in gefährlicher und ſchlimmer Diftanz
getrennt bat. Darum bitten und fleben wir „Armen Chrijten”,
die wir in unjerem Herrn und Fürften die feftefte Säule des Glau-
bens, des Lichts und des Baus (structurae) der Katferlichen Kuppel
erfennen und fein anderes Mittel und feinen Zufluchtsort fehen.....
Daß der chriftliche Glaube und fein Vertreter keinen Schaden nehme
und geiftliche und weltliche Autorität, welche des Weltall Ordnung
ſich nicht zum Vorbild nehmen, fich nicht zum Nachtheil der Chriften-
beit verfinftern‘!).
In den deutſchen Städten gab es, wie oben bemerkt, zwei Bar-
teien, die fich fchroff gegenüber ftanden, den ſtädtiſchen Adel, ver
meist mit dem Landadel gleichen Urjprung und gleiche Rechte hatte,
und die freien Gewerke oder Bruderſchaften und Zunftgenofien.
Daß die Legteren in jenen Jahren, wo die Städte ihrem Kaifer
1) Die intereffante Stelle lautet wörtlih: „Dum fabricator mundi sua dis-
positione ineffabili presentis saeculi machinam censuit erigendam provisione
provida, in celi firmamento posuit duo luminaria magna, ea officiis propriis
sic distinguens, quod ipsorum ministeriis nobis in regione ista degentibus
duplicis luminis claritas inclarescit et hec licet se in aliquo respiciant, unum
tamen alterum non offendit, immo utrumque, suo motu et cursu in eircuitu
uniformiter servatis alterum in suo esse et robore fortificat et conservat....
Nos igitur pater clementissime, immensa compassione compatimur, quod terreni
honoris aviditas nostrae salutis luminaria toti mundo adeo dampnatbiliter eclip-
savit, quodque globus rerum temporalium in spera ipsorum luminum se in-
volvens ipsa hiis temporibus valde periculosa et dampnabili distancia sepa-
ravit. Pauperes igitur christicole fidei dominum principem lucis ac
structurae imperialis culminis columpnam firmissimamagno-
scentes, aliud remedium aliudque receptaculi refugium non
scientes vos invocamus“ etc. Die geiperrten Worte finden fich in dem Schrei=
ben von Conftanz, in den übrigen nicht.
118
ewige Treue fchwuren, Die Xeiter der Bewegung waren und bie
Oligarchie des Patriciats mit fich fortriffen, ſollte fich in den fpäteren
Zeiten, wo die allgemeine Lage der ‘Dinge fich verändert Batte,
beutlich zeigen. In dem Moment, wo die beufche Krone es vergaß,
daß zu ihren Ehrenpflichten die Stügung der Schwachen von je
gehört hatte, und der Bund mit dem Klerus und dem Adel von
Neuem gefchloffen ward, da zeigte es fich, daß diefe Bundesgenoffen
jet wie früher nicht bloß die Beugung des Kaiſerthums, ſondern
zugleich die Knechtung des Bürgertbums zur Bebingung ihrer
Hülfe machten.
"Unter den deutſchen Gewerken aber bejaß in jener Zeit Teines
größeres Anfehen und wichtigeren Einfluß auf die übrigen Gilden
als der Bund der deutſchen Bauhütten. ES tft längit an-
erfannt, daß dieſer mächtige Bund auf die meiften deutichen Gilden,
befonders auf bie ihm nabeftehbenden ver Kunſthandwerker, Gold-
ſchmiede, Glodengießer, Eifenfchmiede, Bildhauer, Maler, Form⸗
Schneider u. f. w. tonangebend einwirkte!).
Wir werden unten auf die Organifation, die Geſchichte und
das Wefen der deutichen Baubütte noch eingehender zurückkommen
müffen. Bier mag einftweilen nur jo viel erinnert werden, daß dieſer
Bund Schon im 14. Jahrhundert durch feine Macht, feine Bildung
und feine Leiftungen bei Fürften und Volk im böchiten Anfehen ftand.
So kann 883.3. als erwiesen gelten, daß Herzog Rudolph IV.
von Deftreich und Steiermark (geb. 1. Nov. 1339, geft. 17. April
1365), einer der mächtigften Fürften des Neichs, zu der „Bauhütte“
in einem nahen und freundfchaftlichen Verhältnig geftanden Hat 2).
Er ſcheint als „Bauherr” von S. Stephan in Wien, deſſen Erbauung
er der Hütte übertrug, ſogar Mitglied des Bundes gewefen zu fein 3).
Wenn man diefe Thatfachen erwägt, dann fcheint es Doch Fein
Zufall zu fein, daß die erwähnte Eingabe der oberdeutichen Städte
vom 2. Januar 1332 in ihrer ganzen Form den Eindrud macht,
1) Bgl. den vortreffligden Auffak von Rziha Weber die deutſchen Stein-
meßzeichen in den Mittheilungen ver 8. 8. Eentral-Commifi, für d. Erforfchung
der Kunft- u. Geſch.⸗Denk. in Deftreih. Wien 1881. 1882.
2) Vgl. die Beweife bei Riha a, O.
3) Hiermit ftimmt die Tradition der Bauhütte volllommen überein. Die
jelbe verbient überhaupt größere Beachtung, als man ihr hat einräumen wollen.
119
als ob an ihrer Abfafjung Männer des Baus und der ‚Geometrie‘
betbeiligt geweſen feien.
Alle Vergleihe und Bilder, welche der Verfaſſer anwendet,
find entweder der Himmelsfunde, wie man fie damals fahte, oder
dem Sprachgebraudh der Baumeijter und der Werkftätten entnom-
men. Gleich die Bezeichnung Gottes als des „Baumeiſters
der Welt‘ (fabricator mundi) wird in dem Sprachgebrauch römi-
fcher Theologen niemals nachweisbar fein. ‘Der Ausprud fabrica
ift Dagegen in verfchievenen Zufammenfegungen gerade in den reifen
der Steinmegen während jener Zeit zur Bezeichnung des Baus und
des DBaumeifters üblich i.
Auf die Erd» und Himmelsfunde deutet der ganze Eingang
des Schreibens, mo von den zwei „großen Litern‘ (magna
luminaria), welche an der „Himmels Feſte“ ftehen, von ihrem „Lauf“
und ihrer „Bewegung und ihrem „Umgang“ (eireuitus)?) die Rede
iſt. Der Ausdrud „eclipsare“, welcher fonft nur in der Aſtro⸗
nomie vorkommt, ehrt bier mehrmals wieder und auch die Worte
„sphaera“, „globus“, „coelestis ordo“ find einem in ver Him-
melsfunde unerfahrenen Manne nicht geläufig. |
Bon dem „Baumeiſter der Welt‘ (welcher an anderer Stelle
durchaus umtheologifch der „Derr des Alls“ genannt wird) heißt es
dann, daß er der „Ordner der Weltleitung‘ (dispositor uni-
versalis regiminis) fei, welche durch feine „unausfprechlihe Dis-
poſition“ das „Weltgerüft‘ (machina hujus seculi) errichtet hat.
Diefer unüberjegbare Ausdruck „dispositio“ fehrt in dem Schreiben
fünfmal wieder. Gewiß ein auffallender Gebrauch, wenn man weiß,
daß „dispositio“ im Mittelalter vorwiegend von den Bautechnikern
in dem Sinn von „Riß“ (Bauplan) u. f. w. angewendet worden ift?).
Die Worte columna (Säule), basis, fundamentum, structura,
stabilire, distancia, machina u. f. w. find durchaus bautechrrifcher
Art; ja, das letztgenannte ift in einzelnen Ableitungen ein ganz
ausschließlicher Kunſtausdruck des mittelalterlichen Bauhandwerks.
1) S. Jauner Die Baubütten u. f. w. 1876 ©. 108.
2) Da „cursus* (Lauf) ſchon gebraucht ift, fo bebeutet circuitus feiner ety⸗
mologiſchen Entftehung (von circumire) gemäß bier „Umgang“,
3) Du Cange Glossarium u. ſ. w. „Dispositio: Urbis, templi situs, structurae
elegantia apud Alypium Antiochium in Descript. orbis“.
120
Beſondere Beachtung verdient die Wendung, in welcher Kaiſer
Ludwig als Die „feftefte Säule des Glaubens (fidei), des Lichts
(lueis) und des Baus (structurae) des kaiſerlichen Culmen“ be-
zeichnet wird. Was bezeichnet „culmen ?“ Die beiten Lexikographen,
bie wir befiken, fagen uns, daß culmen oder columen „im Be
fonveren von Gebäuden und Mauerwerk” gebraucht werde und „pen
ſchief zulaufenden Höhepunkt A’) bezeichne?).
Wir haben bereit an mehreren Stellen darauf hingewieſen,
daß gerade im ftädtifchen Bürgerthum die vornehmften Träger Des
Waldenſerthums lebten. Alle älteren Quellen und alle neueren
Bearbeiter bejtätigen dieſe Thatſache. Sp fagt T. W. Nöhrich bei
der Schilderung der Ausbreitung der „Gemeinden Chriſti“: „In
weiter Verzweigung von Spanien bis nach Böhmen, von Calabrien
bis in die Niederlande, zog fih im 14. Jahrhundert eine Reihe
verborgener Vereine oder Eleinerer oder größerer Gemeinden, welche
vornehmlich auch unter dem freifinnigen, gewerbfleißigen und reg-
famen Bürgerftande per Städte zahlreiche Anhänger fanden”).
Schon um das Jahr 1260 war dem Inquifitor, welcher unter
dem Namen Pſeudo⸗Reiner bekannt ift, Die Thatfache, daß der Sit
des „Ketzerthums“ fich vornehmlich in Bürgerkreifen fand, derart
aufgefallen, daß er behauptete, die „Waldenſer“ feten ausfchließlich
oder fat ausſchließlich Handwerker, und e8 liege diejer Erfcheinung
ein religidfes Princip zu Grunde. Um die Verfehrtbeit ihrer Lehre
und die Inferiorität ihrer Geistlichen recht deutlih ins Licht zu
jegen, fügt er zugleich Hinzu, auch ihre Lehrer feien Handwerker,
nämlich Schufter oder Weber).
Obwohl man die tendenzisfe Wendung leicht herausfühlt, bie
der Inquiſitor dieſer Thatfache giebt, fo tft Doch unzweifelhaft etwas
Wahres daran. Denn auch der päpftliche Pönitentiar Alvarus
Pelagius berichtet im Jahre 1330, wie wir alsbald ſehen werben,
1) Es Tiegt bier entweder eine Anfpielung auf das Dreied oder den rechten
Winkel vor. Der lettere war das böchite Zeichen des Maurerbundes.
2) So wörtlich Klog Handwörterbuch der lat. Sprade Braunſchweig 1866
s. v. culmen und columen.
3) Ztſch. f. d. hiſt. Theol. 1540. ©. 144.
4) Max. Bibl. Patrum Vol. XXV p. 272.
121
daß von den „Magistri“ der „Begharden‘ manche aus den Hand-
werferfreifen hervorgegangen ſeien; einzelne nämlich feien früher
Baunleute und Maurer!), andere Eifenfchmiede u. f. w. gewefen.
Nur derjenige Tann mit den genannten Gewährsmännern etwas
Verächtliches in biefen Umſtand Hineinlegen, welcher von der Ver-
fümmerung fpäterer Zeiten auf die ehemaligen Handwerkerverhält⸗
niffe einen Rückſchluß macht. Aber es muß doch daran erinnert
werben, daß im 14. Jahrhundert eben dieſe Handwerker und bejon-
ders die Gilden der Steinmegen, Bauleute, Goldſchmiede u. ſ. w.
technisch und geiftig auf einer Höhe geftanden haben, daß fpäterhin
ganze Generationen geijtig von ihnen abhängig gewefen find. Denn
diefe gering gefchägten Werkleute find die Erfinder und Zeichner
jener Kunſtwerke, die von den Künftlern fpäterer Zeiten vielfach
nur copirt worden find.
Auh das oben erwähnte Schreiben der deutjchen Städte be
ftätigt die Thatfache, daß die Bürgerfreife, in deren Namen es ver-
faßt ift, von waldenſiſchen Ideen ftark beeinflußt geweſen find.
Wer den Tirchlichen Sprachgebrauch der waldenfifchen Gottes-
gelehrten einigermaßen Tennt, wird mit mir übereinstimmen, wenn
ih behaupte, daß daſſelbe aus der Feder eines Mannes geflofjen
fein muß, welcher mit der bejonderen Denf- und Schreibiweife
biefer Partei vertraut war.
Ich will bier gar nicht von dem Gedankengang und den Mo⸗
tiven reden, die deutlich genug auf diefelbe Quelle weifen; denn bie
Berufung auf die h. Schrift, die Hervorhebung, daß Kaiſer Lud-
wig nicht allein „im rechten Chriftenglauben gläubig“ ift, ſondern
auch unter allen Fürften am meiften nach Chriſti Lehre lebt „und
jowohl im Glauben wie in vemüthiger Gelaſſenheit als Bei-
fpiel Teuchtet“, daß er das „Nechte liebt“ und „nach Gerechtigkeit
ſtrebt“, daß er ein „‚Frommer Fürſt“, „milde, wohlwollend und gütig”,
„wahrhaft Tatholifch” 2) und „gottergeben”‘ fei, ift beachtenswerth.
1) Der Ausdruck „cementarius“, welchen Alvarus gebraucht, ift nach Du Cange
Glossarium = mac on; cementare bedeutet nach derfelben Autorität aedificare,
exstruere.
2) Daß die Walvenfer die Bezeichnung „katholiſch“ für fih in Anfprud
nahmen, ift erwiefen. Siehe v. Zezſchwitz Katechismen der Walbenfer ©. 13.
122
Aber bezeichnender noch find die fpecififch waldenfifhen Aus-
brüdte, die in bem Schreiben vorlommen. Der „reihte Glaube
Chrijti” (vere recta Christi fides) Tehrt als Bezeichnung ber
Waldenſerlehre im Gegenjag zu dem falſchen Glauben ver „Titel
hriften‘‘ bei ihnen Hundertfach wieder. Indem die Stadtmagiftrate,
welche das Schreiben unterzeichnet haben, fih „Arme Chriſten“
(Pauperes christicolae) nennen, flingt die Bezeichnung „Arme“,
die wir fennen, doch ſehr deutlih an. Befonders charakteriftiich ift
die Wendung, daß die „Gier nad irdiſcher Ehre‘ (terreni
honoris aviditas) die „Lichter unferes Heils“ verfinſtert hat.
Denn diefe irdifche Begier war es ja eben, welche (wie wir fahen)
nach der Tradition der „Brüder“ feit den Tagen Kaifer Conftan-
tins und Papſt Sylvefters zur Entftellung und Verbunfelung ber
wahren und urfprünglichen Befehle Chrifti und des apoftolifchen
Chriſtenthums am meiften beigetragen hatte.
Die „Lichter unferes Heils“ (luminaria nostrae salutis)
find bier natürlich nicht (wie oben) die Weltfugeln oder Lichter
des Weltalls, Sonne und Mond, fondern nach altwaldenfifchen
Sprachgebrau „das äußere Licht“ und das „innere Licht“,
die den Weg zum Heil leiten und führen. Das innere Licht oder
die „innere Offenbarung“ tft die Offenbarung des Wortes (Logos)
im Herzen des Menfchen und die Stimme des Gewifjens, die Das
Sittengefeg ankündigt; die „äußere Offenbarung‘, welche in ben
Schriften der „Brüder“ ganz ausprüdlich als die „Leuchte auf
dem dunklen Pfade over als ein „Licht, welches Menfchen in ver
Nacht anzünden“, bezeichnet wird, ift die heilige Schrift Alten und
Neuen Teftamentes over „das Gefek und das Evangelium”, von Denen
das letztere „Nicht“ dem erfteren als das Volllommenere und als uns
entbehrliches Hülfsmittel für jeden „rechten Chriſten“ gegenüberfteht.
So giebt e8 zwei oder nach anderem Sprachgebrauch drei „Lichter
unferes Heils“, welche nach Angabe unjeres Schreibens damals
durch „irdiſche Begierden“ in der herrjchenden Kirche verbunfelt
waren.
Fünftes Capitel.
Die Waldenfer und die altdeutjche Literatur.
Alvarus Pelagius wider Marfilius. — Die Keter in Straßburg und ihre Lites
ratur. — Der Magifter Walther in Köln. — Das Berbot Kaifer Karls IV.
gegen die beutichen Bücher der Seltirer. — Sind deutfche Schriften aus ben
Kreifen der Waldenſer erhalten? — Die Neun Feljen. — Das Meifterbud
oder die „Hiftorie von Taulers Belehrung“. — Auszug aus diefem Buch. —
Verſchiedene Bearbeitungen deſſelben. — Das goldene ABE und die „allge-
meinen Regeln‘ der Waldenfer.
„Die Beförderung, welche von Kaifer Ludwig den Schismati-
fern zu den böchiten Ehrenjtellen zu Theil wurde“, fagt ein Chronift
ber Srancisfaner, „und Die Straflofigkeit ihrer Verbrechen begünftigte
bie Frechheit und den Troß Anderer, welche aus allen Orden bei
ber geringften gegebenen oder herbeigezogenen Beranlafjung von
dem Papfte abfielen und die Sefte der „Brüder“, die aus ihren
Schlupfwinteln ſich unverfchäimt hervorwagte und die Handlungen
bed Petrus Corbarius (d. b. des Gegenpapftes Nicolaus V.) und
Ludwigs billigte, zum großen Abbruch der Tatholifhen Sache ver-
mehrten‘'1).
Es bat in der That Taum eine Periode der deutſchen Geſchichte
gegeben, in welcher bie altevangelifchen Gemeinden, die mar Wal»
benfer, Begharden oder Fratricellen?) nannte, einen fo
großen Einfluß auf das deutſche Geijtesleben befejjen haben, wie die
erite Hälfte des 14. Jahrhunderts.
1) Die intereffante Stelle aus den Annalibus Minorum Tom. VII ad a. 1328
$. 11 p. 81 ed. novae bei Mo$heim de Beghardis ©, 320.
2) Schon Mosheim De Beghardis ©. 67. 201. 262. 484. 491 bat den Nach-
weiß erbracht, daß der Name Fratricellen gerabe in den Schriften ber Gegner
durchaus gleichbebeutend mit Begharden gebraucht worben ift.
124
Wenn man fich durch die Berichte der Inquifitoren und Durch
bie befannte Seltenjpüreret der Härejiologen nicht die Augen hätte
trüben laffen, würde man der Einwirkung der altevangelifchen &e-
meinden auf das deutſche Geiftesleben längſt auf die Spur ge
fommen fein. In den lanpläufigen Tirchengefchichtlichen Compen-
bien findet man wohl Notizen über die Literatur der fogenannten
„Selte des freien Geiſtes“, auf die wir alsbald zurückkommen wer-
den, oder über die fogenannten „Lollharden“, die „Ortliebarier”,
„Schweftrionen‘ und wie die fonderbaren Namen alle lauten, aber
über den eigentlihen Hintergrund diefer großen Bewegung, über
ihre Träger und deren Schriften fucht man vergeblich befriedigen-
den Aufichluf. Ä
Oder find e8 etwa lauter unbedeutende Köpfe gewefen, welche
ben fittlihen Muth fanden, gegenüber -einer Weltmacht wie Die
römische Kirche eine felbjtändige Meberzeugung zu vertreten?
Es iſt ganz falih, wenn man durch gegnerifche Berichte und
burch Analogien fpäterer Jahrhunderte verführt, bereits im 13. und
14. Jahrhundert ein Gewirr heterogener Kirchengemeinfchaften auf
deutſchem Boden zu finden wähnt. Allerdings gab es Sowohl in
ber römischen Kirche wie in den „Gemeinden Chrifti“ unter dem
Einfluß angeſehener Männer gewilfe Richtungen oder Schulen,
aber im Grunde find es in ‘Deutfchland während jener Zeit Doch
nur zwei große Strömungen, welche auf der einen Seite burch bie
römifche Hierarchie, auf der anderen durch die fogenannten „Wal-
denſer“ rvepräfentirt werben.
Alle Geftaltungen geiftigen Lebens in jener Epoche beruhen auf
großen, allgemeinen Impulfen und auf dem breiten Strom einer
weit hinauf rveichenden Tradition. Wie in der Baufunft der ein-
zelne Meifter wohl Einzelnheiten aus feinem geiftigen Eigenthum
zu dem Entwurf eines Münſters binzufügt, deſſen Ausführung ihm
übertragen ift, aber in allen Grundfragen fich doch ftreng an die
traditionellen Formen und Mittel Hält, jo ift es auch mit ber reli-
giöfen Literatur, die uns aus damaliger Zeit überliefert ift.
Ja, man kann noch weiter gehen. Wie der Fachmann, welcher
ein Monumentalbauwerf jener Sahrhunderte betrachtet, jofort er-
fennt, ob e8 dem Kreife romanijcher oder gothifcher Kunft angehört,
125
fo ſieht auch der Hiftorifer, welcher die religiöfe Ideenwelt ber
Chriftengemeinven einerſeits und der römifchen Kirche andererfeits
kennt, auf den erſten Blick, ob ein Schriftventmal religidfer Art
innerhalb dieſes oder jenes Kreifes erwachlen tft.
Die Gejege, welche in der Baukunſt gültig find, laffen ven
Kenner fogar dann über die Zugehörigkeit nicht in Zweifel, wenn
er nur Bruchitüde, ja, nur Trümmer eines Kunſtwerks ald Be-
obachtungsobjekt vor fich fiebt; die Form von Tragbalfen und Ge
wölben, die Höhe und Stärke der Strebepfeiler, ja, ſelbſt folche Dinge,
die dem Laien ganz gleichgültig erfcheinen, genügen für den Techniker,
um die Principien des ganzen Baus mit Sicherheit anzugeben.
Sollte für die religiöfe Literatur vielleicht etwas Aehnliches zu⸗
treffen? In der That find genau die gleichen Geſetze bier wie dort
geltend und aus einem Sag, einer Wendung, ja, aus einem
Wort kann man unter Umftänden fichere Schlußfolgerungen auf
bie Frage machen, ob wir den römifchen oder den „chriftlichen‘‘
Lehrtypus vor uns haben.
Die Wichtigkeit dieſes Grundgejege8 muß demjenigen einleuch-
ten, welcher erwägt, daß fat fein einziger Schriftfteller waldenfifcher
Herkunft e8 Hat wagen bürfen, fein ganzes Lehrgebäude öffentlich
aufzubauen, und daß da, wo e8 gewagt worben ift, eben dieſer Bau
jofort in Trümmer gefchlagen wurde,‘
Sp find leider aus dem Lager der unterlegenen Partei faft
nur zerftücelte Literarifche Denkmale auf uns gekommen.
Um die große geiftige Bewegung des Ketzerthums auch mit
geiftigen Mitteln zu befämpfen, wurden durch die Curie felbft mehrere
hervorragende Männer veranlagt, den gefährlichen Angriffen Mar-
figlios und der „Ketzer“ entgegenzutreten.
Das vornehmite Werk, welches aus diefer Titerarifchen Fehde
auf Seite der römiſchen Partei entftanden ift, ift das Buch Des
päpftlichen Pönitentiars Alvaro Pelayo, eines frommen Francis-
kaners aus Spanien, welches den Titel führt „De planctu ecclesiae“
und einige Jahre nach dem „Friedensanwalt“ erfchienen ift!).
1) Das Bud Hat feit 1474—1560 eine Reihe von Evitionen erlebt. Die
letzte erſchien zu Venedig.
126
Als die Deutſchen unter Raifer Ludwigs Führung im Jahre
1328 die Stadt Rom eroberten und Petrus von Eorbara, ein Ordens⸗
bruder des Alvarus, die päpftliche Krone als Gegenpapft annahm,
befand ſich auch Alvarus in Rom. Er rettete fich durch die Flucht.
Eine erbitterte Feindfchaft trennte von da an den Alvarus von
Corbara und derjenigen Partei der Francisfaner, welche auf der
Seite Kaiſer Ludwigs ftand. Papft Johann XXII. zeichnete den
Alvarus befonders aus und berief ihn zu einflußreihen Aemtern
nah Avignon. |
Pelagius war im Gegenſatz zu Marfiltius von der Ueberzeugung
durchdrungen, daß der römifche Papft feit Petri Zeiten als Urquell
aller geiftlihen und weltlichen Gewalt zu betrachten fei. Der Papft
Scheint dem, jagt er, welcher ihn mit dem Auge des Geiſtes be-
trachtet, nicht ein Menfch, fondern ein Gott zu fein; feine Macht»
fülfe ift ohne Zahl, Map und Gewicht. Er Tann für recht erklären,
was er will, und kann Jedem feine Rechte entziehen, wie er es für
gut findet. |
Ein Zweifel an diefer Allgewalt hat die Ausfchliegung vom
ewigen Heil zur Folge.
Alvarus begt die Ueberzeugung, daß diefe Wahrheiten auch
allgemein anerkannt fein würden, wenn nicht eine große Verwelt-
lichung und Verderbniß in der Kirche eingerijjen wäre. Er bält
diefe Verderbniß für fo fchlimm, daß er es einigermaßen erflärlich
findet, wenn von den Keßern die Kirche mit der babylonifchen Hure
verglichen werde. Es ſei eine allgemeine Verfinfterung eingetreten;
ſelbſt Wohlgefinnte würden irre an dem Beruf der Kirche und bie
Kegerei nehme immer mehr überband.
Segen dieſe Letztere, als die fehwerfte Feindin der Kirche, ift
dann ein wichtiger Abfchnitt von Pelagius’ Ausführungen gerichtet.
Wenn man auch von dem Spanier und dem leivenfchaftlichen Feinde
der „Sekten weder genauere Kenntniß der deutſchen Verhältnifie
noch ein billiges Urtheil erwarten darf, fo find Doch feine Schilve-
rungen aus mehreren Gründen und befonvers deßhalb wichtig, weil
fie beweifen, daß die „Ketzer“ auch literariich zu einer Bedeutung
gelangt waren, daß der Hof zu Avignon auch feinerfeits fie auf
literarifhem Wege befämpfen zu follen glaubte.
127
„Meberaus zahlreich”, fagt Alvarus, „find in der jüngften Zeit
in Italien, in Deutfchland, in der Provence (wo fie Begharden
und Beghinen genannt werben) folche Leute, welche das Joch des
wahren Gehorfams nicht tragen wollen. — Einige nennen fie Brü—
der’, andere “vom armen Leben’, andere Apoſtel', einige
Begharden', welche anſcheinend ihren Ursprung in Deutfchland
haben und die dem Äußeren Menſchen nach auf die Welt zu ver-
zichten fcheinen,..... aber fie füllen nur ihren Bauch an, fliehen
die Arbeit, weil fie einen müheloſen Broderwerb gefunden haben”.
„Ein fettes Leben fuchen fie, verbunden mit Freiheit und Müffig-
gang; fie find ganz Hingegeben an Träumereien und fortwährendes
Umberfchweifen‘‘ 1).
„Die Apoftolifchen und Begharven‘‘, fährt unfer Autor fort,
„beiiten Keinen feften Wohnort, auch tragen fie nichts mit ſich auf
ihren Reifen; fie machen ſich ein Gewiffen daraus, Etwas von Je⸗
mandem zu erbitten; auch wollen fie nicht Körperliche Arbeit thun,
da fie fortwährend beten, um nicht in Verfuchung zu fallen”,
Alvarus findet diefe Weigerung des Arbeitens um fo tadelns-
werther, weil, wie er fagt, einzelne von ihnen früher Handwerker,
nämlich Bauleute, Eifenfchmiede u. f. w. gewefen ſeien. Früher
hätten fie fich redlich mit ihrer Hände Arbeit genährt, jett feien
fie von der Arbeit zum Nichtsthun herabgefunfen.
Es ift zwar unrichtig, wenn Pelagius meint, daß die „Beghar⸗
den” ihren Ursprung in Deutjchland Hätten, aber etwas Wahres
lag infofern in feiner Behauptung, als die „Brüder“ um das Jahr
1330 in der That ihren Hauptftügpunft in Deutjchland Hatten.
Ein Straßburger Chronift berichtet zum Jahre 1317, das Keker-
thum fei fowohl unter den Brieftern wie unter den Laien, unter
- Weltgeiftlichen wie unter den Mönchen fo allgemein gewefen, daß „es
hier das ganze Elſaß einnahm” 2). Die Didceje hatte damals einen
Biſchof, welcher ſich nach dem Urtheil römischer Chroniften durch
ben Eifer, den er in ber Verfolgung der „Ketzer“ an den Tag legte,
beſonders verdient gemacht hat?), Johann von Ochfenftein (} 1328).
1) Bgl. die Auszüge bei Mosheim De Beghardis ©. 287 ff.
2) C. Schmidt Joh. Tauler ©. 7.
3) Wimpheling Catal. Episc. Argentin. p. 78.
128
Im August 1317 Tieß diefer ein Eircularjchreiben an die Geift-
Iichfeit feiner Didcefe ergehen — wir werden auf daſſelbe zurüd-
fommen — in welchem er, gemäß den Befchlüffen der Synode zu
Mainz (1310), die Ausrottung der „Begharden“ anbefiehlt. Es
waren zum Theil ſehr harte Beftimmungen.
Doch Hatte das Edict, wie eine bald darauf Durch den Biſchof
perjönlich geleitete Kirchenvifttation ergab, wenig Erfolg.
Wir befigen ein Dekret Bapft Johanns XXI. d. d. Avignon
aus 1321, woraus erhellt, daß der Biſchof die Curie um weitere
SInftruftionen bitten mußte. Jener, jagt der Papft !), habe ange
zeigt, daß in feiner Diöcefe ebenjo wie in dem mehreren Theil
Deutfhlande fogenannte „Begbinen” in großer Menge?)
vorhanden feiern.
Diefe Beghinen lebten gemeinfam und trügen eine befondere
Tracht; auch feien fie arm und befäßen einen erlogenen Schein von
frommem Lebenswandel. Sie fetten fich einen Dann ihrer Sefte
als „Idol“ und unterwürfen fich ihm gleihfam wie ihrem Haupte 3).
Einige von ihnen wanderten umber von Ort zu Ort. Sie hätten
bie Anmaßung, über die böchfte Trinität, über den Gehorſam gegen
die Kirche und über die Artikel des Glaubens unbebacht zu Disputiren.
Gegen dieſe Seltirer einzufchreiten ertheilt ver Bapft dann dem
Biihof die Ermächtigung.
Das Straßburger Ediet von 1317) ift deßhalb beſonders in⸗
tereſſant, weil es ausdrücklich auf die Literatur dieſer Ketzer Bezug
nimmt. Der Verfaſſer des Erlaſſes, welcher dieſe Literatur gekannt
haben muß, unterſcheidet drei Gattungen: 1) Bücher oder Abhand⸗
lungen, 2) Gedichte und 3) Lehrſtücke oder Regeln:) und fügt Hinzu,
daß alle derartigen Geiftespropufte zugleich mit ihren Verfaſſern
verdammt ſeien. Sedermann, welcher folche Schriften befite, Tolle
1) Das Dekret ift wörtlich abgebrudt bei Baluze Vitae Paparum Avigno-
nens. Paris 1693. Vol. II 436 ff.
2) „In pluribus Alemanniae partibus in copiosa multitudine“ lauten die
Worte.
3) „Unum sibi ejusdem sectae idolum erigentes se illi velut Gapiti....
subjecerunt“,
4) Daffelbe ift abgebrudt bei Mosheim De Beghardis p. 255.
5) 1) Scripta 2) Cantilenae 3) Doctrinae Mosheim a. O. ©. 259.
129
fie binnen vierzehn Tagen einliefern, da ſie ſämmtlich verbrannt
werden jollen.
Um diefelbe Zeit als Bischof Johann von Straßburg mit ven
Ketzern feiner Diöcefe in einem vergeblichen Kampfe lag, fpielten
fih zu Köln unter Erzbifchof Heinrich von Virneburg ganz ähnliche
Vorgänge ab!). Diefelben intereffiren uns bier befonders deßhalb,
weil darin auf die Literatur der „Begharden“ und auf einen da⸗
mals berühmten Schriftfteller Diefer Partei, Namens Walther, Bezug
genommen wird.
Im Jahre 1322 berief Churfürft Heinrich von Köln die Bifchöfe
von Osnabrüd, Minden und Münfter zu einer Zufammenkunft,
um Maßregeln wider die „Sekten zu berathen. ‘Die Quelle, welche
ung über diefe Synode berichtet, erzählt ausbrüdlich, daß. auf der-
felben ein gewiffer Waltherus als Magifter der Sekte und böchft
gefährlicher Menſch bezeichnet worden ſei?). Weber defien jchrift-
jtelleriiche Thätigkeit und über feine weiteren Schickſale wird be-
richtet: „Der Meagifter und Lehrer, Walther mit Namen, ward,
nachdem er von Mainz nah Köln gelommen war und feine in
de utſcher Sprache abgefakten Schriften unter das Volk gebracht
hatte, ergriffen und in das Gefängniß geworfen; vor feiner Hin-
richtung befannte er, daß er viele Schüler feiner Lehre ſowohl in
der Stadt als in ven benachbarten Gegenden zurüd Laffe‘ 3).
Die Titerarifche Wirkſamkeit dieſes Walther bat fchon die Auf⸗
merkſamkeit des gelehrten Abtes von Spanheim, Joh. Tritheim
(f 1516), erregt, welcher in ven Quellen feiner Chronik von Hirfau
Nachrichten darüber vorgefunden bat.
Er erzählt über Walther Folgendes: „Im angeführten Jahr
ward ein gewiffer Häretifer, Walther mit Namen, ein Haupt der
„Brüber"4) und ein gefährlicher Härefiarh, der viele Jahre Hin-
1) Die Quellen über dieſe Kölnifchen Kämpfe fließen ziemlich reichlich und
diejelben erhalten ein befonderes Interefie durch Die Verwicklung Meifter Edarts
in die Keßerprogefie. Gleichwohl fehlt eine zufammenbängende Würdigung. Einiges
bei Binterim Deutfche Eoncilien VI, 132. gl. ferner Joh. Vitorudani Chro-
nicon ed. G. de Wyss ad a. 1328. — Matthäus, Veteris aevi analecta II, 643;
Joh. Bictorienf. bei Böhmer Fontes I, 40 etc.
2) Schaten Annales Paderb., 1775 Tom. II, p. 177sq. 3) Ibid. II, 178.
4) Es ift fein Zweifel, daß ber Ausdruck „Fratricelli“ von Frichenn, bezw.
Keller, Die Reformation.
130
durch verborgen geblieben war und viele in feine gefährlichen Irr⸗
lehren verwidelt hatte, bei Köln ergriffen und durch Richterſpruch
dem Feuer übergeben und verbrannt. Er war ein Mann voll des
Teufels, vor allen Anderen geſchickt, beharrlich in feiner Irrlehre,
Hug in feinen Antworten, im Glauben 'verberbt und Tonnte Durch
feine Verjprehungen, feine Drohungen, ja felbjt durch die furcht-
barften Folterungen nicht dahin gebracht werben, daß er feine Mit-
ſchuldigen, deren e8 doch viele gab, verrieth. — Dieſer Lollharde
Walther, von Herkunft ein Niederländer, Hatte geringe Kenntniß
ber Iateinifchen Sprache und fehrieb die zahlreihen Schriften
feines Srrglaubens, da er es in römifcher Rede nicht konnte, in
deutfcher Sprache nieder und theilte fie denjenigen, die er betrogen
und verführt hatte, ganz heimlich mit. Da er die Umkehr und
den Widerruf zurüdwies und auf das ſtandhafteſte, um nicht zu
jagen hartnädigfte, feine Irrlehren vertheidigte, ward er ind Teuer
geworfen und ließ nichts als feine Aſche zurüd” 1),
Daß die fogenannten „Begharden“ eine umfangreiche deutſche
Literatur erzeugt und befeffen baben, gebt deutlich hervor aus Dem
Mandat Kaifer Karls IV., welches diefer unter vem 17. Juni 1369
von Lucca aus in das Reich erließ). Daffelbe iſt ausſchließlich
gegen bie „deutſchen Bücher” der Begharden und Beghinen gerichtet,
zu beren Vernichtung alle Erzbifchöfe und Biſchöfe, ſowie alle Her-
zöge, Fürſten, Markgrafen u. ſ. w. aufgefordert werden. Es Tiegt
den Inguifitoren ob, fagt der Kaifer, die Bücher, fowohl diejenigen
der Weltlihen wie der Geiftlichen zu unterfuchen und zwar „ber
fonders deßhalb, da es den Laien beiverlei Geſchlechts
auf Grund der faiferliden Vorfähriften nicht erlaubt
ift, irgend welde Bücher in deutſcher Sprache über Die
h. Schrift zu gebrauchen”), um nicht in die Kegerei verführt
feiner Duelle bier im allgemeineren Sinne für bie Sekte der „„Brüber‘ gebraucht
iftz im engeren Sinn nannte man eine Richtung im Francisfanerorben „Frairi-
celli*. — Tritheim ibentifieirt an einer anderen Stelle die Ausprüde Beghardi
et Beguinae und Fratricelli. .
1) Mosheim De Beghardis ©. 273.
2) Bollftändig abgebrudt bei Mosheim De Beghardis ©. 368 ff.
3) „Praesertim cum laieis utriusque sexus secundum canonicas sanctiones
etiam libris vulgaribus quibuscungue de sacra scriptura uti non liceat*. Auf
131
zu werden, in welcher gegenwärtig die „Begharden und Beghinen“
leben. Alle, an die das Mandat gerichtet ift, follen den Inquiſi⸗
toren mit vollem Gehorſam beiftehen und Jedermann zur Präfen-
tation ſolcher Bücher unter Ausschluß des Rechtsweges zwingen.
Natürlich bat das Mandat die Wirkung gehabt, daß von Diefer
Literatur ein erheblicher Theil vernichtet worden if. Aber follte
wirklich nichts davon erhalten fein?
Schon Mosheim bat in Beantwortung diefer Frage auf den
Tractat des „Begharden“ Gerardus bingewiefen, welcher im Jahr
1747 nad Ausweis eines Katalogs in einer öſtreichiſchen Benedic-
tiner-Bihliothef vorhanden war ?).
Neuerdings hat ferner Denifle mit vollem Recht darauf auf-
merkſam gemacht, daß ber bisher an den Namen des Meifter Edart
angefnüpfte Tractat: „Daz ist Swester Katrei, Meister Ekehar-
tes Tohter von Strazburg“ wenigjtens zum Theil begharbifchen
Urfprungs fei 2).
Aber ich glaube, daß, ſobald man der Sache näher nachgeht,
ſich noch ganz andere Schriften als Erzeugniſſe der Waldenſer⸗
Literatur herausſtellen werden.
Mosheim hat die nicht unbegründete Vermuthung ausgeſprochen,
daß der im Jahre 1325 hingerichtete Waldenſer⸗Apoſtel Walther
der Verfaſſer der „beghardiſchen“ Schrift „Von den neun Fel—
fen” ſeis), welche damals nachweislich unter den Waldenſern ſehr
befannt und verbreitet war.
In dem Edikt des Bifchofs Johann von Straßburg vom 13. Aug.
1317 wird auf dieſe Schrift durch die ausprüdliche Erwähnung ber
„Neun Felſen“ angefpielt).
die Unklarheit des Ausdruckes „de sacra scriptura“ bat ſchon Mosheim a. O.
S. 375 aufmerkſam gemacht. In der Praxis wandte man das Mandat auf alle
religiöſen deutſchen Schriften an.
1) Mosheim a. O. S. 376 Gerardus De spirituali exercitatione repara-
tionis lapsus nach M. Kropff Bibl. Benedicto-Mellicensis Vindob. 1747 p. 218.
2) Denifle Duellen und Forſchungen Bd. 36. Der Tractat b. Pfeiffer
Deutſche Myſtiker I, 448 ff. 3) Mosheim De Beghardis ©; 247.
4) Dies ift zuerft von T. W. Röhrich Ztſchr. f. hiſt. Theol. 1840 I. ©. 131
bemerkt und ausgefprochen worden.
9*
132
Nun ift uns ein Buch, welches den Titel „Von den neun
Selen” führt, erhalten und zwar, was beſonders wichtig ift, in
mehreren Nebactionen, die unter fich erheblich abweichen.
Wir befigen ein Exemplar deſſelben, welches im Jahre 1352
von Bem Straßburger Patricier Rulman Merjwin, den wir als-
bald kennen lernen werben, nievergejchrieben und überarbeitet wor⸗
ven ift!). Es fteht feit, daß die Infalfen der Johanniter⸗Commende
zu Straßburg, welche jene Merfwinjche Handſchrift befaßen, ber
Anſicht waren, dag ber Schreiber auch der Verfafjer fei. Allein,
daß die Johanniter in ähnlichen Punkten ganz ununterrichtet waren,
wird fich fpäter zeigen.
Diefe Merſwinſche Bearbeitung ift dann die Vorlage für eine
andere geworden, welche jeit uralten Zeiten unter die Schriften
Heinrich Suſos Aufnahme gefunden Hat und in den gebrudten
Ausgaben dieſes Myſtikers fich regelmäßig wiederholt findet.
Es galt deßhalb Bis in unfer Jahrhundert hinein 9. Sufo
unbeftritten als der Verfafjer ver „Neun Felſen“ — eine An-
ficht, die in ihrer Unbaltbarfeit längft allgemein erfannt tft.
Diefe Suſoſche Redaction nämlich Hat fich einfach als ein Aus⸗
zug aus der Merfwinfchen Edition entpuppt — ein Auszug frei-
lich, der nach ganz beftimmten Gefichtspunften angefertigt ift.
Geftrichen find nämlich diejenigen Stellen, welche dogmatifch
anftößig fchienen, z. B. ein Paſſus über gottesfürchtige Heiden und
Juden, den wir fofort erwähnen werden. Uber dabei ift e8 leider
nicht geblieben. Vielmehr ift einiges gefliffentlih gefälfcht; To
beißt e8 bei Sufo: „Wiltu wilfen, was die Juden ertödtet Hat?
Wille, Das that der Geiz der Ju den und ihre heimliche Sünde“,
während e8 bei Merfwin heißt: „Du follft wiffen, das that ber
Chriftenheit Geiz” 2).
Wenn man den Inhalt des ung erhaltenen Büchleins mit ben
angeblichen „Irrlehren“ der Begharden vergleicht, wie fie das Mandat
1) Nach diefer Handfchrift herausg. von C. Schmidt Leipzig ©. Hirzel 1859.
2) Das Nähere bei C. Schmidt Das Buch von den neun Feljen Leipzig
1859 Vorrede S. VI. Im diefer verunftalteten Form ift das Buch abgedrudt in
Diepenbrods Ausg. von Suſos Werken (Regensburg 1829) fowie von Ludwig
Hofmann al8 befondere Schrift im Jahre 1841.
133
vom 17. Auguft 1317 namhaft macht, jo tritt fofort zu Tage, daß
der Verfaſſer des Edikts wenigſtens einen Theil unferer Schrift
gekannt haben muß.
Das erhaltene Büchlein macht es ſich unter Anderem zur Auf⸗
gabe, in ausführlicher Deduction den Nachweis zu erbringen, wie
es Gottes Barmherzigkeit widerſpreche, alle Heiden und Juden der
ewigen Verdammniß zu übergeben !), und eben dieſe Theorie wird
dann von der Straßburger Inquifition als beghardiſche Härefie
verbannt.
Im vorigen Jahrhundert bat Joh. Laurentius Mosheim die
Handichrift eines Büchleins gekannt und benutt, welches gleichfalls _
ben Titel „Von den neun Zelfen” führte, und von dem er fagt,
daß die Neun Felſen in der Lehre der Sekte, aus deren Schooß
es ftamme, neun Stufen bebeuteten, welche ver Menſch, der Gott
* Tiebt, emporklimmen muß, um zur Vereinigung mit ihm zu ge-
langen 2). Mosheim legt die Entftehungszeit diefer Schrift in das
13. Jahrhundert und jagt ausprüdlich, daß biefelbe ſehr verjchieben
fei von derjenigen, welche Suſo unter demjelben Titel herausge-
geben und gejchrieben habe. Er belegt dies auch durch einige kurze
Säke, die er aus feiner Handjchrift giebt?), und die fich in der That
bei Sufo nicht finden, Eine Vergleichung biefer Süße mit der
Merfwinfchen Bearbeitung ergiebt, daß auch Die Letztere dieſelben
nicht gefannt bat.
Gleichwohl Tann ſchon jest mit der größten Wahrfcheinlichkeit
behauptet werben, daß die Mosheimſche Handſchrift nichts Anderes
it ald eine Dritte Nedaction deſſelben Büchleins, welches wir heute
befigen. Nur daß vielleicht Diefe urfprüngliche Form fich wirklich
jehr erheblich von den Bearbeitungen des 14. Jahrhunderts unter-
jheibet, die, wie jede nähere Einficht ergiebt, fehr ſtark verwäffert
und unendlich in die Breite gezogen find). .
1) & Schmidt a. ©. ©. 55 ff.
2) 3. 2. Mosheim Institutionum Histor. eccles. Libri IV. Helmstadii 1755.
©. 552 ff,
3) N ift zu bedauern, daß es nur jo kurze Bruchſtücke find, welche Mos⸗
beim giebt, und daß er nicht angiebt, woher er feine Handſchrift erhalten hat.
Die Wiederauffindung derſelben würde von Werth fein.
4) Mit welcher Willkür Rulman Merfwin alte Vorlagen bisweilen ver⸗
134
Die Procedur, welche bereits im 14. Jahrhundert auf folche
Weile mit dem Büchlein „Von den neun Feljen” vollzogen ift, legt
die Vermuthung nah, daß vielleicht auch andere ähnliche Schriften
das gleiche Schickſal erfahren Haben, nur daß man es nicht überall
nachweifen Tann.
Wir befiten eine Reihe von Schriften, deren innere Aehnlich⸗
feit mit den Ideen des Vüchleins „Von den neun Felſen“ Tängft
anerkannt ift, fo 3. B. die Schriften „Von der geiftlichen Leiter“
und ber „Geiftlihen Stiege” u. A. Sollten dieſelben etwa gleich-
falls „beghardiſchen“ Uriprungs fein?!)
Bielleicht Tein Büchlein aber ift in feinen Grundgedanken näher
mit den Neun Felfen verwandt als das fogenannte „Meiſterbuch“,
welches unter dem Titel „Hiftorievon Taulers Belehrung“
in vielen Auflagen und Ausgaben befannt und verbreitet ift.
Mit vollem Recht fagt Denifle bei der Befprechung dieſes Buchs
gelegentlich: „Das Meiſterbuch erjcheint auch bier wie immer als
eine weitere Ausführung einzelner Punkte im Büchlein von den
neun Felſen“?).
Die Trage nah dem Zuſammenhang diefer Schrift mit einem
„beghardiſchen“ Geiftespropuft wie die „Neun Felſen“ nimmt dep-
halb ein beſonderes Intereffe in Anfpruch, weil, wenn eine wirk⸗
liche Geiftesnerwandtfchaft vorhanden fein follte — wie fie denn
ganz unzweifelhaft vorhanden ift — bamit ber Beweis erbracht fein
würde, daß dieſe verachteten „Begharden“ wenigftens mit einer ihrer
Schriften fünf Jahrhunderte hindurch auf viele Dunbertiaufende
einen großen Einfluß ausgeübt haben.
Welcher Werth jchon feit dem Mittelalter von Geiſtlichen, Ge⸗
arbeitet und entſtellt hat ſ. bei Jundt Les Amis de Dieu ©, 23, Dieſe Be-
arbeitungen haben in ber Regel den Bildern Saft und Kraft genommen. Auch
den „Neun Felfen“ fehlt e8 in ihrer uns heute bekannten (Mierfwinfchen) Geftalt
jehr an Tiefe und Selbſtändigkeit.
1) Auf die „Neun Felſen“ wird auch in einer Handſchrift Bezug genommen,
in welcher Denifle Quellen und Forſchungen Bd. 36 S. 137 ff.) den Tractat:
„Von den drien fragen, in dien beschlossen ist anvahent, zunement und voll-
kommen leben“ gefunden bat. Bol. Denifle a. DO. ©, 39.
2) Quellen und Forfhungen zur Sprach⸗ und Eulturgefchichte der Germ.
Völker Bd. 36 S. 119. — Dies Refultat beftätigt Jundt Les Amis de Dieu
1879 ©. 182, ber im Uebrigen bon ganz anderen Geſichtspunkten ausgeht.
135
Iehrten und Laien dieſer merkwürdigen Schrift beigelegt ward, fieht
man daraus, dag man feit alten Zeiten bi8 auf unfere Tage ber
Anficht war, Fein Anderer als Johannes Tauler fer der Held
ber Hiftorie. Thatſächlich eriftirt Teine einzige ältere gedruckte Aus-
gabe von Taulers Predigten, in welcher nicht zugleich die Gefchichte
ver Belehrung enthalten wäre. Ja, Zauler verdankt, wie SDenifle
mit Recht beroorhebt, eben diefem Büchlein einen Theil feines
Ruhmes).
Wie lebhaft die Nachfrage und wie groß die Wirkung ver Heinen
Schrift ſchon im 14. und 15. Jahrhundert gewefen tft, Tann man
aus der relativ großen Anzahl von Hanpfchriften ſchließen, die bis
jetzt davon wieder aufgefunden worden ſind?).
Daß nun aber Tauler nicht der Held der Geſchichte, auch an
der Abfaſſung nicht betheiligt iſt, haben die Forſchungen Denifles
mit Evidenz feſtgeſtellt.
Es hat dieſes Reſultat nicht nur nichts Auffallendes, ſondern
es ſteht mit zahlreichen analogen Erſcheinungen im vollſten Einklang.
Eben dem Johannes Tauler iſt z. B. ſeit uralten Zeiten ein
Sendſchreiben an die Chriſtenheit beigelegt und in den
gedruckten Sammlungen ſeiner Briefe wiederholt worden ?), welches
unzweifelhaft einem anderen Autor angehört‘). Und dies ift um
jo beachtenswerther, weil dieſes Sendfchreiben feinem Charakter nach
auf denfelben Autor hinweift wie das „Meifterbuch” und die „Neun
Felſen“ — ein Umftand, welcher ergiebt, dag diejenigen Perfonen,
welche mit Erfolg die Meinung in Umlauf jegten, daß Tauler der
Berfaffer fei, eine gewilfe Aehnlichkeit zwiichen Tauler und jenen
Schriften gefunden haben müſſen. Und wenn nicht wirklich eine
getwiffe Verwandtſchaft vorhanden gewefen wäre, fo würde nicht erft
in unferen Tagen bie Verſchiedenheit der Verfaſſer an das Licht
kommen.
Ganz ähnlich wie Johannes Tauler iſt es dem Meiſter Eckart
1) Denifle Quellen und Forſchungen Bd. 36 ©. 111.
2) Denifle Hat deren allein aus den Jahren 1425—1486 eilf ermittelt.
3) Kölner Ausgabe von Taulers Werken 1543 fol. 323°,
4) C. Schmidt Joh. Tauler 1847 S. 187, welcher dies zuerft dargethan
hat, nennt Rulman Merfwin al8 Verfaſſer. Wer verfelbe auch geweſen fein
mag, fo ift fo viel ficher, daß Tauler e8 nicht if.
136
ergangen. Auch an feinen Namen find anonyme Schriften ange
fnüpft worden, welche zum Theil der Literatur der Begharden an-
gehören. |
Wenn nun Tauler weder der Held der „Hiſtorie“ noch an
der Abfaſſung betheiligt ift, jo entfteht Die Trage, wen wir dann
als Urheber anzujehen haben.
Es Tann im Allgemeinen als erwiejen gelten, daß der Ber-
faffer fein fchulmäßig ausgebildeter Theologe der römiſchen Kirche
geweſen ift. Auch hat Denifle vom römifchen Standpunkt aus die
„Rechtgläubigkeit“ des Autors ernftlich in Zweifel gezogen. Ob es
wahr ift, daß das Buch, wie Denifle fagt, „den Priefterjtand in
allen feinen Funktionen bloßſtellt“), möchte ich dahingeſtellt fein
laſſen.
Bei der großen Bedeutung, welche die Schrift für die deutſche
Literatur gewonnen hat, erſcheint die Löſung der Trage nach dem
Autor allerdings von großer Erheblichkeit.
Ein zutreffendes Urtbeil darüber aber wird, wie ich glaube,
nur durch die Vergegenwärtigung feines Inhalts fich ermöglichen
laſſen, und ich halte es daher, ehe ich meine Anficht äußere, für
geboten, einen möglichit getreuen Auszug aus dem berühmten Bude
zu geben.
Von Straßburg aus — fo lautet die Erzählung — war ber
Ruf eines Meifters der h. Schrift bis in die Einfiebelei eines „Gottes⸗
freundes” gebrungen, welche diefer im „Oberland bewohnte. Da
machte Iener fih auf gen Straßburg, um den großen Prediger
fennen zu lernen, und als er ihn fünfmal gehört hatte, da fagte
er fich, dag der Meifter das Werkzeug werben könne, durch welches
Gott Großes wirken möchte, und er fuchte ihn auf und bat ihn,
daß er feine Beichte hören möge. So Tamen die beiven Männer
zuerft in Berührung, und e8 gefchah, daß fie Freunde wurden. Als
nach einer Reihe von Wochen der Laie wieder abreifen wollte, da
bat der Meiſter ihn, daß er bleiben möge, und fagte ihm zu, daß
er ihm ferner predigen wolle. Da fprach der Laie: „Lieber Meilter,
ihr ſollt fürwahr wilfen, daß ich nicht bin gefommen um eurer
1) Ouellen u. 5. Bd. 36 ©. 118,
137
Predigt willen!), ich Fam darum ber, daß ich gedachte, ich follte mit
der Hülfe Gottes etwas Rath ſchaffen“. Antwortete ver Meifter:
„Was Rathes wollteft du jchaffen, du bift doch ein Late und ver-
fteheit die Schrift nicht und gebührt dir auch nicht, dag du folleft
predigen”. Darauf fprach ver Late: „Herr Meifter, ihr feid ein
großer Pfaffe und ihr habt in eurer Predigt gute Lehren gethan,
ibr lebt aber felber nit Darnach und redet dazu etwas und
fprecht zu mir, ich ſoll bleiben, ihr wollet mir noch eine Predigt
tun. Herr, ihr follt wiffen, daß eure Predigt und die äußeren
Worte, die man in der Zeit reden mag, in mir nichts fchaffen
mögen, denn fie haben mich unterweilen mehr gehindert denn ge-
fördert. Ihr Habt doch felber geprebigt: wenn ber höchſte Meeifter
alter Wahrheit zu dem Menſchen kommen jolle, fo müſſe diefer ledig
und 108 werden aller vergänglicen Dinge Wiffet, wenn der-
felbe Meifter zu mir fommt, fo lehret er mi mehr in
einer Stunde, denn ihr und alle die Xebrer, die von
der Welt find, bis an den jüngſten Tag thun möchten”,
Und diefe Worte drangen wie Pfeile in des Meifters Herz. Aber
wie mag man der Erleuchtung und der Nähe des göttlichen Getftes
theilhaft werben, die uns in einer Stunde mehr lehrt als alle Lehrer
der Welt in Ewigkeit? Auch darauf gab der Laie ihm Antwort;
Ihr müßt die Lehre leben, die ihr lehrt, und bie Liebe, die ihr
predigt, Durch die That beweifen. Ihr ſeid geneigt zu den Crea-
turen, und euer Herz hängt an Dingen diefer Well. Sp lange
ihr aber nicht ein reines, lieb habendes Herz durch Selbitentfagung
und Aufopferung befitt, jo lange feid ihr wie ein unreines Faß;
nur der Wein, der durch reine Schläuche geht, will Freude und
Gnade bringen.
„Herr, ihr jollet wiſſen, daß ihr viel guter Lehre habt gegeben
1) Dem nachfolgenden Auszug aus dem Meifterbuch ift diejenige Ausgabe
defielben zu Grund gelegt, die zu Baſel im Jahre 1521 erfchienen ift, nämlich:
„Joannis Tauleri des heiligen Lerers Prebigten u. ſ. w. Gedrudt zu Bafel bei
Betri 1521” fol. BL. a—c, Die neuefte Ausgabe if: C. Schmidt Nic. von
Baſels Beriht von der Belehrung Taulers Straßb. 1875. — Im Jahre 1865
ift das Meifterbuch abgedruckt worben in der Ztfchr. „Damaris“ herausg. bon
Giefebreht und Böhmer Stettin 1865 ©. 148—210. Faft alle Ausgaben von
Tauler enthalten das Bud,
138
in eurem Sermon. Aber mir fiel ein Bild ein, dieweil ihr pre-
Diget, das war recht, al8 wer da nähme guten Haren Wein und
menget den mit Hefe, daß er trüb wird”. Da fprach der Meifter:
„Sieber Sohn, wie meinst Dur Dies?” Sprach der Dann: „Ich meine,
daß euer Faß unrein ift und Elebet noch viel Hefen daran und das
liegt daran, daß ihr euch Habt vom Buchſtaben töbten laſſen, und
er tödtet euch noch alle Tage und alle Stunde und ihr wiſſet Doch
felber wohl, dag die Schrift ſpricht: der Buchftabe töbtet und der
Geift macht lebendig Nun wifjet, derfelbige Buchftabe, der
euch num tödtet, derfelbige Buchftabe wird euch wohl wieder lebendig
machen, alfo fern als ihr felber wollt. Aber in dem Leben als ihr
noch feid, fo wißt, daß ihr noch nicht Lichtes habt, fondern ihr feid
in der Nacht, darin ihr den Buchftaben wohl möget erkennen, aber
die Süßigkeit des 5. Geiftes Habt ihr noch nicht geſchmeckt. Dazu
fo jeid ihr noch ein Phariſäer“.
Da fprach der Meijter: „Lieber Sohn, du follft wiffen, daß
ih jo alt worden bin und dag mir nie foldhe Worte wurden zu-
gefprochen”. Sprach der Mann: „Nun will ich euch zu dem erften
jagen, wie das kommt, daß euch der Buchftabe tödtet. Lieber Herr,
ihr wiffet felber wohl, da die Zeit Tam, daß ihr Böſes und Gutes
unterjcheiden lerntet, da fingt ihr an, den Buchftaben zu lernen.
Bei diefem Lernen aber juchtet ihr eueren eignen Nugen und noch
heut des Tags feid ihr im demfelbigen Sinn, d. h. ihr getröftet
euch euerer vernünftigen finnreichen Meeifterjchaft in der h. Schrift,
aber ihr Habt nicht ganz in euch, daß ihr Gott allein lieben
ſollt; ihr meinet und fuchet euch felber und nicht die Ehre
Gottes, während uns doch darauf die Schrift weifet. Ihr ſeid ge-
neigt zu den Creaturen und fonderlich zu einer Ereatur (d. h. euch
ſelbſt) gegen die göttliche Ordnung. Und das ift auch der Grund,
weßhalb euch der Buchſtabe tödtet. Und daß ich gefprochen babe,
daß ihr ein unreines Faß habt, das iſt infofern wahr, als ihr Gott
nicht meinet in allen Dingen. Wenn ihr euch felbjt prüft, werbet
ihr es finden. Und darum, fo der reine lautere Wein der gött-
lichen Lehre durch ein unreines Faß gehet, dann kommt es, baf
dem reinen liebhabenden Herzen eure Lehre nicht ſchmeckt noch Frucht
bringt. Und daß ich Sprach, ihr wäret noch in der Nacht, das ift
139
auch wahr, das fiehbt man daran wohl, daß alfo wenige Leute
lauterlih und empfänglich werben bes h. Geiſtes non euerer Lehre.
Und daß ich fprach, ihr wäret ein Pharifäus, das ift auch wahr,
aber nicht der falfchen Pharifäer einer. Hatten die Pharifäer nicht
an fih, daß fie fich jelber Tieb hatten und meinten fich felber in
allen Dingen und nicht die Ehre Gottes?“
Und da der Mann diefe Worte gefprochen hatte zu dem Meifter,
da nahm ihn der Meifter und umfing ihn und füßte ihn und ſprach:
„Mir tft ein Gleichniß eingefallen: mir ift gejcheben, wie der heib-
nifchen Frau bei dem Brunnen geſchah. Du follft wiſſen, lieber
Sohn, daß mir von dir alle meine Gebrechen geoffenbart find, und
du baft mir gejagt, was ich in mir heimlich verborgen hatte. Nun,
lieber Sohn, ich bitte dich, du feieft mein getftlicher Vater und
laß mich fein deinen armen fündigen Sohn”. Da ſprach der Mann:
„Wollet ihr alfo wider Ordnung reden, fo bleib ich mit nichten bei
euch, ſondern ich fahre wieder heim, das follet ihr fürwahr wiſſen“.
Da ſprach der Meifter: „Ach nein, durch Gott, das thuet nicht,
ich will dir gern geloben, daß ich nicht mehr alfo reden will. Ich
babe Willen mich zu befjeren mit der Hülfe Gottes und nach deinem
Rath; was dich gutdünket, danach will ich mich willig richten, zu
beſſern mein Leben”. Da ſprach der Mann: „Ich ſage euch für-
wahr, daß mancher Meifter der h. Schrift und Schriftgelehrte, der
feine Kunſt wohl kann und jeden Buchftaben weiß, der in der Schrift
ftebt, gleichwohl in ſchweres Leid im Jenſeits kommen wird, je nach-
dem fein Leben Hier gewefen iſt“. Es liegt eine große Verant⸗
wortung darin, daß Iemand die Schrift Tennt und fie Dennoch
nicht übet.
Da fprach der Meifter und bat, daß ibm ber Laie feine eigene
Geſchichte erzählen möge und wie er den Weg gefunden babe, auf
dem er jet ſei. Der Mann antwortete: „Das erjte, was Noth
thut, ift eine gar gelaffene, grundlofe Demuth. Auch ich, ſagte
er, babe lange geglaubt, daß man mit Uebungen äußerer Askeſe
(wie fie in den Klöftern getrieben ward) zum inneren Trieben ges
langen könne, und babe verjucht, mein Fleiſch zu tödten, und ich
ward alfo krank, daß ich gar nahe geftorben war. Denn ihr follt
wiſſen, lieber Herr, ich hatte damals die h. Schrift noch nicht, wie
140
ihr fie habt. Aber während ich mich fo Tafteiete und übte, fühlte
ih in mir eine Stimme, die mir fagte, es ſei beifer, wir Tießen
uns von Gott übent), und ich fah zudem, daß ich troß aller Uebung
in der Selbſtbeherrſchung und Abtödtung nicht demüthiger ward,
fondern im Gegentheil batte ich allerlei hochmüthige Anfechtungen
und glaubte, ich würde etwas erfinden, das da über alle finnliche
Vernunft wäre. Doch als ich das getban, da erfchraf ich gar ſehr
und demüthigte mich in großer Innigfeit und bat Gott um Barm-
berzigfeit. Und als ich ſo im Gebet lag, da fühlte ich, daß ich in
diefer Stunde mehr Wahrheit und Lichtreichen Unterjchieb fand, als
es mir bis dahin war zu Theil geworden”,
Und als der Meifter und der Gottesfreund abermals zuſam⸗
men kamen, da fprach der Lettere: „Lieber Herr, ich fürchte, Daß
ich euch etlich Ding gefagt habe, das euch in euerm Sinn gar ſehr
verbrießt". Und der Meifter antwortete: „Es wundert mid gar
jebr in meinem Sinn und ift mir gar ſchwer, daß bu ein Laie biſt
und ich Bin ein Pfaff und ich ſoll von bir. Lehre empfangen; auch
befümmert mich das fehr in meinem Sinn, daß du ſpracheſt, ich
wär ein Phariſäer“. Da fprach der Mann: „Gebricht euch nicht
mehr? Sagt mir, lieber Herr, wie fam das oder wer that das, Daß
©. Catharina, die doch eine Jungfrau war, wohl fünfzig der großen
Meifter überwand und machte, daß fie willig in den Tod gingen;
wer wirkte dies?“ Da fprach der Meifter: „Das that der heilige
Geiſt“; antwortete der Mann: „Glaubt ihr nicht, daß der h. Geiſt
noch heute dieſelbe Macht hat?“
„Es verdrießt euch auch, daß ich ſprach, ihr wäret ein Phariſäer.
Lieber Herr, ihr wiſſet gar wohl, daß unſer Herr Jeſus Chriſtus
ſelber hat geſprochen: Hütet euch vor den Phariſäern, denn ſie legen
euch ſchwere Bürden auf euern Hals und wollen fie ſelber nicht
1) Durch diefe ganze Literatur geht im Gegenfag zur mönchifchen Myſtik,
aber in Hebereinftimmung mit waldenfifchen Anfchauungen, eine fcharfe Oppofition
‚gegen die äußeren Kafteiungen. So fagt Tauler: „Das sullent die lute mer-
ken, die das arme fleisch martelent und tötent mit der boesen sipschaft die
in dem grunde verborgen lit. Was het dir das arme fleisch geton? Und wel-
lent soliche rechte also su mit den Köpfen durch die muren varen wellent.
Döte die untugent und nut das fleisch*. Bafeler Ausg. von 1521 fol, 126 und
öfter in gleichem Sinn.
11
mit dem Heinften Finger anrühren. Nun, lieber Herr, habt ihr
es nicht alfo gemacht? Doch feid ihr nicht der böfen, falſchen Phari⸗
füer einer, die da gehören in die Hölfifche Pein“. Da ſprach der
Meifter: „Ich weiß nicht, was ich reden ſoll; ich erfenne wohl, daß
ib ein Sünder bin, und will nun mein Leben befferen und folit
ich darum fterben. Lieber Sohn, ich bitte dich Tauterlich, daß du
mir ratheſt, wie ich mein Leben angreifen fol, und mich weifeft und
lehreſt, wie ich kommen ſoll zu der allerhöchiten Vollkommenheit,
Dazu der Menſch in diefer Zeit kommen mag”.
Da ſprach der Mann: „Lieber Herr, erzürnet nicht, wenn ich
fage, daß euch fchwerlich zu rathen if. Soll euer Sinn erneuert
und umgekehrt werben, jo muß euern gewöhnlichen Sitten gar webe
gefchehen. Dazu möget ihr wohl bei fünfzig Jahr alt fein”. Sprach
der Meifter: „Ich will dir fagen, Tieber Sohn, ich Habe mich de
berathen und habe es alſo feit in mein Herz gefegt und müßte ich
fürwahr, daß ich fterben follte, ich will von meiner Sinnlichkeit ab-
gehen mit der Hülfe Gottes und nach deinem Rath”.
Da antwortete ver Mann: „Nun jebe ich, daß ihr mit Gottes
Gnade Willens feid, euch zu vemüthigen; ja, ihr vemüthigt euch,
indem ihr euch bereit erflärt, eines unmwürbigen, armen Mannes
Rath zu folgen. Doch geben wir Gott die Ehre, deſſen fie billig
tft. Lieber Herr, dieweil ich euch nun lehren ſoll und rathen um
Gottes wegen, jo will ich Gottes Hülfe mir erbitten, und will euch
in göttlicher Liebe rathen und will euch eine Lektion fürgeben, wie
man fie in der Schule den Kindern fürgiebt, für das erfte, das iſt
bie erfte Zeile die 23 Buchitaben und will anheben am A.
Ain gutes Leben jollt ihr anheben, mit rechtem Ernſt, mit männ-
lihem Sinn.
Bosheit laſſen und das Gute thun mit wohlbenachten Muthe
fleißiglich.
Cimlih und mäßig in allen Dingen lernet die Mitte Halten.
Demüthig ſollt ihr fein in Worten und in Werken.
Euern eignen Willen müßt ihr Yaffen und mit Ernft an und in
Gott bleiben.
Fleißiglich, gehorſam und wilfiglich zu allen guten Werfen ſollt ihr
fein und feine Ausrede haben.
142
Gänzlich üben ſollt ihr euch in allen göttlichen Werfen der Barm-
berzigfeit, leiblichen und geiftlichen.
Hinter euch ſollt ihr nicht fehen nach der Welt oder ihren Crea—⸗
‚turen oder nach ihrem Geſchäft.
Inwendig in dem Herzen follt ihr das alte Leben bevenfen mit
rechter Wahrheit, wahrer Neue und in. bitteren Leid bes
Herzens.
Kühn und ſtark follt ihr widerjtehen des Teufels Anfechtungen fo
wohl des Tleifches wie der Welt.
Zange Trägheit lernet mit Kraft überwinden und alle Weichlichteit
| und Gemächlichkeit.
Mit brennender Liebe, in gewiffer Hoffnung, in ftarfem Glauben
in Gott ſollt ihr bleiben und gegen den Nächften wie gegen
euch felbit.
Niemandes Gut follt ihr begehren, es ſei was e8 fei, geiftlich oder
leiblich.
Ordentlich follt ihr alle Dinge zum Beiten auslegen und nicht zum
Schlimmiten.
Pönitenz, das tft Buße um eurer Sünde willen, fie fomme von
. Gott oder von den Leuten ober von den Creaturen, die
jollet ihr williglich hinnehmen.
Quit, ledig und los follt ihr laſſen Alle, die euch je Leides gethan
mit Gedanken, Worten oder Werten.
Reinheit des Leibe und der Seele, eures Guts und eurer Ehre
folt ihr halten mit ganzem Fleiß.
Sanftmütbig follt ihr fein in allen Fällen des Lebens und Belle
rung daraus nehmen.
Treu und Wahrheit follet ihr zu allen Leuten haben ohne Arglift.
Ueber Maß foltt ihr nicht effen, es ſei, mwelcherlei Weife es wolle,
das follt ihr Iernen abthun und davon laſſen mit vechtem
Ernit.
CHriftil) unferes lieben Herren Leben nachfolgen und
euch gänzlih danach richten nah allem euren
Vermögen.
1) Das Wort iſt geſchrieben Xchriſti. Daher ſteht es an dieſer Stelle.
143
De und je ohn Unterlaß unfere liebe Braut) bitten, daß fie euch
helfe, daß ihr unfere Lektion wohl lernet.
Ziehen follt ihr eueren Willen und euere Sinnlichkeit, daß fie ftill
halten in allen Dingen, die Gott thut mit euch und mit
allen Ereaturen.
Und diefe Lektion follt ihr lernen ohne Widerrede, von freiem
Herzen und Willen“,
Als der Meifter nach einiger Zeit die Lektion zu können glaubte,
bat er den Laien, daß er ihm weitere Aufgabe ftelle, und der Letztere
ging nun ftufenweife und methodiſch vor2).
„Wiſſet“, Tprach der Gottesfreund, „ihr müſſet euer Kreuz auf
euch nehmen und unferm Herrn Jeſu Chrifto nachfolgen und feinem
Bilde, in rechter Wahrheit, in Demüthigfeit und in Geduld und
müſſet alle euere ftolze, finnreiche Vernunft ablaffen, die ihr durch
euere Schriftgelehrſamkeit habt. Und fo beginnet damit euere Uebung,
daß ihr auf all euere Bücher eine Zeit Yang verzichtet, daß ihr
nicht ftubiret noch prebiget, ſondern ſtill in euere Zelle geht und
euere Zeiten left, auch im Chor helfet fingen; aber was euch Zeit
übrig bleibt, in der follt ihr die Leivensgefchichte unferes Herrn
für euch nehmen und betrachten wie euer Leben gewesen
ift im Vergleih mit feinem Leben. Und bedenket, wie gar
Hein euere Liebe geweſen tft gegen ſeine Liebe und wie viel Arbeit
ihr verloren habt in der Zeit, wo ihr euch felbft fuchtet.
Diefe Dinge follt ihr jett eine Zeit lang ausschlieglich ftudiren,
1) Diefe Stelle hat von jeher als ein Hauptargument berjenigen neueren
Forſcher dienen müflen, welche die Anfiht C. Schmidts, daß der „Gottesfreund“
ein Waldenfer geweſen fei, verwarfen (vgl. Gieſeler KG II, 3 ©. 251), Es ift
richtig, daß in den älteften Druden fieht „unser liebe frawen bitten dass sy
ete.“; aber eine weit ältere Handſchrift bietet den Xert: „Unser frowen bitten,
daz er uch helfe“ (f. Schmidt a. ©. ©. 33 Anm.). Der Text ift mithin offenbar
verberbt und anftatt „frowen* foll e8 wohl heißen fronen (— Herrn). Auf eine
verberbte Tertftelle farın man unmöglih Argumente gründen.
2) Die Verwandtſchaft der Gottesfreunde mit dem Methodismus iſt faft
allen Forſchern aufgefallen, welche fih mit den erfteren befhäftigt haben. So be=
banptet ſchon im Iahre 1840 Röhrich, daß man „das lberreiche, vorherrichenbe
religiöſe Gefühl biefer Gottesfreunde ziemlich treffend mit den Methodiften
unferer Zeit vergleichen Tann“. Ztſchr. f. h. Theol, 1840 ©, 139,
144
dann werbet ihr euch wohl biemit eurer alten Gewohnheit entwöhnen
und abgeben und zu wahrer Demüthigkeit kommen.
Wenn es aber Gott Zeit dünkt, fo macht er dann aus euch
einen neuen Menfchen, alfo daß ihr von Gott andermal ge-
boren werdet. |
Aber ehe dies gejchieht, müßt ihr (wie Chriftus jagt) "Alles
verkaufen, was ihr habt und e8 Gott vemüthiglich aufgeben’; damit
ift gemeint, daß ihr innerlich zur Ehre und im Dienjte Gotted auf
Alles verzichtet (und, falls Gott e8 fordert, im Stande feid, Alles
zu lafien), was ihr in eurer ftolzgen Sinnesart zu beſitzen wähnt.
Ihr ſollt fahren Laffen Alles, womiteuh Ehre in Diefer
Welt Fönnte erboten werden und davon ihr Xieb oder
Luft vor Zeiten möchtet gehabt haben, Ihr ſollt dahin
fommen, daß ihr es als ein Gefchent von Gott anjebet, wenn all
euer Thun und all euer Laffen und alles euer Leben ungeachtet
und vernichtiget wird in der Leute Augen. Wenn die Leute fagen,
ihr habet eine wunderliche Weife angenommen, und wenn fie von
euch gehen und euch meiden, fo freuet euch, jo ift nahe euer Heil.
Aber die Demüthigung, die ihr euch jett felbft zur Uebung auf
erlegt, wird euch nicht nügen, wenn ihr nicht in Wahrheit könnet
fpreden: Mein Herr und mein Gott, auch wenn es dein Wille
wäre, daß ich in dieſem Leiden und biefem Gedränge bis am ven
jüngften Tag follte bleiben, dennoch wollte ich nicht abſtehen, fon-
dern ſtets in deinem Dienfte bleiben.
Lieber Herr, ich erfenne wohl, dag ihr in euerm Herzen denkt,
daß Died gar eine fchwere Sache ſei. Doch weiß ich feinen
näheren und fihereren Weg denn diefen, nämlich dem
wahren Bilde unferes Herrn Jeſu Chrifti nachzu—
folgen. Aber, lieber Herr, ich rathe euch ganz auf alle meine
Treu, daß ihr zu euch nehmet eine Zeit und bevenfet euch gar
eben”.
Da ſprach der Meifter: „Das will ich thun und will warten,
ob ich mich mit der Hülfe Gottes überwinden möge”.
Und nach 11 Tagen erklärte der Meifter, daß er fich demüthigen
wolle, ihm gejchehe wohl oder wehe. Da fprach der Gottesfreund:
„Run bebt e8 an in dem Namen unferes Herrn Jeſu Chriſti“, und
145
verabfchiedete filh und 309 hinweg, und der Meiſer that, was er
geheißen war.
Und als das erſte Jahr um war, da geſchah, was der Mann
vorausgeſagt hatte, nämlich ver Meiſter ward alſo unwerth gehal-
ten, daß alle feine Freunde fich von ihm trennten, recht als ob fie
ihn nie hätten gejehen. Das war ibm gar fehwer und that ihm
zumal wehe. So warb er Frank am Haupt und auch faft Frank
am Leib.
Da fandte er zu dem Mann und ließ ihm fagen, wie es ihm
gebe. Und als der Gottesfreund Tom, erkannte er wohl, mit welchem
Ernft der Meifter fich vorgefett hatte, zu tbun, was ihm gerathen
war, aber er ſah auch, wie jener feine Lehren zum Theil mißver-
ftanden hatte und in eine mönchifche Astefe mit Törperlichen Selbit-
peinigungen verfallen war. Und er Sprach: „Lieber Herr, ihr wiſſet
wohl, wer auf den rechten Weg will fommen, der muß freilich etwas
das Leiden Chriftt an fich ſelbſt erfahren und ihm nachfolgen, aber
ihr follet eurem Leib zu Hülfe kommen mit guter Speife, denn
fobalb ihr e8 erreicht habt, daß der Körper dem Geift gehorjant ift,
fo hieße es Gott verſuchen, wenn ihr eurem Leib nicht helfen
wollte. Darum braucht ihr nicht unordentlich zu leben, das foll
nicht fein. Ihr follt bleiben in dem Gehorſam Gottes und das⸗
jenige wilfiglich-leiven, was die Erfüllung feiner rechtverſtandenen
Gebote mit fich bringt, aber ihr follt weislich und verſtändig Teben,
und wenn euch etwas Geld gebricht, fo verfegt einen Theil eurer
Bücher und leidet feinen Mangel, aber mit nichten follet ihr Die
Bücher verlaufen. Denn es Tommt noch die Zeit, daß euch die
Bücher gar nütze ſein werden“.
Und der Meiſter verbrachte in Armuth und Niedrigkeit und
verſchmäht von allen ſeinen Freunden auch noch das zweite Jahr,
und oft fühlte er ſich krank und matt. Dann aber gedachte er
des Leidens Jeſu Chriſti und an die große Liebe, die er zu uns
hatte, und bedachte ſein eigen Leben, wie gar klein ſeine eigne Liebe
geweſen wäre gegen die Liebe Gottes. Und er empfand tiefe Reue
um ſeine Sünden und um ſeine verlorene Zeit.
Und als er eines Tags fo inbrünſtig betete, da fühlte er ſich
mehr geſtärkt und erhoben als je zuvor, und er warb von da an
Keller, Die Reformation. 10
146
in allen feinen äußerlichen und innerlichen Kräften eine neue Kraft
gewahr und er fand in fich einen Hareren Unterjchieb der Dinge,
als er ihn früher befeffen zu haben glaubte. |
Darauf fandte er abermals zu dem Gottesfreund und erzählte
ihm, daß er ſich neu geboren fühle Und der Mann kam und
freute fich jehr und fagte: „Lieber Herr, ihr follt wiſſen, daß ihr
jet allererft dem göttlichen Geifte nahe gewejen ſeid und von dem
Höchften zuerſt feiv berührt worden. Wie der Buchftabe, falfch ver-
jtanden ; euch getödtet hat, aljo Hat die Xehre der h. Schrift ober
derſelbe Buchſtabe, feitvem ihr ihn recht verftanven, eich wieber
lebendig gemacht. Niemand aber vermag diefe Xehre, die der h. Geift
gegeben bat, recht zu verftehen als der, ver ſelbſt vom h. Geiſt bes
rührt worden iſt. Jetzt Habt ihr in euch die h. Schrift und ihr
habt den großen Vortbeil, dag ihr jett viel mehr lauterliche Dinge
daraus erfennen werdet, denn ihr zuvor thatet. ‘Denn ihr wiſſet
wohl, dag die Schrift an viel Enden lautet, als wäre fie tiber
einander. Da ihr aber nun das Licht des h. Geiftes Durch Gottes
Hülfe Habt empfangen, jo daß ihr in euch Habt die h. Schrift, fo
werdet ihr erfennen, daß alle Schrift hat einen gleichen Webertrag
und fich felbit nicht entgegen ift und werdet nun dem Bilde
unferes Herren Iefu Chrifti recht nachfolgen. Ihr follt
auch nun wieder anheben, eueren Mitmenjchen anzugehören und
ihr jollt ihnen lehren und weifen den Weg zum ewigen eben.
Nun fommt die Zeit, daß euch gute Bücher werben nüge fein. Und
wijjet, daß eine einzige Predigt, die ihr jet werbet halten, mehr
Befjerung fchaffen wird unter den Menfchen, denn früher hundert,
denn Die Worte, die ihr nun ausſprechen werdet, geben
aus einer lauteren Seele gar einfältiglic.
„Doch wird e8 euch inſonders noth fein, daß ihr fortfahrt, eu
demüthiglich zu halten. Denn wiljet, der Geift des Böſen,
der nie raftet, wird mit Eifer danach trachten, euch des Schatzes
zu berauben, den ihr mühfam erworben habt. Und es wird ihm
gelingen, wenn ihr euch nicht Fünnt bewahren mit grunblofer De
müthigfeit. Gäbe e8 euch Gott zu thun, fo deuchte es mich gut,
daß ihr nun wieder anhübet zu predigen”. Da fprach der Meifter:
„Lieber Sohn, ich habe, wie du riethft, viele gute Bücher verfekt,
147
. wohl für 30 Gulden”. Da fprad der Mann: „Sehbet, die will ich
euch von Gottes wegen geben und bitte euch, daß ihr das, was
euch übrig bleibt, Gott wiedergebet; denn fein ift Alles, was wir
haben, jet e8 geiftig oder leiblich Gut”.
Und nun begann der Meifter wiederum zu prebigen; aber er
that es nicht mehr wie früher in lateinifcher Sprache und nach ven
vorgejchriebenen Regeln tbeologifcher Kunſt, fondern deutſch und wie
das Herz es ihm eingab. So lehrte er, daß Gott allen feinen
lieben heiligen Freunden und fonderlich feinem eingeborenen Sohn
groß Leiden giebt in diefer Welt, wer fie willig trägt und fich zu
Demuth und Geduld dadurch erziehen läßt, dem giebt er einen er-
leuchteten Sinn, und wie die Tugend bewährt wird im Leiden, fo
wird die wahre Erfenntniß gefchaffen durch die Tugend. Und in
wem die Tugend wohnt, in dem wohnt Chriftus. Niemand mag
die göttlichen Dinge begreifen und Niemand fchmeden die Süßigfeit
der Nähe des göttlichen Geiftes, wer nicht Zorn und Haß und Bes
gierde austilgt aus feiner Seele. Wir follen uns erbilden
in das minniglihe Bild unferes Herrn Jeſu Ehrifti.
Sndem der Meeifter diefe und andere Gedanken aus lauterer
Seele immer und immer wieder vortrug, ging eine wunderbare
Wirkung aus von feinen Worten. Und er warb in dem Land alio
lieb und werth und auch in der Stadt, daß, was die Leute auch
zu befchiefen hatten, das mußte er allzumal ausrichten mit feiner
Weisheit, es fer geiftliche oder weltliche Sache, und was er ihnen
rieth, dazu waren fie willig und ganz gehorfam. Und e8 gefchah,
Daß der Meifter wohl neun Jahre in dieſem fruchtbaren Leben war.
Da die Zeit um war, da wollte Gott feinen Diener nicht länger
in biefem Elend laſſen und ließ ihn ohne Fegfeuer zu fich kom⸗
men in fein Reich.
Es ift nicht leicht, den Zwed und Inhalt der Schrift mit
wenigen Worten erjchöpfend zu haralterifiven. Am beiten faßt, wie
ich glaube, der neueſte und bejte Kenner des Werkchens, Denifle,
den Zwed dahin zufammen: Das Meifterbuch will lehren, jagt eri),
1) Denifle Ouellen und Forſch. Bd. 36 ©. 127.
10*
4148
wie ein Prieſter, der ſeinen Phariſäerſtolz noch nicht abgelegt hat,
durch den Unterricht eines begnadigten Laien ein „Nachfolger
Chriſti“ werde.
Diefe Tendenz — ſelbſt der Name „Nachfolger Chriſti“ kommt
in dieſer Literatur häufig vor!) — ift in der That ein bervor-
jtechendes Merkmal des „Meiſterbuchs“.
Sollte darin nun nicht ein gewiſſer Fingerzeig liegen, unter
welcher Richtung wir den Verfaffer zu fuchen haben? Es giebt außer
dem Francisfanerorven in jener Zeit nur eine Religionspartei, deren
ganzes Dichten und Denken ſich auf die „Nachfolge Chriſti“ con-
centrirt — das ift, wie wir oben nachgewiejen Haben, das Wal—⸗
denſerthum. |
Doch find wir weit entfernt, auf fo. allgemeine Geſichtopuntte
ein Urtheil zu gründen. Aber finden dieſelben nicht aus ganz ſpe⸗
ciellen Wahrnehmungen ihre Betätigung? Welche andere Bartet
fann denn Werth darauf gelegt haben, daß der Priefter, Der zu
einem „Nachfolger Jeſu“ geworben ift, fchlieglih ohne Fegfeuer
die Seligfeit erlangt, wenn nicht die Waldenfer?
Es ftellen fich unferer Frage deßhalb befondere Schwierigkeiten
entgegen, weil die Schrift in mehreren Bearbeitungen auf ung ge-
fommen ift, die zum Theil erheblich von einander abweichen. Es
entjteht dadurch die Frage, welche Partien müffen auf den urfprüng-
lichen Autor zurüdgeführt werden und welche find etwa aus Zu-
ſätzen folcher Bearbeiter entjtanden, die dem Meifterbuch feinen
„begbardifchen‘ Charakter nehmen wollten? Und ift etwa die ältefte
und echte Redaction gar nicht erhalten?
Die frühefte Nachricht, welche uns bis jet über das Vorhan⸗
denjein des Buchs befannt ift, enthält ein Brief vom 20. Januar
1369, welchen ein „Gottesfreund aus dem Oberlande” — ber
fanntlih nannten fi auch die „Apoftel der Waldenfer Gottes-
freunde — an ein „Beghardenhaus“ zu Straßburg gerichtet bat.
Wir werden den Gottesfreund und das Haus noch Tennen lernen.
Darin fagt der Schreiber, indem er das Meifterbuch überfenbet:
„Dies Büchlein, das fendet man euch und empfabet es von ber
1) 8. Schmidt Nie. v. Bafel S. 274. 277.
149
Hand Gottes.... Ich hätte euch gerne das alte Büchlein ge-
fandt; fo tft es wohl in einer ſolchen fremden Sprache, die ihr
nicht verjteben Tonntet”, Darum babe der Abjenver vier Tage und
Nächte daran gearbeitet, um es in die Sprache der Empfänger zu
bringen !).
Daraus folgt, dag das Büchlein fchon im Jahre 1369 durch
den Mann, welcher uns die erfte Nachricht darüber giebt, eine
zweite Form erhalten bat. Wenn man aber auf den Text der
Handichriften fieht?), die unbedingt auf fehr verfchiebene deutſche
Bearbeitungen zurüdgehen, fo muß man fich fagen, daß nicht
ein Autor, fondern mehrere Bearbeiter vorausgefegt werben
müſſen. Diefe Autoren waren unter fich weder in der Bega⸗
bung noch in den religidfen Anſchauungen durchaus gleich, fo
daß, was wir Heute „Meifterbuch” nennen, nicht auf die Rech
nung eines einzigen Mannes oder einer einzigen Nichtung gefett
werben barf.
Wie dem aber auch ſei, ſo behaupte ich, daß der Grundſtock
waldenſiſchen Urſprungs iſt, und halte es für ſehr wahr-
ſcheinlich, daß das „alte Büchlein“, wie es unſerem Gottes-
freund vorlag, direkt von einem Apoſtel der Waldenſer verfaßt ward.
Die neueren Forſcher haben zahlreiche Gründe dafür beige—
bracht, daß jener „Gottesfreund aus dem Dberlande” felbft Der
Autor des Buches war. Nun, wenn dies richtig ift, fo hoffe ich
die Trage nach der „beghardifchen‘ Duelle unten hinreichend auf-
Hären zu können. Denn „der Gottesfreund” war, wie ich zu be-
weifen hoffe, jelbit ein Apoftel der Waldenfer.
Spliten ih nun aber in einem Buche, das von Waldenſern
herrührt, keine Anklänge an die uns erhaltene Literatur der Wal⸗
denfer finden? Bielmehr find die Anklänge fo ſtark und fo auf-
fallend, daß, wenn weiter gar feine Indicien vorlägen, auf dieſem
Wege die innere VBerwandtfchaft dargethan werden könnte.
Einen der vornehmften Abjchnitte des „Meiſterbuchs“ bilden
die Sprüche und Regeln des fogenannten „Goldenen ABC“, d. h.
die Memorialverfe, welche an die 23 Buchftaben des Alphabets an-
1) C. Schmidt Nic. v. Bafel ©. 282.
2) Denifle in den Quellen und Forfhungen Bd. 36 ©. 65 ff.
150
gefnüpft worden find. Welchen Werth die erjten Empfänger des
Buchs gerade auf diefe Regeln legten, fieht man Daraus, daß fie
e8 das „Buch von dem Meijter nannten, welchem bie Zeilen des
ABC von dem Gottesfreund gelehrt wurven‘N), Diefe Regeln
haben dann jpäter die Iohanniter, an welche im Jahre 1371 das
„Beghardenhaus“ überging, vielfach in ihre Codices eingetragen,
aus welchen wir die Form, in der fie damals befannt waren und
die von den jpäteren Druden erheblich abweicht, erfennen können ?).
Wer nun die Grundgedanken des Waldenſerthums genauer
fennt, dem muß bei der Lektüre der „Regeln“ der waldenfifche Zug
fofort auffallen.
Es ift durchaus waldenfifh, wenn auf Mäßigkeit in allen
Dingen ernft gebrungen wird. „Mäßig, jagen die Regeln, follt ihr
lernen in allen Dingen die Mitte halten‘; „Uebermaß, es
fei in welcher Weife e8 wolle, das jollt ihr lernen abtbun. Be-
fcheiden und demüthig follt ihr euch auswendig und .inwendig in
allen Dingen halten”. Mean erinnere fih der Schilderung Des
Pſeudo⸗Reiner von den Waldenſern, die wir oben wiedergegeben
haben). Sodann beachte man die Betonung der Lehre Chrifti
und des Leben 8 Ehrifti, die Hervorhebung des Gegenfates zwifchen
„Welt“ und „Ehriftus‘ und endlich die poetiiche Einfleivung Der
Vorſchriften der Bergpredigt, wie fie fich in den Regeln findet.
Schon C. Schmidt hat mit Recht auf die innere VBerwandtfchaft
einzelner Sprüche mit den in der alten Disciplin der Waldenfer
enthaltenen Regeln aufmerkſam gemacht 9.
. Aber noch bezeichnender und, wie ich glaube, geradezu ſchlagend
ift die Gleichheit der äußeren Form, die bier wie dort zur Ein«-
Heibung gewählt if. Wiffen wir doch, daß folde Memorial-
jtrophen, wie fie das Meeifterbuch giebt, faft genau in der gleichen
1) C. Schmidt Nic. dv. Bafel S. 281. Alte Weberfchrift des Brief vom
20. Sanuar 1369.
2) &. Schmidt Joh. Tauler 1847 ©. 32 Anm, 1 giebt einen Abdruck aus
den Sohanniter-Hanbfchriften.
3) ©. 6. Mäßigkeit in Speife und Trank, mittelmäßig in Kleivung, mäßig
im Spreden u. f. w.
4) C. Schmidt Joh. Tauler ©. 33. Anm. 5 vermweift auf Xeger Hist. des
€glises vaudoises Tom. I p. 198.
151
Zahl feit dem 13. Jahrhundert bei den Waldenfern gebräuchlich
waren’).
Kun ift e8 ja allerdings richtig, daß die Annahme ver „beghar-
diſchen“ Autorfehaft für ein fo einflußreiches und im echt chriſtlichem
Geiſt gehaltenes Werk wie das „Meiſterbuch“ all den VBorausfegungen
widerspricht, welche über dieſe „Sekte“, die mit den Verirrungen ber
fogenannten „Brüder des freien Geiſtes“ angeblich fo ſtark verquickt
gewefen ift, im Umlauf find.
Wenn nun aber alle diefe VBorausfegungen etwa nur Vorurtheile
ſein ſollten, die durch hiſtoriſche Entſtellungen aller Art herbeigeführt
worden ſind?
Daß ſie es in der That ſind, werden die nachfolgenden Unter⸗
ſuchungen recht deutlich vor Augen führen.
— — 2
1) David von Augsburg a. a. O. bei Preger 1878 I ©. 215.
Sechfles Lapitel. |
Meifter Eckart, Johannes Tauler umd die dentiche Theologie.
Straßburg und die Keser. — Die fogenannte „Sekte des freien Geiſtes“. —
Meifter Edart. — Hat er zur „Selte des freien Geiſtes“ Beziehungen be
feffen? — Edart und die altevangelifches Gemeinden. — Die Bannbulle
wider Edart vom 27. März 1329. — Edart ift der hervorragendſte beutjche
Philofoph des Mittelalters. — Die Begründung einer „Deutſchen Theologie‘
durch Edart. — Edart und Thomas von Aquino. — Die Schule Edarts. —
Johannes Tauler. — Tauler auf dem Inder. — Der „erpurgirte‘ umd der
wahre Tauler. — Das Büchlein von ber Deutichen Theologie.
Wir haben oben bereitS bemerkt, daß die erſte Nachricht, welche
über das Erfcheinen von dem Werk des Marfilius zu uns berüber-
flingt, aus Straßburg ftammt.
Sn der That lebten gerade bier eine Reihe von Bundesge⸗
nofjen Kaiſer Ludwigs, und die ftäbtifchen Obrigfeiten felbft hatten
unter Führung einer Anzahl von Geiftlichen gegen bie Mißbräuche
der herrſchenden Kirche Partei genommen.
Ob dieſe Stellungnahme zu dem Kaifer wohl ohne Zufam-
menbang iſt mit der Thatfache, daß gerade Straßburg ſeit Jahr⸗
hunderten der Hauptfig der deutſchen „Ketzer“ geweſen war?
Die furchtbaren Strafen, welche im 13. Jahrhundert über die
Straßburger Waldenfer verhängt worden waren, hatten bie „Ge-
meinde“ wohl zur Zurüdhaltung und BVorficht gezwungen, aber
feineswegs vernichtet. Gerade mit der Thronbefteigung Kaifer Lud⸗
wigs fand ein neuer Auffchwung der Partei ftatt.
Unter dem 13. Auguft 1317 erließ Bifchof Johann von Straß-
burg das oben erwähnte Edikt gegen die Häretifer in feinem Bezirk,
welches, obwohl es diefen die unerhörteften Irrlehren und Ver
153
brechen aufbürbet, bei vorfichtiger Verwendung doch manden An-
haltspunkt für die Hiftorifche Forſchung darbietet!).
Danach ift das Mandat unter Anderem gegen Diejenigen ge-
richtet, welche das Voll Begharden?) nennt und die fich ſelbſt als
„freie Geiſter“, „Arme“ oder „Brüder“ bezeichnen. Der Bilchof
ſpricht es mit Bedauern aus, daß Mitglieder fatholifcher
Drdensgefellihaften und Männer, welche die heiligen Weihen
empfangen haben, und viele Andere nach ihren eigenen Belenntniffen
zu jener „Sekte“ gehören.
Diefe Männer lehren unter Anderem, beißt es, daß diejenigen,
welche auf dem „neunten Felſen“ angelommen find, unveränverlich
find, derart, daß fie fich felbft von dem Tode, wenn fie es auch mit
einem Wort könnten, nicht befreien würden. Ferner glauben fie
die Lehre, „daß fie felbft alle Dinge gejchaffen haben, ja, daß fie
mehr geichaffen haben als Gott”,
Sodann fagen fie fälſchlich, daß der Menſch fein gutes Wert
thun folle wegen irgend einer zu erwartenden Belohnung, jelbft
nicht um des Himmtelreiches willen >).
Auch haben fie die verberbliche Anficht, daß fein Menſch, weder
ein Zube noch ein Sarazene von Gott ewig verbammt werben wird.
Denn e8 gebe eine innere Stimme, welche als Offenbarungs-
quelle für alle Menjchen anzufehen ſei.
Sie fennen drei vornehmſte Tugenden, Glaube, Liebe, Hoff-
nung, und find der Anficht, daß diefe für den Menfchen nicht un.
erreichbar find.
Gleichwohl fagen dieſe Menſchen, daß der Diebftahl erlaubt
ſei und andere unerhörte Dinge mehr.
1) Abgedrudt bei Mosheim de Beghardis ©. 255 ff.
2) Wir erfahren daraus einige intereffante Detail, 3. DB. die Tracht ber
Begharden und Beghinen. Danach trugen erftere eine Art von langen Röden,
welche vorn herab von dem Gürtel an aufgejchnitten waren; das Haupt be=
pedten fie mit einer Kleinen, nicht an dem Rod befeftigten Kapuze (Indumenta
ab umbilico deorsum scissa, desuper cum capucii parvi, non tamen tunicae
consuti). Die Beghinen verhällten das Haupt mit barüber gejchlagenem Mantel
(Pallium replicant super caput), Mosheim a. O. ©. 259,
3) Die Keter find zu verdammen (reprobandi), weil fe fagen, „quod nihil
debeat fieri propter praemium quodcungue, etiam propter regnum coelorum*.
A. a. O. ©. 257,
154
Alle ihre Habe foll eingezogen, alle ihre Schriften verbrannt
und die ſchärfſte Ueberwachung gehandhabt werben.
Diefes bifchöfliche Mandat hat feit Yanger Zeit als urkund⸗
licher Beleg für die Verberblichleit der Tendenzen gelten müffen,
welchen die Häretifer in Straßburg angehangen haben. Man Hat
daraus unter Anderem den Schluß gezogen, daß die „Waldenfer”,
deren Lehren das Edikt offenbar in erjter Linie treffen will, fich um
jene Zeit in engjter Verbindung mit der fittenlojen „Selte des
freien Geiſtes“ bewegt habe, ja vielleicht ganz mit Diefer verſchmolzen
gewefen ſei.
Es hatten in jenen Iahrhunderten von Paris aus im öftlichen
Frankreich und im weitlichen Deutjchland Parteien fich verbreitet,
welche unter Führung Amalrihs von Bena, der um 1200
Magister der Theologie in Paris war, den Ideen eines falfchen
Pantheismus huldigten und in Entjtellung riftlicher Lehrſätze unter
Anderem zu dem Reſultat gelommen waren, daß alle Regungen
ihres eigenen Willens Regungen des göttlichen Willens jeien.
Sie folgerten aus diefen Vorderfägen, dag man allen Ans-
trieben der Natur deßhalb Folge geben dürfe, weil fie Antriebe
des göttlichen Geiftes in uns find, und indem fie dies z. B. auf
finnliche Triebe anwandten, entitand eine Auffaffung, welche alle
Schranken der Sittlichleit beſeitigte.
Aus ihrer pantheiftiichen Grundanſchauung leiteten fie folge
richtig den Sag ab, daß Alles, was die Menjchen thun, aus gött-
licher Anordnung gefchehe, und daß daher die Annahme ver Wil-
lensfreiheit abfolut ausgefchlojfen jeit).
Indem fie von jever Gebundenheit und jeder Pflicht der Selbit-
beherrichung fich frei erflärten, wollten fie lediglich den Geift Gottes
in fich wirken laſſen und deſſen Weifungen folgen.
Sp fiher es ift, daß einige Theologen diefe und ähnliche An-
ihauungen in ein Shitem gebracht und bafür Schüler gefunden
, haben, jo unerwiefen und unerweisbar ift e8, daß eine Firchliche
Gemeinſchaft auf Grund diefer Lehre aufgebaut worben fei.
Schon Preger hat bemerkt, daß die oben angeführten Säge für bie
1) Nachgewiefen bei Preger Geſch. d. deutſch. Myſtik I, ©. 208.
155
Bildung einer Sekte nicht hingereicht haben würden, und Dazu
fommt, daß es bis jest noch feinem Forſcher gelungen ift, auch nur
eine einzige Befonderheit ihrer kirchlichen Organifation und ihres
Eultus oder eine Bekenntnißſchrift nachzuweiſen.
Die Wahrheit ift vielmehr, daß jene Theologen wie Amalrich
von Bena Anhänger in den verſchiedenen damals bejtehenden
Gemeinſchaften und nicht etwa ausfchlieglich oder vornehmlich bei
den „Begharden‘ gefunden haben.
Daß die „Selte des freien Geiftes‘ im 14. Jahrhundert gerade
unter den Minoriten und unter den weltlichen Mitgliedern, des
Tertiarierordens viele Anhänger bejeflen hat, bezeugt ung fein Ge⸗
ringerer als der päpftliche Pönitentiar Alvarus Belagius, welcher
ſelbſt Francisfaner war und in feiner Zeit ein großes Anfehen genof.
„zu meiner Zeit", erzählt diefer, „find in dem Orden bes
bh. Franciskus viele weltliche Mitglieder. und Mlinderbrüder für
jenen fleifchlichen Geift der Freiheit durch die Erforfcher der häre-
tischen Schlechtigfeit eingekerkert geweſen“. Ja, fogar einzelne Häup-
ter diefer „Sekte“ waren Franciskaner; darunter einer, welchen
Alvarus Pelagius einft, als er Novize war, um feinen Rath an-
ging, da jener in großem Anfehen ftand. „Aber als er gefangen
worden war wegen jenes freien Geiftes, da babe ich eingefeben,
daß... er that, was ihm fein Fleiſch und feine Sinnlichkeit ein»
flüſterte“. „Er ift im Gefängniß der Brüder zu Florenz geftorben‘'1).
Die bekannte Seftenfpürerei der rechtgläubigen Theologie hat
dann eine befondere „Sekte aus diefen Meinungen gemacht und
fo geht diefe ungreifbare Gemeinfchaft noch heute wie ein Geſpenſt
durch die Literatur?).
Wir würden Hier auf diefe Sache nicht weiter einzugehen
brauchen, wenn e8 nicht feft ftände, daß die Inquifitoren in Folge
1) Alv. Belagius De planctu ecclesiae 1516 fol. CLXIX Col. a: Tempore
meo in provincia beati Francisci multi saeculares et fratres minores pro
isto carnali spiritu libertatis per inquisitores heretice pravitatis incarcerati
fuerunt etc.
2) Zur weiteren Charafteriftit diefer Sektenſpürerei will ich noch bemerken,
daß fich die Wahrnehmung machen läßt, wie faft an jeben befannteren Namen
eines Führers der altevangelifchen Gemeinden fofort eine neue Sekte angeknüpft
mworben ift. Man vergl. bie angeblichen Sekten der „Arnoldiften‘‘, „Waldenſer“,
ber zufälligen Wahrnehmung, daß auch in den walbenfifchen Ge⸗
meinden ſich „Brüder des freien Geiftes” fanden, abfichtlich oder
unabfichtlich deren Ideen als Theile des waldenfischen Glaubens-
befenntniffes bingeftellt haben.
Sie thaten das etwa mit demjelben Recht, mit welchem man
heute die Lehre des Darwinismus als Beftandtheil des Glaubens
der englifchen Hochkirche bezeichnen würde, weil viele Angehörige
diefer Kirche fich dazu bekennen.
Sp hat Schon Giefeler bemerkt, daß der Inquifitor Stephanus
de Borbone „ein Gemifch von waldenfifchen Lehren und folchen des
freien Geiftes als Lehrſyſtem der Waldenfer hinſtellt“i). Daffelbe
thut der Abt Tritheim in feinen Hirſauer Annalen, und andere
Duellen machen e8 ähnlich. Was von Gottespieniten, Cultusfor-
men u. ſ. w. der Sekte bes „freien Geiftes“ erzählt wird, ift in ber
Regel nichts anderes als eine Befchreibung der Gottespienfte ber
Walvdenfer, nur dag in dDurchfichtiger Tendenz anftatt Diefes Namens
der noch mehr compromittirte jener „Sekte“ eingeſetzt worden ift.
Die „Sekte des „freien Geiſtes“ ward von anderen auch bie
des „neuen Geiſtes“ genannt?), und da ift e8 num interefiant,
baß fein Geringerer als Johannes Tauler, deſſen fittlicher Adel
über jeden Zweifel erhaben ift, fich gelegentlich gegen den Vorwurf
vertheidigt, feine Rede fei die der „neuen Geiſter“. Wer die
Menſchen warnt und fie an den Tod erinnert, um fie zu befiern,
deß fpotten fie und fprechen: „Lug Dies find die neuen
Geiſter“9).
Daſſelbe Verfahren, welches Tauler hier ſchildert und welches
Stephanus von Borbone u. A. zur Anwendung gebracht haben, iſt
auch in jenem Straßburger Edikt beobachtet worden. Man hat ein
Gemiſch verſchiedenartiger Anſichten, welche die Kirche verdammt
hatte, zuſammengeſtellt und daſſelbe dann ohne Weiteres als Lehr⸗
„Ortliebarier“, „Wyklefiſten“, „Waltherianer“ u. ſ. w. Der letztere ift kein An⸗
derer als der zu Köln 1325 hingerichtete Walther, welcher angeblich bie „Sekte“
der Lollharben gegründet haben fol. Die gänzliche Untriftigkeit dieſer Aufftellung
bat ſchon Mosheim Histoire eccles. Yverdon 1776 Tom. Il. 499 nachgewiefen.
1) Giefeler KG. I. 2 ©. 643,
2) Preger Gefch. der deutſchen Myſtik I S. 207.
3) Ausgabe von 1521 fol. 77 Col. 1.
157
ſyſtem der „Sekte“ des freien Geiftes bezeichnet und deren innere
Zufammengehörigkeit mit „Begharden“, „Brüdern“ oder „Armen
Chriſti“ Turzweg behauptet!).
Welche Verwirrung durch ein folches Verfahren angerichtet wird,
fann man am beften aus den Confequenzen jehen, die fich daraus
ergeben. |
Das Edikt enthält nämlich unter Anderem eine Charakteriftil.
und wörtliche Wiederholung folcher Lehren, welche Meifter Edart
damals in Straßburg vorgetragen hat?). Edart war zu feiner Zeit
einer der berühmtesten Gottesgelehrten, eine Zierde und der Ruhm
des mächtigjten Ordens der Chriftenbeit. Nicht nur bie geiftige
Größe dieſes Mönchs ward von den Zeitgenofjen bewundert, fon-
dern auch feine fittliche Erfcheinung machte wegen ihrer Reinheit
und ihres Adels auf alle, die mit ihm in Beziehung traten, den
tiefjten Eindrud, Seine Schüler nennen ihn einen beiligen, einen
göttlichen Meiſter.
Wenn nun, wie e8 wahrjcheinlich tft, eben diefe Schüler auf
Grund jenes Edikts aus Straßburg ausgewiejen wurden?) und
wenn Edart ſelbſt anfcheinend im Iahre 1317 Straßburg verlaffen
mußte, follen wir daraus folgern dürfen, daß er mit ver „Sekte
des freien Geiſtes“ Beziehungen gehabt habe?
Auch wenn Edart fpäterhin nicht gegen derartige VBerbächtigungen
protejtirt hätte, würbe eine jolche Annahme von vornherein aus-
geſchloſſen fein. -
Es iſt unbeiwiefen, daß Eckart mit einer Partei, welche Die Lehre
des Chriſtenthums in der angebeuteten Weife entitellte, Verbindun⸗
gen unterhalten babe, unbewiefen auch, daß Die alteuangelifchen Ge-
meinden der „Brüder fich je mit den ihrem ganzen Shitem wider-
fprechenden Theorien Amalrih8 von Bena in irgend eine Trans-
1) Denfelben Weg bat die orthodoxe Polemik der eurialiſtiſchen Schriftfteller
aus nahe liegenden Gründen feit uralten Zeiten befchritten. So das befannte
Bert des päpftlichen Pönitentiars Alvarus Pelagins De planctu ecclesiae. Aus-
gabe von 1516 (Kal. Bibl. in Berlin) fol. CLXIX ff.
2) Eine fehr vollftändige Weberficht über bie Literatur bezüglich Eckarts (bis
1874) giebt Preger in der Allg. Deut. Biogr. V, 618 ff. — Bol. dazu Lütolf
in der Tübinger Theol. Duartalfchrift 1875 ©. 578 ff.
3) Vgl. Preger Gef. d. deutfchen Myſtik I ©. 351.
158
action eingelafjen hätten, aber e8 ift richtig, daß Meifter Edart
eben zu-diefen fogenannten „Waldenjfern” und deren
Apofteln in einem naben Verhältniß geftanden Hat.
Die Bulle Papſt Johanns XXI. vom 27. März 1329 wider
Edart bat die Frage, ob defien Lehre vom Standpunkt der römi-
fchen Kirche aus rechtgläubig fei, Har und endgültig dahin ent-
.ſchieden, daß dieſelbe als häretiſche Doctrin betrachtet werben
müſſei). Sie hat fiebzehn feiner wichtigften Lehrſätze für Tegerifch,
eilf weitere als der Härefie verdächtig erklärt. -
Im Jahr 1430 Hat auch die Tatbolifch-theologifche Facultät zu
Heidelberg Edartd Lehre ausbrüdlich und feierlich verdammt 2).
Wenn man die ganze Bedeutung der päpftlichen Entſcheidung
würdigen will, jo erwäge man, daß Edart Mitglied vesjenigen Or-
dens war, welcher auf feine Nechtgläubigfeit von jeher ftolz und
eiferfüchtig gewefen iſt. Eben auf diefem Auf berubte, wie oben
bemerft, das außerordentliche VBorrecht, welches die Päpfte dem Orden
gegeben hatten, indem fie gerade ihm ſeit dem 13. Jahrhundert die
Handhabung der Inquiſition übertrugen.
Meifter Edart war fein gewöhnlicher Ordensbruder. Vielmehr
hatten feit dem Sabre 1303 die Ordensoberen ihn durch die Meber-
tragung der ehrenvollſten Aemter ausgezeichnet. Nachdem er an
der berühmteften Hochſchule der Welt, in Paris, als Lehrer thätig
geweſen, Hatte man ihm, ver fich den Grad eines Meiſters ver
h. Schrift erworben, zunächft das Amt eines Provinzials in Sachfen,
dann die Verwaltung der großen und wichtigen böhmischen Or-
densprovinz al8 Generalvicar übertragen. Im Jahre 1312 fcheint
er als Lehrer an die Schule zu Stragburg verjegt worden zu fein.
Aber wenn er etwa damals bereits bei feinen Ordensoberen an
Bertrauen eingebüßt hatte, fo ward dies reichlich erſetzt durch ben
außerorbentlichen Auf, den er fich als Gelehrter und Prediger er-
warb. Zahlreich drängten fich die Schüler um ihn, und voll Be-
geifterung hingen fie an dem edlen Manne?),
1) Die Bulle bei Ripoll Bullarium Ordinis Praedic. Tom. VII und danach
bei Preger Geſch. d. veutfchen Myſtik I, 478ff. 2) Reufch Der Inder ©. 26.
3) Ueber den „untadeligen, ja erbaulichen Lebenswandel“ Edarts |. Lütolf
in der Tübinger Theol. Ouartalfchrift 1875 ©. 581.
159
Mit einem ſolchen Manne konnte die Kirche nicht wie mit ge-
wöhnlichen „Begharden“ verfahren. Nicht nur Edarts Auf, fon-
dern auch der des Dominikanerordens ftand auf dem Spiele.
Es ift ungemein bezeichnend, daß der Dominikaner Heinrich
von Herford, welcher die Bulle mittheilt, in. welcher Papft Johann
XXI. die Lehre Eckarts verdammt, den Namen Eckarts wegläßt und
ganz im Allgemeinen jagt, daß die Bulle gegen folche erlafjen wor-
den fei, welche die Lehren der „Begharden“ Hätten ftügen wollen!)
Dan könnte die Entfernung Edarts aus Straßburg außer
Zufammenhang mit dem Edift von 1317 finden, wenn nicht im
Sahre 1320, als er fih in Frankfurt aufbielt, fofort von Neuem
die Anklage auf verbächtige Verbindungen gegen ihn erhoben wor⸗
den wäre. Und zwar war dies keineswegs ein bloßes Gerücht, das
feine Feinde ausgeftreut hatten, fondern eine förmliche gerichtliche
Prozedur mußte gegen ihn eingeleitet werben.
Unter dem 12. Auguft 1320 richtete der Ordensmeifter Herveus
ein Schreiben an die Prioren von Worms und Mainz, Ioh. de
Lobiis und Philippus, in welchem er fie mit der Inquifition wider
Edart und einen gewiffen Dietrih von ©. Martin beauftragte.
Schwere Anklagen waren dem Ordensmeiſter, nach feinen eigenen
Worten, über verbotene Verbindungen, in welchen jene geftanden,
zu Obren gelommen?).
Das Generalfapitel des Ordens erließ im Jahre 1321 auf
Grund der jüngjten Erfahrungen ſchwere Androhungen gegen Die-
jenigen Mitglieder, welche mit Ketzern Umgang pflegen würden.
Unfere Quellen berichten uns nicht, welche Sentenz in Frank⸗
furt gefällt ward; aber es fteht feſt, daß Edart von dort ſchied
und nach Köln ging.
Hier traf es ſich nun, daß alsbald nach ſeiner Ankunft Erz⸗
biſchof Heinrich von Virneburg mit aller Energie gegen bie Köl⸗
nifchen „Ketzer einfchritt. Wir haben oben gefehen, daß der Wal-
denjer-Apoftel Walther diefem Prozeß zum Opfer fiel: Andere wurden
im Rhein ertränft, noch andere verbrannt.
1) Preger Abhandlungen d. II. Cl. d. K. B. A. d. W. 1869 Abth. II ©. 13.
2) Das Schreiben ift aus einer Frankfurter Handſchrift abgebrudt bei Pre—
ger Geld. d. deutſchen Myſtik I, ©. 352. — Val. dazu Lütolf a. a. DO. ©. 581.
160
In derfelben Zeit war e8, als der Erzbifchof entdeckte, daß
auch Meiſter Edart der Kekerei ſchuldig fei, und feinen Entſchluß
fund gab, denfelben vor das Inquifitionstribunal zu ftellen. Die
Suche erregte das größte Aufſehen, und als der Ordensmeiſter von
des Erzbiſchofs Vorhaben Kenntniß erhielt, traf er feine Maßregeln.
Es gelang wirklich, die Unterfuhung abermals in der Hand
des Ordens zu behalten. Der Dominikaner Nicolaus von Straß-
burg warb mit der Anftrengung des Prozeſſes beauftragt.
Das Refultat war, daß Edart freigefproden wurbe.
Hierüber war indeffen Heinrich von Virneburg, welcher die
Schuldbeweife in der Hand zu haben glaubte und, wie ber weitere
Verlauf des Prozeffes zeigte, wirklich in der Hand hatte, jo empört,
daß er wider alles geiftliche Necht ven einmal entichievenen Prozeß
gegen Edart wiever aufnehmen wollte. Ia, er citirte jegt nicht nur
den Eckart, fondern auch den Nicolaus von Straßburg vor fein
Tribunal.
Die Angeklagten machten dagegen von ihrem Hecht Gebrauch,
gegen ein jolches Verfahren zu proteftiren. Sie legten Berufung
ein an das höchſte Gericht zu Anignon, und es gelang, den Erz-
biſchof von feinem Vorgehen abzuhalten.
Aber jelbit in Avignon Tam.diefe Sache zunächſt nicht zur
Entſcheidung.
Dieſe Ereigniſſe erregten weit und breit in rechtgläubigen Kreiſen
einen Sturm der Entrüſtung; man war ſo feſt von der Schuld
Eckarts überzeugt, daß man ſogar wagte, ven Papſt ſelbſt der Be-
günſtigung eines Häretikers anzuklagen.
Wir beſitzen ein höchſt intereſſantes Dokument, welches von
den Häuptern ber ſtrengeren Partei des Franciskanerordens, Wil⸗
helm von Occam, Franz von Asculum, Heinrich von Thalheim und
Bonagratia von Bergamo herrührt und welches geradezu eine An⸗
Hagefchrift gegen den Papſt jelbft wegen der Edartichen Sache
darſtellt.
„Notoriſch iſt es“, ſagen die Genannten, „nicht minder bei der
‚Curie zu Avignon als in Deutſchland, daß Bruder Eckart vom Pre-
digerorven durch Wort und Schrift öffentlich und unzweideutig ver-
abicheuenswerthe und unerhörte Ketereien gelehrt und gepredigt hat...
161
Bekannt ift es auch, daß Bruder Edart eine große Menge bes
Volks in erwähnten Deutſchland und anderwärts zum Glauben an
diefe Kegereien und zur Ausbreitung derfelben verführt hat und
daß Bruder Nicolaus ein großer Gönner und Vertheidiger des er»
wähnten Bruder Edart, des offenbaren Ketzers, geweſen ift”1),
Sie verlangen deßhalb fategorifch, Daß die Verurtheilung Edarts
erfolge, und in der That erjchien denn auch unter dem 27. März
1329 jene berühmte Bulle, in welcher der Papft nach forgfältiger
perjönlicher Prüfung die Lehren Edlarts, wie oben erwähnt, für häre⸗
tiſch erflärt.
Es war ein ſchwerer Schlag für den Dominitanerorden und
eine glänzende Rechtfertigung derjenigen, welche, wie jene Francis-
kaner, von vorn herein den Edart für einen Ketzer erklärt batten.
„Der Mehrzahl der Dominikaner”, fagt Lütolf, „war die Verur⸗
theilung eines ihrer Brüder ficher nicht angenehm und fchwerlich
hätte man fie fo ſchweigend hingenommen, wären nicht Beweife im
Wege geitanden‘‘ 2).
Eckart ift, wie oben bemerkt, vielleicht der beveutendfte Vertreter
ber „Philoſophie Chriſti“, welchen Die Deutfche Nation hervorgebracht
hat). Kein mittelalterlicher Theologe hat dem menſchlichen Geifte
höhere Ziele geftect, Teiner von der Freiheit und Selbſtändigkeit
des Denkens einen kühneren Gebrauch gemacht al8 Edart.
Aber fo fehr er fich dieſe Freiheit wahrt, fo entfchieven hält
er an den Grundlagen der chriftlichen Lehre nicht aus conventios
nellen NRüdfichten, fondern aus freier Veberzeugung feſt. Er bat
die Frage von dem Wefen des Geiſtes und feines Verhältnifies zur
Natur in einer Weife ihrer Löfung entgegengeführt, welche den Ideen
Chriſti in jeder Richtung entſpricht und Genüge thut.
Es ift wahr, daß er mit feiner Philofophie das überlieferte
Dogma der römischen Kirche in den wichtigsten Punkten durchlöchert
bat, aber gleichzeitig tft e8 ihm gelungen, die urchriftlichen Elemente
1) Das wichtige Dofument ift abgebrudt bei Preger Gefch. der beutfchen
Myſtik I, 483.
2) Tübinger Theol. Duartalichrift 1875 ©. 603,
3) Eine kritiſche Ausgabe feiner Schriften giebt Pfeiffer Deutſche ‚nfier Bd. 11.
Keller, Die Reformation.
162
und bie tiefiten Gedanken Chrifti in um jo größerer Reinheit aus
der bogmatischen Umhüllung herauszulöien und ihren Wabrheite-
gehalt aufzuzeigen. Indem er feine religiöfen Ideen auf der Er-
fabrung aufbaut und fo von einer feſten Baſis der Philofophie
ausgeht, kommt er doch zu dem Schluß, daß die fo gewonnenen
Refultate mit der richtig aufgefaßten Lehre Chrifti wortrefflich über-
einftimmen.
Es ift eine geniale, jchöpferifche Kraft, Die und aus den Schhrif-
ten dieſes jeltenen Mannes entgegentritt — fchöpferifch nicht bloß
in Bezug auf die Ideen, die er vorträgt, jondern auch in Betreff
der Sprache, die er handhabt und die er für diefe Wiflenfchaft
erit gefchaffen Hat.
Es ift zu bevauern, daß das deutjche Volk fich dieſes Mannes
bis jegt viel weniger erinnert hat als folder Autoren, welche den
Stempel kirchlicher Nechtgläubigkeit mehr am fich tragen.
Während die Schriften des Thomas von Aquing in Deutich-
land zu Taufenden noch heute verbreitet werden, willen von Edart
faum wenige Gelehrte etwas Genaueres zu fagen.
Im Gegenſatz zu Anderen iſt Eckart der Vertreter einer ſpezifiſch
deutfhen Theologie. Die Lehre, wie er fie in eine Haffifche
Form gebracht Hat, tft nicht nur der Heimath ihres Autors und
dem fprachlichen Gewande nach eine deutſche, ſondern fie ift auch
mebr als irgend eine andere theologifche Ueberzeugung aus dem
deutſchen Geifte erwachfen und dem deutfchen Gemüth homogen
und ſympathiſch.
Und wenn die päpftliche Entfcheivung Recht hat, welche den
Edart den Kegern zuzählt — wie fie denn in ver That Recht bat —
jo fteht e8 feit, daß das Kegerthum für die Entwicklung des deutfchen
Geiſteslebens und für die nationale Cultur von grundlegender Wich-
tigfeit geworden ift.
Was die allgemeine Wirkung der Eckartſchen Ideen noch be
ſonders fteigert, tft Die Thatfache, Daß er das Haupt und ver Mittel-
punkt eines zahlreichen Sreifes von Schülern geworben ift. Dabei
find freilich nur Wenige mit der Begabung, der Conſequenz umd
dem Muth vorgegangen, die jener an den Tag gelegt bat; bie
meiften haben nur eine Art äußerer und äufßerlicher Antriebe von
163
ihm erfahren, aber immerhin ift er der Urheber von Impulſen ge
worden, von welchen alle die Parteien, die in fpäteren Jahrhun⸗
derten aus dem Waldenſerthum erwachlen find, mehr oder weniger
berührt worden find. Ä
Man pflegt die Literatur, die von Edarts Ideen getragen tft,
feit langer Zeit Turzweg dadurch zu Tennzeichnen, dag man fie Die
Literatur der „Gottesfreunde” nennt und fie zugleich in den
weitfchichtigen Begriff der „Myſtik“ einfchachtelt.
Eine nähere Betrachtung ergiebt indeffen, daß durch diefe Na⸗
men weder eine Hare Charakteriftif ver Tendenzen noch der Autoren
erreicht wird.
Der Begriff „Gottesfreund“ ift im 14. Jahrhundert ein Durch“
aus unbeftimmter. Männer, welche im Grunde auf fehr verfchie-
dener Grundlage jteben, werden in Bauſch und Bogen „Gottes-
freunde” genannt, fobald fie nur für gewiſſe Lieblingsvorjtellungen
der „Myſtik“ eine Hinneigung an ven Tag legen.
Auch der Begriff „Myſtik“ befördert Unklarheiten aller Art.
Dean bat Erzeugniffe, welche im Grunde nichts weiter als Lebens⸗
regeln für Bettelmönche enthalten, mit verjenigen Literatur, die wir
unten Tennen lernen werden und die ausgejprochen gegnerifch gegen
die Ideale der Mönche gefinnt ift, einfach zuſammengeworfen und
beide als „Myſtik“ bezeichnet.
Wenn man denſelben Namen für zwei Richtungen gebraucht,
die ſich zu ihrer Zeit auf das entſchiedenſte bekämpft haben, ſo wird
die Thatſache gänzlich verdunkelt, daß trotz gewiſſer Berührungs⸗
punkte im Grunde doch eine principielle Verſchiedenheit vorhanden
geweſen iſt.
Es ſteht hiſtoriſch feſt, daß man heute ſolche Männer unter
dem Namen „Gottesfreunde“ und „Myſtiker“ als eine religiöſe
Richtung zuſammenfaßt, von denen einzelne in dem großen Kampfe
zwiſchen dem Papſt und dem „ketzeriſchen“ Kaiſer auf des erſteren
Seite, die anderen auf des letzteren Partei ftanden!). Ein ſolches
° 1) Die neueren Forſchungen haben das unzweifelhafte Reſultat ergeben, daß
Tauler ebenfo wie feine Freundin Margaretha Ebner in dem Kampf mit bem
Bapftthum auf Seite des Kaifers Ludwig geftanden hat. S. den Beweis hier⸗
für bei Preger in den Abhandlungen ber II. Cl. d. K. B. A. d. W. zu München
11*
164
Verfahren beißt den hiſtoriſchen Thatfachen. einigen dogmatifchen
Beſonderheiten zu Liebe Gewalt anthun.
Aus diefen Gründen erkläre ich hier ausprüdlich, daß die nach«
folgenden Erörterungen Teine Charakteriftit der „Myſtiker“ im Alls
gemeinen ober der Gottesfreunde im weiteren Sinn enthalten follen.
Vielmehr können als wahre und ganze Schüler Edarts nur die⸗
jenigen Männer angejeben werden, welche, wie Johannes Tau»
fer, der fogenannte „Sottesfreund aus dem Oberlande“ u. A., nicht
bloß in einzelnen Auffaffungen, fondern in der gefammten Haltung
fih an Eckart angefchloffen Haben. So fehr Heinrich Sufo, Hein⸗
ri von Nördlingen, Chrijtina Ebner u. A. von Edart und Tauler
beeinflußt waren, jo find fie im Grunde doch von diefen ganz ver-
ſchieden. Edart, Tauler und insbefonvere der fogenannte Gottes-
freund aus dem Oberlande hängen unter fich auf das engfte zu⸗
fammen. Der erjtere war der Lehrer Taulers und Tauler jeiner-
feit8 unterhielt nahe Beziehungen zu dem großen Unbefannten aus
dem Dberlande, welchen viele Perfonen zu jener Zeit fih „an
Gottes Statt zu Grunde gelaffen”, d. 5. ihm Treue und Geborfam
zugefagt hatten, wie die „Brüder“, die man Waldenfer nannte, um
diefelbe Zeit fich ihren „Apoſteln“ zur Treue verpflichteten.
Unzäblige find heute guten Glaubens der Anficht, daß Tauler
nichts mit den „Häretikern“ zu thun Habe, und fie gründen dieſe
Meinung auf dejjen eigene Werke, die fie genau zu kennen glauben.
Aber was die Meiften von Zauler kennen, tft nichts Anderes als
die Ueberarbeitung, welche dem großen Prebiger von den Vertretern
der römischen Kirche zu Theil geworben ift.
Det der Bedeutung, welche Tauler erlangt bat, bat bisher noch
jede Richtung danach gejtrebt, ihn ganz oder zum Theil als ihren
Parteigenofjen in Anspruch zu nehmen. Die LQutheraner nennen
ihn einen Vorläufer der Reformatoren, vie Tatholifche Kirche ver⸗
Bd. XIV, 1 S. 43 ff. — Vgl, auch Preger Gef. d. deutſchen Myſtik II, 291. —
Ueber Margaretha Ebner Sympathien für Ludwig ſ. Strauch Marg. Ebner und
H. von Nördlingen. Freiburg 1882 ©, 32 u. 38,
165
breitet fortwährend Schriften, die Taulers Namen tragen, die aber
in Wirklichkeit nur ftarf „erpurgirte” Auszüge enthalten‘).
Die Wahrheit ift, daß ſowohl die ftrenggläubige Lutherifche
Orthodoxie des 16. und 17. Jahrhunderts als bie römifche Curie
durch faſt alle fpäteren Sahrhunderte hindurch den Zauler als
„Häretiker“ bezeichnet haben und daß diefer Vorwurf fo alt ift
als Tauler jelbft.
Schon in feinen eignen Schriften findet fich die Klage, daß
man die „Gottesfreunde“, zu denen er fich zählt, als „Sekte“
bezeichne,
Wenn die Guten fih fondern von den Schlechten, fagt er,
find das Selten? „Der Fürft diefer Welt bat jegt an allen Enden
gefäet das Unkraut unter die Rojen, fo daß die Rofen oft von den
Dornen verdrüdt oder fehr geftochen werden. Es muß eine Flucht
oder eine Ungleichheit oder eine Sonderung entſtehen, es jet in den
Klöftern oder draußen. Und das find feine Sekten, daß fi
Gottesfreunde ungleich ausgeben der Welt Freunden‘?
In einer Predigt, die er am 3. Sonntag nach Zrinitatis über
Luc. 15 bielt, fpricht er fich in höchſt intereffanter Weife über feine
und ver „Gottesfreunde” Stellung aus). Darin eifert er gegen
jene „kalten und fchläfrigen Menſchen“, die ſich darauf verlaffen,
daß fie alles gethan haben, „was die h. Kirche geboten oder ver-
boten bat“, Aber wenn fie auch alles dies gethan haben, fie wer⸗
den nicht Raft noch Ruhe finden in ihrem Herzen ewiglich, wenn
nicht „das ungeſchaffene ewige Wort des himmliſchen Vaters‘ fie im
Innern erneut und wahrhaft neu geftaltet. Anftatt deſſen wiegen
fie fich in falfche Ruhe und fprechen: „Wir find in einem hei—
Itgen Orden und haben die h. Geſellſchaft und beten und leſen“.
„Dieſe blinden Menſchen meinen, daß das koſtbare Leiden unfers
1) Dies ift Schon feit der Kölner Ausgabe von 1543, die Peter von Nymwegen
beforgt bat, nachweisbar. Die Grundſätze, welche Peter in dieſer Richtung ge=
handhabt Hat, find ſehr inftructiv. Vgl. C. Schmidt Joh. Tauler ©. 70f. —
Peters Ausgabe Tiegt dann faft allen fpäteren katholiſchen und fonderbarer Weife
auch ſehr vielen Iutherifchen Nachdrucken zu Grunde Da ift denn freilich von
Taulers wahren Geficht recht wenig mehr zu erfennen.
2) Taulers Predigten Ausg, v. 1521 fol, 129,
3) Predigten a. O. fol. 76 ff.
166
Herrn Jeſu Ehrifti und fein theures Blut aljo mit Spielen ſoll
hingehen ohne Frucht. Nein, Kinder, nein, e8 geht nicht alfo”.
„Wer dann aber kommt und warnt fie der greulichen Angft, in
ber fie leben und wie fie mit Sorgen fterben werben, deſſen ſpotten
fie und fpredden: Es ift eines Begharden Rede’. „Das
thun fie denen, die da ungern ſehen ihres Nächiten Unglüd und
fie davon weifen auf die vechte Straße”.
Der gleihe Zug gebt durch die meiften feiner Prebigten bin-
durch. In einem Vortrage, den er über Mattb. 15 hielt, Magt er
die Geiftlihen an, „die fich felber für gut halten und Halten viel
von fich feldft und ſtehen dazu auf ihren Sägen und Weifen und
balten ihre Gewohnheiten für das Wefen aller Dinge”. Das
find die „Phariſäer“, und dieſe find es, fügt er binzu, „Die da
vernichten die Freunde Gottes" N),
In Webereinftimmung mit Taulers gleichzeitigen Gegnern bat
im Beginn des 16. Jahrhunderts auch Dr. Ed die Rechtgläubig-
feit des großen deutſchen Predigers für verpächtig erflärt und im
Sabre 1556 behauptete der berühmte römiſch⸗katholiſche Theologe
Melchior Cano geradezu, dag Johannes Tauler die Lehren ‚einer
Sekte vortrage‘ 2) und deßhalb ververblich ſei. Zwanzig Iahre fpäter
verorbniete der General der Jeſuiten Everard Mercurian wörtlich
Folgendes:
„Auch ſollen gewiſſe Spiritualen, welche unſeren Abſichten
weniger gleichkommen, als da ſind Tauler, Rusbroeck, Heinrich
Suſo u. ſ. w. und ähnliche ihrer Art den Unſrigen nicht erlaubt
werben. Nichts von deren Büchern foll irgendwo in unferen Col⸗
legien aufbewahrt werben, e8 ſei denn mit dem Willen des Bater
Provincialis‘ 3).
Ya, im Jahre 1590 ließ Papſt Sixtus V. Taulers Pre-
dDigten auf den Inder der verbotenen Bücher fegen und
1) A. a. O. fol. 248,
2) Reufch Der Inder der verbotenen Bücher. Bonn 1883. ©. 589.
3) „Neque spirituales quidam, qui instituto nostro minus conveniunt, nostris
permittantur, quales sunt Taulerus, Rusbrochius, Henr. Suso etc. et alii
hujusmodi. Nihil vero horum librorum uspiam servetur in nostris collegiis
nisi ex P. Provincialis sententia“. Friedrich Beiträge zur Geſch. b. Jeſuiten⸗
ordens. 1881 S. 47.
167
e8 wäre verfehrt, anzunehmen, daß diefer Beichluß etiva nur der
perjönlichen Antipathie des PBapftes entiprungen fei!). In Ueber-
einftimmung Hiermit fehrieb der Carbinal Alexander von Efte am
25. Suli 1603 an P. Maeſtro Tommado zu Florenz: „Die Carvinäle
der Inder-Eongregation erwarten die ihnen aufgetragene Erpur-
gation (censura) der Werke Taulers und Saponarolas, damit
fie gemäß den Regeln des Inder approbirt werben‘'2).
Wenn uns alle Schriften Taulers erhalten wären, dann würbe
es fich zeigen, daß ſowohl die Iutherifche wie die katholiſche Kirche
von ihrem Standpunkt aus den großen Prediger und feine Freunde
mit vollen Rechte als „Ketzer“ bezeichnet haben.
Aber leider find eine Anzahl Schriften und gerade diejenigen
vernichtet worden, welche von dem Verhältniß zwifchen Staat und
Kirche und anderen wichtigen Fragen handeln und worin Tauler
lehrte, daR geiftliche Obrigfeit und weltliches Schwert „feines mit
dem Andern zu thun hätte“ 3). Der PBapft befahl, wie die Chronik
berichtet, diefe Bücher zu verbrennen, „und follten ſolche Bücher die
Geiftlichen noch die Laien beim Bann nicht leſen“. Biſchof Berthold
von Straßburg ließ um das Jahr 1348 wirklich die Bücher aufs
beben, und es iſt kein Wunder, daß fie nicht erhalten find.
„Als Kaifer Karl IV. nad Straßburg kam“ (1348), fo erzählt
die Chronik, „da gebot man den Gottesfreunden, wider die chrijt-
liche Kirche und den Bann nicht mehr freventlih zu handeln; in-
fonder® wurden Artikel, die aus ihren Schriften gezogen waren,
verboten und für ketzeriſch erklärt",
Zauler mußte um das Jahr 1350 die Stadt räumen und
anderwärts eine AYufluchtsftätte fuchen. Heinrich von Nördlingen
fohrieb an Margaretba Ebner: „Bittet Gott für unferen lieben
Bater, den Tauler; der ift auch in großen Leiden, weil er Die
Wahrheitlehrt und ihr nachlebt, jo gänzlich wie-ich einen weiß" *).
Die Familie Taulers erjcheint im Jahre 1313 als rathsfähiges
Geſchlecht in Straßburg. Johannes war wohlhabender Eltern Kind
1) Reufh a. O. ©. 523. 2) Reufh a. O. ©. 370.
3) Riezler Die lit. Widerfacher der Päpfte S. 280,
4) Derſ. Die lit. Widerſacher ©. 232.
168
und es ift nabeliegend anzunehmen, daß e8 eine alte Samilienver-
Bindung war, welche den Straßburger Patrizier Rulman Merſwin,
ven wir fennen lernen werden, und Johannes Tauler zu inniger
Freundſchaft zufammenführte.
