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Full text of "Die Reizbewegungen der Pflanzen"

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Reizbewegungen der Pflanzen 


Die Reizbewegungen 
der Pflanzen 


von 


Dr. Ernst G. Pringsheim 


Privatdozent an der Universität Halle 


Mit 96 Abbildungen 


Berlin 
Verlag von Julius Springer 
1912 


Vorwort. 


Das vorliegende Buch ist als Einleitung in das Studium der 
pflanzlichen Reizphysiologie gedacht. Es soll nicht so sehr dem 
Fachmanne dienen als vielmehr allen denen, die aus irgendeinem 
Grunde einen Einblick in das Gebiet gewinnen wollen, ohne eingehende 
Vorkenntnisse zu besitzen. 

Für diese Aufgabe sind die Lehrbücher nicht recht geeignet, 
weil sie nur ein Gerippe geben, aber keine Anschauung vermitteln 
können. Die gelehrten Handbücher wiederum müssen Vollständig- 
keit anstreben und verlieren dadurch unvermeidlich an Übersichtlich- 
keit. Auch setzen sie zuviel voraus und werden deshalb nur dem 
Botaniker recht verständlich. Ein bestimmtes Objekt von vielen 
Seiten zu betrachten, kann überhaupt nicht ihre Aufgabe sein. Wie 
mir scheint, sind es aber gerade die an einer Pflanze zu beobach- 
tenden Einzelheiten, die den Nichtfachmann fesseln und der Dar- 
stellung Leben geben. 

Die pflanzliche Reizphysiologie ist vielfach, und von berufenster 
Seite bearbeitet worden, so in den Hand- und Lehrbüchern von 
Pfeffer, Jost, Noll, Wiesner u.a. Deshalb bedarf mein Unter- 
nehmen einer Begründung. Sie liegt darin, daß ich mir meine Auf- 
gabe anders gestellt habe als die genannten Autoren. Es lockte 
mich, das erwähnte Teilgebiet einmal unabhängig von der sonstigen 
Botanik, in anschaulicher Breite, aber ohne den Zwang der Voll- 
ständigkeit vorzuführen. Dabei ergab sich die Notwendigkeit, nur 
die einigermaßen sicher als Reizwirkungen anzusprechenden Erschei- 
nungen zu behandeln. Das gilt aber in der Hauptsache allein für 
die Bewegungsreaktionen. Nur zur Abrundung wurden da und dort 
auch andere Reizerfolge geschildert. 

Sollte mir die Aufgabe einigermaßen gelungen sein, dieses Gebiet 
soweit verständlich zu machen, daß jedermann folgen kann, der für 
Naturwissenschaft Sinn hat und dabei nicht nur Unterhaltung sucht, 
-so wäre mir das eine besondere Genugtuung. Damit wäre am besten 
die Berechtigung meines Unternehmens erwiesen. Ist doch gerade 
auf diesem Gebiete durch minderwertige populäre Darstellung ge- 
‚sündigt worden. Ganz leicht zu lesen wird das Folgende freilich nicht 
sein. Der teilweise schwierige Gegenstand erfordert geistiges Mit- 
arbeiten. 


VI Vorwort. 


Die Hauptleitsätze, die mir vorschwebten, waren folgende: 

Es sollte größtmögliche Anschaulichkeit erreicht werden. Ein 
Erfordernis waren also zahlreiche Abbildungen. Da die Photographie 
einen lebendigeren Eindruck übermittelt als die Zeichnung, wurde 
sie in höherem Maße herangezogen, als bisher üblich. 

Wiederholt wurde auf die entsprechenden Erscheinungen in der 
menschlichen Sinnestätigkeit hingewiesen. Das Bedenkliche solcher 
Vergleiche schien mir durch die leichtere Anknüpfung aufgewogen. 
Zudem gewinnt ja die Anschauung von der inneren Gemeinschaft 
aller Lebewesen, auch in reizphysiologischer Hinsicht, immer mehr 
an Boden. 

Manche Erscheinungen wurden auf ihre Bedeutung für die Pflanze 
hin betrachtet, doch nur soweit Versuche einen Anhalt gaben. Ge- 
rade hier bleibt noch viel zu tun. Deshalb mußte ich mich meist 
damit begnügen, zu zeigen, wie durch exakte Behandlung zuverlässige 
Antworten auf bestimmte Fragen erzielt werden können. Um die 
Experimente schildern zu können, mußte auch die Methodik gestreift 
werden, wenigstens soweit sie für das Verständnis und die Nach- 
ahmung einfacherer Versuche erforderlich ist. 

Da manche das Buch nur der Folgerungen wegen zur Hand 
nehmen werden, so wurden am Schlusse einige allgemeinere Fragen 
erörtert. Wenn man diese Suchenden auch auf naturwissenschaft- 
lichem Wege nicht bis zum Ziele geleiten kann, so dürfte es doch 
geraten sein, sie nicht früher als nötig zu verlassen. 

Schließlich danke ich Herrn Springer für die Sorgfalt und das 
Entgegenkommen bei der Drucklegsung und besonders bei der An- 
fertigung der Abbildungen. Auch bin ich meinem Bruder Hans 
Pringsheim in Berlin für die Durchsicht des Manuskriptes und der 
Korrekturen zu großem Danke verpflichtet. 


Halle a.d.S., im Juli 1911. 


Ernst 6. Pringsheim. 


Inhaltsübersicht. 


Seite 
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Mebinleitung . = ..... 040.040 08 Mr Nase SEEN a Kan 1 
II. Das pflanzliche a ; 5 
Eeremernes: .. as. 22 0 un ee ee ae a ie 5 
b) Freie ebesesung EN EEE a BE RT TARE 6 
c) Plasmabewegung . : 21 
ie Wachstumsbewegungen ... . . -... 0. 2.2... 0. 0 u. ©. 823 
Be lnrporbewegungen.. > 2.0. = & 22.00 ee een eu Sl 
TEL Die Reizwirkungen der Schwerkraft .-.....n.2.2.. 84 
a) Allgemeines über Geotropismus . - -. 2.2... nn 34 
b) Die Glieder der geotropischen Beizkece : a 

ce) Quantitative Zusammmenhänge zwischen Reizanlaß, en. 
und Reaktion ...... ; j Bere: 
d) Verschiedenheiten im Werhalien der Einzelnen Pbraenreile 469 
SIBSchiingpllanzen 28 >... u. een ne gt 
Eielnedere, Organismen a... 2... Er Se sn 330 
IV. Helligkeit und Temperatur als Reizmittel .........9 
a) Einfluß des Lichtes auf die Zuwachsbewegung . . . Ei. 
b) Einfluß des Lichtes auf die Gestaltung... . ». 2 22.2... .10 
BBUHOLONaStIERE IE ea re ee ee ee ee LOS 
FiBSRKemEnDnastle, 2 2. ee ee ERET, 
eiMBeriodische Bewegungen . x: „2 ml Jun We... ls 
V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz ........... 188 
a) Allgemeines über Phototropismus ... ee 15) 
b) Zusammenwirken von Phototropismus ac Geotihpiinius ee | 
c) Veränderlichkeit des phototropischen Verhaltens .. ......15 
d) Einfluß der Lichtfarbe . . . . SER IE 210 
e) Verbreitung und Ökologie des Phottropismu NE a ae 
f) Phototaxis. . . a a 
g) Bewegungen der Cnlorophylikörnen a ie ne AU) 
VI. Die Folgen mechanischer Reizung . ...........209 
a) Allgemeines über mechanische Reizbarkeit . . . . 2.2... 209 
DieBanken .„...... 0. rel 0 20 eu ee lee ee 
Ein Sensifive Pilanzens 3. 2100 20. ee ee ne 
dimizeızbare- Biutentellar 2... 2. zer en ee 2a 
e) Insektivoren . . . . RUN A HUE WEN 235 


f) Reizwirkungen echankchen Verlstame :  E E 244 


VIII Inhaltsübersicht. 


VII. Reizwirkung stofflicher Einflüsse ..... 
a) Chemotropismus > » . =...» REN he 
b) Osmo-, Hydro- und Rheotropismus ...... 
c) Chemonastie . . . . Mn { TE, 
d) Allgemeines über hematarıs nd ee 
e) Chemotaxis der Samenfäden. . ». » 2... 
f) Chemotaxis der Schwärmsporen, Bakterien usw. 
g) Osmo-, Hydro- und Rheotaxis 
h) Die chemotaktische Reaktionsweise 

VII. Allgemeines : . 

a) Das Wesen der Beichakat ne N, ser 

b) Die Entwickelung der Reizbarkeit .. » .... 


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I. Einleitung. 


Die Überzeugung von der inneren Gemeinschaft aller Organismen, 
von der Wesensgleichheit des Lebens in allen seinen tierischen und 
pflanzlichen Formen, ist heute Allgemeingut geworden. Aus ihr er- 
gibt sich auch die Berechtigung einer Wissenschaft, die darauf aus- 
geht, das Einheitliche und das Unterscheidende in den Lebensäuße- 
rungen der verschiedenen ÖOrganismengruppen zu studieren. Dabei 
hat diese Forschungsrichtung, wie jede rechte Wissenschaft, das Zu- 
sammengesetzte aus dem Einfachen zu erklären und abzuleiten. Die 
Lehre von der Abstammung der höheren Lebewesen von niederen 
muß auch die Wissenschaft durchdringen, die ich hier im Sinne habe, 
die vergleichende oder allgemeine Physiologie. 

Von einigen Betätigungen wissen wir genau, daß sie allen Lebe- 
wesen gemeinsam sind. So die Ernährung, die Atmung, die Fort- 
pflanzung und die Reizbarkeit. Letztere besonders finden wir immer 
und überall bei den Organismen. Sie setzt nicht einmal vorüber- 
gehend aus. Es gibt kein Leben ohne Reizbarkeit! Sie unter- 
richtet die Organismen von den für sie wichtigen Veränderungen in 
ihrem Inneren und in der Außenwelt. Ohne sie würden sogleich ver- 
hängnisvolle Störungen im Lebensgetriebe eintreten. 

Wollen wir uns klar machen was das bedeutet, so können wir 
an unsere eigene Sinnestätigkeit denken, die letzten Endes auf der 
Reizbarkeit gewisser Zellen an den verschiedensten Stellen unseres 
Körpers beruht. Sie ist beständig rege und hört nur im Tode auf. 
Selbst im Schlafe ist sie nur gedämpft. Nie ist sie den Einwirkun- 
gen der Außen- und Innenwelt gegenüber ganz verschlossen. Es geht 
das schon daraus hervor, daß wir durch intensive Reize geweckt 
werden können und daß weniger starke doch wenigstens unsere 
Träume beeinflussen. Man ersieht daraus auch gleich, daß Bewußtsein 
an die Sinnestätigkeit nicht geknüpft sein muß. Für die Pflanzen 
wollen wir die Bewußtseinsfrage ganz aus dem Spiel lassen. Wir 
wissen davon nur bei uns selbst etwas. Bei ganz anders gearteten 
Lebewesen wie den Pflanzen sind Erörterungen hierüber zwecklos. 
Ruhezustände, in denen die Reizbarkeit stark herabgesetzt ist, kennen 
wir übrigens auch bei den Pflanzen. Man denke an einen Baum im 
Winter oder einen trockenen Samen. ‚Trotzdem man aber bei ihnen 
von dem in ihnen ruhenden Leben wenig merkt, sind sie doch ge- 
wissen Reizen zugänglich. 

Zwischen Sinnestätigkeit und Reizbarkeit einen scharfen Unter- 
schied zu machen ist kaum mehr möglich, nachdem man erkannt 


Pringsheim, Reizbewegungen. 1 


2 I. Einleitung. 
hat, daß die Sinnesorgane nur besonders ausgebildete Aufnahme- 
apparate für die wichtigsten Reize darstellen, wie man sie in ein- 
facherer Konstruktion auch bei den niedersten Tieren und selbst bei 
Pflanzen vorfindet. Worin die Reizbarkeit besteht und sich äußert, 
das darzulegen soll den ganzen Inhalt dieses Buches ausmachen. 
Man wird also verzeihen, wenn ich keine Definition voranschicke, die 
doch an dieser Stelle das Wesen der Sache nicht klar machen könnte. 

Unsere Sinne geben uns Kunde von den Vorgängen der Umgebung, 
nach denen wir uns orientieren können. Ähnlich orientiert sich die 
Pflanze nach den Eindrücken der Außenwelt. Das Resultat sind ge- 
wisse Lage- und Ortsveränderungen, die uns in den folgenden Kapiteln 
beschäftigen werden. Daneben werden auch andere Tätigkeiten der 
Pflanze wie unseres Körpers von Reizen beeinflußt. So finden wir 
bei den Pflanzen formbestimmende Reize, die allerdings nicht im 
gleichen Maße bei uns auftreten. Die Pflanze ist ein Organismus 
von viel geringerer Individualität als das höhere Tier und der Mensch. 
Ihre einzelnen Teile sind nicht so stark voneinander abhängig, müssen 
nicht so genau zusammenarbeiten, damit das Ganze lebensfähig ist. 
Daher ist auch eine größere Freiheit in der Gestaltung der einzelnen 
Organe, der Zweige, Blätter usw. einer Pflanze je nach den äußeren 
Umständen möglich als bei den Gliedern eines Tieres und des Men- 
schen. Es ergibt sich daraus weiter eine größere Verschiedenheit der 
Individuen, die verschiedenen Bedingungen ausgesetzt waren. Etwas 
Ähnliches finden wir beim Menschen immerhin etwa in der stärkeren 
Ausbildung häufig gebrauchter Muskelgruppen. Auch das stärkere 
Nachwachsen abgeschnittener Haare und Nägel, das auch Analogien 
im Pflanzenreich hat, könnte man vielleicht zu den durch Reize be- 
einflußbaren Formgestaltungen rechnen. Ferner die Heilung von Ver- 
wundungen und den Ersatz verloren gegangener Teile, die hier wie 
da durch mancherlei Reizwirkungen reguliert werden. Man ist sich 
jedoch noch wenig klar darüber, wo die Grenze liegt zwischen einer 
direkten Beeinflussung des Stoffwechsels und dem mittelbaren Zu- 
sammenhange, den man Reizwirkung nennt. Deshalb soll dieses Ge- 
biet, dem Titel entsprechend, gegenüber den Bewegungserscheinungen 
zurücktreten. Mit den Reaktionen auf Verwundungen sind wir schon 
dem Gebiete der schwer faßbaren inneren Reize nahe gekommen, die 
auf dem Zusammenhange und der gegenseitigen Lage, sowie auf der 
Lebenstätigkeit der Organe beruhen. Da wir über die entsprechenden 
Erscheinungen beim Menschen, die inneren und Gemeinempfindungen, 
schon nicht viel wissen, wo die Selbstbeobachtung der ohnehin inten- 
siveren Erforschung aller Einzelheiten noch zu Hilfe kommt, so kann 
es uns nicht wundern, daß man sie bei den Pflanzen, deren Wesen 
von dem unsrigen so verschieden ist, noch weniger kennt und schwer 
von chemischer Wechselwirkung unterscheiden kann. 

Dieselbe Schwierigkeit zeigt sich bei der Beeinflussung der 
chemischen Tätigkeit der Pflanze durch äußere Umstände. Zwar 
kennen wir Fälle, die zweifellos als Reizwirkung angesprochen wer- 


I. Einleitung. 3 


den müssen. Auch hier kann man wieder an Erfahrungen am Men- 
schen anknüpfen. So wie die Absonderung unserer Verdauungsdrüsen 
durch den Geruch, Geschmack und selbst den Anblick der Speisen 
angeregt wird, so wird bei den Insekten fangenden Pflanzen durch 
die von der Beute ausgehenden chemischen und Berührungsreize die 
Abscheidung von verdauenden Säften veranlaßt. Leider aber ist der 
Teil der pflanzlichen Reizphysiologie, der sich mit den chemischen 
Reizerfolgen beschäftigt, noch wenig ausgebaut gegenüber den die 
Form- und Lageveränderungen, also die physikalischen Reizerfolge um- 
fassenden Gebieten. Wir wollen die letzteren daher in unserer Dar- 
stellung nur nebenher hier und da erwähnen. Man darf daraus aber 
keineswegs auf eine geringe Bedeutung dieser Vorgänge schließen. Sie 
spielen vielmehr sicher eine große Rolle. Nur fehlen uns vielfach 
noch die Mittel sie nachzuweisen und vor allem auch hier wieder, 
sie von direkten stofilichen Beeinflussungen zu unterscheiden. 

Im Gegensatze zu den Reizerfolgen, die sich in einer Veränderung 
des Stofiwechsels und der Gestaltung offenbaren, sind die leicht er- 
kenn- und meßbaren Bewegungserscheinungen seit lange Gegenstand 
eifrigsten Studiums gewesen. An ihnen haben sich unsere Begrifie 
von der pflanzlichen Reizbarkeit gebildet. Da wir alles Zweifelhafte 
und weniger Bekannte fortlassen, können wir dafür die Bewegungs- 
reize um so ausführlicher behandeln, was die Anschaulichkeit zu er- 
höhen geeignet ist. 


Trotz dem Riesenabstande zwischen zwei in so verschiedenen 
Richtungen entwickelten Organismen, wie es die Pflanze und der 
Mensch sind, finden wir doch bei beiden die gleichen physikalischen 
und chemischen Kräfte als ‚„Reizanlässe‘ wirksam. Einige Beispiele 
mögen das erläutern. Wir bewahren unsere aufrechte Haltung mit 
Hilfe eines besonderen Sinnes, der uns die Richtung der Schwerkraft 
anzeigt; die Pflanze tut das gleiche. Unser Lichtsinn leitet uns vor 
allen anderen beim Zurechtfinden im Raume. Auch für die Pflanze 
ist das Licht einer der wichtigsten Orientierungsfaktoren zur Ge- 
winnung geeigneter Lebensbedingungen. Wir lassen uns beim Auf- 
suchen und der Beurteilung unserer Nahrung durch Geruch und 
Geschmack, die chemischen Sinne, leiten; dasselbe gilt für die Pflanze, 
denn Wurzeln und Pilzfäden suchen im Substrate kriechend vermöge 
ihrer chemischen Reizbarkeit geeignete Stoffe auf, während die Bak- 
terien frei im Wasser schwimmend solche zu erreichen suchen. 
Schließlich mag noch angeführt werden, daß es Pflanzen gibt, die 
für „Kitzel‘“‘- und Stoßreiz, für Temperaturerhöhung und -erniedri- 
gung, für Wasserströmungen und Feuchtigkeitsdifferenzen empfindlich 
sind. Diese Andeutungen geben wenigstens einen Begriff von der 
Mannigfaltigkeit und Verbreitung der verschiedenen Reizerscheinungen. 

Auf welche Weise sich uns die Empfindlichkeit der Pflanze für 
all diese Einwirkungen kundgibt, das wird eingehend zu schildern 
sein. Mit einem allgemeinen Ausdrucke nennt man die Anzeichen 

1* 


4 I. Einleitung. 


einer erfolgten Reizung die Reizreaktionen oder Reizerfolge, ganz 
gleich, ob sie Änderungen der Lage, der Form oder der chemischen 
Zusammensetzung darstellen. Entsprechend werden die physikalischen 
oder chemischen Außeneinflüsse, die zu einer Reizung führen, Reiz- 
ursachen genannt. Bedeutungsvoll für die Charakterisierung der Reiz- 
prozesse ist es, daß sie in keinem einfachen, leicht übersehbaren physi- 
kalischen oder chemischen Zusammenhange mit den Reizerfolgen stehen. 
Das Verhältnis von Reizursache und Reizerfolg wird nämlich dadurch 
verwickelt, daß sich eine ganze Anzahl von Zwischengliedern zwischen 
beide einschieben, über die wir wenig wissen, — die aber gerade 
das physiologische Geschehen zu charakterisieren scheinen. Mit 
diesem Umstande, dem Vorhandensein von Mittelvorgängen, hängt 
es auch zusammen, daß die Energie des äußeren Reizanlasses nicht 
in der Reaktion wiederkehrt, und daß auch beide nicht in einem 
gleichbleibenden Verhältnisse zueinander stehen. Bei anderen Vorgängen 
im Organismus ist das der Fall. So wird z. B. eine bestimmte 
Menge der Energie des auffallenden Sonnenlichtes bei der Kohlen- 
säureassimilation in chemische Energie umgewandelt und auf diese 
Weise in leicht verwendbarer Form festgelegt. Bei den Reizvorgängen 
sind die Verhältnisse nicht so leicht zu übersetzen, weil die Haupt- 
ursache des physiologischen Geschehens immer im Organismus liest. 
Der Reizanlaß verursacht nur eine Umgestaltung des sonstigen Ge- 
triebes, eine veränderte Verwendung der verfügbaren Kräfte. 

Von den Reizerfolgen werden allein die Bewegungserscheinungen 
ausführlich behandelt werden, weil nur über diese genug gesichertes 
Material vorliegt, um eine zusammenfassende Darstellung zu ermög- 
lichen. Da wir zum Verständnis der speziellen Kapitel, die die 
Reizwirkung der verschiedenen Außenkräfte vorführen sollen, einen 
Überblick über Wachstum und Bewegungsvermögen der Pflanzen 
haben müssen, schicken wir das hierzu Nötige im nächsten Abschnitte 
voraus. Wir schreiten dabei im allgemeinen von den niederen zu 
den höheren Organismen fort. Eine entsprechende Einteilung wird 
sich jedoch weiterhin wegen der sonst unausbleiblichen Wiederholungen 
nicht mehr aufrecht erhalten lassen. Wir wollen vielmehr den Stoff 
nach den ins Pflanzenleben als Reize eingreifenden Kräften einteilen, 
da der Reizvorgang als solcher in den Vordergrund gestellt werden 
soll. Die von einer bestimmten äußeren Kraft abhängigen Reaktions- 
formen wollen wir dann so anordnen, daß wir mit den einfachsten 
und bestbekannten beginnen. Diese sind nun nicht immer bei den 
niedersten Organismen zu finden, vielmehr meist gerade bei den 
differenzierteren, wo die stärkere Arbeitsteilung eine klarere Aus- 
bildung der Einzelfunktionen erlaubt, die auf niederer Stufe alle an 
eine Zelle gekettet sind. Nachdem wir so den Einfluß der ver- 
schiedenen Kräfte, die als Reizursachen in Betracht kommen, durch- 
gesprochen haben werden, können wir in einem Schlußkapitel, den 
in der Vorrede skizzierten Absichten entsprechend, einige allgemeinere 
Fragen behandeln. 


I. Das pflanzliche Bewegungsvermögen. 
a) Allgemeines. 


Es ist, als ob die Natur alles getan hätte, um uns die Erkennt- 
nis so lange wie möglich vorzuenthalten, daß nicht nur die Tiere, son- 
dern auch die Pflanzen ein reich ausgebildetes Bewegungsvermögen 
besitzen. Die uns vertrauten grünen Gewächse zeigen im allgemeinen 
dem flüchtigen Blicke so wenig Beweglichkeit, daß man schon ge- 
nauer hinsehen muß, um sich von ihrem Vorhandensein zu über- 
zeugen. Still und geräuschlos geht da alles vor sich, ohne Lärm, 
ohne Zappeln, Hasten und Fliehen. Aber man nehme sich nur die 
Zeit in warmen Frühlingstagen etwa eine Roßkastanie zu beobachten, 
wie sie ihre Knospen entfaltet. Welch eine Fülle von Veränderungen, 
die da in kurzer Zeit sich folgen! 

Ist es bei den höheren Pflanzen die meist verhältnismäßig ge- 
ringe Schnelligkeit der Bewegungen, die ihre Wahrnehmung erschwert, 
so ist es bei den sich rascher tummelnden niederen Organismen die 
mikroskopische Kleinheit, die ihre Kenntnis einer technisch vor- 
geschrittenen Zeit aufsparte. 

Jene wenigen grünen Pflanzen endlich, deren auffallende Reiz- 
bewegungen in ihrer Geschwindigkeit denen der Tiere nahekommen. 
— man denke an Mimosa —- sind in wärmeren Gegenden zu Hause. 
Sie wurden erst bekannt, als sich der Glaube, Beweglichkeit und 
Empfindungsfähigkeit gingen den Pflanzen ab, schon so sehr fest- 
gesetzt hatte, daß man diesen Mangel als zu ihrem Wesen gehörig 
betrachtete. Die sogenannten sensitiven Pflanzen wirkten daher nach 
ihrer Entdeckung zunächst meist nur als Kuriositäten. Wo man 
auf ihr Verhalten einging, versuchte man es auf möglichst mecha- 
nische Weise zu erklären, um nicht die Überzeugung vom Wesen der 
Pflanze, die durch Autoritäten wie Aristoteles und Linne& gestützt 
war, umstoßen zu müssen. Schließlich aber übten diese exotischen 
Seltsamkeiten doch eine Wirkung auf die Gemüter aus, die ihren 
stilleren einheimischen Vettern versagt geblieben war. Man erkannte 
allmählich auch bei den letzteren rasche Bewegungen an weniger ins 
Auge fallenden Blütenteilen, — und als dann Darwins Lehre die 
Augen öffnete und die innere Verwandtschaft aller Lebewesen zur 
Gewißheit machte, zögerte man nicht länger, die von Dichtern und 
Philosophen vorgeahnte innere Gemeinschaft der Pflanze mit Tier 
und Mensch anzuerkennen. 


6 II. Das pflanzliche Bewegungsvermögen. 


Darwin selbst war der erste der in seinen klassischen Werken 
über die insektenfressenden und die kletternden Pflanzen sowie über 
das Bewegungsvermögen der Pflanzen die Früchte dieser neuen An- 
schauung erntete. Die weniger als die Schriften zur Deszendenz- 
theorie bekannten pflanzenphysiologischen Werke des großen Neuerers 
lohnen auch heute noch ein eingehendes Studium. - Seine Versuche 
wurden mit einfachen Hilfsmitteln angestellt und sind so anschaulich 
geschildert, daß sie zur Nachahmung anregen. Darwins Beobach- 
tungen lehrten ihn, daß Wurzeln, Blätter, Stengel und Ranken der 
Pflanzen zu den verschiedenartigsten Bewegungen befähigt sind, zu 
denen mannigfaltige Reize den Anstoß geben. Er faßt seine Eindrücke 
in den Worten zusammen: „Endlich ist es unmöglich, von der Ähn- 
lichkeit zwischen den vorher erwähnten Bewegungen von Pflanzen 
und vielen unbewußt von den niederen Tieren ausgeführten Handlungen 
nicht überrascht zu sein“. Dieser Ausruf ist heute eine Art Pro- 
gramm geworden. 

Allerdings ist die Ausführung, die Mechanik der Bewegungen bei 
den höheren Pflanzen, mit denen Darwin seine Versuche anstellte, 
von der der Tiere durchaus verschieden. Muskeln und Nerven gibt 
es bei ihnen nicht. 


b) Freie Ortsbewegung. 


Während die niedersten grünen Organismen, bei denen man im 
Zweifel sein kann ob es Tiere oder Pflanzen sind, sich in ähnlicher 
Weise im Wasser herumtummeln wie ihre farblosen Verwandten, haben 
sich die höheren Gewächse dieser Fähigkeit begeben. Ihre Ernäh- 
rung mit Hilfe des Sonnenlichtes machte den Ortswechsel überflüssig. 
Zudem hätten die zum reichlicheren Auffangen der Strahlen not- 
wendigen grünen Flächen, die Blätter und blattähnlichen Organe, bei 
der Bewegung ein starkes Hindernis ergeben. Als die Pflanzen dann 
später zum Landleben übergingen, wurden auch die letzten Überreste 
von freier Beweglichkeit, die im Jugendstadium noch vorkamen, all- 
mählich aufgegeben. Sich auf trocknem Boden frei umher zu be- 
wegen, vermag keine Pflanze. 

Sehen wir nun zu, welche Mittel der Pflanze zur Verfügung 
stehen, auf die Reize, die sie treffen, mit Bewegungen zu antworten: 

Zur freien Ortsbewegung sind Vertreter fast aller Pflanzen- 
familien mit Ausnahme der Blütenpflanzen zeitlebens oder doch vor- 
übergehend befähigt. Daher ist es begreiflich, daß diese Bewegungen 
auf sehr verschiedene Weise zustande kommen. Zunächst haben wir 
zu unterscheiden zwischen freiem Schwimmen im Wasser und den- 
jenigen Fortbewegungsarten, die einer festen Stütze bedürfen, dem 
Gleiten und Kriechen. Aber auch innerhalb dieser Gruppen herrscht 
noch eine große Mannigfaltigkeit. 

Freies Schwimmen im Wasser kommt in folgenden Pflanzen- 
stämmen vor: 


I 


Freie Ortsbewegung. 


. Bakterien; 

. Myxomyceten (Schleimpilze); 

. Chytridiaceen; 

. Saprolegniaceen (Wasserpilze): 

. Flagellaten (Geißler); 

Volvocaceen; 

. Peridineen: 

. Chlorophyceen (Grünalgen, nämlich Protococcoideen, Con- 
fervoideen und Siphoneen); 

. Phaeophyceen (Braunalgen); 

. Characeen (Armleuchtergewächse); 

. Bryophyten (Moose); 

. Pteridophyten (Farnpflanzen); 

. Cycadaceen; 

. Ginkgoaceen. 


NS mwN - 


a a u Bu u Eee! 
PoDmt+o co 


In den mit 9—14 bezeichneten Stämmen sind nur die männ- 
lichen Geschlechtszellen, die ‚,Samenfäden‘ oder Spermatozoen, 
schwimmfähig. Man sieht, daß die Erscheinung außerordentlich 
verbreitet ist. Es kommt ihr auch eine große Bedeutung für unsere 
Auffassung von der Verwandtschaft der pflanzlichen Lebewesen zu. 
Mit großer Wahrscheinlichkeit ist nämlich anzunehmen, daß die 
Vorfahren sowohl der Tiere wie der Pflanzen einzellig waren und 
frei im Wasser umherschwammen. Ihnen sind von jetzt lebenden 
Organismen jedenfalls die mikroskopischen Flagellaten oder Geißler 
am ähnlichsten. Sie können farblos sein mit tierähnlichem Stoff- 
wechsel oder grün und sich nach Art der Pflanzen ernähren. Die 
letzteren assimilieren mit Hilfe des Sonnenlichtes die Kohlensäure 
und formen daraus Stoffe, die zum Aufbau ihres Körpers und zum 
Betriebe ihrer Lebensfunktionen verarbeitet werden. Die farblosen 
Flagellaten dagegen nehmen gelöste organische Nahrungsstoffe aus dem 
Wasser auf. Allerdings sind auch die grünen oft dazu befähigt, wie 
überhaupt tierische und pflanzliche Ernährung vielfach ineinandergreifen. 

Die Schwimmbewegung findet bei den Flagellaten mit Hilfe von 
einer oder mehreren Geißeln oder Wimpern statt, die in gesetz- 
mäßiger Weise das Wasser schlagend den Körper vorwärts treiben. 
Die Art der Geißelbewegung ist wegen ihrer Schnelligkeit und der 
außerordentlichen Feinheit dieser Organe schwer zu erforschen. 


Wenn es möglich sein wird, von den sich bewegenden Geißeln kinemato- 
graphische Aufnahmen zu machen, wozu heute die technischen Mittel wohl 
schon ausreichen, wird man mancherlei Aufschlüsse erhoffen dürfen. Bisher 
war man darauf angewiesen, die Bewegungen zu studieren, indem man sie 
künstlich verlangsamte. Das kann man durch tiefe Temperatur erreichen, 
oder dadurch, daß man den Widerstand des Wassers durch Zusätze wie 
Gummi, Gelatine oder dgl. erhöht. Dann geht der Geißelschlag so langsam 
vor sich, daß er sich bei großen Flagellaten mit starker Vergrößerung leid- 
lich verfolgen läßt. Auch kann man die betrefienden Lebewesen dadurch im 
Gesichtsfelde des Mikroskopes festhalten, daß man ein feines Maschengewebe 
auflegt, in dessen Hohlräumen die Schwärmer gefangen werden. 


8 ll. Das pflanzliche Bewegungsvermögen. 


Es läßt sich denken, daß auf diese Weise nur Rudimente der normalen Be- 
wegungsart zur Beobachtung kommen. 

Die Gestalt der Flagellaten und der ihnen sehr ähnlichen Algen- 
schwärmsporen ist dagegen im allgemeinen gut bekannt. Meist sind sie 
länglich, und wo sie grün sind, ist das vordere Ende verschmälert und 
farblos. In ihnen befindet sich auch fast immer seitlich ein roter 
Punkt, der ‚‚Augenfleck‘“, über dessen Bedeutung für den Lichtsinn 
wir noch zu sprechen haben werden. Auch sind in der Nähe des 
Vorderendes die Bewegungsorgane, die Geißeln befestigt, in Ein-, 
Zwei-, Vier- oder Mehrzahl. Die zahlreichen kurzen und kranzförmig 
angeordneten Wimpern der Ödogoniumschwärmer schlagen rhythmisch 
nach rückwärts wie die Cilien der Infusorien. Da, wo eine geringe 
Zahl von Geißeln vorhanden ist, sind sie vorn inseriert, gewöhnlich 


Abb. 1. Algenschwärmer. 


> 7 


1. Zoospore von Ulothrix; 2., 3. Schwärmer von Chlamydomonas; 4. Stück einer zusammen- 
gesetzten Zoospore von Vaucheria, die unter 6 im ganzen gezeigt ist; 5. Zoospore von Clado- 
phora; a Augenfleck. (Aus Oltmanns 1905.) Verschieden stark vergrößert. 


rückwärts gerichtet und meist länger als der Körper. Sie bohren 
sich korkzieherartig durchs Wasser und treiben den Körper vorwärts 
(Abb. 1 u. 2). 

Die Wirkungsweise der Geißeln ist ähnlich wie die der Schraube 
eines Dampfers, die dadurch, daß sie das Wasser nach hinten 
drückt, das Schiff vorwärts treibt. Auch wenn die Geißel nach vorn 
gerichtet ist, bleibt diese Analogie bestehen, die Bewegungsrichtung 
hängt ja nur vom Sinne der Drehung ab, die häufig, z. B. beim 
Aufstoßen auf Hindernisse, vorübergehend umgekehrt wird. Sc 
kann auch ein Dampfer durch Umkehr der Schraubendrehung 
rückwärts fahren. Pfeffer (1904. S. 706) vergleicht das Schwingen der 
Geißel mit der ‚‚Wellenbewegung eines Taues, durch das man vermittelst 
geeigneter Schwingungen oder Stöße Spiralwellen schickt“. Unter 
dem Mikroskop sieht man allerdings meist nur ein Schlängeln oder 


Freie Ortsbewegung. 9 


schraubenförmiges Zusammenziehen und Wiederausstrecken des Be- 
wegungsorganes. Durch die Schraubenbewegungen der Geißel kommt 
fast immer während des Vorwärtsrückens eine Drehung des Körpers 
zustande, die nur dann unterbleibt, wenn der Schwerpunkt, resp. der 
Geißelansatz stark seitlich gelagert ist. Das Schwimmen kann so vor 
sich gehen, daß die Körperachse mit der Bewegungsrichtung zusammen- 
fällt. Vielfach aber, und besonders bei den unsymmetrisch gebauten Or- 
ganismen, wird bei der Vorwärtsbewegung unter Rotation eine Schrauben- 
linie beschrieben, und zwar so, daß immer dieselbe Körperseite nach 
außen gekehrt ist. Auch kann das hintere Ende in einer geraden, 
das vordere in einer schraubigen Bahn fortschreiten. Je scheller das 
Schwimmen ist, desto geradliniger die Bahn. Beim Stoßen auf 
Hindernisse oder auf Reizanlässe hin wird oft die Bewegung gehemmt. 
Dabei beschreibt dann die Achse des Körpers einen 
Kegel oder Doppelkegel. Wird nun die Bewegung 
wieder aufgenommen, so erfolgt sie aus einer der 
beim Rotieren eingenommenen Stellungen heraus, 
also in einer von der ursprünglichen abweichen- 
den Richtung. 

Der Körper der Flagellaten kann von einer 
starren Haut umgeben oder weich und selbst in 
seiner Form weitgehend veränderlich sein. Aber 
auch in diesem letzten Falle trägt die Beweglich- 
keit der Gestalt nichts zu der Kraft bei, die den 
Organismus im Wasser vorwärts treibt. Vielmehr 


dient sie nur zum Kriechen auf festem Substrate. Abb. 2. 
Beim Schwimmen ist der Leib scheinbar starr Euglena viridis. 
und langgestreckt. Das ist besonders auffallend }: ymmend; 
bei den am häufigsten studierten Euglenen, die a en ik 
imstande sind, sich völlig kugelig zusammen- (Aus Rosen 1909.) 


zuziehen, beim Schwimmen aber eine fischähnliche 

Gestalt annehmen. Die Art der Vorwärtsbewegung ist jedoch, von 
der eines Fisches sehr verschieden, da sie durch die am Vorderende 
eingesetzte Geißel zustande kommt (Abb. 2). 

Ein besonderes Interesse verdienen die mit vielen Geißeln aus- 
gerüsteten Gebilde, die aus einer großen Anzahl von Einzelindividuen 
zusammengesetzt zu denken sind. Hierher gehören die Vaucheria- 
schwärmsporen (Abb. 1, 4 u. 6), dann auch die Kolonien der Volvocaceen, 
die kugel- und plattenförmig, aber auch anders gestaltet sein können 
(Abb. 3). Bei diesen sind die Einzelindividuen flagellatenartig, aber 
durch eine Gallertmasse miteinander verbunden. 

Überall, wo mehrere Geißeln vorhanden sind, müssen sie vermöge 
einer inneren Wechselwirkung einheitlich schlagen, weil sonst keine 
geordnete Bewegung zustande käme. Besonders auffallend wird das 
bei den größten Flagellaten-Kolonien, wie sie z. B. Volvox darstellt, 
wo hunderte von Einzelindividuen zu einer Hohlkugel vereinigt 
sind. Jedes hat zwei Geißeln, und alle bewegen sich im Rhythmus, 


10 II. Das pflanzliche Bewegungsvermögen. 


etwa wie die Ruder einer Galeere, so daß ein höchst geschicktes 
Schwimmen, immer mit einem bestimmten Ende voran, zustande 
kommt. Bei einem Hindernis sehen wir die Kugel ausweichen, alle 
Geißeln schlagen plötzlich in einer anderen Richtung. — So wird es 
bewirkt, daß die Bewegung durchaus zielbewußt aussieht, obgleich 
so viele Einzelorganismen daran be- 
teiligt sind. Die Ursache der Über- 
einstimmung muß offenbar in der 
Fortleitung eines Impulses gesucht 
werden, der das Ganze zu einer 
Einheit verknüpft. Die Bahnen, die 
der Leitung dienen, sind als feine 
Plasmastränge in der Gallertmase 
zu erkennen, die die Individuen zu- 
sammenhält (Abb. 3e). 

Die Schwärmsporen der wäh- 
rend des längsten Teils ihres Lebens 
unbeweglichen Algen haben die Auf- 
gabe, nach geeigneten neuen Wohn- 


a NND 
BIER 


b. Pandorina morum. ce. Volvox aureus. 


Abb. 3. Schwärmende Volvocaceenkolonien (Aus Oltmanns, 1905). 


orten zu suchen. Sie setzen sich dann fest und wachsen zu 
jungen Pflanzen aus. Oft sind es nur aus dem Verbande losgelöste 
Zellindividuen, die ohne weiteres entwicklungsfähig sind. Vielfach 
aber bedürfen sie eines paarweisen Verschmelzens, das einen Ge- 
schlechtsakt darstellt. Im Laufe der Entwicklung der Arten bilde- 
ten sich allmählich Differenzen zwischen den beiden, ursprünglich 
gleichen, sich vereinenden Zellen aus, indem die eine von ihnen Vor- 
ratsstoffe für die spätere Entwicklung mit bekam. Diese, die weibliche 
Geschlechtszelle, verlor damit allmählich ihre Beweglichkeit und ward 


Freie Ortsbewegung. hl 


zum Ei, während die männliche Geschlechtszelle, der ‚Samenfaden‘, 
noch lange imstande blieb die Eizelle aus eigener Kraft aufzusuchen. 
So ist es noch bei den Moosen und Farnen, während bei den Blüten- 
pflanzen eine andere Art der Befruchtung auftritt. 

Die beweglichen männlichen Samenzellen haben meist die schwie- 
rige Aufgabe, die das Ei umgebenden Hüllen zu durchdringen und 
sich in dieses einzubohren. Deshalb bedürfen sie einer besonderen 
Gestalt, die sie zum Überwinden von Widerständen geeignet macht. 
Ihre Geißeln sind nach rückwärts gerichtet oder doch, wie bei den 
Braunalgen, eine von zweien. Der Körper ist oft korkzieherartig 
gewunden, so bei den Uharaceen, Moosen und Farnpflanzen. Aber 
auch hier ist er starr, die Bewegung wird durch die Geißeln hervor- 
gerufen. Mit welchen Reizbarkeiten diese Gebilde ausgestattet sind, 
um ihre Aufgabe zu erfüllen, das werden wir später sehen. 

Die Schwärmer derjenigen Pilze, die bewegliche Entwicklungs- 
stadien besitzen, zeigen nichts Besonderes, nur ist bei den Parasiten 
Chytridium vorax und Polyphagus Euglenae die Geißel hinten in- 
seriert. Bei den Peridineen, die seltsame, unsymmetrische, meist ge- 
panzerte Wesen darstellen, ist über Bewegung und Reizbarkeit nicht 
viel bekannt. Sie besitzen zwei Geißeln, von denen beim Schwimmen 
eine vorwärts, eine seitlich gerichtet ist. Die erstere macht nach 
Schütt Kegelschwingungen, die andere spiralwellige Bewegungen 
(Pfeffer 1904, 8.707). Die Schnelligkeit der Bewegung kann ziem- 
lich beträchtlich werden, wenn man sie auf die Größe der Organis- 
men bezieht. So legen manche Schwärmer in der Sekunde das 
2—3fache ihrer Länge zurück, während die schnellsten Dampfer in 
der gleichen Zeit nur um ein Zehntel ihrer Länge vorwärts kommen. 
Der absolute Weg soll bei den Schwärmern der Lohblüte fast ein 
Millimeter in der Sekunde, in der Stunde also über 3 m, erreichen; 
das ist aber das höchste, was geleistet wird, meist wird in der 
Stunde höchstens 1 m zurückgelegt. Immerhin sehen wir bei der 
Vergrößerung durch das Mikroskop manche Bakterien, Flagellaten 
und Schwärmsporen sehr lebhaft durcheinanderwimmeln, da ja die 
Schnelligkeit der Bewegung, d. h. der zurückgelegte Weg auch mit 
vergrößert wird. Bei tausendfacher Vergrößerung würde also ein 
Schwärmer der Lohblüte scheinbar 1 m in der Sekunde zurücklegen. 
Das gibt den Eindruck einer sausenden Geschwindigkeit, zu deren 
Erreichung bei dem großen Widerstande, den das Wasser so kleinen 
Körpern bietet, jedenfalls eine relativ erhebliche Kraft erforderlich 
ist. Für Euglenen ist festgestellt, daß sie etwa das achtfache ihres 
eigenen Gewichtes im Wasser zu heben vermögen. (Schwarz 1884.) 

Die meisten Bakterienarten sind dauernd oder doch in gewissen 
Entwicklungszuständen beweglich. In diesem Falle ließen sich stets 
mit besonderen Färbungen, die an sich kaum erkennbaren Geißeln 
sichtbar machen. Die Begeißelung ist sehr verschiedenartig, aber 
für die einzelnen Gattungen so konstant daß sie als systema- 
tisches Merkmal verwendet wird (Abb. 4). Bewegliche Stäbchen mit einem 


12 II. Das pflanzliche Bewegungsvermögen. 


oder mehreren Geißeln am Vorderende nennt man nach Migula (1897) 
Pseudomonas; wenn sie etwas gebogen sind, Microspira, solche mit 
über den ganzen Körper verstreuten Bewegungsorganen Bacillus. 
Kugelförmige Bakterien mit einer Geißel heißen Planococeus. Die 
schraubenförmigen Spirillen besitzen einen Schopf von Geißeln an 
einem oder an beiden Enden. In dem letzteren Falle sind sie in 
Teilung begriffen. Dieser Zustand dauert ziemlich lange, so daß oft 
ein großer Teil der Individuen in der Kultur ‚„bipolar‘‘ begeißelt ist. 
Ähnliches kommt auch bei den Stäbchen mit Endbegeißelung vor. 
Der Körper ist starr und trägt nichts zur Schwimmbewegung bei. 
Bei den Spirillen sieht es bei flüchtiger Betrachtung so aus, als 
schlängelten sie sich durchs Wasser. In Wirklichkeit liegt ein sich 
Vorwärtsbohren unter Drehung um die Hauptachse der Schraube vor. 

Stets verläuft die Bewegung ungefähr in der Längsrichtung des 
Körpers, dabei können aber bei 
den Stäbchen Vorder- und Hinter- 
ende kreisende Bewegungen aus- 
führen, durch die sie beim Vorwärts- 
schreiten eine Schraubenlinie be- 
schreiben. Denkt man sich ihre Be- 
wegung ohne Vorwärtsschreiten, so 
würde das Stäbchen den Mantel 
eines Kegels oder Doppelkegels be- 
schreiben. Auch kann die Bewegung 
umkehren, was besonders bei den- 
jenigen Stäbchen und Spirillen be- 


Ath obachtet wird, die Geißeln an bei- 
Schwimmfähige Bakterien mit Geißen, den Enden besitzen und Aunsbeiden 
stark vergrößert (Aus Rosen, 1909). Richtungen gleich gut schwimmen. 


a) Nitrosomonas (Planococcus) europaea; R) B x .. . 
b) Nitrosomonas javanensis; ec) Microspira Sonst tritt nur vorübergehend bei 


Comma; d) Bacillus subtilis; e) Pleetridium besonderen Veranlassungen eine 
paludosum; f) Spirillum Undula. h 
Umkehr der Bewegungsrichtung 
ein. Drehungen um die eigene Achse sind mit der Bewegung aller 
Bakterien verknüpft, doch sind sie nicht immer leicht wahrzunehmen. 
Die Bewegung macht bei verschiedenen Bakterienarten einen sehr 
wechselnden Eindruck, bald ist sie schnell, bald langsam, stetig oder 
unterbrochen, die Bahn gerade oder gewunden, zielbewußt oder wech- 
selnd. Von der Tätigkeit der Bewegungsorgane sieht man dabei bei 
ihrer Schnelligkeit und der außerordentlichen Feinheit der Geißeln fast 
nie etwas, so daß es schwer ist, darüber Aufschluß zu erlangen. Nur 
unter besonders günstigen Umständen und mit stärkster Vergrößerung 
konnte Migula (1897, S. 110) die Arbeit der Geißeln verfolgen: ‚‚Bei 
einer Zelle des Monas Okenii (eines verhältnismäßig sehr großen 
Bakteriums mit nur einer Geißel) war die Geißel bei der be- 
ginnenden Austrocknung zwischen einen hineingeworfenen Deckglas- 
splitter und das Deckglas geraten und konnte sich nicht wieder be- 
freien. Zuerst war das Schlagen des freien Geißelteils so heftig, daß 


Freie Ortsbewegung. 13 


die Zelle hin- und hergeschleudert wurde, allmählich aber wurden 
die Bewegungen langsamer, und es ließ sich erkennen, wie sich die 
Bewegung von dem eingeklemmten Geißelende, soweit es sich über- 
haupt noch bewegen konnte, schraubenförmig bis zur Basis fort- 
setzte und sich die Zelle selbst erst bewegte, wenn diese von der 
Spitze der Geißel nach der Basis hin sich fortpflanzende Bewegung 
bis an die Zelle gelangt war.“ 

Diese Beobachtung lehrt gleich vielen anderen, daß die Be- 
wegungen bei den Bakterien auf dieselbe Weise vor sich gehen wie bei 
den Flagellaten. Die Geißel ist der aktive Teil, sie hat eine gewisse 
Selbständigkeit und ist nicht als ein durch die Zellwand ausgestülp- 
ter Plamafaden zu betrachten, sondern als ein differenziertes Organ 
der Zelle. Niemals wird sie eingezogen. Unter ungünstigen Be- 
dingungen kann sie aber erstarren oder abgeworfen werden. Bak- 
terien, die zur Bewegung fähig sind, sollen nach Fischer (1895) immer 
Geißeln bilden, die aber unter Umständen untätig bleiben können. 

Neuerdings (1909) gelang es Reichert, mit einer besonderen op- 
tischen Methode die Bewegungen der Bakteriengeißeln sehr viel besser 
zu beobachten, als das früher möglich war. 

Reichert bediente sich der sogenannten Dunkelfeldbeleuchtung, die auch 
die Grundlage der „Ultramikroskopie“ bildet, d. h. der Sichtbarmachung 
von Teilchen, die zu klein oder zu wenig lichtbrechend sind, als daß sie mit 
dem gewöhnlichen Mikroskope im durchtallenden Lichte zu sehen wären. Das 
Prinzip können wir uns an der Erscheinung der Sonnenstäubchen klar machen. 
Diese werden bei scharfer seitlicher Beleuchtung auf dunklem Grunde durch 
Beugung des Lichtes gewissermaßen selbst leuchtend. Sie erscheinen daher 
größer und werden dem bloßen Auge sichtbar. Ähnlich kann man unter 
dem Mikroskop durch seitliche Beleuchtung feine, sich vom Wasser wenig ab- 
hebende Teile wie Bakteriengeißeln zur Beobachtung bringen, die sonst nicht 
zu sehen wären. 

Das Hauptergebnis dieser Untersuchungen ist der Nachweis, 
daß die Bakteriengeißeln, obgleich oft am Vorderende inseriert, fast 
immer rückwärts geschlagen sind. Dabei sind sie stets in Form von 
rechtsgängigen Schrauben gewunden und rotieren rechts herum. Der 
Körper dreht sich links herum. Da wo viele Geißeln in einem Büschel 
beisammen stehen, sind sie nach Reichert in der Bewegung zusam- 
mengelest, so daß sie einheitlich schlagen und dadurch leichter 
sichtbar werden als in der Ruhe, wo sie auseinanderspreizen. 

Bei den beweglichen, nach der Teilung in Paketen zusammen bleibenden 
Kugelbakterien (Planosarcina) sind die Geißeln nach rückwärts geschlagen und 
unterstützen einander meist durch gleichmäßigen Schlag. Es muß deshalb hier 
eine ähnliche Verknüpfung der Einzelindividuen angenommen werden wie bei 
Volvox. 

Von besonderer Bedeutung sind für uns die Bewegungen der 
Geißeln bei der Richtungsumkehr, weil diese in der Erzielung von 
Reizreaktionen, wie wir noch sehen werden, eine große Rolle spielt. 
Periodisch oder auf äußeren Anstoß hin erfolgt ein Wechsel der Be- 
wegungsrichtung unter vorübergehender Verlangsamung des Fort- 
schreitens und Erweiterung des vom Bakterienkörper gebildeten 


14 lI. Das pflanzliche Bewegungsvermögen. 


Rotationskegels. Nun ‚‚entspricht jeder vollen Geißelrotation auch 
ein voller Umlauf des Körpers um den ‚Trichter‘, infolgedessen wird 
bei rascherer Geißelrotation die Kraft, welche die Seitenabweichung 
bewirkt, auch viel rascher ihre Richtung ändern, und da sie also 
viel kürzere Zeit nach einer bestimmten Richtung wirkt, eine ge- 
ringere Seitenabweichung bewirken. Und hauptsächlich aus diesem 
Grunde wird die Trichterbewegung bei rascherer Vorwärtsbewegung 
des Körpers eine Abschwächung erfahren“. Bei den polar begeißelten 
Spirillen wurde beobachtet, daß einer Umkehrung der Bewegung eine 
Erweiterung des Rotationstrichters vorangeht, bis schließlich die 
Lage der Geißel zum Körper gegen früher um 180° verschoben ist. 
Bei langer starker Geißel bleibt diese in derselben Lage und der 
Körper dreht sich. Schlägt die Geißel schnell herum, so erfolgt die 
Umkehr oft geradezu sprungweise. Ist die Geißel kürzer, so wird 
sie herumgelegt und der Körper behält seine Richtung bei, nur daß 
er jetzt mit dem anderen Ende voranschwimmt. Die Bazillen mit 
über den Körper verstreuten Geißeln zeigen diese niemals in der 
Bewegung nach vorn gerichtet. Da die Geißeln stets im selben Sinne 
rotieren, muß bei der Richtungsumkehr die Bewegung einen Augen- 
blick aussetzen, die Geißeln müssen herumgeschlagen und nun wieder 
in Tätigkeit versetzt werden. Deshalb geht der Wechsel der Be- 
wegungsrichtung niemals so schnell vonstatten wie bei polar be- 
geißelten Bakterien. Die Umkehr der Geißelschwingungen ist bei 
allen Bakterien nur vorübergehend, so daß also bald wieder die alte 
Schwimmweise angenommen wird, auch ohne daß ein neuer Anstoß 
erfolgt. 

Damit hätten wir die pflanzlichen Gebilde, die einer freien 
Schwimmbewegung fähig sind, besprochen und können uns nun zu den 
einer festen Unterlage bedürfenden frei beweglichen Organismen wenden. 


Während sich bei den Schwimmbewegungen stets besondere 
Organe nachweisen lassen, die die motorische Kraft ausüben, ist das 
bei den Gleit- und Kriechbewegungen nicht immer der Fall. 
Es ist daher begreiflich, daß man über sie noch wenig Bescheid 
weiß. Auch diese Bewegungsart ist weit verbreitet im Pflanzenreich. 
Bekannt ist sie in folgenden Familien: 


l. Beggiatoen unter den Bakterien 

2. Cyanophyceen (Spalt- oder Blaualgen) 
3. Desmidiaceen 

4. Diatomeen (Kieselalgen) 

5. Myxomyzeten (Schleimpilze). 


Hieran schließen sich dann die Bewegungen der Teile in um- 
häuteten Zellen der Pilze, Algen und höheren Pflanzen, die später 
besprochen werden sollen. 

Zum Kriechen bedarf es stets eines festen Bodens. Pflanzen, 
die dazu befähigt sind, leben aber nur im Wasser. Allerdings ge- 


Freie Ortsbewegung. 15 


nügt ihnen vielfach die dünne Wasserschicht, die feuchte Körper 
überzieht. Trocken darf die Unterlage keinesfalls sein. So findet 
man die hierher gehörigen Organismen auf dem Boden flacher 
Gewässer, auf feuchter Erde, verwesten Pflanzenresten und dergleichen. 
Manchen genügt auch der Widerhalt, den sie an der Oberfläche von 
Flüssigkeiten finden, zur Fortbewegung. Frei schwimmen können sie 
auf Grund dieser Bewegungsart nicht. Dazu be- 
darf es stets der Geißeln. 

Am besten bekannt ist das Kriechen der 
häufigsten hierher gehörigen Lebewesen, der Di- 
atomeen. Die frei beweglichen unter ihnen 
stellen meist einzeln lebende Zellen dar, die von 
einem Kieselpanzer mit oft wunderbar zart ge- 
stalteter Oberfläche umschlossen sind. Ihre Be- 
wegung erscheint unter dem Mikroskop als ein 
Gleiten, dem Anblicke nach vergleichbar dem 
einer Schnecke. Meist sind die beweglichen Dia- 
tomeen länglich, oft elliptisch, kahn- oder auch 
nadelförmig. Das Kriechen geschieht stets in 
der Richtung der Längsachse. Dabei kann das 
vorangehende Ende wechseln. 

Es erscheint zunächst wunderbar, wie ein 
von festem Panzer umgebenes Gebilde sich zu 
bewegen vermag. Die Erklärung liegt darin, 
daß das lebende Protoplasma aus feinen 
Spalten, den Raphen, heraustritt und die 
Bewegung vermittelt. Solcher Schlitze, die in 
der Längsrichtung verlaufen, haben die hier zu 
berücksichtigenden Kieselalgen vier, da sie doppelt 
symmetrisch gebaut sind. Zwei davon liegen in 
einer Längslinie auf der einen, zwei auf der ent- 
gegengesetzten Seite (Abb. 5). Auf der Oberseite 
kann man an ruhig liegenden Exemplaren mit 
starker Vergrößerung sehen, wie zufällig an- Abb. 5. 
geklebte kleine Fremdkörperchen bald in der einen, un een, 
bald in der anderen Richtung an dem Spalt ent- re 
lang gleiten. Da nur das lebende Protoplasma die Stark vergrößert. 
bewegende Kraft hergeben kann, so schließt man *" Oltmanns, 1908. 
aus solchen Beobachtungen auf einen Protoplasma- 
strom, derart, daß die halbflüssige Masse am einen Ende hervortritt, den 
Spalt entlang gleitet und am anderen Ende ins Innere zurückkehrt. So 
wie hier bei ruhenden Individuen die leichten Partikelchen bewegt werden, 
während die schwerere Diatomee still liegt, so soll nach der Vorstellung 
mancher Autoren bei Berührung des Plasmastromes mit einem festen 
Untergrunde die Diatomee sich von der Stelle schieben. Übrigens genügt 
unter Umständen die Reibung des Protoplasmas am Wasser zur Fort- 
bewegung, so daß der Spalt nicht immer dem Untergrunde anliegen 


16 Il. Das pflanzliche Bewegungsvermögen. 


muß. Müller (1896) führt triftige Gründe dafür an, daß das Plasma 
am gebogenen Ende der Raphen kleine Wirbel bildet, die propellerartig 
wirken.') Ein freies Schwimmen kommt dadurch aber doch nicht zustande, 
weil der Diatomeenkörper im Verhältnis zur bewegenden Kraft zu 
schwer ist. Die Bewegung ist stets relativ langsam und erreicht 
wohl kaum je ein fünfzigstel Millimeter in der Sekunde, so daß also 
meist in der Stunde noch keine 5cm zurückgelegt werden. Immer- 
hin macht die Bewegung unter dem Mikroskop auch hier oft einen 
recht lebhaften Eindruck, so z. B. bei gewissen schiffehenförmigen 
Kieselalgen des Meeres. Noch schneller erscheint sie bei einer merk- 
würdigen, in unseren Teichen vorkommenden Form, der Bacillaria 
paradoxa, und zwar dadurch, daß hier die 20— 30 Individuen, die meist 
zu einer Kolonie vereinigt sind, sich aneinander entlang schieben, 
sodaß sich beim Anblick ihre Geschwindigkeit addiert (Abb. 6). 


—n 


GE 


Abb. 6. 


Bacillaria paradoxa. Die Individuen teilweise ganz aus- 
einander, teilweise zusammengeschoben. (Aus Oltmanns 1905). 


Die Kräfte, die die beweglichen ÖÜyanophyceen vorwärts treiben, sind 
noch wenig bekannt. Diese sehr niedrig stehenden, im Wasser oder auf 
feuchtem Boden lebenden Organismen sind meist von blaugrüner oder 
auch bräunlicher Farbe. Ihre kleinen, scheiben- oder kugelförmigen Zellen 
sind geldrollen- oder perlschnurartig zu langen Fäden angeordnet. Beg- 
giatoa ist farblos und wird deshalb meist zu den Bakterien gestellt, ob- 
gleich sie in den meisten morphologischen Merkmalen mit den Oseilla- 
rien unter den Blaualgen übereinstimmt. Bringt man die Fäden in einem 
Tropfen Wasser unters Mikroskop, so sind sie zunächst meist zu kleinen 
Knäueln zusammengeballt. Bald sieht man aber die bogenförmigen 
Krümmungen sich elastisch ausgleichen und es beginnen nun schwingende, 
kreisende Bewegungen, bei denen die Spitzen der Fäden kegelförmige 
Bahnen beschreiben, oder, bei mangelndem Raum unterm Deckglase 
sich hin und her biegen. Dabei strahlen die Fäden bald nach allen 

tichtungen annähernd geradlinig ins Wasser, während sie in der 
!) Gegen die allgemeine Gültigkeit dieser Auffassung scheint mir aber das 
Kriechen von Diatomeen zu sprechen, die man in Agar oder Gelatine ein- 
geschmolzen hat. 


Freie Ortsbeweguns. 17 


Mitte verknotet bleiben können (Abb. 7). Es können aber auch Faden- 
stücke heraus und an festen Körpern entlang kriechen. Besonders ge- 
schieht das zu Zwecken der Vermehrung. Bestimmt vorgebildete Bruch- 
stücke lösen sich dann los und suchen, vermöge einer ziemlich lebhaften, 
gleitenden Bewegung, bei der sie sich um ihre Längsachse drehen, 
neue Orte auf, die besser zur Vermehrung geeignet sind. Oft sieht 
man die Fäden sich über feste Körper oder auch an der Wasser- 
oberfläche netzartig ausbreiten, wobei sie auch aus dem Wasser heraus, 
z.B. an den Wänden eines Glasgefäßes in die Höhe kriechen können. 
Sie bleiben dabei durch kapillar mitgezogenes Wasser feucht. Denn 
im Trocknen können sie nicht leben. 

Besondere Bewegungsorgane sind auch durch die sorgfältigsten 
Untersuchungen nicht nachzuweisen gewesen. Beobachtet man hier 
wieder kleine Körper- 
chen, die an belie- 
bigen Stellen der 
Oberfläche festkle- 
ben, so sieht man, 
daß sie in schraubiger |/ 
Bahn fortschreiten, 
die umkehren und 
ihre Lage verändern 
kann. Ein Plasma- 
strom, der etwa wie 
bei Diatomeen aus 
Öffnungen hervor- 
träte, ist nicht zu 
entdecken gewesen, 
auch bei dem mor- 


phologischen Bau 
kaum anzunehmen, Abb. 7. 
und so bleibt die Ur- Oseillarien strahlen geradlinig nach allen Seiten und ent- 


fernen sich dadurch voneinander. Mikrophotographie. 
sache der Bewegung 


durchaus rätselhaft. 

Dagegen fand man immer eine Schleimhülle, die den Faden um- 
gibt und in der er sich verschiebt, so daß er sich von der Stelle be- 
wegt, während die Scheide irgendwo festklebt. Die motorische Kraft 
ist demnach zwischen dem Faden und der Hülle tätig und die sich 
bewegenden Körnchen müssen an der sich drehenden Scheide kleben. 
Geklärt ist damit das Problem nicht. Da die Fadenstücke mehr als 
ihre eigene Länge in einer Richtung zurücklegen können, so muß 
beim Verschieben in der Scheide neue Gallertmasse abgeschieden 
werden. Ob aber diese Ausscheidung selbst die bewegende Kraft 
darstellt, ist nicht klar zu ersehen. Manche Beobachtung spricht 
dagegen. Da die Scheide im Wasser oft kaum zu sehen ist, scheint 
es manchmal, als bewegte der Faden sich frei ohne Stütze. In 
Wirklichkeit ist aber Berührung mit festen Körpern Bedingung für 


Pringsheim, Reizbewegungen. > 


1 


[0 0) 


II. Das pflanzliche Bewegungsvermögen. 


die Ortsbewegung. Allerdings genügt das Festkleben eines kleinen 
Punktes der Scheide (Correns 1897). 

Bei den kriechenden Desmidiaceen ist es sichergestellt, daß das 
Fortrücken durch Ausscheidung von Gallertmassen geschieht, die am 
Substrat festklebend durch ihre Verlängerung die Alge fortschieben 
(Klebs 1885). ‚Die fast stabförmigen Pleurotaenien z. B. heften 
das eine Zellende durch Gallertfuß am Substrat fest, das andere er- 
heben sie frei von demselben unter einem Winkel von 30—50° (Olt- 
manns 1905, S. 223)“. Beim Rutschen geht das freie Ende voran 
und pendelt dabei hin und her. Ähnlich verhalten sich andere Des- 
midiaceen, unter denen sich Closterium dadurch auszeichnet, daß 
es sich bei der Bewegung überschlägt und so bald das eine Ende, 
bald das andere auf der Unterlage rutschen läßt, während das freie 
schräg aufwärts gerichtet ist (Abb. 8). Doch können diese Organismen 
sich auch in liegender Stellung, parallel der Längsachse des Körpers 
fortbewegen, wie das besonders schön an in Agar eingeschmolzenen 
Individuen zu beobachten ist. Die Gallertmasse läßt sich dadurch 
sichtbar machen, daß man 
die Objekte in eine Auf- 
schwemmung von chine- 
sischer Tusche bringt. 
Alsdann erscheint sie weiß 
auf schwarzem Grunde. 


2, Es ist klar, daß dieses 
Abb. 8 Fortschieben schon kaum 

Closterium, sich auf einer Unterlage vorwärts schiebend. mehr als freie Ortsbewe- 
(mEROlizuuzn 33579052) gung angesehen werden 


kann. Ähnliche Gallert- 
stiele kommen auch bei Diatomeen vor. Da ihre Ausscheidung dort 
aber langsamer geschieht, schließen sich die dadurch bewirkten Orts- 
veränderungen an die der festgewachsenen Pflanzen an. 

In allen besprochenen Fällen geht die Ursache der Bewegung im 
Grunde auf die Tätigkeit des lebenden Plasmas zurück. Bei den 
Diatomeen liefert es unmittelbar die motorische Kraft, bei den 
Schwimmern bestehen die Geißeln aus einem modifizierten kontrak- 
tilen und elastischen Plasma und auch das Kriechen der Öscillarien 
muß, wie es auch zustande kommen mag, dem lebenden Plasma 
zugeschrieben werden. 

Viel unmittelbarer noch als bei den Diatomeen tritt uns 
die eigene Beweglichkeit des Protoplasmas bei denjenigen Organis- 
men entgegen, die einer festen Umgrenzung entbehren und unter 
Veränderungen ihrer Körpergestalt kriechen. Hierher gehören die 
Schleimpilze oder Myxomyceten und ihre, den tierischen Amöben 
ähnlichen Fortpflanzungszellen'). Auch kommen sie bei den Schwär- 

!) Man könnte allerdings wohl ebensogut die Amöben zu den Pflanzen und 


die Schleimpilze zu den Tieren rechnen. Wir legen auf solche Unterscheidungen 
keinen Wert. 


Freie Ortsbewegung. 19 


mern gewisser Pilze und Algen vor, aber in geringerer Aus- 
bildung. 

Die Schleimpilze stellen nackte Plasmamassen dar. Meist sind 
sie farblos oder gelblich, ohne feste Umgrenzung, aber durchaus 
nicht ohne innere Differenzierung. Nach außen sind sie von einer 
etwas zäheren klaren Schicht umgeben, die das leichter bewegliche 
„Körnerplasma‘“‘ umschließt. In diesem finden sich Zellkerne, Öl- 
und Wassertröpfchen, Nahrungsteilchen, die in fester Form auf- 
genommen werden und winzige Körnchen unbekannter Zusammen- 
setzung. Beobachtet man das ‚Plasmodium‘‘ eines Schleimpilzes 
unter dem Mikroskop, so sieht man an den meist reichen, aderartigen 
Verzweigungen eine lebhafte Gestaltveränderung, verbunden mit 
einem strömenden Fortrücken der Körnermasse im Innern (Abb. 9e). 
Alle Teile sind ständig in Bewegung, jedes Zweiglein verändert seinen 
Umriß entweder in welliger Bewegung oder durch das Austreiben 
von Spitzen, Höckern und dergleichen. Auch kann das Ganze fort- 
rücken, wenn die Hervortreibungen nach einer Seite stärker sind als 
nach der anderen, die sich dann zurückziehen muß. Dabei strömt 
das Plasma im Innern stets dorthin, wo eine Ausbuchtung angelegt 
wird. Durch solche, scheinbar regellose Bewegung kann aber doch, 
wie wir sehen werden, unter dem Einflusse von Reizen ein bestimmt 
gerichtetes Fortrücken zustande kommen, indem eine Bewegungs- 
komponente vor den anderen bevorzugt wird. 

Später zerfällt das Plasmodium unter besonderen Formgestal- 
tungen, die hier nicht zu besprechen sind, in Sporen, die der Ver- 
breitung dienen. Gelangen diese in günstige Umstände, so keimen 
sie, d.h. sie entlassen Schwärmer, die eine Geißel besitzen und nach 
Art der besprochenen Algenschwärmsporen im Wasser schwimmen 
können. Außerdem haben sie aber auch die Fähigkeit einer amö- 
boiden Gestaltveränderung, mit Hilfe deren sie zu kriechen vermögen 
(Abb. 9d). Beide Bewegungsarten können miteinander abwechseln. ‚Bei 
der kriechenden Bewegung liegt der Schwärmer dem festen Substrat 
auf, entweder wurmförmig nach einer Seite fortrückend, die Cilie (besser 
Geißel) vorangestreckt; oder rundliche Gestalt annehmend und wechselnd 
nach allen Seiten hin Fortsätze austreibend und wieder einziehend, 
nach Art von Amöben. Die Cilie ist hierbei oft völlig verschwunden, 
sie scheint eingezogen zu werden. Die kriechende Bewegung ist 
völlig derjenigen gleich, welche die frühere Protozoengattung Amoeba 
charakterisiert (De Bary 1866, 8. 303).‘“ Die Schwärmer vermehren 
sich durch Teilung. Schließlich verschmelzen sie paarweise zu neuen 
kleinen Plasmodien, deren Bewegungen und Formveränderungen mit 
den ihrigen durchaus übereinstimmen und die allmählich zu den 
großen Plasmamassen heranwachsen, wie sie vor der Sporenbildung 
zu beobachten sind (Jahn 1911). 

Über die Mechanik der Bewegungen, besonders bei den Amöben, 
ist viel geschrieben worden. Sie waren ein beliebtes Objekt für 


physikalisch-chemische Deutungen. Man glaubte die bewegende 
I%* 


20 Il. Das pflanzliche Bewegungsvermögen. 


Ursache in der Oberflächenspannung gefunden zu haben. Da aber 
diese Erklärung sicher nicht ausreicht und die ganze Angelegenheit 
noch recht verworren ist, wollen wir hier darauf nicht näher ein- 
gehen. Das Für und Wider hat Pfeffer (1904, S. 715ff) ausführlich 
erörtert. 

Neuerdings hat nun Dellinger (Jennings [1905] 1910) nachge- 
wiesen, daß nicht einmal die äußeren Erscheinungen immer mit dem 
Bilde übereinstimmen, das man sich 
früher davon gemacht und den physi- 
kalischen Untersuchungen zugrunde 
gelegt hat. Die Amöben vom Typus 
A. limax sind meist langgestreckt, 
ziemlich leichtflüssig, ihre Bewe- 
gung ähnelt einem Fließen. Der 
Typus A. verrucosa ist mehr rund- 
lich, die Außenschicht ziemlich 
starr, die Bewegung einem Rollen 
vergleichbar, was an der Bewegung 
kleiner Körperchen an der Ober- 
fläche ersichtlich wird. Der dritte 
Typus, der durch A. proteus ver- 
treten wird, zeichnet sich durch 
lappige, füßchenartige Ausstül- 
pungen aus. Da oft nur diese 
das Substrat berühren, kommt eine 
Art von Schreitbewegung zustande. 
Damit ist die Mannigfaltigkeit der 
beobachteten Formen durchaus 
nicht erschöpft. Das Gesagte möge 


e aber genügen. 

a 5 c 9 Innerhalb dieser Gruppe ist 
Ac Abb. 9. schon eine große Verschiedenheit 
I aut n E = es) 3 . 

' 0 Entwiekelung der Schleimpilze. der Formbeständigkeit zu konsta- 
Med) & Spore; b. Keimung; tieren, die beiden großen vielkernigen 

e. Schwimmender Schwärmer; : N | 

WA  Plasmodien der Schleimpilze am 
/ d. Amöbenstadium; e. Plas- i i . . ’ 

| modium. la dwergrößer geringsten ist. Diese fließen, wie 
(Aus Jost und Rosen.) erwähnt, in vielfach verzweigte 


Stränge auseinander und können 
sogar zerreißen und sich wieder vereinigen. Schon viel konstanter ist 
die Form der einkernigen Amöben, deren Arten nach der Gestalt 
unterschieden zu werden pflegen. Sie können rundlich und im Kriechen 
viellappig sein, die Lappen können ihrerseits abgerundet oder spitz 
sein, einen mehr oder weniger großen Teil der Gesamtmasse aus- 
machen usf. Auch kommen, wie erwähnt. langgestreckte Formen 
vor, die meist in einer bestimmten Richtung kriechen. Doch hängt 
die Gestalt oft auch von den äußeren Umständen ab. So ist die 
Form und Bewegungsweise bei den Myxomycetenschwärmern anders, 


Plasmabewegung. 21 


wenn sie frei im Wasser schwimmen als wenn sie auf festem Substrat 
kriechen. Manche Amöben strecken, falls sie im Wasser suspendiert 
sind, lange spitze Fortsätze aus, so daß sie etwa sternförmig werden. 
Kommt eine von diesen Spitzen mit einem festen Körper in Be- 
rührung, so heftet sie sich fest, das übrige Plasma wird nachgezogen 
und die Amöbe kriecht in mehr rundlicher Gestalt weiter. So sind 
noch viele Besonderheiten beobachtet worden, über die Jennings 
(1910, S. 2—14) berichtet. 

Noch weniger frei in ihrer Formgestaltung sind diejenigen Algen- 
und Chytridiaceenschwärmer, die nach ihrer Festheftung amöboide 
Bewegungen zeigen (z. B. Pascher 1909, S. 145), und die dazu be- 
fähigten Flagellaten, z. B. Euglenen. Diese geringer ausgebildete 
Veränderlichkeit der Form, die aber gleichwohl zum Kriechen be- 
fähigt, nennt man Metabolie. Die Unterschiede sind wohl durch die 
verschiedene Konsistenz der Hautschicht bedingt. Die Kuglenen 
(vergl. Abb.2, S.9) können mit Hilfe einer Geißel rasch schwimmen, dann 
sind sie langgestreckt, fischförmig. Oder sie können kriechen. Dabei 
sind sie kürzer und dicker, heften sich bald vorn, bald hinten an und 
kommen so durch abwechselndes Zusammenziehen und Ausstrecken 
des Körpers vorwärts. In der Ruhe werden sie nahezu kugelig. 
Darüber hinaus geht aber die Veränderlichkeit ihrer Körperform 
nicht, und es gibt nahe Verwandte, die wohl noch schwimmen können, 
aber eine zu steife Haut haben, als daß sie sich zu kontrahieren 
vermöchten. 


c) Plasmabewegung. 


Noch mehr in seiner Beweglichkeit beschränkt als bei den zuletzt 
genannten Organismen ist das Plasma in den starr behäuteten Zellen, wie 
sie — abgesehen von den wenigen erwähnten Fällen — bei den 
Pflanzen durchweg vorliegen. Innerhalb der durch die Zellwand ge- 
gebenen Grenzen ist aber oft eine Bewegungsfähigkeit zu finden, 
die der der Schleimpilze in vielem ähnelt. 

In den jüngsten Zellen, wie sie an den Vegetationspunkten 
durch Teilung entstehen, ist das ganze Zellinnere von Plasma erfüllt. 
Da bleibt kein Raum für ausgiebigere Bewegungen. Die Vermehrung 
des Protoplasmas hält aber nicht Schritt mit der Volumvergrößerung 
der Zelle, die hauptsächlich durch Wasseraufnahme vor sich geht. Es 
bilden sich anfangs kleine, bald größer werdende Flüssigkeitstropfen 
im Inneren, die sog. Vacuolen, zwischen denen schließlich nur schmale 
Plasmastränge übrig bleiben. Diese durchqueren den mit Flüssigkeit 
erfüllten Innenraum und münden in den Plasmaschlauch, der bei 
gesunden Zellen stets der Wand angeschmiegt ist (Abb. IA u. B). 

In den Strängen sieht man häufig eine lebhafte Strömung, die 
durch mitgeführte kleinste Körperchen erkennbar wird. Die Stränge 
selbst können dabei ihren Ort wechseln, durch Verschmelzen mit dem 
Wandbelag verschwinden und neu gebildet werden. Zuletzt werden 
sie beim Wachsen der Zelle ganz eingezogen, so daß dann der Plasma- 


23 Il. Das 


Abb. 10, 


Verschiedene Zustände aus der 
Entwickelung einer Pflanzenzelle. 
k. Kern; m. Zellwand; 

v. Vacuolen bzw. Saftraum; 
cy. Protoplasma. 

(Nach Strasburgers Lehrbuch.) 


pflanzliche Bewegungsvermögen. 


schlauch einen einheitlichen Zellsaftraum um- 
schließt (Abb. 100). Das Protoplasma kann 
auch in diesem Stadium bei vielen Objekten 
noch Bewegungen ausführen, die dann allein 
in Strömungen, nicht in Formveränderungen 
bestehen. 


Der strömende, körnerführende Teii des 
Plasmas ist wie bei den Schleimpilzen durch 
eine in relativer Ruhe befindliche glasklare 
Schicht gegen die Vacuole und die Zellulose- 
wand abgegrenzt. Eine ähnliche Schicht um- 
schließt auch die Stränge, die durch den 
Zellsaftraum gespannt sind. Hier macht sie 
zwar die schnelle Massenströmung nicht mit, 
ist aber bei den Formveränderungen wahr- 
scheinlich gerade der aktive Teil. 


In fast allen Pflanzen, die man darauf 
antersucht hat, ist unter Umständen und 
in gewissen Zellen Plasmaströmung gefunden 
worden. Besonders lebhaft sind sie in Haar- 
sebilden (Tradeskantiastaubfadenhaare, Haare 
an der Blumenkrone von Glockenblumenarten, 
Brennhaare von der Brennessel, Wurzelhaare) 
und in Wasserpflanzen (Elodea [Wasserpest |, 
Vallisneria, Hydrocharis |Froschbiß], Chara, 
Nitella). Dann auch in gewissen Pilzhyphen. 
Sie kann so große Kraft entfalten, daß Chloro- 
phylikörper und Kern mitgerissen werden. 
Leicht läßt sich das an den langen Zellen 
der Mittelrippe von Blättern der Wasserpest 
und von Vallisneria beobachten. Chloroplasten 
und Kern werden aber oft auch dann be- 
wegt, wenn sie bei kurzem Hinblicken in 
Ruhe zu sein scheinen. Sie können nämlich 
bei gewissen Einwirkungen ihre Lage ver- 
ändern. Da man nun an ihnen keine Be- 
wegungsorgane erkennen kann, nimmt man 
an, daß das Protoplasma die Verschiebung 
bewirkt. Ob es dazu bestimmte Differen- 
zierungen um Kern und Chlorophylikörper 
herum bildet, die gewissermaßen das Be- 
wegungsmittel darstellen, ist noch nicht sicher 
entschieden. Welchem Zweck diese Umlage- 
rungen dienen und durch welche Anstöße 
sie bewirkt werden, das werden wir in den 
speziellen Kapiteln erörtern. 


Wachstumsbewegungen. 23 


d) Wachstumsbewegungen. 


Wir haben gesehen, daß mit der Fortbildung der Pflanzen die 
freie Beweglichkeit allmählich zurücktrat. Je weiter die Ausnutzung 
des Sonnenlichtes getrieben wurde, desto seßhafter wurden sie. Nur 
die männlichen Fortpflanzungszellen erreichten schließlich noch 
schwimmend das zu befruchtende Ei. 

Mit dem Übergange zum Landleben wurde auch dieser Zustand 
unhaltbar. Die Moose, die nur wachsen, wenn ihre Polster von 
Wasser durchtränkt sind, und die Farnpflanzen, bei denen wenigstens 
die Geschlechtsgeneration dem feuchten Boden angepreßt oder ein- 
gesenkt bleibt, konnten die alte Einrichtung aufrecht erhalten; aber 
die Samenpflanzen machten sich von der Mithilfe des Wassers bei 
der Befruchtung frei. Ihr Blütenstaub wird durch den Wind oder 
durch Insekten zur Narbe getragen. Wo bei den Vorfahren der 
männliche Geschlechtskeim schwimmend das Ei zu erreichen suchte, 
da wächst jetzt ein schlauchartiges Gebilde aus dem Pollenkorn 
heraus und trägt den Befruchtungsstoff in die Samenknospe: Die 
freie Beweglichkeit ist durch wohlgeleitetes Wachstum 
ersetzt. Hiermit fiel das letzte Überbleibsel einer ungebundeneren 
Lebensweise. 

Im übrigen waren die grünen Pflanzen schon längst davon ab- 
gekommen, geeignete Lebensbedingungen durch Ortsveränderungen 
aus eigener Kraft zu gewinnen. Ihre Sporen und Samen müssen 
da keimen, wo sie zufällig hinfallen und liegen bleiben. An diesen 
Standort bleibt die Pflanze während ihres ganzen Daseins gebannt. 
Aber die Wurzel bei ihrem Vordringen im Boden, Stengel und Blätter 
beim Herausarbeiten aus der Erde und beim Ausbreiten an Luft 
und Licht haben die Fähigkeit, die ihrer Aufgabe entsprechende 
Lage zu erreichen. Auch dabei ist das Hauptbewegungsmittel der 
höheren Pflanze das Wachstum. 

Dasselbe starr umschließende Zellhautgerüst, das das Plasma 
hindert frei umherzukriechen oder Bewegungsorgane auszustrecken, 
gibt der festgewurzelten Pflanze die Möglichkeit zu manniesfaltigen 
Biegungen und Drehungen, die ihre Orientierung zu den einwirkenden 
Kräften der Außenwelt bewirken. Der aktive Teil ist dabei stets der 
lebende Zellinhalt. Der Zellwandstoff dient nur als Baumaterial, das 
durch ungleiche Anlagerung oder elastische Dehnung eine Gestalts- 
veränderung der Zelle erlaubt. 

Nur ganz im Anfang wachsen Wurzel und Sproß des keimenden 
Samens in der Richtung weiter, die sie durch Zufall inne hatten. 
Bald biegt sich die Spitze des Würzelchens abwärts, der Stengel mit 
den ersten Blättern aufwärts. So gewinnt jeder Teil, durch die ver- 
schiedensten Reize geleitet, die Orientierung, die er zur Ausübung 
seiner Funktion nötig hat. 

Betrachten wir nun eine junge Wurzel genauer. Wie kommt 
es, daß sie trotz ihrer Zartheit die Fähigkeit und Kraft hat, in die 


24 Il. Das pflanzliche Bewegungsvermögen. 


Tiefe des Bodens einzudringen? Wir sehen, daß die Spitzeder Wurzel 
kegelförmig ausläuft. Sie zeigt also die beste Form Widerstände zu 
überwinden, dem physikalischen Gesetze des Keils entsprechend. 
Außerdem ist sie von einer Art Kappe umgeben, deren äußere 
Zellen absterben und verschleimen (Abb. 11). Dadurch wird die Rei- 
bung am Boden vermindert, ähnlich wie 
wenn man den Keil beim Holzspalten ein- 
seifte oder schmierte.. Im Schutze der 
Kappe, der sog. Wurzelhaube findet eine 
beständige Vermehrung der Zellen statt. Ein 
Teil dient zur Erneuerung der sich ab- 
nutzenden Haube. Die anderen aber ordnen 
sich in Zylinderform und vermehren ihr 
Volumen, vor allem in der Längsrichtung. 
Eben das nennt man Wachstum. 

Die eigentliche Streckung findet bei 
der Wurzel in einer verhältnismäßig kurzen 
Zone hinter der Wurzelhaube statt. Durch sie 
wird die Spitze vorwärts getrieben, während 
die älteren Teile sich durch schlauchför- 
mige Auswüchse, die Wurzelhaare, an 
den Bodenpartikelchen verankern (Abb. 11). 
Wäre die Wachstumszone länger, bestünde 
also ein größerer Zwischenraum zwischen 
Spitze und festgehefteter Partie, so könnte 
die Wurzel unter dem Drucke seitlich aus- 
weichen. Man denke daran, wie ein langer 
Nagel sich beim Einschlagen leichter ver- 
biegt als ein kurzer. Luftwurzel und Stengel 
haben eine längere Streckungszone. Sie 
haben ja auch gewöhnlich keine Hinder- 
nisse zu überwinden. Wenn sich aber solche 
bieten, dann wird hier gleichfalls das Wachs- 
tum auf ein kürzeres Stück beschränkt. 
Das kann oft genug vorkommen, z. B. wenn 
eine Luftwurzel in die Erde eindringt oder 
ein Stengel sich aus dem Boden heraus- 


Abb. 11. arbeiten muß. 
Rapswurzel, schwach ver- Im übrigen findet das Wachstum der 
erößert, Wurzelhaube und . F . 3 
a ulvendn, Stengel in ganz derselben Weise statt wie 


das der Wurzeln. Der zarte Teil, in dem die 
Teilung und Vermehrung der jungen Zellen stattfindet, und den man 
den Vegetationspunkt nennt, wird hier anstatt von einer Haube, von 
Blättern bedeckt, die ihn als Knospe umhüllen. Auf die Zell- 
vermehrung folgt die Zellstreckung und schließlich die innere Aus- 
gestaltung, bei der auch die Festigkeit durch Verdickung der Zell- 
wände erhöht wird. 


Wachstumsbewegungen. 25 


Gerade die jungen Teile aber, die die Überwindung von Hinter- 
nissen durch ihr Wachstum aktiv bewirken, haben dünne Zellwände. 
Diese werden gespannt durch den Innendruck des Wassers, das jede 
Zelle enthält. Dieser „Turgordruck ‘stellt die bewegende Kraft beim 
Wachstum dar. Von ihrer Größe gibt uns die Beobachtung von Felsen 
die durch Baumwurzeln gesprengt werden, einen Begriff. Daß einem 
Gefüge unzähliger prall gefüllter Bläßchen, wie sie die jungen und 
die nicht verholzten älteren Pflanzenteile darstellen, solche Kräfte 
innewohnen, will uns erst schwer begreiflich erscheinen, und doch 
müssen wir uns an diesen Gedanken gewöhnen. Das ist eben, neben 
anderem, der Nutzen der feinen Kammerung des Pflanzenkörpers, 
daß der darin befindliche Saft einem Druck von außen nicht seitlich 
ausweichen kann, wie er es täte, wenn ein einziger großer Hohlraum 
vorhanden wäre. 


Will man das Wachstum eines Pflanzenteiles studieren,') so muß 
man genaue Messungen ausführen. Vielfach genügt es, die gesamte 
Verlängerung innerhalb einer gewissen Zeit mit einem Maßstabe 
festzustellen. Für feinere Untersuchungen wird das Fortrücken der 
Spitze auf mechanischem oder optischem Wege vergrößert. 


Zur mechanischen Vergrößerung benutzt man Zeiger mit zwei verschieden 
langen Hebelarmen, von denen der kürzere durch einen Faden an der Pflanze 
befestigt ist, und der längere an einem Gradbogen (Zifferblatte) spielt. Oder man 
verwendet ein Wellrad, d. h. zwei aneinander befestigte, an gleicher Achse leicht 
drehbare Rollen. Ein Faden ist über die kleinere Rolle gelegt, auf einer Seite 
an der Pflanze befestigt, auf der anderen durch ein Gegengewicht stramm 
gehalten. Ein zweiter Faden geht über die größere Rolle, trägt einen Zeiger 
und wieder ein Gegengewicht. Der Zeiger wird meist als Schreibspitze ausgebildet 
und zieht Striche auf einem berußten Zylinder, der durch ein Uhrwerk in 
langsame Drehung versetzt wird. Es entsteht dann eine Schraubenlinie, deren 
Windungen um so weiter voneinander entfernt sind, je größer das Wachstum 
innerhalb der Umdrehungszeit war. Kennt man das Verhältnis im Durch- 
messer der beiden Rollen, so kann man aus dem Abstand der Linien die 
Wachstumsgeschwindigkeit der Pflanze berechnen. Einen solchen selbst- 
registrierenden Apparat, wie ihn Sachs im Jahre 1870 zuerst anwandte, nennt 
man ein Auxanometer. 

Zur optischen Vergrößerung der Wachstumsbewegungen kann man die 
Visierlinie benutzen, die von der Spitze des Stengels oder der Wurzel usw. nach 
einem bestimmten Punkte geht. Man zeichnet die Stellen, wo diese Linie eine 
Glasplatte schneidet, auf dieser periodisch auf. Das Fortrücken der Visier- 
punkte deutet das Wachstum an. Es ist das die Methode, die Darwin in seinen 
Versuchen über das Bewegungsvermögen der Pflanzen ([1880] 1899) anwandte. 
Sie ist aber nicht sehr genau. Für exaktere Messungen muß man ein Fernrohr 
oder ein Mikroskop mit horizontalem Tubus anwenden. Bei kurzen Beobachtungen 
wird das Fortrücken der Spitze des Pflanzenteils auf einer im Okular an- 
gebrachten Skala abgelesen, bei längeren folgt man der Bewegung durch Ver- 
änderung der Höhe des Instrumentes. Sie wird durch eine feine Schraube 
bewirkt und kann vergrößert abgelesen werden. 


Mit all diesen Methoden stellt man die Gesamtverlängerung des 
Objektes fest. Wir wissen aber schon, daß die Streckung keines- 


1) Methodische Anleitung kann man den Büchern von Detmer (1905) 
und Linsbauer (1911) entnehmen. 


26 1I. Das pflanzliche Bewegungsvermögen. 


wegs in allen Teilen oder Querzonen gleichmäßig verläuft. Will man 
sich über die Verteilung des Wachstums in einem Organe unter- 
richten, so muß man Stück für Stück messen. Wo keine natürliche 
Einteilung, etwa durch den Ansatz der Blätter, gegeben ist, wird 
eine solche künstlich hergestellt. Das geschieht am besten durch 
feine Striche oder Punkte, die in bestimmten Abständen mit schwar- 
zem Lack oder chinesischer Tusche aufgetragen werden. 


Will man z. B. die Wachstumsverteilung in einer Wurzel feststellen, so 
benutzt man am besten Keimwurzeln von großsamigen Pflanzen, Pferdebohnen 
(Vicia Faba) oder Erbsen (Pisum sativum), Bohnen (Phaseolus multiflorus) u. dgl. 
Diese werden überhaupt für pflanzenphysiologische Versuche gern benutzt, weil 
sie sich jederzeit frisch in beliebiger Menge beschaffen lassen. Man wird da- 
durch einigermaßen unabhängig von der Jahreszeit. 

Um gutes Material heranzuziehen geht man folgendermaßen vor: Die 
Samen werden in mehrmals gewechseltem Wasser einen Tag eingequollen und 
dann in mäßig, aber gleichmäßig feuchten Sägespänen zur Keimung gebracht. 
Oder man füllt feuchten Sand in flache Kästen, drückt die Samen oberfläch- 
lich hinein, und stellt die mit einem Deckel verschlossenen Kästen aufrecht. 
Durch Abheben des Deckels kontrolliert man den Keimungszustand der ober- 
flächlich liegenden Wurzeln (Giltay 1910). Zu genaueren Versuchen muß man 
eine große Menge möglichst gleichmäßigen Materials haben, das man täglich 
frisch ansetzt. So verbrauchte Sachs zu seiner Arbeit über das Wachstum der 
Haupt- und Nebenwurzeln (1873) „nicht weniger als 10 Kilo Samen von Faba, 
also über 3000 Stück und etwa 2 Kilo Erbsen.“ 

Sind die Wurzeln einige Millimeter lang, so können sie verwendet werden. 
Man spült sie in Wasser ab, trocknet sie vorsichtig mit Fließpapier und macht 
nun mit einem in schwarze chinesische Tusche getauchten spitzen Hölzchen 
oder einem feinen Pinsel möglichst zarte Striche quer über die Wurzel im Ab- 
stand von etwa 1—2 mm, je nach Bedarf. Man fängt dabei hinter der Wur- 
zelhaube an, weil diese ja für das Wachstum nicht in Betracht kommt (vergl. 
Abb. 18, S. 37). Nachher werden die Wurzeln wieder in ihr Kulturmedium 
zurückgebracht. Nach einiger Zeit, z. B. am nächsten Tage, kann dann das 
Wachstum festgestellt werden. Man sieht, welche Zone sich am meisten ver- 
längert hat, sie liegt bei großen Wurzeln einige Millimeter hinter der Spitze. 

In entsprechender Weise werden Stengelorgane behandelt. Vielfach wer- 
den auch hierzu Keimpflanzen verwendet, z. B. solche von der Pferdebohne, 
der Sonnenrose, Lupinen u. dgl., die man in Erde pflanzt. Natürlich kann 
man auch flächige Organe, wie Blätter, in derselben Weise markieren. Man 
fügt dann noch "Messungen in der Querrichtung hinzu. Will man gebogene 
Objekte oder den Umfang eines zylindrischen Organes auf dieselbe Weise messen, 
so muß man die Abstände der Marken so klein machen, daß Bogen und Sehne 
gleichgesetzt werden können. Oder man benutzt biegsame Maßstäbe, z. B. Strei- 
fen von Millimeterpapier. 

Für ganz genaue Messungen oder sehr kleine Objekte muß man wieder 
das Mikroskop zu Hilfe nehmen. Nach Pfeffer verfährt man dabei so, daß 
nicht der ganze aufgetragene Markierungspunkt als Marke dient. Der wäre 
viel zu grob. Auch wird er beim Wachsen auseinandergezogen. Man stellt 
deshalb auf eine leicht kenntliche Ecke ein, wie sie sich bei mikroskopischer 
Betrachtung stets findet, und hält deren Lage und Form durch eine kleine 
Skizze fest. 

Von den geschilderten Methoden muß man nun nach Bedarf auswählen, 
zu feine Messungen sind ebenso fehlerhaft wie zu grobe. Erstere haben keinen 
Wert, weil sie von Zufälligkeiten zu stark beeinträchtigt werden. Letztere 
lassen vielleicht wichtiges übersehen. 

Dieselben Mittel wendet man nun an, um über die Mechanik 
der Krümmungsbewegungen Aufschluß zu erlangen. Wie wir schon 


Wachstumsbewegungen, rt 


gehört haben, werden diese meist durch Wachstum vermittelt. An 
einer Wurzel z. B., die ihre Spitze in die Erde versenkt, kommt 
die Krümmung dadurch zustande, daß die obere Flanke gegenüber 
der unteren im Wachstum gefördert wird. Man stellt das fest, in- 
dem man auf beiden Seiten markiert und nach der Krümmung mißt. 
Dann haben sich die Striche auf der konvexen Seite mehr von- 
einander entfernt als auf der konkaven. Es zeigt sich dabei gleich- 
zeitig, daß die Reaktion in der Zone stattfindet, die auch bei der 
geraden Wurzel am raschesten wächst. Entsprechend verhält es sich 
meist auch bei Stengel- und Blattorganen. 

