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Reizbewegungen der Pflanzen
Die Reizbewegungen
der Pflanzen
von
Dr. Ernst G. Pringsheim
Privatdozent an der Universität Halle
Mit 96 Abbildungen
Berlin
Verlag von Julius Springer
1912
Vorwort.
Das vorliegende Buch ist als Einleitung in das Studium der
pflanzlichen Reizphysiologie gedacht. Es soll nicht so sehr dem
Fachmanne dienen als vielmehr allen denen, die aus irgendeinem
Grunde einen Einblick in das Gebiet gewinnen wollen, ohne eingehende
Vorkenntnisse zu besitzen.
Für diese Aufgabe sind die Lehrbücher nicht recht geeignet,
weil sie nur ein Gerippe geben, aber keine Anschauung vermitteln
können. Die gelehrten Handbücher wiederum müssen Vollständig-
keit anstreben und verlieren dadurch unvermeidlich an Übersichtlich-
keit. Auch setzen sie zuviel voraus und werden deshalb nur dem
Botaniker recht verständlich. Ein bestimmtes Objekt von vielen
Seiten zu betrachten, kann überhaupt nicht ihre Aufgabe sein. Wie
mir scheint, sind es aber gerade die an einer Pflanze zu beobach-
tenden Einzelheiten, die den Nichtfachmann fesseln und der Dar-
stellung Leben geben.
Die pflanzliche Reizphysiologie ist vielfach, und von berufenster
Seite bearbeitet worden, so in den Hand- und Lehrbüchern von
Pfeffer, Jost, Noll, Wiesner u.a. Deshalb bedarf mein Unter-
nehmen einer Begründung. Sie liegt darin, daß ich mir meine Auf-
gabe anders gestellt habe als die genannten Autoren. Es lockte
mich, das erwähnte Teilgebiet einmal unabhängig von der sonstigen
Botanik, in anschaulicher Breite, aber ohne den Zwang der Voll-
ständigkeit vorzuführen. Dabei ergab sich die Notwendigkeit, nur
die einigermaßen sicher als Reizwirkungen anzusprechenden Erschei-
nungen zu behandeln. Das gilt aber in der Hauptsache allein für
die Bewegungsreaktionen. Nur zur Abrundung wurden da und dort
auch andere Reizerfolge geschildert.
Sollte mir die Aufgabe einigermaßen gelungen sein, dieses Gebiet
soweit verständlich zu machen, daß jedermann folgen kann, der für
Naturwissenschaft Sinn hat und dabei nicht nur Unterhaltung sucht,
-so wäre mir das eine besondere Genugtuung. Damit wäre am besten
die Berechtigung meines Unternehmens erwiesen. Ist doch gerade
auf diesem Gebiete durch minderwertige populäre Darstellung ge-
‚sündigt worden. Ganz leicht zu lesen wird das Folgende freilich nicht
sein. Der teilweise schwierige Gegenstand erfordert geistiges Mit-
arbeiten.
VI Vorwort.
Die Hauptleitsätze, die mir vorschwebten, waren folgende:
Es sollte größtmögliche Anschaulichkeit erreicht werden. Ein
Erfordernis waren also zahlreiche Abbildungen. Da die Photographie
einen lebendigeren Eindruck übermittelt als die Zeichnung, wurde
sie in höherem Maße herangezogen, als bisher üblich.
Wiederholt wurde auf die entsprechenden Erscheinungen in der
menschlichen Sinnestätigkeit hingewiesen. Das Bedenkliche solcher
Vergleiche schien mir durch die leichtere Anknüpfung aufgewogen.
Zudem gewinnt ja die Anschauung von der inneren Gemeinschaft
aller Lebewesen, auch in reizphysiologischer Hinsicht, immer mehr
an Boden.
Manche Erscheinungen wurden auf ihre Bedeutung für die Pflanze
hin betrachtet, doch nur soweit Versuche einen Anhalt gaben. Ge-
rade hier bleibt noch viel zu tun. Deshalb mußte ich mich meist
damit begnügen, zu zeigen, wie durch exakte Behandlung zuverlässige
Antworten auf bestimmte Fragen erzielt werden können. Um die
Experimente schildern zu können, mußte auch die Methodik gestreift
werden, wenigstens soweit sie für das Verständnis und die Nach-
ahmung einfacherer Versuche erforderlich ist.
Da manche das Buch nur der Folgerungen wegen zur Hand
nehmen werden, so wurden am Schlusse einige allgemeinere Fragen
erörtert. Wenn man diese Suchenden auch auf naturwissenschaft-
lichem Wege nicht bis zum Ziele geleiten kann, so dürfte es doch
geraten sein, sie nicht früher als nötig zu verlassen.
Schließlich danke ich Herrn Springer für die Sorgfalt und das
Entgegenkommen bei der Drucklegsung und besonders bei der An-
fertigung der Abbildungen. Auch bin ich meinem Bruder Hans
Pringsheim in Berlin für die Durchsicht des Manuskriptes und der
Korrekturen zu großem Danke verpflichtet.
Halle a.d.S., im Juli 1911.
Ernst 6. Pringsheim.
Inhaltsübersicht.
Seite
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Mebinleitung . = ..... 040.040 08 Mr Nase SEEN a Kan 1
II. Das pflanzliche a ; 5
Eeremernes: .. as. 22 0 un ee ee ae a ie 5
b) Freie ebesesung EN EEE a BE RT TARE 6
c) Plasmabewegung . : 21
ie Wachstumsbewegungen ... . . -... 0. 2.2... 0. 0 u. ©. 823
Be lnrporbewegungen.. > 2.0. = & 22.00 ee een eu Sl
TEL Die Reizwirkungen der Schwerkraft .-.....n.2.2.. 84
a) Allgemeines über Geotropismus . - -. 2.2... nn 34
b) Die Glieder der geotropischen Beizkece : a
ce) Quantitative Zusammmenhänge zwischen Reizanlaß, en.
und Reaktion ...... ; j Bere:
d) Verschiedenheiten im Werhalien der Einzelnen Pbraenreile 469
SIBSchiingpllanzen 28 >... u. een ne gt
Eielnedere, Organismen a... 2... Er Se sn 330
IV. Helligkeit und Temperatur als Reizmittel .........9
a) Einfluß des Lichtes auf die Zuwachsbewegung . . . Ei.
b) Einfluß des Lichtes auf die Gestaltung... . ». 2 22.2... .10
BBUHOLONaStIERE IE ea re ee ee ee ee LOS
FiBSRKemEnDnastle, 2 2. ee ee ERET,
eiMBeriodische Bewegungen . x: „2 ml Jun We... ls
V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz ........... 188
a) Allgemeines über Phototropismus ... ee 15)
b) Zusammenwirken von Phototropismus ac Geotihpiinius ee |
c) Veränderlichkeit des phototropischen Verhaltens .. ......15
d) Einfluß der Lichtfarbe . . . . SER IE 210
e) Verbreitung und Ökologie des Phottropismu NE a ae
f) Phototaxis. . . a a
g) Bewegungen der Cnlorophylikörnen a ie ne AU)
VI. Die Folgen mechanischer Reizung . ...........209
a) Allgemeines über mechanische Reizbarkeit . . . . 2.2... 209
DieBanken .„...... 0. rel 0 20 eu ee lee ee
Ein Sensifive Pilanzens 3. 2100 20. ee ee ne
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e) Insektivoren . . . . RUN A HUE WEN 235
f) Reizwirkungen echankchen Verlstame : E E 244
VIII Inhaltsübersicht.
VII. Reizwirkung stofflicher Einflüsse .....
a) Chemotropismus > » . =...» REN he
b) Osmo-, Hydro- und Rheotropismus ......
c) Chemonastie . . . . Mn { TE,
d) Allgemeines über hematarıs nd ee
e) Chemotaxis der Samenfäden. . ». » 2...
f) Chemotaxis der Schwärmsporen, Bakterien usw.
g) Osmo-, Hydro- und Rheotaxis
h) Die chemotaktische Reaktionsweise
VII. Allgemeines : .
a) Das Wesen der Beichakat ne N, ser
b) Die Entwickelung der Reizbarkeit .. » ....
Interaturüubersichtr > Sr rer N Pre N
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De, 7
I. Einleitung.
Die Überzeugung von der inneren Gemeinschaft aller Organismen,
von der Wesensgleichheit des Lebens in allen seinen tierischen und
pflanzlichen Formen, ist heute Allgemeingut geworden. Aus ihr er-
gibt sich auch die Berechtigung einer Wissenschaft, die darauf aus-
geht, das Einheitliche und das Unterscheidende in den Lebensäuße-
rungen der verschiedenen ÖOrganismengruppen zu studieren. Dabei
hat diese Forschungsrichtung, wie jede rechte Wissenschaft, das Zu-
sammengesetzte aus dem Einfachen zu erklären und abzuleiten. Die
Lehre von der Abstammung der höheren Lebewesen von niederen
muß auch die Wissenschaft durchdringen, die ich hier im Sinne habe,
die vergleichende oder allgemeine Physiologie.
Von einigen Betätigungen wissen wir genau, daß sie allen Lebe-
wesen gemeinsam sind. So die Ernährung, die Atmung, die Fort-
pflanzung und die Reizbarkeit. Letztere besonders finden wir immer
und überall bei den Organismen. Sie setzt nicht einmal vorüber-
gehend aus. Es gibt kein Leben ohne Reizbarkeit! Sie unter-
richtet die Organismen von den für sie wichtigen Veränderungen in
ihrem Inneren und in der Außenwelt. Ohne sie würden sogleich ver-
hängnisvolle Störungen im Lebensgetriebe eintreten.
Wollen wir uns klar machen was das bedeutet, so können wir
an unsere eigene Sinnestätigkeit denken, die letzten Endes auf der
Reizbarkeit gewisser Zellen an den verschiedensten Stellen unseres
Körpers beruht. Sie ist beständig rege und hört nur im Tode auf.
Selbst im Schlafe ist sie nur gedämpft. Nie ist sie den Einwirkun-
gen der Außen- und Innenwelt gegenüber ganz verschlossen. Es geht
das schon daraus hervor, daß wir durch intensive Reize geweckt
werden können und daß weniger starke doch wenigstens unsere
Träume beeinflussen. Man ersieht daraus auch gleich, daß Bewußtsein
an die Sinnestätigkeit nicht geknüpft sein muß. Für die Pflanzen
wollen wir die Bewußtseinsfrage ganz aus dem Spiel lassen. Wir
wissen davon nur bei uns selbst etwas. Bei ganz anders gearteten
Lebewesen wie den Pflanzen sind Erörterungen hierüber zwecklos.
Ruhezustände, in denen die Reizbarkeit stark herabgesetzt ist, kennen
wir übrigens auch bei den Pflanzen. Man denke an einen Baum im
Winter oder einen trockenen Samen. ‚Trotzdem man aber bei ihnen
von dem in ihnen ruhenden Leben wenig merkt, sind sie doch ge-
wissen Reizen zugänglich.
Zwischen Sinnestätigkeit und Reizbarkeit einen scharfen Unter-
schied zu machen ist kaum mehr möglich, nachdem man erkannt
Pringsheim, Reizbewegungen. 1
2 I. Einleitung.
hat, daß die Sinnesorgane nur besonders ausgebildete Aufnahme-
apparate für die wichtigsten Reize darstellen, wie man sie in ein-
facherer Konstruktion auch bei den niedersten Tieren und selbst bei
Pflanzen vorfindet. Worin die Reizbarkeit besteht und sich äußert,
das darzulegen soll den ganzen Inhalt dieses Buches ausmachen.
Man wird also verzeihen, wenn ich keine Definition voranschicke, die
doch an dieser Stelle das Wesen der Sache nicht klar machen könnte.
Unsere Sinne geben uns Kunde von den Vorgängen der Umgebung,
nach denen wir uns orientieren können. Ähnlich orientiert sich die
Pflanze nach den Eindrücken der Außenwelt. Das Resultat sind ge-
wisse Lage- und Ortsveränderungen, die uns in den folgenden Kapiteln
beschäftigen werden. Daneben werden auch andere Tätigkeiten der
Pflanze wie unseres Körpers von Reizen beeinflußt. So finden wir
bei den Pflanzen formbestimmende Reize, die allerdings nicht im
gleichen Maße bei uns auftreten. Die Pflanze ist ein Organismus
von viel geringerer Individualität als das höhere Tier und der Mensch.
Ihre einzelnen Teile sind nicht so stark voneinander abhängig, müssen
nicht so genau zusammenarbeiten, damit das Ganze lebensfähig ist.
Daher ist auch eine größere Freiheit in der Gestaltung der einzelnen
Organe, der Zweige, Blätter usw. einer Pflanze je nach den äußeren
Umständen möglich als bei den Gliedern eines Tieres und des Men-
schen. Es ergibt sich daraus weiter eine größere Verschiedenheit der
Individuen, die verschiedenen Bedingungen ausgesetzt waren. Etwas
Ähnliches finden wir beim Menschen immerhin etwa in der stärkeren
Ausbildung häufig gebrauchter Muskelgruppen. Auch das stärkere
Nachwachsen abgeschnittener Haare und Nägel, das auch Analogien
im Pflanzenreich hat, könnte man vielleicht zu den durch Reize be-
einflußbaren Formgestaltungen rechnen. Ferner die Heilung von Ver-
wundungen und den Ersatz verloren gegangener Teile, die hier wie
da durch mancherlei Reizwirkungen reguliert werden. Man ist sich
jedoch noch wenig klar darüber, wo die Grenze liegt zwischen einer
direkten Beeinflussung des Stoffwechsels und dem mittelbaren Zu-
sammenhange, den man Reizwirkung nennt. Deshalb soll dieses Ge-
biet, dem Titel entsprechend, gegenüber den Bewegungserscheinungen
zurücktreten. Mit den Reaktionen auf Verwundungen sind wir schon
dem Gebiete der schwer faßbaren inneren Reize nahe gekommen, die
auf dem Zusammenhange und der gegenseitigen Lage, sowie auf der
Lebenstätigkeit der Organe beruhen. Da wir über die entsprechenden
Erscheinungen beim Menschen, die inneren und Gemeinempfindungen,
schon nicht viel wissen, wo die Selbstbeobachtung der ohnehin inten-
siveren Erforschung aller Einzelheiten noch zu Hilfe kommt, so kann
es uns nicht wundern, daß man sie bei den Pflanzen, deren Wesen
von dem unsrigen so verschieden ist, noch weniger kennt und schwer
von chemischer Wechselwirkung unterscheiden kann.
Dieselbe Schwierigkeit zeigt sich bei der Beeinflussung der
chemischen Tätigkeit der Pflanze durch äußere Umstände. Zwar
kennen wir Fälle, die zweifellos als Reizwirkung angesprochen wer-
I. Einleitung. 3
den müssen. Auch hier kann man wieder an Erfahrungen am Men-
schen anknüpfen. So wie die Absonderung unserer Verdauungsdrüsen
durch den Geruch, Geschmack und selbst den Anblick der Speisen
angeregt wird, so wird bei den Insekten fangenden Pflanzen durch
die von der Beute ausgehenden chemischen und Berührungsreize die
Abscheidung von verdauenden Säften veranlaßt. Leider aber ist der
Teil der pflanzlichen Reizphysiologie, der sich mit den chemischen
Reizerfolgen beschäftigt, noch wenig ausgebaut gegenüber den die
Form- und Lageveränderungen, also die physikalischen Reizerfolge um-
fassenden Gebieten. Wir wollen die letzteren daher in unserer Dar-
stellung nur nebenher hier und da erwähnen. Man darf daraus aber
keineswegs auf eine geringe Bedeutung dieser Vorgänge schließen. Sie
spielen vielmehr sicher eine große Rolle. Nur fehlen uns vielfach
noch die Mittel sie nachzuweisen und vor allem auch hier wieder,
sie von direkten stofilichen Beeinflussungen zu unterscheiden.
Im Gegensatze zu den Reizerfolgen, die sich in einer Veränderung
des Stofiwechsels und der Gestaltung offenbaren, sind die leicht er-
kenn- und meßbaren Bewegungserscheinungen seit lange Gegenstand
eifrigsten Studiums gewesen. An ihnen haben sich unsere Begrifie
von der pflanzlichen Reizbarkeit gebildet. Da wir alles Zweifelhafte
und weniger Bekannte fortlassen, können wir dafür die Bewegungs-
reize um so ausführlicher behandeln, was die Anschaulichkeit zu er-
höhen geeignet ist.
Trotz dem Riesenabstande zwischen zwei in so verschiedenen
Richtungen entwickelten Organismen, wie es die Pflanze und der
Mensch sind, finden wir doch bei beiden die gleichen physikalischen
und chemischen Kräfte als ‚„Reizanlässe‘ wirksam. Einige Beispiele
mögen das erläutern. Wir bewahren unsere aufrechte Haltung mit
Hilfe eines besonderen Sinnes, der uns die Richtung der Schwerkraft
anzeigt; die Pflanze tut das gleiche. Unser Lichtsinn leitet uns vor
allen anderen beim Zurechtfinden im Raume. Auch für die Pflanze
ist das Licht einer der wichtigsten Orientierungsfaktoren zur Ge-
winnung geeigneter Lebensbedingungen. Wir lassen uns beim Auf-
suchen und der Beurteilung unserer Nahrung durch Geruch und
Geschmack, die chemischen Sinne, leiten; dasselbe gilt für die Pflanze,
denn Wurzeln und Pilzfäden suchen im Substrate kriechend vermöge
ihrer chemischen Reizbarkeit geeignete Stoffe auf, während die Bak-
terien frei im Wasser schwimmend solche zu erreichen suchen.
Schließlich mag noch angeführt werden, daß es Pflanzen gibt, die
für „Kitzel‘“‘- und Stoßreiz, für Temperaturerhöhung und -erniedri-
gung, für Wasserströmungen und Feuchtigkeitsdifferenzen empfindlich
sind. Diese Andeutungen geben wenigstens einen Begriff von der
Mannigfaltigkeit und Verbreitung der verschiedenen Reizerscheinungen.
Auf welche Weise sich uns die Empfindlichkeit der Pflanze für
all diese Einwirkungen kundgibt, das wird eingehend zu schildern
sein. Mit einem allgemeinen Ausdrucke nennt man die Anzeichen
1*
4 I. Einleitung.
einer erfolgten Reizung die Reizreaktionen oder Reizerfolge, ganz
gleich, ob sie Änderungen der Lage, der Form oder der chemischen
Zusammensetzung darstellen. Entsprechend werden die physikalischen
oder chemischen Außeneinflüsse, die zu einer Reizung führen, Reiz-
ursachen genannt. Bedeutungsvoll für die Charakterisierung der Reiz-
prozesse ist es, daß sie in keinem einfachen, leicht übersehbaren physi-
kalischen oder chemischen Zusammenhange mit den Reizerfolgen stehen.
Das Verhältnis von Reizursache und Reizerfolg wird nämlich dadurch
verwickelt, daß sich eine ganze Anzahl von Zwischengliedern zwischen
beide einschieben, über die wir wenig wissen, — die aber gerade
das physiologische Geschehen zu charakterisieren scheinen. Mit
diesem Umstande, dem Vorhandensein von Mittelvorgängen, hängt
es auch zusammen, daß die Energie des äußeren Reizanlasses nicht
in der Reaktion wiederkehrt, und daß auch beide nicht in einem
gleichbleibenden Verhältnisse zueinander stehen. Bei anderen Vorgängen
im Organismus ist das der Fall. So wird z. B. eine bestimmte
Menge der Energie des auffallenden Sonnenlichtes bei der Kohlen-
säureassimilation in chemische Energie umgewandelt und auf diese
Weise in leicht verwendbarer Form festgelegt. Bei den Reizvorgängen
sind die Verhältnisse nicht so leicht zu übersetzen, weil die Haupt-
ursache des physiologischen Geschehens immer im Organismus liest.
Der Reizanlaß verursacht nur eine Umgestaltung des sonstigen Ge-
triebes, eine veränderte Verwendung der verfügbaren Kräfte.
Von den Reizerfolgen werden allein die Bewegungserscheinungen
ausführlich behandelt werden, weil nur über diese genug gesichertes
Material vorliegt, um eine zusammenfassende Darstellung zu ermög-
lichen. Da wir zum Verständnis der speziellen Kapitel, die die
Reizwirkung der verschiedenen Außenkräfte vorführen sollen, einen
Überblick über Wachstum und Bewegungsvermögen der Pflanzen
haben müssen, schicken wir das hierzu Nötige im nächsten Abschnitte
voraus. Wir schreiten dabei im allgemeinen von den niederen zu
den höheren Organismen fort. Eine entsprechende Einteilung wird
sich jedoch weiterhin wegen der sonst unausbleiblichen Wiederholungen
nicht mehr aufrecht erhalten lassen. Wir wollen vielmehr den Stoff
nach den ins Pflanzenleben als Reize eingreifenden Kräften einteilen,
da der Reizvorgang als solcher in den Vordergrund gestellt werden
soll. Die von einer bestimmten äußeren Kraft abhängigen Reaktions-
formen wollen wir dann so anordnen, daß wir mit den einfachsten
und bestbekannten beginnen. Diese sind nun nicht immer bei den
niedersten Organismen zu finden, vielmehr meist gerade bei den
differenzierteren, wo die stärkere Arbeitsteilung eine klarere Aus-
bildung der Einzelfunktionen erlaubt, die auf niederer Stufe alle an
eine Zelle gekettet sind. Nachdem wir so den Einfluß der ver-
schiedenen Kräfte, die als Reizursachen in Betracht kommen, durch-
gesprochen haben werden, können wir in einem Schlußkapitel, den
in der Vorrede skizzierten Absichten entsprechend, einige allgemeinere
Fragen behandeln.
I. Das pflanzliche Bewegungsvermögen.
a) Allgemeines.
Es ist, als ob die Natur alles getan hätte, um uns die Erkennt-
nis so lange wie möglich vorzuenthalten, daß nicht nur die Tiere, son-
dern auch die Pflanzen ein reich ausgebildetes Bewegungsvermögen
besitzen. Die uns vertrauten grünen Gewächse zeigen im allgemeinen
dem flüchtigen Blicke so wenig Beweglichkeit, daß man schon ge-
nauer hinsehen muß, um sich von ihrem Vorhandensein zu über-
zeugen. Still und geräuschlos geht da alles vor sich, ohne Lärm,
ohne Zappeln, Hasten und Fliehen. Aber man nehme sich nur die
Zeit in warmen Frühlingstagen etwa eine Roßkastanie zu beobachten,
wie sie ihre Knospen entfaltet. Welch eine Fülle von Veränderungen,
die da in kurzer Zeit sich folgen!
Ist es bei den höheren Pflanzen die meist verhältnismäßig ge-
ringe Schnelligkeit der Bewegungen, die ihre Wahrnehmung erschwert,
so ist es bei den sich rascher tummelnden niederen Organismen die
mikroskopische Kleinheit, die ihre Kenntnis einer technisch vor-
geschrittenen Zeit aufsparte.
Jene wenigen grünen Pflanzen endlich, deren auffallende Reiz-
bewegungen in ihrer Geschwindigkeit denen der Tiere nahekommen.
— man denke an Mimosa —- sind in wärmeren Gegenden zu Hause.
Sie wurden erst bekannt, als sich der Glaube, Beweglichkeit und
Empfindungsfähigkeit gingen den Pflanzen ab, schon so sehr fest-
gesetzt hatte, daß man diesen Mangel als zu ihrem Wesen gehörig
betrachtete. Die sogenannten sensitiven Pflanzen wirkten daher nach
ihrer Entdeckung zunächst meist nur als Kuriositäten. Wo man
auf ihr Verhalten einging, versuchte man es auf möglichst mecha-
nische Weise zu erklären, um nicht die Überzeugung vom Wesen der
Pflanze, die durch Autoritäten wie Aristoteles und Linne& gestützt
war, umstoßen zu müssen. Schließlich aber übten diese exotischen
Seltsamkeiten doch eine Wirkung auf die Gemüter aus, die ihren
stilleren einheimischen Vettern versagt geblieben war. Man erkannte
allmählich auch bei den letzteren rasche Bewegungen an weniger ins
Auge fallenden Blütenteilen, — und als dann Darwins Lehre die
Augen öffnete und die innere Verwandtschaft aller Lebewesen zur
Gewißheit machte, zögerte man nicht länger, die von Dichtern und
Philosophen vorgeahnte innere Gemeinschaft der Pflanze mit Tier
und Mensch anzuerkennen.
6 II. Das pflanzliche Bewegungsvermögen.
Darwin selbst war der erste der in seinen klassischen Werken
über die insektenfressenden und die kletternden Pflanzen sowie über
das Bewegungsvermögen der Pflanzen die Früchte dieser neuen An-
schauung erntete. Die weniger als die Schriften zur Deszendenz-
theorie bekannten pflanzenphysiologischen Werke des großen Neuerers
lohnen auch heute noch ein eingehendes Studium. - Seine Versuche
wurden mit einfachen Hilfsmitteln angestellt und sind so anschaulich
geschildert, daß sie zur Nachahmung anregen. Darwins Beobach-
tungen lehrten ihn, daß Wurzeln, Blätter, Stengel und Ranken der
Pflanzen zu den verschiedenartigsten Bewegungen befähigt sind, zu
denen mannigfaltige Reize den Anstoß geben. Er faßt seine Eindrücke
in den Worten zusammen: „Endlich ist es unmöglich, von der Ähn-
lichkeit zwischen den vorher erwähnten Bewegungen von Pflanzen
und vielen unbewußt von den niederen Tieren ausgeführten Handlungen
nicht überrascht zu sein“. Dieser Ausruf ist heute eine Art Pro-
gramm geworden.
Allerdings ist die Ausführung, die Mechanik der Bewegungen bei
den höheren Pflanzen, mit denen Darwin seine Versuche anstellte,
von der der Tiere durchaus verschieden. Muskeln und Nerven gibt
es bei ihnen nicht.
b) Freie Ortsbewegung.
Während die niedersten grünen Organismen, bei denen man im
Zweifel sein kann ob es Tiere oder Pflanzen sind, sich in ähnlicher
Weise im Wasser herumtummeln wie ihre farblosen Verwandten, haben
sich die höheren Gewächse dieser Fähigkeit begeben. Ihre Ernäh-
rung mit Hilfe des Sonnenlichtes machte den Ortswechsel überflüssig.
Zudem hätten die zum reichlicheren Auffangen der Strahlen not-
wendigen grünen Flächen, die Blätter und blattähnlichen Organe, bei
der Bewegung ein starkes Hindernis ergeben. Als die Pflanzen dann
später zum Landleben übergingen, wurden auch die letzten Überreste
von freier Beweglichkeit, die im Jugendstadium noch vorkamen, all-
mählich aufgegeben. Sich auf trocknem Boden frei umher zu be-
wegen, vermag keine Pflanze.
Sehen wir nun zu, welche Mittel der Pflanze zur Verfügung
stehen, auf die Reize, die sie treffen, mit Bewegungen zu antworten:
Zur freien Ortsbewegung sind Vertreter fast aller Pflanzen-
familien mit Ausnahme der Blütenpflanzen zeitlebens oder doch vor-
übergehend befähigt. Daher ist es begreiflich, daß diese Bewegungen
auf sehr verschiedene Weise zustande kommen. Zunächst haben wir
zu unterscheiden zwischen freiem Schwimmen im Wasser und den-
jenigen Fortbewegungsarten, die einer festen Stütze bedürfen, dem
Gleiten und Kriechen. Aber auch innerhalb dieser Gruppen herrscht
noch eine große Mannigfaltigkeit.
Freies Schwimmen im Wasser kommt in folgenden Pflanzen-
stämmen vor:
I
Freie Ortsbewegung.
. Bakterien;
. Myxomyceten (Schleimpilze);
. Chytridiaceen;
. Saprolegniaceen (Wasserpilze):
. Flagellaten (Geißler);
Volvocaceen;
. Peridineen:
. Chlorophyceen (Grünalgen, nämlich Protococcoideen, Con-
fervoideen und Siphoneen);
. Phaeophyceen (Braunalgen);
. Characeen (Armleuchtergewächse);
. Bryophyten (Moose);
. Pteridophyten (Farnpflanzen);
. Cycadaceen;
. Ginkgoaceen.
NS mwN -
a a u Bu u Eee!
PoDmt+o co
In den mit 9—14 bezeichneten Stämmen sind nur die männ-
lichen Geschlechtszellen, die ‚,Samenfäden‘ oder Spermatozoen,
schwimmfähig. Man sieht, daß die Erscheinung außerordentlich
verbreitet ist. Es kommt ihr auch eine große Bedeutung für unsere
Auffassung von der Verwandtschaft der pflanzlichen Lebewesen zu.
Mit großer Wahrscheinlichkeit ist nämlich anzunehmen, daß die
Vorfahren sowohl der Tiere wie der Pflanzen einzellig waren und
frei im Wasser umherschwammen. Ihnen sind von jetzt lebenden
Organismen jedenfalls die mikroskopischen Flagellaten oder Geißler
am ähnlichsten. Sie können farblos sein mit tierähnlichem Stoff-
wechsel oder grün und sich nach Art der Pflanzen ernähren. Die
letzteren assimilieren mit Hilfe des Sonnenlichtes die Kohlensäure
und formen daraus Stoffe, die zum Aufbau ihres Körpers und zum
Betriebe ihrer Lebensfunktionen verarbeitet werden. Die farblosen
Flagellaten dagegen nehmen gelöste organische Nahrungsstoffe aus dem
Wasser auf. Allerdings sind auch die grünen oft dazu befähigt, wie
überhaupt tierische und pflanzliche Ernährung vielfach ineinandergreifen.
Die Schwimmbewegung findet bei den Flagellaten mit Hilfe von
einer oder mehreren Geißeln oder Wimpern statt, die in gesetz-
mäßiger Weise das Wasser schlagend den Körper vorwärts treiben.
Die Art der Geißelbewegung ist wegen ihrer Schnelligkeit und der
außerordentlichen Feinheit dieser Organe schwer zu erforschen.
Wenn es möglich sein wird, von den sich bewegenden Geißeln kinemato-
graphische Aufnahmen zu machen, wozu heute die technischen Mittel wohl
schon ausreichen, wird man mancherlei Aufschlüsse erhoffen dürfen. Bisher
war man darauf angewiesen, die Bewegungen zu studieren, indem man sie
künstlich verlangsamte. Das kann man durch tiefe Temperatur erreichen,
oder dadurch, daß man den Widerstand des Wassers durch Zusätze wie
Gummi, Gelatine oder dgl. erhöht. Dann geht der Geißelschlag so langsam
vor sich, daß er sich bei großen Flagellaten mit starker Vergrößerung leid-
lich verfolgen läßt. Auch kann man die betrefienden Lebewesen dadurch im
Gesichtsfelde des Mikroskopes festhalten, daß man ein feines Maschengewebe
auflegt, in dessen Hohlräumen die Schwärmer gefangen werden.
8 ll. Das pflanzliche Bewegungsvermögen.
Es läßt sich denken, daß auf diese Weise nur Rudimente der normalen Be-
wegungsart zur Beobachtung kommen.
Die Gestalt der Flagellaten und der ihnen sehr ähnlichen Algen-
schwärmsporen ist dagegen im allgemeinen gut bekannt. Meist sind sie
länglich, und wo sie grün sind, ist das vordere Ende verschmälert und
farblos. In ihnen befindet sich auch fast immer seitlich ein roter
Punkt, der ‚‚Augenfleck‘“, über dessen Bedeutung für den Lichtsinn
wir noch zu sprechen haben werden. Auch sind in der Nähe des
Vorderendes die Bewegungsorgane, die Geißeln befestigt, in Ein-,
Zwei-, Vier- oder Mehrzahl. Die zahlreichen kurzen und kranzförmig
angeordneten Wimpern der Ödogoniumschwärmer schlagen rhythmisch
nach rückwärts wie die Cilien der Infusorien. Da, wo eine geringe
Zahl von Geißeln vorhanden ist, sind sie vorn inseriert, gewöhnlich
Abb. 1. Algenschwärmer.
> 7
1. Zoospore von Ulothrix; 2., 3. Schwärmer von Chlamydomonas; 4. Stück einer zusammen-
gesetzten Zoospore von Vaucheria, die unter 6 im ganzen gezeigt ist; 5. Zoospore von Clado-
phora; a Augenfleck. (Aus Oltmanns 1905.) Verschieden stark vergrößert.
rückwärts gerichtet und meist länger als der Körper. Sie bohren
sich korkzieherartig durchs Wasser und treiben den Körper vorwärts
(Abb. 1 u. 2).
Die Wirkungsweise der Geißeln ist ähnlich wie die der Schraube
eines Dampfers, die dadurch, daß sie das Wasser nach hinten
drückt, das Schiff vorwärts treibt. Auch wenn die Geißel nach vorn
gerichtet ist, bleibt diese Analogie bestehen, die Bewegungsrichtung
hängt ja nur vom Sinne der Drehung ab, die häufig, z. B. beim
Aufstoßen auf Hindernisse, vorübergehend umgekehrt wird. Sc
kann auch ein Dampfer durch Umkehr der Schraubendrehung
rückwärts fahren. Pfeffer (1904. S. 706) vergleicht das Schwingen der
Geißel mit der ‚‚Wellenbewegung eines Taues, durch das man vermittelst
geeigneter Schwingungen oder Stöße Spiralwellen schickt“. Unter
dem Mikroskop sieht man allerdings meist nur ein Schlängeln oder
Freie Ortsbewegung. 9
schraubenförmiges Zusammenziehen und Wiederausstrecken des Be-
wegungsorganes. Durch die Schraubenbewegungen der Geißel kommt
fast immer während des Vorwärtsrückens eine Drehung des Körpers
zustande, die nur dann unterbleibt, wenn der Schwerpunkt, resp. der
Geißelansatz stark seitlich gelagert ist. Das Schwimmen kann so vor
sich gehen, daß die Körperachse mit der Bewegungsrichtung zusammen-
fällt. Vielfach aber, und besonders bei den unsymmetrisch gebauten Or-
ganismen, wird bei der Vorwärtsbewegung unter Rotation eine Schrauben-
linie beschrieben, und zwar so, daß immer dieselbe Körperseite nach
außen gekehrt ist. Auch kann das hintere Ende in einer geraden,
das vordere in einer schraubigen Bahn fortschreiten. Je scheller das
Schwimmen ist, desto geradliniger die Bahn. Beim Stoßen auf
Hindernisse oder auf Reizanlässe hin wird oft die Bewegung gehemmt.
Dabei beschreibt dann die Achse des Körpers einen
Kegel oder Doppelkegel. Wird nun die Bewegung
wieder aufgenommen, so erfolgt sie aus einer der
beim Rotieren eingenommenen Stellungen heraus,
also in einer von der ursprünglichen abweichen-
den Richtung.
Der Körper der Flagellaten kann von einer
starren Haut umgeben oder weich und selbst in
seiner Form weitgehend veränderlich sein. Aber
auch in diesem letzten Falle trägt die Beweglich-
keit der Gestalt nichts zu der Kraft bei, die den
Organismus im Wasser vorwärts treibt. Vielmehr
dient sie nur zum Kriechen auf festem Substrate. Abb. 2.
Beim Schwimmen ist der Leib scheinbar starr Euglena viridis.
und langgestreckt. Das ist besonders auffallend }: ymmend;
bei den am häufigsten studierten Euglenen, die a en ik
imstande sind, sich völlig kugelig zusammen- (Aus Rosen 1909.)
zuziehen, beim Schwimmen aber eine fischähnliche
Gestalt annehmen. Die Art der Vorwärtsbewegung ist jedoch, von
der eines Fisches sehr verschieden, da sie durch die am Vorderende
eingesetzte Geißel zustande kommt (Abb. 2).
Ein besonderes Interesse verdienen die mit vielen Geißeln aus-
gerüsteten Gebilde, die aus einer großen Anzahl von Einzelindividuen
zusammengesetzt zu denken sind. Hierher gehören die Vaucheria-
schwärmsporen (Abb. 1, 4 u. 6), dann auch die Kolonien der Volvocaceen,
die kugel- und plattenförmig, aber auch anders gestaltet sein können
(Abb. 3). Bei diesen sind die Einzelindividuen flagellatenartig, aber
durch eine Gallertmasse miteinander verbunden.
Überall, wo mehrere Geißeln vorhanden sind, müssen sie vermöge
einer inneren Wechselwirkung einheitlich schlagen, weil sonst keine
geordnete Bewegung zustande käme. Besonders auffallend wird das
bei den größten Flagellaten-Kolonien, wie sie z. B. Volvox darstellt,
wo hunderte von Einzelindividuen zu einer Hohlkugel vereinigt
sind. Jedes hat zwei Geißeln, und alle bewegen sich im Rhythmus,
10 II. Das pflanzliche Bewegungsvermögen.
etwa wie die Ruder einer Galeere, so daß ein höchst geschicktes
Schwimmen, immer mit einem bestimmten Ende voran, zustande
kommt. Bei einem Hindernis sehen wir die Kugel ausweichen, alle
Geißeln schlagen plötzlich in einer anderen Richtung. — So wird es
bewirkt, daß die Bewegung durchaus zielbewußt aussieht, obgleich
so viele Einzelorganismen daran be-
teiligt sind. Die Ursache der Über-
einstimmung muß offenbar in der
Fortleitung eines Impulses gesucht
werden, der das Ganze zu einer
Einheit verknüpft. Die Bahnen, die
der Leitung dienen, sind als feine
Plasmastränge in der Gallertmase
zu erkennen, die die Individuen zu-
sammenhält (Abb. 3e).
Die Schwärmsporen der wäh-
rend des längsten Teils ihres Lebens
unbeweglichen Algen haben die Auf-
gabe, nach geeigneten neuen Wohn-
a NND
BIER
b. Pandorina morum. ce. Volvox aureus.
Abb. 3. Schwärmende Volvocaceenkolonien (Aus Oltmanns, 1905).
orten zu suchen. Sie setzen sich dann fest und wachsen zu
jungen Pflanzen aus. Oft sind es nur aus dem Verbande losgelöste
Zellindividuen, die ohne weiteres entwicklungsfähig sind. Vielfach
aber bedürfen sie eines paarweisen Verschmelzens, das einen Ge-
schlechtsakt darstellt. Im Laufe der Entwicklung der Arten bilde-
ten sich allmählich Differenzen zwischen den beiden, ursprünglich
gleichen, sich vereinenden Zellen aus, indem die eine von ihnen Vor-
ratsstoffe für die spätere Entwicklung mit bekam. Diese, die weibliche
Geschlechtszelle, verlor damit allmählich ihre Beweglichkeit und ward
Freie Ortsbewegung. hl
zum Ei, während die männliche Geschlechtszelle, der ‚Samenfaden‘,
noch lange imstande blieb die Eizelle aus eigener Kraft aufzusuchen.
So ist es noch bei den Moosen und Farnen, während bei den Blüten-
pflanzen eine andere Art der Befruchtung auftritt.
Die beweglichen männlichen Samenzellen haben meist die schwie-
rige Aufgabe, die das Ei umgebenden Hüllen zu durchdringen und
sich in dieses einzubohren. Deshalb bedürfen sie einer besonderen
Gestalt, die sie zum Überwinden von Widerständen geeignet macht.
Ihre Geißeln sind nach rückwärts gerichtet oder doch, wie bei den
Braunalgen, eine von zweien. Der Körper ist oft korkzieherartig
gewunden, so bei den Uharaceen, Moosen und Farnpflanzen. Aber
auch hier ist er starr, die Bewegung wird durch die Geißeln hervor-
gerufen. Mit welchen Reizbarkeiten diese Gebilde ausgestattet sind,
um ihre Aufgabe zu erfüllen, das werden wir später sehen.
Die Schwärmer derjenigen Pilze, die bewegliche Entwicklungs-
stadien besitzen, zeigen nichts Besonderes, nur ist bei den Parasiten
Chytridium vorax und Polyphagus Euglenae die Geißel hinten in-
seriert. Bei den Peridineen, die seltsame, unsymmetrische, meist ge-
panzerte Wesen darstellen, ist über Bewegung und Reizbarkeit nicht
viel bekannt. Sie besitzen zwei Geißeln, von denen beim Schwimmen
eine vorwärts, eine seitlich gerichtet ist. Die erstere macht nach
Schütt Kegelschwingungen, die andere spiralwellige Bewegungen
(Pfeffer 1904, 8.707). Die Schnelligkeit der Bewegung kann ziem-
lich beträchtlich werden, wenn man sie auf die Größe der Organis-
men bezieht. So legen manche Schwärmer in der Sekunde das
2—3fache ihrer Länge zurück, während die schnellsten Dampfer in
der gleichen Zeit nur um ein Zehntel ihrer Länge vorwärts kommen.
Der absolute Weg soll bei den Schwärmern der Lohblüte fast ein
Millimeter in der Sekunde, in der Stunde also über 3 m, erreichen;
das ist aber das höchste, was geleistet wird, meist wird in der
Stunde höchstens 1 m zurückgelegt. Immerhin sehen wir bei der
Vergrößerung durch das Mikroskop manche Bakterien, Flagellaten
und Schwärmsporen sehr lebhaft durcheinanderwimmeln, da ja die
Schnelligkeit der Bewegung, d. h. der zurückgelegte Weg auch mit
vergrößert wird. Bei tausendfacher Vergrößerung würde also ein
Schwärmer der Lohblüte scheinbar 1 m in der Sekunde zurücklegen.
Das gibt den Eindruck einer sausenden Geschwindigkeit, zu deren
Erreichung bei dem großen Widerstande, den das Wasser so kleinen
Körpern bietet, jedenfalls eine relativ erhebliche Kraft erforderlich
ist. Für Euglenen ist festgestellt, daß sie etwa das achtfache ihres
eigenen Gewichtes im Wasser zu heben vermögen. (Schwarz 1884.)
Die meisten Bakterienarten sind dauernd oder doch in gewissen
Entwicklungszuständen beweglich. In diesem Falle ließen sich stets
mit besonderen Färbungen, die an sich kaum erkennbaren Geißeln
sichtbar machen. Die Begeißelung ist sehr verschiedenartig, aber
für die einzelnen Gattungen so konstant daß sie als systema-
tisches Merkmal verwendet wird (Abb. 4). Bewegliche Stäbchen mit einem
12 II. Das pflanzliche Bewegungsvermögen.
oder mehreren Geißeln am Vorderende nennt man nach Migula (1897)
Pseudomonas; wenn sie etwas gebogen sind, Microspira, solche mit
über den ganzen Körper verstreuten Bewegungsorganen Bacillus.
Kugelförmige Bakterien mit einer Geißel heißen Planococeus. Die
schraubenförmigen Spirillen besitzen einen Schopf von Geißeln an
einem oder an beiden Enden. In dem letzteren Falle sind sie in
Teilung begriffen. Dieser Zustand dauert ziemlich lange, so daß oft
ein großer Teil der Individuen in der Kultur ‚„bipolar‘‘ begeißelt ist.
Ähnliches kommt auch bei den Stäbchen mit Endbegeißelung vor.
Der Körper ist starr und trägt nichts zur Schwimmbewegung bei.
Bei den Spirillen sieht es bei flüchtiger Betrachtung so aus, als
schlängelten sie sich durchs Wasser. In Wirklichkeit liegt ein sich
Vorwärtsbohren unter Drehung um die Hauptachse der Schraube vor.
Stets verläuft die Bewegung ungefähr in der Längsrichtung des
Körpers, dabei können aber bei
den Stäbchen Vorder- und Hinter-
ende kreisende Bewegungen aus-
führen, durch die sie beim Vorwärts-
schreiten eine Schraubenlinie be-
schreiben. Denkt man sich ihre Be-
wegung ohne Vorwärtsschreiten, so
würde das Stäbchen den Mantel
eines Kegels oder Doppelkegels be-
schreiben. Auch kann die Bewegung
umkehren, was besonders bei den-
jenigen Stäbchen und Spirillen be-
Ath obachtet wird, die Geißeln an bei-
Schwimmfähige Bakterien mit Geißen, den Enden besitzen und Aunsbeiden
stark vergrößert (Aus Rosen, 1909). Richtungen gleich gut schwimmen.
a) Nitrosomonas (Planococcus) europaea; R) B x .. .
b) Nitrosomonas javanensis; ec) Microspira Sonst tritt nur vorübergehend bei
Comma; d) Bacillus subtilis; e) Pleetridium besonderen Veranlassungen eine
paludosum; f) Spirillum Undula. h
Umkehr der Bewegungsrichtung
ein. Drehungen um die eigene Achse sind mit der Bewegung aller
Bakterien verknüpft, doch sind sie nicht immer leicht wahrzunehmen.
Die Bewegung macht bei verschiedenen Bakterienarten einen sehr
wechselnden Eindruck, bald ist sie schnell, bald langsam, stetig oder
unterbrochen, die Bahn gerade oder gewunden, zielbewußt oder wech-
selnd. Von der Tätigkeit der Bewegungsorgane sieht man dabei bei
ihrer Schnelligkeit und der außerordentlichen Feinheit der Geißeln fast
nie etwas, so daß es schwer ist, darüber Aufschluß zu erlangen. Nur
unter besonders günstigen Umständen und mit stärkster Vergrößerung
konnte Migula (1897, S. 110) die Arbeit der Geißeln verfolgen: ‚‚Bei
einer Zelle des Monas Okenii (eines verhältnismäßig sehr großen
Bakteriums mit nur einer Geißel) war die Geißel bei der be-
ginnenden Austrocknung zwischen einen hineingeworfenen Deckglas-
splitter und das Deckglas geraten und konnte sich nicht wieder be-
freien. Zuerst war das Schlagen des freien Geißelteils so heftig, daß
Freie Ortsbewegung. 13
die Zelle hin- und hergeschleudert wurde, allmählich aber wurden
die Bewegungen langsamer, und es ließ sich erkennen, wie sich die
Bewegung von dem eingeklemmten Geißelende, soweit es sich über-
haupt noch bewegen konnte, schraubenförmig bis zur Basis fort-
setzte und sich die Zelle selbst erst bewegte, wenn diese von der
Spitze der Geißel nach der Basis hin sich fortpflanzende Bewegung
bis an die Zelle gelangt war.“
Diese Beobachtung lehrt gleich vielen anderen, daß die Be-
wegungen bei den Bakterien auf dieselbe Weise vor sich gehen wie bei
den Flagellaten. Die Geißel ist der aktive Teil, sie hat eine gewisse
Selbständigkeit und ist nicht als ein durch die Zellwand ausgestülp-
ter Plamafaden zu betrachten, sondern als ein differenziertes Organ
der Zelle. Niemals wird sie eingezogen. Unter ungünstigen Be-
dingungen kann sie aber erstarren oder abgeworfen werden. Bak-
terien, die zur Bewegung fähig sind, sollen nach Fischer (1895) immer
Geißeln bilden, die aber unter Umständen untätig bleiben können.
Neuerdings (1909) gelang es Reichert, mit einer besonderen op-
tischen Methode die Bewegungen der Bakteriengeißeln sehr viel besser
zu beobachten, als das früher möglich war.
Reichert bediente sich der sogenannten Dunkelfeldbeleuchtung, die auch
die Grundlage der „Ultramikroskopie“ bildet, d. h. der Sichtbarmachung
von Teilchen, die zu klein oder zu wenig lichtbrechend sind, als daß sie mit
dem gewöhnlichen Mikroskope im durchtallenden Lichte zu sehen wären. Das
Prinzip können wir uns an der Erscheinung der Sonnenstäubchen klar machen.
Diese werden bei scharfer seitlicher Beleuchtung auf dunklem Grunde durch
Beugung des Lichtes gewissermaßen selbst leuchtend. Sie erscheinen daher
größer und werden dem bloßen Auge sichtbar. Ähnlich kann man unter
dem Mikroskop durch seitliche Beleuchtung feine, sich vom Wasser wenig ab-
hebende Teile wie Bakteriengeißeln zur Beobachtung bringen, die sonst nicht
zu sehen wären.
Das Hauptergebnis dieser Untersuchungen ist der Nachweis,
daß die Bakteriengeißeln, obgleich oft am Vorderende inseriert, fast
immer rückwärts geschlagen sind. Dabei sind sie stets in Form von
rechtsgängigen Schrauben gewunden und rotieren rechts herum. Der
Körper dreht sich links herum. Da wo viele Geißeln in einem Büschel
beisammen stehen, sind sie nach Reichert in der Bewegung zusam-
mengelest, so daß sie einheitlich schlagen und dadurch leichter
sichtbar werden als in der Ruhe, wo sie auseinanderspreizen.
Bei den beweglichen, nach der Teilung in Paketen zusammen bleibenden
Kugelbakterien (Planosarcina) sind die Geißeln nach rückwärts geschlagen und
unterstützen einander meist durch gleichmäßigen Schlag. Es muß deshalb hier
eine ähnliche Verknüpfung der Einzelindividuen angenommen werden wie bei
Volvox.
Von besonderer Bedeutung sind für uns die Bewegungen der
Geißeln bei der Richtungsumkehr, weil diese in der Erzielung von
Reizreaktionen, wie wir noch sehen werden, eine große Rolle spielt.
Periodisch oder auf äußeren Anstoß hin erfolgt ein Wechsel der Be-
wegungsrichtung unter vorübergehender Verlangsamung des Fort-
schreitens und Erweiterung des vom Bakterienkörper gebildeten
14 lI. Das pflanzliche Bewegungsvermögen.
Rotationskegels. Nun ‚‚entspricht jeder vollen Geißelrotation auch
ein voller Umlauf des Körpers um den ‚Trichter‘, infolgedessen wird
bei rascherer Geißelrotation die Kraft, welche die Seitenabweichung
bewirkt, auch viel rascher ihre Richtung ändern, und da sie also
viel kürzere Zeit nach einer bestimmten Richtung wirkt, eine ge-
ringere Seitenabweichung bewirken. Und hauptsächlich aus diesem
Grunde wird die Trichterbewegung bei rascherer Vorwärtsbewegung
des Körpers eine Abschwächung erfahren“. Bei den polar begeißelten
Spirillen wurde beobachtet, daß einer Umkehrung der Bewegung eine
Erweiterung des Rotationstrichters vorangeht, bis schließlich die
Lage der Geißel zum Körper gegen früher um 180° verschoben ist.
Bei langer starker Geißel bleibt diese in derselben Lage und der
Körper dreht sich. Schlägt die Geißel schnell herum, so erfolgt die
Umkehr oft geradezu sprungweise. Ist die Geißel kürzer, so wird
sie herumgelegt und der Körper behält seine Richtung bei, nur daß
er jetzt mit dem anderen Ende voranschwimmt. Die Bazillen mit
über den Körper verstreuten Geißeln zeigen diese niemals in der
Bewegung nach vorn gerichtet. Da die Geißeln stets im selben Sinne
rotieren, muß bei der Richtungsumkehr die Bewegung einen Augen-
blick aussetzen, die Geißeln müssen herumgeschlagen und nun wieder
in Tätigkeit versetzt werden. Deshalb geht der Wechsel der Be-
wegungsrichtung niemals so schnell vonstatten wie bei polar be-
geißelten Bakterien. Die Umkehr der Geißelschwingungen ist bei
allen Bakterien nur vorübergehend, so daß also bald wieder die alte
Schwimmweise angenommen wird, auch ohne daß ein neuer Anstoß
erfolgt.
Damit hätten wir die pflanzlichen Gebilde, die einer freien
Schwimmbewegung fähig sind, besprochen und können uns nun zu den
einer festen Unterlage bedürfenden frei beweglichen Organismen wenden.
Während sich bei den Schwimmbewegungen stets besondere
Organe nachweisen lassen, die die motorische Kraft ausüben, ist das
bei den Gleit- und Kriechbewegungen nicht immer der Fall.
Es ist daher begreiflich, daß man über sie noch wenig Bescheid
weiß. Auch diese Bewegungsart ist weit verbreitet im Pflanzenreich.
Bekannt ist sie in folgenden Familien:
l. Beggiatoen unter den Bakterien
2. Cyanophyceen (Spalt- oder Blaualgen)
3. Desmidiaceen
4. Diatomeen (Kieselalgen)
5. Myxomyzeten (Schleimpilze).
Hieran schließen sich dann die Bewegungen der Teile in um-
häuteten Zellen der Pilze, Algen und höheren Pflanzen, die später
besprochen werden sollen.
Zum Kriechen bedarf es stets eines festen Bodens. Pflanzen,
die dazu befähigt sind, leben aber nur im Wasser. Allerdings ge-
Freie Ortsbewegung. 15
nügt ihnen vielfach die dünne Wasserschicht, die feuchte Körper
überzieht. Trocken darf die Unterlage keinesfalls sein. So findet
man die hierher gehörigen Organismen auf dem Boden flacher
Gewässer, auf feuchter Erde, verwesten Pflanzenresten und dergleichen.
Manchen genügt auch der Widerhalt, den sie an der Oberfläche von
Flüssigkeiten finden, zur Fortbewegung. Frei schwimmen können sie
auf Grund dieser Bewegungsart nicht. Dazu be-
darf es stets der Geißeln.
Am besten bekannt ist das Kriechen der
häufigsten hierher gehörigen Lebewesen, der Di-
atomeen. Die frei beweglichen unter ihnen
stellen meist einzeln lebende Zellen dar, die von
einem Kieselpanzer mit oft wunderbar zart ge-
stalteter Oberfläche umschlossen sind. Ihre Be-
wegung erscheint unter dem Mikroskop als ein
Gleiten, dem Anblicke nach vergleichbar dem
einer Schnecke. Meist sind die beweglichen Dia-
tomeen länglich, oft elliptisch, kahn- oder auch
nadelförmig. Das Kriechen geschieht stets in
der Richtung der Längsachse. Dabei kann das
vorangehende Ende wechseln.
Es erscheint zunächst wunderbar, wie ein
von festem Panzer umgebenes Gebilde sich zu
bewegen vermag. Die Erklärung liegt darin,
daß das lebende Protoplasma aus feinen
Spalten, den Raphen, heraustritt und die
Bewegung vermittelt. Solcher Schlitze, die in
der Längsrichtung verlaufen, haben die hier zu
berücksichtigenden Kieselalgen vier, da sie doppelt
symmetrisch gebaut sind. Zwei davon liegen in
einer Längslinie auf der einen, zwei auf der ent-
gegengesetzten Seite (Abb. 5). Auf der Oberseite
kann man an ruhig liegenden Exemplaren mit
starker Vergrößerung sehen, wie zufällig an- Abb. 5.
geklebte kleine Fremdkörperchen bald in der einen, un een,
bald in der anderen Richtung an dem Spalt ent- re
lang gleiten. Da nur das lebende Protoplasma die Stark vergrößert.
bewegende Kraft hergeben kann, so schließt man *" Oltmanns, 1908.
aus solchen Beobachtungen auf einen Protoplasma-
strom, derart, daß die halbflüssige Masse am einen Ende hervortritt, den
Spalt entlang gleitet und am anderen Ende ins Innere zurückkehrt. So
wie hier bei ruhenden Individuen die leichten Partikelchen bewegt werden,
während die schwerere Diatomee still liegt, so soll nach der Vorstellung
mancher Autoren bei Berührung des Plasmastromes mit einem festen
Untergrunde die Diatomee sich von der Stelle schieben. Übrigens genügt
unter Umständen die Reibung des Protoplasmas am Wasser zur Fort-
bewegung, so daß der Spalt nicht immer dem Untergrunde anliegen
16 Il. Das pflanzliche Bewegungsvermögen.
muß. Müller (1896) führt triftige Gründe dafür an, daß das Plasma
am gebogenen Ende der Raphen kleine Wirbel bildet, die propellerartig
wirken.') Ein freies Schwimmen kommt dadurch aber doch nicht zustande,
weil der Diatomeenkörper im Verhältnis zur bewegenden Kraft zu
schwer ist. Die Bewegung ist stets relativ langsam und erreicht
wohl kaum je ein fünfzigstel Millimeter in der Sekunde, so daß also
meist in der Stunde noch keine 5cm zurückgelegt werden. Immer-
hin macht die Bewegung unter dem Mikroskop auch hier oft einen
recht lebhaften Eindruck, so z. B. bei gewissen schiffehenförmigen
Kieselalgen des Meeres. Noch schneller erscheint sie bei einer merk-
würdigen, in unseren Teichen vorkommenden Form, der Bacillaria
paradoxa, und zwar dadurch, daß hier die 20— 30 Individuen, die meist
zu einer Kolonie vereinigt sind, sich aneinander entlang schieben,
sodaß sich beim Anblick ihre Geschwindigkeit addiert (Abb. 6).
—n
GE
Abb. 6.
Bacillaria paradoxa. Die Individuen teilweise ganz aus-
einander, teilweise zusammengeschoben. (Aus Oltmanns 1905).
Die Kräfte, die die beweglichen ÖÜyanophyceen vorwärts treiben, sind
noch wenig bekannt. Diese sehr niedrig stehenden, im Wasser oder auf
feuchtem Boden lebenden Organismen sind meist von blaugrüner oder
auch bräunlicher Farbe. Ihre kleinen, scheiben- oder kugelförmigen Zellen
sind geldrollen- oder perlschnurartig zu langen Fäden angeordnet. Beg-
giatoa ist farblos und wird deshalb meist zu den Bakterien gestellt, ob-
gleich sie in den meisten morphologischen Merkmalen mit den Oseilla-
rien unter den Blaualgen übereinstimmt. Bringt man die Fäden in einem
Tropfen Wasser unters Mikroskop, so sind sie zunächst meist zu kleinen
Knäueln zusammengeballt. Bald sieht man aber die bogenförmigen
Krümmungen sich elastisch ausgleichen und es beginnen nun schwingende,
kreisende Bewegungen, bei denen die Spitzen der Fäden kegelförmige
Bahnen beschreiben, oder, bei mangelndem Raum unterm Deckglase
sich hin und her biegen. Dabei strahlen die Fäden bald nach allen
tichtungen annähernd geradlinig ins Wasser, während sie in der
!) Gegen die allgemeine Gültigkeit dieser Auffassung scheint mir aber das
Kriechen von Diatomeen zu sprechen, die man in Agar oder Gelatine ein-
geschmolzen hat.
Freie Ortsbeweguns. 17
Mitte verknotet bleiben können (Abb. 7). Es können aber auch Faden-
stücke heraus und an festen Körpern entlang kriechen. Besonders ge-
schieht das zu Zwecken der Vermehrung. Bestimmt vorgebildete Bruch-
stücke lösen sich dann los und suchen, vermöge einer ziemlich lebhaften,
gleitenden Bewegung, bei der sie sich um ihre Längsachse drehen,
neue Orte auf, die besser zur Vermehrung geeignet sind. Oft sieht
man die Fäden sich über feste Körper oder auch an der Wasser-
oberfläche netzartig ausbreiten, wobei sie auch aus dem Wasser heraus,
z.B. an den Wänden eines Glasgefäßes in die Höhe kriechen können.
Sie bleiben dabei durch kapillar mitgezogenes Wasser feucht. Denn
im Trocknen können sie nicht leben.
Besondere Bewegungsorgane sind auch durch die sorgfältigsten
Untersuchungen nicht nachzuweisen gewesen. Beobachtet man hier
wieder kleine Körper-
chen, die an belie-
bigen Stellen der
Oberfläche festkle-
ben, so sieht man,
daß sie in schraubiger |/
Bahn fortschreiten,
die umkehren und
ihre Lage verändern
kann. Ein Plasma-
strom, der etwa wie
bei Diatomeen aus
Öffnungen hervor-
träte, ist nicht zu
entdecken gewesen,
auch bei dem mor-
phologischen Bau
kaum anzunehmen, Abb. 7.
und so bleibt die Ur- Oseillarien strahlen geradlinig nach allen Seiten und ent-
fernen sich dadurch voneinander. Mikrophotographie.
sache der Bewegung
durchaus rätselhaft.
Dagegen fand man immer eine Schleimhülle, die den Faden um-
gibt und in der er sich verschiebt, so daß er sich von der Stelle be-
wegt, während die Scheide irgendwo festklebt. Die motorische Kraft
ist demnach zwischen dem Faden und der Hülle tätig und die sich
bewegenden Körnchen müssen an der sich drehenden Scheide kleben.
Geklärt ist damit das Problem nicht. Da die Fadenstücke mehr als
ihre eigene Länge in einer Richtung zurücklegen können, so muß
beim Verschieben in der Scheide neue Gallertmasse abgeschieden
werden. Ob aber diese Ausscheidung selbst die bewegende Kraft
darstellt, ist nicht klar zu ersehen. Manche Beobachtung spricht
dagegen. Da die Scheide im Wasser oft kaum zu sehen ist, scheint
es manchmal, als bewegte der Faden sich frei ohne Stütze. In
Wirklichkeit ist aber Berührung mit festen Körpern Bedingung für
Pringsheim, Reizbewegungen. >
1
[0 0)
II. Das pflanzliche Bewegungsvermögen.
die Ortsbewegung. Allerdings genügt das Festkleben eines kleinen
Punktes der Scheide (Correns 1897).
Bei den kriechenden Desmidiaceen ist es sichergestellt, daß das
Fortrücken durch Ausscheidung von Gallertmassen geschieht, die am
Substrat festklebend durch ihre Verlängerung die Alge fortschieben
(Klebs 1885). ‚Die fast stabförmigen Pleurotaenien z. B. heften
das eine Zellende durch Gallertfuß am Substrat fest, das andere er-
heben sie frei von demselben unter einem Winkel von 30—50° (Olt-
manns 1905, S. 223)“. Beim Rutschen geht das freie Ende voran
und pendelt dabei hin und her. Ähnlich verhalten sich andere Des-
midiaceen, unter denen sich Closterium dadurch auszeichnet, daß
es sich bei der Bewegung überschlägt und so bald das eine Ende,
bald das andere auf der Unterlage rutschen läßt, während das freie
schräg aufwärts gerichtet ist (Abb. 8). Doch können diese Organismen
sich auch in liegender Stellung, parallel der Längsachse des Körpers
fortbewegen, wie das besonders schön an in Agar eingeschmolzenen
Individuen zu beobachten ist. Die Gallertmasse läßt sich dadurch
sichtbar machen, daß man
die Objekte in eine Auf-
schwemmung von chine-
sischer Tusche bringt.
Alsdann erscheint sie weiß
auf schwarzem Grunde.
2, Es ist klar, daß dieses
Abb. 8 Fortschieben schon kaum
Closterium, sich auf einer Unterlage vorwärts schiebend. mehr als freie Ortsbewe-
(mEROlizuuzn 33579052) gung angesehen werden
kann. Ähnliche Gallert-
stiele kommen auch bei Diatomeen vor. Da ihre Ausscheidung dort
aber langsamer geschieht, schließen sich die dadurch bewirkten Orts-
veränderungen an die der festgewachsenen Pflanzen an.
In allen besprochenen Fällen geht die Ursache der Bewegung im
Grunde auf die Tätigkeit des lebenden Plasmas zurück. Bei den
Diatomeen liefert es unmittelbar die motorische Kraft, bei den
Schwimmern bestehen die Geißeln aus einem modifizierten kontrak-
tilen und elastischen Plasma und auch das Kriechen der Öscillarien
muß, wie es auch zustande kommen mag, dem lebenden Plasma
zugeschrieben werden.
Viel unmittelbarer noch als bei den Diatomeen tritt uns
die eigene Beweglichkeit des Protoplasmas bei denjenigen Organis-
men entgegen, die einer festen Umgrenzung entbehren und unter
Veränderungen ihrer Körpergestalt kriechen. Hierher gehören die
Schleimpilze oder Myxomyceten und ihre, den tierischen Amöben
ähnlichen Fortpflanzungszellen'). Auch kommen sie bei den Schwär-
!) Man könnte allerdings wohl ebensogut die Amöben zu den Pflanzen und
die Schleimpilze zu den Tieren rechnen. Wir legen auf solche Unterscheidungen
keinen Wert.
Freie Ortsbewegung. 19
mern gewisser Pilze und Algen vor, aber in geringerer Aus-
bildung.
Die Schleimpilze stellen nackte Plasmamassen dar. Meist sind
sie farblos oder gelblich, ohne feste Umgrenzung, aber durchaus
nicht ohne innere Differenzierung. Nach außen sind sie von einer
etwas zäheren klaren Schicht umgeben, die das leichter bewegliche
„Körnerplasma‘“‘ umschließt. In diesem finden sich Zellkerne, Öl-
und Wassertröpfchen, Nahrungsteilchen, die in fester Form auf-
genommen werden und winzige Körnchen unbekannter Zusammen-
setzung. Beobachtet man das ‚Plasmodium‘‘ eines Schleimpilzes
unter dem Mikroskop, so sieht man an den meist reichen, aderartigen
Verzweigungen eine lebhafte Gestaltveränderung, verbunden mit
einem strömenden Fortrücken der Körnermasse im Innern (Abb. 9e).
Alle Teile sind ständig in Bewegung, jedes Zweiglein verändert seinen
Umriß entweder in welliger Bewegung oder durch das Austreiben
von Spitzen, Höckern und dergleichen. Auch kann das Ganze fort-
rücken, wenn die Hervortreibungen nach einer Seite stärker sind als
nach der anderen, die sich dann zurückziehen muß. Dabei strömt
das Plasma im Innern stets dorthin, wo eine Ausbuchtung angelegt
wird. Durch solche, scheinbar regellose Bewegung kann aber doch,
wie wir sehen werden, unter dem Einflusse von Reizen ein bestimmt
gerichtetes Fortrücken zustande kommen, indem eine Bewegungs-
komponente vor den anderen bevorzugt wird.
Später zerfällt das Plasmodium unter besonderen Formgestal-
tungen, die hier nicht zu besprechen sind, in Sporen, die der Ver-
breitung dienen. Gelangen diese in günstige Umstände, so keimen
sie, d.h. sie entlassen Schwärmer, die eine Geißel besitzen und nach
Art der besprochenen Algenschwärmsporen im Wasser schwimmen
können. Außerdem haben sie aber auch die Fähigkeit einer amö-
boiden Gestaltveränderung, mit Hilfe deren sie zu kriechen vermögen
(Abb. 9d). Beide Bewegungsarten können miteinander abwechseln. ‚Bei
der kriechenden Bewegung liegt der Schwärmer dem festen Substrat
auf, entweder wurmförmig nach einer Seite fortrückend, die Cilie (besser
Geißel) vorangestreckt; oder rundliche Gestalt annehmend und wechselnd
nach allen Seiten hin Fortsätze austreibend und wieder einziehend,
nach Art von Amöben. Die Cilie ist hierbei oft völlig verschwunden,
sie scheint eingezogen zu werden. Die kriechende Bewegung ist
völlig derjenigen gleich, welche die frühere Protozoengattung Amoeba
charakterisiert (De Bary 1866, 8. 303).‘“ Die Schwärmer vermehren
sich durch Teilung. Schließlich verschmelzen sie paarweise zu neuen
kleinen Plasmodien, deren Bewegungen und Formveränderungen mit
den ihrigen durchaus übereinstimmen und die allmählich zu den
großen Plasmamassen heranwachsen, wie sie vor der Sporenbildung
zu beobachten sind (Jahn 1911).
Über die Mechanik der Bewegungen, besonders bei den Amöben,
ist viel geschrieben worden. Sie waren ein beliebtes Objekt für
physikalisch-chemische Deutungen. Man glaubte die bewegende
I%*
20 Il. Das pflanzliche Bewegungsvermögen.
Ursache in der Oberflächenspannung gefunden zu haben. Da aber
diese Erklärung sicher nicht ausreicht und die ganze Angelegenheit
noch recht verworren ist, wollen wir hier darauf nicht näher ein-
gehen. Das Für und Wider hat Pfeffer (1904, S. 715ff) ausführlich
erörtert.
Neuerdings hat nun Dellinger (Jennings [1905] 1910) nachge-
wiesen, daß nicht einmal die äußeren Erscheinungen immer mit dem
Bilde übereinstimmen, das man sich
früher davon gemacht und den physi-
kalischen Untersuchungen zugrunde
gelegt hat. Die Amöben vom Typus
A. limax sind meist langgestreckt,
ziemlich leichtflüssig, ihre Bewe-
gung ähnelt einem Fließen. Der
Typus A. verrucosa ist mehr rund-
lich, die Außenschicht ziemlich
starr, die Bewegung einem Rollen
vergleichbar, was an der Bewegung
kleiner Körperchen an der Ober-
fläche ersichtlich wird. Der dritte
Typus, der durch A. proteus ver-
treten wird, zeichnet sich durch
lappige, füßchenartige Ausstül-
pungen aus. Da oft nur diese
das Substrat berühren, kommt eine
Art von Schreitbewegung zustande.
Damit ist die Mannigfaltigkeit der
beobachteten Formen durchaus
nicht erschöpft. Das Gesagte möge
e aber genügen.
a 5 c 9 Innerhalb dieser Gruppe ist
Ac Abb. 9. schon eine große Verschiedenheit
I aut n E = es) 3 .
' 0 Entwiekelung der Schleimpilze. der Formbeständigkeit zu konsta-
Med) & Spore; b. Keimung; tieren, die beiden großen vielkernigen
e. Schwimmender Schwärmer; : N |
WA Plasmodien der Schleimpilze am
/ d. Amöbenstadium; e. Plas- i i . . ’
| modium. la dwergrößer geringsten ist. Diese fließen, wie
(Aus Jost und Rosen.) erwähnt, in vielfach verzweigte
Stränge auseinander und können
sogar zerreißen und sich wieder vereinigen. Schon viel konstanter ist
die Form der einkernigen Amöben, deren Arten nach der Gestalt
unterschieden zu werden pflegen. Sie können rundlich und im Kriechen
viellappig sein, die Lappen können ihrerseits abgerundet oder spitz
sein, einen mehr oder weniger großen Teil der Gesamtmasse aus-
machen usf. Auch kommen, wie erwähnt. langgestreckte Formen
vor, die meist in einer bestimmten Richtung kriechen. Doch hängt
die Gestalt oft auch von den äußeren Umständen ab. So ist die
Form und Bewegungsweise bei den Myxomycetenschwärmern anders,
Plasmabewegung. 21
wenn sie frei im Wasser schwimmen als wenn sie auf festem Substrat
kriechen. Manche Amöben strecken, falls sie im Wasser suspendiert
sind, lange spitze Fortsätze aus, so daß sie etwa sternförmig werden.
Kommt eine von diesen Spitzen mit einem festen Körper in Be-
rührung, so heftet sie sich fest, das übrige Plasma wird nachgezogen
und die Amöbe kriecht in mehr rundlicher Gestalt weiter. So sind
noch viele Besonderheiten beobachtet worden, über die Jennings
(1910, S. 2—14) berichtet.
Noch weniger frei in ihrer Formgestaltung sind diejenigen Algen-
und Chytridiaceenschwärmer, die nach ihrer Festheftung amöboide
Bewegungen zeigen (z. B. Pascher 1909, S. 145), und die dazu be-
fähigten Flagellaten, z. B. Euglenen. Diese geringer ausgebildete
Veränderlichkeit der Form, die aber gleichwohl zum Kriechen be-
fähigt, nennt man Metabolie. Die Unterschiede sind wohl durch die
verschiedene Konsistenz der Hautschicht bedingt. Die Kuglenen
(vergl. Abb.2, S.9) können mit Hilfe einer Geißel rasch schwimmen, dann
sind sie langgestreckt, fischförmig. Oder sie können kriechen. Dabei
sind sie kürzer und dicker, heften sich bald vorn, bald hinten an und
kommen so durch abwechselndes Zusammenziehen und Ausstrecken
des Körpers vorwärts. In der Ruhe werden sie nahezu kugelig.
Darüber hinaus geht aber die Veränderlichkeit ihrer Körperform
nicht, und es gibt nahe Verwandte, die wohl noch schwimmen können,
aber eine zu steife Haut haben, als daß sie sich zu kontrahieren
vermöchten.
c) Plasmabewegung.
Noch mehr in seiner Beweglichkeit beschränkt als bei den zuletzt
genannten Organismen ist das Plasma in den starr behäuteten Zellen, wie
sie — abgesehen von den wenigen erwähnten Fällen — bei den
Pflanzen durchweg vorliegen. Innerhalb der durch die Zellwand ge-
gebenen Grenzen ist aber oft eine Bewegungsfähigkeit zu finden,
die der der Schleimpilze in vielem ähnelt.
In den jüngsten Zellen, wie sie an den Vegetationspunkten
durch Teilung entstehen, ist das ganze Zellinnere von Plasma erfüllt.
Da bleibt kein Raum für ausgiebigere Bewegungen. Die Vermehrung
des Protoplasmas hält aber nicht Schritt mit der Volumvergrößerung
der Zelle, die hauptsächlich durch Wasseraufnahme vor sich geht. Es
bilden sich anfangs kleine, bald größer werdende Flüssigkeitstropfen
im Inneren, die sog. Vacuolen, zwischen denen schließlich nur schmale
Plasmastränge übrig bleiben. Diese durchqueren den mit Flüssigkeit
erfüllten Innenraum und münden in den Plasmaschlauch, der bei
gesunden Zellen stets der Wand angeschmiegt ist (Abb. IA u. B).
In den Strängen sieht man häufig eine lebhafte Strömung, die
durch mitgeführte kleinste Körperchen erkennbar wird. Die Stränge
selbst können dabei ihren Ort wechseln, durch Verschmelzen mit dem
Wandbelag verschwinden und neu gebildet werden. Zuletzt werden
sie beim Wachsen der Zelle ganz eingezogen, so daß dann der Plasma-
23 Il. Das
Abb. 10,
Verschiedene Zustände aus der
Entwickelung einer Pflanzenzelle.
k. Kern; m. Zellwand;
v. Vacuolen bzw. Saftraum;
cy. Protoplasma.
(Nach Strasburgers Lehrbuch.)
pflanzliche Bewegungsvermögen.
schlauch einen einheitlichen Zellsaftraum um-
schließt (Abb. 100). Das Protoplasma kann
auch in diesem Stadium bei vielen Objekten
noch Bewegungen ausführen, die dann allein
in Strömungen, nicht in Formveränderungen
bestehen.
Der strömende, körnerführende Teii des
Plasmas ist wie bei den Schleimpilzen durch
eine in relativer Ruhe befindliche glasklare
Schicht gegen die Vacuole und die Zellulose-
wand abgegrenzt. Eine ähnliche Schicht um-
schließt auch die Stränge, die durch den
Zellsaftraum gespannt sind. Hier macht sie
zwar die schnelle Massenströmung nicht mit,
ist aber bei den Formveränderungen wahr-
scheinlich gerade der aktive Teil.
In fast allen Pflanzen, die man darauf
antersucht hat, ist unter Umständen und
in gewissen Zellen Plasmaströmung gefunden
worden. Besonders lebhaft sind sie in Haar-
sebilden (Tradeskantiastaubfadenhaare, Haare
an der Blumenkrone von Glockenblumenarten,
Brennhaare von der Brennessel, Wurzelhaare)
und in Wasserpflanzen (Elodea [Wasserpest |,
Vallisneria, Hydrocharis |Froschbiß], Chara,
Nitella). Dann auch in gewissen Pilzhyphen.
Sie kann so große Kraft entfalten, daß Chloro-
phylikörper und Kern mitgerissen werden.
Leicht läßt sich das an den langen Zellen
der Mittelrippe von Blättern der Wasserpest
und von Vallisneria beobachten. Chloroplasten
und Kern werden aber oft auch dann be-
wegt, wenn sie bei kurzem Hinblicken in
Ruhe zu sein scheinen. Sie können nämlich
bei gewissen Einwirkungen ihre Lage ver-
ändern. Da man nun an ihnen keine Be-
wegungsorgane erkennen kann, nimmt man
an, daß das Protoplasma die Verschiebung
bewirkt. Ob es dazu bestimmte Differen-
zierungen um Kern und Chlorophylikörper
herum bildet, die gewissermaßen das Be-
wegungsmittel darstellen, ist noch nicht sicher
entschieden. Welchem Zweck diese Umlage-
rungen dienen und durch welche Anstöße
sie bewirkt werden, das werden wir in den
speziellen Kapiteln erörtern.
Wachstumsbewegungen. 23
d) Wachstumsbewegungen.
Wir haben gesehen, daß mit der Fortbildung der Pflanzen die
freie Beweglichkeit allmählich zurücktrat. Je weiter die Ausnutzung
des Sonnenlichtes getrieben wurde, desto seßhafter wurden sie. Nur
die männlichen Fortpflanzungszellen erreichten schließlich noch
schwimmend das zu befruchtende Ei.
Mit dem Übergange zum Landleben wurde auch dieser Zustand
unhaltbar. Die Moose, die nur wachsen, wenn ihre Polster von
Wasser durchtränkt sind, und die Farnpflanzen, bei denen wenigstens
die Geschlechtsgeneration dem feuchten Boden angepreßt oder ein-
gesenkt bleibt, konnten die alte Einrichtung aufrecht erhalten; aber
die Samenpflanzen machten sich von der Mithilfe des Wassers bei
der Befruchtung frei. Ihr Blütenstaub wird durch den Wind oder
durch Insekten zur Narbe getragen. Wo bei den Vorfahren der
männliche Geschlechtskeim schwimmend das Ei zu erreichen suchte,
da wächst jetzt ein schlauchartiges Gebilde aus dem Pollenkorn
heraus und trägt den Befruchtungsstoff in die Samenknospe: Die
freie Beweglichkeit ist durch wohlgeleitetes Wachstum
ersetzt. Hiermit fiel das letzte Überbleibsel einer ungebundeneren
Lebensweise.
Im übrigen waren die grünen Pflanzen schon längst davon ab-
gekommen, geeignete Lebensbedingungen durch Ortsveränderungen
aus eigener Kraft zu gewinnen. Ihre Sporen und Samen müssen
da keimen, wo sie zufällig hinfallen und liegen bleiben. An diesen
Standort bleibt die Pflanze während ihres ganzen Daseins gebannt.
Aber die Wurzel bei ihrem Vordringen im Boden, Stengel und Blätter
beim Herausarbeiten aus der Erde und beim Ausbreiten an Luft
und Licht haben die Fähigkeit, die ihrer Aufgabe entsprechende
Lage zu erreichen. Auch dabei ist das Hauptbewegungsmittel der
höheren Pflanze das Wachstum.
Dasselbe starr umschließende Zellhautgerüst, das das Plasma
hindert frei umherzukriechen oder Bewegungsorgane auszustrecken,
gibt der festgewurzelten Pflanze die Möglichkeit zu manniesfaltigen
Biegungen und Drehungen, die ihre Orientierung zu den einwirkenden
Kräften der Außenwelt bewirken. Der aktive Teil ist dabei stets der
lebende Zellinhalt. Der Zellwandstoff dient nur als Baumaterial, das
durch ungleiche Anlagerung oder elastische Dehnung eine Gestalts-
veränderung der Zelle erlaubt.
Nur ganz im Anfang wachsen Wurzel und Sproß des keimenden
Samens in der Richtung weiter, die sie durch Zufall inne hatten.
Bald biegt sich die Spitze des Würzelchens abwärts, der Stengel mit
den ersten Blättern aufwärts. So gewinnt jeder Teil, durch die ver-
schiedensten Reize geleitet, die Orientierung, die er zur Ausübung
seiner Funktion nötig hat.
Betrachten wir nun eine junge Wurzel genauer. Wie kommt
es, daß sie trotz ihrer Zartheit die Fähigkeit und Kraft hat, in die
24 Il. Das pflanzliche Bewegungsvermögen.
Tiefe des Bodens einzudringen? Wir sehen, daß die Spitzeder Wurzel
kegelförmig ausläuft. Sie zeigt also die beste Form Widerstände zu
überwinden, dem physikalischen Gesetze des Keils entsprechend.
Außerdem ist sie von einer Art Kappe umgeben, deren äußere
Zellen absterben und verschleimen (Abb. 11). Dadurch wird die Rei-
bung am Boden vermindert, ähnlich wie
wenn man den Keil beim Holzspalten ein-
seifte oder schmierte.. Im Schutze der
Kappe, der sog. Wurzelhaube findet eine
beständige Vermehrung der Zellen statt. Ein
Teil dient zur Erneuerung der sich ab-
nutzenden Haube. Die anderen aber ordnen
sich in Zylinderform und vermehren ihr
Volumen, vor allem in der Längsrichtung.
Eben das nennt man Wachstum.
Die eigentliche Streckung findet bei
der Wurzel in einer verhältnismäßig kurzen
Zone hinter der Wurzelhaube statt. Durch sie
wird die Spitze vorwärts getrieben, während
die älteren Teile sich durch schlauchför-
mige Auswüchse, die Wurzelhaare, an
den Bodenpartikelchen verankern (Abb. 11).
Wäre die Wachstumszone länger, bestünde
also ein größerer Zwischenraum zwischen
Spitze und festgehefteter Partie, so könnte
die Wurzel unter dem Drucke seitlich aus-
weichen. Man denke daran, wie ein langer
Nagel sich beim Einschlagen leichter ver-
biegt als ein kurzer. Luftwurzel und Stengel
haben eine längere Streckungszone. Sie
haben ja auch gewöhnlich keine Hinder-
nisse zu überwinden. Wenn sich aber solche
bieten, dann wird hier gleichfalls das Wachs-
tum auf ein kürzeres Stück beschränkt.
Das kann oft genug vorkommen, z. B. wenn
eine Luftwurzel in die Erde eindringt oder
ein Stengel sich aus dem Boden heraus-
Abb. 11. arbeiten muß.
Rapswurzel, schwach ver- Im übrigen findet das Wachstum der
erößert, Wurzelhaube und . F . 3
a ulvendn, Stengel in ganz derselben Weise statt wie
das der Wurzeln. Der zarte Teil, in dem die
Teilung und Vermehrung der jungen Zellen stattfindet, und den man
den Vegetationspunkt nennt, wird hier anstatt von einer Haube, von
Blättern bedeckt, die ihn als Knospe umhüllen. Auf die Zell-
vermehrung folgt die Zellstreckung und schließlich die innere Aus-
gestaltung, bei der auch die Festigkeit durch Verdickung der Zell-
wände erhöht wird.
Wachstumsbewegungen. 25
Gerade die jungen Teile aber, die die Überwindung von Hinter-
nissen durch ihr Wachstum aktiv bewirken, haben dünne Zellwände.
Diese werden gespannt durch den Innendruck des Wassers, das jede
Zelle enthält. Dieser „Turgordruck ‘stellt die bewegende Kraft beim
Wachstum dar. Von ihrer Größe gibt uns die Beobachtung von Felsen
die durch Baumwurzeln gesprengt werden, einen Begriff. Daß einem
Gefüge unzähliger prall gefüllter Bläßchen, wie sie die jungen und
die nicht verholzten älteren Pflanzenteile darstellen, solche Kräfte
innewohnen, will uns erst schwer begreiflich erscheinen, und doch
müssen wir uns an diesen Gedanken gewöhnen. Das ist eben, neben
anderem, der Nutzen der feinen Kammerung des Pflanzenkörpers,
daß der darin befindliche Saft einem Druck von außen nicht seitlich
ausweichen kann, wie er es täte, wenn ein einziger großer Hohlraum
vorhanden wäre.
Will man das Wachstum eines Pflanzenteiles studieren,') so muß
man genaue Messungen ausführen. Vielfach genügt es, die gesamte
Verlängerung innerhalb einer gewissen Zeit mit einem Maßstabe
festzustellen. Für feinere Untersuchungen wird das Fortrücken der
Spitze auf mechanischem oder optischem Wege vergrößert.
Zur mechanischen Vergrößerung benutzt man Zeiger mit zwei verschieden
langen Hebelarmen, von denen der kürzere durch einen Faden an der Pflanze
befestigt ist, und der längere an einem Gradbogen (Zifferblatte) spielt. Oder man
verwendet ein Wellrad, d. h. zwei aneinander befestigte, an gleicher Achse leicht
drehbare Rollen. Ein Faden ist über die kleinere Rolle gelegt, auf einer Seite
an der Pflanze befestigt, auf der anderen durch ein Gegengewicht stramm
gehalten. Ein zweiter Faden geht über die größere Rolle, trägt einen Zeiger
und wieder ein Gegengewicht. Der Zeiger wird meist als Schreibspitze ausgebildet
und zieht Striche auf einem berußten Zylinder, der durch ein Uhrwerk in
langsame Drehung versetzt wird. Es entsteht dann eine Schraubenlinie, deren
Windungen um so weiter voneinander entfernt sind, je größer das Wachstum
innerhalb der Umdrehungszeit war. Kennt man das Verhältnis im Durch-
messer der beiden Rollen, so kann man aus dem Abstand der Linien die
Wachstumsgeschwindigkeit der Pflanze berechnen. Einen solchen selbst-
registrierenden Apparat, wie ihn Sachs im Jahre 1870 zuerst anwandte, nennt
man ein Auxanometer.
Zur optischen Vergrößerung der Wachstumsbewegungen kann man die
Visierlinie benutzen, die von der Spitze des Stengels oder der Wurzel usw. nach
einem bestimmten Punkte geht. Man zeichnet die Stellen, wo diese Linie eine
Glasplatte schneidet, auf dieser periodisch auf. Das Fortrücken der Visier-
punkte deutet das Wachstum an. Es ist das die Methode, die Darwin in seinen
Versuchen über das Bewegungsvermögen der Pflanzen ([1880] 1899) anwandte.
Sie ist aber nicht sehr genau. Für exaktere Messungen muß man ein Fernrohr
oder ein Mikroskop mit horizontalem Tubus anwenden. Bei kurzen Beobachtungen
wird das Fortrücken der Spitze des Pflanzenteils auf einer im Okular an-
gebrachten Skala abgelesen, bei längeren folgt man der Bewegung durch Ver-
änderung der Höhe des Instrumentes. Sie wird durch eine feine Schraube
bewirkt und kann vergrößert abgelesen werden.
Mit all diesen Methoden stellt man die Gesamtverlängerung des
Objektes fest. Wir wissen aber schon, daß die Streckung keines-
1) Methodische Anleitung kann man den Büchern von Detmer (1905)
und Linsbauer (1911) entnehmen.
26 1I. Das pflanzliche Bewegungsvermögen.
wegs in allen Teilen oder Querzonen gleichmäßig verläuft. Will man
sich über die Verteilung des Wachstums in einem Organe unter-
richten, so muß man Stück für Stück messen. Wo keine natürliche
Einteilung, etwa durch den Ansatz der Blätter, gegeben ist, wird
eine solche künstlich hergestellt. Das geschieht am besten durch
feine Striche oder Punkte, die in bestimmten Abständen mit schwar-
zem Lack oder chinesischer Tusche aufgetragen werden.
Will man z. B. die Wachstumsverteilung in einer Wurzel feststellen, so
benutzt man am besten Keimwurzeln von großsamigen Pflanzen, Pferdebohnen
(Vicia Faba) oder Erbsen (Pisum sativum), Bohnen (Phaseolus multiflorus) u. dgl.
Diese werden überhaupt für pflanzenphysiologische Versuche gern benutzt, weil
sie sich jederzeit frisch in beliebiger Menge beschaffen lassen. Man wird da-
durch einigermaßen unabhängig von der Jahreszeit.
Um gutes Material heranzuziehen geht man folgendermaßen vor: Die
Samen werden in mehrmals gewechseltem Wasser einen Tag eingequollen und
dann in mäßig, aber gleichmäßig feuchten Sägespänen zur Keimung gebracht.
Oder man füllt feuchten Sand in flache Kästen, drückt die Samen oberfläch-
lich hinein, und stellt die mit einem Deckel verschlossenen Kästen aufrecht.
Durch Abheben des Deckels kontrolliert man den Keimungszustand der ober-
flächlich liegenden Wurzeln (Giltay 1910). Zu genaueren Versuchen muß man
eine große Menge möglichst gleichmäßigen Materials haben, das man täglich
frisch ansetzt. So verbrauchte Sachs zu seiner Arbeit über das Wachstum der
Haupt- und Nebenwurzeln (1873) „nicht weniger als 10 Kilo Samen von Faba,
also über 3000 Stück und etwa 2 Kilo Erbsen.“
Sind die Wurzeln einige Millimeter lang, so können sie verwendet werden.
Man spült sie in Wasser ab, trocknet sie vorsichtig mit Fließpapier und macht
nun mit einem in schwarze chinesische Tusche getauchten spitzen Hölzchen
oder einem feinen Pinsel möglichst zarte Striche quer über die Wurzel im Ab-
stand von etwa 1—2 mm, je nach Bedarf. Man fängt dabei hinter der Wur-
zelhaube an, weil diese ja für das Wachstum nicht in Betracht kommt (vergl.
Abb. 18, S. 37). Nachher werden die Wurzeln wieder in ihr Kulturmedium
zurückgebracht. Nach einiger Zeit, z. B. am nächsten Tage, kann dann das
Wachstum festgestellt werden. Man sieht, welche Zone sich am meisten ver-
längert hat, sie liegt bei großen Wurzeln einige Millimeter hinter der Spitze.
In entsprechender Weise werden Stengelorgane behandelt. Vielfach wer-
den auch hierzu Keimpflanzen verwendet, z. B. solche von der Pferdebohne,
der Sonnenrose, Lupinen u. dgl., die man in Erde pflanzt. Natürlich kann
man auch flächige Organe, wie Blätter, in derselben Weise markieren. Man
fügt dann noch "Messungen in der Querrichtung hinzu. Will man gebogene
Objekte oder den Umfang eines zylindrischen Organes auf dieselbe Weise messen,
so muß man die Abstände der Marken so klein machen, daß Bogen und Sehne
gleichgesetzt werden können. Oder man benutzt biegsame Maßstäbe, z. B. Strei-
fen von Millimeterpapier.
Für ganz genaue Messungen oder sehr kleine Objekte muß man wieder
das Mikroskop zu Hilfe nehmen. Nach Pfeffer verfährt man dabei so, daß
nicht der ganze aufgetragene Markierungspunkt als Marke dient. Der wäre
viel zu grob. Auch wird er beim Wachsen auseinandergezogen. Man stellt
deshalb auf eine leicht kenntliche Ecke ein, wie sie sich bei mikroskopischer
Betrachtung stets findet, und hält deren Lage und Form durch eine kleine
Skizze fest.
Von den geschilderten Methoden muß man nun nach Bedarf auswählen,
zu feine Messungen sind ebenso fehlerhaft wie zu grobe. Erstere haben keinen
Wert, weil sie von Zufälligkeiten zu stark beeinträchtigt werden. Letztere
lassen vielleicht wichtiges übersehen.
Dieselben Mittel wendet man nun an, um über die Mechanik
der Krümmungsbewegungen Aufschluß zu erlangen. Wie wir schon
Wachstumsbewegungen, rt
gehört haben, werden diese meist durch Wachstum vermittelt. An
einer Wurzel z. B., die ihre Spitze in die Erde versenkt, kommt
die Krümmung dadurch zustande, daß die obere Flanke gegenüber
der unteren im Wachstum gefördert wird. Man stellt das fest, in-
dem man auf beiden Seiten markiert und nach der Krümmung mißt.
Dann haben sich die Striche auf der konvexen Seite mehr von-
einander entfernt als auf der konkaven. Es zeigt sich dabei gleich-
zeitig, daß die Reaktion in der Zone stattfindet, die auch bei der
geraden Wurzel am raschesten wächst. Entsprechend verhält es sich
meist auch bei Stengel- und Blattorganen.
Die Reizkrümmungen kommen im allgemeinen so zustande, daß
die eine Flanke ihr Wachstum beschleunigt. die andere es verzögert.
Die dazwischen liegenden Längsstreifen zeigen dann den allmählichen
Übergang. Einer von ihnen ist indifferent, d. h. er streckt sich mit
derselben Geschwindigkeit wie bei geradem Wachstum. Würden plötz-
liche Sprünge in der Wachstumsschnelliskeit benachbarter Längs-
streifen vorkommen, so könnte kaum eine geregelte Krümmung des
sanzen Organes erfolgen, vielmehr wären Zerreißungen zu befürchten.
Das geschilderte Verhalten ist also der Ausdruck eines zweckmäßig
regulierten Zusammenarbeitens der Teile, bei dem jeder Zelle eine
bestimmte Aufgabe zukommt.
Jede Bewegung und jedes Geschehen im Organismus muß dauernd
einheitlich geregelt werden. Denn eine Gleichförmigkeit der inneren und
äußeren Bedingungen kommt nicht vor. Immer sind äußere Kräfte
mit im Spiel, die in Wechselwirkung mit den inneren das organische
Geschehen beeinflussen und zu verändern suchen. Wenn dann ein
Teil sich so, der andere so verhielte, ohne Rücksicht aufeinander,
so müßte der Organismus zugrunde gehen. Bei der Pflanze ist zwar
die Selbständigkeit der Teile etwas größer als beim höheren Tier.
Sie ist aber auch hier immer beschränkt dadurch, daß das Ganze
äußeren Eingriffen gegenüber in weitem Maße einheitlich reagiert.
Daher müßte eine lebendige Verknüpfung der einzelnen Plasma-
körper durch die tote Zellwand hindurch theoretisch gefordert wer-
den, auch wenn sie nicht schon nachgewiesen wäre. Es sind näm-
lich außerordentlich feine Fäden, die die Zellwände durchsetzen,
durch besondere Präparationsmethoden sichtbar gemacht worden.
Ihnen kann man ohne Bedenken die Funktion der lebenden Leitung
zuschreiben (Tangl 1884). Sie dienen wohl neben der Fortpflanzung
von Reizen auch dem Stofftransport, jedenfalls aber der Verknüpfung
der Zellen zu einem einheitlichen Ganzen. Da außerdem stoflliche
Beeinflussung nicht immer von der durch Reize getrennt werden
kann, ist ihre Existenz so und so für uns von großer Bedeutung.
Wie wir gesehen haben, wird zur Ausführung von Krümmungs-
bewegungen in wachsenden Pflanzenteilen eine stets vorhandene
Kraft, das Ausdehnungsbestreben der Zellen, benutzt. Die Wirkung
dieser Kraft wird nur in anderer Weise als beim gewöhnlichen Wachs-
tum reguliert, teils gehemmt, teils gefördert. Die Pflanze verhält
28 ll. Das pflanzliche Bewegungsvermögen.
sich ähnlich wie ein Raddampfer, der gerade ausfährt, wenn beide
Räder sich gleichmäßig bewegen, aber einen Bogen macht, wenn
das eine sich schneller dreht als das andere. Dabei kann die be-
wegende Kraft im Ganzen dieselbe bleiben. So kann auch bei der
Krümmungsbewegung einer Pflanze das durchschnittliche Wachstum,
wie es etwa an der Verlängerung der Mittellinie zwischen Ober- und
Unterseite gemessen wird, gleich bleiben. Das braucht aber nicht
der Fall zu sein. Oft regt der Reiz, der eine Krümmung herbei-
führt, auch ein schnelleres Wachstum an, wodurch die Bewegung be-
schleunigt wird.
Neben den Krümmungen kommen auch Drehungen wachsender
Pflanzenteile vielfach vor. Sie sind dadurch charakterisiert, daß vor-
her gerade Kanten schraubige Gestalt annehmen, daß das Organ
sich also tordiert. Torsionen finden sich an den Stielen dorsiventraler
Organe, d. h. solcher, die sich nur durch eine Ebene in zwei sym-
metrische Hälften teilen lassen und deren Ober- und Unterseite un-
gleich ausgebildet sind. Wir finden diesen Fall bei den meisten
Blättern und manchen Blüten, wie denen des Rittersporns oder der
Orchideen. Solche dorsiventrale Organe können durch Krümmungen
allein oft nicht in die richtige Lage zur Schwerkraft oder dem Lichte
gebracht werden. Es bedarf dazu einer Drehung ihrer Stiele, die
meist durch Wachstum vermittelt wird. Es ‚erfährt das Membran-
wachstum der einzelnen Zellen in schiefer Richtung zu ihrer Längs-
achse eine Zu- oder Abnahme. Damit ist ein Torsionsbestreben der
einzelnen Zellen gegeben, welches auch die Torsion des ganzen Or-
gans bedingt“ (Schwendener u. Krabbe [1892] 1898). Ist das eine
Ende eines sich so tordierenden Stieles festgelegt, so dreht sich das
andere um seine Längsachse und bringt so daransitzende Blätter
oder Blüten in eine neue Lage.
Sehen wir uns nun noch etwas die Bedingungen an, unter denen
das zu Krümmungen oder Torsionen führende Wachstum zustande
kommen kann. Zum Wachsen ist die Zufuhr von Nährstoffen und
Wasser erforderlich. Letzteres vor allem ist unentbehrlich; denn da
der junge Pflanzenkörper zum größten Teil aus Wasser besteht, findet
auch die Volumzunahme hauptsächlich durch Wasseraufnahme statt.
Ohne diese kann also auch keine Wachstumsbewegung stattfinden.
Trotzdem kann auch ein abgeschnittener Pflanzenteil, wenn er nicht
zu klein ist, meist noch Krümmungen ausführen. Wasser und
Nährstoffe sind nämlich in einem gewissen Überschuß vorhanden,
die eine Zeit lang zum Wachsen ausreichen. Sie wandern dabei
an die Stelle des Bedarfs. Damit die junge Spitze ihr Volumen
vermehren könne, muß das dazu erforderliche Wasser älteren aus-
gewachsen Teilen entzogen werden, die hierbei welken (Pringsheim
1906). Ähnliches findet auch bei der intakten Pflanze statt; nur
daß dann das fehlende Wasser durch die Wurzeln von außen nach-
gesaugt wird, ehe das Welken beginnt. Der Mangel an Nährstoffen
macht sich erst später bemerkbar, so daß abgeschnittene Pflanzen-
Wachstumsbewegungen. 29
teile, falls ihnen Wasser zugeführt wird, vielfach noch ziemlich lange
und fast in normaler Weise wachsen können. Da man oft nicht umhin
kann, isolierte Stengel u. dgl. für Versuche zu verwenden, sind die
geschilderten Verhältnisse für uns von Bedeutung. Doch muß man
sich von der Wachstumsfähigkeit stets erst überzeugen, ehe man
Reizversuche anstellt.
Außer Wasser und Nährstoffen braucht die Pflanze auch einen
gewissen Wärmegrad, um zu wachsen. Bei einer mittleren Tempe-
ratur, und zwar wohl stets einer höheren als sie der Pflanze durch-
schnittlich zur Verfügung steht, findet das Wachstum am schnellsten
statt. Von da an nimmt es nach oben und nach unten zu ab, um
bei gar zu hoher oder zu niedriger Temperatur stillzustehen, ohne
daß dabei gleich der Tod eintreten müßte. Man spricht dann mit
Sachs von Wärme- und Kältestarre.
Auch Sauerstoff zum Atmen muß im allgemeinen vorhanden sein.
Die Veratmung, d. h. langsame Verbrennung von Nährstoffen, ist
normaler Weise die einzige Kraftquelle, die der Pflanze zur Ver-
fügung steht. Zum Wachsen aber gehört Kraft. Die Widerstände,
die eine in den Boden eindringende Wurzel überwinden muß, sind
sogar recht erheblich. Auch beim Aufrichten eines umgefallenen
langen Getreidehalmes mit Blättern und Ähre muß in den Zellen der
Unterseite einiger der unteren Knoten, welche die Hebung durch
ihr Wachstum bewirken, eine große Kraft auf kleinem Raume wirk-
sam sein (vergl. Abb. 20, S. 55).
Über mechanische Beeinflussung des Wachstums ist nicht viel
zu sagen. Stärkeren Eingriffen gegenüber gibt die wachsende Sub-
stanz wie eine plastische Masse nach. Hört der Zwang auf, so wird
die dadurch hervorgerufene Formveränderung durch Wachstum wie-
der ausgeglichen. Ist dieses aber inzwischen erloschen, so bleibt die
aufgedrungene Gestalt erhalten. So kann man Spalierobst nach einem
bestimmten Plane ziehen!) und Früchten durch Überstülpen irgend-
eines Gefäßes eine bestimmte Gestalt geben. Andererseits aber wissen
wir auch, daß die Pflanze der Gewalt nicht immer einfach nachgibt.
Zug in der Längsrichtung eines wachsenden Stengels hemmt z. B.
das Wachstum gerade anstatt die Streckung zu beschleunigen. Hier
spielt also schon eine besondere Reizwirkung hinein.
Was bisher über Wachstumsbewegung gesagt wurde, bezog sich
auf die höheren Gewächse: Blüten- und Farnpflanzen. Entsprechende
Reizkrümmungen kommen aber auch bei den niederen Pflanzen all-
gemein vor, trotz ihres abweichenden Baues. So sind die kompakten
Fruchtkörper der Hutpilze aus vielfach verschlungenen Fäden ge-
bildet, von denen jeder einzelne an der Spitze weiterwächst. Das
ganze Gebilde zeigt, wie bekannt, eine charakteristische Gestaltung.
Es müssen also alle die vielen Pilzfäden einträchtig zusammen wachsen,
j 1) Inwiefern dabei noch das Beschneiden von Wichtigkeit ist, soll hier
nicht erörtert werden.
30 II. Das pflanzliche Bewegungsvermögen.
und, falls Reizkrümmungen ausgeführt werden, sich in gesetzmäßiger
Weise ungleich verlängern und biegen.
Einfacher liegen die Verhältnisse bei den einfachen fädigen Zell-
reihen vieler Pilze und der Fadenalgen, sowie den ungekammerten
Schläuchen mancher Pilze (Mucorineen) und Algen (Siphoneen). Alle
diese können gleichfalls Krümmungsbewegungen ausführen, die durch
ungleiches Wachstum der Flanken zustande kommen. Spirogyrafäden
z. B. können vermöge ihrer Wachstumskrümmungen drehende Be-
wegungen ausführen und sich dabei von Hindernissen befreien. Sie
können sich aus dem Schlamm herausarbeiten, auch an Gegenständen,
sogar den senkrechten Wänden von Glasgefäßen hinaufschieben und
dabei bestimmte Richtungen bevorzugen, die sie in günstige Verhält-
nisse bringen. Pilzfäden durchziehen ähnlich den Wurzeln ihr Sub-
strat und suchen nahrungsreiche Stellen auf. Bei der Sporenbildung
schicken sie oft besondere, aufrechte Fäden an die Luft empor, die
ihrer Aufgabe gemäß andere Reizbarkeiten besitzen.
Mit ‚„Schimmelpilzen‘“ sind wegen ihrer leichten Kultur, die sie auch für
Ernährungsversuche so brauchbar macht, zahlreiche reizphysiologische Experi-
mente angestellt worden. So sind die Sporangienträger von Mucorineen, be-
sonders die des großen Laboratoriumsschimmelpilzes Phycomyces nitens, der
mehr als 25 cm lang wird, ein stets auf feuchtem Brot leicht zu ziehendes,
schnell wachsendes und reizbares Material, das neben den verschiedenen Keim-
pflanzen besonders oft zur Entscheidung von Fragen auf unserem Gebiete her-
angezogen wurde.
Bei der zuletzt besprochenen Gruppe von Pflanzen kommt eine
Krümmung nicht durch ungleiches Wachstum verschiedener, sondern
der Flanken ein- und derselben Zelle zustande. Wie die Pflanze
überhaupt die Fähigkeit hat, das Wachstum der Zelle, oder was hier
zunächst in Betracht kommt, der festen Zellwand, nach Bedarf
zu regulieren, so kann sie auch innerhalb einer Zelle die Gegenseiten
verschieden stark verlängern. Dadurch muß aber eine Krümmung
entstehen, die also hier gleichfalls an das Wachstum gebunden ist und
meist von der sich am raschesten streckenden Zone ausgeführt wird.
Es konnte an dieser Stelle nur ein kurzer Überblick über die
wichtigsten Erscheinungen des Wachstums gegeben werden, das uns
ja nur insofern interessiert, als es die Pflanze zu Reizbewegungen
befähist.
e) Turgorbewegungen.
Neben der Wachstumskrümmung haben manche höheren Pflanzen
noch eine andere Bewegungsmöglichkeit. Die Größe der Zellen und
damit das Volumen ganzer Gewebepartien kann sich nicht nur durch
das Wachstum der Zellwände, sondern auch durch eine Variation
ihrer elastischen Dehnung verändern. Die Pflanzenzellen stellen, wie
geschildert, ringsum geschlossene Blasen dar, die durch den Druck
des darin befindlichen Wassers gespannt und steifgemacht werden.
Man denke zur Veranschaulichung an einen aufgeblasenen Gummi-
ballon, dessen Form durch die Elastizität der Wand und den Druck
Turgorbewegungen. 31
der Innenluft bedingt ist. Verändert sich der Innendruck oder
„Lurgor“ der Zelle, so können die Wände (innerhalb gewisser
Grenzen) nachgeben, ähnlich wie der Gummiballon kleiner oder größer
wird, je nachdem Luft herausgelassen oder hineingeblasen wird.
Wenn nun ein Pflanzenorgan aus solchen Zellen mit elastischen
Wänden besteht, und der Wassergehalt je nach den äußeren Um-
ständen wechselt, so kann das Volumen sich recht merklich ver-
ändern. Je nach den sonstigen Bedingungen kann dabei eine Ver-
kürzung und Verlängerung in einer bestimmten Richtung oder auch
eine Krümmung und sonstige
Formveränderung entstehen.
Der ersterwähnte Fall der
geradlinigen Turgorbewegung
ist bei gewissen reizbaren Staub-
fäden zu finden, bei denen eine
weitgehende elastische Dehnung
in der Längsrichtung besteht.
Äußere Anstöße, die eine Tur-
gorsenkung veranlassen, z. B.
verschiedene Reize, bewirken
demnach eine merkliche Ver-
kürzung. (Vergl. 8. 232.)
Weit verbreiteter sind aber
die durch Turgoränderung be-
wirkten Krümmungsbewegun-
gen, wie sie vor allem die sogen.
Gelenkpolster der Blätter als be-
sondere Bewegungsorgane aus-
zeichnen.
Sie kommen in großer
Verbreitung bei den Legumi-
nosen und Oxalideen, aber auch
sonst vielfach vor und ver- Abb. 19.
mitteln deren Schlaf- und Reiz- Zweig von Amicia, die Gelenke an der Ansatz-
bewegungen. Die Polster sind stelle der Blattstiele zeigend.
annähernd zylinderförmige Ge-
bilde, die am Grunde der Blätter oder den Ansatzstellen der Teil-
blättchen sitzen und sich in Gestalt und Farbe vom Blattstiel ab-
heben (Abb. 12). Sie vermögen sich dadurch zu krümmen, daß Ober-
und Unterseite durch ungleiche Verschiebung des Innendruckes der Zellen
ihr Volumen verändern. Wird z. B. das der oberen Polsterhälfte
größer, so muß sich das Gelenk nach unten biegen und ein daran
sitzendes Blatt sich senken usf.
In welcher Weise bei der Bewegung in den Zellen der Gelenk-
polster der veränderte Innendruck (Turgor) zustande kommt, darüber
wissen wir nicht viel. Da außerdem ein und dasselbe Gelenk sich
je nach den Ursachen, die die Bewegung hervorrufen, verschieden
32 Il. Das pflanzliche Bewegungsvermögen.
verhält, so müssen wir die Einzelheiten in den speziellen Kapiteln
besprechen. Wir werden dann sehen, daß ungleiche Zunahme des
Innendruckes vorkommt, aber auch Zunahme in der einen Hälfte,
Abnahme in der anderen und schließlich auch nur Abnahme in einer
Polsterhälfte.
Da die nicht dehnbaren Gefäßbündel oder Adern, die in das
Blatt eintreten, sich auch durch die Gelenke hindurchziehen, so muß
durch ihre Lagerung dafür gesorgt sein, daß sie die Bewegung nicht
hemmen. Sie sind daher bei diesen Organen in die Mitte gerückt,
während sie im übrigen Blattstiel und im Stengel mehr nach außen
liegen. In dieser Lage können sie die Krümmung nicht wesentlich
hemmen, da die Mittelachse ihre
Länge annähernd beibehält (Abb.
13). Außer bei den Blattgelenken
gibt es Krümmungen durch Tur-
sorveränderung noch in manchen
anderen Pflanzenorganen, so bei
reizbaren Blütenteilen.
Die Bewegung in Gelenken
und überhaupt die Turgorbewe-
gung ist der durch Wachstum be-
wirkten in mehrfacher Weise über-
legen. Sie darf wohl als eine
hochausgebildete Anpassung an
bestimmte Verhältnisse angesehen
werden, unter denen eine weit-
gehende Beweglichkeit zweckdien-
lich ist. Sie findet sich in Über-
Abb. 13. einstimmung damit nur bei ver-
Hauptgelenk eines Bohnenblattes mit hältnismäßig jungen, auch sonst
dem Stengel und dem Blattstiel, längs durch-
schnitten. Im Stengel und im Blattstiel bilden stark spezialisierten Pflanzenfami-
die Gefäßbündel, die sich hell abheben, einen z ee 5 $ &
Hohlzylinder, während sie das Gelenk als zen- lien. Die Vorteile liegen einmal
ee in der meist großen Schnelligkeit
der Bewegung, wie sie durch
Wachstum kaum erzielbar ist und die bei manchen Pflanzen an die
der Tiere heranreicht. Ferner stellen die durch wechselnden Innen-
druck betätigten Bewegungsorgane auch insofern eine höhere Stufe
dar, als sie ihr Spiel beliebig oft wiederholen und in den alten Zu-
stand zurückkehren können. Ein durch Wachstum gekrümmtes
Organ dagegen kann nie mehr ganz die alte Gestalt annehmen. Es
kann zwar wieder gerade werden, aber auch nur wieder durch
Wachstum; und dabei verlängert es sich. Das muß schließlich ein-
mal ein Ende haben. Daher kann ein Organ nur eine beschränkte
Zahl von Wachstumsbewegungen ausführen.
Das ist ein ökologisch wichtiger Punkt. Die Blätter z. B. leben noch
lange, nachdem sie die endgültige Form und Größe erreicht haben. Dann
können sie sich nur noch bewegen und die für ihre Funktion günstigste
Turgorbewegungen. 33
Stellung aufsuchen, wenn sie Gelenke haben. Zwar haben gewisse Stengel,
z. B. die der Gräser, in ihren Knoten auch eine Art Bewegungsorgan, das
durch erneute Streckung noch funktioniert, wenn der Halm ausgewachsen
ist. Aber da bei ihnen das schon erloschene Wachstum nur vorübergehend
wieder erweckt wird, ist mehr als eine Krümmung nicht möglich. Das würde
für die Blätter vielfach nicht ausreichen. Dasselbe wie durch Turgorbewegungen
wird durch sie jedenfalls nicht erreicht.
Wir haben gesehen, daß das Pflanzenreich über eine ganze An-
zahl von Bewegungsarten gebietet, die im Gefolge verschiedener
Reize zu den mannigfaltigsten Zwecken benutzt werden. Da wir
nun über das Äußere der Bewegungen, deren die Pflanzen fähig
sind, wenigstens das Nötigste wissen, können wir zur speziellen Be-
sprechung der Reize übergehen, die jene in verschiedene Bahnen zu
lenken imstande sind. Wir werden dabei nur hier und da noch auf
die Bewegungsmechanik zurückzukommen brauchen.
Prinssheim, Reizbewegungen. 6)
Ill, Die Reizwirkungen der Schwerkraft.
a) Allgemeines über Geotropismus.
Legen wir eine im Wachstum begriffene aufrechte Pflanze um,
so daß das freie Ende wagerecht steht, dann verhält sich ihr Stengel
zunächst genau so wie ein toter Stab von entsprechenden mechanischen
Eigenschaften. Das heißt, der nicht unterstützte Teil biegt sich
vermöge seiner Schwere in flachem Bogen herab. Überlassen wir
aber den toten Stab und den Pflanzenstengel sich selbst, so be-
obachten wir bald
einen bemerkenswer-
ten Unterschied in
ihrem Verhalten.
Während der Stab
in seiner Lage verharrt
oder vielleicht auch
noch etwas tiefer sinkt,
bietet uns der Stengel
ein völlig neues Phä-
Spüze
Dasts
Spitze Wachstums- Unterseit
? zone Re nomen dar (Abb, 14):
Abb. 14. Wir sehen nach einiger
Schema einer sich geotropisch aufriehtenden Pflanze. Die Zeit seine Spitze sich
Krümmung geschieht durch ungleiche Streckung der Ober-
und Unterseite in der Wachstumszone,
entgegen der Schwere
und mit einer gewissen
Kraft allmählich aufrichten. Dieser Vorgang schreitet nach der Basis
zu fort, umfaßt bald auch weiter zurückliegende Teile und kann bis
zur Senkrechtstellung des Stengels gehen.
Umgekehrt richtet sich die Spitze einer wagerecht oder schräg
gestellten Keimwurzel abwärts und erreicht im Fortwachsen nach
unten schließlich gleichfalls die vertikale Lage.
Ein solches aktives Sicheinstellen in die Richtung der Erdachse
nennt man Geotropismus. Das Phänomen kann, wie wir gesehen
haben, in zwei Formen auftreten. Die Wurzel strebt nach dem
Ursprung der wirkenden Kraft hin, sie ist positiv geotropisch
oder erdwendig, während der Stengel sich der Wirkung der Schwere
entgegen aufrichtet, also negativ geotropisch oder erdabwendig
ist. Die Fähigkeit der Pflanze, solche Richtungsbewegungen aus-
zuführen, erkennt man nur dann, wenn die Pflanze aus ihrer nor-
malen Lage herausgebracht wird. Die Veränderung der Lage gegen-
Allgemeines über Geotropismus. 35
über der Erde wirkt auf die Pflanzenorgane als Reiz, der nun ein
ungleichmäßiges Wachstum der Ober- und Unterseite zur Folge hat,
wie wir das oben besprochen haben. Die geotropische Aufrichtung
stellt also eine Reizreaktion dar.
E BEN NLZES RU: CE
Abb. 15.
Ein Kürbiskeimling an der Spitze befestigt, hat sich in feuchter Luft
mit dem unteren Teil aufgerichtet. Verkleinert,
Bei dem umgelegten Stengel z. B. strecken sich die Zellen der
Unterseite rascher als die der Oberseite. Eine ungleiche Verlängerung
der beiden Flanken muß aber eine Krümmung bewirken. Der un-
Abb. 16.
Sprosse vom Tannwedel (Hippuris). Einer an der Basis, einer an der Spitze
befestigt. Geotropische Krümmung unter Hebung des jeweilig freien Endes.
Verkleinert.
mittelbare Reizerfolg ist die Verschiebung der Wachstumsgeschwindig-
keit an der Ober- und Unterseite. Durch sie wird dann mittelbar
die Aufrichtung erzielt. Der Reiz hört erst auf zu wirken, wenn
die Vertikalstellung erreicht ist (Abb. 16).
3*+
36 Ill. Die Reizwirkungen der Schwerkraft.
Das Verhältnis der in ungleichem Wachstum bestehenden Reiz-
reaktion zu dem Enderfolg der Aufrichtung können wir uns durch
einen einfachen Versuch noch klarer machen. Was wird geschehen,
wenn wir einen abgeschnittenen, aber noch wachstumsfähigen Stengel
horizontal legen und nun einmal an seiner Spitze befestigen? Der
Erfolg ist nach dem Gesagten vorauszusehen. Es wird ein stärkeres
Wachstum auf der der Erde zugewandten Flanke eingeleitet und dadurch
nun an Stelle der festgehaltenen Spitze die Basis gehoben, bis sie
senkrecht steht (Abb. 15 u. 16).
Sehen wir uns nun die Erscheinung der geotropischen Krümmung
etwas genauer an, und beginnen wir mit den Wurzeln, an denen
Sachs (1873, S. 440) die Reaktionsweise besonders genau studiert
hat. Er benutzte hauptsächlich die starken Keimwurzeln von Pferde-
bohnen (Vicia Faba var.
equina), daneben solche von
Erbsen, Bohnen, Kürbis,
Eicheln, Buchweizen u. a.
Diese Objekte wurden in
der Weise gezogen, mit
Millimetermarkierung ver-
sehen und vorbereitet, wie
es früher (8.26) geschildert
worden ist. Nun sollten
sie in Erde kommen, in der
sie am natürlichsten und
besten wachsen. Um aber
= Ze — die verschiedenen durch-
en u laufenen Stadien zu sehen,
Abb. 17. wie das zum genaueren
Sachs’scher Wurzelkasten in dem die Wurzeln Studium nötig ist, hätte
in Erde hinter einer durchsichtigen Scheibe wachsen. . :
(Aus Detmer 1905) man sie immer wieder aus-
graben müssen. Das hätte
natürlich eine arge Schädigung und Störung bedingt. Man hätte
freilich auch durchsichtige Medien, wie Wasser oder feuchte Luft ver-
wenden können, aber beide bieten immer weniger günstige Wachstums-
umstände als die Erde. Zwar kommt es in unserem Versuche nicht
auf deren ernährende Wirkung, also die Versorgung mit Bodensalzen
an; denn Nährstoffe hat die junge Wurzel von ihrem Samen her
genug. Sondern störend wirkt im Wasser der Mangel an Sauerstoff zum
Atmen und in feuchter Luft der Mangel an flüssigem Wasser. Beides
vereint bietet in vorzüglicher Weise ein lockeres, feuchtes Medium
wie Sägespäne, Sand und besonders Erde, das natürliche Keimbett.
Deshalb ersann Sachs einen anderen Ausweg. Er ließ nämlich seine
Wurzeln hinter einer Glas- oder Glimmerplatte!) in Erde wachsen,
!) Letztere kann man dünner nehmen. Dadurch werden die Messungen
genauer,
Allgemeines über Geotropismus. 37
sodaß sie stets sichtbar waren und doch günstige Bedingungen fanden,
Damit sie dauernd der durchsichtigen Scheibe angeschmiegt blieben,
neigte er diese ein wenig. So wirkte der Geotropismus selbst für das
Anpressen der Wurzeln, die auf diese Weise allen Beobachtungen
und Messungen zugänglich blieben, ohne daß sie in ihrem sonstigen
Verhalten gestört wurden (Abb. 17).
Es wurde nun eine Wurzel mit Maßlinien, die je 2 mm vonein-
ander entfernt waren, horizontal hinter eine A
Glimmerscheibe in die Erde gebracht, und die
Lage ihrer Spitze durch ein Zeichen. auf der ee 3
Scheibe markiert (Abb. 15 A). Nach einer
Stunde war die Wurzel noch gerade, aber etwas
länger, nach zwei Stunden war sie noch länger B
und schwach abwärts gekrümmt. Der nach
unten offene Bogen entsprach nun einem Kreise
von 15 mm Radius (0). Gemessen wurde
mit Hilfe von Kreisen verschiedener Größe,
die auf einer kleineren Glimmerplatte ein-
geritzt waren. Nach weiteren 5 Stunden,
also 7 Stunden nach Beginn des Versuches,
war die Wurzel um mehr als 4 mm gewachsen
und die Krümmung war verstärkt. Ihr
Radius war also kleiner geworden, er betrug
nur noch etwa 10 mm (D). Enälich nach
einem Tage war die Spitze langgestreckt und
senkrecht abwärts gerichtet (E). Die stärkste
Krümmung lag in der Zone 1{l, die anfangs
4 bis 6 mm von der Spitze entfernt, jetzt
aber 20 bis 26 mm von ihr abgerückt war.
Der Radius des dazu gehörigen Kreises be-
trug nun nur noch 8 mm. Da die Wurzel
an der Spitze weiter wuchs, wurde jetzt an
der Krümmung nichts mehr geändert, so daß
die bleibende Biegung dauernd ihr Maximum
an jener Stelle hatte, wo zur Zeit der Reaktion
gerade das Wachstum aufzuhören im Begriffe 0 Abb. 18.
gewesen war. Wären Zonen streckungstähig Geotropische Krümmung einer
gewesen, die noch mehr von der Spitze ent- ee
strichen. Die anfängliche Lage
fernt lagen, so hätten diese sich an der Re- des en
aktion beteiligt. Es nehmen also bei einer (Aus Detmer 1905.)
horizontal gelegten Wurzel alle wachsenden
Zonen an der Abwärtskrümmung teil, die jüngsten aber strecken sich
später wieder gerade, da sie durch die bleibende Krümmung an der
Grenze des wachsenden Teiles in die normale, also reizlose Lage ge-
bracht werden.
Gehen wir nun zur Beschreibung der geotropischen Aufrichtung
eines umgelegten Stengels über, so werden wir hier die wesentlichen
38 III. Die Reizwirkungen der Schwerkraft.
Züge entsprechend den bei der Wurzel geschilderten wiederfinden, nur
natürlich in umgekehrter Richtung. Einige Erscheinungen kommen
aber hinzu, die dort nicht auftraten. Zunächst ist die Wachstums-
zone in Stengeln stets länger als in Wurzeln (vgl. S. 24), daher ist
die Krümmung weniger scharf. Es können sogar mehrere Wachs-
tumszonen vorhanden sein, in jedem Stengelgliede eine. Doch darauf
wollen wir nicht eingehen. Wir halten uns also an Keimstengel oder
Blütenschäfte und dergleichen, bei denen die Streckungszone ein-
heitlich ist. Da beginnt die Aufrichtung mit einer leisen Biegung,
die die Endknospe, Blüte usw. der normalen Lage näher bringt.
Nachher rückt die Krümmung weiter nach den unteren Regionen.
Indem diese nun den schon gekrümmten Spitzenteil passiv mit be-
wegen, wird er oft über die Vertikallage hinausgebracht. Es ent-
stehen dann ‚„Überkrümmungen‘, die aber schließlich wieder aus-
geglichen werden. Zu diesem Zwecke muß das Endstück jetzt eine
geotropische Krümmung nach der entgegengesetzten Seite machen.
Im endgültigen Zustande ist hier ebenfalls die Krümmung in der
untersten noch wachstumsfähigen Region festgelegt. Der ganze Teil,
der von da nach der Spitze zu liegt, ist dann vertikal aufgerichtet,
indem alle zwischendurch entstandenen Krümmungen sich wieder
ausgeglichen haben.
An der Wurzel können keine Überkrümmungen zustande kommen,
weil die wachsende Region bei ihr zu kurz ist, und weil dazu eine
seitliche Verschiebung nötig wäre, die in Erde einem großen Wider-
stande begegnen würde. Ähnlich verhalten sich aus entsprechenden
Gründen die Stengel und Blattscheiden von Keimlingen, wenn sie in
Erde wachsen. Auch hier konzentriert sich das Wachstum auf eine
xegion nahe der Spitze, und die Erde verhindert die Verschiebung
der Spitzenteille durch Krümmung weiter zurückliegender Zonen.
Überkrümmungen treten daher nicht auf.
Wie wir bei der eingehenden Schilderung der geotropischen
Krümmung einer Wurzel gesehen haben, beginnt die Reaktion nicht
sofort nach dem Umlegen. Es verstreicht eine gewisse Zeit vom
Beginn der Reizung bis zum ersten sichtbaren Zeichen der Krüm-
mung, das sich in einem Unsymmetrischwerden der Spitze kundgibt.
Man nennt diese Periode die Reaktionszeit. Sie ist bei verschie-
denen positiv und negativ geotropischen Pflanzenorganen von sehr
verschiedener Dauer, aber immer vorhanden und für ein und dasselbe
Objekt bei möglichst gleichen Bedingungen annähernd gleichlang.
Es ist klar, daß die mechanische Ausführung der Bewegung durch
Wachstum eine gewisse Trägheit bedingt, wie sie, wenn auch in viel
geringerem Maße, ja auch bei der Kontraktion des tierischen Muskels
mit Hilfe besonderer Methoden nachweisbar ist.
Man kann nun aber fragen: muß der geotropische Reiz auch
während der ganzen Dauer der Reaktionszeit auf die Pflanze ein-
wirken, um eine Krümmung zu bewirken oder genügt eine kürzere
Allgemeines über Geotropismus. 39
Reizung? Das letztere ist der Fall. Legen wir z. B. eine Wurzel
oder einen Stengel um, bis sie eben beginnen zu reagieren und
bringen sie dann wieder in ihre natürliche Lage, so schreitet die
Krümmung dennoch eine Zeit lang fort und kann eine recht an-
sehnliche Größe erreichen. Selbst wenn man kürzer als bis zum
Krümmungsbeginn reizt, so daß also noch keine äußerliche Verän-
derung an der Pflanze bemerkbar ist, kann noch eine geotropische
Reaktion als Nachwirkung eintreten. Sie wird allerdings um so
schwächer und verschwindet umso schneller wieder, je kürzer die
Umilegung gedauert hat. So kommt man schließlich bei der Ver-
kleinerung der Reiz- oder Induktionszeit zu einer Grenze, unterhalb
deren gar keine sichtbare Nachwirkung mehr auftritt. Die kürzeste
Zeit, während deren man ein geotropisches Objekt umlegen muß,
damit nachträglich eine gerade noch sichtbare Krümmung als Nach-
wirkung zustande kommt, nennt man Präsentationszeit. Auch
sie hat, gleich der Reaktionszeit, für bestimmte Pflanzenorgane unter
gleichmäßigen Umständen einen gewissen konstanten Wert, der für
verschiedene Objekte sehr verschieden sein kann. Wie man die
Länge der Reaktions- und Präsentationszeiten zum tieferen Eindringen
in die Probleme der Reizbarkeit benutzen kann, das werden wir
später sehen.
In der Präsentationszeit haben wir die untere Grenze für die
Einwirkungsdauer eines Reizes kennen gelernt, der noch eine
Krümmung bewirken soll. Was wird aber geschehen, wenn wir die
Induktionszeit noch weiter verkürzen? Wird ein Reiz, der äußerlich
keine Wirkung zu haben scheint, wirklich spurlos an der Pflanze
vorübergehen? Die Überlegung lehrt schon, daß das nicht so sein
kann. Denn würde z. B. eine Reizung, die eine Minute dauert, gar
keine Wirkung zurücklassen, so könnte auch die nächste und die
folgenden Minuten nichts hinzufügen. Diese Schlußfölgerung läßt
sich experimentell erhärten. Man kann nämlich durch Wiederholung
solcher Reize, die kürzer als die Präsentationszeit sind, die also
einzeln keine Krümmung bewirken würden, schließlich eine Reaktion
zustande bringen (Literatur Pfeffer 1904, S. 621). Voraussetzung
ist nur, daß die Pausen im Verhältnis zu den Reizzeiten nicht zu
lang werden. Aus der Möglichkeit der Summation kurzer Einzelreize
kann man schließen, daß jeder einzelne eine Veränderung im sen-
siblen Plasma hervorruft, die auch nach Beendigung der Reizeinwir-
kung eine Zeit lang erhalten bleibt. Setzt nun der neue Reizanstoß
rechtzeitig ein, so kommt seine Wirkung zu der des vorigen hinzu
und die einzelnen Impulse steigern sich, bis der Gesamteindruck stark
genug ist, um eine sichtbare Reaktion hervorzurufen. Die Gesetze
einer solchen unterbrochenen oder ‚‚intermittierenden‘“ Reizung werden
uns noch beschäftigen.
Experimentelle Schwierigkeiten erlauben es nicht, die Länge von
geotropischen Einzelreizen unter das Maß von einigen Sekunden
herabzudrücken; theoretisch müssen wir aber schließen, daß auch die
40 III. Die Reizwirkungen der Schwerkraft.
kürzeste Einwirkung eine Veränderung in der Pflanze hervorruft, die
sich mit der Dauer des Reizes steigert. Wir nennen diese erste
physiologische Veränderung die Erregung. Die Präsentationszeit
stellt somit das zeitliche Mindestmaß eines Reizanlasses dar, bei dem
die Erregung gerade noch ausreicht, eine sichtbare Krümmung zu be-
wirken. Ein solches Minimalmaß für einen bestimmten physio-
logischen Effekt nennt man nach Herbart einen Schwellen-
wert. Kürzere Reize bewirken eine zu schwache Erregung, als
daß die Schwelle, die zur sichtbaren Reaktion führt, überschritten
würde.