Es ift ungewiß, wann Tauler in den Dominilanerorden ge-
treten iſt. Es jcheint in einer Zeit gejchehen zu fein, wo er ein
majorennes Alter noch nicht erreicht Hatte. ‘Denn er thut gelegent-
lich die merkwürdige Aeußerung: „Hätte ich gewußt, als ich noch
Sohn meines Vaters war, was ich jegt weiß, ich wollte nicht
des Almofens gelebt haben‘ 1).
Seine Jugend fällt in die Jahre, wo Meifter Edart in Straß-
burg lehrte, und es fteht feft, daß Tauler ihn als feinen Lehrer
verehrte. Wenn irgend ein Mann, jo war Edart dazır geeignet,
auf jugendliche Gemüther einen unauslöfchlichen Eindrud zu machen.
Johannes Tauler fcheint feine Thätigkeit als Prediger in jenen
Sahren begonnen zu haben, wo zu Straßburg die Anhänger Kaiſer
Ludwigs, befonders die Werfleute und die Gilden, über ihre und
Ludwigs Gegner einen vollitändigen Sieg davon getragen batten.
Im Jahr 1332 war es zum offenen Kampfe in der Stadt gefom-
men und Straßburg war von da an in den Händen. ber antipäpft-
lichen und antibifchöflichen Partei. .
Jetzt waren die Männer, welche Bifchof Johann im Jahre 1317
als feine Feinde aus der Stadt getrieben Hatte, die natürlichen '
Verbündeten der fiegreichen Werkleute, und alle Schüler Edarts,
Darunter auch Tauler, fttegen naturgemäß an Anfeben und an Ein-
fing. Bald erjcholl der Ruhm feines Namens über ganz Deutjch-
land und weit darüber hinaus; beſonders aus Südfrankreich und
Italien dringt in den uns erhaltenen Briefen des Bruders Ven⸗
turint aus Bergamo feit 1336 fein Lob zu ung berüber.
Es iſt wahr, daß die Schriften Zaulers, welche auf uns ge
tommen find, im Ganzen rubig und gemäßigt gehalten find und
eine „ketzeriſche“ Gejinnung nicht berausfehren.
Dabei muß inbefien berüdfichtigt werben, daß, wie wir ſahen,
jofort nach Zanlers Flucht aus Straßburg und der Niederlage feiner
1) D. 5. er würde nicht in einen Bettelorden eingetreten fein. Basler Ausg.
von 1521 fol, 1206,
169
Bartei im Jahre 1348 alle Diejenigen feiner Schriften, welche häretifch
ſchienen, auf Befehl der geiftlichen Behörden aufgefucht und ver-
nichtet worden find!).
Sodann aber hat Zauler (ebenjo wie Edart) feinen religiöfen
Srundfägen gemäß in den von ihm veröffentlichten Schriften ganz
abfichtlich alle dogmatiſchen Zänfereien vermieden. Ihm kam es
nur darauf an, die höchften und allgemeinften Geſichtspunkte bes
Ehriftentbums zum Zwed der Beſſerung der Menfchen ſtets von
Neuem in Erinnerung zu bringen; theologifche Streitfragen zu
discutiren überließ er den „Schriftgelehrten” und felbft da, wo er
zur Polemik gezwungen war, that er es in einer Weife, welche,
wenigjtens der Form nach, durchaus gemäßigt war.
Einer der Punkte, gegen welche fih am häufigften fein Eifer
wendet, find die „auswendigen Uebungen“, durch welche die Men-
ſchen fäljchlih wähnen, die Seligfeit und alle Höchften Güter zu
erwerben. Zu folchen „Werken“ rechnet er die Fahrten, welche die
Menfchen „nach Rom oder nach Avignon oder nach Jeruſalem“
machen, um dort die Gnade zu fuchen. Wenn fie wiederlommen,
find fie allzumal „unfinnig und rafende Köpfe”. „Willſt du aber
dem vechten Wegleiter (Chrifto) folgen, jo weifet er dich in Dich
jelber”. Kaum aber find ihm diefe Worte entjchlüpft, fo fügt er
mäßigend und abjehwächend Hinzu: „Dies fpreche ich nicht Darum,
daß ich dir die Romfahrt wehre; denn dies ift verboten von den
heiligen Päpften. Gingeft du aber in dich jelber, wo das Reich
Gottes in Wahrbeit ift, fo fändeft du Avignon und Rom und Ablaß
aller Schuld und das Subeljahr fröhlicher, denn e8 all die Heilige
Chriſtenheit von Anfang der Welt bis ans Ende der Welt je finden
mag in auswendigen Werfen”?
Sn derſelben Weife fpricht Tauler fich gegen Diejenigen aus,
welche im Mönchtbum etwas Verbienftliches ober gar das höchſte
Ziel der Heiligkeit erblicken. Im einer Predigt, die er zu Mariä
Geburt gehalten Kat, fagt er: „Daß du des Tages zu zehn Dial
beichteft, das Hilft dich alles nichts, du wolleft denn ablafjen”. „Der
1) Eine neue ritifche Ausgabe von Taufers Werten wäre in hohem Grade
zu wünſchen.
2) Wadernagel, W., Altdeutſche Prebigten u. Gebete Baſel 1876 S. 594.
170
Orden mat auch nicht felig noch heilig. Weber meine Kappe noch
meine Platte, noch mein Klofter, noch meine heilige Gefellichaft, das
Alles macht mich nicht heilig . ... Nein, nein, es gehört Anderes
dazu; betrügft du dich, der Schaden fei dein und nicht mein‘ N).
Und in einem anderen Vortrag äußert er: „Man findet manche
Menschen, die das Kreuz wohl auswendig tragen mit guter aus⸗
wendiger Uebung und tragen eine Bürde eines Ordens. Gie
fingen und lefen und gehn zum Chor und zum Refektor und thun
unjerm Herrn alfo einen fchmalen Dienft mit ihrem äußeren Men⸗
ſchen. Wähnet ihr, dag euch Gott darum gefchaffen und gemacht
hab allein, dag ihr feine Vögel fein, er wollte auch fein ſonderlich
Gemahl und Freunde an euch haben. Nun, Ddiefe tragen das
Kreuz auswendig, aber mit allem Fleiß hüten fie fich, daß es nicht
in fie fomme” 9. Nachdem Tauler jo ganz unzweideutig die Prin-
cipien der Gottesfreunde über diejenigen der Mönche geftelit,
fügt er befchwichtigend binzu: „Aber es ift Doch faft gut, daſſelbe
(das Aufere Kreuz des Ordens) tragen, es behütet fie wohl vor
mancher Untugend und Leichtfertigteit”‘.
Zur Charakteriftif von Taulers hervorragender Begabung fei
eg mir geftattet, die treffende Schilderung Denifles hier wieberzu-
geben: „Ihm mangelt es nie an hoher Kraft”, jagt jener, „fei es,
dag er von der Vereinigung der Seele mit Gott fpricht, ſei es, Daß
er feine Zubörer zur Buße ermahnt. Hart und unerbittlich ift er
dem Beifpiele Chrifti gemäß bloß gegen bie Pharifäer, aber auch
nur gegen fie. Tauler ift ein Mann großer Leivenfchaften, fonft
wäre er ja kein großer Dann, aber er verfteht e8 immer, dieſelben
gleich feurigen Roſſen zu bändigen und mit ficherer Hand am Zaune
zu führen.... Zauler ift geradezu zum Typus geworden hoher
Kraft gepaart mit Innigfett‘3),
Es ift eine ſehr umfangreiche Literatur erhalten, welche ſich an
die Namen Meifter Eckarts und Iohannes Taulers anfchließt. Die
meiften Schriften, die und anonym überliefert find, werden unter
1) Basler Ausg. von 1521 fol, 146=.
2) A. O. fol. 1528 (col. 1).
3) Quellen und Forſchungen Bd. 36 ©. 72,
171
dem Begriff „myſtiſcher“ Tractate in der Literatur mit den Werfen
jener Männer zufammengefaßt.
Nun haben wir oben bereit$ gefehen, Daß aus diefer anonymen
Literatur felbft ſolche Schriften, die man zeitweilig für Geiftespro-
dukte Edart8 oder Taulers hielt und unter deren Namen publi-
cirte, nicht dieſen, ſondern ungenannten Apofteln der Waldenfer
zuzufchreiben find.
Sollte e8 nicht möglich fein, daß noch weitere Buůcher derſelben
Quelle entſtammen?
Angeſichts der Thatſache, daß man bei „Leerifchen" Schriften
in der Regel eine „Erpurgation” vorausfegen muß, tft es nicht
leicht, den wahren Sachverhalt Har zu ftelflen. Doch dürfte eine
vorfichtige Unterfuchung Anhaltspunkte genug finden.
Um nur eins zu erwähnen, jo ift e8 nicht unwahrfcheinlich,
daß zu diefen überarbeiteten Produkten der Waldenferliteratur auch
jene berühmte Fleine Schrift des 14. Jahrhunderts gehört, welche
im 16. Jahrhundert eine jo außerorbentliche Wirkung in Deutſch⸗
land hervorgebracht hat, nämlich die Abhandlung, welche früher dem
Joh. Tanler zugefchrieben wurde und die von Luther unter dem
Titel „Deutſche Theologie‘ Herausgegeben worden ift.
Die Gründe, welche für Diefe Annahme fprechen, werden zum
Theil erſt im weiteren Verlauf unjerer Unterfuchung klar werben.
Jedenfalls ift e8 beachtenswertb, daß mar von römiſch⸗katho⸗
liſcher Seite die lateiniſchen Ueberſetzungen diefer Schrift auf den
Inder fegen zu follen geglaubt bat. Es find im Jahr 1621 ſo⸗
wohl die Ueberfegung, die bei Chriſtian Plantin zu Antwerpen im
Jahr 1558, wie diejenige, welche im’ Iahr 1580 zu Lyon im Drud
erfehienen waren, verboten worden. Schon im Jahr 1580 hatte
Blantın Angriffe abzuwehren, die gegen ihn aus Anlaß dieſes Druckes ˖
gerichtet worden waren !).
Außerdem mag daran erinnert werben, daß das Werkchen nach
dem Wortlaut der handfchriftlich überlieferten Vorrede von einem
„Gottesfreund“, der ehemals ein Deutfchordensherr geweſen, verfaßt
1) Reufch Der Inder ©. 604. — Es muß allerdings bemerkt werben, daß
die römifche Kirche das Blichlein nicht confequent verurtheilt hat, ſondern zeit-
weilig geneigt war, daſſelbe paſſiren zu laſſen.
172
worben ift.. Die nahen Beziehungen der Walvenfer zu dem deutſchen
Orden wie zu den Iohannitern werden wir unten Tennen lernen.
Wenn man weiß, daß die „Apoftel” in einem fortwährenden
Kampfe Iagen mit einzelnen Perfonen, welche in falſchem Pan⸗
theismus den chriftlichen Ideen eine mißverſtandene Auslegung gaben
— es find dies die fogenannten „Brüder des freien Geiſtes“ —
fo gewinnt der Zufag unjerer Vorreve, daß das Büchlein Iehren
wolle, „wie man erfennen möge die wahrhaften, gerechten Got-
tesfreunde und auch die ungerechten, falfchen freien Geifter‘ eine
befondere Bedeutung,
Beſonders charakteriſtiſch aber ift die nachfolgende Wendung
bes Borworts: „Dies Büchlein hat der allmäcdhtige ewige
Gott ausgefproden durch einen weifen, verftändigen,
wabrhaftigen, gerechten Menjchen, feinen Freund“,
Es Tiegt darin unzweifelhaft eine Anfpielung auf die walden⸗
fifche Ueberzeugung, daß Die Schriften, welche die „Apoſtel“ verfaßt
hatten, eine befondere Autorität befäßen.
Es läßt fich nachweifen, daß der obige Zufag von den „Brü⸗
dern” ſolchen Büchern, welche bei ihnen das hochſte Anſehen ge⸗
noſſen, gern beigefügt ward.
So hat eine unbekannte Hand dem Büchlein von den „Neun
Felſen“ eine Schlußbemerkung angefügt, welche in Inhalt und Form
der Vorrede der „Deutjchen Theologie” ungemein ähnlich ift. Auch
hier wird der Verfaſſer ganz abfichtlich verfchleiert. „Niemand darf
noch ſoll fragen, wer der Menfch war, durch den Gott dies Bud
gefchrieben hat’. „Gedenket durch Gott des armen Menfchen, durch
ben Gott diefe warnende Lehre geichrieben hat“ 1).
Indeſſen Tann die Frage nach der Urheberfchaft der „Deutjchen
Theologie” an dieſer Stelle nur angeregt, nicht entſchieden werben.
Für unferen Zwed genügt e8, zu willen, daß die Grundgebanten
dieſes Büchleins mit denjenigen der „Gemeinden Chriſti“ durchaus
übereintommen und daß der Zuſammenhang, in welchen das Bud
früher mit Tauler gebracht ward, auf der inneren Verwandtſchaft
mit diefem beruht.
1) &. Schmidt Das Buch von den neun Fellen S. 147.
Siebentes Capitel.
Das Merſwinſche Beghardenhaus zu Straßburg.
Die Zuftände im Neich feit 1348. — Das Gefchleht der Merfwine und bie
Beghinen. — Rulman Merfwin (geb. 1308). — Er ftiftet ein „Fluchthaus“
oder „Gotteshaus“. — Deſſen Leitung erhält ein „Sottesfreund‘. — Das
Gotteshaus geht in die Hände des Johanniterordens über, — Der „Gottes⸗
fremd‘ übermittelt dem Gotteshaufe eine reiche Literatur. — Diefe Literatur
ift erhalten. — Bedeutung und Charakter der erhaltenen Schriften.
Es war feit dem Tode Kaiſer Ludwigs und der Thronbefteigung
Karls IV. im Jahre 1348 eine fchwere Reaction über Deutſchland
hereingebrochen — eine Reaction, welcher manche Blüthe des geiftigen
Lebens zum Opfer gefallen ift.
Bereits im Frühling 1346 waren König Johann von Böhmen
und fein Sohn, Markgraf Karl, in Avignon gewefen und e8 war
dort zwifchen Erfterem und dem Papſt Clemens VI. ein Abkommen
über die Kaiſerwahl getroffen worden.
König Sohann und fein Sohn erfüllten alle Bedingungen,
welche die Curie ihnen auferlegte, gegen Die Zuficherung der päpft
lichen Unterftügung bei Der bevorſtehenden Wahl. Die Bulle Unam
Sanctam wurde durch einen deutſchen König und Tünftigen Kaifer
officiell anerkannt und in die politifche Ordnung der abendländi-
ſchen Welt eingeführt.
Die Unterwerfung war fo vollftändig, daß die Italiener es
laut ausfprachen, diefer Karl von Mähren ſei ein „Pfaffenkönig“,
und ſelbſt in Avignon ſoll die Rede gefallen fein, er fei ein Mieth-
ling und Botenläufer‘).
1) Höflee Die avignoneſiſchen Päpfte S. 44.
174
Im Jahre 1353 wurde von Papft Innocenz VII der Domis
nilaner Johannes de Schandeland mit umfafjenden Vollmachten zu
dem ausdrüdlichen Zwed nach Deutfchland gejchieft, um die „Peſt“
‚ver Teterifchen Begharden aus dem Schooß der h. Kirche auszuftoßen.
Bald darauf folgten die ſchärfſten Mandate geiftlicher und welt-
licher Fürften. Aber bei den Edieten blieb es nicht; alles, was ver
bächtig war, wurde eingezogen und weit über das deutſche Land fah
man die Scheiterhaufen lodern !).
Nur in einzelnen Reichsſtädten, wo man den Wandel der Zeiten
nicht fo vafch mit machte, fanden die „Brüder“ fortbauernd eine
ſtille Duldung, zumal in der Metropole des Oberrheins und bem
Hauptfite des Ketzerthums, in Straßburg, und die Entwicklung,
welche die Dinge Bier nahmen, ift dann von ganz erheblicher Be
deutung geivorben.
Denn Straßburg tft e8 gewefen, wo fich unter eigenthümlichen
Berhältniffen eine wichtige und umfangreiche Literatur entwidelt
und erhalten bat.
Diefelbe ift, wenigjtens zum Theil, in der Gegenwart bekannt
genug. Aber indem man fie unterfchievslos in den allgemeinen
Begriff der „Myſtik“ Hineingezwängt bat, ift ihr fpecifiicher Charal⸗
ter ganz überjehen worden.
Es muß Hier leider hervorgehoben werden, daß auf dem Ge
biete der fogenannten „deutſchen Myſtik“ trog mancher vortrefflicher
Forſchungen eine große Verwirrung vorhanden ift. Es berrfcht vor-
läufig eine folche Unficherheit in Betreff der Autoren der einzelnen
myſtiſchen Schriften?) und ein ſolcher Mangel an guten Texten,
dag die Zuſammenwürfelung ganz beterogener Geijtesprodufte, bie
ung in späteren Jahrzehnten gewiß unbegreiflich fcheinen wird, heute
noch zu den alltäglichen Vorkommniſſen gehört.
Die Literatur, welche wir hier im Auge haben, erhält ihr ganz
beftimmte8 Gepräge durch den Umstand, daß ihre Entjtehung wie
ihre Gefchichte mit derjenigen des Merſwinſchen „Gotteshaufes” zu
1) Die Einzelnheiten bei Moſsheim De Beghardis ©. 324 ff.
2) Vgl. Denifle Das Buch von geiftliher Armutb Münden 1877 ©.1.
„Maucher deutſche Myſtiker würde bezüglich feiner Lehre in einem andern Lichte
erjcheinnen, wenn die untergefehobenen Schriften von dem echten ausgefchteben wären“.
175
Straßburg, welches anfangs den Charakter eines „Begbarbenhaufes‘
trug, ſpäter aber, anftatt (wie die übrigen Häufer) an die Tertiarier
bes Franciskanerorden, an bie Sohanniter überging, auf das engjte
verfnüpft ift.
In Straßburg hatten, wie in anderen Stäbten, die „Brüder“
ihre vornehmfte Stüße in den Werkleuten und Gilden beſeſſen.
Aber feit alten Zeiten waren auch eine Reihe von vornehmen Ge⸗
ichlechtern Mitglieder der Partei gewefen, wie wir oben bereits ge»
ſehen haben. Im Jahre 1229 ward ein gewiffer Gulden ver-
brannt, welcher, wie die Chronik berichtet, einer der angejehenften
und reichiten Bürger Straßburgs gewejen wart). Ebenſo war hier
wie anderwärts die Beziehung der Begharden und Beghinen zu
den „Brüdern“ von je fehr innig; denn ums Jahr 1400 war
unter den verurtbeilten „Waldenſern“ auch die „Meiſterin“ eines
Schweiternhaufes 2).
Nun war zu Straßburg um das Jahr 1266 ein Gefchlecht
eingewandert, welches den Beinamen Delphinus befaß und Daher
wahrfcheinlich aus dem Delphinat ftammte, Die Familie verbeutfchte
in fpäterer Zeit ihren Namen und nannte ſich Merjwin (Merjchwein).
Es war ihr gelungen, fich einen ausgezeichneten Play unter den
älteren Gefchlechtern zu erwerben.
Der Name der Familie war feit alten Zeiten in Straßburg
mit vielen frommen Stiftungen verknüpft. Noch im Jahr 1509
wird in allen Dofumenten „ber Merſchwin Gotzhus“9) erwähnt,
eine Stiftung, welche in anderen Quellen‘) al8 Beghinenbaus
bezeichnet wird, das von den Merſwins begründet worden war.
Es verdient Beachtung, daß der urjprünglich waldenfifche Ausprud
„Gotteshaus“ fich bis in jene fpäte Zeit erhalten hat.
Diejer Familie gehörte Rulman Merſwin an, welcher um das
Jahr 1308 geboren zu fein fcheint.
1) Chron. Dominic. Colmar. bei Urstitius II, p. 6. Im Jahre 1230 war
ein Hugo Gulden Schöffenmeifter von Straßburg.
2) Rohrich Ztſchr. f. Hit. Theol. 1840 I. S. 145 u. 152.
3) &. Schmidt Ich. Tauler 1841 S.187 Anm. A aus Seb. Mungs Coll.f.761.
4) Röhrih Ztſchr. f. Hiftor. Theol. 1840 I, ©. 136 Anm. 41 aus Schöpflin
Alsatia illustr. II, 657.
176
„Während andere im Waffendienfte glänzten‘‘, fo erzählt bie
Chronik, „oder nach politifchen Würden ftrebten, hat Rulman fich
ganz und gar der Wiflenfchaft von dem Ewigen gewidmet, zumal
feit der Zeit, wo feine Gattin von ihm getrennt war”. „Er war
ein Dann von einfach ftiller Weife, beiteren Gemüths, liebens⸗
würdig im Verkehr und von zart befaitetem Gewiſſen, deſſen Leitung
er in die Hände Johannes Taulers, des berühmten Mannes, ge-
legt hatte“.
Nachdem er ſich von den Geſchäften zurückgezogen, lebte er nur
der Aufgabe, mit ſeinem großen Vermögen und ſeinem Wiſſen ſeinen
Mitmenſchen zu dienen.
Wir willen, daß er vielerlei geheime Verbindungen beſaß, be⸗
fonder8 in der Schweiz, am Rhein und in Süpfranfreich N).
Nah dem Beifpiel feiner Vorfahren faßte er den Entſchluß
eine Stiftung zu machen.
Er ging darüber zu Rathe mit einem „Gottesfreunde” 2), deſſen
Namen uns nicht überliefert ift, und dieſer berichtet gelegentlich in
einem Briefe vom 24. April 1377 über die Conferenzen, die bef-
wegen zwifchen Rulman und ihm gehalten worven feien?). „ALS
wir ebemals zu manchem Male bei einander waren und oft und
viel gedacht hatten, daß es uns durchaus nicht wohlgefiel, daß man
neue Klöfter made, verwarfen wir e8 in unferem Sinne ganz
und gar und unfere Meinung war alfo, finde man Berjonen, bie
in ein Klofter gehörten, fo finde man erft recht der Klöfter genug.”
1) Ueber die Verbindung Benturinis (von Avignon) mit den Gottesfremm-
ben f. Preger Geſch. d. deutſchen Myſtik II, 301. Weber deffen Conflikte mit ber
Eurie . a. a. O.
2) Ich will hier gleich bemerken, daß ich den Unterſuchungen Denifles über
Merſwin und den „Gottesfreund“ (ſ. Ztſchr. f. deut. Alterth. 1880 S. 200 ff.
©. 280 ff.; ebend. 1881 ©. 101 ff.) nach ſorgfältiger Nachprüfung inſofern voll⸗
kommen beiftimme, als bie bisher verfuchten Wege, den Namen bes „Gottes⸗
freundes“ feftzuftellen, al8 mißlungen zu betrachten find. Dagegen balte ich ben
von Denifle verjuchten Nachweis, daß Merfwin und der Gottesfreund eine
Perſon find, nicht für erbracht. So lange dies nicht geſchehen ift, bleibt bie gut
bezeugte Verſchiedenheit beftehen und forbert eine Löfung des Problems — Auf
die umfangreiche Literatur über den „Gottesfreund im Oberlande‘ werben wir
unten binweifen.
3) C. Schmidt Nicol. v. Bafel ©. 303.
177
Die beiden Freunde waren der Anficht, daß es beſſer fei, anftatt
beffen „ver Noth der Armen zu Hülfe zu kommen“).
Schließlich kamen beide Männer überein, „ein Haus der Flucht
für ebrbare, gutherzige Männer, Pfaffen oder Laien, Nitter oder
Knete zu gründen, die in göttlicher Meinung die Welt zu fliehen
und ihr Leben zu befleren verlangen”, und es tft merfwürbig, daß
ver „Sottesfreund” in einem Schreiben an Rulman vom 1. Aug.
1377, wo er gelegentlich auf die erften Berathungen zurüdtommt,
bie neue Stiftung felbft ein „Gotteshaus“ nennt?)
Diefelde trug mithin in ihrer erften Zeit fogar den Nanten
verjenigen Häuſer, die man fonft Begbardenhäufer nannte,
Mit dem „Gotteshaus war zunächft Feine im Gebrauch be-
findliche Kirche verbunden, fondern die Andachten wurden in einer
Rapelle abgehalten.
Erft in fpäterer Zeit, al8 das Haus an den Iohanniterorven
übergeben worden war — wir werben fofort darauf zurüdtommen —
begann diefer eine Kirche zu errichten.
“Die Correipondenz, welche über diefen Neubau geführt ward,
enthält fo charakteriftifche Punkte, daß Durch fie ein helles Licht auf
bie Männer fällt, welche an der Stiftung betbeiligt waren.
Es geht nämlich aus den Briefen unferes Gottesfreundes her⸗
vor, daß er ein entjchievener Gegner fteingewölbter Kirchen ift
und den Bau „großer Münfter mit Toftbaren Gemwölben‘ dringend
wiberräth. j
Am 24. April 1377 fchreibt er an den Comthur des Haufes
zu Straßburg in Bezug auf den Kirchenbau, den die Johanniter
damals vorbatten, ver Bau jet ohne den Rath des h. Gelftes unter-
nommen, er fei von der verborgenen Eitelleit eingegeben, e8 anderen
Orden zuvorzuthun. Gott babe ſolchen Stolz häufig beftraft; „ihr
jollt wiffen, daß ich es in dreißig Jahren in vielen Landen und
Städten geſehen babe — demnach war der „Gottesfreund im Ober-
land‘ 30 Jahre Yang durch Länder und Städte gewandert wie bie
älteren Gottesfreunde — „wie Gott an diefen blinden Unterneb-
1) Schmidt a. O. ©. 36. — Ueber die weitere Entwidlung der Sade zu
einem Iohanniterconvent |. unten.
2) C. Schmidt Nic. v. Bafel ©. 318.
Keller, Die Reformation, 12
178
mungen fich gerächt bat; ich Habe große Münfter gefeben mit
dicken Mauern und koftbaren Gewölben, die Durch Das Erbbeben
umgeftürzt worden; einfache, von Holz gebaute Kirchen find
dagegen ftehen geblieben; dar um rathe ich euch aus gättlicher
Liebe, bauet auch nur ein hölzernes Gewölbe"!
Nun haben wir oben bereits gejehen, Daß zu den fpecififchen Eigen-
thümlichkeiten der altevangelifchen Gemeinden, die man „Waldenfer
nannte, eben diefer Widerwille gegen fteingewölbte Kirchen gehört 2).
Wir haben einzelne der Erwägungen, aus welchen diefe Son-
derbarkeit hervorging, fchon angeführt. Aber ein Punkt, der bort
nicht angebeutet ward, muß hier betont werden, daß nämlich Diefe
Stellung der „Chriftenbrüder” zu den Steingewölben unzweifelhaft
auf uralter Tradition berußt.
Man erinnere fih nämlich, daß die altchkiſtlichen Kirchen
in der That den Mittelraum ihrer Halle ſtets nur mit Holz und
zwar mit einem Dach gewölbt haben, deſſen Balken durch eine
Felderdecke verbunden waren. Auch die Thürme fehlten dieſen älteſten
Baſiliken und die Wände der Seitenmauern waren grundſätzlich
durchaus einfach gehalten. Sachverſtändige bezeugen, daß dieſe Ge⸗
bäude eben durch ihre einfache, aber oft großartige Anlage ernſt und
bedeutend auf den Beſchauer wirkten.
Die urkundlich bezeugte Antipathie der „Waldenſer“ gegen die
neue Form der Steingewölbe iſt nichts Anderes als die von Ge⸗
ichlecht zu Gefchlecht fortgepflanzte Erinnerung an die Principien
ihrer Vorfahren und es iſt fein Zweifel, daß darin zugleich ein
Vingerzeig liegt, welcher auf das hohe Alter der „Brüdergemeinden“
hinweiſt.
Um die Verwandtſchaft der Ideen unſeres „Gottesfreundes“
mit denjenigen der „Waldenſer“ voll zu machen, beachte man, daß
er in demſelben Briefe, in welchem er ſich gegen die Steingewölbe
ausſpricht, empfiehlt, ein Spital zu bauen. „Ihr finget ein Spital
an mit Rath und Geheiß eures Herrn des Meiſters; es kam der⸗
ſelbe Rath aus dem h. Geiſte, das weiß Gott wohl; dieſes ſelbe
Spital habt ihr ganz und gar laſſen untergehen; wie das unſere
Nebenmenſchen aufgenommen haben, das weiß auch Gott wohl“.
1) Schmidt Nie. v. Baſel S. 301. 2) Vgl. oben ©. 84.
179
Wo tft die Partei außer den „Waldenſern“, welche gleiche
Grundfäge ausgejprochen bat? Wenn man gleichwohl zufällige An-
Hänge hierin erbliden will, jo werben, wie ich hoffe, die Erörterungen
der nachfolgenden Capitel das Gegentheil erweifen. Nur muß man
die Beweisgründe nicht ftüchweife, fondern in ihrem Zufammenhange
betrachten.
Rulman Taufte für feine Zwede ein Grundftüd in der Nähe
der Stadt auf einer Ill⸗Inſel bei Straßburg, den fogenannten
Grünen Wörth. Das Haus war fertig etwa im Jahre 1366. Drei
weltliche Pfleger erhielten die Leitung und entjchieden über die Auf-
nahme der „Brüber”. Die Aufgenommenen mußten fich ſelbſt be-
föftigen, erhielten aber Wohnung, Heizung und Licht. Sie lebten
nach Beitimmungen, die ihre Freiheit nicht fehr beeinträchtigten.
Der oben erwähnte „Gottesfreund” war der Freund und Be-
rather der Inſaſſen; nicht bloß auf das äußere Wohlergeben, fon-
dern vor Allem auf das geiftige Leben der „Brüder“ erftredte er
jeine Fürforge. ‚Er genoß einen unbedingten Gehorſam bei Rulman
Merfwin und deſſen Schüßlingen, die fich dem Gottesfreunde an
„Gottes Statt zu Grund gelaſſen hatten‘,
In früheren Iahrzehnten würde die Stiftung in dieſer Form
unangefochtenen Beitand gewonnen haben. Seitdem aber im Jahre
1365 mit der Thronbefteigung des Biſchofs Johann ein Neffe Kaifer
Karls IV. das Regiment im Bisthum führte, war die Stadt außer
Stande, die frühere Haltung in der Neligionsfache beizubehalten.
Rulman mußte fich dazu verftehen, die geiftliche Leitung feiner neuen
Anſtalt dem Elerus des Bifchofs zu übergeben. Durch päpftlichen
Erlaß vom Jahre 1368 erhielten vier Weltpriefter die Seelforge in
dem Hauſe.
Wir Tennen einen der Männer, auf welchen die Wahl als
Geiftlicher des Haufes fiel, nämlich Nicolaus von Laufen, der
wie wir willen, dem Rulman unbedingt ergeben war. “Diefer be-
richtet und über fein Leben felbft, daß er im Jahre 1359 im Alter
von 20 Jahren in das Tuchgeſchäft des Heinrich Blankarts von
Laufen eingetreten war und fieben Jahre dort gedient hatte. Im
Sahr 1366 kam er auf Rulmans Veranlaffung und als deſſen
12*
180
Sekretär in das Stift zum „Grünen Wörth“. Im Sabre 1367
ließ er fich zum Briefter weihen und wurde einer ber Geiftlichen
des Stifts.
Gründe, die wir nicht Tennen, zwangen Merſwin, vie Ueber⸗
gabe feines „Gotteshauſes“ an eine Ordensgeſellſchaft ins Auge zu
fafien!), und fo entjchloß er fich im Jahr 1371, das Haus dem
Sobanniterorden zu übergeben. Nicolaus von Laufen wurde
ber erite Conventual der neuen Niederlaffung; Heinrich von Wol-
fach, welcher dem „Sottesfreunde im Oberland” durchaus ergeben
war, wurbe eriter Comthur.
Der „Gottesfreund aus dem Oberland” unterhielt, wie wir
wiffen, nahe Beziehungen zu den Sohannitern und er war bet dem
Comthur Conrad von Sulzınatt zu Sulz im Ober-Elfaß kurz vor
bem Zuftandeflommen der Uebertragung des Grünen Wörth an den
Orden gemwejen. Der Gottesfreund behauptete, daß er Tein geift-
liches Inftitut kenne, welches mehr „Freiheiten“ befige2), und der
Meister des Ordens in Deutfchland, Conrad von Brunsberg, welcher
den Ideen Merfwins freundlich gegenüber ftand, gewährte, in Ueber⸗
einftimmung mit dem Großmeifter auf Rhodus, ber neuen Nieder-
loffung die günftigiten Bebingungen?).
Es läßt fich eine Hinneigung der Ritterorden und zwar ſowohl
der Deutjchherrn wie der Iohanniter zu der Richtung, welche Mer-
fwin vertrat, deutlich beobachten. Wir willen, daß diefe Orden in
dem Kampfe zwifchen SKatfer Ludwig und der Curie fich durch ihre
1) Die Eorrefpondenz, welche Nic. dv. Laufen mit dem „Sottesfreunbe im
Oberland‘ vor ber Uebergabe führte, ift erhalten. ©. Schmidt N. v. B. ©. 284 ff.
RN. dv. Laufen war gegen bie Uebergabe an die Johanniter, jedenfall wollte er
„den Orden nicht annehmen“ ohne ein befonderes Ablommen wegen ber Frei-
beiten des Haufe. Schlieglich Tam ein Vertrag zu Stande, welcher alle Theile
befriedigte,
2) Schmidt N. v. B. S. 294: „Wissent, alse ich habe gehoert, so weiss
ich deheinen orden in der christenheit, der me friheite habe denne der Jo-
hanser orden“.
3) Daß die Freunde der Beghinen zugleich auch Beglnftiger der Johanniter
waren, läßt ſich Häufig in jener Zeit nachweiſen. So z. B. Heinrich von Lone,
welcher den Johannitern und den Beghinen zu Wefel fein Vermögen zuwandte.
Vgl. Heidemann in ber Ztfchr. des Berg. Gefch.-Vereins Bd. IV, 89,
181
entihiedene Parteinahme für ven erfteren hervortbaten !). In den
Kreifen des deutfchen Ordens erwuchs gerade um jene Zeit die Heine
Schrift, welche jpäterhin unter dem Namen der „deutſchen Theologie‘
fo großes Auffehen machen follte.
Das Ablommen, welches Merjwin mit den Iohannitern ge»
troffen Hatte, ward dem „Gottesfreund im Oberlande” zur Ge-
nebmigung vorgelegt 2).
Diefe Veränderung vollzog fich im Iahre 1371. Seit 1370
batte ſich Merſwin nach dem Tode feiner Frau gleichfalls in das
„Bruderhaus“ zurüdgezogen.
Die Leitung des Hauſes hatte bis zum Sabre 1369 der „Got⸗
tesfreund“, der feit etwa 1350 vielfach mit Rulman perjönlich ver-
tehrte, zwar nicht formell, aber faktifch in der Hand gehabt.
Seit 1369, d. b. fett demſelben Jahr, wo Kaifer Karl IV. von
Lucca aus das furchtbare Dekret vom 10. Juni 1369 wider Die
Begharden mit den außerordentlihen Vollmachten für die Ingquifi-
toren erließ?), fehen wir den „Gottesfreund im Oberlande” niemals
wieder mündlich, fondern ſtets nur jchriftlich mit Merſwin und den
‚Brüdern im Grünen Wörth verkehren.
Die Schickſale des Merſwinſchen „Bruderhauſes“ und nach
maligen JohanniterConvents find denjenigen aller übrigen Beghar-
benhäufer durchaus verwandt, nur mit dem Unterſchied, daß bie
übrigen Brüber- und Schweiternbäufer feit der großen Reactions⸗
periode in der Regel nicht in die Hände der Johanniter, fondern
- der Francisfaner übergingen. |
Wir haben an anderer Stelle die Thatjache eriviefen, daß bie
jogenannten „Beghinenhäufer” (wie man die Brüber- und Schwe⸗
fternhäufer zufammtenfafjend bezeichnete) unter der geiftlichen Leitung
eines „Apoſtels“ der Brüder ftanvden. Es ſteht aber auch feft,
dag in vielen Zällen die Infaffen des Haufes den Namen - ihres
geiftlichen „Waters“ nicht kannten, da es in ihrem eigenen Intereſſe
1) Preger in den Abhandlgg. ber IL Cl. d. K. B. Ak. d. W. Bd. XIV.
Abth. J. S. 47.
2) Schmidt a. DO. ©. 37 u. ©, 293f. Der Gottesfreund nennt das Ab⸗
fommen „verbuntnisse“.
3) Dafielbe ift abgedrudt bei Mosheim a. DO. ©. 343 ff.
182
Yag, den „heimlichen Gottesfreund" und ihren Wohlthäter eventuell
nicht verrathen zu müffen. Gewöhnlich Tehrte der „heimliche Freund
in beftimmten Zwifchenräumen perfönlich in dem Stifte ein, ja, es
war unter Umftänden auch für ihn ein „Fluchthaus“. In den
Zeiten fehwerer Verfolgung aber, wenn jene nicht wagen durften, ihre
Schlupfwinkel zu verlaffen, pflegten heimliche Boten oder einzelne
beftimmte Bertrauensperfonen den Verkehr der Gottesfreunde
mit den Häufern zu vermitteln. Das find die „Botjchaften‘, von
welchen Alvarus Belagius in Bezug auf die Beghinenhäuſer Thon
im Sabre 1330 berichtet.
Ein folder Bertrauensmann war in unferem Falle Rulman
Merfwin. Durch Nicolas von Laufen vermittelte er die Bücher
und Botichaften des heimlichen „Gottesfreundes” den übrigen Mit-
gliedern des Convents und die Ritter nahmen, ohne eine Ahnung
von dem wahren Urfprung der Schriften, die man ihnen empfahl,
zu befigen, nicht nur deren Ideen in ſich auf, ſondern fie forgten
auch dafür, dag diefe in ihren Augen fo koſtbare Literatur ihren
Nachkommen erhalten werde. Zu diefem Zweck Tießen fie mehrere
große Pergament⸗Codices anlegen, in welche Nicolaus von Laufen
und Andere die Bücher abjchrieben, und ein günftiges Geſchick hat
es gefügt, daß biefelben bis auf diefen Tag erhalten find.
Es ift von allen Seiten anerkannt, daß bie fo erhaltenen Werfe
zu den intereffanteften Erzeugniffen der deutſchen Profa-Kiteratur
des Mittelalters gehören ). Mehrere Umſtände haben bewirkt, daß
fih an Entftehung, Charakter und Wefen dieſer Bücher eine Reihe -
ungelöfter Probleme Tnüpfen.
Keine der Schriften, die uns vorliegen, iſt bivelt aus der Hand
des Autors und unter feinem Namen auf uns gelommen. Viel⸗
mehr befigen wir fie nur durch eine mindeſtens breifache Vermitt⸗
1) Man Tann ihre Bedeutung ſchon aus der Fülle von Monographien er⸗
kennen, welche in den Testen Jahren über fie entftanden find. Bel. & Schmidt
Nicolaus von Baſel Wien 1866. Denifle Hiftor. polit. BL. 1875. — Derf.
Ztſchr. f. deutſches Alterth. 1880 ©. 200 ff. 280 ff. u. ebd. 1881 ©. 101 ff. —
A. SJundt Les Amis de Dieu. Paris 1879. — Derf. in Herzog u. Plitts Real-
eneyklopädie 2. Aufl. s. v. Johann v. Chur, — Liltolf Der Gottesfreund im
Oberland in den Jahrbb. d. fchweiz. Geſch. I. Zirih 1877. — 8, Tobler im
Anz. f. ſchweiz. Gef. 1880 ©. 244 ff.
183
lung, nämlich diejenige des „Gottesfreundes“, Merſwins und des
Abſchreibers. Nun läßt fih an Beifpielen darthun, Daß einzelne
Schriften, für welche unfere Quelle den „Oottesfreund” als Autor
nambaft macht, entſchieden nicht von dieſem verfaßt worben finb!),
daß ferner andere, die derſelbe Unbelannte verfaßt haben fol, von
Merfwin und vielleicht auch von dem Abfchreiber ſtark interpolirt
und verändert worben find. Da ergiebt, fich denn nun die ſchwierige
Frage, welches find Die Bücher oder die Abjchnitte der Bücher, bie
wirklich der „Gottesfreund“ nievergefchrieben bat, und welches an⸗
bererjeit8 die Werke, die von den Vermittlern nur an feinen Na-
men angelnüpft wurden, vielleicht zu dem Zweck, ihren eignen An⸗
fihten ein größeres Anfeben zu geben?
Selbft aber, wenn es gelingen follte, eine ſolche Scheidung
jemals zu vollziehen, fo ergiebt fich die weitere Frage: Sind die
Bücher, welche der „Gottesfreund‘ mit feiner Hand gefchrieben bat,
wirklich die Erzeugnifje feines eigenen Geiftes oder find es etwa
blog Abfchriften Älterer Tractate, die er angefertigt Hatte,
um fie feinen Freunden zuzufenden. Sp gewiß es einerfeits ift,
daß unfer „Gottesfreund aus dem Dberlande” ſelbſt productiv lite⸗
rarifch thätig war, fo viele Anzeichen fprechen dafür, dag mehrere
Bücher — e8 gehen unter feinem Nanten gegenwärtig 16 Schriften,
von welchen einige noch ungebrudt find?) — Erzeugnifie einer ur-
alten Literatur der altevangelifchen Gemeinden find, die unſer Got-
tesfreund entweber in Abjchrift oder in Ueberarbeitung nach Straß-
burg gefandt bat. Manches davon bat dann Merfwin, ehe er es
aus den Händen gab, nochmals überarbeitet und ſchließlich Hat der
Anfchreider auch aus dem Seinigen einiges binzugethan.
Hierzu kommt aber noch ein Anderes. Unter dem ‘Drude ber
gefährlichen Zeiten, in welchen die drei genannten Mittelsperfonen
jene Schriften an Nichteingeweihte weiter. gaben, hielten fie e8 für
notwendig, ven wahren Urjprung und Charakter verfelben zu ver-
ſchleiern und fie in eine durchaus unverbächtige Form zu bringen.
Dies Motiv war bei dem „Gottesfreunde” wie bei Merſwin, wie
1) Vgl. Jundt Les Amis de Dieu ©. 22 Nr. XX. u
2) Das vollftändige Verzeichniß nebft Angabe bes Drudorts bei Jundt a. O.
©. If.
184
fchlieplich auch bei Nicolaus von Laufen wirkſam, und feiner von
ihnen gab ein Werk aus der Hand, dem er nicht zuvor alle ketzeri⸗
ſchen Spitzen nach Möglichkeit genommen hätte
In dem einzigen Buche, deſſen Autograph uns erhalten zu
fein fcheint, dem „Buch von den fünf Mannen”, welches unfer
Sottesfreund im Jahre 1377 zur Erbauung und Mahnung für
die Sobanniter gefchrieben. hatte und ihnen zufandte, jagt der
Autor ganz ausdrücklich: „Wiſſet, wenn ihr mich kenntet, ich
ſchriebe euch nicht“). Er bätte auch fagen können: „Wiſſet,
wenn ihr mich kenntet, ihr würdet nichts Gejchriebenes von mir
nehmen.”
Um auf die Sohanniter Einfluß zu behalten und fie nicht zum
Abbruch der Beziehungen zu zwingen — man bevenfe Die Keter-
gefege — hat der „Gottesfreund“ in feinen Schriften abfichtlich bis
zu einem gewiflen Grade fih dem Sprachgebrauch und ſelbſt ge-
wiljen Ideen feiner Lefer angepaßt, wie wir dies bei den Walden-
fern oft genug beobachten Tönnen. Er nennt die Feier des Abend-
mahls „Meſſe“; er fpricht von unferer „lieben Frau” und von den
Heiligen, ohne indeffen von dem Gebete zu erfterer oder der An-
rufung diefer eine Silbe zu erwähnen. Gleichwohl bemerkt ein ge-
übtes Auge, wie fich unten zeigen wird, ſelbſt unter der Verhüllung
den Waldenſer.
Eine ſchwere Schule der „Heimlichkeit“ hatte bei den „Apoſteln“
allmählich eine förmliche Geſchicklichkeit in der Verhüllung ihrer Ziele
zu Wege gebracht. Schon im 13. Jahrhundert iſt ein Hauptvor⸗
wurf des David von Augsburg gegen die „Häretiker“, daß ſie mit
der größten „Schlauheit“ ſich in ihren Worten zu wenden wüßten,
und von einem Apoſtel der Waldenſer aus dem 14. Jahrhundert
fagt eine alte Quelle wörtlich: „Er war ungemein ſcharfſinnig und
veritand es, mit Worten feine Irrlehren zu färben und zu ver-
fchleiern 2).
In Anbetracht diefer Umftände wundere ich mich nicht ſowohl
darüber, daß mancherlei Anklänge an die rechtgläubige Ausdrucks⸗
weife in biefer Literatur vorhanden find, als vielmehr darüber, daß
1) C. Schmidt Nic. v. Baſel ©. 132.
2) Derfelbe, Nic. v. Bafel ©. 69.
185
trog der Verſtümmelung der Charakter der waldenſiſchen Weltan-
ihauung fo unzweideutig berausipringt.
Es ift von einem der genaueften Kenner diefer Schriften, dem
päpftlichen Subarchivar und Dominikaner Denifle, die Thatſache,
daß die Anſchauungen des „Gottesfreundes“ nicht rechtgläubig find,
infofern anerfannt worden, als er im Sabre 1880 verfichert hat,
daß deſſen Lehre in vielen Punkten „irrthumsvoll“ jet),
Bon der gleichen Anficht ift in früheren Jahren ber proteftan-
tiiche Forfcher C. Schmidt ausgegangen, indent er behauptete, unfer
„Gottesfreund“ ſei identifch mit dem berühmten Waldenfer-Apoftel
Nicolaus von Bafel, welcher um das Jahr 1409 zu Wien als
„Begharde“ verbrannt worden iſt. Denifle, welcher dieſe Vermuthung
mit Recht zurücdgewiefen bat, giebt zu, daß die Annahme von der
Identität mit einem „Häretiker“ auf „einigen zweideutigen Umftän-
den“ beruhe 2). |
Es trifft vollkommen zu, wenn Denifle behauptet, daß es der
Zweck diefer Literatur gewefen fei, die Schäden der Kirche zu
„reformiren“s). In der That ift e8 eine reformatorifche
Tendenz, welche durch die Schriften ver „Apoſtel“ fich hindurchzieht.
Zugleich nehmen wir aber auch Akt von dem Zeugniß des er-
wähnten Forſchers, wo er jagt‘): „Was das Streben diejer Gottes⸗
freunde) an fich betrifft, jo fan man nicht leugnen, daß es ernit
war und aus einem wohlmeinenden Herzen ſtammte“.
Die Hauptbedeutung diefer Literatur Liegt nicht in der Feinheit
ihrer tbeologifchen Ausarbeitung, auch nicht in dem Reichthum fpecu-
lativer, moralifcher oder dogmatifcher Erörterungen, jondern in ber
Fülle gemüthvoller, inniger und echt chriftlicher Anregungen, bie
ih darin finden.
Der Werth der einzelnen Abhandlungen ift im jeder Richtung
ein fo ungleicher, daß man unmöglich für alle den gleichen Autor
1) Ztſchr. f. deutſches Alterthum 1880 ©. 503. — Ebenda 1881 ©. 121.
Denifle widerruft damit ausdrücklich feine früheren Bemerkungen in ben Hiftor.
polit. Blättern Bd. 75.
2) Ztſchr. f. d. U. 1880. ©. 200. 3) Ztſchr. f. d. A. 1881 S. 109.
4) Duellen und Forſchungen 1879 Bd. 36.
5) Es ift Merfwin und der Gottesfreund im Oberland gemeint.
186
porausfegen darf. Manchen geht jedes Verbienft ab, andere find
mittelmäßig. Aber felbft wenn man biefe abzieht, bleiben doch noch
genug übrig, bie uns berechtigen, in biefen Neften einer großen
Literatur ein ausgezeichnetes Denkmal, nicht theologischer Gelehrfam-
feit, fondern religiöſer Innigkeit und deutfcher Gemüthstiefe zu er-
blicken.
Ich halte es mit Denifle für erwieſen, daß dieſe Literatur nicht
aus der Feder eines in der Schule römiſcher Theologen erzogenen
Mannes hervorgegangen fein kann )).
Zu den Gründen, welche Denifle mit Recht angeführt hat,
hätte er noch den hinzufügen können, daß unfere Literatur ihre
Lehre nicht im Anſchluß an die in der herrichenden Dogmatik her⸗
kömmlichen Begriffe, als da find Erbfünde, Todſünde, Trinität u. f. w.
anknüpft, fondern die chriftlichen Lehren vorwiegend im Anfchluf
an die Worte Chrifti, zumal an die Xehren der Bergpredigt, vor⸗
trägt. Man wird in diefen Büchern wenige theologifche Kunftaus-
drücke finden, es ſei denn, daß fie auch zugleich in der Bibel ge-
braucht werben.
Es ift ja ganz erflärlich, daß die fchulmäßige Theologie auf
folche angeblich „Inienhafte” Produkte ziemlich geringichägig herab⸗
fieht. Wenn man fich dadurch nicht beirren läßt und etwas genauer
zufieht, wird man einen reichen Gedankeninhalt und ein wohlab-
gerundetes, wenn auch einfaches Syſtem religiöfer Lehren wahr-
nehmen, ein Shftem freilich, welches nicht zu kirchlichen Herr-
ſchaftszwecken, fondern lediglich zur Befriedigung religiöfer Bedürf⸗
niffe formulirt und in Anlehnung an Chriftt Worte aufgebaut
worden tft.
Wie mar aber auch über den Werth oder Unwerth dieſer
Schriften urtheilen mag, fo fteht doch fo viel feft, Daß einzelne der-
felben auf bie religiöfe Entwidlung der nachfolgenden Jahrhunderte
eine außerorventlihe Wirkung ausgeübt haben. Viele Tauſende
1) ©. Duellen und Forfhungen ©. 123 und öfter. Denifle fagt, der Ber-
fofler des „Meiſterbuchs“ fei kein „Theologe“ geweſen. Da er mit Recht bie
Ipentität dieſes Verfaſſers (wenigftend dem Weſen nad) mit dem „Gottesfreund
im Oberlande“ und Merfwin dargethan bat, fo paßt fein Ausbrud für bie
ganze Literatur,
187
haben Anregung, Belehrung und rveligiöfen Frieden darin gefucht
und gefunden. Ob diefe Thatjache für oder gegen die Bedeutung
der Schriften fpricht, mag jeder Leſer fich felbft jagen. Ein neuerer
Kirchenhiftoriter hat in Bezug auf den angeblichen Verfafler viefer
Literatur, den jogenannten „Gottesfreund aus dem Oberlande”
geradezu gejagt: „Ihm waren die Geifter unterthan wie nur immer
einem Bapfte; er war der unfichtbare Papft einer unfichtbaren
Kirche“ 1),
1) Hagenbach 8. Geſch. 1869 II, 496.
Achtes Eapitel.
Ein berühmter Gottesfrennd,
Die heimlichen Gottesfreunde. — Der berühmte ‚„‚Gottesfreund aus dem Ober-
lande“. — Der Gottesfreund und die „Chriſtenbrüder“. — Der Gottesfreund
eınpftehlt deutſche Bücher. — Seine Stellung zum Möndtbum. — Dogma-
tifchereligidfer Standpunkt des Gottesfreundse. — Waldenſiſche Beionberhei-
ten. — Zablen-Symbolit. — Die zwei Wege. — Glaube, Hoffnung, Liebe. —
Weltlihe und geiftlide Gerichte. — Fegfeuer. — Die Zufammentinfte Der
Gottesfreunde und die Capitel der Waldenfer. — Sendſchreiben unſeres Got-
tesfreunbs an feine Gemeinden. — Der „Gottesfreumb aus dem Oberlanbe“‘
bat Sacramente gefpendet und Beichte gehört.
Unter der großen ‚Zahl von Berfonen, die im 14. Jahrhun⸗
dert als „Gottesfreunde‘ bezeichnet werben, gab es nach den Zeug.
niffen von Zeitgenoffen folche, welche al8 „heimliche Gottesfreunde‘‘
von den übrigen unterfchteden wurden. Ru ysbroek, der belannte
Gefinnungsgenofje Taulers, welchen der Sefuitengeneral Eberhard
Mercurian im Jahre 1576 ausprüdlich als der Härefie verdächtig
bezeichnet hat, kennt dieſe „geheimen Gottesfreunde” und jagt von
ihnen, es feien ſolche Männer, welche allem irdiſchen Befig
entfagt hätten und Gott allein anbingen !).
Auch Tauler hatte zu Gottesfreunden, deren Namen zu ver⸗
fchweigen er für nüglich Hielt, perjönliche Beziehungen. Er beruft
fih wiederholt auf deren Autorität, ohne einen Namen zu nennen 2).
1) C. Schmidt Joh. Tauler ©. 163.
2) Bafeler Ausg. 1521 f. 1292: „Ja, ich höret von einem grossen freund
Gottes, der ein heilig fromm mensch was, das er sprach: Ich muss meinem
nechsten mer himmelreichs wunschen und wollen in begerender weiss dann
mir selber, das heiss ich Lieb“. Ferner Basler Ausg. fol, 95: „Ich weiss
einen der allerhöchsten frunt gottes, der ist alle sine tage ein ackermann
gesin, me denne viertzig ior“ etc.
189
Ya, er fagt einmal geradezu: „Wären diefe Leute nicht, fo
wären wir übel daran” und fpricht damit diejenige Ueber-
zeugung aus, welche wir fo oft bezüglich ver „Apoſtel“ von den
Waldenfern äußern hören.
Es ift nach Lage der Verhältniſſe nicht zu verwundern, daß
aus einer Zeit, in welche überhaupt nur ein verhältnigmäßig ſchwaches
Licht der Tradition fällt, über Männer, die fogar ihren Freunden
und Anhängern ihre Namen nur in Ausnahmefällen Tundgaben,
wenig Nachrichten erhalten find.
Einftweilen tft es nur einer biefer „beimlichen” Freunde Got-
te8, der aus dem Dunkel, in welches er fich gehüllt hat, wenigſtens
mit einigen fchwachen Umriffen bervortritt. Auch fein Name ift,
wie oben bereit$ erwähnt, unbelannt, und über feine Lebensumſtände
ſteht nicht viel feft, aber immerhin läßt fich Doch einiges wahr⸗
ſcheinlich machen ?).
Die frübeften Daten, die wir über jeine Miffionsthätigfeit be-
fiten — denn gleich vom erjten Moment ab begegnet er uns als
„Apoſtel“ — jcheinen auf das Jahr 1340 binzudeuten.
Seit dem Jahre 1344 fehen wir ihn mit den Genoffen in
Italien in Beziehung, wo er in der Umgegend von Verona an-
weiend war. Wir willen, daß er nicht nur der veutfchen, ſondern
auch der „wälſchen“ Sprache mächtig war?). Etwas Später hielt er
fih nach feiner eigenen Erzählung in Ungarn auf und ums Jahr
1350 iſt er in Straßburg.
In diefen Straßburger Aufenthalt fcheint bie erſte Beziehung
zu Merfwin zu fallen. Bet der zweiten Anwefenheit im Jahre
1352 ward die Begegnung erneuert. Es fteht feit, daß in dieſem
Jahr Rulman das Buch „Von den neun Felſen“ niederfchrieb.
1) C. Schmidt Joh. Tauler ©. 167 nad ber Leipziger Ausg. von 1498.
Der Basler Edition fehlt diefe Stelle. Tanler bat bier. ſicherlich beſtimmte
einzelne Perſonen vor Augen.
2) Eine ſehr vollſtändige, bis zum Juni 1884 reichende Ueberſicht über bie
umfangreiche neuere Literatur in Betreff des „Gottesfreundes im Oberlande“
giebt BP. Odilo Rottmanner O0. S. B. zu Münden in der „Literarifchen
Rundſchau für das kathol. Deutſchland“ Nr. 12 vom 15. Juni 1884. Indem
ich darauf verweiſe, verzichte ich Hier auf bie detaillivte Angabe der Ouellen.
3) Er überfette kleine Schriften aus dem Wälfchen ins Deutfche. Jundt
Les Amis ©, 364,
190
Im Jahre 1356 nach dem Erdbeben von Baſel richtete ber
Sottesfreund nach Art der „Apoftel” ein Senpfchreiben an bie
Chrijtenheit, welches wir Tennen lernen werben.
Später beſchloß er, eine Einftevelet zu beziehen. Er fand Dazu
mebrere Genofjen und fie begannen nach Art der „Brüberhäufer”
ein gemeinfantes Leben.
Bon da an feheint ver „Gottesfreund” die Neifen aufgegeben
zu baben. Er verkehrte nur noch fchriftlich mit feinen Vertrauens“
männern und al8 ber einzige, ben wir Tennen, gejtorben war, dringt
feine Runde mehr von den einfamen Leuten zu und berüber.
Der „Gottesfreund” war ehevem ein „weltweifer, wmeltjeliger
Dann’ gewejen und hatte auch des „zeitlichen zergänglichen Gutes
genug” beſeſſen. Als er fich entfchloß, der Welt „Urlaub zu geben“,
entjagte er feinem ganzen Vermögen. Doch theilte er nicht Alles
jofort aus, fondern verwaltete e8 noch eine Zeit lang als „Lehens⸗
mann Gottes”. Er verwandte es allmählich zu beitimmten, „gött-
lichen” Zweden. Auch Iebte er (ebenfo wie die „Apoftel”) in Ehe-
Iofigfeit.
Int Iahre 1377 fandte er den ISohannitern im Grünen Wörth
zur geiftlichen Nahrung, wie er zu tbun pflegte, ein Büchlein, in
welchen er das Leben fchilvert, welches er felbjt und feine nächſte
Umgebung damals führte). Diefe Schrift fcheint im Autograph
erhalten zu fein und bietet Daher eine verhältnißmäßig fichere Grund-
lage bar.
Darin bezeichnet unfer Freund die Heine Gemeinde, die fich
im Oberlande zufammengefunden hatte, ganz nach Walbenfer Art
„als einfältige, gute, fehlichte Chriſten brüder“. „Und das wilfet”,
fährt er fort, „daß wir alle des Glaubens find, daß die Brüder
der Welt unbekannt bleiben follen bis an die Zeit, wo Gott etwas,
was noch verborgen ift, wirken wird, und wenn er dies thut, fo
mag es dann wohl gefchehen, daß wir heraus müflen und Einer
bei dem Andern nicht bleiben mag und daß wir an fünf Enden
der Chriftenheit zertheilet werden. Ach, lieben Brüder, bittet Gott
in feiner grundlofen Barmherzigkeit, daß er fich in biefen gegen-
1) Abgedruckt bei Schmidt Nicolaus v. Baſel S. 102 ff.
191
wärtigen Zeiten über die Chriſtenheit erbarmen wolle; denn wijfet,
die Freunde Gottes, die find etwas im Gedränge”.
Die Berfolgungen, welche die „Brüder“ wie gefcheuchtes Wild
in die Berge getrieben hatten, hatten ihre Hoffnung und ihren Muth
noch immer nicht gebrochen. Sie Hofften fortvauernd, daß „Gott
etwas wirken werde”, was eine Aenderung der allgemeinen Zuftände
zu ihren Gunften herbeiführe, wie e8 unter Kaifer Ludwigs Regie
rung der Fall gewefen war. Dann wollten fie die unterbrochene
Miffionsthätigfeit an ben fünf Enden ver Chriftenheit wieder auf-
nehmen und unter dem Panier Chriftt (wie fte fagten) ftreiten
„wider ven Teufel, wider das Fleiſch und wider die Welt”. In—
zwiſchen aber — fo verfichert unfer Büchlein — find fie bereit zu
leiden, daß Gott ihnen den füßen Becher mit Bitterkeit mifche, da
fie wohl willen und befennen, daß ihnen ihr Haupt und Herr in
bitterem Leiden vorangegangen tft).
Denifle bezeichnet als den oberften Zweck der uns erhaltenen
Schriften, „Die Gottesfreunde als die einzigen Stützen der Chriften-
beit Hinzuftellen” 2) und ich glaube, daß in ber That diefe Tendenz
durch alle Erörterungen hindurchgeht. Wenn Dies aber richtig ift,
jo theilt unfer Gotteöfreund die Ueberzeugung der übrigen älter
ren „Sottesfreunde”, d. h. der Waldenjer-Apojtel und ihrer
Anhänger vollitändig.
Als Heilmittel ihrer Gebrechen empfiehlt der Gottesfreund aus
dem Oberlande in dem „Sendſchreiben an die Chriftenheit‘ Die Nach»
folge Chriſti. „Chriftus ift unfer Haupt und wir find feine Glie⸗
der. Wir aber find gar weit ihm aus dem Wege gegangen, während
er ung doch gar barmberziglich geheißen bat, ihm nachzugehen. Er
ſprach: Nehmet euer Kreuz auf euch und folget mir nah. Damit
meinte er nicht, wir follten ihm mit einem bitteren Tode nachgeben,
wie er und vorgegangen tft; er meinte, wir follten unfer Kreuz auf
ung nehmen, das tft fo viel gefprochen, daß wir thun jollen, was
wir vermögen. Damit will er fich mild und barmherziglich laſſen
genügen und will dazu in allen unferen Sachen mild uns beiftehen
1) Schmidt a. O. ©. 136.
2) Ztiehr, f. deut. Altertb. 1881 ©. 108,
192
und nach diefer Zeit, fo will er, daß wir mit ihm und bei ihm im
feines Vaters Reich ewiglich unjere Wohnung haben‘,
„Sieben Ehriftenmenfchen, ich rathe euch in allen Treuen, Daß
ihr wider alle Untugenden lernet ftreiten, denn die Zeit des Kampfes
nabt. Und wer noch nicht zum Streit bereit ift, der foll folche
Menſchen fuchen, die in der ewigen Wahrheit wohl gelehrt find, und
foll die bitten, daß fie ihn lehren, wider alle Untugend ftreiten, und
fol auch gerne Prebigten hören und gute Büchlein lefen, aus denen
er auch wohl gelehrt mag werben. Aber etliche Lehrer fprechen,
deutſche Bücher find ſchädlich der Chriftenheit”.
„Solche Büchlein als dies Büchlein ift und auch andere deutſche
Bücher, die auch in dieſem Maße find und nicht wider bie heilige
Schrift, ſolche deut ſche Bücher find einfachen Laien gar nüte und
gar gut. Ihr follet fie euch nicht Taffen von den großen Lehrern
abſprechen. Diefelben Lehrer find voll der Schrift und der Lehre
Gottes, aber fie ſuchen fich felber und die Ehre diefer
Welt mehr denn Gott. Aber wo ihr Lehrer findet, die fich
ſelbſt nicht meinende find, denen follet ihr gar gern gehorfant fein,
denn was folche Lehrer rathen, ver Rath kommt aus dem h. Geifte”.
„Und foll auch die heilige Chriftenheit jemals wieder in chrift⸗
lihe Orbnung Tommen, fo muß man Rath Haben, der aus Dem
b. Geiſte kommend ift, und folder Rath ift auch nicht wider
die h. Schrift, denn die h. Schrift und der h. Geiſt find einhelfig
miteinander... Den Rath (aus dem h. Geifte) follte man nehmen,
wo man ihn auch fände, und follte ihn denn gar gerne haben, Denn
er wäre der Chriftenheit gar noth in biefen gegenwärtigen Zeiten.
Aber ſolche Menſchen, die aus dem h. Geifte Rath geben möchten,
die find gar faum zu finden, aber wie wenige ihrer auch
find, man findet ihrer noch in der Zeit. Aber wie Flug
auch dieſe weltweifen Menſchen in Diefen Zeiten find, fo find ihren
doch ſolche Menſchen gar zumal unbelannt‘.
Zwei Quellen find es aljo, aus denen die Wahrheit fließt, Die
b. Schrift und der Rath, der aus dem 5b. Geifte kommt. Aber
ſolcher Rath kann nur durch die vermittelt werben, welche ihr Herz
gereinigt haben von aller Liebe zu irbifchen Dingen, d. h. von jolchen
Männern, wie die Apoftel ver Waldenfer fein follen.
193
Diefe ganze Stelle ift ungemein charalteriftiich. Um nur eins
bervorzubeben, jo beachte man die Betonung der h. Schrift und
des „Raths, der aus dem h. Getfte kommt“, fowie die Erläuterung,
welche über das Verhältniß dieſer beiden höchſten Erkenntnißquellen
gegeben wird.
Man muß hiermit zuſammenhalten, was der „Gottesfreund
im Oberlande“ über die „inneren Offenbarungen“ an anderer Stelle
fagt. Er behauptet nämlich, dag zu den vier größten Verfuchungen
auch die inwendigen und auswendigen Offenbarungen von Xichten,
Formen, Geſprächen und BVifionen gehören, denen, obgleich Gott
feinen Freunden zuweilen in biefer Weife etwas Wahrheit zukom⸗
men laffe, nicht Leicht zu glauben ſei.
Man Hat troß diefer Erklärung unferem Gottesfreund aus der
häufigen Erwähnung von Träumen und Vifionen, welche in feinen
Säriften vorlommen, nicht felten einen Vorwurf gemacht. Eine '
nähere Betrachtung ergiebt indeſſen, daß fait an allen Stellen dieſe
Vifionen nur vorfichtige Einkleidungen von Gedanken und Wünfchen
find, welche der GSottesfreund in unangreifbarer Form der Oeffent⸗
lichleit vermitteln wollte. Sie treten befonders da auf, wo ber
Gottesfreund Urfache zu Haben glaubte, feine perjönlichen Ideen
verfchleiern zu müflen, jo 3.3. bei ver Erörterung über die kirch⸗
lihe Dreieinigfeitslehret) u. ſ. w.
Für die Beurtheilung der innern Verwandtſchaft unferer „Got-
tesfreunde“ mit den älteren „Gottesfreunden“ ift die Thatſache wichtig,
daß beide zu ben Klöftern und dem Mönchthum durchaus die gleiche
Stellung einnehmen.
Nachdem wir bezüglich der älteren „Gottesfreunde“ bereits bie
nötigen Beweife beigebracht haben, mag bier nur kurz darauf bin-
gewieſen werden, baß auch bie „heimlichen Gottesfreunde” des
14, Zahrhunderis ſich ebenſo ablehnend zu dem Kloſterweſen ver⸗
halten haben wie jene.
Im Gegenſatz zu den bisher üblichen Auffaſſungen über dieſe
Literatur, welche durch den vieldeutigen Ausdruck „Myſtik“ beför⸗
dert worden find, muß feſtgeſtellt werden, daß ſich die ganze Lite⸗
1) Denifle Ztſchr. f. deut. Alterth. 1880 ©. 524,
Keller, Die Reformation. 13
194
ratur, welche fi um den „Gottesfreund aus dem Oberland” grup⸗
pirt, im direkten Widerfpruch zu ber mönchiſchen Myſtik der
firchlichen Drden bewegt.
Der Mönch und der Klausner ziehen fich aus der menjchlichen
Geſellſchaft zurüd, um in felbjterwählter oder vorgejchriebener Askeſe
Gott zu leben und fo ihre eigne Seele zu retten. Selbſt wenn fie
mittelbar auf die Entwidlung oder Wieberherftellung der menjch-
lichen Geſellſchaft einwirken, fo fteht Doch feft, daß fie fih im Princip
von der Allgemeinheit abwenden.
Der Mönch und die Nonne betbätigen ihren Chriſtenſtand da⸗
durch, daß fie fich Iosreigen von Allem, was den natürlichen Men⸗
ichen mit der Welt verbindet und eine ftille, abgelehrte Frömmigkeit
fuchen, die fich mehr um das eigne Heil im Himmel als um bas
Wohl des Nächften in der Welt befiimmert.
Es läßt fich nicht leugnen, dag ein tiefer Drang zu folder
Abwendung in vielen Menſchen wohnt und e8 wird fich nicht leicht
eine Kirche oder Confeſſion finden, welche nicht in ihrer Weife und
nach den bei ihr gebräuchlichen Formen ihre Convente oder ihre
Conventikel hätte. |
Dagegen liegt ein erheblicher Unterſchied darin, ob eine Kirche
in folder Abfonderung das höchſte Ideal chriftlicher Vollkommenheit
offictell erblict, ober ob fie dieſes Lebensideal nicht vielmehr im
werkthätiger Menſchenliebe und Pflichttreue in der Welt fucht, wie
Chriftus durch fein Vorbild fie ung gelehrt Hat.
Es ift ganz begründet, wenn man behauptet — und e8 iſt Dies
ſowohl von katholiſchen wie evangeliſchen Schriftftellern behauptet
worden —, daß bie religidfen Anfchauungen des confequenten Mönch⸗
thums, die man vorzugsweife unter dem Namen der „Myſtik“ zu
veriteben pflegt, eine Zerftörung der menschlichen Perſönlichkeit und
Treibeit, Indifferentismus und Quietismus, zur Folge zu haben
pflegen. Bei unferem Gottesfreunde läßt fich aber im direkten Gegen-
jag zum Princip des Mönchthums ein fortwährendes Dringen auf
den praftifch-fittlichen Gebrauch der perfünlichen Freiheit zum Zweck
des allgemeinen Wohles beobachten!). In dem Buch von den „Zwei
1) Schon Denifle bat (Hiftor.-polit. Blätter 1875 ©. 262 ff.) die Gottes-
freunde mit großer Entichievenheit und überzeugenden Gründen gegen den Bor-
195.
Mannen“ polemifirt der Gottesfreund im Oberlande ausdrücklich
gegen bie, welche „fich von der Welt kehrende find" und dabei träge,
kalte, zornmüthige Menſchen bleiben!), ja, durch die ganze Schrift
geht eine principielle Oppofition gegen die hergebrachte Selbftquälerei
und Askeſe der „ſtrengen, übenden Menſchen“, Die alle ihre Weife
und ihre Uebungen aus felbfterwähltem Anlaß treiben, anftatt daß
fie ir „inwendiges Blut” in rechter Demuth in der Weife
vergießen, wie e8 Chriftus vergoffen hat, d. h. in Aufopferung für
feine Mitmenſchen?). Je länger die Menfchen, fagt der Gottes-
freund, in folchen „felbiteigens angenommenen” äußerlichen Weifen
die Gnade Gottes fuchen, je mehr bleiben fie „Eebende” am Aeußeren
und es werben „ihnen auch die große Gnade, die großen übernatür-
lichen Gaben unbelannt bleiben”. Nur derjenige, der den feiten ganzen
Willen hat, eher den Tod zu leiden, denn er von Chrifto ab wollte
laffen, ver wird der Gnade Chrifti würdig werben. „Sch will euch
fogen ein Gleichniß. Wo ein folcher fteter fefter Wille ift, was
thut da Chriftus? Er fpricht zu feinem himmliſchen Vater: Lieber
Bater, ich Habe einen Menſchen in der Zeit gefunden, ber feinen
eignen Willen laſſen und mir gehorfam fein will bis zum Tode;
lieber Vater, laß uns ihm helfen. Dann geht Ehriftus hernieder
und nimmt diefen Menjchen und führt ihn gar verborgen einen
Theil des Wegs, den er felbft vorangegangen ifl. Und Chriftus
übet auch diefen Menſchen durch alferlei Leid bis zu der Stunde,
wo der Bater fpricht: Hör auf, mein lieber Sohn, e8 ift genug,
und führe ihn an das Ziel des Friedens in Zeit und in Ewigkeit,
Zu diefem Allen Hilft uns die Betrachtung des Vorbilds Chrifti
und feines bitteren Leidens‘‘3),
Wenn ber Gottesfreund biswetlen kurzweg davon fpricht, daß
wurf des „Quietismus“ vertheidigt, der denſelben von C. Schmidt gemacht
worden war. Daß einzelne Ausprüde, wie „fich ſelbſt abfterben“, „ſich entwer⸗
den“ u. f. w. aud im quietiftiihem Sinn gebeutet werben können (obgleich fie
biefen urfprünglich nicht haben), wird Niemand leugnen. Es kommt bier aber
nicht auf einzelne Wendungen, fonbern auf die dauernde Geſinnung dieſer
Männer an. In welcher Richtung dieſe fich bewegt, kann nicht dem geringften
Zweifel unterliegen.
1) & Schmidt Nic. v. Bafel Wien 1866 ©. 266.
2) ©. Schmidt a. O. ©. 216. 3) Schmidt a. O. ©. 2461.
13*
196
er der „Welt abgeftorben” jet, jo erläutert er dies an anderen
Stellen deutlich genug mit den Worten, er habe „ver Welt Urlaub
gegeben in feinem Herzen‘ und er hänge nicht mehr mit feinen
Sinnen an „ben Dingen‘, fondern babe fein Herz zu Gott gelehrt.
Er erflärt feine Anfichten ganz unzweideutig in folgenden Worten:
„Anfere Meinung ift nicht alfo, daß wir meinen, daß ein Dann
von der Welt allzumal geben foll und ein Mönch werben foll,
unfere Meinung tft, daß er in der Welt bleiben ſoll,
aber er follte fein Herz und feine finnliche Vernunft nicht alſo gar
verzehren und auf Freunde und auf weltliche Ehre legen; bekennt
er doch felbft, daß er, dieweil er in biefem Leben war, fich jelber
und fein ſelbſt Ehre mehr fucht und meint und liebt, denn bie
Ehre Gottes; gäbe er dieſe weltliche Ehre auf und fuchte in allen
feinen Werfen die göttliche Ehre, wie es ihm oft genug von Gott felbft
geratben ward, fo bin ich gewiß, Gott werde ihn erleuchten in feiner
göttlichen Weishett und mit diefer Weisheit werde er mehr weifen
Raths geben können in einer Stunde als früher in einem Jahre i).
Gleich in einem der früheften Briefe, die ung aus der Feder
unferes „Gottesfreundes“ aus dem Jahre 1371 erhalten find, nimmt
er Gelegenheit, feine Stellung zu den kirchlichen Orden zu kenn⸗
zeichnen. Es handelte fich damals um die Frage, in welches Ordens
Händen das Merſwinſche YBruderhaus am beiten aufgehoben ſei.
Der Gottesfreund entſchied fich für Die Johanniter, weil, wie er jagt,
diefer Orden die meiften Freiheiten babe. Er giebt zu, daß auch
unter diefen Unkraut gewachfen jet; „ſollte man aber das Un—
1) Unser meinung ist nut also, das wir meinent, das dirre man von der
welte alzumole gon soll und ein munich werden soll, unser meinung ist, das
er in der welt bliben solte, aber er solte sin hertze und sine sinneliche ver-
nunft nut also gar verzerren unde uffe frunt unde uffe weltliche ere legen,
alse er selber gar wol bekennende ist, die wile er in diseme lebende ist,
das er sich selber und sin selbes ere me suochende und meinende und min-
nende ist denne die ere gottes und gebe er ouch dise weltliche ere uf und
suochte in allen sinen werken die gotteliche ere, das ime ouch selber dicke
von gotte geraten wurt und dete er das so getruwe ich, got solte in erlüch-
ten mit siner gottelichen wisheit; so denne die gotteliche erlüchtete wisheit
wurde kummende zuo siner weltwisheit, so wurde er alse gar wise, das er
uf eine stunde me wises gottlichen rates gegeben kunde, denne er vor geton
hette in eime gantzen jare. Schmidt a. DO. ©. 254.
-
197
traut aus anderen Orden ausjäten, jo würde man viel
Arbeit haben‘ N).
Wir haben oben fehon darauf Hingewiefen, daß der Gottes⸗
freund in einem Schreiben vom 24. April 1377 ausdrücklich ſagt,
daß es ihm und Rulman nicht wohlgefalle, wenn man neue
Klöſter mache.
Dieſelbe Anficht wiederholt er in einem Brief an den Comthur
des Grünen Wörths vom 18. Febr. 1379: „Lieber Comthur!“ ſagt
er, „ich war zu den Zeiten (1364) viel zu Straßburg, und wenn
es geſchah, daß Rulman und ich zuſammenkamen und wir derſelben
Sache (des Kloſterbaues) gedachten, ſo ſprachen wir zuſammen:
Was ſoll dieſes Dings ſein? wem wäre es nütze? wäre es nicht
beſſer, daß man armen Leuten hülfe, denn daß man
Klöſter machet?“).
Darf man nach dieſen Zeugniſſen den Gottesfreunden Quie⸗
tismus“ ober mönchiſche Weltflucht vorwerfen? Es iſt wahr, daß
in beiden Richtungen eine Befriedigung der Bedürfniſſe des from⸗
men Gemüths in und durch bie Erreichung des „Gottnaheſeins““
oder der Lebensgemeinfchaft mit Gott gefucht wird. Aber der Weg
dahin war durchaus verfchieven. Während die einen fich der un⸗
mittelbaren Mitwirkung an der allgemeinen Wohlfahrt principiell
entzogen, erkannten bie Andern, daß gerade innerhalb ver menfchlicher
Geſellſchaft die menfchliche Tugend ſich am höchſten bewähren Tann.
Wenn e8 richtig ift, daß die „Myſtik“ für die Ausbildung that»
kräftiger und ftarfer Geifter hinderlich ift, fo ſteht es feit, daß in
den Anfchauungen unferes Gottesfreundes und feiner Genoffen keine
Myſtik zu fuchen ift. Denn in ven fehweren Kämpfen, welche dieſe
Männer mit den berrichenden Gewalten und Doctrinen geführt
haben — wir werben bald darauf zurückkommen — haben fie einen
Muth, eine Ausdauer und bei perfönlicher Demuth eine Ruhe und
Freudigkeit bewiejen?), welche wenige Barteien in gleichem Maß von
1) Schmidt Nic. v. Bafel ©. 29. 2) Derf. Nic, v. Baſel ©. 324.
3) T. W. Röhrih, einer der wenigen Däuner, die fi) mit ben Gottes⸗
freunden näher befchäftigt haben, unterläßt nicht, die „myſtiſchen Verirrungen“
ſtark hervorzuheben. Gleichwohl fieht er fich zu folgendem Zugeſtändniß genöthigt:
„Die Gottesfreunde beförberten in ihren Umgebungen jenen ftillen, chriſtlich-
198
ihren Vertretern rühmen können. Wenn man aber behaupten will,
daß auch ein folches Shftem des Mißbrauchs fähig ſei und Aus-
wuüchſe nicht ausfchließe, fo giebt mar freilich nur einer fehr trivialen
Wahrheit Ausprud.
Wir haben oben als den Grundgedanken ber älteren „Ketzer“
und „Gottesfreunde‘ bezeichnet, daß fie die Vermittlung der Kirche
zur Erlangung des Heil und der Gnade nicht für nothwendig er-
Härten und einen unmittelbaren Zugang zu Gott im Glauben an
Chriſtus zu befiten meinten.
Nach den bisherigen Andeutungen Tann man erwarten, daß
auch die „heimlichen Gottesfreunde” des 14. Jahrhunderts diefelbe
Idee begen, und in ver That erfennt man fofort die Richtigkeit dieſer
Vorausſetzung.
Wenn ber Gottesfreund ſagt: Der wahrhaft gute Menſch Hat
„Seldft einen Schlüffel zu der göttliden Gnade und
nimmt felber das Sacrament, denn ein folder Menſch ift mit
Gott eins geworden“1), jo kann Über die Confequenz diefer Auf-
faffung nicht wohl ein Zweifel herrſchen.
religidfen Geift, der, indem er den Menſchen über finnliche Antriebe und über
bie gewöhnlichen Beranlaffungen zur Berfäumung heiliger Pflichten erhebt, ihm
das Bemußtfein feiner Menfchen- und Chriftenwürbe, feiner Verbindung mit
Gott, ſowie Selbſtachtung, Gebuld und ausharrenden Muth einflößt. Denn ihr
Leben war nicht bloß auf bie Betrachtung Üüberirbifcher Wahrheiten gerichtet, viel⸗
mehr wollten fie, daß diefelben auch im Leben ihre Wirkſamkeit bewährten“.
Röhrich Ztſchr. f. hiſt. Theol. 1840. I. ©. 140.
1) Die Stelle lautet: „So will ich dir aber me sagen: und were ich ein
bihter, ich wolte alzuomole milte sin gottes lichamen zuo gebende do ich
einen menschen funde, der alle wisen und alle uebunge mit Christus an dem
Crutze in rehter demuetiger zuo grunde erstorbener gelossenheit durchstorben
were; do ein solicher mensche ist, der ist ouch alzuomole gottes eigen und
ist ouch gott widerumb sin eigen; were ich ein bihter, do ich einen solichen
menschen funde und solte ich dem nut gottes lichamen geben und were ich
gegen eime solichen menschen karg, so tete ich gar toerliche, das ich ime
das sine vor beslusse, wenne er het selber einen slussel zuo der
göttelichen gnaden und nimet selber, wenne ein solicher mensch ist
mit gotte eins worden, wenne er wil nut anders denne alse got wil; wer eime
solichen menschen got in dem sacramente vorbehebet, der behebet ime sin
eigin vor; wurt ime aber got nut in dem sacramente, so wurtime
aber in allen dingen got mit seiner gnaden*“, C. Schmidt Nicol.
dv. Bafel Wien 1866 ©, 267,
199
Man bat wohl gejagt, dag in den Schriften des „Gottes⸗
freundes” ein befonverer bogmatifcher Standpunkt überhaupt nicht
zu erfennen ſei; ich fage im &egentheil, der Umftand, daß der
Öotiesfreund das Dogmatifche nicht herauskehrt, iſt charakteriftiich
für feinen waldenfifchen Standpunkt.
Und nit minder waldenfifch ift e8, Daß Durch dieſe ganze
Kiteraturr, die an den Namen des „Gottesfreundes im Oberlande“
angelnüpft wird, das Streben hindurchgeht, den verſchiedenen Stän-
den und Berufszweigen Anleitung und „Regeln“ darzubieten,
welche e8 ihnen ermöglichen follen, fich von dem Wege der „Welt
zu dem Wege des „Lebens zu wenden.
Seit uralten Zeiten waren derartige Negeln, die man gewöhn-
ich in eine Form gebracht Hatte, welche fich dem Gebächtniß Leicht
einprägte, in den „Gemeinden“ überliefert.
Nun Haben wir gejeben, daß bereits das „Meifterbuch” Ans
weifungen enthielt, wie man die Tugend üben und das Lafter fliehen
jolle. Außer den allgemeinen Regeln des goldenen ABE gab der
„Sottesfreund‘ auch noch beſondere Rathſchläge, wie ein rechter
Prediger ſich verbalten folle. In den Büchern von dem „gefangenen
Nitter” und befonders in dem Büchlein von den „Zwei Knaben‘,
das man treffender das „Ritterbuch“ nennen könnte, finden fich
ähnliche Rathſchläge für das Thun und Laffen vornehmer Laien‘).
Es ift für das religidfe Syſtem der „Oottesfreunde” durchaus
charakteriſtiſch, daß fie die göttlichen Dinge von der Seite des Wil-
lens her zu erfaffen bemüht find.
„Es giebt Menfchen, Heißt e8 in dem „Buch von ben zwei
Mannen“, die fagen auf jede Ermahnung zur Beflerung: Ad,
hätte ich die Gnade, wie fie Gott anderen giebt zur Beſſerung,
fo wollte ich auch gern mein Leben befjern. Du ſollſt wilfen, folche
Menfchen reden nicht die Wahrheit und reden wider Gott, denn
Gott bat feine Gnade in alle Menſchen gegoffen, wenn fie
nur felber wollen. Es darf und ſoll ſich Niemand entjchul«
digen und Gott die Schuld geben. Ich will e8 dir fagen:
wo Die göttliche Gnade dem Menfchen unfindbar ift und ihm nicht
1) Bgl. C. Schmidt Nic. v. Bafel S. 91 u. 99
200
zu Hülfe fommt, da ift die Schuld allein des Menfchen und nicht
Gottes. Ih will dir jagen, wie bie Sade ift. Die Seele des
Menfchen ftammt von Gott und tft nach ihm felber gebildet, und
wenn Gott fie zu dem Körper thut, fo wird es ein Menſch. Und
Gott giebt der Seele einen eigenen freien Willen und in dem Willen
ift verborgen feine göttliche Gnade. Und wenn der Menſch zu den
Zeiten Tommt, daß er alt genug wird, fo giebt ihm Gott vernünftige
Erfenntniß und läßt ibm frei die Wahl bes Guten und Böſen.
Geſchieht es nun, dag der Menſch der Natur nachgeht und dem Rath
des Böſen, fo flieht vie göttliche Gnade in einen verborgenen Winkel
ber Seele. Aber welcher Menjch ſich auf das Gute befinnet und
feinen Willen Tehrt auf den rechten Weg umd feiner Natur nicht
mehr folgt und giebt, als was die Nothdurft heiſcht — denn Dies
bat Gott wohl erlaubt —, fo Hilft die göttliche Gnade dem Men-
ſchen je fürbag und je fürbaß; und je länger ber Menſch die gött-
fiche Gnade wahrnimmt und ihr folgt und feinen eignen. Willen
Gott lauteren Sinnes aufopfert, um fo mehr ziebet die Gnade Den
Menichen näher und näher zu Gott. Unb wäre e8 auch, daß es
dem Menfchen unfindbar war, das fehadet nichts; denn Gott Der
wirfet darum nichts deſtominder in eines ſolchen Menfchen Seele.
Nein, e8 darf Niemand in der weiten Welt Gott Die Schuld geben;
Gott Hat feine Gnade mitgetheilt Heiden und Juden, ob fie nur
jelber wollen, denn er ſandte ihnen feine Apoftel und andere Heilige,
bie ihr Blut vergoffen um der Wahrheit willen und es joll fich
Niemand entſchuldigen und Gott die Schuld geben; font handelt
er ganz und gar wider Gott“i.
Es kann als Spezialität der Waldenfer gelten, daß bei ihren
Einfachheit in Tracht und Kleidung ftrenge Forderung Der
Sitte war. Schon Pfeudo-Neiner führt (wie wir oben jahen) es
als charakteriftiiches Merkmal ver Partei an, daß fie fih „weber
koſtbarer noch fohlechter Kleider bevienen wollen” 2), und die Ent-
wicklung der fpäteren Jahrhunderte beweist, daß bie „Chriften” auf
1) Die wichtige Stelle ſ. Schmibt Nic. v. Baſel S. 264 ff.
2) Siehe oben ©. 6.
201
diefe Aenperlichkeit, die übrigens einen wohldurchdachten Sinn hatte,
befonderen Werth legten i).
Wie mag es nun Tommen, daß auch unſer Gottesfreund fort-
während auf denjelben Punkt dringt? In dem Bud) von den „Fünf
Mannen‘ räth er einem Ritter, der feinen Rath erbittet, wie er
ein neues Leben anfangen folle: „Halt Di in Deinen Kleidern
und in allen Sachen auf der Mittelſtraße?). ALS bei einer anderen
Gelegenheit eine Familie auf die Vorftellungen des Gottesfreundes
bin fich entichloffen Hatte, ein neues Xeben zu beginnen, erzählt
ber Gottesfreund als den erjten Schritt ihrer Umkehr: „Und fie
gingen bin und verwanbelten all ihr beiver Gewand und auch
all ihrer Kinder Gewand und machten fie ehrbarlich, doch in dem
mittleren Maße). in Ritter erhält gleichzeitig von ihm ben
Rath: „Lieber Herr, ihr felber follet auch euch etwas ehrbarlicher
Heiden und in allem Wandel etwas ehrbarlicher halten und alle
Dinge lernen in mitteliher Befcheivenbeit Kalten” u. |. wm. Gebt
nicht ein Princip durch biefe Ermahnungen? —
Es ſteht feft, daß die Zahlen 11 und 13 für die „Apoſtel“
der Waldenfer deßhalb Bedeutung hatten, weil fie mit den befannten
Zahlen Ebrifti und der Apoſtel vor und nach Ehrifti Tob überein-
jtimmten. Aber auch für den unbelannten Sottesfreund aus dem
Oberland haben dieſe Zahlen ihren befonderen Sinn. Am 24. April
1377 fchreibt er an den Comthur des Iohanniterhaufes zu Straß-
burg über die Zahl der Eonventualen im Grünen Wörth; er ift
eventuell damit einverjtanden, daß e8 11 oder dag e8 13 find; „die
machen einen Konvent; doch wäre es ſchadbar, daß ihr mehr denn
13 Brüder hättet” u. |. w.).
Ueberbaupt tritt ung die Zahlen-Symbolif bei den „Rekern‘
ſchon frühzeitig entgegen. Das Straßburger Edikt von 1317 po⸗
lemifirt gegen die Idee von den „neun Stufen der Volllommen-
beit", die angeblich bei den Begharden vorhanden geweien fei.
1) In einem im Sabre 1404 aufgezeichneten Manuſeript „Secta Walden-
sium“ wird ausdrücklich geſagt: „Item in verbis sunt sibi cauti; mendacia vo-
luntaria et verba turpia maxime solent evitare; vestimentis non pretiosis
utuntur“ etc. Schmidt in Niedners Ztſchr. f. d. hiſt. Theol, 1852. ©. 244,
2) Schmidt Nic. v. Bafel ©. 113. 3) A. O. ©. 9.
4) Schmidt Nic. v. Baſel a. O. S. 305.
202
Solite e8 wohl ein Zufall fein, daß in der Literatur, die an
den Namen des heimlichen „Gottesfreundes aus dem Oberlande”
angelnüpft wird, dieſelbe Idee und dieſelbe Zahl neun eine ganz
befondere Rolle ſpielt? Schon Denifle hat, obwohl von ganz anderen
Ausgangspunkten ausgehend, diefelbe Beobachtung gemacht.
Neun Iahre find es, durch welche der gefangene Ritter fich
in einem heiligen Leben übt; neun Jahre bringt ver Meeifter ber
h. Schrift in dem Meeifterbuch nach feiner Belehrung noch im irdi-
ſchen Leben zu; neun Sabre lang thut die ehemalige Geliebte Des
Gottesfreundes Buße u. f. w.
In Bezug auf die Idee der Stufen, weldhe den Weg zur
Selbfterneuerung und Heiligung binaufführen, wechfeln allerdings
in biefer Literatur die Zahlen, indem fie auf Drei, fieben und
neun angegeben werben; aber das Bild ſelbſt Tehrt überall wieder
und eine Reihe von Schriften variirt daſſelbe Thema 1), —
Durch diefe ganze Literatur zieht fich ebenfo, wie bei ven Wal-
denfern, der ſtets betonte Gegenſatz zwijchen den zwei Wegen, Des
einen, welcher zum Leben, und des andern, welcher zum Tode führt.
Diefer Gegenfat wird gewöhnlich bezeichnet durch Die Ausdrücke:
„Welt“ und „Gott“, „weltliche Liebe” und „göttliche Liebe“,
„Licht“ und „Finſterniß“, „Gemeinde der Welt” und „Gemeine
Chriſti“.
Auch iſt es charakteriſtiſch, daß in Bezug auf die Zahl der
Tugenden und Untugenden dieſelbe Symbolik wiederkehrt, wie wir
ſie eben beobachtet haben, und zwar ſind hier in der Regel die Zahlen
drei und ſieben.
Die Zahl drei ſcheint entſprechend der chriſtlichen Lehre von
der Dreifaltigkeit in dieſen Ideenkreiſen ſo ſtark betont zu werden.
Wenigſtens werben die drei Grundkräfte: Kraft, Weisheit,
Liebe, welche die Waldenfer als höchſte Eigenjchaften Gottes be⸗
zeichnen, als „Kraft des Vaters“, „Weisheit des Sohnes” und
„Liebe des h. Geiſtes“ bezeichnet 2). Diefen drei Kennzeichen Gottes
1) So das Büchlein von der „geiftlichen Stiege‘, desgl. von ber „geiftlichen
Leiter” u. |. w. Ferner ift da8 6. Cap. der Schrift von ven zwei Mannen
(Schmidt Nic. v. Bafel S. 247f.) der Erläuterung ber fieben Stufen gewidmet.
2) Schmidt Nic. v. Bafel ©. 311.
203
jtehen auf Seite des Menſchen drei Pflichten gegenüber, die Pflicht
bes Glaubens, der Hoffnung und der Liebe. —
Es iſt nicht ohne Interefje, die Stellung zu Tennzeichnen, welche
ber Gottesfreund in dem damaligen Kampf zwifchen geiftlidher
und weltliher Gewalt einnimmt. Unter dem 8. Juni 1379
fchreibt er über dieſe Fragen einen Brief an den Comthur des
Johanniterhauſes und jagt, er fürchte, daß aus Gottes Verhängung
und Zulaffung das weltliche Schwert unterbrücdt werde. Davon
werde, führt er fort, „viel Xeidens in der Chriftenheit wer-
den”). Bet der vorfichtigen Art, die den Gottesfreund kennzeichnet,
ift hiermit feine Auffaffung hinreichend dargethan.
Sehr auffallend ift Doch auch die Antipathie, welche ver Got-
tesfreund gegen die geiftlichen Gerichte offen ausipricht; ja,
jelbft Die Anrufung weltlicher Gerichte durch die „Brüder“ ift ihm
anftögig. „Mit dieſen Gerichten‘, jagt er, „geicbieht gar großes
Unrecht, welches Gott gar widerfam tft“. Es dürfe nach „chriſt⸗
licher Ordnung“ nicht geſchehen; e8 werde vieles, was wider Gott
jei, vor diefen Gerichten vollbracht u. f. w. 2).
In ähnlichem Sinn fchreibt er am 20. Febr. 1377 an Nicolaus
von Saufen, welcher ihm berichtet hatte, daß bie Johanniter viel
Arbeit mit weltlichen und geiftlichen Gerichten gehabt hätten?). „Und
das wiſſet, es ift mir leid, daß es der Comthur thut, benn der
Grüne Wörth ward nicht alſo angefangen, daß die Priefter, die drin
wohnen follten, dag die follten mit weltlichen Sachen umgehen‘. —
Es ftebt im Gegenſatz zu der Lehre der römifchen Kirche, wenn
ber Gottesfreund jagt, daR es möglich ſei, ohne Fegfeuer das
ewige Reben zu erlangen. Ä
Denjenigen Menfchen — fo führt der Gottesfreund aus —
welcher einen ftarfen, fteten Willen bat, fich zu beifern, den nimmt
Chriftus und führt ihn einen Theil des Weges, den er felber vor-
angegangen ift. Dann fpricht Gott zu feinem Sohn: „Er tft des
Tegfeuers ledig geworden und lohne bu es bemielben hier
in der Zeit und gieb ihm darnach das ewige Leben”). Mio ge
ſchieht es durch die Nachfolge Chrifti, daß Gott den Menfchen von
1) Schmidt a. DO. S. 328. 2) Schmidt Nic. v. Bafel S. 192f.
3) AD. ©. 299. 4) Schmidt Nic. v. Bafel ©. 247.
204
dem Tegefeuer losſpricht und ihm das ewige Leben giebt. Man
weiß, daß dies Die Lehre der Waldenſer gewefen ift.
Und diefe Meinung Tehrt bei unferem „Gottesfreunde‘ nicht
bloß an jener Stelle, ſondern häufig wieder. Wir befigen ein Bud
unter dem Titel „Urfula und Adelaide”, in welchem erftere ihre
Lebensgefchichte zum Nuten einer edlen Jungfrau erzählt. Dies
Buch warb von dem Gottesfreund aus der „wälichen Sprache” ins
Deutſche überfegt und an Rulman Merſwin gefandt. Darin wird
berichtet, wie Adelaide 30 Tage nach Urfulas Tod einen Traum
hatte, in welchem ihr leßtere erfcheint und ihr erzählt, wie es ihr
ergangen fei, jeitvem fie der Erde entrückt worden. Urſula fagt: „Ich
fahre nun zur Stunde aus dem Baradiefe, darin ich Diefe dreißig
Tage ohne Weh gereinigt bin und fahre dann mit den beiligen
Engeln auf in das ewige Leben”. Mio auch Urfula kommt wie
der Meifter im Meifterbuh ohne Fegfeuer zum ewigen Leben.
Es zieht ſich durch die Walvenferliteratur feit alten Zeiten ein
Kampf gegen die Anhänger derjenigen Theorien, welche durch Amalrich
von Bena eine wiffenfchaftlihe Ausgeftaltung erhalten batten und
die, weil fie, wie bie Walbenfer, in Oppofition zur herrſchenden
Kirche ftanden, von Letzterer, wie wir ſahen, vielfach mit den Wal,
benjern zufammengeworfen wurden. Es ift fein Zweifel, daß bie
„Amalrilaner” in den „Bruder- und Schwefterhäufern‘, in melden
viel armes, verwahrloſtes Volt Aufnahme gefunden hatte, damals
manche Anhänger zählten, und e8 war eine LXebensfrage für das
Waldenſerthum, gegen das Umfichgreifen jener Ideen mit allen Mit-
teln anzulämpfen.
Diefer Aufgabe Hat fich auch unfer Gottesfreund unterzogen.
Das Buch von den „Zwei Mannen“ giebt in feinem zweiten Capitel
eine Schilderung ber Berirrungen, zu welchen jene Lehren von ber
„Breiheit des Geiftes” führen, und warnt bie Lefer vor den „falſchen
Ketzern“, welche die Lehren des Chriftenthums zu fleifchlicher Frei⸗
beit mißbrauden ). —
Es verdient doch auch Veachtung, daß unſer „Gottesfreund
im Oberlande“ und ſeine Genoſſen gerade an ſolchen Orten und
1) Jundt Les Amis de Dieu 1879 ©, 390 f.
2) C. Schmidt Nic, v. Bafel ©. 220 ff.
205
nur an folhen Orten und Gegenden Beziehungen befiten, wo nach»
weislich auch Die „Apoftel” Freunde beſeſſen haben, d. h. am Ober-
rhein, in Straßburg, Bafel, Mes, dann in Oberitalten, in Deftreich,
Böhmen, Ungarn u. ſ. w. —
Wie im Jahre 1179 die „Waldenfer” zu Rom vor dem Papft
erſchienen, um durch Einwirkung auf ihn befürchtete Irrungen fern
zu halten, fo hoffen auch unfere „heimlichen Gottesfreunde im Ober-
land“, daß e8 ihnen durch ihre Bitten möglich fein werde, den Lauf
der Dinge zu hemmen. —
Wenn man die Schilderungen der Zuſammenkünfte Tieft, welche
der „Gottesfreund im Oberland” mit anderen „Gottesfreunden‘
an heimlichen Orten gehalten bat!), fo jcheint e8, als ob dieſelben
von Niemandem gefchrieben fein könnten, der nicht wirklich bei ven
„Sapiteln‘ der Apoftel zugegen geweſen ift.
So fommt unfer „Gottesfreund” am 17. März 1379 mit fieben
anderen „beimlichen‘ Gottesfreunden in einem abgelegenen Gebirge
zufammen. Dort ift eine Kapelle, d. h. ein Andachtshaus der Gläu⸗
digen, in den Telfen gehauen; Daneben findet ſich eine Heine Wohn-
jtätte, worin nach Waldenfer-Brauch ein Greis und ein Jüngling,
garız wie der uns befannte magister major und magister minor,
wohnen; ein „Winkel“ oder eine „Grube“ (daher Winteler und
Grubenheimer) find die Zufluchtsitätte der „Armen“.
Dann ward nah Waldenfer-Art eine anhaltende Verfammlung
in Gebet und Gottesbienft vom 17. bi8 25. März, d. 9 eine Woche
lang, abgehalten.
Ein Jahr ſpäter kommen abermals an benjelben Ort die Got-
tesfreunde; darunter waren einer aus Mailand, einer aus Genua,
ein Kaufmann, ver all feinen Reichtum um Chrifti willen geopfert,
zwei au8 dem Lande Ungarn. Am 22. März trafen fie an ber
Felſenkapelle im Gebirge ein. ALS fie beifammen waren, waren e8
13 Perfonen. Sie begannen mit anhaltendem Gebet; darauf em-
pfingen fie das Abendmahl, Dann begannen ihre Berathungen
ufd ihre Beſchlüſſe wurden alsbald in ven Landen ben heimlichen
Sreunden, jo wie in Straßburg dem Rulman Merfwin befannt 2).
1) &. Schmidt Nic. v. Bafel S. 329 ff.
2) Die Einzelnheiten über bie Zufammentünfte bei C. Schmidt a. O. ©. 43 ff.
&
206
Was war nun der Grund, daß die „Gottesfreunde ftet8 alles
heimlich betrieben? Die Verfolgung war es, die den „Ketern” drohte.
Wem jollten nicht die „Gemeinden Ehrifti” in den Sinn kom⸗
men, wenn er in den Schriften des „Gottesfreundes aus dem Ober-
lande“ Tieft, er babe „aus großer göttlicher Liebe eine Botjchaft
gefandt und begehrt, daß fie ver Gemeinde mit Ernft verfünbet
werde1), Was für Gemeinden mögen das gewefen fein? Wiffen
wir doch, daß auch Die Apoftel der „Chriftenbrüder” Sendfchreiben
an ihre „Gemeinden“ richteten.
Eben der Inhalt dieſer „Botſchaft“ it dann auch fo voll
ftändig identiſch mit den Anweifungen, wie fie bei ven Brüdern in
Kraft waren, daß man über die Kenntniß unferes Gottesfreundes
in Waldenferbräuchen billig ftaunen muß.
Darin beißt e8, daß die Ehriften Abends, bevor fie fchlafen
gehen, ihr Gemüth jammeln und bei fich felber Einkehr halten
follen. Dann follen fie beten und ihr Tagewerk betrachten und,
falls fie etwas Gutes gewirkt, Gott mit demüthiger Dankbarkeit
die Ehre geben und fich felber Kalten für unnüte Knechte Wenn .
fie aber gefehlt haben, es ſei mit Hoffahrt, mit Haß, mit Un—
wahrheit, mit Nachrede, mit Feindſchaft, mit Unmäßig-
feit ober mit Trägheit — e8 find die „jieben Hauptlafter”,
wie fie Die Waldenjerlehre Tennt, mit merkwürdiger Genauigkeit hier
angegeben — fo follen fie fich ſelbſt die Schuld geben und reuig
bitten „Vergieb mir heute alle meine Sünden“. So follen fie (wie
die Waldenſer) das Vater unfer beten.
Man bat gejagt, unfer Gottesfreund dürfe deßhalb den „Häre⸗
tikern“ nicht beigezählt werden, weil ſich nirgends finde, daß er ſolche
Funktionen, die in der Regel nur von den Prieſtern der römiſchen
Kirche vorgenommen wurden, vollzogen babe. Nun, es wäre kein
Wunder, wenn der „Gottesfreund” in Schriften, die er Nichtwal-
denſern zufandte, davon gefchwiegen hätte; aber e8 würde aus dieſem
Schweigen mit nichten folgen, daß er nie Beichte gehört oder das
Abendmahl ausgetheilt Habe, wie die „Apoſtel“ e8 zu thun pflegten.
1) Sp wörtlich bei Schmidt Nic. v. Bafel S. 203: „Darumb het er es
nuo aber us grosser göttelicher minnen har verbotschaftet und begeret, das
es der gemeinde mit erneste verkündet werde“.
207
Iſt e8 denn aber richtig, dag in den uns erhaltenen Schriften
von ſolchen Bunktionen nie geredet wird? Wenn man genau zu-
gejehen hätte, würde man fich eines Beſſeren haben belehren können.
In dem „Ritterbuch” — wie ich das Gegenftücd zum „Meeifter-
buch“ nennen möchte — wird uns die Zufammenfunft des „Got
tesfreundes“ mit einem weitberühmten Ritter und deſſen Belehrung
erzählt), Diefer Ritter war als Knabe des Gottesfreundes Spiel-
geſelle geweſen und in fpäteren Jahren hatte Erfterer von einem
weltlichen Deann, ver „va heimlich fein guter Freund war”, ges
bört, daß fein ehemaliger Spielcamerad der weltlichiten, weltfeligften
Kitter einer geworben, die nur in diefen Landen waren. Er machte
fih auf, um ihn zu fehen, und e8 gelang ihm, den Ritter von böfen
Wegen, auf denen er fich befand — er liebte die Frau eines feiner
Gönner — zurüdzurufen. AS der Gottesfreund fich entfernen
wollte, bat der Ritter, jener möge „durch Gott” fein „heimlicher“
Freund werden und ihn heimlich öfter befuchen.
In der Nacht nach diefer Zuſammenkunft überfiel den Ritter
bittere Reue über fein bisheriges Leben und er jehnte fich, Seman-
bem zu beichten, wollte e8 aber „feinem Beichter“ nicht thun, da
ihm biefer, wie er fagte, „zu leicht wäre”. Auf diefe Klage ent-
Ihloß fich des Ritters Gattin, noch in derſelben Nacht gegen Morgen
ben Öottesfreund in feiner Herberge perfünlich aufzujuchen und ihn
zu ihrem Mann zu rufen. |
Der Gottesfreund Tam, doch nicht mit der Gattin auf dem
gleichen Wege, ſondern auf einem beſonderen Pfade, d. h. alfo heim-
lich in das Schloß. „Alſo kamen fie beide zugleich zu dem Haufe
und famen auch beide vor ihn und fanden ihn noch im Bette”.
Da ſprach der Gottesfreund: „Da ihr nun einen ganzen Willen
babt, die Sünden nicht mehr zu thun, fo willet, daß euch Gott
barmberzig ift, und ich rathe euch aus aller Treue, daß ihr nun
jollt beichten und jollet unferen großen Herrn in dem Sacrantent
empfangen. Wenn ihr das getban habt, fo will ich euch mit ber
Hülfe Gottes tröften, daß ihr dann am Leib und an der Seele
geneft und auch dann fofort vom Bett werdet aufitehn”.
1) & Schmidt Nic. v. Bafel S. 79 ff.
208
Und dann fährt der-Erzähler unmittelbar fort: „Und dies
geſchah au. Da er gebeichtet und unfern Herrn empfangen, da
ftand er auch gefchwinde von dent Bette auf und fiel in der Kam⸗
mer nieder auf feine Knie und betete da mit großem Ernſt“. Dann
faß er mit ihnen zu Tiſch und war fröhlich mit ihnen. „Und
alsdann nach dem Imbiß bat den Gottesfreund der Nitter und
deffen Frau mit großem Ernft, daß er länger bei ihnen bleibe. Da
ſprach der Gottesfreund: „Danket Gott für das Gute, das er an
euch getban bat, und laßt mich nun gehn”. Bald darauf baten
der Ritter und die Frau, daß der Gottesfreund ihnen eine „Ord⸗
nung gejchrieben gäbe, wie fie fich in allem ihrem Leben, in allen
ihren Sachen, im Thun und im Laffen halten follten“.
Wer ift e8 nun wohl gewejen, welchem der Nitter bet dieſer
heimlihen Zuſammenkunft mit dem Gottesfreund gebeichtet bat, und
von wem bat er das Sacrament empfangen? Seinem regelmäßigen
Beichter wollte er ja nicht beichten und wer war denn in der frühen
Morgenſtunde ſonſt noch an des Ritters Bett?
Es ift wahr, unfer Büchlein fagt nicht: Darauf beichtete mir
der Ritter; aber e8 jagt auch nicht, Darauf beichtete er feinem Beichter.
Doch für denjenigen, welcher feine Augen nicht ganz verfchliekt,
bevarf e8 weiterer Beweife nicht. Für jeine eingeweihten Leſer hatte
der Gottesfreund deutlich genug geiprochen; bie anderen follten
28 nicht verſtehen.
Neuntes Capitel.
Die deutſchen Bauhütten und die altevangelifchen Gemeinden.
Der „Sottesfreund aus dem Oberland” und die Bauleute. — Die religidfe Be⸗
wegung ber beutichen „Myſtiker“ in ihrer Einwirkung auf die deutſche Kunft. —
Die Entwidlung des Steinbaus feit dem 12. Jahrhundert in ihrem Ver⸗
hältniß zur Geſchichte der altevangeliihen Gemeinden. — Der Bund ber
deutſchen Bauhütten. — Einfluß und Macht deſſelben. — Berfaffung, Bräuche
und Wefen der Brüberfchaft der Hlitte im Vergleich mit der Brüberfchaft der
„Waldenſer“. — Die Stellung Straßburgs im Hüttenbunde und in ber
Organifation ber altevangelifchen Gemeinden. — Die Verfolgung ber „Ehriften-
Brüder“ feit 1360 und Rückwirkung berfelden auf bie Baubütten. — Die
„Liebhaber des Handwerks“. — Die Tendenz bed „geiftigen Bauens“,
Wir haben oben bereit8 wiederholt erwähnt, daß der berühmte
Franciskaner und päpftliche Apologet Dr. jur. Alvarus Pelagius in
feinem Wert „De planctu ecclesiae“ die „Schaaren der häretifchen
Apoftel und Begharden“ beſonders dadurch vor aller Welt ver-
ächtlich zu machen fucht, daß er ihre nahen Beziehungen zu den
Gilden der deutfchen Werfleute hervorhebt. Während die Priefter
ber römifchen Kirche auf Hochſchulen die Tiefen der Wiſſenſchaft
ergründen und fich in der Theologie die höchſten Grabe erwerben,
find diefe „Apoftel”, meint Pelagius, zum Theil ehemals Maurer
und Bauleute, Eifenjchmiede, Wagner und folcher Art Leute
gewejen.
Derartige Nachrichten begegnen uns jo häufig in den Quellen,
dag eine allgemeine Erfcheinung ihren zu Grund gelegen haben muß.
Wenn nun aber wirklich die „Apoſtel“ ver altenangelifchen Ge-
meinden nicht felten aus ven Kreifen der Werkleute bervorgingen,
jo Tiegt die Frage nahe, ob fich denn gar Feine weiteren thatjäch-
lichen Anhaltspunkte dafür finden Yafjen.
Keller, Die Reformation. 14
210
Aus der Zahl der Waldenjer-Geiftlichen treten einftweilen, wie
oben bemerkt, für und nur wenige Perſonen beftimmt heraus. Ver⸗
hältnigmäßig am meilten wiffen wir noch von dem vielbeiprochenen
„Bottesfreund ans dem Oberlande”.
Da ift e8 num merkwürdig, daß gerade biefer „Gottesfreund”
in den Briefen, die uns von ihm erhalten find, von keinem Gegen-
ſtand häufiger und von Teinem Thema mit mehr jachlichem Ver⸗
ſtändniß Ipricht, al8 vom Steinhauen!), Bauen, Mauernziehen,
von Werfleuten, Bauplänen u. vergl. Gerade in foldden Tragen
holt man feinen Rath ein; er äußert feine Vorfchläge, man befolgt
fie — kurz, er ift für feine Straßburger Freunde nicht nur der
Beiftand in geiftlihen Dingen, ſondern auch vor Allem ein Rath
geber in bautechnijchen Angelegenheiten 2).
Gleich in dem dritten Brief, der uns von ihm erhalten ift
(1371), Tommt der Gottesfreund auf einen Baupları zu fprechen,
den er und feine Freunde begen?). In dem vierten Brief vom
20. Febr. 1377 findet fich ein fpecielles Eingehen auf den Bau bes
Kirchenchors, welchen die Johanniter des Merfwinfchen Bruder-
hauſes beabjichtigten, der Gottesfreund und feine Brüder haben
angeblich ſchon dreimal über diefen Bau berathen). Am 24. April
deſſelben Jahres jchreibt der Gottesfreund an den Comthur des
Sohanniterhaufes auf des letzteren bezügliche Anfrage abermals
wegen dieſes Baue85); er räth ihm ab, den Chor in der projeltirten
Weife zu bauen. Er erzählt bei dieſer Gelegenheit, wie er viele
große Bauwerke „mit Töftlichen Zierrathen und Köftlichen Gewölben“
kennen gelernt habe. Er habe e8 aber auch erlebt, wie bei Erd»
beben dieſe Steingewölbe herakftürzten und die „Münftermauern”
ftehen blieben. Aber die Mauern hätten auch ſolchen Schaden ge-
Titten, „daß man nicht mehr darauf mauern konnte“. Er Tennt
Gewölbe von Stein und Gewölbe „mit hultzinen tilen ane die
1) Die ausdrüdlihe Erwähnung des „Steinhauens‘ f. u. A. bei Schmibt
Nic. v. Bafel ©. 315.
2) Diefe Thatfache ift Tängft auch von Anderen, 3. B. von Denifle erkannt
worben; vergl. unten.
3) Schmidt Nic. v. Bafel S. 294 und 296.
4) A. a. O. ©. 298. 5) A. a. 0. ©. 300,
211
büne gemachet“. Er ift alfo fehr gut orientirt über bie ver-
ihiedene Technik des Gewölbebaus.
Ia, jogar in feinen Träumen befchäftigt fich der Gottesfreund
mit Neubauten, Anlegung von Altären, Herftellung von Bildwerk
u. ſ. w. Und dies begegnet ihm nicht einmal, ſondern wiederholt.
Dabei fchweben ihm Dimenfionen und Größen, Berechnungen aller
Art vor. Auch bedient er fich ſolcher Ausdrücke und Worte, welche
man nicht Teicht von Andern als von Bauverftändigen hören wird!),
Der Gottesfreund entwirft förmliche Baupläne; auch Rulman
Merfwin thut das Gleiche und zwei fo zu Stande gekommene Skizzen
jendet der Gottesfreund im Sabre 1377 den Iohannitern 2). Die
Letzteren hatten zuvor auch ihrerfeits dem Gottesfreund eine Skizze
eingefandt, um deſſen Rath zu hören. Er erwiberte u. A. datauf,
fie jollten die Kapelle nicht zu einer Sakriftei machen, „wanne die
muren sint zuo krang darzuo“. Er hat aljo Berechnungen über
nothwendige Mauerſtärken angeftellt. Auch Hat er erkannt, daß
ber Bau nach der Merfwinichen Skizze 3—400 Gulden theurer
lommen werde; aber das Geld, meint er, fei gut angelegt. „Nun,
biel lieber Freund, wollet ihr diefen Bau anfangen, jo fanget ihn
auch Fröhlich am zur Ehre der h. Dreifaltigkeit und brechet Diefen
Sommer die Steine von dem neuen Chore ab und vermauert fie
wieder an die lange Mauer” u. f.w. Außer dieſem Gutachten foll
der Comthur auch dasjenige Heinrich Wetzels und Rulman Merfwins
einholen.
Im Mai deffelden Jahres bringt der Gottesfreund abermals
wegen des Neubaus zu „Ehren der h. Dreifaltigkeit und ©. Johanns“
in die Johanniter. Er fagt, dag man die Koften für Sertigftellung
des Dachs und der Mauern nur zu 200 Gulden veranichlagen
könne; er begreife nicht, warum man ben angefangenen Bau alſo
ſtehen laſſe. Es fei gut, wenn bie Brüder felbft Hand anlegten,
Steine und Holz zu tragen. „Wanne wiszent, wie alt daz unser
briieder sint, so wir buwent, so helfent su“. Unter dem 6. Juli
1377 kommt unſer Gottesfreund wieder auf Diefen Neubau zurüd.
Er empfiehlt dem Comthur für Die neue Kirche (zur Ehre S. Iohanns)
1) ©. €. Schmidt Nic, v. Baſel S.316f. 2) Schmidt a. D. ©. 304,
j 14*
212
Werkleute anzunehmen. Der Comthur batte nochmals bei ven
„Sottesfreunden im Oberland‘, beſonders auch bei dem „Bruder“
Ruprecht um Rath gefragt; der Iektere legte Dann die Frage un.
ferem befannten‘ „Sottesfreunde” vor. In dem citirten Schreiben
veferirt Xetterer über feine bezügliche Eonferenz mit Ruprecht. „Do
sprach ich: vil lieber Ruopreht, du weist doch wol, daz ich
min zit nit vil mit gebuwe vertriben habe, darumb so bitte
ich dich, daz du mir wellest sagen, weler sin dich der we-
geste und der beste dunket“.
Aus diefen Worten gebt Hervor, daß unfer Gottesfreund ſich
eine Zeit hindurch in der That mit Bauen befchäftigt haben muß;
daß es feine lange Zeit geweſen tft, begreift man, wenn man an
die 30 jährige Apoftelthätigleit fich erinnert, und ferner ſieht man
daraus, Daß Bruder Ruprecht in diefen Dingen noch erfahrener
war al8 der Gottesfreund.
Sollten vielleicht unter den Gottesfreunden im Oberlande
mebrere ehemalige Werfleute gewejen fein? Wenn man bie bau-
technischen Erörterungen, welche Bruder Ruprecht auf des. Gottes.
freundes Erfuchen giebt!), durchlieft, fo kann man fich allerdings
der Ueberzeugung nicht erwehren, daß eine nahe Beziehung zu ben
Bruderſchaften der Werkleute vorhanden gewejen fein muß.
Auch Denifle ift es aufgefallen, „daß der Gottesfreund ſich
immer gerire als verftebe er die Baukunſt“?).
Man könnte bei ver nahen Beziehung, welche unfer Gotted-
freund zu den Sohannitern befaß, e8 erflärlich finden, daß er ver-
ſchiedene Neubauten und Anlagen gern zu Ehren ©. Johanns aus
geführt willen will. Immerhin ift e8 aber bemerfenswerth, daß er
wiederholt eine bejondere Theilnahme für „beide sante Johan-
nesen“ d. h. für Johannes den Täufer (ven Schubpatron ber
Sohanniter) und für Johannes den Evangeliften zu erkennen giebt?).
Auch der S. Johannistag und die S. Johannisnacht Spielen bei
ihm, 3. B. in den ſymboliſchen Andeutungen feiner Entfchlüffe, die
1) Schmidt Nic. v. Bafel S. 312.
2) Ztſchr. f. deut. Altertb. 1881 ©. 111.
3) C. Schmibt Nic. v. Bafel S. 317: „Nu solt du aber me wiszen, daz
die algeweltige heilge ewige drivaltikeit wil, alse der nuwe gebu angefangen
213
er. oft in Träume leidet, eine merkwürdige Rolle. Ein Traum, der
ihm in der Johannisnacht geworden ift!), Hat für ihn eine befon-
bere Bedeutung?) und einer Eröffnung, bie ihm „her Johans‘ am
©. Yobannistage macht, legt er große Wichtigkeit bei. Eben diejer
Herr Johannes hatte feinen Namen erhalten, als er fich den „Brü⸗
dern” angefchloffen Hatte und vom Judenthum zum Chriftenthum
übergetreten war.
Die innere Verwandtfchaft, welche zwiſchen unſerm ,Gottes⸗
freunde” und den Werkleuten und ihren Schöpfungen befteht, ift
von den Kunfthiftorifern längſt auf ganz anderen Wegen erkannt
und dargetban worden.
Wir Haben oben gefehen, daß diejenige religiöfe Richtung, als
beren Repräfentanten Rulman Merſwin und der „pttesfreund
aus dem Oberlande‘ zu betrachten find und welde in dem ge-
lehrten Sprachgebrauch der Theologen mit dem Namen „Myſtik“
bezeichnet zu werden pflegt, in den Kreifen ver „Waldenſer“ ihre
urfprüngliche und eigentliche Heimath befikt.
Der beherrſchende Einfluß dieſer jogenannten Myſtik auf Die
bildenden Künfte jener Tage ift von den ausgezeichnetiten Kunft-
biftorifern nachgewiejen worden. Carl Schnanfe jagt geradezu, daß
nur berjenige die Kunſtwerke des 14. Jahrhunderts recht zu ver-
fteben im Stande fei, welcher die Schriften der „Gottesfreunde”
gelejen habe). Und umgekehrt behauptet er von der Theologie der
ist, daz der gantz und gerwe für sich sölle gon und man in sol loszen gantz
also ston zuo erwirdikeit der lieben groszen hohen heilgen den beiden
sante Johannesen; und denselben nuwen fronaltar, den man do machende
wurt, und den kor und daz nuwe gebuweze alles mitenander wihen in ere
der lieben groszen heiligen der beder sante Johannese“.
1) Ric, v. Baſel ©. 330.
2) Daß bei den Bauleuten der S. Jobannistag (24. Juni) eine befonbere
Bedeutung hatte, ift bereit8 im 15. Jahrhundert urkundlich zu belegen. Diefer
Brauch ift aber nicht etwa erft damals aufgelommen, fondern wie alle derartigen
Bräuche uralt. Man pflegte an biefem Tag die Bauhütte mit Laub zu ſchmücken
und mit Kränzen zu ‚zieren; auch war „Hüttenzeche“, d. h. ein Feſtgelage. Siehe
Janner Die Bauhütten Lpz. 1876 ©. 226. Janner giebt Nachweife aus ben
Jahren 1459, 1487—89; 1530 u. 1532,
3) Schnanfe Geſch. d. bild. Künfte Bd. VI ©. 58.
214
Myſtiker: „Ste nimmt augenjcheinlich einen. künſtleriſchen An-
lauf und wir werben bei näherer Betrachtung gleichzeitiger Male
reien unwilltürlih an ihre Verwanbtichaft mit dieſen Vorftellungen
der Myſtiker erinnert” 1), „Beide, Myſtiker und Künftler, gehen
auf demfelben Wege weiter‘ 2),
Es beruht diefe Wahrnehmung nicht auf allgemeinen Eindrüden
oder Empfindungen, fondern auf ganz fpeziellen Thatfachen. Das
zeigt fih z.B. in ver Syumbolit, welche jowohl bei den Gottes.
freunden wie bei den Werkleuten vorkommt.
Die Symbolik fpielt bei den „Myſtikern“ eine ganz bervor-
ragende Rolle. Anfichten, Rathſchläge, Lehrſätze, welche fie aus
Furcht vor den Keßergerichten nicht mit ihren wirkliden Nanten
nennen durften, bezeichneten fie mit einer Art von Zeichenſprache,
welche meist nur den „Brüdern“ ſelbſt befannt war. Schnaafe
weift mit Necht darauf bin, daß fie abfichtlich ihren Natbichlägen
eine allegorifche Einkleidung gegeben zu haben feheinen ?).
In diefer Symbolik fpielen nun die Ericheinungen des Lichtes,
der Wärme, der Schwere, des Weltalls, „mit einem Worte des all-
gemeinen Naturlebeng‘'t) eine ganz befondere Rolle.
Das Licht ift das Symbol des Geiftes des Guten, Gottes,
Chriftt, der Heiligen. Die Rofe ift pas Symbol zeitlichen Leidens,
der Adler dasjenige ver Kraft; weiße Gewänder find das Symbol
der Reinheit. Edle Steine, leuchtende Kreuze, mit Blutstropfen
beiprengte Kleider, Kryſtalle, Blumen aller Art find die noch viel-
fach ungebenteten Zeichen ihrer Sprade?). „Sie redet faft nichts
obne bildliche äußere Zeichen von Gott‘, fagt Schnaaſe.
Auch ſolche Symbole, welche fpeciell an die Baukunſt erinnern,
kehren häufig in dieſer Literatur wieder, befonvers das Bild ber
Stufen oder Staffeln, der Stiege oder Leiter, wie wir Dies oben
an den erwähnten Schriften: „Von der geiftlichen Leiter” und „Von
der geiftlichen Stiege” oder dem „Buch von den neun Felfen’ bereits
gefeben haben.
1) A. a. O. S. 50. 2) A. a. O. S. 599. 3) A. a. O. © 44
4) Schnaaſe a. O. S. 46.
5) Eine nähere Unterſuchung der Zeichenſprache der Myſtiler wäre ſehr
wünſchenswerth.
215
Meift werden biefe Stufen nicht in der Neunzahl, ſondern
in ber Siebenzahl vorgeftellt, entfprechend den „fieben Gaben des
b. Geiſtes“ und „ven fteben Werken der Barmberzigkeit”, welche
nah dem Zeugniß Auguft Jundts zu den Lieblingsthematen ver
gottesfreundlichen Literatur gehören!) Die „fteben Gaben des
b. Geiſtes“ find nah Merfwin Weisheit, Verftand, Rath, Stärke,
Erfenntniß, Gottesfurcht und Liebe, und die fieben Werke der Barm⸗
berzigfeit werben gemäß Chrifti Worten Matth. 25, 35 —36 beftimmt,
bob mit der Maßgabe, daß zu den Dort genannten als fiebentes
Werk das Todtengeleit hinzugefügt wird.
Die Symbole werben in den Schriften der Gotteöfreunde in
bie Viſionen verwebt, deren. häufige Verwendung wir bei ihnen
ihon früher conftatirt haben. Wenn irgend etwas für den geiftigen
Urfprung dieſer Religionsanichauungen bezeichnend ift, jo ift es Die
Thatfache, daß die „Myſtiker“ jelbft in den Geftaltungen ihrer
Phantafie nur ſolche Vorjtellungen Tennen, welche der Lehre der
Brüder” befannt waren, daß dagegen die Ideen des Fegfeuers,
der Hölle, der böfen Geiſter felten oder nie in den Viſionen
auftreten). „Ihre Symbolik ift einfach”, jagt Schnaafe, „ihre
Bilder find ſanft“. „Alle ihre Vifionen find freundlich und zart,
einfach und Licht”.
Und die gleichen Merkmale der Einfachheit, Zartbeit und lichten
Klarheit befigen die Erzeugniffe der eriten Künftler jener Tage,
zumal in der Plaftif und Malerei.
Wenn wir die Leiftungen der deutſchen Dealer, jagt Schnaaſe,
mit den Bildern vergleichen, von denen der Gottesfreund im Ober-
lande träumt, und noch mehr mit den Bildern, welche ihrer Phan-
tafie vorfchwebten, jo Tann uns die Verwandtfhaft nicht
entgehen. Erſt dadurch, meint derfelbe Autor, lernen wir bie
Abſichten der Künſtler recht verjtehen, und es jei eine „unerwartete
Klarheit”, welche von der myſtiſch⸗religiöſſen Bewegung aus auf
die gleichzeitige Kunſt falle 8).
1) Les Amis de Dieu au quatorzième siècle. Paris 1879 ©. 25 Anm. 2
und ©. 23 Anm. 2. |
2) Schon von Schnaafe beobachtet a. O. ©. 49,
3) Schnaafe a. O. ©. 58.
216
Seit dem 12. Jahrhundert Hatte der Steinbau in Deutfchland
eine Bedeutung gewonnen, die man bis dahin nicht gekannt Hatte,
Ein neuerer Kunftlenner, Auguft Neichenfperger, ſchildert Die
Entwidlung, welche der Steinbau feit jener Zeit nahm, in folgender
Weiſei): „In der That grenzt e8 ans Sabelhafte, was vom 12. Jahr⸗
hundert an bis zum 16. in dem Bereich der chriftlichen Civiliſation
gebaut, gemeißelt, gemalt worden iſt. Noch immer fteht, wie fehr
auch die fpäteren Gefchlechter darin gewüthet haben, ein Wald von
Kathedralen aufrecht, an deren bloßer Erhaltung Die Gegenwart
verzagt. Nehmen wir noch die fonftigen Kirchengebäude dazu, die
Klöfter, die Paläfte der Fürften und Stadtgemeinden, ſowie bie
Befeftigungsbauten aller Art, und erwägt man, wie vollendet und
künſtleriſch durchgebildet ein jeder ſolcher Bau in feiner Weiſe er⸗
fcheint bis herab zu den fchlichteiten Wohnungen, — erwägt man
endlich noch, daß ſeither in Betreff der mechaniſchen Hülfsmittel
ungeheure Fortſchritte gemacht worben find, fo leuchtet ein, daß
vormals Hebel ganz befonderer Art wirkſam gewejen fein müffen.
Ein Hauptbebel diefer Gattung it zweifeldohne in ven Bauhütten
des Mittelalters... . zu ſuchen“.
Nun ift e8 doch beachtenswertb, daß eben das 12. Jahrhundert
der Anfangspunft der großen geijtigen Bewegung ift, welche von
Stalien und Frankreich aus über ganz Weftenropa fich durch bie
ungewöhnliche Ausbreitung der altchriftlihen Gemeinden fund
giebt.
Eben von Norditalien und Frankreich ber kamen ja auch die
„Meiſter“, welche die Grundzüge der Bautechnik mitbrachten, welche
dann in Deutſchland ihre felbftändige Entwidlung und höchfte Blüthe
finden jollte.
Dazu kommt, daß, wie nach Alvarus’ Zeugnig urkundlich feit-
fteht, die „Lehrer der „Waldenſer“ ehemals jelbft Häufig ausübende
Werkleute gewejen waren.
Liegt unter ſolchen Umftänden nicht die Vermuthung nah, daß
zwifchen ver Ausbreitung des Steinhaus und dem Auffchwung ver
altchriftlichen Gemeinden eine Wechfelwirkung ftattgefunden hat?
1) Bermifchte Schriften Über chriſtliche Kunſt Lpz. 1856 ©. 156 ff.
217
Diefe Anficht erhält eine merkwürdige Beftätigung durch die
Thatfache, daß gerade diejenigen Ränder und Stäbte, in welchen bie
großartigften deutſchen Steinbauten jener Iahrhunderte erwachien
find, die vornehmften Site der walbenfifchen „Keterei” wurden und
blieben. Dean vente an Straßburg, Köln und Wien, welche
neben den berrlichiten Domen zugleich Die größten „Ketzergemeinden“
erzeugt haben. Von diefen Mittelpunkten aus find dann die ganzen
umliegenden Lande beeinflußt worden.
Wie dem auch fein mag, fo fteht doch fo viel feſt, daß feit dem
12, Jahrhundert die „Bruderihaften” der Steinntegen in
Deutſchland eine große Rolle unter den Gilden zu fpielen beginnen.
Die überlegene Stellung, welche die Eultur des Südens damals
noch befaß, mußte, in welchem Berufe auch ihre Träger nach dem
Norden wanderten, ven Perfonen, bie mit den Sübländern in dem
gleichen Bunde thätig waren, die Errungenschaften einer älteren
und reicheren Cultur bi8 zu einem gewilfen Grade vermitteln. In»
dem die Fremden zugleich einen feiten Zuſammenhalt und eine be
währte Organifation mitbrachten, übertrugen fie auch dieſe Vorzüge
auf das Handwerk, an deſſen Spige fie fich ftellten.
Es ift bekannt, daß die Werfleute, wo fie fich zur Ausführung
eines Baus zufammenfanden, ſich in einer „Hütte vereinigten.
Die „Hütte, d. h. der gemeinfame Arbeitsraum, den fie in
ver Nähe des Baus fich zimmerten, war ver lokale Mittelpunkt
aller der Techniker, welche bei dem Bau mitzuwirken berufen waren.
Die „Hütte war, wo möglich, im Viereck errichtet; im Oſten
hatte der Meeifter feinen Pla und feine Werkbant. Im der Regel
enthielt fie nicht nur die Arbeitöftätten, jondern auch Berathungs-
zimmer, Regiſtratur⸗ und Werkzeugsräume. Sie war ein fried-
beiliger Ort, welchen Niemand bewaffttet betreten burfte.
In jeder Hütte waren außer dem Meifter ald weitere Ordner
und Beamte ein „Parlierer” und ein Kafjenverwalter thätig; bei
größeren Bauten war auch ein Baufchreiber angeitellt.
Es ift überliefert, daß die Bauhütten häufig mit Kapellen oder
mit einem Raum zur Uebung des Gottesdienftes verbunden waren und
daß der „Baufchreiber vie Funktionen des Geiſtlichen wahrnahm?).
1) Janner a. O. ©. 102.
218
Der Platz der Hütte und ihre Infaffen waren häufig von der
niederen Gerichtsbarkeit erimirt und ber „Meiſter“ fchaltete auf
feinem Boden als Richter unter den „Brüdern“.
Sp entwidelte ſich ſchon in früben Zeiten aus der Bauhütte
eine Bruderſchaft, welche ihrem Urjprung und ihrem Wefen
nach von den lokalen Hanbwerkerzünften fich erheblich unterſchied!).
Naturgemäß waren bie Glieder diefer „Bruderſchaft“ darauf
hingewieſen, fich nicht mit einer lokalen Organifation zu begnügen;
vielmehr beburften fie bei dem häufigen Ortswechſel eines allge
meinen Bundes aller derer, welche Steinmegbrauch und Gewohn⸗
heit kannten. |
Gleichzeitig umſchlang fie ein feſtes Band durch den Beſitz
vieler befonderer Kenntniffe, welche die Ausübung ihrer ſchwierigen
Kunft erforderte. Um fich die Ausübung des Gewerkes gleichfam
als Monopol zu fichern, Hüteten fie diefen Befig vor jedem unbe
rufenen Auge und die Geheimhaltung ward jevem eintretenden
Bruder zur jtrengften Pflicht gemacht.
Die Bauhütte ſelbſt ift in den Grundzügen ihrer Ordnung
ficherlich uralt, vielleicht fo alt wie die höhere Technik des Stein.
baus überhaupt. Aber der fpecielle Bund der deutſchen Baus
hütten, wie er bi8 in das 18. und 19. Jahrhundert, wenn aud
zulett in verfümmerter Geftalt, bejtanden hat?), dürfte ſchwerlich
1) Nur noch ein einziger Berufszweig bedurfte, fo viel ich jehe, in Damaliger
Zeit ebenfo wie die Bauleute einer „Hütte“, nämlich die großen Eifenwerte,
wie fie in einzelnen Theilen Deutichlands fchon frühzeitig unter dem Namen von
„Hammerbütten” vorlommen. Auch in diefen Werfen vereinigten fich Mo—⸗
beflirer, Schmiede u. |. w. in einer gemeinfamen Werkftatt, und es ift ſehr be-
zeichnend, baß, wie wir ſehen werben, auch bei ben „Hammerhütten“ wichtige
principielle Unterjchiede von der Zunftverfafiung der übrigen Handwerke in ihren
Statuten zu Tage treten.
2) Eine Gefchichte des Steinmelbunbes ber fpäteren Jahrhunderte eriftirt
Yeider nicht. Am 12. Auguft 1671 beichloß ber Reichstag zu Regensburg, daß
die Straßburger Hütten-Oberhobeit, welche fortwährend in praftifcher Geltung
war, aufhören ſolle. Zrot der Eroberung Straßburgs durch die Franzofen ward
die alte Ordnung nicht völlig unterbrochen. Der Reichstag erneuerte die Ber-
bote 1707, 1727 und 1731. Endlih am 15. Juli 1771 wurde bie beutfche Bau⸗
hütte durch Reichsbeſchluß als Corporation ganz aufgehoben. Sie beftebt
gleichwohl mit etwa 100 Brüdern formell bis auf ben heutigen
Tag. Näheres bei Riha a. D. ©. 38.
219
über das 12. Jahrhundert hinausreichen, ja es feheint, daß die nach“
malige Organifation aller deutichen Hütten, die wir kennen lernen
werden, erit im 13. Sahrhundert entftanden ift.
Darauf deutet die Tradition des deutfchen Steinmeßbundes
ſelbſt Hin. Diefelbe ift in verfchievenen Formen auf uns gefommen,
aber von jieben befannten Verfionen!) deuten nicht weniger als vier
ganz ausprüdlich auf die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts.
Nach der erjten diefer vier Verſionen follen die Statuten des
deutſchen Hüttenbundes in Köln zur Zeit des Albertus Magnus?)
(r 1280) entworfen worden fein; die zweite jagt, daß Meifter Erwin
am Münfter zu Straßburg der erfte Großmeifter der beutfchen
Hütten geweſen fei und daß die Straßburger Hütte bereits feit 1275
als Großhütte anerkannt worden jet.