Die Reizkrümmungen kommen im allgemeinen so zustande, daß 
die eine Flanke ihr Wachstum beschleunigt. die andere es verzögert. 
Die dazwischen liegenden Längsstreifen zeigen dann den allmählichen 
Übergang. Einer von ihnen ist indifferent, d. h. er streckt sich mit 
derselben Geschwindigkeit wie bei geradem Wachstum. Würden plötz- 
liche Sprünge in der Wachstumsschnelliskeit benachbarter Längs- 
streifen vorkommen, so könnte kaum eine geregelte Krümmung des 
sanzen Organes erfolgen, vielmehr wären Zerreißungen zu befürchten. 
Das geschilderte Verhalten ist also der Ausdruck eines zweckmäßig 
regulierten Zusammenarbeitens der Teile, bei dem jeder Zelle eine 
bestimmte Aufgabe zukommt. 

Jede Bewegung und jedes Geschehen im Organismus muß dauernd 
einheitlich geregelt werden. Denn eine Gleichförmigkeit der inneren und 
äußeren Bedingungen kommt nicht vor. Immer sind äußere Kräfte 
mit im Spiel, die in Wechselwirkung mit den inneren das organische 
Geschehen beeinflussen und zu verändern suchen. Wenn dann ein 
Teil sich so, der andere so verhielte, ohne Rücksicht aufeinander, 
so müßte der Organismus zugrunde gehen. Bei der Pflanze ist zwar 
die Selbständigkeit der Teile etwas größer als beim höheren Tier. 
Sie ist aber auch hier immer beschränkt dadurch, daß das Ganze 
äußeren Eingriffen gegenüber in weitem Maße einheitlich reagiert. 

Daher müßte eine lebendige Verknüpfung der einzelnen Plasma- 
körper durch die tote Zellwand hindurch theoretisch gefordert wer- 
den, auch wenn sie nicht schon nachgewiesen wäre. Es sind näm- 
lich außerordentlich feine Fäden, die die Zellwände durchsetzen, 
durch besondere Präparationsmethoden sichtbar gemacht worden. 
Ihnen kann man ohne Bedenken die Funktion der lebenden Leitung 
zuschreiben (Tangl 1884). Sie dienen wohl neben der Fortpflanzung 
von Reizen auch dem Stofftransport, jedenfalls aber der Verknüpfung 
der Zellen zu einem einheitlichen Ganzen. Da außerdem stoflliche 
Beeinflussung nicht immer von der durch Reize getrennt werden 
kann, ist ihre Existenz so und so für uns von großer Bedeutung. 

Wie wir gesehen haben, wird zur Ausführung von Krümmungs- 
bewegungen in wachsenden Pflanzenteilen eine stets vorhandene 
Kraft, das Ausdehnungsbestreben der Zellen, benutzt. Die Wirkung 
dieser Kraft wird nur in anderer Weise als beim gewöhnlichen Wachs- 
tum reguliert, teils gehemmt, teils gefördert. Die Pflanze verhält 


28 ll. Das pflanzliche Bewegungsvermögen. 


sich ähnlich wie ein Raddampfer, der gerade ausfährt, wenn beide 
Räder sich gleichmäßig bewegen, aber einen Bogen macht, wenn 
das eine sich schneller dreht als das andere. Dabei kann die be- 
wegende Kraft im Ganzen dieselbe bleiben. So kann auch bei der 
Krümmungsbewegung einer Pflanze das durchschnittliche Wachstum, 
wie es etwa an der Verlängerung der Mittellinie zwischen Ober- und 
Unterseite gemessen wird, gleich bleiben. Das braucht aber nicht 
der Fall zu sein. Oft regt der Reiz, der eine Krümmung herbei- 
führt, auch ein schnelleres Wachstum an, wodurch die Bewegung be- 
schleunigt wird. 

Neben den Krümmungen kommen auch Drehungen wachsender 
Pflanzenteile vielfach vor. Sie sind dadurch charakterisiert, daß vor- 
her gerade Kanten schraubige Gestalt annehmen, daß das Organ 
sich also tordiert. Torsionen finden sich an den Stielen dorsiventraler 
Organe, d. h. solcher, die sich nur durch eine Ebene in zwei sym- 
metrische Hälften teilen lassen und deren Ober- und Unterseite un- 
gleich ausgebildet sind. Wir finden diesen Fall bei den meisten 
Blättern und manchen Blüten, wie denen des Rittersporns oder der 
Orchideen. Solche dorsiventrale Organe können durch Krümmungen 
allein oft nicht in die richtige Lage zur Schwerkraft oder dem Lichte 
gebracht werden. Es bedarf dazu einer Drehung ihrer Stiele, die 
meist durch Wachstum vermittelt wird. Es ‚erfährt das Membran- 
wachstum der einzelnen Zellen in schiefer Richtung zu ihrer Längs- 
achse eine Zu- oder Abnahme. Damit ist ein Torsionsbestreben der 
einzelnen Zellen gegeben, welches auch die Torsion des ganzen Or- 
gans bedingt“ (Schwendener u. Krabbe [1892] 1898). Ist das eine 
Ende eines sich so tordierenden Stieles festgelegt, so dreht sich das 
andere um seine Längsachse und bringt so daransitzende Blätter 
oder Blüten in eine neue Lage. 

Sehen wir uns nun noch etwas die Bedingungen an, unter denen 
das zu Krümmungen oder Torsionen führende Wachstum zustande 
kommen kann. Zum Wachsen ist die Zufuhr von Nährstoffen und 
Wasser erforderlich. Letzteres vor allem ist unentbehrlich; denn da 
der junge Pflanzenkörper zum größten Teil aus Wasser besteht, findet 
auch die Volumzunahme hauptsächlich durch Wasseraufnahme statt. 
Ohne diese kann also auch keine Wachstumsbewegung stattfinden. 
Trotzdem kann auch ein abgeschnittener Pflanzenteil, wenn er nicht 
zu klein ist, meist noch Krümmungen ausführen. Wasser und 
Nährstoffe sind nämlich in einem gewissen Überschuß vorhanden, 
die eine Zeit lang zum Wachsen ausreichen. Sie wandern dabei 
an die Stelle des Bedarfs. Damit die junge Spitze ihr Volumen 
vermehren könne, muß das dazu erforderliche Wasser älteren aus- 
gewachsen Teilen entzogen werden, die hierbei welken (Pringsheim 
1906). Ähnliches findet auch bei der intakten Pflanze statt; nur 
daß dann das fehlende Wasser durch die Wurzeln von außen nach- 
gesaugt wird, ehe das Welken beginnt. Der Mangel an Nährstoffen 
macht sich erst später bemerkbar, so daß abgeschnittene Pflanzen- 


Wachstumsbewegungen. 29 
teile, falls ihnen Wasser zugeführt wird, vielfach noch ziemlich lange 
und fast in normaler Weise wachsen können. Da man oft nicht umhin 
kann, isolierte Stengel u. dgl. für Versuche zu verwenden, sind die 
geschilderten Verhältnisse für uns von Bedeutung. Doch muß man 
sich von der Wachstumsfähigkeit stets erst überzeugen, ehe man 
Reizversuche anstellt. 

Außer Wasser und Nährstoffen braucht die Pflanze auch einen 
gewissen Wärmegrad, um zu wachsen. Bei einer mittleren Tempe- 
ratur, und zwar wohl stets einer höheren als sie der Pflanze durch- 
schnittlich zur Verfügung steht, findet das Wachstum am schnellsten 
statt. Von da an nimmt es nach oben und nach unten zu ab, um 
bei gar zu hoher oder zu niedriger Temperatur stillzustehen, ohne 
daß dabei gleich der Tod eintreten müßte. Man spricht dann mit 
Sachs von Wärme- und Kältestarre. 

Auch Sauerstoff zum Atmen muß im allgemeinen vorhanden sein. 
Die Veratmung, d. h. langsame Verbrennung von Nährstoffen, ist 
normaler Weise die einzige Kraftquelle, die der Pflanze zur Ver- 
fügung steht. Zum Wachsen aber gehört Kraft. Die Widerstände, 
die eine in den Boden eindringende Wurzel überwinden muß, sind 
sogar recht erheblich. Auch beim Aufrichten eines umgefallenen 
langen Getreidehalmes mit Blättern und Ähre muß in den Zellen der 
Unterseite einiger der unteren Knoten, welche die Hebung durch 
ihr Wachstum bewirken, eine große Kraft auf kleinem Raume wirk- 
sam sein (vergl. Abb. 20, S. 55). 

Über mechanische Beeinflussung des Wachstums ist nicht viel 
zu sagen. Stärkeren Eingriffen gegenüber gibt die wachsende Sub- 
stanz wie eine plastische Masse nach. Hört der Zwang auf, so wird 
die dadurch hervorgerufene Formveränderung durch Wachstum wie- 
der ausgeglichen. Ist dieses aber inzwischen erloschen, so bleibt die 
aufgedrungene Gestalt erhalten. So kann man Spalierobst nach einem 
bestimmten Plane ziehen!) und Früchten durch Überstülpen irgend- 
eines Gefäßes eine bestimmte Gestalt geben. Andererseits aber wissen 
wir auch, daß die Pflanze der Gewalt nicht immer einfach nachgibt. 
Zug in der Längsrichtung eines wachsenden Stengels hemmt z. B. 
das Wachstum gerade anstatt die Streckung zu beschleunigen. Hier 
spielt also schon eine besondere Reizwirkung hinein. 

Was bisher über Wachstumsbewegung gesagt wurde, bezog sich 
auf die höheren Gewächse: Blüten- und Farnpflanzen. Entsprechende 
Reizkrümmungen kommen aber auch bei den niederen Pflanzen all- 
gemein vor, trotz ihres abweichenden Baues. So sind die kompakten 
Fruchtkörper der Hutpilze aus vielfach verschlungenen Fäden ge- 
bildet, von denen jeder einzelne an der Spitze weiterwächst. Das 
ganze Gebilde zeigt, wie bekannt, eine charakteristische Gestaltung. 
Es müssen also alle die vielen Pilzfäden einträchtig zusammen wachsen, 


j 1) Inwiefern dabei noch das Beschneiden von Wichtigkeit ist, soll hier 
nicht erörtert werden. 


30 II. Das pflanzliche Bewegungsvermögen. 


und, falls Reizkrümmungen ausgeführt werden, sich in gesetzmäßiger 
Weise ungleich verlängern und biegen. 

Einfacher liegen die Verhältnisse bei den einfachen fädigen Zell- 
reihen vieler Pilze und der Fadenalgen, sowie den ungekammerten 
Schläuchen mancher Pilze (Mucorineen) und Algen (Siphoneen). Alle 
diese können gleichfalls Krümmungsbewegungen ausführen, die durch 
ungleiches Wachstum der Flanken zustande kommen. Spirogyrafäden 
z. B. können vermöge ihrer Wachstumskrümmungen drehende Be- 
wegungen ausführen und sich dabei von Hindernissen befreien. Sie 
können sich aus dem Schlamm herausarbeiten, auch an Gegenständen, 
sogar den senkrechten Wänden von Glasgefäßen hinaufschieben und 
dabei bestimmte Richtungen bevorzugen, die sie in günstige Verhält- 
nisse bringen. Pilzfäden durchziehen ähnlich den Wurzeln ihr Sub- 
strat und suchen nahrungsreiche Stellen auf. Bei der Sporenbildung 
schicken sie oft besondere, aufrechte Fäden an die Luft empor, die 
ihrer Aufgabe gemäß andere Reizbarkeiten besitzen. 

Mit ‚„Schimmelpilzen‘“ sind wegen ihrer leichten Kultur, die sie auch für 
Ernährungsversuche so brauchbar macht, zahlreiche reizphysiologische Experi- 
mente angestellt worden. So sind die Sporangienträger von Mucorineen, be- 
sonders die des großen Laboratoriumsschimmelpilzes Phycomyces nitens, der 
mehr als 25 cm lang wird, ein stets auf feuchtem Brot leicht zu ziehendes, 
schnell wachsendes und reizbares Material, das neben den verschiedenen Keim- 
pflanzen besonders oft zur Entscheidung von Fragen auf unserem Gebiete her- 
angezogen wurde. 

Bei der zuletzt besprochenen Gruppe von Pflanzen kommt eine 
Krümmung nicht durch ungleiches Wachstum verschiedener, sondern 
der Flanken ein- und derselben Zelle zustande. Wie die Pflanze 
überhaupt die Fähigkeit hat, das Wachstum der Zelle, oder was hier 
zunächst in Betracht kommt, der festen Zellwand, nach Bedarf 
zu regulieren, so kann sie auch innerhalb einer Zelle die Gegenseiten 
verschieden stark verlängern. Dadurch muß aber eine Krümmung 
entstehen, die also hier gleichfalls an das Wachstum gebunden ist und 
meist von der sich am raschesten streckenden Zone ausgeführt wird. 

Es konnte an dieser Stelle nur ein kurzer Überblick über die 
wichtigsten Erscheinungen des Wachstums gegeben werden, das uns 
ja nur insofern interessiert, als es die Pflanze zu Reizbewegungen 
befähist. 


e) Turgorbewegungen. 


Neben der Wachstumskrümmung haben manche höheren Pflanzen 
noch eine andere Bewegungsmöglichkeit. Die Größe der Zellen und 
damit das Volumen ganzer Gewebepartien kann sich nicht nur durch 
das Wachstum der Zellwände, sondern auch durch eine Variation 
ihrer elastischen Dehnung verändern. Die Pflanzenzellen stellen, wie 
geschildert, ringsum geschlossene Blasen dar, die durch den Druck 
des darin befindlichen Wassers gespannt und steifgemacht werden. 
Man denke zur Veranschaulichung an einen aufgeblasenen Gummi- 
ballon, dessen Form durch die Elastizität der Wand und den Druck 


Turgorbewegungen. 31 


der Innenluft bedingt ist. Verändert sich der Innendruck oder 
„Lurgor“ der Zelle, so können die Wände (innerhalb gewisser 
Grenzen) nachgeben, ähnlich wie der Gummiballon kleiner oder größer 
wird, je nachdem Luft herausgelassen oder hineingeblasen wird. 
Wenn nun ein Pflanzenorgan aus solchen Zellen mit elastischen 
Wänden besteht, und der Wassergehalt je nach den äußeren Um- 
ständen wechselt, so kann das Volumen sich recht merklich ver- 
ändern. Je nach den sonstigen Bedingungen kann dabei eine Ver- 
kürzung und Verlängerung in einer bestimmten Richtung oder auch 
eine Krümmung und sonstige 
Formveränderung entstehen. 
Der ersterwähnte Fall der 
geradlinigen Turgorbewegung 
ist bei gewissen reizbaren Staub- 
fäden zu finden, bei denen eine 
weitgehende elastische Dehnung 
in der Längsrichtung besteht. 
Äußere Anstöße, die eine Tur- 
gorsenkung veranlassen, z. B. 
verschiedene Reize, bewirken 
demnach eine merkliche Ver- 
kürzung. (Vergl. 8. 232.) 
Weit verbreiteter sind aber 
die durch Turgoränderung be- 
wirkten Krümmungsbewegun- 
gen, wie sie vor allem die sogen. 
Gelenkpolster der Blätter als be- 
sondere Bewegungsorgane aus- 
zeichnen. 
Sie kommen in großer 
Verbreitung bei den Legumi- 
nosen und Oxalideen, aber auch 


sonst vielfach vor und ver- Abb. 19. 
mitteln deren Schlaf- und Reiz- Zweig von Amicia, die Gelenke an der Ansatz- 
bewegungen. Die Polster sind stelle der Blattstiele zeigend. 


annähernd zylinderförmige Ge- 

bilde, die am Grunde der Blätter oder den Ansatzstellen der Teil- 
blättchen sitzen und sich in Gestalt und Farbe vom Blattstiel ab- 
heben (Abb. 12). Sie vermögen sich dadurch zu krümmen, daß Ober- 
und Unterseite durch ungleiche Verschiebung des Innendruckes der Zellen 
ihr Volumen verändern. Wird z. B. das der oberen Polsterhälfte 
größer, so muß sich das Gelenk nach unten biegen und ein daran 
sitzendes Blatt sich senken usf. 

In welcher Weise bei der Bewegung in den Zellen der Gelenk- 
polster der veränderte Innendruck (Turgor) zustande kommt, darüber 
wissen wir nicht viel. Da außerdem ein und dasselbe Gelenk sich 
je nach den Ursachen, die die Bewegung hervorrufen, verschieden 


32 Il. Das pflanzliche Bewegungsvermögen. 


verhält, so müssen wir die Einzelheiten in den speziellen Kapiteln 
besprechen. Wir werden dann sehen, daß ungleiche Zunahme des 
Innendruckes vorkommt, aber auch Zunahme in der einen Hälfte, 
Abnahme in der anderen und schließlich auch nur Abnahme in einer 
Polsterhälfte. 

Da die nicht dehnbaren Gefäßbündel oder Adern, die in das 
Blatt eintreten, sich auch durch die Gelenke hindurchziehen, so muß 
durch ihre Lagerung dafür gesorgt sein, daß sie die Bewegung nicht 
hemmen. Sie sind daher bei diesen Organen in die Mitte gerückt, 
während sie im übrigen Blattstiel und im Stengel mehr nach außen 
liegen. In dieser Lage können sie die Krümmung nicht wesentlich 
hemmen, da die Mittelachse ihre 
Länge annähernd beibehält (Abb. 
13). Außer bei den Blattgelenken 
gibt es Krümmungen durch Tur- 
sorveränderung noch in manchen 
anderen Pflanzenorganen, so bei 
reizbaren Blütenteilen. 

Die Bewegung in Gelenken 
und überhaupt die Turgorbewe- 
gung ist der durch Wachstum be- 
wirkten in mehrfacher Weise über- 
legen. Sie darf wohl als eine 
hochausgebildete Anpassung an 
bestimmte Verhältnisse angesehen 
werden, unter denen eine weit- 
gehende Beweglichkeit zweckdien- 
lich ist. Sie findet sich in Über- 

Abb. 13. einstimmung damit nur bei ver- 
Hauptgelenk eines Bohnenblattes mit hältnismäßig jungen, auch sonst 


dem Stengel und dem Blattstiel, längs durch- 
schnitten. Im Stengel und im Blattstiel bilden stark spezialisierten Pflanzenfami- 


die Gefäßbündel, die sich hell abheben, einen z ee 5 $ & 
Hohlzylinder, während sie das Gelenk als zen- lien. Die Vorteile liegen einmal 
ee in der meist großen Schnelligkeit 
der Bewegung, wie sie durch 
Wachstum kaum erzielbar ist und die bei manchen Pflanzen an die 
der Tiere heranreicht. Ferner stellen die durch wechselnden Innen- 
druck betätigten Bewegungsorgane auch insofern eine höhere Stufe 
dar, als sie ihr Spiel beliebig oft wiederholen und in den alten Zu- 
stand zurückkehren können. Ein durch Wachstum gekrümmtes 
Organ dagegen kann nie mehr ganz die alte Gestalt annehmen. Es 
kann zwar wieder gerade werden, aber auch nur wieder durch 
Wachstum; und dabei verlängert es sich. Das muß schließlich ein- 
mal ein Ende haben. Daher kann ein Organ nur eine beschränkte 


Zahl von Wachstumsbewegungen ausführen. 


Das ist ein ökologisch wichtiger Punkt. Die Blätter z. B. leben noch 
lange, nachdem sie die endgültige Form und Größe erreicht haben. Dann 
können sie sich nur noch bewegen und die für ihre Funktion günstigste 


Turgorbewegungen. 33 


Stellung aufsuchen, wenn sie Gelenke haben. Zwar haben gewisse Stengel, 
z. B. die der Gräser, in ihren Knoten auch eine Art Bewegungsorgan, das 
durch erneute Streckung noch funktioniert, wenn der Halm ausgewachsen 
ist. Aber da bei ihnen das schon erloschene Wachstum nur vorübergehend 
wieder erweckt wird, ist mehr als eine Krümmung nicht möglich. Das würde 
für die Blätter vielfach nicht ausreichen. Dasselbe wie durch Turgorbewegungen 
wird durch sie jedenfalls nicht erreicht. 


Wir haben gesehen, daß das Pflanzenreich über eine ganze An- 
zahl von Bewegungsarten gebietet, die im Gefolge verschiedener 
Reize zu den mannigfaltigsten Zwecken benutzt werden. Da wir 
nun über das Äußere der Bewegungen, deren die Pflanzen fähig 
sind, wenigstens das Nötigste wissen, können wir zur speziellen Be- 
sprechung der Reize übergehen, die jene in verschiedene Bahnen zu 
lenken imstande sind. Wir werden dabei nur hier und da noch auf 
die Bewegungsmechanik zurückzukommen brauchen. 


Prinssheim, Reizbewegungen. 6) 


Ill, Die Reizwirkungen der Schwerkraft. 


a) Allgemeines über Geotropismus. 


Legen wir eine im Wachstum begriffene aufrechte Pflanze um, 
so daß das freie Ende wagerecht steht, dann verhält sich ihr Stengel 
zunächst genau so wie ein toter Stab von entsprechenden mechanischen 
Eigenschaften. Das heißt, der nicht unterstützte Teil biegt sich 
vermöge seiner Schwere in flachem Bogen herab. Überlassen wir 
aber den toten Stab und den Pflanzenstengel sich selbst, so be- 
obachten wir bald 
einen bemerkenswer- 
ten Unterschied in 
ihrem Verhalten. 

Während der Stab 
in seiner Lage verharrt 
oder vielleicht auch 
noch etwas tiefer sinkt, 
bietet uns der Stengel 
ein völlig neues Phä- 


Spüze 


Dasts 


Spitze Wachstums-  Unterseit 

? zone Re nomen dar (Abb, 14): 
Abb. 14. Wir sehen nach einiger 

Schema einer sich geotropisch aufriehtenden Pflanze. Die Zeit seine Spitze sich 


Krümmung geschieht durch ungleiche Streckung der Ober- 
und Unterseite in der Wachstumszone, 


entgegen der Schwere 


und mit einer gewissen 
Kraft allmählich aufrichten. Dieser Vorgang schreitet nach der Basis 
zu fort, umfaßt bald auch weiter zurückliegende Teile und kann bis 
zur Senkrechtstellung des Stengels gehen. 

Umgekehrt richtet sich die Spitze einer wagerecht oder schräg 
gestellten Keimwurzel abwärts und erreicht im Fortwachsen nach 
unten schließlich gleichfalls die vertikale Lage. 

Ein solches aktives Sicheinstellen in die Richtung der Erdachse 
nennt man Geotropismus. Das Phänomen kann, wie wir gesehen 
haben, in zwei Formen auftreten. Die Wurzel strebt nach dem 
Ursprung der wirkenden Kraft hin, sie ist positiv geotropisch 
oder erdwendig, während der Stengel sich der Wirkung der Schwere 
entgegen aufrichtet, also negativ geotropisch oder erdabwendig 
ist. Die Fähigkeit der Pflanze, solche Richtungsbewegungen aus- 
zuführen, erkennt man nur dann, wenn die Pflanze aus ihrer nor- 
malen Lage herausgebracht wird. Die Veränderung der Lage gegen- 


Allgemeines über Geotropismus. 35 


über der Erde wirkt auf die Pflanzenorgane als Reiz, der nun ein 
ungleichmäßiges Wachstum der Ober- und Unterseite zur Folge hat, 
wie wir das oben besprochen haben. Die geotropische Aufrichtung 
stellt also eine Reizreaktion dar. 


E BEN NLZES RU: CE 


Abb. 15. 


Ein Kürbiskeimling an der Spitze befestigt, hat sich in feuchter Luft 
mit dem unteren Teil aufgerichtet. Verkleinert, 


Bei dem umgelegten Stengel z. B. strecken sich die Zellen der 
Unterseite rascher als die der Oberseite. Eine ungleiche Verlängerung 
der beiden Flanken muß aber eine Krümmung bewirken. Der un- 


Abb. 16. 


Sprosse vom Tannwedel (Hippuris). Einer an der Basis, einer an der Spitze 
befestigt. Geotropische Krümmung unter Hebung des jeweilig freien Endes. 
Verkleinert. 


mittelbare Reizerfolg ist die Verschiebung der Wachstumsgeschwindig- 
keit an der Ober- und Unterseite. Durch sie wird dann mittelbar 
die Aufrichtung erzielt. Der Reiz hört erst auf zu wirken, wenn 
die Vertikalstellung erreicht ist (Abb. 16). 

3*+ 


36 Ill. Die Reizwirkungen der Schwerkraft. 


Das Verhältnis der in ungleichem Wachstum bestehenden Reiz- 
reaktion zu dem Enderfolg der Aufrichtung können wir uns durch 
einen einfachen Versuch noch klarer machen. Was wird geschehen, 
wenn wir einen abgeschnittenen, aber noch wachstumsfähigen Stengel 
horizontal legen und nun einmal an seiner Spitze befestigen? Der 
Erfolg ist nach dem Gesagten vorauszusehen. Es wird ein stärkeres 
Wachstum auf der der Erde zugewandten Flanke eingeleitet und dadurch 
nun an Stelle der festgehaltenen Spitze die Basis gehoben, bis sie 
senkrecht steht (Abb. 15 u. 16). 

Sehen wir uns nun die Erscheinung der geotropischen Krümmung 
etwas genauer an, und beginnen wir mit den Wurzeln, an denen 
Sachs (1873, S. 440) die Reaktionsweise besonders genau studiert 
hat. Er benutzte hauptsächlich die starken Keimwurzeln von Pferde- 
bohnen (Vicia Faba var. 
equina), daneben solche von 
Erbsen, Bohnen, Kürbis, 
Eicheln, Buchweizen u. a. 
Diese Objekte wurden in 
der Weise gezogen, mit 
Millimetermarkierung ver- 
sehen und vorbereitet, wie 
es früher (8.26) geschildert 
worden ist. Nun sollten 
sie in Erde kommen, in der 
sie am natürlichsten und 
besten wachsen. Um aber 
= Ze — die verschiedenen durch- 

en u laufenen Stadien zu sehen, 
Abb. 17. wie das zum genaueren 
Sachs’scher Wurzelkasten in dem die Wurzeln Studium nötig ist, hätte 
in Erde hinter einer durchsichtigen Scheibe wachsen. . : 
(Aus Detmer 1905) man sie immer wieder aus- 
graben müssen. Das hätte 
natürlich eine arge Schädigung und Störung bedingt. Man hätte 
freilich auch durchsichtige Medien, wie Wasser oder feuchte Luft ver- 
wenden können, aber beide bieten immer weniger günstige Wachstums- 
umstände als die Erde. Zwar kommt es in unserem Versuche nicht 
auf deren ernährende Wirkung, also die Versorgung mit Bodensalzen 
an; denn Nährstoffe hat die junge Wurzel von ihrem Samen her 
genug. Sondern störend wirkt im Wasser der Mangel an Sauerstoff zum 
Atmen und in feuchter Luft der Mangel an flüssigem Wasser. Beides 
vereint bietet in vorzüglicher Weise ein lockeres, feuchtes Medium 
wie Sägespäne, Sand und besonders Erde, das natürliche Keimbett. 
Deshalb ersann Sachs einen anderen Ausweg. Er ließ nämlich seine 
Wurzeln hinter einer Glas- oder Glimmerplatte!) in Erde wachsen, 


!) Letztere kann man dünner nehmen. Dadurch werden die Messungen 
genauer, 


Allgemeines über Geotropismus. 37 


sodaß sie stets sichtbar waren und doch günstige Bedingungen fanden, 
Damit sie dauernd der durchsichtigen Scheibe angeschmiegt blieben, 
neigte er diese ein wenig. So wirkte der Geotropismus selbst für das 
Anpressen der Wurzeln, die auf diese Weise allen Beobachtungen 
und Messungen zugänglich blieben, ohne daß sie in ihrem sonstigen 
Verhalten gestört wurden (Abb. 17). 

Es wurde nun eine Wurzel mit Maßlinien, die je 2 mm vonein- 
ander entfernt waren, horizontal hinter eine A 
Glimmerscheibe in die Erde gebracht, und die 
Lage ihrer Spitze durch ein Zeichen. auf der ee 3 
Scheibe markiert (Abb. 15 A). Nach einer 
Stunde war die Wurzel noch gerade, aber etwas 
länger, nach zwei Stunden war sie noch länger B 
und schwach abwärts gekrümmt. Der nach 
unten offene Bogen entsprach nun einem Kreise 
von 15 mm Radius (0). Gemessen wurde 
mit Hilfe von Kreisen verschiedener Größe, 
die auf einer kleineren Glimmerplatte ein- 
geritzt waren. Nach weiteren 5 Stunden, 
also 7 Stunden nach Beginn des Versuches, 
war die Wurzel um mehr als 4 mm gewachsen 
und die Krümmung war verstärkt. Ihr 
Radius war also kleiner geworden, er betrug 
nur noch etwa 10 mm (D). Enälich nach 
einem Tage war die Spitze langgestreckt und 
senkrecht abwärts gerichtet (E). Die stärkste 
Krümmung lag in der Zone 1{l, die anfangs 
4 bis 6 mm von der Spitze entfernt, jetzt 
aber 20 bis 26 mm von ihr abgerückt war. 
Der Radius des dazu gehörigen Kreises be- 
trug nun nur noch 8 mm. Da die Wurzel 
an der Spitze weiter wuchs, wurde jetzt an 
der Krümmung nichts mehr geändert, so daß 
die bleibende Biegung dauernd ihr Maximum 
an jener Stelle hatte, wo zur Zeit der Reaktion 
gerade das Wachstum aufzuhören im Begriffe 0 Abb. 18. 
gewesen war. Wären Zonen streckungstähig Geotropische Krümmung einer 
gewesen, die noch mehr von der Spitze ent- ee 


strichen. Die anfängliche Lage 
fernt lagen, so hätten diese sich an der Re- des en 
aktion beteiligt. Es nehmen also bei einer (Aus Detmer 1905.) 
horizontal gelegten Wurzel alle wachsenden 
Zonen an der Abwärtskrümmung teil, die jüngsten aber strecken sich 
später wieder gerade, da sie durch die bleibende Krümmung an der 
Grenze des wachsenden Teiles in die normale, also reizlose Lage ge- 
bracht werden. 

Gehen wir nun zur Beschreibung der geotropischen Aufrichtung 
eines umgelegten Stengels über, so werden wir hier die wesentlichen 


38 III. Die Reizwirkungen der Schwerkraft. 


Züge entsprechend den bei der Wurzel geschilderten wiederfinden, nur 
natürlich in umgekehrter Richtung. Einige Erscheinungen kommen 
aber hinzu, die dort nicht auftraten. Zunächst ist die Wachstums- 
zone in Stengeln stets länger als in Wurzeln (vgl. S. 24), daher ist 
die Krümmung weniger scharf. Es können sogar mehrere Wachs- 
tumszonen vorhanden sein, in jedem Stengelgliede eine. Doch darauf 
wollen wir nicht eingehen. Wir halten uns also an Keimstengel oder 
Blütenschäfte und dergleichen, bei denen die Streckungszone ein- 
heitlich ist. Da beginnt die Aufrichtung mit einer leisen Biegung, 
die die Endknospe, Blüte usw. der normalen Lage näher bringt. 
Nachher rückt die Krümmung weiter nach den unteren Regionen. 
Indem diese nun den schon gekrümmten Spitzenteil passiv mit be- 
wegen, wird er oft über die Vertikallage hinausgebracht. Es ent- 
stehen dann ‚„Überkrümmungen‘, die aber schließlich wieder aus- 
geglichen werden. Zu diesem Zwecke muß das Endstück jetzt eine 
geotropische Krümmung nach der entgegengesetzten Seite machen. 
Im endgültigen Zustande ist hier ebenfalls die Krümmung in der 
untersten noch wachstumsfähigen Region festgelegt. Der ganze Teil, 
der von da nach der Spitze zu liegt, ist dann vertikal aufgerichtet, 
indem alle zwischendurch entstandenen Krümmungen sich wieder 
ausgeglichen haben. 

An der Wurzel können keine Überkrümmungen zustande kommen, 
weil die wachsende Region bei ihr zu kurz ist, und weil dazu eine 
seitliche Verschiebung nötig wäre, die in Erde einem großen Wider- 
stande begegnen würde. Ähnlich verhalten sich aus entsprechenden 
Gründen die Stengel und Blattscheiden von Keimlingen, wenn sie in 
Erde wachsen. Auch hier konzentriert sich das Wachstum auf eine 
xegion nahe der Spitze, und die Erde verhindert die Verschiebung 
der Spitzenteille durch Krümmung weiter zurückliegender Zonen. 
Überkrümmungen treten daher nicht auf. 


Wie wir bei der eingehenden Schilderung der geotropischen 
Krümmung einer Wurzel gesehen haben, beginnt die Reaktion nicht 
sofort nach dem Umlegen. Es verstreicht eine gewisse Zeit vom 
Beginn der Reizung bis zum ersten sichtbaren Zeichen der Krüm- 
mung, das sich in einem Unsymmetrischwerden der Spitze kundgibt. 
Man nennt diese Periode die Reaktionszeit. Sie ist bei verschie- 
denen positiv und negativ geotropischen Pflanzenorganen von sehr 
verschiedener Dauer, aber immer vorhanden und für ein und dasselbe 
Objekt bei möglichst gleichen Bedingungen annähernd gleichlang. 
Es ist klar, daß die mechanische Ausführung der Bewegung durch 
Wachstum eine gewisse Trägheit bedingt, wie sie, wenn auch in viel 
geringerem Maße, ja auch bei der Kontraktion des tierischen Muskels 
mit Hilfe besonderer Methoden nachweisbar ist. 

Man kann nun aber fragen: muß der geotropische Reiz auch 
während der ganzen Dauer der Reaktionszeit auf die Pflanze ein- 
wirken, um eine Krümmung zu bewirken oder genügt eine kürzere 


Allgemeines über Geotropismus. 39 


Reizung? Das letztere ist der Fall. Legen wir z. B. eine Wurzel 
oder einen Stengel um, bis sie eben beginnen zu reagieren und 
bringen sie dann wieder in ihre natürliche Lage, so schreitet die 
Krümmung dennoch eine Zeit lang fort und kann eine recht an- 
sehnliche Größe erreichen. Selbst wenn man kürzer als bis zum 
Krümmungsbeginn reizt, so daß also noch keine äußerliche Verän- 
derung an der Pflanze bemerkbar ist, kann noch eine geotropische 
Reaktion als Nachwirkung eintreten. Sie wird allerdings um so 
schwächer und verschwindet umso schneller wieder, je kürzer die 
Umilegung gedauert hat. So kommt man schließlich bei der Ver- 
kleinerung der Reiz- oder Induktionszeit zu einer Grenze, unterhalb 
deren gar keine sichtbare Nachwirkung mehr auftritt. Die kürzeste 
Zeit, während deren man ein geotropisches Objekt umlegen muß, 
damit nachträglich eine gerade noch sichtbare Krümmung als Nach- 
wirkung zustande kommt, nennt man Präsentationszeit. Auch 
sie hat, gleich der Reaktionszeit, für bestimmte Pflanzenorgane unter 
gleichmäßigen Umständen einen gewissen konstanten Wert, der für 
verschiedene Objekte sehr verschieden sein kann. Wie man die 
Länge der Reaktions- und Präsentationszeiten zum tieferen Eindringen 
in die Probleme der Reizbarkeit benutzen kann, das werden wir 
später sehen. 

In der Präsentationszeit haben wir die untere Grenze für die 
Einwirkungsdauer eines Reizes kennen gelernt, der noch eine 
Krümmung bewirken soll. Was wird aber geschehen, wenn wir die 
Induktionszeit noch weiter verkürzen? Wird ein Reiz, der äußerlich 
keine Wirkung zu haben scheint, wirklich spurlos an der Pflanze 
vorübergehen? Die Überlegung lehrt schon, daß das nicht so sein 
kann. Denn würde z. B. eine Reizung, die eine Minute dauert, gar 
keine Wirkung zurücklassen, so könnte auch die nächste und die 
folgenden Minuten nichts hinzufügen. Diese Schlußfölgerung läßt 
sich experimentell erhärten. Man kann nämlich durch Wiederholung 
solcher Reize, die kürzer als die Präsentationszeit sind, die also 
einzeln keine Krümmung bewirken würden, schließlich eine Reaktion 
zustande bringen (Literatur Pfeffer 1904, S. 621). Voraussetzung 
ist nur, daß die Pausen im Verhältnis zu den Reizzeiten nicht zu 
lang werden. Aus der Möglichkeit der Summation kurzer Einzelreize 
kann man schließen, daß jeder einzelne eine Veränderung im sen- 
siblen Plasma hervorruft, die auch nach Beendigung der Reizeinwir- 
kung eine Zeit lang erhalten bleibt. Setzt nun der neue Reizanstoß 
rechtzeitig ein, so kommt seine Wirkung zu der des vorigen hinzu 
und die einzelnen Impulse steigern sich, bis der Gesamteindruck stark 
genug ist, um eine sichtbare Reaktion hervorzurufen. Die Gesetze 
einer solchen unterbrochenen oder ‚‚intermittierenden‘“ Reizung werden 
uns noch beschäftigen. 

Experimentelle Schwierigkeiten erlauben es nicht, die Länge von 
geotropischen Einzelreizen unter das Maß von einigen Sekunden 
herabzudrücken; theoretisch müssen wir aber schließen, daß auch die 


40 III. Die Reizwirkungen der Schwerkraft. 


kürzeste Einwirkung eine Veränderung in der Pflanze hervorruft, die 
sich mit der Dauer des Reizes steigert. Wir nennen diese erste 
physiologische Veränderung die Erregung. Die Präsentationszeit 
stellt somit das zeitliche Mindestmaß eines Reizanlasses dar, bei dem 
die Erregung gerade noch ausreicht, eine sichtbare Krümmung zu be- 
wirken. Ein solches Minimalmaß für einen bestimmten physio- 
logischen Effekt nennt man nach Herbart einen Schwellen- 
wert. Kürzere Reize bewirken eine zu schwache Erregung, als 
daß die Schwelle, die zur sichtbaren Reaktion führt, überschritten 
würde. 

Auf die Entstehung einer Erregung durch kurze Einzelreize 
schließen wir aus ihrer Summierbarkeit. Für diese aber ist Be- 
dingung, daß zwischen die einzelnen Impulse keine zu langen Pausen 
eingeschaltet werden. Nach einer gewissen Zeit geht somit die Er- 
regung wieder zurück. Das gilt nun nicht nur für unterschwellige 
Einzelreize, sondern für jede, auch durch längere Induktion bewirkte 
Erregung. Verhindern wir z. B. einen in der Reizlage befindlichen 
Stengel mechanisch an der geotropischen Aufrichtung und stellen ihn 
nach einiger Zeit wieder vertikal, so findet nur dann eine Reaktion 
als Nachwirkung statt, wenn das Hindernis nicht zu spät nach Be- 
endigung der Induktion entfernt wird. Es klingt also auch hier die 
Erregung wieder ab. Selbst eine schon ausgeführte geotropische 
Krümmung verliert sich allmählich nach dem Zurückbringen in die 
Normallage. Hier muß aber eine neue geotropische Reizung beim Aus- 
gleich der Krümmung mitwirken, denn durch die Spitzenkrümmung 
wird an der aufrecht stehenden Pflanze eine neue Reizlage geschaffen. 
Sie kommt dadurch zur Geltung, daß die Nachwirkung des ersten 
Reizes allmählich verschwindet. Diese neue geotropische Induktion 
würde genügen, den Stengel wieder gerade zu richten und seine Spitze 
in die Richtung der Schwerkraft zu stellen. Allerdings kommen noch 
innere Gründe hinzu, die dahin wirken, die Krümmung auszugleichen. 
Auf sie können wir aber erst an späterer Stelle eingehen. 

Bisher haben wir nur den Fall im Auge gehabt, daß sonst ver- 
tikal wachsende Pflanzenteile wagerecht gelegt, also um 90° aus ihrer 
Lage gebracht werden. Geotropische Reaktionen erfolgen aber auch in 
allen anderen Lagen und gehen stets bis zur Senkrechtstellung. Jede 
kleinste Abweichung wird ausgeglichen. Zu Bewußtsein kommen 
uns aber gewöhnlich nur größere Krümmungen, bei denen wir leicht 
darauf aufmerksam werden, daß sie zur Vertikalstellung führen. Daß 
Wurzeln gewöhnlich abwärts, Stämme aufwärts wachsen, scheint uns 
nur deshalb weniger auffällig, weil wir daran gewöhnt sind. In 
Wirklichkeit bedarf es wohl der Erklärung, warum an allen Stellen 
der Erdoberfläche die Hauptwurzeln und Stengel der Kräuter sowie 
die Stämme der Bäume so stehen, daß ihre Längsrichtung mit einer 
von ihrem Standorte nach dem FErdmittelpunkte gezogenen Linie zu- 
sammenfällt. Auch bei den Pflanzen mußte das alte Problem der 
Antipoden aufgestellt werden. Die Lösung der Frage liegt darin, 


Allgemeines über Geotropismus. 41 


daß, wie für die Menschen, so auch für die Pflanzen, die Orientierung 
zur Erde und nicht die zum Raume maßgebend ist. 

Die von der Erde ausgehende Kraft, die beider Stellung bedingt, 
ist die Gravitation oder Schwerkraft. Ihre Gesetze sind uns durch 
Newton bekannt, wenn uns auch ihr Wesen noch immer rätselhaft 
bleiben muß. Da wir nicht imstande sind, uns an einen Ort zu be- 
geben, wo sie nicht wirkte, so scheint es zunächst aussichtslos, zu 
prüfen, ob wirklich die Schwerkraft die Ursache der geotropischen 
Orientierung ist. Es gibt aber doch ein Mittel oder vielmehr zwei, 
um zu zeigen, daß diese Vermutung sehr wahrscheinlich ist. Man 
ist zwar nicht imstande, die Schwerkraft aufzuheben, aber man kann 
sie durch eine andere Kraft ersetzen, von der man weiß, daß sie 
mit jener in ihren physikalischen, d. h. mechanischen, Wirkungen 
übereinstimmt. Das ist die Zentrifugal- oder Fliehkraft. Sie macht 
sich z. B. bemerkbar, wenn wir irgend einen schweren Gegenstand 
an einem Faden schnell im Kreise schleudern. Der Faden zeigt sich 
dann durch eine nach außen wirkende Kraft gespannt, und zwar um 
so stärker, je schneller er herumgeschwungen wird. Dabei hat der 
schwere Körper das „Bestreben“, sich in der Richtung des Fadens 
nach außen zu bewegen, ebenso wie er beim freien Herabhängen das 
Bestreben hat, zu Boden zu fallen. 

Auch in diesem letzteren Falle wird der Faden gespannt. Man 
kann die eine Kraft für die andere setzen (beide sind Massenbe- 
schleunigungen, wie der Physiker sagt), und gewinnt im Experiment 
noch den Vorteil, daß die Fliehkraft ihrer Größe nach verändert 
werden kann'), während die Schwerkraft für uns immer gleich stark 
ist, da sie außer von der unveränderlichen Masse der Erde nur von 
der Entfernung vom Erdmittelpunkte abhängt, die wir gleichfalls 
nicht wesentlich zu variieren imstande sind. 

Von solchen Überlegungen ausgehend stellte der englische Forscher 
Knight vor gerade 100 Jahren (1811) seine Versuche an, die in ihrer 
genialen Einfachheit vorbildlich sind. Er befestigte kleine Töpfchen 
mit. Keimpflanzen an der Peripherie eines kleinen Mühlrades mit 
horizontaler Achse, das durch Wasserkraft in schnelle Umdrehung 
versetzt wurde. Die dabei gleich mit dem nötigen Wasser ver- 
sehenen Pflänzchen konnten bei seiner Versuchsanordnung in jeder 
Richtung fortwachsen. Auch die Wurzeln hatten Bewegungsfreiheit, 
denn sie traten durch Löcher im Boden der Töpfchen ins Freie. 
Das Resultat war, daß die Stengel nach innen, dem Mittelpunkt des 
Rades zu, die Wurzeln aber entgegengesetzt, nach außen, wuchsen. 

Wie .ist das zu erklären? Die Schwerkraft machte sich offenbar 
gar nicht bemerklich, da sie bei dem Herumführen im Kreise bald 
in der einen, bald in der anderen Richtung zog, so daß die Impulse 
sich aufhoben. Befand sich eine Stengelseite eben noch unten, und 


1) Sie wächst in mathematisch bestimmter Weise mit der Drehgeschwin- 
digkeit und der Entfernung von der Achse. 


42 III. Die Reizwirkungen der Schwerkraft. 


schickte sie sich an, durch beschleunigtes Wachstum eine Auf- 
krümmung zu bewirken, so war sie im nächsten Augenblick oben, 
so daß der ‚Vorsatz‘ nicht ausgeführt werden konnte. Danach 
hätte man erwarten können, daß das Wachstum regellos in beliebiger 
Richtung vor sich gegangen wäre, als ob gar keine Richtkraft ein- 
wirkte. Dem war aber nicht so, denn das Rad drehte sich so 
schnell, daß eine merkliche Fliehkraft entwickelt wurde, die nach 
außen zog. Ihr folgend wuchsen die Wurzeln der Peripherie zu, 
genau so wie sie sonst dem Zuge der Schwerkraft folgen. Die 
Stengel aber schlugen, wie immer, die entgegengesetzte Richtung ein. 

Bei diesen Versuchen konnte die Schwerkraft die schließlich 
eingeschlagene Richtung gar nicht beeinflussen. Ein andermal aber 
ließ Knight das Rad sich um eine senkrechte Achse drehen. Dabei 
ergaben sich dann Krümmungswinkel, die zwischen der senkrechten 
und der durch die Zentrifugalwirkung bedingten Richtung lagen. 
Neuere Versuche (z. B. Giltay 1910) zeigen für den Fall, daß die 
Fliehkraft gleich der Schwerkraft ist, die Endstellung der Wurzeln 
um 45° nach außen von der senkrechten Richtung abgelenkt, die 
der Stengel aber um denselben Winkel nach innen verschoben. 
Die Endstellung hält dann also genau die Mitte zwischen den Ruhe- 
lagen die den beiden Reizanlässen einzeln entsprechen. 

Daraus entnehmen wir, daß der Eindruck beider Kräfte sich 
nach einfachen mathematischen Gesetzen in der Pflanze kombiniert. 
Das ist aber einer der besten Belege dafür, daß ihre Reizwirkung 
die gleiche ist, denn bei zwei verschiedenen Reizanlässen finden wir 
ein viel weniger durchsichtiges Verhalten. Schwerkraft und Zentri- 
fugalkraft wirken auf die Körper massenbeschleunigend; das ist 
physikalisch ihr Gemeinsames, darin muß also auch ihre Wirkung 
auf die Pflanze beruhen. Wegen dieses Schlusses ist uns die zweite 
Knightsche Versuchsanstellung so wichtig, aber die erste gibt uns 
einen noch weiteren Ausblick. 

Bei ihr ist, wie wir gesehen haben, die richtende Wirkung der 
Schwere ganz ausgeschaltet, weil bei der Drehung um eine wage- 
rechte Achse die Impulse in allen Richtungen kurz aufeinander 
folgen. An die Stelle der Schwerkraft tritt die Zentrifugalwirkung. 
Die Lehre aber, daß auf diese Weise die Pflanze unabhängig von 
der Richtung der Gravitation wird, zog erst Julius Sachs im 
Jahre 1872. Er sah zum ersten Male klar, daß die Ausschaltung der 
Schwerkraftwirkung auf der Stellung der Drehungsachse beruhe, mit 
der Fliehkraft aber an sich nichts zu tun habe, und auch bestehen 
bleiben müßte, wenn letztere gar nicht merklich einwirkte. Sachs 
erreichte die Ausschaltung beider Richtkräfte in den Versuchen, die 
er 1879 eingehend schilderte, indem er die Drehbewegung so langsam 
nahm, daß die Beschleunigung in der Richtung des Radius unmerklich 
wurde. Er wählte eine Umdrehungszeit von 10—20 Minuten bei 
geringer Entfernung von der Achse. Die benutzten Keimpflanzen 
wurden dabei gleichmäßig feucht und dunkel gehalten. Da sie nun 


Allgemeines über Geotropismus. 43 


dem Einfluß aller äußeren Richtkräfte entzogen waren, hätte man 
meinen können, sie wären ganz regellos hin- und hergewachsen. Das 
war aber nicht der Fall, vielmehr war die Wachstumsrichtung im 
ganzen geradlinig und bildete die Fortsetzung derjenigen, die beim 
Ursprung aus dem Samen eingeschlagen worden war. Wir schließen 
daraus, daß neben den äußeren auch innere Richtkräfte existieren 
müssen, auf die wir noch zurückkommen. Abgesehen von dieser 
Orientierung zur Lage des Samens war keine Regelmäßigkeit zu er- 
sehen. Wurzeln und Stengel wuchsen nach allen Richtungen, weder 
die Drehungsrichtung noch die Schwerkraft hatten einen Einfluß. 
Sachs (1879, S. 213) war sich aber klar darüber, daß das 
Ausbleiben der geotropischen Krümmung bei ganz geringer Dreh- 
geschwindigkeit auch wieder nicht zu erwarten war. Wenn man die 
Umdrehungszeit immer größer nähme, so müßte schließlich der Punkt 
kommen, ‚wo die Langsamkeit dieser Rotation so groß ist, daß die 
krümmenden Kräfte von Wurzel und Stengel an jedem Punkt der 
Bahn Zeit gewinnen, eine wirkliche Krümmung zu bewirken, und daß, 
bevor eine merkliche Verrückung der Lage eintritt, auch die krüm- 
mungsfähigen Stellen durch Wachstum fortrücken.“ Wie er sich an 
einem Drahtmodell klar macht, müssen dabei schließlich schraubige 
Krümmungen zustande kommen. Will man diese ebenso wie die 
Zentrifugalwirkung ausschließen, so muß man die Drehgeschwindigkeit 
innerhalb gewisser Grenzen halten. Der Spielraum ist noch groß genug. 


Sachs verwendete bei seinen Drehversuchen zunächst ein Pendeluhrwerk, 
das er entsprechend herrichten ließ und das er Klinostat nannte. Später kon- 
struierte Pfeffer ein sehr viel besseres Instrument für die gleichen Zwecke, 
bei dem das stoßweise Vorrücken durch Verwendung einer anderen Regulier- 
vorrichtung vermieden ist. Der Klinostat von Pfeffer hat für unsere Wissen- 
schaft eine große Bedeutung erlangt, sowohl wegen seiner Zuverlässigkeit wie 
wegen der Möglichkeit, die Drehgeschwindigkeit in sehr weiten Grenzen zu ver- 
ändern. Er hat eine kräftige Feder und bewältigt daher ziemlich große Lasten, 
falls sie gut zentriert, d. h. ohne Übergewicht gleichmäßig rings um die Achse 
angeordnet sind. Für noch schwerere Objekte sind neuerdings auch elektrische 
Drehwerke in Betrieb, bei denen ein kleiner Motor unter Zwischenschaltung einer 
Zahnradübersetzung die Bewegung vermittelt. Der Apparat hat den Vorteil, 
daß man an ihm viele und schwere Töpfe mit Pflanzen anbringen kann und 
daß er nicht aufgezogen zu werden braucht, was für langwierige Versuche 
von Vorteil ist. Aber mit ihm eine gleichmäßige Umdrehung in einer ganz be- 
stimmten Zeit zu erzielen, ist nicht so gut möglich wie bei Uhrwerken. 


In der Klinostatendrehung haben wir nun ein Mittel, die Pflanze 
der einseitigen geotropischen Beeinflussung zu entziehen. Um so 
reiner und ungestörter wird daher die Einwirkung anderer Reize 
zum Ausdruck kommen. Aber auch beim Studium der geotropischen 
Prozesse selbst ist der Apparat von großem Nutzen. So wird z.B. 
an einer vorübergehend gereizten und dann an den Klinostaten ge- 
brachten Pflanze die geotropische Nachwirkung nicht gestört durch 
die früher (S. 40) besprochenen geotropischen Gegenwirkungen, weil 
auch nach der Krümmung der Spitzenteil des ÖOrganes, der nun 
schräg zur Achse steht, der geotropischen Beeinflussung entzogen 


44 Ill. Die Reizwirkungen der Schwerkraft. 


ist. Eine einfache Überlegung lehrt, daß die Richtung der Pflanzen- 
teile zur horizontal gestellten Klinostatenachse für den Erfolg, daß 
stets zwei entgegengesetzte Impulse sich aufheben, ohne Belang ist. 

Man könnte nun glauben, daß am Klinostaten jede vorher in- 
duzierte Krümmung erhalten bleiben müßte. Das ist aber nicht 
der Fall. Die geotropische Nachwirkung wird etwas intensiver und 
bleibt länger bestehen als an einer nach der Reizung wieder aufrecht 
gestellten Pflanze; schließlich aber geht sie doch wieder zurück, falls 
nur das Wachstum der gekrümmten Zone noch anhält. Wir stoßen 
hier auf einen neuen Ausdruck derselben inneren Verhältnisse, die 
es bewirken, daß an jungen Keimlingen, die am Klinostaten aus 
dem Samen entstanden sind, die Teile eine gesetzmäßige Lage zu- 
einander gewinnen. Auch nach einer geotropischen Krümmung be- 
wirkt bei Ausschluß des Geotropismus eine innere Kraft, das physio- 
logische Verhältnis der Teile zueinander, die Wiedereinstellung der 
jüngeren Zonen in die Richtung der alten, also Aufhebung einer be- 
stehenden Krümmung. Man nennt diese innere Richtkraft, die die 
Geradestreckung aus äußeren Gründen gekrümmter Organe bewirkt, 
Rektipetalität (Vöchting 1882). Nicht immer muß von innen 
heraus geradliniges Wachstum angestrebt werden. Entsprechend 
können auch ohne äußere Ursache Biegungen entstehen. Die ganze 
Gruppe von Reizerscheinungen faßt man daher besser als Auto- 
tropismus zusammen und versteht darunter die bei Ausschluß 
äußerer Richtkräfte rein zutage iretenden, aber auch sonst wirk- 
samen Richtungseinflüsse der Teile einer Pflanze aufeinander. 

Der Autotropismus bewirkt bei erhaltener Wachstumsfähigkeit 
nicht nur das Zurückgehen geotropischer Krümmungen, sondern ebenso 
das aller anderen Reizerscheinungen, nach Aufhören der bewegenden 
Ursache. Auch gleicht er in genau entsprechender Weise rein 
mechanisch bewirkte Biegungen wachsender Pflanzenteile aus. Die 
autotropische Reaktion besteht in einem verstärkten Wachstum der 
konkav gewordenen Flanke an der Biegungsstelle.. Die Reizursache 
liegt offenbar in der Krümmung selbst. Eine Verminderung in der 
Schärfe der Biegung bewirkt freilich das fortschreitende Wachstum 
allein schon, indem es die Längendifferenz der Flanken über 
eine größere Strecke verteilt. Zum völligen Ausgleich der Krüm- 
mung gehört aber doch zweifellos eine besondere Reizwirkung, deren 
Eigentümlichkeit darin liegt, daß sie nur die gekrümmte Zone selbst 
umfaßt. Es stellt sich also nicht etwa die Spitze einer geotropisch 
gekrümmten Wurzel am Klinostaten durch eine Gegenkrümmung 
wieder parallel der Achse, resp. in die Richtung des ältesten, un- 
gekrümmten Teiles. Vielmehr erfolgt der autotropische Ausgleich 
lediglich in der zur Zeit des Beginns der Klinostatendrehung ge- 
krümmten Zone. 

Die autotropische Reaktion gehört zur Gruppe der Gegen- 
reaktionen, die alle das Gemeinsame haben, daß ihre Reizursache 
in durch vorhergehende Außenreize bewirkten Veränderungen gegeben 


Die Glieder der geotropischen Reizkette. 45 


ist. In dem Rückgange der Erregung nach dem Aufhören eines 
Reizanlasses haben wir schon den Einfluß einer derartigen Gegen- 
reaktion kennen gelernt. Jeder Teilprozeß des gesamten Reizvorganges 
besitzt so seine Gegenreaktion, durch die der Pflanzenteil nach Be- 
endigung der Reizeinwirkung in den normalen Ruhezustand zurück- 
kehrt, ähnlich wie ein angestoßenes Pendel durch die Gegenwirkung 
der Schwerkraft schließlich zur Ruhe kommt. Der Autotropismus 
ist der sichtbare Ausdruck für diejenige Gegenreaktion, die den Reiz- 
erfolg als solchen trifit. Ehe er aber wirksam werden kann, muß die 
Erregung ausgeglichen sein, die sonst auf Weiterführung der Krüm- 
mung hinarbeiten würde. 


b) Die Glieder der geotropischen Reizkette. 


Nachdem schon Knight aus seinen Versuchen geschlossen hatte, 
es sei die Schwerkraft, die die Richtung wachsender Pflanzenteile 
bestimmt, war diese Vorstellung durch den Sachsschen Fundamental- 
versuch der Klinostatendrehung um die horizontale Achse so gut wie be- 
wiesen worden. Es ist auch nie wieder daran gezweifelt worden. 

Nur die Art, wie die Schwerkraft wirkt, blieb noch ein Gebiet 
der Forschung, auf dem die Meinungen bis in die neueste Zeit hin 
und her schwanken. Wir können uns an dieser Stelle nicht mit 
historischen Erörterungen beschäftigen, so interessant sie wären. Es 
bringt uns nicht weiter zu wissen, wie man sich ehemals bald auf 
eine geheimnisvolle Lebenskraft berief, bald in naiv mechanischer 
Weise die Wirkung dem Druck der Säfte und ähnlichen rein hypo- 
thetischen Veränderungen in der Pflanze zuschrieb. 

Eine Analyse der zu erwägenden Möglichkeiten wird uns besser 
fördern. Zunächst wissen wir heute, daß die Kraft, mit der die 
Aufkrümmung des Stengels (negativer Geotropismus) oder die Ab- 
wärtskrümmung der Wurzel (positiver Geotropismus) ausgeführt wird, 
bei weitem die übertrifft, mit der die Schwerkraft auf den Pflanzen- 
teil wirkt. Eine Wurzel also wird nicht wie eine breiige Masse ab- 
wärts gezogen, sondern sie krümmt sich aktiv hinab. Das geschieht 
mit einer gewissen Kraft. Man ersieht das schon daraus, daß sie in 
den Boden einzudringen vermag. Das gleiche zeigt besonders an- 
schaulich ein zuerst von Pinot im Jahre 1829 angestellter Versuch, 
auf dessen Bedeutung Sachs hingewiesen hat. Befestigt man eine 
wachsende Keimwurzel wagerecht dicht über Quecksilber, so dringt 
sie bei ihrer geotropischen Abwärtskrümmung ein Stück in das spe- 
zifisch so viel schwerere Medium ein. Da hierbei der beträchtliche 
Auftrieb überwunden werden muß, so kann die geotropische Reaktion 
der Wurzel keine direkte Schwerewirkung sein. Es muß vielmehr 
eine gewisse Kraft aufgewendet werden. Und diese kann allein von 
der Lebenstätigkeit der Pflanze herstammen, in die die Schwerkraft 
nur dirigierend, als Reiz, eingreift. 

Die Arbeit bei der geotropischen Krümmung wird eben nicht 


46 III, Die Reizwirkungen der Schwerkraft. 


von der Schwerkraft geleistet, sondern von der Wachstumsenergie 
der Pflanze, Diese aber wird ihrerseits durch die Atmung, also 
Verbrennung organischer Nahrungsstoffe geliefert. In dem mangeln- 
den direkten Zusammenhange zwischen der Energie des Reizanlasses 
und der der Reizreaktion liegt eine der Eigentümlichkeiten des Reiz- 
vorganges. Pfeffer gebraucht den Vergleich mit einer Pulverladung: 
Die Energiemenge, die in einer solchen steckt, steht in gar keinem 
Verhältnis zu der Kraft, die nötig ist um sie, etwa durch einen 
Fingerdruck auf den Hahn, zur Explosion zu bringen. 

Die geotropische Beeinflussung einer Pflanze ist nach dem Ge- 
sagten nicht als direkte Wirkung der Schwerkraft auf das Wachs- 
tum aufzufassen. Eine solche wäre auch ganz unvorstellbar. Wie 
sollte es die Anziehungskraft der Erde bewirken, daß an einem 
Stengel gerade die Unter-, an einer Wurzel die Oberseite stärker 
wächst? Vielmehr müssen wir annehmen, daß in der Pflanze, und 
zwar entweder in allen oder in einigen bestimmten Zellen, Ver- 
änderungen vor sich gehen, die in ihrer Gesamtheit in dem be- 
treffenden Organe das physiologische Gleichgewicht stören. Dieses 
wird dann durch eine wohlgeleitete Aktion, bei der sich eine große 
Anzahl von Zellen beteiligen, wieder hergestellt. Durch stärkeres 
Wachstum einer Flanke entsteht eine Krümmung, die den Haupt- 
teil des aus der Lage gebrachten Organs in die alte Richtung zur 
Schwerkraft zurückführt. 

Es fragt sich nun, ob uns der Zusammenhang zwischen der 
Wirkung der Schwerkraft und der geotropischen Krümmung ganz 
dunkel bleiben muß, oder ob wir nicht Mittel haben, in dieses Ge- 
heimnis wenigstens einigermaßen einzudringen. Eine Darstellung der An- 
schauungen, zu denen die Wissenschaft bisher gekommen ist, wird 
uns zeigen, daß wir einige, wenn auch spärliche Mittel haben, den 
Schleier ein wenig zu lüften, 

Die erste Veränderung, die beim Umlegen eines sonst aufrechten 
Stengels in diesem vorgeht, wird offenbar rein physikalisch sein, sie 
heißt Reizursache. Der eigentliche Reizprozeß beginnt erst, wenn 
das lebende Protoplasma betroffen und in seiner Struktur irgendwie 
verändert wird. Diese Veränderung, die wir nicht näher kennen, 
nennt man Reizaufnahme (Perzeption), die dadurch bedingte Ver- 
änderung des physiologischen Zustandes heißt die Erregung. Der 
Vorgang, an dem wir die Wirkung eines Reizes erkennen, ist die 
teizantwort oder der Reizerfolg (Reaktion). Perzeption und Re- 
aktion sind die beiden Endglieder des physiologischen Vorganges. 
Wir müssen sie uns durch eine Reihe von Zwischengliedern zu einer 
„Beizkette‘‘ vereinigt denken, die tief in das Lebensgetriebe der 
Pflanze eingreift.) 


1) Damit soll nicht gesagt sein, daß die Veränderungen im gereizten 
Organe auf die Verknüpfung der beiden wichtigsten Einzelvorgänge be- 
schränkt sind. 


Die Glieder der geotropischen Reizkette, 47 


Wären die hier angenommenen Teilvorgänge der geotropischen 
Reaktion rein theoretisch erdacht, so hätte die ganze Vorstellung 
nur sehr bedingten Wert. Es gelingt aber, den experimentellen Be- 
weis für das Auftreten gesonderter Perzeptions- und Reaktions- 
vorgänge zu erbringen, und zwar mit Hilfe der Tatsache, daß beide 
äußeren Einflüssen gegenüber sich verschieden verhalten. So ist es 
z, B. möglich, durch Anwendung sog. Narkotika, wie Chloroform und 
Äther, Pflanzen in ähnlicher Weise zu ‚„betäuben‘‘, wie wir das beim 
Menschen können, Durch diese Mittel werden gewisse Lebensfunk- 
tionen ausgeschaltet, ohne daß der Organismus getötet wird. Das 
Bezeichnende bei der Narkose ist also, daß einzelne Lebensprozesse unter- 
drückt werden, andere nicht, So gelingt es nun auch durch richtige 
Abmessung der Konzentration des Narkotikums, die Pflanze an der 
Ausführung einer geotropischen Krümmung zu hindern, ohne sie zu 
töten, Durch geringere Mengen des Betäubungsmittels kann man es 
so einrichten, daß während der Narkose keine Reaktion erfolgt, 
trotzdem der Pflanzenteil umgelegt wurde, daß aber nach Entfernung 
des Chloroforms usw. dann an der aufgerichten Pflanze, wenn auch 
verspätet, die Wirkung erfolgt (Czapek 1898, S. 199). Als Be- 
täubungsmittel fand Czapek für solche Versuche außer den ge- 
nannten noch Kohlensäure und Coffein brauchbar. Auch konnte durch 
Einwirkung von Kälte eine geotropische Reaktion verhindert werden, 
die dann nachträglich in der Wärme auftrat. Man sieht, daß auf 
die Pflanze im Wesentlichen dieselben Betäubungsmittel einwirken 
wie auf den Menschen. 

Durch diese Versuche ist aber direkt bewiesen, was wir früher 
nur annahmen, daß nämlich gesonderte Prozesse der Reizaufnahme 
und der Reizreaktion in der Pflanze nebeneinander bestehen müssen. 

Das ist ja auch begreiflich, da die Ausführung der Krümmung, 
wie wir wissen, auf Wachstum beruht, welches seinerseits in besonderer 
Weise von den Außenumständen und der vorhandenen Energie ab- 
hängt und daher auch in besonderer Weise von Eingriffen betroffen 
werden kann. Nicht gesagt ist aber, daß nun die erwähnten Be- 
täubungsmittel in obigen Versuchen wirklich gerade durch Ver- 
hinderung des Wachstums die Reaktion unmöglich gemacht haben. 
Es kann ja auch die Verbindung zwischen den Anfangs- und End- 
gliedern des Reizvorganges, die sog. Reizkette irgendwo unterbrochen 
sein. Darüber etwas auszusagen reichen die Erfahrungen noch 
nicht aus. 

Mit der Annahme einer Reizkette ist schon vorweggenommen, 
daß die auf die Reizaufnahme folgende Erregung nicht direkt in die 
der Krümmungsreaktion zugrunde liegenden Vorgänge übergeht, sondern 
daß noch andere Glieder dazwischen geschaltet sind. Wirklich be- 
dingt die einheitliche Reaktion des ganzen Pflanzenteils, die Regulation 
des Wachstums von der einen, sich am schnellsten, bis zur anderen, 
sich am langsamsten streckenden Flanke, das Vorhandensein von min- 
destens noch zwei Arten von Vorgängen: erstens solchen, die die Erregung 


48 Ill. Die Reizwirkungen der Schwerkraft. 


durch das ganze Gewebe hin fortzupflanzen oder zu leiten haben und 
zweitens solchen, die sie in einheitlich geregelte Impulse umsetzen. 
Diese werden nun den einzelnen Örganteilen oder Zellen mitgeteilt, 
wobei wiederum eine Leitung nötig wird. 


Wollen wir die Analogie mit den entsprechenden tierischen Vor- 
gängen herstellen, so müssen wir sagen, wir haben die Obliegenheiten 
im Sinne, die dort den Nerven als Leitungsbahnen und ihren lokalen 
Umsatzzentren, den Ganglien, zukommen, während für die Reizauf- 
nahme beim Tiere die Sinneszellen, für die Ausführung die Muskeln 
verantwortlich sind. Es läge demnach auch bei den Pflanzen ein 
einfacher Reflex vor; nur daß man nicht wie bei den Tieren be- 
sondere Organe nachweisen kann, denen die verschiedenen Funktionen 
zukommen, sondern daß vielmehr die inneren Prozesse in nicht 
eigens differenzierten Zellen vor sich gehen. Das gilt sowohl von 
den Leitungs- oder duktorischen, wie auch von den regulierenden oder 
rektorischen Prozessen, denen die der Reizaufnahme als die sen- 
sorischen und die der Ausführung als die motorischen gegenüber- 
gestellt werden können. 

Das Vorkommen besonderer Vereinheitlichungs- oder rektorischer 
Vorgänge muß nun allerdings vorläufig bloßes Postulat bleiben, da 
experimentell hierüber nichts vorliegt; daß aber wirklich in Pflanzen 
eine Leitung der Erregung angenommen werden muß, ergibt sich 
zwingend aus den Fällen, in denen eine räumliche Trennung von 
Reizaufnahmestelle und Krümmungsregion nachgewiesen werden konnte. 
Ein derartiges Verhalten sicherzustellen ist beim Geotropismus sehr 
schwierig, da wir ja die Schwerkraft nicht, wie etwa das Licht, an 
bestimmten Stellen von der Pflanze abhalten und an anderen ein- 
wirken lassen können. 

Die räumliche Trennung der Bewegungszone von der, den geo- 
tropischen Reiz vorwiegend aufnehmenden ist zuerst von Ch. Darwin 
([1881] 1899) für die Spitze der Keimwurzel behauptet, später nach 
vielen Kontroversen von Üzapek (1895) wahrscheinlich gemacht und 
schließlich von Haberlandt (1908) bewiesen worden. 


Darwin glaubte die alleinige Empfindlichkeit der Wurzelspitze 
daraus entnehmen zu können. daß eine geotropische Bewegung aus- 
bleibt, wenn die Wurzel um die Länge von I—2 mm verkürzt wird, 
wobei die Krümmungszone erhalten bleibt. Spätere Versuche zeigten 
aber, daß diese Methode nicht einwandfrei ist, weil die Verwundung 
eine Störung der Empfindlichkeit und damit ein Ausbleiben der Re- 
aktion bewirken kann, auch wenn das Perzeptionsorgan erhalten 
bleibt. Deshalb stellte Czapek seine Experimente in der Weise an, 
daß er Wurzeln am Klinostaten in gebogene Glasröhrchen hinein- 
wachsen ließ ohne sie zu verletzen. Dadurch wurde die Wurzel- 
spitze in einem rechten Winkel von der weiter oben befindlichen 
Streckungszone abgelenkt. Es fand dann nach seiner Angabe die geo- 
tropische Krümmung stets im Sinne der Reizung der Wurzelspitze statt. 


Die Glieder der geotropischen Reizkette. 49 


So wuchs z. B. bei vertikaler Wachstums- (Bewegungs)zone und hori- 
zontaler Spitze die der Oberseite der letzteren entsprechende Flanke 
schneller, was das Überwiegen der geotropischen Empfindlichkeit der 
Spitze und die Reizleitung von da in die Streckungszone beweisen 
würde. Diese Resultate konnten aber bei mehrmaliger Prüfung von 
anderer Seite nicht bestätigt werden, indem die mechanische Biegung 
der Wurzel unkontrollierbare Störungen bewirkte. Deshalb war die 
Heranziehung eines durchaus anderen Prinzipes zum Auseinander- 
halten der geotropischen Sensibilität der einzelnen Teile äußerst 
erwünscht. 

Die gleichfalls fein ausgedachte, und wegen Vermeidung der De- 
formation der Wurzel zuverlässigere Methode, deren sich Haberlandt 
bediente, hatte der Ingenieur A. Piccard (1904) für diesen Zweck 
ausgearbeitet. Er war auf Grund seiner Experimente zu einem 
Darwins Annahme entgegengesetzten Schlusse gekommen. Haber- 
landt zeigte aber, daß Piccards Versuche noch nichts beweisen. Erst 
in seiner Hand leistete die Versuchsanstellung das, was man theoretisch 
von ihr erwarten durfte. Sie beruht darauf, daß man die Wurzel in 
der Weise der Fliehkraft aussetzt, daß die Spitze in entgegengesetztem 
Sinne beeinflußt wird als der Rest der Wurzel. Dies gelingt, wenn die 
(gedachte) Drehungsachse die Wurzel kurz hinter der Spitze schräg 
durchschneidet. Dann wird bei der Rotation sowohl die Spitze 
wie der basale Teil der Wurzel einer Fliehkraft ausgesetzt, die sie 
von der Achse fortzutreiben sucht. Bei positiv geotropischen Ob- 
jekten wächst aber, wie wir gesehen haben, die von der Kraftquelle 
abgewandte Flanke stärker. Würde jede wachstumsfähige Zone den 
Reiz für sich perzipieren, so müßte daher überall das Wachstum der 
der Achse zugekehrten Flanke überwiegen. Und da die Wurzel die 
Achse schräg schneidet, so müßte sie zwei Krümmungen bekommen, 
also S-förmig werden. Überwiegt dagegen die Sensibilität einer be- 
stimmten Zone, so muß die Krümmungsrichtung der Reizung dieser 
entsprechen. 

Natürlich muß sehr schnell gedreht werden, weil sonst die Flieh- 
kraft bei der kurzen Entfernung von der Achse zu klein wird. 

Es ergab sich nun in Haberlandts Versuchen, daß die Wurzeln 
von Vicia Faba sich im Sinne der Reizung der Spitze krümmten, 
wenn die Achse sie 1,5—2 mm hinter der Spitze im Winkel von 45° 
schnitt. War dagegen das überstehende Ende nur 1 mm lang, so 
erfolgte die stärkere Reizung und damit die Krümmung in entgegen- 
gesetztem Sinne. Man ersieht daraus, daß eine Leitung der geo- 
tropischen Erregung von der vorwiegend sensiblen Spitze nach der 
allerdings nicht ganz unempfindlichen Wachstumszone stattfindet, die 
deren direkte Reizung überwinden kann. Somit ist zwar das Vor- 
kommen einer Reizleitung sichergestellt. Wir kennen aber immer noch 
kein geotropisches Objekt, in dem sicher eine völlige lokale Trennung 
von Perzeptions- und Aktionszone vorläge, wenn auch eine viel größere 
Empfindlichkeit der Spitze gegenüber der Wachstumszone und vor 


Pringsheim, Reizbewegungen. 4 


50 11I. Die Reizwirkungen der Schwerkraft. 


allem eine Übertragung des Reizes oder besser der Erregung von der 
einen zur anderen für Wurzeln bewiesen ist. 

Es gibt nun noch eine ganze Reihe von Erfahrungen an anderen 
Pflanzenteilen, die in demselben Sinne sprechen. So hat Francis 
Darwin (1899) einen hübschen Versuch angegeben, der zeigt, daß die 
geotropische Reizung der Spitze von Graskeimlingen, besonders der hirse- 
artigen Gräser, die der hauptsächlich krümmungsfähigen tieferen Zonen 
zu überwinden imstande ist. Er befestigte solche Pflänzchen an ihrer 
Spitze horizontal, indem er den übrigen Teil frei schweben ließ. Es 
wurde dann zunächst, wie zu erwarten war, die Unterseite im Wachs- 
tum gefördert. Dadurch kam nun bei der ‚verkehrten‘ Befestigung 
etwas Seltsames zustande. Zunächst krümmte sich in der oben (S. 35) 
beschriebenen Weise anstatt der Spitze, die ja daran verhindert war, 
das basale Ende aufwärts. Wäre die Wachstumszone allein geo- 
tropisch empfindlich, so hätte es damit sein Bewenden gehabt. Die 
Graskeimlinge verhielten sich aber anders. Da die Spitze, als die 
vor allem reizempfindliche Zone, nicht in die Ruhelage kam, weil sie 
ja wagerecht festgehalten wurde, ging das verstärkte Wachstum auf der 

Flanke, die der unteren Seite der Spitze entsprach, 

ZN weiter, so daß die Keimlinge sich fortdauernd, 

IE 


I) auch über die Senkrechtstellung des basalen Endes 
_—h hinaus, weiterkrümmten und schließlich lockenartig 
Abb. 19. einrollten (Abb. 19.) 
Keimling einer Panicee Schließlich haben wir noch ein weiteres Mittel, 
mit der Spitze in Hori- £ t E} ä Pi 3 
zontallage befestigt. das in gewissen Fällen einen Anhalt für die Be- 
(Nach Fr, Darwin aus urteilung der Lage der empfindlichsten Zone gibt. 


Dieser Nachweis stützt sich darauf, daß die Leitung 
der Erregung stets einige Zeit zur Zurücklegung einer gewissen Strecke 
braucht. Deshalb können die der reizaufnehmenden Stelle benachbarten 
Teile mit der Ausführung der Reaktion beginnen, bevor der Impuls sich 
weiter ausgebreitet hat. Wäre die geotropische Sensibilität in einem 
Organe gleichmäßig verteilt, so müßte die Krümmung in der Zone 
beginnen, in der das Wachstum am stärksten ist. Aus einer Ab- 
weichung von diesem Verhalten kann man schließen, daß die Zone 
maximaler Streckung nicht mit der empfindlichsten Stelle zusammen- 
fällt, daß also in deren Nähe die Reizwirkung beginnt und deshalb 
sich weniger rasch streckende Zonen mit der Krümmung der ferner 
gelegenen Hauptwachstumszone voraneilen (Rothert 1896, S. 187 fi). 
So verhalten sich z. B. Graskeimlinge, bei denen die Krümmung an 
der äußersten Spitze beginnt, obgleich die Hauptstreckungszone ein 
ganzes Stück tiefer liegt. Abgesehen davon, daß ein solches Ver- 
halten sich nur zeigen wird, wenn ein genügend großer lokaler 
Abstand zwischen Hauptperzeptions- und Hauptaktionszone liegt, ist in 
der Beurteilung noch deshalb Vorsicht vonnöten, weil der geotropische 
teiz selbst die Wachstumsgeschwindigkeit beeinflussen kann. 

Wir haben nun die hauptsächlichsten Gründe besprochen, die 
für das Vorkommen einer Reizleitung beim Geotropismus sprechen. 


Die Glieder der geotropischen Reizkette. 51 


Am besten ist der Beweis für die räumliche Trennung von Aufnahme- 
und Krümmungszone bisher bei der Wurzel geführt. Dieser Nachweis, 
gerade an den so häufig benutzten und durch Darwin klassischen 
Objekten wird uns als sichere Grundlage für weitere Betrachtungen 
dienen können. 

Von den Teilprozessen der Reizkette bleibt uns nach Erledigung 
der Reizleitung noch das physiologische Anfangs- und Endeglied, 
nämlich Perzeption und Reaktion, eingehender zu besprechen. Zu- 
nächst die Perzeption: Wie empfindet die Pflanze den Zug der 
Schwere und seine Richtung? Am nächsten liegt wohl der Gedanke, 
daß bei einem umgelegten geotropischen Organ das Gewicht des 
ganzen Pflanzenkörpers eine veränderte Spannung der Gewebe er- 
zeugt, und daß diese es ist, die den Anstoß zum ungleichen Wachs- 
tum der unteren und oberen Flanke gibt. Man hätte dann etwas 
unseren ‚inneren Lageempfindungen‘“ Vergleichbares, wie es bei der 
passiven Veränderung der Gliederstellung bemerkbar wird (W. Wundt 
1962, II.) Die Probe auf diese Hypothese liegt schon in dem Versuch 
mit der in Quecksilber eindringenden Wurzel, in der die Zug- und 
Druckverhältnisse durch den Auftrieb gegenüber den Verhältnissen 
in Luft gerade umgekehrt sind. Dasselbe ist bei einem geotropischen, 
in Wasser untergetauchten Stengel der Fall, falls er spezifisch leichter 
als dieses ist. Dennoch krümmt er sich geotropisch aufwärts. Die 
durch das Gewicht der Teile bewirkte Dehnung der oberen und Zu- 
sammendrückung der unteren Stengelhälfte fällt hier fort oder wird 
sogar umgekehrt, Trotzdem wird die Richtung der Schwerkraft 
empfunden. Da diese aber kaum anderes als Gewichtswirkungen 
veranlassen kann, so müssen wir im Innern der Pflanze irgend- 
welche für Druck- oder Zug empfindliche Organe annehmen und in 
ihnen Körper, die der Schwere zu folgen bestrebt sind. Diese wären 
dem Einfluß der oben beschriebenen Quecksilber- und Wasserexperi- 
mente nicht zugänglich. Man könnte sich leicht denken, daß solche 
spezifisch leichteren oder schwereren Körper das lebende Plasma reizen 
würden, indem sie durch die Richtung des Zuges oder Druckes, der 
bei verschiedener Lage des ganzen Pflanzenteils wechselte, die Be- 
tätigung der geotropischen Wachstumsverschiebung veranlaßten. 

Diese Hypothese, die schon in den Anschauungen von Knight 
ihre Grundlage hat, ist von Noll weiter ausgebaut worden. Später 
haben N&mec und besonders Haberlandt es für viele Fälle wahr- 
scheinlich gemacht, daß in spezifisch schwereren und innerhalb der 
Zelle beweglichen Stärkekörnern die auf das Protoplasma drückenden 
Körper zu suchen sind. Diese Stärkekörnchen sollen als „Statolithen‘“ 
durch ihre Lage in der Zelle die Empfindung der Schwerkraftsrichtung 
veranlassen. Daß nicht notwendig so große oder überhaupt sichtbar 
differenzierte schwere Körper als wirksam angenommen werden müssen, 
ist klar und geht auch daraus hervor, daß es Pflanzenorgane ohne 
Stärkekörner gibt, die in derselben Weise und nicht weniger präzis 
und schnell reagieren. So z. B. die aufrechten Fruchtträger und Hut- 

4* 


52 Ill. Die Reizwirkungen der Schwerkraft. 


stiele der Pilze, in deren Zellen es vielfach schwer fallen dürfte, 
überhaupt feste Bestandteile zu entdecken. In anderen Fällen, so 
in den Wurzelhaaren der Armleuchtergewächse (Chara, siehe Giesen- 
hagen 1901) hat man die Druckwirkung anderer Körnchen, die nicht 
aus Stärke bestehen, zur Erklärung herangezogen. 

Haberlandt nimmt also an, daß das Plasma in gewissen Zell- 
komplexen der geotropischen Pflanze den Druck der dort vor- 
handenen beweglichen Stärkekörner empfindet. Diese Stärkekörner 
zeichnen sich vor den meisten anderen dadurch aus, daß sie in jeder 
Lage auf die untere Seite der Zelle sinken. Die gedrückte Stelle 
wird bei jeder Lageveränderung der Pflanze wechseln, und so ist 
eine Art Sinnesorgan geschaffen, das der Pflanze über ihre Orientierung 
Aufschluß gibt. Solche bewegliche Stärke findet sich bei Stengeln 
in der sogenannten Stärkescheide, bei Wurzeln in der Wurzelhaube, 
und ihr Vorkommen stimmt nach den Untersuchungen der Haber- 
landtschen Schule mit dem Besitz einer geotropischen Reizbarkeit 
gut überein. 

Die Diskussion der Statolithen-Frage ist noch nicht geschlossen ; 
und so viele Gründe auch dafür sprechen, daß wirklich spezifisch 
schwerere Körper die geschilderte Funktion ausüben, so ist es doch 
wohl noch nicht entschieden, daß dies die Stärkekörner sind oder 
sein können. Leider kann man der Pflanze nicht die Stärke ent- 
ziehen, ohne sie auch sonst zu schädigen oder jedenfalls zu ver- 
ändern!). Die sonstigen experimentellen Beweise, die die Haber- 
landtsche Theorie sicherstellen sollen, haben mancherlei Einwürfe ent- 
kräftet; positiv stützen können sie aber in Wirklichkeit nur die 
Annahme, daß Körper von verschiedenem spezifischen Gewicht bei 
der Schwerkraftsreizung eine Rolle spielen (z. B. Buder 1908). 

Vielleicht das beste Argument für diese allgemeinere Annahme bieten 
Versuche, die nicht an Pflanzen, sondern an Tieren angestellt worden sind 
(A. Kreidl 1892/93). Manche Krebse besitzen nämlich von außen eingestülpte 
Hohlräume, in deren Innern ein schwerer Körper, der Statolith, liegt. Daß 
die Funktion dieses Organes die Empfindung der Lage ist, konnte bei gewissen 
Formen experimentell bewiesen werden. Diese zeichnen sich dadurch aus, daß 
ihre Bläschen sich niemals ganz schließen und daß der Statolith sich nicht im 
Innern bildet, sondern von außen hineingebracht wird. Bei der Häutung ver- 
liert der Krebs dieses wichtige Organ. Vorher aber hat sich darunter schon ein 
neues gebildet, dem nur eins fehlt, der bewegliche schwere Körper. Als solchen 
benutzt dann das Tier irgend ein Sandkörnchen, daß es sich in die Öffnung 
stopft. — Nun wurde frischgehäuteten Krebsen kein Sand, sondern Eisenfeil- 
späne gegeben. Als diese ihrer Funktion als Schwerkraftsanzeiger übergeben 
worden waren, wurde ihnen ein Magnet genähert. Da zeigte sich denn, daß 
die Tiere sich nicht mehr nach der Erde, sondern nach dem Magneten zu orien- 
tieren suchten und so die sonderbarsten Stellungen einnahmen, ein zwingender 


Beweis für die wirkliche Funktion dieser Organe. Könnten wir es mit Pflanzen 
ähnlich machen, so wären alle Zweifel beseitigt. 


1) Die Versuche von Frl. Pekelharing (1909), die durch Einwirkung von 
Aluminiumsalzen es fertig gebracht haben wollte, sämtliche Stärkekörner in 
Wurzeln zum Verschwinden zu bringen, ohne die geotropische Reizbarkeit auf- 
zuheben, konnten von Nömeec (1910) nicht bestätigt werden. 


Die Glieder der geotropischen Reizkette. 53 


Da die pflanzlichen Statolithen operativen und überhaupt ex- 
perimentellen Eingriffen schwer oder gar nicht zugänglich sind, so 
bleibt nur die Untersuchung übrig, ob in allen Fällen geotropische 
Empfindlichkeit und Vorkommen beweglicher Stärke parallel gehen. 
Das scheint nun wirklich, wie gesagt, meist der Fall zu sein. Man 
muß nur berücksichtigen, daß in den Fällen, in denen die geotropische 
Krümmungsfähigkeit erlischt, ohne daß die betreffenden Stärkekörner 
verschwinden, noch nicht die geotropische Empfindlichkeit er- 
loschen sein muß. 

Um die Funktion des Statolithenapparates übersehen zu können, 
bedarf es als Grundlage einer genauen Kenntnis der Empfindlich- 
keitsverteilung, wie sie bisher nur für die Wurzelspitze erlangt 
ist. Auf einer solchen allein können aber die Belege für die Wirk- 
samkeit der beschriebenen Einrichtungen aufgebaut sein, die wie die 
meisten anatomisch-physiologischen Ansichten bisher mehr auf Wahr- 
scheinlichkeit beruhten. Solche Belege hat man nun zu erbringen ver- 
sucht, indem man einmal beim Auftreten oder Verschwinden der 
geotropischen Reaktionsfähigkeit untersuchte, ob ihnen ein ent- 
sprechendes Verhalten der beweglichen Stärke entsprach, und zweitens, 
indem man experimentell, hauptsächlich durch Abschneiden der reiz- 
aufnehmenden Spitze, in den Zusammenhang einzudringen suchte 
(N&mec 1900, 1901). 

Man kann sagen, daß eine gute Parallelität zwischen beiden 
Tatsachengebieten gefunden wurde. So kehrte z. B. die durch Ab- 
schneiden der Spitze aufgehobene geotropische Empfindlichkeit der 
Wurzel gleichzeitig mit der Bildung eines neuen Statolithenapparates 
zurück. Allerdings ist ein zwingender Beweis auch durch diese Er- 
fahrungen nicht erbracht. Ferner mußte Haberlandt nach verschie- 
denen Erfahrungen zugeben, daß eine Verlagerungsfähigkeit der 
Stärkekörner für die Perzeption nicht unbedingt notwendig sei. Auch 
wenn sie festliegen, sollen sie die Statolithen-Funktion ausüben können. 
Die Beweglichkeit der Stärkekörner soll nur eine höhere Form der 
Ausbildung darstellen. Da hiermit der Hauptangriffspunkt für eine 
sich an Beobachtung anschließende Kritik genommen ist, so bleibt 
nur die Möglichkeit, nachzusehen, ob der Grad der Reizbarkeit mit 
dem der Beweglichkeit der Stärke in den verschiedenen Fällen über- 
einstimmt. Haberlandt nimmt an, daß mit dem Hinüberwandern 
der Stärkekörner auf die unteren Zellwände eine allmähliche Zu- 
nahme der Reizintensität verknüpft ist. Die ablehnende Haltung 
vieler Forscher gegenüber der Statolithentheorie des Geotropismus 
hat ihre Ursache wohl in dem Bedenken, einem solchen, eigentlich 
recht primitiven Apparate mit seinem wechselnden Gehalt an ‚Stato- 
lithen‘“, bei dem weder die ganze Zelle noch die Stärkekörner eine 
mathematisch einfache oder scharf definierte Form besitzen, eine so 
feine Unterscheidungsfähigkeit zuzutrauen und von ihm ein so prä- 
zises Funktionieren zu erwarten, wie es für die geotropische Reaktion 
durch Untersuchungen der letzten Jahre bekannt geworden ist 


54 Ill. Die Reizwirkungen der Schwerkraft. 


(Fitting 1905). Dieser Einwand kann aber vielleicht durch die 
Annahme entkräftet werden, daß die Ungleichheiten im einzelnen 
sich durch die große Anzahl der zusammenwirkenden Sinneszellen 
aufheben. Reagiert ja doch ein Pflanzenteil normalerweise stets als 
ein einheitliches Ganzes auf Reizeinwirkungen der Außenwelt. 

Somit kann man zusammenfassend sagen: Der Perzeption des 
Schwerereizes liegen Zug- oder Druckwirkungen von Substanzen ver- 
schiedenen spezifischen Gewichtes innerhalb der Zellen zugrunde. 
Mancherlei Beobachtungen sprechen dafür, daß bei den höheren 
Pflanzen die Stärkekörner in gewissen Zellen durch ihr Gewicht die 
geotropische Reizwirkung ausüben. Endgültig sichergestellt ist diese 
Hypothese aber nicht. 

Fügt man zu den Überlegungen und Versuchen, die wir bei 
Besprechung der Statolithenhypothese kennen gelernt haben, noch 
die Ergebnisse hinzu, die aus der experimentellen Trennung von 
Reizaufnahme und Reizreaktion resultieren, so hat man das wesent- 
lichste von dem erschöpft, was über die Art der Perzeption des 
geotropischen Reizes bekannt ist. 

Nachdem wir nun über die Vorgänge der geotropischen Reiz- 
aufnahme und Leitung einigermaßen Bescheid wissen, wenden wir 
uns der Besprechung der auf sie folgenden Reizprozesse zu. 

Der geotropische Reizerfolg stellt sich, wie früher (8. 35) be- 
sprochen, im allgemeinen als Wachstumsvorgang dar. Die Erreichung 
der Normallage kommt durch ungleiche Verlängerung der oberen 
und unteren Seite des Organes zustande. Dabei bleibt meist die 
durchschnittliche Wachstumsintensität, wie sie sich in der Verlänge- 
rung der Mittelzone ausdrückt, dieselbe wie bei geradlinigem Wachs- 
tum (Luxburg 1905). Es wird dann also die Streckung der einen 
Hälfte bei der geotropischen Reaktion um ebensoviel gefördert, wie 
die der anderen gehemmt wird. Somit ist es auch verständlich, 
daß die Krümmungsfähigkeit unter sonst gleichen Verhältnissen der 
Intensität des Wachstums entspricht und mit diesem erlischt. 

Hat ein Organ sein Wachstum beendet, so haben wir kein 
Mittel mehr, die geotropische Sensibilität nachzuweisen. Dasselbe 
gilt für alle anderen durch Wachstum realisierten Reizkrümmungen. 
Es läßt sich also nichts darüber aussagen, ob die Sensibilität in 
alternden Organen dauernd erhalten bleibt. 

Abweichend verhält sich die geotropische Krümmungsfähigkeit 
zum Wachstum allein in solchen Fällen, in denen durch Ausbildung 
besonderer gelenkartiger Organe die Bewegungsreaktion lokalisiert ist. 
Es können dann nämlich auch nach Vollendung des normalen Wachs- 
tums noch Reizkrümmungen ausgeführt werden. In dieser Be- 
ziehung ergibt sich eine Übereinstimmung zwischen den sonst durch- 
aus verschieden funktionierenden Blattgelenken und Stengelknoten. 
Offenbar sind beide Einrichtungen als Anpassungen aufzufassen, die 
einer besonders häufigen Inanspruchnahme der geotropischen Reaktions- 
fähigkeit ihren Ursprung verdanken. 


Die Glieder der geotropischen Reizkette. 55 


Die Blattgelenke führen in ihrer Jugend geotropische Wachstums- 
krümmungen aus, wie andere Organe. Haben sie ihre definitive 
Länge erreicht, so ist jedoch mit dem Wachstum noch nicht die 
Krümmungsfähigkeit erloschen. Es tritt dann ein anderer Reaktions- 
mechanismus in Tätigkeit, der — wie oben geschildert — auf 
wechselnder Turgorspannung beruht (vergl. S. 31/32). Der Unter- 
schied dieser Reaktionsweise von der durch Wachstum zeigt sich am 
besten, wenn man die Organe sich ert geotropisch krümmen und 
dann durch Zurückbringen der Pflanze in die ursprüngliche Lage 
wieder geradestrecken läßt. Hat eine Wachstumsbewegung vorge- 
legen, so ist das Organ nun länger geworden. Bei einer Turgor- 
bewegung dagegen erlangt es wieder seine alte Form und Größe. 
Die Länge der ausgebildeten Gelenke ändert sich nicht, so oft auch 
die Krümmung wiederholt wird, 

Bei häufiger Beanspruchung fand jedoch Czapek (1898. S. 301) eine Art Er- 
müdung. Bei den Gelenken der Bohnenblätter wurde nämlich die geotropische 
Reaktion nach mehrfacher Wiederholung träger und schwächer. Da etwas ähn- 
liches bei Wachstumskrümmungen nie beobachtet wurde, solange das Wachstum 
anhielt, so dürfte die Erscheinung der Ermüdung von Gelenken mit der Me- 
chanik der Reaktion zusammenhängen. 


Die Fähigkeit, sich auch nach Beendung des normalen Wachs- 
tums geotropisch zu krümmen, finden wir nun ferner bei den An 
schwellungen oder ‚Knoten‘, 
die viele Pflanzen an der An- 
satzstelle der Blätter entweder 
am Stengel (Nelkengewächse, 
Tradescantiaarten) oder am 
Blattgrunde (Gräser usw.) zei- 
gen. Bej vielen von ihnen kann 
durch den geotropischen Reiz 
selbst nicht nur eine lokale 
Verschiebung der Wachstums- 
energie, sondern eine Beschleu- 
nigung der Streckung bewirkt 
werden, die eine schnellere 
Krümmung zur Folge hat. 


Bei den Gräsern undeinigen 
anderen geht das so weit, daß 
das Wachstum, das ohnehin in 
den Knoten länger anhält als in 
den danebenliegenden Stengel- 


Abb. 20. 


Gras-Blattknoten. Links Außenansicht, gekrümmt. 

Rechts Durchschnitt. Man sieht, daß das der 

Blattscheide angehörige Knotengewebe den hohlen, 

zarten Stengel umgibt. Auf den bei den Krüm- 

mungen konvexen Seiten ist das Polstergewebe 
gewachsen. 


teilen, auch dann, wenn es 

schon völlig erloschen ist, auf einen geotropischen Reiz hin wieder 
aufgenommen wird. Das erneute Wachstum hört allerdings bald 
wieder auf, oft vor Erreichung der Vertikallage. Dreht man nun 
den Halm herum, so kann er sich noch in entgegengesetzter Rich- 
tung krümmen, aber nur bis zur Geradestreckung. Dann ist be- 


56 Ill. Die Reizwirkungen der Schwerkraft. 


greiflicherweise auf beiden Seiten das Maximum der noch möglichen 
Streckung erreicht (Sachs 1873). 