Auf die Entstehung einer Erregung durch kurze Einzelreize
schließen wir aus ihrer Summierbarkeit. Für diese aber ist Be-
dingung, daß zwischen die einzelnen Impulse keine zu langen Pausen
eingeschaltet werden. Nach einer gewissen Zeit geht somit die Er-
regung wieder zurück. Das gilt nun nicht nur für unterschwellige
Einzelreize, sondern für jede, auch durch längere Induktion bewirkte
Erregung. Verhindern wir z. B. einen in der Reizlage befindlichen
Stengel mechanisch an der geotropischen Aufrichtung und stellen ihn
nach einiger Zeit wieder vertikal, so findet nur dann eine Reaktion
als Nachwirkung statt, wenn das Hindernis nicht zu spät nach Be-
endigung der Induktion entfernt wird. Es klingt also auch hier die
Erregung wieder ab. Selbst eine schon ausgeführte geotropische
Krümmung verliert sich allmählich nach dem Zurückbringen in die
Normallage. Hier muß aber eine neue geotropische Reizung beim Aus-
gleich der Krümmung mitwirken, denn durch die Spitzenkrümmung
wird an der aufrecht stehenden Pflanze eine neue Reizlage geschaffen.
Sie kommt dadurch zur Geltung, daß die Nachwirkung des ersten
Reizes allmählich verschwindet. Diese neue geotropische Induktion
würde genügen, den Stengel wieder gerade zu richten und seine Spitze
in die Richtung der Schwerkraft zu stellen. Allerdings kommen noch
innere Gründe hinzu, die dahin wirken, die Krümmung auszugleichen.
Auf sie können wir aber erst an späterer Stelle eingehen.
Bisher haben wir nur den Fall im Auge gehabt, daß sonst ver-
tikal wachsende Pflanzenteile wagerecht gelegt, also um 90° aus ihrer
Lage gebracht werden. Geotropische Reaktionen erfolgen aber auch in
allen anderen Lagen und gehen stets bis zur Senkrechtstellung. Jede
kleinste Abweichung wird ausgeglichen. Zu Bewußtsein kommen
uns aber gewöhnlich nur größere Krümmungen, bei denen wir leicht
darauf aufmerksam werden, daß sie zur Vertikalstellung führen. Daß
Wurzeln gewöhnlich abwärts, Stämme aufwärts wachsen, scheint uns
nur deshalb weniger auffällig, weil wir daran gewöhnt sind. In
Wirklichkeit bedarf es wohl der Erklärung, warum an allen Stellen
der Erdoberfläche die Hauptwurzeln und Stengel der Kräuter sowie
die Stämme der Bäume so stehen, daß ihre Längsrichtung mit einer
von ihrem Standorte nach dem FErdmittelpunkte gezogenen Linie zu-
sammenfällt. Auch bei den Pflanzen mußte das alte Problem der
Antipoden aufgestellt werden. Die Lösung der Frage liegt darin,
Allgemeines über Geotropismus. 41
daß, wie für die Menschen, so auch für die Pflanzen, die Orientierung
zur Erde und nicht die zum Raume maßgebend ist.
Die von der Erde ausgehende Kraft, die beider Stellung bedingt,
ist die Gravitation oder Schwerkraft. Ihre Gesetze sind uns durch
Newton bekannt, wenn uns auch ihr Wesen noch immer rätselhaft
bleiben muß. Da wir nicht imstande sind, uns an einen Ort zu be-
geben, wo sie nicht wirkte, so scheint es zunächst aussichtslos, zu
prüfen, ob wirklich die Schwerkraft die Ursache der geotropischen
Orientierung ist. Es gibt aber doch ein Mittel oder vielmehr zwei,
um zu zeigen, daß diese Vermutung sehr wahrscheinlich ist. Man
ist zwar nicht imstande, die Schwerkraft aufzuheben, aber man kann
sie durch eine andere Kraft ersetzen, von der man weiß, daß sie
mit jener in ihren physikalischen, d. h. mechanischen, Wirkungen
übereinstimmt. Das ist die Zentrifugal- oder Fliehkraft. Sie macht
sich z. B. bemerkbar, wenn wir irgend einen schweren Gegenstand
an einem Faden schnell im Kreise schleudern. Der Faden zeigt sich
dann durch eine nach außen wirkende Kraft gespannt, und zwar um
so stärker, je schneller er herumgeschwungen wird. Dabei hat der
schwere Körper das „Bestreben“, sich in der Richtung des Fadens
nach außen zu bewegen, ebenso wie er beim freien Herabhängen das
Bestreben hat, zu Boden zu fallen.
Auch in diesem letzteren Falle wird der Faden gespannt. Man
kann die eine Kraft für die andere setzen (beide sind Massenbe-
schleunigungen, wie der Physiker sagt), und gewinnt im Experiment
noch den Vorteil, daß die Fliehkraft ihrer Größe nach verändert
werden kann'), während die Schwerkraft für uns immer gleich stark
ist, da sie außer von der unveränderlichen Masse der Erde nur von
der Entfernung vom Erdmittelpunkte abhängt, die wir gleichfalls
nicht wesentlich zu variieren imstande sind.
Von solchen Überlegungen ausgehend stellte der englische Forscher
Knight vor gerade 100 Jahren (1811) seine Versuche an, die in ihrer
genialen Einfachheit vorbildlich sind. Er befestigte kleine Töpfchen
mit. Keimpflanzen an der Peripherie eines kleinen Mühlrades mit
horizontaler Achse, das durch Wasserkraft in schnelle Umdrehung
versetzt wurde. Die dabei gleich mit dem nötigen Wasser ver-
sehenen Pflänzchen konnten bei seiner Versuchsanordnung in jeder
Richtung fortwachsen. Auch die Wurzeln hatten Bewegungsfreiheit,
denn sie traten durch Löcher im Boden der Töpfchen ins Freie.
Das Resultat war, daß die Stengel nach innen, dem Mittelpunkt des
Rades zu, die Wurzeln aber entgegengesetzt, nach außen, wuchsen.
Wie .ist das zu erklären? Die Schwerkraft machte sich offenbar
gar nicht bemerklich, da sie bei dem Herumführen im Kreise bald
in der einen, bald in der anderen Richtung zog, so daß die Impulse
sich aufhoben. Befand sich eine Stengelseite eben noch unten, und
1) Sie wächst in mathematisch bestimmter Weise mit der Drehgeschwin-
digkeit und der Entfernung von der Achse.
42 III. Die Reizwirkungen der Schwerkraft.
schickte sie sich an, durch beschleunigtes Wachstum eine Auf-
krümmung zu bewirken, so war sie im nächsten Augenblick oben,
so daß der ‚Vorsatz‘ nicht ausgeführt werden konnte. Danach
hätte man erwarten können, daß das Wachstum regellos in beliebiger
Richtung vor sich gegangen wäre, als ob gar keine Richtkraft ein-
wirkte. Dem war aber nicht so, denn das Rad drehte sich so
schnell, daß eine merkliche Fliehkraft entwickelt wurde, die nach
außen zog. Ihr folgend wuchsen die Wurzeln der Peripherie zu,
genau so wie sie sonst dem Zuge der Schwerkraft folgen. Die
Stengel aber schlugen, wie immer, die entgegengesetzte Richtung ein.
Bei diesen Versuchen konnte die Schwerkraft die schließlich
eingeschlagene Richtung gar nicht beeinflussen. Ein andermal aber
ließ Knight das Rad sich um eine senkrechte Achse drehen. Dabei
ergaben sich dann Krümmungswinkel, die zwischen der senkrechten
und der durch die Zentrifugalwirkung bedingten Richtung lagen.
Neuere Versuche (z. B. Giltay 1910) zeigen für den Fall, daß die
Fliehkraft gleich der Schwerkraft ist, die Endstellung der Wurzeln
um 45° nach außen von der senkrechten Richtung abgelenkt, die
der Stengel aber um denselben Winkel nach innen verschoben.
Die Endstellung hält dann also genau die Mitte zwischen den Ruhe-
lagen die den beiden Reizanlässen einzeln entsprechen.
Daraus entnehmen wir, daß der Eindruck beider Kräfte sich
nach einfachen mathematischen Gesetzen in der Pflanze kombiniert.
Das ist aber einer der besten Belege dafür, daß ihre Reizwirkung
die gleiche ist, denn bei zwei verschiedenen Reizanlässen finden wir
ein viel weniger durchsichtiges Verhalten. Schwerkraft und Zentri-
fugalkraft wirken auf die Körper massenbeschleunigend; das ist
physikalisch ihr Gemeinsames, darin muß also auch ihre Wirkung
auf die Pflanze beruhen. Wegen dieses Schlusses ist uns die zweite
Knightsche Versuchsanstellung so wichtig, aber die erste gibt uns
einen noch weiteren Ausblick.
Bei ihr ist, wie wir gesehen haben, die richtende Wirkung der
Schwere ganz ausgeschaltet, weil bei der Drehung um eine wage-
rechte Achse die Impulse in allen Richtungen kurz aufeinander
folgen. An die Stelle der Schwerkraft tritt die Zentrifugalwirkung.
Die Lehre aber, daß auf diese Weise die Pflanze unabhängig von
der Richtung der Gravitation wird, zog erst Julius Sachs im
Jahre 1872. Er sah zum ersten Male klar, daß die Ausschaltung der
Schwerkraftwirkung auf der Stellung der Drehungsachse beruhe, mit
der Fliehkraft aber an sich nichts zu tun habe, und auch bestehen
bleiben müßte, wenn letztere gar nicht merklich einwirkte. Sachs
erreichte die Ausschaltung beider Richtkräfte in den Versuchen, die
er 1879 eingehend schilderte, indem er die Drehbewegung so langsam
nahm, daß die Beschleunigung in der Richtung des Radius unmerklich
wurde. Er wählte eine Umdrehungszeit von 10—20 Minuten bei
geringer Entfernung von der Achse. Die benutzten Keimpflanzen
wurden dabei gleichmäßig feucht und dunkel gehalten. Da sie nun
Allgemeines über Geotropismus. 43
dem Einfluß aller äußeren Richtkräfte entzogen waren, hätte man
meinen können, sie wären ganz regellos hin- und hergewachsen. Das
war aber nicht der Fall, vielmehr war die Wachstumsrichtung im
ganzen geradlinig und bildete die Fortsetzung derjenigen, die beim
Ursprung aus dem Samen eingeschlagen worden war. Wir schließen
daraus, daß neben den äußeren auch innere Richtkräfte existieren
müssen, auf die wir noch zurückkommen. Abgesehen von dieser
Orientierung zur Lage des Samens war keine Regelmäßigkeit zu er-
sehen. Wurzeln und Stengel wuchsen nach allen Richtungen, weder
die Drehungsrichtung noch die Schwerkraft hatten einen Einfluß.
Sachs (1879, S. 213) war sich aber klar darüber, daß das
Ausbleiben der geotropischen Krümmung bei ganz geringer Dreh-
geschwindigkeit auch wieder nicht zu erwarten war. Wenn man die
Umdrehungszeit immer größer nähme, so müßte schließlich der Punkt
kommen, ‚wo die Langsamkeit dieser Rotation so groß ist, daß die
krümmenden Kräfte von Wurzel und Stengel an jedem Punkt der
Bahn Zeit gewinnen, eine wirkliche Krümmung zu bewirken, und daß,
bevor eine merkliche Verrückung der Lage eintritt, auch die krüm-
mungsfähigen Stellen durch Wachstum fortrücken.“ Wie er sich an
einem Drahtmodell klar macht, müssen dabei schließlich schraubige
Krümmungen zustande kommen. Will man diese ebenso wie die
Zentrifugalwirkung ausschließen, so muß man die Drehgeschwindigkeit
innerhalb gewisser Grenzen halten. Der Spielraum ist noch groß genug.
Sachs verwendete bei seinen Drehversuchen zunächst ein Pendeluhrwerk,
das er entsprechend herrichten ließ und das er Klinostat nannte. Später kon-
struierte Pfeffer ein sehr viel besseres Instrument für die gleichen Zwecke,
bei dem das stoßweise Vorrücken durch Verwendung einer anderen Regulier-
vorrichtung vermieden ist. Der Klinostat von Pfeffer hat für unsere Wissen-
schaft eine große Bedeutung erlangt, sowohl wegen seiner Zuverlässigkeit wie
wegen der Möglichkeit, die Drehgeschwindigkeit in sehr weiten Grenzen zu ver-
ändern. Er hat eine kräftige Feder und bewältigt daher ziemlich große Lasten,
falls sie gut zentriert, d. h. ohne Übergewicht gleichmäßig rings um die Achse
angeordnet sind. Für noch schwerere Objekte sind neuerdings auch elektrische
Drehwerke in Betrieb, bei denen ein kleiner Motor unter Zwischenschaltung einer
Zahnradübersetzung die Bewegung vermittelt. Der Apparat hat den Vorteil,
daß man an ihm viele und schwere Töpfe mit Pflanzen anbringen kann und
daß er nicht aufgezogen zu werden braucht, was für langwierige Versuche
von Vorteil ist. Aber mit ihm eine gleichmäßige Umdrehung in einer ganz be-
stimmten Zeit zu erzielen, ist nicht so gut möglich wie bei Uhrwerken.
In der Klinostatendrehung haben wir nun ein Mittel, die Pflanze
der einseitigen geotropischen Beeinflussung zu entziehen. Um so
reiner und ungestörter wird daher die Einwirkung anderer Reize
zum Ausdruck kommen. Aber auch beim Studium der geotropischen
Prozesse selbst ist der Apparat von großem Nutzen. So wird z.B.
an einer vorübergehend gereizten und dann an den Klinostaten ge-
brachten Pflanze die geotropische Nachwirkung nicht gestört durch
die früher (S. 40) besprochenen geotropischen Gegenwirkungen, weil
auch nach der Krümmung der Spitzenteil des ÖOrganes, der nun
schräg zur Achse steht, der geotropischen Beeinflussung entzogen
44 Ill. Die Reizwirkungen der Schwerkraft.
ist. Eine einfache Überlegung lehrt, daß die Richtung der Pflanzen-
teile zur horizontal gestellten Klinostatenachse für den Erfolg, daß
stets zwei entgegengesetzte Impulse sich aufheben, ohne Belang ist.
Man könnte nun glauben, daß am Klinostaten jede vorher in-
duzierte Krümmung erhalten bleiben müßte. Das ist aber nicht
der Fall. Die geotropische Nachwirkung wird etwas intensiver und
bleibt länger bestehen als an einer nach der Reizung wieder aufrecht
gestellten Pflanze; schließlich aber geht sie doch wieder zurück, falls
nur das Wachstum der gekrümmten Zone noch anhält. Wir stoßen
hier auf einen neuen Ausdruck derselben inneren Verhältnisse, die
es bewirken, daß an jungen Keimlingen, die am Klinostaten aus
dem Samen entstanden sind, die Teile eine gesetzmäßige Lage zu-
einander gewinnen. Auch nach einer geotropischen Krümmung be-
wirkt bei Ausschluß des Geotropismus eine innere Kraft, das physio-
logische Verhältnis der Teile zueinander, die Wiedereinstellung der
jüngeren Zonen in die Richtung der alten, also Aufhebung einer be-
stehenden Krümmung. Man nennt diese innere Richtkraft, die die
Geradestreckung aus äußeren Gründen gekrümmter Organe bewirkt,
Rektipetalität (Vöchting 1882). Nicht immer muß von innen
heraus geradliniges Wachstum angestrebt werden. Entsprechend
können auch ohne äußere Ursache Biegungen entstehen. Die ganze
Gruppe von Reizerscheinungen faßt man daher besser als Auto-
tropismus zusammen und versteht darunter die bei Ausschluß
äußerer Richtkräfte rein zutage iretenden, aber auch sonst wirk-
samen Richtungseinflüsse der Teile einer Pflanze aufeinander.
Der Autotropismus bewirkt bei erhaltener Wachstumsfähigkeit
nicht nur das Zurückgehen geotropischer Krümmungen, sondern ebenso
das aller anderen Reizerscheinungen, nach Aufhören der bewegenden
Ursache. Auch gleicht er in genau entsprechender Weise rein
mechanisch bewirkte Biegungen wachsender Pflanzenteile aus. Die
autotropische Reaktion besteht in einem verstärkten Wachstum der
konkav gewordenen Flanke an der Biegungsstelle.. Die Reizursache
liegt offenbar in der Krümmung selbst. Eine Verminderung in der
Schärfe der Biegung bewirkt freilich das fortschreitende Wachstum
allein schon, indem es die Längendifferenz der Flanken über
eine größere Strecke verteilt. Zum völligen Ausgleich der Krüm-
mung gehört aber doch zweifellos eine besondere Reizwirkung, deren
Eigentümlichkeit darin liegt, daß sie nur die gekrümmte Zone selbst
umfaßt. Es stellt sich also nicht etwa die Spitze einer geotropisch
gekrümmten Wurzel am Klinostaten durch eine Gegenkrümmung
wieder parallel der Achse, resp. in die Richtung des ältesten, un-
gekrümmten Teiles. Vielmehr erfolgt der autotropische Ausgleich
lediglich in der zur Zeit des Beginns der Klinostatendrehung ge-
krümmten Zone.
Die autotropische Reaktion gehört zur Gruppe der Gegen-
reaktionen, die alle das Gemeinsame haben, daß ihre Reizursache
in durch vorhergehende Außenreize bewirkten Veränderungen gegeben
Die Glieder der geotropischen Reizkette. 45
ist. In dem Rückgange der Erregung nach dem Aufhören eines
Reizanlasses haben wir schon den Einfluß einer derartigen Gegen-
reaktion kennen gelernt. Jeder Teilprozeß des gesamten Reizvorganges
besitzt so seine Gegenreaktion, durch die der Pflanzenteil nach Be-
endigung der Reizeinwirkung in den normalen Ruhezustand zurück-
kehrt, ähnlich wie ein angestoßenes Pendel durch die Gegenwirkung
der Schwerkraft schließlich zur Ruhe kommt. Der Autotropismus
ist der sichtbare Ausdruck für diejenige Gegenreaktion, die den Reiz-
erfolg als solchen trifit. Ehe er aber wirksam werden kann, muß die
Erregung ausgeglichen sein, die sonst auf Weiterführung der Krüm-
mung hinarbeiten würde.
b) Die Glieder der geotropischen Reizkette.
Nachdem schon Knight aus seinen Versuchen geschlossen hatte,
es sei die Schwerkraft, die die Richtung wachsender Pflanzenteile
bestimmt, war diese Vorstellung durch den Sachsschen Fundamental-
versuch der Klinostatendrehung um die horizontale Achse so gut wie be-
wiesen worden. Es ist auch nie wieder daran gezweifelt worden.
Nur die Art, wie die Schwerkraft wirkt, blieb noch ein Gebiet
der Forschung, auf dem die Meinungen bis in die neueste Zeit hin
und her schwanken. Wir können uns an dieser Stelle nicht mit
historischen Erörterungen beschäftigen, so interessant sie wären. Es
bringt uns nicht weiter zu wissen, wie man sich ehemals bald auf
eine geheimnisvolle Lebenskraft berief, bald in naiv mechanischer
Weise die Wirkung dem Druck der Säfte und ähnlichen rein hypo-
thetischen Veränderungen in der Pflanze zuschrieb.
Eine Analyse der zu erwägenden Möglichkeiten wird uns besser
fördern. Zunächst wissen wir heute, daß die Kraft, mit der die
Aufkrümmung des Stengels (negativer Geotropismus) oder die Ab-
wärtskrümmung der Wurzel (positiver Geotropismus) ausgeführt wird,
bei weitem die übertrifft, mit der die Schwerkraft auf den Pflanzen-
teil wirkt. Eine Wurzel also wird nicht wie eine breiige Masse ab-
wärts gezogen, sondern sie krümmt sich aktiv hinab. Das geschieht
mit einer gewissen Kraft. Man ersieht das schon daraus, daß sie in
den Boden einzudringen vermag. Das gleiche zeigt besonders an-
schaulich ein zuerst von Pinot im Jahre 1829 angestellter Versuch,
auf dessen Bedeutung Sachs hingewiesen hat. Befestigt man eine
wachsende Keimwurzel wagerecht dicht über Quecksilber, so dringt
sie bei ihrer geotropischen Abwärtskrümmung ein Stück in das spe-
zifisch so viel schwerere Medium ein. Da hierbei der beträchtliche
Auftrieb überwunden werden muß, so kann die geotropische Reaktion
der Wurzel keine direkte Schwerewirkung sein. Es muß vielmehr
eine gewisse Kraft aufgewendet werden. Und diese kann allein von
der Lebenstätigkeit der Pflanze herstammen, in die die Schwerkraft
nur dirigierend, als Reiz, eingreift.
Die Arbeit bei der geotropischen Krümmung wird eben nicht
46 III, Die Reizwirkungen der Schwerkraft.
von der Schwerkraft geleistet, sondern von der Wachstumsenergie
der Pflanze, Diese aber wird ihrerseits durch die Atmung, also
Verbrennung organischer Nahrungsstoffe geliefert. In dem mangeln-
den direkten Zusammenhange zwischen der Energie des Reizanlasses
und der der Reizreaktion liegt eine der Eigentümlichkeiten des Reiz-
vorganges. Pfeffer gebraucht den Vergleich mit einer Pulverladung:
Die Energiemenge, die in einer solchen steckt, steht in gar keinem
Verhältnis zu der Kraft, die nötig ist um sie, etwa durch einen
Fingerdruck auf den Hahn, zur Explosion zu bringen.
Die geotropische Beeinflussung einer Pflanze ist nach dem Ge-
sagten nicht als direkte Wirkung der Schwerkraft auf das Wachs-
tum aufzufassen. Eine solche wäre auch ganz unvorstellbar. Wie
sollte es die Anziehungskraft der Erde bewirken, daß an einem
Stengel gerade die Unter-, an einer Wurzel die Oberseite stärker
wächst? Vielmehr müssen wir annehmen, daß in der Pflanze, und
zwar entweder in allen oder in einigen bestimmten Zellen, Ver-
änderungen vor sich gehen, die in ihrer Gesamtheit in dem be-
treffenden Organe das physiologische Gleichgewicht stören. Dieses
wird dann durch eine wohlgeleitete Aktion, bei der sich eine große
Anzahl von Zellen beteiligen, wieder hergestellt. Durch stärkeres
Wachstum einer Flanke entsteht eine Krümmung, die den Haupt-
teil des aus der Lage gebrachten Organs in die alte Richtung zur
Schwerkraft zurückführt.
Es fragt sich nun, ob uns der Zusammenhang zwischen der
Wirkung der Schwerkraft und der geotropischen Krümmung ganz
dunkel bleiben muß, oder ob wir nicht Mittel haben, in dieses Ge-
heimnis wenigstens einigermaßen einzudringen. Eine Darstellung der An-
schauungen, zu denen die Wissenschaft bisher gekommen ist, wird
uns zeigen, daß wir einige, wenn auch spärliche Mittel haben, den
Schleier ein wenig zu lüften,
Die erste Veränderung, die beim Umlegen eines sonst aufrechten
Stengels in diesem vorgeht, wird offenbar rein physikalisch sein, sie
heißt Reizursache. Der eigentliche Reizprozeß beginnt erst, wenn
das lebende Protoplasma betroffen und in seiner Struktur irgendwie
verändert wird. Diese Veränderung, die wir nicht näher kennen,
nennt man Reizaufnahme (Perzeption), die dadurch bedingte Ver-
änderung des physiologischen Zustandes heißt die Erregung. Der
Vorgang, an dem wir die Wirkung eines Reizes erkennen, ist die
teizantwort oder der Reizerfolg (Reaktion). Perzeption und Re-
aktion sind die beiden Endglieder des physiologischen Vorganges.
Wir müssen sie uns durch eine Reihe von Zwischengliedern zu einer
„Beizkette‘‘ vereinigt denken, die tief in das Lebensgetriebe der
Pflanze eingreift.)
1) Damit soll nicht gesagt sein, daß die Veränderungen im gereizten
Organe auf die Verknüpfung der beiden wichtigsten Einzelvorgänge be-
schränkt sind.
Die Glieder der geotropischen Reizkette, 47
Wären die hier angenommenen Teilvorgänge der geotropischen
Reaktion rein theoretisch erdacht, so hätte die ganze Vorstellung
nur sehr bedingten Wert. Es gelingt aber, den experimentellen Be-
weis für das Auftreten gesonderter Perzeptions- und Reaktions-
vorgänge zu erbringen, und zwar mit Hilfe der Tatsache, daß beide
äußeren Einflüssen gegenüber sich verschieden verhalten. So ist es
z, B. möglich, durch Anwendung sog. Narkotika, wie Chloroform und
Äther, Pflanzen in ähnlicher Weise zu ‚„betäuben‘‘, wie wir das beim
Menschen können, Durch diese Mittel werden gewisse Lebensfunk-
tionen ausgeschaltet, ohne daß der Organismus getötet wird. Das
Bezeichnende bei der Narkose ist also, daß einzelne Lebensprozesse unter-
drückt werden, andere nicht, So gelingt es nun auch durch richtige
Abmessung der Konzentration des Narkotikums, die Pflanze an der
Ausführung einer geotropischen Krümmung zu hindern, ohne sie zu
töten, Durch geringere Mengen des Betäubungsmittels kann man es
so einrichten, daß während der Narkose keine Reaktion erfolgt,
trotzdem der Pflanzenteil umgelegt wurde, daß aber nach Entfernung
des Chloroforms usw. dann an der aufgerichten Pflanze, wenn auch
verspätet, die Wirkung erfolgt (Czapek 1898, S. 199). Als Be-
täubungsmittel fand Czapek für solche Versuche außer den ge-
nannten noch Kohlensäure und Coffein brauchbar. Auch konnte durch
Einwirkung von Kälte eine geotropische Reaktion verhindert werden,
die dann nachträglich in der Wärme auftrat. Man sieht, daß auf
die Pflanze im Wesentlichen dieselben Betäubungsmittel einwirken
wie auf den Menschen.
Durch diese Versuche ist aber direkt bewiesen, was wir früher
nur annahmen, daß nämlich gesonderte Prozesse der Reizaufnahme
und der Reizreaktion in der Pflanze nebeneinander bestehen müssen.
Das ist ja auch begreiflich, da die Ausführung der Krümmung,
wie wir wissen, auf Wachstum beruht, welches seinerseits in besonderer
Weise von den Außenumständen und der vorhandenen Energie ab-
hängt und daher auch in besonderer Weise von Eingriffen betroffen
werden kann. Nicht gesagt ist aber, daß nun die erwähnten Be-
täubungsmittel in obigen Versuchen wirklich gerade durch Ver-
hinderung des Wachstums die Reaktion unmöglich gemacht haben.
Es kann ja auch die Verbindung zwischen den Anfangs- und End-
gliedern des Reizvorganges, die sog. Reizkette irgendwo unterbrochen
sein. Darüber etwas auszusagen reichen die Erfahrungen noch
nicht aus.
Mit der Annahme einer Reizkette ist schon vorweggenommen,
daß die auf die Reizaufnahme folgende Erregung nicht direkt in die
der Krümmungsreaktion zugrunde liegenden Vorgänge übergeht, sondern
daß noch andere Glieder dazwischen geschaltet sind. Wirklich be-
dingt die einheitliche Reaktion des ganzen Pflanzenteils, die Regulation
des Wachstums von der einen, sich am schnellsten, bis zur anderen,
sich am langsamsten streckenden Flanke, das Vorhandensein von min-
destens noch zwei Arten von Vorgängen: erstens solchen, die die Erregung
48 Ill. Die Reizwirkungen der Schwerkraft.
durch das ganze Gewebe hin fortzupflanzen oder zu leiten haben und
zweitens solchen, die sie in einheitlich geregelte Impulse umsetzen.
Diese werden nun den einzelnen Örganteilen oder Zellen mitgeteilt,
wobei wiederum eine Leitung nötig wird.
Wollen wir die Analogie mit den entsprechenden tierischen Vor-
gängen herstellen, so müssen wir sagen, wir haben die Obliegenheiten
im Sinne, die dort den Nerven als Leitungsbahnen und ihren lokalen
Umsatzzentren, den Ganglien, zukommen, während für die Reizauf-
nahme beim Tiere die Sinneszellen, für die Ausführung die Muskeln
verantwortlich sind. Es läge demnach auch bei den Pflanzen ein
einfacher Reflex vor; nur daß man nicht wie bei den Tieren be-
sondere Organe nachweisen kann, denen die verschiedenen Funktionen
zukommen, sondern daß vielmehr die inneren Prozesse in nicht
eigens differenzierten Zellen vor sich gehen. Das gilt sowohl von
den Leitungs- oder duktorischen, wie auch von den regulierenden oder
rektorischen Prozessen, denen die der Reizaufnahme als die sen-
sorischen und die der Ausführung als die motorischen gegenüber-
gestellt werden können.
Das Vorkommen besonderer Vereinheitlichungs- oder rektorischer
Vorgänge muß nun allerdings vorläufig bloßes Postulat bleiben, da
experimentell hierüber nichts vorliegt; daß aber wirklich in Pflanzen
eine Leitung der Erregung angenommen werden muß, ergibt sich
zwingend aus den Fällen, in denen eine räumliche Trennung von
Reizaufnahmestelle und Krümmungsregion nachgewiesen werden konnte.
Ein derartiges Verhalten sicherzustellen ist beim Geotropismus sehr
schwierig, da wir ja die Schwerkraft nicht, wie etwa das Licht, an
bestimmten Stellen von der Pflanze abhalten und an anderen ein-
wirken lassen können.
Die räumliche Trennung der Bewegungszone von der, den geo-
tropischen Reiz vorwiegend aufnehmenden ist zuerst von Ch. Darwin
([1881] 1899) für die Spitze der Keimwurzel behauptet, später nach
vielen Kontroversen von Üzapek (1895) wahrscheinlich gemacht und
schließlich von Haberlandt (1908) bewiesen worden.
Darwin glaubte die alleinige Empfindlichkeit der Wurzelspitze
daraus entnehmen zu können. daß eine geotropische Bewegung aus-
bleibt, wenn die Wurzel um die Länge von I—2 mm verkürzt wird,
wobei die Krümmungszone erhalten bleibt. Spätere Versuche zeigten
aber, daß diese Methode nicht einwandfrei ist, weil die Verwundung
eine Störung der Empfindlichkeit und damit ein Ausbleiben der Re-
aktion bewirken kann, auch wenn das Perzeptionsorgan erhalten
bleibt. Deshalb stellte Czapek seine Experimente in der Weise an,
daß er Wurzeln am Klinostaten in gebogene Glasröhrchen hinein-
wachsen ließ ohne sie zu verletzen. Dadurch wurde die Wurzel-
spitze in einem rechten Winkel von der weiter oben befindlichen
Streckungszone abgelenkt. Es fand dann nach seiner Angabe die geo-
tropische Krümmung stets im Sinne der Reizung der Wurzelspitze statt.
Die Glieder der geotropischen Reizkette. 49
So wuchs z. B. bei vertikaler Wachstums- (Bewegungs)zone und hori-
zontaler Spitze die der Oberseite der letzteren entsprechende Flanke
schneller, was das Überwiegen der geotropischen Empfindlichkeit der
Spitze und die Reizleitung von da in die Streckungszone beweisen
würde. Diese Resultate konnten aber bei mehrmaliger Prüfung von
anderer Seite nicht bestätigt werden, indem die mechanische Biegung
der Wurzel unkontrollierbare Störungen bewirkte. Deshalb war die
Heranziehung eines durchaus anderen Prinzipes zum Auseinander-
halten der geotropischen Sensibilität der einzelnen Teile äußerst
erwünscht.
Die gleichfalls fein ausgedachte, und wegen Vermeidung der De-
formation der Wurzel zuverlässigere Methode, deren sich Haberlandt
bediente, hatte der Ingenieur A. Piccard (1904) für diesen Zweck
ausgearbeitet. Er war auf Grund seiner Experimente zu einem
Darwins Annahme entgegengesetzten Schlusse gekommen. Haber-
landt zeigte aber, daß Piccards Versuche noch nichts beweisen. Erst
in seiner Hand leistete die Versuchsanstellung das, was man theoretisch
von ihr erwarten durfte. Sie beruht darauf, daß man die Wurzel in
der Weise der Fliehkraft aussetzt, daß die Spitze in entgegengesetztem
Sinne beeinflußt wird als der Rest der Wurzel. Dies gelingt, wenn die
(gedachte) Drehungsachse die Wurzel kurz hinter der Spitze schräg
durchschneidet. Dann wird bei der Rotation sowohl die Spitze
wie der basale Teil der Wurzel einer Fliehkraft ausgesetzt, die sie
von der Achse fortzutreiben sucht. Bei positiv geotropischen Ob-
jekten wächst aber, wie wir gesehen haben, die von der Kraftquelle
abgewandte Flanke stärker. Würde jede wachstumsfähige Zone den
Reiz für sich perzipieren, so müßte daher überall das Wachstum der
der Achse zugekehrten Flanke überwiegen. Und da die Wurzel die
Achse schräg schneidet, so müßte sie zwei Krümmungen bekommen,
also S-förmig werden. Überwiegt dagegen die Sensibilität einer be-
stimmten Zone, so muß die Krümmungsrichtung der Reizung dieser
entsprechen.
Natürlich muß sehr schnell gedreht werden, weil sonst die Flieh-
kraft bei der kurzen Entfernung von der Achse zu klein wird.
Es ergab sich nun in Haberlandts Versuchen, daß die Wurzeln
von Vicia Faba sich im Sinne der Reizung der Spitze krümmten,
wenn die Achse sie 1,5—2 mm hinter der Spitze im Winkel von 45°
schnitt. War dagegen das überstehende Ende nur 1 mm lang, so
erfolgte die stärkere Reizung und damit die Krümmung in entgegen-
gesetztem Sinne. Man ersieht daraus, daß eine Leitung der geo-
tropischen Erregung von der vorwiegend sensiblen Spitze nach der
allerdings nicht ganz unempfindlichen Wachstumszone stattfindet, die
deren direkte Reizung überwinden kann. Somit ist zwar das Vor-
kommen einer Reizleitung sichergestellt. Wir kennen aber immer noch
kein geotropisches Objekt, in dem sicher eine völlige lokale Trennung
von Perzeptions- und Aktionszone vorläge, wenn auch eine viel größere
Empfindlichkeit der Spitze gegenüber der Wachstumszone und vor
Pringsheim, Reizbewegungen. 4
50 11I. Die Reizwirkungen der Schwerkraft.
allem eine Übertragung des Reizes oder besser der Erregung von der
einen zur anderen für Wurzeln bewiesen ist.
Es gibt nun noch eine ganze Reihe von Erfahrungen an anderen
Pflanzenteilen, die in demselben Sinne sprechen. So hat Francis
Darwin (1899) einen hübschen Versuch angegeben, der zeigt, daß die
geotropische Reizung der Spitze von Graskeimlingen, besonders der hirse-
artigen Gräser, die der hauptsächlich krümmungsfähigen tieferen Zonen
zu überwinden imstande ist. Er befestigte solche Pflänzchen an ihrer
Spitze horizontal, indem er den übrigen Teil frei schweben ließ. Es
wurde dann zunächst, wie zu erwarten war, die Unterseite im Wachs-
tum gefördert. Dadurch kam nun bei der ‚verkehrten‘ Befestigung
etwas Seltsames zustande. Zunächst krümmte sich in der oben (S. 35)
beschriebenen Weise anstatt der Spitze, die ja daran verhindert war,
das basale Ende aufwärts. Wäre die Wachstumszone allein geo-
tropisch empfindlich, so hätte es damit sein Bewenden gehabt. Die
Graskeimlinge verhielten sich aber anders. Da die Spitze, als die
vor allem reizempfindliche Zone, nicht in die Ruhelage kam, weil sie
ja wagerecht festgehalten wurde, ging das verstärkte Wachstum auf der
Flanke, die der unteren Seite der Spitze entsprach,
ZN weiter, so daß die Keimlinge sich fortdauernd,
IE
I) auch über die Senkrechtstellung des basalen Endes
_—h hinaus, weiterkrümmten und schließlich lockenartig
Abb. 19. einrollten (Abb. 19.)
Keimling einer Panicee Schließlich haben wir noch ein weiteres Mittel,
mit der Spitze in Hori- £ t E} ä Pi 3
zontallage befestigt. das in gewissen Fällen einen Anhalt für die Be-
(Nach Fr, Darwin aus urteilung der Lage der empfindlichsten Zone gibt.
Dieser Nachweis stützt sich darauf, daß die Leitung
der Erregung stets einige Zeit zur Zurücklegung einer gewissen Strecke
braucht. Deshalb können die der reizaufnehmenden Stelle benachbarten
Teile mit der Ausführung der Reaktion beginnen, bevor der Impuls sich
weiter ausgebreitet hat. Wäre die geotropische Sensibilität in einem
Organe gleichmäßig verteilt, so müßte die Krümmung in der Zone
beginnen, in der das Wachstum am stärksten ist. Aus einer Ab-
weichung von diesem Verhalten kann man schließen, daß die Zone
maximaler Streckung nicht mit der empfindlichsten Stelle zusammen-
fällt, daß also in deren Nähe die Reizwirkung beginnt und deshalb
sich weniger rasch streckende Zonen mit der Krümmung der ferner
gelegenen Hauptwachstumszone voraneilen (Rothert 1896, S. 187 fi).
So verhalten sich z. B. Graskeimlinge, bei denen die Krümmung an
der äußersten Spitze beginnt, obgleich die Hauptstreckungszone ein
ganzes Stück tiefer liegt. Abgesehen davon, daß ein solches Ver-
halten sich nur zeigen wird, wenn ein genügend großer lokaler
Abstand zwischen Hauptperzeptions- und Hauptaktionszone liegt, ist in
der Beurteilung noch deshalb Vorsicht vonnöten, weil der geotropische
teiz selbst die Wachstumsgeschwindigkeit beeinflussen kann.
Wir haben nun die hauptsächlichsten Gründe besprochen, die
für das Vorkommen einer Reizleitung beim Geotropismus sprechen.
Die Glieder der geotropischen Reizkette. 51
Am besten ist der Beweis für die räumliche Trennung von Aufnahme-
und Krümmungszone bisher bei der Wurzel geführt. Dieser Nachweis,
gerade an den so häufig benutzten und durch Darwin klassischen
Objekten wird uns als sichere Grundlage für weitere Betrachtungen
dienen können.
Von den Teilprozessen der Reizkette bleibt uns nach Erledigung
der Reizleitung noch das physiologische Anfangs- und Endeglied,
nämlich Perzeption und Reaktion, eingehender zu besprechen. Zu-
nächst die Perzeption: Wie empfindet die Pflanze den Zug der
Schwere und seine Richtung? Am nächsten liegt wohl der Gedanke,
daß bei einem umgelegten geotropischen Organ das Gewicht des
ganzen Pflanzenkörpers eine veränderte Spannung der Gewebe er-
zeugt, und daß diese es ist, die den Anstoß zum ungleichen Wachs-
tum der unteren und oberen Flanke gibt. Man hätte dann etwas
unseren ‚inneren Lageempfindungen‘“ Vergleichbares, wie es bei der
passiven Veränderung der Gliederstellung bemerkbar wird (W. Wundt
1962, II.) Die Probe auf diese Hypothese liegt schon in dem Versuch
mit der in Quecksilber eindringenden Wurzel, in der die Zug- und
Druckverhältnisse durch den Auftrieb gegenüber den Verhältnissen
in Luft gerade umgekehrt sind. Dasselbe ist bei einem geotropischen,
in Wasser untergetauchten Stengel der Fall, falls er spezifisch leichter
als dieses ist. Dennoch krümmt er sich geotropisch aufwärts. Die
durch das Gewicht der Teile bewirkte Dehnung der oberen und Zu-
sammendrückung der unteren Stengelhälfte fällt hier fort oder wird
sogar umgekehrt, Trotzdem wird die Richtung der Schwerkraft
empfunden. Da diese aber kaum anderes als Gewichtswirkungen
veranlassen kann, so müssen wir im Innern der Pflanze irgend-
welche für Druck- oder Zug empfindliche Organe annehmen und in
ihnen Körper, die der Schwere zu folgen bestrebt sind. Diese wären
dem Einfluß der oben beschriebenen Quecksilber- und Wasserexperi-
mente nicht zugänglich. Man könnte sich leicht denken, daß solche
spezifisch leichteren oder schwereren Körper das lebende Plasma reizen
würden, indem sie durch die Richtung des Zuges oder Druckes, der
bei verschiedener Lage des ganzen Pflanzenteils wechselte, die Be-
tätigung der geotropischen Wachstumsverschiebung veranlaßten.
Diese Hypothese, die schon in den Anschauungen von Knight
ihre Grundlage hat, ist von Noll weiter ausgebaut worden. Später
haben N&mec und besonders Haberlandt es für viele Fälle wahr-
scheinlich gemacht, daß in spezifisch schwereren und innerhalb der
Zelle beweglichen Stärkekörnern die auf das Protoplasma drückenden
Körper zu suchen sind. Diese Stärkekörnchen sollen als „Statolithen‘“
durch ihre Lage in der Zelle die Empfindung der Schwerkraftsrichtung
veranlassen. Daß nicht notwendig so große oder überhaupt sichtbar
differenzierte schwere Körper als wirksam angenommen werden müssen,
ist klar und geht auch daraus hervor, daß es Pflanzenorgane ohne
Stärkekörner gibt, die in derselben Weise und nicht weniger präzis
und schnell reagieren. So z. B. die aufrechten Fruchtträger und Hut-
4*
52 Ill. Die Reizwirkungen der Schwerkraft.
stiele der Pilze, in deren Zellen es vielfach schwer fallen dürfte,
überhaupt feste Bestandteile zu entdecken. In anderen Fällen, so
in den Wurzelhaaren der Armleuchtergewächse (Chara, siehe Giesen-
hagen 1901) hat man die Druckwirkung anderer Körnchen, die nicht
aus Stärke bestehen, zur Erklärung herangezogen.
Haberlandt nimmt also an, daß das Plasma in gewissen Zell-
komplexen der geotropischen Pflanze den Druck der dort vor-
handenen beweglichen Stärkekörner empfindet. Diese Stärkekörner
zeichnen sich vor den meisten anderen dadurch aus, daß sie in jeder
Lage auf die untere Seite der Zelle sinken. Die gedrückte Stelle
wird bei jeder Lageveränderung der Pflanze wechseln, und so ist
eine Art Sinnesorgan geschaffen, das der Pflanze über ihre Orientierung
Aufschluß gibt. Solche bewegliche Stärke findet sich bei Stengeln
in der sogenannten Stärkescheide, bei Wurzeln in der Wurzelhaube,
und ihr Vorkommen stimmt nach den Untersuchungen der Haber-
landtschen Schule mit dem Besitz einer geotropischen Reizbarkeit
gut überein.
Die Diskussion der Statolithen-Frage ist noch nicht geschlossen ;
und so viele Gründe auch dafür sprechen, daß wirklich spezifisch
schwerere Körper die geschilderte Funktion ausüben, so ist es doch
wohl noch nicht entschieden, daß dies die Stärkekörner sind oder
sein können. Leider kann man der Pflanze nicht die Stärke ent-
ziehen, ohne sie auch sonst zu schädigen oder jedenfalls zu ver-
ändern!). Die sonstigen experimentellen Beweise, die die Haber-
landtsche Theorie sicherstellen sollen, haben mancherlei Einwürfe ent-
kräftet; positiv stützen können sie aber in Wirklichkeit nur die
Annahme, daß Körper von verschiedenem spezifischen Gewicht bei
der Schwerkraftsreizung eine Rolle spielen (z. B. Buder 1908).
Vielleicht das beste Argument für diese allgemeinere Annahme bieten
Versuche, die nicht an Pflanzen, sondern an Tieren angestellt worden sind
(A. Kreidl 1892/93). Manche Krebse besitzen nämlich von außen eingestülpte
Hohlräume, in deren Innern ein schwerer Körper, der Statolith, liegt. Daß
die Funktion dieses Organes die Empfindung der Lage ist, konnte bei gewissen
Formen experimentell bewiesen werden. Diese zeichnen sich dadurch aus, daß
ihre Bläschen sich niemals ganz schließen und daß der Statolith sich nicht im
Innern bildet, sondern von außen hineingebracht wird. Bei der Häutung ver-
liert der Krebs dieses wichtige Organ. Vorher aber hat sich darunter schon ein
neues gebildet, dem nur eins fehlt, der bewegliche schwere Körper. Als solchen
benutzt dann das Tier irgend ein Sandkörnchen, daß es sich in die Öffnung
stopft. — Nun wurde frischgehäuteten Krebsen kein Sand, sondern Eisenfeil-
späne gegeben. Als diese ihrer Funktion als Schwerkraftsanzeiger übergeben
worden waren, wurde ihnen ein Magnet genähert. Da zeigte sich denn, daß
die Tiere sich nicht mehr nach der Erde, sondern nach dem Magneten zu orien-
tieren suchten und so die sonderbarsten Stellungen einnahmen, ein zwingender
Beweis für die wirkliche Funktion dieser Organe. Könnten wir es mit Pflanzen
ähnlich machen, so wären alle Zweifel beseitigt.
1) Die Versuche von Frl. Pekelharing (1909), die durch Einwirkung von
Aluminiumsalzen es fertig gebracht haben wollte, sämtliche Stärkekörner in
Wurzeln zum Verschwinden zu bringen, ohne die geotropische Reizbarkeit auf-
zuheben, konnten von Nömeec (1910) nicht bestätigt werden.
Die Glieder der geotropischen Reizkette. 53
Da die pflanzlichen Statolithen operativen und überhaupt ex-
perimentellen Eingriffen schwer oder gar nicht zugänglich sind, so
bleibt nur die Untersuchung übrig, ob in allen Fällen geotropische
Empfindlichkeit und Vorkommen beweglicher Stärke parallel gehen.
Das scheint nun wirklich, wie gesagt, meist der Fall zu sein. Man
muß nur berücksichtigen, daß in den Fällen, in denen die geotropische
Krümmungsfähigkeit erlischt, ohne daß die betreffenden Stärkekörner
verschwinden, noch nicht die geotropische Empfindlichkeit er-
loschen sein muß.
Um die Funktion des Statolithenapparates übersehen zu können,
bedarf es als Grundlage einer genauen Kenntnis der Empfindlich-
keitsverteilung, wie sie bisher nur für die Wurzelspitze erlangt
ist. Auf einer solchen allein können aber die Belege für die Wirk-
samkeit der beschriebenen Einrichtungen aufgebaut sein, die wie die
meisten anatomisch-physiologischen Ansichten bisher mehr auf Wahr-
scheinlichkeit beruhten. Solche Belege hat man nun zu erbringen ver-
sucht, indem man einmal beim Auftreten oder Verschwinden der
geotropischen Reaktionsfähigkeit untersuchte, ob ihnen ein ent-
sprechendes Verhalten der beweglichen Stärke entsprach, und zweitens,
indem man experimentell, hauptsächlich durch Abschneiden der reiz-
aufnehmenden Spitze, in den Zusammenhang einzudringen suchte
(N&mec 1900, 1901).
Man kann sagen, daß eine gute Parallelität zwischen beiden
Tatsachengebieten gefunden wurde. So kehrte z. B. die durch Ab-
schneiden der Spitze aufgehobene geotropische Empfindlichkeit der
Wurzel gleichzeitig mit der Bildung eines neuen Statolithenapparates
zurück. Allerdings ist ein zwingender Beweis auch durch diese Er-
fahrungen nicht erbracht. Ferner mußte Haberlandt nach verschie-
denen Erfahrungen zugeben, daß eine Verlagerungsfähigkeit der
Stärkekörner für die Perzeption nicht unbedingt notwendig sei. Auch
wenn sie festliegen, sollen sie die Statolithen-Funktion ausüben können.
Die Beweglichkeit der Stärkekörner soll nur eine höhere Form der
Ausbildung darstellen. Da hiermit der Hauptangriffspunkt für eine
sich an Beobachtung anschließende Kritik genommen ist, so bleibt
nur die Möglichkeit, nachzusehen, ob der Grad der Reizbarkeit mit
dem der Beweglichkeit der Stärke in den verschiedenen Fällen über-
einstimmt. Haberlandt nimmt an, daß mit dem Hinüberwandern
der Stärkekörner auf die unteren Zellwände eine allmähliche Zu-
nahme der Reizintensität verknüpft ist. Die ablehnende Haltung
vieler Forscher gegenüber der Statolithentheorie des Geotropismus
hat ihre Ursache wohl in dem Bedenken, einem solchen, eigentlich
recht primitiven Apparate mit seinem wechselnden Gehalt an ‚Stato-
lithen‘“, bei dem weder die ganze Zelle noch die Stärkekörner eine
mathematisch einfache oder scharf definierte Form besitzen, eine so
feine Unterscheidungsfähigkeit zuzutrauen und von ihm ein so prä-
zises Funktionieren zu erwarten, wie es für die geotropische Reaktion
durch Untersuchungen der letzten Jahre bekannt geworden ist
54 Ill. Die Reizwirkungen der Schwerkraft.
(Fitting 1905). Dieser Einwand kann aber vielleicht durch die
Annahme entkräftet werden, daß die Ungleichheiten im einzelnen
sich durch die große Anzahl der zusammenwirkenden Sinneszellen
aufheben. Reagiert ja doch ein Pflanzenteil normalerweise stets als
ein einheitliches Ganzes auf Reizeinwirkungen der Außenwelt.
Somit kann man zusammenfassend sagen: Der Perzeption des
Schwerereizes liegen Zug- oder Druckwirkungen von Substanzen ver-
schiedenen spezifischen Gewichtes innerhalb der Zellen zugrunde.
Mancherlei Beobachtungen sprechen dafür, daß bei den höheren
Pflanzen die Stärkekörner in gewissen Zellen durch ihr Gewicht die
geotropische Reizwirkung ausüben. Endgültig sichergestellt ist diese
Hypothese aber nicht.
Fügt man zu den Überlegungen und Versuchen, die wir bei
Besprechung der Statolithenhypothese kennen gelernt haben, noch
die Ergebnisse hinzu, die aus der experimentellen Trennung von
Reizaufnahme und Reizreaktion resultieren, so hat man das wesent-
lichste von dem erschöpft, was über die Art der Perzeption des
geotropischen Reizes bekannt ist.
Nachdem wir nun über die Vorgänge der geotropischen Reiz-
aufnahme und Leitung einigermaßen Bescheid wissen, wenden wir
uns der Besprechung der auf sie folgenden Reizprozesse zu.
Der geotropische Reizerfolg stellt sich, wie früher (8. 35) be-
sprochen, im allgemeinen als Wachstumsvorgang dar. Die Erreichung
der Normallage kommt durch ungleiche Verlängerung der oberen
und unteren Seite des Organes zustande. Dabei bleibt meist die
durchschnittliche Wachstumsintensität, wie sie sich in der Verlänge-
rung der Mittelzone ausdrückt, dieselbe wie bei geradlinigem Wachs-
tum (Luxburg 1905). Es wird dann also die Streckung der einen
Hälfte bei der geotropischen Reaktion um ebensoviel gefördert, wie
die der anderen gehemmt wird. Somit ist es auch verständlich,
daß die Krümmungsfähigkeit unter sonst gleichen Verhältnissen der
Intensität des Wachstums entspricht und mit diesem erlischt.
Hat ein Organ sein Wachstum beendet, so haben wir kein
Mittel mehr, die geotropische Sensibilität nachzuweisen. Dasselbe
gilt für alle anderen durch Wachstum realisierten Reizkrümmungen.
Es läßt sich also nichts darüber aussagen, ob die Sensibilität in
alternden Organen dauernd erhalten bleibt.
Abweichend verhält sich die geotropische Krümmungsfähigkeit
zum Wachstum allein in solchen Fällen, in denen durch Ausbildung
besonderer gelenkartiger Organe die Bewegungsreaktion lokalisiert ist.
Es können dann nämlich auch nach Vollendung des normalen Wachs-
tums noch Reizkrümmungen ausgeführt werden. In dieser Be-
ziehung ergibt sich eine Übereinstimmung zwischen den sonst durch-
aus verschieden funktionierenden Blattgelenken und Stengelknoten.
Offenbar sind beide Einrichtungen als Anpassungen aufzufassen, die
einer besonders häufigen Inanspruchnahme der geotropischen Reaktions-
fähigkeit ihren Ursprung verdanken.
Die Glieder der geotropischen Reizkette. 55
Die Blattgelenke führen in ihrer Jugend geotropische Wachstums-
krümmungen aus, wie andere Organe. Haben sie ihre definitive
Länge erreicht, so ist jedoch mit dem Wachstum noch nicht die
Krümmungsfähigkeit erloschen. Es tritt dann ein anderer Reaktions-
mechanismus in Tätigkeit, der — wie oben geschildert — auf
wechselnder Turgorspannung beruht (vergl. S. 31/32). Der Unter-
schied dieser Reaktionsweise von der durch Wachstum zeigt sich am
besten, wenn man die Organe sich ert geotropisch krümmen und
dann durch Zurückbringen der Pflanze in die ursprüngliche Lage
wieder geradestrecken läßt. Hat eine Wachstumsbewegung vorge-
legen, so ist das Organ nun länger geworden. Bei einer Turgor-
bewegung dagegen erlangt es wieder seine alte Form und Größe.
Die Länge der ausgebildeten Gelenke ändert sich nicht, so oft auch
die Krümmung wiederholt wird,
Bei häufiger Beanspruchung fand jedoch Czapek (1898. S. 301) eine Art Er-
müdung. Bei den Gelenken der Bohnenblätter wurde nämlich die geotropische
Reaktion nach mehrfacher Wiederholung träger und schwächer. Da etwas ähn-
liches bei Wachstumskrümmungen nie beobachtet wurde, solange das Wachstum
anhielt, so dürfte die Erscheinung der Ermüdung von Gelenken mit der Me-
chanik der Reaktion zusammenhängen.
Die Fähigkeit, sich auch nach Beendung des normalen Wachs-
tums geotropisch zu krümmen, finden wir nun ferner bei den An
schwellungen oder ‚Knoten‘,
die viele Pflanzen an der An-
satzstelle der Blätter entweder
am Stengel (Nelkengewächse,
Tradescantiaarten) oder am
Blattgrunde (Gräser usw.) zei-
gen. Bej vielen von ihnen kann
durch den geotropischen Reiz
selbst nicht nur eine lokale
Verschiebung der Wachstums-
energie, sondern eine Beschleu-
nigung der Streckung bewirkt
werden, die eine schnellere
Krümmung zur Folge hat.
Bei den Gräsern undeinigen
anderen geht das so weit, daß
das Wachstum, das ohnehin in
den Knoten länger anhält als in
den danebenliegenden Stengel-
Abb. 20.
Gras-Blattknoten. Links Außenansicht, gekrümmt.
Rechts Durchschnitt. Man sieht, daß das der
Blattscheide angehörige Knotengewebe den hohlen,
zarten Stengel umgibt. Auf den bei den Krüm-
mungen konvexen Seiten ist das Polstergewebe
gewachsen.
teilen, auch dann, wenn es
schon völlig erloschen ist, auf einen geotropischen Reiz hin wieder
aufgenommen wird. Das erneute Wachstum hört allerdings bald
wieder auf, oft vor Erreichung der Vertikallage. Dreht man nun
den Halm herum, so kann er sich noch in entgegengesetzter Rich-
tung krümmen, aber nur bis zur Geradestreckung. Dann ist be-
56 Ill. Die Reizwirkungen der Schwerkraft.
greiflicherweise auf beiden Seiten das Maximum der noch möglichen
Streckung erreicht (Sachs 1873).
Wir müssen in der Beschleunigung des Wachstums eine be-
sondere Reizwirkung der Schwerkraft sehen, die von der ungleichen
Beeinflussung der Streckung, also der ‘eigentlichen geotropischen
Reizung gedanklich getrennt werden muß. Man kann sie aber auch
experimentell trennen. Wenn man Grashalmstücke am Klinostaten
rotieren läßt, so kann eine geotropische Krümmung bei dem
Wechsel der Schwerkraftrichtung nicht auftreten. Es zeigt sich
aber, daß eine Reizung doch zustande kommt, indem die Basal-
knoten der Blätter sich zu strecken anfangen (Elfving 1884). Das
Resultat dieses Versuches spricht übrigens auch dafür, daß am
Klinostaten wirklich eine Schwerkraftreizung stattfindet und nur
wegen der Aufeinanderfolge entgegengesetzter Impulse eine Krümmung
nicht zustande kommt, während man früher glaubte, daß das kurze
Verweilen in jeder Lage nicht ausreichte, eine Erregung zu bewirken.
Eine geotropische Krümmung nicht mehr in die Länge wachsen-
der Teile findet sich ferner bei verholzten Zweigen der Bäume. Bei
diesen Objekten kann die Zellbildungsschicht, die sonst das Wachs-
tum in die Dicke bewirkt, durch ungleiche Produktion neuer
Elemente auf Ober- und Unterseite eine Krümmung erzielen. So
können sich mehrjährige, verholzte Zweige von der Roßkastanie und
der Linde noch geotropisch krümmen, wenn sie aus ihrer Lage ge-
bracht werden.
ec) Quantitative Zusammenhänge zwischen Reizanlaß,
Erregung und Reaktion.
Ehemals teilte man die Naturwissenschaften kurzerhand in
exakte und beschreibende ein. Einer exakten Behandlung fähig
sollten allein Astronomie, Chemie und Physik sein. Die Botanik und
Zoologie dagegen rechnete man zu den beschreibenden Wissenschaf-
ten, weil in ihnen die Mannigfaltigkeit der Formen das Interesse zu-
nächst durchaus in Anspruch nahm.
Wir empfinden diese Scheidung heute als ein Werturteil, gegen
das sich unser naturwissenschaftliches Gefühl auflehnt. In der Tat
haben exakte Methoden längst auch in die Biologie, die Lehre von
den Lebewesen, Eingang gefunden. Man ging sogar auch hier so-
weit, nur eine mathematische oder physikalisch-chemische Behand-
lungsweise der Probleme als echte Wissenschaft anzuerkennen. Diese
Auffassung schießt weit übers Ziel, wenn man auch anerkennen muß,
daß die zahlenmäßige Forschungsweise einen sehr großen Fortschritt
herbeigeführt hat. Sie wurde in die Pflanzenphysiologie vor allem
durch Sachs’ und Pfeffers Arbeiten und Anregungen hineingetragen.
Noch ist dieser Fortschritt nicht mit der Befruchtung zu vergleichen,
die den sogen. exakten Wisenschaften durch die quantitative Be-
llandlung zuteil wurde. Besonders in der Chemie ist für uns der
Quantitative Zusammenhänge zwischen Reizanlaß usw. 57
Umschwung in die Augen springend, weil er nicht so weit zurück-
liegt wie in der Physik und Astronomie. Bei der Wissenschaft vom
Leben stehen wir noch mitten in dieser Entwicklung. Doch erobert
sich das streng geführte Experiment immer neue Gebiete, so neuer-
dings das der Tierpsychologie.
In der Pflanzenphysiologie sind wir schon etwas weiter. Seit
etwa 50 Jahren ist man sich darüber einig, daß auch hier gemessen
und gezählt werden muß, wenn man über das Stadium der mehr
oder weniger begründeten Vermutungen hinwegkommen will.
Welches sind nun die Dinge, über die uns eine zahlenmäßige
Behandlung der Reiz-Probleme, zunächst des Geotropismus, Aufschluß
geben kann?
Wie wir hervorgehoben haben, ist die Gravitation auf der Erde
für unsere Zwecke überall als gleichstark anzunehmen. Denn auf
so feine Unterschiede, wie sie durch die Abweichung der Erdgestalt
von der Kugelform zustande kommen, brauchen wir uns nicht einzu-
lassen. In der Zentrifugalwirkung haben wir dagegen ein Mittel,
einen der Stärke nach variierbaren Reizanlaß zu benutzen, der der
Art nach der Gravitation gleichgesetzt werden kann. Wie wir
schon wissen, nimmt die Pflanze, falls diese beiden Kräfte in ver-
schiedenen Richtungen auf sie einwirken, eine Zwischenstellung ein.
Damit sind aber lange nicht alle Fragen erledigt, die sich in bezug
auf die Wirkung verschieden starker ‚‚geotropischer‘‘ Reize stellen
lassen. Sie bleiben der exakten Bearbeitung vorbehalten.
Noch in anderer Weise läßt sich ein geotropischer Reiz vari-
ieren, nämlich in bezug auf die Richtung, in der die Schwerkraft
auf den Pflanzenteil einwirkt. Dieser Umstand kann durchaus nicht
gleichgültig sein. Steht die Wurzel oder der Stengel normal senkrecht,
so bemerken wir keine Einwirkung der Schwerkraft, der Pflanzenteil ist
in der Ruhelage. Sobald er aber abgelenkt wird, greift die geo-
tropische Reizbarkeit korrigierend ein. Prüfen wir alle Winkellagen
durch. so finden wir, daß nicht nur in der Normalstellung, sondern
auch in der genau umgekehrten eine Ruhelage existiert.
Ist nämlich der Pflanzenteil um 180° gedreht, so greift die
Schwerkraft wiederum in der Richtung der Längsachse ein, kann
also nicht zwei Flanken verschieden beeinflussen. Daher unterbleibt
eine geotropische Krümmung. Das gilt aber nur von der ganz ge-
nauen Vertikallage. Steht das Objekt nur ein wenig schief, so be-
ginnt eine zunächst schwache geotropische Krümmung. Dadurch
wird die Abweichung von der reizlosen Lage vergrößert und ein
stärkerer geotropischer Reiz verursacht, der schließlich zu einer
vollkommenen Umkehr führt. Das betreffende positiv oder negativ
geotropische Pflanzenorgan gewinnt so schließlich wieder die Normal-
stellung. Praktisch wird das unter Bedingungen, die nicht eigens
dieser Fragestellung angepaßt sind, stets der Fall sein, weil so kleine
Abweichungen von der Vertikallage, wie sie gerade zu einer ganz
schwachen geotropischen Reizung ausreichen, durch etwas ungleich-
58 IlI. Die Reizwirkungen der Schwerkraft.
mäßiges Wachstum stets gegeben sind. Wenn man aber den Kunstgriff
anwendet, die Wurzel oder den Stengel in der umgekehrten Vertikallage
eine Zeitlang festzuhalten, um dann die Nachwirkung in der Normal-
stellung zu prüfen. so findet man, daß unter diesen Umständen keine
Reaktion stattfindet, im Gegensatz zu allen anderen Winkellagen.
Es gibt also bei den vertikal wachsenden oder „orthotropen“‘
Pflanzenteilen zwei Ruhelagen, die dem stabilen und labilen Gleich-
gewichte der Mechanik entsprechen. Sowohl aus der stabilen wie
aus der labilen Ruhelage kehrt das Organ nach einer Ablenkung
in die stabile zurück.
Soweit kommt man noch verhältnismäßig leicht. Darüber hinaus
aber möchten wir noch wissen, welche Wirkung die anderen Reiz-
lagen zwischen 0 und 180° haben, ob hier wie bei verschieden großer
Zentrifugalkraft nur die Stärke oder etwa auch die Art der Er-
regung verändert wird? Zur Lösung dieser Frage brauchen wir wiederum
genaue quantitative Methoden.
Schließlich interessiert es uns, zu wissen, in welcher Weise die
geotropische Reaktion infolge äußerer Einflüsse verschieden ausfällt
und ob es möglich ist, mehrere Pflanzenarten in bezug auf ihre
Reizempfänglichkeit zu vergleichen. In allen diesen Fällen müssen
wir bei wissenschaftlicher Bearbeitung der Fragen möglichst exakt
vorgehen, denn der bloße Augenschein verleitet zu groben Irrtümern.
Wollen wir uns nun darüber klar werden, welche Mittel wir
haben, um den physiologischen Reizwirkungen gegenüber messend
vorzugehen, so müssen wir uns ins Gedächtnis zurückrufen, was oben
über die einzelnen Teile des geotropischen Gesamtvorganges gesagt
worden ist. Was der Beobachtung zugänglich ist, ist einerseits die
physikalische Reizursache, andererseits der äußere Endeffekt oder
die Reizreaktion. Aufschluß über die Zwischenglieder kann nur mittel-
bar gewonnen werden. Der Reizanlaß ist ohne weiteres physikalisch
messbar. Nicht so der Reizerfolg; doch kann man seine ein-
zelnen Phasen aufzeichnen, vergleichen und so den Gang der Re-
aktion verfolgen. Auf dieser Grundlage sind nun verschiedene Maß-
methoden aufgebaut worden, die den Zweck haben, Licht auf die
inneren Vorgänge in der Pflanze zu werfen und die verwickelten
Teilprozesse voneinander sondern zu helfen. Ihre Hauptaufgabe
sollte es im Grunde immer sein, darüber Aufschluß zu geben, welchen
Einfluß die Veränderung des Reizanlasses, also z. B. verschieden
starke Zentrifugalwirkung oder die Exposition in verschiedenen
Winkellagen, sowie durch verschieden lange Zeit, auf den Gang der
Erregung hat. Gesetzmäßige Zusammenhänge also sind zu finden
zwischen der Größe des physikalischen Reizes und der Größe des
ersten physiologischen Effektes!) in der Pflanze. Beim Menschen ist
eine ähnliche Frage als das psychophysische Problem bekannt.
!) Dieser erste physiologische Effekt, der ja eigentlich den Veränderungen in
den Sinneszellen entspricht, darf doch hier mit unseren Empfindungen verglichen
werden, wie sich aus der Gültigkeit der gleichen Gesetzmäßigkeiten für beide ergibt.
Quantitative Zusammenhänge zwischen Reizanlaß usw. 59
Der Gang des Fortschrittes in der Reizphysiologie ist gekenn-
zeichnet durch das Streben, sich von der äußerlichen Beobachtung
des Krümmungsverlaufes frei zu machen, weil in ihn zu viele
störende Nebenfaktoren hineinspielen. Sieht man z. B. einen um-
gelesten Pflanzenteil sich schnell und stark krümmen, so kann das
einfach an seiner Wachstumsenergie liegen oder an anderen Ursachen,
auf die es hier gar nicht ankommt. Wir wollen uns ja über das
Empfindungsvermögen der Pflanze orientieren.
Im Folgenden geben wir eine Übersicht der verschiedenen zur
Verfügung stehenden Methoden, indem wir von den im angedeuteten
Sinne unvollkommeneren zu den vollkommeneren vorschreiten.
1. Man konstatiert den ersten Beginn der sichtbaren Abweichung
von der vorher bestehenden Form und benutzt als Maß die vom
Beginn der Reizung bis dahin vergangene Zeit. Das wäre die Be-
stimmung der Reaktionszeit. Natürlich muß hier wie überall bei
wissenschaftlichen Messungen derselbe Versuch oft wiederholt werden,
damit Zufälligkeiten möglichst ausgeschaltet werden. Je nach der
Feinheit der Methode wird man den Beginn der Reaktion früher oder
später festzustellen vermögen. Doch kommt es bei vergleichenden
Versuchen nur darauf an, einheitlich vorzugehen.
2. Man mißt nach einer bestimmten Zeit vom Beginn der
Reizung an gerechnet die Stärke der Krümmung an dem Radius
des entstandenen Bogens. Dies geschieht, indem man aus einer
Reihe von verschieden großen Kreisen den mit derselben Krümmung
heraussucht.. Auch kann die Winkellage des annähernd geraden
Endes als Maß der Reaktionsstärke herangezogen werden.
3. Es wird die zur Erreichung eines bestimmten physiologischen
Effektes, z. B. der ersten Spur einer Krümmung, notwendige Stärke
oder Dauer des Reizanlasses gesucht. Das nennt man Bestimmung
einer Reizschwelle. Unter den verschiedenen Schwellenwerten
spielt beim Geotropismus die Präsentationszeit, also eine Zeit-
schwelle, die größte Rolle. Auch hier wird es von der Art der Be-
obachtung abhängen, welches Reaktionsminimum noch erkannt wird.
4. Man benutzt einen Vergleichsreiz von bekannter Größe und
Wirkung. Dabei geht man am besten von der Erfahrung aus, daß
zwei einander entgegengesetzte gleich starke Reize sich in ihrer
Wirkung aufheben. Darauf beruht die Kompensationsmethode.
Bei ihr wird also die Größe einer Einwirkung bestimmt, die nötig
ist, um einen anderen, bekannten Effekt gerade auszugleichen. Beim
Geotropismus kann das nur in zeitlicher Aufeinanderfolge geschehen.
Im übrigen aber sind die besprochenen Methoden nicht auf den
Geotropismus beschränkt, sondern sind, wenigstens der Möglichkeit
nach, wohl auf alle Reizkrümmungen anwendbar.
1. Die Bestimmung der Reaktionszeit ist die früher am häu-
fissten angewandte Methode. Zugleich aber ist sie die ungenaueste,
wenn es darauf ankommt, den wirklichen Reizwert einer physikalischen
60 Ill. Die Reizwirkungen der Schwerkraft.
Einwirkung, wie sie den Gang der Erregung beeinflußt, festzustellen.
Das, was eigentlich gemessen werden soll, ist ja nicht der äußere
Effekt, der durch das Zusammenwirken vieler Einzelvorgänge in der
Pflanze zustande kommt und sich kaum durch eine einfache Größen-
angabe festlegen läßt. Den Beobachtern schwebte vielmehr immer
vor die Höhe der durch einen Reizanlaß bewirkten Erregung zu
messen, vergleichbar etwa der unmittelbaren Empfindung, die wir
Menschen bei der Einwirkung eines bestimmten Reizes haben.
Wollten wir aber auf diese Empfindungen schließen, ohne sie selbst
zu teilen, so wären wir vielen Irrtümern ausgesetzt. Keinesfalls
dürften wir eine beliebige Erscheinung, die in ursächlichem Zu-
sammenhange mit der Empfindung stände, herausgreifen, um danach
zu urteilen. So wäre es falsch, etwa die Heftigkeit, mit der jemand
vor der Berührung mit einem heißen Eisen zurückschreckte, als Maß
zur Erforschung des Wärmesinnes zu benutzen.
In ähnlicher Weise hängt auch die geotropische Reaktionszeit,
außer von der Stärke des Reizanlasses, noch von zu vielen anderen
Faktoren ab, die den Zusammenhang verdunkeln. Man faßt sie
unter dem unklaren Begriff der Krümmungsfähigkeit zusammen.
Noch schlimmer aber ist es, daß gerade über den Zusammenhang
zwischen Reizintensität und Reaktionszeit erst durch die Versuche
selbst Klarheit geschaffen werden muß.
Man wußte aus mancherlei Erfahrungen schon lange, daß vielfach
ein schwacher Reiz mehr Zeit braucht, um einen deutlichen Effekt
hervorzurufen, als ein starker. Auch beim Geotropismus ist das der
Fall, aber nur innerhalb gewisser Grenzen. Über den Geltungs-
bereich dieser Regel können nur besondere Versuche unterrichten.
Unter ein gewisses Maß ist die Reaktionszeit schon deshalb nicht
verkürzbar, weil die Wachstumsprozesse, die der Krümmung zugrunde
liegen, eine gewisse Trägheit besitzen.
Außerdem ist aber überhaupt nicht gesagt, daß durch die Ver-
stärkung der Einwirkung stets nur die auf die Krümmung hinzielenden
Prozesse beschleunigt werden. Es könnten dadurch offenbar auch
hemmende Einflüsse ausgelöst werden, wie das bei anderen Reizarten
klar bewiesen ist. Diese Unsicherheit in den Grundlagen der Re-
aktionszeitbestimmungen hat manche Irrtümer veranlaßt, die den
Fortschritt aufgehalten haben. Ist man sich aber darüber klar, was
gemessen werden soll, und hat man erst einmal die Veränderung
der Reaktionszeit in Abhängigkeit von der Stärke des Reizanlasses
an verschiedenen Objekten studiert, so ist auch die Reaktionszeit
als Maß oft brauchbar. Zudem hat diese und die nächste Methode, im
Gegensatz zu den übrigen, mehr theoretisch bedeutungsvollen, einen
gewissen ökologischen!) Wert. Sie charakterisiert am ehesten das
!) Unter Ökologie verstehe ich mit Haeckel diejenige Disziplin der Bio-
logie, in der der Nutzen einer Einrichtung für den Organismus nachgewiesen
wird. Die reine Physiologie fragt dagegen nur nach den Ursachen des Geschehens.
Quantitative Zusammenhänge zwischen Reizanlaß usw. 61
Verhalten der Pflanzen unter normalen Umständen. Die Reaktions-
zeit beträgt für die meisten der gebräuchlichen Wurzeln und Stengel
von Keimlingen unter günstigen Bedingungen 60—80 Min. (Czapek
1898). Schneller reagieren nach Fitting (1905) die Keimstengel
von Sinapis alba, nämlich nach 45—60 Min. Andererseits gibt es
auch viele trägere Objekte. Ferner kann das Alter die Reaktions-
zeit beeinflussen: Keimstengel von Vicia Faba reagieren nach
65 Min., wenn sie 3—5 cm lang sind, brauchen aber mehr Zeit, wenn
sie erst I—2 cm lang sind (Fitting 1905).
2. Die Bestimmung des Krümmungsverlaufes hat bei der
Prüfung der Stärke eines Reizanlasses nie eine große Rolle gespielt.
Bei Untersuchungen über die geotropische Reizstärke in verschiedenen
Winkellagen ist sie überhaupt nicht ohne weiteres anwendbar, weil
bei stärkerer Ablenkung ein größerer Weg zu durchlaufen ist als bei
schwacher. Wir wissen aber schon, daß in der Inverslage, bei der
die Krümmung bis zur Ruhelage am stärksten werden müßte, gar
keine Reizung stattfindet.
Größer ist die Bedeutung des Endwinkels, aber nur bei dem
Vergleich zweier einander entgegenwirkender Reizanlässe, denn eine
einzelne Richtkraft muss bei ausreichender Krümmungsfähigkeit
schließlich stets eine vollkommene Einstellung bewirken. So gibt
z. B. bei Zentrifugalversuchen mit vertikaler Achse die Endstellung
des gereizten Organes Aufschluß über das Verhältnis der geotropischen
zur Fliehkraftreizung.
3. Einen besseren Einblick in das Maß der primären physio-
logischen Wirkung verschiedener Reizanlässe als die besprochenen
Methoden gewährt die Bestimmung der Präsentationszeit. Denn
hier wird der, an sich schwer meßbare, physiologische Effekt kon-
stant gehalten und das ihm entsprechende Minimalmaß des physi-
kalisch definierten Reizanlasses bestimmt. Die praktische Ausführung
einer solchen Bestimmung gestaltet sich folgendermaßen: Man wählt
eine größere Anzahl möglichst gleicher Exemplare z. B. von negativ
geotropischen Stengeln. Diese teilt man in Gruppen, die verschieden
lange, etwa 1, 2, 5, 10 Minuten usf. horizontal gelegt werden.
Nachher werden sie aufrecht gestellt oder besser am Klinostaten
gedreht. Nach einiger Zeit, etwa nach zwei Stunden, zeigt sich bei
den am längsten umgelegten Stengeln eine Nachwirkung in Gestalt
einer Krümmung. Je kürzer die Reizung war, desto schwächer fällt
die Reaktion aus und desto schneller geht sie vorüber. Bei einer
gewissen Länge der Reizzeit, z. B. bei 5 Minuten, tritt gar keine
Krümmung mehr auf. Dann liegt die Präsentationszeit zwischen
5 und 10 Minuten.
Für ein und dieselbe Pflanzenart hat die Präsentationszeit unter
sonst gleichen Bedingungen eine bestimmte Größe. Daher ist sie
als Maß bei reizphysiologischen Arbeiten gut verwendbar. Sie be-
trägt nach Bach (1907) für Blütensprosse von Capsella (Hirtentasche)
2 Minuten, für solche von Sisymbrium (Rauke) und Plantago (Wege-
62 III. Die Reizwirkungen der Schwerkraft.
rich), sowie für Keimstengel von Helianthus (Sonnenrose) 3 Minuten,
bei verschiedenen anderen Keimlingsachsen 4—12 oder (Lupinus)
selbst 20—25 Minuten. Ein Zusammenhang zwischen der Länge der
Präsentationszeit und der der Reaktionszeit braucht nicht zu bestehen.
Erstere ist wahrscheinlich der Ausdruck für die Empfindlichkeit des
Reizaufnahmeorgans, während bei letzterer die der Krümmung voraus-
gehenden Umschaltungsvorgänge wesentlich mit hineinspielen. Doch
sind im allgemeinen bei einem schnell und gut reagierenden Objekte
beide Werte relativ klein,
4, Keine von den Methoden gibt einen Aufschluß über die
absolute Höhe der durch einen Reiz bewirkten Erregung. Dafür
fehlen alle Anhaltspunkte. Als Maß gilt vielmehr immer nur die
Wirkung eines anderen bekannten Reizes. Je unmittelbarer diese
Vergleichung möglich ist, je genauer also die Identität der Reiz-
wirkungen festgestellt werden kann, desto exakter ist die Methode.
Die nun zu besprechende Kompensationsmethode leistet in dieser
Beziehung sehr viel. Sie beruht darauf, daß entgegengesetzte Ein-
wirkungen einander schwächen.
Auf Gleichheit der Reize wird geschlossen, wenn sie sich in
ihrer Wirkung aufheben. Voraussetzung ist also, daß Ungleichheit
sich durch Überwiegen des stärkeren Reizanlasses zu erkennen gibt.
So verhält es sich in der Tat; falls der Unterschied nicht zu gering ist,
stellt sich die Pflanze in die Richtung des stärkeren Reizanlasses.
Die Differenz in der Reizstärke, die gerade noch empfunden wird,
ist ein Maß für die Feinheit des Unterscheidungsvermögens. Man
nennt sie Unterschiedsschwelle. Ihre meist recht geringe Größe
macht die Kompensationsmethode so empfindlich.
Da wir nun die Mittel kennen, die zur Lösung der Fragen
nach der Reizwirkung der verschiedenen Zentrifugalkräfte und Winkel-
lagen zu Gebote stehen, so wollen wir einmal sehen, was mit ihrer
Hilfe bisher erreicht worden ist.
Unter den Stellungen, die wir einem negativ geotropischen
Stengel geben können, sind, wie wir gesehen haben, zwei als Ruhe-
lagen zu bezeichnen. Mit der Abweichung von der Vertikalen nimmt
die Reizung zu. Es fragt sich aber, wo ihr Maximum liegt. Mit
Benutzung der Reaktionszeit ist man zu falschen Vorstellungen gelangt.
Erst als Fitting (1905) für diesen Zweck die Kompensationsmethode
erdachte, wurde Klarheit geschaffen. Er ließ einen Pflanzenteil ab-
wechselnd gleich lange in zwei zu vergleichenden Winkellagen ver-
weilen, und zwar so, daß die Impulse einander entgegenwirkten. Die
Krümmung erfolgte dann in der Richtung, die der stärkeren Ein-
wirkung entsprach. Auf die Weise konnte aus allen möglichen
Winkellagen die mit der größten Reizwirkung herausgefunden werden.
Es war die Horizontalstellung.
Zur Ausführung solcher Versuche war die Veränderung der Lage
der benutzten Pflanzenteile mit der Hand zu mühsam und vor allem
Quantitative Zusammenhänge zwischen Reizanlaß usw. 63
nicht exakt genug, Fitting bediente sich daher eines besonderen
Apparates, der in ganz bestimmten Intervallen nach einem Verweilen
in bestimmter Winkellage das Umlegen automatisch besorgte und es
gestattete, beliebige Winkellagen zu kombinieren. Die Grundlage
dieses Apparates, den wir hier nicht beschreiben können, bildete der
Pfeffersche Klinostat (vgl. S. 43). Entsprechende Resultate konnten
mit diesem Uhrwerke auch ohne besondere Beigaben erzielt werden,
wenn man es gleichmäßig rotieren ließ, dabei aber die Achse in be-
stimmten Winkeln neigte und den Pflanzenteil seinerseits in einem
Winkel zu der Achse anbrachte. Dabei verweilte das betreffende Ver-
suchsobjekt allerdings nur kurze Zeit in der betreffenden oberen oder
unteren Stellung. Da die Impulse sich aber summierten und die
Reizungen, die in der Position links und rechts von der Achse aus-
geübt wurden, sich gegenseitig aufhoben, kam es doch zu einer be-
stimmt gerichteten Krümmung. Es wurde dadurch gleichzeitig von
neuem der Beweis erbracht, daß am Klinostaten auch bei schnellster
Rotation eine geotropische Reizung zustande kommt, was man bis
dahin nur aus dem Verhalten der Grasknoten schließen konnte.
Während in diesen Versuchen die wirksamste Winkellage aus
dem Auftreten einer geotropischen Krümmung erschlossen wurde,
suchte Fitting weiterhin ein genaueres Maß für die Reizstärke in
den einzelnen Stellungen zu bekommen, indem er die gegeneinander-
wirkenden Impulse so abstufte, daß eine Reaktion ausblieb. Damit
erst war die oben gewürdigte Kompensationsmethode geschaffen und
damit erst konnten quantitative Resultate erzielt werden. Da nur
echte geotropische Reize studiert werden sollten, also mit der kon-
stanten Erdschwere zu rechnen war, blieb von den wirksamen Fak-
toren nur noch die Expositionszeit zu variieren, wenn die in den
einzelnen Winkellagen applizierten Einzelreize quantitativ abgestuft
werden sollten. Mit der Dauer der Reizung wächst die Erregung.
Legt man einen geotropischen Pflanzenteil kürzer um als die Präsen-
tationszeit beträgt, so erfolgt keine Reaktion. Durch die Wieder-
holung solcher kurzen Expositionen kann aber schließlich eine Krümmung
erzielt werden, falls die Pausen nicht zu lang werden. Das heißt,
die einzeln unter der Schwelle für die Reaktion bleibenden Im-
pulse summieren sich, bis die Erregung die für die Auslösung einer
Krümmung nötige Höhe erreicht. Fitting fand nun die Summation
kurzer Einzelreize so vollständig, daß es für die Höhe der Erregung
allein auf die Gesamtreizung ankam, nicht aber auf die Länge der
Pausen; vorausgesetzt, daß das Verhältnis der Reize dann zur Ruhe-
zeit eine gewisse Minimalgröße hatte, die für die Keimstengel von
Vicia Faba z. B. nicht kleiner werden durfte als 1:5. Daraus er-
gibt sich klar eine gesetzmäßige Abhängigkeit der Reizintensität von
der Dauer der Einwirkung eines geotropischen Reizes.
Entsprechend kann auch durch Kombination verschieden langer
Reizungen mit verschiedenen Winkellagen innerhalb gewisser Grenzen
jede gewünschte Erregung erzielt werden.
64 III. Die Reizwirkungen der Schwerkraft.
Es zeigte sich nun bei Anwendung der Kompensationsmethode,
daß es möglich war, die Exposition in einer, weniger von der Ruhe-
lage abweichenden Winkelstellung, durch ihre größere Dauer ebenso
wirksam zu machen wie eine kürzere der Horizontalen genäherte.
Wurden am ‚,‚intermittierenden Klinostaten‘‘ die Reizzeiten in zwei
Stellungen ausgeprobt, die sich gerade die Wage hielten, so daß die
Krümmung ausblieb, dann konnte auf gleiche Erregungshöhe ge-
schlossen werden. Für diesen Fall war nun das Verhältnis der Ex-
positionszeiten konstant und unabhängig von deren Dauer. Das be-
weist, daß jeder Winkellage eine wohl definierte Reizwirkung zu-
kommt. Aber noch mehr, es konnte für diese Reizwirkung ein ein-
facher mathematischer Ausdruck gefunden werden. Sie entspricht
in jeder Lage der senkrecht zur Pflanze wirkenden Komponente,
während die in der Längsrichtung des Organs gedachte unwirksam
bleibt. Oder mit anderen Worten: Die geotropische Reizstärke
ist proportional dem Sinus des Ablenkungswinkels. Das
entspricht genau dem mechanischen Parallelogramm der Kräfte. ')
Das Sinusgesetz des Geotropismus, nachgewiesen mit
Hilfe der Kompensationsmethode.
Tabelle nach Fitting 1905.
90°,90° | 60°,90° 45,90%. 309,90° 15°,90° | 0.300
Kombinierte Ablenkungs-
winkelaus der Ruhelage
Sinusverhältnisse der Ab- . x SEE Tor ea
lenkungswinkel | 1:1 |0,866 :1|0,701:1|.0,5:1 JQ2sgz
Verhältnisse der Erregun-
zenzabgeleitet aus den em-| "1.1 10,869:.110,714: 1], 0,D- reuee
pirisch ermittelten Verhält-
nissen d. Expositionszeiten
Dasselbe Resultat, daß in der wagerechten Lage die intensivste
Reizung, sowohl positiv wie negativ geotropischer Organe statt-
findet, ergab sich auch aus Messungen der Präsentationszeiten
(Bach 1907 und Pekelharing 1910). Diese werden nämlich mit
der Größe der Ablenkung aus der Ruhelage immer kleiner und
erreichen ein Minimum, wenn der Winkel 90° beträgt. Von da an
nehmen sie wieder mehr und mehr zu, bis schließlich, in der um-
gekehrten Lage, wenn die Ablenkung 180° beträgt, die Reaktion
ganz und gar ausbleibt.
Unterwirft man die gefundenen Werte für die Präsentations-
zeiten in verschiedenen Winkellagen einer mathematischen Behandlung,
so ergibt sich wieder das Sinusgesetz d. h., die Präsentationszeiten
sind umgekehrt proportional dem Sinus des Ablenkungswinkels.
Rechnet man auf dieser Grundlage das Produkt der Reizstärke (oder
des Sinus des Ablenkungswinkels) und der Präsentationszeit bei ver-
1) Diese Gesetzmäßigkeit wurde zuerst von Sachs (1873) vermutungsweise
ausgesprochen, aber erst von Fitting (1905) und Pekelharing (1910) bewiesen.
Quantitative Zusammenhänge zwischen Reizanlaß usw. 65
schiedenen Winkelstellungen aus, so kommt man auf einen kon-
stanten Wert, die „Reizmenge“,
Das Sinusgesetz, nachgewiesen an den Präsentationszeiten.
Tabelle nach Pekelharing 1910.
Ablenkungswinkel Sinus desselben Präsentationszeit Produkt aus beiden
in Sekunden — Reizmenge
90° 1 269 269
60° 0,366 326 282
120 0,866 332 288
45 0,7071 366 259
135 0,7071 340 240
40 0,6428 441 284
30 0,5 540 270
150 0,5 538 269
25 0,4226 607 256
20 0,342 735 251
159 0,358 730 262
Man gewinnt hiermit auch ein objektives Maß für die geotropische
Empfindlichkeit eines Pflanzenteiles. Ein geotropisches Objekt ist
um so empfindlicher, je kleiner das erwähnte Produkt, die Reiz-
menge, ist; denn ein um so kürzerer und schwächerer Reiz bewirkt
noch eine Krümmung. Allerdings ist die ‚Empfindlichkeit‘ in diesem
Sinne auch noch eine zusammengesetzte Größe. In ihr steckt neben
der Reizempfänglichkeit des Aufnahmeapparates auch die Trägheit
des Bewegungsorganes sowie der Zwischenglieder der Reizkette.
Bei der Ausarbeitung der Kompensationsmethode hatte Fitting
gefunden, daß sehr geringe Winkelabweichungen von der Pflanze em-
pfunden und mit einer Krümmung beantwortet werden. Schon wenn
bei gleicher Expositionszeit die kombinierten Stellungen um 1° und
selbst wenn sie nur um !/,° voneinander abwichen, trat unter Um-
ständen eine, dann freilich geringe, Reaktion im Sinne der wirk-
sameren Winkellage ein. Nur diese Kleinheit der Unterschiedsschwelle
für verschiedene Winkellagen erlaubte die aus der Tabelle (S. 64)
ersichtliche Genauigkeit zu erreichen.
Die geotropische Unterschiedsempfindlichkeit erwies sich aber
nicht als gleichmäßig. Sie nahm vielmehr mit der Abweichung von
der Rubelage ab: Je wirksamer die Reizungen an sich waren, desto
größer mußte die Differenz der Winkellagen sein, um von der Pflanze
wahrgenommen zu werden. Schärfer konnte eine entsprechende
Gesetzmäßigkeit für die zeitlichen Unterschiedsschwellen festgelegt
werden, d. h. für die gerade noch wirksame Differenz der Expo-
sitionszeiten bei Reizung eines Pflanzenteils auf entgegengesetzten
Seiten in ein- und demselben Ablenkungswinkel. Hier wurde also
Pringsheim, Reizbewegungen. 5
66 III. Die Reizwirkungen der Schwerkraft.
die Wirksamkeit zweier Reize durch ihre Dauer variiert, und es
zeigte sich wiederum, daß bei größerer absoluter Erregung auch
die Unterschiede größer sein müssen, um eine Reaktion zu be-
wirken.
Durch genaue Messung der Expositionszeiten und der dazu ge-
hörigen zeitlichen Unterschiedsschwellen wurde gefunden, daß das
Verhältnis dieser beiden Werte für ein- und denselben Ablenkungswinkel
konstant ist. Wurde also z. B. in einer von zwei kombinierten ent-
gegengesetzten Lagen das eine mal doppelt so lange gereizt als das
andere Mal, so mußte — um eine Reaktion zu bewirken — auch die
längere Reizung die kürzere um das doppelte der sonst ausreichenden
Zeitdifferenz übertreffen. Auch die zeitliche Unterschiedsschwelle
steigt übrigens mit der Wirksamkeit der Winkellage. Für die wirk-
samste Stellung, nämlich Reizung in wagerechter Lage, fand Fitting
bei den Keimstengeln von Vicia Faba das konstante Verhältnis der
zeitlichen Unterschiedsschwelle zur Expositionszeit wie 4: 100.
Die Konstanz dieses Verhältnisses von Reizintensität und
Minimum der wirksamen Differenz ist in der Physiologie des
Menschen als das Weber-Fechnersche Gesetz bekannt. Während
es sich dort auf die Empfindungen bezieht, ist es bei Pflanzen
nur mittelbar aus den Äußerungen der Sensibilität zu entnehmen.
Wie wir noch sehen werden, ist es durch Pfeffer schon früher für
die chemische Reizbarkeit von Farnsamenfäden nachgewiesen. Für
Teile höherer Pflanzen aber gelang die Auffindung Fitting zum
ersten Male in einwandfreier Weise.
Wie wir wissen, ist die Variation der Winkelstellung und der
Expositionszeit nicht die einzigen Wege, die geotropische Reizwirkung
quantitativ abzustufen. Es gelingt das vielmehr auch, wenn man
die Schwerkraft durch die Zentrifugalwirkung ersetzt, wobei außerdem
eine viel höhere Reizintensität erreicht werden kann. Denn die wirk-
samste Winkellage ergibt bei Verwendung der Schwerkraft immer nur
die Massenbeschleunigung g — 981 cm. sec = * Die Fliehkraft da-
gegen kann durch Vergrößerung der Entfernung von der Drehachse
und Erhöhung der Geschwindigkeit beliebig gesteigert werden. Eine
Grenze ist nur durch die mechanischen Eigenschaften des zu prüfenden
Pflanzenteils gegeben. Andrerseits können durch Zentrifugalwirkung
auch sehr geringe Beschleunigungen erzielt werden. Man findet dann,
daß schon der 1000—2000. Teil der Erdschwere ausreichen kann,
geotropische Krümmungen zu bewirken (Özapek 1895b, S. 306).
Stellt man die jeder einzelnen Zentrifugalwirkung entsprechende
Präsentationszeit fest, so findet man mit dem Anwachsen jener eine
Abnahme der zur Erzielung einer Krümmung notwendigen Reizzeit.
Und zwar stellt sich hierbei wieder dasselbe bedeutungsvolle Reiz-
mengengesetz heraus. An der Reizschwelle ist nämlich für ein-
und dasselbe Objekt das Produkt aus Massenbeschleunigung und
Präsentationszeit konstant (Maillefer 1909, Pekelharing 1910).
Quantitative Zusammenhänge zwischen Reizanlaß usw. 67
Präsentationszeit von Avenakeimscheiden bei verschiedenen
Zentrifugalkräften nach Pekelharing 1910.
Reizdauer in Kraft in Produkt aus | Reizdauer in Kraft in Produk: aus
Sekunden Dynen Zeitund Kraft Sekunden Dynen Zeitund Kraft
3900 0,08 312 95 3,04 289
3900 0,08 312 80 3,71 297
2230 0,14 312 75 3,93 295
1300 0,25 325 70 4,1 287
830 0,364 302 72 4,42 318
805 0,38 306 70 4,43 310
510 0,598 305 65 4,68 304
441 0,67 296 55 5,355 295
415 0,76 315 53 5,76 305
310 1,04 322 45 6,48 292
248 1,254 sll 31 10,08 312
140 2,08 292 26 152 304
145 2,136 309 22 13,888 306
125 2,24 280 18 17,28 3ll
135 2,304 3ll 13 23,86 310
110 2,888 318 di 41,76 292
100 3,0 300 5 58,43 292
Soll also eine bestimmte Wirkung erzielt werden, so muß das,
was an Zeit erspart wird, an Intensität zugesetzt werden und um-
gekehrt. Dasselbe Gesetz werden wir beim Lichtreiz gültig finden.
Es kommt ihm also offenbar eine große allgemeine Bedeutung zu.
Seine Wichtigkeit wird noch dadurch gesteigert, daß es neuer-
dings Tröndle (1910) gelungen ist, eine erweiterte mathematische
Fassung zu finden, die auch die Reaktionszeiten in sich schließt.
Dabei war es nötig, den Faktor der Krümmungsfähigkeit auszuschließen,
resp. als konstant anzunehmen. Das gelingt, wenn die Differenz der
Reizintensitäten mit der Differenz der Reizmengen (Produkt aus Reiz-
intensität und Zeit) bis zum Beginn der Reaktion verglichen wird.
Das Verhältnis ist konstant. Durch eine Umrechnung ergibt sich,
daß die Reizwirkung proportional der Intensität und proportional
der Reaktionszeit, vermindert um einen konstanten Wert ist. Oder
anders ausgedrückt: Die Reaktionszeit verhält sich so wie wenn sie
aus zwei Teilen bestände. Der eine davon ist das Maß für die
Krümmungsfähigkeit und daher konstant. Der andere Teil bedeutet
die Zeit, die nötig ist, bis die zur Auslösung der Krümmung nötige
Erregung erzielt ist. Bei hoher Reizenergie geschieht das so schnell,
daß dieser Teil gegen den anderen völlig zurücktritt. Die Reaktions-
zeit sinkt daher nur bis zu einer gewissen Reizstärke und bleibt
dann gleich. Bei abnehmender Reizintensität wird die Reaktionszeit
immer länger, weil um so mehr Zeit vergeht, bis die nötige Erregungs-
höhe erreicht ist. Für diese Zunahme gilt das früher für die
5*
68 III. Die Reizwirkungen der Schwerkraft,
Präsentationszeit wiedergegebene Reizmengengesetz, als dessen Er-
weiterung sich somit das neue Gesetz für die Reaktionszeiten er-
weist. Die von Tröndle aus Bestimmungen anderer Autoren (Bach,
Pekelharing) berechneten Zahlen stimmen zufriedenstellend.
Geotropische Reaktionszeiten der Keimscheide von
Avena sativa.
I II 1007
E* EM: Reaktionszeit IV.
a i a in Min. berechnet Tröndles
Dynen (nach Pekelharing) nu Konstante
0,03 etwa 150 150 (150)
0,04 150 1237 45
0,06 seen 97,5 (25)
0,08 > 70 84,3 38,8
0,10 > 70 76,3 36,7
0,28 2 50 56,2 45
0,45 er 45 52,0 45
0,58 > 45 50,4 45
0,93 £ 45 48,4 45
5,80 & 45 46,9 45
9,00 ® 45 45,3 45
11,00 e 45 45,2 45
14,80 7 45 45,2 45
36,80 „a 45 45,0 45
56,60 % 45 45,0 45
Man sieht, daß die Reaktionszeiten (II) bei schwacher Zentrifugalkraft (I)
mit dem Steigen dieser rasch abnehmen, dann aber konstant werden. Die
Reihe IV zeigt die von Tröndle berechnete Trägheitskonstante, die leidlich
stimmt (nur zwei Werte, die eingeklammert wurden, fallen stärker heraus) und
gleich der kürzesten erreichbaren Reaktionszeit ist. Die Reihe III gibt die
nach Tröndles Formel unter Zugrundelegung der Konstante 45 berechneten
Reaktionszeiten, die mit den beobachteten gut übereinstimmen.
Wir entnehmen aus diesen Untersuchungen als Hauptresultat,
daß die oft hervorgehobene Trägheit der tropistischen Reaktions-
weise allein auf der Art der motorischen Prozesse beruht. Die Er-
regung dagegen vollzieht sich in sehr kurzer Zeit, falls nur die In-
tensität des Reizes stark genug ist. So konnte, wie man sieht,
Pekelharing schon durch eine Reizung von 5 Sekunden eine geotro-
pische Krümmung erzielen. Beim Lichtreiz ist man auf noch sehr
viel kürzere Präsentationszeiten gekommen.
Damit hätten wir das Wichtigste von den bisher angestellten
quantitativen Untersuchungen berichtet und können uns nun dem
geotropischen Verhalten der einzelnen Pflanzenorgane und der Ver-
breitung der Schwerkraftsreizbarkeit in den verschiedenen Klassen
des Gewächsreiches zuwenden. Wir werden dabei sehen, daß neben
Verschiedenheiten im Verhalten der einzelnen Pflanzenteile. 69
dem für feinere Untersuchungen bisher allein herangezogenen posi-
tiven Geotropismus der Wurzeln und dem negativen der Stengel
noch allerlei andere Erscheinungsformen der Schwerkraftsreizbarkeit
existieren.
d) Verschiedenheiten im Verhalten der einzelnen Pflanzenteile.
Die Fähigkeit, geotropische Bewegungen auszuführen, kommt,
wie man schon aus früheren Erwähnungen entnommen haben wird,
sehr verschiedenen Pflanzenorganen zu.!) Zwei Haupttypen sind
durch die negativ geotropischen Stengel und die positiv geotropischen
Hauptwurzeln am klarsten charakterisiert.
Negativ geotropisch sind außerdem aber noch viele andere
Pflanzenorgane, wenn deren Funktion es verlangt. Mit einer Ver-
änderung der Aufgabe geht nämlich oft eine Veränderung der
Reizbarkeit Hand in Hand. Es müssen also nicht etwa alle
Stengel (von den Seitenorganen ist später die Rede) negativ, alle
Wurzeln positiv geotropisch sein. Besonders aufallende Ausnahmen
sind die sog. Atemwurzeln vieler in Sümpfen lebender Pflanzen.
Sie dienen zur Erleichterung des Gasaustausches der unter Wasser
wachsenden Teile. Diese, mit großen Luftlücken versehenen, aber
sonst typischen Wurzeln sind negativ geotropisch, wachsen also aus
dem Schlamm oder Wasser aufrecht empor, während andere Wurzeln
derselben Pflanzen, die die normale Funktion haben, im Erdboden
bleiben.
Solche Atemwurzeln besitzen vor allem Pflanzen der Mangrovevegetation, wie
die asiatischen Arten Avicennia officinalis, Sonneratia acida u. alba, Cereops Can-
dolleana und die amerikanische Laguncularia racemosa, ferner die in seichtem
Wasser wachsenden Arten der Gattung Jussieua. Der Funktion nach analoge
Bildungen stellen die knieförmig aufgerichteten Wurzeln mancher Pflanzen dar,
über deren geotropisches Verhalten aber nichts bekannt ist (Schimper 1898).
Aufrechtes Wachstum kommt ferner vielen in die Blütenregion
fallenden Sproßteilen zu. Auffallend wird das dann, wenn die sie
tragenden Zweige annähernd horizontal gerichtet sind. Das ist z. B.
bei den Blütenrispen der Roßkastanien, Paulovnien, Hollunderarten und
vielen anderen der Fall. In solchen Fällen steht der Blütenträger
auf dem Zweig wie die Kerze auf dem Weihnachtsbaume. Er macht
dadurch einen vom sonstigen Zweigsystem verhältnismäßig unabhän-
gigen Eindruck und rechtfertigt diesen auch durch seine besondere
Reaktionsweise. Solche Teile werden nämlich, wie Baranetzky ge-
zeigt hat, durch ihre Stellung zur Tragachse auch am Klinostaten
in keiner Weise beeinflußt, — wie das sonst meist an den zusammen-
hängenden Organen vermöge des Autotropismus der Fall ist, — sondern
sie suchen sich nur vertikal einzustellen. Die Bedeutung dieser Ein-
richtung ist klar. Während an den ungefähr horizontal stehenden
Zweigen die Blätter zum Auffangen des Sonnenlichtes flach ausgebreitet
1) Auch festgewachsene Tiere können sie zeigen.
70 E III. Die Reizwirkungen der Schwerkraft.
sein müssen, ist es die Aufgabe der Blüten, den anfliegenden Insek-
ten von allen Seiten und schon von fern in die Augen zu fallen.
Sie erreichen das durch ihre große Zahl und durch ihre Anordnung
rings um eine aufrechte Achse. In dieser Lage bieten sie außerdem
den bestäubenden Tieren einen bequemen Anflug, der durch Blätter
nicht gestört ist.') In wie hohem Maße diese schöne Einrichtung
ihren Zweck erfüllt, läßt sich an jedem sonnigen Tage zur Blütezeit
der besprochenen Holzgewächse beobachten.
Geotropisch ähnlich verhalten sich die jungen Triebe der Kiefern,
die anfangs gleichfalls kerzengerade stehen, später aber, — mit Aus-
nahme desjenigen, der die Verlängerung des Hauptstammes dar-
stellt, — ihre definitive, geneigte Lage zum Horizont einnehmen.
Daß bestimmte Glieder des Verzweigungssystemes im Gegensatze zu
den übrigen aufrecht wachsen, ist eine sehr häufige Erscheinung,
nur ist es nicht immer so auffällig wie bei den genannten Pflanzen.
Ein solcher Fall liegt z. B. vor, wenn sich aus unterirdischen,
kriechenden Wurzelstöcken aufrechte Blatt- und Blütensprosse ent-
wickeln, wie es bei den Stauden so häufig vorkommt (Windröschen,
[Anemone nemorosa], Muschelblümchen [Adoxa moschatellina], Salo-
monssiegel [Polygonatum multiflorum], Einbeere [Paris quadrifolia],
viele Gräser usw.). Bei manchen Bärlappgewächsen (Lycopodium
clavatum), dem Pfennigkraut [Lysimachia Nummularia], dem Günsel
[Glechoma hederacea] u. a. kriecht der beblätterte Hauptsproß über
der Erde hin, von ihm erheben sich kürzere Äste, die die Blüten
tragen. Ein ähnlicher Typus für eine große Reihe von Ge-
wächsen hat gleichfalls kriechende Äste, von denen sich dann aber
nicht Zweige, sondern nur Blätter und Blüten negativ geotropisch
erheben (Haselwurz [Asarum europaeum], Kapuzinerkresse [Tropaeo-
lumarten], Kleefarn [Marsilia quadrifolia], Sauerklee [Oxalis aceto-
sella]. viele Farne usf.) (Abb. 21).
In allen diesen Fällen haben wir also kriechende, horizontale
Sprosse, von denen sich andere Teile senkrecht erheben. Letztere
tun das, wie wir gehört haben, vermöge ihres negativen Geotropis-
mus. Es fragt sich nun aber, wodurch die wagerechten Sproßglieder
ihre Lage beibehalten? Die bisher betrachteten positiv und negativ
geotropischen Organe hatten das eine Gemeinsame, daß sie sich in
die Richtung des durch sie gelegten Erdradius einzustellen suchen.
Man nennt sie deshalb orthotrop (geradgerichtet). Im Gegensatz
dazu stehen die plagiotropen (schräggerichteten) Organe, die eine
andere Lage zur Schwerkraft einzunehmen suchen, also schief nach
oben, nach unten oder horizontal gerichtet sein können. Man nennt
sie transversalgeotropisch. Hierher gehören jene kriechenden
thizome und Stengel, daneben aber fast alle Seitenzweige und -Wur-
zeln, die meisten Blätter u. a.
1) Bei unseren Obstbäumen werden ähnliche Vorteile durch das Erscheinen
der Blüten vor den Blättern erreicht.
Verschiedenheiten im Verhalten der einzelnen Pflanzenteile. 71
Der einfachste Fall ist der oben erwähnte: horizontal und unter
der Erde wachsende, also dem Licht nicht ausgesetzte Wurzelstöcke,
auf die allein die Schwerkraft einen richtenden Einfluß haben kann.
Solche liegen z. B. bei Heleocharis palustris (Sumpfriet) und anderen
Sumpfgewächsen vor, mit denen Elfving (1880) gearbeitet hat, ferner
bei Adoxa, Paris u. a. Derartige Organe kann man in jede beliebige
Lage bringen, immer richtet sich der neu zugewachsene Spitzenteil
horizontal. Es kann also sowohl die Ober- wie die Unterseite im
Wachstum gefördert werden, je nach dem Winkel, den das Rhizom
zur Schwerkraft einnimmt. Dabei ist es völlig gleichgültig, welche
Flanke nach oben zu liegen kommt. Wird im Versuch die vorher
untere Kante nach oben gerichtet, so wird sie nicht etwa durch
eine Drehung oder Umbiegung in die alte Lage gebracht, sondern
Abb. 21.
Kriechender Sproß von Epitobium Hektori, von dem sich die Früchte
negativ geotropisch erheben. [Desgleichen hat sich bei einem Aufent-
halt in schwachem Lichte die Spitze des Stengels aufgerichtet.]
das Wachstum wird fortgesetzt als wäre nichts geschehen. Nur die
Seitenorgane richten sich auf. Diese Wurzelstöcke sind in ihrem
Bau und ihrem physiologischen Verhalten ringsgleich oder radiär,
jede Kante ist der anderen gleich. Wir sehen daraus, daß nicht
alle radiären Organe orthotrop sein müssen; ebenso brauchen nicht
alle zweiseitig symmetrisch oder unsymmetrisch gebauten plagiotrop
zu sein. Meist ist das freilich der Fall.
Doch ist die horizontale Lage auch nur ein Spezialfall von allen
möglichen. Zu den schief gerichteten Organen gehören die Seiten-
wurzeln, die aus der Hauptwurzel unter einem bestimmten Winkel
entspringen und schräg abwärts weiterwachsen. Eine Analyse der
Tatsachen zeigt, daß für ihre Orientierung erst in zweiter Linie das
Verhältnis zur Hauptwurzel, hauptsächlich aber ihre eigene Richtung
zur Schwerkraft in Betracht kommt. Sachs (1873) hat als Erster
72 III. Die Reizwirkungen der Schwerkraft.
gezeigt, daß Seitenwurzeln geotropisch sind und ihre Winkellage zur
Erde wieder zu erreichen suchen, wenn man sie aus ihr heraus-
bringt. Er ließ Keimlinge von Pferdebohnen und anderen Pflanzen
hinter Glas in seinen mit Erde gefüllten Wurzelkästen (vgl. S. 36)
wachsen. Ein Teil der nach einiger Zeit hervorbrechenden Neben-
wurzeln schmiegte sich der Glasscheibe an, so daß der Winkel, den
sie einschlugen, beobachtet und gemessen werden konnte. Die Neben-
wurzeln wuchsen nun schräg abwärts. Nach einiger Zeit wurde
dann der Kasten ganz herumgedreht, so daß die Hauptwurzel senk-
recht und aufwärts
stand. Da sie in dem
Teile, der die Seiten-
wurzeln trug, nicht
mehr wachstumsfähig
war, blieb sie in der
verkehrten Lage. (Nur
ihre Spitze krümmte
sich positiv geotro-
pisch.) Die jetzt schräg
aufwärts gerichteten
Nebenwurzeln aber
richteten sich bogen-
förmig abwärts, eben-
so wie positiv geotro-
pische Hauptwurzeln
es in derselben Lage
auch getan hätten.
Bald jedoch zeigte sich
ein charakteristischer
Unterschied gegen jene:
Die Krümmung der
Seitenwurzeln ging
nicht bis zur Vertikal-
Wurzelsystem einer Vicia-Faba-Pflanze in Erde hinter Glas. .
Die Nebenwurzeln streichen schräg abwärts und suchen bei stellung, sondern hörte
zweimaligem Umkehren des Ganzen immer wieder ihre schräge eher auf, und zwar
transversalgeotropische Lage zn erreichen. An vielen Wurzeln
ist die doppelte Biegung zu erkennen. Verkleinert. dann, wenn derselbe
Winkel gegen die Ver-
tikale erreicht war, den die Seitenwurzeln vor der Umkehrung ge-
zeigt hatten (Abb. 22).
Auch wenn die Hauptwurzel horizontal gelegt wurde, krümmten
sich die Nebenwurzeln so lange, bis sie den alten Winkel erreicht
hatten. Das war sehr deutlich bei den nun schräg nach oben ge-
stellten Wurzeln, weniger aber bei den unteren. Schlossen diese
z. B. mit der Hauptwurzel einen Winkel von 45° ein, so brauchten
sie auch bei horizontaler Lage der letzteren keine Krümmung aus-
zuführen, um auch mit der Senkrechten einen Winkel von 45° ein-
zuschließen. Sie behielten also ihre Richtung bei; aber auch wenn
Abb. 22.
Verschiedenheiten im Verhalten der einzelnen Pflanzenteile. RR
der Winkel etwas kleiner oder größer ist, sind die Ausschläge zu
gering, um in die Augen zu fallen. Deshalb und weil in seinen Ver-
suchen immer nur Abwärts-, nie aber Aufwärtskrümmung der Neben-
wurzeln beobachtet wurde, ließ sich Sachs (1872) zu der Ansicht
verleiten, daß die Nebenwurzeln ‚‚weniger geotropisch‘‘ seien als die
Hauptwurzel, und daß daher die richtende Kraft der Erde schon
vor Erreichung der Senkrechten aufhörte zu wirken.
In Wirklichkeit aber ist die Sache nicht so; nicht dem Grade,
sondern der Art nach unterscheidet sich der Geotropismus der
Nebenwurzeln von dem der Hauptwurzeln, sie streben aus allen
Lagen ihre bestimmte Richtung zur Schwerkraft wieder einzunehmen,
auch wenn dabei eine Aufkrümmung nötig wird. Daß das so ist,
hat Czapek (1895b) gezeigt, indem er den Nebenwurzeln eine tiefere
Lage gab als ihrem Grenzwinkel entsprach. Sie krümmten sich dann
aufwärts. Auch hier war es übrigens gleich, welche Flanke nach
oben gekehrt war. Es herrscht also vollkommene Analogie mit den
horizontalgeotropischen Rhizomen, außer in bezug auf die angestrebte
Winkellage. Im ganzen kann man sagen, daß zwischen positiv,
transversal und negativ geotropischen Organen alle Übergänge exi-
stieren.
Neben dem Einflusse der Schwerkraft unterliegen die Seiten-
wurzeln in ihrer Wachstumsrichtung auch noch der Wirkung der in
organischem Zusammenhange mit ihnen stehenden Hauptwurzel. Be-
obachten wir das ganze Wurzelsystem hinter der Glasscheibe längere
Zeit, so bemerken wir, daß die Seitenwurzeln zwar ein Stück weit
in der anfangs eingeschlagenen Richtung fortwachsen, später aber
einen Bogen nach abwärts machen, der sie der Vertikalstellung nähert.
Diese Erscheinung könnte darauf beruhen, daß das geotropische Ver-
halten der Nebenwurzeln sich mit dem Alter änderte. Es könnte
aber auch sein, daß der mit der Entfernung sinkende Einfluß der
Hauptwurzel anfangs die Richtung der Nebenwurzeln mehr der Hori-
zontalen näherte, daß aber später die mehr schräge geotropische
Eigenrichtung überwöge. Für die zuletzt vorgetragene Anschauung
sprechen die folgenden experimentellen Erfahrungen, die dadurch zu-
gleich eine theoretische Beleuchtung erfahren. Entschieden müßte
die Frage allerdings wohl durch neue Versuche werden.
Wollen wir den Einfluß der Hauptwurzel auf die Wachstums-
richtung der Nebenwurzeln für sich, ungestört durch geotropische
Einflüsse studieren, so bringen wir die Pflanze mit ihrem Wurzel-
system in Erde an den Klinostaten. Wir finden dann, daß die
Seitenwurzeln einen größeren Winkel mit der Hauptwurzel einschließen
als den normalen, also fast senkrecht von ihr abstehen. Wollen wir
dagegen den geotropischen Einfluß gegenüber dem ‚korrelativen‘‘ der
Hauptwurzel verstärken, so ersetzen wir die Schwerkraft durch eine
stärkere in der Längsrichtung der Hauptwurzel wirkende Fliehkraft.
In diesem Falle wird dann der Winkel zwischen Haupt- und Neben-
wurzel mehr spitz (Sachs 1873). Beide Experimente sprechen dafür,
74 III. Die Reizwirkungen der Schwerkraft.
daß unter natürlichen Umständen die von den Seitenwurzeln ein-
geschlagene Richtung einen Kompromiß darstellt zwischen ihrer eigenen
stark geneigten geotropischen Ruhelage und der durch den Einfluß
der Hauptwurzel angestrebten Senkrechtstellung zu dieser.
Schließlich liegen noch von verschiedenen Autoren Experimente
vor, in denen der Einfluß der Hauptwurzel mit Erfolg dadurch eli-
miniert wurde, daß diese dicht unter der Ursprungsstelle einer jungen
Seitenwurzel entfernt ward. Es zeigte sich dann, daß die Spitze der
letzteren sich senkrecht abwärts richtete und in die Verlängerung der
Hauptwurzel einstellte.e. Unter Umständen konnte diese Richtungs-
änderung auch an mehreren jungen Nebenwurzeln beobachtet werden.
Diese verhielten sich dann in ihrem späteren Leben wie Hauptwurzeln,
so daß man vom ökologischen Stand-
punkte von einer KErsatzreaktion
sprechen kann (Abb. 23).
Anstatt die Hauptwurzel ab-
zuschneiden, genügt es auch, sie im
Wachstum zu hemmen. Auf mecha-
nische Weise gelingt das ohne Schä-
digung durch Einbetten ihrer Spitze
in erstarrenden Gips. Wiederum
richten sich dann eine oder mehrere
Seitenwurzeln senkrecht abwärts. Aus
diesem letzten Versuche ist zu er-
sehen, daß der von der Hauptwurzel
ausgehende Korrelationsreiz irgend-
wie an deren Wachstumstätigkeit ge-
bunden ist.
Fassen wir die Erfahrungen
Abb. 93: über die Wachstumsrichtung der
Keimling der Feuerbohne. Nach Ver- Nebenwurzeln und ihre Veränderung
Ietzung der Hanptwürzel wachsen mehrere am" Klinostaten, am77Zenkuinesi:
Nebenwurzeln abwarts, wahrend die uprigen
fast horizontal streichen. apparat und an geköpften Haupt-
wurzeln zusammen, so gewinnt die
oben ausgesprochene Hypothese an Wahrscheinlichkeit. Kurz zu-
sammengefaßt würde diese lauten: Die Nebenwurzeln unterliegen
gleichzeitig einer von der Hauptwurzel ausgehenden inneren Reiz-
wirkung und der geotropischen Beeinflussung. Die eine sucht sie
in die Richtung senkrecht zur Hauptwurzel zu stellen, die andere
sie schräg abwärts zu ziehen. Was man gewöhnlich sieht, ist die
Kombinationswirkung beider Richtkräfte. Ob die Verstärkung des
Wachstums und einige andere Veränderungen, die an einer zur Haupt-
wurzel gewordenen Nebenwurzel beobachtet werden, nicht daneben noch
auf eine tiefergreifende Veränderung des physiologischen Zustandes
hindeuten, das läßt sich vorläufig nicht mit Bestimmtheit sagen.
Was wird nun für die Pflanze dadurch erreicht, daß die Haupt-
wurzeln positiv geotropisch sind, während die Seitenwurzeln, die aus
Verschiedenheiten im Verhalten der einzelnen Pflanzenteile. 75
ihnen entspringen, sich transversal-geotropisch horizontal oder schräg
in die Erde bohren? Einmal ergänzen sich beide in der Ausnutzung
des verfügbaren Raumes. Daneben wird aber die Pflanze durch die
nach allen Seiten schräg abwärts streichenden Nebenwurzeln be-
deutend fester verankert, als das die Hauptwurzel allein vermöchte.
Sie leisten einem in ihrer Richtung wirkenden Zuge kräftigen Wider-
stand, ähnlich wie die Taue, die einen Mast stützen.
Zu dieser Funktion werden die Wurzeln in vielen Fällen noch dadurch
besonders befähigt, daß sie sich nach einiger Zeit verkürzen. Die erzielte
Spannung preßt die Pflanze fester in den Boden. Auch bilden die Seiten-
wurzeln, von allen Seiten ziehend, eine mechanische Versteifung von größter
Wirksamkeit. Man kann diese Verkürzung an der Runzelung der Oberfläche
in den älteren Teilen der Wurzeln erkennen, so z. B. an den Wurzeln
von Hyazinthen, die in Gläsern gezogen werden. Unter diesen unnatürlichen
Umständen wird allerdings der eigentliche Zweck der Einrichtung nicht erfüllt.
Bei vielen Pflanzen entstehen aus den Seitenwurzeln ersten Grades
noch solche zweiten und höheren Grades, und es fragt sich, in welcher
Richtung diese wohl wachsen werden? Die Antwort lautet: Sie sind
geotropisch indifferent und wachsen beim Mangel anderer Richtkräfte
so fort, wie sie aus ihrer Mutterwurzel entspringen, den zufälligen
Winkel innehaltend, der ihnen auf diese Weise gegeben ist. Man
sieht sie also nach oben, unten und nach allen Seiten streichen. Ver-
ändert man die Lage des ganzen Wurzelsystems, so werden die Neben-
wurzeln zweiten Grades dadurch nicht beeinflußt, sondern behalten
ihre Richtung bei. Vermöge ihres allseitigen Hervorbrechens nutzen
sie den zwischen den älteren und größeren Wurzeln noch übrig blei-
benden Raum im Boden aus und bilden eine weitere Verdichtung
und Vervollkommnung des Wurzelgeflechtes, das mit der Erde schließlich
zu einem kompakten Wurzelballen fast unlösbar vereinigt ist. An
Topfpflanzen ist diese Erscheinung jedem bekannt. Unterstützt werden
die feinen Wurzelenden in ihrer Funktion der Befestigung sowohl wie
der Ausnutzung jedes Erdeteilchens und des darin festgehaltenen
Wassers durch die einzelligen schlauchartigen Ausstülpungen der
Öberhautzellen, die Wurzelhaare (vgl. S.24). Auch sie kommen
senkrecht aus der Wurzeloberfläche heraus. Aus dieser Richtung
lassen sie sich nur gewaltsam, durch Hindernisse ablenken. Irgend-
eine tropistische Beeinflussung ist an ihnen bisher nicht bekannt ge-
worden. Letzteres soll aber von den Nebenwurzeln höheren Grades
nicht gesagt sein. Diesen geht zwar die geotropische Reizbarkeit ab.
Sie werden aber, wie wir noch sehen werden, durch andere Reizbar-
keiten in der Ausübung ihrer Pflichten sehr wirksam unterstützt.
Nachdem wir über die geotropischen Fähigkeiten der Wurzeln
einigermaßen Bescheid wissen, wenden wir uns anderen Pflanzen-
organen zu, die ähnlich wie die Nebenwurzeln ersten Grades transversal-
geotropisch sind. Da wären zunächst die Seitenzweige zu nennen,
die in bestimmten Winkeln schräg aufwärts wachsen, wie das be-
sonders bei Nadelhölzern schön zu beobachten ist. Die Seitenzweige
76 III. Die Reizwirkungen der Schwerkraft.
zweiter Ordnung treten bei ihnen wie bei den meisten Bäumen aber
nicht wie die entsprechenden Nebenwurzeln nach allen Richtungen
hervor, sondern hauptsächlich ungefähr wagerecht. Das wird uns
begreiflich, wenn wir bedenken, daß es hier nicht wie beim Wurzel-
system auf die Ausnutzung des Raumes im Boden ankommt, son-
dern auf die der Sonnenstrahlen, die auf die Fläche wirken. Blätter
an Seitenzweigen, die nach unten wüchsen, kämen in den Schatten.
Solche an nach oben wachsenden Trieben würden anderen das Licht
rauben. Deshalb finden wir meist einen etagenartigen Bau der
Bäume mit Zwischenräumen, in die die Sonnenstrahlen eindringen
können. In einer gewissen
Entfernung vom Stamme rich-
tet sich das Ende der Seitenäste
häufig bogenförmig auf. Über
den Grund dieses Verhaltens ist
noch weniger bekannt, als über
die entsprechende Erscheinung
bei den Nebenwurzeln.
Ähnlich wie dort wird
übrigens vielfach der Verlust
der Spitze des Verzweigungs-
systems durch Aufrichten der
benachbarten Seitenäste ausge-
glichen. Das geschieht beson-
ders bei den regelmäßig ge-
bauten Nadelbäumen, die nur
eine einzige aufrechte Haupt-
achse haben, Oft sieht man
noch alten Bäumen an, daß sie
in der Jugend die Spitze ver-
loren haben. Richten sich zwei
2 : ”
BL RI ee 3 Seitenäste auf, so kommen da-
ichtenbäumchen. Nach Verlust der Spitze haben 3
sich zwei Seitenäste aufgerichtet, wodurch eine durch sehr auffallende Gabe-
Gabelung entsteht. lungen zustande (Abb. 24).
(Eingehend berichtet hierüber
Goebel 1908). Im Falle der Seitenzweige, wie in vielen andern, ist
das geotropische Verhalten nicht so einfach wie bei den Nebenwurzeln
und Rhizomen, denn die meisten transversalgeotropischen Organe sind
nicht radiär. Sie sind vielmehr so gebaut, daß sie sich nur durch
eine Ebene in zwei spiegelbildlich gleiche Hälften zerlegen lassen.
Solche Gebilde nennt man monosymmetrisch oder dorsiventral. Für
sie kommt nicht nur die Lage der Längsachse, sondern auch die der
Symmetrieebene in Betracht (Abb. 25). Beide müssen entsprechend
eingestellt werden, wenn das Organ seine Aufgabe erfüllen soll.
Es gibt solche dorsiventrale Pflanzenteile, die ihre Ruhelage in
der Horizontalen haben. So z. B. die oben genannten Ausläufer und
kriechenden Stengel von Lysimachia, Glechoma, Zweige von Coniferen
Verschiedenheiten im Verhalten der einzelnen Pflanzenteile, 77
usw. Werden diese schräg auf- oder abwärts gestellt, so daß also nur
ihre Hauptachse, nicht aber ihre Symmetrieebene verschoben wird, so
verhalten sie sich genau wie die ringsgleichen Rhizome von Heleocharis,
d.h. sie krümmen sich auf- oder abwärts, bis sie wieder horizontal
stehen. Selbst wenn ihre Oberseite nach
unten gekehrt wird, bleibt die Ebene,
die sie in zwei spiegelbildlich gleiche
Hälften teilt, senkrecht; auch dann ist
also eine Wiedergewinnung der Normal-
lage durch bloße Krümmung, die hier
180° betragen muß, möglich.
Sobald aber eine Schrägstellung = 5
der Symmetrieebene eintritt, also z. B. Men 5e
die Oberseite seitlich gerichtet ist, = Schema eines ringsgleichen (a), eines
nügt eine Krümmung nicht mehr, Son- doppelt symmetrischen oder bilateralen
dern es muß eine Drehung in der Rich- a nn a
tung senkrecht zur Achse eintreten, dm Inn wie a dur Zr
damit das Organ in die richtige Lage gleiche Hälften teilen.
gelangt!). Ähnliche Bedingungen sind
auch bei seitlich gestellten Blättern gegeben. Besonders deutlich
wird das bei zusammengesetzten Blättern, wie sie Robinia (die
„falsche‘‘ Akazie), der Goldregen (Cytisus Laburnum), die Esche
(Fraxinus excelsior) u. a. besitzen (Schwendener und Krabbe [1892]
1898). Man betrachte nur die Blätter an den herabhängenden
Zweigen der ‚„Trauereschen‘.
Es handelt sich also nicht um seltene, fast nur im Experiment
verwirklichte Vorgänge, sondern um solche, die im Leben der Pflanzen
eine große Rolle spielen. Immer, wenn die Blätter durch schräge
Lage der Zweige schief gestellt werden, müssen Drehungen in den
Stielen Platz greifen. Das wird aber sehr häufig der Fallsein. Nur
die Blätter, deren Halbjierungsebene senkrecht steht, können nach
dem obigen an Seitenzweigen durch einfache Krümmung ihre Ober-
seite dem Himmel zukehren’).
Nicht immer genügt es, wenn von den Blättern in der
Mittelrippe, dem Blattstiel oder Blattpolster Drehungen ausgeführt
werden. Es gibt auch solche Fälle — und sie sind von besonderem
Interesse — wo die Blätter erst durch Torsionen des horizontal ge-
stellten Zweiges die richtige Orientierung erhalten. Gut beobachten
läßt sich das z. B. an Philadelphus coronarius (Jasmin, Pfeifenstrauch),
Ligustrum europaeum (Liguster) u. a. (Abb. 26). Nach Vollendung
der geotropischen Bewegungen gleicht das ganze Gebilde, nämlich der
Zweig mit den Blättern äußerlich jenen fiederförmig geteilten Blättern
1) Epheusprosse dagegen bilden unter ähnlichen Bedingungen ihre Wurzeln
auf der nunmehrigen Unterseite aus. Sie verändern also ihre Symmetrieebene
je nach der Lage zur Schwerkraft.
2) Inwiefern hier noch andere richtende Einflüsse, z. B. von Seiten des
Lichtes hinzukommen, muß später erörtert werden.
78 III. Die Reizwirkungen der Schwerkraft.
der Robinien. Das heißt, es besteht aus einem zylindrischen Organ
(der Tragachse), die in gewissen Abständen Paare von in einer Ebene
liegenden Blättern trägt. Das aber ist ein nachträglich erreichter
Zustand, den nur diejenigen ausgewachsenen Zweige zeigen, die an-
nähernd wagerecht stehen. Wie das Ganze in der Jugend. ange-
legt wird, sehen wir am besten an aufrechten Zweigen derselben Art.
Bei den obengenannten Sträu-
chern stehen nämlich die aufein-
anderfolgenden Blattpaare in der
Anlage gekreuzt, d.h. jedesfolgende
gegen das vorhergehende um 90°
verschoben. Und so bleibt es auch,
falls nicht der Zweig in eine ge-
neigte Lage kommt. Geschieht das
aber, so drehen sich die Zweigglieder
zwischen zwei Blattansatzstellen
einmal rechts, einmal links um 90°
und bringen dadurch alle Ansatz-
D stellen der Blätter in eine hori-
zontale Ebene. Das kann man
Abb. 26. leicht am Verlauf von natürlichen
Ein aufrechter und ein seitlich gewachsener Rinnen und Kanten oder besser
a ehiedenn Bletfetellung zeizend ver an vorher angebrachten Harb-
Kleber: strichen erkennen. Um uns die
dabei stattfindenden Bewegungen
klar zu machen, gehen wir von
dem ältesten Paare der Blätter
eines horizontal gestellten Zweiges
aus. Denken wir uns diese Blätter
in seitlicher Lage, so richten sie,
ihrer Anlage entsprechend, die
Kanten aufwärts. Durch Torsion
im Blattstiele wird ihre Fläche
um 90° gedreht und so ihre
Oberseite dem Himmel zugekehrt.