Die dritte Berfion endlich ift injofern interejjant, als fie fagt,
daß Papſt Nicolaus III. ums Jahr 1278 den Steinmeken gewiffe
Borrechte eingeräumt babe. Wenn man nämlich die eigenthümliche
Stellung Tennt, welche Papft Nicolaus III. zu gewiffen geijtigen
Strömungen, 3. B. im Franciskanerorden, im ausgefprochenen Ge-
genſatz zu feinen Vorgängern und Nachfolgern eingenommen hat,
fo erjcheint diefe Tradition mehr als eine bloße Sage zu enthalten.
Die vierte Form endlich bringt Kaifer Rudolf von Habsburg
mit der Begründung des Bundes in Beziehung.
Selbſt wenn diefe Traditionen bis zu einem gewilfen Grade
mit Zunftfagen vermischt fein follten, jo liegt ihnen Doch unzweifel-
haft ein Kern Biftorifcher Wahrheit zu Grunde. Alle Schlußfolge-
rungen, die man an der Hand der Urkunden machen kann, weifen
ebenfalls auf die Wende des 13. und 14. Jahrhunderts Bin,
Da eine große, weitreichende und durch das Monopol geficherte
Bundesgenofjenichaft die „Brüder“ zu einem einflußreichen Macht-
faktor machte, jo ergab fich, daß fie viel weniger als die lokalen
Zünfte von der Gunft oder Ungunft der herrſchenden Gewalten in
1) Diefelben finden ſich aufgezählt bei Rziba a. a. D. 1881 ©, 35.
2) Wenn die Trabition den Mlbertus felbft an der Abfafiung theilnehmen
läßt, fo ift das natürlich eine Verwechſelung. Aber wer erinnert ſich nicht an
Meifter Edart, den Apoftel Walther und bie große Gemeinde zu Köln in ben
erften Jahrzehnten des Dombaus?
220
Kirche und Staat abhängig waren. Ein berechtigtes Selbftvertrauen
gab felbit dem gewöhnlichen Steinmegen einen freieren Zug und
ein felbjtbewußtes Streben. Während in einer Zeit, wo das Hand
wert immer mehr von Fürften und Adel gefnechtet warb, defien
einzelne Glieder geiſtig vielfach verkümmerten, haben fich das deutſche
Bauhandwerk und die von ihm beeinflußten Kunſthandwerke lange
Zeit ihre geiftige Selbftändigfeit zu wahren verſtanden.
Denn es gehört eben zu den wichtigften Erfolgen der „Bau
* hütte‘‘, daß fie unter allen verwandten Gewerkszweigen fich eine
beberrfchende Stellung zu verfchaffen gewußt Hat. Die naben Ber
ziehungen, weldde Maler, Formſchneider, Schmiede aller Akt,
Zimmerleute und andere Dolzarbeiter, mit den Hütten verban⸗
‘den, waren ja durch die Natur des Bauweſens gegeben. Die na
türliche Folge der beſtehenden Meachtverhältniffe aber war, daß die
jtärfere Corporation die ſchwächeren in den Kreis ihres Einfluffes
hineinzog und fo gleichfam der geijtige Mittelpunkt und das Haupt
eines mächtigen Verbandes deutfcher Gilden wurde. An Orten,
wo feine bejondere Maler⸗ und Schmiedegilde beftand, fcheinen die
einzelnen Vertreter dieſes Handwerks fogar bei den Hütten freien
Zutritt befefjen zu haben.
„Sp entwidelte ich", ſagt Auguft Reichenfperger, „zugleich mit
ben übrigen ftäbtifchen Gewerken jene großartige Corporation
(der Bauhütte), die auf dem Kunftgebiete eine Art Univerfal-
herrſchaft ausübte” '),
Es tft eriwiefen, daß in diefer Corporation eine genaue Kennt-
niß derh. Schriften Alten und Neuen Teſtaments beimifch war.
Man bat gejagt, daß die Mitwirkung an den Kirchenbauten und
die darin zum Ausdruck kommende Symbolik die Kenntniß der Bibel
für fie nothwendig gemacht habe, und es liegt darin allerdings etwas
Wahres. Allein angefichts des Umftands, daß die herrſchende Kirche
damals ſyſtematiſch den Laien die Bibel entzog, muß es doch be
merkt werben, daß die „Bruderſchaften“ fich dieſen Schag niemals
haben entziehen laſſen.
Es würde, wie ich glaube, möglich fein, den Nachweis zu führen,
1) A. Reichenfperger Bermifchte Schriften Lpz. 1856. ©. 158.
221
daß die mit dieſen Bruderfchaften zufammenhängenden ,Torm-
ſchneider“, aus deren Schooß die Buchdrucker hervorgegangen
find, mehr als irgend eine tbeologifche Richtung zur Verbreitung
ber Bibel beigetragen haben. Auf diefe wichtige Thatſache werben
wir weiter unten zurückkommen.
Es wird uns heute nicht ganz leicht, uns in die Gedanken⸗
welt jener Zeiten zu verſetzen. Es ift ficher, daß die religiöfen und
inshefondere die chriftlichen Ideen alle Stände und alle gefellichaft-
Iihen Geftaltungen in einer Weife durchdrungen Haben, wie es
beute nicht mehr der Fall ift.
Eine mittelalterlide Corporation ift ohne eine beftimmte „hrift-
lie Ordnung” gar nicht denkbar, d. 5. eine jede Gemeinfchaft
hatte wenigftens einmal im Jahr ihren gemeinfamen Gottesdienſt,
fie begann und ſchloß ihre regelmäßigen Zufammenfünfte, Wahl-
acte u. ſ. w. mit bejtimmten Gebeten, fie befaß ihr religiöfes Cere-
moniell bei der Aufnahme neuer Glieder, fie hielt Trauerverfamm-
lungen mit &ebet beim Tode eined „Bruders u. f. w.
Faſt alle Gilden und Zünfte ftanden in Bezug auf ihre reli-
giöfen Bebürfniffe unmittelbar unter der Leitung des herrfchenden
Clerus. Ihre Gottesdienfte wurden in den Kirchen abgehalten, ihre
Verfammlungen felbft vielfach von Prieftern eingeleitet und ge
ſchloſſen.
Es verſteht ſich, daß auch die Steinmetzen und die Hütten ſich
dieſer Einwirkung der herrſchenden Kirche nicht ganz entziehen konnten.
Allein viele Anzeichen ſprechen dafür, daß ſie auch hierin ſich inſofern
ihre Selbſtändigkeit wahrten, als ſie ihren Verſammlungen durch
einen der Ihrigen die religiöſe Weihe ertheilen ließen. Sie beſaßen
ja die Bibel und ein Gebet daraus von dem Meiſter vorgeleſen
ſchien ihnen ebenſo erbauend und ſtärkend, als wenn ein Prieſter
es geſprochen hätte.
Um dies zu verſtehen, muß man ſich erinnern, daß, wie wir
oben geſehen haben, die Ideen der Waldenſer tiefen Boden gerade
bier geſchlagen hatten. Wenn aus den „Werkleuten“ oft „Apoſtel“
wurden, warum follen dann nicht vielleicht anftatt der Priefter eben-
biefe „Sendboten‘ die Leitung der „Bruderſchaften“ ebenfo in der
Hand gehabt Haben, wie fie die geiftliche Bührung der Begharden
222
und Beghinen befafen? Daß davon freilich nichts aufgezeichnet
worden ift, kann jeder Einfichtige fich felbft jagen.
Schon nad dem gegenwärtig vorliegenden Material kann man
meines Erachtens erfolgreich den Beweis antreten, nicht bloß, Daß
eine folche geiftliche Beziehung der „Hütten” zu den „Brüdern“,
die ſich „Chriſten“ nannten, feit alten Zeiten beftanden hat, fon-
dern auch, daß bie Formen, Ceremonien, die ganze VBerfaffung und
Organifation der „Bauhütten“ wie des gefammten Bundes, unter
dem Einfluß jener „Gemeinden Chriſti“ entftanden ift, Die als
Waldenfer oder Begharden in der Kirchengefchichte befannt find.
Die Vororte der Waldenferbewegung in Deutfchland waren
Köln und Straßburg, und feit den furchtbaren Verfolgungen Des
Erzbifchofs Heinrich von Virneburg war legtere Stabt unbeftritten
der Hauptfig der Brüder. Die nächft wichtigen Orte waren in ber
Schweiz Bafel, Bern und Zürich, in Deutfchland Ulm, Augsburg,
Regensburg, Nürnberg, in Deftreih Wien, Steier.u. N.
- E83 war ein enges Band, welches die Gemeinden umfchlang,
doch nur auf mündlichen Gefegen berubte die Verfaffung und rei-
jende Senbboten waren die regelmäßigen und heimlichen Vermittler.
Berjchwiegenheit gegen Außenftehende, Geheimhaltung der eignen
Wiſſenſchaft war Gewiſſenspflicht jedes Einzelnen. Unter einander
lebten fie wie Brüder und Schweftern, fanden fich heimlich zufam-
men zum Gebet und zum Genuß des Abendmahls, worauf fie
großen Werth legten. Nicht in äußeren Uebungen, fondern im
Wohlthun und Hülfeleiften an Freund und an Feind fanden fie
den Schwerpunft ihres Gottesdienſtes, ja fie nannten ſolche Pflicht-
erfüllung mit Vorliebe „Gottesdienſt“.
DBruderliebe, Treue, Verſchwiegenheit, Wahrhaftigkeit) und
Barmberzigfeit gehörten zu den Tugenden, welche in den Gemein-
den beſonders betont wurden.
1) Daß die Pflicht der unbebingten Wahrbaftigfeit bei den Waldenfern be-
fonber8 betont wurde, fehen wir aus einer Aufzeichnung aus dem Jahre 1404
über bie „Secta Waldensium“; bort heißt e&8 „Mendacia voluntaria maxime
solent evitare“; ebenjo wirb am berfelben Stelle ihre Verſchwiegenheit an-
gedeutet durch die Worte: „in verbis sunt sibi cauti“. C. Schmibt in
Niedners Ztſchr. f. d. Hift. Theol. 1852 ©. 244,
223
Die Grundlage der ganzen Verfaffung war die Verfammlung
ber „Brüder“. Ye mehr diefe darauf hielten, daß der Aufnahme
in die vollen Rechte eine ernitliche Unterweifung voranging, um fo
unbebenklicher konnte bie Bruderſchaft den Recipirten fpäter wichtige -
Rechte einräumen. Die „Gemeinde” wählte bie „Magistri“, jo»
wie die Aelteften und Diakonen, welche alle äußeren und in-
neren Angelegenheiten verwalteten. “Die Magistri hatten die geift-
Iihen Funktionen zu üben,. die Aelteften waren die Stützen ber
eriteren und repräfentirten die Gemeinde, die Diakonen empfingen
das Geld, welches für die Armen gefammelt wurbe, und vertheilten
es als Almofenpfleger an die Bebürftigen.
Die Hierarchie war mithin in drei Stufen geglievert; die Drei
„Ordines“ waren gleichfam die Stügen und Träger des Ganzen.
Für beftimmte Bezirke waren die Gemeinden zu einem Ver⸗
waltungskörper vereinigt. Deſſen Organe waren die Verſammlun⸗
gen der Magistri und Xelteften, welche, wie ausdrücklich berichtet
wird, capitelsweiſe zufammentraten!), Biſchöfe waren die Res
präfentanten und Vorſteher der Bezirfe und ein „Senior (ober
Majoralis) führte unter den Bifchöfen felbft ven Vorſitz. „Capis
telsweiſe“ ſaß man zu Gericht über ftreitige Tragen, traf Anorb-
nungen über bie Verwendung von gefammelten Geldern u. f. w.
Ein wichtiges Glied des Ganzen bildeten jene Senbboten, welche
fraft apoftolifcher Succeffion das Apoftelamt in der Kirche übten
und fih durch Cooptation ergänzten. Aus ihrer Mitte gingen bie
Biſchöfe hervor und bei wichtigen Maßregeln heifchte man ihre Mit-
wirkung. | |
Ein fehr durchgebildetes Shitem religiös-Firchliher Formen und
Gebräuche, auf die wir fpäter zurückkommen werben), war als be-
jondere Wiffenfchaft den Geiftlichen vorbehalten. Sie bewahrten
die Trabition bes Nitus zum Theil durch mündliche Fortpflanzung,
zum Theil in Büchern, welche vie Biſchöfe forgfältig hüteten und
wahrten. Niemand, der nicht unter die „Magistri‘ recipirt worden
war, kannte die Ritualformeln. Aber Ieder, welcher fie wußte, fonnte
abfolviren, predigen und den Gottesdienft halten 3).
1) Bol. oben ©. 82. 2) VBgl. das zehnte Kapitel.
3) Ein römiſch⸗katholiſcher Gegner wirft ihnen dies mit den Worten vor:
224
Auch die Brüder unter fich befaßen Erlennungszeichen und es
ift beachtenswerth, daß zu dieſen, wie uns überliefert ift, die Kenntniß
der biblifchen Gebete in der Landesfprache gehörte. Zu Anfang
des 16. Iahrhunderts, wo, wie wir ſehen werben, die „Brüder“
in England wieder einen neuen Auffhwung nahmen, ward Thomas
Hempftevt von dem zu der Sekte gehörigen Pfarrer For dadurch
al8 „brother in Christ‘ und „a knowne man“ erkannt, daß er
das „Vater unfer” in englifcher Sprache wußte), So allgemein
war ber Gebrauch der lateinischen Sprache noch damals für dieſe
Dinge.
Gegenfeitige Hülfsbereitfchaft, aus welcher die Gegner mit
Vorliebe wider fie den Vorwurf der Gütergemeinfchaft ableiten
zu können glaubten, war ftrenge Pflicht bei diefen „Chriſten“. Aber
eben jo jtreng war die Forderung thätiger Arbeit, Nüchternbeit und
Sparſamkeit für denjenigen, welcher zu arbeiten und zu erwerben
fähig war?). |
Die Gemeinden übten in ihrem Kreife eine ftrenge Zucht. Der⸗
jenige, zu deſſen Befferung Mahnungen nichts mehr beizutragen
vermochten, ward zeitweilig oder dauernd ausgefchloffen. Unmäßig-
feit in finnlichen Genüffen, vor allem die Verlegung der ehelichen
Schranken, war durchaus verpönt. Aber wer unverfchulpet vom
Unglüd heimgefucht ward, für den ftand die Gemeinde ein wie für
einen Bruder?).
„Dicunt, quod quilibet potest absolvere, conficere et ligare, dummodo sciat
verba*, Ztſchr. f. bift. Theol. 1852 ©. 245.
1) Lechler Joh. v. Wichf II, 456 Anm. 2.
2) Der mährifche Landeshauptmann Friedrich von Zierotin berichtet unter
dem 14, October 1596 über bie „Brüder in Mähren, die man damals, Täufer“
nannte, daß „unter ihnen ein groß Spital herrſche und einer, ber arbeiten
könne, müſſe ſechs bis fieben andere, die ihr Brot nicht erfchwingen können, er-
halten.” S. den ſchönen Auffag von I. Loſerth über die Brüder in Mähren
in ber „Zeitfchrift f. allg. Geſch.“ Stuttg. 1884 Heft 6 ©. 238 ff.
3) Es ift bei den Waldenfern die Sitte urkundlich bezeugt, daß biejenigen,
welche ein Teftament über ihr Vermögen machten, eine gewifie Summe ber Ge
meinbe für Stiftungen und milde Zwecke überwiefen (j. Ochfenbein a. O. Bern
1881 ©. 184). Sollten aus foldden Fonds bie Armenbäufer („Gotteshäuſer'“)
gegründet worben fein? — Vgl. über das Princip der Waldenſer, daß fie über
ber Familie das Reich Gottes und die „Brüder“ nicht vergeflen follen, Ochſen⸗
bein a. O. ©. 209.
225
Niemals war es erlaubt, daß zwei „Brüder“, welche unter fich
Streit hatten, ſich an die öffentlichen Gerichte wenbeten. ‘Die Ver⸗
fammlung von bejonders ernannten Schiebsrichtern hatte über den
Tall zu urtbeilen und ihr Spruch galt unbebingt und rechtskräftig. —
Nun vergleiche man mit diefen Gemeinden bie Brüperfchaften
und Hütten der Werkleute; es ift ein Bild, welches bis in alle
Einzelheiten diefelben Züge trägt.
Leider befigen wir aus den früheſten Zeiten ftatutarifche Auf-
zeichnungen über der „Steinmeten Brauch und Gewohnheit" nicht!);
wahrfcheinlich find fchriftlihe Gefege und Ordnungen bei ihnen wie
bet den Walvenfern zur beiferen Wahrung des Geheimniffes lange
Zeit vermieden worden.
Im 15. Jahrhundert, als die Tradition fich zu verflüchtigen
begann, befchlofjen die Vertreter der vornehmften Hütten, an ihrer
Spitze Yoft Doginger von Straßburg, Meiſter Lorenz von Wien u. A.,
die alten Orbnungen zu codificiren und nieverzufchreiben.
Es iſt fehr wahrjcheinlih, daß diefer Codex manche charakte-
riftifche Eigenart der älteſten Satungen nicht wieberjpiegelt und
einzelne neue Zuthaten aufgenommen bat; aber im Großen und
Ganzen ift darin doch eine Zufammenfaffung uralter Regeln
zu eriennen.
1) Es find bis jest folgende Urkunden ber deutſchen Bauhütten bis zur Re⸗
formation befannt geworben:
1. Bom 22. Oct. 1397 (abgebrudt im Kölner Domblatt 1851).
2. Die fogenannten Wiener Urkunben von 1412, 1430 Juni 6. und
1435 Auguft 2. (abgebrudt bei Hormayer, Wien. 1833 Bd. V).
3. Allg. beutfche Hüttenorbnung vom Jahre 1459,
4. Torgauer Ordnung vom Jahre 1462.
5. Capitel⸗Ordnung bon Speyer 1464,
6. Desgl. vom Jahre 1469.
7. Orbmung der Bruberfhaft der Steinmeten ber Grafſchaft Tyrol
bom Jahre 1480.
8. Regensburger Steinmetorbnung vom Jahre 1514.
Bol. Heideloff Die Bauhütten des Mittelalters. Nürnb. 1844. — Ian-
ner Die Bauhltten bes beutfchen Mittelalters. Lpz. 1876. — Bei weiten am
wichtigften ift die allg. deutiche Hüttenorbnnung von 1459, die im Auszug auch
bei 3. ©. Findel Geſchichte der Freimaurerei. Lpz. 1878 (4. Aufl.) S. 774 ff.
fich findet.
Keller, Die Reformation. 15
226
Die Urkunde feldft, die uns glücklicherweife erhalten ift!), nimmt
eingangs ausdrücklich aufdas „alte Herlommen Bezug, welches
„pie Altvorderen und bie Liebhaber des Handwerks vor alten Zeiten
in guter Meinung gehandhabt”, und fährt dann unmittelbar fort:
„Aber darin in rechten friedlichen Wegen zu fuchen und fürbaf
zu bleiben, fo haben wir Meifter und Gefellen befjelben Hand-
werks alle, die dann in Kapitels Weife bei einander gewefen find
zu Speier, Straßburg und Regensburg im Namen und anftatt
unfer und aller anderen Meifter und Gefellen unfere8 ganzen ge
meinen Handwerks obgemelbt, [olich alt Herfommen erneuert”.
Diefe Ordnung will nur, wie fie felbft fagt, die allgemeinen
Grundzüge aufftellen; fie giebt den provinciellen und lokalen Haupt
hütten und Hütten ausdrüdlich die Treibeit, „die Artikel zu mildern,
zu mindern oder zu mehren, je nach der Zeit und des Landes
Nothdurft und nach den Zeitläuften‘; doch jollen alle Statuten
„in Kapitels Weiſe“ d. 6. in berufener VBerfammlung befchloffen
werben. Ihr befonderes Augenmerk hat die Orbnung auf die Co
dificirung folcher Regeln gerichtet, welche den Verkehr und bie Ver
handlung der Bruderfchaft mit den Bauherren und Auftraggebern
zum Gegenftand haben; gerade dies ift denn freilich für die Er-
kenntniß des wahren Weſens des Bundes verhältnißmäßig am neben-
fächlichften. |
Der Schwerpunkt der Organifation Tiegt nach unferer Orb
nung in der „Hütte“, d. h. der rechtmäßig conftituirten Verſamm⸗
fung der Brüder, die ein Meifter zum Bau eines Werfs um fih
gefchnart bat. Die Ordnung gilt nur für Diejenigen, denen „Hüt-
tenförderung“, d. b. die Aufnahme in eine Hütte Durch den Beſchluß
der Brüder, zu Theil geworben iſt. Es wird von biefer „Hütten-
förderung” ganz ausdrüdlich Die „Förderung“ Durch den Meifter
unterſchieden; gemwöhnlihe Maurer und Steinbreder wer
den durch den Meeifter geförbert (d. b. angenommen) und für fie
gilt diefe Ordnung nicht. Der $.2 ſagt ganz ausbrüdlic,
„Das follen die Meifter fein, die folche Löftliche Bauten und Werke
fönnen machen, die da aufgefreiet find und mit feinem Hand»
1) Heldmann Die drei älteften gefchichtlichen Denkmale ber teutfchen Frei⸗
maurerbrüberfchaft (Aarau 1819) giebt den beften Abdruck.
227
werk dienen”. Alfo nur die „aufgefreiten” oder freien Maurer
und Steinmegen find befähigt, das Meifterrecht zu üben.
Es ift zu bedauern, daß die Ordnung nicht erläutert, was
man nah „Steinwerksbrauch” unter der „Auffreiung” zu ver-
jtehen bat. Jedenfalls erhellt deutlich, daß die Meijter eine Stel-
lung befaßen, die ihnen befondere Vorrechte ſicherte. |
Außer dem Meeifter befteht die Hütte aus den Parlierern (Ober⸗
gejellen) und Gefellen, fowie ven Lehrlingen over Dienern. Eine
langjährige Unterweifung tft e8, welche. Die Letzteren durchzumachen
haben, ebe fie Geſellenrecht erhalten.
Ueber den einzelnen Hütten fteben diejenigen, welchen „dieſer
Ordnung Gefchrift und Gewalt befohlen iſt“, d. h. die Auffichts-
beamten der Haupthütten. Sie haben. ‚Gewalt und Macht, in allen
Spännen und Sachen, welche Steinwerf berühren, in ihrem Gebiet
vorzunehmen und zu ftrafen und follen ihnen darin alle Meiſter,
Barlierer und Diener gehorfam fein“.
Es ſcheinen dies diejenigen Meifter geweſen zu fein, die, wie
e8 an einer anderen Stelle der Ordnung heißt, „ver Bücher eines
hinter fich haben“,
Diefe follen Aufficht haben und, „bei dem Gelübde der
Dronung‘'), verpflichtet fein, zu verbüten, daß das Buch von
Jemanden ausgejährieben, verliehen oder gegeben werde, ſowie daß
die Bücher „bei ihren Kräften bleiben, wie das die Werkhütten be»
ſchließen“. |
Ebenfo wie unfere „Ordnung“ von 1459 auf den Verſamm⸗
Yungen zu Speier, zu Straßburg und Regensburg, von den Meiſtern
und Gefellen, die dort „in Kapitelsweiſe“ vereinigt waren, be»
ichloffen worden ift, jo kennt fie felbft auf Grund des Herkommens
folche Verfammlungen von Meiftern und Gefellen zur Erledigung
von Streitfragen.
Sehr merkwürdig ift folgende Beitimmung: „Wäre e8 auch,
1) Es gab alfo für diefe AuffichtSbeamten ein „Gelübde“ — warım wird
nicht der Ausorud „Eid“ gebraucht? — und zwar war beifen Form in „der
Ordnung“ borgefchrieben. Leider befigen wir biefe Orbnung ebenfo wenig wie eins
der erwähnten geheimen Bücher, — Der Ausdruck „Gelübde“ kommt wieber-
bolt vor in umferer Ordnung.
15*
228
daß zwei Meiiter ober mehr, bie in diefer Orbnung find, jpännig
ober uneind mit einander würden um Sachen, die Steinwerl
nicht berühren, fo follen fie dennoch einander um ſolche Spänne
nirgend anderswo vornehmen denn vor Steinwerf und die follen
fie auch richten und vertragen nach dem Beſten nach allem ihrem
Vermögen, doch alſo den Herren oder Städten.... unſchädlich“.
Alſo ſelbſt in Streitfachen, welche rein privater Art find, follen
bie „Brüder nicht am die Gerichte gehen. Ebenſo war e8 bei den⸗
jenigen „Brüdern“, die man Waldenfer nannte,
Es Tiegt auf der Hand, daß eine Gilde ihre gemeinjame Kaſſe
befigen muß, aber beachtenswerth ift e8, dag nach unferer Ordnung
bei den Hütten ein Bonds gefammelt werden foll, welcher den Zwed
bat, „Gottesdienſt damit zu fördern‘, d. 5. Gutes zu thun
denen, die deſſen bepürftig find.
Daneben eriftiren befondere Mittel und beſondere Beftimmtungen
für die Unterftügung der „Brüder“, welche Verfolgung leiden um
ihrer Mitgliedfchaft und Zugehörigkeit zu ber Steinwerfsorbnung
willen — eine Eventualität, deren Erwähnung an fich bezeichnend
genug iſt — fowie zur Zahlung einer „Nothpfründe” ar Diejenigen
Meifter und Gefellen, welche in Krankheit fallen.
Unfere Ordnung enthält. genaue und ftrenge Bejtimmungen
religiöfer Natur für die Brüder. Welchen Wertb man auf religiöfe
Bethätigung einer chriftlichen Gefinnung legte, erhellt deutlich dar⸗
aus, daß die Ablehnung jeder weiteren &Gemeinfchaft mit einem
Steinmeßen, der fich nicht nach „hriftlicher Ordnung“ balte, direkt
zur Pflicht gemacht wird,
Aber während in allen anderen Gildeordnungen eine deutliche
und Hare Beziehung auf den römifch-katholiichen Glauben und bie
römiſch⸗katholiſche Kirche genommen wird, lautet hier die Verpflich-
tung ganz allgemein auf Haltung „hriftlicher Ordnung” — man
könnte dabei direkt am diejenige „chriſtliche“ Orbnung denen,
welche die „Gemeinden Chriſti“ einhielten — und auf den regel-
mäßigen Empfang bes b. Sacraments. Gerade der lettere Punkt
wurde ja auch von den altevangelifchen Gemeinden ihren Gliedern
zur Pflicht gemacht.
Und wem follte nicht, wenn er die überaus ftrenge Auffajjung
229
von der Ehe bei den „Waldenſern“ Tennt, die befondere Betonung
auffallen, welche in der Steinmetzordnung ber Neinhaltung der
ehelichen Verhältniffe gewidmet wird? Auch Keujchheit, Mäßigkeit
und Nüchternheit werden hervorgehoben, und die ftrengften Strafen
fteben auf leichtfertigem Spielen.
Die „Hütte befitt das Recht und die Pflicht einer ftrengen
Zucht und wird diejenigen ausfchließen, welche Aergerniß erregen
und der Bruderſchaft Unehre bereiten.
Die Schlußbeſtimmungen unferer Ordnung enthalten die Feft-
fegung, daß Straßburg der Vorort aller „Hütten“ fein fol. Am
©. Diarcustage des Jahres 1459 ward — fo heißt e8 — zu Negens-
burg vereinbart, daß der Werkmeifter des Münfters zu Straßburg
„und alle feine Nachkommen unferer Ordnung des
Steinwerks oberfter Richter fein ſoll“.
So kommt unjere Unterfuchung auf demſelben Flecken deutfcher
Erde wieder an, auf welchen wir von ganz anderen Geſichtspunkten
aus bezüglich der fogenannten „Waldenſer“ geführt worden waren.
Es ift doch immerhin ein merkwürdiges Zufammentreffen, daß
gerade auch in dem Bund der „Brüder“, die fich „Chriften” nannten,
Straßburg die Stelle des Vororts beſeſſen bat. Wir werben unten
feben, daß der Senior der Waldenſer-Biſchöfe im 15. Jahr⸗
hundert als Vorfikender des Collegiums der deutſchen Biſchöfe in
Straßburg feinen Wohnfig Hatte.
Indem ich nochmals daran erinnere, daß die intime Beziehung
der altevangelifchen Gemeinden zu ben Steinmegen durch bie That-
fache urkundlich belegt ijt, daß die „Apoftel” der „Brüder“ aus dem
Kreis der Werkleute wiederholt hervorgegangen find, Tarın fernerbin
fein Zweifel darüber obwalten, daß es feit dem 13. Jahrhundert
in Deutfchland eine Reihe corporativer Verbände gab, welche die
Pflege waldenfifcher Ideen fich zum Ziel gefegt Hatten. Es waren
dies (außer den „&emeinden‘‘) die „Brubder- und Schweiterhäufer”
und ferner die Bruderſchaften der veutfhen Baubütten.
Verfolgen wir nun die Schieffale diefer drei Genoſſenſchaften,
fo fehen wir, daß die römifche Kirche in den Ketergejegen und den
Taiferlichen Conftitutionen überaus ſtarke geſetzliche Handhaben gegen
230
bie beiden erjtgenannten befaß und entfchloffen war, diefelben mit
äußerfter Strenge zur Anwendung zu bringen.
ALS Kaifer Ludwig geftorben und Karl IV. Katfer geworden war,
hatte die römische Kirche freie Bahn, um die beftehenden Beftim-
mungen zur Wirkſamkeit gelangen zu laffen, und man muß ein-
räumen, daß fie die günftigen Jahrzehnte, welche jett für fie an-
brachen, voll und ganz und mit den durchichlagendften Erfolgen
ausgenutzt hat. |
Die erjten Opfer fielen in den Rheingegenden nach faft vierzig.
jähriger Pauſe um diefelbe Zeit, in welcher der Gottesfreund aus
dem Oberlande und Rulman Merfwin als „Bauherrn“ der Stif-
tungen zu Ehren ©. Johannes des Täufers mit den Werkleuten
in naben Beziehungen ftanden.
Unter dem 6. Yuni 1366 erfolgte das ZTodesurtheil!) wider
Mechtildis von Wefthopen, welche der Ketzerei angellagt und
überführt war. Sie wurde verbrannt.
Leiter der Inguifition waren ein Dominikaner und der General
vicar des Biſchofs Johann von Straßburg.
Im Jahre 1367 fandte Papft Urban V. zwei Inquifitoren nad
Deutihland, und Karl IV. gab ihnen in drei befonderen Erlafien
außerordentliche Vollmachten zur gründlichen Durchführung ihrer
Million.
Papft Gregor XI. war der Anficht, daß die Arbeit für Die ge-
nannten zwei Commifjare zu umfangreich fei und fandte im Sabre
1372 deren weitere fünf in das Reich. Bonifacius IX. ernannte
zur ferneren Verſtärkung des Perfonals im Sabre 1399 allein für
Norddeutſchland ſechs Bevollmächtigte 2).
Leider ſind die Forſchungen noch nicht weit genug vorgeſchritten,
um bie Thätigkeit dieſer Männer im Einzelnen urkundlich zu ver
folgen. Nur einige Thatfachen mögen beiläufig Erwähnung finden.
Der Cöleftiner- Provinzial Petrus und ber Priefter Martin
von Prag waren e8, welche fih in Süd⸗ und Mittelveutfchland
feit dem Sabre 1380 bei der Auffpürung und Beftrafung der Wal,
denfer hervorgethan haben. Der Lettere hat nachweislich por dem
1) Das Urtheil ift abgebrucdt bei Mosheim De Beghardis p. 333 sq.
2) C. Schmibt Ztſchr. f. hiſt. Theol. 1840 III ©. 68,
231
Sabre 1390 in Regensburg und im Jahre 1391 zu Erfurt
über Walvenfer zu Gericht gefeffen!), In demſelben Iahre fand
zu Würzburg ein Strafgericht über diefe Partei ftatt 2). Einzelne
derjelben wurden verurtheilt, angeheftete Kreuze auf ihren Kleidern
zu tragen. Kurz danach wurden in Donauwörth 16, in Din-
kelsbühl 2 und in Wemding 10 Walvenfer zum Feuertode ver-
urtheilt und verbrannt ?).
Befonderes Auffehen erregte das Autobafe, welches zu Nürn-
berg im Jahre 1399 vollzogen wurbe. „Des Jahres 1399, fo
heißt es in den Nürnberger Chroniken, „verprant man ſechs Frauen
und einen Dann, die waren Keßer, und fonft viel Mann und
Frauen, die ließen fich Kreuze annähen und büßeten am Erichtag
vor Sant Walburgen Tag” ?).
In der Diöcefe Bafjau war der Inquifitor Petrus erfolgreich
tbätig. Er konnte im Jahre 1395 feftitellen, daß die „Sekten“ fich
140 Sabre hindurch ziemlich unverändert behauptet hätten. Im
Jahre 1397 wurden allein zu Steier etwa 100 Männer und
Frauen verbrannt. Im Jahre 1391 wurden nach Ausweis ver
Inauifitionsakten in Pommern und ver Mark Brandenburg
400 Berfonen unter der Anklage der Zugehörigkeit zu den Wal-
denjern vor Gericht geftellt. Ein Tractat aus dem Jahre 1395
erzählt, daß in Thüringen, Böhmen und Mähren von den Inquiſi⸗
toren etwa 1000 Perjonen zum Tatholifchen Glauben befehrt wor-
den feien; wie viele bingerichtet, ausgewiefen und nicht entdeckt
wurden, erwähnt die Quelle nicht. Die Inquifitoren begten die
Hoffnung, daß in Deftreih und Ungarn die gleiche Anzahl von
ihnen „dem Schlund Leviathans“ entriffen werben würden 5).
Und biefe Länder waren doch nur die Außenpoften ver Partei;
die Hauptheerde der Bewegung waren, wie wir ſahen, die Nhein-
lande und Süddeutſchland.
1) Saupt a. a. 0. ©. 22. 2) Die Einzelnbeiten bei Haupt a. a. O. ©. 23.
3) Haupt a. a. O. ©. 27.
4) Derſ. ©. 27. Daß diefe Waldenfer waren, weißt Haupt nad. — Ueber
einen Ketzerprozeß in Lübed im Jahre 1402 ſ. bei Mosheim De Beghardis 1790
S. 224.
5) Weitere Nachrichten iiber ihre Ausbreitung bei v. Zezſchwitz Die Katechis⸗
men der Waldenſer u. ſ. w. Erl. 1863 ©. 134 ff.
232
In Mainz wurden im Jahre 1395 auf Befehl des Erzbifchofs
Conrad II. ſechsunddreißig Walvenfer verbrannt. In Augsburg
wurden 1393 auf ein Mal 280 Perſonen deſſelben „Verbrechens“
wegen gefangen gelegt). Im Jahre 1396 wurde über ben Grafen
Heinrich von Fürftenderg als „Keter” der Bann verhängt ?).
Eine ähnliche Kataſtrophe wie in Deutjchland brach gegen Ende
des Jahrhunderts in der Schweiz über die Gemeinden herein. Zum
Jahr 1399 erzählt eine Berner Chronik: „Es wurden viel Leute zu
Bern und auf dem Lande, Frauen und Männer, Reich und Arm,
mehr denn Hundert und breißig Perfonen in dem Unglauben fun-
den und durch Bruder Hans von Landau, Prediger⸗Ordens und
andere Gelehrte gerechtfertigt". Ein Erkenntniß von Schultheig,
Räthen und Gemeinde bejtätigt ausprüdlich, daß dies Waldenſer
waren 3),
Zu Freiburg ftanden in demſelben Jahr 53 Perſonen vor
den Inguifitoren, die zu der gleichen Partei gehörten wie die in Bern.
Straßburg war bis zum Beginn des 15. Sahrhunderts ein
Hauptfig der Partei. Hier Tehrten die wandernden Apoſtel ein
— es werben uns aus jener Zeit u. A, Eberhard von Weißenburg,
Conrad von Sachſen und Salomo von Solothurn als „Magistri“
genannt‘) —, bier fanden die vertriebenen Glaubensgenoſſen aus
anderen Städten gaftfreie Aufnahme und bülfreichen Beiftanb.
Der Ketermeijter Johann Arnoldi hatte, obwohl er Kenntniß
von dem Beftehen ver Gemeinde befaß, e8 vorgezogen, fich ruhig
zu verhalten. Denn bis in den Rath hinein hatten die Keker
Freunde, ja, der Stabtjchreiber Johann von Blumſtein war Mit-
glied der „Sekte“.
Arnoldis Nachfolger, Johann Böckeler, ſchlug den Weg ber
Strenge ein. Die Veranlaffung dazu feheint der Dominikanerorden
gegeben zu haben, welcher um das Jahr 1400 am Oberrbein eine
1) Wichtige nähere Nachrichten darliber in Stäublins und Tzfchirners Archiv
f. Kirchengeſch. Bd. 2. St. 2 ©. 349 ff.
2) Röhrich Ztſchr. f. d. Hift. Theol. 1840 ©. 149.
3) Näheres bei Ochfenbein Aus dem fchweizerifchen Boltsleben des 15. Jahr⸗
hunderts Bern 1881 ©.96. — Dort auch weitere Nachrichten über vie Walbenfer
in der Schweiz von 1277 an.
4) Röhrich in d. Zſchr. f. Hift. Theol. 1840 I ©. 148,
233
eifrige Thätigfeit in der Kegerauffpürung entwidelte; zu Baſel hatte
der Dominikaner Joh. Mulberg in dem Prozeßverfahren gegen vie
Beghinen die Hauptrolle gefpielt, und ein Ordensbruder von diefem
begann auch in Straßburg den Kampf durch öffentliche Predigten
wider die Reber.
Um das Jahr 1404 wurden plößlich zwei und dreißig Mitglieder
der Gemeinde verhaftet und ind Gefängniß geworfen). Sie wur-
ven gefoltert und befannten fich ſchuldig. Sie hatten nach den
Geſetzen das Leben verwirkt und Die geiftlichen Behörden forberten
ihre Hinrichtung, aber der Magiftrat lehnte biefelbe ab und be-
ſchloß, die Gefangenen mit Verbannung zu beitrafen.
Aus dem Verhör ergab fich unter Anderem, daß die Verhaf⸗
teten Genofjen befaßen in Nördlingen, Regensburg, Augs-
burg, Tiſchingen in Schwaben, Solothurn, Bern, Weißen»
burg, Hagenau, Speier, Holzbaufen bei Frankfurt a. M.,
Schwäbiſch Wörth, Friedberg, Mainz, Wien. In Hagenau
und Mainz befaßen die Häretifer, wie ausbrüdlich angegeben wird,
befondere Schulen ?).
Die ſchweren Schickſale, welche die altevangelifchen Gemeinben
während dieſer Sahrzehnte betrafen, mußten auf die nah befreun«
deten corporativen Verbände der „Gotteshäuſer“ undder Bau»
hütten eine tiefgehende Rückwirkung ausüben.
Die „Bruder und Schweiterhäufer" verloren den Halt, welchen
fie bisher an den „Apofteln” und den Gemeinden bejeffen batten,
bollitändig. Der gleichzeitig auf fie ausgeübte Eirchliche Drud zwang
fie bei ihrer an fich geringen Widerftandsfähigfeit, ſich bedingungs⸗
los den kirchlich approbirten Orden in die Arme zu werfen; feit
etwa 1375 find die alten „Gotteshäuſer“ faft verſchwunden, ob»
wohl der Name Begharden und Beghinen fich noch lange erhal
ten bat.
Weit kräftiger und widerſtandsfähiger ftanden die „Bruder⸗
ſchaften“ da. Da die Ketzergeſetze auf bie Zugehörigkeit zu einer Gilde
feine Anwendung finden konnten, fo wurde wenigſtens der äußere
Verband der „Hütten“ niemals gefprengt. Selbft wenn gelegentlich
1) Röhrich a. a. ©. ©. 157. 2) Röhrich a. a. O. ©. 151.
234
ein Meijter oder Gefelle unvorfichtig genug war, die Geheimlehren
irgend wie durchleuchten zu laſſen, jo konnte man ben einzelnen
wohl als Keter Hinrichten, aber dem Bund des deutjchen Stein-
werks war nicht beizufommen.
"Sowohl in Rüdficht auf Organisation wie auf Disciplin und
Zucht ftanden die „Hütten“ mächtig ba. Eine ernfte Schule in
Verſchwiegenheit und Gehorfam, die des echten Steinmeken
erfte Pflicht waren, Hatte ſelbſt die jüngeren Leute darin geübt,
vor ihren Feinden auf der Hut zu fein. Man wußte es wohl, daß
die heimlichen VBerfammlungen, die fich bei Gelegenheit der Meifter-
wahl, ber „Förderung“ oder der Todtenfeier zu förmlichen Andachten
geftalteten, der Verdacht der Kekerei erregten. Aber wie es im
Princip des ganzen Shitems lag, im „itillen Kämmerlein‘ und
von Jedermann ungeſehen nach Chriſti Vorfchrift zu beten, fo Ing
auch die Verfuchung für den „Maurer fern, mit feiner religiöfen
Ueberzeugung zugleich feine Haut zu Markt zu tragen. Es wird
felten oder nie vorgefommen fein, daß die „Brüder anders als
unter fich über Religion und Gottesdienſt Tprachen.
Dazu kam noch ein anderes fehr wichtiges Moment. Die
deutſchen Steinmeten beſaßen perfönliche Beziehungen und brüber-
liche Bande in ganz Weſteuropa. Die Meifter arbeiteten zeitweilig
ebenſo in Ulm, Pafjau oder Lübeck wie in Brüffel, Antwerpen,
London oder Dorf oder einer anderen englifhen Stadt. Ging
ihr Stern auf dem einen Punkte unter, fo erhob er ſich auf dem
anderen und irgend eine Zufluchtöftätte konnte bei einem fo aus-
gedehnten Arbeitsbezirk einem Flüchtigen oder Angellagten fich Teicht
eröffnen.
Da traf e8 fich num befonders glücklich, dag um biefelbe Zeit,
wo die Inguifition in Deutſchland wüthete, in England velative
Sicherheit vor Verfolgung herrichte.
Unter König Edward III. (1328—1377), wo überhaupt ber
englifche Vollsgeift einen neuen Auffchwung nahm, hatte fich die
öffentliche Meinung mit Entſchiedenheit gegen die Tendenzen ber
römischen - Hierarchie erhoben.
Unter Begünftigung der Stimmung, welche damals herrfcte,
batten die Schriften John Wichfs (F 1384), den die Curie, wie
235
wir jahen, als neuen Marfilius von Padua!) bezeichnete, eine weit
ausgebreitete und tiefgehende Bewegung hervorgebracht.
Die Firchlich-politifchen Auffaffungen, wie fie von Wiclif in
Vebereinftimmung mit Marfilius vorgetragen wurben, fanden in der
aufftrebenden englifchen Vollsvertretung lebhaften Wiederhall. Das
fogenannte „gute Parlament” vom Jahre 1367 ftellte ſich an die
Spike der Oppofition und gewährte nicht nur Wichf, fondern allen
Gefinnungsgenoffen defjelben, deren e8 weit und breit viele gab,
feinen mächtigen Schu.
Selbſt König Edward ILL, anftatt den Ketergefegen gemäß den
Wiclif zu beitrafen, ehrte diefen und feine Freunde durch beſonderes
Vertrauen.
Sp wieverbolten fih während der zweiten Hälfte des Jahr⸗
bundert8 in England die Vorgänge, welche vor fünfzig Jahren in
Deutfchland zwifchen Kaifer Ludwig und Marfilius fich abgefpielt
hatten, und die „Gemeinden Chriſti“ Hatten das Glück, wenigſtens
hier eine Stütze zu befiken.
Aber ſelbſt in Deutjchland führte die Verfolgung der Gemein-
den anftatt zur Untergrabung der Baubütten, vielmehr zur inneren
Stärkung derfelben und zur weiteren Ausbildung von Einrich-
tungen und Beitrebungen, die ihnen fpäterhin eine große Zukunft
verichaffen follten.
Dei dem tiefen Schleier des Geheimmifjes, welcher die inneren
Einrichtungen der „Bruderſchaft“ felbjt vor den Augen der Zeit-
genoffen verbarg, ift e8 natürlich in unferen Tagen erft recht fchiwierig,
die früheften Geftaltungen der Gildeverfaſſung urkundlich zu belegen.
1) Die Berwandtichaft, welche man zu Avignon zwiſchen Wichf und Mar-
ſilius entbedt zu haben glaubte, berubt ſehr wahrfcheinlih auf dem Umſtande,
daß Wichif den Letteren gefannt und benutt hat. Der „Defensor pacis* bat
in jenen Sahrzehnten ein außerorbentliches Auffehen gemacht; er erlebte u. U.
mehrere franzöfiiche Ueberfegungen. Nun ift Wiclif felbft in den Niederlanden
und vielleicht auch in Frankreich geweſen; ſoll ihm das bedeutendſte Buch, welches
zur Vertheidigung antirömiſcher Tendenzen eriftirte, unbelannt geblieben fein?
Jedenfalls eriftirten in England frühzeitig Spuren des Defensor pacis. Der
zweite Drud des Werkes, welchen wir Tennen, ift eine englifche Ueberfegung
von William Marfhall, London 1535 fol. — Auch eine alte Handſchrift eriftirt
im Collegium magnum zu Orford. Riezler Die literar. Widerfacher u. ſ. m.
S. 19.
236
Da indeffen die Stärke der Tradition es zu Wege gebracht
bat, daß uralte Einrichtungen fich bis in eine fpäte Zeit fortgepflanzt
haben, fo fällt von bier aus in vielen Fällen ein helles Licht auf
die dunklen Epochen. Wir haben im dieſer Richtung bereits er-
wähnt, daß die Ordnung von 1459 fih nur als eine Codifikation
uralter mündlich fortgepflanzter Normen darftellt.
In diefem Maurer-Coder nun findet fich bereits bie Andeu⸗
tung, daß es neben den Meiſtern und Geſellen in der Bruderſchaft
auch „Liebhaber des Handwerks“ gegeben hat, und es wird
ausdrücklich geſagt, daß das „alte Herkommen“ von Meiſtern und
Geſellen ſowie von dieſen „Liebhabern“ gehandhabt worden ſei.
Wir haben ſchon angedeutet!), daß unter den deutſchen Ge
werten keines der Hüttenverfafiung näher fteht als die fogenannten
Hammerhütten. Da und nun die Conftitution einer uralten
Hammerbütte im Fürftentbum Siegen erhalten ift, fo tft e8 wichtig,
die ähnlichen Bejtimmungen Tennen zu lernen.
Im Jahre 1516 beftätigt Graf Johann von Naſſau die Ger
rechtfame, welche feine Voreltern der Hütte „zum heiligen
Kreuz”? in Siegen gegeben hatten.
Da heißt e8 gleich in $. 2: „Item wäre Semand, ber in dieſer
Bruderſchaft zu fein begehrte und nicht Bruder oder Schwefter wäre,
auch ſich der Handwerke obgemelt nicht gebrauden
wollte, der oder bie follen in die Bruderfchaft angenommen wer-
den, indem fie der Hütte zum heiligen Kreuz ein Pfund Wachs,
den Brüdern 2 Quart Weins geben”.
Mithin gehörte die Aufnahmefähigkeit folcher Perfonen, die Das
Handwerk nicht gebrauchen wollten, im Mittelalter bei gewiſſen Gil-
ben unter die verfaffungsmäßigen Möglichkeiten und es kann als
feitftehend erachtet werben, daß viele Perfonen gerade bei folchen
„Bruderſchaften“, die einflußreich und geachtet daftanden, gern eine
Anlehnung juchten.
In demfelben Maß nun wie der Gemeindeverband der alt-
enangelifchen Kirche geiprengt ward, trat ein fluchtartiger Rückzug
der Weberlebenden in den fchügenden Hafen der verwandten Eor-
1) Vgl. oben ©. 218 Anm. 1.
2) Alten im Staatsardiv zu Münfter, Sieg. L. A. N. 23 (Zunftfadgen).
237
porationen ein. War fchon von jeher Die Verbindung eine enge
gewefen, fo fteigerte fich jetzt der Zuſammenhalt erheblich. Wie ges
ſcheuchte Lämmer drängten fich Die Verfolgten an einander und da
es feine Gefebe gab, welche auf die Zugehörigkeit zu einer Gilde
Strafen fetten, fo Tonnte die Bauhütte ungehindert den ‚Brüdern‘
einen Erſatz für die verlorene „Bruderjchaft” gewähren.
Wenn nun fchon bisher die „Hütte großes Gewicht auf eine
religiöfe Bethätigung ihrer Glieder gelegt hatte, fo fteigerte fich Die
vorhandene Tendenz des „geiftigen Bauens” durch den Eintritt
jolher „Liebhaber des Handwerks" natürlich ganz erheblich.
Bon da an bauten die deutfchen Hütten nicht nur ſtolze Münfter
und Dome, jondern es befeelte fie zugleich jenes Streben, welches
wir bei den „Gemeinden Chriſti“ bereit8 oben kennen gelernt und
in den Sat zufammengefaßt haben, daß fie nicht in erfter Linie
Tempel aus Stein zu bauen trachteten, fondern daß fie „aus
Menſchenſeelen Tempel Gottes" errichten wollten !).
So kam es dahin, daß die Bauleute e8 waren, welche in ſchwerer
Zeit die Trümmer der „Gemeinden Chrifti” unter Dach und Fach
brachten.
Es vollzog ſich dieſe Entwicklung allerdings nicht ohne die Ver-
faſſung und da8 Leben der altevangelifchen Kirche ſchwer zu ſchädigen.
Aber die Grundgebanten ihres Glaubens wurden doch gerettet und
auf die kommenden Jahrhunderte fortgepflanzt.
Dieſer Zuwachs an geiſtigen Kräften mußte die Bruderſchaft
um ſo mehr ſtärken, als das Bewußtſein der religiöſen Ueberein⸗
ſtimmung ein ungemein wirkſames Bindemittel abgab.
Es iſt intereſſant, daß die berühmte „Reformation des Kaiſer
Sigismund” um das Jahr 1430 über die Macht dieſer Bruder⸗
haften die fehmerzlichiten Klagen anftellt. „Es ift auch zu wiſſen“,
1) Ueber die Bauhütten in ihrem Verhältniß zu den Freimaurern vgl,
Bogel Briefe über Sreimaurerei. 1785. — Albrecht Materialien zu einer kri⸗
tiſchen Geſchichte der Freimautrerei. Hamb. 1792, — Klo ©. Die Freimaurerei
in ihrer wahren Bedeutung. Berlin 1855. — Schauberg Symbolif der Frei«
manrerei. Schaffh. 1860—1872, — Lennig Encyklopäbie ber Freimaurerei. Lpz.
1861. — Findel 3. ©. Geſchichte der Freimaurerei. 4, Aufl Lpz. 1878, —
Hallimell-Afher Die ältefte Urkunde ber Freimaurerei in England. Hamburg
1840, — Schneider Altenburger Eonftitutionenbud. 1803 u, |. w.
238
. beißt es darin, „daß im den guten Städten, nämlich den Reichs⸗
jtädten, Zünfte find, die num ſehr gewaltig worden find... Sie
machen Geſetze unter fich, wie früher die Städte e8 getban haben.
Sie ordnen in vielen Städten den Rath” u. ſ. w.').
Man Hat bisher vergeblich verfucht, die innere Kraft der
„Hütte”. aus der Vortrefflichteit der Organifation, aus dem Ge
heimniß der Bräuche und anderen Aeußerlichkeiten abzuleiten. Selbit
ein jo vortrefflider Kunſtkenner wie Kugler hat diefe Anficht ver
tbeidigen zu jollen geglaubt.
Aber wenn man der Sache tiefer auf den Grund fiebt, fo
erfennt man wohl, daß nicht Reglements oder Handwerksgriffe, jon-
dern die geiftige Einheit und die innere Uebereinftimmung in
ven beiligjten Meberzeugungen e8 gewefen tft, welche den Bund zu
jo großartigen Leiftungen wie auf dem Gebiet der Kunſt, fo auf
in der Wahrung und Vertheidigung ver höchſten Ideale befähigt hat.
Die Kunſtwerke und Bauten, in welchen biefe Männer ihre
Ideen gleihjam mit Lapidarjchrift niedergefchrieben haben, werben
allmählich von der deutjchen Nation wieder in ihrem vollen Werthe
gewürdigt. Die Thatfache aber, daß die Bauleute e8 zugleich ge-
wefen find, welche im jchwerer Zeit die Ideen der „deutſchen Theo
logie” zwar nicht mit den Waffen, aber mit zäher Paffivität ſiegreich
vertbeidigt und in eine bejjere Zeit binübergerettet haben, tft noch
nicht genügend erkannt.
Bielleicht werben die nachfolgenden Erörterungen einen Heinen
Beitrag zur Rlarftellung diefer Thatſache Tiefern.
1) ©. Die Ausgabe der Reformation des K. Sigmund von Dr. W. Böhm
Lpz. 1876 ©. 216.
Zehntes Capitel.
Die dentichen Waldenjer nad der großen Verfolguugsperiode.
Das Schisma der Jahre 1378-1417, — Fortdauer der Kegerwerbrennungen. —
Die Hinrichtung des Johann Huß und des Hieronymus von Prag. — Die
Folgen dieſer Ereigniffe in Böhmen. — Die Böhmen greifen zur Nothwehr
gegen die Keterrichter. — Wer trägt die Schuld der Empörung? — Rüde
wirkung ber böhmischen Ereigniffe auf Deutſchland. — Joh. von Schlieben,
gen. Dranborf (} 1425). — Die „Ketzer“ in Südweſtdeutſchland. — Leben
und Lehre der beutfchen Waldenfer im 15. Jahrhundert. — Die Keßerprogeffe
zu Freiburg i. U. im Sabre 1430. — Der Eoder Teplenſis. — Die wal-
denfiſche Bibelüberfeung.
Am 49. Jahrestag der Krönung Ludwigs des Baiern war Papft
Gregor XI. von Avignon in Rom wieder eingezogen. Aber fchon
am 27. März 1378 ereilte ihn ber Tod, und das Conclave wählte
Urban VL, einen Italiener, zu feinem Nachfolger. ALS ein Wert
bes h. Geiſtes warb allen Fürften und Völkern die Neuwahl des
Stellvertreters Chrifti verkündet. Doch faum war die Publikation
geichehen, da fielen die franzöfifchen Carbinäle von Urban ab, und
bald warb der chriftlichen Welt fund, der wahre Papft ſei erft jet
gewählt und heiße Robert von Genf, Clemens VIL
So erfolgte das große Schisma der Jahre 1378—1417, welches
die Tatholifche Welt in zwei Hälften theilte.
Die alte Kirche hatte, um derartigen Conflilten vorzubeugen, .
die Autorität der Concilien über diejenige der Päpfte geftellt. Jetzt
aber erklärten die Päpfte geradezu, daß, was dort beſchloſſen werde,
immerwährend noch nachher von dem Papfte geändert werben könnet),
So wankte der ganze Bau der römiichen Kirche in feinen
1) Höfler a. a. O. ©. 51.
240
Tundamenten. Während auf der einen Seite der weltliche Arm auf
Befehl der geiftlichen Autorität die „Keger blutig verfolgte, fant
das Anjehen eben diefer Autorität von Jahr zu Jahr tiefer.
Am 30. Januar 1394 erließ Papft Bonifaz IX. ein Ebilt‘),
welches, indem es alle früheren Erlaffe zuſammenfaßte, die Keker
gänzlich ausrotten follte Der apoftolifche Stuhl, jagt der Papft,
wende gern (libenter) alle geeigneten Mittel an, um die Seuche ber
häretiſchen Schlechtigfeit zu vertilgen. Nun liege ihm ein Gutachten
jeiner geliebten Söhne, nämlich ſämmtlicher Inquifitoren Deutid-
lands über die Keter jenes Landes vor, die das Volt Begharben,
Lollharden und Schweftrionen nenne, welche fich ſelbſt aber mit dem
Namen „Arme und „Brüder“ bezeichneten.
Seit mehr als 100 Jahren verberge fich diefe Keterei unter
denjelben Formen und es feien in verichtedenen Städten deßwegen
fajt in jedem Jahre mehrere von diefer Sekte al8 Halsftarrige
auf Richterfpruch hin verbrannt worden). Der Papft errteuere
deßhalb alle Erlajfe Urbans V., Gregors XI und feiner ſämmtlichen
Vorgänger unter Bezugnahme auf die Mandate Raifer Karls IV.
und unter ausbrüdlicher Annullirung aller etwa entgegenftehendven
Beitimmungen.
„Mit planmäßiger und fhonungslofer Energie”, jagt ein neuerer
Forſcher, „machten fich im 14. Jahrhundert die "Erforfcher der kege-
riſchen Bosheit" an die Verfolgung der Waldenfer, und bald fehen
wir von der Lombardei bis zum baltifchen leere, von der Raab
bis zum Nheine die Scheiterhaufen emporlodern”,
Im Jahre 1395 konnte der Fromme Inquifitor Petrus Pilich⸗
dorf mit triumphirendem Hohne behaupten, daß es gelungen jei,
dieſer Ketzer Herr zu werben).
Allein faft um diefelbe Zeit, wo dieſe Worte gefprochen wurden,
trugen einzelne Männer die Lehren Iohn Wiclifs von England
1) Daſſelbe ift abgedrudt bei Moſsheim De Beghardis etc. p. 409.
2) Die Worte lauten: „sub quorum etiam habitu et ritu vivendi ante
centum annos usque in praesentiarum semper haereses et haeretici latitarunt
et ob id in diversis civitatibus partium praedictarum fere singulis annis de
hujusmodi sectis plures pertinaces judicialiter concremantur“.
3) 9. Haupt Die religidfen Selten in Franken. Würzb. 1882 ©. 22.
241
aus nach dem Continent. AS Hieronymus von Prag im Jahre
1398 von Oxford, wo er ſtudirt hatte, in die Heimath zurüdkehrte,
begann er, erfüllt von der Begeifterung, die der große Brite in
ihm erweckt hatte, laut zu verkünden, daß die römifche Kirche ab-
gefallen fei von der Lehre Chrifti, und daß Jeder, dem das Heil
feiner Seele am Herzen liege, zur Lehre des Evangeliums zurüd-
tehren möge. Dean weiß, wie feine Worte zündeten.
Der Berlauf, welchen die Ereigniffe in Böhmen jeit 1398
nahmen, ift zu bekannt, als daß es nöthig wäre, näher Darauf ein-
zugehen. 2
Des Hieronymus Worte fielen zunächit bei dem Magifter Job.
Huß, Lehrer der Theologie zu Prag und feit 1402 Prediger an der
Bethlehemkapelle und Beichtuater der Königin Sophia, auf frucht-
baren Boden.
Der Widerjtand, den Huß fand, indem der Erzbifchof von Prag
auf päpftlichen Befehl die Schriften Wiclifs verbrennen ließ und
dem Huß das Prebigen unterfagte, brachte e8 zu Wege, daß die
Königin und der König, Adel und Univerfität fich auf die Seite
Huſſens ftellten.
Trotz dieſer Unterjtügung verfolgte die Curie den kühnen An⸗
greifer, unD es ward, nachdem eine römische Synode die Schriften
Wiclifs verdammt hatte, im Jahre 1413 die Excommunikation
gegen Huß ausgeſprochen und fein Aufenthaltsort mit dem Inter-
dict belegt.
Bald darauf wurde das Concil zu Conftanz eröffnet. Kaiſer
Sigmund forderte ven Huß auf, fich vor demfelben zu ftelfen. Da
ein Taiferlicher Geleitshrief ihm Sicherheit zu gewähren fchien, fo
reiſte Huß in der That nach Conftanz und traf am 3. Nov. 1414
bajelbit ein.
Aber bereit8 fünfundzwanzig Tage nach feiner Ankunft, am
28. Nov., wurde Huß auf Beſchluß des Concils als Reber gefangen
gejegt, und obwohl man ſich von Böhmen aus feiner jehr annahm,
jo wurde er dennoch immer härter behandelt, ihm die Bitte, fich
vertheidigen zu dürfen, abgefchlagen und ein unbebingter Widerruf
gefordert.
Es jeheint, als ob zu dieſer Strenge die Nachrichten aus Böhmen
Keller, Die Reformation. 16
242
beigetragen hätten. Denn plötlich erfuhr man in Conſtanz, daß
der Pfarrer Jacob von Mifa zu Prag auf Veranlaffung des Wal
denjers Petrus von Dresven und unter dem Beifall der Bevölkerung
den Laien den Abendmahlskelch wieder gereicht Habe. Auch Huf
hatte fich im Princip für den Laienkelch ausgejprochen.
Da Huf den verlangten Wiverruf nicht leiften wollte, warb
er zum Tode verurtheilt und am 6. Juli 1415 verbrannt.
Kaifer Sigmund Hatte anfangs darauf bejtanden, daß fein
Wort, welches er verpfändet, gehalten werde. Allein einflußreiche
Perſonen überzeugten ihn, daß er ven „Ketzer“ des gegebenen Wortes
wegen nicht ber Todesftrafe entziehen dürfe. König Yerdinand von
Aragonien fchrieb unter dem 18. April 1415 an Sigmund, daß er
demjenigen die Treue nicht zu halten brauche, der fie Gott gegen
über nicht gehalten habe!).
In diefem Sinne erließ das Concil zur Rechtfertigung feines
Verhaltens am 23. Sept. 1415 in feiner 19. Sitzung ein feierliches
Decret, in welddem es ausfprach, das die Kirche einem „Ketzer“ die
Treue zu balten nicht verpflichtet jei?). Ä
Da die Concilsbeſchlüſſe als Eingebungen des h. Geiſtes gelten
und unfehlbare und ewige Gültigkeit befigen, fo Tiegt in dem bier
ausgeſprochenen Grundjag allerdings ein Princip von erheblicher
Tragiveite.
Dis zu diefem Zeitpunkte hatten die „Keker” Jahrhunderte
hindurch es gebuldig ertragen, daß die römiſche Kirche im Wider
1) Der Brief ift abgebrudt in Schelhorns Ergötlichleiten aus der Kirchen⸗
biftorie u. ſ. w. Bd.1 ©. 217 ff.
2) Das Decret des Eoncil8 dd. Sess. gen. XIX. d. 23. Sept. 1415: Praesens
sancta Synodus ex quovis salve conductu, per Imperatorem, Reges et alios
saeculi Principes haereticis, vel de haeresi diffamatis, putantes eosdem sic &
suis erroribus revocare, quocunque vinculo se astrinxerint, concesso, nullum
fidei catholicae vel jurisdictionis ecclesiasticae praejudicium generari vel im-
pedimentum praestari posse seu debere, declarat, quominus salvo dicto con-
ductu non obstante liceat judici competenti ecclesiastico de hujusmodi per-
sonarum erroribus inquirere et alias contra eas debite procedere, easdemgue
punire, quantum justitia suadebit, si suos pertinaciter recusaverint revocare
errores, etiamsi de salvo conductu confisi ad locum venerint judicii, alias
non venturi. Abgebr, bei von d. Hardt Conc. Const. IV. p. 521. Dazu vgl.
das fpecielle Decret De salvo conductu Hussonis bei Hardt a. a. O.
243
ipruch mit der Lehre Chrifti das weltliche Schwert gegen ihre beiten
Männer in Bewegung gefettt hatte. Jetzt aber war das Maß voll,
und die Geduld der gequälten Menſchen war zu Ende.
Eine furchtbare Gährung verbreitete fich über Das ganze eich,
om furchtbarften natürlich in Böhmen, wo religiöfe und nationale
Motive die Aufregung jteigerten. ‘Die erjten Schritte, welche bie
Partei des Hingerichteten that, waren noch durchaus friepfertiger
Art; man beſchloß, und zwar faft alle angefehenen Männer Böh-
mens, einen Bund auf fech8 Sabre zur Vertheivigung gegen weitere
Ungerechtigkeiten zu jtiften. |
Eben als man darüber einig geworden war, traf die Kunde
ein, daß auch Hieronymus von Prag am 30. Mai 1416 der Ver⸗
folgung zum Opfer gefallen war; auch ihn Hatte man verbrannt.
In unbegreiflicher Verblendung beſchloß das Concil, die „Ketzer
in Böhmen auf dem altbewährten Wege der höchſten Strenge nie-
derzubalten. Daſſelbe erließ für bie geijtlichen Gerichte und die
weltlichen Autoritäten eine genaue Injtruftion in 24 Artikeln, wie
men gegen bie Freunde des Huf vorgehen folle, und der Papit
fandte Inquiſitoren mit außerorventlichen Vollmachten, wie e8 in
ähnlichen Fällen in Deutſchland fich vortrefflich bewährt Hatte, nach
Böhmen.
Allein während am Rhein, in Deftreih und in Norddeutſch⸗
land die Ketzerrichter ungeftört hatten wirken können, begegneten fie
in Böhmen plößlich einer entfchloffenen und thatkräftigen Abwehr.
Unter Führung zweier Edelleute, des Nicolaus von Huſſinecz
und des Sohannes Ziska, fammelten ſich große Schaaren, zunächt
zu Teinem anderen Zwecke, als um das Abendmahl gemäß der Ein-
jegung Chrifti und nach uraltem Brauch der Waldenjergemeinden
unter beider Geftalt fich reichen zu laffen. ‘Der Berg Tabor war
eg, wo dieje erjten großen Demonjtrationen ftattfanden.
Nachdem die ‘Dinge jo weit gelommen waren, riß die Ent-
frembung von der römifchen Kirche immer tiefer ein, und e8 ift ja
befannt genug, daß ein blutiger Kampf die Folge war.
Als König Sigmund einen Kreuzzug gegen die ketzeriſchen Böh⸗
men anfündigen Tieß, Tam es zu den furchtbaren Kriegen, welche
das ganze Abenpland erfchütterten.
16*
244
Es giebt eine neuere Gefchichtfchreibung, welche, indem fie auf
biefe Kriege hinweiſt, vol fittlicher Entrüftung über die „revolutio-
nären Tendenzen” und die „Umijturztbeorien‘ aller derjenigen Par-
teien Tpricht, welche e8 gewagt haben, fich dem Gehorfam ver römi-
ſchen Kirche zu entziehen. Es wird dann „quellenmäßig‘ ver
Beweis erbracht, Daß die revolutionären „Selten Aufruhr und
Empörung vor fich her getragen haben. Es ift wahrlich nicht jchwer,
diefen „Beweis aus den Quellen zu führen.
Doch ift zu bebauern, daß folche „unpartheiiſche“ Gejchicht-
ichreiber meift vergeilen, binzuzufügen, wo denn eigentlich die Ur-
fachen der „Empörung gelegen Haben).
Die Erfolge der Böhmen mußten au in den Nachbarländern
auf diejenigen Parteien ſtärkend zurüdwirken, welche in Oppofition
zu den herrichenden kirchlichen Gewalten ftanben.
Um den Beginn der zwanziger Jahre des 15. Jahrhunderts
begegnet uns als einer der Führer ber beutichen Oppofttion ver
jächfifche Edelmann Johann von Schlieben, gen. Dranborf.
ALS fich der Adel in Böhmen an die Spike der empörten Menge
ftellte, Tonnte bei den vielfachen freundfchaftlichen und verwandt-
ſchaftlichen Beziehungen, welche jenen mit den deutjchen Nachbarn
verband, eine Rückwirkung auch auf den Adel der Grenzprovinzen
nicht ausbleiben. Nur wenn man annimmt, daß bie „Brüder“ in
den fächfifchen Ländern ſchon frühzeitig mächtige Protektoren fanden,
erklärt fich die Thatfache, die wir kennen lernen werben, daß bie
Berfammlungen der Bifchdfe und „Apoſtel“ aus dem ganzen Reiche
fpäterhin in Sachſen, z. B. im Meißnifchen, abgehalten wurden.
Ehen aus dem Meißnifchen ftammte ja auch jener fächfifche Ebdel-
mann, der mehr als viele andere fpäterhin ein Beſchützer der kirch⸗
lichen Oppofition geworden tft, nämlih Johann von Staupiß.
Die Familie Staupis aber war nachweislich feit dem 14. Jahr⸗
hundert in den böhmifchen Grenzprovinzen begütert und angejehen.
Während aber die Mehrzahl der veformfreundlicden Adligen
jener Tage nach der Sitte ihres Standes für die erkannte Wahr-
1) Dan vgl. Sanffen Geſch. des beutfchen Volles I, 391 u. öfter.
245
beit fochten, ift Iohann von Schlieben auf einem anderen, viel
ſchwereren Weg gewandelt, nämlich auf dem des Märtyrers!).
Johann war im Jahre 1390 als reicher Eltern Kind geboren.
In Dresden, wo er feine VBorbildung empfangen hatte, war er mit
dem Waldenſer Petrus in Beziehung gelommen, der, wie erwähnt,
bald darauf in den böhmischen Kämpfen eine Rolle fpielte.
Um das Jahr 1409 feheint es gewefen zu fein, wo Schlieben
bie Univerfität Leipzig bezog, um jich in der theologifchen Wiſſen⸗
haft auszubilden. Nach fiebenjähriger Vorbereitungszeit, alſo um
das Jahr 1416, trat er in den Prebigerberuf ein. “Der erſte Schritt,
den er nach feiner Ordination that, war der, daß er fich feines
Vermögens zum Nuten feiner armen Mitbrüder entäußerte. Es
erhellt aus dieſer beglaubigt überlieferten Thatſache, daß Schlieben
in den Verband der „Apoftel” eintrat, und in der That begann er
von da an ein Wanberleben als Sendbote Chriſti.
Er fand als folcher zunächſt genug Beichäftigung in den zahl-
reihen Gemeinden, die in feiner engeren Heimath, in Sachien,
Meißen und im Bogtland vorhanden waren. Bon dort begab er
fih im Beginn der zwanziger Sabre an den Rhein.
Daß Hier trog der Kataſtrophe, die wir gefchildert haben, noch
fortwährend, felbft unter den Gebilveten und den Geiftliden, Ge-
finnungsgenoffen Schliebens vorhanden waren, ergeben die Be-
ziehungen, die Letterer nach feinen Ausfagen vor dem Inquifitions-
gericht Dort vorfand. Schlieben wandte fich zunächit an einen Kölner
Geiftlichen, deffen Namen er den Kegerrichtern aber nicht verrathen
bat; dann zu Speier an den zur Zeit des Verhörs bereits gefangenen
Schulreftor Peter Turnau. Durch ihre Vermittlung warb er
in die rheinischen Gemeinden eingeführt und prebigte bier, wie er
jelbft jagt, gegen den Eid und gegen gewiſſe Irrthümer, die fich in
die Waldenfergemeinden eingejchlichen hatten.
Die zur Didcefe Würzburg gehörigen Städte Heilbronn und
1) 305. v. Schlieben bat in der Kirchengefchichte noch nicht bie Berüdfichtigung.
gefunden, bie ex verbient. Es ruht ſicher über ihn noch manches Material an
verborgenen Orten. Bgl. über ihn Haupt a. O. ©. 32 ff. u. die ©. 32 Anm. 5
aufgeführten Ouellen. Hier ift neben Haupt noch ber Auffak Krummels in den
Theol. Stud. u. Krit. 1869 ©. 130 ff. benußt worden.
246
Weinsberg befanden fich damals im Banne, ven Biſchof Johann II.
ivegen einer rein weltlichen Frage über fie verhängt hatte. Mit der
durch das Interdikt tief empörten Bevölkerung knüpfte Drandorf
Beziehungen an und der Rath von Weinsberg lud ihn ein, dort-
bin zu kommen.
Auf dem Wege aber, in Heilbronn, warb er von ben Häfchern
erreicht und nach Heivelberg in das Gefängniß abgeführt. Die Ver-
baftung Peter Turnaus war der einigen bereit8 vorangegangen.
Es wurde im Frühjahr 1425 ein Inquiſitionstribunal zu Heidel⸗
berg unter Anweſenheit des Bifhofs Johann von Worms und einiger
Bevollmächtigten des Biſchofs von Würzburg, ſowie unter Mitwir-
fung der Univerfität eröffnet und den Gefangenen der Prozeß ge»
macht.
Das Ende war, daß Schlieben im Jahre 1425 zu Worms
und Peter Turnau im Jahre 1426 zu Speier von der heiligen In⸗
quiſition dem Tode in den Flammen übergeben wurden.
Ueber die weiteren Hinrichtungen von „Ketzern“ aus dieſer Zeit,
welche in den Schriften der rechtgläubigen Theologen als Beghar⸗
den ober Lollarden bezeichnet werben, die aber fich ſelbſt „Brüder“
nannten, giebt eine Schrift des zu feiner Zeit fehr bekannten Chor⸗
bern und Propftes am Großen Münfter zu Zürich, Felix Hem⸗
merlin!) (geftorben ca. 1460), nähere Auskunft.
Unter den mannigfachen Zractaten dieſes Autors befindet fich
auch eine Streitfchrift gegen die „Begharden aus etwa 1440, welder
er den Titel gegeben hat: „Contra validos mendicantes“‘ 2). Iſt
die Thatfache ſchon an fich merkwürdig, daß noch um 1440 ein
Mann von Hemmerlins Anfehen e8 für nöthig hielt, gegen bie ver»
achtete „Sekte“ Literarifch zu Felde zu ziehen, fo erhält das Buch
Doch eine größere Bedeutung durch die thatfächlichen Angaben über
die Ausbreitung der Partei in der Schweiz und Oberbeutfchland
während der angegebenen Epoche.
1) Bgl. über ihn die Allg. deutfche Biographie s. v.
2) Diefelbe ift abgebrudt in der Sammlung: Clarissimi viri juriumque
doctoris Felicis Hemmerlin cantoris quondam Thuricensis Varie oblectationis
opuscula et tractatus Basileae 1479. Hier citire ich nach dem in der Kaiferl.
Bibl. zu Straßburg befindlichen Exemplar.
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„zu meinen Tagen“, fagt Hemmerlin, „haben auch in ber
Didcefe Conftanz diefe Menjchen unzählige Irrlehren ausgefäet;
daber hat man fehr viele zu Öffentlicher Buße gebracht, andere durch
Feuer verbrannt. Deßhalb haben in unferen Tagen (d. 5. im Jahre
1438) Einige die Irrlehre in neue Artikel gebracht und in ihren
Büchern niedergefchrieben‘ 1).
Seitdem die eigentlichen Begharden⸗ und Beghinenconvente
meiftentheild in den britten Orden des h. Franciscus aufgenommen
worden waren, Tonnte Niemand, auch Hemmerlin nicht, die alte
Dezeihnung in ihrer Allgemeinheit al8 Kegernamen beibehalten.
Hemmerlin räumt daher ein, daß einzelne unter Ienen vechtgläubig
feien. |
„Aber“, fagt er, „es ift Häufig der Fall gewefen, daß unter jener
ſchlechten Gefellichaft Selten und Conventifel von Häretifern zu
unferer Zeit und in unjeren Gegenden fich befunden haben, wie
dies feftfteht von einem gewiſſen Begharden, Namens Burkhard
mit feinen “Brüdern in dem Gebiet von Zürich, welche nach ab-
gelegter Buße und Aufbeftung des Kreuzes in ihre Ketzerei zurück⸗
fielen und verbrannt wurden. Ebenſo war es mit einem gewifjen
“Bruder” Karl, welcher einen großen Anhang in dem Lande Uri
hatte und aus demfelben Grunde mit feinen Genofjen durch das
Teuer verzehrt worden iſt; ebenfo mit einem gewiffen Heinrich
von Tierrenz bei Conftanz, welcher nebjt einem großen Anbang
öffentlich Buße that; ebenjo mit einem gewilfen Sohannes im
Gebiet von Ulm mit vieler Gefellfchaft, der wegen ver genannten
Sache dffentlih Buße that; ebenfo mit einem Magifter und Häre-
fiarchen in der Herrichaft Würtemberg, der mit der größten Schwierig⸗
Teit in einer Verfammlung der Sachverftändigen überwunden ward, .
Ebenfo war e8 mit gewiſſen Begharden, welche jedes Jahr aus
Böhmen kamen und ungezählte Schaaren Volks in den Städten
1) Die Stelle lautet a. O. fol. Xllb: „Et insuper in diebus meis et in dyo- -
cesi Constantiensi isti homines infinitos seminaverunt errores, unde plerique
sunt ad poenitentiam publicam positi, alii igne cremati; unde his diebus, vi-
delicet de anno domini MCCCGCXXXVII, quidam novos fecerant erroris arti-
eulos in suis libris conscriptos et in occultis conventiculis dogmatizatos, qui
demum et vix informati poenitentiam publicam peregerunt“,
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Bern, Solothurn und in vielen Dörfern und Gegenden, Die den
Städten unterivorfen waren, in die fehredliche Ketzerei verführten.
Und in Summa, im ganzen obern Deutjchland iſt Teine Ketzerei
wider ben Tatholifchen Glauben eingeführt, e8 ſei denn durch die
Füchſe jener Sekte der Begharven, Lollarden und Beghinen auf das
nichtswürdigſte bewirkt worden” 1).
Im Hinblid hierauf fordert Hemmerlin die äußerſte Strenge
gegen dieſe Menſchen. „Laßt uns”, ruft er aus, „Das Recht, bie
Canones und die b. Gefege und die Waffen derer, die der Geſetze
Diener find, männlich fchärfen, und laßt uns die Schwerter des
geiftlichen und weltlichen echtes züden (Gladii vibrentur), um die
Verbrechen jener Menfchen direkt oder indirekt zu unterbrüden (com-
pescantur). Denn es fteht gefchrieben bei Mofes: "Wehe dem,
welcher reizt den Herrn zum Zorn'“.
Zur Charakteriftif der Lehre und des Lebens der „Brüder
gemeinden”, wie fie um dieſe Zeit fich geftaltet Hatten, find bie
Aufzeichnungen einer Handſchrift von Wichtigkeit, welche aus dem
Jahre 1404 ſtammt, und die in der alten Bibliothek zu Straßburg
aufbewahrt ward. Wenn man die Angaben der Handſchrift, welche
von einem Gegner berrührt, mit Vorficht verwertbet, Tann man
einige wichtige Notizen daraus fchöpfen.
Zunächſt tft und durch diefelbe eine Predigt erhalten, die, wenn
fie auch vielleicht von einem römiſchen Geiftlichen ihre jetige Latei-
nifhe Form erhalten bat, doch unzweifelhaft in allen wefentlichen
Punkten echt ift. Diefelbe enthält Troſt und Zuſpruch, wie ihn
die unter der Verfolgung zufammenbrechenden Gemeinden um das
Jahr 1400, wo fie gehalten ift, brauchten.
Zwei Jahrhunderte Hindurch, jagt der Prediger, bat fich unfere
Gemeinfhaft guter Zeiten erfreut, und die Brüder waren fo zahl
reich geworden, daß bei ihren Concilien 700 und mehr Perfonen
zugegen waren. Großes Hat Gott für die Gemeinfchaft gethan.
Dann ift ſchwere Verfolgung über die Knechte Chrifti hereingebrochen,
1) Die Stelle a. O. BL. X.
2) Vgl. C. Schmidt Aktenftüde, beſonders zur Geſch. der Walbenfer, in
Niedners Ztſchr. f. d. hiſt. Theol. 1852 S. 238 ff,
249
von Land zu Land Hat man fie getrieben und bis auf den heutigen
Tag dauert die Grauſamkeit gegen fie an.
Doc ſeitdem die Kirche Chrifti gegründet ift, haben die wahren
Chriften niemal8 derart abgenommen, daß nicht in der Welt oder
wenigftend in einzelnen Ländern einige „Heilige“ vorhanden
waren!). Im den Ländern jenſeits des Meeres hat die Kirche im
Anfang zuerft ihr Wachsthum genommen. Niemals wird diefjeits
und jenſeits bes Meeres zugleich die Leuchte ver „Heiligen“ er-
lichen.
Auch unfere Brüder haben einft wegen der Verfolgung das
Meer überſchifft und in einer beftimmten Gegend Brü-
der gefunden; doch weil fie die Sprache des Landes nicht ver-
ftanden, ward der Verkehr ihnen ſchwer und fie find zurückgekehrt 2).
Das Antlig der Kirche wechfelt wie Die Scheibe des Mordes.
Oft blüht Die Kirche durch die Zahl der „Heiligen und ift ftarf
auf diefer Erde, und bisweilen fcheint fie ganz zu zerfallen und zu
verſchwinden. Doch wenn fie an der einen Stelle verſchwunden ift,
jo wiffen wir, daß fie in andern Ländern fichtbar ift, fei es auch
nur in geringer Zahl der Heiligen, die ein gutes Xeben führen und
in dem heiligen Verbande geblieben find.
Und wir glauben, baß die Gemeinde wieber erjtehen wird in
großer Zahl und Stärke. Diejes unferes Bundes (ordinis) Ur-
beber ift Chriſtus und unferer Kirche Haupt ift Jeſus, der Sohn
Gottes. —
Die Charakteriftif der Waldenſer, welche fich in unferer Hands
ſchrift an die Predigt anfchließt, hebt als vornehmites Merkmal der
Partei die Leugnung des Fegfeuers hervor. Dann trifft fie mit
richtigem Blick fofort die wichtigften Unterjcheidungslehren, indem
der Autor tabelnd jagt: die Waldenfer Spalten die Einheit der Kirche
dadurch, daß fie glauben und fagen, ein Menſch, welcher
1) Die Bezeichnung „Heilige“ kommt in berfelben Bebentung wie „rechte
Chriſten“, d. h. ſolche, welche Ehrifti Lehre glauben und ihr gehorfam find, in
dieſer Gemeinſchaft häufig vor.
2) Es fcheint, daß hier an England gedacht werben muß; ber Verkehr des
Engländers Peter Payne mit ben Waldenſern um biefe Zeit wirb unten Er⸗
wähnung finden.’
250
tugendhaft lebe, werde allein dur feinen Glauben
des Heils theilhaftigt).
Bom Ablaß wollen fie nichts wiſſen, fährt er fort, um Wall⸗
fahrten kümmern fie fich nicht, jeden Eid verbieten fie; ebenio
behaupten fie, daß Niemand die Todesftrafe anwenden dürfe.
Auch find fie des Glaubens, daß der Bapft Feine Gerichtsbarkeit in
weltlichen Dingen üben dürfe; auch bürfe er Niemanden in ben
Bann thun?). Der Papft und alle Geiftlichen, welche ein Leben
führen, das den Befehlen Chriftt nicht entipricht, befigen auch bie
Bollmachten Chriſti nicht. Wer die Ordination in rechter Weile
erbalten bat, der befitt die Macht zum Löfen und Binden; be
ſondere reſervirte VBollmachten, wie Papft und Carbinäle fie zu haben
alauben, giebt es nicht.
Wichtig ift, Daß unfere Quelle die Nitualformel iiedergieht,
welche bei ver Abfolution gebräuchlich war; Diefelbe ift unzweifel
Haft den alten Bormularbüchern entnommen, auf die wir weiter
unten noch zurückkommen werben 3).
Während unfere Quelle in diefer Hinficht offenbar gut unter
richtet ift, enthält fie eine Neihe von gänzlich ſchiefen Auffafjungen
und legt diefe in der befannten Weife den „Ketzern“ unter, um ihre
Verkehrtheit zu demonftriren. Dahin gehört e8, wenn der Autor
fagt, daß die „Sekte“ den Auguftinus, Hieronymus u. A. ver
damme (dampnant); wir wifjen vielmehr, daß Dies keineswegs ber
Fall war.
Wichtig iſt Die Schilderung, welche die Handſchrift von ben
1) Item dividunt unitatem ecclesiae, credentes et dicentes, hominem vir-
tuose viventem solum in sua fide salvandum. Schmidt a. O. ©. 243.
2) Die Waldenfer forberten gemäß der h. Schrift die Mitwirkung ber Gr
meinde beim Bann..
3) Die Formel lautet: „Unser herre, der do vergab Zacheo, Magdalene
und Paulo, der do enbant Petrum von den banden der Kethen, und Marthen
und anderen puesseren, der welle dir vergeben dine sunde. Der herre ge-
segen dich und behuete dich; der herre zeige dir sin antlit und erbarm sich
din; der herre kere sin antlit zu dir und geb dir den friden. Und der fride
gottes, der do überhoehet allen sin, der behuete din hertze und din verne-
mung in Christo Jhesu. Gesegen dich der vatter und der sun und der heilig
geist, Amen“.
251
„Apoſteln“ und ihrer Weife giebt). „Steben Mal täglich beten
fie, und nichts anderes beten fie al8 das Vater unfer; weder
das Ave Maria noch das Syumbolum?) fügen fie Hinzu‘.
„Ebenſo pflegen fie nur im Geheimen zu lehren. Desgleichen
find fie in ihren Worten vorfichtig; freiwillige Unwahrheiten und
Schmähworte pflegen fie auf das forgfältigfte zu meiden; einfacher
Kleidung bedienen fie fich; fleißig unterweifen fie ihre Untergebenen
in der Uebung der Tugend und in der Meidung des Lafters; und
weil ihre Haltung äußerlich empfehlenswerth fcheint, darum werben
ihre Untergebenen fehr darin beftärkt, daß man ihnen in allen
Dingen Vertrauen ſchenkt“ 3).
Weber die Gebetsordnung, wie fie bei den Andachten üblich
war, enthält die Straßburger Handſchrift die intereffante Angabe,
daß die „Brüder“ Feine vorgefchriebene Gebetszahl und Länge Ten-
nen; „vielmehr beginnt der Aeltefte unter ihnen das Gebet und
bält ein langes oder kurzes, je nachdem es ihm nützlich ſcheint“ 9.
„Die h. Schrift‘, heißt es weiter, „haben fie in ihrer Mutter⸗
fprache im Gebächtniß umd geben fie in diefer Sprache (beim Got⸗
tesbienft) wieder‘,
Ueber die Vorbedingungen, an welche die Aufnahme unter die
„Apoftel” geknüpft war, giebt Die Quelle einige Andeutungen, Die,
obwohl fie ficher theilmeife entftellte Angaben enthalten, doch von
1) Die Duelle fpricht nicht von „apostoli“, fonbern von den „Seniores inter
eos“; es find aber offenbar die Apoftel gemeint.
2) Im Jahre 1430 bekennt die Waldenferin Anguilla Brechiller zu Freiburg
i U, daß beim Gebet das Ave Maria nicht gejagt werben foll, noch andere
Gebete an bie Heiligen, fondern allein und einzig das Bater unfer. Vom „Glau-
ben“ (Symbolum) babe fie nicht gehört, ob fie ihn fagen follten oder nicht.
©, Ochſenbein a. O. Bern 1881 ©. 207.
3) Schmidt a. O. ©. 244: „Item solent tantum docere in occulto. Item
in verbis sunt sibi cauti; mendacia voluntaria et verba turpia maxime so-
lent evitare; vestimentis non pretiosis utuntur; diligenter suos subditos in-
struunt ad exercendum- virtutes et cavendum a vitiis; et quia eorum Conver-
satio extrinseca apparet commendabilis, ex hoc subditi eorum multum con-
fortantur fidem eis in omnibus adhibendo“.
4) Item in orando non habent numerum determinatum, sed senior inter
eos incipit orationem et facit eam prolixam vel brevem, secundum quod sibi
videtur expedire. ©. 243.
252
Werth find. „Wenn fie Semanden unter die Träger ihres Gewands
aufnehmen wollen!), jo examiniren fie ihn vorher eine Zeit lang
und zur Zeit der Ordination muß er ein Belenntniß feiner Sün-
den ablegen”. Sie legen ihm fieben Artikel vor: Ob er an den
breieinigen Gott glaubt; ob er diefen Gott für den Schöpfer aller
fihtbaren und unfichtbaren Dinge hält; daß er das Geſetz Mofis
gegeben; daß er feinen Sohn bat Menjch werben laſſen; daß er
fih eine unbefledte Kirche erwählt bat; Daß es eine Auferftehung
giebt; daß er kommen wird, zu richten Die Lebendigen und bie
Todten ?).
Zugleich werden eine Reihe von Gelübden (vota) von ihm ab⸗
gelegt, die fich kurz als die Gelübde des Gehorſams gegen Hottes
Gebote, der Keufchheit, der Treue gegen die Gemeinde, der freiwil-
ligen Armuth 3) und der Brüderlichkeit bezeichnen laſſen.
Sobald er diefe Gelübde abgelegt hat, wird er Durch Die Hands
auflegung geweiht.
Schon aus diefen Andeutungen, die wir unten vervollftändigen
werden, erhellt, daß die Regeln und Ordnungen der altevange
liſchen Gemeinden viel ausgebildeter waren, als man bisher vor
ausgeſetzt hat.
Man bat eingeräumt, daß in den „Sekten“ des Mittelalters
wohl religiöfer Enthufiasmus vorhanden geweſen fe, aber fefte
Normen und ftrenge Ordnungen hat man allein der römiſch⸗katho⸗
lifchen Chriftenheit vinbiciren zu müffen geglaubt.
- Eine folche Anficht ift durchaus falſch. Die Verfaffung, welde
die Gemeinden verband, unterftand wohldurchdachten und gutbe
währten, uralten Regeln, die als Produkt nüchterner praktifcher
Ueberlegung betrachtet werden Dürfen.
1) Die Quelle fagt: Item quando volunt assumere aliquem ad eorum
habitum etc. Da aber nur die „Apoſtel“ vworgefchriebene Kleidung beſaßen,
fo iſt au nur an fie zu denken.
2) Nach v. Zezſchwitz Die Katechismen u. |. w. S- 184 find diefelben Artikel
in der waldenfifchen Schrift De li articles de la f& enthalten.
3) Im Jahre 1430 fagt der Waldenfer Willi von Kriftanberg aus auf bie
Frage: „Ob den Geiftlichen etwas gegeben werben ſolle“ — „Biermalim
Jahre folle man ihnen Opfer [penden” ©. Odfenbein a. O. Ben
1881 ©. 192.
253
Zur Gefchichte des Waldenfertbums im Anfange des 15. Iahr-
hunderts enthalten die Protocolle der Freiburger Ketzerproceſſe, die
und aus dem Jahre 1430 erhalten find, wichtige Deaterialien‘).
Die Gegenden um Freiburg, Bern und Schwarzenburg waren
nachweislich feit mindeftens dem Jahre 12772) Ketzerſitze. Durch
ihre Lage an der großen Straße, welche das fübliche Frankreich mit
dem Oberrhein verband, vermittelten fie den Verkehr zwifchen ben
deutſchen und welſchen Gemeinden.
Die Hinrichtungen, welche bereits im 13. Sahrhundert ftatt«
gefunden hatten, waren nicht im Stande gewefen, die Gemeinden
zu zeritören.
Die Berfolgungen wiederholten fih im Jahre 1374 und in
großem Maßſtabe im Sabre 1399.
Die Chronik berichtet zu diefem Iahre: „Es wurden viel Leute
zu Bern und auf dem Lande, Frauen und Männer, Gewaltige,
Reihe und Arme, mehr denn 130 Perfonen in dem Unglauben
befunden u. |. w.“3). Man ftrafte fie nicht am Leben, fondern zwang.
fie zur Abſchwörung; wer nicht abjchwur, unterlag nach den Ge⸗
feßen der Ausweifung. Die Milde des Gerichts erklärt fich aus
der Andeutung der Chronik über bie Detheiligung von „Gewaltigen
und Reichen”.
In der That ftellte e8 fich 30 Jahre fpäter heraus, daß die
Gemeinden nicht nur fortbeftanden, fondern daß nach wie vor ein-
zelne der vornehmften Familien den „Chriftenbrübern” angehörten.
Zu diefen zählte im Jahre 1430 der Ritter Richard von Magen-
berg, welcher fein Schloß und feinen Einfluß in den Dienft der
„Ketzer“ geſtellt Hatte.
Die Magenbergs waren ſeit alten Zeiten in der Gegend von
Freiburg anſäſſig. In dem Volksliede, welches über die Schlacht
bei Laupen im Jahre 1339 erhalten iſt, wird auch ein Johann
1) Ochſenbein ©. F. Der Inquifitionsprozeß wider die Waldenſer u. ſ. w.
Bern 1881. Leider hat Ochſenbein nicht einen Abdruck, ſondern eine populari⸗
firende Meberarbeitung der Protocolle gegeben.
2) Die Nachrichten aus Juſtingers Berner ehronit zu 1277 hei Odfen-
bein a. a. O. Bern 1881 ©. 95.
3) Dal, oben ©. 232,
254
von Magenberg nebft anderen vornehmen Yamilien der Gegend,
3 BD. denen von Teng oder „ven Tengen“ genannt).
Auch ein Herr von Fülistorf wird in dem Liebe zugleich
mit den Magenbergen und Tengen erwähnt, und es ift merf-
würdig, daß Mitgliever eben dieſes Geſchlechts von Fülistorf mit
1) Bgl. v. Lilieneron Die hiſtoriſchen Bollsliever u. ſ. w. 1,49 ff. Die be-
treffenden Strophen lauten:
8 Sie zugend mit einaubern bar,
der baner namends eben war,
mitten im forft ruft Inte
eine von Tengen: „ach richer Chriſt,
dag difer forft fo lange ift!
zun Welfchen fund min gemüth,
daß ichs in irem harniſch ſäch
und mich mit in erbeißet!“
Dem forſt and end was inen gach:
der zug bört häre reifet,
die welſchen Herren mit großer macht
zwölfbundert brißig tufend.
Do machet fih die fchlacht.
9 Do hieltends ftill zu beiber fit.
von Magenberg einr dört bar rit
gar nach zum ber von Bären,
zu inen ruft er Treftiglich:
„ie zwen von Bärn beftan hüt ich“.
fach fie doch nit vaſt gerne.
Noch me fo redt der ftolge man:
„ie find wol halbe wibe?“
Kunz von Rinkenberg ſchnalt in au
„nun band wir boch an dem libe
nah mannes art ouch mengen bart!
Ich wil dich ſtrits geweren
allein uf diefer fart!“
Die Strophe 8, in weldder der Name Tengen vorlommt, ift von Aegibius
Tſchudi (1505— 1572), welcher das Lieb wiebergiebt, weggelaflen worben. Lilien-
cron I, 51 bemerkt dazu: „„er wollte wol dem fonft nirgends bezeugten Herm von
Tengen nicht um eines kurzen erfolglofen Wortes willen aufnehmen“.
Dazu mag bemerkt werben, daß ber Name Teng in ber Zeit, wo Tſchudi
fchrieb, von einem Manne getragen wurbe, welcher Tſchudi fehr unſympathiſch
war. „Hans Teng“ — diefe Form des Namens von Hans Dend if ur-
kundlich beglaubigt —, vor welchem die Stadt Zürich noch im Jahre 1527 eine
Warnung als „des Wiedertaufs Ergtänfer“ erlafien hatte, war gelichtet
in den Schweizer Kantonen.
255
Richard von Magenberg im Jahre 1430 zu Freiburg als Waldenſer
vor dem Inguifitionsgericht ftehen?). |
Wenn man fich erinnert, daß gerade die erfte Hälfte des
14. Jahrhunderts e8 war, wo die „Chriſten“ ihre größten Erfolge
errangen, und daß, nach Ausweis der Alten, viele vom Adel um
Freiburg bereit8 in jener Zeit zu den Ketzern bielten, fo wird man
nicht fehl gehen, wenn man annimmt, daß die genannten Gefchlechter
ſchon um 1339 den Waldenfern zuzuzählen find.
Mit welchem Nachdruck die Verfolgung betrieben warb, fieht
man daraus, daß das Schloß Richards von Magenberg mit Waf-
fengewalt genommen und der Befiger in den Kerker geivorfen wurde.
Doch entlam er und eilte auf fein Schloß zurüd. ALS die Geift-
lichen, welche dem Gericht vorfaßen, Dies vernahmen, warb ein neuer
Ueberfall des Schloffes zur Nachtzeit befchloffen und ausgeführt, aber
man traf auf einen wohlvorbereiteten Widerſtand und mußte abziehen.
Indeflen wurde Magenberg aller feiner Befigungen verluftig
erflärt und die Letteren auch thatfächlich eingezogen. Auf feine
Perfon ward fo lange gefahndet, bis man endlich nach fieben Jahren
feiner habhaft wurde. Als der PVerfolgte fich jo aller Hoffnung
beraubt fah, wandte er ſich Durch feinen Sohn an die weitphä-
liſche Vehme, die ihm auch in der That Beiſtand gewährte).
Ueber ven Belenntnißftand und die Verfaſſung ver Gemeinden
geben die Alten des Prozefjes einen erwünfchten Auffchlug 3).
Es ergiebt fich daraus die Thatfache, daß die Zähigkeit, mit
welcher die Gemeinden feit Jahrhunderten an ihren Principien feſt⸗
gehalten hatten, keineswegs gebrochen war. Es find in den meiften
Punkten nur die Wiederholungen der Angaben, die wir bereit aus
den Bekenntniſſen der Protocolle des 13. und 14. Jahrhunderts
kennen. |
Nur Einiges ſoll bier notirt werben.
Die Anklageakte wider Die Gefangenen war in 22 Artikeln
1) Ochfenbein a. DO. Bern 1881 ©. 193. — Anguilla von Fülistorf war.
die Gattin des Willi von Chriftenderg. Ein Montchrift aber war ver erſte Com-
thur der Iohanmiter zu Freiburg.
2) Ochienbein a. a. DO. ©, 373.
3) Ochſenbein a. a. O.
256
formulirt!). Darin heißt unter Anderen der 8. Artikel: „Item fagen
und balten die Menfchen von befagter Sekte, daß fie in dieſer Welt
allezeit gewiſſe gute Leute mit fich haben, welche ihnen prebigen und
am Plage der Apoftel oder Jünger unferes Herrn Jeſu Chriftt
jeien”. Die Gefangenen Konrad Wafen und Elfa Troger bemerkten
erläuternd dazu, daß die Zahl diefer Apoftel auf 72 normirt fe.
Artikel 10 lautet: „Stem glauben befagter Angellagter und
Andere von genannter Selte nicht an das Sacrament der Eucha⸗
riſtie“; eine Behauptung, der gegenüber Elſa Troger bemerkt, daß
bei ihnen das Saframent des Altars in großer Ehrfurcht gebalten
werde.
Artikel 12 ſagt: „Item ſagen, halten und predigen ſie, daß die
geiſtlichen Perſonen nichts Anderes haben ſollen, als nur das Nöthige:
Nahrung und Kleidung“. Die Erklärung, welche die erwähnte Elſa
hierzu giebt, verdient beſondere Beachtung. Sie beſtreitet nämlich
die Richtigkeit dieſes Satzes in ſolcher Allgemeinheit; vielmehr ſolle
man denjenigen unter den Weltgeiſtlichen, welche ſeßhaft auf dem
Lande ihr Amt ausüben, Mittel geben; ſie will damit andeuten,
daß die freiwillige Armuth nur für die Apoſtel zutrifft 2).
Der Artifel 16 legt ven „Brüdern die fonderbare Behaup
tung unter, daß fie glauben, alle Güter dieſer Welt gehörten ibnen.
Die Angeklagten wiefen dies zurüd. Elſa Troger bemerkt, aller
dings glaubten fie, daß das Gefe ihrer Lehre (lex ipsorum) über
alle anderen Lehren vor dem Tag bes letzten Gerichts den Sieg da⸗
von tragen werde,
Der Artifel 19 der Anklageakte lautet wörtlich: „Item fagen
fie, daß, wenn fie Viele tödten könnten, jo würden fie Gott einen
großen Dienft erweisen”.
Mit Entrüftung erhoben ſich dagegen die Gefangenen; ihre
Meinung fei vielmehr, daß jeder Todtſchlag eine Sünde fei.
Es trifft fich befonders glüdlich, dag eins der waldenfifchen
Sormularbücder, wie fie in deutſcher Sprache während bes
1) Abgebrudt bei Ochſenbein a. DO. ©. 210.
2) Der Gefangene Konrad Wafen erflärt fih dahin, daß die Schenkungen
an die Armen beſſer ſeien als die an die „viri ecclesiastici“.
— | __| C— — ——
257
14. Jahrhunderts aufgezeichnet worden \ find, uns erbalten ift; es
ift dies der fogenannte Codex Teplensis, welcher kürzlich der
Deffentlichkeit übergeben worden ift!).
Die Prämonftratenfer-Abtei Tepl, in deren Bibliothek ſich das
merkwürdige Buch vorfindet, Liegt etwa 30 Kilometer öſtlich des
Sichtelgebirge8 und des Böhmerwaldes, d. h. mitten in den Diftrik-
ten, welche nachweislich Jahrhunderte Yang die vornehmften Zufluchts-
orte vertriebener deutſcher „Brüder“ gewejen find.
Das Formularbuch iſt eine Pergamenthandſchrift von 629 Sei⸗
ten, welche von drei verſ chiedenen Händen herrührt. Auf jeder
Vlottſeite ſtehen 31 Zeilen zwiſchen feingezogenen Linien. Dem
Coder fehlt der Titel.
„Die Art der an dem ftark angegriffenen Coder angebrachten
Marginalien“, jagt der Herausgeber, „läßt auf feinen vielfachen
Gebrauch im eigentlichen Seelforgsgottesdienfte, vor der Prebigt und
namentlich auch beim Krankenbeſuche, ſchließen“.
Der Eober bilbet ein zufammengehöriges Ganzes; er ftellt nicht
etwa eine Sammlung gelehrter Notizen dar, jondern ift zum Zived
des täglichen praktifchen Gebrauches aufgezeichnet.
„Den Schluß des Cover macht eine äußerſt beachtenswerthe Art
von Heinem Katechismus über die “fieben Stüde des heiligen chrift-
lihen Slaubens’” — fagt der Herausgeber.
Abber dieſer angebliche Heine Katechismus ift von Wort zu Wort
identiſch mit dem uns urkundlich aus Straßburg überlieferten Ordis
nationsformular der „Brüder“, die man Waldenfer nannte, nur
daß die Straßburger Handjchrift, die wir oben erwähnt haben, den
Text des Formulars Iateinifch, der Tepler Codex aber deutjch giebt.
Hier ift das deutſche Bormular?): „Das erfte Stüd, das wir
glauben: zu fein ein Gott in ber Dreifaltigfeit und die Dreifaltig-
feit zu ehren in der Einheit. Das zweite ift, das wir glauben:
daß Gott felber Hat gefchaffen alle Dinge, die unter ihm find. Das
dritte, daß er bat gegeben das Gefek Moſes an dem Berg Sinai.
Das vierte, daß er bat gefandt den Sohn von dem Himmel in den
1) Der Codex Teplensis u. f. w. nebft drei Anhängen. Augsburg — Münden.
Drud und Berlag des Literariſchen Inftitut8 von Dr. M. Huttler. 1884.
2) Der Codex Teplensis. Dritter Theil S. 101 (1. Anhang Nr. D).
Keller, Die Reformation. 17
258
Leib der feligen Maid. Das fünfte, daß er fich felber hat ermählt
eine reine Kirche. Das jechite ift die künftige Auferjtehung bes
Fleiſches. Das fiebente iſt das ewige Gericht” 1).
Außerdem giebt der „Heine Katechismus” eine Aufzählung über
fieben beilige Handlungen, welche in der Kirche vorkommen; er
nennt diefelben „die fieben Heiligkeiten“ oder die „fieben geiftlichen
Säulen, welche die Kirche tragen” und will augenfcheinlich durch
die Vermeidung des Ausprudes „Sakramente“ andeuten, daß er
nicht die fieben Sakramente der römischen Kirche darunter verftan-
den willen will.
Die Straßburger Handſchrift Tennt diefen Abfchnitt des For
mularbuchs gleichfalls, macht aber aus ven „fieben Heiligkeiten“
fieben Sakramente und deutet auf den Text des Formelbuchs hin,
indem fie an erfter Stelle (wie dieſes) von der Taufe handelt.
Da unfere Kenntniß von ven Tirchlichen Formeln der Wal
benfer vorläufig aus anderweitigen Quellen eine geringe ift, jo bin
ich nicht im Stande, für die weiteren Theile des Codex Teplensis
die Parallelen beizubringen.
Sehr wichtig ift das Verzeichniß der Lefeftüde für alle Sonn
und Feiertage (Perikopen⸗Regiſter), welches unjer Cover giebt. Es
erhellt daraus, dag die Waldenſer faſt alle Heiligenfeite be-
feitigt hatten; die Gedenktage Johannes des Täufers, der Jung
frau Maria und der Apoftel pflegten fie dagegen feftlich zu begehen.
Sodann verdienen die Formeln Beachtung, mit welchen bei
den Gottesbienften bie regelmäßige Lektüre der h. Schrift den Glänu⸗
bigen ans Herz gelegt zu werden pflegte. Man bat dazu Stellen
aus Chryfoftomus benutzt — einem Autor, welchen die Waldenſer,
wie wir willen, jehr hoch hielten. Sehr merhvürbig ift der Abfchnitt,
welcher von der häuslichen Erbauung handelt, die bei den Walben-
fern, wie wir fahen, eine fo große Rolle fpielte,
1) Die Straßburger Handſchrift lautet: „Item tempore ordinationis inter-
rogant (Waldenses) de septem articulis fidei, scilicet utrum credat unum Deum
in trinitate personarum et unilate essentiae. 2. quod idem Deus sit creator
omnium visibilium et invisibilium. 3. quod condidit legem Moysi in monte
Synay. 4. quod misit filium suum ad incarnandum de virgine incorrupta.
5. quod elegit sibi ecclesiam immaculatam. 6. carnis resurrectionem. 7. quod
venturus est judicare vivos et mortuos.
259
Um auch für die Empfehlung diefer Art des Gottesdienftes an
eine Autorität ficb anzulehnen, enthält unfer Codex eine Stelle aus
Auguftinus (Homilie über die Worte Nisi granum frumenti), worin
diefer jagt, dag nicht bloß die Biſchöfe und Cleriker, ſondern jeder
Familienvater in feinem Haufe ein Firchliches und gleichfam biſchöf⸗
liches Officium im Dienjte Chriftt einzurichten babe!).
Dei weitem der wichtigfte und umfangreichfte Theil unferes
Coder begreift eine deutſche Ueberſetzung der h. Schrift des
Neuen Zeftaments und mithin desjenigen Buches, welches ein im
Kirchendienft ftehender Geiftlicher am meiften beburfte.
Der Herausgeber, P. Klimefch in Tepl, bat, wie oben be-
merkt, auf die Spuren eines vielfachen Gebrauchs unſeres Coder
im Seelforgsdienfte hingewieſen. Selbjt wenn derfelbe daher nicht
nachweisbar walbenfifche Ceremonialformeln enthielte, fo würde fich
aus dem häufigen Gebrauch einer deutſchen Bibel im Seeljorg®-
dienfte der Schluß ziehen laffen, dag ein römiſch⸗katholiſcher Priefter
das Buch wohl nicht benutzt Haben dürfte,
Aber unfer Neues Tejtament iſt nicht nur in der Yandesfprache
abgefaßt, fondern die Ueberfegung weiht auch von der
in der römischen Kirche vorgefchriebenen Vulgata ganz
erheblich ab, und damit ift der vollgültige Beweis erbracht, daß
ein römiſcher Geiftlicher fie nicht benußt haben Tann.
Dagegen ift es wichtig, daß diefe veutfche Ueberſetzung aus dem
14. Jahrhundert die Grundlage aller derjenigen deutſchen Bibeln
geworben ift, welche feit der Erfindung der Buchdruckerkunſt bis
zum Sabre 1522 gebrudt worden find; ja ſelbſt Luthers Ueber⸗
jegung bes Neuen Teſtaments iſt ſtark von ihr beeinflußt?)
1) Die Stelle Yautet: Item Augustinus in Omelia sup. verbo: „Nisi gra-
num frumenti“ dicit: Nolite tantum bonos episcopos vel clericos cogitare,
etiam vos pro modo vestro ministrate Christo bene vivendo, elemosinas fa-
ciendo..... doctrinamque ejus, quibus potueritis praedicando, ut unusquisque
etiam paterfamilias hoc nomine agnoscat paternum aflectum suae familiae se
debere pro Christo et pro vita eterna suos omnes moneat, doceat, hortetur,
corripiat, impendat benevolenciam, exerceat disciplinam, ita, ut in domo sua
ecclesiasticum et quasimodo episcopale implebit officium ministrans Christo,
ut in eternum sit cum Christo Hie.
2) Die merkwürdige Uebereinftimmung de8 Codex Teplensis mit der fogen.
„Taäuferbibel“, welche zuerft im Jahre 1529 zu Worms bei Peter Schöffer er-
17*
260
Der Zuftand des Textes, wie er in dem Codex Teplensis
vorliegt, ift dem Zuftande des Italatertes zu vergleichen, wie er zur
Zeit des b. Hieronymus (geb. c. 340) im Gebrauch war).
Die deutiche Ueberjegung bietet in einzelnen Wendungen merk
würdige Anklänge an die Ausprude- und Denkweiſe deutſcher Werk⸗
leute 2). |
Es ift überliefert, daß im Jahre 1351 ein gewiffer Hans Weiler
aus Coburg eine Meberfegung des Neuen Teftaments angefertigt hat?).
"Die Tamilie Weiler gehörte zu den angejehbenen Waldenfer-
familien, welche in Franken noch im 15. Jahrhundert in den „Se
meinden‘ eine Rolle gefpielt haben), und e8 Tann fein Zweifel fein,
daß es fich bei jener Ueberfegung von 1351 um eine waldenfiſche
Reproduction handelt.
Es mag bier dahin geftellt bleiben, ob der Codex Teplensis
eine Abſchrift der Coburger Ausgabe enthält oder nicht. Die Frage
verbiente in hohem Grabe eine nähere Unterfuchung. Indeſſen ſelbſt
wenn eine Verwandtſchaft nicht vorhanden fein follte, jo wird dw
durch das Refultat nicht alterirt, daß unfer Codex eine. waldenfifhe
Bibel bietet.
Angefichts der Thatſache, daß der Codex im Widerſpruch mit
der römiſchen Kirche, aber in Webereinftimmung mit ber
Tradition der Waldenfer ven fogenannten Brief des Paulus
an die Laodicäer unter die canonifchen Bücher zählt, wird jeder
Zweifel an dem wahren Urfprung des Coder verſtummen müſſen.
ſchien und die wahrfcheinlih von Häßer und Dend beforgt worden ift — fie it
über ein Jahrhundert lang in den Mennoniten- Gemeinden im Gebraud ge
blieben — wird fpäter Erwähnung finden.
1) gl. Schanz in der Literar. Rundſchau für das tatholifche Deutſchland
1884 Nr. 8.
2) Luc. 20, 17 beißt es im Cod. Tepl.: „Den ftein, den die pauwer ber-
ſprachen, dirr ift gemadt in den haubt bez winkels“. Luther Hat ben
„BBintel‘ befeitigt und überſetzt: „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben,
if zum Edftein geworden“.
3) Ochſenbein, Der Inquiſitionsproceß u. |. w. ©. 251 Anm.
4) Dal. unten ©. 212.
Eilftes Eapitel.
Der Waldenjerbifchof Friedrich Reiſer (F 1458) und die
„Brüder in Kranken.
Conrad Reifer und fein Sohn Friedrich. — Die „Brüder“ in Nürnberg und
Hans von Plauen. — Erziehung Friedrich Reifers in Plauens Haufe. —
„Vater“ Marmeth aus Freiburg i. U. — Der Eintritt Friedrichs in die
erſten geiftlichen Funktionen. — Sein Dienft als Begleiter der Apoftel in
Deutſchland und in der Schweiz. — Die Weihe zum „Apoftel“ in Prag
Durch Biihof Nicolaus. — Friedrichs Thätigkeit als „Sendbote Chriſti“. —
Die religidfen Zuftände in Franten. — Die Synode zu Heroldsberg bei.
Nürnberg (1447) und Friedrichs Wahl zum Biſchof. — Die Synode zu Tabor
in Böhmen. — Reifer wird zum Senior der Biſchöfe erwählt und Straß-
burg wird fein Sig. — Seine Berbaftung und Hinrichtung. — Reiſers Be—
Deutung.
Einer der wenigen Waldenferprebiger, welche der großen Kata⸗
ftrophe des 14. Jahrhunderts entgangen waren, war Conrad
Reijer!). |
Die Familie Reifer hatte im 14. Jahrhundert zu Ulm. in ver
Zunftlämpfen eine Rolle gefpielt. Ein Reifer war im Jahre 1388
von den ftegreichen Zünften zum Bürgermeifter gewählt worben.
AS das Blatt fih wandte und die ftäbtifche Oligarchie mit Hülfe
1) Die nachfolgende Darftellung beruht auf A. Jung Friedrich Reifer. Eine
Ketzergeichichte aus dem 15. Jahrhundert in der Zeitfchrift Timotheus, 2. Bd.
Jahrg. 1822 ©. 37ff.; ©. 69 ff.; ©. 137 ff.; ©. 234 ff. — Yung hat Hierfür
eine Abſchrift aus dem gleichzeitigen GerichtSprotocolle der Stadt Straßburg als
Duelle benutt. Leider bat fich weder dieſe Abfchrift noch das Gerichtsprotocoll
ſelbſt bis jetst wieder auffinden laſſen. Vgl. Dr. W. Böhm Friedrich Reifers
Reformation des K. Sigmund Lpz. 1876 ©. 78 ff. — Eine inzwifchen bekannt
geworbene Duelle (abgebrudt bei Jar. Soll Duellen und Unterfudungen zur
Geld. der Böhm. Brüder. Prag 1878 ©. 104ff.) beftätigt bie Angaben des Straß
burger Protoeollbuchs in einigen wichtigen Punkten durchaus,
262
des Kaiſers und des Papfte8 wieder ans Ruder gelommen war,
mußte Reifer zugleich mit 38 Ulmer Zunftmeiftern aus der Stadt
weichen. Das geſchah am 18. Juni 13891), Ohne entfcheiden zu
wollen, ob Conrad Reiſer zu den ausgewiefenen Bürgern gehört
bat, und ob feine Familie tventifch ift mit derjenigen, welcher ber
Maler Baſtian Neifer entſtammt, fteht e8 feft, daß feit etwa 1399
in einem einfamen Dorfe bei Schwähilfh- Wörth, Deutach mit
Namen, ſich ein fremder Mann niederließ, von dem die Bauern
ſpäterhin erfuhren, daß er Conrad Neifer heiße und ein Kaufmann
fet, welcher bi8 zu feiner Niederlafjung in Deutach weite Reifen,
befonders in Frankreich und Italien, gemacht habe.
Die Nachbarn merkten bald, dag der Fremde fich nicht bei
ihnen heimisch gemacht babe, um ihren Verkehr zu ſuchen. Gtill
und eingezogen lebte er mit einer bejahrten Frau und einem Kinde,
welche er mitgebracht hatte, in feiner Befigung, und mit den Bauern
kam die Familie nicht anders in Berührung, als wenn es galt,
Armen und Kranken Hülfe zu leiften.
Die Art, wie Reiſer lebte, erwecte bald den Verdacht, daß
heimliche Künfte oder Zauberei in dem geheimnißvollen Haufe ge
trieben würden, durch bie vielleicht das Geld, welches Reiſer offenbar
beſaß und fo freigebig austheilte, auf leichte Weife erivorben werbe.
Diefer Verdacht fteigerte fich Dadurch, daß Neifer fich auch an
der Meſſe nicht eifrig betbeiligte und daß fremde Wanderer, von
denen nie Iemand den Namen erfuhr, häufig bei ihm einfehrten.
Conrad Neifer liebte e8, die milden Gaben, die er den Armen
gab, durch feinen Sohn Friedrich auszuthetlen; er wollte den Knaben
frühzeitig die Freude des Wohlthuns empfinden laſſen.
Beſondere Pläne waren es, welche Conrad mit dem Süngling
im Sinne hatte. Da er den regſamen Geiſt deſſelben erkannt
batte, fo jollte er an dem Werk des Vaters weiter bauen, nachdem
diefer unter dem Drucke der Zeiten und der Jahre fich in die Stille
batte begeben müſſen.
Es zeigte fich Hier wie an zahlreichen anderen Beifpielen 2),
1) Mone Quellenſammlungen I, 318, bier nad W. Böhm Friedrich Reifer
Lpz. 1876 ©. 79 Anm. 2.
2) Beifpiele ſ. bei Ochfenbein a. a. O. ©. 200; 226; 244 und öfter.
263
daß die Lehre der „Brüder“ fich mit außerorventlicher Zähigfeit vom
Bater auf die Kinder und fomit von Gefchlecht zu Gefchlecht in
denfelben Familien fortpflanzte 2).
Ein ſchweres Opfer war e8 für bie alten, einfamen Leute, als
Friedrich im 16. Xebensjahr von dem Vater nach Nürnberg gebracht
wurbe, um bier, in dem damaligen Hauptfi der „Gemeinden Chrifti”,
feine weitere Ausbildung zu erhalten.
In Nürnberg batte fich die Partei bis in die vornehmſten
Gefchlechter hinein erhalten. Da waren die Tucher?), die von
Plauen u. A., welche zu den Stützen der Gemeinde zählten.
Die Tucher beſaßen feit alten Zeiten ein Handelsgeſchäft in
gewebten Stoffen, Seive und Wollwaaren, und eine Filiale des⸗
felben befand fih in Lyon. Ein Mitglied der Familie pflegte fich
regelmäßig dort aufzuhalten, und die Inhaber des Nürnberger
Haupthaufes waren ftetS eine Reihe von Jahren in Frankreich und
Stalien gereift.
Die Beziehungen der Tucher zu denjenigen Familien, welche
an der Spite der Zünfte gegen das Patriciat und die ftädtifche
Oligarchie kämpften, fcheinen frühzeitig intime gewejen zu fein. Im
Jahre 1349 war der Führer der Zünfte gegen den Rath der Bäder
Roburger, und es vervient Beachtung, daß bereit im Jahre
1352 eine perfönliche Verbindung zwifchen Berthold Tucher und
Rudger Koburger nachweisbar ijt >).
Sn naber Freundſchaft mit ven Tuchers ftanden ferner bie
von Blauen oder von Plowen, nach welchen noch heute ein
Nürnberger Pla der Plobenhof heißt.
Die Familie ftammte aus Plauen im BVoigtland, und die erften
1) Dieſelbe Erfcheinung Hat G. Lechler (Joh. v. Wiclif Lpz. 1873 Bd. II
©. 456) in Bezug auf diejenige Partei in England beobachtet, welche ſich „Brü⸗
der in Ehrifto“ nennen und fih unter einander als „known man“ (die „Be-
Tannten‘) bezeichnen; Lechler nennt diefe Partei die Träger bes „wicelifitiſchen
Geiſtes“ in England; natürlich find es dieſelben „Brüder“, die in Deutfchland
Begharden, Lollharden oder Waldenfer genannt wurden.
2) In der Lifte überführter Ketzer, welche der Inquifitor dem Rath der
Stadt Nürnberg im Sabre 1332 übergab, fanben fich allein drei Mitglieder der
Samilie Tuer. S. Haupt a. O. ©. 19.
3) Oscar Hafe Die Koburger Lpz. 1869 ©. 9.
264
Glieder derfelden in Nürnberg waren, jo weit nachweisbar, Gold⸗
I&hmiedegewefen‘). Anfehen und Reichthum erhob fie unter das
Patriciat der Reichsſtadt und wir lefen in den Chroniken, daß ein
Herr von Plauen mit dem von Haydeck um das Jahr 1450 im
Turnier gefochten bat?).
Das Haus des Hans von Plauen war es, in welches im
Jahre 1418 Friedrich Reiſer von feinen Water gebracht wurde.
Seit alten Zeiten war der Lettere mit Hans befreundet und er
wußte, daß Triebrich Hier fich am beſten auf feinen Beruf vorbe-
reiten Tonnte. Denn Plauens Haus war das gaftfreie Heim für
die wandernden Prediger, welche durch Deutjchland zogen und bie
oft genug Hier einkehrten und prebigten.
Gleich bei feiner Ankunft traf Friedrich in Plauens Wohnung
einen Mann, den er als Kind in Deutach gefehen hatte, nämlich
Peter von England, d. 5. den befannten Anhänger John Wiclifs
Peter Bayned). „Meifter Peter‘, wie ihn Aeifer. felbft Häufig
nennt, blieb von da an mit Friedrich nah befreundet. H. von
Plauen machte es fich zur Aufgabe, feinen Zögling in die Literatur
einzuführen, welche den Ausdruck der waldenfifchen Anfichten enthielt.
Unter den Büchern, die er befonders empfahl, fcheinen die Bre-
digten Taulers und die veriwandten Erzeugniffe der vergangenen
Epoche eine große Rolle gefpielt zu haben). —
Wir haben oben gefehen, daß die jüngeren Geiftlichen ber
Brüdergemeinden eine längere Vorbereitungszeit als Begleiter ber
„Apoftel” durchzumachen pflegten. |
ALS Friedrich nach zwei Jahren die Grundlagen der Bildung
fi erworben hatte, befchloffen feine Anverwanbten, daß er nun
1) S. Loofe Anton Tuchers Haushaltsbuch ©. 135 Anm. 3.
2) Nürnberger Chroniken I, 410; IV, 66 Anm. 1; IV, 179 Anm. 6.
3) Peter Payne war Magifter der Hochichule zu Orford. Aus England
vertrieben warb er am 13. Febr. 1417 unter die Magifter der Prager Univerfität
aufgenommen. Er hatte zu ber Zeit, als Friedrich Reifer ihn traf, in ben böh—
miſchen Parteilämpfen, wie e8 fcheint, noch Feine fefte Stellung genommen. Er
bat nachher eine große Rolle -gefpielt und war auch fchriftftellerifch thätig. Wal.
Höfler Gefchichtfehreib. zur huſſ. Bewegung II, 704 ff.
4) Nah Jung a. O. 81f. beſaß Johann dv. Plauen die Prebigten Taulers
und Suſos. Mertwürdig ift, daß H. v. Plauen eine gewiſſe Antipathie gegen
Sufo zu erlennen giebt. "
265 .
mehr als „Magister minor“ zunächft fich dem Dienfte eines wan-
dernden Sendboten widmen folle; und man verabrebete eine feier-
Ihe Zufammenkunft, bei welcher die Formalitäten, welche dieſen
Lebensabſchnitt Friedrichs einleiteten, vollzogen werben follten.
Zu diefer Berfainmlung trafen in Hans von Plauens Haufe
eine größere Anzahl von Prebigern und Glaubensgenofjen ein;
von Deutach kam Conrad Reiſer und von Freiburg im Uechtland
Biſchof Marmeth, Conrads Jugendfreund, nebſt mehreren Be⸗
gleitern.
Marmeth wird uns geſchildert als ehrwürdiger Greis; er hatte
den Weg nach Nürnberg nicht, wie die meiſten übrigen Gäſte, zu
Fuß, ſondern zu Wagen zurückgelegt. Als er in die Verſammlung
trat, begrüßten ihn alle Anweſenden mit Ehrfurcht und bekundeten
ihre Hochachtung dadurch, daß fie ihm den Vaternamen!) gaben.
In der einen Hand trug er einen Stab, welcher oben gebogen
war, wie e8 der Würde. feines Amtes zufam; mit der anderen
jtüßte er fich auf das junge Mädchen, das ihn führte, feine Enkelin.
Es tritt uns in der erhaltenen Schilderung diefer Scene fehr
lebendig das hohe Anſehen entgegen, welches die Waldenfer ben
bewährten Dienern ihrer Kirche von jeber bewiefen haben. Es
läßt fich diefe Erjcheinung feit uralten Zeiten beobachten. In einem
alten waldenfifchen Gedicht werben die „Diener des Amts’ als bie
„Zräger des Lichts” oder als die „Säulen der Kirche‘ bezeichnet?)
und durch den ganzen Text klingt die Verehrung bindurch, die
wir bereit früher aus den Zeugniffen gefangener Waldenſer feft-
geftellt Haben). Sie find die Balken und Stügen, die das Dach
des Haufes tragen, fie werden erwählt nach langer, ftrenger Prü-
1) Es ift interefjant, daß unter den „Lollharden“ in England noch um 1530
der Gebrauch des Namens „Vater“ im Sinne von Biſchof oder Apoſtel nad-
weisbar if. Es find dieſe „Lollharden“ natürlich nichts Anderes als die „Brü⸗
dergemeinden“, für welche um biefelbe Zeit im Deutfchland bereit8 der Name
„Täufer aufgelommen war. — Bol. Lechler John Wichif II, 454 ff. Lechler
beruft fih auf Strype Kirchliche Denkſchriften zur Geſch. d. Religion und ber
Reformation in England. Dort wird zum Jahre 1527 ein „Vater Hader‘ als
Borfteher der „Sekte nambaft gemacht. Wir werben auf diefe engliſchen „Brü«
der” zurückkommen.
2) v. Zezſchwitz a. O. ©. 205 f.
3) Bol, oben ©. 74.
266
fung; fie find die Wächter der Kirche und die Inhaber ver Ge
heimniſſe; fie tbeilen gute Gaben aus, beſonders durch weifen Rath
und wahre Liebe; darum aber find die Gläubigen zum Gehorſam
gegen fie verpflichtet.
Marmeth war e8, welcher dem jungen Triebrich Reiſer von
Neuem die Lektüre der Schriften ans Herz legte, welche in feiner
Jugend von einzelnen weit berühmten Brüdern des Ordens, ben
©. Dominicus geftiftet, verfaßt worden feien. Dieſe Brüder pre
digten, fagte jener, erleuchteten und erbauten wirklich die zahlreichen
Gemeinden, die fich um fie gefammelt hatten, und ftimmten in ihren
Neben völlig mit unferen, jegt von dem Papſt verdammten Anfichten
überein?).
Auch bei den gottesdienftlichen Handlungen, welche an bem
Dfterfeft, das man für die Zuſammenkunft gewählt hatte, ftatt-
fanden, tritt Marmeths Perfon durchaus in den Vordergrund ?).
Eine gemeinfame Andacht, welde mit der Vorlefung ber
hierhergehörigen Abfchnitte der h. Schrift auf Anordnung Dar
meth8 durch mehrere Anweſende verbunden war, ging ber feier des
Abendmahls voraus.
Nach Beendigung der VBorlefung trat Marmeth an den Altar,
über welchen ein fehwarzes Tuch mit weißem Kreuz gebreitet war,
und bielt eine kurze Predigt.
„Ihr habt gehört, gläubige Chriſten“, fagte er, „wie bey Herr
an dem Tage feines Einzugs in Ierufalem zum legtenmal das
Dfterlamm mit feinen Jüngern genoffen hat und wie er ihnen
auftrug, deffen Feier zu feinem Gebächtniffe Tünftighin immer zu
wiederholen. Aber an dieſes heilige Mahl knüpft fich roch eine
höchſt wichtige Bedeutung: Es ift nämlich daffelbe nicht bloß Das
Erinnerungsfeit an Chriftus und fein wohlthätiges Wirken über
haupt, jondern noch insbejondere an feine Hinopferung für das
Wohl der Menjchheit. Es ift ferner das Abenpmahl ein öffent
liches Bekenntniß, dag wir zu den Verehrern des göttlichen Lehrers
zählen; eine bedeutungsvolle Handlung, durch welche wir in nähere
Gemeinſchaft mit ihm treten.
1) Merkwürdig find die abfälligen Bemerkungen Marmeths über Sufo.
2) Jung a. O. ©. 88,
267
Fragt Euch: mit welchen Empfindungen follen wir an dieſem
heiligen Maple theilnehmen? Fromm und demüthig in Glaube,
Hoffnung und Liebe, mit Ehrfurcht und ernten Gemüthe Sollen
wir und bem heiligen Tiſche nähern. Denn es fagt der Apoftel:
Es prüfe fih der Menſch, und dann erſt effe er das Prob und
trinte aus dem Kelche. So prüfe fich denn Jeder und blide in
fein Inneres, damit er genieße den Leib des Herrn und trinte
fein Blut auf eine würdige Weife zur Erwerbung des ewigen
Lebens und nicht unwürbig, Daß es ihm Verwerfung vor Gott
zuziebe.
Bor Allem jehe er zu, ob er die drei hohen Tugenden babe:
den Glauben, die Liebe und die Hoffnung Ob er glaube
auch an das, was die Vernunft nicht zu erfaſſen vermag, das
ihr aber auch nicht wiberftreitet? ob er glaube an die Heiligkeit
des Sacramentd und der von Chriftus gefammtelten Gemeinde?
Es prüfe fich jever, ob in ihm die Hoffnung lebendig fet auf eine
einftige unvergänglicde Verklärung, welche fich gründet auf die
Gnade des Herren und des Menfchen vechtliches Leben und Thun?
Es prüfe fih der Menſch, ob die Liebe fein Gemüth ergriffen, ob
er von Liebe zu Gott und feinen Brüdern erfüllt fei?
Iſt er dies, fo werben dieſe hohen Tugenden auch herrliche
Früchte tragen. Gerecht wird er Jedem das geben, was ihm ge-
bührt: Gott wird er Ehrfurcht, Liebe, Gehorfam weihen, dem
Nächiten Liebe, fich ſelbſt Meäßigkeit und Demuth, Mäßig wird
er fein in Speifen und in der Befriedigung feiner Bebürfniffe,
ftarf wird er auch den Gefahren entgegentreten und bi8 zum Tode
bereit fein, für die von ChHriftus gelehrte Wahrheit zu leiden; denn
auch er opferte fein Leben in dem leidenvolliten Tode. Behutfam
wird er fein in Gedanken, Wort und That. Er erinnere fich des
Wortes: Der Menſch wird einſt Nechenfchaft geben müflen von
jevem unnüten Worte, das er geredet (Matth. 12), Reuig wird
er mit tiefem Schmerze feiner Sünden gedenken und fie unver-
Kohlen dem Lehrer beichten. Feſt wird endlich fein Entſchluß
fteben, nie wieder zu fünbigen und unabläffig wird er dahin ftreben,
das göttliche Wohlgefallen, das er verloren bat, fich wieder zu
erwerben.
268
Sehet, alfo_wird der Menſch fich prüfen nach den Worten
des Apofteld. Nein und mit unbefchiwertem Gewilfen wird er das
Brod, welches Leben giebt, efjen und aus dem Kelche das Blut
trinten, das zu feinem Heile vergoffen worben if. Amen‘.
. Nicht fogleich nach dieſer Rede begann die Feier des Heiligen
Mahles. Denn die Tradition der Gemeinden fehrieb vor, daß die
jenigen, welche den Wunſch hatten, perjönlich dem Geiftlichen vor
der Feier zu beichten, die Möglichkeit dazu erhielten.
Sp empfing „Vater Marmeth die Beichte Conrad Reiſers
und Johanns von Plauen, und nachdem dieſe abjolvirt waren,
nahmen fie die Beichte derer entgegen, welche ihnen ihr beſchwertes
Gewiffen zu eröffnen wünſchten.
Der junge Friedrich Neifer aber beichtete geichfalls Marmeth,
und nachdem dies geſchehen war, ertheilte der Letztere ihm den
Segen.
Dann trat Marmeth wieder vor den Altar, wiederholte die
Einſetzungsworte und nun empfingen der Reihe nach Männer und
Frauen das Brot und den Kelch.
Ein kurzes Gebet ſchloß die Feier.
Nach dieſer Aufnahme Friedrichs brach er mit Marmeth und
deſſen Begleitern von Nürnberg auf und wanderte über Ansbach,
Schwäbiſch⸗Hall und Schaffhaufen zunächft nach Bafel. Man wählte
diefen Weg, weil gerade in Franken und in Schwaben viele Brüder
wohnten, welche des Zufpruchs und der Tröftung durch die wan—⸗
dernden Prediger bepürftig waren.
Noch immer beftand die Sitte, von der ſchon die Kekerrichter
bes 13. Jahrhunderts berichten, daß es vornehmfte Pflicht der
Geiftlihen fei, nach der Weife der guten Hirten die Gläubigen
durh Befuche zufammenzubalten!), und noch immer war es, wie
früher, für jedes Haus ein Treudentag, wenn einer ber Apoftel
jeine Schwelle betrat. Eine unbeſchränkte Gaſtfreundſchaft war
jeit uralter Zeit die Pflicht der „Chriften” und fie bat fich in
1) Vgl. die Bemerkung Davids von Augsburg, der ausbrüdlih von ben
Beſuchen ber Gläubigen durch die Magistri fpricht, fowie den Auszug aus dem
waldenfifchen Gedicht Cantica bei v. Zezſchwitz a. O. ©. 204.
269
dieſen Kreifen bis in fpäte Sahrhunderte erhalten, Die wandernden
Prediger waren ja auch das vornehmfte Mittel, um die Zuſammen⸗
gehörigfeit der Einzelgemeinden zum Bewußtfein zu bringen und
den Beitand der Gefammtgemeinde zu erhalten. |
Bon Bafel aus kamen die Wanderer nach mehreren Tages
reifen zu Freiburg im Uechtland an.
Damals befand ſich — e8 war etwa 9 Yahre vor dem Aus-
Bruch der oben erzählten Kataftrophe — eine blühende Gemeinde
in diefer Stadt.
Die uns erhaltenen Prozeßacten werfen manches Sicht. auf
Perjonen und Zuftände jener Tage. Es ift beachtenswertb, daß
alle Angellagten, und befonders auch Peter Sager, welcher durch
Erfenntniß der Ingquifitoren vont 4. Mai 14301) zum Tode ver-
urtheilt und fogleich auch verbrannt wurde, befonders des Mar-
meth Hugo erwähnen, deſſen Haus der Mittelpunkt der Partei
war. Dort kehrten die Apoftel ein, bort fanden die Gottesbienfte
ftatt und Sager felbjt Hatte dort gebeichtet 2).
Es läßt fich nicht mehr fetftellen, ob Friedrich Reiſer den
Sager, Maggenberg u. A. kennen gelernt hat. Jedenfalls wiſſen
wir, daß er von num an die ganze Schweiz, befonders St. Gallen,
mit den „Apofteln‘‘ bereifte, und er erfüllte damit das erfte Stadium
feiner Vorbereitungszeit.
Es iſt möglich, daß Reiſers Weggang aus der Schweiz mit
den Verfolgungen, welche ſeit 1429 dort ausbrachen, zuſammenhängt.
Er wandte ſich, wie es ſcheint, zunächſt nach Nürnberg zurück,
um bei Joh. von Plauen eine Zuflucht zu ſuchen. Aber dieſer
hatte ſelbſt flüchten müſſen und war dann, wie es hieß, den ſieg⸗
reichen Böhmen in die Hände gefallen, die ihn mitgeſchleppt hatten.
Reiſer machte ſich auf, um ihn zu ſuchen, und durchwanderte
Deutſchland und Oeſtreich, wo die „Brüder“ in Steyer, Linz, Wien
u. ſ. w. zahlreich wohnten. In dem kleinen Städtchen Heilsbronn
gerieth auch er mit den Böhmen in Beziehung und halb freiwillig,
1) Das Erkenntniß iſt abgedruckt bei Ochſenbein a. O. ©. 276.
2) A. a. O. S. 273. — Vgl. S. 185 wo eine gewiſſe Greda (d. h. Marga⸗
retha) eine andere Frau in Marmeths Haus einführt. Greda war die Botin
der „Apoſtel“. |
270
halb gezwungen, zog er mit nach Prag, wo damals wenigitens
Sicherheit vor Verfolgungen herrſchte.