Wir müssen in der Beschleunigung des Wachstums eine be- 
sondere Reizwirkung der Schwerkraft sehen, die von der ungleichen 
Beeinflussung der Streckung, also der ‘eigentlichen geotropischen 
Reizung gedanklich getrennt werden muß. Man kann sie aber auch 
experimentell trennen. Wenn man Grashalmstücke am Klinostaten 
rotieren läßt, so kann eine geotropische Krümmung bei dem 
Wechsel der Schwerkraftrichtung nicht auftreten. Es zeigt sich 
aber, daß eine Reizung doch zustande kommt, indem die Basal- 
knoten der Blätter sich zu strecken anfangen (Elfving 1884). Das 
Resultat dieses Versuches spricht übrigens auch dafür, daß am 
Klinostaten wirklich eine Schwerkraftreizung stattfindet und nur 
wegen der Aufeinanderfolge entgegengesetzter Impulse eine Krümmung 
nicht zustande kommt, während man früher glaubte, daß das kurze 
Verweilen in jeder Lage nicht ausreichte, eine Erregung zu bewirken. 

Eine geotropische Krümmung nicht mehr in die Länge wachsen- 
der Teile findet sich ferner bei verholzten Zweigen der Bäume. Bei 
diesen Objekten kann die Zellbildungsschicht, die sonst das Wachs- 
tum in die Dicke bewirkt, durch ungleiche Produktion neuer 
Elemente auf Ober- und Unterseite eine Krümmung erzielen. So 
können sich mehrjährige, verholzte Zweige von der Roßkastanie und 
der Linde noch geotropisch krümmen, wenn sie aus ihrer Lage ge- 
bracht werden. 


ec) Quantitative Zusammenhänge zwischen Reizanlaß, 
Erregung und Reaktion. 


Ehemals teilte man die Naturwissenschaften kurzerhand in 
exakte und beschreibende ein. Einer exakten Behandlung fähig 
sollten allein Astronomie, Chemie und Physik sein. Die Botanik und 
Zoologie dagegen rechnete man zu den beschreibenden Wissenschaf- 
ten, weil in ihnen die Mannigfaltigkeit der Formen das Interesse zu- 
nächst durchaus in Anspruch nahm. 

Wir empfinden diese Scheidung heute als ein Werturteil, gegen 
das sich unser naturwissenschaftliches Gefühl auflehnt. In der Tat 
haben exakte Methoden längst auch in die Biologie, die Lehre von 
den Lebewesen, Eingang gefunden. Man ging sogar auch hier so- 
weit, nur eine mathematische oder physikalisch-chemische Behand- 
lungsweise der Probleme als echte Wissenschaft anzuerkennen. Diese 
Auffassung schießt weit übers Ziel, wenn man auch anerkennen muß, 
daß die zahlenmäßige Forschungsweise einen sehr großen Fortschritt 
herbeigeführt hat. Sie wurde in die Pflanzenphysiologie vor allem 
durch Sachs’ und Pfeffers Arbeiten und Anregungen hineingetragen. 
Noch ist dieser Fortschritt nicht mit der Befruchtung zu vergleichen, 
die den sogen. exakten Wisenschaften durch die quantitative Be- 
llandlung zuteil wurde. Besonders in der Chemie ist für uns der 


Quantitative Zusammenhänge zwischen Reizanlaß usw. 57 


Umschwung in die Augen springend, weil er nicht so weit zurück- 
liegt wie in der Physik und Astronomie. Bei der Wissenschaft vom 
Leben stehen wir noch mitten in dieser Entwicklung. Doch erobert 
sich das streng geführte Experiment immer neue Gebiete, so neuer- 
dings das der Tierpsychologie. 

In der Pflanzenphysiologie sind wir schon etwas weiter. Seit 
etwa 50 Jahren ist man sich darüber einig, daß auch hier gemessen 
und gezählt werden muß, wenn man über das Stadium der mehr 
oder weniger begründeten Vermutungen hinwegkommen will. 

Welches sind nun die Dinge, über die uns eine zahlenmäßige 
Behandlung der Reiz-Probleme, zunächst des Geotropismus, Aufschluß 
geben kann? 

Wie wir hervorgehoben haben, ist die Gravitation auf der Erde 
für unsere Zwecke überall als gleichstark anzunehmen. Denn auf 
so feine Unterschiede, wie sie durch die Abweichung der Erdgestalt 
von der Kugelform zustande kommen, brauchen wir uns nicht einzu- 
lassen. In der Zentrifugalwirkung haben wir dagegen ein Mittel, 
einen der Stärke nach variierbaren Reizanlaß zu benutzen, der der 
Art nach der Gravitation gleichgesetzt werden kann. Wie wir 
schon wissen, nimmt die Pflanze, falls diese beiden Kräfte in ver- 
schiedenen Richtungen auf sie einwirken, eine Zwischenstellung ein. 
Damit sind aber lange nicht alle Fragen erledigt, die sich in bezug 
auf die Wirkung verschieden starker ‚‚geotropischer‘‘ Reize stellen 
lassen. Sie bleiben der exakten Bearbeitung vorbehalten. 

Noch in anderer Weise läßt sich ein geotropischer Reiz vari- 
ieren, nämlich in bezug auf die Richtung, in der die Schwerkraft 
auf den Pflanzenteil einwirkt. Dieser Umstand kann durchaus nicht 
gleichgültig sein. Steht die Wurzel oder der Stengel normal senkrecht, 
so bemerken wir keine Einwirkung der Schwerkraft, der Pflanzenteil ist 
in der Ruhelage. Sobald er aber abgelenkt wird, greift die geo- 
tropische Reizbarkeit korrigierend ein. Prüfen wir alle Winkellagen 
durch. so finden wir, daß nicht nur in der Normalstellung, sondern 
auch in der genau umgekehrten eine Ruhelage existiert. 

Ist nämlich der Pflanzenteil um 180° gedreht, so greift die 
Schwerkraft wiederum in der Richtung der Längsachse ein, kann 
also nicht zwei Flanken verschieden beeinflussen. Daher unterbleibt 
eine geotropische Krümmung. Das gilt aber nur von der ganz ge- 
nauen Vertikallage. Steht das Objekt nur ein wenig schief, so be- 
ginnt eine zunächst schwache geotropische Krümmung. Dadurch 
wird die Abweichung von der reizlosen Lage vergrößert und ein 
stärkerer geotropischer Reiz verursacht, der schließlich zu einer 
vollkommenen Umkehr führt. Das betreffende positiv oder negativ 
geotropische Pflanzenorgan gewinnt so schließlich wieder die Normal- 
stellung. Praktisch wird das unter Bedingungen, die nicht eigens 
dieser Fragestellung angepaßt sind, stets der Fall sein, weil so kleine 
Abweichungen von der Vertikallage, wie sie gerade zu einer ganz 
schwachen geotropischen Reizung ausreichen, durch etwas ungleich- 


58 IlI. Die Reizwirkungen der Schwerkraft. 


mäßiges Wachstum stets gegeben sind. Wenn man aber den Kunstgriff 
anwendet, die Wurzel oder den Stengel in der umgekehrten Vertikallage 
eine Zeitlang festzuhalten, um dann die Nachwirkung in der Normal- 
stellung zu prüfen. so findet man, daß unter diesen Umständen keine 
Reaktion stattfindet, im Gegensatz zu allen anderen Winkellagen. 

Es gibt also bei den vertikal wachsenden oder „orthotropen“‘ 
Pflanzenteilen zwei Ruhelagen, die dem stabilen und labilen Gleich- 
gewichte der Mechanik entsprechen. Sowohl aus der stabilen wie 
aus der labilen Ruhelage kehrt das Organ nach einer Ablenkung 
in die stabile zurück. 

Soweit kommt man noch verhältnismäßig leicht. Darüber hinaus 
aber möchten wir noch wissen, welche Wirkung die anderen Reiz- 
lagen zwischen 0 und 180° haben, ob hier wie bei verschieden großer 
Zentrifugalkraft nur die Stärke oder etwa auch die Art der Er- 
regung verändert wird? Zur Lösung dieser Frage brauchen wir wiederum 
genaue quantitative Methoden. 

Schließlich interessiert es uns, zu wissen, in welcher Weise die 
geotropische Reaktion infolge äußerer Einflüsse verschieden ausfällt 
und ob es möglich ist, mehrere Pflanzenarten in bezug auf ihre 
Reizempfänglichkeit zu vergleichen. In allen diesen Fällen müssen 
wir bei wissenschaftlicher Bearbeitung der Fragen möglichst exakt 
vorgehen, denn der bloße Augenschein verleitet zu groben Irrtümern. 

Wollen wir uns nun darüber klar werden, welche Mittel wir 
haben, um den physiologischen Reizwirkungen gegenüber messend 
vorzugehen, so müssen wir uns ins Gedächtnis zurückrufen, was oben 
über die einzelnen Teile des geotropischen Gesamtvorganges gesagt 
worden ist. Was der Beobachtung zugänglich ist, ist einerseits die 
physikalische Reizursache, andererseits der äußere Endeffekt oder 
die Reizreaktion. Aufschluß über die Zwischenglieder kann nur mittel- 
bar gewonnen werden. Der Reizanlaß ist ohne weiteres physikalisch 
messbar. Nicht so der Reizerfolg; doch kann man seine ein- 
zelnen Phasen aufzeichnen, vergleichen und so den Gang der Re- 
aktion verfolgen. Auf dieser Grundlage sind nun verschiedene Maß- 
methoden aufgebaut worden, die den Zweck haben, Licht auf die 
inneren Vorgänge in der Pflanze zu werfen und die verwickelten 
Teilprozesse voneinander sondern zu helfen. Ihre Hauptaufgabe 
sollte es im Grunde immer sein, darüber Aufschluß zu geben, welchen 
Einfluß die Veränderung des Reizanlasses, also z. B. verschieden 
starke Zentrifugalwirkung oder die Exposition in verschiedenen 
Winkellagen, sowie durch verschieden lange Zeit, auf den Gang der 
Erregung hat. Gesetzmäßige Zusammenhänge also sind zu finden 
zwischen der Größe des physikalischen Reizes und der Größe des 
ersten physiologischen Effektes!) in der Pflanze. Beim Menschen ist 
eine ähnliche Frage als das psychophysische Problem bekannt. 

!) Dieser erste physiologische Effekt, der ja eigentlich den Veränderungen in 
den Sinneszellen entspricht, darf doch hier mit unseren Empfindungen verglichen 
werden, wie sich aus der Gültigkeit der gleichen Gesetzmäßigkeiten für beide ergibt. 


Quantitative Zusammenhänge zwischen Reizanlaß usw. 59 


Der Gang des Fortschrittes in der Reizphysiologie ist gekenn- 
zeichnet durch das Streben, sich von der äußerlichen Beobachtung 
des Krümmungsverlaufes frei zu machen, weil in ihn zu viele 
störende Nebenfaktoren hineinspielen. Sieht man z. B. einen um- 
gelesten Pflanzenteil sich schnell und stark krümmen, so kann das 
einfach an seiner Wachstumsenergie liegen oder an anderen Ursachen, 
auf die es hier gar nicht ankommt. Wir wollen uns ja über das 
Empfindungsvermögen der Pflanze orientieren. 

Im Folgenden geben wir eine Übersicht der verschiedenen zur 
Verfügung stehenden Methoden, indem wir von den im angedeuteten 
Sinne unvollkommeneren zu den vollkommeneren vorschreiten. 

1. Man konstatiert den ersten Beginn der sichtbaren Abweichung 
von der vorher bestehenden Form und benutzt als Maß die vom 
Beginn der Reizung bis dahin vergangene Zeit. Das wäre die Be- 
stimmung der Reaktionszeit. Natürlich muß hier wie überall bei 
wissenschaftlichen Messungen derselbe Versuch oft wiederholt werden, 
damit Zufälligkeiten möglichst ausgeschaltet werden. Je nach der 
Feinheit der Methode wird man den Beginn der Reaktion früher oder 
später festzustellen vermögen. Doch kommt es bei vergleichenden 
Versuchen nur darauf an, einheitlich vorzugehen. 

2. Man mißt nach einer bestimmten Zeit vom Beginn der 
Reizung an gerechnet die Stärke der Krümmung an dem Radius 
des entstandenen Bogens. Dies geschieht, indem man aus einer 
Reihe von verschieden großen Kreisen den mit derselben Krümmung 
heraussucht.. Auch kann die Winkellage des annähernd geraden 
Endes als Maß der Reaktionsstärke herangezogen werden. 

3. Es wird die zur Erreichung eines bestimmten physiologischen 
Effektes, z. B. der ersten Spur einer Krümmung, notwendige Stärke 
oder Dauer des Reizanlasses gesucht. Das nennt man Bestimmung 
einer Reizschwelle. Unter den verschiedenen Schwellenwerten 
spielt beim Geotropismus die Präsentationszeit, also eine Zeit- 
schwelle, die größte Rolle. Auch hier wird es von der Art der Be- 
obachtung abhängen, welches Reaktionsminimum noch erkannt wird. 

4. Man benutzt einen Vergleichsreiz von bekannter Größe und 
Wirkung. Dabei geht man am besten von der Erfahrung aus, daß 
zwei einander entgegengesetzte gleich starke Reize sich in ihrer 
Wirkung aufheben. Darauf beruht die Kompensationsmethode. 
Bei ihr wird also die Größe einer Einwirkung bestimmt, die nötig 
ist, um einen anderen, bekannten Effekt gerade auszugleichen. Beim 
Geotropismus kann das nur in zeitlicher Aufeinanderfolge geschehen. 
Im übrigen aber sind die besprochenen Methoden nicht auf den 
Geotropismus beschränkt, sondern sind, wenigstens der Möglichkeit 
nach, wohl auf alle Reizkrümmungen anwendbar. 


1. Die Bestimmung der Reaktionszeit ist die früher am häu- 
fissten angewandte Methode. Zugleich aber ist sie die ungenaueste, 
wenn es darauf ankommt, den wirklichen Reizwert einer physikalischen 


60 Ill. Die Reizwirkungen der Schwerkraft. 


Einwirkung, wie sie den Gang der Erregung beeinflußt, festzustellen. 
Das, was eigentlich gemessen werden soll, ist ja nicht der äußere 
Effekt, der durch das Zusammenwirken vieler Einzelvorgänge in der 
Pflanze zustande kommt und sich kaum durch eine einfache Größen- 
angabe festlegen läßt. Den Beobachtern schwebte vielmehr immer 
vor die Höhe der durch einen Reizanlaß bewirkten Erregung zu 
messen, vergleichbar etwa der unmittelbaren Empfindung, die wir 
Menschen bei der Einwirkung eines bestimmten Reizes haben. 
Wollten wir aber auf diese Empfindungen schließen, ohne sie selbst 
zu teilen, so wären wir vielen Irrtümern ausgesetzt. Keinesfalls 
dürften wir eine beliebige Erscheinung, die in ursächlichem Zu- 
sammenhange mit der Empfindung stände, herausgreifen, um danach 
zu urteilen. So wäre es falsch, etwa die Heftigkeit, mit der jemand 
vor der Berührung mit einem heißen Eisen zurückschreckte, als Maß 
zur Erforschung des Wärmesinnes zu benutzen. 

In ähnlicher Weise hängt auch die geotropische Reaktionszeit, 
außer von der Stärke des Reizanlasses, noch von zu vielen anderen 
Faktoren ab, die den Zusammenhang verdunkeln. Man faßt sie 
unter dem unklaren Begriff der Krümmungsfähigkeit zusammen. 
Noch schlimmer aber ist es, daß gerade über den Zusammenhang 
zwischen Reizintensität und Reaktionszeit erst durch die Versuche 
selbst Klarheit geschaffen werden muß. 

Man wußte aus mancherlei Erfahrungen schon lange, daß vielfach 
ein schwacher Reiz mehr Zeit braucht, um einen deutlichen Effekt 
hervorzurufen, als ein starker. Auch beim Geotropismus ist das der 
Fall, aber nur innerhalb gewisser Grenzen. Über den Geltungs- 
bereich dieser Regel können nur besondere Versuche unterrichten. 
Unter ein gewisses Maß ist die Reaktionszeit schon deshalb nicht 
verkürzbar, weil die Wachstumsprozesse, die der Krümmung zugrunde 
liegen, eine gewisse Trägheit besitzen. 

Außerdem ist aber überhaupt nicht gesagt, daß durch die Ver- 
stärkung der Einwirkung stets nur die auf die Krümmung hinzielenden 
Prozesse beschleunigt werden. Es könnten dadurch offenbar auch 
hemmende Einflüsse ausgelöst werden, wie das bei anderen Reizarten 
klar bewiesen ist. Diese Unsicherheit in den Grundlagen der Re- 
aktionszeitbestimmungen hat manche Irrtümer veranlaßt, die den 
Fortschritt aufgehalten haben. Ist man sich aber darüber klar, was 
gemessen werden soll, und hat man erst einmal die Veränderung 
der Reaktionszeit in Abhängigkeit von der Stärke des Reizanlasses 
an verschiedenen Objekten studiert, so ist auch die Reaktionszeit 
als Maß oft brauchbar. Zudem hat diese und die nächste Methode, im 
Gegensatz zu den übrigen, mehr theoretisch bedeutungsvollen, einen 
gewissen ökologischen!) Wert. Sie charakterisiert am ehesten das 


!) Unter Ökologie verstehe ich mit Haeckel diejenige Disziplin der Bio- 
logie, in der der Nutzen einer Einrichtung für den Organismus nachgewiesen 
wird. Die reine Physiologie fragt dagegen nur nach den Ursachen des Geschehens. 


Quantitative Zusammenhänge zwischen Reizanlaß usw. 61 


Verhalten der Pflanzen unter normalen Umständen. Die Reaktions- 
zeit beträgt für die meisten der gebräuchlichen Wurzeln und Stengel 
von Keimlingen unter günstigen Bedingungen 60—80 Min. (Czapek 
1898). Schneller reagieren nach Fitting (1905) die Keimstengel 
von Sinapis alba, nämlich nach 45—60 Min. Andererseits gibt es 
auch viele trägere Objekte. Ferner kann das Alter die Reaktions- 
zeit beeinflussen: Keimstengel von Vicia Faba reagieren nach 
65 Min., wenn sie 3—5 cm lang sind, brauchen aber mehr Zeit, wenn 
sie erst I—2 cm lang sind (Fitting 1905). 

2. Die Bestimmung des Krümmungsverlaufes hat bei der 
Prüfung der Stärke eines Reizanlasses nie eine große Rolle gespielt. 
Bei Untersuchungen über die geotropische Reizstärke in verschiedenen 
Winkellagen ist sie überhaupt nicht ohne weiteres anwendbar, weil 
bei stärkerer Ablenkung ein größerer Weg zu durchlaufen ist als bei 
schwacher. Wir wissen aber schon, daß in der Inverslage, bei der 
die Krümmung bis zur Ruhelage am stärksten werden müßte, gar 
keine Reizung stattfindet. 

Größer ist die Bedeutung des Endwinkels, aber nur bei dem 
Vergleich zweier einander entgegenwirkender Reizanlässe, denn eine 
einzelne Richtkraft muss bei ausreichender Krümmungsfähigkeit 
schließlich stets eine vollkommene Einstellung bewirken. So gibt 
z. B. bei Zentrifugalversuchen mit vertikaler Achse die Endstellung 
des gereizten Organes Aufschluß über das Verhältnis der geotropischen 
zur Fliehkraftreizung. 

3. Einen besseren Einblick in das Maß der primären physio- 
logischen Wirkung verschiedener Reizanlässe als die besprochenen 
Methoden gewährt die Bestimmung der Präsentationszeit. Denn 
hier wird der, an sich schwer meßbare, physiologische Effekt kon- 
stant gehalten und das ihm entsprechende Minimalmaß des physi- 
kalisch definierten Reizanlasses bestimmt. Die praktische Ausführung 
einer solchen Bestimmung gestaltet sich folgendermaßen: Man wählt 
eine größere Anzahl möglichst gleicher Exemplare z. B. von negativ 
geotropischen Stengeln. Diese teilt man in Gruppen, die verschieden 
lange, etwa 1, 2, 5, 10 Minuten usf. horizontal gelegt werden. 
Nachher werden sie aufrecht gestellt oder besser am Klinostaten 
gedreht. Nach einiger Zeit, etwa nach zwei Stunden, zeigt sich bei 
den am längsten umgelegten Stengeln eine Nachwirkung in Gestalt 
einer Krümmung. Je kürzer die Reizung war, desto schwächer fällt 
die Reaktion aus und desto schneller geht sie vorüber. Bei einer 
gewissen Länge der Reizzeit, z. B. bei 5 Minuten, tritt gar keine 
Krümmung mehr auf. Dann liegt die Präsentationszeit zwischen 
5 und 10 Minuten. 

Für ein und dieselbe Pflanzenart hat die Präsentationszeit unter 
sonst gleichen Bedingungen eine bestimmte Größe. Daher ist sie 
als Maß bei reizphysiologischen Arbeiten gut verwendbar. Sie be- 
trägt nach Bach (1907) für Blütensprosse von Capsella (Hirtentasche) 
2 Minuten, für solche von Sisymbrium (Rauke) und Plantago (Wege- 


62 III. Die Reizwirkungen der Schwerkraft. 


rich), sowie für Keimstengel von Helianthus (Sonnenrose) 3 Minuten, 
bei verschiedenen anderen Keimlingsachsen 4—12 oder (Lupinus) 
selbst 20—25 Minuten. Ein Zusammenhang zwischen der Länge der 
Präsentationszeit und der der Reaktionszeit braucht nicht zu bestehen. 
Erstere ist wahrscheinlich der Ausdruck für die Empfindlichkeit des 
Reizaufnahmeorgans, während bei letzterer die der Krümmung voraus- 
gehenden Umschaltungsvorgänge wesentlich mit hineinspielen. Doch 
sind im allgemeinen bei einem schnell und gut reagierenden Objekte 
beide Werte relativ klein, 

4, Keine von den Methoden gibt einen Aufschluß über die 
absolute Höhe der durch einen Reiz bewirkten Erregung. Dafür 
fehlen alle Anhaltspunkte. Als Maß gilt vielmehr immer nur die 
Wirkung eines anderen bekannten Reizes. Je unmittelbarer diese 
Vergleichung möglich ist, je genauer also die Identität der Reiz- 
wirkungen festgestellt werden kann, desto exakter ist die Methode. 
Die nun zu besprechende Kompensationsmethode leistet in dieser 
Beziehung sehr viel. Sie beruht darauf, daß entgegengesetzte Ein- 
wirkungen einander schwächen. 

Auf Gleichheit der Reize wird geschlossen, wenn sie sich in 
ihrer Wirkung aufheben. Voraussetzung ist also, daß Ungleichheit 
sich durch Überwiegen des stärkeren Reizanlasses zu erkennen gibt. 
So verhält es sich in der Tat; falls der Unterschied nicht zu gering ist, 
stellt sich die Pflanze in die Richtung des stärkeren Reizanlasses. 
Die Differenz in der Reizstärke, die gerade noch empfunden wird, 
ist ein Maß für die Feinheit des Unterscheidungsvermögens. Man 
nennt sie Unterschiedsschwelle. Ihre meist recht geringe Größe 
macht die Kompensationsmethode so empfindlich. 


Da wir nun die Mittel kennen, die zur Lösung der Fragen 
nach der Reizwirkung der verschiedenen Zentrifugalkräfte und Winkel- 
lagen zu Gebote stehen, so wollen wir einmal sehen, was mit ihrer 
Hilfe bisher erreicht worden ist. 

Unter den Stellungen, die wir einem negativ geotropischen 
Stengel geben können, sind, wie wir gesehen haben, zwei als Ruhe- 
lagen zu bezeichnen. Mit der Abweichung von der Vertikalen nimmt 
die Reizung zu. Es fragt sich aber, wo ihr Maximum liegt. Mit 
Benutzung der Reaktionszeit ist man zu falschen Vorstellungen gelangt. 
Erst als Fitting (1905) für diesen Zweck die Kompensationsmethode 
erdachte, wurde Klarheit geschaffen. Er ließ einen Pflanzenteil ab- 
wechselnd gleich lange in zwei zu vergleichenden Winkellagen ver- 
weilen, und zwar so, daß die Impulse einander entgegenwirkten. Die 
Krümmung erfolgte dann in der Richtung, die der stärkeren Ein- 
wirkung entsprach. Auf die Weise konnte aus allen möglichen 
Winkellagen die mit der größten Reizwirkung herausgefunden werden. 
Es war die Horizontalstellung. 

Zur Ausführung solcher Versuche war die Veränderung der Lage 
der benutzten Pflanzenteile mit der Hand zu mühsam und vor allem 


Quantitative Zusammenhänge zwischen Reizanlaß usw. 63 


nicht exakt genug, Fitting bediente sich daher eines besonderen 
Apparates, der in ganz bestimmten Intervallen nach einem Verweilen 
in bestimmter Winkellage das Umlegen automatisch besorgte und es 
gestattete, beliebige Winkellagen zu kombinieren. Die Grundlage 
dieses Apparates, den wir hier nicht beschreiben können, bildete der 
Pfeffersche Klinostat (vgl. S. 43). Entsprechende Resultate konnten 
mit diesem Uhrwerke auch ohne besondere Beigaben erzielt werden, 
wenn man es gleichmäßig rotieren ließ, dabei aber die Achse in be- 
stimmten Winkeln neigte und den Pflanzenteil seinerseits in einem 
Winkel zu der Achse anbrachte. Dabei verweilte das betreffende Ver- 
suchsobjekt allerdings nur kurze Zeit in der betreffenden oberen oder 
unteren Stellung. Da die Impulse sich aber summierten und die 
Reizungen, die in der Position links und rechts von der Achse aus- 
geübt wurden, sich gegenseitig aufhoben, kam es doch zu einer be- 
stimmt gerichteten Krümmung. Es wurde dadurch gleichzeitig von 
neuem der Beweis erbracht, daß am Klinostaten auch bei schnellster 
Rotation eine geotropische Reizung zustande kommt, was man bis 
dahin nur aus dem Verhalten der Grasknoten schließen konnte. 

Während in diesen Versuchen die wirksamste Winkellage aus 
dem Auftreten einer geotropischen Krümmung erschlossen wurde, 
suchte Fitting weiterhin ein genaueres Maß für die Reizstärke in 
den einzelnen Stellungen zu bekommen, indem er die gegeneinander- 
wirkenden Impulse so abstufte, daß eine Reaktion ausblieb. Damit 
erst war die oben gewürdigte Kompensationsmethode geschaffen und 
damit erst konnten quantitative Resultate erzielt werden. Da nur 
echte geotropische Reize studiert werden sollten, also mit der kon- 
stanten Erdschwere zu rechnen war, blieb von den wirksamen Fak- 
toren nur noch die Expositionszeit zu variieren, wenn die in den 
einzelnen Winkellagen applizierten Einzelreize quantitativ abgestuft 
werden sollten. Mit der Dauer der Reizung wächst die Erregung. 
Legt man einen geotropischen Pflanzenteil kürzer um als die Präsen- 
tationszeit beträgt, so erfolgt keine Reaktion. Durch die Wieder- 
holung solcher kurzen Expositionen kann aber schließlich eine Krümmung 
erzielt werden, falls die Pausen nicht zu lang werden. Das heißt, 
die einzeln unter der Schwelle für die Reaktion bleibenden Im- 
pulse summieren sich, bis die Erregung die für die Auslösung einer 
Krümmung nötige Höhe erreicht. Fitting fand nun die Summation 
kurzer Einzelreize so vollständig, daß es für die Höhe der Erregung 
allein auf die Gesamtreizung ankam, nicht aber auf die Länge der 
Pausen; vorausgesetzt, daß das Verhältnis der Reize dann zur Ruhe- 
zeit eine gewisse Minimalgröße hatte, die für die Keimstengel von 
Vicia Faba z. B. nicht kleiner werden durfte als 1:5. Daraus er- 
gibt sich klar eine gesetzmäßige Abhängigkeit der Reizintensität von 
der Dauer der Einwirkung eines geotropischen Reizes. 

Entsprechend kann auch durch Kombination verschieden langer 
Reizungen mit verschiedenen Winkellagen innerhalb gewisser Grenzen 
jede gewünschte Erregung erzielt werden. 


64 III. Die Reizwirkungen der Schwerkraft. 


Es zeigte sich nun bei Anwendung der Kompensationsmethode, 
daß es möglich war, die Exposition in einer, weniger von der Ruhe- 
lage abweichenden Winkelstellung, durch ihre größere Dauer ebenso 
wirksam zu machen wie eine kürzere der Horizontalen genäherte. 
Wurden am ‚,‚intermittierenden Klinostaten‘‘ die Reizzeiten in zwei 
Stellungen ausgeprobt, die sich gerade die Wage hielten, so daß die 
Krümmung ausblieb, dann konnte auf gleiche Erregungshöhe ge- 
schlossen werden. Für diesen Fall war nun das Verhältnis der Ex- 
positionszeiten konstant und unabhängig von deren Dauer. Das be- 
weist, daß jeder Winkellage eine wohl definierte Reizwirkung zu- 
kommt. Aber noch mehr, es konnte für diese Reizwirkung ein ein- 
facher mathematischer Ausdruck gefunden werden. Sie entspricht 
in jeder Lage der senkrecht zur Pflanze wirkenden Komponente, 
während die in der Längsrichtung des Organs gedachte unwirksam 
bleibt. Oder mit anderen Worten: Die geotropische Reizstärke 
ist proportional dem Sinus des Ablenkungswinkels. Das 
entspricht genau dem mechanischen Parallelogramm der Kräfte. ') 


Das Sinusgesetz des Geotropismus, nachgewiesen mit 
Hilfe der Kompensationsmethode. 


Tabelle nach Fitting 1905. 


90°,90° | 60°,90° 45,90%. 309,90° 15°,90° | 0.300 


Kombinierte Ablenkungs- 
winkelaus der Ruhelage 


Sinusverhältnisse der Ab- . x SEE Tor ea 
lenkungswinkel | 1:1 |0,866 :1|0,701:1|.0,5:1 JQ2sgz 


Verhältnisse der Erregun- 


zenzabgeleitet aus den em-| "1.1 10,869:.110,714: 1], 0,D- reuee 


pirisch ermittelten Verhält- 
nissen d. Expositionszeiten 


Dasselbe Resultat, daß in der wagerechten Lage die intensivste 
Reizung, sowohl positiv wie negativ geotropischer Organe statt- 
findet, ergab sich auch aus Messungen der Präsentationszeiten 
(Bach 1907 und Pekelharing 1910). Diese werden nämlich mit 
der Größe der Ablenkung aus der Ruhelage immer kleiner und 
erreichen ein Minimum, wenn der Winkel 90° beträgt. Von da an 
nehmen sie wieder mehr und mehr zu, bis schließlich, in der um- 
gekehrten Lage, wenn die Ablenkung 180° beträgt, die Reaktion 
ganz und gar ausbleibt. 

Unterwirft man die gefundenen Werte für die Präsentations- 
zeiten in verschiedenen Winkellagen einer mathematischen Behandlung, 
so ergibt sich wieder das Sinusgesetz d. h., die Präsentationszeiten 
sind umgekehrt proportional dem Sinus des Ablenkungswinkels. 
Rechnet man auf dieser Grundlage das Produkt der Reizstärke (oder 
des Sinus des Ablenkungswinkels) und der Präsentationszeit bei ver- 


1) Diese Gesetzmäßigkeit wurde zuerst von Sachs (1873) vermutungsweise 
ausgesprochen, aber erst von Fitting (1905) und Pekelharing (1910) bewiesen. 


Quantitative Zusammenhänge zwischen Reizanlaß usw. 65 


schiedenen Winkelstellungen aus, so kommt man auf einen kon- 
stanten Wert, die „Reizmenge“, 


Das Sinusgesetz, nachgewiesen an den Präsentationszeiten. 
Tabelle nach Pekelharing 1910. 


Ablenkungswinkel Sinus desselben Präsentationszeit Produkt aus beiden 


in Sekunden — Reizmenge 
90° 1 269 269 
60° 0,366 326 282 
120 0,866 332 288 
45 0,7071 366 259 
135 0,7071 340 240 
40 0,6428 441 284 
30 0,5 540 270 
150 0,5 538 269 
25 0,4226 607 256 
20 0,342 735 251 
159 0,358 730 262 


Man gewinnt hiermit auch ein objektives Maß für die geotropische 
Empfindlichkeit eines Pflanzenteiles. Ein geotropisches Objekt ist 
um so empfindlicher, je kleiner das erwähnte Produkt, die Reiz- 
menge, ist; denn ein um so kürzerer und schwächerer Reiz bewirkt 
noch eine Krümmung. Allerdings ist die ‚Empfindlichkeit‘ in diesem 
Sinne auch noch eine zusammengesetzte Größe. In ihr steckt neben 
der Reizempfänglichkeit des Aufnahmeapparates auch die Trägheit 
des Bewegungsorganes sowie der Zwischenglieder der Reizkette. 


Bei der Ausarbeitung der Kompensationsmethode hatte Fitting 
gefunden, daß sehr geringe Winkelabweichungen von der Pflanze em- 
pfunden und mit einer Krümmung beantwortet werden. Schon wenn 
bei gleicher Expositionszeit die kombinierten Stellungen um 1° und 
selbst wenn sie nur um !/,° voneinander abwichen, trat unter Um- 
ständen eine, dann freilich geringe, Reaktion im Sinne der wirk- 
sameren Winkellage ein. Nur diese Kleinheit der Unterschiedsschwelle 
für verschiedene Winkellagen erlaubte die aus der Tabelle (S. 64) 
ersichtliche Genauigkeit zu erreichen. 

Die geotropische Unterschiedsempfindlichkeit erwies sich aber 
nicht als gleichmäßig. Sie nahm vielmehr mit der Abweichung von 
der Rubelage ab: Je wirksamer die Reizungen an sich waren, desto 
größer mußte die Differenz der Winkellagen sein, um von der Pflanze 
wahrgenommen zu werden. Schärfer konnte eine entsprechende 
Gesetzmäßigkeit für die zeitlichen Unterschiedsschwellen festgelegt 
werden, d. h. für die gerade noch wirksame Differenz der Expo- 
sitionszeiten bei Reizung eines Pflanzenteils auf entgegengesetzten 
Seiten in ein- und demselben Ablenkungswinkel. Hier wurde also 


Pringsheim, Reizbewegungen. 5 


66 III. Die Reizwirkungen der Schwerkraft. 


die Wirksamkeit zweier Reize durch ihre Dauer variiert, und es 
zeigte sich wiederum, daß bei größerer absoluter Erregung auch 
die Unterschiede größer sein müssen, um eine Reaktion zu be- 
wirken. 

Durch genaue Messung der Expositionszeiten und der dazu ge- 
hörigen zeitlichen Unterschiedsschwellen wurde gefunden, daß das 
Verhältnis dieser beiden Werte für ein- und denselben Ablenkungswinkel 
konstant ist. Wurde also z. B. in einer von zwei kombinierten ent- 
gegengesetzten Lagen das eine mal doppelt so lange gereizt als das 
andere Mal, so mußte — um eine Reaktion zu bewirken — auch die 
längere Reizung die kürzere um das doppelte der sonst ausreichenden 
Zeitdifferenz übertreffen. Auch die zeitliche Unterschiedsschwelle 
steigt übrigens mit der Wirksamkeit der Winkellage. Für die wirk- 
samste Stellung, nämlich Reizung in wagerechter Lage, fand Fitting 
bei den Keimstengeln von Vicia Faba das konstante Verhältnis der 
zeitlichen Unterschiedsschwelle zur Expositionszeit wie 4: 100. 

Die Konstanz dieses Verhältnisses von Reizintensität und 
Minimum der wirksamen Differenz ist in der Physiologie des 
Menschen als das Weber-Fechnersche Gesetz bekannt. Während 
es sich dort auf die Empfindungen bezieht, ist es bei Pflanzen 
nur mittelbar aus den Äußerungen der Sensibilität zu entnehmen. 
Wie wir noch sehen werden, ist es durch Pfeffer schon früher für 
die chemische Reizbarkeit von Farnsamenfäden nachgewiesen. Für 
Teile höherer Pflanzen aber gelang die Auffindung Fitting zum 
ersten Male in einwandfreier Weise. 


Wie wir wissen, ist die Variation der Winkelstellung und der 
Expositionszeit nicht die einzigen Wege, die geotropische Reizwirkung 
quantitativ abzustufen. Es gelingt das vielmehr auch, wenn man 
die Schwerkraft durch die Zentrifugalwirkung ersetzt, wobei außerdem 
eine viel höhere Reizintensität erreicht werden kann. Denn die wirk- 
samste Winkellage ergibt bei Verwendung der Schwerkraft immer nur 
die Massenbeschleunigung g — 981 cm. sec = * Die Fliehkraft da- 
gegen kann durch Vergrößerung der Entfernung von der Drehachse 
und Erhöhung der Geschwindigkeit beliebig gesteigert werden. Eine 
Grenze ist nur durch die mechanischen Eigenschaften des zu prüfenden 
Pflanzenteils gegeben. Andrerseits können durch Zentrifugalwirkung 
auch sehr geringe Beschleunigungen erzielt werden. Man findet dann, 
daß schon der 1000—2000. Teil der Erdschwere ausreichen kann, 
geotropische Krümmungen zu bewirken (Özapek 1895b, S. 306). 

Stellt man die jeder einzelnen Zentrifugalwirkung entsprechende 
Präsentationszeit fest, so findet man mit dem Anwachsen jener eine 
Abnahme der zur Erzielung einer Krümmung notwendigen Reizzeit. 
Und zwar stellt sich hierbei wieder dasselbe bedeutungsvolle Reiz- 
mengengesetz heraus. An der Reizschwelle ist nämlich für ein- 
und dasselbe Objekt das Produkt aus Massenbeschleunigung und 
Präsentationszeit konstant (Maillefer 1909, Pekelharing 1910). 


Quantitative Zusammenhänge zwischen Reizanlaß usw. 67 


Präsentationszeit von Avenakeimscheiden bei verschiedenen 
Zentrifugalkräften nach Pekelharing 1910. 


Reizdauer in Kraft in Produkt aus | Reizdauer in Kraft in Produk: aus 
Sekunden Dynen Zeitund Kraft Sekunden Dynen Zeitund Kraft 


3900 0,08 312 95 3,04 289 
3900 0,08 312 80 3,71 297 
2230 0,14 312 75 3,93 295 
1300 0,25 325 70 4,1 287 
830 0,364 302 72 4,42 318 
805 0,38 306 70 4,43 310 
510 0,598 305 65 4,68 304 
441 0,67 296 55 5,355 295 
415 0,76 315 53 5,76 305 
310 1,04 322 45 6,48 292 
248 1,254 sll 31 10,08 312 
140 2,08 292 26 152 304 
145 2,136 309 22 13,888 306 
125 2,24 280 18 17,28 3ll 
135 2,304 3ll 13 23,86 310 
110 2,888 318 di 41,76 292 
100 3,0 300 5 58,43 292 


Soll also eine bestimmte Wirkung erzielt werden, so muß das, 
was an Zeit erspart wird, an Intensität zugesetzt werden und um- 
gekehrt. Dasselbe Gesetz werden wir beim Lichtreiz gültig finden. 
Es kommt ihm also offenbar eine große allgemeine Bedeutung zu. 

Seine Wichtigkeit wird noch dadurch gesteigert, daß es neuer- 
dings Tröndle (1910) gelungen ist, eine erweiterte mathematische 
Fassung zu finden, die auch die Reaktionszeiten in sich schließt. 
Dabei war es nötig, den Faktor der Krümmungsfähigkeit auszuschließen, 
resp. als konstant anzunehmen. Das gelingt, wenn die Differenz der 
Reizintensitäten mit der Differenz der Reizmengen (Produkt aus Reiz- 
intensität und Zeit) bis zum Beginn der Reaktion verglichen wird. 
Das Verhältnis ist konstant. Durch eine Umrechnung ergibt sich, 
daß die Reizwirkung proportional der Intensität und proportional 
der Reaktionszeit, vermindert um einen konstanten Wert ist. Oder 
anders ausgedrückt: Die Reaktionszeit verhält sich so wie wenn sie 
aus zwei Teilen bestände. Der eine davon ist das Maß für die 
Krümmungsfähigkeit und daher konstant. Der andere Teil bedeutet 
die Zeit, die nötig ist, bis die zur Auslösung der Krümmung nötige 
Erregung erzielt ist. Bei hoher Reizenergie geschieht das so schnell, 
daß dieser Teil gegen den anderen völlig zurücktritt. Die Reaktions- 
zeit sinkt daher nur bis zu einer gewissen Reizstärke und bleibt 
dann gleich. Bei abnehmender Reizintensität wird die Reaktionszeit 
immer länger, weil um so mehr Zeit vergeht, bis die nötige Erregungs- 
höhe erreicht ist. Für diese Zunahme gilt das früher für die 

5* 


68 III. Die Reizwirkungen der Schwerkraft, 


Präsentationszeit wiedergegebene Reizmengengesetz, als dessen Er- 
weiterung sich somit das neue Gesetz für die Reaktionszeiten er- 
weist. Die von Tröndle aus Bestimmungen anderer Autoren (Bach, 
Pekelharing) berechneten Zahlen stimmen zufriedenstellend. 


Geotropische Reaktionszeiten der Keimscheide von 
Avena sativa. 


I II 1007 
E* EM: Reaktionszeit IV. 
a i a in Min. berechnet Tröndles 
Dynen (nach Pekelharing) nu Konstante 
0,03 etwa 150 150 (150) 
0,04 150 1237 45 
0,06 seen 97,5 (25) 
0,08 > 70 84,3 38,8 
0,10 > 70 76,3 36,7 
0,28 2 50 56,2 45 
0,45 er 45 52,0 45 
0,58 > 45 50,4 45 
0,93 £ 45 48,4 45 
5,80 & 45 46,9 45 
9,00 ® 45 45,3 45 
11,00 e 45 45,2 45 
14,80 7 45 45,2 45 
36,80 „a 45 45,0 45 
56,60 % 45 45,0 45 


Man sieht, daß die Reaktionszeiten (II) bei schwacher Zentrifugalkraft (I) 
mit dem Steigen dieser rasch abnehmen, dann aber konstant werden. Die 
Reihe IV zeigt die von Tröndle berechnete Trägheitskonstante, die leidlich 
stimmt (nur zwei Werte, die eingeklammert wurden, fallen stärker heraus) und 
gleich der kürzesten erreichbaren Reaktionszeit ist. Die Reihe III gibt die 
nach Tröndles Formel unter Zugrundelegung der Konstante 45 berechneten 
Reaktionszeiten, die mit den beobachteten gut übereinstimmen. 

Wir entnehmen aus diesen Untersuchungen als Hauptresultat, 
daß die oft hervorgehobene Trägheit der tropistischen Reaktions- 
weise allein auf der Art der motorischen Prozesse beruht. Die Er- 
regung dagegen vollzieht sich in sehr kurzer Zeit, falls nur die In- 
tensität des Reizes stark genug ist. So konnte, wie man sieht, 
Pekelharing schon durch eine Reizung von 5 Sekunden eine geotro- 
pische Krümmung erzielen. Beim Lichtreiz ist man auf noch sehr 
viel kürzere Präsentationszeiten gekommen. 

Damit hätten wir das Wichtigste von den bisher angestellten 
quantitativen Untersuchungen berichtet und können uns nun dem 
geotropischen Verhalten der einzelnen Pflanzenorgane und der Ver- 
breitung der Schwerkraftsreizbarkeit in den verschiedenen Klassen 
des Gewächsreiches zuwenden. Wir werden dabei sehen, daß neben 


Verschiedenheiten im Verhalten der einzelnen Pflanzenteile. 69 


dem für feinere Untersuchungen bisher allein herangezogenen posi- 
tiven Geotropismus der Wurzeln und dem negativen der Stengel 
noch allerlei andere Erscheinungsformen der Schwerkraftsreizbarkeit 
existieren. 


d) Verschiedenheiten im Verhalten der einzelnen Pflanzenteile. 


Die Fähigkeit, geotropische Bewegungen auszuführen, kommt, 
wie man schon aus früheren Erwähnungen entnommen haben wird, 
sehr verschiedenen Pflanzenorganen zu.!) Zwei Haupttypen sind 
durch die negativ geotropischen Stengel und die positiv geotropischen 
Hauptwurzeln am klarsten charakterisiert. 

Negativ geotropisch sind außerdem aber noch viele andere 
Pflanzenorgane, wenn deren Funktion es verlangt. Mit einer Ver- 
änderung der Aufgabe geht nämlich oft eine Veränderung der 
Reizbarkeit Hand in Hand. Es müssen also nicht etwa alle 
Stengel (von den Seitenorganen ist später die Rede) negativ, alle 
Wurzeln positiv geotropisch sein. Besonders aufallende Ausnahmen 
sind die sog. Atemwurzeln vieler in Sümpfen lebender Pflanzen. 
Sie dienen zur Erleichterung des Gasaustausches der unter Wasser 
wachsenden Teile. Diese, mit großen Luftlücken versehenen, aber 
sonst typischen Wurzeln sind negativ geotropisch, wachsen also aus 
dem Schlamm oder Wasser aufrecht empor, während andere Wurzeln 
derselben Pflanzen, die die normale Funktion haben, im Erdboden 
bleiben. 

Solche Atemwurzeln besitzen vor allem Pflanzen der Mangrovevegetation, wie 
die asiatischen Arten Avicennia officinalis, Sonneratia acida u. alba, Cereops Can- 
dolleana und die amerikanische Laguncularia racemosa, ferner die in seichtem 
Wasser wachsenden Arten der Gattung Jussieua. Der Funktion nach analoge 
Bildungen stellen die knieförmig aufgerichteten Wurzeln mancher Pflanzen dar, 
über deren geotropisches Verhalten aber nichts bekannt ist (Schimper 1898). 

Aufrechtes Wachstum kommt ferner vielen in die Blütenregion 
fallenden Sproßteilen zu. Auffallend wird das dann, wenn die sie 
tragenden Zweige annähernd horizontal gerichtet sind. Das ist z. B. 
bei den Blütenrispen der Roßkastanien, Paulovnien, Hollunderarten und 
vielen anderen der Fall. In solchen Fällen steht der Blütenträger 
auf dem Zweig wie die Kerze auf dem Weihnachtsbaume. Er macht 
dadurch einen vom sonstigen Zweigsystem verhältnismäßig unabhän- 
gigen Eindruck und rechtfertigt diesen auch durch seine besondere 
Reaktionsweise. Solche Teile werden nämlich, wie Baranetzky ge- 
zeigt hat, durch ihre Stellung zur Tragachse auch am Klinostaten 
in keiner Weise beeinflußt, — wie das sonst meist an den zusammen- 
hängenden Organen vermöge des Autotropismus der Fall ist, — sondern 
sie suchen sich nur vertikal einzustellen. Die Bedeutung dieser Ein- 
richtung ist klar. Während an den ungefähr horizontal stehenden 
Zweigen die Blätter zum Auffangen des Sonnenlichtes flach ausgebreitet 


1) Auch festgewachsene Tiere können sie zeigen. 


70 E III. Die Reizwirkungen der Schwerkraft. 


sein müssen, ist es die Aufgabe der Blüten, den anfliegenden Insek- 
ten von allen Seiten und schon von fern in die Augen zu fallen. 
Sie erreichen das durch ihre große Zahl und durch ihre Anordnung 
rings um eine aufrechte Achse. In dieser Lage bieten sie außerdem 
den bestäubenden Tieren einen bequemen Anflug, der durch Blätter 
nicht gestört ist.') In wie hohem Maße diese schöne Einrichtung 
ihren Zweck erfüllt, läßt sich an jedem sonnigen Tage zur Blütezeit 
der besprochenen Holzgewächse beobachten. 

Geotropisch ähnlich verhalten sich die jungen Triebe der Kiefern, 
die anfangs gleichfalls kerzengerade stehen, später aber, — mit Aus- 
nahme desjenigen, der die Verlängerung des Hauptstammes dar- 
stellt, — ihre definitive, geneigte Lage zum Horizont einnehmen. 
Daß bestimmte Glieder des Verzweigungssystemes im Gegensatze zu 
den übrigen aufrecht wachsen, ist eine sehr häufige Erscheinung, 
nur ist es nicht immer so auffällig wie bei den genannten Pflanzen. 
Ein solcher Fall liegt z. B. vor, wenn sich aus unterirdischen, 
kriechenden Wurzelstöcken aufrechte Blatt- und Blütensprosse ent- 
wickeln, wie es bei den Stauden so häufig vorkommt (Windröschen, 
[Anemone nemorosa], Muschelblümchen [Adoxa moschatellina], Salo- 
monssiegel [Polygonatum multiflorum], Einbeere [Paris quadrifolia], 
viele Gräser usw.). Bei manchen Bärlappgewächsen (Lycopodium 
clavatum), dem Pfennigkraut [Lysimachia Nummularia], dem Günsel 
[Glechoma hederacea] u. a. kriecht der beblätterte Hauptsproß über 
der Erde hin, von ihm erheben sich kürzere Äste, die die Blüten 
tragen. Ein ähnlicher Typus für eine große Reihe von Ge- 
wächsen hat gleichfalls kriechende Äste, von denen sich dann aber 
nicht Zweige, sondern nur Blätter und Blüten negativ geotropisch 
erheben (Haselwurz [Asarum europaeum], Kapuzinerkresse [Tropaeo- 
lumarten], Kleefarn [Marsilia quadrifolia], Sauerklee [Oxalis aceto- 
sella]. viele Farne usf.) (Abb. 21). 

In allen diesen Fällen haben wir also kriechende, horizontale 
Sprosse, von denen sich andere Teile senkrecht erheben. Letztere 
tun das, wie wir gehört haben, vermöge ihres negativen Geotropis- 
mus. Es fragt sich nun aber, wodurch die wagerechten Sproßglieder 
ihre Lage beibehalten? Die bisher betrachteten positiv und negativ 
geotropischen Organe hatten das eine Gemeinsame, daß sie sich in 
die Richtung des durch sie gelegten Erdradius einzustellen suchen. 
Man nennt sie deshalb orthotrop (geradgerichtet). Im Gegensatz 
dazu stehen die plagiotropen (schräggerichteten) Organe, die eine 
andere Lage zur Schwerkraft einzunehmen suchen, also schief nach 
oben, nach unten oder horizontal gerichtet sein können. Man nennt 
sie transversalgeotropisch. Hierher gehören jene kriechenden 
thizome und Stengel, daneben aber fast alle Seitenzweige und -Wur- 
zeln, die meisten Blätter u. a. 


1) Bei unseren Obstbäumen werden ähnliche Vorteile durch das Erscheinen 
der Blüten vor den Blättern erreicht. 


Verschiedenheiten im Verhalten der einzelnen Pflanzenteile. 71 


Der einfachste Fall ist der oben erwähnte: horizontal und unter 
der Erde wachsende, also dem Licht nicht ausgesetzte Wurzelstöcke, 
auf die allein die Schwerkraft einen richtenden Einfluß haben kann. 
Solche liegen z. B. bei Heleocharis palustris (Sumpfriet) und anderen 
Sumpfgewächsen vor, mit denen Elfving (1880) gearbeitet hat, ferner 
bei Adoxa, Paris u. a. Derartige Organe kann man in jede beliebige 
Lage bringen, immer richtet sich der neu zugewachsene Spitzenteil 
horizontal. Es kann also sowohl die Ober- wie die Unterseite im 
Wachstum gefördert werden, je nach dem Winkel, den das Rhizom 
zur Schwerkraft einnimmt. Dabei ist es völlig gleichgültig, welche 
Flanke nach oben zu liegen kommt. Wird im Versuch die vorher 
untere Kante nach oben gerichtet, so wird sie nicht etwa durch 
eine Drehung oder Umbiegung in die alte Lage gebracht, sondern 


Abb. 21. 


Kriechender Sproß von Epitobium Hektori, von dem sich die Früchte 
negativ geotropisch erheben. [Desgleichen hat sich bei einem Aufent- 
halt in schwachem Lichte die Spitze des Stengels aufgerichtet.] 


das Wachstum wird fortgesetzt als wäre nichts geschehen. Nur die 
Seitenorgane richten sich auf. Diese Wurzelstöcke sind in ihrem 
Bau und ihrem physiologischen Verhalten ringsgleich oder radiär, 
jede Kante ist der anderen gleich. Wir sehen daraus, daß nicht 
alle radiären Organe orthotrop sein müssen; ebenso brauchen nicht 
alle zweiseitig symmetrisch oder unsymmetrisch gebauten plagiotrop 
zu sein. Meist ist das freilich der Fall. 

Doch ist die horizontale Lage auch nur ein Spezialfall von allen 
möglichen. Zu den schief gerichteten Organen gehören die Seiten- 
wurzeln, die aus der Hauptwurzel unter einem bestimmten Winkel 
entspringen und schräg abwärts weiterwachsen. Eine Analyse der 
Tatsachen zeigt, daß für ihre Orientierung erst in zweiter Linie das 
Verhältnis zur Hauptwurzel, hauptsächlich aber ihre eigene Richtung 
zur Schwerkraft in Betracht kommt. Sachs (1873) hat als Erster 


72 III. Die Reizwirkungen der Schwerkraft. 


gezeigt, daß Seitenwurzeln geotropisch sind und ihre Winkellage zur 
Erde wieder zu erreichen suchen, wenn man sie aus ihr heraus- 
bringt. Er ließ Keimlinge von Pferdebohnen und anderen Pflanzen 
hinter Glas in seinen mit Erde gefüllten Wurzelkästen (vgl. S. 36) 
wachsen. Ein Teil der nach einiger Zeit hervorbrechenden Neben- 
wurzeln schmiegte sich der Glasscheibe an, so daß der Winkel, den 
sie einschlugen, beobachtet und gemessen werden konnte. Die Neben- 
wurzeln wuchsen nun schräg abwärts. Nach einiger Zeit wurde 
dann der Kasten ganz herumgedreht, so daß die Hauptwurzel senk- 
recht und aufwärts 
stand. Da sie in dem 
Teile, der die Seiten- 
wurzeln trug, nicht 
mehr wachstumsfähig 
war, blieb sie in der 
verkehrten Lage. (Nur 
ihre Spitze krümmte 
sich positiv geotro- 
pisch.) Die jetzt schräg 
aufwärts gerichteten 
Nebenwurzeln aber 
richteten sich bogen- 
förmig abwärts, eben- 
so wie positiv geotro- 
pische Hauptwurzeln 
es in derselben Lage 
auch getan hätten. 
Bald jedoch zeigte sich 
ein charakteristischer 
Unterschied gegen jene: 
Die Krümmung der 
Seitenwurzeln ging 
nicht bis zur Vertikal- 
Wurzelsystem einer Vicia-Faba-Pflanze in Erde hinter Glas. . 
Die Nebenwurzeln streichen schräg abwärts und suchen bei stellung, sondern hörte 
zweimaligem Umkehren des Ganzen immer wieder ihre schräge eher auf, und zwar 


transversalgeotropische Lage zn erreichen. An vielen Wurzeln 
ist die doppelte Biegung zu erkennen. Verkleinert. dann, wenn derselbe 


Winkel gegen die Ver- 
tikale erreicht war, den die Seitenwurzeln vor der Umkehrung ge- 
zeigt hatten (Abb. 22). 

Auch wenn die Hauptwurzel horizontal gelegt wurde, krümmten 
sich die Nebenwurzeln so lange, bis sie den alten Winkel erreicht 
hatten. Das war sehr deutlich bei den nun schräg nach oben ge- 
stellten Wurzeln, weniger aber bei den unteren. Schlossen diese 
z. B. mit der Hauptwurzel einen Winkel von 45° ein, so brauchten 
sie auch bei horizontaler Lage der letzteren keine Krümmung aus- 
zuführen, um auch mit der Senkrechten einen Winkel von 45° ein- 
zuschließen. Sie behielten also ihre Richtung bei; aber auch wenn 


Abb. 22. 


Verschiedenheiten im Verhalten der einzelnen Pflanzenteile. RR 


der Winkel etwas kleiner oder größer ist, sind die Ausschläge zu 
gering, um in die Augen zu fallen. Deshalb und weil in seinen Ver- 
suchen immer nur Abwärts-, nie aber Aufwärtskrümmung der Neben- 
wurzeln beobachtet wurde, ließ sich Sachs (1872) zu der Ansicht 
verleiten, daß die Nebenwurzeln ‚‚weniger geotropisch‘‘ seien als die 
Hauptwurzel, und daß daher die richtende Kraft der Erde schon 
vor Erreichung der Senkrechten aufhörte zu wirken. 

In Wirklichkeit aber ist die Sache nicht so; nicht dem Grade, 
sondern der Art nach unterscheidet sich der Geotropismus der 
Nebenwurzeln von dem der Hauptwurzeln, sie streben aus allen 
Lagen ihre bestimmte Richtung zur Schwerkraft wieder einzunehmen, 
auch wenn dabei eine Aufkrümmung nötig wird. Daß das so ist, 
hat Czapek (1895b) gezeigt, indem er den Nebenwurzeln eine tiefere 
Lage gab als ihrem Grenzwinkel entsprach. Sie krümmten sich dann 
aufwärts. Auch hier war es übrigens gleich, welche Flanke nach 
oben gekehrt war. Es herrscht also vollkommene Analogie mit den 
horizontalgeotropischen Rhizomen, außer in bezug auf die angestrebte 
Winkellage. Im ganzen kann man sagen, daß zwischen positiv, 
transversal und negativ geotropischen Organen alle Übergänge exi- 
stieren. 

Neben dem Einflusse der Schwerkraft unterliegen die Seiten- 
wurzeln in ihrer Wachstumsrichtung auch noch der Wirkung der in 
organischem Zusammenhange mit ihnen stehenden Hauptwurzel. Be- 
obachten wir das ganze Wurzelsystem hinter der Glasscheibe längere 
Zeit, so bemerken wir, daß die Seitenwurzeln zwar ein Stück weit 
in der anfangs eingeschlagenen Richtung fortwachsen, später aber 
einen Bogen nach abwärts machen, der sie der Vertikalstellung nähert. 
Diese Erscheinung könnte darauf beruhen, daß das geotropische Ver- 
halten der Nebenwurzeln sich mit dem Alter änderte. Es könnte 
aber auch sein, daß der mit der Entfernung sinkende Einfluß der 
Hauptwurzel anfangs die Richtung der Nebenwurzeln mehr der Hori- 
zontalen näherte, daß aber später die mehr schräge geotropische 
Eigenrichtung überwöge. Für die zuletzt vorgetragene Anschauung 
sprechen die folgenden experimentellen Erfahrungen, die dadurch zu- 
gleich eine theoretische Beleuchtung erfahren. Entschieden müßte 
die Frage allerdings wohl durch neue Versuche werden. 

Wollen wir den Einfluß der Hauptwurzel auf die Wachstums- 
richtung der Nebenwurzeln für sich, ungestört durch geotropische 
Einflüsse studieren, so bringen wir die Pflanze mit ihrem Wurzel- 
system in Erde an den Klinostaten. Wir finden dann, daß die 
Seitenwurzeln einen größeren Winkel mit der Hauptwurzel einschließen 
als den normalen, also fast senkrecht von ihr abstehen. Wollen wir 
dagegen den geotropischen Einfluß gegenüber dem ‚korrelativen‘‘ der 
Hauptwurzel verstärken, so ersetzen wir die Schwerkraft durch eine 
stärkere in der Längsrichtung der Hauptwurzel wirkende Fliehkraft. 
In diesem Falle wird dann der Winkel zwischen Haupt- und Neben- 
wurzel mehr spitz (Sachs 1873). Beide Experimente sprechen dafür, 


74 III. Die Reizwirkungen der Schwerkraft. 


daß unter natürlichen Umständen die von den Seitenwurzeln ein- 
geschlagene Richtung einen Kompromiß darstellt zwischen ihrer eigenen 
stark geneigten geotropischen Ruhelage und der durch den Einfluß 
der Hauptwurzel angestrebten Senkrechtstellung zu dieser. 

Schließlich liegen noch von verschiedenen Autoren Experimente 
vor, in denen der Einfluß der Hauptwurzel mit Erfolg dadurch eli- 
miniert wurde, daß diese dicht unter der Ursprungsstelle einer jungen 
Seitenwurzel entfernt ward. Es zeigte sich dann, daß die Spitze der 
letzteren sich senkrecht abwärts richtete und in die Verlängerung der 
Hauptwurzel einstellte.e. Unter Umständen konnte diese Richtungs- 
änderung auch an mehreren jungen Nebenwurzeln beobachtet werden. 
Diese verhielten sich dann in ihrem späteren Leben wie Hauptwurzeln, 
so daß man vom ökologischen Stand- 
punkte von einer KErsatzreaktion 
sprechen kann (Abb. 23). 

Anstatt die Hauptwurzel ab- 
zuschneiden, genügt es auch, sie im 
Wachstum zu hemmen. Auf mecha- 
nische Weise gelingt das ohne Schä- 
digung durch Einbetten ihrer Spitze 
in erstarrenden Gips. Wiederum 
richten sich dann eine oder mehrere 
Seitenwurzeln senkrecht abwärts. Aus 
diesem letzten Versuche ist zu er- 
sehen, daß der von der Hauptwurzel 
ausgehende Korrelationsreiz irgend- 
wie an deren Wachstumstätigkeit ge- 
bunden ist. 

Fassen wir die Erfahrungen 

Abb. 93: über die Wachstumsrichtung der 
Keimling der Feuerbohne. Nach Ver- Nebenwurzeln und ihre Veränderung 
Ietzung der Hanptwürzel wachsen mehrere am" Klinostaten, am77Zenkuinesi: 
Nebenwurzeln abwarts, wahrend die uprigen 
fast horizontal streichen. apparat und an geköpften Haupt- 
wurzeln zusammen, so gewinnt die 
oben ausgesprochene Hypothese an Wahrscheinlichkeit. Kurz zu- 
sammengefaßt würde diese lauten: Die Nebenwurzeln unterliegen 
gleichzeitig einer von der Hauptwurzel ausgehenden inneren Reiz- 
wirkung und der geotropischen Beeinflussung. Die eine sucht sie 
in die Richtung senkrecht zur Hauptwurzel zu stellen, die andere 
sie schräg abwärts zu ziehen. Was man gewöhnlich sieht, ist die 
Kombinationswirkung beider Richtkräfte. Ob die Verstärkung des 
Wachstums und einige andere Veränderungen, die an einer zur Haupt- 
wurzel gewordenen Nebenwurzel beobachtet werden, nicht daneben noch 
auf eine tiefergreifende Veränderung des physiologischen Zustandes 
hindeuten, das läßt sich vorläufig nicht mit Bestimmtheit sagen. 

Was wird nun für die Pflanze dadurch erreicht, daß die Haupt- 

wurzeln positiv geotropisch sind, während die Seitenwurzeln, die aus 


Verschiedenheiten im Verhalten der einzelnen Pflanzenteile. 75 


ihnen entspringen, sich transversal-geotropisch horizontal oder schräg 
in die Erde bohren? Einmal ergänzen sich beide in der Ausnutzung 
des verfügbaren Raumes. Daneben wird aber die Pflanze durch die 
nach allen Seiten schräg abwärts streichenden Nebenwurzeln be- 
deutend fester verankert, als das die Hauptwurzel allein vermöchte. 
Sie leisten einem in ihrer Richtung wirkenden Zuge kräftigen Wider- 
stand, ähnlich wie die Taue, die einen Mast stützen. 

Zu dieser Funktion werden die Wurzeln in vielen Fällen noch dadurch 
besonders befähigt, daß sie sich nach einiger Zeit verkürzen. Die erzielte 
Spannung preßt die Pflanze fester in den Boden. Auch bilden die Seiten- 
wurzeln, von allen Seiten ziehend, eine mechanische Versteifung von größter 
Wirksamkeit. Man kann diese Verkürzung an der Runzelung der Oberfläche 
in den älteren Teilen der Wurzeln erkennen, so z. B. an den Wurzeln 
von Hyazinthen, die in Gläsern gezogen werden. Unter diesen unnatürlichen 
Umständen wird allerdings der eigentliche Zweck der Einrichtung nicht erfüllt. 

Bei vielen Pflanzen entstehen aus den Seitenwurzeln ersten Grades 
noch solche zweiten und höheren Grades, und es fragt sich, in welcher 
Richtung diese wohl wachsen werden? Die Antwort lautet: Sie sind 
geotropisch indifferent und wachsen beim Mangel anderer Richtkräfte 
so fort, wie sie aus ihrer Mutterwurzel entspringen, den zufälligen 
Winkel innehaltend, der ihnen auf diese Weise gegeben ist. Man 
sieht sie also nach oben, unten und nach allen Seiten streichen. Ver- 
ändert man die Lage des ganzen Wurzelsystems, so werden die Neben- 
wurzeln zweiten Grades dadurch nicht beeinflußt, sondern behalten 
ihre Richtung bei. Vermöge ihres allseitigen Hervorbrechens nutzen 
sie den zwischen den älteren und größeren Wurzeln noch übrig blei- 
benden Raum im Boden aus und bilden eine weitere Verdichtung 
und Vervollkommnung des Wurzelgeflechtes, das mit der Erde schließlich 
zu einem kompakten Wurzelballen fast unlösbar vereinigt ist. An 
Topfpflanzen ist diese Erscheinung jedem bekannt. Unterstützt werden 
die feinen Wurzelenden in ihrer Funktion der Befestigung sowohl wie 
der Ausnutzung jedes Erdeteilchens und des darin festgehaltenen 
Wassers durch die einzelligen schlauchartigen Ausstülpungen der 
Öberhautzellen, die Wurzelhaare (vgl. S.24). Auch sie kommen 
senkrecht aus der Wurzeloberfläche heraus. Aus dieser Richtung 
lassen sie sich nur gewaltsam, durch Hindernisse ablenken. Irgend- 
eine tropistische Beeinflussung ist an ihnen bisher nicht bekannt ge- 
worden. Letzteres soll aber von den Nebenwurzeln höheren Grades 
nicht gesagt sein. Diesen geht zwar die geotropische Reizbarkeit ab. 
Sie werden aber, wie wir noch sehen werden, durch andere Reizbar- 
keiten in der Ausübung ihrer Pflichten sehr wirksam unterstützt. 


Nachdem wir über die geotropischen Fähigkeiten der Wurzeln 
einigermaßen Bescheid wissen, wenden wir uns anderen Pflanzen- 
organen zu, die ähnlich wie die Nebenwurzeln ersten Grades transversal- 
geotropisch sind. Da wären zunächst die Seitenzweige zu nennen, 
die in bestimmten Winkeln schräg aufwärts wachsen, wie das be- 
sonders bei Nadelhölzern schön zu beobachten ist. Die Seitenzweige 


76 III. Die Reizwirkungen der Schwerkraft. 


zweiter Ordnung treten bei ihnen wie bei den meisten Bäumen aber 
nicht wie die entsprechenden Nebenwurzeln nach allen Richtungen 
hervor, sondern hauptsächlich ungefähr wagerecht. Das wird uns 
begreiflich, wenn wir bedenken, daß es hier nicht wie beim Wurzel- 
system auf die Ausnutzung des Raumes im Boden ankommt, son- 
dern auf die der Sonnenstrahlen, die auf die Fläche wirken. Blätter 
an Seitenzweigen, die nach unten wüchsen, kämen in den Schatten. 
Solche an nach oben wachsenden Trieben würden anderen das Licht 
rauben. Deshalb finden wir meist einen etagenartigen Bau der 
Bäume mit Zwischenräumen, in die die Sonnenstrahlen eindringen 
können. In einer gewissen 
Entfernung vom Stamme rich- 
tet sich das Ende der Seitenäste 
häufig bogenförmig auf. Über 
den Grund dieses Verhaltens ist 
noch weniger bekannt, als über 
die entsprechende Erscheinung 
bei den Nebenwurzeln. 
Ähnlich wie dort wird 
übrigens vielfach der Verlust 
der Spitze des Verzweigungs- 
systems durch Aufrichten der 
benachbarten Seitenäste ausge- 
glichen. Das geschieht beson- 
ders bei den regelmäßig ge- 
bauten Nadelbäumen, die nur 
eine einzige aufrechte Haupt- 
achse haben, Oft sieht man 
noch alten Bäumen an, daß sie 
in der Jugend die Spitze ver- 
loren haben. Richten sich zwei 


2 : ” 
BL RI ee 3 Seitenäste auf, so kommen da- 
ichtenbäumchen. Nach Verlust der Spitze haben 3 
sich zwei Seitenäste aufgerichtet, wodurch eine durch sehr auffallende Gabe- 
Gabelung entsteht. lungen zustande (Abb. 24). 


(Eingehend berichtet hierüber 
Goebel 1908). Im Falle der Seitenzweige, wie in vielen andern, ist 
das geotropische Verhalten nicht so einfach wie bei den Nebenwurzeln 
und Rhizomen, denn die meisten transversalgeotropischen Organe sind 
nicht radiär. Sie sind vielmehr so gebaut, daß sie sich nur durch 
eine Ebene in zwei spiegelbildlich gleiche Hälften zerlegen lassen. 
Solche Gebilde nennt man monosymmetrisch oder dorsiventral. Für 
sie kommt nicht nur die Lage der Längsachse, sondern auch die der 
Symmetrieebene in Betracht (Abb. 25). Beide müssen entsprechend 
eingestellt werden, wenn das Organ seine Aufgabe erfüllen soll. 
Es gibt solche dorsiventrale Pflanzenteile, die ihre Ruhelage in 
der Horizontalen haben. So z. B. die oben genannten Ausläufer und 
kriechenden Stengel von Lysimachia, Glechoma, Zweige von Coniferen 


Verschiedenheiten im Verhalten der einzelnen Pflanzenteile, 77 


usw. Werden diese schräg auf- oder abwärts gestellt, so daß also nur 
ihre Hauptachse, nicht aber ihre Symmetrieebene verschoben wird, so 
verhalten sie sich genau wie die ringsgleichen Rhizome von Heleocharis, 
d.h. sie krümmen sich auf- oder abwärts, bis sie wieder horizontal 
stehen. Selbst wenn ihre Oberseite nach 
unten gekehrt wird, bleibt die Ebene, 
die sie in zwei spiegelbildlich gleiche 
Hälften teilt, senkrecht; auch dann ist 
also eine Wiedergewinnung der Normal- 
lage durch bloße Krümmung, die hier 
180° betragen muß, möglich. 

Sobald aber eine Schrägstellung = 5 
der Symmetrieebene eintritt, also z. B. Men 5e 
die Oberseite seitlich gerichtet ist, = Schema eines ringsgleichen (a), eines 
nügt eine Krümmung nicht mehr, Son- doppelt symmetrischen oder bilateralen 
dern es muß eine Drehung in der Rich- a nn a 
tung senkrecht zur Achse eintreten, dm Inn wie a dur Zr 
damit das Organ in die richtige Lage gleiche Hälften teilen. 
gelangt!). Ähnliche Bedingungen sind 
auch bei seitlich gestellten Blättern gegeben. Besonders deutlich 
wird das bei zusammengesetzten Blättern, wie sie Robinia (die 
„falsche‘‘ Akazie), der Goldregen (Cytisus Laburnum), die Esche 
(Fraxinus excelsior) u. a. besitzen (Schwendener und Krabbe [1892] 
1898). Man betrachte nur die Blätter an den herabhängenden 
Zweigen der ‚„Trauereschen‘. 

Es handelt sich also nicht um seltene, fast nur im Experiment 
verwirklichte Vorgänge, sondern um solche, die im Leben der Pflanzen 
eine große Rolle spielen. Immer, wenn die Blätter durch schräge 
Lage der Zweige schief gestellt werden, müssen Drehungen in den 
Stielen Platz greifen. Das wird aber sehr häufig der Fallsein. Nur 
die Blätter, deren Halbjierungsebene senkrecht steht, können nach 
dem obigen an Seitenzweigen durch einfache Krümmung ihre Ober- 
seite dem Himmel zukehren’). 

Nicht immer genügt es, wenn von den Blättern in der 
Mittelrippe, dem Blattstiel oder Blattpolster Drehungen ausgeführt 
werden. Es gibt auch solche Fälle — und sie sind von besonderem 
Interesse — wo die Blätter erst durch Torsionen des horizontal ge- 
stellten Zweiges die richtige Orientierung erhalten. Gut beobachten 
läßt sich das z. B. an Philadelphus coronarius (Jasmin, Pfeifenstrauch), 
Ligustrum europaeum (Liguster) u. a. (Abb. 26). Nach Vollendung 
der geotropischen Bewegungen gleicht das ganze Gebilde, nämlich der 
Zweig mit den Blättern äußerlich jenen fiederförmig geteilten Blättern 


1) Epheusprosse dagegen bilden unter ähnlichen Bedingungen ihre Wurzeln 
auf der nunmehrigen Unterseite aus. Sie verändern also ihre Symmetrieebene 
je nach der Lage zur Schwerkraft. 

2) Inwiefern hier noch andere richtende Einflüsse, z. B. von Seiten des 
Lichtes hinzukommen, muß später erörtert werden. 


78 III. Die Reizwirkungen der Schwerkraft. 


der Robinien. Das heißt, es besteht aus einem zylindrischen Organ 
(der Tragachse), die in gewissen Abständen Paare von in einer Ebene 
liegenden Blättern trägt. Das aber ist ein nachträglich erreichter 
Zustand, den nur diejenigen ausgewachsenen Zweige zeigen, die an- 
nähernd wagerecht stehen. Wie das Ganze in der Jugend. ange- 
legt wird, sehen wir am besten an aufrechten Zweigen derselben Art. 
Bei den obengenannten Sträu- 
chern stehen nämlich die aufein- 
anderfolgenden Blattpaare in der 
Anlage gekreuzt, d.h. jedesfolgende 
gegen das vorhergehende um 90° 
verschoben. Und so bleibt es auch, 
falls nicht der Zweig in eine ge- 
neigte Lage kommt. Geschieht das 
aber, so drehen sich die Zweigglieder 
zwischen zwei Blattansatzstellen 
einmal rechts, einmal links um 90° 
und bringen dadurch alle Ansatz- 
D stellen der Blätter in eine hori- 
zontale Ebene. Das kann man 
Abb. 26. leicht am Verlauf von natürlichen 
Ein aufrechter und ein seitlich gewachsener Rinnen und Kanten oder besser 
a ehiedenn Bletfetellung zeizend ver an vorher angebrachten Harb- 
Kleber: strichen erkennen. Um uns die 
dabei stattfindenden Bewegungen 
klar zu machen, gehen wir von 
dem ältesten Paare der Blätter 
eines horizontal gestellten Zweiges 
aus. Denken wir uns diese Blätter 
in seitlicher Lage, so richten sie, 
ihrer Anlage entsprechend, die 
Kanten aufwärts. Durch Torsion 
im Blattstiele wird ihre Fläche 
um 90° gedreht und so ihre 
Oberseite dem Himmel zugekehrt. 
Durch Torsionen zweizeilig beblätterter Zweig Von dem nächst jüngeren Paare 
mit Drehungen der Blattstiele und der Achse. hat das eine Blatt die Ober-, das 
andere die Unterseite nach oben ge- 
kehrt. Dabei wird das an sich richtig gestellte von den anderen verdeckt. 
Sollen beide in die geeignete Stellung kommen, so müssen der 
Stengel zwischen den beiden Blattpaaren und die Blattstiele sich um 
90° tordieren. Dadurch aber kommt wieder das nächstjüngere Paar 
in falsche Lage, was durch Drehung in entgegengesetzter Richtung 
ausgeglichen wird usf. (Abb. 27). 
Es sind also Torsionen der Stengel und der Blattstiele nötig, 
um das Ziel zu erreichen. Aber esist auch eine schwierige Aufgabe, 
die hier bewältigt werden soll. Nicht alle Pflanzen lösen sie in dieser 


Verschiedenheiten im Verhalten der einzelnen Pflanzenteile. 79: 


Weise. Bei manchen (z. B. Vinca [Sinngrün], Acer [Ahorn], Gle- 
choma [Günsel] usw.) wird der Stengel nicht gedreht, sondern nur 
die seitlichen Blätter. Die oberen werden zurückgeschlagen, so daß 
ihre Oberseite gleichfalls dem Zenith zurückgekehrt ist und die unteren 
können bleiben, wie sie sind. Hat die Pflanze auch aufrechte Zweige, 
so bleiben an diesen die Blätter allseitig abstehend (Abb. 28). 

Für die Blätter selbst spielen im allgemeinen wohl geotropische 
Krümmungen keine sehr große Rolle. Sie werden meist durch die 
Tragachsen in die ungefähr richtige Lage gebracht und orientieren 
sich im übrigen mehr nach dem Lichte. Doch gibt es auch genug 
negativ geotropische Blattstiele, an denen dann die Spreiten mehr oder 
weniger horizontal gerichtet sind. So bei den schon genannten Ge- 


Abb. 28. 


Zweige vom Sinngrün (Vinca). Links ein aufrechter Trieb, 

die Blätter gekreuzt und ausgebreitet; rechts ein wagerechter 

Trieb, die Blätter durch Drehungen und Biegungen in einer Fläche 
angeordnet. 


wächsen mit kriechendem Stengel, wie Tropaeolum (Kapuzinerkresse), 
Cucurbita (Kürbis) usw., überhaupt überall da, wo die Lage der- 
Blätter durch die Wachstumsrichtung der Achsen nicht sicher genug 
gestellt ist. Auch können stiellose Blattspreiten selbst negativ geo- 
tropisch aufgerichtet sein, wie die von Scirpus (Binse), Iris (Schwert- 
lilie), Acorus (Kalmus). 

Bei Blättern kommt neben den Wachstumskrümmungen noch ein 
anderer Bewegungungsmodus in Betracht, nämlich der durch Tur- 
gorveränderungen in Gelenken. Auf beide Weisen kommen 
geotropische Bewegungen zustande, mit deren Hilfe sich die Stiele 
der meisten Blätter im Dunkeln aufrecht stellen und bei einer Um- 
kehrung des ganzen Verzweigungssystems auch am Licht an der 
Wiedergewinnung der Normallage mitarbeiten. Diese aber verdanken 
die Blätter in der Natur der Kombination verschiedener Reizwir- 
kungen, auf die wir an anderer Stelle noch einzugehen haben werden. 


80 III, Die Reizwirkungen der Schwerkraft, 


Die Träger der Blüten zeigen im großen Ganzen dasselbe Ver- 
halten wie die der Blätter. Der negative Geotropismus vieler Blüten- 
standsachsen ist so auffällig, daß hier darauf nur hingewiesen zu 
werden braucht. Gute Objekte sind z. B. die oben erwähnten Roß- 
kastanienrispen, dann die Trauben der Cruciferen, z. B. Draba verna 
(Hungerblümchen), Capsella bursa pastoris (Hirtentäschelkraut, Carda- 
mine pratensis (Schaumkraut), um nur einige dergemeinsten zuerwähnen, 
ferner dieder Knabenkräuter, die Schäfte der Liliengewächse, Primeln usf. 

Die an der Hauptachse entspringenden Blütenstiele oder Seiten- 
zweige der Blütenstände sind manchmal negativ, meist aber trans- 
versalgeotropisch wie die Seitenwurzeln, nur daß sie nicht schräg 
abwärts, sondern aufwärts wachsen. Eingehendere Untersuchungen 
hierüber scheinen nicht angestellt worden zu sein, gewisse Differenzen 
gegenüber den Wurzeln sind aber zweifellos vorhanden. So sind die 
Seitenzweige zweiter Ordnung nicht wie die entsprechenden Wurzeln 
in ihrer Richtung von der Schwerkraft unabhängig, sondern verhalten 
sich ähnlich wie die erster Ordnung; d. h. sie wachsen gleichfalls 
transversalgeotropisch schräg aufwärts, allerdings in anderen Winkeln, 
die größer und kleiner sein können, als die der sie tragenden Seitenachsen. 
An den mehrfach zusammengesetzten Blütenständen der Um- 
belliferen oder Doldenträger z. B. hat jeder Teil seine ganz bestimmte 
Richtung zur Schwerkraft. Schöne und große Schirmsysteme zeigen 
z. B. Heracleum (Bärenklau) oder Coriandrum (Coriander). Legt 
man ein solches im Ganzen um, so richtet sich der Hauptträger 
auf und bringt dadurch die anderen Teile in die richtige Stellung. 
Wird aber der Hauptträger festgehalten, dann reagieren die Seiten- 
achsen erster Ordnung, usf. bis zu den Blütenstielen. Die geo- 
tropische Befähigung der Zweige höherer Ordnung zeigt sich also nur 
dann, wenn die sie tragenden Achsen an der Aufrichtung verhindert 
werden. Dadurch wird unnütze Kraftverschwendung vermieden. 
Die richtige Reihenfolge in den Krümmungen aber ist dadurch ge- 
währleistet, daß die Reaktionszeit vom Hauptträger bis zu den 
Blütenstielen stetig zunimmt. So wird erreicht, daß ein Organ schon 
durch den Träger nächsthöherer Ordnung in die Normallage gebracht 
wird, bevor es selbst anfängt zu reagieren (Noll 1885)}). 

Manche Blüten findet man an ihren Stielen nicht aufgerichtet, 
sondern mit der Öffnung nach der Seite gekehrt. Sie sind horizontal- 
transversalgeotropisch. Diesen Fall hat zuerst Vöchting (1882) für 
Nareissusarten, für Agapanthus, Amaryllis u. a. festgestellt. Sie 
krümmen sich auf- oder abwärts, je nachdem man sie unter oder 
über die wagrechte Lage gebracht hat. Bei dorsiventralen trans- 
versalgeotropischen Blüten, wie sie der Rittersporn (Delphinium), 
Eisenhut (Aconitum) und viele andere Pflanzen haben, genügen 
Krümmungen nicht zur Erzielung der normalen Stellung. Kehrt 


1) Die Nollschen Angaben habe ich nachgeprüft und bestätigt gefunden, 
Sie schienen mir wichtig, weil sie die alte Auffassung widerlegen, als müßten 
dicke Objekte langsamer reagieren als dünne, 


Verschiedenheiten im Verhalten der einzelnen Pflanzenteile. sı 


man einen Blütenstand der genannten Pflanzen um und verhindert 
die Aufrichtung seiner Hauptachse, so sind die Einzelblüten ge- 
zwungen, sich geotropisch zu orientieren. Durch eine bloße Auf- 
richtung der Stiele würden die sonst nach außen gerichteten Öffnungen 
der Blüten der Achse zugekehrt (Abb.29 II). Das würde ihre Sichtbar- 
keit vermindern und den Anflug der Insekten stark hindern. Deshalb 
dreht sich der Blütenstiel, bis der Eingang zur Blüte wieder nach außen 
gekehrt ist (Abb. 29 III). (Noll 1885 und 1887, Schwendener und 
Krabbe [1892] 1898.) Eine solche Torsion findet in den stielartigen 
Fruchtknoten der meisten Orchideen, deren Blüten sonderbarerweise 
verkehrt angelegt werden, auch normalerweise stets statt. Ebenso 
an den gleich zu nennenden hängenden Blütenrispen. 

Im Anschlusse an die Besprechung der verschiedenen Formen des 
Geotropismus mag erwähnt werden, daß die abwärts geneigte Lage 


Abb. 29. 


Geotropische Reaktion einer umgekehrten Blüte 
von Acopitum. 
Nach Noll. (Aus Strasburgers Lehrbuch.) 


vieler Pflanzenteile einfach durch deren Gewicht zustande kommt. 
Rein physikalisch muß ja die Schwerewirkung sich geltend machen, 
wenn die Stengel oder Stiele nicht biegungsfest genug gebaut sind, 
um ihre Last aufrecht zu tragen. So verhalten sich die Zweige der 
„Trauerformen‘‘ mancher Bäume, wie z. B. der Esche, Weide u.s.f. 
Ferner die Achsen vieler Blütenstände, z. B. die des Flieders (Syringa), 
Goldregens (Cytisus Laburnum), der Robinie (Robinia pseudacacia) 
u.a. Auch viele Blütenstiele, wie die des Schneeglöckchens (Galan- 
thus und Leucoium) und der Fuchsien gehören hierher. In anderen 
Fällen aber beruhen äußerlich ähnliche, scheinbar hängende Lagen 
von Pflanzenteilen doch auf positivem Geotropismus, so z. B. bei den 
nickenden Knospen des Mohns (Papaver), den eingebogenen Zweig- 
enden der Weinarten (Vitis und Ampelopsis) und manchen anderen. 

Daß der betonte Unterschied zwischen positivem Geotropismus und Last- 
krümmung wirklich gemacht werden muß, zeigt sich, wenn man die Pflanzen 
umgekehrt hält. Die biegsamen Achsen der zweiten Gruppe hängen sofort wieder 


schlaff abwärts, während die der ersten steif sind und erst nach längerer Zeit 
durch eine aktive Reaktion die alte Lage wiedergewinnen. Man könnte ein- 


Pringsheim, Reizbewegungen, 6 


32 III. Die Reizwirkungen der Schwerkraft. 


wenden, daß hier doch kein Geotropismus, sondern nur ein langsames, aber 
doch rein mechanisches Hinuntersinken vorliege. Es wäre dabei z. B. an eine 
Siegellackstange zu denken, die, an einem Ende festgehalten, sich sehr langsam 
herabbiegt. Auch dieser Zweifel läßt sich beheben. Kehrt man nämlich solche 
positiv geotropischen Organe nur eben bis zum Beginn der Krümmung um, so 
findet nachher in der Normallage eine beträchtliche Nachwirkung statt. Das 
wäre bei rein mechanischer Senkung unmöglich. Im Grunde sind das dieselben 
Einwände, die auch bei der Entscheidung gegen die mechanische Auffassung 
des Wurzelgeotropismus zu entkräften waren (vergl. S. 45). 


Bisher haben wir von dem geotropischen Verhalten der einzelnen 
Pflanzenteile so gesprochen, als wäre es ein für allemal festgelegt 
und unveränderlich: Das gilt nun nicht unter allen Umständen. Es 
kann sich vielmehr die geotropische Ruhelage eines ÖOrganes aus 
inneren oder äußeren Gründen verschieben. Besonders häufig sind 
die Fälle, in denen ein und dasselbe Objekt in seiner Jugend anders 
reagiert als später, in denen sich also mit der Zeit aus unbekannten 
„inneren“ Ursachen die Art der Reizbarkeit ändert. 

So sind die schon erwähnten Achsenorgane von Adoxa und 
ähnlich sich verhaltenden Pflanzen eine Zeit lang transversalgeo- 
tropisch und kriechen als Wurzelstöcke im Boden, werden aber 
später negativ geotropisch, so daß sie sich über den Boden erheben. 
Sie treiben dann Blätter und Blüten. Beide Wachstumsweisen 
wechseln jährlich miteinder ab. Im anderen Fällen, so bei Anemone, 
kommt ein äußerlich ähnliches Verhalten dadurch zustande, daß 
die Hauptachse im Boden bleibt und nur ihre Seitenorgane negativ 
geotropisch sind. Das morphologische Verhältnis von Rhizomen und 
Laubsprossen hat jedoch für uns kein großes Interesse. Die Veränderlich- 
keit des Geotropismus ist bei den genannten Pflanzen nicht besonders 
deutlich, weil die fortwachsende Spitze zugleich eine morphologische Um- 
gestaltung erfährt. Das Gleiche gilt für die Blütenstandsachsen, die 
sich negativ geotropisch von den plagiotropen Tragzweigen erheben. 

Auffallender sind die Fälle, in denen ein und derselbe Stengel- 
teil, ohne daß man ihm äußerlich etwas davon ansieht, in einen 
neuen Reizzustand übergeht. Solches findet man bei denjenigen 
nickenden Pflanzenteilen, die ihre gesenkte Lage einem positiven 
Geotropismus verdanken. Schon darin, daß trotz dem andauernden 
Längenwachstum der herabhängende Stiel- oder Stengelteil nicht 
länger wird, die Krümmungsstelle also fortdauernd nach oben wandert, 
zeigt sich, daß bestimmte Zonen, die erst positiv geotropisch waren, 
später negativ reagieren. Ähnlich verhalten sich z. B. auch die 
rotierenden Enden der Schlingpflanzen (vergl. S. 87). 

In anderen Fällen aber bleibt die Krümmung überhaupt nicht 
dauernd bestehen, so daß also nicht nur das Verhalten bestimmter Quer- 
zonen, sondern das des ganzen Pflanzenteils sich ändert. Besonders 
gut untersucht ist das Beispiel der Blütenknospen von Papaver 
(Mohn). mit dem sich Vöchting (1882) eingehend beschäftigt hat. 

Die Knospen der Mohnarten werden in aufrechter Stellung an- 


Verschiedenheiten im Verhalten der einzelnen Pflanzenteile. 83 


gelegt. Ihre Stiele krümmen sich aber bald senkrecht abwärts, weil 
sie nun positiv geotropisch geworden sind. Vor dem Aufblühen 
richten sie sich wieder auf und verharren so bis zur Fruchtreife. 

Vöchting suchte nun festzustellen, ob das Abwärtshängen der 
Knospen vielleicht durch ihr Gewicht bedingt sei. Zu dem Zwecke 
schnitt er sie von den Stielen ab. Und wirklich fand nun deren Auf- 
richtung sehr bald statt, viel früher als unter normalen Umständen. 
Als aber in einem Gegenversuche die abgeschnittenen Knospen, um 
dasselbe Gewicht herzustellen, wieder an die Stiele gebunden wurden, 
so verhielten sich diese genau so wie ohne die Last. Damit war 
bewiesen, daß nicht die Entfernung des Gewichtes, sondern das Ab- 
schneiden selbst die Änderung im Verhalten bewirkte. D.h. für das 
Nicken ist der organische Zusammenhang zwischen Stiel und Knospe 
erforderlich. Durch weitere Versuche konnte sogar der Teil der 
jungen Blüte festgestellt werden, der diese eigentümliche Wirkung 
hat; es sind die Samenknospen. War nur ein kleines Stück des 
Fruchtknotens mit jungem Samen vorhanden, so verhielt sich der 
Stiel normal und behielt die gesenkte Lage. Wurde der Rest aber 
auch noch entfernt, so richtete er sich auf. 

Man hat für solche Fälle der Wechselwirkung verschiedener Teile 
den Ausdruck ‚Korrelation‘‘ geprägt. Er sagt aber nicht viel. Für 
den vorliegenden Fall von Papaver ist es wohl das wahrscheinlichste, 
daß die Samenknospen in einer bestimmten Periode ihrer Entwicklung 
einen Stoff absondern, der sich im Pflanzengewebe verbreitet und die 
Umwandlung des negativen Geotropismus in positiven bewirkt. Rätsel 
blieben freilich auch dann noch genug, wenn sich diese Vermutung 
einer ‚inneren Sekretion‘ bei Pflanzen experimentell bestätigen ließe. 

Ähnlich wie die Knospen von Papaver verhalten sich die vom 
Huflattich (Tussilago) und einigen anderen Pflanzen. Auch die Blüten- 
stiele vom Alpenveilchen (Cyclamen persicum) und die Blütenstand- 
achsen von Bryophyllum eruentum sind in ihrem oberen Teile vorüber- 
gehend positiv geotropisch und richten sich später wieder auf. 

Wie wir bei Adoxa sahen, ist die Veränderung der geotropischen 
Reizbarkeit mit einer morphologischen Umwandlung verbunden. Könnte 
man die letztere verhindern, so würde voraussichtlich auch die Wuchs- 
richtung sich nicht ändern. Bei Ajuga reptans (Günsel) kann man 
etwas derartiges beobachten. Hier werden kriechende Ausläufer und 
aufrechte Blütentriebe gebildet. Die Entstehung der letzteren ist an 
höhere Lichtintensität gebunden und kann durch Kultur in geringer 
Helligkeit unterdrückt werden. Unter solchen Umständen wird also 
auch die Ausbildung des negativen Geotropismus verhindert. 

Deutlicher ist die Abhängigkeit der geotropischen Ruhelage von 
Außenumständen in einigen anderen Fällen. So gibt es unter 
den Blättern mit Schlafbewegung solche, bei denen die Bewegungen 
dadurch zustande kommen, daß durch einen Wechsel der Belichtung 
der Sinn des Geotropismus verändert wird. Auch kann man hierher 
die Rhizome und Nebenwurzeln rechnen, die auf Belichtung schief 

6* 


s4 Ill. Die Reizwirkungen der Schwerkraft, 


abwärts wachsen. All’ das kann mit demselben Rechte als Photo- 
nastie, d. h. als Reaktion auf Lichtwechsel oder als Veränderung 
des geotropischen Verhaltens aufgefaßt werden, je nachdem man 
die Reizwirkung des Lichtes oder der Schwerkraft ins Auge faßt. 
Anderes wird unter Chemo- und Thermonastie besprochen werden. 

Schließlich kann auch die Tatsache, daß bei Verlust der Spitze 
des Verzweigungssystems Nebenwurzeln oder Seitenzweige sich in die 
Richtung der Schwerkraft einstellen, als Änderung des geotropischen 
Verhaltens angesehen werden, das durch die Wechselwirkung von 
Haupt- und Seitenorgan reguliert wird. Hier spielt die fortwachsende 
Spitze eine ähnliche Rolle wie die sich entwickelnden Samenknospen 
bei Papaver, indem ihr Vorhandensein die Reizbarkeit örtlich ab- 
liegender Teile beeinflußt. Vielleicht liegt auch hier der Correlation 
eine stoffliche Wechselwirkung zugrunde, die durch Hemmung des 
Wachstums gestört wird. 

Man faßt gewöhnlich die genannten Fälle als geotropische Um- 
stimmungen zusammen. Es scheint mir aber besser, den Ausdruck 
Reizstimmung für eine andere Sache aufzusparen. Man könnte den 
Ausdruck ‚‚Sinnesänderung‘‘ einführen, der bedeuten soll, daß irgend- 
eine Veränderung in einer tropistischen Ruhelage eintritt, daß also 
gewissermaßen die Pflanze anderen Sinnes wird oder die Bewegung 
in verändertem Sinne ausführt. 

Die Sinnesänderungen sind allgemein als Verschiebungen des 
inneren physiologischen Zustandes aufzufassen, die sich nach außen 
in dem veränderten Verhalten gegenüber den Orientierungsreizen 
zu erkennen geben. Hervorgerufen werden sie entweder durch 
äußere Umstände und stellen dann selbst Reizbeantwortungen vor, 
d. h. es greift ein Reiz in die Reizkette eines anderen ein. Oder 
sie treten ohne erkennbaren Anlaß mit einem gewissen Entwicklungs- 
zustande auf. 


e) Schlingpflanzen. 