Durch Torsionen zweizeilig beblätterter Zweig Von dem nächst jüngeren Paare
mit Drehungen der Blattstiele und der Achse. hat das eine Blatt die Ober-, das
andere die Unterseite nach oben ge-
kehrt. Dabei wird das an sich richtig gestellte von den anderen verdeckt.
Sollen beide in die geeignete Stellung kommen, so müssen der
Stengel zwischen den beiden Blattpaaren und die Blattstiele sich um
90° tordieren. Dadurch aber kommt wieder das nächstjüngere Paar
in falsche Lage, was durch Drehung in entgegengesetzter Richtung
ausgeglichen wird usf. (Abb. 27).
Es sind also Torsionen der Stengel und der Blattstiele nötig,
um das Ziel zu erreichen. Aber esist auch eine schwierige Aufgabe,
die hier bewältigt werden soll. Nicht alle Pflanzen lösen sie in dieser
Verschiedenheiten im Verhalten der einzelnen Pflanzenteile. 79:
Weise. Bei manchen (z. B. Vinca [Sinngrün], Acer [Ahorn], Gle-
choma [Günsel] usw.) wird der Stengel nicht gedreht, sondern nur
die seitlichen Blätter. Die oberen werden zurückgeschlagen, so daß
ihre Oberseite gleichfalls dem Zenith zurückgekehrt ist und die unteren
können bleiben, wie sie sind. Hat die Pflanze auch aufrechte Zweige,
so bleiben an diesen die Blätter allseitig abstehend (Abb. 28).
Für die Blätter selbst spielen im allgemeinen wohl geotropische
Krümmungen keine sehr große Rolle. Sie werden meist durch die
Tragachsen in die ungefähr richtige Lage gebracht und orientieren
sich im übrigen mehr nach dem Lichte. Doch gibt es auch genug
negativ geotropische Blattstiele, an denen dann die Spreiten mehr oder
weniger horizontal gerichtet sind. So bei den schon genannten Ge-
Abb. 28.
Zweige vom Sinngrün (Vinca). Links ein aufrechter Trieb,
die Blätter gekreuzt und ausgebreitet; rechts ein wagerechter
Trieb, die Blätter durch Drehungen und Biegungen in einer Fläche
angeordnet.
wächsen mit kriechendem Stengel, wie Tropaeolum (Kapuzinerkresse),
Cucurbita (Kürbis) usw., überhaupt überall da, wo die Lage der-
Blätter durch die Wachstumsrichtung der Achsen nicht sicher genug
gestellt ist. Auch können stiellose Blattspreiten selbst negativ geo-
tropisch aufgerichtet sein, wie die von Scirpus (Binse), Iris (Schwert-
lilie), Acorus (Kalmus).
Bei Blättern kommt neben den Wachstumskrümmungen noch ein
anderer Bewegungungsmodus in Betracht, nämlich der durch Tur-
gorveränderungen in Gelenken. Auf beide Weisen kommen
geotropische Bewegungen zustande, mit deren Hilfe sich die Stiele
der meisten Blätter im Dunkeln aufrecht stellen und bei einer Um-
kehrung des ganzen Verzweigungssystems auch am Licht an der
Wiedergewinnung der Normallage mitarbeiten. Diese aber verdanken
die Blätter in der Natur der Kombination verschiedener Reizwir-
kungen, auf die wir an anderer Stelle noch einzugehen haben werden.
80 III, Die Reizwirkungen der Schwerkraft,
Die Träger der Blüten zeigen im großen Ganzen dasselbe Ver-
halten wie die der Blätter. Der negative Geotropismus vieler Blüten-
standsachsen ist so auffällig, daß hier darauf nur hingewiesen zu
werden braucht. Gute Objekte sind z. B. die oben erwähnten Roß-
kastanienrispen, dann die Trauben der Cruciferen, z. B. Draba verna
(Hungerblümchen), Capsella bursa pastoris (Hirtentäschelkraut, Carda-
mine pratensis (Schaumkraut), um nur einige dergemeinsten zuerwähnen,
ferner dieder Knabenkräuter, die Schäfte der Liliengewächse, Primeln usf.
Die an der Hauptachse entspringenden Blütenstiele oder Seiten-
zweige der Blütenstände sind manchmal negativ, meist aber trans-
versalgeotropisch wie die Seitenwurzeln, nur daß sie nicht schräg
abwärts, sondern aufwärts wachsen. Eingehendere Untersuchungen
hierüber scheinen nicht angestellt worden zu sein, gewisse Differenzen
gegenüber den Wurzeln sind aber zweifellos vorhanden. So sind die
Seitenzweige zweiter Ordnung nicht wie die entsprechenden Wurzeln
in ihrer Richtung von der Schwerkraft unabhängig, sondern verhalten
sich ähnlich wie die erster Ordnung; d. h. sie wachsen gleichfalls
transversalgeotropisch schräg aufwärts, allerdings in anderen Winkeln,
die größer und kleiner sein können, als die der sie tragenden Seitenachsen.
An den mehrfach zusammengesetzten Blütenständen der Um-
belliferen oder Doldenträger z. B. hat jeder Teil seine ganz bestimmte
Richtung zur Schwerkraft. Schöne und große Schirmsysteme zeigen
z. B. Heracleum (Bärenklau) oder Coriandrum (Coriander). Legt
man ein solches im Ganzen um, so richtet sich der Hauptträger
auf und bringt dadurch die anderen Teile in die richtige Stellung.
Wird aber der Hauptträger festgehalten, dann reagieren die Seiten-
achsen erster Ordnung, usf. bis zu den Blütenstielen. Die geo-
tropische Befähigung der Zweige höherer Ordnung zeigt sich also nur
dann, wenn die sie tragenden Achsen an der Aufrichtung verhindert
werden. Dadurch wird unnütze Kraftverschwendung vermieden.
Die richtige Reihenfolge in den Krümmungen aber ist dadurch ge-
währleistet, daß die Reaktionszeit vom Hauptträger bis zu den
Blütenstielen stetig zunimmt. So wird erreicht, daß ein Organ schon
durch den Träger nächsthöherer Ordnung in die Normallage gebracht
wird, bevor es selbst anfängt zu reagieren (Noll 1885)}).
Manche Blüten findet man an ihren Stielen nicht aufgerichtet,
sondern mit der Öffnung nach der Seite gekehrt. Sie sind horizontal-
transversalgeotropisch. Diesen Fall hat zuerst Vöchting (1882) für
Nareissusarten, für Agapanthus, Amaryllis u. a. festgestellt. Sie
krümmen sich auf- oder abwärts, je nachdem man sie unter oder
über die wagrechte Lage gebracht hat. Bei dorsiventralen trans-
versalgeotropischen Blüten, wie sie der Rittersporn (Delphinium),
Eisenhut (Aconitum) und viele andere Pflanzen haben, genügen
Krümmungen nicht zur Erzielung der normalen Stellung. Kehrt
1) Die Nollschen Angaben habe ich nachgeprüft und bestätigt gefunden,
Sie schienen mir wichtig, weil sie die alte Auffassung widerlegen, als müßten
dicke Objekte langsamer reagieren als dünne,
Verschiedenheiten im Verhalten der einzelnen Pflanzenteile. sı
man einen Blütenstand der genannten Pflanzen um und verhindert
die Aufrichtung seiner Hauptachse, so sind die Einzelblüten ge-
zwungen, sich geotropisch zu orientieren. Durch eine bloße Auf-
richtung der Stiele würden die sonst nach außen gerichteten Öffnungen
der Blüten der Achse zugekehrt (Abb.29 II). Das würde ihre Sichtbar-
keit vermindern und den Anflug der Insekten stark hindern. Deshalb
dreht sich der Blütenstiel, bis der Eingang zur Blüte wieder nach außen
gekehrt ist (Abb. 29 III). (Noll 1885 und 1887, Schwendener und
Krabbe [1892] 1898.) Eine solche Torsion findet in den stielartigen
Fruchtknoten der meisten Orchideen, deren Blüten sonderbarerweise
verkehrt angelegt werden, auch normalerweise stets statt. Ebenso
an den gleich zu nennenden hängenden Blütenrispen.
Im Anschlusse an die Besprechung der verschiedenen Formen des
Geotropismus mag erwähnt werden, daß die abwärts geneigte Lage
Abb. 29.
Geotropische Reaktion einer umgekehrten Blüte
von Acopitum.
Nach Noll. (Aus Strasburgers Lehrbuch.)
vieler Pflanzenteile einfach durch deren Gewicht zustande kommt.
Rein physikalisch muß ja die Schwerewirkung sich geltend machen,
wenn die Stengel oder Stiele nicht biegungsfest genug gebaut sind,
um ihre Last aufrecht zu tragen. So verhalten sich die Zweige der
„Trauerformen‘‘ mancher Bäume, wie z. B. der Esche, Weide u.s.f.
Ferner die Achsen vieler Blütenstände, z. B. die des Flieders (Syringa),
Goldregens (Cytisus Laburnum), der Robinie (Robinia pseudacacia)
u.a. Auch viele Blütenstiele, wie die des Schneeglöckchens (Galan-
thus und Leucoium) und der Fuchsien gehören hierher. In anderen
Fällen aber beruhen äußerlich ähnliche, scheinbar hängende Lagen
von Pflanzenteilen doch auf positivem Geotropismus, so z. B. bei den
nickenden Knospen des Mohns (Papaver), den eingebogenen Zweig-
enden der Weinarten (Vitis und Ampelopsis) und manchen anderen.
Daß der betonte Unterschied zwischen positivem Geotropismus und Last-
krümmung wirklich gemacht werden muß, zeigt sich, wenn man die Pflanzen
umgekehrt hält. Die biegsamen Achsen der zweiten Gruppe hängen sofort wieder
schlaff abwärts, während die der ersten steif sind und erst nach längerer Zeit
durch eine aktive Reaktion die alte Lage wiedergewinnen. Man könnte ein-
Pringsheim, Reizbewegungen, 6
32 III. Die Reizwirkungen der Schwerkraft.
wenden, daß hier doch kein Geotropismus, sondern nur ein langsames, aber
doch rein mechanisches Hinuntersinken vorliege. Es wäre dabei z. B. an eine
Siegellackstange zu denken, die, an einem Ende festgehalten, sich sehr langsam
herabbiegt. Auch dieser Zweifel läßt sich beheben. Kehrt man nämlich solche
positiv geotropischen Organe nur eben bis zum Beginn der Krümmung um, so
findet nachher in der Normallage eine beträchtliche Nachwirkung statt. Das
wäre bei rein mechanischer Senkung unmöglich. Im Grunde sind das dieselben
Einwände, die auch bei der Entscheidung gegen die mechanische Auffassung
des Wurzelgeotropismus zu entkräften waren (vergl. S. 45).
Bisher haben wir von dem geotropischen Verhalten der einzelnen
Pflanzenteile so gesprochen, als wäre es ein für allemal festgelegt
und unveränderlich: Das gilt nun nicht unter allen Umständen. Es
kann sich vielmehr die geotropische Ruhelage eines ÖOrganes aus
inneren oder äußeren Gründen verschieben. Besonders häufig sind
die Fälle, in denen ein und dasselbe Objekt in seiner Jugend anders
reagiert als später, in denen sich also mit der Zeit aus unbekannten
„inneren“ Ursachen die Art der Reizbarkeit ändert.
So sind die schon erwähnten Achsenorgane von Adoxa und
ähnlich sich verhaltenden Pflanzen eine Zeit lang transversalgeo-
tropisch und kriechen als Wurzelstöcke im Boden, werden aber
später negativ geotropisch, so daß sie sich über den Boden erheben.
Sie treiben dann Blätter und Blüten. Beide Wachstumsweisen
wechseln jährlich miteinder ab. Im anderen Fällen, so bei Anemone,
kommt ein äußerlich ähnliches Verhalten dadurch zustande, daß
die Hauptachse im Boden bleibt und nur ihre Seitenorgane negativ
geotropisch sind. Das morphologische Verhältnis von Rhizomen und
Laubsprossen hat jedoch für uns kein großes Interesse. Die Veränderlich-
keit des Geotropismus ist bei den genannten Pflanzen nicht besonders
deutlich, weil die fortwachsende Spitze zugleich eine morphologische Um-
gestaltung erfährt. Das Gleiche gilt für die Blütenstandsachsen, die
sich negativ geotropisch von den plagiotropen Tragzweigen erheben.
Auffallender sind die Fälle, in denen ein und derselbe Stengel-
teil, ohne daß man ihm äußerlich etwas davon ansieht, in einen
neuen Reizzustand übergeht. Solches findet man bei denjenigen
nickenden Pflanzenteilen, die ihre gesenkte Lage einem positiven
Geotropismus verdanken. Schon darin, daß trotz dem andauernden
Längenwachstum der herabhängende Stiel- oder Stengelteil nicht
länger wird, die Krümmungsstelle also fortdauernd nach oben wandert,
zeigt sich, daß bestimmte Zonen, die erst positiv geotropisch waren,
später negativ reagieren. Ähnlich verhalten sich z. B. auch die
rotierenden Enden der Schlingpflanzen (vergl. S. 87).
In anderen Fällen aber bleibt die Krümmung überhaupt nicht
dauernd bestehen, so daß also nicht nur das Verhalten bestimmter Quer-
zonen, sondern das des ganzen Pflanzenteils sich ändert. Besonders
gut untersucht ist das Beispiel der Blütenknospen von Papaver
(Mohn). mit dem sich Vöchting (1882) eingehend beschäftigt hat.
Die Knospen der Mohnarten werden in aufrechter Stellung an-
Verschiedenheiten im Verhalten der einzelnen Pflanzenteile. 83
gelegt. Ihre Stiele krümmen sich aber bald senkrecht abwärts, weil
sie nun positiv geotropisch geworden sind. Vor dem Aufblühen
richten sie sich wieder auf und verharren so bis zur Fruchtreife.
Vöchting suchte nun festzustellen, ob das Abwärtshängen der
Knospen vielleicht durch ihr Gewicht bedingt sei. Zu dem Zwecke
schnitt er sie von den Stielen ab. Und wirklich fand nun deren Auf-
richtung sehr bald statt, viel früher als unter normalen Umständen.
Als aber in einem Gegenversuche die abgeschnittenen Knospen, um
dasselbe Gewicht herzustellen, wieder an die Stiele gebunden wurden,
so verhielten sich diese genau so wie ohne die Last. Damit war
bewiesen, daß nicht die Entfernung des Gewichtes, sondern das Ab-
schneiden selbst die Änderung im Verhalten bewirkte. D.h. für das
Nicken ist der organische Zusammenhang zwischen Stiel und Knospe
erforderlich. Durch weitere Versuche konnte sogar der Teil der
jungen Blüte festgestellt werden, der diese eigentümliche Wirkung
hat; es sind die Samenknospen. War nur ein kleines Stück des
Fruchtknotens mit jungem Samen vorhanden, so verhielt sich der
Stiel normal und behielt die gesenkte Lage. Wurde der Rest aber
auch noch entfernt, so richtete er sich auf.
Man hat für solche Fälle der Wechselwirkung verschiedener Teile
den Ausdruck ‚Korrelation‘‘ geprägt. Er sagt aber nicht viel. Für
den vorliegenden Fall von Papaver ist es wohl das wahrscheinlichste,
daß die Samenknospen in einer bestimmten Periode ihrer Entwicklung
einen Stoff absondern, der sich im Pflanzengewebe verbreitet und die
Umwandlung des negativen Geotropismus in positiven bewirkt. Rätsel
blieben freilich auch dann noch genug, wenn sich diese Vermutung
einer ‚inneren Sekretion‘ bei Pflanzen experimentell bestätigen ließe.
Ähnlich wie die Knospen von Papaver verhalten sich die vom
Huflattich (Tussilago) und einigen anderen Pflanzen. Auch die Blüten-
stiele vom Alpenveilchen (Cyclamen persicum) und die Blütenstand-
achsen von Bryophyllum eruentum sind in ihrem oberen Teile vorüber-
gehend positiv geotropisch und richten sich später wieder auf.
Wie wir bei Adoxa sahen, ist die Veränderung der geotropischen
Reizbarkeit mit einer morphologischen Umwandlung verbunden. Könnte
man die letztere verhindern, so würde voraussichtlich auch die Wuchs-
richtung sich nicht ändern. Bei Ajuga reptans (Günsel) kann man
etwas derartiges beobachten. Hier werden kriechende Ausläufer und
aufrechte Blütentriebe gebildet. Die Entstehung der letzteren ist an
höhere Lichtintensität gebunden und kann durch Kultur in geringer
Helligkeit unterdrückt werden. Unter solchen Umständen wird also
auch die Ausbildung des negativen Geotropismus verhindert.
Deutlicher ist die Abhängigkeit der geotropischen Ruhelage von
Außenumständen in einigen anderen Fällen. So gibt es unter
den Blättern mit Schlafbewegung solche, bei denen die Bewegungen
dadurch zustande kommen, daß durch einen Wechsel der Belichtung
der Sinn des Geotropismus verändert wird. Auch kann man hierher
die Rhizome und Nebenwurzeln rechnen, die auf Belichtung schief
6*
s4 Ill. Die Reizwirkungen der Schwerkraft,
abwärts wachsen. All’ das kann mit demselben Rechte als Photo-
nastie, d. h. als Reaktion auf Lichtwechsel oder als Veränderung
des geotropischen Verhaltens aufgefaßt werden, je nachdem man
die Reizwirkung des Lichtes oder der Schwerkraft ins Auge faßt.
Anderes wird unter Chemo- und Thermonastie besprochen werden.
Schließlich kann auch die Tatsache, daß bei Verlust der Spitze
des Verzweigungssystems Nebenwurzeln oder Seitenzweige sich in die
Richtung der Schwerkraft einstellen, als Änderung des geotropischen
Verhaltens angesehen werden, das durch die Wechselwirkung von
Haupt- und Seitenorgan reguliert wird. Hier spielt die fortwachsende
Spitze eine ähnliche Rolle wie die sich entwickelnden Samenknospen
bei Papaver, indem ihr Vorhandensein die Reizbarkeit örtlich ab-
liegender Teile beeinflußt. Vielleicht liegt auch hier der Correlation
eine stoffliche Wechselwirkung zugrunde, die durch Hemmung des
Wachstums gestört wird.
Man faßt gewöhnlich die genannten Fälle als geotropische Um-
stimmungen zusammen. Es scheint mir aber besser, den Ausdruck
Reizstimmung für eine andere Sache aufzusparen. Man könnte den
Ausdruck ‚‚Sinnesänderung‘‘ einführen, der bedeuten soll, daß irgend-
eine Veränderung in einer tropistischen Ruhelage eintritt, daß also
gewissermaßen die Pflanze anderen Sinnes wird oder die Bewegung
in verändertem Sinne ausführt.
Die Sinnesänderungen sind allgemein als Verschiebungen des
inneren physiologischen Zustandes aufzufassen, die sich nach außen
in dem veränderten Verhalten gegenüber den Orientierungsreizen
zu erkennen geben. Hervorgerufen werden sie entweder durch
äußere Umstände und stellen dann selbst Reizbeantwortungen vor,
d. h. es greift ein Reiz in die Reizkette eines anderen ein. Oder
sie treten ohne erkennbaren Anlaß mit einem gewissen Entwicklungs-
zustande auf.
e) Schlingpflanzen.
Eine besondere Form von Reizbarkeit durch die Schwerkraft
findet sich bei den Schlingpflanzen. Es sind das Gewächse, die
wegen des schwachen Baues ihrer langen Stengel eine Stütze brau-
chen, um sich aufrecht zu halten. Durch Umwinden klammern
sie sich an Stengeln anderer Pflanzen u. dergl. fest, klettern an
ihnen in die Höhe und gelangen so in günstige Lichtverhältnisse.')
Die Keimpflanzen oder die aus unterirdischen Teilen entspringen-
den jungen Sprosse der Schlingpflanzen sind zunächst negativ geo-
tropisch und wachsen schön aufrecht.”) Haben sie aber ein gewisses
1) Ihrer Lebensweise nach verwandt mit ihnen sind solche Pflanzen, die
sich durch Widerhaken an rauhen Gegenständen festhalten oder durch besondere
Organe, die Ranken, eine Stütze umfassen. Mit letzteren werden wir uns
noch zu beschäftigen haben.
?) Keimpflanzen von Phaseolus und Ipomoea z. B. erweisen sich als gut
brauchbar für geotropische Versuche.
Schlingpflanzen. 35
Alter erreicht, so nimmt das Sprossende aktiv eine bogenförmige Ge-
stalt an, es wird transversalgeotropisch. Hierauf beginnt die Spitze
eine kreisende Bewegung, indem das annähernd horizontale Stengel-
stück sich wie ein Zeiger um den aufrechten unteren Teil dreht.
Dies kommt durch ungleiches Wachstum der Flanken des Stengels
an der Biegungsstelle zustande, und zwar ist es entweder die rechte
oder die linke Seite, die stärker wächst. Die Wachstumsbeschleunigung
wandert um den Umfang des Stengels in der Weise herum, daß
immer wieder eine andere Kante die sich am schnellsten streckende
ist und dadurch auf die Konvexseite des vom horizontalen Ende
des Stengels mit dem aufrechten unteren Teile gebildeten Winkels
gelangt. Inzwischen ist dieser Teil dann aus der durch schnelle
Streckung aktiven Partie herausgerückt und hat einem anderen Platz
gemacht. Ferner wird dadurch erzielt, daß
der überhängende Sproßteil um seine Achse
rotiert. Würde der Wechsel in der Lage
der Kanten nicht vor sich gehen, so müßte
der ganze Stengel zusammengedreht werden
wie ein Strick.
Man kann sich das an einem Stück
Gummischlauch als Modell klar machen.
Eine Flanke wird durch einen Tintenstrich
markiert. Dann wird der Schlauch an
einem Ende vertikal aufrecht gehalten und
das andere Ende irgendwie beschwert im Abb. 30.
Bogen seitlich hängen gelassen (Abb. 30). Modell für die rotierende Bewegung
- = 4 J des horizontalen Endes einer
Schiebt man nun die Spitze des Schlauches Se ingpllanze: Die Sniles Areht
mit dem lose angedrückten Finger im Kreise sich entsprechend dem kleinen
h ieh ie d Ti ich Pfeile, wenn das Ganze in der an-
erum, so sieht man, wie der lıntenstrich gedeuteten Richtung schwingt.
um das horizontale Ende wandert und (Nach Jost 1908.)
sich bald oben, bald unten, auf der ver-
längerten oder verkürzten Flanke befindet. Entsprechend, nur mit
Vertauschung von Ursache und Wirkung, ist der Vorgang bei den
kreisenden Bewegungen des überhängenden Endes der Schlingpflanzen,
wie es sich besonders schön an Hopfenpflanzen (Humulus Lupulus),
Bohnenarten (Phaseolus spec.) usw. beobachten läßt.
Durch das Umherschwingen ist die Wahrscheinlichkeit, eine
vertikale Stütze zu berühren, naturgemäß sehr erhöht. Geschieht
das, so wird die Bewegung durchaus nicht ganz aufgehalten, viel-
mehr wird nun der horizontale Stengelteil dem Hindernis mit
wachsender Kraft angedrückt und die freie Spitze setzt ihre Rotation
fort, so daß sie sich in zunächst lockeren Windungen um die Stütze
wickelt.
Wird eine um einen Stab gewundene Schlingpflanze, z. B. eine
Bohne im Topf, mit der Spitze nach unten gekehrt, so lockern sich
die letzten Windungen des Stengels, soweit dieser noch wachstums-
fähig ist, während die älteren, ausgewachsenen Teile in ihrer Lage
S6 11l. Die Reizwirkungen der Schwerkraft.
verharren. Dem Lockern folgt ein Auflösen der Schraubenkrümmung,
diesem ein Kreisen in entgegengesetzter Richtung zum Stabe, wobei
das Ende sich geotropisch aufrichtet und dann die Stütze in derselben
Richtung zum Horizonte umschlingt wie vorher. So kann auch die
Spitze einer Schlingpflanze, die keine Stütze gefunden hat und deshalb
lang überhängt, an ihrem eigenen Stengel wieder in die Höhe klettern.
Das Schlingen und Kreisen erfolgt bei derselben Pflanze immer
in derselben Richtung, entweder mit dem Uhrzeiger (rechts) oder ent-
gegengesetzt (links). Die Bohne (Phase-
olus), die Winde (Ipomoea und Con-
volvulus), sowie der Pfeifenstrauch
(Aristolochia Sipho) und die meisten
anderen Windepflanzen schlingen in
der letzteren Weise, während sich von
bekannteren das Geisblatt (Lonicera
caprifolium) und der Hopfen (Humu-
lus Lupulus) umgekehrt verhalten
(Abb. 31). Aus der Konstanz der
Winderichtung erklärt es sich, daß
beim Umkehren der ganzen Pflanze
auch die Richtung der Bewegung im
Verhältnis zu den älteren Teilen und
der Stütze sich umkehrt.
Das stets gleiche Verhältnis der
Richtung des Schlingens zu der Situ-
ation im Raume ergibt schon die
Wahrscheinlichkeit einer Abhängig-
keit von der Schwerkraft. Noch
deutlicher wird das durch Klinostaten-
versuche. Wird nämlich eine um
eine Stütze gewundene Schlingpflanze
um eine horizontale Achse gedreht,
so lösen sich die jungen, noch wachs-
tumsfähigen Windungen. Es findet
aber nicht wie an einer abwärts ge-
Rechts- und linkswindender Sproß. stellten Pflanze eine Umkehr der
(Aus Strasburgers Lehrbuch.) Richtung statt, sondern die Pflanze
ist durchaus unfähig zu schlingen.
Sie wächst, soweit das ihre mangelnde Steifheit .erlaubt, nahezu
geradeaus (Baranetzky 1883).
Somit ist die Abhängigkeit der Windebewegung von der Schwer-
kraftreizung erwiesen. Es ist das aber eine ganz eigentümliche Art
von Geotropismus, verschieden von allem bisher Besprochenen.
Denn hier streckt sich nicht die Ober- oder Unterseite auf den
teiz hin stärker als ihre Gegenseite, sondern die rechte oder linke
Flanke. Und zwar auch nur in einer beschränkten Region, nämlich
dem bogig gekrümmten Stengelstück, während die älteren Teile negativ,
N
Abb. 31.
Schlingpflanzen. 87
die jüngeren transversal-geotropisch sind. Die Grenzen zwischen diesen
drei sich verschieden verhaltenden Regionen des Stengels haben keine
konstante Lage, sondern wandern allmählich spitzenwärts, indem die
vorher gekrümmten Teile mit dem Älterwerden sich aufzurichten
suchen. Die Krümmungszone bleibt dadurch immer in ungefähr der
gleichen Entfernung von der fortwachsenden Spitze. Welches Verhalten
ein bestimmtes Stengelstück zeigt, das wird also offenbar durch sein
Alter bestimmt.
Einige Zeit, nachdem die Windungen angelegt sind, werden sie
steiler, weil der während des Kreisens und Schlingens transversal
geotropische Stengelteil nun mit höherem Alter in die negativ geo-
tropische Periode kommt. Ein wirkliches Aufrichten kann allerdings
nur stattfinden, wenn keine Stütze umfaßt ist oder diese bald nach
Bildung der Windungen aus ihnen herausgezogen wird. Es er-
folgt in dieser Periode ein Ausziehen der Spirale, das notwendig mit
einer Torsion des Stengels verknüpft sein muß, weil dabei die Drehung
um seine Achse, die wir bei der Entstehung der Windungen eintreten
sahen, unterbleibt. Es handelt sich in diesem Falle um eine einfache
negativ geotropische Aufrichtung der einzelnen Windungen. (Bara-
netzky 1883.)
Normalerweise wird aber diese Aufrichtung durch die Stütze
gehemmt, und zwar um so mehr, je dicker diese ist. Ist sie aber
so dünn, daß sie die zunächst lockeren Windungen nicht ausfüllt,
so werden diese schließlich durch ihre geotropische Aufrichtung doch
der Stütze angepreßt. Dabei entstehen — allerdings in geringerem
Maße als beim Fehlen einer Stütze — jene Torsionen, von denen
wir eben sprachen. Sie bleiben dauernd erhalten, soweit sie nicht
durch Nachgeben des Spitzenteils ausgeglichen werden. Danach
dürfte die Zahl der Drehungen höchstens der der Windungen ent-
sprechen. Da ihrer aber oft mehr sind, muß man wohl noch ein
Torsionsbestreben aus inneren Gründen annehmen (Noll 1904,
Bear Pieffer 1904, S. 410). Die Torsionen sind 2. B. an
windenden Hopfensprossen sehr schön zu sehen und werden im
Verein mit der Ausbildung besonderer Haken (in anderen Fällen
Borsten, Riefen usw.), die die Rauheit der Oberfläche vergrößern,
zum besseren Halt des Stengels an der Stütze beitragen können.
Unsere Kenntnis der Vorgänge beim Winden ist trotz der vielen
darauf verwendeten Mühe noch recht beschränkt. So sind sich auch
die verschiedenen Autoren durchaus noch nicht einig über wesent-
liche Punkte. Soviel sich aber ersehen läßt, ist das Zusammen-
wirken der verschiedenartigen geotropischen Reizreaktionen, wie sie
im windenden Stengel einander ablösen, für die Erklärung ausreichend.
Der transversale Geotropismus des kreisenden Endes und sein all-
mähliches Übergehen in die negativ-geotropische Reaktionsweise wird
kaum noch als Schwierigkeit empfunden. Rätselhaft dagegen ist der
Zusammenhang zwischen der kreisenden Bewegung und der Reizung
durch die Schwerkraft. Ein solcher Zusammenhang muß wohl an-
ss Ill. Die Reizwirkungen der Schwerkraft.
genommen werden; denn wäre das Umlaufen des verstärkten Wachs-
tums um den Stengel durch innere Gründe festgelegt (‚autonom‘),
so müßte es nach Berührung der Stütze in derselben Weise weiter
schen. Dadurch würde aber das Sproßende nicht der Stütze an-
gepreßt, sondern von ihr fortgekehrt. Nur dadurch, daß die Be-
stimmung der Krümmung durch äußere Kräfte, nämlich die Schwer-
kraft, geschieht, daß sie also nach rechts oder links zum Horizonte
erfolgt und nicht einfach um den Stengel herumläuft, ist ein be-
ständiges Andrücken an die Stütze möglich. Wie aber durch die
Schwerkraft die Förderung des Wachstums der rechten oder linken
Flanke geschieht, ist noch bedeutend rätselhafter als z. B. die .ein-
fache geotropische Krümmung.
Nimmt man das aber einmal als gegeben an, so genügt das Zu-
sammenwirken der im überhängenden Teile vor sich gehenden Drehung
mit der allmählichen Aufrichtung wohl zur Erklärung des Windens.
Dementsprechend werden schraubige Krümmungen, sogen. freie Win-
dungen, auch ohne Stütze erzielt. Diese stellt demnach im Grunde
nur ein Hindernis für die völlige Geradestreckung in späteren Stadien
dar (Wortmann 1886).
Doch hält Schwendener (1881) noch eine Erscheinung für wichtig,
die er als Greifbewegung bezeichnet. Sie besteht darin, daß die
bogig gekrümmte Sproßspitze durch Berührung der Stütze an zwei
entgegengesetzten Punkten und durch periodische Ablösung an dem
einen und dem anderen sich gewissermaßen weitertastet und daher
immer wieder festhält. An dicken Stützen findet dagegen eine
dauernde Berührung statt, sodaß die Spitze stetig angedrückt
schraubig an der Unterlage emporkriecht.
Da das Verhalten der Schlingpflanzen durchaus an ihre geo-
tropische Reizbarkeit gebunden ist, wird es verständlich, daß nur
annähernd aufrechte Stützen umwunden werden können. Schräger
gestellte wird das kreisende Ende schließlich nicht mehr erreichen
können oder die Pflanze wird sie nach Ausführung einer Windung
wieder verlassen und weiter ‚suchen‘. Der Winkel, den eine Stütze
haben darf, wird von der Weite des Ausgreifens abhängen, dessen
die Spitze der Pflanze fähig ist (Noll 1904).
Je länger das horizontale Ende einer Schlingpflanze ist, einen
desto größeren Kreis wird sie durchmessen können, um so dickere
und schrägere Stützen vermag sie zu umschlingen und umso mehr
wird auch die Wahrscheinlichkeit erhöht, überhaupt eine Stütze zu
finden. Die Fähigkeit, dicke Stämme zu umfassen, ist besonders
bei tropischen Schlinglianen in hohem Maße ausgebildet.
Die maximale Länge des horizontalen Teiles ist durch dessen Gewicht be-
grenzt, denn herabhängen darf das Ende natürlich nicht. Deshalb wird es
zweckmäßig sein, das Gewicht möglichst herabzusetzen und jede unnötige Be-
lastung zu vermeiden. So erklärt sich das bei allen Schlingpflanzen in mehr
oder weniger hohem Grade anzutreffende Kleinbleiben der Blätter gegenüber den
sich frühzeitig stark verlängernden Stengelgliedern. Erst wenn die Pflanze eine
Stütze gefunden hat, werden die Blätter im Wachstum gefördert und nehmen
Schlingpflanzen. sg
dann relativ schnell ihre definitive Größe und Gestalt an. Um aber wieder
diesen letzteren Prozeß nicht zu verzögern, eilen diejenigen Teile des Blattes,
die die meiste Zeit zur Ausbildung brauchen, nämlich die Rippen, dem grünen
Assimilationsgewebe voraus.
Trotz dieser Entlastung der jüngeren Teile und trotzdem das
„Überhängen‘‘ der Spitze nicht etwa eine einfache Lastkrümmung
darstellt, werden die Schlingpflanzen, falls sie keine Stütze finden,
schließlich umfallen müssen. Sie schieben sich dann wie ein Aus-
läufer am Boden entlang, wobei aber das Ende nicht aufhört, empor-
zustreben und durch kreisende Bewegungen einen festen Körper zu
suchen, an dem es sich aufrichten könnte. Bei manchen Gewächsen
findet in der Natur ein Wechsel zwischen kriechendem und kletterndem
Wachstum häufig statt. Da ein Aufrichten erst in einem dich-
teren Bestande nötig wird, also z. B. in einem Gebüsch, das die
Pflanze dem Lichteinflusse entziehen würde, das aber andererseits ge-
eignete Stützen abgibt, so entsprechen die den Schlingpflanzen mit-
gegebenen Eigenschaften durchaus ihren Bedürfnissen.
Das Abwechseln zwischen Kriechen und Winden läßt sich sehr
schön an der Ackerwinde (Convolvus arvensis) beobachten, die in
beiden Situationen, je nach der sonstigen Vegetation des Bodens,
gut zu gedeihen vermag: Auf nacktem Boden kriecht sie, an Gras-
halmen oder dergl. angelangt aber windet sie sich empor und
kommt so in bessere Lichtverhältnisse,
Die erwähnten Pflanzen finden also zugleich mit der Not-
wendigkeit, sich zu erheben, um ans Licht zu gelangen, die Mög-
lichkeit, es zu tun. Es gibt aber auch Pflanzen, die überhaupt
nur dann winden, wenn sie beschattet werden. Durch den Mangel
an Licht (siehe unten S. 94) werden bei diesen ‚fakultativen Schling-
pflanzen‘ einige Eigenschaften hervorgerufen, die bei typischen Winde-
pflanzen sich auch am Lichte ausbilden, nämlich eine größere Streckung
der Stengelglieder und das Kleinbleiben der Blätter. Zu dieser Gruppe
gehört nach Ch. Darwin ([1881] 1899 S. 32 ff.) der Windeknöterich
(Polygonum Convolvulus) die Schwalbenwurz (Asclepias vincetoxicum)
und der Bittersüß (Solanum dulcamara), die im hellen Licht kräftig
aufwärts wachsen, im Schatten aber winden.
Haben die Schlingpflanzen vermöge ihrer Kletterbewegungen
geeignete Stützen umwunden, die in der Natur meist andere Gewächse
sein werden, so ist ihre Lebensweise nicht viel anders als die anderer
Pflanzen. Ihre Seitenäste verhalten sich entweder wie die Hauptachse
oder sie gelangen durch andere Orientierungsbewegungen in geeignete
Bedingungen. Die Blätter suchen eine günstige Lichtlage auf.
Tropische Lianen werden teilweise zum Verhängnis ihrer Stütz-
bäume, die sie durch die Fülle ihrer Blätter ersticken und vom
Lichte ausschließen. Manch& unter ihnen können so weit erstarken,
daß sie dann selbständig weiter leben ohne weiter einer Stütze zu
bedürfen. Sie sind also nur in ihrer Jugend Schlingpflanzen. Durch
die Ersparnisse am Aufbau der Achsen bleibt den Schlingpflanzen
90 III. Die Reizwirkungen der Schwerkraft.
Kraft für das Längenwachstum, so daß sie häufig zu den längsten
Gewächsen der betreffenden Flora gehören. Bei uns ist es besonders
der Hopfen, und an manchen Orten eine Gaisblattart (Lonicera
Periclymenum), die lianenartig hoch in die Baumkronen emporsteigen.
Einen besonderen Fall stellen die parasitischen Cuscuta-Arten
(Flachs- und Kleeseide) dar, deren chlorophylifreie Keimlinge absterben,
falls sie nicht eine geeignete Wirtspflanze finden, die ihnen gleichzeitig
als Stütze und als nahrungslieferndes Opfer dienen muß. Der faden-
förmige Stengel wickelt sich um eine Pflanze wie eine Ranke und
sendet Sangorgaue in deren Gewebe. Hierauf beginnt er dann wie
eine Schlingpflanze zu winden und an ihr emporzuklettern, aber nur
vorübergehend, denn bald wird diese Bewegung wieder durch eine
Periode unterbrochen, in der Saugfortsätze gebildet werden. Beide
Wachstumsweisen wechseln miteinander ab. (Vergl. S. 221.)
Ein Winden wie bei den Stengeln der Schlingpflanzen findet
sich auch bei manchen Farnblättern. Die Mittelrippe der sehr lange
an der Spitze fortwachsenden Wedel von Lygodium scandens und
Blechnum volubile windet, wie es scheint, ganz in der früher für
Stengel besprochenen Weise. Die Seitenfiedern verhalten sich hier
ähnlich den Blättern der anderen Schlingpflanzen. Sonst kennen wir
ein Windevermögen nur bei Samenpflanzen, unter ihnen aber in
den verschiedensten Familien.
f) Niedere Organismen.
Bei unseren bisherigen Betrachtungen über die Reizwirkung der
Schwerkraft haben wir überall nur die höheren Pflanzen berück-
sichtigt. Geotropische Reizbarkeit ist aber auch bei Algen und
Pilzen vielfach nachgewiesen. So sind die Träger des Fruchtkörpers,
die sog. Strünke der Hutpilze meist negativ geotropisch und zwar
in bemerkenswertem Grade (Knoll 1909, Streeter 1909). Das ein-
heitliche und rasche Reagieren des ganzen kompakten Stieles ist darum
interessant, weil der Pilzkörper aus einem Geflecht einzelner Fäden
besteht, deren Zusammenarbeiten nicht ganz leicht zu durchschauen
ist (vgl. S. 29). Durch die Bewegungen des Stieles wird der Hut in
eine günstige Lage zum Austrocknen und Ausstreuen der Sporen ge-
bracht, die Perzeption findet aber nicht in ihm, sondern in der
Wachstumszone statt (Streeter 1909). Präsentations- und Reaktions-
zeit können sehr kurz sein. Manche stiellose Fruchtkörper von Hut-
pilzen haben gleichfalls die Fähigkeit zur Einnahme einer bestimmten
Lage, ebenso die an jenen sitzenden Fortsätze, Leisten und Stacheln,
an denen die eigentlichen Sporenträger entstehen.
Auch bei den kleinen schimmelbildenden Mucorineen, von denen
nur Phycomyces trotz seiner gegenüber‘ den Hutpilzen großen Zart-
heit eine beträchtliche Länge (bis zu 30 cm) erlangt, sind die Frucht-
träger meist negativ geotropisch. Es wird dadurch ebenfalls eine
bessere Verbreitung der Sporen „angestrebt“. Jedenfalls ist es von
Niedere Organismen. 91
Bedeutung, die ‚Sporen aus der Nähe des verbrauchten Substrates,
aus dem die Träger hervorkommen, zu entfernen.
Manche ‚‚Schimmelpilze‘“‘ vertrauen die leichten trockenen Sporen dem
Winde. Bei anderen zerfließt das Sporangium zu einer klebrigen Masse, die
vorüberstreichenden Tieren oder Grashalmen angeheftet wird. So kommen die
Sporen schließlich wieder in den Darm der Tiere, und werden mit entleert.
Auf dem Mist, der gerade die größte Anzahl dieser Formen beherberst, gibt
es charakteristischerweise auch Hutpilze, die zu einer klebrigen Masse zertließen
(Coprinus), eine Einrichtung, deren Zweckmäßigkeit gerade unter den betreffen-
den Verhältnissen einleuchtet und die ganze Gruppe“ zu einer biologischen Ein-
heit verknüpft. Hinzu kommen als gemeinsame Merkmale die Fähigkeit sich
dem Lichte zu-, vom feuchten Substrate aber abzukehren, sowie die Widerstands-
fähigkeit der Sporen gegen die Verdauungssäfte.
Das die Fruchtträger hervorbringende, wurzelähnlich den Nähr-
boden durchziehende und aussaugende Fadengeflecht hat seiner Auf-
‘gabe entsprechend auch andere Reizbarkeiten. Es ist weder für
Schwerkraft noch für Licht merklich empfindlich, kann dafür aber
die zur Ernährung geeigneten Stellen mit Hilfe seines chemischen
Sinnes aufsuchen. Darüber werden wir noch zu berichten haben.
Hier interessiert uns vor allem das verschiedene Verhalten der Teile
je nach ihrer Aufgabe. Die der Arbeitsteilung entsprechende Diiferen-
zierung der Sensibilität entspricht in weitem Maße den entsprechenden
Verhältnissen bei den höheren Pflanzen. Eine ihrer Stellung im
System entsprechende Einteilung der Organismen nach der Aus-
bildung der Reizbarkeit ist unmöglich. Die niedersten Lebewesen
sind in der Beziehung genau so gut ausgestattet wie die höchsten!
Der Geotropismus der Algen, wie er z. B. bei den Armleuchter-
gewächsen, (Chara, Nitella) und Meeressiphoneen (Caulerpa) nach-
gewiesen ist, bietet uns nichts neues, mag daher nur erwähnt sein.
Ihre grünen Teile sind negativ, die wurzelähnlichen Organe positiv
geotropisch. An sie mag ein Fall angereiht werden wie der der
Fadenalgen (Spirogyra, auch Osecillaria), die sich nur an festen Kör-
pern aufzurichten vermögen, weil sie viel zu wenig Steifheit besitzen,
um, selbst im Wasser, sich in einer bestimmten Lage halten zu
können. Man sieht sie in Glasgefäßen sich an den Wandungen hoch
hinaufschieben, wobei sie auch über die Wasserfläche emporkriechen
können, da sie sich durch kapillar festgehaltenes Wasser feucht halten.
Durch solche Bewegungen können die genannten Algen sich aus Hinder-
nissen, wie Schlamm und Sand befreien, sowie (unterstützt durch ihre
Lichtreizbarkeit) eine günstige Stellung zur Ausnutzung der Sonnen-
energie gewinnen. Da die Fäden nicht festgeheftet sind, vermögen sie
sich durch ihre Wachstumskrümmungen auch vom Orte zu bewegen,
indem sie sich durch ihre Schleimhülle festkleben oder sich gegen
feste Körper stemmen. Sie leiten uns somit zu den Bewegungen
durch Kriechen und Schwimmen hinüber.
Nur in wenigen Fällen ist allerdings für frei bewegliche Orga-
nismen eine Schwerkraftreizbarkeit, die man dann als Geotaxis be-
zeichnet, bekannt. Am besten untersucht ist sie für Wimperinfusorien
(Paramaecien) (Jensen 1893). Hier soll allerdings von Pflanzen die
92 III. Die Reizwirkungen der Schwerkraft.
Rede sein, und die genannten Lebewesen sind Tiere. Aber auch für
grüne, also pflanzliche Organismen (z. B. Euglena, Chlamydomonas)
(Schwarz 1884, Aderhold 1888) und Bakterien (Massart 1889)
ist ein entsprechendes Verhalten bekannt. Es handelt sich um
freischwimmende Organismen, die sich im Wasser entweder an
der Oberfläche oder am Boden sammeln. Der erste Fall, nega-
tive Geotaxis, scheint der häufigere zu sein; doch gibt es auch
Organismen wie z. B. Bakterien, die immer positiv geotaktisch sind.
Da auch die negativ geotaktischen Organismen ein größeres spe-
zifisches Gewicht haben als das Wasser, so müssen sie sich aktiv,
durch Wimperbewegungen, heben. Zentrifugiert man sie, so suchen
sie nach dem Drehungsmittelpunkt zu gelangen. Wird die Flieh-
kraft aber zu groß, so können sie sie nicht mehr überwinden und
werden nach außen geschleudert. Man bekommt so ein Maß für
die Aktionskraft dieser kleinen Lebewesen.
Jensen (1893) ist der Meinung, daß die hydrostatischen Druckdifferenzen
es sind, die die Organismen zu ihren Bewegungen veranlassen, daß sie also
den Reiz darstellen. Sie würden demnach nicht eine bestimmte Richtung zur
Schwerkraft bei ihren Bewegungen innehalten, keine schwerkraftempfindlichen
Organe haben, sondern Orte höchsten resp. niedrigsten Druckes aufsuchen.
Diese Hypothese ist durch Versuche nicht gestützt. Das dürfte auch schwer
sein, da wir kein Mittel haben im Wasser die Druckdifferenzen auszuschalten.
Es scheint vorläufig ebenso wahrscheinlich, daß die geotaktische Reizung in
ähnlicher Weise zustande kommt wie die geotropische, also durch Druck-
wirkungen im Innern der Zellen.
Die geotaktische Reizbarkeit spielt für die betreffenden Orga-
nismen insofern eine Rolle, als sie sie in den für ihr Gedeihen ge-
eigneten Wasserschichten hält. Das ist allerdings für die hierher-
gehörigen grünen Flagellaten weniger deutlich ausgeprägt, als für die
tierischen Infusorien, da bei ihnen eine ausgesprochene Lichtreizbarkeit
am Tage den Einfluß der Schwerkraftempfindlichkeit verdeckt. In der
Nacht dagegen wird sie sie in der zweckmäßigsten Weise verhindern
können, sich in den Tiefen der Gewässer zu verlieren.
Wie man sieht, ist die Schwerkraftreizbarkeit außerordentlich
verbreitet in der Pflanzenwelt. Ihre Erscheinungsformen und ihr
Nutzen sind äußerst mannigfaltig.. Immer aber ist nicht eigentlich
die Lage gegenüber der Erde das erstrebte Ziel, sondern die Ge-
winnung anderer Vorteile. Trotz dem nur mittelbaren Zusammen-
hange zwischen den Lebensvorgängen und der Wirkung der Schwer-
kraft ist gerade die geotropische Reizbarkeit für die ganze Gestaltung
der festgewurzelten Pflanze von besonderer Bedeutung. Das liegt offen-
bar daran, daß die Gravitation wegen ihrer Unveränderlichkeit geeignet
ist, das Hauptorientierungsmittel abzugeben. Die anderen Kräfte
greifen trotz ihrer vielfach größeren Wichtigkeit für das Lebensgetriebe
nur modifizierend ein und beeinflussen gewöhnlich allein die Lage der
Seitenorgane in auffälligerer Weise, während die Lage und Gestalt
des Ganzen hauptsächlich durch den Geotropismus bestimmt wird.
IV, Helligkeit und Temperatur als Reizmittel.
a) Einfluß des Lichtes auf die Zuwachsbewegung.
Wenn wir an die Spitze der als Reize ins Pflanzenleben ein-
greifenden Kräfte die Gravitation gestellt haben, so findet das seine
Begründung in den verhältnismäßig einfachen Verhältnissen, die sie
bietet. Da nämlich die Schwerkraft der Stärke und Art nach un-
veränderlich und dauernd auf die Pflanzen einwirkt, so hat sie auch
keine besonderen Anpassungen an einen Wechsel der Reizintensität
hervorgerufen, wie sie den chemischen und Lichtreizen gegenüber
nötig waren. Es kommt noch hinzu, daß die Orientierung an der
Schwerkraft der Pflanze ausschließlich als Mittel zum Zweck dient:
der Wurzel hilft sie in den Boden einzudringen, dem Stengel sich in
die Luft zu erheben usf. Chemische und Lichtenergie dagegen greifen
neben ihrer Reizwirkung auch unmittelbar in das physiologische Ge-
triebe der Pflanze ein. Das macht wiederum eine größere Mannig-
faltigkeit der Abhängiskeitsverhältnisse begreiflich.
Zunächst aber wollen wir von den verwickelteren Fällen ab-
sehen und möglichst bekannte Erscheinungen ins Auge fassen. Ein
deutlicher Einfluß des Lichtes kommt dem Laien gewöhnlich nur
dann zu Bewußtsein, wenn oft betrachtete Pflanzen in ihrer Gestalt
durch das Fehlen oder unnatürliche Einfallen des Lichtes verändert
sind. So kennt jeder die übermäßig verlängerten, bleichen Triebe
der Kartoffeln und Zwiebeln im Keller. Auch hat man wohl ähn-
liches an Pflanzen beobachtet, die an ihrem natürlichen Stand-
orte durch ein darüber liegendes Brett, einen Stein, welkes Laub
oder dgl. ins Dunkle geraten sind. Weiterhin ist jedem, der Pflanzen
im Zimmer gezogen hat, schon ihr schiefes, einseitiges Wachstum
aufgefallen. Während sie sich im Freien annähernd nach allen
Richtungen gleichmäßig entwickeln, streben sie im Zimmer vor-
wiegend dem Fenster, d. h. dem Lichte entgegen und biegen ihre
Zweige solange bis sie sich nicht mehr gegenseitig beschatten. (Vgl.
die Abb. 56 von Euphorbia splendens auf S. 171.)
Bei mangelnder Beleuchtung finden wir also (neben der blassen
Farbe) Gestaltsveränderungen. Sie werden als Vergeilung oder Etiole-
ment zusammengefaßt. Auf einseitiges Licht reagiert die Pflanze durch
Beugungen oder Krümmungen. Man nennt das Phototropismus (Licht-
wendigkeit) oder auch Heliotropismus (Sonnenwendigkeit). Beides sind
in der Pflanzenwelt allgemein verbreitete Erscheinungen von großer
94 IV. Helligkeit und Temperatur als Reizmittel.
Bedeutung. Ein eingehenderes Studium des Einflusses, den das Licht
auf die Pflanzenwelt ausübt, fördert neben den erwähnten, leicht
zu beobachtenden Zusammenhängen einige weitere, nicht weniger
wichtige, zutage.
Wir beginnen unsere Besprechung mit den Wirkungen, die das
Licht durch seine wechselnde Stärke, ohne Rücksicht auf seine
Richtung, ausübt. Das einfachste Experiment, das uns einen Ein-
blick in diese Wirkungen gewährt, ist die völlige Ausschaltung des
Lichtes durch Verdunkelung einer Pflanze), Wir würden dann
nach einiger Zeit finden, daß sie ihre älteren grünen Blätter abgeworfen
hätte, während an der Spitze jedes Zweiges, und vielleicht auch in
den Blattachseln, hellgelbliche Stenglein ausgetrieben wären, deren Aus-
sehen von dem der gewöhnlichen Triebe in mehr als einem Punkte
abwiche. Das auffallendste an einer etiolierten Pflanze ist der Mangel
des Blattgrüns. Mehr interessieren uns hier aber die eingetretenen
Formänderungen. Haben wir eine dikotyle Pflanze mit Netznervatur
in den Blättern verwandt, z. B. eine Fuchsie, Flieder, Kapuzinerkresse
oder dgl., so finden wir, daß an den im Dunkeln ausgetriebenen
Zweigen die Blätter auffallend klein geblieben sind (vergl. auch Abb. 61,
S. 179), während die Stengelglieder zwischen zwei Blattansätzen sich
mehr gestreckt haben als das am Lichte geschehen wäre.
Was ist nun die Ursache dieser Erscheinung? Man könnte
glauben, daß die Blätter, die sich am Lichte mit Hilfe der Kohlen-
säureassimilation selbst ernähren, deshalb klein geblieben wären, weil
sie aus Mangel an Baumaterial ihr Wachstum hätten früher einstellen
müssen. Dann müßte aber dasselbe für die Stengel gelten; und doch
werden diese im Dunkeln gerade länger als am Lichte. Noch besser
gelingt der Nachweis, daß der Grund für das Kleinbleiben der Blätter
nicht so einfach zu übersehen ist, auf Grund der Tatsache, daß die
assimilatorisch wirksamsten Lichtfarben nicht mit denen zusammen-
fallen, die das Wachstum am meisten beeinflussen. In dem Lichte, das.
eine Lösung von Kupfervitriol in Ammoniak passiert hat, und das
deshalb nur blaue und violette Strahlen enthält, wird die Assimilation
beträchtlich vermindert, ohne daß eine merkliche Formveränderung
gegenüber weißem Lichte einträte. Umgekehrt wächst die Pflanze
im rotgelben Lichte, also etwa hinter einer Lösung von rotem chrom-
saurem Kali, ihrer Form nach wie im Dunkeln, obgleich die Assi-
milation kräftig vonstatten geht.
Die Fähigkeit, im Finstern eine Zeit lang zu wachsen, verdankt
die Pflanze den Reservestoffen, die sie in gesundem Zustande stets
in sich aufgespeichert hält. Benutzen wir für unseren Verdunkelungs-
versuch Objekte mit reichlichem Reservematerial, also keimende
Samen, austreibende Knollen und Zwiebeln, so läßt sich der Hunger
1) Eine entsprechende Ausschaltung der Schwerkraft ist nicht möglich.
Wir können also auch nicht wissen, wie die Pflanze sich unter solchen Um-
ständen verhalten würde.
Einfluß des Lichtes auf die Zuwachsbewegung. 95
als gestaltender Faktor ziemlich lange ausschalten, ohne daß dadurch
die Blätter befähigt würden die normale Größe anzunehmen. An-
dererseits gelingt es zuweilen, dadurch daß man die konkurrierenden
Stengelorgane am Wachsen verhindert, größere Blätter im Finstern
zu erzielen (Jost 1895). Es muß also doch wohl eine gegenseitige
Beeinflussung in die Verteilung der Baustofie eingreifen. Unsere
Kenntnisse in der Richtung sind noch sehr gering. Keinesfalls aber
genügen, wie man sieht, die Ernährungsverhältnisse allein zur Er-
klärung aller Tatsachen des Etiolements.
Daher erklärte Pfeffer, gestützt auf Erwägungen biologischer
wie physiologischer Natur, daß die Verschiedenheit des Wachstums
am Lichte und im Dunkeln eine Reizbeantwortung darstelle. Es
handle sich also nicht um direkte chemische oder physikalische Wir-
kungen des Lichtes, sondern um eine Reaktion der Pflanze auf die
Außenumstände, die auch in ihrem normalen Leben eine große
Rolle spielt.
Im ganzen kann man sagen, daß die Hemmung des Pflanzen-
wachstums durch das Licht das Gewöhnliche und daher wohl auch das
Ursprüngliche ist. Dementsprechend stellen Abweichungen von dieser
Regel Einrichtungen zu besonderen Zwecken dar. Durch das Licht
gehemmt wird das Längenwachstum nicht nur bei Stengeln, sondern
auch bei den meisten Monokotylenblättern, bei Wurzeln, Pilzen,
Wurzelhaaren von Lebermoosen und dgl. Auch diejenigen Blätter,
die im Dunkeln klein bleiben, stellen nur scheinbar eine Ausnahme dar.
Denn einmal wird durch intensives Licht ihr Wachstum gleichfalls
gehemmt. Weiter gilt der Gegensatz zu den Stengeln nur für etio-
lierte, also von Anfang an oder lange im Finstern gehaltene Pflanzen.
Das Wachstum grüner, am Lichte ausgebildeter Blätter wird durch
kurze Verdunkelung gefördert, durch darauffolgende Beleuchtung
wieder vermindert. Erst bei längerer Verdunkelung tritt der Zu-
stand ein, in dem die Entwickelung der Blätter gehemmt ist. Nun
ist eine längere Belichtung notwendig, um den Anstoß zum
Wachstum zu geben. Diese verwickelten Verhältnisse werden klarer,
wenn wir bei den Blättern zweierlei Reaktionen auf Lichtreize unter-
scheiden. Wir nehmen nämlich an, daß erstens durch längere Be-
lichtung oder Verdunkelung ein physiologischer Zustand oder ‚Photo-
tonus‘‘ geschaffen wird, der seinerseits charakterisiert ist durch die
. Verschiedenheiten der zweiten Reaktionsweise, nämlich durch die Art,
wie die Pflanze, resp. das Blatt in diesem Zustande auf Veränderung in
der Beleuchtungsstärke durch seine Wachstumsgeschwindigkeit reagiert.
So sehen wir, wie die meisten Blätter nur durch ihr kompli-
ziertes Verhalten Ausnahmen von der Regel zu sein scheinen, daß
das Licht das Wachstum hemmt. Wir müssen hier, wie oft, das
physiologische Grundgesetz von speziellen biologischen Anpassungen
unterscheiden. Als eine solche ist nämlich, wie wir gleich sehen
werden, das Kleinbleiben der Blätter im Dunkeln offenbar auf-
zufassen.
96 IV. Helligkeit und Temperatur als Reizmittel.
Bei künstlicher Verdunkelung wird der Pflanze kein in ihrer
Macht stehender Ausweg nützen können. Unter natürlichen Be-
dingungen aber wird es für sie das Wichtigste sein, ihre Stengel zu
verlängern, um womöglich aus dem dunkeln Orte, also etwa aus be-
deckender Erde oder Massen abgefallener Blätter herauszukommen.
Sie wird also am besten alles verfügbare Baumaterial diesem Zwecke
opfern und schon deshalb die Ausbildung von Seitenorganen auf bessere
Zeiten verschieben. Aber mehr als das, ausgebreitete Blätter würden
ihr beim Hervorarbeiten zu einem Hinder-
nisse werden.
So ist das Kleinbleiben der Blätter
und die Verlängerung der Stengel im
Dunkeln jedenfalls als Anpassungserschei-
nung zu deuten, ohne daß damit aller-
dings eine kausale Erklärung gegeben wäre.
Wir wissen nicht, warum die Zellen im
Blatte auf Verdunkelung anders reagieren
als die im Stengel. Die biologische Deu-
tung wird jedoch noch wahrscheinlicher,
wenn wir sehen, daß die langgestreckten
Grundblätter vieler Monokotylen, wie auch
die Stiele bei solchen Dikotylenblättern,
die unmittelbar aus unterirdischen Wurzel-
stöcken u. dergl. entspringen, im Dunkeln
länger werden als am Lichte. So werden
nach Sachs (1863) die Blätter von Crocus
vernus im Dunkeln 30, am Fenster nur
10 cm lang. Ebenso verhielten sich die
Blätter von Zwiebeln, Tulpen, Hyazinthen.
Sie müssen sich eben, falls sie verschüttet
werden, selbständig hervorarbeiten, ohne
von einem Stengel unterstützt zu werden.
Derartiger Ausnahmen, die unter den be-
Abb. 32, sonderen Umständen höchst zweckmäßig
Erbsenkeimlinge. Der erste im erscheinen, sind eine ziemliche. Anzahl
ee bekannt geworden. Bei Keimlingen z.B.,
den alt. Verkleinert. deren Keimblätter (Cotyledonen) unter
natürlichen Umständen unter der Erde.
bleiben, streckt sich das unterste Stengelstück auch nicht im
Finstern. Ein Beispiel hierfür ist die Feuerbohne (Phaseolus multi-
florus); während bei ihrer Verwandten, der Buschbohne (Ph. vulgaris),
die ihre Cotyledonen über die Erde erhebt, das entsprechende Organ
das normale Verhalten der Stengel zeigt. Auch die Keimlinge der
Eiche, der Wallnuß, der Erbse verhalten sich so. Dafür streckt sich
dann der Stengel über den Cotyledonen im Dunkeln sehr stark (Abb. 32).
Interessant sind auch viele Schlingpflanzen, z. B. der Hopfen (Humulus
Lupulus), die gleichfalls die Verlängerung der Internodien im Dunkeln
Einfluß des Lichtes auf die Zuwachsbewegung. 97
vermissen lassen. Sehen wir uns aber die jungen Triebe näher an,
so finden wir, daß sie auch normalerweise bis auf die Farbe an-
nähernd das Aussehen zeigen, das sonst vergeilten Pflanzen zukommt.
Warum für ihre kletternde Lebensweise ein Zurückbleiben der Blätter
zugunsten der stark verlängerten Stengel zweckmäßig erscheint, haben
wir schon früher besprochen (vgl. S. 88). Noch weiter in der Rich-
tung kann die Pflanze offenbar gar nicht gehen. Sachs (1863) be-
tonte, daß besonders solche Stengelorgane zur Überverlängerung im
Dunkeln und Hemmung im Licht geneigt sind, die ihre erste Anlage
normalerweise im Dunkeln erfahren. Ein schönes Beispiel bildet die
Kartoffel, deren Triebe im Dunkeln sehr lang werden, während am
Licht die Knospen kaum auszuwachsen vermögen. Es entstehen
dann nur kurze, knöllchenartige Ge-
bilde. Haben die ‚Augen‘ im Dunkeln
zu keimen begonnen, dann wirkt nach-
her das Licht viel weniger hemmend.
Vielleicht am hübschesten ist der-
selben Regel entsprechend bei vielen
Keimpflanzen die Einwirkung der Be-
lichtung zu zeigen. Eine Unterfamilie
- der Gräser, die Paniceen, zu der z. B.
Panicum miliaceum, die Hirse und die
Arten von Setaria gehören, zeichnet
sich dadurch aus, daß sie im Dunkeln
ein erstes Stengelorgan zu ziemlicher
Entwickelung bringt, das bei ihr im
Hellen und bei den anderen Gräsern
unter allen Umständen ganz kurz bleibt.
(Vgl. auch Abb. 50. S. 143.) Doch
kann es bei manchen Hafer- und
Maissorten im Dunkeln auch merklich
wachsen. Dieser Keimstengel, der das Abb. 33.
erste scheidenartige Blatt, und darin Maiskeimlinge, links am Lichte, rechts
eingeschlossen die junge Knospe trägt, im Dunkeln gewachsen. Verkleinert.
besitzt eine besonders große Licht-
empfindlichkeit und wird schon durch kurze oder schwache Beleuch-
tung merklich im Wachstum gehemmt (Abb. 33). Es darf sich auch
nicht über den Boden erheben, denn es ist nicht geeignet, die er-
wachsene Pflanze zu tragen. Diese wird vielmehr durch (Adventiv-)
Wurzeln gestützt, die am ersten Knoten, also am oberen Ende des
erwähnten Stengelstückes entstehen, was beim Mais besonders gut
zu sehen ist. Nach allem was wir wissen, vermögen solche Wurzeln
sich aber nur im Feuchten zu entwickeln, also innerhalb oder in der
Nähe des Bodens, in den sie sogleich eindringen. Auch bei anderen
Pflanzen, z. B. beim Kürbis entstehen solche Wurzeln an der ent-
sprechenden Stelle, sobald der Knoten auf die Erde kommt.
Das erwähnte erste Stengelorgan der hirseartigen Gräser hat
-
Pringsheim, Reizbewegungen. Ä
98 IV. Helligkeit und Temperatur als Reizmittel.
also die Aufgabe, die Spitze des Keimlings an die Oberfläche zu
bringen, soll aber selbst nicht die Erde verlassen. Entsprechend
dieser Funktion hört es nicht erst zu wachsen auf, wenn es selbst
beleuchtet wird, sondern auch schon dann, wenn die von ihm ge-
tragene Knospe ans Tageslicht kommt. Der Lichtreiz wird also in
die Tiefe geleitet. Wie Fitting (1907a) in eingehenden Versuchen
nachgewiesen hat, wird das Wachstum des Keimstengels etwa ebenso
stark gehemmt, wenn er selbst, wie wenn das daran sitzende Schei-
denblatt allein vom Lichte getroffen wird. In der Natur wird zu-
erst die Spitze ans Licht kommen, wenn der Same unterirdisch
keimt. Liegt er aber oberflächlich, so unterbleibt die Ausbildung
des Keimstengels überhaupt fast ganz.
Diese Eigentümlichkeit mancher Graskeimlinge, im Dunkeln ein
besonderes Organ zu entwickeln, das dazu dient, die junge Knospe
ans Licht empor zu tragen, ist aber noch lange nicht alles, was uns
hier an ihnen interessiert. Eine ähnliche Lichtempfindlichkeit zeigt
nämlich bei allen Gräsern das erste Blatt, das zu einer geschlossenen
Scheide ausgebildet ist, die sog. Coleoptile. (Vgl. Abb. 33.) Dieses
röhrenförmige Organ schließt im Innern die jungen Blätter ein, die
noch zart und weich sind und für sich nicht imstande wären, die
Erde zu durchbrechen. Es schützt sie aufs beste, denn vermöge
seiner inneren Spannung, die sich in einer starken Dehnung der Zell-
wände dokumentiert, hat es eine beträchtliche Steifheit. Die geschlossene,
kegelförmige Spitze ist besonders geeignet, Hindernisse beiseite zu
schieben (Weinzierl 1908). Es ist klar, daß dieses Organ die
jungen Blätter nur so lange umhüllen muß, wie sie sich unter der
Erde befinden. Nachher wird es an einer vorgebildeten Stelle nahe
der Spitze durch den inneren Druck der fortwachsenden Blätter mit
einem Riß gesprengt und kann zugrunde gehen, denn es hat seine
Schuldigkeit getan. Woher aber weiß die Pflanze, daß die Coleoptile
gesprengt werden darf? Nun, als Zeichen dafür, daß das Freie er-
reicht ist, gilt ihr die Belichtung. Im Dunkeln wächst die Scheide
schneller oder mindestens ebenso rasch wie die Blätter, so daß oft
(z. B. beim Roggen) ihr oberes Ende leer bleibt. Am Licht aber
wird sie stark im Wachstum gehemmt, die Blätter aber gefördert,
so daß sie bald den Hohlraum ausfüllen und von innen einen Druck
ausüben, der sie befreit. Also reguliert das Licht durch die verschieden
starke Beeinflussung des Wachstums der verschiedenen Teile den so
bedeutungsvollen Vorgang der Beendigung des Keimlingsstadiums, der
nicht zu früh vor sich gehen darf, weil sonst die junge Pflanze im
Boden stecken bleibt (Abb. 34). Die Richtungsbewegungen, die noch
hinzukommen, um das junge Pflänzchen ans Licht empor zu leiten,
werden wir an anderer Stelle besprechen (vgl. S. 175). Hier soll nur
noch hervorgehoben werden, daß alle diese schönen Einrichtungen
eine Grenze ihrer Wirksamkeit finden, daß also z. B. auch im Dunkeln
schließlich die Scheide durchbrochen wird, wenn ihre Wachstums-
fähigkeit kurz vor dem Erlöschen stark herabgesetzt ist. Das Heraus-
Einfluß des Lichtes auf die Zuwachsbewegung. 99
treten der Blätter fällt mit dem Aufhören des Wachstums der Coleoptile
zeitlich sehr nahe zusammen. Nach ihrer Durchbrechung hat ja auch
die Scheide weiter keinen Nutzen mehr, und ein weiteres Wachstum
wäre Kraftverschwendung. Aber die vier- bis fünffache Länge
von der, die sie am Licht zeigt, kann die Coleoptile im Dunkeln
bei vielen Gräsern, z. B. bei den Getreidearten immerhin er-
reichen.
Wenn hier das besonders interessante Verhalten der Graskeim-
linge etwas ausführlicher geschildert wurde, so soll damit nicht ge-
sagt sein, daß nicht ähnliche Verhältnisse in der Beeinflussung der
Wachstumserscheinungen durch das Licht auch anderswo vorkämen.
Abb. 34.
Haferkeimlinge in Erde hinter Glas gewachsen. Rechts im Dunkeln kultiviert. Die Pflanzen
brechen ohne Schwierigkeit durch die Erde, die Blätter bleiben zusammengerollt in der Scheide.
Links durch Beleuchtung am Hervorkommen gehindert. Die hervorbrechenden Blätter bieten
großen Widerstand und werden bei der Streckung ziekzackförmig zusammengedrückt. Verkleinert.
Wohl bei allen Keimpflanzen wird die Entwickelung der ersten
Stengelglieder im Dunkeln sehr viel weiter getrieben, als am Lichte.
Ebenso aber auch bei den Trieben, die aus unterirdischen Organen
hervorkommen und die sich in mancher Beziehung wie Keimpflanzen
verhalten. Die geringere Wasserverdunstung im Dunkeln und be-
sonders im feuchten Boden kommt dann noch hinzu, der Pflanze ein Län-
genwachstum zu erlauben, wie es über der Erde nicht stattfindet.
Denn die Transpiration hemmt das Wachstum. Die Volumzunahme
der Zellen wird hauptsächlich durch Wasseraufnahme bewirkt und
daher durch geringes Welken schon aufgehoben. Auch setzt die
Wasserverdunstung die Temperatur herab, was gleichfalls zur Ver-
zögerung des Wachstums führen kann.
Nur kurz soll erwähnt werden, daß Stengelorgane, die die Auf-
7*
100 IV. Helligkeit und Temperatur als Reizmittel,
gabe von Blättern übernommen haben, also z. B. die blattähnlichen
Flachsprosse vom Mäusedorn (Ruscus), die nadelartigen Assimilations-
organe vom Spargel, aber auch die abgeflachten Stengelteile der
Kakteen, z. B. Phyllocactus und ÖOpuntia, sich im Dunkeln nicht
verlängern. Bei den letzteren ist es bemerkenswert, daß sie dann
vielfach auch nicht flach werden, sondern stielrund (vgl. z. B. Goebel
1898—1901). Es wird also hier nicht nur die Stärke des Wachstums,
sondern auch seine Art beeinflußt. Dergleichen finden wir häufig,
und wir wollen später noch davon sprechen.
Bisher haben wir immer den Fall im Auge gehabt, daß ein
Pflanzenorgan völlig vom Lichte abgeschlossen wurde. Wir haben
sein Wachstum, wie es in völliger Finsternis vor sich geht, mit dem
unter normalen Verhältnissen verglichen. Diese Angaben müssen
wir nun nach mehreren Richtungen ergänzen. Zunächst ist zu be-
merken, daß nicht nur völlige Dunkelheit das Wachstum beeinflußt,
sondern jede Veränderung im Lichtgenuß. Wir dürfen also entspre-
chend den Beleuchtungsverhältnissen alle Übergänge zwischen völlig
verfinsterten und reichlich beleuchteten Pflanzen erwarten. Es wird
demnach schon eine im Schatten gewachsene Pflanze anders aus-
sehen, als eine andere derselben Art, die voller Sonne ausgesetzt
war. Natürlich werden dabei auch die Lichtbedürfnisse der ver-
schiedenen Arten eine Rolle spielen. Bei einer Beleuchtung, die für
eine Schattenpflanze gerade günstig wirkt, wird eine an mehr Sonne
gewöhnte schon ein unnormales, vergeiltes Ansehen haben. Die
Schädigungen durch Beschattung, die auf ungenügender Assimilation
beruhen, können wir hier nicht besprechen.
Wenn wir in den früheren Betrachtungen über die Unterschiede
zwischen im Dunkeln und am Lichte gewachsenen Pflanzen bei den
ersteren das Extrem gewählt haben, so war das im Gegensatz dazu
bei den am Tageslicht gehaltenen nicht der Fall, da diese in der
Nacht gleichfalls verdunkelt waren. Es muß daher möglich sein,
durch künstliche Dauerbelichtung die Lichtform noch ausgeprägter
zu bekommen. Solche Versuche sind von Bonnier (1895) angestellt
worden und entsprechen ungefähr der hier ausgesprochenen Erwar-
tung. Doch wären neue Untersuchungen mit stärkerem Licht sehr
erwünscht. Auch wissen wir nicht, ob eine starke, kurze Belichtung
dasselbe bewirkt wie eine schwache, längere. Es wäre möglich, daß
für manche, aber sicher nicht für alle Wirkungen, die von der Pflanze
aufgefangene Gesamtlichtmenge allein von Bedeutung ist. Ferner
ergibt sich im Anschluß an den Tageslichtwechsel die Frage, ob
Organe existieren, die durch Beleuchtung so stark gehemmt werden,
daß sie überhaupt nur in der Nacht zu wachsen vermögen, und die
deshalb im Dauerlichte gar nicht zur Entwickelung kämen? Es ist
die Frage, ob z. B. die Keimstengel der Paniceen hierher gerechnet
werden können? Bei ihnen ist die Nachwirkung der Tagesbelichtung
so stark, daß nachher auch in der Nacht das Wachstum noch ge-
Einfluß des Lichtes auf die Zuwachsbewegung. 101
hemmt ist. Es bedarf also hier keiner dauernden Belichtung, um
das Wachstum fast völlig zu unterdrücken.
Damit kommen wir zu dem Einfluß, den der Wechsel von Tag
und Nacht auf das Wachstum der Pflanzen ausübt. Dieses Problem
hat eine eingehende Bearbeitung erfahren. Oben haben wir gesagt,
daß die Veränderung der Wachstumsgeschwindigkeit mit der Belich-
tung eine Reizbeantwortung darstellt, die auch im normalen Leben
der Pflanze eine große Rolle spiele. Ein Wechsel der Beleuchtung
ist aber vor allem durch die mit der Drehung der Erde um ihre
Achse verknüpfte periodische Verdunkelung und Belichtung gegeben.
Außer in den Polarländern ist die Pflanze diesem Wechsel ständig
ausgesetzt. Ihm entspricht in der Tat eine Periodizität im Längen-
wachstum der beleuchteten Organe.
Die Zuwachsbewegung verläuft nun aber auch unter möglichst
gleichartigen Bedingungen, also Ausschaltung aller Beleuchtungs- und
Temperaturschwankungen, durchaus nicht gleichmäßig. Vielmehr
findet man allgemein, daß das Wachstum bei einem neu angelegten
Organe erst ansteigt und nach einem früher oder später erreichten
Maximum wieder abfällt, bis Stillstand eintritt. Man nennt das
mit J. Sachs (1872) die große Wachstumsperiode. Dieser Regel ent-
sprechend verhalten sich die verschiedensten Pflanzenorgane, Blätter
sowohl wie Stengelglieder, Wurzeln, Früchte usw. Die die große
Periode wiederspiegelnde Wachstumskurve wird nun unter normalen
Bedingungen durch kleinere Schwankungen modifiziert. Die auf-
fälligsten fallen mit dem Wechsel von Tag und Nacht zusammen,
und zwar findet bei sonst gleichmäßigen Bedingungen meist das
stärkste Wachstum am Ende der Dunkelperiode, also bei Sonnen-
aufgang, das schwächste am Ende der Hellperiode, bei Sonnenunter-
gang statt. Dies erklärt sich daraus, daß der Wechsel nicht sofort
die Veränderung der Wachstumsgeschwindiskeit im Gefolge hat,
sondern die neue Bedingung eine Zeit wirken muß, ehe die ihr ent-
sprechende Zuwachsgeschwindigkeit sich eingestellt hat. So addieren
sich Wirkung und Nachwirkung mit steter Steigerung des Erfolges,
bis durch den Wechsel der Beleuchtung wiederum der Umschlag
stattfindet.
Messungen zur Feststellung obiger Tatsachen hat zuerst Sachs
mit Hilfe eines selbstregistrierenden Apparates, des Auxanometers,
ausgeführt (vgl. S. 25). Mit Hilfe ähnlicher Instrumente wurden von
verschiedenen Forschern eine große Anzahl von Wachstumskurven
aufgezeichnet, die zwar in Einzelheiten, so in der zeitlichen Lage
der schnellsten und langsamsten Längsstreckung usw. voneinander
abweichen, in der Hauptsache aber übereinstimmen. Überall wurde
durch das Licht das Wachstum der beobachteten Sprosse gehemmt,
durch Dunkelheit gefördert. Und immer brauchte diese Reizwirkung
eine gewisse Zeit, bis sie einsetzte und den Höhepunkt erreichte.
In gewissen Fällen ging das soweit, daß das Maximum erst nach-
mittags, das Minimum spät in der Nacht auftrat.
102 IV. Helligkeit und Temperatur als Reizmittel.
Ferner wurde von Sachs (1872) und Baranetzky (1879, zitiert
nach Pfeffer 1904) gezeigt, daß nach Verdunkelung einer vorher dem
Tageslichtwechsel ausgesetzten Pflanze eine Nachwirkung der Perio-
dizität des Wachstums zu beobachten ist, die erst allmählich aus-
klingt. Sie kann bei Helianthus tuberosus (Tobinambur) länger
als zwei Wochen anhalten, während sie bei anderen Objekten viel
eher erlischt. Bei Pflanzen, die von vornherein im Dunkeln erzogen
waren, konnte eine den Tageszeiten entsprechende Periodizität nicht
gefunden werden.
Bei allen diesen Versuchen muß natürlich auf möglichste Gleichförmigkeit
der sonstigen Bedingungen gehalten werden. So können Temperatur- und
Feuchtigkeitsschwankungen das Resultat merklich beeinflussen und sogar um-
kehren, wie man das bei Messungen in freier Natur in der Tat beobachtete.
Da ist am Tage durch die größere Wärme das Wachstum beschleunigt, kann
aber durch Trockenheit auch wieder gehemmt sein. Von den jeweiligen Um-
ständen hängt es dann ab, welcher Einfluß überwiegt. Ist die Nacht kalt,
dann hilft das Fortfallen der Lichthemmung nichts. In warmen Nächten aber
überwiegt der Einfluß der Verdunkelung, unterstützt durch die größere Wasser-
fülle in der Pflanze, die durch die höhere relative Luftfeuchtigkeit und den
Fortfall der transpirationsfördernden Bestrahlung zustande kommt.
Eine besondere Bedeutung dürfte diese Periodizität des Längen-
wachstums für die Pflanze nicht haben. Wir wollen uns deshalb
nicht lange bei ihr aufhalten.
b) Einfluß des Lichtes auf die Gestaltung.
Bisher haben wir hauptsächlich die Wirkung des Lichtes auf
die Größe des Wachstums, also den quantitativen Einfluß der Be-
leuchtungsstärke im Auge gehabt. Es ist aber offensichtlich, daß
durch das verschiedene Verhalten der Teile zum Licht auch Ge-
staltsveränderungen zustande kommen können. Die Wissenschaft
nennt sie Photomorphosen. Sie werden erzeugt, indem das Wachs-
tum je nach den Lichtverhältnissen in verschiedene Bahnen gelenkt
wird: Teile z. B., die am Licht nicht zur Entwicklung kommen,
werden im Dunkeln ausgebildet.') Andere sind umgekehrt in ihrer
Entstehung an das Vorhandensein von Licht gebunden. Ein solcher
Fall liegt schon bei den oben besprochenen Keimstengeln der pani-
cumartigen Gräser und des Mais vor. Man sieht, daß scharfe
Grenzen zwischen dem Einfluß auf das Wachstum und dem auf die
Gestalt sich nicht ziehen lassen.
Durch die besprochenen und einige noch hinzukommende Ein-
flüsse, die das Licht auf die Wachstumsvorgänge ausübt, kann die
sanze Gestalt und Beschaffenheit von Pflanzen und Pflanzenteilen
merklich verändert werden. Bei den Blättern haben wir schon er-
wähnt, daß ihr Wachstum durch starke Besonnung gehemmt wird.
1) Gestaltsbeeinflussungen wird man kaum zu den Bewegungen rechnen
dürfen. Doch schien mir die Aufnahme auch dieser Art von Reizreaktionen
in den Plan des Ganzen der Abrundung wegen wünschenswert.
Einfluß des Lichtes auf die Gestaltung. 103
Sie weisen unter solchen Umständen also eine kleinere Flächenent-
wicklung als im Schatten auf. Das kann schon an den verschiedenen
Zweigen eines und desselben Baumes recht merklich werden.
Sehen wir genauer zu, so finden wir noch weitere Unterschiede
zwischen Sonnen- und Schattenblättern (Stah1l1883, Haberlandt 1896);
die ersteren sind nicht nur kleiner, sondern auch derber und tiefer
grün. Das beruht auf anatomischen Unterschieden. Vor allem ist
das Sonnenblatt dicker, die Oberhaut hat größere Zellen mit stärkeren
Außenwänden und statt einer Lage von Assimilationszellen sind zwei
und selbst drei ausgebildet. Die Zellen dieser Art, die besonders
viel Chlorophyll enthalten, sind senkrecht zur Blattfläche gestreckt
und, mit nur kleinen Lufträumen dazwischen, dicht aneinandergereiht,
Sie setzen das sog. Palissadenparenchym zusammen. Es ist klar,
daß im schwachen Lichte schon eine dünne Schicht von chlorophyll-
haltigen Zellen alles zur Assimilation brauchbare Licht verschlucken
wird, während an heller Sonne bei dünner Absorptionsschicht eine
Menge wertvoller Energie verloren ginge. Deshalb ist die doppelte
Lage von Assimilationszellen beim Sonnenblatt sehr zweckmäßig,
während sie im Schatten überflüssig wäre. Die dickere Epidermis
der Sonnenblätter verhindert offenbar eine zu starke Verdunstung
bei intensiver Bestrahlung. Das lockere, der Unterseite anliegende
„Schwammparenchym‘“, das dem Gas- und Wasserdampfaustausch
dient, ist bei Schattenblättern stärker entwickelt. Dadurch wird
die Transpiration gesteigert, die sonst bei der schwachen Bestrahlung
zu gering würde. Es werden also die verschiedenen Gewebe des
Blattes in verschiedener und zweckentsprechender Weise vom Lichte
beeinflußt.
Die hier geschilderten Verhältnisse sind z. B. am Holunder (Sam-
bucus), an Buchen (Fagus), Eichen (Quercus), Efeu (Hedera) leicht
zu bemerken. Bei letzterem sind auch die Abstufungen in der
Größe der Blätter besonders gut zu beobachten (Pfeffer, 1904).
Bei einer mittleren Helligkeit werden die Blätter am größten, im
tiefen Schatten und an heller Sonne kleiner. Während also die
Flächengröße bei schwacher und starker Beleuchtung dieselbe sein
kann, wird die innere Differenzierung unter beiden Umständen sehr
verschieden, was sich äußerlich an der Farbe und Steifheit der Blätter
bemerkbar macht. Nur die Flächengröße zeigt ein „Maximum‘‘ bei
einer mittleren Lichtintensität, das, wie erwähnt, dem Gegeneinander-
arbeiten zweier verschiedener Reizwirkungen des Lichtes zuzuschreiben ist.
Entsprechende Unterschiede wie zwischen den Blättern ein und
derselben Pflanze finden wir bei typischen Sonnen- und Schatten-
pflanzen, nur daß sie dort erblich geworden sind, von einer Reiz-
wirkung also nicht gesprochen werden kann. Innerhalb der Grenzen
aber, die in der erblichen Organisation festgelegt sind, können noch
weitgehende Unterschiede vorkommen, Natürlich sind sie am größten
bei solchen Pflanzen, die in der Natur stark abweichenden Be-
leuchtungsbedingungen ausgesetzt sein können. Maianthemum bi-
104 IV. Helligkeit und Temperatur als Reizmittel.
folium z. B., die „Schattenblume“, kann auch an recht sonnigen
Standorten vorkommen. Ihre Blätter werden dann kaum ein Drittel
so groß als im dichten Walde.
Fast ebenso wichtig wie für die Funktion der Blätter ist das
Licht für die Aufgabe, die die farbigen Blüten zu erfüllen haben.
Sie sollen die Blütenstaub übertragenden Insekten anlocken. Dazu
müssen sie sichtbar sein, aus dem grünen Untergrund hervor-
leuchten und sich an der Sonne ausbreiten. Denn die meisten
Insekten lieben die warmen Sonnenstrahlen. Abweichende Fälle
treten an Zahl zurück. Die die Abendschmetterlinge anlockenden
Blüten besitzen meist Farben, die auch in der Dämmerung sichtbar
bleiben, oder sie strömen einen intensiven Duft aus.
So ist es begreiflich, daß Ausbildung und Entfaltung von
Blüten vielfach an einen gewissen Helligkeitsgrad gebunden sind.
Vöchting (1898) konnte die Gauklerblume (Mimulus luteus) bei
schwachem Lichte sieben Jahre lang kultivieren, ohne daß Blüten
gebildet wurden. Goebel (1898—1901, S. 209) sagt: ‚Setzt man mit
Blütenknospen versehene Pflanzen von Brassica (Raps), Tropaeolum
(Kapuzinerkresse), Papaver (Mohn), Cucurbita (Kürbis) usw. in das
Finstere, so gelangen die Blütenknospen nicht zur Entfaltung, wenn
sie in zu früher Jugend dem Lichte entzogen werden, ältere Knospen
entfalten sich, aber oft weniger vollkommen, und bei Tropaeolum
trat an einigen sich nicht entfaltenden Blüten Samenansatz ein.“
Der letzte Umstand zeigt schon, daß der Nahrungsmangel nicht
allein für die schlechte Ausbildung der Blüten im Dunkeln verant-
wortlich ist. Er wird freilich auch eine Rolle spielen; aber Reiz-
wirkungen kommen hinzu.
Blüten, die sich überhaupt nicht öffnen und durch Selbstbestäubung
Samen erzeugen, kennen wir vielfach. Man nennt diese Erscheinung Kleistogamie.
Beim Veilchen sind z. B. die unscheinbaren kleistogamen Blüten fruchtbarer als
die bekannten sich öffnenden. Manchmal ist das Öffnen oder Nichtöfinen, wie
oben für Tropaeolum erwähnt, von der Beleuchtung abhängig. Der Einfluß
des Lichtes zeigt sich vor allem an den farbigen Kronblättern, die oft in
schwacher Beleuchtung kaum ausgebildet werden. Dasselbe beobachtet man
freilich auch bei der nicht vom Lichte abhängigen Kleistogamie z. B. des
Veilchens. Manche in schwachem Lichte verkümmerte Blüten öffnen sich doch.
Andere, vor allem die zur Kleistogamie neigenden, bleiben geschlossen und
befruchten sich selbst. Das gilt z. B. für Stellaria media (Mäusedarm), Linaria
spuria (eine Leinkraut-Art) und für Oxalisarten (Sauerklee).
Bei diesen Arten treten also je nach der Intensität der Beleuchtung sich
öffnende, auf Fremdbestäubung eingerichtete oder kleistogame Blüten auf.
Im übrigen kann man (Vöchting 1893) vielfach alle Übergänge
beobachten von großen und schönen Blüten am hellen Lichte, durch
immer kleiner werdende bis zum völligen Verkümmern der jungen
Knospen oder sogar dem Ausbleiben jeglicher Blütenanlage.
In anderen Fällen ist freilich die Blütenbildung oder doch Ent-
wicklung vom Lichte durchaus unabhängig. Selbst an gänzlich im
Dunkeln erwachsenen Keimpflanzen von Phaseolus vulgaris, Vicia
Faba und Cucurbita Pepo beobachtete Sachs (1863, S. 16) die ersten
Einfluß des Lichtes auf die Gestaltung. 105
Anfänge der Blütenbildung. Aus Zwiebeln sich entwickelnde Pflanzen
von Tulipa, Iris, Hyacinthus und Crocus brachten es im Finstern zur
Ausbildung völlig normaler Blüten, offenbar wegen des reichen Vor-
rates an Reservestoffen. Blätter und Stengel vergeilten dabei natür-
lich stark. (Ebenda.)
Wie man sieht, verhalten sich die Blüten dem Lichte gegenüber
sehr verschieden, und Ernährungsfragen machen die Sache so ver-
wickelt, daß die sicher auch noch vorhandenen Reizwirkungen des
Lichtes nach den vorliegenden Untersuchungen vielfach noch nicht
klar hervortreten.
Einen starken Einfluß hat das Licht neben anderen Faktoren
auch auf die eigenartige Gestalt der Alpenpflanzen. Es ist vor
allem der gedrungene Bau, die dichtgedrängten, dicken, kleinen, tief-
grünen Blätter, die im Hochgebirge so charakteristisch sind, — ferner
das häufige Auftreten dichter filziger oder seidiger Behaarung und
die großen, farbenprächtigen Blüten, an die hier zu denken ist. Bei
der Entstehung aller dieser Merkmale spielt das intensive Licht im
Hochgebirge und wahrscheinlich auch sein beträchtlicher Gehalt an
stark wirksamen ultravioletten Strahlen eine große Rolle. Es hemmt
während des Tages das Längenwachstum der Stengel, das nachts
wegen der Kälte gleichfalls gering ist. Die Blätter nehmen aus ent-
sprechenden Gründen die extreme Sonnenform an. Immer wenn es
warm genug ist und das Wachstum dadurch ermöglicht wird, wirkt
die intensive Belichtung dem entgegen. Die Behaarung ist als Schutz
gegen zu starke Bestrahlung aufzufassen, die Blüten sind allgemein bei
den Pflanzen an höhere Lichtintensität angepaßt als die vegetativen
Teile (vgl. S. 104). Allerdings mag dabei auch der Umstand eine
Rolle gespielt haben, daß die im Gebirge spärlich fliegenden Insekten
nur die auffallendsten Blüten besuchten und so eine Auslese bewirkten.
Durch alle diese Umstände kommen die zahlreichen rosetten- und
rasenartig gewachsenen Pflanzen mit den großen Blüten zustande,
die beim Versetzen in die Ebene ihre Gestalt sehr verändern und
den entsprechenden Talformen ähnlich werden. Dagegen nehmen
alpine Pflanzen auch in der Ebene eine ähnliche Form an wie im
Hochgebirge, wenn durch dauernde Beleuchtung oder nächtliche Ab-
kühlung dafür gesorgt wird, daß ihre Stengel nie Gelegenheit finden,
sich zu strecken. ‚Es genügt schon, die Pflanze jeden Abend in den
Eisschrank und des Morgens wieder in gute Beleuchtung zu bringen,
um z. B. Edelweiß in ähnlicher Wuchsform wie an den alpinen
Standorten zu erhalten (Pfeffer 1904).“!) Was im Hochgebirge
die nächtliche Abkühlung neben dem starken Licht am Tage be-
wirkt, kommt in ähnlicher Weise in der Nähe der Pole durch die
Länge der Tage im Sommer zustande. Dadurch erklärt sich zum
Teil die von vielen Beobachtern hervorgehobene Ähnlichkeit der
Flora in hohen Breiten und großen Meereshöhen.
1) Nicht zu üppiger Boden dürfte dabei auch eine Rolle spielen.
106 IV. Helligkeit und Temperatur als Reizmittel.
Beeinflussungen der Pflanzengestalt durch Licht kommen auch
sonst vielfach vor. Schöne Beispiele liefern gewisse Meeresalgen.
Bei Stypocaulon scoparium unterschied Berthold (1882) Sommer-
und Winterformen. ‚‚Im Winter bei schwacher Beleuchtung er-
scheinen die Büsche pyramidal, weil die Seitenäste der Hauptsprosse
relativ wenig wachsen im Vergleich zu letzteren; im Sommer aber
wird die Pflanze besenartig, weil die Hauptachsen im Wachstum
zurückbleiben, während die Seitenachsen gefördert erscheinen und
erstere fast überragen (Oltmanns 1905.) Derartige und noch
verwickeltere Erscheinungen werden eine ganze Anzahl aufgezählt.
(Vergl. auch Tobler 1904).
Manche von den Veränderungen, die Meeresalgen in hellem
Lichte zeigen, sind deutlich als Schutz gegen zu starke Bestrahlung
zu erkennen (Berthold 1882). Fucusarten, Codium usw. bedecken
sich mit einem dichten Pelz farbloser Haare. Andere, wie z. B.
Arten von Chylocladia, Chondriopsis, Cystosira, Dietyota schützen
sich dadurch, daß sie gewisse Lichtstrahlen zurückwerfen. In
diesem Falle können die betreffenden Algen wundervoll blau,
srünlich oder weißlich schimmern. Bei Besonnung entstehen diese
Schutzmittel in kurzer Zeit. Im Schatten verschwinden sie schnell
wieder. Es handelt sich also offenbar um eine Reizwirkung des
Lichtes. Auch ist es bei den im Wasser lebenden Algen deutlicher
als bei Landpflanzen, daß nicht die zu starke Transpiration, sondern
die Schädigung durch die Bestrahlung selbst es ist, welcher die
Schutzanpassungen gelten.
Merkwürdig ist das Verhältnis zum Lichte auch bei manchen
Pilzen. Diese Gewächse brauchen die Sonnenstrahlen nicht wie die
srünen Pflanzen zur Bereitung ihrer Nahrung. Demgemäß können
die meisten Pilze ihre Entwicklung in völliger Finsternis ebensogut
oder sogar besser durchmachen als am Tageslichte. Die künstlichen
Kulturen des Champignons z. B. werden immer im Dunkeln ge-
halten. Wenn wir daher sehen, daß sich einige Pilze, wenigstens in
ihrer Fortpflanzung, in ein Abhängigkeitsverhältnis zum Lichte be-
geben haben, so können wir in diesen Fällen von vornherein auf
einen besonderen Zweck schließen.
Die Pilze, an denen der Lichteinfluß am besten studiert ist,
sind Mistbewohner. Diese zeigen die Abhängigkeit von der Be-
leuchtung am schönsten, doch kommt die Erscheinung auch bei
anderen Pilzen vor.
Das Fadengeflecht, das das feuchte Substrat durchzieht, und
die Nahrungsstoffe daraus an sich reißt, wächst im Finstern.
Sollen aber Sporen gebildet werden, so hätte es keinen Zweck,
sie im Innern des schon ausgesaugten Mistes niederzulegen, Sie
sollen vielmehr ins Freie gelangen, um durch den Wind oder
durch Tiere verbreitet zu werden. Hierbei ist die Lichtempfindlichkeit
der Fruchtträger von Nutzen. Das Licht ist für sie, ähnlich wie für
Keimlinge, das Signal, daß das Freie erreicht ist. Brefeld (1881 und
Einfluß des Lichtes auf die Gestaltung.
107
1889) zeigte, daß bei der Gestaltveränderung der Pilze im Finstern
eine Art von Etiolement vorliegt, ähnlich wie bei höheren Pflanzen. Im
Dunkeln verlängern sich die Fruchtträger sehr stark, am Lichte werden
sie im Wachstum gehemmt. Die Sporangien und
die Fruchtkörper selbst dagegen kommen vielfach
überhaupt nur am Lichte zur Entwicklung.
Die Pilze, um die es sich handelt, gehören
sehr verschiedenen Verwandtschaftskreisen an.
Die Arten von Pilobolus gehören zu den Mu-
corineen. Bei dem kleinen P. microsporus z.B.
werden die schlauchförmigen Fruchtträger im
Lichte, z. B. am Fenster, etwa 5—8 mm lang,
im Finstern aber bis 200 mm! (Gräntz 1898)
(Abb. 35.) Sie tragen oben eine Blase, auf der
ein schwarzes Käppchen aufsitzt: das Sporangium
mit seinen klebrigen Sporen. Ist die Reife ein-
getreten, so öffnet sich die Blase an der Spitze,
und das Sporangium wird durch ihren Saft, der
unter Druck stand und nun herausspritzt, fort-
geschleudert. Es kann dabei an einem entfern-
teren Ort am Grase hängen bleiben und vom
Vieh mit gefressen werden. Da die Sporen der
Verdauung widerstehen, können sie dann nach
der Entleerung gleich wieder keimen. Tatsäch-
lich findet man auf Pferde- und besonders Kuh-
mist, der unter einer Glocke ausgelegv wird,
regelmäßig nach einiger Zeit Pilobolus.
Um diesen wunderbaren Mechanismus wirk-
sam zu machen, ist es aber nötig, daß das
Sporangium ins Freie schießt. Deshalb wächst
sein Stiel so lange, bis er ans Licht tritt. Im
Dunkeln wird das Sporangium gar nicht aus-
gebildet. Eine Belichtung von kurzer Dauer —
bei hellem Lichte schon eine Viertelstunde —
genügt, um die Anlage und Fortbildung des
Sporangiums anzuregen Das Längenwachstum
des Stieles wird dann sogleich gehemmt. Zur
Funktion des Abschießens muß noch erwähnt
werden, daß sich die Spitze des Fruchtträgers
in die Richtung des Lichtes stellt und diesem
das Sporangium entgegenschleudert. Dadurch
wird bewirkt, daß die Sporen auch dann ins
Freie gelangen, wenn der kurze Fruchtträger sich
in einer Vertiefung entwickelt hat.
Entsprechende Verhältnisse finden sich bei
gewissen, gleichfalls auf Mist wachsenden Hut-
pilzen, den Coprinusarten, die mit Pilobolus
a
Abb. 35.
Pilobolus mikro-
sporus (nach Brefeld).
a) Am Lichte gewachsene
normale Sporangienträger
mit Wasserblase und dem
schwarzen Sporenbehälter.
b) Im Halbdunkel vergeil-
ter Fruchtträger mit ganz
verkümmertem Sporan-
gium. Durch wiederholte
Änderung der Lichtrich-
tung phototropisch hin-
und hergebogen. c) Ein
ebensolcher, der nachträg-
lich am Lichte ein kleines
Sporangium gebildet hat.
Natürliche Größe.
108 IV. Helligkeit und Temperatur als Reizmittel.
nicht verwandt sind. Sie gehören vielmehr zu den Agaricineen, den
Champignonpilzen. Hier finden wir alle Abstufungen der Abhängigkeit
vom Lichte. Bei Coprinus ephemerus bleiben Hüte und Stiele im
Dunkeln klein und schlaff, bei C. stercorarius und plicatilis vergeilen
die Träger und der Hut kommt nicht über die erste Anlage hinaus,
bei ©. niveus und nycthemerus werden ohne Licht überhaupt keine
Fruchtkörper gebildet. Ihre Zahl bleibt auch bei den anderen Arten im
Finstern gering (Brefeld 1881 u. 89). Am besten untersucht ist der auf
Pferde- und Kuhmist häufig vorkommende Coprinus stercorarius, ein
zierlicher schirmförmiger Pilz, der am Lichte etwa 6cm hoch wird.
Im Dunkeln kann der Träger des Hutes 20—30 und bei günstiger
Ernährung selbst über 70 cm lang werden! Er erreicht wie bei Pilo-
bolus das Freie, indem er dem Lichte entgegenwächst. Natürlich
kann er sich bei so großer Länge nicht mehr aufrecht halten, son-
dern kriecht am Boden hin und erinnert dann lebhaft an vergeilte
Kartoffelsprosse. Ist es dem verlängerten Hutstiele nicht möglich
ans Licht zu kommen, dann bildet er im Welken neue seitliche
Träger, so daß selbst nach Monaten noch eine Sporenbildung er-
folgen kann, sobald günstigere Beleuchtungsbedingungen eintreten.
Am Lichte entstehen so nachträglich aufrechte, allerdings kleine
Hüte, die in normaler Weise ihre Sporen verbreiten können. Auch
hier genügt übrigens eine kurze kräftige Belichtung, um die Hut-
bildung anzuregen und das Stielwachstum zu hemmen. Daraus geht
deutlich hervor, daß es sich um eine echte Reizwirkung handelt.
Noch manche andere Pilze zeigen eine Abhängigkeit vom Lichte,
so Lentinus lepideus, Sphaerobolus stellatus, Xylaria Hypoxylon (Free-
man 1910), die im Dunkeln keine Fruchtkörper bilden, sowie Mucor
flavidus und M. racemosus, die verfinstert unter bestimmten Er-
nährungsbedingungen keine Sporangien oder doch keine Sporen ent-
wickeln. Auf alle diese Fälle können wir hier nicht eingehen. Für
uns war es nur von Wichtigkeit zu zeigen, daß auch bei nicht
grünen Gewächsen Erscheinungen auftreten, die dem Etiolement der
höheren Pflanzen ähnlich sind oder in ihrem verbildenden formativen
Einfluß selbst über das dort Beobachtete hinausgehen. Es soll nur
noch erwähnt werden, daß für viele Bakterien und Pilze, wie auch
für manche Protozoen das Licht einen entwickelungshemmenden oder
bei hoher Intensität selbst tödlichen Reiz bedeutet. Dabei wirken
ganz allgemein die blauen bis ultravioletten Strahlen stärker als die
roten und gelben, wie das ja auch bei höheren Pflanzen der Fall ist.
ce) Photonastie.
Bei den Alpenpflanzen und den lichtempfindlichen Pilzen, wie
auch bei dem — in gewisser Hinsicht zueinander gegensätzlichen —
Verhalten der Blätter und Stengel war es deutlich zu sehen, daß
verschiedene Organe und Organteile vom Lichte recht verschieden
beeinflußt werden können. Ja, in den Blättern reagiert, wie erwähnt,
Photonastie. 109
sogar das Palissadenparenchym anders als das Schwammparenchym.
Es verhalten sich demnach dicht nebeneinander gelagerte Gewebs-
schichten verschieden. Man kann sich also nicht wundern, wenn
auch Zellkomplexe, die nicht sichtbar verschieden voneinander, son-
dern nur durch ihre Lage charakterisiert sind, also z. B. die Flanken
ein und desselben Organes, durch das Licht in ihrem Längenwachs-
tum verschieden beeinflußt werden.!) Die Folge ist dann eine Krüm-
mung des betreffenden Stengels, Blattstiels usw., ähnlich, wie wir
das beim Geotropismus gesehen haben. Nur daß hier die Richtung
der Krümmung in keiner Beziehung zum bewirkenden Reiz steht.
Vielmehr ist sie durch innere Beziehungen, wie Ansatz am Stengel
u. dgl. oder auch durch die Schwerkraft gegeben. Das bleibt in
jedem einzelnen Falle zu untersuchen. Äußerlich sieht man nur
einen Lagewechsel des Pflanzenteils nach Verdunkelung oder Be-
lichtung, meist ein Heben oder Senken. Man nennt das Photo-
nastie. Eine solche ist gekennzeichnet durch eine Veränderung in
der Lichtstärke als bewirkenden Reiz und eine Bewegung, die keine
Beziehung zur Lichtrichtung hat, als Reizerfolg.
Die Blätter z. B. bleiben beim Etiolement nicht nur klein und
innerlich weniger differenziert als am Lichte, sondern sie behalten
auch die Lage länger bei, die sie in der Knospe
innehatten, bleiben dem Stengel angelegt, ge-
faltet oder gerollt usf. Erst auf den Zutritt
des Lichtes geht parallel mit ihrer sonstigen
normalen Ausbildung auch die Entfaltung vor
sich. Besonders auffallend und leicht zu be-
obachten ist das wiederum bei Keimpflanzen.
Die Keimblätter haben im Samen eine bestimmte
Lage, die es ermöglicht, sie auf möglichst
kleinem Raume unterzubringen. Denn der Same
ist einrundliches Gebilde mit einem im Verhält-
nis zur Oberfläche großen Inhalt, der zur Auf-
speicherung von Vorratsstoffen dient. Die Coty-
ledonen dagegen sind flächige Organe oder sie
werden es doch, falls sie später die Funktion
von Blättern übernehmen sollen. Sie müssen
sich also am Licht ausbreiten. Das sieht man
sehr schön bei dem Samen von Ricinus, wo die
ziemlich großen, eng gefalteten, weißlichen Keim-
blätter im Samen dem Nährgewebe dicht an- eimlinge von Sinapis
liegen und später nach Sprengung der Hüllen alba, links am Lichte,
: . s 5 rechts im Dunkeln ge-
sich ausbreiten. Auch die Samen vieler Kreuz- non! Verkleineit
Abb. 36.
1) Bei diesem Vergleich darf freilich nicht vergessen werden, daß die Ge-
staltung der Sonnenblätter nicht durch den direkten Einfluß des Lichtes auf
die Ausbildung der Gewebe zustande kommt, sondern daß die Form schon im
Vorjahre durch den Lichtreiz, der die Anlage trifit, als Ganzes beeinflußt wird.
110 IV. Helligkeit und Temperatur als Reizmittel.
blütler, z. B. Raps (Brassica Napus) und Senf (Sinapis alba) zeigen
dasselbe und mit ihnen viele andere (Abb.36). An vergeilten jungen
Pflänzchen findet man die Cotyledonen lange noch in der Knospen-
lage, eng zusammengelegt. Manche entfalten sich im Dunkeln nie,
z. B. die vom Buchweizen (Fagopyrum esculentum) (Sachs 1863),
die meisten nur sehr verspätet. Kommen sie aber nicht zu spät
ans Licht, so breiten sie sich bald aus.
Bei den Bohnenkeimlingen (Phaseolus multiflorus) kann man
einige besonders hübsche Erscheinungen beobachten, die die Dunkel-
keimlinge von den am Licht ent-
wickelten unterscheiden, und die
offenbar das Durchbrechen irgend-
welcher verdunkelnder Decken er-
leichtern. So wird bei ihnen nicht
nur der Stengelteil, der die ersten
Blätter trägt, im Dunkeln 3—4 mal
so lang als am Lichte, sondern es
wächst auch der Stengelteil über den
Primärblättern ganz beträchtlich, so
daß nach 14 Tagen eine Gesamtlänge
von 40—50 cm erreicht wird, wäh-
rend gleichalte Lichtkeimlinge nur
10—15 em lang sind. Die Stiele der
Primärblätter wachsen gleichfalls im
Dunkeln sehr viel länger. Auch
bleiben sie fast vertikal aufgerichtet,
während sie am Lichte nahezu hori-
zontal stehen. Dadurch wird gleich-
falls der Widerstand in Erde, ab-
gefallenem Laub u. dgl. vermindert.
nr Ferner ist nicht nur die Spitze des
RER A & ER ER aa Stengels mit der Endknospe, sondern
der im Dunkeln erwachsen ist. Blattstiie Auch jedes Blatt an seinem Stiele
und Stengel lappig eingekrümmt. abwärts gebogen, während sie sich
am Lichte aufrichten (Abb. 37 u. 38).
Bei der Entwickelung vieler Sämlinge ist zu beobachten, daß
der Keimstengel nicht geradeaus wächst, sondern einen scharfen
3ogen macht. Die Krümmung entsteht dadurch, daß die eine
Flanke der anderen im Wachstum vorauseilt.
Man findet in den ersten Keimlingsstadien die Wurzel hervor-
treten und sich mit Hilfe der Haargebilde auf ihrer Oberfläche im
3oden verankern. Auch die Samenschale liegt oft fest, was durch
schleimige (Kresse, Senf) oder klebrige Stoffe (Kürbis) erreicht werden
kann (Abb. 39). Der zwischen Wurzel und Samenschale befindliche
Stengelteil streckt sich nun und macht dabei einen Bogen nach oben,
so daß er gewissermaßen mit dem Ellbogen die Erdteile beiseite
schiebt. Die Keimblätter werden dann bei weiterem Wachstum des
Photonastie. f 1ll
Stengels aus dem Boden und aus der Samenschale gezogen und
nicht geschoben, wie es der Fall wäre, wenn der Stengel geradeaus
aufwärts wüchse. Der Nutzen der Einrichtung ist klar. Mit den
Blättern voraus Hindernisse zu überwinden wäre kaum möglich. So
finden wir es sehr begreiflich, daß selbst gerade angelegte Keim-
linge nachträglich noch eine aktive Einkrümmung erfahren, die die
)
%,
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f
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Abb. 38.
Spitze desselben Keimlings der Feuerbohne, einige Tage im Hellen.
Blätter und Stengel aufgerichtet. Verkleinert.
Cotyledonen resp. die Endknospe in abwärts geneigte Lage bringt.
Gute Beispiele sind die Sonnenrose (Helianthus annuus) oder der
Flachs (Linum usitatissimum).
Die Einkrümmung oder Nutation des Sproßendes ist bei den
meisten dikotylen Keimlingen und bei vielen der aus unterirdischen
Wurzelstöcken u. dgl. hervorkommenden Trieben zu beobachten. Sie
kann in einem kausalen Verhältnis zur Schwerkraft stehen (positiver
112 IV. Helligkeit und Temperatur als Reizmittel.
Geotropismus des Spitzenteils) oder allein eine Beziehung zur Rich-
tung des älteren Stengelteils haben (autonome Nutation). Das Nicken
der Knospe bei steter Verlängerung des Triebes kommt dadurch
zustande, daß in einer bestimmten Zone, von der Spitze aus ge-
rechnet, eine Krümmung auftritt. Das Verhalten der einzelnen
Stengelteile bei solchen Nutationen haben wir oben
(S. 82) besprochen. Hier interessiert uns nur ihr
Verhältnis zum Lichte.
Wie betont, dient die Nutation in den Fällen,
die wir hier im Auge haben, nur der Befreiung aus
der Erde. Ist diese erreicht, so muß die Krüm-
mung wieder ausgeglichen werden, damit das Sproß-
ende und damit die Blätter in die normale Lage
kommen. Das Signal dazu gibt das Licht, das den
aus dem Boden hervorbrechenden Spitzenteil trifft.
Ein vorzeitiges Geradestrecken des gekrümmten
Stengels und Ausbreitung der Blattorgane würde
den Widerstand so sehr vergrößern, daß der Keim-
ling oder junge Trieb in der Erde stecken bleiben
müßte. Daß das so ist, und daß wirklich das Licht
die bewirkende Ursache bei der Auflösung der Keim-
lingslage ist, zeigte mir ein einfacher Versuch. Ich
ließ Samen in Erde hinter einer Glasscheibe keimen,
die dabei ein klein wenig geneigt war, damit die
hervortretenden Keimstengel sich ihr durch ihren
positiven Geotropismus anpreßten und sichtbar
blieben. (Ähnlich wie bei dem Sachsschen Wurzel-
kasten, vgl. S. 36 u. 99.) Wurde dann ein Teil der
Keimlinge durch die Glasscheibe hindurch dem
Tageslichte ausgesetzt, ein anderer Teil aber durch
schwarzes Papier verdunkelt, so resultierte nach
einiger Zeit folgendes (vgl. Abb. 39): die ver-
dunkelten Pflänzchen zeigten schöne Nutation und
durchbrachen die lockere Erde ganz leicht. Die
belichteten aber suchten die Cotyledonen auszu-
breiten und den Stengel aufzurichten. Beides ge-
lang ihnen nicht. Der vergrößerte Widerstand be-
ee an wirkte, daß der wachsende Keimstengel sich viel-
schwarzem Löschpa- fach gewunden hin- und herbog, anstatt senkrecht
a eerögert aufwärts zu stoßen. Natürlich hätte bei einer ge-
wissen Tiefenlage schon die Hemmung des Wachs-
tums bewirkt, daß der Stengel die Spitze nicht mehr ins Freie ge-
bracht hätte. Die geschilderten Hemmungen verhinderten aber auch
bei flacher Saat schon das Hervortreten. Zu solchen Versuchen eignen
sich Keimlinge von Senf, Sonnenrosen, Ipomoea u. a. Auch kann
man dieselbe Versuchsanstellung für Graskeimlinge benutzen, bei denen
durch die Belichtung die Keimscheide vorzeitig durchbrochen wird, so
Abb. 39.
Photonastie. 113
daß dann die zarten und flächigen Blätter hervortreten (vgl. S. 99). An
diesen kann man auch beobachten, daß sie im Dunkeln länger und
schmäler werden und niemals die zusammengerollte Knospenlage
verlassen, am Lichte aber sich ausbreiten. Es treten also auch hier
wieder am Lichte allerlei Veränderungen auf, die, falls sie in der
Erde vor sich gehen, das Hervortreten aus dem Boden unmöglich
machen. Wahrscheinlich wird es keinen Sämling geben, dem unter
solchen Umständen das Durchbrechen
einer Bodenschicht möglich wäre, die
unter natürlichen Verhältnissen kein
sroßes Hindernis ist.
Eine sehr ausgesprochene Photo-
nastie zeigen vielfach auch die Blätter
der Rosettenpflanzen. Die Abb. 41
zeigt 4 Exemplare von Sempervivum
(Dachwurz). a und c wurden einige
Zeit im Dunkeln, b und d während-
dem im Licht gehalten. Man sieht,
daß im Dunkeln die vorher mehr oder
weniger aufrechten, dicht gedrängten
Blätter sich herabschlagen und gerade-
zu rückwärts zusammenpressen. Es
geschieht das durch ein an der Basis
einsetzendes Wachstum, das durch
die helle Farbe des Zuwachses in
der Photographie kenntlich wird.
Um dem Einwande zu begegnen,
daß die im Dunkeln herabgesetzte
Transpiration die geschilderte Wir-
kung bedinge, wurden die Exemplare
a und b möglichst trocken, c und d a b
sehr feucht gehalten. Man sieht an Abb. 40.
der hell und feucht ‘gehaltenen Keimlinge von Ipomoea in Erde hinter
9 R einer Glasscheibe. a) dunkel gehalten,
Pflanze b, daß allerdings dieser Faktor durchbricht die Erde in normaler Weise.
ein klein wenig mitspielen kann, ohne Phglichlet, sucht die Coipledbnen ausau
aber das Resultat unklar zu machen. befreien. Natürliche Größe.
In allen diesen Fällen kann man
einen besonderen Einfluß des Lichtes, abgesehen von seiner unmittel-
baren Wirkung auf das Längenwachstum, beobachten. Die im Dunkeln
erwachsene und dann beleuchtete oder umgekehrt behandelte Pflanze
ändert ihr Verhalten anderen äußeren oder inneren Richtkräften gegen-
über.!) Sie breitet ihre Blätter aus, richtet ihren Stengel gerade usf.
1) Daß vielfach nur eine Beschleunigung von Veränderungen vorliegt, die
schließlich auch im Dunkeln, allerdings nicht in vollem Umfange, vor sich
gehen, tut hier nichts zur Sache. Ob nach der Ausbreitung die alte Stellung
wieder eingenommen werden kann, scheint nicht untersucht zu sein.
Pringsheim, Reizbewegungen. 8
114 IV. Helligkeit und Temperatur als Reizmittel.
Kurz, sie ist in einen neuen inneren oder physiologischen Zustand
übergegangen, der durch das Licht hervorgerufen wurde (Vines 1889/90).
Man kann das auch so ausdrücken: Die Reizung der Pflanze
durch das Licht zeigt sich hier nicht unmittelbar, sondern erst in
ihrem Verhalten anderen Reizen gegenüber. Die eigentliche, rück-
regulierbare Photonastie, bei der ein Organ auf einen wiederholten
Wechsel der Beleuchtung hin seine Stellung jedesmal ändert, scheint
mir von den geschilderten Fällen nicht wesentlich verschieden (so
auch Detmer 1882; Vines 1889/90 ist aber anderer Meinung).
Sie ist besonders bei den sog. Schlafbewegungen jener Blätter und
Blüten zu beobachten, die solche Bewegungen täglich wiederholen.
Davon soll in einem besonderen Kapitel die Rede sein, zusammen
mit entsprechenden Reizwirkungen der Wärme.
Man kennt aber noch weitere Fälle, in denen das Eingreifen des
Lichtreizes in eine andere Reizkette besonders deutlich wird. Dieses
Abb. 41.
Dachwurzrosetten. a und e einige Zeit ins Dunkle gestellt, b und d am Lichte gehalten.
Dabei a und b feucht, e und d trocken kultiviert. Verkleinert.
merkwürdige Verhalten machte bei seiner Entdeckung durch Stahl
(1884) berechtigtes Aufsehen. Dieser Forscher fand, daß die im
Boden kriechenden Sproßteile oder Wurzelstöcke vieler Pflanzen,
z. B. die von Adoxa (Bisamkraut) und Circaea (Hexenkraut) im
Dunkeln horizontal wachsen, also transversal geotropisch sind. So-
bald sie aber vom Lichte getroffen werden, richten sie sich schräg
abwärts und gelangen so unter natürlichen Umständen wieder in die
Erde. Es beruht das nicht etwa darauf, daß diese Wurzelstöcke
das Licht fliehen. Vielmehr wird durch die Beleuchtung ihr Ver-
halten gegenüber dem Schwerkraftreize verändert. Während sie
vorher ihre geotropische Ruhelage in horizontaler Stellung fanden,
stellen sie sich jetzt schräg abwärts, bis sie wieder im Dunkel der
Erde sind. Bei Circaea ist noch ein anderer Punkt beachtenswert.
Es ist nämlich (Goebel 1898/1901), nicht nur die Lage, son-
dern auch die Ausbildung der Rhizome vom Lichte abhängig. Wer-
den sie verhindert in den Boden zu treten, so werden aus den Blatt-
Photonastie. 115
schuppen, die sie als umgebildete Stengelorgane tragen, richtige
Laubblätter; aber, wie das Experiment zeigt, nur am Lichte.
Eine Veränderung der geotropischen Ruhelage durch das Licht
findet sich, außer bei Wurzelstöcken, auch bei Nebenwurzeln, z. B.
denen der Pferdebohne (Vicia Faba). Im Dunkeln wachsen sie nahezu
horizontal oder ganz schwach abwärts. Werden sie aber belichtet,
z. B. hinter der Glaswand des Sachsschen Wurzelkastens (vgl. S. 36),
so verstärken sie ihre Neigung abwärts ganz beträchtlich. Es wird
dadurch gleichfalls die Gefahr, aus dem Boden herauszuwachsen,
etwa da, wo er nicht eben ist, wesentlich verringert. Ähnliche Fälle
ließen sich wohl noch mehr finden.
Auch Änderungen der Funktion und damit des in der Wachs-
tumsrichtung sich aussprechenden physiologischen Verhaltens durch
das Licht, wie wir sie für die Ausläufer von Circaea erwähnten,
kennt man noch mehr. Bei den höheren -Pflanzen freilich ist meist
die Funktion zu fest eingeprägt, als daß sie durch Reizwirkungen
noch geändert werden könnte. Aber bei Algen sind solche Um-
änderungen häufiger. So werden aus den Wurzelschläuchen der
Fadenalge Oedocladium protonema am Lichte grüne Assimilations-
triebe (Stahl, 1892). Umgekehrt können bei schwacher Beleuchtung
aus oberirdischen Teilen vieler Meeresalgen (Callithamnion, Bryopsis,
Eetocarpus) (Berthold 1882) Wurzelschläuche hervorgehen, die sich
positiv geotropisch abwärts richten.
Wenn wir als Photonastie definitionsgemäß solche durch Licht
veranlaßte Reizbewegungen zusammenfassen, bei denen die Richtung
der Strahlen gleichgültig ist, der Reizanlaß vielmehr in einem Hellig-
keitswechsel besteht, so müssen wir hierher auch die Öffnungs- und
Schließbewegungen der Spaltöffnungen rechnen. Es sind das die
Ausgänge der Durchlüftungskanäle der Pflanze, des sogenannten
Interzellularsystems. Man findet sie hauptsächlich an den Blättern,
aber auch sonst vielfach auf der Oberfläche der Pflanze verteilt.
Die Luftwege dienen dem Austausch der Kohlensäure und des Sauer-
stoffes bei der Atmung und der Assimilation, sowie des Wasser-
dampfes bei der Transpiration. Sie stehen durch Poren in der Ober-
haut, eben die Spaltöfinungen, mit der Außenwelt in Verbindung.
Diese Kommunikation wird aber geregelt und im Notfalle auch
ganz unterbrochen durch einen besonderen Apparat, der von den
benachbarten Epidermiszellen geliefert wird. Letztere bilden sich
bei der anatomischen Ausgestaltung des Blattes zu den Schließzellen
um, die die Öffnung umgeben und vermöge ihres eigentümlichen
Baues einen Verschluß der Spalte herbeiführen können.
Die Spaltöffnungen schließen sich besonders dann, wenn die
Pflanze aus Mangel an Wasser zu welken beginnt und bei unge-
hemmter Transpiration dem Vertrocknen ausgesetzt wäre. Man faßt
diesen Vorgang als rein physikalisch auf, indem man annimmt, daß
infolge des beim Welken verminderten Turgordruckes die Schließ-
g*
116 IV. Helligkeit und Temperatur als Reizmittel.
zellen ihre Gestalt so verändern, daß sie die zwischen ihnen befind-
liche Öffnung zum Verschwinden bringen (Abb. 42).
Die Abbildung zeigt einen Schnitt durch die Schließzellen von Helleborus.
In dem dünn gezeichneten Umriß sieht man die Spalten unter Volumvermin-
derung des Innenraumes der Schließzellen geschlossen. Das stark gezeichnete
Schema zeigt, wie durch Wasseraufnahme das Volumen sich vergrößert und
wie dadurch die Öffnung frei wird.
Der Mechanik der Spaltöffnungsbewegungen entsprechend wirken
alle Ursachen, die den Turgor herabsetzen, auf Spaltenschluß hin.
Zu diesen Ursachen kann auch das Licht, vermöge seiner die Tran-
spiration steigernden Wärmewirkung, gerechnet werden. Man sollte
minderte. Vielfach oder sogar meist findet aber gerade das Gegen-
teil statt, im Lichte öffnen sich die Spalten. Man muß demnach
annehmen, daß die physikalische Wirkung der Bestrahlung durch
eine Reizwirkung des Lichtes verdeckt und umgekehrt wird. Ob
® eine solche auch bei den selteneren
\\ 7 RE ; vorliegt, ist nicht entschieden, da
IN hier die Turgorerhöhung als Ur-
N sache ausreichen könnte.
L Wie dem auch sei, jedenfalls
A kann das Licht als Reiz auf die
Spaltöffnung von Helleborus (Nießwurz) logische Nutzen der Einrichtung
A er Legt offenbar in dem reichlichen
aus Pieffers Physiologie.) sasaustausch, der nur bei guter
Beleuchtung zur Ermöglichung einer
Öffnung im Lichte auch gefährlich werden, wenn trotz reichlicher
Wasserdampfabgabe kein Spaltenschluß auftritt. Assimilation und
Transpiration sind ökologisch vielfach Antagonisten. Denn da die
Pflanze nur ein Durchlüftungssystem besitzt, so hat sie keine Mög-
lichkeit, die Diffusion eines Gases, etwa der Kohlensäure, zu fördern,
falls zu steigern.
Im einzelnen scheinen die Verhältnisse bei verschiedenen Pflanzen
recht verwickelt zu sein und sind noch nicht genügend geklärt. Es ist
auch nicht leicht, den Einfluß eines bestimmten Faktors, wie des Lichtes
zu studieren, ohne dabei die anderen gleichfalls unfreiwillig zu variieren.
der die Reaktion auslöst. Auf eine Erhöhung der Beleuchtungs-
intensität erfolgt also Öffnung, auf eine Verminderung Schließung.
So sehen wir unter natürlichen Umständen vielfach den ersten Vor-
gang am frühen Morgen, den zweiten am Abend vor sich gehen,
was nicht ausschließt, daß dazwischen aus anderen Gründen ent-
also glauben, daß Belichtung stets die Weite der Öffnungen ver-
im Dunkeln sich öffnenden Spalten
ABp 40° Spaltenbewegung wirken. Der öko-
ausgiebigen Kohlensäureassimilation erwünscht ist. Freilich kann die
ohne gleichzeitig die aller anderen, z. B. des Wasserdampfes, gleich-
Soviel ist aber sicher, daß es der Wechsel in der Helligkeit ist,
gegengesetzte Bewegungen ausgeführt werden, daß also z. B. in der
Thermonastie. Kl
Nacht wegen der geringen Transpiration die Spalten sich wieder
öffnen. Eine Nachwirkung der durch den Lichtwechsel direkt her-
vorgerufenen Periodizität konnte Fr. Darwin (1904) nur insofern
finden, als die Öfinung in der Zeit, wo sonst die Schließung statt-
findet, schwerer zu erzielen ist.
Wie wir gehört haben, beeinflußt das Licht nicht nur die
Schnelligkeit des Wachstums und die Bahnen, in die es gelenkt wird
sowie manche Turgorbewegungen, sondern auch die Bildung und Ent-
wieklung von Pflanzenteilen und den Stoffwechsel in ihnen. In allen
diesen Fällen ist nur die Stärke und die Farbe der Belichtung von
Bedeutung. Noch nicht besprochen wurden aber die Reizwirkungen
des Lichtes, bei denen seine Richtung ausschlaggebend für den
Erfolg ist. Diesen gebührt wegen ihrer biologischen Bedeutung und
der sorgfältigen Durcharbeitung, die ihnen zuteil geworden ist, eine
eingehende Besprechung, die ihnen in Abschnitt V zuteil werden soll.
d) Thermonastie.
Ähnlich wie die Schwankungen der Helligkeit können auch die
der Temperatur Bewegungen veranlassen. Man nennt diese Erscheinung
Thermonastie. Wie Vöchting (1890) fand und Lidforss (1903)
bestätigte, führen die Blütenstiele von Anemonearten auf Temperatur-
veränderungen Bewegungen aus, und zwar hat eine Erwärmung die
Aufrichtung, eine Abkühlung eine Senkung des Stieles zur Folge.
Dadurch werden die Blüten bald in eine aufrechte, bald in eine
nickende Lage gebracht. Inwieweit neben Helligkeitsschwankungen
derlei Temperatureinflüsse auch sonst bei den mit der Tageszeit
wechselnden Stellungen der Blüten- und Blütenstände beteiligt sind,
wie sie etwa Kerner (1898, S. 107ff.) beschreibt, entzieht sich aus Mangel
an Versuchen unserer Kenntnis. An der angeführten Stelle werden
solche Bewegungen als Schutzmittel des Pollens gegen Benässung
aufgefaßt. Sie finden sich z. B. beim Storchschnabel (Geranium
Robertianum), bei der Scabiose (Scabiosa lucida), bei Glockenblumen
(Campanula patula) und vielen anderen Pflanzen.
Bei Anemone und wohl auch den anderen werden diese Reak-
tionen durch Wachstum ausgeführt. Ebenso verhalten sich manche
Blätter, z. B. die vom Gänseblümchen (Bellis perennis), die sich bei
tiefer Temperatur dem Boden anschmiegen, bei höherer sich erheben
(Lidforss 1903). Der Zusammenhang mit dem Wechsel der Tempe-
ratur scheint hier freilich wegen der Langsamkeit der Reaktion
nicht sehr deutlich zu sein. Es könnte ja auch sein, daß die Höhe
der Temperatur an sich für die Wachstumsrichtung maßgebend wäre.
Dieser Zweifel bleibt auch bei anderen von Vöchting und Lidforss
beschriebenen Fällen.
So wächst der Stengel von Holosteum umbellatum und Lamium
purpureum bei niederer Temperatur dem Boden angeschmiegt, um
sich bei höherer aufzurichten. Während aber bei Anemone diese
118 IV. Helligkeit und Temperatur als Reizmittel.
Bewegungen auch am Klinostaten stattfinden, sind sie bei den zu-
letzt genannten Pflanzen als Veränderungen des geotropischen Ver-
haltens aufzufassen.