Er benuste diefen Aufenthalt in der Univerfitätsftadt, um fich
in den Wiffenfchaften weiter auszubilden. Er erzählt felbit, daß
ein BPriefter und einige Studenten ibm Unterricht ertheilt Hätten.
Triedrich fcheint den Wunſch gehabt zu haben, formell in das
Collegium der „Apoftel einzutreten. Er wußte, daß die Aufnahme
in daffelbe nur von einem Manne wirkſam vorgenommen werben
könne, welcher innerhalb der apoftolifchen Succejfion ftand, aber er
war in DVerlegenheit, wer in Böhmen diefe Eigenfchaft befige und
zugleih Willens ei, ihm die Handauflegung zu ertheilen.
Auf der Seite der Taboriten ftanden einige Geiftliche, welche
in der Zeit, wo fie noch im Verband der römiſch⸗katholiſchen Kirche
waren, die Weihe empfangen hatten, darunter der Biſchof Nico-
laus vom Sand!) Daß die apoftolifche Succeffion der römi-
ſchen Bischöfe unanfechtbar fei, war in den altevangelifchen Ge
meinden von jeher anerkannt worden. Daher war Nicolaus wohl
befähigt, die Weihe zu ertbeilen, und in der That erbat und er-
hielt Friedrich von dieſem Bifchof die Ordination.
Diefe Weihe erfolgte zu Prag im Slavenklofter am Feſt des
b. Kreuzes im Jahre 1433 unter der Regierung Kaiſer Sigmund®?).
1) Es ift ſehr wahrfcheinlih Nicolaus von Pilgram gen. Bisfupec gemeint.
Goll Duellen und Unterfuhungen ©. 27 Anm. 1.
2) Die Thatſache diefer Weihe ift ungemein wichtig, und es trifft fi) be
ſonders günftig, daß fie von zwei Seiten her urkundlich beglaubigt vor-
- liegt. Die eine Duelle ift die Ausfage Reiſers laut dem Gericht8protocoll bei
Jung a. O. ©.166 ff. Iung a. O. ©. 169 Anm. führt Reiſers protocollirted
Bekenntniß wörtlid an; Reiſer fagte danach: „Der Bifchof (Nicolaus) meinte
darum, ob er wol Priefter weyhete, jo wurden fie boch von den Bragifchen ge
ihmäbet, Da babe er (Reifer) ihn durch den Englifchen (Meyſter Peter) gepeten,
ihne zu weihen; ba habe nun derſelb Bifchof feinen Willen darzu geben und ge-
ſprochen, er wollt ihne orbiniren und habe alfo ihne geweyhet und noch einen
Wallachen, hieß Johannes. — Dies geſchahe in der Fronfaften im Herbft (Fron⸗
faften im Herbft = Mittwoch nad Kreuzerhöhung [14. Sept.) 6i8 Sonnabend der-
jelben Woche). Wie lang e8 fey, wiſſe er nicht, aber e8 gefchahe doch vor dem
Concilio zu Baſel. Und geſchahe die Ordnung ſchlechtlich nit mit Salbung,
meßgewandt und anderen Ordnungen und Gezierd als hie zu landt, dann mit
aufflegung der handt und mit ſprechen etlich Wort in Latein. Und (der
271
Peter Payne war es gewejen, welcher ven Biſchof Nicolaus zur
Bollziehung der heiligen Handlung bewogen hatte. Im Iahre 1434
verließ Neifer Böhmen und begab fih zunächſt nach Baſel, wo
fortdauernd viele „Brüder“ wohnten.
Schon bei dem Freiburger Inquifittonsproceß vom Sabre 1430
war e8 zu Tage gelommen, daß die Waldenfer in Baſel um die-
jelbe Zeit troß aller Verfolgungen noch nicht ausgerottet waren !).
Wenn auch die ftarfe Bewegung, wie fie in früheren Jahrhunderten
bier vorhanden gewefen, einigermaßen eingebämmt worden war, jo
batten fich die religiöfen Ideen der „Gottesfreunde“ feit den Tagen,
wo Tauler hier Aufnahme und Schuß gefunden Batte, von Gene-
ration zu Generation fortgepflanzt.
Papft Eugen IV. behauptet in einem Briefe vom 13. Nov. 1431,
den er an das in Baſel verjammelte Concil gelangen ließ, die
„Böhmische Pest’ Habe mit ihrem Gift enblofe Standale in Bafel
angerichtet, indem die Bürgerfchaft die Geiftlichleit verfolge und
niebermeßele?).
Biſchof) Hat ihnen beeden da das Sakrament geben unter beeb Geftalt“. — Die
zweite Relation ftammt von einer ganz anderen Seite ber, nämlich aus dem
fogenannten „Buch der Magifter von den 10 Artikeln‘, weldes um 1470 in
Böhmen entftanden zu fein fcheint. Dort heißt e8 (abgevrudt bei Soll a. a. O.
S. 106): (Die Waldenfer) „nahmen ihre Zuflucht zu einem gewiſſen Biſchof
Nicolaus, einem Priefter römischer Weihe und zwar im Jahre 1433 unter der
Regierung Kaifer Sigismunds und baten ihn inftändigft, ihnen Priefter zu weihen:
und er willigte ein. Da ſchickten fie zu ihm zwei, einen gewiſſen Friedrich den
Deutſchen und Johann den Welchen und dieſe weihte derfelbe Priefterbifchof zu
Prag im Slavenflofter am Fefte des h. Kreuzes (14. Sept.), im Herbſte deſſelben
Jahrs. Dann wurden die gemeldeten zwei Priefter zu Biſchöfen
ihrer Gemeinfhaft gewählt. Und im Jahre 1434 wurden fie nach Bafel
gejendet und dort im Sommer angefommen zu Bifchöfen geweiht und beftätigt
wiederum von einem Priefterbifchof römifcher Ordnung, da im jener Stadt bie
Berfammlung aller Priefterfchaft tagte.“
1) ©. Ochfenbein a. a. DO. S. 186, 220 und 383. — In dem Haufe eines
gewifien Watower zu Bafel kehrten die „Apoſtel“ ein. Defien Frau war bie
Tochter des Marmeth Hugo von Freiburg.
2) Die bezügliche Stelle Yautet, der Papft habe erfahren, baß „pestis illa
Bohemica ad multas Alemanniae partes serpens venenum suum effuderat et
partes illas detestabili labe inquinaverat quodque etiam exinde in partibus
Basileae infinita scandala suborta erant, cum nonulli oppidani sectam Bohe-
morum imitantes clerum persequerentur et crudeliter trucidarent“. Theol. Stud.
u. Kritiken 1869 ©. 142.
272
Auf diefen Brief erwiderte ver Carbinal Julius Gefarint im
Namen und Auftrag des Eoncild, es fei nicht wahr, daß Baſeler
Bürger den Clerus verfolgten und es fei Teine „Sekte“ wahrnehm-
bar; aber der Bapft hielt diefen Ausfpruch des Eoncils für jo wenig
zutreffend, Daß er aus den angeführten Gründen das Concil auflöfte.
In der Gemeinde, welche Reifer befuchte, traf er unter Anderen
auch die Enkelin feines Lehrers Marmeth, Margaretha, wieder.
Sie war es, welche ihn in ſchwerer Krankheit, die ihn in Baſel
befgllen hatte, pflegte und rettete.
In Baſel vollzog Reiſer die Weihe an zwei jüngeren Männern,
welche bis dahin ihm und dem „Wälfchen” Johannes als Begleiter
(magistri minores) gebient hatten. Der Mann, der Reiſers per
ſönlicher Adjunkt gewefen war, hieß Martin. Die Ritualvorfchriften
für die Weihe fanden fich, wie Reiſer vor Gericht erklärte, in einem
Buch, welches er fpäter mit nach Straßburg gebracht hatte.
Es ift merkwürdig, daß Reiſer von fich behauptet, er habe
von denen, die ihm weihten, bie Vollmacht erhalten, Andere zu
weiben, und Hinzufügt, er habe den Sohannes Weiler erft zum
„Evangelier“ (Evangeliften) und dann zum Priefter geweiht). Es
fcheint, al8 ob der Name „Evangelier“ diejenigen Geiftlichen be
zeichne, welche den regelmäßigen Gottesdienft unter den Gemeinden
als ſeßhafte Prediger verfahen, aber noch nicht zur Ausübung des
vollen Dienjte8 berechtigt waren.
Die Familie Weiler oder Wiler ftand Reiſer ſehr nahe und
war erweislich feit alten Zeiten in der „Sekte. Der Ontel be
oben genannten Hans Weiler, ebenfalls Hans Weiler mit Namen,
begegnet uns als Walvdenfer zu Windsheim in Franken?) und
Anna Weiler wurde fpäter mit Reifer zufammen hingerichtet.
Wie mächtig die Traditionen in diefen Männern nachwirkten,
kann man daraus abnehmen, daß Friedrich auch die uralten De
ziebungen zu ben Beghinenhäufern wieder aufnahm, obwohl die
Zeit längft vorüber war, wo deren Infaffen in ihrer Gefammtheit
als Anhänger over Anhängerinnen der „Brüder“ gelten Tonnten 3).
1) Sung a. a. O. S. 242. 2) Haupt a. a. O. ©. 47.
3) Daß auch noch 1430 das Waldenſerthum unter ven Beghinen einzelne
Anhängerinnen beſaß, ſ. bei Ochſenbein a. a. DO. ©, 241 u. öfter.
273
Marmeths Enkelin führte Friedrich in ein Beghinenhaus bei Baſel,
und erjterer fand wirklich bei einigen Schweitern Gehör. Bald aber
machte er jo trübe Erfahrungen, daß er von jedem weiteren Unter⸗
nehmen ähnlicher Art abftand N).
Nachdem Neifer noch im Anfang des Iahres 1435 einigen
Situngen des Concils beigewohnt hatte, verließ er Bafel und
wandte fich zumächit nach Straßburg, wo die Gemeinde ihn freudig
empfing Im Haufe des Heinrich Dietfch pflegten die Wanber-
prediger fih zu treffen; Hier war vor Reiſer deifen Freund, ber
Apojtel Stephan aus Deftreich, ven Reiſer Schon in Prag kennen
gelernt hatte, eingekehrt?), und Friedrich traf dort felbft mit dem
Sohne eines alten Wanderprebigers zufammen, der Johann vom
Rheine genannt wird,
Die ehemaligen Hauptſtützpunkte der Partei, die Aheinlande,
boten im 15. Jahrhundert, wie Neifer felbft fpäter erfahren follte,
feineswegs mehr jene Sicherheit wie ehedem, und jo entfchloß fich
Friedrich, feinen Aufenthalt dort abzufürzen und auf einige Sabre
nah Franken zu geben, welches Land in jenen Iahren durchaus
die Führerrolle in der Bewegung übernommen hatte.
Die Gebirgsgegenven, welche fich ſüdlich und öftlich des oberen
Mains ausdehnen und um den Frankenwald, das Fichtelgebirge, ben
Böhmerwald und die Berge des Voigtlands lagern, waren im den
Sahrzehnten der Noth, welche feit etwa 1380 über die Waldenfer
gelommten waren, in berfelben Weife die Rückzugsorte geworden,
wie die cottifehen Alpen und der Jura vor Jahrhunderten ben
italienifchen und franzöſiſchen „Brüdern“ als letzte Schlupfwintel
gebient hatten.
Da geſchah e8 nun, daß feit dem Beginn des 15. Jahrhun⸗
bert8 in bem benachbarten Böhmen der offene Kampf mit ber
Hierarchie ausbrach. Es tft wahr, daß, wie Reiſer ausdrücklich ver-
fichert, die deutſchen Waldenfer zunächſt an dem Auftreten der
1) Sung a. O. ©. 243 ff.
2) Es ift dies unzweifelhaft der Bifhof Stephan, ber ung fpäter wie
der begegnen wird.
Keller, Die Reformation. 18
274
Böhmen kein befonderes Gefallen fanden; viele Grundſätze ber
Huffiten widerfprachen ihren Traditionen durchaus. Aber wenn die
deutfchen Gemeinden fich deßhalb auch ziemlich reſervirt verhielten
— ein Umftand, dem e8 allein zuzufchreiben ift, daß nicht alsbald
auch ganz Süboftveutfchland in Flammen ftand — fo Tonnte e8
doch nicht ausbleiben, daß bie Erfolge der antirömifchen böhmifchen
Parteien die verivandten deutfchen Richtungen beeinflußten.
Es Tiegt außerhalb des Rahmens diefer Unterfuchung, die Be-
wegungen genauer zu verfolgen, welche fich parallel mit ven böh—⸗
mifchen Kämpfen und in fteter Wechfelwirkung mit denfelben in
Ober⸗, Unter- und Mittelfranten vollzogen.
Diefe Vorgänge haben vor Kurzem von Dr. Hermann Daupt
eine eingehenvere Behandlung erfahren, und ich bin deßhalb im der
Lage, für die Einzelheiten darauf verweifen zu Tlönnen!), Nur
einige Taten mögen hier einen Plaß finden.
Der Hauptfig der „Ketzer“ war, wie oben angedeutet, Nürn-
berg. Es wäre zwar falfeh, ven Magiftrat eines Einvernehmens
mit den Böhmen zu zeihen, aber neben dem officiellen Nürnberg
gab es auch ein nichtofficielfes und ſtarke Unterftrömungen in ber
Bürgerſchaft; diefe neigten entſchieden in wichtigen Principienfragen
nah Böhmen bin.
Ein Kölner Auguftiner befchuldigte von der Kanzel berab die
Nürnberger der Begünftigung der Keker; in Rom waren im Jahre
1426 nachtheilige Gerüchte über die Nechtgläubigleit der Stadt ver⸗
breitet, der Kaifer Sigmund, der Cardinallegat Julian Cefarini,
die Herzöge von Baiern u, A. befehwerten fich, daß die böhmischen
Keger von Nürnberg aus Zufuhr erhielten 2).
In der richtigen Vorausfegung diefer Unterftrömungen rich
teten die Taboriten im Jahre 1431 ein Schreiben an die Stabt
Nürnberg, in welchem fie diefelbe aufforderten, das Joch der römi-
ſchen Herrihaft abzuwerfen.
Und ähnlich wie in Nürnberg lagen die Verbältniffe in den
übrigen größeren Städten Frankens. Die Stadt Bamberg trat
1) Dr. 9. Haupt Die religiöfen Selten in Franken vor der Reformation.
Würzb. 1882 ©. 31ff.
2) 9. Haupt a. O. ©. 37,
275
im Sabre 1430 fogar felbftändig mit Procop dem Großen in Ber-
banblung. Am 2. Febr. 1430 ſchrieb Letterer einen Brief an bie
Stadt, in welchen er fie zum Anſchluß aufforverte, indem er fagte,
die Bamberger möchten zu den alten „evangelifhen Wabhr-
heiten zurückkehren“.
Noch im Iahre 1448 Hatte fich eine Synode des Bamberger
Clerus mit dem Verhöre des damaligen Domprebigers, Magiſter
Heinrich Steinbach, zu befaffen, welcher „Teterifche” Lehren auf
der Kanzel vorgetragen hatte. Die Synode fand den Domprediger
ichuldig des angegebenen Verbrechens und veruriheilte ihn demgemäß.
Es ift ungemein bezeichnend, daß der bekannte Dominilaner-
prior und Inguifitor Nider im Jahre 1432 in die laute Klage
ausbricht: In Franken ſei das Volt und der Elerus über den Papit
aufs Aeuferfte aufgebracht; man ergebe fih in Schmähungen gegen
ihn, gegen die Cardinäle und die beutjchen Biſchöfe.
Es hatte wirklich zeitweilig den Anjchein, als ob bereits 100
Jahre früher, als e8 wirklich gejchab, der große Kampf von Franken
aus beginnen werde. Ein Bolfslied aus jenen Tagen ſchildert
treffend die damalige Stimmung:
Ich hore manichen in der gemeinde claffen
uf der pfaffen übermut
die zit sie hie, dals man sie sülle strafen;
das ist die glut,
von der ich dicht, got well uns friden schaffen!
Es wart nie für so grofs uls cleinen funken,
bischof von Menz, merk disen sinn:
es glüt ein schedelich für, will mich bedunken,
giels walser drin!
ein schemeliches spil, das wil sich brunken.
Versehent irs nit, so mag uch wol gedihen,
Dafs man in uwerem lande sicht
von Behemer lande snöde ketzerie;
ob das geschicht
versehent irs nit, so sprechen ich uch pfie!!)
Unter diefen Umftänden fanb Reiſer gerade in Franken und
der Oberpfalz ein Arbeitsfeld vor, welches mehr als irgend eine
1) von Lilieneron Die Hiftor. Voll8liever der Deutichen. 1865 I, 359,
18*
276
deutfche Gegend reiche Ernte verhieß. Wir erfahren von ihm, baf
er in Nürnberg, Würzburg, dem mittelfränkiſchen Städtchen Heils-
bronn und anderwärts erfolgreich thätig war. Das mag im fünften
Jahrzehnt des Jahrhunderts gefcheben fein.
In der Zeit, in der Friedrich in Franken wirkte, ward eine
Synode der Apoftel zu Heroldsberg bei Nürnberg gehalten, wo Reiſer
im Jahre 1447 krank lagiy. Die Verſammlung wählte ihn, wie
er felbft erzählt, zu einem „Oberen“ ®), d. 5. zum Majoralis ober
Biſchof, wie wir gleich fehen werben.
Einige Jahre Später fand unter dem Schug der Gewiſſens⸗
freiheit, welche die Böhmen fich erkämpft hatten, eine VBerfammlung
deutſcher Waldenfer zu Tabor ftatt. Dort kamen zufammen außer
Reiſer die Sendboten der öftreichijchen Lande, unter Anderen jener
Stephan und Hans Weiler; auch böhmifche Waldenſer ſcheinen fich
betheiligt zu baben?). Es warb befchloffen, die alte Organifation,
fo weit fte erjchüttert war, wieberherzuftellen unb vor Allem bie
Zahl der Apoftel wieder zu ergänzen.
Am intereffanteften ift der Beſchluß über die Biſchöfe. Dean
ſetzte nämlich feft, daß die Zahl der Bifchöfe für Deutſchland vier
betragen jolle und bejtätigte von Neuem die alte Einrichtung, daß
dieje Bifchöfe den Mittelpunkt der ganzen Organijation bilden foliten.
Sn regelmäßigen Zuſammenkünften — bie nächfte wurde wirklich
nach drei Jahren zu Engelsdorf in Meißen abgehalten, die dann
folgende zu Saat in Böhmen, und eine dritte war auf 1459 nad
Straßburg einberufen‘) — follten die „Oberen“ die Angelegen-
heiten der ganzen Gemeinfchaft beratben und Vollmacht haben, An-
ordnungen zu treffen.
Die Biſchöfe fjollten den Apofteln beſtimmte Bezirke zumeifen,
deren Berichte in Empfang nehmen und ihrer Thätigleit beftimmte
Normen geben. Man nannte Eritere auch „Majorales“5) oder
1) Wir können das Jahr dadurch beftimmen, daß Reiſers Krankheit zu
Heroldsberg im biefelbe Zeit fällt, wo Biſchof Gotfried v. Würzburg (1443 —1455)
die erfte Verfolgung in feiner Didcefe anftellte Das war im sone 1447,
2) Jung a. a. DO. ©. 252 Anm, 28.
3) Jung a. a. O. ©. 235 f.
4) So berichtet Reifer, vgl. Jung a. a. DO. ©, 256.
5) Die Bezeichnung „Majoralis“ wird den Bijchöfen gegeben, um anzudenten,
277
Aeltefte (Seniores)!), da, wie es jcheint, für fie ebenfo wie für
bie Prediger, eine beſtimmte Altersgrenze Geſetz war.
Da Biſchof Friedrich feit jenen Beſchlüſſen von Tabor ſich wie-
derum in Straßburg nieberließ, fo fieht man, daß ihm Oberdeutſch⸗
land als Provinz zugeiwiefen war. Der oben genannte Stephan
erſcheint einige Jahre jpäter als Bifchof der Waldenfer in Oeſtreich.
Bon den übrigen ift feine Nachricht erhalten.
Aus Reiſers eigenem Bekenntniß wilfen wir, baß er Bifchof
gewefen fei und folgenden Titel geführt habe: „Friedrich, von Got-
tes Gnaden Bifchof der Gläubigen innerhalb ber römifchen Kirche,
welche die Schenkung Conftantins nicht anerkennen‘ 2).
Außerdem fagt er jelbft aus, daß er unter den Bifchöfen der
„Obere“ (oder Majoralis) geivefen fei, d. 5. daß er unter feinen
Brüdern ald Senior den Vorſitz geführt habe. Doch lehnt er es
ausbrüdlich ab, daß man diefe Einrichtung mit berjenigen ver-
gleiche, wie fie die römifche Kirche im Papſtthum beſitze.
Das Streben der „Apoſtel“ jet, meint Neifer, den Befehlen
Chriſti, die er den „Zwölfboten“ gegeben, in Armuth und Auf-
opferung nachzufolgen.
Es betrachteten fich die Bifchöfe auch nach ihrer Wahl zu dieſer
Würde fortpauernd als Mitglieder des Collegiums der Apoftel, aus
welchem fie heroorgegangen waren. Sie bilbeten offenbar nur den
engeren Ausſchuß des größeren Kreiſes, der von der Mehrheit der
Sendboten auf Grund von Alter und Verdienſten erwählt wupde.
Man würde fehl gehen, wenn man in der Uebertragung Straß-
burgs und Oberbeutichlands an den Seniorbifchof eine Neuerung
daß fie primi inter pares, d. h. im Wejen ben Apofteln gleih und gleichſam nur
Borfigende des Anpoftel-Eollegiums mit gewiſſen Präfivialrechten find. Es gab
auch unter den Bifchöfen felbft, wie wir gleich fehen werben, einen „Majoralis“,
d. h. einen präſidirenden Bifchof, welcher bie Verſammlungen berief, Teitete u. ſ. w.
1) Schon Mosheim Inst. hist. eccles. Helmstadt 1755 p. 488 hat ganz
richtig bemerkt: „Regebatur Waldensium ecclesia ab episcopis, quos Ma-
jorales seu Seniores appellabant“.
2) Jung a. D. ©. 254: „Er ſey gehalten worben für einen Bilchof und
fei fein Titul: Fridericus dei gratia episcopus fidelium in Romana ecclesia,
donationem Constantini spernentium*. — Intereſſant ift, daß nach Reiſers Aus⸗
fage die Bilchöfe (und Apoftel?) „dunkel grau Kleider“ getragen haben
(Iung u. O. ©. 254 Anm. 29).
278
fehen wollte. Vielmehr tft dieſe Stadt zweifellos feit Jahrhunderten
der Vorort der deutſchen Gemeinden gewefen.
In Straßburg zog Neifer in das Haus feines Freundes Franz
Berner am Fiſchmarkt und traf Anftalten, das Bürgerrecht zu
erwerben, um den Schuß der Reichsſtadt zu erlangen.
Dabei waltete er feines Amtes durch Predigt, Unterweifung
und Belehrung. Er war e8, welcher bie Bücher unter Obhut Hatte,
in welchen die Vorjchriften für die Tirchlichen Handlungen und
die Gebete verzeichnet ſtanden ). Aus ihnen ertbeilte er den jünge
ren Geiftlichen Anweifungen, foweit die mündliche Tradition nicht
ausreichte. |
Im Januar 1458 warb Reiſer plöglich nebit einer Anzahl
feinex Freunde verhaftet. Die Straßbnrger Dominikaner hatten
von einem Dienjtboten die erjte Nachricht erhalten, und der regierenbe
Ammeifter Hans Drachenfels Tieß auf Erforbern bes geiftlichen
Gerichts den Reiſer durch die Stabtinechte in feiner Wohnung
ergreifen. Alle Bücher, Briefe u. ſ. w. wurben ebenfalls confiscirt
und in das Dominikanerflofter gebracht 2).
Der Prozeß wurde mit eiferner Strenge begonnen und zu Ende
geführt. Die Proceburen, welche die geiftlichen Inquifitoren an dem
Unglüdlichen mit der Folter vornahmen, waren nach dem Zeugniß
des Hans Drachenfels jo ſchrecklich, daß Lekterer fich ins Mittel
legte und nach fünfmal wiederholten Folterungen dem biſchöflichen
Official den weiteren Beiftand der weltlichen Gewalt verfagte 3).
Nah Erledigung der üblichen Formalitäten warb das Urtheil
gefällt, welches auf Verbrennung lautete. Auf den Roßmarkt zu
Straßburg wurde baffelbe verkündet.
Dann trat der Henker zu den Verurtheilten, Bifchof Friedrich
und Anna Weiler, band ihnen die Hände und führte fie hinaus
bor die Stadt. Dort war ein Pfahl gefchlagen, von hoben Holzſtößen
umgeben. An denfelben wurden fie gebunden und zu Aſche verbrannt.
1) Jung a. ©. ©. 263. |
2) Sollten die Nachforſchungen nach dem Berbleib des Dominikaner⸗Archivs
nicht vielleicht auch Über Reiſers Nachlaß und defien Schidfale Auhaltspunkte
geben koönnen? Einen Theil hat Reifer allerdings vor feiner eignen Verbrennung
den Flammen übergeben müſſen.
3) Sp nad dem Straßburger GerichtSprotocoll Jung a. O. ©. 277.
279
In Friedrich Reiſer war fein unbedeutender Mann geftorben.
Die Zeitgenofjen Tannten ihn fehr wohl, und es iſt bezeichnend für
das Anfehen, welches er genoß, bag man ſchon im 15. Sahrhundert
ihn für den Verfaſſer einer derjenigen Schriften reformatorifcher
Tendenz bielt, welche damals und fpäter großes Auffehen gemacht
haben, nämlich der jog. „Reformation des Kaiſers Sigmund”, die
um das Jahr 1438 verfaßt fein dürfte. N
Diefe Schrift, welche mit Schärfe und Folgerichtigfeit eine
Reihe von Reformgedanken verficht, ift von 1476 ab in zahlreichen
Ausgaben verbreitet gewejen und bat unleugbar eine große Wirkung
ausgeübt.
ALS Verfaſſer wird in den erhaltenen Hanpfchriften ein „Frie⸗
drich von Lancironii“ angegeben und es fcheint zweifellos, daß Dies
„Friedrich von Landskron“ fein fol — ein Name, der auf Friebrich
Reifer, welcher eine Zeit lang in Landskron Iebte, durchaus paſſen
würde.
Alle Anzeichen ſprechen dafür, daß die Abſchreiber jener Hand⸗
ſchriften wirklich der Meinung waren, daß Friedrich Reiſer der
Verfaſſer ſei, aber ob dieſe Anſicht zutreffend iſt, iſt freilich damit
noch nicht bewieſen.
Vielmehr ergiebt der Inhalt der „Reformation“ einen Stand⸗
punkt, welcher von demjenigen Reiſers in den wichtigiten Punkten
abweicht, und Niemand, welcher fich mit der Partei, der Reiſer an-
gehörte, näher bejchäftigt hat, wird zugeben können, daß bie Schrift,
wie fie heute vorliegt, auf einen Waldenferbifchof zurüdgeht 1).
Nichtsdeſtoweniger Tönnte die heute befannte „Reformation“
die Weberarbeitung einer Schrift fein, welche wirklich von Reiſer
verfaßt if. Wenn man nämlich weiß, wie derartige anonyme Werke
in jener Zeit vielfach zu Stande gelommten find, jo wird man es
nicht für unmöglich halten, daß uns gerade diejenige Bearbeitung
erhalten tft, welche der „ketzeriſchen“ Vorlage die Spitzen abgebrochen
hatte und durch Abſchwächung des Gegenjages zugleich den Zweck
erreichte, den Kaifer Sigismund felbft mit der Schrift in Zufam-
1) Diefe Anficht ift bereit8 von Bernhardi in ber Ienaer Lit.Ztg. 1876
September gegen Böhm Friedrich Reiſers Ref. d. K. Sigm. Lpz. 1876 mit Hin-
reichenben Gründen vertheidigt worden.
280
menhang bringen zu Einnen. So ift aus dem Zufammenwirken
mehrerer Perſonen denn vielleicht das heute befannte Buch ent-
ſtanden.
Wie dem aber auch ſein mag, ſo ſteht doch feſt, daß Reiſer
von den Zeitgenoſſen der Autorſchaft für fähig gehalten wurde,
und es ſpricht dies dafür, daß ſein Name in jenen Kämpfen des
15. Jahrhunderts bekannter war, als wir heute anzunehmen
geneigt ſind.
Es iſt nicht zu bezweifeln, daß Reiſer literariſch thätig geweſen
iſt. Er ſelbſt ſagt aus, daß er die Gegenſtände, welche während
ſeiner Anweſenheit in den Sitzungen des Basler Concils verhan⸗
belt worden ſeien, aufgezeichnet habet).
Reiſer Hat der Literatur, welche in feiner Partei, als empfeb-
lenswerth galt, ftetS eine bejonvere Beachtung zugewendet. Es
gebt dies aus den Geftänbniffen hervor, nach welchen er an ver
ſchiedenen Orten Bücher in größerer Zahl nievergelegt hatte.
Er war, wie die Zeugen ausfagen, eifrig bemüht, die Bibel
unter dem Volke zu verbreiten; er verkaufte Exemplare derfelßen
an jeine Freunde und Gefinnungsgenofien. Es verjteht fich, daß
dies nur deutfche Bibeln waren.
Sn Heilsbronn hatte Reifer nach feinem Geftändniß bei dem
Tuchmacher Dieme fünf oder ſechs Bücher niedergelegt; e8 ſeien dies,
fagt ex, Commentare zur b,. Schrift.
Sole Commentare, befonvders zu den Evangelien, waren
überhaupt unter den altevangelifchen Gemeinden fehr beliebt und
verbreitet. Auch in dem Freiburger Waldenferprozgeß von 1430
war dies zu Tage getreten ?).
Welcher Art die übrige Literatur war, bie in Reiſers reifen
gelefen warb, haben wir oben bereit aus den Aeußerungen Mar-
meths feitgejtellt: e8 war die Literatur der „Sottesfreunde”. —
Friedrich Reiſer gehört zu den Männern, welche in ſchwerer
Zeit ein beilige8 Vermächtniß der Vorfahren unter Gefahren aller
1) Jung a. O. ©. 263 Anm. 32.
2) ©. Ochſenbein a. O. ©, 220. Antonie Perrotet zu Freiburg fenbet
ihrer Schwefter zu Bafel Commentare zu ben Evangelien und zu den Briefen
des Baulus,
281
Art vertheidigt haben. Seinen Glauben Hat er mit feinem Blut
bejiegelt.
Sein Tod war für die „Brüder zugleich Deshalb ein fchwerer
Schlag, weil dadurch der Zuſammenhang und die Organisation
der Gemeinfchaft mitbetroffen worden war.
Da die Waldenjer fich äußerlich von der herrſchenden Kirche
nicht abgelöft Hatten, fo beruhte die Feſthaltung ihrer Selbftändig-
feit auf dem Maß und der Seftigfeit ihrer Organifation.
Ihr Gemeindezufammenhang war durch Fein Symbol, Tein offenes
Bekenntniß und Teinen Belenntnißzwang geſchützt; Teine gemeinfamen
materiellen Interefien oder Herrichaftszwede hielten die verjchie-
denen Gruppen zufammen. Weite Iofale Trennung und eine
durch die Verfolgung jehr erfchwerte Communieation hielt die Ver-
ſchmelzung zu einem Ganzen natürlich noch befonvers auf.
Wer alle diefe Schwierigkeiten recht erwägt und fich vergegen-
wärtigt, wie groß die Auffaugungsfähigkeit und die Attraktionskraft
der Majorität auf Heine Minoritäten ftetS zu fein pflegt, der wird
es als eine ganz erftaunliche Leiftung dieſer „Chriſten“ betrachten,
daß fie es fertig gebracht haben, ihr Gemeinſchafsbewußtſein ohne
Abfonderung Jahrhunderte lang zu bewahren. Es giebt dafür
faum ein Beifpiel in der Kirchengefchichte, und wenn ein Vergleich
erlaubt ift, der allerdings das Vorbild nicht erreicht, jo wüßte ich
eine ähnliche Erfcheinung nur in der Gefchichte des Methodis—
m us nachzumweifen. Auch diefe jest fo mächtige Kirche!) Hat lange
Zeit in demſelben Verhältniß zur englifchen Hochkirche geftanden,
wie die Waldenſer zur römiſchen Kirche, aber gleichwohl wie bie
„Brüder“ fich ihre Selbftändigfeit volffommen gewahrt.
Dies Reſultat ift in beiden Fällen nur durch die Stärke der
Organiſation erreicht worden.
1) Man kann die Zahl der Anhänger bes Methobismus gegenwärtig im
Ganzen anf etwa 20 Millionen Seelen veranfchlagen. Vgl. den Artilel Ph. Schaffs
in Herzog und Plitts Real-Encyklopäbie 2. Aufl. s. v. Methodismus.
Bwölftes Capitel.
Die „„Briider” in Böhmen.
Die Waldenfer in Böhmen. — Peter Cheleicky. — Die Begründung einer felb-
ftändigen böhmifchen Brüdergemeinfchaft. — Die Taufe auf den Glauben. —
Die „Pikarden“ umd die „Täufer“. — Die Weihe dur den Walbenfer-
biſchof Stephan. — Die Rückkehr zur alten chriftlichen Kirche. — Die Reli-
gionsanfhauungen ber Brübergemeinden. — Zahl und Ausbreitung. — Die
„Brüder“ und die Buchbruder. — Die Schulen, — Geiftige und wiſſenſchaft⸗
liche Regſamkeit.
Es ift nicht unfere Adficht, Hier eine Gejchichte derjenigen
„Brüder“ zu fchreiben, welche jpeciell unter dem Namen der
„Böhmiſchen Brüder” in der Kirchengefchichte bekannt ſind i).
Es ift wahr, daß Diefe Bewegung mit der ganzen -böhmifchen
Neforntation im Zufammenbange fteht, aber fie tft nicht mit dem
Huffitismus identiſch, ſondern muß als eine davon wejentlich ver-
ſchiedene Erfcheinung gelten.
Seit alten Zeiten Hatten die deutſchen „Waldenſer“ in einer
naben Verbindung mit Böhmen geftanden. Dies wird durch man⸗
cherlei Quellen betätigt, und es ift 3. B. eriviefen, daß im Jahre
1418 verfolgte Waldenferfamilten eine Zufluchtsftätte in Prag ge-
ſucht und gefunden haben. Die Königin felbft befuchte fie öfters
mit den Hofleuten des Königs in ihren Wohnungen 2).
- Der Freiburger Waldenferprozeß vom Jahre 1430 ergab eine
alte Verbindung zwifchen der Schweiz und Böhmen, und ſchon Preger
1) Eine zufammenfafiende Darftellung giebt v. Zezſchwitz im Herzog und
Plitts Realencyklopädie fir prot. Theol, 2. Aufl. Bd. II ©. 648—673. — Dort
finden fih auch alle Quellen angegeben.
2) Krummel Böhmiſche Reformation S. 52. — Daß im Jahre 1430
„Apoſtel“, welche in Freiburg im Uechtland prebigten, aus Böhmen kamen, ſ. Dei
Ochſenbein a. DO. Bern 1881 ©. 200.
283
und Zezſchwitz haben mit Recht auf das frühzeitige Erfcheinen der
MWaldenfer in Böhmen aufmerkſam gemacht.
Die Entwidlung, welche die Religionstämpfe in Böhmen nah-
men, war den „Brüdern anfünglich nicht ſympathiſch. Abgeſehen
von der feindfeligen Haltung, welche Die Ezechen gegen die Deutjchen
überhaupt beobachteten, ftellten deren Führer auch Grundſätze auf,
die nichts weniger als waldenſiſch waren. Ohne fich daher vor-
läufig als Corporation an dem Kamıpfe zu betbeiligen, benutten jte
nur die Religionsfreiheit, die ihnen wenigftens theilweife hier ver-
gönnt war, um fih in aller Stilfe weiter auszubreiten.
Einer ihrer Wortführer war in ber erjten Hälfte des Iahr-
hunderts ein gewiffer Peter, von feinem Wohnort, dem Dorfe
Chelcie bei Wodnan, Chelcicky zubenannt. Er fcheint um das
Jahr 1390 geboren zu fein, Hatte auf der Prager Hochfchule ftudirt
und ſchon tm Jahre 1420 durch gelehrte Disputationen mit den
Theologen fich befannt gemacht.
Abgeſtoßen von dem Treiben der Barteien, welche in maßlojem
Sanatismus bald fich felbit zerfleiichten, Hatte er fich in das oben
erwähnte einjame Dorf zurüdgezogen, um von bier aus zwar durch
Schriften zu wirken, im Webrigen aber bejjere Zeiten abzuwarten.
Eben derſelbe Beter Payne, welcher auch hervorragenden beut-
schen Waldenſern nahe ftand, war mit Peter Chelcidy eng verbunden.
Als Payne im Jahre 1437 aus Prag vertrieben war, flüchtete er
in das ftilfe Dorf und hielt fich zwei Sabre lang bei dem Freunde auf,
Es find uns eine Reihe von Schriften Chelcickys erhalten,
welche den Beweis liefern, dag wir in ihm einen echten Vertreter
des Waldenfertbums vor uns haben‘),
Er vertritt als Grundgedanken die Anfchauung, daß der Weg
zur Seligfeit im Dieſſeits und Ienfeits an feine Mittelung irgend
welcher Art gebunden ſei. Es giebt ein unmittelbares Verhältniß
der guten Menſchen zu Gott, welches von der Erfüllung der Ger
feße und Formen, bie in ber Kirche gelten, unbhängig tft. Es ift
falſch, wenn die Kirche behauptet, fie felbft und ihre Gnadenmittel
ſeien e8, welche das Heil fchaffen. Der Glaube, welcher ſich Darauf
1) Vgl. die Auszüge bei Goll Quellen und Unterfuchungen zur Geſch. d.
Böhm. Brüder. Prag 1882 II S. 5ff.
284
verläßt, ift blind und tobt. Der lebendige Glaube und fomit das
wahre Chriftenthum bethätigt fich in der Nachahmung Ehrifti').
Was wir thun follen, um felig zu werben, ift in ben Geboten
Gottes und Chriftt enthalten: das Vorbild Chrifti aber ift ebenſo
verbinplich wie dieſe Gebote. Doch ift Chriftus nicht allein Lehrer
und Vorbild, jondern auch der Heiland und Mittler. Er fteht
als aligenügender Fürfprecher vor dem Throne Gottes. Durch fein
Erſcheinen und feinen Tod hat er die Menfchen, bie feine vechten
Jünger find, erlöft und verföhnt mit Gott.
„Der menjchlide Wille ift auch nach dem Sündenfalle frei
geblieben. Gutes und Böfes fteht vor ihm: wählel Nur das frei
gewählte Gute ift wahrhaft gut und werthuoll. Aber den noch
gelangt der Menſch zu diefer Wahl nicht ohne Hülfe
Gottes. Die innere Wiedergeburt Tann ohne feine Gnade
nicht eingeleitet, ver Wille des Menfchen dem Willen Gottes nicht
gefügig werden. Die innere Wiedergeburt ift e8, welche dem Men-
ichen ein neues Herz giebt" 2.
Das Gute follen wir vollbringen aus Liebe zu Gott, aber nicht
ans Furcht vor Strafe und noch weniger aus Hoffnung auf Lohn
ober in dem Wahn, dag wir das Heil verbienen könnten. Nie
mand kann Gott je vollkommen gefallen. Verzeihung haben wir alle
wege nöthig und diefe zu erlangen, dazu Hilft nur die Gnade und
das Verbienft Chrifti. „Jeſus, der vor dem Vater ſtehend die Un-
zulänglichkeit der Sünder ergänzt, hält bie Menfchen in der rechten
Hoffnung aufrecht”. „Weber lange roch kurze Arbeit Tönnte das
himmlifche Königreih verdienen, nur durch Gottes Gnade
kannſt du es erlangen”.
Die Sakramente, jo weit fie Chriftus eingefegt bat, bürfen
nicht vernachläffigt werden. Durch ihren Empfang wird der Glaube
bezeugt und fie dienen zur Mehrung der Liebe und des Glaubens,
Die innere Wiedergeburt, die Erneuerung des Herzens, welche
freilich nur durch Gottes Mitwirkung und feinen gnädigen Beiftand
möglich ist, find die Vorausfegungen für die rechte Wirkung der
Sacramente. Diefe legteren fteigern und bezeugen uns die Grabe
Gottes, Doch fchaffen fie fie nicht. „Darum wäre e8 beffer nach
1) Goll a. O. S. 28. 2) So wörtlich Boll a. O. ©. 29,
285
Art der alten Kirhe nur Erwachſene zu taufen, die dur
ihre Werte ihren Glauben bereits bethätigen Tönnen” N). Doch ver
wirft Chelcicky darum die Kindertaufe nicht.
Einen Priefterftand foll e8 nach apoftolifcher Einrichtung geben.
Aber nur ein guter Menſch Tann ein guter Priefter werben. Iſt
er das erftere, fo tft er von Gott erwählt.
Die Gemeinde bat das echt, zum Briefterftande zu berufen.
Diefe Berufung genügt dann zur Ausübung der Priefterrechte,
wenn der Berufene die nothiwendigen Vorausjegungen erfüllt bat.
„Die Kirchen”, jagt unjer Autor, „find Häufer Gottes, aber
wir find nicht gebunden, in geweihten Kirchen zu beten. Es ift
uns bie Freiheit gegeben, an jedem paffenden Orte zu beten“ 2),
Alle Forſcher, welche fich mit ver Lehre Chelcickys näher bes
ſchäftigt Haben, find zu der Meberzeugung gekommen, baß biefelbe
mit derjenigen der Waldenfer im engften Zuſammenhang ſteht ?).
Chelcicky ift al8 Anhänger der Waldenferlehre aus dem jüd-
lichen Böhmen nad Prag gelommen und hat in ber Folgezeit im
Gegenſatz zu Huf und den Taboriten ftet8 daran feitgebalten 9.
Er ift e8 dann nach dem Selbftzeugniß der fpäteren Bruder⸗
firche gewefen, welcher auf die Begründer der Gemeinschaft einen
bervorragenden Einfluß gelibt hat.
Dis nach der Mitte des 15. Jahrhunderts Hatten auch Die
böhmischen Waldenfer den äußeren Zuſammenhang mit ben herr-
ſchenden Firchlichen Gemeinjchaften nicht abgebrochen. Obwohl fie
bier wie in anderen europätfchen Ländern eine feſte Organifation
und eigene Eultusformen bejaßen, jo hatten fie fich doch formell
von der allgemeinen Kirche nicht getrennt.
Da faßten nun um den Beginn des ſechſten Jahrzehnts mehrere
angejebene Männer ven Entſchluß, jich auch äußerlich von ber Kirche
loszuſagen und eine felbftändige Neugeftaltung der Partei ins Leben
zu rufen.
1) Goll a. DO. ©. 32. 2) Sol a. O. ©. 43.
3) Palacky fagt: „Ich bezweifle jetst nicht mehr, daß Peter Chelcidy früb-
zeitig eine umfafjende Kenntniß ber Waldenſerlehre beſaß und daran Gefallen
fand”. Nach Soll a. O. ©, 42,
4) Soll a. O. ©, 42,
286
Eine allgemeine Verfammlung fand in dem Iahre 1463 in
den Bergen von Reichenau ftatt, eine andere warb zu Lhota im
Yahre 1467 abgehalten und Hier wurden die Grundzüge jener Ge⸗
meinfchaft feftgeftelit, welche nachmals unter dem Namen der „Böh⸗
mifchen Brüder” in der Kirchengefchichte eine große Nolle ge
ſpielt Hatt).
Der erfte Act, welcher in der Gemeinfchaft nach ihrer Con- -
ftituirung vorgenommen ward, war die Taufe der Anweſenden ?).
- Man folgte damit einem uralten Brauche. Denn die Waldenfer
haben principiell die Taufe auf ven Glauben allezeit feitgehalten;
wo man fie unterließ, geſchah es unter dem Druck der Zwangs⸗
lage, in der man fich befand.
Man war, wie wir alsbald fehen werben, Teineswegs Willens,
durch dieſe äußerliche Lostrennung von der römischen Kirche den
Zufammenbang mit den übrigen „Brüdergemeinden‘ zu löſen, man
hoffte im Gegentheil, daß das Beispiel der Böhmen die „Brüder“
aller anderen Länder zu gleichen Maßregeln ermuthigen werbe.
Indeſſen konnte e8 doch nicht aushleiben, daß diefe eine
wichtige Neuerung weitere Berfafjungsänderungen nach fich 308;
und jo falſch es wäre, behaupten zu wollen, daß bie bei den ge
nannten Verſammlungen gefaßten Beichlüffe die Continuität
der Gemeinihaft und den Zufammenhang mit den älteren Ge-
meinden abgebrochen hätten, jo richtig ift e8, Daß die Tage von
Reichenau und Lhota eine neue Phafe in ver Gefhichte des böh-
miſchen Walvenfertbums begründen.
Es vollzogen fich bier dieſelben Entwidlungen, wie wir fie
ſechzig Jahre fpäter in unjerem eigenen Vaterlande beobachten können.
Auch in Deutſchland und der Schweiz warb unter Begünftigung
der Zeitverhältniffe feit 1524 der Verfuch gemacht, die „Brüber-
gemeinden“, welche feit Sahrhunderten vorhanden waren, felbitändig
zu machen und von den herrfchenden Kirchen abzutrennen. Natur-
gemäß führte diefe fundamentale Neuerung andere Umgeftaltungen
mit fih und da auch die deutſchen „Brüder“, ebenfo wie bie
Böhmen, als erfte Handlung die Taufe der Erwachfenen vollzogen,
1) Sindely Geſch. d. Böhmiſchen Brüder.
2) Gindely a. a. ©. 1, 36.
287
fo erhielten fie von ihren Gegnern einen neuen, bi8 dahin uns
gebörten Seftennamen, nämlich den Namen „Anabaptiiten”.
Aber die Partei jelbft Hat, wie wir ſehen werben, ihren Zufam-
menbang mit den älteren „Gemeinden“ jo zäh feitgehalten, daß
fie den neuen Namen ftet8 zurücgewiefen und fich wie ihre Vor⸗
fabren einfach „Brüder genannt bat. Auch Hier ift demnach bie
neue Phafe einer alten Gemeinfchaft zu erfennen, aber es ift feine
neue Gemeinfchaft ins Leben getreten.
Es verdient Beachtung, daß gleich an den conftituirenden Ver-
fammlungen von Neichenau und Lhota eine Reihe angefebener
Perfünlichkeiten tbeilnahmen. Da waren unter Anderen der Neffe
bes Erzbiſchofs Rokycana, Georg mit Namen, ferner der ehemalige
Abt Andreas vom Stift Emaus, die Tatholifch geweihten Priefter
Heinrih von Tabor, Johann Chelecicky, Michael von Senftenberg
u. ſ. w. Aus dem gelehrten Stande betheiligten ſich Ambroſius
von Prag, Procop von Neuhaus, Jeſaias Wenzl von Reichenau
und Andere; befonders aber war der Herren- und Nitterftand
durch einflußreiche Familien vertreten.
Die Betheiligung des Adels bat im Laufe der Iahrzehnte fich
jtetig gefteigert und ift für die Brüder in den Zeiten der Noth ein
wichtiger Faktor geworben. So bat Ulrich von Kaunitz ſeit dem Jahre
1511 das feiner Oberhobeit unterjtehende Städtchen Aufterlig zu
einem Zufluchtsort der „Brüder gemacht; er Tieß ſich darin auch
nicht irre machen, al8 man ihn mit Prozeffen verfolgte. Und als
im Jahre 1529 eine furchtbare Verfolgung über die „Brüder“
hereingebrochen war, welche man feit 1525 mit dem Namen „Täufer
belegt Hatte, da war es derſelbe Ulrich von Kaunitz, welcher bie
flüchtigen „Brüder aus dem Reich aufnahm. So wurde Auſter⸗
fig einer der vornehmften Site des fog. Anabaptismus und ift e8
bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts geblieben 1). |
Ebenſo wie Ulrich von Kaunitz gehörte der Ritter Hhned
Bilik von Kornic in Mähren zu der Partei der „Brüder“, welche
von ihren Gegnern „Pikarden“ genannt wurde, und e8 tft bezeich-
nend, baß dieſer im Uebereinſtimmung mit Ulrich von Kaunitz feine
1) Bed Geſchichtsbücher der Wiebertäufer in Deftreih-Ungarn Wien 1883.
©. 74 Anm.
288
eigenen Genofjen zu ſchützen alaubte, als er die „Brüder“, die man
als „Wiedertäufer“ anderwärts verfolgte, auf feinen Gütern aufs
nahm und ihnen Schuß gewährte 1),
In den Schriften der älteren Brüdergemeinde — bie Gefchichte
der böhmischen Brüder zerfällt in mehrere Perioden, deren zweiter
Anfchnitt von 1496 an beginnt — wird ber Zuſammenhang mit
den „Waldenſern“ ganz unverhohlen anerkannt?).
Der Schritt, den die Synode von 1467 that, ſollte nach dem
ausdrücklichen Zeugniß der Theilnehmer nicht die Aufrichtung einer
neuen Kirche bedeuten; ſie lehnten es ausdrücklich ab, etwas
Neues in Religion und Kirche eingeführt zu haben oder einführen
zu wollen; vielmehr war es ihre Abſicht, ſich jener Gemeinſchaft der
„chriſtlichen Brüder“, welche in Deutſchland, Italien, Frankreich
u. ſ. w. beſtand, anzuſchließen und ihre Zugehörigkeit zu dieſer alten
Kirche zu erklären.
So ſehr die Generation, welche ſeit 1496 in der Brüder⸗
unität dominirte, aus beſtimmten Gründen beſtrebt geweſen iſt,
dieſe urſprünglichen Erwägungen und Tendenzen ihrer Väter zu
verwiſchen — ein Umſtand, der den wirklichen Sachverhalt zeit⸗
weilig in der That verdunkelt hat —, fo unzweifelhaft erhellt aus
den Vorgängen, die fih an die Synode von 1467 anjchloffen, bie
Richtigkeit der obigen Bemerkung.
Das Brüder-Archiv, welches feit dem Jahre 1840 mit dem
Archiv zu Herrnhut vereinigt ift, enthält fieben Schreiben der Brüder
an den Erzbiſchof NRolycana ®), von welchen das erfte am 2. Mai
1468 überbracht worden it.
Diefe Briefe geben über die urfprüngliche Bewegung einen
unzweideutigen Aufſchluß.
Nach dem vierten Schreiben ſind drei Verſammlungen zu
unterſcheiden; bei der erſten waren Brüder aus Böhmen und aus
1) Beck a. a. O. S. 165.
2) Ueber die Uebereinſtimmung in der Lehre ſ. von Zezſchwitz Die Kate⸗
hismen! der Waldenſer u. |. w. 1863 ©. 134 ff. Die Thatſache wirb hier trotz
des Widerſpruchs der älteren „Brüber-Unität” als völlig zweifellos erwieſen.
3) Auszüge daraus bei Jar. Soll Quellen und Unterfuchungen zur Geld.
d. Böhm. Brüder. Prag 1878 I, S. 17 ff.
289
Mähren und auch deutſche Waldenfer erjähienen; bier wurben
Die vorbereitenden Beichlüffe gefaßt. Die dritte Verſammlung, an
welcher 60 Brüder theilnahmen, wählte die neun würbigften Männer
‘aus und unter diejen beftimmte das Loos drei Perfonen, welche zu
‚Prieftern beftimmt fein follten und von denen einer „die erſte Stelle
in der Gewalt des Amtes“ einnehmen ſollte.
Mit dieſer Erwählung aber Hatten bie Erkorenen keineswegs
ſofort die Vollmachten des geiſtlichen Amtes erlangt; vielmehr
beſchloß die Verſammlung, daß die Erwählten durch einen Biſchof
der Waldenſer die Weihe mittelſt Handauflegung nachſuchen
müßten. Damit erklärte ſie formell ihren Anſchluß an dieſe Ge⸗
meinſchaft.
Das erwähnte Schreiben ſagt dann ausdrücklich, daß die Be⸗
ſtätigung durch den Waldenſer⸗Prieſter nachmals wirklich erfolgt iſt i.
Als Erzbiſchof Rokycana von den Kanzeln herab die Gläubigen
vor den Brüdern warnen ließ, ſandten Letztere ein neues Recht⸗
fertigungsjchreiben an ihn. Dafielbe tft deshalb ſehr merkwürdig,
weil e8 das Vorgehen der Brüderſchaft nur als eine Rückkehr tn
die wahre Kirche der erften Chriften, welche fich bei ven Waldenſern
erhalten habe, darſtellt. |
Seit Papſt Sylveſter, heißt es darin, ſei die römiſche Kirche
mit den Befehlen und dem Vorbild Chriſti in Widerſpruch getre-
ten, indem die Männer, welche als Nachfolger der Apoftel in Selbft-
verleugnung Chriſti Fußtapfen folgen follten, weltliche Macht und
Neichthum und füritliche Würde fich angemapt Hätten. Während
die erften Diener der Kirche Ehriftt mit dem heiligen Petrus von
der weltlichen Gewalt Marter gelitten hätten, übten Die Nachfolger
auf dem römischen Stuhl und die römiſchen Bifchöfe ſelbſt welt-
lihe Gewalt aus und marterten die Gläubigen, welche ſich ihrer
Herrfchaft nicht unterwerfen wollten.
Deßhalb Hätten fie die „Gewalt des Antes”, d. h. den Beſitz
des apoſtoliſchen Charisma, eingebüßt und koͤnnten bie Vollmachten
Chriſti nicht mehr rechtskräftig verwalten.
„Und, Meiſter, jene Prieſter mit Petrus, dem Waldenſer,
1) Goll a. O. S. 20. | |
Keller, Die Reformation 19
290
die, bei dem erften Urfprunge verharrend, dem Shloefter bein
Empfang deſſen nicht beiftimmten, was er nahm — tft bei ihnen nicht
das ursprüngliche Prieftertbum und die Gewalt des Amtes und
die Wiffenfchaft der Schlüffel verblieben? Wir find der Hoff-
nung, e8 fei bet ihnen von Anfang an geblieben und
bleibe bis heute, wie ja da find und tin verfchiedenen Ländern
beitehen Briefter mit vielem Volle, denn fie find geblieben
beim Ursprung der erften Kirche aus den Apofteln“.
Dieſes Nechtfertigungsfchreiben ward bald darauf von den
„Brüdern in umgearbeiteter Form der Deffentlichkeit übergeben.
Es wird darin 1) wiederholt betont, daß man bei der Wahl und
Beftätigung eigener Priefter nichts Neues begonnen, fordern fich
nach dem DBeifpiele der erften Kirche gehalten habe. Mit diefer
urfprüngliden Kirche feien fie durch die Waldenjer
verinüpft. „Es tft ein großes Volt (d. h. Die Waldenſer) in vielen
Ländern, und fie befiten Bifchöfe und Prieſter.“
Biſchof der Waldenfer in Deftreich war damals ein gewiſſer
Stephan und zwar unzweifelhaft berfelbe, welchen Biſchof Reiſer
im Jahre 1458 als noch lebend bezeichnet.
Diefer Stephan tft es gewefen, welcher um das Jahr 1468
den Matthias von Kunwald zum erften Bifchof der böhmischen
Brüder geweiht hat?). Damit befaß die Brüder-Unität die Duelle
bes Priefteramts in fih und Matthias weihte die übrigen Geift-
lichen.
AS Matthias von Kunwald geftorben war (1500) traten an
feine Stelle vier Senioren und Biſchöfe, nämlich Lukas von Prag,
Ambrofius von Skuz, Thomas von Prelauz und Elias von Chrenopiz.
Einer der Vorwürfe, welche diefer Gemeinfchaft Häufig gemacht
worden find, befteht darin, dag fie mit der Abſonderung, die fie
für ihre Pflicht hielt, zugleich der Anficht Ausbruc gebe, daß in
1) Goll a. O. ©. 93.
2) Einer der Theilnehmer an der conftituirenden Synode, der ehemalige
Yatholifche Priefter Michael, erzählt über die Vorgänge, daß nach ber Wahl der
brei Prediger einträchtig befchloffen worden fei, zu dem Waldenferbifhof zu
fenden, um die Weihe zu erhalten. Dies geſchah. (Goll a. O. I, 25.)
291
ihrer Kirche allein die „Erwählten” zu finven feien, benen das
ewige Heil zu theil werde.
Dean hat ihnen darin aber entichieven Unrecht getban. Biel-
mehr glaubten fie, daß e8 über die Grenzen ihres fpeciellen Bundes
hinaus eine Gemeinfchaft der „rechten Chriften” gebe. Sie waren
ganz anderer Anficht als die, welche das wahre Chriftenthum an
beftimmte Lehrfäte und Formen banden.
Wir verbammten diejenigen nicht, fagten fie, welche nicht in
unjeren Gemeinden leben, und Halten e8 für fünblich, daß bie
römische Kirche alle von ber Seligteit ausjchließt, welche dem Papfte
nicht unterthan find.
Bruder Gregor, ein Neffe Rokycanas, jchrieb eine beſondere
Abhandlung über diefe wichtige Frage und jagt darin u. A.:, Es
könnte Iemand jagen, dag wir alle diejenigen verbammen und
verwerfen, jo im Gehorſam der römischen Kirche ſtehen, feit Con⸗
ftantin den Glauben empfangen und Sylveſter den Reichthum ....
Das ift aber unfere Meinung mit nihten.... Denn wie wir
die Erwählten in der indiſchen und griechifchen Kirche nicht ver-
werfen, ſo verdammen wir auch nicht die Erwählten unter den
Römern ....“y.
Die Seligkeit iſt weder an Ort noch an Zeit noch an äußere
Mittel (als welche ſie ausdrücklich die Sacramente bezeichnen) ge⸗
bunden. Aber nach ihrer Anſicht ſollten diejenigen, welche in ihrer
Gemeinſchaft lebten, ein reines Volk ſein in dem Sinne, wie es
Chriſtus und die Apoſtel gefordert hatten. Eben die Mittel, welche
zur Erzielung einer ſolchen Reinheit (ſoweit ſie auf dieſer Welt
möglich) in den h. Schriften vorgezeichnet waren, unter Anderen
die Kirchenzucht durch Ermahnung und Bann, wollten ſie gewiſſen⸗
haft in Anwendung bringen. Sie legten darum den größten Werth
auf deren Handhabung.
In der Heilighaltung der Gewiſſensfreiheit gingen fie jo weit,
Daß fie felbit die von ihnen aufgeitellten Glaubensnormen und
1) Soll a. O. ©. 12. Anm. — Unter der indiſchen Kirche verfteht Gregor
bie „großen Länder unter dem Priefter Johannes“. „Auch waren zwei Männer
in Prag zugegen geweſen und erzählten, wie die Menfchen bort leben“.
. 19*
292
Belenntniffe nur dadurch zur Geltung bringen wollten, daß fie
beren Annahme empfablen.
Die Lehre von der Freiheit des menjchlichen Willens hielten
ste mit allen Folgerungen, die fich daran für die Auffafjung von
Rechtfertigung und Erlöfung knüpfen, entfchieden feft.
Im ganzen 15. Jahrhundert und bis zum Sabre 1536 war
bei ihnen gültiges Geſetz, daß fie die Erwachſenen tauften.
Sie fagten, dieſe Taufe fei ein Zeichen des Bundes, welchen der
Einzelne in feinem Gewiſſen mit Gott eingehe!), Dabei hatten
fie aber die Eigenthümlichkeit, daß fie auch an den Kindern eine
Waffertaufe vollzogen; doch knüpften fie eine Gnadenwirkung richt
daran, jondern betrachteten dieſen Alt als eine Art von Namen-
taufe. Beſondere Umſtände veranlaßten die Führer der Brüder,
‚biefen Gebrauch im Jahre 1536 aufzugeben und an die Stelle ber
zweiten Taufe die Handauflegung zu feten, die Kindertaufe aber
‚nach dem Muſter der herrſchenden Kirche in Gebrauch zu nehmen.
Dezeichnend für den Ernft, mit welchem fie das Chriftenthum
‚auffaßten, war es, daß fie fofort daran gingen, die Vorfchriften
‘befjelben auf das praktiſche Leben zu übertragen. Ste forderten
zunächft von Jedem, auch von dem Reichen eine einfache Lebens»
haltung, welche im ganzen Auftreten äußere Pracht und Lurus
ausſchloß. Innerhalb ver Brübergemeinfchaft follte e8 Feine Armen,
d. 5. Nothleivende geben; ohne die Gütergemeinfchaft einzuführen
‚war jeder wohlhabende Bruder verpflichtet, foniel von dem Seinigen
‘zu geben, als zur Abwehr der Noth unter den Brüdern erforderlich war.
- Alfe unpartheitfchen Forfcher ftimmen darin überein, daß ein
‚tiefer fittliher Exrnft dem Beginnen der Brüder zu Grunde lag;
das Ideal einer chriftlichen Gemeinde zu verwirklichen, war ihr
Streben.
Gleichwohl iſt e8 ihren Gegnern gelungen, fie in ber öffent»
Then Meinung frübzeitig herabzıfegen. Man Hat ihnen erfolg.
reich einen Scheltnamen angebangen, indem es üblich ward, fie
Pidarden zu nennen. Der Name Beghard oder Pidard hatte
in jener Zeit einen üblen Klang in Deutjchland.
1) v. Zezſchwitz bei Herzog u. Plitt Realencyklopädie 2. Aufl. II, 672. —
Goll a... O. 1, S. 38 und 125.
293
Je mehr diefe „Stillen im Lande” fich von der Oeffentlichteit
zurüdgogen und nur wenig von fich reden machten, um fo leichter
ward es ihren Gegnern, die Unkenntniß der Mafjen zu Verun⸗
glimpfungen aller Art zu benutzen.
Natürlich gab es auch unter ihnen ſchlechte Menſchen. Da
die Gemeinden gerade auf die Rettung der „Sünder“ ihr chriſtliches
Abſehen gerichtet hatten, ſo geſchah es wohl, daß ſie von ſolchen
Perſonen, die ohne wahre Beſſerung zu ihnen übertraten, ſpäter
ſchwere Enttäuſchungen erfuhren. Denn man weiß ja, daß ſolche
Perſonen ſelbſt bei gutem Willen dem Rückfall leicht ausgeſetzt ſind.
Da die Jahre, welche dem Tode König George (F 1471)
folgten, ven Gemeinden zeitweilig Ruhe und Frieden brachten, fo
zeigte e8 fich raſch, Daß die waldenſiſchen Ideen dort, wo man ihnen
Spielraum gewährte, eine jehr ſtarke Erpanfionskraft bejaßen.
Um das Jahr 1500 waren ihre Gemeinden auf 300—400
und die Zahl ihrer Mitglieder auf vielleicht 200,000 angewachſen;
in Böhmen und Mäpren hatten fie ihre Hauptfige. Auch wiſſen⸗
ſchaftlich gebildete Männer und fruchtbare Schriftfteller gab es
unter ihnen, und vor Allem warb die neu aufgelommene Kunft des
Buchdrucks eifrig von ihnen geübt‘).
Es verdient Doch Beachtung, daß eriviefenermaßen von ben 60
während der Sabre 1500—1510 in Böhmen erjchienenen Schriften
allein 50 den „Brüdern und nur 10 den Katholifen und Utra-
quiften angehören, welche viel zahlveicher waren als jene. Während
die Brüder im Jahre 1519 über zwei Drudereien verfügten, ber
jaßen ihre Gegner zufammengenommen nur eine einzige.
Die Schulen ber Brüder waren weit und breit berühmt;
als die Bewegung bereit8 unter dem äußeren Drucke wieder ſchwer
Yitt, erfreute fich die unter Rudingers Leitung ftehende Schule zu
Evanziz eines folden Ruf, daß ihr Zöglinge aus allen Theilen
Deutſchlands anvertraut wurden). —
1) Krummel L., Utraquiſten und Taboriten. Gotha 1871 ©. 247.
2) v. Zezſchwitz, a. O. ©. 144. Später war Joh. Dend (r 1605) Reetor
der Schule (Font. Rer. Austr. Script. V. p.300).
294
In der neueren Kirchengefchichte finden fich feine Mittheilungen
von ber geiftigen Regſamkeit und von der Fülle der Gaben, welche
in dieſer Heinen Gemeinfchaft fich vereinigt fanden.
Ein neuerer Forſcher hat nachgewiefen, dag Bifchof Lukas von
Prag (F 1528) allein über 80 Schriften veröffentlicht Hat, darunter
Manche von bedeutendem Umfange. Ein anderer „Bruder“, Bla
hoslav (F 1571), fteht al8 Autor von 22 Schriften da, einer ber
Begründer der Gemeinfchaft, Gregor, bat mehr denn zehn verfaßt).
Viele von diefen Büchern find Iateinifch gejchrieben und verratben
nach dem Urtbeil eines Fachmanns eine nicht gewöhnliche theolo-
giſche Begabung.
Beſondere Beachtung verdienen die Confeffionen und Apologien,
welche aus ihrem Kreis hervorgegangen find. Abgefehen von den
älteren Schriftftüden bejiken wir aus ben Jahren 1503—1508
allein deren fünf, und zwar drei für König Wladislav aus ben
Jahren 1503, 1504 und 1507, eine an die böhmischen Stände und
eine aus 1508 als Apologie für Jedermann 2).
Eine Ueberfegung des Neuen Teſtaments veröffentlichte der
oben erwähnte Blahoslan.
. Aber e8 war mit nichten blos das Gebiet der Theologie, auf
welchem bie „Brüder“ thätig waren. Blahoslavs böhmifche Gram⸗
matik gilt für ein Wert von jo hoher Linguiftticher Bedeutung, daß
man fie noch in unjerem Jahrhundert wieder aufgelegt bat. ‘Der
jelbe Hat ein epochemachendes Werk über Muſik gejchrieben; e8 er-
lebte, ſpäter erft veröffentlicht, nach zwei Jahren fchon die zweite
Auflage. In Bezug auf die Kirchliche Lieberbichtung der „Brüder
jagt ein Sachverjtändiger, Daß fie allein ſchon geeignet ift, ben
Letzteren ein unſterbliches Gedächtniß in der Kirche zu fichern 3).
Um ihre umfangreiche Literatur zum Druck zu bringen, fuchten
fie Verleger und Buchdrucker in den benachbarten größeren deutſchen
1) v. Zezſchwitz a. DO. ©. 143.
2) Fontes Rerum Austriacarum 2 Abth. Bd. XIX 1859 ©. 453 ff. — Man
kann aus den Jahren 1467—1671 34 Eonfeffionen in böhmiſcher, Tateinifcher
und deutſcher Sprache nachweiſen. So erſchien z. B. ſchon die Eonfeifion von
1524 im deutſcher Ueberſetzung. Vgl. v. Zezſchwitz bei Herzog und Plitt a. O.
II, 660.
3) v. Zezſchwitz a. O. S. 143.
295
Städten auf.. Beſonders war e8 Nürnberg und feine Prefien,
welches ihren Wünjchen hierin entgegenkam. So wurbe die Apo⸗
logie des Jahres 1508 in Nürnberg zuerit böhmifch, dann im Sabre
1511 auch in lateinifher Sprache gebrudt !).
Es iſt ganz unrichtig, wenn man glaubt, daß eine folche Fülle
geiftigen Lebens ohne Rückwirkung auf die verwandten Ideenkreiſe
und Beitrebungen in den Nachbarländern hätte bleiben können.
Schon die Literatur felbft, welche zum größten Theil in la⸗
teinifcher Sprache gejchrieben war, fand ihren Weg naturgemäß in
das Reich. AS nun aber feit dem Jahre 1503 eine ſchwere DVer-
folgung über die Brüder hereinbrach, mußten bie verfprengten Mit⸗
glieder wie weithin verwehte Funken zündend wirken. Wir wiſſen,
daß die vertriebenen Böhmen überall, wohin fie kamen, fofort mit
den Neften der alten Brüdergemeinden im Neiche, in ber Schweiz
und in Frankreich Fühlung fuchten.
1) Dal. Goll I, 124.
| Dreischntes Capitel.
Die altevangelifchen Gemeinden beim Beginn der Reformation.
Der internationale Zufammenbang der Gemeinten. — Die „wälfchen‘ Brüder
‚und- ihre Beziehungen zur Schweiz. — Die „Belannten” in England. —
Die „Begharden“ in den Niederlanden und die „Brüber des gemeinfamen
Lebens“. — Die „Brübergemeinden‘ im Reiche. — Der innere Zuftand bes
- MWaldenfertbums vor der Reformation. — Der Waldenfer- Katechismus bes
15. Jahrhunderts. — Die religids-firchlichen Principien und ihre Verküm⸗
merung. — Die Verwirrung und Verſtümmelung der alten Tradition. —
Verkehrte Auffafjung der Gleichheit und Brüderlichkeit. — Der Mißverſtand
der Lehre vom „inneren Wort“. — Gänzlicher Abfall einzelner Gemeinden von
den Grundprineipien. — Nothwendigfeit einer burchgreifenden Regeneration.
Eine Hiftorifhe Unterfuchung, welche ven Einfluß ber älteren
Neformparteien auf die religiöfe Bewegung des 16. Jahrhunderts
fejtzuftellen trachtet, muß die Thatfache im Auge behalten, daß nicht
bloß die deutſchen Brüdergemeinden e8 gewefen find, welche ihre
Einwirkung zur Geltung gebracht haben, fondern daß bie „Brüder
anderer Länder an der deutfchen Entwiclung fich betheiligt haben).
Tür den engen Zuſammenhang ſelbſt unter den verjchieden-
Iprachigen Gemeinden ift die Thatfache bezeichnend, daß ein und
daffelbe Lehrbuch für den Neligionsunterricht in den Schulen in
Frankreich wie in Italien, in Deutfchland wie in Böhmen noch um
das Jahr 1500 und darüber hinaus bei den Gemeinden im &e-
brauche geweſen ift.
Es ift uns ein „waldenſiſches“ Fragebuch für den Kinderunter⸗
richt (Katechismus) in drei Sprachen und Bearbeitungen aus
dem 15. Jahrhundert erhalten.
1) Ich bemerke ausdrücklich, daß noch im 15. und im Anfang bes 16. Jahr⸗
bundert8 der Name „Waldenfer‘‘ vor der ‘Partei jelbft nie und von Anbern
felten gebraudt wird. Es find nur die Namen der „Brüber‘ over ber „Ge
meinden‘ oder die befannten Kegernamen, welche vorlommen.
297
Die neueren Unterfuchungen!) haben ergeben, daß die proven-
caliſche Form des Katechismus als älteſte Bearbeitung zu gelten bat.
Die Brüder in Böhmen haben, als fie das Werk für ihre
Schulen übernahmen und es in die böhmifche Sprache überfekten,
eine Reihe von Abänderungen darin vorgenommen, die indeſſen bie
religiöfen Grundgedanken nicht berühren.
Diefe böhmifche Form ift dann bei den deutfchen Gemeinden
(natürlich in deutfcher Sprache) recipirt worden und bat bier eine
Bedeutung erlangt, welche bei weiten noch nicht genügend gewür⸗
digt ift?).
Da die Verbreitung, welche dieſes Buch in Deutſchland erlangt
hat, zugleich einen Fingerzeig für die Verbreitung waldenſiſcher Ideen
giebt, ſo will ich darauf aufmerkſam machen, daß von Zezſchwitz be⸗
reits im Jahre 1863 zehn verſchiedene deutſche Auflagen und Aus⸗
gaben bis zum Sabre 1530 und zwei alte Bearbeitungen (aus 1524
und 1527) nachweifen Tonnte?).
Ehe wir indeffen auf den Inhalt Diefer wichtigen Duelle näher
eingeben, ift e8 nothwendig, daß wir uns ein Bild darüber zu ver-
ichaffen fuchen, mit welcher Gemeindezahl die „Brüder“ in die große
religiöje Bewegung des 16. Jahrhunderts eintraten.
Zeider find Die Forfchungen gerade über dieſen Punkt noch
außerorventlih im Rückſtand, aber e8 laſſen fich doch wenigitens
einige Thatjachen beibringen.
Die erften Jahrzehnte des 15. Jahrhunderts waren in den
romanifchen Ländern ebenfo wie anderwärts für die „Brüder“
1) Zezſchwitz Die Katehismen der Walbenfer und böhmifchen Brüder
Erl. 1863.
2) Es wäre im Anichluß an Zezichwit eine neue Unterfuchung über die Ber-
breitung biefes Katechismus, beſonders auch unter den nachmaligen Täuferge-
meinben, ſehr wünfchenswerth.
3) Es ift merfwürbig, daß ſowohl die Orte, wo dieſer Katechismus gedruckt
und gebraucht ward, wie die Perfonen, welche in ihren uns erhaltenen Schriften
nachweislich ſich an deſſen Ideen anlehnen, mit dem fogenannten „Täuferthum“
in engſter Beziehung ſtehen. So hat nachweislich die Gemeinde zu S. Gallen
das Fragebuch im Gebrauch gehabt (ſ. v. Zezſchwitz S. 267), dieſelbe Gemeinde,
in der die täuferiſchen Bewegungen beſonders frühzeitig Wurzeln geſchlagen haben.
Unter ben Autoren aber, welche ſich an ben Katechismus anlehnen, ift in erſter
Linie Hans Dend zu nennen.
298
ſchwere Zeiten gewejen. Bon da an hatten fie eine Zeit lang Ruhe
gehabt; fie Hielten fich äußerlich zur katholiſchen Kirche, und Die
Obrigkeit Tieß fie gewähren.
Das Jahr 1476 brachte für die „Brüder“ in Savoyen einen
traurigen Umſchwung mit fi. Herzogin Solanta, welche damals
als Vormünderin ihres Sohnes Carl das Land regierte, Tieß ſich
durch den Erzbifchof von Turin zu dem Entſchluß beftimmen, alle
„Häretiker“ auszurotten?).
Seit dem Regierungsantritt Papft Innocenz VIII. (1484) be
gann ein planmäßig angelegter Vernichtungskrieg. Der päpftliche
Legat Albert de Eapitaneis ftellte fih an Die Spike einer Armee
von 10,000 Mann und brang damit in die Walbenferthäler ein.
Er erreichte fein Ziel nicht, da die „Brüder“, welche gemäß ihren
uralten Grundfägen zwar den Krieg verwarfen, aber die Nothwehr
für erlaubt Hielten,, fi mannhaft zur Wehr ſetzten. Der Legat
berichtete im Jahre 1489, daß die Zahl der Ketzer 50,000 betrage.
Im Jahre 1500 begann Margaretha von Foix, Herzogin von
Saluzzo, ebenfalls ihre waldenfifchen Unterthanen zu verfolgen).
Nicht beſſer wie den italtenifchen „Brüdern erging es ben-
jenigen, welche unter franzöfifcher Oberhoheit lebten. Es waren
bier im 15. Jahrhundert ebenfo wie früher die Stadt Lyon ſowie
die Daupbine und die Provence, wo die Brüder zahlreich wohnten.
Es wird ausdrücklich berichtet, daß in der Dauphine auch viele vor-
nehme Familien fich nicht fcheuten, die Häretiker aufzunehmen und
zu begünftigen 9). |
Schon 1380 begann die Verfolgung; in den Thälern Val⸗Pute,
Argentiere und Fratfjiniere jowte in Grenoble und Embrun fanden
Hinrichtungen ftatt.
Während der Mitte des 15. Jahrhunderts war es dann ftill
in diefen Gegenden.
Die Verhaftungen und Verhöre, welche fett dem Jahre 1486
porfielen, und deren Protocolfe uns theilweife erhalten find, beftätigen
nicht nur die fortgefeßte Strenge der Regierungen, jondern auch
1) Das bezügliche Religionsedict vom 23. Januar 476 ift abgebrudt bei
Hahn Gefchichte der Ketzer II, 705.
2) Herzog Die rom. Waldenjer S. 274. 3) Herzog a. O. ©. 275.
299
die Thatfache, Daß gegen Ende des 15. Jahrhunderts im füblichen
Frankreich die Verfaſſung und die Lehre des älteren Waldenſer⸗
thums noch immer in ihren Hauptpunkten vorhanden war. Der
gefangene Anton Blafius von Angrogne kennt im Jahre 1486 noch
die „Apoftel”; Franz von Gerundino im Jahre 1492 den befannten
„Magister major und minor“. Der lettgenannte weift in alter
Weife auch den Namen „Waldenjer” zurüd und nennt als Namen
feiner Bartei die Bezeichnungen „Arme von Lyon“ over „Fratres“ ').
Welche Bedeutung das Waldenfertfum um das Jahr 1500
noch hatte — die Zahl der Prediger (Barben) wird von einem
Waldenjer auf 400 angegeben?) — erjeben wir aus den Verband»
ungen, welche um diefe Zeit vor den erften Würbenträgern des
Reichs, den Abgefandten des Parlaments von Grenoble, dem Erz
biihof von Embrun und den Vertretern der „Brüder“ zu Paris
ftattfanden. König Ludwig XII. beftätigte in einem Briefe aus Lhon
vom 12. Dct. 1502 die Beichlüffe diefer Verſammlung.
Sm Jahre 1503 zeigte e8 fih, daß auch in Paris, welches
in früheren Jahrhunderten zahlreiche Ketzer beherbergt batte, noch
immer folche vorhanden waren. Der Begharde Hemon, welcher fich
die Provocation eines römijchen Geiftlichen hatte zu Schulden kom⸗
men laffen, wurde zum Tod in den Flammen verurtheilt und in
dem genannten Jahr wirklich hingerichtet 3).
Auch in Savoyen ſah man fich veranlaßt, zu. Beginn des
16. Sahrhunderts den „Ketzern“ eine größere Beachtung zu ſchenken
als bisher. |
Herzog Franz IL ließ im Jahre 1502 eine Disputation mit
ihnen veranitalten, ver er ſelbſt beiwohnte.
Im Jahre 1517, alfo in demſelben Jahre, wo in Ehurfachien
die religiöfe Bewegung begann, bielt ver Erzbiſchof von Zurin, der
Cardinal Claudius Sehffel, das Waldenfertbum für fo gefährlich,
1) Herzog a. O. ©. 277ff. — Die Protocolle find ungemein wichtig für
die Kenntniß des Zuftands der Waldenfer vor der Reformation und verdienten
eine beiondere Veröffentlichung.
2) D’Argentre Coll. judic. I, 105: In alio processu quispiam e secta Wal-
densium interrogatus, quot Barbae in istis regionibus Delphinatus et Sabau-
diae essent, respondit, eos omnino esse quadringentos, hoc est 400 pastores.
3) D’Argentre Coll. jud. I, 547.
300
daß er fich entſchloß, perſönlich in einen literarifchen Kampf mit
ihnen einzutreten. Er fchrieb ein Buch, welchem er den Titel gab:
„Disputatio adversus errores et sectam Waldensium“ 1).
‚ Indefien gelang es diefen Bemühungen jo wenig wie allen
früheren, die Partei von ihren Ideen abzubringen.
Die erften Schritte zu einer erneuten Ausbreitung waren bes
reits vor dem Ausbruch der lutherifchen Bewegung dadurch geſchehen,
dag die Bebrängniffe ver letzten Jahrzehnte zahlreiche franzöfifche
und italifche Brüder zur Auswanderung in die Schweiz und deren
Nachbarländer bewogen batten.
Sie brachten ihre Schriften mit an die Orte, wohin fie kamen
— daber rühren unzweifelhaft die Sammlungen romaniſcher Wal-
denfer-Literatur, welche fich in Genf und Zürich bis heute erhalten
haben — und lateiniſche Neberjegungen ermöglichten auch Denjenigen
das Studium, welche der romaniſchen Sprache nicht mächtig waren.
Es verfteht fich, daß die Thätigkeit der Flüchtlinge nicht ſofort
in größeren religiöfen Bewegungen fichtbar wurde. Aber ein Same
ward ausgeftreut und gepflanzt, der, fobald die Zeitläufte fich
günftig geftalteten, der Aktion den Boden bereitete.
Bei dem erwähnten innigen Zuſammenhange ver „Brüderge⸗
meinden‘ der verfchievdenen Länder mußte e8 auch für Deutſchland
ins Gewicht fallen, daß die „Belannten” in England in ben
erjten beiden Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts und vor Luthers
Auftreten neu erwachten und erjtarkten und nach dem Zeugniß
G. Lechlers felbit die Perfonen höherer Stände geiftesmächtig von
der Bewegung erfaßt wurden ?). \
Techler belegt feine Behauptung mit einer Reihe urkundlich be
glaubigter Thatſachen, deren Einzelheiten man dort nachleſen mag.
| „Bemerkenswerth“, fagt LXechler, „find mehrere Züge, welche aus
diefen und andern damit zufammenhängenden Verhören bervor-
1) Ein Auszug bei D’Argentre a. ©. 1,105f. Ich Habe mich in einer großen
Anzahl Bibliotheken vergeblich bemüht, das Wert felbft zu erhalten. Für bie de
nrtbeilung des Belenntnißftandes der Waldenſer im Jahre 1517 ift baffelbe von
erheblicher Bebeutung.
2) Lechler Joh. v. Wichf und bie Vorgeſchichte der Reformation 1873 Bd. I,
©. 454 ff.
301
leuchten. Einmal der geichloffene Verein, die innige brüderliche Ge⸗
meinſchaft zwifchen jenen Leuten, welche Durch die gemeinfame Liebe
zu Gottes Wort, aus dem fie fich erbauten, verbunden waren. Sie
nennen fich “Brüder in Chrifto’, beißen ihren Verein die Bruder⸗
Schaft’, bezeichnen fich auch als die Erkannten'“.
Wenn man zweifelt, ob dieſes Erwachen des altevangelifchen
Geiftes in England auf die deutſchen Verhältniffe von Einfluß
‚babe fein Tönnen, jo will ich bemerken, daß um jene Zeit einzelne
teformfreundliche Engländer fich eine angefehene Stellung im Reiche
verſchafft Batten. |
Ich rechne dahin den Engländer Richard Erocus, den
intimen Freund und Gefinnungsgenofjen des Ulrich von Hutten
und des Grafen Hermann von Neuenahr.
Crocus war feit 1515 Profeſſor der griechifchen und Iateinifchen
Sprache zu Leipzig, und er hat in diefer- Stellung nicht nur in
ſprachlicher Hinficht auf Die deutſche Jugend eingewirkt.
Wir fehen aus Huttens Briefen, daß Erocus an den reli-
giöfen Tragen ben lebbafteften Antheil nahm. Auch Joachim Came-
rarius und andere deutſche Sünglinge verehrten den Crocus.
Derielde kam im Jahre 1517 nad Bafel, und hier traf er
an dem uralten Sike der „Brüder“ eine Reihe von Freunden,
welche in der nachmaligen großen Geiftesbewegung eine hervor⸗
tragende Rolle gefpielt Haben, unter Anderen den Wolfgang Ca»
pito und Hans Dend — ein Umitand, auf welchen wir fpäter
zurüdfommen werben.
Als die „Pickarden“ — wie man die Begharden oder „Brüder“
in Böhmen nannte — um das Jahr 1512 eine Gejandtfchaft in
die Niederlande fandten, um mit Erasmus Beziehungen ans
zufnüpfen, wußten fie wohl, daß auch in dieſen Gegenden noch Nefte
der „Brüdergemeinden‘ vorhanden waren.
Die Ideen der älteren niederländifchen „Begharben” waren
gerade hier in einer neuen Geftalt zu Bedeutung gelangt, nämlich
in jenen „Brüdern“, welche man „Brüder des gemeinfamen
Lebens" nannte,
Erasmus felbft Hatte feine Schulbildung in einer „Begharden⸗
302
Schule" — denn jo nannte das Voll in den Niederlanden bie
Schulen der „Sraterheren‘‘, welche von Gerhard Groot berftammten')
— erhalten.
Es war freilich nicht nur das Volk, welches von „Begharden“
ſprach, wenn von den Braterheren die Rebe war. Vielmehr er-
fannten auch einzelne Inquifitoren die Verwandtſchaft an, indem
fie die gefeglichen Beftimmungen, welche früher gegen bie Teßerifchen
„Begharden“ erlaffen waren, auf die „Brüder“ zur Anwendung
brachten und ihre Schulen einfach ſchloſſen). Ja, ein amtliches
Gutachten der Juriſten⸗Facultät zu Köln vom Jahre 1398 3), welches
in einer Streitfache mit den Inquifitoren ergangen war, gebraucht
anftatt des Ausdruckes „Fratres vitae communis“ immer die De-
zeichnung „Beghardi“, und der Inquisitor Belgieus fpricht in
einem Promemoria einfach von ber „Secta Gerardinorum“ 9).
Das Kölnische Gutachten fiel nicht gegen die „Brüder“ aus; aber
das Promemoria des Ingquifitors behauptet, daß Die Anwendung ber
Kegerparagraphen auf die „Brüder“ feitens der Kölner nur aus
mangelnder Kenntniß der wahren Tendenzen der „Sekte unter-
blieben ſei.
Schon Gerhard Groot felbft Hatte ſich und Die Seinigen gegen
- ben Vorwurf vertheidigen müffen, daß feine Lehre ketzeriſch jei?),
und der Dominikaner Matthäus Grabow Tonnte e8 in einer eigens
zu biefem Zwecke verfaßten Schrift wagen, die Fraterherrn öffentlich
deſſelben Verbrechens anzuflagen.
Im Iahre 1504 ftellt der Auguftiner-Eremit Joh. Schiphower
ben Gerhard root als denjenigen bin, welcher den Primat unter
den Teterifchen Lollharden führe,
In der rechtgläubigen Literatur jener Tage wurden die „Beg-
hardi“ und „Gerardini‘ als gleiche &emeinfchaften bezeichnet.
1) Vulgus eis... illud multiplicis potestatis Beghardorum et Lolhardo-
rum nomen imponebat, quia non secus atque Beghardi sine votis vitae el
victus societatem colebant, vestimentis insolitis utebantur et pietatem tam ver-
bis quam exemplis vulgari majorem profitebantur. Mosheim De Beghardis©.432.
2) Mosheim a. O. ©. 432.
3) Abgedruckt bei Mosheim S. 433. 4) Mosheim a. O. ©. 483.
5) Buſch Chron. Windesh. lib. I. c. 3 nad Giefeler KG. II, 3 ©. 231
Anm. 20.
303
Indeſſen darf gleichwohl nicht überjehen werden, daß, wenig.
ſtens der Form nach, zwifchen den älteren „Brüdern — denn
diefe find unter „Beghardi“ zu verftehen — und den Fraterherrn
ein Unterfchied vorhanden war.
Wie fteht e8 num mit der Ausbreitung der „Gemeinden“ in
Dentichland während unferer Periode?
Wenn man erwägt, dag ein Buch von fo ausgeprägt walden-
ſiſchem Charakter wie jener Katechismus in acht Jahren zehn Auf-
lagen bei uns erleben konnte, fo darf man daraus den Rückſchluß
machen, daß das deutſche Waldenferthum auch um den Beginn ver
Reformation noch eine ftarke Vertretung im Reiche befelfen bat.
In der That laſſen ſich in den Jahren 1460 bis 1520 eine
Reihe von Gemeinden biftorifch nachweifen, und es tft mit Sicher-
beit vorauszufagen, daß bei fortjchreitender Forſchung fich noch
weitere Spuren finden werben.
Im Jahre 1461 Hören wir von einer blutigen Verfolgung der
„Brüder“ im Bisthum Eichſtädt, wo fehon im Sahre 1447
über deren Verbreitung Klage geführt worden wart).
Biſchof Johann III. von Eichſtädt überfandte die Prozeßakten
an diejenigen feiner Amtsbrüber, welche von denſelben zum Zweck
der Inguifition Gebrauch machen Tonnten. So erhielt fie auch
Biſchof Arnold von Basel, in deffen Didcefe demnach die Eichftädter
Kleber Verbindungen befeffen haben.
Um 1470 fol eine große Anzahl von „Ketzern“ in der Nähe
von Windsheim in Franken zur Strafe gezogen worben fein. Um
das Jahr 1475 fchreibt Matthias von Kemnat: „Der Ver—⸗
fehrer und Winkelprebiger find faft viel vor dem Böhmermwalde,
befonders um Eger und im Vogtland”. „Aber was unmäßlicher
großer Bosheit, Schalfheit, Büberei die Begharden und Lollar—
den treiben und die Winkelprebiger vor dem Böhmer Walde”, heißt
e8 an einer andern Stelle, „will ich zu diefem Mal nicht von
jchreiben, denn e8 bebürfte mehr Schreiben, denn eine Biblia inhalt 2).
Derjelbe Matthias von Kemmat beftätigte die gleiche Thatſache
in Bezug auf Schwaben und bie fübmweitlichen Reichsgebiete. Er
1) 8. Haupt a. O. ©. 4. 2) H. Haupt a. DO. ©, 48.
304
erzählt: . „Deßgleichen zu Ulm und voraus in dem Schwarzwald
und Würtembergifchen Lande find über Die Maßen viel Lollar
ven, Begharden und Beghinen, von denen man viel Uebles Tagt
mit Unteufchheit und anderer Buberei zu vollbringen‘ N).
Sn der Mart Brandenburg braden um das Yahr 1480
fchwere Verfolgungen wider die „Brüder“ aus. „Diele, heißt es
in der Chronik, „find Damals in der Mark getödtet worden mit
Schwert, Waffer und Feuer”. Da fehrieben fie an die Brüder in
Böhmen — der Brief ift noch erhalten) — und Hagten ihr Leib
und erzählten, daß fie in die Wälder Hätten flüchten müſſen, wo
ste noch feien. Darauf ſchickten die „Chriften” in Böhmen eine
Gefandtfehaft in Die Mark und die Geretteten wanderten aus und
famen nach Böhmen, wo fie ſich meiſt in Landskron und Fulnek
niederliegen ). Es ift fein Zweifel, daß die Mehrzahl der Gemein
den jener Jahre fich in die Gebirge, welche im Often und Süden
das Reich begrenzten, zurückgezogen hatten. Aus den verfteckten Thä⸗
lern aber, in welchen fie unter dem Schleier des größten Geheim⸗
niſſes eriftirten, ift natürlich Teine Kunde in die Alten gedrungen,
aus welchen wir heute unfere Geſchichtskenntniß ſchöpfen. Aus diefem
Mangel an Nachrichten auf die Nichteriftenz zu Schließen ift indeſſen
gänzlich unerlaubt.
Abgelegene Mühlen, Weiler, Höfe wurden bie gewöhnlichen
‚Site der „Brüder“, und im Heinften Sreife fammelten fie fich, wenn
fie ihren Gottesdienſt hielten, um jedes Auffehen zu vermeiden.
Dies find die Verfammlungen, welde in Tritheims Spon-
heimer Chronit zum Sabre 1501 befchrieben werben 2). „Sie kom⸗
men zuſammen“, fagt Tritheim, „in Gruben und verborgenen
Höhlen zur Nachtzeit; Hier treiben fie wie Beftien ſchaͤndliche Un-
zucht u. ſ. w. Diefes niederträchtige Gefchlecht wächlt und mehrt
fih täglich auf eine wunderbare Weile”. In Böhmen ſei ihre Zahl
im Jahre 1501 größer als 19,000 gefunden worden, darunter ſehr
viele nom Adel und den Mächtigen des Landes, von welchen einer,
Namens Chriftopb, 40,000 Goldgulden für feine armen Genoffen
1) Haupt a. O. S. 10. 2) Abgedruckt bei Goll a. O. ©. 121. Anm. 18.
3) Näheres bei Goll a. DO. ©. 122f.
4) Vgl, D’Argentre Coll. judie, I, 342,
305
in der Sekte hergegeben babe. Diefe Menfchen, fährt der fromme
Abt fort, welche keinen Gott und fein Herz Haben und voll bes
Satans find, behaupten von fich, Daß fie das veben der apoftolifchen
Gemeinden nachahmten.
Aus dem Jahre 1515 erfahren wir aus einem Gerichtshuch
von Münchberg in Oberfranken, dag ein Bauer von Markersreuth
feinen Nachbar einen „heimlichen Ketzer“ genannt hattet). Im Jahre
1517 bat Willibald Pirkheimer eine Notiz aufgezeichnet, in welcher
er ausbrüdlich darauf hinweiſt, daß den DVerfolgungen zum Troß
die böhmischen Irrlehren fortwährend neue Anhänger gewännen.
Es kann ebenfowenig zweifelhaft fein, daß er damit auf die erfolg-
reihe Propaganda der „Brüder“ hinweiſt, als daß Die Notiz fich
auf Beobachtungen ftütt, die Pirkheimer in feiner fränkiſchen Heimath
gemacht Hatte.
Im Jahre 1504 tönt ung aus der Nähe Baſels eine ähnliche
Klage entgegen. In diefem Jahr ſchrieb Jacob Wimpheling, damals
in Schlettſtadt, einen Brief an den Erzbiſchof Jacob von Mainz,
in welchem er Vorſchläge macht, um eine Reform des Clerus her⸗
beizuführen. Als einen ſeiner Gründe führt er den Umſtand an,
daß man auf dieſem Wege „das böhmiſche Gift von Deutſch⸗
land abhalten” werde).
Es ift uns zufällig überliefert, was man in Wimphelings da-
maliger Heimath unter dem Ausdruck der böhmischen oder huſſiti⸗
fchen Ketzerei verſtand. Im Jahre 1525 nämlich, als die Stadt
Waldshut unter Führung des „Wiedertäufers“ Balthbafar Hub-
meter die Tirchliche Neform begonnen hatte, erließen bie Städte
Freiburg und Breiſach ein Schreiben an Waldshut und forderten
fie auf, „von der kegerifhen und huſſiſchen Lehre abzuftehen‘ 3).
1) H. Haupt a. O. ©, 49,
2) Hagen Deutichlands lit. u. rel. Verhältniffe im Zeitalter der Reform.
Sranff. 1868 I, 358,
3) Schreiber Taſchenbuch für Süddeutſchland 1839 S. 84. Die Stelle,
welche aus der „Berantwortung der Stadt Waldshut an alle chriftgläubigen
Menfchen ‘ entnommen ift, lautet: „Zum vierten werben wir fezerifch und
hufſſiſch gefcholten; alsdenn unfere Herrn und Nachbarn die zwei Stäbte Frei-
burg und.Breifach im Breisgau uns jüngft zugefchrieben: wir follen der ketzeri⸗
ſchen und huſſiſchen Lehre abſtehen“.
Keller, Die Reformation. 20
306
Es erhellt Daraus deutlich, daß die Lehre, welche damals xar”
&doynv als „Böhmische Ketzerei“ betrachtet ward, Diejenige der
böhmifchen Brüder war, welcher Hubmeier, wie fich zeigen wird,
außerordentlich nahe ftand.
Wenn man fich dies gegenwärtig hält, fo tritt eine intereffante
Aeußerung Wolfgang Sapitos aus dem Jahre 1524 in ein neues Nicht.
In der „Antwort auf Bruder Conrads Auguftiner-Provinzials
Vermahnung” fpricht Capito von den böhmifchen Märtyrern und
fährt dann fort: „Nach ihrem feligen Tod ift die ganze Markgraf⸗
ſchaft Mähren mit vielen mächtigen Städten dem Wort, das durch
fie gepredigt, angehangen. Der Same iſt noch in England!)...
In deutfher Nation bei alten Laien ift er allweg ge-
wefen und geblieben, wie ich manchen in meinen kindbaren
Fahren reden gehört habe, daß ich mich jet verwundere; dazumal
verftand ich8 noch nicht, wohin es reicht" 2).
Der böhmiſche „Same”, welcher nach Capitos Zeugniß in
Deutjchland bei alten Laien ſtets gewefen und geblieben ift, bezeichnet
nicht8 anderes ald die Ideen ber böhmifchen Brübdergemeinden, und
wenn Capito verfichert, dag er in feinen Kinderjahren — er war
im Jahre 1472 geboren — in dieſem Sinne habe reden Hören, fo
bezieht fich dies natürlich auf feine Heimath Hagenau, wo Capitos
Bater das ehrbare Schmiedehandwerk geübt hat.
Zu Hagenau aber ift im 15. Iahrhundert, wie oben bemerkt,
eine Waldenjergemeinde vorhanden geweſen. Diefelbe erfcheint in
den Alten unter der Bezeichnung einer „Schule” over „Ketzer⸗
Schule‘ >).
Bon noch größerer Erheblichkeit als die Kenntniß der Ausbrei⸗
tung des vorreformatorischen Waldenfertbums ift für unfere Zwecke
der Einblid in das innere Leben der Gemeinden, wie es ſich um
diefe Zeit geftaltet Hatte.
1): Auf den Aufſchwung der Brübergemeinden in England feit dem Beginn
bes 16. Jahrhunderts und auf die perfänlichen Beziehungen Capitos zu engliſchen
Brüdern haben wir oben bingewiefen.
2) Die „Antwort“ erichien zu Straßburg bei W. Köpfel 1524. Die Stelle
findet fh 81. H. 1. Bol Röhrich Ztſchr. f. Hift. Theol. 1840 I, 151.
3) Röhrig Ztſchr. f. hiſt. Theol. 1840 I, 151.
307
Es trifft fich glücklich, dag wir für die Beurtheilung Diefer
Trage eine vorzügliche urkundliche Grundlage befiten — nämlich
den oben befprochenen Katechismus,
Das Fragebuch in feiner provengalifchen Form berubt in feinen
Haupttheilen unzweifelhaft auf uralten Traditionen; aber Die Zeit,
in welcher es feine heutige Geftalt erhalten hat, wird kaum höher
als Die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts anzufegen fein‘).
Daſſelbe enthält in feiner ältejten Geftalt, die wir hier billig
zu Grunde legen, ſowohl nach Form wie nach Inhalt ein ausge-
zeichnete8 Denkmal der Brüdergemeinden. Ein wohldurchdachtes
religiöfes Syſtem wird in dem Tleinen Buche Kar, einfach und con-
fequent auseinandergelegt.
Hier können nur einzelne Andeutungen daraus ihren gi
finden,
Nachdem im Eingang die Beftimmung des Menfchen dahin
präciſirt iſt, daß es Gottes Wille ſei, denſelben zur Seligkeit zu
führen, und daß wir dazu durch ſeine Mitwirkung und Hülfe
(„Gnade'“9 gelangen ſollen, werden die Mittel angegeben, wodurch
Gottes Wille erreicht wird, nämlich durch Die drei Haupttugenden:
den Glauben, die Liebe und die Hoffnung.
Damit find zugleich die drei Önupttheile bezeichnet, in welche
das Fragebuch feinen Stoff zerlegt.
Wie kommt man zu den Haupttugenden? Antwort: durch bie
Gaben des h. Geiftes; dieſer Gaben aber giebt e8 fieben: Weis-
heit, Verftand, Rath, Muth, Erkenntniß, Trömmig-
feit und Gottesfurcht?.
Nachdem der Glaube an Gott, Ehriftus und ben’h. Geift er-
Örtert ift, wird das Verhältniß derfelben zu einander dargelegt und
alsdann die Bethätigung des Glaubens im Gottesdienſte aus—
einandergeſetzt.
Wie es einen lebendigen und todten Glauben giebt, ſo giebt
es eine innere und eine äußere Bethätigung; in beiden ruht der
1) Nach v. Zezſchwitz a. DO. S. 4 u. 87 ff. dürfte der Katechismus etwa um
1498 verfaßt ſein.
2) Die ſieben Gaben des h. Geiſtes haben für die Waldenſer eine ganz be⸗
fondere Bedeutung; f. Darüber Zezſchwitz a. a. O. Cap. I, ferner Cap. II ©. 100.
20*
308
wahre Gottesdienſt. Den inneren Gottesvienft bethätigt man Durch
gleiden Willen mit Gott oder Durch kindliche Liebe; den äußeren
durch Gebete, Kniebeugen, LXobliever u. f. w.
Das Gebet aber, das wir beten follen, ift Das, welches Gott
durch feinen Sohn uns überliefert hat: Vater unfer, der du bift
im Himmel u. ſ. w.
Das zweite Hauptſtück handelt von der Liebe, und bier findet
ſich gleich zu Eingang jene tieffinnige und wichtige Begriffsheftim-
mung der Liebe, welche diefelbe in den Willen legt und fie als
Einheit des menſchlichen und des göttlichen Willens bezeichnet.
Treffend wird auf das Wort verwiefen: „Gott ift die Liebe, und
wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm“
(1 30h. 4, 16). „Gott ift der Liebesgrund”, ſagt das Fragebuch
wörtlich, „mit welchem vereinigt zu fein das ewige Leben iſt“ 1),
Wie man den lebendigen Glauben erkennt an der Erfüllung
der Gebote Gottes und Chrifti, fo die rechte Liebe in der rechten
Willensgemeinfchaft ver Menfchen und deren Bethätigung, d. h. in
der Gemeinde oder Kirche. Denn das Kennzeichen der rechten
Gemeinde Chriftt ift nicht das bloße gemeinfame Belenntniß des
Glaubens, fondern vor Allem bie gemeinfame Liebe zu Gott und
zu einander.
Deßhalb handelt das zweite Hauptſtück beſonders von der rechten
Gemeinfchaft und von der faljchen Gemeinfchaft, d. h. von der rechten
Kirche Ehrifti und von der falfchen Kirche Chrifti.
Da wird nun zunächft derjenige Glaube zurückgewieſen, welcher
in der Kirche ein Gnadenmittel erfennt. Glaubſt Du an die heilige
Kirche? Antwort: Nein, denn fie ift eine Creatur, aber ich glaube
von ihr, d. h. ich behaupte von ihr, daß fie zweierlei Art fer und
zwar ihrem Weſen und ihrer Erfcheinungsform nach.
1) Die Stelle 1 305.4, 16 hat eine ganz beſondere Bebentung für die Wal
denfer. Dan bat ihnen, zumal von Iutberifcher Seite, den Vorwurf gemacht,
ba an bie Stelle des Chriſtus für uns bei ihnen der Chriſtus in und
trete (ſ. Herzog db. rom. Wald. ©. 190). In der That wird bei ihnen bie Ein-
wohnung Ehrifti und die Einwohnung der guten Menfchen in Chriſto ſtets be-
jonder8 betont. Indem wir felbft wiebergeboren werben, meinten fie, wird ber
Geiſt Gottes oder Ehrifti in uns geboren. In dieſem Sinne fagten fie, baf ber
heilige Geift das Leben ber Gläubigen fei.
309
Nachdem der Begriff der kirchlichen Gemeinſchaft näher bes
ftimmt worden ift, geht das Fragebuch zu der Betrachtung der
Gegenſätze zwifchen rechter und falfcher Gemeinschaft über.
Dean erkennt die rechte Kirche an den rechten Dienern und
an der Gemeinde, die in Wahrheit in Glauben, Hoffnung und Liebe
der Dienfte verfelben fich bebient.
Der rechte Diener ift aber derjenige, welcher feine apoftolifche
Miffion durch einen Wandel nach dem Vorbilde der Apoftel beftätigt
und in dem Sinne den Glaube faßt, wie er im erften Hauptſtück
gefennzeichnet ift.
Diefe Begriffe werden noch durch ihre Gegenfäge des näheren
erläutert und bejonders wird gegenüber ber rechten Lehre die faljche
Lehre definirt. „Was Gott allein nach feiner Macht und Chrifto .
nach feinem Verdienſte zugehört, das legen fie (die Balfchgläubigen)
dem Menſchen und dem Werke feiner Hände ober feinen Worten
oder feinem Anſehen bet, fo daß die Menfchen blindlings glauben
meinen, mit Gott verbunden zu fein durch falfche Mittel und durch
babfüchtige Simonie der Prieſter“.
Es heißt Chrifti Abficht bei den Sacramenten verfennen, wenn
bie Priefter fagen, „daß Gnade und Wahrheit allein in die äußeren
Ceremonien eingefchlofien ſeien“.
Wie wird die Gemeinſchaft mit der heiligen Kirche erlangt und
geübt? Antwort: Derjenige hat Gemeinſchaft mit ihr, welcher durch
Glauben, Hoffnung und Liebe und durch Beobachtung der Gebote
und durch Beharren bis ans Ende mit ihr verbunden iſt.
Um auch die Zugehörigkeit zur Kirche nach ihrer äußeren Er⸗
ſcheinungsform zu bethätigen, bedarf es des Gebrauchs der Mittel
des Gemeinſchaftslebens. Dieſe Mittel find: „das evangeliſche Wort“
und die Sacramente, deren Chriftus zwei vorgefchrieben hat.
Wie das erſte Hauptftüd mit dem Vater Unfer, fo ſchließt das
zweite mit den Sacramenten cab.
Der dritte Haupttheil handelt von der Hoffnung und giebt
zunächſt eine Begriffsbeftimmung des Wortes Hoffnung: „fie ift
eine fihere Erwartung der Gnade und der künftigen VBerklä-
rung”. |
Sodann tritt wieder (wie früher der lebendige und der tobte
310
— — — — —
Glaube, die rechte und die falſche Gemeinſchaft) die rechte und die
irrende Hoffnung in klarer Unterſcheidung auseinander !).
Wann darf man mit Recht Hoffen auf die Gnade? Wenn man
Yebendigen Glauben hat und wahre Buße thut. Zur rechten Buße
aber foll uns helfen die rechte Gemeinfchaft und die Diener des
Worts durch ihre Pflichten.
Wie Hofft man recht auf künftige Verklärung? Dur Beharren
im lebendigen Glauben, welcher in der Liebe thätig ift bis an den Tod.
Worauf gründet fich die rechte Hoffnung? Antwort: Gott felbit
bat verjprochen, daß, wenn Jemand ihn erkennt und Buße thut
und Hoffnung bat, jo will er Mitleid haben und Verzeibung üben.
-Und Gottes Sohn, Chriftus, Hat gleichfalls die Seligkeit verfprochen
. in den acht Seligpreifungen?), wenn wir geborfam find feinen
Worten, ihn lieben und ihm nacfolgen.
Aber die irrende Hoffnung bofft auf die Kirche und bie
Priefter und die Heiligen, auf Sacramente, Reliquien und das
„erträumte und erbichtete Segfeuer und lehrt die Hoffnung auf
die Mittel fegen, die der Wahrheit gerade entgegenlaufen. Die
falſche Hoffnung verläßt die Quelle des lebendigen Waſſers, läuft
bin und her zu den erwähnten Cifternen; betet an, ehrt, verehrt
bie Creatur wie den Schöpfer, dient ihr Durch Gebete, Baften, Opfer,
Gaben, durch Darbringungen, Wallfahrten, Anrufungen u. vergl.
und traut fich die Gnade zu erwerben, die feiner geben Tann ale
allein Gott in Chriſto. So arbeiten fie vergeblih, verlieren das
Geld und das Leben.
Worin befteht das ewige Leben? In dem lebendigen und
werfthätigen Glauben und in dem Verharren darin. „Das tft das
ewige Leben“, Tpricht Chriftus (Joh. 17, 3), „daß fie dich den allein
wahren Gott, erfennen und Jeſum Chriftum, den du gefandt Haft".
Und ferner: „Wenn du zum Leben eingehen willft, fo halte die
Gebote”. Und endlich: „Wer beharret bis ans Ende, der wird felig
werden. Amen.
1) Es ift überhaupt für das ganze Fragebuch charakteriftiich, daß überall ber
Gegenſatz der zwei Wege, bes einen, welcher zum Xeben, des anderen, welcher
zum Tode führt, betont wird. Man vgl. oben S. 202.
2) Hier findet fi) abermals die Hinweifung auf die VBergprebigt.
311
Wenn uns bloß dies Sragebuch vorläge, fo würde das Urtheil
über den Zuftand, in welchem das religidfe Leben der Gemeinden
um das Jahr 1500 ſich befand, ſich durchaus nicht ungünftig zu
geftalten haben.
Indeſſen repräfentirt der Inhalt des Katechismus doch nur
einen Theil der gejammten Ideenwelt, die man mit dem Begriff
„Waldenſerthum“ zufammenfaßt; das ganze Gebäude kirchlicher
BVorftellungen, welche für jeve Gemeinfchaft von größter Wichtigkeit
find, wird darin kaum geftreift.
Und wenn man nun auf diefe und andere Buntte jein Augen-
merf richtet, fo läßt fich doch nicht leugnen, daß die „Gemeinden“
die Spuren ber Berkümmerung in vielen Richtungen an ſich
trageni.
Es iſt wahr: fie hatten den bedrohten Glaubensſchatz der
Väter in den wichtigjten Punkten treu bewahrt und Durch vie
Sahrhunderte unter unfäglichem Leid fortgepflanzt. Aber das fort
währende Unglüd hatte die freie Entfaltung der guten Keime ver-
hindert; in die vereinfamten Gebirgsthäler, wo fie als fleifige und
ftilfe Leute wohnten, drang fein frifcher Luftzug der fortfchreitenden
Zeit, und fein Lichtftrahl einer aufitrebenden Wiſſenſchaft erhellte
das Dunkel, das bier herrſchte. Es war ihnen, wie es in folchen
Berhältniffen zu geben pflegt, der rechte Maßſtab für die Dinge ver
wirklichen Welt verloren gegangen, und in ihrem überlieferten
Idealismus hielten fie wie unerfahrene Kinder die Realifirung fo
mancher Borftellung, die in ihrem engen Kreife vielleicht durch⸗
führbar war, auch in der weiten Menfchenwelt für möglich, ja für
nothwendig.
Es trifft vollkommen zu, was ein geiſtvoller Beobachter dieſer
Partei, J. A. Möhler, gelegentlich geäußert hat: „Eine geniale
Kindlichkeit in der Betrachtungsweiſe der Menſchenwelt iſt unver⸗
kennbar bei dieſen Schwärmern 2)". Die nüchtern⸗verſtändige Er-
1) Es ift dies von Seiten der romaniſchen Walvenfer alsbald dadurch um-
ummunben zugeftanden worben, daß fie fi 15 Sahre nach dem Beginne der Re-
formation an Decolampad und Bucer wandten, um bon biefen gute Rathichläge
für die Erneuerung ihrer Einrichtungen zu erhalten. Sie erhielten denn auch
ſolche und befolgten fie.
2) Symbolik. 4. Aufl. 1835. ©. 470.
312
wägung, wie fie im 13. und 14. Jahrhundert zu Tage tritt, war
in der unglüdlichen Situation, in die fie fich gedrängt fahen, mehr
und mehr verloren gegangen.
Am fchlimmften aber war e8, daß in Folge ver ausſchließlich
mündlichen Fortpflanzung der Tradition — denn die Möglichkeit
fchriftlicher Firtrung war durch den äußeren Druck fehr beſchränkt
— in diefer Tradition felbft eine gewiffe Verwirrung eingetreten
war, eine Verwirrung, die ſehr unheilvolle Folgen nach fich ziehen
ſollte.
Wir haben oben geſehen, daß die „Brüder“ in ihrer beſſeren
Zeit auf wiſſenſchaftliche Bildung ſowohl im Allgemeinen, wie ins⸗
beſondere auf diejenige ihrer Geiftlihen großen Werth gelegt hatten.
Dezüglich der romanifch-walpenfifchen Literatur, ſelbſt in der ſpäteren
Periode, hebt von Zezſchwitz mit Recht hervor, daß gelebrte und
begabte Männer unter ihnen gewefen fein müſſen). In einem
berühmten und viel gelefenen waldenfifchen Buche, der Auslegung
des hohen Liedes, werden von den „Barben“ ausprüdlich höhere
Kenntniffe gefordert.
Ganz im Gegenfat bierzu bilvete fich feit vem 15. Jahrhun⸗
dert bei vielen deutfchen und außerbeutfchen Gemeinden die ſonder⸗
bare Borftellung aus, als ob die „brüberliche Gleichheit”, welche
die Väter ftetS verfochten. hatten, in dem Sinne zu verftehen jet,
bag Keiner eine höhere Geiftesbildung empfangen dürfe als ber
Andere. Seitdem durch unglüdliche Zeitverhältniffe vie Majorität
der Brüder auf einem ſehr elementaren Bildungsftandpunft zurüd-
gehalten worden mar, fing man an, aus der Noth eine Tugend
‚zu machen, und man war nicht übel geneigt, bie ganze Welt auf
das Niveau zur Stellen, auf welchem fie jelbft fich größtentheils befanden.
Es war nicht jehwer, auch hierfür Bibelftellen beizubringen, und mit
Hülfe derjelden ward fühn behauptet, daß alle „Schriftgelehrten‘
Phariſäer feien und alle Kunſt überflüfjig wäre. In richtiger Con⸗
jequenz dieſes Satzes wollten fie feine Prediger haben, welche hohe
Schulen befucht hätten; fie verlangten, daß alle Menſchen in gleicher
Weiſe fich durch ein Handwerk ernährten und wollten die „Brüder
lichkeit" durch Aufhebung aller Titel, Stände u. |. w. ins Leben jegen.
1) Die Katechismen der Walbenfer u.f.w. ©. 141.
313
Und in ähnlicher Weife, wie das Princip der Gleichheit in der
Enge des Geſichtskreiſes Diefer vereinfamten Leute die wunderlichſte
Tormen annahm, fo war e8 auch mit der uralten Vorjtellung des
„inneren Worts“.
Auch bier hatte das ältere Waldenjerthum durch eine verftänbige
Umgrenzung bes Begriffs dem Mißbrauche veffelben entgegengewirkt.
Seht, als der regulivende Faktor eines gefunden öffentlichen
Lebens den alten Märtyrer⸗Gemeinden fehlte, fingen unerfahrene
Männer an, die Gedanken der Väter in gänzlich mißverftandener
Weife auszudeuten.
Während noch der „Gottesfreund aus dem Oberlande“ um
das Jahr 1375 zu den vier größten Verfuchungen die inwendigen
und auswendigen Dffenbarungen von „Lichten, Formen, Gejprächen
und Träumen‘ rechnet und fagt, daß, obgleich Gott feinen Freun⸗
den bisweilen in biefer Weife etwas Wahrheit zukommen Yaffe,
ihnen doch nicht leicht zu glauben ſei, fo gaben ſich in unferer
Periode die „Brüder“ ſolchen „Offenbarungen‘ vielfach rüdhalt-
108 bin und legten ihnen einen Werth bei, welcher Die geſahrũichſten
Irrthümer befördern mußte.
Man beachte wohl, daß der „Gottesfreund aus dem Oberland“
ausprüdlich jagt, daß Gott durch die innere Offenbarung bisweilen
„feinen Freunden” etwas Wahrheit zukommen laſſe. Er bes
ſchränkt damit feine Bemerkung ausprüdlich auf diefenigen Männer,
welche zu den „Gottesfreunden“ in waldenfifchem Sinne zählten,
d. 5. auf folche, welche das Apoftelamt befleiveten. Bon ſolcher
Beſchränkung war aber in unferer Epoche nicht mehr die Rebe.
Ueberhaupt haben viele Abweichungen des vorreformatorifchen
Waldenſerthums von ver alten Tradition darin ihren letzten Grund,
daß bie Regeln, welche in alter Zeit für die „Apoftel“ Geltung be
ieffen Hatten, fpäterhin in mißverftänplicher Weiſe als Regeln und
Normen für die ganze Gemeinschaft angefehen wurden.
So baben wir oben gefjehen, daß in alter Zeit nur für die
Apoftel und Biſchöfe die Ehelofigfeit vorgefchrieben war, während
die regelmäßige Geiſtlichkeit heirathen durfte Im Gegenſatz bier-
zu war es bei den romanischen Waldenfern in der vorreformato-
riſchen Epoche Gejeß, dag alle Prediger im Cölibat leben follten.
314
Ferner haben wir oben!) daranf aufmerkſam gemacht, daß
die Bischöfe und Apoftel im Gegenſatz zu den damaligen römifchen
Bischöfen und Prälaten keinerlei weltliche Herrfchaftsrechte ausüben
durften. Die Waldenſer beriefen fich dabei auf Ehrifti Befehl, den
er bei Luc. 22, 25 feinen Apofteln gegeben Hat: „Die Könige der
Völker herrichen und ihre Machthaber laſſen fich gnädige Herren
nennen; ihr aber nicht alſo“ u. f. w.
In alter Zeit hatte man wohl eingefehen, daß Chrijtus mit
biefen Worten nur eine Vorfchrift für die Sendboten feiner Lehre
hatte geben wollen; fpäter aber ward Durch unglüdliche Umftände
diefe Thatfache innerhalb der „Gemeinden verbunfelt und es
bildete fich der Lehrfat aus, daß e8 feinem Mitgliede ber
Brüdergemeinden erlaubt ſei, irgend ein obrigfeitliches Amt zu be-
Heiden. Man verbot mithin den „Brüdern“ nicht nur die Führung
des Schwerte, fondern die Bekleidung jedes öffentlichen Amtes.
Man kann ermefien, daß aus einer folchen verkehrten Theorie fich
die fchweriten Verwidlungen mit den berrfchenden Autoritäten er-
geben mußten.
Trotz diefer und ähnlicher Entjtellungen oder Uebertreibungen
waren doch im Ganzen die Grundprincipien beftehen geblieben;
auch der äußere Zufammenbang mit den alten Gemeinden war
durch die fortdauernde Uebung der Handauflegung und ber Teft-
haltung der apoftolifchen Succeffion erhalten worden. Es war
bet ihnen genau in derſelben Weife wie gleichzeitig im römischen
Katholicismus eine Entartung eingetreten, aber e8 war immer noch
ber alte Stamm, wie er feit mindeſtens dem 12. Jahrhundert nach«
weisbar ijt.
Nur an einer Stelle der weitverzweigten Gemeinfchaft, nämlich
an den böhmifch-deutfchen -Gränzen, wohnten manche Brüder, denen
man bie vechtmäßige Zugehörigkeit zu den alten Chriftengemeinden
billig beftreiten Tann. Denn fo gewiß auch diefe einft „Waldenſer“
gewefen waren, jo Hatten fie doch unter dem Einfluß der böhmi-
ſchen Seftenfreife fich vielfach gerade in grundlegenden Fragen von
den „Brüdern“ getrennt und fich damit, wenn nicht formell, Fo
1) ©. oben ©. 92.
315
doch thatfächlich in einen direkten Gegenſatz zu den alten Genoſſen
geitellt.
Wir haben oben gejeben, daß die „Brüder“ die Berechtigung
ihres Lehrgebäudes ebenfo wie ihren Namen „Chriften‘ auf bie
Stellung gründeten, die fie zu Chrifti eigenen Worten und Befehlen
einnahbmen‘). Es war durchaus der fundamtentaljte Punkt des
ganzen Shitems, daß fie auf Chrifti Lehren ftehen wollten. Dar-
auf berubte ihre Auffaffung vom Eid, von der Kirche, von ber
Erlöfung u. ſ. w.
Im Gegenfat hierzu geſchah es num in den erwähnten Ländern,
daß fih in den „Chriften-Gemeinvden” Männer fanden, die im An⸗
ſchluß an gewiſſe böhmiſche Vorjtellungen das alte Teftament
über das neue ftellten und alle Confequenzen in Bezug auf
die Kirchen -Verfaffung, den Glaubenszwang und den Schwertge-
brauch zogen, die ſich Daraus ergeben.
Wenn die „Gemeinden‘, die Diefe Säge adoptirten, auch einen
gewiſſen Zufammenhang mit den „Brüdern‘ aufrecht zu erhalten
fuchten, fo leuchtet Doch ein, daß bier nicht bloß eine Verftümmelung
oder Vebertreibung einer alten Tradition, fondern eine principielle
Umkehrung derjelben vorlag.
Es war ein Unglüd für Diejenigen, welche „rechte Chriſten“
blieben, daß diefe abgefallenen „Brüder“ zeitweilig e8 wagen konnten,
fi$ als die wahre Gemeinjchaft in den Vordergrund zu ftellen.
Sie haben fich felbft und Anderen dadurch ſchweres Unheil zugezogen.
Alles in Allen genommen war foviel jedenfalls ficher: Die
„Brüdergemeinden” waren in dem Zuftanve, wie fie um das Jahr
1515 exiftirten, nicht befähigt, an einer großen Erneuerung des
religiös-Kirchlichen Lebens wirkfamen Antheil zu nehmen. Sie be-
durften zunächſt einer burchgreifenden Aegeneration ihrer eignen
Berhältniffe, einer Sichtung und Klärung ihrer verjtümmelten
Trabition, ihrer Theologie wie ihrer Firchlichen Verfaſſung. Waren
die Elemente, aus welchen eine folche Wiedergeburt erfolgen Tonnte,
1) S. oben ©. 43 und öfter.
316
vorhanden oder nicht? In den „Gemeinden felbft waren fie that»
jächlich nicht vorhanden; aber neben biefen hatte fich Die große
Literatur aus der Glanzepoche des 14. Jahrhunderts erhalten und
die „Bruderſchaften“ der deutſchen Werkleute hatten als
treue Pfleger diejer Literatur die Erinnerungen aus den Tagen bed
Raifer Ludwig und des Marfilius von Padua feft bewahrt. Wenn
das geiftige Leben, welches einft aus ven verfolgten „Gemeinden“
in die „Bruderſchaften“ fich geflüchtet Hatte, jett als friſches Ele
ment in den Tranten Körper der Brüber-Rirche zurückkehrte, fo
war noch nicht alle Hoffnung auf eine neue, große Zukunft auf
zugeben.
Dierzehntes Capitel.
Die Ernenerung der altevangeliſchen Literatur.
Die deutſchen Bauhütten und Kaifer Marimilian J. — Wolfgang Dend, Meifter
vom Stuhl zu Steyer. — Die „Liebhaber des Handwerks“. — Die beutfchen
Werkleute und die Erfindung der Buchdruckerkunſt. — Die „Formſchneider“
und die Steinmesen. — Die deutjchen Buchdrucker und ihr Antheil an ber
Erneuerung des -deutfchen Geifteslebens im 15. Jahrhundert. — Die Typo—
graphie in Franken, befonders in Nürnberg. — Buchdrucker, Künftler und
Gelehrte. — Johann von Staupig in Nürnberg. — Bajel als vornehmfter
Plag des deutſchen Buchhandels. — Die Bruderfhaft „Zum Himmel“. —
Die Gelehrten und die Buchdruder in Baſel. — Erasmus, Rhenanus, Pel-
Tican, Dend, Decolampad, Capito 1. A. — Die Erneuerung der Bibel und
der Literatur ber „Gottesfreunde“.
Die Gefchichte der deutſchen Bauhütte des 15. Jahrhunderts
iſt noch nicht Gegenſtand einer genaueren Unterſuchung geweſen.
Indeſſen wiſſen wir, daß die alte Verfaſſung in allen weſentlichen
Punkten fortdauerte.
An der Spitze des ganzen Bundes ſtand nach wie vor als
Großmeiſter der Meiſter vom Stuhl der Hütte zu Straßburg; ihm
zunächſt ſtanden die Vorſteher der vier Haupthütten Straßburg,
Bern, Wien und Köln, und unter dieſe waren die einzelnen Hütten
des Reiches vertheilt.
Die Hütte Hatte das Glück, in Kaiſer Maximilian J. einen
mächtigen Proteltor zu finden. Es ift ja befannt genug, daß ber
Kaifer ven Bauleuten ftetS befondere Sympathien zugewendet bat;
der Text des Theuerdank lehrt aber auch, dag jener in den Hütten»
bräuchen wohl bewandert war!). Da diefe Bräuche Zunftgeheimniß
1) Das Nähere bei Rziha, Mittheil. ver K. K. Centralcommiffion 1881 ©. 35.
318
waren, jo iſt e8 höchſt wahrfcheinlich, daß Kaifer Maximilian ebenio
wie einft Herzog Rudolph von Deftreih der Bauhütte als Aggre-
girter angehörte. Die Tradition der deutſchen Bauhütte fteht hier,
mit in vollem Einklang, da fie feit alten Zeiten den Raifer zu den
fürftlihen Mitgliedern des Hüttenbundes zählt.
Albrecht Dürer bat ihn in den Pforten der Ehre unter den
Bauleuten als Anordner verewigt. !
Maximilian ift der erfte und lebte deutſche Kaifer geweien,
welcher durch alferhöchite Beſtätigung die Conftitutionen der Hütte
ſanctionirt hat. Nachdem bie ſämmtlichen capitelberechtigten Meifter
auf zwei großen Capiteleverfammlungen zu Bafel (1497) und zu
Straßburg (1498) die Conftitution von 1459 einer Revifion unter
zogen hatten, hat Raifer Max die repidirte Orbnung am 3. Oct.
1498 mit feiner kaiſerlichen Sanction verfehen.
Unter den Meiftern vom Stuhl, welche aus jener Zeit uns
befannt find, verdient in mehr als einer Beziehung der Erbauer
der Stadtlirche zu Steyer in Oberöftreich, ſowie der Kirche zu Lid»
tenfel8 in Bayern, Wolfgang Dend, befondere Erwähnung).
Wolfgang Dend ift laut der erhaltenen Grabjchrift im Jahre
1513 geftorben. Er führte als Zeichen feiner Würde einen Ham-
mer im Wappen, während der Großmeifter des ganzen Bundes
‚ deren zwei führt. Es geht daraus hervor, daß Dend, welcher auch
als Meijter in Wien genannt wird, einer Haupthütte vorjtand und
es ijt fein Zweifel, daß es der öftreichifche Hüttengau war, dem er
präfidirte,
Dend (oder Ten) feheint ein zu feiner Zeit vielgefuchter Bau-
meister gewefen, zu fein. Außer an den genannten Bauwerken findet
fich fein Meifterzeichen an der Stadtmauer zu Nürnberg und an
der Pfarrfirche zu Purchholdsdorf bei Wien?). Aus Anton Tuchers
Daumeifterbuh willen wir, daß die Stadt Nürnberg faft aus
ſchließlich Einheimische bei ihren Bauten befchäftigte und da dieſe
1) Sein Grabdentmal befindet ſich in der Stadtkirche zu Steyer und ift re=
produeirt in den Mittheilungen ver 8. 8, Centraleommiffion Wien 1872 (XVII. Bb.).
2) Ich verdanke diefe Mittheilungen ver Güte des Herrn Prof. F. v. Riha
in Wien, durch deſſen vortreffliche Arbeiten über die Bauhütten ich zuerft auf
Dend aufmerlfam wurde. u
319
Angabe ungefähr aus verfelden Zeit jtammt, wo W. Dend in
Nürnberg thätig war, fo tft es ſehr wahricheinlih, daß Dencks
Familie eine Zeit lang in Nürnberg beimifch gewejen iſt. Alsdann
bat W. Dend in Baiern und zulegt, wie bemerkt, in Deftreich feine
Lebenszeit zugebracht, Welches Anſehen er genofjen Hat, zeigt richt
nur die Wahl zum Meifter vom Stuhl, fondern auch das Funft-
volle Grabdenkmal, welches man ihm errichtet hat.
In den „Bruderſchaften“ der deutfchen Werkleute, zumal in
der „Bauhütte“ und den mit ihr verwandten Corporationen nimmt
im Laufe des 15. Jahrhunderts die fchon früher beobachtete Zur-
nahme der fogenannten „Liebhaber des Handwerks” immer größere
Verhältniſſe an.
So beitand zu Brügge um das Jahr 1454 und fpäter eine
„Bruderſchaft“, welche unter dem Schu St. Johannes’ des Evan⸗
geliften ihre Situngen hielt. Es befanden fich darin vornehmlich
Bildſchnitzer, Maler (Sluminatoren), Bildermacher (Steinmegen),
Tormenfchneiver und andere Handwerker. Aber zugleich waren
Schulmeifter, Schreiber, Buchhändler und Briefbpruder
Mitglieder der Bruderfchaft N).
In ganz ähnlicher Weife begegnen uns um die Wende des
15. Jahrhunderts und fpäter zu Baſel, Straßburg und Schlett—
ſta dt „Bruderſchaften“, von welchen ausdrücklich überliefert iſt,
daß fie nach Art der Zunftverfaſſung organiſirt waren)). Aber
bier, an biefen Hauptſitzen deutſcher Gelehrfamteit, überwogen in
den „Societäten” die Gelehrten, die Schulmeifter, Schreiber u. f. w.
derart, daß die „Bruderſchaft“ faft Das Anfehen einer Humaniften-
Geſellſchaft erhielt, und die Werkleute einigermaßen in ben Hinter-
grund gedrängt wurden.
Es war eine Fügung weltgejchichtlicher Art, daß gerade die
Bruderfchaften deutſcher Werkleute e8 waren, von welchen bie
Buchdruckerkunſt ihren Ausgang genommen bat.
Die Erfindung der Schriftvervielfältigung mit gegoffenen Typen
(Typographie) vollzog ſich im Anfchluß an Die bereits früher vor-
1) 8. Lord Handbuch der Geſch. der Buchbruderkunft Lpz. 1882 ©, 19.
2) Röhrich Mittheilungen zur Geſch. der evangel. Kirche im Elſaß I, 97.
320
handene Xylographie, d. h. an bie Kunft des Briefdrucks oder
Tafeldrucks.
Dieſe Tafeldrucker gehörten urſprünglich durchweg den Kreiſen
der Bildſchnitzer an, welch' Letztere vielfach aus dem Stein—
metz⸗Handwerk hervorgingen 1).
Als nun ſeit 1455 die Gutenberg'ſche Erfindung ſich über
Deutſchland zu verbreiten begann, da waren es zunächſt die „Form⸗
ſchneider“, welche in den Beſitz der Kunſt gelangten, und eine
Zeit Yang blieb das Verfahren vorwiegend Eigenthbum der SKreife,
in welchen es erwachjen war 2).
Urfachen und Berhältniffe, deren Erörterung an dieſer Stelle
nicht angänglich ift, brachten es mit fich, Daß die erjten großen
„Officinen“ fih gleichſam als Tochter-Bruderfchaften ver be-
jtehenden Hütten-Bruderfchaften conftituirten, und e8 war natürlich,
daß jene ſich durchaus in den Ideenkreiſen der Letteren bewegten?).
Das Machtmittel, welches durch diefe weltbewegende Erfindung
eine Zeit hindurch vorwiegend in den Händen ver „Hüttenbrüder“
und ihrer Freunde Yag, kann in feiner Bedeutung nicht Hoch genug
angejchlagen werben. Indem die „Preſſe“ ven Ideen der „Brüder“
in erſter Linie dienftbar wurde, war die Heine Corporation plötzlich
zu einem ausjchlaggebenden Factor herangewachfen. Die deutſchen
1) Sp war ein gewifier Hans Schwark noch um 1500 zugleih Steinme
und Bildſchnitzer. Woltmann, Holbein I, 71.
2) Dazu gehörten allerdings auch die Zunftmitgliever im weiteren Sinn;
jo war ein Bafeler Druder, Leonbart Eifenbut, im Jahre 1458 noch Maler,
dagegen im Jahre 1485 Typograph zu Bafel. Der Buchdrucker Cennini zu Florenz
war früher Goldfchmieb geweſen. Peter Schöffer der ältere, der Nachfolger Gu⸗
tenbergs, fol fih vor feinem Eintritt in die Gutenbergſche Offiein als Illumi⸗
nator durch feine techniſchen Fertigkeiten einen Ruf erworben haben. — Ich ver⸗
ftehe unter dem Ausbrud „Formſchneider“ auch die Metallſchneider (Ehalko-
graphen), welde für die Typographie die wichtigften Techniker wurden. Sie
gingen fehr vielfach aus den Kreifen ber Goldſchmiede hervor.
3) E8 wäre eine Aufgabe von höchſtem Belang für bie Geſchichte der Bud-
druderfunft wie für die allgemeine Gejchichte, das BVerhältniß der Officinen zu
den „Bruderſchaften“ einmal zum Gegenftand einer befonberen Abhandlung zu
maden. Darin würde ber Schlüffel für eine Reihe bisher unerflärter Erſchei⸗
nungen zu finden fein. Der Gang, ben die Typographie genommen hat, ift nur
zu verftehen, wenn man ihren Zuſammenhang mit den „Hütten und beren
Hauptfigen, ihren vornehmften Freunden und „Liebhabern‘ zugleich berüdichtigt.
321
Buchdrucker und Buchhändler find es gewefen, welche
die große Literatur der altevangelifden Gemeinden
zuerft wieder zu Ehren gebracht haben, und an der Er-
neuerung bes deutſchen Geifteslebens gebührt ihnen ein berbor-
ragender, noch längft nicht genügend gewürbigter Antheil.
Kein deutſches Land hat die Erfindung frühzeitiger und voll
ftändiger ausgenutzt als Franken.
Man kann doch nicht ſagen, daß Bamberg zu jener Zeit ein
Mittelpunkt deutſcher Cultur geweſen ſei. Gleichwohl nimmt gerade
dieſe Stadt in der früheſten Geſchichte der Buchdruckerkunſt nach
Mainz die erſte Stelle ein!). Hier wirkte Albrecht Pfiſter (geb. 1420,
geſt. um 1470), welcher von Vielen für einen jelbjtändigen Erfinder
der Typographie gehalten wird). Er war es, welcher die erfte
deutſche Bibel (eine fogenannte Armenbibel) druckte. Bamberg war
es, welches durch den berühmten Druder Joh. Senjenfhmidt,
welcher früher gemeinjam mit einem Gehülfen &utenbergs, Heinrich
Kefer, gearbeitet hatte, zum Verlagsort gemacht wurbe. Joh. Sen-
ſenſchmidt ftammte aus Eger, d. b. aus verfelben Stadt, welche
nach dem Zeugniß des Matthias von Kemnat damals mit „Ketzern“
angefüllt war). Und war nicht daſſelbe mit Bamberg der Fall?
Die hervorragendſte Rolle unter den früheften Druckorten fpielt
indeffen Nürnberg. Kein Dann bat in Deutfchland während der
Sabre 1473—1513 einen größeren Namen als Buhdruder und
Buchhändler bejeffen al8 Anton Koburger ver Aeltere ?),
1) S. Klemm Belchreibender Katalog u. |. w. 1884.
2) Eine der erften Autoritäten auf diefem Felde, Klemm, hält Pfifter für
den Druder der berühmten (erftgebrucdten) 36 geiligen Bibel,
3) Es verdient Beachtung, daß die Familie Senſenſchmidt fpäter in Nord⸗
wie im Sübbeutichland unter den als „Täufer“ bezeichneten Gefchlechtern erfcheint.
Der Name kommt unter ven mähriſchen Täufern vor (vgl. Bed Geſchichtsbücher
ver Wiedertäufer in Oeftreih-IUngarn. Wien 1883) und ebenjo unter ven Jülich“
fchen Täufern ſchon im Jahre 1533. Ein Zillis Senſenſchmidt wirb zu-
gleih mit einem gewiffen Peter „aus dem Lande von Franken‘ im Jahre 1533
als Landfremdber aus dem Julichſchen ausgewiefen (Staatsardiv zu Düſſeldorf.
Jül. B.L. A. Abth. IV, c. 6. fol. 59).
4) Dies ift das Urtbeil des genaueften Kenners des älteren deutſchen Buch⸗
Handels, |. Kirchhoff Beiträge zur Geſch. d. deutſchen Buchbandels &pz. 1851.
Keller, Die Reformation.