Eine besondere Form von Reizbarkeit durch die Schwerkraft 
findet sich bei den Schlingpflanzen. Es sind das Gewächse, die 
wegen des schwachen Baues ihrer langen Stengel eine Stütze brau- 
chen, um sich aufrecht zu halten. Durch Umwinden klammern 
sie sich an Stengeln anderer Pflanzen u. dergl. fest, klettern an 
ihnen in die Höhe und gelangen so in günstige Lichtverhältnisse.') 

Die Keimpflanzen oder die aus unterirdischen Teilen entspringen- 
den jungen Sprosse der Schlingpflanzen sind zunächst negativ geo- 
tropisch und wachsen schön aufrecht.”) Haben sie aber ein gewisses 


1) Ihrer Lebensweise nach verwandt mit ihnen sind solche Pflanzen, die 
sich durch Widerhaken an rauhen Gegenständen festhalten oder durch besondere 
Organe, die Ranken, eine Stütze umfassen. Mit letzteren werden wir uns 
noch zu beschäftigen haben. 

?) Keimpflanzen von Phaseolus und Ipomoea z. B. erweisen sich als gut 
brauchbar für geotropische Versuche. 


Schlingpflanzen. 35 


Alter erreicht, so nimmt das Sprossende aktiv eine bogenförmige Ge- 
stalt an, es wird transversalgeotropisch. Hierauf beginnt die Spitze 
eine kreisende Bewegung, indem das annähernd horizontale Stengel- 
stück sich wie ein Zeiger um den aufrechten unteren Teil dreht. 
Dies kommt durch ungleiches Wachstum der Flanken des Stengels 
an der Biegungsstelle zustande, und zwar ist es entweder die rechte 
oder die linke Seite, die stärker wächst. Die Wachstumsbeschleunigung 
wandert um den Umfang des Stengels in der Weise herum, daß 
immer wieder eine andere Kante die sich am schnellsten streckende 
ist und dadurch auf die Konvexseite des vom horizontalen Ende 
des Stengels mit dem aufrechten unteren Teile gebildeten Winkels 
gelangt. Inzwischen ist dieser Teil dann aus der durch schnelle 
Streckung aktiven Partie herausgerückt und hat einem anderen Platz 
gemacht. Ferner wird dadurch erzielt, daß 
der überhängende Sproßteil um seine Achse 
rotiert. Würde der Wechsel in der Lage 
der Kanten nicht vor sich gehen, so müßte 
der ganze Stengel zusammengedreht werden 
wie ein Strick. 

Man kann sich das an einem Stück 
Gummischlauch als Modell klar machen. 
Eine Flanke wird durch einen Tintenstrich 
markiert. Dann wird der Schlauch an 
einem Ende vertikal aufrecht gehalten und 


das andere Ende irgendwie beschwert im Abb. 30. 
Bogen seitlich hängen gelassen (Abb. 30). Modell für die rotierende Bewegung 
- = 4 J des horizontalen Endes einer 

Schiebt man nun die Spitze des Schlauches Se ingpllanze: Die Sniles Areht 

mit dem lose angedrückten Finger im Kreise sich entsprechend dem kleinen 

h ieh ie d Ti ich Pfeile, wenn das Ganze in der an- 
erum, so sieht man, wie der lıntenstrich gedeuteten Richtung schwingt. 

um das horizontale Ende wandert und (Nach Jost 1908.) 


sich bald oben, bald unten, auf der ver- 

längerten oder verkürzten Flanke befindet. Entsprechend, nur mit 
Vertauschung von Ursache und Wirkung, ist der Vorgang bei den 
kreisenden Bewegungen des überhängenden Endes der Schlingpflanzen, 
wie es sich besonders schön an Hopfenpflanzen (Humulus Lupulus), 
Bohnenarten (Phaseolus spec.) usw. beobachten läßt. 

Durch das Umherschwingen ist die Wahrscheinlichkeit, eine 
vertikale Stütze zu berühren, naturgemäß sehr erhöht. Geschieht 
das, so wird die Bewegung durchaus nicht ganz aufgehalten, viel- 
mehr wird nun der horizontale Stengelteil dem Hindernis mit 
wachsender Kraft angedrückt und die freie Spitze setzt ihre Rotation 
fort, so daß sie sich in zunächst lockeren Windungen um die Stütze 
wickelt. 

Wird eine um einen Stab gewundene Schlingpflanze, z. B. eine 
Bohne im Topf, mit der Spitze nach unten gekehrt, so lockern sich 
die letzten Windungen des Stengels, soweit dieser noch wachstums- 
fähig ist, während die älteren, ausgewachsenen Teile in ihrer Lage 


S6 11l. Die Reizwirkungen der Schwerkraft. 


verharren. Dem Lockern folgt ein Auflösen der Schraubenkrümmung, 
diesem ein Kreisen in entgegengesetzter Richtung zum Stabe, wobei 
das Ende sich geotropisch aufrichtet und dann die Stütze in derselben 
Richtung zum Horizonte umschlingt wie vorher. So kann auch die 
Spitze einer Schlingpflanze, die keine Stütze gefunden hat und deshalb 
lang überhängt, an ihrem eigenen Stengel wieder in die Höhe klettern. 

Das Schlingen und Kreisen erfolgt bei derselben Pflanze immer 
in derselben Richtung, entweder mit dem Uhrzeiger (rechts) oder ent- 
gegengesetzt (links). Die Bohne (Phase- 
olus), die Winde (Ipomoea und Con- 
volvulus), sowie der Pfeifenstrauch 
(Aristolochia Sipho) und die meisten 
anderen Windepflanzen schlingen in 
der letzteren Weise, während sich von 
bekannteren das Geisblatt (Lonicera 
caprifolium) und der Hopfen (Humu- 
lus Lupulus) umgekehrt verhalten 
(Abb. 31). Aus der Konstanz der 
Winderichtung erklärt es sich, daß 
beim Umkehren der ganzen Pflanze 
auch die Richtung der Bewegung im 
Verhältnis zu den älteren Teilen und 
der Stütze sich umkehrt. 

Das stets gleiche Verhältnis der 
Richtung des Schlingens zu der Situ- 
ation im Raume ergibt schon die 
Wahrscheinlichkeit einer Abhängig- 
keit von der Schwerkraft. Noch 
deutlicher wird das durch Klinostaten- 
versuche. Wird nämlich eine um 
eine Stütze gewundene Schlingpflanze 
um eine horizontale Achse gedreht, 
so lösen sich die jungen, noch wachs- 
tumsfähigen Windungen. Es findet 
aber nicht wie an einer abwärts ge- 

Rechts- und linkswindender Sproß. stellten Pflanze eine Umkehr der 

(Aus Strasburgers Lehrbuch.) Richtung statt, sondern die Pflanze 

ist durchaus unfähig zu schlingen. 

Sie wächst, soweit das ihre mangelnde Steifheit .erlaubt, nahezu 
geradeaus (Baranetzky 1883). 

Somit ist die Abhängigkeit der Windebewegung von der Schwer- 
kraftreizung erwiesen. Es ist das aber eine ganz eigentümliche Art 
von Geotropismus, verschieden von allem bisher Besprochenen. 
Denn hier streckt sich nicht die Ober- oder Unterseite auf den 
teiz hin stärker als ihre Gegenseite, sondern die rechte oder linke 
Flanke. Und zwar auch nur in einer beschränkten Region, nämlich 
dem bogig gekrümmten Stengelstück, während die älteren Teile negativ, 


N 


Abb. 31. 


Schlingpflanzen. 87 


die jüngeren transversal-geotropisch sind. Die Grenzen zwischen diesen 
drei sich verschieden verhaltenden Regionen des Stengels haben keine 
konstante Lage, sondern wandern allmählich spitzenwärts, indem die 
vorher gekrümmten Teile mit dem Älterwerden sich aufzurichten 
suchen. Die Krümmungszone bleibt dadurch immer in ungefähr der 
gleichen Entfernung von der fortwachsenden Spitze. Welches Verhalten 
ein bestimmtes Stengelstück zeigt, das wird also offenbar durch sein 
Alter bestimmt. 

Einige Zeit, nachdem die Windungen angelegt sind, werden sie 
steiler, weil der während des Kreisens und Schlingens transversal 
geotropische Stengelteil nun mit höherem Alter in die negativ geo- 
tropische Periode kommt. Ein wirkliches Aufrichten kann allerdings 
nur stattfinden, wenn keine Stütze umfaßt ist oder diese bald nach 
Bildung der Windungen aus ihnen herausgezogen wird. Es er- 
folgt in dieser Periode ein Ausziehen der Spirale, das notwendig mit 
einer Torsion des Stengels verknüpft sein muß, weil dabei die Drehung 
um seine Achse, die wir bei der Entstehung der Windungen eintreten 
sahen, unterbleibt. Es handelt sich in diesem Falle um eine einfache 
negativ geotropische Aufrichtung der einzelnen Windungen. (Bara- 
netzky 1883.) 

Normalerweise wird aber diese Aufrichtung durch die Stütze 
gehemmt, und zwar um so mehr, je dicker diese ist. Ist sie aber 
so dünn, daß sie die zunächst lockeren Windungen nicht ausfüllt, 
so werden diese schließlich durch ihre geotropische Aufrichtung doch 
der Stütze angepreßt. Dabei entstehen — allerdings in geringerem 
Maße als beim Fehlen einer Stütze — jene Torsionen, von denen 
wir eben sprachen. Sie bleiben dauernd erhalten, soweit sie nicht 
durch Nachgeben des Spitzenteils ausgeglichen werden. Danach 
dürfte die Zahl der Drehungen höchstens der der Windungen ent- 
sprechen. Da ihrer aber oft mehr sind, muß man wohl noch ein 
Torsionsbestreben aus inneren Gründen annehmen (Noll 1904, 
Bear Pieffer 1904, S. 410). Die Torsionen sind 2. B. an 
windenden Hopfensprossen sehr schön zu sehen und werden im 
Verein mit der Ausbildung besonderer Haken (in anderen Fällen 
Borsten, Riefen usw.), die die Rauheit der Oberfläche vergrößern, 
zum besseren Halt des Stengels an der Stütze beitragen können. 
Unsere Kenntnis der Vorgänge beim Winden ist trotz der vielen 
darauf verwendeten Mühe noch recht beschränkt. So sind sich auch 
die verschiedenen Autoren durchaus noch nicht einig über wesent- 
liche Punkte. Soviel sich aber ersehen läßt, ist das Zusammen- 
wirken der verschiedenartigen geotropischen Reizreaktionen, wie sie 
im windenden Stengel einander ablösen, für die Erklärung ausreichend. 
Der transversale Geotropismus des kreisenden Endes und sein all- 
mähliches Übergehen in die negativ-geotropische Reaktionsweise wird 
kaum noch als Schwierigkeit empfunden. Rätselhaft dagegen ist der 
Zusammenhang zwischen der kreisenden Bewegung und der Reizung 
durch die Schwerkraft. Ein solcher Zusammenhang muß wohl an- 


ss Ill. Die Reizwirkungen der Schwerkraft. 


genommen werden; denn wäre das Umlaufen des verstärkten Wachs- 
tums um den Stengel durch innere Gründe festgelegt (‚autonom‘), 
so müßte es nach Berührung der Stütze in derselben Weise weiter 
schen. Dadurch würde aber das Sproßende nicht der Stütze an- 
gepreßt, sondern von ihr fortgekehrt. Nur dadurch, daß die Be- 
stimmung der Krümmung durch äußere Kräfte, nämlich die Schwer- 
kraft, geschieht, daß sie also nach rechts oder links zum Horizonte 
erfolgt und nicht einfach um den Stengel herumläuft, ist ein be- 
ständiges Andrücken an die Stütze möglich. Wie aber durch die 
Schwerkraft die Förderung des Wachstums der rechten oder linken 
Flanke geschieht, ist noch bedeutend rätselhafter als z. B. die .ein- 
fache geotropische Krümmung. 

Nimmt man das aber einmal als gegeben an, so genügt das Zu- 
sammenwirken der im überhängenden Teile vor sich gehenden Drehung 
mit der allmählichen Aufrichtung wohl zur Erklärung des Windens. 
Dementsprechend werden schraubige Krümmungen, sogen. freie Win- 
dungen, auch ohne Stütze erzielt. Diese stellt demnach im Grunde 
nur ein Hindernis für die völlige Geradestreckung in späteren Stadien 
dar (Wortmann 1886). 

Doch hält Schwendener (1881) noch eine Erscheinung für wichtig, 
die er als Greifbewegung bezeichnet. Sie besteht darin, daß die 
bogig gekrümmte Sproßspitze durch Berührung der Stütze an zwei 
entgegengesetzten Punkten und durch periodische Ablösung an dem 
einen und dem anderen sich gewissermaßen weitertastet und daher 
immer wieder festhält. An dicken Stützen findet dagegen eine 
dauernde Berührung statt, sodaß die Spitze stetig angedrückt 
schraubig an der Unterlage emporkriecht. 

Da das Verhalten der Schlingpflanzen durchaus an ihre geo- 
tropische Reizbarkeit gebunden ist, wird es verständlich, daß nur 
annähernd aufrechte Stützen umwunden werden können. Schräger 
gestellte wird das kreisende Ende schließlich nicht mehr erreichen 
können oder die Pflanze wird sie nach Ausführung einer Windung 
wieder verlassen und weiter ‚suchen‘. Der Winkel, den eine Stütze 
haben darf, wird von der Weite des Ausgreifens abhängen, dessen 
die Spitze der Pflanze fähig ist (Noll 1904). 

Je länger das horizontale Ende einer Schlingpflanze ist, einen 
desto größeren Kreis wird sie durchmessen können, um so dickere 
und schrägere Stützen vermag sie zu umschlingen und umso mehr 
wird auch die Wahrscheinlichkeit erhöht, überhaupt eine Stütze zu 
finden. Die Fähigkeit, dicke Stämme zu umfassen, ist besonders 
bei tropischen Schlinglianen in hohem Maße ausgebildet. 

Die maximale Länge des horizontalen Teiles ist durch dessen Gewicht be- 
grenzt, denn herabhängen darf das Ende natürlich nicht. Deshalb wird es 
zweckmäßig sein, das Gewicht möglichst herabzusetzen und jede unnötige Be- 
lastung zu vermeiden. So erklärt sich das bei allen Schlingpflanzen in mehr 
oder weniger hohem Grade anzutreffende Kleinbleiben der Blätter gegenüber den 
sich frühzeitig stark verlängernden Stengelgliedern. Erst wenn die Pflanze eine 
Stütze gefunden hat, werden die Blätter im Wachstum gefördert und nehmen 


Schlingpflanzen. sg 


dann relativ schnell ihre definitive Größe und Gestalt an. Um aber wieder 
diesen letzteren Prozeß nicht zu verzögern, eilen diejenigen Teile des Blattes, 
die die meiste Zeit zur Ausbildung brauchen, nämlich die Rippen, dem grünen 
Assimilationsgewebe voraus. 

Trotz dieser Entlastung der jüngeren Teile und trotzdem das 
„Überhängen‘‘ der Spitze nicht etwa eine einfache Lastkrümmung 
darstellt, werden die Schlingpflanzen, falls sie keine Stütze finden, 
schließlich umfallen müssen. Sie schieben sich dann wie ein Aus- 
läufer am Boden entlang, wobei aber das Ende nicht aufhört, empor- 
zustreben und durch kreisende Bewegungen einen festen Körper zu 
suchen, an dem es sich aufrichten könnte. Bei manchen Gewächsen 
findet in der Natur ein Wechsel zwischen kriechendem und kletterndem 
Wachstum häufig statt. Da ein Aufrichten erst in einem dich- 
teren Bestande nötig wird, also z. B. in einem Gebüsch, das die 
Pflanze dem Lichteinflusse entziehen würde, das aber andererseits ge- 
eignete Stützen abgibt, so entsprechen die den Schlingpflanzen mit- 
gegebenen Eigenschaften durchaus ihren Bedürfnissen. 

Das Abwechseln zwischen Kriechen und Winden läßt sich sehr 
schön an der Ackerwinde (Convolvus arvensis) beobachten, die in 
beiden Situationen, je nach der sonstigen Vegetation des Bodens, 
gut zu gedeihen vermag: Auf nacktem Boden kriecht sie, an Gras- 
halmen oder dergl. angelangt aber windet sie sich empor und 
kommt so in bessere Lichtverhältnisse, 

Die erwähnten Pflanzen finden also zugleich mit der Not- 
wendigkeit, sich zu erheben, um ans Licht zu gelangen, die Mög- 
lichkeit, es zu tun. Es gibt aber auch Pflanzen, die überhaupt 
nur dann winden, wenn sie beschattet werden. Durch den Mangel 
an Licht (siehe unten S. 94) werden bei diesen ‚fakultativen Schling- 
pflanzen‘ einige Eigenschaften hervorgerufen, die bei typischen Winde- 
pflanzen sich auch am Lichte ausbilden, nämlich eine größere Streckung 
der Stengelglieder und das Kleinbleiben der Blätter. Zu dieser Gruppe 
gehört nach Ch. Darwin ([1881] 1899 S. 32 ff.) der Windeknöterich 
(Polygonum Convolvulus) die Schwalbenwurz (Asclepias vincetoxicum) 
und der Bittersüß (Solanum dulcamara), die im hellen Licht kräftig 
aufwärts wachsen, im Schatten aber winden. 

Haben die Schlingpflanzen vermöge ihrer Kletterbewegungen 
geeignete Stützen umwunden, die in der Natur meist andere Gewächse 
sein werden, so ist ihre Lebensweise nicht viel anders als die anderer 
Pflanzen. Ihre Seitenäste verhalten sich entweder wie die Hauptachse 
oder sie gelangen durch andere Orientierungsbewegungen in geeignete 
Bedingungen. Die Blätter suchen eine günstige Lichtlage auf. 

Tropische Lianen werden teilweise zum Verhängnis ihrer Stütz- 
bäume, die sie durch die Fülle ihrer Blätter ersticken und vom 
Lichte ausschließen. Manch& unter ihnen können so weit erstarken, 
daß sie dann selbständig weiter leben ohne weiter einer Stütze zu 
bedürfen. Sie sind also nur in ihrer Jugend Schlingpflanzen. Durch 
die Ersparnisse am Aufbau der Achsen bleibt den Schlingpflanzen 


90 III. Die Reizwirkungen der Schwerkraft. 


Kraft für das Längenwachstum, so daß sie häufig zu den längsten 
Gewächsen der betreffenden Flora gehören. Bei uns ist es besonders 
der Hopfen, und an manchen Orten eine Gaisblattart (Lonicera 
Periclymenum), die lianenartig hoch in die Baumkronen emporsteigen. 


Einen besonderen Fall stellen die parasitischen Cuscuta-Arten 
(Flachs- und Kleeseide) dar, deren chlorophylifreie Keimlinge absterben, 
falls sie nicht eine geeignete Wirtspflanze finden, die ihnen gleichzeitig 
als Stütze und als nahrungslieferndes Opfer dienen muß. Der faden- 
förmige Stengel wickelt sich um eine Pflanze wie eine Ranke und 
sendet Sangorgaue in deren Gewebe. Hierauf beginnt er dann wie 
eine Schlingpflanze zu winden und an ihr emporzuklettern, aber nur 
vorübergehend, denn bald wird diese Bewegung wieder durch eine 
Periode unterbrochen, in der Saugfortsätze gebildet werden. Beide 
Wachstumsweisen wechseln miteinander ab. (Vergl. S. 221.) 

Ein Winden wie bei den Stengeln der Schlingpflanzen findet 
sich auch bei manchen Farnblättern. Die Mittelrippe der sehr lange 
an der Spitze fortwachsenden Wedel von Lygodium scandens und 
Blechnum volubile windet, wie es scheint, ganz in der früher für 
Stengel besprochenen Weise. Die Seitenfiedern verhalten sich hier 
ähnlich den Blättern der anderen Schlingpflanzen. Sonst kennen wir 
ein Windevermögen nur bei Samenpflanzen, unter ihnen aber in 
den verschiedensten Familien. 


f) Niedere Organismen. 


Bei unseren bisherigen Betrachtungen über die Reizwirkung der 
Schwerkraft haben wir überall nur die höheren Pflanzen berück- 
sichtigt. Geotropische Reizbarkeit ist aber auch bei Algen und 
Pilzen vielfach nachgewiesen. So sind die Träger des Fruchtkörpers, 
die sog. Strünke der Hutpilze meist negativ geotropisch und zwar 
in bemerkenswertem Grade (Knoll 1909, Streeter 1909). Das ein- 
heitliche und rasche Reagieren des ganzen kompakten Stieles ist darum 
interessant, weil der Pilzkörper aus einem Geflecht einzelner Fäden 
besteht, deren Zusammenarbeiten nicht ganz leicht zu durchschauen 
ist (vgl. S. 29). Durch die Bewegungen des Stieles wird der Hut in 
eine günstige Lage zum Austrocknen und Ausstreuen der Sporen ge- 
bracht, die Perzeption findet aber nicht in ihm, sondern in der 
Wachstumszone statt (Streeter 1909). Präsentations- und Reaktions- 
zeit können sehr kurz sein. Manche stiellose Fruchtkörper von Hut- 
pilzen haben gleichfalls die Fähigkeit zur Einnahme einer bestimmten 
Lage, ebenso die an jenen sitzenden Fortsätze, Leisten und Stacheln, 
an denen die eigentlichen Sporenträger entstehen. 

Auch bei den kleinen schimmelbildenden Mucorineen, von denen 
nur Phycomyces trotz seiner gegenüber‘ den Hutpilzen großen Zart- 
heit eine beträchtliche Länge (bis zu 30 cm) erlangt, sind die Frucht- 
träger meist negativ geotropisch. Es wird dadurch ebenfalls eine 
bessere Verbreitung der Sporen „angestrebt“. Jedenfalls ist es von 


Niedere Organismen. 91 


Bedeutung, die ‚Sporen aus der Nähe des verbrauchten Substrates, 
aus dem die Träger hervorkommen, zu entfernen. 


Manche ‚‚Schimmelpilze‘“‘ vertrauen die leichten trockenen Sporen dem 
Winde. Bei anderen zerfließt das Sporangium zu einer klebrigen Masse, die 
vorüberstreichenden Tieren oder Grashalmen angeheftet wird. So kommen die 
Sporen schließlich wieder in den Darm der Tiere, und werden mit entleert. 
Auf dem Mist, der gerade die größte Anzahl dieser Formen beherberst, gibt 
es charakteristischerweise auch Hutpilze, die zu einer klebrigen Masse zertließen 
(Coprinus), eine Einrichtung, deren Zweckmäßigkeit gerade unter den betreffen- 
den Verhältnissen einleuchtet und die ganze Gruppe“ zu einer biologischen Ein- 
heit verknüpft. Hinzu kommen als gemeinsame Merkmale die Fähigkeit sich 
dem Lichte zu-, vom feuchten Substrate aber abzukehren, sowie die Widerstands- 
fähigkeit der Sporen gegen die Verdauungssäfte. 


Das die Fruchtträger hervorbringende, wurzelähnlich den Nähr- 
boden durchziehende und aussaugende Fadengeflecht hat seiner Auf- 
‘gabe entsprechend auch andere Reizbarkeiten. Es ist weder für 
Schwerkraft noch für Licht merklich empfindlich, kann dafür aber 
die zur Ernährung geeigneten Stellen mit Hilfe seines chemischen 
Sinnes aufsuchen. Darüber werden wir noch zu berichten haben. 
Hier interessiert uns vor allem das verschiedene Verhalten der Teile 
je nach ihrer Aufgabe. Die der Arbeitsteilung entsprechende Diiferen- 
zierung der Sensibilität entspricht in weitem Maße den entsprechenden 
Verhältnissen bei den höheren Pflanzen. Eine ihrer Stellung im 
System entsprechende Einteilung der Organismen nach der Aus- 
bildung der Reizbarkeit ist unmöglich. Die niedersten Lebewesen 
sind in der Beziehung genau so gut ausgestattet wie die höchsten! 

Der Geotropismus der Algen, wie er z. B. bei den Armleuchter- 
gewächsen, (Chara, Nitella) und Meeressiphoneen (Caulerpa) nach- 
gewiesen ist, bietet uns nichts neues, mag daher nur erwähnt sein. 
Ihre grünen Teile sind negativ, die wurzelähnlichen Organe positiv 
geotropisch. An sie mag ein Fall angereiht werden wie der der 
Fadenalgen (Spirogyra, auch Osecillaria), die sich nur an festen Kör- 
pern aufzurichten vermögen, weil sie viel zu wenig Steifheit besitzen, 
um, selbst im Wasser, sich in einer bestimmten Lage halten zu 
können. Man sieht sie in Glasgefäßen sich an den Wandungen hoch 
hinaufschieben, wobei sie auch über die Wasserfläche emporkriechen 
können, da sie sich durch kapillar festgehaltenes Wasser feucht halten. 
Durch solche Bewegungen können die genannten Algen sich aus Hinder- 
nissen, wie Schlamm und Sand befreien, sowie (unterstützt durch ihre 
Lichtreizbarkeit) eine günstige Stellung zur Ausnutzung der Sonnen- 
energie gewinnen. Da die Fäden nicht festgeheftet sind, vermögen sie 
sich durch ihre Wachstumskrümmungen auch vom Orte zu bewegen, 
indem sie sich durch ihre Schleimhülle festkleben oder sich gegen 
feste Körper stemmen. Sie leiten uns somit zu den Bewegungen 
durch Kriechen und Schwimmen hinüber. 

Nur in wenigen Fällen ist allerdings für frei bewegliche Orga- 
nismen eine Schwerkraftreizbarkeit, die man dann als Geotaxis be- 
zeichnet, bekannt. Am besten untersucht ist sie für Wimperinfusorien 
(Paramaecien) (Jensen 1893). Hier soll allerdings von Pflanzen die 


92 III. Die Reizwirkungen der Schwerkraft. 


Rede sein, und die genannten Lebewesen sind Tiere. Aber auch für 
grüne, also pflanzliche Organismen (z. B. Euglena, Chlamydomonas) 
(Schwarz 1884, Aderhold 1888) und Bakterien (Massart 1889) 
ist ein entsprechendes Verhalten bekannt. Es handelt sich um 
freischwimmende Organismen, die sich im Wasser entweder an 
der Oberfläche oder am Boden sammeln. Der erste Fall, nega- 
tive Geotaxis, scheint der häufigere zu sein; doch gibt es auch 
Organismen wie z. B. Bakterien, die immer positiv geotaktisch sind. 
Da auch die negativ geotaktischen Organismen ein größeres spe- 
zifisches Gewicht haben als das Wasser, so müssen sie sich aktiv, 
durch Wimperbewegungen, heben. Zentrifugiert man sie, so suchen 
sie nach dem Drehungsmittelpunkt zu gelangen. Wird die Flieh- 
kraft aber zu groß, so können sie sie nicht mehr überwinden und 
werden nach außen geschleudert. Man bekommt so ein Maß für 
die Aktionskraft dieser kleinen Lebewesen. 

Jensen (1893) ist der Meinung, daß die hydrostatischen Druckdifferenzen 
es sind, die die Organismen zu ihren Bewegungen veranlassen, daß sie also 
den Reiz darstellen. Sie würden demnach nicht eine bestimmte Richtung zur 
Schwerkraft bei ihren Bewegungen innehalten, keine schwerkraftempfindlichen 
Organe haben, sondern Orte höchsten resp. niedrigsten Druckes aufsuchen. 
Diese Hypothese ist durch Versuche nicht gestützt. Das dürfte auch schwer 
sein, da wir kein Mittel haben im Wasser die Druckdifferenzen auszuschalten. 
Es scheint vorläufig ebenso wahrscheinlich, daß die geotaktische Reizung in 
ähnlicher Weise zustande kommt wie die geotropische, also durch Druck- 
wirkungen im Innern der Zellen. 

Die geotaktische Reizbarkeit spielt für die betreffenden Orga- 
nismen insofern eine Rolle, als sie sie in den für ihr Gedeihen ge- 
eigneten Wasserschichten hält. Das ist allerdings für die hierher- 
gehörigen grünen Flagellaten weniger deutlich ausgeprägt, als für die 
tierischen Infusorien, da bei ihnen eine ausgesprochene Lichtreizbarkeit 
am Tage den Einfluß der Schwerkraftempfindlichkeit verdeckt. In der 
Nacht dagegen wird sie sie in der zweckmäßigsten Weise verhindern 
können, sich in den Tiefen der Gewässer zu verlieren. 


Wie man sieht, ist die Schwerkraftreizbarkeit außerordentlich 
verbreitet in der Pflanzenwelt. Ihre Erscheinungsformen und ihr 
Nutzen sind äußerst mannigfaltig.. Immer aber ist nicht eigentlich 
die Lage gegenüber der Erde das erstrebte Ziel, sondern die Ge- 
winnung anderer Vorteile. Trotz dem nur mittelbaren Zusammen- 
hange zwischen den Lebensvorgängen und der Wirkung der Schwer- 
kraft ist gerade die geotropische Reizbarkeit für die ganze Gestaltung 
der festgewurzelten Pflanze von besonderer Bedeutung. Das liegt offen- 
bar daran, daß die Gravitation wegen ihrer Unveränderlichkeit geeignet 
ist, das Hauptorientierungsmittel abzugeben. Die anderen Kräfte 
greifen trotz ihrer vielfach größeren Wichtigkeit für das Lebensgetriebe 
nur modifizierend ein und beeinflussen gewöhnlich allein die Lage der 
Seitenorgane in auffälligerer Weise, während die Lage und Gestalt 
des Ganzen hauptsächlich durch den Geotropismus bestimmt wird. 


IV, Helligkeit und Temperatur als Reizmittel. 


a) Einfluß des Lichtes auf die Zuwachsbewegung. 


Wenn wir an die Spitze der als Reize ins Pflanzenleben ein- 
greifenden Kräfte die Gravitation gestellt haben, so findet das seine 
Begründung in den verhältnismäßig einfachen Verhältnissen, die sie 
bietet. Da nämlich die Schwerkraft der Stärke und Art nach un- 
veränderlich und dauernd auf die Pflanzen einwirkt, so hat sie auch 
keine besonderen Anpassungen an einen Wechsel der Reizintensität 
hervorgerufen, wie sie den chemischen und Lichtreizen gegenüber 
nötig waren. Es kommt noch hinzu, daß die Orientierung an der 
Schwerkraft der Pflanze ausschließlich als Mittel zum Zweck dient: 
der Wurzel hilft sie in den Boden einzudringen, dem Stengel sich in 
die Luft zu erheben usf. Chemische und Lichtenergie dagegen greifen 
neben ihrer Reizwirkung auch unmittelbar in das physiologische Ge- 
triebe der Pflanze ein. Das macht wiederum eine größere Mannig- 
faltigkeit der Abhängiskeitsverhältnisse begreiflich. 

Zunächst aber wollen wir von den verwickelteren Fällen ab- 
sehen und möglichst bekannte Erscheinungen ins Auge fassen. Ein 
deutlicher Einfluß des Lichtes kommt dem Laien gewöhnlich nur 
dann zu Bewußtsein, wenn oft betrachtete Pflanzen in ihrer Gestalt 
durch das Fehlen oder unnatürliche Einfallen des Lichtes verändert 
sind. So kennt jeder die übermäßig verlängerten, bleichen Triebe 
der Kartoffeln und Zwiebeln im Keller. Auch hat man wohl ähn- 
liches an Pflanzen beobachtet, die an ihrem natürlichen Stand- 
orte durch ein darüber liegendes Brett, einen Stein, welkes Laub 
oder dgl. ins Dunkle geraten sind. Weiterhin ist jedem, der Pflanzen 
im Zimmer gezogen hat, schon ihr schiefes, einseitiges Wachstum 
aufgefallen. Während sie sich im Freien annähernd nach allen 
Richtungen gleichmäßig entwickeln, streben sie im Zimmer vor- 
wiegend dem Fenster, d. h. dem Lichte entgegen und biegen ihre 
Zweige solange bis sie sich nicht mehr gegenseitig beschatten. (Vgl. 
die Abb. 56 von Euphorbia splendens auf S. 171.) 

Bei mangelnder Beleuchtung finden wir also (neben der blassen 
Farbe) Gestaltsveränderungen. Sie werden als Vergeilung oder Etiole- 
ment zusammengefaßt. Auf einseitiges Licht reagiert die Pflanze durch 
Beugungen oder Krümmungen. Man nennt das Phototropismus (Licht- 
wendigkeit) oder auch Heliotropismus (Sonnenwendigkeit). Beides sind 
in der Pflanzenwelt allgemein verbreitete Erscheinungen von großer 


94 IV. Helligkeit und Temperatur als Reizmittel. 


Bedeutung. Ein eingehenderes Studium des Einflusses, den das Licht 
auf die Pflanzenwelt ausübt, fördert neben den erwähnten, leicht 
zu beobachtenden Zusammenhängen einige weitere, nicht weniger 
wichtige, zutage. 

Wir beginnen unsere Besprechung mit den Wirkungen, die das 
Licht durch seine wechselnde Stärke, ohne Rücksicht auf seine 
Richtung, ausübt. Das einfachste Experiment, das uns einen Ein- 
blick in diese Wirkungen gewährt, ist die völlige Ausschaltung des 
Lichtes durch Verdunkelung einer Pflanze), Wir würden dann 
nach einiger Zeit finden, daß sie ihre älteren grünen Blätter abgeworfen 
hätte, während an der Spitze jedes Zweiges, und vielleicht auch in 
den Blattachseln, hellgelbliche Stenglein ausgetrieben wären, deren Aus- 
sehen von dem der gewöhnlichen Triebe in mehr als einem Punkte 
abwiche. Das auffallendste an einer etiolierten Pflanze ist der Mangel 
des Blattgrüns. Mehr interessieren uns hier aber die eingetretenen 
Formänderungen. Haben wir eine dikotyle Pflanze mit Netznervatur 
in den Blättern verwandt, z. B. eine Fuchsie, Flieder, Kapuzinerkresse 
oder dgl., so finden wir, daß an den im Dunkeln ausgetriebenen 
Zweigen die Blätter auffallend klein geblieben sind (vergl. auch Abb. 61, 
S. 179), während die Stengelglieder zwischen zwei Blattansätzen sich 
mehr gestreckt haben als das am Lichte geschehen wäre. 

Was ist nun die Ursache dieser Erscheinung? Man könnte 
glauben, daß die Blätter, die sich am Lichte mit Hilfe der Kohlen- 
säureassimilation selbst ernähren, deshalb klein geblieben wären, weil 
sie aus Mangel an Baumaterial ihr Wachstum hätten früher einstellen 
müssen. Dann müßte aber dasselbe für die Stengel gelten; und doch 
werden diese im Dunkeln gerade länger als am Lichte. Noch besser 
gelingt der Nachweis, daß der Grund für das Kleinbleiben der Blätter 
nicht so einfach zu übersehen ist, auf Grund der Tatsache, daß die 
assimilatorisch wirksamsten Lichtfarben nicht mit denen zusammen- 
fallen, die das Wachstum am meisten beeinflussen. In dem Lichte, das. 
eine Lösung von Kupfervitriol in Ammoniak passiert hat, und das 
deshalb nur blaue und violette Strahlen enthält, wird die Assimilation 
beträchtlich vermindert, ohne daß eine merkliche Formveränderung 
gegenüber weißem Lichte einträte. Umgekehrt wächst die Pflanze 
im rotgelben Lichte, also etwa hinter einer Lösung von rotem chrom- 
saurem Kali, ihrer Form nach wie im Dunkeln, obgleich die Assi- 
milation kräftig vonstatten geht. 

Die Fähigkeit, im Finstern eine Zeit lang zu wachsen, verdankt 
die Pflanze den Reservestoffen, die sie in gesundem Zustande stets 
in sich aufgespeichert hält. Benutzen wir für unseren Verdunkelungs- 
versuch Objekte mit reichlichem Reservematerial, also keimende 
Samen, austreibende Knollen und Zwiebeln, so läßt sich der Hunger 


1) Eine entsprechende Ausschaltung der Schwerkraft ist nicht möglich. 
Wir können also auch nicht wissen, wie die Pflanze sich unter solchen Um- 
ständen verhalten würde. 


Einfluß des Lichtes auf die Zuwachsbewegung. 95 


als gestaltender Faktor ziemlich lange ausschalten, ohne daß dadurch 
die Blätter befähigt würden die normale Größe anzunehmen. An- 
dererseits gelingt es zuweilen, dadurch daß man die konkurrierenden 
Stengelorgane am Wachsen verhindert, größere Blätter im Finstern 
zu erzielen (Jost 1895). Es muß also doch wohl eine gegenseitige 
Beeinflussung in die Verteilung der Baustofie eingreifen. Unsere 
Kenntnisse in der Richtung sind noch sehr gering. Keinesfalls aber 
genügen, wie man sieht, die Ernährungsverhältnisse allein zur Er- 
klärung aller Tatsachen des Etiolements. 

Daher erklärte Pfeffer, gestützt auf Erwägungen biologischer 
wie physiologischer Natur, daß die Verschiedenheit des Wachstums 
am Lichte und im Dunkeln eine Reizbeantwortung darstelle. Es 
handle sich also nicht um direkte chemische oder physikalische Wir- 
kungen des Lichtes, sondern um eine Reaktion der Pflanze auf die 
Außenumstände, die auch in ihrem normalen Leben eine große 
Rolle spielt. 

Im ganzen kann man sagen, daß die Hemmung des Pflanzen- 
wachstums durch das Licht das Gewöhnliche und daher wohl auch das 
Ursprüngliche ist. Dementsprechend stellen Abweichungen von dieser 
Regel Einrichtungen zu besonderen Zwecken dar. Durch das Licht 
gehemmt wird das Längenwachstum nicht nur bei Stengeln, sondern 
auch bei den meisten Monokotylenblättern, bei Wurzeln, Pilzen, 
Wurzelhaaren von Lebermoosen und dgl. Auch diejenigen Blätter, 
die im Dunkeln klein bleiben, stellen nur scheinbar eine Ausnahme dar. 
Denn einmal wird durch intensives Licht ihr Wachstum gleichfalls 
gehemmt. Weiter gilt der Gegensatz zu den Stengeln nur für etio- 
lierte, also von Anfang an oder lange im Finstern gehaltene Pflanzen. 
Das Wachstum grüner, am Lichte ausgebildeter Blätter wird durch 
kurze Verdunkelung gefördert, durch darauffolgende Beleuchtung 
wieder vermindert. Erst bei längerer Verdunkelung tritt der Zu- 
stand ein, in dem die Entwickelung der Blätter gehemmt ist. Nun 
ist eine längere Belichtung notwendig, um den Anstoß zum 
Wachstum zu geben. Diese verwickelten Verhältnisse werden klarer, 
wenn wir bei den Blättern zweierlei Reaktionen auf Lichtreize unter- 
scheiden. Wir nehmen nämlich an, daß erstens durch längere Be- 
lichtung oder Verdunkelung ein physiologischer Zustand oder ‚Photo- 
tonus‘‘ geschaffen wird, der seinerseits charakterisiert ist durch die 
. Verschiedenheiten der zweiten Reaktionsweise, nämlich durch die Art, 
wie die Pflanze, resp. das Blatt in diesem Zustande auf Veränderung in 
der Beleuchtungsstärke durch seine Wachstumsgeschwindigkeit reagiert. 

So sehen wir, wie die meisten Blätter nur durch ihr kompli- 
ziertes Verhalten Ausnahmen von der Regel zu sein scheinen, daß 
das Licht das Wachstum hemmt. Wir müssen hier, wie oft, das 
physiologische Grundgesetz von speziellen biologischen Anpassungen 
unterscheiden. Als eine solche ist nämlich, wie wir gleich sehen 
werden, das Kleinbleiben der Blätter im Dunkeln offenbar auf- 
zufassen. 


96 IV. Helligkeit und Temperatur als Reizmittel. 


Bei künstlicher Verdunkelung wird der Pflanze kein in ihrer 
Macht stehender Ausweg nützen können. Unter natürlichen Be- 
dingungen aber wird es für sie das Wichtigste sein, ihre Stengel zu 
verlängern, um womöglich aus dem dunkeln Orte, also etwa aus be- 
deckender Erde oder Massen abgefallener Blätter herauszukommen. 
Sie wird also am besten alles verfügbare Baumaterial diesem Zwecke 
opfern und schon deshalb die Ausbildung von Seitenorganen auf bessere 
Zeiten verschieben. Aber mehr als das, ausgebreitete Blätter würden 
ihr beim Hervorarbeiten zu einem Hinder- 
nisse werden. 

So ist das Kleinbleiben der Blätter 
und die Verlängerung der Stengel im 
Dunkeln jedenfalls als Anpassungserschei- 
nung zu deuten, ohne daß damit aller- 
dings eine kausale Erklärung gegeben wäre. 
Wir wissen nicht, warum die Zellen im 
Blatte auf Verdunkelung anders reagieren 
als die im Stengel. Die biologische Deu- 
tung wird jedoch noch wahrscheinlicher, 
wenn wir sehen, daß die langgestreckten 
Grundblätter vieler Monokotylen, wie auch 
die Stiele bei solchen Dikotylenblättern, 
die unmittelbar aus unterirdischen Wurzel- 
stöcken u. dergl. entspringen, im Dunkeln 
länger werden als am Lichte. So werden 
nach Sachs (1863) die Blätter von Crocus 
vernus im Dunkeln 30, am Fenster nur 
10 cm lang. Ebenso verhielten sich die 
Blätter von Zwiebeln, Tulpen, Hyazinthen. 
Sie müssen sich eben, falls sie verschüttet 
werden, selbständig hervorarbeiten, ohne 
von einem Stengel unterstützt zu werden. 
Derartiger Ausnahmen, die unter den be- 

Abb. 32, sonderen Umständen höchst zweckmäßig 
Erbsenkeimlinge. Der erste im erscheinen, sind eine ziemliche. Anzahl 
ee bekannt geworden. Bei Keimlingen z.B., 

den alt. Verkleinert. deren Keimblätter (Cotyledonen) unter 
natürlichen Umständen unter der Erde. 

bleiben, streckt sich das unterste Stengelstück auch nicht im 
Finstern. Ein Beispiel hierfür ist die Feuerbohne (Phaseolus multi- 
florus); während bei ihrer Verwandten, der Buschbohne (Ph. vulgaris), 
die ihre Cotyledonen über die Erde erhebt, das entsprechende Organ 
das normale Verhalten der Stengel zeigt. Auch die Keimlinge der 
Eiche, der Wallnuß, der Erbse verhalten sich so. Dafür streckt sich 
dann der Stengel über den Cotyledonen im Dunkeln sehr stark (Abb. 32). 
Interessant sind auch viele Schlingpflanzen, z. B. der Hopfen (Humulus 
Lupulus), die gleichfalls die Verlängerung der Internodien im Dunkeln 


Einfluß des Lichtes auf die Zuwachsbewegung. 97 


vermissen lassen. Sehen wir uns aber die jungen Triebe näher an, 
so finden wir, daß sie auch normalerweise bis auf die Farbe an- 
nähernd das Aussehen zeigen, das sonst vergeilten Pflanzen zukommt. 
Warum für ihre kletternde Lebensweise ein Zurückbleiben der Blätter 
zugunsten der stark verlängerten Stengel zweckmäßig erscheint, haben 
wir schon früher besprochen (vgl. S. 88). Noch weiter in der Rich- 
tung kann die Pflanze offenbar gar nicht gehen. Sachs (1863) be- 
tonte, daß besonders solche Stengelorgane zur Überverlängerung im 
Dunkeln und Hemmung im Licht geneigt sind, die ihre erste Anlage 
normalerweise im Dunkeln erfahren. Ein schönes Beispiel bildet die 
Kartoffel, deren Triebe im Dunkeln sehr lang werden, während am 
Licht die Knospen kaum auszuwachsen vermögen. Es entstehen 
dann nur kurze, knöllchenartige Ge- 
bilde. Haben die ‚Augen‘ im Dunkeln 
zu keimen begonnen, dann wirkt nach- 
her das Licht viel weniger hemmend. 

Vielleicht am hübschesten ist der- 
selben Regel entsprechend bei vielen 
Keimpflanzen die Einwirkung der Be- 
lichtung zu zeigen. Eine Unterfamilie 
- der Gräser, die Paniceen, zu der z. B. 
Panicum miliaceum, die Hirse und die 
Arten von Setaria gehören, zeichnet 
sich dadurch aus, daß sie im Dunkeln 
ein erstes Stengelorgan zu ziemlicher 
Entwickelung bringt, das bei ihr im 
Hellen und bei den anderen Gräsern 
unter allen Umständen ganz kurz bleibt. 
(Vgl. auch Abb. 50. S. 143.) Doch 
kann es bei manchen Hafer- und 
Maissorten im Dunkeln auch merklich 
wachsen. Dieser Keimstengel, der das Abb. 33. 
erste scheidenartige Blatt, und darin Maiskeimlinge, links am Lichte, rechts 
eingeschlossen die junge Knospe trägt, im Dunkeln gewachsen. Verkleinert. 
besitzt eine besonders große Licht- 
empfindlichkeit und wird schon durch kurze oder schwache Beleuch- 
tung merklich im Wachstum gehemmt (Abb. 33). Es darf sich auch 
nicht über den Boden erheben, denn es ist nicht geeignet, die er- 
wachsene Pflanze zu tragen. Diese wird vielmehr durch (Adventiv-) 
Wurzeln gestützt, die am ersten Knoten, also am oberen Ende des 
erwähnten Stengelstückes entstehen, was beim Mais besonders gut 
zu sehen ist. Nach allem was wir wissen, vermögen solche Wurzeln 
sich aber nur im Feuchten zu entwickeln, also innerhalb oder in der 
Nähe des Bodens, in den sie sogleich eindringen. Auch bei anderen 
Pflanzen, z. B. beim Kürbis entstehen solche Wurzeln an der ent- 
sprechenden Stelle, sobald der Knoten auf die Erde kommt. 

Das erwähnte erste Stengelorgan der hirseartigen Gräser hat 


- 


Pringsheim, Reizbewegungen. Ä 


98 IV. Helligkeit und Temperatur als Reizmittel. 


also die Aufgabe, die Spitze des Keimlings an die Oberfläche zu 
bringen, soll aber selbst nicht die Erde verlassen. Entsprechend 
dieser Funktion hört es nicht erst zu wachsen auf, wenn es selbst 
beleuchtet wird, sondern auch schon dann, wenn die von ihm ge- 
tragene Knospe ans Tageslicht kommt. Der Lichtreiz wird also in 
die Tiefe geleitet. Wie Fitting (1907a) in eingehenden Versuchen 
nachgewiesen hat, wird das Wachstum des Keimstengels etwa ebenso 
stark gehemmt, wenn er selbst, wie wenn das daran sitzende Schei- 
denblatt allein vom Lichte getroffen wird. In der Natur wird zu- 
erst die Spitze ans Licht kommen, wenn der Same unterirdisch 
keimt. Liegt er aber oberflächlich, so unterbleibt die Ausbildung 
des Keimstengels überhaupt fast ganz. 

Diese Eigentümlichkeit mancher Graskeimlinge, im Dunkeln ein 
besonderes Organ zu entwickeln, das dazu dient, die junge Knospe 
ans Licht empor zu tragen, ist aber noch lange nicht alles, was uns 
hier an ihnen interessiert. Eine ähnliche Lichtempfindlichkeit zeigt 
nämlich bei allen Gräsern das erste Blatt, das zu einer geschlossenen 
Scheide ausgebildet ist, die sog. Coleoptile. (Vgl. Abb. 33.) Dieses 
röhrenförmige Organ schließt im Innern die jungen Blätter ein, die 
noch zart und weich sind und für sich nicht imstande wären, die 
Erde zu durchbrechen. Es schützt sie aufs beste, denn vermöge 
seiner inneren Spannung, die sich in einer starken Dehnung der Zell- 
wände dokumentiert, hat es eine beträchtliche Steifheit. Die geschlossene, 
kegelförmige Spitze ist besonders geeignet, Hindernisse beiseite zu 
schieben (Weinzierl 1908). Es ist klar, daß dieses Organ die 
jungen Blätter nur so lange umhüllen muß, wie sie sich unter der 
Erde befinden. Nachher wird es an einer vorgebildeten Stelle nahe 
der Spitze durch den inneren Druck der fortwachsenden Blätter mit 
einem Riß gesprengt und kann zugrunde gehen, denn es hat seine 
Schuldigkeit getan. Woher aber weiß die Pflanze, daß die Coleoptile 
gesprengt werden darf? Nun, als Zeichen dafür, daß das Freie er- 
reicht ist, gilt ihr die Belichtung. Im Dunkeln wächst die Scheide 
schneller oder mindestens ebenso rasch wie die Blätter, so daß oft 
(z. B. beim Roggen) ihr oberes Ende leer bleibt. Am Licht aber 
wird sie stark im Wachstum gehemmt, die Blätter aber gefördert, 
so daß sie bald den Hohlraum ausfüllen und von innen einen Druck 
ausüben, der sie befreit. Also reguliert das Licht durch die verschieden 
starke Beeinflussung des Wachstums der verschiedenen Teile den so 
bedeutungsvollen Vorgang der Beendigung des Keimlingsstadiums, der 
nicht zu früh vor sich gehen darf, weil sonst die junge Pflanze im 
Boden stecken bleibt (Abb. 34). Die Richtungsbewegungen, die noch 
hinzukommen, um das junge Pflänzchen ans Licht empor zu leiten, 
werden wir an anderer Stelle besprechen (vgl. S. 175). Hier soll nur 
noch hervorgehoben werden, daß alle diese schönen Einrichtungen 
eine Grenze ihrer Wirksamkeit finden, daß also z. B. auch im Dunkeln 
schließlich die Scheide durchbrochen wird, wenn ihre Wachstums- 
fähigkeit kurz vor dem Erlöschen stark herabgesetzt ist. Das Heraus- 


Einfluß des Lichtes auf die Zuwachsbewegung. 99 


treten der Blätter fällt mit dem Aufhören des Wachstums der Coleoptile 
zeitlich sehr nahe zusammen. Nach ihrer Durchbrechung hat ja auch 
die Scheide weiter keinen Nutzen mehr, und ein weiteres Wachstum 
wäre Kraftverschwendung. Aber die vier- bis fünffache Länge 
von der, die sie am Licht zeigt, kann die Coleoptile im Dunkeln 
bei vielen Gräsern, z. B. bei den Getreidearten immerhin er- 
reichen. 

Wenn hier das besonders interessante Verhalten der Graskeim- 
linge etwas ausführlicher geschildert wurde, so soll damit nicht ge- 
sagt sein, daß nicht ähnliche Verhältnisse in der Beeinflussung der 
Wachstumserscheinungen durch das Licht auch anderswo vorkämen. 


Abb. 34. 


Haferkeimlinge in Erde hinter Glas gewachsen. Rechts im Dunkeln kultiviert. Die Pflanzen 
brechen ohne Schwierigkeit durch die Erde, die Blätter bleiben zusammengerollt in der Scheide. 
Links durch Beleuchtung am Hervorkommen gehindert. Die hervorbrechenden Blätter bieten 
großen Widerstand und werden bei der Streckung ziekzackförmig zusammengedrückt. Verkleinert. 


Wohl bei allen Keimpflanzen wird die Entwickelung der ersten 
Stengelglieder im Dunkeln sehr viel weiter getrieben, als am Lichte. 
Ebenso aber auch bei den Trieben, die aus unterirdischen Organen 
hervorkommen und die sich in mancher Beziehung wie Keimpflanzen 
verhalten. Die geringere Wasserverdunstung im Dunkeln und be- 
sonders im feuchten Boden kommt dann noch hinzu, der Pflanze ein Län- 
genwachstum zu erlauben, wie es über der Erde nicht stattfindet. 
Denn die Transpiration hemmt das Wachstum. Die Volumzunahme 
der Zellen wird hauptsächlich durch Wasseraufnahme bewirkt und 
daher durch geringes Welken schon aufgehoben. Auch setzt die 
Wasserverdunstung die Temperatur herab, was gleichfalls zur Ver- 
zögerung des Wachstums führen kann. 

Nur kurz soll erwähnt werden, daß Stengelorgane, die die Auf- 

7* 


100 IV. Helligkeit und Temperatur als Reizmittel, 


gabe von Blättern übernommen haben, also z. B. die blattähnlichen 
Flachsprosse vom Mäusedorn (Ruscus), die nadelartigen Assimilations- 
organe vom Spargel, aber auch die abgeflachten Stengelteile der 
Kakteen, z. B. Phyllocactus und ÖOpuntia, sich im Dunkeln nicht 
verlängern. Bei den letzteren ist es bemerkenswert, daß sie dann 
vielfach auch nicht flach werden, sondern stielrund (vgl. z. B. Goebel 
1898—1901). Es wird also hier nicht nur die Stärke des Wachstums, 
sondern auch seine Art beeinflußt. Dergleichen finden wir häufig, 
und wir wollen später noch davon sprechen. 


Bisher haben wir immer den Fall im Auge gehabt, daß ein 
Pflanzenorgan völlig vom Lichte abgeschlossen wurde. Wir haben 
sein Wachstum, wie es in völliger Finsternis vor sich geht, mit dem 
unter normalen Verhältnissen verglichen. Diese Angaben müssen 
wir nun nach mehreren Richtungen ergänzen. Zunächst ist zu be- 
merken, daß nicht nur völlige Dunkelheit das Wachstum beeinflußt, 
sondern jede Veränderung im Lichtgenuß. Wir dürfen also entspre- 
chend den Beleuchtungsverhältnissen alle Übergänge zwischen völlig 
verfinsterten und reichlich beleuchteten Pflanzen erwarten. Es wird 
demnach schon eine im Schatten gewachsene Pflanze anders aus- 
sehen, als eine andere derselben Art, die voller Sonne ausgesetzt 
war. Natürlich werden dabei auch die Lichtbedürfnisse der ver- 
schiedenen Arten eine Rolle spielen. Bei einer Beleuchtung, die für 
eine Schattenpflanze gerade günstig wirkt, wird eine an mehr Sonne 
gewöhnte schon ein unnormales, vergeiltes Ansehen haben. Die 
Schädigungen durch Beschattung, die auf ungenügender Assimilation 
beruhen, können wir hier nicht besprechen. 

Wenn wir in den früheren Betrachtungen über die Unterschiede 
zwischen im Dunkeln und am Lichte gewachsenen Pflanzen bei den 
ersteren das Extrem gewählt haben, so war das im Gegensatz dazu 
bei den am Tageslicht gehaltenen nicht der Fall, da diese in der 
Nacht gleichfalls verdunkelt waren. Es muß daher möglich sein, 
durch künstliche Dauerbelichtung die Lichtform noch ausgeprägter 
zu bekommen. Solche Versuche sind von Bonnier (1895) angestellt 
worden und entsprechen ungefähr der hier ausgesprochenen Erwar- 
tung. Doch wären neue Untersuchungen mit stärkerem Licht sehr 
erwünscht. Auch wissen wir nicht, ob eine starke, kurze Belichtung 
dasselbe bewirkt wie eine schwache, längere. Es wäre möglich, daß 
für manche, aber sicher nicht für alle Wirkungen, die von der Pflanze 
aufgefangene Gesamtlichtmenge allein von Bedeutung ist. Ferner 
ergibt sich im Anschluß an den Tageslichtwechsel die Frage, ob 
Organe existieren, die durch Beleuchtung so stark gehemmt werden, 
daß sie überhaupt nur in der Nacht zu wachsen vermögen, und die 
deshalb im Dauerlichte gar nicht zur Entwickelung kämen? Es ist 
die Frage, ob z. B. die Keimstengel der Paniceen hierher gerechnet 
werden können? Bei ihnen ist die Nachwirkung der Tagesbelichtung 
so stark, daß nachher auch in der Nacht das Wachstum noch ge- 


Einfluß des Lichtes auf die Zuwachsbewegung. 101 


hemmt ist. Es bedarf also hier keiner dauernden Belichtung, um 
das Wachstum fast völlig zu unterdrücken. 

Damit kommen wir zu dem Einfluß, den der Wechsel von Tag 
und Nacht auf das Wachstum der Pflanzen ausübt. Dieses Problem 
hat eine eingehende Bearbeitung erfahren. Oben haben wir gesagt, 
daß die Veränderung der Wachstumsgeschwindigkeit mit der Belich- 
tung eine Reizbeantwortung darstellt, die auch im normalen Leben 
der Pflanze eine große Rolle spiele. Ein Wechsel der Beleuchtung 
ist aber vor allem durch die mit der Drehung der Erde um ihre 
Achse verknüpfte periodische Verdunkelung und Belichtung gegeben. 
Außer in den Polarländern ist die Pflanze diesem Wechsel ständig 
ausgesetzt. Ihm entspricht in der Tat eine Periodizität im Längen- 
wachstum der beleuchteten Organe. 

Die Zuwachsbewegung verläuft nun aber auch unter möglichst 
gleichartigen Bedingungen, also Ausschaltung aller Beleuchtungs- und 
Temperaturschwankungen, durchaus nicht gleichmäßig. Vielmehr 
findet man allgemein, daß das Wachstum bei einem neu angelegten 
Organe erst ansteigt und nach einem früher oder später erreichten 
Maximum wieder abfällt, bis Stillstand eintritt. Man nennt das 
mit J. Sachs (1872) die große Wachstumsperiode. Dieser Regel ent- 
sprechend verhalten sich die verschiedensten Pflanzenorgane, Blätter 
sowohl wie Stengelglieder, Wurzeln, Früchte usw. Die die große 
Periode wiederspiegelnde Wachstumskurve wird nun unter normalen 
Bedingungen durch kleinere Schwankungen modifiziert. Die auf- 
fälligsten fallen mit dem Wechsel von Tag und Nacht zusammen, 
und zwar findet bei sonst gleichmäßigen Bedingungen meist das 
stärkste Wachstum am Ende der Dunkelperiode, also bei Sonnen- 
aufgang, das schwächste am Ende der Hellperiode, bei Sonnenunter- 
gang statt. Dies erklärt sich daraus, daß der Wechsel nicht sofort 
die Veränderung der Wachstumsgeschwindiskeit im Gefolge hat, 
sondern die neue Bedingung eine Zeit wirken muß, ehe die ihr ent- 
sprechende Zuwachsgeschwindigkeit sich eingestellt hat. So addieren 
sich Wirkung und Nachwirkung mit steter Steigerung des Erfolges, 
bis durch den Wechsel der Beleuchtung wiederum der Umschlag 
stattfindet. 

Messungen zur Feststellung obiger Tatsachen hat zuerst Sachs 
mit Hilfe eines selbstregistrierenden Apparates, des Auxanometers, 
ausgeführt (vgl. S. 25). Mit Hilfe ähnlicher Instrumente wurden von 
verschiedenen Forschern eine große Anzahl von Wachstumskurven 
aufgezeichnet, die zwar in Einzelheiten, so in der zeitlichen Lage 
der schnellsten und langsamsten Längsstreckung usw. voneinander 
abweichen, in der Hauptsache aber übereinstimmen. Überall wurde 
durch das Licht das Wachstum der beobachteten Sprosse gehemmt, 
durch Dunkelheit gefördert. Und immer brauchte diese Reizwirkung 
eine gewisse Zeit, bis sie einsetzte und den Höhepunkt erreichte. 
In gewissen Fällen ging das soweit, daß das Maximum erst nach- 
mittags, das Minimum spät in der Nacht auftrat. 


102 IV. Helligkeit und Temperatur als Reizmittel. 


Ferner wurde von Sachs (1872) und Baranetzky (1879, zitiert 
nach Pfeffer 1904) gezeigt, daß nach Verdunkelung einer vorher dem 
Tageslichtwechsel ausgesetzten Pflanze eine Nachwirkung der Perio- 
dizität des Wachstums zu beobachten ist, die erst allmählich aus- 
klingt. Sie kann bei Helianthus tuberosus (Tobinambur) länger 
als zwei Wochen anhalten, während sie bei anderen Objekten viel 
eher erlischt. Bei Pflanzen, die von vornherein im Dunkeln erzogen 
waren, konnte eine den Tageszeiten entsprechende Periodizität nicht 
gefunden werden. 

Bei allen diesen Versuchen muß natürlich auf möglichste Gleichförmigkeit 
der sonstigen Bedingungen gehalten werden. So können Temperatur- und 
Feuchtigkeitsschwankungen das Resultat merklich beeinflussen und sogar um- 
kehren, wie man das bei Messungen in freier Natur in der Tat beobachtete. 
Da ist am Tage durch die größere Wärme das Wachstum beschleunigt, kann 
aber durch Trockenheit auch wieder gehemmt sein. Von den jeweiligen Um- 
ständen hängt es dann ab, welcher Einfluß überwiegt. Ist die Nacht kalt, 
dann hilft das Fortfallen der Lichthemmung nichts. In warmen Nächten aber 
überwiegt der Einfluß der Verdunkelung, unterstützt durch die größere Wasser- 
fülle in der Pflanze, die durch die höhere relative Luftfeuchtigkeit und den 
Fortfall der transpirationsfördernden Bestrahlung zustande kommt. 


Eine besondere Bedeutung dürfte diese Periodizität des Längen- 
wachstums für die Pflanze nicht haben. Wir wollen uns deshalb 
nicht lange bei ihr aufhalten. 


b) Einfluß des Lichtes auf die Gestaltung. 


Bisher haben wir hauptsächlich die Wirkung des Lichtes auf 
die Größe des Wachstums, also den quantitativen Einfluß der Be- 
leuchtungsstärke im Auge gehabt. Es ist aber offensichtlich, daß 
durch das verschiedene Verhalten der Teile zum Licht auch Ge- 
staltsveränderungen zustande kommen können. Die Wissenschaft 
nennt sie Photomorphosen. Sie werden erzeugt, indem das Wachs- 
tum je nach den Lichtverhältnissen in verschiedene Bahnen gelenkt 
wird: Teile z. B., die am Licht nicht zur Entwicklung kommen, 
werden im Dunkeln ausgebildet.') Andere sind umgekehrt in ihrer 
Entstehung an das Vorhandensein von Licht gebunden. Ein solcher 
Fall liegt schon bei den oben besprochenen Keimstengeln der pani- 
cumartigen Gräser und des Mais vor. Man sieht, daß scharfe 
Grenzen zwischen dem Einfluß auf das Wachstum und dem auf die 
Gestalt sich nicht ziehen lassen. 

Durch die besprochenen und einige noch hinzukommende Ein- 
flüsse, die das Licht auf die Wachstumsvorgänge ausübt, kann die 
sanze Gestalt und Beschaffenheit von Pflanzen und Pflanzenteilen 
merklich verändert werden. Bei den Blättern haben wir schon er- 
wähnt, daß ihr Wachstum durch starke Besonnung gehemmt wird. 


1) Gestaltsbeeinflussungen wird man kaum zu den Bewegungen rechnen 
dürfen. Doch schien mir die Aufnahme auch dieser Art von Reizreaktionen 
in den Plan des Ganzen der Abrundung wegen wünschenswert. 


Einfluß des Lichtes auf die Gestaltung. 103 


Sie weisen unter solchen Umständen also eine kleinere Flächenent- 
wicklung als im Schatten auf. Das kann schon an den verschiedenen 
Zweigen eines und desselben Baumes recht merklich werden. 

Sehen wir genauer zu, so finden wir noch weitere Unterschiede 
zwischen Sonnen- und Schattenblättern (Stah1l1883, Haberlandt 1896); 
die ersteren sind nicht nur kleiner, sondern auch derber und tiefer 
grün. Das beruht auf anatomischen Unterschieden. Vor allem ist 
das Sonnenblatt dicker, die Oberhaut hat größere Zellen mit stärkeren 
Außenwänden und statt einer Lage von Assimilationszellen sind zwei 
und selbst drei ausgebildet. Die Zellen dieser Art, die besonders 
viel Chlorophyll enthalten, sind senkrecht zur Blattfläche gestreckt 
und, mit nur kleinen Lufträumen dazwischen, dicht aneinandergereiht, 
Sie setzen das sog. Palissadenparenchym zusammen. Es ist klar, 
daß im schwachen Lichte schon eine dünne Schicht von chlorophyll- 
haltigen Zellen alles zur Assimilation brauchbare Licht verschlucken 
wird, während an heller Sonne bei dünner Absorptionsschicht eine 
Menge wertvoller Energie verloren ginge. Deshalb ist die doppelte 
Lage von Assimilationszellen beim Sonnenblatt sehr zweckmäßig, 
während sie im Schatten überflüssig wäre. Die dickere Epidermis 
der Sonnenblätter verhindert offenbar eine zu starke Verdunstung 
bei intensiver Bestrahlung. Das lockere, der Unterseite anliegende 
„Schwammparenchym‘“, das dem Gas- und Wasserdampfaustausch 
dient, ist bei Schattenblättern stärker entwickelt. Dadurch wird 
die Transpiration gesteigert, die sonst bei der schwachen Bestrahlung 
zu gering würde. Es werden also die verschiedenen Gewebe des 
Blattes in verschiedener und zweckentsprechender Weise vom Lichte 
beeinflußt. 

Die hier geschilderten Verhältnisse sind z. B. am Holunder (Sam- 
bucus), an Buchen (Fagus), Eichen (Quercus), Efeu (Hedera) leicht 
zu bemerken. Bei letzterem sind auch die Abstufungen in der 
Größe der Blätter besonders gut zu beobachten (Pfeffer, 1904). 
Bei einer mittleren Helligkeit werden die Blätter am größten, im 
tiefen Schatten und an heller Sonne kleiner. Während also die 
Flächengröße bei schwacher und starker Beleuchtung dieselbe sein 
kann, wird die innere Differenzierung unter beiden Umständen sehr 
verschieden, was sich äußerlich an der Farbe und Steifheit der Blätter 
bemerkbar macht. Nur die Flächengröße zeigt ein „Maximum‘‘ bei 
einer mittleren Lichtintensität, das, wie erwähnt, dem Gegeneinander- 
arbeiten zweier verschiedener Reizwirkungen des Lichtes zuzuschreiben ist. 

Entsprechende Unterschiede wie zwischen den Blättern ein und 
derselben Pflanze finden wir bei typischen Sonnen- und Schatten- 
pflanzen, nur daß sie dort erblich geworden sind, von einer Reiz- 
wirkung also nicht gesprochen werden kann. Innerhalb der Grenzen 
aber, die in der erblichen Organisation festgelegt sind, können noch 
weitgehende Unterschiede vorkommen, Natürlich sind sie am größten 
bei solchen Pflanzen, die in der Natur stark abweichenden Be- 
leuchtungsbedingungen ausgesetzt sein können. Maianthemum bi- 


104 IV. Helligkeit und Temperatur als Reizmittel. 


folium z. B., die „Schattenblume“, kann auch an recht sonnigen 
Standorten vorkommen. Ihre Blätter werden dann kaum ein Drittel 
so groß als im dichten Walde. 

Fast ebenso wichtig wie für die Funktion der Blätter ist das 
Licht für die Aufgabe, die die farbigen Blüten zu erfüllen haben. 
Sie sollen die Blütenstaub übertragenden Insekten anlocken. Dazu 
müssen sie sichtbar sein, aus dem grünen Untergrund hervor- 
leuchten und sich an der Sonne ausbreiten. Denn die meisten 
Insekten lieben die warmen Sonnenstrahlen. Abweichende Fälle 
treten an Zahl zurück. Die die Abendschmetterlinge anlockenden 
Blüten besitzen meist Farben, die auch in der Dämmerung sichtbar 
bleiben, oder sie strömen einen intensiven Duft aus. 

So ist es begreiflich, daß Ausbildung und Entfaltung von 
Blüten vielfach an einen gewissen Helligkeitsgrad gebunden sind. 
Vöchting (1898) konnte die Gauklerblume (Mimulus luteus) bei 
schwachem Lichte sieben Jahre lang kultivieren, ohne daß Blüten 
gebildet wurden. Goebel (1898—1901, S. 209) sagt: ‚Setzt man mit 
Blütenknospen versehene Pflanzen von Brassica (Raps), Tropaeolum 
(Kapuzinerkresse), Papaver (Mohn), Cucurbita (Kürbis) usw. in das 
Finstere, so gelangen die Blütenknospen nicht zur Entfaltung, wenn 
sie in zu früher Jugend dem Lichte entzogen werden, ältere Knospen 
entfalten sich, aber oft weniger vollkommen, und bei Tropaeolum 
trat an einigen sich nicht entfaltenden Blüten Samenansatz ein.“ 
Der letzte Umstand zeigt schon, daß der Nahrungsmangel nicht 
allein für die schlechte Ausbildung der Blüten im Dunkeln verant- 
wortlich ist. Er wird freilich auch eine Rolle spielen; aber Reiz- 
wirkungen kommen hinzu. 

Blüten, die sich überhaupt nicht öffnen und durch Selbstbestäubung 
Samen erzeugen, kennen wir vielfach. Man nennt diese Erscheinung Kleistogamie. 
Beim Veilchen sind z. B. die unscheinbaren kleistogamen Blüten fruchtbarer als 
die bekannten sich öffnenden. Manchmal ist das Öffnen oder Nichtöfinen, wie 
oben für Tropaeolum erwähnt, von der Beleuchtung abhängig. Der Einfluß 
des Lichtes zeigt sich vor allem an den farbigen Kronblättern, die oft in 
schwacher Beleuchtung kaum ausgebildet werden. Dasselbe beobachtet man 
freilich auch bei der nicht vom Lichte abhängigen Kleistogamie z. B. des 
Veilchens. Manche in schwachem Lichte verkümmerte Blüten öffnen sich doch. 
Andere, vor allem die zur Kleistogamie neigenden, bleiben geschlossen und 
befruchten sich selbst. Das gilt z. B. für Stellaria media (Mäusedarm), Linaria 
spuria (eine Leinkraut-Art) und für Oxalisarten (Sauerklee). 

Bei diesen Arten treten also je nach der Intensität der Beleuchtung sich 
öffnende, auf Fremdbestäubung eingerichtete oder kleistogame Blüten auf. 

Im übrigen kann man (Vöchting 1893) vielfach alle Übergänge 
beobachten von großen und schönen Blüten am hellen Lichte, durch 
immer kleiner werdende bis zum völligen Verkümmern der jungen 
Knospen oder sogar dem Ausbleiben jeglicher Blütenanlage. 

In anderen Fällen ist freilich die Blütenbildung oder doch Ent- 
wicklung vom Lichte durchaus unabhängig. Selbst an gänzlich im 
Dunkeln erwachsenen Keimpflanzen von Phaseolus vulgaris, Vicia 
Faba und Cucurbita Pepo beobachtete Sachs (1863, S. 16) die ersten 


Einfluß des Lichtes auf die Gestaltung. 105 


Anfänge der Blütenbildung. Aus Zwiebeln sich entwickelnde Pflanzen 
von Tulipa, Iris, Hyacinthus und Crocus brachten es im Finstern zur 
Ausbildung völlig normaler Blüten, offenbar wegen des reichen Vor- 
rates an Reservestoffen. Blätter und Stengel vergeilten dabei natür- 
lich stark. (Ebenda.) 

Wie man sieht, verhalten sich die Blüten dem Lichte gegenüber 
sehr verschieden, und Ernährungsfragen machen die Sache so ver- 
wickelt, daß die sicher auch noch vorhandenen Reizwirkungen des 
Lichtes nach den vorliegenden Untersuchungen vielfach noch nicht 
klar hervortreten. 

Einen starken Einfluß hat das Licht neben anderen Faktoren 
auch auf die eigenartige Gestalt der Alpenpflanzen. Es ist vor 
allem der gedrungene Bau, die dichtgedrängten, dicken, kleinen, tief- 
grünen Blätter, die im Hochgebirge so charakteristisch sind, — ferner 
das häufige Auftreten dichter filziger oder seidiger Behaarung und 
die großen, farbenprächtigen Blüten, an die hier zu denken ist. Bei 
der Entstehung aller dieser Merkmale spielt das intensive Licht im 
Hochgebirge und wahrscheinlich auch sein beträchtlicher Gehalt an 
stark wirksamen ultravioletten Strahlen eine große Rolle. Es hemmt 
während des Tages das Längenwachstum der Stengel, das nachts 
wegen der Kälte gleichfalls gering ist. Die Blätter nehmen aus ent- 
sprechenden Gründen die extreme Sonnenform an. Immer wenn es 
warm genug ist und das Wachstum dadurch ermöglicht wird, wirkt 
die intensive Belichtung dem entgegen. Die Behaarung ist als Schutz 
gegen zu starke Bestrahlung aufzufassen, die Blüten sind allgemein bei 
den Pflanzen an höhere Lichtintensität angepaßt als die vegetativen 
Teile (vgl. S. 104). Allerdings mag dabei auch der Umstand eine 
Rolle gespielt haben, daß die im Gebirge spärlich fliegenden Insekten 
nur die auffallendsten Blüten besuchten und so eine Auslese bewirkten. 

Durch alle diese Umstände kommen die zahlreichen rosetten- und 
rasenartig gewachsenen Pflanzen mit den großen Blüten zustande, 
die beim Versetzen in die Ebene ihre Gestalt sehr verändern und 
den entsprechenden Talformen ähnlich werden. Dagegen nehmen 
alpine Pflanzen auch in der Ebene eine ähnliche Form an wie im 
Hochgebirge, wenn durch dauernde Beleuchtung oder nächtliche Ab- 
kühlung dafür gesorgt wird, daß ihre Stengel nie Gelegenheit finden, 
sich zu strecken. ‚Es genügt schon, die Pflanze jeden Abend in den 
Eisschrank und des Morgens wieder in gute Beleuchtung zu bringen, 
um z. B. Edelweiß in ähnlicher Wuchsform wie an den alpinen 
Standorten zu erhalten (Pfeffer 1904).“!) Was im Hochgebirge 
die nächtliche Abkühlung neben dem starken Licht am Tage be- 
wirkt, kommt in ähnlicher Weise in der Nähe der Pole durch die 
Länge der Tage im Sommer zustande. Dadurch erklärt sich zum 
Teil die von vielen Beobachtern hervorgehobene Ähnlichkeit der 
Flora in hohen Breiten und großen Meereshöhen. 


1) Nicht zu üppiger Boden dürfte dabei auch eine Rolle spielen. 


106 IV. Helligkeit und Temperatur als Reizmittel. 


Beeinflussungen der Pflanzengestalt durch Licht kommen auch 
sonst vielfach vor. Schöne Beispiele liefern gewisse Meeresalgen. 
Bei Stypocaulon scoparium unterschied Berthold (1882) Sommer- 
und Winterformen. ‚‚Im Winter bei schwacher Beleuchtung er- 
scheinen die Büsche pyramidal, weil die Seitenäste der Hauptsprosse 
relativ wenig wachsen im Vergleich zu letzteren; im Sommer aber 
wird die Pflanze besenartig, weil die Hauptachsen im Wachstum 
zurückbleiben, während die Seitenachsen gefördert erscheinen und 
erstere fast überragen (Oltmanns 1905.) Derartige und noch 
verwickeltere Erscheinungen werden eine ganze Anzahl aufgezählt. 
(Vergl. auch Tobler 1904). 

Manche von den Veränderungen, die Meeresalgen in hellem 
Lichte zeigen, sind deutlich als Schutz gegen zu starke Bestrahlung 
zu erkennen (Berthold 1882). Fucusarten, Codium usw. bedecken 
sich mit einem dichten Pelz farbloser Haare. Andere, wie z. B. 
Arten von Chylocladia, Chondriopsis, Cystosira, Dietyota schützen 
sich dadurch, daß sie gewisse Lichtstrahlen zurückwerfen. In 
diesem Falle können die betreffenden Algen wundervoll blau, 
srünlich oder weißlich schimmern. Bei Besonnung entstehen diese 
Schutzmittel in kurzer Zeit. Im Schatten verschwinden sie schnell 
wieder. Es handelt sich also offenbar um eine Reizwirkung des 
Lichtes. Auch ist es bei den im Wasser lebenden Algen deutlicher 
als bei Landpflanzen, daß nicht die zu starke Transpiration, sondern 
die Schädigung durch die Bestrahlung selbst es ist, welcher die 
Schutzanpassungen gelten. 

Merkwürdig ist das Verhältnis zum Lichte auch bei manchen 
Pilzen. Diese Gewächse brauchen die Sonnenstrahlen nicht wie die 
srünen Pflanzen zur Bereitung ihrer Nahrung. Demgemäß können 
die meisten Pilze ihre Entwicklung in völliger Finsternis ebensogut 
oder sogar besser durchmachen als am Tageslichte. Die künstlichen 
Kulturen des Champignons z. B. werden immer im Dunkeln ge- 
halten. Wenn wir daher sehen, daß sich einige Pilze, wenigstens in 
ihrer Fortpflanzung, in ein Abhängigkeitsverhältnis zum Lichte be- 
geben haben, so können wir in diesen Fällen von vornherein auf 
einen besonderen Zweck schließen. 

Die Pilze, an denen der Lichteinfluß am besten studiert ist, 
sind Mistbewohner. Diese zeigen die Abhängigkeit von der Be- 
leuchtung am schönsten, doch kommt die Erscheinung auch bei 
anderen Pilzen vor. 

Das Fadengeflecht, das das feuchte Substrat durchzieht, und 
die Nahrungsstoffe daraus an sich reißt, wächst im Finstern. 
Sollen aber Sporen gebildet werden, so hätte es keinen Zweck, 
sie im Innern des schon ausgesaugten Mistes niederzulegen, Sie 
sollen vielmehr ins Freie gelangen, um durch den Wind oder 
durch Tiere verbreitet zu werden. Hierbei ist die Lichtempfindlichkeit 
der Fruchtträger von Nutzen. Das Licht ist für sie, ähnlich wie für 
Keimlinge, das Signal, daß das Freie erreicht ist. Brefeld (1881 und 


Einfluß des Lichtes auf die Gestaltung. 


107 


1889) zeigte, daß bei der Gestaltveränderung der Pilze im Finstern 
eine Art von Etiolement vorliegt, ähnlich wie bei höheren Pflanzen. Im 
Dunkeln verlängern sich die Fruchtträger sehr stark, am Lichte werden 


sie im Wachstum gehemmt. Die Sporangien und 
die Fruchtkörper selbst dagegen kommen vielfach 
überhaupt nur am Lichte zur Entwicklung. 

Die Pilze, um die es sich handelt, gehören 
sehr verschiedenen Verwandtschaftskreisen an. 
Die Arten von Pilobolus gehören zu den Mu- 
corineen. Bei dem kleinen P. microsporus z.B. 
werden die schlauchförmigen Fruchtträger im 
Lichte, z. B. am Fenster, etwa 5—8 mm lang, 
im Finstern aber bis 200 mm! (Gräntz 1898) 
(Abb. 35.) Sie tragen oben eine Blase, auf der 
ein schwarzes Käppchen aufsitzt: das Sporangium 
mit seinen klebrigen Sporen. Ist die Reife ein- 
getreten, so öffnet sich die Blase an der Spitze, 
und das Sporangium wird durch ihren Saft, der 
unter Druck stand und nun herausspritzt, fort- 
geschleudert. Es kann dabei an einem entfern- 
teren Ort am Grase hängen bleiben und vom 
Vieh mit gefressen werden. Da die Sporen der 
Verdauung widerstehen, können sie dann nach 
der Entleerung gleich wieder keimen. Tatsäch- 
lich findet man auf Pferde- und besonders Kuh- 
mist, der unter einer Glocke ausgelegv wird, 
regelmäßig nach einiger Zeit Pilobolus. 

Um diesen wunderbaren Mechanismus wirk- 
sam zu machen, ist es aber nötig, daß das 
Sporangium ins Freie schießt. Deshalb wächst 
sein Stiel so lange, bis er ans Licht tritt. Im 
Dunkeln wird das Sporangium gar nicht aus- 
gebildet. Eine Belichtung von kurzer Dauer — 
bei hellem Lichte schon eine Viertelstunde — 
genügt, um die Anlage und Fortbildung des 
Sporangiums anzuregen Das Längenwachstum 
des Stieles wird dann sogleich gehemmt. Zur 
Funktion des Abschießens muß noch erwähnt 
werden, daß sich die Spitze des Fruchtträgers 
in die Richtung des Lichtes stellt und diesem 
das Sporangium entgegenschleudert. Dadurch 
wird bewirkt, daß die Sporen auch dann ins 
Freie gelangen, wenn der kurze Fruchtträger sich 
in einer Vertiefung entwickelt hat. 

Entsprechende Verhältnisse finden sich bei 
gewissen, gleichfalls auf Mist wachsenden Hut- 
pilzen, den Coprinusarten, die mit Pilobolus 


a 


Abb. 35. 


Pilobolus mikro- 
sporus (nach Brefeld). 


a) Am Lichte gewachsene 
normale Sporangienträger 
mit Wasserblase und dem 
schwarzen Sporenbehälter. 
b) Im Halbdunkel vergeil- 
ter Fruchtträger mit ganz 
verkümmertem Sporan- 
gium. Durch wiederholte 
Änderung der Lichtrich- 
tung phototropisch hin- 
und hergebogen. c) Ein 
ebensolcher, der nachträg- 
lich am Lichte ein kleines 
Sporangium gebildet hat. 
Natürliche Größe. 


108 IV. Helligkeit und Temperatur als Reizmittel. 


nicht verwandt sind. Sie gehören vielmehr zu den Agaricineen, den 
Champignonpilzen. Hier finden wir alle Abstufungen der Abhängigkeit 
vom Lichte. Bei Coprinus ephemerus bleiben Hüte und Stiele im 
Dunkeln klein und schlaff, bei C. stercorarius und plicatilis vergeilen 
die Träger und der Hut kommt nicht über die erste Anlage hinaus, 
bei ©. niveus und nycthemerus werden ohne Licht überhaupt keine 
Fruchtkörper gebildet. Ihre Zahl bleibt auch bei den anderen Arten im 
Finstern gering (Brefeld 1881 u. 89). Am besten untersucht ist der auf 
Pferde- und Kuhmist häufig vorkommende Coprinus stercorarius, ein 
zierlicher schirmförmiger Pilz, der am Lichte etwa 6cm hoch wird. 
Im Dunkeln kann der Träger des Hutes 20—30 und bei günstiger 
Ernährung selbst über 70 cm lang werden! Er erreicht wie bei Pilo- 
bolus das Freie, indem er dem Lichte entgegenwächst. Natürlich 
kann er sich bei so großer Länge nicht mehr aufrecht halten, son- 
dern kriecht am Boden hin und erinnert dann lebhaft an vergeilte 
Kartoffelsprosse. Ist es dem verlängerten Hutstiele nicht möglich 
ans Licht zu kommen, dann bildet er im Welken neue seitliche 
Träger, so daß selbst nach Monaten noch eine Sporenbildung er- 
folgen kann, sobald günstigere Beleuchtungsbedingungen eintreten. 
Am Lichte entstehen so nachträglich aufrechte, allerdings kleine 
Hüte, die in normaler Weise ihre Sporen verbreiten können. Auch 
hier genügt übrigens eine kurze kräftige Belichtung, um die Hut- 
bildung anzuregen und das Stielwachstum zu hemmen. Daraus geht 
deutlich hervor, daß es sich um eine echte Reizwirkung handelt. 
Noch manche andere Pilze zeigen eine Abhängigkeit vom Lichte, 
so Lentinus lepideus, Sphaerobolus stellatus, Xylaria Hypoxylon (Free- 
man 1910), die im Dunkeln keine Fruchtkörper bilden, sowie Mucor 
flavidus und M. racemosus, die verfinstert unter bestimmten Er- 
nährungsbedingungen keine Sporangien oder doch keine Sporen ent- 
wickeln. Auf alle diese Fälle können wir hier nicht eingehen. Für 
uns war es nur von Wichtigkeit zu zeigen, daß auch bei nicht 
grünen Gewächsen Erscheinungen auftreten, die dem Etiolement der 
höheren Pflanzen ähnlich sind oder in ihrem verbildenden formativen 
Einfluß selbst über das dort Beobachtete hinausgehen. Es soll nur 
noch erwähnt werden, daß für viele Bakterien und Pilze, wie auch 
für manche Protozoen das Licht einen entwickelungshemmenden oder 
bei hoher Intensität selbst tödlichen Reiz bedeutet. Dabei wirken 
ganz allgemein die blauen bis ultravioletten Strahlen stärker als die 
roten und gelben, wie das ja auch bei höheren Pflanzen der Fall ist. 


ce) Photonastie. 


Bei den Alpenpflanzen und den lichtempfindlichen Pilzen, wie 
auch bei dem — in gewisser Hinsicht zueinander gegensätzlichen — 
Verhalten der Blätter und Stengel war es deutlich zu sehen, daß 
verschiedene Organe und Organteile vom Lichte recht verschieden 
beeinflußt werden können. Ja, in den Blättern reagiert, wie erwähnt, 


Photonastie. 109 


sogar das Palissadenparenchym anders als das Schwammparenchym. 
Es verhalten sich demnach dicht nebeneinander gelagerte Gewebs- 
schichten verschieden. Man kann sich also nicht wundern, wenn 
auch Zellkomplexe, die nicht sichtbar verschieden voneinander, son- 
dern nur durch ihre Lage charakterisiert sind, also z. B. die Flanken 
ein und desselben Organes, durch das Licht in ihrem Längenwachs- 
tum verschieden beeinflußt werden.!) Die Folge ist dann eine Krüm- 
mung des betreffenden Stengels, Blattstiels usw., ähnlich, wie wir 
das beim Geotropismus gesehen haben. Nur daß hier die Richtung 
der Krümmung in keiner Beziehung zum bewirkenden Reiz steht. 
Vielmehr ist sie durch innere Beziehungen, wie Ansatz am Stengel 
u. dgl. oder auch durch die Schwerkraft gegeben. Das bleibt in 
jedem einzelnen Falle zu untersuchen. Äußerlich sieht man nur 
einen Lagewechsel des Pflanzenteils nach Verdunkelung oder Be- 
lichtung, meist ein Heben oder Senken. Man nennt das Photo- 
nastie. Eine solche ist gekennzeichnet durch eine Veränderung in 
der Lichtstärke als bewirkenden Reiz und eine Bewegung, die keine 
Beziehung zur Lichtrichtung hat, als Reizerfolg. 


Die Blätter z. B. bleiben beim Etiolement nicht nur klein und 
innerlich weniger differenziert als am Lichte, sondern sie behalten 
auch die Lage länger bei, die sie in der Knospe 
innehatten, bleiben dem Stengel angelegt, ge- 
faltet oder gerollt usf. Erst auf den Zutritt 
des Lichtes geht parallel mit ihrer sonstigen 
normalen Ausbildung auch die Entfaltung vor 
sich. Besonders auffallend und leicht zu be- 
obachten ist das wiederum bei Keimpflanzen. 
Die Keimblätter haben im Samen eine bestimmte 
Lage, die es ermöglicht, sie auf möglichst 
kleinem Raume unterzubringen. Denn der Same 
ist einrundliches Gebilde mit einem im Verhält- 
nis zur Oberfläche großen Inhalt, der zur Auf- 
speicherung von Vorratsstoffen dient. Die Coty- 
ledonen dagegen sind flächige Organe oder sie 
werden es doch, falls sie später die Funktion 
von Blättern übernehmen sollen. Sie müssen 
sich also am Licht ausbreiten. Das sieht man 
sehr schön bei dem Samen von Ricinus, wo die 
ziemlich großen, eng gefalteten, weißlichen Keim- 
blätter im Samen dem Nährgewebe dicht an- eimlinge von Sinapis 
liegen und später nach Sprengung der Hüllen alba, links am Lichte, 


: . s 5 rechts im Dunkeln ge- 
sich ausbreiten. Auch die Samen vieler Kreuz- non! Verkleineit 


Abb. 36. 


1) Bei diesem Vergleich darf freilich nicht vergessen werden, daß die Ge- 
staltung der Sonnenblätter nicht durch den direkten Einfluß des Lichtes auf 
die Ausbildung der Gewebe zustande kommt, sondern daß die Form schon im 
Vorjahre durch den Lichtreiz, der die Anlage trifit, als Ganzes beeinflußt wird. 


110 IV. Helligkeit und Temperatur als Reizmittel. 


blütler, z. B. Raps (Brassica Napus) und Senf (Sinapis alba) zeigen 
dasselbe und mit ihnen viele andere (Abb.36). An vergeilten jungen 
Pflänzchen findet man die Cotyledonen lange noch in der Knospen- 
lage, eng zusammengelegt. Manche entfalten sich im Dunkeln nie, 
z. B. die vom Buchweizen (Fagopyrum esculentum) (Sachs 1863), 
die meisten nur sehr verspätet. Kommen sie aber nicht zu spät 
ans Licht, so breiten sie sich bald aus. 

Bei den Bohnenkeimlingen (Phaseolus multiflorus) kann man 
einige besonders hübsche Erscheinungen beobachten, die die Dunkel- 
keimlinge von den am Licht ent- 
wickelten unterscheiden, und die 
offenbar das Durchbrechen irgend- 
welcher verdunkelnder Decken er- 
leichtern. So wird bei ihnen nicht 
nur der Stengelteil, der die ersten 
Blätter trägt, im Dunkeln 3—4 mal 
so lang als am Lichte, sondern es 
wächst auch der Stengelteil über den 
Primärblättern ganz beträchtlich, so 
daß nach 14 Tagen eine Gesamtlänge 
von 40—50 cm erreicht wird, wäh- 
rend gleichalte Lichtkeimlinge nur 
10—15 em lang sind. Die Stiele der 
Primärblätter wachsen gleichfalls im 
Dunkeln sehr viel länger. Auch 
bleiben sie fast vertikal aufgerichtet, 
während sie am Lichte nahezu hori- 
zontal stehen. Dadurch wird gleich- 
falls der Widerstand in Erde, ab- 
gefallenem Laub u. dgl. vermindert. 
nr Ferner ist nicht nur die Spitze des 
RER A & ER ER aa Stengels mit der Endknospe, sondern 
der im Dunkeln erwachsen ist. Blattstiie Auch jedes Blatt an seinem Stiele 

und Stengel lappig eingekrümmt. abwärts gebogen, während sie sich 
am Lichte aufrichten (Abb. 37 u. 38). 

Bei der Entwickelung vieler Sämlinge ist zu beobachten, daß 
der Keimstengel nicht geradeaus wächst, sondern einen scharfen 
3ogen macht. Die Krümmung entsteht dadurch, daß die eine 
Flanke der anderen im Wachstum vorauseilt. 

Man findet in den ersten Keimlingsstadien die Wurzel hervor- 
treten und sich mit Hilfe der Haargebilde auf ihrer Oberfläche im 
3oden verankern. Auch die Samenschale liegt oft fest, was durch 
schleimige (Kresse, Senf) oder klebrige Stoffe (Kürbis) erreicht werden 
kann (Abb. 39). Der zwischen Wurzel und Samenschale befindliche 
Stengelteil streckt sich nun und macht dabei einen Bogen nach oben, 
so daß er gewissermaßen mit dem Ellbogen die Erdteile beiseite 
schiebt. Die Keimblätter werden dann bei weiterem Wachstum des 


Photonastie. f 1ll 


Stengels aus dem Boden und aus der Samenschale gezogen und 
nicht geschoben, wie es der Fall wäre, wenn der Stengel geradeaus 
aufwärts wüchse. Der Nutzen der Einrichtung ist klar. Mit den 
Blättern voraus Hindernisse zu überwinden wäre kaum möglich. So 
finden wir es sehr begreiflich, daß selbst gerade angelegte Keim- 
linge nachträglich noch eine aktive Einkrümmung erfahren, die die 


) 
%, 
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t 
f 
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Abb. 38. 


Spitze desselben Keimlings der Feuerbohne, einige Tage im Hellen. 
Blätter und Stengel aufgerichtet. Verkleinert. 


Cotyledonen resp. die Endknospe in abwärts geneigte Lage bringt. 
Gute Beispiele sind die Sonnenrose (Helianthus annuus) oder der 
Flachs (Linum usitatissimum). 

Die Einkrümmung oder Nutation des Sproßendes ist bei den 
meisten dikotylen Keimlingen und bei vielen der aus unterirdischen 
Wurzelstöcken u. dgl. hervorkommenden Trieben zu beobachten. Sie 
kann in einem kausalen Verhältnis zur Schwerkraft stehen (positiver 


112 IV. Helligkeit und Temperatur als Reizmittel. 


Geotropismus des Spitzenteils) oder allein eine Beziehung zur Rich- 
tung des älteren Stengelteils haben (autonome Nutation). Das Nicken 
der Knospe bei steter Verlängerung des Triebes kommt dadurch 
zustande, daß in einer bestimmten Zone, von der Spitze aus ge- 
rechnet, eine Krümmung auftritt. Das Verhalten der einzelnen 
Stengelteile bei solchen Nutationen haben wir oben 
(S. 82) besprochen. Hier interessiert uns nur ihr 
Verhältnis zum Lichte. 

Wie betont, dient die Nutation in den Fällen, 
die wir hier im Auge haben, nur der Befreiung aus 
der Erde. Ist diese erreicht, so muß die Krüm- 
mung wieder ausgeglichen werden, damit das Sproß- 
ende und damit die Blätter in die normale Lage 
kommen. Das Signal dazu gibt das Licht, das den 
aus dem Boden hervorbrechenden Spitzenteil trifft. 

Ein vorzeitiges Geradestrecken des gekrümmten 
Stengels und Ausbreitung der Blattorgane würde 
den Widerstand so sehr vergrößern, daß der Keim- 
ling oder junge Trieb in der Erde stecken bleiben 
müßte. Daß das so ist, und daß wirklich das Licht 
die bewirkende Ursache bei der Auflösung der Keim- 
lingslage ist, zeigte mir ein einfacher Versuch. Ich 
ließ Samen in Erde hinter einer Glasscheibe keimen, 
die dabei ein klein wenig geneigt war, damit die 
hervortretenden Keimstengel sich ihr durch ihren 
positiven Geotropismus anpreßten und sichtbar 
blieben. (Ähnlich wie bei dem Sachsschen Wurzel- 
kasten, vgl. S. 36 u. 99.) Wurde dann ein Teil der 
Keimlinge durch die Glasscheibe hindurch dem 
Tageslichte ausgesetzt, ein anderer Teil aber durch 
schwarzes Papier verdunkelt, so resultierte nach 
einiger Zeit folgendes (vgl. Abb. 39): die ver- 
dunkelten Pflänzchen zeigten schöne Nutation und 
durchbrachen die lockere Erde ganz leicht. Die 
belichteten aber suchten die Cotyledonen auszu- 
breiten und den Stengel aufzurichten. Beides ge- 
lang ihnen nicht. Der vergrößerte Widerstand be- 
ee an wirkte, daß der wachsende Keimstengel sich viel- 
schwarzem Löschpa- fach gewunden hin- und herbog, anstatt senkrecht 
a eerögert aufwärts zu stoßen. Natürlich hätte bei einer ge- 

wissen Tiefenlage schon die Hemmung des Wachs- 
tums bewirkt, daß der Stengel die Spitze nicht mehr ins Freie ge- 
bracht hätte. Die geschilderten Hemmungen verhinderten aber auch 
bei flacher Saat schon das Hervortreten. Zu solchen Versuchen eignen 
sich Keimlinge von Senf, Sonnenrosen, Ipomoea u. a. Auch kann 
man dieselbe Versuchsanstellung für Graskeimlinge benutzen, bei denen 
durch die Belichtung die Keimscheide vorzeitig durchbrochen wird, so 


Abb. 39. 