Solche Temperaturreaktionen finden sich vorzugsweise bei Früh-
lingsblumen, die schon im Herbst keimen. Sie werden ihnen helfen,
sich unter dem Schnee zu bergen, um nicht von ihm zerdrückt zu
werden. Auch gegen Vertrocknen können sie Schutz gewähren, denn
am Boden ist es feuchter als in höheren Schichten der Luft, und
die Wasseraufnahme ist bei tiefer Temperatur erschwert.
Thermonastische Bewegungen werden auch sonst noch gefunden,
so bei Drosera und Aldrovanda, bei Ranken usw. Sie haben da
aber wohl keine besondere Bedeutung, sondern sind mehr eine Be-
gleiterscheinung der sonstigen Reizbarkeit dieser Objekte.
Inwieweit das Öffnen von Winterknospen einer Reizwirkung der
Temperaturerhöhung zuzuschreiben ist, läßt sich nicht sagen. Es ist
möglich, aber nicht nötig, daß dabei thermonastische Reaktionen
mitspielen. Es könnte ja auch die Erweckung der Lebenstätigkeit
durch die Wärme allein hervorgerufen werden, und das Auseinander-
spreizen der Blätter einfache Folge des angeregten Wachstums sein.
Genaueres wissen wir darüber bei den Blüten, über die im nächsten
Kapitel berichtet werden soll.
e) Periodische Bewegungen.
An vielen Pflanzenteilen kennt man Bewegungen, die sich täg-
lich wiederholen. Da sie vermöge ihrer Periodizität mancherlei Be-
sonderheiten bieten, wollen wir sie im folgenden im Zusammenhang
und getrennt von den übrigen Nastieen besprechen, obgleich sie, wie
wir sehen werden, direkt von den mit dem Tageswechsel verbundenen
Veränderungen als Reizen abhängen. Als solche kommen die
Differenzen in der Beleuchtung und Temperatur, die zwischen Tages-
und Nachtzeit bestehen, in Betracht. Wir haben also hier nach
der wissenschaftlichen Benennung photo- und thermonastische Reiz-
bewegungen vor uns.
Solche Lageveränderungen, hauptsächlich an Laub- und Blüten-
blättern, kennt man seit langer Zeit. Linne schon hat eine große
Anzahl derartiger Fälle als ‚„Pflanzenschlaf‘‘ beschrieben, und unter
diesem Namen faßt man sie vielfach noch heute zusammen. Sonst
nennt man die Erscheinung auch Nyctinastie.
Es ist klar, daß Lageveränderungen nach Verdunkelung auf sehr
verschiedene Weise zustande kommen können. So kann am Tage
eine bestimmte Richtung zum einfallenden Lichte innegehalten werden,
während in der Nacht andere Richtkräfte überwiegen, entweder
Geotropismus oder solche, die in der Lage der Teile einer Pflanze
zu einander begründet sind. Auch kann die Reaktion eines Organes
gegenüber der Schwerkraft durch das Licht und die Wärme beein-
flußt werden, wie wir schon früher gesehen haben. Wären solche
Periodische Bewegungen. u,
Pflanzen dem Tageslichtwechsel ausgesetzt, so würden sie, bei ge-
nügend schneller Reaktionsfähigkeit, gleichfalls periodische Bewegungen
ausführen müssen. Ferner kann, ganz abgesehen von äußeren Richt-
kräften, nur die von den verschiedenen Teilen angestrebte gegen-
seitige Lage mit der Belichtung und Verdunkelung wechseln. Es
kann z. B. im Dunkeln die Oberseite, am Lichte die Unterseite eines
ÖOrganes, Blattes oder Stengels, stärker wachsen. Welcher von allen
diesen Fällen im einzelnen vorliegt, kann nur durch besondere Unter-
suchungen festgestellt werden. Was man darüber weiß, will ich
später erzählen.
Trotz aller dieser und noch vieler anderer Verschiedenheiten
in den Reizanstößen und dem äußeren Verlauf ist es doch zweck-
mäßig, die periodischen Bewegungen zusammen zu besprechen, da
gewisse gemeinsame Züge sie zusammenhalten.
Beginnen wir mit den Blüten, die in mancher Beziehung ein-
fachere Verhältnisse bieten! Äußerlich gewinnt man folgendes Bild
von den „Schlafbewegungen‘‘ der Blüten:
Im allgemeinen öffnen sie sich am Morgen und schließen sich
am Abend, bei Nachtblühern auch umgekehrt. Damit verbunden ist
häufig eine Krümmung des Blütenstiels, die die Blüte für die Nacht
in eine geneigte Lage bringt. Auch können sich ganze Blütenstände,
wie z. B. die der Compositen und Umbelliferen (Köpfchen- und
Doldenblütler) wie Einzelblüten verhalten. Sehr empfindlich ist z. B.
Oxalis Acetosella, der Sauerklee, bei dem die Blüten sich in der
Nacht, aber auch auf vorübergehende Beschattung, etwa durch
Wolken, schließen und gleichzeitig sich so senken, daß der Blüten-
stiel abwärts gekrümmt ist. Wie wir weiter sehen werden, führen
auch die Blätter dieser Pflanze periodische Bewegungen aus.
Zunächst wollen wir das Öffnen und Schließen der Blüten be-
trachten, soweit es hierher gehört. Als bewirkende Ursache solcher
Schlafbewegungen kommen die Veränderungen in der Belichtung und
Temperatur in Betracht, die mit dem Wechsel von Tag und Nacht
verbunden sind.') Am besten untersucht ist der Einfluß des Lichtes
und der Temperatur bei Blüten, die tags geöffnet, nachts geschlos-
sen sind.
Die Erscheinung des wiederholten Öfinens und Schließens ist
sehr verbreitet, aber nicht allgemein. Man kann danach Blüten resp.
Blütenstände unterscheiden, die sich nur einmal, beim Aufblühen,
öffnen und später schließen und solche, die es im Tageswechsel
wiederholt tun. Im ersteren Falle kann die Blütezeit kurz sein und
nur wenige Stunden dauern, wie bei Hibiscus Trionum, wo sie nur
3 und Portulaca oleracea und Spergula arvensis, wo sie 5 Stunden
dauert, bis zu Blüten wie denen des Schneeglöckchen (Galanthus nivalis)
1) Bei besonders empfindlichen Pflanzen kann schon ein Gewitterregen,
wie erwähnt, entsprechende Reaktionen auslösen.
120 IV. Helligkeit und Temperatur als Reizmittel.
wo sie bei ausbleibender Bestäubung über einen Monat oder von
tropischen Orchideen, wo sie fast ein Vierteljahr betragen kann.
Auch bei den sich periodisch öffnenden und schließenden Blüten
kommen alle Abstufungen vor, von den Blüten der größten Seerose,
der Vietoria regia, die sich nur an zwei aufeinander folgenden Tagen
öffnen und dann versinken, bis zu den Köpfchen von Bellis perennis,
die S bis 14 Tage lang das Spiel wiederholen.
Wie Pfeffers Untersuchungen (1873b) gelehrt haben, findet das
Öffnen und Schließen der Blüten durch ungleiches Wachstum der
Innen- und Außenseite am Grunde der Blütenblätter oder Kronblatt-
zipfel statt. Besonders genau hat Pfeffer Herbstzeitlosen-, Crocus-
und Tulpenblüten untersucht
(Abb. 43 u. 44). Entsprechen-
des gilt aber auch von den
Strahlblüten der Kompositen,
soweitsie sich periodisch öffnen
und schließen. So findet beim
Gänseblümchen (Bellis peren-
nis), der Ringelblume (Calen-
dula officinalis) und dem
Löwenzahn (Leontodonarten)
die Bewegung durch un-
gleiches Wachstum einer Zone
am Grunde der Zunge oder
in der Röhre statt.
Pfeffer stellte die Mes-
sungen so an, daß er auf der
Innen- und Außenseite der
Bewegungszone am Grunde
der Blütenzipfel Punkte mit
schwarzem Lack auftrug und
Abb. 43. deren Abstand mit Hilfe des
Herbstzeitlose. Mittags in der Sonne geöffnet. Mikroskopes maß. Dabei bil-
dete irgend eine leicht kennt-
liche Ecke, wie sie bei derartigen Klexen stets vorkommen, die Meß-
marke. Nachdem eine Krümmung stattgefunden hatte, die im Versuche
durch Erwärmung oder Abkühlung hervorgerufen wurde, fand eine neue
Messung statt. Auf diese Weise ergab sich bei seinen und späteren
Messungen [z. B. Wiedersheim 1904], daß immer die bei der Krüm-
mung konvex werdende Seite sich verlängerte, die andere aber
kaum an Länge zu-, manchmal auch abnahm. Aktiv ist also die
Flanke, von der die Bewegung wegführt. Das ist sowohl beim
Öffnen wie beim Schließen so. Daß wirklich aktives Wachstum
stattfand, und nicht etwa eine Dehnung von Zellen durch Erhöhung
des Innendrucks oder dergleichen, ergab sich daraus, daß die Ver-
längerung nie wieder rückgängig gemacht wurde, auch nicht bei der
Ausführung der entgegengesetzten Bewegung. Eine sich wiederholt
Periodische Bewegungen. 121
öffnende und schließende Blüte erleidet also eine stetige Verlängerung
der Bewegungszone, die aber schließlich ein Ende haben muß. Der
wirksame Teil ist dabei das unter der Oberhaut liegende Gewebe
aus kugeligen Zellen. Das wurde dadurch bewiesen, daß die Krüm-
mungen noch ausgeführt wurden, als die Haut vorsichtig abgezogen
worden war. Die Bewegung verläuft sowohl beim Öffnen wie beim
Schließen unter Wachstumsbeschleunigung der Mittelzone, was be-
sonders dann deutlich wird, wenn man die Krümmung mechanisch
verhindert (Wiedersheim 190%).
Diese Messungen wurden an Blüten gemacht, die vorzugsweise
durch Temperaturschwankungen beeinflußt werden. Genau ebenso
aber verhalten sich diejenigen, bei denen das Licht stärker wirkt. Solche
sind z. B. die genannten Köpfchenblütler, der Sauerklee (Oxalis),
Abb. 44.
Herbstzeitlose. Bei Sonnenuntergang, als es kühler wurde, geschlossen.
Mesembryanthemum, Seerose (Nymphaea) u. a. Bei diesen ist zwar
auch eine Temperaturveränderung wirksam, ebenso wie bei den erst
genannten das Licht, aber in geringerem Maße, so daß in dem einen
Fall eine geringe Veränderung der Lichtstärke eine verhältnismäßig
ansehnliche der Temperatur, die an sich entgegengesetzt wirken würde,
überwindet und umgekehrt.
Der Grad des Öffnens und Schließens wurde von Pfeffer in der
Weise bestimmt, daß er an den Blütenblättern leichte Zeiger be-
festigte, die an einem Gradbogen spielten. Auf die Weise wurde
der Winkel durch Vergrößerung des Ausschlages genauer meßbar. Es
ließ sich dann zeigen, daß bei Crocus schon eine Temperaturverände-
rung von !/,° C eine Bewegung auslöste.
Will man nun solche Versuche austellen, so findet man, daß
sie nicht zu jeder Tageszeit gleich gut gelingen. Die periodischen
Bewegungen nämlich simd nicht nur von den augenblicklichen Um-
ständen abhängig, sondermin weitem Maße auch von den vorausgegan-
122 IV. Helligkeit und Temperatur als Reizmittel.
genen. Am deutlichsten wird das ersichtlich, wenn die Objekte in
konstante Bedingungen, also in dauerndes Licht oder Dunkelheit und
gleichbleibende Temperatur gebracht werden. Man findet dann näm-
lich in vielen Fällen, daß die Öffnungs- und Schließbewegungen
einige Zeit, wenn auch mit abnehmender Stärke, weiter verlaufen.
Es ist dies etwas ähnliches, wie wir es bei der Periodizität des
Wachstums gesehen haben, die ja auch unter konstanten Bedingun-
gen mehr oder weniger lange andauert. Daß es sich nicht um eine
der Pflanze immer innewohnende, erbliche Erscheinung handelt, schließt
Pfeffer aus dem Unterbleiben derartiger Bewegungen an Blüten, die
er im Dunkeln und in gleichmäßiger Temperatur hat aufblühen lassen.
Das gelang Pfeffer vorzüglich beim Gänseblümchen und beim Crocus,
die sich im Dunkeln nur unvollkommen öffneten und in dieser Lage
bis zum Verblühen blieben.
Demnach hätte man in den Bewegungen solcher Blüten, die nach
einem Aufenthalt in dem wechselnden Licht der Sonne ins Dunkle
gebracht worden sind, eine Nachwirkung zu sehen, die periodisch
wiederkehrt. Unter natürlichen Umständen verlaufen die Nachwir-
kungen in gleichem Sinne wie die direkt durch das Licht hervor-
gerufenen, sie werden sie also verstärken. Versucht man aber zu einer
Zeit, wo sonst die Blüte noch im Öffnen begriffen ist oder sich erst
vor einer kurzen Zeit geöffnet hat, eine Schließbewegung durch Ver-
dunkeln hervorzurufen, so wirken die Nachwirkungen dem entgegen,
und es kann vorkommen, daß man nichts erzielt. Pfeffer faßt seine
Erfahrungen in folgende Worte zusammen: Nach einer Bewegung
muß eine gewisse Ruheperiode innegehalten werden, ehe eine ent-
gegengesetzte stattfindet.
Diese Abhängigkeit der Reaktion von der Tageszeit, d. h. von
den Nachwirkungen früherer periodischer Reize, scheint besonders bei
den vorzugsweise auf Beleuchtungswechsel reagierenden Pflanzen vor-
zuliegen, während bei den thermonastischen Blüten von Crocus, Tulpe
usw. durch Veränderung der Temperatur jederzeit eine Reaktion hervor-
gerufen werden kann, die allerdings je nach der Tageszeit verschieden
stark ausfallen wird. So können diese letzteren Blüten sich zu unge-
wohnter Zeit schließen, wenn durch einen Regen Abkühlung erfolgt oder
sich nach einem kalten Tage abends öffnen, wenn die Temperatur
dann steigt. Es steht diese Tatsache oflenbar in Zusammenhang
damit, daß die Veränderungen der Temperatur weniger regelmäßig
vor sich gehen als die der Beleuchtung. Nähert sich die Tageszeit,
zu der gewöhnlich Öffnen oder Schließen stattfindet, so wird ein gleich-
sinnig wirkender Reiz auch bei den vorzugsweise lichtempfindlichen
Blüten eine Beschleunigung der Bewegung herbeiführen, während ein
ungleichsinniger hier keinen Erfolg hat. So ist es begreiflich, daß
photonastische Bewegungen nicht immer demonstriert werden können,
z. B. nicht vormittags. Denn dann sind die Blüten offen, schließen
sich auf Verdunkelung nicht und können auch nicht durch vorher-
gehendes Dunkelstellen geschlossen gehalten werden.
Periodische Bewegungen. 123
Durch künstlich hervorgerufenen Beleuchtungswechsel gelang es
R. Stoppel (1910), den Rythmus innerhalb gewisser Grenzen zu ver-
schieben, wenn die Perioden z. B. 18 oder 6 Stunden lang waren.
Es verhielten sich dann die Blüten so als ob die Tage kürzer oder
länger geworden wären. Ähnliches hat, wie wir noch sehen werden,
Pfeffer schon früher bei Blättern erreicht. Der Stoppelschen Arbeit
ist noch zu entnehmen, daß verschiedene Pflanzen sich recht ver-
schieden verhalten können. So blüht Calendula nicht im Dauerlicht,
Bellis aber nicht im Dunkeln auf.
Die unter gleichmäßigen Bedingungen aufgeblühten Köpfchen
von Calendula und Bellis vollführen nach Stoppel rhythmische
Bewegungen, die ungefähr dem Wechsel von Tag und Nacht ent-
sprechen, aber hier offenbar nicht von äußeren Bedingungen abhängig
sind. Daß solche selbständigen oder autonomen Bewegungen vor-
kommen, kompliziert die Sachlage natürlich wesentlich, die überhaupt
trotz der vielen darauf verwandten Mühe noch schwer zu übersehen
ist. Die Unklarheit hat ihren Grund zum Teil in der Schwierigkeit,
wirklich konstante Bedingungen herzustellen, z. B. bei Beleuchtungs-
wechsel die Veränderungen in der Temperatur auszuschalten oder
doch unwirksam zu machen. Pfeffer half sich in diesem Falle da-
durch, daß er eine geringe Verschiebung der Temperatur im um-
gekehrten Sinne künstlich erzeugte, deren Wirkung dann durch den
entgegengesetzt wirkenden Einfluß des Beleuchtungswechsels über-
wunden werden mußte. Gelang das, dann war er seiner Sache um
so sicherer. Nicht immer ließen sich diese Schwierigkeiten ganz aus-
schalten. Wir kommen darauf noch bei Besprechung der Schlafbe-
wegungen bei den Blättern zurück.
Kombiniert mit den Bewegungen der Blütenblätter oder unab-
hängig von ihnen sind häufig solche des Blütenstiels. So steht die
Blüte von Oxalis acetosella am Tage aufrecht, nickt aber in der
Nacht. Ähnlich verhalten sich Fingerkrautarten (Potentilla), Erd-
beeren (Fragaria), Flachs (Linum), Bachwurz (Geum), Storchschnabel
(Geranium) u. a. Das gleiche findet man an vielen Kompositenköpf-
chen, so beim Gänseblümchen (Bellis), Huflattich (Tussilago), Sonchus,
Lactuca u. a. Bei Umbelliferen kommt der Fall vor, daß sich die
Schirme nachts schließen und gleichzeitig durch Krümmung des
Stengels, der sie trägt, senken. So ist es bei der Mohrrübe (Daucus
Carota), beim Kümmel (Carum Carvi) usf.
Ob diese Bewegungen, die oft auch am Tage bei schlechtem
Wetter eintreten, von der Temperatur oder dem Lichte abhängen,
ist meist nicht bekannt. Für die Blütenstiele von Anemone stellata
hat Voechting (1890) nachgewiesen, daß sie thermonastisch sind, und
so wird es wohl meist sein. Was schließlich den Nutzen dieser Blüten-
bewegungen betrifft, so ist wohl anzunehmen, daß es sich haupt-
sächlich um einen Schutz handelt, der für die empfindlichen Teile,
vor allem den Pollen angestrebt wird. Dieser wird z. B. bei sich
nachts schließenden oder senkenden Blüten vor dem Tau geschützt
124 IV. Helligkeit und Temperatur als Reizmittel.
sein, vielleicht aber auch vor unliebsamen Blütenbesuchern. Ob die
sich nachts öffnenden Blüten zur Zeit der morgendlichen Tauperiode
schon wieder geschlossen sind, dürfte wohl nicht eingehend be-
obachtet sein. Jedenfalls zeigt die Zeit, zu der die Blüten geöffnet
sind, Übereinstimmung mit dem Flug der bestäubenden Insekten.
Bei den auf Wärmeherabsetzung reagierenden Blüten der Früh-
lingspflanzen, wie Tulpe, Crocus wird man auch an einen Schutz
gegen zu starke Abkühlung
denken können; bei denen,
die sich bei einem Gewitter-
regen schließen oder senken
und bei ungünstigem
Wetter gar nicht Öffnen,
wie dem Sauerklee, den
Anemonearten u. a., mehr
an Schutz gegen Benässung.
Bei Drosera öffnen sich die
Blüten überhaupt nur auf
sehr intensive Besonnung.
Im einzelnen können also
die angestrebten Vorteile
sehr verschiedener Natur
sein. Vorläufig weiß man
darüber noch nicht viel.
Gehen wir nun zu
den Schlafbewegungen der
Blätter über. Auch hier
stammt die Grundlage und
die Hauptmasse unserer
Kenntnisse von Pfeffer.
In zwei umfangreichen Ar-
beiten beschäftigte er sich
(1875 und 1907) mit den
periodischen Blattbewe-
gungen. Diese sind wieder-
Abb. 45 um sehr verbreitet im
N ie Blä Pflanzenreiche, besonders
Junge Erbsenpflanzen ‚„Tagstellung‘“. Die Blättchen nn ’
ausgebreitet. bei den mit Gelenken
versehenen Blättern, wo
sie durch Turgorveränderungen zustande kommen. Doch gibt es auch
genug Pflanzen, bei den durch ungleiches Wachstum entsprechende
periodische Krümmungen verursacht werden, in diesem Falle natür-
lich nur, so lange das Blatt jung ist. Bis auf die Ausführung der
Bewegung scheinen sich beide Gruppen ganz gleich zu verhalten,
so daß sie hier gemeinsam besprochen werden dürfen.
Turgorbewegungen in Abhängigkeit vom Tageswechsel führen
Periodische Bewegungen. 125
von bekannteren Pflanzen besonders schön aus: Bohnen (Phaseolus-
Arten), Mimosen, falsche Akazien (Robinia Pseudacacia), Sauerklee
(Oxalis acetosella) u. a. Wachstumsbewegungen findet man bei der
Sonnenrose (Helianthus annuus), den Balsaminen (Impatiensarten),
bei Amaranthus usf. |
Sehr einfach sind die Bewegungen bei den Blättern der Erbse
(Pisum), die sich in der Nacht einfach herunterschlagen (Abb. 45 u. 46).
Abb. 46.
Junge Erbsenpflanzen ‚‚Schlafstellung‘‘. Die Blättchen
heruntergebogen.
Bei Oxalils (Sauerklee) senken sich die Teilblättchen der kleeartigen
. Blätter in ihren Gelenken, gleichzeitig falzen sie sich in der Mittelrippe
ein (vgl. Abb. 48, S. 135). Beim Steinklee (Melilotus) drehen sich die
ebenfalls kleeartigen Blättchen so, daß sie die Kante nach oben wenden.
Das Endblättchen legt sich dann mit seiner Oberseite dem Seiten-
blättchen an, dem diese zugekehrt ist. Die Bewegung ist sehr kompli-
ziert, wie man bei Darwin ([1880] 1899, S.294) nachlesen kann. Beim
126 IV. Helligkeit und Temperatur als Reizmittel.
gewöhnlichen Klee (z. B. Trifolium repens) legen sich die Seitenblättchen
aneinander, das Endblättchen deckt sich dachartig darüber. Bei der
Erdnuß (Arachis hypogaea) legen sich alle vier Blättchen aufeinander,
bei der Mimose (Mimosa pudica) decken sie sich schuppenförmig,
während der Hauptblattstiel sich senkt und die Nebenblattstiele, die
am Tage fingerförmig spreizen, sich einander nähern. Und so ist
fast jeder Fall neu und merkwürdig. Nur einige wenige seien noch
beschrieben, so die Gattung Lupinus. Bei manchen Arten, wie L.
pilosus, senken sich alle die sternförmig angeordneten Blättchen, bei
L. pubescens aber senkt sich merkwürdigerweise nur der nach außen
liegende Teil, während der andere sich hebt. Die Blättchen sind
schließlich annähernd in einer senkrechten Ebene ausgebreitet.
Eine Übersicht über die verschiedene Art, in der die Schlafbe-
wegungen ausgeführt werden können, hat Darwin ([1880] 1899) gegeben.
Danach sind sie besonders häufig bei Keimblättern und hier wieder bei
denen mit Gelenk, wie sie bei Oxalideen und Leguminosen oft vor-
kommen. Meist heben sich die Cotyledonen des Nachts und nähern sich
einander. Es gibt Pflanzen, bei denen die Blätter schlafen. die Coty-
ledonen aber nicht und umgekehrt. Ob daraus etwas für die Be-
deutung dieser Erscheinung zu entnehmen ist, kann ich nicht ersehen.
Es kommt auch vor, daß Keim- und Laubblätter in verschiedener
Weise Bewegungen ausführen. So heben sich die Cotyledonen von
Oxalis valdiviana, die Blätter aber senken sich. Ebenso bei Cassia
marylandica. In diesem Falle sind die Blattbewegungen noch be-
sonders interessant. ‚So biegen sich bei Cassia die (paarig gefiederten)
Blättchen, welche während des Tages horizontal sind, nicht nur des
Nachts senkrecht abwärts und das terminale Paar ist beträchtlich
rückwärts gerichtet, sondern sie rotieren auch um ihre eigenen Achsen,
so daß ihre unteren Flächen nach außen gewendet werden.‘ Dabei
hebt sich noch der Hauptblattstiel, so daß die ganze Pflanze sich
gewissermaßen in sich zusammenschmiegt (Abb. 47).
Das Gemeinsame aller dieser Einrichtungen sieht Darwin darin,
daß durch sie die Blätter nachts in eine aufrechte oder gesenkte
Lage kommen, in der nicht die Fläche, sondern die Kante nach
oben gekehrt ist. Gleichzeitig findet dabei häufig ein Zusammenlegen
in Paketen oder doch eine Annäherung der Teile aneinander statt,
wie das besonders bei Cassiaarten und Desmodium gyrans auffällig
hervortritt, wo die Blattstiele sich heben und dem Stengel nähern.
Die zuletzt erwähnten Pflanzen besitzen alle Gelenke, in solchen
allein finden während der Schlafbewegung Torsionen statt. Bei den
durch Wachstum zustande kommenden Bewegungen beschränken sich
die möglichen Unterschiede darauf, daß bald Hebungen, bald Sen-
kungen auftreten. Im ganzen werden, wie bei den Blüten, durch
dieselben Einflüsse verschiedene Reaktionen hervorgerufen. So senken
sich die Blätter von Impatiens in der Nacht, während sich die von
Chenopodium (Gänsefuß) heben, und bei Lupinus pubescens hebt sich,
wie wir gehört haben, ein Teil der Blättchen, ein Teil senkt sich.
Periodische Bewegungen. 1197/
Was die Mechanik der Bewegungen betrifft, so hat Pfeffer sie
durch mikrometrische Messungen an operierten Gelenkhälften und
an sich durch Wachstum krümmenden Stielen aufzuklären ge-
sucht. Aus seinen Versuchen schließt er, daß auf eine Verdunke-
lung hin die Dehnung der Gelenkhälften, resp. das Wachstum
der Flanken im Blattstiel oder am Grunde der Spreite gleich-
sinnig, aber ungleich schnell steige, bei Erhellung aber sinke. Es
eile also die Dehnung der einen Gelenkhälfte voran und rufe so eine
Krümmung hervor. Die Volumvergrößerung der anderen Hälfte
erreiche erst dann ihr Maximum, wenn die erste schon wieder zu-
rückgehe. Dadurch werde bewirkt, daß erst ein Hin-, dann ein Hergang
vi.
> Z\ Se
N \ N
Abb. 47.
Schlafbewegung der Blätter von Cassia pubescens (nach Darwin [1881] 1899).
erfolge, die eben das Heben und Senken der Blätter hervorriefen. Dem
ist von Schwendener (1898) und Jost (1898) widersprochen worden.
Beide fanden bei isolierten Gelenkhälften nicht ein gleichsinniges,
sondern ein entgegengesetztes Verhalten, indem die eine Hälfte sich
dehnte, während die andere sich zusammenzog.
Jedenfalls kommen die Bewegungen in Gelenken durch Ver-
änderungen des Innendruckes in den Zellen zustande, das nach
Lepeschkin (1908, S. 729) durch unmittelbaren Einfluß der Licht-
intensität auf die Durchlässigkeit des Plasmas bewirkt wird. Die
Resultate im einzelnen wären nicht so wichtig, wenn nicht davon die
Deutung der Gegenbewegung abhinge, die immer auf einen einmaligen
Helligkeitswechsel und die durch ihn bewirkte primäre Bewegung folgt.
1283 IV. Helligkeit und Temperatur als Reizmittel.
Es ist ein theoretisch wichtiger Unterschied, ob die Gegenbewegung
direkt durch den Beleuchtungswechsel hervorgerufen wird, wie es Pfeffer
will, oder ob sie erst eine Folge der ersten Bewegung ist. Man sieht,
daß genaue Messungen nicht nur über die Mechanik, sondern auch
über den Sinn eines Vorganges unterrichten können. Im vorliegenden
Falle aber scheint die Frage noch nicht entschieden zu sein, kommt
es doch nach Wiedersheim (1904) auch auf den Grad der Operation
an. Daß man auf eine solche angewiesen ist, ist überhaupt ein
großer Übelstand, da man nicht weiß, was dadurch alles verändert wird.
Von diesen Fragen unbeeinflußt bleibt aber wohl die Feststellung,
daß auf den Reiz hin bei der Wachstumsbewegung entweder, bei
Verdunkelung, eine Zunahme oder, bei Belichtung, eine Abnahme
der durchschnittlichen Zuwachsschnelligkeit gegenüber der in kon-
stanter Finsternis erzielt wird, die auf Ober- und Unterseite ungleich
schnell verläuft. Auch konnte Wiedersheim an Blättern. von Im-
patiens parviflora, die an der Krümmung verhindert worden waren,
und ähnlich bei Perigonblättern von Tulpen und Crocus nachweisen,
daß der auf Verdunkelung erfolgenden ungleich schnellen Zunahme des
Wachstums der beiden Flanken eine zweimalige Wachstumssteigerung
des Gesamtblattstiels oder der Mittelzone entspricht. Das kommt
hier wieder dadurch zustande, daß die der einen Seite erteilte Be-
schleunigung schon ausgeklungen ist, wenn die der anderen beginnt.
Auch bei Blättern folgt wie bei Blüten sowohl bei den Wachstums-
wie bei den Turgorbewegungen auf den einmaligen Hin- und Hergang
(Pfeffer 1875) ein mehrmaliges Pendeln, das allmählich bei konstanten
Umständen immer schwächer wird und schließlich aufhört. Die
Stärke und Länge der Nachwirkung hängt von der Größe des Hellig-
keitssprunges ab, der die erste Bewegung veranlaßt hat.
Die Resultate solcher einmaligen Sprünge wurden an Pflanzen
konstatiert, die vorher durch den Aufenthalt in dauernder Finsternis
oder in künstlichem Lichte ihre periodischen Bewegungen eingebüßt
hatten. Bei solchen Versuchen mußte natürlich von bewegungslosen
Objekten ausgegangen werden. Im Dunkeln sind solche aus Samen
nicht zu erziehen, auch ist es bisher nicht gelungen, Pflanzen mit
Blättern, die niemals Tagesbewegungen ausgeführt haben, etwa durch
Kultur in dauernder Beleuchtung zu erzielen. Daher mußte man das
unter konstanten Bedingungen schließlich erfolgende Ausklingen der
periodischen Nachwirkungen abwarten. Das kann bei manchen Arten
ziemlich lange dauern. So wiederholen sich z. B. bei Mimosa und
anderen die Schlafbewegungen viele Tage lang auch im Dunkeln zur
selben Zeit wie bei den dem natürlichen Helligkeitswechsel aus-
gesetzten Pflanzen.
Pfeffer zog aus seinen früheren Untersuchungen (1875) den Schluß,
daß die täglichen periodischen Bewegungen dadurch zustande kommen,
daß die Nachwirkungsbewegungen, die wenigstens anfangs ungefähr
zur selben Zeit verlaufen wie die direkt durch den Tageswechsel
hervorgerufenen, sich mit jenen kombinieren. Neuerdings (1907,
Periodische Bewegungen. 129
S. 447) ist er aber zu der Anschauung geführt worden, daß die
direkten thermo- und photonastischen Bewegungen zum Zustande-
kommen der normalen Schlafbewegungen vollkommen ausreichen.
Der frühere Irrtum ist durch das eigentümliche Verhalten seines
Hauptversuchsobjektes, der Feuerbohne (Phaseolus multiflorus), her-
vorgerufen worden. Bei dieser schien ihm nämlich die Wirkung
einer einmaligen Verdunkelung nicht stark genug, um die Tages-
bewegung zu erklären. In Wirklichkeit liegt die Sache so, daß diese
Pflanze mehr auf Erhellung als auf Verdunkelung reagiert, und zwar
wird durch die Erhellung am Morgen die Schlafstellung abends er-
zielt,!) während andere Objekte, wie z. B. die Blättehen der Mimose
u. a. auf Erhellung und Verdunkelung sehr bald mit einer ent-
sprechenden Bewegung antworten.
Solche verwickelte Einzelheiten wurden durch Pfeffer (1907)
besonders in der neueren Arbeit eine große Menge aufgedeckt, was
dadurch möglich war, daß dem Autor nun alle modernen Hilfs-
mittel zur Verfügung standen. So wurden nicht nur völlig gleich-
mäßige Temperatur und bessere Beleuchtung erzielt als in der
älteren Arbeit (1875), sondern auch die Bewegungen mit Hilfe selbst-
registrierender Apparate aufgezeichnet. Durch fein erdachte, zarte
Kombinationen von Fäden und Hebeln gelang es, die Hebungs- und
Senkungsbewegungen auf eine sich drehende berußte Trommel auf-
zuzeichnen, selbst bei den nicht gerade eine große Kraft entfaltenden
Blättehen der Mimose! Diese Aufzeichnungen bildeten dann ein
schönes Material, da sie natürlich lückenloser, zuverlässiger waren
und über größere Zeiträume sich erstrecken konnten als alle durch
direkte Ablesung erzielbaren.
Durch diese neuen Untersuchungen erscheint Pfeffers Meinung, daß
die Schlafbewegungen thermo- oder photonastischer Natur sind, noch
mehr gesichert. Besonders sprechen in dem Sinne auch die Versuche,
in denen es ihm gelang, durch einen vom gewöhnlichen abweichenden
Rhythmus von hell und dunkel periodische Bewegungen hervorzu-
rufen, die diesem neuen Rhythmus entsprachen. Das gelang bei den
schnell reagierenden Blättchen von Mimosa und Albizzia nicht nur
bei einem 6:6stündigen, sondern sogar noch bei einem 2:2stündigen
Wechsel. Nicht so bei Phaseolus, das aber wie die anderen zu einer
18:18stündigen periodischen Bewegung gebracht werden konnte.
Zur Erziehung solcher photonastischen und thermonastischen
Bewegungen ist nicht ein plötzlicher Wechsel der Helligkeit erforderlich.
Vielmehr wirkt auch ein allmählicher, wie er ja in der Natur immer
gegeben ist. Immerhin scheint die Wirkung mit der Größe der Ver-
änderung und in umgekehrtem Verhältnis zu der Zeit, in der sie erfolgt,
zuzunehmen. In der Tat aber kann die Veränderung sehr langsam
vor sich gehen, ohne daß die nastische Bewegung aufhört; so hatte
1) Es ist damit etwas ähnliches konstatiert, wie es Oltmanns (1895) bei
Blüten beobachtete.
Pringsheim, Reizbewegungen. 9
130 IV. Helligkeit und Temperatur als Reizmittel.
bei Pfeffer noch ein allmählicher Übergang von Hell zu Dunkel, der
2 Stunden brauchte, eine volle Schlafbewegung zur Folge.
Nicht bei allen Pflanzen ist ein völliges Ausklingen der Be-
wegung in konstanter Beleuchtung oder Finsternis zu beobachten.
Bei manchen finden dauernd Hebungen und Senkungen statt, die
aber nichts mit äußeren Reizen zu tun haben, sondern auf einem
inneren Rhythmus beruhen müssen. Ihre Länge fällt daher auch
nicht immer mit den Tagesperioden zusammen. Doch scheint
nach den Versuchen von Semon mit Blättern (1905) und denen von
Stoppel mit Blüten (1910) ein Rhythmus von 12: 12 Stunden bevor-
zugt zu werden, was offenbar in der Konstitution der Pflanzen be-
gründet ist. Ein paar Worte werden wir darüber noch zu sagen
haben.
Auch die Nachschwingungen nach irgend einer aufgezwungenen
Periodizität brauchen in ihrer Länge nicht mit dieser übereinzu-
stimmen, und fallen z. B. bei Phaseolus und einigen anderen auch
nach einem 18 : 1Sstündigen Rhythmus annähernd in den 12: 12stün-
digen zurück. Es muß also, wie das auch Pfeffer (1907, 8. 471) zu-
gibt, dieser Rhythmus eine besondere Grundlage in den inneren Eigen-
schaften der Pflanzen haben. Fallen die Nachschwingungen zeitlich
nicht mit den direkt hervorgerufenen Bewegungen zusammen, so
werden sie normalerweise von diesen völlig unterdrückt.
Welches mag nun die Ursache für die offenbar bestehende ‚‚Vor-
liebe‘ für einen dem Tageswechsel entsprechenden Rhythmus sein?
Sollte sie vielleicht darauf beruhen, daß die Pflanze in die Bewegung
zurückfällt, die sie zuerst ‚‚gelernt‘‘ hat oder sollte ihr diese Tendenz
erblich überkommen sein?! Bei gewissen Blüten muß wohl letzteres
der Fall sein, weil z. B. Calendula auch nach dem Aufblühen im
Dauerlichte, also ohne vorher periodische Bewegungen ausgeführt zu
haben, einen solchen Rhythmus zeigte. Bei Blättern sind Versuche
mit solchen, die nie Schlafbewegungen ausgeführt haben, schwieriger,
weil die Pflanzen unter Ausschaltung von Licht- und Temperatur-
wechsel erzogen werden müßten.
Die Temperatur könnte man allenfalls konstant halten. Für
die Beleuchtung aber ist das sehr schwierig; und doch beeinflußt diese
gerade die Schlafbewegungen der Blätter noch mehr als die Wärme.
Denkbar sind zwei Möglichkeiten, die Helligkeit konstant zu
halten, nämlich völlige Verfinsterung oder künstliches Licht. An-
dauernde Dunkelheit vertragen grüne Blätter, wie wir gesehen haben
(vgl. S. 94), sehr schlecht. Jedenfalls ist es auch bei solchen, die
nicht abgeworfen werden, zweifelhaft, ob das unter solchen Umstän-
den beobachtete Aufhören der Bewegungen, wie es Jost (1898,
S. 601) will, auf Schädigungen beruht oder, Pfeffers Meinung ent-
sprechend, ein Ausklingen des Anstoßes bedeutet, der durch den
vorhergehenden Lichtwechsel gegeben war. Es gibt freilich ein
Mittel, auch im Dunkeln bis auf die Farbe normale Blätter zu er-
ziehen. Es besteht darin, daß man ihnen durch Entfernen der
Periodische Bewegungen. 131
fortwachsenden Zweigspitzen mehr Nahrung zukommen läßt (Jost
1895). Auch durch Kultur im roten Licht, das Chlorophylibildung
und Ernährung erlaubt ohne auf die Bewegungen einzuwirken, ließe
sich wohl ähnliches erreichen.') Solche Hilfsmittel sind bis jetzt
zum Studium der Schlafbewegungen nicht angewendet worden. Auch
Blüten entfalten sich vielfach im Dunkeln nicht, so z. B. die des
Gänseblümchens. Seit Sachs bezeichnet man diese Erscheinungen
als Dunkelstarre, ohne daß dadurch über die Ursache etwas aus-
gesagt wäre.
Konstante Beleuchtung herzustellen, war früher ganz besonders
schwierig. Aber auch die neueren Mittel, andauerndes helles Licht
anzuwenden, wie z. B. das einer Quecksilberbogenlampe oder von
elektrischen Tantallampen (Pfeffer 1907), sind für solche Zwecke nicht
ausreichend. Denn die Zusammensetzung des künstlichen Lichtes
ist von der des Tageslichtes doch immer verschieden (Pfeffer 1907,
S. 301). So gelingt es noch kaum, normale Pflanzen im elektrischen
Lichte aufzuziehen (Stoppel 1910, S. 444) ?).
Wenn also auch Bıätter, die sonst periodische Bewegungen aus-
führen, noch nie ganz ohne solche aufgezogen worden sind, so ge-
linst es immerhin bei manchen Objekten (Pfeffer 1875), durch
konstante Beleuchtung die periodischen Bewegungen zu unter-
drücken. Ein Gleiches sieht man nach einer alten Mitteilung in den-
jenigen nordischen Ländern eintreten, in denen im Sommer eine Zeit
lang die Sonne überhaupt nicht untergeht. In diesen Fällen ist es
also klar bewiesen, daß der im Dunkeln andauernde Tagesrhythmus eine
Nachwirkung darstellt und keine ererbte Eigentümlichkeit ist, wie das
auch Pfeffer (1909) gegenüber Semon (1905 und 1908) betont hat.
In anderen Fällen aber treten 12 zu 12stündige Rhythmen
auch bei solchen Pflanzenteilen, und zwar Blüten, auf, die nie
dem Wechsel der Tagesbeleuchtung ausgesetzt gewesen sind (Stoppel
1910). Sonst kommen Bewegungen aus inneren Gründen ohne
äußeren Anstoß auch in anderen, zum Teil viel kleineren Perioden
vor. Ob aus diesen sog. autonomen Bewegungen die dem Tages-
rhythmus nahekommenden durch Selektion entstanden sind, bleibe
dahingestellt. Jedenfalls kann man in diesen Befunden nicht mit
Semon (1905) einen Beweis für eine Vererbung erworbener Eigenschaften
sehen. Außerdem geht ja auch aus Pfeffers neueren Versuchen
klar hervor, daß die Nachwirkungen überhaupt kaum irgendwelche
Bedeutung für die normalen Schlafbewegungen haben. Diese werden
also auch weiterhin als thermo- oder photonastische Reaktionen zu
gelten haben.
1) Doch genügt nach Pfeffer die Belichtung mit roten und gelben Strahlen,
die Schlafbewegungen auszulösen. Ob hier aber nicht Wärmewirkungen vor-
gelegen haben? (1904, S. 533).
2) Auch ist sie dann wieder nicht anwendbar, wenn der für die Versuche
nötige Zustand bei Dauerbeleuchtung nicht erreicht wird. Beispielsweise öffnen
sich die Blüten von Calendula in konstantem Lichte nicht.
9*
132 IV. Helligkeit und Temperatur als Reizmittel.
Wie wir gesehen haben, werden die Schlafbewegungen der Blätter
und Blütenteile durch Veränderungen in der Belichtung oder der
Temperatur hervorgerufen. Die äußere Erscheinung kann dabei sehr
verschieden sein, denn es kommen Hebungen, Senkungen und Drehungen
vor. Die Richtung steht in keiner Beziehung zu der des Lichtes!),
wie das für nastische Reaktionen charakteristisch ist, und bei den
durch Temperaturveränderungen hervorgerufenen Bewegungen ist eine
Richtwirkung des Reizmittels von vornherein ausgeschlossen. Dennoch
finden die Krümmungen in einer ganz bestimmten Ebene, die Tor-
sionen in einer bestimmten Richtung statt. Wodurch mag diese
festgelegt sein? Wir greifen damit auf eine im Anfang dieses Ka-
pitels gestellte Frage zurück.
Bei der Bewegung der Blütenblätter kann man kaum im Zweifel
sein. Es wird entweder die Außen- oder die Innenseite im Wachstum
gefördert. Das heißt, die Lage der Teile zueinander bestimmt die Be-
wegungsrichtung. Das Öffnen und Schließen würde genau ebenso zu-
stande kommen, wenn die Lage der Blüte künstlich verändert würde.
Ebenso wird ja das erste Aufblühen der Knospe oder das Abheben
der Blätter vom Stengel, dem sie im Jugendzustande meist anliegen,
durch innere Kräfte bewirkt, sobald die Zeit dazu gekommen ist.
Es fragt sich aber, ob das auch für die periodischen Bewegungen
der Blätter gilt, und falls es der Fall ist, ob für alle? Die Abhängig-
keit der Veränderungen vom Tageswechsel sagt noch nichts darüber
aus, warum die Bewegung gerade so und nicht anders verläuft. Die
Art der Reaktion könnte durch innere oder äußere Verhältnisse fest-
gelegt sein.
Tatsächlich kommt beides vor. Als äußere Richtkräfte kommen
Licht und Schwerkraft in Betracht. So wird die natürliche Lage der
Blätter, wie wir gezeigt haben, am Tage vorwiegend durch die Richtung
der Beleuchtung bestimmt. Die anderen Örientierungsreize treten
dagegen zurück. Damit ist aber nicht gesagt, daß keine vorhanden
sind. Sobald durch Verdunkelung dafür gesorgt wird, daß sie wirk-
sam werden können, wird das Blatt, sofern es bewegungsfähig ist,
eine andere Lage einzunehmen suchen. Z. B. kann dann der Blatt-
stiel sich geotropisch aufrichten, während er am Tage vielleicht durch
seitlich einfallendes Licht eine andere Stellung gehabt hat. Das
kann man an reaktionsfähigen Pflanzen beobachten, die an einer
Mauer gewachsen und dadurch von einer Seite beschattet sind.
Oder, was häufiger ist, es dominieren in der Nacht die inneren Richt-
kräfte, das Blatt legt sich in die Knospenstellung oder biegt sich
rückwärts, weil nun die (phototropische) Orientierung durch das Licht
wegfällt. All das würde man nicht Photonastie nennen, und solche
Bewegungen, auch wenn sie sich täglich wiederholten, wohl nicht den
Schlafbewegungen zuzählen (A. Fischer 1890, Vines 1889/90).
!) Wenigstens im Prinzip. Denn bei einseitig einfallendem Lichte finden
bei manchen Blättern am Tage heliotropische Bewegungen statt, die sich mit
den Schlafbewegungen kombinieren.
Periodische Bewegungen. 1188
Die echten Schlafbewegungen werden dadurch bewirkt, daß durch
den Wechsel der Temperatur oder der Helligkeit die die Lage der
Teile zueinander oder zur Außenwelt bestimmenden Richtkräfte be-
einflußt werden. Richtend wirkt z. B. die Schwerkraft. So kann
man bei einer ganzen Gruppe von nyctinastischen Pflanzen die Schlaf-
bewegungen der Blätter im Verhältnis zum Stengel umkehren, wenn
man sie in inverser Lage befestigt. Dieses wurde von Pfeffer
(1875) z. B. für die Bohne nachgewiesen. Die Blätter heben und
senken sich dann in bezug auf die Richtung im Raume, d. h. ihre
Schlafbewegungen sind geotropisch beeinflußt. Man darf sie vielleicht
sogar als echte geotropische Reaktionen bezeichnen. Die Richtung,
in die sie sich zur Schwerkraft stellen, wird aber durch das Licht
verändert. Ihre innere geotropische Disposition hängt von der Be-
leuchtung ab, ihr Schweresinn wird durch das Licht verschoben,
ganz ebenso wie wir das für die Rhizome von Adoxa (S. 114) gesehen
haben.
Später hat Fischer (1890) versucht, diese Frage weiter aufzu-
klären. Er zeigte, daß es Pflanzen gibt, bei denen die Schlafbewegungen
in Beziehung zur Richtung der Schwerkraft und andere, bei denen
sie in Beziehung zum Stengel ausgeführt werden. Die letztere Gruppe,
die der ‚„autonyctinastischen‘“ Pflanzen, ist die bei weitem größere.
Zu ihr gehören von Gelenkpflanzen z. B. Klee (Trifolium pratense),
Sinnpflanze (Mimosa pudica), Portulac (Portulaca oleracea), Sauerklee
(Oxalis lasiandra), Acacia lophanta u. a.; von solchen, die sich durch
Wachstum bewegen, z. B. Helianthus annuus, die Sonnenrose (Vines
1889). Von der Richtung der Schwerkraft abhängig, ‚„geonyctinastisch
sind Bohnen (Phaseolus multiflorus). Lupinen (Lupinus albus), Baum-
wolle (Gossypium arboreum). Festgestellt wurde das durch Um-
kehrversuche, die in einigen Fällen interessante Besonderheiten er-
gaben. So richteten sich an einer umgekehrten Lupinuspflanze die
Blätter geo- und heliotropisch so, daß die Blattflächen und die Ge-
lenke vertikal standen. Sie reagierten nun nicht mehr auf Be-
leuchtungswechsel. Bei Cassia marylandica blieben die komplizierten,
von Darwin beschriebenen Bewegungen (S. 126) auch an den um-
gekehrten Blättern bestehen. Außer den Umkehrversuchen führte
Fischer auch solche Experimente durch, in denen mit Hilfe des
Klinostaten die einseitige Schwerkraftswirkung ausgeschlossen war.
Die Resultate stimmten mit denen der anderen Versuche insofern
überein als bei der Drehung um die horizontale Achse die autonyc-
tinastischen Bewegungen fortdauerten, die der geonyctinastischen
Blätter aber aufhörten. Das Aufhören geschah freilich nicht sofort,
sondern erst nach einiger Zeit. Fischer schließt daraus, daß hier
zur Ausführung der Bewegung eine Art Polarisation durch die Schwer-
kraft nötig sei, die allmählich abklinge, wenn sie nicht ständig er-
neuert würde. Es läge dann nicht eine durch Belichtung in ihrer
Richtung beeinflußte geotropische Reaktion vor.
Doch sind diese Versuche nicht beweisend, weil, wie wir heute
134 IV. Helligkeit und Temperatur als Reizmittel.
wissen (Fitting 1905), auch bei dauernder Drehung um die horizon-
tale Achse eine Schwerkraftreizung stattfindet. Bei ringsgleichen Or-
ganen heben sich zwar die einzelnen Impulse auf, sie müssen es aber
nicht bei zweiseitig symmetrischen, sog. dorsiventralen tun, wie es
die Blätter sind (Kniep 1910). Warum also am Klinostaten ein all-
mähliches Ausklingen der Schlafbewegungen bei den geonyctinastischen
Pflanzen stattfindet, läßt sich noch nicht übersehen, ja es wird auch
äußerst schwer herauszubekommen sein. Vorläufig kann man sich
nur an die Versuche halten, in denen die Gelenke um 180° herum-
gedreht oder in wagerechte Lage gebracht wurden, wie es für Lupinus
beschrieben wurde. Danach bleibt aber der Unterschied der beiden
Gruppen von Schlafbewegungen an Blättern, die Fischer beschrieben
hat, bestehen. Er ist freilich mehr von theoretischem als ökologischem
Interesse, da, wie Stahl (1897, S. 86) hervorhebt, bei den ‚„autonycti-
nastischen‘‘ Pflanzen oder genauer Gelenken, in der Natur auf an-
dere Weise, nämlich durch geotropische Einstellung der Stengel oder
der Blattstiele dafür gesorgt wird, daß das Heben und Senken der
Blätter die entsprechende Orientierung zur Erde bewirkt, wie sie bei
den geonyctinastischen Bewegungen durch deren direkte Abhängigkeit
von der Richtung der Schwerkraft gesichert ist.
Wie wir eben gesehen haben, ist es bei den thermo- und photo-
nastischen Bewegungen schwer zu entscheiden, inwieweit dabei
äußere Richtkräfte mitwirken.
Entsprechende Schwierigkeiten liegen auch bei den Erscheinungen
vor, die man als ‚‚Tagesschlaf‘‘ zusammenfaßt. Es gibt viele Pflan-
zen, deren Blätter bei intensiver Beleuchtung oder Erwärmung eine
annähernd senkrechte Lage einnehmen oder deren Blüten sich unter
solchen Umständen schließen. Also genau das umgekehrte von dem,
was sie unter mäßigem Einfluß derselben Agentien tun. So zeigte
Pfeffer (1873, 8. 78; 1875, S. 135), daß die Blättchen von Oxalis auf
eine Erwärmung auf etwa 30° hin sich senken, die Blüten von Cro-
cus und Tulipa sich schließen (1873, S. 190), und Darwin ([1880] 1899,
S. 283) beobachtete, daß die Blättchen mancher Pflanzen (z. B.
Averrhoa bilimbi) sich senken, andere (z. B. das Endblatt von Des-
modium gyrans) sich heben, wenn die Temperatur steigt. Jost fand
(1598, S. 384) Schließen der Blättchen von Mimosa und Acacia nach
plötzlicher Erwärmung, während sie bei langsamer sich öffnen. Olt-
manns (1895) zeigte, daß die Köpfchen von Lactuca sich auf starke
Belichtung hin schließen. Schon lange vorher hatte Cohn (1859)
darauf hingewiesen, daß die Blättchen von Oxalis nicht nur im
Dunkeln, sondern auch in grellem Tageslichte Schlafstellung ein-
nehmen (Abb. 48), was dann Pfeffer (1875,8.591ff) genauer untersuchte.
Er fügte hinzu, daß Tages- und Nachtschlaf nicht immer in derselben
Weise stattfinden. Es können nämlich in greller Sonne die Blätt-
chen nicht nur solcher Pflanzen, die sich abends aufwärts legen, wie
die von Acacia und Mimosa, sondern auch solcher, die in der Nacht
Periodische Bewegungen. 135
gesenkt sind, wie bei Robinia und Phaseolus, eine aufgerichtete
Stellung einnehmen.
Dieser letzte Umstand deutet darauf hin, hin, daß ‚„Tages-‘ und
„Nachtschlaf‘“‘ zwei verschiedene Dinge sind, wie sie ja auch bio-
logisch verschiedene Wirkungen, resp. „Zwecke‘‘ haben dürften.
Übrigens kann die irreleitend als Tagesschlaf bezeichnete aufrechte
oder Profilstellung der Blätter in greller Mittagssonne auch eine
andere Ursache haben als Thermo- oder Photonastie (Oltmanns 1892,
S. 231). Sie kann nämlich heliotropischer Natur sein, denn wir wissen
(S. 182), daß viele Blättchen und gerade die genannten, sich nur bei
schwächerem Lichte senkrecht zu dessen Richtung stellen, bei stär-
kerem aber mehr oder weniger parallel dazu.
Abb. 48.
Oxalis Acetosella an einem Baumstumpf. In der Sonne klappen
die Blättehen herunter und bieten dann den Strahlen hauptsächlich
die Kante dar. Verkleinert.
Die ökologische Bedeutung dieser Bewegungen ist klar, sie kehren
die Fläche des Blattes von der Sonne ab und bewirken somit das-
selbe was bei den aufrechten Blättern von Schwertlilien (Iris), Kalmus
(Acorus) oder den senkrecht herabhängenden vom Fieberbaum
(Eucalyptus) usw. durch deren dauernde Stellung erreicht wird,
nämlich eine verminderte Transpiration und Erwärmung, die sonst
bei greller Sonne recht beträchtlich werden kann. Weniger klar ist
der Nutzen der eigentlichen Schlafbewegungen für die Pflanze.
Darwin wies darauf hin ([1880] 1899, S. 239ff.), daß die Lage der
schlafenden Blätter ganz allgemein mehr der senkrechten Richtung
genähert ist, sowie daß die Blätter und Blättchen sich vielfach an-
einanderlegen, ja sogar die ganzen Pflanzen durch diese Bewegungen
und die der Battstiele eine geschlossenere Stellung einnehmen. Da-
durch soll in kalten, klaren Nächten eine geringere Abkühlung durch
136 IV. Helligkeit und Temperatur als Reizmittel.
Strahlung bewirkt werden, die sonst den Pflanzen gefährlich werden
könnte. Erhat diese Auffassung auch durch eine ganze Reihe mühsamer
Versuche gestützt, in denen er die Blätter an ihren Bewegungen ver-
hinderte und dann konstatierte, daß bei einer gewissen Einwirkungs-
dauer die schlafenden einer Kälte von 2—-4° häufig besser stand-
hielten als die in der Tagesstellung festgehaltenen.
Demgegenüber betont Stahl (1897, S. 82), daß in so kalten
Nächten wohl die Schlafbewegungen an dauernd im Freien gehaltenen
Pflanzen unterblieben wären. Aus Darwins Wiedergabe der Versuche
ist trotz aller Gründlichkeit gerade über die Prüfung dieser Frage
nichts zu ersehen, während Stahl darüber einiges mitteilt. Allerdings
ist es kaum glaublich, daß Darwin einen solchen Fehler gemacht
haben sollte. Auch ist noch folgendes zu bedenken: Es kann gerade
an den Tagen, auf die klare, kalte Nächte mit starker Strahlung
folgen, vor Sonnenuntergang die Temperatur hoch genug sein, so daß
schon vor der nächtlichen Abkühlung Schlafbewegung eintritt, —
und in kalten trüben Zeiten wird garnicht die Tagesstellung wieder-
hergestellt. Stahl sagt, daß gerade im Frühling die Blätter von
Papilionaceen nach kalten regnerischen Tagen, auf die heitere kalte
Nächte folgen, in Tagstellung von der Nacht überrascht werden. Das
ist aber doch wohl eine nicht zu häufig vorkommende Wetter-
kombination.
Wir wissen leider nichts darüber, ob der eventuelle Nutzen der
periodischen Bewegungen jede Nacht erzielt wird. Ist einmal ein
photo- oder thermonasitisches Reaktionsvermögen gegeben, so werden
die Bewegungen außer unter extremen Umständen jeden Tag gemacht,
weil eben ein Wechsel in der Helligkeit und Temperatur mit dem
Wechsel von Tag und Nacht verknüpft ist. Mit der Deutung darf man
sich also nicht an die Periodizität der Erscheinung halten. Auch
daß die Bewegung manchmal oder oft ohne Nutzen ausgeführt wird, ist
also kein Argument gegen eine Ökologische Deutung. Für Darwin
spricht ferner der Umstand, daß besonders bei den Keimblättern
Schlafbewegungen so häufig sind. Diese werden früher im Jahre
entwickelt, also eher Kältewirkungen ausgesetzt sein.
Ein anderer, gewichtigerer Einwand gegen Darwin, den er
selbst auch schon erwogen hat, ist der, daß auch Tropenflanzen,
die einer Beschädigung durch Strahlung nie ausgesetzt sind, ent-
sprechende Erscheinungen zeigen. Stahl (1897) hat auf Grund
seiner Einwände gegen Darwin eine andere Deutung versucht, dahin-
gehend, daß in der aufrechten Lage eine geringere Betauung statt-
findet, die für die Pflanze sonst durch Verstopfung der Spaltöffnungen
schädlich werden könnte. Er hat auch Experimente in dieser Richtung
gemacht, die überzeugend wirken. Die Vermeidung der Betauung
wäre übrigens auch wieder eine Wirkung der geringeren Strahlung, ein
Punkt, den Darwin [(1880) 1899, S. 250] durchaus nicht übersehen
hat. So bleibt wohl die Grundlage von Darwins Deutung bestehen,
wenn auch die Strahlung sehr verschiedene Gefahren bringen kann.
Periodische Bewegungen. 137
Stahl sieht die Schädlichkeit der durch stärkere Strahlung bei
ausgebreiteten Blättern auftretenden Betauung hauptsächlich in der
Verhinderung der Transpiration am Morgen. Die Wasserverdunstung
hat aber die Aufgabe, ein Nachsaugen von Bodenflüssigkeit zu be-
wirken, durch das der Pflanze die nötigen Nährsalze zukommen.
Ob die Verhinderung dieser Funktion für kurze Zeit wirklich so
schädlich ist, das bedarf noch genauerer Untersuchung. So ist leider
über die Ökologie der Schlafbewegungen bei den Blättern wenig
Zuverlässiges bekannt. Diese Ungewißheit steht in auffallendem
Gegensatz dazu, daß sie so leicht zu beobachten und daher auch so
lange bekannt sind. Ihre weite Verbreitung spricht entschieden
dafür, daß sie der Pflanze irgendwelchen Nutzen bringen. Ob es
freilich in allen Fällen derselbe ist, bleibt fraglich. Das Vorhanden-
sein von gemeinsamen Zügen, wie der Senkrechtstellung und des
Zusammenklappens der Blattflächen während der Nacht deutet viel-
leicht auf eine einheitliche Funktion hin. Diese Auffassung wird
auch nicht dadurch zunichte gemacht, daß die Wasserblätter von
Myriophyllum proserpinacoides Schlafbewegungen ausführen (Stahl
1897, S. 85). Denn hier ist diese Erscheinung offenbar von der
Landform erworben und wird im Wasser nutzlos fortgesetzt.
V. Riehtungsbewegungen auf Lichtreiz.
a) Allgemeines über Phototropismus.
Wenn man die Bewegungen einteilen will, die auf einen Licht-
reiz hin vor sich gehen, so kann man sich dabei verschiedener
Prinzipien bedienen. Man unterscheidet z. B. nach dem Anlaß, der die
Richtung der Bewegung bestimmt. Dafür kennen wir drei Möglich-
keiten: die Orientierung kann 1. durch die Lage der Teile zueinander,
2. durch eine andere Richtkraft (die Schwerkraft), oder 3. durch
den Reizanlaß selbst gegeben sein. Die ersten beiden Fälle pflegt
man als Photonastie zusammenzufassen. Sie wurden an anderer
Stelle behandelt.
Den nastischen Reaktionen werden die zu der dritten Gruppe
gehörigen, für die der Reizanlaß die Richtung angibt, als die
tropistischen Reaktionen gegenübergestellt. Wir behalten diese
letzterwähnte Einteilung als zweckmäßig bei, obgleich wir finden
werden, daß bei den freien Ortsbewegungen die Scheidung keines-
wegs scharf ist. In dem letzten Satze wurde schon ein weiteres
Einteilungsprinzip angedeutet. Die Richtungsbewegungen lassen sich
nach der Art der Ausführung unterscheiden in solche, bei denen
eine Lageänderung der Teile zueinander vollzogen wird, und solche,
bei denen der ganze Organismus den Ort wechselt. Die erste
Gruppe umfaßt die tropistischen Reaktionen im engeren Sinne
(inbegriffen die Orientierungstorsionen), die zweite die taktischen.
Wir müssen also entsprechend der beim Schwerkraftreiz gebrauchten
Unterscheidung von Phototropismus und Phototaxis sprechen.
Da die phototropischen Erscheinungen besser erforscht, weiter ver-
breitet und leichter zu beobachten sind als die phototaktischen, so
beginnen wir mit ihnen.
Ein einfaches Experiment zeigt besser als eine Definition, um
was es sich handelt. Wir stellen junge, gerade gewachsene Pflänzchen
von Senf, Wicken oder dergleichen so auf, daß sie einseitig vom
Lichte getroffen werden, also z. B. in einiger Entfernung von einem
Fenster. Nach 1-—-2 Stunden bemerken wir, daß der Gipfel der
Pflanzen nicht mehr aufrecht steht. Seine Spitze beginnt sich dem
Fenster zuzuneigen. Sehen wir am nächsten Tage wieder zu, so
steht der Stengel genau in der Richtung, in der am meisten Licht
einfällt. Richten wir den Versuch etwas exakter ein, nämlich so,
daß die Lichtstrahlen die Pflanze nur von einem Punkte aus treffen
Allgemeines über Phototropismus. 139
können, dann finden wir, daß die Einstellung in die Lichtrichtung
mit außerordentlicher Präzision stattfindet (Abb. 49).
Zu solchen exakten Experimenten können wir entweder lichtdichte, innen
schwarze Kästen mit einer kleinen Öffnung, durch die natürliches oder künst-
liches Licht einfällt, benutzen, sogenannte phototropische Kammern. Oder
wir arbeiten in einem völlig dunklen Zimmer mit mattschwarzen Wänden, in
dem eine entfernt stehende elektrische Lampe als Lichtquelle dient. Gas- oder
Petroleumlicht ist nur mit Vorsicht zu verwenden, weil es für Pflanzen schäd-
liche Stoffe entwickelt.
Abb. 49.
Phototropische Krümmung eines im Dunkeln gewachsenen Erbsenkeimlings. Erste Aufnahme
20 Min. nach Beginn der Reizung, dann je 10 Min. Pause. Lichteinfall horizontal. Genaue
Einstellung in die Lichtrichtung. Verkleinert.
Das Mittel, das die Pflanze anwendet, um solche Orientierungs-
krümmungen auszuführen, ist wiederum dasselbe wie beim Geo-
tropismus, nämlich ungleich schnelles Wachstum auf zwei gegenüber-
liegenden Flanken.
Bei der weitgehenden Analogie zwischen geotropischen und photo-
tropischen Erscheinungen ergeben sich nun hier auch ähnliche Pro-
bleme wie bei jenen. Was wir früher über die Nachwirkung des Reizes
nach Aufhören des Reizanlasses gesagt haben, sowie die allgemeinen
Erörterungen über Schwellenwerte, Präsentationszeit und Reaktions-
zeit könnten hier mit denselben Worten wiederholt werden. Ferner
gilt das über die einzelnen Glieder der Reizkette, die sensorischen,
140 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz.
duktorischen, rektorischen und motorischen Prozesse Gesagte, ebenso-
gut für den Phototropismus wie für den Geotropismus. Nur daß
hier immer das Licht das Reizmittel und sein einseitiger Einfall den
Reizanlaß darstellt.
Versuchsanstellung und Beweisführung sind der Verschiedenheit
der bewirkenden Kraft entsprechend vielfach von dem beim Geo-
tropismus Geschilderten abweichend. Auch kommen ganz neue Er-
scheinungen hinzu. Deshalb bedarf es zum vollen Verständnis noch
eingehenderer Erörterungen; umsomehr als sich die Forschung auf
beiden verwandten Gebieten vielfach gegenseitig befruchtet hat.
Auch dürfte manches durch Vergleichung der Ähnlichkeiten und
Verschiedenheiten klarer werden.
Was zunächst die Reaktionszeit anbelangt, so kann man
über sie beim Phototropismus keine allgemeinen Angaben für be-
stimmte Pflanzenteile machen, da sie neben Temperatur, Alter und
dergleichen vor allem von der Beleuchtungsintensität!) abhängig ist.
Man kann aber beim Lichte nicht wie bei der Schwerkraft von
einer normalerweise konstanten Reizintensität sprechen. Demnach
bleibt nichts anderes übrig, als für möglichst einheitliches Material
und auch sonst gleichartige Bedingungen die jeder Beleuchtungs-
stärke entsprechende Reaktionszeit zu bestimmen. Dabei kommen
aber so verwickelte Resultate zustande, daß wir sie später einer
besonderen Betrachtung unterziehen müssen. Hier sei deshalb nur
gesagt, daß verschiedene Objekte in ihrer Reaktionszeit auch unter
gleichen Bedingungen sich sehr verschieden verhalten. Es gibt
schnell reagierende, wie z. B. den ofterwähnten Pilz Phycomyces
nitens und viele Keimlinge, und langsam reagierende, wie die meisten
älteren Pflanzen. Man hat danach von verschiedenen Graden der
phototropischen Empfindlichkeit gesprochen. Das Wort Empfindlich-
keit hat aber zu viele Bedeutungen und die Reaktionszeit ist eine
viel zu zusammengesetzte Größe, als daß wir uns mit dieser Gleich-
setzung von Empfindlichkeit und Schnelligkeit der Reaktion zufrieden
geben könnten. Wenigstens können wir ihr keinen exakt physio-
logischen, sondern nur einen ökologischen Wert beimessen.
Die Präsentationszeit hängt gleichfalls in gesetzmäßiger
Weise von der Beleuchtungsintensität ab, soll also ebenso bei Be-
sprechung der quantitativen Verhältnisse Berücksichtigung finden.
Wir wollen nun versuchen, in den phototropischen Reizvorgang
tiefer einzudringen. Zu dem Zwecke zerlegen wir ihn wie beim
Geotropismus zunächst theoretisch in Teilprozesse und führen dann
die Mittel auf, die bisher zu einer experimentellen Trennung ange-
!) In der Literatur wird fast durchgehends Lichtintensität (anzugeben
in Hefnerkerzen usw.) mit Beleuchtungsintensität oder induzierter Helligkeit
verwechselt (das Maß ist die Meterkerze).
Allgemeines über Phototropismus. 141
wendet worden sind. Das erste ist immer, zu zeigen, daß der An-
fangs- und Endvorgang, also Perzeption und Reaktion, gesondert
existieren. Dieser Nachweis gelingt nur unter besonderen Umständen,
nämlich dann, wenn eine räumliche Trennung vorhanden ist oder
beide Teilprozesse sich äußeren Einflüssen gegenüber verschieden
verhalten.
Eine Unterbrechung der Reizkette läßt sich z. B. durch Sauer-
stoffentziehung bewirken. Correns (1892, S. 137) fand, daß Senf-
keimlinge bei einem verminderten Sauerstoffdrucke, der noch Wachs-
tum und geotropische Nachkrümmung ermöglicht, weder eine vorher
in Gang gesetzte phototropische Reaktion zu vollenden imstande
sind, noch auch einen phototropischen Reiz aufnehmen können, der sich
durch eine nachher an der Luft und im Dunkeln erfolgende Krümmung
hätte bemerkbar machen müssen. Besonders der erste Befund ist
merkwürdig. Denn da durch die geotropische Reaktion bei der be-
treffenden Luftverdünnung die Bewegungsfähigkeit erwiesen ist, so
muß man annehmen, daß es Zwischenglieder der phototropischen
Reizkette (vielleicht die hypothetischen ‚rektorischen‘‘ Prozesse) sind,
deren Störung durch die Sauerstoffentziehung die Ausführung einer
eingeleiteten Lichtkrümmung verhindert.
Ein anderes Mittel zur Trennung der Aufnahme- von den
Krümmungsvorgängen hat Rothert (1896) angewendet. Er zeigte,
daß bei Haferkeimlingen nach Entfernung der Spitze keine photo-
tropische Reaktion erfolgt. Reizt man aber die Keimlinge vor dieser
Operation durch einseitiges Licht, so führen sie nachher im Dunkeln
auch ohne Spitze eine Nachwirkungskrümmung aus. Somit wird
die Bewegungsfähigkeit durch die Verwundung nicht gestört. Das
Abschneiden der Spitze muß also entweder die Reizaufnahme un-
möglich machen oder einen Zwischenprozeß verhindern. Endlich
konnte Steyer (1901) bei Phycomyces nitens in einer Ätherdampf-
atmosphäre, die kein Wachstum gestattete, eine phototropische Er-
regung induzieren, auf die nach Entfernung des Äthers eine Reaktion
folgte.
Diese Versuche sind ein Beweis für das gesonderte Bestehen
sensorischer und motorischer Prozesse beim Phototropismus. Wir
wenden uns nun dem Nachweis der räumlichen Trennung beider zu.
Dabei spielen die Eigentümlickheiten, die das Licht als Reizmittel
gegenüber der Schwerkraft auszeichnen, eine große Rolle. Durch
die Möglichkeit, den Lichtreiz zeitlich und örtlich scharf umgrenzt
zu applizieren, sind Methoden anwendbar, die beim Geotropismus
nicht in Betracht kamen. Vor allem gelang es verhältnismäßig
leicht, die Aufnahmefähigkeit für den phototropischen Reiz in den
einzelnen Teilen des Pflanzenkörpers und den Zonen seiner Glieder
zu untersuchen. Ch. Darwin führte schon ([1880] 1899, S. 402 ff.)
den einwandfreien Nachweis, daß die phototropische Erregung fort-
geleitet werden kann. Er bedeckte die Spitzen gut phototropischer
Graskeimlinge (Phalaris canariensis, Kanariengras) mit Kappen aus
142 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz.
Glasröhrehen, von denen einige geschwärzt, die anderen durch-
sichtig gelassen wurden. Dann setzte er sie einseitiger Beleuchtung
aus. Die sich sonst zuerst krümmenden Spitzen waren so mechanisch
an der Reaktion verhindert. Falls sie aber vom Lichte getroffen
werden konnten, krümmten sich die Keimlinge stark an der nicht
eingeschlossenen Basis. Dagegen blieben die, deren Spitze verdunkelt
war, nahezu gerade. Umgekehrt fand in der durch Erde verdunkel-
ten Basis von Keimlingen eine Krümmung statt, wenn die Spitzen-
region einseitig beleuchtet wurde.
Daraus geht hervor, daß die Belichtung der Spitze für die
Reaktion an der Basis wesentlich ist. Man muß daher eine Lei-
tung der phototropischen Erregung von oben nach unten hin an-
nehmen.
Darwin hat noch eine Reihe anderer Versuche angestellt, in
denen er verschiedene Keimlingsarten prüfte, die Verdunkelungen
mit Stanniol, geschwärzten Häutchen usw. vornahm usf. Immerhin
blieben noch manche Fragen offen, die später von Rothert (1896)
eine eingehende Behandlung erfuhren. Neben einer Analyse des
Krümmungsverlaufes lieferte dieser Forscher noch für viele andere
Objekte als die von Darwin herangezogenen den Nachweis einer
phototropischen Reaktion in nicht direkt gereizten Regionen. Wäh-
rend aber Darwin angenommen hatte, daß bei den von ihm benutzten
Keimlingen die Spitze allein den Lichtreiz aufnähme und der übrige
Teil nur krümmungs-, aber nicht perzeptionsfähig sei, wies Rothert
bei ihnen eine nur dem Grade nach verschiedene Aufnahmefähigkeit
der einzelnen Zonen nach. Bei Haferkeimlingen z. B. sind die obersten
3 mm besonders empfindlich. Nach unten nimmt die Perzeptions-
fähigkeit stark ab, erlischt aber erst in den auch nicht mehr krüm-
mungsfähigen untersten Regionen.
Den Nachweis führte Rothert so, daß er verschieden lange
Teile der Keimlinge, und zwar meist vom Hafer, verdunkelte und
den Einfluß dieser Maßnahme auf die Reaktion studierte. Besonders
hübsch gelang ihm aber die Lösung der Aufgabe in Experimenten,
bei denen er Spitze und Basis von Keimlingen in entgegengesetzter
Richtung gleichstark belichtete. Dies führte er aus, indem er durch
besonders geformte und gekniffene Stücke von schwarzem Papier eine
teilweise einseitige Verdunkelung der Objekte bewirkte und sie
zwischen zwei Lichtquellen aufstellte. Das Resultat war, daß die
Krümmung im unteren Teile zwar zunächst im Sinne der direkten
Belichtung auftrat, später aber nach der entgegengesetzten Seite
umschlug, dem Impulse entsprechend, der von der Spitze aus herab-
geleitet worden war. Daraus geht hervor, daß die von der emp-
findlichen Spitze hinuntergeleitete Erregung die direkte Reizung der
Basis zu überwinden imstande ist, daß aber die Leitung eine gewisse
Zeit braucht, bis sie die Strecke von oben nach unten durchlaufen
hat. Wieviel größer die Reizempfänglichkeit der Spitze gegenüber der
der Basis sein muß, kann man daraus schließen, daß der geschilderte
Allgemeines über Phototropismus. 143
Effekt auch erzielt wurde, wenn die untere Region sehr viel größer
war und selbst wenn sie stärker beleuchtet wurde, als der obere
Teil. Vielleicht kann man auch annehmen, daß der zugeleitete Im-
puls bei seiner Ausbreitung abgeschwächt wird. Dann würde die
Differenz in der Empfindlichkeit von Spitze und Basis noch größer
ausfallen.
Bei den von Darwin untersuchten Keimscheiden der Gräser,
also morphologisch einheitlichen Organen, existiert demnach keine
völlige räumliche Trennung von Perzeptions- und Aktionszone.
Rothert gelang es aber doch, Objekte zu finden, bei denen eine solche
Trennung verwirklicht ist. Es sind das die von uns schon früher ge-
schilderten Keimlinge der hirseartigen Gräser (Arten von Panicum
und Setaria). Diese bestehen aus der für die
Gräser charakteristischen Keimscheide, die die
junge Knospe einschließt und einem sie tragenden
Stengelorgane, das aber nur im Dunkeln ent-
wickelt wird (vergl. S. 97). Bei den Keimlingen
von Panicum und Setaria erlischt das Wachs-
tum in der Scheide verhältnismäßig früh. Die
Verlängerung des Ganzen beruht dann allein
auf dem Wachstum einer Zone des Stengels
kurz unter dem Ansatze der Scheide. Werden
diese Keimlinge einseitigem Lichte ausgesetzt, so
krümmen sie sich energisch, aber nur in der
Wachstumszone des Stengels (Abb. 50). Wird
jedoch die Scheide verdunkelt, so unterbleibt
die Reaktion. Die einseitige Belichtung der
Krümmungszone hat demnach keinen photo- Abb. 50.
Ei D MN . 5 NER R Keimlinge von Panicum
tropischen Reizerfolg! Wird dagegen die Spitze miliaceum. Phototropische
der Scheide belichtet und die Wachstumszone Krümmung unterhalb der
- Zn . . Scheide im Keimstengel.
verdunkelt, so erfolgt eine Krümmung, die hinter _Aufdie Hälfte verkleinert.
der ganz belichteter Keimlinge nicht zurücksteht.
Es muß demnach eine Reizleitung stattfinden. Der zugeleitete Im-
puls muß eine Veränderung in der Wachstumszone zur Folge haben,
die durch direkte einseitige Belichtung nicht erzielt werden kann:
Der Keimstengel ist zwar phototropisch reizbar, aber nicht selbst
perzeptionsfähig. Die ausgewachsene Keimscheide kann den Reiz
aufnehmen, aber sie kann nicht reagieren.')
Aus diesen Befunden kann man theoretisch wichtige Schlüsse
ziehen: Vor allem ist es nun klar ersichtlich, daß phototropische
Perzeptionsfähigkeit und phototropische Erregbarkeit zwei verschiedene
Eigenschaften der lebenden Substanz sind. Dem Keimstengel der
Paniceen kommt, wie gezeigt, nur die zweite von ihnen zu. Fügen
1) Dem phototropischen und dem das Wachstum hemmenden Lichtreiz
gegenüber verhalten sich demnach die Pariceenkeimlinge verschieden. Bei
dem letzteren findet zwar auch eine Leitung statt; das Stengelorgan ist aber
außerdem direkt reizbar. (Vgl. S. 98.)
144 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz.
wir noch hinzu, daß die Keimscheide in ihrer Jugend, solange sie
wächst, nicht nur perzeptions-, sondern auch reaktionsfähig ist, so
wird es wahrscheinlich, daß sie im ausgewachsenen Zustande nur
deshalb sich nicht mehr krümmt, weil ihr die motorischen Hilfsmittel
genommen sind. Man ersieht daraus, daß man aus dem Ausbleiben
einer Reaktion niemals auf mangelnde Reizbarkeit schließen darf.
In solchen Fällen fehlen durchaus die Erkennungszeichen für die
sensorischen Fähigkeiten. Bei den Paniceen ist die phototropische
Aufnahmefähigkeit der ausgewachsenen Scheidenspitze aber aus der
Krümmung im Nachbarorgan ersichtlich. Daraus, wie überhaupt
aus der räumlichen Trennung der Zone der Perzeption und der Re-
aktion ergibt sich ferner wiederum, daß diese beiden Teilprozesse der
Reizkette sowie auch die duktorischen Prozesse wirklich für sich
existieren. Die rektorischen dagegen wurden von uns nur theoretisch
gefordert, aus Gründen, die früher erörtert worden sind (vgl. S. 48).
Ihre Existenz experimentell zu erweisen, dürfte äußerst schwierig
sein.!) Einige Belege zur weiteren Begründung unserer hypothetischen
Anschauung werden wir noch bei Besprechung des regulatorischen
Zusammenwirkens der Teile beibringen.
Man hat sich nun nicht mit der Feststellung der Tatsache be-
snügt, daß gesonderte Aufnahme-, Leitungs- und Bewegungsvorgänge
existieren, sondern man hat versucht, tiefer in ihr Wesen einzu-
dringen. Beginnen wir zunächst mit der Frage, welchen Bedingungen
die Perzeption eines Richtungsreizes in phototropischen Organen
unterliegt? Was haben wir uns als Reizanlaß vorzustellen?
Die äußere Ursache für das Eintreten einer phototropischen
teaktion ist, allgemein ausgedrückt, die einseitige Beleuchtung des
Pflanzenteiles. Damit sind aber die physikalischen Bedingungen in
der Pflanze selbst noch nicht genügend gekennzeichnet. Sehen wir
genauer zu, so finden wir, daß die Lichtstrahlen den Pflanzenteil
seitlich treffen und ihn in einer bestimmten Richtung, entsprechend
seiner optischen Durchlässigkeit, durchsetzen. Je durchscheinender
er ist, umso geringer wird die Differenz in der Helligkeit auf der
Vorder- und Hinterflanke sein.
is fragt sich nun, vermöge welcher Umstände das Licht als
teiz wirkt, was also den eigentlichen Reizanlaß darstellt? In der
Literatur finden sich zwei Möglichkeiten diskutiert. Man fragte: Ist
das Wirksame die Richtung des Lichtes, oder ist es die Differenz in
der Beleuchtung der Vorder- und Hinterseite des Pflanzenteils, der
Helligkeitsabfall? Diese Frage wurde wohl zuerst von Sachs auf-
gestellt und zugunsten der Lichtrichtung beantwortet (vergl. Müller-
Thurgau 1876, S. 92 und Sachs 1880, S. 487). Später haben
Ch. Darwin (1880 [1899]) und Oltmanns (1892) sich für die andere
1) Vielleicht sind es diese Prozesse, die durch verminderten Luftdruck
ausgeschaltet werden. (Vgl. S. 141.)
Allgemeines über Phototropismus. 145
Auffassung erklärt. Seitdem ist viel für und wider gesagt worden,
ohne daß die Frage als entschieden gelten kann.
Das Problem: Lichtrichtung oder Lichtabfall ist experi-
mentell schwer anzugreifen. Ehe wir es diskutieren, müssen wir
versuchen, es schärfer zu präzisieren. Da fragt es sich zunächst,
soll die Alternative in vielzelligen Objekten für das ganze Organ
oder für die einzelne Zelle gelten? Soll die Lichtrichtung den
Reizanlaß darstellen, so kann sie wohl nur in dem lebenden Plasma
der Einzelzelle perzipiert werden. Dieses müßte irgendeine Struktur
haben, die durch die Lichtschwingungen eine vorher nicht bestehende
Polarität erhielte..e. So etwas ist denkbar, wenn auch schwer aus-
zumalen. Vorbedingung für eine Entscheidung in dieser Richtung
ist der Nachweis, daß nicht das ganze Organ mit allen seinen Geweb-
schichten zur phototropischen Perzeption notwendig ist. Dieser ist
allerdings durch Fitting und Nordhausen für gewisse Objekte ge-
führt worden (vgl. S.147 u. 181). Eine Entscheidung ist dadurch aber
begreiflicherweise nicht getroffen, da immer noch vielzellige Gewebe-
partien zurückblieben, für die alle Möglichkeiten ebenso bestehen wie
für das ganze Organ. Man könnte dann weiter fragen, ob der Licht-
reiz in bestimmten Zellen aufgenommen wird und in welchen?
Darüber wissen wir gar nichts.
Wird der Helligkeitsabfall für die Reizung in Anspruch ge-
nommen, so hat man dabei gewöhnlich nicht die Einzelzelle als
Perzeptionsorgan im Auge. Es ist auch nicht wohl anzunehmen,
daß die minimale Differenz in der Beleuchtung der beiden Plasma-
schichten an den Gegenseiten einer Zelle den Reizanlaß abgebe.
Deshalb stellt man sich vor, daß die Verschiedenheit in der Be-
leuchtungsintensität auf Vorder- und Rückseite des ganzen Organes
als Reiz empfunden wird.
Demgegenüber wurde betont, daß wir in den schlauchförmigen
Fruchtträgern mancher Pilze, wie Pilobolus, Mucor, Phycomyces und
in den Wurzelhaaren der Lebermoose ausgesprochen phototropische
Objekte kennen, die fast glasklar durchsichtig sind. Die Absorption
des Lichtes muß bei ihnen, zumal bei der geringen Dicke, sehr
gering sein. Und doch perzipieren sie den Lichtreiz. Dazu ist zu
sagen, daß der Reizanlaß hier nicht derselbe sein muß wie bei den
Stengeln und Blättern höherer Pflanzen.
Bei den genannten durchsichtigen Objekten wird die Helligkeits-
verteilung im Innern bei einseitiger Belichtung jedenfalls weniger
durch die Absorption als durch die Lichtbrechung beeinflußt. Und
zwar muß in einem durchsichtigen zylindrischen Organe eine Kon-
zentration der Strahlen in Form einer Brennlinie auf der von der
Lichtquelle abgewandten Seite entstehen. Damit würde also das
perzipierende Protoplasma der Rückseite der intensivsten Belichtung
ausgesetzt sein, ein Umstand, der für die tropistische Reizung sehr
wohl in Betracht kommen kann.
In geringerem Maße bestimmt die Lichtbrechung neben der
Pringsheim, Reizbewegungen. 10
146 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz.
Absorption auch in weniger durchsichtigen Objekten die optischen
Verhältnisse. Die Art der Helligkeitsverteilung in phototropischen
Organen darf jedenfalls bei den Theorieen über die Art der Perzeption
nicht vernachlässigt werden, wie das bisher geschah. Sie wird von
Fall zu Fall verschieden sein und mit ihr vielleicht der physikalische
Reizanlaß.
Versuche unter Berücksichtigung der Lichtbrechungs- und Zer-
streuungsverhältnisse in den Organen sind aber bisher nicht ausge-
führt worden. Man kann darüber also nichts Bestimmtes aussagen,
so wichtig dieser Gesichtspunkt möglicherweise ist. Bei den weniger
durchsichtigen Objekten spricht von vornherein auch nichts gegen
die Auffassung, daß der Abfall der Beleuchtung den Reizanlaß dar-
stelle. Es brauchen keineswegs gleiche oder ähnliche Resultate stets
durch dieselben Mittel erzielt zu werden. Eine Entscheidung aber
läßt sich rein theoretisch nicht treffen.
Es sollen nun die wichtigeren Versuche kritisch besprochen
werden, die zur Lösung des Problems unternommen worden sind.
Sie werden uns am besten zeigen, worin die Schwierigkeiten liegen
und nach welcher Seite sich die Wagschale neigt.
Sachs führte, ohne Experimente und ohne das Problem weiter
zu zergliedern, nur Wahrscheinlichkeitsgründe für seine Auffassung
an, daß der Lichtrichtung die entscheidende Rolle zukomme. Sein
Hauptargument ist die Analogie zum Geotropismus. Bei jenem ist
aber tatsächlich heute die Unterschiedsempfindlichkeit wahrscheinlich
gemacht. Auf ihr fußt ja die Statolithenhypothese.
Ch. Darwin ([1880] 1899, S. 398) bemühte sich zum ersten Male,
das Problem durch einen Versuch zu lösen. Er bemalte die eine Längs-
hälfte phototropischer Keimlinge mit schwarzer Tusche und stellte
die Pflänzchen in die Nähe eines Fensters. ‚Das Resultat war, daß
sie, anstatt sich in einer direkten Linie nach dem Fenster hin zu
biegen, vom Fenster weg und nach der nichtbemalten Seite abgelenkt
wurden.‘ ‚Diese Abbiegung vom Fenster ist verständlich, denn die
ganze nichtbemalte Seite muß etwas Licht erhalten haben, während
die entgegengesetzte bemalte keines erhielt; es wird aber eine schmale
Zone auf den nicht bemalten Seite direkt vor dem Fenster das meiste
Licht und sämtliche hinteren Partien in verschiedenen Graden immer
weniger und weniger Licht erhalten haben; und wir können folgern,
daß der Ablenkungswinkel die Resultante der Wirkung des Lichts
auf die ganze nichtbemalte Seite ist.“ Diese Auffassung scheint mir
noch immer sehr annehmbar, falls das Resultat sich bestätigen
läßt. Man hat allerdings eingewendet (z. B. Jost 1908, S. 561), daß
bei Darwins Versuchsanstellung Licht von der beleuchteten zur be-
schatteten Längshälfte gelangen kann. Es dürfte aber doch wohl
die zerstreute Lichtmenge zu gering sein, als daß sie die durch direkte
Bestrahlung hervorgerufene Reizung merklich beeinflussen könnte,
falls wirklich die Lichtrichtung das Reizagens wäre. Denn nach der
Sachsschen Auffassung, die durch neuere Erfahrungen gestützt wird,
Allgemeines über Phototropismus. 147
sollen die ‚.intensiveren Strahlen durch ihre Richtung entscheidend
wirken‘ (1887, S.736). Darwins Versuch ist nicht ganz klar zu über-
sehen, weil diffuse Beleuchtung verwendet wurde, und weil über die
Liehtbrechungsverhältnisse im heliotropischen Stengel nichts bekannt
ist. Die Methode dürfte aber bei Berücksichtigung dieser Fehlerquellen
geeignet sein, Anhaltspunkte zu liefern.
Oltmanns (1892) schlug einen anderen Weg ein. Er stellte sich
spitzwinkelige Keile aus Glasplatten her, die mit trüb-grau ge-
färbter Gelatine gefüllt waren. Am dicken Ende der Keile wurde
mehr Licht absorbiert als am dünnen. Fiel das Licht annähernd
senkrecht auf die Glasfläche und wurden dahinter phototropische
Keimlinge aufgestellt, so reagierten sie schräg seitlich. Daraus schloß
Oltmanns auf die Unabhängigkeit der phototropischen Reizung von
der Richtung des Lichtes, weil die Krümmung nach der helleren Seite
des Raumes hinter dem Absorptionskeile erfolgte und nicht nach der
Lichtquelle hin. Da aber durch die trübe Gelatine das Licht nach
allen Seiten zerstreut wurde, sind die Verhältnisse schwer zu über-
sehen, und man kann das Resultat vielleicht auch so auffassen, daß
die Keimlinge in der Richtung reagierten, in der sie die meisten
Lichtstrahlen trafen. Eine sichere Entscheidung ist also auch damit
nicht gewonnen.
Nur über eins sind wir genau unterrichtet, nämlich darüber, daß
die Differenz in der Beleuchtung der Vorder- und Hinterseite des
ganzen Organes jedenfalls nicht immer für die Perzeption eines photo-
tropischen Reizes erforderlich ist. Fitting (1907a) zeigte, daß isolierte
Längsstreifen der hohlen Keimscheide von Avena sativa sich noch
in der Lichtrichtung krümmen. Dabei ist es gleich, ob diese Streifen
von außen, von innen oder von der Seite her beleuchtet werden.
Sie dürfen nur nicht gar zu schmal sein und müssen ein Stück der
Spitze enthalten. Für andere orthotrope Objekte!) ist dergleichen
nicht versucht worden.
Aus dem Vergleich aller angeführten Versuche geht hervor, daß
die Argumente für die Bedeutung der Lichtrichtung als Reizanlaß
nicht stichhaltig sind. Aber auch die andere Auffassung, die das
Wesentliche in Helligkeitsdifferenzen sieht, ist nur wahrscheinlich ge-
macht, nicht bewiesen. Ob die Perzeption des tropistischen Reizes
in der einzelnen Zelle geschieht, oder ob dafür das Zusammenwirken
verschiedener Gewebe nötig ist, diese Fragen sind noch gar nicht in
Angriff genommen.
Wir wenden uns nun zu dem zweiten der bisher nachgewiesenen
Teilprozesse der Reizkette, nämlich den die Perzeption mit der Reak-
tion verknüpfenden Leitungsvorgängen. Eine Leitung der Erregung
findet in sehr vielen phototropischen Pflanzenteilen statt, immer aber
1) Wie wir gehört haben, nennt man orthotrop solche Objekte, die sich
in die Richtung der einwirkenden Kraft zu stellen suchen. Man kann somit
wie von geo-, so auch von photoorthotropen Organen sprechen.
10*
148 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz.
nur in der Richtung von der Spitze nach dem Grunde zu (Rothert
1896, S. 62).
Einen tieferen Einblick in die Reizleitungsvorgänge beim Photo-
tropismus gewinnen wir außer aus Rotherts Arbeit (vgl. S. 142) beson-
ders durch Fittings eigens hierauf gerichtete Untersuchungen (1907 a).
Dieser Forscher zeigte, daß beliebig gerichtete Einschnitte in die
Keimscheide von Avena (Hafer) die Reizleitung nicht beeinträchtigen.
Andere Objekte ließen sich wegen ihrer größeren Empfindlichkeit
gegen Verwundungen für derartige Versuche nicht verwenden. Beim
Hafer aber konnte gezeigt werden, daß eine phototropische Krüm-
mung im Sinne der Lichtrichtung auch dann ausgeführt wurde, wenn der
Zusammenhang zwischen der einseitig belichteten Spitze und der ver-
dunkelten, sich krümmenden Basis nur durch eine schmale Brücke
aufrecht erhalten wurde.!) Die Richtung, in der der trennende Ein-
schnitt gemacht wurde, beeinflußte die Richtung der Krümmung in
keiner Weise. Wurden in verschiedener Höhe von entgegengesetzten
Seiten Einschnitte gemacht, die bis etwas über die Mitte gingen, so
erfolgte auch dann noch eine Leitung, die also nicht auf geraden
Bahnen verlaufen konnte.
Daraus geht hervor, daß die phototropische Erregung das ganze
Organ ergreift und nicht etwa nur von der Licht- oder Schattenseite
geradlinig nach unten geleitet wird.
Fitting schließt aus diesen (und anderen) Befunden, daß durch
die einseitige Beleuchtung in allen Teilen, wahrscheinlich in allen Zellen
ein „polarer Gegensatz‘‘ geschaffen wird. Dieser wird auf beliebig
verlaufenden lebenden Bahnen in die an sich physiologisch rings-
gleiche Bewegungszone geleitet und ruft dort, wie in allen Zellen der
Reizleitungsbahnen, eine gleiche Polarisation hervor. Dadurch wird
die Reaktionszone zu einer Krümmung veranlaßt, deren Richtung
durch die Richtung des polaren Gegensatzes bestimmt ist.”) Diese
Befunde liefern somit neben ihrer Bedeutung für die Kenntnis des
ı) Dabei mußte durch besondere Vorrichtungen das Vertrocknen von der
Wurde aus verhütet werden. Auch mußten gewisse Krümmungen, die die
Verletzung zur Folge hatte, berücksichtigt werden.
2) Boysen-Jensen (1910) ist inzwischen Fitting entgegengetreten. Er
schließt aus seinen Versuchen, daß die phototropische Reizleitung ein chemischer
Prozeß sei, der sich auf der Schattenseite ausbreite. In Fittings Versuchen sollen
die Einschnitte nicht isolierend gewirkt haben, weil ein Feuchtigkeitstropfen an
der Wunde genüge, die Leitung herzustellen. Werde in den Einschnitt ein
Glimmerblättchen gesteckt, so würde dadurch die Reizleitung unterbrochen.
Jensen gibt sogar an, in der Basis eines Avenakeimlinges, dessen Spitze ganz
abgeschnitten und dann mit Gelatine wieder aufgeklebt worden sei, bei alleiniger
Beleuchtung dieser Spitze phototropische Krümmungen erzielt zu haben. Jensens
Versuche sind zu knapp mitgeteilt, als daß sich schon jetzt eine klare Einsicht
ermöglichte. Auch stimmen seine Angaben mit den äußerst genauen, gerade
die von Jensen behauptete Möglichkeit berücksichtigenden Angaben Fittings
nicht überein. So hat z. B. Fitting schon Stanniolblättchen in einen hinteren
Einschnitt gesteckt, auch breitere Stücke herausgeschnitten, ohne die Reizlei-
tung zu verhindern. Diese wichtige Angelegenheit bleibt also noch zu ent-
scheiden.
Allgemeines über Phototropismus. 149
Leitungsvorganges auch einen weiteren Beitrag zur Aufklärung der
Prozesse bei der Reizaufnahme.
Weiter hat dann Fitting in derselben Arbeit auch die äußeren
Bedingungen für die Reizleitung untersucht. Um bestimmte Ein-
flüsse scharf lokalisieren zu können, wurde quer über die benutzten
Keimscheiden junger Haferpflänzchen ein durchlochter Gummischlauch
gesteckt. Durch den Schlauch konnten Flüssigkeiten geleitet werden,
die die Keimscheide an einer bestimmten Stelle unterhalb der Spitze
umspülten. Bei Benutzung von warmen Wasser ergab sich folgen-
des: „Die phototropische Reizleitung wird durchschnittlich völlig ge-
hemmt, wenn man eine Strecke der Reizleitungsbahn auf etwa 39°
bis 41° erwärmt, schon geschwächt in Temperaturen von Sala
während die Tötungstemperatur (der Keimscheide) etwa 43° beträgt.
Abb. 51.
Einige Phasen aus dem phototropischen Krümmungsvorgange eines etiolierten Haferkeimlings,
von rechts beginnend. Schon die erste Figur zeigt schwache Asymmetrie der Spitze, die den
Beginn der Reaktion darstellt. Natürliche Größe.
Die Reizleitungsvorgänge unterliegen also der Wärmestarre! In
gleicher Weise werden sie durch Kochsalz-, Kalisalpeterlösungen,
Äthylalkohol und Chloroform gehemmt.“
Über die Geschwindigkeit der Reizleitung hat Rothert (1896)
einige Erfahrungen gesammelt. Die schnellste Ausbreitung der Er-
regung fand er an Blütenschäften von Brodiaea congesta. Wurde
deren. unterer Teil durch Erde verdunkelt, der obere einseitig be-
lichtet, so: fand sich, daß die Krümmung nach 3 Stunden 5—6!/, cm
tief unter die Oberfläche der Erde zu verfolgen war. Bedenkt man,
daß für den Anstieg der Erregung bis zu der Höhe, die die Krüm-
mung auslöst, mindestens eine halbe Stunde abgezogen werden muß,
so ergibt sich eine Fortpflanzung der Erregung von mindestens 2cm
in der Stunde. Meist geht die Reizleitung allerdings langsamer
vor sich.
50 V. Richtungsbewesungen auf Lichtreiz.
? C [o}
Das scheint im Vergleich zu den Leitungsvorgängen in den Nerven höherer
Tiere sehr langsam. Es muß aber bedacht werden, daß bei niederen Tieren
unter Umständen die Reizleitungsvorgänge auch gar nicht so schnell verlaufen,
und daß außerdem der oben angegebene, von Rothert bestimmte Wert nur
die obere Grenze darstellt. Nachdem wir jetzt wissen, wie niedrig die Zeit-
schwelle für die Erregungsvorgänge sein kann, liegt es nahe, für die Ausbrei-
tung der Erregung gleichfalls eine größere Geschwindigkeit zu vermuten, die
nur mit den bisherigen Mitteln nicht nachzuweisen war (Fitting 1907a, S. 98).
Abb. 52.
Einseitig hell beleuchteter, am Lichte gewachsener Wiekenkeimling in Pausen von 10 Min. photo-
graphiert, zeigt die Entstehung der phototropischen Krümmung und Überkrümmung. Letztere
sieht man zuletzt schon wieder zurückgehen. Der Versuch dauerte bis zur Horizontalstellung
(Beginn der zweiten Reihe) 1 Stunde, bis zur letzten Aufnahme 1 Stunde 40 Min.
Was die Ausführung der phototropischen Reaktionen betrifft,
so kann in der Hauptsache auf das verwiesen werden, was im
allgemeinen über die Bewegungen sowie über die geotropischen
Krümmungen gesagt worden ist. Auch bei der phototropischen
Krümmung sind alle wachstumsfähigen Zonen eines Organes beteiligt,
ohne daß aber die Reaktion immer an der sich am schnellsten
streckenden Zone beginnen muß. Diese liegt z. B. bei der Keim-
scheide der Gräser ein ganzes Stück unter der Spitze. Der Erfolg
einer phototropischen Reizung macht sich aber zuerst an der äußer-
Zusammenwirken von Phototropismus und Geotropismus, 151
sten kegelförmigen Spitze bemerkbar (Abb. 51, S. 149). Das beruht
offenbar auf deren besonderer Reizempfänglichkeit. Später rückt die
Zone maximaler Krümmung nach unten, während die Spitze sich
gerade streckt, ganz entsprechend dem über die geotropische Reak-
tion Gesagten.
Ist an der Basis ein nicht mehr wachsender Teil vorhanden,
so behält er die frühere aufrechte Richtung bei und bildet zuletzt
mit dem gerade gestreckten jüngeren Ende einen ziemlich scharfen
Winkel. Der zuerst gekrümmte Spitzenteil bekommt vielfach durch
das Fortschreiten der Reaktion vorübergehend eine geneigte Stellung.
Er geht also über die Lichtrichtung hinaus und zeigt eine Überkrüm-
mung. Sehr stark kann sie z. B. an Keimpflanzen der Futterwicke
(Vicia sativa) werden, weil bei ihnen die Reaktion besonders schnell
fortschreitet (Abb. 52). Schließlich aber wird die Überkrümmung
durch eine rückläufige Bewegung wieder ausgeglichen und das Ende
geradegestreckt. Es steht dann in der Lichtrichtung.
b) Zusammenwirken von Phototropismus und Geotropismus.
Das zuletzt Gesagte bedarf einer Einschränkung. Die ge-
naue Einstellung in die Richtung des Lichtes wird nicht bei allen
orthotropen Pflanzenteilen erreicht, weil der Geotropismus dem ent-
gegenarbeitet. So nehmen die meisten Pflanzenstengel, z. B.
junge Keimlinge der Sonnenrose (Helianthus annuus), der Lupine
(Lupinus albus u. a.), der Bohne (Phaseolus) usw. bei einseitiger Be-
leuchtung eine Stellung ein, die zwischen der senkrechten und der
Lichtrichtung liegt. Manche nähern sich mehr der ersteren, manche
der letzteren. Es gibt aber auch Pflanzen, die sich wirklich genau
oder fast genau in die Lichtrichtung einstellen. So z. B. die Keimlinge
von Hafer (Avena sativa), Futterwicken (Vicia sativa), Kressen (Lepi-
dium sativum), Raps (Brassica Napus) sowie die Sporangienträger
der Mucorineenpilze (Phycomyces nitens, Mucor Mucedo usw.), also
gerade diejenigen Objekte, die mit Vorliebe zu phototropischen Ver-
suchen verwendet werden. Alle diese Pflanzenteile folgen auch einem
von unten auf sie fallenden Lichtreize, können sich also senkrecht
abwärts biegen, als ob für sie gar kein Geotropismus existierte. Und
doch wachsen sie im Dunkeln sehr schön aufrecht.
Das Überwiegen des Lichtreizes blieb lange rätselhaft, denn die
phototropische Reaktion schien an sich nicht energischer als die geo-
tropische. Wie aber Guttenberg (1907) gezeigt hat, ist es nicht
erlaubt, aus der Intensität der Krümmung oder der Länge der
Reaktionszeit auf die Stärke der Erregung zu schließen.!) Schwächt
man nämlich den Lichtreiz ab, so wird schließlich auch bei den ge-
nannten stark phototropischen Objekten der Einfluß des Schwerkrafts-
reizes äußerlich bemerkbar. Bei einer gewissen, sehr geringen Be-
1) Vgl. auch das auf S. 60 beim Geotropismus Gesagte.
152 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz.
leuchtungsstärke (für Avena z. B. 0,0475 Meterkerzen) werden beide
Reize gleich stark. Das zeigt sich darin, daß umgelegte, von unten
beleuchtete Keimlinge ihre Ruhelage in der Horizontalen finden.
Dabei wirken Geotropismus und Phototropismus einander genau ent-
gegen und heben sich auf. „Läßt man das Licht in gleicher Stärke
senkrecht zur Schwerkraft einwirken (Pflanze vertikal, Licht hori-
zontal), so erhält man eine resultierende Stellung, die zwischen bei-
den Richtkräften annähernd die Mitte hält, also um ca. 45° von
diesen abweicht. Bei Ausschluß einseitiger Schwerewirkung (am
Klinostaten) erfolgt dagegen Einstellung in die Lichtrichtung.‘‘ Das
letztere wird am Klinostaten auch bei den Pflanzenteilen erreicht, die
selbst durch starke einseitige Beleuchtung nur wenig von der senk-
rechten Stellung abgelenkt werden. Das verschiedene Verhalten der
phototropischen Pflanzen beruht also nicht auf einer Beeinflussung
des Geotropismus durch das Licht, wie man früher wohl annahm
(Noll 1892), sondern auf dem verschiedenen Verhältnis von geotro-
pischer und phototropischer Erregbarkeit. Nur dieses Verhältnis
ist aus den von Guttenberg bestimmten Werten für die zur Kom-
pensation des geotropischen Reizes nötige Beleuchtungsstärke zu ent-
nehmen. In die geo- und phototropische Empfindlichkeit selbst kann
man auf diese Weise keinen Einblick gewinnen.
Die Erscheinung der phototropischen Reaktion, so wie sie sich
gewöhnlich bei verschiedenen Objekten darstellt, konnte nicht ge-
schildert werden, ohne auf dies Hineinspielen geotropischer Beein-
flussungen einzugehen. Bei der Erforschung des Verhältnisses von
Photo- und Geotropismus haben sich nun mancherlei weitere neue
Tatsachen ergeben, von denen ein Teil schon Erwähnung fand. So
neben dem eben Besprochenen die verschiedene Widerstandsfähigkeit
der Teilprozesse gegen schädliche Einflüsse. Es bleibt aber noch
von weiteren Erfahrungen zu berichten. Wir haben das Thema der
Übereinstimmungen und Verschiedenheiten beider Reizvorgänge noch
nicht erschöpft. Will man diese studieren, so muß man suchen, den
phototropischen Effekt vom geotropischen experimentell loszulösen.
Ausschalten kann man den Schwerkraftreiz nicht; wohl aber kann
man ihn, mit Hilfe des Klinostaten, praktisch unwirksam machen.
Soll gleichzeitig ein einseitiger Lichtreiz einwirken, so muß der be-
treffende Pflanzenteil senkrecht zur horizontalen Drehungsachse be-
festigt und in deren Richtung beleuchtet werden. Dabei ergibt sich,
daß jede Belichtung, die ausreicht, um überhaupt einen phototro-
pischen Effekt hervorzurufen, schließlich zur Einstellung in die Licht-
richtung führt (Müller-Thurgau 1876). Wenn das bei aufrechtstehen-
den Pflanzen nicht erreicht wird, so liegt der Grund hierfür in der Gegen-
wirkung des Geotropismus. Diese macht sich aber erst bemerkbar,
wenn eine Abweichung von der senkrechten Stellung durch die
phototropische Reaktion begonnen hat; sie beeinflußt vor allem die
schließliche Ruhelage. Der Beginn der Krümmung wird durch die
geotropische Erregung nicht beeinflußt, da diese erst mit der Ab-
Zusammenwirken von Phototropismus und Geotropismus. 153
weichung von der geotropischen Ruhelage einsetzt. Deshalb wird
die phototropische Präsentations- und Reaktionszeit durch den Ge-
brauch des Klinostaten meist nicht beeinflußt, wohl aber die Stärke
der Nachkrümmung.
Oben haben wir berichtet, daß Guttenberg für jedes Objekt
zu bestimmten Beleuchtungsintensitäten kam, die den geotropischen
Effekt gerade kompensieren. Er ist der Meinung (1907, S. 230), daß
das für alle orthotropen Pflanzenteile gelingen müsse. Das ist aber
ein Irrtum, denn die phototropische Erregung läßt sich nicht durch
die Intensität des Reizmittels beliebig steigern. Es gibt Objekte
(einige wurden oben genannt), die sich durch das Licht nur wenig
von der senkrechten Stellung abbringen lassen. Bei diesen würde
sich die Kompensation nur mit Hilfe schwächerer geotropischer
(Zentrifugal-) Reize erreichen lassen. Von Guttenberg wurde der
geotropische Reiz nicht variiert. Das würde auch die Sache zu
sehr komplizieren. An dieser Stelle lege ich aber Wert darauf, zu
betonen, daß es berechtigt bleibt, von Pflanzen zu sprechen, die
stärker geotropisch und solchen, die stärker phototropisch sind. Das
Verhältnis muß durch eine Zahl ausgedrückt werden, in der die
Intensität des Schwere- und des ihn kompensierenden Lichtreizes
enthalten ist.
Czapek (1895a) hat früher versucht Pflanzen zu finden, die
gleich stark photo- und geotropisch reagieren; er hat dabei aber
die Reaktionszeit als Maß benutzt. So schienen ihm z. B. Hafer-
keimlinge dieser Forderung zu entsprechen. Auf Grund dieses Miß-
griffes kam er zu der Ansicht, daß ein phototropischer Reiz einen
gleich starken geotropischen völlig zu überwinden vermag. Wie die
Erklärung für dieses Resultat zu geben ist, hat Guttenberg ge-
zeigt. Er fand, daß bei Benutzung einer kompensierenden Be-
leuchtungsintensität der geotropische Reizprozeß in seinen Objekten
viel schneller verlief als der phototropische. Die Ausgleichung beider
war deshalb nicht von Anfang an zu bemerken. Vielmehr krümmten
ich die benutzten Keimlinge zuerst geotropisch, später ging diese
Krümmung zurück, und schließlich trat die Gleichgewichtslage ein.
Somit bedarf es zur Erzielung einer phototrophischen Reaktions-
zeit, die gleich der geotropischen ist, einer viel höheren Licht-
intensität als zur Kompensation der Endstellung. Eine solche hat
Czapek benutzt, und deshalb wurde in seinen Versuchen der Geo-
tropismus überwunden. Nicht immer muß, wie mir scheint, bei
gleicher Reizstärke der geotropische Erregungsvorgang schneller ab-
laufen als der phototropische. Hätte Guttenberg Objekte mit un-
gefähr gleichlanger geotropischer und heliotropischer Reaktionszeit
benutzt, die durch seitliches Licht nur wenig aus der senkrechten
Lage abgelenkt werden können, also die Kompensation nur durch
Herabsetzung des Schwerereizes ermöglichen, so hätte er in
bezug auf das zeitliche Fortschreiten der Erregungsvorgänge
wahrscheinlich das umgekehrte Resultat erzielt. Dies zur theore-
154 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz.
tischen Klarstellung des Verhältnisses von geotropischer und
phototropischer Erregung.
Der Reizerfolg ist beim Phototropismus derselbe wie bein
Geotropismus. Deshalb ist es möglich, den einen Reizerfolg durch
den anderen auszugleichen. Es fragt sich aber, ob dieses rein
mechanisch geschieht, ob also nur die beiden Krümmungsbewegungen
sich gegenseitig aufheben oder ob schon frühere Glieder der Reiz-
kette sich beeinflussen? Die Frage, an welcher Stelle der Reizkette
bei dem Gegeneinanderwirken zweier Impulse die Vergleichung statt-
findet, muß übrigens bei jedem Kompensationsvorgang, also auch
bei gleichartigen gegeneinanderwirkenden Reizen gestellt werden.
In diesem Falle ist aber bisher kein Mittel zur Lösung des Problems
ausfindig gemacht worden. Anders ist das bei verschiedenartigen
Reizen. Läßt sich nämlich nachweisen, daß bestimmte Glieder der
beiden Reizketten verschieden voneinander sind, so können diese
für den Vergleich der gegeneinanderwirkenden Reize nicht in Betracht
kommen. Für den Perzeptionsvorgang versteht sich die Verschieden-
heit beim Geo- und Phototropismus von selbst. Und da das End-
resultat, die Krümmung, in beiden Fällen dasselbe ist, so fragt es
sich, bis zu welchem Gliede der Reizkette Differenzen bestehen.
Schon früher haben wir gesehen, daß in der phototropischen
Reizkette ein Teilvorgang vorhanden sein muß, der gegen Sauerstoff-
entziehung empfindlicher ist als der entsprechende Prozeß bei der
geotropischen Reizung (vgl. S. 141). Umgekehrt wird durch gewisse
chemische Stoffe (z. B. Verunreinigungen der Luft, wie sie in Labo-
ratorien meist vorhanden sind) bei Keimlingen von Wicken, Erbsen
usf., wie Richter zeigte (1906), die negativ-geotropische Reaktion
unterdrückt. Die phototropische dagegen (Guttenberg 1910), wird
nur wenig beeinflußt. Bei der geotropischen ist es nicht der Vor-
gang der Krümmung, sondern der der Reizaufnahme, der eine Be-
einflussung erfährt.
Das sind einige von den Befunden, die auf eine tiefergehende
Verschiedenheit der beiden Reizprozesse schließen lassen. Noch
deutlicher wird das aus eigens darauf gerichteten Versuchen von
Frl. Pekelharing (1910). Diese stützte sich auf die Möglichkeit,
gleichartige Reize, die an sich nicht die Schwelle erreichen, zu
summieren. Zwei solche, nur wenig unter der Präsentationszeit
bleibende Impulse, bewirkten, falls sie schnell aufeinander folgten,
eine geotropische oder phototropische Krümmung als Nachwirkung.
Wurde aber ein Schwere- und ein Lichtreiz kombiniert, so blieb
der Erfolg aus. Die Perzeption beider Reize muß geschehen sein,
denn sonst könnten sie auch durch einen gleichartigen Impuls nicht
zur Wirksamkeit gebracht werden. So muß man annehmen, daß
in mittleren Gliedern der Reizkette Verschiedenheiten vorhanden
sind, die eine Summation unmöglich machen. Da somit geotropische
und phototropische Erregungen, die fast bis zur Reaktion führen,
Veränderlichkeit des phototropischen Verhaltens. 155
sich nicht summieren lassen, so wird es wahrscheinlich, daß auch
das Gegeneinanderwirken erst bei der Ausführung der Krümmung
stattfindet.
Damit hätten wir schon eine ganze Anzahl von den Differenzen,
die bisher zwischen geotropischen und phototropischen Reizer-
scheinungen gefunden worden sind, kennen gelernt. Zwei sehr
wesentliche Unterschiede bleiben uns aber noch zu besprechen. Sie
sind, wie wir zu zeigen haben, nur im Zusammenhange mit der
Tatsache zu verstehen, daß die Beleuchtung der Intensität nach
stets wechselt, während die Schwere konstant ist. In Kürze kann
man diesen Tatsachenkomplex folgendermaßen bezeichnen : Der photo-
tropische Fffekt ist von den vorausgegangenen Beleuchtungsverhält-
nissen abhängig, und es können je nach der Stärke der Erregung
positive oder negative phototropische Krümmungen entstehen.
c) Veränderlichkeit des phototropischen Verhaltens.
Positiver und negativer Phototropismus.
Phototropische Stimmung.
Bisher haben wir nur von einer Art von Phototropismus ge-
sprochen, während wir vom Geotropismus gleich erwähnten, daß er
sich bei verschiedenen Pflanzenteilen in verschiedener Weise äußert.
Die negative Reaktionsweise spielt beim Phototropismus lange keine
so große Rolle wie die positive. Auch ist das Verhältnis beider hier
ganz anders als beim Geotropismus. In bezug auf diesen verhält
sich ein und dasselbe Objekt meist dauernd gleich. Mur wenige Fälle
konnten wir aufzählen, in denen die geotropische Ruhelage durch
anderweitige Einflüsse verändert wurde. Man kann daher ohne
weiteres von positiv und negativ geotropischen Organen reden. Beim
Phototropismus hätten solche Bezeichnungen nur sehr begrenzten
Wert. Allerdings reagieren bei mittlerer Beleuchtungsintensität die
Stengel und andere oberirdische phototrope Organe meist. positiv
phototropisch. Für die Wurzeln läßt sich selbst eine so bedingte
allgemeine Aussage nicht machen. Die meisten sind phototropisch
indifferent, die übrigen reagieren zum Teil positiv, zum Teil negativ.
Außerdem aber ist wohl bei allen Pflanzenteilen der Sinn des Photo-
tropismus, also die Entscheidung, ob die Krümmung nach der
Lichtquelle hin oder von ihr fort erfolgen soll, von der Stärke der
Beleuchtung abhängig. Wie das zu verstehen ist, werden wir
bald sehen.
Die Beobachtung selbst ist nicht neu:
N. J. C. Müller erzielte schon 1872 (1877, 8. 57), als er durch
eine Linse konzentriertes Sonnenlicht auf Kressekeimlinge (Lepidium
sativum) fallen ließ, negative Reaktionen bei diesen, sonst positiv
reagierenden Objekten. In größerer Entfernung von der Sammel-
linse, also bei schwächerer Beleuchtung, traten positive Krümmungen
156 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz.
auf; an der Grenze zwischen beiden blieben die Pflänzchen gerade.
Diese Entdeckung wurde zuerst nicht genügend gewürdigt. Aber
im Jahre 1880 fand Stahl entsprechende Verhältnisse für die Alge
Vaucheria und 1882 Berthold für verschiedene Meeresalgen. Olt-
manns hat dann 1892 und 1897 mit verschiedenen Objekten syste-
matische Versuche über die phototropische Reaktionsweise bei ver-
schiedenen Lichtintensitäten angestellt. Zuerst verwendete er, wie
seine Vorgänger, das Licht der Sonne, später das einer elektrischen
Bogenlampe. Mit diesem Hilfsmittel und unter Benutzung des stark
phototropischen Pilzes Phycomyces nitens als Objekt gelang es ihm,
einige sehr bedeutungsvolle Beobachtungen zu machen.
Oltmanns stellte in verschiedener Entfernung von der Bogen-
lampe auf Brot gewachsene Kulturen von Phycomyces mit jungen
Sporangienträgern auf, die er durch Glaskästen vor dem Vertrocknen
schützte. Die Entfernung der ersten Kultur betrug 20 cm, die der
letzten 80 cm von dem leuchtenden Punkte. Nach einer halben
Stunde bogen sich die Fruchtträger bei 20 bis 30 cm (ca. 100000 Meter-
kerzen) Entfernung vom Lichte ab, bei 75 bis 80 cm (10 bis 80000
Meterkerzen) nach dem Lichte zu; die mittleren waren noch gerade.
Später verstärkten sich die positiven und negativen Krümmungen.
Auch nahm die Zahl der gerade gebliebenen Fruchtträger ab, indem
die an der Grenze stehenden sich ihren Nachbarn anschlossen und
sich je nach der Lichtintensität positiv oder negativ zu krümmen
begannen. Dazwischen blieb aber immer noch eine ‚‚Indifferenz‘-
Zone mit ungekrümmten Sporangienstielen. Ähnliche Resultate er-
hielt Oltmanns auch mit Keimlingen; doch waren bei diesen negative
Krümmungen schwerer zu erzielen.
Danach kann also ein und dasselbe Pflanzenorgan je nach der
Beleuchtungsstärke positiv, negativ oder gar nicht reagieren. Diese
drei Möglichkeiten werden aber bei den meisten phototropischen
Pflanzenteillen nur unter Anwendung sehr starken Lichtes erzielt.
Bei schwächerem beobachtet man gewöhnlich nur positive Krüm-
mungen. Deshalb ist es für die Reaktionen aber doch nicht gleich,
ob man mittlere oder ganz schwache Beleuchtung wählt. Es muß
ja ein Minimum der Helligkeit geben, unterhalb dessen überhaupt
keine Reaktion auftritt: die absolute Intensitätsschwelle. Sie liegt
freilich oft sehr tief. Wird von da die Beleuchtung verstärkt, so
werden die erst sehr schwachen und langsamen Krümmungen
stärker und schreiten schneller voran. Damit wird dann auch
schließlich die Wirkung des Geotropismus bei geeigneten Objekten
völlig überwunden (vgl. oben S. 152). Bei noch viel stärkerer Beleuch-
tung muß aber ein Punkt kommen, wo man sich der Intensität
nähert, die „Indifferenz‘“‘ bewirkt. Damit wird die phototropische
Krümmung wieder schwächer.
Einen guten Ausdruck für diese Verhältnisse ist die Reaktions-
zeit bei verschieden starker Belichtung, die Wiesner (1878) und der
Verfasser (E. Pringsheim 1907) bestimmt haben. Sie nimmt mit
Veränderlichkeit des phototropischen Verhaltens. 157
steigender Lichtintensität bis zu einem Minimum ab und dann wieder
zu. Ein Einblick in die Ursachen dieser Erscheinungen wurde durch
Untersuchungen gewonnen, die zunächst ein ganz anderes Ziel ver-
folgten.
Oltmanns (1897, S. 6) hatte gefunden, daß bei Phycomyces-
kulturen, die nicht wie gewöhnlich, vor dem Versuche dauernd im
Dunkeln gehalten worden, sondern zeitweilig beleuchtet gewesen
waren, die ‚indifferente Zone‘ nach der Lichtquelle hin, also nach
größeren Helligkeiten, verschoben war. Ferner hatte sich in seinen
Versuchen gezeigt, daß von normal am Licht gewachsenen und
etiolierten Keimlingen der Gerste die ersteren bei starker Beleuch-
tung wesentlich schneller reagierten. Es kommt dabei, wie wir sehen
Abb. 53.
Wickenkeimlinge. Der Topf links ganz im Dunkeln gewachsen, der rechts einen Tag lang dem
zerstreuten Tageslicht ausgesetzt gewesen (wodurch auch die Spitzenkrümmung sich gestreckt
hat). Die Pflänzchen wurden 40 cm von einer Auerlampe aufgestellt und zeigten nach einer
Stunde das im Bilde festgehaltene Verhalten. Die hochgestimmten haben sich stark gekrümmt,
die niedriggestimmten blieben ‚indifferent‘‘. Verkleinert.
werden, nicht auf die durch das Licht bedingte Gestalt und Färbung,
sondern auf den veränderten physiologischen Reizzustand an. Man
drückt das so aus, daß man sagt, durch die Belichtung wird die
„phototropische Stimmung‘ der Objekte erhöht. Diese Erschei-
nung habe ich dann weiter studiert.
In meinen ersten Versuchen (1907, S. 275) setzte ich am Lichte
und im Dunkeln gezogene Keimlinge einiger Pflanzenarten einer
stufenweise verschieden starken Beleuchtung aus. Die größte Hellig-
keit war dabei geringer als die geringste von Oltmanns verwendete.
Trotzdem zeigte sich eine für gewisse Schlüsse ausreichende Ver-
schiedenheit in den Reaktionszeiten. In der Nähe der Lampe rea-
gierten, wie bei Oltmanns, die „Lichtkeimlinge“ schneller als die
„Dunkelkeimlinge‘“ (Abb. 53). Beischwächerer Beleuchtung aber war das
158 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz.
Verhältnis umgekehrt. Also sind im Dunkeln gezogene Keimlinge, alten
Erfahrungen entsprechend, ‚empfindlicher‘ für schwaches Licht; sie
werden aber auch durch starkes mehr affiziert als normale. Am
Lichte gewachsene Pflänzchen werden erst durch eine verhältnismäßig
stärkere Beleuchtung in der positiven Reaktion gehemmt; aber auch
ihre Schwelle ist höher. Alle Beleuchtungsintensitäten müssen bei
ihnen gesteigert werden, wenn derselbe Effekt erzielt werden soll,
kurz: ihre Stimmung ist höher als die von gänzlich im Dunkeln er-
wachsenen Keimlingen. Man denke zum Vergleich daran, daß auch
ein Mensch, der aus dem Hellen ins Finstere tritt, zunächst schwach
beleuchtete Gegenstände weniger gut erkennt, als ein ans Dunkle
Gewöhnter; daß aber letzterer wieder beim Heraustreten ins Helle
leichter geblendet wird.
Alle Erscheinungen, die an phototropischen Pflanzen, je bei
einer bestimmten Beleuchtungsstärke, auftreten, wie Reizschwelle,
schnellste Reaktion, ‚Indifferenz‘‘, negative Krümmung, werden bei
vorher am Licht gezogenen Objekten erst durch eine größere Hellis-
keit hervorgerufen als bei solchen, die im Dunkeln gewachsen sind.
Sie sind also außer von der Beleuchtungsstärke, von der jeweiligen
Stimmung abhängig. Der durch das geschilderte Verhalten gekenn-
zeichnete physiologische Zustand ist aber nicht nur bei Keimlingen,
die im Dunkeln oder am Lichte gezogen sind, verschieden, sondern
er läßt sich schon durch kurzwährende Veränderung der Beleuchtung
beeinflussen. Wir lernen in der Beeinflussung der Stimmung eine
neue Reizwirkung des Lichtes kennen, die von der eigentlichen photo-
tropischen ihrem Wesen nach verschieden ist. Über das Verhältnis
beider Klarheit zu erlangen, ist freilich nicht ganz leicht.
Daß die Perzeption für die phototropische und die für die
Stimmungsreizbarkeit nicht identisch sein können, ergab sich am
klarsten aus Versuchen mit Keimlingen von Panicum miliaceum. Wie
wir wissen, ist deren Stengel nicht direkt phototropisch reizbar, son-
dern nur von der daran sitzenden Keimscheide her (vgl. S. 143). Die
Empfänglichkeit für Stimmungsreize zeigte nun eine andere Verteilung
als die tropistische. Ausschließliche Beleuchtung der Scheide wirkte
nämlich ungefähr ebenso stark wie Beleuchtung des Stengels allein;
beide einzeln aber hatten nur die halbe Wirkung, verglichen mit der
durch Belichtung des ganzen Keimlings erzielten (E. Pringsheim
1907, 8. 288).
Ob sonst noch Verschiedenheiten zwischen den beiden photischen
Reizen in den Bedingungen der Perzeption oder in späteren Gliedern
der Reizketten nachweisbar sind, wird die Zukunft lehren. Auch
ist es vorläufig kaum zu entscheiden, ob die Stimmungsveränderung
den Aufnahmeapparat für die phototropische Reizung beeinflußt oder
ob sie in spätere Glieder der Reizkette eingreift.
Den besten Einblick in den Einfluß der Stimmung auf den Gang
der Erregung ergibt wieder die Bestimmung der Reizschwelle. Man
Veränderlichkeit des phototropischen Verhaltens. 159
kann einmal die absolute Intensitätsschwelle, d. h. die bei langer
Einwirkung geringste Helligkeit, die noch eine Reaktion hervor-
ruft, in ihrer Abhängigkeit von der Stimmung untersuchen. Man
findet dann, daß sie bei Lichtkeimlingen höher ist als bei Dunkel-
keimlingen. Die Methode hat aber den großen Fehler, daß während
der langen Belichtung eine Veränderung der Stimmung eintreten muß.
Oder besser, man kann die Zeitschwelle messen, wozu nur eine ver-
hältnismäßig kurze Belichtung nötig ist. Man bestimmt dann die
Präsentationszeit beliebig vorbelichteter Pflänzchen bei gegebener
Beleuchtungsstärke. Sie steigt gleichfalls mit der Stimmung, und
zwar läßt sich, wie ich fand, die Präsentationszeit als Maß der Stim-
mungshöhe verwenden (E. Pringsheim 1909). Auf diese Weise kann
man nicht nur den Einfluß verschieden starker Beleuchtung auf die
Stimmung messen, sondern auch den Verlauf der Veränderung ver-
folgen, die durch den Einfluß des Lichtes in zunächst niedrig ge-
stimmten Pflanzen vor sich geht. Man findet dann, daß die Stimmung
durch die Belichtung erst schnell, dann immer langsamer ansteigt,
ganz ähnlich wie die durch die Reizschwelle gemessene Adaptations-
höhe (-Stimmung) der Netzhaut. Die Verschiebung der Helligkeitswerte
für die anderen phototropischen Erscheinungen, als schnellste Reaktion,
Indifferenz usf. mit der Stimmung haben wir schon besprochen.
Die Stimmung ist also am niedrigsten bei völlig etiolierten Keim-
lingen und steigt mit der Belichtung an. Da dieser Vorgang ziemlich
schnell verläuft, jedenfalls nach wenigen Minuten beginnt, so muß
er auch während der phototropischen Reizung von Dunkelkeimlingen
stattfinden. Beide Einflüsse können aber getrennt werden, wenn
man die Pflänzchen während des Ansteigens der Stimmung durch
Drehung um eine vertikale Achse allseitig belichtet und dadurch
phototropische Krümmungen verhindert. Nach einer gewissen Zeit
hat sich dann das Objekt der herrschenden Beleuchtung angepaßt,
die Stimmung ist konstant geworden. Wird nun einseitig belichtet,
so kann keine Stimmungsveränderung mehr eintreten. Es sind also
die durch sie bedingten Komplikationen ausgeschaltet.
Wurden derartige Versuche bei verschiedenen Helligkeiten aus-
geführt, so zeigte sich ein beständiges Abnehmen der Reaktionszeiten
mit der Beleuchtungsintensität. Das ging allerdings nur bis zu einem
durch die Trägheit des Reizprozesses bedingten Minimum. Jeden-
falls aber trat nicht die Verzögerung der Reaktion auf, die bei
niedriger Stimmung durch starke Beleuchtung veranlaßt wird. Vgl.
Tabelle S. 166.