322
Die Wirkſamkeit Koburgers als Verleger war jo bebeutend,
daß feine Officin troß eines fehr großen Perſonals nicht ausreichte,
um alle Werfe berzuftellen. Er ließ deßhalb andere Firmen für
ſich drucken, beſonders den Joh. Amerbach, Johannes Froben,
Joh. Petri in Bafel!) und Friedr. Peypus in Nürnberg.
Joh. Amerbacd (geb. zu Reutlingen im Iahre 1434) Hatte
in Italien und Paris ftubirt. Er war dann als Eorreltor in Ko
burgers Officin eingetreten und hatte um 1480 felbit eine Officin
in Basel eröffnet. In einem Basler „Kundfchaftsbuche” vom Sabre
1482 erisheint er unter der Bezeichnung: „Herr Hans von Venedig,
Meifter der Schrift, Buchdrucker und Bürger zu Bafel”2). Es
erhellt daraus, daß er fih in Venedig längere Zeit aufgehalten
haben muß 3).
Sohannes Sroben, der „König der Druder” und intime
Treund des Erasmus, war ein Landsmann des Anton Roburger;
er ftammte ebenfalls aus Franken (Hammelburg) und war im
Jahre 1460 geboren.
Johannes Petri, welcher gleichfalls in Franken (in Langen-
dorf) geboren war, feheint e8 geweſen zu fein, welcher den Froben
zuerft nach Baſel 309.
In diefen Männern hatte Anton Koburger die vornehmften
Buchdrucker Baſels zu Mitarbeitern gewonnen ?).
Schon O. Dafe Hat in feiner Monographie über die Koburger
das innige Zuſammenwirken zwifchen Künftlern, Buchorudern und
Bd. 1. Dal. dazu DO. Hafe Die Koburger Lpz. 1869 S. 5. Dr. Chriſtoph Scheurl
ſchreibt am 30. Mai 1517 an Erasmus Stella: „Apud Germanos Coburgius
primatum obtinet“. Eitelberger Duellenfhriften zur Kunſtgeſch. X, 174.
1) ©. Haſe a. O. ©. 53.
2) Fechter Basler Taſchenbuch für 1863 ©. 256.
3) Venedig ift frühzeitig ein Sammelpuntt folcher Deutfcher geweſen, welche
ihr Vaterland aus Furt wor religidfer Verfolgung verließen. Deutſche waren
e8, welche bier die Buchbruderfunft heimiſch machten. Merkwürdig ift folgender
deutſche Drud aus Benedig: „Das Buch der zehen gepot“. Venedig. Erbart
Ratdolt 1483, Fol. Vielleicht Handelt e8 fi bier um ein Product malbenfifcher
teratur. Das Buch wird befchrieben von Klemm Beſchreibender Katalog u. f. w.
1884 ©. 291.
4) Ueber Koburger8 ausgedehnte Gefchäftsverbindungen mit Lyon unb bem
übrigen Frankreich ſ. O. Hafe Die Koburger ©. 25; Eitelberger Ouellen-
ſchriften zur Kunſtgeſch. X, 173; Baader, Jahrbb. für Kunſtwiſſ. 1868 S. 235.
323
Gelehrten, wie e8 in den Nürnberger Officinen ftattfand, hervor⸗
gehoben. Seit alten Zeiten war felbft zwifchen den Familien aller
diefer Männer ein brüberliches Verkehr üblich, Anton Koburger
hatte in dem Haufe des Goldſchmieds Dürer bei deſſen dritten Sohne
Pathenftelle vertreten und in dem Knaben feinen anderen als Albrecht
Dürer aus der Taufe gehoben; ein Hausfreund Koburgers, Michael
Wohlgemuth, wurde Dürers Lehrer.
Da waren aber außer den Namen erjten Ranges noch eine
Reihe anderer Künftlerfamilien; 3. B. das Gefchlecht der Krugs,
darunter Hans Krug der Aeltere und Süngere!) und Ludwig
Krug, des Lekteren Sohn. Ein gleichzeitiger Chroniſt, welcher ben
Ludwig Krug perfünlich kannte, fagt von ihm: „Sch könnt nicht er⸗
denken, was diefem Ludwig Krug, obvermelten Krugen Sohn, an
Berftand der Silber- und Golvarbeit, im Reifen, Stechen, Grabenz
Schmelzen, Treiben, Malen, Schneiden, Conterfecten jollt abgangen
fein“. Derjelbe ftand mit feiner Kunft im Dienfte Hans Kobur-
ger, welcher ihm feine Arbeit „für und für abkaufte“. Neudörffer
fügt ausprüdiih Hinzu: „Er batte einen fcharffinnigen Kopf zu
philofophiren” 2. Da war ferner ver Goldſchmied Hans Krafft,
welchen im Jahre 1509 der Magiftrat zu Nürnberg als Stempel-
fchneiver in Dienft nahm). Anton Tucher ftand mit ihm in Bes
ziehung ).
Derſelbe Tucher unterhielt auch mit Sebald Baumhauer,
den Albrecht Dürer ausdrücklich als „guten alten Maler“ bezeichnet >),
freundliche Relationen.
Zu den Rreifen ver Buchdrucker gehörte ferner Hans Frank).
Ferner Wolfgang Reſch, ebenfalls Formfchneiver und als Illu⸗
1) Er heirathete im Jahre 1512 die Barbara Lotther. Nähere Nachxrichten
bei Eitelberger Onellenfchriften zur Kunſtgeſch. 3b, X (1875) ©. 121. —
Ferner Baader Beiträge u. ſ. w. I, 37 ff.; II, 19 ff. „Einer der berühmteften
Eifengraber der Stabt, fagt Baader II, 20, war Hans Krug ber Aeltere“. Er
erhielt 1484 Bürger- und Meiſter⸗Recht; er arbeitete für ben König von Ungarn
und für Churf. Friedrich von Sachſen.
2) Eitelberger a, O. ©. 124,
3) Baader Beiträge S. 22. — Ein Hans Krafft wurde um 1527 als „Täufer“
aus Augsburg vertrieben. Keim, Schwäb. Ref.Geſch. ©. 62.
4) ©. Loofe, Anton Tuchers Haushaltsbuch S. 114,
5) Eitelberger a. DO. ©. 180. 6) Eitelberger a. O. ——
324
minift und Verfertiger von Holzichnitten für Verleger thätig N).
Außerdem feien hier erwähnt der Bilbfchniger Hans Kaifer?)
(oder Käfer), Die Meifter Thomas Maller und Beter Trechfel?).
Einen belannten Namen unter ven damaligen Nürnberger Künſt⸗
ern batte Georg Penz, welcher als Gehilfe in Dürer Werl
ftatt bezeichnet wird ®).
Ers) war nah befreundet mit den Brüdern Hans Sebalb
Beheim und Barthel Beheim, weldhe allgemein als die tüch—
tigften Schüler Dürers gelten. Sie gehörten der vielfach verzweigten
Steinmetfamilie der Beheims an, die feit alten Zeiten als Bau⸗
meifter und Werkleute in Nürnberg eine Rolle fpielten.
Der Mittelpunkt, um welchen fich ein großer Theil der eben
gefchilderten Perfonen gruppirte, war das Haus und das Gefchlecht
der Tucher nebft feinen näheren und entfernteren Verwandten
wie Hieronymus Holzſchuher, Hieronymus Ebner, Chriftoph Scheurl
und Anderen.
Dr. Chriſtoph Scheurl, deſſen Mutter die Tochter Herbegen
Tuchers war, hatte bi$ zum Sabre 1512 eine Brofeffur an der new
errichteten Hochichule zu Wittenberg befleivet, war dann aber auf
den ausprüdlichen Wunſch Anton Tuchers, welcher damals der ein-
flußreichſte Mann in Nürnberg war, in den Dienft feiner Bater-
jtadt als Syndicus übergetreten.
In demjelben Jahr 1512 Hatte ein anderer berühmter Witten-
berger Brofefior, Dr. Johann von Staupis, fein Amt nieder
gelegt. Er war, wie feine Freunde ung berichten, „unzufrieden mit
den Beitverhältniffen” 6), d. b. ein tiefer Widerwille gegen das herr-
ſchende Syitem hatte fich feiner bemächtigt.
Staupis war feit alten Zeiten in Nürnberg wohl bekannt; tm
Sabre 1504 Hatte er dort einer Verfammlung von Auguftinern
1) Eitelberger .D.©.198. 2) Baaberl,5. 3) Baader ll, 110u.111.
4) Eitelberger a. DO. ©. 137.
5) ©. Penz malte auch ein Bild des Erasmus, welches jett zu Winbfor
Caſile fich befindet. Woltmann Holbein S. 290.
6) Ehriftoph Scheurl fchreibt Mitte October 1511: Doctor Staupitz etipse
temporum pertaesus abeundi petit consensum.
325
präfibirt, welche bejchloß, den Ordensbrüdern das Stubium der
Heiligen Schrift ans Herz zu legen.
Bet dieſen Beſuchen Hatte Staupig auch mit Anton Tucher
intime Beziehungen angelnüpft; der lettere verzeichnet in feinem
uns erhaltenen „Haushaltsbuch“ fowohl in den Jahren 1508 wie
1511 und 1517 Gefchenfe, die er diefem gemacht hat.
ALS Staupitz fich von feiner Wittenberger Stellung losgefagt
hatte, waren e8 die Nürnberger Freunde, denen er ſich auf Das
engite anjchloß. „Sp oft er konnte“, jagt TH. Kolde, „ſuchte Staupitz
bie blühende Reichsſtadt auf"). Er lebte von da an, wenn er ſich
nicht auf Reifen befand, in Nürnberg, München oder Salzburg und
wenn er auch nicht, wie etiva gleichzeitig Erasmus, fich unter den
Buchdruckern und Gefchäftsleuten ganz nieberließ, jo war ihm doch
fein Aufenthalt Tieber als der unter den Patriciern Nürnbergs.
Sp war Staupik auch im Herbft des Jahres 1516 einer Ein-
labung diejer Freunde gefolgt, und es iſt intereffant zu eben, wie
innig das Verbältniß der Nürnberger Kaufleute und Künftler zu
dem gelebrten Theologen fich geftaltet hatte. Männer wie Dürer,
Holzſchuher, Ebner, Tucher wetteiferten in Sreundfchaftsbezeugungen,
und die Neben, die Staupik bielt, fanden ein begeiftertes Publikum.
Man zeichnete fie auf und fie wurden fofort in Lateinifcher und
deutſcher Sprache dem Drud übergeben ?).
Der Inhalt derfelben zeigt, daß es die Vebereinftimmung in
der religiöfen Frage war, welche das Band zwifchen Staupig und
dem Nürnberger Kreife geknüpft hatte. Schon vor Luthers Auf-
treten ftand die religidfe Frage durchaus im Vordergrund der Dis⸗
cuffion und es ift bezeichnend, daß fich die Spike von Staupitz
geiftuoflen Reden ſehr fcharf gegen die römische Kirche kehrte. Unter
dem 2. Sanuar 1517 fchreibt Scheurl unter dem Eindrud der im
Winter gehörten Predigten des Staupig an Luther: „Einige nennen
ihn einen Schüler, ja, die Zunge des Paulus, andere einen Herold
des Evangeliums und einen wahren Gottesgelehrten”) und am
22. Jan. deſſelben Jahres verfichert er dem Staupit felbft: „Gerade:
1) Kolde Die deutſche Auguftiner- Congregation und Joh. v. Staupik.
Gotha 1879 ©. 256. "
2) Scheurls Briefbuch II, 2. 3) A. O. Il S. 1.
326
bie erften in Nürnberg fprechen über dich amt meijten in dent Sinn,
al8 feieft du derjenige, welcher Israel retten wird‘),
Es treten mithin bereitS vor Luthers Auftreten in Nürnberg
Tendenzen zu Tage, welche eine Befreiung bes „erwählten Volles“
aus ver „babylonifchen Gefangenjchaft" im Auge haben. War dies
nicht ein Gedanke der „Brüder“, die man Walbenfer nannte?
Seit jenen Predigten vom Jahre 1516 feßte fich bei ben
Nürnberger Freunden und in den von bier aus beeinflußten Kreiſen
wirklich die Hoffnung feft, daß in Staupig ver Vorlämpfer einer
großen religiöfen Bewegung gewonnen ſei, und es tft merkwürdig,
daß die Nürnberger Patricier fich zu einer Heinen Gemeinde ver-
banden, welche Scheurl uns unter dem Namen der „Sodalitas
Staupitiana‘“ vorführt.
Am 7. Ian. 1518 fendet Scheurl eine Einladung an Staupig
und giebt an, daß er diefelbe im Namen der „Sodalitas Staupi-
tiana“ ausſpreche. Wer waren deren Mitglieder? Schein! nennt
ung glücklicherweife hier und an anderen Stellen ihre Namen:
„Pater patriae Anthonius Tucher, Heronimus Ebner,
mel et deliciae vel certe margarita populi Nurnbergensis, Cas-
par Nuzel, homo gravissimus, Heronimus Holzschuher,
Andreas et Martinus Tucher, Sigismundus et Chri-
stofferus Furer, Lazarus Spengler, Albertus Durer,
Germanus Apelles, Wolfgangus Hoffmann et ego im-
primis“. Dieſe Lifte ift ſehr interefjant. Anton Tucher fteht voran;
er iſt das Haupt der ganzen Partei. Dann finden fich noch zwei
Mitglieder derſelben Familie Tucher und fchlieplich außer Dürer
und einigen Andern ſolche Namen, die in Tuchers Familiengeſchichte
ſich ſämmtlich dürften nachweifen laſſen. Scheurl wiederholt, wie
gejagt, Die Namen häufiger; immer kehren in der Lifte Die Tuchers
und Albrecht Dürer wieder, aber niemals wird Willibald Birk
beimer genannt,
Wenn man nun die religiöfen Ideen Tennen lernen will, wie
fie in der Familie Tucher und deren Verwandten damals vorherr-
ſchend waren, fo wird man boch nicht umhin Tönnen, auf bie
1) A. O. II, 5.
327
Trabitionen zu verweifen, welche in dieſem altwaldenſ iſ chen
Geſchlecht überliefert waren.
Hat nun vielleicht Staupit eben diefen Ideen nahe gejtanden?
In der That muß Staupis, wie ich an anderer Stelle nachgeiviejen
babe), und wie ſich unten noch näher ergeben wird, als Anhänger
der „altevangelifchen Gemeinden‘ betrachtet werben.
Es ift uns oben bereit die enge Verbindung entgegengetreten,
welche die Nürnberger Buchdrucker und Künftler mit den: gleichen
Kreifen in Bafel befaßen. Es gab eine Zeit, wo die legtere Stadt
von den Nürnberger großen Häuſern mehr oder weniger abhängig
ſchien; aber bald überflügelten die Tochtergefchäfte ven Mutterfig
und um den Beginn der Reformation war Baſel für den Buch—⸗
drud und Buchhandel durchaus der vornehmſte Ort im ganzen
deutſchen Sprachgebiet.
Wir haben die bedeutendſten Firmen, Amerbach, Froben, Petri,
bereits genannt. Neben dieſen etablirten ſich frühzeitig eine Reihe
anderer, zugleich wiſſenſchaftlich gebildeter wie geſchäftlich tüchtiger
Männer, darunter Pamphilus Gengenbach?, Andreas Era-
tander?) und Valentin Curio‘).
Den Bertrieb der Bücher, welche in biefen Drudereien ber-
gejtellt wurden, beforgten frühzeitig befondere Firmen, z. B. Con⸗
rad Ref, Joh. Wattenfhnee und Jean Vaugris, ein
Neffe der beiden vorgenannten.
Bon jeher Hatten die Baſeler Geſchäfte fehr intime Beziehun-
gen zu Lyon und Südfrankreich beſeſſen; zahlreiche Deutſche wohnten
dort und hatten fich, wie 3. B. der Nürnberger Ioh. Kleeberger,
den man al8 den Fugger Lyons bezeichnete, eine angejehene Stel-
lung erworben. |
1) Hiftorifches Taſchenbuch VI. Folge Bd. IV ©. 115 ff.
2) Bol. das erihöpfende Werl: 8. Goed ete, Pamphilus Gengenbach.
Hannover 1856.
3) Ueber Eratander exiftirt leider feine monograpbifche Arbeit, obwohl er fie
febr verdiente. — Wir werben ihn unten vielfach zu nennen haben,
4) Weber Eurios intime Beziehungen zu Zwingli f. Zwinglis Epp. I, 134
und 260,
328
Befonders innig waren und blieben Joh. Amerbachs Beziehun⸗
gen zum Süden. Sein Sohn Bonifacins, welcher mit Hutten be
freunbet war, bat ſich Sabre lang in Avignon aufgehalten; bei feiner
legten Anweſenheit dafelbft wohnte er in dem Haufe des D. Mon.
tagne. Diefer war ein Verwandter des nachmals jehr befannten
Tranz Lambert von Avignon!), welcher in Folge feiner Hin
neigung zum Walbenfertfum, wie wir fehen. werben, aus Franl,
reich flüchten mußte und im Jahre 1522 in Bafel Schuß ſuchte.
Der Lyoner Buchdruck war ebenfo wie der Venediger lange
Zeit vorwiegend in deutfchen Hänben. In erfigenannter Stabt Hatte
Joh. Trechfel ſchon feit 1487 eine Druderet befeifen; feine Söhne
Cafpar und Melchior führten im Beginn des 16. Jahrhunderts das
Geſchäft erfolgreich fort. Sie unterhielten den regften Verkehr mit
Bafel und Hans Holbein war es, welder für ihre Verlags
artitel die Holzſchnitte anfertigte 2).
Daſſelbe intime Verbältnig, welches wir in Nürnberg zwiſchen
den Buchdrudern und Künftlern kennen gelernt Haben, Hatte fich
in Baſel ausgebildet. Mit Net fagt C. B. Lord von jener Periode
des Bajeler Buchdrucks: „Selten haben Wifjenfchaft, Kunft umd
Technik brüderlicher zufammengewirkt als dort". Männer wie Hand
Holbein, Burgkmeier, Urs Graf und die ſchon genannten Künftler
Schäuffelein, Hans Frank u. A. arbeiteten Hier zufammen 3).
Hans Trank gehörte, wie wir zufällig willen, der Bruder-
haft „Zum Himmel” an‘) und e8 Tann fein Zweifel fein,
daß wir bier eine der uralten Hüttenbruderfchaften vor uns haben.
Es ift Sehr wahrſcheinlich, daß die Bruderfhaft „Zum Himmel“
als „Liebhaber des Handwerks’ auch die Buchdruder, die wir ge
nannt baben und einen Theil der Gelehrten, die wir kennen lernen
werden, mit umfaßte.
Als Mitarbeiter und Correktoren ihrer fremdiprachigen Werte
wählten die Verleger gern ſolche Gelehrte, welche ven Standpunkt
ber Officin theilten, und es finden fich Beifpiele, daß bie Ge
1) Serminjarb Corresp. des Ref. II, 116 Anm. 3.
2) Näheres hierüber bei Woltmann H. Holbein Lpz. 1874 I, 225f.
3) Handbuch der Geſch. der Buchdruckerkunſt. Lpz. 1882. S. 136,
4) Nagler Die Monogrammiften II, 313.
329
ſchäftsinhaber auch in geiftiger Beziehung einen Einfluß auf ihre
Mitarbeiter ausübten)).
Joh. Amerbach Hatte noch in ber letzten Zeit feines Lebens für
jeine Officin den gelehrten Beatus Rhenanus gewonnen, welcher
mit Ulrich Zwingli befreundet ward). Auch der Franciskaner Bel-
lican, welcher zu Tübingen mit Joh. von Staupig Beziehungen
angelnüpft hatte, war damals bei Amerbach thätig.
Im Jahre 1514 war e8 dem Joh. Sroben gelungen, gegen
bedeutende DVerfprechungen ven berühmteſten Schriftfteller der Zeit,
ben Defiderius Erasmus, zu beftimmen, feine Thätigfeit in
den Dienft der berühmten Officin zu ftellen; Froben nahm ven Ge⸗
lehrten, der ohne feſte Stellung nur von feiner Feder lebte, in
feinem Haufe glänzend auf und Erasmus fühlte fich in der neuen
Stellung fehr wohl?).
In der Offiein des Eratander und nachmals des Curio
war ferner als Gefchäftstheilnehmer und Eorreftor ein junger Ge⸗
lehrter, ver Magiſter Hans Dend), thätig.
Er ftammte aus Baiern 5) und war in jenen Örenzgegenben
bes Böhmerwaldes geboren, in welchen noch um 1517 nachweislich
zahlreiche Brüdergemeinden ertjtirten.
Eben dieſelben Verhältniſſe, welche jene Buchdrucker und Künſtler
aus Oberfranken 6) nach Baſel geführt hatten, waren es ſicherlich
1) 305. Decolampab war feit Nov. 1522 bei Andreas Cratander beſchäftigt
und wohnte in deſſen Haufe. ME er endlich im Jahre 1525 eine feite Stellung
im kirchlichen Dienft erhalten hatte, fehrieb er aufathmend an Zwingli: „A Cra-
tandro liber ero“. Heß Decolampabs Leben ©. 443.
2) Zwinglii Epistolae Opp. VII, 174 M. Bucer an Zwingli d. d. 1521 Mat 23:
Municeps et Patronus meus est amicissimus tibi Beatus Rhenanus.
3) Faber Stapulenfis an Def. Eramus d. d. 1514 Oct. 23: „Uberiore laetitia
animum meum opplevit, quod te intellexi in Germania apud typographos versari‘“.
4) Der Name kommt fowohl in diefer al8 in der Schreibung Hans Zend
ober Tenk vor. Hans Hut und Hans Schlaffer, die ihn perſönlich kannten, ſprechen
regelmäßig von Hans Tend (Itſchr für Schwaben und Neuburg 1874 ©, 223 ff.).
Er felbft nennt fih Hans Dend, H. Dengt oder Johann Denk.
5) Joh. Keflers Sabbatha (Mittheilungen des hiſt. Vereins v. ©. Gallen
1866) I, 280.
6) Anch Deutſche ans Böhmen waren in den Bafeler Drudereien frühzeitig
beichäftigt, 3. B. ift Siegmund Gelenius aus Prag 30 Jahre lang bei Amer-
bach⸗Froben Inſpektor geweſen. Heß, Erasmus II, 374.
330
auch geweſen, welche die Ueberfievelung Dends dorthin bewirkt
batten.
Joh. Oecolampad berichtet uns!), dag Dend fchon 1515 Ge⸗
legenheit hatte, an ber Thätigkeit jenes „erasmiſchen Kreifes Theil
zu nehmen, wie er fich feit 1514 gebildet hatte.
Außer Rhenanus und Bellican gehörten eben dieſem Kreife in
jenen Jahren noch Heinrich Loriti aus Glarus, genannt Glarean?),
der ein intimer Freund des jungen Züricher Patriciers Conrad
Srebel war?), der junge Niederländer Michael Bentinust),
welcher mit Dend in naher Freundſchaft lebte, der Engländer
Richard Erocus und vor Allem Wolfgang Capito und Joh.
Decolampad an?).
Die beiden leßtgenannten ſtanden ven Buchdruckern Eratander
und Curio fehr nahe. Wir erwähnten fchon, daß Decolampad in
Cratanders Haus längere Zeit gelebt hat, und es fteht feit, daß
Capito mit Curio befreundet war).
Das vornehmfte Intereffe diefes Kreijes concentrirte fih auf
das Neue Teftament und auf die Wiffenchaften, welche zumt rechten
1) Oecolampad fchreibt am 25. April 1525 an Willibald Pirfheimer: „Denckius
a me nullum venenum hausit, si venenum hausit. — Audivit aliquot lectiones
Jesajae. Sed quales illae sint, judicet lector. Nihil impudentius illis dixi.
Et non opinor, multum in illis veneni. Praeterea de eucharistia quam timide
locutus sim, sciunt, qui audierunt. Sed cum Denckio nihil: tametsi ab-
hinc decennium est (alfo 1515), quum multa super ea re a doctissimis
quibusdam inter angulos referri audirem, a quibus fortasse etille audiit“.,
Herzog Decol, II, 273,
2) Erasmus hielt ſehr viel von ihm; im Sabre 1517 gab er ihm ein Em-
pfehlungsfchreiben nach Paris an den Biſchof Stephan Poncher mit.
3) Vgl. Zwingli Epp. I, 157 u. öfter. Glarean jchreibt am 29. Dec. 1522
an Zwingli: Saluta nomine nostro C. Grebelium, Joh. Jac. Ammanum....
Dominos multis ab annis mihi cognitos“.
4) Michael Bentinus war einer ber vertrauteften Freunde Dends. Bel.
Keller, Ein Apoftel der Wiebertäufer ©. 253, wo Bentinus von Dend ſelbſt
als fein intimfter Bertrauensmann bezeichnet wird. Dend ift [päter in bes Ben-
tinus Haus geftorben.
5) Unter ben Stubirenden der Bafeler Hochſchule befanden fi um das Jahr
1514 Eonrad Grebel aus Züri, Petrus Toſſanus aus Metz u, Andere
(Herminjarb Corresp. des Ref. I, 250 Anm. 1). Beide traten fpäter zu bem
erasmifchen Kreis in nahe Beziehungen.
6) Am 21. Mai 1523 fchreibt Bal, Curio an Capito nach Straßburg:
331
Verſtändniß deſſelben nothwendig waren, zumal auf bie griechifche
Sprade und Grammatit.
Erasmus, welcher neben Neuchlin als vornehmfter Beförberer
der griechifchen Grammatik galt, pflegte gerade feine begabteiten
Schüler auf diefes Gebiet binzulenten.
In Würdigung der ausgezeichneten Vorarbeiten, welche der
Griehe Theodor Gaza aus Theffalonich (F 1478) in feiner Gram-
matil!) gegeben hatte, hatte Erasmus im Jahre 1516 das erfte
Buch diefes größeren Werks mit lateinifcher Meberfegung bei Troben
erfcheinnen laſſen.
In demfelben Sabre gab der oben erwähnte Crocus das vierte
Buch des Gaza in Leipzig bei Schumann Heraus und ein anderer
Schüler des Erasmus, Conrad Heresbah?%), bielt im Winter
1521/22 über das dritte und vierte Buch Vorlefungen.
Es fehlte mithin troß der Thätigkeit vieler Gelehrter eine Ge⸗
fammtausgabe der vier Bücher und es verbient Beachtung, Daß
Dend e8 war, welcher eine folde im September des Jahres 1523
in Gemeinjchaft mit Valentin Curio beforgte >).
Auf dem Titel bat Dend fih durch folgendes Diftihon als
Herausgeber gefennzeichnet:
- Avayvworz Aévyxioqç.
Aovog dorıg doüg yAvxconv xnmoıo Tugavnv
Tevr« 001 evoduor Bıßala Inxe 60dov.
Statuebam his diebus, te invisere atque de nostris communibus
rebus praesentiloqui, sed vide nuntiatur hodie: Conradum Heresbachium,
officinae jam meae Maecenatem postridie adfuturum, quem in rem meam de-
sideratissime jam exspecto; proinde me excusatum tuae praestantiae spero
etc. Wolters Konrad v. Heresbadh. Elberfeld 1867 ©. 33.
1) Introductivae Grammatices libri IV Venet. 1495.
2) Konrad Heresbad hatte zu Val. Eurio nähere Beziehungen; Curio druckte
im März 1523 ein Buch Heresbachs. S. Panzer Annales Typogr.
3) Theodori Gazae introductionis grammaticae libri quatuor, una cum in-
terpretatione Latina eorum usui dicati, qui vel citra praeceptoris operam
Graecari cupiunt. Ubi quid expectes sequentis paginae indicat epistolium: —
Basileae An. M.D. XXIII.
Ein Eremplar diefer Ausgabe befindet fih in der Kgl. Univ.-Bibliothel zu
Marburg. — Dieſes Buch hat fpäterhin eine große Zahl von Auflagen erlebt.
Eine Edition erfdien zu Coln im Jahre 1525, zwei zu Paris (1529 und 1534),
drei zu Bafel (1529. 1540. 1541) und eine zu Venedig (1534).
332
und das Werk felbft, welches übrigens nach der Sitte der Zeit au
eine Vorrede des Druders enthielt, hat er mit folgender lateinifcher
Stropbe eingeleitet:
Graecarum Literarum studiosis Johannes Dengkius.
Heus puer, heus juvenis, heus tu quoque cana senectus
Quae cupis in Grajo nare renare sinu,
Brachia cujus adhuc fluctus indocta marinos
Pellere, sublimem ferre per alta negant.
Ecce tibi cortex, qui te, dum libera possint
Brachia per Syrteis, per vada tuta vehet.
Erasmus fchreibt im Sabre 1516 an Sapidus: „Sch ſcheine
mich in einent förmlichen Mufenfige zu befinden, fo viele Gelehrte,
ja, fo viele ausgezeichnete Gelehrte fehe ih um mich. Keiner, ber
nicht lateiniſch, feiner, der nicht griechifch verfteht. Die Meeiften
können auch noch hebräiſch“.
„ver Eine‘, fährt er fort, „ist in der Gefchichte, der Andere
in der Theologie, ein Dritter in der Mathematik, der in den Alter:
thümern, Sener im Rechte erfahren. Wie jelten das jich trifft, weißt
bu ſelbſt; ich wenigſtens habe e8 noch nicht erlebt, in einer fo glüd-
lichen Genofjenfchaft zu verkehren. Und was noch mehr ins Ge
wicht fällt, ift Die Reinheit der Gefinnung bei Allen, bie
Heiterkeit des Verkehrs und beſonders die Eintracht“.
Da iſt e8 nun merkwürdig, daß, wie Decolampab in dem oben
erwähnten Briefe an Pirkheimer verfichert, in dieſem Kreiſe eine
der wichtigften Doctrinen der ſpäteren reformirten und täuferifchen
Gemeinſchaft bereit8 im Jahre 1515 vorgetragen worben ift. Es
ftimmt dies überein mit der anderweit beglaubigten Nachricht, daß
ihon im Jahre 1514 fowohl Pellican als Capito die Auffaflung
ber römischen Kirche vom Altarfacrament verworfen hätten.
Decolampad war im Jahre 1515 dieſer „Keterei” noch nicht
verfallen. Erasmus verfichert in einem feiner Briefe, daß ihm und
feinen Freunden Decolampad „durch feinen Aberglauben”
läftig geworben jei!). Ganz plöglich Iegte Decolampad feine Stel-
Yung in Bafel nieder. und ging bald darauf ins Kloiter.
Wir haben uns in der erasmifchen Gefellfchaft, wie fie um
1) Herzog Decolampads Leben I, 122.
333
das Jahr 1515 beitand, eine „Societas“ zu denken, welche in ihren
Formen den „Brubderfchaften” fehr nahe ftand.
Im Haufe Frobens und natürlich unter Mitwirkung biefes
gelehrten Mannes verfammelten fich die Freunde und hielten ihre
Situngen, deren Nejultate uns unten noch bejchäftigen werben.
Aeußerſt bezeichnend ift die Art, in welcher die berühmten
„Dunlelmänner-Briefe‘ den Ruf ſchildern, den diefer Freundeskreis
fih unter den römischen Theologen erivorben hatte. ‘Dort heißt e8:
„Sed in domo Frobenii
Sunt multi pravi haeretici“ etc.
In dem Werke, welches G. A. Will im Jahre 1773 über die
Geſchichte des Anabaptismus veröffentlicht bat, fagt er unter Be⸗
zugnahme auf die oben erwähnten Mittheilungen Decolampads über
Dend: „Diefe Stelle beweist zugleich, daß die wiedertäuferifchen
Grillen ſchon ungefähr um 1515 in der Schweiz feien aus⸗
geheckt, Doch noch immer heimlich gehalten worden“ 1),
Selbft wenn man diefe Behauptung nicht vollſtändig aufrecht
erbalten will, muß man einräumen, daß fie etwas Wahres enthält.
Die Ideen des nachmaligen Täuferthbums find damals zwar nicht
„ausgeheckt“ worden, aber fie find doch in den Kreifen der „Bru-
derfhaften”, wie fie zu Bafel eriftirten, vorhanden geweſen.
Um fie an das Tageslicht zu treiben, bedurfte es noch beſonderer
Anftöge, aber dem Keime nach waren fie vorhanden und zwar nicht
erft fett 1515, fondern feit uralten Zeiten.
Dend erflärt in dem Glaubensbekenntniß vom 16. San. 1525,
dem er fein Leben hindurch treu geblieben iſt, ausprüdlich: „Ich
bab von Kindheit auf von meinen Eltern den Glauben gelernt”.
Niemand darf mithin fagen, daß der Mann, welcher für die
wiſſenſchaftliche Ausgeſtaltung der nachmals unter dem Namen des
„Anabaptismus" bekannt gewordenen Lehre bei weiten das Meifte
getban bat, feine Ideen erft um 1515 gleihfam erfunden over von
Erasmus und Anderen gelernt babe.
Die Familie Dends war, mag Wolfgang Dend Hans Dends
1) Beyträge zur Geichichte des Antibaptismus 1773 ©. 14.
334
Bater!) oder Onkel gewejen fein, mit der Bruderſchaft der
deutfhen Steinmegen auf das innigfte verbunden. Hier waren
die Ideen ber älteren „Semeinden” am treueften bewahrt worden
und nun wollte e8 die Vorfehung, daß der port aufbewahrte Glau⸗
bensichag aus den Gilden wieder heraustrat und in das Firchliche
Leben zurücverpflanzt wurde. ‘Die Mittelsperſon dieſes Vorgangs
war Hans Dend, der deßhalb unſer befonderes Intereffe in An-
ſpruch zu nehmen geeignet ift.
Wenn Oscar Hafe in feiner Schrift über die Koburger ber-
vorhebt, daß die Thätigkeit diefer großen Firma fich durch die Eulti-
virung eines Buches, nämlich ver Bibel, fennzeichnet, To ließe
ſich dieſe Wahrnehmung in dem Maße verallgemeinern, daß fie
faft auf alle größeren deutſchen Buchhändlerfirmen ded
15. Jahrhunderts Anwendung fände.
Aus Koburgers Preſſen find im Laufe der Jahre nicht weniger
als dreißig verfchienene, Yateinifche, deutſche und böhmiſche Bibel-
ausgaben hervorgegangen; bis zum Sabre 1500 Hatte er bereits
15 Editionen veranftaltet.
Aber die übrigen Verleger ſtehen binter ihm keineswegs zurüd;
Yaffen fich doch bis zum Ende des 15. Jahrhunderts nicht weniger
als 98 vollftändige lateinifche Bibeln nachweifen?) — ganz
ungerechnet bie weit größeren Zahlen lateinijcher Pfalter, Evan-
gelien, Epifteln oder fonftiger Theil-Ausgaben der Bibel.
Indeſſen ift für uns nicht in erfter Linie die Eultivtrung der
Inteinifchen Bibel von Intereffe; viel wichtiger tft die Verbreitung
beutfher Bibeln im 15. und zu Anfang des 16. Jahrhunderts.
Da noch im Sabre 1468 der erjte Kirchenfürft des Aeiches,
der Erzbifchof Berthold von Mainz, die alten Verbote der römifchen
Kirche gegen den Gebrauch deutscher Bibeln erneuert Hatte), fo
darf man nicht annehmen, daß treue Söhne biefer Kirche fich dazu
1) Joachim Vadian, welcher von 1502—1518 in Deftreih (Wien) lebte,
fpricht mit Bezug auf Hand Dend und einige andere Führer ber „Täufer“ aus⸗
brüdlich von der „Claritas familiae“, Durch welche fie berühmt geweſen feien.
S. Füßlin Beiträge zur Hiftorie der Kirchenreformation V, 398.
2) Hain Repert. typogr. Stuttg. 1826.
3) Das Nähere bei Giefeler Kirchengefhichte I, 4 ©. 311.
335
verftanden haben, in Widerſpruch mit ihren kirchlichen Oberen fich
zu ſetzen.
Es ift gewiß, daß Diejenigen Männer, welche es wagten, veutfche
Bibeln unter das Volt zu Bringen, nicht fowohl der römischen Kirche
als den Oppofitionsparteien nah ftanven!).
Man bat von dem Umfang, in welchem vie veutfche Bibel feit
ber Erfindung der Buchdruckerkunſt verbreitet worben ift, in Deutfch-
land gewöhnlich ganz unzutreffende Vorftellungen.
Es find zwijchen den Jahren 1466—1518 nicht weniger als
vierzehn vollftändige deutſche Bibeln alten und neuen Tefta-
mentes in hochdeutſcher Sprache und vier in niederdeutſchem Dialekt,
alſo im Ganzen ahtzehn Ausgaben im Drud erfchienen 2); außer-
dem aber find bi8 zum Sabre 1518 die Evangelien etwa fünfund-
zwanzigmal, der Pfalter bis zum Jahre 1513 etwa breizehnmal und
andere Theil-Editionen in unberechneter Anzahl herausgegeben wor⸗
ben. Auch die Zahl der deutſchen Plenarien, d. h. der Evan⸗
gelten und Epifteln mit Auslegung, it eine ſehr erhebliche.
Schon im Jahre 1494 konnte Sebaftian Brant im „Narren-
ſchiff“ mit Necht jagen:
„AU land ſynt yet voll heiliger gefchrifft,
Und was der Seelen beil antrifft,
Bibel, der Heiligen Väter ler
Und ander vergleichen Bücher mehr“.
Wenn man nun biefe vorlutherijchen deutſchen Bibeln, welche
in den verfchieveniten deutſchen Städten bergeftellt wurden, mit
einander vergleicht, fo ftellt fich die merfwürbige Thatfache heraus,
1) Die deuntſche Bibel von 1483 bat Michael Wohlgemuth, Dürers Lehrer,
mit Holzſchnitten ausgeftattet. Neben dem künſtleriſchen und culturbiftoriichen .
Snterefie, welches dieſelben barbieten, find auch einzelne Darftellungen ſelbſt fehr
merkwürdig. Denn wenn auf mehreren Bildern zur Apocalypfe der Papft als
das Haupt der Schanren bargeftellt wird, welche von den Engeln gefchlagen und
geſtürzt werben, fo hat man, wie e8 feit alten Zeiten gefchehen ift, barin in ber
That den Ausdruck eines Gedankens zu fuchen, wie er von ben Anhängern jener
Waldenſergemeinde in Nürnberg, welche wir nachgewielen haben, gehegt und ver-
breitet warb.
2) Die Einzelheiten bei ©. L. Krafft Ueber Die deutfche Bibel vor Luther
Bonn 1883. — Schott Dr. M. Luther und die dentſche Bibel. Stuttg. 1883. —
Kehrein Deutiche Bibelüberfegung vor Luther. Stuttg. 1851.
336
daß fie alle, abgejehen von mundartlichen und ähnlichen Verſchie⸗
denbeiten, unter einander gleich find und daß fomit eine Art
deutſcher Bulgata eriftirt bat.
Dieſe Erſcheinung wird um jo beachtenswerther Durch ven Um⸗
ftand, daß Die Gejchichte dieſer vorlutheriſchen Bibelüberfegung fih
bis in das 14. Jahrhundert zurüd verfolgen läßt.
Derberübmte Codex Teplensis nämlich bietet, wie
oben bemerft, diefelbe Leberfegung dar, welde im ber
erften deutſchen gedbrudten und danach in allen folgen,
ben deutſchen nihtlutherifhen Bibeln fich findet.
Wenn man fich nun daran erinnert, daß wir in dem genannten
Goder nichts anderes als ein Formularbuch eines @eiftlichen ber
„Brüdergemeinden“ vor uns haben, fo fällt von Hier aus auf bie
aanze Gefchichte der deutſchen Bibelüberjegung ein neues Licht.
Es Yag ja in der Natur der Sache, daß die Bruderfchaften,
welche durch ihre Typographen die Bibel vervielfältigen ließen, bie
jenige Ueberfegung auswählten, welche bei ihren Gottesdienſten feit
alten Zeiten gebraucht und gebilligt war. Aber es tft für den feften
Zuſammenhalt der Buchdruder mit den „Gemeinden bezeichnend,
daß Jeder nur die von den Vätern überlommene und von der Tras
dition gebeiligte Ueberfegung bat reproduciren und in den Gebrauch
geben wollen.
Und andererfeits ift e8 für die Beurtheilung des Zufammen-
hangs der altevangelifchen Gemeinden, die man „Täufer nannte,
mit den älteren Gemeinden wichtig, daß auch jene fich noch bis in
das 17. Sahrhundert im Wefentlihen nur an diejenige Form der
deutſchen Bibel haben halten wollen, welche fchon im 14. Jahr⸗
hundert bei ihren Vätern im Gebrauch war.
Und diefelbe Erfcheinung, welche fich bezüglich der altwalben-
fiihen Bibelüberjegung beobachten läßt, tritt bezüglich derjenigen
Literatur zu Tage, welche an bie „Gottesfreunde“ des 14. Jahr
hunderts angelnüpft zu werden pflegt, deren wahren Charakter wir
aber oben kennen gelernt haben ').
1) Es ift dies eine längſt beobachtete Erfcheinung. Janſſen Gefchichte bes
deutſchen Volks I, 263 fagt mit Recht: „Viele ihrer (d. h. ber Myſtiler) Abhand⸗
337
Sowohl in den „Gemeinden wie in den Kreifen der Werk⸗
Bruderſchaften war die Erinnerung an die großen Wortführer ber
„Brüder“ aus der Zeit des Kaifer Ludwig ftetd wach erhalten wor⸗
den. As Ulrich von Hutten im Mai 1520 zufällig in Boppard
war, fand er dort in dem Haufe eines Bürgers, Ejchenfelver war
fein Name, zu feinem Erftaunen eine alte Handſchrift, welche reli-
giöfe und kirchliche Tractate aus dem 14. Jahrhundert enthielt;
er entſchloß fich fofort, da er fich jehr ſympathiſch dadurch berührt
fühlte, einen Theil der Schrift durch den Drud zu vervielfältigen?).
Auf ähnlihem Wege wurden andere religidfe Abhandlungen,
welche, wie fich zeigen wird, in ben Kreifen der römiſch gebildeten
Theologen meift völlig unbekannt geworben waren, feit der Erfin-
dung der Buchdruckerkunſt mafjenweife unter das Volt gebracht.
Hier kann nur Einzelnes erwähnt werben.
Bor Allem erneuerte man folche Werke wie das „Meiſter⸗
buch“ mit den altevangelifchen Lebensregeln des goldnen ABE und
die Meinen Tractate oder Predigten, die an Taulers Namen an-
geknüpft worben waren. So erſchien das „Meifterbuch” in. ven
Jahren 1498, 1508, 1521, 1522 und 1523 zu Leipzig, Augsburg,
Baſel u. |. w.
Man dructe dies Buch nicht allein, fondern publicirte zugleich
die Predigten Taufers. Auch Separatausgaben einzelner Sermone
Taulers, wie 3. DB. derjenigen über die Worte Chrifti, die fich
Joh. 10, 1 finden, wurden im Drud bergeftellt. Ferner zog man
Gebete aus feinen Schriften aus und Lebensregeln, wonach
der „inwenbige und auswendige Menfch möge regiert werben?) —
furz, der „erleuchtete Doctor”, wie er noch im 16. Jahr⸗
hundert beißt, wurde nach allen Richtungen Hin wieder zu Ehren
gebracht.
Auch minder beveutende Schriften der „Gottesfreunde“ wur-
{ungen und Sammlungen, Ausfprüde umd Regeln für das beichauliche Leben,
erſchienen feit der Erfindung der Buchdruckerkunſt in zahlreichen Ausgaben; be-
ſonders die von H. Seufe (Sufo), Joh. Tauler, Otto von Paſſau und beutfche
Ueberfegimgen der Nachfolge Chrifti von Th. v. Kempen“.
1) Strauß, Ulri von Hutten II, 55.
2) Weller Repert. typographicum No, 2708,
Keller, Die Reformation. 22
338
ben aufs Neue ans Licht gezogen, Darunter die „Auslegung der
Zehn Gebote‘ (welche 1483, 1516 und 1520 erſchien) !), ferner „das
Buch von den 24 Alten‘ (1480, 1483, 1500) und vieles Andere.
Da fich bei vielen dieſer und ähnlicher Editionen Die Verleger
aus guten Gründen nicht genannt haben, fo ift e8 vorläufig un⸗
möglich, eine zuverläffige Ueberficht über Die Druder, welche fich
der oppofitionelfen Literatur annahmen, zu geben.
Indeſſen muß bier doch auf einige Punkte aufmerkfam gemacht
werden.
Der Katechismus der Waldenfer, ven wir oben befprochen haben,
giebt, ſoweit die Druder der Ausgaben feitftehen, einen gewiffen
Anhaltspunkt für die Beurtheilung des Standpunkts der Officinen.
Nun ift es Doch merkwürdig, daß die Firmen, welche nad
Zezſchwitz' Unterfuchungen ſich als Druder des Katechismus er-
mitteln Taffen, auch gerade diefelben find, welche die deutſchen Bibeln
bergeftellt haben. So drudte Hans Schönfperger in Augsburg
neben jenem Fragebuch die 11. und 12. deutiche Bibel (1487 u. 1490);
Friedrich Peypus in Nürnberg, welcher, wie wir ſahen, damals
im Auftrage der Koburger arbeitete, ftellte (offenbar ebenfalls im
Auftrag feiner Arbeitgeber) eine andere Edition des Waldenferbuches
her. Georg Gaftel in Zwidau, welcher fich „Des Schönfpergers
Diener zu Augsburg” nennt, drudte wahrfcheinlich eine dritte Aus⸗
gabe des Fragebuchs, ficher aber eine Apologie der böhmischen Brüder,
welche fich heute noch in der Brüderbibliothek zu Herrnhut erhalten
hat?) und andere ähnliche Schriften der böhmifchen „Ketzer“.
Ganz etwas ähnliches läßt fich ſodann bezüglich der Schriften
Taulers, Suſos u. A. beobachten.
Die Ausgabe von Taulers Predigten, welche im Jahre 1508
erſchien, druckkte Hans Otmar zu Augsburg, derſelbe Otmar, welcher
im Jahre 1507 die 13. deutſche Bibel gedruckt hatte; deſſen Sohn
Silvan Otmar beſorgte im Jahre 1518 die 14. deutſche Bibel.
1) Schmidt, Nicolaus von Baſel. Wien 1866 S. 73 Anm. 15.
2) Eyn kurtz unterricht von dem urſprunck der Brüder in Behmen u. ſ. w.
40. 8 Bl. Zwickaun; Jorg Gaſtel.
Sünfehntes Capitel.
Johann von Staupis und Dr. Martin Luther.
Staupig und bie altbeutfche Theologie. — Seine erfte Begegnung mit Luther
zu Erfurt. — Staupis führt Luther zu Tauler und den „Myſtikern“. —
Luthers Begeifterung für die „deutſchen Theologen” in ben Jahren 1517 big
1520. — Luther wird als Führer anerlannt. — Staupit’ fernere Unter-
ſtützung bis zum Jahre 1521. — Plößliche Erkaltung des Verhältniſſes zwischen
Luther und Staupig. — Wer bat feine Anfchauungen gewechſelt? — Die
Spaltung der Nation. — Urſachen der Spaltung. — Die Lehre von ber
Genugthuung Ehrifti. — Die Willensfreiheit. — Die Erfenntnifquellen ber
religidfen Wahrheit. — Luthers Firchenpolitifche Anſchauungen.
Die Wirkungen der Erneuerung diefer altveutfchen Literatur
äußerten fich zunächſt natürlich vorwiegend in denjenigen Streifen,
welche von jeher die vornehmften Träger derfelben geweſen waren,
befonders im deutfchen Bürgerthum. Allmählich aber kam es da⸗
hin, daß auch einzelne Mitglieder des geiſtlichen Standes den
Geiſt dieſer Theologie in ſich aufnahmen, und es traf ſich glücklich,
daß darunter einige ausgezeichnete Männer ſich befanden, welche
die Fähigkeit beſaßen, die Ideen der Vorfahren in ſelbſtändiger
geiſtiger Reproduction den Zeitgenoſſen zu vermitteln. Zu dieſen
Gottesgelehrten gehörte neben vielen Anderen beſonders der edle
Johann von Staupitz.
Die kleinen Schriften, welche Staupitz im engſten Anſchluß an
die Ideen der deutſchen „Myſtik“ ſeit 1515 veröffentlicht hat, haben
bei Weitem noch nicht diejenige Beachtung gefunden, welche ſie nach
der Wirkung, die fie zu ihrer Zeit ausgeübt haben, verdienen‘).
Im Jahre 1515 publicirte er zumächft ein Kleines Buch über die
1) 3.8.5. Knaake, welcher im Jahre 1867 den Berfuch machte (Johannis
Staupitii Opera. Potsdam 1867. Vol. I) eine neue Ausgabe herzuftellen, hat den⸗
ſelben wegen mangelnder Theilnahme des Publikums aufgeben mäflen. -
22*
340
„Nachfolge Chrifti”. Daſſelbe erſchien bei M. Lother in Leipzig
— in bemfelben Verlag, in welchem drei Jahre zuvor eine Apologie
der „Waldenſer“ erfchienen war — und fand rafch eine große Ver⸗
breitung; einige Sabre darauf erlebte e8 eine zweite Auflage. Eine
der gelefenften und wirkungsvollſten Schriften jener Jahre aber
wurde des Staupis Büchlein „Von ber Liebe Gottes‘, welches zu-
erft im Sabre 1518 gedruckt ward und raſch nach einander drei
weitere Ausgaben erlebte.
Das Anfehen, welches Staupig in jenen Jahren als Vor⸗
fümpfer für die erfehnte veligiöfe Reform genoß, tft oben gefchilvert
worden. Im Sabre 1518 ſprach Dr. Scheurl, wie erwähnt, bie
Hoffnung. aus, dag Staupit e8 fei, welcher das „Volt Israel” aus
der Gefangenfchaft führen werve.
Eben Johann von Staupis war es denn, welcher im Jahre
1505 auf einer der Inſpektionsreiſen, die er al8 Generalvicar bes
Auguſtinerordens zu machen pflegte, in dem Convent zu Erfurt
einen jungen Ordenshruder, Namens Martin, Tennen lernte. Der
Mönch war in jenen Jahren durch ſchwere Gewiſſensbedenken über
die Tragen des Seelenheild und der Erlöfung beunruhigt, und
Staupis, der davon erfuhr, nahm fich freundlich feiner an. Er
belehrte ihn, wie ausdrüdlich überliefert ift, daß das Studium der
h. Schrift, fowie die Lectüre des Auguftinus und ber „Myſtiker“
das menjchliche Gemüth am eheiten zum inneren Frieden zu führen
im Stande feit).
Luther ſelbſt erzählt und, daß unter den fchulmäßigen Theo⸗
logen feiner Yugendzeit die altveutfche Theologie Taulers faft ganz
unbekannt gewefen fei; auch er Hatte bis dahin nichts davon Tennen
gelernt?). Die Worte des Staupik eröffneten ihm daher eine ganz
neue Welt und je mehr er fich darein vertiefte, um fo mehr wurde
er davon ergriffen, ja, er fühlte fich wie neu geboren und nannte feit
biefer Zeit den Staupig in dieſem Sinn feinen „getftlihen Bater“.
1) Theol. Studien u. Kritiken 1869 S. 192.
2) Wie fehr Luther anfänglich unter der Herrfchaft mittelalterlicher religiöſer
Borftelungen und Gefühle ftand und wie er durchaus nur mit den Anſchauungen
ber mittelalterlicden Scholaftit genährt war |. bei Mauren brecher Ge. der
katholiſchen Reformation. Nörblingen 1880 Bd. I, ©. 158,
341
Im Büchlein vom Ablaß fchildert Quther die Wirkungen, welche
Zauler bei ihm hervorbrachte, folgendermaßen: „Was den Lehrer
Taulerum belangt, ob er gleich den Theologis in Schulen
unbelannt und beßbalb Bei ihnen verachtet tft, fo weiß
ich doch, ob er gleich durchaus deutſch ift, daß ich mehr ber veinen
göttlichen Lehre darinnen gefunden, denn in allen Büchern ber
Schullehrer auf allen Univerfitäten ich gefunden habe und darinnen
gefunden werben mag”.
Bon nun an war Luther von warmer Begeifterung für Tauler
und die. altveutfche Theologie erfüllt. In einem Briefe an Spa-
latin ſchreibt er: „Ich bitte dich noch einmal, glaube mir Doch und
folge mir und Taufe dir das Buch Taulers, dazu ich Dich auch zu-
vor vermahnet babe, wo du es nur immer befommen kannſt. —
Denn das ift ein Buch, darinnen dur finden wirft folche Kunſt der
reinen und beilfamen Lehre, dargegen jett alle andere Kunſt eifern
und irdiſch tft“.
Bon biefem Moment an hatte die Literatur der altenangelifchen
Gemeinden außer Staupig noch einen anderen Vorkämpfer gefun⸗
den, ‚welcher an Energie und Entſchiedenheit dieſem weit überlegen
war. Luther ift esgewefen, welder inden Jahren 1517
bis 1520 für die Erneuerung der altdeutſchen Theo-
Iogie das Meiſte gethan bat.
Im Sabre 1515 Hatte ein Anhänger diefer Literatur dem Luther
die Handichrift eines Heinen Büchleins übermittelt, welches ebenfalls
im 14. Jahrhundert entjtanden und, wie Luther nachher fand, von
einem Deutſchordensherrn in Frankfurt verfaßt worden war.
Luther hielt anfänglich dafür, daß Zauler der Verfaffer fei;
er entfchloß fich, daſſelbe durch den Drud allgemein zugänglich zu
machen, und gab dem Buch, welches er ohne Titel vorgefunden
hatte, in treffender Weife die Bezeihnung „Eyn deutſch Theo-
logia“, um damit, wie er jagte, anzubeuten, daß die Gedanken
der Schrift ein charakteriftifches Eigenthum ver älteren deutſchen
Theologie ſeien. „Sch danke Gott", fchreibt er, „daß ich in deutfcher
Zunge meinen Gott alſo höre und finde”. „Gott gebe, daß
diefer Büchlein mehr an Tag kommen, jo werben wir fin-
den, daß die deutfchen Theologen ohne Zweifel die beften Theologen
342
find“. Er fehe daraus, daß auch vorhin und anderswo Leute ge-
wefen, die recht gelehrt hätten, nur habe man fie nicht gelannt!).
Wie tief der Eindrud war, den die Schrift dieſes „Gottes⸗
freundes” aus Frankfurt damals auf ihn machte, jehen wir aus
der Vorrede zu der (nollftändigen) Ausgabe von 1516, wo Luther
fagt: „Es ift mir nächſt der Bibel und ©. Auguftino nicht vor⸗
fommen ein Buch, daraus ich mehr erlernt hab und will, was
Gott, Chriſtus, Menſch und alle Dinge feien”. In einem Briefe,
mit welchen Luther dem Spalatin ein Exemplar feiner erjten Aus⸗
gabe ſchickte, Heißt e8: „Wenn es bich erfreut, die reine, tüchtige,
und ber alten ähnlichite Theologie zu leſen wie fie in beutfcher
Sprache ausgegangen ift, jo kannſt bu die Predigten Taulers aus
dem Previgerorven dir anfchaffen; aber aus biefen Allen Tchiele ich
bir hier gleichfam einen Auszug. Ich Habe wahrlich weder in
Iateinifher no in unferer Sprache eine Theologie
gefunden, die hbeilfamer wäre und mit dem Evangelium
mebr übereinftimmte‘?2),
Diefe Literatur und Johanns von Staupig um dieſelbe Zeit
ericheinende Kleine Schriften waren nach Luthers eigenem Belenntniß
die Quellen, denen er nächſt der Bibel in feinen eigenen Büchern
" damals am meiften folgte. Im März 1518 jchrieb er an Staupig,
er glaube es wohl, daß fein Name bei vielen „ſtinkend“ geworden
ſei; Doch jet er nur der Theologie Taulers und des
Büchleins gefolgt, welches Staupik vor Kurzem inden
Drud gegeben babe?)
In der That durchweht alle die Schriften Luthers, welche
zwiſchen den Jahren 1517—1520 erſchienen find — man bat Diefe
Periode mit Recht die Zeit des „großen reformatorifchen Zeugniffes”
genannt — derſelbe Zug des Fühlens und Denkens, der uns in
der Literatur der „Gottesfreunde” entgegentritt. Wenn man fidh
davon überzeugen will, jo lefe man 3. DB. die „Auslegung des Vater
1) Kritifche Geſammtausgabe von Luthers Schriften. Weimar 1883 I, 153.
2) A. a. O. I, 152,
3) de Wette I, 102. — Kolde (Die deutſche Auguftiner-Congr,. S. 313) fagt
in Uebereinftimmung mit Köftlin mit Net, daß hier Staupig’ Büchlein „Bon
ber Liebe” gemeint fei.
343
Unjer” vom Jahre 1518 oder die „Auslegung des 110. Pſalms“
aus demselben Jahr oder Luthers „Schlußreven wider die Theologie
der Schullehrer und die Träume des Ariftoteles” (1517).
Luther Hatte, bevor er bie beutfche Theologie Tennen Ternte,
durch die Mittel, welche bie berrichende Richtung im damaligen
Clerus als Heilsweg bezeichnete, d. h. durch die Vermittlung ber
Kirche und der von dieſer vorgejchriebenen Leiſtungen vergeblich ver-
fucht, zum Frieden mit Gott hindurchzudringen. Jetzt trat ibm
nun eine Weberzeugung entgegen, welche jagte, daß das Heil an
die Mittelung irgend eines äußeren Dinges oder Werkes nicht ge-
bunden fei, fondern daß es einen unmittelbaren Weg zu Gott gebe,
der in dem Glauben an Chriftus und dem Gehorſam gegen feine
Gebote liege.
Zugleich trat aber mit überwältigenver Kraft bie Ueberzeugung
in fein Bewußtfein, daß fein Menſch aus eigener Kraft allein im
Stande ift, den fehweren Pfad zu wandeln, den Ehriftus uns Durch
den Befehl der Nachfolge zu wandeln vorgefchrieben bat; vielmehr
bebärfen wir dazu der Hülfe und Mitwirkung Gottes, der „Gnade“.
Sp gelangte er zu der Erkenntniß der Lehre, bie von da an
das Grundprincip der evangelifchen Welt und aller ihrer verfchie-
denen Parteien geblieben ift: Wir werden ohne unfer Ver—
dienft und ohne die Mittel äußerer Leiftungen und Einrichtungen
gerecht aus Gottes Gnade durch die Erlöfung, die durch Chriftus
gefcheben ijt.
Es traf fich glücklich, Daß die Theologie des 14. Jahrhunderts
feit fünfzig Jahren wieder das Gemeingut aller derjenigen Deutjchen
geworben war, bie ben noch vorhandenen „Gemeinden“ und den „Bru-
derſchaften“ der deutfchen Werkleute angehörten over nahe ftanden.
Alle diefe Kreife begrüßten jubelnd die Thatſache, dag fich jet
auch unter den fchulmäßigen Theologen der römiſchen Kirche ein
Mann fand, welcher mit dem außerordentlichen Talent, das ibm
eigen war, fi zum Vorkämpfer diefer Literatur aufwarf. Die
Zeiten fchienen wiederzufehren, wo Männer wie Zauler, Edhart
und Marfilius ihre gewaltige Stimme für die Ideen der Brüber-
gemeinden erhoben hatten, und noch lange Sahrzehnte Danach fchrieben
344
die Ehriften der alten „Brübergemeinden‘, die man inzwifchen als
„Täufer“ blutig verfolgte, begeiftert von ben fchönen Jahren, bie
im Anfange der Reformation gewefen waren!) Dean erkennt die
Stimmung der Nation an der Thatjache, daß bie „Deutiche Theo-
logie“ in den Jahren 1518—1520 nicht weniger als 10 Ausgaben
und Auflagen erlebte. .
Was tief in den Herzen von Hunderttaufenden gefchlummert
batte und als fehnfüchtiger Wunfch im Stillen gehegt worben war,
das ſchien fich jetzt verwirklichen zu follen: der Führer jchien ge-
funden, welcher die alten Märtyrergemeinden aus der „babyloni-
then Gefangenſchaft“ in das Land der Befreiung führen werbe.
Rückhaltlos und voll Vertrauen warf fih die Majorität aller
reformfreundlichen Deutichen Luther in die Arme; unter der Fahne
der „deutſchen Theologie” war die Nation in ihrer großen Mehr⸗
beit unter Luthers Führung geeinigt.
„Die Thatfache”, jagt 3. v. Dölfinger im Iahre 1846, „daß
Jeder, der nur in Deutfchland fich zu den Unterrichteten zählte, im
Anfange auf Luthers Seite ftand, tritt uns allentbalben entgegen.
Selbſt Männer, die nachher ihr ganzes Leben der Bekämpfung des
Proteftantismus widmeten, gehörten in den Sahren 1518 und 1519
zu Luthers Bewunderern und verhehlten e8 nicht, wie viele Sym⸗
pathien fie für feine Sache hegten‘ 2).
Das war das Nejultat der großen Sabre 1517 bis 1520. —
Man kann ermeffen, daß über diefe Wendung der Dinge Nie-
mand größere Freude empfand als Johann von Staupig, der Luthern
zuerft auf die Pfade geleitet hatte, auf welchen jener nun mit fo
großem Talent und fo außerorventlihen Erfolgen weiter jchritt.
Staupig bat von da an wie ein Vater für Luther geforgt. Er
führte ihn von Stufe zu Stufe in die Stellung, welche die Unter-
lage für Luthers nachmalige Wirkfamfeit werben follte. Man weiß,
welchen hohen Werth fpäter für Luther in banger Zeit feine Ver⸗
pflichtung als Doctor der h. Schrift gehabt Hat — Staupig war
es, welcher im Frühjahr 1512 den wiberftrebenden Freund Traft
1) Bed Geſchichtsbücher der Wiebertäufer in Oeſtreich-Ungarn 1883. S. 14.
2) Die Reformation, ihre innere Entwidlung und ihre Wirkungen. Regens-
burg 1846 I, 510,
345
feiner Autorität als Ordensvorgeſetzter dahin brachte, daß er dieſe
Würde und damit den Eintritt in den Senat der theologischen Facultät
erwarb; Staupig war es, welcher Luther bewog, fein vhetorifches
Talent auf der Kanzel zur Ausübung zu bringen.
Luther ſelbſt erzählt, Daß Staupig e8 geweſen ſei, „Durch welchen
zuerft das Licht des Evangeliums zu leuchten begann in feinem
Herzen), Nach Luthers eigenen Worten hat Staupig ihn „auf-
geftachelt gegen den Papſt“) und ihm Muth zugefprochen,.
als es fi darum handelte, wider Tegel und den Ablaß aufzu-
treten. Andererjeitd war Staupitz Luthers Fürfprecher, als biefer
mit feiner geiftlihen Dbrigfeit in Conflift gerieth und im Sabre
1518 zu Augsburg vor Cajetan erfcheinen mußte.
Luther war an die Führung Staupigend ſowie an deſſen ftän-
dige Unterftügung und Mitwirkung fo ſehr gewöhnt, daß er am
3. Det. 1519, als Staupik aus zufälligen Anläffen einige Zeit
hindurch Luthers Briefe nicht Hatte beantworten können, folgende
Worte an ihn fehrieb: „Du verläffeft mich allzu ſehr; ich war
Deinetwegen, wie ein entwöhntes Kind über feine Mut-
ter, jehr traurig; ich beſchwöre Dich, preife den Heren auch in
mir fündigen Menjchen. Heute Nacht babe ich von Dir geträumt;
es war mir, al8 ob Du von mir fchieveft, ich aber weinte bit-
terlih und war betrübt. Da winkteft Du mit der Hand, ich
möge ruhig fein, Du werbeft zu mir zurüdfehren‘ 3).
Wenn. man bdiefe Thatfachen ins Auge faßt, fo ericheint es
auffallend, daß Luther einige Jahre fpäter (1522) wörtlich jagt:
„Die Briefe des Staupit verftehe ich nicht, außer daß ich fehe, daß
fie ſehr leer an Geift find; auch fchreibt er nicht, wie er
pflegte; möge Gott ihn zurüdführen‘ 9).
1) De Wette Luthers Briefe II, 408: „Per quem primum coepit Evangelii
lux de tenebris splendescere in cordibus nostris“. — Aehnliche Aeußerungen bei
de Wette IV, 187 und öfter.
2) „Colloquia“, ed. Bindseil III, 188: „D. Staupitius me incitavit contra
Papam“ ; nach P. Zeller8 Aufſatz über Staupitz (Theol. Stud. u. Krit. 1879 ©, 8).
3) De Wette a, O. I, 340.
4) „Litteras Staupitii non intelligo, nisi quod spiritu inanissimas video,
ac non, ut solebat, scribit; dominus revocet eum“. Der Brief ift an Wenceslaus
Lind gerichtet und findet fich bei Döllinger, Die Reformation I, 155.
346
Unter dem 1. April 1524 verficherte dann Staupig dem Luther
auch feinerjeits, „Daß er wegen der Langſamkeit feines Geiftes bis⸗
weilen Luthers Thun nicht fafje; er bitte deßhalb um Verzeihung,
wenn er daſſelbe mit Stilffchweigen übergebe. „Möge Chriftus hel-
fen“, ſchließt er, „daß wir nach dem Evangelium, das jet wor unfern
Ohren tönt und das viele im Munde führen, endlich leben; denn
ih fehe, daß Unzählige das Evangelium mißbrauden
zur Freiheit des Fleiſches. Möchten meine Bitten, ber ih
einst der Vorläufer der beiligen evangelifchen Lehre gewejen bin,
doch etwas bei dir vermögen”). |
Die letzte Schrift, welche Staupik verfaßt hat, ift zu Dem Zwed
gejchrieben, um vor der ganzen Welt e8 auszufprechen, daß die Pfade
Luthers von den jeinigen fich getrennt hätten. Er gab ihr ben
Titel: „Von dem heiligen rechten chriftlihen Glauben‘, und gab
fomit ſchon in der Weberjchrift zur erkennen, daß er gegen ben
falſchen Glauben fchreiben wolle. In der Vorrede nimmt er aus⸗
drücklich auf die ausgebrochenen- Streitigkeiten Bezug und erklärt
feine Abſicht, nun auch ſeinerſeits Rechenſchaft zu geben?)
In diefer Schrift num findet fich ein Capitel, welches die Ueber,
ichrift trägt: „Von der Titelchriften Irrung“. Dafjelbe ftellt ben
Namenchriften die „rechten Chriften” gegenüber — man bemerle
die Anlehnung an den waldenfifchen Sprachgebrauh — und er
läutert den Begriff des wahren ChriftenthHums in folgenden wid»
tigen Sätzen: Man bildet jetzt den Menfchen „thörichten Glau—⸗
ben ein und trennt vom Glauben das evangeliiche Leben; —
fie theilen und fcheiven auch Die Werke vom Glauben, gleich als
möcht man unvergleicht mit dem Leben Chrifti recht glauben. O Kit
des Feindes; o DVerleitung des Volks. Derjenige glaubt gar nicht
in Chriftum, der nicht thun will wie Chriftus gethan hat.
Eben der Glaube, der dir das Vertrauen in Chriftum auflegt, der
1) Der Brief ift zuerft veröffentlicht von 8. Krafft Briefe und Documente
aus ber Zeit der Reformation. Elberfeld 1876 S. 54f.
9 Bon dem beyligen rechten Chriftfichen glauben. Johannes Staubik. Nach
feinem abfchayben an tag kummen und außgangen. 1525. S. Knaake Staupitii
opp. I, 119. Die Schrift erlebte zwei Ausgaben im Sabre 1525, welche im einem
Punkte eine intereffante Differenz zeigen; |. Knaale a. D. ©. 130 (Notiz zu dem
Schluß von Kapitel 10 in den Varianten).
347
bringt dich zur Nachfolge Chriſti, der uns in allen guten Werfen
und Leiden vorgegangen ift und uns ihm nachzufolgen aufgeforvert
bat, der um unjertwillen gelitten und uns damit das Exempel ge-
geben Bat, in feine Fußftapfen zu treten. Hör der Narren Rebe:
der in Chriftum glaubt, der bedarf feiner Werke. Hör
dagegen Sprüche ver Wahrheit: — Wer mir dient, der folge mir
nach; wer mir, nachfolgen will, der verleugne fich ſelbſt und folge
mir mit feinem Kreuz und thue daſſelbe täglich; wer mich liebt,
der wird meine Worte halten; — der meine Gebote hat und hält
fie, der liebt mich und wird vom Vater geliebt, und ich werde ihn
lieben und mich ihm offenbaren; item willft du in das Leben ein-
geben, jo halte die Gebote, David fragt, wer auf ven Berg des
Herren fteige und ftehe in feiner, h. Statt, Antwort: deſſen Hände
unfchuldig find und deſſen Herz rein ift, der ohne Makel eingeht
und wirkt Gerechtigkeit, der die Wahrheit redet und Niemanden be-
trügt, der von dem Böſen weicht und das Gute thut, der im Glau⸗
ben und in der Liebe und in der Heiligung bleibt. — Aber der
böfe Geift giebt feinen fleifhlihen Chriften ein, man
werde obne die Werfe gerechtfertigt, mit Anzeigung als
babe e8 Paulus dermaßen geprebigt, wie ihm fälſchlich und mit
Unwahrbeit wird aufgelegt. Paulus hat wohl wider die Werke bes
Geſetzes, die aus Furcht und nicht aus Xiebe, die aus Eigenliebe,
nicht aus göttlicher Liebe entipringen, in welche die Gleißner ihr
Vertrauen gründen und des Menfchen Heil in nichtige äußere
Werte fegen, bisputirt und geftritten und beſchloſſen, daß bie-
felbigen Werke nicht gut, nicht verbienftlih, fondern verdammlich
feien; der Werke aber, die im Gehorfam der himmlischen Gebote,
in Glauben und Liebe geichehen, bat er nie Übel gedacht und von
ihnen nichts dann das Beßte geredet, ja fie zu der Seligfeit noth
und nüß verfündet und geprediget, wovon alle jeine Epifteln Zeugniß
geben‘, „ChHriftus will das Gefek vollbracht haben, die Narren
wollen e8 vertilgen; Paulus lobt das Geſetz, daß es gut fei, bie
Narren ſcheltens, daß es böfe fet, darum daß fie nach dem Fleiſch
wandern und den Geſchmack des Geiftes nicht haben’ 1).
1) Knaake I, 130 ff.
348
Wer Staupis’ milde Formen und die vornehme Mäßigung,
wie fie feinem Weſen entiprach, kennt, wird in dieſer Auseinander⸗
jegung eine ganz entjchievene und definitive Abjage an das Luther
tbum erfennen müfjen.
Es würde ung zu weit führen, wenn wir bier alle die un,
richtigen Behauptungen widerlegen wollten, welche über die angeb-
lichen Motive Staupitzens von den Anhängern Luthers beigebracht
worden find. Nachdem ich am anderer Stelle an der Hand ber
Urkunden den Beweis erbracht habe, daß Staupit feine ablehnende
Stellung der römifchen Kirche gegerrüber nie verändert bat und daß
er diefelben religidfen Anfchauungen, die er im Iahre 1524 vor
trug, bereit8 im Jahre 1515 gehegt hat, kann ich an dieſer Stelle
einfach auf jene Ausführungen verweifen!).
Es war in der That nicht Staupik, welcher feine Anschauungen
zwiichen den Jahren 1517 und 1522 geändert hatte, fondern Luther
ift e8 geweſen, in deſſen Ideen fich während jener Epoche eine tiefe,
principielle Umkehr vollzog.
Es wird diefe Thatjache von allen Borfchern und von allen
Parteien unummunden anerkannt 2), und nur Darüber herrfcht gegen-
wärtig Meinungsverfchiedenheit, ob Luthers Wandlung aus ber
Confequenz feines Standpunftes erwachfen ſei odes nicht, und ob
fie günftige oder unheilvolle Wirkungen gehabt babe.
Wenn wir nun in der Epoche, die mit 1521 beginnt, gleich.
falls nur eine vorübergehende Entwidlung Luthers zu ſehen hätten,
jo würde darin eine Phaſe zur erbliden fein, welche etwa nur die
Bedeutung bejäße wie jene Zeit, wo Luther nach feinen eigenen
Aeußerungen eifrig päpftlich gefinnt ward). Aber die Periode, die
1) Johann von Staupis und das Walbenferthum im Hiſtoriſchen Tafchen-
buch Sechſte Folge Bd. IV. (1885) ©. 115 ff.
2) Bgl. H. Vorreiter Luthers Ringen mit den antichrifllichen Principien
der Revolution. Halle 1860. — Ferner H. Hering Die Myſtik Luthers im Zu⸗
fammenbange feiner Theologie. Lpzg. 1879. — Köftlin (Luthers Theologie in
ihrer gefchichtlicden Entwidlung I, 289) erflärt die Veränderung mit den Worten,
daß Luthers „Denk⸗ und Lehrweife damals (1517—1520) noch nicht jo Durd-
gebildet war als fie es naher wurde“,
3) Daß Luther felbft noch in Wittenberg, wo er feit 1508 lebte, lange Zeit
durchaus in den Gedankenkreiſen des firengen und eifrigen Mönchthums ſtand
f. bei Maurenbreder a. a, O. J, ©. 159.
349
mit 1521 beginnt, ftellt diejenige Zeit dar, in welcher die „luthe⸗
riſche Kirche” und die lutheriſchen Bekenntniſſe unter ber per-
fönlichiten Einwirkung Luthers diejenige Geftalt erhielten, welche eine
autoritative Geltung für alle Folgezeit und bis auf den heu⸗
tigen Tag erlangt bat. In der Epoche, in der Luther der Apoftel der
„deutſchen Theologie” war, ift e8 zu dauernden und feſten Ver⸗
ftänbigungen nicht gelommen; bie Zeit war eben noch nicht reif
dazu; als aber die Früchte jener Periode des „großen reformatori-
fen Zeugniffes" (1517—1520) gebrochen werden konnten, und das
flüffige Metall in die Form gegoffen ward, die e8 behalten follte,
ba war der Meifter, der den Guß vollzog, bereit nicht mehr der,
der er früher gewefen war.
Man kann wohl fragen, wie fommt es, daß Quther, obwohl
er feine Geſichtspunkte verändert hatte, der Führer der Bewegung
blieb? Nun, er ift es, wie fich zeigen wird, in weiten reifen nicht
geblieben, aber Daß er aller feiner Gegner Herr geworben ift und
das Feld fchlieplich behauptet Hat, dafür laſſen fich Doch noch andere
Gründe als die Begeiſterung des Volles beibringen ').
Luther Hatte als Führer und Herold der uralten beutfchen
Dppofition faft die ganze Nation Hinter fich gehabt. Sein Name
war feit diefer Zeit fo eng mit den Wünfchen und Hoffnungen des
Bolfes verknüpft und zugleich war fein Anfehen fo groß, daß Hun«
derttauſende ihm vertrauensvoll auf jeder Bahn, die er eingefchlagen
hätte, gefolgt fein würden, vorausgeſetzt nur, daß fie die Befreiung
von bem verhaßten römifchen Ioche brachte. Denn diefer Gefichts-
punkt war e3 doch in erjter Linie, der die breiteren Maſſen Ieitete;
welche Spezielle Geftalt die neue Kirche in Lehre nnd Verfafjung an-
nahm, war ihnen im Ganzen genommen gleichgültig.
Dazu kam aber der noch wichtigere Umftand, daß Luther im
erften Theil feiner reformatorifchen Laufbahn das Glück gehabt
hatte, feinen und feiner Freunde Einfluß an mächtigen deutſchen
Fürftenböfen und bei einem großen Theil des Adels feſt zu be-
gründen. Sein eigener Landesherr, ber Churfürft von Sachen,
1) A. Ritſchl Geſchichte des Pietismus 1880 I, ©. 36 fagt: „Die Entfchei-
dung zu Ungunften ber Wiedertäufer ift durch die Gewalt der Obrigfeiten
herbeigeführt worben“.
350
welcher der mächtigfte Fürft im Reiche war nach dem Kaiſer, war
Luther in hohem Grabe gewogen. Da es in jener Zeit unmöglich
war, ohne die Mitwirkung oder wenigſtens ohne die Zulafjung der
weltlichen Gewalt, die Losfagung von der alten Kirche burchzuführen,
fo lag in diefem Verhältniß Luthers zu den maßgebenden Autori-
täten der Kernpunkt der Trage, wer das Feld fiegreich werde be-
baupten können. Luther hatte durch fein Anfehen bei dem genannten
Fürften eine Bafis für die Geltendmachung feiner Ideen gewonnen,
wie fie niemals einem anderen Manne zur Verfügung geftanden hat.
Es ging in dem Jahrzehnt von 1515 bis 1525 eine ungeheure
fociale und religidfe Bewegung durch das Reid. Ein folder
Zuftand konnte nicht lange dauern; nach Turzer Zeit war für bie
Meiften die Lage fo unerträglich, daß man um jeden Preis Ruhe,
Stetigfeit und Sicherheit verlangte. So waren ed nur wenige Jahre,
in welchen bie Maſſen weich und bildfam waren für neue Formen,
und gerade in dem enticheivenden Moment gab es feinen anderen
Mann in Deutfchland, der fo ſehr wie Luther alle VBorbedingungen
vereinigte, um die erregte Menge mit fefter Hand in neue ftetige
Berhältniffe zurücdzuführen. Ob bei dieſer ſchwierigen Procedur die
neuen Formen den Idealen entſprachen, wie fie in den Jahren 1517
bis 1520 Luther und feinen Freunden vorgefchwebt Hatten, ward
von vielen Männern für nebenjächlich angejehen.
Zu diefen Männern gehörte aber gerade der Mann nicht,
welcher mit Recht von fich jagen konnte, daß er der „Vorläufer
der beiligen evangelifchen Lehre“ geweſen ji — Iohann von
Staupig. Und der Name Staupik bedeutete damals viel in
Deutſchland; er hatte eine große, weitverzweigte und mächtige Partei
hinter fi) — diefelbe Bartei, in deren Kreifen Staupig zu Nürn-
berg, wie wir oben fahen, fo gern und fo viel verkehrte. Noch lange
nach Luthers Auftreten nannte Dr. Chriftoph Scheurl nicht dieſen,
ſondern den Staupitz „unjferen Primas“.
Seit jenen Tagen aber, wo der Sieg in Luthers Sinn ent-
ſchieden war, bat die fiegreiche Partei bis auf den heutigen Tag
erfolgreich die Anfchauung verbreitet, nicht nur, daß die Entwid-
Yung der Jahre 1517 bis 1525 die allein richtige war, ſondern auch,
daß die Männer, welche fich ſelbſt und ihren früheren Ideen treu
351
bleibend Luthers Wandlungen nicht mitmachen Tonnten, wie Ver⸗
räther an der guten Sache anzufehen feien.
Um die Berechtigung und die Tragweite der evangelifchen Op⸗
pofition gegen die Entwidlung der „lutheriſchen Kirche‘, wie fie fich
feit 1521 vollzog, unparthetifch zu prüfen, ift es nothwendig, eben
bieje Entwidlung etwas genauer zu betrachten.
Unter allen den wichtigen Punkten, in welchen das neu auf⸗
kommende lutheriſche Shftem fich von der älteren deutſchen Tiheo-
logie unterſchied, war vielleicht der wichtigfte Die Idee, daß das
Evangelium Chrifti ausjchließlich die frohe Botſchaft von der ftell-
vertretenden Genugthuung Chrifti und der ſündenvergebenden
Gnade fei.
So richtig e8 ift, daß das Evangelium diefe Botjchaft enthält,
fo ging doch über der Betonung diefer Eigenfchaft die Hervorhebung
der anderen Thatjache fait ganz verloren, daß bie Lehre Chriſti zu⸗
gleich doch auch eine Mahnung und Aufforderung zur fittlichen
Selbjterneuerung, zur Buße, Selbftentfagung und Auf-
opferung oder mit anderen Worten zur Nachfolge Jeſu ft.
Wir haben oben gefehen, daß die Theologie der älteren deutſchen
DOppofitionsparteien, fo jehr fie auch die ganze b. Schrift als Norm
ihres Glaubens betrachtete, boch ven Worten und Lehren Chriſti,
wie fie in den vier Evangelien uns erhalten find, eine befonbere
Beachtung zuertheilen zu müfjen glaubte. Das charakteriftiiche Merk⸗
mal bes Iutherifchen Syſtems aber war, daß daſſelbe bei aller Ver⸗
ebrung der h. Schrift als Ganzem, doch den Hauptftüßpunft feiner
Theologie in den Briefen des Apoftels Paulus fuchte und fand.
Es ift ungemein bezeichnend, daß Luther, wie oben bereits er-
wähnt, es einem feiner Gegner feit 1522 geradezu zum Vorwurf
anrechnete, baß biefer fortwährend die „Nachfolge Chriſti“ betone;
„Carlſtadts Theologie“, fagter, „ift nicht höher kommen,
denn daß ſie lehret wie wir Chriſto nach ſollen folgen“.
Noch prägnanter aber kommt die Entwicklung, welche Luthers An-
ſchauung damals nahm, in feiner Stellung gegenüber dem Jaco⸗
busbrief, auf welchen fich die ältere deutſche Theologie mit Vor-
liebe berief, zum Ausdruck. Nachdem Luther fchon bei Gelegenheit
352
ber Leipziger Disputation Zweifel an der Echtheit dieſer Epiftel aus⸗
geiprochen hattet), äußerte er im Jahre 1520 in der Schrift „Von
der babyloniſchen Gefangenschaft": „Sch will jegt nicht gedenken,
daß dieſe Epiftel des Apoſtels Jacobus nichts fei, auch nicht würbig
eines apoftolifchen Geiftes, wie ihrer gar viele bewährlich fchreiben‘ 2)
und legte dann im Jahre 1522 (in der Vorrede zur Ueberſetzung
des Neuen Tejtaments) nochmald die Unechtheit überzeugend (wie
er meinte) dar. Im Jahre 1524 that er dann den befannten Aus-
ſpruch, der Jacobusbrief jet eine „ftroherne Epijtel”, die „Leine
evangelifhe Art an fih habe“.
Luther giebt in Diefer Polemik ganz unzweideutig zu erkennen,
dag Paulus für ihn die Norm ift, an welchem er wenigftens ven
Jacobus gemefjen ſehen will. Es ftimmt dies Verfahren durchaus
überein mit der fonftigen Betonung der paulinifchen Lehre, wie wir
fie bei ihm finden). Es war bisher in der deutjchen Theologie
allgemein anerkannt gewefen, daß Chriftus neben feinem Erlöfungs-
zwec zugleich deßhalb in die Welt gekommen fei, um ein höheres
und reineres Sittengejeß, als es die Welt bisher gekannt hatte, zu
1) Luther fagte damals: „Quod autem Jacobi Apostoli epistola indueitur:
fides sine operibus mortua est: primum stilus epistolae illius longe est infra
Apostolicam majestatem nec cum Paulino ullo modo comparandus“. Löſcher
Reformationsacta II, 772.
2) Walch, M. Luthers ſämmtl. Schriften XIX, 142. — VBgl. im Uebrigen
Köftlin, Luthers Theologie I, 279.
3) Es ift doch merkwürdig, daß biefe Betonung des Paulus unter Luthers
Anhängern fo verbreitet war, daß fie als Eigenthümlichleit derfelben im den
Schriften der Satiriker dem Spotte preisgegeben wird. So bichtete im Jahre
1522 Nicolaus Manuel in Bern ein Faftnachtsfpiel „ver Tobtenfreffer“, barin
finden ſich folgende Stellen:
„Sie hand das evangelium gfressen
Und sind jetzt mit dem Paulus besessen“.
Er läßt die Bauern fagen:
„Paulus thut uns liden wee
Mit sin tieff gegrunten episteln“,
und an einer anderen Stelle fagt er: „bie Bauern
„Wend all das evangelium lesn
Das rimpt sich nit zu unserem wäsen.
Sie zeigen uns im Paulo an
Wie das wir sollen eewiber han“,
353
prebigen und zu lehren, das Geſetz der Liebe, Dagegen fagte
nun Luther mit ausdrüdlicher Berufung auf Paulus: „Lerne aus
©. Baulo, daß pas Evangelium lehret von Chrifto, dag
er gelommen ſei nicht darum, daß er ein neu Geſetz gebe,
darnach wir wandeln ſollen, ſondern darum, daß er
ſich ſelbſt zum Opfer gebe für die Sünden der ganzen
Welt“. An einer anderen Stelle ſagt er in dem gleichen Sinne:
„Darum er (Chriftus) fürnehmlich auf Erden kommen tft, (nicht)
daß er das Geſetz ehren follt, ſondern daß ers erfüllete;, daß er
es auch mitunterlehrt, geſchieht außerhalb feinem Amt,
zufälligerweife”. Luther faßte die Summe der Lehre Chrifti
oder des Evangeliums in folgende Worte zufammen: „Chriftus
ſpricht“, jagt er, „Nimm Hin, du bift nicht fromm, ich Habe es
aber für dich gethan, remissa sunt tibi peccata‘, und fagt
an derſelben Stelle, die Eigenfchaft des Mahnens, Forderns und
Gebietens ſei eine Eigenthümlichkeit der Lehre Mofis, die mit Chriftt
Erſcheinen aufgehoben fei!).
Die Begriffsbeitimmung, welche die altveutiche Oppofitton dem
Worte „Chriſten“ oder ‚rechte Chriſten“ gab — wir haben gejeben,
daß fie auf diefen Namen bejonderen Werth legte — beitand darin,
daß fie im Gegenjag zu den „Zitel-Chriften” diejenigen mit Diefem
Kamen nennen wollte, welche „Nachfolger Chriſti“ find und
mit feiner gnädigen Hülfe die Befehle zu erfüllen ftreben, die er in
feinen Worten und in feinem Vorbild uns hinterlafjen bat.
Im Gegenſatz hierzu giebt Luther in feiner Erklärung des Ga-
laterbrief8 folgende Definition: „Wir befiniren: derjenige ift ein
Chriſt, nicht wer feine Sünde hat oder fein Schulobewußtfein hegt,
fondern derjenige, welchem die Sünde von Gott wegen feines
Glaubens an Chriftus nit angerehnet wirb”2).
Zur Erläuterung dieſes wichtigen Sates fagt Luther an der»
felben Stelle wörtlich: „Wir befiten immer eine Zuflucht in jenem
Artikel, der da jagt, daß unfere Sünden zugededt find und daß
1) Wald a. a. ©. VII, 2321.
2) Comment. in Galat. Frankof. 1543 fol. 118 „Definimus ergo, hunc esse
Christianum, non qui non habet aut non sentit peccatum, sed cui illud a Deo
propter fidem in Christum non imputatur“.
Keller, Die Reformation. 23
354
Chriſtus fie uns nicht zurechnen will, nicht als ob Die Sünde
nicht vorhanden fei, fie ift vielmehr in Wirklichfeit da umd die From⸗
men fühlen fie, aber fie ift verdedt und wird uns non Gott nicht
angerechnet wegen Chriftus; ſofern wir dieſen im Glauben ergreifen,
fo find nothwendigerweiſe alle unjere Sünden feine Sünden‘ 1).
Es ließen fich viele Momente beibringen, welche bie Trennung
fo mancher Reformfreunde von Luther bewirkt haben. Aber es Tann
als erwiefen betrachtet werben, daß unter ben veligiöfen Motiven
keines mehr dazu beigetragen bat, die Spaltung unheilbar zu machen,
als die von Luther aufgebrachte Läugnung der Willensfrei-
heit — eine Lehre, welche den Meberzeugungen aller früheren chrijt-
lichen Jahrhunderte, aller Bhilofopben, Theologen, Kirchenväter und
Berfammlungen widerfpracdh 2).
Es iſt wahr, daß Quther Schon frühzeitig und zwar in ver Zeit,
wo er im Uebrigen noch rechtgläubiges Mitglied der römifchen Kirche
war (1516), theoretijch Zweifel über die Frage der natürlichen Kräfte,
welche dem Menſchen nach dem Falle geblieben feien, geäußert hat.
Deutlicher tritt dann feine Idee im Sabre 1519 hervor, aber prak⸗
tifch bat er die Läugnung der Willensfreiheit als Fundamentalſatz
für fein übriges Lehrgebäude doch erft nach dem Sabre 1520 aus»
gebildet, wo die Bulle Papſt Leos X., welche auch dieſer Idee Luthers
widerſprach, feinen Widerfpruch noch beſonders herausgeforvert hatte.
Bon da ab bat er diefe Lehre mit allen ihren Conſequenzen theo-
vetiich ausgebildet und in der Praxis zur Anwendung gebracht.
Ein Gegenjtand des Glaubens wird ja allerdings die fittliche
Freiheit ſtets bleiben, da fie an fich etwas ganz Unbegreifliches ift;
1) Habemus semper regressum ad istum articulum, quod peccata nostra
tecta sint, quodque deus ea non velit nobis imputare, non quod peccatum
‘ non adsit, immo peccatum adest vere et pii illud sentiunt, sed absconditum
est et non imputatur nobis aDeo propter Christum, quem quia fide apprehen-
dimus, oportet omnia peccata non esse peccata.
2) Es ift im Laufe der Zeit über biefe lutheriſche Doctrin, welche Luther
ſelbſt als den „Kern und das Hauptſtück“ feiner ganzer Lehre bezeichnete, eine
große Literatur erwachſen. Man vgl, Dr. 3. A. Dorner Geld. d. Wiſſ. in
Deutichland Bd. V,194—212; Pland Entfiehung bes prot. Lehrbegrifis Bd. II;
Boigt Ueber Freiheit und Nothwendigkeit Lpz. 1828 u. ſ. w.
355
boch waren bi8 zu Luthers Auftreten wenigftend in der chriftlichen
Welt faft Alle Darüber einig gewefen, daß die Freiheit auf das engſte
mit den tiefiten fittlichen Anfchauungen nothiwendig zufammenhänge,
und daß wir geradezu gezivungen werben, fie zu ftatuiren. Denn
ans dem ung innewohnenden Gefühl des „Sollens“ wird Die Mög⸗
lichkeit des „Könnens“ unwiverleglich abgeleitet. Ohne die fittliche
Freiheit tft eine Pflicht der Anftrengung, Entfagung, Selbftver-
leugnung u. ſ. w. in feiner Weife zu begründen. Ja, alles menſch⸗
liche Leid iſt nur dann in feiner Nothwendigfeit begreiffich, wenn
wir annehmen, daß wir einen eigenen Willen haben und doch dazu
beftimmt find, mit Gottes Willen eins zu werben; nur jo ift ber
Gedanke möglih, daß alles Unglüd einen erzichlicden
Zweck bat.
Sy gewiß es einerfeitd eine chriftliche Idee iſt, daß es Fein
„Verdienſt“ vor Gott giebt, und daß wir in Wahrheit Alles der
göttlichen Gnade verdanken, jo gewiß ift e8 ein Gedanke der chrift-
lichen Weltanſchauung, daß jeder Einzelne als ein im fich ſelbſt
fußendes und wurzelndes Wefen Gott gegenüber ſteht. Das Chris
ſtenthum bezeichnet dieſen Gedanken durch die Worte, daß der Menſch
ein „Ebenbild Gottes“ und „gottähnlich”, daß wir Gottes „Kinder“
und er unfer „Vater“ if. Dadurch wird das Verhältniß als ein
ſolches von Berjönlichkeit zu Perfönlichkeit gekennzeichnet.
Trotz aller diefer Erwägungen ſchienen Quther diejenigen Gründe
zu überwiegen, welche aus einzelnen Lehren, befonders aus feiner
Auffoffung der Lehre von der Erbfünde, gegen die fittliche Frei
beit geltend gemacht werden Tünnen.
Zuther ging von der Vorausfegung aus, dag Adam und Eva
einft in abfoluter und höchſter Vollkommenheit im Paradieſe lebten.
ATS fie aber die Sünde begingen, ift diefe Volllommenbeit für fie
und alle ihre Nachkommen gänzlich verloren gegangen. Seit dem
Sündenfall fehlt (nach Luther) dem Menfchen nicht nur jede Fähig-
feit zum Streben nach dem Guten, fondern auch jede Möglichkeit
zum Erfennen ver göttlichen Dinge !),
1) Diefe Lehre ift noch Heute Glaubensfag der rechtgläubigen Yutherifchen
Theologie und fteht in den Glaubensbelenntniffen, auf welche die Theologen ben
Eid ablegen müflen. Vgl. Winer Eomparative Darftellung bes Lehrbegriffs
23 *
356
In diefem Sinne fagte er: „Das ganze menfchliche Gefchlecht,
wie herrlich auch feine Weisheit oder Gerechtigkeit vor den Menfchen
Veuchtet, tft doch anders nichts, denn ein verderbter und ver-
fluchter Klumpen“i.
Darauf hin behauptete er: „In den Dingen, ſo Gott angehen
und über uns ſind, hat der Menſch keinen freien Willen, ſondern
iſt gewißlich wie ein Lehmklos in der Hand des Töpfers, in welchem
allein gewirkt wird; er ſelbſt aber wirkt nichts" 2.
Die biblifche Begründung diefer Anficht fand er in dem Spruch
2 Tim. 2, indem er fagte: „Wenn gleich Tein Spruch wäre denn
der einige ©. Bauli, 2 Tim. 2: "Sie find des Teufels Gefangene‘,
fo hätten wir damit Schrift und Grund genug gegen den freien
Willen”,
„Nicht blog mit Bezug auf Die berrichende Sünde”, fagt Jul.
Köftlin 3), „erflärt Luther den Menſchen für unfrei, ſondern er zieht
biblifche Worte bei, wornach aus dem allgemeinen Verhältnig zu
Gott ihre Unfreiheit folge. — Wie könne nun der Menſch zum Guten
fich bereiten, da es nicht einmal in feiner Macht fei, feine böfen
Wege einzufchlagen? Denn auch Die böſen Wege regiere Gott
in den Gottloſen“. — „Hiermit ift Quther bereits zu Ausfagen
fortgejchritten, welche offenbar ven freien Willen überhaupt, auch
abgejehen von ver Sünde, aufheben‘).
Es iſt wichtig, daß die Concorvienformel, Die noch heute in den
meiften proteftantifchen Ländern von den Geiftlichen beſchworen wer-
den muß, die Anſchauungen Luthers in allen wejentlicden Punkten
aufrecht erhält. Nur fagt biefelbe, daß dem Menfchen „nach der
Bekehrung“ eine gewilfe Mitwirkung zum Guten ermöglicht ift,
nicht aber vermöge feiner natürlichen, ſondern ber übernatürlichen
Kräfte, welche ihm durch die „Belehrung“ zu Theil geworben find.
ber verfchied. chriftl. Kirchenparteien. 4. Aufl. berausg. von PB. Ewald Lpz. 1832
©. 92. Gleich hier bei der Lehre von der Erbfünde fest bie Grunbbifferenz
be8 Tutherthums von dem Anabaptismus (Mennoniten, Onitern, Armi⸗
nianern, Socinianern u. f. w.) ein.
1) Kurze Sprüche aus Dr. Martin Luthers Schriften. Gutersloh, Bertels⸗
mann, 1880. ©. 90.
2) A. O. ©. 92. 3) Luthers Theologie u. ſ. w. I, 380.
4) Köftlin a. ©. I, 381.
357
Was man freilich unter dem Wort „Belehrung (conversio) fich
zu denfen bat, das fagt die Concorvienformel nicht.
In Uebereinftimmung Hiermit lehrt die lutheriſche Dogmatik
bis auf den heutigen Tag, daß der Menfch feit und durch ven
Sündenfall „nicht mehr frei wählen kann zwifchen Gutem und
Böſem, fondern die Kraft, Gutes zu wollen und zu thun, verloren
bat, „Wollen wir daher das liberum arbitrium‘‘, jagt der be-
kannte Dogmatifer Heinrid Schmid !), „wie es fich bei den ge
fallenen Menjchen vorfindet, befchreiben, jo werben wir fagen müffen:
der Menſch vermag jekt, vermöge bes böfen Sinneg, der ihm feit
dem Fall inne wohnt, nichts wahrhaft Gutes und Gottwohlgefälliges
mehr zu wollen noch zu thun, nichts von Alle dem, was die h. Schrift
als folches bezeichnet und vorfchreibt, weil dieſes Alles nur da voll
bracht werden kann, wo der Menfch unter dem befonveren Einfluß
des Geiftes Gottes jteht. Es fehlt ihm darnach fo jehr das libe-
rum arbitrium in spiritualibus, daß er nicht einmal aus eigenen
Kräften nah dem Heil und nad einer Umwandlung
feines jegigen verderbten Zuftandes zu begehren ver-
mag”,
Aber auch noch in einem anderen ſehr wichtigen Punfte, näm⸗
lich in Bezug auf die Erkenntnißquellen der religiöfen Wahr-
heit verließ Luther feit dem Beginn ber zwanziger Jahre und zu-
mal feit 1525 den Standpunkt, den er bis dahin in Mebereinftimmung
mit der Auffaffung der deutjch-chriftlichen Theologie der vergangenen
Jahrhunderte feftgehalten Hatte.
Man weiß, daß Luther in Uebereinftimmung mit der ganzen
großen Reformpartei des Reiches den Entſcheidungen der Kirche und
der Tradition die göttliche Autorität Beitritt. Auch Männer wie
Tauler, auf deren Ideen die ganze Oppofition fich ftüßte, hatten
die Unfehlbarkeit ver Eoncilien im Grunde nur theoretisch feit«
gehalten, tbatfächlich aber in ihren Lehren fich vorwiegend auf
ſolche Punkte eingelafjen, die auf Grund der höheren Erfenntniß-
1) 9. Schmid, Prof. theol., Dogmatik der evangeliſch⸗-lutheriſchen Kirche
6. Aufl. 1876. S. 186. Schmid fügt ſich in feinen Ausführungen auf die ſämmt⸗
fichen älteren lutheriſchen Dogmatiker von Bedeutung.
358
quellen feſt ftanden. Cultus, Disciplin und Kicchenverfafjung, bie
allerdings auf Tradition und Kirche beruhten, Tonnten fie dabei in
derfelben Weife beibehalten, wie Luther fpäterhin die Kindertaufe
und Anderes beibebielt, obwohl fich dafür lediglich die Tradition,
nicht aber eine Schriftftelle beibringen ließ.
Dagegen bat Luther in der Zeit „des großen reformatorifchen
Zeugniſſes“ die im religiöfen Gefühl und Gewiſſen fich kundgebende
und auf der Heiligung des Willens berubende „innere Erleuchtung”
neben der heiligen Schrift auf das entfchievenfte zur Geltung ge
bracht. Allerdings kann ich nicht finden, daß er Die wichtige Unter-
Scheivung zwifhen „Vernunft“ und „innerer Erleuchtung”
betonte; indeffen braucht er Das Wort „Vernunft häufig in einem
Sinne, daß er offenbar fowohl die aus der Natur wie aus dem
Gewiſſen gefchöpften Beweisgründe gemeinfam damit bezeichnen will.
In dem Buche „An den Bock zu Leipzig” 1521 fagt Luther: „Alſo
Hat auch S. Auguftinus gethan und fehreibt, daß er Teinem Lehrer
glaube, wie heilig und gelehrt er fei, er beweife denn feine Lehre
mit der Schrift over heller Vernunft. Aus welchem wir
aber lernen, wie die Väter zu lefen find, nämlich, daß wir nicht
achten follen, was fie fagen, fonvern ob fie auch Hare Schrift
oder Bernunft führen”. — In der Schrift „Wider Die Bulle des
Endchriſts“ 1520 rühmt fich Luther, daß feine Lehre mit Schrift
und Vernunft übereinftimme, indem er den „Papiſten“ vorwirft,
daß ihre Meinungen „wider alle Schrift und Vernunft” wären.
Sn „Grund und Urach aller Artikel, jo in päpftlicher Bulle ver-
dammt” (1521) jagt er unter Anderm: „Dies Alles beweifet auch
bie Vernunft und gemeiner Sinn aller Menfchen”. Derartige Stellen
ließen fich viele beibringen.
Sn den folgenden Iahren bis um 1525 zeigt fih dann bei
Luther ein gewiſſes Schwanfen. Bisweilen finden fich Anklänge an
die alte Auffaffung; mehr und mehr aber bilvet fich bei ihm eine
entſchiedene Beindfchaft gegen Die „Vernunft“ aus. Seine Motive
find dabei genau diefelben, welche fpäterhin von den orthodoxen
Parteien gegen die Vernunft als Urheberin des „Nationalismus
geltend gemacht worben find; von einem gewiſſen Zeitpunft an leugnet
er die Berechtigung desjenigen Faktors, den die deutſche Myſtik als
359
„innere Erleuchtung‘ bezeichnet, den er jelbft aber „Vernunft“ ge
nannt batte, für die Erkenntniß der höchſten und legten Dinge auf
das entſchiedenſte.
Nun tft es merkwürdig, daß diefe Wendung Luthers genau zu⸗
fammenfältt mit der Umbildung feiner Auffaffung über die Willens-
freiheit. Gerade in der Schrift, in welcher er den Nachweis zu
erbringen Tuchte, daß der Menfch einen „Inechtifchen Willen”) Habe
(1524), bringt er zum erjten Mal eine ausführliche Darlegung der
Gründe, weßhalb die „Vernunft” in „göttlichen Dingen‘ eine fchlechte
Rathgeberin jet.
Das Gefühl der perfönlichen Verantivortlichkeit, welches fich in
der Stimme des Gewiffens offenbart, deutet allerdings für den⸗
jenigen, der die in diefer NRegung zum Ausprud kommende „Ver⸗
nunft” in erfter Linie befragt, auf eine gewiſſe Freiheit Hirt, bie
uns in der Wahl des Guten und Böfen gegeben tft. Das geftand
Luther ein. Um nun aber diefer Einreve zu begegnen, behauptet
er, daß menjchliche Einficht in ſolchen Fragen nicht in Betracht
fomme; vielmehr find die „göttlihen Geheimniſſe“ ausfchlteplich nach
dem Wortlaut der 5. Schrift zu beurtbeilen, die für den Glauben
nicht nur die nöthige Vollftändigfeit (sufficientia), fondern auch die
erforderliche Deutlichfeit (perspicuitas) befitt. Man weiß, daß dieſe
Doctrin alsdann Dogma der Lutherifchen Kirche geworben ift und
bis auf den heutigen Tag ald Glaubensnorm zu Necht beitebt.
Die Vernunft, fagt Luther in verfelben Schrift, iſt „blind,
fchläft und ſchnarcht, fühlet und empfindet nicht, wie Gott
wirft oder regiert, fondern fie verachtet Gottes Wert". Man bringe
gegen ben unfreien Willen nur vor, daß „Jich die menschliche Ver-
nunft daran ärgere. Aber die menfchliche Vernunft tft gar eine
„geborene Närrin, gottlos und gottesläfterlich”.
„Alſo ftehen der tollen Vernunft Gedanken von Gott, als
babe er ven Menfchen die Mühe und Arbeit befohlen, feinen Zorn
und feine Güte alfo anzunehmen und auszufchlagen”. „Man muß
Gott und Gottes Wert niht nach menschlicher Vernunft
1) S. die Meberfegung der Schrift De servo arbitrio in Luthers Werken
ed. Walch XVII, 2286.
360
wollen abmefjen und Gott entjchuldigen wollen, warım er
etfiche verſtocke“. |
Ganz befondere Nahrung erhielt Luthers Gegnerfchaft wider
die „Vernunft“ durch den Kampf mit denjenigen feiner ehemaligen
Genofjen, welche an Luthers früherer Vorftellung und dem gemein-
famen Grunde derdeutjchen Theologie auch dann noch feithielten,
als Luther dieſen Standpunkt verlaffen hatte. Der perſönliche
Gegenſatz, der ſich zwiſchen Luther und Carlſtadt durch allerlei
Differenzen aufthat, deren Schuld Teineswegs auf einer Seite aus»
ſchließlich zu fuchen ift, bat ſehr dazu beigetragen, auch den Gegen-
jag der Anfchauungen beiberfeits zu verjchärfen. Es war ein großes
Unglüd für die ganze Bewegung, daß ver Principienfampf durch
bie perjönlichen Gonflilte der beiden Profefioren zu Wittenberg von
vornherein eine tiefe Verbitterung empfing. "
Es liegt auf der Hand, daß die eben gejchilverten religiöfen
Lehren fich in Luthers Geift nicht auf einmal, fondern allmählich
zu einem fejten Shftem gejtalteten. Jedenfalls aber wurden fie das
Merkmal ver Gemeinjchaft, welche um das Jahr 1530 als „Luthe-
rifche Kirche” zu Necht beitand.
Gleichzeitig mit der Entwicklung dieſer religiöfen Ideen vollzog
ſich nun in wichtigen kirchlich-politiſchen Auffaffungen des
maßgebenden Reformators!) eine auffallende Annäherung an bie
Principien der römifchen Kirche. Während Yuther in der Periode
von 1517—1521 auch in feinen firchenpolitifehen Gedanken auf dem
Boden der altveutfchen Oppofition, wie fie Durch die Brüdergemein-
den repräſentirt war?), geftanden hatte, Tehrte er im Laufe ber
zwanziger Iahre zu den Anfchauungen, in welchen er geboren und
erzogen war, in vielen Punkten zurück.
Schon die Zeitgenoffen wollten bemerken, daß Luther nach der
1) Daß Zwingli außer in der Abendmahlslehre in allen principiellen Fra⸗
gen fih an Luther anfchloß, ift bekannt.
2) Auf dem Reichstag zu Worms, im Frühjahr 1521, erfärte der Vertreter
der römischen Kirche Luther gegenüber öffentlih: „Plurima eorum, quae adducis,
Pegardorum sunt, Waldensium sunt, Pauperum de Lugduno sunt, Wicleff et
Huysz et aliorum jam dudum sinodaliter explose hereses.* ®. Balan Mo-
numenta Ref. Lutheranae. Regensb. 1884 ©. 182.
361
furzen Periode feines Zuſammenwirkens mit Staupitz allmählich
wieder in die Gedankenkreiſe einlenkte, welchen er noch bis um das
Jahr 1515 als treuer Sohn der römischen Kirche und eifriger Mönch
ergeben gewejen war. Seine Auffafjungen über die Nothwendigfeit
des weltlichen Zwanges in Glaubensſachen, fein Kirchenbegriff und
felbit feine Ideen vom geiftlichen Stande fchienen nur ein Wieder⸗
aufleben der Erinnerungen zu fein, die aus einer früheren Periode
jeine8 Lebens auf dem Grunde feiner Seele ruhten!).
In der That fteht es ja feit, daß Quther ein reifer Mann war,
als Staupis ihn in Die Ideen der „Gottesfreunde“ einführte, er
hatte mithin nicht, wie viele andere feiner Zeitgenoffen, gleichjam
mit der Muttermilch die Ideen der altveutjchen Oppofition einge
jogen. Als das VBerhältnig zu Staupig fich löfte, da wurden von
Luther andere Wege eingejchlagen und „Die Ideen der Myſtik“
— wie ein neuerer Anhänger Luthers jagt — wurden von ihm
immer mehr „abgeftoßen und abgeſchliffen“?).
Es dauerte nicht lange, fo waren die Gegenfäte zwifchen Luther
und der mit ihm verbündeten Staatögewalt einerfeit8 und der rö⸗
miſchen Kirche andererfeit$ zu folder Schärfe gediehen, daß Die Rath-
Schläge einzelner Perfonen ungehört verhalten. Es galt, in dem
großen Kampfe Stellung zu nehmen, und der Mann oder die Partei,
welche es wagte, um das Jahr 1525 eine felbjtändige Meberzeugung
1) In Bezug auf Luthers Stellung zu den „Kegerftrafen‘ bezw. zur
Gewiſſensfreiheit |. 3. Köftlin Luthers Theologie in ihrer gefhichtl. Entwid-
lung I, 556. Köftlin jagt, feit dem Jahre 1525 habe Luther in dieſer Richtung
„wefentlich diefelbe Anfhauung vorgetragen, von welderaud bie
Gegenpartei ausging und welde in der ganzen berfömmliden
Theorie und Praris herrſchte“. Die „herkömmliche Theorie‘ haben wir
oben ©. 1 ff. beſprochen. — In Bezug auf Luthers Anfchauung von der Kirche
jagt einer der genaueften Kenner, Albrecht Ritſchl, wörtlich, daß fih darin all»
mäblih „eine Annäherung an den katholiſchen Kirdhenbegriffvoll-
309° Griegers Ztſchr. f. Kirchengeich. I, 83).
2) 9. Hering Die Myſtik Luthers im Zufammenbange feiner Theologie
Lpz. 1879 ©. 247. Schon in den Jahren 1521 und 1522, fagt Hering, ift von
Luthers bisherigen Anfichten Vieles „abgeftoßen und abgefchliffen‘. Dem Reichs—
tag zu Worms (1521), fährt derſelbe Autor fort, fehen wir Luther „hinausge⸗
wachen über die Myſtik“ entgegengeben.
362
zu vertreten, mußte auf den Kampf gegen zwei liberlegene Gegner
rechnen.
Seit mindeftens 1524 war jede Ausficht, daß die neue luthe⸗
rifche Kirche Die Gedanken der altenangelifchen Gemeinven zur Ber-
wirffihung und Darftelung bringen werde, verſchwunden. Wenn
die „Brüder“ aber die Hoffnung gehegt Hatten, daß in dieſer neuen
Kirche die alten Gemeinden wenigſtens zu einer gewiſſen Duldung
gelangen würden, fo follten fie bald eines Anveren belehrt werben.
Waren fie unter den römijchen Inquifitoren mit Ruthen gezüchtigt
worden, fo follten fie jest mit Skorpionen gezüchtigt werben und
das Blut der Armen floß wie Waſſerbäche.
Sp geſchah es, daß viele Taufende, welche in Wahrheit weber
Zutheraner noch Katholiken waren, fih um des Friedens willen
äußerlich als folche befannten!). Sie reveten fich ein, Daß die wahre
Klugheit fie zur Oppofition gegen die „Sekten“ zwinge, aber es be
ftätigte fih bald die alte Xehre: Wer die Wahrheit erfennt und fie
verleugnet, der thut e8 nicht ohne Schaden zu nehmen am feiner
Seele. So blieb der Kampf gegen die beiden großen Meächte fehr
bald der geringen Zahl folder Männer überlaffen, welche fähig
waren, für bie idealen Güter dieſes Lebens den äußeren Trieben
zum Opfer zu bringen.
Es fteht feit, daß diefe Verhältniffe e8 waren, welche einen
großen Theil von Luthers ehemaligen Freunden zum Verbleiben in
der römischen Kirche beftimmt Haben. Wenn man ihnen vehhalb
Vorwürfe machte, fo pflegten fie zu erwidern, Daß der Abfall von
den urreformatorifchen Tendenzen — wenn ein folcher vorhanden
fein jollte — nicht größer fein würde als derjenige, den die Wit
tenberger und Züricher Staatskicchen fich hätten zu Schulden fom-
1) Luther fchreibt an feinen Freund Hausmann: „Nichts ift mir jet wiber-
wärtiger als diefer unfer großer Haufe, ver mit Hintanfekung des Worts,
bes Glaubens und der Liebe nur darum fi rühmt, hriftlih und evangeliſch zu
fein, weil er an Fafttagen Fleiſch efien, das Abendmahl unter beider Geftalt
empfangen, das Faften und Gebet unterlafien Tann“. — Im Jahre 1525 fchreibt
derſelbe Luther: „Die Chriften find nicht fo gemein, daß fo viele fich follten auf
einen Haufen verfammeln; e8 iftein feltfamer Bogel um einen Ehriften;
wollte Gott, wir wären das Mebrertheil gute fromme Heiden, die das natürfice
Recht halten, geſchweige das chriftliche”. S. Döllinger Die Reformation u. |. w.
I, 283 f.
363
men lafien; denn e8 hätten fich in ven neuen Kirchen vielfach nur
die Formen und die Namen geändert, im Wejen aber jeien
die alte und die neue Kirche ungemein verwandt.
Sp ſchien es einen Augenblid, als ob die altdeutiche Theologie
nach Jahrhunderte langem Beſtand dem Untergange geweiht jet.
Das Martyrium, unter welchem fie bisher fortgepflanzt war, war
vergeblich gewejen, wenn fich nicht Männer fanden, welche von
Neuem dafür zu Märtyrern zu werben entfchloffen waren. Wenn
man einige Jahre hindurch Hatte hoffen dürfen, daß Die ſchwere
Zeit der „babyloniſchen Gefangenfchaft‘ beendet ſei, jo follte e8 fich
jetst zeigen, daß eine jchwerere Leidenszeit als je vorher im Anbruch
begriffen war.
Sechzehntes Capitel.
Das Täuferthum.
Die Bedeutung ber Bewegung. — Der wahre Name ber Partei. — Gründung
einer neuen oder Erneuerung einer alten Kirche? — Die Wiege des Täufer-
thums. — Die Capiteld-Berfammlungen der „Brüder“ zu Bafel. — Bal-
thaſar Hubmeier. — Die Bafeler Offteinen. — Hans Dend, Curio und
Eratander. — Conrad Grebel. — Wilh. Reublin, Ui Hugwald, Ludwig
Hätzer, Simon Stumpf, Heinrich v. Eppendorf, Hartmuth v. Eronberg,
Dtto Brunfels, Andreas Eaftelberg. — Die Ausländer M. Bentinus, Heinr.
Rode, R. Crocus, Anemund de Coct u. A. — „Apoftel, Biichöfe und Evan⸗
geliſten“. — Die Refultate der Brüber-Synoben. — Die Taufe auf ben
Glauben.
Um das Jahr 1525, fo erzählen die Chroniken der „Brüder⸗
gemeinden‘, die man Täufer nannte, unter dem Kaifer Karl, feines
Namens dem Fünften, „bat die lang unterbrüdte Kirche an-
gefangen, das Haupt wieder empor zu beben“ und von
der berrfchenden Kirche (von der fie bisher nicht äußerlich gefchieden
war) fich Loszuldfen!). „Wie mit Donnerfchlägen‘‘, fährt ver Chronift
fort, „haben Quther und Zwingli und andere ihres Anhangs Alles
niedergefchlagen, aber fie haben doch fein Beſſeres aufgerichtet.“
Sie haben zwar „zum Theil ein Licht aufgefteckt, aber demſelben
nicht richtig Folge gegeben, ſondern fich an die weltliche Gewalt ge-
hängt .... und auch Fein frömmeres Volk (denn im Papftthum)
anferzogen.” „Und um biefer Urſach willen, ob es vorher wohl
einen guten Anfang göttliher Erfcheinung und Anmuths gehabt,
ift ihnen doch das Licht der rechten Wahrheit wiederum verbunfelt.”
„And folche ihre Lehre haben fie mit dem Schwert zu glauben
1) Bed 3. Die Geſchichtsbücher der Wiedertäufer in Deftreih-Ungarn Wien
1883 ©. 12f. (Fontes Rer. Austr., Dipl. et Acta Vol. XLIN).
365
die Menfchen nöthigen wollen, fo Doch der Glaub nicht Gewalt der
Menſchen, fondern eine Gabe Gottes tft‘).
Bon der furchtbaren Kataftrop'be, welche fich im Anſchluß
an diefe Erhebung der altveutfchen Oppofition vollzogen hat — fie
gehört zu den traurigften und folgenfchwerften Epijoden der deutſchen
Geſchichte — wird in der landläufigen Geſchichtſchreibung ſowohl
auf katholiſcher wie auf Iutherifcher Seite in der Regel nicht viel
berichtet, und von dem Blutbad, welches heraufbejchworen worden
ift, haben heute bie Meeiften ebenjowenig Kenntniß wie von dem
Heldenmuth und der Aufopferung, mit welcher auf ber anberen
Seite gekämpft wurde.
Man ift faſt immer mit dieſen Dingen raſch fertig, indem
man geringihäßig von den „Sekten“ fpricht, oder auf die Scenen
verweiſt, die fih in Münfter zugetragen haben follen. Nun, auf
diefe letztere Epifode werden wir unten zurüdfommen und nach»
weifen, wie fich gerade bier eine Umwälzung der bisherigen Auf-
fafjungen vorbereitet. Was aber die „Selten“ betrifft, fo jollten
doch diejenigen mit diefem Namen vorfichtiger umgehen, welche bei
Geltendmachung diefes Wortes in feinem alten Sinn Gelegenheit
geben, felbjt eine „Sekte“ genannt zu werben; aber ift e8 denn
zuläffig, Die Partei der altevangelifchen Oppofition, wie fie zwifchen
den Jahren 1525 — 1530 mit einer großartigen Machtentfaltung
an die Deffentlichkett tritt, eine „Sekte zu nennen, während man
gleichzeitig bei Lutheranern und Zwinglianern einen ſolchen Namen
zurüdweilt? Es tft wahr, daß die gewaltfame Unterbrüdung,
welche die altevangelifche Bartei durch den Bund ihrer Gegner mit
ber weltlicden Gewalt erfahren hat, allmählich das große, weltum⸗
faffende Streben derſelben gelähmt und die fehöpferifche geiftige Kraft,
bie wir Tennen lernen werben, geknickt hat. Dadurch ift fie in
Deutſchland etwa feit der Mitte des 16. Jahrhunderts in ein ver
finnmertes Stillleben gebrängt worden und bat vielleicht den Cha-
alter einer „Sekte“ wirklich angenommen. Aber die erfte große
Periode des Täuferthums Hat fo weite Volkskreife in die Bahnen
ihrer Bewegung gezogen, hat ihren Glievern einen ſolchen Schwung
1) Bed a. O. ©. 14,
366
des Geiftes und eine foldhe Erhebung des Gemüths mitgetheilt und
mit den Zielen, die ihr im Anfchluß an die altchriftlichen Principien
oorjchwebten, einen fo umfafjenden Einfluß ausgeübt, daß fie fich
gleichberechtigt jeder anderen großen Religionspartei
unferes Baterlandes an die Seite ftellen fann. Und
wenn dann fpäter diefe Partei in Deutfchland wirklich zeitweilig zur
Selte berabgebrüdt worden ift — weiß man denn nicht, Daß fie
gleichzeitig in anderen Ländern Europas zu einer weltgejhidt-
lien Bedeutung gelangt tft? Iſt nicht die zweite englifche
Reformation im 17. Jahrhundert vorwiegend von ihr beftimmt
worden? Und wer will fagen, daß ihre Gefchichte beendet ift?
Es ift wahr, daß in dem Wettftreit um den Befig der Macht
diefe Partei in ihrem Urſprungs⸗ und Heimath-Lande ebenfo ihren
Gegnern unterlegen tft, wie das Chriſtenthum in jenen Orientländern,
wo feine Wiege ftand, feinen Zeinden das Feld bat überlaffen müſſen,
um im Abendland freilich fih um fo glänzenver zu entfalten. Ich
will nicht davon reden, daß es unter Chriften einen ſolchen Kampf
mit Feuer und Schwert gegen Mitchriften nie hätte geben jollen, und
Daß es eher ein Zeichen des wahren Chriftenthbums tft, fich kreu⸗
zigen zu lafien, als andere ans Kreuz zu ſchlagen; aber e8 ift ficher,
daß, wenn man den Blick von jenem Wettitreit um die Macht auf
den edleren Streit um die Fülle der Hingabe und Begeijterung
richtet, fid der Vergleich in ganz anderem Lichte daritellt.
Wie dem auch fein mag, fo trägt die unterlegene Partei doch
das Merkmal ihrer Niederlage infofern noch heute an fich, als es
ihren Gegnern erlaubt ift, fie noch fortvauernd mit jenem alten
Scelt- und Spottnamen „Wiedertäufer” zu bezeichnen, ben bie
Partei jelbft ftetS mit Entfchievenheit zurüdigewiefen bat. Man be
Ihimpft die Partei durch den Gebrauch dieſes Namens aus ber
jtimmten Gründen noch fchlimmer als wenn man heute die katho⸗
liche Kirche mit dem Namen „Papiſten“ ober die reformirte
Gemeinſchaft mit dem Namen „Sakramentirer“ bezeichnet.
Wenn jede Partei das Necht Hat, von ihren wifjenfchaftlichen
Gegnern mit dem Namen genannt zu werben, mit bem fie ſich
jelbft nennt, warum will man gerade diefer evangelifchreligiöfen
Richtung dieſes Necht vorenthalten?
367
Schon feit dem Sabre 1615 bat Tileman von Braght in allen
Ausgaben feiner großen Chronif der „Brüdergemeinden“, welche
unter dem Namen „Märtyrerſpiegel“ befannt ift, hervorgehoben,
daß „ber Name Täufer' von feiner Partei nicht auf deren De
gehren angenommen: worden ſei“; „ihr eigentlicher Name‘, fährt
derſelbe fort, „iſt "Chriften’, "Chriftgefinnte” oder "Evangelifche‘,
wie fie von alther, ja feit vielen Hundert Jahren find ge
nannt worden‘!),
Schon die Mitglieder jener Brübergemeinde zu Zürich, Die,
wie fich zeigen wird, in den Gerichtsaften zuerft al8 „Spiritualen“
bezeichnet werden und bie fpäter in den Streitfchriften der Theologen
als „Täufer oder „Wiedertäufer“ vorkommen, nennen fi und bie
ihrigen einfah Evangelifche?), und es ift ſehr beachtenswerth, daß
die Schriften der Brübergemeinden feit 1525, wo derfelbe Name in
Bezug auf die Lutberaner und Zwinglianer in erfter Linie in Uebung
gefommen war, dieſe Ießteren Parteien ganz ausdrücklich als die
Neuevangeliſchen bezeichnen).
Daher iſt e8 offenbar eine Ueberlieferung aus uralten Zeiten,
wenn bis auf den heutigen Tag diejenigen Parteien, welche von
jenen Brübergemeinden abjtammen, in einzelnen Ländern ſich „alt-
evangelifhe Taufgefinnte” nennen und es ift vie Pflicht
einer unparteiifchen Gefchichtsfchreibung, fich diefer biftorifchen und
von den Brüdergemeinden ſelbſt gebilligten Bezeichnung anjtatt jener
Scheltnamen zu bedienen.
Es würde der großen Bewegung der altevangelifchen Brüber-
gemeinden, welche in der Gefchichte unter dem durchaus unzutreffenden
Namen des „Anabaptismus“ zufammengefaßt werben, längft
eine größere Beachtung und eine veränderte Beurtheilung zu Theil
geworden fein, wenn nicht zugleich mit der Partei ſelbſt auch fait
1) v. Braght Het bloedig Tooneel etc. Amsterd. 1685 Bl. A. 6.
2) E. Egli Mtenfammlung zur Geſch. d. Züricher Reformation. I. Zürich
1879 ©. 82 (Verhöre über eine „Schenke“ der Evangelifchen [Iacob Grebel, Claus
Hottinger u. f.w.] auf dem Lindenhofe zu Anfang 1522).
3) Bgl. Ludwig Hätzer Von den Evangeliichen Zechen und von der Ehri-
ften red auf Heiliger gefchrifft. O Gott erlöß die gefangenen M.D. XXV. Bl, a—c.
Hier ſpricht H. wieberbolt von ben Neu-Evangelifchen.
568
die ganze Literatur derfelben von ben Siegern vernichtet worden
wäre. Was die Meiften von der Gefchichte der „Täufer“ und
von ihren Schriften kennen, beruht auf den Zeugniffen ihrer
Veinde!); aber fo gewiß die Anhänger Luthers ein Necht haben,
daß man über den Begründer ihrer Kirche außer dem Urtheil des
Cochläus, Dr. Ed oder des Joh. Janſſen auch noch des angegriffenen
Theiles eigenes Zeugniß bört, jo gewiß ift diejenige Gefchicht-
fohreibung nicht unparteiiſch, welche, wie es bisher gejcheben ift,
auf die Ausfagen Luthers, Zwinglis oder Bullingers hin ein Urs
theil über die „Täufer abgiebt.
Es läßt ſich die Erfcheinung beobachten, daß alle Diejenigen
Forſcher, welche über die landläufigen Darftellungen hinweg zu ven,
allerdings ſchwer erreichbaren, Schriften der „Täufer“ felbft Hin-
durchgedrungen find, ihr Urtbeil wefentlich Haben mobificiren müffen.
Zu den wenigen Männern, welche fich mit der täuferifchen
Literatur und Poeſie beichäftigt haben, gehört R. von Liliencron.
Derſelbe conftatirt bei der Wiedergabe der Eindrüde, Die er em-
pfangen 9, daß in der Poefie der „Wiedertäufer” nichts von den
Verirrungen dogmatifcher oder fittliher Art zu bemerken fei, die
man ihnen gewöhnlich zum Vorwurf macht. „Liebe“, jagt er, „it
da8 große und unerjchöpfliche Thema dieſes Gefanges; denn Liebe
alfein ift das Kennzeichen der Kinder Gottes. Der Glaube Hört
auf im Schauen und die Hoffnung ftirbt in der Erfüllung, aber
die Liebe bleibt ewig, Darum gilt fie den Brüdern als die "Haupt-
ſumme' ihres Wefens 3)‘.
„Es ift bekannt”, fährt derfelbe Autor fort, „welche Feuerprobe
1) Sehr richtig fagt ſchon im Jahre 1753 J. C. Füßlin (Beiträge zur Er-
läuterung der Kirchen-Ref.-Gefch. u. |. w. II, CXXX VI) in Bezug auf die Berfaffer
des Anhangs zur Eoncorbienformel und deren Aufftellungen über die Täufer,
„daß dieſe guten Väter geneigt gewefen, ihrer Widerwärtigen Irrthümer zu ver-
mehren und zu vergrößern‘,
. 2) „Zur %eberbichtung der MWiebertäufer‘ in den Abhandl. d. Kgl. Bair.
Akad. d. Wiſſ. Phil.-biit. KL. 1877 ©. 123 ff.
3) In Bezug auf die Kirchenlieder der lutheriſchen Kirche ift längſt anerfannt
(. Ritſchl Rechtfertigung und Verſöhnung I, 353), daß deren Charakter zur Kenn-
zeihnung der Gemüthsrichtung der ganzen Kirche dienen Tann. Sollte ber
gleiche Rückſchluß nicht auch von der täuferifchen Liederdichtung auf den Geift der
„Wiedertäufer‘ gemacht werben bürfen?
369
mafjenbaften Märtyrerthums den Brüdern Gelegenheit gab, folche
Heiligung durch Die That zu bewähren; denn mit der ſchonungs⸗
Iojeften Härte veligiöfen Hafjes, mit allen Qualen der Folter und
des Todes find. fie von den Regierungen, Tatholifchen wie evange-
lifchen, während eines ganzen Jahrhunderts verfolgt worden”. —
„Auch ung ergreift Hochachtung, ja ftaunende Beivunderung, wenn
wir fehen, mit welcher Freudigkeit und Ergebenheit, mit welchem
Sieg über alles Irdifche diefe Männer und Greife, diefe Mäbchen
und Frauen den Tod über fich ergehen laſſen“!). —
In derfelben Weife wie e8 den Gefchichtsforfchern der römi-
ſchen Kirche gelungen ift, bei ven Angehörigen ihrer Kirche die Ueber⸗
zeugung zu befeftigen, daß Luther wie Zwingli Aufwiegler und
Revolutionäre waren, und daß ein Mann wie Thomas Münzer ein
rechter Schüler Luthers gewefen fei, in derfelben Weife ift in faft
„allen Iutherifchen und zwinglifchen Geſchichtswerken Die faljche Be-
hauptung zu lejen, daß die Häupter der „Wiedertäufer vorwiegend
fociale und politiiche Ziele verfolgt hätten?), und daß Thomas
Münzer und die fogenannten Zwidauer Propheten?) bie
Bäter und Begründer des „Anabaptismus” feien.
Und was den „Zäufern” von den Lutheranern und Ziwing-
lianern nachgefagt worben ift, das Haben die „Sacramentirer” lange
Zeit fih von Luther und feinen Anhängern ebenfall® nachjagen
laſſen müfjen. Ä
In der Vorrede, welche Luther im Jahre 1544 zu einem Buch
1) Ein anderer Forfcher, der bis zu den Originalquellen vorgedrungen ift,
iſt T. W. Röhrig. Er ſpricht das Nefultat feiner Studien in den Worten
aus (Ztſchr. f. biftor. Theol. 1860 ©. 3): „Daß die Mehrzahl der Wiedertäufer
recht würbige Leute waren, die e8 mit ihrem Glauben ganz ernft nahmen, das
zeigen bie Alten‘ Man darf Iedem, ber nicht ſelbſt „vie Alten geprüft‘
bat, das Recht beftreiten, die Wahrheit dieſes Ausſpruchs anzufechten.
2) Die Unrichtigfeit diefer Behauptung wird fih in Bezug auf die art»
erkannten Führer der „Brübergemeinden” unten ergeben. Daß einzelne Täufer
ihre Lehre zur Erreichung politifcher Ziele mißbraucht haben, ſoll nicht beftritten
werben; aber bat e8 denn niemals katholiſche Priefter ober lutheriſche Paſtoren
gegeben, denen neben ber Verkündigung des göttlichen Wortes auch gewifle andere
Ziele vor Augen ſchwebten?
3) Schon T. W. Röhrichs Forfehungen haben feitgeftellt, daß fih am Ober-
rhein „kein unmiztelbarer Einfluß der Zwickauer Propheten‘ nachweiſen läßt.
Ztſchr. f. d. hiſt. Theol. 1860 ©. 4.
Keller, Die Reformation. . 24
370
bes Juſtus Menius über die Wiedertäufer fchrieb, jagt er ausdrück⸗
lich, daß der Geift der „Wiebertäufer” und der „Sacramentirer”
ein Geift fei, und im Jahre 1530 erklärten die zahlreich zu Augs-
burg anwejenden lutheriſchen Theologen jede Verftändigung mit den
Sacramentirern deßhalb für unmöglich, weil in diefer Gemeinschaft
der „Münzerifche Geiſt“ erkannt werben müſſe!).
Diejenigen Schriftiteller ), welche noch Heute derartige unbe
wiefene wie unbeweisbare Verdächtigungen aussprechen, könnten fich
in Bezug auf die altevangelifchen Gemeinden von Luther ſelbſt be
lehren laſſen, daß fie falfche Angaben machen. Luther nämlich,
welcher die Lehre feiner fächfifchen Gegner genau Tannte, verjichert
im Sabre 1528 in feiner Schrift: „Von der Wiedertaufe am zwei
Pfarrherren”, daß in feines Fürften Landen noch nie ein
Wiedertäufervorbandengewefen fei, und fährt dann fort:
„Sch weiß noch nicht recht, was fie für Urfah und Grund ihre®,
Glaubens Haben‘ 3),
Wir werden unten fehen, daß die Erneuerung der altevange-
liſchen Gemeinden, die man „Täufer“ nannte, ſich zwifchen den
Jahren 1515—1522 vollzogen bat, und daß bie erneuerte Ausbrei⸗
tung der Partei ſchon mit 1523 beginnt. Die erfte Beziehung aber,
welche zwifchen den oberveutfchen „Brüdern und den fogenannten
1) Keim Th., Schwäbifche Reformationsgefhichte. Tübingen 1855 ©. 166.
2) Seitvem Cornelius (Münft. Aufr. Lpz. 1860 II, 14 und 24) auf Grund
der eingehendſten Forſchungen feftgeftellt bat, daß die Bewegungen ber fächfifchen
Radicalen ohne irgend welche Nachwirkungen oder Keime zu Neubilbungen ge-
blieben find, und daß Münzer in Hauptpuntten fi mit den Täufern in Wider-
fpruch befand, und nachdem Männer wie H. W. Erblam (1848) conftatirt Haben,
dag man Münzer nicht mit vollem Nechte unter die „„Wiedertäufer‘‘ rechnen fan,
giebt es für wiflenfchaftliche Autoren eine Entſchuldigung mehr, wenn fie folche
faliche Behauptungen immer von Neuem unter das Bolt bringen. Aber noch
die 'neueften Auflagen ber befannteften firchengefchichtlihen Handbücher wiederholen
jene Verdächtigungen (ſ. 3. 3. Herzog Abriß der gefammten Kirchengefchichte
II. Th. Erlangen 1882 ©. 48 ff.). Beziehungen Miünzers zu Anabaptiften
beweifen an fich fo wenig wie die Beziehungen deſſelben Mannes zu Luther,
Decolampab und Pirfbeimer, welche zum Theil befanntlich fehr freundſchaftlicher
Art waren. ’
3) Ein Originaldrud dieſer Schrift befindet fich in der Herz. Bibliothek zu
Wolfenbüttel,
371
fächfifchen Nadicalen ftattgefunden hat, fällt erwiejenermaßen in
den September des Jahres 15241),
Derjenige Kirchenhiftorifer, welcher diefe Beziehungen am ge
naueſten erforfcht und dargeftellt hat, Heberle, faßt fein Nefultat
in folgenden Worten zufammen: „Man fieht daraus,. . . daß fie
(die Anabaptiften in der Schweiz) weit entfernt, ſich Münzer
unterzuorbnen, eine durchaus felbftändige Stellung
ibm gegenüber bewahrten und fich fogar berufen glaubten,
Belehrungen und Ermahnungen an ihn zu richten”, „Ihre Ein-
fprache gegen jeden Verfuh, die Anhänger des Evangeliums mit
bewaffneter Hand zu fohirmen, darf al8 Beweis gelten, daß fie
Münzers aufrühreriihen Tendenzen abgeneigt waren”.
Mit gutem Grunde haben deßhalb wahrheitsliebende Autoren
wie im Sabre 1733 TH. Wald?) und neuerdings 9. W. Erbkam
bervorgeboben, „daß man Münzer nicht mit vollem Recht
unter die Wiedertäufer rehnen fann“?), und von einem
der genaueften Kenner des nachmaligen oberbeutfchen Anabaptismus,
Th. Reim, tft die Thatjache feitgeftellt worden, daß „die Wirkſam⸗
fett der Sachſen Storh, Münzer u. f. w. an den Hauptſitzen des
Anabaptismus ziemlich ſpurlos vorübergegangen ift“).
Die genauen Unterfuchungen, welche ich in langjährigen Stu-
dien über diefe Trage angeftellt habe, beftätigen durchaus die An-
fibten der eben angeführten Männer, welche zudem mit der Tra⸗
bition und den Chroniken der Täufer, die man bisher ganz unbe-
achtet gelajjen bat, volllommen übereinftimmen. Es mag fein und
ſoll nicht geleugnet werben, dag fowohl die Zwickauer wie Münzer
manche Ideen der „Täufer theilten, aber theilten nicht auch Deco-
lampad und ſelbſt Luther gewiſſe Gefichtspunkte mit ihnen? Wei-
1) ©. Heberle Die Anfänge des Anabaptismus in der Schweiz in den
Jahrbb. für deut. Theol, 1858 S. 258. — Grebel, deſſen religiöfe Ueberzeugun-
gen fih ſchon im Jahre 1522 feftftellen Iafien, hat nach feinem eigenen Zeugniß
die erfte Schrift Münzers etwa im Auguft 1524 in bie Hände befommen.
2) Einleitung in die NReligionsftreitigfeiten u. f. w. I, 592,
3) Erdlam Geld. d. prot. Selten. Gotha 1848 ©. 495.