Photonastie. 113 


daß dann die zarten und flächigen Blätter hervortreten (vgl. S. 99). An 
diesen kann man auch beobachten, daß sie im Dunkeln länger und 
schmäler werden und niemals die zusammengerollte Knospenlage 
verlassen, am Lichte aber sich ausbreiten. Es treten also auch hier 
wieder am Lichte allerlei Veränderungen auf, die, falls sie in der 
Erde vor sich gehen, das Hervortreten aus dem Boden unmöglich 
machen. Wahrscheinlich wird es keinen Sämling geben, dem unter 
solchen Umständen das Durchbrechen 
einer Bodenschicht möglich wäre, die 
unter natürlichen Verhältnissen kein 
sroßes Hindernis ist. 


Eine sehr ausgesprochene Photo- 
nastie zeigen vielfach auch die Blätter 
der Rosettenpflanzen. Die Abb. 41 
zeigt 4 Exemplare von Sempervivum 
(Dachwurz). a und c wurden einige 
Zeit im Dunkeln, b und d während- 
dem im Licht gehalten. Man sieht, 
daß im Dunkeln die vorher mehr oder 
weniger aufrechten, dicht gedrängten 
Blätter sich herabschlagen und gerade- 
zu rückwärts zusammenpressen. Es 
geschieht das durch ein an der Basis 
einsetzendes Wachstum, das durch 
die helle Farbe des Zuwachses in 
der Photographie kenntlich wird. 
Um dem Einwande zu begegnen, 
daß die im Dunkeln herabgesetzte 
Transpiration die geschilderte Wir- 
kung bedinge, wurden die Exemplare 
a und b möglichst trocken, c und d a b 
sehr feucht gehalten. Man sieht an Abb. 40. 
der hell und feucht ‘gehaltenen Keimlinge von Ipomoea in Erde hinter 

9 R einer Glasscheibe. a) dunkel gehalten, 
Pflanze b, daß allerdings dieser Faktor durchbricht die Erde in normaler Weise. 
ein klein wenig mitspielen kann, ohne Phglichlet, sucht die Coipledbnen ausau 
aber das Resultat unklar zu machen. befreien. Natürliche Größe. 

In allen diesen Fällen kann man 
einen besonderen Einfluß des Lichtes, abgesehen von seiner unmittel- 
baren Wirkung auf das Längenwachstum, beobachten. Die im Dunkeln 
erwachsene und dann beleuchtete oder umgekehrt behandelte Pflanze 
ändert ihr Verhalten anderen äußeren oder inneren Richtkräften gegen- 
über.!) Sie breitet ihre Blätter aus, richtet ihren Stengel gerade usf. 


1) Daß vielfach nur eine Beschleunigung von Veränderungen vorliegt, die 
schließlich auch im Dunkeln, allerdings nicht in vollem Umfange, vor sich 
gehen, tut hier nichts zur Sache. Ob nach der Ausbreitung die alte Stellung 
wieder eingenommen werden kann, scheint nicht untersucht zu sein. 


Pringsheim, Reizbewegungen. 8 


114 IV. Helligkeit und Temperatur als Reizmittel. 


Kurz, sie ist in einen neuen inneren oder physiologischen Zustand 
übergegangen, der durch das Licht hervorgerufen wurde (Vines 1889/90). 
Man kann das auch so ausdrücken: Die Reizung der Pflanze 
durch das Licht zeigt sich hier nicht unmittelbar, sondern erst in 
ihrem Verhalten anderen Reizen gegenüber. Die eigentliche, rück- 
regulierbare Photonastie, bei der ein Organ auf einen wiederholten 
Wechsel der Beleuchtung hin seine Stellung jedesmal ändert, scheint 
mir von den geschilderten Fällen nicht wesentlich verschieden (so 
auch Detmer 1882; Vines 1889/90 ist aber anderer Meinung). 
Sie ist besonders bei den sog. Schlafbewegungen jener Blätter und 
Blüten zu beobachten, die solche Bewegungen täglich wiederholen. 
Davon soll in einem besonderen Kapitel die Rede sein, zusammen 
mit entsprechenden Reizwirkungen der Wärme. 

Man kennt aber noch weitere Fälle, in denen das Eingreifen des 
Lichtreizes in eine andere Reizkette besonders deutlich wird. Dieses 


Abb. 41. 


Dachwurzrosetten. a und e einige Zeit ins Dunkle gestellt, b und d am Lichte gehalten. 
Dabei a und b feucht, e und d trocken kultiviert. Verkleinert. 


merkwürdige Verhalten machte bei seiner Entdeckung durch Stahl 
(1884) berechtigtes Aufsehen. Dieser Forscher fand, daß die im 
Boden kriechenden Sproßteile oder Wurzelstöcke vieler Pflanzen, 
z. B. die von Adoxa (Bisamkraut) und Circaea (Hexenkraut) im 
Dunkeln horizontal wachsen, also transversal geotropisch sind. So- 
bald sie aber vom Lichte getroffen werden, richten sie sich schräg 
abwärts und gelangen so unter natürlichen Umständen wieder in die 
Erde. Es beruht das nicht etwa darauf, daß diese Wurzelstöcke 
das Licht fliehen. Vielmehr wird durch die Beleuchtung ihr Ver- 
halten gegenüber dem Schwerkraftreize verändert. Während sie 
vorher ihre geotropische Ruhelage in horizontaler Stellung fanden, 
stellen sie sich jetzt schräg abwärts, bis sie wieder im Dunkel der 
Erde sind. Bei Circaea ist noch ein anderer Punkt beachtenswert. 
Es ist nämlich (Goebel 1898/1901), nicht nur die Lage, son- 
dern auch die Ausbildung der Rhizome vom Lichte abhängig. Wer- 
den sie verhindert in den Boden zu treten, so werden aus den Blatt- 


Photonastie. 115 


schuppen, die sie als umgebildete Stengelorgane tragen, richtige 
Laubblätter; aber, wie das Experiment zeigt, nur am Lichte. 

Eine Veränderung der geotropischen Ruhelage durch das Licht 
findet sich, außer bei Wurzelstöcken, auch bei Nebenwurzeln, z. B. 
denen der Pferdebohne (Vicia Faba). Im Dunkeln wachsen sie nahezu 
horizontal oder ganz schwach abwärts. Werden sie aber belichtet, 
z. B. hinter der Glaswand des Sachsschen Wurzelkastens (vgl. S. 36), 
so verstärken sie ihre Neigung abwärts ganz beträchtlich. Es wird 
dadurch gleichfalls die Gefahr, aus dem Boden herauszuwachsen, 
etwa da, wo er nicht eben ist, wesentlich verringert. Ähnliche Fälle 
ließen sich wohl noch mehr finden. 

Auch Änderungen der Funktion und damit des in der Wachs- 
tumsrichtung sich aussprechenden physiologischen Verhaltens durch 
das Licht, wie wir sie für die Ausläufer von Circaea erwähnten, 
kennt man noch mehr. Bei den höheren -Pflanzen freilich ist meist 
die Funktion zu fest eingeprägt, als daß sie durch Reizwirkungen 
noch geändert werden könnte. Aber bei Algen sind solche Um- 
änderungen häufiger. So werden aus den Wurzelschläuchen der 
Fadenalge Oedocladium protonema am Lichte grüne Assimilations- 
triebe (Stahl, 1892). Umgekehrt können bei schwacher Beleuchtung 
aus oberirdischen Teilen vieler Meeresalgen (Callithamnion, Bryopsis, 
Eetocarpus) (Berthold 1882) Wurzelschläuche hervorgehen, die sich 
positiv geotropisch abwärts richten. 


Wenn wir als Photonastie definitionsgemäß solche durch Licht 
veranlaßte Reizbewegungen zusammenfassen, bei denen die Richtung 
der Strahlen gleichgültig ist, der Reizanlaß vielmehr in einem Hellig- 
keitswechsel besteht, so müssen wir hierher auch die Öffnungs- und 
Schließbewegungen der Spaltöffnungen rechnen. Es sind das die 
Ausgänge der Durchlüftungskanäle der Pflanze, des sogenannten 
Interzellularsystems. Man findet sie hauptsächlich an den Blättern, 
aber auch sonst vielfach auf der Oberfläche der Pflanze verteilt. 
Die Luftwege dienen dem Austausch der Kohlensäure und des Sauer- 
stoffes bei der Atmung und der Assimilation, sowie des Wasser- 
dampfes bei der Transpiration. Sie stehen durch Poren in der Ober- 
haut, eben die Spaltöfinungen, mit der Außenwelt in Verbindung. 

Diese Kommunikation wird aber geregelt und im Notfalle auch 
ganz unterbrochen durch einen besonderen Apparat, der von den 
benachbarten Epidermiszellen geliefert wird. Letztere bilden sich 
bei der anatomischen Ausgestaltung des Blattes zu den Schließzellen 
um, die die Öffnung umgeben und vermöge ihres eigentümlichen 
Baues einen Verschluß der Spalte herbeiführen können. 

Die Spaltöffnungen schließen sich besonders dann, wenn die 
Pflanze aus Mangel an Wasser zu welken beginnt und bei unge- 
hemmter Transpiration dem Vertrocknen ausgesetzt wäre. Man faßt 
diesen Vorgang als rein physikalisch auf, indem man annimmt, daß 
infolge des beim Welken verminderten Turgordruckes die Schließ- 


g* 


116 IV. Helligkeit und Temperatur als Reizmittel. 


zellen ihre Gestalt so verändern, daß sie die zwischen ihnen befind- 
liche Öffnung zum Verschwinden bringen (Abb. 42). 


Die Abbildung zeigt einen Schnitt durch die Schließzellen von Helleborus. 
In dem dünn gezeichneten Umriß sieht man die Spalten unter Volumvermin- 
derung des Innenraumes der Schließzellen geschlossen. Das stark gezeichnete 
Schema zeigt, wie durch Wasseraufnahme das Volumen sich vergrößert und 
wie dadurch die Öffnung frei wird. 


Der Mechanik der Spaltöffnungsbewegungen entsprechend wirken 
alle Ursachen, die den Turgor herabsetzen, auf Spaltenschluß hin. 
Zu diesen Ursachen kann auch das Licht, vermöge seiner die Tran- 


spiration steigernden Wärmewirkung, gerechnet werden. Man sollte 

minderte. Vielfach oder sogar meist findet aber gerade das Gegen- 

teil statt, im Lichte öffnen sich die Spalten. Man muß demnach 

annehmen, daß die physikalische Wirkung der Bestrahlung durch 

eine Reizwirkung des Lichtes verdeckt und umgekehrt wird. Ob 

® eine solche auch bei den selteneren 

\\ 7 RE ; vorliegt, ist nicht entschieden, da 

IN hier die Turgorerhöhung als Ur- 

N sache ausreichen könnte. 

L Wie dem auch sei, jedenfalls 

A kann das Licht als Reiz auf die 

Spaltöffnung von Helleborus (Nießwurz) logische Nutzen der Einrichtung 

A er Legt offenbar in dem reichlichen 

aus Pieffers Physiologie.) sasaustausch, der nur bei guter 

Beleuchtung zur Ermöglichung einer 

Öffnung im Lichte auch gefährlich werden, wenn trotz reichlicher 

Wasserdampfabgabe kein Spaltenschluß auftritt. Assimilation und 

Transpiration sind ökologisch vielfach Antagonisten. Denn da die 

Pflanze nur ein Durchlüftungssystem besitzt, so hat sie keine Mög- 

lichkeit, die Diffusion eines Gases, etwa der Kohlensäure, zu fördern, 
falls zu steigern. 

Im einzelnen scheinen die Verhältnisse bei verschiedenen Pflanzen 
recht verwickelt zu sein und sind noch nicht genügend geklärt. Es ist 
auch nicht leicht, den Einfluß eines bestimmten Faktors, wie des Lichtes 
zu studieren, ohne dabei die anderen gleichfalls unfreiwillig zu variieren. 
der die Reaktion auslöst. Auf eine Erhöhung der Beleuchtungs- 
intensität erfolgt also Öffnung, auf eine Verminderung Schließung. 
So sehen wir unter natürlichen Umständen vielfach den ersten Vor- 
gang am frühen Morgen, den zweiten am Abend vor sich gehen, 
was nicht ausschließt, daß dazwischen aus anderen Gründen ent- 


also glauben, daß Belichtung stets die Weite der Öffnungen ver- 
im Dunkeln sich öffnenden Spalten 

ABp 40° Spaltenbewegung wirken. Der öko- 

ausgiebigen Kohlensäureassimilation erwünscht ist. Freilich kann die 
ohne gleichzeitig die aller anderen, z. B. des Wasserdampfes, gleich- 
Soviel ist aber sicher, daß es der Wechsel in der Helligkeit ist, 
gegengesetzte Bewegungen ausgeführt werden, daß also z. B. in der 


Thermonastie. Kl 


Nacht wegen der geringen Transpiration die Spalten sich wieder 
öffnen. Eine Nachwirkung der durch den Lichtwechsel direkt her- 
vorgerufenen Periodizität konnte Fr. Darwin (1904) nur insofern 
finden, als die Öfinung in der Zeit, wo sonst die Schließung statt- 
findet, schwerer zu erzielen ist. 

Wie wir gehört haben, beeinflußt das Licht nicht nur die 
Schnelligkeit des Wachstums und die Bahnen, in die es gelenkt wird 
sowie manche Turgorbewegungen, sondern auch die Bildung und Ent- 
wieklung von Pflanzenteilen und den Stoffwechsel in ihnen. In allen 
diesen Fällen ist nur die Stärke und die Farbe der Belichtung von 
Bedeutung. Noch nicht besprochen wurden aber die Reizwirkungen 
des Lichtes, bei denen seine Richtung ausschlaggebend für den 
Erfolg ist. Diesen gebührt wegen ihrer biologischen Bedeutung und 
der sorgfältigen Durcharbeitung, die ihnen zuteil geworden ist, eine 
eingehende Besprechung, die ihnen in Abschnitt V zuteil werden soll. 


d) Thermonastie. 


Ähnlich wie die Schwankungen der Helligkeit können auch die 
der Temperatur Bewegungen veranlassen. Man nennt diese Erscheinung 
Thermonastie. Wie Vöchting (1890) fand und Lidforss (1903) 
bestätigte, führen die Blütenstiele von Anemonearten auf Temperatur- 
veränderungen Bewegungen aus, und zwar hat eine Erwärmung die 
Aufrichtung, eine Abkühlung eine Senkung des Stieles zur Folge. 
Dadurch werden die Blüten bald in eine aufrechte, bald in eine 
nickende Lage gebracht. Inwieweit neben Helligkeitsschwankungen 
derlei Temperatureinflüsse auch sonst bei den mit der Tageszeit 
wechselnden Stellungen der Blüten- und Blütenstände beteiligt sind, 
wie sie etwa Kerner (1898, S. 107ff.) beschreibt, entzieht sich aus Mangel 
an Versuchen unserer Kenntnis. An der angeführten Stelle werden 
solche Bewegungen als Schutzmittel des Pollens gegen Benässung 
aufgefaßt. Sie finden sich z. B. beim Storchschnabel (Geranium 
Robertianum), bei der Scabiose (Scabiosa lucida), bei Glockenblumen 
(Campanula patula) und vielen anderen Pflanzen. 

Bei Anemone und wohl auch den anderen werden diese Reak- 
tionen durch Wachstum ausgeführt. Ebenso verhalten sich manche 
Blätter, z. B. die vom Gänseblümchen (Bellis perennis), die sich bei 
tiefer Temperatur dem Boden anschmiegen, bei höherer sich erheben 
(Lidforss 1903). Der Zusammenhang mit dem Wechsel der Tempe- 
ratur scheint hier freilich wegen der Langsamkeit der Reaktion 
nicht sehr deutlich zu sein. Es könnte ja auch sein, daß die Höhe 
der Temperatur an sich für die Wachstumsrichtung maßgebend wäre. 
Dieser Zweifel bleibt auch bei anderen von Vöchting und Lidforss 
beschriebenen Fällen. 

So wächst der Stengel von Holosteum umbellatum und Lamium 
purpureum bei niederer Temperatur dem Boden angeschmiegt, um 
sich bei höherer aufzurichten. Während aber bei Anemone diese 


118 IV. Helligkeit und Temperatur als Reizmittel. 


Bewegungen auch am Klinostaten stattfinden, sind sie bei den zu- 
letzt genannten Pflanzen als Veränderungen des geotropischen Ver- 
haltens aufzufassen. 

Solche Temperaturreaktionen finden sich vorzugsweise bei Früh- 
lingsblumen, die schon im Herbst keimen. Sie werden ihnen helfen, 
sich unter dem Schnee zu bergen, um nicht von ihm zerdrückt zu 
werden. Auch gegen Vertrocknen können sie Schutz gewähren, denn 
am Boden ist es feuchter als in höheren Schichten der Luft, und 
die Wasseraufnahme ist bei tiefer Temperatur erschwert. 

Thermonastische Bewegungen werden auch sonst noch gefunden, 
so bei Drosera und Aldrovanda, bei Ranken usw. Sie haben da 
aber wohl keine besondere Bedeutung, sondern sind mehr eine Be- 
gleiterscheinung der sonstigen Reizbarkeit dieser Objekte. 

Inwieweit das Öffnen von Winterknospen einer Reizwirkung der 
Temperaturerhöhung zuzuschreiben ist, läßt sich nicht sagen. Es ist 
möglich, aber nicht nötig, daß dabei thermonastische Reaktionen 
mitspielen. Es könnte ja auch die Erweckung der Lebenstätigkeit 
durch die Wärme allein hervorgerufen werden, und das Auseinander- 
spreizen der Blätter einfache Folge des angeregten Wachstums sein. 
Genaueres wissen wir darüber bei den Blüten, über die im nächsten 
Kapitel berichtet werden soll. 


e) Periodische Bewegungen. 


An vielen Pflanzenteilen kennt man Bewegungen, die sich täg- 
lich wiederholen. Da sie vermöge ihrer Periodizität mancherlei Be- 
sonderheiten bieten, wollen wir sie im folgenden im Zusammenhang 
und getrennt von den übrigen Nastieen besprechen, obgleich sie, wie 
wir sehen werden, direkt von den mit dem Tageswechsel verbundenen 
Veränderungen als Reizen abhängen. Als solche kommen die 
Differenzen in der Beleuchtung und Temperatur, die zwischen Tages- 
und Nachtzeit bestehen, in Betracht. Wir haben also hier nach 
der wissenschaftlichen Benennung photo- und thermonastische Reiz- 
bewegungen vor uns. 

Solche Lageveränderungen, hauptsächlich an Laub- und Blüten- 
blättern, kennt man seit langer Zeit. Linne schon hat eine große 
Anzahl derartiger Fälle als ‚„Pflanzenschlaf‘‘ beschrieben, und unter 
diesem Namen faßt man sie vielfach noch heute zusammen. Sonst 
nennt man die Erscheinung auch Nyctinastie. 

Es ist klar, daß Lageveränderungen nach Verdunkelung auf sehr 
verschiedene Weise zustande kommen können. So kann am Tage 
eine bestimmte Richtung zum einfallenden Lichte innegehalten werden, 
während in der Nacht andere Richtkräfte überwiegen, entweder 
Geotropismus oder solche, die in der Lage der Teile einer Pflanze 
zu einander begründet sind. Auch kann die Reaktion eines Organes 
gegenüber der Schwerkraft durch das Licht und die Wärme beein- 
flußt werden, wie wir schon früher gesehen haben. Wären solche 


Periodische Bewegungen. u, 


Pflanzen dem Tageslichtwechsel ausgesetzt, so würden sie, bei ge- 
nügend schneller Reaktionsfähigkeit, gleichfalls periodische Bewegungen 
ausführen müssen. Ferner kann, ganz abgesehen von äußeren Richt- 
kräften, nur die von den verschiedenen Teilen angestrebte gegen- 
seitige Lage mit der Belichtung und Verdunkelung wechseln. Es 
kann z. B. im Dunkeln die Oberseite, am Lichte die Unterseite eines 
ÖOrganes, Blattes oder Stengels, stärker wachsen. Welcher von allen 
diesen Fällen im einzelnen vorliegt, kann nur durch besondere Unter- 
suchungen festgestellt werden. Was man darüber weiß, will ich 
später erzählen. 

Trotz aller dieser und noch vieler anderer Verschiedenheiten 
in den Reizanstößen und dem äußeren Verlauf ist es doch zweck- 
mäßig, die periodischen Bewegungen zusammen zu besprechen, da 
gewisse gemeinsame Züge sie zusammenhalten. 


Beginnen wir mit den Blüten, die in mancher Beziehung ein- 
fachere Verhältnisse bieten! Äußerlich gewinnt man folgendes Bild 
von den „Schlafbewegungen‘‘ der Blüten: 

Im allgemeinen öffnen sie sich am Morgen und schließen sich 
am Abend, bei Nachtblühern auch umgekehrt. Damit verbunden ist 
häufig eine Krümmung des Blütenstiels, die die Blüte für die Nacht 
in eine geneigte Lage bringt. Auch können sich ganze Blütenstände, 
wie z. B. die der Compositen und Umbelliferen (Köpfchen- und 
Doldenblütler) wie Einzelblüten verhalten. Sehr empfindlich ist z. B. 
Oxalis Acetosella, der Sauerklee, bei dem die Blüten sich in der 
Nacht, aber auch auf vorübergehende Beschattung, etwa durch 
Wolken, schließen und gleichzeitig sich so senken, daß der Blüten- 
stiel abwärts gekrümmt ist. Wie wir weiter sehen werden, führen 
auch die Blätter dieser Pflanze periodische Bewegungen aus. 

Zunächst wollen wir das Öffnen und Schließen der Blüten be- 
trachten, soweit es hierher gehört. Als bewirkende Ursache solcher 
Schlafbewegungen kommen die Veränderungen in der Belichtung und 
Temperatur in Betracht, die mit dem Wechsel von Tag und Nacht 
verbunden sind.') Am besten untersucht ist der Einfluß des Lichtes 
und der Temperatur bei Blüten, die tags geöffnet, nachts geschlos- 
sen sind. 

Die Erscheinung des wiederholten Öfinens und Schließens ist 
sehr verbreitet, aber nicht allgemein. Man kann danach Blüten resp. 
Blütenstände unterscheiden, die sich nur einmal, beim Aufblühen, 
öffnen und später schließen und solche, die es im Tageswechsel 
wiederholt tun. Im ersteren Falle kann die Blütezeit kurz sein und 
nur wenige Stunden dauern, wie bei Hibiscus Trionum, wo sie nur 
3 und Portulaca oleracea und Spergula arvensis, wo sie 5 Stunden 
dauert, bis zu Blüten wie denen des Schneeglöckchen (Galanthus nivalis) 


1) Bei besonders empfindlichen Pflanzen kann schon ein Gewitterregen, 
wie erwähnt, entsprechende Reaktionen auslösen. 


120 IV. Helligkeit und Temperatur als Reizmittel. 


wo sie bei ausbleibender Bestäubung über einen Monat oder von 
tropischen Orchideen, wo sie fast ein Vierteljahr betragen kann. 
Auch bei den sich periodisch öffnenden und schließenden Blüten 
kommen alle Abstufungen vor, von den Blüten der größten Seerose, 
der Vietoria regia, die sich nur an zwei aufeinander folgenden Tagen 
öffnen und dann versinken, bis zu den Köpfchen von Bellis perennis, 
die S bis 14 Tage lang das Spiel wiederholen. 

Wie Pfeffers Untersuchungen (1873b) gelehrt haben, findet das 
Öffnen und Schließen der Blüten durch ungleiches Wachstum der 
Innen- und Außenseite am Grunde der Blütenblätter oder Kronblatt- 
zipfel statt. Besonders genau hat Pfeffer Herbstzeitlosen-, Crocus- 
und Tulpenblüten untersucht 
(Abb. 43 u. 44). Entsprechen- 
des gilt aber auch von den 
Strahlblüten der Kompositen, 
soweitsie sich periodisch öffnen 
und schließen. So findet beim 
Gänseblümchen (Bellis peren- 
nis), der Ringelblume (Calen- 
dula officinalis) und dem 
Löwenzahn (Leontodonarten) 
die Bewegung durch un- 
gleiches Wachstum einer Zone 
am Grunde der Zunge oder 
in der Röhre statt. 

Pfeffer stellte die Mes- 
sungen so an, daß er auf der 
Innen- und Außenseite der 
Bewegungszone am Grunde 
der Blütenzipfel Punkte mit 
schwarzem Lack auftrug und 

Abb. 43. deren Abstand mit Hilfe des 

Herbstzeitlose. Mittags in der Sonne geöffnet. Mikroskopes maß. Dabei bil- 
dete irgend eine leicht kennt- 

liche Ecke, wie sie bei derartigen Klexen stets vorkommen, die Meß- 
marke. Nachdem eine Krümmung stattgefunden hatte, die im Versuche 
durch Erwärmung oder Abkühlung hervorgerufen wurde, fand eine neue 
Messung statt. Auf diese Weise ergab sich bei seinen und späteren 
Messungen [z. B. Wiedersheim 1904], daß immer die bei der Krüm- 
mung konvex werdende Seite sich verlängerte, die andere aber 
kaum an Länge zu-, manchmal auch abnahm. Aktiv ist also die 
Flanke, von der die Bewegung wegführt. Das ist sowohl beim 
Öffnen wie beim Schließen so. Daß wirklich aktives Wachstum 
stattfand, und nicht etwa eine Dehnung von Zellen durch Erhöhung 
des Innendrucks oder dergleichen, ergab sich daraus, daß die Ver- 
längerung nie wieder rückgängig gemacht wurde, auch nicht bei der 
Ausführung der entgegengesetzten Bewegung. Eine sich wiederholt 


Periodische Bewegungen. 121 


öffnende und schließende Blüte erleidet also eine stetige Verlängerung 
der Bewegungszone, die aber schließlich ein Ende haben muß. Der 
wirksame Teil ist dabei das unter der Oberhaut liegende Gewebe 
aus kugeligen Zellen. Das wurde dadurch bewiesen, daß die Krüm- 
mungen noch ausgeführt wurden, als die Haut vorsichtig abgezogen 
worden war. Die Bewegung verläuft sowohl beim Öffnen wie beim 
Schließen unter Wachstumsbeschleunigung der Mittelzone, was be- 
sonders dann deutlich wird, wenn man die Krümmung mechanisch 
verhindert (Wiedersheim 190%). 

Diese Messungen wurden an Blüten gemacht, die vorzugsweise 
durch Temperaturschwankungen beeinflußt werden. Genau ebenso 
aber verhalten sich diejenigen, bei denen das Licht stärker wirkt. Solche 
sind z. B. die genannten Köpfchenblütler, der Sauerklee (Oxalis), 


Abb. 44. 


Herbstzeitlose. Bei Sonnenuntergang, als es kühler wurde, geschlossen. 


Mesembryanthemum, Seerose (Nymphaea) u. a. Bei diesen ist zwar 
auch eine Temperaturveränderung wirksam, ebenso wie bei den erst 
genannten das Licht, aber in geringerem Maße, so daß in dem einen 
Fall eine geringe Veränderung der Lichtstärke eine verhältnismäßig 
ansehnliche der Temperatur, die an sich entgegengesetzt wirken würde, 
überwindet und umgekehrt. 

Der Grad des Öffnens und Schließens wurde von Pfeffer in der 
Weise bestimmt, daß er an den Blütenblättern leichte Zeiger be- 
festigte, die an einem Gradbogen spielten. Auf die Weise wurde 
der Winkel durch Vergrößerung des Ausschlages genauer meßbar. Es 
ließ sich dann zeigen, daß bei Crocus schon eine Temperaturverände- 
rung von !/,° C eine Bewegung auslöste. 

Will man nun solche Versuche austellen, so findet man, daß 
sie nicht zu jeder Tageszeit gleich gut gelingen. Die periodischen 
Bewegungen nämlich simd nicht nur von den augenblicklichen Um- 
ständen abhängig, sondermin weitem Maße auch von den vorausgegan- 


122 IV. Helligkeit und Temperatur als Reizmittel. 


genen. Am deutlichsten wird das ersichtlich, wenn die Objekte in 
konstante Bedingungen, also in dauerndes Licht oder Dunkelheit und 
gleichbleibende Temperatur gebracht werden. Man findet dann näm- 
lich in vielen Fällen, daß die Öffnungs- und Schließbewegungen 
einige Zeit, wenn auch mit abnehmender Stärke, weiter verlaufen. 
Es ist dies etwas ähnliches, wie wir es bei der Periodizität des 
Wachstums gesehen haben, die ja auch unter konstanten Bedingun- 
gen mehr oder weniger lange andauert. Daß es sich nicht um eine 
der Pflanze immer innewohnende, erbliche Erscheinung handelt, schließt 
Pfeffer aus dem Unterbleiben derartiger Bewegungen an Blüten, die 
er im Dunkeln und in gleichmäßiger Temperatur hat aufblühen lassen. 
Das gelang Pfeffer vorzüglich beim Gänseblümchen und beim Crocus, 
die sich im Dunkeln nur unvollkommen öffneten und in dieser Lage 
bis zum Verblühen blieben. 

Demnach hätte man in den Bewegungen solcher Blüten, die nach 
einem Aufenthalt in dem wechselnden Licht der Sonne ins Dunkle 
gebracht worden sind, eine Nachwirkung zu sehen, die periodisch 
wiederkehrt. Unter natürlichen Umständen verlaufen die Nachwir- 
kungen in gleichem Sinne wie die direkt durch das Licht hervor- 
gerufenen, sie werden sie also verstärken. Versucht man aber zu einer 
Zeit, wo sonst die Blüte noch im Öffnen begriffen ist oder sich erst 
vor einer kurzen Zeit geöffnet hat, eine Schließbewegung durch Ver- 
dunkeln hervorzurufen, so wirken die Nachwirkungen dem entgegen, 
und es kann vorkommen, daß man nichts erzielt. Pfeffer faßt seine 
Erfahrungen in folgende Worte zusammen: Nach einer Bewegung 
muß eine gewisse Ruheperiode innegehalten werden, ehe eine ent- 
gegengesetzte stattfindet. 

Diese Abhängigkeit der Reaktion von der Tageszeit, d. h. von 
den Nachwirkungen früherer periodischer Reize, scheint besonders bei 
den vorzugsweise auf Beleuchtungswechsel reagierenden Pflanzen vor- 
zuliegen, während bei den thermonastischen Blüten von Crocus, Tulpe 
usw. durch Veränderung der Temperatur jederzeit eine Reaktion hervor- 
gerufen werden kann, die allerdings je nach der Tageszeit verschieden 
stark ausfallen wird. So können diese letzteren Blüten sich zu unge- 
wohnter Zeit schließen, wenn durch einen Regen Abkühlung erfolgt oder 
sich nach einem kalten Tage abends öffnen, wenn die Temperatur 
dann steigt. Es steht diese Tatsache oflenbar in Zusammenhang 
damit, daß die Veränderungen der Temperatur weniger regelmäßig 
vor sich gehen als die der Beleuchtung. Nähert sich die Tageszeit, 
zu der gewöhnlich Öffnen oder Schließen stattfindet, so wird ein gleich- 
sinnig wirkender Reiz auch bei den vorzugsweise lichtempfindlichen 
Blüten eine Beschleunigung der Bewegung herbeiführen, während ein 
ungleichsinniger hier keinen Erfolg hat. So ist es begreiflich, daß 
photonastische Bewegungen nicht immer demonstriert werden können, 
z. B. nicht vormittags. Denn dann sind die Blüten offen, schließen 
sich auf Verdunkelung nicht und können auch nicht durch vorher- 
gehendes Dunkelstellen geschlossen gehalten werden. 


Periodische Bewegungen. 123 


Durch künstlich hervorgerufenen Beleuchtungswechsel gelang es 
R. Stoppel (1910), den Rythmus innerhalb gewisser Grenzen zu ver- 
schieben, wenn die Perioden z. B. 18 oder 6 Stunden lang waren. 
Es verhielten sich dann die Blüten so als ob die Tage kürzer oder 
länger geworden wären. Ähnliches hat, wie wir noch sehen werden, 
Pfeffer schon früher bei Blättern erreicht. Der Stoppelschen Arbeit 
ist noch zu entnehmen, daß verschiedene Pflanzen sich recht ver- 
schieden verhalten können. So blüht Calendula nicht im Dauerlicht, 
Bellis aber nicht im Dunkeln auf. 

Die unter gleichmäßigen Bedingungen aufgeblühten Köpfchen 
von Calendula und Bellis vollführen nach Stoppel rhythmische 
Bewegungen, die ungefähr dem Wechsel von Tag und Nacht ent- 
sprechen, aber hier offenbar nicht von äußeren Bedingungen abhängig 
sind. Daß solche selbständigen oder autonomen Bewegungen vor- 
kommen, kompliziert die Sachlage natürlich wesentlich, die überhaupt 
trotz der vielen darauf verwandten Mühe noch schwer zu übersehen 
ist. Die Unklarheit hat ihren Grund zum Teil in der Schwierigkeit, 
wirklich konstante Bedingungen herzustellen, z. B. bei Beleuchtungs- 
wechsel die Veränderungen in der Temperatur auszuschalten oder 
doch unwirksam zu machen. Pfeffer half sich in diesem Falle da- 
durch, daß er eine geringe Verschiebung der Temperatur im um- 
gekehrten Sinne künstlich erzeugte, deren Wirkung dann durch den 
entgegengesetzt wirkenden Einfluß des Beleuchtungswechsels über- 
wunden werden mußte. Gelang das, dann war er seiner Sache um 
so sicherer. Nicht immer ließen sich diese Schwierigkeiten ganz aus- 
schalten. Wir kommen darauf noch bei Besprechung der Schlafbe- 
wegungen bei den Blättern zurück. 

Kombiniert mit den Bewegungen der Blütenblätter oder unab- 
hängig von ihnen sind häufig solche des Blütenstiels. So steht die 
Blüte von Oxalis acetosella am Tage aufrecht, nickt aber in der 
Nacht. Ähnlich verhalten sich Fingerkrautarten (Potentilla), Erd- 
beeren (Fragaria), Flachs (Linum), Bachwurz (Geum), Storchschnabel 
(Geranium) u. a. Das gleiche findet man an vielen Kompositenköpf- 
chen, so beim Gänseblümchen (Bellis), Huflattich (Tussilago), Sonchus, 
Lactuca u. a. Bei Umbelliferen kommt der Fall vor, daß sich die 
Schirme nachts schließen und gleichzeitig durch Krümmung des 
Stengels, der sie trägt, senken. So ist es bei der Mohrrübe (Daucus 
Carota), beim Kümmel (Carum Carvi) usf. 

Ob diese Bewegungen, die oft auch am Tage bei schlechtem 
Wetter eintreten, von der Temperatur oder dem Lichte abhängen, 
ist meist nicht bekannt. Für die Blütenstiele von Anemone stellata 
hat Voechting (1890) nachgewiesen, daß sie thermonastisch sind, und 
so wird es wohl meist sein. Was schließlich den Nutzen dieser Blüten- 
bewegungen betrifft, so ist wohl anzunehmen, daß es sich haupt- 
sächlich um einen Schutz handelt, der für die empfindlichen Teile, 
vor allem den Pollen angestrebt wird. Dieser wird z. B. bei sich 
nachts schließenden oder senkenden Blüten vor dem Tau geschützt 


124 IV. Helligkeit und Temperatur als Reizmittel. 


sein, vielleicht aber auch vor unliebsamen Blütenbesuchern. Ob die 
sich nachts öffnenden Blüten zur Zeit der morgendlichen Tauperiode 
schon wieder geschlossen sind, dürfte wohl nicht eingehend be- 
obachtet sein. Jedenfalls zeigt die Zeit, zu der die Blüten geöffnet 
sind, Übereinstimmung mit dem Flug der bestäubenden Insekten. 
Bei den auf Wärmeherabsetzung reagierenden Blüten der Früh- 
lingspflanzen, wie Tulpe, Crocus wird man auch an einen Schutz 
gegen zu starke Abkühlung 
denken können; bei denen, 
die sich bei einem Gewitter- 
regen schließen oder senken 
und bei ungünstigem 
Wetter gar nicht Öffnen, 
wie dem Sauerklee, den 
Anemonearten u. a., mehr 
an Schutz gegen Benässung. 
Bei Drosera öffnen sich die 
Blüten überhaupt nur auf 
sehr intensive Besonnung. 
Im einzelnen können also 
die angestrebten Vorteile 
sehr verschiedener Natur 
sein. Vorläufig weiß man 
darüber noch nicht viel. 


Gehen wir nun zu 
den Schlafbewegungen der 
Blätter über. Auch hier 
stammt die Grundlage und 
die Hauptmasse unserer 
Kenntnisse von Pfeffer. 
In zwei umfangreichen Ar- 
beiten beschäftigte er sich 
(1875 und 1907) mit den 
periodischen Blattbewe- 
gungen. Diese sind wieder- 


Abb. 45 um sehr verbreitet im 
N ie Blä Pflanzenreiche, besonders 

Junge Erbsenpflanzen ‚„Tagstellung‘“. Die Blättchen nn ’ 
ausgebreitet. bei den mit Gelenken 


versehenen Blättern, wo 
sie durch Turgorveränderungen zustande kommen. Doch gibt es auch 
genug Pflanzen, bei den durch ungleiches Wachstum entsprechende 
periodische Krümmungen verursacht werden, in diesem Falle natür- 
lich nur, so lange das Blatt jung ist. Bis auf die Ausführung der 
Bewegung scheinen sich beide Gruppen ganz gleich zu verhalten, 
so daß sie hier gemeinsam besprochen werden dürfen. 
Turgorbewegungen in Abhängigkeit vom Tageswechsel führen 


Periodische Bewegungen. 125 


von bekannteren Pflanzen besonders schön aus: Bohnen (Phaseolus- 
Arten), Mimosen, falsche Akazien (Robinia Pseudacacia), Sauerklee 
(Oxalis acetosella) u. a. Wachstumsbewegungen findet man bei der 
Sonnenrose (Helianthus annuus), den Balsaminen (Impatiensarten), 
bei Amaranthus usf. | 

Sehr einfach sind die Bewegungen bei den Blättern der Erbse 
(Pisum), die sich in der Nacht einfach herunterschlagen (Abb. 45 u. 46). 


Abb. 46. 


Junge Erbsenpflanzen ‚‚Schlafstellung‘‘. Die Blättchen 
heruntergebogen. 


Bei Oxalils (Sauerklee) senken sich die Teilblättchen der kleeartigen 
. Blätter in ihren Gelenken, gleichzeitig falzen sie sich in der Mittelrippe 
ein (vgl. Abb. 48, S. 135). Beim Steinklee (Melilotus) drehen sich die 
ebenfalls kleeartigen Blättchen so, daß sie die Kante nach oben wenden. 
Das Endblättchen legt sich dann mit seiner Oberseite dem Seiten- 
blättchen an, dem diese zugekehrt ist. Die Bewegung ist sehr kompli- 
ziert, wie man bei Darwin ([1880] 1899, S.294) nachlesen kann. Beim 


126 IV. Helligkeit und Temperatur als Reizmittel. 


gewöhnlichen Klee (z. B. Trifolium repens) legen sich die Seitenblättchen 
aneinander, das Endblättchen deckt sich dachartig darüber. Bei der 
Erdnuß (Arachis hypogaea) legen sich alle vier Blättchen aufeinander, 
bei der Mimose (Mimosa pudica) decken sie sich schuppenförmig, 
während der Hauptblattstiel sich senkt und die Nebenblattstiele, die 
am Tage fingerförmig spreizen, sich einander nähern. Und so ist 
fast jeder Fall neu und merkwürdig. Nur einige wenige seien noch 
beschrieben, so die Gattung Lupinus. Bei manchen Arten, wie L. 
pilosus, senken sich alle die sternförmig angeordneten Blättchen, bei 
L. pubescens aber senkt sich merkwürdigerweise nur der nach außen 
liegende Teil, während der andere sich hebt. Die Blättchen sind 
schließlich annähernd in einer senkrechten Ebene ausgebreitet. 

Eine Übersicht über die verschiedene Art, in der die Schlafbe- 
wegungen ausgeführt werden können, hat Darwin ([1880] 1899) gegeben. 
Danach sind sie besonders häufig bei Keimblättern und hier wieder bei 
denen mit Gelenk, wie sie bei Oxalideen und Leguminosen oft vor- 
kommen. Meist heben sich die Cotyledonen des Nachts und nähern sich 
einander. Es gibt Pflanzen, bei denen die Blätter schlafen. die Coty- 
ledonen aber nicht und umgekehrt. Ob daraus etwas für die Be- 
deutung dieser Erscheinung zu entnehmen ist, kann ich nicht ersehen. 
Es kommt auch vor, daß Keim- und Laubblätter in verschiedener 
Weise Bewegungen ausführen. So heben sich die Cotyledonen von 
Oxalis valdiviana, die Blätter aber senken sich. Ebenso bei Cassia 
marylandica. In diesem Falle sind die Blattbewegungen noch be- 
sonders interessant. ‚So biegen sich bei Cassia die (paarig gefiederten) 
Blättchen, welche während des Tages horizontal sind, nicht nur des 
Nachts senkrecht abwärts und das terminale Paar ist beträchtlich 
rückwärts gerichtet, sondern sie rotieren auch um ihre eigenen Achsen, 
so daß ihre unteren Flächen nach außen gewendet werden.‘ Dabei 
hebt sich noch der Hauptblattstiel, so daß die ganze Pflanze sich 
gewissermaßen in sich zusammenschmiegt (Abb. 47). 

Das Gemeinsame aller dieser Einrichtungen sieht Darwin darin, 
daß durch sie die Blätter nachts in eine aufrechte oder gesenkte 
Lage kommen, in der nicht die Fläche, sondern die Kante nach 
oben gekehrt ist. Gleichzeitig findet dabei häufig ein Zusammenlegen 
in Paketen oder doch eine Annäherung der Teile aneinander statt, 
wie das besonders bei Cassiaarten und Desmodium gyrans auffällig 
hervortritt, wo die Blattstiele sich heben und dem Stengel nähern. 

Die zuletzt erwähnten Pflanzen besitzen alle Gelenke, in solchen 
allein finden während der Schlafbewegung Torsionen statt. Bei den 
durch Wachstum zustande kommenden Bewegungen beschränken sich 
die möglichen Unterschiede darauf, daß bald Hebungen, bald Sen- 
kungen auftreten. Im ganzen werden, wie bei den Blüten, durch 
dieselben Einflüsse verschiedene Reaktionen hervorgerufen. So senken 
sich die Blätter von Impatiens in der Nacht, während sich die von 
Chenopodium (Gänsefuß) heben, und bei Lupinus pubescens hebt sich, 
wie wir gehört haben, ein Teil der Blättchen, ein Teil senkt sich. 


Periodische Bewegungen. 1197/ 


Was die Mechanik der Bewegungen betrifft, so hat Pfeffer sie 
durch mikrometrische Messungen an operierten Gelenkhälften und 
an sich durch Wachstum krümmenden Stielen aufzuklären ge- 
sucht. Aus seinen Versuchen schließt er, daß auf eine Verdunke- 
lung hin die Dehnung der Gelenkhälften, resp. das Wachstum 
der Flanken im Blattstiel oder am Grunde der Spreite gleich- 
sinnig, aber ungleich schnell steige, bei Erhellung aber sinke. Es 
eile also die Dehnung der einen Gelenkhälfte voran und rufe so eine 
Krümmung hervor. Die Volumvergrößerung der anderen Hälfte 
erreiche erst dann ihr Maximum, wenn die erste schon wieder zu- 
rückgehe. Dadurch werde bewirkt, daß erst ein Hin-, dann ein Hergang 


vi. 
> Z\ Se 
N \ N 


Abb. 47. 


Schlafbewegung der Blätter von Cassia pubescens (nach Darwin [1881] 1899). 


erfolge, die eben das Heben und Senken der Blätter hervorriefen. Dem 
ist von Schwendener (1898) und Jost (1898) widersprochen worden. 
Beide fanden bei isolierten Gelenkhälften nicht ein gleichsinniges, 
sondern ein entgegengesetztes Verhalten, indem die eine Hälfte sich 
dehnte, während die andere sich zusammenzog. 

Jedenfalls kommen die Bewegungen in Gelenken durch Ver- 
änderungen des Innendruckes in den Zellen zustande, das nach 
Lepeschkin (1908, S. 729) durch unmittelbaren Einfluß der Licht- 
intensität auf die Durchlässigkeit des Plasmas bewirkt wird. Die 
Resultate im einzelnen wären nicht so wichtig, wenn nicht davon die 
Deutung der Gegenbewegung abhinge, die immer auf einen einmaligen 
Helligkeitswechsel und die durch ihn bewirkte primäre Bewegung folgt. 


1283 IV. Helligkeit und Temperatur als Reizmittel. 


Es ist ein theoretisch wichtiger Unterschied, ob die Gegenbewegung 
direkt durch den Beleuchtungswechsel hervorgerufen wird, wie es Pfeffer 
will, oder ob sie erst eine Folge der ersten Bewegung ist. Man sieht, 
daß genaue Messungen nicht nur über die Mechanik, sondern auch 
über den Sinn eines Vorganges unterrichten können. Im vorliegenden 
Falle aber scheint die Frage noch nicht entschieden zu sein, kommt 
es doch nach Wiedersheim (1904) auch auf den Grad der Operation 
an. Daß man auf eine solche angewiesen ist, ist überhaupt ein 
großer Übelstand, da man nicht weiß, was dadurch alles verändert wird. 

Von diesen Fragen unbeeinflußt bleibt aber wohl die Feststellung, 
daß auf den Reiz hin bei der Wachstumsbewegung entweder, bei 
Verdunkelung, eine Zunahme oder, bei Belichtung, eine Abnahme 
der durchschnittlichen Zuwachsschnelligkeit gegenüber der in kon- 
stanter Finsternis erzielt wird, die auf Ober- und Unterseite ungleich 
schnell verläuft. Auch konnte Wiedersheim an Blättern. von Im- 
patiens parviflora, die an der Krümmung verhindert worden waren, 
und ähnlich bei Perigonblättern von Tulpen und Crocus nachweisen, 
daß der auf Verdunkelung erfolgenden ungleich schnellen Zunahme des 
Wachstums der beiden Flanken eine zweimalige Wachstumssteigerung 
des Gesamtblattstiels oder der Mittelzone entspricht. Das kommt 
hier wieder dadurch zustande, daß die der einen Seite erteilte Be- 
schleunigung schon ausgeklungen ist, wenn die der anderen beginnt. 

Auch bei Blättern folgt wie bei Blüten sowohl bei den Wachstums- 
wie bei den Turgorbewegungen auf den einmaligen Hin- und Hergang 
(Pfeffer 1875) ein mehrmaliges Pendeln, das allmählich bei konstanten 
Umständen immer schwächer wird und schließlich aufhört. Die 
Stärke und Länge der Nachwirkung hängt von der Größe des Hellig- 
keitssprunges ab, der die erste Bewegung veranlaßt hat. 

Die Resultate solcher einmaligen Sprünge wurden an Pflanzen 
konstatiert, die vorher durch den Aufenthalt in dauernder Finsternis 
oder in künstlichem Lichte ihre periodischen Bewegungen eingebüßt 
hatten. Bei solchen Versuchen mußte natürlich von bewegungslosen 
Objekten ausgegangen werden. Im Dunkeln sind solche aus Samen 
nicht zu erziehen, auch ist es bisher nicht gelungen, Pflanzen mit 
Blättern, die niemals Tagesbewegungen ausgeführt haben, etwa durch 
Kultur in dauernder Beleuchtung zu erzielen. Daher mußte man das 
unter konstanten Bedingungen schließlich erfolgende Ausklingen der 
periodischen Nachwirkungen abwarten. Das kann bei manchen Arten 
ziemlich lange dauern. So wiederholen sich z. B. bei Mimosa und 
anderen die Schlafbewegungen viele Tage lang auch im Dunkeln zur 
selben Zeit wie bei den dem natürlichen Helligkeitswechsel aus- 
gesetzten Pflanzen. 

Pfeffer zog aus seinen früheren Untersuchungen (1875) den Schluß, 
daß die täglichen periodischen Bewegungen dadurch zustande kommen, 
daß die Nachwirkungsbewegungen, die wenigstens anfangs ungefähr 
zur selben Zeit verlaufen wie die direkt durch den Tageswechsel 
hervorgerufenen, sich mit jenen kombinieren. Neuerdings (1907, 


Periodische Bewegungen. 129 


S. 447) ist er aber zu der Anschauung geführt worden, daß die 
direkten thermo- und photonastischen Bewegungen zum Zustande- 
kommen der normalen Schlafbewegungen vollkommen ausreichen. 
Der frühere Irrtum ist durch das eigentümliche Verhalten seines 
Hauptversuchsobjektes, der Feuerbohne (Phaseolus multiflorus), her- 
vorgerufen worden. Bei dieser schien ihm nämlich die Wirkung 
einer einmaligen Verdunkelung nicht stark genug, um die Tages- 
bewegung zu erklären. In Wirklichkeit liegt die Sache so, daß diese 
Pflanze mehr auf Erhellung als auf Verdunkelung reagiert, und zwar 
wird durch die Erhellung am Morgen die Schlafstellung abends er- 
zielt,!) während andere Objekte, wie z. B. die Blättehen der Mimose 
u. a. auf Erhellung und Verdunkelung sehr bald mit einer ent- 
sprechenden Bewegung antworten. 

Solche verwickelte Einzelheiten wurden durch Pfeffer (1907) 
besonders in der neueren Arbeit eine große Menge aufgedeckt, was 
dadurch möglich war, daß dem Autor nun alle modernen Hilfs- 
mittel zur Verfügung standen. So wurden nicht nur völlig gleich- 
mäßige Temperatur und bessere Beleuchtung erzielt als in der 
älteren Arbeit (1875), sondern auch die Bewegungen mit Hilfe selbst- 
registrierender Apparate aufgezeichnet. Durch fein erdachte, zarte 
Kombinationen von Fäden und Hebeln gelang es, die Hebungs- und 
Senkungsbewegungen auf eine sich drehende berußte Trommel auf- 
zuzeichnen, selbst bei den nicht gerade eine große Kraft entfaltenden 
Blättehen der Mimose! Diese Aufzeichnungen bildeten dann ein 
schönes Material, da sie natürlich lückenloser, zuverlässiger waren 
und über größere Zeiträume sich erstrecken konnten als alle durch 
direkte Ablesung erzielbaren. 

Durch diese neuen Untersuchungen erscheint Pfeffers Meinung, daß 
die Schlafbewegungen thermo- oder photonastischer Natur sind, noch 
mehr gesichert. Besonders sprechen in dem Sinne auch die Versuche, 
in denen es ihm gelang, durch einen vom gewöhnlichen abweichenden 
Rhythmus von hell und dunkel periodische Bewegungen hervorzu- 
rufen, die diesem neuen Rhythmus entsprachen. Das gelang bei den 
schnell reagierenden Blättchen von Mimosa und Albizzia nicht nur 
bei einem 6:6stündigen, sondern sogar noch bei einem 2:2stündigen 
Wechsel. Nicht so bei Phaseolus, das aber wie die anderen zu einer 
18:18stündigen periodischen Bewegung gebracht werden konnte. 

Zur Erziehung solcher photonastischen und thermonastischen 
Bewegungen ist nicht ein plötzlicher Wechsel der Helligkeit erforderlich. 
Vielmehr wirkt auch ein allmählicher, wie er ja in der Natur immer 
gegeben ist. Immerhin scheint die Wirkung mit der Größe der Ver- 
änderung und in umgekehrtem Verhältnis zu der Zeit, in der sie erfolgt, 
zuzunehmen. In der Tat aber kann die Veränderung sehr langsam 
vor sich gehen, ohne daß die nastische Bewegung aufhört; so hatte 


1) Es ist damit etwas ähnliches konstatiert, wie es Oltmanns (1895) bei 
Blüten beobachtete. 


Pringsheim, Reizbewegungen. 9 


130 IV. Helligkeit und Temperatur als Reizmittel. 


bei Pfeffer noch ein allmählicher Übergang von Hell zu Dunkel, der 
2 Stunden brauchte, eine volle Schlafbewegung zur Folge. 

Nicht bei allen Pflanzen ist ein völliges Ausklingen der Be- 
wegung in konstanter Beleuchtung oder Finsternis zu beobachten. 
Bei manchen finden dauernd Hebungen und Senkungen statt, die 
aber nichts mit äußeren Reizen zu tun haben, sondern auf einem 
inneren Rhythmus beruhen müssen. Ihre Länge fällt daher auch 
nicht immer mit den Tagesperioden zusammen. Doch scheint 
nach den Versuchen von Semon mit Blättern (1905) und denen von 
Stoppel mit Blüten (1910) ein Rhythmus von 12: 12 Stunden bevor- 
zugt zu werden, was offenbar in der Konstitution der Pflanzen be- 
gründet ist. Ein paar Worte werden wir darüber noch zu sagen 
haben. 

Auch die Nachschwingungen nach irgend einer aufgezwungenen 
Periodizität brauchen in ihrer Länge nicht mit dieser übereinzu- 
stimmen, und fallen z. B. bei Phaseolus und einigen anderen auch 
nach einem 18 : 1Sstündigen Rhythmus annähernd in den 12: 12stün- 
digen zurück. Es muß also, wie das auch Pfeffer (1907, 8. 471) zu- 
gibt, dieser Rhythmus eine besondere Grundlage in den inneren Eigen- 
schaften der Pflanzen haben. Fallen die Nachschwingungen zeitlich 
nicht mit den direkt hervorgerufenen Bewegungen zusammen, so 
werden sie normalerweise von diesen völlig unterdrückt. 

Welches mag nun die Ursache für die offenbar bestehende ‚‚Vor- 
liebe‘ für einen dem Tageswechsel entsprechenden Rhythmus sein? 
Sollte sie vielleicht darauf beruhen, daß die Pflanze in die Bewegung 
zurückfällt, die sie zuerst ‚‚gelernt‘‘ hat oder sollte ihr diese Tendenz 
erblich überkommen sein?! Bei gewissen Blüten muß wohl letzteres 
der Fall sein, weil z. B. Calendula auch nach dem Aufblühen im 
Dauerlichte, also ohne vorher periodische Bewegungen ausgeführt zu 
haben, einen solchen Rhythmus zeigte. Bei Blättern sind Versuche 
mit solchen, die nie Schlafbewegungen ausgeführt haben, schwieriger, 
weil die Pflanzen unter Ausschaltung von Licht- und Temperatur- 
wechsel erzogen werden müßten. 

Die Temperatur könnte man allenfalls konstant halten. Für 
die Beleuchtung aber ist das sehr schwierig; und doch beeinflußt diese 
gerade die Schlafbewegungen der Blätter noch mehr als die Wärme. 

Denkbar sind zwei Möglichkeiten, die Helligkeit konstant zu 
halten, nämlich völlige Verfinsterung oder künstliches Licht. An- 
dauernde Dunkelheit vertragen grüne Blätter, wie wir gesehen haben 
(vgl. S. 94), sehr schlecht. Jedenfalls ist es auch bei solchen, die 
nicht abgeworfen werden, zweifelhaft, ob das unter solchen Umstän- 
den beobachtete Aufhören der Bewegungen, wie es Jost (1898, 
S. 601) will, auf Schädigungen beruht oder, Pfeffers Meinung ent- 
sprechend, ein Ausklingen des Anstoßes bedeutet, der durch den 
vorhergehenden Lichtwechsel gegeben war. Es gibt freilich ein 
Mittel, auch im Dunkeln bis auf die Farbe normale Blätter zu er- 
ziehen. Es besteht darin, daß man ihnen durch Entfernen der 


Periodische Bewegungen. 131 


fortwachsenden Zweigspitzen mehr Nahrung zukommen läßt (Jost 
1895). Auch durch Kultur im roten Licht, das Chlorophylibildung 
und Ernährung erlaubt ohne auf die Bewegungen einzuwirken, ließe 
sich wohl ähnliches erreichen.') Solche Hilfsmittel sind bis jetzt 
zum Studium der Schlafbewegungen nicht angewendet worden. Auch 
Blüten entfalten sich vielfach im Dunkeln nicht, so z. B. die des 
Gänseblümchens. Seit Sachs bezeichnet man diese Erscheinungen 
als Dunkelstarre, ohne daß dadurch über die Ursache etwas aus- 
gesagt wäre. 

Konstante Beleuchtung herzustellen, war früher ganz besonders 
schwierig. Aber auch die neueren Mittel, andauerndes helles Licht 
anzuwenden, wie z. B. das einer Quecksilberbogenlampe oder von 
elektrischen Tantallampen (Pfeffer 1907), sind für solche Zwecke nicht 
ausreichend. Denn die Zusammensetzung des künstlichen Lichtes 
ist von der des Tageslichtes doch immer verschieden (Pfeffer 1907, 
S. 301). So gelingt es noch kaum, normale Pflanzen im elektrischen 
Lichte aufzuziehen (Stoppel 1910, S. 444) ?). 

Wenn also auch Bıätter, die sonst periodische Bewegungen aus- 
führen, noch nie ganz ohne solche aufgezogen worden sind, so ge- 
linst es immerhin bei manchen Objekten (Pfeffer 1875), durch 
konstante Beleuchtung die periodischen Bewegungen zu unter- 
drücken. Ein Gleiches sieht man nach einer alten Mitteilung in den- 
jenigen nordischen Ländern eintreten, in denen im Sommer eine Zeit 
lang die Sonne überhaupt nicht untergeht. In diesen Fällen ist es 
also klar bewiesen, daß der im Dunkeln andauernde Tagesrhythmus eine 
Nachwirkung darstellt und keine ererbte Eigentümlichkeit ist, wie das 
auch Pfeffer (1909) gegenüber Semon (1905 und 1908) betont hat. 

In anderen Fällen aber treten 12 zu 12stündige Rhythmen 
auch bei solchen Pflanzenteilen, und zwar Blüten, auf, die nie 
dem Wechsel der Tagesbeleuchtung ausgesetzt gewesen sind (Stoppel 
1910). Sonst kommen Bewegungen aus inneren Gründen ohne 
äußeren Anstoß auch in anderen, zum Teil viel kleineren Perioden 
vor. Ob aus diesen sog. autonomen Bewegungen die dem Tages- 
rhythmus nahekommenden durch Selektion entstanden sind, bleibe 
dahingestellt. Jedenfalls kann man in diesen Befunden nicht mit 
Semon (1905) einen Beweis für eine Vererbung erworbener Eigenschaften 
sehen. Außerdem geht ja auch aus Pfeffers neueren Versuchen 
klar hervor, daß die Nachwirkungen überhaupt kaum irgendwelche 
Bedeutung für die normalen Schlafbewegungen haben. Diese werden 
also auch weiterhin als thermo- oder photonastische Reaktionen zu 
gelten haben. 


1) Doch genügt nach Pfeffer die Belichtung mit roten und gelben Strahlen, 
die Schlafbewegungen auszulösen. Ob hier aber nicht Wärmewirkungen vor- 
gelegen haben? (1904, S. 533). 

2) Auch ist sie dann wieder nicht anwendbar, wenn der für die Versuche 
nötige Zustand bei Dauerbeleuchtung nicht erreicht wird. Beispielsweise öffnen 
sich die Blüten von Calendula in konstantem Lichte nicht. 


9* 


132 IV. Helligkeit und Temperatur als Reizmittel. 


Wie wir gesehen haben, werden die Schlafbewegungen der Blätter 
und Blütenteile durch Veränderungen in der Belichtung oder der 
Temperatur hervorgerufen. Die äußere Erscheinung kann dabei sehr 
verschieden sein, denn es kommen Hebungen, Senkungen und Drehungen 
vor. Die Richtung steht in keiner Beziehung zu der des Lichtes!), 
wie das für nastische Reaktionen charakteristisch ist, und bei den 
durch Temperaturveränderungen hervorgerufenen Bewegungen ist eine 
Richtwirkung des Reizmittels von vornherein ausgeschlossen. Dennoch 
finden die Krümmungen in einer ganz bestimmten Ebene, die Tor- 
sionen in einer bestimmten Richtung statt. Wodurch mag diese 
festgelegt sein? Wir greifen damit auf eine im Anfang dieses Ka- 
pitels gestellte Frage zurück. 

Bei der Bewegung der Blütenblätter kann man kaum im Zweifel 
sein. Es wird entweder die Außen- oder die Innenseite im Wachstum 
gefördert. Das heißt, die Lage der Teile zueinander bestimmt die Be- 
wegungsrichtung. Das Öffnen und Schließen würde genau ebenso zu- 
stande kommen, wenn die Lage der Blüte künstlich verändert würde. 
Ebenso wird ja das erste Aufblühen der Knospe oder das Abheben 
der Blätter vom Stengel, dem sie im Jugendzustande meist anliegen, 
durch innere Kräfte bewirkt, sobald die Zeit dazu gekommen ist. 

Es fragt sich aber, ob das auch für die periodischen Bewegungen 
der Blätter gilt, und falls es der Fall ist, ob für alle? Die Abhängig- 
keit der Veränderungen vom Tageswechsel sagt noch nichts darüber 
aus, warum die Bewegung gerade so und nicht anders verläuft. Die 
Art der Reaktion könnte durch innere oder äußere Verhältnisse fest- 
gelegt sein. 

Tatsächlich kommt beides vor. Als äußere Richtkräfte kommen 
Licht und Schwerkraft in Betracht. So wird die natürliche Lage der 
Blätter, wie wir gezeigt haben, am Tage vorwiegend durch die Richtung 
der Beleuchtung bestimmt. Die anderen Örientierungsreize treten 
dagegen zurück. Damit ist aber nicht gesagt, daß keine vorhanden 
sind. Sobald durch Verdunkelung dafür gesorgt wird, daß sie wirk- 
sam werden können, wird das Blatt, sofern es bewegungsfähig ist, 
eine andere Lage einzunehmen suchen. Z. B. kann dann der Blatt- 
stiel sich geotropisch aufrichten, während er am Tage vielleicht durch 
seitlich einfallendes Licht eine andere Stellung gehabt hat. Das 
kann man an reaktionsfähigen Pflanzen beobachten, die an einer 
Mauer gewachsen und dadurch von einer Seite beschattet sind. 
Oder, was häufiger ist, es dominieren in der Nacht die inneren Richt- 
kräfte, das Blatt legt sich in die Knospenstellung oder biegt sich 
rückwärts, weil nun die (phototropische) Orientierung durch das Licht 
wegfällt. All das würde man nicht Photonastie nennen, und solche 
Bewegungen, auch wenn sie sich täglich wiederholten, wohl nicht den 
Schlafbewegungen zuzählen (A. Fischer 1890, Vines 1889/90). 


!) Wenigstens im Prinzip. Denn bei einseitig einfallendem Lichte finden 
bei manchen Blättern am Tage heliotropische Bewegungen statt, die sich mit 
den Schlafbewegungen kombinieren. 


Periodische Bewegungen. 1188 


Die echten Schlafbewegungen werden dadurch bewirkt, daß durch 
den Wechsel der Temperatur oder der Helligkeit die die Lage der 
Teile zueinander oder zur Außenwelt bestimmenden Richtkräfte be- 
einflußt werden. Richtend wirkt z. B. die Schwerkraft. So kann 
man bei einer ganzen Gruppe von nyctinastischen Pflanzen die Schlaf- 
bewegungen der Blätter im Verhältnis zum Stengel umkehren, wenn 
man sie in inverser Lage befestigt. Dieses wurde von Pfeffer 
(1875) z. B. für die Bohne nachgewiesen. Die Blätter heben und 
senken sich dann in bezug auf die Richtung im Raume, d. h. ihre 
Schlafbewegungen sind geotropisch beeinflußt. Man darf sie vielleicht 
sogar als echte geotropische Reaktionen bezeichnen. Die Richtung, 
in die sie sich zur Schwerkraft stellen, wird aber durch das Licht 
verändert. Ihre innere geotropische Disposition hängt von der Be- 
leuchtung ab, ihr Schweresinn wird durch das Licht verschoben, 
ganz ebenso wie wir das für die Rhizome von Adoxa (S. 114) gesehen 
haben. 

Später hat Fischer (1890) versucht, diese Frage weiter aufzu- 
klären. Er zeigte, daß es Pflanzen gibt, bei denen die Schlafbewegungen 
in Beziehung zur Richtung der Schwerkraft und andere, bei denen 
sie in Beziehung zum Stengel ausgeführt werden. Die letztere Gruppe, 
die der ‚„autonyctinastischen‘“ Pflanzen, ist die bei weitem größere. 
Zu ihr gehören von Gelenkpflanzen z. B. Klee (Trifolium pratense), 
Sinnpflanze (Mimosa pudica), Portulac (Portulaca oleracea), Sauerklee 
(Oxalis lasiandra), Acacia lophanta u. a.; von solchen, die sich durch 
Wachstum bewegen, z. B. Helianthus annuus, die Sonnenrose (Vines 
1889). Von der Richtung der Schwerkraft abhängig, ‚„geonyctinastisch 
sind Bohnen (Phaseolus multiflorus). Lupinen (Lupinus albus), Baum- 
wolle (Gossypium arboreum). Festgestellt wurde das durch Um- 
kehrversuche, die in einigen Fällen interessante Besonderheiten er- 
gaben. So richteten sich an einer umgekehrten Lupinuspflanze die 
Blätter geo- und heliotropisch so, daß die Blattflächen und die Ge- 
lenke vertikal standen. Sie reagierten nun nicht mehr auf Be- 
leuchtungswechsel. Bei Cassia marylandica blieben die komplizierten, 
von Darwin beschriebenen Bewegungen (S. 126) auch an den um- 
gekehrten Blättern bestehen. Außer den Umkehrversuchen führte 
Fischer auch solche Experimente durch, in denen mit Hilfe des 
Klinostaten die einseitige Schwerkraftswirkung ausgeschlossen war. 
Die Resultate stimmten mit denen der anderen Versuche insofern 
überein als bei der Drehung um die horizontale Achse die autonyc- 
tinastischen Bewegungen fortdauerten, die der geonyctinastischen 
Blätter aber aufhörten. Das Aufhören geschah freilich nicht sofort, 
sondern erst nach einiger Zeit. Fischer schließt daraus, daß hier 
zur Ausführung der Bewegung eine Art Polarisation durch die Schwer- 
kraft nötig sei, die allmählich abklinge, wenn sie nicht ständig er- 
neuert würde. Es läge dann nicht eine durch Belichtung in ihrer 
Richtung beeinflußte geotropische Reaktion vor. 

Doch sind diese Versuche nicht beweisend, weil, wie wir heute 


134 IV. Helligkeit und Temperatur als Reizmittel. 


wissen (Fitting 1905), auch bei dauernder Drehung um die horizon- 
tale Achse eine Schwerkraftreizung stattfindet. Bei ringsgleichen Or- 
ganen heben sich zwar die einzelnen Impulse auf, sie müssen es aber 
nicht bei zweiseitig symmetrischen, sog. dorsiventralen tun, wie es 
die Blätter sind (Kniep 1910). Warum also am Klinostaten ein all- 
mähliches Ausklingen der Schlafbewegungen bei den geonyctinastischen 
Pflanzen stattfindet, läßt sich noch nicht übersehen, ja es wird auch 
äußerst schwer herauszubekommen sein. Vorläufig kann man sich 
nur an die Versuche halten, in denen die Gelenke um 180° herum- 
gedreht oder in wagerechte Lage gebracht wurden, wie es für Lupinus 
beschrieben wurde. Danach bleibt aber der Unterschied der beiden 
Gruppen von Schlafbewegungen an Blättern, die Fischer beschrieben 
hat, bestehen. Er ist freilich mehr von theoretischem als ökologischem 
Interesse, da, wie Stahl (1897, S. 86) hervorhebt, bei den ‚„autonycti- 
nastischen‘‘ Pflanzen oder genauer Gelenken, in der Natur auf an- 
dere Weise, nämlich durch geotropische Einstellung der Stengel oder 
der Blattstiele dafür gesorgt wird, daß das Heben und Senken der 
Blätter die entsprechende Orientierung zur Erde bewirkt, wie sie bei 
den geonyctinastischen Bewegungen durch deren direkte Abhängigkeit 
von der Richtung der Schwerkraft gesichert ist. 


Wie wir eben gesehen haben, ist es bei den thermo- und photo- 
nastischen Bewegungen schwer zu entscheiden, inwieweit dabei 
äußere Richtkräfte mitwirken. 

Entsprechende Schwierigkeiten liegen auch bei den Erscheinungen 
vor, die man als ‚‚Tagesschlaf‘‘ zusammenfaßt. Es gibt viele Pflan- 
zen, deren Blätter bei intensiver Beleuchtung oder Erwärmung eine 
annähernd senkrechte Lage einnehmen oder deren Blüten sich unter 
solchen Umständen schließen. Also genau das umgekehrte von dem, 
was sie unter mäßigem Einfluß derselben Agentien tun. So zeigte 
Pfeffer (1873, 8. 78; 1875, S. 135), daß die Blättchen von Oxalis auf 
eine Erwärmung auf etwa 30° hin sich senken, die Blüten von Cro- 
cus und Tulipa sich schließen (1873, S. 190), und Darwin ([1880] 1899, 
S. 283) beobachtete, daß die Blättchen mancher Pflanzen (z. B. 
Averrhoa bilimbi) sich senken, andere (z. B. das Endblatt von Des- 
modium gyrans) sich heben, wenn die Temperatur steigt. Jost fand 
(1598, S. 384) Schließen der Blättchen von Mimosa und Acacia nach 
plötzlicher Erwärmung, während sie bei langsamer sich öffnen. Olt- 
manns (1895) zeigte, daß die Köpfchen von Lactuca sich auf starke 
Belichtung hin schließen. Schon lange vorher hatte Cohn (1859) 
darauf hingewiesen, daß die Blättchen von Oxalis nicht nur im 
Dunkeln, sondern auch in grellem Tageslichte Schlafstellung ein- 
nehmen (Abb. 48), was dann Pfeffer (1875,8.591ff) genauer untersuchte. 
Er fügte hinzu, daß Tages- und Nachtschlaf nicht immer in derselben 
Weise stattfinden. Es können nämlich in greller Sonne die Blätt- 
chen nicht nur solcher Pflanzen, die sich abends aufwärts legen, wie 
die von Acacia und Mimosa, sondern auch solcher, die in der Nacht 


Periodische Bewegungen. 135 


gesenkt sind, wie bei Robinia und Phaseolus, eine aufgerichtete 
Stellung einnehmen. 

Dieser letzte Umstand deutet darauf hin, hin, daß ‚„Tages-‘ und 
„Nachtschlaf‘“‘ zwei verschiedene Dinge sind, wie sie ja auch bio- 
logisch verschiedene Wirkungen, resp. „Zwecke‘‘ haben dürften. 
Übrigens kann die irreleitend als Tagesschlaf bezeichnete aufrechte 
oder Profilstellung der Blätter in greller Mittagssonne auch eine 
andere Ursache haben als Thermo- oder Photonastie (Oltmanns 1892, 
S. 231). Sie kann nämlich heliotropischer Natur sein, denn wir wissen 
(S. 182), daß viele Blättchen und gerade die genannten, sich nur bei 
schwächerem Lichte senkrecht zu dessen Richtung stellen, bei stär- 
kerem aber mehr oder weniger parallel dazu. 


Abb. 48. 


Oxalis Acetosella an einem Baumstumpf. In der Sonne klappen 
die Blättehen herunter und bieten dann den Strahlen hauptsächlich 
die Kante dar. Verkleinert. 


Die ökologische Bedeutung dieser Bewegungen ist klar, sie kehren 
die Fläche des Blattes von der Sonne ab und bewirken somit das- 
selbe was bei den aufrechten Blättern von Schwertlilien (Iris), Kalmus 
(Acorus) oder den senkrecht herabhängenden vom Fieberbaum 
(Eucalyptus) usw. durch deren dauernde Stellung erreicht wird, 
nämlich eine verminderte Transpiration und Erwärmung, die sonst 
bei greller Sonne recht beträchtlich werden kann. Weniger klar ist 
der Nutzen der eigentlichen Schlafbewegungen für die Pflanze. 
Darwin wies darauf hin ([1880] 1899, S. 239ff.), daß die Lage der 
schlafenden Blätter ganz allgemein mehr der senkrechten Richtung 
genähert ist, sowie daß die Blätter und Blättchen sich vielfach an- 
einanderlegen, ja sogar die ganzen Pflanzen durch diese Bewegungen 
und die der Battstiele eine geschlossenere Stellung einnehmen. Da- 
durch soll in kalten, klaren Nächten eine geringere Abkühlung durch 


136 IV. Helligkeit und Temperatur als Reizmittel. 


Strahlung bewirkt werden, die sonst den Pflanzen gefährlich werden 
könnte. Erhat diese Auffassung auch durch eine ganze Reihe mühsamer 
Versuche gestützt, in denen er die Blätter an ihren Bewegungen ver- 
hinderte und dann konstatierte, daß bei einer gewissen Einwirkungs- 
dauer die schlafenden einer Kälte von 2—-4° häufig besser stand- 
hielten als die in der Tagesstellung festgehaltenen. 

Demgegenüber betont Stahl (1897, S. 82), daß in so kalten 
Nächten wohl die Schlafbewegungen an dauernd im Freien gehaltenen 
Pflanzen unterblieben wären. Aus Darwins Wiedergabe der Versuche 
ist trotz aller Gründlichkeit gerade über die Prüfung dieser Frage 
nichts zu ersehen, während Stahl darüber einiges mitteilt. Allerdings 
ist es kaum glaublich, daß Darwin einen solchen Fehler gemacht 
haben sollte. Auch ist noch folgendes zu bedenken: Es kann gerade 
an den Tagen, auf die klare, kalte Nächte mit starker Strahlung 
folgen, vor Sonnenuntergang die Temperatur hoch genug sein, so daß 
schon vor der nächtlichen Abkühlung Schlafbewegung eintritt, — 
und in kalten trüben Zeiten wird garnicht die Tagesstellung wieder- 
hergestellt. Stahl sagt, daß gerade im Frühling die Blätter von 
Papilionaceen nach kalten regnerischen Tagen, auf die heitere kalte 
Nächte folgen, in Tagstellung von der Nacht überrascht werden. Das 
ist aber doch wohl eine nicht zu häufig vorkommende Wetter- 
kombination. 

Wir wissen leider nichts darüber, ob der eventuelle Nutzen der 
periodischen Bewegungen jede Nacht erzielt wird. Ist einmal ein 
photo- oder thermonasitisches Reaktionsvermögen gegeben, so werden 
die Bewegungen außer unter extremen Umständen jeden Tag gemacht, 
weil eben ein Wechsel in der Helligkeit und Temperatur mit dem 
Wechsel von Tag und Nacht verknüpft ist. Mit der Deutung darf man 
sich also nicht an die Periodizität der Erscheinung halten. Auch 
daß die Bewegung manchmal oder oft ohne Nutzen ausgeführt wird, ist 
also kein Argument gegen eine Ökologische Deutung. Für Darwin 
spricht ferner der Umstand, daß besonders bei den Keimblättern 
Schlafbewegungen so häufig sind. Diese werden früher im Jahre 
entwickelt, also eher Kältewirkungen ausgesetzt sein. 

Ein anderer, gewichtigerer Einwand gegen Darwin, den er 
selbst auch schon erwogen hat, ist der, daß auch Tropenflanzen, 
die einer Beschädigung durch Strahlung nie ausgesetzt sind, ent- 
sprechende Erscheinungen zeigen. Stahl (1897) hat auf Grund 
seiner Einwände gegen Darwin eine andere Deutung versucht, dahin- 
gehend, daß in der aufrechten Lage eine geringere Betauung statt- 
findet, die für die Pflanze sonst durch Verstopfung der Spaltöffnungen 
schädlich werden könnte. Er hat auch Experimente in dieser Richtung 
gemacht, die überzeugend wirken. Die Vermeidung der Betauung 
wäre übrigens auch wieder eine Wirkung der geringeren Strahlung, ein 
Punkt, den Darwin [(1880) 1899, S. 250] durchaus nicht übersehen 
hat. So bleibt wohl die Grundlage von Darwins Deutung bestehen, 
wenn auch die Strahlung sehr verschiedene Gefahren bringen kann. 


Periodische Bewegungen. 137 


Stahl sieht die Schädlichkeit der durch stärkere Strahlung bei 
ausgebreiteten Blättern auftretenden Betauung hauptsächlich in der 
Verhinderung der Transpiration am Morgen. Die Wasserverdunstung 
hat aber die Aufgabe, ein Nachsaugen von Bodenflüssigkeit zu be- 
wirken, durch das der Pflanze die nötigen Nährsalze zukommen. 
Ob die Verhinderung dieser Funktion für kurze Zeit wirklich so 
schädlich ist, das bedarf noch genauerer Untersuchung. So ist leider 
über die Ökologie der Schlafbewegungen bei den Blättern wenig 
Zuverlässiges bekannt. Diese Ungewißheit steht in auffallendem 
Gegensatz dazu, daß sie so leicht zu beobachten und daher auch so 
lange bekannt sind. Ihre weite Verbreitung spricht entschieden 
dafür, daß sie der Pflanze irgendwelchen Nutzen bringen. Ob es 
freilich in allen Fällen derselbe ist, bleibt fraglich. Das Vorhanden- 
sein von gemeinsamen Zügen, wie der Senkrechtstellung und des 
Zusammenklappens der Blattflächen während der Nacht deutet viel- 
leicht auf eine einheitliche Funktion hin. Diese Auffassung wird 
auch nicht dadurch zunichte gemacht, daß die Wasserblätter von 
Myriophyllum proserpinacoides Schlafbewegungen ausführen (Stahl 
1897, S. 85). Denn hier ist diese Erscheinung offenbar von der 
Landform erworben und wird im Wasser nutzlos fortgesetzt. 


V. Riehtungsbewegungen auf Lichtreiz. 
a) Allgemeines über Phototropismus. 


Wenn man die Bewegungen einteilen will, die auf einen Licht- 
reiz hin vor sich gehen, so kann man sich dabei verschiedener 
Prinzipien bedienen. Man unterscheidet z. B. nach dem Anlaß, der die 
Richtung der Bewegung bestimmt. Dafür kennen wir drei Möglich- 
keiten: die Orientierung kann 1. durch die Lage der Teile zueinander, 
2. durch eine andere Richtkraft (die Schwerkraft), oder 3. durch 
den Reizanlaß selbst gegeben sein. Die ersten beiden Fälle pflegt 
man als Photonastie zusammenzufassen. Sie wurden an anderer 
Stelle behandelt. 

Den nastischen Reaktionen werden die zu der dritten Gruppe 
gehörigen, für die der Reizanlaß die Richtung angibt, als die 
tropistischen Reaktionen gegenübergestellt. Wir behalten diese 
letzterwähnte Einteilung als zweckmäßig bei, obgleich wir finden 
werden, daß bei den freien Ortsbewegungen die Scheidung keines- 
wegs scharf ist. In dem letzten Satze wurde schon ein weiteres 
Einteilungsprinzip angedeutet. Die Richtungsbewegungen lassen sich 
nach der Art der Ausführung unterscheiden in solche, bei denen 
eine Lageänderung der Teile zueinander vollzogen wird, und solche, 
bei denen der ganze Organismus den Ort wechselt. Die erste 
Gruppe umfaßt die tropistischen Reaktionen im engeren Sinne 
(inbegriffen die Orientierungstorsionen), die zweite die taktischen. 
Wir müssen also entsprechend der beim Schwerkraftreiz gebrauchten 
Unterscheidung von Phototropismus und Phototaxis sprechen. 
Da die phototropischen Erscheinungen besser erforscht, weiter ver- 
breitet und leichter zu beobachten sind als die phototaktischen, so 
beginnen wir mit ihnen. 

Ein einfaches Experiment zeigt besser als eine Definition, um 
was es sich handelt. Wir stellen junge, gerade gewachsene Pflänzchen 
von Senf, Wicken oder dergleichen so auf, daß sie einseitig vom 
Lichte getroffen werden, also z. B. in einiger Entfernung von einem 
Fenster. Nach 1-—-2 Stunden bemerken wir, daß der Gipfel der 
Pflanzen nicht mehr aufrecht steht. Seine Spitze beginnt sich dem 
Fenster zuzuneigen. Sehen wir am nächsten Tage wieder zu, so 
steht der Stengel genau in der Richtung, in der am meisten Licht 
einfällt. Richten wir den Versuch etwas exakter ein, nämlich so, 
daß die Lichtstrahlen die Pflanze nur von einem Punkte aus treffen 


Allgemeines über Phototropismus. 139 


können, dann finden wir, daß die Einstellung in die Lichtrichtung 
mit außerordentlicher Präzision stattfindet (Abb. 49). 


Zu solchen exakten Experimenten können wir entweder lichtdichte, innen 
schwarze Kästen mit einer kleinen Öffnung, durch die natürliches oder künst- 
liches Licht einfällt, benutzen, sogenannte phototropische Kammern. Oder 
wir arbeiten in einem völlig dunklen Zimmer mit mattschwarzen Wänden, in 
dem eine entfernt stehende elektrische Lampe als Lichtquelle dient. Gas- oder 
Petroleumlicht ist nur mit Vorsicht zu verwenden, weil es für Pflanzen schäd- 
liche Stoffe entwickelt. 


Abb. 49. 


Phototropische Krümmung eines im Dunkeln gewachsenen Erbsenkeimlings. Erste Aufnahme 
20 Min. nach Beginn der Reizung, dann je 10 Min. Pause. Lichteinfall horizontal. Genaue 
Einstellung in die Lichtrichtung. Verkleinert. 


Das Mittel, das die Pflanze anwendet, um solche Orientierungs- 
krümmungen auszuführen, ist wiederum dasselbe wie beim Geo- 
tropismus, nämlich ungleich schnelles Wachstum auf zwei gegenüber- 
liegenden Flanken. 

Bei der weitgehenden Analogie zwischen geotropischen und photo- 
tropischen Erscheinungen ergeben sich nun hier auch ähnliche Pro- 
bleme wie bei jenen. Was wir früher über die Nachwirkung des Reizes 
nach Aufhören des Reizanlasses gesagt haben, sowie die allgemeinen 
Erörterungen über Schwellenwerte, Präsentationszeit und Reaktions- 
zeit könnten hier mit denselben Worten wiederholt werden. Ferner 
gilt das über die einzelnen Glieder der Reizkette, die sensorischen, 


140 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz. 


duktorischen, rektorischen und motorischen Prozesse Gesagte, ebenso- 
gut für den Phototropismus wie für den Geotropismus. Nur daß 
hier immer das Licht das Reizmittel und sein einseitiger Einfall den 
Reizanlaß darstellt. 

Versuchsanstellung und Beweisführung sind der Verschiedenheit 
der bewirkenden Kraft entsprechend vielfach von dem beim Geo- 
tropismus Geschilderten abweichend. Auch kommen ganz neue Er- 
scheinungen hinzu. Deshalb bedarf es zum vollen Verständnis noch 
eingehenderer Erörterungen; umsomehr als sich die Forschung auf 
beiden verwandten Gebieten vielfach gegenseitig befruchtet hat. 
Auch dürfte manches durch Vergleichung der Ähnlichkeiten und 
Verschiedenheiten klarer werden. 

Was zunächst die Reaktionszeit anbelangt, so kann man 
über sie beim Phototropismus keine allgemeinen Angaben für be- 
stimmte Pflanzenteile machen, da sie neben Temperatur, Alter und 
dergleichen vor allem von der Beleuchtungsintensität!) abhängig ist. 
Man kann aber beim Lichte nicht wie bei der Schwerkraft von 
einer normalerweise konstanten Reizintensität sprechen. Demnach 
bleibt nichts anderes übrig, als für möglichst einheitliches Material 
und auch sonst gleichartige Bedingungen die jeder Beleuchtungs- 
stärke entsprechende Reaktionszeit zu bestimmen. Dabei kommen 
aber so verwickelte Resultate zustande, daß wir sie später einer 
besonderen Betrachtung unterziehen müssen. Hier sei deshalb nur 
gesagt, daß verschiedene Objekte in ihrer Reaktionszeit auch unter 
gleichen Bedingungen sich sehr verschieden verhalten. Es gibt 
schnell reagierende, wie z. B. den ofterwähnten Pilz Phycomyces 
nitens und viele Keimlinge, und langsam reagierende, wie die meisten 
älteren Pflanzen. Man hat danach von verschiedenen Graden der 
phototropischen Empfindlichkeit gesprochen. Das Wort Empfindlich- 
keit hat aber zu viele Bedeutungen und die Reaktionszeit ist eine 
viel zu zusammengesetzte Größe, als daß wir uns mit dieser Gleich- 
setzung von Empfindlichkeit und Schnelligkeit der Reaktion zufrieden 
geben könnten. Wenigstens können wir ihr keinen exakt physio- 
logischen, sondern nur einen ökologischen Wert beimessen. 

Die Präsentationszeit hängt gleichfalls in gesetzmäßiger 
Weise von der Beleuchtungsintensität ab, soll also ebenso bei Be- 
sprechung der quantitativen Verhältnisse Berücksichtigung finden. 


Wir wollen nun versuchen, in den phototropischen Reizvorgang 
tiefer einzudringen. Zu dem Zwecke zerlegen wir ihn wie beim 
Geotropismus zunächst theoretisch in Teilprozesse und führen dann 
die Mittel auf, die bisher zu einer experimentellen Trennung ange- 


!) In der Literatur wird fast durchgehends Lichtintensität (anzugeben 
in Hefnerkerzen usw.) mit Beleuchtungsintensität oder induzierter Helligkeit 
verwechselt (das Maß ist die Meterkerze). 


Allgemeines über Phototropismus. 141 


wendet worden sind. Das erste ist immer, zu zeigen, daß der An- 
fangs- und Endvorgang, also Perzeption und Reaktion, gesondert 
existieren. Dieser Nachweis gelingt nur unter besonderen Umständen, 
nämlich dann, wenn eine räumliche Trennung vorhanden ist oder 
beide Teilprozesse sich äußeren Einflüssen gegenüber verschieden 
verhalten. 

Eine Unterbrechung der Reizkette läßt sich z. B. durch Sauer- 
stoffentziehung bewirken. Correns (1892, S. 137) fand, daß Senf- 
keimlinge bei einem verminderten Sauerstoffdrucke, der noch Wachs- 
tum und geotropische Nachkrümmung ermöglicht, weder eine vorher 
in Gang gesetzte phototropische Reaktion zu vollenden imstande 
sind, noch auch einen phototropischen Reiz aufnehmen können, der sich 
durch eine nachher an der Luft und im Dunkeln erfolgende Krümmung 
hätte bemerkbar machen müssen. Besonders der erste Befund ist 
merkwürdig. Denn da durch die geotropische Reaktion bei der be- 
treffenden Luftverdünnung die Bewegungsfähigkeit erwiesen ist, so 
muß man annehmen, daß es Zwischenglieder der phototropischen 
Reizkette (vielleicht die hypothetischen ‚rektorischen‘‘ Prozesse) sind, 
deren Störung durch die Sauerstoffentziehung die Ausführung einer 
eingeleiteten Lichtkrümmung verhindert. 

Ein anderes Mittel zur Trennung der Aufnahme- von den 
Krümmungsvorgängen hat Rothert (1896) angewendet. Er zeigte, 
daß bei Haferkeimlingen nach Entfernung der Spitze keine photo- 
tropische Reaktion erfolgt. Reizt man aber die Keimlinge vor dieser 
Operation durch einseitiges Licht, so führen sie nachher im Dunkeln 
auch ohne Spitze eine Nachwirkungskrümmung aus. Somit wird 
die Bewegungsfähigkeit durch die Verwundung nicht gestört. Das 
Abschneiden der Spitze muß also entweder die Reizaufnahme un- 
möglich machen oder einen Zwischenprozeß verhindern. Endlich 
konnte Steyer (1901) bei Phycomyces nitens in einer Ätherdampf- 
atmosphäre, die kein Wachstum gestattete, eine phototropische Er- 
regung induzieren, auf die nach Entfernung des Äthers eine Reaktion 
folgte. 

Diese Versuche sind ein Beweis für das gesonderte Bestehen 
sensorischer und motorischer Prozesse beim Phototropismus. Wir 
wenden uns nun dem Nachweis der räumlichen Trennung beider zu. 
Dabei spielen die Eigentümlickheiten, die das Licht als Reizmittel 
gegenüber der Schwerkraft auszeichnen, eine große Rolle. Durch 
die Möglichkeit, den Lichtreiz zeitlich und örtlich scharf umgrenzt 
zu applizieren, sind Methoden anwendbar, die beim Geotropismus 
nicht in Betracht kamen. Vor allem gelang es verhältnismäßig 
leicht, die Aufnahmefähigkeit für den phototropischen Reiz in den 
einzelnen Teilen des Pflanzenkörpers und den Zonen seiner Glieder 
zu untersuchen. Ch. Darwin führte schon ([1880] 1899, S. 402 ff.) 
den einwandfreien Nachweis, daß die phototropische Erregung fort- 
geleitet werden kann. Er bedeckte die Spitzen gut phototropischer 
Graskeimlinge (Phalaris canariensis, Kanariengras) mit Kappen aus 


142 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz. 


Glasröhrehen, von denen einige geschwärzt, die anderen durch- 
sichtig gelassen wurden. Dann setzte er sie einseitiger Beleuchtung 
aus. Die sich sonst zuerst krümmenden Spitzen waren so mechanisch 
an der Reaktion verhindert. Falls sie aber vom Lichte getroffen 
werden konnten, krümmten sich die Keimlinge stark an der nicht 
eingeschlossenen Basis. Dagegen blieben die, deren Spitze verdunkelt 
war, nahezu gerade. Umgekehrt fand in der durch Erde verdunkel- 
ten Basis von Keimlingen eine Krümmung statt, wenn die Spitzen- 
region einseitig beleuchtet wurde. 

Daraus geht hervor, daß die Belichtung der Spitze für die 
Reaktion an der Basis wesentlich ist. Man muß daher eine Lei- 
tung der phototropischen Erregung von oben nach unten hin an- 
nehmen. 

Darwin hat noch eine Reihe anderer Versuche angestellt, in 
denen er verschiedene Keimlingsarten prüfte, die Verdunkelungen 
mit Stanniol, geschwärzten Häutchen usw. vornahm usf. Immerhin 
blieben noch manche Fragen offen, die später von Rothert (1896) 
eine eingehende Behandlung erfuhren. Neben einer Analyse des 
Krümmungsverlaufes lieferte dieser Forscher noch für viele andere 
Objekte als die von Darwin herangezogenen den Nachweis einer 
phototropischen Reaktion in nicht direkt gereizten Regionen. Wäh- 
rend aber Darwin angenommen hatte, daß bei den von ihm benutzten 
Keimlingen die Spitze allein den Lichtreiz aufnähme und der übrige 
Teil nur krümmungs-, aber nicht perzeptionsfähig sei, wies Rothert 
bei ihnen eine nur dem Grade nach verschiedene Aufnahmefähigkeit 
der einzelnen Zonen nach. Bei Haferkeimlingen z. B. sind die obersten 
3 mm besonders empfindlich. Nach unten nimmt die Perzeptions- 
fähigkeit stark ab, erlischt aber erst in den auch nicht mehr krüm- 
mungsfähigen untersten Regionen. 

Den Nachweis führte Rothert so, daß er verschieden lange 
Teile der Keimlinge, und zwar meist vom Hafer, verdunkelte und 
den Einfluß dieser Maßnahme auf die Reaktion studierte. Besonders 
hübsch gelang ihm aber die Lösung der Aufgabe in Experimenten, 
bei denen er Spitze und Basis von Keimlingen in entgegengesetzter 
Richtung gleichstark belichtete. Dies führte er aus, indem er durch 
besonders geformte und gekniffene Stücke von schwarzem Papier eine 
teilweise einseitige Verdunkelung der Objekte bewirkte und sie 
zwischen zwei Lichtquellen aufstellte. Das Resultat war, daß die 
Krümmung im unteren Teile zwar zunächst im Sinne der direkten 
Belichtung auftrat, später aber nach der entgegengesetzten Seite 
umschlug, dem Impulse entsprechend, der von der Spitze aus herab- 
geleitet worden war. Daraus geht hervor, daß die von der emp- 
findlichen Spitze hinuntergeleitete Erregung die direkte Reizung der 
Basis zu überwinden imstande ist, daß aber die Leitung eine gewisse 
Zeit braucht, bis sie die Strecke von oben nach unten durchlaufen 
hat. Wieviel größer die Reizempfänglichkeit der Spitze gegenüber der 
der Basis sein muß, kann man daraus schließen, daß der geschilderte 


Allgemeines über Phototropismus. 143 


Effekt auch erzielt wurde, wenn die untere Region sehr viel größer 
war und selbst wenn sie stärker beleuchtet wurde, als der obere 
Teil. Vielleicht kann man auch annehmen, daß der zugeleitete Im- 
puls bei seiner Ausbreitung abgeschwächt wird. Dann würde die 
Differenz in der Empfindlichkeit von Spitze und Basis noch größer 
ausfallen. 

Bei den von Darwin untersuchten Keimscheiden der Gräser, 
also morphologisch einheitlichen Organen, existiert demnach keine 
völlige räumliche Trennung von Perzeptions- und Aktionszone. 
Rothert gelang es aber doch, Objekte zu finden, bei denen eine solche 
Trennung verwirklicht ist. Es sind das die von uns schon früher ge- 
schilderten Keimlinge der hirseartigen Gräser (Arten von Panicum 
und Setaria). Diese bestehen aus der für die 
Gräser charakteristischen Keimscheide, die die 
junge Knospe einschließt und einem sie tragenden 
Stengelorgane, das aber nur im Dunkeln ent- 
wickelt wird (vergl. S. 97). Bei den Keimlingen 
von Panicum und Setaria erlischt das Wachs- 
tum in der Scheide verhältnismäßig früh. Die 
Verlängerung des Ganzen beruht dann allein 
auf dem Wachstum einer Zone des Stengels 
kurz unter dem Ansatze der Scheide. Werden 
diese Keimlinge einseitigem Lichte ausgesetzt, so 
krümmen sie sich energisch, aber nur in der 
Wachstumszone des Stengels (Abb. 50). Wird 
jedoch die Scheide verdunkelt, so unterbleibt 
die Reaktion. Die einseitige Belichtung der 


Krümmungszone hat demnach keinen photo- Abb. 50. 