Das Auftreten langer Reaktionszeiten bei niedrig gestimmten
Pflanzen, die hellem Lichte ausgesetzt werden, fordert eine theoretische
Deutung. Dem vorliegenden Tatsachenmaterial glaube ich gerecht
werden zu können, wenn ich annehme, daß die Verzögerung der
Reaktion durch die Annäherung an jene Lichtintensität bedingt
seien, die negative Reaktionen hervorruft, also durch einen Kampf
der positiven und negativen Krümmungstendenzen. Je höher die
160 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz.
Stimmung, desto weniger ist die Neigung zur negativen Reaktion
vorhanden. Deshalb krümmen sich hochgestimmte Pflanzen bei hellem
Lichte früher positiv als niedrig gestimmte (vgl. S. 157 u. Abb. 53).
Daß bei größeren Helligkeiten auch anfangs niedrig gestimmte Keim-
linge schließlich positiv reagieren, hat nach meiner Auffassung seinen
Grund einzig in der allmählich eintretenden Stimmungserhöhung,
durch die die negativen Tendenzen nachträglich wieder an Kraft
verlieren. So konnte in neueren Versuchen beobachtet werden, daß
auch langandauernde scheinbare Indifferenz und sogar negative
Krümmungen zuletzt in positive umschlagen.
Man darf aber nicht annehmen, daß bei allen phototropischen
Organen die Stimmungserhöhung soweit gehen muß. Es existieren
solche, die auch bei langer Belichtung mit nicht zu schwachem Lichte
immer negativ reagieren. Das sind die gewöhnlich kurzweg als
negativ phototropisch bezeichneten Objekte, wie z. B. die Keim-
wurzeln von Sinapis (Abb. 58, S. 174). Bei schwächerer Beleuchtung
reagieren auch sie positiv (Linsbauer und Vouk 1909). Damit ist
die Unterscheidung von positiv und negativ phototropischen Pflanzen-
teilen theoretisch auf das verschiedene Verhältnis im Anstieg von
Stimmung und Erregung zurückgeführt.
Ist meine Erklärung der langen Reaktionszeiten bei starker Be-
leuchtung richtig, so muß die Verzögerung der Krümmung etiolierter
Keimlinge auf vorübergehender ‚‚Indifferenz‘‘ (unentschiedenem Kampf
positiver und negativer Tendenzen) beruhen. Der auf die eigentliche
Reaktion hinarbeitende Reizprozeß muß dann erst nach einiger Zeit,
während deren die Stimmung steigt, beginnen. Wirklich wurde die
phototropische Reaktionszeit, vom Beginn der Belichtung an gerechnet,
bei Dunkelkeimlingen und hellem Licht nicht verzögert, wenn die
Pflänzchen anfangs eine Zeitlang durch Drehung an der tropistischen
Perzeption gehindert wurden. Dabei stieg die Stimmung, und nach-
her bedurfte es bis zum Beginn der Reaktion einer um eben soviel
kürzeren einseitigen Belichtung wie die Vorbelichtung gedauert hatte,
vorausgesetzt, daß diese nicht zu lang ausgedehnt worden war. Dieses
Experimentum crucis beweist, daß während eines Teiles der ver-
längerten Reaktionszeit die schließlich zur positiven Krümmung
führende phototropische ‚„Polarisation‘‘ noch nicht vorhanden ist.
Eine noch bessere Einsicht in die angedeuteten Probleme ergab
sich aus Versuchen von Fröschel (1908) und Blaauw (1908 u. 1909).
In diesen wichtigen Arbeiten wurde zum ersten Male gezeigt, daß
zur Erzielung einer tropistischen Krümmung ein konstantes Minimum
der ‚‚Reizmenge‘‘ nötig ist, also der entsprechende Nachweis, wie er für
den Geotropismus in den früher erwähnten, aber später erschienenen
Arbeiten von Maillefer und Pekelharing geglückt ist. Fröschel
und Blaauw fanden gleichzeitig, daß die phototropische Präsentations-
zeit sinkt, wenn die Beleuchtungsstärke steigt, und zwar proportional.
Das heißt: An der Reizschwelle ist das Produkt aus Be-
leuchtungsintensität und Präsentationszeit, die „Licht-
Veränderlichkeit des phototropischen Verhaltens. 161
menge“, konstant. Ein ganz entsprechendes Gesetz ist für die
Helligkeitsempfindungen des Menschen seit langem bekannt.
Tabelle nach Blaauw (1909, 8. 20).
el eit ' Präsentations- Lichtmenge in
elligkei ER |
Neteskerzen-.' zeit in Stunden, | Sekunden-Meter-
| Min. u. Sek. Kerzen
0,000 17 43 Stunden | 26,3
0,000 439 TSEW. | 20,6
0,000 609 10 h 21,9
0,000 855 6 4 18,6
0,001 769 3 ö 19,1
0,002 706 100 Minuten 16,2
0,004 773 60 a 17,2
0,01 018 30 E 18,3
0,01 640 20 ee 19,7
0,0249 15 n 22,4
0,0498 8 n 23,9
0,0898 4 i 2106
0,6156 40 Sekunden 24,8
1,0998 25 x A)
3,0281 8 n 24,2
5,456 4 N 21,8
8,453 | 2 h 16,9
18,94 1 vi 18,9
45,05 | 2], a 18,0
308,7 Nesz 5 24,7
511,4 | Ua; ” | 20,5
1255 I ELfEr g | 22,8
1902 en 2 19,0
7905 1/00 > 19,8
13 094 | soo 2 16,4
26 520 en 2 | 26,5
In der ersten Reihe stehen die verwendeten Beleuchtungsintensitäten. Die
zweite Reihe zeigt die zur Erzielung einer phototropischen Reaktion nötigen
Reizzeiten an. (Die hohen Helligkeiten wurden in verschiedenen Entfernungen
von einer Bogenlampe, die mittleren und schwächeren unter Verwendung
von Auerlicht und Abdämpfung desselben erzielt. Die kurzen Belichtungs-
zeiten wurden mit Hilfe eines photographischen Momentverschlusses erhalten).
Die dritte Reihe zeigt das Produkt aus den Werten der beiden ersten. Sie
sind für physiologische Versuche und unter Berücksichtigung der Abrundungen
in der zweiten Reihe als gut konstant zu bezeichnen.
Aus diesen Befunden müssen nun noch einige weitere Konse-
quenzen gezogen werden. Wie man sieht, ergeben sich für hohe
Beleuchtungsintensitäten sehr kurze Präsentationszeiten. Nun war
Pringsheim, Reizbewegungen. 11
162 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz.
aber oben aus Versuchen über Reaktionszeiten geschlossen worden,
daß die Verzögerung der Krümmung bei größeren Helligkeiten ihre
Ursache in einer vorübergehenden ‚‚Indifferenz“ hat. Hält man
beides zusammen, so wird es wahrscheinlich, daß der ‚Indifferenz-
zustand‘, d.h. der physiologische Zustand, in dem auf einseitige
Belichtung keine Krümmung erfolgt, nicht von der Stärke der Be-
leuchtung als solcher abhängig ist und mit dieser selbst einsetzt,
sondern daß er erst nach einer gewissen Belichtungszeit beginnt. Erst
dann kommen die negativen Tendenzen zur Geltung, die bei größeren
Helligkeiten das anfangs allein wirksame positive Krümmungsbestreben
auslöschen. Wir müssen daher in einer, starker einseitiger Beleuch-
tung ausgesetzten phototropischen Pflanze mit niedriger Anfangs-
stimmung eine ganze Anzahl von Reizzuständen annehmen, die ein-
ander ablösen. Durch rechtzeitige Unterbrechung der Belichtung
kann man experimentell die Wirkung dieser Stadien isoliert zur Be-
obachtung bringen. Wird ganz kurz belichtet, so tritt später im
Dunkeln positive Krümmung auf. Auf etwas längere Reizung er-
folgt gar keine äußerlich sichtbare Reaktion. Noch längere Belichtung
hat negative Krümmung zur Folge, und schließlich geht diese wieder
in positive Krümmung über (Blaauw 1909, E. Pringsheim 1909).
Die erste physiologische Veränderung, die in der Pflanze durch
Belichtung bewirkt wird, nennen wir die primäre photische Erre-
gung. Sie muß ein gewisses Maß erreichen, damit irgendein Reiz-
erfolg, also z. B. eben sichtbare phototropische Krümmung, erzielt
wird. Da schwache Reize länger einwirken müssen, als starke, um
eine bestimmte Wirkung zu haben, so muß die Erregung mit der
Dauer der Einwirkung ansteigen. Das geht nicht endlos so weiter,
sondern es wird bei jeder Reizintensität schließlich ein spezifisches
Maximum erreicht. Man kann das einmal daraus entnehmen, daß
unterschwellige Reize auch bei längster Einwirkung keine Reaktion
zur Folge haben, obgleich die auf die Pflanze fallende Lichtmenge
schließlich ein hohes Maß erreichen muß, dann auch daraus, daß
beim Entgegenwirken eines zweiten Reizanlasses, z. B. der Schwer-
kraft, ein konstanter Endzustand erreicht wird (siehe oben S. 152).
Die Schnelligkeit des Anstieges der Erregung ist um so größer,
je höher die Intensität des Reizanlasses und je niedriger die Stimmung
ist. Das geht aus den Messungen der Präsentationszeiten hervor. Je
schneller der Anstieg, ein desto größeres Erregungsmaximum wird
auch erzielt werden, denn um so größer ist die vor Einsetzen der
Gegenreaktionen applizierte Lichtmenge. Also wird auch das Maxi-
mum der Erregung von der Lichtintensität und der Stimmung ab-
hängig sein.
Um nun über die Bedeutung der negativen Tendenzen klarer zu
werden, die bei steigender Beleuchtungsintensität Verzögerung der
teaktion oder wirklich negative Krümmungen hervorrufen, ist noch
folgendes zu beachten. Ihr Einsetzen, wie es sich zuerst in dem
Auslöschen des anfänglichen positiven Krümmungsbestrebens bemerk-
Veränderlichkeit des phototropischen Verhaltens. 163
bar macht, ist, wie Blaauw und ich fanden, ebenso wie die
Reizschwelle für die positive Reaktion, abhängig von einer ge-
wissen Reizmenge, also wohl auch von einer bestimmten Höhe der
primären Erregung. Dasselbe dürfte für die völlige Überwinduug der
positiven Tendenzen, also für die Reizschwelle der sichtbaren nega-
tiven Krümmung gelten.
Doch ist die Erzielung irgendeines Reizeffektes, wie noch ein-
mal allgemein betont werden soll, nicht schlechthin von der Licht-
menge abhängig, die einen phototropischen Pflanzenteil trifft, sondern
diese Lichtmenge muß auch innerhalb einer gewissen Zeit appliziert
werden. Geschieht das nicht, so bewirkt die einsetzende Gegen-
reaktion ein Stehenbleiben bei dem der Helligkeit entsprechenden
jeweiligen Erregungsmaximum, dem konstanten Endzustande. Als
erregungsminderndes Moment kommt ferner bei mittleren und großen
Beleuchtungsstärken die Stimmungserhöhung hinzu, deren Anstieg
anfangs langsamer vonstatten geht als der der Erregung, schließlich
aber diese herabdrückt.
Nun wissen wir, daß negative Tendenzen, und erst recht nega-
tive Krümmungen, nur bei höheren Helligkeiten erzielt werden.
Diesen Verhältnissen scheint mir die folgende schon angedeutete
Vorstellung am einfachsten gerecht zu werden:
Die erste physiologische Veränderung, die in der phototropischen
Pflanze bei Belichtung vor sich geht, die primäre photische Er-
regung, muß eine gewisse Höhe erreicht haben, die an eine bestimmte
Reizmenge geknüpft ist, damit ein weiteres Glied der Reizkette be-
tätigt wird. Es sei der Beginn der Vorgänge, die zu einer positiv
phototropischen Krümmung führen. Mit Fitting können wir diese
Stufe die tropistische Polarisation nennen. Steigt diese primäre
photische Erregung weiter, so wird bei einer sehr viel größeren
Liehtmenge das Maß für die Anregung der negativ phototropischen
Krümmungstendenzen erreicht und damit die Stufe, auf der die
positiven Krümmungen wieder schwächer, also die Reaktionszeiten
länger werden. Vielleicht wird hierbei die ‚Polarisation‘ umgekehrt.
Bleiben wir bei diesem Bilde, so würde die völlige Umkehr der Po-
larisation die äußerliche negative Reaktion im Gefolge haben. Diese
kann dann natürlich nur bei sehr hoher Lichtintensität zustande
kommen, weil bei geringerer die Reizlicehtmenge und damit die für
negative Krümmung notwendige Höhe der primären Erregung nicht
erzielt wird, bevor durch das Ansteigen der Stimmung die Reizwirkung
des Lichtes sich wieder vermindert. Geschähe das, so träten wieder
nur positive Reaktionen auf.
So wird es auch begreiflich, daß eine durch starke Beleuchtung
erzielte negative Reaktion sofort zurückzugehen beginnt, wenn man
die Belichtung ausschaltet (Blaauw 1909). Denn beim Aufhören des
Reizes sinkt die primäre Erregung durch die nun allein wirksame
Gegenreaktion sehr bald auf das für positive Reaktion notwendige
Maß. Das posıtive Krümmungsbestreben wirkt dann dem negativen
IE
164 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz.
entgegen. Negative Reaktionen sind dementsprechend nur schlecht
als Nachwirkungen zu erzielen, ganz im Gegensatz zu den positiven.
Die entwickelte Hypothese wirft auch einiges Licht auf die bei
Unterbrechung der Beleuchtung vor Beginn der Reaktion beobach-
teten Erscheinungen. (Vgl. S. 162.) Bei einer die Präsentationszeit nur
wenig übersteigenden Belichtung erfolgt positive Krümmung, wie
es der geringen Höhe der primären Erregung entspricht. Diese steigt
aber weiter, wenn länger mit genügend starkem Licht gereizt wird.
Die negativen Tendenzen setzen ein und vernichten zunächst das
positive Krümmungsbestreben. Das Resultat ist äußerliche Indifferenz,
wenn in diesem Stadium die Reizung aufhört. Wird aber noch
länger belichtet, so steigt bei hoher Beleuchtungsintensität die pri-
märe Erregung so weit, daß negative Reaktionen erfolgen. Ist die
Helligkeit nicht so groß, so wird die hierfür notwendige Lichtmenge
nicht erreicht, bevor die Stimmung Zeit hat anzusteigen und die
Erregung auf das Maß für positive Reaktion herabzudrücken. Auch
schon realisierte negative Krümmungen gehen bei gewissen Objekten
nach sehr langer Belichtung durch die Stimmungserhöhung wieder
zurück und schlagen in positive um.
Bisher wurde der Beweis dafür, daß schwächere Belich-
tung länger einwirken mußalsstärkere, um einen gewissen
physiologischen Effekt zu erzielen, nur für die Reizschwelle
der positiven und negativen Reaktion gegeben und zwar auf Grund
der Arbeiten von Fröschel und Blaauw. Dasselbe wurde aber schon
früher, freilich auf einem ganz anderen Wege, auch für die späteren
Stadien des positiven Reizprozesses nachgewiesen. (Nathansohn und
Pringsheim 1908.) Über den Erregungszustand bei dauernder Ein-
wirkung eines Krümmungsreizes läßt sich nur dann etwas aussagen,
wenn ihm ein anderer von bekannter Größe entgegenarbeitet. Denn
sonst tritt schließlich Einstellung in die Richtung der wirkenden Kraft
ein, und man hat dann kein Anzeichen für die Reizstärke des be-
treffenden Reizanlasses. Zur Lösung solcher Fragen ist also nur die
Kompensationsmethode (siehe oben S. 59) zu brauchen.
In der erwähnten Arbeit handelte es sich zunächst um das
Problem, welchen Reizwert eine periodisch unterbrochene einseitige
Belichtung von bekannter Intensität hat. Um es zu lösen, wurde
nun so vorgegangen, daß phototropische Pflänzchen zwischen zwei
Lichtquellen gestellt werden. Sie krümmten sich dann nach der Seite
hin, auf der sie stärker beleuchtet waren. Waren die beiden Lampen
gleich hell, so fand sich genau in der Mitte zwischen beiden
eine Stelle, an der die Krümmung unentschieden war; aber schon dicht
daneben reagierten bei geeignetem Material die Pflänzchen nach der
einen oder anderen Seite. Bedingung für die Verwendbarkeit zu
solchen Versuchen ist eine niedrige Unterschiedsschwelle der betreffen-
den Keimlinge, wie sie z. B. bei denen des Rapses sich findet. Es
entstand eine scharfe ‚Scheitelung‘“. Somit zeigte die phototropische
Veränderlichkeit des phototropischen Verhaltens. 165
Reaktion selbst den Ort an, an dem die Reizwirkungen beider Licht-
quellen sich die Wage hielten (Abb. 54). Nun wurde die eine der
beiden Lampen durch eine rotierende Scheibe mit Ausschnitten
periodisch verdunkelt. Dadurch wurde die von der ‚intermittierenden“
Lichtquelle ausgehende phototropische Wirkung verringert, und der
Scheitelungspunkt rückte nach ihr hin.
Berechnete man die in gleicher Zeit auf die unentschieden ge-
bliebenen Pflänzchen von beiden Seiten fallenden Lichtmengen, so
fand man, daß sie stets gleich waren. Das heißt, die Reizwirkung
des Lichtes war wie an der Reizschwelle, so auch bei langer Ein-
wirkung proportionaldem ProduktausBeleuchtungsintensität
und Belichtungszeit. Dasselbe Ergebnis ist für das menschliche Auge
seitlangemals Talbotsches
Gesetz bekannt. Nur muß
der Wechsel von Licht und
Dunkelheit sehr schnell vor
sich gehen, wenn ein ein-
heitlicher Gesichtseindruck
erzielt werden soll, wäh-
rend für die Pflanze noch
ein alle 45 Minuten er-
folgender Wechsel nicht die
Grenze zur Erzeugung eines
Durchschnittsreizwertes
darstellte. Dies gilt aller-
dings nur für geringe Hellig-
keiten. Bei größeren wird
die Grenze, bis zu der das
Talbotsche Gesetz gilt,
sowohl für die Pflanze wie Rapskeimlinge, von zwei entgegengesetzten Seiten
für das Auge nach höheren beleuchtet. Man sieht die Stelle, an der die Wirkungen
Frequenzenhinverschoben. Yon dem Versuche durch photometrische Messung be-
In diesen Versuchen stimmt und durch das Brettehen unten bezeichnet.
wurde aus dem Ausbleiben
der Reaktion an einer bestimmten Stelle zwischen der periodisch ver-
dunkelten und der konstanten Lichtquelle geschlossen, daß der Reiz-
wert beider oder die durch sie bewirkte Erregung gleich stark war. Die
unterbrochene, also kürzer einwirkende Beleuchtung mußte dabei ent-
sprechend intensiver genommen werden als die dauernde, um deren
Wirkung auszugleichen. Damit ist der Beweis für den aufgestellten
Satz, daß ein kurzer Reiz, um dieselbe Wirkung zu haben, stärker
sein muß als ein langer aber schwacher, auch für solche Reize
erbracht, welche die an der Reizschwelle herrschende Erregung
übersteigen.
Oben haben wir gesehen, daß die Reaktionszeit von einem ge-
wissen Punkte an mit der Beleuchtungsintensität wächst. Bei ge-
nauerer Analyse erwies sie sich als aus zwei Stücken zusammenge-
rn en
Abb. 54.
166 V. Riehtungsbewegungen auf Lichtreiz.
setzt, von denen das erste durch die anfängliche Indifferenz infolge
der niedrigen Stimmung bedingt war. Wurde bei konstanter Stimmung
gearbeitet, so fiel es weg, und es blieb die kürzere ‚eigentliche Re-
aktionszeit‘“ übrig. Diese nahm innerhalb gewisser Grenzen ab, wenn
die Helligkeit wuchs. Schon durch die so erreichbare kürzeste Re-
aktionszeit ist nun offenbar dem in der Trägheit des Reizprozesses
gelegenen Verzögerungsmoment ausreichend Rechnung getragen. Daß
die Reaktion bei schwacher Beleuchtung länger auf sich warten läßt,
muß daher andere Gründe haben. Aus solchen Überlegungen heraus
hat Tröndle (1910) für den Phototropismus ebenso wie für den
Geotropismus (vgl. oben S. 67) die Hypothese aufgestellt, daß diese
Verspätung der Reaktion dem langsamen Ansteigen der Erregung bei
schwachem Reizanlaß zuzuschreiben sei.
Er zerlegt daher die „eigentliche Reaktionszeit“, wie sie bei konstanter
Stimmung erzielt wurde, wiederum in zwei Teile, von denen der eine konstant
und gleich der kürzesten erzielbaren Reaktionszeit ist, während der andere mit
steigender Reizstärke an Länge abnimmt und bei der kürzesten Reaktionszeit
verschwindend kurz wird. Tröndles Berechnung mit Hilfe der beim Geotro-
pismus erwähnten Formel unter Zugrundelegung meiner früheren Messungen
ergab wiederum gute Übereinstimmung.
Reaktionszeiten von Haferkeimlingen
bei verschiedenen Beleuchtungsintensitäten.
II | tl!
I ® . | .
Entfernung yon m eaktionsreit etio- Reaktionszeit am ‚Nach Be
einer 30kerzigen Orte vorbelich- Formel berechnete
lierter Keimlinge Reaktionszeit für
Nernstlampe teter Keimlinge die letzteren
(Pringsheim 1907) (Tröndle 1910)
30 cm 57 Min. | 28 Min. ' 30,1 Min.
80.).; Do | 307% | 2
90 „ 50 „ | 2, | 30,4 „
120 „ 46 „ Ne - | 1 a
15055 46 „ BP, SlSSERR
200 „ en ABS Bu, eo.
300 „ ABA | AGu: | 3A“
400 „ 46 „ | Ale ;; | 40,0 „
500 „, A; Ab, | 45,0 „
B0023 He SU DIDI
700 „, 59 „ 60, | 60,0 „
800 „, 0 5, 70, 10
Wie man sieht, ist die Reaktionszeit im Dunkeln gewachsener Keimlinge
etwa bei 300—400 em Entfernung von der Lampe am kürzesten und nimmt
von da nach beiden Seiten zu (I. Reihe). Bei konstanter Stimmung dagegen
sinkt die Reaktionszeit bei wachsender Helligkeit erst stark, dann weniger, um
Einfluß der Lichtfarbe. 167
etwa bei 30—60 em ihr Minimum zu erreichen (II. Reihe). Die III. Reihe hat
Tröndle auf Grund seiner Formel berechnet und dabei als ‚„Trägheitskonstante‘‘
30 Minuten angenommen, was etwa der kürzesten Reaktionszeit entspricht.
Über die Abhängigkeit der phototropischen Erregung von der
Intensität und Dauer des Lichteinflusses sind wir nun unterrichtet.
Die Bedeutung verschiedener Winkellagen des gereizten Objektes zur
Richtung der reizenden Kraft aber, die beim Geotropismus der
Gegenstand eingehender Studien gewesen ist, hat beim Phototropis-
mus bisher gar keine Beachtung gefunden.')
Möglicherweise hängt die Reizwirkung nur von der Helligkeit auf der Ober-
fläche der Pflanze ab. Nach optischen Gesetzen müßte sie dann umgekehrt propor-
tional dem Sinus des Winkels der Strahlen gegen die Fläche sein. Das entspräche
dem beim Geotropismus gefundenen Verhalten. Mit Recht hebt Wiesner
(1878 S. 29) hervor, daß Versuche von Müller-Thurgau (1876) ungefähr dieser
Erwartung entsprechen. Genaues aber kann man infolge der unausgebildeten
Versuchsmethodik der damaligen Zeit aus ihnen nicht entnehmen. Sie zeigen
nur, daß senkrecht auffallendes Licht stärker wirkt als schräges.. Würde man
Versuche mit der Schwellen- oder der Kompensationsmethode anstellen, so
könnten sich möglicherweise Abweichungen von der obigen mathematischen
Formulierung ergeben. Hinge aber wirklich die Reizwirkung nicht allein von
der induzierten Helligkeit ab, so könnte das für unsere Auffassung vom Wesen
der phototropischen Perzeption bedeutungsvoll werden. Treffen nämlich die
Lichtstrahlen ein zylindrisches Organ schräg zu seiner Längsachse, so wird ihr
Weg durch die Pflanze länger und die Differenz in der Helligkeit der Vorder-
und Hinterseite relativ größer sein als bei senkrechtem Einfall. Wäre der letztge-
nannte Umstand ausschlaggebend für die Perzeption, so könnte man eine
höhere Reizwirkung schrägen Lichtes erwarten als sie der Oberflächenhelligkeit
entspricht. Gilt dagegen das Sinusgesetz genau, so wird es wahrscheinlich, daß
die Reizaufnahme in den einzelnen Zellen und zwar denen der äußeren Schichten
stattfindet.
Ebensowenig wie diese Frage ist bisher genauer untersucht
worden, welchen Einfluß die Größe der beleuchteten Fläche auf die
Reizintensität hat.
Man weiß freilich, daß die Krümmung am stärksten wird, wenn der
ganze perzeptionsfähige Teil beleuchtet ist, sowie daß es empfindlichere und
weniger empfindliche Regionen gibt. Auch über die Verteilung der Empfind-
lichkeit würden übrigens Präsentationszeitversuche genaueren Aufschluß geben.
Die Frage, die ich hier im Auge habe, ist aber eine andere, nämlich die, ob
bei teilweiser Verdunklung der perzipierenden Fläche, unter Ausschaltung jener
Verschiedenheiten in der Empfindlichkeit, die Reizwirkung proportional sänke.
Solche Versuche würden sich exakt anstellen lassen, wenn man kleine beleuch-
tete Flächen mit verdunkelten abwechseln ließe. Bei der menschlichen Netz-
haut hat man mit derartigen Methoden in der Tat eine einfache proportionale
Abhängigkeit der Erregung von der Größe der beleuchteten Fläche gefunden.
d) Einfluß der Lichtfarbe.
Genauer als über die zuletzt erwähnten Variationen in der Art
der Belichtung sind wir über die Bedeutung der qualitativen Ver-
schiedenheit des Reizmittels, also über die der Lichtfarben unter-
1) Bei dem folgenden gedenke ich mit Dank früherer Anregungen von
Herrn Prof. A. Nathansohn-Leipzig.
168 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz.
richtet. Aus älteren von Wiesner (1878) eingehend besprochenen
und ergänzten Versuchen geht hervor, daß im allgemeinen die
langwelligen Strahlen, etwa von Rot bis Grün, weniger wirksam
sind als die kurzwelligen von Grün bis Violett. Darin stimmt also
die Wirkung farbigen Lichtes auf den Phototropismus mit der auf
das Wachstum überein. Jedoch scheint sich der Unterschied der
Wellenlänge beim Phototropismus stärker bemerkbar zu machen als
bei der Hemmung des Längenwachstums. Gelbes Licht wirkt z. B.
sehr wenig auf die Krümmung von Keimlingen, dagegen noch be-
trächtlich auf ihre Streckung (vgl. z. B. Wiesner 1880 S. 11), und
dunkelrotes Licht, das kaum noch Phototropismus hervorruft, kann
das Wachstum merklich beeinflußen (eigene Versuche).
Über die genauere Verteilung der phototropischen Reizwirkung
im Spektrum lauten jedoch die älteren Angaben, die sich auf die
Beobachtung des Krümmungsverlaufes stützen, sehr verschieden.
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Rot Orange Gelb Grün Blau Yndigo Violett Ulra -V.
Abb. 55.
Kurven für die Wirkung farbigen Lichtes nach Blaauw 1909.
Die kurzgestrichelte Kurve gibt das Resultat entsprechender Messungen
am menschlichen Auge, die langgestrichelte Blaauws Messungen an Phycomyces
und die ausgezogene die an Avenakeimlingen wieder. Die Zahlen unten be-
deuten die Wellenlängen in Milliontelmillimetern — wu.
Dreißig Jahre ruhte das Problem. Genauere Resultate wurden dann
auch hier erst unter Benutzung der Präsentationszeit als Maß der
Erregungsstärke erzielt. Blaauw (1909) stellte etiolierte Haferkeim-
linge sowie Phycomyceskulturen in ein objektives Spektrum und be-
stimmte, wie lange sie in den einzelnen Farbenbezirken belichtet
werden mußten, damit nachher im Dunkeln eine Krümmung auf-
trete. Es zeigte sich, daß das Maximum der Reizwirkung im Indigo
liegt und sowohl nach dem Ultraviolett als besonders nach dem Rot
zu abnimmt. a
Eine größere Bedeutung und bessere Vergleichbarkeit bekommen
diese Befunde erst durch Berücksichtigung der Energieverteilung und
Dispersion im Spektrum. Diese Momente sind früher stets unberück-
Einfluß der Lichtfarbe. 169
sichtigt geblieben, oder vielmehr, man hatte nicht die physikalischen
Mittel ihre Wirkung festzustellen. Erst neuerdings hat man ein objek-
tives Maß zur Vergleichung der Wirksamkeit der Spektralbezirke in
ihrer Wärmewirkung gewonnen und die Methoden ausgebildet sie zu
messen. Nahm nun Blaauw die entsprechenden Umrechnungen vor,
so ergaben sich bestimmte Zahlen für den Reizwert (das Reziproke
der Präsentationszeit) der einzelnen Wellenlängen, die in der beige-
druckten Kurventafel eingetragen sind. (Abb. 55).
Als Resultat der Untersuchungen ergibt sich für Avena: „daß
die Empfindlichkeit für die schwächer brechbaren Strahlen bis ins
Grün äußerst gering ist, und zwar in dem Maße, daß dieselbe bei
534 uu (Grün) 2600mal geringer ist als für die Wellenlängen, wobei
die maximale Empfindlichkeit liegt, daß diese Empfindlichkeit bis
etwa 500 uu (Blaugrün) gering bleibt, aber von 500 uu an sehr
groß wird, um ihr Maximum noch im Indigo bei etwa 465 uu zu
erreichen; daß sie im Violett abnimmt, auf der Grenze des Violettes
und Ultraviolettes bei 390 uu nur halb so groß ist als bei dem
Maximum, aber doch im Ultraviolett bei 365 uwu noch ungefähr den
vierten Teil ihres Maximalwertes beträgt.‘ Im Rot bis Grün ist
die Wirkung sehr gering, aber bei starkem Licht nicht gleich Null.
Die Kurve für Phycomyces zeigt eine ähnliche Form, ist aber
nach der langwelligen Seite verschoben, so daß z. B. hinter Farbstoff-
lösungen, die alle Strahlen von Violett bis Grün absorbieren, noch
gute phototropische Krümmungen auftreten können. Das phototro-
pische Pilze noch hinter Kaliumbichromatlösungen reagieren können,
Keimlinge aber nicht, war übrigens schon früher bekannt. (Beispiele
bei Pfeffer 1904 S. 577). Für das Auge ist die Kurve noch weiter
nach Rot hin vorgeschoben.
Man ersieht daraus, daß verschiedene phototropische Pflanzen
sich in bezug auf ihre Farbenempfindlichkeit recht verschieden ver-
halten können.
Für viele Lichtreizversuche ist es bedeutungsvoll, die Pflanzen beobachten
zu können, ohne sie mit wirksamem Lichte zu beleuchten. Die Möglichkeit
hierzu ergibt sich aus der geringen Empfindlichkeit der meisten phototropischen
Pflanzen für rotes Licht, das auf unser Auge noch stark einwirkt. Es muß
aber für jeden Fall erst geprüft werden, ob das benutzte Farbfilter auch sicher
genug ist (Pringsheim 1908).
Wenn oben das Wort Farbenempfindlichkeit angewendet wurde,
so darf man es nicht etwa mit Farbenunterscheidungsvermögen ver-
wechseln. Ein solches, also eine qualitativ verschiedene Reizwirkung
der einzelnen Spektralbezirke, ist bei Pflanzen nicht nachgewiesen
und auch nicht wahrscheinlich.
Im Übrigen treten in farbigem Lichte, vorausgesetzt, daß es
stark genug ist, dieselben Reizwirkungen auf wie in gemischtweißem. Es
mag nur noch bemerkt werden, daß die Verteilung der phototropischen
Reizwirkung im Spektrum nicht mit der Assimilationsenergie der
einzelnen Strahlengattungen übereinstimmt. So wirken rote Strahlen
170 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz.
phototropisch fast gar nicht, bewirken aber starke Kohlensäurezerle-
gung. Das ist deshalb auffällig, weil das phototropische Reaktions-
vermögen vielfach als eine Hilfsanpassung zur Erreichung der für
die Kohlensäureassimilation geeigneten Lichtverhältnisse anzusehen
ist. Für grüne Blätter freilich sind die phototropisch wirksamsten
Spektralbezirke noch nicht ermittelt worden. Sie dürften sich aber
darin den anderen phototropischen Organen anschließen. Die Ein-
richtungen in der Pflanze sind eben auf die natürlichen Bedingungen
zugeschnitten, unter denen eine Zerlegung des weißen Lichtes, wie sie
für theoretische Zwecke vorgenommen werden muß, nicht vorkommt,
Damit hätten wir einen gewissen Einblick in die verwickelten
Verhältnisse des ÖOrthophototropismus und der ihn beeinflussenden
Faktoren gewonnen. Im nächsten Abschnitte werden wir die vor-
läufig allein berücksichtigten experimentellen Ergebnisse durch Be-
tonung der ökologischen Gesichtspunkte zu ergänzen haben. Hierauf
wenden wir uns dann den übrigen Erscheinungsformen des Photo-
tropismus zu, ähnlich, wie das beim Geotropismus geschehen ist.
e) Verbreitung und Ökologie des Phototropismus.
Bisher haben wir die phototropischen Erscheinungen hauptsäch-
lich nach der theoretischen Seite hin besprochen. Wir haben uns
zu dem Zwecke auf möglichst einfach reagierende Versuchsobjekte be-
schränkt, wie sie gewöhnlich zur Lösung reizphysiologischer Fragen
Verwendung finden. Diese wurden dann unter mannigfaltige, teil-
weise recht unnatürliche Versuchsbedingungen gebracht, um aus
ihnen die Antwort auf irgendeine theoretische Fragestellung hervor-
zulocken.
Über die Erscheinungsformen des Phototropismus in der Natur
und ihre Bedeutung für die Pflanze läßt sich aus solchen Experi-
menten nicht unmittelbar etwas entnehmen, so wertvoll sie sich
schließlich auch für die Deutung des im Freien Beobachteten erweisen
werden. Wir wollen uns nun danach umsehen, welche Verbreitung
die phototropische Reizbarkeit hat, und welchen Nutzen sie den ver-
schiedenen Gewächsen bringt.
Die meisten aufrecht wachsenden Stengel sind positiv photo-
tropisch. Fällt das Licht vorzugsweise von oben auf sie, so wirken
Geo- und Phototropismus im gleichen Sinne und unterstützen sich
gegenseitig. Man sieht dann nichts von der Mitwirkung des Lichtes.
Anders, wenn die Beleuchtung, wie so häufig, hauptsächlich von der
Seite kommt. Am Waldrande, z. B., an Hecken und im Gebüsch,
findet man sehr oft solche Fälle. Die dort wachsenden Pflanzen
streben fast ausnahmslos schräg aus dem Schatten hervor. Sie neigen
sich von der dunklen Fläche ab, gleichgültig, in welcher Himmels-
richtung diese liegt, weil das meiste Licht jedenfalls von der offenen
Seite kommt. ‚Jeder Spaziergang zeigt uns solche Fälle. Sehr schön
Verbreitung und Ökologie des Phototropismus. 7
kann man die Erscheinung z. B. an Schwalbenwurz (Vincetoxicum
officinale), Schwalbenwurzenzian (Gentiana asclepiadea), Weidenrös-
chen (Epilobium angustifolium) und anderen sehen. Hier dient offen-
bar der Phototropismus der Stengel dazu, die Blätter und Blüten
in bessere Beleuchtung zu bringen. Sehr deutlich wird das auch an
vielen Zimmerpflanzen, deren Zweige einseitig dem Lichte zustreben,
während die Schattenseite kahl wird (Abb. 56).
Nicht immer ist der Heliotropismus älterer Stengel so merklich
ausgebildet. Aus der Monographie von Wiesner (1880), die viele
Beobachtungen wiedergibt, kann man ersehen, daß im allgemeinen
die Abweichung von der durch den Geotropismus bedingten senk-
rechten Stellung nicht groß ist. Im freien
Felde, wo die Beleuchtung mehr gleich-
mäßig ist, finden wir kaum ausgesprochen
phototropische Stengel. Die an solchen
Stellen wachsenden Pflanzen lassen auch
im Experiment ein starkes Überwiegen
der geotropischen Reizbarkeit über die
phototropische erkennen. Andere folgen
in gewissen Grenzen dem Laufe der Sonne,
so besonders die Tragachsen vieler Kom-
positenköpfehen, wie die der ‚Sonnen-
rose‘ (Helianthus), der Schwarzwurz
(Tragopogon) u.a.
Ein abweichendes Verhalten zeigen
kriechende Stengel. Freilich ist ihr
phototropisches Verhalten nicht so gut
untersucht wie das geotropische. Manche
in hellem Lichte am Boden liegenden
Pflanzen richten sich im Dunkeln oder 5 : $
% 2 = g /immerpflanze von BEuphorbia
bei schwachem Lichte auf (Vöchting splendens. Alle Zweige streben
Bo zeict uns z. B. die Abbil- °°@ vou Ike kommenden Bichte
dung von Epilobium Hectori auf 8.71.
Die im Freien horizontal kriechende Pflanze wurde einige Zeit bei
schwächerer Beleuchtung kultiviert und reagierte nun negativ geotro-
pisch. Man kann aber nicht ohne weiteres sehen, ob die normale
Horizontallage auf negativem resp. transversalem Heliotropismus be-
ruht oder ob nicht die Beleuchtung die geotropische Ruhelage ver-
ändert, ähnlich wie wir das für gewisse Rhizome oben (S. 114) be-
sprochen haben. Bei Glechoma hederacea (Günsel) und Lysimachia
Nummularia (Pfennigkraut) hat Oltmanns (1897) das letztere sehr
wahrscheinlich gemacht.
Genauer sind wir über das Verhalten der vegetativen Efeusprosse
unterrichtet (Sachs 1879). Die am Fenster kultivierten Keimpflanzen
beugen sich zuerst nach diesem hin, sind also positiv phototropisch.
Später machen aber die Stengel eine Biegung in der entgegen-
gesetzten Richtung, und die wachsenden Sprosse wachsen in hori-
Abb. 56.
172 V. Riehtungsbewegungen auf Lichtreiz.
zontaler Richtung ins Zimmer hinein. Sie sind demnach nun negativ
phototropisch. Wachsen sie z. B. in der Nähe einer Mauer, so krümmt
sich der Laubsproß nach ihr hin, weil von dieser Seite am wenigsten
Licht kommt. An der vertikalen Wand klettert er dann mit seinen
Haftwurzeln vermöge seines negativen Geotropismus in die Höhe
und schmiegt sich ihr negativ phototropisch an (Abb. 57). Ist die
obere Kante erreicht, so kriecht der Sproß auf ihr hin, um jenseits
wagerecht weiter zu wachsen und schließlich im Bogen abwärts zu
hängen. Der Geotropismus verhindert dann die Pflanze, etwa an
der Mauer wieder hinunter zu klettern. Die Nebenzweige verhalten
Abb. D7.
Efeu an einem Baumstumpf. Die Triebe kriechen erst senkrecht empor und dann
horizontal auf der oberen Fläche weiter.
sich phototropisch wie der Hauptsproß; geotropisch aber wachsen sie
an Mauern transversal schräg aufwärts. Dadurch, daß der Geo-
tropismus beim Efeu nicht sehr stark ausgebildet ist, wird erreicht,
daß die Sprossen sich auch schräggestellten Unterlagen anzupressen
vermögen.
Ähnlich wie der Efeu verhält sich die Kapuzinerkresse (Tro-
paeolum majus). Der Keimsproß mit seinen gegenständigen Blättern
ist wiederum positiv phototropisch. Später aber wendet sich die fort-
wachsende Spitze vom Lichte fort und kriecht bei genügend inten-
siver Beleuchtung am Boden hin. Die Ansatzstellen der Blätter sind
nun spiralig am Stengel zerstreut. Die Blätter selbst richten sich
aber, vermöge des negativen Geotropismus ihrer Stiele auf. In nicht
Verbreitung und Ökologie des Phototropismus. 173
sehr starkem Lichte strebt die Spitze des Stengels bogenförmig in
die Höhe.
Der Kürbis (Cucurbita Pepo) unterscheidet sich von den letzten
beiden Pflanzen dadurch, daß der positive Phototropismus dauernd
erhalten bleibt. Der Keimsproß ist auch hier orthotrop. Nach der
Ausbildung der ersten Laubblätter aber entsteht eine scharfe Ab-
wärtskrümmung im Stengel. Von da an wächst die Pflanze am
Boden entlang, bildet Wurzeln und schiebt sich in der Richtung des
Lichtes weiter. Blatt- und Blütenstiele sind wieder orthotrop, ne-
gativ geotropisch und positiv phototropisch.
Bei vielen kriechenden Sprossen, von denen die des Efeus am
besten untersucht sind, kommt ein verwickeltes Verhalten dadurch
zustande, daß die Entstehung der Dorsiventralität selbst schon von
der Einwirkung des Lichtes abhängig ist. Was Rücken- und was
Bauchseite werden soll, wird nämlich durch die Lichtrichtung be-
stimmt. Auf der Schattenseite entstehen die Wurzeln, während die
Blätter nach der Lichtseite hinüberrücken. Beim Efeu läßt sich die
Dorsiventralität durch Belichtung von unten jederzeit umkehren.
Bei anderen Pflanzen ist sie zwar im Jugendzustand auch durch
das Licht, also durch äußere Einflüsse bestimmbar, dann aber un-
veränderlich festgelegt.
Das erste Niederlegen des orthotropen Keimstengels kriechender
Gewächse hat nichts mit Phototropismus zu tun, sondern ist die
Folge der Ausbildung einer Bauch- und einer Rückenseite. Nur die
Richtung des Fortkriechens hängt zuweilen, wie beim Efeu, aber
auch nicht immer, von der Lichtrichtung ab. Diese Abhängigkeit
macht sich z. B. beim Günsel (Glechoma) gar nicht bemerklich, die
Sprosse kriechen nach allen Richtungen. Daß die Horizontalstellung
nicht auf Phototropismus beruht, zeigt sich bei Lysimachia Nummu-
laria und Tropaeolum auch darin, daß sie an einer älteren Stelle
des Stengels erfolgt als etwaige phototropische (positive) Krümmungen
(Sachs 1879, Oltmanns 1897).
Wir haben nun schon einige Fälle kennen gelernt, in denen (bei
gleichmäßiger mittlerer Lichtintensität) ein Wechsel im Sinne des
Phototropismus eintritt. Es kann also ein und derselbe Pflanzen-
stengel von einer bestimmten Altersstufe an sein Verhalten dem
Lichte gegenüber verändern, ganz ebenso, wie wir das bei der Ein-
stellung gegenüber der Schwerkraft (S. 82) kennen gelernt haben.
Auch bei Blütenstielen finden wir hier wie dort solche Richtungs-
veränderungen. Die vollentwickelten Blüten streben ganz allgemein
dem hellen Lichte zu, in dem sie ja auch ihre Aufgabe, ‚Insekten
anzulocken, besser erfüllen können als im Schatten. Wie bei vielen
anderen Pflanzen ist das auch bei Linaria Cymbalaria, einem an Mauern
wachsenden Pflänzchen mit lila Blüten sehr schön zu sehen. Die
Stiele der Blüten streben aus dem der Mauer angeschmiegten Blatt-
werk hervor. Nach dem Verblühen aber machen die Blütenstiele
174 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz.
dieser Pflanze einen scharfen Bogen einwärts, vom Lichte fort. Dabei
treffen sie, vermöge ihres ausgeprägten negativen Phototropismus, so
genau beschattete Stellen, daß die Früchte häufig in Ritzen der
Mauer gelangen (Hofmeister 1867). Fallen später die Samen aus
der reifen Kapsel. so haben sie sofort einen zum Keimen geeigneten
Platz.
So wie die Frucht von Linaria Cymbalaria, so werden auch
viele Ranken und Wurzeln von Kletterpflanzen durch ihren nega-
tiven Phototropismus nach einer Stütze hin und selbst in Vertiefungen
der Rinde, Ritzen zwischen Steinen und dergleichen geführt. Ne-
gativ phototropisch sind z. B. die Ranken von Weinstock (Vitis
vinifera), wilden Wein (Ampelopsis quinquefolia) und anderen. Ab-
weichend verhalten sich jedoch die
entsprechenden Organe der kleine-
ren, gewöhnlich im Gebüsch klettern-
den Pflanzen. Die Ranken der Erbse
(Pisum sativum) sind gar nicht,
die der Passionsblume (Passiflora)
schwach positiv phototropisch, was
im Zusammenhange mit ihrer
Lebensweise begreiflich erscheint,
denn die Stützzweige werfen wenig
Schatten und sind auf allen Seiten
zu finden. Diese Ranken werden
deshalb auch allein von ihrer Tast-
reizbarkeit gelenkt.
Von Wurzeln der Kletter-
pflanzen ist negativer Phototropis-
Abb. 58. mus beim Efeu, bei der Vanille
Keimpflanzen vom Senf auf Löschpapier. (Vanilla planifolia) und anderen
Sowohl die Stengel wie die Wurzeln in der . . te :
tichtung der von links oben einfallenden Orchideen, sowie bei vielen Aroideen
Eichiänzablenzerete bekannt. Desgleichen bei Hartwegia
comosa (Wiesner 1878 bis 1880).
Die Erdwurzeln dagegen sind fast durchwegs phototropisch indifferent.
Sie stecken ja auch für gewöhnlich in der Erde und haben keine
Gelegenheit, auf Licht zu reagieren. Daß sie nicht aus dem Boden
hervorwachsen, wird schon durch ihren Geotropismus erreicht, sowie
dadurch, daß sie trockene Stellen vermeiden.
Einige wenige Erdwurzeln freilich sind als phototropisch bekannt;
aber unter diesen sind wohl gleich viele, die positiv, wie solche, die
negativ reagieren. Zur ersten Gruppe gehören die Wurzeln von
Hyazinthen (Hyacinthus orientalis) und Knoblauch (Allium sativum),
zur zweiten die Keimwurzeln von Senf (Sinapis alba), Raps (Brassica
Napus) und anderen Cruciferen. An letzteren beiden läßt sich der
negative Phototropismus gut beobachten, sowohl in Wasserkultur, wie
auch besonders beim Wachsen auf feuchtem Fließpapier (Abb. 58).
Läßt man negativ phototropische Wurzeln im Sachsschen Wurzelkasten
Verbreitung und Ökologie des Phototropismus. 175
hinter einer Glasscheibe in Erde wachsen, so wachsen sie im Dunkeln
der Scheibe angepreßt. Am Lichte aber verschwinden sie alle in die
Tiefe (Abb. 59). Danach kann die phototropische Reaktionsweise
für diese Wurzeln wohl ein Hervortreten aus dem Boden verhindern.
Die Seltenheit der Erscheinung in dieser Form warnt aber vor Ver-
allgemeinerungen. Übrigens wissen wir ja, daß der negative Photo-
tropismus auch diesen Wurzeln nur bei einer bestimmten Helligkeit
zukommt (vgl. S. 160).
Abb. 59.
Rapswurzeln hinter Glas in Erde. Die linke Hälfte war verdunkelt.
Man sieht die Wurzeln an der Glasscheibe entlang wachsen. Die
rechte Hälfte belichtet. Die Wurzeln sind in die Tiefe verschwunden.
[Die dunkeln Flecke rechts sind Algen.] Etwa !/, der natürl. Größe.
Eine sehr große Rolle spielt der Phototropismus bei der Kei-
mung der Samen. Wir haben gehört, daß die Keimstengel sowie die
Keimscheiden der Gräser und ähnliche Organe die Aufgabe haben,
die jungen Blätter oder die assimilationsfähigen Cotyledonen möglichst
schnell ans Licht zu bringen. Sind die Samen bei der Keimung
verdunkelt oder beschattet, so strecken sich die genannten Organe
so lange, bis sie ausreichendes Licht erreicht haben. Erst dann
breiten sich die Blattorgane aus. Das Hervorkommen aus dem Boden
oder aus bedeckenden Blättern u. dgl. wird durch die Form der
vorangehenden Teile und den negativen Geotropismus ermöglicht.
Als wesentliches Hilfsmittel kommt aber der positive Phototropismus
hinzu.
Stärkere Keimstengel, wie die von Bohnen, Sonnenrosen, Kasta-
nien, Pferdebohnen u. dgl. werden aus eigener Kraft viele Hinder-
nisse hinwegräumen können und daher am schnellsten ihr Ziel er-
176 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz.
reichen, wenn sie senkrecht nach oben stoßen. Sie stehen deshalb
auch ganz vorwiegend unter dem orientierenden Einflusse der Schwer-
kraft. Ebenso werden sich die aus Zwiebeln, Knollen, Wurzel-
stöcken u. dgl. hervorbrechenden Triebe verhalten. Sie sind denn
auch gleichfalls gewöhnlich nur schwach phototropisch. Man denke
an die Wedel der Farne, treibende Hyazinthen, Kartoffelkeime. Erst
wenn diese Objekte längere Zeit im Dunkeln ohne Stütze fortwachsen,
können die langen etiolierten Triebe sich nicht mehr aufrecht halten.
Sie legen sich dann auf den Boden und schieben sich dem Lichte zu.
Der Geotropismus kann in diesem Zustande dem Phototropismus nicht
entgegenwirken. Aufrechte Triebe der genannten Gewächse aber
wachsen auch bei einseitiger Beleuchtung fast senkrecht in die Höhe.
Im Gegensatz hierzu stehen die Keimlinge der meisten klein-
samigen Pflanzen. Wenn sie entsprechend gebaut sind, können sie zwar
auch recht beträchtliche Schichten lockerer Erde durchbrechen. Hafer-
keimlinge sah ich noch hervorkommen, als sie 30 cm tief gepflanzt
waren. Das können sie aber nur in völliger Dunkelheit. Sobald
sie auch nur von schwachem Lichte getroffen werden, brechen, wie
wir gesehen haben, die Blätter durch und hindern das Fortkommen.
Die dikotylen Keimlinge sind wegen ihrer Keimblätter in der Be-
ziehung noch ungünstiger gestellt. Deshalb ist es begreiflich, daß
alle schwächeren jungen Pflänzchen nicht der Schwerkraft folgen,
sondern sich in die Richtung des Lichtes stellen. So können sie
jede, auch seitlich liegende Spalte zwischen Steinen, Blättern, Wur-
zeln benutzen, um hervorzukommen. Es ist also für sie von großem
Nutzen, daß ihr Phototropismus stärker ist als ihr Geotropismus.
Nun gewinnt das, was wir oben (8. 152 u. 153) rein theoretisch be-
trachtet haben, einen ökologischen Sinn.
Alle die als stark phototropisch bekannten unter den häufig be-
nutzten Keimpflanzen sind ziemlich zart, wie die der Kresse (Lepidium
sativum), des Raps (Brassica Napus), des Mohn (Papaverarten), der
Gräser usw. Natürlich ist diese Regel nicht ohne Ausnahmen. So
können auch zarte Keimstengel schwach phototropisch sein. Doch ist
der kräftigste unter den stark phototropischen Keimlingen, der mir bis
jetzt vorgekommen ist, der von Ipomoea (blaue Winde) noch ziemlich
zart. Jedenfalls glaube ich, daß der hier angedeutete ökologische
Zusammenhang mehr Bedeutung hat als der von Figdor (1893) an-
genommene, nach dem die im etiolierten Zustande phototropisch
empfindlichsten Keimlinge Schattenpflanzen angehören sollen. Eine
gewisse Berechtigung hat dieser Gedanke wohl auch, denn neben
dem Hervorfinden aus finsteren Keimorten kommt ja dem Photo-
tropismus noch eine zweite Aufgabe zu, nämlich die schon angedeutete,
günstige Assimilationsbedingungen aufzufinden.
Diese beiden Gesichtspunkte hat schon Darwin [(1880) 1899,
S. 387 u. 399] unterschieden. Durch die Lichtstellung des Keim-
stengels werden die an ihm befestigten jungen Assimilationsorgane
passiv in eine geeignete Lage zum Auffangen des Lichtes gebracht.
Verbreitung und Ökologie des Phototropismus. 177
Über die ökologische Bedeutung des negativen Phototropismus, wie er an
im Dunkeln erwachsenen Keimpflanzen in grellem Lichte auftritt, läßt sich
nichts sehr Überzeugendes sagen. Es ist zwar möglich, daß bisher bedeckt
gewesene Pflänzchen einen Vorteil daraus ziehen, wenn sie zu starker Beleuch-
tung aus dem Wege gehen. Denn bis ihre Stimmung so weit gestiegen ist, daß
sie positiv reagieren, können sie sich vielleicht durch Ausbildung von Schutz-
mitteln gegen zu starke Wasserverdunstung und andere Veränderungen vor den für
etiolierte Pflanzen schädlichen Folgen intensiver Bestrahlung retten (Prings-
heim 1907, S.293). Ob aber diesem theoretisch konstruierten Zusammenhange eine
größere Bedeutung in der Natur zukommt, läßt sich vorläufig kaum übersehen.
Eine Sonderstellung unter den Keimpflanzen nehmen dem Lichte
gegenüber die der Mistel (Viscum album) ein. Die Samen dieser
Schmarotzerpflanze haf-
ten mit Hilfe des kleb-
rigen Fruchtfleisches an
Zweigen der Bäume, wo-
hin sie von Vögeln ver-
schleppt werden. Bei der
Keimuns tritt ein Stengel-
organ hervor, das negativ
phototropisch ist (Wies-
ner 1878 u. 80) und sich
infolgedessen an die Rinde
anlegt. Darauf bildet es
ein Haftorgan, und von
diesem aus werden dann
Fortsätze ins Innere der
Wirtspflanze getrieben.
Um überhaupt zu keimen,
braucht der Mistelsame
gleichfalls Lieht. In ihren
ersten Stadien zeigt also
die Pflanze eine starke
Abhängiskeit von derHilfe
des Lichtes. Später ist
sie dann weder phototro-
pisch, noch geotropisch. Wilder Wein an einem Zaune. Das Licht kommt
So erklärt sich der gleich- hauptsächlich von vorn, daher die Blättchen senk-
mäßig gerundete Wuchs a
der Mistelbüsche.
Bei der Mistel, wie auch bei manchen anderen Pflanzen (z. B.
Ericaarten) sind auch die Blätter unabhängig von der Richtung
des Lichtes; sie wachsen in der Stellung weiter, die ihnen durch
ihre Lage zum Stengel gegeben ist. Die Blätter der meisten Pflanzen
aber suchen, entsprechend ihrer Hauptfunktion, der Ausnutzung der
Sonnenenergie, eine dafür geeignete Orientierung auf. Und zwar
stellen sie im allgemeinen bei schwacher und mittlerer Lichtintensität
ihre Fläche senkrecht zur Richtung der einfallenden Strahlen (Abb. 60).
Sie sind transversalphototropisch.
Pringsheim, Reizbewegungen. 12
Abb. 60.
178 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz.
Die Orientierungsbewegungen der sitzenden Blätter werden am
Grunde der Spreite ausgeführt. Ist ein Stiel vorhanden, so bewirkt
er durch Krümmung und Drehung die Lichtstellung des Blattes.
Bei den Blättern endlich, die mit Gelenken versehen sind, vollführen
diese die notwendigen Orientierungsbewegungen, Biegungen wie Tor-
sionen. Der Bewegungsmechanismus ist demnach derselbe wie beim
Geotropismus.
Man könnte einen Transversalphototropismus der Blattspreiten,
die schon durch die positiv phototropischen Reaktionen der Stiele oder
Gelenke in die richtige Lage gebracht werden, überhaupt für
überflüssig halten. Der Fall, daß er fehlt, kommt in der Tat
vor: So krümmt sich das Gelenk der Bohne (Phaseolus) und der Stiel
von Fuchsienblättern, wenn diese Tragorgane allein einseitig beleuchtet
werden; eine ausschließliche Beleuchtung der Blattfläche hat hier
dagegen keine Orientierungsbewegung zur Folge (Krabbe 1889). In
ähnlicher Weise ist bei den meisten Blättern die eigene Lichtreiz-
barkeit des Stieles von Bedeutung für die Orientierung der Spreite.
Oft kommt aber noch etwas anderes hinzu. Sehr klar zeigt das der
von Vöchting (1888) genau beschriebene Fall der Blätter einiger
Malven. Diese haben einen langen, durch Wachstumskrümmungen
gut beweglichen Stiel. Dicht unter der Ansatzstelle des Blattes be-
findet sich außerdem noch ein besonderes Bewegungsorgan. Es ist
zwar äußerlich nicht scharf gegen den Stiel abgesetzt, stellt aber
doch einen besonderen, sehr wirksamen Orientierungsmechanismus
dar. Seine Krümmungen führen nicht zu dauernden Verlängerungen.
Es liegt also ein typisches Gelenk mit Turgorbewegungen vor.
Vöchting stellte nun einige Experimente an, in denen er durch
ausschließliche Beleuchtung des Stieles, des Gelenkes und der Spreite
die Perzeptionsfähigkeit dieser Teile zu erkunden suchte. Die dabei
notwendigen Verdunkelungsvorrichtungen wurden so angebracht, daß
sie die Bewegung möglichst wenig hemmten. Es ergab sich, daß Stiel
und Gelenk positiv phototropisch sind und die Blattspreite, auch wenn
diese selbst verdunkelt ist, in die richtige Lage bringen. Andrerseits
erfolgen ganz entsprechende Krümmungen, wenn Stiel und Gelenk ver-
dunkelt werden und nur die Blattfläche Licht empfängt. Selbst wenn
das Licht senkrecht von unten kommt, krümmt sich der verdunkelte
Stiel im großen Bogen herab und bringt die Spreite in verkehrte wage-
rechte Lage. Eine soweit gehende phototropische Krümmung wird
dagegen von Stielen, die des Blattes beraubt worden sind, nicht
mehr ausgeführt, obgleich sie sich durchaus nicht als indifferent er-
weisen. Werden Gelenk und Blattfläche von entgegengesetzten Seiten
beleuchtet, während der Stiel an der Bewegung verhindert wird, so
krümmt sich das Gelenk im Sinne des auf die Spreite fallenden
Lichtes und bringt diese in eine zu den Strahlen senkrechte Lage.
Aus allen diesen Versuchen geht hervor, daß neben der direkten
Beleuchtung von Stiel und Gelenk für die Bewegungen des Blattes
auch die von der Speite ausgehenden Impulse für die Lichtstellung
Verbreitung und Ökologie des Phototropismus. 179
maßgebend sind; ja sogar, daß letztere mächtiger sind als die Reize,
die die Bewegungsorgane selbst treffen. Die Blattspreite muß somit
einen phototropischen Reiz aufnehmen können, und zwar muß sie
transversalphototropisch sein. Außerdem ist hier eine Leitung der
Erregung über recht beträchtliche Strecken nachgewiesen. Später
hat Haberlandt (1904) ähnliche Versuche an Blättern der Kapuziner-
kresse (Tropaeolum) ausgeführt. Diese sind besonders schön photo-
tropisch, entbehren aber des Gelenkes unter der Spreite (Abb. 61). Wird
der Blattstiel allein beleuchtet, die Blattfläche aber verdunkelt, so
erfolgt, wie schon Darwin gefunden hatte, gleichwohl eine phototro-
pische Bewegung. Darwin hatte daraus oeschlossen, daß die Beleuch-
Abb, 61.
Eine Pflanze der Kapuzinerkresse wurde einige Tage in einem Kasten gehalten, der nur durch
eine offene Querwand Licht erhielt. Die Blätter sind in dem schwachen Lichte klein geblieben
und haben sich phototropisch eingestellt. Verkleinert.
tung der Blattfläche selbst bei Erreichung der Lichtlage nicht maß-
gebend ist. Demgegenüber konnte Haberlandt feststellen, daß auch
der verdunkelte Stiel die Spreite in die richtige Lage bringt, wenn
diese dem einseitigen Lichte ausgesetzt ist. Es findet also auch
hier eine Leitung der tropistischen Erregung statt.
Bei der Bewegung der Tropaeolumblätter zur Erreichung der
Lichtlage sind somit sowohl die Spreite wie der Stiel als perzipierende
Organe beteiligt. Haberlandt beobachtete äber, daß bei Beleuchtung
des Stieles allein die Einstellung nicht sehr genau ist, während aus-
schließliche Beleuchtung der Blattfläche oft keine ausreichende Krüm-
mungsweite zur Folge hat. Daraus schloß Haberlandt, daß ‚‚der
positiv heliotropische Blattstiel gewissermaßen die grobe Einstellung
12*
180 V, Richtungsbewegungen auf Lichtreiz.
in die Lichtlage bewirkt, die Lamina (Spreite) dagegen die feinere
Einstellung reguliert“.
Schließlich fand Haberlandt in Begonia discolor (Schiefblatt)
noch eine Pflanze, bei der der Blattstiel nur sehr schwach photo-
tropisch ist, und die Perzeption der Spreite allein die recht genaue
Einstellung in die Lichtlage bewirkt. Er unterscheidet demnach drei
Fälle: 1. Die Lamina wirkt bei der Perzeption nicht mit (Phaseolus).
2. Lamina und Stiel sind sensibel (Tropaeolum und Malva). 3. Die
Lamina allein dirigiert die Bewegung (Begonia).
Schon lange hatte man daran gedacht, ob nicht der Blattspreite
(und ähnlichen Gebilden) eine besondere physiologische Struktur zu-
komme, die sie befähigt sich quer zu den Lichtstrahlen zu stellen
(De Vries 1872, Stahl 1877 und Sachs 1879). Diese Hypothesen
können wir hier nicht besprechen, um so weniger als ihnen falsche
Voraussetzungen zugrunde lagen. Man wollte nicht an einen Trans-
versalphototropismus glauben. Aber auch jetzt, wo wir von dessen
Vorhandensein überzeugt sind, erscheint der Fall schwieriger deutbar
als der des Transversalgeotropismus. Jedenfalls kommt wohl bei den
flächigen, sich quer zum Lichte stellenden Organen nicht die Differenz
in der Beleuchtung von Vorder- und Hinterseite als Reizanlaß in Be-
tracht, wie das bei orthotropen Pflanzenteilen vielleicht der Fall ist,
sondern ausschließlich (?) die auf die Oberseite fallenden Lichtstrahlen.
Wie sich Blätter verhalten, die von unten, z. B. genau senkrecht zur
Fläche oder von oben und unten gleich stark beleuchtet werden, ist
nicht genau untersucht worden.
In neuerer Zeit hat dann Haberlandt (zuerst 1904) eine neue
Theorie des Transversalphototropismus aufgestellt, die in zahlreichen
Arbeiten von ihm und seinen Schülern weiter ausgebaut und ge-
stützt worden ist. Man kann das Problem wohl nicht anders als
durch eine besondere Perzeptionsform lösen wollen. Diese wird nach
Haberlandt durch die Lichtbrechungsverhältnisse der Epidermis er-
möglicht. Durch linsenartige Vorwölbungen und Verdickungen der
Außenwände, durch Reflexion an Scheidewänden und dergleichen
werden nach den zahlreichen eingehenden Untersuchungen (Literatur
bei Haberlandt 1909a) bei senkrechter Beleuchtung eigentümlich an-
seordnete Licht- und Schattenflecke auf dem der Innenwand der
Epidermiszellen anliegenden Protoplasma erzielt. Bei schiefer Be-
leuchtung rücken diese Flecke seitlich, treffen andere Partien der
Plasmaschicht und bewirken so nach Haberlandt die Perzeption der
Liehtrichtung durch bloße Unterschiedsempfindlichkeit der lebenden
Substanz. Die ganze Vorstellung ist äußerst anschaulich und
einleuchtend. Auch sind die beschriebenen Einrichtungen für jeden
Beobachter überraschend. In manchen Fällen sind die linsenartigen
Verdickungen in den Epidermisaußenwänden so regelmäßig gebildet,
daß sie wirkliche kleine Bilder von Gegenständen erzeugen, die
Haberlandt photographieren konnte. Aber man weiß vorläufig nicht,
ob der Zweck dieser Gebilde der von Haberlandt vermutete ist.
Verbreitung und Ökologie des Phototropismus. 181
Hypothetisch ist vor allen die Funktion der Epidermis als Licht-
perzeptionsorgan und die Notwendigkeit der beschriebenen Licht-
brechungsverhältnisse für die Reizaufnahme.. Diese beiden Lücken
wurden denn auch benutzt, um Angriffe gegen die Theorie zu
eröffnen.
Kniep (1907) gelang es, durch Benetzung mit dem stark licht-
brechenden Paraffinöl die Beleuchtungsverhältnisse in der Epidermis
verschiedener Blätter ganz zu verändern. Er benutzte dazu solche
Pflanzen, bei denen die Konzentration des Lichtes auf der Mitte der
Hinterwand der FEpidermiszellen allein durch die linsenartige Vor-
wölbung der Außenwände zustande kommt (Tropaeolum- und Be-
goniaarten). Durch Bedeckung mit Paraffinöl kehrte sich bei ihnen die
Lichtverteilung auf der nach Haberlandt reizempfangenden Plasma-
schicht um: Die Mitte wurde dunkel, der Rand hell. Gleichwohl
rückten die Blätter in die normale Lichtlage. Haberlandt hält dem
entgegen, daß es „lediglich auf die Unterschiedsempfindlichkeit für zen-
trische und exzentrische Beleuchtung der Epidermisinnenwände‘“ an-
komme (1909a 8. 573). ,So wie ein Mensch mit seinem Auge das
betreffende Objekt zu fixieren vermag, sei es nun ein helles Feld auf
dunklem Grunde oder umgekehrt ein dunkles Feld auf hellem Grunde,
so vermag auch das Laubblatt die optischen Achsen seiner Epidermis-
zellen parallel zur Lichtrichtung zu orientieren und so die Licht-
quelle gewissermaßen zu fixieren“ (1909b 8. 415).
Diese Auffassung steht im Zusammenhang mit dem Haberlandt
naheliegenden Vergleich seiner Lichtperzeptionsorgane bei den Blättern
mit den Augen von Tieren. Es wurde ihm aber eingewendet, daß
das Fixieren eines Gesichtsobjektes ein erst bei höheren Tieren auf-
tretendes, recht verwickeltes Verhalten sei, das für die Erklärung
der Funktion primitiv gebauter pflanzlicher ‚Sinnesorgane‘ nur mit
Vorsicht herangezogen werden sollte.
Neuerdings nun (1910) zeigte Nordhausen, daß die Annahme
Haberlandts, die Epidermis der Blätter perzipiere die Lichtrichtung,
für ein bestimmtes Objekt (Arten von Begonia) nicht richtig sein kann.
Er zerstörte die sehr großen Zellen der Oberseite durch Abreiben
mit Glaspulver. Trotzdem stellten sich die Blätter senkrecht zum
Lichte. Gerade Begonia war eins von Haberlandts Objekten. Für
dieses kann seine Theorie somit nicht gelten. Man wird deshalb auch
für die anderen Blätter weitere Experimente abwarten müssen.
Doch selbst wenn man Haberlandts Theorie in der ursprünglichen
Form fallen lassen müßte, bliebe noch die Möglichkeit, daß die
Einrichtungen zur Konzentration des Lichtes vermöge lokaler stärkerer
Reizung die Lichtperzeption auch bei sonst zu schwacher oder zu
schräger Beleuchtung möglich machen (Nordhausen 1910 S. 487).
Ein Einstellen der Blattspreite zum Auffangen von möglichst
viel Licht findet man bei den meisten Blättern, besonders denen der
Schattenpflanzen. Man muß aber nach ökologischen Gesichtspunkten
182 V. Riehtungsbewegungen auf Lichtreiz.
zwei Fälle unterscheiden. Es gibt erstens Blätter, die sich in kurzer
Zeit, der augenblicklich herrschenden Lichtrichtung entsprechend, ein-
stellen und deshalb nach der Tageszeit verschieden orientiert sind.
Hierzu sind hauptsächlich die mit Gelenken versehenen, ver-
möge ihres schnellen Reaktionsvermögens, und in etwas geringerem
Grade junge Blätter mit rasch wachsendem Stiel befähigt. Ist deren
Wachstum dem Erlöschen nahe, so pendeln sie mit immer geringeren
Ausschlägen um ihre tägliche Mittelstellung und bleiben schließlich
in ihr stehen. Noch langsamer reagierende orientieren sich von vorn-
herein nur so, daß sie eine feste Lichtlage einnehmen, in der sie
von den täglich auf ihren Standort fallenden Strahlen möglichst
viele auffangen. Diese Blätter mit ‚‚fixer‘‘ Lichtlage bilden die zweite
von unseren beiden ökologischen Gruppen.
Wiesner (1880 S. 41) drückte das Verhalten der zweiten Gruppe
so aus, daß er sagte: „Die Blätter stellen sich in der Regel so gegen
das Licht, daß die Blattfläche senkrecht auf das stärkste denselben
gebotene zerstreute Licht zu liegen kommt.‘ Er wollte damit be-
tonen, daß das im Laufe des Tages auf sie fallende stärkste direkte
Licht nicht das ausschlaggebende ist. Das ist auch sicher richtig;
Wiesners Versuche reichen aber nicht aus, um quantitative Aussagen
über den Einfluß der Lichtintensität auf den Bewegungsvorgang zu
machen. Da wir jetzt wissen, daß für die Reizwirkung die Menge des
gesamten auffallenden Lichtes maßgebend ist, und zudem auch
Wiesners Messungen eher in dem Sinne sprechen, muß man wohl
annehmen, daß die Blätter sich so einstellen, daß von den am ganzen
Tage gebotenen Lichte möglichst viel auf sie fällt.')
Das stärkste auf Blätter mit fixer Lichtlage fallende Licht wird
vielleicht über ihren Bedarf hinaus gehen und sie eventuell sogar
schädigen. Aber sie haben kein Mittel, ihm durch Bewegungen zu
entgehen, sondern sie müssen auf andere Weise geschützt sein. Anders
ist das bei den Blättern der ersten Gruppe. Diese sind andauernd
in Bewegung. Man beobachte eine Bohnenpflanze oder einen Robinien-
baum. Ständig wird von den Blättern die Richtung eingenommen,
in der sie die günstigte Beleuchtung finden. Bei schwächerem Lichte
stellen sie sich senkrecht zu den Strahlen. Bei direkter Sonne aber
vermögen sie einer Schädigung (durch zu starke Erwärmung, Wasser-
verdunstung usw.) zu entgehen (vgl. die S. 135), indem sie sich mehr
oder weniger schräg zum Lichte stellen und dadurch die auf ihre
Fläche fallende Lichtmenge regulieren (Oltmanns 1892). Bei vielen
Pflanzen mit Gelenkblättern kann man sehen, daß sie sich selbst
senkrecht aufrichten und ihre Kante der hochstehenden Sonne zu-
kehren (Apios, Phaseolus usw.) oder durch Herunterklappen das-
') Ob dabei etwa auf sie fallendes direktes Sonnenlicht nicht einwirkt,
vielleicht Indifferenz bewirkt, müssen wir dahingestellt sein Jassen. Mir scheint
es aber wahrscheinlicher, daß wirklich der Durchschnitt des gesamten Lichtes
die Orientierung bestimmt. Gegen kurz einwirkendes starkes Licht sind ja
auch orthotrope Organe nicht indiflerent.
Verbreitung und Ökologie des Phototropismus. 183
selbe zu erreichen suchen (Robinia, Oxalis) (Abb. 48, S. 135). Es liegt
hier vielleicht ein ähnliches Verhältnis der einzelnen Reaktionsweisen
vor, wie beim positiven und negativen Phototropismus der orthotropen
Organe. Nur daß bei den Blättern die Zwischenstellungen nicht
Durchgangslagen, sondern eine besondere Reaktionsweise darstellen,
was dort nicht der Fall zu sein scheint. Besondere Versuche, z. B. in
betreff der Frage, ob nicht doch die ‚‚Indifferenz‘‘ der orthotropen
Organe, wie es Pfeffer (1904 S. 573) will, in Wirklichkeit wie bei
den Blättern Transversalphototro-
pismus ist, wären erwünscht.
Gerade bei den Gelenkblättern,
die sich senkrecht zu schwächerem
Lichte stellen, und überhaupt meist
zart sind, wird eine solche Ein-
richtung von großem Nutzen sein.
Jede Abweichung von der zu den
Strahlen senkrechten Richtung hat
eine Abschwächung der Beleuch-
tung zur Folge. Diese Blätter sind
somit befähigt, aufs feinste die
Lichtmenge zu gewinnen, die ihnen
zuträglich ist.
Andere stehen ihr ganzes Leben
lang aufrecht und bieten der Mit-
tagssonne ihre schmale Kante dar.
Wir kennen das von den Blättern
vieler Monokotylen, z. B. der Grä-
ser, besonders aber denen von
Schwertlilien (Irisarten), Kalmus
Acorus Calamus) und ähnlichen. Bei
allen diesen ist im Übrigen die
Orientierung der Fläche nicht von
der herrschenden Beleuchtung ab- H AU eL rin Me f
Rn B : Hängender Zweig einer Trauerweide mit
hängig.. Bei den sogenannten gedrehten Blattstielen.
„Kompaßpflanzen‘ aber, zu denen
von einheimischen der wilde Lattich (Lactuca Scariola) gehört, sind
die Blätter an sonnigen Standorten einander annähernd parallel,
senkrecht zum Boden und in der Süd-Nordrichtung orientiert (Stahl
1881). So fangen sie das Morgen- und Abendlicht voll auf, lassen
aber die Strahlen der Mittagssonne an sich vorbei. Da bei dieser
Pflanze an schattigen Orten und in der Jugend die Blätter die ge-
wöhnliche zerstreute Lage haben, müssen sie zur Erreichung der be-
schriebenen Anordnung verwickelte Bewegungen ausführen, die aus
Krümmungen und Drehungen zusammengesetzt sind.
Drehungen, deren Ursache das Licht ist, kommen an den
Blättern überhaupt genau so vor, wie die entsprechenden geotropi-
schen Torsionen. Sehr hübsch sind sie z. B bei den ‚‚Trauerweiden‘“
Abb. 62.
184 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz.
zu sehen, weil bei ihnen die Blätter durch das Herabhängen der
Zweige in verkehrter Lage sich entwickeln müssen. Auch scheinen
sie nicht geotropisch zu sein. Wenigstens hängen sie immer ab-
wärts und kehren nur durch Torsionen die Oberseite dem Lichte zu
(Abb. 62).
Man war früher der Meinung, daß eine einzelne Kraft keine
Drehungen hervorrufen könne, wohl aber zwei oder mehrere (Krabbe
1889). Dann zeigten Schwendener und Krabbe (1892), daß auch
das nicht möglich sei. Rein mechanisch können allerdings Tor-
sionen, wie mir scheint, nur durch den beständigen Wechsel der Richtung
einer Kraft zustande kommen. Der Fehler der älteren Autoren
liest darin, daß Geotropismus, Phototropismus usw. keine me-
chanisch wirkenden Kräfte sind. Vielmehr reagiert die Pflanze ver-
möge ihrer eigenen physiologisch dorsiventralen Struktur durch
Drehungen auf äußere Richtkräfte. Damit sind freilich die Rätsel
nicht gelöst. Die Arbeit muß vielmehr hier erst einsetzen. Kompliziert
wird das Problem noch dadurch, daß in manchen Fällen (Schwendener
und Krabbe 1892) bei Aufhebung der einseitigen Schwerewirkung am
Klinostaten keine phototropischen Torsionen auftreten. In anderen
Fällen (Blütenstiele vom Veilchen) kommen aber auch unter dem allei-
nigen Einflusse des Lichtes Torsionen der Stiele zustande.
Hier soll nur noch hervorgehoben werden, daß das Licht auch
bei den früher (S. 77ff.) beschriebenen Drehungen der Zweige und Ein-
stellungen der Blätter beteiligt ist. Einzelbeobachtungen anzuführen
würde zu weit führen.
Wir kommen nun zu den durch Licht verursachten Richtungs-
bewegungen niederer Organismen, zunächst der festgewachsenen. Bei
den Pilzen sind, wie wir schon erwähnten, zahlreiche Fälle bekannt,
in denen ausgesprochene phototropische Reaktionen ausgeführt werden,
wenn auch die Mehrzahl dieser Gewächse nichts derartiges zeigt.
Unter den Mucorineen sind besonders zahlreiche Fälle von photo-
tropischer Reizbarkeit bekannt. Diese Pilze bestehen aus einem
wurzelartigen Geflecht, daß das Substrat aussaugt, also gewöhnlich
im Dunkeln vegetiert, und den sich von der Unterlage erhebenden
schlauchförmigen Fruchtträgern. Es ist nun bemerkenswert, daß
letztere negativ geotropisch und positiv heliotropisch sind, während
das Fadengeflecht keine solche Reizbarkeit besitzt, obgleich das ganze
Pilzindividuum gewissermaßen eine einzige Zelle ist. Das Proto-
plasma ist bei den Mucorineen nämlich nicht wie bei den höheren
Pflanzen durch Scheidewände in einzelne Portionen geteilt, sondern
das ganze Innere des Pilzes stellt einen zusammenhängenden Hohl-
raum dar.
Der Phototropismus der Fruchtträger ist z. B. bei Phycomyces
nitens, Mucor Mucedo, Pilobolusarten u. a. sehr stark ausgebildet,
so daß sie sich genau in die Lichtrichtung stellen. Pilobolus schießt,
wie wir gehört haben (S. 107), sein Sporangium ab, das nun nach dem
Verbreitung und Ökologie des Phototropismus. 185
Lichte hin fliegt. Wie genau der Pilz sein Ziel trifit, zeigt sehr
hübsch ein Versuch von Noll (1893). Das Substrat mit sich ent-
wickelnden Sporangienträgern wird in eine Kiste getan, die ein dem
Licht zugekehrtes, mit einer Glasscheibe verschlossenes Fensterchen
besitzt. Alle Fruchtträger richten sich nun phototropisch nach den
einfallenden Lichtstrahlen und treffen beim Abschleudern dies Fenster,
an dem die klebrigen Sporenmassen hängen bleiben.
Bei den übrigen phototropischen Mucorineen bleibt das zer-
fließende Sporangium zunächst am Fruchtträger hängen, um, wenn
möglich, vorüberstreichenden Tieren angeklebt zu werden. Die Mög-
lichkeit aus Hindernissen hervorzukommen, wird hier ähnlich wie bei
den phototropischen Keimstengeln durch die Lichtreizbarkeit erhöht.
Widerstände mit Gewalt zu überwinden, ist diesen zarten Gebilden
gar nicht möglich. Deshalb würde der Geotropismus allein sie nicht
zweckmäßig leiten können. Er muß gegenüber dem Phototropismus,
wenn beide einwirken, durchaus zurücktreten. Noch viele andere Pilze
aus verschiedenen Gruppen sind phototropisch empfindlich, so vor allen
die oben bei Besprechung des Etiolements angeführten Hutstiele der
Coprinusarten, dann die Stromata von Xylaria Hypoxylon, die Apo-
thecienstiele von Peziza Fuckeliana, die Conidienträger von Asper-
gillus maximus usf. (Literatur bei Pfeffer 1904, S. 103). In allen
diesen Fällen tritt wohl die Leichtreizbarkeit in den Dienst der
Sporenverbreitung.
Bei Algen kommen phototropische Bewegungen sehr häufig vor,
jedenfalls wohl häufiger als geotropische. Ist doch bei solchen auch
zum ersten Male ganz überzeugend die Umkehr der positiven in
negative Reaktion durch Verstärkung der Lichtintensität gezeigt worden.
Die Algen vegetieren im allgemeinen bei verhältnismäßig schwacher
Beleuchtung. Deshalb hat bei ihnen schon weniger intensives Licht eine
gewisse Reizwirkung als z. B. bei Keimstengeln, und negativer Photo-
tropismus tritt schon bei mittelstarker Beleuchtung auf. Berthold
(1882) fand an den Meeresalgen Derbesia marina, Ketocarpus
humilis und Antithamnion ceruciatum in der Nähe des Fensters ne:
gative Krümmungen, weiterhin blieben die Algen aufrecht, und im
Hintergrunde des Zimmers krümmten sie sich nach dem Fenster zu.
Auch die mit der Tageszeit wechselnde Lichtintensität beeinflußte
die Richtung des Wachstums, so daß also die Krümmungen recht
schnell vor sich gehen müssen. Ähnliches fand Oltmanns (1892) für
die Süßwasseralge Vaucheria. Phototropisch sind aber noch viele
andere Algen, so Spirogyra, Chara, Nitella, Caulerpa, Bryopsis usw.,
auch die Vorkeime von Laub- und Lebermoosen. Schon bei geringer
Lichtintensität negativ phototropisch sind vielfach die Wurzelschläuche,
z. B. bei Marchantia, bei den Prothallien von Farnen und Equiseten,
bei Bryopsis usf. (Literatur bei Pfeffer 1904, 8. 576).
Ähnlich wie Blätter verhalten sich die Prothallien von Farnen,
der Thallus von Marchantia und anderen Lebermoosen. Sie stellen
sich senkrecht zur Richtung des Lichtes. An diesen Objekten sind
186 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz.
über den Transversalphototropismus gerade sehr eingehende Studien
angestellt worden (Sachs 1879), die überhaupt die Grundlage für
unsere Kenntnis der Reaktionsweise blattartig dorsiventraler Gebilde
geliefert haben. Laubmoose habe ich wiederholt positiv phototropisch
gesehen. Genauere Untersuchungen fehlen aber m. W. sowohl bei
ihnen wie bei Farnwedeln.
Wir wollen damit unsere Besprechung der phototropischen Reiz-
barkeit schließen. Die letzten Abschnitte haben uns gelehrt, daß sie
im Dienste der Fortpflanzung bei Blütenstielen und Pilzfruchtträgern
steht, die Stengel und Blätter aber in eine für die Kohlensäure-
assimilation geeignete Lage bringt.
f) Phototaxis.
Wie wir gehört haben, ist die Fähigkeit zu freier Ortsbewegung
unter den Pflanzen verbreiteter als der Laie gewöhnlich denkt. Aller-
dings treten die beweglichen Stadien mit der Höherentwicklung der
Pflanzen schon frühzeitig gegen die festgewachsenen zurück. Nur
die Fortpflanzungszellen erhalten sich noch weiterhin die Schwimm-
fähigkeit. Aber auch unter ihnen hat die parallel mit der geschlecht-
lichen Differenzierung gehende reichlichere Ausstattung der weiblichen
Keimzelle mit Reservestoffen den Verlust der Eigenbewegung zur
Folge. Nun bleibt nur noch die männliche Keimzelle beweglich.
Das Ziel ihres Schwimmens aber ist allein das weibliche Ei. Sie
wird daher auch nur durch von ihm ausgehende Reize gelenkt.
Durch die Unbeweglichkeit der Eizelle ist das aktive Aufsuchen
eines geeigneten Standortes unmöglich geworden. Solange aber noch
die freie Ortsbewegung eine größere Rolle spielt als in den eben er-
wähnten Fällen, ist ihre Hauptaufgabe gerade das Erreichen günstiger
Lebensbedingungen.
Die grüne!) Pflanze ist nun vor allem vom Lichte abhängig.
So ist es begreiflich, daß fast stets den freibeweglichen Stadien der
auf Kohlensäureassimilation angewiesenen Organismen ein Empfin-
dungs- und Reaktionsvermögen gegenüber den Unterschieden der
Beleuchtung gegeben ist. Das gilt auch für vorübergehend schwimm-
fähige Stadien sonst unbeweglicher grüner Pflanzen, die ungeschlecht-
lichen sogenannten Algenschwärmsporen’). Im Gegensatz dazu sind
die männlichen ‚Samenfäden“ der verschiedensten Gewächse indiffe-
rent gegen Lichteinfluß, wie oben schon angedeutet wurde. Außer
den dauernd freibeweglichen grünen Organismen und den Schwärm-
sporen gibt es noch einige wenige schwimmende, nicht grüne pflanz-
1) Wenn hier wie an anderen Stellen von „grünen“ Pflanzen gesprochen
wird, so soll damit nur auf ihren Gehalt an Chlorophyil hingewiesen werden.
Ist außerdem, wie häufig, ein anderer Farbstoff vorhanden, so kann die Ge-
samtfarbe auch braun oder rot sein.
2, Die wenigen bekannt gewordenen Ausnahmen bei Strasburger (1878,
S. 41-43).
Phototaxis. 17
liche Lebewesen, die eine Lichtreizbarkeit besitzen. Bei ihnen ist sie,
wie wir sehen werden, durch besondere ökologische Verhältnisse bedingt.
Die Hauptaufgabe der Lichtreizbarkeit freibeweglicher pflanz-
licher Lebewesen ist jedenfalls das Aufsuchen günstiger Assimilations-
bedingungen. Um diese zu erreichen, müssen Orte geeigneter Hellig-
keit durch bestimmt gerichtete Bewegungen aufgefunden werden.
Solche, durch das Licht gelenkte Richtungsbewegungen freibeweglicher
Organismen, faßt man unter der Bezeichnung Phototaxis zusammen,
ganz gleich, auf welche Weise sie im übrigen zustande kommen.
Wie man sieht, liegt hier ein Parallelfall zu der Geotaxis vor, in
ähnlicher Weise wie bei festgewachsenen Organismen der Phototro-
pismus dem Geotropismus gegenübersteht. Jedoch spielt, wie wohl
aus den obigen Darlegungen schon hervorgeht, die Phototaxis eine
viel größere Rolle als die entsprechenden Schwerkraftreizreaktionen.
Wir müssen ihr daher ein eigenes Kapitel widmen. In diesem
werden wir gleichzeitig mehrere Erscheinungen genauer kennen lernen,
die bei der Reaktion freibeweglicher Organismen auf einseitige Reize
auch anderer Art allgemein auftreten.
Wir wollen mit den Schwimmern beginnen, weil ihre Reaktions-
weise am besten bekannt ist. Machen wir uns zunächst mit der
Erscheinung der Phototaxis in der Form bekannt, in der sie am
häufigsten beobachtet wird:
Oft erscheint das Wasser von Teichen und Pfützen ganz grün
von darin umherwimmelnden kleinen Organismen. Meist handelt es
sich dann um Flagellaten, wie die Arten von Euglena oder um ein-
zeln lebende und koloniebildende Volvocaceen, wie Chlamydomonas,
Volvox, Pandorina usf. Tut man eine Probe von dem organismen-
haltigen Wasser auf einen Teller und stellt diesen ans Fenster, so
beobachtet man schon nach kurzer Zeit, daß die grüne Farbe nicht
mehr gleichmäßig verteilt ist. Es bildet sich nämlich ein tiefer-
grün aussehender Fleck an der Fenster- oder Zimmerseite, während
der übrige Teil des Wassers farblos wird. Dreht man den Teller
herum, so ist bald die alte Anordnung wieder hergestellt, die grünen
Organismen haben sich wiederum an der entsprechenden Stelle ge-
sammelt.
Einen Einblick in die Bewegungsweise, durch die das Zusammen-
drängen an günstig beleuchteten Orten zustande kommt, gewinnt man
am leichtesten bei den Volvoxarten. Ihre kugelförmigen Kolonien
erreichen Stecknadelkopfgröße und sind deshalb schon mit bloßem
Auge, besser mit einer Lupe, zu verfolgen. Haben sich z. B. alle
Kugeln an der Fensterseite gesammelt und dreht man nun den Teller
um, so sieht man bei Betrachtung einer bestimmten Stelle der flachen
Wasserschicht die Kolonien in parallelen Bahnen von neuem auf die
Lichtquelle zu vorüberwandern. Es liegt somit positive Photo-
taxis vor.
Legt man quer über den Teller ein Brettchen oder dergleichen,
so daß ein Schattenstreif im Wasser entsteht, so sammeln sich die
Licht
188 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz.
jenseits befindlichen phototaktischen Organismen an der Zimmerseite
des Schattens und können nicht hinüber. (Ältere Literatur und Ver-
suche bei Strasburger 1878). Stellt man den Teller in den Sonnen-
schein, so findet man alle Erscheinungen umgekehrt. Die Volvox-
kugeln sammeln sich jetzt auf der vom Lichte abgekehrten Seite
oder im Schatten eines Brettchens, sie sind nun negativ photo-
taktisch.
So oder ähnlich stellen sich die phototaktischen Erscheinungen
bei sehr vielen Volvocaceen, Flagellaten und den Schwärmsporen der
Algen dar. Über die letzteren besonders unterrichtet uns die er-
wähnte Arbeit von Strasburger. Die Algenschwärmer sind ihrer
Kleinheit wegen nur unter dem Mikroskop einzeln zu erkennen. Ihr
Verhalten ist im großen ganzen ebenso wie das von Volvox. Be-
obachtet man sie bei mittlerer Vergrößerung in einem Tropfen Wasser,
so kann man die Bewegungen direkt verfolgen. Bei Beurteilung des
Sinnes ihrer Phototaxis muß man
aber die Lichtverteilung in einem
Wassertropfen berücksichtigen. Da
der Tropfen optisch wie eine Linse
wirkt, ist die hellste Stelle nun
auf der Zimmerseite zu finden
(Chmielewsky 1904). Dort sam-
meln sich somit die positiv photo-
taktischen Schwärmer an (Abb. 63).
Verwendet man aber helleres Licht,
Abb. 63. so findet man sie bald an der
Tropfen auf einer Glasplatte, unter der dunkelsten Stelle, nämlich auf
photographisches Papier lag. Das Lieht der Fensterseite. Auch in flachen
kommt von links oben, der hellste Punkt ist 2
rechts unten. Schalen kommt die Linsenwirkung
zustande (Abb. 64). Und sogar in
rechteckigen Gefäßen wird oft durch Reflex an den Wänden ein be-
sonders heller Fleck auf der Zimmerseite erzeugt. Die Nichtbeachtung
dieser Erscheinung macht die meisten älteren Beobachtungen wertlos.
Wie man sieht, ist das Verhältnis von positiver und negativer
Reaktion bei der Phototaxis ganz entsprechend dem beim Photo-
tropismus: Intensive Beleuchtung bewirkt Abkehr, schwächere Zu-
wendung zu der hellsten Stelle. Dazwischen liegt eine mittlere In-
tensität, gegen die die phototaktischen Organismen indifferent sind.
ei welcher Helligkeit positive oder negative Reaktion erfolgt, das ist
von Art zu Art verschieden. Daneben aber wechselt das Verhalten
auch mit dem Alterszustande und durch äußere Einflüsse. Unter ihnen
spielt das Licht selbst eine große Rolle. Denn auch hier ist, ebenso
wie beim Phototropismus, die Stärke der Erregung nicht nur von
der Intensität der Beleuchtung, sondern auch von der Lichtstimmung
abhängig. Hat zuvor starkes Licht eingewirkt, so ist die Stimmung
hoch, im Dunkeln sinkt sie. Niedrige Stimmung und starkes Licht
hat negative Reaktion zur Folge, hohe Stimmung und schwächeres
Phototaxis. 189
Lieht bedingt positive Ansammlung. Ist das Licht aber gar zu
schwach, so erfolgt gar keine Reaktion, der Reiz bleibt unter der
Schwelle. Allerdings kann man nicht bei allen phototaktischen Orga-
nismen alle diese Erscheinungen gleich schön beobachten.
Neben dem Lichte wirken noch andere Faktoren auf den physio-
logischen Zustand, wie er sich im phototaktischen Verhalten kund
gibt (Literatur bei Oltmanns 1905, S. 222 und Jost 1908, S. 654).
Bei vielen Schwärmern wechselt die ‚Stimmung‘ periodisch in kurzen
Abständen, so daß sie ständig hin und her schwimmen. Ob die
Stimmungsveränderung durch den Wechsel von Hell und Dunkel
erfolgt, der durch ihre eigenen Bewegungen hervorgerufen wird oder
aus inneren Gründen, darüber
ist nichts bekannt.
Manchmal ist der Grund
für abweichende Befunde noch
schwerer zu fassen. So z. B.
wenn die Jahreszeit, das Alter
u. dgl. die Art der Phototaxis
beeinflussen. Leichter zu stu-
dieren ist schon die Bedeu-
tung der chemischen Zusam-
mensetzung der Nährlösung.
Klebs (1896) fand z. B., daß
eine 0,2 bis 0,5°/,ige Nähr-
lösung die Lichtempfindlich-
keit der Mikrosporen von
Ulothrix zonata fast völlig Abb. 64.
aufhebt. Loeb (1906) zeigte, Beleuchtungsverhältnisse, wie sie in einer wasser-
gefüllten, runden Glasdose bei horizontalem Licht-
daß manche Tiere, sowie auch ausfall von rechts zustande kommen, festgehalten
z z durch Unterlegen von photographischem Papier. Die
Volvox, durch Kohlensäure hellste Stelle auf der Zimmerseite, d. h. links.
und schwache organische Säu-
ren stärker positiv phototaktisch gemacht werden können als sie in
neutralen Flüssigkeiten sind.
Rothert (1904) hat den Einfluß von Chloroform und Äther auf
die Phototaxis studiert. Er fand, daß bei manchen Organismen
(Gonium pectorale und Pandorina morum) durch Narkotika die Licht-
reizbarkeit aufgehoben werden kann, bevor die Beweglichkeit aufhört,
bei anderen (Euglena viridis und Chlamydomonas) dagegen nicht.
Ferner zeigte sich bei einer gewissen Konzentration von Chloroform,
aber nicht von Äther, eine Umkehrung des Sinnes der Phototaxis'),
worin vielleicht eine spezifische chemische Wirkung gesehen werden
muß, die von der Narkosewirkung zu unterscheiden ist. Bei Gonium
wurde außerdem eine Nachwirkung der Narkotika, und zwar sowohl
1) Die vorher an der Zimmerseite des Tropfens sich sammelnden Schwär-
mer gingen nun nach dem Fensterrande. Wo aber die größere Helligkeit ge-
herrscht hat, läßt sich nicht ohne weiteres ersehen.
Licht
190 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz.
bei Äther wie bei Chloroform beobachtet. Diese bestand in einem
vorübergehenden stärkeren Bestreben, den Zimmerrand des Tropfens
aufzusuchen. Man sieht, daß recht verwickelte Verhältnisse vor-
liegen.
Auch die Temperatur hat oft einen Einfluß auf den Sinn der
Lichtbewegung (Strasburger 1878). Eine neue Durcharbeitung aller
dieser Angaben mit Berücksichtigung der Lichtbrechungsverhältnisse
ist aber vonnöten.
Daß bei der Phototaxis das Licht selbst und nicht etwa die
Erwärmung oder andere Einflüsse der Bestrahlung das Reizmittel
darstellen, das hat Strasburger sicher erwiesen. Damit ist aber die
Frage nach dem Reizanlaß noch nicht erledigt. Vielmehr bleibt,
wie beim Phototropismus, so auch hier, noch die Entscheidung zu
treffen, ob die Richtung des Lichtes oder Helligkeitsdifferenzen den
Reizerfolg bedingen? Verhältnismäßig leicht ist zu beobachten, daß die
Schwimmrichtung bei parallelstrahligem Lichteinfall mit dessen Rich-
tung zusammenfällt. Anders aber verhält es sich, wenn Helligkeits-
differenzen vorliegen, die nicht in der Richtung der Lichtstrahlen,
sondern quer dazu abgestuft sind. Besonders über die Deutung der
Versuche mit teilweiser Beschattung des Gefäßes konnte man sich
bisher nicht einigen.
Bei positiv phototaktischen Organismen, die schräg von oben
beleuchtet wurden, fand man, daß ein quergestellter Schattenstreif
bald ein unüberwindliches Hindernis für die Bewegung in der Licht-
richtung darstellte, bald aber ohne weiteres durchschwommen wurde.
Das eine schien für die Bedeutung der Helligkeitsdifferenzen, das
andere für die der Lichtrichtung zu sprechen. Ferner sammelten
sich negativ phototaktische Schwärmer auch im Schatten eines in
der Richtung der Lichtstrahlen über das Gefäß gelegten Brettchens.
Wurde aber ein Helligkeitsgefälle senkrecht zur Lichtrichtung erzeugt,
indem ein mit gefärbter Lösung gefüllter Glaskeil über einen
schwärmerhaltigen Flüssigkeitstropfen gelegt wurde, so fand die Be-
wegung allein nach dem Fenster zu statt (Strasburger 1878). Hier
spricht wieder der erste Versuch für die Bedeutung der Helligkeits-
differenzen, der zweite für die der Strahlenrichtung.
Strasburger war der Meinung, daß der Lichtabfall keinen Reiz
bedinge. Die Schwärmer sollen sich vielmehr deshalb in oder vor einem
Schatten ansammeln, weil ‚die seitlich beleuchteten Wassermassen
die dominierenden Lichtquellen für die Schwärmer abgeben“. Die
phototaktischen Organismen sollen sich stets in der Richtung der
Strahlen bewegen, aber entweder der steigenden oder der fallenden
Lichtintensität (soll heißen Beleuchtungsstärke) folgend.
Nach Oltmanns (1892) dagegen sind es gerade die Intensitäts-
differenzen der Beleuchtung, die die Bewegungsrichtung bestimmen.
Er experimentierte mit Volvox. Leider müssen wir es uns versagen,
auch nur kurz alle die merkwürdigen Beobachtungen wiederzugeben, die
Oltmanns anstellte. Das Hauptresultat seiner Versuche war die Er-
Phototaxis. 191
kenntnis, daß die Volvoxkugeln eine mittlere Helligkeit aufsuchen
und sich deshalb positiv oder negativ phototaktisch verhalten, je
nachdem die herrschende Beleuchtung schwächer oder stärker ist als
die ihnen zusagende. Bei hellem Licht sammeln sie sich im Schatten,
bei schwachem kommen sie hervor und suchen gut beleuchtete
Stellen auf.
An dem Versuche von Strasburger mit dem Absorptionskeil be-
mängelt Oltmanns (1892, S. 204) mit Recht, daß die Differenzen der
Helligkeit in dem Kulturtropfen voraussichtlich zu klein waren, als
daß sie eine Wirkung hätten haben können. Aber auch Oltmanns’
entsprechende Versuche, in denen eine stärkere Helligkeitsabstufung
über einem größeren Gefäße mit Volvox eine Ansammlung in mitt-
lerer Beleuchtung bewirkte, sind nicht einwandfrei. Denn der Gang
der Lichtstrahlen ist schwer zu übersehen, mannigfaltige Reflexe
trüben das Resultat (Jost 1908, S. 655).
Besonders schwer zu deuten scheinen aber alle Versuche, bei
denen in einem gleichmäßig stark beleuchteten Kulturgefäß die photo-
taktischen Organismen sich im Halbschatten eines darübergelegten
Brettchens sammelten. ‚Nun können aber die in allseitig gleicher
Helligkeit befindlichen Schwärmsporen unmöglich eine Kenntnis da-
von haben, daß in einer gewissen Entfernung von ihrem augenblick-
lichen Aufenthaltsort eine ihnen mehr zusagende Helligkeit herrscht‘
(Jost 1908, S. 656).
Hier hilft uns eine zuerst von Engelmann (1882) beobachtete
Erscheinung weiter. Dieser Forscher projizierte mit Hilfe eines unter
dem Tische des Mikroskopes angebrachten Linsensystemes einen hellen
Lichtfleck auf dunklem Grunde in die Ebene eines Euglenenpräpa-
rates. Die phototaktischen Flagellaten sammelten sich dann bald in
dem Lichtkreise an. Die Art und Weise ihrer Reaktion, die mikro-
skopisch verfolgt werden konnte, war aber höchst merkwürdig. Außer-
halb des hellen Fleckes machte sich keinerlei bestimmte Bewegungs-
richtung bemerkbar. Nur zufällig kam ein und das andere Individuum
beim Hin- und Herschwimmen über die Lichtgrenze. Dabei zeigte
es keinerlei Anzeichen, das auf eine Reizwirkung des plötzlichen
Wechsels von dunkel zu hell hätte schließen lassen. Wollte aber eine
Euglene aus dem hellen Kreise heraus, so fuhr sie, im Augenblick
des Überschreitens der Grenze oder wenig später, wie erschreckt
zurück. Allein durch dies Zurückfahren wurde es bewirkt, daß mehr
und mehr Individuen sich in dem als .‚Falle“ wirkenden Lichtfleck
sammelten. Die ‚Schreckbewegung‘‘ wird aber nicht durch lokale
Beleuchtungsdifferenzen, etwa zwischen Vorder- und Hinterende her-
vorgerufen, sondern allein durch den zeitlichen Wechsel der Hellig-
keit. Sie finden nämlich auch bei difiuser Beschattung statt. Die
Ansammlung an hellen Stellen in einem sonst dunklen Raume kann
man sehr schön demonstrieren, wenn man ein Kulturgefäß mit viel
beweglichen Euglenen durch schwarzes Papier verdunkelt, in dieses
aber Löcher nach Art einer Schablone schneidet. Die Abbildung
192 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz.
wurde auf diese Weise durch Photographieren nach Abheben der
Schablone gewonnen. Die dunklen Buchstaben werden durch lauter
Euglenen gebildet (Abb. 65).
In ähnlicher Weise wie das Fangen
in der Engelmannschen ‚‚Lichtfalle‘‘ sind
die oben beschriebenen Ansammlungen
an hellen oder beschatteten Orten zu
erklären. Nur zufällig treffen z. B. die
hin- und herfahrenden Schwärmer im
intensiv beleuchteten Kulturgefäße die
dunklen Stellen. Hier aber finden bei
der Rückkehr ins Helle ‚Schreckbe-
wegungen‘“ statt, deshalb sammeln sich
die Organismen in den dunklen Flecken
an. Strasburger beobachtete schon
(1878) bei manchen seiner Algenschwär-
' mer eine ‚„Erschütterung‘‘ auf plötzliche
Abb. 65. Verdunklung, bei anderen auf Verstär-
Phototaktisch angesammelte Eu- kung des Lichtes. Dabei bewegten sich
glenen bilden das Wort ‚‚Licht‘“. 2 r
Botrydiumschwärmer auf starke und
schnelle Verminderung der Helligkeit selbst im Kreise.
Dasselbe konnte ich (Pringsheim 1908) besonders hübsch an Euglenen
sehen, denen ich bei mikroskopischer Beobachtung durch Vorschalten einer
gelbroten Glasscheibe plötzlich alles wirksame (grüne-violette Licht) entzog.
Will man eine ebenso wirksame Reizwirkung durch bloße Abdämpfung des
weißen Lichtes erreichen, so muß man das mikroskopische Gesichtsfeld so weit
verdunkeln, daß nichts mehr zu erkennen ist. Mit derselben Methode läßt sich
gut beobachten, daß unter solchen Umständen, die eine negativ phototaktische
Reaktion der Euglenen bewirken, die Schreckbewegung durch den umgekehrten
Helligkeitswechsel wie oben, also durch plötzliche starke Belichtung ausgelöst
wird. (Vgl. auch Jennings [1905] 1910 S. 214).
Durch die Engelmannsche Entdeckung wäre wenigstens für
diejenigen Organismen, die eine Schreckbewegung zeigen, die
Ansammlung an hellen oder dunklen Orten erklärt. Wir haben
aber gesehen, daß dieselben Schwärmsporen und grünen Flagellaten
sich außerdem bei einseitiger Beleuchtung in die Richtung der Strahlen
einstellen und so der Lichtquelle entgegenschwimmen. In diesem Falle
scheint eine ganz andere Reaktionsweise vorzuliegen. Bis vor kurzem ging
nun die herrschende Meinung dahin, daß in einem und demselben
Individuum zwei verschiedene Arten von Lichtreizbarkeit vereinigt
seien. Für die eine sollte der Intensitätswechsel, für die andere die
tichtung des Lichtes ausschlaggebend sein (Jost 1908 S. 656). Dabei
sind aber Arbeiten von Jennings nicht genügend berücksichtigt
worden, die bis ins Jahr 1897 zurückgehen!). Diesem Forscher
gelang es durch eingehende Beobachtungen an verschiedenen (chemo-
') Die ersten von ihnen finden sich bei Rothert 1901 aufgeführt und
sind 1905 zu einem einheitlichen Bilde zusammengefaßt worden (Jennings
[1905] 1910).
Phototaxis. 193
und) phototaktischen Organismen, deren Richtungsbewegungen auf
Reizung durch Intensitätswechsel zurückzuführen.
Er fand bei seinen Untersuchungen die „Schreckbewegungen“
weit verbreitet. Sie gehen ganz allgemein in der Weise vor sich,
daß auf eine plötzliche Veränderung hin eine Reaktionsbewegung er-
folgt, deren Art und Richtung durch die Organisation des betreffen-
den Lebewesens bedingt ist. Jeder Reiz, der überhaupt eine Bewe-
gung veranlaßt, hat nach Jennings dieselbe Reaktionsweise zur
Folge. Nur die Intensität der Reaktion ist durch die Größe der
veranlassenden Veränderung bestimmt.
Um das verstehen zu können, betrachten wir die Gestalt einer
Euglene (Abb. 2, S. 9). Sie sieht ungefähr fischförmig aus. An ihrem
Vorderende befindet sich eine Einkerbung, in der die Geißel befestigt
ist. Durch die Vertiefung wird vorn eine größere und eine kleinere
Lippe erzeugt, Seitlich an der ersteren liegt der sogenannte Augen-
fleck, eine etwa schalenförmig gestaltete rote Pigmentmasse. Engel-
mann (a. a. 0.) hatte gefunden, daß allein der vor dem „Augenfleck‘“
befindliche Teil des Plasmas lichtempfindlich ist. Wurde nämlich über
eine Euglene von hinten ein kleiner Lichtfleck geführt, so fand eine
Reaktion erst statt, wenn der Pigmentfleck überschritten ward. Wurde
der Lichtpunkt von vorn kommend vorgeschoben, so erfolgte die
Bewegung schon vor Berührung des roten Fleckes. Demnach steht
der Augenfleck selbst offenbar nur in einem mittelbaren Zusammen-
hange mit der Lichtreizbarkeit, Wahrscheinlich hat er, wie auch das
Pigment bei tierischen lichtempfindlichen Organen, nur den Zweck,
Seitenlicht abzuhalten und so eine gewisse Lokalisation des Licht-
eindruckes zu ermöglichen.
Wird eine ruhig dem Lichte entgegenschwimmende Euglene
plötzlich beschattet, so stockt sie sofort und macht gleich darauf
eine lebhafte Drehung mit dem Vorderende nach der Seite des
größeren Lippenfortsatzes hin. Ist die Herabsetzung der Helligkeit
sehr stark, so erfolgt selbst ein mehrmaliges Kreisen unter Kon-
traktion des biegsamen Körpers. Hält die schwächere Beleuchtung
an, so streckt sich die Euglene wieder gerade und schwimmt weiter,
als wäre nichts geschehen. Daraus ist ersichtlich, daß die Schreck-
bewegung auf einem Übergangsreize beruht, also nicht durch schwache
oder starke Belichtung an sich, sondern durch den Wechsel hervor-
gerufen wird.
Betrachten wir nun eine bei gleichmäßiger Seitenbeleuchtung
geradeaus dem Lichte entgegenschwimmende Euglene etwas genauer,
so finden wir, daß sie sich während des Fortschreitens gleichzeitig
um ihre Längsachse dreht. Dabei beschreibt das Vorderende ge-
wöhnlich nach der Seite des größeren Lippenfortsatzes hin eine
Schraubenlinie, während das Hinterende annähernd gradlinig fort-
schreitet. Unter diesen Umständen ist der lichtreizbare Plasmateil
trotz der Drehung dauernd gleichmäßig beleuchtet. Lassen wir nun
aber das Licht seitlich zur bisherigen Bahn einfallen, so ändert sich
Pringsheim, Reizbewegungen. 13
194 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz.
das. Denn durch die Rotation der Euglene muß dabei die etwas
seitlich liegende empfindliche Körperstelle bald dem Lichte zugekehrt,
bald von ihm abgewendet sein. In letzterer Stellung ist sie aber
durch den Körper selbst und besonders durch den Pigmentfleck be-
schattet. Auf diesen Verdunkelungsreiz erfolet nun wiederum die
„Schreckbewegung‘‘ unter Drehung des Vorderendes, d. h. eine Er-
weiterung der auch beim ruhigen Schwimmen beschriebenen Schrauben-
linie. In einer der dabei zustande kommenden Stellungen zum
Lichte fällt die Verdunkelung durch den Pigmentfleck fort. Sogleich
wird die normale Vorwärtsbewegung wieder aufgenommen, aber in
einer von der früheren abweichenden Richtung. Fällt diese schon
mit der neuen Lichtrichtung zusammen, so ist der lichtempfindliche
Teil trotz der Drehung wieder gleichmäßig beleuchtet, somit ist keine
Ursache für erneute „Schreckbewegung‘‘' vorhanden. Genügt die erste
Richtungsänderung nicht, so wiederholt sich das Spiel, bis die Euglene
in der Lichtrichtung schwimmt. Mit entsprechenden Umstellungen
kann ganz das Gleiche für die negative Phototaxis bei starker Be-
leuchtung gesagt werden. Somit sind die Richtungsbewegungen der
Euglenen unter Berücksichtigung ihres Körperbaues auf dieselbe Reiz-
barkeit zurückgeführt, die die Schreckbewegungen zur Folge hat.
Die genaue Analyse der komplizierten Art zu schwimmen und
auf Reize zu antworten oder des ‚„‚Aktionssystems‘, wie es Jennings
nennt, hat zu einer einleuchtenden Lösung des alten Problemes ge-
führt. Gerade die Rotation um die Längsachse, die Jost (1908 S. 649)
wegen des dadurch bedingten Wechsels des Reizangriffes noch eine
Erschwerung des Verständnisses für die Art der Perzeption zu be-
deuten schien (er erinnert an die Klinostatendrehung), ist durch
Jennings als wesentliches Hilfsmittel beim Aufsuchen der geeigneten
Helligkeit erkannt worden.
Nachdem so gezeigt worden ist, daß die verschiedenen Formen,
in denen die Lichtreaktionen bei den FEuglenen auftreten, auf die-
selbe Art der Reizbarkeit zurückgeführt werden können, ergibt sich
die Berechtigung, den Reizanlaß einheitlich zu definieren. Man kann
sagen: Bedingung für das Auftreten einer Reizbewegung ist der
zeitliche Wechsel in der Intensität der Beleuchtung des perzeptions-
fähigen Vorderendes. Die Reaktion verläuft dann in einer Richtung,
die durch die Organisation des Körpers gegeben ist. Diese Sätze
entsprechen aber durchaus der Definition, die oben (S. 109) für nastische
Reizvorgänge gegeben ‘wurde. Die Reaktionsweise der Euglenen
ist eine Art der Photonastie. Ihr Erfolg ist jedoch oft eine
tropistische Bewegung, deren Richtung durch den Einfall der Licht-
strahlen bedingt ist.
Es fragt sich nun, wie weit die Erfahrungen an Euglenen ver-
allgemeinert werden dürfen. Nur für wenige phototaktische Organis-
men läßt sich vorläufig hierauf eine Antwort geben. Am genauesten
untersucht hat Jennings mit entsprechendem Resultat einen licht-
empfindlichen Stentor. Das ist aber zweifellos ein Tier.
Phototaxis. 195
Von pflanzlichen Objekten kommen zum Vergleich zunächst die
anderen grünen Flagellaten, dann die Schwärmsporen in Betracht.
Rothert (1901 S. 396ff.) hat die Beobachtungen zusammengestellt,
die für das Vorhandensein einer Übergangsreizbarkeit sprechen. Hier-
her gehören vor allem die „Erschütterungen“, die Strasburger bei
manchen Schwärmsporen usw. beobachtete (vgl. oben S. 192). Daß er
sie bei anderen vermißte, kann an der zu geringen Größe des Hellig-
keitssprunges gelegen haben. Ferner spricht für die hier dargelegte
Auffassung die Beobachtung Strasburgers, daß bei schwachem Lichte
die Einstellung in die Lichtrichtung nur sehr unvollkommen und die
Schwimmbahn vielfach gewunden ist. Denn bei geringer Intensität
der Beleuchtung wird eine größere Abweichung von der Lichtrichtung
nötig sein, die Reaktionsbewegung auszulösen als bei größerer Hellig-
keit. Wegen der Kleinheit der betreffenden Objekte sind genaue
Beobachtungen nicht ganz leicht anzustellen. Man darf aber doch
wohl annehmen, daß da, wo ein Augenfleck und auch sonst ein ähn-
licher Bau, und dazu ein äusserlich ähnliches Verhalten vorliegt wie
bei Euglena, auch die Art der Reizbarkeit dieselbe ist.
Ein genaueres Studium erfordern freilich noch die radiären
Volvocaceen, Kolonieen und Einzelformen. Da bei ihnen nicht wie bei
Euglena durch die Assymmetrie des Körpers die Richtung der Schreckbe-
wegung festgelegt ist, so können sie vielleicht einen abweichenden
Typus repräsentieren. Deshalb braucht man aber für sie noch keine
echte tropistische Reaktionsweise anzunehmen. Denn erstens sammeln
sie sich bei gleichmäßiger Beleuchtung von oben gleichfalls an be-
lichteten Stellen und zweitens haben Pfeffer (1884 S. 444/45) und
Massart (1889 S. 559/60) bei ihnen auf chemische Reize hin eine
echte Schreckbewegung beobachtet. Bei den annähernd kugelför-
migen Kolonieen von Volvox fand ich auf plötzliche Verdunkelung
eine erweiterte Drehung des rotierenden Körpers. Außerdem wird
die Bewegung um so geradliniger, je stärker der einseitige Lichteinfall
ist. Bei Chlamydomonas ist durch die seitliche Lagerung des Augen-
fleckes eine physiologische Assymmetrie gegeben, der zufolge sie sich
wie Euglena verhalten.
Im ganzen glaube ich sagen zu dürfen, daß bei den sehr not-
wendigen weiteren Untersuchungen wohl Verschiedenheiten im Aktions-
system zu erwarten sind; daß aber eine prinzipielle Unterscheidung
zwischen zwei verschiedenen phototaktischen Reizarten bei pflanzlichen
Objekten nicht mehr geboten ist. Eine Einstellung in die Richtung
der Lichtstrahlen, etwa auf Grund von lokalen Differenzen der Be-
leuchtung an verschiedenen Teilen des Körpers, dürfte nicht existieren.
An Stelle dieser Vorstellung ist die Reaktionsweise mit einer
zur Gestalt des Körpers in Beziehung stehenden Richtungsänderung
und auf Grund von zeitlich wechselnder Beleuchtungsintensität zu
setzen. Das Überschreiten eines quergestellten Schattens durch
Schwimmen in der Lichtrichtung (und ähnliche Erscheinungen) wäre
dann so zu erklären, daß die Abweichung von der Richtung der
13*
196 V. Riehtungsbewegungen auf Lichtreiz.
Strahlen eine stärkere Verdunkelung der lichtempfindlichen Plasma-
partieen bewirkte als der Schatten selbst.
Am übersichtlichsten von allen phototaktischen Reaktionen ist
das Verhalten der lichtreizbaren Purpurbakterien. Bei diesen fand
Engelmann (1882) zum ersten Male die Schreckbewegung auf plötz-
liche Verdunkelung, die sich hier in einer vorübergehenden Umkehrung
der Bewegungsrichtung, in einem Zurückschießen mit dem Hinterende
voran, bemerkbar macht. Bleiben nach dem Helligkeitswechsel die
Verhältnisse konstant, so schwimmt das Bakterium bald wieder mit
dem Vorderende voran, aber in einem etwas anderen Winkel. Auf
Grund dieser Reaktionsweise sammeln oder „fangen‘ sich die be-
treffenden Bakterien ganz ähnlich wie das oben für Euglenen er-
zählt wurde, an hellen Stellen, indem sie über deren Grenze wohl
hin, aber nicht zurückschwimmen können. Eine durch die Licht-
strahlen bestimmte Bewegungsrichtung konnte Engelmann (a. a. O.
S. 121/22) nicht finden. Die Bakterien gelangen also bei einer Be-
leuchtung von oben oder unten und dazu senkrechter Helligkeits-
ultrarot gelb
Abb. 66.
Verteilung von phototaktischen Purpurbakterien im Mikrospektrum.
(Nach Engelmann.)
abstufung nur zufällig an Stellen anderer Beleuchtungsstärke ganz
so wie Euglenen u. a. Flagellaten, Schwärmsporen usw.
Die Bakterien, um die es sich handelt — Engelmann nannte
die Art Bakterium photometricum, es war aber ein Chromatium —,
sind auch sonst in ihren Lebensverhältnissen vom Lichte abhängig,
da sie nur im Hellen gedeihen. Allerdings weiß man nicht genau,
worauf diese Förderung beruht. Für uns ist es aber nur wichtig,
daß auch hier, wie bei den grünen Organismen, die Lichtreizbarkeit
eine Anpassung an die Lebensweise darstellt.
Bei den Purpurbakterien sind es nicht wie bei den grünen
Organismen die kurzwelligen Strahlen, die die phototaktische Reaktion
bedingen, sondern im Gegenteil hauptsächlich die unsichtbaren ultra-
roten und etwas weniger die gelben. (Abb. 66). Engelmann sah die
Chromatien sich an diesen Stellen eines kleinen Spektrums im Mikro-
skope sammeln. Nach ihm sind die wirksamen Strahlen dieselben,
die von dem roten Farbstoffe absorbiert werden und die gleichzeitig
auch für die Stoflwechselprozesse am günstigsten sind.
Diese Bakterien haben nun keinen Augenfleck und keine asym-
Phototaxis. 197
metrische Gestalt. Ihr Aktionssystem gestattet ihnen nur ein Vor-
wärts- oder Rückwärtsschwimmen. Eine, auch nur mittelbar hervor-
gerufene Einstellung in die Lichtrichtung, etwa wie bei Euglena, ist
ihnen nicht gegeben. Sie gelangen also nur durch zielloses Hin- und
Herschwimmen in Zonen günstiger Beleuchtung. Das Aufsuchen
einer zusagenden Helligkeit wird demnach (ganz abgesehen von der
Schnelligkeit der Bewegung) weniger sicher vor sich gehen als bei
einer Reaktionsweise nach Art der Euglenen. Denn die letztere ge-
stattet unter natürlichen Verhältnissen meist die Ausnutzung der
von hellen Stellen ausgehenden seitlichen Strahlung zur Lenkung
der Bewegung. Es wird daraus ersichtlich, daß das Aktionssystem
des Bakterium photometricum eine niedrigere Stufe darstellt als das
der phototaktischen Flagellaten, Algenschwärmer und Volvocineen.
Der Unterschied beruht aber nicht, oder nicht allein, auf dem
Fehlen des den drei eben genannten Gruppen zukommenden Augenfleckes
(oder gar des Chlorophylis). Das lehren uns einige weitere nicht grüne
Organismen, deren Reizbewegungen Strasburger (1878, S. 18 u. 19)
und Rothert (1901, S. 372) äußerlich ganz übereinstimmend mit dem
der grünen Schwärmer fanden, obgleich sie keinen Augenfleck be-
sitzen. In den drei bekannten Fällen handelt es sich um Organismen,
die auf phototaktischen Flagellaten schmarotzen und mit Hilfe ihrer
Lichtreizbarkeit dieselben Stellen wie diese aufsuchen. Darin stimmen
die Schwärmer dieser drei Organismen überein, obgleich sie sehr
verschiedenen Verwandtschaftskreisen angehören. Zwei von ihnen,
nämlich Chytridium vorax, das auf Haematococcus lacustris, und
Polyphagus Euglenae, der auf Euglenen parasitiert, gehören zu den
niedrigen Pilzen, der dritte, eine Bodoart, die sich von Chlamydomonas
multifilis nährt, ist ein Flagellat. Es ist somit deutlich, daß auch
hier wieder die Lebensweise zur Ausbildung der zweckentsprechenden
Reizbarkeit geführt hat. Denn die nächsten Verwandten dieser drei
Räuber, die entweder gar nicht oder auf unbeweglichen Pflanzen
schmarotzen, besitzen keine phototaktischen Fähigkeiten.
Wie bei diesen farb- und augenflecklosen Organismen die be-
obachtete Einstellung in die Lichtrichtung zustande kommt, ist nicht
genauer untersucht worden. Es ist auch nicht bekannt, wie sie auf
einen Intensitätswechsel reagieren. Ein Einwand gegen die Allge-
meingültigkeit der oben bei Euglena dargelegten Auffassung von der
Phototaxis kann aber vorläufig aus ihrem Bau und Verhalten nicht
entnommen werden. Denn der Augenfleck vergrößert nur die Diffe-
renz in der Beleuchtung des lichtempfindlichen Plasmas je nach
der Stellung des Körpers zum Lichte. Selbst wenn die Perzeptions-
fähigkeit bei den farblosen Schwärmern gleichmäßig über den ganzen
Körper verteilt sein sollte, ist doch durch die Abweichung von der
Kugelgestalt eine Differenz in der Menge des aufgefangenen Lichtes je
nach der Stellung gegeben. Diese Differenz könnte aber als Reizanlaß
genügen und das Schwimmen in der Lichtrichtung ermöglichen. Doch
muß die Entscheidung weiteren Untersuchungen vorbehalten bleiben.
198 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz.
Wenden wir uns nun zu den übrigen freibeweglichen Organis-
men, die eine Lichtreizbarkeit besitzen. Unter diesen ist das Ver-
halten besonders von einigen Desmidiaceen durch Untersuchungen
von Stahl (1880) u. a. bekannt (Literatur Pfeffer 1904, S. 776).
Der früher besprochene Bewegungsmechanismus beruht auf der
Ausscheidung von verquellenden Stoffen. Mit Hilfe dieser heften
sich die länglichen Pleurotaenien, Closterien u. a. mit einem Ende
fest, während das andere, schräg aufgerichtet, schwächerem Lichte
entgegen oder von starkem fortgekehrt ist. Die Fortbewegung ge-
schieht durch Rutschen des festgehefteten Endes auf der Unterlage,
wobei ein Hin- und Herschwanken des aufgerichteten Teiles zu be-
obachten ist. Bei Closterium überschlägt sich außerdem der ganze
Licht B4
Abb. 67.
Kolonie von einer Nostocart an der Wand eines Kulturgefäßes.
Die Fäden haben sich den durch den Pfeil angedeuteten Lichteinfall
entsprechend phototropisch angeordnet.
Körper unter abwechselndem Festkleben der beiden Enden, wobei
gleichfalls eine Annäherung oder Entfernung von der Lichtquelle, je
nach der Helligkeit stattfindet (vgl. Abb. 8, S. 18).
Die Diatomeen scheinen, soweit sie chlorophyllhaltig und be-
wegungsfähig sind, gleichfalls alle phototaktisch zu sein (Literatur
Pfeffer 1904, S. 776). Eine Ansammlung an hellen oder beschatteten
Stellen kommt aber nur durch scheinbar regelloses Hin- und Her-
schieben zustande, wobei jede Richtungsumkehr nicht genau in die
alte Bahn zurück, sondern in einem kleinen Winkel von ihr abführt.
Ähnlich verhalten sich die Oscillarieen, die sich zudem phototropisch
krümmen können (Abb. 67).
Das Aktionssystem ist bei Desmidiaceen und Diatomeen recht
verschieden. Gemeinsam ist ihnen aber die mangelnde Einstellung
ihrer Körperachse in die Lichtrichtung, ähnlich wie bei den Bakterien.
Phototaxis. 199
Offenbar hilft auch bei ihnen ein häufiger Wechsel der Bewegungs-
richtung, Stellen geeigneter Beleuchtung aufzusuchen. Sicherlich
würde man bei genauerer Beobachtung eine Bevorzugung gewisser
fördernder Bewegungsrichtungen finden. Vielleicht wird auch unter
Bedingungen, die der Phototaxis günstig sind, die Bewegung gerad-
liniger, ähnlich wie das für Euglenen und Schwärmsporen gefunden
wurde. Die zuletzt genannten Organismengruppen, Desmidiaceen,
Diatomeen und ÖOscillarien werden durch ihre Lichtreizbarkeit be-
fähigt, aus bedeckendem Schlamm hervor oder bei zu starkem Lichte
in ihn zurück zu kriechen und auch sonst ihnen zuträgliche Beleuch-
tungsverhältnisse aufzusuchen. Das Gleiche gilt für manche Fadenalgen,
(z. B. Spirogyren), die sich schiebend auf einer Unterlage und auch
im Wasser aufrecht stehend phototropisch zu bewegen vermögen.
Schließlich ist noch für die Plasmodien mancher Schleimpilze
bekannt, daß sie das Licht fliehen und deshalb am Tage sich meist
im Substrat verkriechen. Nach Pfeffer (1904, S. 777) „dürfte diese
einseitige Wanderung wesentlich dadurch verursacht werden, daß die
Ausgestaltung an der stärker beleuchteten Partie verhältnismäßig
ansehnlicher beeinträchtigt wird. Es ist deshalb wohl anzunehmen,
daß in diesem Falle die negativ phototaktische Bewegung durch die
Lichtdifferenz, also nicht durch die Lichtrichtung veranlaßt wird.‘
Durch ihre negative Phototaxis entgehen diese ungeschützten,
nackten Plasmamassen dem Austrocknen an besonnten Standorten.
Erst kurz vor der Fruktifikation kommen sie ans Licht hervor. Dann
ist aber auch der Zeitpunkt gekommen, wo die trocken verstäuben-
den Sporen gebildet werden.
So steht die Lichtreizbarkeit der freibeweglichen pflanzlichen
Lebewesen überall in deutlichem Zusammenhange mit ihrer Lebens-
weise. Sie wird in den Dienst der Ernährung oder der Fortpflanzung
gestellt.
Bei den Purpurbakterien sahen wir die phototaktische Wirkung
hauptsächlich von den ultraroten Strahlen ausgehen, d. h. von den-
jenigen, die wegen ihrer hohen thermischen Wirkung gemeinhin
Wärmestrahlen genannt werden. Man könnte da schon mit einem
gewissen Rechte von Thermotaxis sprechen, wenn es auch nicht
wahrscheinlich ist, daß gerade die Wärmewirkung die Ansammlung
bedingt. Solange wir aber nicht die eigentliche Reizursache, also
die die Erregung bedingende physikalische Veränderung im Organis-
mus kennen, tun wir gut, die durch „strahlende“ und die durch
„geleitete‘‘ Wärme erzielten Reizwirkungen auseinanderzuhalten.
Von frei beweglichen Organismen ist eine echte thermotaktische
Reaktionsweise am besten für Infusorien bekannt. Haben diese die
Wahl, so fliehen sie sowohl kaltes wie warmes Wasser und sammeln
sich bei mittlerer Temperatur, die bei den einzelnen Arten zwischen
23 und 30° variiert (Mendelssohn zitiert nach Jennings [1905]
1910). Ähnliches gilt für Euglenen.
200 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz.
Sonst ist bei freischwimmenden kleinen Lebewesen Thermo-
taxis kaum zu finden. Den Grund dafür kann man mit Pfeffer
(1904, S. 767) darin sehen, daß die ungleiche Erwärmung im Wasser
Strömungen hervorruft, denen nur kräftigere Schwimmer wider-
stehen können, während die schwächeren, wie z. B. Bakterien, mit-
gerissen werden.