4) Schwäbiſche Reformationsgefhichte. Tübingen 1855 ©. 59. — Es Tiefen
ſich diefe Zeugnifje leicht vermehren. Auch hat Cornelius Münft. Aufruhr
I, 28 hervorgehoben, dag Münzer nie daran gedacht habe, die Spättaufe einzit-
führen.
21*
372
tered wird Niemand nachzumweifen im Stande fein. Man bat auch
eine Zeit Yang erfolgreih die Behauptung verbreitet, dag Willibald
Pirkheimer ein „Freund Münzers“ gewefen ſei; ja zulett kam e8 da⸗
“Hin, daß Jeder, den die orthodoren Parteien den Obrigfeiten denun⸗
ciren wollten, ein „Schüler Münzers“ gefcholten ward.
Die Geſchichte des „Täuferthums“, d. h. die Gejchichte Der
Wiederaufridtung der altevangelifen Gemeinden im
16. Jahrhundert kann nicht an die Thätigkeit eines einzelnen Mannes
etwa in der Weife wie die Gefchichte der lutheriſchen Kirche ange-
fnüpft werden. Der ganze Charakter diefer Gefchichte unterſcheidet
fih von demjenigen der Tutherifchen und zwinglifchen Kirche da⸗
durch, daß e8 fich bei leßterer um die Gründung einer neuen, bei
jener um die Erneuerung einer alten Gemeinfchaft handelt.
Es ist ein ganz vergebliches Bemühen, in der Gejchichte Der
altevangeliichen Gemeinden nach dem oder den Urhebern fuchen
zu wollen. So gewiß um die Wiedergeburt der alten Gemeinden
einzelne Männer fich hervorragende Verbienfte erworben haben, fo
gewiß fehlt die Möglichkeit, irgend einen Grundgevanfen des „Ana⸗
baptismus“ aufzuzeigen, welcher von diefen Männern erfunden oder
zuerſt formulirt wäre, und nicht fchon feit dem 12. Jahrhundert ſich
in den „Brüdergemeinden“ nachweifen Tieße.
Aber gleichwohl ift es von großer Erheblichkeit, die Gefchichte
der inneren Wiedergeburt der alten Kirche zu verfolgen. Wir
haben gejehen, daß der Zujtand, in welchem fich Die Gemeinden um
das Yahr 1500 befanden, einer Erneuerung in hohem Grabe be-
dürftig war. Ein ausgedehntes Arbeitsfeld eröffnete ſich ſolchen
Männern, welche die Entftellungen der Tradition befeitigen und Die
unverfälfchte Lehre wieder ans Licht bringen wollten — ganz zu ge
ſchweigen der großen Aufgaben, die fich ergaben, wenn die „Brüder“
auf dem Wege der Miffion die alte Zahl und Bedeutung wieder-
gewinnen wollten.
Es ift nicht zu leugnen, daß die Geſchichte der reformatoriſchen
Brüdergemeinden eine der wichtigſten Phaſen der altevangeliſchen
Kirche ſchon deßhalb darſtellt, weil erſt feit diefem Moment bie
formelle Loslöſung von der römiſchen Kirche vollzogen
373
wurde. Inſofern bilden die Jahre, welche zwifchen 1515 — 1535
liegen, einen wichtigeren Abfchnitt der altenangeliichen Kirchenge-
ſchichte als alle früheren Epochen, felbft die große Zeit des 14. Jahr⸗
hunderts unter Kaifer Ludwig dem Baiern Taum ausgenommen.
Es ift ganz natürlich, daß die Männer, welche in dieſer Zeit bie
Schidjale der „Gemeinden“ geleitet haben, ein ganz hervorragendes
Anfeben unter den „Brüdern“ noch heute genießen, und daß ihre
Chroniten wie ihre Literatur in erjter Linie an diefe Jahre an⸗
fnüpfen.
Indeſſen ift über der in den Gefchichtsbüchern üblichen Hervor-
bebung derjenigen äußeren Ereigniffe, welche feit etwa 1524 die Los⸗
löfung der erften Gemeinden von der berrichenden Kirche begleiteten,
der Umftand überfehben worven, daß die innere Wiedergeburt der
„Semeinden” eine Vorgefchichte befitt, welche fich allerdings nicht
in firchlichen, aber doch in wiſſenſchaftlichen Entwidlungen
feit dem Jahre 1516 vollzogen hat, und in welcher die nachmaligen
Führer der Bewegung, zumal Hubmeier und Dend, eine hervor-
ragende Rolle fpielen!).
Die Verbältniffe, welche wir oben gefchilvert haben, hatten es
zu Wege gebracht, daß zwiſchen den Jahren 1515 — 1524 die Stadt
Baſel einer der vornehmften Sammelpunfte der Männer wurde,
welche mit den Beftrebungen ber altdeutſchen Oppofition fhmpa-
tbifirten. Im Jahre 1524 ſchreibt der Franzoſe Sean Canaye aus
Paris an feinen Landsmann Wilh. Tarel, welcher, wie zahlreiche
andere Franzofen, Niederländer, Italiener, Sachſen,
Böhmen u. ſ. w. fih damals zu vorübergehender Anmwefenbeit
nach Baſel begeben hatte: „Wir Alle würden dein Scheiden fchmerz-
lich bedauern, wenn ich nicht einfähe, dag du gleihfam zum Hafen
und dem Zufluchtsort des Heiles geflüchtet bift, nach Baſel
meine ich, der wahrbaft königlichen Stadt, weil der König der Könige
will, dag in ihr fein Evangelium und feine ewigen Geſetze blühen
und gelefen und verkündet werben‘ 2).
1) Auch die Geſchichte der lutheriſchen Kirche beginnt nicht erſt mit der Con-
ftituirung ber erſten lutberifchen Gemeinden um das Jahr 1523, fondern mit ber
erften wiſſenſchaftlichen Proclamirung ihrer Grundfäge, d. h. feit dem Jahre 1517.
2) Herminjard A. %, Correspondance des Reformateurs dans les pays
374
Es steht feit, daß die Männer, welche hier das „Evangelium“
verfochten, damals noch an verfelben Lehre fefthielten, welche Luther
jeit vem Sabre 1521 verlafien hatte. Allein es ift bisher gelungen,
die Thatfache zu verdunfeln, daß fait alle Anhänger der evange⸗
liſchen Bewegung in Bafel bis zum Jahre 1525 denjenigen Stand-
punkt getheilt haben, den wir Später von Männern wie Dend und
Hubmeier vertheidigt fehen.
Decolampad, welcher damals in Baſel lebte, behauptet im
Sommer 1525, daß der Kampf um die Taufe vor zwei Jahren
begonnen babe!), Dieje Angabe trifft indejfen nicht zu; denn im
Juni 1522 edirte ein gewifjer Coccinius Doggius zu Bafel eine
Reihe von Thefen Ulrich Hugwalds, welche diefer im Winter-Se
meister 1521/22 feinen Zuhörern vorgetragen hatte, und barunter
find ſechs Sätze (Nr. 42 — 47), welche die Taufe auf den Glauben
zum Gegenjtand haben 2).
Im Sommer 1524 war diefer Streit, der zunächſt natürlich
theovetifch geführt wurde, bereits bi8 zu den Ohren des Erasmus
gedrungen, welcher in demfelben Brief, in dem er der beiden Freunde
Wild. Farel und Michael Bentinus Erwähnung thut, bemerkt:
„Schon find Viele Gegner der KRindertaufe‘ 3).
Am 6. Febr. 1525 aber konnte Decolampad klagend aus Baſel
berichten: „In der Frage der Kindertaufe babe ich nichts als einige
Briefe an Freunde, in welchen fie begründet wird, aber es will
faft Feiner auf mid hören”. Alſo waren in Decolampads
Baſeler Kreife die Meeiften gegen ihn.
Sleihwohl wäre e8 denkbar, daß die Wiege des fogenannten
‚ „Anabaptismus”, wie man beute in den Kirchengefchichten lieſt,
de langue francaise. Vol. I (1866) p. 242: „Sed statim auditus est tuus re-
pentinus discessus..... quem dolendum nobis omnibus dicerem, nisi intelli-
gerem, te velut ad salutis portum et asylum confugisse, Basileam inquam,
vere Baoılıxnv, quod Rex Regum in ea Evangelium suum legesque aether-
nas vigere, legi, promulgari velit“.
1) Herzog Leben Decolampads I, 309.
2) Est tibi Lector brevissimo compendio per Ulrichum Hugualdum, unde
hominum perditio, in quoque sit eorum salus etc. In fine: Anno MDXXII Junio
Mense BL. A—B. kII. 8°,
3) Erasmi Opp. 1703 Ill, 804.
4) Serminjarb Corresp. des Ref. I, 335.
375
nicht in Bafel, jondern in Zürich geftanvden hätte, wenn uns nicht
von gleichzeitigen ausländifchen Theologen bezeugt würde, daß biefe
wenigjtens noch im Jahre 1524 als Urfprungsort des Täuferthums
nicht Zürich, fondern Bafel betrachteten. Der befannte franzöfifche
Reformator Gerhard Rouffel fchreibt aus Meaux am 24, Au-
guſt 1524 an Joh. Decolampad als neuefte ihm zugelommene Mit-
theilung, daß in Bafel die Lehre aufgetaucht fei, man folle die Taufe
auf die Jahre des reifen Alters verjchieben 1).
Zu den Dokumenten, welche für die frühefte Entwidlung des
„Täuferthums“ eine befondere Bedeutung befiten, bat Schon T. W.
Röhrich das merkwürdige Statut der fogenannten „Him mliſchen
Bruderſchaft“ gerechnet, welches in einer Ausfertigung, bie in
den eriten Monaten des Jahres 1522 aufgezeichnet worden ift, auf
ung gelommen tft 2). Dieſes Statut enthält im Keime ſowohl die
Lehre wie die Verfaffung der nachmaligen „Brüdergemeinden‘ in
merhvürdiger Vollftändigfeit. Es Tann fein Zweifel fein, daß die
oben von uns erwähnte Bruderfchaft „zum Himmel” in Bafel nach
denfelben Grundſätzen wie diefe „Himmliſche Bruderſchaft“ orga⸗
niſirt war, und es iſt wahrſcheinlich, daß die uns bekannten Männer
Mitglieder derſelben geweſen ſind. |
Da iſt e8 nun weiter fehr beachtenswerth, daß uns gerade in
diejen reifen um 1524 auch jene „Capitel8-VBerfammlungen“
wieder entgegentreten, bie wir in früheren Jahrhunderten unter
den „Brüdern“ Tennen gelernt haben.
Es iſt uns die Einladung zu einer ſolchen Verſammlung er»
halten, welche Dr. Baltbafar Hubmeier unter dem 11. Juni 1524
an feine „Capitel- Brüder” erlaffen hat?). Er fordert darin
die „Brüder“ auf, „fih mit ihren Bibeln bei dem nächſten Ca-
1) Herminjarb Corresp. des Ref. I, 278.
2) Das vorhandene Exemplar (f. Ztichr. f. hiſt. Theol. 1860 ©. 26 f.) ift
für die „Brüder und Schweftern‘ in Eronberg bei Frankfurt a/M. aufgezeichnet
worden. Wolfgang Capito bat darauf gefchrieben „Himmelſch Brüderſchaft“. Die
Ausfertigung findet fih in Bafel,
3) Acht und dreißig ſchlußreden, fo betreffende ein gantz chriftlich Leben u. |. w.
1524, Bl. B. 3 (Exemplar in der Hof und Staatsbibl. zu München),
376
pitel, fo wir zu Waldshut halten werden‘ 1), in feinem Haufe eins
zufinden. „Darnach will ich euch Alle nach meinem Vermögen mit
einem brüderlihen Mahl?) in meinen Koften ungefpeift und uns
getränkt nicht hinweg laſſen“.
Zugleich überfendet er den „Brüdern“ die Tages» Orbnnung
des Capitels, welche in 18 Theſen beftand, die er über bie religiöfen
Tragen aufgeftellt Hatte. „Darum bitt und ermahn ich euch, Tieben
Herrn und Brüder bei dem Bande brüderlicher Liebe, bei der Hei-
ligkeit des chriftlichen Friedens und bei dem Namen unferes Herrn
Jeſu Chrifti, daß ihr euch in diefen Schlußreven, in Trage» und
Unterrihtungs-Weife von mir ausgegangen, erfehet und die Schrift
ergründet”,
ALS Zweck der VBerfammlung giebt Hubmeier an, daß in „Weis
bung der chriftlihen Schäflein nach Inhalt des göttlichen Wortes
einhelliglicb fortgefahren werde”, und er beruft fih darauf, daß
„ein alter Brauch von der Zeit der Apoftel ber’ es mit
fich bringe, daß, „wo ſchwere Sachen einfallen, die den Glauben be-
treffen, fich Etliche, denen das göttliche Wort zu reden befohlen,
hriftlicher Meinung verfammeln”. Bor Zeiten babe man bdiefe
Berfammlungen Synoden genannt, jetzt aber würden fie „Capi-
tula oder Bruderſchaften geheißen“,
Eben zu diefen Berfammlungen war Balthafar Hubmeier 3) im
Jahre 1522 von Waldshut aus, wo er fih damals aufhielt, wieder-
1) Man beachte, daß Hubmeier damit auf frühere und anderwärts als in
Waldshut gehaltene Eapitel hinmeift.
2) Es find dies die ‚Schenken‘ (Collatien), die wir fpäter kennen lernen
werben.
3) Eine fehr eingehende Ueberficht über Die Literatur bezüglich Hubmeiers bat
neuerdings Dr. 3. Bed in feinem vorzüglichen Werke: „Die Geſchichtsbücher der
Wiedertäufer in Deftreih-Ungarn von 1526— 1785 Wien 1883 (Fontes Rer. Austr.
“ Abth. I Vol. XLIII) ©. 47 gegeben. Indem ich darauf verweife, will ich noch
folgende Quellen hinzufügen: Mittheilungen aus dem Antiquariate von S. Cal-
vary u. Co. in Berlin. 1. Bd. Berlin 1870 S. 111 ff. (nebft Bildniß Hubmeiers
und Berzeichniß feiner Schriften). — Prantl Geld. der Ludwig-Mar.-Univerfität
Münden 1872 1,113; 1,484. — Reufch Der Inder. Bonn 1883 ©. 230. —
Phil. Schaff Bibliotheca Symbolica Ecclesiae universalis. New-York 1878
1, 842. — De H00p-Scheffer Geschied. d. Kerkhervorming etc. 1873 p. 406 f.
— A. Stern in der Allg. D. Biogr. Bd, XIII, 264 f. und Cunitz bei Herzog
u. Plitt, Realencyel, 2. Aufl. VI, 344 ff.
377
holt in Bafel gewefen. Er, erzählt jelbft, daß er zu Anfang 1522
mit feinen Freunden zu Bafel die h. Schrift eifrig erforfcht und
mit Einzelnen über beftimmte Fragen, 3. B. über das Tegfeuer,
Berhandlungen. gepflogen babe ı).
In Hubmeier tritt uns nun fofort derjenige Mann entgegen,
deſſen Namen mit der Gefchichte der reformatorifchen Brüderge-
meinden auf das engjte verknüpft ift.
Seit alten Zeiten haben felbft Hubmeiers Gegner, foweit fie
jih bemüht Haben, den Mann wirklich Tennen zu lernen, einen
tiefen Eindrud von der Perſönlichkeit empfangen, welcher fie fich
gegenüber fanden. Theodor Keim fagt: „Kein gewöhnlicher Dann
jtarb in Hubmeier“, und fpriht von der „ungewöhnlichen,
wunderwirkenden Berebfamfeit und Energie” fowie von der „bedeu⸗
tenden Berjönlichkeit”, die Hubmeier befaß 2).
Auh Hubmeiers Biograph Schreiber jagt wörtlich: „Erwägt
man unbefangen alles Bisherige, was von Hubmeier, und die Art
und Weife, wie e8 vorgetragen wurde, jo läßt fich doch ein ehren»
werther, aufridtignah Wahrheit ftrebender Charakter
in ihm fchwerlich verfennen‘ 2),
Es iſt Hubmeier ergangen wie allen feinen Parteigenofjen: die
Urtheile, welche die fiegreichen Gegner über fie verbreitet haben,
jind ohne felbftändige Nachprüfung in allen Büchern reproducirt
worben; mit Recht Tonnte ſchon ums Jahr 1750 Füßlin hervorheben,
„daß man biefem Hubmeier viele Glaubens⸗Artikel unbillig zuge-
meſſen habe‘).
Hubmeier Hatte von frühen Jahren her fein Hauptintereffe auf
religiös-philofophifche Fragen concentrirt. „Mit wunderfamer Be-
gierde”, jo erzählt Dr. Ed, „folgte Hubmeier dem Unterricht in
der Philoſophie“. Auf Grund feiner ausgezeichneten Kenntniffe
in diefem Tach fei ihm, fügt derjelbe Ed hinzu, die Magifterwürbe
mit dem höchſten Ruhme zu Theil geworben.
1) S. Schreiber im Taſchenbuch für Süddeutſchland 1839 ©, 20 ff.
2) Schwäbifche Reformationsgejhichte S. 36; 47.
3) Schreiber Tafchenbuch für Süddeutſchland 1839 ©. 34.
4) Füßlin Beiträge u.|.w. I, ©. 126,
378
Die Univerfität Freiburg, an welcher Hubmeier feit dem Jahre
1503 ſtudirt hatte, nahm ihn im Sabre 1511 unter ihre Docenten
auf. Schon im Jahre 1512 erhielt er einen Ruf als Profejjor der
Theologie nach Ingolftabt, wo er noch in demſelben Jahr die theo-
logifche Doctorwürde empfing. Im Jahre 1515 wurde er zum
Prorector der berühmten Hochſchule gewählt; e8 war Died daſſelbe
Jahr, in welchem der damals zu Ingoljtadt ftudivende Markgraf
Trievrih von Brandenburg, der Sohn des Churfürften Albrecht
Achilles und der Vater des Hochmeifters Albrecht in Preußen, Das
Rectorat diefer Hochjchule bekleidete 1).
Bon da an ftieg Hubmeiers Ruf von. Jahr zu Jahr; 1516
wurde er Domprebiger zu Regensburg und trat damit in eine
Stellung ein, die ihm einen großen Wirkungskreis ficherte. Selbft
bie Chroniften jener QTage berichten von dem ungeheuern Zulauf,
den feine Predigten fanden.
Das Jahr 1519 brachte für ihn die Wendung; als er fi
mit dem offenen Wahrhbeitsfinn, der ihn ftetS ausgezeichnet Hat,
öffentlich für Quther erklärte, glaubte das Domkapitel ihn nicht
länger dulden zu können. Der berühmte Prediger und Theologe
3098 ſich in eine Heine Landſtadt zurüd: er ging nach Waldshut.
Man Tann ermeifen, daß fein regfamer Geift Hier nicht die
Nahrung fand, die er brauchte, und fo benutte er die Gelegenheit,
um die Städte Bafel, Freiburg und Zürich fleißig von Waldshut
aus zu befuchen.
Wenn man nun fragt, wer bie Männer waren, mit welchen
Hubmeier damals jene „Capitels⸗Verſammlungen“ gehalten bat, fo
werden wir zunächit wieder auf die Mitglieder jener großen Bafeler
Dffieinen geführt, die wir zum Theil bereit Tennen gelernt haben.
In feiner deutſchen Stadt haben ſich die Buchdrucker mit
folder Energie auf die Erneuerung der alten oppofitionelfen Litera-
tur geworfen wie in Baſel. Hier erfchienen nicht nur jene oben
erwähnten Schriften der „Sottesfreunde”, ſondern es wurden vor
Allem auch folche alte Bücher von Neuem unter das Volk gebracht,
deren Verfaſſer vor Alters in aller Form als „Keter” in den Bann
1) Schreiber a. DO. 1839 ©. 12,
379
gethban worden waren, darunter Sohn Wiclif!, Joh. Weifel
von Groningen ?)- und vor Allem Marfilius von Padua.
Bon allen den alten Wortführern der Oppofition beſaß Mar-
jilius für unfere Epoche bei weiten die größte MWichtigfeit; bie
Erneuerung jeines Werkes hat auf die Ausgeftaltung der kirchlich⸗
religiöjen Principien der reformatoriſchen „Brüdergemeinden“ einen
Einfluß ausgeübt, welcher noch in Feiner Weife genügend gewürdigt ift.
Da ift e8 nun zunächft von erheblichem Intereffe, daß die Ba-
jeler Ausgabe des „Fridſchirmbuchs“ — e8 ift die erfte gebruckte,
welche wir beſitzen — in ver Officin des Valentin Curio im
Sabre 1522 bergeftellt worden ift?), deffen Gefchäftstheilnehmer und
Correftor damals, wie wir fahen, der Magifter Hans Dend war ?),
Der Paftor Wolfgang Weißenburger, welcher im Jahre 1522
Prediger an der Spitallirche zu Bafel war’) und den Reformfreuns
den nahe ftand, berichtet, daß der Mann, welcher unter dem Pfeu-
donym Lucretius Evangelus die Vorrede gefchrieben hat, Niemand
anders als der Druder Valentin Curio felbjt ſei 9).
Der Defensor pacis von 1522 trägt aber auf der Rückſeite
des Titel8 und vor der Vorrede Curios den Namen eines anderen
Mannes, der fich „Philalethes“ nennt, und der, wie ich bei anderer
Gelegenheit zu zeigen hoffe, fein anderer als Dend gewejen ift.
Die oben erwähnten Strophen der „Duntelmänner- Briefe"
trafen um das Jahr 1522 keineswegs bloß auf die Officin Frobens,
fondern auch auf diejenige Curios und Cratanders zu.
1) Joh. Wielif Dialogorum libri IV. 1525. 4°.
2) Weffelus Farrago Rerum Theologicarum etc, Bajel 1522.
3) Opus insigne, cujus titulum fecit autor Defensorem pacis, quod
questionem illam jam olim controversam de potestate Papae et Imperatoris
excusissime tractet, profuturum Theologis, Jureconsultis etc.... Das Titel-
blatt zeigt einen Holzſchnitt: Kaifer. Ludwig vor Rom barftellend. Am Schluß
ift al8 Jahr der Vollendung 1522 angegeben.
4) Es ift beachtenswerth, daß in der oben (S. 331) erwähnten Denckſchen
Saza- Ausgabe von 1523 bdiefelben Holzftöde (man vgl. Gaza BL. A. 2° mit
Defensor pacis fol. 357) und dieſelben Typen für Die Marginalnotizen gebraucht
worben find, wie im Defensor pacis.
5) ©. Basler Chroniken. Bd. I (hrsg. v. W. Viſcher u. fr, Stern) Lpzg.
1872 ©. 35.
6) Wolfg. Weißenburger Praef. ad Antilog. Papae. Basil. 1555. 8°.
380
Gratander war e8, welcher im Jahre 1522 ein Buch verlegte
— 28 war Vadians Ausgabe des Pomponius Mela — zu weldhem
Conrad Grebel, der Sohn des Züricher Patricierd und Sena-
tors Jacob Grebel, die Vorrede gefchrieben hatte. Grebel lebte um
die Zeit, als dies Buch erfchien, in Bafel; er war im Auguft 1521
dahin gefommen und befaß, wie wir wiſſen, in dem Kreife, zu wel-
hem Dend und Hubmeier gehörten, feine nÄächjten Freunde.
Einer der Männer, mit welchen Grebel damals in Bafel ver-
fehrte, „Urfinus, nennt am 1. Dectober 1521 den Grebel einen „in
jeder Richtung ausgezeichneten jungen Mann, welcher: gegen Alle
höchft gefällig fer”.
In der That ftimmen alle feine Freunde und feine Gegner
darin überein, daß Grebel fich ebenjo durch feine Begabung wie
durch feine hervorragende Gelehrſamkeit auszeichnete. Vadian, wel-
her den Standpunkt Grebels befanntlich durchaus nicht theilte, aber
aus langjährigem Verkehr ihn Tannte, behauptet, daß er „mit großen
Talenten ausgerüftet geweſen fei”, und dies Urtheil wird von Zwingli
vollfommen beftätigt!).
Grebel hatte fich in feiner Studienzeit vorwiegend mit der claf-
ſiſchen Literatur beſchäftigt. Erſt im Jahre 1522 tritt und in den
Quellen die Nachricht entgegen, daß er ein Vorkämpfer der Tirch-
lichen Reform geworden fe. Am 15. October 1522 theilt Grebels
Yangjähriger Freund, Melchior Macrinus, an Ziwingli aus Solo-
thurn mit, daß „&rebel, wie Macrinus höre, ein ausgezeichneter
Patron des Evangeliums geworben ſei“. „Sch freue mich wahrhaftig
nicht wenig, daß auch Sünglinge, welche an Geift und Bildung her-
borragen, fich zu biefen Studien wenden‘ 2),
Es Fällt demnach der Umſchwung in Grebels geijtiger Richtung
genau in die Zeit feines Bafeler Aufenthalts, in dieſelbe Zeit, welche
auch infofern einen neuen Lebensabfcehnitt für ihn eröffnete, als er
fich dort verheirathete und damit einen Schritt that, der ihn in
ſchwere Conflikte mit feinen Eltern brachte.
1) Zwingli fchreibt an Myconius: „Versaberis inter Grebelios, Amma-
nos, Binderos candidissimos et doctissimos adolescentes“. Zwingli Epp. I, 218.
2) Heberle a. a. O.: Salutem die — C. Grebelio, quem audio singularem
'evangelii patronum factum, quod me hercle non mediocriter gaudeo, etiam
juvenes, qui ingenio et eruditione praestant, ad ea studia convertere etc,
381
Da iſt e8 num intereffant, daß Vadian, Grebels Schwager und
damaliger Genofje, ausprüdlich fagt, Grebel habe „auf die Ein-
gebung“ einzelner Männer Hin feine Dogmen in Zürich auszu-
breiten angefangen ').
Wer find diefe Männer gewefen? Diejenigen Perfonen waren
es, welche in Bafel feit langen Jahren die Ideen ver „Brüberge-
meinden‘ gepflegt hatten, beſonders der Freundeskreis, welcher fich
in Cratanders Haus verfammelte.
Zu dieſem Kreife gehörten außer den oben genannten Perſonen
als Einheimifche der Leutpriefter von S. Alban, Wilhelm Reublin,
der aus Schwaben gebürtig war. Diefer Iegte damals, wie ber
Ehronift Fridolyn Ryff verfichert 2), „die heilige Schrift fo chriſt—
lich und wohl aus, daß dergleichen vorher nie war ge»
hört. worden, fo daß er ein mächtig Volk überfam” 3). Ferner
gehörte dahin der Profeffor an der Bafeler Hochſchule, Ulrich Hug-
wald, welcher, wie und Decolampad berichtet, bereits im Sommer 1525
die Spättaufe empfangen hat‘). Hugmwald>) ftammte aus Bifchof-
zell im Thurgau und war mithin ein Landsmann Ludwig Hätzers 6),
welcher um 1524 fich ebenfall® vorübergehend in Baſel aufhielt.
1) Grebelius quum dogma.... paucorum suggestione animatus
spargere Tiguri et invulgare coepisset etc. in Antilogia J. Vadiani ad claris-
simi Viri Gasp. Schwenkfeldii argumenta 1540 (Vorwort).
2) Basler Chroniken, hrsg. v. W. Viſcher und A. Stern Lpzg. 1872 1, 33,
3) Ueber Reublin |. Ochs Geſch. Bafeld. 1796 V, 357 ff.; 436. — Heß
Joh. Decolampad ©. 50 Anm. — Bullinger Reformationsgefchichte I, 108. —
Füplin Beiträge zur Reformationsgeſchichte u. ſ. w. I, 2165 IV, 43, 45. —
Eornelins Geſch. des Münft. Aufruhrs. Lpzg. 1860 II, 16 ff. — Basler Ehro-
niten I. Bd. (Lpzg. 1872) ©. 33 ff. — Herzog Das Leben Oecolampads I, 90 ff.
— Forfhungen zur Deut. Gef. Bd. XXI, 445. — Genaue Quellennachweiſe
bei Dr. Bed Geſchichtsbücher der Wiedertäufer in Oeftreih. Wien 1883 ©. 86;
90. — Dazu vgl. Heyd Ulrich, Herzog zu Würtemberg. II, 314 ff. — Es ruht
noch manches ungedrudte Material -über ihn in den Archiven.
4) Herzog Das Leben Joh. Decol. Baſel 1843 11, 271.
5) Hugwalds Briefe an Badian, die vornehmfte Duelle für feine Lebensge-
fchichte, beruhen unbenutzt in der Bibliothel zu S. Gallen. Hugmwald hat eine
Heide intereffanter Heiner Schriften veröffentlicht. Alle ftehen auf dem römifchen
Inder unter den Libri prohibiti primae Classis (Reufch Der Inder ©. 271).
Sein Name wird in den Eorrefpondenzen der franzöfiihen Reformatoren viel-
fach erwähnt; |. Herminjard, Corresp. I, passim.
6) Ueber Häger ſ. bie bei Bed Geſchichtsbücher der Wiebertäufer in Deftreich-
382
Aus dem dftlichen Deutfchland Tamen Simon Stumpf aus
Franken !), welcher alsbald ein Vorkämpfer der Brübergemeinven
in der Schweiz wurde, und aus Sachſen Heinrih von Eppen-
Dorf, welcher fich ftetS auf der Seite der „Brüder“ gehalten hat,
aus Cronberg bei Frankfurt a/M. der Ritter Hartmuth von
Cronberg, welcher fih damals und fpäter als intimer Freund
Eppendorfs wie anderer altevangelifcher Männer bewährt hat?).
Vom Mittelrhein ber war Otto Brunfels nach Bafel ge
fommen; Andreas Cratander verlegte im März 1523 eine Heine
Schrift deſſelben ?), und Heinrich Eppendorf und deſſen Treunde ge
hörten zu feinen Vertrauten. Brunfels ftammte aus Mainz, wo
fein Vater als Küfermeifter gelebt batte; jeine Familie fcheint ſchon
länger dort anfäffig gewefen zu fein, denn im Jahre 1459 war
Hans Brunfels auf dem Capitelötag zu Negensburg Vertreter der
Bauhütte von Mainz Otto Brunfels bat fpäter ſowohl auf dem
Gebiet der Theologie wie der Mebiein und Botanik fich bervor-
ragende, noch nicht genügend anerkannte Verdienſte erworben.
Aus den rhäto⸗romaniſchen Theilen der Schweiz, wo nachiweid-
lich feit alten Zeiten „heimliche Gemeinden‘ beſtanden, war ber
Bücherhändler Andreas Caftelberg, genannt Andreas auf ber
Stülzen, damals in Bafel anwejend‘). Diefer Mann, der mit
Ungarn 1883 ©. 33 Anm. 3 citirten Ouellen, und vgl. ferner die neuefte Ab-
handlung über ihn bei A. Brons Urjprung, Entwidlung und Schidfale ber
Zaufgefinnten oder Mennoniten. Norden 1884 ©. 408 ff. Die üblen Nachreben,
die man Häger gemadt, find zum größten Theil erfunden. Nach A. Brous
a. a. O. ftammte er aus einer alten Waldenferfamilie.
1) ©. Zwinglii Epistolae VII, 184. Danad war Stumpf [don im Spät
berbft 1521 in Bafel.
2) Es liegen eine Reihe ſchwerwiegender Beweisgründe vor, auf Grund beren
ih den Hartmuth von Cronberg in jenen Jahren für diefe Partei in Anfprud
nehme. Leider geftattet mir bier der Raum nicht, in biefe Beweisführung ein
zutreten. Ich verweiſe vorläufig auf das von Röhrich in der Ztſchr. f. hiſt.
Theol. 1860 ©. 26f. abgebrudte und ib. S. 14 mit Recht dem Cronberg zu⸗
gefchriebene wichtige Aktenſtück betr. die „Bruderfchaft“ in Eronberg, welches
wir oben bereit8 erwähnt haben.
3) Ut afflictionibus Rhodiorum militum ordinis S. Jo. Baptistae succurra-
tur ad Principes et christianos omnes Othonis Brunfelsii oratio. Anno MDXXIII.
Basileae ap. Andr, Gratandrum.
4) Unter dem 17. April 1520 fchreibt ein gewifler Jacobus Nepos (Pſendo⸗
num?) an Zwingli aus Bafel: „Dialogum tuum, humanissime domine, ante-
383
mehreren Schweizer Oppofitionsmännern in Beziehung ftandt), be-
gegnet uns bald in Bafel, bald in Zürich (wo wir feine Thätigfeit
als „Diener des Worts“ in der heimlichen Gemeinde bald kennen
lernen werden), bald in Chur?), und fo fcheint er fich vorwiegend
auf ver Wanberfchaft befunden zu baben.
Eine ſehr wichtige, noch lange nicht genügend gewürbigte Rolle
fpielt in diefem Kreife der junge Gelehrte aus Flandern, den wir
als Freund Dends und Correktor Cratanders bereits fennen gelernt
haben, Michael Bentinugs). Er hat an den religiöfen Kämpfen
den lebhafteſten Antheil genommen, und der Standpunkt, den er
dabei einnahm, wird durch die Thatjache beleuchtet, daß er den ge-
ächteten und flüchtigen Dend auf Gefahr feines eigenen Lebens im
Sabre 1527 in feinem Haufe brübderlih aufnahm.
Auch noch andere Ausländer fanden fih in dem Haufe Era-
tander8 um diefe Zeit ein: aus Nord und Süd, aus Oft und
Weit kamen fie wie auf eine allgemeine Verabredung in demfelben
Sahre bier zufammen. Es war ein Kommen und Geben, wie e8
in den großen Mittelpunkten der „Brüdergemeinden“ in den Häufern
derjenigen Brüder der Fall zu fein pflegte, welche die wandernden
„Apoſtel“ aufnahmen.
quam amicos meos inviserem, per bibliopolam claudum miseram. —
Praeterea Myconii, doctissimi viri, geAelonvov, per eundem remisi“. Dieſer
Nepos verkehrte nach feinem eigenen Zeugniß in Bafel mit Froben, Slarean u. 4.
— Zwinglii Epp. I, 130. — Ueber die Iventität des Mannes mit Andreas Stül⸗
zer |. Heberle Die Anfänge des Anabaptismus in der Schweiz in ben Jahrbb.
f. deut. Theol. 1858 ©. 257.
1) Jac. Salandronius an Zwingli d. d. Rhaetien, 1522 Aug. 26: „Mira,
quae apud nos de vobis narrantur, scripsi M. Gregorio et claudicanti illi biblio-
polae Andreae* (Zw. Epp. I, 221).
2) Joh. Comander an Zwingli d. d. Chur, 1525 Aug. 8: Protonotarius Cu-
riensis — utitur Andrea Magistro (Zw. Epp. I, 401). — 2gl. dazu Zw. Epp. II,
142. — Andreas ift neben Grebel ein Führer der Züricher Täufergemeinde geweſen.
3) Bgl. Erasmi Opp. 1703. II (Regifter s. v. Bentinus). — Weitere Ouellen
finden fih bei Herminjarb Correspondance des Reformateurs I, 219, 224,
280, 304, 366, 398 u. öfter. — Bal. den Brief Dends an Oecolampab v. 1527
bei Keller Ein Apoftel u.f.w. 1882 ©. 253. — Herzog Leben Decolampabs
1, 245. — Ueber Bentinus’ pbilologifche Arbeiten |. Schweiger Handbuch der
claffifchen Philologie. — Vita Erasmi Lugd. Bat. 1642 S. 173. — Sehr wahr-
fcheinlich ift die Ausgabe Nicolai Perotti Cornucopiae etc. Bajel, Eratander 1521
von Bentinus beforgt; ich habe fie nicht einfehen können.
384
Im Januar 1523 erzählt uns Decolampad, daß er in Era
tanbers Haufe einen Niederländer, Namens Rodtius, getroffen
habe; derſelbe hatte Schriften feines Landsmannes Joh. Weſſel mit-
gebracht und Cratander war bereit fic zu bruden?).
Diefer Node ift Tein anderer als jener Heinrich Rode, von
welchem Jürgen Wullenweber fpäterhin (1536) ausfagt, verfelbe habe
ihn zur Wiedertaufe beredet 2). Rode war bis zum Jahre 1522
Borftand der „Brüder⸗Schule“ zu Utrecht gewejen und Hatte dann
flüchten müffen. Er fehrte fpäteftens im Jahre 1525 nach den
Niederlanden zurüd, erfüllt mit den religiöfen Vorftellungen, vie
er in Cratanders Haufe gehört hatte, und ift dann einer'der vor
nehmſten Vermittler des oberbeutfchen „Täuferthums“ im Norben,
befonders in Oftfriesland, wo er lange lebte, geworden. Es ift in
bobem Grade wahrjcheinlich, daß die niederlänbifche Bibel, welde
damals zu Bafel gedruckt wurde 3), ſowie die niederländifche Ueber
fegung jener oben erwähnten Hubmeierichen Schrift, welche die Ein,
ladung zu der „Capiteldverfammlung” enthielt), auf Rodes Bafeler
Aufenthalt zurüdgeht.
Aus England war, wie wir oben ſahen, ber gelehrte Richard
Crocus anweſend; außer ihm hielten fih aber auch Thomas
Lupfet5), ein Freund Heresbachs und Andere gerade Damals in
Baſel auf.
Beſonders zahlreich aber waren die fünfranzöfifchen „Brüder“,
zumal aus der Dauphine und aus Lyon, welde in Cratanders
Haufe eintehrten. Da war aufer vielen Anderen der Sprößling
eines alten füdfranzöfifchen Adelsgefchechts, der ehemalige Johanniter⸗
Nitter Anemund de Eoct, Herr von Chajtelard, ein Mann von
hervorragenden Eigenjchaften des Geiftes und Charafters.
De Coct war als „Däretifer” aus der Dauphiné ausgewiefen
1) Oecolampadii et Zwinglii Epistolae fol. 209b.
2) Wait Jürgen Wullenweber III, 492.
3) Näheres darüber, fowie über Rode im Allgemeinen in dem vortrefflichen
Bud von de Hoop⸗Scheffer Geschiedenis d. Kerkhervorming etc. Amst.
1873 ©. 30 u. 262.
4) de Hoop-Sceffer a. D. ©. 406,
5) Er Hat fpäterhin beſonders auf dem Gebiet ber Batriftit gearbeitet;
ſ. Wolters Conrad von Heresbad ©. 16.
385
worden !) und hatte darin das Schiefal fo vieler feiner Landsleute,
die jich zu den „Brüdergemeinden“ bielten, getbeilt. Er nahm den
Weg in die Schweiz und von dort nach Deutjchland und hat dann
in den Entwidlungen diefer Jahre eine viel größere Rolle gefpielt,
als man nach den bisher über ihn befannt gewordenen Nachrichten
annehmen follte?), Er hat mit allen einflußreichen Männern jener
Zage, mit Luther, Spalatin, Zwingli, Erasmus Beziehungen an-
geknüpft und Deutſchland, Italien, Frankreich und die Schweiz von
einem Ende zum andern durchwandert. Etwa im Juli 1523 fchrieb
er auf den Wunfch des befannten Reformators Franz Nambert
von Avignon eine Vorrede zu deffen „Evangelifchen Commentar”,
der gegen die Sranciscaner gerichtet war, und e8 mag hier erwähnt
werden, daß diefe durch das Zuſammenwirken der beiden Südfran-
zojen entitandene und zu Wittenberg gedruckte Schrift alsbald eine
niederländifche Veberfegung erlebte, an deren Herftellung jener
Rode, wie ich vermuthe, mitgewirkt hat 3). So nahmen biefe Männer
gleich von vornherein gemeinfam entſchiedene Stellung gegen das
Mönchthum. |
De Coct hatte, wie aus feinen Correſpondenzen hervorgeht,
viele Beziehungen in Savoyen; diefelben reichten hinauf bis zum
Hofe Herzog Carls IH., den er im Jahre 1523, als er von Wit-
tenberg nach Savoyen gereift war, befuchte, um dem Fürften einen
Brief Luthers zu überbringen ?). |
Die „Brüder“ im Süden waren es, zu denen Anemund, wie
er jelbft fagt, gehörte. „Ich erwarte”, fchreibt er am 2. September
1524 an feinen Landsmann Wilhelm Farel, „täglich Briefe von den
Unferigen dur meinen Boten Johannes“. „Sobald Vaugris“
1) Herminjard Corresp. des Ref..I, 339 (No. 141), — Das Schloß
Chaftelard, der Familienfiz de Coct8, Tag 3 Stunden nordweſtlich von Barce-
Ionette (Dep. Baſſes⸗Alpes).
2). Herminjard Corresp. des Ref. I veröffentlicht allein aus den Jahren
1523—1525 acht Briefe von ihm bezw. an ihn. Sein Name wird in den gleich⸗
zeitigen Correſpondenzen fehr häufig und alljeitig mit der größten Hochachtung
erwähnt.
3) „Gulden opschrift in der Minnerbroders Reghel, wat van die en an-
deren monniken regulen te houden zy. Brief van Anemundus Coctus“ etc.
Geprent in Eutopia 1526. ©. Scheffer a. ©. ©. 406,
4) Der Brief ift abgebrudt bei Herminjarb I, 151, Vgl. dazu I, 184,
Keller, Die Reformation. 25
386
— es ift der uns befannte Buchhändler gemeint — „nach Lyon
geht, werbe ih an bie Brüder fchreiben, daß fie mir etwas Geld
ſchicken“ N). „Unfer gemeinfamer Bruder Bentinus“, fährt
er fort, „ſchreibt an Dich". „Ich Habe mit Michael zuſammen ben
Curio überredet, daß er ein Buch gegen die falfchen Biſchöfe druckt“.
„Schreibe mir franzöfiiche Briefe, damit all unfer Thun möglichft
geheim?) bleibt” 3),
Es war wie vor alten Zeiten Verfchtwiegenheit ftrenge Pflicht
unter den „Brüdern“, und nur im engjten Kreife ift e8 befannt ge-
worben, wer als „Apoftel” ausgefandt ward, um für die Ausbrei⸗
tung des Evangeliums zu wirken. Beſonders hütete man fich, Dies
Ichriftlich aufzuzeichnen, und wenn etwas aufgezeichnet worden wäre,
jo würbe man fich bei dem Dunkel, welches bisher über der früheſten
Geſchichte des Anabaptismus lagert, nicht zu wundern haben, daß
es noch nicht ans Licht gezogen worben tft‘).
1) Der fehr intereffante Brief bei Herminjarb Corresp. des Reform. I, 280.
2) Ganz richtig hat ſchon T. W. Röhrich bemerli, daß die altevangelifchen
Gemeinden, auch als fie nad dem Beginn der großen Bewegung bereits jehr
activ in diefelbe eingriffen, „ver Sicherheit wegen ihre Heimlichkeit und ihre ſtille
Bruderſchaft bewahrten““. Ztſchr. für Hift. Theol, 1860 ©. 3.
3) Wild. Farel nannte fi) „Urſinſis“. Ms er im Jahre 1525 fi) bei dem
Grafen von Neufchätel die Erlaubniß erbat, dort predigen zu dürfen, nannte er
aus Furcht vor Verfolgung weber feinen Namen nod feinen Stand (Hermin-
jard Correspond. des Reform. I, 461 Anm. 15). Als er fih dann in der Funk⸗
tion als Schulrektor in Aigle niebergelafien batte, um die dortige beimlide
Gemeinde zu paftoriren, nennt einer feiner Freunde ihn gelegentlih: „Ursi-
nus, Aelae Episcopus“ (Herminjarb a. DO.) Wer konnte darunter ben
Schulrektor Farel vermutben? ft aber nicht der Titel Biſchof höchſt bezeichnend?
4) Es ift bis jeßt nicht genügend befannt, daß Wilhelm Farel, ber geiftig
bebeutenbfte unter den Reformatoren franzöfifcher Zunge, ebenjo wie in allen
anderen Punkten, fo aud in ber Tauffrage den Standpunkt Hubmeierd und
Dencks zeitweilig getheilt bat. Farel fchreibt am 7. Sept. 1527 (Herminjarb
a... O. II, 48): „Latet enim (plurimis), quid sit dare nomen Christo, velleque
Christo militare, juxta legem Domini omnia posthabere, inque vitae profi-
cisci et durare novitate, antiquata priore et vetere (vita), jam per Spiritus
infusionem, quo suos tingit Christus, hoc in animo destinasse, hujusque gratia
coram Christiana plebe intingi aqua velle, ut palam protestetur,
quod corde credit, ut fratribus carior sit et Christo magis hac solemni ad-
strictus professione, quod majusculis ad nos ab impiis confugientibus
fieret, singula si recte dispensarentur, ut magnus ille coepit Joannes ac
omnium maximus praecepit Christus; non abarcendo parvulos, ut
387
Gleichwohl finden fich folgende merkwürbige Notizen. Unter
dem 17. December 1524 fehreibt ein Freund des Michael Bentinus,
nämlich Petrus Toffanus!), an Wilhelm Farel aus Bafel, indem
er von Franz Lambert von Avignon und deijen Freunden fpricht:
„Sie laſſen fih Apoftel, Evangeliften und Bifchöfe
nennen” 2), und in der That kommen diefe Bezeichnungen in ben
GCorrefpondenzen des Lambertſchen Freundeskreiſes, zu welchem auch
Grebel, Dend, de Coct, Hubmeter u. U. gehörten, wiederholt vor.
Liegt nicht in dieſem Gebrauch uralter, und zwar fpecififch
waldenſiſcher Benennungen ein deutlicher Hinweis auf bie
Gemeinschaft, die wir bier vor uns haben?
Verner wirb in den vertraulichen Correfpondenzen Wilhelm
Farels die alte, in dieſem Sinn ausjähließlich in den „Gemeinden
Chriſti“ nachweisbare 3) Bezeichnung „Heilige“ in der gleichen Be⸗
deutung wie „Gläubige oder „Brüber” verwendet. Während in
den fonftigen Briefen jener Tage am Schluß fich gewöhnlich die
Worte finden: „Ich grüße alle Freunde“, fehreibt Michel d'Arande
im Jahre 1526 an Wild. Farel: „Ich grüße alle Heiligen” 4),
und im Februar 1527 nennt oh. v. Steinwort in einem vertrau-
lichen Brief an Farel den Anemund de Coct: „Sanetus frater
Anemundus Coctus“).
Jede nähere Unterfuhung ®) wird Die Thatfache beftätigen, daß
Anemund de Coct als „Sendbote“ der ſüdfranzöſiſchen Brüderge⸗
nonnulli voluerunt“. Alſo Chriſtus befiehlt, Die Erwachſenen, wenn fie Mitglieder
der „Gemeinden“ werben wollen, zu taufen. Doch will Karel die Kindertaufe
nicht verbieten.
1) Toſſanus bat zwar in feinen Anſchauungen den „Brüdern“ ſehr nahe
geſtanden, aber er iſt ſchwerlich ſelbſt Mitglied einer Gemeinde geweſen. Er ſtammte
aus Metz.
2) Herminjard Corresp. des Réf. I, 313: „Item faciunt se vocari Apo-
stolos, Evangelistas et Episcopos“.
3) ©. oben ©. 249. 4) Herminjarb a. O. I, 470.
5) Herminjarb a. O. II, 12.
6) Es wäre eine fpecielle Unterfuchung iiber de Eoct fehr wünfeenswertb,
Er Hat nahe Beziehungen zu ſämmtlichen Kührern der nachmaligen „Täufer“
unterhalten, beſonders zu Grebel; fehr befreunbet war er nach feinem eigenen
Zeugniß mit Martin Eellarius (f. Herminjarb Corresp. des Ref. I, 311).
Luther fchreibt am 13. Sanıtar 1525: „Anemundus minatur mihi, nisi cedam
mea opinione, sese adversus me scripturum“ (de Wette Luthers Briefe II, 613).
25*
388
meinden nach Bafel gelommen ift, und es wird dadurch in hohem
Grabe wahrfcheinlich, daß auch Die übrigen Männer, welche mit ihm
gemeinfam dort tagten und bie er zum Theil ausprüdlich als „Brü-
der“ bezeichnet '), al8 Abgefandte der alten Gemeinden an
den Capitelsverfammlungen Theil genommen haben.
Bei der Heimlichkeit, mit welcher man zu verfahren gezwungen
war, find fehr wahrjcheinlich protocoffarifche Aufzeichnungen vermie-
den worben ?).
Aber auch ohne derartige Aufzeichnungen befigen wir in ben
Bublicationen, die aus dem Zuſammenwirken ber „Capitels⸗Brüder“
hervorgegangen find ®), eine fichere Grundlage zur Beurthetlung der
Refultate jener Berathungen. Und wenn wir weiter fein Wert,
als die neue Ausgabe des Marfilius von Padua in der Hand hätten,
fo würbe Dies genügen. Man beachte nur Die von jenem „Licen-
tius Evangelus‘‘ im Sabre 1522 verfaßte Vorrede, und man wird
finden, daß barin eine vollftändige Heine Befenntnigfchrift der „Brü⸗
bergemeinden” enthalten ift®). |
1) Es ſteht fe, daß die Mitglieder der Waldenfergemeinden die Bezeichnung
„Bruder“ Niemandem zu geben pflegten al8 einem anderen Mitgliede der Ge-
meinde.
2) Es Scheint, daß zu den Beichlüfien die Schaffung und Organifirung von
„Bruderſchaften“, welche als Uebergang zur Gemeindegründung dienen konnten,
gehört habe. Das Statut der neu zu errichtenden „Himmliſchen Bruderſchaft“
zu Cronberg (f. oben) ift in denjelben Monaten aufgezeichnet, in welchen die Ber-
fammlungen fattgefunden haben.
3) Es gehören dahin, wie ich glaube darthun zu können, unter Anderem bie
Heine im Jahre 1522 zu Bafel anonym erfchienene Schrift: „Von drien Chri-
ften, dem römiſchen Ehriften, dem Böhemſchen Ehriften, dem Thürkifchen Chriſten“
u.f.w. (f. Gödeke Pamphilus Gengenbach Hannov. 1856 S. 214 ff.); ferner
die ebenfall® 1522 zu Bafel bei P. Gengenbach anonym erfchienene und fpäter
mindeftend in brei Ausgaben wiederholte Schrift: „Der Evangeliſch Burger“
(ſ. E. Weller, Repertor. typograph. u. f. w. Nördl. 1864 N. 2078 ff... Sehr
ſtark beeinflußt von den Brüberverfammlungen find die im Jahre 1519 zuerft
jelhftändig erfchienenen „Annotationes in Novum Testamentum“, welche zwar bes
Erasmus Namen tragen, aber nach defjen eigenem Zeugniß mehr auf die Red-
nung feiner Mitarbeiter als auf feine eigene zu fegen find.
4) Die Anlehnung an die Bergprebigt muß felbft demjenigen auffallen, welcer
die Betonung derfelben durch die „Brüder nicht Fennt. Die Sache verbient eine
nähere Unterſuchung.
389
Wir haben oben gejehen, daß die Auffaffung über die Taufe
jeit Jahrhunderten einen wejentlichen Differenzpunft zwischen ben
„Brübergemeinden” und der herrſchenden Kirche bildete. Seit ur
alten Zeiten hatten bie „Brüder“ principiell daran feftgehalten, daß
die Taufe auf den Glauben in der Praxis der apoftolifchen Jahr⸗
bunderte und in den heiligen Schriften ihre Begründung befike 1).
Es ift wahr, daß fie gleichwohl die Kindertaufe ſelbſt an ihren eigenen
Kindern haben vollziehen laſſen, aber fie thaten dies nur mit dem
Vorbehalt, daß fie in der Beiprengung der Neugeborenen eine vor-
bereitende, Später zu ergänzende Waffer- oder Namentaufe erblickten 2)
und eine innere Wirkung von der wahren Taufe nur dann er«
warteten, wenn das Bekenntniß des Glaubens feitend bes
Zäuflings hinzukomme. Aber auch dieſe innere Wirkung dachten fie
ſich nicht wie die herrfchende Kirche als eine übernatürliche Kraft
zur Wiedergeburt, fondern als eine finnbildlihe Zuſicherung
der göttlihen Gnade. Die Wiedergeburt, fagten fie, erfolgt
nicht durch ein äußeres „Gnadenmittel“, ſondern durch die unmittel-
bare Wirfung Gottes in dem Menjchenherzen; denn Joh. 1, 13 fteht,
daß wir von Gott geboren werden 9).
Sie waren fich volljtändig Har darüber, daß ihre Grundprin-
cipien ebenjo wie ‚diejenigen der evangelifchen Kirche überhaupt e8
völlig unmöglich machen, die göttliche Einfegung der Kindertaufe als
Gnadenmittel mit Erfolg zu vertheibdigen.
1) ©. oben ©. 89.
2) Es ift dies auch der Standpuntt, den fpäter Caſp. v. Scwentfetb und
feine zahlreichen Anhänger eingenommen haben. Im einem Briefe vom 5. April
1543 erllärte er einem feiner Freunde, daß kein Kind durch die Taufe felig werbe,
„jondern daß Jeſus Chriftus mit feiner Gnade beider, der jungen Kinber und
der Alten, Seligmader fei“. Doc rieth er (wie früher auch Hubmeier), den bis-
ber geübten feierlichen Akt als „Kirchentaufe“ (Baptisma ecclesiasticum) bei-
zubehalten. Ms. 45. 9. fol. 374 der Herzogl. Bibliothek zu Wolfenbüttel!
3) Es ift eine ftetS wieberfehrende Behauptung in den landläufigen proteft.
Kirchengeſchichten, daß die „Myſtik“, nachdem fie von Luther überwunden
worben fei, ſich in den Kreifen der „Täufer“ als Reſt des mittelalterlihen Katho-
licismus fortgepflanzt habe. Um fo merkwürdiger ift folgender Ausſpruch F. C.
Baurs Kirhengeih. d. neueren Zeit ©. 440: „Der Anabaptismus bat keinen
Sinn für die myftifche Bedeutung des Glaubens, die den Proteftanten auch
die Kindertaufe beibehalten läßt, und fett verfelben fein Berftandesinterefie
entgegen“. Wo ift in biefem Falle die „Myſtik“?
390
Die Ereigniffe in Böhmen, welche fich bei der Verſammlung
zu Lhota im Jahre 1467 vollzogen!), beweifen, daß die „Brüder“
überall dort, wo die Möglichkeit fich zeigte, die Rückkehr zu dem Ge⸗
brauch der apoftoliihen Jahrhunderte als ihre Pflicht betrachteten,
und es ift ſehr merkwürdig, daß auch die „Eapiteldverfammlungen‘
zu Bafel in ven Jahren 1521—1522 fofort diefelbe Angelegenheit
auf die Tagesordnung jegten. Aber zugleich geſchah dies in einem
Geift der Mäßigung, der ſehr beachtenswerth ift.
In einem Brief, welden Balthbafar Hubmeier unter dem
16. Sanuar 1525 über die Tauffrage an Joh. Decolamıpad richtete,
ipricht er fich wie alle feine Gefinnungsgenofjen principiell für
die Spättaufe aus. Dann fährt er fort: „Statt der Taufe
Lafje ich die Kirche zufammenkfommen und erkläre in deutſcher Sprache
das Evangelium: “Man brachte Kindlein dar" (Matth. 9, 13 ff.).
Dann wird dem Kinde der Name beigelegt; die ganze Gemeinde
betet mit gebogenen Knieen für daſſelbe und empfiehlt es Chriftus,
daß er ihm gnädig fei und für daffelbe bitte. Sind aber die Eltern
noch ſchwach und wollen durchaus, daß das Kind getauft werde, fo
taufe ich es und bin einftweilen ſchwach mit den Schwachen, bis
fie befjer unterrichtet fein werden. Im Worte aber weiche id
ihnen auch nicht im kleinſten Bunkte” 2.
Der Schwerpunkt der Oppofition gegen die Taufe lag mithin
. dei Hubmeier wie bei deſſen Freunden nicht fowohl und nicht in
erfter Linie in der Laufzeit als in der Beitreitung der Durch Die
Zaufe angeblich erfolgenden Wiedergeburt ?).
Zudivig Hüter, welcher wie Hubmeier in der Zrabition der
„Zaufgefinnten” zu den Vorlämpfern der Partei gezählt wird, hat
gelegentlich erklärt, daß er die Ertheilung der Spättaufe nie für
eine VBorbedingung der Seligkeit gehalten babe; er habe fogar, fagt
1) ©. oben ©. 286.
2) Der Brief ift abgebrudt in Oecolamp. et Zwinglii Epistolae 1536
fol. 64%,
3) Einer der erftien Züricher Täufer, Pfr. Ulrich, erklärte: „Ob fchon ber
Menſch nicht mehr getauft würde und glaubte an das Leiden Chriſti, fo würde
er nichts deſto minder behalten, Es ſteht Feine Seligleit in dem Kauf“. Egli E.
Die Wiebertäufer in Züri ©. 96,
391
er, ein Mißfallen anihrer Einführung gehabt, was unter
den damaligen Verhältniſſen ganz begreiflich ift ').
Allein derſelbe Häter fpricht fich ganz entfchieven gegen bie
übernatürliche Heilsfraft der Taufe aus. „O wie viel elenver, bes
trübter Herzen”, ruft er aus, „hat mar vielen frommen Müttern ge-
macht, die nicht anders vermeinten, denn ihre ungetauften Kinder
würden verdammt”. Man bat „beionvere Stätten der Begräbniß
hergerichtet, da man fie nicht zu anderen Menſchen begraben wollte,
allein aus der Urfache, daß ſie Gottes Angeſicht nicht mehr
feben werden” ?).
Wer könnte leugnen, daß e8 reine und wohlbegründete Motive
waren, welche in diefen Worten zum Ausprud Tommen ?
1) Keim Ludw. Häßer in ben Jahrbb. f. deut. Theol. 1856 ©, 238,
2) Keim a. a. DO. ©. 238,
Siebzehntes Capitel.
Die Schweizer Brüder,
Die Refte der alten Gemeinden in der Schweiz. — Urtheile von Zeitgenofien
über den Zuſammenhang mit ben älteren „Ketzern“. — Die „Ketzerſchule“
der „Spiritualen‘ zu Zürih im Jahre 1522. — Wie lautet die Tradition
der Brüdergemeinden über ven Urfprung ihrer Partei? — Anfichten neuerer
Forſcher. — Das erſte Herwortreten ber alten Gemeinde in Züri. — Eine
vollftändige Organifation der Gemeinden in der Schweiz ift ſchon um 1521
nachweisbar. — Im Herbft 1522 fchliegt fih C. Grebel der alten Züricher
Gemeinde an. — Die Zins» und Zehntenfrage. — Die Verkümmerung ber
alten Gemeinden. — Die Hauptftreitpuntte. — Die Einführung der Spät
taufe im Jahre 1525. — Der literarifhe Kampf. — Die „Heiligen“. — Die
Brüber des „freien Geiſtes“. — Der „Brubermorb“ in S. Gallen. — Die
Ausbreitung der „Brüder“.
Durch das Zufammenwirken fo bedeutender und ausgezeich-
neter Männer, wie fie fich zu den Eapiteldverfammlungen in Bafel
einfanden, wurde das wichtige Refultat gewonnen, daß man zugleich
mit einer Verftändigung über die gemeinfamen Ziele eine Läute-
rung und Klärung der uralten, aber vielfach verjtümmelten Tra-
dition erreichte. Die Aufgabe, an welcher in den Kreifen der „Bru⸗
derſchaften“ feit mehr als fünfzig Jahren mit Hülfe der neuen
Kunſt des Schriftprudes gearbeitet worden war, hatte in einer
Verſammlung bewährter „Brüder“ einen gewiffen Abfchluß ge-
funden. Die Zeit war da, daß man in die Altion eintreten
konnte.
Aber ehe noch die Früchte dieſer Geiftesarbeit vollitändig reifen
und die Beichlüffe der „Sapitelsverfammlungen‘ zu allfeitiger Wir-
fung gebracht werden fonnten, erhoben die Refte der alten Ge-
meinden, welche fich in den Bergen dieſeits und jenſeits der Alpen
393.
in ben nieberen Vollsichichten erhalten batten!), das Haupt, und
zwar trat an ihre Spite derjenige Mann des Bafeler Kreifes, der
am meiften der Gefahr ausgeſetzt war, fich ganz von der Tradition,
wie fie ihm in jenen „Brüdern“ in ihrer erftarrten Form gegen-
übertrat; beherrichen zu Iaffen.
Es wäre durchaus unrichtig, wenn man bie Bewegung, wie
fie jeit 1522 unter Leitung Conrad Grebels ausbrach, mit dem
ſächſiſchen Radicalismus gleichitellen wollte. Aber gleichwohl könnte
doch nur eine unbiftoriiche Voreingenommenheit leugnen, daß auch
bie Schweizer Brüder einzelne Ideen aufgeftellt und verfochten ba-
ben, die den echten altchriftlicden Gemeinden des 13. und 14. Jahr⸗
hunderts entweder fremd waren, ober doch von Letteren in ganz
anderem Sinne verjtanden wurben als von den Vorfahren. Man⸗
cherlei Mißverftändniffe und Entftellungen ver alten Lehre hatten
fich in der trüben Zeit des 15. Jahrhunderts auch hier eingeftellt.
Diejenigen Schriftiteller, welche aus einer folchen zeitweiligen
Depravation Gründe gegen die Richtigkeit eines Shftems überhaupt
ableiten zu dürfen glauben, überſehen meiftens, daß es in jeder
Gemeinſchaft folche Perioden gegeben hat, und daß ſowohl in ver
Tatholifchen wie in der Iutherifchen Kirche zeitweilig ‘Doctrinen die
allgemeine Bilfigung gefunden haben, die heute Niemand mehr wird
billigen wollen.
Ich will bier nicht von jener religiöſen Efitafe reden, wie fie
als Ausgeburten einer krankhaft erregten Phantafie z. B. in den
Wallfahrten zum h. Blut nah Wilsnad (1475) und in den feit
1500 beginnenden Kreuzwundern zu Tage traten — Erjcheinungen,
welche die vielfach übertriebenen Vorgänge innerhalb gewiljer Täu⸗
fergemeinden noch weit überbieten —, aber man denke Doch nur
an die Herenprocefje und die damit verbundenen unerhörten
Ausichreitungen. Die berühmte Herenbulle Papſt Innocenz VII
vom 5. Dec. 14842) hat die Herenverfolgungen auf Grund un⸗
fehlbarer Lehrentfcheivung in ein feites, noch heute im Princip
1) Daß fie no um 1500 felbft unter dem Namen „Waldenſer“ in ber
Schweiz bekannt waren |. bei Hottinger Kirhen- u. Ketergefch. der mittleren
Zeit I, 30 ff.; 60 ff.; 66— 72,
2) Abgebrudt bei Cherubini Bull, Magnum. Luxemb. 1742. T.I p. 429.
394
gültiges Syſtem gebracht; Sprengers Herenhammer und Eymerichs
Leitfaden für Inquifitoren find zu einem normativen Anfehen in
ber ganzen römifchen Kirche gelangt. Und wie bat fich die Luthe-
riſche Kirche im 16. und 17. Jahrhundert zu den Hexenproceſſen
geftellt? Die einzige Gemeinschaft, welche fich ftetS auch im Prin-
cip gegen die Einwohnung von Dämonen in der Menſchenſeele er:
Härt hat, find eben jene vielgefhmähten „Täufer“.
Unter den zahlreichen, um das Jahr 1517 inner- und außerhalb
bes Reiches eriftirenden „Brubdergemeinden‘' 1) ift es bekanntlich die
Gemeinde zu Zürich geweien, welche zuerſt in die Deffentlichkeit
trat und fich formell neben den berrfchenden Kirchen als felbitän-
dige Gemeinfchaft conftituirt bat. Nah ihrem Vorgang bat fich
dann weit und breit die Loslöfung vollzogen, und es find von da
an zahlreiche Tochtergemeinden über ganz Weiteuropa bin gegrün.
det worden.
Es beftebt nun bis auf den heutigen Tag vielfach die Mei⸗
nung, es feien die Männer, welde an den Züricher Ereignifjen
betheiligt waren, als ſelbſtändige Gründer einer neuen Kirche
zu betrachten, deren Hauptmerkmal die Spättaufe gewejen fei, und
deren Mitgliever den Namen „Wiedertäufer” erhalten hätten;
bie Lehre und die Verfaffung dieſer neuen Kirche aber fei aus dem
jeit Luther erneuten Bibelftubium erwachſen. Man ventt fich bie
Vorgänge mithin etwa fo wie in Wittenberg, wo Luther allerdings
ber. Schöpfer und Vater einer neuen Kirche geworben ift, welche
unter: dem Namen ber „Lutherifchen‘ Gemeinfchaft feit etwa
1523 Beſtand gewonneh bat, und die auf der Luther'ſchen Ausle-
gung der Bibel, befonders des Paulus, in erjter Linte aufgebaut iſt.
Schon die alten Gegner der Täufer find aus verjchiedenen
Gründen bemüht gewejen, derartige Vorftellungen über den Ur-
Iprung der Partei zu verbreiten; allein diefelben find in jeder Nic
tung falſch und unzutreffend.
Es ift allerdings wahr, daß Luther durch feine im Sabre 1522
1) Die Gemeinbe der „Brüder“ zu Kitzbüchl in Tyrol iſt noch im Jahre
1522 nachweisbar; „Diener des Worts“ war damals Thomas Herrmann, welcher
fpäter als „Täufer“ belannt geworben if. S. Bed Geſchichtsbücher der Wie
dertäufer ©. 56 Anm. 1,
395
erfchienene Ueberfegung des Neuen Teftamentes den alten Gemein-
den in hohem Grade genügt hat, aber die Behauptung, dag Gre-
bel, Manz, Blaurod u. A. erft feit den Tagen, wo fie dieſe Meber-
fegung in die Hand befamen, auf ihre „anabaptiftifchen Ideen’
verfallen feien, ift völlig aus der Luft gegriffen. Steht es Doch
feft, daß dieſe „Täufer“ von Anfang an den Gebrauch der Luthe-
riſchen Ueberſetzung principiell abgelehnt haben und fib nur an
die alte Meberjegung haben halten wollen — biejelbe Ueber⸗
fegung, welche feit der Erfindung der Buchoruderfunft innerhalb
der „Brüdergemeinden“ minbeftens ebenfo verbreitet war, wie bie
Iutberifche e8 nachmals außerhalb verfelben wurde.
Es ift wahr, daß die Lehren und bie Kirchenverfaflung,
wie fie von Zürich aus feit 1522 im Reiche befannt wurbe, für
die Meiften etwas ganz Neues, ja Unerhörte8 waren; aber viele
andere Männer, und zwar nicht bloß die Mitglieder der „Gemein-
den’ felbft, jonvern auch deren Gegner, haben vom erjten Moment
an deutlich zu erfennen gegeben, daß in ven „Täufern“ jene ur-
alten „Keter" von Neuem ihr Haupt erhoben hätten, welche ebe-
dem in Frankreich „Waldenſer“, in Deutjchland und der Schweiz
„Brüder bes freien Geiſtes“, „Spiritualen” oder „Apoftolifche Brü⸗
der” genannt worben feien.
So erließ unter dem 23. Januar 1525 der Official des Erz⸗
Bischofs von Lyon ein Edict wider einen Mann, welcher zu den
nächften Freunden der uns befannten Anemund de Coct und Mi-
chael Bentinus gehörte, nämlich Amadeus Macrinus. Darin heißt
ed: „Es wachſen jegt aus der Aſche des Waldus neue
Sprößlinge zahlreih auf und es ift nöthig, Daß man das
Beiſpiel einer ſchweren und ernten Strafe ftatuirt” t)..
Zehn Jahre fpäter ward von den Räthen des Erzbifchofs zu
Köln ein Bericht über die anabaptiftifche Bewegung an Raifer Karl V.
aufgefegt und eingereicht. Es iſt jehr wahrfcheinlich, daß der aus⸗
gezeichnete Theologe Johannes Gropper der Verfaſſer geweſen tft.
Darin beißt e8 von den „Wiebertäufern”, daß fie fich „rechte
Chriſten“ nennen, daß fie alle Güter theilen wollen u.f.w., „wie
1) Herminjarb Corresp. des Ref. I, 324.
396
dann der Widerteuffer Art allezeit gewefen tft, als die
alten Hiftorien und das Faiferlih Recht, vor taufend
Jahren gemacht, bezeugen”. Der gelehrte Verfaſſer diefer
Relation will offenbar andeuten, daß die Conftitutionen des Codex
Juftinianeus aus dem 5. Jahrhundert gegen die „Wiedertäufer"
ſchon diejelbe „Sekte im Auge gehabt haben, wie er fie im Sabre
1534 vor fi ſah i).
Wir haben oben bereits gefehen, daß im Volksmund während
des ganzen 16. Jahrhunderts und weit barüber hinaus der Name
„Täufer“ felten oder nie vorkommt, fondern daß zur Bezeichnung
der „Brüdergemeinden‘ die uralten Namen der „Apoſtoliſchen
Drüder”, „Spiritualen” u. f. w. gebraucht werben 2).
Da tft ed nun wichtig, daß die nachmals fogenannte „Täufer⸗
gemeinde” zu Zürich, auf deren Gefchichte wir fofort zurüdfommen
werden, längſt vor der Einführung der Spättaufe, d. h. jeit etwa
1522 in den Gerichtsaften unter dem alten Namen der „Keber-
ſchule“ erjcheint, und daß diefelden Männer, denen fpäter als
„Wiedertäufern” der Proceß gemacht wurde, damals noch als „Spi⸗
ritualen” over „Spirituöfer” bezeichnet wurden ?). Kann es zweifel⸗
haft fein, daß die Richter damit diefelben „Ketzer“ meinten, welche
unter eben dieſem Namen in den früheren Gerichtöprotocolien
porlommen ?
Die Mitglieder diefer Zuricher wie aller anderen Gemeinden
nannten ſich wie vor Alters einfach „Brüder“ und „Schweſtern“,
und ihr Zuſammenhang mit den Vorfahren war ihnen deutlich
bewußt, wenn fie auch in der erſten Zeit ihres Beſtehens es ab-
fichtlich vermieden haben, fich als die Nachfolger der alten „Ketzer“
öffentlich zu bezeichnen und damit die Anwendung der alten Keter-
geſetze gegen ihre Glieder zu erleichtern. Während des ganzen Sahr-
hunderts ward in den fogenannten „Qäufergemeinden‘ vie alte
Pflicht der BVerfchwiegenheit aus guten Gründen fehr ftreng feft-
gehalten,
1) Die Relation ift ungedrudt; fie findet fi im Staatsardiv zu Münfter
sub M. L. A. 518/19 Vol. IV. f. 172f.
2) Bgl. oben ©. 10f.
3) Egli Die Züricher Wiedertäufer. Zürich 1878 ©, 15.
397
Seit dem Moment aber, wo die Religionsfreibeit erkämpft war
— es geſchah Dies zuerft in Holland im 17. Jahrhundert — haben
die Nachfolger und Gefinnungsgenoffen der alten „Zäufer”, die in-
zwijchen den Namen Mennoniten angenommen hatten, es einftimmig
und mit aller Beftimmtheit öffentlich ausgefprochen, daß ihre Ge-
meinſchaft dieſelbe Kirche fei, welche längjt vor der Reformation
als „Ketzer“ und „Sektirer“ verfolgt wurden, und daß den Män-
nern, die feit 1522 die „Gemeinden“ erneuert hätten, nichts ferner
gelegen babe, als eine neue Kirche zu begründen.
Die fämmtlichen älteren Chroniken diefer Partei, welche unter
dem Titel der „Märtyrerbücher” befannt find !), heben ausdrücklich
hervor, daß die fogenannten „Täufer“ feit vielen hundert Jahren
in der Chriftenheit vorhanden gewefen und feineswegs erſt ſeit 1523
aufgekommen ſeien.
Dieſelbe Tradition iſt dann in allen lirchengeſchichtlichen Wer⸗
fen, ſoweit fie aus der Partei der „Taufgeſinnten“ hervorgegangen
find, feit dem 17. Jahrhundert bis auf unfere Zeit feitgehalten
toorben 2). |
Ganz befonderes Gewicht aber lege ich Darauf, daß gerade bie
ausgezeichnetften Kenner der mittelalterlichen „Selten“ in unferem
wie im vorigen Jahrhundert genau zu bemfelben Rejultat gelom-
men find, obwohl fie von der täuferifchen Tradition nicht beeinflußt
waren. Hierzu gehörten der oben oft citirte 3. 2%. Mosheim,
welcher gelegentlich jagt: „Die Waldenjer ... . . lebten nach der
Weiſe der ſtrengeren Mennoniten 3), und ein andermal ausdrück⸗
1) Diefe Wartyrologien enthalten ein intereſſantes hiſtoriſches Material; ſie
verdienten eine nähere Unterſuchung, zumal in Bezug auf ihre Quellen. Das
berühmtefte Wert ift von Braght Het Bloedig Toeneel of martelaars Spiegel
der Doops-Gesinde etc. 1615. 1631. 1660. 1685.
2) S. Galenus Abrahams Verdediging der Christenen, die Doops-
gesinde genaamt worden ete. Amsterd. 1699 p. 29. — Gerh. Roofe Un-
fhuld und Gegenbericht der evangelifchen taufgefinnten Chriften u. f. w. Ratze⸗
burg 1702 ©. 26. — 3. 9. Halbertsma De Doopsgezinden en hunne her-
kompst Deventer 1843. — Blaupot ten Cate Geschiedskundig onderzoek
naar den Waldenzischen oorsprong van de nederlandsche Doopsgezinden Amst.
1844. — U. M. Cramer Het Leven en de Verrigtingen van Menno Simons.
Amst. 1837 p. Tff.
3) Mosheim Instit. hist. eccl. Libri IV. Helmst. 1755 p. 488.
398
fich bervorhebt, daß er den Zuſammenhang zwifchen den Menno-
niten und den Waldenjern nicht bejtreiten könne), ſodann aber
ans neuerer Zeit die ausgezeichneten Kenner des Waldenſerthums
und ber Gotteöfreunde T. W. Röhrich“), 9 W. Erbkam?)
und Hermann Haupt‘). —
Die Stadt Züri war als volfreiche und blühende Stadt ſo⸗
wie als Hauptort des führenden Staates in der Eidgenoffenfchaft
feit alten Zeiten ein Hauptzielpunkt der flüchtigen Brüder gewefen,
welche aus den fünlichen Gegenden als Reber vertrieben worden
waren. Wir wiflen, daß die Verfolgungen dort auch im Anfang
des 16. Jahrhunderts ihren Fortgang nahmen >).
Unter den Männern, welche in den Züricher Procefacten zu⸗
erft als „Spiritualen”, jpäter als „Wiedertäufer” nambaft gemacht
werben, fpielt ein gewiffer Balentin Gredig eine Rolle, von
welchen ausprüdlich bezeugt wird, daß er aus Savoyen ftamnte®).
Ebenfo werden Männer aus der italienifhen und franzöfifchen
Schweiz, unter denen e8 nachweislich feit uralter Zeit „Waldenſer“
gab, in Zürich verurtheilt ).
In aller Stille hatten die „Brüder“ in Zürich gelebt und
unter dem Schleier des Geheimnifjes ihre Andachten gehalten.
1) Mosheim a. a. DO. ©. 791.
2) T. W. Röhrich Geh. der Reformation im Elſaß 1830 I, 326 fagt:
„Dit leichter Mühe Liegen ſich die von I. A. Stard Geſch. der Taufe Lypzg.
1789 ©. 132 beigebrachten Beweife vermehren, beſonders wenn die Gefchichte der
erſten Wiebertäufer noch beſſer aufgeflärt wäre als fie es bis jet ift“.
3) Erbkam Geld. der proteft. Selten. Gotha 1848 ©. 481.
4) 9. Haupt Die religidfen Selten in Franken vor der Reformation
Würzb. 1882 S. 59 fagt: „Luther verlor durch feine Parteinahme gegen bie
bäuerliche und ftäbtifche Demokratie einen großen Theil feiner Popularität gerade
in den Kreifen, denen er feine bisherigen Erfolge bauptfächlich verbantte.... und
trieb namentlich das aus der waldenfifch-taboritifhen Sekte hervorge⸗
gangene Wiedertäufertfum ben anardiftiichen Parteien in die Arme. Es war
dann nur eine nothwendige Eonfequenz, daß... . die Wiebertäufer..... zum
großen Theile den Berfolgungen evangelifcher Fürften und Stäbte zum Opfer
fielen“,
5) S. oben S. 299.
6) E. Egli Altenfammlung zur Geſch. d. Züricher Keformation. 1. Hälfte
Züri 1879 Nr. 675 u. 795. Er bat an anderen bie Taufe vollzogen, alfo
innerhalb der Gemeinde al8 „Diener des Worts“ gewirkt.
7) So Wilhelm Exel aus dem Wallis, Egli a. DO. Ar. 691.
399
AS nun die große religiöfe Bewegung durch das Land zog
und die Menfchen nach der Wahrheit zu fragen anfingen, da fand
die Heine Schaar Zuzug von Einheimifhen und Auswärtigen, und
e8 wurde bald ftabtbefannt, daß in Zürich eine „Ketzerſchule“
erijtire.
So kam e8, daß im Frühjahr 1522 eines Nachts mehrere
Ratholiten vor das Haus des Züricher Bürgers Claus Hottin-
ger zogen und dort, wie in den Akten aufgezeichnet ſteht, laut
ſchrien: „Du, Teufel Hottinger, fteh auf; nimm Deine Ketzer
mit Dir und gebt in die KegerfhuleN)”. ALS diefe Sache
zur Renntniß der Behörden gefommen war, wurden im Mai bes
Jahres 1522 die Betheiligten vernommen, und es ftellte fich her⸗
aus, daß die „Keterichule” eine von vielen „Brüdern“ befuchte
Andacht fer, bei welcher damals der Buchhändler Andreas auf
der Stülzen als Lehrer thätig war 2).
Claus Hottinger ift derjelbe, welcher einige Sabre darauf als
„Wiedertäufer“ Hingerichtet wurbe?), und Andreas auf der
Stülzen kennen wir bereit aus Baſel, wo er in der Zeit jener
Sapitelsverfammlungen mit vielen anderen „Brüdern“ anweſend
war. Die Spötter nannten ihn „Herr Leutpriefter”‘, und fein gan⸗
38 Verhalten macht es unzweifelhaft, daß wir in ihm einen „Apo⸗
ftel” der Brüdergemeinden vor uns haben.
Diefe Gefellichaft des Hottinger und der mit ihm bverbrüber-
ten Lorenz Hochrütiner, Hans Ockenfuß, Heinrich Aberli, Bartho-
lomäus Pur u. A. ift es, in welcher wir dem Leutpriefter Ulrich
Zwingli im April des Jahres 1522 bei einem freunbfchaftlichen
Fleiſchmahl in der Faftenzeit begegnen). Es wurde dieſes Mahl
1) Egli a. a. O. S. 85: Claus Hotlinger dicit: An der Uffart abent nächst-
verschienen .... sigend iro etliche an sin hus kommen (und hettind) daran
gestossen und angelütet und namlich im gerüft und gesprochen: du, tüfel
Hottinger, stand uf! nimm dine Ketzer mit dir und gondindie
Ketzerschuol!
2) E. Egli a. O. ©. 85.
3) S. Stähelin R., Die erften Märtyrer des ebangelifhen Glaubens in
ber Schweiz. SHeibelberg 1883 ©. 205 ff.
4) In den Alten bei Eglia.a. DO. Nr.233. Es wird berichtet, daß Zwingli
fein Fleiſch gegefien habe. Das Belenntnig Frofchauers bei Egli a. O. Nr. 234
enthält ganz fpecififch waldenſiſche Grundſätze.
400
in dem Haufe des Buchdruders Froſchauer gehalten, es waren
dabei auch ein ungenannter Steinmeß und ein „Tiſchmacher“ zu-
gegen.
In denfelben Wochen hatten Claus Hottinger, Heini Aberli
u. A. in dem Haufe Iacob Grebeld eine „Schenke der Evange-
fifchen auf dem Lindenhofe verabrebet. Hottinger jagt aus, man
babe dieſe „Schenke“ deßhalb halten wollen, um die Anhänger
des Evangeliums dort zu vereinigen. Die Schenke fam zu Stande
und e8 waren 34 Abgeoronete anmwefend.
Bor diefer „Schenke hatten Hottinger und feine Freunde eine
Berfammlung zu Baden gehabt, und man hatte bort die „Schenke“
auf dem Lindenhofe!) aus dem Grunde bejchlofien, weil „Briefe
von Conſtanz gelommen feien; bie wollten fie (die Evan-
geliichen) Hören und ſehen, ob fie die halten müßten,
oder ob fie anders tbun müßten, denn ihr Xeutpriefter
prebige?)”.
Damit tritt uns bereit vor dem Frühjahr 1522 ein feit or-
gantfirter Bund entgegen, deſſen Glieder auf die Befehle, die ihm
von einer bejtimmten Stelle bezüglich veligiöfer Tragen zufommten,
zu handeln pflegen.
NNachweislich waren folde „Schenken unter den Brüdern feit
Jahren gehalten worden. Als Claus Hottinger dem Aberli gegen-
über äußerte: „Man bätte vor etwas Jahren den Unfern auf
dem Land wollen verbieten, daß fie zufammen gingen zu Schenten
und fonjt", .erwiderte Aberli: „Sa, man hätte denfelben den Kopf
abgehauen” 3) Mean weiß ja, daß auf der Ketzere i die Tobes-
ftrafe ftand.
Man bat nun wohl gejagt, dag Männer, wie Hottinger, an-
1) Man erinnere ſich, daß die „Brüder des gemeinfamen Lebens“ ihre An-
daten „Collatien“ nannten. Diefer Ausbrud, welder von den nach dem
Effen üblichen gemeinfamen Andachten herrührt, jagt genau bafielbe wie das
deutſche Wort „Schente“.
2) Egli a. O. Nr. 246, ©. 82. — Der Lentpriefter if höchſt wahrſcheinlich
Ulrich Zwingli; die „Brüder“ waren ſchon im Frühjahre 1522 mit feinem Ber-
halten nicht mehr ganz einverfianden. Die Kluft erweiterte fih von ba an fort-
dauernd. |
3) Soli a. a. O. ©. 84.
1
fänglich gute „Zwinglianer” gewefen feien; es ift im &egentheil
zweifellos, daß Zwingli einige Jahre hindurch unter dem Einfluß
der „Brüber” gejtanden bat, und daß dieſe Partei e8 geweſen ift,
auf deren Schultern er fich zu Einfluß erhoben hat. Sie war es,
an beren Spike er, nachdem er bereit8 am 3. Januar 1523 als
Rathsverordneter in die Büchercenfur-Commiffion gelangt war 1),
am 29. Januar feine erften großen Triumphe über feine Gegner
davongetragen bat.
Int Spätfommer des Jahres 1522 war Conrad Grebel?),
erfüllt von den Ideen des Bafeler Freundeskreifes, nach Zürich
zurüdgefehrt und bei den nahen Beziehungen, welche, wie wir ſahen,
fein Bater zu Claus Hottinger und der „Ketzerſchule“ Hatte, war
es natürlich, daß er fofort in den Verband der „Brüdergemeinde“
eintrat, in welchem Andreas u der Stülzen noch immer Pre-
diger war.
Es wäre nun ein großes Glück für die geſammte Partei ge
weſen, wenn e8 Grebel gelungen wäre, dem Einfluß der reife,
welche die Mehrzahl der Gemeinde ausmachten, einigermaßen das
Gleichgewicht zu halten. Aber er gerieth alsbald ganz unter ihren
Einfluß, und nun ward er gleichfam das Mundſtück, durch welches
neben den alten, echt chriftlihen Traditionen zugleich zahlreiche
Principien eines ftarf verfümmerten Gemeindelebens in ihrer vollen
Schroffheit verkündet und verfochten wurden.
Freilich muß hierbei berüdfichtigt werben, daß wir Grebels
Grundſätze weder aus ſeinen eigenen Schriften ‚noch aus denen
feiner nächften Mitarbeiter, fondern nur aus ben Relationen feiner
Gegner oder aus Gerichtsprotocolien, die in ſolchen Fällen fehr vor-
1) Soli a. DO. Nr. 319.
2) Es ift fo lange unmöglich, über Grebel, welcher in der erften (jchweizeri-
chen) Periode des Anabaptismus die wichtigfte Rolle gefpielt hat, ein endgültiges
Urtbeil abzugeben, al8 die einzigen jchriftlichen Aeußerungen, die wir von ihm be—
figen, nämlich feine Briefe, fo gut wie unbelannt find. Es beruhen gegen 60
Driginalbriefe von ihm allein in ©. Gallen. Eine Monographie über ihn wäre
fehr nothwendig. Doc würden umfaſſende Nachforſchungen an Ort und Stelle
dazu unerläßlich fein. Es ſchlummert noch mandye Nachricht in Archiven und
Bibliotheken. — Die Ouellen, fo weit fie zugänglich find, |. bei Bed a. a. O.
S. 17 und in dem Artikel Meyers von Knonau ber Allg. D. opt. 8. v. Grebel.
Keller, Die Reformation.
402
ſichtig verwerthet werben müffen, kennen. Es fteht feit, daß in
Folge dieſes Umftandes ihm manches mißverftändlich zugemeſſen
worden tft.
Unter all den Streitpuntten, welche ſich Damals in Zürich er-
hoben, hat feiner mehr und feiner früher dazu beigetragen, ven Bund
Zwinglis mit den alten Freunden zu fprengen und im weiteren
Verlauf die Nieverlage der „Spiritualen” zu befiegeln, wie die fo
genannte Zins- und Zehntenfrage.
In feiner Schrift „An den chriftlichen Adel deutſcher Nation‘
fagt Luther im Jahre 1520: „Aber das größte Unglüd deutfcher
Nation ift gewißlich der Zinslauf..... Der Teufel hat ihn er-
dacht und der Papſt wehe gethban aller Welt mit feinem Beftäti-
gen” u. ſ. w.N).
In Vebereinftimmung Hiermit war auch in den Kreifen der
Züricher „Brüder“ die Meinung zum Glaubensjat geworben, daß
die Zinfenfrage einer Reform bebürfe — ein Satz, der nur aus
den Zeitverhältniffen verftanden werben Tann, über deffen Unhalt-
barkeit aber ja heute wohl Nientand zweifelhaft ift.
Dazu kam aber noch als ein weiterer Punkt die JZehnten-
ftreitigleit. Die Weigerung vieler „Brüder, den Tatholifchen
Sanonitern, Mönchen und Pfarrern den bisher üblichen Zehnten
zu zablen, ift unbeftreitbar; aber die Motive find, fo viel ich fehe,
noch nicht genügend erörtert. Seitdem viele Bürger und Bauern
aus dem Verband der berrfchenden Kirche fich als ausgefchieden
betrachteten — fie Hatten eigene Gemeinden gegründet — zogen fie
die Conſequenz dieſes Schritte auch in Bezug auf die Zahlung
ihrer Kirchenftenern — eine Folgerung, die uns heute ganz natür-
Tich erfcheint, die aber damals den höchſten Unwillen weiter reife
wach rief.
Es wird in den Akten eine Reihe von Zeugen nambaft ge-
macht, welche gehört haben wollen, daß Zwingli in dieſen wie in
anderen Fragen anfänglich die Anſchauungen der „Brüder“ theilte2).
Gegen diefe Theorien aber faßte der große Rath zu Zürid
1) ©. die neuefte Ausgabe von Karl Benrath Halle 1884 (Schriften bes
Bereins für Reformationsgeſch. 4) S. 78.
2) Bgl. Egli a, D. Nr. 432.
403
am 22. Juni 1523 den folgenreichen Beichluß, daß Die Zehntrechte
der Kirchen nicht angetaftet werden bürften, und fo war mit Be⸗
ftimmtheit vorauszufehen, daß eine Kirchliche Aeform, welche dieſe
Zind- und Zehntfrage in ihr Programm aufnahm, niemals auf
die Hülfe, fondern ſtets auf Die Gegnerfchaft des Magiſtrats werde
zählen müfjen.
Zwinglis weltgeübter Bli erkannte fofort die Sachlage, und
e3 fteht feit, daß er am 25. Juni 1523 eine Predigt im großen
Münfter gehalten bat, in welcher er fich auf den Standpunkt des
Rathsbeſchluſſes ſtellte. Dagegen befiten wir eine Aeußerung Gre-
bels vom 13. Juli 1523 1), worin er den Beſchluß vom 22. Juni
entjchieven bekämpfte, und man weiß, daß er und feine Züricher
Freunde diefe Oppofition mit großer Heftigleit fortgeführt haben.
Es war ein verhängnißvoller Schritt, den bie „Brüber” hier⸗
mit tbaten. Inden fie fofort bei ihrem Bffentlichen Hervortreten
gerade diefe Frage betonten, gewannen viele, und zwar auch fonft
wohldenfende Männer, den Eindruck, daß dieſe und ähnliche, vor-
wiegend fociale Probleme den Kernpunkt des Lehrſyſtems bilbe-
ten, welches ja der Majorität ſelbſt der Züricher Bürger neu und
unbefannt war.
Da Zwingli feinen Grund hatte, die Fehler feiner Gegner zu
vertufchen, fo bildete ſich alsbald eine öffentliche Meinung in und
außerhalb Zürich8 dahin aus, daß Zwingli fich einer vorwiegend
focialiftiichen Partei gegenüber befinde, die unerhörte Neuerungen
lehre und im Grunde auf den Umſturz aller göttlichen und menſch⸗
lichen Ordnung hinziele. Es war die Erwedung folcher Vorftel-
lungen ſeitens der Männer, welche die Büchercenfur in ber Hand
hatten, um jo leichter, al8 Zwingli von vorn herein, wie feftiteht,
feinen Gegnern die Möglichkeit Titerarifcher Vertheidigung abge-
fhnitten bat, und außer der Zinsfrage manche andere Lehren ber
„Brüder in der That von Zwingli mit vollftem Recht zurüdge-
wiefen wurden.
Jede nähere Unterſuchung würde, wie ich glaube, Die oben
bereit8 von mir angebeutete Tchatfache beftätigen, daß das Ver⸗
1) S. Heberle Die Anfänge des Anabaptismus in der Schweiz in ben
Jahrbb. für deut. Theologie 1858 ©. 232,
26*
404
halten der Schweizer „Brüder” in dem Bejtreben feinen lebten
Grund bat, die Einrichtung und Verfaffung bes alten Collegiums
der „Apoſtel“, wie die altevangelifche Kirche des 14. und 15. Jahr⸗
hunderts e8 gekannt hatte, jegt auf Die Gemeinden felbft zu über-
tragen.
Es wird uns nämlich glaubwürdig berichtet, daß die Täufer
in Zürich wirklich der Anficht waren, e8 fei verboten, feſte Wohn-
fie den Geiftlichen in beftimmten Gemeinden anzuweiſen; die Die-
ner des Wortes follten ohne Pfrünven und nach dem Vorbild der
Apoſtel von Ort zu Ort wandernd predigenD).
Viel verderblichere und nachhaltigere Folgen als biefer Irr-
tbum bat die in der Schweiz aufgebrachte Lehre gehabt, welche auf
Grund von Luc. 22, 25 nicht bloß den „Apofteln” die Ausübung
politiicher Funktionen unterfagte, jondern dieſe Vorfchrift auf alle
Gemeindeglieder und alle obrigfeitlichen ober ftäntifchen Aemter
ohne Unterſchied ausdehnte.
So beſtätigte ſich die Thatſache, die wir oben des Näheren
erörtert haben, daß nämlich die alten Gemeinden, wie ſie um 1520
beſtanden, ihrem ganzen damaligen Zuſtande nach nicht fähig wa-
ven, wirkſam in die große Bewegung einzugreifen. Noch Hundert
Jahre zuvor würden Die „Brüder” eine weit reinere Tradition ver⸗
treten baben 2).
Wenn demnach in diefen Punkten unzweifelhaft verhängniß-
volle Irrthümer ven „Spiritualen‘ — denn noch war ber neue
Namen „Wievertäufer” nicht aufgelommen — zur Laft fallen , ſo
kann man bezüglich anderer Differenzpunkte nicht das Gleiche ſagen.
Bereits im Sommer oder ſpäteſtens im Herbſte 1523 forderten
bie „Brüder“ durch wiederholte Deputationen den Zwingli auf?),
1) Bgl. Joh. Calvinus, Brevis instr. adversus errores Anabaptistarum Arti-
culus 5 (f. J. Calvini Tractatus theol. omnes. Amsterd. 1667 p. 364). — Bgl.
den Ausfpruch des Täufers Peter Fuchs von Bülach: „Ein Präbicant foll wie
die Apoftel das Gotteswort verkünden, ohne Sädel und Taſche, und keine
Pfründbe darum einnehmen“. Egli Die Züricher Wiebertäufer. Zürich 1878 ©. 9%.
2) Es find zum Theil ganz fonderbare Entftellungen der alten Tradition in
diefen Kämpfen zu Tage getreten; allein es läßt fih fat immer der urfprüng-
liche Grundgedanle dahinter erfennen.
3) ©. Heberles Auffat a. a. O. ©, 235.
‚405
die in der Bildung begriffene neue Kirche nach den Grundſätzen
der alten Gemeinden derart zu organifiren, daß unter Ausfchluß
des ftaatlichen Eingreifens in die religiöfen Fragen von der Ma—⸗
jorität der Kirchengemeinde bie nothiwendigen Aenberungen bes
Gottesdienftes u. |. w. beichloffen und zugleich. ver bisher unter-
laffene Kirchenbann gegen offenbare Uebertreter der GSittenge-
feße mieder in Uebung genommter würde.
E8 Yag diefen Forderungen das uralte Princip der „Brüder”
zu Grunde, daß evangelifche Gemeinden nicht wie Die römische Kirche
eine Rechtsgemeinſchaft, zu welcher die Mitglieder auch bereits
als Unmündige oder durch Zwang gehören konnten, ſondern frei-
willige Vereinigungen folder Menfchen ſeien, welche ihren Willen
kundgegeben haben, fernerhin im Glauben und im Gehorfam ihres
Heilands oder (wie Lienhart Bleuler von Zollifon fagte) ihres
„Hauptmanns” Jeſus Chriftus zu leben und zu wandeln. Gläu-
bige, und nur Gläubige allein wollten fie auf Grund freien Ent-
fchluffes in ihre Gemeinfchaft aufnehmen und diejenigen, welche
diefem Entfchluffe Durch Verlegung des Gehorfams gegen Chrifti
Befehle untreu wurden und es troß Ermahnung und Warnung
blieben, wollten fie dur den Bann zeitweilig ober ganz aus-
ſchließen.
Zwingli lehnte bereits im Sommer 1523 die Wiedereinführung
des Bannes ab!) Im Herbſte 1523 aber, nach der berühmten
Detober-Disputation, erfolgte die formelle Einführung der Staats-
firde in Züri, deren Spite ſich fofort durch Unterdrückungs⸗
maßregeln gegen die „Brüder“ kehrte. Seitdem das Urtheil in
dogmatifch-Firchlichen Fragen dem großen Rath von Zürich anheim-
gegeben war, konnten die Brüder auf die entjchievene Belämpfung
auch ihrer religidien Ideen rechnen. Zwingli aber, welcher vom
1) Dem Felix Manz, welcher bei einer der bezliglichen Eonferenzen die Aus-
fchliegung offenbarer Verbrecher aus der Gemeinde verlangte, erwiberte Zwingli,
das möge jener (Manz) jeldft thun. Darauf antwortete Manz, dies ſei nicht
feine, fonbern Zwinglis Sade, da er nicht Bifchof fei wie Zwingli (Heberle
a. O. ©. 237). Die Stelle ift jehr merkwürdig. Sollte Zwingli wirklich zeit-
weilig innerhalb der altevangelifchen Gemeinde ein kirchliches Amt bejefien haben?
— Aehnlich erflärte fpäter Grebel, Zwingli habe nicht gehandelt wie e8 einem
„Hirten“ zukomme.
406
Detober 1523 an die Herrichaft über Die Hauptftadt des führenden
Staates in der Eidgenoſſenſchaft unbeftritten befaß, war nunmehr
im Stande, alle feine Gegner zu vernichten ).
War Zwingli in einzelnen Fragen im Rechte gewefen, jo nahmen
die Dinge jett eine Entwidlung, welche ihn und feine Partei entjchie-
den ing Unrecht ſetzte. Schon im October 1523 batte Stumpf dem
Zwingli mit Recht zugerufen: „Ihr habt def nicht Gewalt, meinen
Herrn das Urtheil (in der Neligionsfrage) in die Hand zu geben“, und
ein einfacher Mann aus Medikon, Hans Müller mit Namen, ſprach
nach feiner Gefangennahme folgende beherzigenswertbe Mahnungen:
„Wollet mir mein Gewiffen nicht befchweren, bieweil ber
Glaube eine freie Gabe und Schenkung des erbarmenden Gottes
und nicht Jedermanns Ding if. Das Geheimnig Gottes Tiegt
verborgen und ift gleich einem Schag im Ader, den Niemand fin-
den kann, er werde ihm denn vom Geift des Herren gezeigt. So
bitt ih euch, ihr Diener Gottes, ihr wollet mir den
Glauben laffen frei ftehen” 2.
Diefe Bitte wurde dann allerdings nicht gewährt; alsbald
wurde in der neuen Staatslicche das Verfahren der alten Kirche
gegen die Ketzer für richtig erfannt und demgemäß fofort mit Ein-
terferungen, alsbald auch mit Hinrichtungen vorgegangen. Felix
Manz wurde am 5. Januar 1527 erträntt?).
Zwinglis Haß gegen diejenige Partei, der er ehemals felhft
angehört hatte‘), nahm von Jahr zu Jahr zu. Es gelang ihm
in der That, derfelben ſchweren, unerfeglihen Schaben zuzufügen
1) In Bezug auf das Bündniß zwiſchen Zwingli und dem Magiftrat äußerte
der Täufer Mar Boßhard: „Meine Herren fehen dem Zwingli durch die Finger
und der Zwingli Deinen Herrn“. Egli Die Züricher Wiebertäufer 1878 ©. 97.
2) Egli Die Züricher Wiedertäufer. Züri 1878 ©. 96,
3) Näheres darüber bei Egli a. DO. ©. 61. — Beachtenswerth ift, daß bie
„Täufer in Uebereinftiimmung mit ben älteren Brübergemeinben überhaupt jeve
Hinrichtung mißbilligten. Hand Bruppader von Zumilon fagte: „Eine Obrig-
feit darf mit keinem chriftlichen Gemüth weder Mörder noch Diebe töbten; aber
fie ſoll diefelben Taut den Worten des Paulus zwilchen bie Wände Iegen und bis
zur Belehrung verwahren“. Egli a. DO. ©. 97.
4) Heberle fagt mit Recht: „Ohne Zweifel waren feine früheren Ber-
trauten und nımmehrigen Antagoniften berechtigt, ihn nunmehr des Abfalls
von feiner Vergangenheit zu befchuldigen“. Die Anfänge des Anabaptismus im
407
und vor Allem die öffentliche Meinung weit und breit in feinem
Sinne wider die „Aufrührer” in Bewegung zu feßen.
Zu Anfang 1525 Hatte eine der Züricher Verſammlungen,
welche nunmehr von den „Brüdern“ aus Nah und Fern durch
Abgeordnete beſchickt zu werden pflegten, den Zeitpunkt für gelommen
erachtet, — man erinnere fich der ähnlichen Verſammlung zu Lhota
in Böhmen!) —, mit der öffentlichen Wiebereinführung der Spät-
taufe vorzugehen. So wenig dies für die „Brüder“ eine Neuerung
war, fo neu und überraſchend mußte die Maßregel der Majorität
des Volkes erfheinen, und fo nahmen die Züricher Gelehrten den
Anlaß wahr, einen neuen Seltennamen in Umlauf zu feßen: man
erfand den Namen „Wievertäufer”‘, welchen die Partei ſelbſt, wie
oben bemerkt, vom erften Moment an zurücdgewiejen und ftets als
Spott- und Scheltnamen bezeichnet bat?), Derfelbe, rajch in Um⸗
lauf gefegt, gewährte für die Gegner den Vortheil, daß Uneinge
weibte fich eine ganz neue Partei vorftellten, welche alle die Merk
male an fi trage, die Zwingli und feine Freunde von ihr an
den maßgebenden Stellen zur Kenntniß brachten. Nur ganz all
mählich kamen einfichtige Männer von den fo erwecken Vorurthei-
len zurüd?).
der Schweiz a. O. S. 280. Zwingli war nach feinem eigenen Zeugniß urſprüng⸗
lich ſelbſt für die Spättaufe geweſen. Aber ſchon im Jahre 1525 predigte er,
daß man die „Wiedertäufer“ enthaupten ſoll „kraft der Kaiſerlichen Rechte“.
Ein Geſprech Balth. Hubmörs u. ſ. w. 1526 Bl. A. 32.
1) S. oben S. 286.
2) ©. die Schrift: Ein geſprech Balthaſar Hubmörs von Fridberg. Nicols-
burg 1526. Bl. A. 41, wo Hubmeier den Namen zurücdweift.
3) Es ift fehr bezeichnend, daß felbft Farel, ver doch dem befieren Zäufer-
thum anfänglich vollkommen gleihftand, fich zuerft durch Zwinglis Schilverungen
bat beeinflufien Yaffen (f. Herminjard II, 18f.). Zu Ende 1528 war er aber
bereit8 anderer Anficht geworben und vertheidigte die „„Anabaptiften‘ gegen ibre
Angreifer (Herminjard a. O. ©. 164), — Erasmus fchreibt wenige Monate
nach dem Auflommen bed neuen Seltennamens (1525): „Avaoxlav jam pridem
mussant ii, quos Anabaptistas vocant; aluntur et dogmatum monstra“
(Erasmi Opp. 1703 II, 911). Wenige Jahre fpäter war er zu total veränderten
Auffafiungen gelangt. Er fchreibt unter dem 25. März 1529 an den Erzbifchof
von Tolebo (Opp. II. 1175): „Anabaptistae, tametsi magno sint ubique
numero, tamen 'nusquam obtinuerunt propriam ecelesiam. Hi vitae in-
nocentia prae caeteris commendantur, sed ab reliquis quoque sectis
opprimuntur, non solum ab orthodoxis“. — Ganz ähnlich Yautet fein Urtheil in
408
Es würbe die Erweckung derartiger Vorurtheile indeſſen nicht
in dem Maße, als e8 gefchehen ift, möglich geworben fein, wenn
nicht die Partei felbft ven Bemühungen ihrer Gegner wirkſam Bor-
ſchub geleiftet Hätte. Alle die alten, zum Theil veralteten, mißver-
ftandenen oder dem Mißverſtändniß ausgefegten Formen, Bezeich⸗
nungen und Bräuche !) follten wieder bervorgeholt und auf ganz ver-
änderte Weltverhältniffe übertragen werben! &8 war ein Beginnen,
welches undurchführbar war. Ich will bier, um von allem andern
zu ſchweigen, nur auf die fchweren Mißverſtändniſſe aufmerkſam
machen, die fich an bie von den „Brüdern gebrauchte alte Bezeich-
nung „Gemeinde der Heiligen’ gefnüpft haben.
Es ſteht feit, daß die „Brüder“, indem fie ſich und die ihrigen
als die „Heiligen‘ bezeichneten, durchaus nicht die Abficht Hatten,
dies Wort in dem damals gebräuchlichen Sinne von abfolut voll-
fommenen Menfchen anzuwenden. Es war bei ihnen eine uralte
Tradition vorhanden, nach welcher jenes Wort nichts anderes be-
deutete al8 „Gläubige“ oder „Gemeindeglieder“, auch „Chriſten“
oder „rechte Chriften”. Im 16. Jahrhundert aber verſtand dies
Niemand mehr; die „Heiligen” waren eben die von der römifchen
Kirche Heilig gefprochenen Männer und Frauen, und diejenigen Ber-
fonen, welche fih auf Erben dieſe Bezeichnung beilegten, waren
natürlich Menſchen voll geiftlihen Hochmuths und unerträglicher
Anmaßung. Das ernfte Dringen auf fittliche Erneuerung, welches
fih unter ihnen fand, mußte befonders diejenigen, denen Dies an
fih unbequem war, in folhen Vorftellungen beſtärken, und feine
einem Briefe an Lubwig Ber vom 13. April 1529 (Opp. IU, 1186). Erasmus
fagt ausdrücklich: „nee templum habent usquam nec regnum moliuntur
nec ulla vi se tuentur et habere dicuntur multos moribus longe sincerioribus
quam caeteri*“,
1) Einer der Streitpuntte, in welche die „Spiritualen‘ mit Zwingli ge-
riethen, war die Liturgie beim Gottesvienfte. Während Zwingli e8 für an-
gezeigt hielt, manches katholiſche beizubehalten, forberten bie „Brüder“ bie firenge
Anwendung des altwaldenfifchen Rituals und wollten 3. B. fein anderes Gebet
beim Gottesbienite zulaſſen als das Vaterunſer. Vgl. Heberle in ber Zfchr.
f. deut. Theol. 1858 ©. 238. — In Bezug auf die Einrichtung der Gemeinbe-
verfaffung und bie Kirchenordnung beriefen fich die Züricher „Brüber” ebenfo vor-
wiegenb auf Matth. 18, wie wir dies bei ben „„Waldenfern‘ des 14. Jahrhuu-
derts gefeben haben. (f. oben ©. 67). _
409
Berfiherung ver „Täufer“, daß fie fich weber für vollkommen, noch
für ſündlos, noch für beifer als andere Menſchen hielten‘), Tonnte
den ſtark erweckten Argwohn wieder bejeitigen.
Es war ein Unglüc für die „Brüder“, daß mancherlei Ereig-
niffe, welche fih in den plößlich überall berbortretenden alten Ge⸗
meinden der Schweiz unter den Aufregungen jener Jahre vollzogen,
fehr geeignet waren, die Vorurtheile felbft befonnener Männer zu
veritärfen.
Es Hatten fich in den Gebirgsthälern der Schweiz außer den
eigentlichen „Brüdergemeinden” auch die Nefte jener Theorien, welche
man im 14. Jahrhundert ald „Sefte des freien Geiftes“ bezeichnete,
erhalten. Seßt traten auch diefe Ideen wieder an das Licht, und
es ift wahr, daß Die Männer, welche fie vortrugen, bemüht waren,
fi an die Brüdergemeinden zu hängen.
Allein ſchon ein Zeitgenoffe, der evangelifche Pfarrer Kepler in
©. Gallen, ein heftiger Gegner der Täufer, erzählt in feiner Chronik:
„Es baben vorgemelte Conrad Grebel und Felix Manz, Erzwieder-
täufer, ob folhen groben Irrthumen und Fantaſieen ein [ehr groß
Mißfallen gehabt, ift auch ſolchs angehende nit ihr Vornehmen
gewejen. Derhalben fie Beide verurfacht, in dem Land Abbacell
und Gotzhus wider folliche Irrthumb zu lehren und zu predigen‘‘ 2),
Demgemäß hat auch bereits Egli feitgeftellt ), daß dDiefe fogenannten
‚freien Brüder” von den eigentlichen Führern der Bewegung ver-
pönt worden find, und wenn wir bei Keßler lefen, daß jene zulett
auch ihrerfeitS die Führer der Täufer als „falſche Propheten” zu-
1) Bullinger H. Der Wiberteufferen Urfprung 20. Zürich 1560 fol. 11
fagt: „Sie ſchrüwend Träftig wider alle Hochfahrt, wider Frefien und Sau-
fen, wider alle Gottesläfterung und grobe Lafter, fie führten auch einen Schein
eines geiftlichen Lebens, waren ernftbaft.... rebeten wenig, bamit machten fie
fi felbft ein Bermwunberen und etwas Anſehen bei den einfältigen frommen Leıt-
ten, bie ba fpradden: "Man fage gleich von den Täufern, was man wolle, ich
ſehe nicht8 an ihnen denn Ernft und höre nichts von ihnen, denn daß man nicht
ſchwören und nicht unrecht, fondern Jedermann recht thun folle; bedünkt mich
nichts unrechts fein. Alfo blendeten fie viele Leute bin und her in
dieſen fanden“.
2) Mittheilungen zur vaterländifchen Geſch. Herausg. vom hiſt. Verein zu
©. Gallen. ©. Gallen (1866 Bd. V u. VD) ©. 304.
3) Egli Die Züricher Wiebertäufer ©. 43.
410
rückgewieſen haben, welches Necht exiſtirt dann roch, hier von einer
Partei zu reden?
Um bie Art, wie man felbft bloße Unglüdsfälle, welche inner-
halb der Gemeinden fich zutrugen, zur Vernichtung des guten Rufes
derſelben auszubeuten gefucht hat, will ich hier nur jene jeit Slei-
dans Commentarien in unzähligen Geſchichtswerken wiederholte Er-
zäblung von dem ©. Galler „Brudermorb” berühren, welchen bes
reits im Jahre 1526 Martin Bucer gegen Dend ausnukte, um
biefen als Vertheidiger dejjelben zu brandmarlen ). Seitdem Va⸗
dians deutſche hiſtoriſche Schriften gedruckt vorliegen 2), find wir im
Stande nachzuweifen, daß diefer „Brudermord‘ mit täuferifchen
Grundſätzen nicht das mindefte zu thun bat, ſondern daß es ſich
lediglih um die That eines geiftestranten Menſchen
handelt. Joachim VBadian war damals Bürgermeifter und Unter
juchungsrichter in der Angelegenheit, welche fich zwiſchen Lienbart
und Thomas Schuder in der Nacht vom 7. auf den 8. Febr. 1526
zu ©. Gallen zugetragen bat. Er giebt ung eine ausführliche Schil-
derung des Vorganges und fagt: „Wie aber dem Thomas gejchehen
ſei (d. h. als er nach feinem Bruder fchlug), ob er des Weins zu
viel genommen oder in anderem Weg feines Gemüths entſetzt wor-
den: ift er gegen nahenden Tag, nämlich den achten Tag Hornung
(ed war der unfinnig Donnerftag, wie man ihn im Thurgau nennt),
zugefabren und feinen Bruder Lienharten ... . . das Haupt abge-
ſchlagen“. Alsbald darauf fei Thomas „ohne Wams und Schuh
in bloßem Hemd und Hoſen“ in fein (Vadians) Haus gelaufen ge
fommen und babe gejagt, e8 jei Eſſig und Galle getrunfen, ohne
jeiner That zu gedenken. Vadian ließ ihn Darauf, da er „wohl
ſah, daß er nicht recht war und er fich Arges zu ihm verſah“,
einfperren. Als man ihn fpäter ins Verhör nahm, führt Vadian
fort, jah man wohl, daß Thomas „auch eigentlich nicht bei
Sinnen war”,
Der Schluß der Darftellung Iautet: „Und e8 trug fein Jeder⸗
mann Kummer. Denn er, Thomas, auch ein ftark, perfönlih Dann
gewejen und alle feine Freundſchaft ein frommes, aufrichtiges und
F, 1) gl über diefe Verleumdung meine Schrift: Ein Apoftel u. ſ. w. ©. 171.
2) Herausg. von E. Ödkinger ©, Gallen 1877.
411
redliches Volt war. Denn der Taufhandel bat in jenen Qagen
Niemand mehr angegriffen und beftridt, denn die von Art eines
frommen und einfältigen Wefens waren”.
Wenn hier wirklich ein Verbrechen vorgelegen hätte, wie hätte
Vadian eine ſolche Schilderung geben können?!).
Es ift Hier nicht unfere Abficht, den Verlauf der Schweizer
Creigniffe im Einzelnen zu verfolgen. Dan darf als befannt vor-
ausſetzen ?), daß trotz der Hinderniſſe, auf welche Die Bewegung ftieß,
eine außerorventlich raſche Ausbreitung über fast alle Schweizer
Cantone ftattfand?), und daß die bärteften Maßregeln der Negie-
rungen, und felbjt der Verluſt der Führer wohl eine gewiffe innere
und äußere Zerrüttung der Gemeinden, aber Teineswegs ihre Aus-
rottung zur Folge hatten.
Gleichwohl darf mit voller Sicherheit behauptet werden, daß
die altevangelifche Kirche zu einer dauernden gefchichtlichen Eriftenz
nicht gefommen fein würde, wenn die Bewegung in denjenigen
Bahnen geblieben wäre, auf welche fie in der Schweiz unter dem
porwiegenden Einfluß der Mitglieder jener zurücgebliebenen &e-
meinden gerathen war.
1) No im neueften Bande von Herzog und Plitts Realenchel. der prot.
Theol. 2. Aufl. (1883 Art. Ring) fructificirt Hochhuth diefen „Brubermorb“, um
den Mel, Rind als „Schüler Thomas Schuggers“ zu brandmarken. Ich babe
um Beweife für dieſe fonderbare Behauptung gebeten, aber keine Antwort er-
halten. So werben bie alten Berläumbungen fortwährend von Neuem für zweck⸗
entiprechend gehalten.
2) Die befte Darftellung dieſer Ereigniſſe [. bei H. ©. Burrage A History
of the Anabaptists in Switzerland. Philadelphia 1881. Dort find alle früheren
Bearbeitungen und alle gedruckten Quellen mit großer Bollftändigfeit zufammen-
geftellt.
3) Es laſſen fich genauere ftatiftifche Angaben vorläufig nur über den Can-
ton Zürich maden. E. Egli (Die Züricher Wiebertäufer Zürich 1878) thut
dar, daß in den Jahren 1523—1525 an 6 Orten des Cantons, in den Jahren
1525—1527 bereit8 an 26, in den Jahren 1527—1531 an 56, in den Jahren
1531—1535 an 70 Orten Täufer vorhanden geweſen find. Dabei muß man bes
denken, daß bei der geheimen Ausbreitung fich bei weiten die meiften Vorgänge
unferer Kenntniß entziehen. Aehnlich wie im Kanton Zürich war e8 in den Can⸗
tonen S. Sallen, Schaffhauſen, Bafel und Bern, fowie in Grau-
bünden. Alein im Gebiet. von Bern waren in wenigen Jahren 34 Berfonen
als Täufer hingerichtet. — Dieſes Refultat war troß der heftigiten Belimpfung
„durch Feuer, Schwert und Waſſer“ erreicht worden.
412
Die Trübungen der alten und reinen Tradition mußten in
Verbindung mit einer Reihe anderer unglüclicher Umftände noth⸗
wendig auch die berechtigten Gedanken der alten Gemeinden mit
ins Verderben ziehen, wenn es nicht gelang, von anderen Aus.
gangspunkten ber und durch andere Männer die Bewegung jelb-
ftändig wieder aufzunehmen und unter Vermeidung jener Entftel-
[ungen die unverfälfchten Ideale ber altdeutfchen Oppofition ſoweit
als möglich zu retten.
Allerdings ftand dabei fo viel von vornherein feft: Die Männer,
welche e8 nach den Schweizer Ereigniffen wagten, die Grundgedanken
der „Schweizer Brüber” in ihr Programm aufzunehmen, mußten
auch für fih auf all den Haß rechnen, welchen jene zum Theil
ohne, zum Theil mit ihrer Schuld auf fich geladen Hatten. Es
war ein fchwieriges Beginnen, ein Beginnen, welches von vornherein
mit Vorurtheilen aller Art, felbft bei wohlventenden Männern zu
kämpfen hatte, und das im beiten Falle vorausfichtlich Doch nur da⸗
bin führen fonnte, neben den neuen Staatskirchen wenigftens zur
Duldung zu gelangen.
Achtzehntes Eapitel.
Die große Zeit der altevangelifchen Kirche.
Die zweite Periode des fogenannten Anabaptismus feit 1526. — Die Führer
biefer Bewegung: Dend und Hubmeier. — Das Anfehen dieſer Männer bei
ben fpäteren „Taufgeſinnten“. — Unterfchieb der erſten und zweiten Periode
ber Brübergemeinben. — Der Beginn ber Altion in Nürnberg. — Die erfte
‚und zweite Synobe der Brüder zu Augsburg 1526 und 1527. — Die Re-
fultate der Berathungen und Dends Büchlein von ber Liebe. — Die Fitera-
tur der Brüder in jenen Jahren.
Die allgemeine Lage, wie fie fich zu Ende des Jahres 1525 im
Reiche geftaltet hatte, war die, daß nach der großen Niederlage Des
britten Standes die fürftliche Gewalt abfolute Herrin innerhalb ihrer
Territorien geworben war; noch nie in der deutſchen Geſchichte waren
Bauern und Bürger fo tief gevemüthigt wie nach dem fogenannten
Bauernkrieg. Gleichzeitig mit dieſem großen Erfolg des Fürften-
tbums hatte daffelbe auch die Führer der geiftlichen Gewalt auf
beiden Seiten zu Bundesgenoſſen gewonnen, und die Lutheraner wie
‚ die römischen Geiftlichen zogen mit an dem Triumphiwagen des fieg«
reichen Theiles.
Unter diefen Umständen wäre felbft der Beginn eines Unter-
nehmens, welches eine Gemeinfchaft begründen wollte, Die weder
lutheriſch noch römiſch, noch ſtaatskirchlich in irgend einer Form fein
wollte, unmöglich gewejen, wenn nicht jene geiftigen und materiellen
Faktoren, die wir oben im Deutichen Bürgertfum und zwar vor-
nehmlich in den von diefen getragenen Bauhütten und den Bruder-
haften kennen gelernt haben, mit einem bevundernswerthen Opfer-
mutb für die von allen Seiten bedrohten religiöfen Principien in
den Kampf getreten wären.
414
Es iſt ſowohl von Zeitgenoffen wie von fpäteren Autoren längft
hervorgehoben, aber in der Gegenwart doch noch nicht genügend be-
fannt, daß die erfte Beriode bes fogenannten Anabaptismus mit
der gewaltfamen Zurückdrängung der „Schweizer Brüber” ihren Ab⸗
ſchluß findet, und daß feit 1526 eine neue Bewegung einfetst, welche
bie gemäßigteren Elemente der im Rüdzug begriffenen alten Gemein-
den aufnimmt und unter neuen Führern von Oberdeutjchland aus
mit großartiger Machtentfaltung eine neue Periode der altevan-
gelifchen Kirche einleitet.
Schon Sebaftian Frand, der in diefen Dingen als ſehr unter-
richteter Angenzeuge ein competenter Beurtheiler ift, hat die Unter
ſchiede zwiſchen Der fchweizerifchen und der oberbeutichen Periode des
Anabaptismus hervorgehoben und den Beginn der großen allgemeinen
Bewegung des Täufertbums in das Jahr 1526 gefekt.
In durchſichtiger Tendenz werden überall die fchroff formulirten
und zum Theil entjtellten PBrincipien ver verlümmerten Brüderge⸗
meinden in der Schweiz als die eigentlichen Kennzeichen des „Zäufer-
thums“ Hingeftellt; prüft man aber die Quellen, fo zeigt fich die
Thatjache, daß Diejenigen Führer der Altevangelifchen, welche von den
Zeitgenofjen wie von den Nachlommen als folche in erjter Linie an-
erfannt worden find, von den Verirrungen der ſchweizer Nadicalen
nicht bloß in der Zins⸗ und Zehnten-Frage, fondern auch in der
Auffaffung von der Obrigkeit u. ſ. w. vollftändig frei gewejen find.
Die rechtgläubigen Parteien haben ſich den Kampf gegen dieſe
Richtung dadurch erleichtert, daß fie bemüht geweſen find, folche
Männer als die eigentlichen Träger des „Anabaptismus” in den.
Vordergrund zu jchieben, deren Verkehrtheit Leicht zu demonſtriren
war. Gerade da die altenangelifchen „Gemeinden“ e8 ſtets prin-
ciptell abgelehnt haben, fich auf die Autorität irgend eines einzelnen
Theologen ausjchlieglich zu ftüten, fo war die Möglichkeit gegeben,
einen oft genannten Namen als maßgebenden Nepräfentanten der
„Brüdergemeinden“ auch dann hinzuftellen, wenn bie Partei den-
felben niemals al8 einen ihrer Führer anerkannt hatte.
Auch im 16. Jahrhundert find die „Brüder ihrem Brincip,
dag ſie fih allein an Chriftus und feine Worte als ihren einzigen
Führer und ihre einzige „Bekenntnißſchrift“ halten wollten, nicht
415
untreu geworden, und einen Dann, der Luthers oder Zwinglis Stel-
lung eingenommen hätte, hat e8 bei ihnen nicht gegeben und Tonnte
es nicht geben.
Aber dennoch bezeugen ſowohl die Chroniften der fpäteren „Zauf-
gefinnten‘ mie die gleichzeitigen „Brüber” und vor Allem auch Deren
Gegner, dag beftimmte Männer im Neformationszeitalter das Vers
trauen der ihrigen mehr al8 andere befejfen haben, und eine un⸗
partheitfche Geſchichtſchreibung wird fi, wenn fie die wahren Mei-
nungen der „Täufer“ Tennen lernen will, eben an dieſe Repräſen⸗
tanten und an feine anberen zu halten haben.
Da ift es nun fehr wichtig, daß Wolfgang Capito, ber
von allen Reformatoren den altevangelifchen Gemeinden vielleicht am
nächiten geftanden bat, in einem Brief vom 31. Juli 1528, nad
dem er von den Häuptern und Führern der Täufer gehandelt bat,
äußert: „Derjenige Anabaptift täufcht fich daher, welcher in mir einen
tröftlichen Erfag für die mit Schmerzen vermißten Hubmeier und
Dend gewinnen zu können meint‘).
Joachim Vadian ferner, welcher die Entwidlungsgefchichte des
„Täuferthums“ auf das allergenauefte kannte, hat es im Jahre 1540
ausgefprochen, daß Hubmeier, Dend, Hätzer und Grebel als
die Begründer der reformatorifchen „Brüdergemeinden“ galten 2).
Sebaftian Frand erzählt: Im Jahre 1526 erhob jich eine neue
Partei, „veren Vorſteher und Bifchöfe waren Dr. Balthafar
Hubmeier, Melchior Rind), Joh. Hut, Joh. Dend, Lud-
1) Zwinglii Epistolae II, 208.
2) Joachimi Vadiani Epistola ad Jo. Zuiceium Gonstantiensem Cal. Aug.
MDXL vor deſſen Antilogia ad clarissimi Viri Gasparis Schwenkfeldii Argu-
menta. : Diejer Brief ift zum Theil abgebrudt bei 3. C. Füßlin Beyträge zur
Erläuterung der Kirchen.⸗Ref.⸗Geſch. u. ſ. w. Bb. V. (1753) ©. 396 Anm. 8. —
Aus diefem Briefe erhellt, jagt Füplin, „daß alle vier (Hubmeier, Dend,
Hätzer und Grebel) gejhidte und tüchtige Leute geweſen“.
3) Ueber Rind vgl. ven Brief Witzels an M. B. F. 1531 Dec. 24: „Rin-
chium veterem sodalem per literas monui, ut anabaptismo renuntiaret et do-
ceret, quae propius ad salutem animarum faciunt, sed in proposito perstat.
Vir est incredibili fortitudine, vita austera et excellenti eru-
ditione, si modo favente deo ab illa retingendi dementia avocari posset“.
Cornelius I, 53. — Die neueften, aber allerdings zum Theil erfunbenen Nad-
richten über Rind giebt Hochhuth bei Herzog und Plitt Realenevel. 2. Aufl,
Art. Ring.
“
410
wig Hätzer. Deren Lauf ging fo ſchnell, daß ihre Lehre balb das
ganze Land burchzog und fie bald einen großen Anhang erlangten
und viele auch guter Herzen, die nach Gott eiferten.... . zu fi
zogen”. „Denn fie lehrten im Scheitt nichts denn Liebe, Glauben
und Kreuz, erzeigten fich in vielen Leiden gebulbig, vemüthig, brachen
das Brod mit einander zum Zeichen der Einigkeit und Liebe, halfen
einander treulih”. „Sie Hielten fih zufammen und nahmen fo
jäbling zu, daß die Welt fich eines Aufruhrs vor ihnen beforgte,
beifen fie aber doch allenthalben, wie ich höre, unſchuldig gefunden
worben find. Und man griff nach ihnen an viel Orten mit großer
Tyranney“ 1).
Der zeitgendffifche römiſch⸗katholiſche Chronift Kilian Leib,
Prior zu Rebdorf und Freund Willibald Pirfheimers, jagt ganz
ausprüdiih: Balth. Hubmeier und Joh. Dend feien die Ur-
heber jener „Belt“ gewefen, welche als Wiebergetaufte an verfchie-
denen Orten zur Strafe gezogen worden feien?).
In den Gerichtsprotocolien, welche fih aus jenen Jahren zu
Reutlingen erhalten haben, jagen die gefangenen Täufer aus, ihre
Führer feien: Balthafar (feil. Hubmeier), Dend und Häter?), Im
ganz Schwaben galten unter den Brüdern, nach dem von Theod.
Keim aus den Urkunden gefammelten Zeugnifjen, Dend und Hub»
meier al8 Wortführer der Gemeinſchafty. Aus Thüringen berichtet
Yuftus Menius, daß „etliche ver Täufer ARottenmeifter” „ich hören
Tießen, daß fie vom Hanſen Denken gelernt hätten‘ 5).
Die Männer, weldde in der Pfalz feit 1527 als Vorkämpfer
des „Anabaptismus” auftraten, befannten fich öffentlich als Dencks
Schüler 9).
1) Chronika, Zeytbuch und Gejchychtbibel u. ſ. w. 1565 fol. 164 (Gremplar
der Paulin. Bibliothek zu Münſter).
2) Döllinger Beiträge zur politifchen, kirchlichen u. Culturgeſch. u. f. w.
3b. 11,516: „Hoc (scil. Balih. Hubmeiero) itaque et quodam Joanne Denckio
autoribus pestis illa rebaptizantium diversis locis poenas luit“,
3) Gayler Dentwürbigleiten ver Stadt Reutlingen 1840 ©. 317.
4) Keim Schwäbiſche Reformationsgeſch. ©. 61.
5) Der Wiebertäufer Lehre u. Geheimniß u. |. w. 1530.
6) S. Bullinger Der Wiebertäufer Urfprung u. |. w. Zürich 1560 fol. 16.
— Bol. Bucer an Zwingli d. d. 1527 Aug. 13 (Zw. Epp. Il, 81): „Plus ni-
mium illic (in der Pfalz) adhuc vigeat spiritus Denckiani“.
417
Heinrid Bullinger nennt den Dend „eine vornehme Säule
des Wiedertaufs und der Wiebertäufer Führer”. Martin Bucer
bezeichnet denfelben als „Papſt“ unter den Täufern; Urbanus
Rhegius fpricht in dem gleichen Sinne von Dend als dem „Abt”
der Brüder; Berthold Haller fchreibt am 2. ‘Dec. 1527 an Zwingli,
Dend, der „Anabaptiften Apollo”, fer zu Bafel geftorben, und
Ihon im Jahre 1526 fonnte ein gewiſſer Gynoräus verfihhern, Dend
jet das „Haupt der Wiebergetauften‘‘ 1).
Genau auf daffelde Refultat werben wir geführt, wenn wir
die polemifchen Schriften purchmuftern, welche in jenen Jahren von
katholiſcher wie reformatorifcher Seite gegen bie „Anabaptiften,”
publicirt worden find. Es eriftirt kaum eine einzige dieſer Streit-
fchriften, in welcher nicht ausdrücklich auf Hubmeier, Dend oder
Hätzer oder deren unmittelbare Schüler Bezug genommen wird 2).
Selbft für Zwingli war, wie feine bezügliche Streitfchrift aus
dem Juli 15273) ergiebt, der Kampf gegen feine Schweizer Gegner
damals bereit8 beendet; die Männer, welche er namhaft macht, find
Dend, Hätzer und Kautz.
Ueberhaupt läßt fich beobachten, daß ſelbſt in der Schweiz feit
etwa 1528 nicht mehr Grebel, Manz und Andere, fondern Hub»
meier, Dend und Häter als die annerfannten Repräfentanten des
Täuferthums galten. ‘Der ehemalige Comthur zu Küßnacht und
intime Freund Zwinglis, Conrad Schmid, welcher fchon bie
erjten Züriher Kämpfe miterlebt hatte, nennt in feiner Schrift
über die Disputation zu Bern (1528) den Hans Dend „per Wie-
bertäufer Hauptmann”*).
1) ©. Keller, Ein Apoftel der Wiebertäufer Lpz. 1882 ©. 7.
2) Bullinger Der Wiebertäufer Urfprung 1560 Vorrede BL. bb. 1 hebt
hervor, daß faft „fein gelehrter und treuer Diener Ehrifti gewefen ift, ber nit
der Wiedertäufer gedacht habe“. „So bat inſonders wider fie geichrieben feliger
Gedächtniß Dr. M. Luther, Huldreich Zwingli, Dr. Joh, Decolampad, M. Bu-
cerus, Urb. Rhegius, Joh. Calvinus, Juſtus Menius und viele andere Diener
der Kirche und bochgelehrte Leute mehr”.
3) Zwingli Huldr. In catabaptistarum strophas elenchus. Tiguri prid.
Cal. Aug. 1527. 8%. (Wieder abgedrudt in Oec. et Zw. Epp. libri IV etc. Bas.
1536 f. 81b—113».)
4) „VBerwerffen der Artideln und Stüden, fo die Wiebertäuffer uff dem
gefpräch zu Bern vor erfamen großen Rabt fürgewendt habend“. Die Schrift
Keller, Die Reformation. 27
418
Aber nicht nur bei den Zeitgenofien 1), fondern auch noch in
fpäteren Epochen haben die genannten Männer, zumal Dend und
Hubmeier, als die vornehmften Autoritäten der nachreformatorifchen
Brüdergemeinden gegolten.
In Bezug auf Nürnberg bezeugt der Chronift Bonif. Teu⸗
fenbach um das Jahr 1555, daß „noch Samen von ſolchen ohn-
mächtigen Leuten (Dendianern) übergeblieben fei; wenn man fie
nicht Tennte”, fährt er fort, „wollt ich fie frei mit Namen nennen,
rechte natürliche Wiedertäufer” 2). Um biefelbe Zeit warb Dends
Name in die Lifte der verbotenen Schriftfteller aufgenommen, welche
zu Mailend und zu Venedig gebrudt wurde. Im Jahre 1559
Hat Bapft Paul IV. Dends Schriften ebenfall8 auf den Inder ge
ſetzt). Im Jahre 1576 gab Dr. Casp. Trand zu Ingolftabt einen
Ketzerkatalog heraus, in welchem er Dend und Hubmeier feine be
fondere Aufmerkſamkeit widmet und unter den Vorftehern der „Drei
fürnemen Sekten, nämlich der Iutherifchzwinglifchen und wieber-
täufferifchen” unter Anderen den Balth. Hubmeier, Hans Denck,
Melchior Aind nambaft macht‘). Einige Jahre fpäter (1582) be-
ftätigt der Bifchof von Pomefanien, Wigand, daß Joh. Dend der
Anabaptiften „Bahnenträger” feis), und derartige Zeugniffe ließen
fih vielfach beibringen.
Auch in der Literatur der nachmaligen „Zaufgefinnten‘ felbft,
die allerbings aus gleich zu erwähnenden Gründen immer mehr in
Verfall Tam, find die Spuren Dends fortdauernd zu verfolgen.
findet ſich auf der Berner Bibliothel. Ich verbanke diefe Notiz dem Herrn Lic.
theol. O. zur Linden. — Es ließen ſich dieſe Zeugnifje für Dends und Hub-
meiers Bebeutung aus ben gleichzeitigen Quellen noch erheblich vermehren. Doch
glaube ich an diefer Stelle darauf verzichten zu follen.
1) Der vortrefflihe Auffag Heberles Johann Dend und bie Ausbreitung
feiner Lehre in den Theol. Studien und Kritiken 1855 S. 817 ff. ftellt die Be⸗
weife für Dends Einfluß in den verfchiebenften Länbern zufammen. „Am Rhein,
in der Schweiz, in Franken, in Schwaben bis nach Mähren hinein zeigt fich uns
ums Jahr 1527 der Einfluß feiner Theologie“ (S. 865).
2) Will Beyträge zur Geſch. des Antibaptismus 1773 ©. 3,
3) Reufch Der Inder. Bonn 1883 ©. 231.
4) C. Frand Ortr. Dr. theol. Catalogus Haereticorum , das ift warbafftige
erzelung u. ſ. w. Sngolftabt 1576 ©. 257 f.
5) Wigandus De Anabaptismo etc. Lipsiae 1582 p. 448: Joh Denckius —
antesignanus Anabaptistarum.
419
Im Jahre 1581 fehrieb der in den oberbeutfchen Brüdergemeinden
wohlbefannte Sebaftian Kremfer eine Sammlung von ſolchen Trac-
taten nieder, welche in feiner Gemeinjchaft ein bejonderes Anſehen
genofjen 1). In Diefe Sammlung bat er auch Dends Schrift:
„Die Ordnung Gottes” mit aufgenommen. Im Jahre 1618 ward
bon einem anderen „ZTäufer” eine ähnliche Colleftion veranftaltet,
welche drei Schriften Dencks enthielt, und im Jahre 1760 ward
in Ungarn ein „Wiedertäufer” verhaftet, bei welchem man eine
Abſchrift von Dends Büchlein „Von der wahren Liebe” vorfand
und als fektirerifches und verbotenes Buch confiscirte.
Beſonders intereffant ift die Gefammtausgabe der Dendichen
Söhriften, welche im Jahre 1680 angeblich in Amfterdam, wahr-
fcheinlich aber in einer anderen Stadt erſchienen tft 2).
Diefe Werthhaltung Dencks und Hubmeiers unter den Täu-
fern der fpäteren Zeit ift auch aus den Chroniken erfichtlich, welche
die Namen derfelben mehrfach an erjter Stelle citiren ?).
Wenn e8 gleichwohl richtig fein mag, daß in ben fpäteren
Zeiten wenigftens der unmittelbare Einfluß der genannten Schrift-
fteller einigermaßen in den Hintergrund getreten ift, fo lag dies
nicht ſowohl in principiellen Gründen als in den unglüdlichen Ver-
hältnifien, in welche bie Gemeinden ſich nachmals gebrängt fahen.
Denn wenn es den alten Gemeinden felbft unter den jchweriten
Berfolgungen und Unglüdsfällen gelungen tft, die wejentlichiten
Punkte ihres Lehrſyſtems wie ihrer Kirchenverfaflung zu bewahren,
jo konnte dies Reſultat Doch nicht durch die Pflege einer theolo-
gifehen Literatur, fondern nur burch das zähe Feſthalten, an münd⸗
lichen Weberlieferungen erreicht werben. Auf diefem Wege Hat fich
in den Ländern, wo man fie geiftig und phyſiſch Tnechtete, faft gar
feine Literatur unter ihnen fortgepflanzt. Als aber ſeit der Mitte
des 16. Jahrhunderts endlich in Holland ein Aſyl gefunden war
und geiftige Kräfte fich wieder rühren durften, da geſchah es, daß
1) „Etliche Tractat und Geſchichten, auch Lieder, fo von etlichen gottgelehr-
ten Liebhabern der Wahrheit und Dienern, auch Nachfolgern Ehrifti gemacht“,
Ein Exemplar beruht in der Bibliothek des Domkapitel! zu Preßburg.
2) Näheres in den „DMennonitifchen Blättern” herausg. von H. v. d. Smiſſen
in Altona. XXX. Jahrg. ©. 56.