Ei D MN . 5 NER R Keimlinge von Panicum 
tropischen Reizerfolg! Wird dagegen die Spitze miliaceum. Phototropische 
der Scheide belichtet und die Wachstumszone Krümmung unterhalb der 

- Zn . . Scheide im Keimstengel. 
verdunkelt, so erfolgt eine Krümmung, die hinter _Aufdie Hälfte verkleinert. 


der ganz belichteter Keimlinge nicht zurücksteht. 

Es muß demnach eine Reizleitung stattfinden. Der zugeleitete Im- 
puls muß eine Veränderung in der Wachstumszone zur Folge haben, 
die durch direkte einseitige Belichtung nicht erzielt werden kann: 
Der Keimstengel ist zwar phototropisch reizbar, aber nicht selbst 
perzeptionsfähig. Die ausgewachsene Keimscheide kann den Reiz 
aufnehmen, aber sie kann nicht reagieren.') 

Aus diesen Befunden kann man theoretisch wichtige Schlüsse 
ziehen: Vor allem ist es nun klar ersichtlich, daß phototropische 
Perzeptionsfähigkeit und phototropische Erregbarkeit zwei verschiedene 
Eigenschaften der lebenden Substanz sind. Dem Keimstengel der 
Paniceen kommt, wie gezeigt, nur die zweite von ihnen zu. Fügen 


1) Dem phototropischen und dem das Wachstum hemmenden Lichtreiz 
gegenüber verhalten sich demnach die Pariceenkeimlinge verschieden. Bei 
dem letzteren findet zwar auch eine Leitung statt; das Stengelorgan ist aber 
außerdem direkt reizbar. (Vgl. S. 98.) 


144 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz. 


wir noch hinzu, daß die Keimscheide in ihrer Jugend, solange sie 
wächst, nicht nur perzeptions-, sondern auch reaktionsfähig ist, so 
wird es wahrscheinlich, daß sie im ausgewachsenen Zustande nur 
deshalb sich nicht mehr krümmt, weil ihr die motorischen Hilfsmittel 
genommen sind. Man ersieht daraus, daß man aus dem Ausbleiben 
einer Reaktion niemals auf mangelnde Reizbarkeit schließen darf. 
In solchen Fällen fehlen durchaus die Erkennungszeichen für die 
sensorischen Fähigkeiten. Bei den Paniceen ist die phototropische 
Aufnahmefähigkeit der ausgewachsenen Scheidenspitze aber aus der 
Krümmung im Nachbarorgan ersichtlich. Daraus, wie überhaupt 
aus der räumlichen Trennung der Zone der Perzeption und der Re- 
aktion ergibt sich ferner wiederum, daß diese beiden Teilprozesse der 
Reizkette sowie auch die duktorischen Prozesse wirklich für sich 
existieren. Die rektorischen dagegen wurden von uns nur theoretisch 
gefordert, aus Gründen, die früher erörtert worden sind (vgl. S. 48). 
Ihre Existenz experimentell zu erweisen, dürfte äußerst schwierig 
sein.!) Einige Belege zur weiteren Begründung unserer hypothetischen 
Anschauung werden wir noch bei Besprechung des regulatorischen 
Zusammenwirkens der Teile beibringen. 


Man hat sich nun nicht mit der Feststellung der Tatsache be- 
snügt, daß gesonderte Aufnahme-, Leitungs- und Bewegungsvorgänge 
existieren, sondern man hat versucht, tiefer in ihr Wesen einzu- 
dringen. Beginnen wir zunächst mit der Frage, welchen Bedingungen 
die Perzeption eines Richtungsreizes in phototropischen Organen 
unterliegt? Was haben wir uns als Reizanlaß vorzustellen? 

Die äußere Ursache für das Eintreten einer phototropischen 
teaktion ist, allgemein ausgedrückt, die einseitige Beleuchtung des 
Pflanzenteiles. Damit sind aber die physikalischen Bedingungen in 
der Pflanze selbst noch nicht genügend gekennzeichnet. Sehen wir 
genauer zu, so finden wir, daß die Lichtstrahlen den Pflanzenteil 
seitlich treffen und ihn in einer bestimmten Richtung, entsprechend 
seiner optischen Durchlässigkeit, durchsetzen. Je durchscheinender 
er ist, umso geringer wird die Differenz in der Helligkeit auf der 
Vorder- und Hinterflanke sein. 

is fragt sich nun, vermöge welcher Umstände das Licht als 
teiz wirkt, was also den eigentlichen Reizanlaß darstellt? In der 
Literatur finden sich zwei Möglichkeiten diskutiert. Man fragte: Ist 
das Wirksame die Richtung des Lichtes, oder ist es die Differenz in 
der Beleuchtung der Vorder- und Hinterseite des Pflanzenteils, der 
Helligkeitsabfall? Diese Frage wurde wohl zuerst von Sachs auf- 
gestellt und zugunsten der Lichtrichtung beantwortet (vergl. Müller- 
Thurgau 1876, S. 92 und Sachs 1880, S. 487). Später haben 
Ch. Darwin (1880 [1899]) und Oltmanns (1892) sich für die andere 


1) Vielleicht sind es diese Prozesse, die durch verminderten Luftdruck 
ausgeschaltet werden. (Vgl. S. 141.) 


Allgemeines über Phototropismus. 145 


Auffassung erklärt. Seitdem ist viel für und wider gesagt worden, 
ohne daß die Frage als entschieden gelten kann. 

Das Problem: Lichtrichtung oder Lichtabfall ist experi- 
mentell schwer anzugreifen. Ehe wir es diskutieren, müssen wir 
versuchen, es schärfer zu präzisieren. Da fragt es sich zunächst, 
soll die Alternative in vielzelligen Objekten für das ganze Organ 
oder für die einzelne Zelle gelten? Soll die Lichtrichtung den 
Reizanlaß darstellen, so kann sie wohl nur in dem lebenden Plasma 
der Einzelzelle perzipiert werden. Dieses müßte irgendeine Struktur 
haben, die durch die Lichtschwingungen eine vorher nicht bestehende 
Polarität erhielte..e. So etwas ist denkbar, wenn auch schwer aus- 
zumalen. Vorbedingung für eine Entscheidung in dieser Richtung 
ist der Nachweis, daß nicht das ganze Organ mit allen seinen Geweb- 
schichten zur phototropischen Perzeption notwendig ist. Dieser ist 
allerdings durch Fitting und Nordhausen für gewisse Objekte ge- 
führt worden (vgl. S.147 u. 181). Eine Entscheidung ist dadurch aber 
begreiflicherweise nicht getroffen, da immer noch vielzellige Gewebe- 
partien zurückblieben, für die alle Möglichkeiten ebenso bestehen wie 
für das ganze Organ. Man könnte dann weiter fragen, ob der Licht- 
reiz in bestimmten Zellen aufgenommen wird und in welchen? 
Darüber wissen wir gar nichts. 

Wird der Helligkeitsabfall für die Reizung in Anspruch ge- 
nommen, so hat man dabei gewöhnlich nicht die Einzelzelle als 
Perzeptionsorgan im Auge. Es ist auch nicht wohl anzunehmen, 
daß die minimale Differenz in der Beleuchtung der beiden Plasma- 
schichten an den Gegenseiten einer Zelle den Reizanlaß abgebe. 
Deshalb stellt man sich vor, daß die Verschiedenheit in der Be- 
leuchtungsintensität auf Vorder- und Rückseite des ganzen Organes 
als Reiz empfunden wird. 

Demgegenüber wurde betont, daß wir in den schlauchförmigen 
Fruchtträgern mancher Pilze, wie Pilobolus, Mucor, Phycomyces und 
in den Wurzelhaaren der Lebermoose ausgesprochen phototropische 
Objekte kennen, die fast glasklar durchsichtig sind. Die Absorption 
des Lichtes muß bei ihnen, zumal bei der geringen Dicke, sehr 
gering sein. Und doch perzipieren sie den Lichtreiz. Dazu ist zu 
sagen, daß der Reizanlaß hier nicht derselbe sein muß wie bei den 
Stengeln und Blättern höherer Pflanzen. 

Bei den genannten durchsichtigen Objekten wird die Helligkeits- 
verteilung im Innern bei einseitiger Belichtung jedenfalls weniger 
durch die Absorption als durch die Lichtbrechung beeinflußt. Und 
zwar muß in einem durchsichtigen zylindrischen Organe eine Kon- 
zentration der Strahlen in Form einer Brennlinie auf der von der 
Lichtquelle abgewandten Seite entstehen. Damit würde also das 
perzipierende Protoplasma der Rückseite der intensivsten Belichtung 
ausgesetzt sein, ein Umstand, der für die tropistische Reizung sehr 
wohl in Betracht kommen kann. 

In geringerem Maße bestimmt die Lichtbrechung neben der 


Pringsheim, Reizbewegungen. 10 


146 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz. 


Absorption auch in weniger durchsichtigen Objekten die optischen 
Verhältnisse. Die Art der Helligkeitsverteilung in phototropischen 
Organen darf jedenfalls bei den Theorieen über die Art der Perzeption 
nicht vernachlässigt werden, wie das bisher geschah. Sie wird von 
Fall zu Fall verschieden sein und mit ihr vielleicht der physikalische 
Reizanlaß. 

Versuche unter Berücksichtigung der Lichtbrechungs- und Zer- 
streuungsverhältnisse in den Organen sind aber bisher nicht ausge- 
führt worden. Man kann darüber also nichts Bestimmtes aussagen, 
so wichtig dieser Gesichtspunkt möglicherweise ist. Bei den weniger 
durchsichtigen Objekten spricht von vornherein auch nichts gegen 
die Auffassung, daß der Abfall der Beleuchtung den Reizanlaß dar- 
stelle. Es brauchen keineswegs gleiche oder ähnliche Resultate stets 
durch dieselben Mittel erzielt zu werden. Eine Entscheidung aber 
läßt sich rein theoretisch nicht treffen. 

Es sollen nun die wichtigeren Versuche kritisch besprochen 
werden, die zur Lösung des Problems unternommen worden sind. 
Sie werden uns am besten zeigen, worin die Schwierigkeiten liegen 
und nach welcher Seite sich die Wagschale neigt. 

Sachs führte, ohne Experimente und ohne das Problem weiter 
zu zergliedern, nur Wahrscheinlichkeitsgründe für seine Auffassung 
an, daß der Lichtrichtung die entscheidende Rolle zukomme. Sein 
Hauptargument ist die Analogie zum Geotropismus. Bei jenem ist 
aber tatsächlich heute die Unterschiedsempfindlichkeit wahrscheinlich 
gemacht. Auf ihr fußt ja die Statolithenhypothese. 

Ch. Darwin ([1880] 1899, S. 398) bemühte sich zum ersten Male, 
das Problem durch einen Versuch zu lösen. Er bemalte die eine Längs- 
hälfte phototropischer Keimlinge mit schwarzer Tusche und stellte 
die Pflänzchen in die Nähe eines Fensters. ‚Das Resultat war, daß 
sie, anstatt sich in einer direkten Linie nach dem Fenster hin zu 
biegen, vom Fenster weg und nach der nichtbemalten Seite abgelenkt 
wurden.‘ ‚Diese Abbiegung vom Fenster ist verständlich, denn die 
ganze nichtbemalte Seite muß etwas Licht erhalten haben, während 
die entgegengesetzte bemalte keines erhielt; es wird aber eine schmale 
Zone auf den nicht bemalten Seite direkt vor dem Fenster das meiste 
Licht und sämtliche hinteren Partien in verschiedenen Graden immer 
weniger und weniger Licht erhalten haben; und wir können folgern, 
daß der Ablenkungswinkel die Resultante der Wirkung des Lichts 
auf die ganze nichtbemalte Seite ist.“ Diese Auffassung scheint mir 
noch immer sehr annehmbar, falls das Resultat sich bestätigen 
läßt. Man hat allerdings eingewendet (z. B. Jost 1908, S. 561), daß 
bei Darwins Versuchsanstellung Licht von der beleuchteten zur be- 
schatteten Längshälfte gelangen kann. Es dürfte aber doch wohl 
die zerstreute Lichtmenge zu gering sein, als daß sie die durch direkte 
Bestrahlung hervorgerufene Reizung merklich beeinflussen könnte, 
falls wirklich die Lichtrichtung das Reizagens wäre. Denn nach der 
Sachsschen Auffassung, die durch neuere Erfahrungen gestützt wird, 


Allgemeines über Phototropismus. 147 


sollen die ‚.intensiveren Strahlen durch ihre Richtung entscheidend 
wirken‘ (1887, S.736). Darwins Versuch ist nicht ganz klar zu über- 
sehen, weil diffuse Beleuchtung verwendet wurde, und weil über die 
Liehtbrechungsverhältnisse im heliotropischen Stengel nichts bekannt 
ist. Die Methode dürfte aber bei Berücksichtigung dieser Fehlerquellen 
geeignet sein, Anhaltspunkte zu liefern. 

Oltmanns (1892) schlug einen anderen Weg ein. Er stellte sich 
spitzwinkelige Keile aus Glasplatten her, die mit trüb-grau ge- 
färbter Gelatine gefüllt waren. Am dicken Ende der Keile wurde 
mehr Licht absorbiert als am dünnen. Fiel das Licht annähernd 
senkrecht auf die Glasfläche und wurden dahinter phototropische 
Keimlinge aufgestellt, so reagierten sie schräg seitlich. Daraus schloß 
Oltmanns auf die Unabhängigkeit der phototropischen Reizung von 
der Richtung des Lichtes, weil die Krümmung nach der helleren Seite 
des Raumes hinter dem Absorptionskeile erfolgte und nicht nach der 
Lichtquelle hin. Da aber durch die trübe Gelatine das Licht nach 
allen Seiten zerstreut wurde, sind die Verhältnisse schwer zu über- 
sehen, und man kann das Resultat vielleicht auch so auffassen, daß 
die Keimlinge in der Richtung reagierten, in der sie die meisten 
Lichtstrahlen trafen. Eine sichere Entscheidung ist also auch damit 
nicht gewonnen. 

Nur über eins sind wir genau unterrichtet, nämlich darüber, daß 
die Differenz in der Beleuchtung der Vorder- und Hinterseite des 
ganzen Organes jedenfalls nicht immer für die Perzeption eines photo- 
tropischen Reizes erforderlich ist. Fitting (1907a) zeigte, daß isolierte 
Längsstreifen der hohlen Keimscheide von Avena sativa sich noch 
in der Lichtrichtung krümmen. Dabei ist es gleich, ob diese Streifen 
von außen, von innen oder von der Seite her beleuchtet werden. 
Sie dürfen nur nicht gar zu schmal sein und müssen ein Stück der 
Spitze enthalten. Für andere orthotrope Objekte!) ist dergleichen 
nicht versucht worden. 

Aus dem Vergleich aller angeführten Versuche geht hervor, daß 
die Argumente für die Bedeutung der Lichtrichtung als Reizanlaß 
nicht stichhaltig sind. Aber auch die andere Auffassung, die das 
Wesentliche in Helligkeitsdifferenzen sieht, ist nur wahrscheinlich ge- 
macht, nicht bewiesen. Ob die Perzeption des tropistischen Reizes 
in der einzelnen Zelle geschieht, oder ob dafür das Zusammenwirken 
verschiedener Gewebe nötig ist, diese Fragen sind noch gar nicht in 
Angriff genommen. 


Wir wenden uns nun zu dem zweiten der bisher nachgewiesenen 
Teilprozesse der Reizkette, nämlich den die Perzeption mit der Reak- 
tion verknüpfenden Leitungsvorgängen. Eine Leitung der Erregung 
findet in sehr vielen phototropischen Pflanzenteilen statt, immer aber 


1) Wie wir gehört haben, nennt man orthotrop solche Objekte, die sich 
in die Richtung der einwirkenden Kraft zu stellen suchen. Man kann somit 
wie von geo-, so auch von photoorthotropen Organen sprechen. 


10* 


148 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz. 


nur in der Richtung von der Spitze nach dem Grunde zu (Rothert 
1896, S. 62). 

Einen tieferen Einblick in die Reizleitungsvorgänge beim Photo- 
tropismus gewinnen wir außer aus Rotherts Arbeit (vgl. S. 142) beson- 
ders durch Fittings eigens hierauf gerichtete Untersuchungen (1907 a). 
Dieser Forscher zeigte, daß beliebig gerichtete Einschnitte in die 
Keimscheide von Avena (Hafer) die Reizleitung nicht beeinträchtigen. 
Andere Objekte ließen sich wegen ihrer größeren Empfindlichkeit 
gegen Verwundungen für derartige Versuche nicht verwenden. Beim 
Hafer aber konnte gezeigt werden, daß eine phototropische Krüm- 
mung im Sinne der Lichtrichtung auch dann ausgeführt wurde, wenn der 
Zusammenhang zwischen der einseitig belichteten Spitze und der ver- 
dunkelten, sich krümmenden Basis nur durch eine schmale Brücke 
aufrecht erhalten wurde.!) Die Richtung, in der der trennende Ein- 
schnitt gemacht wurde, beeinflußte die Richtung der Krümmung in 
keiner Weise. Wurden in verschiedener Höhe von entgegengesetzten 
Seiten Einschnitte gemacht, die bis etwas über die Mitte gingen, so 
erfolgte auch dann noch eine Leitung, die also nicht auf geraden 
Bahnen verlaufen konnte. 

Daraus geht hervor, daß die phototropische Erregung das ganze 
Organ ergreift und nicht etwa nur von der Licht- oder Schattenseite 
geradlinig nach unten geleitet wird. 

Fitting schließt aus diesen (und anderen) Befunden, daß durch 
die einseitige Beleuchtung in allen Teilen, wahrscheinlich in allen Zellen 
ein „polarer Gegensatz‘‘ geschaffen wird. Dieser wird auf beliebig 
verlaufenden lebenden Bahnen in die an sich physiologisch rings- 
gleiche Bewegungszone geleitet und ruft dort, wie in allen Zellen der 
Reizleitungsbahnen, eine gleiche Polarisation hervor. Dadurch wird 
die Reaktionszone zu einer Krümmung veranlaßt, deren Richtung 
durch die Richtung des polaren Gegensatzes bestimmt ist.”) Diese 
Befunde liefern somit neben ihrer Bedeutung für die Kenntnis des 


ı) Dabei mußte durch besondere Vorrichtungen das Vertrocknen von der 
Wurde aus verhütet werden. Auch mußten gewisse Krümmungen, die die 
Verletzung zur Folge hatte, berücksichtigt werden. 

2) Boysen-Jensen (1910) ist inzwischen Fitting entgegengetreten. Er 
schließt aus seinen Versuchen, daß die phototropische Reizleitung ein chemischer 
Prozeß sei, der sich auf der Schattenseite ausbreite. In Fittings Versuchen sollen 
die Einschnitte nicht isolierend gewirkt haben, weil ein Feuchtigkeitstropfen an 
der Wunde genüge, die Leitung herzustellen. Werde in den Einschnitt ein 
Glimmerblättchen gesteckt, so würde dadurch die Reizleitung unterbrochen. 
Jensen gibt sogar an, in der Basis eines Avenakeimlinges, dessen Spitze ganz 
abgeschnitten und dann mit Gelatine wieder aufgeklebt worden sei, bei alleiniger 
Beleuchtung dieser Spitze phototropische Krümmungen erzielt zu haben. Jensens 
Versuche sind zu knapp mitgeteilt, als daß sich schon jetzt eine klare Einsicht 
ermöglichte. Auch stimmen seine Angaben mit den äußerst genauen, gerade 
die von Jensen behauptete Möglichkeit berücksichtigenden Angaben Fittings 
nicht überein. So hat z. B. Fitting schon Stanniolblättchen in einen hinteren 
Einschnitt gesteckt, auch breitere Stücke herausgeschnitten, ohne die Reizlei- 
tung zu verhindern. Diese wichtige Angelegenheit bleibt also noch zu ent- 
scheiden. 


Allgemeines über Phototropismus. 149 


Leitungsvorganges auch einen weiteren Beitrag zur Aufklärung der 
Prozesse bei der Reizaufnahme. 

Weiter hat dann Fitting in derselben Arbeit auch die äußeren 
Bedingungen für die Reizleitung untersucht. Um bestimmte Ein- 
flüsse scharf lokalisieren zu können, wurde quer über die benutzten 
Keimscheiden junger Haferpflänzchen ein durchlochter Gummischlauch 
gesteckt. Durch den Schlauch konnten Flüssigkeiten geleitet werden, 
die die Keimscheide an einer bestimmten Stelle unterhalb der Spitze 
umspülten. Bei Benutzung von warmen Wasser ergab sich folgen- 
des: „Die phototropische Reizleitung wird durchschnittlich völlig ge- 
hemmt, wenn man eine Strecke der Reizleitungsbahn auf etwa 39° 
bis 41° erwärmt, schon geschwächt in Temperaturen von Sala 
während die Tötungstemperatur (der Keimscheide) etwa 43° beträgt. 


Abb. 51. 


Einige Phasen aus dem phototropischen Krümmungsvorgange eines etiolierten Haferkeimlings, 
von rechts beginnend. Schon die erste Figur zeigt schwache Asymmetrie der Spitze, die den 
Beginn der Reaktion darstellt. Natürliche Größe. 


Die Reizleitungsvorgänge unterliegen also der Wärmestarre! In 
gleicher Weise werden sie durch Kochsalz-, Kalisalpeterlösungen, 
Äthylalkohol und Chloroform gehemmt.“ 

Über die Geschwindigkeit der Reizleitung hat Rothert (1896) 
einige Erfahrungen gesammelt. Die schnellste Ausbreitung der Er- 
regung fand er an Blütenschäften von Brodiaea congesta. Wurde 
deren. unterer Teil durch Erde verdunkelt, der obere einseitig be- 
lichtet, so: fand sich, daß die Krümmung nach 3 Stunden 5—6!/, cm 
tief unter die Oberfläche der Erde zu verfolgen war. Bedenkt man, 
daß für den Anstieg der Erregung bis zu der Höhe, die die Krüm- 
mung auslöst, mindestens eine halbe Stunde abgezogen werden muß, 
so ergibt sich eine Fortpflanzung der Erregung von mindestens 2cm 
in der Stunde. Meist geht die Reizleitung allerdings langsamer 
vor sich. 


50 V. Richtungsbewesungen auf Lichtreiz. 
? C [o} 


Das scheint im Vergleich zu den Leitungsvorgängen in den Nerven höherer 
Tiere sehr langsam. Es muß aber bedacht werden, daß bei niederen Tieren 
unter Umständen die Reizleitungsvorgänge auch gar nicht so schnell verlaufen, 
und daß außerdem der oben angegebene, von Rothert bestimmte Wert nur 
die obere Grenze darstellt. Nachdem wir jetzt wissen, wie niedrig die Zeit- 
schwelle für die Erregungsvorgänge sein kann, liegt es nahe, für die Ausbrei- 
tung der Erregung gleichfalls eine größere Geschwindigkeit zu vermuten, die 
nur mit den bisherigen Mitteln nicht nachzuweisen war (Fitting 1907a, S. 98). 


Abb. 52. 


Einseitig hell beleuchteter, am Lichte gewachsener Wiekenkeimling in Pausen von 10 Min. photo- 

graphiert, zeigt die Entstehung der phototropischen Krümmung und Überkrümmung. Letztere 

sieht man zuletzt schon wieder zurückgehen. Der Versuch dauerte bis zur Horizontalstellung 
(Beginn der zweiten Reihe) 1 Stunde, bis zur letzten Aufnahme 1 Stunde 40 Min. 


Was die Ausführung der phototropischen Reaktionen betrifft, 
so kann in der Hauptsache auf das verwiesen werden, was im 
allgemeinen über die Bewegungen sowie über die geotropischen 
Krümmungen gesagt worden ist. Auch bei der phototropischen 
Krümmung sind alle wachstumsfähigen Zonen eines Organes beteiligt, 
ohne daß aber die Reaktion immer an der sich am schnellsten 
streckenden Zone beginnen muß. Diese liegt z. B. bei der Keim- 
scheide der Gräser ein ganzes Stück unter der Spitze. Der Erfolg 
einer phototropischen Reizung macht sich aber zuerst an der äußer- 


Zusammenwirken von Phototropismus und Geotropismus, 151 


sten kegelförmigen Spitze bemerkbar (Abb. 51, S. 149). Das beruht 
offenbar auf deren besonderer Reizempfänglichkeit. Später rückt die 
Zone maximaler Krümmung nach unten, während die Spitze sich 
gerade streckt, ganz entsprechend dem über die geotropische Reak- 
tion Gesagten. 

Ist an der Basis ein nicht mehr wachsender Teil vorhanden, 
so behält er die frühere aufrechte Richtung bei und bildet zuletzt 
mit dem gerade gestreckten jüngeren Ende einen ziemlich scharfen 
Winkel. Der zuerst gekrümmte Spitzenteil bekommt vielfach durch 
das Fortschreiten der Reaktion vorübergehend eine geneigte Stellung. 
Er geht also über die Lichtrichtung hinaus und zeigt eine Überkrüm- 
mung. Sehr stark kann sie z. B. an Keimpflanzen der Futterwicke 
(Vicia sativa) werden, weil bei ihnen die Reaktion besonders schnell 
fortschreitet (Abb. 52). Schließlich aber wird die Überkrümmung 
durch eine rückläufige Bewegung wieder ausgeglichen und das Ende 
geradegestreckt. Es steht dann in der Lichtrichtung. 


b) Zusammenwirken von Phototropismus und Geotropismus. 


Das zuletzt Gesagte bedarf einer Einschränkung. Die ge- 
naue Einstellung in die Richtung des Lichtes wird nicht bei allen 
orthotropen Pflanzenteilen erreicht, weil der Geotropismus dem ent- 
gegenarbeitet. So nehmen die meisten Pflanzenstengel, z. B. 
junge Keimlinge der Sonnenrose (Helianthus annuus), der Lupine 
(Lupinus albus u. a.), der Bohne (Phaseolus) usw. bei einseitiger Be- 
leuchtung eine Stellung ein, die zwischen der senkrechten und der 
Lichtrichtung liegt. Manche nähern sich mehr der ersteren, manche 
der letzteren. Es gibt aber auch Pflanzen, die sich wirklich genau 
oder fast genau in die Lichtrichtung einstellen. So z. B. die Keimlinge 
von Hafer (Avena sativa), Futterwicken (Vicia sativa), Kressen (Lepi- 
dium sativum), Raps (Brassica Napus) sowie die Sporangienträger 
der Mucorineenpilze (Phycomyces nitens, Mucor Mucedo usw.), also 
gerade diejenigen Objekte, die mit Vorliebe zu phototropischen Ver- 
suchen verwendet werden. Alle diese Pflanzenteile folgen auch einem 
von unten auf sie fallenden Lichtreize, können sich also senkrecht 
abwärts biegen, als ob für sie gar kein Geotropismus existierte. Und 
doch wachsen sie im Dunkeln sehr schön aufrecht. 

Das Überwiegen des Lichtreizes blieb lange rätselhaft, denn die 
phototropische Reaktion schien an sich nicht energischer als die geo- 
tropische. Wie aber Guttenberg (1907) gezeigt hat, ist es nicht 
erlaubt, aus der Intensität der Krümmung oder der Länge der 
Reaktionszeit auf die Stärke der Erregung zu schließen.!) Schwächt 
man nämlich den Lichtreiz ab, so wird schließlich auch bei den ge- 
nannten stark phototropischen Objekten der Einfluß des Schwerkrafts- 
reizes äußerlich bemerkbar. Bei einer gewissen, sehr geringen Be- 


1) Vgl. auch das auf S. 60 beim Geotropismus Gesagte. 


152 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz. 


leuchtungsstärke (für Avena z. B. 0,0475 Meterkerzen) werden beide 
Reize gleich stark. Das zeigt sich darin, daß umgelegte, von unten 
beleuchtete Keimlinge ihre Ruhelage in der Horizontalen finden. 
Dabei wirken Geotropismus und Phototropismus einander genau ent- 
gegen und heben sich auf. „Läßt man das Licht in gleicher Stärke 
senkrecht zur Schwerkraft einwirken (Pflanze vertikal, Licht hori- 
zontal), so erhält man eine resultierende Stellung, die zwischen bei- 
den Richtkräften annähernd die Mitte hält, also um ca. 45° von 
diesen abweicht. Bei Ausschluß einseitiger Schwerewirkung (am 
Klinostaten) erfolgt dagegen Einstellung in die Lichtrichtung.‘‘ Das 
letztere wird am Klinostaten auch bei den Pflanzenteilen erreicht, die 
selbst durch starke einseitige Beleuchtung nur wenig von der senk- 
rechten Stellung abgelenkt werden. Das verschiedene Verhalten der 
phototropischen Pflanzen beruht also nicht auf einer Beeinflussung 
des Geotropismus durch das Licht, wie man früher wohl annahm 
(Noll 1892), sondern auf dem verschiedenen Verhältnis von geotro- 
pischer und phototropischer Erregbarkeit. Nur dieses Verhältnis 
ist aus den von Guttenberg bestimmten Werten für die zur Kom- 
pensation des geotropischen Reizes nötige Beleuchtungsstärke zu ent- 
nehmen. In die geo- und phototropische Empfindlichkeit selbst kann 
man auf diese Weise keinen Einblick gewinnen. 

Die Erscheinung der phototropischen Reaktion, so wie sie sich 
gewöhnlich bei verschiedenen Objekten darstellt, konnte nicht ge- 
schildert werden, ohne auf dies Hineinspielen geotropischer Beein- 
flussungen einzugehen. Bei der Erforschung des Verhältnisses von 
Photo- und Geotropismus haben sich nun mancherlei weitere neue 
Tatsachen ergeben, von denen ein Teil schon Erwähnung fand. So 
neben dem eben Besprochenen die verschiedene Widerstandsfähigkeit 
der Teilprozesse gegen schädliche Einflüsse. Es bleibt aber noch 
von weiteren Erfahrungen zu berichten. Wir haben das Thema der 
Übereinstimmungen und Verschiedenheiten beider Reizvorgänge noch 
nicht erschöpft. Will man diese studieren, so muß man suchen, den 
phototropischen Effekt vom geotropischen experimentell loszulösen. 
Ausschalten kann man den Schwerkraftreiz nicht; wohl aber kann 
man ihn, mit Hilfe des Klinostaten, praktisch unwirksam machen. 
Soll gleichzeitig ein einseitiger Lichtreiz einwirken, so muß der be- 
treffende Pflanzenteil senkrecht zur horizontalen Drehungsachse be- 
festigt und in deren Richtung beleuchtet werden. Dabei ergibt sich, 
daß jede Belichtung, die ausreicht, um überhaupt einen phototro- 
pischen Effekt hervorzurufen, schließlich zur Einstellung in die Licht- 
richtung führt (Müller-Thurgau 1876). Wenn das bei aufrechtstehen- 
den Pflanzen nicht erreicht wird, so liegt der Grund hierfür in der Gegen- 
wirkung des Geotropismus. Diese macht sich aber erst bemerkbar, 
wenn eine Abweichung von der senkrechten Stellung durch die 
phototropische Reaktion begonnen hat; sie beeinflußt vor allem die 
schließliche Ruhelage. Der Beginn der Krümmung wird durch die 
geotropische Erregung nicht beeinflußt, da diese erst mit der Ab- 


Zusammenwirken von Phototropismus und Geotropismus. 153 


weichung von der geotropischen Ruhelage einsetzt. Deshalb wird 
die phototropische Präsentations- und Reaktionszeit durch den Ge- 
brauch des Klinostaten meist nicht beeinflußt, wohl aber die Stärke 
der Nachkrümmung. 

Oben haben wir berichtet, daß Guttenberg für jedes Objekt 
zu bestimmten Beleuchtungsintensitäten kam, die den geotropischen 
Effekt gerade kompensieren. Er ist der Meinung (1907, S. 230), daß 
das für alle orthotropen Pflanzenteile gelingen müsse. Das ist aber 
ein Irrtum, denn die phototropische Erregung läßt sich nicht durch 
die Intensität des Reizmittels beliebig steigern. Es gibt Objekte 
(einige wurden oben genannt), die sich durch das Licht nur wenig 
von der senkrechten Stellung abbringen lassen. Bei diesen würde 
sich die Kompensation nur mit Hilfe schwächerer geotropischer 
(Zentrifugal-) Reize erreichen lassen. Von Guttenberg wurde der 
geotropische Reiz nicht variiert. Das würde auch die Sache zu 
sehr komplizieren. An dieser Stelle lege ich aber Wert darauf, zu 
betonen, daß es berechtigt bleibt, von Pflanzen zu sprechen, die 
stärker geotropisch und solchen, die stärker phototropisch sind. Das 
Verhältnis muß durch eine Zahl ausgedrückt werden, in der die 
Intensität des Schwere- und des ihn kompensierenden Lichtreizes 
enthalten ist. 

Czapek (1895a) hat früher versucht Pflanzen zu finden, die 
gleich stark photo- und geotropisch reagieren; er hat dabei aber 
die Reaktionszeit als Maß benutzt. So schienen ihm z. B. Hafer- 
keimlinge dieser Forderung zu entsprechen. Auf Grund dieses Miß- 
griffes kam er zu der Ansicht, daß ein phototropischer Reiz einen 
gleich starken geotropischen völlig zu überwinden vermag. Wie die 
Erklärung für dieses Resultat zu geben ist, hat Guttenberg ge- 
zeigt. Er fand, daß bei Benutzung einer kompensierenden Be- 
leuchtungsintensität der geotropische Reizprozeß in seinen Objekten 
viel schneller verlief als der phototropische. Die Ausgleichung beider 
war deshalb nicht von Anfang an zu bemerken. Vielmehr krümmten 
ich die benutzten Keimlinge zuerst geotropisch, später ging diese 
Krümmung zurück, und schließlich trat die Gleichgewichtslage ein. 
Somit bedarf es zur Erzielung einer phototrophischen Reaktions- 
zeit, die gleich der geotropischen ist, einer viel höheren Licht- 
intensität als zur Kompensation der Endstellung. Eine solche hat 
Czapek benutzt, und deshalb wurde in seinen Versuchen der Geo- 
tropismus überwunden. Nicht immer muß, wie mir scheint, bei 
gleicher Reizstärke der geotropische Erregungsvorgang schneller ab- 
laufen als der phototropische. Hätte Guttenberg Objekte mit un- 
gefähr gleichlanger geotropischer und heliotropischer Reaktionszeit 
benutzt, die durch seitliches Licht nur wenig aus der senkrechten 
Lage abgelenkt werden können, also die Kompensation nur durch 
Herabsetzung des Schwerereizes ermöglichen, so hätte er in 
bezug auf das zeitliche Fortschreiten der Erregungsvorgänge 
wahrscheinlich das umgekehrte Resultat erzielt. Dies zur theore- 


154 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz. 


tischen Klarstellung des Verhältnisses von geotropischer und 
phototropischer Erregung. 


Der Reizerfolg ist beim Phototropismus derselbe wie bein 
Geotropismus. Deshalb ist es möglich, den einen Reizerfolg durch 
den anderen auszugleichen. Es fragt sich aber, ob dieses rein 
mechanisch geschieht, ob also nur die beiden Krümmungsbewegungen 
sich gegenseitig aufheben oder ob schon frühere Glieder der Reiz- 
kette sich beeinflussen? Die Frage, an welcher Stelle der Reizkette 
bei dem Gegeneinanderwirken zweier Impulse die Vergleichung statt- 
findet, muß übrigens bei jedem Kompensationsvorgang, also auch 
bei gleichartigen gegeneinanderwirkenden Reizen gestellt werden. 
In diesem Falle ist aber bisher kein Mittel zur Lösung des Problems 
ausfindig gemacht worden. Anders ist das bei verschiedenartigen 
Reizen. Läßt sich nämlich nachweisen, daß bestimmte Glieder der 
beiden Reizketten verschieden voneinander sind, so können diese 
für den Vergleich der gegeneinanderwirkenden Reize nicht in Betracht 
kommen. Für den Perzeptionsvorgang versteht sich die Verschieden- 
heit beim Geo- und Phototropismus von selbst. Und da das End- 
resultat, die Krümmung, in beiden Fällen dasselbe ist, so fragt es 
sich, bis zu welchem Gliede der Reizkette Differenzen bestehen. 

Schon früher haben wir gesehen, daß in der phototropischen 
Reizkette ein Teilvorgang vorhanden sein muß, der gegen Sauerstoff- 
entziehung empfindlicher ist als der entsprechende Prozeß bei der 
geotropischen Reizung (vgl. S. 141). Umgekehrt wird durch gewisse 
chemische Stoffe (z. B. Verunreinigungen der Luft, wie sie in Labo- 
ratorien meist vorhanden sind) bei Keimlingen von Wicken, Erbsen 
usf., wie Richter zeigte (1906), die negativ-geotropische Reaktion 
unterdrückt. Die phototropische dagegen (Guttenberg 1910), wird 
nur wenig beeinflußt. Bei der geotropischen ist es nicht der Vor- 
gang der Krümmung, sondern der der Reizaufnahme, der eine Be- 
einflussung erfährt. 

Das sind einige von den Befunden, die auf eine tiefergehende 
Verschiedenheit der beiden Reizprozesse schließen lassen. Noch 
deutlicher wird das aus eigens darauf gerichteten Versuchen von 
Frl. Pekelharing (1910). Diese stützte sich auf die Möglichkeit, 
gleichartige Reize, die an sich nicht die Schwelle erreichen, zu 
summieren. Zwei solche, nur wenig unter der Präsentationszeit 
bleibende Impulse, bewirkten, falls sie schnell aufeinander folgten, 
eine geotropische oder phototropische Krümmung als Nachwirkung. 
Wurde aber ein Schwere- und ein Lichtreiz kombiniert, so blieb 
der Erfolg aus. Die Perzeption beider Reize muß geschehen sein, 
denn sonst könnten sie auch durch einen gleichartigen Impuls nicht 
zur Wirksamkeit gebracht werden. So muß man annehmen, daß 
in mittleren Gliedern der Reizkette Verschiedenheiten vorhanden 
sind, die eine Summation unmöglich machen. Da somit geotropische 
und phototropische Erregungen, die fast bis zur Reaktion führen, 


Veränderlichkeit des phototropischen Verhaltens. 155 


sich nicht summieren lassen, so wird es wahrscheinlich, daß auch 
das Gegeneinanderwirken erst bei der Ausführung der Krümmung 
stattfindet. 

Damit hätten wir schon eine ganze Anzahl von den Differenzen, 
die bisher zwischen geotropischen und phototropischen Reizer- 
scheinungen gefunden worden sind, kennen gelernt. Zwei sehr 
wesentliche Unterschiede bleiben uns aber noch zu besprechen. Sie 
sind, wie wir zu zeigen haben, nur im Zusammenhange mit der 
Tatsache zu verstehen, daß die Beleuchtung der Intensität nach 
stets wechselt, während die Schwere konstant ist. In Kürze kann 
man diesen Tatsachenkomplex folgendermaßen bezeichnen : Der photo- 
tropische Fffekt ist von den vorausgegangenen Beleuchtungsverhält- 
nissen abhängig, und es können je nach der Stärke der Erregung 
positive oder negative phototropische Krümmungen entstehen. 


c) Veränderlichkeit des phototropischen Verhaltens. 


Positiver und negativer Phototropismus. 
Phototropische Stimmung. 


Bisher haben wir nur von einer Art von Phototropismus ge- 
sprochen, während wir vom Geotropismus gleich erwähnten, daß er 
sich bei verschiedenen Pflanzenteilen in verschiedener Weise äußert. 
Die negative Reaktionsweise spielt beim Phototropismus lange keine 
so große Rolle wie die positive. Auch ist das Verhältnis beider hier 
ganz anders als beim Geotropismus. In bezug auf diesen verhält 
sich ein und dasselbe Objekt meist dauernd gleich. Mur wenige Fälle 
konnten wir aufzählen, in denen die geotropische Ruhelage durch 
anderweitige Einflüsse verändert wurde. Man kann daher ohne 
weiteres von positiv und negativ geotropischen Organen reden. Beim 
Phototropismus hätten solche Bezeichnungen nur sehr begrenzten 
Wert. Allerdings reagieren bei mittlerer Beleuchtungsintensität die 
Stengel und andere oberirdische phototrope Organe meist. positiv 
phototropisch. Für die Wurzeln läßt sich selbst eine so bedingte 
allgemeine Aussage nicht machen. Die meisten sind phototropisch 
indifferent, die übrigen reagieren zum Teil positiv, zum Teil negativ. 
Außerdem aber ist wohl bei allen Pflanzenteilen der Sinn des Photo- 
tropismus, also die Entscheidung, ob die Krümmung nach der 
Lichtquelle hin oder von ihr fort erfolgen soll, von der Stärke der 
Beleuchtung abhängig. Wie das zu verstehen ist, werden wir 
bald sehen. 

Die Beobachtung selbst ist nicht neu: 

N. J. C. Müller erzielte schon 1872 (1877, 8. 57), als er durch 
eine Linse konzentriertes Sonnenlicht auf Kressekeimlinge (Lepidium 
sativum) fallen ließ, negative Reaktionen bei diesen, sonst positiv 
reagierenden Objekten. In größerer Entfernung von der Sammel- 
linse, also bei schwächerer Beleuchtung, traten positive Krümmungen 


156 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz. 


auf; an der Grenze zwischen beiden blieben die Pflänzchen gerade. 
Diese Entdeckung wurde zuerst nicht genügend gewürdigt. Aber 
im Jahre 1880 fand Stahl entsprechende Verhältnisse für die Alge 
Vaucheria und 1882 Berthold für verschiedene Meeresalgen. Olt- 
manns hat dann 1892 und 1897 mit verschiedenen Objekten syste- 
matische Versuche über die phototropische Reaktionsweise bei ver- 
schiedenen Lichtintensitäten angestellt. Zuerst verwendete er, wie 
seine Vorgänger, das Licht der Sonne, später das einer elektrischen 
Bogenlampe. Mit diesem Hilfsmittel und unter Benutzung des stark 
phototropischen Pilzes Phycomyces nitens als Objekt gelang es ihm, 
einige sehr bedeutungsvolle Beobachtungen zu machen. 

Oltmanns stellte in verschiedener Entfernung von der Bogen- 
lampe auf Brot gewachsene Kulturen von Phycomyces mit jungen 
Sporangienträgern auf, die er durch Glaskästen vor dem Vertrocknen 
schützte. Die Entfernung der ersten Kultur betrug 20 cm, die der 
letzten 80 cm von dem leuchtenden Punkte. Nach einer halben 
Stunde bogen sich die Fruchtträger bei 20 bis 30 cm (ca. 100000 Meter- 
kerzen) Entfernung vom Lichte ab, bei 75 bis 80 cm (10 bis 80000 
Meterkerzen) nach dem Lichte zu; die mittleren waren noch gerade. 
Später verstärkten sich die positiven und negativen Krümmungen. 
Auch nahm die Zahl der gerade gebliebenen Fruchtträger ab, indem 
die an der Grenze stehenden sich ihren Nachbarn anschlossen und 
sich je nach der Lichtintensität positiv oder negativ zu krümmen 
begannen. Dazwischen blieb aber immer noch eine ‚‚Indifferenz‘- 
Zone mit ungekrümmten Sporangienstielen. Ähnliche Resultate er- 
hielt Oltmanns auch mit Keimlingen; doch waren bei diesen negative 
Krümmungen schwerer zu erzielen. 

Danach kann also ein und dasselbe Pflanzenorgan je nach der 
Beleuchtungsstärke positiv, negativ oder gar nicht reagieren. Diese 
drei Möglichkeiten werden aber bei den meisten phototropischen 
Pflanzenteillen nur unter Anwendung sehr starken Lichtes erzielt. 
Bei schwächerem beobachtet man gewöhnlich nur positive Krüm- 
mungen. Deshalb ist es für die Reaktionen aber doch nicht gleich, 
ob man mittlere oder ganz schwache Beleuchtung wählt. Es muß 
ja ein Minimum der Helligkeit geben, unterhalb dessen überhaupt 
keine Reaktion auftritt: die absolute Intensitätsschwelle. Sie liegt 
freilich oft sehr tief. Wird von da die Beleuchtung verstärkt, so 
werden die erst sehr schwachen und langsamen Krümmungen 
stärker und schreiten schneller voran. Damit wird dann auch 
schließlich die Wirkung des Geotropismus bei geeigneten Objekten 
völlig überwunden (vgl. oben S. 152). Bei noch viel stärkerer Beleuch- 
tung muß aber ein Punkt kommen, wo man sich der Intensität 
nähert, die „Indifferenz‘“‘ bewirkt. Damit wird die phototropische 
Krümmung wieder schwächer. 

Einen guten Ausdruck für diese Verhältnisse ist die Reaktions- 
zeit bei verschieden starker Belichtung, die Wiesner (1878) und der 
Verfasser (E. Pringsheim 1907) bestimmt haben. Sie nimmt mit 


Veränderlichkeit des phototropischen Verhaltens. 157 


steigender Lichtintensität bis zu einem Minimum ab und dann wieder 
zu. Ein Einblick in die Ursachen dieser Erscheinungen wurde durch 
Untersuchungen gewonnen, die zunächst ein ganz anderes Ziel ver- 
folgten. 

Oltmanns (1897, S. 6) hatte gefunden, daß bei Phycomyces- 
kulturen, die nicht wie gewöhnlich, vor dem Versuche dauernd im 
Dunkeln gehalten worden, sondern zeitweilig beleuchtet gewesen 
waren, die ‚indifferente Zone‘ nach der Lichtquelle hin, also nach 
größeren Helligkeiten, verschoben war. Ferner hatte sich in seinen 
Versuchen gezeigt, daß von normal am Licht gewachsenen und 
etiolierten Keimlingen der Gerste die ersteren bei starker Beleuch- 
tung wesentlich schneller reagierten. Es kommt dabei, wie wir sehen 


Abb. 53. 


Wickenkeimlinge. Der Topf links ganz im Dunkeln gewachsen, der rechts einen Tag lang dem 

zerstreuten Tageslicht ausgesetzt gewesen (wodurch auch die Spitzenkrümmung sich gestreckt 

hat). Die Pflänzchen wurden 40 cm von einer Auerlampe aufgestellt und zeigten nach einer 

Stunde das im Bilde festgehaltene Verhalten. Die hochgestimmten haben sich stark gekrümmt, 
die niedriggestimmten blieben ‚indifferent‘‘. Verkleinert. 


werden, nicht auf die durch das Licht bedingte Gestalt und Färbung, 
sondern auf den veränderten physiologischen Reizzustand an. Man 
drückt das so aus, daß man sagt, durch die Belichtung wird die 
„phototropische Stimmung‘ der Objekte erhöht. Diese Erschei- 
nung habe ich dann weiter studiert. 

In meinen ersten Versuchen (1907, S. 275) setzte ich am Lichte 
und im Dunkeln gezogene Keimlinge einiger Pflanzenarten einer 
stufenweise verschieden starken Beleuchtung aus. Die größte Hellig- 
keit war dabei geringer als die geringste von Oltmanns verwendete. 
Trotzdem zeigte sich eine für gewisse Schlüsse ausreichende Ver- 
schiedenheit in den Reaktionszeiten. In der Nähe der Lampe rea- 
gierten, wie bei Oltmanns, die „Lichtkeimlinge“ schneller als die 
„Dunkelkeimlinge‘“ (Abb. 53). Beischwächerer Beleuchtung aber war das 


158 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz. 


Verhältnis umgekehrt. Also sind im Dunkeln gezogene Keimlinge, alten 
Erfahrungen entsprechend, ‚empfindlicher‘ für schwaches Licht; sie 
werden aber auch durch starkes mehr affiziert als normale. Am 
Lichte gewachsene Pflänzchen werden erst durch eine verhältnismäßig 
stärkere Beleuchtung in der positiven Reaktion gehemmt; aber auch 
ihre Schwelle ist höher. Alle Beleuchtungsintensitäten müssen bei 
ihnen gesteigert werden, wenn derselbe Effekt erzielt werden soll, 
kurz: ihre Stimmung ist höher als die von gänzlich im Dunkeln er- 
wachsenen Keimlingen. Man denke zum Vergleich daran, daß auch 
ein Mensch, der aus dem Hellen ins Finstere tritt, zunächst schwach 
beleuchtete Gegenstände weniger gut erkennt, als ein ans Dunkle 
Gewöhnter; daß aber letzterer wieder beim Heraustreten ins Helle 
leichter geblendet wird. 

Alle Erscheinungen, die an phototropischen Pflanzen, je bei 
einer bestimmten Beleuchtungsstärke, auftreten, wie Reizschwelle, 
schnellste Reaktion, ‚Indifferenz‘‘, negative Krümmung, werden bei 
vorher am Licht gezogenen Objekten erst durch eine größere Hellis- 
keit hervorgerufen als bei solchen, die im Dunkeln gewachsen sind. 
Sie sind also außer von der Beleuchtungsstärke, von der jeweiligen 
Stimmung abhängig. Der durch das geschilderte Verhalten gekenn- 
zeichnete physiologische Zustand ist aber nicht nur bei Keimlingen, 
die im Dunkeln oder am Lichte gezogen sind, verschieden, sondern 
er läßt sich schon durch kurzwährende Veränderung der Beleuchtung 
beeinflussen. Wir lernen in der Beeinflussung der Stimmung eine 
neue Reizwirkung des Lichtes kennen, die von der eigentlichen photo- 
tropischen ihrem Wesen nach verschieden ist. Über das Verhältnis 
beider Klarheit zu erlangen, ist freilich nicht ganz leicht. 

Daß die Perzeption für die phototropische und die für die 
Stimmungsreizbarkeit nicht identisch sein können, ergab sich am 
klarsten aus Versuchen mit Keimlingen von Panicum miliaceum. Wie 
wir wissen, ist deren Stengel nicht direkt phototropisch reizbar, son- 
dern nur von der daran sitzenden Keimscheide her (vgl. S. 143). Die 
Empfänglichkeit für Stimmungsreize zeigte nun eine andere Verteilung 
als die tropistische. Ausschließliche Beleuchtung der Scheide wirkte 
nämlich ungefähr ebenso stark wie Beleuchtung des Stengels allein; 
beide einzeln aber hatten nur die halbe Wirkung, verglichen mit der 
durch Belichtung des ganzen Keimlings erzielten (E. Pringsheim 
1907, 8. 288). 

Ob sonst noch Verschiedenheiten zwischen den beiden photischen 
Reizen in den Bedingungen der Perzeption oder in späteren Gliedern 
der Reizketten nachweisbar sind, wird die Zukunft lehren. Auch 
ist es vorläufig kaum zu entscheiden, ob die Stimmungsveränderung 
den Aufnahmeapparat für die phototropische Reizung beeinflußt oder 
ob sie in spätere Glieder der Reizkette eingreift. 


Den besten Einblick in den Einfluß der Stimmung auf den Gang 
der Erregung ergibt wieder die Bestimmung der Reizschwelle. Man 


Veränderlichkeit des phototropischen Verhaltens. 159 


kann einmal die absolute Intensitätsschwelle, d. h. die bei langer 
Einwirkung geringste Helligkeit, die noch eine Reaktion hervor- 
ruft, in ihrer Abhängigkeit von der Stimmung untersuchen. Man 
findet dann, daß sie bei Lichtkeimlingen höher ist als bei Dunkel- 
keimlingen. Die Methode hat aber den großen Fehler, daß während 
der langen Belichtung eine Veränderung der Stimmung eintreten muß. 
Oder besser, man kann die Zeitschwelle messen, wozu nur eine ver- 
hältnismäßig kurze Belichtung nötig ist. Man bestimmt dann die 
Präsentationszeit beliebig vorbelichteter Pflänzchen bei gegebener 
Beleuchtungsstärke. Sie steigt gleichfalls mit der Stimmung, und 
zwar läßt sich, wie ich fand, die Präsentationszeit als Maß der Stim- 
mungshöhe verwenden (E. Pringsheim 1909). Auf diese Weise kann 
man nicht nur den Einfluß verschieden starker Beleuchtung auf die 
Stimmung messen, sondern auch den Verlauf der Veränderung ver- 
folgen, die durch den Einfluß des Lichtes in zunächst niedrig ge- 
stimmten Pflanzen vor sich geht. Man findet dann, daß die Stimmung 
durch die Belichtung erst schnell, dann immer langsamer ansteigt, 
ganz ähnlich wie die durch die Reizschwelle gemessene Adaptations- 
höhe (-Stimmung) der Netzhaut. Die Verschiebung der Helligkeitswerte 
für die anderen phototropischen Erscheinungen, als schnellste Reaktion, 
Indifferenz usf. mit der Stimmung haben wir schon besprochen. 

Die Stimmung ist also am niedrigsten bei völlig etiolierten Keim- 
lingen und steigt mit der Belichtung an. Da dieser Vorgang ziemlich 
schnell verläuft, jedenfalls nach wenigen Minuten beginnt, so muß 
er auch während der phototropischen Reizung von Dunkelkeimlingen 
stattfinden. Beide Einflüsse können aber getrennt werden, wenn 
man die Pflänzchen während des Ansteigens der Stimmung durch 
Drehung um eine vertikale Achse allseitig belichtet und dadurch 
phototropische Krümmungen verhindert. Nach einer gewissen Zeit 
hat sich dann das Objekt der herrschenden Beleuchtung angepaßt, 
die Stimmung ist konstant geworden. Wird nun einseitig belichtet, 
so kann keine Stimmungsveränderung mehr eintreten. Es sind also 
die durch sie bedingten Komplikationen ausgeschaltet. 

Wurden derartige Versuche bei verschiedenen Helligkeiten aus- 
geführt, so zeigte sich ein beständiges Abnehmen der Reaktionszeiten 
mit der Beleuchtungsintensität. Das ging allerdings nur bis zu einem 
durch die Trägheit des Reizprozesses bedingten Minimum. Jeden- 
falls aber trat nicht die Verzögerung der Reaktion auf, die bei 
niedriger Stimmung durch starke Beleuchtung veranlaßt wird. Vgl. 
Tabelle S. 166. 

Das Auftreten langer Reaktionszeiten bei niedrig gestimmten 
Pflanzen, die hellem Lichte ausgesetzt werden, fordert eine theoretische 
Deutung. Dem vorliegenden Tatsachenmaterial glaube ich gerecht 
werden zu können, wenn ich annehme, daß die Verzögerung der 
Reaktion durch die Annäherung an jene Lichtintensität bedingt 
seien, die negative Reaktionen hervorruft, also durch einen Kampf 
der positiven und negativen Krümmungstendenzen. Je höher die 


160 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz. 


Stimmung, desto weniger ist die Neigung zur negativen Reaktion 
vorhanden. Deshalb krümmen sich hochgestimmte Pflanzen bei hellem 
Lichte früher positiv als niedrig gestimmte (vgl. S. 157 u. Abb. 53). 
Daß bei größeren Helligkeiten auch anfangs niedrig gestimmte Keim- 
linge schließlich positiv reagieren, hat nach meiner Auffassung seinen 
Grund einzig in der allmählich eintretenden Stimmungserhöhung, 
durch die die negativen Tendenzen nachträglich wieder an Kraft 
verlieren. So konnte in neueren Versuchen beobachtet werden, daß 
auch langandauernde scheinbare Indifferenz und sogar negative 
Krümmungen zuletzt in positive umschlagen. 

Man darf aber nicht annehmen, daß bei allen phototropischen 
Organen die Stimmungserhöhung soweit gehen muß. Es existieren 
solche, die auch bei langer Belichtung mit nicht zu schwachem Lichte 
immer negativ reagieren. Das sind die gewöhnlich kurzweg als 
negativ phototropisch bezeichneten Objekte, wie z. B. die Keim- 
wurzeln von Sinapis (Abb. 58, S. 174). Bei schwächerer Beleuchtung 
reagieren auch sie positiv (Linsbauer und Vouk 1909). Damit ist 
die Unterscheidung von positiv und negativ phototropischen Pflanzen- 
teilen theoretisch auf das verschiedene Verhältnis im Anstieg von 
Stimmung und Erregung zurückgeführt. 

Ist meine Erklärung der langen Reaktionszeiten bei starker Be- 
leuchtung richtig, so muß die Verzögerung der Krümmung etiolierter 
Keimlinge auf vorübergehender ‚‚Indifferenz‘‘ (unentschiedenem Kampf 
positiver und negativer Tendenzen) beruhen. Der auf die eigentliche 
Reaktion hinarbeitende Reizprozeß muß dann erst nach einiger Zeit, 
während deren die Stimmung steigt, beginnen. Wirklich wurde die 
phototropische Reaktionszeit, vom Beginn der Belichtung an gerechnet, 
bei Dunkelkeimlingen und hellem Licht nicht verzögert, wenn die 
Pflänzchen anfangs eine Zeitlang durch Drehung an der tropistischen 
Perzeption gehindert wurden. Dabei stieg die Stimmung, und nach- 
her bedurfte es bis zum Beginn der Reaktion einer um eben soviel 
kürzeren einseitigen Belichtung wie die Vorbelichtung gedauert hatte, 
vorausgesetzt, daß diese nicht zu lang ausgedehnt worden war. Dieses 
Experimentum crucis beweist, daß während eines Teiles der ver- 
längerten Reaktionszeit die schließlich zur positiven Krümmung 
führende phototropische ‚„Polarisation‘‘ noch nicht vorhanden ist. 

Eine noch bessere Einsicht in die angedeuteten Probleme ergab 
sich aus Versuchen von Fröschel (1908) und Blaauw (1908 u. 1909). 
In diesen wichtigen Arbeiten wurde zum ersten Male gezeigt, daß 
zur Erzielung einer tropistischen Krümmung ein konstantes Minimum 
der ‚‚Reizmenge‘‘ nötig ist, also der entsprechende Nachweis, wie er für 
den Geotropismus in den früher erwähnten, aber später erschienenen 
Arbeiten von Maillefer und Pekelharing geglückt ist. Fröschel 
und Blaauw fanden gleichzeitig, daß die phototropische Präsentations- 
zeit sinkt, wenn die Beleuchtungsstärke steigt, und zwar proportional. 
Das heißt: An der Reizschwelle ist das Produkt aus Be- 
leuchtungsintensität und Präsentationszeit, die „Licht- 


Veränderlichkeit des phototropischen Verhaltens. 161 


menge“, konstant. Ein ganz entsprechendes Gesetz ist für die 
Helligkeitsempfindungen des Menschen seit langem bekannt. 


Tabelle nach Blaauw (1909, 8. 20). 


el eit ' Präsentations- Lichtmenge in 
elligkei ER | 
Neteskerzen-.' zeit in Stunden, | Sekunden-Meter- 
| Min. u. Sek. Kerzen 
0,000 17 43 Stunden | 26,3 
0,000 439 TSEW. | 20,6 
0,000 609 10 h 21,9 
0,000 855 6 4 18,6 
0,001 769 3 ö 19,1 
0,002 706 100 Minuten 16,2 
0,004 773 60 a 17,2 
0,01 018 30 E 18,3 
0,01 640 20 ee 19,7 
0,0249 15 n 22,4 
0,0498 8 n 23,9 
0,0898 4 i 2106 
0,6156 40 Sekunden 24,8 
1,0998 25 x A) 
3,0281 8 n 24,2 
5,456 4 N 21,8 
8,453 | 2 h 16,9 
18,94 1 vi 18,9 
45,05 | 2], a 18,0 
308,7 Nesz 5 24,7 
511,4 | Ua; ” | 20,5 
1255 I ELfEr g | 22,8 
1902 en 2 19,0 
7905 1/00 > 19,8 
13 094 | soo 2 16,4 
26 520 en 2 | 26,5 


In der ersten Reihe stehen die verwendeten Beleuchtungsintensitäten. Die 
zweite Reihe zeigt die zur Erzielung einer phototropischen Reaktion nötigen 
Reizzeiten an. (Die hohen Helligkeiten wurden in verschiedenen Entfernungen 
von einer Bogenlampe, die mittleren und schwächeren unter Verwendung 
von Auerlicht und Abdämpfung desselben erzielt. Die kurzen Belichtungs- 
zeiten wurden mit Hilfe eines photographischen Momentverschlusses erhalten). 
Die dritte Reihe zeigt das Produkt aus den Werten der beiden ersten. Sie 
sind für physiologische Versuche und unter Berücksichtigung der Abrundungen 
in der zweiten Reihe als gut konstant zu bezeichnen. 


Aus diesen Befunden müssen nun noch einige weitere Konse- 
quenzen gezogen werden. Wie man sieht, ergeben sich für hohe 
Beleuchtungsintensitäten sehr kurze Präsentationszeiten. Nun war 


Pringsheim, Reizbewegungen. 11 


162 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz. 


aber oben aus Versuchen über Reaktionszeiten geschlossen worden, 
daß die Verzögerung der Krümmung bei größeren Helligkeiten ihre 
Ursache in einer vorübergehenden ‚‚Indifferenz“ hat. Hält man 
beides zusammen, so wird es wahrscheinlich, daß der ‚Indifferenz- 
zustand‘, d.h. der physiologische Zustand, in dem auf einseitige 
Belichtung keine Krümmung erfolgt, nicht von der Stärke der Be- 
leuchtung als solcher abhängig ist und mit dieser selbst einsetzt, 
sondern daß er erst nach einer gewissen Belichtungszeit beginnt. Erst 
dann kommen die negativen Tendenzen zur Geltung, die bei größeren 
Helligkeiten das anfangs allein wirksame positive Krümmungsbestreben 
auslöschen. Wir müssen daher in einer, starker einseitiger Beleuch- 
tung ausgesetzten phototropischen Pflanze mit niedriger Anfangs- 
stimmung eine ganze Anzahl von Reizzuständen annehmen, die ein- 
ander ablösen. Durch rechtzeitige Unterbrechung der Belichtung 
kann man experimentell die Wirkung dieser Stadien isoliert zur Be- 
obachtung bringen. Wird ganz kurz belichtet, so tritt später im 
Dunkeln positive Krümmung auf. Auf etwas längere Reizung er- 
folgt gar keine äußerlich sichtbare Reaktion. Noch längere Belichtung 
hat negative Krümmung zur Folge, und schließlich geht diese wieder 
in positive Krümmung über (Blaauw 1909, E. Pringsheim 1909). 

Die erste physiologische Veränderung, die in der Pflanze durch 
Belichtung bewirkt wird, nennen wir die primäre photische Erre- 
gung. Sie muß ein gewisses Maß erreichen, damit irgendein Reiz- 
erfolg, also z. B. eben sichtbare phototropische Krümmung, erzielt 
wird. Da schwache Reize länger einwirken müssen, als starke, um 
eine bestimmte Wirkung zu haben, so muß die Erregung mit der 
Dauer der Einwirkung ansteigen. Das geht nicht endlos so weiter, 
sondern es wird bei jeder Reizintensität schließlich ein spezifisches 
Maximum erreicht. Man kann das einmal daraus entnehmen, daß 
unterschwellige Reize auch bei längster Einwirkung keine Reaktion 
zur Folge haben, obgleich die auf die Pflanze fallende Lichtmenge 
schließlich ein hohes Maß erreichen muß, dann auch daraus, daß 
beim Entgegenwirken eines zweiten Reizanlasses, z. B. der Schwer- 
kraft, ein konstanter Endzustand erreicht wird (siehe oben S. 152). 

Die Schnelligkeit des Anstieges der Erregung ist um so größer, 
je höher die Intensität des Reizanlasses und je niedriger die Stimmung 
ist. Das geht aus den Messungen der Präsentationszeiten hervor. Je 
schneller der Anstieg, ein desto größeres Erregungsmaximum wird 
auch erzielt werden, denn um so größer ist die vor Einsetzen der 
Gegenreaktionen applizierte Lichtmenge. Also wird auch das Maxi- 
mum der Erregung von der Lichtintensität und der Stimmung ab- 
hängig sein. 

Um nun über die Bedeutung der negativen Tendenzen klarer zu 
werden, die bei steigender Beleuchtungsintensität Verzögerung der 
teaktion oder wirklich negative Krümmungen hervorrufen, ist noch 
folgendes zu beachten. Ihr Einsetzen, wie es sich zuerst in dem 
Auslöschen des anfänglichen positiven Krümmungsbestrebens bemerk- 


Veränderlichkeit des phototropischen Verhaltens. 163 


bar macht, ist, wie Blaauw und ich fanden, ebenso wie die 
Reizschwelle für die positive Reaktion, abhängig von einer ge- 
wissen Reizmenge, also wohl auch von einer bestimmten Höhe der 
primären Erregung. Dasselbe dürfte für die völlige Überwinduug der 
positiven Tendenzen, also für die Reizschwelle der sichtbaren nega- 
tiven Krümmung gelten. 

Doch ist die Erzielung irgendeines Reizeffektes, wie noch ein- 
mal allgemein betont werden soll, nicht schlechthin von der Licht- 
menge abhängig, die einen phototropischen Pflanzenteil trifft, sondern 
diese Lichtmenge muß auch innerhalb einer gewissen Zeit appliziert 
werden. Geschieht das nicht, so bewirkt die einsetzende Gegen- 
reaktion ein Stehenbleiben bei dem der Helligkeit entsprechenden 
jeweiligen Erregungsmaximum, dem konstanten Endzustande. Als 
erregungsminderndes Moment kommt ferner bei mittleren und großen 
Beleuchtungsstärken die Stimmungserhöhung hinzu, deren Anstieg 
anfangs langsamer vonstatten geht als der der Erregung, schließlich 
aber diese herabdrückt. 

Nun wissen wir, daß negative Tendenzen, und erst recht nega- 
tive Krümmungen, nur bei höheren Helligkeiten erzielt werden. 
Diesen Verhältnissen scheint mir die folgende schon angedeutete 
Vorstellung am einfachsten gerecht zu werden: 

Die erste physiologische Veränderung, die in der phototropischen 
Pflanze bei Belichtung vor sich geht, die primäre photische Er- 
regung, muß eine gewisse Höhe erreicht haben, die an eine bestimmte 
Reizmenge geknüpft ist, damit ein weiteres Glied der Reizkette be- 
tätigt wird. Es sei der Beginn der Vorgänge, die zu einer positiv 
phototropischen Krümmung führen. Mit Fitting können wir diese 
Stufe die tropistische Polarisation nennen. Steigt diese primäre 
photische Erregung weiter, so wird bei einer sehr viel größeren 
Liehtmenge das Maß für die Anregung der negativ phototropischen 
Krümmungstendenzen erreicht und damit die Stufe, auf der die 
positiven Krümmungen wieder schwächer, also die Reaktionszeiten 
länger werden. Vielleicht wird hierbei die ‚Polarisation‘ umgekehrt. 
Bleiben wir bei diesem Bilde, so würde die völlige Umkehr der Po- 
larisation die äußerliche negative Reaktion im Gefolge haben. Diese 
kann dann natürlich nur bei sehr hoher Lichtintensität zustande 
kommen, weil bei geringerer die Reizlicehtmenge und damit die für 
negative Krümmung notwendige Höhe der primären Erregung nicht 
erzielt wird, bevor durch das Ansteigen der Stimmung die Reizwirkung 
des Lichtes sich wieder vermindert. Geschähe das, so träten wieder 
nur positive Reaktionen auf. 

So wird es auch begreiflich, daß eine durch starke Beleuchtung 
erzielte negative Reaktion sofort zurückzugehen beginnt, wenn man 
die Belichtung ausschaltet (Blaauw 1909). Denn beim Aufhören des 
Reizes sinkt die primäre Erregung durch die nun allein wirksame 
Gegenreaktion sehr bald auf das für positive Reaktion notwendige 
Maß. Das posıtive Krümmungsbestreben wirkt dann dem negativen 

IE 


164 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz. 


entgegen. Negative Reaktionen sind dementsprechend nur schlecht 
als Nachwirkungen zu erzielen, ganz im Gegensatz zu den positiven. 

Die entwickelte Hypothese wirft auch einiges Licht auf die bei 
Unterbrechung der Beleuchtung vor Beginn der Reaktion beobach- 
teten Erscheinungen. (Vgl. S. 162.) Bei einer die Präsentationszeit nur 
wenig übersteigenden Belichtung erfolgt positive Krümmung, wie 
es der geringen Höhe der primären Erregung entspricht. Diese steigt 
aber weiter, wenn länger mit genügend starkem Licht gereizt wird. 
Die negativen Tendenzen setzen ein und vernichten zunächst das 
positive Krümmungsbestreben. Das Resultat ist äußerliche Indifferenz, 
wenn in diesem Stadium die Reizung aufhört. Wird aber noch 
länger belichtet, so steigt bei hoher Beleuchtungsintensität die pri- 
märe Erregung so weit, daß negative Reaktionen erfolgen. Ist die 
Helligkeit nicht so groß, so wird die hierfür notwendige Lichtmenge 
nicht erreicht, bevor die Stimmung Zeit hat anzusteigen und die 
Erregung auf das Maß für positive Reaktion herabzudrücken. Auch 
schon realisierte negative Krümmungen gehen bei gewissen Objekten 
nach sehr langer Belichtung durch die Stimmungserhöhung wieder 
zurück und schlagen in positive um. 


Bisher wurde der Beweis dafür, daß schwächere Belich- 
tung länger einwirken mußalsstärkere, um einen gewissen 
physiologischen Effekt zu erzielen, nur für die Reizschwelle 
der positiven und negativen Reaktion gegeben und zwar auf Grund 
der Arbeiten von Fröschel und Blaauw. Dasselbe wurde aber schon 
früher, freilich auf einem ganz anderen Wege, auch für die späteren 
Stadien des positiven Reizprozesses nachgewiesen. (Nathansohn und 
Pringsheim 1908.) Über den Erregungszustand bei dauernder Ein- 
wirkung eines Krümmungsreizes läßt sich nur dann etwas aussagen, 
wenn ihm ein anderer von bekannter Größe entgegenarbeitet. Denn 
sonst tritt schließlich Einstellung in die Richtung der wirkenden Kraft 
ein, und man hat dann kein Anzeichen für die Reizstärke des be- 
treffenden Reizanlasses. Zur Lösung solcher Fragen ist also nur die 
Kompensationsmethode (siehe oben S. 59) zu brauchen. 

In der erwähnten Arbeit handelte es sich zunächst um das 
Problem, welchen Reizwert eine periodisch unterbrochene einseitige 
Belichtung von bekannter Intensität hat. Um es zu lösen, wurde 
nun so vorgegangen, daß phototropische Pflänzchen zwischen zwei 
Lichtquellen gestellt werden. Sie krümmten sich dann nach der Seite 
hin, auf der sie stärker beleuchtet waren. Waren die beiden Lampen 
gleich hell, so fand sich genau in der Mitte zwischen beiden 
eine Stelle, an der die Krümmung unentschieden war; aber schon dicht 
daneben reagierten bei geeignetem Material die Pflänzchen nach der 
einen oder anderen Seite. Bedingung für die Verwendbarkeit zu 
solchen Versuchen ist eine niedrige Unterschiedsschwelle der betreffen- 
den Keimlinge, wie sie z. B. bei denen des Rapses sich findet. Es 
entstand eine scharfe ‚Scheitelung‘“. Somit zeigte die phototropische 


Veränderlichkeit des phototropischen Verhaltens. 165 


Reaktion selbst den Ort an, an dem die Reizwirkungen beider Licht- 
quellen sich die Wage hielten (Abb. 54). Nun wurde die eine der 
beiden Lampen durch eine rotierende Scheibe mit Ausschnitten 
periodisch verdunkelt. Dadurch wurde die von der ‚intermittierenden“ 
Lichtquelle ausgehende phototropische Wirkung verringert, und der 
Scheitelungspunkt rückte nach ihr hin. 

Berechnete man die in gleicher Zeit auf die unentschieden ge- 
bliebenen Pflänzchen von beiden Seiten fallenden Lichtmengen, so 
fand man, daß sie stets gleich waren. Das heißt, die Reizwirkung 
des Lichtes war wie an der Reizschwelle, so auch bei langer Ein- 
wirkung proportionaldem ProduktausBeleuchtungsintensität 
und Belichtungszeit. Dasselbe Ergebnis ist für das menschliche Auge 
seitlangemals Talbotsches 
Gesetz bekannt. Nur muß 
der Wechsel von Licht und 
Dunkelheit sehr schnell vor 
sich gehen, wenn ein ein- 
heitlicher Gesichtseindruck 
erzielt werden soll, wäh- 
rend für die Pflanze noch 
ein alle 45 Minuten er- 
folgender Wechsel nicht die 
Grenze zur Erzeugung eines 

Durchschnittsreizwertes 
darstellte. Dies gilt aller- 
dings nur für geringe Hellig- 
keiten. Bei größeren wird 
die Grenze, bis zu der das 
Talbotsche Gesetz gilt, 
sowohl für die Pflanze wie Rapskeimlinge, von zwei entgegengesetzten Seiten 
für das Auge nach höheren beleuchtet. Man sieht die Stelle, an der die Wirkungen 
Frequenzenhinverschoben. Yon dem Versuche durch photometrische Messung be- 

In diesen Versuchen stimmt und durch das Brettehen unten bezeichnet. 
wurde aus dem Ausbleiben 
der Reaktion an einer bestimmten Stelle zwischen der periodisch ver- 
dunkelten und der konstanten Lichtquelle geschlossen, daß der Reiz- 
wert beider oder die durch sie bewirkte Erregung gleich stark war. Die 
unterbrochene, also kürzer einwirkende Beleuchtung mußte dabei ent- 
sprechend intensiver genommen werden als die dauernde, um deren 
Wirkung auszugleichen. Damit ist der Beweis für den aufgestellten 
Satz, daß ein kurzer Reiz, um dieselbe Wirkung zu haben, stärker 
sein muß als ein langer aber schwacher, auch für solche Reize 
erbracht, welche die an der Reizschwelle herrschende Erregung 
übersteigen. 

Oben haben wir gesehen, daß die Reaktionszeit von einem ge- 
wissen Punkte an mit der Beleuchtungsintensität wächst. Bei ge- 
nauerer Analyse erwies sie sich als aus zwei Stücken zusammenge- 


rn en 


Abb. 54. 


166 V. Riehtungsbewegungen auf Lichtreiz. 


setzt, von denen das erste durch die anfängliche Indifferenz infolge 
der niedrigen Stimmung bedingt war. Wurde bei konstanter Stimmung 
gearbeitet, so fiel es weg, und es blieb die kürzere ‚eigentliche Re- 
aktionszeit‘“ übrig. Diese nahm innerhalb gewisser Grenzen ab, wenn 
die Helligkeit wuchs. Schon durch die so erreichbare kürzeste Re- 
aktionszeit ist nun offenbar dem in der Trägheit des Reizprozesses 
gelegenen Verzögerungsmoment ausreichend Rechnung getragen. Daß 
die Reaktion bei schwacher Beleuchtung länger auf sich warten läßt, 
muß daher andere Gründe haben. Aus solchen Überlegungen heraus 
hat Tröndle (1910) für den Phototropismus ebenso wie für den 
Geotropismus (vgl. oben S. 67) die Hypothese aufgestellt, daß diese 
Verspätung der Reaktion dem langsamen Ansteigen der Erregung bei 
schwachem Reizanlaß zuzuschreiben sei. 

Er zerlegt daher die „eigentliche Reaktionszeit“, wie sie bei konstanter 
Stimmung erzielt wurde, wiederum in zwei Teile, von denen der eine konstant 
und gleich der kürzesten erzielbaren Reaktionszeit ist, während der andere mit 
steigender Reizstärke an Länge abnimmt und bei der kürzesten Reaktionszeit 
verschwindend kurz wird. Tröndles Berechnung mit Hilfe der beim Geotro- 
pismus erwähnten Formel unter Zugrundelegung meiner früheren Messungen 
ergab wiederum gute Übereinstimmung. 


Reaktionszeiten von Haferkeimlingen 
bei verschiedenen Beleuchtungsintensitäten. 


II | tl! 
I ® . | . 
Entfernung yon m eaktionsreit etio- Reaktionszeit am ‚Nach Be 
einer 30kerzigen Orte vorbelich- Formel berechnete 


lierter Keimlinge Reaktionszeit für 


Nernstlampe teter Keimlinge die letzteren 

(Pringsheim 1907) (Tröndle 1910) 

30 cm 57 Min. | 28 Min. ' 30,1 Min. 
80.).; Do | 307% | 2 
90 „ 50 „ | 2, | 30,4 „ 
120 „ 46 „ Ne - | 1 a 
15055 46 „ BP, SlSSERR 
200 „ en ABS Bu, eo. 
300 „ ABA | AGu: | 3A“ 
400 „ 46 „ | Ale ;; | 40,0 „ 
500 „, A; Ab, | 45,0 „ 
B0023 He SU DIDI 
700 „, 59 „ 60, | 60,0 „ 
800 „, 0 5, 70, 10 


Wie man sieht, ist die Reaktionszeit im Dunkeln gewachsener Keimlinge 
etwa bei 300—400 em Entfernung von der Lampe am kürzesten und nimmt 
von da nach beiden Seiten zu (I. Reihe). Bei konstanter Stimmung dagegen 
sinkt die Reaktionszeit bei wachsender Helligkeit erst stark, dann weniger, um 


Einfluß der Lichtfarbe. 167 


etwa bei 30—60 em ihr Minimum zu erreichen (II. Reihe). Die III. Reihe hat 
Tröndle auf Grund seiner Formel berechnet und dabei als ‚„Trägheitskonstante‘‘ 
30 Minuten angenommen, was etwa der kürzesten Reaktionszeit entspricht. 


Über die Abhängigkeit der phototropischen Erregung von der 
Intensität und Dauer des Lichteinflusses sind wir nun unterrichtet. 
Die Bedeutung verschiedener Winkellagen des gereizten Objektes zur 
Richtung der reizenden Kraft aber, die beim Geotropismus der 
Gegenstand eingehender Studien gewesen ist, hat beim Phototropis- 
mus bisher gar keine Beachtung gefunden.') 


Möglicherweise hängt die Reizwirkung nur von der Helligkeit auf der Ober- 
fläche der Pflanze ab. Nach optischen Gesetzen müßte sie dann umgekehrt propor- 
tional dem Sinus des Winkels der Strahlen gegen die Fläche sein. Das entspräche 
dem beim Geotropismus gefundenen Verhalten. Mit Recht hebt Wiesner 
(1878 S. 29) hervor, daß Versuche von Müller-Thurgau (1876) ungefähr dieser 
Erwartung entsprechen. Genaues aber kann man infolge der unausgebildeten 
Versuchsmethodik der damaligen Zeit aus ihnen nicht entnehmen. Sie zeigen 
nur, daß senkrecht auffallendes Licht stärker wirkt als schräges.. Würde man 
Versuche mit der Schwellen- oder der Kompensationsmethode anstellen, so 
könnten sich möglicherweise Abweichungen von der obigen mathematischen 
Formulierung ergeben. Hinge aber wirklich die Reizwirkung nicht allein von 
der induzierten Helligkeit ab, so könnte das für unsere Auffassung vom Wesen 
der phototropischen Perzeption bedeutungsvoll werden. Treffen nämlich die 
Lichtstrahlen ein zylindrisches Organ schräg zu seiner Längsachse, so wird ihr 
Weg durch die Pflanze länger und die Differenz in der Helligkeit der Vorder- 
und Hinterseite relativ größer sein als bei senkrechtem Einfall. Wäre der letztge- 
nannte Umstand ausschlaggebend für die Perzeption, so könnte man eine 
höhere Reizwirkung schrägen Lichtes erwarten als sie der Oberflächenhelligkeit 
entspricht. Gilt dagegen das Sinusgesetz genau, so wird es wahrscheinlich, daß 
die Reizaufnahme in den einzelnen Zellen und zwar denen der äußeren Schichten 
stattfindet. 


Ebensowenig wie diese Frage ist bisher genauer untersucht 
worden, welchen Einfluß die Größe der beleuchteten Fläche auf die 
Reizintensität hat. 


Man weiß freilich, daß die Krümmung am stärksten wird, wenn der 
ganze perzeptionsfähige Teil beleuchtet ist, sowie daß es empfindlichere und 
weniger empfindliche Regionen gibt. Auch über die Verteilung der Empfind- 
lichkeit würden übrigens Präsentationszeitversuche genaueren Aufschluß geben. 
Die Frage, die ich hier im Auge habe, ist aber eine andere, nämlich die, ob 
bei teilweiser Verdunklung der perzipierenden Fläche, unter Ausschaltung jener 
Verschiedenheiten in der Empfindlichkeit, die Reizwirkung proportional sänke. 
Solche Versuche würden sich exakt anstellen lassen, wenn man kleine beleuch- 
tete Flächen mit verdunkelten abwechseln ließe. Bei der menschlichen Netz- 
haut hat man mit derartigen Methoden in der Tat eine einfache proportionale 
Abhängigkeit der Erregung von der Größe der beleuchteten Fläche gefunden. 


d) Einfluß der Lichtfarbe. 


Genauer als über die zuletzt erwähnten Variationen in der Art 
der Belichtung sind wir über die Bedeutung der qualitativen Ver- 
schiedenheit des Reizmittels, also über die der Lichtfarben unter- 


1) Bei dem folgenden gedenke ich mit Dank früherer Anregungen von 
Herrn Prof. A. Nathansohn-Leipzig. 


168 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz. 


richtet. Aus älteren von Wiesner (1878) eingehend besprochenen 
und ergänzten Versuchen geht hervor, daß im allgemeinen die 
langwelligen Strahlen, etwa von Rot bis Grün, weniger wirksam 
sind als die kurzwelligen von Grün bis Violett. Darin stimmt also 
die Wirkung farbigen Lichtes auf den Phototropismus mit der auf 
das Wachstum überein. Jedoch scheint sich der Unterschied der 
Wellenlänge beim Phototropismus stärker bemerkbar zu machen als 
bei der Hemmung des Längenwachstums. Gelbes Licht wirkt z. B. 
sehr wenig auf die Krümmung von Keimlingen, dagegen noch be- 
trächtlich auf ihre Streckung (vgl. z. B. Wiesner 1880 S. 11), und 
dunkelrotes Licht, das kaum noch Phototropismus hervorruft, kann 
das Wachstum merklich beeinflußen (eigene Versuche). 

Über die genauere Verteilung der phototropischen Reizwirkung 
im Spektrum lauten jedoch die älteren Angaben, die sich auf die 
Beobachtung des Krümmungsverlaufes stützen, sehr verschieden. 


R % Rn | ———g 


/ i 
FE / 1} \ 
’ j & = 
% x \ 
jf 
ER SE WAS. / 
 — —— — =——=% =— Ir Imst u al - zul er 1 
650 600 550 9 450 “00 350 
Rot Orange Gelb Grün Blau Yndigo Violett Ulra -V. 
Abb. 55. 


Kurven für die Wirkung farbigen Lichtes nach Blaauw 1909. 


Die kurzgestrichelte Kurve gibt das Resultat entsprechender Messungen 
am menschlichen Auge, die langgestrichelte Blaauws Messungen an Phycomyces 
und die ausgezogene die an Avenakeimlingen wieder. Die Zahlen unten be- 
deuten die Wellenlängen in Milliontelmillimetern — wu. 


Dreißig Jahre ruhte das Problem. Genauere Resultate wurden dann 
auch hier erst unter Benutzung der Präsentationszeit als Maß der 
Erregungsstärke erzielt. Blaauw (1909) stellte etiolierte Haferkeim- 
linge sowie Phycomyceskulturen in ein objektives Spektrum und be- 
stimmte, wie lange sie in den einzelnen Farbenbezirken belichtet 
werden mußten, damit nachher im Dunkeln eine Krümmung auf- 
trete. Es zeigte sich, daß das Maximum der Reizwirkung im Indigo 
liegt und sowohl nach dem Ultraviolett als besonders nach dem Rot 
zu abnimmt. a 

Eine größere Bedeutung und bessere Vergleichbarkeit bekommen 
diese Befunde erst durch Berücksichtigung der Energieverteilung und 
Dispersion im Spektrum. Diese Momente sind früher stets unberück- 


Einfluß der Lichtfarbe. 169 


sichtigt geblieben, oder vielmehr, man hatte nicht die physikalischen 
Mittel ihre Wirkung festzustellen. Erst neuerdings hat man ein objek- 
tives Maß zur Vergleichung der Wirksamkeit der Spektralbezirke in 
ihrer Wärmewirkung gewonnen und die Methoden ausgebildet sie zu 
messen. Nahm nun Blaauw die entsprechenden Umrechnungen vor, 
so ergaben sich bestimmte Zahlen für den Reizwert (das Reziproke 
der Präsentationszeit) der einzelnen Wellenlängen, die in der beige- 
druckten Kurventafel eingetragen sind. (Abb. 55). 

Als Resultat der Untersuchungen ergibt sich für Avena: „daß 
die Empfindlichkeit für die schwächer brechbaren Strahlen bis ins 
Grün äußerst gering ist, und zwar in dem Maße, daß dieselbe bei 
534 uu (Grün) 2600mal geringer ist als für die Wellenlängen, wobei 
die maximale Empfindlichkeit liegt, daß diese Empfindlichkeit bis 
etwa 500 uu (Blaugrün) gering bleibt, aber von 500 uu an sehr 
groß wird, um ihr Maximum noch im Indigo bei etwa 465 uu zu 
erreichen; daß sie im Violett abnimmt, auf der Grenze des Violettes 
und Ultraviolettes bei 390 uu nur halb so groß ist als bei dem 
Maximum, aber doch im Ultraviolett bei 365 uwu noch ungefähr den 
vierten Teil ihres Maximalwertes beträgt.‘ Im Rot bis Grün ist 
die Wirkung sehr gering, aber bei starkem Licht nicht gleich Null. 

Die Kurve für Phycomyces zeigt eine ähnliche Form, ist aber 
nach der langwelligen Seite verschoben, so daß z. B. hinter Farbstoff- 
lösungen, die alle Strahlen von Violett bis Grün absorbieren, noch 
gute phototropische Krümmungen auftreten können. Das phototro- 
pische Pilze noch hinter Kaliumbichromatlösungen reagieren können, 
Keimlinge aber nicht, war übrigens schon früher bekannt. (Beispiele 
bei Pfeffer 1904 S. 577). Für das Auge ist die Kurve noch weiter 
nach Rot hin vorgeschoben. 

Man ersieht daraus, daß verschiedene phototropische Pflanzen 
sich in bezug auf ihre Farbenempfindlichkeit recht verschieden ver- 
halten können. 


Für viele Lichtreizversuche ist es bedeutungsvoll, die Pflanzen beobachten 
zu können, ohne sie mit wirksamem Lichte zu beleuchten. Die Möglichkeit 
hierzu ergibt sich aus der geringen Empfindlichkeit der meisten phototropischen 
Pflanzen für rotes Licht, das auf unser Auge noch stark einwirkt. Es muß 
aber für jeden Fall erst geprüft werden, ob das benutzte Farbfilter auch sicher 
genug ist (Pringsheim 1908). 


Wenn oben das Wort Farbenempfindlichkeit angewendet wurde, 
so darf man es nicht etwa mit Farbenunterscheidungsvermögen ver- 
wechseln. Ein solches, also eine qualitativ verschiedene Reizwirkung 
der einzelnen Spektralbezirke, ist bei Pflanzen nicht nachgewiesen 
und auch nicht wahrscheinlich. 

Im Übrigen treten in farbigem Lichte, vorausgesetzt, daß es 
stark genug ist, dieselben Reizwirkungen auf wie in gemischtweißem. Es 
mag nur noch bemerkt werden, daß die Verteilung der phototropischen 
Reizwirkung im Spektrum nicht mit der Assimilationsenergie der 
einzelnen Strahlengattungen übereinstimmt. So wirken rote Strahlen 


170 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz. 


phototropisch fast gar nicht, bewirken aber starke Kohlensäurezerle- 
gung. Das ist deshalb auffällig, weil das phototropische Reaktions- 
vermögen vielfach als eine Hilfsanpassung zur Erreichung der für 
die Kohlensäureassimilation geeigneten Lichtverhältnisse anzusehen 
ist. Für grüne Blätter freilich sind die phototropisch wirksamsten 
Spektralbezirke noch nicht ermittelt worden. Sie dürften sich aber 
darin den anderen phototropischen Organen anschließen. Die Ein- 
richtungen in der Pflanze sind eben auf die natürlichen Bedingungen 
zugeschnitten, unter denen eine Zerlegung des weißen Lichtes, wie sie 
für theoretische Zwecke vorgenommen werden muß, nicht vorkommt, 


Damit hätten wir einen gewissen Einblick in die verwickelten 
Verhältnisse des ÖOrthophototropismus und der ihn beeinflussenden 
Faktoren gewonnen. Im nächsten Abschnitte werden wir die vor- 
läufig allein berücksichtigten experimentellen Ergebnisse durch Be- 
tonung der ökologischen Gesichtspunkte zu ergänzen haben. Hierauf 
wenden wir uns dann den übrigen Erscheinungsformen des Photo- 
tropismus zu, ähnlich, wie das beim Geotropismus geschehen ist. 


e) Verbreitung und Ökologie des Phototropismus. 


Bisher haben wir die phototropischen Erscheinungen hauptsäch- 
lich nach der theoretischen Seite hin besprochen. Wir haben uns 
zu dem Zwecke auf möglichst einfach reagierende Versuchsobjekte be- 
schränkt, wie sie gewöhnlich zur Lösung reizphysiologischer Fragen 
Verwendung finden. Diese wurden dann unter mannigfaltige, teil- 
weise recht unnatürliche Versuchsbedingungen gebracht, um aus 
ihnen die Antwort auf irgendeine theoretische Fragestellung hervor- 
zulocken. 

Über die Erscheinungsformen des Phototropismus in der Natur 
und ihre Bedeutung für die Pflanze läßt sich aus solchen Experi- 
menten nicht unmittelbar etwas entnehmen, so wertvoll sie sich 
schließlich auch für die Deutung des im Freien Beobachteten erweisen 
werden. Wir wollen uns nun danach umsehen, welche Verbreitung 
die phototropische Reizbarkeit hat, und welchen Nutzen sie den ver- 
schiedenen Gewächsen bringt. 

Die meisten aufrecht wachsenden Stengel sind positiv photo- 
tropisch. Fällt das Licht vorzugsweise von oben auf sie, so wirken 
Geo- und Phototropismus im gleichen Sinne und unterstützen sich 
gegenseitig. Man sieht dann nichts von der Mitwirkung des Lichtes. 
Anders, wenn die Beleuchtung, wie so häufig, hauptsächlich von der 
Seite kommt. Am Waldrande, z. B., an Hecken und im Gebüsch, 
findet man sehr oft solche Fälle. Die dort wachsenden Pflanzen 
streben fast ausnahmslos schräg aus dem Schatten hervor. Sie neigen 
sich von der dunklen Fläche ab, gleichgültig, in welcher Himmels- 
richtung diese liegt, weil das meiste Licht jedenfalls von der offenen 
Seite kommt. ‚Jeder Spaziergang zeigt uns solche Fälle. Sehr schön 


Verbreitung und Ökologie des Phototropismus. 7 


kann man die Erscheinung z. B. an Schwalbenwurz (Vincetoxicum 
officinale), Schwalbenwurzenzian (Gentiana asclepiadea), Weidenrös- 
chen (Epilobium angustifolium) und anderen sehen. Hier dient offen- 
bar der Phototropismus der Stengel dazu, die Blätter und Blüten 
in bessere Beleuchtung zu bringen. Sehr deutlich wird das auch an 
vielen Zimmerpflanzen, deren Zweige einseitig dem Lichte zustreben, 
während die Schattenseite kahl wird (Abb. 56). 

Nicht immer ist der Heliotropismus älterer Stengel so merklich 
ausgebildet. Aus der Monographie von Wiesner (1880), die viele 
Beobachtungen wiedergibt, kann man ersehen, daß im allgemeinen 
die Abweichung von der durch den Geotropismus bedingten senk- 
rechten Stellung nicht groß ist. Im freien 
Felde, wo die Beleuchtung mehr gleich- 
mäßig ist, finden wir kaum ausgesprochen 
phototropische Stengel. Die an solchen 
Stellen wachsenden Pflanzen lassen auch 
im Experiment ein starkes Überwiegen 
der geotropischen Reizbarkeit über die 
phototropische erkennen. Andere folgen 
in gewissen Grenzen dem Laufe der Sonne, 
so besonders die Tragachsen vieler Kom- 
positenköpfehen, wie die der ‚Sonnen- 
rose‘ (Helianthus), der Schwarzwurz 
(Tragopogon) u.a. 

Ein abweichendes Verhalten zeigen 
kriechende Stengel. Freilich ist ihr 
phototropisches Verhalten nicht so gut 
untersucht wie das geotropische. Manche 
in hellem Lichte am Boden liegenden 
Pflanzen richten sich im Dunkeln oder 5 : $ 

% 2 = g /immerpflanze von BEuphorbia 

bei schwachem Lichte auf (Vöchting splendens. Alle Zweige streben 
Bo zeict uns z. B. die Abbil- °°@ vou Ike kommenden Bichte 
dung von Epilobium Hectori auf 8.71. 
Die im Freien horizontal kriechende Pflanze wurde einige Zeit bei 
schwächerer Beleuchtung kultiviert und reagierte nun negativ geotro- 
pisch. Man kann aber nicht ohne weiteres sehen, ob die normale 
Horizontallage auf negativem resp. transversalem Heliotropismus be- 
ruht oder ob nicht die Beleuchtung die geotropische Ruhelage ver- 
ändert, ähnlich wie wir das für gewisse Rhizome oben (S. 114) be- 
sprochen haben. Bei Glechoma hederacea (Günsel) und Lysimachia 
Nummularia (Pfennigkraut) hat Oltmanns (1897) das letztere sehr 
wahrscheinlich gemacht. 

Genauer sind wir über das Verhalten der vegetativen Efeusprosse 
unterrichtet (Sachs 1879). Die am Fenster kultivierten Keimpflanzen 
beugen sich zuerst nach diesem hin, sind also positiv phototropisch. 
Später machen aber die Stengel eine Biegung in der entgegen- 
gesetzten Richtung, und die wachsenden Sprosse wachsen in hori- 


Abb. 56. 


172 V. Riehtungsbewegungen auf Lichtreiz. 


zontaler Richtung ins Zimmer hinein. Sie sind demnach nun negativ 
phototropisch. Wachsen sie z. B. in der Nähe einer Mauer, so krümmt 
sich der Laubsproß nach ihr hin, weil von dieser Seite am wenigsten 
Licht kommt. An der vertikalen Wand klettert er dann mit seinen 
Haftwurzeln vermöge seines negativen Geotropismus in die Höhe 
und schmiegt sich ihr negativ phototropisch an (Abb. 57). Ist die 
obere Kante erreicht, so kriecht der Sproß auf ihr hin, um jenseits 
wagerecht weiter zu wachsen und schließlich im Bogen abwärts zu 
hängen. Der Geotropismus verhindert dann die Pflanze, etwa an 
der Mauer wieder hinunter zu klettern. Die Nebenzweige verhalten 


Abb. D7. 