Dagegen konnte Stahl (1884b) bei Schleimpilzen eine ausge-
sprochene Thermotaxis nachweisen. Er setzte Plasmodien von Aethalium
auf Fließpapierstreifen, deren beide Enden in Wasser von verschiedener
Temperatur eintauchten. War die Auswahl zwischen 8 und 30° ge-
geben, so wurde das letztere vorgezogen. In Versuchen von Wort-
mann (1885b) mit derselben Methode erfolgte auch dann noch positive
Reaktion, wenn die Temperaturen 15 bis 20° einerseits und 35°
andererseits waren. Bei 40° dagegen trat der Pilz den Rückzug an
und blieb an der Grenze zwischen warmem und lauem Wasser
zwischen 35 und 40° stehen. Auch zwischen 18 und 37° wurde die
Mitte aufgesucht, nicht aber bei 18 und 36°, wo nur positive Reaktion
auftrat. Hier liegt also offenbar das Optimum der Temperatur. Ähn-
liche Resultate erzielte Clifford (1897), der auch mit engeren Inter-
vallen, von nur 10°, arbeitete. Er erzielte eine Repulsion schon bei
33 bis 34°. Vielleicht gehörte sein Plasmodium einer anderen Art
an. Die Umkehr der Bewegung fand er plötzlich und scharf. Sie
bestand in einem raschen Wegströmen des Plasmas von der ge-
fährdeten Stelle, während die positive Reaktion schon bei 30° lang-
sam wurde.
In der Natur wandern die Plasmodien bei der Abkühlung des
Bodens im Herbst in die Tiefe und bilden dort Dauerformen. Er-
wärmen sich im Frühling die oberen Schichten, so beleben sie sich
wieder und steigen höher. Wird die Temperatur aber zu hoch, so
daß eine Schädigung eintreten könnte, so fliehen sie wieder ab-
wärts.
8) Bewegungen der Chlorophyllkörper.
Wie wir gesehen haben, sind die grünen Pflanzen vielfach be-
fähigt, die für die Kohlensäureassimilation günstige Beleuchtung auf-
zusuchen, sei es nun durch Krümmungsbewegungen oder durch freie
Ortsveränderung. Mit der Aufgabe der letzteren ist die Pflanze
trotz aller tropistischen Fähigkeiten doch zu einer gewissen Trägheit
verdammt, die ihr nur in beschränktem Maße gestattet, den rasch
wechselnden Beleuchtungsverhältnissen zu folgen. Deshalb wird ihn
eine rasche und auch in älteren Blättern noch sich vollziehende
feinere Einstellung auf die augenblickliche Belichtung von großem
Nutzen sein können. Eine solche ist nun durch die Möglichkeit
gegeben, die eigentlichen Träger der Assimilation, die grünen Chloro-
phylikörper, innerhalb der Zelle zu verlagern.
Bei den freibeweglichen phototaktischen Organismen ist im
Gegensatz zu den festgehefteten entsprechend dem angedeuteten öko-
Bewegungen der Chlorophylikörper; 201
logischen Zusammenhange in der Tat eine Verlagerungsfähigkeit der
Chlorophyllkörper meist nicht zu beobachten.
Unter den Fadenalgen
hat z.B. die bewegungsfähige Spirogyra Chromatophoren, die sich nicht
umlagern, der unbewegliche Mesocarpus aber
bewegliche. Bei dieser Alge haben die Chloro-
phyliträger bandförmige Gestalt und liegen
gerade ausgestreckt in einer Längsebene der
zylindrischen, fädig aneinandergereihten Zellen.
Durch Protoplasmafäden sind sie an der Schmal-
seite der Zelle angeheftet (Abb. 68). Die Chloro-
phyliplatten von Mesocarpus haben nun die
Fähigkeit, sich bei mittlerer Beleuchtung senk-
recht auf die Richtung der Strahlen zu stellen,
bei stärkerer aber eine schräge und bei direk-
ter Besonnung parallele Stellung zum ein-
fallenden Lichte einzunehmen. Auf diese Weise
regulieren sie die Menge des auf sie fallenden
Lichtes ganz ähnlich wie die phototropischen
Blätter (Stahl 1880, Senn 1908).
Nicht immer reagiert übrigens die ganze
Chlorophyliplatte als starres Ganzes. Fällt auf
ihre eine Hälfte das Licht in anderer Rich-
tung als auf die andere, so dreht sich jeder
Teil für sich und in der Mitte entsteht eine
Torsion. Das kommt besonders dann vor,
wenn durch eine Biegung des ganzen Meso-
carpusfadens eine gekrümmte Zelle in ihren
Teilen verschieden gerichtetes Licht auffängt.
— Merkwürdig ist die Beobachtung von Senn,
daß die Stellung quer zum Lichte nur durch
die rotgelben, die Parallelstellung dagegen durch
starke blauviolette Strahlen bewirkt wird. Aller-
dings stimmt es mit den sonstigen Erfahrungen
überein, daß die ersteren vor allem die Assi-
milation unterhalten, die letzteren aber bei
hoher Intensität schädigend wirken (Senn
a.a. 0. 8. 31). Wäre aber die Beobachtung
richtig, so wäre hier zum ersten Male ein
Farbenunterscheidungsvermögen bei Pflanzen,
d. h. der Art nach verschiedene Reizung durch
die einzelnen Spektralbezirke, festgestellt! Bei
den Chloroplasten der anderen untersuchten
Pflanzen fand Senn stets, daß vorzugsweise die
u
Abb. 68,
Fäden von Mesocarpus
senkrecht zur Papierebene
beleuchtet gedacht; links in
Licht mittlerer Helligkeit,
rechts in ° direkter Sonne.
Darunter schematische Quer-
schnitte mit dem Strahlen-
gange. (Nach Senn 1908.)
blauen und violetten Strahlen die Bewegung auslösen, ganz so wie das
für Phototropismus und Phototaxis allgemein gefunden worden ist.
Bei den meisten Pflanzen sind die Chlorophyllkörper nicht, wie
bei den erwähnten Fadenalgen, bandförmig, sondern kugelig, ei- oder
202 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz.
linsenförmig, und nicht wie bei Mesocarpus in Einzahl, sondern in
größerer Menge vorhanden. Früher (Stahl 1880) nahm man aber
an, daß trotzdem der gesammte Chlorophyllapparat einer Zelle, be-
stehend aus einer ganzen Anzahl von Chlorophylikörpern, als ein-
heitliches Ganzes reagiere, ähnlich wie bei Mesocarpus die grüne
Platte. Senn verdanken wir nun den bedeutungsvollen Nachweis,
daß diese Auffassung nicht richtig sein kann. Vielmehr sucht jeder
Chlorophylikörper mit einer gewissen Selbständigkeit denjenigen Platz
in der Zelle auf, an dem geeignete Beleuchtungsverhältnisse herrschen,
ähnlich wie phototaktische Schwärmsporen in einem Gefäße. Ist
das Licht stark, so reagieren die Chlorophylikörper negativ, ist es
von mittlerer Intensität, positiv. Dabei müssen für die Beurteilung
des Ortes der Ansammlung die Lichtbrechungsverhältnisse in der
Zelle berücksichtigt werden, die z. B. in untergetauchten Fäden von
Vaucheria anders sind als an der Luft. Im ersteren Falle beobachtet
man in dieser Alge eine Anhäufung nur an der dem Lichte zugekehrten
Seite. An der Luft aber tritt eine zweite auf der Rückseite auf,
an der Stelle, wo die Strahlen sich treffen, die beim Übertritt aus
einem schwach lichtbrechenden in das stärker lichtbrechende durch-
sichtige zylindrische Organ hinten in diesem eine Brennlinie bilden.
In starkem Lichte suchen die Chlorophylikörper die schwächer be-
leuchteten Flanken auf, während Vorder- und Rückseite von ihnen
frei bleiben. Vaucheria zeigt noch eine andere Erscheinung, die das
phototaktische Verhalten der grünen Körper besonders deutlich
macht. Wird nämlich der Faden stellenweise verdunkelt und be-
lichtet, so sammeln sich die Chlorophyllkörper an den hellen Stellen
an, führen also Bewegungen in der Längsrichtung des Fadens aus!).
Senn unterscheidet nach der Reaktionsweise sieben Bewegungs-
typen, von denen der erste der von Mesocarpus mit seiner einzelnen,
sich drehenden Chlorophyliplatte ist. Diesem stehen alle anderen
gegenüber, bei denen Ortsveränderungen der Chlorophylikörper auf-
treten. Unter ihnen ist der erste der besprochene Vaucheriatypus,
zu dem auch noch gewisse Meeresalgen, Moosvorkeime u. a. gehören.
Der dritte Typus ist der von Chromulina, einer einzelligen
Alge, der sich dadurch auszeichnet, daß das Licht auf der Hinter-
wand kugeliger Zellen konzentriert wird, wo dann auch die Chloro-
phylikörper liegen. Er wurde zuerst bekannt für die Vorkeime des
Mooses Schistostega (Leuchtmoos) durch Noll (1888). Diese Vorkeime
finden sich vorzugsweise in der Tiefe von Höhlungen, in die nur wenig
Licht dringt. Durch die Konzentration der Strahlen auf den der Hinter-
wand anliegenden Chlorophylikörpern wird die für die Assimilation
nötige Helligkeit erzielt. Das Licht, das die grünen Körper durchsetzt
hat, tritt vermöge der eigentümlichen Lichtbrechungsverhältnisse
parallel mit dem einfallenden wieder aus. Deshalb erscheinen die
'‘) Ein entsprechendes Verhalten bei der Meeresalge Bryopsis beobachtete
als erster Winkler (1900).
Bewegungen der Chlorophyllkörper. 203
Stellen, die von dem Moose besiedelt sind, dem in die Erdhöhle
hineinblickenden Beobachter grünleuchtend.. Der Chromulinatypus
stellt eine Anpassung an stets gleich gerichtetes Licht dar.
Der vierte Typus Senns ist der von Eremosphaera. Er unter-
scheidet sich von dem Vaucheriatypus allein durch die Lage der
Bewegungsbahnen. Während nämlich bei den zu diesem letzteren
gehörigen Zellen nur ein dünner Plasmabelag der Wand anliegt, in
dem die Bewegung vor sich gehen muß und so ein Überschreiten
beschatteter Wandpartieen unmöglich ist, verlaufen bei den eremo-
sphaeraartigen Objekten Protoplasmafäden mitten durch den Zellsaft-
raum und gewährleisten eine größere Bewegungsfreiheit. Es gehören
hierher neben der genannten kleinen Alge hauptsächlich Diatomeen.
Die übrigen drei Typen umfassen die Assimilationsgewebe viel-
zelliger Pflanzen, das einschichtige Blattgewebe vieler Moospflanzen
und das Schwamm- und Palissadengewebe der Blätter höherer Pflanzen.
Auch bei diesen herrscht das Prinzip der Lagerung an günstig be-
leuchteten Stellen innerhalb der einzelnen Zellen.
Bei den im Gewebe zusammengeordneten Zellen sind die Ver-
hältnisse schwerer zu übersehen als bei den einzelnen lebenden oder
in Fäden aneinandergereihten Einzellern. Einmal sind in dickeren
und von Lufträumen durchsetzten Organen die Lichtbrechungs-
verhältnisse oft recht verwickelt, und dann kommt für die Anordnung
der Chloroplasten im Plasmabelag neben der Lichtverteilung die Lage
der Zellenwände in Betracht, nämlich der Umstand, ob sie an andere
Zellen, an freie Oberflächen oder an Interzellularen grenzen.
Beim einschichtigen Assimilationsgewebe, wie es die meisten
Blätter von Moosen und Lebermoosen, sowie die Vorkeime der Farne
aufweisen, ist die Abweichung von einfachen Zellenreihen noch sehr
gering. Bei den erst fadenförmigen und später flächig werdenden
Farnkeimlingen geht der ‚„‚Vaucheriatypus‘ direkt in den ‚„Moosblatt-
typus‘“ über. Stahl (1880) konnte an diesem Materiale zeigen, daß
sich beide nicht wesentlich unterscheiden, soweit die Lichtreaktionen
in Betracht kommen. Am Lichte breiten sich die Chloroplasten
möglichst aus. Im Dunkeln aber macht sich ein Unterschied be-
merkbar, denn die Chlorophyliträger suchen dann die an Nachbar-
zellen stoßenden Wände auf, offenbar durch irgendwelche von ihnen
ausgehende chemische Reize angelockt (Abb. 69b). Etwas derartiges
war bei den früheren Typen der einzelnen oder in Fäden angeord-
neten Zellen nicht zu beobachten. Vielmehr bleiben bei ihnen meist
die Chloroplasten im Finstern in der zuletzt innegehabten Lage
(Mesocarpus, Vaucheria, Hormidium). Höchstens gehen vom Zellkern
Richtkräfte aus (Eremosphaera und Diatomeen), die die Dunkellage
bestimmen.
Bei greller Besonnung lagern sich die Chlorophylikörper in den
Moosblättern u. ä. an die Wände, die den Strahlen parallel gehen. Da-
durch wird im Ganzen die Menge des aufgefangenen Lichtes geringer,
und die einzelnen Chloroplasten entgehen durch gegenseitige Be-
204 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz.
schattung, durch Profilstellung und durch die in den optischen Ver-
hältnissen der Zelle begründete Beschattung der betreffenden Wände
der Schädigung durch zu intensive Belichtung (Senn 1908 8. 78).
Dadurch, daß sowohl bei senkrechter Besonnung wie auch bei
Beschattung in den Moosblättern die zur Fläche senkrechten Scheide-
wände der Zellen aufgesucht werden, ist die Schutzstellung bei starkem
Licht von der Dunkelstellung nicht zu unterscheiden (Abb. 69b u. ce).
Das gilt aber nur für einschichtige Organe. Bei zwei- und mehr-
schichtigen Geweben wird die Dunkelstellung sofort dadurch kennt-
lich, daß auch die zur Fläche parallelen Zellwände von Chloroplasten
besetzt werden, während sie in der Sonne frei bleiben (Abb. 70)
(Lemna trisulca. Stahl 1880 S. 334/35).
Abb, 69.
Stück eines Laubmoosblattes (Funaria hygrometrica).
a Aus diffusem Licht; b verdunkelt gewesen ; e senkrecht zur Blattfläche besonnt.
(Nach Senn 1908.)
In den weit differenzierteren Blättern der höheren Landpflanzen
finden wir fast durchweg zwei Arten von grünen Geweben. Die
Hauptmasse der Chloroplasten ist in den der Oberseite genäherten
und senkrecht zu ihr angeordneten länglichen Palissadenzellen ent-
halten, die das eigentliche Assimilationsgewebe darstellen, während
das sogen. Schwammparenchym, das mit seinen großen Luftlücken
dem Gaswechsel dient, weniger Chlorophylikörper enthält. Ihm
schließt sich die in Stengeln, fleischigen Blättern usf. verbreitete
Masse des Grundgewebes an, soweit sie überhaupt chlorophyllhaltig ist.
Für das Grund- und Schwammparenchym gilt nach Senn das
für einschichtige Gewebe Gesagte, nur daß hier das Bild der
Dunkelstellung wegen der größeren Zahl der an benachbarte Zellen
stoßenden Wände etwas anders ist als beim Moosblattypus, und
Bewegungen der Chlorophylikörper. 205
daß auch bei normaler Belichtung solche Zwischenwänden von
Chloroplasten besetzt sein können, falls sie eine geeignete Beleuchtung
aufweisen. Ferner wäre zu bemerken, daß bei manchen Objekten,
wie z. B. den blattartigen Sprossen der untergetauchten Wasserlinse
(Lemna trisulca) und den fleischigen Blättern der Dachwurz (Semper-
vium) in starkem Lichte auf die anfängliche Querwandstellung Zu-
sammenballungen der Chlorophylikörper folgen, die deren gegenseitige
Beschattung noch wirksamer machen.
Die Chloroplasten des Palissadenparenchyms sind genau so photo-
taktisch wie die bisher besprochenen. Das geht z. B. aus einem
Versuche von Stahl (1880 S. 378) hervor, in dem bei starkem Schief-
licht eine einseitige Lagerung der grünen
Körper in den oberen ‘Enden der
schlauchförmigen Zellen beobachtet
wurde. Sonst liegen sie stets den Seiten-
wänden der zylindrischen Zellen an.
Die Eigentümlichkeiten in der Anord-
nung der Farbstoffträger im Palissaden-
parenchym müssen daher auf die
optischen Verhältnisse zurückgeführt
werden. Für diese ist es hauptsächlich
bezeichnend, daß große Verschieden-
heiten in der Verteilung der Helligkeit
nicht möglich sind, weil seitliches Licht
nicht tief eindringen kann.
Gewöhnlich werden die transversal-
phototropischen Blätter durch ihre Licht-
lage bewirken, daß die Strahlen un-
gefähr in der Längsrichtung der Pa- &
lissadenzellen einfallen. Nur so ist auch Abb. 70.
eine wirksame Durchleuchtung des Assi- Querschnitte durch die blattartigen
milationsgewebes möglich, da einiger- Mehr mitlierer Intensität; bverdunkelt
maßen schräges Licht an den Inter- EIDELUNN LEE a chEE SEES
zellularen reflektiert, sowie bei der
wiederholten Durchdringung von Zellwänden mit ihrem Protoplasma-
und Chloroplastenbelage zu stark geschwächt wird. Man sieht hieraus
auch, daß die normale Lichtstellung der Blätter senkrecht zum ein-
fallenden Lichte nicht nur für die Gesamtmenge des aufgefangenen
Lichtes von Bedeutung ist, sondern der inneren Struktur der Ge-
webe entspricht.
Doch sind es nach Senn (1908 S. 107) nicht die genau senk-
recht auf die Blattfläche fallenden Strahlen, die in den Palissadenzellen
ausgenutzt werden, denn diese durchsetzen sie genau in der Längs-
richtung ohne auf die den Seitenwänden anliegenden Chloroplasten
zu treffen. Sie kommen deshalb fast ungeschwächt dem Schwamm-
parenchym zugute. Nur im künstlich parallel gemachten Lichte von
mittlerer Intensität begibt sich ein Teil der grünen Körper auf die
206 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz.
Schmalseiten der Palissaden. Die wenig schrägen Strahlen des
diffusen Lichtes aber sind es hauptsächlich, auf deren Ausnutzung
das Assimilationsgewebe der Laubblätter angewiesen ist. Durch sie
werden hauptsächlich die seitlichen Wände der lichtschacht-ähnlichen
Palissadenzellen beleuchtet, an denen sich dann auch normalerweise
die Chlorophylikörper befinden. Bei greller Besonnung dagegen suchen
sie die beschatteten Partien auf und stellen sich auch so ein, daß
sie möglichst viel Licht durchlassen!). Die Chloroplasten in Schwamm-
parenchymen liegen bei diffuser Beleuchtung der beleuchteten Vorder-
seite der Zellen an, in der Sonne jedoch bergen sie sich im Schatten
hinter denen der Palissaden (Abb. 71).
Im Ganzen reagieren, wie man sieht, die Blattgrünträger genau
wie selbständige Lebewesen, und zwar sind es die Helligkeitsdiffe-
renzen, die ihre Anordnung bestimmen. Es ‚beanspruchen diese
phototaktischen Bewegungen der Chromatophoren im Hinblick auf
Abb. 71.
Querschnitte durch Blätter von Phaseolus vulgaris. I In diffusem Licht mittlerer
Intensität. II;Senkrecht von oben besonnt. P Palissadenparenchym. S Schwamm-
parenchym. (Nach Senn 1908.)
diejenigen der frei lebenden Organismen deshalb besondere Beachtung,
weil sie einwandfrei allein auf die Unterschiedsempfindlichkeit für
die Intensität des Lichtes zurückgeführt werden können, sich so-
mit von dessen Richtung als unabhängig erweisen.“ (Senn, 1908
5.17),
Bei Verdunkelung verändert sich allgemein die Anordnung der
Chlorophylikörper, indem nach Ausschaltung äusserer Richtungsreize
innere Verhältnisse, wie es scheint, chemische Reize, ausschlaggebend
werden. Dadurch, daß die grünen Körper in Blättern bei intensiverer
Besonnung dem Lichte möglichst aus dem Wege gehen, erscheint das
ganze Organ heller und weniger lebhaft grün als nach einem Aufenthalt
im Dunkeln oder in schwachem Lichte. Durch teilweise Bedeckung
der Blattfläche bei der Besonnung kann man sich leicht davon über-
1) Diese Anordnung ist nach Senn nur durch besondere Hilfsmittel zu be-
wirken, die eine senkrechte Durchstrahlung gewährleisten.
Bewegungen der Chlorophyllkörper. 207
zeugen (Sachs 1859). Da in den Palissadenzellen die Umlagerung
der Chloroplasten nicht sehr groß ist, wird die Farbenveränderung
an -Schattenblättern, in denen diese zurücktreten, deutlicher sein
(Stahl 1880).
Im Ganzen wirken alle die besprochenen Einrichtungen dahin,
daß die Pflanze schwaches Licht möglichst ausnutzt, starkes aber zum
Teil wieder austreten läßt. Neben der direkten Schädigung des
Chlorophylis durch intensive Beleuchtung wird dadurch auch eine
zu starke Erwärmung vermieden, die hauptsächlich durch die Ab-
sorption des Lichtes in den grünen Geweben zustande kommen
könnte. Leicht ersichtlich ist hieraus auch, wie zweckmäßig die
Verteilung des Chlorophylis auf relativ selbständige, bewegliche Organe
der Zelle ist.
Da die Art der Reaktion durchaus dem phototaktischen Ver-
halten der freibeweglichen Organismen entspricht, so muß man an-
nehmen, daß jedes Chlorophylikorn einzeln den Lichtreiz perzipiert.
Nachwirkungen einer vorangegangenen Induktion konnte Senn nur
bei Mesocarpus konstatieren. Mit dieser Alge hatte schon vor ihm
Lewis (1898) experimentiert. Er setzte Mesocarpusfäden mit auf-
recht stehendem Chlorophyliband verschieden lange dem von unten
kommenden Lichte des Mikroskopspiegels aus und beobachtete die
im Dunkeln eintretende Nachwirkung. Dabei fand sich, daß die
Bewegung erst nach einiger Zeit schwach einsetzte und später schneller
wurde, also Andeutungen einer Latenzperiode. Eine volle Drehung
um 90° konnte bei einer Beobachtungszeit von 20 Minuten erst durch
eine 2 Minuten dauernde Belichtung erzielt werden. Die kürzer be-
lichteten Zellen waren zu der Zeit in der Bewegung noch zurück.
Ähnlich waren die Resultate, wenn die im diffusen Lichte hori-
zontal gestellten Chlorophyliplatten mit intensivem Sonnenlichte von
unten beleuchtet wurden und sich nun wieder um 90° drehten. Auch
hier wurde nach kurzer Belichtung eine Nachwirkung beobachtet.
Merkwürdig ist, wie Jost (1908 S. 658) bemerkt, daß die Drehung
auf einen vorhergehenden Reiz in der ‚richtigen‘ Stellung aufhört.
Es ist das aber schließlich ein Problem, wie es in ähnlicher Weise
für alle Nachwirkungen tropistischer Reize aufgeworfen werden muß.
Immerhin wären an Mesocarpus noch eine ganze Anzahl wichtiger
Fragen in Angriff zu nehmen, zu denen die Chloroplasten dieser
Alge als schnell reagierendes .transversalphototropisches Objekt ge-
eignet erscheinen. Die Abhängigkeit der Bewegung von der Zeit und
Intensität der Reizung ist durch die Versuche von Lewis durchaus
nicht geklärt. — Der Beginn der Bewegung ist so allmählich, daß
eine Reaktionszeit kaum zu bestimmen ist. Für die Zellen mit
vielen Chloroplasten gilt das in noch höherem Maße. Bei ihnen
gehen zudem die Bewegungen kaum je so schnell vor sich wie bei
Mesocarpus.
Die Art, wie die Bewegung der Chlorophyllkörper zustande kommt,
ist noch nicht aufgehellt.e. Am wahrscheinlichsten erscheint der
208 V, Richtungsbewegungen auf Lichtreiz.
Transport durch differenzierte plasmatische Gebilde, die in engerer
Verbindung mit den Chlorophyllkörpern stehen. Jedenfalls haben die
grob sichtbaren Plasmaströmungen, wie sie hauptsächlich auf Strö-
mungen hin in vielen Zellen auftreten, nichts mit den phototak-
tischen Bewegungen der grünen Körper zu tun. Denn findet die
Strömung langsam statt, so bleiben die Chlorophylikörper an ihrem
Platze, wird sie aber sehr lebhaft, so reißt sie jene ungeordnet mit
fort. Sehen kann man leider von Bewegungsorganen nichts sicheres,
und solange man über die Mechanik der Plasmabewegung nichts
weiß, liegt kein Grund vor, irgendwelche Möglichkeiten näher aus-
zumalen,
VI. Die Folgen mechanischer Reizung.
a) Allgemeines über mechanische Reizbarkeit.
An uns selbst und am tierischen Organismus erscheint uns die
Reizbarkeit für mechanische Eingriffe, wie Schlag, Stoß, Berührung,
als das einfachste, selbstverständlichste und deshalb ursprünglichste
Empfindungsvermögen. Ein Tier, das auf direktes Anfassen nicht
reagierte, würde uns schon einen ganz besonders stumpfsinnigen Ein-
druck machen. Und hören wir, daß im Verlaufe gewisser Krankheiten ein
Glied empfindungslos für mechanische Reize wird, so können wir es
uns kaum mehr als lebend vorstellen. — Anders als der tierische
Organismus verhält sich dem Anschein nach die festgewachsene
Pflanze, deren Tastreizbarkeit wenig offensichtlich ist. Leicht kenntlich
ist diese Fähigkeit nämlich nur in besonderen Fällen, meist in Ver-
bindung mit speziellen Anpassungen, so daß ihr Nutzen ohne weiteres
einzusehen ist. Man muß aber trotzdem wohl annehmen, daß ihr
die Anlage zur Empfindung von Berührungen von ihren Vorfahren
überkommen ist.
Dadurch, daß die Pflanze sich nicht von der Stelle bewegt,
spielt das Zusammentreffen mit festen Körpern für sie keine so große
Rolle wie für das beweglichere Tier. Es gibt aber eine Gruppe von
Pflanzen, bei denen ein solches Zusammentreffen durch eigentümliche
Bewegungen geradezu herbeigeführt wird. Das sind die Ranken-
gewächse, die darauf angewiesen sind sich durch besondere Organe,
die Ranken, an anderen Gewächsen festzuhalten, weil ihr eigener
Stamm zu schwach ist die Last der Blätter zu tragen.) Zum
Ergreifen der Stützen führen die Ranken Bewegungen aus. Und um
diese zweckmäßig zu lenken, bedürfen sie einer Tastreizbarkeit, die
ihnen anzeigt, wann und wie sie zupacken müssen.
Bei den übrigen Gewächsen mit einer ausgeprägten mechanischen
Reizbarkeit sind es nicht Bewegungen der Pflanzen selbst, die die
Berührung herbeiführen, sondern Tiere, die in irgend welchem öko-
logischen Verhältnis zu ihnen stehen.
So vermögen die sogenannten Sensitiven auf eine Berührung
hin besondere, rasche Schutz- oder Abwehrbewegungen auszuführen,
1) Es wird also bei ihnen etwas biologisch ähnliches wie bei den früher
besprochenen Schlingpflanzen auf andere Weise erreicht. Dem abweichenden
Bewegungsmodus entspricht eine andere Reizbarkeit.
Pringsheim, Reizbewegungen. 14
210 VI. Die Folgen mechanischer Reizung.
durch die sie ihre Blätter zwischen Dornen bergen (Mimosa nach
Stahl 1897) oder kleine Tiere erschrecken und abschütteln.!)
Sehr viele Pflanzen haben bekanntlich die Insekten, ihre Feinde,
zu Dienstleistungen bei der Bestäubung der Blumen herangezogen.
Je weiter die Ausbildung der Blüte und ihre Anpassung an die Be-
stäuber getrieben ist, desto sparsamer wird sie mit den gebotenen
Lockstoffen, desto mehr müssen die Insekten bei ihrem Besuche zu
einem ganz bestimmten Benehmen gezwungen werden, bis schließlich
die Pflanze mit eigenen Bewegungen die des Tieres ergänzt und
regelt. Daß dann beide äußerst fein ineinander gepaßt werden
müssen, damit die Bestäubung richtig zustande komme, ist klar.
Hierzu aber bedarf die Pflanze einer Empfindung für die mechani-
schen Reize, die von dem Insekt ausgehen. Wir finden solche daher
in Blütenorganen häufig und in den verschiedensten Verwandt-
schaftskreisen der Pflanzenwelt.
Manche Pflanzen endlich vermögen nicht nur die Insekten zu
Dienstleistungen zu zwingen, sondern werden sogar selbst die An-
greifer. Sie fangen und töten kleine Tierchen, um gewisse für ihre
Ernährung nützliche Stoffe zu gewinnen. Dabei sind ihnen die Be-
wegungen von großem Nutzen, die auf Berührungen hin stattfinden.
Kombiniert mit der mechanischen Reizbarkeit findet sich bei den
Insektivoren, von denen ich hier spreche, durchwegs eine Empfind-
lichkeit für chemische Reize. Da diese beiden Reizmittel mannigfach
ineinandergreifen und sich ergänzen, wollen wir sie auch gemeinsam
besprechen und damit überleiten zu den im nächsten Kapitel zu
besprechenden übrigen Erscheinungen der chemischen Reizbarkeit.
Überblicken wir die Fälle, in denen uns bei Pflanzen eine aus-
geprägte Reizbarkeit für mechanische Berührung entgegentritt, so
scheinen vorwiegend die Beziehungen zu anderen Organismen den
Anlaß zu derartigen Anpassungen gegeben zu haben, die den
meisten Gewächsen fehlen. Dabei müssen wir uns aber vor Augen
halten, daß wir zwar bei genügender Vorsicht aus der Ausführung
einer Reaktion auf stattgehabte Reizung, aber nicht aus ihrem Aus-
bleiben auf Mangel an Sensibilität schließen dürfen. Vielmehr machen
verschiedene Umstände es wahrscheinlich, daß das Empfindungs-
vermögen für mechanische Eingriffe zu den Grundeigenschaften der
lebenden Substanz gehört und immer — wenn auch in rudimentärer
Form — erhalten bleibt. Dafür spricht erstens die Tatsache, daß
die den beweglichen Vorfahren der höheren Pflanzen näher stehenden
niederen Formen noch in weitem Maßstabe mechanische Reizbarkeit
besitzen und zweitens, daß eine solche im Falle des Bedarfs vielfach
in schönster Form ausgebildet wird.
!) Ich bin mir wohl bewußt, daß diese Auffassungen von dem Nutzen der
Stoßreizbarkeit für die Pflanze stark hypothetisch sind, weiß aber keine bessere
Deutung.
Ranken. 211
Inwieweit außerdem bei der Anlage der Gewebe und deren innerer
Differenzierung auch mechanische Einflüsse mitspielen, entzieht sich
vorerst fast völlig unserer Kenntnis.
Wenn wir alle oben erwähnten Fälle, nämlich das Empfindungs-
vermögen der Sensitiven, der Insektivoren, der reizbaren Blütenteile
und der Ranken als mechanische Reizbarkeit zusammenfassen, so ist
damit natürlich über das physikalische Eingreifen des Reizes ins
sensible Plasma im Einzelnen keineswegs genug ausgesagt. Es könnten
sehr verschiedene Möglichkeiten vorliegen, so könnte ein konstanter
Druck oder ein Zug, eine Reihe von kleinen Erschütterungen, ein
Wechsel von Zug und Druck oder die verschiedene Beanspruchung
verschiedener Gewebspartien usw. das wirksame Agens sein. Auch
könnte durch alle diese Einflüsse erst eine sekundäre Veränderung,
z. B. Wasserverschiebung, chemische Veränderung u. dergl. bewirkt
werden, die dann ihrerseits zur Reizursache würde. Darüber so weit
als möglich Klarheit zu erlangen, hat Pfeffer versucht. Doch ehe wir
auf diese feinen, unser Thema unmittelbar berührenden Unterschei-
dungen eingehen und uns überlegen, mit welchen der an uns selbst
zu beobachtenden Empfindungen auf mechanische Reize wir die der
Pflanzen in Parallele stellen können, müssen wir uns eine anschauliche
Vorstellung der in Betracht kommenden Erscheinungen in ihren Einzel-
heiten zu verschaffen suchen.
b) Ranken.
Wir beginnen mit den Ranken, den charakteristischen Anhangs-
gebilden vieler Kletterpflanzen. Man versteht darunter fädig verlängerte
Organe, die durch ihre Reizbarkeit für Berührung (Haptotropis-
mus oder Thigmotropismus) geeignet sind, Stützen zu umschlingen
und so das Klettern zu ermöglichen. Außer den eigentlichen Ranken,
die ausschließlich die geschilderte Funktion haben, finden sich häufig
Teile von Blättern, manchmal auch Stengelorgane, die außerdem ihre
normalen Aufgaben erfüllen, mit Reizbarkeit und der Funktion von
Ranken ausgestattet. Die typischen Ranken, von denen hier fast
ausschließlich die Rede sein wird, stellen sich ihrer morphologischen
Natur nach als umgewandelte Blatt- oder Achsenorgane dar, die ihre
sonstigen Funktionen ganz aufgegeben haben. Man kann sie ihrer-
seits danach wieder in Blatt- und Achsenfadenranken einteilen
(Schimper 1898 S. 210).
Der Blattstiel hat nebenher Rankenfunktion z. B. bei der Kapuziner-
kresse (Tropaeolum), den Waldreben (Clematis, Atragene), den Kannen-
pflanzen (Nepenthes) und anderen. Die Blattspitze wird bei ver-
schiedenen Liliaceen entsprechend verwendet (vgl. z. B. Ludwig 1895
8.138). Durch Umwandlung der Endblättchen gefiederter Blätter
kommen schon typische Ranken zustande. So bei vielen Papilionaceen,
besonders Arten von Wicken (Vicia) und Erbsen (Pisum) und bei
Cobaea scandens (Abb. 72). Noch mehr spezialisiert sind die ganz
14*
212 VI. Die Folgen mechanischer Reizung.
in Ranken umgewandelten Blätter oder Nebenblätter der Cucurbita-
ceen z. B. Gurke (Cucumis sativa); Kürbis (Cucurbita Pepo); Zaun-
rübe (Bryonia dioica) u. a.
Stengelranken sind besonders schön bei Vitaceen (Weingewächsen)
und Passifloraceen (Passionsblumen) zu finden. Bei ersteren heften sie
sich nicht immer nur durch Umwinden der Stütze fest, sondern oft
auch oder ausschließlich durch haftscheibenartige Verbreiterung ihres
Endes und Ausscheidung eines Klebestoffes, wie es z. B. beim ‚wilden
Wein‘ (Arten von Ampelopsis) zu beobachten ist (Abb. 73). Diese
Abb. 72.
Zweigspitze vonCobaca secandensmit verzweigten Blattranken.
Rechts unten eine Ranke, die ein anderes Blatt ergriffen und
sich dann schraubig eingerollt hat. Man sieht die Umkehrstelle.
Verkleinert.
Haftpolster schmiegen sich aufs feinste der rauhen Oberfläche der
Unterlage an, indem ihre Oberhautzellen in jede kleinste Vertiefung
hineinwachsen. Finden die Ranken jedoch keine Stütze, so unterbleibt
die Ausbildung der Endverdickungen und das ganze Gebilde stirbt ab.
Zuweilen sind auch Wurzeln rankenartig ausgebildet. Beim Efeu
ist die Klammerfunktion physiologisch noch wenig ausgeprägt. Bei
der Vanillenorchidee (Vanilla aromatica) u. a. dagegen kann man
schon von richtigen Wurzelranken sprechen (Literatur siehe Pfeffer
1904 S. 416).
Auch bei Algen findet sich an Gebilden, die ausschließlich der
Festheftung dienen, eine Kontaktreizbarkeit, ähnlich der der Ranken
Ranken. 212
Abb. 73.
Ampelopsis heterifolia. a Junge Ranke mit knöpfchenartigen Enden. b. Alte Ranke, deren
Enden durch Berührung mit der Unterlage verbreitert, abgeflacht und festgeklebt sind. Die Ranken-
äste verkürzen sich schraubig und ziehen dadurch die Pflanze an die Stütze heran. Natürliche Größe.
Literatur ebenda). Schließlich ent-
wickeln gewisse Mukoraceen, be-
sonders Mucor stolonifer, besondere
Ausläufer, die bei Berührung mit
festen Körpern sich mit wurzel-
artigen Gebilden festheften und
dann erst Fruchtträger ausbilden.
Die Klammerorgane können sich
selbst an Glasflächen sehr wirksam
ankleben. Sie müssen wohl die Be-
rührung fester Körper als Reiz
empfinden (Abb. 74).
Betrachten wir nun Entwicke-
lung und Tätigkeit einer typischen
Ranke, z. B. einer solchen von
Bryonia oder Passiflora, etwas ge-
nauer:
Die jugendliche Fadenranke ist
gewöhnlich eingerollt oder doch ge-
krümmt, um in der Knospe Platz
zu finden. Dabei ist die Unter-
Abb. 74.
Wurzelartige Haftorgane von Mucor stolo-
nifer, an der Glaswand sich festhaltend.
Ein Ausläufer unscharf, weil boeig in der
Tiefe verlaufend. Verzrößert.
214 VI. Die Folgen mechanischer Reizung.
seite in der Spirale nach außen gekehrt (Abb. 75a). Später fängt die
Oberseite an sich stark zu strecken, wodurch die Ranke annähernd ge-
rade wird (b). Sie ist nun meist schräg aufwärts gerichtet, aber nicht
bewegungslos. Vielmehr beschreibt sie durch umlaufend ungleiches
Wachstum an ihrer Basis einen Kegelmantel, so daß ihre Spitze an-
nähernd einen Kreis oder eine Ellipse durchläuft (Darwin [1865] 1876).
Durch diese Bewegungen wird die Wahrscheinlichkeit sehr er-
höht, einen festen Gegenstand zu berühren, der als Stütze dienen
kann. Gelingt das aber nicht, so biegt sich die Ranke, die bis da-
hin schräg aufwärts gestanden hat, an ihrer Basis abwärts und be-
ginnt sich schraubig einzurollen, wobei nun die Oberseite, die im
jugendlichen Zustande nach innen lag, konvex wird. Findet die
Ranke dauernd keine Stütze, bleibt sie also funktionslos, so stirbt
sie schließlich meist ab (Abb. 75d).
Eine ungereizte Ranke zeigt somit gewöhnlich zwei Perioden un-
gleichen Wachstums, durch deren eine die Geradestreckung, durch deren
andere die Einrollung bewirkt wird. Zwischen diesen beiden Perioden
liegt eine Zeit, in der das Wachstum der Ober- und Unterseite an-
nähernd gleich stark ist. Nur am Grunde der Ranke sind jetzt kleine
Differenzen in der Streckung nachzuweisen, die ziemlich regelmäßig
wechselnd zu der kreisenden „Suchbewegung‘‘ führen. Die Basis
bleibt am längsten wachstumsfähig.
Anders wird das Bild, wenn die Ranke eine Stütze findet.
Schon vor der völligen Geradestreckung ist sie meist für Kontakt
reizbar. Durch die Berührung wird eine Krümmung bewirkt, deren
Innenseite dem berührten Gegenstande zugekehrt ist. Schließlich rollt sich
die Ranke spiralig um die Stütze und verbindet so die Pflanzen fest
mit ihr. Diese Einrollung kann sehr viel früher geschehen als es ohne
Kontakt mit einer Stütze der Fall wäre. So sah Darwin ([1865]
1576) eine gereizte Ranke von Passiflora schon am zweiten Tage
nach ihrer Entfaltung eingerollt, während ohne Berührung 12 Tage
bis zu diesem Vorgange verstrichen. Andere Ranken, z. B. die der
Weingewächse bleiben überhaupt gerade, wenn sie keine Stütze
erreichen.
Hat der Spitzenteil einer Ranke die Stütze umschlungen, so hat
damit die Krümmung noch nicht ihr Ende erreicht, sondern
schreitet in dem zunächst gerade gebliebenen Stück der Ranke
zwischen Ursprungsstelle und Stütze fort. Dadurch rollt sich dieses
Stück schraubig ein und zieht dadurch die Pflanze an die Stütze
heran. Da die Ranke an beiden Enden festgehalten wird, kann die
Torsion des Zwischenstückes nicht der ganzen Länge nach in einer
tichtung erfolgen, sondern sie muß mindestens eine Umkehrstelle haben
(Abb. 72 u. 75c). Von den mechanischen Verhältnissen hierbei kann
man sich leicht an einem Modell in Gestalt eines Streifens Papier
oder dergleichen überzeugen.
Eine Ranke, die eine Stütze erfaßt hat, wird durch anatomische
Ausgestaltung mechanisch verstärkt. Manchmal verholzt sie sogar,
Ranken. 215
sodaß sie lange Zeit, selbst nach ihrem Tode, ihre Funktion erfüllen
kann. Die spiralige Einrollung erhöht dabei die Elastizität, die bei
Bewegung der Rankenpflanze durch Wind stark in Anspruch ge-
genommen wird.
Damit wären wir über die wesentlichsten Erscheinungen im
Leben einer Ranke unterrichtet und könnten uns zu den physiolo-
gisch interessanten Einzelheiten ihrer Reizbarkeit wenden.
A
ng
nn
Abb. 75.
Bryonia dioica; a junge eingerollte; b entfaltete und reizbare Ranke ;
ce Ranke, welche die Stütze umfaßte ; d ältere Ranke, die sich einrollte,
ohne eine Stütze erfaßt zu haben. Etwas verkleinert. Nach Pfeffer 1904.
216 VI. Die Folgen mechanischer Reizung.
Das, was bisher gesagt wurde, gilt, soviel wir wissen, ganz all-
gemein für Fadenranken jeder morphologischen Herkunft, seien sie
nun umgewandelte Blatteile, Stengel oder Wurzeln. Nach der Ver-
teilung der Sensibilität aber müssen wir zwei Gruppen von Ranken
unterscheiden. Nicht alle diese Organe sind nämlich auf jeder Flanke
gleich reizbar. Gerade die empfindlichsten und längsten unter ihnen
führen die Krümmungen nur dann aus, wenn ihre morphologische Unter-
seite berührt wird. Hierher gehören z. B. die Ranken der Cucur-
bitaceen und Passifloraceen. Ihnen gegenüber stehen die allseits gleich
empfindlichen Ranken von Cobaea scandens, Eccremocarpus scaber
u.a. Die Unterscheidung der beiden Gruppen von Ranken hat zuerst
Darwin ([1865] 1876) durchgeführt; von Fitting (1903) ist dann die
Verteilung ihrer Reizbarkeit genauer untersucht worden.
Er reizte die Ranken an lokal begrenzten Stellen durch Streichen
mit einem Stäbchen. Das genügt, um eine Reaktion als Nachwir-
kung zu erzielen. Dabei stellte sich heraus, daß bei allen Ranken
die Krümmung immer genau nach der berührten Seite hin gerichtet
ist. Bei den einseitig empfindlichen hat aber nur Reizung der Unter-
seite, und in etwas schwächerem Maße, der Flanken, eine Reaktion
zur Folge. Bei Berührung der Oberseite bleibt die Krümmung meist
aus. Nur auf sehr starke Reizung wird zuweilen eine Krümmung
nach oben hin ausgeführt. Aber auch, wo das nicht der Fall war,
ließ sich auf einem Umwege zeigen, daß die Oberseite doch kontakt-
reizbar ist. Werden bei allseits empfindlichen Ranken zwei einander
gegenüberliegende Flanken gereizt, so erfolgt keine Krümmung. Das
gleiche ist aber auch der Fall, wenn Ober- und Unterseite einer
ungleich empfindlichen Ranke mit dem Hölzchen gestrichen werden.
Somit verhindert die Reizung der Oberseite die Krümmung auf einen
sonst wirksamen Kontakt der Unterseite, obgleich jene selbst keine
sichtbare Reaktion zur Folge hat.
Durch gleichzeitige Reizung zweier entgegengesetzter Flanken
wird nicht nur deren Reaktionserfolg vernichtet, sondern auch ein
senkrecht dazu gerichteter Impuls unwirksam gemacht, falls er an
Stärke nicht jene wesentlich übertrifft. Wird bei einer ungleich
empfindlichen Ranke gleichzeitig oder kurz hintereinander die ganze
Unterseite, aber nur ein kurzes Stück der Oberseite gerieben, so
bleibt dieses Stück allein gerade. Hat die Reaktion auf Reizung
einer Seite hin schon begonnen, so macht sich die Hemmung, die
von einer geriebenen Gegenseite ausgeht, gleichwohl sehr bald be-
merkbar und die Krümmung schreitet nicht fort.
Wird durch Reiben mit einem Stäbchen auch nur kurze Zeit
gereizt, so beginnt bei empfindlichen Ranken unter günstigen Um-
ständen schon nach wenigen Sekunden die Krümmung. Sie vermehrt
sich anfangs mit wachsender Geschwindigkeit, so daß man die Bewegung
mit bloßem Auge verfolgen kann; weniger empfindliche Ranken
dagegen bedürfen einer langen Reizung, deren Wirkung sich auch
erst nach Stunden bemerkbar macht. Die Reaktion erreicht einen
Ranken. 217
Höhepunkt und nimmt dann wieder ab. Schließlich macht sich
eine Gegenreaktion bemerkbar, die die Krümmung wieder ausgleicht
und sogar über die Ruhelage hinaus gehen kann. Für diesen Fall
wird sie ihrerseits durch eine Gegenkrümmung ausgeglichen, ganz in
entsprechender Weise, wie wir das schon bei anderen Reizkrümmungen
kennen gelernt haben.
Durch Reizung an räumlich beschränkten Punkten läßt sich
Aufschluß über die Verteilung der Sensibilität gewinnen. Dabei
findet man, daß die schnellste und energischste Krümmung auf eine
Reizung nahe der Spitze erfolgt, obgleich das Wachstum, also die
mechanische Grundlage der Reaktion, bei ungereizten Ranken in den
der Basis benachbarten Zonen weit lebhafter ist. Daraus muß man
auf größere Empfindlichkeit der Spitzenregion schließen. Ferner
beobachtet man bei derartigen Experimenten, daß die Krümmung
zwar nicht durchaus auf die gereizte Stelle beschränkt bleibt, sich
aber nur wenig ausbreitet, selten mehr als I—2 cm. Weiter abliegende
Zonen bleiben durchaus unbeeinflußt.
Als Ursache der Krümmungsreaktion wies Fitting ein aktives
Wachstum der Zellen auf der Konvexseite nach. Aus der Schnellig-
keit der Krümmung hatte man früher auf eine bloße Dehnung der
Zellwand durch Vergrößerung des osmotischen Innendruckes ge-
schlossen. Fitting konnte demgegenüber zeigen, daß bei schneller
Abtötung durch heißes Wasser oder Gifte die Krümmung erhalten
bleibt. Ein osmotischer Druck ist aber nur in lebenden Zellen
möglich. Da nun die Biegung nicht mit dem Tode verloren geht,
muß die sie hervorrufende Flächenvergrößerung der Zellwände durch
Wachstum fixiert sein.
Durch genaue Messungen stellte dann Fitting fest, daß die
Krümmung durch stark beschleunigtes Wachstum der der Reizstelle
gegenüberliegenden Region zustande kommt. Ist die Reizung von
kurzer Dauer, so geht die Reaktion bald zurück, wobei nunmehr
eine Beschleunigung des Wachstums der Konkavseite beobachtet wird.
Sowohl bei der primären Reaktion wie beim Rückgang wird die
Streckung der Mittelzone beschleunigt, während die Länge der Flanke,
die der am stärksten wachsenden Seite gegenüberliegt, unverändert
bleibt. Hin- und Rückgang bestehen aus zwei verschiedenen Wachs-
tumsbeeinflussungen, zwischen denen ein Stillstand, auch der Mittel-
regionen, eingeschaltet ist. Diese beiden Perioden lassen sich an den
zwei Streckungsphasen auch bei solchen Ranken nachweisen, die
mechanisch an der Krümmung verhindert werden.
Wird auf zwei entgegengesetzten Seiten gereizt, so entsteht,
wie betont, keine Krümmung. Ähnlich verhält es sich bei anderen
Tropismen , unter denen diejenigen Fälle am besten vergleichbar er-
scheinen, in denen gleichfalls eine Beschleunigung des Wachstums
der Mittelregion und damit des Gesamtzuwachses eintritt. Solches
lernten wir bei den Grasknoten kennen. Wurden diese allseitig geo-
tropisch gereizt, so setzte trotz dem Ausbleiben der Krümmung ein
218 VI. Die Folgen mechanischer Reizung.
verstärktes Wachstum ein. In dieser Beziehung stehen die Ranken
nun aber in einem bemerkenswerten Gegensatz zu den Grasknoten,
da bei ihnen auf zweiseitige Reizung hin keine Veränderung des
Wachstums beobachtet wurde. Offenbar muß man daraus den Schluß
ziehen, daß bei den Ranken keinesfalls das Ausbleiben der Krümmung
bei zweiseitiger Reizung durch das Gegeneinanderarbeiten der beiden
Einzelreaktionen zustande kommt, wofür ja schon das Verhalten der
ungleich empfindlichen Ranken spricht. Denn bei ihnen hatte auch
eine Reizung der Oberseite, die niemals bis zur Reaktion durchlaufen
würde, eine Sistierung der Krümmung zur Folge. Vielmehr müssen
sich schon früher Glieder der Reizkette gegenseitig unwirksam machen.
Bei den Grasknoten dagegen ist die Auffassung am einleuchtendsten,
daß die verschiedenen Reizprozesse bis zum Ende gesondert ablaufen
und erst die Wachstumsreaktionen selbst in Antagonismus treten.
Bewiesen ist diese Anschauung freilich nicht, da auch bei den Gras-
knoten schon frühere Glieder der Reizkette sich gegenseitig beein-
flussen können, worauf dann ein einheitlicher Reizzustand die ge-
schilderte Reaktionsweise zur Folge haben könnte.
Nachdem wir nun die äußere Erscheinung und die Wachstums-
vorgänge bei den Krümmungsbewegungen der Ranken kennen gelernt
haben, wollen wir die wirksamen Reizanlässe etwas näher präzisieren.
Schon Darwin [(1865) 1876] ist dieser Frage näher getreten. Er
hat z. B. festgestellt, daß Fadenstückchen von minimalem Gewicht
Reizung bewirken, nicht aber lebhaft aufprallende Wassertropfen.
Vor allem aber verdanken wir Pfeffer (1835) eine Arbeit, die tief
in das Wesen der mechanischen Reizbarkeit einführt. Schon im
Jahre 1881 hat dieser Forscher, gleichzeitig mit Darwin, darauf hin-
gewiesen, daß unter den mechanischen Einwirkungen, die Reizbe-
wegungen auslösen, zwei Gruppen unterschieden werden können, die
er Kontaktreize und Stoßreize nennt. Die ersteren sind dadurch
gekennzeichnet, daß nur eine länger dauernde Berührung wirksam
ist, während es bei den letzteren zur Auslösung der Reaktion einer
kräftigen, wenn auch vorübergehenden Erschütterung bedarf.
Eingehende Untersuchungen zeigten Pfeffer dann später (1885),
daß die Kontaktreize nicht eigentlich durch Berührung ausgelöst
werden, da ein konstanter Druck, selbst bei erheblicher Energie
keine Krümmung verursacht. Es ist vielmehr nötig, daß der be-
rührende Körper mit einer gewissen Reibung bewegt wird. Sehr
glatte Objekte reizen weniger stark als rauhe. Flüssigkeiten sind über-
haupt nicht imstande, eine Reizwirkung auszuüben, selbst nicht ein mit
großer Gewalt auftreffender Quecksilberstrahl. Sind dagegen in einer
Flüssigkeit feste Partikelchen verteilt, wird also z. B. Wasser mit
aufgeschlämmtem Ton und dergl. verwendet, dann tritt Reizung ein.
Methodisch wie theoretisch besonders wertvoll ist die Entdeckung,
daß Gelatinegallerte von nicht zu geringem Wassergehalt keine
teaktion verursacht, falls die Oberfläche feucht ist. Fängt sie an
zu trocknen, so wird sie klebrig, und nun genügt die leiseste Be-
Ranken. 219
rührung, um eine Krümmung zu veranlassen. Glasstäbe, die mit
Gelatine von mehr als 75°/, Wassergehalt überzogen werden, können
den Ranken fest angepreßt, an ihnen hin- und hergerieben werden,
ja man kann mit ihrer Hilfe die Ranken festhalten und stark biegen,
ohne daß eine Reaktion eintritt.
Aus allen diesen Befunden zog Pfeffer den Schluß, daß „zur
Erzielung einer Reizung in der sensiblen Zone der Ranke
diskrete Punkte beschränkter Ausdehnung gleichzeitig oder
in genügend schneller Aufeinanderfolge von Stoß oder Zug
hinreichender Intensität betroffen werden müssen“. Die
Gelatine und Flüssigkeitsversuche hatten ihn gelehrt, daß ein ungefähr
gleichmäßig verteilter Druck keine Wirkung hat. Daß auch Zug
wirksam ist, zeigte die klebrige Gelatine. Es muß noch hinzugefügt
werden, daß ‚‚eine lokale, genügend schnell verlaufende Kompressions-
wirkung eine Bedingung der Reizung ist“. Durch langsam anwachsen-
den Druck auch sehr rauher Körper, wie Schmirgelpapier, wird keine
Wirkung erzielt. Vielmehr muß zu dem steilen Druckgefälle ein
rascher Deformationswechsel hinzukommen. Es sind also örtliche
und zeitliche Intensitätsdifferenzen des mechanischen Reizes nötig,
um die haptotropische Erregung zu bewirken.
Wenn Darwin durch feine Zwirnsfäden Reizung bekam, so kann
das nur daran gelegen haben, daß diese nicht absolut ruhig lagen.
Verfuhr Pfeffer mit aller Vorsicht, also Ausschluß von Erschütterungen
und Luftströmen, so bewirkten aufgelegte Stückchen aus verschiedenem
Material selbst bei verhältnißmäßig beträchtlichem Gewichte keine
Krümmungen. Dagegen reizte ein Zwirnsfaden von nur 0,00025 mg Ge-
wicht, falls er durch einen leichten Luftstrom in schaukelnde Be-
wegung gesetzt wurde, eine Ranke von Sicyos angulatus (Cucurbitacee)
zur Krümmung. Ein halb so schwerer Faden blieb ohne sichtbare
Wirkung, so daß damit die Reizschwelle erreicht ist. Jedenfalls ist
aber die Empfindlichkeit der menschlichen Haut wesentlich geringer als
die der Ranken. Unter den verschiedenen Empfindungen, die bei
uns durch mechanische Einflüsse hervorgerufen werden, ist die
Kitzelreizbarkeit nach den auslösenden Faktoren der Sensibilität der
der Ranken am nächsten verwandt. Man könnte sie mit denselben
Worten definieren, die oben zur Charakterisierung der Rankenreiz-
barkeit angewendet wurden.
Ökologisch bedeutungsvoll ist es für die Pflanze, daß ihre Ranken
nicht überflüssigerweise Reizkrümmungen ausführen, wenn sie durch
Wind und Regen erschüttert und gebogen werden. Auch konnte
Pfeffer beobachten, daß z. B. Blattläuse nicht das zur Erreichung
der Reizschwelle nötige Gewicht haben. Übrigens werden rasch
vorübergehende Reizwirkungen durch größere Insekten, Reibung der
Ranken an festen Körpern durch Wind, und dergl. nur eine geringe
Einkrümmung zur Folge haben, die bald zurückgeht.
Soll eine Stütze umschlungen werden, so bedarf es dazu längeren
Kontaktes unter gleichzeitiger sanfter Reibung. Ist ein dünner
220 VI. Die Folgen mechanischer Reizung.
Zweig oder dergl. der reizende Körper, so biegt sich die Ranke zu-
nächst an der berührten Stelle. Dadurch kommen neue Oberflächen-
teile in Kontakt mit der zu umwickelnden Stütze, so daß schließlich
das ganze freie Ende sich spiralig einrollt, wie das oben schon be-
schrieben wurde. Eine sanfte Erschütterung, wie sie zur Erzielung
der Reizung nötig ist, wird in der Natur durch die wohl stets etwas
bewegte Luft gewährleistet.
In Berührung mit festen Körpern kommt selbstverständlich
immer nur die Außenseite der Epidermis. Ein wirksamer Reizanlaß
muß also zunächst die Epidermisaußenwände verbiegen und dadurch
mittelbar das Protoplasma treffen. Somit wird jede Einrichtung, die
die mechanische Deformierung des Plasmas erleichtert, die Wirksam-
keit schwacher Reize erhöhen. In der
Tat konnte Pfeffer auf anatomische
Differenzierungen bei einigen Pflanzen
hinweisen, die in der angedeuteten Weise
ausgelegt werden dürfen. Bei ver-
schiedenen Cucurbitaceenranken näm-
lich finden sich in der Außenwand vieler
Epidermiszellen Kanäle, die von innen
her bis nahe an die Oberfläche vor-
dringen und mit Protoplasma erfüllt
sind. Es ist klar, daß dieses Proto-
plasma dem Druck und der Zerrung
stärker ausgesetzt sein wird als das
tiefer in der Zelle befindliche. Viele
andere, auch besser empfindliche Ranken
zeigen jedoch solche Bildungen nicht.
Es ist ja auch ohnehin klar, daß die
A. Fühltüpfel in den Epidermi- Reizbarkeit vor allem von der Emp-
Melopepo. 3 Oberflächenansicht einer findlichkeit des Plasmas abhängig ist
Epidermiszelle der Ranke von Cuc- und durch den Bau der Zellen nur ver-
Pepc. In der Mitte der Fühltüpfel. F R
(Nach Haberlandt 1909.) feinert werden kann. Solche Erwägungen
sprechen aber nicht gegen die erwähnte
Deutung der geschilderten anatomischen Differenzierungen. Später
hat Haberlandt (vergl. 1909a) die „Fühltüpfel“, wie er sie nennt,
bei vielen Ranken von Cucurbitaceen gefunden und genauer be-
schrieben. Unterstützt wird ihre Wirkung nach ihm noch dadurch,
daß in dem Protoplasma der Fühltüpfel häufig scharfkantige Kristalle
liegen (Abb. 76). Andere anatomische Einrichtungen, die mit der
Funktion der Ranken in Beziehung ständen, sind nicht bekannt.
Dagegen ist noch Einiges über die ökologische Deutung der
geschilderten physiologischen Eigenheiten zu sagen. Das Einrollen
der Ranken ist ein Vorgang, der unter natürlichen Umständen nicht
rückgängig gemacht wird, sofern nur die Berührung nicht ganz
vorübergehend war. Was das Greiforgan gefaßt hat, soll es auch
festhalten. Daher ist es begreiflich, daß nicht eine Turgorkrümmung,
Ranken. 221
sondern ein Wachstumsvorgang zu Hilfe genommen wird. Andrer-
seits muß die Greifbewegung schnell vor sich gehen, wenn sie ihren
Zweck erfüllen soll. Damit mag es zusammenhängen, daß bei
empfindlichen Ranken auf den Kontaktreiz eine starke Beschleunigung
des Wachstums eintritt, wie sie sonst nur bei den Schlafbewegungen
der Blüten bekannt ist.
Welchen Vorteil die ungleich empfindlichen Ranken gegenüber
den allseits empfindlichen haben mögen, ist aber ganz unklar. Ein
soleher muß jedoch wohl angenommen werden, da die Vorstellung
kaum abzuweisen ist, daß die ungleiche Empfindlichkeit aus der
gleichmäßigen hervorgegangen ist.
Im übrigen ist es zweifellos von Nutzen für die Kletterpflanzen,
daß die Ranken imstande sind, Stützen in allen Winkellagen zu
ergreifen, während die biologisch verwandten Schlingpflanzen nur
annähernd senkrechte Objekte umwinden können. Darwin ([1865]
1876, S. 147) führt noch andere Vorzüge der Rankenpflanzen vor den
Schlingpflanzen auf und ist der Meinung, daß die ersteren aus den
letzteren abzuleiten sind. In der Tat gibt es Gewächse, die beide
Klettermethoden miteinander vereinen. Trotzdem wird die Behaup-
tung in ihrer Allgemeinheit nicht aufrecht zu erhalten sein. Viel-
mehr dürfte die Kontaktreizbarkeit, wie wir sie in höchster Ausbil-
dung bei den empfindlichen Ranken der Cucurbitaceen, Passifloraceen
und Vitaceen finden, unabhängig von verschiedenen Pflanzen erworben
worden sein.
Wenn gesagt wurde, daß es Gewächse gibt, die die Fähigkeiten
der Schlingpflanzen mit denen der Rankenpflanzen vereinigen, so ist
dabei zunächst an Arten von Bignonia, Clematis und Tropaeolum
zu denken. Diese besitzen ein, wenn auch nicht sehr ausgebildetes
Windevermögen und daneben fadenförmige Organe oder empfindliche
Blattstiele, die gleichfalls nicht in dem Maße an ihre Klammerfunk-
tion angepaßt sind, wie das bei den mehr spezialisierten Ranken-
pflanzen der Fall ist.
In einem anderen Sinne zeigt eine Schmarotzerpflanze, nämlich
die Klee- oder Flachsseide (Arten von Cuscuta), eine Vereinigung von
Windevermögen und Kontaktreizbarkeit (vgl. Pfeffer 1904, S. 418,
sowie Peirce 1894 und Spisar 1910). Ihr fadenförmiger Stengel verhält
sich nämlich abwechselnd wie der einer Schlingpflanze und wie eine
Ranke. Die Keimpflanze umschlingt gewöhnlich nur lebende Stengel,
und zwar in engen Windungen mit Hilfe ihrer Kontaktreizbarkeit').
Sie bildet dabei sog. Haustorien, die in die Wirtspflanze eindringen
und sie aussaugen. Später folgen dann steilere Windungen ohne
Haustorien, die denen von Schlingpflanzen durchaus gleichen. Dabei
ist die Pflanze nun auch imstande, tote Stützen zu umwinden.
1) Spisar fand keinen Unterschied zwischen lebenden und toten Stützen,
während früher die Meinung herrschte, daß überhaupt nur frische Pflanzen-
stengel umschlungen werden. Die verschiedenen Cuscutaarten scheinen sich
nicht gleich zu verhalten.
222 VI. Die Folgen mechanischer Reizung.
Die Reizbarkeit wechselt periodisch (Abb.77). Nach Pfeffer ver-
anlaßt die Inanspruchnahme durch den Kontaktreiz selbst vorüber-
gehend eine Sistierung der Sensibilität für Berührung, was nach
Spisar nicht immer zutrifft. Im Zustande der Kontaktreizbar-
keit vermag der Stengel nicht nur vertikale, sondern auch stark
geneigte Stützen zu umschlingen, ganz wie eine Ranke. Das freie
Ende der Pflanze macht kreisende Be-
wegungen, die das Finden einer geeigneten
Wirtspflanze erleichtern. Die Windungen
erfolgen in der diesen Nutationen ent-
sprechenden Richtung.
Peirce fand am Klinostaten ein
Aufhören der kreisenden Bewegungen so-
wie auch der Kontaktreizbarkeit. Spisar
konnte nur das Letztere bestätigen, die
Nutationen wurden auch nach Stägigem
Verweilen an der rotierenden Achse fort-
gesetzt. Die Gegensätze erklären sich
wohl daraus, daß die Autoren ver-
schiedene Cuscutaarten verwendet haben.
Die reizbare Zone liegt etwa in der
Gegend maximalen Wachstums. Die
Kontaktreizbarkeit befähigt die Pflanze,
selbst einen feinen Zwirnsfaden oder ein
dünnes Grasblatt zu umschlingen. Später
werden die Windungen verengert, wobei
ein Druck auf die Stütze ausgeübt wird.
Die Ausbildung der Kontaktreizbarkeit
ist offenbar für eine ganz parasitische
Pflanze, die ohne Wirt nur ganz kurze
Zeit existieren kann, von großem Nutzen.
Es wird ihr dadurch ermöglicht, nach
allen Richtungen hin zu kriechen und
geeignete Pflanzen zum Aussaugen zu
Abb. 77. finden, denen sie sich dann sofort eng an-
Pflanze, die von einem Stengel der Schmiegt. Die Windefähigkeit wiederum,
Cuseuta befallen ist. Letzterer ab» die mit negativ geotropischer Reizbarkeit
wechselnd rankend (a) und windend A x
(b). Nach Pfeffer 1904. verbunden ist, erlaubt der Pflanze, höhere
junge und saftreiche Zweige zu erreichen.
Wie wirksam die Kombination beider Einrichtungen ist, davon über-
zeugt man sich leicht an einem Bestande von Weiden, Brennesseln,
Klee u. dgl., die von dem Schmarotzer befallen sind und in allen
sichtungen von ihm durchwuchert werden.
Eine Kontaktreizbarkeit ist unter den Stengeln von Kletter-
pflanzen sonst nur noch bei Lophospermum von Darwin beobachtet
worden. Sie ist aber nur schwach ausgebildet. Die Pflanze ist im
übrigen ein Blattkletterer.
a |
DD
[80)
[SV
Sensitive Pflanzen.
c) Sensitive Pflanzen.
In einem bemerkenswerten Gegensatze zu den kontaktreizbaren
Rankengewächsen stehen die sog. sensitiven Pflanzen, deren Blätter
auf Erschütterung mit einer Bewegung reagieren. Wir wir sehen
werden, ist sowohl ihr Empfindungsvermögen wie der Mechanismus
ihrer Reaktion durchaus von dem der erst besprochenen Gruppe von
mechanisch reizbaren Organen verschieden. Trotzdem oder vielleicht
gerade deshalb empfiehlt es sich, diese beiden Gruppen einander gegen-
über zu stellen.
Fangen wir mit der Sinnpflanze oder Mimose an, dem bekanntesten
Beispiele einer gegen Erschütterung empfindlichen Pflanze. Sie kam um
die Mitte des 17. Jahrhunderts aus Brasilien nach Europa. Das Auf-
treten dieser Pflanze in der Wissenschaft ist nicht nur für die Geschichte
der Reizphysiologie von Bedeutung, die es nachhaltig beeinflußte,
sondern wirkt noch in ihrem heutigen Zustande nach. Die sensitive
Mimose erregte bei ihrer Entdeckung die größte Bewunderung, die
sich bei jedem wiederholt, der sie zum ersten Male sieht. Neben
sehr ausgesprochenen Schlafbewegungen besitzt sie nämlich die Eigen-
tümlichkeit, auf jede Erschütterung hin ihre Blättehen zusammen-
zulegen und das ganze Blatt zu senken, so daß sie dann wie ver-
welkt dasteht. Und zwar geschieht das fast plötzlich, innerhalb
weniger Sekunden. Auch braucht diese Bewegung nicht auf das
direkt gereizte Blatt beschränkt zu bleiben, sondern kann auf die
benachbarten übergreifen, falls nur der Reizanstoß kräftig genug war.
Die Blätter der hierher gehörigen halbstrauchigen Arten (Mimosa
pudica, sensitiva, Speggazinii) sind doppelt zusammengesetzt, gefin-
gert-gefiedert (Abb. 78). An dem mit einem kräftigen Gelenk ver-
sehenen Hauptblattstiel sitzen fingerförmig, ebenfalls mit Gelenken,
die Sekundärstiele und an diesen gleichfalls gelenkig die paarweise
angeordneten, dicht gedrängten Blättchen. Am Tage und in der
Ruhelage stehen die Hauptstiele vom Zweige etwas schräg nach oben
ab, die sekundären sind wie Finger gespreizt, die Blättchen etwa in
einer Ebene ausgebreitet. Auf einen geeigneten Reiz hin klappen
die Blättchen mit der Oberseite zusammen, der Winkel, den die
Sekundärblattstiele einschließen, verringert sich, und der Hauptblatt-
stiel senkt sich plötzlich. Alle diese Bewegungen finden in den Ge-
lenken statt, deren Bau und Funktion im ersten Kapitel beschrieben
wurde. Ist der Reiz scharf lokalisiert, so sieht man deutlich, daß
die zunächst gelegenen Blättchen nach einer gewissen Zeit zuerst zu-
sammenzuklappen beginnen. Die Bewegung greift dann auf die be-
nachbarten Blätter über und pflanzt sich um so weiter fort, je inten-
siver der Anstoß war. Sehr schön gelingt der Versuch unter gün-
stigen Vegetationsverhältnissen — bei uns am besten im Gewächs-
haus bei hoher Feuchtigkeit und einer Temperatur von 25° — wenn
ein Fiederblättchen angeschnitten oder noch besser mittels einer Flamme
oder eines Brennglases angesengt wird. Die Blättchen klappen dann
224 VI. Die Folgen mechanischer Reizung.
streng der Reihe nach und paarweise zusammen, bis zur Erreichung
der Ansatzstelle des Sekundärblattstieles. Die Bewegung hält dort
aber nur kurze Zeit an und schreitet dann in den anderen Fingerstrahlen
umgekehrt, von der Basis zur Spitze mit derselben Regelmäßiskeit fort.
Darauf klappen die Sekundärblattstiele zusammen, und nach einiger
Abh. 78.
Mimosa pudica. Das Blatt A befindet sich in reizempfänglicher, das Blatt B in
in gereizter Stellung. p das primare Gelenk ; s die sekundären Gelenke an der Basis
der Fiederstrahlen. Nach Pfeffer 1904.
Zeit senkt sich plötzlich das ganze Blatt im Hauptgelenk. Damit
nicht genug, geht die Erregung im Stengel zu den benachbarten
Blättern weiter, um dort von der Basis nach der Spitze fortzuschrei-
ten. So kann man häufig auf einen lokal beschränkten, aber
intensiven Reiz hin, sämtliche Blätter einer Pflanze sich senken
sehen.
Sensitive Pflanzen. 225
Die Mimose zeigt uns ein Beispiel von außergewöhnlich schneller
und intensiver Reizleitung. Man sieht bei ihr sehr deutlich, wie die
ganze Pflanze in reizphysiologischer Hinsicht ein Ganzes bildet.
Kann man doch sogar durch Verwundung der Blüten oder gar der
Wurzeln Reizung der Blätter bewirken. Die Geschwindigkeit der
Leitung ist bei Mimosa die größte bei Pflanzen beobachtete, näm-
lich 2—15 mm in der Sekunde, während der heliotropische Reiz
sich nach Rothert höchstens 0,3 mm in der Minute fortbewegt.
Sie wechselt je nach dem Organ, in dem der Reiz sich fortpflanzt,
und nach den Außenbedingungen. Bei niederen Tieren ist die Ner-
venleitung nicht immer schneller, z. B. bei Anodonta, der Teich-
muschel nur 10 mm pro Sekunde (Bethe nach Fitting 1907b), bei
den Nerven höherer Tiere allerdings durchschnittlich 1000mal so groß!
(Jost 1908). Die Art der Reizleitung ist vielfach untersucht wor-
den, ohne daß bis heute Klarheit über die Grundfragen erreicht wäre.
Fitting (1907b) gibt eine kritische Sichtung des vorliegenden experi-
mentellen Materiales. Fest steht eigentlich nur, daß die Leitung
in den Gefäßbündeln erfolgt, daß sie auch über narkotisierte oder
abgetötete Strecken gehen kann und daß aus einer zur Reizung füh-
renden Wunde ein Flüssigkeitstropfen hervorquillt. Pfeffer (1873b)
glaubte hieraus schließen zu müssen, daß eine Druckschwankung im
Wasser der Gefäße die Reizleitung besorgt, während Haberlandt (1890)
bei Mimosa besondere Schlauchzellen in den Siebteilen für diese Funk-
tion heranzog. Demgegenüber betonte wieder Fitting (1903 und
1907b), daß die Schlauchzellen wenig geeignet erscheinen, Wasserströ-
mungen schnell weithin zu leiten, sowie daß sie anderen Pflanzen vom
Reiztypus der Mimosa fehlen. Wie die Wasserbewegung bei Reizun-
gen ohne Verwundung mechanisch zustande kommen sollte, ist überhaupt
schwer einzusehen, man müßte somit jedenfalls eine plasmatische Reiz-
leitung, die vielleicht weniger schnell und wirksam wäre, zu Hilfe
nehmen und sich denken, daß erst durch irgendwelche osmotischen
Prozesse die Druckschwankung erzielt würde. Doch ist es immer-
hin sehr wichtig, zu wissen, daß der Anstoß, der durch einen Reiz
bewirkt worden ist, in totem Gewebe, also jedenfalls auf rein
mechanische Weise, fortgeleitet werden kann.
Eine weitere Leitung des Reizes findet nur nach tieferen Ein-
griffen, also z. B. nach Verwundung statt, während die gewöhnlicher
die Pflanze treffenden Erschütterungsreize mehr oder weniger auf den
Ort beschränkt bleiben. Um überhaupt eine Bewegung zu erzielen,
bedarf es nun durchaus nicht immer so grober Mittel. Relativ fein
ist vor allem das Empfindungsvermögen an den Bewegungsgelenken
selbst, und zwar auf der Seite, nach der die Beugung stattfindet.
An dieser Stelle genügt eine ganz leichte Berührung, um einen wirksamen
Einfluß auszuüben. Die Bewegung bleibt bei Reizung des Haupt-
gelenkes stets auf dieses selbst beschränkt, während eine entsprechend
schwache Reizung der Gelenke an den Blättchen viel weiter um sich
greifen und sogar ein Senken des Hauptblattstieles bewirken kann.
Pringsheim, Reizbewegungen. 15
226 VI. Die Folgen mechanischer Reizung.
Die Stärke des Anstoßes, resp. die Empfindlichkeit der gereizten
Stelle, zeigt sich also in der Länge der Strecke, über die der Reiz
fortgeleitet wird. Die Größe des Ausschlages der gereizten Gelenke
ist dagegen von ihr unabhängig. Unter normalen Umständen wird
durch einen die Schwelle erreichenden Reiz stets die maximale Senkung
erzielt, deren das Gelenk überhaupt fähig ist. Allerdings können unter
ungünstigen Umständen Abweichungen von dieser Regel vorkommen.
Äußere Einflüsse, die die Empfindlichkeit herabsetzen, ohne die
Pflanze zu töten, können bewirken, daß auf einen Anstoß von einer
gewissen Größe nur die halbe Senkung und erst auf einen zweiten
stärkeren hin die volle sich vollzieht. Gleichzeitig ist dabei eine Ver-
längerung des Zeitraumes von der Reizung bis zur Reaktion zu be-
obachten. Als solche, die Reizbarkeit herabsetzende Einflüsse, sind
tiefe Temperaturen, zu große Jugend des Blattes, wiederholte Rei-
zung und außerdem gewisse chemische Mittel zu nennen, welch letz-
tere wir als Narkotika zusammenzufassen pflegen. Hierher gehören
z. B. Äther und Chloroform. Ihre gemeinsame Eigentümlichkeit ist
es, die Empfindlichkeit eines Organismus zu mindern oder aufzu-
heben, ohne den Tod herbeizuführen. In geringer Menge, d. h. in
sroßer Verdünnung, rufen sie den oben geschilderten Effekt hervor,
in größerer heben sie die Reizbarkeit auf, ohne dauernd zu schaden;
noch größere Dosen wirken schließlich tödlich. Bemerkenswert
ist es, daß durch Narkose von einer gewissen Tiefe nicht die Emp-
findlichkeit gegen alle verschiedenartigen Reize auf einmal aufgehoben
zu werden braucht. So wird z. B. bei Mimosa die Reizbarkeit für Be-
rührungen eher sistiert als die, welche die Schlafbewegungen verursacht.
Übrigens ist auch die Mechanik der Bewegungen in beiden Fällen
nicht dieselbe. Die äußere Ähnlichkeit bewirkte, daß anfangs beide
Arten von Reaktionen der Gelenke zusammengeworfen wurden.
Hierin hat E. Brücke (1848) Wandel geschaffen. Er fand nämlich,
daß das Gelenk als Ganzes bei der Senkung durch einen mecha-
nischen Reiz biegsamer, bei der Schlafbewegung aber strafier wird.
Wie wir durch seine und Pfeffers Untersuchung (1873a) wissen, ist
das auf die Art wie die Krümmung zustande kommt zurückzuführen.
Die plötzliche Senkung auf einen Anstoß erfolgt nämlich durch Er-
schlaffung der unteren Gelenkhälfte, die langsame Abwärtskrümmung
bei der nyktinastischen Bewegung aber durch stärkere Zunahme des
Turgors in der oberen Hälfte. Da die Gelenkhälften in ihrem Aus-
dehnungsbestreben gegeneinander arbeiten, findet in beiden Fällen
eine äußerlich ähnliche Bewegung statt.
Auf die Einzelheiten dieser Beweisführung, die in der Hauptsache durch
Operation der Gelenkhälften und Reagierenlassen in verschiedener Stellung er-
bracht wurde, wollen wir hier nicht eingehen, weil uns weniger die Mittel als der
Anstoß zur Bewegung interessieren, und weil erstere schon im allgemeinen Ka-
pitel über das Bewegungsvermögen der Pflanzen besprochen wurden. Nur soll
noch nachgetragen werden, daß bei den Reizbewegungen auf Stoßreiz die Wasser-
verschiebung, die die Ursache der Bewegung ist, nicht durch Transport von
Zelle zu Zelle vor sich gehen kann, denn das würde viel zu lange dauern.
Sensitive Pflanzen. 227
Vielmehr tritt das Wasser aus den vorher gespannten Zellen in die weit-
hin in Verbindung stehenden Lufträume zwischen denselben, wo es keinen
Druck mehr ausübt. Dadurch kommt das Erschlaffen der unteren Gelenkhältte
auf mechanischen Anstoß hin zustande, das nach Ablauf einer gewissen Zeit
durch Wiederaufnahme des Wassers in die Zellen rückgängig gemacht wird.
In welcher Weise durch die Reizung eine veränderte Durchlässigkeit des Plas-
mas verursacht wird, darüber sind wir noch nicht unterrichtet.
Einige Zeit nach der Reizbewegung wird in allen Teilen der
alte Zustand wieder hergestellt. Vorher einwirkende Reize haben
keine erkennbare Wirkung. Zu schwache Anstöße üben aber auch
bei vollkommener Perzeptionsfähigkeit keinen sichtbaren Effekt aus.
Erst mit der Erreichung eines Schwellenwertes tritt Reaktions-
bewegung ein, dann aber, wie wir gehört haben, unter normalen
Umständen gleich mit voller Stärke. Reize, die unter diesem Maße
bleiben, bewirken also gar keine und nicht etwa eine schwächere
Reizbewegung; aber sie werden, wie sich zeigen läßt, doch perzipiert.
Denn läßt man mehrere dicht unter der Schwelle bleibende Anstöße
aufeinanderfolgen, so summieren sie sich, bis einer die Reizbewegung
auslöst. Am besten läßt sich das alles bei elektrischer Reizung
ausführen, deren Stärke gut variierbar ist (Brunn 1908a). Es liegen
in der Beziehung also ähnliche Verhältnisse vor wie beim Geotropismus
und Phototropismus, nur daß hier die Reaktion nicht quantitativ
abstufbar ist.
Wird die Pflanze nach Erzielung der Blattsenkung dauernd
weiter erschüttert, so heben sich die Blättchen wieder und nehmen
die normale Lage ein, so daß man von einer Art Gewöhnung sprechen
könnte, denn nun sind sie unempfindlich für alle mechanischen Reize.
Hört die Erschütterung auf, so werden die Pflanzen nach einer Zeit
der Ruhe wieder in der alten Weise reizbar. Daraus, daß das Ge-
lenk die alte Lage einnimmt, ohne daß die Reaktionsfähigkeit wieder-
kehrt, sieht man, daß diese nicht nur vom mechanischen Zustande
des Bewegungsorganes abhängt, sondern vor allem von der Perzeptions-
fähigkeit des lebenden Plasmas. Das gleiche geht aus dem Umstande
hervor, daß Blätter, die durch andauernde Erschütterung unempfindlich
für mechanische Reize geworden sind. doch heliotropisch, geotropisch
usw. reagieren.
Wenn wir schließlich die Art der mechanischen Eingriffe noch
weiter präzisieren wollen, die bei Mimosa eine Reizbewegung aus-
lösen, so werden in der Natur hauptsächlich Erschütterungen in Be-
tracht kommen. Durch sie wird das besonders empfindliche weiche
Gewebe der Gelenke deformiert. Hierin haben wir offenbar den
Hauptreizanlaß zu sehen. Daß Anstöße, die zur Reizung führen,
auch schon durch aufkriechende Insekten bewirkt werden, wird
durch steife Borsten, besonders an den Gelenken, ermöglicht. Denn
ihre Verbiegung hat einen erhöhten lokalen Druck an der Basis der
Borsten zur Folge, der die Reaktion auslöst (Haberlandt 1909a
mit der Einschränkung von Renner 1908 und 1909).
15*
189)
ID
[0 0)
VI. Die Folgen mechanischer Reizung,
Von den beiden Polsterhälften ist nur die untere zur Perzeption
kleiner Stöße imstande. Stärkere bewirken auch dann eine Reaktion,
wenn sie die Oberseite des Gelenkes treffen, aber nur dadurch, daß
dabei auch die untere Hälfte mechanisch in Mitleidenschaft gezogen
wird. Wird daher die obere Polsterfläche durch einen Schnitt ent-
fernt, so kann das Blatt noch Reizbewegungen ausführen; nicht aber
nach Entfernung der unteren Hälfte.
Oben wurde erwähnt, daß die typische Reizauslösung bei Mimosa
nicht nur durch mechanische Erschütterung, sondern auch durch Ver-
wundung und Hitze bewirkt werden kann. Ferner können noch
chemische und elektrische Einflüsse, sowie schnelle Erwärmung und
Abkühlung der ganzen Pflanze die plötzliche Senkbewegung aus-
lösen. Die Reaktionsweise ist in allen diesen Fällen die gleiche wie
die auf mechanische Reize. Das schließt nicht aus, daß die Blätter
daneben auch nyctinastisch, sowie geotropisch und phototropisch
reagieren können. Diese letzteren Bewegungen heben sich aber bei
Mimosa schon durch ihre Langsamkeit scharf gegen die durch Er-
schütterungen u. dgl. ab.
Das natürliche Reizmittel für die schnelle Senkung der Blätter
ist zweifellos der mechanische Anstoß; die anderen wirksamen Fak-
toren spielen außerhalb des Laboratoriums kaum eine Rolle.
Der Unterschied im Perzeptionsvermögen gegenüber den gleich-
falls mechanisch reizbaren Ranken ist groß. Denn während jene
durch die kräftigsten mechanischen Einwirkungen, wenn sie von
flüssigen Körpern ausgehen, und auch durch starke Verbiegungen
nicht gereizt werden, dagegen wohl durch eine leichte, aber wieder-
holte Berührung mit festen Körpern, reagiert die Mimose auf jede
beliebige Erschütterung durch Stoß, Wind und Regen (Pfeffer 1904,
S. 150). Auf die Verschiedenheit der Krümmungsmechanik braucht
hier nicht mehr hingewiesen zu werden.
Trotz diesen Verschiedenheiten gegenüber allen tropistischen Re-
aktionen zeigt aber doch die plötzliche Bewegung der Blätter von
Mimosa dieselben Züge, die allen Reizwirkungen gemeinsam sind. So
findet man auch hier eine Reaktionszeit, eine Nachwirkung, Gegen-
reaktion und eine Summation unterschwelliger Reize. Allerdings ist
die Reaktionszeit so kurz, daß sie nur mit besonderen Hilfsmitteln
bestimmt werden kann, und die Präsentationszeit wird offenbar
schon durch den kürzesten, realisierbaren mechanischen Anstoß über-
schritten.
Ähnlich wie die Mimosa pudica, deren Reaktionsweise beschrieben
wurde, verhalten sich die anderen reizbaren Mimosaarten (M. sen-
sitiva und Speggazinii) sowie gewisse Oxalideen, von denen die
empfindlichste Biophytum sensitivum ist. Die Arten der Gattung
Oxalis, z. B. die einheimische OÖ. Acetosella, bedürfen schon wesent-
lich stärkerer Reizung, um überhaupt eine Wirkung zu zeigen.
Schließlich erweisen sich auch noch einige weitere Leguminosen,
so besonders Amicia Zygomeris und in geringerem Maße z. B.
Sensitive Pflanzen. 229
Robinia Pseudacacia u. a. als durch Stoß reizbar (Fitting 1907b,
Brunn 1908a).
Von allen diesen aber steht nur Biophytum den Mimosen an
Empfindlichkeit nicht wesentlich nach. Diese Pflanze ist es wohl,
von der Theophrast als erster erwähnt, daß sie ihre gefiederten Blätter
bei Berührungen, wie welk zusammengeklappt, sinken lasse, sich
dann aber wieder erhole. Gleichfalls sie ist es, deren Verhalten von
allen Sensitiven zuerst ausführlicher beschrieben wurde und zwar
von Christobal Acosta 1578, während von F. Lopez de Gomara
Mimosa schon früher erwähnt worden war (Brunn 1908b).
Biophytum hat einfach gefiederte Blätter, die Blättchen legen
sich nach einer Reizung nicht wie bei Mimosa nach oben, sondern
nach unten zusammen, wobei wieder die Gelenke der Blättchen die
aktiven Teile sind. Der Hauptblattstiel aber ist starr.
Noch in einer Beziehung verhält sich Biophytum anders als
Mimosa.. Während nämlich bei letzterer nach Pfeffers Unter-
suchungen unter normalen Umständen jeder Reizanstoß, falls er über-
haupt wirksam ist, den maximalen Effekt auslöst, ist das bei der
ÖOxalidee nicht der Fall. Auf Erschütterung oder Verwundung hin
wird von den Blättchen ein gewisser Winkel nach unten zurück-
gelegt, worauf wieder eine Erhebung stattfindet, der ein neuer Impuls
in der ersten Richtung folgt. War der Reiz schwach, so ist die
zweite Bewegung, sowie die weiteren rhythmisch folgenden schwächer
als die erste, war er aber stark, so sind die jeweiligen Senkbewegungen
für eine gewisse Zeit stärker als die vorangegangenen Hebungen, und
es findet eine fortschreitende Vergrößerung des Ausschlages statt bis
zum Maximum, in dem die Fiederblättchen sich mit den Unterseiten
zusammenlegen (Haberlandt nach Fitting 1907b). Um das zu er-
reichen, bedarf es allerdings schon einer tiefgreifenden Verwundung,
zZ. B. Durchschneiden des Mittelnervs.
Die Reizbarkeit für mechanische Eingriffe ist, wie wir gesehen haben,
nicht auf die besonders empfindlichen Gewächse beschränkt, sondern
zeigt sich in verschiedenem Grade bei den verschiedensten Gelenk-
pflanzen. Bei allen diesen gehört freilich ein starkes und wiederholtes
Stoßen oder Schütteln dazu, eine Reizbewegung auszulösen. Immerhin
ist es von Interesse zu sehen, daß die besonders reizbaren Pflanzen
nicht ganz für sich stehen, sondern nur die Steigerung einer auch
sonst vorhandenen Fähigkeit aufweisen. Der Nutzen dieser Reiz-
barkeit für die Pflanze kann in diesen Fällen vielleicht darin liegen,
daß bei Wind und Regen durch die Erschütterungen eine Bewegung
ausgelöst wird, die die Blättchen in eine mehr der senkrechten Stellung
und einander genäherte, also weniger gefährdete Lage bringt.
Ökologisch betrachtet läge dann eine Einrichtung vor, welche die
auf Beschattung oder Abkühlung hin eintretenden äußerlich ähnlichen
Schutzbewegungen!) in ihrer Wirkung zu unterstützen bestimmt ist.
!) Vgl. das Kapitel über die Schlafbewegungen, S. 135 ff.
230 VI. Die Folgen mechanischer Reizung.
Alle drei Anlässe, Sinken der Temperatur, Verminderung der Hellig-
keit und mechanische Erschütterung treffen z. B. bei Gewittern
zusammen.
d) Reizbare Blütenteile.
Wir kommen nun zu den reizbaren Blütenteilen. Unter ihnen
gibt es solche, deren Bewegungen in ihrer Schnelligkeit nicht hinter
denen der Mimose zurückbleiben, und die sich gleichzeitig leicht im
Freien beobachten lassen. Wären sie nicht durch ihre Kleinheit
weniger auffällig, so hätte der Anstoß, der der Forschung durch das
Bekanntwerden der Mimose zu-
teil wurde, sicherlich nicht so
lange auf sich warten lassen
(vgl. S. 5).
Unter den einheimischen
Pflanzen führen besonders die
Staubfäden der Cynareen, einer
Unterfamilie der Compositen,
und die von Berberis schnelle
Bewegungen auf einen Stoßreiz
hin aus.
Zu der ersten Gruppe ge-
hören von bekannten und
häufigen Pflanzen die Korn-
blume (Centaurea Cyanus) und
die Flockenblumen (andere Cen-
taureaarten, z.B. C.Jacea usw.).
Über sie sind wir gut unter-
richtet, weil Pfeffer (1873a)
die Aufklärung ihrer Reaktions-
weise gleichzeitig mit der von
urn Mimosa unternommenhat. Auch
mittleren Blüten sicht man die herausragenien Sind sie seitdem noch der Ge-
Staubbeutelröhren, an den älteren auch den Griffel. genstand mannigfacher Unter-
suchungen geworden.
Die in einem Körbchen vereinigten Blüten von Centaurea be-
sitzen eine geschlossene Kornröhre, die bei den hier allein in Be-
tracht kommenden inneren Blüten bauchig erweitert ist (vgl. Abb. 80a).
Die fünf Staubblätter sind der Röhre eingefügt. Die Staubfäden
sind frei, die Beutel aber zu einer Röhre verwachsen, die den Griffel
umschließt. Berührt man die Staubblätter einer eben geöffneten
Blüte, so sieht man die Staubbeutelröhre sich nach dem Grunde der
Blüte zu bewegen. Dadurch wird die Spitze des Griffels freigelegt,
und gleichzeitig quillt etwas Pollen oben aus der Röhre heraus. Nach
einiger Zeit gewinnen die Teile ihre alte Lage zueinander zurück.
Auf eine neue Berührung erfolgt dann das alte Spiel.
Untersucht man die Einrichtung der Blüte etwas genauer, in-
Abb. 79.
Reizbare Blütenteile. Dal
dem man ihre Teile vorsichtig abpräpariert, so findet man, daß die
‘Staubbeutel sich nach innen Öffnen, und daß der eingeschlossene
Griffel mit Haaren besetzt ist, die bei Verschiebung der Röhre den
Blütenstaub herausbürsten. Die Bewegung kommt durch Verkürzung
der Staubfäden zustande. Diese also stellt die eigentliche Reizreaktion
r
b Abb. 80. a
Blüten aus einem Körbchen von Centaurea. a mit der
Blumenkrone, aus der die noch geschlossene Staubbeutelröhre
hervorsieht ; b Blumenkrone entfernt. Man sieht die weißen,
behaarten Staubfäden, die sich auf einen Reiz hin verkürzen,
die Röhre herunterziehen und dadurch den oben sichtbaren,
behaarten, mit Blütenstaub bedeckten Griffel freilegen.
dar. Deutlich sieht man das an Blüten, deren Kronröhre bis auf
die Ansatzstelle der Staubfäden entfernt ist (Abb. SOb). Läßt man
das Präparat einige Zeit in Ruhe und reizt dann durch sanfte Be-
rührung eines Staubfadens, so sieht man erst diesen und gleich
(darauf die anderen sich verkürzen und dadurch die Staubbeutelröhre
herunterziehen.
Allerdings findet die Bewegung in einer solchen Blüte ohne Kron-
röhre etwas anders statt, als unter normalen Umständen. Die Staub-
232 VI. Die Folgen mechanischer Reizung.
fäden sind vor der ersten Reizung gerade, später in ihrer Mitte ein
wenig nach außen gebogen, so daß sie zusammen ein zierliches
Körbchen bilden. In der intakten Blüte stützen sich die gekrümmten
Fäden außen gegen die Kronröhre. Ist diese entfernt, so verstärkt
sich die Krümmung. Die bei einer Reizung auftretende Verkürzung
muß deshalb erst einen Teil der Ausbiegung rückgängig machen, ehe
ein Zug auf die Staubbeutelröhre ausgeübt werden kann. Die Ver-
schiebung ist also weniger ausgiebig als unter normalen Umständen.
Der Bewegungsvorgang ist aber doch an einem solchen Präparate
zu erkennen.
Der Nutzen, den die geschilderte Einrichtung der Pflanze bringst,
ist leicht zu ersehen. Der Pollen wird erst durch das Insekt, das
ihn weitertragen soll, aus seinem geschützten Versteck herausbefördert
und immer nur in kleinen Mengen entleert.
Die Auslösung der Reaktion kommt nur durch Berührung der
reizbaren Staubfäden selbst zustande, die das Insekt mit dem Rüssel
streifen muß, wenn es zu dem im Grunde der Röhre abgeschiedenen
Honigsaft gelangen will.
Die Reizung erfolgt durch Reibung und wird erleichtert durch
besondere papillenartige Gebilde, die den Staubfaden bedecken (Haber-
landt 1909a). Diese werden durch leichte Berührung gebogen, wo-
durch mechanische Zerrung und Druck im Protoplasma entstehen.
Ein leichter Streifen der Papillen mit einer Borste genügt zur Aus-
lösung der Reaktion. Der Staubfaden selbst braucht dabei nicht
berührt zu werden.
Wenn die Bewegung, die an dem gereizten Staubfaden beginnt,
sich auf die anderen fortpflanzt, so liegt das daran, daß diese durch
die Verkürzung des erstens Fadens ihrerseits gereizt werden. Die
Übertragung der Bewegung geschieht also rein mechanisch. Eine
Leitung der Erregung von einem Staubblatt auf das andere oder
etwa von der Röhre her findet nicht statt. Dadurch, daß die Ver-
kürzung auf der gereizten Seite beginnt, sieht man die Staubbeutel-
röhre sich erst nach dieser Richtung hin neigen und dann erst die
Bewegung nach der Basis zu ausführen.
Gewöhnlich erfolgt die Reaktion auf einen Reiz hin sogleich
mit vollem Ausschlag, wofern überhaupt die Reizschwelle überschritten
wird. Unter ungünstigen Umständen kann aber (genau wie bei
Mimosa) die Bewegung zunächst zum Teil und erst auf einen zweiten
oder dritten Anstoß hin die völlige Kontraktion ausgeführt werden
(Brunn 1908a).
Was die Mechanik der Bewegung anbelangt, so stellt sie eine
Verkürzung des Staubfadens dar, die bei Centaurea Jacea 10 bis
30°/, der Gesamtlänge beträgt, also sehr beträchtlich werden kann
(Pfeffer 1873a). Die Verkürzung des ganzen Fadens beruht auf einer
Kontraktion jeder einzelnen langgestreckten Zelle des bewegungs-
tätigen Gewebes. Wie Pfeffer gezeigt hat, sind die Zellwände in der
Längsrichtung außerordentlich dehnbar und durch den osmotischen
Reizbare Blütenteile. 233
Innendruck gespannt. Auf mechanische Reizung läßt dieser Innen-
druck nach, die Zelle verliert plötzlich die Fähigkeit, das Wasser
festzuhalten, und dieses tritt nun durch die Zellulosemembran in die
vorher lufterfüllten, weithin miteinander verbundenen Zwischenzell-
räume. Da es sich in diesen frei fortbewegen kann, übt es keinen
Druck mehr aus, und die Zellen, mit ihnen der ganze Faden, ver-
kürzt sich, der Kontraktion der elastisch gedehnten Zeltwände ent-
sprechend. Nach einiger Zeit wird das Wasser wieder in die Zellen
aufgenommen, der Faden gewinnt seine alte Spannung wieder und
ist von neuem reizbar. Wodurch hier wie bei Mimosa auf einen Reiz
hin der osmotische Druck in den Zellen so außerordentlich sinkt,
wissen wir noch nicht. Es könnte die Ausstoßung des Zellsaftes
z. B. auf einer größeren Durchlässigkeit der Plasmamembranen oder
wahrscheinlicher auf der Beseitigung der osmotisch wirksamen Stoffe
beruhen. Jedenfalls werden die elastischen Eigenschaften der Zell-
wände durch die Reizung nicht verändert. Durch Bestimmung des
Gewichtes, das zu ihrer Dehnung nötig ist, vor wie nach einer
Reizung, konnte Pfeffer das einwandfrei beweisen.
Wir haben die Bewegungen der Cynareenstaubfäden eingehend
besprochen, weil über sie die genauesten Untersuchungen vorliegen.
Bewegungen auf Stoßreiz sind aber garnicht selten unter den Blüten-
teilen. Während jedoch bei den Cynareen (und wenigen anderen
Kompositen) die Bewegung der Hauptsache nach auf eine gleich-
mäßige Verkürzung des gereizten Organes hinausläuft, finden in allen
anderen Fällen durch ungleiche Kontraktion Krümmungen statt. Die
Bewegungsebene ist dabei meist durch den Bau der betreffenden
Teile bestimmt und ein für alle Mal festgelegt. In einigen Fällen
aber, so bei den Staubfäden von Cacteen (Opuntia und Cereus) macht
sich bei der Krümmungsrichtung doch auch der Ort der Reizung
bemerkbar, indem die resultierende Bewegung aus zwei Komponenten
zusammengesetzt ist, von denen die eine durch den Bau des Organes
bestimmt, die andere nach der gereizten Flanke hin gerichtet ist.
Am besten bekannt ist unter den noch zu besprechenden reiz-
baren Blütenteilen der Bewegungsvorgang der Staubfäden von Ber-
beris (Sauerdorn) (Pfeffer 1873a und 1885. Literatur auch bei Fitting
1907b und Haberlandt 1909a). Die fünf Staubgefäße liegen in der
Ruhestellung den fünf schüsselförmigen Kronblättern an. Werden
sie an ihrer Basis auf der Innenseite berührt, so krümmen sie sich
sehr schnell nach dem Griffel hin. Die Außenseite der Staubfäden ist
nicht empfindlich. Reizleitung über das Organ hinaus findet nicht
statt. Jede Berührung hat die plötzliche Auslösung der ganzen Be-
wegung zur Folge. Der Rückgang in die alte Stellung findet be-
trächtlich langsamer statt, als die Reizreaktion.
Die Bewegungsmechanik entspricht nach Pfeffer der von Mimosa
und den Cynareen. Die Krümmung kommt also dadurch zustande,
daß auf den Reiz hin die Zellen der Innenseite plötzlich ihren
Turgor verlieren und Wasser auspressen. Da Lufträume zwischen den
234 VI. Die Folgen mechanischer Reizung.
Zellen fehlen, tritt das abgegebene Wasser an durchschnittenen Staub-
fäden als Tropfen aus der Schnittfläche.
Wie Haberlandt gezeigt hat, ist die reizbare Innenfläche der
Staubfäden mit Hervorwölbungen bedeckt, die geeignet erscheinen,
die Reizwirkung durch Zusammendrücken des Plasmas zu erhöhen. Die
Papillen sind nicht so groß, wie die oben erwähnten von Centaurea. Ihr
Vorkommen bei den meisten reizbaren Blütenteilen spricht aber für die
angedeutete Funktion von ‚Stimulatoren“. Ein Insekt, das die Blüte
besucht, wird bei dem Bemühen, den im Grunde der Kronblätter ab-
geschiedenen Honig zu erlangen, an die reizbaren Staubfäden stoßen.
Darauf schnellt das Staubblatt nach der Mitte zu und klebt den
Pollen dem Insekt auf den Leib. Beim Besuch der nächsten Blüte
wird er dann an der Narbe abgestreift.
Staubfäden mit Stoßreizbarkeit finden sich außer bei den erwähn-
ten Berberideen und Cacteen noch bei Helianthemum (Sonnenröschen)
und Verwandten, bei Sparmannia (Zimmerlinde), Abutilon, Portulaca
u. a. Ähnliche Krümmungen führen auch manche Griffel aus. Von
den Teilen der Fruchtblätter sind es aber besonders die Narben, die
öfters reizbar sind, so bei Mimulus (Gauklerblume) Martynia, Gold-
fussia, Bignonia u. a. (Literatur Pfeffer 1904 S. 458).
Die Narbe von Mimulus z. B. besteht aus zwei Zipfeln, die im
ausgebildeten Zustande auseinanderklaffen. Auf Berührung klappen sie
zusammen. Dabei bleibt bei Mimulus lutea die Bewegung auf den direkt
gereizten Lappen beschränkt, während sie sich bei M. cardinalis u. a.
auf den zweiten Zipfel überträgt. Der Zusammenschluß der beiden
für die Pollenaufnahme eingerichteten Flächen wird offenbar die Be-
stäubung mit dem eigenen Blütenstaub zu verhindern geeignet sein.
Da das Insekt beim Aufsuchen des Nectars zunächst den mitgebrachten
Pollen an der Narbe abstreift, und sich hierauf die Narbenlappen an-
einanderschließen, so wird beim Zurückziehen des Kopfes die nun
mit frischem Blütenstaub bepuderte Körperstelle nicht mit der Narben-
innenfläche in Berührung kommen können.
Reizbare Blütenteile kommen ferner noch bei einigen Orchideen
vor, so bei Catasetum, Pterostylis, Masdevallia (Literatur bei Pfeffer
1904 und Haberlandt 1909a). Dem die Blüte besuchenden Insekt stellt
sich hier ein reizbares, zartes Anhangsgebilde des untersten Blüten-
hüllblattes, der Lippe, entgegen. Wird dieses berührt, dann klappt die
Lippe zu und schließt die Blüte hinter dem Eindringling fast ganz.
Nur ein schmaler Ausgang bleibt. In diesem sind die Pollenmassen
gelagert, die sich dem herauskriechenden Insekt an den Leib heften.
Bei den reizbaren Unterlippen der Orchideenblüten findet eine
ausgesprochene Leitung der Erregung statt. Der Ort der Perzeption
ist von dem der Reaktion durchaus getrennt. Es ist dies einer von
den wenigen Fällen, in denen die bewegungstätige Zone nicht selbst
reizbar ist. Nach Oliver (1887/88) kommt die Bewegung durch Turgor-
verminderung zustande. Genau ist dieser interessante Fall noch nicht
untersucht.
Insektivoren. 235
Schließlich wäre hier einer Beobachtung von Tschermak (1904)
zu gedenken, nach der bei manchen Grasblüten durch Erschütterung
das Aufblühen wesentlich beschleunigt wird. Schüttelt man z. B. eine
kurz vor dem Öffnen befindliche Ähre vom Roggen ein wenig, so
schwellen gewisse am Grunde der Spelzen befindliche Körperchen und
bewirken deren Auseinanderspreizen. Gleichzeitig verlängern sich die
Staubfäden sehr schnell und lassen die sich öffnenden Staubbeutel heraus-
hängen. Durch diese Einrichtung wird erreicht, daß der die Ver-
breitung des Blütenstaubes übernehmende Wind gleichzeitig durch
die bewirkten Erschütterungen das Aufblühen hervorruft. Es wird
so ein Abwarten günstiger Umstände für die Pollenentleerung möglich.
Übrigens wird wohl auch die austrocknende Wirkung eines warmen
Windes das Aufblühen beschleunigen.
e) Insektivoren.
Unter den Pflanzen, die Insekten fangen und verdauen, den Insekti-
voren, sind vier Gattungen, denen eine eigene Bewegungsfähigkeit
und damit verbunden eine besondere Reizbarkeit für mechanische und
chemische!) Einflüsse zukommt. Es sind dies die Arten von Pingui-
eula, Drosera, Dionaea und Aldrovanda.
Bei den ersten beiden spielt die Bewegung beim Fange der
Beute kaum eine Rolle, da sie zu langsam von statten geht. Sie
wird durch Wachstum vermittelt und ist mit einer Reizbarkeit
verbunden, die der der Ranken entspricht. Dionaea und Aldrovanda
dagegen besitzen Blätter, die wie ein Tellereisen plötzlich zusammen-
klappen und das Insekt festhalten. Ihre Reizbarkeit und wahr-
scheinlich auch die Bewegungsmechanik entspricht der von Mimosa.
Pinguicula, das Fettkraut, mit seinen zwei einheimischen und
einer großen Zahl ausländischer Arten, gehört der Familie der Lenti-
bulariaceen an, deren Mitglieder vielfach Insekten fangen, aber meist
keine besonderen Bewegungen dabei ausführen. Den deutschen wie
den lateinischen Namen verdankt die Pflanze dem fettigglänzenden
Aussehen ihrer gelblichen Blätter. Diese sind zungenförmig, in der
Mittelrippe rinnig gebogen und rosettenartig angeordnet (Abb. 81).
Wie die meisten insektenfangenden Pflanzen liebt Pinguicula nasse
Standorte.
Das Bewegungsvermögen ist hier nicht sehr ausgebildet. Setzt
sich ein kleines Insekt auf die klebrige Blattfläche, so bleibt es hängen.
Durch langsames Einrollen der Blattränder wird das Opfer nach der
Mitte zu verschoben. Dabei kommt es mit einem immer größeren
Teile der Drüsen, an denen das Blatt reich ist, in Berührung, es
wird in Schleimmassen erstickt und schließlich verdaut.
!) Die chemische Reizbarkeit der Insektivoren soll hier mit besprochen
werden, obgleich sie unserer Disposition nach erst in das nächste Kapitel ge-
hörte. Wollte man sich allzu streng an die gewählte Einteilung halten, so müßte
man zusammengehörige Dinge auseinanderreißen.
236 VI. Die Folgen mechanischer Reizung.
Charles Darwin ([1865]) 1899) hat durch Versuche festzustellen
gesucht, welches der eigentliche Reizanlaß ist. Nach ihm wirken
hauptsächlich chemische Reize und unter ihnen besonders stickstoff-
haltige Substanzen, die in gelöster Form angewendet wurden, um
mechanische Reizung zu vermeiden. Es läge demnach eine Chemo-
nastie vor. Doch sind auch mechanische Reize wirksam. Denn
auf die Blattfläche gebrachte unlösliche Körper, wie Glassplitter,
bewirken gleichfalls eine Einrollung der Blattfläche. Nur findet
beim Mangel chemischer Reizung
ein schnelleres Zurückgehen statt.
>)
>
; Die übrigen Insektivoren mit
Bewegungsvermögen gehören alle
zu der Tierfängerfamilie der Dro-
seraceen.
Drosera (Sonnentau) hat 90
Arten, darunter 3 einheimische,
nämlich die in Torfmooren häufige
rundblättrige Drosera rotundifolia
I und die selteneren lJangblättrigen
D. anglica und D. intermedia.
\ Der gewöhnliche Sonnentau besitzt
(( R 14 eine Rosette kleiner runder u
ME gestielter Blätter, die am Rande
I N mit langen Wimpern, den ‚Ten-
! > takeln“ Darwins, besetzt sind.
\ Ähnliche, aber kürzere Fortsätze
N 4 stehen auf der Fläche des Blattes,
N alle sind rot gefärbt und tragen
Abb. 81. am Ende ein gleichfalls rotes
Pinguicula vulgaris verkleinert. Köpfchen, das eine kleine Menge
klaren, klebrigen Sekretes abson-
dert. Von diesen tauartigen Tropfen, die auch in voller Sonne nicht
verdunsten, hat die Pflanze ihren deutschen Namen (Abb. 82).
Setzt sich ein nicht zu großes Insekt auf ein fangbereites Blatt,
so bleibt es, ähnlich wie bei Pinguicula, an dem fliegenleimartig
wirkenden Sekret hängen. Hierauf erfolgt nun eine Einkrüm-
mung der Tentakeln, welche in ihrem Verlauf etwas verschieden
ist, je nach der Stelle des Blattes, die zuerst gereizt wurde. Hat
sich das Insekt, etwa eine kleine Mücke, auf die Mitte des Blattes
gesetzt, so bleiben die daselbst eingefügten kürzeren Drüsenträger ge-
rade, während die weiter nach außen stehenden, besonders die langen
des Randes sich im scharfen Bogen nach innen einbiegen und über
dem Insekt zasammenneigen. Dieses wird dadurch von dem klebrigen
Sekret ganz eingehüllt und definitiv am Entkommen verhindert. Es
bleibt dabei an Ort und Stelle (Abb. 83).
Anders, wenn die erste Berührung am Rande erfolgt. Dann
Insektivoren.
237
biegt sich sehr bald (schon nach
15—20 Sekunden) der oder die
zunächst gereizten Tentakeln,
aber nur diese, nach der Mitte
zu, und erst wenn dadurch das
Insekt mit den Köpfchen der
inneren kurzen Fortsätze in Be-
rührung kommt, löst es eine Be-
wegung auch der anderen rand-
ständigen Drüsenträger aus. So
wird in diesem Falle durch die
schnelle Einkrümmung der zu-
nächst berührten Tentakeln das
Insekt auf die Blattfläche, also
die für die Verdauung geeignetere
Stelle gebracht, worauf das
Weitere ganz so vor sich geht,
als ob die Beute sich von vorn-
herein dort niedergelassen hätte.
Wie die Sache verlaufen würde,
wenn der erst gereizte Tentakel
an der Einkrümmung verhindert Abb. 82
würde, scheint nicht bekannt zu Pflanze von Drosera capensis, verkleinert. (Bis
auf die länglichen Blätter unserer Dr. rotundi-
sein. Man darf aber wohl an- se annheh
nehmen, daß ein vom Köpfchen
der Randtentakeln ausgehender Reiz nicht direkt nach
der Mitte
geleitet wird, sondern lokalisiert bleibt, während bei Reizung der
flächenständigen Drüsen eine Ausbreitung nach allen Seiten statt-
NEL ar ,
Abb. 83.
Blatt von Drosera capensis mit gefangenem Insekt. Über diesem
sind die Tentakeln zusammengeschlagen, während sie sonst abstehen.
Auch hat das Blatt sich etwas eingekrümmt. Vergrößert.
238 VI. Die Folgen mechanischer Reizung.
findet, so daß die nächststehenden zuerst, die entfernteren später
ihre Krümmung ausführen.
Bei intensiven Reizen beteiligen sich alle Drüsenträger an der
Reaktion. Auch die Blattfläche selbst kann sich ähnlich wie bei
Pinguicula, wölben (Abb.83). Ist der Eingriff schwächer, dann krümmen
sich — besonders bei seitlicher Lage der Reizquelle — nur die zunächst
gelegenen Tentakeln. Dabei ist nun noch etwas anderes, sehr inter-
essantes zu beachten, nämlich eine Beziehung der Bewegungsrichtung
zu der Stelle, von der der Reiz ausgeht. Die mittleren kurzen
Tentakeln bleiben, wie erwähnt, bei direkter Reizung gerade. Auf
einen zugeleiteten Impuls aber, wie er bei etwas seitlicher Lage
des Insektes auftritt, krümmen sie sich nach dieser Richtung hin.
Die Richtung ihrer Bewegung ist also nicht ein für alle Mal
festgelest, wie es bei den Randtentakeln der Fall zu sein scheint,
sondern sie steht in einer gewissen Beziehung zur Richtung des Reizes.
Wir haben daher hier nastische und tropistische Bewegung neben-
einander.
Zur Aufnahme des Reizes befähigt sind nur die Drüsenköpfchen,
nicht aber die übrigen Teile der Tentakeln, so daß diese allein
auf zugeleitete Impulse hin zu reagieren vermögen. So krümmen
sich z. B. die Randtentakeln nach einer in der Mitte des Blattes
befindlichen Beute hin, auch dann, wenn ihr allein perzeptions-
fähiges Köpfchen entfernt worden ist, ein schönes Beispiel von der
Unabhängigkeit zwischen Reizaufnahme und Erregbarkeit. Die Ar-
beitsteilung und die ineinandergreifenden Bewegungen der Teile des
Blattes, zu deren Regelung ein kompliziertes Netz von Leitungen
nötig sein muß, sind hier überhaupt so klar, wie selten bei Pflanzen,
zu beobachten.
Wir haben nämlich bei Drosera nicht nur zwischen chemischen
und mechanischen Reizanlässen, sondern auch zwischen ‚chemischen‘
und ‚mechanischen‘ Reizerfolgen zu unterscheiden. Bisher haben
wir nur die natürlichen Umstände im Auge gehabt, unter denen
alles gleichzeitig erfolgt und ineinandergreift; nämlich die Berührung
und die Bewegungen des Insektes (mechanische Reizung) mit der
Abgabe von Spuren organischer Stoffe, die sich in den ausge-
schiedenen Flüssigkeitstropfen an den Köpfchen lösen und von der
Pflanze aufgenommen als Reiz wirken (chemische Reizung); sowie
die Bewegungen der Tentakeln und der Blattfläche (Hapto- und
Chemonastie, resp. Hapto- und Chemotropismus) mit der Aus-
scheidung der Verdauungssäfte auf mechanischen oder chemischen Reiz
hin. Hinzu kommt dann noch von sich anschließenden Vorgängen
die Aufnahme der durch die gebildeten Fermente gelösten Stoffe,
sowie die Rückkehr des Blattes in den reizbaren und aufnahme-
fähigen Zustand. Auch muß bemerkt werden, daß im Innern der
Zellen des gereizten Blattes sichtbare Veränderungen vor sich gehen,
und daß das Blatt auch auf andere als die genannten, nämlich auf
Wärmereize hin seinen Bewegungsmechanismus spielen läßt.
Insektivoren. 239
Mit der Zerlegung des ganzen Geschehens in die einzelnen
Faktoren hat sich Ch. Darwin eingehend beschäftigt. Nach ihm
ist leider aber nur wenig Neues zu unseren Kenntnissen hinzuge-
kommen, obgleich sie noch große Lücken aufweisen, So wissen
wir nicht genug darüber, welche chemischen Stoffe als Reizmittel
wirksam sind. Zwar hat Darwin festgestellt, daß es vor allem stick-
stoffhaltige Körper organischer und anorganischer Natur sind. Aber
die moderne Pflanzenphysiologie verlangt genauere Angaben. In
Darwins Versuchen erwiesen sich Eiweißkörper wie die des Fleisches,
der Milch, das Casein usw. als besonders wirksam. Gern würde man
auch wissen, ob Peptone resp. Polypeptide oder auch Aminosäuren usw.
wirksam sind. Ferner fand unser Autor Ammonsalze und von diesen
besonders das Phosphat, aber auch Ammoniumcarbonat und -Nitrat
geeignet, die Reizbewegung der Droserablätter auszulösen. Von
dem ersteren genügte ein Tröpfehen Lösung, das 0,0004 mer Salz
enthielt. Auch andere Phosphate waren wirksam, sowie eine Anzahl
weiterer Substanzen, die nicht als Nahrungsstoffe angesehen werden
können. Interessant ist es, daß nach Darwin, dessen Befunde
Correns (1896) bestätigte, Kalksalze, die für Drosera [wie für die
Torfmoose, unter denen sie leben], schädlich sind, die Reizbarkeit
schon in Spuren aufheben. Ferner, daß destilliertes Wasser eine
Reizbewegung auslösen kann. Man sieht, wie viel merkwürdige Dinge
da schon bekannt sind, und kann wohl schließen, daß eine noch
intensivere Bearbeitung mehr dergleichen ans Tageslicht bringen würde.
Im allgemeinen wirken chemische Reize bei Drosera [und den
anderen bewegungsfähigen Insektivoren] intensiver und andauernder
als mechanische. Sie auseinanderzuhalten gelang Darwin durch
Verwendung von Tröpfcehen gelöster Stoffe, die keine mechanische
Reizung auslösen und von Stückchen fester Körper, wie Glas, die
keine chemischen Stoffe abgeben.
Beide Arten von Reizen bewirken sowohl Krümmung der Ten-
takeln wie auch verstärkte Sekretion. Diese Reizerfolge scheinen
bei Drosera unlösbar miteinander verknüpft zu sein, während es
Darwin bei Pinguicula gelungen ist, durch mechanischen Reiz um
die Einkrümmung, durch Tropfen von Ammoniumphosphatlösung nur
die Sekretion zu steigern.
Neben den besprochenen Erscheinungen ist noch eine bemerkens-
werte von Darwin entdeckt worden, nämlich eine Veränderung in
der Anordnung der Teile innerhalb der Zelle. Schon mit bloßem
Auge, besser mit Hilfe einer Lupe beobachtet man an den gereizten
Tentakeln ein Fleckigwerden der vorher gleichmäßig rot gefärbten
Köpfchen, das bald auf die Stiele übergeht und sogar auf andere
Tentakeln übergreifen kann, wo es dann von den Köpfchen aus be-
ginnt. Ein Zusammenfallen dieser Ausbreitungserscheinung mit den
Prozessen, die die Leitung des Bewegungsreizes übernehmen, scheint
nach Darwins Befunden nicht vorzuliegen. denn es kommt vor,
daß ein Tentakelstiel schon an der Basis gekrümmt ist, bevor die
240 VI. Die Folgen mechanischer Reizung.
innere Veränderung, die dem fleckigen Aussehen zugrunde liegt, bis
dahin vorgeschritten ist. Vielmehr scheint ein Zusammenhang dieser
Erscheinung mit den Sekretionsvorgängen vorzuliegen. Vielleicht
kann man die Sache folgendermaßen auffassen: Die Veränderungen
im Innern der Zellen, die sich äußerlich als Fleckigwerden bemerkbar
machen, bestehen in einer Verkleinerung der Vakuolen sowie Volum-
zunahme und lebhafter Strömung des Protoplasmas. Ähnliche Er-
scheinungen werden durch Einlegen von Schnitten aus den Tentakeln
in schwach basische Lösungen hervorgerufen. Bei erhöhter Sekretion
findet nun stets eine Ausscheidung von Säure statt. Diese bewirkt,
ähnlich wie beim Magensaft, eine Aktivierung der gleichzeitig abge -
schiedenen Enzyme und verhin-
dert wohl auch das Aufkommen
von Fäulnisbakterien. Durch
Abgabe von Säure könnte der
Zellsaft alkalisch werden und
dadurch dieselbenVeränderungen
bewirken, die durch Einlegen in
alkalische Lösungen zustande
kommen.
Daß die Erscheinung nichts
mit der Leitung der tropistischen
Erregung zu tun hat, ergibt sich
auch daraus, daß sie in gleicher
Weise bei insektenfangenden
Pflanzen ohne Bewegungsver-
mögen auftritt und zwar gleich-
Abb. 84. falls in Verbindung mit einer ver-
Pflanze von Dionaea museipula. Die in spitzem stärkten Sekretionstätigkeit. Fer-
Winkel auseinanderstehenden Blatthälften klap- . .
pen auf Berührung plötzlich zusammen und NeEr spricht gegen einen solchen
können Bo eiL InseEleintängen: dem durch die Zusammenhang, daß nach Dar-
ineinandergreifenden Zähne der Austritt ver- : 3
wehrt wird. Verkleinert. win in einer mittelbar gereizten
Tentakel nach Abschneiden des
Drüsenköpfehens, wodurch die Sekretion unmöglich gemacht wird,
zwar noch die Krümmung, nicht aber die Zusammenballung des
Plasmas auftritt. Schließlich fällt der Umstand für die erwähnte
Deutung ins Gewicht, daß Ammoniumcarbonat, also ein alkalisches
Salz, das Phänomen am deutlichsten hervorruft.
Die Bewegungen der nordamerikanischen Dionaea muscipula,
(der Venusfliegenfalle) und der einheimischen Aldrovanda vesiculosa
finden, wie gesagt, sehr viel schneller statt, als die von Pinguicula
und Drosera. Merkwürdig ist die Übereinstimmung im Fallenapparat
zwischen den beiden erstgenannten Pflanzen, die unter ganz ver-
schiedenen Bedingungen leben; denn Dionaea lebt auf Torfmooren
etwa wie Drosera, und Aldrovanda im Wasser. Bei beiden bestehen die
Blätter aus einem flachen, keilförmigen Basalstück (dem geflügelten Blatt-
Insektivoren. - 241
stiele) und einer zweiklappigen Blattfläche, die an den Rändern mit Zähnen
besetzt ist (Abb. 84 u. 85). Ihre beiden Teile stehen im Ruhezustande in
einem spitzen Winkel voneinander ab. Auf eine Reizung hin klappen sie
Abb. 85.
Dionaea muscipula. Blatt aufgeschnitten. Man sieht die Wöl-
bung der Innenseite. Darauf rechts Andeutungen der drei Borsten.
Außen die starren Zähne, die beim Schließen ineinander greifen.
In der Mitte das durchschnittene Bewegungsgewebe.
Etwas vergrößert.
in der Mittelrippe scharnierartig zusammen. Sowohl bei Dionaea wie
bei Aldrovanda sind ferner auf der Blattfläche Borsten eingefügt,
die sich durch eine besondere
Empfindlichkeit für Berührung aus-
zeichnen. Bei der letzteren sind
sie in größerer Zahl (über 20) vor-
handen, bei der ersteren finden
sich nur drei auf jeder Blattfläche
(Abb. 85).
Diese Borsten sind zuerst von
Darwin [(1880) 1899], dann ge-
nauer von Goebel (1889/91) und
Haberlandt (vergl. z. B. 1909a)
untersucht worden, Bei beiden
Pflanzen sind sie zum größten Teile
dickwandig und steif, besitzen aber
an einer Stelle ein mit verdünnten
Zellhäuten versehenes, biegsames
Gelenk (Abb. 86). Beim Verbiegen
der Spitze überträgt sich die Be-
wegung hauptsächlich auf das Ge-
lenk, in dem eine scharfe Knickung
entsteht. Dadurch wird an dieser
Stelle das Plasma einer weiter-
gehenden Deformation ausgesetzt
als wenn die Borste ihrer ganzen
Pringsheim, Reizbewegurgen.
\
Abb. 86.
Längsschnitt durch den unteren Teil einer
„Fühlborste‘‘ von Dionaea museipula.- g Ge-
lenk. Stark vergrößert.
(Nach Haberlandt 1909a.)
16
242 VI, Die Folgen mechanischer Reizung.
Länge nach gleich biegsam wäre!). An gut reizbaren Blättern löst
eine Beugung der ‚Fühlborsten‘‘ sofort die volle Bewegung aus.
Neben den Borsten ist aber auch die Innen- und sogar die Außen-
seite der Blattfläche, wenn auch in geringerem Maße, für Berührung
empfindlich.
Als Reizanlaß genügt die leiseste Verbiegung einer der sechs
Fühlborsten. So berührte Darwin eine von ihnen mit der Spitze
eines Härchens, das in einem Halter so weit gefaßt war, daß es
sich gerade horizontal halten konnte. Es erfolgte eine Reizung.
„Wenn wir bedenken, wie biegsam ein feines Haar ist, so können
wir uns eine Idee davon machen, wie leicht die von dem Ende
eines ein Zoli langen, langsam bewegten Stückes verursachte Be-
rührung sein muß“. Da die reizempfindlichen Borsten selbst sehr
zart sind, scheint uns der Erfolg immerhin begreiflich.
Bemerkenswert für Dar wins physiologischen Scharfsinn ist aber der
folgende Abschnitt: „Obgleich diese Filamente [die Fühlborsten] für eine
momentane und zarte Berührung so empfindlich sind, so sind sie doch
für länger anhaltenden Druck bei weitem weniger empfindlich als die
Drüsen der Drosera. Mehrere Male gelang es mir, mit Hülfe einer
mit äußerster Langsamkeit bewegten Nadel Stückchen von ziemlich
dickem menschlichem Haar auf die Spitze eines Filamentes zu legen
und diese regten keine Bewegung an, obschon sie mehr als zehn-
mal so lang waren als diejenigen, die die Tentakeln der Drosera
sich zu biegen veranlaßten. ... Auf der anderen Seite können
die Drüsen der Drosera mit einer Nadel oder irgendeinem harten
Gegenstande einmal, zweimal oder selbst dreimal mit beträchtlicher
Kraft gestoßen werden, und es folgt doch keine Bewegung. Dieser
eigentümliche Unterschied in der Natur der Empfindlichkeit der
Filamente der Dionaea und der Drüsen der Drosera steht ofienbar
in Beziehung zu den Lebensgewohnheiten der beiden Pflanzen. Wenn
ein äußers kleines Insekt sich mit seinen zarten Füßen auf den
Drüsen der Drosera niederläßt, so wird es von dem klebrigen Sekrete
gefangen und der unbedeutende, indessen verlängerte Druck gibt
die Notiz von der Anwesenheit der Beute weiter, die nun durch
das langsame Biegen der Tentakeln gesichert wird. Auf der anderen
Seite sind die empfindlichen Filamente der Dionaea nicht klebrig
und das Fangen der Insekten kann nur durch ihre Empfindlichkeit
für eine augenblickliche Berührung gesichert werden, der das schnelle
Schließen der Lappen folgt.“
Diese ganze Stelle wurde hier abgedruckt, um zu zeigen, wie
weit Darwin schon in die Besonderheiten des Empfindungsvermögens
dieser Pflanzen eingedrungen ist. Finden wir doch bei ihm, wie
man sieht, auch schon die oben dargelegte Unterscheidung von
Tast- und Stoßreizbarkeit bei den Pflanzen, die gleichzeitig von
1) Goebel (1889/91) weist darauf hin, daß das Gelenk der Borsten auch
geeignet erscheint, ein Abknicken beim Schluß der Blätter zu verhindern.
Insektivoren. 243
Pfeffer (1881) ausgesprochen, später von ihm (1885) weiter ausge-
arbeitet wurde.
Nach Darwin hängt dieser Unterschied im Empfindungsvermögen von
Drosera und Dionaea mit der Art ihres Insektenfanges zusammen. Die Blätter
von Drosera sind nur für das Festhalten kleinster Beutetiere geeignet, die an
ihren Tentakeln kleben bleiben. Die von Dionaea lassen so winzige Insekten
durch die Randzähne entschlüpfen und fangen dafür etwas größere Tiere, für
die eine derartige Leimruteneinrichtung nicht genügen würde. Nur durch
schnelles Zupacken kann hier der Erfolg gesichert werden.
Wie bei Drosera, so wirken auch bei Dionaea sowohl mechanische
wie chemische Reize auf die Bewegung ein. Berührung der Blatt-
fläche und besonders der Borsten bewirkt raschen Schluß des Blattes.
Kommt aber keine chemische Reizung hinzu, so öffnet sich das
Blatt schon nach wenigen Stunden wieder. Chemische Reize ohne
mechanische, also etwa durch einen Tropfen einer organischen Ab-
kochung, bewirken langsamen Schluß, der aber anhaltender ist.
Auch sind sie selbst unter ungünstigen Umständen, also bei schwacher
Reizbarkeit des Blattes wirksam, wenn kein Effekt der Berührung
mehr zu beobachten ist. Unter natürlichen Umständen wirken beiderlei
Reize zusammen.
Die Bewegung der Blatthälften führt zunächst zu einem Anein-
anderdrücken der Ränder, wobei die Zähne sich kreuzen wie die
Finger der gefalteten Hände. Der Druck ist so beträchtlich, daß
das Blatt nicht ohne Verletzung geöffnet werden kann. Wird eine
Blatthälfte entfernt, so geht die andere weit über die sonst erreichte
Schließlage hinaus. Die Lappen klappen gleichzeitig zusammen, auch
wenn der Reiz einseitig erfolgt. Die Erregung kann um einen Ein-
schnitt herumgeleitet werden, der sich zwischen der berührten Borste
und dem Bewegungsgelenke befindet. Sie dürfte sich daher diffus im
ganzen Blatte ausbreiten.