3) Bed Geſchichtsbücher der Wiebertäufer u. ſ. w. Wien 1883.
27*
420
der Einfluß Holländischer Schriftfteller, zumal derjenige des Menno
Simons, die letten Refte der großen deutſchen Literatur verdrängte.
Damit war aber auch zugleich jeder weiteren Ausbreitung der „Brü⸗
bergemeinden” innerhalb des Neiches ein Riegel vorgefchoben.
Wenn wir nun die Gejchichte der zweiten großen Phaſe der
altevangelifchen Gemeinden, wie fie unter Führung der genannten
Perfonen verlaufen ift, näher betrachten, fo ftellt ſich Die Thatſache
heraus, daß die drei großen Städte Nürnberg, Augsburg und Straß-
burg die Hauptjtügpunfte der Partei gewejen find, und daß die
Träger der Bewegung eben jene Bruderfchaften waren !), Die wir
bereit8 im 14. Yahrbundert al8 Verbündete Kaifer Ludwigs des
Daiern zu feinem großen Kampfe wider die römifche Kirche Tennen
gelernt haben. |
Wir haben fchon erwähnt, wie Har Sebaftian Brand den Unter-
ſchied erfannt bat, welcher die zweite (Deutfche) Periode des Täufer-
thums von der erjten trennt, und es tft beachtenswerth, dag nach
jeinem ausdrüdlichen Zeugniffe um das Jahr 1530 die Anhänger
der „Schweizer Brüder” auf eine geringe Anzahl zufammenge-
ſchwunden waren 2).
„Etliche unter ihnen”, fagt Trand, „aber gar wenige,
halten .... daß ein Chrift Feine Obrigkeit möge fein .... benn
Chriften haben allein den Bann und nicht das Schwert unter
fih; auch dag ein Chrift nicht mög Triegen oder töbten, e8 ſei aus
was Urfach es wolle. Diefer Meinung ift gewejen Michael Satt-
ler und fein Anhang und noch gar Wenige. Die Andern und
faft Alle... .laffen auch eine Oberkeit Chriften fein, fo fie nach
dem Befehl Gottes handeln und billigen auch die Nothwehr
und den Krieg, fo mans nicht freventlih, fondern aus
Noth und Gehorſam fürnebmen muß‘ 3).
1) Diefe Thatſache Hat ſchon Ranke Deutſche Gef. im Zeitalter d. Ref.
5. Aufl. MI ©. 368 und Ritſchl Geſch. d. Pietismus 1880 I, 27 ausgeſprochen.
2) Bezüglich Straßburgs, welches den Schweizer Flüchtlingen doch beſonders
offen Tag, beftätigt Röhrich, daß auch bort erft in der zweiten Periode feit 1526
ein ftärfere8 Auftreten der Täufer fühlbar wird. Ztjchr. f. hiſt. Theol. 1860 ©. 4.
3) Chronik, Ausg. v. 1565 fol. 1586,
421
„Dieſes haben mir zur Antwort geben, foviel ich darum bab
angeredt“. ....
„Tadlen auch Alle, die einen kriegeriſchen Chriſten lehren und
das Evangelium mit dem Schwert wollen verfechten, deſſen ſie weder
Lehre oder Exempel Chriſti, der Apoſtel und der erſten Kirche haben“.
Auch Wolfgang Capito und der um 1527 mit dieſem nah be-
freundete Martin Cellarius haben klar ven Unterjchied empfunden,
welcher zwifchen den „Schweizer Brüdern” und den erneuerten alt-
evangelifchen Gemeinden in Deutfchland vorhanden war. In dem-
felben Moment, in dem Dend die genannten Männer in Straßburg
feine Freunde nennen konnte, bielten jene fich principiell von ben
Kreifen der jchweizer Emigranten fern, welche von ihnen xar' 2&0-
xrr als „Wiedertäufer” oder Katabaptiften bezeichnet wurden 1),
Dezeugt Doch auch Joh. Keßler, der damals evangelifcher Previger
in ©. Gallen war, daß Dend bei feinem Aufenthalt in dieſer
Stadt im Sabre 1525 zwar bei Täufern abgeftiegen war, aber
gleichwohl nicht volfftändig mit ihnen einer Meinung gewefen fei 2).
Diefe Beobachtungen erhalten ihre Beftätigung durch man⸗
cherlet anderweite Nachrichten. Bei der Synode, welche im Jahre
1527 zu Nicolsburg in Mähren ftattfand, wohin damals die „Brü⸗
der“ der verſchiedenen Länder und Geiſtesrichtungen geflüchtet wa⸗
ren, trafen die „Schweizer Brüder” mit den deutſchen altevange⸗
lichen Zaufgefinnten ſehr ernftlih aufeinander. An der Spike
der Majorität, welche unter principieller Mißbilligung jeves Krieges
und jedes Blutvergießend doch unter Umftänden die Nothwehr
geftatten wollte, jtand Balthafar Hubmeier. Er vertrat mit
feinen Freunden ben Standpunkt der alten „Gemeinden Chrifti“,
wie wir fie feit dem 12. Jahrhundert Tennen gelernt haben. In
der That bat es denn auch alle Zeit unter den „Tauf-
gefinnten” eine Richtung gegeben, welche dieſer älte-
ften Tradition treu geblieben ift?).
1) S. meine Schrift: Ein Apoftel der Wiebertäufer. Lpz. 1882 ©. 150.
2) Götzinger Sabbata 1, 280.
3) Die uralten „Täufergemeinden” in Lothringen umd in ben Vogeſen ver-
werfen noch gegenwärtig dem Kriegsbienft nicht. S. A. Brons Urfprung, Entw.
u. Schidjale der Taufgefinnten, Norden 1884 ©, 353.
422
Die Anfänge der deutfchen „altevangelifchen Gemeinden” find
in jenen Bafeler Capitelsverfammlungen zu fuchen, bie wir
befprochen Haben. Zum offenen Conflikt mit der Wittenberger
Kirche haben die Dort vereinbarten Principien aber zuerft in Nürn⸗
berg und zwar zu Ende des Jahres 1524 geführt. Bon dort aus
bat die Bewegung fich raſch über das ganze Reich verbreitet.
Die Urfachen, welche gerade Nürnberg zum Ausgangspunkt
machten, lagen keineswegs allein darin, daß Dend feit dem Sommer
1523 das Rectorat der Nürnberger S. Sebaldusſchule übernommen
batte, Vielmehr könnte man fagen, daß die längſt beſtehende Nürn-
berger „Brüdergemeinde“ und deren Freunde es gewejen find, welche
den Dend dorthin beriefen‘), und daß ohne diefe „Gemeinde“
ficherlich der Eonflikt, in welchen Dend mit Oſiander gerieth, nicht
die weittragende Bedeutung gewonnen bätte, die er in ber That
gewonnen bat. u
Man muß fi daran erinnern, daß Nürnberg feit ven Tagen,
als Johann von Staupig bier das religiöfe Leben geweckt hatte,
auch in diefer Beziehung eine Führerrolle innehatte. Die Tradi⸗
tionen ber „Brübergemeinden‘ waren hier befonders ftark vertreten,
und wir haben oben die Kreife Tennen gelernt, in welchen die An-
ſchauungen des Staupik den lebhaftejten Anklang gefunden batten.
Gegen Ende des Jahres 1524 gefchah es nun — es war wenige
Monate nach Anton Tuchers Tod —, daß der Schulrector 2) Dend,
ferner A. Dürers Schüler Jörg Penz und die Brüder Hans Sebald
und Barthel Beheim, fowie die oben erwähnten Ludwig Krug und Se⸗
bald Baumbauer unter der Anklage der „Ketzerei“ verhaftet wurden.
Aus den erhaltenen Procekalten ?) ergiebt fich die Thatſache,
1) Anton Zucher, welcher den Wolfgang Dend von ber Zeit ber, wo biefer
als Baumeifter an der Stabtmauer thätig war, beftimmt gefannt bat, war in
ven Jahren 1505 —1523 Pfleger des S. Sebaldus⸗-Kirchſpiels. Sein Einfluß
war baber der maßgebende bei ber Beſetzung des Schulrectorat®.
2) Die S. Sebaldusſchule war im Jahre 1509 dur Hinzufügung von
Eurjen in den fog. Humanitätsftudien zu einer Anftalt, die etwa unferen Gym⸗
nafien entſprach, erweitert worden. Sie hatte im Jahre 1554 fech8 Klaſſen mit
etwa 440 Schülern. S. Heerwagen Zur Gef. d. Nürnberger Gelehrtenſchulen
1860 (Progr.) S. 15—16.
3) Diefelben beruhen im Kreisarchiv zu Nürnberg, und ich hoffe fie demmächſt
zu publiciren. Die Sache bebarf deßhalb einer genauen wifienfchaftlichen Unter⸗
423
dag wir in den Gefangenen die Glieder einer „Brüdergemeinde“
vor und haben, die unter dem Schleier des Geheimniſſes feit
langer Zeit!) bejtand, und die auswärts, 3.3. in Erlangen, Bes
ziehungen bejaß.
Das Refultat des Procefjes war, daß die Hauptangefchuldigten,
befonders Denck, aus der Stadt verwiefen wurden.
Dieſe Ereigniffe erregten weit und breit das größte Auffeben 2),
und Dends Name begann von da an befannt zu werben.
Man bat bisher nicht beachtet, daß Nürnberg, und zwar ſpe⸗
ciell Dends Haus, bereits im Jahre 1524 ein Sammelpuntt folcder
Männer geweſen ift, welche fpäter unter dem Namen „Täufer”
befannt geworben find. So fagt Hans Hut felbft aus, daß er nach
Nürnberg gereift jet und Dend aufgejucht Habe?). Hans Schlaf-
fer, ein „Bruder aus Deftreih, bat in Nürnberg, wie er jagt,
„pen Ludwig Hüter und Hans Dend, treffliche, in Gott gelehrte
Männer zween“9, geiprochen. Sollte Dend jchon damals ein
Mitglied der „Brüdergemeinden“ geweſen fein?
Nachdem der Verbannte fich eine Zeit lang in der Schweiz
aufgehalten hatte, ging er etwa im Herbſte 1525 nach Augsburg,
und dieſe Stadt ift dann die Wiege der erneuerten
Gemeinden geworden.
Einige der angejehenften Bürger, wie Georg Regel und Seb.
fuchung, weil ftarle Anzeichen dafür vorliegen, daß einzelne Protocolle in weſent⸗
lichen Punkten abfichtlih oder umabfichtlich entftellt find. Es fpielen in biefe
Sache die Parteilämpfe des Patriciats Hinein. Im Jahre 1524 war Friedrich
Beheim ans der mit den bürgerlichen Beheims beftig verfeindeten Patricierfamtilie
Bürgermeifter.
1) Der Maler Sebald Beheym erflärt ausdrücklich: „Er fey auch ab Luthers
Schreiben oder anderen Predigten nit irr gemacht worden, fondern alle wege
der Meynung gemefen“.
2) Bgl. Keller Ein Apoftel ver Wiedertäufer (Hans Dend) Lpz. 1882 ©. 40 ff.
Beachtenswerth ift, daß auch aus Straßburg alsbald von einer Barteinahme für
die Gefangenen wider Ofiander berichtet wird. Capito fchreibt am 31. Dec. 1524
an Zwingli: „Contendebant quidam, non decere christianum magistratum verbi
corruptores arcere, moti, ni fallor, ex litteris aut verbis Osiandri“ (Zw. Epp.
I, 375).
3) & Meyer Beiträge zur Geſchichte d. Wiebertäufer in Schwaben in der
Ztſchr. d. h. V. f. Schwaben u. Neuburg 1874 ©. 224.
4) Bed Geſchichtsbücher der Wiebertäufer ©. 63 Anm. 1.
424
von Freiburg, gewährten Dend ihren Schuß; Die „Gemeinde be-
faß hier, wie in Nürnberg, ihre Hauptftüge in den angejebenen
Bürgerkreifen,; der Zunftmeifter der Zimmerleute, Lucas Haffner,
und der Bildſchnitzer Chrift. Murmann werben befonder8 nam⸗
haft gemacht.
Hier in Augsburg fanden die erften großen „Capitelsver-
Sammlungen” der oberbeutfchen, fehweizerifchen und öftreichifchen
Drübergemeinden ftatt, welche die erneuerte Gemeinjchaft conſtitu⸗
irten, und deren Geſchichte, da ſie unter dem Schleier des Geheim⸗
niſſes gehalten wurde, leider noch nicht genügende Beachtung ge-
funden hat.
| Die erfte Verſammlung fand im Frühjahr 1526 ſtatt. Wir
kennen als Theilnehmer folgende Männer: Hans Dend, Hans
Hut!), Ludwig Häßer, Jacob Groß aus Waldshut, Caspar
Färber aus dem Innthal und vor Allem Balthafar Hub-
meier?). 8 verjteht fich von felbft, daß außer dieſen Fremden
auch die Führer der Augsburger Gemeinde theilgenommen Haben.
Der erfte und vornehmfte Befchluß war die Einführung ber
bisher in Oberbeutfchland nicht vollgogenen Spättaufe; Hans
Hut erzählt ausprüdlich, daß er, als er im Frühjahr 1526 nach
Augsburg fam, nicht die Mbficht hatte, fich taufen zu laffen; erft
da Caspar Färber als Vertreter und Anwalt ber Gemeinden im
Innthal für die Einführung der dort bereitS bejtehenden Taufe
auf den Glauben eintrat und Hans Dend fih Färbers An-
ſicht anſchloß, Tieß Hut fih taufen. Dies gefchab in ver Wohr-
nung Dends, in einem Heinen Haufe in ver Nähe des Heiligkreuz⸗
thores. Diejelbe VBerfammlung war auf Grund der Vollmachten,
welche Färber offenbar aus den im Innthal bereit8 beſtehenden &e-
meinden mtitbrachte, in der Lage, fich felbft als Gemeinde zu con⸗
ftituiren und den von ihr erwählten „Lehrer“ mittelit der Hand»
auflegung zu weiben.
So lange Dend in Augsburg wirkte, jcheint er die Zeitung der
1) Einige Quellen über Hut bei Cornelius Münft. Aufrubr II, 40 (Anm.);
ferner Roth Augsburgs Ref.Geſch. Münden 1881 ©. 199ff. — I. Hart-
mann in ber Allg. Deut. Biogr. XIII, 459.
2) Es ift die Forſchung über diefe Berfammlung noch fehr im Rückſtand.
425
dortigen Gemeinde in der Hand gehabt zu haben!). Aber die Ge-
fahr, welche ihm von feinen Gegnern drohte, veranlapte ihn, die
Stadt zu verlaffen und nah Straßburg zu geben, wo Capitos
freundfchaftliche Gefinnungen 2) den „Brüdern“ einftweilen eine Frei-
jtatt ficherten. Bier waren Michael Bentinus, Heinrich von
Eppendorf, Wilhelm Farel und befonders Dtto Brunfels,
welch Letzterer, obwohl er an ber Partei feinen Antheil genommen
bat, doch in feinen zahlreichen Schriften?) den Standpunkt der
altevangelifchen Theologie ftet8 vertreten hat und zu den von ben
„Gemeinden“ anerkannten Autoritäten gehört®).
Die Hauptanhaltspuntte finden fih bei C. Meyer Beiträge zur Geſch. der Wie-
dertäufer in Oberfchwaben in der Ztſchr. d. bift. Vereins f. Schwaben u. Neu⸗
burg 1874 ©. 209 ff. und in ben eben dort abgebrudten Ausfagen Huts.
1) Es ift dies daraus zu fchliegen, daß kurz nach feinem Weggang, wie wir
wiſſen, eine Neuwahl ftattfand, die auf Sigmund Salminger fiel. Derfelbe wurbe
bei Hans Huts Anweſenheit (durch Hut felbft?) im März 1527 beftätigt. Vgl.
Meyer a. O. ©. 212.
2) Decolampad an Zwingli d. d. 1528 Juli 9: Nuper accepisti, quid ve-
lim Gapitonem moveri, sed nolim prodi me instigatorem. Geteri Ana-
baptistae favore et benevolentia ejus abutuntur ac gloriantur. —
Derf. an denſ. d. d. 1528 Aug. 6: Ex Buceri litteris accipio, tandem Cata-
baptistarum fallacem spiritum Gapitoni innotescere, ut quotidie eis minus fidat
etc. ©. Heß Joh. Oecol. S. 514f.
3) Es befinden fich darunter nach einer oberflächlichen eftftellung — es
eriftirt Teine Monographie über Brunfel® — mindeſtens 10 theologifche Werke,
die zum Theil eine große Wirkung geübt haben und in zahlreichen Auflagen ver-
breitet worben find. Dazu fommt eine erhebliche Zahl philologifcher, pädago—
gifcher, mebicinifcher und botanifcher Schriften. Er ift der Begründer der neueren
Botanik geworden. ©. Allg. Deut. Biogr. s. v. Brunfels.
4) Unter den Theologen, die fich fpäter auf Brunfels' Autorität ftügen, ver⸗
bient befonders Menno Simons genannt zu werben. Menno citirt in feinen
zahlreichen Schriften fehr wenige deutſche Theologen; auf Otto Brunfels (defien
Name übrigens auch Brunsveld gefchrieben wird) aber beruft er fih in einem
der angefochtenften Punkte feines ganzen Syſtems, nämlich in Bezug auf bie
Spättaufe; |. Menno Simons gefammelte Werke. Amfterdam 1681 p. 275.
Dort heißt e8: „(Sententia Otto Brunsv. Actor. 8,37: Si credas ex toto
corde etc... Ick meyne, hier zy immers den Kerckendienara wel en klaer
exempel voorgestelt, hoe sy de bekenntenisse des geloofs niet van andere,
maer van de Doopelingen selve vragen ende hooren sullen, gelick oock Otto
Brunsv. over dese plaetse (Act. 8,37) anteekent“. — Außer auf Brunfels- be=
ruft fih Menno befonders auf Sebaft. Frand, Decolampad, Beatus
Rhenanus, Martin Cellarius und einige Andere.
426
Dend batte in Straßburg das Glück, ſich mit der Mehrzahl
der dort anwefenden Theologen, beſonders auch mit Capito, voll
kommen zu verftändigen. Allein hier, wie überall in dieſen Kämpfen,
wurde die religiös⸗kirchliche Entwicklung nicht in erfter Linie, Durch
die Erwägungen ber Theologen, jondern durch Machtfragen po»
litiſcher Art beftimmt. Da der Magiftrat der Stadt Straßburg
das bringendfte Intereffe daran Hatte, die Freundſchaft der von
Zwingli geleiteten evangelifchen Cantone fich zu erhalten, jo gelang
e8 dem mit dem Rath verbündeten Bucer, den drohenden Gefahren
rechtzeitig zu begegnen. Dend wurde auch aus Straßburg vertrieben.
Nach einem längeren Aufenthalt in ver Pfalz, wo Dend eine
große Partei zurüdließ, wandte er fich abermals nach Augsburg,
wohin eine allgemeine Synode der Brüdergemeinden ausge-
ſchrieben war.
Diefelbe fand in den letzten Auguftwochen des Jahres 1527
unter Dends Vorſitz wirdlich ftatt und gebört wegen ver Bedeu⸗
tung, die fie gewonnen Bat, zu den intereffanteften Ereigniffen
diefer Epoche 1),
E83 waren damals in Augsburg unter anderen, außer Dend,
anwefend: Ludwig Hätzer aus Bifchofzell, Sigmund Sal-
minger aus Mündend, Hans Hut aus Haina in Franten,
1) Das Datum läßt ih aus dem Bekenntniß Georg Noſpitzers genau feſt⸗
ftellen (Akten im Kreis⸗Archiv zu Nürnberg). Dieſes und das ebendort be=
rubende Bekenntniß Marr Mayers find für umjere Kenntnig von biefer Synode
beſonders wichtig; f. ferner da8 Schreiben des Raths der Stabt Augsburg an
den Rath v. Straßburg vom 20. Sept. 1527 (bei Röhrich in der Ztſchr. f.
bift. Theol, 1860 ©. 32). Auch Schlaffers Ausfagen über feine Begegnung
mit anderen Täufern in Augsburg bei Bed a. DO. ©. 63 Anm. find wichtig.
Das Schreiben Augsburgs an Ulm im Ulmer Ardiv vom 16. Sept. 1527,
welches Roth Augsburgs Ref.Geſch. 1881 ©. 214 erwähnt, babe ich nicht ein-
feben können. C. Meyer a. a. O. ©. 213 citirt ein Verhör Iac. Dachfers
v. 26. Aug. 1527, worin er unter anderen gefragt warb: „ob die Borfteber ber
Wiebertäufer noch in Augsburg ſeien“; auch über dies Verhör fehlt mir nähere
Kenntnig. — Sehr wichtig find Hut DBelenntnifie bei C. Meyer a. a, O.
©. 221 ff.
2) Wir befigen von Salminger außer vielen Lievern zwei gebrudte Schrif-
ten: 1. Aus was grund die lieb entfpringt u. f. w. (Weller Rep. typogr. Nr.
3633), in welcher er ven Schluß von (Taulers) „Nacfolgung des armen Lebens
Ehrifti‘ neu herausgegeben hat. 2. Der „Guldin Schatz“. Auch gab er eine
427
Jacob Dachſer aus Ingolftabt '), Hans Schlaffer aus Ober-
öftreich 2), welcher alsbald feinen Glauben mit feinem Blute be-
fiegelte, Jacob Widemann aus Memmingen, welcher 1535 zu
Wien hingerichtet wurde 3), Jacob Kautz aus Worms), Eitel-
bans Langenmantel aus Augsburg), Sigmund Hofer,
Hans Leupold, das erfte Opfer der unter U. Rhegius' Leitung
in Augsburg organifirten Verfolgung, ferner Hans Gulden von
Biberach in Franken, Jacob Groß aus Waldshut‘), Pilgram
Marbeck, ein Baumeifter aus Schwag im Inntbal”), Peter
Scheppad, ein Maler aus Augsburg, Eularius Binder?)
aus Coburg, welcher am 25. October 1527 verbrannt wurde,
Thomas Waldhaufer?), aus Steyer in Deftreich, früher Ta-
tbolifcher Geiftlicher und alsbald Märtyrer (7 1528), Leonhard
Schiemer, ein ehemaliger Franciscaner aus Jüdenburg, nad.
beriger Biſchof der Brübergemeinden in Oberöftreich 10) und gleich-
Sammlung geiftlicher Gedichte heraus: „Der ganze Pfalter u. ſ. w.“ (1537). —
Ich verdanke dieſe Notizen zum Theil der Güte des Herrn Prof. Dr. Preger
in Münden.
1) Ueber ihn finden fich intereflante Nachrichten im Archiv der Lubwig-
Mar. -Univerfität in Münden; ſ. Prantl, Geld. d. Ludw.-Mar.-Univ, I, 149,
— Dachſer war Liederdichter. — Sein Name fteht im Inder von Benebig;
ſ. Renjh Der Inder ©. 231.
2)», Schlaffer gehört zu den intereffanteften, aber faft ganz unbelannten
Schülern und Anhängern Dends. Er hat zahlreiche, ausgezeichnete Schriften
hinterlaſſen, welche in hohem Grabe der Bearbeitung werth wären. Näheres bei
Bed Geſchichtsbücher der Wiebertäufer u. |. w. ©. 60 u. ©. 63 Anm. 1. —
vo. Bragbt Martelarspiegel 1685 II, 14. — Ottius Ann. Anab. 1672 ©. 46.
3) Nähere Nachrichten über ihn bei Bed a. ©. ©. 50 Anm. 2.
4) Ueber Kautz f. Brechers Art. in d. A. D. Biogr. Bd. XV, 510 und
Riggenbachs Aufſatz in Herzog u. Plitts Realencycl. 2. Aufl,
5) Ueber Eitelh. Langenmantel |. den Artikel d. Allg. D. Biographie; er
verdiente eine monographiiche Bearbeitung.
6) Einige Quellen über ihn bei Cornelius Münft. Aufruhr II, 39 (Anm.).
7) ©. meine Artikel in ver Allg. deut. Biographie s. v. Marbed.
8) Ueber Binder ſ. Bed a. DO. S. 57. — Er war ftänbiger Begleiter Hans
Huts auf defien Miffionsreifen als Apoftel und mit diefem in Augsburg; ſ. €.
Meyer a. DO. ©, 214 u. 225.
9) Ueber Thomas Waldhaufer, feine Anweſenheit in Augsburg 1527, feine
ſchriftſtelleriſche Thätigkeit und feine Lebensgeihichte ſ. Beck a. a. O. S. 65 Anm.
10) Hans Hut giebt in ſeinem Verhör (C. Meyer a. O. S. 226. Auf den
42, Art.) an, daß man zu Augsburg den „Leonhardten, jo ain menich geweſen,
428
falls getöbtet, ferner ein Deutſchordensherr aus Nürnberg, Namens
Leonhard, ein gewiffer Sobannes, der um Ingoljtabt einhei-
mifh war !), ferner Georg Nofpiger von Lauingen, Yörg von
Paflau genannt, Gregor Maler von Chur, Hans Bed von
Dafel, Hans Kiekling von Friedberg?), Andreas Widholz
und Lukas Haffner aus Augsburg, Marx Maier von Baiers-
dorf und viele Andere,
Es waren im Ganzen, wie der lettgenannte Zeuge uns be
richtet, mehr al8 fechzig Abgeordnete anweſendꝰ). Die erjten
Sigungen fanden in dem Haufe des Gallus Fiſcher ftatt, welcher
jpäter hingerichtet wurde, die anderen in „eines Metzlers Haus, der
Fieder genannt”. Georg Nofpiker berichtet in Webereinftimmung
mit Marx Maier, daß Hans Dend und Hans Hut in diefer
Berfammlung die „Vornehmſten“ geweſen, und Nofpiger fügt
hinzu, daß er auf Befehl Hans Dends und anderer Pfaffen mehr
am 24. Auguft 1527 das Apoftelamt übernommen babe.
Die Verfammlung ſcheint e8 als ihre befondere Aufgabe be
trachtet zu haben, in alle Länder „Apoftel” abzuoronen. So wiſſen
wir, daß von ben oben genannten Theilnehmern Ulrich Trechſel
und Beter Scheppach in die Pfalz gefanbt wurben, daß ferner in
das Gebiet von Zürich und Bafel Dend, Gregor Maler und Hans
Beck zogen‘); der Deutjchordensherr Leonhard warb nach, Linz,
in das Bayrlandt‘ abgefandt babe. Dies kann nur Leonhard Schiemer geweſen
fein. Er ift eine fehr interefiante Perfönlichkeit, welche viele Schriften binter-
laſſen hat; näheres bei Bed a. O. ©. 59 ff. — Er ift aud in v. Braghts
Märtyreripiegel verewigt worden. ©. ferner Ottius Annal. Anab. 1672 zu
1528. 4 und 1551. 3.
1) Die zwei lettgenannten, von welden Hut (C. Meyer a. a. DO.) am
16. Sept. 1527 ausfagt, daß man fie von Augsburg aus abgefandt habe, kann
ih einftweilen nicht ibentificiren.
2) Er wurde im Auguft 1527 verhaftet; von ihm erfuhr der Rath die Na-
men der übrigen und fofort folgten weitere Berhaftungen; |. Roth Ref.-Geid.
Augsburgs 1881 ©. 219,
3) Marz Mayer fagt aus: „Zum dritten find fie wiberumb ungeverlich in
breien oder zweien tagen gein Augspurg in eines metlers Hauß, der Fieber ge
nannt, zufamen fomen, find ir ungeverlih mer dann ſecht zigk gewejen und
aber der Hutt und Dend bei inen erfchine und fih aldo verglichen“ u. ſ. w.
Kreis⸗Archiv zu Nürnberg).
4) Röhrich in der Ztſchr. f. bift. Theol, 1560 ©. 32,
429
Yörg von Pafjau in das Frankenland, der erwähnte Iohannes in
das „Ofterland” und Leonhard Schiemer in das batrifche Gebiet
abgeſandt 1),
Ueber die Beſchlüſſe diefer Verſammlung fehlen uns leider die
Protocolle. Indeſſen ſteht wenigſtens ſoviel feſt, daß die Abgeord⸗
neten nach längeren Debatten, bei welchen ſich eine Differenz ziwi-
ſchen Dend und Hut berausftellte, fchlieglih in voller Einmü-
thigfeit ihre Befchlüffe faßten, und daß Dencks Ideen e8 waren,
welche den Sieg davontrugen 2).
Ich halte es für feitftehend, daß Dends Keine Schrift „Von
der wahren Liebe“, welche etwa im Auguft 1527 erſchienen ift, Dazu
bejtimmt war, unter harmlojem Gewande das auf der Synode
formulirte Belenntniß allen Brüdern in der Nähe und Ferne zu
vermitteln 3).
Schon Cornelius hat mit Recht bemerkt, daß von dieſer Augs⸗
burger Verſammlung eine Thätigkeit ausging, die ſich weithin fühl⸗
bar machte ). Die weiteren Forſchungen werben ergeben, daß dies
in noch viel ausgevehnterem Maße der Tall gewefen ift als man
bisher annehmen konnte.
Es würde die Grenzen, welche der vorliegenden Unterſuchung
geſteckt find, erheblich überfchreiten, wenn wir auf das Lehriyftem
1) C. Meyer a. a. O. ©. 226.
2) E8 wird dies von Jörg Nofpiser und Mare Mayer ausdrücklich bezeugt.
3) Es liegen bafür eine Reihe von Gründen vor, bie ich in einer beſonderen
Unterfugung über jene wichtige Synobe darzuthun hoffe. Einftweilen mache ich
nur auf Huts Belenntniffe (C. Meyer a. a. DO.) und deren Berhältniß zu Dends
Schrift aufmerkſam. Ich Habe hier Übrigens bie Form der Schrift „„ Von ber
wahren Liebe“ im Auge, welche 1527 erfchienen ift, nicht die Ausgabe von 1550.
(Bgl. mein Buch Über Dend ©. 243.)
4) Cornelius Münft. Aufruhr'(1860) II, 43 fagt: „Damals wurden bort (in
Augsburg) in beſtimmten Häufern regelmäßige und äußerft zahlreich befuchte Ver⸗
ſammlungen gehalten; e8 wurben Lehrpunkte berathen, Beſchlüſſe gefaßt, Apoſtel
verordnet und ausgeſandt, Sendſchreiben an die Brüder in die Ferne geſchickt:
eine Thätigkeit, die ſich weithin fühlbar machte und ohne Zweifel
ganz Süddeutſchland zu umfaſſen beſtimmt war.“ — Dieſe Synode iſt nebſt der
von 1557 zu Straßburg (ſ. Ottius Ann. Anab. ad h. a.) und 1591 zu Köln
unzweifelhaft die bebeutenbfte im 16. Jahrhundert.
430
ver altenangelifchen Gemeinden, wie es fich unter dem Einfluß jener
Synoden und ihrer Führer geftaltet hatte, näher eingeben wollten 1).
Aber wir können die Aufgabe nicht abweifen, dem weitverbrei-
teten Vorurtheil, als ob es gar feine ober Doch Teine erhebliche
tbeologifche Literatur des Täufertbums gebe, wenigſtens mit
einigen Andeutungen entgegenzutreten. Freilich zeigt fich Hier als
Hinderniß eines ſolchen Verfuches in erhöhten Maße dieſelbe That⸗
fadhe, bie wir bei der Literatur der „Gottesfreunde” beobachten
konnten: es herrſcht bei der wiſſenſchaftlichen Vernachläſſigung,
welche die beſiegte Partei erfahren hat, eine große Unſicherheit über
die Autoren vieler anonymer Tractate, und es fehlt vollſtändig an
leicht zugänglichen Texten; es ſind durchweg ſeltene Schriften,
um die es ſich handelt, Schriften, die in Folge von Confiscation
und Vernichtung ſich vielfach nur in einzelnen Exemplaren erhalten
haben, oder von denen einſtweilen nur die Verzeichniſſe der „ver⸗
botenen Bücher” uns Kenntniß geben.
Wenn man dies bedenkt, jo muß man fich darüber wundern,
bag immerhin noch ein guter Theil erhalten ift, jedenfalls viel
mehr als diejenigen ahnen, welche um dieſe Litteratur ſich bisher
nicht gefümmert haben.
Dr. Balthafar Hubmeier gehörte bereits in der Zeit, als er
in die Bewegung eintrat, zu den berühmteften theologijchen Schrift-
jtellern in Oberdeutfchland 2), In den Alten des Tridentiner Concils
ericheint Hubmeier in gleicher Linie mit Calvin, Zwingli und Luther
als Haupt der Ketzer, und der fpanifche Inder des Bernd. von
Sandoval verdammt deſſen Schriften ebenjo wie der Inder von
Venedig vom Jahre 1554 und der römiſche Inder Pauls IV. vom
Jahre 1559; noch im Yahre 1758 bat Benebict XIV. das Verbot
wiederholt.
Erasmus zählt in einem Briefe vom Jahre 1526 die Häupter
der jtreitenden evangelifchen Parteien auf und nennt dabei Zwingli
1) Daffelbe bat eine zufammenfaflende Bearbeitung erfahren in meinem
Buche: Ein Apoftel der Wiebertäufer (Hand Dend). Lpz. S. Hirzel. 1882,
2) In einem Schreiben vom 30. Sept. 1524 nennt der Magiftrat der Stabt
Freiburg als „der vornehmften Einen“ umter ben „‚tekeriichen Pfaffen‘ ven Dr.
Balthaſar Hubmeier; f. Schreiber Taſchenbuch für Süddeutſchland 1839 ©. 74.
431
und Decolampad fowie Luther, und ftellt al8 Führer der dritten
Richtung den Balthafar Hubmeier Hin).
Es find von Hubmeier bis jetzt nicht weniger als vierund⸗
zwanzig Schriften wieder befannt geworden ?). Nicht wenige der-
jelben Haben mehrere Ausgaben erlebt, manche auch Ueberſetzungen
ins Niederländische und Lateinifihe. Sie zeugen ſämmtlich nach den
Worten 3. &. Schelhorns „von einem Scharfjinn, den man
bei fanatifchen Köpfen nicht vermutbet..... und immer von einem
redliden Herzen”.
Es ift eine Fülle jelbftändiger und tiefer Gedanken in dieſen
Werfen enthalten, und wenn fie nicht eben von einem geächteten
Manne herrührten, würden fie ſchon längjt als ein ausgezeichnetes
Denkmal deutfchen Geiftes wieder zu ihrem Rechte gelangt fein.
Neben Hubmeier nimmt auch in fchriftftellerifcher Beziehung
Dend die erfte Stelle ein. Sehr treffend hat Cornelius über diefen
gefagt: Dend, „obwohl noch jung, war bereit ein vielgenannter
Schriftſteller (al8 er jih an die Spite der Bewegung geftellt ſah),
ber durch feine hervorragende Gelehrſamkeit in den heiligen Sprachen
und noch mehr durch die Selbftändigkeit und Tiefe feines theolo-
giſchen Denkens die Aufmerkfamfeit der Zeitgenofjen gefejjelt, durch
die Innigkeit feiner myſtiſchen Schriften den Weg zu vielen Herzen
gefunden hatte‘ 3).
Die Andeutungen, welche ich an anderer Stelle vor zwei Jahren
über Dencks gelehrte und fehriftftellerifche Thätigfeit, ſowie über die
Ausgaben feiner Werke gegeben habe *), müſſen nach den weiteren
Refultaten meiner Forſchungen ganz erheblich erweitert werben, und
doch find dieſe Forfehungen noch keineswegs abgefchloffen. Ich will
bier nur Einzelne anführen.
Dends Mitwirkung bei der Herausgabe von Marſilius', Fried⸗
ſchirmbuch“ (1522) fowie die Edition der Grammatik des Theod.
Gaza (1523), welche mindeftens fieben Auflagen erlebte, find fchon
erwähnt worben. Von ben theologijchen Schriften erlebte die Feine
1) Erasmi Opp. 1701 Vol. ll, 964.
2) Ein Berzeihni in den Mittheilungen aus dem Antiquariate von ©. Cal⸗
vary & Co. Berlin 1870 S. 114 fi.
3) Cornelius Minft. Aufruhr II, 41.
4) Ein Apoftel n.f.w. ©. 241 ff.
432
Abhandlung: „Wer die Wahrheit wahrlich Tieb Hat“ u. ſ. w. min-
deſtens drei, die Schrift vom freien Willen („Was gerebt ſei“) vier,
die „Ordnung Gottes" mindeſtens fünf, das Büchlein „Vom Geſetz
Gottes" mindestens fieben, „Bon der wahren Liebe” vier, die „Pro⸗
teftation” wenigftens drei verſchiedene Ausgaben, ohne Mitzählung
gelegentliher Reprobuctionen in Tirchenhiftorifchen oder anderen
Werken. Bon exegetifhen Schriften Dencks kennen wir vorläufig
nur die höchſt intereffante Auslegung des Propheten Micha, die fich
in mehreren Eremplaren wiedergefunden bat.
Daß Dend neben Hüter zu den muftergiltigen Bibel⸗Ueber⸗
fegern gehört, ift von allen Autoritäten anerkannt. Bon der Ver-
dollmetſchung der Propheten Yaffen fich jett fiebzehn Ausgaben
nachweifen. Gar nicht beachtet ift aber bis jet die Thatſache, daß
die erfte vollftändige reformatorifche Bibelüberjegung, welche wir be
figen, nämlich die fogenannte Wormfer Bibel vom Jahre 15291),
in den Kreifen der „Täufer“ entftanden ift, und daß nach meiner
Meberzeugung die Mitwirkung Dends an diefem großen Werk nicht
zweifelhaft fein kann. Diefelbe bat verfchievene Editionen erlebt.
Ganz merkwürdige Schieffale hat eine theologifche Abhandlung
Dencks dadurch gehabt, daß fie ohne den Namen des Autors er-
ſchienen iſt. Niemand ahnte, daß Diefelbe aus der Feder des „Erz
wiedertäufers“ ſtammte, jo haben viele Hunderttaufenve fie bis in
unfere Tage jtet8 von Neuem mit Andacht gelejen und an der echten
Frömmigkeit, die daraus fpricht, fich erbaut.
Jene Abhandlung nämlich, welche als „Etliche Hauptreden” ,
in den ungezählten Ausgaben der „Deutjchen Theologie”, welde .
jeit dem Jahre 1528 gedruckt worden find, fich findet, ift nichts
Anderes als der gleichnamige Tractat Dends, welchen Urbanus
Rhegius Schon im Jahre 1526 kannte ?).
1) Biblia beyder Allt und Newen Teſtamentes, Teutſch. Worms. Peter
Schöffer 1529. Folo. (Exemplare in Bonn und Stuttgart.) — Cine andere
bei H. Steyner zu Augsburg im 3. 1534 erfchienene Auflage ift mit Holzfchnitten
H. Schäuffeleins illuftrirt. — Graeſſe (Tresor des libres rares et pre&cieux
1859 I, 377) nennt Dend, Häter und Kaut als VBerfafler. Die Sache verbiente
eine nähere Unterfuchung.
2) Ih Hoffe an anderer Stelle auf diefe interefjante Thatfache zurüdzu-
fommen und bie nöthigen Beweife beizubringen. Die Thatfache felbft ift Übrigens
433
Sind aber Hubmeier und Dend etwa die einzigen theologischen
Scähriftfteller der „altevangelifhen Gemeinden” geweien ?
Dean überfiebt bei der Betrachtung der Literatur des „Zäufer-
thums“ vielfach, daß daſſelbe bereitS im Befig einer folchen war,
als e8 in die veformatorifche Bewegung eintrat. Die „Brüberge-
meinden” find fich wohl bewußt gemwefen, daß fie ihre eigene Lite-
ratur verbreiteten, al8 fie fett der Erfindung der Buchbruderfunit
bie Schriften der „Gottesfreunde” wieder ans Gicht zogen, und bie
fogenannten „Zäufer”, wie Dend, Hätzer, Salminger u. A. find
feit 1526 ſyſtematiſch bemüht geweſen, auch ihrerfeitS die alten
Tractate Durch neue Ausgaben unter das Volk zu bringen.
Auch Ludwig Häbers felbjtändige Yiterarifch- wifjenfchaftliche
Production war eine fehr bedeutende 1), Doch würde ung ein näheres
Eingehen zu weit führen und ich will deßhalb bier nur noch einige
Namen von foldhen unmittelbaren Schülern und Anhängern Dencks
nennen, welche für deifen Ideen als Schriftiteller aufgetreten find.
Der Pfarrer zu Bibra, Georg Haug, verfahte eine Schrift
„An hriftlihe Ordnung“ u. ſ. w., welche mindeſtens vier Ausgaben
erlebte und weit verbreitet war; fie bat lange fortgelebt in den „Brü⸗
dergemeinden“). Sehr gefhägt und angefehen war als Schrift.
fteller Hans Langenmantel; außer ben vier gedruckten Abhand-
lungen, die wir befiten, baben fich mehrere andere handſchriftlich
erhalten. Eine befondere Unterfuhung verdiente wegen feiner gei-
ftigen und fchriftftellerifehen Bedeutung Chriftian Endtfelder,
deſſen Schriften bis in das 17. Jahrhundert hinein neue Auflagen
und Weberfegungen erfahren haben. Er war mit Hubmeier nah
befreundet und war längere Zeit „Vorſteher“ in einer Gemeine in
bereit8 von ©. Arnold und Heberle (Theol. Stud. u. Krit. 1851 ©. 194)
anerkannt worben.
1) Bed, Gef. Bücher der Wiebertäufer u. |. w. ©. 33 Anm. 3 nennt
Häter mit Recht einen „muftergültigen Bibelüberfeker und der Bellen Einen
unter den Dichtern der alten proteftantifchen Kirche.” Ganz richtig deutet Bed
an, daß e8 bi jet nicht erwiefen ift, daß Hätzer die göttliche Natur in Chrifto
beftritten bat. Bielmehr beruht diefe wie andere Behauptungen über ihn auf
den Ausftreuungen feiner Feinde. Es wäre dringend nothwendig, die Materia-
lien über den Proceß gegen Häßer einmal zu ſammeln.
2) Weller, Rep. typ. Nr. 2900 und 2901. Es find in vielen Biblio-
thelen Exemplare vorhanden.
Keller, Die Reformation. 28
434
Mähren. Mir find drei Schriften von ihm befannt geworden, die
zum Theil noch 1659 neu gedrudt worden find. Unter dem Pſeu⸗
bonym Eleutberobion ſchrieb ein Anhänger Dends eine Schrift
von der Taufe, welche mehrere Editionen erlebte. Beſonders frucht-
bar als Schriftfteller war Johannes Yandsberger?').
Ein eifriger Anhänger Dends war der Pfarrer zu Eltersborf
bei Nürnberg, Wolfgang Vogel, welcher im Jahre 1525 zu den
Zäufern übertrat und am 26. März 1527 den Märtyrertob erlitt.
Don feiner Schrift „Ayn troſtlicher Sendbrief“ u. f. w. (1526) er-
ſchienen verſchiedene Ausgaben ; die letzte bejorgte Job. Daniel Her-
renſchmidt in Halle im Sabre 1717 und empfahl fie als einen aus»
"gezeichneten lutberifhen Tractat! „Es ift zu verwundern“, ſagt im
Jahre 1773 Will, „daß das Buch noch fo gut evangelifch abge
faßt ift, da doch Vogels Irrtblimer und Aufruhr ſchon in dem Jahr
ausgebrochen waren, da er dies Schreiben herausgab“.
Ueber Siam. Salminger, Jacob Dachfer, Leonhard Schiemer,
Hans Schlaffer, Ulrih Hugwald haben wir oben fchon gefprochen.
Als Gehülfen Hubmeiers traten in Mähren als Verfaſſer deutſcher
Drudichriften auf Hans Spitelmeier und Oswald Glaidt.
Bon Melchior Rind, deſſen Schriften auf dem VBenetianifchen
Inder ftehen, glaubte man bisher nichts zu befigen. Neuerdings aber
haben fich zweit handſchriftliche Abhandlungen von ihm gefunden. Auch
von Hans Hut iſt einzelnes im Drud erfchtenen?), während freilich
von ihm wie von feinen und Dends Genofien, wie Thomas Wald-
baufer, Thomasderman, Wolfgang Brandhuber, Mar-
tin Maler, Georg Zaunring und vielen Anderen vorwiegend
bandichriftliche Tractate erhalten find. ALS. Verfaffer vielgelefener
Drudiäriften verdienen Pilgram Marbed, Joh. Bünderlin,
Clemens Ziegler aus diefem Kreife genannt zu werben.
1) Eine Ueberficht (10 Nummern aufweifend) in ven Mittheilungen aus d.
Antiquariat von Calvary ©. 131 ff. — Meber feine Perfon berrfcht eine große
Dunkelheit; ein anderer Job. Landsberger, welcher Gegner ver Täufer war (1538),
ift mit ihm verwechfelt worden. Ueber unferen 2. f. Ottius Ann. Anab. p. 47.
— Lorenz Landsberger fand mit Dend in Beziehung (Ztjchr. für hiſt. Theol.
1860 ©. 35).
2) S. Huts Ausfagen in der Ztſchr. d. hiſt. Vereins für Schwaben und
Neuburg 1874 ©, 236.
435
Alle dieſe Männer waren nachweisitch ſelbſt Mitglieder ber alt-
evangelifchen Gemeinden und haben meistens ihren Glauben mit
ihrem Blut befiegelt. Aber die „Brüder“ hatten das Glück, auch
außerhalb ihres engeren Kreifes manchen Schriftfteller zu befiten,
der ihre Ideen vertrat, und es wird von ihnen jelbft bezeugt, daß
fie die Bücher des Joh. von Staupik ebenfo Hoch hielten wie
diejenigen Dencks oder Endtfelders ').
Ganz befonders aber waren unter ihnen die Schriften Seba-
ftian Francks gefhägt?), welcher von den Zeitgenoffen ausprüd-
lich als Schüler Dencks und Hätzers bezeichnet wird). Zwar waren
die „Täufer“ nicht mit allen Neußerungen dieſes Mannes einver-
ftanden, aber fie fühlten wohl, daß Franck feine Grundgedanken
aus den „Brüdergemeinden” überfommen hatte. Franck ift, wie wir
fehen werben, einer ber wichtigiten Vermittler der altevangelifchen
Principien für die Folgezeit geworben.
Schließlich darf nicht unerwähnt bleiben, daß die „Brüder“
aus Gründen, deren Erörterung uns hier zu weit führen würde,
eine Reihe von theologiſchen Schriften, welche heute unter dem Namen
des Deſiderius Erasmus in der Literatur bekannt find, als
geiftiges Eigenthbum ihrer Gemeinschaft in Anfpruch zu nehmen be
rechtigt find. Es hat mit diefen Schriften eine eigenthümliche, noch
nicht genügend aufgeklärte Bewandtniß.
Jedenfalls iſt es Thatſache, daß Menno Simons fi in
ſeinen Schriften auf keinen Mann häufiger ſtützt als auf Erasmus.
Er nennt dieſen ganz im Gegenſatz zu der Beurtheilungsweiſe, welche
damals in proteſtantiſchen Kreiſen üblich war, einen „hoch verſtän⸗—
digen, gelebrten Mann”.
Wer könnte unter diefen Umftänden behaupten, daß die „Brü-
ber’ feine hinreichende Vertretung in der Siteratun jener Tage be-
ſeſſen haben?
1) S. meinen Aufſatz: Joh. v. Staupitz und das Waldenſerthum im Hi—
ſtoriſchen Taſchenbuch 1885 ©. 143.
2) Menno Simons beruft fi) auf ihn (Opp. Amfterdam 1681. p. 21).
3) Martin Frecht, welcher Gelegenheit hatte, beide Männer und ihre Schriften
zu kennen, fchreibt anı 24. Octob. 1535 an Bullinger: „Non ignoras, ut olim
cum Verbo externo luserit Denckius et Hätzerus. Jurares eos in Franco
et ejus complicibus revixisse.‘“ Ottius Annal. Anab. 1672 ©. 82.
28*
Neunzehntes Capitel.
Der Kampf um den alten Glauben.
Kirchenverfaffung und Eultus der erneuerten Gemeinden. — Einfluß der Bau⸗
hütte. — Die Taufe, der Bann, das Abendmahl, die Gottesbienfte. — Dia⸗
onen, Aeltefte, Borfteher, Diener des Worts, Evangeliften. — Die Handauf⸗
legung der Senioren. — Die Aelteften der Geſammtkirche d. h. die Bifchöfe. —
Borrechte ber Bifchöfe. — Die Synoden, die Monatsverfammlungen, Jahres⸗
verfammlungen. — Die Apoftel. — Die Berfolgungen und Hinrichtungen. —
Der Reichstagsabichied vom Jahre 1529. — Luther und Melandthon über
die Hinrichtungen. — Die Ereignifje in Münfter. — Iob. v. Leyen. — Das
neue Israel. .
Man gebt vielfach von der Vorftellung aus, daß zwar die Lehre
der altevangeliichen Gemeinden in jenen Jahren eine Läuterung und
Erneuerung erfahren Habe, aber die Kirhenverfaffung und ver
Eultus doch zu feften Geftaltungen nicht gelangt feien. Diefe An-
nahme ift indeſſen feineswegs richtig, und wenn auch bei dem heu-
tigen Stand der Forſchungen fih noch nicht die ganze Frage klar⸗
ftellen Yäßt, fo fann man doch ſoviel fagen, daß fefte Formen
überall in den Gemeinden in ziemlich gleichmäßiger Art vorhanden
geweſen find.
Es war im Wefentlichen die feit uralten Zeiten vorhandene
und erprobte Organifation, welche auch jett wieder von den „Brü⸗
dern” auf bie erweiterten und erneuerten Gemeinden übertragen
wurde, nur mit der Maßgabe, daß die Grundfäße der Bauhütte
und ber Gilden, auf deren Schultern die Gemeinden fih von Neuem
erhoben, auch in diefer Richtung einen größeren Einfluß als früher
geltend machten. Die Verwandtfchaft ver Verfaffung der „Brüder⸗
gemeinden” mit derjenigen der Hüttenbrüder ift ganz ebivent und
wird mehr und mehr an das Tageslicht Tommen.
437
Was zunäcft die Aufnahme in die Gemeinde betrifft, jo ſteht
es aus den Mittheilungen eines Zeugen feit, daß unter Dends Ein⸗
fluß die bezüglichen Nitualformeln wenigftens für Oberdeutſchland
fejtgeftellt worden waren!) Das Gelübde, welches von dem Auf-
zunehmenden verlangt warb, beftand darin, daß er verſprach, hin⸗
fort das Lafter zu fliehen und die Tugend zu üben?), und zwar
gelobte er im Befonderen, die fieben Hauptfehler und Lafter
zu meiden und die fieben Haupttugenben, nämlih Weisheit, Ver-
ftand, Rath, Muth, Erfenntniß, Frömmigkeit und Got
tesfurcht mit der Hülfe Gottes zu erwerben ?).
Wenn der Aufzunehmende diefe und andere Zufagen abgelegt
hatte, ward er in die „Gemeinde“ aufgenommen und als „Bruder“
von den Mitgliedern anerfannt. Zum Zeichen des Bundes, den
er aus freiem Entfchluß mit Gott und den Brüdern gefchlofjfen
hatte, empfing er die Taufe gemäß dem Gebrauch der apoftolifchen
Jahrhunderte und dem Befehle Chrifti: „Gebet Hin in alle Welt
und lehret alle Völter und taufet fie im Namen des Vaters, des
Sohnes und des heiligen Geiſtes“.
An Stelle der Kindertaufe übten bie Gemeinden eine Einfeg-
nung der Neugebornen. Die beilige Handlung der Taufe auf den
Glauben wurde in der älteſten Zeit faft immer durch Beiprengung
vollzogen). Sie fand jtatt in Gegenwart der Gemeinde, welche
1) Juſtus Menius Der Wieberteuffer lere aus Heiliger Schrift wiber-
legt. 1530.
2) Hans Hut fagt aus (C. Meyer a. a. O. ©. 227): „ES bedarf Keiner
keine andere Berpflihtung thun, wenn er ſich taufen läßt, denn die, daß er alſo
leben wolle, wie es ihm das Wort des Herrn anzeige und wolle die Liebe
gegen Jedermann erzeigen und alle Tage das Kreuz erwarten.‘
3) Es ift fein Zweifel, daß diefe Formel nichts anderes ift, als eine direkte
Entlehnung aus dem oben erwähnten Katehismus; vgl. ©. 306 ff. — Es find
dies offenbar die „Sieben Artikel ihrer Bruderſchaft“, nach melchen ber
Rath zu Nürnberg ven gefangenen Hut gefragt wifjen will (C. Meyer a. a. O.
©. 222, Nr. 14).
4) Die Taufe durch Tauchung des Täuflings ift in einzelnen Fällen gleich-
fall8 nachweisbar, Es läßt fi beobachten, daß die „Gemeinden“ aus dieſer
Frage kein Princip machten und ven Wunſch des Täuflings Hierin maßgebend
fein ließen. Daß auch in den apoftolifchen Jahrhunderten kein Prineip daraus
gemacht wurde, lehrt die „Lehre der Apoftel” ed, Wünſche, Lpz. 1884 ©. 6,
438
Inieend ') und unter Gebet die feierliche Erklärung desjenigen, der
das Zeichen des Bundes mit Gott begehrte, anbörte.
Wenn der Täufling das Gelübde brach und ven Weg des offen-
baren Lafters einfchlug, jo waren die Vertreter ver Gemeinde be-
vechtigt und verpflichtet, die Kirchenzucht zur Anwendung zu bringen.
Wenn die Mahnung nichts fruchtete, jo wurde die Mitwirkung ber
Gemeinde angerufen, und wenn er diefe nicht hörte, fo warb feier-
li der Bann über ihn ausgefprochen. ‘Doch wenn er fich beffert,
„jo beut ihm die Kirche die Hand, daß er wieder von ihr ange-
nommen und ein Glied der Kirche gezählt wird‘ 2),
Das Abendmahl Chrifti oder der „Zifch des Herrn” ift ihnen
eine Einjegung Gotte8 und darum feine Feier das höchſte Feſt;
Gott hat das Abendmahl verordnet, damit wir ung, indem wir das
Brod brechen, erinnern des Urhebers aller Gnade, der für uns ge-
brocden ward am Kreuze, damit wir zugleich auch die Gemeinfchaft
mit ihm durch die Bethätigung gegenjeitiger Liebe erweifen. Denn
wie die Glieder der Gemeinde durch den gemeinfamen Zutritt zu
dem Tiſch des Herrn fich als Chriften und als Brüder und Schweftern
beiennen, fo jollen fie eins fein und eins werden zu einen Leibe
im Geifte des Herrn).
Der Feier dieſes Hochfeites ging in der Regel eine mehrtägige
Vorbereitung voraus. Allabendlich fanden fie fich zahlreich ein zu
Gebet, Ermahnungen und Gefang; befonders waren e8 die Kirchen-
lieder, welche die Andacht wedten, und die auch noch heute auf jedes
Gemüth einen tiefen Eindruck zu machen im Stande find.
Die Einfachheit ihrer fonntäglichen Gottesdienfte*) hat bie Le-
bendigfeit ihres Glaubens nicht beeinträchtigt. So lange die Haus-
1) Die Gemeinde betete ftet8 knieend; dies war auch im vorigen
Sahrhundert noch in vielen Mennoniten= Gemeinden üblih; f. A. Brons
Urfprung u. |. w. Norden 1884 ©, 219.
2) So wörtlich in ben alten Ritualoorfchriften; vgl. Beda.a.D. ©. 650.
3) Die täuferifche Auslegung des Abendmahls, wie fie ‚Cornelius, Münſt.
Aufruhr 11, 51 wiedergiebt, erinnert auffallend an das 10. Cap. ber „Lehre ber
Apoftel” ed. Wünfche 1884 ©. 17,
4) Ich vermag nicht anzugeben, ob fchon in unferer Periode bei den alt-
evangeliichen Gemeinden auch jene „ftillen Andachten“ üblih waren, welche
fie jpäterhin neben Predigt und Gebet von Zeit zu Zeit hielten (Barclay R.
The inner life of (he Religious Societies etc. London 1877 ©. 86); doch if
439
gottesdienſte als Ergänzung der Gemeindegottespienfte in Uebung
waren, hat fich in diefen Kreifen ein veges, weder heuchlerifches noch
fcheinheiliges veligidfes Xeben wach erhalten. Den beiten Theil ihres
Gottesdienſtes freilich juchten fie in der praftiichen Bethätigung der
Nächftenliebe und in brüderlicher Unterſtützung.
Der Aufbau der Einzelgemeinde vollzog fich wie feit Alters in
drei Hauptftufen. Die erſte Stufe bildeten die fogenannten „Diener
der Nothdurft“, d. 5. die Diakonen, deren Zahl je nach ver Größe
der Gemeinde firirt war; fie wurden auf eine Reihe von Jahren
gewählt und man fuchte dazu jüngere Kräfte aus.
Die zweite Stufe bildeten die „Aelteften” und „Vorſteher“,
welche gemeinfam mit den Geiftlichen die Gemeinde nach außen zu
vertreten hatten und diefen die Bürde des Amtes tragen balfen.
Es war dafür eine beftimmte Altersgrenze feſtgeſetzt.
Die dritte Stufe nahmen die „Magiftri‘ oder, wie die un.
glückliche deutjche Ueberſetzung diefes alten Ausdrucks lautet, bie
„Lehrer“ ein.
Diefe Xehrer oder „Diener des Worts“ glieverten ſich in a) die
Funktion des „Hirten — wie man das Wort Paftor überjegt
hatte —, welcher Die geiftliche Leitung der Gemeinde zu feinem Le
bensberuf machte, und b) diejenige des „Ermahners” oder „Evans
geliften‘, welcher als „Helfer im Nebenamt dem „Hirten“ nad)
deſſen Anmweifungen diente, das Volk lehrte, die Kranken tröftete und
etwaige geijtliche Vereinigungen leitete).
Kur die Lehrer oder Paſtoren (nicht die Evangeliften) hatten
es wahrfcheinlih. Eine ſolche ftille Andacht ward in der Regel durch die Ber-
Yefung einiger Worte aus der h. Schrift eingeleitet; im Uebrigen waren die An-
weſenden nur zu ftillem Gebet verſammelt. Es entjpricht diefer Gebrauch durch—
aus den Brincipien ber älteren Brübdergemeinden, welche ausbrüdlich erklärten
(f. oben S. 86), daß fie den Schwerpunkt ihres Gottesdienſtes nicht ausſchließ⸗
lich in die Predigt legen wollten.
1) Einzelne Gemeinden befaßen oft im Ganzen 5 bi8 6 Paftoren und
Evangeliften. Da die „Brüder“ auch in unſerer Periode das Princip aufrecht
erhielten, nur in Kapellen oder kleineren Verſammlungsräumen ihren Gotte8-
bienft zu verrichten, fo ergab fich bisweilen die Nothwenbigkeit, deren mehrere zu
befiten und zu bedienen, wo bie berrichenden Parteien ſich mit einer einzigen
großen Kirche begnügen konnten.
440
das Recht, die Heiligen Handlungen, welche Chriftus als Zeichen
ſeines Bundes eingefegt hat, zu verwalten 1), vor allem die Taufe
zu ertheilen, das Abendmahl zu fpenden und die Ehen einzufegnen.
Aber auch der Paftor erhielt dies Necht nur durch die fürmliche
Weihe, welche durch die Handanflegung feifens eines der „Se-
nioren“ erlangt wurde. Doch bedienten fie ſich des Ausprudes
„Weihe“ nicht, um nicht Die Idee zu erwecken, daß fie römiſche Vor-
jtellungen damit verbänden.
Der Name „Senioren beveutet hier nicht die „Aelteſten“ der
Einzelgemeinde, fondern die „Aelteſten“ der Gefammtgemeinde,
denn auch diefe wurde burch erwählte Xeltejte regiert.
Die ſämmtlichen Aelteften, Paftoren und Diafonen der Einzel-
gemeinen eines größeren Bezirks wählten aus ihrer Mitte mehrere
Diſtriktsvorſteher und Aeltejte, und der aus den „Dienern des Wort”
erwählte Senior erhielt und gebrauchte nach uralter Tradition und
gemäß dem Gebrauch der apoftolifhen Sahrhunderte den Namen
eines Biſchofs; doch wußte er felbft wie feine Wähler ſehr wohl,
daß er fein Bifchof war in römischen Sinne.
Zu den Vorrechten der Bifchöfe gehörte die Ertheilung der
Weihe durch Handauflegung, und e8 verdient bemerkt zu wer-
den, daß noch im 17. und 18. Sahrhundert bei den „Zäufern‘ nur
diejenige Gemeinde für rechtmäßig conjtituirt galt 2), welche wenigſtens
einen Geiftlichen befaß, der durch die Handauflegung eines Bifchofs
die Weihe empfangen hatte. Im einzelnen Ländern, befonders in
Norvdeutichland ?) und den Niederlanden, war allerdings damals
der Name „Biſchof“ ſchon außer Gebrauch gefommen und an feine
Stelle die Bezeichnung „Senioren” oder „Aeltefte‘ getreten. Doc
batte damit nur der Name, nicht aber die Sache eine Aenderung
1) Es ift merkwürdig, daß der Ausprud „Salramente” in dieſer Ge-
meinſchaft prineipiell vermieden zu werben pflegt. — Als „heilige Handlung‘
faßten fie übrigens neben Taufe, Abendmahl und Ehe au die „Hanbanf-
legung‘ auf. Diefe Auffaffung ift bis in das 18. Jahrh. nachweisbar; |. Bed
Seihichtsbücher u. |. w. Vorrede S. XVI.
2) ©, A. Brons Uriprung u. |. w. Norden 1884 ©. 224.
3) Einer der letzten „Biſchöfe“, die ich in Norbdeutichland nachweiſen Tann,
ift Emald Wandſcherer; er lebte um die Mitte des Jahrhunderts. Alten im
Münſt. 2. 9. 518/19. Vol. X.
441
erfahren 1), Natürlich galt daſſelbe Gefeg der Handauflegung auch
in der Berfaffung ver Gefammtgemeinde, und Fein DBifchof
burfte weihen, der nicht ſelbſt geweiht war.
Den wichtigften Faktor der Geſammtverfaſſung bildeten Die
Sapitelsverfommlungen oder Synoden, die nach feften Princi-
pien und in feften Terminen abgehalten wurden. Auch hier war
die dreifache Abitufung durchgeführt. Die erfte Inftanz, wenn man
fo fagen will, bildeten die Monatsverfammlungen, bei welchen
die Paſtoren, Aelteften und Diakonen der Einzelgemeinde, die ja
oft über mehrere Orte vertbeilt war, zur Berathung fich ein»
fanden 2).
Ueber der Monatsverfammlung fcheint die VBierteljahrs-
verfammlung geftanden zu haben, bei welcher die Vorſteher und
Geiſtlichen größerer Bezirke vertreten waren, die man nad) lands⸗
mannſchaftlicher Zufammengehörigfeit zu bilden pflegte. Es ift mög-
lich, daß die „Apoftel” hier präſidirt haben.
Die dritte und legte Injtanz bildeten die allgemeinen Sy—
noden, welche, ſoweit e8 angänglich war, alljährlich ?) zuſammen⸗
traten. Ob die Wahlen zu denſelben durch die Monatsverfanm-
lungen oder durch die Vierteljahrsconferenzen vollzogen wurden,
babe ich nicht fefttellen können. Jedenfalls fanden die allgemeinen
1) Es war ganz natürlich, daß in den Ländern, in welden die Geſammt⸗
verfaffung zu Grunde gegangen war, auch die NRepräfentanten der Gefammt-
gemeinde wegfielen. In Oefterreih-Ungarn, wo ein Zufammenbang blieb,
ift der letzte Biſchof erſt um das Jahr 1790 geftorben. Bed Geſchichts⸗
Bücher u. f. w. 1883. Anfänge an bie alte Verfaſſung finden fih auch unter
ben beutfchen Mennoniten noch gegenwärtig ; man vgl. Allg. Formularbuch u, f. w.
Monsheim 1852 S. 195: „Wer ein Bifhofsamt begehrt u. f. w.“ Eben
dieſes Buch enthält im Uebrigen freilich viele Entftellungen der alten Tradition.
2) Näheres darüber bei R. Barclay The inner life etc. 1877 ©. 87,
welcher auf Grund des Brauchs zu Mennos Zeit darüber veferirt. Man barf
aber von dort aus mit Sicherheit rückwärts fchließen.
3) Barclay a. ©. ©. 88: „They (the Mennonites) sent delegates to a
yearly meeting of the Churches, where they decided upon measures concern-
ing the support of the poor, the maintenance of public worship and the
distribution of the ministers to congregations, which needed them; and any
causes of dissension, which could not be settled in the particular congre-
gations, where brought here for settlement by way of appeal.“ — „These
yearly Meetings were not always held in the same place, but circulated.“
442
Berfammlungen unter Mitwirtung der Biſchöfe und Apoftel
ftatt, welche bie geiftlichen Nepräfentanten der Geſammtkirche waren.
Daß die bifchöfliche Verfaffung, wie fie bei den älteren Ge—
meinden in Kraft gewejen war, auch in ven erneuerten altevan-
gelifhen Gemeinden bereit8 im Jahre 1527 zu Recht bejtand, er-
heilt aus Hubmeiers Zaufagende, welche etwa im Auguft 1527
erichienen ift!). Wir haben oben bereitd den Leonhard Schiemer
als Biſchof der ſämmtlichen Gemeinden in Oberöftreih Tennen
gelernt?). Auch die „Brüder“ in Mähren haben Jahrhunderte
hindurch ihre Bifchöfe gehabt, und es kann als ficher betrachtet
werben, Daß auch die übrigen Bezirke Bifchöfe befaßen; doch hatten
die Inhaber der Würde Grund, diefelbe möglichft geheim zu Halten,
da die Gegner befonders die Häupter der „Sekte“ zu beftrafen
juchten.
Neben den Bifchöfen und wahrjcheinlich unter ihrer Juris⸗
bietion ftanden jene Sendboten oder Apoſtel, aus deren Zahl,
wie e8 feheint, Die Bifchöfe in der Regel bervorgingen. Sie hatten
das fchwerfte Amt in der Gemeinfchaft, aber auch. das wichtigjte.
„Die Senbboten der täuferifchen Kirche‘, jagt Cornelius 3), „be⸗
gannen ihre Predigt mit dem Ruf zu Buße und mit der Verkün⸗
digung der nahen Zukunft des Herrn, des Gerichts über die Welt
. und der Strafe der Gottlofen. Nicht von dem Evangelium, fagten
fie, welches in den letzten Jahren gepredigt worden, Tann die Rettung
ber Menfchen kommen. Es widerlegt fich ſelbſt durch die Früchte,
welche e8 bringt. Seine Prediger vermögen nur zu zerftören, nicht
zu bauen: nirgends haben fie eine wahrhaft chriftlide Gemeine
gegründet, die Laſter werden nicht geftraft, der Bann nicht gebraucht,
feine Befjerung des Lebens bewirkt“. — „Die Männer, welche
biefe Botfchaft brachten, kamen in unfcheinbarem Gewand, arm
wie bie Apoftel, demüthiger Haltung. Sie wandten fi an die
Armen und Niedrigen, denn zu dieſen, fagten fie, habe Gott fie
1) Ein Form zu touffen im Wafler Die underrichten im glauben, Nicols-
burg 1527. 4.4 Bl. Neu gedrudt von Schelhorn Beyträge zur Erleu⸗
terung ber Geſch. u. ſ. w. Memmingen 1772. II. Stüd S. 91—98,
2) Bol. Bed a. a. DO. ©. 61 Anm. 2.
3) Münft. Aufruhr II, 47 f.
%
443
gefchickt. Mit dem Gruß des Friedens betraten fie die Hütten,
ſprachen von den Werfen der Liebe und von der Ververbniß der
Welt, laſen aus der h. Schrift, erklärten und lebrten. — Die
Redner waren Belenner und Märtyrer, und die Flamme, von ber
fie felbjt ergriffen waren, entzündete auch die Hörer. VBerfolgt und
flüchtig, ihrer Nahrung und ihres Lebens nicht ficher, legten fie
durch die That ein Zeugniß für ihre Worte ab: darum wirkten
diefe mit ber vollen Macht ihres biblifchen Inhalts, erbaulich und
berzgewinnend, erfchütternd und nieverwerfend”.
Es läßt fich nicht mehr feftftellen, ob die Forderungen, welche
an die Brüderapoitel der älteren Zeit geftellt wurden, auch roch
in den reformatorifchen Gemeinden Gefeg waren. Dagegen wiljen
wir, daß bei Gelegenheit ver allgemeinen Verfammlungen die Aus
ſendung erfolgte, und daß zwifchen ven bort Defignirten zulett Das
2008 entſchied!); auch ift fiher, daß die Erwählten in der Regel
zu Zweien auszogen, und daß ein jüngerer Geiftlicher des eigent⸗
lichen „Apoſtels“ vienftbereiter Begleiter war 2).
Es war ein Glück für die altevangelifche Partei, daß fie bes
reits ziemlich feft confolidirt war, als mit dem Jahre 1527 eine
Reihe fchwerer Schieffalsfchläge über fie hereinbrach.
Nachdem die Stadt Züri zu Anfang 1527 mit den erften
Hinrihtungen vorangegangen war, folgte zunächit der Damals von
Zwingli ſtark beeinflußte Urbanus Rhegius in Augsburg mit einer
fgitematifchen Verfolgung. Die große VBerfammlung von 1527 gab
die erfte Veranlafjung zum Einjchreiten; am 25. April 1528 fand
in Augsburg die erfte Hinrichtung ftatt, Joh. Leupold ward als
1) Bgl. die oben erwähnten Ausfagen Georg Nofpigers.
2) Noch zur Zeit Mennos beftimmten die Jahres⸗Verſammlungen diejenigen
Männer, welche als Senpboten zu fungiren und beſonders diejenigen einzelnen
Berfonen oder kleineren Kreife aufzufuchen hatten, die feine Gemeinde bilden
tonnten. ©. R. Barclay The inner life etc. ©. 88. Barclay fügt Hinzu:
„The travelling expenses of the teachers, who were engaged in supplying
the needs of the congregations, who were imperfectly supplied with mini-
sters, were contributed by the Yearly Meeting of the united Churches. They
also supplied Ihe pecuniary necessities of Ihe poorer congregalions“.
444
Täufer entbauptet 1), Dann wiederholten fich bort die entſetzlichſten
Scenen von Monat zu Monat.
Der Nechtögelehrte Dr. Hepftein äußerte am 25. San. 1529:
„Die von Augsburg haben viel gewürgt und tödten lajfen, hat
aber nicht8 Gutes gebracht”,
„Meberall in Schwaben, Baiern, Franken‘, jagt Friedrich Roth,
„erhob fich eine wahre Hetze auf die Wievertäufer” 2). Die ſämmt⸗
lichen fchwähifchen Städte, die neugläubigen wie die altgläubigen,
folgten dem Beifpiel Augsburgs. In Eßlingen leitete Ambrofius
Dlaurer die Verfolgung; in Tübingen wurden im Jahre 1536
jech8 Frauen verbrannt, in Kaufbeuren fünf Männer enthauptet,
in Böblingen fieben Perfonen gerichtet, in Stuttgart und
Kirchheim gefhah das Gleiche. Im September 1527 bejchloffen
die Stände des ſchwäbiſchen Bundes, durch bewaffnete Reiterfchaaren
im ganzen Lande auf die Täufer jtreifen zu laffen; die Hauptleute
hatten Vollmacht, die Verdächtigen ohne Urtbeil und Recht zum
Tode zu bringen, und entjeßlih war das Blutbad, welches unter
den Unfchuldigen angerichtet ward.
Es verſteht fih, daß die römiſch⸗katholiſchen Fürſten und
Städte die alten Principien ihrer Kirche mit Energie zur Anwen⸗
dung brachten. Der Befehl Herzog Wilhelms von Baiern: „Wer
revocirt, den ſoll man köpfen; wer nicht revocirt, den ſoll man
brennen“ bezeichnet die Geſinnung, welche man dort den Täufern
entgegenbrachte. Das Reſultat war in Baiern in Bezug auf Hin⸗
richtungen Folgendes: E8 wurden verbrannt zu Landshut 5, zu
Münden 8, zu Mühldorf 5, zu Dettingen 7, zu Burg-
haufen 6, zu Ingolftadt 1, zu Landsberg 2, zu Tipmanig 4,
zu Grießbach 5, zu Paſſau 2 — kurz, in wenigen Jahren
57 Berfonen. Ganz entjeglih war die Hetzjagd in den öftreichifchen
Landen, im Innthal (mo 210 Scheiterhaufen brannten), in Tyrol,
im Salzburger Land, in Steiermark, in Ober» und Unterdjtreich.
Für Tyrol erließ König Ferdinand feit dem Jahre 1527 zehn Straf-
mandate tm immer fteigender Strenge. „Ich glaube”, fchreibt ein
1) Gassari Annales Augsburgenses bei Mencken Scriptores I, 1777. —
Im 3. 1531 betrug die Zahl der Getödteten in Augsburg bereit 12,
2) Augsburgs Ref.Geſch. 1881 ©. 226,
445
— —
Zeitgenoſſe, „daß allein im Land Tyrol und Görz tauſend Men—
ſchen um der Taufe willen verbrannt, geköpft und ertränkt worden
find. Denn die Wiedertäufer unterſtunden ſich einer großen Hart
nädigfeit"N). Die vorberöftreichifche Regierung zu Enfisheim Hatte -
es nach einigen Jahren dahin gebracht, daß fie auf ein Leichenfeld
von 600 Täufern verweiſen konnte.
Nach einiger Zeit fing man an nach der Weiſe, die in Italien
bei politiſchen Verbrechen üblich war, vorzugehen: man ließ die Ge⸗
fangenen in den Kerkern langſam umkommen oder richtete fie heim-
lich zur Nachtzeit hin. Der „Täufer“ Conrad Koch, welcher ſelbſt
den Tod erlitt, beſchwerte ſich vor der Execution: „Diebe und
Mörder pflegt man zu verurtheilen mit Vorwiſſen des ganzen
Landes; aber die Frommen ermordet man heimlich“.
Der Kaiſerliche Rath und Procurator am Reichskammergericht,
Leop. Dickius, welcher ein Buch wider die Anabaptiſten ſchrieb,
„quibus jam totus conflagratus orbis immanissime saevit“,
ſchreibt im Jahre 1533 wörtlich: „Man ſchont kein Alter und kein
Geſchlecht und (während man die Männer tödtet) verkommen die
Frauen und Kinder in Elend und Hunger. Dieſer, in gräßlichem,
ewigen Gefängniß gehalten, verſchmachtet in Unrath und Entbeh-
rungen; Teine Sreundjchaft, feine Wohlthat, Feine Pflicht Tennt man
gegen dieſe Menſchen; jeder wird als ein folcher behandelt, welcher
des ſchwerſten und peftilenzialifchen Verbrechens fchuldig iſt“?). Der
römiſch⸗katholiſche Chronift Kilian Leib erzählt: „Zu Salzburg und
München wurden fie mit ernfter Strenge beftraft durch Schwert,
Feuer und Waſſer, und alle diefe Todesarten haben die verhärteten,
unglüdlihen Männer, Mädchen und Frauen nicht nur ge
duldig, ſondern bisweilen auch freudig ertragen, indem der Teufel
fein Spiel und feine Schauftüde mit den Armen trieb‘). Weber
die Hinrichtung eines jungen Mädchens von 16 Jahren in Salz
burg wird berichtet, daß fie auf feine Weife zum Widerruf gebracht
1) Näheres über Tyrol bei v. Kripp Die Wiebertäufer in Tyrol. Inns⸗
bruder Gymn.⸗Progr. 1857.
2) 8, Dickius, Adversus impios Anab. errores 1533. Bl. B. (Exemplar
im Beſitz des Staatsarchivs zu Münſter.) |
3) Dillinger Beiträge u. ſ. w. Il, 517.
446
—
werben konnte. Jedermann bat um ihr Leben, denn alle fühlten,
daß fie rein und unfchuldig war wie ein Kind. Der Nachrichter
nahm fie auf den Arm, trug fie an die Roßtränke, tauchte fie unter
das Waffer, bis fie ertrunfen war, dann 309 er den entfeelten Leib
wieber hervor und übergab ihn dem Feuer).
Es ift unmöglich, auch nur annähernd ein zutreffendes Bil
von den Gräuelthaten zu geben, beren bie herrſchenden Parteien
fih an diefen Leuten ſchuldig gemacht haben. Keine Stadt, Tein
Flecken, ja faft fein Dorf blieb von Verfolgungen, Einterferungen,
Austreibungen und Hinrichtungen verfhont. Wenn Sebaftian
Srand ſchon im Jahre 1530 die Zahl der Getödteten auf etwa
2000 angiebt, jo kann man annehmen, daß mehr als die zehnfache
Zahl durch Einkerkerung, Folterung, Brandmarkung, Ausweifung
und Verfolgungen aller Art bejtraft worden ift. Und doch begann
die ſchlimmſte Hetjagb erft nach dem Jahre 1530. |
Wer bejchreiht den Kummer und das Elend, welches in Den zer-
rütteten Familien vieler Hunderttaufende im Laufe der Jahre Durch
den frommen Eifer ver herrſchenden Geiftlichkeit angerichtet worden
ft? Wie viele Wittwen hat man verkommen laſſen, wie viel Waifen
find elend dem Tode entgegengefhmacte. Und dies Alles im
Namen Chriſti und der chriftlichen Liebe! 2)
Es iſt ein charakteriftifches Kennzeichen der Unkenntniß über
die wahren Vorgänge jener Epoche, daß fehr viele Menfchen noch
heute von der Vorftellung ausgeben, daß diefe Hinrichtungen und:
Berfolgungen gegen Die „Wiedertäufer" nur wegen Aufruhrs ver-
hängt ſeien und daß die Reformatoren an diefen Dingen unbe
tbeiligt wären. Nein, e8 war weder „Aufruhr”, was man beftrafte,
noch ift eine ber beiden herrſchenden Kirchen unjchuldiger als die
1) S. Ranke, L. v., Deut. Geſch. im Zeitalter der Ref. 5. Aufl. II, 363.
2) v. Braght Het bloedig Tooneel of Martelaers-Spiegel etc. Amf.
1685 erzählt die Leidensgejchichte von etwa 900 namentlih aufgeführten Mär⸗
tyrern zwifchen 1524—1672. Dazu fommen etwa 1000 bingerichtete Perfonen,
iiber welche er nur einzelne Notizen hat erfahren können, zumal Frauen, Mäb-
hen und Jünglinge. — R. v. Liliencron (Abh. d. Mind. Al. 1877 ©.
134 ff.) hat die „Märtyrerlieder“ ber Iutherifchen und der altevangelifchen Kirche
zujammengeftellt; e8 giebt 3 luth. (auf 4 Märtyrer) und 62 täuferifche (auf 300
Perjonen).
447
andere, nur Landgraf Philipp von Helfen und die Stadt Straß-
berg haben ihre Hände wenigftens von Blut rein gehalten, während
fie freilich Einferferungen und Ausweifungen gegen die „Häre-
tiker“ gleichfalls in Anwendung bringen zu müſſen glaubten.
Einer der verhängnißvoliften Befchlüffe, welche je von einen
deutjchen NReichstage gefaßt worden find, tft das blutige Mandat
gegen die „Ketzer“, welches von lutheriſchen und römiſch-katho⸗
liſchen Fürften und Städten auf demfelben Reichstag zu Speier
(1529) bejchloffen ward, auf welchem bie „‚proteftirenden Reichs⸗
ſtände“ fich gegen die Beichlüffe der Majorität in Sachen ihres
Glaubens verwahrten.
Diefes Mandat bildet den Mittelpunft einer Epifode der deut-
jhen Geſchichte, welche in ihren Conſequenzen unfägliches Unglüd
über unjer Vaterland beraufbefchworen bat.
Nachdem bereitS am 4. Januar 1528 der erfte kaiſerliche Erlaß
erfohienen und in allen Städten, Fleden und Dörfern von den
Kanzeln publieirt war, daß jeder Taufgefinnte fowie alle Eltern,
welche ihre Kinder nicht rechtzeitig zur Taufe brächten, nach geift-
lichem und meltlichem Rechte dem Tode verfallen jeien, beantragten
die Raiferlihen Commiffarien auf dem Reichstag zu Speier eine
im Namen des Kaifers und der NReihsftände zu erlaffende neue
Verfügung, und nach längeren Verhandlungen fam e8 dahin, daß
dem Kaifer unter Zuftimmung aller Stände die erbetene
Vollmacht ertbeilt wırde').
Der $ 6 des Reichstagsabſchiedes vom Jahre 15292) enthält
folgenden Beſchluß: „Nachdem auch Fürzlich eine neue Sekt des
Widertaufs entftanden, fo in gemeinen Rechten verboten
und vor viel Hundert Jahren verdammt worden tft,
welche Sekt über Kaiferlich ausgangen Mandat, je länger je mehr
jchwerlicher einbricht und überhand nimmt und dann ihre Maje-
I) Der Reichstag von Augsburg im Jahre 1530 beftätigte die Speierer Be—
ſchlüſſe. Höchſt intereffant, aber bis jeßt faft ganz unbelannt find die Bemühun⸗
gen des Landgrafen Philipp von Helfen, die Xutheraner von der Zuftimmung
abzuhalten; es gelang ihm nicht. Einiges darüber bei Keim Schwäb. Ref.⸗
Geh. Tüb. 1855 ©. 164 ff.
2) Abgebruct in der Neuen und vollft. Sammlung der Reich8-Abfchiebe
Frankfurt a. M. 1747. Vol. II, ©. 294.
448
ftät folch fchwer Uebel und was daraus folgen mag zu fürkommen
und Fried und Einigkeit im h. Neich zu erhalten, ein rechtmäßig
Sonftitution, Satzung und Ordnung aufgeriht und alfenthalben
im 5. Reich zu verfünbigen verfchafft, alfo Tautend: „daß alfe und
jede Widertäuffer und Wivergetaufte, Mann und Weibsperjonen
verftändigs Alters vom natürlichen Leben zum Tode mit Teuer,
Schwert oder dergleichen nach Gelegenheit der Perfonen ohne vor⸗
gehende der geiftliden Richter Inquiſition gerichtet oder
gebracht werden”.
Man hätte erwarten follen, daß Die Vertreter der neuen Staats⸗
firchen gegen die Erneuerung der alten Ketzergeſetze, welche gelegent-
Yich mit vemfelben Recht gegen die Qutheraner und Zwinglianer
wieber in Anwendung gebracht werben Tonnten, proteftirt hätten.
Aber fie willigten nicht nur in die Wiederherftellung, ſondern fogar
in die Verſchärfung der alten Beitimmungen; denn e8 war un⸗
erhört, daß ben „Täufern“ nunmehr ſelbſt das Verhör vor den
Inguifitoren abgefchnitten wurde. Man wollte fie wie bie wilden
Thiere zu Tode hetzen — jede Menschlichkeit, jede Gerechtigkeit
ſchien dieſen „Verbrechern“ gegenüber erlofchen zu jein.
Der einzige Reichsfürſt, welcher wenigftens in Bezug auf bie
Bollziehung der Todesftrafe dem Reichstagsabſchied fich nicht unter-
warf, war, wie gefagt, Landgraf Philipp. Er gerieth darüber in-
deſſen fofort in einen heftigen Conflikt mit feinem Nachbarn, dem
Churfürften von Sachſen, bezw. mit den Wittenberger Theologen
Luther und Melanchthon.
Die Letzteren nämlich hatten ſich etwä im November 1529
gutachtlich dahin ausgefprochen, dag das Mandat au in Sachen
nach feiner vollen Strenge zur Anwendung zu bringen fei. Der
Churfürft erklärte dem Landgrafen, er balte fich für verpflich-
tet, an dieſem Mandat, „barin er feines Theil neben anbern
Churfürjten, Zürften und Ständen des Reichs auch bewilligt, des⸗
gleihen an feinem offenen Ausjchreiben, fo diefer Selten halben
hernachmals geſchehen“ nach dem Rath feiner Gelehrten
feftzuhalten. Hiergegen erwiderte Philipp: „Wir können in une
rem Gewiſſen nicht finden, Jemanden des Glaubens hal—
ben, wo wir nicht fonft genugſam Urfache der Verwirfung haben
449
mögen, mitdem Schwert richten zu laffen”!) und bezeugte
damit zugleich, daß das Kaiferliche Mandat nicht etwa wegen Auf-
ruhrs gegen die Täufer gerichtet war.
Der Streit zwifchen den beiden Fürften nahm größere Di-
menfionen an, als es fich darum Bandelte, das Amt Hausbreiten-
bach, welches unter der gemeinſchaftlichen Iurisbiction von Sachfen
und Helfen jtand und das von Täufern angefüllt war, von der
„Sekte“ zu reinigen. Es fand eine perfünliche Zufammenkunft ver
Fürſten ftatt, bei welcher Churfürft Johann Friedrich auf Hinrich-
tung der Schuldigen drang.
Zur Begründung feiner Anficht legte er ein Gutachten feiner
vornehmften Theologen in Wittenberg vor, unter welches Luther
die Worte gefchrieben hatte: „Placet mihi Luthero“2) und in
welchem unter Anderem gejagt war: „Es weiß auch ver Poteſtat
(d. h. die Obrigkeit) Diefes, daß, obſchon etliche Anabaptiften mögen
aus Einfalt irren, daß dennoch ihre Sekte gewißlih vom Teufel
ift und gereicht zur Vertilgung der rechten, reinen Lehre des Evan⸗
gelii. — Derbalben muß der Poteftat der Sekte wehren, ob er
ſchon etwa mit einer Perfon zu gefchwind führe, thut er dennoch
recht, daß er der Sekte wehrt u. ſ. w.“8).
Geſtützt auf dieſes Gutachten Tieß der Churfürft im Sahre 1531
eine Anzahl „Wiedertäufer“ nach Eifenach fchleppen, foltern und
einen gewiffen Fritz Erbe zum Tode verurtbeilen. ALS der Land⸗
graf dies erfuhr, legte er feterlich Proteft ein und erklärte: „Da
diefer Mann allein der Irrung halben der Wiedertaufe
gefangen und berüchtigt tft, fo wollen wir nicht bergen, daß
wir bisher in folchen Fällen feinen Menſchen um Sachen willen
den Glauben belangend mit dem Schwert haben richten laſſen.“
Erbe wurde denn in der That nicht Hingerichtet, fondern in
Iebenslangem Kerker gehalten, wo er, wie Zeugen berichten, Yang-
fam verkommen tft‘).
1) Schmidt, ©. L., Juſtus Menius. Gotha 1867 1, 143.
2) Schmidt Juſtus Menius I, 165.
3) Schmidt a. a. O. ©. 162.
4) Das Nähere bei Schmidt Juſtus Menius I, 176 ff.
Keller, Die Refornation, 29
450
Der unglüdlihe Fritz Erbe ift bei Weitem nicht das einzige
Opfer geblieben, welches auf die Gutachten der Wittenberger Theo⸗
logen Hin in den churſächſiſchen Ländern hingerichtet worden ift.
Eine Anzahl feiner Glaubensgenoſſen wurde im Jahre 1533 ge-
tödtet; am 27. Januar 1536 beftiegen zu Jena drei Täufer, die
Melanchthon felbft zum Tode begleitete, das Schaffot, im Sahre
1537 unterfchrieb der Churfürſt das Todesurtbeil gegen zwei Män-
ner, denen nicht anderes als Irrthum im Glauben nachgewiefen
war, und im Jahre 1543 wurde ebenfalls ein Abtrünniger mit dem
Schwert gerichtet).
Es ift in der Kirchengefchichte der fiegreichen Parteien aus er-
klärlichen Gründen üblich geworden, als Inbegriff ver Gefchichte des
Anabaptismus diejenigen Vorgänge binzuftellen, welche fich im Jahre
1535 zu Münfter vollzogen haben, und feine Bearbeitung des Täufer-
thums Tann umbin, auf diefe Ereigniſſe wenigjtend mit einigen
Worten Rüdficht zu nehmen.
Da will ih nun von vorn herein bemerken, daß die Vorgänge,
welche fich in der Phafe des legten Todeskampfes dieſer großen
Stabt unter der ungebeuren religidfen Efitafe der unglüdlichen
Menſchen abgejpielt haben, ebenfowenig jemals eine Nechtfertigung
finden werden, wie jene blutige Hetzjagd, welche die herrſchenden
Parteien in den Jahren 1527—1533 und Später unter unfchuldi-
gen Männern und Frauen angerichtet haben.
Aber wenn auf irgend einem Gebiete der Kirchengejchichte ber
Haß der fiegreichen Parteien ein Zerrbild der wahren Ereigniffe
geſchaffen bat, jo ift es in der Gefchichte des fogenannten Deünfter-
ſchen Aufruhrs gefchehen, und es fteht gerade hier eine Ummälzung
der bisherigen Betrachtungsweife wenigjtens ber erjten Stadien bes
Kampfes zu erwarten, welche diejenigen in Erjtaunen jegen bürfte,
1) Daß die BVerfolgungen gegen die „Täufer“ mit blutiger Gewaltthat
faft zwei Jahrhunderte lang in Tatholifhen wie evangelifchen Ländern fortge-
dauert haben, kann man al® befannt vorausfegen. Daß aber felbft noch im
19. Jahrh. in einzelnen europäiſchen Ländern die Regierungen mit Einferferun-
gen und Zwangsmaßregeln gegen fie eingefchritten find, werde ich vielleicht bei
anderer Gelegenheit zur erwähnen Gelegenheit haben.
451
bie als legten Trumpf gegen die „Wiebertäufer" bisher ſtets bie
„Münſterſche Raſerei“ auszufpielen pflegten!).
Dean bat bisher fast immer überfeben, daß, nachdem dem großen
Blutbad des Jahres 1535 Taum einige Frauen entronnen waren,
jeder zuwerläffige und unparteitfche Berichterftatter über die Dinge,
welche jich während der Belagerung in ber Stadt zugetragen
haben, fehlte, und daß unjere bisherige Kenntnig auf den Rela-
tionen jener Verräther und Ueberläufer beruht, welche wie &res-
bet u. U. der Partei, die fie verrathen hatten, allen jenen Haß
entgegenbrachten, welchen man gegen diejenigen zu hegen pflegt, gegen
die man fich eines Unrechts bewußt ift. |
Es gehört zu den gröbjten Entjtellungen, wenn man jenen
Tauſenden Münfterfcher Bürger, die fi damals die Spättaufe
ertbeilen Tießen 2), unterlegt, daß fie plößlich in eine revolutionäre
und blutgterige „Sekte umgewandelt feien. B
Es wohnte damals wie heute in der Stadt eine ruhige, reli-
g188 gefinnte und mit nichten zum Umfturz neigende Bevölkerung,
und e8 wird fich zeigen, daß nur die unerhörtefte, graufamfte Uns
gerechtigfeit dieſe Bürger jchlieglih dahin gebracht hat, ihre Väter,
Mütter, Söhne und Töchter auf dem Wege der Nothivehr vor der
weiteren Hinfchlachtung durch die Henker der Ingutifition zu ſchützen?).
1) Es find feit dem Erjcheinen meines Buches: Geſch. d. Wiebertäufer und
ihres Reichs zu Minfter, Münfter 1880, durch glückliche Umftände eine Reihe
wichtiger neuer Duellen aufgefunden worben, welche viele Fragen in einem ganz
veränderten Lichte zeigen. So hat ſich 3.8. berausgeftellt, daß das bisher ver⸗
loren geglaubte Archiv des vor Münfter als Taiferlicher Feldherr commanbiren-
den Grafen Dhaun, welches wichtige Eorrefponbenzen mit der Stadt Münfter
enthält, erhalten if. Dazu kommt eine bisher. unbelannte Chronik, mehrere
Heinere Schriften von „Täufern“, viele Briefe, Regifter und fonftige Aktenſtücke.
2) Die Namen-Berzeichniffe beruhen im Staatsarchiv zu Münfter; es find
viele ſehr angejehene, noch heute blühende Familien darunter. Vielleicht werde
ich biefelben demnächſt der Deffentlichfeit übergeben.
3) Auf die Art, wie die Stabt Münfter damals von ihren Gegnern bes
handelt worben ift, wirft ſchon folgende einzelne Thatfache ein Licht. Am 20. März
1533 überfendet der Propft des Stiftes Herford und erzbifchäflich trierfche Official
zu Coblenz Dr. Bernd. Dorind ein Rechtsgutachten an Biſchof Franz, in wel
hem er auf Grund von Beitimmungen des canonifchen und weltlichen Rechts
darthut, „daß E. fürftl. Gnaden diefelben Eide, Siegel und Briefe
mit allen denjenigen, damit fie zu tbun haben, nidt ſchuldig
29*
452
Es ift fonderbar: die blutige Gewilfenstyrannei der herrfchenden
Parteien pflegt man noch heute mit dem wohlfeilen Hinweis auf
ven „Charakter der Zeit”, aus welchem diefelbe begriffen wer-
ben müffe, zu entjchuldigen; wenn man aber unter Hindeutung auf
die ſchrecklichen Ereigniffe, welche bie tiefiten Tiefen, ſelbſt eines
treuen und stillen Volkes, aufregen mußten, etwaige Ausschreitungen
des angegriffenen Theiles zu erklären fucht, fo ift der Hinweis auf
den Charakter des Zeitalters unzuläffig, und man wird der Sym-
pathte mit Leuten bejchuldigt, welche in den Augen ihrer heutigen
Gegner noch immer al8 der Auswurf aller Menſchen gelten.
Ein geiftvoller und erfahrener Kirchenbiftorifer, welcher für die
Münfter’ichen ebenfo wenig Sympathie hegt wie wir, bat ſchon im
Sabre 1863 die ganz Tichtige Bemerkung gemacht, dag die gräß-
lichen VBerfolgungen, denen die zu Verbrechern geftempelten Schwär-
mer eine Reihe von Iahren ausgejegt waren, „aus ven Schwär-
mern [ohlieglich nothwendig Verbrecher machen mußten“i.
Es find in der Gefchichte der Münfter’fchen Ereigniffe zwei
Perioden ſcharf zu unterfcheiden: die erſte ift diejenige, in welcher
die Majorität der einheimifchen Bürgerjchaft nach vem Empfang der
Taufe die „Gemeinde Chrifti” im Anſchluß an die Ideen ver äl-
teren Täufer organifirt bat; Die zweite ift die, in welcher nach ber
Revolution, die wegen ber Frage der Polygamie ausbrach, die Herr-
ihaft in der Stadt an jenes fremde Geſindel überging, welches
jih in der Noth der Hungerjabre, wie fie fett 1529 auf Deutjch-
land lafteten 2), nah Münfter geflüchtet hatte,
find zu halten” Ein geiftlicher Fürft brauche Häretifern niemals einen
ihnen gegebenen Eid zu halten; „nec est opus“, heit e8 weiter, „petere abso-
lutionem, quia jure conceditur“. Biſchof Franz, anftatt diefen Treubrud mit
Entrüftung zurüdzuweifen, bittet in feiner Antwort den Dorind, das bifchöfliche
Offteialat in Münfter zu übernehmen. Den gleichzeitig ausgefprochenen Wunſch
des Officials, daß der Bifchof feinen (Dorinds) Sohn zu einem geiftlichen Bene⸗
fitum befördern möge, hofft der Bifchof fpäter zu erfüllen. — Ich vente biefe
intereffante Correſpondenz, welche ſich M. L. U. 518/19 Vol. I findet, fpäter zu
publiciren. Die Berträge wurden vom Bifhof nachher wirktlid
gebroden.
1) Nippold David Ioris. Ztſch. f. hiſt. Theol. 1863 ©. 523.
2) Die Beweife für die fociale Noth in jenen Jahren ſ. in meiner Geſch.
der Wiebertäufer u. ſ. w. 1880 ©. 91 ff.
453
Diefes Gefindel Hat dann mit allen Mitteln blutiger Gewalt
die von der Außenwelt durch die Belagerung abgefchnittene und
wegen des Empfangs der Taufe mit dem Tode bedrohte, aljo gänz-
lich rathloſe einheimische Bevölkerung etwa in derſelben Weile ty⸗
rannifirt, wie bei einer ähnlichen Belagerung in unferen Tagen
fchlieglich gleichfall8 der unterfte Pöbel alle gemäßigten Elemente
niedergeiworfen und ein Regiment nach feinen Idealen aufgerichtet hat.
Aber jo gewiß Die Ideen der „Commune“ nicht iventifch waren
mit denjenigen, welche bis zu ihrer Proclamirung in Frankreich, bezw.
in Paris herrfchten, jo gewiß haben die Ideen Johanns von Leyden
. und feiner Freunde nichts gemein mit den Beitrebungen derjenigen
Münfterfchen Bürger, die jener erft nach einer fchweren Nieberlage
hat zwingen können, ſich feine Grundfäge gefallen zu lafjen‘).
Es war eine ungeheure Kataftrophe, welche nicht nur über
Münfter, ſondern über das ganze Neich und beſonders über bie
Partei der „Brüdergemeinden“ feit jener Erftürmung des Rath-
hauſes durch die Holländer am 1. Auguft 1534 bereingebrochen war.
Die herrichenden Parteien hatten auf Grund des Alten Tefta-
ments fo lange mit Teuer und Schwert gegen die altevangelifchen
Gemeinden gewüthet, bis fich aus den Trümmern der Partei zuletst
eine Anzahl verzweifelter Fanatiker ausfonderte, welche das gegebene
Princip aboptirte und fich entichloß, fih mit denſelben Waffen zu
wehren, mit denen fie angegriffen wurden. Das geſchah in Meünfter
feit der Einführung des neuen „Israel“.
Und nachdem einmal die vorwiegende Gültigfeit des Alten
Teftaments wenigftens in einem Punkte feftgeftellt war, warum
ſollte man nicht auch in allen andern Punkten ſich auf daſſelbe
ftügen birfen? War nicht im Alten Bunde die Bolygamie felbft
bei Patriarchen und Königen erlaubt gewejen? Warum jollte es
jest in dem neuen „Israel“ anders fein?
Und bier ift nun einer der Punkte, welcher die fchärfite Ver⸗
urtheilung verdient und erfahren Hat, und zwar fowohl von ben
1) Ueber den Aufftanb und bie ſchließliche Niederlage der einheimiſchen Bür⸗
ger |. meine Geſch. d. Wiebertäufer S. 212 ff. — Joh. v. Leyden fagt in feinem
Bekenntniß felbft aus, daß, als er anfing von ber Ehe zu predigen, die Bilrger
ihn ins Gefängniß werfen wollten. Niefert Urkunden-Sammlung I, 178.
454
„Brüdergemeinden“ wie von den berrichenden Parteien. Denn in
der ganzen, vwielhundertjährigen Gejchichte der altevangelifchen Ge⸗
meinden tft niemals ein einziger Dann aufgetreten, welcher bie
Polygamie zu vertheidigen gewagt hätte !),
Und felbft in Münfter, wo diefe Einrichtung erft im t zweiten
Stadium des Kampfes durchgefegt ward, find vom erften Moment
an die Prebiger, beſonders Dionyſius Vinne, Gotfried Stralen,
Staprade, Kloppriß und Andere mit der großen Majorität der Bür-
gerfchaft Heftig dagegen gewejen. Und auch nach der Niederlage der
Oppoſition haben die Geiftlichen es confequent abgelehnt, daß es
ihnen erlaubt fei, eine Doppelehe zu jchließen 2).
Sind denn aber nicht Derartige Doppelehen überhaupt im ganzen
16..und 17. Jahrhundert in Deutfchland fogar an einzelnen Höfen
vorgelommen? Und wie haben Luther, Melanchthon, Buter, Bus
genhagen fich dazu gejtellt?
Am 3. Juli 1540 fandte der Churfürft von Sachſen an den
Landgrafen Philipp die Eopie eines Briefes Luthers, welcher alſo
lautet: „Ich befennees, daß ichs nicht verbiete, dag einer .
mehr Weiber denn eins nehme, denn es iſt der h. Schrift
nicht entgegen; doch wollt ich nicht gern, daß dies Beiſpiel bei
den Chriften erjtlich jollt eingeführt werben, bet denen fich ziemt
auch die Dinge zu unterlaffen, die fich fonft ziemen, allein zu Ver⸗
meidung Aergerniß und um ehrlich8 Weſen willen‘ 3).
Melanchthon hatte ſich Schon unter dem 27. Auguft 1531
bei Gelegenheit der Doppelehe des Königs von England in ähn-
lichem Sinne dahin geäußert, daß „pie Bolygamie nach gött-
lichem Recht nicht verboten ſei“. „Obgleich ih‘, fügt
er Binzu, „die Bolygamie dem Volke nicht erlauben
möchte, fo fage ih doch in diefem alle wegen des großen Nu⸗
tens des Königreich und vielleicht auch wegen des Gewiſſens des
1) Ich bemerfe bier, daß derjenige, welcher von Ludwig Häßer etwas der⸗
artiges behauptet, eine unbewiefene und unbeweisbare Angabe macht. Häter hat
fih nie für die Polygamie- ausgefprochen.
2) Es wird dies ausdrüdtich bezeugt von Samelmann Opp. p. 1233, der
bierin gewiß ein unverbächtiger Zeuge ift.
3) Lenz Briefwechiel Philipps des Großmüthigen mit Bucer. Xpz. 1880
Il, 342 Anm.
455
Königs: es wäre das ficherfte für den König, wenn er eine zweite
Frau nähme” N),
In der Angelegenheit der Doppelehe des Landgrafen Philipp
ift Martin Butzer der Vertrauensmann des Landgrafen gewefen
und bat die Einwilligung der Wittenberger Theologen eingeholt ?).
Zutber und Melanchthon erklärten am 10. November 1539 in dieſer
Sache dem Landgrafen gegenüber ): „Was vom Eheftande zu-
gelaffen im Geſetz Mofes, ift nit im Evangelio ver-
boten. Alfo bat Ew. Gnaden nicht allein unfer Gezeugniß im
Falle der Nothdurft, fondern auch unfere Erinnerung”. Bugen-
bagen aber war es vorbehalten, ſogar aus dem Beifpiel der älteften
Chriften die Vielweiberei zu rechtfertigen 9).
Und was die Väter und Begründer ber neuen Kirche für
rechtmäßig erklärten, das billigten natürlich einzelne lutheriſche
Geiftliche. Der Hofprediger Philipp’s, Dionyſ. Melander, hatte ſelbſt
mehrere Frauen, Joh. Lening verwies auf die ſchriftmäßigen Erentpel
der Ejtber und Abigail, und die Theologen Anton Corvinus und
Juſtus Winter unterzeichneten das oben erwähnte Gutachten Luthers
und Melanchthonss). Es fteht außerdem feft, daß Landgraf Phi
1) Corpus Reformatorum II, 526.
2) Die Imftruftion des Landgrafen fir Bucer vom 29. Nov. 1539 f. bei
Heppe H. Kirchengefchichte beider Helfen. Marb. 1876 ©, 267.
3) Das Gutachten ift zum erften Mal genau nad dem Original abgebruct
von 9. Heppe Urkundliche Beiträge zur Geſch. d. Doppelehe des L. Phil, v.
Heflen in der Ztſchr. f. hit. Theol. 1852 ©. 263 —283.
4) Dr. Sailer an Landgraf Philipp d. d. Augsburg 1540 Febr. 11: „Es
fchreibt auch Pugenhagen frei, das die Chriften zu Corinth mehr weiber gehabt,
das auch in fulen Fellen ain „permittamus“ (alfo nennen fie das zugeben) fei”.
Lenz Briefmechfel Phil, des Großm. mit Bucer. Lpz. 1880 ©. 456.
5) Sehr wichtig ift folgender Brief der Geiftlihen Adam Kraft, Ich. Ky⸗
meus, Dionyſ. Melander und Joh. Lening an Luther u. Melanchthon vom J.
1540; Gratia et pax. Quid actum sit Rotembergae (Philipps VBermählung mit
Margarethe von der Saal am 4. März 1540) ante proxima comitia Smal-
kaldica, optimi in Christo patres ei praeceptores, non ignoratis. Nos vero
sperabamus fore, ut res illa juxta vestrum consilium, cui quidam ex nostris
subscripserunt, celaretur. Caeterum contra principis nostri voluntatem ad-
eoque omnibus vobis invitis fama sparsa est longissime, quae res (ut par
est) non mediocri nos afficit dolore metuentes, obfuturum Evangelio Christi
istum rumorem. Hoc autem sentimus de vobis, quod cum antea multo gra-
vioribus periculis vos volentes pro Deo pietate et libertate objeceritis, in
456 .
lipp im Jahre 1540 allen Ernſtes die Idee gefaßt hatte, in feinem:
ganzen Lande die Bigamie frei zu geben).
Aber bat denn die Partei, deren Gejchichte wir feit dem
12. Jahrhundert verfolgt haben, wirklich irgend eine Veranlaffung,
die Anklagen, die gegen Johann von Leyden und das holländische
Gefindel, das fih um ihn jammelte, gerichtet werden können, als
gegen fich gerichtet zu betrachten ?
Sind zwei Parteien bloß deshalb für eine Bartei zu erklären,
weil fie gemeinfam die Spättaufe fordern? Mit vemfelben Rechte
könnte man auch alle diejenigen Confeſſionen für eine Confeffion
erflären, welche gemeinfam die Kindertaufe lehren, und fo theilte
fih die hriftliche Neligion fehr einfach in die beiden großen Gruppen
der Kindertäufer und der Wievertäufer. Liegen aber bie Gegenjäte
wirklich jo?
Johann von Leyden und Knipperdolling haben in beutlicher
Erfenntnig des Gegenjates, in welchen fie fich zu den Täufern
befanden, ganz ausbrüdlich alle anderen Taufgefinnten, wo fie auch
feien, verdammt?). Die „Brübergemeinven‘ außer Münſter aber
haben alsbald gemeinfam den Beichluß gefaßt und ausgeführt, daß
fie Teinen, welcher zu Münfter die Taufe empfangen batte, bei fich
als Bruder anerkennen wollten?)
Darf unter folden Umftänden der Mißbrauch, welcher mit
dem Namen „Wiedertäufer” getrieben wird, die falfche Behauptung
vereiwigen, daß es fich Hier um eine Partei handle? Das „Reich
Israel“ zu Münfter hat mit den „rechten Chriſten“ fo wenig
gemein al8 Judenthum und Chriftenthum, nach welchem fich beide
fehr treffend genannt haben, und jeder wifjenfchaftliche Autor muß
gegen den burchfichtigen Kunftgriff derjenigen Polemiker Front
hac causa non sitis vestri dissimiles futuri, maxime cum extet vestrum
pium pro causae hujus. conditione consilium, quod quosdam ex
nostris ad subsceribendum (quod nunquam alioqui facturi erant) permovit.
Th. Kolde Analecta Lutherana. Gotha 1883 ©. 353,
1) Heppe Kirchengefchichte beider Heſſen I, 270.
2) Newe Zeittung von den Widerteuffern zu Münfter 1535. Bl. A. 4 beißt
es: „Auch find bei ihnen verdampt alle andern Wiederteuffer,
wo fie aud find“.
3) Collogquium Emdanum (1578). Praefatio p. 9 fl.
457
machen, welche fich noch heute geftatten, alte ParteirScheltnamen,
die von deren Trägern ſtets zurücgewiefen find, in wiljenfchaft-
lichen Werken zu gebrauchen. Wenn es heute, wie oben bemerft,
der wiffenfchaftliche Anſtand verbietet, zur Bezeihnung der refor⸗
mirten Kirche den Namen „Sakramentirer“ anzuwenden ober
die römischen Katholiken al8 „Papiſten“ zu bezeichnen, jo haben
die vielgefhmähten Märtyrer-Gemeinvden das gleiche Recht, daß fie
hinfort nicht mehr „Wiedertäufer”, fondern „altevangelifche
Brüdergemeinden“ nach ihrem eigenen Gebrauch genannt werden.
Zwanzigſtes Eapitel.
Ueberſicht über die fpäteren Entwidlungen.
Religids-fichlicde Zuftände bes 17. und 18. Jahrhunderts. — Sebaftian Frand
und Easp. v. Schwenkfeld. — Die Stellung der Fürften von Brandenburg,
Heſſen und Baden zu Schwentfeld. — Die Pfalzgräfin Elifabet) und die alt-
eoangelifchen Gemeinden. — Altevangeliihe Unterftrömungen in der refor-
mirten Kirche. — Joh. Sigismund, Churfürft von Brandenburg — Die
Bruderſchaften der deutfchen Werkleute. — Roſenkreuzer und Freimaurer. —
Die altewangelifchen Gemeinden. — Der ältere deutſche Pietismus. — PBuri-
tauer und Independenten. — Leffing und Kant.
Die Zuftände, welche fich in ‘Deutjchland nach der Nieberlage
der altevangelifchen Gemeinden entwidelten, bieten ein überaus trau-
riges Bild dar.
„Ein Feder glaubt der Obrigkeit zu Lieb‘, bemerkte ſchon
im Jahre 1534 einer der geiftvolliten Männer jener Tage, „und
muß den Landesgott anbeten. Stirbt ein Fürft und Tommt
ein anberer Anrichter des Glaubens, fo wechjelt auch bald das Gottes-
wort!). So fällt der gemeine Mann ohne allen Grund bin und
her; und auch die, welche feine Vorgänger und Biſchöfe fein wollen
— weß Lofung ift, deß haben fie Münze”. So gerietb der Glaube
in Verachtung und feine Verfünder nicht minder.
Um die Erfolge, welche man über die „Seltirer‘ davon ge
tragen hatte, ficher zu ftellen, hielten Tatbolifche wie proteftantifche
1) In einer Heinen täuferifhen Schrift aus dem December 1534 heißt e8:
„Bekennt nicht alle Welt fchier, daß die Wahrheit Chrifti mit Gewalt nieberge-
halten wird? Es ift gemeine Rebe: “e8 ift zwar wahr, aber Fürften und Herrn
wollen es nicht leiden”. S. Bouterwet Zur Lit. u. Geſch. ber Wiedertäufer
©. 74,
459
Obrigfeiten e8 für angezeigt, die feit Sahrhunderten üblichen Mittel
gegen die Ketzer mit verfchärfter Strenge zur Anwendung zu bringen.
Es ift merkwürdig, wie genau bie neuen Staatsfirchen nicht
blog in der Inquiſition, fondern befonders auch in Bezug auf die
Indergeſetzgebung das Verfahren der römifchen Kirche copirten N).
Ya, e8 war, als ob jegt ein förmlicher Wetteifer hierin ent-
brannt ſei; die katholiſchen wie die Lutherifchen Obrigkeiten fuchten
ſich in einer „heilfamen Strenge” während ganzer Jahrhunderte zu
überbieten, und theoretifch wird in der lutheriſchen Dogmatif noch
bis auf den heutigen Tag die Pflicht der Obrigfett zur Ausrottung
der Reber aufrecht erhalten 2).
Biele find der Anficht, daß dieſe Grundfäge doch nur gegen bie
„Rotten der Täufer‘ zur Anwendung gekommen feten, deren Theorien
angeblich den ganzen „Glaubensgrund“ bebrohten. Indeſſen jteht
es feit, daß Melanchthon fogar die Gegner der Majoriften, die im
Uebrigen entſchiedene Lutheraner waren, mit Leibesitrafen von der
weltlichen Obrigkeit beimgefucht wiſſen wollte). Sa, als in den
fünfziger Jahren bei Gelegenheit der Oſianderſchen Streitigkeiten ein
Anhänger veffelben hingerichtet worden war, ſchrieb Melanchthon im
Sabre 1555 an die Kirche zu Nürnberg, daß diefem Manne recht
1) Die Beweife hierfür bei Reufh H., Der Inder der verbotenen Bücher
S. 595 ff. Man braudte freilih in proteftantifchen Ländern nicht ben alten Na
men, fondern man fprad von „Cenſur-Commiſſionen“.
2) H. Schmid (Dogmatit der evang.luth. Kirche 5. Aufl. 1876 ©. 459)
beruft fih auf Baier Comp. theol. posit. 1686 ©. 809 und führt aus dieſem
Wert zur Erläuterung feiner Anſchauung über die Kekeritrafe folgende Stelle an,
Es gehört zu den Pflichten der Obrigkeit: „constituere idoneos ecclesiae mini-
stros, scholas ac templa erigere ac conservare, ministris utrinque de honesta
sustentatione prospicere, visitationes et concilia instituere, leges ecclesiasticas
condere ac tueri, bona ecclesiastica dispensare, disciplinam ecclesiasticam
conservare; in haereticos, itemque in improbos ecclesiarum et
scholarum ministros aeque atque alios quosvis similesinqui-
rere et ut sese judicio sistant compellere; convictos haereseos cul-
tusque idolatricos abrogare et ut ecclesia ab illis purgetur
curare“. Es gilt doch auch Hier das Wort, welches Kahnis gelegentlich aus—
geiprochen bat, daß derjenige, welcher Die Gewaltmittel des Staats gegen
die Keßerei aufruft, dem Staate überlaffen muß, welche Mittel diefer anwenden
will. Mit H. Schmids Ausführungen vergleiche man diejenigen Lutharbt$ (Kom-
penbium ber Dogmatik. 6. Aufl. Lpz. 1882 ©. 356).
3) Corp. Ref. IX, 798,
460
gefchehen fer, fowohl um der Ehre Chrifti willen al8 wegen des
Beifpiels i). |
Mit fchwerem Craft ift diefe Theorie. von den Anhängern
Luthers und Zwinglis vertheidigt worden, und es ift interejjant, die
Schriften zu lejen, welche von vielen Reformatoren zur Begründung
ihres Verhaltens veröffentlicht worden find 2).
Man hat wohl gejagt, „Der Geift der Zeit“ habe die Hand-
lungs⸗ und Denkweiſe der NReformatoren beftimmt; aber bat nicht
die große Partei der altevangeliichen Gemeinden, welche die Ketzer⸗
itrafen verwarf, ebenfall8 unter dem Geift der Zeit geftanden? Andere
meinen, baß die Errichtung zufammenhängender proteftantifcher Kir⸗
hen nur durch dies Mittel zu erreichen gewefen fei; aber abgeſehen
davon, daß der Zwed niemals die Mittel heiligt, überfieht man da-
bei, daß jehr viele Hinrichtungen gerade in der Zeit ftattgefunden
haben, wo die Iutherifchen und zwinglifchen Staatsfirchen bereits zu
Recht beftanden, befonders nach dem Jahre 1552, wo Niemand es
für möglich hielt, daß die gefchebenen Dinge rüdgängig gemacht
werden fünnten.
Vielmehr lag der Grund für die entichievene Feſthaltung des
Slaubenszwanges in dem Umftand, daß dieſe Doctrin mit dem
ganzen Gebäude des Lehrſyſtems auf das engfte verfnüpft war,
und daß man gezwungen war, entweder das ganze Xehrgebäude mit
1) Corp. Ref. VIII, 553: Notum est etiam, quosdam tetra et dvognuw
dixisse de sanguine Christi, quos puniri oportuit et propter gloriam Christi
et exempli causa,
2) Galvini Defensio orthodoxae fidei de sacra trinitate contra prodig.
errores M. Serveti Hispani, ubi ostenditur, haereticos jure gladii coercen-
dos esse et nominatim de homine hoc tam impio juste et merito sumtum
Genevae supplicium 1554. — M. Bucer BDialogi oder Geſprech von ber ge=
mainfame und ben Kirchenübungen der Chriften und mas jeder Oberfeit von
ampts wegen auf Göttlichem befelh am benjelbigen zu verjehen und zu befieren
gebüre 1535 0.9, (Kgl. Bibl. zu Berlin Cu. 9213). — Rhegius Urb. Ein be=
denden ber Rüneburgifchen, Ob einer Oberleyt gezyme, bie wiberteuffer oder andere
feßer zum rechten glauben zu bringen und fo fy in ber ketzerey beharrenbt der
ketzerey halb mit dem Schwert zu richten. Celle Saxonum 1538. 3 Bogen 4°,
Melanchthon Phil. Bedenken, daß weltliche Obrigkeit fchulbig fei, den Wieber-
täufern mit leiblicher Strafe zu wehren 1536 (abgedrudt bei Walch Luthers
Schriften XX, 2189). — Meuflin Wolfg. Vom Ampt der Oberkeit in Saden
ber Religion und Gottesbienft 2c. Augsb. 1535.
461
den Ketzerſtrafen beizubehalten oder aber dafjelbe Gebäude durch Auf-
geben dieſes Punktes in feinem innerften Grunde zu erfchüttern ?).
Und fo liegt die Sache noch heute. Mit der Leugnung des Glau⸗
benszwanges iſt in dieſes Syſtem eine Breſche gelegt, welche früher
oder ſpäter den Einſturz des Ganzen mit Sicherheit nach ſich
ziehen wird.
Schon im 17. Jahrhundert, in der Zeit der tiefſten Erniedri⸗
gung unjeres Volkes, wo auf der einen Seite jene ertödtende Herr-
fchaft jtarrer Ortbodorie, auf der andern die Blüthezeit des Yeuitis-
mus fich entwickelte, war die Maforität der Laten der Gleichgültig-
feit gegen alle Religion verfallen. Der befannte Johann Valentin
Andreä (f 1654), der Enkel des Verfafjers der Eoncordienformel, felbft
Theologe und ein ausgezeichneter Kenner feiner Zeit, fchreibt: „Durch
die offenen Thore diefes eifernen Zeitalter dringen drei Dämonen
ein: Atheismus, Barbaret und Sklaverei“. Gleichwohl hielten
die herrichenden Shiteme das 17. Jahrhundert hindurch die Laien
wenigſtens in einem äußerlichen Gehorfam feit, als aber im 18. Jahr⸗
hundert die Stürme des Nationalismus bereinbrachen, da zeigte e8
fih, daß daſſelbe Schieffal allgemeiner Verachtung, wie dieſe Partei
es früher den „Wiebertäufern” Hatte zu Theil werben laffen, jetzt
über fie hereinbrach. Im Jahre 1750 konnte Leſſing ſchreiben: „Die
Drthodorie ift zum Gefpdtte geworden”, und diefes Verdikt
ift von allen mafgebenden Männern jener Tage beitätigt worden,
Wir Haben oben gefeben, daß innerhalb des Neiches um das
Jahr 1535 für die altenangelifche Kirche jede Ausficht verſchwunden
war, fich in einiger Freiheit organifiren und entwideln zu können.
Aber mit der Verbinderung diefer äußeren Feſtſetzung ftand
die weltliche Gewalt an der Grenze deſſen, was fie mit ihren Mitteln
erreichen Tonnte. Die altevangelifchen Grundgedanken ſelbſt Tießen
fih nicht ausrotten, und nachdem man ihren Trägern die Befrie-
digung ihrer religiöſen Bebürfniffe innerhalb einer eigenen Gemein-
ſchaft unmöglich gemacht hatte, fuchten viele diefelbe in aufßerfirch-
1) Ih muß mir bier leider ein näheres Eingehen auf diefen Punkt verfagen.
Doch behalte ich mir vor, dem leicht zu erbringenven Beweis an anderm Ort zu
führen.
462
lichen Vereinigungen und zum Theil im Gegenfa zu den herr-
ichenden Kirchen zu erreichen.
, Sehr beiveglich find die Klagen Bullingers (1560) über dieſe
„Selte der freien Täufer”. „Und find zwaren“, jagt jener,
„dieſer Zeit Leider viel mehr denn Jemand meint, die weder
Wiedertäufer find, noch Wiebertäufer wollen gefcholten werden, welche
aber nichts defto minder tief in den erzählten (täuferifchen) Artikeln
ſtecken“. „Ste haben gar feinen Glauben, find weder Ehriften (d. 5.
Lutheriſche oder Zwinglifche) noch Papiſten, noch irgend eines an⸗
deren Glaubens Genofjen, fondern fie find Gleißner und Lügner,
leichtfertige und öde Leute” u. ſ. w. )).
Zu den vornehmften Vertretern biefer „freien Täufer‘, welche
fonberbarer Weife auch eine „Sekte“ gefcholten werden, gehören
Sebaftian Frand und Easp. v. Schwenkffeld, zwei Männer,
deren Bedeutung in der Gefchichte des deutſchen Geifteslebend viel
größer ift als man bei der Vernachläſſigung, die ihnen in der Lite⸗
ratur zu Theil geworben ift, annehmen follte.
Sebaftian Frands Schriften find der getreue Ausdruck jener
zu feiner Zeit ( 1543) bet zahlloſen Deutfchen herrſchenden Stim-
mung: weber die Staatsfirchen, noch die römifche Priefterkicche, noch
die Damals bereitS verfümmernde täuferifche Gemeinſchaft entfpricht
ihren Idealen, und daher ift — fo fchließen jene — überhaupt in
allen Kirchen und Tirchlichen Anftalten nichts Gutes zu finden.
Wenn man aber genauer zufieht, fo iſt Srand (wie fchon die Zeit-
genofjen jagten) ein rechter „Täufer“, d. h. er fteht derjenigen Ge⸗
meinfchaft am nächiten, welche unter Führung Dencks und Hub»
meiers feit 1526 ben vergeblichen Verfuch gemacht hatte, ich Firch-
lich zu organifiven. Jedenfalls hat kaum ein deutſcher Schriftfteller
fo viel dazu beigetragen, Dends Schriften unter das Volk zu brin-
gen als Seb. Frand. Seine Chronik, die zuerjt im Jahre 1531
und von da an in zahlreichen Ausgaben und Ueberfegungen er-
Schienen ift, giebt jo ausführliche Auszüge aus Dencks vornehmften
Schriften, daß dieſe dadurch bis zu einem gewiſſen Grabe erjeßt
werben.
Caspar von Schwenkfeld, welcher die Ideen Dends und Francks
1) Bullinger Der Wibertäufferen urſprung ꝛc. Zürich 1560 fol. 42.
463
im Ganzen theilte, freilich nicht ohne dabei feine befonderen Neigun⸗
gen und Auffafjungen zu bejigen, tft ber Vermittler dieſer im
beutfchen Bürgerthum anfänglich heimifchen Gedanken für eine Reihe
deutſcher Fürftenhöfe geworden, deren Angehörige fich indeſſen zu-
nächſt noch nicht offen für ihn erklären durften.
| Schwenkfeld (1490—1562), welcher die bejte Erziehung feiner
Zeit genofjen hatte, Hatte die erften Jahre feines Mannesalters im
Dienfte einiger Heinen Höfe feiner Provinz zugebracht. Der Herzog
von Liegnig, deſſen Hof und Land unter Schwenkfelds Einfluß jehr
entſchieden altevangelifch gefinnt war), wurde von König Ferdi—⸗
nand, dem Bruder Kaiſer Karls V. gezwungen, den Schwenffeld
aus feinem Dienfte zu entlaffen; der Vertriebene flüchtete im Jahre
1529 na Straßburg. Tortpauernd blieb der Liegniger Hof ihm
geivogen, und die Herzogin Anna war feine erklärte Beſchützerin.
Trotz der Verfolgung feiner mächtigen Feinde ſchenkten Chur-
fürſt Joachim von Brandenburg, der Markgraf Ernit von
Baden und Landgraf Philipp von Heſſen ihm Vertrauen,
und überall an dieſen Höfen iſt jeit der Mitte des Jahrhunderts
eine Hinneigung zu den altevangelifchen Principien zu bemerken.
Es wäre von der höchiten Wichtigkeit, die umfangreiche und in⸗
tereffante Correſpondenz Schwenkfelds ans Licht zu ziehen; man
würde überrajchende Nefultate daraus gewinnen.
Diefe intimen Beziehungen mächtiger und vornehmer Gefchlechter
wurden angefnüpft, obwohl die ganze Welt wußte, daß Schwenk⸗
feld im Grunde ein „Wiedertäufer” war. Er bat allerdings ben
altevangelifchen Gemeinden, fo viel bekannt, nicht formell angehört,
vielmehr zeitweilig mit Necht darauf hingewieſen, daß bie „Brüder“
immer tiefer in Verfall kämen, aber er war nicht nur perjönlich
mit Männern wie Bilgram Marbeck nah befreundet, fondern er bat
fih auch mit dem Wahrheitsfinn, der ihn auszeichnete, der „Täufer“
ganz offer angenommen. „Die Wiedertäufer”, fagte er, „find mir
deßhalb deſto Lieber, daß fie fich um göttliche Wahrheit etwas mehr,
1) Die Prediger Petrus Zenker und Edel, welche in Liegnit zu Schwenkfeld
gehalten Hatten, gingen, als fie von dort vertrieben waren und bei Herzog Albrecht
von Preußen Schuß gefunden hatten, offen zu den Täufern über,
464
»
denn viele der Gelehrten befümmern. Wer Gott ſucht im Ernft,
der wirb ihn finden“.
Im Jahre 1546 äußerte er in ähnlichen Sinn: „Das ſünd⸗
Yiche Xeben und bie Ungerechtigkeit ver Menſchen ift nun Yeiver fchier
zum Höchiten gefommen, die wahre Erkenntniß Chrifti wird ver-
achtet, Die Weisheit Gottes für eine menſchliche Spitzfindigkeit ge-
achtet, desgleichen auch bei vielen die rechte Gottfeligfeit ſchier für
eine Wiedertäuferei, ja von. etlichen Prädikanten für eine Aotterei
und Meuterei gegen bie Obrigkeit eingebildet“ 1).
Er befand fich in Diefen und ähnlichen Auffaffungen ganz in
Uebereinftimmung mit Landgraf Philipp von Hefjen, welcher ge-
legentlich gejagt hat: „Ich ſehe mehr Befjerung bei denen, die
man Schwärmer beißt, denn bei denen, die Lutherif
find“),
Es ift in hohem Grade wahrfcheinlich, daß fchon im 16. Jahr⸗
hundert die Stellung mancher deutscher Fürften zu der altenange-
lifchen Lehre eine andere geworben fein würbe — wie fie denn im
17. und 18, Jahrhundert fih in der That an einzelnen Höfen ver-
ändert hat?) —, wenn nicht der Reichstagsabſchied vom Jahre 1529
die Reichsacht Jedem in Ausficht geftelit hätte, welcher Anlaß dazu
gab, daß man ihn zu den „Wiedertäufern” zählen konnte. Jener
verbängnißvolle Beſchluß bat das deutſche Geiftesfeben in einer
außerordentlichen Weiſe beeinflußt.
Gleich einer der erften Verjuche, welche von fürftlicher Seite
ber gemacht worden find, den altevangelifchen Gemeinden einen
Stützpunkt zu gewähren, wurde durch Die Intervention der Reichs⸗
gewalt auf Grund ver erwähnten Befchlüffe verhindert. Diefer Ver⸗
ſuch fällt in das Jahr 1670—1672 und hängt mit der Gefchichte
des Großen Kurfürften von Brandenburg und der Häufer Hohen⸗
1) Döllinger Die Reformation I, 247,
2) Rommel Philipp der Großmüthige II, 40.
3) Zu den frübeften und entjchiebenften Beſchützern ber altevangeliſchen Ge⸗
meinden gehören bie Fürſten von Wittgenſtein. Näheres bei Göbel Geſch.
des chriſtl. Lebens in d. rhein.=weitph. evang. Kirche, Coblenz. 3 Bde. 1849 60.
Es waren allerdings vielfach verkümmerte Bildungen, welche in jenen Ländern
zuerſt ans Tageslicht traten.
465
3
zolfern und Oranien fo eng zufammten, daß er bier nothwendig be⸗
rührt werden muß.
Im Jahre 1667 hatte Friedrich Wilhelm J. von Brandenburg
es durchgeſetzt, daß die Reichsabtei Herford ſeiner Verwandten, der
Pfalzgräfin Eliſabeth, übergeben wurde.
Eliſabeth war die Tochter Friedrichs V. von der Pfalz, Königs
von Böhmen, und der Eliſabeth Stuart, Tochter König Jacobs J.
von Großbritannien und Irland. Sie war geboren im Jahr 1618
und hatte die erſte Erziehung von ihrer Großmutter, der Tochter
Wilhelms J. von Oranien, erhalten. Dieſe, ſelbſt eine ausgezeichnete
Frau, ſiedelte mit ihrer Pflegebefohlenen ſpäter an den Hof ihrer
Tochter nach Berlin über, welche dort als Gemahlin des Kurfürſten
Georg Wilhelm lebte. Nach der Niederlage und Vertreibung ihres
Vaters aus der Pfalz zogen ihre Eltern fih nach Holland zurüd,
wo fie im Haag und bei Utrecht einen Heinen Hof hielten. Dort-
bin kam auch Elifabeth zu längerem Aufenthalt, und ber Kurprinz
von Brandenburg, ihr Vetter, der nachmalige Große Kurfürft, hatte
bei feinem Aufenthalt in Holland in der Familie feiner Verwandten,
wo er viel verfehrte, Gelegenheit, fie Tennen zu lernen. Es fchien
eine Zeit lang, als ob Elifabeth, welche damals bereit8 die Ehe mit
König Ladislaus von Polen ausgefchlagen Hatte, um nicht katholiſch
werben zu müfjen, Churfürftin von Brandenburg werden würde —
eine Ausficht, welche dadurch ſchwand, dag Friedrich Wilhelm fich
mit Louiſe Henriette von Oranien, Eliſabeths Coufine, vermählte.
Nachdem Elifabeth fich einige Jahre in Heidelberg und ſeit
1662 in Kaffel bei ihrer Verwandten (der Schwefter des Großen
Kurfüriten), der Landgräfin Hedwig Sophie, aufgehalten hatte, fievelte
fie im Jahre 1667 als Aebtiffin nach Herford über, wo fie im Jahre
1680 gejtorben ift.
Sie gehört zu den ausgezeichnetften Srauen ihrer und aller
Zeiten; fie Hat mit den ebelften und bedeutenvften Männern ihres
Jahrhunderts in Beziehung geftanden und Durch ihre Kenntniſſe —
fie -verftand fechd Sprachen — wie durch ihre Talente einen weite
reichenden geiftigen Einfluß ausgeübt; fie war e8, welche die Werfe
des Carteſius und andere Schriften zuerſt am Berliner Hofe be⸗
kannt machte.
Keller, Die Reformation. 30
466
Da iſt es nun auffallend, daß wider dieſe ausgezeichnete Frau
im Jahre 1672 ein Kaiferlides Mandat erging, welches fie Direkt
ber Befhügung und Beförderung der „Widertäufer” anklagt und
die Säuberung der Reichsabtei von dieſen Sektirern forbert?).
Sn der That ift es ja befannt genug, daß Elifabeth in freund-
ſchaftlichen Beziehungen zu ſolchen Männern gejtanden bat, welche
die Führer der altevangelifchen Bewegung des 17. Jahrhunderts
waren, befonders mit William Benn, Georg For, Robert
Barclay, Labadie, Gichtel und Anderen. W. Benn hat fie in Her⸗
ford befuchen Dürfen 2), und fie bat ihm gegenüber ihre Gefinnung
mit den Worten fund gegeben: „Das Evangelium ift urfprünglich
von England nach Deutfchland gefommen und auch heute ift es
der Fall”. Die altevangelifhe Gemeinde, welche der ehemalige
Yefuit Labadie um fich gefammelt Hatte, bat in Herford eine Zu-
Flucht gefunden, bis die Austreibung durch das oben erwähnte
Mandat erfolgte. Elifabeth aber ließ fich in ihren Ueberzeugungen
dadurch nicht irre machen, ſondern erklärte, daß fie in den Vertrie⸗
benen die wahren, von Gott gelehrten Diener Chrifti erkenne). —
Bon ganz befonderem Interefje ift für die altevangelifche Kir⸗
chengejchiähte die Thatfache, daß die reformirte Kirche in vielen
deutſchen und außerdeutfchen Territorien feit der Mitte des 16. Jahr⸗
hunderts eine Entwidlung nahm, welche die wichtigften Principien
der altveutfchen Theologie zur Darftellung brachte.
Einer der beiten Kenner diefer Kirche bat geradezu behauptet,
„daR Die ganze zwinglifhsreformirte Kirche von der
Wiedertäufereiangeftedt war‘), und ein anderer reformirter
Kirchenbiftorifer, Ebrard, faßt diefelbe, Beobachtung: in die Worte
1) Dafielbe findet fih im Pantheon Anabaptisticum et Enthusiasticum ober
Geiftliches Rüſthaus u. ſ. w. O. O. 1702, — Dort find auch die Reichsabſchiede
vom Jahre 1529 ab gegen die Wiedertäufer zu finden.
2) Dgl, DO. Seidenftider William Penns Travels in Holland and Ger-
many in 1677. Philadelph. 1877.
3) Eine felbftändige Biographie der Pfalzgräfin fehlt bis auf den heutigen
Tag. Man muß die verichiedenen Notizen über fie aus ben Zeitfchriften ober
Handbüchern zufammen fuchen. Die vorhandenen Ouellen hat Hölſcher in ber
Alg. Deut. Biogr. Bd. VI S. 22f. zufammen geftellt. gl. außerdem Herzog
u. Plitt 2. Aufl. IV, ©. 182.
4) Göbel Geſch. d. chriftl, Lebens I, 156.
467
zufammen, daß „die gediegeneren Elemente allmählich aus dem Ana⸗
baptismus heraus und bis zum Anfchluß an die reformirte Kirche
gedrängt worden jeien” 1), Ohne über den Charakter derjenigen
Altenangelifchen, welche fich der reformirten Kirche anfchloffen, ftreiten
zu wollen, beftätigen Doch die Beobachtungen, bie ich in der Gefchichte
der nordweſtdeutſchen reformirten Kirche gemacht habe, unzweifelhaft
die Thatfache, daß fehr viele ehemalige „Täufer“ und deren Fanti-
lien fpäterhin in der reformirten Kirche Schug vor Verfolgungen
gefucht haben, und daß ganz fpecififch täuferifche Ideen fich bei ſo—
genannten NReformirten wiederfinden.
Wir haben oben gefehen, daß eine Reihe fürftlicher Gefchlechter
und deren Vertreter der Lehre Schwenkfelds fich freundlich gegen-
übergeftellt hatten. Sollte e8 num wohl Zufall fein, daß Diefelben
Gejchlechter jeit dem Ende des 16. und dem Anfang des 17. Jahr⸗
hunderts vom lutheriſchen zum veformirten Belenntnig übergegangen
find? Dies ift ebenfo bei den Nachlommen des Landgrafen Philipp
wie bei denjenigen Joachims IL. von Brandenburg der Fall gewefen,
und wenn man bie Ausfprüche lieſt, mit welchen Kurfürft Johann
Sigismund feinen Uebertritt (1613) zur veformirten Lehre rechts
fertigt, jo wird man unwillkürlich an bie Schriften altevangeliſcher
Wortführer erinnert.