Efeu an einem Baumstumpf. Die Triebe kriechen erst senkrecht empor und dann 
horizontal auf der oberen Fläche weiter. 


sich phototropisch wie der Hauptsproß; geotropisch aber wachsen sie 
an Mauern transversal schräg aufwärts. Dadurch, daß der Geo- 
tropismus beim Efeu nicht sehr stark ausgebildet ist, wird erreicht, 
daß die Sprossen sich auch schräggestellten Unterlagen anzupressen 
vermögen. 

Ähnlich wie der Efeu verhält sich die Kapuzinerkresse (Tro- 
paeolum majus). Der Keimsproß mit seinen gegenständigen Blättern 
ist wiederum positiv phototropisch. Später aber wendet sich die fort- 
wachsende Spitze vom Lichte fort und kriecht bei genügend inten- 
siver Beleuchtung am Boden hin. Die Ansatzstellen der Blätter sind 
nun spiralig am Stengel zerstreut. Die Blätter selbst richten sich 
aber, vermöge des negativen Geotropismus ihrer Stiele auf. In nicht 


Verbreitung und Ökologie des Phototropismus. 173 


sehr starkem Lichte strebt die Spitze des Stengels bogenförmig in 
die Höhe. 

Der Kürbis (Cucurbita Pepo) unterscheidet sich von den letzten 
beiden Pflanzen dadurch, daß der positive Phototropismus dauernd 
erhalten bleibt. Der Keimsproß ist auch hier orthotrop. Nach der 
Ausbildung der ersten Laubblätter aber entsteht eine scharfe Ab- 
wärtskrümmung im Stengel. Von da an wächst die Pflanze am 
Boden entlang, bildet Wurzeln und schiebt sich in der Richtung des 
Lichtes weiter. Blatt- und Blütenstiele sind wieder orthotrop, ne- 
gativ geotropisch und positiv phototropisch. 

Bei vielen kriechenden Sprossen, von denen die des Efeus am 
besten untersucht sind, kommt ein verwickeltes Verhalten dadurch 
zustande, daß die Entstehung der Dorsiventralität selbst schon von 
der Einwirkung des Lichtes abhängig ist. Was Rücken- und was 
Bauchseite werden soll, wird nämlich durch die Lichtrichtung be- 
stimmt. Auf der Schattenseite entstehen die Wurzeln, während die 
Blätter nach der Lichtseite hinüberrücken. Beim Efeu läßt sich die 
Dorsiventralität durch Belichtung von unten jederzeit umkehren. 
Bei anderen Pflanzen ist sie zwar im Jugendzustand auch durch 
das Licht, also durch äußere Einflüsse bestimmbar, dann aber un- 
veränderlich festgelegt. 

Das erste Niederlegen des orthotropen Keimstengels kriechender 
Gewächse hat nichts mit Phototropismus zu tun, sondern ist die 
Folge der Ausbildung einer Bauch- und einer Rückenseite. Nur die 
Richtung des Fortkriechens hängt zuweilen, wie beim Efeu, aber 
auch nicht immer, von der Lichtrichtung ab. Diese Abhängigkeit 
macht sich z. B. beim Günsel (Glechoma) gar nicht bemerklich, die 
Sprosse kriechen nach allen Richtungen. Daß die Horizontalstellung 
nicht auf Phototropismus beruht, zeigt sich bei Lysimachia Nummu- 
laria und Tropaeolum auch darin, daß sie an einer älteren Stelle 
des Stengels erfolgt als etwaige phototropische (positive) Krümmungen 
(Sachs 1879, Oltmanns 1897). 


Wir haben nun schon einige Fälle kennen gelernt, in denen (bei 
gleichmäßiger mittlerer Lichtintensität) ein Wechsel im Sinne des 
Phototropismus eintritt. Es kann also ein und derselbe Pflanzen- 
stengel von einer bestimmten Altersstufe an sein Verhalten dem 
Lichte gegenüber verändern, ganz ebenso, wie wir das bei der Ein- 
stellung gegenüber der Schwerkraft (S. 82) kennen gelernt haben. 
Auch bei Blütenstielen finden wir hier wie dort solche Richtungs- 
veränderungen. Die vollentwickelten Blüten streben ganz allgemein 
dem hellen Lichte zu, in dem sie ja auch ihre Aufgabe, ‚Insekten 
anzulocken, besser erfüllen können als im Schatten. Wie bei vielen 
anderen Pflanzen ist das auch bei Linaria Cymbalaria, einem an Mauern 
wachsenden Pflänzchen mit lila Blüten sehr schön zu sehen. Die 
Stiele der Blüten streben aus dem der Mauer angeschmiegten Blatt- 
werk hervor. Nach dem Verblühen aber machen die Blütenstiele 


174 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz. 


dieser Pflanze einen scharfen Bogen einwärts, vom Lichte fort. Dabei 
treffen sie, vermöge ihres ausgeprägten negativen Phototropismus, so 
genau beschattete Stellen, daß die Früchte häufig in Ritzen der 
Mauer gelangen (Hofmeister 1867). Fallen später die Samen aus 
der reifen Kapsel. so haben sie sofort einen zum Keimen geeigneten 
Platz. 

So wie die Frucht von Linaria Cymbalaria, so werden auch 
viele Ranken und Wurzeln von Kletterpflanzen durch ihren nega- 
tiven Phototropismus nach einer Stütze hin und selbst in Vertiefungen 
der Rinde, Ritzen zwischen Steinen und dergleichen geführt. Ne- 
gativ phototropisch sind z. B. die Ranken von Weinstock (Vitis 
vinifera), wilden Wein (Ampelopsis quinquefolia) und anderen. Ab- 
weichend verhalten sich jedoch die 
entsprechenden Organe der kleine- 
ren, gewöhnlich im Gebüsch klettern- 
den Pflanzen. Die Ranken der Erbse 
(Pisum sativum) sind gar nicht, 
die der Passionsblume (Passiflora) 
schwach positiv phototropisch, was 
im Zusammenhange mit ihrer 
Lebensweise begreiflich erscheint, 
denn die Stützzweige werfen wenig 
Schatten und sind auf allen Seiten 
zu finden. Diese Ranken werden 
deshalb auch allein von ihrer Tast- 
reizbarkeit gelenkt. 

Von Wurzeln der Kletter- 
pflanzen ist negativer Phototropis- 

Abb. 58. mus beim Efeu, bei der Vanille 

Keimpflanzen vom Senf auf Löschpapier. (Vanilla planifolia) und anderen 
Sowohl die Stengel wie die Wurzeln in der . . te : 

tichtung der von links oben einfallenden Orchideen, sowie bei vielen Aroideen 

Eichiänzablenzerete bekannt. Desgleichen bei Hartwegia 

comosa (Wiesner 1878 bis 1880). 

Die Erdwurzeln dagegen sind fast durchwegs phototropisch indifferent. 

Sie stecken ja auch für gewöhnlich in der Erde und haben keine 

Gelegenheit, auf Licht zu reagieren. Daß sie nicht aus dem Boden 

hervorwachsen, wird schon durch ihren Geotropismus erreicht, sowie 

dadurch, daß sie trockene Stellen vermeiden. 

Einige wenige Erdwurzeln freilich sind als phototropisch bekannt; 
aber unter diesen sind wohl gleich viele, die positiv, wie solche, die 
negativ reagieren. Zur ersten Gruppe gehören die Wurzeln von 
Hyazinthen (Hyacinthus orientalis) und Knoblauch (Allium sativum), 
zur zweiten die Keimwurzeln von Senf (Sinapis alba), Raps (Brassica 
Napus) und anderen Cruciferen. An letzteren beiden läßt sich der 
negative Phototropismus gut beobachten, sowohl in Wasserkultur, wie 
auch besonders beim Wachsen auf feuchtem Fließpapier (Abb. 58). 
Läßt man negativ phototropische Wurzeln im Sachsschen Wurzelkasten 


Verbreitung und Ökologie des Phototropismus. 175 


hinter einer Glasscheibe in Erde wachsen, so wachsen sie im Dunkeln 
der Scheibe angepreßt. Am Lichte aber verschwinden sie alle in die 
Tiefe (Abb. 59). Danach kann die phototropische Reaktionsweise 
für diese Wurzeln wohl ein Hervortreten aus dem Boden verhindern. 
Die Seltenheit der Erscheinung in dieser Form warnt aber vor Ver- 
allgemeinerungen. Übrigens wissen wir ja, daß der negative Photo- 
tropismus auch diesen Wurzeln nur bei einer bestimmten Helligkeit 
zukommt (vgl. S. 160). 


Abb. 59. 


Rapswurzeln hinter Glas in Erde. Die linke Hälfte war verdunkelt. 
Man sieht die Wurzeln an der Glasscheibe entlang wachsen. Die 
rechte Hälfte belichtet. Die Wurzeln sind in die Tiefe verschwunden. 
[Die dunkeln Flecke rechts sind Algen.] Etwa !/, der natürl. Größe. 


Eine sehr große Rolle spielt der Phototropismus bei der Kei- 
mung der Samen. Wir haben gehört, daß die Keimstengel sowie die 
Keimscheiden der Gräser und ähnliche Organe die Aufgabe haben, 
die jungen Blätter oder die assimilationsfähigen Cotyledonen möglichst 
schnell ans Licht zu bringen. Sind die Samen bei der Keimung 
verdunkelt oder beschattet, so strecken sich die genannten Organe 
so lange, bis sie ausreichendes Licht erreicht haben. Erst dann 
breiten sich die Blattorgane aus. Das Hervorkommen aus dem Boden 
oder aus bedeckenden Blättern u. dgl. wird durch die Form der 
vorangehenden Teile und den negativen Geotropismus ermöglicht. 
Als wesentliches Hilfsmittel kommt aber der positive Phototropismus 
hinzu. 

Stärkere Keimstengel, wie die von Bohnen, Sonnenrosen, Kasta- 
nien, Pferdebohnen u. dgl. werden aus eigener Kraft viele Hinder- 
nisse hinwegräumen können und daher am schnellsten ihr Ziel er- 


176 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz. 


reichen, wenn sie senkrecht nach oben stoßen. Sie stehen deshalb 
auch ganz vorwiegend unter dem orientierenden Einflusse der Schwer- 
kraft. Ebenso werden sich die aus Zwiebeln, Knollen, Wurzel- 
stöcken u. dgl. hervorbrechenden Triebe verhalten. Sie sind denn 
auch gleichfalls gewöhnlich nur schwach phototropisch. Man denke 
an die Wedel der Farne, treibende Hyazinthen, Kartoffelkeime. Erst 
wenn diese Objekte längere Zeit im Dunkeln ohne Stütze fortwachsen, 
können die langen etiolierten Triebe sich nicht mehr aufrecht halten. 
Sie legen sich dann auf den Boden und schieben sich dem Lichte zu. 
Der Geotropismus kann in diesem Zustande dem Phototropismus nicht 
entgegenwirken. Aufrechte Triebe der genannten Gewächse aber 
wachsen auch bei einseitiger Beleuchtung fast senkrecht in die Höhe. 

Im Gegensatz hierzu stehen die Keimlinge der meisten klein- 
samigen Pflanzen. Wenn sie entsprechend gebaut sind, können sie zwar 
auch recht beträchtliche Schichten lockerer Erde durchbrechen. Hafer- 
keimlinge sah ich noch hervorkommen, als sie 30 cm tief gepflanzt 
waren. Das können sie aber nur in völliger Dunkelheit. Sobald 
sie auch nur von schwachem Lichte getroffen werden, brechen, wie 
wir gesehen haben, die Blätter durch und hindern das Fortkommen. 
Die dikotylen Keimlinge sind wegen ihrer Keimblätter in der Be- 
ziehung noch ungünstiger gestellt. Deshalb ist es begreiflich, daß 
alle schwächeren jungen Pflänzchen nicht der Schwerkraft folgen, 
sondern sich in die Richtung des Lichtes stellen. So können sie 
jede, auch seitlich liegende Spalte zwischen Steinen, Blättern, Wur- 
zeln benutzen, um hervorzukommen. Es ist also für sie von großem 
Nutzen, daß ihr Phototropismus stärker ist als ihr Geotropismus. 
Nun gewinnt das, was wir oben (8. 152 u. 153) rein theoretisch be- 
trachtet haben, einen ökologischen Sinn. 

Alle die als stark phototropisch bekannten unter den häufig be- 
nutzten Keimpflanzen sind ziemlich zart, wie die der Kresse (Lepidium 
sativum), des Raps (Brassica Napus), des Mohn (Papaverarten), der 
Gräser usw. Natürlich ist diese Regel nicht ohne Ausnahmen. So 
können auch zarte Keimstengel schwach phototropisch sein. Doch ist 
der kräftigste unter den stark phototropischen Keimlingen, der mir bis 
jetzt vorgekommen ist, der von Ipomoea (blaue Winde) noch ziemlich 
zart. Jedenfalls glaube ich, daß der hier angedeutete ökologische 
Zusammenhang mehr Bedeutung hat als der von Figdor (1893) an- 
genommene, nach dem die im etiolierten Zustande phototropisch 
empfindlichsten Keimlinge Schattenpflanzen angehören sollen. Eine 
gewisse Berechtigung hat dieser Gedanke wohl auch, denn neben 
dem Hervorfinden aus finsteren Keimorten kommt ja dem Photo- 
tropismus noch eine zweite Aufgabe zu, nämlich die schon angedeutete, 
günstige Assimilationsbedingungen aufzufinden. 

Diese beiden Gesichtspunkte hat schon Darwin [(1880) 1899, 
S. 387 u. 399] unterschieden. Durch die Lichtstellung des Keim- 
stengels werden die an ihm befestigten jungen Assimilationsorgane 
passiv in eine geeignete Lage zum Auffangen des Lichtes gebracht. 


Verbreitung und Ökologie des Phototropismus. 177 


Über die ökologische Bedeutung des negativen Phototropismus, wie er an 
im Dunkeln erwachsenen Keimpflanzen in grellem Lichte auftritt, läßt sich 
nichts sehr Überzeugendes sagen. Es ist zwar möglich, daß bisher bedeckt 
gewesene Pflänzchen einen Vorteil daraus ziehen, wenn sie zu starker Beleuch- 
tung aus dem Wege gehen. Denn bis ihre Stimmung so weit gestiegen ist, daß 
sie positiv reagieren, können sie sich vielleicht durch Ausbildung von Schutz- 
mitteln gegen zu starke Wasserverdunstung und andere Veränderungen vor den für 
etiolierte Pflanzen schädlichen Folgen intensiver Bestrahlung retten (Prings- 
heim 1907, S.293). Ob aber diesem theoretisch konstruierten Zusammenhange eine 
größere Bedeutung in der Natur zukommt, läßt sich vorläufig kaum übersehen. 

Eine Sonderstellung unter den Keimpflanzen nehmen dem Lichte 
gegenüber die der Mistel (Viscum album) ein. Die Samen dieser 
Schmarotzerpflanze haf- 
ten mit Hilfe des kleb- 
rigen Fruchtfleisches an 
Zweigen der Bäume, wo- 
hin sie von Vögeln ver- 
schleppt werden. Bei der 
Keimuns tritt ein Stengel- 
organ hervor, das negativ 
phototropisch ist (Wies- 
ner 1878 u. 80) und sich 
infolgedessen an die Rinde 
anlegt. Darauf bildet es 
ein Haftorgan, und von 
diesem aus werden dann 
Fortsätze ins Innere der 
Wirtspflanze getrieben. 
Um überhaupt zu keimen, 
braucht der Mistelsame 
gleichfalls Lieht. In ihren 
ersten Stadien zeigt also 
die Pflanze eine starke 
Abhängiskeit von derHilfe 
des Lichtes. Später ist 
sie dann weder phototro- 
pisch, noch geotropisch. Wilder Wein an einem Zaune. Das Licht kommt 
So erklärt sich der gleich- hauptsächlich von vorn, daher die Blättchen senk- 
mäßig gerundete Wuchs a 
der Mistelbüsche. 

Bei der Mistel, wie auch bei manchen anderen Pflanzen (z. B. 
Ericaarten) sind auch die Blätter unabhängig von der Richtung 
des Lichtes; sie wachsen in der Stellung weiter, die ihnen durch 
ihre Lage zum Stengel gegeben ist. Die Blätter der meisten Pflanzen 
aber suchen, entsprechend ihrer Hauptfunktion, der Ausnutzung der 
Sonnenenergie, eine dafür geeignete Orientierung auf. Und zwar 
stellen sie im allgemeinen bei schwacher und mittlerer Lichtintensität 
ihre Fläche senkrecht zur Richtung der einfallenden Strahlen (Abb. 60). 
Sie sind transversalphototropisch. 

Pringsheim, Reizbewegungen. 12 


Abb. 60. 


178 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz. 


Die Orientierungsbewegungen der sitzenden Blätter werden am 
Grunde der Spreite ausgeführt. Ist ein Stiel vorhanden, so bewirkt 
er durch Krümmung und Drehung die Lichtstellung des Blattes. 
Bei den Blättern endlich, die mit Gelenken versehen sind, vollführen 
diese die notwendigen Orientierungsbewegungen, Biegungen wie Tor- 
sionen. Der Bewegungsmechanismus ist demnach derselbe wie beim 
Geotropismus. 

Man könnte einen Transversalphototropismus der Blattspreiten, 
die schon durch die positiv phototropischen Reaktionen der Stiele oder 
Gelenke in die richtige Lage gebracht werden, überhaupt für 
überflüssig halten. Der Fall, daß er fehlt, kommt in der Tat 
vor: So krümmt sich das Gelenk der Bohne (Phaseolus) und der Stiel 
von Fuchsienblättern, wenn diese Tragorgane allein einseitig beleuchtet 
werden; eine ausschließliche Beleuchtung der Blattfläche hat hier 
dagegen keine Orientierungsbewegung zur Folge (Krabbe 1889). In 
ähnlicher Weise ist bei den meisten Blättern die eigene Lichtreiz- 
barkeit des Stieles von Bedeutung für die Orientierung der Spreite. 
Oft kommt aber noch etwas anderes hinzu. Sehr klar zeigt das der 
von Vöchting (1888) genau beschriebene Fall der Blätter einiger 
Malven. Diese haben einen langen, durch Wachstumskrümmungen 
gut beweglichen Stiel. Dicht unter der Ansatzstelle des Blattes be- 
findet sich außerdem noch ein besonderes Bewegungsorgan. Es ist 
zwar äußerlich nicht scharf gegen den Stiel abgesetzt, stellt aber 
doch einen besonderen, sehr wirksamen Orientierungsmechanismus 
dar. Seine Krümmungen führen nicht zu dauernden Verlängerungen. 
Es liegt also ein typisches Gelenk mit Turgorbewegungen vor. 

Vöchting stellte nun einige Experimente an, in denen er durch 
ausschließliche Beleuchtung des Stieles, des Gelenkes und der Spreite 
die Perzeptionsfähigkeit dieser Teile zu erkunden suchte. Die dabei 
notwendigen Verdunkelungsvorrichtungen wurden so angebracht, daß 
sie die Bewegung möglichst wenig hemmten. Es ergab sich, daß Stiel 
und Gelenk positiv phototropisch sind und die Blattspreite, auch wenn 
diese selbst verdunkelt ist, in die richtige Lage bringen. Andrerseits 
erfolgen ganz entsprechende Krümmungen, wenn Stiel und Gelenk ver- 
dunkelt werden und nur die Blattfläche Licht empfängt. Selbst wenn 
das Licht senkrecht von unten kommt, krümmt sich der verdunkelte 
Stiel im großen Bogen herab und bringt die Spreite in verkehrte wage- 
rechte Lage. Eine soweit gehende phototropische Krümmung wird 
dagegen von Stielen, die des Blattes beraubt worden sind, nicht 
mehr ausgeführt, obgleich sie sich durchaus nicht als indifferent er- 
weisen. Werden Gelenk und Blattfläche von entgegengesetzten Seiten 
beleuchtet, während der Stiel an der Bewegung verhindert wird, so 
krümmt sich das Gelenk im Sinne des auf die Spreite fallenden 
Lichtes und bringt diese in eine zu den Strahlen senkrechte Lage. 

Aus allen diesen Versuchen geht hervor, daß neben der direkten 
Beleuchtung von Stiel und Gelenk für die Bewegungen des Blattes 
auch die von der Speite ausgehenden Impulse für die Lichtstellung 


Verbreitung und Ökologie des Phototropismus. 179 


maßgebend sind; ja sogar, daß letztere mächtiger sind als die Reize, 
die die Bewegungsorgane selbst treffen. Die Blattspreite muß somit 
einen phototropischen Reiz aufnehmen können, und zwar muß sie 
transversalphototropisch sein. Außerdem ist hier eine Leitung der 
Erregung über recht beträchtliche Strecken nachgewiesen. Später 
hat Haberlandt (1904) ähnliche Versuche an Blättern der Kapuziner- 
kresse (Tropaeolum) ausgeführt. Diese sind besonders schön photo- 
tropisch, entbehren aber des Gelenkes unter der Spreite (Abb. 61). Wird 
der Blattstiel allein beleuchtet, die Blattfläche aber verdunkelt, so 
erfolgt, wie schon Darwin gefunden hatte, gleichwohl eine phototro- 
pische Bewegung. Darwin hatte daraus oeschlossen, daß die Beleuch- 


Abb, 61. 


Eine Pflanze der Kapuzinerkresse wurde einige Tage in einem Kasten gehalten, der nur durch 
eine offene Querwand Licht erhielt. Die Blätter sind in dem schwachen Lichte klein geblieben 
und haben sich phototropisch eingestellt. Verkleinert. 


tung der Blattfläche selbst bei Erreichung der Lichtlage nicht maß- 
gebend ist. Demgegenüber konnte Haberlandt feststellen, daß auch 
der verdunkelte Stiel die Spreite in die richtige Lage bringt, wenn 
diese dem einseitigen Lichte ausgesetzt ist. Es findet also auch 
hier eine Leitung der tropistischen Erregung statt. 

Bei der Bewegung der Tropaeolumblätter zur Erreichung der 
Lichtlage sind somit sowohl die Spreite wie der Stiel als perzipierende 
Organe beteiligt. Haberlandt beobachtete äber, daß bei Beleuchtung 
des Stieles allein die Einstellung nicht sehr genau ist, während aus- 
schließliche Beleuchtung der Blattfläche oft keine ausreichende Krüm- 
mungsweite zur Folge hat. Daraus schloß Haberlandt, daß ‚‚der 


positiv heliotropische Blattstiel gewissermaßen die grobe Einstellung 
12* 


180 V, Richtungsbewegungen auf Lichtreiz. 


in die Lichtlage bewirkt, die Lamina (Spreite) dagegen die feinere 
Einstellung reguliert“. 

Schließlich fand Haberlandt in Begonia discolor (Schiefblatt) 
noch eine Pflanze, bei der der Blattstiel nur sehr schwach photo- 
tropisch ist, und die Perzeption der Spreite allein die recht genaue 
Einstellung in die Lichtlage bewirkt. Er unterscheidet demnach drei 
Fälle: 1. Die Lamina wirkt bei der Perzeption nicht mit (Phaseolus). 
2. Lamina und Stiel sind sensibel (Tropaeolum und Malva). 3. Die 
Lamina allein dirigiert die Bewegung (Begonia). 

Schon lange hatte man daran gedacht, ob nicht der Blattspreite 
(und ähnlichen Gebilden) eine besondere physiologische Struktur zu- 
komme, die sie befähigt sich quer zu den Lichtstrahlen zu stellen 
(De Vries 1872, Stahl 1877 und Sachs 1879). Diese Hypothesen 
können wir hier nicht besprechen, um so weniger als ihnen falsche 
Voraussetzungen zugrunde lagen. Man wollte nicht an einen Trans- 
versalphototropismus glauben. Aber auch jetzt, wo wir von dessen 
Vorhandensein überzeugt sind, erscheint der Fall schwieriger deutbar 
als der des Transversalgeotropismus. Jedenfalls kommt wohl bei den 
flächigen, sich quer zum Lichte stellenden Organen nicht die Differenz 
in der Beleuchtung von Vorder- und Hinterseite als Reizanlaß in Be- 
tracht, wie das bei orthotropen Pflanzenteilen vielleicht der Fall ist, 
sondern ausschließlich (?) die auf die Oberseite fallenden Lichtstrahlen. 
Wie sich Blätter verhalten, die von unten, z. B. genau senkrecht zur 
Fläche oder von oben und unten gleich stark beleuchtet werden, ist 
nicht genau untersucht worden. 

In neuerer Zeit hat dann Haberlandt (zuerst 1904) eine neue 
Theorie des Transversalphototropismus aufgestellt, die in zahlreichen 
Arbeiten von ihm und seinen Schülern weiter ausgebaut und ge- 
stützt worden ist. Man kann das Problem wohl nicht anders als 
durch eine besondere Perzeptionsform lösen wollen. Diese wird nach 
Haberlandt durch die Lichtbrechungsverhältnisse der Epidermis er- 
möglicht. Durch linsenartige Vorwölbungen und Verdickungen der 
Außenwände, durch Reflexion an Scheidewänden und dergleichen 
werden nach den zahlreichen eingehenden Untersuchungen (Literatur 
bei Haberlandt 1909a) bei senkrechter Beleuchtung eigentümlich an- 
seordnete Licht- und Schattenflecke auf dem der Innenwand der 
Epidermiszellen anliegenden Protoplasma erzielt. Bei schiefer Be- 
leuchtung rücken diese Flecke seitlich, treffen andere Partien der 
Plasmaschicht und bewirken so nach Haberlandt die Perzeption der 
Liehtrichtung durch bloße Unterschiedsempfindlichkeit der lebenden 
Substanz. Die ganze Vorstellung ist äußerst anschaulich und 
einleuchtend. Auch sind die beschriebenen Einrichtungen für jeden 
Beobachter überraschend. In manchen Fällen sind die linsenartigen 
Verdickungen in den Epidermisaußenwänden so regelmäßig gebildet, 
daß sie wirkliche kleine Bilder von Gegenständen erzeugen, die 
Haberlandt photographieren konnte. Aber man weiß vorläufig nicht, 
ob der Zweck dieser Gebilde der von Haberlandt vermutete ist. 


Verbreitung und Ökologie des Phototropismus. 181 


Hypothetisch ist vor allen die Funktion der Epidermis als Licht- 
perzeptionsorgan und die Notwendigkeit der beschriebenen Licht- 
brechungsverhältnisse für die Reizaufnahme.. Diese beiden Lücken 
wurden denn auch benutzt, um Angriffe gegen die Theorie zu 
eröffnen. 

Kniep (1907) gelang es, durch Benetzung mit dem stark licht- 
brechenden Paraffinöl die Beleuchtungsverhältnisse in der Epidermis 
verschiedener Blätter ganz zu verändern. Er benutzte dazu solche 
Pflanzen, bei denen die Konzentration des Lichtes auf der Mitte der 
Hinterwand der FEpidermiszellen allein durch die linsenartige Vor- 
wölbung der Außenwände zustande kommt (Tropaeolum- und Be- 
goniaarten). Durch Bedeckung mit Paraffinöl kehrte sich bei ihnen die 
Lichtverteilung auf der nach Haberlandt reizempfangenden Plasma- 
schicht um: Die Mitte wurde dunkel, der Rand hell. Gleichwohl 
rückten die Blätter in die normale Lichtlage. Haberlandt hält dem 
entgegen, daß es „lediglich auf die Unterschiedsempfindlichkeit für zen- 
trische und exzentrische Beleuchtung der Epidermisinnenwände‘“ an- 
komme (1909a 8. 573). ,So wie ein Mensch mit seinem Auge das 
betreffende Objekt zu fixieren vermag, sei es nun ein helles Feld auf 
dunklem Grunde oder umgekehrt ein dunkles Feld auf hellem Grunde, 
so vermag auch das Laubblatt die optischen Achsen seiner Epidermis- 
zellen parallel zur Lichtrichtung zu orientieren und so die Licht- 
quelle gewissermaßen zu fixieren“ (1909b 8. 415). 

Diese Auffassung steht im Zusammenhang mit dem Haberlandt 
naheliegenden Vergleich seiner Lichtperzeptionsorgane bei den Blättern 
mit den Augen von Tieren. Es wurde ihm aber eingewendet, daß 
das Fixieren eines Gesichtsobjektes ein erst bei höheren Tieren auf- 
tretendes, recht verwickeltes Verhalten sei, das für die Erklärung 
der Funktion primitiv gebauter pflanzlicher ‚Sinnesorgane‘ nur mit 
Vorsicht herangezogen werden sollte. 

Neuerdings nun (1910) zeigte Nordhausen, daß die Annahme 
Haberlandts, die Epidermis der Blätter perzipiere die Lichtrichtung, 
für ein bestimmtes Objekt (Arten von Begonia) nicht richtig sein kann. 
Er zerstörte die sehr großen Zellen der Oberseite durch Abreiben 
mit Glaspulver. Trotzdem stellten sich die Blätter senkrecht zum 
Lichte. Gerade Begonia war eins von Haberlandts Objekten. Für 
dieses kann seine Theorie somit nicht gelten. Man wird deshalb auch 
für die anderen Blätter weitere Experimente abwarten müssen. 
Doch selbst wenn man Haberlandts Theorie in der ursprünglichen 
Form fallen lassen müßte, bliebe noch die Möglichkeit, daß die 
Einrichtungen zur Konzentration des Lichtes vermöge lokaler stärkerer 
Reizung die Lichtperzeption auch bei sonst zu schwacher oder zu 
schräger Beleuchtung möglich machen (Nordhausen 1910 S. 487). 


Ein Einstellen der Blattspreite zum Auffangen von möglichst 
viel Licht findet man bei den meisten Blättern, besonders denen der 
Schattenpflanzen. Man muß aber nach ökologischen Gesichtspunkten 


182 V. Riehtungsbewegungen auf Lichtreiz. 


zwei Fälle unterscheiden. Es gibt erstens Blätter, die sich in kurzer 
Zeit, der augenblicklich herrschenden Lichtrichtung entsprechend, ein- 
stellen und deshalb nach der Tageszeit verschieden orientiert sind. 
Hierzu sind hauptsächlich die mit Gelenken versehenen, ver- 
möge ihres schnellen Reaktionsvermögens, und in etwas geringerem 
Grade junge Blätter mit rasch wachsendem Stiel befähigt. Ist deren 
Wachstum dem Erlöschen nahe, so pendeln sie mit immer geringeren 
Ausschlägen um ihre tägliche Mittelstellung und bleiben schließlich 
in ihr stehen. Noch langsamer reagierende orientieren sich von vorn- 
herein nur so, daß sie eine feste Lichtlage einnehmen, in der sie 
von den täglich auf ihren Standort fallenden Strahlen möglichst 
viele auffangen. Diese Blätter mit ‚‚fixer‘‘ Lichtlage bilden die zweite 
von unseren beiden ökologischen Gruppen. 

Wiesner (1880 S. 41) drückte das Verhalten der zweiten Gruppe 
so aus, daß er sagte: „Die Blätter stellen sich in der Regel so gegen 
das Licht, daß die Blattfläche senkrecht auf das stärkste denselben 
gebotene zerstreute Licht zu liegen kommt.‘ Er wollte damit be- 
tonen, daß das im Laufe des Tages auf sie fallende stärkste direkte 
Licht nicht das ausschlaggebende ist. Das ist auch sicher richtig; 
Wiesners Versuche reichen aber nicht aus, um quantitative Aussagen 
über den Einfluß der Lichtintensität auf den Bewegungsvorgang zu 
machen. Da wir jetzt wissen, daß für die Reizwirkung die Menge des 
gesamten auffallenden Lichtes maßgebend ist, und zudem auch 
Wiesners Messungen eher in dem Sinne sprechen, muß man wohl 
annehmen, daß die Blätter sich so einstellen, daß von den am ganzen 
Tage gebotenen Lichte möglichst viel auf sie fällt.') 

Das stärkste auf Blätter mit fixer Lichtlage fallende Licht wird 
vielleicht über ihren Bedarf hinaus gehen und sie eventuell sogar 
schädigen. Aber sie haben kein Mittel, ihm durch Bewegungen zu 
entgehen, sondern sie müssen auf andere Weise geschützt sein. Anders 
ist das bei den Blättern der ersten Gruppe. Diese sind andauernd 
in Bewegung. Man beobachte eine Bohnenpflanze oder einen Robinien- 
baum. Ständig wird von den Blättern die Richtung eingenommen, 
in der sie die günstigte Beleuchtung finden. Bei schwächerem Lichte 
stellen sie sich senkrecht zu den Strahlen. Bei direkter Sonne aber 
vermögen sie einer Schädigung (durch zu starke Erwärmung, Wasser- 
verdunstung usw.) zu entgehen (vgl. die S. 135), indem sie sich mehr 
oder weniger schräg zum Lichte stellen und dadurch die auf ihre 
Fläche fallende Lichtmenge regulieren (Oltmanns 1892). Bei vielen 
Pflanzen mit Gelenkblättern kann man sehen, daß sie sich selbst 
senkrecht aufrichten und ihre Kante der hochstehenden Sonne zu- 
kehren (Apios, Phaseolus usw.) oder durch Herunterklappen das- 


') Ob dabei etwa auf sie fallendes direktes Sonnenlicht nicht einwirkt, 
vielleicht Indifferenz bewirkt, müssen wir dahingestellt sein Jassen. Mir scheint 
es aber wahrscheinlicher, daß wirklich der Durchschnitt des gesamten Lichtes 
die Orientierung bestimmt. Gegen kurz einwirkendes starkes Licht sind ja 
auch orthotrope Organe nicht indiflerent. 


Verbreitung und Ökologie des Phototropismus. 183 


selbe zu erreichen suchen (Robinia, Oxalis) (Abb. 48, S. 135). Es liegt 
hier vielleicht ein ähnliches Verhältnis der einzelnen Reaktionsweisen 
vor, wie beim positiven und negativen Phototropismus der orthotropen 
Organe. Nur daß bei den Blättern die Zwischenstellungen nicht 
Durchgangslagen, sondern eine besondere Reaktionsweise darstellen, 
was dort nicht der Fall zu sein scheint. Besondere Versuche, z. B. in 
betreff der Frage, ob nicht doch die ‚‚Indifferenz‘‘ der orthotropen 
Organe, wie es Pfeffer (1904 S. 573) will, in Wirklichkeit wie bei 
den Blättern Transversalphototro- 
pismus ist, wären erwünscht. 

Gerade bei den Gelenkblättern, 
die sich senkrecht zu schwächerem 
Lichte stellen, und überhaupt meist 
zart sind, wird eine solche Ein- 
richtung von großem Nutzen sein. 
Jede Abweichung von der zu den 
Strahlen senkrechten Richtung hat 
eine Abschwächung der Beleuch- 
tung zur Folge. Diese Blätter sind 
somit befähigt, aufs feinste die 
Lichtmenge zu gewinnen, die ihnen 
zuträglich ist. 

Andere stehen ihr ganzes Leben 
lang aufrecht und bieten der Mit- 
tagssonne ihre schmale Kante dar. 
Wir kennen das von den Blättern 
vieler Monokotylen, z. B. der Grä- 
ser, besonders aber denen von 
Schwertlilien (Irisarten), Kalmus 
Acorus Calamus) und ähnlichen. Bei 
allen diesen ist im Übrigen die 
Orientierung der Fläche nicht von 
der herrschenden Beleuchtung ab- H AU eL rin Me f 

Rn B : Hängender Zweig einer Trauerweide mit 
hängig.. Bei den sogenannten gedrehten Blattstielen. 
„Kompaßpflanzen‘ aber, zu denen 
von einheimischen der wilde Lattich (Lactuca Scariola) gehört, sind 
die Blätter an sonnigen Standorten einander annähernd parallel, 
senkrecht zum Boden und in der Süd-Nordrichtung orientiert (Stahl 
1881). So fangen sie das Morgen- und Abendlicht voll auf, lassen 
aber die Strahlen der Mittagssonne an sich vorbei. Da bei dieser 
Pflanze an schattigen Orten und in der Jugend die Blätter die ge- 
wöhnliche zerstreute Lage haben, müssen sie zur Erreichung der be- 
schriebenen Anordnung verwickelte Bewegungen ausführen, die aus 
Krümmungen und Drehungen zusammengesetzt sind. 

Drehungen, deren Ursache das Licht ist, kommen an den 
Blättern überhaupt genau so vor, wie die entsprechenden geotropi- 
schen Torsionen. Sehr hübsch sind sie z. B bei den ‚‚Trauerweiden‘“ 


Abb. 62. 


184 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz. 


zu sehen, weil bei ihnen die Blätter durch das Herabhängen der 
Zweige in verkehrter Lage sich entwickeln müssen. Auch scheinen 
sie nicht geotropisch zu sein. Wenigstens hängen sie immer ab- 
wärts und kehren nur durch Torsionen die Oberseite dem Lichte zu 
(Abb. 62). 

Man war früher der Meinung, daß eine einzelne Kraft keine 
Drehungen hervorrufen könne, wohl aber zwei oder mehrere (Krabbe 
1889). Dann zeigten Schwendener und Krabbe (1892), daß auch 
das nicht möglich sei. Rein mechanisch können allerdings Tor- 
sionen, wie mir scheint, nur durch den beständigen Wechsel der Richtung 
einer Kraft zustande kommen. Der Fehler der älteren Autoren 
liest darin, daß Geotropismus, Phototropismus usw. keine me- 
chanisch wirkenden Kräfte sind. Vielmehr reagiert die Pflanze ver- 
möge ihrer eigenen physiologisch dorsiventralen Struktur durch 
Drehungen auf äußere Richtkräfte. Damit sind freilich die Rätsel 
nicht gelöst. Die Arbeit muß vielmehr hier erst einsetzen. Kompliziert 
wird das Problem noch dadurch, daß in manchen Fällen (Schwendener 
und Krabbe 1892) bei Aufhebung der einseitigen Schwerewirkung am 
Klinostaten keine phototropischen Torsionen auftreten. In anderen 
Fällen (Blütenstiele vom Veilchen) kommen aber auch unter dem allei- 
nigen Einflusse des Lichtes Torsionen der Stiele zustande. 

Hier soll nur noch hervorgehoben werden, daß das Licht auch 
bei den früher (S. 77ff.) beschriebenen Drehungen der Zweige und Ein- 
stellungen der Blätter beteiligt ist. Einzelbeobachtungen anzuführen 
würde zu weit führen. 


Wir kommen nun zu den durch Licht verursachten Richtungs- 
bewegungen niederer Organismen, zunächst der festgewachsenen. Bei 
den Pilzen sind, wie wir schon erwähnten, zahlreiche Fälle bekannt, 
in denen ausgesprochene phototropische Reaktionen ausgeführt werden, 
wenn auch die Mehrzahl dieser Gewächse nichts derartiges zeigt. 
Unter den Mucorineen sind besonders zahlreiche Fälle von photo- 
tropischer Reizbarkeit bekannt. Diese Pilze bestehen aus einem 
wurzelartigen Geflecht, daß das Substrat aussaugt, also gewöhnlich 
im Dunkeln vegetiert, und den sich von der Unterlage erhebenden 
schlauchförmigen Fruchtträgern. Es ist nun bemerkenswert, daß 
letztere negativ geotropisch und positiv heliotropisch sind, während 
das Fadengeflecht keine solche Reizbarkeit besitzt, obgleich das ganze 
Pilzindividuum gewissermaßen eine einzige Zelle ist. Das Proto- 
plasma ist bei den Mucorineen nämlich nicht wie bei den höheren 
Pflanzen durch Scheidewände in einzelne Portionen geteilt, sondern 
das ganze Innere des Pilzes stellt einen zusammenhängenden Hohl- 
raum dar. 

Der Phototropismus der Fruchtträger ist z. B. bei Phycomyces 
nitens, Mucor Mucedo, Pilobolusarten u. a. sehr stark ausgebildet, 
so daß sie sich genau in die Lichtrichtung stellen. Pilobolus schießt, 
wie wir gehört haben (S. 107), sein Sporangium ab, das nun nach dem 


Verbreitung und Ökologie des Phototropismus. 185 


Lichte hin fliegt. Wie genau der Pilz sein Ziel trifit, zeigt sehr 
hübsch ein Versuch von Noll (1893). Das Substrat mit sich ent- 
wickelnden Sporangienträgern wird in eine Kiste getan, die ein dem 
Licht zugekehrtes, mit einer Glasscheibe verschlossenes Fensterchen 
besitzt. Alle Fruchtträger richten sich nun phototropisch nach den 
einfallenden Lichtstrahlen und treffen beim Abschleudern dies Fenster, 
an dem die klebrigen Sporenmassen hängen bleiben. 

Bei den übrigen phototropischen Mucorineen bleibt das zer- 
fließende Sporangium zunächst am Fruchtträger hängen, um, wenn 
möglich, vorüberstreichenden Tieren angeklebt zu werden. Die Mög- 
lichkeit aus Hindernissen hervorzukommen, wird hier ähnlich wie bei 
den phototropischen Keimstengeln durch die Lichtreizbarkeit erhöht. 
Widerstände mit Gewalt zu überwinden, ist diesen zarten Gebilden 
gar nicht möglich. Deshalb würde der Geotropismus allein sie nicht 
zweckmäßig leiten können. Er muß gegenüber dem Phototropismus, 
wenn beide einwirken, durchaus zurücktreten. Noch viele andere Pilze 
aus verschiedenen Gruppen sind phototropisch empfindlich, so vor allen 
die oben bei Besprechung des Etiolements angeführten Hutstiele der 
Coprinusarten, dann die Stromata von Xylaria Hypoxylon, die Apo- 
thecienstiele von Peziza Fuckeliana, die Conidienträger von Asper- 
gillus maximus usf. (Literatur bei Pfeffer 1904, S. 103). In allen 
diesen Fällen tritt wohl die Leichtreizbarkeit in den Dienst der 
Sporenverbreitung. 

Bei Algen kommen phototropische Bewegungen sehr häufig vor, 
jedenfalls wohl häufiger als geotropische. Ist doch bei solchen auch 
zum ersten Male ganz überzeugend die Umkehr der positiven in 
negative Reaktion durch Verstärkung der Lichtintensität gezeigt worden. 
Die Algen vegetieren im allgemeinen bei verhältnismäßig schwacher 
Beleuchtung. Deshalb hat bei ihnen schon weniger intensives Licht eine 
gewisse Reizwirkung als z. B. bei Keimstengeln, und negativer Photo- 
tropismus tritt schon bei mittelstarker Beleuchtung auf. Berthold 
(1882) fand an den Meeresalgen Derbesia marina, Ketocarpus 
humilis und Antithamnion ceruciatum in der Nähe des Fensters ne: 
gative Krümmungen, weiterhin blieben die Algen aufrecht, und im 
Hintergrunde des Zimmers krümmten sie sich nach dem Fenster zu. 
Auch die mit der Tageszeit wechselnde Lichtintensität beeinflußte 
die Richtung des Wachstums, so daß also die Krümmungen recht 
schnell vor sich gehen müssen. Ähnliches fand Oltmanns (1892) für 
die Süßwasseralge Vaucheria. Phototropisch sind aber noch viele 
andere Algen, so Spirogyra, Chara, Nitella, Caulerpa, Bryopsis usw., 
auch die Vorkeime von Laub- und Lebermoosen. Schon bei geringer 
Lichtintensität negativ phototropisch sind vielfach die Wurzelschläuche, 
z. B. bei Marchantia, bei den Prothallien von Farnen und Equiseten, 
bei Bryopsis usf. (Literatur bei Pfeffer 1904, 8. 576). 

Ähnlich wie Blätter verhalten sich die Prothallien von Farnen, 
der Thallus von Marchantia und anderen Lebermoosen. Sie stellen 
sich senkrecht zur Richtung des Lichtes. An diesen Objekten sind 


186 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz. 


über den Transversalphototropismus gerade sehr eingehende Studien 
angestellt worden (Sachs 1879), die überhaupt die Grundlage für 
unsere Kenntnis der Reaktionsweise blattartig dorsiventraler Gebilde 
geliefert haben. Laubmoose habe ich wiederholt positiv phototropisch 
gesehen. Genauere Untersuchungen fehlen aber m. W. sowohl bei 
ihnen wie bei Farnwedeln. 

Wir wollen damit unsere Besprechung der phototropischen Reiz- 
barkeit schließen. Die letzten Abschnitte haben uns gelehrt, daß sie 
im Dienste der Fortpflanzung bei Blütenstielen und Pilzfruchtträgern 
steht, die Stengel und Blätter aber in eine für die Kohlensäure- 
assimilation geeignete Lage bringt. 


f) Phototaxis. 


Wie wir gehört haben, ist die Fähigkeit zu freier Ortsbewegung 
unter den Pflanzen verbreiteter als der Laie gewöhnlich denkt. Aller- 
dings treten die beweglichen Stadien mit der Höherentwicklung der 
Pflanzen schon frühzeitig gegen die festgewachsenen zurück. Nur 
die Fortpflanzungszellen erhalten sich noch weiterhin die Schwimm- 
fähigkeit. Aber auch unter ihnen hat die parallel mit der geschlecht- 
lichen Differenzierung gehende reichlichere Ausstattung der weiblichen 
Keimzelle mit Reservestoffen den Verlust der Eigenbewegung zur 
Folge. Nun bleibt nur noch die männliche Keimzelle beweglich. 
Das Ziel ihres Schwimmens aber ist allein das weibliche Ei. Sie 
wird daher auch nur durch von ihm ausgehende Reize gelenkt. 
Durch die Unbeweglichkeit der Eizelle ist das aktive Aufsuchen 
eines geeigneten Standortes unmöglich geworden. Solange aber noch 
die freie Ortsbewegung eine größere Rolle spielt als in den eben er- 
wähnten Fällen, ist ihre Hauptaufgabe gerade das Erreichen günstiger 
Lebensbedingungen. 

Die grüne!) Pflanze ist nun vor allem vom Lichte abhängig. 
So ist es begreiflich, daß fast stets den freibeweglichen Stadien der 
auf Kohlensäureassimilation angewiesenen Organismen ein Empfin- 
dungs- und Reaktionsvermögen gegenüber den Unterschieden der 
Beleuchtung gegeben ist. Das gilt auch für vorübergehend schwimm- 
fähige Stadien sonst unbeweglicher grüner Pflanzen, die ungeschlecht- 
lichen sogenannten Algenschwärmsporen’). Im Gegensatz dazu sind 
die männlichen ‚Samenfäden“ der verschiedensten Gewächse indiffe- 
rent gegen Lichteinfluß, wie oben schon angedeutet wurde. Außer 
den dauernd freibeweglichen grünen Organismen und den Schwärm- 
sporen gibt es noch einige wenige schwimmende, nicht grüne pflanz- 


1) Wenn hier wie an anderen Stellen von „grünen“ Pflanzen gesprochen 
wird, so soll damit nur auf ihren Gehalt an Chlorophyil hingewiesen werden. 
Ist außerdem, wie häufig, ein anderer Farbstoff vorhanden, so kann die Ge- 
samtfarbe auch braun oder rot sein. 

2, Die wenigen bekannt gewordenen Ausnahmen bei Strasburger (1878, 
S. 41-43). 


Phototaxis. 17 


liche Lebewesen, die eine Lichtreizbarkeit besitzen. Bei ihnen ist sie, 
wie wir sehen werden, durch besondere ökologische Verhältnisse bedingt. 

Die Hauptaufgabe der Lichtreizbarkeit freibeweglicher pflanz- 
licher Lebewesen ist jedenfalls das Aufsuchen günstiger Assimilations- 
bedingungen. Um diese zu erreichen, müssen Orte geeigneter Hellig- 
keit durch bestimmt gerichtete Bewegungen aufgefunden werden. 
Solche, durch das Licht gelenkte Richtungsbewegungen freibeweglicher 
Organismen, faßt man unter der Bezeichnung Phototaxis zusammen, 
ganz gleich, auf welche Weise sie im übrigen zustande kommen. 
Wie man sieht, liegt hier ein Parallelfall zu der Geotaxis vor, in 
ähnlicher Weise wie bei festgewachsenen Organismen der Phototro- 
pismus dem Geotropismus gegenübersteht. Jedoch spielt, wie wohl 
aus den obigen Darlegungen schon hervorgeht, die Phototaxis eine 
viel größere Rolle als die entsprechenden Schwerkraftreizreaktionen. 
Wir müssen ihr daher ein eigenes Kapitel widmen. In diesem 
werden wir gleichzeitig mehrere Erscheinungen genauer kennen lernen, 
die bei der Reaktion freibeweglicher Organismen auf einseitige Reize 
auch anderer Art allgemein auftreten. 

Wir wollen mit den Schwimmern beginnen, weil ihre Reaktions- 
weise am besten bekannt ist. Machen wir uns zunächst mit der 
Erscheinung der Phototaxis in der Form bekannt, in der sie am 
häufigsten beobachtet wird: 

Oft erscheint das Wasser von Teichen und Pfützen ganz grün 
von darin umherwimmelnden kleinen Organismen. Meist handelt es 
sich dann um Flagellaten, wie die Arten von Euglena oder um ein- 
zeln lebende und koloniebildende Volvocaceen, wie Chlamydomonas, 
Volvox, Pandorina usf. Tut man eine Probe von dem organismen- 
haltigen Wasser auf einen Teller und stellt diesen ans Fenster, so 
beobachtet man schon nach kurzer Zeit, daß die grüne Farbe nicht 
mehr gleichmäßig verteilt ist. Es bildet sich nämlich ein tiefer- 
grün aussehender Fleck an der Fenster- oder Zimmerseite, während 
der übrige Teil des Wassers farblos wird. Dreht man den Teller 
herum, so ist bald die alte Anordnung wieder hergestellt, die grünen 
Organismen haben sich wiederum an der entsprechenden Stelle ge- 
sammelt. 

Einen Einblick in die Bewegungsweise, durch die das Zusammen- 
drängen an günstig beleuchteten Orten zustande kommt, gewinnt man 
am leichtesten bei den Volvoxarten. Ihre kugelförmigen Kolonien 
erreichen Stecknadelkopfgröße und sind deshalb schon mit bloßem 
Auge, besser mit einer Lupe, zu verfolgen. Haben sich z. B. alle 
Kugeln an der Fensterseite gesammelt und dreht man nun den Teller 
um, so sieht man bei Betrachtung einer bestimmten Stelle der flachen 
Wasserschicht die Kolonien in parallelen Bahnen von neuem auf die 
Lichtquelle zu vorüberwandern. Es liegt somit positive Photo- 
taxis vor. 

Legt man quer über den Teller ein Brettchen oder dergleichen, 
so daß ein Schattenstreif im Wasser entsteht, so sammeln sich die 


Licht 


188 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz. 


jenseits befindlichen phototaktischen Organismen an der Zimmerseite 
des Schattens und können nicht hinüber. (Ältere Literatur und Ver- 
suche bei Strasburger 1878). Stellt man den Teller in den Sonnen- 
schein, so findet man alle Erscheinungen umgekehrt. Die Volvox- 
kugeln sammeln sich jetzt auf der vom Lichte abgekehrten Seite 
oder im Schatten eines Brettchens, sie sind nun negativ photo- 
taktisch. 

So oder ähnlich stellen sich die phototaktischen Erscheinungen 
bei sehr vielen Volvocaceen, Flagellaten und den Schwärmsporen der 
Algen dar. Über die letzteren besonders unterrichtet uns die er- 
wähnte Arbeit von Strasburger. Die Algenschwärmer sind ihrer 
Kleinheit wegen nur unter dem Mikroskop einzeln zu erkennen. Ihr 
Verhalten ist im großen ganzen ebenso wie das von Volvox. Be- 
obachtet man sie bei mittlerer Vergrößerung in einem Tropfen Wasser, 
so kann man die Bewegungen direkt verfolgen. Bei Beurteilung des 
Sinnes ihrer Phototaxis muß man 
aber die Lichtverteilung in einem 
Wassertropfen berücksichtigen. Da 
der Tropfen optisch wie eine Linse 
wirkt, ist die hellste Stelle nun 
auf der Zimmerseite zu finden 
(Chmielewsky 1904). Dort sam- 
meln sich somit die positiv photo- 
taktischen Schwärmer an (Abb. 63). 
Verwendet man aber helleres Licht, 

Abb. 63. so findet man sie bald an der 

Tropfen auf einer Glasplatte, unter der dunkelsten Stelle, nämlich auf 

photographisches Papier lag. Das Lieht der Fensterseite. Auch in flachen 
kommt von links oben, der hellste Punkt ist 2 

rechts unten. Schalen kommt die Linsenwirkung 

zustande (Abb. 64). Und sogar in 

rechteckigen Gefäßen wird oft durch Reflex an den Wänden ein be- 

sonders heller Fleck auf der Zimmerseite erzeugt. Die Nichtbeachtung 

dieser Erscheinung macht die meisten älteren Beobachtungen wertlos. 

Wie man sieht, ist das Verhältnis von positiver und negativer 
Reaktion bei der Phototaxis ganz entsprechend dem beim Photo- 
tropismus: Intensive Beleuchtung bewirkt Abkehr, schwächere Zu- 
wendung zu der hellsten Stelle. Dazwischen liegt eine mittlere In- 
tensität, gegen die die phototaktischen Organismen indifferent sind. 
ei welcher Helligkeit positive oder negative Reaktion erfolgt, das ist 
von Art zu Art verschieden. Daneben aber wechselt das Verhalten 
auch mit dem Alterszustande und durch äußere Einflüsse. Unter ihnen 
spielt das Licht selbst eine große Rolle. Denn auch hier ist, ebenso 
wie beim Phototropismus, die Stärke der Erregung nicht nur von 
der Intensität der Beleuchtung, sondern auch von der Lichtstimmung 
abhängig. Hat zuvor starkes Licht eingewirkt, so ist die Stimmung 
hoch, im Dunkeln sinkt sie. Niedrige Stimmung und starkes Licht 
hat negative Reaktion zur Folge, hohe Stimmung und schwächeres 


Phototaxis. 189 


Lieht bedingt positive Ansammlung. Ist das Licht aber gar zu 
schwach, so erfolgt gar keine Reaktion, der Reiz bleibt unter der 
Schwelle. Allerdings kann man nicht bei allen phototaktischen Orga- 
nismen alle diese Erscheinungen gleich schön beobachten. 

Neben dem Lichte wirken noch andere Faktoren auf den physio- 
logischen Zustand, wie er sich im phototaktischen Verhalten kund 
gibt (Literatur bei Oltmanns 1905, S. 222 und Jost 1908, S. 654). 
Bei vielen Schwärmern wechselt die ‚Stimmung‘ periodisch in kurzen 
Abständen, so daß sie ständig hin und her schwimmen. Ob die 
Stimmungsveränderung durch den Wechsel von Hell und Dunkel 
erfolgt, der durch ihre eigenen Bewegungen hervorgerufen wird oder 
aus inneren Gründen, darüber 
ist nichts bekannt. 

Manchmal ist der Grund 
für abweichende Befunde noch 
schwerer zu fassen. So z. B. 
wenn die Jahreszeit, das Alter 
u. dgl. die Art der Phototaxis 
beeinflussen. Leichter zu stu- 
dieren ist schon die Bedeu- 
tung der chemischen Zusam- 
mensetzung der Nährlösung. 
Klebs (1896) fand z. B., daß 
eine 0,2 bis 0,5°/,ige Nähr- 
lösung die Lichtempfindlich- 
keit der Mikrosporen von 
Ulothrix zonata fast völlig Abb. 64. 
aufhebt. Loeb (1906) zeigte, Beleuchtungsverhältnisse, wie sie in einer wasser- 


gefüllten, runden Glasdose bei horizontalem Licht- 
daß manche Tiere, sowie auch ausfall von rechts zustande kommen, festgehalten 


z z durch Unterlegen von photographischem Papier. Die 
Volvox, durch Kohlensäure hellste Stelle auf der Zimmerseite, d. h. links. 
und schwache organische Säu- 
ren stärker positiv phototaktisch gemacht werden können als sie in 
neutralen Flüssigkeiten sind. 

Rothert (1904) hat den Einfluß von Chloroform und Äther auf 
die Phototaxis studiert. Er fand, daß bei manchen Organismen 
(Gonium pectorale und Pandorina morum) durch Narkotika die Licht- 
reizbarkeit aufgehoben werden kann, bevor die Beweglichkeit aufhört, 
bei anderen (Euglena viridis und Chlamydomonas) dagegen nicht. 
Ferner zeigte sich bei einer gewissen Konzentration von Chloroform, 
aber nicht von Äther, eine Umkehrung des Sinnes der Phototaxis'), 
worin vielleicht eine spezifische chemische Wirkung gesehen werden 
muß, die von der Narkosewirkung zu unterscheiden ist. Bei Gonium 
wurde außerdem eine Nachwirkung der Narkotika, und zwar sowohl 


1) Die vorher an der Zimmerseite des Tropfens sich sammelnden Schwär- 
mer gingen nun nach dem Fensterrande. Wo aber die größere Helligkeit ge- 
herrscht hat, läßt sich nicht ohne weiteres ersehen. 


Licht 


190 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz. 


bei Äther wie bei Chloroform beobachtet. Diese bestand in einem 
vorübergehenden stärkeren Bestreben, den Zimmerrand des Tropfens 
aufzusuchen. Man sieht, daß recht verwickelte Verhältnisse vor- 
liegen. 

Auch die Temperatur hat oft einen Einfluß auf den Sinn der 
Lichtbewegung (Strasburger 1878). Eine neue Durcharbeitung aller 
dieser Angaben mit Berücksichtigung der Lichtbrechungsverhältnisse 
ist aber vonnöten. 

Daß bei der Phototaxis das Licht selbst und nicht etwa die 
Erwärmung oder andere Einflüsse der Bestrahlung das Reizmittel 
darstellen, das hat Strasburger sicher erwiesen. Damit ist aber die 
Frage nach dem Reizanlaß noch nicht erledigt. Vielmehr bleibt, 
wie beim Phototropismus, so auch hier, noch die Entscheidung zu 
treffen, ob die Richtung des Lichtes oder Helligkeitsdifferenzen den 
Reizerfolg bedingen? Verhältnismäßig leicht ist zu beobachten, daß die 
Schwimmrichtung bei parallelstrahligem Lichteinfall mit dessen Rich- 
tung zusammenfällt. Anders aber verhält es sich, wenn Helligkeits- 
differenzen vorliegen, die nicht in der Richtung der Lichtstrahlen, 
sondern quer dazu abgestuft sind. Besonders über die Deutung der 
Versuche mit teilweiser Beschattung des Gefäßes konnte man sich 
bisher nicht einigen. 

Bei positiv phototaktischen Organismen, die schräg von oben 
beleuchtet wurden, fand man, daß ein quergestellter Schattenstreif 
bald ein unüberwindliches Hindernis für die Bewegung in der Licht- 
richtung darstellte, bald aber ohne weiteres durchschwommen wurde. 
Das eine schien für die Bedeutung der Helligkeitsdifferenzen, das 
andere für die der Lichtrichtung zu sprechen. Ferner sammelten 
sich negativ phototaktische Schwärmer auch im Schatten eines in 
der Richtung der Lichtstrahlen über das Gefäß gelegten Brettchens. 
Wurde aber ein Helligkeitsgefälle senkrecht zur Lichtrichtung erzeugt, 
indem ein mit gefärbter Lösung gefüllter Glaskeil über einen 
schwärmerhaltigen Flüssigkeitstropfen gelegt wurde, so fand die Be- 
wegung allein nach dem Fenster zu statt (Strasburger 1878). Hier 
spricht wieder der erste Versuch für die Bedeutung der Helligkeits- 
differenzen, der zweite für die der Strahlenrichtung. 

Strasburger war der Meinung, daß der Lichtabfall keinen Reiz 
bedinge. Die Schwärmer sollen sich vielmehr deshalb in oder vor einem 
Schatten ansammeln, weil ‚die seitlich beleuchteten Wassermassen 
die dominierenden Lichtquellen für die Schwärmer abgeben“. Die 
phototaktischen Organismen sollen sich stets in der Richtung der 
Strahlen bewegen, aber entweder der steigenden oder der fallenden 
Lichtintensität (soll heißen Beleuchtungsstärke) folgend. 

Nach Oltmanns (1892) dagegen sind es gerade die Intensitäts- 
differenzen der Beleuchtung, die die Bewegungsrichtung bestimmen. 
Er experimentierte mit Volvox. Leider müssen wir es uns versagen, 
auch nur kurz alle die merkwürdigen Beobachtungen wiederzugeben, die 
Oltmanns anstellte. Das Hauptresultat seiner Versuche war die Er- 


Phototaxis. 191 


kenntnis, daß die Volvoxkugeln eine mittlere Helligkeit aufsuchen 
und sich deshalb positiv oder negativ phototaktisch verhalten, je 
nachdem die herrschende Beleuchtung schwächer oder stärker ist als 
die ihnen zusagende. Bei hellem Licht sammeln sie sich im Schatten, 
bei schwachem kommen sie hervor und suchen gut beleuchtete 
Stellen auf. 

An dem Versuche von Strasburger mit dem Absorptionskeil be- 
mängelt Oltmanns (1892, S. 204) mit Recht, daß die Differenzen der 
Helligkeit in dem Kulturtropfen voraussichtlich zu klein waren, als 
daß sie eine Wirkung hätten haben können. Aber auch Oltmanns’ 
entsprechende Versuche, in denen eine stärkere Helligkeitsabstufung 
über einem größeren Gefäße mit Volvox eine Ansammlung in mitt- 
lerer Beleuchtung bewirkte, sind nicht einwandfrei. Denn der Gang 
der Lichtstrahlen ist schwer zu übersehen, mannigfaltige Reflexe 
trüben das Resultat (Jost 1908, S. 655). 

Besonders schwer zu deuten scheinen aber alle Versuche, bei 
denen in einem gleichmäßig stark beleuchteten Kulturgefäß die photo- 
taktischen Organismen sich im Halbschatten eines darübergelegten 
Brettchens sammelten. ‚Nun können aber die in allseitig gleicher 
Helligkeit befindlichen Schwärmsporen unmöglich eine Kenntnis da- 
von haben, daß in einer gewissen Entfernung von ihrem augenblick- 
lichen Aufenthaltsort eine ihnen mehr zusagende Helligkeit herrscht‘ 
(Jost 1908, S. 656). 

Hier hilft uns eine zuerst von Engelmann (1882) beobachtete 
Erscheinung weiter. Dieser Forscher projizierte mit Hilfe eines unter 
dem Tische des Mikroskopes angebrachten Linsensystemes einen hellen 
Lichtfleck auf dunklem Grunde in die Ebene eines Euglenenpräpa- 
rates. Die phototaktischen Flagellaten sammelten sich dann bald in 
dem Lichtkreise an. Die Art und Weise ihrer Reaktion, die mikro- 
skopisch verfolgt werden konnte, war aber höchst merkwürdig. Außer- 
halb des hellen Fleckes machte sich keinerlei bestimmte Bewegungs- 
richtung bemerkbar. Nur zufällig kam ein und das andere Individuum 
beim Hin- und Herschwimmen über die Lichtgrenze. Dabei zeigte 
es keinerlei Anzeichen, das auf eine Reizwirkung des plötzlichen 
Wechsels von dunkel zu hell hätte schließen lassen. Wollte aber eine 
Euglene aus dem hellen Kreise heraus, so fuhr sie, im Augenblick 
des Überschreitens der Grenze oder wenig später, wie erschreckt 
zurück. Allein durch dies Zurückfahren wurde es bewirkt, daß mehr 
und mehr Individuen sich in dem als .‚Falle“ wirkenden Lichtfleck 
sammelten. Die ‚Schreckbewegung‘‘ wird aber nicht durch lokale 
Beleuchtungsdifferenzen, etwa zwischen Vorder- und Hinterende her- 
vorgerufen, sondern allein durch den zeitlichen Wechsel der Hellig- 
keit. Sie finden nämlich auch bei difiuser Beschattung statt. Die 
Ansammlung an hellen Stellen in einem sonst dunklen Raume kann 
man sehr schön demonstrieren, wenn man ein Kulturgefäß mit viel 
beweglichen Euglenen durch schwarzes Papier verdunkelt, in dieses 
aber Löcher nach Art einer Schablone schneidet. Die Abbildung 


192 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz. 


wurde auf diese Weise durch Photographieren nach Abheben der 
Schablone gewonnen. Die dunklen Buchstaben werden durch lauter 
Euglenen gebildet (Abb. 65). 


In ähnlicher Weise wie das Fangen 
in der Engelmannschen ‚‚Lichtfalle‘‘ sind 
die oben beschriebenen Ansammlungen 
an hellen oder beschatteten Orten zu 
erklären. Nur zufällig treffen z. B. die 
hin- und herfahrenden Schwärmer im 
intensiv beleuchteten Kulturgefäße die 
dunklen Stellen. Hier aber finden bei 
der Rückkehr ins Helle ‚Schreckbe- 
wegungen‘“ statt, deshalb sammeln sich 
die Organismen in den dunklen Flecken 
an. Strasburger beobachtete schon 
(1878) bei manchen seiner Algenschwär- 
' mer eine ‚„Erschütterung‘‘ auf plötzliche 
Abb. 65. Verdunklung, bei anderen auf Verstär- 
Phototaktisch angesammelte Eu- kung des Lichtes. Dabei bewegten sich 
glenen bilden das Wort ‚‚Licht‘“. 2 r 

Botrydiumschwärmer auf starke und 
schnelle Verminderung der Helligkeit selbst im Kreise. 

Dasselbe konnte ich (Pringsheim 1908) besonders hübsch an Euglenen 
sehen, denen ich bei mikroskopischer Beobachtung durch Vorschalten einer 
gelbroten Glasscheibe plötzlich alles wirksame (grüne-violette Licht) entzog. 
Will man eine ebenso wirksame Reizwirkung durch bloße Abdämpfung des 
weißen Lichtes erreichen, so muß man das mikroskopische Gesichtsfeld so weit 
verdunkeln, daß nichts mehr zu erkennen ist. Mit derselben Methode läßt sich 
gut beobachten, daß unter solchen Umständen, die eine negativ phototaktische 
Reaktion der Euglenen bewirken, die Schreckbewegung durch den umgekehrten 
Helligkeitswechsel wie oben, also durch plötzliche starke Belichtung ausgelöst 
wird. (Vgl. auch Jennings [1905] 1910 S. 214). 

Durch die Engelmannsche Entdeckung wäre wenigstens für 
diejenigen Organismen, die eine Schreckbewegung zeigen, die 
Ansammlung an hellen oder dunklen Orten erklärt. Wir haben 
aber gesehen, daß dieselben Schwärmsporen und grünen Flagellaten 
sich außerdem bei einseitiger Beleuchtung in die Richtung der Strahlen 
einstellen und so der Lichtquelle entgegenschwimmen. In diesem Falle 
scheint eine ganz andere Reaktionsweise vorzuliegen. Bis vor kurzem ging 
nun die herrschende Meinung dahin, daß in einem und demselben 
Individuum zwei verschiedene Arten von Lichtreizbarkeit vereinigt 
seien. Für die eine sollte der Intensitätswechsel, für die andere die 
tichtung des Lichtes ausschlaggebend sein (Jost 1908 S. 656). Dabei 
sind aber Arbeiten von Jennings nicht genügend berücksichtigt 
worden, die bis ins Jahr 1897 zurückgehen!). Diesem Forscher 
gelang es durch eingehende Beobachtungen an verschiedenen (chemo- 


') Die ersten von ihnen finden sich bei Rothert 1901 aufgeführt und 
sind 1905 zu einem einheitlichen Bilde zusammengefaßt worden (Jennings 
[1905] 1910). 


Phototaxis. 193 


und) phototaktischen Organismen, deren Richtungsbewegungen auf 
Reizung durch Intensitätswechsel zurückzuführen. 

Er fand bei seinen Untersuchungen die „Schreckbewegungen“ 
weit verbreitet. Sie gehen ganz allgemein in der Weise vor sich, 
daß auf eine plötzliche Veränderung hin eine Reaktionsbewegung er- 
folgt, deren Art und Richtung durch die Organisation des betreffen- 
den Lebewesens bedingt ist. Jeder Reiz, der überhaupt eine Bewe- 
gung veranlaßt, hat nach Jennings dieselbe Reaktionsweise zur 
Folge. Nur die Intensität der Reaktion ist durch die Größe der 
veranlassenden Veränderung bestimmt. 

Um das verstehen zu können, betrachten wir die Gestalt einer 
Euglene (Abb. 2, S. 9). Sie sieht ungefähr fischförmig aus. An ihrem 
Vorderende befindet sich eine Einkerbung, in der die Geißel befestigt 
ist. Durch die Vertiefung wird vorn eine größere und eine kleinere 
Lippe erzeugt, Seitlich an der ersteren liegt der sogenannte Augen- 
fleck, eine etwa schalenförmig gestaltete rote Pigmentmasse. Engel- 
mann (a. a. 0.) hatte gefunden, daß allein der vor dem „Augenfleck‘“ 
befindliche Teil des Plasmas lichtempfindlich ist. Wurde nämlich über 
eine Euglene von hinten ein kleiner Lichtfleck geführt, so fand eine 
Reaktion erst statt, wenn der Pigmentfleck überschritten ward. Wurde 
der Lichtpunkt von vorn kommend vorgeschoben, so erfolgte die 
Bewegung schon vor Berührung des roten Fleckes. Demnach steht 
der Augenfleck selbst offenbar nur in einem mittelbaren Zusammen- 
hange mit der Lichtreizbarkeit, Wahrscheinlich hat er, wie auch das 
Pigment bei tierischen lichtempfindlichen Organen, nur den Zweck, 
Seitenlicht abzuhalten und so eine gewisse Lokalisation des Licht- 
eindruckes zu ermöglichen. 

Wird eine ruhig dem Lichte entgegenschwimmende Euglene 
plötzlich beschattet, so stockt sie sofort und macht gleich darauf 
eine lebhafte Drehung mit dem Vorderende nach der Seite des 
größeren Lippenfortsatzes hin. Ist die Herabsetzung der Helligkeit 
sehr stark, so erfolgt selbst ein mehrmaliges Kreisen unter Kon- 
traktion des biegsamen Körpers. Hält die schwächere Beleuchtung 
an, so streckt sich die Euglene wieder gerade und schwimmt weiter, 
als wäre nichts geschehen. Daraus ist ersichtlich, daß die Schreck- 
bewegung auf einem Übergangsreize beruht, also nicht durch schwache 
oder starke Belichtung an sich, sondern durch den Wechsel hervor- 
gerufen wird. 

Betrachten wir nun eine bei gleichmäßiger Seitenbeleuchtung 
geradeaus dem Lichte entgegenschwimmende Euglene etwas genauer, 
so finden wir, daß sie sich während des Fortschreitens gleichzeitig 
um ihre Längsachse dreht. Dabei beschreibt das Vorderende ge- 
wöhnlich nach der Seite des größeren Lippenfortsatzes hin eine 
Schraubenlinie, während das Hinterende annähernd gradlinig fort- 
schreitet. Unter diesen Umständen ist der lichtreizbare Plasmateil 
trotz der Drehung dauernd gleichmäßig beleuchtet. Lassen wir nun 
aber das Licht seitlich zur bisherigen Bahn einfallen, so ändert sich 


Pringsheim, Reizbewegungen. 13 


194 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz. 


das. Denn durch die Rotation der Euglene muß dabei die etwas 
seitlich liegende empfindliche Körperstelle bald dem Lichte zugekehrt, 
bald von ihm abgewendet sein. In letzterer Stellung ist sie aber 
durch den Körper selbst und besonders durch den Pigmentfleck be- 
schattet. Auf diesen Verdunkelungsreiz erfolet nun wiederum die 
„Schreckbewegung‘‘ unter Drehung des Vorderendes, d. h. eine Er- 
weiterung der auch beim ruhigen Schwimmen beschriebenen Schrauben- 
linie. In einer der dabei zustande kommenden Stellungen zum 
Lichte fällt die Verdunkelung durch den Pigmentfleck fort. Sogleich 
wird die normale Vorwärtsbewegung wieder aufgenommen, aber in 
einer von der früheren abweichenden Richtung. Fällt diese schon 
mit der neuen Lichtrichtung zusammen, so ist der lichtempfindliche 
Teil trotz der Drehung wieder gleichmäßig beleuchtet, somit ist keine 
Ursache für erneute „Schreckbewegung‘‘' vorhanden. Genügt die erste 
Richtungsänderung nicht, so wiederholt sich das Spiel, bis die Euglene 
in der Lichtrichtung schwimmt. Mit entsprechenden Umstellungen 
kann ganz das Gleiche für die negative Phototaxis bei starker Be- 
leuchtung gesagt werden. Somit sind die Richtungsbewegungen der 
Euglenen unter Berücksichtigung ihres Körperbaues auf dieselbe Reiz- 
barkeit zurückgeführt, die die Schreckbewegungen zur Folge hat. 

Die genaue Analyse der komplizierten Art zu schwimmen und 
auf Reize zu antworten oder des ‚„‚Aktionssystems‘, wie es Jennings 
nennt, hat zu einer einleuchtenden Lösung des alten Problemes ge- 
führt. Gerade die Rotation um die Längsachse, die Jost (1908 S. 649) 
wegen des dadurch bedingten Wechsels des Reizangriffes noch eine 
Erschwerung des Verständnisses für die Art der Perzeption zu be- 
deuten schien (er erinnert an die Klinostatendrehung), ist durch 
Jennings als wesentliches Hilfsmittel beim Aufsuchen der geeigneten 
Helligkeit erkannt worden. 

Nachdem so gezeigt worden ist, daß die verschiedenen Formen, 
in denen die Lichtreaktionen bei den FEuglenen auftreten, auf die- 
selbe Art der Reizbarkeit zurückgeführt werden können, ergibt sich 
die Berechtigung, den Reizanlaß einheitlich zu definieren. Man kann 
sagen: Bedingung für das Auftreten einer Reizbewegung ist der 
zeitliche Wechsel in der Intensität der Beleuchtung des perzeptions- 
fähigen Vorderendes. Die Reaktion verläuft dann in einer Richtung, 
die durch die Organisation des Körpers gegeben ist. Diese Sätze 
entsprechen aber durchaus der Definition, die oben (S. 109) für nastische 
Reizvorgänge gegeben ‘wurde. Die Reaktionsweise der Euglenen 
ist eine Art der Photonastie. Ihr Erfolg ist jedoch oft eine 
tropistische Bewegung, deren Richtung durch den Einfall der Licht- 
strahlen bedingt ist. 

Es fragt sich nun, wie weit die Erfahrungen an Euglenen ver- 
allgemeinert werden dürfen. Nur für wenige phototaktische Organis- 
men läßt sich vorläufig hierauf eine Antwort geben. Am genauesten 
untersucht hat Jennings mit entsprechendem Resultat einen licht- 
empfindlichen Stentor. Das ist aber zweifellos ein Tier. 


Phototaxis. 195 


Von pflanzlichen Objekten kommen zum Vergleich zunächst die 
anderen grünen Flagellaten, dann die Schwärmsporen in Betracht. 
Rothert (1901 S. 396ff.) hat die Beobachtungen zusammengestellt, 
die für das Vorhandensein einer Übergangsreizbarkeit sprechen. Hier- 
her gehören vor allem die „Erschütterungen“, die Strasburger bei 
manchen Schwärmsporen usw. beobachtete (vgl. oben S. 192). Daß er 
sie bei anderen vermißte, kann an der zu geringen Größe des Hellig- 
keitssprunges gelegen haben. Ferner spricht für die hier dargelegte 
Auffassung die Beobachtung Strasburgers, daß bei schwachem Lichte 
die Einstellung in die Lichtrichtung nur sehr unvollkommen und die 
Schwimmbahn vielfach gewunden ist. Denn bei geringer Intensität 
der Beleuchtung wird eine größere Abweichung von der Lichtrichtung 
nötig sein, die Reaktionsbewegung auszulösen als bei größerer Hellig- 
keit. Wegen der Kleinheit der betreffenden Objekte sind genaue 
Beobachtungen nicht ganz leicht anzustellen. Man darf aber doch 
wohl annehmen, daß da, wo ein Augenfleck und auch sonst ein ähn- 
licher Bau, und dazu ein äusserlich ähnliches Verhalten vorliegt wie 
bei Euglena, auch die Art der Reizbarkeit dieselbe ist. 

Ein genaueres Studium erfordern freilich noch die radiären 
Volvocaceen, Kolonieen und Einzelformen. Da bei ihnen nicht wie bei 
Euglena durch die Assymmetrie des Körpers die Richtung der Schreckbe- 
wegung festgelegt ist, so können sie vielleicht einen abweichenden 
Typus repräsentieren. Deshalb braucht man aber für sie noch keine 
echte tropistische Reaktionsweise anzunehmen. Denn erstens sammeln 
sie sich bei gleichmäßiger Beleuchtung von oben gleichfalls an be- 
lichteten Stellen und zweitens haben Pfeffer (1884 S. 444/45) und 
Massart (1889 S. 559/60) bei ihnen auf chemische Reize hin eine 
echte Schreckbewegung beobachtet. Bei den annähernd kugelför- 
migen Kolonieen von Volvox fand ich auf plötzliche Verdunkelung 
eine erweiterte Drehung des rotierenden Körpers. Außerdem wird 
die Bewegung um so geradliniger, je stärker der einseitige Lichteinfall 
ist. Bei Chlamydomonas ist durch die seitliche Lagerung des Augen- 
fleckes eine physiologische Assymmetrie gegeben, der zufolge sie sich 
wie Euglena verhalten. 

Im ganzen glaube ich sagen zu dürfen, daß bei den sehr not- 
wendigen weiteren Untersuchungen wohl Verschiedenheiten im Aktions- 
system zu erwarten sind; daß aber eine prinzipielle Unterscheidung 
zwischen zwei verschiedenen phototaktischen Reizarten bei pflanzlichen 
Objekten nicht mehr geboten ist. Eine Einstellung in die Richtung 
der Lichtstrahlen, etwa auf Grund von lokalen Differenzen der Be- 
leuchtung an verschiedenen Teilen des Körpers, dürfte nicht existieren. 
An Stelle dieser Vorstellung ist die Reaktionsweise mit einer 
zur Gestalt des Körpers in Beziehung stehenden Richtungsänderung 
und auf Grund von zeitlich wechselnder Beleuchtungsintensität zu 
setzen. Das Überschreiten eines quergestellten Schattens durch 
Schwimmen in der Lichtrichtung (und ähnliche Erscheinungen) wäre 
dann so zu erklären, daß die Abweichung von der Richtung der 

13* 


196 V. Riehtungsbewegungen auf Lichtreiz. 


Strahlen eine stärkere Verdunkelung der lichtempfindlichen Plasma- 
partieen bewirkte als der Schatten selbst. 

Am übersichtlichsten von allen phototaktischen Reaktionen ist 
das Verhalten der lichtreizbaren Purpurbakterien. Bei diesen fand 
Engelmann (1882) zum ersten Male die Schreckbewegung auf plötz- 
liche Verdunkelung, die sich hier in einer vorübergehenden Umkehrung 
der Bewegungsrichtung, in einem Zurückschießen mit dem Hinterende 
voran, bemerkbar macht. Bleiben nach dem Helligkeitswechsel die 
Verhältnisse konstant, so schwimmt das Bakterium bald wieder mit 
dem Vorderende voran, aber in einem etwas anderen Winkel. Auf 
Grund dieser Reaktionsweise sammeln oder „fangen‘ sich die be- 
treffenden Bakterien ganz ähnlich wie das oben für Euglenen er- 
zählt wurde, an hellen Stellen, indem sie über deren Grenze wohl 
hin, aber nicht zurückschwimmen können. Eine durch die Licht- 
strahlen bestimmte Bewegungsrichtung konnte Engelmann (a. a. O. 
S. 121/22) nicht finden. Die Bakterien gelangen also bei einer Be- 
leuchtung von oben oder unten und dazu senkrechter Helligkeits- 


ultrarot gelb 


Abb. 66. 


Verteilung von phototaktischen Purpurbakterien im Mikrospektrum. 
(Nach Engelmann.) 


abstufung nur zufällig an Stellen anderer Beleuchtungsstärke ganz 
so wie Euglenen u. a. Flagellaten, Schwärmsporen usw. 

Die Bakterien, um die es sich handelt — Engelmann nannte 
die Art Bakterium photometricum, es war aber ein Chromatium —, 
sind auch sonst in ihren Lebensverhältnissen vom Lichte abhängig, 
da sie nur im Hellen gedeihen. Allerdings weiß man nicht genau, 
worauf diese Förderung beruht. Für uns ist es aber nur wichtig, 
daß auch hier, wie bei den grünen Organismen, die Lichtreizbarkeit 
eine Anpassung an die Lebensweise darstellt. 

Bei den Purpurbakterien sind es nicht wie bei den grünen 
Organismen die kurzwelligen Strahlen, die die phototaktische Reaktion 
bedingen, sondern im Gegenteil hauptsächlich die unsichtbaren ultra- 
roten und etwas weniger die gelben. (Abb. 66). Engelmann sah die 
Chromatien sich an diesen Stellen eines kleinen Spektrums im Mikro- 
skope sammeln. Nach ihm sind die wirksamen Strahlen dieselben, 
die von dem roten Farbstoffe absorbiert werden und die gleichzeitig 
auch für die Stoflwechselprozesse am günstigsten sind. 

Diese Bakterien haben nun keinen Augenfleck und keine asym- 


Phototaxis. 197 


metrische Gestalt. Ihr Aktionssystem gestattet ihnen nur ein Vor- 
wärts- oder Rückwärtsschwimmen. Eine, auch nur mittelbar hervor- 
gerufene Einstellung in die Lichtrichtung, etwa wie bei Euglena, ist 
ihnen nicht gegeben. Sie gelangen also nur durch zielloses Hin- und 
Herschwimmen in Zonen günstiger Beleuchtung. Das Aufsuchen 
einer zusagenden Helligkeit wird demnach (ganz abgesehen von der 
Schnelligkeit der Bewegung) weniger sicher vor sich gehen als bei 
einer Reaktionsweise nach Art der Euglenen. Denn die letztere ge- 
stattet unter natürlichen Verhältnissen meist die Ausnutzung der 
von hellen Stellen ausgehenden seitlichen Strahlung zur Lenkung 
der Bewegung. Es wird daraus ersichtlich, daß das Aktionssystem 
des Bakterium photometricum eine niedrigere Stufe darstellt als das 
der phototaktischen Flagellaten, Algenschwärmer und Volvocineen. 

Der Unterschied beruht aber nicht, oder nicht allein, auf dem 
Fehlen des den drei eben genannten Gruppen zukommenden Augenfleckes 
(oder gar des Chlorophylis). Das lehren uns einige weitere nicht grüne 
Organismen, deren Reizbewegungen Strasburger (1878, S. 18 u. 19) 
und Rothert (1901, S. 372) äußerlich ganz übereinstimmend mit dem 
der grünen Schwärmer fanden, obgleich sie keinen Augenfleck be- 
sitzen. In den drei bekannten Fällen handelt es sich um Organismen, 
die auf phototaktischen Flagellaten schmarotzen und mit Hilfe ihrer 
Lichtreizbarkeit dieselben Stellen wie diese aufsuchen. Darin stimmen 
die Schwärmer dieser drei Organismen überein, obgleich sie sehr 
verschiedenen Verwandtschaftskreisen angehören. Zwei von ihnen, 
nämlich Chytridium vorax, das auf Haematococcus lacustris, und 
Polyphagus Euglenae, der auf Euglenen parasitiert, gehören zu den 
niedrigen Pilzen, der dritte, eine Bodoart, die sich von Chlamydomonas 
multifilis nährt, ist ein Flagellat. Es ist somit deutlich, daß auch 
hier wieder die Lebensweise zur Ausbildung der zweckentsprechenden 
Reizbarkeit geführt hat. Denn die nächsten Verwandten dieser drei 
Räuber, die entweder gar nicht oder auf unbeweglichen Pflanzen 
schmarotzen, besitzen keine phototaktischen Fähigkeiten. 

Wie bei diesen farb- und augenflecklosen Organismen die be- 
obachtete Einstellung in die Lichtrichtung zustande kommt, ist nicht 
genauer untersucht worden. Es ist auch nicht bekannt, wie sie auf 
einen Intensitätswechsel reagieren. Ein Einwand gegen die Allge- 
meingültigkeit der oben bei Euglena dargelegten Auffassung von der 
Phototaxis kann aber vorläufig aus ihrem Bau und Verhalten nicht 
entnommen werden. Denn der Augenfleck vergrößert nur die Diffe- 
renz in der Beleuchtung des lichtempfindlichen Plasmas je nach 
der Stellung des Körpers zum Lichte. Selbst wenn die Perzeptions- 
fähigkeit bei den farblosen Schwärmern gleichmäßig über den ganzen 
Körper verteilt sein sollte, ist doch durch die Abweichung von der 
Kugelgestalt eine Differenz in der Menge des aufgefangenen Lichtes je 
nach der Stellung gegeben. Diese Differenz könnte aber als Reizanlaß 
genügen und das Schwimmen in der Lichtrichtung ermöglichen. Doch 
muß die Entscheidung weiteren Untersuchungen vorbehalten bleiben. 


198 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz. 


Wenden wir uns nun zu den übrigen freibeweglichen Organis- 
men, die eine Lichtreizbarkeit besitzen. Unter diesen ist das Ver- 
halten besonders von einigen Desmidiaceen durch Untersuchungen 
von Stahl (1880) u. a. bekannt (Literatur Pfeffer 1904, S. 776). 
Der früher besprochene Bewegungsmechanismus beruht auf der 
Ausscheidung von verquellenden Stoffen. Mit Hilfe dieser heften 
sich die länglichen Pleurotaenien, Closterien u. a. mit einem Ende 
fest, während das andere, schräg aufgerichtet, schwächerem Lichte 
entgegen oder von starkem fortgekehrt ist. Die Fortbewegung ge- 
schieht durch Rutschen des festgehefteten Endes auf der Unterlage, 
wobei ein Hin- und Herschwanken des aufgerichteten Teiles zu be- 
obachten ist. Bei Closterium überschlägt sich außerdem der ganze 


Licht B4 


Abb. 67. 


Kolonie von einer Nostocart an der Wand eines Kulturgefäßes. 
Die Fäden haben sich den durch den Pfeil angedeuteten Lichteinfall 
entsprechend phototropisch angeordnet. 


Körper unter abwechselndem Festkleben der beiden Enden, wobei 
gleichfalls eine Annäherung oder Entfernung von der Lichtquelle, je 
nach der Helligkeit stattfindet (vgl. Abb. 8, S. 18). 

Die Diatomeen scheinen, soweit sie chlorophyllhaltig und be- 
wegungsfähig sind, gleichfalls alle phototaktisch zu sein (Literatur 
Pfeffer 1904, S. 776). Eine Ansammlung an hellen oder beschatteten 
Stellen kommt aber nur durch scheinbar regelloses Hin- und Her- 
schieben zustande, wobei jede Richtungsumkehr nicht genau in die 
alte Bahn zurück, sondern in einem kleinen Winkel von ihr abführt. 
Ähnlich verhalten sich die Oscillarieen, die sich zudem phototropisch 
krümmen können (Abb. 67). 

Das Aktionssystem ist bei Desmidiaceen und Diatomeen recht 
verschieden. Gemeinsam ist ihnen aber die mangelnde Einstellung 
ihrer Körperachse in die Lichtrichtung, ähnlich wie bei den Bakterien. 


Phototaxis. 199 


Offenbar hilft auch bei ihnen ein häufiger Wechsel der Bewegungs- 
richtung, Stellen geeigneter Beleuchtung aufzusuchen. Sicherlich 
würde man bei genauerer Beobachtung eine Bevorzugung gewisser 
fördernder Bewegungsrichtungen finden. Vielleicht wird auch unter 
Bedingungen, die der Phototaxis günstig sind, die Bewegung gerad- 
liniger, ähnlich wie das für Euglenen und Schwärmsporen gefunden 
wurde. Die zuletzt genannten Organismengruppen, Desmidiaceen, 
Diatomeen und ÖOscillarien werden durch ihre Lichtreizbarkeit be- 
fähigt, aus bedeckendem Schlamm hervor oder bei zu starkem Lichte 
in ihn zurück zu kriechen und auch sonst ihnen zuträgliche Beleuch- 
tungsverhältnisse aufzusuchen. Das Gleiche gilt für manche Fadenalgen, 
(z. B. Spirogyren), die sich schiebend auf einer Unterlage und auch 
im Wasser aufrecht stehend phototropisch zu bewegen vermögen. 

Schließlich ist noch für die Plasmodien mancher Schleimpilze 
bekannt, daß sie das Licht fliehen und deshalb am Tage sich meist 
im Substrat verkriechen. Nach Pfeffer (1904, S. 777) „dürfte diese 
einseitige Wanderung wesentlich dadurch verursacht werden, daß die 
Ausgestaltung an der stärker beleuchteten Partie verhältnismäßig 
ansehnlicher beeinträchtigt wird. Es ist deshalb wohl anzunehmen, 
daß in diesem Falle die negativ phototaktische Bewegung durch die 
Lichtdifferenz, also nicht durch die Lichtrichtung veranlaßt wird.‘ 

Durch ihre negative Phototaxis entgehen diese ungeschützten, 
nackten Plasmamassen dem Austrocknen an besonnten Standorten. 
Erst kurz vor der Fruktifikation kommen sie ans Licht hervor. Dann 
ist aber auch der Zeitpunkt gekommen, wo die trocken verstäuben- 
den Sporen gebildet werden. 

So steht die Lichtreizbarkeit der freibeweglichen pflanzlichen 
Lebewesen überall in deutlichem Zusammenhange mit ihrer Lebens- 
weise. Sie wird in den Dienst der Ernährung oder der Fortpflanzung 
gestellt. 


Bei den Purpurbakterien sahen wir die phototaktische Wirkung 
hauptsächlich von den ultraroten Strahlen ausgehen, d. h. von den- 
jenigen, die wegen ihrer hohen thermischen Wirkung gemeinhin 
Wärmestrahlen genannt werden. Man könnte da schon mit einem 
gewissen Rechte von Thermotaxis sprechen, wenn es auch nicht 
wahrscheinlich ist, daß gerade die Wärmewirkung die Ansammlung 
bedingt. Solange wir aber nicht die eigentliche Reizursache, also 
die die Erregung bedingende physikalische Veränderung im Organis- 
mus kennen, tun wir gut, die durch „strahlende“ und die durch 
„geleitete‘‘ Wärme erzielten Reizwirkungen auseinanderzuhalten. 

Von frei beweglichen Organismen ist eine echte thermotaktische 
Reaktionsweise am besten für Infusorien bekannt. Haben diese die 
Wahl, so fliehen sie sowohl kaltes wie warmes Wasser und sammeln 
sich bei mittlerer Temperatur, die bei den einzelnen Arten zwischen 
23 und 30° variiert (Mendelssohn zitiert nach Jennings [1905] 
1910). Ähnliches gilt für Euglenen. 


200 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz. 


Sonst ist bei freischwimmenden kleinen Lebewesen Thermo- 
taxis kaum zu finden. Den Grund dafür kann man mit Pfeffer 
(1904, S. 767) darin sehen, daß die ungleiche Erwärmung im Wasser 
Strömungen hervorruft, denen nur kräftigere Schwimmer wider- 
stehen können, während die schwächeren, wie z. B. Bakterien, mit- 
gerissen werden. 

Dagegen konnte Stahl (1884b) bei Schleimpilzen eine ausge- 
sprochene Thermotaxis nachweisen. Er setzte Plasmodien von Aethalium 
auf Fließpapierstreifen, deren beide Enden in Wasser von verschiedener 
Temperatur eintauchten. War die Auswahl zwischen 8 und 30° ge- 
geben, so wurde das letztere vorgezogen. In Versuchen von Wort- 
mann (1885b) mit derselben Methode erfolgte auch dann noch positive 
Reaktion, wenn die Temperaturen 15 bis 20° einerseits und 35° 
andererseits waren. Bei 40° dagegen trat der Pilz den Rückzug an 
und blieb an der Grenze zwischen warmem und lauem Wasser 
zwischen 35 und 40° stehen. Auch zwischen 18 und 37° wurde die 
Mitte aufgesucht, nicht aber bei 18 und 36°, wo nur positive Reaktion 
auftrat. Hier liegt also offenbar das Optimum der Temperatur. Ähn- 
liche Resultate erzielte Clifford (1897), der auch mit engeren Inter- 
vallen, von nur 10°, arbeitete. Er erzielte eine Repulsion schon bei 
33 bis 34°. Vielleicht gehörte sein Plasmodium einer anderen Art 
an. Die Umkehr der Bewegung fand er plötzlich und scharf. Sie 
bestand in einem raschen Wegströmen des Plasmas von der ge- 
fährdeten Stelle, während die positive Reaktion schon bei 30° lang- 
sam wurde. 

In der Natur wandern die Plasmodien bei der Abkühlung des 
Bodens im Herbst in die Tiefe und bilden dort Dauerformen. Er- 
wärmen sich im Frühling die oberen Schichten, so beleben sie sich 
wieder und steigen höher. Wird die Temperatur aber zu hoch, so 
daß eine Schädigung eintreten könnte, so fliehen sie wieder ab- 
wärts. 


8) Bewegungen der Chlorophyllkörper. 


Wie wir gesehen haben, sind die grünen Pflanzen vielfach be- 
fähigt, die für die Kohlensäureassimilation günstige Beleuchtung auf- 
zusuchen, sei es nun durch Krümmungsbewegungen oder durch freie 
Ortsveränderung. Mit der Aufgabe der letzteren ist die Pflanze 
trotz aller tropistischen Fähigkeiten doch zu einer gewissen Trägheit 
verdammt, die ihr nur in beschränktem Maße gestattet, den rasch 
wechselnden Beleuchtungsverhältnissen zu folgen. Deshalb wird ihn 
eine rasche und auch in älteren Blättern noch sich vollziehende 
feinere Einstellung auf die augenblickliche Belichtung von großem 
Nutzen sein können. Eine solche ist nun durch die Möglichkeit 
gegeben, die eigentlichen Träger der Assimilation, die grünen Chloro- 
phylikörper, innerhalb der Zelle zu verlagern. 

Bei den freibeweglichen phototaktischen Organismen ist im 
Gegensatz zu den festgehefteten entsprechend dem angedeuteten öko- 


Bewegungen der Chlorophylikörper; 201 


logischen Zusammenhange in der Tat eine Verlagerungsfähigkeit der 


Chlorophyllkörper meist nicht zu beobachten. 