Die chemischen Reize wirken lokal. Dasjenige Ende beginnt
sich zu schließen, an dem der Reizstoff appliziert worden ist. Es
wirken aber nur Flüssigkeiten, da die Blattfläche völlig trocken ist.
Ein gefangenes Insekt wird zwischen den Blatthälften gequetscht,
so daß Tropfen von Flüssigkeit austreten, die dann die chemische
Reizung bewirken. Es nähern sich nämlich nicht nur die Blattränder,
sondern es folgt auf deren Berühruug noch eine Abflachung der ge-
wölbten Flächen, zwischen denen das Insekt liegt, so daß ein Druck
auf dieses ausgeübt wird. Über den Mechanismus der Bewegung ist
noch keine Klarheit erzielt. Vielleicht wirken Turgor- und Wachs-
tumsbewegung zusammen.
Die Sekretion des Verdauungssaftes erfolgt nur auf chemische Reize hin
und nur von den direkt gereizten Drüsen. Durch das Andrücken der Blatt-
fläche kommen aber große Flächen des mit Absonderungsorganen besetzten
Blattes mit dem Opfer in Berührung. Auch verbreitet sich der reichlich
auftretende Saft auf der Fläche und bewirkt so die Reizung aller Drüsen.
Oft wird so viel Verdauungsflüssigkeit abgeschieden, daß sie zwischen den
Blattflächen heraustropft. Schließlich aber wird alles wieder aufgesogen. Wenn
16*
244 VI. Die Folgen mechanischer Reizung.
sich das Blatt öffnet, findet sich nur noch der Chitinpanzer des Insektes auf
der trockenen Fläche.
Über gefangenen Insekten bleiben die Dionaeablätter acht Tage
und länger geschlossen. Daher ist es begreiflich, daß ganz kleine
Tiere als nicht lohnend genug herausgelassen werden, so daß das
Blatt nach Ausgleich der mechanischen Reizung sich bald wieder
öffnet und fangbereit wird. Mehr als zwei bis drei Insekten vermag
ein Blatt nicht zu verdauen. Da wir aber nicht wissen, auf was
für Stoffe es abgesehen ist, so kann das schon eine beträchtliche
Leistung sein, die vielleicht für die Pflanze von großer Bedeutung
ist. Genaueres ist darüber nicht bekannt.
Bei Aldrovanda liegen die Dinge, soweit untersucht, ganz ent-
sprechend. Wegen der Kleinheit der Blätter und der untergetauchten
Lebensweise ist aber nicht viel darüber bekannt geworden.
Blicken wir auf die verschiedenen mechanischen Reize zurück,
die im Pflanzenreich vorkommen, so können wir sie alle in zwei
Gruppen einteilen, die in den Abschnitten über Ranken und über
Mimosa definiert wurden. Berührungsreizbarkeit findet sich außer
bei den Ranken noch bei Drosera, Pinguicula, Cuscuta, Pilzen und
Algen, Stoßreizbarkeit bei den Sensitiven, bei Blütenteilen sowie bei
Dionaea und Aldrovanda. Allgemein scheint die Reaktion auf Be-
rührung in veränderten Wachstumsvorgängen, die auf Stoß in Turgor-
bewegungen zu bestehen. Der ökologische Nutzen ist sehr mannigfaltig
und meist leicht einzusehen.
In die obigen Gruppen lassen sich auch die wenigen Beobach-
tungen über Berührungsreizbarkeit bei niederen Organismen einordnen.
Es wäre nur zu erwähnen, daß die Sporangienträger von
Phycomyces etwas kontaktreizbar sind, ferner, daß Pfeffer bei der
freischwimmenden Volvocacee Chlamydomonas eine Reizbewegung auf
Berührung, sowie einen vorübergehenden Stillstand der Wimper-
schwingungen fand. Genaueres ist über diese letztere Art der
Sensibilität, die sich auch bei Infusorien und vielleicht bei Bakterien
findet, nicht bekannt.
f) Reizwirkungen mechanischer Verletzung.
Es ist die Frage, ob die auf tiefere mechanische Verletzungen
hin an der Pflanze auftretenden Veränderungen ihren Ursprung in
einer Art Tastsinn haben, der etwa mit der Sensibilität der Ranken
zu vergleichen wäre. Man könnte auch annehmen, daß die Verwun-
dung eine besondere, etwa unseren Schmerzempfindungen entsprechende
teizung bewirkt, oder daß sie chemische Veränderungen zur Folge
hat, die dann erst ihrerseits weitere Vorgänge veranlassen. Darüber
läßt sich vorläufig keine Auskunft geben.
Doch muß man jedenfalls bei mechanischen Eingriffen von vorn-
herein die Zerstörung von Zellen von der Trennung des Zusammen-
Reizwirkungen mechanischer Verletzung. 245
hanges der Gewebe unterscheiden. Beide können einzeln Reizwir-
kungen ausüben. So wird nach Rothert (1896) die Aufnahmefähigkeit
der Graskeimscheide für geotropische und phototropische Reize durch
Abschneiden der Spitze für einige Zeit völlig vernichtet, nicht aber
durch bloße Verwundungen unter Erhaltung des Zusammenhanges
der Teile, selbst wenn diese sehr viel schwererer Natur sind. Auch
ist es nicht die Entfernung des Perzeptionsorganes, die die Reizbarkeit
aufhebt. Denn Verdunkelung desselben Spitzenteiles hat keine Auf-
hebung, sondern nur eine Verminderung der Wirkung zur Folge.
Hier hat also die Abtrennung an sich eine bestimmte Reizwirkung,
wenn auch nur eine hemmende. Es ist dabei die Störung der Wechsel-
beziehungen der Teile, die hier wie in anderen Fällen für den Erfolg
maßgebend ist. Ähnliches liegt etwa bei den Mohnknospen vor,
für deren Nicken der Zusammenhang zwischen Stiel und Samen-
knospen gewahrt sein muß (vgl. S. 83).
Hemmungen sind es meist, die durch Verwundung bewirkt wer-
den. Besonders empfindlich sind Wurzeln. Durch Entfernung ihrer
Spitze wird das Reaktionsvermögen für andere Reize dauernd oder
doch für längere Zeit aufgehoben und das Längenwachstum vermindert.
Die Störungen können selbst eine größere Strecke weit fortgeleitet
werden, so etwa von der Spitze der Keimwurzel nach dem jungen
Sproß (Literatur bei Fitting 1907b). Vorübergehend können auch Be-
schleunigungen des Wachstums auftreten, unter gleichzeitiger Ver-
stärkung der Atmungstätigkeit. Bei den zuletzt erwähnten Vorgängen
ist eine völlige Abtrennung eines Teiles nicht erforderlich. Es ge-
nügt die Zerstörung einer gewissen Anzahl von Zellen. Von den
unmittelbaren Folgen einer Verwundung verschieden, aber zeitlich
unmittelbar auf sie folgend, sehen wir dann Vorgänge einsetzen, die
auf Beseitigung des Schadens hinarbeiten.
Die einzelne verletzte Zelle kann unter günstigen Umständen
ihre zerrissene Zellulosehaut wieder ergänzen. Gelingt ihr das
nicht, so muß sie zugrunde gehen. Besonders notwendig wird die
Heilung bei den Schlauchalgen (Siphoneen) und den Algenpilzen
(Mucorineen und Saprolegniaceen), deren ganzen Körper ein einziger
plasmaerfüllter Hohlraum durchzieht. Denn wenn der Schaden
nicht ausgebessert würde, so müßte der gesamte lebende Inhalt aus-
fließen oder absterben. Hier wird durch erstarrende Innenbestand-
teile ein vorläufiger Wundverschluß gebildet, der später durch Membran-
wachstum wirksamer gemacht wird, ähnlich wie bei uns das gerinnende
Blut eine Verletzung vorläufig verklebt, bevor die eigentliche Ver-
narbung beginnt. Derselbe Vorgang spielt sich auch bei den „Milch-
röhren“ der milchsafthaltigen Pflanzen, z. B. der Wolfsmilch- und Mohn-
arten, ab, die gleichfalls weithin in Verbindung stehende Schläuche
darstellen. Doch sind solche Zellwandheilungen in Wasser oder doch
in feuchter Luft im allgemeinen leichter zu erzielen als im Trockenen.
Mit der Einleitung der Heilung noch zu erhaltender Zellen ist
aber in der Regel die Wunde nicht beseitigt und der Verlust nicht
246 VI, Die Folgen mechanischer Reizung.
ersetzt. Es muß vielmehr eine Neubildung von Gewebeelementen
eintreten, die zur Ausfüllung der Lücke oder zum Aufbau verloren
gegangener Teile verwendet werden. Diesen Wachstumsvorgängen
gehen noch andere Veränderungen in dem verwundeten Teile voraus,
von denen wir die Atmungssteigerung schon genannt haben.
Außer ihr finden vielfach Umlagerungen der Zellbestandteile in
den an die Verletzungsstelle stoßenden gesunden Zellen statt. Das
Plasma häuft sich auf der Wundseite an und führt den Zellkern mit
sich (Tangl 1884, Miehe 1901). In Blattzellen können auch die
Chlorophylikörper eine veränderte Lagerung einnehmen (Literatur
und eigene Untersuchungen bei Senn 1908).
Ferner wird durch Verletzung vielfach die Plasmaströmung be-
einflußt, und zwar wird das sonst ruhende oder ganz langsam strö-
mende Protoplasma zunächst in der Nähe der Wunde in lebhafte
Bewegung gesetzt. Diese Reaktion greift dann weiter und weiter
um sich und kann bei stärkeren Eingriffen schließlich die ganze Pflanze
umfassen (Hauptfleisch 1892, Ewart 1903, Kretzschmar 1904).
Die Erscheinung wurde an Wasserpflanzen, wie Vallisneria, Elodea u. a.
entdeckt und verfolgt. Doch dürfte sie auch bei vielen anderen Ge-
wächsen in ähnlicher Weise auftreten. Da unverletzte Pflanzenteile
fast nie mikroskopisch untersucht werden können, ist es schwer zu
entscheiden, ob die einige Zeit nach der Präparation einsetzende leb-
hafte Plasmaströmung durch die Verwundung zeitweilig gehemmt war
oder durch sie erst hervorgerufen worden ist. Für Vallisneria und
Elodea ist das letztere durch Keller (1890) und Hauptfleisch (1892)
sichergestellt. Nach einiger Zeit, deren Länge von der Schwere der
Verletzung abhängt, hört die Strömung wieder auf.
Was ihre Bedeutung anbelangt, so liegt diese vielleicht in der
besseren Durchmischung der Stoffe, die den sonst auf die langsame
Diffusion angewiesenen Transport beschleunigen könnte. Die einer Ver-
wundung folgende lebhafte Atem- und Bautätigkeit könnte eine solche
Einrichtung als zweckmäßig erscheinen lassen. Denn offenbar muß
als Reizwirkung der Verwundung auch ein reichliches Zuströmen von
Baustoffen stattfinden, die dann zum Ersatz verloren gegangener
Gewebeteile benützt werden.
Die zuletzt besprochenen Veränderungen beobachtet man an
verletzten Pflanzenteilen schon kurze Zeit nach dem Eingriff. Ihnen
folgen dann die ersten Anfänge der eigentlichen Heilung, falls eine
solche möglich ist. Sie geschieht durch Zellvermehrung, die in wenig
differenzierten und in jungen Geweben leichter einsetzen kann als in
einseitig spezialisierten.
Sind alle Zellen noch teilungsfähig, so kann zuweilen an der Ampu-
tationsstelle durch einfaches Auswachsen ein dem fortgenommenen genau
entsprechender neuer Teil entstehen. Man spricht dann von echter
Regeneration, wie sie z B. an Wurzelspitzen erfolgt. (Literatur
z. B. bei Küster 1903, S. 9 und Goebel 1908, S. 211ff.). Besitzt der
Pfilanzenteil aber neben teilungsfähigen auch solche Gewebe, die ihr
Reizwirkungen mechanischer Verletzung. 247
Wachstum abgeschlossen haben, wie das z. B. bei den verholzten
Sprossen der Fall ist, so ist eine direkte Ergänzung des Verlorenen
nicht möglich. Wir sehen dann meist eine von den noch wachstums-
fähigen Zellen ausgehende Gewebewucherung, einen „Callus‘‘ entstehen,
zu dessen Aufbau bei Stamm- und Stengelstücken das jugendlich
gebliebene eigentliche Teilungsgewebe, das Cambium, den Hauptteil
beiträgt. Aber auch die Rinde liefert vielfach Callusgewebe.
Zu derartigen Neubildungen sind sehr viele ältere Pflanzenteile
befähigt, Wurzeln, Stengel und Blätter. Natürlich wird bei sonst
gleichen Umständen die Menge der gebildeten Zellmasse von der
zur Verfügung stehenden Nahrungsmenge abhängen. Deshalb bilden
die mit Reservestoffen vollgepfropften Keimblätter und die winterlichen
Holzzweige besonders reichliche Wundgewebe. Doch spielt eine
spezifische Befähigung zur Callusbildung, die bisher nicht weiter
zerlest werden konnte, eine so große Rolle, daß sich schwer All-
gemeines sagen läßt. Es gibt jedenfalls auch Pflanzen, die überhaupt
keinen Callus bilden können.
Die Ursache der Callusbildung ist die Freilegung von Zellen, die
sonst im Gewebeverbande in ihrem Wachstum beschränkt sind. Welche
speziellen Reizwirkungen aber vorliegen, ist schwer zu sagen. Daß
es nicht die Beseitigung des Raummangels allein sein kann, die die
Neubildung anregt, geht schon daraus hervor, daß sıch zuweilen auch
die Epidermis an ihr beteiligt, die doch stets Platz zum Wachstum
in die Dicke hätte.
Die Callusgebilde an Querschnittsflächen von Zweigen stellen zu-
nächst, da sie ja aus dem Cambium- und Rindenzylinder hervor-
gehen, einen ringförmigen Wulst dar. Später können sie unter gün-
stigen Umständen, zu denen Nahrungsüberfluß und Luftfeuchtigkeit
gehören, zu rundlichen Körpern werden, die oft mit Warzen bedeckt
sind. Innerlich sind sie ziemlich gleichförmig gebaut, jedenfalls
zeigen sie lange nicht die Verschiedenheit der Zellformen wie ihr
Ursprungsorgan. Es kann deshalb auch nicht direkt eine Ergänzung
des verloren gegangenen Teiles in ihnen gesehen werden. Vielmehr
müssen die zu ersetzenden Organe erst aus dem Callus heraus ent-
stehen. Sie bilden sich vielfach als sog. Adventivsprosse oder
-Wurzeln in der noch undifferenzierten Geschwulst.
Damit kommen wir zu dem Ersatz der durch einen Eingriff
entfernten Teile durch Entstehung entsprechender Organe an anderer
Stelle. Solche Bildungen können entweder an vorgesehenen Orten,
aus „schlafenden‘“ Knospen oder Wurzelanlagen entstehen oder durch
„adventive‘‘ Differenzierung aus fremdartigem Gewebe.
Im ersteren Falle wird durch die Verletzung nur die Veranlas-
sung gegeben, daß Teile, die sonst gar nicht oder erst später zur
Entwickelung kämen, auswachsen. Daß sie ohne besonderen Eingriff
auf einer gewissen Stufe ihr Wachstum einstellen, beruht offenbar
auf der Hemmung durch günstiger gestellte Organe, die die Nahrungs-
stoffe an sich reißen. Ähnlich liegt die Sache bei den nach Ent-
248 VI. Die Folgen mechanischer Reizung.
fernung der Hauptwurzel schneller heranwachsenden Seitenwurzeln.
Es ist also die Trennung des Zusammenhanges und nicht der Wund-
reiz, der die Ersatzreaktion auslöst. Somit ist es auch zweifelhaft,
ob hier überhaupt eine Reizwirkung oder nur eine „Ernährungs-
störung‘“ vorliegt.
In unmittelbarerem Zusammenhange mit unserem Thema stehen
die Fälle, in denen die Seitenorgane nicht nur ihre Entwickelung
beschleunigen, um die verloren gegangene Spitze des Verzweigungs-
systemes zu ersetzen, sondern auch sonst ihr Verhalten ändern. Wir
haben schon davon gesprochen, wie aus transversal geotropischen
Seitenwurzeln und -Zweigen othotrope Ersatzorgane entstehen können.
Doch ist es auch hier nicht gerade ein Wundreiz, der die Veränderung
des Verhaltens bedingt; denn durch bloße Entwickelungshemmung
der Spitze wird dieselbe Wirkung erzielt (vgl. S. 74, 76, 84).
Bei Wurzeln jedoch kennen wir auch eine echte Reizwirkung
mechanischer Verletzungen. Wie nämlich Ch. Darwin ([1880] 1899)
fand, krümmen sich einseitig verwundete Wurzeln von der ver-
letzten Seite fort. Man nennt diese Erscheinung Traumatropis-
mus. Darwin benutzte in seinen Versuchen die einseitige
Schädigung durch Ätzen mit Höllenstein oder dgl. Es kommt aber
für die Wirkung nur auf die Abtötung von Zellen auf einer Seite der
Wurzelspitze an, wie sie auch durch Einschneiden oder Ansengen
bewirkt werden kann. Jedoch muß die Verletzung eine gewisse Tiefe
erreichen. Die Wurzelhaube ist nicht empfindlich (Spalding 1894),
sondern nur der Vegetationspunkt oder eine ihn umgebende Zell-
schicht (Mac Dougal 1897). Die Nachwirkung der Verwundung kann
ziemlich lange vorhalten. Spalding sah Krümmungen noch eine
Woche nach der Verwundung auftreten, wenn die Wurzeln durch
Eingipsen solange an der Reaktion verhindert worden waren.
Nur die Spitze der Wurzel ist traumatropisch reizbar. Bei Lu-
pinus albus z. B. bis zu 1,5 mm von der Spitze (Spalding 1894).
Die Krümmung findet in der Wachstumszone statt.und kann nach
1 bis 2 Tagen zur Bildung eines vollkommenen Kreises führen. Sie wird
in der Natur die Wirkung haben, daß die fortwachsende Wurzel nach
einer Verletzung an scharfkantigen Teilen im Boden sich von diesen
abkehrt. (Ebenda.) Doch dürfte die Bedeutung der Einrichtung bei
der Biegsamkeit der jungen Wurzel, die sich allen Unebenheiten an-
schmiegt, nicht sehr groß sein. Eher könnten chemisch schädliche Stoffe,
die die Wurzelspitze ähnlich wie Dar wins Höllenstein einseitig reizen, zu
einem zweckmäßigen Ausweichen führen. Es läge dann eine Art von
negativem CUhemotropismus vor, der aber erst durch die Abtötung
von Zellen wirksam würde. Traumatropisch reizbar sind sehr viele
Wurzeln, am deutlichsten nach Spalding die der Keimlinge, sowie
gewisse Luftwurzeln.
Eine echte Berührungsreizbarkeit scheint den Wurzeln abzugehen,
oder doch wenigstens den in Erde wachsenden, denn es gibt ja auch
Wurzelranken (vgl. S. 212). Darwin glaubte aus Versuchen, in denen
Reizwirkungen mechanischer Verletzung. 249
er Keimwurzeln einseitig Papierstückchen oder dgl. anklebte, auf
einen Thigmotropismus schließen zu dürfen. Wiesner (1881) zeigte
aber, daß auch dabei ein Fall von traumatischer Reizung vorliegt,
hervorgerufen durch die Schädigung, die die Klebstoffe an der emp-
findlichen Wurzelspitze bewirken.
Mit der Besprechung der Wundreize haben wir uns schon von
den sicher auf rein mechanische Einwirkung zurückzuführenden Er-
scheinungen entfernt. Selbst beim Traumatropismus erscheint es als
ungewiß, ob der Eingriff als solcher durch seine unmittelbare Wirkung
auf das Protoplasma zum Reizanlaß wird oder ob nicht andere phy-
sikalische oder chemische Veränderungen zwischengeschaltet sind.
Noch mehr gilt das für die übrigen Wundreaktionen. Doch solange
das unentschieden ist, können wir die traumatischen Reize bei den
mechanischen lassen. Unsere Bezeichnungsweise kennzeichnet ja stets
nur den äußeren Anlaß. An welcher Stelle der Ursachenverkettung
der eigentliche physiologische Prozeß beginnt, das wissen wir ohne-
hin in keinem einzigen Falle.
VII. Reizwirkung stofflicher Einflüsse.
a) Chemotropismus.
Die ungleichmäßige Zusammensetzung des Mediums, in dem die
Pflanzen vegetieren, wirkt in vielfacher Weise auf das Wachstum
der wurzelartigen Organe ein. Da sie die Aufgabe haben, dem in die
Luft ragenden Teile des Pflanzenkörpers Wasser- und Nahrungsstoffe
zuzuführen, so werden sie ihrer Aufgabe um so besser genügen
können, je günstiger die Aufnahmebedingungen für diese Substanzen
liegen. Das gleiche gilt für die den Nährboden durchziehenden
Pilzfäden.
Machen sich nun Verschiedenheiten in der Zusammensetzung der
Erde, der Pflanzenabfälle und was sonst als Substrat dient, geltend,
so hat die Pflanze zwei Möglichkeiten, die in ihrem Bereich liegen-
den Quellen wertvoller Stoffe vorzugsweise nutzbar zu machen und
weniger günstigen Stellen auszuweichen. Sie kann nämlich einmal ihre
den Untergrund durchziehenden Saugorgane ohne Bevorzugung einer
bestimmten Richtung nach allen Seiten schicken, aber in günstigen
Gebieten reichlicher verzweigen lassen. Oder sie kann von vornherein
durch bestimmt gerichtetes Wachstum günstige Orte im Substrate
aufsuchen. In beiden Fällen geben Reizwirkungen, die von den Stoffen
im Untergrunde ausgehen, der Pflanze Kunde von den für ihre
Wachstumsweise bedeutungsvollen Umständen. Für unsere Darstellung
kommen aber, dem Thema gemäß, vorzugsweise die Richtungsreize
in Betracht.
Verhältnismäßig leicht ist nachzuweisen, daß Wurzeln die Fähig-
keit besitzen, bestimmte Stellen im Boden aufzusuchen, daß sie also
z. B. nach Nestern guter Erde in einem sandigen Grunde hinwachsen
und dadurch von ihrer senkrechten Wachstumsrichtung abgelenkt
werden (Abb. 87). Wohl den ersten derartigen Versuch hat C. Sprengel
im ‚Jahre 1834 angestellt. Er ließ eine Pflanze in einem Gefäße
wachsen, dessen unterer Teil durch senkrechte Scheidewände in ein-
zelne Kammern abgeteilt war. Die Kammern enthielten verschieden
gedüngte Erdproben. Die Zahl der in ihnen sich entwickelnden
Wurzeln war sehr ungleich. Wiegmann und Polstorff (1842),
denen ich diesen Bericht entnehme, haben ferner 1822 selbst be-
obachtet, daß kalkliebende Pflanzen sich nach einem Kalkhaufen
hinzogen.
Chemotropismus. 251
Welche Reize aber unter diesen Umständen wirksam sind, ist nicht
eben einfach festzustellen. Jedenfalls kommen häufig Feuchtigkeits-
differenzen mit in Betracht. Darüber später. Außerdem aber sind
chemische Reize wirksam. Bei ihrem Studium ist die Schwierigkeit
Abb. 87.
Wurzeln von Raps, in einem aus unregelmäßigen Schichten von
Erde und Sand zusammengesetzten Boden wachsend. Man sieht
wie die schwarze Erde dem hellen Sande vorgezogen wird und
ein besseres Wurzelwachstum gestattet.
der Methodik ein großes Hemmnis. Sie hat bewirkt, daß das Gebiet
bis heute noch wenig geklärt ist.
Überlegen wir uns, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit
ein chemischer Stoff als tropistisches Reizmittel wirken kann. Zu-
252 VII. Reizwirkung stofllicher Einflüsse.
nächst ist es klar, daß nur dann ein Richtungsreiz resultieren kann,
wenn der Reizstofi ungleich verteilt ist, also in verschiedener Menge
auf die Seiten eines Organes, hier der Wurzel, einwirkt. Ebenso wie
das Licht kann auch ein chemischer Stoff bei diffuser, ringsherum
gleichmäßiger Gegenwart keine Krümmung bewirken. Der Reizanlaß
liest also in der ungleichen Verteilung des chemischen Reizmittels.
Während aber das Licht im Experiment dauernd von einer
Seite auf die Pflanze gelenkt werden kann, ist das bei chemischen
Stoffen nur schwer zu erreichen. Denn um zu wirken, müssen die
Substanzen in gelöster oder löslicher Form vorliegen. Unter diesen
Umständen wird aber selbst bei der Ausschließung von Strömungen
der ungleichmäßigen Verteilung die Diffussion dauernd entgegen-
arbeiten. Jeder gasförmige oder gelöste Körper hat das Be-
streben, sich über den gesamten zur Verfügung stehenden Raum
auszubreiten, wodurch alle Konzentrationsdifferenzen früher oder
später zunichte gemacht werden. Diese aber sind es gerade, die
als Reize wirken. Man muß demnach für eine beständige Zufuhr
des Reizstoffes auf der einen und Fortschaffung auf der anderen
Seite sorgen. Dabei sollen womöglich keine gröberen Flüssigkeitsströme
entstehen, weil solche ihrerseits als Reizursache in Betracht kommen
können. Die gestellte theoretische Forderung eines dauernden kon-
stanten Konzentrationsgefälles ist bisher wohl bei keiner Versuchs-
anstellung verwirklicht.
Will man gelöste Stoffe auf ihre Reizwirkung gegen Wurzeln
untersuchen, so benutzt man mit Vorteil irgendwelche porösen und
lockeren Substrate, die Wasser oder Lösungen aufnehmen und der
Wurzel das Vordringen gestatten. Erde ist nicht brauchbar, weil sie
selbst zu viel gelöste Substanzen enthält. Man nimmt also zweck-
mäßig möglichst reinen Sand oder auch Gallerten. Bei den reinlicheren
Wasserkulturen sind die Strömungen und die mangelhafte Durch-
lüftung zu berücksichtigen.
Man kann nun in ähnlicher Weise, wie das in der obigen Ab-
bildung (87) zu ersehen ist, zwei Sandschichten, von denen die eine nur
Wasser, die andere die zu prüfende Lösung enthält, nebeneinander
bringen und der Wurzel die Wahl zwischen beiden lassen. Natürlich
wird aber dabei das Konzentrationsgefälle nicht exakt zu bestimmen
sein, da die Diffusion die Differenzen allmählich verwischt.
Lilienfeld (1906) hat derartige Versuche angestellt. Er über-
trug die gerade gewachsenen Wurzeln entweder in Gelatine oder
in Sand, die reines Wasser enthielten, an einer Seite aber an
eine Sand- oder Gelatineschicht anstießen, welche mit der Ver-
suchslösung angemacht war. Es ergaben sich Krümmungen in der
einen oder anderen Richtung oder auch gar keine Beeinflussung des
Wachstums. Nähert sich die Spitze der Wurzel dem Reizstoffe, so
spricht man von positiver Reaktion, im entgegengesetzten Falle von
negativer, So verhielten sich in den Versuchen von Lilienfeld die
Keimwurzeln von Lupinus albus (weiße Lupine) negativ chemotropisch
Chemotropismus. 253
gegen einprozentige Lösung von Ammoniumchlorid; gar nicht reagierten
sie auf einhalbprozentige. Ebenso wirkte Ammoniumnitrat und Na-
triumchlorid. Positive Reaktion wurde erzielt durch Ammoniumsulfat,
Ammoniumcarbonat, Ammoniumphosphat. Gar keine Wirkung hatte
bei den geprüften Konzentrationen z. B. Kalziumkarbonat und
Magnesiumkarbonat. Die zahlreichen Versuche sind in einer Tabelle
zusammengestellt (Lilienfeld 1906 S. 209 ff.). Irgendwelche Gesetz-
mäßigkeiten lassen sich kaum daraus entnehmen.
Lilienfelds Versuche sind insofern noch mangelhaft als sie mehr
in die Breite als in die Tiefe gehen. Man vermißt vor allem die Be-
rücksichtigung der physikalisch-chemischen Betrachtungsweise. So ist
nicht untersucht worden, ob die bei Säuren von nicht tötlicher Kon-
zentration regelmäßig auftretenden negativen Reaktionen auf der Säure-
wirkung, d.h. H-Jonenkonzentration beruhen. Ebensowenig ist die Frage
aufgestellt, ob nicht die Salze auch durch ihre osmotische Kraft, d.h.
durch Wasserentziehung, wirken können. Schließlich vermißt man
die Berücksichtigung der Tatsache, daß verdünnte Salzlösungen
mindestens zum Teil in Jonen gespalten sind, die nun getrennt Reiz-
wirkungen auszuüben vermögen. All das wäre einer neuen Unter-
suchung zu empfehlen.
Mit Wurzeln, die im Wasser wuchsen, hat Sammet (1905) einige
Versuche angestellt. Er ließ aus einer porösen Tonzelle Lösungen von
Alkohol, Äther, Chlornatrium, Kaliumnitrat, Rohrzucker, Essigsäure,
Glyzerin oder eine gesättigte Kampherlösung herausdiffundieren.
Auch Gips wurde versucht. Die Regelmäßigkeit der Resultate über-
rascht. Alle geprüften Stoffe riefen eine positive Krümmung hervor,
die bei manchen in eine negative überging, wenn höhere Konzen-
trationen verwendet wurden. Unwirksame Stoffe wurden unter den
verwendeten nicht gefunden. Die Wirkung trat unabhängig von dem
osmotischen Druck der Lösung auf, so daß eine echte chemische
Reizwirkung vorzuliegen scheint. Die Resultate bedürfen aber der
Nachprüfung.
Einige weitere Arbeiten (Brunchhorst 1884, Schellenberg 1906,
Gaßner 1906) befassen sich mit der ‚‚galvanotropischen‘‘ Reaktion
der in Flüssigkeit wachsenden Wurzel gegen elektrische Ströme, die
schon 1882 von Elfving entdeckt worden war. Es. treten vielfach
Krümmungen auf, die wohl zum größten Teil auf chemischen Wir-
kungen beruhen. Die Verhältnisse sind aber noch viel komplizierter
als in den oben geschilderten Versuchen, da die in den einzelnen
Versuchen vorsichgehenden chemisch -physikalischen Veränderungen
durch den elektrischen Strom unbekannt sind. Die Deutungen der
Verfasser sind demnach noch stark hypothetisch.
Die durch starke elektrische Ströme bewirkten Krümmungen
nach der positiven Elektrode sind zweifellos vielfach durch Schädi-
gungen bedingt, die auf dieser Seite das Wachstum aufheben
(Gaßner 8. 184, Schellenberg S. 487). Durch schwächere Ströme
werden entgegengesetzte Krümmungen erzielt, die typische Reiz-
254 VII, Reizwirkung stofllicher Einflüsse.
reaktionen darstellen (Gaßner S. 186, Schellenberg S. 487). Außer-
dem fand Schellenberg noch Krümmungen nach dem positiven Pol,
die nicht durch Schädigungen hervorgerufen waren, sondern dann auf-
traten, wenn sich die Wurzeln in einer Salzlösung von nicht zu ge-
ringer Konzentration befanden. Ein Strom von 6 Volt und 0,0001
bis 0,0000001 Amp. bewirkte z. B. in einer Chorkaliumlösung bis
etwa 0,1°/, Krümmung nach der Anode, bei 0,2—0,4°/, gleichviele
Anoden- und Kathodenkrümmungen und von 1°/, ab nur noch Katho-
denkrümmungen. Diese Umkehr trat bei allen geprüften Salzen auf.
Schellenberg führt die galvanotropischen ebenso wie die chemotro-
pischen Krümmungen auf elektrische Ströme und
die damit verbundene Jonenwanderung zurück. Zur
Klarlegung der Verhältnisse fehlt noch viel. Gaßner
glaubt z. B. alle galvanotropischen Krümmungen
durch Schädigungen erklären zu können. Wäh-
rend aber die starken Ströme, wie gesagt, durch
direkten Einfluß auf das Wachstum Krümmungen
nach der positiven Elektrode bewirken, sollen die
bei schwächeren Strömen beobachteten negativen
Reaktionen einer durch die Schädigung bewirkten
Reizung zuzuschreiben sein, wie sie als Traumatro-
pismus auch bei mechanischen Verletzungen be-
kannt ist. (Vgl. S. 248).
In den bisher besprochenen Versuchen wurden
gelöste Salze und dergleichen auf ihr chemotro-
pisches Reizvermögen gegen Wurzeln untersucht.
Nur äußerlich verschieden hiervon sind diejenigen
Experimente, in denen einseitig einwirkende Gase
Krümmungen bewirkten. Denn selbst dann, wenn
die Wurzeln sich nicht in Wasser, sondern in Erde
oder Luft befanden, müssen die geprüften Stoffe
PER N irgendwie die Zusammensetzung der die Pflanze
sucht geotropisch ins durchsetzenden Flüssigkeit verändern, um einen
Nasen dem Reiz auf das Plasma auszuüben.
ee Molisch (1884) war es, der es als erster wahr-
geotropisch. Verklein. Scheinlich machte, daß Differenzen im Luftgehalt
des Wassers die Wachstumsrichtung von Keim-
wurzeln beeinflussen können. Er nennt die Erscheinung A&rotropis-
mus (Luftwendigkeit). Läßt man gerade Wurzeln, z. B. von Pisum
(Erbse), mit ihrer Spitze in Wasser hinunter wachsen, so weichen sie
bald von der durch den Geotropismus bedingten vertikalen Richtung
ab und krümmen sich zur Oberfläche empor. (Abb. 88). Molisch führt
diese Reaktion auf eine Reizwirkung des höheren Sauerstofigehaltes
der oberen Wasserschichten zurück. Die Natur des Reizstoffes ist
aber aus solchen Versuchen nicht sicher zu entnehmen. Es könnte
die durch die Atmung der Wurzeln angesammelte Kohlensäure eine
negativ chemotropische Reaktion bewirkt haben.
Abb. 88.
Chemotropismus, 255
Diese Fragen werden auch durch die Bestätigung und Ver-
besserung der geschilderten Molischschen Versuche, die wir Ewart
(1893—94) verdanken, nicht völlig aus der Welt geschafft. Dieser
Forscher benutzte Wasser, das durch Kochen von Gasen befreit war
und bekam nun die ‚„a@rotropischen‘“ Krümmungen sehr viel präziser.
Wurde jedoch das Wasser künstlich durchlüftet, so wuchsen die
Wurzeln normal abwärts. Entsprechende Resultate erhielt Polowzow
(1909) in Erde, aus der die Luft durch einen Wasserstoff- oder
Stickstofistrom ausgetrieben war, wenn durch eine kleine Öffnung
seitlich Luft eindringen konnte. Diese Erfahrungen machen es
wahrscheinlich, daß wirklich der Sauerstoff das Reizmittel darstellt.
Molisch versuchte auch durch einseitige Gasströme Krümmungen
von Wurzeln zu erzielen. Er bekam positive Reaktionen, die später
in negative übergingen. Nach Bennett (1904) war dabei ungleiche
Luftfeuchtigkeit, die eine Reizung bedingt haben kann, nicht ver-
mieden. Diese Autorin konnte in keinem ihrer mannigfach variierten
Versuche a@rotropische Reaktionen an Wurzeln feststellen, ob sie nun
Luft von verschiedenen Sauerstoffgehalte, Kohlensäure oder Wasser-
stoff einseitig einwirken ließ.
Schließlich hat Sammet (1905), in Versuchen mit Erde gleich-
falls Wurzeln sich nach besser durchlüfteten Stellen hinkrümmen
sehen. Trotz allem diesem fehlen noch ausführlichere Untersuchungen
über den Einfluß von Differenzen im Sauerstofigehalt des Mediums
bei verschieden hohen absoluten Konzentrationen. Den Einfluß ein-
seitiger Erhöhung des Sauerstofigehaltes hat gleichfalls Molisch (1884)
untersucht. Er fand ein Wegkrümmen der Wurzeln von reinem
Sauerstoff. Sammet behauptet dagegen stets positive Reaktionen
erhalten zu haben. Während also einige Forscher in recht über-
zeugender Weise für das Vorhandensein eines A&rotropismus bei den
Wurzeln eintreten, sprechen andere ihnen dieses Vermögen gänzlich
ab. Die mannigfachen Differenzen dürften wohl der Mangelhaftigkeit
der Methoden, vielleicht auch der Verschiedenheit der Objekte zu-
zuschreiben sein.
Während die genannten Autoren eine große Diffusionsfläche be-
nutzten, z. B. einen offenen Schlitz, ausgespannten Seidenstoff usw.
wählte Polowzow ein dünnes poröses Tonrohr, welches von dem
zu prüfenden Gas mit einer bestimmten Geschwindigkeit durch-
strömt wurde. Aus dem Tonrohr diffundierte eine dem Druck ent-
sprechende kleine Menge Gas heraus und bespülte das zu reizende
pflanzliche Objekt, das sich im übrigen in Luft befand, an einer eng
umgrenzten Stelle. Dabei wurde sicherlich das Diffusionsgefälle
wesentlich länger konstant gehalten als in den früheren Versuchen,
besonders da die mit dem Reizgase vermengte Luft dauernd er-
neuert wurde.
Um ein natürliches Medium verwenden zu können, wurden nicht
Wurzeln, sondern Sprosse, und zwar meist Keimstengel von Sonnen-
rosen, verwendet. Die Beobachtungsmethode wurde durch Verwen-
256 VII. Reizwirkung stofilicher Einflüsse.
dung eines Mikroskopes verfeinert, aber gleichzeitig dadurch die Zahl
der Versuchsobjekte herabgesetzt. Bei Verwendung von Sauerstoff
wurde eine positive Reaktion gegen schwache Diffusionsströme, eine
negative gegen stärkere beobachtet. Entsprechende Resultate werden
sehr häufig bei chemischen Reizen erzielt und erinnern uns an die Um-
kehr der phototropischen Reaktion durch Verstärkung der Belichtung.
Viel ausführlicher als mit der Reizwirkung des Sauerstoffes hat
sich Polowzow mit der der Kohlensäure beschäftigt. Die Versuchs-
bedingungen sind hierbei günstiger, weil Kohlensäure in sehr viel
geringerer Menge in der atmosphärischen Luft enthalten ist. Schon
früher hatten Molisch und Sammet (a. a. O.) Repulsion von Wurzeln
durch Kohlensäure. letzterer bei geringerer Konzentration auch An-
lockung beobachtet. Entsprechend fielen die Versuche von Polowzow
mit Stengeln aus. Es fand sich, daß Diffusionsströme geringer
Intensität im Anfang ihrer Wirkung positive, später aber negative
Reaktion bewirken. Ferner, daß starke Ströme, falls sie zeitlich
unterbrochen, also intermittierend appliziert werden, denselben Effekt
geben wie schwache.
In den letzterwähnten Befunden haben wir wiederum eine weit-
gehende Analogie zu den Erscheinungen des Phototropismus (vgl.
S. 165). Denn auch dort wurde durch starkes Licht, falls es kurz
einwirkte, nicht negative, sondern positive Reaktion bewirkt und
hatten intermittierende Reize einen geringeren Reizeffekt als ihrer
absoluten Intensität entsprach. Freilich fand Polowzow niemals bei
Dauerströmen eine bleibende positive Reaktion. Wahrscheinlich wäre
aber, ebenso wie bei den vorübergehenden und den periodisch unter-
brochenen Reizen, auch bei den dauernden die Umkehr zu ‚negativer
Reaktion ausgeblieben, wenn noch schwächere Diffusionsströme ver-
wendet worden wären. Schließlich wäre noch zu untersuchen, ob die
Analogie mit dem Phototropismus auch soweit geht, daß nicht zu starke
negative Krümmungen bei längerer Einwirkung wieder zurückgehen
oder in positive umschlagen. Manche Erfahrungen mit chemischen
Reizen, über die noch berichtet werden soll, sprechen dafür, daß
hier, wie bei Lichtreizen eine allmähliche ‚Gewöhnung‘‘, d.h. Stim-
mungserhöhung eintritt. Diese Fragen ließen sich wohl mit der
Polowzowschen Methodik in Angriff nehmen.
Was den Ort der Reizaufnahme und der Krümmung betrifft,
so ließ sich zeigen, daß beide ein ganzes Stück voneinander entfernt
liegen können. Die Reaktion erfolgte in der Zone maximalen Wachs-
tums. Wurde der Gasstrom etwa l cm tiefer gegen den Stengel ge-
leitet, so erfolgte eine Leitung nach oben. Dies ist bisher der einzige
Fall, daß ein tropistischer Reiz in Stengeln spitzenwärts geleitet
wird. Nur beim Chemotropismus der Droseratentakeln (vgl. S. 237/38)
kennen wir etwas entsprechendes. Zu bemerken wäre noch, daß
nicht alle geprüften Objekte in den Polowzowschen Versuchen sich
als chemotropisch gegen Gase erwiesen. So waren Graskeimlinge
stets indifferent, Phycomyces dagegen reagierte gut.
Chemotropismus. 257
Von anderen Gasen hat Polowzow noch Stickstoff und Wasser-
stoff auf ihre Reizwirkung geprüft. Beiden gegenüber erwiesen sich
die Versuchssprosse indifferent. Dagegen haben schon Molisch (1884)
und Sammet (1905) mit Erfolg eine ganze Anzahl anderer gasförmiger
Stoffe sowie Dämpfe von Alkohol, Äther, Aceton, Ammoniak usw. ver-
wendet. Letzterer fand durchwegs bei Verdünnungen, die nicht mehr.
tödlich wirkten, positive Krümmungen der verwendeten Wurzeln. Es
erscheint aber zweifelhaft, ob sie nicht vielleicht auf Wachstumsver-
minderung der gereizten Flanke durch geringe Schädigung beruhen, da
auch der Autor angibt, daß viele Wurzeln nachher krank aussahen. Für
diese Annahme spricht ferner das Ausbleiben negativer Krümmungen.
An Sprossen dagegen erzielte Sammet durch flüchtige Stoffe wie Äther,
Alkohol u. dgl. durch nicht tödliche Verdünnungen negative Reak-
tionen. Auch Keimscheiden von Hafer und Weizen verhielten
sich so.
Im ganzen können wir sagen, daß, abgesehen von den schäd-
lichen Stoffen, von den untersuchten Gasen die für die Pflanze be-
bedeutungsvollen, nämlich Sauerstoff und Kohlensäure, eine Reiz-
wirkung ausüben, daß dagegen der Stickstoff, der immer gleichmäßig
vorhanden ist, und der Wasserstoff, der in der freien Luft nicht
auftritt, keine Anpassung bewirkt haben. Schwer dürfte es aller-
dings sein, eine ökologische Erklärung für die Einzelheiten der Reiz-
wirkung, z. B. dafür zu geben, warum Kohlensäure in geringer
Konzentration auch anlocken kann. Vielleicht liegt es im Wesen
der chemischen Reizwirkung, daß Stoffe, die überhaupt einen Effekt
ausüben, je nach der Konzentration positive oder negative Reaktion
auslösen.
Von den Organen der höheren Pflanze sind Blätter und Blüten-
teile niemals auf chemische Reizbarkeit untersucht worden. Nur die
Tentakeln von Drosera reagieren, wie wir gehört haben, chemotro-
pisch. Bei den Wurzelhaaren ließ sich eine Ablenkung durch irgend-
welche Stoffe nicht konstatieren. Dagegen sind die Pollenschläuche
wiederholt und mit Erfolg zu derartigen Versuchen herangezogen
worden.
Der auf die Narbe übertragene Blütenstaub hat die Aufgabe,
die Eizellen zu befruchten. Es muß also der männliche Sexualkern
in den Fruchtknoten und die Samenanlagen gelangen. Zu dem
Zwecke sendet jedes Pollehkorn einen Keimschlauch aus, der im
Griffel entlang und bis zur Eizelle vordringt.
Nachdem Strasburger (1886) die Vermutung ausgesprochen hatte,
daß der Pollenschlauch auf seinem Wege durch chemische Reize ge-
lenkt werde, gelang es Molisch (1889) und Correns (1889) diese An-
nahme sehr wahrscheinlich zu machen. Molisch fand, daß in Wasser
auskeimende Pollenschläuche nach einer im Präparat vorhandenen
Narbe hinwuchsen. Dieselbe Wirkung hatten Stengelfragmente, sowie
auch durch Erhitzen getötete Gewebestückchen. Correns bestätigte
Pringsheim, Reizbewegungen. 17
258 VII. Reizwirkung stofflicher Einflüsse.
diese Resultate und zeigte noch, daß auch Teile artfremder Pflanzen
Pollenschläuche anlocken. Demnach müssen die Reizstoffe weitver-
breitet sein. Keinesfalls können bei jeder Pflanzenart spezifische
Verbindungen vorliegen, was auch der Tatsache widersprechen würde,
daß Pollen vielfach auf art- und selbst gattungsverschiedenen Narben
auskeimt und in den Griffel hineinwächst, ja befruchtend wirkt.
Genauere Untersuchungen über den Chemotropismus der Pollen-
schläuche verdanken wir Miyoshi (1894a u. b).. Dieser Forscher
arbeitete Methoden aus, um ein Konzentrationsgefälle bestimmter Reiz-
stoffe zu erzielen und so eine Richtungsbeeinflussung an in Flüssigkeit
wachsenden Pollenschläuchen hervorzurufen. Durch feine Poren in
verschiedenen Membranen ließ er den zu untersuchenden Stoff heraus
diffundieren, der so die in der Nähe wachsende Schläuche einseitig
treffen konnte. Es wurden z. B. Blätter verwendet, deren Luft-
räume mit der Flüssigkeit injiziert waren. Als Poren dienten dann
die Spaltöffnungen in der Oberhaut des Blattes. Oder es wurde ein
Glimmerplättchen, eine Collodiumhaut u. dgl. mit einer feinen Nadel-
spitze durchbohrt und mit einer Schicht Agar- oder Gelatinegallerte
versehen, die den Reizstoff enthielt. Die Pollenkörner wurden dann
entweder unmittelbar auf die durchlochte Membran oder in eine
zweite, aber nur mit Wasser angemachte Gallertschicht gesät.
Es zeigte sich nun, daß die Pollenschläuche vielfach nach den
Öffnungen hinwuchsen und in das den Reizstoff enthaltende Medium
eindrangen. Als anlockend erwiesen sich in Miyoshis Versuchen die
verschiedenen Zuckerarten, vor allem Rohrzucker, Traubenzucker
und Dextrin, weniger Lävulose und Laktose, fast gar nicht Maltose.
Bei Pollenschläuchen vom Fingerhut (Digitalis purpurea und grandi-
flora) war die chemotropische Reaktion sehr ausgeprägt gegen 4 bis
10°/,tige Rohrzuckerlösungen. Bei 0,25°/, ließ die Wirkung merk-
lich nach, bei 0,1°/, unterblieb sie ganz. Eine 15°/,ige Lösung war
für die Anlockung zu stark. Von anderen Stoffen wurde noch
Fleischextrakt, Pepton, Asparagin, Glyzerin, Gummi arabicum, ohne
positives Resultat untersucht. Alkalien, Säuren und verschiedene
Salze erwiesen sich als abstoßend.
Es wurde auch versucht, Aufschluß darüber zu erhalten, wie
stark das Konzentrationsgefälle sein muß, damit eine Reizung statt-
findet. Zu diesem Zwecke mußten die Konzentrationen auf beiden
Seiten des zu reizenden Pollenschlauches konstant erhalten werden.
Das ließ sich erreichen, wenn ein durchlochtes Kollodiumhäutchen
zwischen zwei Fließpapierstreifen gelegt wurde, durch die verschieden
konzentrierte Zuckerlösung floß. Die Pollenkörner wurden auf der
Seite der schwächeren Lösung ausgesät. War die Konzentration
auf der einen Seite 0,5°/,, so genügten 1 und 2°/, auf der anderen
Seite nicht, um eine Ablenkung zu erzielen, wohl aber 2,5% AaeBeı
1°/, auf der einen Seite, mußten 5°/, auf der anderen angewendet
werden, bei 2°/, dagegen 10°/,. Es zeigte sich demnach, daß die
eine Lösung fünfmal so stark sein muß als die andere, damit eine
Chemotropismus. 259
chemotropische Krümmung ausgelöst wird. Höhere Verhältnisse
waren noch wirksamer. Nicht die Differenz zwischen den beiden
Lösungen, sondern ihr Verhältnis war maßgebend. Dieses Gesetz
gilt für chemische und wahrscheinlich auch für andere Reize in
der Pflanzenwelt allgemein; es ist in der menschlichen Physiologie
als das Weber-Fechnersche Gesetz bekannt. Über seine erste
Entdeckung bei Pflanzen durch Pfeffer werden wir unten noch zu
berichten haben.
Miyoshi gelang es nicht, andere Reizstoffe für den Chemotro-
pismus der Pollenschläuche zu finden als die Zuckerarten. Doch
hatte er Anzeichen, daß solche existieren müssen. Wie wir eben ge-
sehen haben, muß eine Reizquelle die Umgebung um ein vielfaches
an Konzentration übertreffen, um anlockend zu wirken. Nun krümm-
ten sich aber Pollenschläuche auch dann nach Samenknospen hin,
wenn sie in hochkonzentrierten Zuckerlösungen lagen.
Lidforss (1899) zeigte dann, daß früher nicht in Betracht ge-
zogene Stoffe als Reizmittel wirken, nämlich hochmolekulare Eiweiß-
körper oder Proteinstoffe. Da viele Pollenkörner auf künstlichen
Substraten überhaupt nur dann keimen, wenn diese eine gewisse,
von Art zu Art verschiedene Menge von Zucker enthalten, ließ sich
der Chemotropismus gegen diesen Stoff nicht immer nachweisen.
Anders ist das mit den Eiweißkörpern als Reizstoffen. Diese konnten
in kleinen Partikelchen direkt auf das Keimbett, bestehend aus
Zuckeragar, gebracht werden und diffundierten, ihrem großen Molekül
entsprechend, langsam von da nach allen Seiten. So konnte bei
allen unter den Versuchsbedingungen wachsenden Pollenschläuchen
eine Anlockung durch Proteine beobachtet werden (Abb. 89). Als
besonders wirksam zeigte sich dabei ein eiweißreiches Präparat,
„Diastase aus Malz‘, aber auch viele andere untersuchte Proteinstoffe,
falls sie nicht giftig für die Pollenschläuche waren. Hohe Konzen-
trationen konnten auch negative Reaktionen auslösen, so daß die
Nähe des Eiweißstückchens gemieden wurde. Alle Eiweißspaltungs-
produkte erwiesen sich als unwirksam.
Neben der anlockenden hatten die untersuchten Eiweißkörper
noch eine wachstumsfördernde Wirkung, was sich besonders dann
bemerkbar machte, wenn die Zuckerkonzentration nicht die best-
mögliche für die betreffende Art war. Den Proteinen kommt also
vielleicht auch ein Nahrungswert zu. Bei langen Pollenschläuchen
ist eine Ernährung von seiten der Griffelzellen durchaus wahr-
scheinlich.
Um uns ein deutliches Bild von der Art zu machen, wie die
Pollenschläuche ihren Weg zu den Eizellen finden, müssen wir uns
noch einige weitere Tatsachen aus der Biologie des Pollens ver-
gegenwärtigen. Unter natürlichen Umständen keimt das Blüten-
staubkorn auf den klebrig-feuchten Papillen der Narbe. Von da
wächst der Pollenschlauch in die Lufträume des lockeren Griffel-
gewebes hinab, ohne sich aber von der festen Oberfläche zu ent-
17*
260 VII. Reizwirkung stofflicher Einflüsse.
fernen. In der Fruchtknotenhöhle angelangt, schmiegt er sich der
Wand an und findet schließlich seinen Weg in die Mikropyle, die
empfangsbereite Öffnung der jungen, befruchtungsfähigen Samenanlage.
Von Reizbarkeiten, die zur Orientierung dienen können, stehen
den Pollenschläuchen neben der chemotropischen Anlockung durch
Kohlehydrate und Proteinstoffe noch ihre Fähigkeit zur Verfügung,
sauerstoffarme (Molisch 1893) und feuchte Stellen (Miyoshi 1894b)
Abb. 89.
Pollenschläuche von Vallota purpurea auf Gelatine mit 3°/, Rohrzucker wachsend,
angelockt durch ein Klümpchen Diastase (der schwarze Fleck in der Mitte).
Nach Lidforss 1909. Vergrößert.
aufzusuchen. Wichtiger als die letztgenannten Orientierungsreize
dürfte die mechanische Lenkung durch die langgestreckten Kanäle
des Griffelgewebes sein. Wenn wir uns nämlich dächten, daß die
Richtung, die der Pollenschlauch nimmt, allein durch die Diffusion
eines von der Samenknospe ausgeschiedenen Stoffes zustande käme,
so müßte das Konzentrationsgefälle überall groß genug sein, um die
Lenkung zu bewirken. Das würde, besonders bei langen Grifteln,
eine außerordentlich hohe Konzentration des Reizstoffes an der
Diffusionsquelle erfordern. Denn, wie wir gesehen haben, müssen
Chemotropismus. 261
mit steigender absoluter Konzentration auch die Differenzen steigen,
um eine Richtungsbewegung zu bewirken. Nun fand aber schon
Miyoshi (1894b, S. 77), daß die anlockende Wirkung durch kleine
Stücke des Griffels von der Narbe nach abwärts abnimmt, um
später wieder zuzunehmen. Daher dürfen wir annehmen, daß das
Wachstum der Pollenschläuche streckenweise nur gezwungen in der
eingeschlagenen Richtung weitergeht. Dafür sprechen auch Versuche
von Miyoshi (1894b, S. 88), dem es gelang, Pollenschläuche in ver-
kehrter Richtung durch den Griffelkanal wachsen zu lassen. Durch
das passive Vordringen nach der Samenknospe zu kann der Schlauch
in eine neue Diffusionssphäre geraten, in der er dann zur Eizelle
geleitet wird. In welcher Weise sich etwa Zucker und Eiweißstoffe
in ihrer Wirkung ergänzen, darüber ist noch nichts bekannt. Es
scheint aber, daß alle Pollenschläuche auf beide reagieren.
Ähnliche tropistische Wachstumsbewegungen auf chemische Reize,
wie wir sie bei den Wurzeln und Pollenschläuchen gesehen haben,
sind auch bei Algen und Pilzen zu erwarten. Sichergestellt sind
jedoch verhältnismäßig wenig Tatsachen, viel zu wenige um die Be-
deutung des Chemotropismus für niedere Pflanzen einigermaßen über-
sehen zu können.
Schon 1881 sprach de Bary die Idee aus, ob nicht bei der Be-
fruchtung gewisser Pilze die männlichen Äste durch chemische Reiz-
barkeit geleitet würden. (Literatur für das folgende z. B. bei Fulton
1906.) Zwei Jahre später wurden von Pfeffer (1884) Beobachtungen
gemacht, die für einen Chemotropismus der Keimschläuche von
Wasserpilzen (Saprolegnien) sprachen. Und im gleichen Jahre ver-
zeichnete Kihlmann (1883) Anlockung von parasitischen Pilzen durch
die Wirtspflanzen. Ähnliche Beobachtungen sind in der Literatur der
folgenden Zeit häufig. Als aber Stange (1890) seine Aufmerksamkeit
dieser Frage zuwandte, konnte er im Experiment zwar eine reich-
lichere Verzweigung von Pilzhyphen an Stellen höherer Nährstoff-
konzentration nachweisen, aber keinen Chemotropismus. Auch die
Beobachtungen von Reinhardt (1892) über die Richtungsbeeinflußung
verschiedener Pilze durcheinander schufen noch keinen sicheren Boden
für weitere Forschung.
Erst Miyoshi (1594a) machte den Chemotropismus der Pilze zum
Gegenstande eingehender Studien. Die Methoden waren dieselben,
die oben bei den Pollenschläuchen besprochen wurden. Es wurden
verschiedene ‚Schimmelpilze‘‘ (Mucorarten, Penicillium, Aspergillus
sowie Saprolegnien) als Versuchsobjekte benutzt. Als anlockend für die
aus den Sporen auskeimenden Schläuche erwiesen sich z. B. Fleisch-
extrakt, Pflaumenabkochung, Dextrin, Rohrzucker, Traubenzucker usw.
Für die Saprolegnien, die häufig auf ins Wasser gefallenen
Insektenleichen vorkommen, waren die aus einem Fliegenbein heraus-
diffundierenden Stoffe geeignete Reizmittel. Bei den schnell wachsen-
den Schläuchen dieser Pilze konnte auch eine von Pfeffer er-
262 VII. Reizwirkung stofllicher Einflüsse.
dachte Methode angewendet werden, bei der eine Lösung des zu
prüfenden Stoffes in feine, einseitig geschlossene Glasröhrchen gefüllt
wird. Werden diese mit ihrer Öffnung in den Kulturtropfen ge-
schoben, so diffundiert der Reizstoff heraus. Er konnte so auf die
in der Nähe wachsenden Pilzfäden einseitig einwirken. Dabei wurde
oft ein Eindringen der wachsenden Fäden in die Öffnung beobachtet.
Für langsamer wachsende Pilze ist diese Methode nicht anwendbar,
weil sich das Diffusionsgefälle zu schnell wieder ausgleicht.
Für den Grad und die Richtung der Krümmung erwies sich in
Miyoshis Versuchen vielfach die Konzentration des Reizstoffes als
maßgebend. Bei einer mittleren Stärke der Lösung war die An-
lockung am ausgeprägtesten. Doch waren die geringsten noch wirk-
samen Konzentrationen, also die Schwellenwerte, im allgemeinen
sehr niedrig. Bei Mucor stolonifer hatte Traubenzucker in einer
Konzentration von 0,01°/, schon eine, wenn auch nicht starke
Wirkung, 0,05°/, wirkten gut, am besten 2—5°/,; bei 30°/,
war die Wirkung wiederum schwach und bei 50°/, konnte kaum
mehr positive Reaktion konstatiert werden.
Für alle untersuchten Schimmelpilze war Zucker ein stark an-
lockender Stoff. Auch sonst verhielt sich diese biologische (aber
nicht systematische) Organismengruppe ziemlich einheitlich in Bezug auf
ihre chemische Reizbarkeit. Dagegen wich Saprolegnia in verschiedenen
Beziehungen ab, z. B. dadurch, daß Zucker sich als sehr mäßiger
Reizstoff erwies. Es entspricht das ganz gut den Ernährungsver-
hältnissen der verschiedenen Pilze. Eine breitere Bearbeitung der
chemischen Reizbarkeit verschiedener Organismen mit Berücksichtigung
ihrer Lebensweise würde sicherlich weitere interessante Beziehungen
aufdecken.
Jedoch darf man nicht etwa den Schluß ziehen, daß die an-
lockende Wirkung durchaus der Nährwirkung entspräche. Vielmehr
können Stoffe gute Chemotropika sein, obgleich sie kaum Nährwert
haben und umgekehrt. Das zeigte sich bei der Prüfung einer größeren
Anzahl verschiedener chemischer Verbindungen. Glyzerin und Mag-
nesiumsulfat z. B., die als geeignete Zusätze für Pilznährlösungen
bekannt sind, erwiesen sich als nicht anlockend. Von Salzen war
besonders Ammoniumphosphat ein gutes Reizmittel, sonst auch
Fleischextrakt, vielleicht infolge seines Gehaltes an diesem Salze.
Saprolegniafäden wurden z. B. schon durch 0,005 prozentige Lösung
von Fleischextrakt angelockt, die stärkste Wirkung übten 2—-10 pro-
zentige Lösungen aus, 20 prozentige waren wieder schlechter.
Beim Zucker wie beim Fleischextrakt haben wir die geringe
chemotropische Wirkung starker Lösungen solcher Stoffe erwähnt,
die in schwächerer Konzentration gut anlocken. Wahrscheinlich
beruht diese Erscheinung auf dem Entgegenwirken einer neuen
Reizwirkung, die durch die wasserentziehende Kraft der starken
Lösungen ausgeübt wird. Es läge dann kein chemotropischer,
sondern ein negativ „osmotropischer‘“ Effekt vor. Die Probe auf
Chemotropismus. 263
diese Vermutung müßten Versuche ergeben, in denen geprüft würde,
ob gleich stark osmotisch wirksame Lösungen verschiedener Stoffe
die Anlockung in derselben Weise zu verhindern imstande sind.
Bei den frei beweglichen Organismen sind diese Dinge besser be-
kannt (S.294ff.). Jedenfalls wurden Stoffe gefunden, die bei schwächerer
Konzentration positiven, bei stärkerer negativen (oder keinen)
Chemotropismus zeigten; außerdem aber andere, die immer ab-
stoßend wirkten, falls überhaupt die Reizschwelle erreicht war.
Freilich gelang es Miyoshi nur durch das Ausbleiben einer
positiv chemotropischen Krümmung negative Reaktionen zu kon-
statieren. Er gab also z. B. der Gelatine neben einem sonst gut
anlockenden Stoffe noch eine zweite Substanz zu, dessen abstoßende
Wirkung geprüft werden sollte. Es zeigte sich dann, daß Säuren,
Alkalien, Alkohol und manche Salze, wie Magnesiumsulfat, Salpeter,
chlorsaures Kali und dergl. die Anlockung zu verhindern imstande
sind. Es leuchtet ein, daß diese Methode nicht sehr zuverlässig sein
kann, um so weniger als es überhaupt, wie wir noch hören werden,
nicht gerade leicht ist, die von Miyoshi erzielten Resultate mit
seinen Methoden wiederzugewinnen. Immerhin konnte Miyoshi die
Tatsache sicherstellen, daß neben negativem Osmotropismus auch ein
negativer Chemotropismus existiert. Osmotropisch wirkt z. B. Salpeter,
chemotropisch dagegen Alkohol. Die Möglichkeit der Unterschei-
dung ist dadurch gegeben, daß letzterer schon in sehr großer Ver-
dünnung abstoßend wirkt, während der osmotische Reiz erst bei
hohen Konzentrationen beginnt. Mit Hilfe der oben (S. 258) be-
schriebenen Methode zur Konstanthaltung des Difiusionsgefälles
wurde auch für Pilzfäden die Abstumpfung der Reizbarkeit für einen
Stoff durch dessen Vorhandensein im umgebenden Medium nachge-
wiesen, sowie die quantitativen Verhältnisse wiedergefunden, die dem
Weberschen Gesetze entsprechen. Bei Saprolegnia z. B. mußte die
Zuckerkonzentration auf der einen Seite zehnmal so groß sein als
auf der anderen, damit eine Ablenkung zustande kam').
Die Resultate von Miyoshi sind leider bisher nicht mit positivem
Erfolge nachgeprüft worden. Es liegen im Gegenteil eine Reihe
Arbeiten vor, aus denen die Schwierigkeit hervorgeht mit den be-
schriebenen Methoden die chemotaktische Reizbarkeit nachzuweisen.
So konnte Clark (1902) weder einen positiven Chemotropismus gegen
gute Nährlösung noch Abstoßung durch allerlei Gifte konstatieren.
Wohl aber fand er negativ chemotropische Wirkung durch vom Pilze
selbst abgeschiedene Stoffe. Seine Folgerung, daß alle Resultate
von Miyoshi darauf zurückzuführen sein sollen, daß der Pilz die
schon von ihm durchwucherten Teile des Substrates meidet, scheint
aber verfrüht. In Miyoshis Kontrollversuchen, in denen außer dem
Fortlassen des Reizstoffes alle Bedingungen die gleichen waren, wurde
kein Aufsuchen der Diffusionsöffnungen beobachtet, wie das nach
1) Vgl. aber die Bemerkungen von Jost 1908 S. 571.
264 VII. Reizwirkung stofflicher Einflüsse.
der Clarkschen Theorie der Fall sein müßte. Immerhin hat dieser
Autor das Verdienst, auf einen zweifellos wichtigen Faktor hingewiesen
zu haben. Wenn wir z. B. so häufig sehen, wie das aus einer Spore
entstandene Fadensystem eines Pilzes auf Gelatine oder dergl. sich
radiär nach allen Seiten gleichmäßig ausbreitet und kreisförmig
weiterwächst (Abb. 90) oder in Flüssigkeit untergetaucht völlig kugelige
Gestalt annimmt, so ist die einfachste Erklärung hierfür die gegen-
seitige Abstoßung der einzelnen Fadenenden. Etwa dieselben Resul-
tate wie die des letztgenannten Autors ergaben sich aus einer ein-
gehenden Bearbeitung
der Frage durch Fulton
(1906). Trotz der aufge-
wandten Mühe konnte
kein positiver Chemo-
tropismus bei Pilzen
nachgewiesen werden.
Die von ihm gezogenen
Schlüsse entsprechen un-
gefähr denen Clarks.
Auch Lidforss betont
die Schwierigkeit nach
Miyoshis Angaben zu
arbeiten. Trotzdem ist
an dessen Resultaten
kaum zu zweifeln. Sehr
erwünscht wären aber
neue Untersuchungen
mit verbesserten Me-
thoden, die eine längere
Erhaltung der Konzen-
r | _ trationsdifferenzen ge-
a 0 ma
auszuweichen und noch unbesiedelte Fläche zu erreichen. Außer im Dienste
Dadurch kommt der strahlige Bau des Ganzen zustande. x R
der Ernährung sind
chemotropische Reize
wahrscheinlich auch bei der Kopulation von geschlechtlich differen-
zierten Algen und Pilzen wirksam. Entsprechende Beobachtungen
wurden wiederholt gemacht, aber nicht weiter verfolgt (Literatur
bei Pfeffer 1904 S. 583).
Abb. 90.
b) Osmo-, Hydro- und Rheotropismus.
Außer vermöge ihrer besonderen chemischen Eigenschaften
können gelöste Stoffe bei ungleicher Verteilung noch auf eine andere
Weise Reizkrümmungen verursachen, nämlich durch ihre wasserent-
ziehende oder osmotische Kraft (vgl. oben S. 263). Diese Erschei-
nung, der Osmotropismus muß vom Chemotropismus geschieden
Osmo-, Hydro- und Rheotropismus. 265
werden, denn hier handelt es sich im Grunde nicht um das Ver-
hältnis des betreffenden Pflanzenteils zu chemisch wirkenden Sub-
stanzen, sondern um das zum Wasser.
An Wurzeln sind bisher keine osmotropischen Reaktionen beobachtet
worden, wohl aber an Pilzfäden (Miyoshi 1894a) und Pollenschläuchen
(Lidforss 1909). In beiden Fällen wendet sich die Spitze des fort-
wachsenden Schlauches von einer Lösung bestimmter Konzentration
ab. Daß es sich nicht um eine negativ chemotropische Reaktion
handeln kann, geht daraus hervor, daß alle gelösten Stoffe, ent-
sprechend dem von ihnen ausgeübten osmotischen Drucke gleich
wirksam sind. Allerdings muß hier bemerkt werden, daß die Vor-
aussetzung des osmotischen Einflusses das Nichteindringen der Sub-
stanz ist. Genaueres über die Bedingungen der osmotischen Reizung
wird man bei Besprechung des entsprechenden Verhaltens freibeweg-
licher Organismen erfahren. Dort sind die Dinge besser geklärt.
Wie durch konzentrierte Lösungen, so kann einem Pflanzenteile
auch durch Verdunstung Wasser entzogen werden. Man könnte
daher hoffen, über die eigentlichen Reizursachen etwas zu erfahren,
wenn man diese beiden physikalisch ähnlich wirkenden Agentien
vergliche. Reizkrümmungen durch einseitige Transpiration kennt
man seit lange, ohne daß aber bisher genügend Tatsachenmaterial
herbeigeschafit wäre, um die eben gestellte Frage zu lösen.
Schon Knight (1811) hat festgestellt, daß Wurzeln sich nach
feuchter Erde hin krümmen, selbst dem Geotropismus entgegen. Er
säte Pferdebohnen oberflächlich in Blumentöpfe und verhinderte
die Erde durch ein Gitter beim Umdrehen herauszufallen. Wurden
nun die Töpfe umgekehrt und mäßig feucht gehalten, so traten die
Keimwurzeln nicht an die Luft hinaus, sondern krochen an der
feuchten Fläche entlang. Die Nebenwurzeln wuchsen nach oben in
die Erde hinein. Keine verließ das feuchte Substrat. Wurde da-
gegen sehr reichlich bewässert, so trat die Ablenkung der Wurzeln
von der natürlichen Richtung nicht ein, die Hauptwurzel wuchs
normal geotropisch abwärts. Ähnliche Versuche stellte Johnson an.
Genauer ging aber erst Sachs (1872) der Reizwirkung feuchter Körper
nach. Wir nennen die durch solche bewirkte Ablenkung von
Pflanzenteilen Hydrotropismus und sprechen von positivem oder
negativem Hydrotropismus, je nachdem die Krümmung nach dem
feuchten Substrate hin gerichtet ist oder von ihm weg.
Sachs benutzt einen einfachen Apparat, bestehend aus einer Art
Sieb mit Zinkrahmen und Boden aus weitmaschigem Tüll. Auf diesen
kommt eine dünne Schicht feuchtes Sägemehl, darüber Samen ge-
eigneter Pflanzen, dann wieder feuchtes Sägemehl bis zum Rande.
Wird diese Vorrichtung im Dunkeln schräg aufgehängt und feucht
gehalten, so treten die Wurzeln durch die Löcher hervor, wachsen
aber nicht senkrecht abwärts, sondern der feuchten Fläche entlang.
Dabei führen sie oft periodisch geotropische und hydrotropische
Krümmungen aus und nähen sich dadurch gewissermaßen durch die
266 VII. Reizwirkung stofflicher Einflüsse. Er
Maschen des Tülls. Die Erklärung hierfür liegt offenbar darin, daß
die zunächst im feuchten Substrat verborgene Wurzel, nur geotropisch
reagierend, abwärts wächst, bis sie in den Bereich der trockenen Luft
kommt. Die eine Seite aber bleibt der feuchten Fläche genähert.
Daher krümmt die Wurzel sich hydrotropisch aufwärts, bis sie
ihre Spitze in das Sägemehl eingebohrt hat, und dann wiederholt
sich das Spiel. Die Ursache des periodischen Wechsels in der Wachs-
tumsrichtung liegt also darin, daß die Reaktionen nicht sofort
erfolgen, sondern erst nach einer Latenzzeit.
Ist das Sieb horizontal anstatt schräg aufgehängt, so gelingt
der Versuch nur schlecht, weil nun die geotropische Gegenwirkung
stärker ist und weil ferner die hervorbrechenden Wurzelspitzen von
allen Seiten ungefähr gleichmäßig der Trockenheit ausgesetzt sind, so
daß aus Mangel an einer Feuchtigkeitsdifferenz keine genügende
hydrotropische Reizung zustande kommt. Das Gleiche gilt für den
Fall, daß der Apparat in einem zu feuchten Raume aufgehängt wird;
denn der Reizanlaß beim Hydrotropismus ist der verschiedene relative
Wassergehalt der Luft auf beiden Seiten der Wurzel.
Bei einer anderen Versuchsanstellung benutzt Sachs wasserge-
tränkte Torfziegel, auf deren Oberfläche kleine Samen von Kresse
(Lepidium), Senf (Sinapis) oder dgl. gesät werden. Haben die
Pflänzchen die ersten Keimungsstadien durchlaufen, so wird der
Torfziegel in umgekehrte und geneigte Lage gebracht. Die beobach-
teten Erscheinungen sind den beschriebenen ähnlich.
Molisch (1883) hat für Versuche über Wurzelhydrotropismus
einen äußerlich trichterförmigen, aber kompakten porösen Tonkörper
konstruiert. Dieser wird mit seinem unteren zylinderförmigen Ansatz
in Wasser gestellt und hält sich durch Kapillarität selbst feucht.
Der obere kegelförmige Teil trägt eine flache Aushöhlung, die mit
feuchten Sägespänen gefüllt wird. In diese werden die Samen ein-
gebettet, während die Keimwurzeln in Kanäle zu liegen kommen,
die nach auswärts führen. Kommen sie an die einspringende Ober-
fläche des Tontrichters, so wachsen sie nicht senkrecht abwärts,
sondern schmiegen sich der feuchten Fläche an, falls die umgebende
Luft nicht zu feucht ist. Auf diese Weise läßt sich das Verhalten
jeder einzelnen Wurzel gut verfolgen.
Molisch hat sich die Frage vorgelegt, welcher Teil der Wurzel
den hydrotropischen Reiz perzipiere. Maiswurzeln, die mit Ausnahme
der Spitze mit feuchtem Seidenpapier umgeben waren, wurden
horizontal gelegt. Auf die eine Seite der Spitze kam ein Streifehen
feuchtes Fließpapier, auf die andere ein Tropfen Schwefelsäure, der
Wasserdampf absorbieren sollte. Auf diese Weise wurde eine mög-
lichst große Differenz im Dampfsättigungsgrade der Luft erzielt.
Die eintretende Krümmung nach dem feuchten Papier hin bewies
die Fähigkeit der Wurzelspitze, den Reiz aufzunehmen, denn die
mit feuchtem Papier umgebenen Regionen der Wurzel konnten hier-
für nicht in Betracht kommen. Später hat Pfeffer (1904 S. 605)
Osmo-, Hydro- und Rheotropismus. 267
den ergänzenden Gegenversuch ausführen lassen: Umhüllung der
Spitze mit feuchtem Papier verhindert die hydrotropische Krümmung,
auch wenn die Wachstumszone dem Reize ausgesetzt ist. Also ist
die Spitze der allein empfindliche Teil.
Um seinen Tontrichter außen recht feucht zu erhalten, hat ihn
Molisch mit Fließpapier belegt, das besser saugt als Ton. Ich habe
dann gezeigt, daß man jede beliebig gestaltete Fläche von Glas, Zink-
blech u. dgl. mit feuchtem Papier bedecken und als Substrat für das
Wachstum kleiner und dünner
Wurzeln benutzen kann (Prings-
heim 1911). Auch auf diese
Weise läßt sich der Hydrotropis-
mus sehr schön demonstrieren.
Am besten gelingt der Versuch,
wenn man eine Blechplatte in
einem stumpfen Winkel biegt
und in einen großen, oben offenen
Glaszylinder so einstellt, daß die
obere Fläche senkrecht steht.
Die Außenseite der Blechscheibe
wird mit Fließpapier belegt, das
durch eine Schicht Wasser am
Boden des Zylinders feucht ge-
halten wird. Die Samen von
Sinapis, Lepidium u. a. kommen
trocken auf das feuchte Papier der
oberen Fläche nahe der Biegung.
Das Resultat zeigt die Abb. 91.
Der Reizanlaß ist beim
Hydrotopismus durch den ver-
schiedenen Wasserdampfgehalt
der Luft an entgegengesetzten
Flanken gegeben. Die dadurch
bewirkte ungleiche Transpiration Abb. 91.
dürfte die eigentliche Reizwir- Keimpflänzchen von Raps. Die Wurzeln
. z haben sich der gebogenen feuchten Löschpapier-
kung ausüben. Molisch betont fläche hydrotropisch angeschmiegt. Auf !/;
die Analogie mit Krümmungen,
die durch wasserentziehende
Mittel, wie Gummi arabicum ausgelöst werden. Letztere müßte man
dann als osmotropische Reaktionen auffassen. Solche ließen sich
aber bei Wurzeln auch mit stärker osmotisch wirkenden Substanzen
bisher nicht nachweisen. (Newcombe and Rhodes 1904).
Die ökologische Bedeutung des Wurzelhydrotropismus ist ziemlich
klar. Er verhindert die Wurzeln in trockene Bodenschichten einzu-
dringen, wo sie verdorren müßten. In der Tat wuchsen Wurzeln,
die Molisch an die Grenze zweier senkrecht nebeneinanderliegenden,
ungleich feuchten Bodenmassen gepflanzt hatte, in die feuchtere
268 VII. Reizwirkung stofflicher Einflüsse.
Erde hinein. Stärker als bei den Hauptwurzeln macht sich der
Hydrotropismus bei den Nebenwurzeln erster und zweiter Ordnung
geltend. Letztere besonders, die keine geotropische ÖOrientierungs-
fähigkeit besitzen, werden daraus Nutzen ziehen, indem sie verhindert
werden an die trockene Luft hinaus zu wachsen. Man kann jeder-
zeit leicht beobachten, daß bei einer Topfpflanze, die in sehr feuchter
Luft gehalten wird, Wurzeln über die Erdoberfläche erscheinen. Unter
solchen Umständen kann der schützende Hydroteopnzs nicht zu-
stande kommen.
Ähnlich wie die Wurzeln höherer Pflanzen verhalten sich nach
Molisch die Haarwurzeln (Rhizoiden) von Lebermoosen und Farn-
vorkeimen. Ragte in seinen Versuchen der Thallus über den Rand
eines feuchten Fließpapierstückes, das eine umgelegte Glasschale über-
zog, so bogen sich die Rhizoiden nach dem der Glasschale senk-
recht anliegenden Teile des Papieres hin. Bei diesen Gewächsen, die
oft an senkrechten Baumstämmen u. dgl. wachsen, ist der Nutzen
des Hydrotropismus der Wurzelfasern wiederum leicht ersichtlich.
Im Gegensatz zu den positiv hydrotropischen Wurzeln krümmen
sich die Fruktifikationsorgane vieler Pilze von feuchten Flächen fort
und erreichen dadurch die zum Ausstreuen oder jedenfalls zur Ver-
breitung der Sporen geeignete Lage in der trockeneren Luft.
So verhalten sich nach Molisch die Hutstiele des Pilzes Coprinus
stercorarius und die Sporangienträger von Mucor stolonifer, nach
anderen die Fruchtträger von Phycomyces, wie überhaupt der Mucorineen
(vgl. Wortmann 1881, Steyer 1901 und Pfeffer 1904 8. 587),
Die großen Sporangienstiele von Phycomyces eignen sich beson-
ders zu Versuchen. Steyer bedeckte die auf Brot wachsenden Kul-
turen mit Glimmerplatten, welche Öffnungen zum Hervortreten von
Fruchtträgern besaßen. Dadurch wurden einzelne von ihnen zur Be-
obachtung isoliert, während sie sonst in dichten Büscheln wachsen,
die auseinander spreizen, weil sie selbst Feuchtigkeit abgeben. Außer-
dem wurde durch die Bedeckung die Wirkung des feuchten Brotes
unschädlich gemacht. Wurde nun den aufrechten Fruchtträgern eine
feuchte Papierflächte genähert, so krümmten sich die zunächst ge-
legenen, zwischen 1—4 mm von der dampfabgebenden Fläche, von ihr
fort, die ferner stehenden waren in einer Breite von l cm gerade,
die folgenden waren dem Papier zu gekrümmt.
Es scheint also, daß ein geringer einseitiger Feuchtigkeitsüber-
schuß positiven Hydrotropismus hervorrufen kann und ein größerer
erst negativen. Demnach stünde das ganze Verhalten in bemerkens-
werter Analogie zum Phototropismus, auch in bezug auf die Diffe-
renzen zwischen positiv und negativ reagierenden Organen. Nur daß
es physikalisch unmöglich ist, bei den positiv hydrotropischen Ob-
jekten die Luftfeuchtigkeit über 100°/, hinaus weiter zu steigern,
um etwa negative Reaktionen zu erzielen. Wenn man übrigens
die Transpiration an Stelle des Dampfgehaltes der Luft als Reiz-
Osmo-, Hydro- und Rheotropismus. 269
mittel betrachtet, wozu man mindestens ebenso berechtigt ist, so
dreht sich das Bild um und die Analogie wird noch besser.
Bei den im Substrat wachsenden Pilzfäden konnte Steyer keine
Reaktion auf Feuchtigkeitsdifferenzen nachweisen. Ebensowenig zeigen
die Stengelorgane der meisten höheren Pflanzen irgendwelchen Hydro-
tropismus. Nur beim Flachs (Linum usitatissimum) gelang es Molisch,
falls er durch Klinostatendrehung die geotropische Gegenwirkung aus-
schaltete, ein Fortkrümmen von feuchten Flächen zu beobachten. Aber
auch da ist die Reizwirkung gering.
In den bisher geschildeten Fällen veranlaßte das Wasser als
Dampf durch seine ungleiche Verteilung eine Richtungsbewegung.
Aber auch im tropfbar flüssigen Zustande ist es vielfach imstande,
einen Reiz auszuüben, und zwar durch seine Strömung. Entdeckt
wurde diese Tatsache, der „Rheotropismus“, durch Jönsson (1883).
Er sähte Sporen von Schimmelpilzen auf Streifen von Filtrierpapier,
durch die er einen Strom von Nährflüssigkeit leitete, indem er sie
heberartig aus einem Gefäß heraushängen ließ. Die auskeimenden
Pilzfäden wuchsen bei der gewählten Stromgeschwindigkeit mit dem
Strom, reagierten also negativ, wenn Phycomyces und Mucor benutzt
wurde, — gegen den Strom aber, positiv, bei Botrytis. Die Ver-
suche wären mit variierter Schnelligkeit der Strömung zu wiederholen,
denn mindestens die negativen Krümmungen könnten rein mecha-
nischer Natur sein.
Besser unterrichtet sind wir über entsprechende Reaktionen von
Wurzeln. Jönsson (1883) ließ Maiskeimwurzeln in Wasser hängen,
das von der Leitung her eine schräg gestellte Wanne durchfloß. Nach
einigen Stunden krümmten sie sich in der Wachstumszone in die
Richtung gegen den Strom, also positiv rheotropisch. Ähnlich ver-
hielten sich junge Roggen- und Weizenwurzeln, falls die Stromstärke
so gering war, daß eine mechanische Beugung dieser zarten Objekte
nicht stattfinden konnte.
Berg (1889) fügte dem hinzu, daß auch in Erde rheotropische
Krümmungen auftreten können. Alle untersuchten Keimwurzeln
(mit einer Ausnahme), sowie auch Nebenwurzeln erster Ordnung
reagierten rheotropisch; doch machte sich nach dem Zustandekom-
men der Horizontalstellung eine geotropische Gegenkrümmung der
Wurzelspitze bemerkbar. Berg verbesserte die Methode wesentlich.
Da es ja nur auf die relative Bewegung zwischen Wurzeln und
Wasser ankommt, konnte er sich von der Verwendung großer
Wassermassen freimachen. Er benutzte runde geschlossene Gefäße
und ließ entweder die Wurzeln mit Hilfe eines Uhrwerkes sich im
Kreise gegen das Wasser bewegen oder die Flüssigkeit in der Schale
durch einen tangential einströmenden Wasserstrahl in Rotation ver-
setzen.
Juel (1900) bediente sich dann einer ähnlichen, von Pfeffer er-
dachten Anordnung (Abb. 92). Die Wurzeln werden bei ihr an einem
270 VII. Reizwirkung stofflicher Einflüsse.
horizontal feststehenden Glasstabe befestigt. Sie tauchen in eine Glas-
schale voll Wasser, die durch den Klinostaten in Drehung versetzt wird.
Je nach der Entfernung der Wurzeln vom Drehungsmittelpunkte und
nach der Geschwindigkeit der Rotation sind die Strömungen ver-
schieden stark. Mit dieser Methode konnte Juel zeigen, daß an den
Wurzeln von Vicia Faba bei großer Gewalt des Stromes meist nega-
tive, bei geringerer als 40 cm in der Sekunde meist positive Krüm-
mungen auftreten. Selbst bei einer Strömung, die nur 0,3mm in
der Sekunde zurücklegte, bekam er noch Reaktionen, die aber
schwächer waren als z. B. bei 0,5 mm. Um zu prüfen, ob vielleicht
die Wurzelspitze das reizaufnehmende Organ ist, schnitt er sie ab.
Die Krümmungen wurden nun aber sogar noch stärker, wahrschein-
Abb. 92.
Rheotropische Wurzeln von Vicia sativa. Das Gefäß mit dem
Wasser dreht sich in der angedeuteten Richtung. Nach Pfeffer 1904.
lich durch Ausschaltung des Geotropismus. Jedenfalls zeigt sich hier
ein fundamentaler Unterschied gegenüber dem Hydrotropismus, der
nur an der Spitze perzipiert wird.
Newcombe (1902) hat dann die Lokalisierung der rheotropischen
Empfindlichkeit in der Wurzelspitze weiter untersucht. Er schützte
bestimmte Regionen der Wurzeln gegen den Wasserstrom, indem er
sie in Glasröhrchen einführte und die Zwischenräume mit Watte ver-
stopfte. Es zeigte sich, daß Krümmungen in der Wachstumszone
auftraten, wenn allein die Spitze auf 1mm frei blieb, aber auch
wenn umgekehrt nur der obere Teil vom Strome getroffen werden
konnte, weil die Wurzel bis auf 20 mm von der Spitze eingeschlossen
war (Raphanus sativus, Brassica alba). Da das Wachstum dicht
hinter der Spitze vor sich geht, muß hier also der Reiz in einer nicht
mehr streckungsfähigen Zone perzipiert und von da spitzenwärts
geleitet werden, ein in der Pflanzenwelt seltenes Verhalten.
Chemonastie. 271
Trotz mehrfacher Untersuchung des Rheotropismus wissen wir
über den eigentlichen Reizanlaß nicht Bescheid. In Betracht kommen
die mechanische Wirkung des Stromes oder die etwa durch ihn be-
wirkte Verschiebung der Wasserverteilung in der Wurzel. Wäre die
Reibung des Wassers für das Zustandekommen der Reizung von Be-
deutung, so läge ein Fall von Thigmotropismus vor. Ein solcher
ist aber sonst an Wurzeln nicht nachweisbar. Auch haben bei den thig-
motropisch so empfindlichen Ranken gerade Flüssigkeiten keine Wir-
kung (vgl. S. 218). Eine Wasserverschiebung in der Wurzel könnte
dadurch zustande kommen, daß der Strom auf der einen Seite Wasser
einpreßt, auf der anderen aber saugt. Nur müßte diese physikalische
Wirkung bei langsamen Strömen außerordentlich gering sein. Die
Frage ist, wie gesagt, nicht entschieden. Einen gewissen Anhalt
geben Versuche von Hryniewiecki (1908), in denen festgestellt wurde,
daß manche in Luft befindliche, einseitig mit Wasser besprühte
Wurzeln sich nach dieser Seite hin krümmen, und zwar auch, wenn
die Wurzelspitze entfernt ist.
Ferner fand der genannte Autor, daß destilliertes Wasser ener-
gischer wirkt als Leitungswasser, daß basische Reaktion die Wirkung
aufhebt, ganz schwach sauere sie aber wesentlich verstärkt. Der Schluß
des Verfassers auf Gleichartigkeit der Perzeptionsvorgänge beim Hydro-
und Chemotropismus ist freilich wohl verfehlt.
Auch über eine etwaige ökologische Bedeutung des Rheotropis-
mus läßt sich nichts aussagen. Es ist nicht wahrscheinlich, daß eine
Erdwurzel häufig Vorteil daraus zieht, Wasserströmungen entgegenzu-
wachsen. Bis hierauf gerichtete Untersuchngen vorliegen, ist es besser,
Vermutungen zu unterlassen.
c) Chemonastie.
Wir haben in den letzten Abschnitten die durch chemische Reize
bewirkten Richtungsbewegungen besprochen, bei denen also der Reiz-
anlaß durch die ungleiche Verteilung des Reizmittels gegeben war.
Ist dagegen die Krümmungsrichtung von der örtlichen Verteilung
des Reizstoffes unabhängig, so spricht man von Chemonastie. Die
bedeutungsvollsten Beispiele haben wir schon bei den Insektivoren
besprochen (S. 235ff.), so daß hier nur kurz darauf hingewiesen werden
soll. Die eigenartigen Reizbewegungen der Blätter von Pinguicula,
Drosera und Dionaea werden unter natürlichen Umständen durch
gleichzeitigen Einfluß mechanischer und chemischer Reize bewirkt.
Im Experiment ließen sich die chemonastischen Reaktionen ge-
trennt studieren, wenn der Reizstoff in einer Form geboten wurde,
die mechanische Reizung ausschloß, also als vorsichtig auf die Blätter
gebrachte Tropfen flüssiger oder gelöster Substanzen. Es erfolgte
dann die durch den Bau des Blattes festgelegte Schließbewegung,
die besonders bei Dionaea sich durch ihre Langsamkeit und längeres
Vorhalten von der Reaktion auf Berührung unterschied.
272 VII Reizwirkung stofllicher Einflüsse.
Jedenfalls vollzog sich die Bewegung nicht in einem bestimmten
Sinne zur Richtung des Reizes, war also eine echte Chemonastie.
Das wird besonders deutlich, wenn das ganze Blatt durch Eintauchen
in die Lösung eines Reizstoffes diffus gereizt wird. Auch dann, wenn
bei Pinguieula und Drosera die Bewegung an der Stelle beginnt, die
mit dem Reizstoffe belegt worden ist, liegt doch keine Richtungs-
bewegung vor. Anders ist es, wenn die Tentakeln von Drosera sich
nicht nach der Mitte, sondern nach einer seitlichen gereizten Stelle
hin biegen. Dann spielt ein tropistischer Reiz mit hinein. Aber
die vorliegenden Erfahrungen gestatten nicht zu entscheiden, ob das
durch rein chemische Einflüsse zu erzielen ist, denn Darwin (1865
[1899]) experimentierte nur mit festen Substanzen, mit Stückchen
von Fleisch und von Ammoniumphosphat.
Chemonastische Bewegungen kommen (ebenso wie thermona-
stische) bei Pflanzenteilen, die vorwiegend mechanisch reizbar sind, als
Nebenerscheinung vor. So krümmen sich Ranken bogenförmig ein,
wenn man sie in eine Atmosphäre bringt, die mit Ammoniak- oder
Chlorophormdämpfen geschwängert ist. Ähnlich wirkt bei ihnen,
sowie bei verschiedenen reizbaren Narben und Staubgefäßen, der Ent-
zug des Sauerstoffes (Correns 1892 und 1896). Auch Mimosa reagiert
auf Chloroform, und zwar durch Hebung der Blätter. Diese er-
folgt, trotzdem durch das Narkotikum die Erschütterungsreizbarkeit
aufgehoben wird (Pfeffer 1873).
Ebenso wie hier ist irgendwelche ökologische Bedeutung der
chemonastischen Reaktionen auch in einem neuerdings aufgefundenen
Falle nicht zu ersehen. Die Blätter von Callisia repens, einer Trades-
cantia-ähnlichen Pflanze, fielen Wächter (1905) dadurch auf, daß sie
im Zimmer eine andere Lage einnahmen als in dem Gewächshaus,
in dem sie kultiviert wurden. Und zwar klappten die Blätter,
die sonst ausgebreitet sind, durch ungleiches Wachstum an der
Basis herab. Es zeigte sich, daß es irgendwelche Beimengungen der
Laboratoriumsluft sind, die diese Bewegungen herbeiführen. Im Ver-
suche konnte mit den verschiedenartigsten schädlichen Stoffen die-
selbe Wirkung erreicht werden, aber nur an Callisia, nicht an nahe
verwandten anderen Pflanzen. Die Reaktion tritt so sicher ein, daß
Pfeffer (1907) ihr Ausbleiben als deutliches Zeichen genügend reiner
Luft in seinem Versuchsraum verwenden konnte.
Aus solehen Beobachtungen muß man die Lehre ziehen, daß in
botanischen Laboratorien auf besonders gute Luft zu sehen ist, wenn
man nicht allerlei Täuschungen und Störungen gewärtigen will.
Dasselbe hatte schon Richter (1903) betont. Es lagen vielfältige
Erfahrungen vor, daß Keimpflanzen, besonders von Leguminosen,
die für reizphysiologische Zwecke verwendet werden sollten, durch
schiefen Wuchs enttäuschten. Die Literatur über den für die Labo-
ratoriumspraxis so wichtigen Gegenstand ist recht ausgedehnt. (Zu-
sammengestellt findet sie sich z. B. bei Guttenberg 1910 und
Neljubow 1911).
Chemonastie. 273
Die Keimstengel von Wicken, Erbsen, Linsen und anderen Le-
guminosen, sowie die von Tropaeolum, Agrostemma, Helianthus!)
zeigen den Einfluß verunreinigter Luft, wie sie in Laboratorien ohne
besondere Vorsichtsmaßregeln stets herrscht, in einer Verlangsamung
des Wachstums, mit der vielfach ein abnormes Dickenwachstum und
bleiche Farbe Hand in Hand geht. Dabei sind sie in ihrem oberen
Teile seitlich gekrümmt, und zwar oft so stark, daß sie dem Erd-
boden angepreßt wachsen.
Der Grund der Erscheinung liegt in einer Störung des Geotro-
pismus. Durch die Ausschaltung des Bestrebens sich aufzurichten,
werden anderweitige Krümmungsreize, z. B. phototropische, eine
stärkere Ablenkung aus der Vertikalstellung bewirken als ihrem Ein-
fluß allein entspräche (Richter 1906 und 1909). Die experimentellen
Schwierigkeiten, die dadurch zustande kommen können, hat Gutten-
berg (1910) eingehend besprochen.
Die Art, wie das geotropische Verhalten beeinflußt wird, hat
aber erst Neljubow (1911) klargelest. Er fand, daß die oberen
Teile der betreffenden Keimlinge sich unter dem Einflusse gewisser
gasförmiger Stoffe horizontal zu stellen suchen, und zwar deshalb,
weil sie durch den chemischen Reiz transversal geotropisch werden.
Es liegt hier also eine geotropische Sinnesänderung, ausgelöst durch
chemische Stoffe, vor.
Die Seite, nach der die Krümmung vor sich geht, wird durch
kleine Abweichungen von der Vertikalstellung bestimmt, denn genau
in dieser haben radiäre transversalgeotropische Objekte eine Ruhe-
lage. Wirkt ein tropistischer Außenreiz, also etwa Licht ein, so be-
stimmt dessen Richtung die Ebene der Krümmung, wodurch dann
die ganze Beugung aussieht, als wäre sie dem Phototropismus allein
zuzuschreiben. Man sieht, daß die Beachtung dieser Erscheinung für
die Deutung vieler reizphysiologischer Versuchsergebnisse von großer
Bedeutung ist, um so mehr als unter den beliebten Laboratoriums-
objekten gerade viele sind, die diese Art von Chemonastie aufweisen,
und als die geringsten Spuren von schwer nachweisbaren Stoffen
wirksam sind.
Die meisten Versuche über die Chemonastie der Keimlinge sind
leider mit schwer übersehbaren Gemischen von Stoffen, mit ‚Labo-
ratoriumsluft‘‘ und Leuchtgas angestellt. Nur Neljubow hat be-
stimmte Stoffe, wie Ätylen und Azetylen verwendet, die im Leucht-
gase vorkommen und dessen Wirkung bedingen dürften. Weitere
Untersuchungen darüber, welche Substanzen und in welchen Mengen
sie denselben Erfolg hervorrufen, wären erwünscht.
Wenn durch chemische Einflüsse nicht Wachstumskrümmungen,
sondern nur Veränderungen in der Schnelligkeit auch sonst verlau-
1) Auch das von Darwin soviel benutzte Gras Phalaris canariensis ge-
hört nach eigenen Erfahrungen hierher.
Pringsheim, Reizbewegungen. 18
274 VII. Reizwirkung stofflicher Einflüsse.
fender geradliniger Wachstumsvorgänge hervorgerufen werden, so ist
die Deutung- solcher Vorgänge als Reizreaktion recht zweifelhaft.
Wir wollen daher alle jene Wachstumsbeeipflussungen, die durch
Narkotika, durchEntziehung von Sauerstoff oderdurch Kohlensäureu.dgl.
hervorgerufen werden, hier nicht besprechen.
Über die Veränderung in der Reizbarkeit gegen anderweitige
Einflüsse, die durch dieselben Stoffe bewirkt werden, haben wir an
mehreren Orten schon berichtet. Es wäre demnach nur noch dar-
auf hinzuweisen, daß besonders die Plasmaströmung und die Be-
wegungen frei schwimmender Organismen auf ihre Beeinflussung durch
chemische Mittel hin studiert worden sind. So läßt sich die Plasma-
strömung durch Chloroform und Äther aufheben, andererseits aber
bei kurzer Einwirkung auch gerade durch diese Mittel hervorrufen,
ähnlich wie durch Verletzungen.
Daß die Plasmaströmung als Zeichen für lebhafte Tätigkeit in
einem Gewebe angesehen werden kann, zeigen besonders deutlich die
Blatt-Tentakeln von Drosera, in denen neben anderen Veränderungen
in den Zellen (vgl. S. 239), auf chemische Reize hin und während der
Absonderung des Verdauungssaftes, eine lebhafte Plasmaströmung
einsetzt. (Literatur bei Pfeffer 1904, S. 466.) Meist werden die
durch chemische Reize hervorgerufenen Umsetzungen und Umlage-
rungen in Zellen nicht so leicht der Beobachtung zugänglich sein.
Man darf aber wohl annehmen, daß die Droseratentakeln in der
Beziehung nicht allein dastehen.
d) Allgemeines über Chemotaxis und Aörotaxis.
Bedeutend besser als über die durch Wachstum bewirkten chemo-
tropischen Reizerfolge sind wir über die chemotaktischen Reaktionen
frei beweglicher Organismen unterrichtet. Der Grund hierfür liegt
offenbar darin, daß die als Reizanlaß dienende ungleiche Verteilung
chemischer Stoffe in einer Lösung nicht lange bestehen bleiben kann
und daher leichter auf die lokale Anordnung der relativ schnell be-
weglichen schwimmfähigen als der trägeren durch Wachstum rea-
gierenden Objekte einwirken kann.
Der Erfolg einer chemotropischen Reaktionsweise macht sich
darin bemerkbar, daß innerhalb des verfügbaren Raumes Stellen auf-
gesucht werden, die eine bestimmte Konzentration des Reizstofles
darbieten. Ein ähnliches Verhalten war auch für frei bewegliche
Organismen als wahrscheinlich angenommen worden (Literatur Pfeffer
1884) bevor es Engelmann (188la u. 1882) und Pfeffer (1884) gelang,
sichere Beweise zu erbringen. Durch diese Veröffentlichungen, denen
bald (1888) eine weitere von Pfeffer folgte, wurde die Lehre von
der Chemotaxis sogleich unter die am besten bekannten und an-
ziehendsten Gebiete der pflanzlichen Reizbarkeit eingereiht.
Chemotaktische Reizbarkeit kommt ebenso wie die chemotro-
pische sowohl im Dienste der Fortpflanzung wie der Ernährung und
Allgemeines über Chemotaxis und Aörotaxis. 275
der Atmung vor. Auch finden wir wiederum, daß gelöste Stoffe, die
eine Wasserentziehung oder sonstige Schädigungen bewirken könnten,
die Orientierungsbewegungen beeinflussen.
Aerotaxis.
Am längsten von aller chemotaktischen Erscheinungen ist die
von Engelmann (188la) entdeckte Tatsache bekannt, daß luftbe-
dürftige Bakterien Orte hoher Sauerstofikonzentration aufsuchen. In
einem durch das Deckglas abgeschlossenen Kulturtropfen sammeln sie
sich in der Randzone und um eingeschlossene Luftblasen, sobald im
Innern der Flüssigkeit Sauerstoffmangel eintritt. Durch die lebhafte
Atmung der Bakterien wird bald auch der Sauerstoff der Bläschen
aufgezehrt, die dadurch ihr Anlockungsvermögen einbüßen. Am
Rande des Deckgläschens wird dafür bei freiem Luftzutritt die An-
sammlung immer dichter und kann stundenlang anhalten, falls die Ver-
dunstung der Kulturflüssigkeit verhindert wird. Die Bakterien jedoch,
die die Randzone nicht rechtzeitig zu erreichen vermögen, werden aus
Mangel an Atmungssauerstoff unbeweglich.
Eine Unklarheit bleibt diesen Versuchen durch die Nichtberück-
sichtigung der entstehenden Atmungskohlensäure. Sollte diese eine
negative Chemotaxis bewirken, so könnte ihre Reizwirkung das ge-
schilderte Verhalten, wenn nicht allein, so doch mit hervorrufen.
Solange über diese Fragen nichts genaueres bekannt ist, ist es ganz
zweckmäßig, die erwähnten und einige gleich zu schildernde Erschei-
nungen als Aörotaxis (Richtungsreizung durch die ‚„Luft‘‘) zusammen-
zufassen.
In derselben Weise wie Luftblasen wirken auch andere Sauer-
stoffquellen in einem abgeschlossenen sauerstoffarmen Medium als
Anlockungszentren geeigneter Bakterien. So z. B. grüne Algenzellen,
die im Lichte durch Kohlensäurespaltung Sauerstoff frei machen.
Diese Tatsache machte sich der genannte Forscher zur Ausbildung
der als „Engelmannsche Bakterienmethode“ bekannten Versuchs-
anstellung zunutze (188la). Sie dient zum Nachweis geringer Mengen
von assimilatorischem Sauerstofi.
Wird nämlich ein Algenfaden unter einem Deckglase mit aero-
taktischen Bakterien zusammen luftdicht eingeschlossen, so zerstreuen
sich diese im Dunkeln in der Wasserschicht und werden schließlich
unbeweglich. Im Lichte aber scheidet die Alge Sauerstoff aus und
gibt dadurch den Bakterien in ihrer Nähe die Möglichkeit, ihre Be-
wegungen wieder aufzunehmen und sich a@rotaktisch anzusammeln.
Wird mit verschiedenfarbigem Lichte in Form eines kleinen Spektrums
beleuchtet, so sammeln sich die Bakterien um den Algenfaden da
am stärksten, wo die reichlichste Sauerstoffabscheidung stattfindet.
Man kann daher aus der Verteilung der Bakterien auf die relative
Größe der Assimilation in verschiedenen Spektralbezirken schließen
(Abb. 93). Besonders wertvoll wird diese Methode dann, wenn es sich
135
276 VII. Reizwirkung stofflicher Einflüsse.
um kleine Organismen, wie Diatomeen oder dergleichen handelt, bei
denen die assimilatorisch wirksamen Strahlen auf andere Weise nur
schwer bestimmbar sind, und die wegen ihrer abweichenden Färbung
der Physiologie besondere, an größere Pflanzen nicht lösbare Probleme
stellen. Auch gestattet die Engelmannsche Methode den Nachweis,
ob ein bestimmter mikroskopischer Organismus überhaupt Sauer-
stoffe. zu produzieren vermag.
Engelmann benutzte für seine Versuche die gewöhnlichen
Fäulnisbakterien, wie sie sich z. B. an Erbsen in Wasser entwickeln.
Ist diesen Bakterien die Wahl zwischen Sauerstoff vom Partiärdruck
der Atmosphäre und einem niedrigeren freigestellt, so suchen sie den
ersteren auf. Noch höhere Tensionen würden sie vielleicht fliehen.
Wir wissen nämlich, besonders aus Versuchen Beijerincks (1894),
daß viele Bakterien an geringere Sauerstoffimengen angepaßt sind als
sie die Atmosphäre liefert. Sie suchen deshalb, unter dem einfach
N
v.
TIER ECE D “
> 1 DREI grH
| | |
Abb. 93.
Engelmannsche Bakterienmethode. Ein Faden von Oedogonium mit
einem kleinen Spektrum beleuchtet, von dem nur die wichtigsten
Fraunhoferschen Linien angegeben sind. Die Bakterien sammeln
sich hauptsächlich an den Stellen, wo die stärkste Sauerstoffab-
scheidung stattfindet. Nach Pfeffer 1897.
aufgelegten Deckglase eingeschlossen, nicht die äußerste Randzone auf,
sondern eine mehr oder weniger tief nach innen liegende (Abb. 94). Es
gibt selbst solche, die auch die geringsten Sauerstofispuren fliehen und
sich daher in dem geschilderten Versuche möglichst weit vom Rande,
also in der Mitte zusammendrängen (Rothert 1901, 8. 376). Es war
Beijerinck möglich, auf Grund dieses Verhaltens verschiedene Bak-
terientypen von abweichendem Sauerstoffbedürfnis voneinander zu
trennen, den Aöroben-, den Spirillen- und den Anaörobentypus. Daraus
darf man wohl schließen, daß jedem Bakterium ein gewisses Sauer-
stoff-,,‚ Optimum“ zukommt, das bei manchen weit über der normalen
Tension dieses Gases, bei anderen sehr tief liegen kann.
Betrachten wir ein einzelnes Individuum jener Bakterienarten,
die sich bei gegebener Auswahl in einer mittleren Sauerstoffkonzen-
tration sammeln, so sehen wir, daß es sich je nach der ursprüng-
lichen Lage entweder nach einem Orte höherer oder niedrigerer
Tension begibt, also positiv oder negativ reagiert. Wir finden hier
wiederum die allgemeine Regel bestätigt, daß Reize, die überhaupt
Allgemeines über Chemotaxis und Aörotaxis. 277
in der Natur quantitativ abgestuft vorkommen, bei starker Ein-
wirkung negative, bei schwächerer positive Reaktion be-
wirken. Im Prinzip müssen wir dasselbe für alle Arten von aero-
taktischen Bakterien annehmen, z. B. auch für die sich am Deck-
glasrande sammelnden vom A&robentypus Beijerincks. Der Einfluß
höherer Drucke, als sie der Atmosphäre entsprechen, auf die Aörotaxis
wurde bisher nicht untersucht. Die untere physikalisch mögliche
Grenze ist jedenfalls in einem unter Deckglas befindlichen Kultur-
tropfen auch im Zentrum nicht gegeben und die obere nicht am
Rande. Es fehlten demnach noch Versuche mit exakterer Methode,
in denen Art und Konzentration der gelösten Gase genau be-
kannt wären.
\ Bakterienzone Rand des Deckglases
v Y
Abb. 94.
Bewegliche Purpurbakterien (Chromatium) an mäßige Luft-
zufuhr angepaßt, unterm Deckglas in Flüssigkeit. Die Bakterien
suchen eine gewisse Zone auf, in die vom Deckglasrande nicht
zu viel und nicht zu wenig Sauerstoff dringt und bilden dort einen
scharf begrenzten Strich. An der Ecke weichen sie wegen der
reichlicheren Sauerstoffdiffusion mehr zurück.
Über die Reaktionsweise des Einzelbakteriums finden wir An-
gaben bei Jennings ([1905] 1910, S. 39 ff.), der sie besonders an gewissen
Spirillen genau verfolgt hat. Die Ansammlung um eine Luftblase
z. B. kommt auf folgende Weise zustande: Die Individuen, die zu-
fällig im Laufe ihrer Bahn in die Nähe einer solchen Sauerstoffquelle
gekommen sind, schwimmen zunächst ohne Änderung ihrer Bewe-
gungsrichtung daran vorbei; sobald sie aber wieder in eine sauerstoff-
arme Zone geraten, prallen sie zurück als hätten sie an ein Hindernis
gestoßen. So schwimmen sie eine gewisse Strecke rückwärts und
kommen dadurch wieder in sauerstoffhaltiges Wasser. Individuen,
die gerade in Teilung begriffen sind und deshalb an beiden Enden
Bewegungsorgane besitzen, behalten jetzt diese Schwimmrichtung bei,
278 VII. Reizwirkung stofflicher Einflüsse.
bis sie wieder an die Grenze der Diffusionszone geraten. Diejenigen
Spirillen aber, die nur am vorderen Ende Geißeln tragen, kehren
ihre Bewegung nur kurze Zeit um und schwimmen dann wieder vor-
wärts, meist jedoch in etwas abweichender Richtung, so. daß sie nicht
sofort wieder an die Grenze gelangen. Auf diese Weise pendeln alle
Individuen dauernd in der Diffusionszone hin und her. Die ganze
Reaktionsweise durch ‚Schreckbewegung‘‘ entspricht genau dem, was
wir oben für die Lichtreaktionen der Purpurbakterien kennen gelernt
haben, bei denen von Engelmann die Reizbewegungen der Bakterien
zuerst eingehend studiert wurden (vgl. S. 96). In derselben Art
kommen bei Bakterien überhaupt durchwegs die „Richtungsbewe-
gungen‘ zustande.
Diejenigen Bakterienarten, die geringere Sauerstofftensionen als
die der Atmosphäre aufsuchen, führen ihre negativen Reaktionen in
ganz entsprechender Art aus, indem sie beim Übergange aus niederer
zu höherer Konzentration zurückschrecken. Manche sammeln sich um
eine Luftblase oder am Rande des Deckglases in einem ganz schmalen
Streifen, weil ihr Sauerstoffbedürfnis sehr genau auf einen bestimmten
Gehalt an diesem Gase eingestellt ist. Sie prallen dann dauernd
einmal an Zonen zu hoher, einmal an solchen zu niederer Sauerstoff-
konzentration zurück (Abb. 94). In einseitig offenen Röhrchen bilden
sie auf dieselbe Weise schmale, plattenförmige Zonen.
Ähnlich geformte Anhäufungen von Bakterien auf engem Raume
kommen auch noch auf andere Weise zustande, nämlich dann, wenn
in einem oben offenen Gefäße dem durch Diffusion von der Atmo-
sphäre her gedeckten Bedürfnisse an Sauerstoff der Mangel an
Nahrungsstoffen in den höheren Flüssigkeitsschichten entgegenarbeitet.
Befindet sich z. B. am Boden eines Reagensglases nach einer von
Beijerinck (1893) angegebenen Methode eine Bohne, die von einer
größeren Wassersäule bedeckt ist, so entwickeln sich auf Grund der
aus den Samen herausdiffundierenden Stoffe Bakterien, welche sich
anfangs nahe an die Nahrungsquelle halten. Später aber bilden sie
eine plattenförmige, scharf umgrenzte Schicht, die sich infolge des
eintretenden Sauerstoffmangels im Laufe der nächsten Tage langsam
nach oben bewegt. Daß die positiv a@rotaktischen Bakterien nicht
allein dem Atembedürfnis folgen und an die Wasseroberfläche steigen,
liegt daran, daß sie gleichzeitig der von unten herauf diffundierenden
Nahrungsstoffe bedürfen. Diese können ebensowenig über die ‚„Bak-
terienplatte‘“ hinauf gelangen als der Sauerstoff tiefer hinunter, weil
beide von den Organismen aufgezehrt werden. So stellt deren Lage
einen Kompromiß zwischen Sauerstoff- und Nährstoffbedürfnis dar.
Ganz entsprechend verhalten sich viele von den sogenannten
Schwefelbakterien, die ihren Betriebsstoffwechsel durch Oxydation von
Schwefelwasserstoff befriedigen. Da dieses Gas sich mit freiem Sauer-
stoff selbständig umsetzt, so müssen die Schwefelbakterien in Genzzonen
leben, zu denen von der einen Seite Schwefelwasserstoff und von der
anderen Sauerstoff diffundiert (Winogradsky 1887). Die frei beweg-
Allgemeines über Chemotaxis und Aörotaxis. 279
lichen unter ihnen suchen dementsprechend mittlere Orte auf. Auch
konnte Winogradsky beobachten, daß manche Schwefelbakterien
dauernd hin- und herschwimmen, indem sie abwechselnd gewissermaßen
einmal Schwefelwasserstoff und einmal Sauerstoff holen und dann beides
vereinigen. Genau verfolgt wurden diese Bewegungen von Jegunowan
Schwefelbakterien des schwarzen Meeres (1896 und 97, sowie Lafar LIL
1904-06). In hohen, schmalen Glaszylindern, an deren Boden sich
Schwefelwasserstoff entbindender Meeresschlamm befand, traten ähn-
liche Bakterienplatten auf, wie sie oben im Anschluß an die Beijerinck-
schen Versuche geschildert wurden; nur war hier ein beständiges,
ziemlich regelmäßig Aufwärts- und Abwärtswandern der einzelnen
Individuen zu beobachten, die sich ähnlich bewegten wie die Tropfen
eines Springbrunnens und nach dem Fallen wieder aufstiegen. Ein
Umlauf fand etwa in fünf Minuten statt. Dadurch, das die Bakterien
sich zwischen die Schwefelwasserstoff- und die Sauerstoffzone ein-
Glaswand
Flüssigkeit
Luftblase
Glaswand
U
Euglenen
Abb. 95.
Aörotaktische Ansammlung von Euglenen gegen eine Luftblase. Der rechte Teil des Glas-
röhrehens mit Flüssigkeit, der linke mit Luit erfüllt, die durch die starke Lichtbrechung an der
Glaswand schwarz und weiß aussieht. An der Grenze die Euglenen zusammengedrängt.
schalten, bleibt ihnen die für sie nutzbringende, sonst von selbst
verlaufende Oxydation vorbehalten. Durch abwechselndes Eintauchen
in beide Regionen beschleunigen sie die Reaktion.
Außer bei Bakterien sind a@rotaktische Reaktionen noch für
grüne Flagellaten bekannt geworden (Aderhold 1888). Doch sind sie
wenig untersucht. Euglenen z. B., die in einer engen Glaskapillare
eingeschlossen sind, sammeln sich im Dunkeln sehr schön am offenen
Ende, auch dann, wenn dieses seitlich oder abwärts steht und Geo-
taxis (S. 92) nicht in Betracht kommen kann (Abb. 95). Doch ist ihr
Sauerstoffbedürfnis offenbar gering, da die Reaktion ziemlich lange
auf sich warten läßt. In kräftigerem Lichte kommt sie gar nicht zu-
stande, weil die Euglenen sich durch Kohlensäurespaltung selbst
Sauerstoff bereiten. Die Samenfäden der Farne sind gar nicht a@ro-
taktisch (Pfeffer 1884, S. 372), die von Lebermoosen dagegen sehr
deutlich (Lidforss 1904, S. 85). Bei Plasmodien von Aethalium
septicum (Myxomycet), die sich auf Fließpapier teilweise in aus-
gekochtem und durch Öl abgedichtetem Wasser, teils an der Luft
280 VII. Reizwirkung stofflicher Einflüsse.
befanden, beobachtete Stahl (1884b), daß sie ganz an die Luft
herauskrochen, also das sauerstoffarme Medium flohen. Die A&rotaxis
ist im Grunde nur ein besonderer Fall der Chemotaxis, eben die
Reaktion auf Sauerstoff. Nur wegen ihrer besonderen Bedeutung für
die Pflanze haben wir sie von den nun zu besprechenden übrigen
chemotaktischen Erscheinungen abgesondert.
e) Chemotaxis der Samenfäden.
Waren durch Engelmann die a@rotaktischen Reaktionen der
Bakterien gleich bei ihrer Entdeckung dem Studium unterzogen
worden, so blieb die chemotaktische Anlockung der männlichen Samen-
fäden durch den weiblichen Geschlechtsapparat längere Zeit Ver-
mutung, bis dann Pfeffer (1884) seine Untersuchung dieses Vorganges
unternahm. Er bediente sich zunächst der Samenfäden von Farnen,
die leicht in Masse zum Ausschlüpfen veranlaßt werden können, wenn
vorher nicht zu feucht gehaltene Vorkeime in Wasser gebracht
werden. Das geschah in Pfeffers Versuchen auf dem Öbjektträger
unter dem Mikroskope. Waren an dem Vorkeime gleichzeitig reife
weibliche Geschlechtsorgane, die hier etwa flaschenförmig sind, so
öffnete sich deren Hals und ließ einen schleimigen Tropfen austreten.
Nach diesem steuerten die rasch beweglichen Samenfäden hin und
suchten durch den Hals nach der im ‚„Bauche der Flasche‘ befind-
lichen Eizelle vorzudringen.
Pfeffer hegte nun die Vermutung, daß es ein bestimmter chemi-
scher Stoff sein dürfte, der die Anlockung bewirkte. Um die Masse
der möglichen Substanzen einzuengen, wurde folgendes Verfahren an-
gewendet: Zunächst wurde untersucht, ob es sich um einen in Pflanzen
verbreiteten oder einen spezifischen Stoff handle. Es zeigte sich, daß
sowohl der aus verschiedenen angeschnittenen Pflanzenhaaren her-
vorquellende Saft als auch die durch Auspressen aus einigen Ge-
wächsen gewonnene Flüssigkeit wirksam war. Für diese letzten und
die folgenden Versuche mußte eine Methode ersonnen werden, die zu
prüfenden Substanzen in ähnlicher Weise ins Wasser diffundieren zu
lassen wie das bei den Hälsen der weiblichen Geschlechtsorgane und
den zuerst verwendeten Haaren der Fall war. Pfeffer bediente
sich hierzu haardünn ausgezogener und einseitig zugeschmolzener
Glasröhrchen oder Kapillaren, die mit den Lösungen gefüllt
wurden.
Nachdem sich aus den ersten Versuchen ergeben hatte, daß die
Reizwirkung von einem oder vielen allgemein verbreiteten Pflanzen-
stoffen ausgehe, verschaffte sich Pfeffer durch Kochen, Eindampfen,
Wiederauflösen, Glühen usw. eines Saftes die Gewißheit, daß es sich um
eine kochfeste, nicht flüchtige, organische Substanz oder deren mehrere
handeln müsse. Durch weitere chemische Behandlung wurde es noch
wahrscheinlicher, daß wirklich eine einzelne chemische Verbindung
die Reizwirkung ausübe. Alle in Betracht kommenden Substanzen
Chemotaxis der Samenfäden. 281
einzeln durchzuprüfen hätte nun sehr lange gedauert. Deshalb
stellte sich Pfeffer zunächst aus Gruppen von Stoffen Gemische her,
die in verdünnter Lösung in die Kapillaren gefüllt wurden. Die erste
Gruppe enthielt Salze organischer Säuren, die zweite Kohlehydrate,
die dritte Aminosäuren und dergleichen. Nur die erste Gruppe übte
eine Reizwirkung aus, und durch Prüfung der einzelnen Verbindungen
erwies sich die Apfelsäure als Reizstoff. Diese ist in der Tat ein
allgemein verbreiteter Pflanzenstoft.
Pfeffer begnügte sich nun nicht mit diesen Feststellungen, son-
dern benutzte die gewonnenen Resultate sogleich zu einem exakten
Studium des chemotaktischen Reizvorganges. Bei genauerer Beob-
achtung des Verhaltens der Samenfäden zeigte sich, daß im Ver-
suchstropfen nach dem Hineinschieben einer Kapillare mit Apfel-
säurelösung die vorher ungeordnet durcheinander schießenden
Schwärmer, sobald sie in die Nähe der Diffusionsöffnung kamen,
plötzlich nach dieser hin abschwenkten und in das Röhrchen ein-
drangen. Bald wimmelte es erst um und dann in der Kapillare von
Samenfäden, die so fast alle aus dem Beobachtungstropfen heraus-
gefangen werden konnten.
Des weiteren wurden dann quantitative Versuche angestellt, die
über das Verhalten der Samenfäden bei verschiedenen Konzentrationen
des Reizstoffes Aufschluß geben sollten. Sie zeitigten folgende
Ergebnisse: Damit eine bemerkbare Reizreaktion ausgelöst werde,
muß die Apfelsäure in der Kapillare eine gewisse, allerdings sehr
niedrige Konzentration erreichen, die als Reizschwelle bezeichnet
wird. Die Grenze liegt etwa bei 0,001°/, Apfelsäure. Bei einer so
schwachen Lösung kommt freilich nur eine schwache Ansammlung
zustande, die sich wieder zerstreut, sobald der Reizstoff sich durch
Ausbreitung verdünnt hat.
Die bezeichnete [absolute] Reizschwelle gilt nur dann, wenn
die Samenfäden selbst sich in völlig apfelsäurefreiem Wasser befinden.
Sobald die Außenlösung auch nur Spuren des Reizstoffes enthält,
wie er z. B. aus verletzten Zellen des im Präparat befindlichen
Vorkeimes herausdiffundiert, so wird die Empfindlichkeit ganz be-
trächtlich vermindert, d. h. die Anlockung wird erst durch eine
höhere Konzentration in der Kapillare bewirkt. Die hierfür geltende
Zahlenregel, das sog. Weber-Fechnersche Gesetz, stellte Pfeffer
für die Samenfäden der Farne zum ersten Male im Pflanzenreiche fest.
Er fügte der Außenflüssigkeit vorsätzlich gewisse Mengen von Apfel-
säure zu und bestimmte die niedrigste Konzentration, die die Lösung
im Röhrchen haben mußte, damit Chemotaxis zustande kam. Das
Resultat war, daß eben merkliches Einschwärmen beobachtet
wurde, wenn die Apfelsäurelösung in der Kapillare dreißig-
mal so konzentriert war als die Außenlösung. Dieses kon-
stante Verhältnis heißt die Unterschieds- oder besser die Verhält-
nisschwelle.
ID
es]
ID
VII. Reizwirkung stofflicher Einflüsse.
Tabelle nach Pfeffer (1884).
Die Kapillarflüssigkeit besitzt die
20fache | 30fache | 4Ofache | 50fache
Konzentration und enthält an Apfelsäure:
Die Außenflüssigkeit
enthält Apfelsäure:
1. 0,0005 %/, 0,019), 0,015), 0,020), 0,025 %/,
2. 0,001 %% 0,02% | 0,08 % 0,040/, 0,05 %/,
3...0:0R 207: 0,2 %. | 0,3 9% 0,4 %% 05 %
4. 0,05 °% 10% | 18 Yp.2. 11, 2,000 25.20
in obiger Tabelle sind die von Pfeffer in einer Versuchsreihe
geprüften Kombinationen angegeben. Bei 50- und 40facher Kon-
zentration trat stets starke, bei 20facher keine Ansammlung ein, bei
30facher war die Anlockung etwa so wie bei Erreichung der absoluten
Reizschwelle, also bei 0°/, außen und 0,001 °/, innen.
Man ersieht daraus zunächst, daß der Reizanlaß nicht in dem
Vorhandensein einer gewissen Menge von Apfelsäure liegt, sondern
darin, daß sich in oder vor der Kapillare mehr davon befindet als
in der umgebenden Flüssigkeit. Und zwar kommt es nicht auf die
Differenz, sondern auf das Verhältnis der Konzentrationen an. Das
eben ist der Sinn des Weberschen Gesetzes.
Weiterhin ergibt sich aus den angeführten Befunden, daß die
untere Grenze des Empfindungsvermögens für chemische Stoffe
durchaus noch nicht mit dem Schwellenwert für die Chemotaxis,
also mit der niedrigsten gegen Wasser anlockenden Konzentration
gegeben ist. Vielmehr hat eine sehr viel verdünntere Lösung, falls
sie als Außenflüssigkeit verwendet wird, einen Einfluß auf die Lage
der Verhältnisschwelle, muß also eine Reizwirkung ausüben. Nehmen
wir an, daß das Webersche Gesetz auch noch bei geringeren Kon-
zentrationen gälte als sie Pfeffer verwendete, so würde durch eine
Außenlösung, die nur wenig mehr als 0,001 : 30 — 0,000 033 °/, Apfel-
säure enthielte, die Reizschwelle erhöht werden. Diese Konzentration
würde also die untere Grenze des empfindlichkeitsvermindernden Ein-
flusses der Apfelsäure darstellen, vorausgesetzt, daß das Weber-
Fechnersche Gesetz noch bis zu so niederen Konzentrationen hinab
gilt. Über eine etwa bestehende untere Grenze ist nichts bekannt.
Unzweifelhaft müssen aber ungeheuer verdünnte Lösungen schon eine
teizwirkung ausüben.
Mit Hilfe des Weberschen Gesetzes kann auch die Konzentration
von Apfelsäure in irgendwelchen Pflanzenteilen festgestellt werden,
indem diejenige Außenlösung ausgeprobt wird, in der gerade noch
Anlockung von Farnspermatozoiden stattfindet. Die weiblichen Ge-
schlechtsorgane z. B. wirken nach Pfeffer noch chemotaktisch, wenn
sie in einer 0,001 prozentigen Apfelsäurelösung liegen. Sie müssen
daher etwa 0,3°/, davon enthalten.
Chemotaxis der Samenfäden. 283
Von allen untersuchten chemischen Stoffen fand Pfeffer nur die
Apfelsäure und deren Salze, sowie in geringerem Maße die ihr
chemisch nahe stehende Maleinsäure wirksam. Keine Anlockung
erhielt er durch den Diäthylester der Apfelsäure, der einem Salze
ähnlich zusammengesetzt ist. Ostwald machte später darauf auf-
merksam, daß die wirksamen Verbindungen alle in Wasser dasselbe
Apfelsäure-Ion abspalten, der Ester dagegen nicht. Dieser Hinweis
hat eine große Bedeutung gewonnen. Heute unterscheiden wir bei
allen chemischen Reizwirkungen den Einfluß der Ionen unter sich
und von dem der Molekule.
Schon in Pfeffers Versuchen wurden die Samenfäden verschie-
dener Farnarten mit dem gleichen Erfolge auf Apfelsäure geprüft.
Desgleichen die eines Moosfarns (Selaginella).. Unwirksam erwies
sich diese Säure dagegen für das Kleeblattfarn (Marsilia). Später
haben verschiedene Autoren eine große Anzahl von Samenfäden der
Gefäßkryptogamen systematisch auf ihre Reizbarkeit untersucht, so
Lidforss (1905) die von Schachtelhalmen (Equisetum), Bruchmann
(1909) die vom Bärlapp (Lycopodium) und besonders eingehend
Shibata die von Farnen, von Isoötes, Salvinia und Equisetum (zu-
sammengestellt 1911). Mit Ausnahme von Lycopodium, für das Bruch-
mann Zitronensäure als wirksam nachwies, und Marsilia, für das
noch keine Erfolge vorliegen, reagieren alle geprüften Spermatozoen
der farnartigen Gewächse auf das Apfelsäure-Ion, und zwar beginnt
die Wirkung überall etwa bei derselben Reizschwelle. Außerdem ist
wie bei den Farnen so auch bei Salvinia Maleinsäure wirksam; bei
lsoötes dagegen Fumarsäure und bei Equisetum Weinsäure. Da-
neben findet sich bei einigen Samenfäden noch eine Reizbarkeit für
gewisse andere organische Säuren, die in ihrer chemischen Kon-
stitution eine Verwandtschaft mit den genannten aufweisen (Shi-
bata 1911).
So wie die Reizschwelle ist auch die Verhältnisschwelle für
Apfelsäure meist nicht sehr abweichend von der bei Farnen und
bewegt sich zwischen 30 und 50. Nur Isoötes macht darin eine
Ausnahme, denn die Lösung in der Kapillare muß hier 400 mal so
konzentriert sein, als die Außenflüssigkeit, damit Anlockung stattfindet.
Shibata drückt diese Tatsache so aus, daß er sagt: „Die Unterschieds-
empfindlichkeit der Isoötes-Samenfäden für die Malat- (Apfelsäure-) Ionen ist
eine viel gröbere als die der Farn-Samenfäden“. Mit demselben Rechte kann
man aber auch sagen, daß die Isoötes-Spermatozoen sehr viel empfindlicher
für die schwellenerhöhende Wirkung des Reizmittels in der Außenlösung sind.
Führen wir hier dieselbe Rechnung aus wie oben für Farnspermatozoen, um
die untere Grenze dieser Reizwirkung zu bestimmen, so kommen wir auf
0,0000017 °/, gegen 0,000033 ®/,, resp. 0,000022°/, bei Farnen, wenn wir Shiba-
tas Angaben zur Rechnung verwenden, also auf eine noch viel geringere Kon-
zentration. (Die Bestimmungen sind naturgemäß nicht exakt genug, um ge-
nauere Rechnungen zu ermöglichen.)