Wenn wir unferen Blid auf die weiteren Schieffale des „Täufer⸗
thums“ lenken, fo zeigt fich zunächft die fchon im 15. Sahrhundert
nach der großen Verfolgungsperiode von 1380— 1410 beobachtete
Thatfache, daß der äußere Drud das religiöfe Leben aus den Firch-
ih organifirten Gemeinden in weltliche Corporationen zurüd-
. drängte,
Abermals waren e8 die Bruderſchaften ber deutſchen
Werkleute, melde als Rückzugslinie den verfolgten „Brüdern“
offen ftanden und ihnen Schuß gewährten. Es verfteht fich indeſſen
von felbft, daß dieſe Entwiclung fich jett wie früher unter dem
Schleier des Geheimniſſes vollzog, und daraus erklärt e8 ſich, daß
die „Gelehrten“, welche die uns zugängliche Literatur verfaßt haben,
wenig davon zu erzählen willen,
1) Ebrard Kirchengeichichte I, 317.
30*
468
Es blieben in den-Kreifen der „Brüder“ die alten Ordnungen
und die alten Namen im Gebrauch; wir haben oben bereits die
Bruderfchaften „zum Himmel”, „zum heiligen Kreuz” und andere
fennen gelernt. Da tft e8 num beachtenswertb, daß um das Jahr
1620 eine „Bruderſchaft“ in die Literatur eingeführt wird, welche
fih angeblich „zum vofenen (d. b. rofenfarbenen) Kreuz oder die
„Rofentreuzer”!) genannt bat.
Die Forſchungen, welche über dieſe „Roſenkreuzer“ ebenfo wie
über viele andere wichtige ragen der -altenangeliichen Kirchen-
gefchichte jehr im Rückſtande find, Haben noch Fein ficheres Reſultat
über Die Frage ergeben, ob nicht die erjten Schriften, welche unter
dem Namen der Nofenkreuzer feit 1614 erfchtenen find, auf einer
Moftififation berufen. In der That möchte ich annehmen, daß
die Männer, welche im Namen der Rofenfreuzer die Fama Frater-
nitatis und die „Confeſſion“ herausgaben und dadurch einen Streit
anregten, der ganz Weiteuropa zeitweilig in Aufregung febte 2),
weder jelbjt Mitglieder des Bundes waren, noch in deſſen Auftrag
gefchrieben haben. Die Schriften fcheinen auf einige Theologen
(vielleicht auf Val. Andreae und Joh. Arndt) zurüdzugehen. Aber
felbft wern man dies einräumt, jo fteht doch feft, daß die religiöfen
und politifchen Ideen jener Schriften fich vollftändig decken mit den
Ideen der Bruderſchaften deutſcher Werkleute, welche wir früher
fennen gelernt haben, und baß ſchon im Jahre 1622 in Holland
wirklich eine Bruberfchaft an das Tageslicht tritt, in welcher ber
Kante Rojenkreuzer vorkommt 3),
Diie beſte und zuperläffigfte Auskunft über diefe Dinge erhalten
wir aus den Mittheilungen eines Profeffors der Phyſik zu Kiel,
welcher im Sabre 1696 Folgendes fehrieb: „Unter ven Adeptis
giebt es auch verjchiedene Grade der Vollkommenheit: die vor⸗
1) Ich vermuthe, daß der Name „Brüder vom rofen Kreuz“ ſehr alt ift
and vielleicht mit den rothen Kreuzen zufammenhängt, welche ven Ketern als
Bußkreuze aufgebeftet zu werben pflegten.
2)6. Kloß Bibliographie der Freimaurerei. Frankf. a/M. 1844 ©. 174ff.
führt aus den Jahren 1614—1783 nicht weniger al8 274 Schriften Über biefen
Streit auf.
3) ©, ven Aufſatz Klüpfels bei Herzog u. Plitt Realenchflopäbie d. prot.
Theol. 2. Aufl. Bd. XII ©. 68.
469
nehmften Darunter find die Rofenfreuzer, deren aller-
heiligite Gejellichaft Durch Die Welt zerftreut if. Jedoch macht
fie fih ohne Urfade nit befannt” „Es fliegen viel
Säriften unter ihrem Namen berum, aber bisher bat fie unter
dem Namen des Roſenkreuzes nichts herausgegeben; die Schriften,
die mit diefem Namen prahlen, find nicht der Roſenkreuzer, ſondern
Anderer, die mit biefem Namen ihren Schriften ein Anſehen machen
wollen” 1).
Es geht aus dieſen Worten hervor, daß e8 in ber That, wie
vielfach behauptet worben tft, eine Bruderfhaft des Roſen—
freuzes nie gegeben bat, fondern daß innerhalb einer größeren
Bruderſchaft diejenigen, welche gewiffe Vorbedingungen erfüllten,
mit dem Namen „Roſenkreuzer“ benannt wurden.
Laffen fih nun Anhaltspunkte dafür beibringen, welcher Art
und welches Urfprungs jene „Bruderſchaft“ geweſen ift, welche fich
„ohne Urfache nicht befannt machte” und verjchievene „Grade der
Vollkommenheit“ beſaß? Ich glaube mit Sicherheit fagen zu können,
daß wir Hier im 17. Jahrhundert den Nachlommen jener alten.
deutſchen Bruderjchaften wiederum begegnen, welche, wie wir oben:
ſahen, in Anlehnung an die deutſche Bauhütte erwachfen waren
und die burch den Beitritt von „Liebhabern des Handwerks‘ fich
vielfach zu eimer Humaniften-Gefellfehaft erweitert hatten. Doch
bildeten den Stamm der Organifation fortwährend bie Werkbruder⸗
ſchaften der Hütte 2).
Beſonderes Intereffe bildet die bisher noch nirgends hervor⸗
gehobene Thatfache, daß einzelne ver im 17. Jahrhundert unter
dem Namen der „Roſenkreuzer“ befannt gewordenen Schriften nichts
anderes find, als Reproductionen folcher Werke, welche im 16. Jahr⸗
hundert innerhalb der altevangelifhen Gemeinden, die man
„Täufer“ nannte, entjtanden find. Ich will zum Beweiſe dieſer
Behauptung nur folgenden Umftand herausgreifen.
1) ©. Arnold Kirden- und Kekerhiftorie Th. IV Sect. 3 8. 11.
2) Ich ftüße diefe Behauptung unter Anderem auf die merkwürdige That⸗
ſache, daß alle Eigenarten jener Bruberfchaft des 17. Jahrhunderts, von denen
wir Kenntniß befien, ſich auch bereit8 in den alten Bruderſchaften nachweifen
Yafien, und daß 3. B. der Name „Sottesfreunde‘ bier wie bort innerhalb
der Bruberfhaft vorlommt (©. Arnold a. a. O. Th. II Bd. XVII Cap. 18 81).
470
Zu den berühmtejten und bis in unjer Jahrhundert hinein
Teprobucirten Schriften der „Roſenkreuzer“ gehört der Tractat:
„Geiftlicher Discurs und Betrachtung, was für eine Gottfeligfeit
und Art der Liebe erfordert wird‘ ').
Diefer „Geiftliche Discurs“, welcher laut Titel im Sabre 1618
„von Neuem ans Taglicht geruckt“ worben ift, enthält zwei Tractate,
deren erfter nach der Vorrede den Titel hat: „Bon der Gott—
feligfeit“ umd deren zweiter „Bon der Liebe‘ heißt.
Bon diefen Abhandlungen nun tft die erjte nichtS anderes als
eine freie, meift aber wörtlich abgefchriebene Reproduction von
Chriftian Endtfelders Schrift „Von wahrer Gottfeligfeit‘‘,
welche zuerft (fowiel ich ehe) im Jahre 1530, dann 1538 und
öfter?) aufgelegt worben ift. |
Der zweite Tractat aber enthält in feinem ganzen Tenor
lediglich eine Meberarbeitung von der oben citixten Schrift Dends
„Bon der wahren Liebe” — eine Weberarbeitung, welche fih an
einzelnen Stellen nur in den Ausprüden von dem ihr zu Grunde
liegenden Original unterfcheibet.
Sp heißt e8 gegen Ende des „Geiftlichen Discurjes‘ 3) wörtlich:
„Der halben, wo die Lieb vecht lauter und rein ift, ba weichet
und fleucht der Liebhaber nit von dent Geliebten, gleich eine Roſe
nit von ihrem Tieblichen Geruch fern fein Tann, noch ein Bräutigam
von feiner Braut, die er inbrünftlich Lieb Hat, fondern er vergiffet
fein felbft als ob er nicht mehr wäre, und achtet allen Unkoſt, Kreuz
und Schaden nicht, ven er um des Geliebten willen leiden fol, ja
1) Die Ausgabe von 1618 wird genau befchrieben von ©. Kloß Biblio-
graphie der Freimaurerei Nr. 2538. Bon neuem gebrudt wurde der Tractat
zugleich mit ber Fama Fraternitatis und der „Allgemeinen und Generalrefor-
mation” durch Fr. Nicolai (angeblihd Regensburg 1681) zu Berlin 1781. — Ein
Auszug daraus findet fih bei (3. Fr. von Meyer) die beiden Hauptichriften ber
Roſenkreuzer. Frankf. 1827. 8°,
2) Nah Jehring Gründlice Hiftorie u. |. w. Iena 1720 ©. 94 findet fi
die Schrift auch gemeinfam mit Taulers Poſtille Später vielfach; ich habe eine
ſolche Ausgabe nicht einfehen können. Ueber Enbtfelber als Schüler Dends ſ.
oben ©. 433.
3) Mir liegt die Ausgabe von Berlin (1781) vor; vol. ©. Kloß a. O.
Nr. 2429. Die citirte Stelle findet fich vier auf ©, 187 (Eremplar der Kal.
Paulin. Bibl, zu Münfter W>5, 64).
471
der Liebhaber ift nicht ruhig noch zufrieden was er anfängt, bis er
die Liebe gegen dent Seltebten auf das alferhächite beweiſet, auch in
aller Gefahr und wo e8 möglich wäre (als möglich ift), daß es dem
Geliebten zu gut gejchehen möcht, fo begeb ſich der Liebhaber für
den Geliebten willig und fröhlich in den Tod“. Diefe ganze Stelle
findet fich Thon im Jahre 1527 in der erwähnten Denckſchen Schrift),
von welcher. wir oben gejagt haben, daß fie als „Augsburger Con⸗
feffion” der Brüdergemeinden gelten Tann,
Wenn man biefe Thatjache, die fih durch ähnliche Beobach-
tungen ?) erweitern ließe, ins Auge faßt, jo erklärt fich auch der
Umftand, daß eine andere Heine Schrift Dencks, welche unter dem
Titel „Etlibe Hauptreden“ zuerft im Jahre 1528 bei P.
Schöffer in Worms erfchienen war, feit dem Sabre 1621 von einem
Manne, welcher den Rofenkreuzern erwieſenermaßen nah geſtanden
hat (Joh. Arndt), in ſtets neuen Auflagen gemeinſam mit der „Deut⸗
ſchen Theologie‘ Hat reproducirt werden können. Und der Um⸗
ftand, daß die Reproduction der „Deutſchen Theologie” nach der von
Dend und Hätzer im Jahre 1528 veranjtalteten Edition, nicht aber
nach der von Luther feit 1516 oft wiederholten Ausgabe erfolgt ift,
giebt gleichfall® einen Fingerzeig dafür, aus welchen Streifen ber
Mann, ver Die deutſche Theologie im Jahre 1621 wieder ans Licht
309, ſeine Vorlage empfangen bat,
Wir haben oben gejehen, daß die Heine Schrift des Frankfurter
„Sottesfreundes” in den Brüdergemeinden von jeher überaus hoch
1) Dend jagt: „Wo die Lieb volllommen ift, ftellet der Liebhaber nicht ab
gegen dem Geliebten, ſondern vergiffet fein ſelbſt, als ob er nicht mehr wäre, und
gilt ihm aller Schaden nicht8, den er um bes Geliebten willen leiden fol, Ja,
der Liebhaber ift nicht zufrieden, wa8 er anfahet, bis er die Liebe gegen dem Ge-
liebten aufs allerhöchfte beweije in allen Gefährlichleiten, und wo e8 möglich wäre
(als es möglich ift), daß e8 dem Geliebten zu gut geichehen möcht, fo gäb fich ver
Liebhaber für das Geliebte willig und frößfi in ben Tod“. Bon der waren
Lieb ꝛc. Hanns Dend MDXVII. O. O. u. J. Bla. 1 (Eremplar der Hof» und
Staatsbibl, zu Münden).
2) Sehr merkwürdig ift die Auffaffung bes „Geiftlichen Discurfes“ won ber
Beveutung der Taufe. Der Berfaffer jagt (©. 156), daß an ber Wiebergeburt
und inneren Erneuerung des Herzens Alles gelegen fei, und führt dann fort: „Dieſe
Adfterbung und Auferftehung wird durch die heilige Taufe eingebilbet, bebeutet und
bezeuget“. Kann bei Kindern von innerer Erneuerung bes Herzens, von Ab-
fterbung und Auferftehung die Rebe fein?
472
gehalten worden war, und daß Luther in feiner erſten Zeit fie gleich-
falls fehr gelobt Hat. Aber ſchon im Jahre 1537 hatte Luther im
Gegenfag zu feiner früheren Haltung zu einem Buch des Joh.
Kymeus, welches die Ideen der „deutſchen Theologie‘ befämpfte, eine
empfehlende Vorrede gefchrieben. In Uebereinſtimmung hiermit er-
Härte der berühmte Iutheriiche Dogmatifer Nicolaus Hunnius
(F 1643), daß die deutfche Theologie die Grundlage jener Ketze⸗
reien) fei, welche die „Weigelianer” und die „Roſenkreuzer“ vor⸗
trügen, und befindet damit ſowohl den Gegenſatz der Orthoborie
gegen diefe Schrift wie das treue Feſthalten der „Bruderſchaften“
an dem alt überflommenen Eigentbum ihrer Väter.
Aus diefen Verhältniffen erklärt e8 fich, wie e8 kommt, daß be-
reits Die Zeitgenoffen die „Roſenkreuzer“ direkt als „Wiedertäufer“
bezeichnet oder fie mit den verwandten Beitrebungen in eine Linie
geitellt haben ?).
Es Tann feinem Zweifel unterliegen, dag noch im 17. Jahr⸗
hundert in Deutfchland jene „Bruderſchaften“ beftanden baben,
welche, nachdem fie aus bem Tirchlichen Leben zurüdgedrängt waren,
abermals in Anlehnung an die Bauhütte die Ideen der „Brüber-
gemeinden“ fefthielten, um fie in eine glüclichere Zeit hinüberzuretten.
1) Bon Nicol. Hunnius fagt Dr. C. E. Lutharbt, daß er in ber Lehre von
den Funbamentalartiteln „auf lange hinaus maßgebend“ geweſen ift (Comp. d.
Dogmatik. Lpz. 1882 ©. 48). Eine nicht minder berühmte dogmatiſche Autorität
berfelben Kirche, Ehregott Daniel Colberg (geb. 1659), findet in der beutfchen
Theologie „Zweideutige irrige Redensarten und von ber Wahrheit bes Glaubens
abgehende Lehren”. D. Michael Walther aber und Hornbed jagen von dem Büch⸗
lein, der erftere, e8 enthalte grobe Irrthlimer, ber andere, e8 fei bie Grundlage
des „Enthuſiasmus und Libertinismus“ — zwei Bezeichnungen, welche das
„Täuferthum“ treffen follen, die al8 „Freigeiſter“ von jeher verrufen waren.
Hornbeck gehörte zu den beften Kennern des Anabaptismus im 17. Jahrhundert.
2) Dal, Griesmann Getrewer Ehart, welcher in den erften neun ge=
meinen Fragen ber Wiebertäuferiihen, Schwentfelbifchen 2c., Roſenkreutzeriſchen
Ketzerey im Lande herinnftreichende wäfte Heer zu fliehen und als feelenmörberifche
Räuberei zu meiden verwarnt. Gera. Munitzſch. 1623. 4°. (Kloß Bibliographie
Nr. 2608.) — Nah Will Beyträge zur Gef. d. Antibaptismus S. 123 hat
Zah. Theobald in feiner Schrift: Wiebertäuferifcher Geift u. f. w. (1623) ©.
112—156 bargethan, daß „die Rofentreuzer wahre Wiedertäufer“
fein. — Die Belege ließen fich Teicht vermehren wie eine Durchſicht der bei Kloß
a. a. O. gegebenen Büchertitel ergiebt.
473
Das 17. Jahrhundert zeigt bezüglich der altevangelifchen Kirchen-
gefchichte ganz frappante Achnlichkeiten mit dem oben beiprochenen
15. Jahrhundert. Damals wie jett Tiefen die beiden Strömungen
der Gemeinden und ber Bruderfchaften neben einander ber,
und in beiden Perioden waren die erjteren, wie fich zum Theil fo-
gleich zeigen wird, in hohem Maß verfümmert, und jet wie ehedem
waren die Bruderfchaften die erjten, welche fich von der großen Nie-
derlage erbolten, diesmal freilich nicht in Deutfchland, fondern in
England. |
Schon in dem literarifchen Kampf, der aus Anlaß der Roſen⸗
freuzer-Schriften entftanden war, war e8 zu Tage getreten, baß
die Bruderſchaft in England und Holland bejonders eifrige Ver⸗
tbeidiger befaß!).
England ift auch dasjenige Land, in welchem die „Bruder⸗
Schaft" Den Schleier des Geheimniſſes zuerjt foweit fallen Yäßt,
dag wir ihre Gefchichte wenigftens mit einigen Daten feftftellen
fönnen. Ä
Im Jahre 1685, nach dem Tode des bisherigen Großmeifters
(de8 Grafen von Arlington), hielten die „Brüder eine Verfamm-
lung und erwählten Sir Chriſtoph Wren zu ihrem Oberhaupt.
Die unglüdlichen Sabre 1688 —89 reducirten die englifche Bruder-
ſchaft derart, daß es in London nur fieben Hütten gab. Aber
ſchon wenige Jahre darauf trat ein glüdlicher Umfchwung ein.
Die neue Periode beginnt mit dem heimlichen Eintritt König
Wilhelms II. von Großbritannien und Irland in ven Bund,
welcher im Jahre 1695 erfolgte?). Das Haus Naſſau⸗Oranien
hatte feit den Tagen, wo der Vater des großen Befreiers der Nie
derlande, Graf Wilhelm, in feinem deutſchen Ländchen die evange-
liſche Lehre einführte, den Ioeen der „Brüdergemeinden‘ außeror-
dentlich nah geftanden, und der Schritt, den König Wilhelm II.
that, befaß mithin nicht nur in dem Verhalten jener mächtigen
Souveräne wie Raifer Ludwigs des Batern und Kaiſer Marimilians J.
1) Man vgl. ©. Arnold a. a. O. 8. 25 und ©. Klof Bibliographie d.
Freim. 1344,
2) ©. Kloß Geld. d. Freimaurerei in England, Irland und Schottland
aus ächten Urkunden bargeftellt (1685—1784) Lpzg. ©. 2.
474
wichtige Präzedenzfälle, fondern er entjprach auch den Traditionen,
wie fie in dem Gefchlechte ver Dranier überliefert waren.
Bon nun an nahmen die Hütten, welche damals bereit$ mit
der italienifchen Form des Wortes fih Logen nannten, einen rafchen
Aufſchwungi).
Gerade in jenen Jahrzehnten, in welchen ſeit der Einnahme
Straßburgs durch die Franzoſen (1681) ihr bisheriger Vorort
der deutſchen Hütte entfremdet ward, und in denen ein formeller
Reichstagsbeſchluß (v. 16. März 1707) behufs Sprengung der alten
deutſchen Hüttenorganiſation erlaſſen wurde, fanden in England die
Vorbereitungen zu einer inneren Erneuerung der alten Bruder⸗
ſchaft ſtatt, welche von weltgeſchichtlichen Folgen werden ſollte. Jene
vier Logen Londons, welche im Jahre 1717 dem Bunde der Frei—
maurer feine heutige Form und Geſtalt gaben, waren Logen von
Werkleuten und von Angenommenen?. Mithin war e8 bamals
noch immer der alte Bund, welcher von innen heraus unter dem
allgemeinen Aufſchwung des englifchen Lebens die Regeneration
vollzog. Der große’ Schritt, welcher dann alsbald folgte, und der
die neue Periode des alten Bundes einleitete, war ver Beſchluß,
welcher in erjter Linie das geiftige Bauen zum Ziel und Zwed
des Bundes proflamirte. Doch behielt man in echt confervativer
Weife ſowohl die alten Formen wie die alten Grundgedanten der
Bruderſchaft bei. Man kennt die großartige Entwicdlung, welche
die „Brüder“ auf diefem Wege erlebt haben.
Diefer Aufihwung der „Bruderſchaft“ (brotherhood) in Eng-
land hängt unzweifelhaft mit der Thatjache zufammen, daß auch Die
altevangeliihen Gemeinden in eben biefem Lande zu einer groß-
artigen Machtentfaltung gelangt waren.
Ehe wir jedoch diefe Entwiclung näher berühren, ift e8 noth-
wendig, die Schickſale zu betrachten, welche die „Brüdergemeinden“
in ihrem Heimathlanve in ven fpäteren Zeiten erlitten haben.
1) Nicht unwichtig ift, daß die Organifation des Bundes VBierteljahrs -
Berfammlungen und Jahres-Berfammlungen aufmeilt (©. Kloß a. O.
&.5); unzweifelhaft gab e8 auh Monat8-Berfammlungen, nur babe ich
einftweilen feine Notiz darüber gefunden.
2) Findel Geſch. d. Freimaurerei. Lpg. 1878. A. Aufl. ©, 53.
475
Es ift wahr, daß die Gemeinden, wie fie feit etwa 1560 in
Deutfchland beftanden, im Ganzen einen traurigen Anblick darbie⸗
ten; aber die Empfindung, die man bei dem Stubium ihrer opfer-
reichen Gefchichte empfängt, ift weit mehr Mitleid als Unwillen;
denn ſelbſt die Verirrungen und die mancherlei Streitigkeiten,
welche auch bier ausbrachen, find, wenn man auf die weit größeren
Verirrungen und die weit heftigeren Streitigleiten innerhalb ber
berrjchenden Kirchen das Augenmerk richtet, wenn nicht entjchuld-
bar, fo doch begreiflich.
Man überfieht meift, daß bis in das 18. Jahrhundert hinein
diefe Männer durch blutige Strenge am öffentlichen Auftreten ver-
hindert worden find. Indem man fie fo zu heimlicher Vereini-
gung nötbigte, ging ihnen fowohl die nothwendige Förderung wie
die nothwendige Zügelung verloren, welche die öffentliche Be—
thbätigung des allgemeinen Tirchlichen Bewußtſeins gewährt.
In merkwürdigem Widerfpruch zu ihrer früheren Gefchichte,
wo ihre Führer auf eine Reformation der ganzen Welt im großr
artigften Maßſtabe Hinarbeiteten, fuchten jet die aus diefem Stre-
ben übriggebliebenen Kräfte gleichjam eine Ableitung in Anoronungen
und Beitimmungen äußerer Lebensverhältniffe von untergesrbneter
Bedeutung. Im Zufammenhang mit gewiffen uralten Traditionen,
wie fie aus der Blüthezeit ver waldenfifhen Bruderhäufer
(Begbarden und Beghinen) fich erhalten hatten, begannen in ein-
zelnen Ländern (befonders in Mähren) die Gemeinden fich in folche
Hänfer umzuwandeln, und indem fie in verlehrter Weife das ganze
Leben in die veralteten Formen dieſer Anftalten einzwängten, bes
raubten fie ſich jeder Einwirkung auf die allgemeinen Verhältniffe
und fanten vielfach auf Die Stufe einer verfümmerten Sefte herab.
Diefe begharbifchen Traditionen — wenn man fo jagen darf —
machten auch außerhalb Mährens ihre Wirkungen dadurch bemerk⸗
bar, daß die „Brüder“ in gänzlichem Mißverſtändniß der Abfichten
ihrer Vorfahren die „Regeln der „Bruder⸗ und Schweiternhäufer“
auf das Leben der Gemeinden übertrugen und ihre geiftige Kraft
in unglüdlichen Verfuchen, die äußeren Ordnungen nach den miß-
verftandenen Ueberlieferungen berzuftellen, vergeubdeten. Die Strenge,
mit welcher derartige „Regeln“ von Einzelnen aufgefaßt und mit
476
der Kirchenzucht, deren Ausübung in jeder Gemeinfchaft befonvere
Gefahren und Schwierigfeiten bietet, verbunden wurbe, führte zu
zahlreichen Streitigfeiten und Parteiungen, welche die Kraft der
Gemeinschaft fchließlich noch mehr als die VBerfolgungen ſchwächten.
Doch muß gegenüber der in den üblichen Kirchengejchichten herlömm-
lihen Betonung diefer Differenzen darauf bingewiefen werben, daß
ſchon feit 1626 eine Ausföhnung der verſchiedenen Richtungen fich
anzubahnen begann, welche durch die Synoden zu Haarlem (1649) !)
und zu Utrecht (1661) ihre Beftätigung empfing.
Trotz folder Mängel und Schwächen, welche fie übrigens
gegenwärtig fowohl in Deutichland wie in Holland gänzlich abe
geftreift haben 9, ift ihnen in der Behandlung dogmatifcher Tragen
immer eine Weitherzigfeit und Duldſamkeit eigen geblieben, welche
im Gegenfate zu den tbeologifchen Zänfereien der Ortboborie einen
überaus wohlthuenden Eindrud macht.
Der fortvauernd von ihnen feitgehaltene Grundſatz, daß fein
von Menfchen formulirtes Bekenntniß unter ihnen etwa in ber
Weife wie unter Zutheranern und Katholiken verbindliche Autorität
befigen jolle, und daß weder einzelne Gelehrte noch ein oberſter Bontifer
als höchſte Lehrinſtanz Geltung haben bürften, bat fich ausgezeichnet
bewährt. Noch heute verweifen fie Seven, welcher nach ihrem Glau-
ben fragt, auf Chrifti Worte, und den Spruch, welchen einft Menno
Simons als feinen Denkſpruch erflärte: „Einen anberen Grund kann
Niemand legen, außer dem, ver gelegt ift, nämlich Jeſus Chriftus‘
(1. Cor. 3, 11), haben fie in diefem Sinne ftetS aufrecht erhalten.
Sie nennen fih zwar meistens „Mennoniten”, aber fie verwahren
ſich ausbrüdlich dagegen, daß fie ſich Damit an diefen oder an irgend
einen anderen fterblichen Menfchen gebunden erachten 3).
1) Handlung ber vereinigten Flämifchen und Teutſchen Taufgefinnten Ge—
meinen, gepflogen zu Saarlem anno 1649 im Junio, famt den dreien Confef-
fionen, fo daſelbſt approbirt und angenommen. 8°. Bliffingen 1666.
2) Selbſt in Bezug auf die Wehrpflicht haben die heutigen Mennoniten
fih faſt ſämmtlich wieder derjenigen Anſchauung zugewendet, welche in der beften
Zeit ihrer Gemeinschaft Gefeg war, daß nämlich die Nothwehr, ſelbſt mit dem
Waffen, nicht verboten ſei.
3) Vgl. A. M. Cramer Het Leven en de Veriiglingen van Menno Simons.
Amst. 1837 p. 160. u
477
In der Dogmatik wie in den theologischen Wiflenfchaften über-
baupt Haben fie wenig geleiftet, aber auch wenig leiften Finnen;
wo Zweifel vorhanden waren, baben fie fi am Tiebften auf die
Ueberlieferung fowohl in Bezug auf die Lehre wie auf den Eultus
und die Kirchenverfaffung geftügt. Es Hat dies mancherlei Nach-
tbeile für fie gehabt, aber fie find dem Einfluffe von Zeitftrömungen,
der zeitweilig fehr verberblich fein Tann, Dadurch viel weniger aus⸗
geſetzt geweſen als die übrigen proteftantifchen Kirchen.
Die vornehmfte Stärke diefer Gemeinfchaft hat wie von je ber
fo auch in ven letzten Jahrhunderten in den Beftrebungen fitt-
licher Art gelegen, worin fie im Vergleich zu ihrer Zahl Großes
geleiftet haben. Auch bei ihnen hat e8 nicht bloß im 15., fondern
auch im 17. und 18. Sahrhundert Zeiten der Oede und Stagnation
gegeben; aber die tiefe religiöfe Innigfeit, welche das Erbtheil der
Gemeinfchaft war, hat von Zeit zu Zeit immer wieder frifche Reifer
getrieben, und alsdann bat fich ftetS eine fo echte Flamme reiner
Frömmigkeit offenbart, daß fie felbjt ihren Gegnern Achtung ab-
gendthigt haben.
Frei von Engberzigfeit, Aberglauben und Scheinheiligleit —
Fehlern, welche der orthoboren Frömmigkeit fo leicht anbaften — hat
dieſe Gemeinfchaft religiöfe Wärme, ja Begeifterung mit freifinniger
Toleranz, praktiſche Frömmigkeit mit echter Demuth in ihren befjeren
Perioden ſtets zu vereinigen verftanden, und ein Schatz uralter
Traditionen, die fie nicht nur in Bezug auf Glaubensſätze, jondern
auch in Rüdficht auf Sitte und Leben überlommen haben und
heilig halten, bewirkt noch heute, daß ihre Kinder in jenen Tugenden
auferzogen werden, welche ſchon im 13. Jahrhundert ver Inguifitor
David von Augsburg als Merkmale ver „Brüder aufgezählt hat!).
Einer der wefentlichiten Nachtbeile, den biefe altenangelifchen
Täufer fi Durch ihre Vernachläffigung der theologischen Wiſſen⸗
ſchaften zugezogen haben, befteht in ihrer Unbekanntſchaft mit ihrer
eigenen Gefchichte. Dadurch erklärt fich auch manches Mißverftänd-
niß ihrer Meberlieferungen, die ohne fehriftliche Fixirung natürlich
Entjtellungen ſtark ausgeſetzt waren.
1) ©. oben ©. 6.
478
Die Zahl und Bedeutung der Gemeinden ift im weitlichen
Europa im ganzen 16. Jahrhundert erheblicher geweſen, als heute
befannt ift. Der Bifchof von Pomefanien, Joh. Wigand, richtete
im Jahre 1582 ein offenes Senpdjchreiben an alle Fürften und
Staaten der Augsburger Confeffion und jagt in deſſen Eingang
wörtlich:
„Es giebt Leute, welche glauben, daß die Sekte der Anabaptiften
von geringer Bedeutung fei, aber fie irren fich in ihrer Unkenntniß
ihmählih. Denn daß fehr viele Menſchen in diefe Phantasmen
verjtrickt find, und daß an zahlreichen Orten jene Art von Menſchen
ſich ausbreitet, wird burch offene Erfahrung betätigt. Denn fie
haben ihre beftimmten Zufluchtsftätten in Polen, in Preußen haben
fie gewiffe Gegenden occupirt, in den Nieberlanden aber haben fie
feit lange gleichfam ihr Königreich; nach Schwaben und in andere
Gegenden haben fie fich verbreitet”),
Es wäre eine dankbare Aufgabe, der Gefchichte der altenange-
liſchen Gemeinden in Deutfchland nach dem Jahre 1535 einmal
genauer nachzugehen. Noch im Jahre 1556 läßt fich der enge Zu-
fammenbalt der Brüder in Sübbeutfchland, der Pfalz, der Schweiz,
am Niederrhein, in Holftein, Medlenburg und Mähren mit den-
jenigen in Holland fowie in Oberitalien 2) ziemlich genau feititellen 3).
In diefem Jahre tagte unter Mennos Borfik eine Synode in Köln.
Im Jahre 1557 Hören wir von einer VBerfammlung der oberdeutſchen
Brüder in Straßburg, bei welcher etwa 50 Vertreter anwefend waren.
Bon befonderer Bebeutung ift dann die große Synode geworden,
welche im Frühjahr 1591 zu Köln zufammentrat. Die Artikel, welche
die dort anweſenden deutfchen und nieberländifchen „Brüder“ unter-
zeichneten, geben ein intereffantes Bild von dem damaligen Stand
ber Anfichten‘). ine der legten größeren Verſammlungen in
1) Wigandus De Anabaptismo Leipz. 1582, in 4°,
2) Ueber die Wiebertäufer im Venetianiſchen und ihre Beziehungen zu den
„Brüdern“ in Mähren f. den intereffanten Auffag Karl Benraths in ben
Theologifchen Studien n. Krit. Jahrg. 1885 ©. 9 ff.
3) S. A. M. Eramer aa O. ©. 133,
4) Sie find gebrudt in der Schrift: De algemeene Belydenissen der Ver-
eenighde Vlaemsche, Vriesche, en Hooghduytsche Doopgesinde Gemeynte
Gods etc. t’Amsterdam. Anno 1665. p. 1 fl
479
Deutjchland, über die ich Nachrichten gefunden babe, ift diejenige,
welche in der Pfalz (auf dem Ihersheimer Hof) im Jahre 1803 ge
halten worden ift. Leider ift mir fein vollſtändiges Brotocoll bes
kannt geworden !).
Dei einer näheren Betrachtung dürfte man finden, daß in Be⸗
zug auf die Lehre fich in diefen „Gemeinven‘ vielfach eine Trür
bung der alten Tradition eingeftellt hat; aber rüdfichtlich der Kir-
chenverfafjung und vieler Tirchlich-focialer Principien gebührt der
Heinen Gemeinſchaft das Verdienft, daß fie diefelben mit zäher Aus-
bauer feftgehalten und in eine Zeit binübergerettet bat, wo fie auch
auf die herrſchenden Kirchen von großem Einfluß werden follten.
Ich zähle dahin den von den „Täufern“ zuerft und am entjchie-
denften geltend gemachten Grunbfaß, daß die Tirchlichen Dinge unter
Mitwirkung der Laien in ſynodalen Organifationen ihre Erledigung
finden follten, und das Princip, daß alle Menfchen Brüder feiern,
und daß e8 mithin weder Keibeigene noch Sklaven geben dürfe.
Der legtere Grundſatz bat feit uralten Zeiten einen Theil der
Forderungen gebilbet, welche die Brüder aufgeftellt hatten, und wir
fehen ihn fofort beim Beginn der Reformation von Neuem auf
tauchen. Heinrich Bullinger eifert gegen die angebliche Irrlehre
der „Wiedertäufer”‘, welche lehren, daß e8 „ungebührlich fei, daß
Jemand unter chriftlihem Volk Teibeigen ſei und die Pflicht oder
Schuld der Knechtichaft zahlen folle”. Dies fei ganz falfch, meint
Bulfinger, „denn fundbar genug ifts, daß Abraham, der
Bater ver Gläubigen, leibeigene Leute gehabt bat und
deren nit wenig”).
Es ift beachtenswerth, daß die „Sektirer“ fich in dieſem Punkte
nicht nur mit der neuen Orthoborie, fondern auch mit der Tatho-
1) Einiges darüber in dem von Wiggers in der Zt. f. hiſt. Theol. 1848
©. 508 reprobueirten Aufſatz 2. Weydmanns über die Mennoniten in der Pfalz,
Dort beißt e8 über die Beichlüffe unter Anderm: „Es war feitgefeßt, daß Die
aus andern Gemeinfhaften Mebertretenden nur auf ausdrüd-
liches Berlangen getauft werden follten, daß die Unterweifung ein
volles halbes Jahr dauern ſolle“ u.f.w. Den interefianten Auffag Weydmanns
ſ. in dem Jaarboekje voor de Doopsgezinde Gemeenten in de Nederlanden
1838 en 1839.
2) Bullinger Der Wiebertäufer Urfprung u. ſ. w. 1560 f. 38,
480
liſchen Nechtgläubigfeit in Wiverfpruch befanden. Denn die Bulle
Papft Nikolaus’ V. vom 8. Januar 1454 erklärt ausdrücklich, daß
es erlaubt fei „alle Sarazenen, Heiden und andere Feinde
Ehrifti in ewige Sklaverei zu bringen”, und dieſes zunächft
den Bortugiefen bewilligte Recht ift durch fpätere Päpfte, wie Sirtus
IV. (1471— 1484), Innocenz VIIL (1484—1492), bejtätigt und von
Clemens VII. (1523— 1534) dahin erweitert worden, daß es erlaubt
fei, auch alle Keßer in die Sklaverei zu verlaufen !).
Diefen Anschauungen gegenüber muß man e8 den Täufer,
gemeinven zum hohen Verdienſte anrechnen, daß fie von ihrem
traditionellen Widerfpruche gegen die Sklaverei niemals abgelaffen
haben. Deutjche Mennoniten find die erften geweſen, welche gegen
die Sklaverei, welche fie in Amerika vorfanden, nicht nur mit ent-
ſchiedenen Proteften, fondern auch mit thatkräftigem Handeln auf-
getreten find, und die Duäler haben dieſe Beitrebungen fpäter
erfolgreich fortgejegt 2).
- Die Gefchichte der altevangelifhen QTäufergemeinden bes 16.
und 17. Jahrhunderts follte ſchon deßhalb in der Kirchengejchichte
eingehender berüdfichtigt werden, als e8 bisher geſchehen ift, weil
es nach dem Stande der heutigen Forſchungen völlig zweifellos ift,
1) Die Bulle vom 8. Ian. 1454 ift wörtlich abgebrudt bei Leibnitz Cod.
Dipl. Part. I. p. 406 ff.; ferner bei Cherubini Bull. Magn. IX p. 261 und bei
Raynald Cont. Annal. Baronii zum Jahre 1454. Die enticheivende Stelle, in
welcher der Papft auf ein bereits früher ergangenes Altenſtück verweift, lautet:
„Nos praemissa omnia et singula debita meditatione pensantes et attendentes,
quod cum olim praefato Alfonso Regi quoscunque Saracenos ac pa-
ganos aliosque Christi inimicos ubicunque constitutos ac Regna,
Ducatus, Principatus, Dominia, possessiones et mobilia et immobilia bona
quaecunque per eos detenta ac possessa invadendi, conquirendi, expugnandi,
debellandi et subjungandi, illorumque personas in perpetuam ser-
vitutem redigendi, ac Regna, Ducatus, Comitatus, Principatus, Dominia,
possessiones et bona sibi et successoribus suis applicandi, appropriandi ac
in suos successorumque usus et utilitatem convertendi aliis nostris lit-
teris plenam et liberam inter caetera concessimus faculta-
tem —“ etc. Es muß übrigens bemerkt werben, daß Gregor XVI. (1831—1846)
eine andere Anficht Yundgegeben bat als feine Vorgänger.
2) Ueber die hervorragenden Berbienfte der Mennoniten um die Abſchaffung
der Sklaverei vgl. den Auffat von de Hoop- Scheffer in den Doopsgezinden
Bijdragen f. 1884,
481
daß Diejenigen Männer, welche die Begründer des älteren deut- -
Then Pietismus find — es eriftirt vorläufig fein anderer Name
für die Anhänger Speners und feiner Freunde — ihre wichtigften
Anregungen aus der Literatur des älteren Anabaptismus erhalten
haben.
Es ift an diefer Stelle unmöglich, auf diefe Entwidlungen
näher einzugehen !). Es mag genügen, auf ein Werk binzumeifen,
welches dieſen Zuſammenhang bereit im Jahre 1722 genügend
Har gelegt Hat. J. J. Wolleb, welcher jelbft zu den „Pietiſten“
gehörte, fchrieb ein Buch — er nannte e8 „Geſpräche zwifchen einem
Pietiften und Wiedertäufer”2) —, in welchem er ausprüdlich jagt,
daß man „insgemein feinen Unterſchied zwiſchen den
jogenannten BPietiften und Wiedertäufern zu maden
pflege”. Der Zwed feines Werkes fei, daran zu erinnern, daß
doch gewiſſe Unterfchieve vorhanden feien, und zwar befonders bie
Lehre vom Eid und von der Obrigfeit. —
Es iſt auffallend, daß Das oben erwähnte Sendfchreiben Joh.
Wigands nom Jahre 1582 nicht der „Wiedertäufer” in England
Erwähnung thut, während doch bereit damals dort jene folgen-
reihen Bewegungen fich vorzubereiten begannen, welche feit dem
"17. Jahrhundert zwei Welttbeile in Bewegung erhalten follten.
Sch kann Hier nur im Vorbeigehen darauf Hinweifen, daß bie
uralten Beziehungen der „Brüder“ diesfeits und jenfeitS des Meeres
auch nach dem Sabre 1522 fofort wieder zu Tage treten ?).
Wir haben gefehen, daß noch um 1527 die alten „Brüderge⸗
meinden” in England vorhanden waren); e8 war ganz natürlich,
1) Sehr beachtenswertb ift, daß die Täufergemeinden in Deutfchlandb bie
Schriften von Arndt und anderen „Pietiſten“ wie ihre eigene Literatur ſchätzten
und behandelten. S. den angeführten Auffat von 2. Weydmann (Zt. f. hiſt.
Theol. 1848 ©. 507).
2) Wolleb 3. 3. Geſpräche zwiſchen einem wPietiften und MWiebertäuffer,
in welchem einige Vorurtbeile und Lehrpunkten der Wiebertäufer unterfuchet und
worinnen wahre Pietiften von ihnen unterjchieden find, an den Tag gelegt wird.
Bafel 1722. 8%. (Exemplar in ber Bibl. der Taufgefinnten zu Amfterbam.)
3) Sehr merkwürdig ift, daß nach Ausweis ber Alten bereits im Frühjahre
1525 einzelne verfolgte Zitricher Täufer die Abficht ausiprechen „über das Meer
zu geben” Egli Altenfammlung u.f.w. Züri 1879 ©, 307 (Nr. 691).
4) Lechler Job, v. Wichf II, 454.
Keller, Die Reformation. 31
482
daß die deutfchen Brüder jet wie früher hier Schuß fuchten. Schon
im Jahre 1536 erfcheint ein Vertreter englifcher Gemeinden, Nas
mens Heinrich, auf der Täufer⸗Synode zu Bocholt in Weftphalen!).
Größere Dimenfionen nahm die Auswanderung deutfcher und
niederläändiſcher „Täufer“ feit dem Jahre 1535 an, und Holland
blieb von da an gleichfam die Brüde, über welche der Uebergang
erft nach England und fpäter nach Amerika gewonnen mwurbe 2).
Man weiß ja, daß die Niederlande feit dem Beginn des Befrei—⸗
ungefriegs das Aſyl aller Flüchtigen wurde, und mit Recht fonnte
Joh. Wigand im Jahre 1582 fagen, daß „Belgien gleichſam das
Königreich der Anabaptiften fer”. Die großartige Bedeutung, welche
bie altevangelifchen Principien in dieſem Lande in der Geftalt von
Täuferthum und Arminiantsmus gewonnen haben, bat noch Feine
entfprechende Bearbeitung gefunden; bier mag e8 genug fein, dar-
auf Hinzumeifen, vaß Hugo Grotius (F 1645), Oldenbarneveld
u. A. Arminianer gewefen find. Daffelde Holland, welches von
dem proteftantifchen Europa im 17. Jahrhundert mit Recht als
das vornehmſte Bollwerk der evangelifchen Lehre angefehen wurde,
war von täuferifchen Anſchauungen durch und durch erfüllt.
Die Einwirkung des holländifch-veutfchen Anabaptismus ift in
England nicht fofort in größeren Vollsbewegungen in die Erjchei-
nung getreten. In aller Stille entwidelten fich die „Gemeinden
in Großbritannien, bis fie feit dem 17. Jahrhundert mit großer
Macht für die Ideen, um dverentwillen einft ihre Brüder in Deutjch-
land vergeblich geblutet Hatten, erfolgreich in den Kampf traten.
Die Gefchichte diefer für die ganze chriftlihe Welt überaus
folgenreichen Bewegungen bat durch Hermann Weingarten?) eine
jo eingehende Bearbeitung erfahren, daß es geftattet ift, an dieſer
Stelle einfach darauf zu verweilen. .
1) ©. L. Keller Zur Geſch. d. Wiebertäufer u. ſ. w. in ber Wefident. Ztf.
f. Geſch. u. Kunft I. 4 (1882) ©. 441.
2) Ganz intereffante Mittbeilungen über bie erften Beziehungen zwiichen
Deutihland und England f. bei E. M. P. Enideıyua sive specimen Historiae
anabaptisticae. Anno MDCCI p. 195f. (Exemplar im K. Staatsarchiv zu Münfter).
3) H. Weingarten Die Revolutionsticchen Englands. Lpz. 1869. — Ueber
die Quäker f. den Artilel R. Buddenfiegs bei Herzog u. Plitt 2. Aufl.
Bd. XII ©. 425—455 5 desgl. Möhler Symbolik 4. Aufl. S. 497 ff.
483
„Der Puritanismus‘, fagt Weingarten, „war e8, der die Ne-
formation in die Herzen eingeführt und fie aus einem Staats⸗
kirchenthum in ein Gemeindechriftenthum umgewandelt bat. Daß
in England und Amerila briftlide Frömmigkeit eine
nationale Macht geworden und geblieben, ift die Frucht
der von ihm geführten Geiftes- und Glaubenskämpfe“i.
Die Ueberſicht über die Nachwirkungen der deutſchen Bewegung
des Täuferthums würde eine weſentliche Lücke darbieten, wenn wir
nicht des Einfluſſes gedenken wollten, welchen die altevangeliſchen
Brüdergemeinden durch Vermittlung der „Roſenkreuzer“, der „Pie⸗
tiſten“ und der engliſchen Puritaner auf zwei Heroen des deutſchen
Geiſteslebens im 18. Jahrhundert, nämlich auf Leſſing und Kant,
ausgeübt haben ?).
Es iſt wahr, daß Leſſing ebenſo wie die meiſten anderen großen
Lehrer deutſcher Geiſtesbildung im 18. Jahrhundert dem Kirchen⸗
thum ſehr entfremdet war. Indeſſen würde man gerade Leſſing
1) Der Independentismus hat ſich bekanntlich in mannigfachen Geſtaltungen
in England und Amerika entwickelt. Doch beruhen ſie alle auf der gemeinſamen
Wurzel der altevangeliſchen Kirche. Ihre Verſchiedenheit hat, anſtatt nach-
theilig zu wirken, einen Reichthum des inneren Lebens erzielt, welchen man
in den Staatsfirchen oder ber römiſchen Kirche vergeblich fucht.
2) Ein näheres Eingehen auf Schleiermader und Schiller würde ung
bier zu weit führen. Ich will bier bezüglich des Erfteren nur darauf verweilen,
daß fhon Weingarten (Engl. Revolutionsfirchen ©. 365. 370) auf feine merkwür⸗
dige Verwandtſchaft mit den Quäkern bingewiefen bat. Für Schleiermacher waren
wahrſcheinlich die Herrnhuter die Vermittler der Brüder- Traditionen. — Was
Schiller anbetrifft, fo ift e8 ja befannt, daß Niemand mehr dazu beigetragen
hat, Kants Grundgedanken (befonders auch die Lehre von ber Willensfreiheit) po=
pulär zu machen, al8 er. Someit Schiller überhaupt an chriftlichen Ideen feft-
hielt, trug er fie durchaus in altevangelifcher, gänzlich unlutherifcher Weife vor.
Uebrigens hoffte auch Schiller auf eine „Veredlung des Proteftantismus”. Im
Jahre 1804 ſchreibt er an Zelter: „Berlin bat in den dunklen Zeiten des Aber-
glaubens zuerft die Fadel einer vernünftigen Neligionsfreiheit angezündet; das
war bamals ein Ruhm und ein Bedürfniß. Sekt, in Zeiten des Unglaubens,
ift ein anderer Ruhm zu erlangen, ohne den erften einzubüßen; e8 gebe auch Die
Wärme zu dem Licht und veredle den Proteftantismus, deſſen Metro-
pole e8 einmal zu fein beftimmt ift“.
31*
484 _
fehr Unrecht thun, wenn man ben tief veligiöfen und zwar fpecielf
chriſtlichen Kern feiner Auffaffungen bejtreiten wollte?)
Wenn feine Freunde wie feine Gegner Leſſings pofitives Chri⸗
ſtenthum bisweilen unterfehätt haben, fo Tiegt Dies zum Theil daran,
daß ihm die Religion, wie fie in den herrfchenden Kirchen gefaßt
wurde, innerlich in hohem Grabe zuwider war, und daß die Quellen,
aus welchen er feine Weberzeugungen fchöpfte, bis jett nicht völlig
aufgeklärt find.
In Teßterer Richtung ift es nun, wie ich glaube, fehr erwäh⸗
nenswerth, daß Leflings Freund, Friedrich Nicolai, e8 geweſen ift,
welcher jene oben befprochenen neuen Ausgaben von Dends Büchlein
„Von der Liebe” und Chriftian Endtfelders Schrift „Von
wahrer Gottjeligfeit” im Jahre 1781 zu Berlin herausgegeben und
als Geiftesprobufte Des Ordens der Roſenkreuzer ausprüdlich em-
pfohlen hat?). Bücher, auf welche Nicolai einen derartigen Werth
legte, daß er fie neu auflegte, find Leffing ficherlich nicht unbefannt
geblieben. Die Ausgabe von 1618, welche Nicolai benußte, dürfte
au in Leſſings Händen geweſen fein.
Ferner fteht aus Leffings eigenem Zeugniß feft, daß er fich mit
einzelnen Schriften Sebaftian Francks befehäftigt bat; Leffing
war es, welcher den von den Theologen gänzlich vergeffenen Dann
zuerft wieder ans Licht 3083).
Im Zufammenbang hiermit gewinnt folgende merfwürbige
Aeußerung Leffings befondere Bedeutung: „Ste wird gewiß Tommen
die Zeit der Vollendung, da der Menſch das Gute thun wird, weil
e8 das Gute ift, nicht weil willfürliche Belohnungen darauf geſetzt
find. — Vielleicht dag gewiffe Schwärmer des 13. und 14.
Sahrbunderts einen Strahl diefe8 neuen Evangeliums
aufgefangen hatten” 4). Das neue Evangelium, nach welchem er
15 Er. nannte das Chriſtenthum geradezu fein Vaterhaus, aus welchem
er ſich durch Teinen intoleranten Heuchler (Göte) heraus werfen laſſen werde.
2) Bol. oben ©. 470.
3) In Leſſings Collectaneen (ed. Maltzahn Lpz. 1857 Bd. XI, 2 ©. 325 —339)
finden fih Spridwörter au8 der Sammlung Francks.
4) Gelzer Dr. H. Die deutſche poetifche Literatur feit Klopftod u. Leffing
u.ſ. w. Lpz. 1841 ©, 35,
485
fich ſehnte, erblicte er mithin angekündigt in jenen „Schwärmern”,
welche die „Brüdergemeinden“ als ihre Wortführer verehrten.
Bon diefem Standpunkt aus erklärt ſich auch die Thatfache,
dag ein Mann wie Leffing, in deſſen Adern im Ganzen fo wenig
berrnbutifchen Blutes floß, Doch gegen biefen verfümmerten Neft
einer großen Vergangenheit ftet8 eine gewiſſe Pietät an den Tag
gelegt bat. Er fühlte, daß bier Ankflänge an die Tendenzen vor-
lagen, die ihm als das neue Evangelium der „Schwärmer“ vor-
jchwebten.
Und wenn man nun auf Lejfings religiöfe Gedanken achtet,
jo ift e8 ganz frappant, wie eng er ſich an bie Grundſätze ber
altevangelifchen Gemeinden in vielen wichtigen Tragen anſchließt.
„Genug“, jagt er einmal, „wer Gott leugnen kann, muß fih auch
leugnen Können; bin ich, fo ift auch Gott. Er ift von mir zu
trennen, ich aber nicht von ihm. Er wär, wär ich nicht. Und
ih fühl was in mir, was für fein Dafein ſpricht. Weh
dem, der es nicht fühlt und doch will glücklich werden, Gott aus
dem Himmel treibt und dieſen ſucht auf Erden“!). Wer erkennt
bier nicht die innere Stimme, wie Dend fie fahte?
Ferner: „Die Religion hat weit höhere Abfichten als ben recht-
ſchaffenen Mann zu bilden. Sie fest ihn voraus, und ihr
Hauptzweck ift, den vechtichaffenen Mann zu höherer Einficht zu
erheben”. Doch können „dieſe höheren Einfichten, neue Beweg⸗
gründe, vechtfchaffen zu handeln, werden”. Liegt hierin nicht jene
Wahrheit, daß der Wille zum Guten die Vorausſetzung rechter
Erkenntniß der Worte Chrifti und aller Religion bildet?
Leffing war es, welcher im 18. Jahrhundert zuerſt bervor-
gehoben hat, daß der hrijtliche Glaube am reinften und belliten in
den apojtolifchen oder altkatholifchen Jahrhunderten geleuchtet bat,
an welche befanntlich auch die „Täufer“ anfnüpfen wollten. Und
er fprach den von letteren verfochtenen Gedanken aus, daß das
Neue Teftament in feiner heutigen Form als Canon des Neuen
Bundes gerade in jenen Jahrhunderten noch gar nicht eriftirt habe 2),
1) Ueber die menjchliche Glüchkſeligkeit I, 203.
2) Leffing fagt: „Der Buchſtabe ift nicht der Geift und die Bibel ift nicht
die Religion. Folglich find Einwürfe gegen den Buchftaben und gegen bie Bibel
%
486
daß mithin die erften Chriften zwar wohl die Befehle Ehrifti, aber
nicht die zum Theil erft fpäter entjtandenen Briefe und Bücher
als unfehlbare Lehrnorm bejeflen und benußt haben könnten. ‘Den
Standpunkt der erften Chriften aber erklärte er als den einzig ver-
nünftigen, und bier wollte er felbjt feine Stellung nehmen. „Es
wird eine andere Zeit kommen und e8 wäre Schade, wenn fie nicht
fommen follte, da ed der Wohlanftändigfeit gemäß fein wird, ein
guter Chrijt zu heißen, fo wie es jetzo bie Artigkeit erfordert,
fih für nichts fchlechteres als einen Atheiften — jo lange man
gefund ift — halten zu Lafjen‘ N).
Ebenfo evident ift die innere Veriwandtfchaft, welche Kants
Lehre in vielen wichtigen Punkten mit den Hauptgefichtspunften ver
altevangeliichen Wortführer des 16. Jahrhunderts Darbietet.
- Schon früher hat Albrecht Ritſchl von der Theorie Kants in
einer wichtigen veligidfen Trage wörtlich gefagt: „Diefe Idee Kants
ift nichtS weniger al8 neu. Denn fchon der Wiedertäufer Job.
Dend bat die ethifche Autonomie des einzelnen Subjekts mit dem
Gedanken der nothwendigen Straffatisfaction für die begangenen
Sünden dur die Annahme ausgeglichen, daß der Wiedergeborene,
indem er in feine urfprüngliche Verdammniß willigt und fein Fleiſch
tödtet, die Geltung des Geſetzes zur Beftrafung feiner früheren
* Sünden berftelle" 2).
Es iſt möglich, ja wahrfcheinlich, daR beide Männer felbftändig
auf den gleichen Gedanken gekommen find, aber dies ift ficherlich
doch nur dadurch geſchehen, daß fie von fehr verwandten Principien
— —— — —
nicht eben auch Einwürfe gegen den Geiſt und gegen die Religion. Denn die
Bibel enthält offenbar mehr als zur Religion gehöriges; und es iſt bloße Hypo—⸗
theſe, daß fie in biefem Mehreren gleich unfehlbar fein müſſe. Auch war die Re-
ligion ebe eine Bibel war. Das Chriftenthbum war ehe Evangeliften
und Apoftel gefhrieben hatten. Es verlief eine geraume Zeit, ehe der
erite won ihnen fchrieb, und eine fehr beträchtliche, ehe der ganze Canon zu Stande
kam. Es mag alfo von diefem noch foviel abhängen, fo kann doch
unmöglich die ganze Wahrheit ver Religion auf ihm beruben“.
1) E8 verdiente der Einfluß, welchen die altenangelifche Literatur auf Leffing
gehabt, einmal eine nähere Unterfuhung Natürlich müßte man babei auch bie
Ausläufer der Quäker, die englifchen Deiften, berückſichtigen.
2) Ritſchl Rechtfertigung und Verſöhnung I, 454.
487
ansgingen. Und in diefer Richtung find die religidfen Strömun-
gen, in denen Kant erzogen und aufgewachfen ift, unzweifelhaft von
großem Einfluß gewefen.
Der Philologe Ruhnken in Leyden, Kants Mitfchüler, schreibt
im Jahre 1771 einen Brief an Xebteren, in welcbem er den Jugend⸗
freund daran erinnert, wie fie vor 30 Jahren gemeinfam in der
„Lehre der Fanatiker“ (Schwärmer) unterrichtet worden
feien !).
Kant ſelbſt fpricht fich über die religidfe Nichtung, welche for
wohl im Haufe feiner Eltern, wie in feiner fonjtigen Umgebung
berrichte, folgendermaßen aus: „Man fage dem Pietismus nach,
was man wolle, genug, die Xeute, denen cr ein Ernſt war, zeichneten
fih auf eine ehrwürbige Weife aus. Sie befaßen das Höchſte, was
man befiten kann, jene Ruhe, jene Heiterkeit, jenen Frieden, der
durch Feine Leivenfchaften beunruhigt wurde. Keine Noth, Teine
Berfolgungen fetten fie in Mißmuth, Feine Streitigfeit war ver-
mögend, fie zum Zorn und Feindſchaft zu reizen”,
Die Mahnung, welche die Mutter ihrem Sohne Emanuel tief
in die Seele geprägt batte, lautete: „Ihr follt Heilig fein“),
und wirklich durchzieht Kants ganze Philofophie der eine große Ge—
danfe, daß als die Aufgabe alles Lebens die Sittlichfeit oder ber
Wille zum Guten betrachtet werden müfje?).
Wenn e8 nun wahr ift — wie e& denn in der That wahr ift
— daß „pie Fortbildung der Erkenntnißmethode durch Kant zugleich
die Bedeutung einer praftifhen Wiederberftellung des
Proteftantismus befigt" (Albrecht Ritſchl), fo leuchtet ein,
1) Ruhnken an Kant: „Anni triginta sunt lapsi, cum ulerque tetrica illa
quidem, sed utili nec poenitenda fanaticorum disciplina conlinebamur“. S. ben
Aufſatz Feuerleins in den Philoſ. Monatsheften Hrsg. v. Schaarſchmidt Bd. XIX
Hft. 8 S. 453.
2) Feuerlein a. a. O. ©. 456.
3) E. Fenerlein, welcher a. a. O. intereſſante Enthüllungen über Kants
Verhältniß zum Pietismus giebt, auf die ich hier verweiſe, fagt mit Hecht: „Im
ber Religion innerhalb der bloßen Bernunft mag der Pietismus manchmal Modell
gefeffen haben”. — Vgl. Übrigens auch Zeller Geſch. d. Philof. feit Leibnig.
1873 © 404,
488
daß die Grundgedanken ber altdeutſchen Theologie feit und Durch
Kant eine Auferftehung gefeiert haben, die ihre Wirkungen auf das
ganze beutfche Leben bereits in hervorragender Weife geltend ges
macht bat, und troß des Widerfpruchs, den jerre Ideen noch heute
bei ihren alten Gegnern finden, fich immer burchichlagender geltend
machen wird.
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Sah-Regifer.
N.
ABLE, das gölbne, d. h. allgem. Regeln
der „Brüder“ 337. Bol. Allg. Regeln.
Re ae ung Fr FR im
13—14. Jahrh. 87 f. — Ho tung
der „Brüder“ vor demfelben 256. —
ier, Ceremoniell bei derſ. im 15. Jahr⸗
undert 266. — Auffaffung u. Feier
im 16. Jahrh. 438. — Stellung des
Abendmahl unter den „Heiligen Hand⸗
lungen“ der Brüdergemeinden 440,
Aeltefte, der Einzelgemeinde im
13—15. Jahrh. 223. — Desgl. im
16. Jahrh. 439. — Aeltefte der Ge-
jemmt emeinde (Senioren) heißen
ifchöfe in älterer Zeit 66. 277. —
Dee ‚im 16. Jahrh. 440. — Bol. die
Artikel Bifchöfe, Senioren und Ma-
joralis.
Aeclteften-Rath — Berfammlung der
Biſchöfe 76.
Allgemeine Regeln in Form von Ge-
dichten 39. 141 ff. 150. 199. — Er-
neuerung derf. im 16. Jahrh. 337. —
Vgl. Stufen des 5. Auguftinus.
Altes Teſtament, Stellungber „Brü-
der‘ zu demf. 44. — Betonung alt-
teftamentlicher Lehren durch die von
den Zaboriten beeinflußten Gemeinben
im 15. Jahrh. 314 f. —- Desgl. durch
die Anhänger des neuen Israel in
Miünfter 453 f.
Altevangelifche Zaufgeſinnte, als
hiſtoriſcher Name 367.
arhlarberif e Jahrhunderte 485.
Andachten,
ille, als Form des Got⸗
tesdienſtes 438.
Apoſtel Chriſti: ihr Vorbild als Norm
18f. 289. 300. — Die ihnen von
Chriſtus Übergebenen Bollmachten 19.
— Uebertragung dieſer Bollmachten
rund
Apoftel 376.
Apoftel (Sendboten) der Brübergemein-
den. Sieerfcheinen in den Ouellen unter
folgenden Namen: 1) „Pauperes‘ (78);
2) „Arme‘‘(78); 3), Arme v. Lyon(70);
4)„Beghardi saeculares“ ober einf
„Begharden“ (34, 127); 5) „Bottes-
freunde” (75 ff.); 6) „Freunde“ (75);
7) Die „Bekannten“ (noti), „Kunden“
(76); 8) „©ute Leute” (bons gens)
(256); 9) „Winfeler“ (71); 10) „Ma-
gistri majores* (72); 11) „Zwölfbo-
ten‘’ (71).
Sie erfcheinen auf ihrer Wander-
ſchaft ftet8 zu Zweien 71. 443, —
Der Magister major und minor 72. —
Ihre Tracht 252. 277, 442. — Sie
find Nachfolger der Apoftel Chriſti
(Successores Apostolorum) 71, —
Apoftofifche Succeffion 66. — Reprä-
fentanten ber Gefammigemeinbe ſ. Kir⸗
chenverfaſſung. — Werden im 16. Jahr⸗
undert (unter den Täufern) von den
Ügemeinen Synoden deſignirt und
ſchließlich durch das Loos ausgewählt
443. — Ihre Vorrechte und Bollmad
ten bei Ausübung der Kirchenzucht 67.
— Genießen 20 Berehrung 72. —
Strenge Borbedingungen der Auf
nahme als „Apoſtel“ 251f. — Ihr
Verhältniß zu den Biſchöfen 80. —
Nur tageweife halten fie fih auf an
einem Orte 71. — Ihre „Regeln“ laut
Matth. 10 u.f.w. 73f. — Die „Are
muth“ 69. 245. — Sie tammen häufig
aus den Kreifen der Bauleute, Eifen-
ſchmiede u. ſ. w. 127. — Ihre „Send⸗
499
ſchreiben“ an bie Ehriftenbeit und an] Ausf ließung f. Bann.
einzelne Gemeinden 77. — Ihr Ber- Ausſchweifungen, angebliche, ber
ſternhaͤ —* Begharden u. Beghinen)
128. 233. 272f. — Ihre Zahl 256.
Geheimhaltung der Amtswürde 386.
— Der Titel „Apoftel‘‘ in Bafel 1524
in gewiſſen Kreifen urkundlich nachweis⸗
bar — erg Heber-
tragun ür die „Apoſtel“ gültigen
Borfehriften auf alle Seifliden und
Gemeinden feit dem 15. u. 16. Jahrh.
313 f. 403 Fi — YAusjendung von
„Apofteln“ bei der Synobe der „Wie-
bertäufer” zu Augsburg (1527) 428.
— Stellung in ber Geſammtverfaſſung
der „Zaufgefinnten” 441f. — Mit
dem Zufammenbrud der Gefammt-
verfafiung find fpäter auch die Apoftel
und Bifchöfe weggefallen 441 Anm. 1.
Bol. „Chrifti Apofel“ u. ſ. w.
Apoſtoliſche Brüder als Bezeichnun
ber „Brübergemeindben‘‘ 8.11.34.395f.
Apoftolifche Gemeinden, Vorbild der-
felben 36f. 50. 305.
— Jahrhunderte, Anfnüpfung an die—
(en 6 f 0. u 1 erh
— Kirchenverfaflung f. Kirchenverfaſſung.
— Succeſſion, Forderung derſelben ei
die Bertreter der Gelammtgemeinbe,
nämlich Apoftel und Biſchöfe 19. 57.
66. 223. 314.
— Symbolum 6. 60. 86. 251 (vgl. Got-
te8dienft). .
— Trabition 37.
— Bollmadıten 66. 289.
Arme (Pauperes) f. Apoftel. — Als Bar-
teiname der Brüdergemeinben 5.
— italiſche 17.
— lombardiſche 5.
— von Lyon (vgl Apoſtel) 5. 7. 23f.
299. 360.
Arme Chriſten = „Brüder“ 122. 240.
Armenbibel 321.
Armenhäuſer der Brüder 30f. 224.
Bgl. „Gotteshäuſer“ und „Gottes⸗
Armuth, geiſtliche, im Sinne der Fran⸗
cisfaner 21f. — Kampf der „Brüder“
gegen die „Armuth“ im Sinte von
„Derarmung“ 69. 94. — Belitlofig-
keit der „Apoſtel“ gemäß der Forde⸗
rung Chriftt 69f. 256.
Atheismus im 17. Jahrh. 461.
Auffreiung der Maurer und Stein-
meten 226, vgl. freie Maurer.
Aufruhr, angeblider, der „Täufer“
407. 416,
Brüder 7.
B.
Bann, Kirchenbann 56 f. 67. 109. 224.
250. 291. 405. 420. 438. 442. 476.
Bauhütten, dentſche. Ihr Einfluß
unter ben Gewerken 118 f. 220f. —
Organifation der einzelnen Hütte 217 f.
— Der Bund der fümmtlicden Hütten
218 f. — Tradition über die Grün-
dung de8 Bundes 219 f. — Der erfte
Großmeiter 219. — Die Großhütte
u Straßburg 219. — Kenntniß ber
— Schrift unter den Hüttenbrüdern
220. — Verwandtſchaft der Organi⸗
ſation der „Brüdergemeinden“ und
„Baubütte 222 ff. — Die älteften
Eonftitutionen 225. — Die Sonfi-
tution von 1459 226 f. — Die „Ca⸗
an der Areilter en ren en
enſt“ im Sinne von Pfli ng
228. — Bauleute, Maurer u. f. w.
als „Apoſtel“ der Brüder 209. —
Disciplin und Zucht 229. — Ver⸗
Ihwiegenheit und Gehorfam 234. —
Internationaler Zufammenbang der
Hütten im 14. Jahrhundert 234 f. —
Die Liebhaber des Handwerks 236. —
Das „geiftige Bauen” 237. — Die
„Banbütten‘ gewährten den verfolgten
Brübdergemeinden Sau 236f. — Kai⸗
fer Marimilian 1. beftätigt bie revi⸗
dirte Eonftitution von 1459 im Jahre
1498 318. — Die Capitels⸗Verſamm⸗
hingen zu Bafel und Straßburg 318.
— Die Fhtten-Bruberfaften und bie
erften Buchdrucker 319 ff. — Die „Bru⸗
derihaften‘ und bie „Täufer“ 413 f.
436 f. — Die Bauhütten und Die Ro-
fenfreuzer im 17. Jahrh. 469 f. — Die
Reorganiation in England feit 1717
Baumeifter der Welt als Bezeidh-
nung Gottes 119.
Begharden- und Begbinen-Hän-
fer 27 ff. — Brubder- und Schweitern-
Häufer 28f. — Beghinen — Kranken⸗
ſchweſtern 29 f. — Beguini regulares
und Beguini saeculares 33 f. — Be-
rden — Apoftel 34. 127. — Ihre
Shreitung 35. — Walbenfer, Beghar-
den und Fratricellen 1235. — Ihre
Literatur 128f. — Verhältniß zur Sekte
bes „freien Geiſtes“ 154 f.— Tauler
und bie Begharden 166. — Das
Merſwinſche Beghardenhaus zu Straß⸗
32*
500
burg 173 ff. — Ketzeriſche Begharden“
im 15. Jahrh. 246 f. — Bilchof Fried-
rich Reifer und die Beghinen 272 f. —
Begharden und Beghinen um 1500
303 f. — Luthers angebliche Ideen⸗
Berwanbtfchaft mit den Begharben
1521 360, — Beghardiſche Traditio-
nen unter den „Zäufern“ im 17. u.
18. Jahrh. 475. .
Beichte, Auffaffung berfelben in den
„Brüdergemeinden‘ 88 f. 268.
Belenntnigihriften, Ablehnung fol-
cher in frübefter Zeit 39. — Die Tehre
Chrifti als einziges von ihnen aner-
kanntes Symbol 65. — Betonung
deſſelben Princips feitens der „Täu⸗
fer im 16. Jahrh. 414. — Desgl.
in neuerer Zeit 476.
Bergpredigt, fpecielle Bebeutung der-
felden als ‚Symbol‘ der Brlüderge-
meinben 1 — ALS Grundlage der
Predigt 49 Anm. 3. — Die Berg-
prebigt und die Allg. Regeln 150. —
- Xebren der Bergpredigt 186. — Der
Brüper-Ratehismus und die erapre-
bigt 310. — Bergpredigt und die Lite⸗
ratur der „Zäufer‘ 388 Anm. 4.
Beten, Nitualvorfchrift bezüglich bes
knieenden Betens im 13. u. 14. —3
83. — Desgl. im 16.— 18. Jahrh.
438. — S. Gottesdienſt.
Bibel: Grundlage des Glaubens der
„Brüder“ 37 ff. — Ueberſetzungen aus
der Bibel vor 1203 38. — Desgl. in
den ſpäteren Jahrhh. ſ. Neues Teſta⸗
ment. — Die Bibel in der Bruder⸗
ſchaft der Bauhütte 220. — Commen⸗
tare ſ. Neues Teſtament. — Auffaſ⸗
fung der „Brüder über die Verbind⸗
lichfeit des Canons Alf. vgl. 485. —
Die deutſche Bibel und die beutfchen
Buchdrucker im 15. Jahrh. 334ff. —
Eine Beige Bulgata 336. — Die
vorlutheriiche beutihe B. 334f. —
Haben die „Wiedertäufer‘ ihre Ideen
aus Luthers deutſcher Bibel entnom⸗
men? 394. — Die Wormier „ZTäu-
fer⸗Bibel“ v. 1529 432. — Die Täu⸗
fer des 17. Seh. und die vorluthe-
rifche deutſche Bibel 336.
Bifchöfe der Brüder, Ihr Verhältniß
u den Apofteln |. Apoftel. — Seit
en 12. Jahrh. nachweisbar 23 Anm.
3. — Biſchöfe im 13. Jahrh. 79. —
Biſchof Johannes in Straßburg 1212
26. — Biſchof Friedrich Reiſer (F 1458)
261 ff. — Deutſche Bilchöfe im 15.
Jahrh. 276 ff. — Deftreichiiche Biſchöfe
im 13.1. 15. Jahrh. 79. 273. — Böh⸗
miſche Biſchöfe 290. — Lombardiſche
Bil Hi im 13. Jahrh. 79. — Schwei⸗
zer Biſchof Marmeth 265. — Abzeichen
der Wilrde 265. — Tracht 277 Anm. 2.
— Apoſtoliſche Succeſſion ſ. dieſe. —
„Biſchöfe“ unter den „Brüdern“ des
Baſeler Freundeskreiſes im I. 1524
nachweisbar 387. — Biſchof Wilhelm
Farel (1525) 386 Anm. 3. — Biſchöfe
ber „Brüder“, die man „Wiedertäufer“
nannte (1527) 427. 442. — Biſchöfe
im 17,, 18. Jahrhundert in Deftreich“
Ungarn 441. — Mit dem Zerfall der
Geſammt-⸗Verfaſſung gleichfalls weg⸗
gefallen 440, — An ihre Stelle treten
ie „Aelteften‘‘ 440. — Vorrechte und
nltionen ber Biſchöfe 79f. 440. —
gl. „Senioren“.
Blutvergießen, Wiberwille der, Brü⸗
ber‘ gegen jebe8 Blutvergießen 49.
Vgl. „Hinrichtung“, „Krieg“.
Böoöſe Geiſter ſ. Dämonen.
Bons gens ſ. Apoſtel.
Bruberigaft f. Baubütte,
— — Gapitel 375.
— zum beiligen Kreuz 236.
—, bimmlife 375. 388,
— zum Simmel 328,
— zum „rofen Kreuz‘ 468 ff.
— zu Brügge, deren Patron ©. Johan⸗
Bruder- und Schweftern-Häufer
f. „Begharden und Beghinen“, desgl.
v ee uſche, und bie beutfee
uchdrucker, veutiche, und die deut
Bibel, ſ. Bibel,
—, die, und die Erneuerung der altevan-
geliichen Literatur des 14. Jahrh. 320 f.
—, innige8 Verhältniß zu Klinfilern u.
Gelehrten zu Nürnberg und Baſel
(1460—1525) 321f.
Buhdrudertunft, Verhältniß ber
Dfficinen zu den Baubütten |. Bau-
hütten.
C.
Canon ſ. „Bibel“.
Capitel der Baubütte zu Straßburg
und Regensburg (1459) 227. — Zu
Dal (1497) und Straßburg (1498)
— der Brüdergemeinden (= Synoben)
um 1350 82f. — Capiteld-Berfamm-
lungen der „Brüder die man „Zäu-
fer nannte (1524) 375 ff. — Bal.
„Verſammlungen“.
501
Capitel-Brüder 375.
Chriften, als fpezifiiche Parteibezeich-
nung. der Brüder 5.
f. Pauperes.
enfatz wichen rechten und fal⸗
. Titelchriſten.
Chriſti Agren Worte, Gebote als „Ca⸗
non’ und „Bekenntnißſchrift“ (Sym⸗
bol) ſowie als unfehlbare Lehrnorm
rüdergemeinden 41 ſi Chriſti
Anweiſungen an ſeine Apoſtel als
Grundgedanken der Kirchenverfaſſun
ee nen Jun keit 67 fi.
— Chrifti Lehre gegenüber dem Pau⸗
liniſchen hrtygu⸗ bezůglich des Sri ⸗
rens 53. — Desgl. in Bezug auf die
Willensfreiheit 58. — Betonung ber
Gebote Chriſti (evangelif Gebote)
im Katechismus des 15. Jahrh. 308.
— Worte Chrifti 315. — Betonung
der Befehle Chrifti bei den „Zäufern‘“
des 16. Jahrh. 405. 414. 437
Desgl. bei den „Taufgefinnten‘ 476,
— gl. „Neues Teſtament“, „Berg⸗
predigt“.
— Vorbild, die darin enthaltenen Vor⸗
ſchriften für die „Chriſten“ 43 f. 111f.
150, 195. 284. Vgl. Nachfolge Chriſti.
— Opfertod ſ. Erl hung,
Chriftus als einziger Mittler |. Heils-
mittel.
Eollatien 400.
Eoncilien ſ. „Sapitel“ und Verſamm⸗
tungen.
Congregationes laborantium 31. —
Bol. Armenhäufer.
en tonenberBanbikten ſ. Ban-
en.
Cultus f. Gottesdienſt.
D.
Dämonen, Auffaſſung der Brüder über
dieſelben 59 f. 394. — Bal. Teufel.
Deutſche Bibeln f. Bibeln.
— Literatur der Brüder im 14. N
Gebichte vor 1260 39. — Proſaſchrif⸗
ten 123 ff.
— Theologie (Zractat) 170 ff. 341 f.
471
— als Wiſſenſchaft, Edart Begrän-
ber berfelben 162f.
Dialonen als erfie Stufe (Ordo) der
Berfaflung ver Einzelgemeinde 80.223.
439
Diener des Worts (Ministri) 78. 82.
265. 439.
Drei, ſymboliſche Bedeutung der Zahl
Evangeliſche als
drei |. Symbolil, — Drei hohe Tu⸗
genben (Pflichten) 202. 203. 267. 307.
Dreied |. Winkel. Ob ibentifch mit
culmen? 120.
Dreieinigfeit ſ. Trinität.
€.
Eid, Berbot des Saure in der Berg-
rebigt 53ff. — Warnungen des h.
Fee vor d. Schwur 61. — Paulus
über das Schwören 61. — Verbot bes
Schwörens im 13. Jahrh. 6. 53f. —
Um 1400 245. 250. — Im 16. Jahrh.
. 409, — Zufammenbang ber Lehre v.
Eid mit der befonderen Betonung ber
Worte Chrifti 53f. 315.
Ehe, zu den „Heiligfeiten‘ gehörig 440.
Enthuſiasmus 472 Anm. 1.
Erbfünde. Die „Brüder“ kennen die—
elde in der innerhalb ber herrichen-
en Kirche Überlommenen Begriffsform
nicht 89. — Es ſcheint eine völlige
Vebereinftimmung über diefen Punkt
unter ihnen nicht vorhanden geweſen A
ein 56. — Luthers Betonung der Erb⸗
ünde 355. — Grundbifferenz 356 Anm.
Erfenntniß - Brincipien zw.
Quellen ber religiöfen Wahrheit:
Anlehnung an bie urſprungü ſten
Duellen 41f. — Canon, ſ. Canon.
j. Bibel. — Chriſti Vorbild, ſ. dieſes.
— Erleuchtung, innere, abhängig von
der Heiligung des Willens 42. 45ff.
357ff. 485. — Mißverſtändliche Auf⸗
faſſung der inneren Erleuchtung im
15. Jahrh. 313.
Erlöſung durch Chriſtus 48. 284. 351.
arteiname von
den „Brüdern“ der Züricher Gemeinde
gebraucht (1522) 400.
— Gebote bezw. Geſetz 43. 111.
Evangeliſten (Evangeliere) als geift-
liches Amt 272. 387. 439.
F.
eindesliebe, Gebot derſelben 55.
ormularbücher für Ritualvorſchrif⸗
ten 250. 256ff. 272. 336. 441.
reie Maurer 227..Bgl. Auffreiung.
reimaurer, Bund ber 474,
reier Wille f. Willensfreibeit.
reigeifter = Täufer 472 Anm. 1. —
Treien Geiftes, Selte des, 124. 153 ff.
— Freigeiftige Schwärmerei 21. —
Freie Täufer 462.
Freunde = Öottesfreunde, Apoftel 75f.
502
®.
Gaftfreunpfhaft, Pflicht der „Chri⸗
ſten“ 84. 268.
68
Gebet re . Vater unfer.
—, ſtilles ſ. Andachten.
Gedichte im 13. Jahrh. 39.
Gehorſam u. Verſchwiegenheit |. Ver⸗
ſchwiegenheit.
Geiſtliche ſ. Prediger, Biſchöfe, Ael⸗
teſte, Diener des Worts.
Gemeinde Chriſti, im Gegenſatz zur
Gemeinde der Welt 76. 202. — Merk⸗
male ber rechten Gemeinde 43. 65.
308. (Bol. Kirche.) — Die rechte Ge⸗
meinbe al8 Trägerin des Geiftes Chriſti
65.
— der Gläubigen: Die Mitwirkung bei
der Kirchenzucht und bei der Wahl ber
„Diener des Wort“ 67. 109, 110.
— Verwandtſchaft ihrer Organifation
mit der der Bauhbütte 225. — Die
Gemeinde al8 Grundlage der Kirche
106. — Gemeinde⸗Kirche im Gegenſatz
zur Staatskirche und Priefterficche 67.
— Die Gemeinde joll feine Fege
emeinſchaft, ſondern eine freiwillige
ereinigung von Gläubigen fein 405.
Gemeinfames Leben der Brüber- und
Schwefternhäufer (Begbarden- und
Beabinenhäufer) 28. u
Gerichte, öffentliche, Meidung derfel-
ben jeitens der „Chriftenbrüder‘ 52. |.
— Desgl. durch die Hüttenbrüber 228.
„Geſetz Gottes, wie es Chriftus
offenbart bat“ 19. — Gele Chrifti,
f. Chriſti Befehle u. ſ. w.
Gewiſſensfreiheit, Kampf der
„Brüder“ für bie 50f. 291f. 406.
421. — Stellung Luther dazu 361.
449. — Desgl. der Übrigen Reforma-
toren 459.
Glaube als alleiniges Heilsmittel 249.
—, Liebe, Hoffnung 267. 367.
Glaubenszwang 1ff. 15. 110f. 361.
364. 421. 423, Bal. Gewiſſensfreiheit.
Gnade, göttliche, ihre umvermittelte
Wirkung 57. — Feithaltung an ber
göttlichen Gnade 58. — Das Voll⸗
ringen des Guten ift nur durch die
Gnade Gottes möglih 59. — Gnade
und Wiedergeburt 389.
Gottesdienft und Eultus der Brü⸗
dergemeinden. Allgemeine Principien
63? — Anflug an die älteften For⸗
men 64. — Einfachheit des Cultus
64. — Bedeutung der Predigt im
Gottesdienſt 81. 86. 439. — Stille
Andachten 438. — Sauegotteebieufie
49. 83f. 258. 438. — Gottesdienfte
außerhalb der Kirchen (im Freien) 25.
84. — Antipathie gegen fteingewölbte _
Kirchen 85. 177. — „Gottespienit‘‘ ==
Pflichterfüllung 222. 228. — Gottes-
dienft in der Landesſprache gehalten
38. 84. 251. — Gottesbienft, innerer
und äußerer 307f. — Gebetsorbnung
251. — Gebete ſtets kniend verrichtet
83. 438 vgl. „Gebet“. — „Stein⸗
haus“ = Kirdeim 13. Jahrh. gebraucht
84. — Symbolum Apostolicum im
Gottespienft nicht vorgefchrieben 251.
— Das „Bater unfer” beim Gottes-
dienft 251. — Lektüre des Neuen Ze-
ſtaments religiöfe Pfliht 45. Bal.
die Stichworte: SHeiligfeiten, Abend⸗
mahl, Taufe, Beichte u. |. w.
Gottesfreunde in den Beghardenhäu⸗
fern 34. — Gottesfreunde = Arme von
Lyon (1260) 76. — Amici und nuper
conversi unter den Waldenſern 76.
Dal. Apoftel.
—, Erneuerung ihrer Fiteratur feit der
Erfindung der Buchdruderfunft 336.
— in der Roſenkreuzer⸗Literatur des
17. Jahrh. 469 Anm. 2.
—, heimliche 188. 205.
Gottesfreund, der, au8 dem Ober-
land 176ff. — Sein Verhältniß zum
Merſwinſchen, Gotteshaus“ in Straß-
burg 176. 180. 182. — Stellung zum
Mönchthum 1935. — Hat Sacra⸗
mente geſpendet und Beichte gehört
207. — Auffallende Kenntniß bau
techniſcher Dinge 210f.
Gotteshaus — Armenhaus (Beghar-
denhaus, Bruder- und Schweitern-
aut, Fluchthaus) 30.32. 174 ff. 177.
— der Merjwine in Straßburg Beghi-
nenbaus 175.
Großmeiſter, erfter deutfcher 219. —
Wappen des Großmeifters 318. —
Großmeifter der Brüderſchaft in Eng-
land 473,
Gute Leute f. Apoftel.
Handanflegung (Weihe) ald aus⸗
fchliegliche8 Vorrecht der Biſchöfe (Ael⸗
teften, Seniores) 79f. 440. — Sie
vermittelt die apoftoliiche Succeffion
66. — Die Eribeilung der Hanbauf-
legung durch einen Biſchof römifcher
eihe von den Brüdern als rechts⸗
503
fräftig anerkannt 270. — Fortdauer
der Handauflegung bei den Zäufern
und Taufgefinnten 440. — Webergang
bes Vorrechtes auf die „Aelteften‘‘ der
Einzelgemeinden 440
Hausgottespien — Gottesdienſt.
vbciuiseꝭ — Gläubige, Chriſten 249.
7. 4
— Beſeitigung derſ. 258.
Heilige Handlungen = Sacramente.
Bermeidung des Namen! „Sacra⸗
mente‘ 440. — Die Brüder kennen
bi8 in das 18. Sahebunbert vier heilige
Handlungen: Taufe, Abendmahl, ci.
— — 2 Um, al
eriftiren „teben Heiligkeiten“ —
J l. „Sieben“ und „Sacramente“.
Heilige Schrift |. Bibel.
zulizteten R &e Deilige Zandlungen.
Heiligung un
Heilsmittel, ee Seifsmittel ift
Chriſti Geift_56.
Hütte f. Baubütte,
J.
Inquiſition ſ. Glaubenszwang.
Inſpiration der h. Schrift 47.
K.
Katechismus der Brüdergemeinden 44.
257 ff. 296 ff. 303. 307 ff. 337 f. 437.
Katholiſch, be eihnung, welche auch
von den „Brüdern“ in Bezug auf
ihre Gemeinfchaft gebraucht wi 122.
Ketzerſchulen 25. 233. 306. 396. 399.
401.
Keterftrafen ſ. Glaubenszwang.
Kinbertaufe, anftatt der Kindertaufe
inſegrun der Neugebornen 437.
aufe.
Kirchenbann ſ. Bann.
Kirchenbau, Grumbfäße und Tradition
in Betreff deſſelben 84 f. 177.
sirgenbegeiti der Brüder 56. 65.
Bol. Kirchenverfaſſung. —
— 5 Sirdenbenait 361.
Kirchenlieder ber Brüder 368. 438,
— Lutheriſche Kirchenlieder 368.
Kirchenrecht ber Brübergemeinven,
niebergelegt im Defensor pacis 103 f.
Kirchentaufe f. Taufe
Kirdenderfaifun ber Brübergemein-
den. Allgemeine Frincipien berfelben
63 ff. 436 ff. — Anlehnung an bie
Einrihtungen des Gemeindelebens der
Fa hr Jahrhunderte 64. — Kir⸗
nbegeifi 65. — Apoſtoliſche Succef-
fon 6 Gemeindelirche im Gegen-
t der „Diener bes
orige 67. — Kirchenz u 67. —
Bebeutung d. Befehle Hei iMattb.
68. — Bertretung ber Gefammt-
gemeinde durch Apoftel und —5
8ff. 79f. 223. 440 f. — Allgemeine
Synoden 82. 248. 441. 479. — Mo-
natsperfammlungen, Vierteljahrsver⸗
famnlungen 441. — Die drei Stufen
(Ordines)" ber kirchlichen Verwaltung
Inner) el ber Geſammtgemeinde wie
elgemeinve 79. 439. 441. —
5 Beraftu ng der Ein Tarıgemeine 79.
Vgl. die Stichworte Apoftel,
aipoftoliiche Succeſſion, Bilchöfe, ae
tonen, Handauflegung, Eoangeliften,
Synoden, ——— (Sym⸗
bole) u. ſ. w
Kirchenz udt f. Bann.
Krieg. Blntvergiehen, Waffengebrauch.
L.
Lebensregeln ſ. Allg. Regeln.
vehren, De gemeinden (Magistri) 71.
——— Kampf der Brüder
egen dieſ. 479. Vgl. Sklaverei.
Libertinismus, angeblich auf dem
Boden der „deutſchen Theologie“ er⸗
wachſen 472.
Licht als Symbol 214.
—, äußeres und inneres 48. 122. 137ff.
Lichter, die großen 119.
— unſeres Heils 122.
Liebe als Grundforderung 59.
Liebhaberdes Handwerks 236. 319.
320. 469. Bgl Bauhütte,
Lieder, ſ. Gedichte und Kirchenlieder.
Loge 474. Bol, Hütte, bezw. Bauhütte
und Bruderichaft.
Lo 58, ‚Anwendung befielben bei Wahlen
M.
Magister und Magistra in den Bru-
der- und Schweitern-Häufern 72.
Magistri der Gemeinden |. Lehrer.
— barbati 11, 12. 34.
— majores et minores 72. 299. Bgl.
oftel.
Maroelis 714. 223. 276.
Ministri f. Diener de8 Worts.
Möndthum bezw. Mönchsorden, Ver⸗
hältniß der Bruͤder zu gdenſelben 20 f.
92. 140. 193. 196. 385.
Monatsverfammlungen |. Ber-
fammlungen.
Ies zur Aricherhrche und Staatskirche
Wahlrecht
504
Myſterien der Bibel, ‚Stellung ber
rüber zu denſelben 55. 60.
Myſtik 163. 174. 193 f. — Sinftuß
der [78 Myſtik auf die bildende Kun
213 ngeblide myſtiſche Ver⸗
irrungen ber „Gottesfreunde“ 197. —
Staupis und bie „Myſtik“ 339. —
sutber und die Myſtik 361. — Wider»
prücde der Gelehrten in Bezug auf
ie angebliche Myſtik im Lut
und Täufertbum 389,
N. |
Nachfolge Ehrifti, ‚Unterfchieb ver
Auffaſſung zwiſchen Franz v. Aſſiſt
und den Brübern 21f. — Bedeutung
der Nachfolge in der Lehre der Brüber
435. — Betonung der Nachfolge in
den Kal. Regeln‘ der Brüder 142.
— Die Nachfolge in den Schriften
des Gottesfreundes im Oberland 191 f.
203. — Desgl. im Katechismus der
Brüder 310. — Staupitz' Betonung
der Nachfolge 347. — Luthers Aeuße⸗
rungen über bie Idee ber Nachfolge
1
351.
Nachfolger Chrifti a8 Parteibe-
kei nung ber Brliver 16. 45. — Der
ame in der Literatur der Gottes⸗
freunde 148.
Namentaufe |. Taufe,
Neues Teftament: Seine Bedeutung
für die Brüder 37f. 315. — Pflicht
der Lektüre 39. 45. 258. — Ueber⸗
fegungen in der Landesſprache ſchon
por 1203 38. — Desgl. im 13. Jahrh.
in deutiher Sprade 38. — Desgl.
im 14. Jahrh. 259. — Desgl. um
1400 251. — Desgl. um 1430 38
Anm. 3. — Commentare dazu be=
onders beliebt 280. — Anſchauungen
ber das BVerbältnig des Neuen zum
Alten Teftament, |. Altes Teftament.
Neucvangelifhe — Anhänger Luthers
7
Neun Telfen, Buch von ben 131f.
1
— — Neun Stufen 133.
Neun Stufen 133. 201f.
Nothwehr, Recht berfelben innerhalb
gewiſſer Grenzen 52. 420f. 476.
O.
Oberer = Majoralis 276.
Obrigkeit, Ablehnung ne iger
Funktionen feiten® aller Geiftlichen
und Gemeinde» Beamten der Brüber
‘
hum
in älterer ßet 92. — Mißverſtänd⸗
liche Ausdehnung der Lehre von der
Obrigkeit auf alle gemeindenuder ſeit
dem 15. Jahrh. 314. — I. bei
den Schweizer- Brüdern („Wieder⸗
täufern‘‘) im 16. Jahrh. 404. — Er
neuerung. ber älteren Trabition feit
1526 420. — Neuere Auffaffung
Zaufgefinnten 481.
Offenbarung f. Erlenntnifquellen.
Ordinatio ministrorum 78, 250. 257.
Ordines f. Stufen.
P.
Paulinifher Lebrtypus, angebliche
Umgehung deſſelben ſeitens ber Bru⸗
der 45. — In Bezug auf den Schwur
53. — In Bezug auf die Prädeſtina⸗
tion 58. — Seine Bedeutung im
Syſtem Luthers 351f.
BE 55 —— el.
iloſophie Chriſti 24. 161.
— Kants Urtheil über denſ.
Pradefingtion 58.
raepositi ſ. Vorſteher.
Prediger (Diener des Worts), Vor⸗
bildung und Eigenſchaften derſ. 80f.
— F Beſoldung in älterer Zeit 80.
— Bflichten, befonders in Bezug auf
die eigentliche Seelforge 268. — Hohes
Anfeben derf. 265.
Prebigten unter freiem Simmel 25.
— Deren Bedeutung im Gottesdienſt
81. 439. — Auszüge aus Predigten
der Brüder 248f. 266.‘
Q.
Quietismus, angeblicher, der Gottes⸗
freunde 195. -
N.
Race, perfünliche, Verbot berf. 51.
Nationalismus 358. 461.
Rectores als Amt in ben Gemein-
ben 78.
Reformation ber ganzen Welt 475.
Reformatoriſche Tendenzen der Got⸗
tesfreunde 185.
Negeln f. Allgemeine Regeln.
— der Bruder- und Schweitern-Häufer
29. 475.
Rituale für die Abfolution 250. —
Degt. für den Segen 250 Ann. 3.
— Desgl. ber eben 250
Anm. 3. — Ritualformeln, ihre Kennt⸗
505
niß allein den Orbinirten eigen 223.
— Rituale bei der Taufe 437.
N | e als Symbol zeitlichen Leidens 214.
Roſen-Kreuz 468. Vgl. Brüderſchaft.
S.
Sacerdotium 79.
Sacramente, der Name den „Brü⸗—
dern‘ unbelannt 440. — Desgl. ſa⸗ —
amentale Heilsmittel 23. 56. 309, —
©. Heilige Handlungen.
Sata = Anda ten 400.
©
ulen, —5 ulen.
öhmen 293.
S ner ——
meiternhäufer f. Beg inenhäufer.
S wören ſ. Eid,
Seelforge durch Beſuche der Gläubigen
als Pflicht der ante“ (Paftore)
neben der Prebigt
SenbiczeidenbesApofetr 135.206.
Seutor ber Bifchöfe (= Majoralis)
Senioren als Acltefte der Geſammt⸗
geweinge- — Ziſchsfe oder Apoſtel 251.
Bien —8 der Bruder 252. 437.
Gaben bes h. Geiftes 215. 307.
ine Handlungen, ſ. Heiligkeiten.
— Side des chriftl. Glaubens 257.
— Stufen 215.
— Zugenden 45. 437.
— Werke der Barmberzigfeit 215.
Stlaverei, Wiberipruch der Brüder
gegen beren Rechtmäßigkeit 65. 461.
4795. — ©. Leibeigenſchaft.
Speinte Beftrebungen 32. 403.
Spättanfe im Cod. Justin. verboten
— In won c, 1150 geübt 23. —
Sl Tau
Sthtetingenthum, Dppofition da=
gegen 67. 405.
Sieinme eu 121. 217 f. Bgl. 210. —
tte.
Stille Andachten f. „ambachten,
Stufen, Idee ber,
—, ober Staffeln, omborifd gebraucht
— er Volllommenheit 133. 153. 201f.
— ber kirchlichen Ordnung 223. 439,
—, die 30 Stufen des h. Hanfinus 39,
Succef Ruh ion, gboftofiiche, | poſtoliſche.
icher Lehrer 6
Somönte ſ. Befenntnißferiften.
Sympotit 214f. Vgl. Zahlen- Sym-
Synodale Organifation unter Mit-
wirkung ber Taien 479. — ©, Ge-
meinde. Bgl. lan Capitel.
Synoden, gemeinſame, der ſüditaliſchen,
frangäfigen und piemontefifchen Brü⸗
Synode zu Augsburg (1527) 426 f.
— zu Bergamo (1218) 17.
— zu Bafel (1521 f.) 383 fl.
zu Bocholt (1536) 482,5
— zu Herclosber (1447) 276.
— . auf dem Ibers heimer FR (1803) 479.
— in Köln (1556) 478,
— in Köln (1591) 478,
— zu Straßburg (1557) 478,
T.
Taufagende Hubmeierd (1527) 442.
Taufe auf ben gNauben bei den Wal⸗
den —I— 23. — Desgl. bei den
dern in 8 ‚men 285. 286. 292.
— Beginn des Kampfes um die Taufe
jeit 1522 374f. — Wild. Farels An-
ſchauung 386. — Desgl. B. Hub-
meier$ Se, — Desgl. C.v. Schwenl-
felds 389, — Desgl. udwig ibers
390 f. — Biebereinfilfrung erſelb
durch die Brüder in Zürich 407. —
Desgl. in Augsburg 424. — Menno
Simons und Otto Brunfels 425. —
Ceremonial bei der Taufe 437. —
Eine Roſenkreuzer⸗Schrift über bie
Taufe 471,
Teufel, Reich des 59f. — Bol. Dä-
monen.
Titeldriften 122. 353.
Todesftrafe, Mikbilligung derſelben
50. 250. 406,
Toleranz 291. 477.
Trinitätslehre 56. 60,
V.
Vater unſer, das, ſeine Bedeutung im
Gottesdienſt 86. 224. 251. 308. 408.
Vater — Bilcho 265.
Vehme, weſtphäͤliſche 255.
Vernunft, ihr Verhältniß zu der von
der Heiligung des Willens ausgehen⸗
den Erleuchtung 47. — Luthers an⸗
fängliche u. fpätere Stellung zur Ver⸗
nunft 358
Berl ammlunge n der Brüder⸗Biſchöfe
276. — der Brüder 248. Bol, Sy⸗
noden und Kapitel, Monatöver-
fammlungen ierteljahrsverſamm⸗
ungen, ohresverfamm ungen 441.
74,
506
Berichwiegenbeit, Gebot „orefelben 1 ff. 405. Bol. Glaubenszwang, Ge-
218. 222. 234. 386. twitfen Sfreibeit.
Bolllommene 9. Weltliche Herricaft, Ausübung derfel-
Borfteher, in den Briüvergemeinden| ben durch Geiftlihe92. Bgl. Obrigkeit.
26. 78. 433. 439. Bgl. Praepositi. | Werkleute ſ. Bauleute.
Bulgata, Verhältniß der Brüderbibel Wiedergeburt 59.
zur älteren und neneren Bulgata 259. | Wiedertaufe f. Spättaufe u. Taufe.
Wiebervergeltung, Berbot berfelben
öl f.
W. Willensfreiheit, Kernpunkt des Sy-
Welfengebrung 52. 420f. Bol. ems 58. 154. 199ff. 292. 354 ff.
Schwert, Wehrpflicht, Nothwehr. gl. Gnade,
Wa reiben Gemeinden 67.112.285. | Winkel (Dreied) 260 Anm.
Wa EA et, Setonung dieſer Wunder, bibliſche, Stellung Ger Brise
Pflicht 6. 222. der zu benf. 55.
Wanverprebiger (- Apoftel.
Weberei unter Begharben und Wal⸗
denſern 29. 33. Zablen-Symbolit 201f. Dal. Sym-
Behrpfliät 476 Kam. 2. Bgl. Noth⸗ bolik.
errüttung ber Gemeinden 311 ff.
Be e ſ. Hanbauflegung. ins⸗ —8 gu tenfrage 402f.
Beih, Im Gegenfas Pi „Chriſten“ ei Wege, Gegenfat der 199. 202.
Belitige at in The Bensiodien Zmölfboten f. Apoftel.
Derfonen- und
Orts-Regifter.
A.
Aberli, H. 399. 400.
Alanus 22.
Alban, ©. 381.
Aldertus Magnus 219,
Albrecht Achilles, f. Frandenburg.
Alpen, die cottiſchen 273
Alphons von Aragonien,
Alvarus Pelagius, |. P
Amalrich von Bena, f. Be
Amalritaner 204.
Ambrofius, der Heilige, Perufung der —
Brüder auf ihn 61. 107. 108
Ambsdorf, Nic. 10.
Amerbach, Bonif. 328,
—, Joh. 322. 327 ff.
Amerita 483,
Amman, Iob. 3. 330.
Amore, Guil, de 33 ff.
Andrei, Joh. Bal. 461.
Andreas, Abt zu Emmaus 287.
Angrogne, Ant. Blaſius v. 299.
Ansbach 268.
Antwerpen 29. 234,
Apulien 26. 40,
Aquino, Th. v. 2. 95.
Aquitanien 25.
Aragonien, Alphons einig v v. 22. 24.
— Ferdinand König v. 242.
Arande, Michel d’ 378.
Argentiere 298.
Arminianer 356.
Arnoldi, Joh. 232,
Arnoldiften in Stadien 17. 155.
Asculum, F. v.
Aſſiſi, F. v. 21. 8
Augsburg, Stadt 115. 222. 232f.
338. 370. 420, 423, 424 ff. 426 ff. 427.
443. 444,
—, David von 7.8. 9. 26.38.56. 57.
70. 14, 76. 78. 82. 93. 151. 184.
;Izsonien.
Auguſtinus, der heilige 61. 110. 259.
340. 342.
Juguſtinug Zriumphus 97.
Auſterlitz 28
Avi non, —— 97. 328.
anz Lambert v. 328. 385. 387.
B.
Baden, Ort 400.
—, Markgraf Ernſt v. 463,
Baiern, Herzöge von 274.
—, Herzog Wilhelm v. 444.
Baiersdorf 428,
Bamberg, Stabt 274f. 321.
Karclan, Ro .
Bartho omäus, Apoftelder Brüder 75.
Bartmänner— Diennoniten 12. (©.
Magistri barbati).
Bafel, Stabt 61. 62. 205. 222. 232,
268. 271 ff. 280.301. 305.318. 319,
320. 322. 327, 373. 375 ff. 378f.
390. 392. 411.
—, Nikolaus von 185.
—, Biſchof von 303.
Baumbaner, Sebalb 323. 422.
Bed, Hans 428,
Beheim, Bartel 324, 422.
—, Hand Sebald 324, 422.
Belgien 40, 482.
Bena, Amalrich von 154. 157. 204,
Benediet XL, Papft 101.
— XIV., Bapft 430.
Bentinus, Nichael 330. 374. 383.
387. 395.
Bergamo, Synode zu (1218) 75.
—, Bonagratia von 160.
Berlin dB 483.
—, 90
Bern, Stadt 222. 232. 233. 248, 253,
317. 417
Bern, Santon 411.
508
Berner, Franz 278.
Bethune, Eberhard von 8. 11. 22. 73.
Biberag 427.
Bilik, Hyned 287.
Binder, Eucharius 427.
Biſchofzell 381. 426.
Blahoslav 294.
Blankart, Hent., von garten 179.
Blaurer, Ambrofius
Blaurod, ©. 395.
Bleuler, Lieuh. 405.
Blumſtein, Joh. v. 81. 232.
Bocholt, Synode zu 482.
Boͤblingen 444.
Bödeler, Joh. 232.
Böhmen 23. 205. 231.
—, Joh. König v. 173.
—, Ottokar König v. 25.
Böhmerwald 257. 273. 303. 329.
Böhmifhe Brüder 5. 2er fl
Bonifacius VII, ſt 9
— RX, 230. 240,
Bop ard, Stadt 337,
Borbont, Stepkanus de 26. 74. 90.
15
Boßhard, Mar 406.
Brabant, Waldenfer daf. 25.
Brandenburg, Churfürftenthum 231.
—, ihre t Achilles Churfürſt 378.
ried anaetgraf von 378.
= Gremium
5
—, —438* ir 464.
— Joachim v. 46 3.
—, Joh. Sigismund 467.
Dranbpuber, Polſgang 434.
Brant, Seb. 3
Dredillen, — *8*— 251.
Breiſach, Stadt 305.
Brescia, Arnold v. 17. 21.
Brügge, Stabt 319.
Brit el, Stadt 234.
Bruis, Peler von 18.
Brunfels, Hans 382. -
Dtto 3 25.
Brunsberg, Conr. v. 180,
Bruppacher, Hand 406,
Bucer,
454. 460.
Binderlin, Hans 434.
Bugenbagen, Job. 455.
Bulad 404.
Bullinger, 9. 416.
Burgbaufen 444.
Sure meier, Maler 328.
Burkhard, Begharde 247.
artin 311. 329. 410. A16f.| _
‘
Calabrien 26.
Calvin, Joh. 430. 460.
Eamerarius, Ioadim 301.
Canaye, Jean 373.
375. 421.
Carlſtadt, Andreas 351.
Carteſius 465.
Caſtelberg, Andreas, gen. auf ber
Stülzgen 382f. 399.
Cellarius, Martin 387. 421. 425.
Ceſarini, Julius 272. 274.
Chanoati, Agnes 83.
Chaftelard f. Eoct.
Chelcic 283.
€ dcietn, zo 287.
dena ias von 290.
Chriſtenberg (Kriftanderg), Willy von
era 6öpmifiger Bruber 304,
Chryſoſtomus, d. heilige 61. 110.
€ sur, Stabt 383. 428,
Elairvaur, Bernd, v. 18.
Claneularii 11.
Clemens V., Papſt 30.
— VL, Bapft 1d0,
— VI, Bapft 239.
Coburg, Stadt 280. 427.
Cochläus, Joh.
Coet, Anemun ve Er 395.
Comanber, Joh. 383.
Conrad, Augufin ner Brosingiol 306.
CGonradus de Monte Puellarum 27;
Conſtantin, Kaifer 1. 291.
Conßanz, Stadt 114. 115. 241. 247.
0
Eorbarius, Petrus 123f.
Corvinus, Anton 455.
Gratanber, Andreas 327. 329. 379.
Cremona, Stabi 26.
Crocus, Richard 301. 330f. 384,
Cronberg, Dorf 375. 382. 388.
artmuth von 382.
Eutio, Balent. 327.329.330f.379.388.
Czeden 283.
D.
Dealer Jacob 427. 434.
Dante 18.
Dauphine 25. 298. 384.
David von Augsburg, ſ. Augsburg.
509
Delphinus |. Merjwin.
Dend (Denk, Dengt, Tend, Teng),
Familie 334,
—, Hans (T 1527) 254. 297. 301. 329 ff.
379. 383. 387, 410. 415. 416ff.
432, 462. 470f. 484. 486,
—, Johann (f 1605) 293 Anm. 2.
—, Beltgang (f 1513) 318f, 334.
Deutadh, Dorf 262. 264f.
Dhaun, Graf von, 451.
Didius, Leopold 445.
Dieme, ‚Tuämader 280.
Dietrig v. S. Martin ſ. Martin.
Dietſch, Heinr. 273.
Dindelsbä I, Stadt 231.
Doggius, oeeinins 374.
Dominifaner in Straßburg 278.
Dominikus, der Heilige 266.
Donaumörth, Stadt 231.
Dorind, Dr. Bernhard 451.
Dokinger, Soft 225.
Drakbenfels, Hans 278.
Drandorf, f. Schlieben.
Dresden, eter bon 242,
Dürer, Albr. 318. 323f. 326. 335. 422,
€.
Ebner, Chriftine 163.
—, Hieron. 324, 325f.
—, Marg. 163. 167.
Cd, —* 166. 368. 377.
Edel, Prediger 463.
Edhart, Meifter 24. 129. 157ff. 219.
Eduard IM, König v. England 234f,
Eger, Stabt 303. 321.
Eipftäbt, Bi: Joh. 303.
‚ Bisthbum 3
Einzinäbag, Dorf 24,
Eifenad, Stadt 449.
Eifenhut, Leonh. 320.
Eleuterobion 434,
Elifabeth, Pfalz ln 465.
Eltersporf, Do
Emaus, Stift —
Embrun 298. 299,
Endtfelder, Ehrift. 433. 434. 470.484.
Engelsborf, orf 276.
England 235. 300. 301. 306. 454.
481f.
—, Bauhütte in 473.
—, Peter von, ſ. Payne.
Enfisheim, Ort 445.
Enthusiastae — Waldenſer 9.
Eppendorf, Heinr. v. 382. 425.
Erasmus, Dei. 301. 325. 329, 330f.
374. 335. 388. 407. 435.
Erasmus Stella, |. Stella.
Erbe, Fritz 449 f.
Erfurt, Stabt bi. 340.
Erlangen, Stadt 423,
Ermengarbus 91.
Ernin, Meifter 219.
8 enfelder 337.
Eplingen, Stadt 115. 444.
Eite, Alerander von 167.
a Ca ıl, Papft 18.
Goanäii, tobt 293.
Erel, Wilh. 398.
Eymerid 398.
F.
aber Stapulenfiß, f Stapulenfis.
Barden Caspar 4
Ken Wilh. * os, 386 f. 407.
erbinanb J. deutſcher König 444,
errering, Bincenz 26,
iötelgebirge 257. 273,
inder 428.
ber, Gallus 428.
landern 25.
loren;z, Berka in 320.
Dit, . dv. 298,
Ontcande, Bernd. v. 22.
507, Georg 466.
Pfarrer 224.
3 298, ,
ranciscaner 8
gran! Casp. 4
—, © 414, io. G25. 435. 446. 462f.
rant, Hans 323. 328.
ranten 23. 273ff. 321.
rankenwald 273.
rankfurt a. M. 23.
rankreich 25. 295f. 453.
raterherrn 302.
ratricelli 123. 129f.
rauenlob, 9. 39.
recht, Martin 435.
reiberg, Seb. v. 424.
reiburg i. B. 305. 378.
u Res 16. 232. 253. 265. 269. 271.
riebher Stadt 233. 428,
toben, Kos. 322. 327. 329. 379.
rofhauer 399. 400.
sure Peter 404.
ülistorf, Anguile v. 255.
Herrn v.
Sürer, Speitons 326.
—, Sigism. 326.
girpenberg, Graf 9. v. 232.
ulne
510
G.
Gallen, S. 269. 297. 410. 421.
Garini, Andr. 50.
— 5 Hug. 75.
Gartenbrüder— Wiedertäufer 11.
Gaſtel, Georg 338.
Gaza, Theod. 331.
Gelenius, Sigm. 329.
Gemund, Stadt 1186.
Genf, Stadt 300.
Gengenbach, Pamph. 327.
Genua, Stadt 208.
Gerarbini 302.
Gerundino, F. v. 299.
Gichtel 466.
Glaidt, Osw. 434.
Glarean ſ. Loriti.
Görz 444
Gottfried, Biſchof von Würzburg, |.
Witrzburg.
Grabow, Matt. 302.
Graf, Urs 328.
Graubünden 411.
Grebel, Eonrab 330. 380. 387. 401,
403. 405. 409. 415. 417.
— Jacob, 367. 386. 400.
Gredig, Valentin 398.
Gregor ber Große 61.
—, einer der Gründer der böhm. Brü-
bergemeinde 294.
— XI, Bapft 230.
Grenoble 298. 299.
Gresbeck 451.
Gretfer, Jacob 10.
Grießbach 444.
Groot, Gerh. 302.
Gropper, Joh. 39.
Groß, Jacob 424. 427f.
Großbritannien, Kg. Wilh. J. 1695
473.
— Kg. Jacob I. 465.
Grotius, Hugo 482,
Grubenheimer 9. 11. 205.
Grüner Wörth in Straßburg 179.
180. 190. 201.
Guilelmus de Amore ſ. Amore.
Gulden, Hans 427.
—, Hugo 175.
Gutenberg 320. 321.
Gynoraeus 41T.
Haag 465.
Haarlem, Synode zu 476.
Hader 265.
Häßer, Ludwig 41. 367. 381. 390. 415.
417. 423. 424. 426. 432. 454.
Huſſineez, Nic. v.
Haffner, Lucas 428.
Hagenau, Stadt 233. 306.
Haina, in Franken 426.
Hall, Stadt 115. 268.
Halle, Stadt 434.
Haller, Berth. 417.
Hammelburg, Stadt 322.
Haug, Georg 433.
Hausbreitenbach, Amt 449.
Hausmann, Nie. 361.
Haydeck, Herr v. 264.
Heidelberg 158. 246.
Heilbronn 115. 246.
Heilsbronn 269. 276. 280.
Hemmerlin, Felix 246.
Hemon, Begharde 299.
Hempſtedt, Thomas 224.
Heresbach, Conrad 331.
Herford, Abtei 465. 466.
—, Heim. v. 159.
Hermann, Thom. 394. 434,
geroibsberg 276.
Herrenfhmid, I. D. 434,
Herrnhut 288. 338.
Hervéus 159.
Heffen, Landgräfin Hedw. Sophie 465.
re Fbilipp 447f. 455. 456.
Hieronymus, der h. 57. 61.108. 260.
Hilarius, der h. 110.
Hochrütiner, Xorenz 399.
Hofer, Sigm. 427,
Hoffmann, Wolfg. 326.
Hohenzollern, Haus 464.
Holbein, Hans 328.
Holland 397. 465. 482.
—, Brüder in 473. 478.
Holftein, Brüder in 478.
Holzhauſen 223.
Holzihuber 324. 325. 326. .
Hottinger, Claus 367. 399. 400 f.
Hubmeter, Balth. 305 f. 373. 378.
386f. 407. A15 f. 421. 424. 430. 462.
Hugueta von Vienna 88.
Hugmwald, Ulr. 374. 381.
Hunnius, Nic 472.
Huß, Joh. 241. 242.
243.
Hut, Hans 329. 415. 423 f. 426f. 434.
437.
Hutten, Ulr. v. 301. 337.
3
Jandun, oh. v. 100.
Jaqueta textrix de cumba Rotgier
19. 66.
Ibersheimer Hof (1803) 479.
511
Köln, Synode in 478.
Krafft, Adam 455.
‚ Hans 323,
Kremfer, Seb. 419.
Kriftandberg ſ. hriſtenberg.
Krug, Sans 323
, ubwig 323. 422.
Küßne t 417.
Kunwald, Mattb. v. 290.
Kymeus, Joh⸗ 456. 472.
L.
Labadie 466.
Lambert, F. |. Avignon.
Lancirznii, Fr.v. = Friedr. v. Lands⸗
on 2
Landsberg 444,
Sandsberger, Joh. 433,
Landshut, Stadt 444,
Landskron 304.
Langendorf 322.
sangenmanter, Hans 427. 433,
Laufen, Nic. v. 179f, 182 ff. 203.
tauingen 428,
Leipzig 301. 331. 337. 340. 352.
tening, Joh. 455.
Leo X., Papit 2. 354.
Leoniften 5.
Leonhard, Deufgorbensger 428.
selling 461. 483
Leupold, Hans 1 443.
Leyden, oh, v. 453. 456.
Lhota in Böhmen 286. 287. 390. 407,
Licentius Evangelus ſ. Curio.
Lichtenfels 318.
Ste. he Serzo in Anna 463,
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Lind, —E 345.
Lindenhof 367. 400,
Linz 269. 428.
Lobiis, Joh. de 159.
Sollharden 27. 124. 263. 265. 303.
Sena, Stadt 450.
Andependenten 483.
Ingolſtadt 378. 418. 444.
Innocenz IL, mern 22. 81.
‚ Bapft 5
— vi, Papſt 17a,
— VII, Bapft 298. 393.
Innthal 424. 444.
Johann XXII. Bapfı 30. 97f. 126. 152,
158, 160 f.
Sohannes, ©. 212. 319.
—, ein Zäufer 428.
—, ein Apoftel 83.
—, Bifhof der Brliber 26.
„Begharde in Ulm 247.
—, ber Wälfche 272.
Joͤhanniter in Straßburg 177. 180
Solanta, Herzogin von Savoyen, f.
Savoyen.
Iſidor, der Heilige 61.
Israel, das neue 453. 456,
Stalien 205. 445.
Judenburg, Stabt 427.
Jura, Gebirge 273.
8.
Kaifer (Käfer) 324.
Raijerl, ranbat von 1672 466.
Kant, 3. 486.
Karl IV., Kaifer 116. 130. 167. 173.
181.
— V., Kaifer 364. 395.
—, Beate e 247.
Dergog 0! von Sapoyen, |. Savoyen.
Korlkabt
Katharer 8
Kaufbeuren 44.
Kaunitz, Ulr. v. 287.
Kautz, J. 417. 427,
Kefer, Heinr. 321.
Kemnat, Matth. v. 303. 321.
Kempen, Thom. v. 337.
Kent Lombarbei 25. 99.
Sehen. gJoh. 409. 421. Lombardiſche Brüder 5
Kiel 468. London 234
Lone, Heinr. v. 180.
Lorenz, Meiſter 225.
Loriti, Heinr. (Ölarean) 330.
Lother, 340
Kießling, Hans 428.
Kirchheim 444.
Kitzbüchl 394.
areebetget, Joh. 327.
Kloppriß 454. arbara 323.
Knipperbolling. 456. othringen 75. 421.
Koburger, Anton 321 f. 334, 338. Lucca 130.
—, Hans 323. Lucenſis, Petrus 50. 94.
—, Rudger 263. Lucius Il., Papſt 22. 24. 79.
Ludwig IV, Kaifer 97ff. 126..191.
316. 373. 379. 420. 473,
Ludwig XII. König von Frankreich 299.
Roc, onrad 445.
Köln 23. 217. 219. 222. 302, 317. 331.
—, Heinrich Erb. v. 34. 129,
512
Lübeck 231. 234. Minden 129.
Lukas von Prag f. Prag. Mifa, Iac. v. 242,
zukget Thom. 384. Mittelfranken ſ. Franken.
Luther, Marlin 259. 325 f. 340 ff. 352. | Moneta 26. 79.
360 f. 370f. 385. 394, 402. 430. |Montagne, D. 328,
448 f. 454 f. 460. Montferrat 26.
Lyon 22. 90. 263. 298. 327f. 384. Muhldorf 44.
—, erzbiſchöfl. Official 395. Müller, Hans 406.
— Sam. T.
"Mm Müncdberg 305.
' Münden 425. 444f.
Mähren 231. 306. Münfter, Biſchof v. 129. 451.
—, Brüder in 478, —, Stabt 365. 450 ff.
Maestro Tommado ſ. Tommabo. Münzer, Thom. 369 ff.
Magenberg 253f. 269. Mulberg, So. 233.
Magistri barbati 12. 34. Murmann, Chrift. 424.
Maier, Marr 428, Myconius 380.
Mailand 205. 418, Myſtik 163. 339 f. 389,
Mainz 128. 232. Myſtiker 213f.
—, Erzb. Berthold 334.
—, Erzb. Conrad II. 232. N
—, Erzb. Jacob 305.
Majoriften 459. Naffau, Joh. Graf v. 236.
afrinus, Amabens 395. Naffau-Oranien, Haus 413.
—, Melchior 380. Nazarener, Secte der 4.
Maler, Gregor 428. Neapel 26.
—, Martin 434. MNepos, Jac. 382,
Maller, Thomas 324. Neufchatel, Graf v. 386.
Manuel, Nic. 352. Neuhaus, Procop v. 287,
Manz, Tel. 395. 405. 406. 409. Nicolaus II., Papſt 219.
Mappes, Walther 22. 71. — V., Papſt 28,
Marbed, Pilger. 427. 434, 463. Nicolsburg 421.
Martersrenth 305. Nider 275.
Marmeth, Bilchof 265 ff. Niederlande 25. 302.
—, Hugo 269. Niederrhein, Brüder am 478.
Mariball, Wil. 235. Nördlingen 233.
arfilius von Padua 99—101. 316.| —, Heinr. v. 163. 167.
343, 379. .388, Nospitzer, Georg 428.
Martin, ©., Dietr. v. 159. Nürnberg 23. 144. 222. 231. 263 ff.
mozimitien l., Raifer 317. 473, 274 ff. 294. 319f. 321ff. 335. 338.
Me tenburg, Brüder in 478. 422f. 459,
Medikon 406, Nuzel, Easp. 326.
eigen 245.
Melandtbon, Ph. 448. 454. 455. O
459. 460.
Melander, Dionys 455. Oberfranken 274. 329.
emmingen 427. Oberitalien, Brüder in 488.
enius, Juſt. 370. Oberpfalz 275.
Menno, Simons 420. 425. 435. 443. | Occam, Wilh. v. 160.
476. 478, Ochſenſtein, Joh. v., Bild. v. Straß-
Mennoniten 12.356.397f.474ff.480.| burg 127f. 131.
ereurian, Eberh. 166. 168, Ddenfuß, 9. 399.
Meriwin, Rulm. 132 f. 168. 175.177f. | DOecolampad, J. 82. 311. 329ff.
189, 205. 211. 370ff. 383f. 390. 425.
Methodismus 281. Deftreich 24. 205. 444,
Methopiften 61. 143. 281. —, Leop. d. Glorreiche 24. 25.
Met 23. 205. —, Herzog Rudolph IV. 118, 318.
Meuflin, Wolfg. 460. !Dettingen 444.
513
Oldenbarneveld 482.
Dranien, Louife Henriette v. 465.
—, Wilh. v. 397. 465.
DOrtliebarier 124. 156.
Dfiander 459.
Osnabrück, Biſchof v. 129.
Sſifriestand 384.
Oſtpreußen 40.
Dtmar, Hans 338.
—, Sylvan 338,
Dtto IV., Kaiſer 24.
Öttofer. bon 1 Böhmen ſ. Böhmen.
Orford 264
P.
Pabua, „arfifius v. 99ff. 235. 316.
Boris 288. 330.
Paſſau 25. 234. 444,
—, Ss bu f. Nospiter.
—, Otto v. 337.
Baul IV, —78 418. 430.
nenne, Peter 249. 264. 270f. 283.
Pelagius, Alvarus 66. 121. 125ff.
156f. 182. 209.
Pellikan 329f.
Penn, William 466.
Penz, Georg 324. 422,
Peroſa 24.
Perrotet, Antonie 280,
Petri, Joh. 322. 327.
Petrus, Bfeftiner- Provinzial 230.
‚ Begharbe 33.
—, Inquiſitor 52.
— Lucenſis 50. 94.
Peypus, Fr. 322. 338.
Pfa ‚8 der in ber 478,
— urf. riedr. 4
—— Denck.
ilippus, Prior 159.
— 25.
Vidarden 287. 292.
Piemont 25. 26. 82,
Vietiften 61. 481.
Bilgram 24.
Bir ram, Nic. dv. 270f.
ilichdorf, Peter 240,
Pirkheimer, Willib. 305. 330. 370.
Plantin, Chriſt. 171.
Plauen, Hans v. 263.
Polen, Kg. Ladislaus v. 465.
Pomeſanien 418.
Pommern 231.
Pomponius Mela 380.
Keller, Die Reformation.
Poncher, Steph. 330.
Stadt 270f. 282.
mbroſ. v. 287.
ieronym. v. 241. 243.
ucas v. 290. 294,
—, , Martin von 230. 231.
Prelauz, Thom. v. 290.
Preußen, Albr. v. 378. 463.
Procop d. Große 275.
— v. Neubaus, |. Neuhaus.
Provence 25. 40. 298,
Pfeudo-Reiner 5f. 17. 25. 37. 44,
St. 54. 59f. 66. 79. 84f. 90ff. 120,
Pur, Barth. 399.
Purchholdsdorf 318.
PBuritaner 483.
Q.
QDuäler 356. 486.
R.
Rebdorf 416.
Reformirte Kirche 466f.
Regel, G. 423.
nee nehurg % 25. 114. 218. 222, 227.
Reiche nau 286 287.
Reihstags-Abfchieb v. 1529 464,
Reinerus Sachoni f. Pſeudo—⸗
Keiner.
Keifer, Baftian 262.
—, ee 26 ir.
edri Off. 268. 272. 279
ee Conrad 327. n.
—, en 323.
Reubli ith. 381.
Reutlingen 114f. 322. 416.
Rhegius, ba 427. 443. 460.
Rhein, Joh. v. 273
Rheinlande 273,
Rbenanus, Beat. 329f. 425,
Rhodus 180,
Rind, Melch. 415. 434,
Rodius, Heinr. 384f.
Rotycana, Georg 287. 291.
Joh. 287 ff.
Rofentreuzer 458 ff.
Rottweil ER
Rouffel, Gerh. 375.
Rudinger, 293.
Rudolf v. Habsburg, Köni En
—, Herzog d. Oeſtreich, |. Oeſtr
Rupredt, ein „„Vottesfreun “ Sn.
Ruysbroed 166. 188,
Ryff, Fribolin 381,
33
914
©.
Saa ß, Verſammlung der Biſchöfe zu 276.
Sab Aa Sabbatati, Infabbatati
— Waldenfer 8. 11.
Sae om, f. Reinerus Sacchoni.
Sachſen, d. Land 244,
—, Churf. Beier v. 323, 448, 449.
—, Conrad v.
Segen Peter, Deärtprer 269,
andronius, Yac. 383.
Salminnen, Sigm. 426, 433,
Salomo v. Solothurn |. Solothurn.
——Aã Foir.
Salzburg 444f.
Sand, Tec. v., Biſchof 270f.
Sandovat, vernh v. 430.
Sangerhaufen T.
Sapidus, Joh. 332.
Sattler, Mich. 420.
Savonarola 167.
Sasoyen, d. Land 24. 298, 398.
ranz Herzog v. 299.
olantha Herzogin v. 298,
—, 9 Herzog v. 298.
Karl UL, Seraog v. 298. 385,
Thomas Graf v. 24.
Shäuf elein, Hans 328,
affbaufen 268. 411.
a Joh. v. 174,
eppach, Peter 427.
eurl, € gi 322. 324fj. 340. 350,
alemer, FO Biſchof d. Brüder
Hiller 483.
7 ower, Joh. 302.
[4 er Hans 329, 423. 427.
leiermader 483,
lettſtadt 305. 319.
Re Joh. v., gen. Dranborff
er ler, Peter, Buchdruder 320.
S gnsperger, Hans, Buchdrucker
Shuker, Lienh. 410,
—, Thom. 410.
waben 268. 303.
wart, Hans 320.
warzburg 7.
warzenburg in der Schweiz 253.
warzwald, Benharben im 304,
wat im Annthal 4
weiz, Waldenſer bat 26. 269. 282,
295. 300.
—, Täufer daf. 286. 333. 403 ff.
—, Brüder daſ. 478,
Schwentfeld, Casp. v. Stellung zur
Taufe 389,
288888 ROSEN
—A— 462f.
weſtrionen 124.
Senftenberg, Mid. v. 287.
Senſenſchmidt, Familie 321.
—, Br Buchdrucker 321.
er i8 321.
Se el, Claud. 299,
Sicilien 25.
Siegen, Land 236
Sigmund, Kaifer 237. 241ff. 270.
274. 279.
guet a Papſt 166.
irtus apft 1
Skuz, Ambr. d. 290,
Socinianer 356.
Solothurn 233. 248,
—, Salomo v. 232,
Spalatin, Georg 341. 342. 385.
Spanien 24. 40.
Speier 116. 227. 233. 245, 447.
Spener, Jac. 10. 61.
Spengler, Laz. 326,
Spiritualen 9, 367. 395. 396 — 404.
Spiritusſer ſ. Spiritualen,
Spitelmeier, Hans 434.
Sponheimer Chronik 304.
Sprengers Hexenhammer 394.
Staprade, Herm. 454,
Stapulenſis, Faber 329.
Staupik, Job. v, |. gwilie 21. —
Prof. in Mittenberg — Berh.
zur Brüdergemeinde 7. 135. — Be.
in Nürnb. öl. — Schriften 340. —
Einfluß auf Luther 342ff. 361. —
Trennung v. Luther 346
Steier (©teyer) 222, 231. 269. 318,
Steiermark 444.
Steinbad, H. 275.
Stella, Erasmus 322.
Stepban, Zulof der Brüder 273.
276. 277.
Stord, Gier. 371.
Siuamota, Hern. v. 287.
Stralen, Gottfr. 454.
Straßburg, Waldenfer baf. 26. 74.
174. 205. 222. 232. 276. 277f. —
de; arben u. Beghinen 148. 174. 201.
ei 217, 218.219. 227.317 ff.
— Verſchiedene Nachrichten 114, 133,
152, 260. 272. 278. 425. 447, 463,
—, —— Berthold v. 167.
of Joh. dv. 127f. 131.
—, Nicol. v. 160,
—, Synode in 478.
Stumpf, Simon 382. 406.
Stuttgart 444.
Sulz 180.
Sulzmatt, Conr. v. 180,
515
Sufo, Heinr. 132. 163 ff. 264. 266.
337.
Sylbeter, Papſt 5. 18, 66. 122. 289. | Vadian,
1.
T.
Tabor 243. 276. 277.
—, Heinr. v. 287,
Taboriten 270. 274.
Tarracone, Coneil v. 8. 25.
Tauler, Joh. 134. 135. 164. 166. 167 ff.
171. 188. 264. 337 ff. 340 f. 357.
Tend f. Denck.
Tengen, von 254,
Tepl, Prämonftratenfer-Abtei 257.
Tetel, Joh. v. 345.
Teufenbach, Bonif. 4118.
Thalheim, Heiur. v. 160.
Thüringen 7. 231.
Thurgau 381,
Tipmanig 444,
Tiſchingen 233,
Toledo, Erzb. v. 407.
Zommado, Maefiro in Florenz 167.
Toffanus, Petrus 330. 387.
Touloufe 30f. 34. 38, 49, 75. 88,
wreil el, Casp., Buchbruder in Lyon
_—, Joh., desgl. 328.
—, Melchior, desgl. 328.
—, Peter 324.
—, Ulrich, Täufer 428.
Tritheim, Joh. 129. 156. 304.
Troger, Elſa 256,
Tſchudi, Aegidius 254.
Tucher, Geſchlecht der 263. 324f.
—, Andreas 326.
—, Anton 318. 323 ff, 422.
. — Berthold 263.
—, Herdegen 324,
—, Martin 326.
Tübingen 444.
Turin 24. 298f,
— 5 Erzb. v. 24. 299.
Turnau, Peter 245.
Tyrol 44f.
u.
Ulm 222. 234, 247. 261. 304,
Ulrich, Pfr., Täufer 390,
Ungarı 40. 205, 419,
Unterfranten 274.
Urban V., Papſt 230.
— VL, Bapft 239.
Uri, Begharben in 247.
Urſinus 380, (= Wild. Farel) 386.
Utraquiften 293,
Utrecht 384. 465,
—, Synode zu 476.
V.
Joach. 334. 380f. 410.
Val⸗Pute 298.
Vaugris, Jean 327. 385f.
Vaur⸗Cernay, Pet. v. 22.
Venedig 322. 418, 430. 434,
—, $ranz v. 100.
Benturini 168, 176,
Bienna, Joh. v. 79, 80.
Bienne, Coucil in 30.
Vineis, Agnes de 72.
Vinne, Dionyfins 454.
Birneburg, Heinr. v. 129. 169f. 222.
Vogel, Wolfgang 434.
Vogelweide, Walther v. d. 39.
Vogtland 245. 263. 273. 303.
W.
Wälſche Brüder 5.
Waldenſer, Ausbreitung 5. 22ff. 205.
231f. 269. 273. 306. — Abweifung
de8 Namens 18. 269. — Alter der
W. 5. 17, — Apoftolifche Succeffion
19. — Grundgedanken ihrer Lehre
40 ff. — Kirhen-Berfaflung 63 ff. —
Armuth 69. — Gaftfreiheit 268. —
Bejondere Grundſätze gie des
Kirchenbaus 84. 85. — Spättaufe
23. — Formen des Gottesdienftes
il — Apoſtel 67ff. ſ. Apoftel, —
Biſchöfe |. Biſchöfe. — Anficht über
den Canon 260. — Verhältniß zur
„Selte des freien Geiſtes“ 204. —
Stellung zum Syınbolum apostolicum
60. — Aehnlichkeit mit neueren Rich⸗
tungen 61. — Einfluß auf das gei-
N e Leben des Mittelalter8 123 ff, —
* Literatur 127ff. — Bibelüber-
ſetzung 23. 38. 259. — Deutſche Ge»
dichte 39. — Katechismus 296. 303.
338. — Regeln ſ. Allgemeine Regeln.
— Internationaler Zuſammenhang
297 ff. — Verbältnig zur Bauhütte
219. 222, — Depravation 311ff.
Man vergl. die Stichworte des Sach⸗
Regiſters.
Waldhauſer, Thomas 427. 434.
Waldshut 305. 376. 378. 424. 427.
Waldus, Petr. 17. 20f. 93. 289. 395.
Wallis, Canton 398.
Walther, Apoſtel der Brüder 129 ff.
159, 219.
— v. d. Bogelweide |. Vogelweide.
Waltherianer 156,
Wandſcherer, Ewald, Bifchof ber
Brüder 440,
516
Wafen, Conrad 256.
Wattenfchnee, Iob., Bugpruder 327.
Watzower, Waldenfer 2
Weil, Stadt 115.
Weiler, Anna 272, 278.
— (Biler), Hans 267. 272. 276,
Weinsberg, Stabt 115. 246.
Weißenburg, Stadt 233.
berbarb v. 232,
Weißenbur er, Wolfg. 379.
is 231.
Wemding, Waldenf
Wenzl, el. 287.
Wefel, Kr in 180.
Weffel, Joh. 379. 384,
Weſthoven, Pestidi⸗ v. 230.
Widemann, Jac. 4
Wid holz, Andreas 108.
MWiedertä ufer, der Name als Schelt-
und Spottname 11. 366. 407. — Der
Ausdrud der abeotngen u. der Don
name für die „B “1. —
Degeihnung für die aacger ‚Briber"
407. — In Baſel Thomas
Münzer und die F Minen vo Die
Münſterſchen W. |. Munſter. — Ro⸗
ſenkreuzer und Wiedertäufer 472.
Bien 118. 185. 217. 222. 233. 269.317.
427
Wiler ſ. Weiler.
Wimpfen, Stabt 115.
Wimpheling, ac. 305.
Windsheim, Stadt 272. 303.
Winkeler 9. 11.-205.
Winter, Juſtus 455
Wittenberg 324, 318, 385. 394.
Wittgenftein, Fürft v. 464,
Witzel, Georg 415.
Wlabislan, "ing 294.
Wodnan in Böhmen 283.
Wörth, Grüner, |. Grüner Wörth,
—, Schwäbiſch⸗, Stadt 233, 262.
Wo Igemuth, Midael 323.335.
Wolfach, Heinr. v. 180,
Worms, Stabt 360. 361. 427.
—, Joh. Biſchof v. 246.
Wormſer Bibel 432.
Würtemberg, Begharben in 247, 304.
Bärgburg, 231.
—, Gottfr. v re
—, 306. 1. Biichof v. 246,
Wnllenmweber, 3. 384,
Wyklif, Sohn 100. 102. 235. 241. 379.
Wyllifiten 156.
_ I.
York, Stabt 234,
3.
eg 434,
iegler, ©. 434.
is Fr. v. 224.
aunrin
t8fa, Joh. 243.
olliton 405.
ürich 114. 222. 246. 300. 367. 378,
394. 396. 399. 401 ff. 405. 420 ff. 443.
umilon 406.
widau, Druder zu 338.
widauer Bropheien 369f.
wingli, Ulr. 329f. 360 368. 380.
385. 399, 400 ff. 405. 406. A16f.
430. 460,
Drudfebler.
418 „16,
zwin
©.
©.
©.
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©. 425 „ 1 LA} „
©.
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108 Zeile 17 von oben lied „Gnade“ ftatt Heerde“.
119 Anm. 1 lies „Janner“ Statt „Jauner“.
379 Zeile 16 von oben lieg „Licentius“ ftatt „Lucretius
„ na en, —— — ſtatt, lutheriſch⸗
„„anu der Kr t ung der Partei“ Ratt „an der Partei‘.
427 Anm. 7 lieg „meinen‘ ftatt „meine.
432 Zeile 21 von oben lied „Da niemand ahnte⸗ ſtatt „Niemand ahnte“.
Druck von J. B. Hirſchfeld in Leipzig.
Ber ©. Hirzel in Leipzig ift früher erichienen:
Ein Apoitel
der
von
Dr. Ludwig Keller.
gr. 8 Preis: A 3. 60.
Die Gegenreformation
Weftfalen und am Nieberrhein.
Actenftüde und Erläuterung
zufammengeftellt
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Erfter Theil.
(1555 —1585.)
A. u. d. T.: Publicationen aus den K. Preuß. Staatsarchiven
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Druck von Hirſchfeld, Leipzig.
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Wiedertäufer
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IX. Band,
m — ——
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(1555 —1585.)
A. u. d. T.: Bublicationen aus den K. Preuß. Stantsardiven IX. Band.
| Royal⸗Octav. Preis: M 14. — '
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