Neben den organischen Säuren fand Buller (1900) bei Farnen
auch noch Kalium- und Rubidiumsalze anlockend, deren Wirksamkeit
254 VII. Reizwirkung stofllicher Einflüsse.
Pfeffer seinerzeit übersehen hatte, offenbar wegen der unerwartet
hohen Konzentrationen, die angewendet werden müssen. So wie hier
die Wirkung den zwei chemisch sehr nahestehenden Metall-Ionen
zuzuschreiben ist, so wirken bei Salvinia und Osmunda (Farn) das
Calcium- und das Strontium-Ion und bei Equisetum eine ganze
Zahl von Metall-Ionen (Shibata 1911), und zwar bemerkenswerter-
weise graduell verschieden, je nach ihrer Stellung im System der
Elemente.
Damit ist aber die Reihe der Stoffe, die auf die taktischen
Reaktionen der Spermatozoön von Farnen und Verwandten einwirken,
noch nicht erschöpft.
Wie Pfeffer (1884) fand, wirkt sowohl die freie Apfelsäure wie
auch deren Salze bei höherer Konzentration nicht mehr anlockend,
sondern im Gegenteil abstoßend auf Farnsamenfäden. Die Repulsiv-
wirkung konzentrierterer Salzlösungen beruht auf deren wasserent-
ziehender Kraft, ist also keine Chemotaxis, und wird deshalb unter
der Bezeichnung Osmotaxis weiter unten behandelt werden.
Bei der Apfelsäure liegt der Grund der Abstoßung dagegen in
der sauren Reaktion, die bei höherer Konzentration negative Chemo-
taxis bewirkt. Daß dem so ist, erkennt man daraus, daß auch
nicht anlockende Säuren die Samenfäden abstoßen. Bei der in
stärkerer Lösung gleichzeitig anlockenden und abstoßenden Apfelsäure
sieht man die Schwärmer sich der Kapillarenöfinung nähern, dann
aber zurückprallen und erst eindringen, wenn durch Diffusion eine
Verdünnung der Innenlösung eingetreten ist.
Während sich die Samenfäden von Isoötes in ihrer Reaktions-
weise gegen Säure wie die der Farne verhalten, also stets nur fliehen,
fand Shibata bei Equisetum und Salvinia daneben bei größerer Ver-
dünnung auch Anlockung. In allen diesen Fällen positiver und
negativer Chemotaxis gegen saure Lösungen entspricht die Wirkung
der einzelnen Säuren ihrem Dissoziationsgrade, ist also dem H-Ion
allein zuzuschreiben.
Ebenso wie die saure, so wirkt die alkalische Reaktion, also
das OH-Ion, abstoßend auf Farn- und andere Samenfäden, doch
können auch sie unter Umständen, nämlich bei Isoötes, in verdünnter
Lösung Anlockung hervorrufen. Noch eine Anzahl weiterer Stoffe,
Alkaloide und Farbstoffibasen fand Shibata zuweilen wirksam.
Derselbe Autor stellte sich auch die Frage, ob die chemotaktische
teaktion der Samenfäden gegen verschiedene Stofle auf eine einzige
teizbarkeit des Plasmas zurückzuführen sei oder ob verschiedene
Sensibilitäten anzunehmen sind!). Eine Möglichkeit, dieses Problem
anzugreifen, gibt die Gültigkeit des Weberschen Gesetzes an die Hand.
Beruht nämlich die Attraktion der Samenfäden durch verschiedene
Substanzen immer auf derselben Sensibilität, so muß jeder von ihnen,
1) Dieselbe Frage war für Bakterien von Pfeffer, Rothert und Kniep
schon früher behandelt worden. Darüber weiter unten S. 290.
Chemotaxis der Samenfäden. 285
falls er in der Außenflüssigkeit gegeben ist, die Reizwirkung jedes
anderen vermindern.
Das ist nun nicht der Fall. Es kann sogar vorkommen, daß
Samenfäden, die sich in der Lösung eines Reizstofies befinden, einer
Kapillare zustreben, obgleich diese mit einer an sich weniger wirk-
samen Füssigkeit gefüllt ist. Doch greift auch nicht jeder chemisch
verschiedene Stoff auf besondere Weise reizend ins Plasma ein.
Vielmehr müssen wir eine gleichartige Wirkung für die einzelnen,
einer physiologisch-chemischen Gruppe angehörigen Sustanzen an-
nehmen.
So konnten bei den Samenfäden der farnartigen Pflanzen
drei verschiedene chemotaktische Sensibilitäten für die Anlockung
unterschieden werden, eine für das Apfelsäure-Ion und die anderen
wirksamen organischen Säuren, eine für das OH-Ion (nur bei Isoötes)
und eine gemeinsame für die Metall-Ionen (und H-Ionen bei Equisetum
und Salvinia), sowie die Alkaloide. Die Anwesenheit anorganischer
Säuren in der Außenlösung würde also bei Equisetum-Samenfäden
die Anlockung durch ein Salz der Apfelsäure nicht stören, wohl
aber die von Weinsäure. Innerhalb der einzelnen auf dieselbe Sensi-
bilität wirkenden Gruppen von Reizstoffen sind die Verhältnisse recht
verwickelt. Meist stumpft zwar ein Stoff entsprechend der Größe
seiner anlockenden Reizwirkung ab, doch nicht immer.
Von den chemisch sich nahestehenden Stoffen allerdings be-
wirken die einzelnen die gleichen oder ähnliche Reizperzeptionen.
Neben den Samenfäden der Farnpflanzen prüfte schon Pfeffer
(1884) auch die einiger anderer grüner Gewächse. Bei den Laub-
moosen entdeckte er .in Rohrzucker den, also chemisch gegenüber
den Farnen ganz abweichenden, spezifischen Reizstoffl, während es
ihm bei den Lebermoosen und Armleuchtergewächsen (Charen), trotz
deutlicher Chemotaxis gegen die weiblichen Organe, nicht gelang
die wirksame Substanz aufzufinden. Bei den paarweise verschmel-
zenden Sexualschwärmern von Ulothrix und Chlamydomonas konnte
er Anlockung überhaupt’ nicht beobachten.
Für die Lebermoose, oder doch eins von ihnen, dem die
anderen wohl entsprechen werden, nämlich Marchantia polymorpha,
hat inzwischen Lidforss (1904) das spezifische Chemotaktikum in
Eiweißstoffien gefunden. Sie bilden also in dieser Hinsicht einen
Parallelfall zu den Pollenschläuchen. Doch wirken hier nicht wie
dort auch Zuckerarten, überhaupt gar keine anderen Stoffe anlockend.
Höhere Konzentrationen verschiedener Substanzen, auch von Ei-
weißstoffen haben negative Chemotaxis zur Folge, sodaß die an-
fangs angelockten Spermatozo@en in der Nähe der Kapillare zurück-
prallen.
Wie man sieht, werden in den verschiedenen Gruppen der mit
Samenfäden versehenen Pflanzen chemisch stark voneinander ab-
weichende Stoffe als im Dienste der Befruchtung stehende spezifische
286 VII. Reizwirkung stofflicher Einflüsse.
Chemotropika aufgefunden. Daneben reagieren die Spermatozoen
freilich oft noch auf ganz andere Substanzen, aber viel schwächer.
Immer sind die natürlichen Anlockungsstoffe jedenfalls organische
Substanzen, die in Pflanzen weit verbreitet sind, und fast überall er-
'3streckt sich die Wirkung über eine Gruppe sich chemisch nahe-
stehender Verbindungen. Nur bei den Laubmoosen ist bisher allein
der Rohrzucker wirksam gefunden worden. Andrerseits drückt sich
in der Natur der anlockenden Stoffe die natürliche Verwandtschaft
der Organismen aus, wie das besonders bei den farnartigen Pflanzen
hervortritt. Bei einigen Gewächsen, wie bei den Armleuchter-
gewächsen und Tangen ist bisher ein wirksamer Stoff nicht auf-
gefunden worden, obgleich auch da zweifellos chemotaktische An-
lockung durch die weiblichen Organe stattfindet.
f) Chemotaxis der Schwärmsporen, Bakterien usw.
An die der Befruchtung dienenden Spermatozoen schließen wir
die ungeschlechtlichen Schwärmsporen oder Zoosporen an. Beide
zeigen in ihrer Entwickelung und Gestalt viefache Übereinstimmung.
Auch die Zoosporen finden ihren Weg auf Grund von taktischer
Reizbarkeit; und zwar sind im allgemeinen die der grünen Algen
vorwiegend phototaktisch, die der farblosen Pilze chemotaktisch, wie
das der Ernährungsweise dieser Gewächse entspricht.
Ökologisch betrachtet dient die Chemotaxis der Zoosporen einem
anderen Zwecke als die der Samenfäden. Die letzteren haben allein
die unbewegliche Eizelle aufzusuchen. Die Gewinnung geeigneter
Ansiedelungsorte bleibt anderen Umständen überlassen. Dagegen ist
es die Aufgabe der Zoosporen, auf Grund ihrer Beweglichkeit von
dem ausgenutzten Substrate und der Mutterpflanze sich zu entfernen
und einen günstigen neuen Standort zu erreichen, dort sich festzu-
setzen und zu keimen. Dieser Funktion dient ihre Reizbarkeit.
Genauere Untersuchungen liegen über die Schwärmsporen der
Myxomyceten (Schleimpilze) und Saprolegniaceen (Wasserpilze) vor,
ferner über die beweglichen Stadien der Bakterien, die man in ge-
wisser Hinsicht den Zoosporen angliedern darf, wenn auch ihr Schwärm-
zustand gegenüber dem unbeweglichen eine größere Rolle spielt.
Die Flagellaten und Volvocineen kann man gleichfalls in diese Gruppe
einordnen.
Mit der Chemotaxis der Myxomycetenschwärmer hat sich zu-
erst Stange (1890) beschäftigt. Er fand, daß die in Wasser leicht
keimenden Sporen von Aethalium septicum und Chondrioderma dif-
forme langsam schwimmende und daher auch langsam sich ansam-
melnde Schwärmer entlassen. So beobachtete er erst einige Zeit nach
dem Ansetzen des Versuches, was seine Befunde etwas unsicher
macht. In dünne Kapillaren gefüllte Lösungen von Apfelsäure, Milch-
und Buttersäure lockten die Schwärmer von Chondrioderma an, auch
Chemotaxis der Schwärmsporen, Bakterien usw. 287
Asparagin erwies sich, wenn auch weniger wirksam. Einige andere
organische Stofie hatten keine Ansammlung zur Folge. Auch die
meisten organischen Säuren außer den genannten wirkten, wenn
überhaupt, nur abstoßend. Dagegen erfolgte Attraktion durch die
Salze der als wirksam erwähnten Säuren. Demnach müßte deren
Reizkraft in den Stangeschen Versuchen den besonderen Anionen
zugeschrieben werden. Neben den organischen Säuren und ihren
Salzen lockte auch Fleischextrakt die Schwärmer an.
Eine Ergänzung und teilweise Berichtigung erfuhren diese Er-
gebnisse durch eine ausführliche Arbeit von Kusano (1909), in der
auch die Anschauungen der modernen physikalischen Chemie zu
ihrem Rechte kommen. Im Gegensatz zu Stange fand Kusano bei
seinen Versuchsobjekten, nämlich Schwärmern von Aethalium, Stemonitis
und Comatricha (Sporen anderer Arten wollten in Wasser nicht keimen)
eine Ansammlung oft schon nach fünf Minuten. Wirksam erwiesen
sich alle sauren Stoffe, und zwar nach Maßgabe ihrer Säurewirkung,
d. h. ihrer H-Ionen-Konzentration. Dieses Resultat wird eingehend be-
gründet. Durch andere Substanzen, z. B verschiedene neutrale an-
organische Salze, Zucker, Pepton u. dgl. wurde keine Anlockung
bewirkt, die vielmehr nach Kusano allein dem H-Ion vorbehalten
ist. Da wo Stange mit Säuren keine positive Resultate bekommen
hat, soll nach Kusano zur Zeit der Beobachtung die Diffusion schon
zu weit fortgeschritten gewesen sein).
Im Gegensatz zu der Einheitlichkeit des bei Kusano positive
Chemotaxis bewirkenden Reizmittels steht die Mannigfaltigkeit der
abstoßend wirkenden Stoffe. Stange fand einen solchen im Apfel-
säurediäthylester. Auch erwiesen sich die bei niederer Konzentration
anlockenden organischen Säuren bei höherer als repulsiv. Genauere
Beachtung fanden diese Verhältnisse wieder bei Kusano. Eine zehn-
prozentive Schwefelsäurelösung (1 Mol) bewirkte eine scharfe Ring-
bildung vor der Kapillarenöffnung, d. h. in einer bestimmten engen
Diffusionszone hielten sich Anlockung und Abstoßung gerade das
Gleichgewicht. Man sieht hier also deutlich, daß ein Optimum der
H-Ionenkonzentration aufgesucht wird und daß Attraktion und Re-
pulsion demselben Reizmittel zuzuschreiben sind. Bei den organischen
Säuren ist die Ringbildung nicht so scharf, und die in der betreffen-
den Zone herrschende H-Ionenkonzentration ist niedriger als die opti-
male. Mithin muß hier noch eine Repulsivwirkung der Anionen oder
der Molekule als solcher angenommen werden.
Da die aus den Schwärmern hervorgehenden Plasmodien (vgl.
S. 19) gleichfalls freie Ortsbewegung besitzen, so sei ihre Reizbarkeit
hier gleich mit angeschlossen. Die in Gerberlohe lebenden Plas-
modien von Aethalium werden nach Stahl (1854b) durch Loheauszug
angelockt. Befinden sie sich auf Fließpapier, das auf einer Seite in
1) So zuverlässig die K.sche Arbeit aussieht, so wären einige nicht ver-
ständliche Differenzen gegen Stange doch erneut zu prüfen.
288 VII. Reizwirkung stofflicher Einflüsse.
die genannte Lösung eintaucht, so kriechen sie nach dieser Seite.
Säure dagegen wirkt repulsiv. Stange (1890) konnte bei demselben
Objekte Stahls Befund bestätigen, aber nicht den wirksamen Be-
standteil des Loheauszuges feststellen, auch keinen weiteren Reizstoff
auffinden. Dagegen konnte er bei Chondrioderma durch Lösungen
von Apfelsäure und Asparagin, in Kapillaren geboten, positive Chemo-
taxis bewirken. Er übertrug etwas von dem Schleimpilz auf den
Objektträger und nachdem es sich etwas beruhigt hatte, näherte er
die Kapillarenöffnung dem Rande des umherkriechenden Plasmodiums.
Es zeigte sich dann die anlockende Wirkung in der vorzugsweisen
Strömung nach der betreffenden Seite. In anderen Versuchen stellte
er zwei Bechergläser, von denen eins mit Wasser, eins mit der Ver-
suchslösung gefüllt war, nebeneinander. Ein Fließpapierstreifen tauchte
mit je einem Ende in die beiden Flüssigkeiten, die gleich hochstehen
mußten, um Strömungen zu vermeiden. Ein Teil von dem Plas-
modium wurde nun auf das Papier gesetzt, in dem eine Diffusion
des Reizstoffes stattfand, und es wurde dann beobachtet, nach wel-
cher Seite es kroch.
Mit dem Alter des Materials und seiner Herkunft ändert sich
die Reaktionsweise häufig in schwer übersichtlicher Weise, wie über-
haupt die Plasmodien als reizphysiologisch sehr „launisch“ betrachtet
werden. Die Untersuchung der Ursachen dieser Veränderungen
wäre eine besondere Aufgabe, die erst noch in Angriff genommen
werden soll.
Den Schwärmsporen der Saprolegnien hat schon Pfeffer in
seiner ersten Arbeit (1884) seine Aufmerksamkeit zugewendet. Die
Zoosporen dieser Pilze, die in Wasser besonders auf Tierleichen wachsen,
werden durch die aus Fliegenbeinen diffundierenden Stoffe angelockt,
ferner auch durch Fleischextraktlösung. Stange, der diese Unter-
suchung fortsetzte (1890), gelang es, die anlockenden Stofle mehr zu
präzisieren. Danach muß das Phosphat-Ion als spezifisches Lock-
mittel angesehen werden. Phosphate sind in Fleischextrakt reichlich
vorhanden und dürften aus toten Tierkörpern stets diffundieren. Be-
merkenswert ist die Anlockung durch Leeithin, einen hoch zusammen-
gesetzten Ester der Phosphorsäure. Außer den genannten Stoffen
war nur noch Essig- und Weinsäure wirksam. Kapillaren, die mit
diesen Säuren angefüllt waren, wurden aber von den Schwärmern
allmählich wieder verlassen, die im Gegensatz dazu in Phosphaten usw.
zur Ruhe kamen und keimten.
Bei den Saprolegnien machen die Zoosporen zwei Schwärmstadien
durch, indem die frisch aus der Mutterpflanze entlassenen Schwärmer
nach einiger Zeit zur Ruhe kommen, bald aber wieder auskeimen
und von neuem, und zwar schneller, davoneilen. Stange fand nun,
daß nur das zweite Stadium chemotaktisch reizbar ist. Rothert
(1901) betont, wie merkwürdig dieser Fall ist, daß plötzlich, in einem
bestimmten Entwickelungstadium, ohne das Dazwischentreten irgend-
Chemotaxis der Schwärmsporen, Bakterien usw. 289
welcher äußerer Einflüsse, eine neue Eigenschaft auftritt. Ökologisch
findet er es begreiflich, daß dem ersten Schwärmstadium, dem noch
ein zweites Schwärmen zu folgen hat, chemotaktische Fähigkeiten
abgehen. Ist es aber nicht sogar sehr rationell, daß die Zoosporen
erst der Anlockungssphäre des schon .besiedelten Substrates enteilen,
ehe ihre eigene Reizbarkeit erwacht? Sie werden dadurch verhin-
dert, mit dem Muttermycel in Wettbewerb zu treten. Übrigens gibt
es auch Saprolegniaceen, bei denen die den ersten Schwärmern ent-
sprechenden Gebilde keine Eigenbewegung besitzen.
Auch bei den Bakterien als typischen Flüssigkeitsbewohnern
werden wir, soweit sie beweglich sind, eine gut entwickelte chemo-
taktische Reizbarkeit erwarten dürfen. Dementsprechend reagieren
besonders die Fäulnisbakterien auf eine große Anzahl von Stoffen,
während mehr spezialisierte Formen auch in ihrer Reizbarkeit der
besonderen Lebensweise angepaßt sind.
Schon in seinen ersten Versuchen mit Fäulnisbakterien (Bacterium
termo und Spirillum Undula) fand Pfeffer (1884) vielerlei Sub-
stanzen wirksam. Besonders Fleischextrakt erwies sich als stark
anlockend, desgleichen Asparagin und alle zur. Ernährung ge-
eigneten Substanzgemische. Außer Asparagin scheinen damals ein-
zelne Stoffe nicht geprüft worden zu sein. Doch ergibt sich aus den
Resultaten deutlich, daß auch Pepton und Rohrzucker Anlockungs-
stoffe darstellen.
Außer der chemotaktischen entfalteten die wirksamen Substanzen
noch eine beschleunigende Wirkung auf die Bewegung der Bakterien,
ganz im Gegensatz zu den Saprolegniaschwärmern, die in den wirk-
samen Lösungen zur Ruhe kommen. Doch entspricht diese Diffe-
renz durchaus der Lebensweise der beiden Örganismengruppen;
denn die beweglichen Bakterien tummeln sich, solange Nährstoffe
vorhanden sind, in der Diffusionszone der faulenden Substanzen,
während die Saprolegniaschwärmer auf geeigneten Substraten zur
Ruhe kommen, keimen und sich zu den watteartigen Pilzmassen
entwickeln.
Später (1888) untersuchte Pfeffer eine große Anzahl von Bak-
terien auf ihr chemotaktisches Verhalten gegen die verschiedensten
Stoffe. Von anorganischen Salzen erwiesen sich besonders die des
Kaliums als wirksam, doch werden die empfindlichsten Bakterien auch
durch die meisten anderen Neutralsalze der Alkali- und alkalischen
Erdmetalle angelockt. Die weniger empfindlichen reagieren nur auf
die wirksamsten Reizstoffe. Allerdings ist die Reihenfolge der Wirk-
samkeit — geschlossen aus der Höhe der Reizschwelle — nicht bei
allen Bakterien dieselbe. Doch sind allgemein Kaliumsalze bessere
Lockmittel als die des Natriums, Ammoniums, Lithiums, Caesiums, Rubi-
diums wie auch des Magnesiums, Calciums, Strontiums und Bariums.
Von den Eisensalzen scheinen nur die Ferriverbindungen, nicht aber
die Ferrosalze anzulocken.
Pringsheim, Reizbewegungen. 19
290 VII, Reizwirkung stofllicher Einflüsse.
Organische Stoffe wurden nicht in so großer Anzahl geprüft.
Die Kohlehydrate sind im allgemeinen zwar wirksam, aber erst in
auffallend hoher Konzentration. Davon macht allein das Dextrin
eine Ausnahme, das den besten Reizmitteln, wenigstens Bakterium
termo gegenüber gleichkommt. Seine Reizschwelle beträgt hier nur
0,001°/,, während Traubenzucker erst bei etwa 10°/, deutlich an-
lockt. Bei Spirillum undula freilich konnte mit Dextrin überhaupt
keine Anlockung erzielt werden.
Von Alkoholen wirkt Mannit mäßig anlockend, Glyzerin, obgleich
ein guter Nährstoffl, gar nicht, Äthylalkohol stark repulsiv. Die
stickstoffhaltigen Substanzen sind, soweit sie von Pfeffer geprüft
wurden, alle Anlockungsmittel, besonders Pepton und Asparagin, auch
Harnstoff, Taurin, Sarkin, Carnin usw.
Alkalische und saure Reaktion wirken repulsiv.
Rothert (1901) fand in einem Clostridium (= Amylobakter) und
einer Termoform Organismen, die außer durch viele andere Substan-
zen, wie z. B. Fleischextrakt, durch Äthyläther angelockt werden,
also durch einen zur Ernährung kaum in Betracht kommenden Stoff.
Höhere Konzentration davon wirkt auch repulsiv. Die Ansammlung
findet dann in Ringform statt. Da hier weder saure oder basische
Reaktion, noch der osmotische Druck als komplizierender Faktor in
Betracht kommt, ist das wieder ein deutlicher Fall, daß bei quan-
titativ verschiedener Verteilung eines einheitlich wirkenden Reiz-
stoffes eine „optimale“ Konzentration aufgesucht wird.
Rothert knüpfte an seine Beobachtungen noch eine weitere wich-
tige Überlegung. Ernahm nämlich die schon von Pfeffer gestellte,
aber nicht endgültig beantwortete Frage wieder auf, ob verschiedene
Stoffe vermöge ein- und derselben oder verschiedener Sensibilitäten
chemotaktisch anlocken.!) Bei so verschiedenen Stoffen wie Fleisch-
extrakt und Sauerstoff schien schon Pfeffer das letztere wahrschein-
licher. Das gleiche gilt für Fleischextrakt und Äther in den Rothert-
schen Versuchen. Eine exakte Beantwortung fand diese Frage hier
zum ersten Male auf Grund der Gültigkeit des Weberschen Gesetzes.
Es konnte gezeigt werden, daß Äther die Empfindlichkeit gegen
Fleischextrakt nicht aufhebt, daß also der Amylobakter mindestens
zwei Sensibilitäten für chemische Stoffe besitzt. Wir können sie etwa
vergleichen mit unseren Geschmacksempfindungen sauer, süß, salzig,
bitter, die zwar nicht streng bezeichnend für die chemische Natur
der Stoffe sind, aber uns doch helfen Gruppen von solchen, wie die
Säuren, Zucker, Halogenalkalisalze zu unterscheiden. In ähnlicher
Weise haben, wie aus dem bei den Samenfäden Gesagten und dem
Folgenden hervorgeht, die chemotaktischen Organismen vielfach eine
gemeinsame Sensibilität für ganze Gruppen von Stoflen, aber ver-
schiedene Reizbarkeiten für chemisch abweichende Substanzen.
1) Diese Frage wurde für die Farnsamenfäden schon oben (S. 284) be-
sprochen.
Chemotaxis der Schwärmsporen, Bakterien usw. 291
Diese Frage hat dann Kniep (1906) neben anderem einer ge-
naueren Bearbeitung unterzogen. Seine Objekte waren ein nicht
genau bestimmter „Bacillus z“ und Spirillum rubrum.
Bei Bacillus z ergab sich überraschenderweise ein verschiedenes
Verhalten gegen Phosphate je nach der Ernährung. Auf Gelatine
gewachsene Bakterien wollten nicht reagieren, während solche aus
Erbsenwasser stark angelockt wurden. Es fand sich, daß die Reak-
tion des Nährbodens das Ausschlaggebende ist. Die schwach alka-
lische Reaktion der Nährgelatine vernichtet die Sensibilität gegen
Phosphate, die durch schwache Säure gerade hervorgerufen wird.
Wurde die Veränderung der Reaktion erst kurz vor dem Versuche
vorgenommen, so zeigte sich die Vernichtung der Sensibilität gegen
Phosphate durch OH’-Ionen fast plötzlich, wogegen die Wiederher-
stellung durch H-Ionen zwölf und mehr Stunden erforderte,
Umgekehrt wie die Reizbarkeit gegen das Phosphat-Ion verhielt
sich die gegen das Ammon-Ion. Allerdings wurde die Empfindlich-
keit gegen dieses durch Säure nur vermindert, nicht vernichtet.
Das verschiedene Verhalten der PO,” und der NH, '-Sensibilität
gegen die Reaktion der Nährflüssigkeit sprach schon für deren innere
Selbständigkeit, die auch durch Versuche auf Grund der Abstump-
fung nach dem Weberschen Gesetze bestätigt wurde.
Kniep fragte sich nun, ob es auch Anlockungungsstoffe geben
möge, deren Wirksamkeit von der Reaktion des Nährmediums unab-
hängig sei. Als eine solche Substanz hatte sich freilich das Ammo-
niumphosphat schon erwiesen, aber nur deshalb, weil es in Wasser
beide oben besprochenen Ionen abspaltet. Im Gegensatz dazu ist das
Asparagin ein undissoziierter Körper, der gleichwohl in seiner Wirkung
durch saure oder alkalische Reaktion nicht beeinträchtigt wird und eine
von den beiden früher konstatierten unabhängige Sensibilität auslöst.
Das Spirillum rubrum konnte auf Beeinflussung der Reizbarkeit
durch die Reaktion nicht untersucht werden, weil es durch Säuren
und Basen zu leicht geschädigt wird. Doch ließ sich hier eine ge-
trennte Sensibilität für CJ-(Chlorid) und SO,” (Sulfat)-Ionen nach-
weisen. Was aber noch merkwürdiger schien, war die Beobachtung,
daß Caleiumchlorid in der Außenlösung eine Anlockung durch Kalium-
chlorid in der Kapillare verhindert, nicht aber umgekehrt. Die Er-
klärung liegt wahrscheinlich darin, daß bei CaCl, sowohl das Cl-
wie das Ca”-Jon wirksam sind, bei KCl aber allein das Cl’-Ion. Barium-,
Strontium- und Magnesium-Salze erwiesen sich übrigens als ohne
Einfluß. Weniger klar als der geschilderte Fall des Caleiumchlorids
ist ein anderer von Kniep gefundener. Bei Spirillum rubrum zeigen
nämlich Kaliumnitrat und Ammoniumnitrat zwar selbst keine an-
lockende Wirkung, verhindern aber die Anlockung durch Chlor-
kalium und Chlorammonium und zwar gradweise, je nach der vor-
handenen Menge.
Bisher sind zwei Wege gezeigt worden, die die Identität oder
Verschiedenheit der Reizbarkeit für verschiedene Stoffe zu untersuchen
19*
292 VII. Reizwirkung stofflicher Einflüsse.
erlauben. Man kann über diese Frage Aufschluß erhalten: einmal,
indem man prüft, ob die Sensibilität für die verschiedenen Stoffe
durch Einflüsse, die die Empfindlichkeit verändern, im gleichen oder
ungleichen Sinne beeinflußt wird, oder man kann die gegenseitige
Abstumpfung nach dem Weberschen Gesetz als Anzeichen verwenden.
Ein dritter möglicher Weg ist bisher nicht ausdrücklich in diesem
Sinne ausgebeutet worden. Er besteht darin, zu untersuchen, ob
die einzeln unter der Schwelle bleibenden Reizwirkungen verdünnter
Lösungen der beiden Stoffe in Gemischen sich bis zur wirksamen
Reizung ergänzen. Einige derartige Versuche hat freilich Pfeffer
(1888, S. 629) angestellt, und zwar mit dem für uns überraschenden
Resultate, daß die Erregung durch sehr verschiedene Stoffe, z. B.
Chlorkalium und Pepton oder Kreatin und Glukose sich summieren
ließ. Neue Versuche in der Richtung wären sehr erwünscht.
Außer Fäulnisbakterien hat Pfeffer auch einige Krankheitserreger
auf Chemotaxis geprüft, fand sie aber wenig empfindlich. Vielleicht
wurden nur die wirksamen Stoffe nicht gefunden. Nach Ali-Cohen
reagieren die sonst ziemlich unempfindlichen Typhusbazillen und Cholera-
vibrionen auf rohen Kartoffelsaft (Lafar I, 1904—1907). Sollte das
vielleicht bedeuten, daß hier wie bei den Lebermoos-Samenfäden
Eiweißkörper wirksam sind?
Ein rotes Schwefelbakterium (Chromatium Weissii) wird nach
Miyoshi (Pfeffer 1904) bemerkenswerterweise durch Schwefelwasser-
stoff angelockt. Voraussichtlich werden Zusammenhänge zwischen
chemotaktischer Reizbarkeit und Lebensweise auch sonst noch auf-
zufinden sein. Hier liegt ein weites Feld für zukünftige Forschung!
Ganz ähnlich wie die Bakterien, mit denen sie auch die Art der
Ernäherung gemein haben, reagierten in Pfeffers Versuchen einige
farblose Flagellaten, so der genauer untersuchte Bodo saltans. Im
Grade der Empfindlichkeit und der Art der anlockenden Substanzen
sind im Übrigen mancherlei Verschiedenheiten zwischen den geprüften
Organismen vorhanden, die aber gegenüber dem Gesagten nichts
neues zeigen. Auch einige grüne Flagellaten und Volvocineen
wurden herangezogen. Bei ihnen übten wiederum Kalisalze eine
starke Reizwirkung aus, daneben aber auch organische Stoffe, wie
Pepton und Fleischextrakt. Offenbar findet das seine Begründung
in der Ernährungsweise der geprüften Organismen, die neben der
Kohlensäureassimilation auch organische Nahrung aufzunehmen im-
stande sind.
Innerhalb dieser Gruppe von zwar grünen, sich aber teilweise ge-
mischt ernährenden Lebewesen finden sich, je nach der Bedeutung der
organischen Nahrung für sie, Differenzen in der Reizbarkeit (Frank
1904). Chlamydomonas tingens, eine in „‚mineralischer‘ Nährlösung gut
wachsende Volvocinee wurde vorzugsweise durch anorganische Salze,
besonders Nitrate angelockt, nicht aber durch Zucker, Pepton usf.
Auch die für ihre Ernährung wichtige Kohlensäure hatte positive
Chemotaxis der Schwärmsporen, Bakterien usw. 293
Reaktion zur Folge. Im Gegensatz dazu stand Euglena gracilis, ein
grüner Flagellat, der mit organischen Stoffen, besonders organischen
Stickstoffverbindungen versorgt, sehr viel üppiger gedeiht als ohne diese.
Er reagierte auf Nitrate gar nicht, dagegen auf
Pepton und organische Säuren, die seine Ent-
wickelung gleichfalls fördern, sehr schön.
* Die ökologische Bedeutung dieser Reizbewe-
gungen ist klar genug. Sie dürften wohl bei allen
frei beweglichen Organismen vorkommen und diese
in geeignete Ernährungsbedingungen bringen.
Dabei wird ebensowohl die aus äußeren Gründen
verschiedene Verteilung von Nahrungsstoffen als
Reizursache in Betracht kommen, wie auch der
Verbrauch von wertvollen und’ die Ausscheidung jpiatomeenkolonie auf
von giftigen Stoffen durch die eigenen Art- Nährgallerte. Die Kiesel-
S . 2 . algen streben von der
genossen. Das Auseinanderspreizen der Oscillarien Mitte fort, den unbe-
(velrAbb.7; 8.17) ist dafür ein 'hübsches Beispiel. : ""tzten Teilen des Nähr.
In ähnlicher Weise fliehen sich dicht gedrängte Phot. Th. Meinhold.
Diatomeen, z. B. in Agarkulturen, und werden sich
entsprechend auch auf natürlichem Substrat ausbreiten (Abb. 96).
Abb. 96.
Chemische Reize beeinflussen schließlich auch noch die selbst-
ständigeren Organe der Pflanzenzelle, ähnlich wie wir das von den
Lichtreizen gehört haben. Senn (1908) entdeckte, das die Chloro-
phylikörper vielfach durch Kohlensäure, aber auch durch mancherlei
organische Stoffe, die von Zelle zu Zelle wandern, angelockt werden
und sich nach der Seite begeben, von wo der Reizstoff her diffundiert,
also echte Chemotaxis zeigen. Ähnliches wurde dann von Ritter
(1911) auch für Zellkerne nachgewiesen. Inwieweit bei den nach
Verwundungen (vergl. S. 246) stattfindenden Umlagerungen der Zell-
bestandteile chemische Reize mitspielen, läßt sich noch nicht über-
sehen.
Zusammenfassend können wir sagen, daß bei allen darauf hin
untersuchten freibeweglichen Organismen eine ihrer Ernährung und
Lebensweise entsprechende chemische Reizbarkeit gefunden wurde.
Allerdings darf man in ökologischen Deutungen nicht zu weit gehen.
Davor warnen einige Beispiele, die Pfeffer und Rothert aufdeckten.
So konnte der erstere Farnspermatozoen in Kapillaren locken, in
denen sich neben einem Reizstoff ein tödliches Gift befand. Solche
Stoffe wie Sublimat und Strychnin werden nun freilich in der Natur
keine Rolle spielen. Und gegen andere, verbreitetere, wie Säuren,
Basen, Alkohol reagieren bei höheren Konzentrationen wohl alle
untersuchten Objekte durch die Flucht.
Andrerseits ist aber auch bekannt, daß in der Natur nicht vorkom-
wende Stoffe positive Reaktion bewirken. Hierhin kann man die
Salze des Rubidiums, Caesiums, Lithiums usf. rechnen, und auch die
294 VII. Reizwirkung stofflicher Einflüsse.
nur künstlich darzustellende Maleinsäure. Aber in diesen Fällen
kann man noch nicht von nutzloser Reaktion sprechen, da die Reiz-
barkeit für die chemisch nahestehenden Kalium- resp. Apfelsäuresalze
die Wirkung der genannten Stoffe mit bedingt. Derartiges läßt
sich dagegen wohl nicht für die Anlockung des Rothertschen Clostri-
diums durch Äther sagen. ‚‚Es ist bisher noch kein auch nur ent-
fernt dem Äthyläther verwandter Stoff bekannt, welcher auf Bakterien
oder andere Organismen anlockend wirkte.“ Allerdings sind die
chemisch ähnlichen Stoffe auch nicht untersucht worden. Vor-
läufig aber kann man auch kaum denken wie diese Reizbarkeit durch
Anpassung erworben sein kann.
&) Osmo-, Hydro-, Rheotaxis.
Wiederholt wurde erwähnt, daß Stoffe, die sonst anlocken, bei
höherer Konzentration repulsiv wirken. Das kann verschiedene
Ursachen haben, die schon Pfeffer (1884) unterschied. So fand er,
daß die freie Apfelsäure in großer Verdünnung positive, in höherer
Konzentration aber wegen ihrer Säurewirkung negative Chemotaxis
erzeugt. Ähnliches gilt für alkalische Stoffe.
In anderen Fällen, z. B. bei dem Verhalten der Spirillen zum
Sauerstoff und zum Pepton oder der Samenfäden von Marchantia
zu den Eiweißstoffen wirkt eine Substanz bei höherer Konzentration
negativ, bei niederer positiv, ohne daß wir angeben können, daß
irgendeine Nebenwirkung der konzentrierteren Lösung daran die
Schuld trägt, daß ein Umschlag in der Reaktion eintritt. Hier be-
dingt ein Stoff vermöge seiner chemischen Reizwirkung das Aufsuchen
einer optimalen Konzentration. Ob aber der Erregungsvorgang
selbst einheitlich ist, oder ob nicht vielleicht im Organismus zwei
physiologische Prozesse einander entgegen arbeiten, das ist noch
nicht aufgeklärt.
Deutlich als besonderer Reizvorgang unterscheidbar ist dagegen
wiederum die von Pfeffer zuerst als solche erkannte Repulsions-
wirkung konzentrierterer Lösungen vermöge ihrer wasseranziehenden
oder osmotischen Kraft. Man nennt diese Erscheinung Osmotaxis.
Daß sie mit Chemotaxis nichts zu tun hat, ergibt sich daraus, daß
die relative Reizwirkung verschiedener Substanzen durch die Art der
gelösten Stoffe nicht beeinflußt wird, sondern dem osmotischen Drucke
der geprüften Flüssigkeit entspricht. (Vgl. S. 262.)
Danach könnte es scheinen als wäre eine Reizreaktion sehr
leicht als osmotaktisch zu erkennen. Man brauchte nur nach physi-
kalisch-chemischen Regeln Lösungen verschiedener Stoffe von dem
gleichen osmotischen Drucke herzustellen und zu sehen, ob sie die-
selbe Reizwirkung ausüben. In Wirklichkeit liegt die Sache aber
doch verwickelter. Nur der positive Ausfall solcher Versuche, also
die Übereinstimmung des osmotischen Druckes verschiedener Sub-
stanzen an der Reizschwelle für die negative Reaktion, ist beweisend
Osmo-, Hydro-, Rheotaxis. 295
für die osmotaktische Natur des beobachteten Vorganges. Findet man
bei einem einzelnen Stoffe eine Repulsion schon bei geringerer osmo-
tischer Konzentration als bei den übrigen, so ist bei diesem auf
eine chemische Reizwirkung zu schließen. AÄußerlich unterscheiden
sich die Reaktionen nicht voneinander. Man wird also eine größere
Anzahl von Substanzen recht verschiedener Ärt prüfen müssen, um zu
sehen, ob die als osmotaktisch angesehene Reaktion wirklich von der
chemischen Konstitution unabhängig ist.
Es kann nun auch vorkommen, daß die Lösung eines Stoffes
gar keine oder eine geringere osmotaktische Reizwirkung entfaltet
als man beim Vergleich mit anderen Lösungen von gleichem osmo-
tischen Drucke erwarten sollte. Solches tritt ein, wenn der Organis-
mus für den betreffenden Stoff durchlässig ist. Nur durch die un-
gleiche Verteilung innerhalb und außerhalb des Körpers wird die
osmotische Wirkung ausgeübt, nämlich dem Protoplasma Wasser
entzogen. Eine Veränderung des Wassergehaltes ist aber zweifellos
die der Osmotaxis zugrunde liegende primäre physikalische Einwirkung.
Stoffe, die das Plasma sogleich oder doch allmählich durchdringen,
werden daher gar keine oder einen ihrer Konzentration nicht ent-
sprechenden osmotaktischen Effekt ausüben. Solches gilt vielfach für
Glyzerin, dessen Unfähigkeit, Osmotaxis hervorzurufen, Pfeffer sogar
vorübergehend zur Ableugnung dieser vorher klar erkannten neuen
Reizursache veranlaßte. Noch schwieriger zu durchschauen sind die
Verhältnisse, die bei langsamer eindringenden Stoffen zustande kommen.
Abgesehen von der Natur des gelösten Stoffes hängt das Zu-
standekommen der osmotischen Wasserentziehung auch von der
Konstitution des Plasmas ab. Verschiedene Organismen sind für die
einzelnen Substanzen in wechselndem Maße durchlässig. Manche
aber, und besonders viele Bakterien, werden von allen Stoffen so
leicht durchdrungen, daß eine osmotische Wirkung überhaupt nicht
zustande kommen kann. Damit dürfte es zusammenhängen, daß sie
niemals eine osmotaktische Reizwirkung erfahren. So war z. B.
Pfeffers Bakterium termo gegen konzentrierte Lösungen ganz un-
empfindlich und drang in sie ein, ohne geschädigt zu werden.
Ob diesem Bakterium gar keine osmotaktische Sensibilität zu-
kommt, läßt sich schwer entscheiden, weil kein Stoff gefunden werden
konnte, der ihm Wasser entzieht. In anderen Fällen ist aber leicht
zu sehen, daß das Ausbleiben der Repulsionswirkung nicht durch Per-
meabilität veranlaßt ist, sondern durch den Mangel der betreffenden
Reizbarkeit. Wir sehen dann den betreffenden Organismus alsbald
durch Wasserentziehung schrumpfen, ohne daß er die Flucht ergreift.
Die osmotaktische Unempfindlichkeit hat ihm den Tod gebracht.
Das Nichteindringen eines Stoffes ist also Bedingung
für die Osmotaxis, wenn auch nicht die einzige. Die Chemo-
taxis dagegen wird offenbar gerade durch den eindringenden
Teil des Reizstoffes hervorgerufen. So präzisiert Rothert kurz
den Unterschied zwischen beiden Sensibilitäten.
296 VII. Reizwirkung stofflicher Einflüsse.
Massart. (1891) hat gezeigt, daß neben der negativen auch
positive Osmotaxis vorkommt, und zwar bei gewissen Meeres-
organismen, die also an den Aufenthalt in Salzlösungen angepaßt
sind. Wird diesen die Wahl zwischen normalem und verdünntem
Seewasser geboten, so suchen sie das erstere auf, reagieren also
positiv. Wird das Meerwasser aber durch Kochsalzzusatz konzentrierter
gemacht, so fliehen sie es. Sie suchen daher in allen Fällen die
gewohnte mittlere Konzentration auf. ‚Leider hat Massart bezüglich
dieser Organismen es nicht hinreichend sicher gestellt, daß die be-
obachteten Reizwirkungen osmotaktischer und nicht etwa chemo-
taktischer Natur sind, da er nur mit Meerwasser und NaCl experi-
mentierte; immerhin wird man, bis zum Beweis des Gegenteils, das
erstere für wahrscheinlicher halten dürfen“. (Rothert 1901.) Wie
für die Chemotaxis scheint auch für die Osmotaxis das Webersche
Gesetz zu gelten. Massart fand bei Spirillum undula, daß die
Kapillarflüssigkeit etwa das 6—8fache eines osmotisch wirksamen
Stoffes enthalten muß als die Außenlösung, damit Abstoßung zustande
kommt. Und zwar gilt diese Regel innerhalb ziemlich weiter Grenzen, so
daß eine und dieselbe Konzentration je nach der Außenlösung anlockend
oder abstoßend wirken kann. Somit muß man annehmen, daß schon
in der Kulturflüssigkeit eine die Empfindlichkeit herabsetzende Wasser-
entziehung stattfindet, und daß das Bakterium imstande ist nicht nur
diese selbst, sondern auch ihren Grad genau zu perzipieren. Ferner ist
es in diesem Falle besonders deutlich, daß nur der Übergang die Reiz-
bewegung auslöst, da die Lösung an sich nicht schädlich zu sein braucht.
ÖOsmotaktisch empfindlich sind, wie gesagt, zwar viele, aber nicht
alle Organismen. Manche werden noch durch Lösungen chemotaktisch
angelockt, die durch Wasserentziehung sofort den Tod herbeiführen.
(Buller 1900, Lidforss 1904).
Bei Myxomycetenplasmodien hat Stahl (1884b) ein Zurückziehen
vor Kochsalzkrystallen und anderen osmotisch wirksamen Substanzen
beobachtet. Bei Rohrzucker fand nach anfänglichem Rückzug eine
„Gewöhnung‘‘ statt. Hernach wirkte reines Wasser repulsiv. Die
Schleimpilze scheinen also gleichfalls positiv und negativ osmotaktisch
reagieren zu können. Bei ihnen ist die Osmotaxis noch deshalb
von besonderem Interesse, weil bei diesen, meist an der Luft leben-
den Organismen auch durch Verdunstung eine Wasserentziehung be-
wirkt werden kann, die augenscheinlich denselben Reizerfolg hat wie
die durch Osmose. Man spricht dann von Hydrotaxis. Bei den
ganz in Wasser lebenden schwimmenden Organismen ist etwas der-
artiges nicht möglich. Ganz sicher ist es freilich nicht, daß die
Osmotaxis und Hydrotaxis der Myxomyceten dieselbe Reizbeant-
wortung darstellen. Es kehren hier dieselben Probleme wieder wie
beim Hydrotropismus (8. 265).
Die Hydrotaxis konnte Pfeffer (1881, 8. 388) an Plasmodien
beobachten, als er sie auf feuchtes Fließpapier setzte und dieses lang-
Osmo-, Hydro-, Rheotaxis. 297
sam austrocknen ließ. Stahl (1884b) hat dann dieselbe Erscheinung
eingehender studiert, indem er eine Stelle des feuchten Papieres vor
dem Austrocknen schützte.e Die Plasmastränge, die sich anfangs
strahlig ausbreiteten, zogen sich nun mehr und mehr von den
trockenen Stellen zurück und häuften sich klumpig an den feuchten.
Wurde dem ausgebreiteten Plasmodium eine mit Gelatinegallerte
bedeckte kleine Glasplatte von oben bis auf 2 mm genähert, so
fand sich das Plasmodium beim beginnenden Austrocknen des Sub-
strates bald ganz unter diesem und erhob sich selbst zäpfchenartig,
um die feuchte Gelatine zu erreichen und auf sie hinüberzukriechen.
Dasselbe wurde mit feuchtem Papier oder Holz erreicht. Die Er-
scheinung hat also mit der chemischen Natur des feuchten Körpers
nichts zu tun. Nur der von ihm ausgehende und die Verdunstung
mindernde Wasserdampf übt die Reizwirkung aus.
Ein solches Aufsuchen feuchter Stellen ist bei Organismen, die
in Lohe, ‘unter Blättern im Walde und an ähnlichen Orten leben,
ökologisch begreiflich, umsomehr da sie als nackte Protoplasmamassen
keinerlei Verdunstungsschutz auszubilden imstande sind. Auch werden
wir uns nun nicht wundern, wenn wir sie bei feuchter Luft, also
etwa nach einem Regen, an der Oberfläche finden, wo sie sonst nicht
zu sehen sind.
Ebenso ist es im Zusammenhange mit ihrer Lebensweise zu
verstehen, daß ihr Verhalten sich ändert, wenn sie sich anschicken
zu fruktifizieren, also trockene Sporen auszubilden, die durch den
Wind verbreitet werden sollen. Nun werden sie auf einmal negativ
hydrotaktisch (ob auch positiv osmotaktisch??), sie kriechen aus ihrem
feuchten Substrate hervor und sammeln sich an den äußersten,
trockenen Stellen, auf Grashalmen, Holzstückchen u. dgl. Je feuchter
der Untergrund, desto weiter reichen ihre nun konsistenter werdenden,
sich zur Fruktifikation anschickenden Körper in die Luft, sicherlich
ein geeignetes Mittel um die Verbreiterung der Sporen zu förden.
Eine positive Hydrotaxis findet sich wahrscheinlich bei allen
kriechenden Organismen des Pflanzenreiches, die sich an die Luft
wagen. So ziehen sich Oscillarien und Diatomeen beim Austrocknen
ihrer Wohnorte in den feuchten Schlamm zurück. Untersuchungen
hierüber sind aber. bisher nicht angestellt worden.
Noch auf andere Weise übt das Wasser eine Reizwirkung auf
die Plasmodien der Myxomyceten aus, nämlich durch seine Strö-
mungen. Sie kriechen dem fließenden Wasser entgegen, sind also
positivrheotaktisch. Aufgedeckt wurde dieses Verhalten in Versuchen,
die Strasburger (1878) ausführen ließ. Später hat Jönsson (1883)
ähnliche Experimente angestellt. Er brachte Äthaliumplasmodien
auf Fließpapier, das heberartig aus einem Gefäß mit Wasser heraus-
hing, so daß durch dasselbe ein Strom Wasser herablief. Die Plas-
modien wanderten dann nach oben, der Strömung entgegen.
Auch wenn das von Wasser durchflossene Fließpapier strecken-
weise horizontal auf einer Glasplatte lag, ging die rheotaktische Be-
298 VII. Reizwirkung stofflicher Einflüsse.
wegung in derselben Weise von statten. Die Schwerkraft hat damit
also nichts zu tun. Die Versuche wurden von Stahl (1884) mit
demselben Erfolge wiederholt. Auch wird dieselbe Methode oft an-
gewendet, um für physiologische Versuche sauberes Plasmodienmaterial
zu erlangen. Man legt auf das von den Schleimpilzen durchzogene
Substrat, z. B. Lohe, das Ende eines in der geschilderten Weise von
einem Wasserstrome durchzogenen Papierstreifens und findet den Pilz
nach einiger Zeit auf dem Papier schön ausgebreitet.
Clifford (1897) suchte sich zu vergewissern, ob der Rheotropismus
nicht vielleicht durch chemische Beimengungen im Wasser vorgetäuscht
sei, so unwahrscheinlich das auch ist. Er ließ zwei Wasserströme
nebeneinander verlaufen, von denen der eine destilliertes, der andere
gewöhnliches Wasser enthielt. Die zwischen beide gebrachten Plas-
modien machten keinen Unterschied.
In anderen Versuchen wollte er prüfen, welchen Einfluß die
Stärke der Strömung hat. Zu diesem Zwecke variierte er die Ge-
schwindigkeit des Stromes, indem er ein Holzstück mit Plasmodium
dicht unter dem Wasserspiegel in einem Gefäße befestigte, das ver-
schieden schnell in Rotation versetzt werden konnte. Der Pilz streifte
dabei die Wasseroberfläche. Drehte sich die Glasschale, die neun Zoll
Durchmesser hatte bis zu sechsmal in der Minute, so erfolgte positive
Reaktion. Bei siebenmal aber bewegte sich das Plasmodium in der
Stromrichtung, ob durch mechanische Gewalt getrieben oder aktiv,
läßt sich nicht ersehen. Wurde die Geschwindigkeit noch mehr erhöht,
so suchte der Pilz auf die vom Wasser nicht bespülten Stellen zu
gelangen, ‚als ob er sich davor schützen wollte weggespült zu werden“.
Das was die Myxomyceten zur rheotaktischen Reaktion ver-
anlaßt, ist offenbar der über ihren festgehefteten Körper hinweg-
streichende Wasserstrom, wobei freilich die Art der Perzeption
noch rätselhaft bleibt. Etwas ähnliches kann an frei schwim-
menden Organismen nicht auftreten, solange sie sich in einem
ruhigen Strome schwebend erhalten. Denn dann fehlt die für die
Perzeption notwendige relative Bewegung zwischen Körper und
Wasser. Daß der Strom fließt, kann für die in seinem Innern ent-
haltenen Organismen nichts ausmachen. Nur wenn ein von außen
wirkender Richtungsreiz hinzukommt, wie z. B. Phototaxis,
kann ein äußerlich mit Rheotaxis zu verwechselndes Schwimmen
gegen den Strom zustande kommen; aber auch dann nur, wenn
die Geschwindigkeit der Wasserbewegung geringer ist als die der
Eigenbewegung. So meint auch Pfeffer (1904 S. 815) gegenüber
einer Angabe von Rheotaxis bei Bakterien: ‚Da die schwärmenden
Organismen schon durch eine mäßige Wasserströmung mechanisch
fortgerissen werden, so ist es nicht wahrscheinlich, daß bei frei
schwimmenden Organismen häufig eine rheotaktische Sensibilität zur
Erreichung bestimmter Ziele und Zwecke ausgebildet ist“.
Hydro- und Rheotaxis haben wahrscheinlich nichts gemein, als
daß in beiden Fällen Wasser den Reizanstoß abgibt.
Die chemotaktische Reaktionsweise. 299
h) Die chemotaktische Reaktionsweise.
Bisher wurde in den Erörterungen über Chemotaxis fast nur
das Endresultat geschildert. Sein Zustandekommen, also das Verhalten
der einzelnen Individuen, soll im Folgenden eingehender besprochen
werden. Wir hatten gesehen, daß die chemotaktisch empfindlichen,
beweglichen Entwicklungszustände der verschiedensten Organismen
sich bei gegebenen Konzentrationsverschiedenheiten eines Reizstoffes an
bestimmten Stellen sammeln. Damit ist aber weder der Reizanlaß noch
die Art der Reaktion genügend präzisiert. Vielmehr kehren hier ent-
sprechende Probleme wieder wie wir sie bei der Phototaxis be-
sprochen haben. So wie dort die Frage zu beantworten war, ob die
Richtung oder die Intensität des Lichtes die eigentliche physikalische
Ursache der phototaktischen Erregung darstellen, so ist hier zwischen
zwei ähnlichen Möglichkeiten zu entscheiden.
Denkt man sich die Ausbreitung eines löslichen Reizstoffes im
Wasser von einer bestimmten Stelle, z. B. einem Krystalle der Sub-
stanz oder einer Kapillarenöffnung ausgehend, so wird ein Abfall der
Konzentration von da nach allen Seiten zu beobachten sein, also
das was in der Literatur unseres Gegenstandes seit Pfeffer (1884) als
Diffusionsgefälle bezeichnet wird.
Derselbe Autor stellte sich sogleich die Frage, ob die Ansamm-
lung seiner chemotaktischen Organismen etwa in ähnlicher Weise zu-
stande komme wie die der Engelmannschen phototaktischen Bak-
terien in der „Lichtfalle“, nämlich durch zufälliges Hineingelangen
in die Lösung von bestimmter Konzentration und Zurückschrecken
beim Verlassen derselben. Er lehnte aber diese Auffassung ab,
und zwar auf Grund der Beobachtung, daß die Samenfäden der
Farne eine deutliche Ablenkung ihrer Bahn erfahren, sobald sie
in die Difiusionssphäre des Reizstoffes gelangen und nun mehr
oder weniger gradlinig der Kapillaröffnung zuschwimmen. Nach
ihm „bewirkt die Reizung eine bestimmte Richtung der Körperachse
und erzielt hiermit, daß diese ohnehin mit fortschreitender Be-
wegung begabten Organismen nach bestimmter Richtung hin fort-
schreiten.‘‘ Der Reizanlaß soll in der verschiedenen Beeinflussung
der Flanken liegen, ähnlich wie bei den tropistischen Bewegungen
festgewachsener Pflanzen.
Auch für Bakterien betrachtete Pfeffer damals die ungleiche
Beeinflussung der Flanken als Reizursache für die beobachtete Be-
vorzugung einer bestimmten Bewegungsrichtung bei diesen niemals
geradlinig schwimmenden Lebewesen.
Später haben Jennings und Crosby (Pfeffer 1904 S. 756) sowie
Rothert (1901) gleichzeitig durch genaue Beobachtung einzelner großer
Bakterien nachgewiesen, daß bei diesen Organismen die Ansammlung
doch nach der Art der Engelmannschen Schreckbewegung zustande
kommt. Jede Erniedrigung der Konzentration des Reizstoffes bewirkt
bei einem positiv chemotaktischen Bakterium eine Rückzugsbewegung,
300 VII. Reizwirkung stofflicher Einflüsse.
der ein Vorwärtsschwimmen in einem etwas abweichenden Winkel
folgt. Falls das Bakterium zufällig in der Richtung auf das Diffusions-
zentrum hinschwimmt, nimmt es ungereizt seinen Weg. Ist seine
Bahn aber anders gerichtet, so schwimmt es am Diffusionszentrum
vorbei und gelangt bald in Zonen absteigender Konzentration. Da-
durch wird es gereizt, schwimmt rückwärts und kommt so, wieder
der Kapillarenöffnung näher.
Indem nun allmählich eine ‚„Gewöhnung‘‘ an den Reizstoft statt-
findet, wird bewirkt, daß die einzelnen Individuen schließlich schon
vor relativ hohen Konzentrationen zurückschrecken und sich dadurch
immer mehr in der Zone höchster Konzentration zusammendrängen,
vorausgesetzt, daß keine anderen Reizwirkungen das verhindern. Dieser
eben geschilderten Reaktion durch Schreckbewegung stellt Rothert
die Richtungsbewegungen der Samenfäden, Saprolegniaschwärmer usw.
entgegen, die nicht durch die Veränderung der Intensität eines Reiz-
stoffes zustande kommen sollen, sondern durch das Einstellen der
Körperachse in der Diffusionszone, durch die beide Flanken. einer
gleichstarken Einwirkung ausgesetzt würden. Die erste Reaktions-
weise wurde später von Pfeffer (1904) Phobochemotaxis, die zweite
Topochemotaxis genannt.
Der Gegensatz der beiden Reaktionsarten wird gekennzeichnet
durch folgende Gegenüberstellung: Während bei den phobotaktischen
Organismen die Entfernung der Intensität des Reizmittels vom
Optimum den Reiz ausübt und die Organismen veranlaßt, sich zu-
rückzuziehen, wendet sich ein topotaktischer Organismus nach der-
jenigen Seite, auf welcher das Reizmittel mit einer dem Optimum näheren
Konzentration auf seinen Körper einwirkt (Rothert 1901). Diese
Definitionen gelten nicht nur für chemische, sondern auch für
andere Reize. Da bei der phobischen Reaktionsweise der Über-
gang in andere Reizbedingungen, bei der topischen dagegen die Ver-
schiedenheit der Einwirkung auf beiden Flanken den Anlaß zur Be-
wegungsänderung abgibt, kann man die Differenz der beiden Reiz-
arten kurz so ausdrücken, daß man sagt: In dem einem Falle geben
zeitliche, in dem anderen örtliche Differenzen den Reizanlaß ab.
Diese Unterscheidung und Auffassung der beiden nach dem Aus-
sehen verschiedenen Reaktionsweisen ist in alle botanischen Lehr-
und Handbücher übergegangen. Gleichwohl stimmt Jennings ([1905]
1910) ihr nicht bei. Von seinen Beobachtungen an Infusorien und
Flagellaten her weiß er, daß scheinbares Einstellen der Körperachse
in eine bestimmte Richtung durch oft wiederholte ‚Schreckbewegung‘
zustande kommen kann, wobei dann nicht örtliche, sondern wie bei
der typisch phobischen Reaktion zeitliche Differenzen den Reizanlaß
abgeben (vgl. das über Phototaxis Gesagte auf S. 194). Die Möglich-
keit einer solchen Reaktionsweise wird auch von Pfeffer betont
(1904 8. 757). Verhalten sich aber die Samenfäden usw. in dieser
Weise, dann fallen die prinzipiellen Differenzen zwischen phobischer
und topischer Reaktionsweise fort.
Die chemotaktische Reaktionsweise. 301
Rothert (1901) hat die bis dahin vorliegenden Erfahrungen zu-
sammengestellt, um die Verbreitung der von ihm neu entdeckten
Phobotaxis zu beweisen. Besonders bei Repulsivwirkungen war oft
ein „Zurückschrecken‘ beobachtet worden, auch bei solchen Orga-
nismen, die Rothert nach dem Auftreten der Körperschwenkung bei
Frreichung der Reizsphäre zu den topisch reagierenden rechnet. Be-
sonders aber lagen damals schon die eingehenden Untersuchungen von
Jennings an Infusorien vor.
Diese Tiere vollführen auch bei einseitiger Einwirkung chemischer
Reizmittel keine Richtungseinstellung der Körperachse, sondern ein
seitliches Drehen nach einer morphologisch bestimmtan Seite des
Körpers hin. Beim Vorwärtsschwimmen beschreiben sie eine lang-
gestreckte Schraubenlinie, wobei sie so rotieren, daß stets eine be-
stimmte Seite nach innen gerichtet ist. Auf einen Reiz hin wird
die Vorwärtsbewegung gehemmt, das Tier fährt ein Stück zurück,
und das Vorderende beschreibt einen Kreis, wodurch der Körper in
einem Kegelmantel herumschwingt. Das Drehen in einem Trichter
kommt immer dann zustande, wenn durch die Bewegung des Orga-
nismus, also in zeitlicher Aufeinanderfolge, eine Entfernung vom
Optimum eingetreten ist. Es wird so lange fortgesetzt, bis wieder eine
Annäherung an das Optimum erreicht ist. Da die Konzentrations-
veränderung nach dem Optimum zu keinen Reiz ausübt, wird nun
die Trichterdrehung eingestellt und unter bloßer Rotation um
die Längsachse die Vorwärtsbewegung in dem zuletzt eingeschlagenen
Winkel fortgesetzt.
Daß bei diesen Reizbewegungen wirklich die zeitliche und nicht
die örtliche Konzentrationsdifierenz den Reizanlaß abgibt, konnte
Jennings am zwingendsten beweisen, indem er seine Versuchsobjekte
plötzlich aus einer Lösung in die andere übertrug. Dabei fand dann
wieder das Herumschwingen in Form eines Trichters statt, wie es
für die Reaktionsweise der Infusorien bezeichnend ist. Bei kleineren
Organismen ist ein derartiger Versuch nur möglich, wenn der Reiz-
stoff ein Gas ist, bei dem man Konzentrationsveränderungen ohne
stärkere mechanische Störungen bewirken kann, indem man es über
das Präparat leitet. Solche Experimente hat Engelmann (1882) bei
seinen Purpurbakterien mit Erfolg angestellt. Auch verzeichnet
Klebs (1896) ein Rückwärtsschwimmen von Schwärmern der Alge
Ulothrix nach dem plötzlichen Übertragen aus Wasser in eine Salz-
lösung. Rothert weist darauf hin, daß aus derartigen Versuchen
am besten auf phobische Reaktionsweise geschlossen werden kann.
Die Methode wäre bei den meisten chemotaktischen Organismen
anwendbar und würde gegebenen Falles ihre von örtlichen Kon-
zentrationsdifferenzen unabhängige Reaktionsweise aufzudecken ge-
eignet sein.
Bisher sind die Angaben über die verschiedene Reaktionsweise
der einzelnen beobachteten Organismen mit großen Unklarheiten be-
haftet, so daß Jost (1908) neue Untersuchungen für dringend not-
302 VII. Reizwirkung stofllicher Einflüsse.
wendig erklärt. Die Schwierigkeit der Deutung hat ihren Grund
hauptsächlich darin, daß man die Beobachtung der Richtungsablenkung
beim Berühren der Diffusionszone als genügend für das Vorhandensein
der Topotaxis erachtete. Von Phobotaxis sprach man, wenn etwas
derartiges nicht zu sehen war, vielmehr die Einzelindividuen schein-
bar ungestört die Diffusionssphäre durcheilten, um erst an deren
hinterer Grenze zurückzuschrecken. Nach diesen Kennzeichen mußte
man häufig bei ein und demselben Organismus beide Arten von
Chemotaxis (und auch Osmo- und Phototaxis) annehmen (Rothert
1901). Auch wollten sich die Jenningsschen Infusorien dem Schema
nicht einfügen, denn diese zeigen eine Richtungsablenkung, obgleich
sie zweifellos phobisch reagieren.
Jennings nun ([1905] 1910) spricht die Vermutung aus, daß auch
die bisher als typisch topotaktisch betrachteten Samenfäden und
Saprolegniaschwärmer sich nach Art seiner Infusorien verhalten möchten.
Nach seinen Erfahrungen hängt allgemein die Art der Reaktion nicht
von dem Reizanlasse, sondern von dem Bewegungsmodus des be-
treffenden Lebewesens ab, so daß phobische und topische Taxieen bei
ein und derselben Organismenart unwahrscheinlich sind. Allerdings bleibt
es ein Unterschied, ob der Reiz, also die Entfernung vom Optimum,
nur ein Rückwärtsschwimmen oder auch eine Winkelabweichung
(Erweiterung des Bewegungstrichters) hervorruft; aber die Differenz
liegt nach Jennings im Körperbau und der dadurch bedingten Be-
wegungsart, nicht in der Art der Perzeption.
Die symmetrisch gebauten Bakterien schwimmen auf den Reiz
rückwärts, die asymmetrischen Infusorien drehen sich nach einer mor-
phologisch bestimmten Seite. Wie ich zeigen werde, fügen sich dieser
Unterscheidung die meisten untersuchten Objekte, wenn ich auch nicht
leugnen will, daß es bei Organismen, die in ihrem Bau abweichen, noch
andere Bewegungs- und damit Reaktionsformen geben dürfte. So voll-
führt der von Pfeffer als gut chemotaktisch nachgewiesene Bodo
saltans beim Schwimmen überhaupt keine Rotationen, sondern pendelt
nur hin und her. Ebenso verhalten sich, wie es scheint, die stark
unregelmäßig gestalteten Peridineen. Bei beiden liegt offenbar der
Schwerpunkt zu weit seitlich, als daß eine Drehung möglich wäre.
Sehen wir aber die genauer untersuchten Schwimmer auf Bau
und Reaktionsweise durch, so finden wir die Bakterien und Schleinı-
pilzschwärmer radiär und typisch phobotaktisch. Letzteres bei den
Bakterien nach Jennings und Rothert, bei den Myxomyceten nach
Kusano. Die asymmetrischen Objekte stellen sich zwar alle in die
tichtung der einwirkenden Kraft, sind also nach der herrschenden
3ezeichnung topisch. Sie können aber auch phobisch reagieren. Doch
sind in Wirklichkeit die Infusorien und Flagellaten von Jennings als
im Grunde phobotaktisch erkannt worden.
Da die Samenfäden der Farn- und Moospflanzen sowie die
Saprolegniaschwärmer asymmetrisch sind, so ist es nach dem Gesagten
begreiflich, daß sie von allen Beobachtern als typisch topisch rea-
Die chemotaktische Reaktionsweise. 303
gierend angegeben werden. Wegen ihrer Kleinheit und Geschwindig-
keit ist die Jenningssche Vermutung, sie möchten sich wie seine
Infusorien verhalten, schwer durch direkte Verfolgung ihrer Bewe-
gungen zu belegen. Doch führt schon Rothert einen Satz von Pfeffer
an, der darauf hindeutet, daß auch bei ihnen Schreckbewegungen
vorkommen. Pfeffer spricht nämlich von dem ‚Zurückprallen‘‘ der
Samenfäden vor schädlichen Stoffen.
Im Folgenden sollen nun die Tatsachen angeführt werden, die
mir dafür zu sprechen scheinen, daß Jennings im Rechte ist:
1. Nach den Untersuchungen von Jennings sind zweierlei Reiz-
bewegungsformen bei ein und demselben Organismus nicht wahr-
scheinlich. Es kommen aber
2. bei den genannten Objekten zweifellos Schreckbewegungen
vor (Pfeffer 1884 S. 374, 375, 376, 385 usw., Shibata 1905 S. 566,
567). Die Samenfäden ‚‚prallen zurück‘, „schießen wie erschreckt hin
und her“ u. ä.
3. Die Samenfäden nehmen in der Diffusionszone keine be-
stimmte Richtung ein, sondern wimmeln hin und her. Auch enteilen
sie zuweilen, nämlich dann, wenn die Schreckbewegung erst erfolgt,
nach dem die reizlose Region schon erreicht ist.
4. Die Verschiedenheit der Konzentration auf beiden Flanken
kann kaum als Reizanlaß gelten, da die Rotation um die Längs-
achse die einseitige Einwirkung in derselben Weise aufheben würde,
wie an einer Pflanze auf dem Klinostaten.
Jost (1908), der dieses Argument betont, zieht daraus den Schluß, daß der
Reizanlaß dann also die Verschiedenheit in der Stärke des Reizanlasses an der
Vorder- und Hinterseite sein müsse, In der Tat können mit dieser Hypothese
viele Erscheinungen erklärt werden, aber doch nicht alle. Rothert, der diesen
Gedanken auch schon erwogen hat, führt die erwähnten Versuche von Jennings
und Engelmann über Schreckbewegungen bei plötzlicher diffuser Einwirkung
eines Reizstoffes dagegen an und vermutet, daß auch die anderen Organismen
sich ähnlich verhalten möchten. Auch die Analogie mit der Phototaxis kann gegen
Jost angeführt werden. Vor allem scheint mir aber, daß die Jostsche Hypothese
die tatsächlich zustande kommende Einstellung in die Diffusionsrichtung gar
nicht erklären kann, denn auch ein schräggestellter Samenfaden findet noch
die „‚positive‘‘ Differenz zwischen der Konzentration hinten und vorn. Erst
wenn die Ablenkung von der Diffusionsrichtung mehr als 90% beträgt, wird
dieses Verhältnis umgekehrt. Nach Josts Schema sich verhaltende Schwärmer
würden daher in ihrem Gebahren den typisch phobischen gleichen. Endlich
müßte die Reizwirkung um so stärker sein, je langsamer die Bewegung vor
sich ginge, denn dann würde die Intensitätsdifferenz am Vorder- und Hinter-
ende um so länger dauern und umso intensivere Erregung hervorrufen. In
Wirklichkeit ist das Umgekehrte der Fall.
5. Die Schwärmer reagieren um so besser, je schneller ihre Be-
wegung ist. Jede Verlangsamung der Bewegung, ob sie nun durch
abnormen Bau (Pfeffer 1884), durch das Alter der Schwärmer, durch
Kälte oder Wärme (Vögler 1891) oder durch Narkotika (Rothert
1904) hervorgerufen wird, beeinträchtigt die „Empfindlichkeit“. Nun
ist es nicht wahrscheinlich, daß alle diese recht verschiedenen Agentien
die Perzeptionsfähigkeit gleichzeitig mit der Beweglichkeit so stark
304 VII. Reizwirkung stofflicher Einflüsse.
schwächen sollten. Auch kann die Erhöhung der Schwelle bei den
teilweise intensiven Reizen kaum die Ursache des Ausbleibens der Reiz-
bewegungen sein. Daher glaube ich den Grund für die Wichtigkeit des
schnellen Schwimmens darin sehen zu dürfen, daß bei langsamer Be-
wegung die als Reiz wirkende Intensitätsveränderung auf eine längere
Zeit auseinander gezogen und dadurch unwirksamer gemacht wird.
6. Auch möchte ich hier das Verhalten bei Reizen erwähnen,
die die Schwelle gerade erreichen. Nur bei sofortiger Beobachtung
findet man hier eine Anlockung. Später wird der Reizstoff durch
Strömungen zu stark verstreut und verdünnt als daß er noch wirken
könnte, und die Schwärmer verteilen sich wieder. Gleich nach dem
Zuschieben der Kapillare kann aber von einem Diffusionsgefälle noch
keine Rede sein, besonders nicht bei langsam diffundierenden Colloiden,
wie Pepton, Eiweißstoffen, Dextrin. Daher kann auch keine Rich-
tungseinstellung des Körpers zustande kommen.
7. Wenn wir nun ferner sehen, daß entsprechend dem Weberschen
Gesetze die anzulockenden Samenfäden usw. durch einen Gehalt der
Außenlösung an dem Reizstoffe „abgestumpft‘‘ werden, so können
wir uns kaum vorstellen, daß die Reizung durch das Hineingelangen
in ein Diffusionsgefälle zustande kommt. Bei Isoetes z. B. beträgt
die Verhältnisschwelle für Apfelsäure und OH’-Ionen 400 (Shibata
1911). Ein verhältnismäßig so geringer Zusatz des Reizmittels in der
Außenlösung kann die einzelnen Konzentrationen in einem Diffussions-
gefälle nur um ein minimales Maß nach innen verschieben. Warum
soll dadurch aber die Reizwirkung aufgehoben werden? Nehmen wir
dagegen an, daß bei unseren Schwellenversuchen die Diffusion noch
kaum merklich ist und die Samenfäden durch das Eindringen in die
durch ihre Schwere teilweise ausgeflossene Lösung des Reizstoffes von
der Kapillare gereizt werden, oder vielmehr dann wenn sie diese
Lösung wieder zu verlassen im Begriff sind, so wird alles viel
verständlicher. Denn wir können uns gut denken, daß es etwas
anderes ist, wenn ein Samenfaden aus der Lösung eines Stoffes in
reines Wasser gelangt, als wenn nur die Konzentration dieses Stoffes
abnimmt. Zudem mag im letzteren Falle das vorherige Verweilen in
der Außenlösung des Reizstoffes nachwirken.
“inzelne von den angeführten Gründen mögen nicht absolut be-
weisend sein. Ihre Gesamtheit ergibt aber doch ein starkes Über-
gewicht zugunsten der vorgetragenen Meinung. Endgültig zu ent-
scheiden ist die Frage nur durch genaue Beobachtung, verbunden
mit eigens darauf gerichteten Experimenten!). Das spezifische Aktions-
system jeder Organismenklasse aufzudecken, wird noch viel’ Mühe
!) Diese, von mir erst begonnene Aufgabe ist, wie ich leider erst bei der
Korrektur bemerke, von Hoyt (Botanical Gazette Bd. 49, 1910 S. 355 ff.) für
die Farnsamenfäden schon gelöst worden. Da sich also diese „‚typisch-topischen“
Objekte der Jenningsschen Theorie einfügen lassen, wird für die wenigen noch
übrigen kaum mehr ein Zweifel bestehen bleiben.
Die chemotaktische Reaktionsweise. 305
machen. Eine eingehende Kenntnis dieser Erscheinungen dürfte aber
auch manches unerwartete Licht auf andere Tatsachen werfen.
Hier wäre nur noch zu bemerken, daß jene Reaktionsweise, die
man bisher als topisch bezeichnet hat (und die diesen Namen ruhig
weiter tragen sollte), offenbar eine schnellere und sichere Erreichung
des Zieles gewährleistet als die phobische (vgl. S. 197). So ist es wohl
kein zufälliges Zusammentreffen, daß bei den niedrig organisierten
Bakterien und Myxomyceten die phobotaktische, bei den höher stehen-
den Flagellaten dagegen, sowie bei den Zoosporen der Saprolegnien,
den Infusorien und den Samenfäden der Moose und Farne die topo-
taktische Reaktionsweise ausgebildet ist. Die niederen Flagellaten,
die Volvocineen und die Schwärmer der Algen müssen erst auf ihren
Bewegungsmodus hin untersucht werden.
Pringsheim, Reizbewegungen. 20
VII. Allgemeines.
a) Das Wesen der Reizbarkeit.
Ältere Autoren begannen wohl ihre wissenschaftlichen Schriften
mit der begrifilichen Erklärung und Umgrenzung des zu behandeln-
den Gebietes. Sie taten das mit Rücksicht auf die außerwissenschaft-
liche, volkstümliche Auffassung des Gegenstandes, auf die allein sie
sich stützen konnten, da bei dem Leser nicht von vornherein die
Durchdringung des gesamten erst vorzulegenden Stoffes erwartet wer-
den konnte.
Dieser Brauch schwand gleichzeitig mit dem allzu großen Vertrauen
auf Worte. Denn der Begriff, den sich der unvorbereitete Leser und
der, den der Verfasser sich über den Gegenstand der Erörterung
macht, werden sich schwerlich decken oder durch eine kurze Er-
klärung zur Übereinstimmung gebracht werden können. Dieser
Schwierigkeit trug man Rechnung, indem man den Fortschritt der
Erkenntnis auf dem betreffenden Gebiete, von der vorwissenschaft-
lichen Zeit an bis zur Gegenwart, darlegte und dann auf diesem
Boden die eigenen Erörterungen aufbaute.
Bei einer Schrift, die nicht nur der Wiedergabe von Tatsachen,
sondern der Klärung eines bestimmten Begriffes dienen soll, wird
man stets den Wunsch hegen. am Schlusse das Ergebnis der Unter-
suchung in Form einer abschließenden Definition zusammenzufassen.
Um logischen Ansprüchen zu genügen, wird man also nicht mehr
von einer Worterklärung ausgehen, man wird sich auch nieht begnügen,
alte Begriffe zu einer zeitgemäßen Definition umzugestalten, sondern
man wird die Gesamtheit des mitzuteilenden Stoffes als Inhalt und
Umgrenzung des Begriffes betrachten. Damit allein ist eine aus-
reichende Definition gegeben, die allerdings womöglich rückblickend
in kurze Worte zu fassen ist.
Im Eingange dieses Buches wurde der Leser sogleich mit ge-
wissen Erscheinungen bekannt gemacht, denen nur eine knappe An-
deutung des Tatsachengebietes voranging, um das es sich handelt.
Darauf folgte Schilderung auf Schilderung von Tatsachen recht ver-
schiedener Art. Mancher wird nun fragen: Was ist das Gemeinsame,
wie lassen sich die gewonnenen Kenntnisse in einer Formel zusam-
menfassen, was ist Reizbarkeit?
Auf diese Frage läßt sich nun nicht einmal am Schlusse unserer
Erörterungen eine abschließende Antwort erteilen. Man kann keine
Das Wesen der Reizbarkeit. 307
Definition für Reizbarkeit geben, ohne das Wort Leben zu nennen,
denn es gehört zum Wesen der Reizvorgänge, daß sie sich in
einem „lebenden Systeme‘ abspielen. Was Leben ist, wissen wir
aber nicht. Wir können es auch nicht umschreiben; vielmehr höch-
stens in einen Gegensatz zum Leblosen (oder ‚Toten‘‘) stellen und
die unterscheidenden Merkmale aufzählen. Unter diesen ist, neben
Ernährung und Atmung, Wachstum und Fortpflanzung, die Reizbar-
keit wohl das klarste Zeichen für die Lebenstätigkeit in einem orga-
nisierten Gebilde. Jeder der beiden Begriffe Leben und Reizbarkeit
kann demnach nur mit Hilfe des anderen, d. h. überhaupt nicht
befriedigend, festgelegt werden. Dieses Eingeständnis soll uns aber
nicht den Mut zum Nachdenken über das Wesen der Reizbarkeit
nehmen, denn bei näherem Zusehen verhalten sich die meisten Be-
griffsumschreibungen ebenso.
Auf einem anderen Wege kommen wir wenigstens zu einem An-
halt für die Natur der Reizvorgänge. Obgleich wir nämlich nicht
wissen, was Leben ist, so müsssen wir doch als sicher annehmen,
daß auch die Vorgänge innerhalb des Organismus den allgemeinen
Gesetzen folgen, die die Materie beherrschen. Pfeffer (1881 und 1893)
hat darauf hingewiesen, daß die Reizerscheinungen auf anorganischem
Gebiete mit den Auslösungs- und Umsteuerungsvorgängen verglichen
werden können.
Ein solcher Auslösungsvorgang, bei dem eine ruhende Energie-
menge in Tätigkeit versetzt wird, ist z. B. das Abschießen eines Ge-
wehres. So wie der Fingerdruck, der den Schuß auslöst, in gar
keinem Verhältnis zu der Kraft der einschlagenden Kugel steht, so
hat auch die Energie, mit der ein Insekt die Fühlborste des Dionaea-
blattes berührt, nichts mit der Gewalt zu tun, mit der die beiden
Blatthälften zusammenklappen. In anderen Fällen wird eine schon
tätige Energie, etwa die des Wachstums bei tropistischen Krümmun-
gen, durch den Einfluß einer Außenkraft, wie des Lichtes, in andere
Bahnen gelenkt. Ähnlich schlägt ein Dampfer, der bisher geradeaus
fuhr, durch Schiefstellung des Steuers einen anderen Kurs ein, ob-
gleich die Kraft des Steuermannes nur einen geringen Bruchteil von
der der Dampfmaschine ausmacht.
Der Vergleichspunkt zwischen den genannten physikalischen
Vorgängen und den Reizprozessen liegt in den energetischen Verhält-
nissen. In beiden Fällen haben wir zwei Geschehnisse, die in einem
ursächlichen Verhältnisse zueinander stehen, ohne daß die Energie
des ersten in dem zweiten wiederkehrt. Und ähnlich wie beim Los-
schießen des Gewehres oder bei der, vielleicht elektrisch auf das
Steuerruder übertragenen Drehung des Steuerrades, eine ganze Kette
von zwischengeschalteten Auslösungsvorgängen der Reihe nach durch-
laufen werden, so muß man sich auch die Reizkette aus einzelnen
Reizreaktionen zusammengesetzt denken, von der Perzeption bis zur
Reaktion. Jeder von diesen Einzelvorgängen kehrt beim Aufhören
20*
308 VIII. Allgemeines.
der Reizursache allmählich in den Ruhestand zurück, jeder hat seine
eigene ‚„‚Gegenreaktion“.
Pfeffer sagt: ‚Alles was im physiologischen Getriebe dem Cha-
rakter der Auslösung entspricht, sehen wir als Reizvorgang an, gleich-
viel ob es sich um Bewegungen oder um eine nicht auffällige che-
mische Reaktion handelt, und gleichviel ob eine Mimosa plötzlich
sich bewegt, oder ob der Erfolg erst nach Tagen oder Wochen be-
merklich wird‘ (1897, S. 11). Damit ist aber noch nicht gesagt,
dal alle Auslösungs- und Umschaltungsprozesse, die im Organismus
verlaufen, Reizprozesse wären. Denn wäre bei einem Geschehen klar
der physikalisch-chemische Zusammenhang aufgedeckt, so würden wir
nicht mehr von einem Reizvorgange sprechen. In dem Pfefferschen
Ausspruche ist mit den Worten: „physiologisches Getriebe“ auf die un-
erklärbaren Faktoren hingewiesen.
Somit können wir nur sagen: Dem Reizprozesse liegt ein nicht
klar übersehbarer Zusammenhang zwischen den Lebensvorgängen im
Organismus und den Kräften der Außenwelt zugrunde, für den in
energetischer Beziehung ein Auslösungsprozeß das beste Modell ergibt.
Hätten wir freilich nicht noch andere Merkmale, die einen Vor-
gang als Reizreaktion charakterisieren, so hätte sich dieser Begriff
schwerlich entwickelt. Vielmehr muß noch an eine Reihe von in den
einzelnen Kapiteln wiederkehrenden Zügen erinnert werden, um dem
Bilde der pflanzlichen Reizbarkeit mehr Rundung zu verleihen.
Die Reizerfolge sind die für die Lebewesen bezeichnenden Reak-
tionen auf äußere Eingriffe. ‚Der Reiz gibt immer nur den Anstoß,
ist also nur Veranlassung, daß der Organismus gemäß seiner Eigen-
schaften und mit den ihm zu Gebote stehenden Mitteln in diesem
oder jenem Sinne reagiert und antwortet, oder, wenn wir wollen,
handelnd auftritt‘‘ (Pfeffer 1897, S. 10). Die Art des Erfolges ist
also von dem Bau des Organismus abhängig, nicht von dem aus-
lösenden Reize und kann bei sehr verschiedenen Anlässen äußerlich
gleichartig sein. Sie kann ferner je nach dem Alter, Vorleben und
sonstigen Bedingungen wechseln.
Sind Reizanlaß und Reizreaktion quantitativ abstufbar, so wächst
letzterer innerhalb gewisser Grenzen mit dem ersteren, aber meist
nicht proportional. In den Reizbewegungen von Mimosa und denen
der Üynareenstaubfäden haben wir Fälle kennen gelernt, in denen
normalerweise durch jeden überhaupt wirksamen mechanischen An-
stoß die volle Reaktionsgröße ausgelöst wird. Meist steigt freilich
die Größe des Reizerfolges mit der Intensität des Anlasses. Über-
all aber kann der Umfang der Reaktion nicht über ein gewisses Maß
hinaus gesteigert werden. Ein weiter verstärkter Reizanlaß hat keine
Vergrößerung des Reizerfolges, bei Richtungsreizen aber oft eine Ver-
änderung oder Umkehrung desselben zur Folge. Hierbei wird näm-
lich, soweit das Bewegungssystem die Möglichkeit dazu gibt, in einem
Raum mit abgestuften Reizindensitäten eine gewisse („optimale‘‘)
Das Wesen der Reizbarkeit. 309
Reizstärke aufgesucht. Ist daher der Reiz intensiver als diesem
„Optimum“ entspricht, so erfolgt ‚‚negative‘“, ist er schwächer ‚‚posi-
tive‘, d. h. in beiden Fällen nach dem ‚Optimum‘ hin gerichtete
Reaktion. Ein solches Verhalten finden wir sowohl bei den Be-
wegungen, die durch Licht- und Temperaturdifferenzen, wie auch bei
solchen, die durch Verschiedenheiten in der Verteilung von chemischen
Stoffen und Feuchtigkeit veranlaßt werden.
Nicht immer braucht die Abstufungsmöglichkeit eines Reizes so groß
zu sein, daß das Optimum innerhalb der dadurch gesetzten Grenzen
liegt. Solche Beschränkungen sind entweder in physikalischen und
chemischen Umständen gegeben, wie z. B. in den Löslichkeitsgrenzen
eines Reizstoffes oder aber in physiologischen Verhältnissen. So können
vor Erreichung des Optimums andere, störende Faktoren dazwischen
kommen, z. B. die Giftigkeit oder der negativ osmotaktische Reiz-
wert eines Stoffes. Auch braucht dem sog. Optimum nicht die für
dauerndes Gedeihen günstige Stärke der als Reiz wirkenden Energie-
art zu entsprechen; die Lage des Reizoptimums hängt vielfach
vom Vorleben ab und ändert sich durch die Einwirkung der betref-
fenden Kraft selbst, wie wir das bei den photischen und chemischen
Reizen kennen gelernt haben.
Des weiteren sei zur Charakteristik der Reizreaktionen daran
erinnert, daß wir bei ihnen, falls sie nicht gar zu schnell verlaufen,
auch ohne besondere Hilfmittel eine Latenz- oder Reaktionszeit, eine
Präsentationszeit, ein Abklingen der Erregung und eine Gegenreaktion
beobachten konnten. Auch eine Leitung der Erregung kann als be-
zeichnendes Merkmal angeführt werden. Denn, wie früher betont,
muß sie auch da angenommen werden, wo der Ort der Perzeption
mit dem der Reaktion äußerlich zusammenfällt. Bei den rasch ver-
laufenden Reizreaktionen werden im übrigen, sobald die Meßmethoden
dem raschen Ablauf der Vorgänge angepaßt werden, dieselben eben
aufgezählten Teilprozesse gefunden. Auch für die verschiedenen Arten
der Stimmungsreizbarkeit sind Anhaltspunkte gegeben, die es er-
lauben, das Gesagte zu verallgemeinern, und für die taktischen und
nastischen Reaktionen gilt zweifellos im Prinzip dasselbe wie für die
tropistischen.!)
Die hier dargelegte kritisch-skeptische Auffassung über die Er-
klärbarkeit der Reizprozesse wird nicht von allen Seiten geteilt. Es
stehen sich zwei Richtungen gegenüber, deren Extreme etwa durch
1) Als Belege sei an Folgendes erinnert: Die Lichtstimmung von photo-
tropischen Keimlingen wurde durch kurze starke Belichtung ebenso beeinflußt
wie durch längere schwache, deren Wirkung eine Zeitlang latent bleibt. Bei
nachträglicher Verdunkelung geht sie in den Anfangszustand zurück: Gegen-
reaktion. — Panicumkeimlinge zeigen eine Wirkung der Belichtung des Keim-
stengels auf die Sensibilität der Blattscheide und umgekehrt: Reizleitung. —
Phototaktische Organismen überschreiten eine Licht- oder Schattengrenze bevor
sie reagieren, sie zeigen also eine Reaktionszeit. Auch Reizleitung kommt
bei ihnen wohl stets vor. Man denke an die Volvoxkolonien und die Bakterien-
pakete als zwei markante Beispiele (vgl. S. 9 und S. 13).
310 VIII. Allgemeines.
J. Loeb (1909) und R. H. France (1909) gekennzeichnet sind. Beide
nehmen für sich ein restloses Begreifen der Lebensprozesse in An-
spruch, die eine auf physikalisch-chemischer Grundlage, die andere
mit Hilfe von in der Pflanze angenommenen psychischen Fähigkeiten.
Beide Erklärungsversuche sind abzuweisen. Der erste ist bisher noch
in keinem Falle wirklich geglückt, der zweite genügt logischen An-
sprüchen nicht.
Man kann sehr wohl der Meinung sein, daß die physikalisch-
chemische Erklärung der Reizprozesseund der Lebensvorgänge überhaupt,
möglich sei, ja sogar, daß sie das Endziel der Physiologie bilde, ohne
den Zeitpunkt für gekommen zu halten, in dem die Wissenschaft
dieser Aufgabe gewachsen ist. Bisher ist es immer nur gelungen,
von den im Organismus sich. abspielenden Vorgängen hier und da
einen, der sich auch an leblosen Stoffen wiederholen ließ, von der
Masse der Lebensprozesse im engeren Sinne abzulösen. Besonders auf
dem Gebiete des Stoffwechsels sind solche Fortschritte zu verzeichnen.
Anders bei den Reizvorgängen in der Pflanze. Von allen Glie-
dern der Reizkette sind überhaupt nur die duktorischen Prozesse in
wenigen Fällen Gegenstand von Erklärungsversuchen geworden. Es
sei an die Auffassungen von Pfeffer und Haberlandt über die Bedeu-
tung von Flüssigkeitsströmungen für die Reizleitung bei Mimosa
(vgl. S.225) erinnert, ferner an Boysen-Jensens Diffusionstheorie für
die Ausbreitung der phototropischen Erregung (vgl. S. 148). Die so
erklärten Leitungsvorgänge scheiden übrigens für die genannten Ver-
fasser aus der Reihe der eigentlichen Reizprozesse aus.
Über die Art wie die. Perzeption vor sich geht, was die Er-
regung darstellt und wie die Reaktion zustande kommt, sind nicht
mehr als Gleichnisse oder undeutliche Vorstellung vorhanden. Man
kann es z. B. nicht als Erklärung ansehen, wenn Loeb ‚‚heliotropische
Stoffe“ für die Liehtreizbarkeit verantwortlich macht. Wohl können
photochemische Prozesse bei der Perzeption eine Rolle spielen; aber
weder sind sie bisher nachgewiesen, noch sind Anhaltspunkte dafür
vorhanden, in welchem Verhältnisse sie etwa zur Erregung stehen
könnten. Auch aus den Gesetzen, die das quantitative Verhältnis von
Reizanlaß, Erregung und Reaktion beherrschen, kann man nicht, wie
das z. B. Blaauw (1909) versucht hat, auf bestimmte physikalisch-
chemische Vorgänge bei der Perzeption schließen, denn diese Zahlen-
gesetzmäßigkeiten deuten nur ganz allgemein auf die Umsetzung
einer Energieform in eine andere hin (Pringsheim 1910).
Man kann somit nicht behaupten, daß bisher irgendein Anfang
mit der Zurückführung der Reizvorgänge auf physikalisch-chemische
Prozesse gemacht sei. Trotzdem muß natürlich auch weiterhin ver-
sucht werden, die Gesetze, die für leblose Substanzen gelten, bis ins
innere Lebensgetriebe hinein zu verfolgen. Dabei bleibt die Frage,
ob etwa besondere Energieformen mit den Lebensvorgängen verknüpft
sind (Ostwald 1905), besser unerörtert, bis irgendwelche methodischen
Anhaltspunkte zu ihrem Nachweise gefunden sind.
Das Wesen der Reizbarkeit. 3ıl
Die physikalisch-chemische (‚‚mechanistische‘“) Zerlegung der Reiz-
vorgänge schwebt uns also wohl als — vielleicht unerreichbares —
Endziel vor, wir können in ihr aber nicht eine schon jetzt erfüllbare,
und glücklicherweise auch nicht die einzige Aufgabe der Reizphysiologie
sehen. Vielmehr haben die Reizvorgänge auch ihre eigenen Erschei-
nungsformen und Gesetze, denen wir in den einzelnen Kapiteln nach-
gegangen sind und die auf lange hinaus eine Fülle der dankbarsten
Fragestellungen bieten. Selbst wenn diese reizphysiologischen Gesetz-
mäßigkeiten, wie das Webersche, das Reizmengengesetz usf. nur ein
Ausdruck des physikalisch-chemischen Geschehens in einem höchst
komplizierten Systeme von ineinandergreifenden Prozessen wären,
einem Systeme, das wir eben Organismus nennen, so wären sie darum
nicht weniger des Studiums wert. Denn erst genaue Kenntnis dieses
besonderen Geschehens kann uns einen Einblick in die Natur des
„lebenden physikalisch-chemischen Systems“ gewähren. Falls die
Elektronentheorie die Erklärung der Newtonschen Gesetze finden
sollte, so wäre deren Bedeutung dadurch nicht im geringsten ver-
mindert. Dieses vorläufige Bescheiden mit lösbaren Problemen kenn-
zeichnet also die Physiologie durchaus nicht als eine Wissenschaft
von geringerem Werte oder niedrigerer Ausbildungsstufe als andere.
„Auf komplexe Größen, auf Eigenschaften ...., die wir nicht weiter
zergliedern wollen oder können, führt schließlich das Streben nach
letzten Zielen in jeder naturwissenschaftlichen Forschung. Auch Ko-
häsion, Elastizität, Schwere sind ebenfalls solche Eigenschaften, und
dereinst dürfte es auch gelingen, die Atome und den mit denselben
verknüpften Komplex von Eigenschaften noch weiter zu zergliedern.
Im Prinzip steht also die physiologische Forschung auf keinem anderen
Boden als die übrigen Naturwissenschaften, wenn sie auch vielfach
komplexe Größen als gegeben und vorläufig nicht weiter zerlegbar
hinnehmen muß, also im allgemeinen die vitalen Vorgänge nicht so
weit wie Chemie und Physik, auf Atome und einfache energetische
Faktoren zurückzuführen vermag“ (Pfeffer 1897, 8. 4).
Während nach dem Gesagten der physikalisch-chemische Er-
klärungsversuch ein sehr notwendiges, wenn auch nicht das einzige
methodologische Hilfsmittel des Biologen ist, hat die psychistische
Richtung, die seelische Vorgänge zur Erklärung von Lebenserschei-
nungen heranzieht, kaum irgendwelche Berechtigung. Höchstens als
Gegengewicht gegen allzu mechanistische Anschauurgen mag sie ge-
duldet werden. Positive Leistungen hat sie nicht aufzuweisen. Und
während die mechanistische Richtung zu exakten Versuchen anspornt
und in konsequenter Durchführung selbst die Grenzen ihres Bereiches
deutlich macht, begnügt sich die psychistische Schule mit Schein-
erklärungen, die den Fortschritt aufhalten.
Wenn in diesem Büchlein die Pflanze da und dort dem Ausdrucke
nach als handelndes Subjekt vorgeführt und wenn auch oft auf ihre
zweckmäßige Reaktionsweise hingewiesen wurde, so soll damit natürlich
312 VIII. Allgemeines.
nicht der Auffassung Vorschub geleistet werden, als würde bei ihr der
Endzweck zur Ursache des Geschehens, wie wir das bei unseren eigenen
Willenshandlungen kennen. Vielmehr betrachte ich die sinnvolle Re-
aktionsweise ebenso wie zweckmäßigen Bau als Anpassungserscheinung,
die im Darwinschen Sinne durch Auslese erworben sein dürfte. Nur
der Kürze des Ausdruckes wegen wird von der Pflanze wie von einem
bewußt handelnden Wesen gesprochen. Unsere ganze Sprache ist ja
doch auf uns selbst zugeschnitten, und wollte man jede Zweideutig-
keit des Ausdruckes vermeiden, so käme man nicht von der Stelle.
Immer wieder macht es sich störend bemerkbar, daß die Wissenschaft,
vom deszendenztheoretischen Standpunkte betrachtet, am verkehrten
Ende, nämlich beim Menschen, anstatt bei den niedersten Lebewesen
begonnen hat.
Die Übertragung des vom Menschen hergenommenen Seelenbe-
griffes auf die Pflanze kann von vornherein nur geringen Wert haben.
Der einzige dazu berechtigende Grund wäre das Vorhandensein von,
den unsrigen ähnlichen, Bewußtseinsvorgängen. Solche kennen wir
aber im Grunde nur bei uns selbst. Schon bei anderen Menschen
schließen wir auf sie nur auf Grund der Ähnlichkeit in der sonstigen
Beschaffenheit. Bei Pflanzen ist ein solcher Schluß offenbar ganz
unzulässig. Selbst wenn gewisse Übereinstimmungen, z. B. zwischen
Sinnestätigkeit und Reizbarkeit, vorliegen, so bleibt doch die Frage
offen, ob erstere selbst beim Menschen zu den psychischen Fähig-
keiten zu rechnen ist. Von Begrifisstreiterei wollen wir uns aber
fern halten.
Wenn wir dem Begriffe „Seele“ auf den Grund gehen, so finden
wir darin nichts, als die Abstraktion aus den Erscheinungen, die das
lebende Wesen, das ähnlich wie wir selbst organisiert ist, vom toten
unterscheiden. Wenn wir also auch in den Pflanzen psychische Vor-
gänge annehmen wollten, die den unseren ähnlich sind, so können diese
doch niemals zur Erklärung der Reizbarkeit herangezogen werden,
da eine Abstraktion niemals etwas erklärt, zumal wenn sie nur der
zusanımenfassende Ausdruck für eine Reihe von Erscheinungen ist,
unter denen die zu erklärenden sich befinden. Auch kann keines-
falls das Einfachere, nämlich die Reizbarkeit, aus dem Zusammen-
gesetzten, der Seelentätigkeit erklärt werden.
Ist also die psychistische Erklärungsweise der pflanzlichen Reiz-
barkeit abzulehnen, so bleibt doch die Frage offen, ob die Lebens-
vorgänge nicht doch etwas enthalten, das vom anorganischen Ge-
schehen grundsätzlich verschieden ist, ob also besondere vitale Kräfte
existieren. In dieser Frage, zu deren Ablehnung ich neige, ist eine
zwingende Entscheidung zur Zeit nicht möglich. Für die wissen-
schaftliche Arbeit scheint es mir aber zweckmäßig, zunächst ein
physiologisches Geschehen vom physikalisch-chemischen zu scheiden,
das jenes etwa in derselben Weise überlagert, wie das psychische
das physiologische.
Die Entwickelung der Reizbarkeit. 313
b) Die Entwickelung der Reizbarkeit.
Im Ganzen bemerken wir, daß die Reizbarkeit im Verein mit
den sonstigen morphologischen und physiologischen Einrichtungen der
Arterhaltung dient, also im Sinne der Pflanze zweckmäßig ist. Das
braucht nicht immer für die Versuche im Laboratorium zu gelten,
muß aber für das Leben in der freien Natur gefordert werden. Denn
wäre ein Organismus mit irgendeiner unter natürlichen Umständen
nicht zweckentsprechenden Einrichtung versehen, so könnte er nicht
lange gedeihen. Auch könnte eine Formanpassung nicht wirk-
sam sein, ja nicht einmal entstehen, wenn nicht die entsprechende
Sensibilität mit ausgebildet würde. Wie hat man sich aber diese
Ausbildung zu denken? Darüber muß man sich doch auch Gedanken
machen!
Die Reizbarkeit als solche gehört zwar zu den Grundeigenschaf-
ten des lebenden Plasmas, dessen Entstehung hier nicht erörtert
werden soll. Wie aber steht es mit ihren einzelnen, zum Teil recht
verwickelten Erscheinungsformen?
Es wurde schon darauf hingewiesen, daß man sich vom deszen-
denztheoretischen Standpunkte auch die Reizerscheinungen in ihren
besonderen Ausbildungsformen als Anpassungen zu denken hat, die
im Laufe der Stammesentwickelung durch Auslese erworben und ge-
festigt worden sind. Demnach läge die Aufgabe vor, die Fortbildung
der Reizbarkeit in der Pflanzenwelt von ihren einfachsten Anfängen
bis zur höchsten Vervollkommnung zu schildern.
Von einer solchen Entwickelungsgeschichte des pflanzlichen Reiz-
vermögens liegt noch nicht einmal der erste Versuch vor. Dem-
entsprechend wurde in diesem Buche zwar in dem allgemeinen
Abschnitte über die Bewegungen von den niederen zu den höheren
Gewächsen vorgeschritten und wiederholt darauf aufmerksam ge-
macht, daß die Verschiedenheiten der motorischen Fähigkeiten in
einem gewissen Zusammenhange mit der Stammesentwickelung stehen;
aber schon hier konnte man kaum von einer Vervollkommnung im
Aktionsvermögen etwa vom Bakterium zur höheren Pflanze sprechen.
Jeder Organismus führt vielmehr die Bewegungen aus, die seiner
sonstigen Lebensweise entsprechen.
Noch weniger waren deszendenztheoretische Gesichtspunkte bei
den Reizerscheinungen selbst zu gewinnen. Es erwies sich bei deren
Besprechung in den einzelnen Abschnitten nicht einmal als tunlich,
mit den niederen Organismen zu beginnen, da deren Verhalten nicht
einfacher und außerdem im ganzen weniger genau bekannt ist als
das der höheren.
Das Wenige, das sich über dieses Thema der Zukunft sagen
läßt, soll im Folgenden aneinandergereiht werden. Zunächst ist die
Frage berechtigt, ob wir uns Organismen denken können, die gar
keine Reizbarkeit besitzen? Auf diese Frage ist mit nein zu ant-
worten. „Reizvorgänge sind mit dem ganzen lebendigen Getriebe ver-
314 VIII. Allgemeines,
kettet, und es gibt vielleicht keine Einzelaktion, in welcher nicht
Reize als veranlassende, hemmende, vermittelnde oder regulierende
Glieder eine Rolle spielen und spielen müssen. Reizbarkeit kommt
demgemäß den niedersten wie den höchsten Organismen zu, ist also eine
allgemeine Eigenschaft der lebenden Substanz‘ (Pfeffer 1897, S. 10).
Wohl aber existieren Lebewesen ohne Reizbewegungen, näm-
lich solche die überhaupt keine nach außen erkennbare Motilität be-
sitzen. Hierher gehören viele Bakterien und einzellige wie kolonie-
bildende niedere Algen. Sobald jedoch ein Bewegungsvermögen auf-
tritt, finden wir es auch durch Reize in bestimmte Bahnen gelenkt.
Es ist nun ohne weiteres klar, daß ein Bakterium, das aktiv zu
geeigneten Nahrungsquellen zu gelangen vermag oder ein grüner
Organismus, der günstige Lichtverhältnisse aufsuchen kann, gegen-
über sonst ebenso ausgerüsteten unbeweglichen Mitbewerbern im
Vorteil sein werden. Dasselbe gilt von dem Fliehen vor schädlichen
Einflüssen. Sollen nun gar bewegliche Befruchtungszellen ohne
Richtungsreize ihr Ziel erreichen, so ist dies nur unter sehr großen
Verlusten und unter besonderen Umständen, z. B. Anhäufung auf
kleinem Raume, Beschränkung der Bewegungsfreiheit, massenhafte
Verbreitung usw. überhaupt möglich.
Wo jedoch die Fähigkeit zu Reizbewegungen einmal erworben
ist, finden wir sie im allgemeinen bei den höchststehenden Pflanzen
in derselben Form wie bei den niederen. Es gilt dies beispielsweise
meist für die tropistischen Reaktionen. Die am höchsten aus-
gestalteten grünen Gewächse krümmen sich nicht vollkommener nach
dem Lichte als gewisse einfache Pilze. Immerhin ist es möglich,
daß noch Tatsachen gefunden werden, die auf eine allmähliche Ver-
vollkommnung der Richtungsbewegungen schließen lassen.
Nur ganz vereinzelt konnten Urteile über die Höhe der Aus-
bildung eines Empfindungs- oder Reaktionsvermögens gefällt werden.
So schienen die mit besonderen Gelenken, versehenen Blätter besser
an häufige Bewegungen angepaßt als die durch Wachstum reagieren-
den. Auch fanden wir die photo- und chemotaktischen Reaktionen
der Bakterien weniger fein ausgebildet als die der Flagellaten. Aber
die Seltenheit solcher Vergleichsmöglichkeiten verbietet vorerst weitere
Schlüsse.
Im Grunde haben wir nicht einmal allzuviele sichere Zeichen
dafür, daß eine bestimmte Reizempfänglichkeit überhaupt erworben
worden sei, also im Laufe der Stammesentwickelung früher nicht
vorhanden gewesen sei. Können wir doch, wie oben (S. 144) betont,
niemals etwas über das Fehlen der Sensibilität aussagen, selbst wenn
kein Reizerfolg zu beobachten ist. Aus allgemeinen Gründen darf
man sogar annehmen, daß die Empfindlichkeit gegen Wärme und
chemische Stoffe, wahrscheinlich auch die für Licht und Feuchtigkeit
der lebenden Substanz stets zukommt. Sie mag dann den Lebens-
bedingungen gemäß vervollkommnet worden sein; doch auch darüber
wissen wir fast nichts.
an
u
_
Die Entwickelung der Beizbarkeit. 315
Nur in einzelner Fällen haben wir einen sicheren Anhalt für
die Auffassung gewisser Reizvorgänge als Anpassungen, nämlich
‚dann, wenn diese in deutlichem ökologischen Zusammenhange mit
bestimmten physiologischen Aufgaben stehen. Man denke etwa an
Cuscuta oder die Insektivoren. Manchmal beobachten wir dann die
‚merkwürdige Erscheinung, daß die die Reizreaktion auslösende Kraft
verschieden ist von der. um deretwillen sie offenbar geschieht. Ökolo-
gisch ist das nur dadurch verständlich, daß beide Kräfte in der Natur
stets oder meist gleichzeitig einwirken. Einige Beispiele mögen ver-
deutlichen, wie das gemeint ist.
Für die phototropischen Reaktionen finden wir auch da, wo sie
zweifellos im Dienste der Kohlensäureassimilation stehen, das Maxi-
ınum der Wirkung bei den blauen Strahlen, obgleich diese an assimi-
latorischer Wirkung praktisch hinter den rotzelben zurückstehen.
So sind ferner bei Bakterien vielfach die Kaliumverbindungen be-
sonders stark chemotaktisch anlockend, obgleich deren Gewinnung
an Bedeutung hinter der gleichzeitig von der Nahrungsquelle ab-
gegebener organischer Stoffe zurücktritt. Ebenso wirken bei Drosera
Ammoniumsalze stark auf die Bewegungen der Tentiakeln, während
doch, soviel wir wissen, die erst später durch die Verdauungsenzyme
gelösten Eiweißverbindungen das Ziel der Bemühungen bilden. Auch
können wir hier die farblosen Schwärmer gewisser parasitischer Orga-
nismen anführen, die ihre das Licht aufsuchenden Opfer vermöge
einer gleichen phototaktischen Reizbarkeit zu finden wissen. In allen
(diesen Fällen wird ein ökologischer Nutzen auf einem Umwege er-
reicht, der aber die Wahrscheinlichkeit des Gelingens. nicht allzusehr
vermindert. An Sielle des eigentlich bedeutungsvollen Umstandes
fritt ein ihn meist begleitender als Beizursache auf. Dieses Prinzip
ist bei den Tieren in noch größerem Umfange wirksam und steigt
an Bedeutung mit deren höherer Organisation. Mit Jennings (1910)
können wir von stellvertretenden Reizfaktoren sprechen. Neben
einigen weiteren Beispielen finden wir bei ihm eine Erörterung über
die Entstehungsweise derartiger Stellvertretungen. Jennings nimmt
eine Vereinfachung früher noch verwickelterer Vorgänge an. Eine
häufig eingetretene zeitliche Aufeinanderfolzge soll schließlich einen
kausalen Zusammenhang bewirkt haben, in dem- zuletzt die über-
flüssigen Zwischenglieder ausfielen. Diese Annahme scheint für
manche Fälle viel Wahrscheinlichkeit zu besitzen, wenn sie auch
nicht für alle zutrifft. So ist z.B. das letzterwähnte Beispiel der
Chytridiaceenschwärmer kaum ohne Auslese der bestangepaßten Indi-
viduen enstanden zu denken.
Für uns aber ist es schon von Bedeutung. überhaupt Fälle zu
wissen, in denen ein Beizvermögen allmählich entstanden oder doch
vervollkommnet worden sein muß. Man könnte sonst vielleicht
zu der Meinung kommen, daß die Beizbarkeit als solche in nicht
mehr vervollkommnungsfähiger Weise von Anfang an dazewesen sei
und nur das Beaktionsvermögen sich nach Bedarf ausgebildet habe.
316 VIII. Allgemeines,
Diese Auffassung ist aber unwahrscheinlich angesichts der Tat-
sache, daß z. B. Purpurbakterien besonders auf rote Strahlen, die
anderen phototaktischen Organismen aber auf die stärker brechbaren
reagieren. Denn man kann kaum annehmen, daß beide für alle
Strahlen des Spektrums empfindlich sind, aber nur auf einen Teil
von ihnen reagieren. Wir kennen keinen Pflanzenteil, der sich etwa
für verschiedene Reizauslösungen verschiedener Spektralbezirke be-
diente.) Doch liegen eigens hierauf gerichtete Untersuchungen nicht
vor (vgl. Pfeffer 1904 S. 120). Nur aus solchen Befunden könnte
man auf eine Ausdehnung der Lichtempfindlichkeit über die bei einer
speziellen Reizauslösnng wirksamen Bezirke hinaus schließen.
Was die Reihenfolge in der Ausbildung der einzelnen Reizreaktions-
weisen betrifft, so haben wir auch dafür nur wenig Anhaltspunkte.
Als wahrscheinlich kann man annehmen, daß der positive Geotropismus
der Wurzeln vorhanden gewesen sei, bevor die anderen Reaktions-
weisen, also etwa der Hydro- und Chemotropismus ausgebildet wurden.
Ist doch auch im Einzelleben das Versenken der Wurzel in den Boden
der erste und wichtigste Vorgang. Ja die Abwärtskrümmung beginnt
zuweilen schon, bevor das Würzelchen die Samenschale oder das
Gewebe der Mutterwurzel durchbrochen hat, so daß also die Be-
dingungen für das Eingreifen anderer Außenreize noch gar nicht
gegeben sind. Bei den Stengeln der höheren Pflanzen dürfte der
negative Geotropismus älter sein als die nastische Reaktionsweise der
Seitenglieder, denn deren Bewegungen bekommen nur durch sein Vor-
handensein eine für ihren Nutzen Ausschlag gebende Orientierung
zur Außenwelt. Man denke etwa an die Schlafbewegungen der
Blätter. Die der Blüten freilich, die ein Öffnen und Schließen be-
wirken, sind auch ohne solche Beziehungen vielfach zweckmäßig.
Man sieht wohl, daß wir bei den meisten Fragen, die eine des-
zendenztheoretische Betrachtungsweise der Reizerscheinungen stellt,
durchaus oder fast ganz im Dunkeln tappen. Somit kann man auch
hieraus wieder schließen, daß die Reizphysiologie der Pflanzen, so
viele schöne Ergebnisse sie auch schon gezeitigt hat, doch erst im
Anfange einer höheren Entwickelung steht.
1) Wie es z. B. mit dem Einfluß der Lichtfarben auf das Wachstum und
die phototropische Reaktion steht, kann man aus den vorliegenden Unter-
suchungen nicht mit hinreichender Genauigkeit entnehmen.
Literaturübersicht.
Die angeführten Schriften stellen keine vollständige Bibliographie des
Gegenstandes dar. Auch ist aus ihnen nicht immer ohne weiteres der Ent-
decker oder erste Bearbeiter irgendeiner Tatsache zu ersehen. Denn vielfach
wurde vorgezogen neuere oder zusammenfassende Literatur zu nennen, aus
der dann bei Bedarf frühere Arbeiten entnommen werden können. Die Literatur
wurde im Allgemeinen bis zum Frühjahr 1911 benutzt, doch ließen sich Un-
gleichheiten in der zeitlichen Grenze bei den einzelnen Kapiteln nicht vermeiden.
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A&rotropismus 254.
Ather, Narkose durch 47, 141.
Aktionssystem 19.
Aktionszone, Trennung von der Per-
zeptionszone 49.
Algen, Geotropismus 91; Phototro-
pismus 185; Rankenreizbarkeit 212.
Alpenpflanzen, Einfluß des Lichtes
105.
Amöben, Bewegungen 18—20.
Arbeitsleistung bei der geotro-
pischen Krümmung 45.
Atemwurzeln, negativer Geotropis-
mus 69.
Augenfleck der Flacellaten
Algenschwärmer 8, 193.
Auslösungsvorgänge 307.
Autonome Bewegungen 123,
Nutation 112.
Autonyctinastie 133.
Autotropismus 44.
Auxanometer 25, 101.
und
131:
Bakterien, Bewegungen 12—14;
Chemotaxis 288; Geißeln 12—14.
Bedingungen des Wachstums 28.
Bewegungsvorgänge — motorische
Prozesse 48.
Blätter, Geotropismus
tropismus 177.
Blattgelenke, Geotropismus 54.
Blattranken 211ff.
Blüten, dorsiventrale 80.
Blütenöffnung, Abhängigkeit von
der Beleuchtung 104.
Blütenstiele, Geotropismus 79ff.;
negat. Phototropismus 174; Schlaf-
bewegungen 123.
79; Photo-
Callusbildung 247.
Chemonastie 271.
Chlorophyllkörper, Lageverände-
rungen 22; Lageveränderungen auf
chemische Reize 293; auf Lichtreiz
200ff.; auf Verletzung 246.
Chromulina, Chloroplastenbewe-
gungen 202.
Coleoptile 98.
Cuscuta, Klettern 90, 221.
Dauerbelichtung, Wirkung auf das
Wa:hstum 100.
Desmidiaceen, Bewegungen 18; Pho-
totaxis 198.
Diatomeen, Bewegungen 15, 16;
Chemotaxis 293; Chloroplastenbe we-
gungen 203; Hydrotaxis 297; Photo-
taxis 198.
Dionaea 240.
Dorsiventrale Organe 28; geotro-
pische Reaktionen derselben 76ff.
Dorsiventralität, Abhängigkeit von
der Beleuchtung 173.
Drehungen wachsender Pflanzen-
teile 28, siehe auch Torsionen.
Drosera 236.
Duktorische Prozesse — Leitungsvor-
gänge 48.
Dunkelstarre 131.
Efeu, Phototropismus 171.
Empfindlichkeit, Maß der geotro-
pischen 65; phototropische 140.
Entwickelung der Reizbarkeit 313.
Eremosphaera, Chloroplastenbewe-
gungen 203.
Ermüdung 55.
Erregung 40, 46.
Ersatzreaktionen 74.
Etiolement — Vergeilung 93; bei
Pilzen 107.
Farbe des Lichtes beim Etiolement
94; beim Phototropismus 169.
Farbenempfindlichkeit 169.
Farbenunterscheidungsver-
mögen 169, 201.
Farnblätter, Winden 90.
Flachsprosse, Ausbildung im Dun-
keln 100.
Flagellaten, Bewegungen 7; Chemo-
taxis 292.
Fliehkraft als Reizursache 41.
2a li
324
Freie Windungen 88.
Fühlborsten 241.
Fühltüpfel 220.
Galvanotropismus 253.
Gegenreaktionen 308; geotropische
44; bei Ranken 217.
Geißeln der Flagellaten 7; der Myxo-
mycetenschwärmer 19; Wirkungs-
weise 8, 13.
Gelenkblätter,
124.
selenkpolster der Blätter 31; Pho-
totropismus derselben 178.
Geonyctinastie 133.
Geotaxis 91.
Geotropismus 34; negativer 69;
transversaler 70ff.; der Schlingpflan-
zen 86.
Gestaltung, Abhängigkeit von der
Belichtung 102.
Gewöhnung bei Mimosa 227.
Gleitbewegungen der Diatomeen 15.
Grasblüten, Reizung durch Er-
schütterung 235.
Graskeimlinge, Lichtwirkung auf 99;
Spitzenkrümmung 50, 151.
Grasknoten als Bewegungsorgane 33;
Geotropismus derselben 55.
Gravitation — Schwerkraft 41.
Greifbewegung der Schlingpflanzen
88.
Schlafbewegungen
Haftpolster bei Ranken 212.
Haptotropismus 211.
Heliotropismus — Phototropismus
93.
Helligkeitsverteilung, wichtig für
Chloroplastenbewegung202; inrunden
Gefäßen 189; in phototropischen
Pflanzenteilen 145; in Tropfen 188.
Hemmung des Wachstums durch
Licht 95.
Horizontalstellung als wirksamste
geotropische Reizlage 62.
Hydrotaxis 296.
Hydrotropismus 265.
Indifferenz, phototropische 162.
Induktionszeit 39.
Innere Richtkräfte 43, 44.
Insektivoren 235ft., 271.
Intensitätsschwelle, geotropische
66; phototropische 156.
Intermittierende Reizung, chemo-
tropische 256; geotropische 39; photo-
tropische 165.
Kältestarre 29.
Kapillarenmethode 280.
Sachverzeichnis.
Keimpflanzen, Lichtwirkung auf 97;
Photonastie 109.
Keimstengel, Lichtwirkung auf 97.
Klammerorgane von Mucorineen213.
Kleistogamie 104.
Klinostat 8.
Kompaßpflanzen 183.
Kompensationsmethode beim Geo-
tropismus 59, 62; beim Phototropis-
mus 164.
Korrelation — Wechselwirkung 83;
zwischen Haupt- und Seitenwurzeln
73, 74.
Kraftquelle, Atmung als 29.
Kreisen der Schlingpflanzen 85.
Kriechbewegungen der Ösecillarien
16, 417.
Krümmungen wachsender Pflanzen-
teile 27.
Krümmungsfähigkeit 60.
Krümmungsstärke als Maß der Er-
regung 59, 61.
Leitung der geotropischen Erregung
49; der phototropischen 141, 147; in
Blättern 179; der Erregung bei
Drosera 238; bei Mimosa 225.
Leitungsbahnen bei Volvox 10.
Leitungsvorgänge — duktorische
Prozesse 48.
Lianen 89.
Lichtabfall als Reizanlaß 145.
Lichtfalle 191.
Lichtmenge, phototropisch wirksame
160, 163; bei Blättern 182.
Lichtperzeptionsorgane 181.
Lichtrichtung, Einstellung in die
139; als Reizanlaß 145.
Linkswindende Pflanzen 86.
Markierung für Messungen 26, 37.
Mechanische Reizbarkeit 209.
Mechanistische Erklärung der Reiz-
barkeit 311.
Meeresalgen, Formbeeinflussung
durch Licht 106.
Mesocarpus, Chlorophyliplatte 201.
Metabolie 21.
Mimose, Reizbarkeit 223fr.
Moosblätter, Chloroplastenbewe-
gungen 203.
Monosymmetrische-- dorsiventrale
Pflanzenteile 76, 77.
Motorische Prozesse Bewegungs-
vorgänge 48.
Myxomyceten, Bewegungen 19;
Chemotaxis 236—88; Phototaxis 199;
Thermotaxis 200.
Sachverzeichnis.
Nachwirkung, bei Chloroplastenbe-
wegung 207; geotropische 39; nyc-
tinastische 122; phototropische 139;
des Tageslichtwechsels 102.
Nadelbäume 76.
Narben, reizbare 234.
Narkose 47, 226.
Nickende Pflanzenteile 82.
Nutation, autonome 112.
Nyetinastie — Schlafbewegung 118.
Ökologie des Phototropismus 170 f.;
der Ranken 220; der Schlafbewe-
gungen 135; des Windens 8Sff.
Orchideen, reizbare Lippe 234.
Orthotrope Pflanzenteile 58, 70.
Ortsbewegunsg, freie 6fl.
Oscillarien, Bewegungen 16, 17; Che-
i« 9092. ern ale u
motaxis 293; Hydrotaxis 297; Pho ie
totaxis 198.
Osmotaxis 294.
Osmotropismus 264.
Paniceenkeimlinge, Lichtwirkung
auf sie 97; Phototropismus 143.
Palissadenparenchym 103; Chloro-
plastenbewegungen darin 204.
Perzeption, geotropische 51; photo-
tropische 144.
Perzeptionszone, Trennung von der
Aktionszone 49.
Pflanzenschlaf 118.
Phobochemotaxis 300.
Photische Erregung 162, 163.
Photomorphosen 102.
Photonastie 108ff.; bei Euglena 194;
bei Schlafbewegungen 118, 129.
Phototaxis 138, 186.
Phototonus 9.
Phototropismus138Sff.; bei Blättern
177; bei der Keimung 175; negativer
155ff., 160; negativer als Nachwir-
kung 164; Zusammenwirken mit
Geotropismus 153.
Pilze, Chemotropismus 261; Einfluß
des Lichtes auf sie 106 ff,; Geotropis-
mus 90; Hydrotropismus 268; Photo-
tropismus 184.
Pilzfruchtkörper, Krümmungen 29.
Pinguicula 235.
Plagiotrope Pflanzenteile 70.
Plasmafäden zur Reizleitung 27.
Plasmaströmung 2l, 22; auf Wund-
reiz 246.
Plasmodium der Schleimpilze 19.
Polarisation, phototropische 148,
163.
Pollenschläuche, Chemotropismus
257 ft.
325
Präsentationszeit, geotropische 39;
als Maß der Erregung 59, 61; pho-
totropische 140.
Protoplasmastrom bei den Diato-
meen 15.
Psychistische Erklärung der Reiz-
barkeit 311.
Purpurbakterien,
Phototaxis 196.
Radiäre — ringsgleiche Pflanzenteile
7], 77.
Ranken, Phototropismus 174; Reiz-
barkeit 211.
Raphe der Diatomeen 15.
Reaktionszeit, geotropische 38; als
Maß der Erregung 59; phototropische
140, 157.
Rechtswindende Pflanzen S6.
Aerotaxis 277;
RegulierendeVorgänge—rektorische
Prozesse 48.
Rheotaxis 297.
Rheotropismus 269.
Reizanlaß 3; geotropischer 46, 51;
haptotropischer 218; hydrotropischer
266; phototaktischer 190; phototro-
pischer 145; bei Sensitiven 228.
Reizaufnahme — Perzeption 46.
Reizerfolge, chemische und physi-
kalische 3; geotropische 54.
Reizleitung, Geschwindigkeit der
phototropischen 149, siehe auch Lei-
tung.
Reizkette 46ff.
Reizmenge, geotropische 65; photo-
tropische 160.
Reizreaktion — Reizerfolg — Reiz-
antwort 4, 46.
Reizschwelle bei derChemotaxis 281;
bei Mimosa 227; phototropische 158;
des negativen Phototropismus 163;
bei Ranken 219.
Reizursache 4; geotropische 46, 51.
Reizwert der Lichtfarben 169.
Rektipetalität 44.
Rosettenblätter, Photonastie 113.
Ruhelagen, geotropische 57, 273.
Samenfäden, Bewegungen 1];
Chemotaxis 280.
Sauerstoff, Einfluß
pismus 141.
Schattenblätter 103, 109.
Scheidenblatt bei Gräsern — Coleop-
tile 98.
Schlafbewegungen der Blüten 119;
der Blätter 124.
Schleimhülle der Oscillarien 7.
Schlingpflanzen S4fl.
auf Phototro-
326
Schreekbewegungen 191, 193, 278,
303.
Schwammparencehym 103; Chloro-
plastenbewegungen darin 204.
Schwärmsporen, Bewegungen 8;
Chemotaxis 286.
Schwelle 40.
Schwerkraft als Reizursache 41.
Schwimmen, freies 6.
Seitenwurzeln, Geotropismus71—75.
Seitenzweige, Geotropismus 75.
Sinnesänderung, geotropische 84,
273; phototropische 155, 173.
Sinnesorgane 2.
Sinusgesetz des Geotropismus 64.
Sonnenblätter 103, 109.
Spaltöffnungen, Öffnen u. Schließen
115, 116.
Staubfäden, reizbare 31, 230 ft.
Spirogyra, Bewegungen bei 30, 91.
Stärkekörner als Statolithen Slff.
Statolithen 5lft.
Stellvertretende Reizfaktoren 315.
Stimmung, phototaktische 188; pho-
totropische 157.
Summation von Einzelreizen 39, 63,
227,292.
Tageslichtwechsel, Periodische Be-
wegungen 118; Wirkung auf das
Wachstum 101.
Tagesschlaf 134.
Talbotsches Gesetz 165.
Thermonastie von Blütenstielen 117;
bei Schlafbewegungen 118, 129.
Thermotaxis 199.
Thigmotropismus 211.
Topochemotaxis 300.
Torsionen 28; geotropische 77; bei
Schlafbewegungen 126; bei Schling-
pflanzen 87.
Transversalgeotropismus 70, 275;
der Schlingpflanzen 85.
Tranversalphototropismus 177.
Traumatropismus 248.
Tropaeolum, Phototropismus 172.
Turgoränderungen als Bewegungs-
ursache 31.
Turgordruck als
25, 31.
bewegende Kraft
Uberkrümmungen, geotropische 38;
phototropische 151.
Sachverzeichnis.
Umbelliferen, geotropische Reak-
tionen 80.
Umstimmung, geotropische 84.
Unterschiedsschwelle 62; geotro-
pische 65; phototropische 164; zeit-
liche beim Geotropismus 65.
Vaucheria,Chloroplastenbewegungen
202.
Veränderlichkeit des geotropischen
Verhaltens 82.
Vergeilung — Etiolement 93.
Verhältnisschwelle 281, 283.
Verholzte Zweige, geotropische Krüm-
mung 56.
Verletzungen, Reizwirkung 244 ff.
Wachstum als Bewegungsmittel 23.
Wachstumskurven l0l.
Wachstumsperiode, große 101.
_ Wachstumssteigerung bei Gelenk-
pflanzen 55; beim Öffnen u. Schließen
der Blüten 128; bei Rankenkrüm-
mungen 217; bei den Schlafbewe-
gungen der Blätter 128.
Wärmestarre 29, 149.
Weber-Fechnersches Gesetz bei der
Chemotaxis 264, 281£., 290, 304;
beim Chemotropismus 259, 263; beim
Geotropismus 66.
Wechsel der Helligkeit als Bewegungs-
reiz 109, 129, 193.
Wechselwirkungen 83, 245.
Winkellagen, geotropische Reiz-
wirkung 64; phototropische Reiz-
wirkung 167.
Wurzeln, (Chemotropismus 250f.;
Geotropismus 36; Phototropismus
174, 175.
Wurzelhaare 24, 75.
Wurzelhaube 24.
Wurzelkasten, Sachsscher 36.
Wurzelranken 212.
Wurzelstöcke, Geotropismus71; Ein-
fluß des Lichtes auf denselben 115.
Zahlenmäßige Forschungsweise 56.
Zeiger am Bogen 25.
Zellkern, Lageveränderungen 22, 246,
293.
Zentrifugalwirkung als
sache 41.
Zusammenarbeiten der Teile 27.
Reizur-
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Verlag von Julius Springer in Berlin.
Pflanzenphysiologie. Von Dr. W. Palladin, Professor an der Univer-
sität zu St. Petersburg. Mit 180 Textfiguren. 1911.
Preis M. 8,—; in Leinwand gebunden M. 9,—.
Die Variabilität niederer Organismen. Eine deszendenz-theo-
retische Studie. Von Hans Pringsheim. 1910.
Preis M. 7,—; in Leinwand geb. M. 8,—.
Neuere Anschauungen über den Bau und den Stoff-
wechsel der Zelle von Emil Abderhalden. Vorträge gehalten an
der 94. Jahresversammlung der Schweizerischen Naturforschenden Gesell-
schaft in Solothurn am 2. August 1911. Preis M. 1,—.
Umwelt und Innenwelt der Tiere. Von J. v. Uexküll, Dr. med. h. c.
1909. Preis M. 7,—, in Leinwand geb. M. 8,—.
Vorlesungen über Physiologie. Von Dr. M. von Frey, Professor
der Physiologie und Vorstand des Physiologischen Instituts an der Uni-
versität Würzburg. Mit 80 Textfiguren. Zweite, neubearbeitete Auflage.
1911. In Leinwand gebunden Preis M. 11,—.
Biochemie. Ein Lehrbuch für Mediziner, Zoologen und Botaniker von
Dr. F. Röhmann, a. o. Professor an der Universität und Vorsteher der
chemischen Abteilung des Physiologischen Instituts zu Breslau. Mit
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