Unter den Fadenalgen 


hat z.B. die bewegungsfähige Spirogyra Chromatophoren, die sich nicht 


umlagern, der unbewegliche Mesocarpus aber 
bewegliche. Bei dieser Alge haben die Chloro- 
phyliträger bandförmige Gestalt und liegen 
gerade ausgestreckt in einer Längsebene der 
zylindrischen, fädig aneinandergereihten Zellen. 
Durch Protoplasmafäden sind sie an der Schmal- 
seite der Zelle angeheftet (Abb. 68). Die Chloro- 
phyliplatten von Mesocarpus haben nun die 
Fähigkeit, sich bei mittlerer Beleuchtung senk- 
recht auf die Richtung der Strahlen zu stellen, 
bei stärkerer aber eine schräge und bei direk- 
ter Besonnung parallele Stellung zum ein- 
fallenden Lichte einzunehmen. Auf diese Weise 
regulieren sie die Menge des auf sie fallenden 
Lichtes ganz ähnlich wie die phototropischen 
Blätter (Stahl 1880, Senn 1908). 

Nicht immer reagiert übrigens die ganze 
Chlorophyliplatte als starres Ganzes. Fällt auf 
ihre eine Hälfte das Licht in anderer Rich- 
tung als auf die andere, so dreht sich jeder 
Teil für sich und in der Mitte entsteht eine 
Torsion. Das kommt besonders dann vor, 
wenn durch eine Biegung des ganzen Meso- 
carpusfadens eine gekrümmte Zelle in ihren 
Teilen verschieden gerichtetes Licht auffängt. 
— Merkwürdig ist die Beobachtung von Senn, 
daß die Stellung quer zum Lichte nur durch 
die rotgelben, die Parallelstellung dagegen durch 
starke blauviolette Strahlen bewirkt wird. Aller- 
dings stimmt es mit den sonstigen Erfahrungen 
überein, daß die ersteren vor allem die Assi- 
milation unterhalten, die letzteren aber bei 
hoher Intensität schädigend wirken (Senn 
a.a. 0. 8. 31). Wäre aber die Beobachtung 
richtig, so wäre hier zum ersten Male ein 
Farbenunterscheidungsvermögen bei Pflanzen, 
d. h. der Art nach verschiedene Reizung durch 
die einzelnen Spektralbezirke, festgestellt! Bei 
den Chloroplasten der anderen untersuchten 
Pflanzen fand Senn stets, daß vorzugsweise die 


u 


Abb. 68, 


Fäden von Mesocarpus 
senkrecht zur Papierebene 
beleuchtet gedacht; links in 
Licht mittlerer Helligkeit, 
rechts in ° direkter Sonne. 
Darunter schematische Quer- 
schnitte mit dem Strahlen- 
gange. (Nach Senn 1908.) 


blauen und violetten Strahlen die Bewegung auslösen, ganz so wie das 
für Phototropismus und Phototaxis allgemein gefunden worden ist. 

Bei den meisten Pflanzen sind die Chlorophyllkörper nicht, wie 
bei den erwähnten Fadenalgen, bandförmig, sondern kugelig, ei- oder 


202 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz. 


linsenförmig, und nicht wie bei Mesocarpus in Einzahl, sondern in 
größerer Menge vorhanden. Früher (Stahl 1880) nahm man aber 
an, daß trotzdem der gesammte Chlorophyllapparat einer Zelle, be- 
stehend aus einer ganzen Anzahl von Chlorophylikörpern, als ein- 
heitliches Ganzes reagiere, ähnlich wie bei Mesocarpus die grüne 
Platte. Senn verdanken wir nun den bedeutungsvollen Nachweis, 
daß diese Auffassung nicht richtig sein kann. Vielmehr sucht jeder 
Chlorophylikörper mit einer gewissen Selbständigkeit denjenigen Platz 
in der Zelle auf, an dem geeignete Beleuchtungsverhältnisse herrschen, 
ähnlich wie phototaktische Schwärmsporen in einem Gefäße. Ist 
das Licht stark, so reagieren die Chlorophylikörper negativ, ist es 
von mittlerer Intensität, positiv. Dabei müssen für die Beurteilung 
des Ortes der Ansammlung die Lichtbrechungsverhältnisse in der 
Zelle berücksichtigt werden, die z. B. in untergetauchten Fäden von 
Vaucheria anders sind als an der Luft. Im ersteren Falle beobachtet 
man in dieser Alge eine Anhäufung nur an der dem Lichte zugekehrten 
Seite. An der Luft aber tritt eine zweite auf der Rückseite auf, 
an der Stelle, wo die Strahlen sich treffen, die beim Übertritt aus 
einem schwach lichtbrechenden in das stärker lichtbrechende durch- 
sichtige zylindrische Organ hinten in diesem eine Brennlinie bilden. 
In starkem Lichte suchen die Chlorophylikörper die schwächer be- 
leuchteten Flanken auf, während Vorder- und Rückseite von ihnen 
frei bleiben. Vaucheria zeigt noch eine andere Erscheinung, die das 
phototaktische Verhalten der grünen Körper besonders deutlich 
macht. Wird nämlich der Faden stellenweise verdunkelt und be- 
lichtet, so sammeln sich die Chlorophyllkörper an den hellen Stellen 
an, führen also Bewegungen in der Längsrichtung des Fadens aus!). 

Senn unterscheidet nach der Reaktionsweise sieben Bewegungs- 
typen, von denen der erste der von Mesocarpus mit seiner einzelnen, 
sich drehenden Chlorophyliplatte ist. Diesem stehen alle anderen 
gegenüber, bei denen Ortsveränderungen der Chlorophylikörper auf- 
treten. Unter ihnen ist der erste der besprochene Vaucheriatypus, 
zu dem auch noch gewisse Meeresalgen, Moosvorkeime u. a. gehören. 

Der dritte Typus ist der von Chromulina, einer einzelligen 
Alge, der sich dadurch auszeichnet, daß das Licht auf der Hinter- 
wand kugeliger Zellen konzentriert wird, wo dann auch die Chloro- 
phylikörper liegen. Er wurde zuerst bekannt für die Vorkeime des 
Mooses Schistostega (Leuchtmoos) durch Noll (1888). Diese Vorkeime 
finden sich vorzugsweise in der Tiefe von Höhlungen, in die nur wenig 
Licht dringt. Durch die Konzentration der Strahlen auf den der Hinter- 
wand anliegenden Chlorophylikörpern wird die für die Assimilation 
nötige Helligkeit erzielt. Das Licht, das die grünen Körper durchsetzt 
hat, tritt vermöge der eigentümlichen Lichtbrechungsverhältnisse 
parallel mit dem einfallenden wieder aus. Deshalb erscheinen die 


'‘) Ein entsprechendes Verhalten bei der Meeresalge Bryopsis beobachtete 
als erster Winkler (1900). 


Bewegungen der Chlorophyllkörper. 203 


Stellen, die von dem Moose besiedelt sind, dem in die Erdhöhle 
hineinblickenden Beobachter grünleuchtend.. Der Chromulinatypus 
stellt eine Anpassung an stets gleich gerichtetes Licht dar. 

Der vierte Typus Senns ist der von Eremosphaera. Er unter- 
scheidet sich von dem Vaucheriatypus allein durch die Lage der 
Bewegungsbahnen. Während nämlich bei den zu diesem letzteren 
gehörigen Zellen nur ein dünner Plasmabelag der Wand anliegt, in 
dem die Bewegung vor sich gehen muß und so ein Überschreiten 
beschatteter Wandpartieen unmöglich ist, verlaufen bei den eremo- 
sphaeraartigen Objekten Protoplasmafäden mitten durch den Zellsaft- 
raum und gewährleisten eine größere Bewegungsfreiheit. Es gehören 
hierher neben der genannten kleinen Alge hauptsächlich Diatomeen. 

Die übrigen drei Typen umfassen die Assimilationsgewebe viel- 
zelliger Pflanzen, das einschichtige Blattgewebe vieler Moospflanzen 
und das Schwamm- und Palissadengewebe der Blätter höherer Pflanzen. 
Auch bei diesen herrscht das Prinzip der Lagerung an günstig be- 
leuchteten Stellen innerhalb der einzelnen Zellen. 

Bei den im Gewebe zusammengeordneten Zellen sind die Ver- 
hältnisse schwerer zu übersehen als bei den einzelnen lebenden oder 
in Fäden aneinandergereihten Einzellern. Einmal sind in dickeren 
und von Lufträumen durchsetzten Organen die Lichtbrechungs- 
verhältnisse oft recht verwickelt, und dann kommt für die Anordnung 
der Chloroplasten im Plasmabelag neben der Lichtverteilung die Lage 
der Zellenwände in Betracht, nämlich der Umstand, ob sie an andere 
Zellen, an freie Oberflächen oder an Interzellularen grenzen. 

Beim einschichtigen Assimilationsgewebe, wie es die meisten 
Blätter von Moosen und Lebermoosen, sowie die Vorkeime der Farne 
aufweisen, ist die Abweichung von einfachen Zellenreihen noch sehr 
gering. Bei den erst fadenförmigen und später flächig werdenden 
Farnkeimlingen geht der ‚„‚Vaucheriatypus‘ direkt in den ‚„Moosblatt- 
typus‘“ über. Stahl (1880) konnte an diesem Materiale zeigen, daß 
sich beide nicht wesentlich unterscheiden, soweit die Lichtreaktionen 
in Betracht kommen. Am Lichte breiten sich die Chloroplasten 
möglichst aus. Im Dunkeln aber macht sich ein Unterschied be- 
merkbar, denn die Chlorophyliträger suchen dann die an Nachbar- 
zellen stoßenden Wände auf, offenbar durch irgendwelche von ihnen 
ausgehende chemische Reize angelockt (Abb. 69b). Etwas derartiges 
war bei den früheren Typen der einzelnen oder in Fäden angeord- 
neten Zellen nicht zu beobachten. Vielmehr bleiben bei ihnen meist 
die Chloroplasten im Finstern in der zuletzt innegehabten Lage 
(Mesocarpus, Vaucheria, Hormidium). Höchstens gehen vom Zellkern 
Richtkräfte aus (Eremosphaera und Diatomeen), die die Dunkellage 
bestimmen. 

Bei greller Besonnung lagern sich die Chlorophylikörper in den 
Moosblättern u. ä. an die Wände, die den Strahlen parallel gehen. Da- 
durch wird im Ganzen die Menge des aufgefangenen Lichtes geringer, 
und die einzelnen Chloroplasten entgehen durch gegenseitige Be- 


204 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz. 


schattung, durch Profilstellung und durch die in den optischen Ver- 
hältnissen der Zelle begründete Beschattung der betreffenden Wände 
der Schädigung durch zu intensive Belichtung (Senn 1908 8. 78). 

Dadurch, daß sowohl bei senkrechter Besonnung wie auch bei 
Beschattung in den Moosblättern die zur Fläche senkrechten Scheide- 
wände der Zellen aufgesucht werden, ist die Schutzstellung bei starkem 
Licht von der Dunkelstellung nicht zu unterscheiden (Abb. 69b u. ce). 
Das gilt aber nur für einschichtige Organe. Bei zwei- und mehr- 
schichtigen Geweben wird die Dunkelstellung sofort dadurch kennt- 
lich, daß auch die zur Fläche parallelen Zellwände von Chloroplasten 
besetzt werden, während sie in der Sonne frei bleiben (Abb. 70) 
(Lemna trisulca. Stahl 1880 S. 334/35). 


Abb, 69. 


Stück eines Laubmoosblattes (Funaria hygrometrica). 
a Aus diffusem Licht; b verdunkelt gewesen ; e senkrecht zur Blattfläche besonnt. 
(Nach Senn 1908.) 


In den weit differenzierteren Blättern der höheren Landpflanzen 
finden wir fast durchweg zwei Arten von grünen Geweben. Die 
Hauptmasse der Chloroplasten ist in den der Oberseite genäherten 
und senkrecht zu ihr angeordneten länglichen Palissadenzellen ent- 
halten, die das eigentliche Assimilationsgewebe darstellen, während 
das sogen. Schwammparenchym, das mit seinen großen Luftlücken 
dem Gaswechsel dient, weniger Chlorophylikörper enthält. Ihm 
schließt sich die in Stengeln, fleischigen Blättern usf. verbreitete 
Masse des Grundgewebes an, soweit sie überhaupt chlorophyllhaltig ist. 

Für das Grund- und Schwammparenchym gilt nach Senn das 
für einschichtige Gewebe Gesagte, nur daß hier das Bild der 
Dunkelstellung wegen der größeren Zahl der an benachbarte Zellen 
stoßenden Wände etwas anders ist als beim Moosblattypus, und 


Bewegungen der Chlorophylikörper. 205 


daß auch bei normaler Belichtung solche Zwischenwänden von 
Chloroplasten besetzt sein können, falls sie eine geeignete Beleuchtung 
aufweisen. Ferner wäre zu bemerken, daß bei manchen Objekten, 
wie z. B. den blattartigen Sprossen der untergetauchten Wasserlinse 
(Lemna trisulca) und den fleischigen Blättern der Dachwurz (Semper- 
vium) in starkem Lichte auf die anfängliche Querwandstellung Zu- 
sammenballungen der Chlorophylikörper folgen, die deren gegenseitige 
Beschattung noch wirksamer machen. 

Die Chloroplasten des Palissadenparenchyms sind genau so photo- 
taktisch wie die bisher besprochenen. Das geht z. B. aus einem 
Versuche von Stahl (1880 S. 378) hervor, in dem bei starkem Schief- 
licht eine einseitige Lagerung der grünen 
Körper in den oberen ‘Enden der 
schlauchförmigen Zellen beobachtet 
wurde. Sonst liegen sie stets den Seiten- 
wänden der zylindrischen Zellen an. 
Die Eigentümlichkeiten in der Anord- 
nung der Farbstoffträger im Palissaden- 
parenchym müssen daher auf die 
optischen Verhältnisse zurückgeführt 
werden. Für diese ist es hauptsächlich 
bezeichnend, daß große Verschieden- 
heiten in der Verteilung der Helligkeit 
nicht möglich sind, weil seitliches Licht 
nicht tief eindringen kann. 

Gewöhnlich werden die transversal- 
phototropischen Blätter durch ihre Licht- 
lage bewirken, daß die Strahlen un- 
gefähr in der Längsrichtung der Pa- & 
lissadenzellen einfallen. Nur so ist auch Abb. 70. 
eine wirksame Durchleuchtung des Assi- Querschnitte durch die blattartigen 
milationsgewebes möglich, da einiger- Mehr mitlierer Intensität; bverdunkelt 
maßen schräges Licht an den Inter- EIDELUNN LEE a chEE SEES 
zellularen reflektiert, sowie bei der 
wiederholten Durchdringung von Zellwänden mit ihrem Protoplasma- 
und Chloroplastenbelage zu stark geschwächt wird. Man sieht hieraus 
auch, daß die normale Lichtstellung der Blätter senkrecht zum ein- 
fallenden Lichte nicht nur für die Gesamtmenge des aufgefangenen 
Lichtes von Bedeutung ist, sondern der inneren Struktur der Ge- 
webe entspricht. 

Doch sind es nach Senn (1908 S. 107) nicht die genau senk- 
recht auf die Blattfläche fallenden Strahlen, die in den Palissadenzellen 
ausgenutzt werden, denn diese durchsetzen sie genau in der Längs- 
richtung ohne auf die den Seitenwänden anliegenden Chloroplasten 
zu treffen. Sie kommen deshalb fast ungeschwächt dem Schwamm- 
parenchym zugute. Nur im künstlich parallel gemachten Lichte von 
mittlerer Intensität begibt sich ein Teil der grünen Körper auf die 


206 V. Richtungsbewegungen auf Lichtreiz. 


Schmalseiten der Palissaden. Die wenig schrägen Strahlen des 
diffusen Lichtes aber sind es hauptsächlich, auf deren Ausnutzung 
das Assimilationsgewebe der Laubblätter angewiesen ist. Durch sie 
werden hauptsächlich die seitlichen Wände der lichtschacht-ähnlichen 
Palissadenzellen beleuchtet, an denen sich dann auch normalerweise 
die Chlorophylikörper befinden. Bei greller Besonnung dagegen suchen 
sie die beschatteten Partien auf und stellen sich auch so ein, daß 
sie möglichst viel Licht durchlassen!). Die Chloroplasten in Schwamm- 
parenchymen liegen bei diffuser Beleuchtung der beleuchteten Vorder- 
seite der Zellen an, in der Sonne jedoch bergen sie sich im Schatten 
hinter denen der Palissaden (Abb. 71). 

Im Ganzen reagieren, wie man sieht, die Blattgrünträger genau 
wie selbständige Lebewesen, und zwar sind es die Helligkeitsdiffe- 
renzen, die ihre Anordnung bestimmen. Es ‚beanspruchen diese 
phototaktischen Bewegungen der Chromatophoren im Hinblick auf 


Abb. 71. 


Querschnitte durch Blätter von Phaseolus vulgaris. I In diffusem Licht mittlerer 
Intensität. II;Senkrecht von oben besonnt. P Palissadenparenchym. S Schwamm- 
parenchym. (Nach Senn 1908.) 


diejenigen der frei lebenden Organismen deshalb besondere Beachtung, 
weil sie einwandfrei allein auf die Unterschiedsempfindlichkeit für 
die Intensität des Lichtes zurückgeführt werden können, sich so- 
mit von dessen Richtung als unabhängig erweisen.“ (Senn, 1908 
5.17), 

Bei Verdunkelung verändert sich allgemein die Anordnung der 
Chlorophylikörper, indem nach Ausschaltung äusserer Richtungsreize 
innere Verhältnisse, wie es scheint, chemische Reize, ausschlaggebend 
werden. Dadurch, daß die grünen Körper in Blättern bei intensiverer 
Besonnung dem Lichte möglichst aus dem Wege gehen, erscheint das 
ganze Organ heller und weniger lebhaft grün als nach einem Aufenthalt 
im Dunkeln oder in schwachem Lichte. Durch teilweise Bedeckung 
der Blattfläche bei der Besonnung kann man sich leicht davon über- 


1) Diese Anordnung ist nach Senn nur durch besondere Hilfsmittel zu be- 
wirken, die eine senkrechte Durchstrahlung gewährleisten. 


Bewegungen der Chlorophyllkörper. 207 


zeugen (Sachs 1859). Da in den Palissadenzellen die Umlagerung 
der Chloroplasten nicht sehr groß ist, wird die Farbenveränderung 
an -Schattenblättern, in denen diese zurücktreten, deutlicher sein 
(Stahl 1880). 

Im Ganzen wirken alle die besprochenen Einrichtungen dahin, 
daß die Pflanze schwaches Licht möglichst ausnutzt, starkes aber zum 
Teil wieder austreten läßt. Neben der direkten Schädigung des 
Chlorophylis durch intensive Beleuchtung wird dadurch auch eine 
zu starke Erwärmung vermieden, die hauptsächlich durch die Ab- 
sorption des Lichtes in den grünen Geweben zustande kommen 
könnte. Leicht ersichtlich ist hieraus auch, wie zweckmäßig die 
Verteilung des Chlorophylis auf relativ selbständige, bewegliche Organe 
der Zelle ist. 

Da die Art der Reaktion durchaus dem phototaktischen Ver- 
halten der freibeweglichen Organismen entspricht, so muß man an- 
nehmen, daß jedes Chlorophylikorn einzeln den Lichtreiz perzipiert. 
Nachwirkungen einer vorangegangenen Induktion konnte Senn nur 
bei Mesocarpus konstatieren. Mit dieser Alge hatte schon vor ihm 
Lewis (1898) experimentiert. Er setzte Mesocarpusfäden mit auf- 
recht stehendem Chlorophyliband verschieden lange dem von unten 
kommenden Lichte des Mikroskopspiegels aus und beobachtete die 
im Dunkeln eintretende Nachwirkung. Dabei fand sich, daß die 
Bewegung erst nach einiger Zeit schwach einsetzte und später schneller 
wurde, also Andeutungen einer Latenzperiode. Eine volle Drehung 
um 90° konnte bei einer Beobachtungszeit von 20 Minuten erst durch 
eine 2 Minuten dauernde Belichtung erzielt werden. Die kürzer be- 
lichteten Zellen waren zu der Zeit in der Bewegung noch zurück. 

Ähnlich waren die Resultate, wenn die im diffusen Lichte hori- 
zontal gestellten Chlorophyliplatten mit intensivem Sonnenlichte von 
unten beleuchtet wurden und sich nun wieder um 90° drehten. Auch 
hier wurde nach kurzer Belichtung eine Nachwirkung beobachtet. 
Merkwürdig ist, wie Jost (1908 S. 658) bemerkt, daß die Drehung 
auf einen vorhergehenden Reiz in der ‚richtigen‘ Stellung aufhört. 
Es ist das aber schließlich ein Problem, wie es in ähnlicher Weise 
für alle Nachwirkungen tropistischer Reize aufgeworfen werden muß. 
Immerhin wären an Mesocarpus noch eine ganze Anzahl wichtiger 
Fragen in Angriff zu nehmen, zu denen die Chloroplasten dieser 
Alge als schnell reagierendes .transversalphototropisches Objekt ge- 
eignet erscheinen. Die Abhängigkeit der Bewegung von der Zeit und 
Intensität der Reizung ist durch die Versuche von Lewis durchaus 
nicht geklärt. — Der Beginn der Bewegung ist so allmählich, daß 
eine Reaktionszeit kaum zu bestimmen ist. Für die Zellen mit 
vielen Chloroplasten gilt das in noch höherem Maße. Bei ihnen 
gehen zudem die Bewegungen kaum je so schnell vor sich wie bei 
Mesocarpus. 

Die Art, wie die Bewegung der Chlorophyllkörper zustande kommt, 
ist noch nicht aufgehellt.e. Am wahrscheinlichsten erscheint der 


208 V, Richtungsbewegungen auf Lichtreiz. 


Transport durch differenzierte plasmatische Gebilde, die in engerer 
Verbindung mit den Chlorophyllkörpern stehen. Jedenfalls haben die 
grob sichtbaren Plasmaströmungen, wie sie hauptsächlich auf Strö- 
mungen hin in vielen Zellen auftreten, nichts mit den phototak- 
tischen Bewegungen der grünen Körper zu tun. Denn findet die 
Strömung langsam statt, so bleiben die Chlorophylikörper an ihrem 
Platze, wird sie aber sehr lebhaft, so reißt sie jene ungeordnet mit 
fort. Sehen kann man leider von Bewegungsorganen nichts sicheres, 
und solange man über die Mechanik der Plasmabewegung nichts 
weiß, liegt kein Grund vor, irgendwelche Möglichkeiten näher aus- 
zumalen, 


VI. Die Folgen mechanischer Reizung. 


a) Allgemeines über mechanische Reizbarkeit. 


An uns selbst und am tierischen Organismus erscheint uns die 
Reizbarkeit für mechanische Eingriffe, wie Schlag, Stoß, Berührung, 
als das einfachste, selbstverständlichste und deshalb ursprünglichste 
Empfindungsvermögen. Ein Tier, das auf direktes Anfassen nicht 
reagierte, würde uns schon einen ganz besonders stumpfsinnigen Ein- 
druck machen. Und hören wir, daß im Verlaufe gewisser Krankheiten ein 
Glied empfindungslos für mechanische Reize wird, so können wir es 
uns kaum mehr als lebend vorstellen. — Anders als der tierische 
Organismus verhält sich dem Anschein nach die festgewachsene 
Pflanze, deren Tastreizbarkeit wenig offensichtlich ist. Leicht kenntlich 
ist diese Fähigkeit nämlich nur in besonderen Fällen, meist in Ver- 
bindung mit speziellen Anpassungen, so daß ihr Nutzen ohne weiteres 
einzusehen ist. Man muß aber trotzdem wohl annehmen, daß ihr 
die Anlage zur Empfindung von Berührungen von ihren Vorfahren 
überkommen ist. 

Dadurch, daß die Pflanze sich nicht von der Stelle bewegt, 
spielt das Zusammentreffen mit festen Körpern für sie keine so große 
Rolle wie für das beweglichere Tier. Es gibt aber eine Gruppe von 
Pflanzen, bei denen ein solches Zusammentreffen durch eigentümliche 
Bewegungen geradezu herbeigeführt wird. Das sind die Ranken- 
gewächse, die darauf angewiesen sind sich durch besondere Organe, 
die Ranken, an anderen Gewächsen festzuhalten, weil ihr eigener 
Stamm zu schwach ist die Last der Blätter zu tragen.) Zum 
Ergreifen der Stützen führen die Ranken Bewegungen aus. Und um 
diese zweckmäßig zu lenken, bedürfen sie einer Tastreizbarkeit, die 
ihnen anzeigt, wann und wie sie zupacken müssen. 

Bei den übrigen Gewächsen mit einer ausgeprägten mechanischen 
Reizbarkeit sind es nicht Bewegungen der Pflanzen selbst, die die 
Berührung herbeiführen, sondern Tiere, die in irgend welchem öko- 
logischen Verhältnis zu ihnen stehen. 

So vermögen die sogenannten Sensitiven auf eine Berührung 
hin besondere, rasche Schutz- oder Abwehrbewegungen auszuführen, 


1) Es wird also bei ihnen etwas biologisch ähnliches wie bei den früher 
besprochenen Schlingpflanzen auf andere Weise erreicht. Dem abweichenden 
Bewegungsmodus entspricht eine andere Reizbarkeit. 


Pringsheim, Reizbewegungen. 14 


210 VI. Die Folgen mechanischer Reizung. 


durch die sie ihre Blätter zwischen Dornen bergen (Mimosa nach 
Stahl 1897) oder kleine Tiere erschrecken und abschütteln.!) 

Sehr viele Pflanzen haben bekanntlich die Insekten, ihre Feinde, 
zu Dienstleistungen bei der Bestäubung der Blumen herangezogen. 
Je weiter die Ausbildung der Blüte und ihre Anpassung an die Be- 
stäuber getrieben ist, desto sparsamer wird sie mit den gebotenen 
Lockstoffen, desto mehr müssen die Insekten bei ihrem Besuche zu 
einem ganz bestimmten Benehmen gezwungen werden, bis schließlich 
die Pflanze mit eigenen Bewegungen die des Tieres ergänzt und 
regelt. Daß dann beide äußerst fein ineinander gepaßt werden 
müssen, damit die Bestäubung richtig zustande komme, ist klar. 
Hierzu aber bedarf die Pflanze einer Empfindung für die mechani- 
schen Reize, die von dem Insekt ausgehen. Wir finden solche daher 
in Blütenorganen häufig und in den verschiedensten Verwandt- 
schaftskreisen der Pflanzenwelt. 

Manche Pflanzen endlich vermögen nicht nur die Insekten zu 
Dienstleistungen zu zwingen, sondern werden sogar selbst die An- 
greifer. Sie fangen und töten kleine Tierchen, um gewisse für ihre 
Ernährung nützliche Stoffe zu gewinnen. Dabei sind ihnen die Be- 
wegungen von großem Nutzen, die auf Berührungen hin stattfinden. 
Kombiniert mit der mechanischen Reizbarkeit findet sich bei den 
Insektivoren, von denen ich hier spreche, durchwegs eine Empfind- 
lichkeit für chemische Reize. Da diese beiden Reizmittel mannigfach 
ineinandergreifen und sich ergänzen, wollen wir sie auch gemeinsam 
besprechen und damit überleiten zu den im nächsten Kapitel zu 
besprechenden übrigen Erscheinungen der chemischen Reizbarkeit. 


Überblicken wir die Fälle, in denen uns bei Pflanzen eine aus- 
geprägte Reizbarkeit für mechanische Berührung entgegentritt, so 
scheinen vorwiegend die Beziehungen zu anderen Organismen den 
Anlaß zu derartigen Anpassungen gegeben zu haben, die den 
meisten Gewächsen fehlen. Dabei müssen wir uns aber vor Augen 
halten, daß wir zwar bei genügender Vorsicht aus der Ausführung 
einer Reaktion auf stattgehabte Reizung, aber nicht aus ihrem Aus- 
bleiben auf Mangel an Sensibilität schließen dürfen. Vielmehr machen 
verschiedene Umstände es wahrscheinlich, daß das Empfindungs- 
vermögen für mechanische Eingriffe zu den Grundeigenschaften der 
lebenden Substanz gehört und immer — wenn auch in rudimentärer 
Form — erhalten bleibt. Dafür spricht erstens die Tatsache, daß 
die den beweglichen Vorfahren der höheren Pflanzen näher stehenden 
niederen Formen noch in weitem Maßstabe mechanische Reizbarkeit 
besitzen und zweitens, daß eine solche im Falle des Bedarfs vielfach 
in schönster Form ausgebildet wird. 


!) Ich bin mir wohl bewußt, daß diese Auffassungen von dem Nutzen der 
Stoßreizbarkeit für die Pflanze stark hypothetisch sind, weiß aber keine bessere 
Deutung. 


Ranken. 211 


Inwieweit außerdem bei der Anlage der Gewebe und deren innerer 
Differenzierung auch mechanische Einflüsse mitspielen, entzieht sich 
vorerst fast völlig unserer Kenntnis. 

Wenn wir alle oben erwähnten Fälle, nämlich das Empfindungs- 
vermögen der Sensitiven, der Insektivoren, der reizbaren Blütenteile 
und der Ranken als mechanische Reizbarkeit zusammenfassen, so ist 
damit natürlich über das physikalische Eingreifen des Reizes ins 
sensible Plasma im Einzelnen keineswegs genug ausgesagt. Es könnten 
sehr verschiedene Möglichkeiten vorliegen, so könnte ein konstanter 
Druck oder ein Zug, eine Reihe von kleinen Erschütterungen, ein 
Wechsel von Zug und Druck oder die verschiedene Beanspruchung 
verschiedener Gewebspartien usw. das wirksame Agens sein. Auch 
könnte durch alle diese Einflüsse erst eine sekundäre Veränderung, 
z. B. Wasserverschiebung, chemische Veränderung u. dergl. bewirkt 
werden, die dann ihrerseits zur Reizursache würde. Darüber so weit 
als möglich Klarheit zu erlangen, hat Pfeffer versucht. Doch ehe wir 
auf diese feinen, unser Thema unmittelbar berührenden Unterschei- 
dungen eingehen und uns überlegen, mit welchen der an uns selbst 
zu beobachtenden Empfindungen auf mechanische Reize wir die der 
Pflanzen in Parallele stellen können, müssen wir uns eine anschauliche 
Vorstellung der in Betracht kommenden Erscheinungen in ihren Einzel- 
heiten zu verschaffen suchen. 


b) Ranken. 


Wir beginnen mit den Ranken, den charakteristischen Anhangs- 
gebilden vieler Kletterpflanzen. Man versteht darunter fädig verlängerte 
Organe, die durch ihre Reizbarkeit für Berührung (Haptotropis- 
mus oder Thigmotropismus) geeignet sind, Stützen zu umschlingen 
und so das Klettern zu ermöglichen. Außer den eigentlichen Ranken, 
die ausschließlich die geschilderte Funktion haben, finden sich häufig 
Teile von Blättern, manchmal auch Stengelorgane, die außerdem ihre 
normalen Aufgaben erfüllen, mit Reizbarkeit und der Funktion von 
Ranken ausgestattet. Die typischen Ranken, von denen hier fast 
ausschließlich die Rede sein wird, stellen sich ihrer morphologischen 
Natur nach als umgewandelte Blatt- oder Achsenorgane dar, die ihre 
sonstigen Funktionen ganz aufgegeben haben. Man kann sie ihrer- 
seits danach wieder in Blatt- und Achsenfadenranken einteilen 
(Schimper 1898 S. 210). 

Der Blattstiel hat nebenher Rankenfunktion z. B. bei der Kapuziner- 
kresse (Tropaeolum), den Waldreben (Clematis, Atragene), den Kannen- 
pflanzen (Nepenthes) und anderen. Die Blattspitze wird bei ver- 
schiedenen Liliaceen entsprechend verwendet (vgl. z. B. Ludwig 1895 
8.138). Durch Umwandlung der Endblättchen gefiederter Blätter 
kommen schon typische Ranken zustande. So bei vielen Papilionaceen, 
besonders Arten von Wicken (Vicia) und Erbsen (Pisum) und bei 
Cobaea scandens (Abb. 72). Noch mehr spezialisiert sind die ganz 

14* 


212 VI. Die Folgen mechanischer Reizung. 


in Ranken umgewandelten Blätter oder Nebenblätter der Cucurbita- 
ceen z. B. Gurke (Cucumis sativa); Kürbis (Cucurbita Pepo); Zaun- 
rübe (Bryonia dioica) u. a. 

Stengelranken sind besonders schön bei Vitaceen (Weingewächsen) 
und Passifloraceen (Passionsblumen) zu finden. Bei ersteren heften sie 
sich nicht immer nur durch Umwinden der Stütze fest, sondern oft 
auch oder ausschließlich durch haftscheibenartige Verbreiterung ihres 
Endes und Ausscheidung eines Klebestoffes, wie es z. B. beim ‚wilden 
Wein‘ (Arten von Ampelopsis) zu beobachten ist (Abb. 73). Diese 


Abb. 72. 


Zweigspitze vonCobaca secandensmit verzweigten Blattranken. 

Rechts unten eine Ranke, die ein anderes Blatt ergriffen und 

sich dann schraubig eingerollt hat. Man sieht die Umkehrstelle. 
Verkleinert. 


Haftpolster schmiegen sich aufs feinste der rauhen Oberfläche der 
Unterlage an, indem ihre Oberhautzellen in jede kleinste Vertiefung 
hineinwachsen. Finden die Ranken jedoch keine Stütze, so unterbleibt 
die Ausbildung der Endverdickungen und das ganze Gebilde stirbt ab. 
Zuweilen sind auch Wurzeln rankenartig ausgebildet. Beim Efeu 
ist die Klammerfunktion physiologisch noch wenig ausgeprägt. Bei 
der Vanillenorchidee (Vanilla aromatica) u. a. dagegen kann man 
schon von richtigen Wurzelranken sprechen (Literatur siehe Pfeffer 
1904 S. 416). 

Auch bei Algen findet sich an Gebilden, die ausschließlich der 
Festheftung dienen, eine Kontaktreizbarkeit, ähnlich der der Ranken 


Ranken. 212 


Abb. 73. 


Ampelopsis heterifolia. a Junge Ranke mit knöpfchenartigen Enden. b. Alte Ranke, deren 
Enden durch Berührung mit der Unterlage verbreitert, abgeflacht und festgeklebt sind. Die Ranken- 
äste verkürzen sich schraubig und ziehen dadurch die Pflanze an die Stütze heran. Natürliche Größe. 


Literatur ebenda). Schließlich ent- 
wickeln gewisse Mukoraceen, be- 
sonders Mucor stolonifer, besondere 
Ausläufer, die bei Berührung mit 
festen Körpern sich mit wurzel- 
artigen Gebilden festheften und 
dann erst Fruchtträger ausbilden. 
Die Klammerorgane können sich 
selbst an Glasflächen sehr wirksam 
ankleben. Sie müssen wohl die Be- 
rührung fester Körper als Reiz 
empfinden (Abb. 74). 


Betrachten wir nun Entwicke- 
lung und Tätigkeit einer typischen 
Ranke, z. B. einer solchen von 
Bryonia oder Passiflora, etwas ge- 
nauer: 

Die jugendliche Fadenranke ist 
gewöhnlich eingerollt oder doch ge- 
krümmt, um in der Knospe Platz 
zu finden. Dabei ist die Unter- 


Abb. 74. 


Wurzelartige Haftorgane von Mucor stolo- 

nifer, an der Glaswand sich festhaltend. 

Ein Ausläufer unscharf, weil boeig in der 
Tiefe verlaufend. Verzrößert. 


214 VI. Die Folgen mechanischer Reizung. 


seite in der Spirale nach außen gekehrt (Abb. 75a). Später fängt die 
Oberseite an sich stark zu strecken, wodurch die Ranke annähernd ge- 
rade wird (b). Sie ist nun meist schräg aufwärts gerichtet, aber nicht 
bewegungslos. Vielmehr beschreibt sie durch umlaufend ungleiches 
Wachstum an ihrer Basis einen Kegelmantel, so daß ihre Spitze an- 
nähernd einen Kreis oder eine Ellipse durchläuft (Darwin [1865] 1876). 

Durch diese Bewegungen wird die Wahrscheinlichkeit sehr er- 
höht, einen festen Gegenstand zu berühren, der als Stütze dienen 
kann. Gelingt das aber nicht, so biegt sich die Ranke, die bis da- 
hin schräg aufwärts gestanden hat, an ihrer Basis abwärts und be- 
ginnt sich schraubig einzurollen, wobei nun die Oberseite, die im 
jugendlichen Zustande nach innen lag, konvex wird. Findet die 
Ranke dauernd keine Stütze, bleibt sie also funktionslos, so stirbt 
sie schließlich meist ab (Abb. 75d). 

Eine ungereizte Ranke zeigt somit gewöhnlich zwei Perioden un- 
gleichen Wachstums, durch deren eine die Geradestreckung, durch deren 
andere die Einrollung bewirkt wird. Zwischen diesen beiden Perioden 
liegt eine Zeit, in der das Wachstum der Ober- und Unterseite an- 
nähernd gleich stark ist. Nur am Grunde der Ranke sind jetzt kleine 
Differenzen in der Streckung nachzuweisen, die ziemlich regelmäßig 
wechselnd zu der kreisenden „Suchbewegung‘‘ führen. Die Basis 
bleibt am längsten wachstumsfähig. 

Anders wird das Bild, wenn die Ranke eine Stütze findet. 
Schon vor der völligen Geradestreckung ist sie meist für Kontakt 
reizbar. Durch die Berührung wird eine Krümmung bewirkt, deren 
Innenseite dem berührten Gegenstande zugekehrt ist. Schließlich rollt sich 
die Ranke spiralig um die Stütze und verbindet so die Pflanzen fest 
mit ihr. Diese Einrollung kann sehr viel früher geschehen als es ohne 
Kontakt mit einer Stütze der Fall wäre. So sah Darwin ([1865] 
1576) eine gereizte Ranke von Passiflora schon am zweiten Tage 
nach ihrer Entfaltung eingerollt, während ohne Berührung 12 Tage 
bis zu diesem Vorgange verstrichen. Andere Ranken, z. B. die der 
Weingewächse bleiben überhaupt gerade, wenn sie keine Stütze 
erreichen. 

Hat der Spitzenteil einer Ranke die Stütze umschlungen, so hat 
damit die Krümmung noch nicht ihr Ende erreicht, sondern 
schreitet in dem zunächst gerade gebliebenen Stück der Ranke 
zwischen Ursprungsstelle und Stütze fort. Dadurch rollt sich dieses 
Stück schraubig ein und zieht dadurch die Pflanze an die Stütze 
heran. Da die Ranke an beiden Enden festgehalten wird, kann die 
Torsion des Zwischenstückes nicht der ganzen Länge nach in einer 
tichtung erfolgen, sondern sie muß mindestens eine Umkehrstelle haben 
(Abb. 72 u. 75c). Von den mechanischen Verhältnissen hierbei kann 
man sich leicht an einem Modell in Gestalt eines Streifens Papier 
oder dergleichen überzeugen. 

Eine Ranke, die eine Stütze erfaßt hat, wird durch anatomische 
Ausgestaltung mechanisch verstärkt. Manchmal verholzt sie sogar, 


Ranken. 215 


sodaß sie lange Zeit, selbst nach ihrem Tode, ihre Funktion erfüllen 
kann. Die spiralige Einrollung erhöht dabei die Elastizität, die bei 
Bewegung der Rankenpflanze durch Wind stark in Anspruch ge- 
genommen wird. 

Damit wären wir über die wesentlichsten Erscheinungen im 
Leben einer Ranke unterrichtet und könnten uns zu den physiolo- 
gisch interessanten Einzelheiten ihrer Reizbarkeit wenden. 


A 


ng 


nn 


Abb. 75. 


Bryonia dioica; a junge eingerollte; b entfaltete und reizbare Ranke ; 
ce Ranke, welche die Stütze umfaßte ; d ältere Ranke, die sich einrollte, 
ohne eine Stütze erfaßt zu haben. Etwas verkleinert. Nach Pfeffer 1904. 


216 VI. Die Folgen mechanischer Reizung. 


Das, was bisher gesagt wurde, gilt, soviel wir wissen, ganz all- 
gemein für Fadenranken jeder morphologischen Herkunft, seien sie 
nun umgewandelte Blatteile, Stengel oder Wurzeln. Nach der Ver- 
teilung der Sensibilität aber müssen wir zwei Gruppen von Ranken 
unterscheiden. Nicht alle diese Organe sind nämlich auf jeder Flanke 
gleich reizbar. Gerade die empfindlichsten und längsten unter ihnen 
führen die Krümmungen nur dann aus, wenn ihre morphologische Unter- 
seite berührt wird. Hierher gehören z. B. die Ranken der Cucur- 
bitaceen und Passifloraceen. Ihnen gegenüber stehen die allseits gleich 
empfindlichen Ranken von Cobaea scandens, Eccremocarpus scaber 
u.a. Die Unterscheidung der beiden Gruppen von Ranken hat zuerst 
Darwin ([1865] 1876) durchgeführt; von Fitting (1903) ist dann die 
Verteilung ihrer Reizbarkeit genauer untersucht worden. 

Er reizte die Ranken an lokal begrenzten Stellen durch Streichen 
mit einem Stäbchen. Das genügt, um eine Reaktion als Nachwir- 
kung zu erzielen. Dabei stellte sich heraus, daß bei allen Ranken 
die Krümmung immer genau nach der berührten Seite hin gerichtet 
ist. Bei den einseitig empfindlichen hat aber nur Reizung der Unter- 
seite, und in etwas schwächerem Maße, der Flanken, eine Reaktion 
zur Folge. Bei Berührung der Oberseite bleibt die Krümmung meist 
aus. Nur auf sehr starke Reizung wird zuweilen eine Krümmung 
nach oben hin ausgeführt. Aber auch, wo das nicht der Fall war, 
ließ sich auf einem Umwege zeigen, daß die Oberseite doch kontakt- 
reizbar ist. Werden bei allseits empfindlichen Ranken zwei einander 
gegenüberliegende Flanken gereizt, so erfolgt keine Krümmung. Das 
gleiche ist aber auch der Fall, wenn Ober- und Unterseite einer 
ungleich empfindlichen Ranke mit dem Hölzchen gestrichen werden. 
Somit verhindert die Reizung der Oberseite die Krümmung auf einen 
sonst wirksamen Kontakt der Unterseite, obgleich jene selbst keine 
sichtbare Reaktion zur Folge hat. 

Durch gleichzeitige Reizung zweier entgegengesetzter Flanken 
wird nicht nur deren Reaktionserfolg vernichtet, sondern auch ein 
senkrecht dazu gerichteter Impuls unwirksam gemacht, falls er an 
Stärke nicht jene wesentlich übertrifft. Wird bei einer ungleich 
empfindlichen Ranke gleichzeitig oder kurz hintereinander die ganze 
Unterseite, aber nur ein kurzes Stück der Oberseite gerieben, so 
bleibt dieses Stück allein gerade. Hat die Reaktion auf Reizung 
einer Seite hin schon begonnen, so macht sich die Hemmung, die 
von einer geriebenen Gegenseite ausgeht, gleichwohl sehr bald be- 
merkbar und die Krümmung schreitet nicht fort. 

Wird durch Reiben mit einem Stäbchen auch nur kurze Zeit 
gereizt, so beginnt bei empfindlichen Ranken unter günstigen Um- 
ständen schon nach wenigen Sekunden die Krümmung. Sie vermehrt 
sich anfangs mit wachsender Geschwindigkeit, so daß man die Bewegung 
mit bloßem Auge verfolgen kann; weniger empfindliche Ranken 
dagegen bedürfen einer langen Reizung, deren Wirkung sich auch 
erst nach Stunden bemerkbar macht. Die Reaktion erreicht einen 


Ranken. 217 


Höhepunkt und nimmt dann wieder ab. Schließlich macht sich 
eine Gegenreaktion bemerkbar, die die Krümmung wieder ausgleicht 
und sogar über die Ruhelage hinaus gehen kann. Für diesen Fall 
wird sie ihrerseits durch eine Gegenkrümmung ausgeglichen, ganz in 
entsprechender Weise, wie wir das schon bei anderen Reizkrümmungen 
kennen gelernt haben. 

Durch Reizung an räumlich beschränkten Punkten läßt sich 
Aufschluß über die Verteilung der Sensibilität gewinnen. Dabei 
findet man, daß die schnellste und energischste Krümmung auf eine 
Reizung nahe der Spitze erfolgt, obgleich das Wachstum, also die 
mechanische Grundlage der Reaktion, bei ungereizten Ranken in den 
der Basis benachbarten Zonen weit lebhafter ist. Daraus muß man 
auf größere Empfindlichkeit der Spitzenregion schließen. Ferner 
beobachtet man bei derartigen Experimenten, daß die Krümmung 
zwar nicht durchaus auf die gereizte Stelle beschränkt bleibt, sich 
aber nur wenig ausbreitet, selten mehr als I—2 cm. Weiter abliegende 
Zonen bleiben durchaus unbeeinflußt. 

Als Ursache der Krümmungsreaktion wies Fitting ein aktives 
Wachstum der Zellen auf der Konvexseite nach. Aus der Schnellig- 
keit der Krümmung hatte man früher auf eine bloße Dehnung der 
Zellwand durch Vergrößerung des osmotischen Innendruckes ge- 
schlossen. Fitting konnte demgegenüber zeigen, daß bei schneller 
Abtötung durch heißes Wasser oder Gifte die Krümmung erhalten 
bleibt. Ein osmotischer Druck ist aber nur in lebenden Zellen 
möglich. Da nun die Biegung nicht mit dem Tode verloren geht, 
muß die sie hervorrufende Flächenvergrößerung der Zellwände durch 
Wachstum fixiert sein. 

Durch genaue Messungen stellte dann Fitting fest, daß die 
Krümmung durch stark beschleunigtes Wachstum der der Reizstelle 
gegenüberliegenden Region zustande kommt. Ist die Reizung von 
kurzer Dauer, so geht die Reaktion bald zurück, wobei nunmehr 
eine Beschleunigung des Wachstums der Konkavseite beobachtet wird. 
Sowohl bei der primären Reaktion wie beim Rückgang wird die 
Streckung der Mittelzone beschleunigt, während die Länge der Flanke, 
die der am stärksten wachsenden Seite gegenüberliegt, unverändert 
bleibt. Hin- und Rückgang bestehen aus zwei verschiedenen Wachs- 
tumsbeeinflussungen, zwischen denen ein Stillstand, auch der Mittel- 
regionen, eingeschaltet ist. Diese beiden Perioden lassen sich an den 
zwei Streckungsphasen auch bei solchen Ranken nachweisen, die 
mechanisch an der Krümmung verhindert werden. 

Wird auf zwei entgegengesetzten Seiten gereizt, so entsteht, 
wie betont, keine Krümmung. Ähnlich verhält es sich bei anderen 
Tropismen , unter denen diejenigen Fälle am besten vergleichbar er- 
scheinen, in denen gleichfalls eine Beschleunigung des Wachstums 
der Mittelregion und damit des Gesamtzuwachses eintritt. Solches 
lernten wir bei den Grasknoten kennen. Wurden diese allseitig geo- 
tropisch gereizt, so setzte trotz dem Ausbleiben der Krümmung ein 


218 VI. Die Folgen mechanischer Reizung. 


verstärktes Wachstum ein. In dieser Beziehung stehen die Ranken 
nun aber in einem bemerkenswerten Gegensatz zu den Grasknoten, 
da bei ihnen auf zweiseitige Reizung hin keine Veränderung des 
Wachstums beobachtet wurde. Offenbar muß man daraus den Schluß 
ziehen, daß bei den Ranken keinesfalls das Ausbleiben der Krümmung 
bei zweiseitiger Reizung durch das Gegeneinanderarbeiten der beiden 
Einzelreaktionen zustande kommt, wofür ja schon das Verhalten der 
ungleich empfindlichen Ranken spricht. Denn bei ihnen hatte auch 
eine Reizung der Oberseite, die niemals bis zur Reaktion durchlaufen 
würde, eine Sistierung der Krümmung zur Folge. Vielmehr müssen 
sich schon früher Glieder der Reizkette gegenseitig unwirksam machen. 
Bei den Grasknoten dagegen ist die Auffassung am einleuchtendsten, 
daß die verschiedenen Reizprozesse bis zum Ende gesondert ablaufen 
und erst die Wachstumsreaktionen selbst in Antagonismus treten. 
Bewiesen ist diese Anschauung freilich nicht, da auch bei den Gras- 
knoten schon frühere Glieder der Reizkette sich gegenseitig beein- 
flussen können, worauf dann ein einheitlicher Reizzustand die ge- 
schilderte Reaktionsweise zur Folge haben könnte. 

Nachdem wir nun die äußere Erscheinung und die Wachstums- 
vorgänge bei den Krümmungsbewegungen der Ranken kennen gelernt 
haben, wollen wir die wirksamen Reizanlässe etwas näher präzisieren. 
Schon Darwin [(1865) 1876] ist dieser Frage näher getreten. Er 
hat z. B. festgestellt, daß Fadenstückchen von minimalem Gewicht 
Reizung bewirken, nicht aber lebhaft aufprallende Wassertropfen. 
Vor allem aber verdanken wir Pfeffer (1835) eine Arbeit, die tief 
in das Wesen der mechanischen Reizbarkeit einführt. Schon im 
Jahre 1881 hat dieser Forscher, gleichzeitig mit Darwin, darauf hin- 
gewiesen, daß unter den mechanischen Einwirkungen, die Reizbe- 
wegungen auslösen, zwei Gruppen unterschieden werden können, die 
er Kontaktreize und Stoßreize nennt. Die ersteren sind dadurch 
gekennzeichnet, daß nur eine länger dauernde Berührung wirksam 
ist, während es bei den letzteren zur Auslösung der Reaktion einer 
kräftigen, wenn auch vorübergehenden Erschütterung bedarf. 

Eingehende Untersuchungen zeigten Pfeffer dann später (1885), 
daß die Kontaktreize nicht eigentlich durch Berührung ausgelöst 
werden, da ein konstanter Druck, selbst bei erheblicher Energie 
keine Krümmung verursacht. Es ist vielmehr nötig, daß der be- 
rührende Körper mit einer gewissen Reibung bewegt wird. Sehr 
glatte Objekte reizen weniger stark als rauhe. Flüssigkeiten sind über- 
haupt nicht imstande, eine Reizwirkung auszuüben, selbst nicht ein mit 
großer Gewalt auftreffender Quecksilberstrahl. Sind dagegen in einer 
Flüssigkeit feste Partikelchen verteilt, wird also z. B. Wasser mit 
aufgeschlämmtem Ton und dergl. verwendet, dann tritt Reizung ein. 
Methodisch wie theoretisch besonders wertvoll ist die Entdeckung, 
daß Gelatinegallerte von nicht zu geringem Wassergehalt keine 
teaktion verursacht, falls die Oberfläche feucht ist. Fängt sie an 
zu trocknen, so wird sie klebrig, und nun genügt die leiseste Be- 


Ranken. 219 


rührung, um eine Krümmung zu veranlassen. Glasstäbe, die mit 
Gelatine von mehr als 75°/, Wassergehalt überzogen werden, können 
den Ranken fest angepreßt, an ihnen hin- und hergerieben werden, 
ja man kann mit ihrer Hilfe die Ranken festhalten und stark biegen, 
ohne daß eine Reaktion eintritt. 

Aus allen diesen Befunden zog Pfeffer den Schluß, daß „zur 
Erzielung einer Reizung in der sensiblen Zone der Ranke 
diskrete Punkte beschränkter Ausdehnung gleichzeitig oder 
in genügend schneller Aufeinanderfolge von Stoß oder Zug 
hinreichender Intensität betroffen werden müssen“. Die 
Gelatine und Flüssigkeitsversuche hatten ihn gelehrt, daß ein ungefähr 
gleichmäßig verteilter Druck keine Wirkung hat. Daß auch Zug 
wirksam ist, zeigte die klebrige Gelatine. Es muß noch hinzugefügt 
werden, daß ‚‚eine lokale, genügend schnell verlaufende Kompressions- 
wirkung eine Bedingung der Reizung ist“. Durch langsam anwachsen- 
den Druck auch sehr rauher Körper, wie Schmirgelpapier, wird keine 
Wirkung erzielt. Vielmehr muß zu dem steilen Druckgefälle ein 
rascher Deformationswechsel hinzukommen. Es sind also örtliche 
und zeitliche Intensitätsdifferenzen des mechanischen Reizes nötig, 
um die haptotropische Erregung zu bewirken. 

Wenn Darwin durch feine Zwirnsfäden Reizung bekam, so kann 
das nur daran gelegen haben, daß diese nicht absolut ruhig lagen. 
Verfuhr Pfeffer mit aller Vorsicht, also Ausschluß von Erschütterungen 
und Luftströmen, so bewirkten aufgelegte Stückchen aus verschiedenem 
Material selbst bei verhältnißmäßig beträchtlichem Gewichte keine 
Krümmungen. Dagegen reizte ein Zwirnsfaden von nur 0,00025 mg Ge- 
wicht, falls er durch einen leichten Luftstrom in schaukelnde Be- 
wegung gesetzt wurde, eine Ranke von Sicyos angulatus (Cucurbitacee) 
zur Krümmung. Ein halb so schwerer Faden blieb ohne sichtbare 
Wirkung, so daß damit die Reizschwelle erreicht ist. Jedenfalls ist 
aber die Empfindlichkeit der menschlichen Haut wesentlich geringer als 
die der Ranken. Unter den verschiedenen Empfindungen, die bei 
uns durch mechanische Einflüsse hervorgerufen werden, ist die 
Kitzelreizbarkeit nach den auslösenden Faktoren der Sensibilität der 
der Ranken am nächsten verwandt. Man könnte sie mit denselben 
Worten definieren, die oben zur Charakterisierung der Rankenreiz- 
barkeit angewendet wurden. 

Ökologisch bedeutungsvoll ist es für die Pflanze, daß ihre Ranken 
nicht überflüssigerweise Reizkrümmungen ausführen, wenn sie durch 
Wind und Regen erschüttert und gebogen werden. Auch konnte 
Pfeffer beobachten, daß z. B. Blattläuse nicht das zur Erreichung 
der Reizschwelle nötige Gewicht haben. Übrigens werden rasch 
vorübergehende Reizwirkungen durch größere Insekten, Reibung der 
Ranken an festen Körpern durch Wind, und dergl. nur eine geringe 
Einkrümmung zur Folge haben, die bald zurückgeht. 

Soll eine Stütze umschlungen werden, so bedarf es dazu längeren 
Kontaktes unter gleichzeitiger sanfter Reibung. Ist ein dünner 


220 VI. Die Folgen mechanischer Reizung. 


Zweig oder dergl. der reizende Körper, so biegt sich die Ranke zu- 
nächst an der berührten Stelle. Dadurch kommen neue Oberflächen- 
teile in Kontakt mit der zu umwickelnden Stütze, so daß schließlich 
das ganze freie Ende sich spiralig einrollt, wie das oben schon be- 
schrieben wurde. Eine sanfte Erschütterung, wie sie zur Erzielung 
der Reizung nötig ist, wird in der Natur durch die wohl stets etwas 
bewegte Luft gewährleistet. 

In Berührung mit festen Körpern kommt selbstverständlich 
immer nur die Außenseite der Epidermis. Ein wirksamer Reizanlaß 
muß also zunächst die Epidermisaußenwände verbiegen und dadurch 
mittelbar das Protoplasma treffen. Somit wird jede Einrichtung, die 
die mechanische Deformierung des Plasmas erleichtert, die Wirksam- 
keit schwacher Reize erhöhen. In der 
Tat konnte Pfeffer auf anatomische 
Differenzierungen bei einigen Pflanzen 
hinweisen, die in der angedeuteten Weise 
ausgelegt werden dürfen. Bei ver- 
schiedenen Cucurbitaceenranken näm- 
lich finden sich in der Außenwand vieler 
Epidermiszellen Kanäle, die von innen 
her bis nahe an die Oberfläche vor- 
dringen und mit Protoplasma erfüllt 
sind. Es ist klar, daß dieses Proto- 
plasma dem Druck und der Zerrung 
stärker ausgesetzt sein wird als das 
tiefer in der Zelle befindliche. Viele 
andere, auch besser empfindliche Ranken 
zeigen jedoch solche Bildungen nicht. 
Es ist ja auch ohnehin klar, daß die 
A. Fühltüpfel in den Epidermi-  Reizbarkeit vor allem von der Emp- 
Melopepo. 3 Oberflächenansicht einer findlichkeit des Plasmas abhängig ist 
Epidermiszelle der Ranke von Cuc- und durch den Bau der Zellen nur ver- 
Pepc. In der Mitte der Fühltüpfel. F R 

(Nach Haberlandt 1909.) feinert werden kann. Solche Erwägungen 

sprechen aber nicht gegen die erwähnte 
Deutung der geschilderten anatomischen Differenzierungen. Später 
hat Haberlandt (vergl. 1909a) die „Fühltüpfel“, wie er sie nennt, 
bei vielen Ranken von Cucurbitaceen gefunden und genauer be- 
schrieben. Unterstützt wird ihre Wirkung nach ihm noch dadurch, 
daß in dem Protoplasma der Fühltüpfel häufig scharfkantige Kristalle 
liegen (Abb. 76). Andere anatomische Einrichtungen, die mit der 
Funktion der Ranken in Beziehung ständen, sind nicht bekannt. 

Dagegen ist noch Einiges über die ökologische Deutung der 
geschilderten physiologischen Eigenheiten zu sagen. Das Einrollen 
der Ranken ist ein Vorgang, der unter natürlichen Umständen nicht 
rückgängig gemacht wird, sofern nur die Berührung nicht ganz 
vorübergehend war. Was das Greiforgan gefaßt hat, soll es auch 
festhalten. Daher ist es begreiflich, daß nicht eine Turgorkrümmung, 


Ranken. 221 


sondern ein Wachstumsvorgang zu Hilfe genommen wird. Andrer- 
seits muß die Greifbewegung schnell vor sich gehen, wenn sie ihren 
Zweck erfüllen soll. Damit mag es zusammenhängen, daß bei 
empfindlichen Ranken auf den Kontaktreiz eine starke Beschleunigung 
des Wachstums eintritt, wie sie sonst nur bei den Schlafbewegungen 
der Blüten bekannt ist. 

Welchen Vorteil die ungleich empfindlichen Ranken gegenüber 
den allseits empfindlichen haben mögen, ist aber ganz unklar. Ein 
soleher muß jedoch wohl angenommen werden, da die Vorstellung 
kaum abzuweisen ist, daß die ungleiche Empfindlichkeit aus der 
gleichmäßigen hervorgegangen ist. 

Im übrigen ist es zweifellos von Nutzen für die Kletterpflanzen, 
daß die Ranken imstande sind, Stützen in allen Winkellagen zu 
ergreifen, während die biologisch verwandten Schlingpflanzen nur 
annähernd senkrechte Objekte umwinden können. Darwin ([1865] 
1876, S. 147) führt noch andere Vorzüge der Rankenpflanzen vor den 
Schlingpflanzen auf und ist der Meinung, daß die ersteren aus den 
letzteren abzuleiten sind. In der Tat gibt es Gewächse, die beide 
Klettermethoden miteinander vereinen. Trotzdem wird die Behaup- 
tung in ihrer Allgemeinheit nicht aufrecht zu erhalten sein. Viel- 
mehr dürfte die Kontaktreizbarkeit, wie wir sie in höchster Ausbil- 
dung bei den empfindlichen Ranken der Cucurbitaceen, Passifloraceen 
und Vitaceen finden, unabhängig von verschiedenen Pflanzen erworben 
worden sein. 

Wenn gesagt wurde, daß es Gewächse gibt, die die Fähigkeiten 
der Schlingpflanzen mit denen der Rankenpflanzen vereinigen, so ist 
dabei zunächst an Arten von Bignonia, Clematis und Tropaeolum 
zu denken. Diese besitzen ein, wenn auch nicht sehr ausgebildetes 
Windevermögen und daneben fadenförmige Organe oder empfindliche 
Blattstiele, die gleichfalls nicht in dem Maße an ihre Klammerfunk- 
tion angepaßt sind, wie das bei den mehr spezialisierten Ranken- 
pflanzen der Fall ist. 

In einem anderen Sinne zeigt eine Schmarotzerpflanze, nämlich 
die Klee- oder Flachsseide (Arten von Cuscuta), eine Vereinigung von 
Windevermögen und Kontaktreizbarkeit (vgl. Pfeffer 1904, S. 418, 
sowie Peirce 1894 und Spisar 1910). Ihr fadenförmiger Stengel verhält 
sich nämlich abwechselnd wie der einer Schlingpflanze und wie eine 
Ranke. Die Keimpflanze umschlingt gewöhnlich nur lebende Stengel, 
und zwar in engen Windungen mit Hilfe ihrer Kontaktreizbarkeit'). 
Sie bildet dabei sog. Haustorien, die in die Wirtspflanze eindringen 
und sie aussaugen. Später folgen dann steilere Windungen ohne 
Haustorien, die denen von Schlingpflanzen durchaus gleichen. Dabei 
ist die Pflanze nun auch imstande, tote Stützen zu umwinden. 


1) Spisar fand keinen Unterschied zwischen lebenden und toten Stützen, 
während früher die Meinung herrschte, daß überhaupt nur frische Pflanzen- 
stengel umschlungen werden. Die verschiedenen Cuscutaarten scheinen sich 
nicht gleich zu verhalten. 


222 VI. Die Folgen mechanischer Reizung. 
Die Reizbarkeit wechselt periodisch (Abb.77). Nach Pfeffer ver- 
anlaßt die Inanspruchnahme durch den Kontaktreiz selbst vorüber- 
gehend eine Sistierung der Sensibilität für Berührung, was nach 
Spisar nicht immer zutrifft. Im Zustande der Kontaktreizbar- 
keit vermag der Stengel nicht nur vertikale, sondern auch stark 
geneigte Stützen zu umschlingen, ganz wie eine Ranke. Das freie 
Ende der Pflanze macht kreisende Be- 
wegungen, die das Finden einer geeigneten 
Wirtspflanze erleichtern. Die Windungen 
erfolgen in der diesen Nutationen ent- 
sprechenden Richtung. 

Peirce fand am Klinostaten ein 
Aufhören der kreisenden Bewegungen so- 
wie auch der Kontaktreizbarkeit. Spisar 
konnte nur das Letztere bestätigen, die 
Nutationen wurden auch nach Stägigem 
Verweilen an der rotierenden Achse fort- 
gesetzt. Die Gegensätze erklären sich 
wohl daraus, daß die Autoren ver- 
schiedene Cuscutaarten verwendet haben. 

Die reizbare Zone liegt etwa in der 
Gegend maximalen Wachstums. Die 
Kontaktreizbarkeit befähigt die Pflanze, 
selbst einen feinen Zwirnsfaden oder ein 
dünnes Grasblatt zu umschlingen. Später 
werden die Windungen verengert, wobei 
ein Druck auf die Stütze ausgeübt wird. 
Die Ausbildung der Kontaktreizbarkeit 
ist offenbar für eine ganz parasitische 
Pflanze, die ohne Wirt nur ganz kurze 
Zeit existieren kann, von großem Nutzen. 
Es wird ihr dadurch ermöglicht, nach 
allen Richtungen hin zu kriechen und 
geeignete Pflanzen zum Aussaugen zu 


Abb. 77. finden, denen sie sich dann sofort eng an- 

Pflanze, die von einem Stengel der Schmiegt. Die Windefähigkeit wiederum, 

Cuseuta befallen ist. Letzterer ab» die mit negativ geotropischer Reizbarkeit 
wechselnd rankend (a) und windend A x 

(b). Nach Pfeffer 1904. verbunden ist, erlaubt der Pflanze, höhere 


junge und saftreiche Zweige zu erreichen. 
Wie wirksam die Kombination beider Einrichtungen ist, davon über- 
zeugt man sich leicht an einem Bestande von Weiden, Brennesseln, 
Klee u. dgl., die von dem Schmarotzer befallen sind und in allen 
sichtungen von ihm durchwuchert werden. 

Eine Kontaktreizbarkeit ist unter den Stengeln von Kletter- 
pflanzen sonst nur noch bei Lophospermum von Darwin beobachtet 
worden. Sie ist aber nur schwach ausgebildet. Die Pflanze ist im 
übrigen ein Blattkletterer. 


a | 


DD 
[80) 
[SV 


Sensitive Pflanzen. 


c) Sensitive Pflanzen. 


In einem bemerkenswerten Gegensatze zu den kontaktreizbaren 
Rankengewächsen stehen die sog. sensitiven Pflanzen, deren Blätter 
auf Erschütterung mit einer Bewegung reagieren. Wir wir sehen 
werden, ist sowohl ihr Empfindungsvermögen wie der Mechanismus 
ihrer Reaktion durchaus von dem der erst besprochenen Gruppe von 
mechanisch reizbaren Organen verschieden. Trotzdem oder vielleicht 
gerade deshalb empfiehlt es sich, diese beiden Gruppen einander gegen- 
über zu stellen. 

Fangen wir mit der Sinnpflanze oder Mimose an, dem bekanntesten 
Beispiele einer gegen Erschütterung empfindlichen Pflanze. Sie kam um 
die Mitte des 17. Jahrhunderts aus Brasilien nach Europa. Das Auf- 
treten dieser Pflanze in der Wissenschaft ist nicht nur für die Geschichte 
der Reizphysiologie von Bedeutung, die es nachhaltig beeinflußte, 
sondern wirkt noch in ihrem heutigen Zustande nach. Die sensitive 
Mimose erregte bei ihrer Entdeckung die größte Bewunderung, die 
sich bei jedem wiederholt, der sie zum ersten Male sieht. Neben 
sehr ausgesprochenen Schlafbewegungen besitzt sie nämlich die Eigen- 
tümlichkeit, auf jede Erschütterung hin ihre Blättehen zusammen- 
zulegen und das ganze Blatt zu senken, so daß sie dann wie ver- 
welkt dasteht. Und zwar geschieht das fast plötzlich, innerhalb 
weniger Sekunden. Auch braucht diese Bewegung nicht auf das 
direkt gereizte Blatt beschränkt zu bleiben, sondern kann auf die 
benachbarten übergreifen, falls nur der Reizanstoß kräftig genug war. 

Die Blätter der hierher gehörigen halbstrauchigen Arten (Mimosa 
pudica, sensitiva, Speggazinii) sind doppelt zusammengesetzt, gefin- 
gert-gefiedert (Abb. 78). An dem mit einem kräftigen Gelenk ver- 
sehenen Hauptblattstiel sitzen fingerförmig, ebenfalls mit Gelenken, 
die Sekundärstiele und an diesen gleichfalls gelenkig die paarweise 
angeordneten, dicht gedrängten Blättchen. Am Tage und in der 
Ruhelage stehen die Hauptstiele vom Zweige etwas schräg nach oben 
ab, die sekundären sind wie Finger gespreizt, die Blättchen etwa in 
einer Ebene ausgebreitet. Auf einen geeigneten Reiz hin klappen 
die Blättchen mit der Oberseite zusammen, der Winkel, den die 
Sekundärblattstiele einschließen, verringert sich, und der Hauptblatt- 
stiel senkt sich plötzlich. Alle diese Bewegungen finden in den Ge- 
lenken statt, deren Bau und Funktion im ersten Kapitel beschrieben 
wurde. Ist der Reiz scharf lokalisiert, so sieht man deutlich, daß 
die zunächst gelegenen Blättchen nach einer gewissen Zeit zuerst zu- 
sammenzuklappen beginnen. Die Bewegung greift dann auf die be- 
nachbarten Blätter über und pflanzt sich um so weiter fort, je inten- 
siver der Anstoß war. Sehr schön gelingt der Versuch unter gün- 
stigen Vegetationsverhältnissen — bei uns am besten im Gewächs- 
haus bei hoher Feuchtigkeit und einer Temperatur von 25° — wenn 
ein Fiederblättchen angeschnitten oder noch besser mittels einer Flamme 
oder eines Brennglases angesengt wird. Die Blättchen klappen dann 


224 VI. Die Folgen mechanischer Reizung. 
streng der Reihe nach und paarweise zusammen, bis zur Erreichung 
der Ansatzstelle des Sekundärblattstieles. Die Bewegung hält dort 
aber nur kurze Zeit an und schreitet dann in den anderen Fingerstrahlen 
umgekehrt, von der Basis zur Spitze mit derselben Regelmäßiskeit fort. 
Darauf klappen die Sekundärblattstiele zusammen, und nach einiger 


Abh. 78. 


Mimosa pudica. Das Blatt A befindet sich in reizempfänglicher, das Blatt B in 
in gereizter Stellung. p das primare Gelenk ; s die sekundären Gelenke an der Basis 
der Fiederstrahlen. Nach Pfeffer 1904. 


Zeit senkt sich plötzlich das ganze Blatt im Hauptgelenk. Damit 
nicht genug, geht die Erregung im Stengel zu den benachbarten 
Blättern weiter, um dort von der Basis nach der Spitze fortzuschrei- 
ten. So kann man häufig auf einen lokal beschränkten, aber 
intensiven Reiz hin, sämtliche Blätter einer Pflanze sich senken 
sehen. 


Sensitive Pflanzen. 225 


Die Mimose zeigt uns ein Beispiel von außergewöhnlich schneller 
und intensiver Reizleitung. Man sieht bei ihr sehr deutlich, wie die 
ganze Pflanze in reizphysiologischer Hinsicht ein Ganzes bildet. 
Kann man doch sogar durch Verwundung der Blüten oder gar der 
Wurzeln Reizung der Blätter bewirken. Die Geschwindigkeit der 
Leitung ist bei Mimosa die größte bei Pflanzen beobachtete, näm- 
lich 2—15 mm in der Sekunde, während der heliotropische Reiz 
sich nach Rothert höchstens 0,3 mm in der Minute fortbewegt. 
Sie wechselt je nach dem Organ, in dem der Reiz sich fortpflanzt, 
und nach den Außenbedingungen. Bei niederen Tieren ist die Ner- 
venleitung nicht immer schneller, z. B. bei Anodonta, der Teich- 
muschel nur 10 mm pro Sekunde (Bethe nach Fitting 1907b), bei 
den Nerven höherer Tiere allerdings durchschnittlich 1000mal so groß! 
(Jost 1908). Die Art der Reizleitung ist vielfach untersucht wor- 
den, ohne daß bis heute Klarheit über die Grundfragen erreicht wäre. 
Fitting (1907b) gibt eine kritische Sichtung des vorliegenden experi- 
mentellen Materiales. Fest steht eigentlich nur, daß die Leitung 
in den Gefäßbündeln erfolgt, daß sie auch über narkotisierte oder 
abgetötete Strecken gehen kann und daß aus einer zur Reizung füh- 
renden Wunde ein Flüssigkeitstropfen hervorquillt. Pfeffer (1873b) 
glaubte hieraus schließen zu müssen, daß eine Druckschwankung im 
Wasser der Gefäße die Reizleitung besorgt, während Haberlandt (1890) 
bei Mimosa besondere Schlauchzellen in den Siebteilen für diese Funk- 
tion heranzog. Demgegenüber betonte wieder Fitting (1903 und 
1907b), daß die Schlauchzellen wenig geeignet erscheinen, Wasserströ- 
mungen schnell weithin zu leiten, sowie daß sie anderen Pflanzen vom 
Reiztypus der Mimosa fehlen. Wie die Wasserbewegung bei Reizun- 
gen ohne Verwundung mechanisch zustande kommen sollte, ist überhaupt 
schwer einzusehen, man müßte somit jedenfalls eine plasmatische Reiz- 
leitung, die vielleicht weniger schnell und wirksam wäre, zu Hilfe 
nehmen und sich denken, daß erst durch irgendwelche osmotischen 
Prozesse die Druckschwankung erzielt würde. Doch ist es immer- 
hin sehr wichtig, zu wissen, daß der Anstoß, der durch einen Reiz 
bewirkt worden ist, in totem Gewebe, also jedenfalls auf rein 
mechanische Weise, fortgeleitet werden kann. 

Eine weitere Leitung des Reizes findet nur nach tieferen Ein- 
griffen, also z. B. nach Verwundung statt, während die gewöhnlicher 
die Pflanze treffenden Erschütterungsreize mehr oder weniger auf den 
Ort beschränkt bleiben. Um überhaupt eine Bewegung zu erzielen, 
bedarf es nun durchaus nicht immer so grober Mittel. Relativ fein 
ist vor allem das Empfindungsvermögen an den Bewegungsgelenken 
selbst, und zwar auf der Seite, nach der die Beugung stattfindet. 
An dieser Stelle genügt eine ganz leichte Berührung, um einen wirksamen 
Einfluß auszuüben. Die Bewegung bleibt bei Reizung des Haupt- 
gelenkes stets auf dieses selbst beschränkt, während eine entsprechend 
schwache Reizung der Gelenke an den Blättchen viel weiter um sich 
greifen und sogar ein Senken des Hauptblattstieles bewirken kann. 


Pringsheim, Reizbewegungen. 15 


226 VI. Die Folgen mechanischer Reizung. 


Die Stärke des Anstoßes, resp. die Empfindlichkeit der gereizten 
Stelle, zeigt sich also in der Länge der Strecke, über die der Reiz 
fortgeleitet wird. Die Größe des Ausschlages der gereizten Gelenke 
ist dagegen von ihr unabhängig. Unter normalen Umständen wird 
durch einen die Schwelle erreichenden Reiz stets die maximale Senkung 
erzielt, deren das Gelenk überhaupt fähig ist. Allerdings können unter 
ungünstigen Umständen Abweichungen von dieser Regel vorkommen. 
Äußere Einflüsse, die die Empfindlichkeit herabsetzen, ohne die 
Pflanze zu töten, können bewirken, daß auf einen Anstoß von einer 
gewissen Größe nur die halbe Senkung und erst auf einen zweiten 
stärkeren hin die volle sich vollzieht. Gleichzeitig ist dabei eine Ver- 
längerung des Zeitraumes von der Reizung bis zur Reaktion zu be- 
obachten. Als solche, die Reizbarkeit herabsetzende Einflüsse, sind 
tiefe Temperaturen, zu große Jugend des Blattes, wiederholte Rei- 
zung und außerdem gewisse chemische Mittel zu nennen, welch letz- 
tere wir als Narkotika zusammenzufassen pflegen. Hierher gehören 
z. B. Äther und Chloroform. Ihre gemeinsame Eigentümlichkeit ist 
es, die Empfindlichkeit eines Organismus zu mindern oder aufzu- 
heben, ohne den Tod herbeizuführen. In geringer Menge, d. h. in 
sroßer Verdünnung, rufen sie den oben geschilderten Effekt hervor, 
in größerer heben sie die Reizbarkeit auf, ohne dauernd zu schaden; 
noch größere Dosen wirken schließlich tödlich. Bemerkenswert 
ist es, daß durch Narkose von einer gewissen Tiefe nicht die Emp- 
findlichkeit gegen alle verschiedenartigen Reize auf einmal aufgehoben 
zu werden braucht. So wird z. B. bei Mimosa die Reizbarkeit für Be- 
rührungen eher sistiert als die, welche die Schlafbewegungen verursacht. 

Übrigens ist auch die Mechanik der Bewegungen in beiden Fällen 
nicht dieselbe. Die äußere Ähnlichkeit bewirkte, daß anfangs beide 
Arten von Reaktionen der Gelenke zusammengeworfen wurden. 
Hierin hat E. Brücke (1848) Wandel geschaffen. Er fand nämlich, 
daß das Gelenk als Ganzes bei der Senkung durch einen mecha- 
nischen Reiz biegsamer, bei der Schlafbewegung aber strafier wird. 
Wie wir durch seine und Pfeffers Untersuchung (1873a) wissen, ist 
das auf die Art wie die Krümmung zustande kommt zurückzuführen. 
Die plötzliche Senkung auf einen Anstoß erfolgt nämlich durch Er- 
schlaffung der unteren Gelenkhälfte, die langsame Abwärtskrümmung 
bei der nyktinastischen Bewegung aber durch stärkere Zunahme des 
Turgors in der oberen Hälfte. Da die Gelenkhälften in ihrem Aus- 
dehnungsbestreben gegeneinander arbeiten, findet in beiden Fällen 
eine äußerlich ähnliche Bewegung statt. 


Auf die Einzelheiten dieser Beweisführung, die in der Hauptsache durch 
Operation der Gelenkhälften und Reagierenlassen in verschiedener Stellung er- 
bracht wurde, wollen wir hier nicht eingehen, weil uns weniger die Mittel als der 
Anstoß zur Bewegung interessieren, und weil erstere schon im allgemeinen Ka- 
pitel über das Bewegungsvermögen der Pflanzen besprochen wurden. Nur soll 
noch nachgetragen werden, daß bei den Reizbewegungen auf Stoßreiz die Wasser- 
verschiebung, die die Ursache der Bewegung ist, nicht durch Transport von 
Zelle zu Zelle vor sich gehen kann, denn das würde viel zu lange dauern. 


Sensitive Pflanzen. 227 


Vielmehr tritt das Wasser aus den vorher gespannten Zellen in die weit- 
hin in Verbindung stehenden Lufträume zwischen denselben, wo es keinen 
Druck mehr ausübt. Dadurch kommt das Erschlaffen der unteren Gelenkhältte 
auf mechanischen Anstoß hin zustande, das nach Ablauf einer gewissen Zeit 
durch Wiederaufnahme des Wassers in die Zellen rückgängig gemacht wird. 
In welcher Weise durch die Reizung eine veränderte Durchlässigkeit des Plas- 
mas verursacht wird, darüber sind wir noch nicht unterrichtet. 

Einige Zeit nach der Reizbewegung wird in allen Teilen der 
alte Zustand wieder hergestellt. Vorher einwirkende Reize haben 
keine erkennbare Wirkung. Zu schwache Anstöße üben aber auch 
bei vollkommener Perzeptionsfähigkeit keinen sichtbaren Effekt aus. 
Erst mit der Erreichung eines Schwellenwertes tritt Reaktions- 
bewegung ein, dann aber, wie wir gehört haben, unter normalen 
Umständen gleich mit voller Stärke. Reize, die unter diesem Maße 
bleiben, bewirken also gar keine und nicht etwa eine schwächere 
Reizbewegung; aber sie werden, wie sich zeigen läßt, doch perzipiert. 
Denn läßt man mehrere dicht unter der Schwelle bleibende Anstöße 
aufeinanderfolgen, so summieren sie sich, bis einer die Reizbewegung 
auslöst. Am besten läßt sich das alles bei elektrischer Reizung 
ausführen, deren Stärke gut variierbar ist (Brunn 1908a). Es liegen 
in der Beziehung also ähnliche Verhältnisse vor wie beim Geotropismus 
und Phototropismus, nur daß hier die Reaktion nicht quantitativ 
abstufbar ist. 

Wird die Pflanze nach Erzielung der Blattsenkung dauernd 
weiter erschüttert, so heben sich die Blättchen wieder und nehmen 
die normale Lage ein, so daß man von einer Art Gewöhnung sprechen 
könnte, denn nun sind sie unempfindlich für alle mechanischen Reize. 
Hört die Erschütterung auf, so werden die Pflanzen nach einer Zeit 
der Ruhe wieder in der alten Weise reizbar. Daraus, daß das Ge- 
lenk die alte Lage einnimmt, ohne daß die Reaktionsfähigkeit wieder- 
kehrt, sieht man, daß diese nicht nur vom mechanischen Zustande 
des Bewegungsorganes abhängt, sondern vor allem von der Perzeptions- 
fähigkeit des lebenden Plasmas. Das gleiche geht aus dem Umstande 
hervor, daß Blätter, die durch andauernde Erschütterung unempfindlich 
für mechanische Reize geworden sind. doch heliotropisch, geotropisch 
usw. reagieren. 


Wenn wir schließlich die Art der mechanischen Eingriffe noch 
weiter präzisieren wollen, die bei Mimosa eine Reizbewegung aus- 
lösen, so werden in der Natur hauptsächlich Erschütterungen in Be- 
tracht kommen. Durch sie wird das besonders empfindliche weiche 
Gewebe der Gelenke deformiert. Hierin haben wir offenbar den 
Hauptreizanlaß zu sehen. Daß Anstöße, die zur Reizung führen, 
auch schon durch aufkriechende Insekten bewirkt werden, wird 
durch steife Borsten, besonders an den Gelenken, ermöglicht. Denn 
ihre Verbiegung hat einen erhöhten lokalen Druck an der Basis der 
Borsten zur Folge, der die Reaktion auslöst (Haberlandt 1909a 
mit der Einschränkung von Renner 1908 und 1909). 

15* 


189) 
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VI. Die Folgen mechanischer Reizung, 


Von den beiden Polsterhälften ist nur die untere zur Perzeption 
kleiner Stöße imstande. Stärkere bewirken auch dann eine Reaktion, 
wenn sie die Oberseite des Gelenkes treffen, aber nur dadurch, daß 
dabei auch die untere Hälfte mechanisch in Mitleidenschaft gezogen 
wird. Wird daher die obere Polsterfläche durch einen Schnitt ent- 
fernt, so kann das Blatt noch Reizbewegungen ausführen; nicht aber 
nach Entfernung der unteren Hälfte. 

Oben wurde erwähnt, daß die typische Reizauslösung bei Mimosa 
nicht nur durch mechanische Erschütterung, sondern auch durch Ver- 
wundung und Hitze bewirkt werden kann. Ferner können noch 
chemische und elektrische Einflüsse, sowie schnelle Erwärmung und 
Abkühlung der ganzen Pflanze die plötzliche Senkbewegung aus- 
lösen. Die Reaktionsweise ist in allen diesen Fällen die gleiche wie 
die auf mechanische Reize. Das schließt nicht aus, daß die Blätter 
daneben auch nyctinastisch, sowie geotropisch und phototropisch 
reagieren können. Diese letzteren Bewegungen heben sich aber bei 
Mimosa schon durch ihre Langsamkeit scharf gegen die durch Er- 
schütterungen u. dgl. ab. 

Das natürliche Reizmittel für die schnelle Senkung der Blätter 
ist zweifellos der mechanische Anstoß; die anderen wirksamen Fak- 
toren spielen außerhalb des Laboratoriums kaum eine Rolle. 

Der Unterschied im Perzeptionsvermögen gegenüber den gleich- 
falls mechanisch reizbaren Ranken ist groß. Denn während jene 
durch die kräftigsten mechanischen Einwirkungen, wenn sie von 
flüssigen Körpern ausgehen, und auch durch starke Verbiegungen 
nicht gereizt werden, dagegen wohl durch eine leichte, aber wieder- 
holte Berührung mit festen Körpern, reagiert die Mimose auf jede 
beliebige Erschütterung durch Stoß, Wind und Regen (Pfeffer 1904, 
S. 150). Auf die Verschiedenheit der Krümmungsmechanik braucht 
hier nicht mehr hingewiesen zu werden. 

Trotz diesen Verschiedenheiten gegenüber allen tropistischen Re- 
aktionen zeigt aber doch die plötzliche Bewegung der Blätter von 
Mimosa dieselben Züge, die allen Reizwirkungen gemeinsam sind. So 
findet man auch hier eine Reaktionszeit, eine Nachwirkung, Gegen- 
reaktion und eine Summation unterschwelliger Reize. Allerdings ist 
die Reaktionszeit so kurz, daß sie nur mit besonderen Hilfsmitteln 
bestimmt werden kann, und die Präsentationszeit wird offenbar 
schon durch den kürzesten, realisierbaren mechanischen Anstoß über- 
schritten. 

Ähnlich wie die Mimosa pudica, deren Reaktionsweise beschrieben 
wurde, verhalten sich die anderen reizbaren Mimosaarten (M. sen- 
sitiva und Speggazinii) sowie gewisse Oxalideen, von denen die 
empfindlichste Biophytum sensitivum ist. Die Arten der Gattung 
Oxalis, z. B. die einheimische OÖ. Acetosella, bedürfen schon wesent- 
lich stärkerer Reizung, um überhaupt eine Wirkung zu zeigen. 
Schließlich erweisen sich auch noch einige weitere Leguminosen, 
so besonders Amicia Zygomeris und in geringerem Maße z. B. 


Sensitive Pflanzen. 229 
Robinia Pseudacacia u. a. als durch Stoß reizbar (Fitting 1907b, 
Brunn 1908a). 

Von allen diesen aber steht nur Biophytum den Mimosen an 
Empfindlichkeit nicht wesentlich nach. Diese Pflanze ist es wohl, 
von der Theophrast als erster erwähnt, daß sie ihre gefiederten Blätter 
bei Berührungen, wie welk zusammengeklappt, sinken lasse, sich 
dann aber wieder erhole. Gleichfalls sie ist es, deren Verhalten von 
allen Sensitiven zuerst ausführlicher beschrieben wurde und zwar 
von Christobal Acosta 1578, während von F. Lopez de Gomara 
Mimosa schon früher erwähnt worden war (Brunn 1908b). 

Biophytum hat einfach gefiederte Blätter, die Blättchen legen 
sich nach einer Reizung nicht wie bei Mimosa nach oben, sondern 
nach unten zusammen, wobei wieder die Gelenke der Blättchen die 
aktiven Teile sind. Der Hauptblattstiel aber ist starr. 

Noch in einer Beziehung verhält sich Biophytum anders als 
Mimosa.. Während nämlich bei letzterer nach Pfeffers Unter- 
suchungen unter normalen Umständen jeder Reizanstoß, falls er über- 
haupt wirksam ist, den maximalen Effekt auslöst, ist das bei der 
ÖOxalidee nicht der Fall. Auf Erschütterung oder Verwundung hin 
wird von den Blättchen ein gewisser Winkel nach unten zurück- 
gelegt, worauf wieder eine Erhebung stattfindet, der ein neuer Impuls 
in der ersten Richtung folgt. War der Reiz schwach, so ist die 
zweite Bewegung, sowie die weiteren rhythmisch folgenden schwächer 
als die erste, war er aber stark, so sind die jeweiligen Senkbewegungen 
für eine gewisse Zeit stärker als die vorangegangenen Hebungen, und 
es findet eine fortschreitende Vergrößerung des Ausschlages statt bis 
zum Maximum, in dem die Fiederblättchen sich mit den Unterseiten 
zusammenlegen (Haberlandt nach Fitting 1907b). Um das zu er- 
reichen, bedarf es allerdings schon einer tiefgreifenden Verwundung, 
zZ. B. Durchschneiden des Mittelnervs. 

Die Reizbarkeit für mechanische Eingriffe ist, wie wir gesehen haben, 
nicht auf die besonders empfindlichen Gewächse beschränkt, sondern 
zeigt sich in verschiedenem Grade bei den verschiedensten Gelenk- 
pflanzen. Bei allen diesen gehört freilich ein starkes und wiederholtes 
Stoßen oder Schütteln dazu, eine Reizbewegung auszulösen. Immerhin 
ist es von Interesse zu sehen, daß die besonders reizbaren Pflanzen 
nicht ganz für sich stehen, sondern nur die Steigerung einer auch 
sonst vorhandenen Fähigkeit aufweisen. Der Nutzen dieser Reiz- 
barkeit für die Pflanze kann in diesen Fällen vielleicht darin liegen, 
daß bei Wind und Regen durch die Erschütterungen eine Bewegung 
ausgelöst wird, die die Blättchen in eine mehr der senkrechten Stellung 
und einander genäherte, also weniger gefährdete Lage bringt. 

Ökologisch betrachtet läge dann eine Einrichtung vor, welche die 
auf Beschattung oder Abkühlung hin eintretenden äußerlich ähnlichen 
Schutzbewegungen!) in ihrer Wirkung zu unterstützen bestimmt ist. 


!) Vgl. das Kapitel über die Schlafbewegungen, S. 135 ff. 


230 VI. Die Folgen mechanischer Reizung. 


Alle drei Anlässe, Sinken der Temperatur, Verminderung der Hellig- 
keit und mechanische Erschütterung treffen z. B. bei Gewittern 
zusammen. 


d) Reizbare Blütenteile. 


Wir kommen nun zu den reizbaren Blütenteilen. Unter ihnen 
gibt es solche, deren Bewegungen in ihrer Schnelligkeit nicht hinter 
denen der Mimose zurückbleiben, und die sich gleichzeitig leicht im 
Freien beobachten lassen. Wären sie nicht durch ihre Kleinheit 
weniger auffällig, so hätte der Anstoß, der der Forschung durch das 
Bekanntwerden der Mimose zu- 
teil wurde, sicherlich nicht so 
lange auf sich warten lassen 
(vgl. S. 5). 

Unter den einheimischen 
Pflanzen führen besonders die 
Staubfäden der Cynareen, einer 
Unterfamilie der Compositen, 
und die von Berberis schnelle 
Bewegungen auf einen Stoßreiz 
hin aus. 

Zu der ersten Gruppe ge- 
hören von bekannten und 
häufigen Pflanzen die Korn- 
blume (Centaurea Cyanus) und 
die Flockenblumen (andere Cen- 
taureaarten, z.B. C.Jacea usw.). 
Über sie sind wir gut unter- 
richtet, weil Pfeffer (1873a) 
die Aufklärung ihrer Reaktions- 
weise gleichzeitig mit der von 

urn Mimosa unternommenhat. Auch 

mittleren Blüten sicht man die herausragenien Sind sie seitdem noch der Ge- 

Staubbeutelröhren, an den älteren auch den Griffel. genstand mannigfacher Unter- 
suchungen geworden. 

Die in einem Körbchen vereinigten Blüten von Centaurea be- 
sitzen eine geschlossene Kornröhre, die bei den hier allein in Be- 
tracht kommenden inneren Blüten bauchig erweitert ist (vgl. Abb. 80a). 
Die fünf Staubblätter sind der Röhre eingefügt. Die Staubfäden 
sind frei, die Beutel aber zu einer Röhre verwachsen, die den Griffel 
umschließt. Berührt man die Staubblätter einer eben geöffneten 
Blüte, so sieht man die Staubbeutelröhre sich nach dem Grunde der 
Blüte zu bewegen. Dadurch wird die Spitze des Griffels freigelegt, 
und gleichzeitig quillt etwas Pollen oben aus der Röhre heraus. Nach 
einiger Zeit gewinnen die Teile ihre alte Lage zueinander zurück. 
Auf eine neue Berührung erfolgt dann das alte Spiel. 

Untersucht man die Einrichtung der Blüte etwas genauer, in- 


Abb. 79. 


Reizbare Blütenteile. Dal 


dem man ihre Teile vorsichtig abpräpariert, so findet man, daß die 
‘Staubbeutel sich nach innen Öffnen, und daß der eingeschlossene 
Griffel mit Haaren besetzt ist, die bei Verschiebung der Röhre den 
Blütenstaub herausbürsten. Die Bewegung kommt durch Verkürzung 
der Staubfäden zustande. Diese also stellt die eigentliche Reizreaktion 


r 


b Abb. 80. a 


Blüten aus einem Körbchen von Centaurea. a mit der 
Blumenkrone, aus der die noch geschlossene Staubbeutelröhre 
hervorsieht ; b Blumenkrone entfernt. Man sieht die weißen, 
behaarten Staubfäden, die sich auf einen Reiz hin verkürzen, 
die Röhre herunterziehen und dadurch den oben sichtbaren, 
behaarten, mit Blütenstaub bedeckten Griffel freilegen. 


dar. Deutlich sieht man das an Blüten, deren Kronröhre bis auf 
die Ansatzstelle der Staubfäden entfernt ist (Abb. SOb). Läßt man 
das Präparat einige Zeit in Ruhe und reizt dann durch sanfte Be- 
rührung eines Staubfadens, so sieht man erst diesen und gleich 
(darauf die anderen sich verkürzen und dadurch die Staubbeutelröhre 
herunterziehen. 

Allerdings findet die Bewegung in einer solchen Blüte ohne Kron- 
röhre etwas anders statt, als unter normalen Umständen. Die Staub- 


232 VI. Die Folgen mechanischer Reizung. 


fäden sind vor der ersten Reizung gerade, später in ihrer Mitte ein 
wenig nach außen gebogen, so daß sie zusammen ein zierliches 
Körbchen bilden. In der intakten Blüte stützen sich die gekrümmten 
Fäden außen gegen die Kronröhre. Ist diese entfernt, so verstärkt 
sich die Krümmung. Die bei einer Reizung auftretende Verkürzung 
muß deshalb erst einen Teil der Ausbiegung rückgängig machen, ehe 
ein Zug auf die Staubbeutelröhre ausgeübt werden kann. Die Ver- 
schiebung ist also weniger ausgiebig als unter normalen Umständen. 
Der Bewegungsvorgang ist aber doch an einem solchen Präparate 
zu erkennen. 

Der Nutzen, den die geschilderte Einrichtung der Pflanze bringst, 
ist leicht zu ersehen. Der Pollen wird erst durch das Insekt, das 
ihn weitertragen soll, aus seinem geschützten Versteck herausbefördert 
und immer nur in kleinen Mengen entleert. 

Die Auslösung der Reaktion kommt nur durch Berührung der 
reizbaren Staubfäden selbst zustande, die das Insekt mit dem Rüssel 
streifen muß, wenn es zu dem im Grunde der Röhre abgeschiedenen 
Honigsaft gelangen will. 

Die Reizung erfolgt durch Reibung und wird erleichtert durch 
besondere papillenartige Gebilde, die den Staubfaden bedecken (Haber- 
landt 1909a). Diese werden durch leichte Berührung gebogen, wo- 
durch mechanische Zerrung und Druck im Protoplasma entstehen. 
Ein leichter Streifen der Papillen mit einer Borste genügt zur Aus- 
lösung der Reaktion. Der Staubfaden selbst braucht dabei nicht 
berührt zu werden. 

Wenn die Bewegung, die an dem gereizten Staubfaden beginnt, 
sich auf die anderen fortpflanzt, so liegt das daran, daß diese durch 
die Verkürzung des erstens Fadens ihrerseits gereizt werden. Die 
Übertragung der Bewegung geschieht also rein mechanisch. Eine 
Leitung der Erregung von einem Staubblatt auf das andere oder 
etwa von der Röhre her findet nicht statt. Dadurch, daß die Ver- 
kürzung auf der gereizten Seite beginnt, sieht man die Staubbeutel- 
röhre sich erst nach dieser Richtung hin neigen und dann erst die 
Bewegung nach der Basis zu ausführen. 

Gewöhnlich erfolgt die Reaktion auf einen Reiz hin sogleich 
mit vollem Ausschlag, wofern überhaupt die Reizschwelle überschritten 
wird. Unter ungünstigen Umständen kann aber (genau wie bei 
Mimosa) die Bewegung zunächst zum Teil und erst auf einen zweiten 
oder dritten Anstoß hin die völlige Kontraktion ausgeführt werden 
(Brunn 1908a). 

Was die Mechanik der Bewegung anbelangt, so stellt sie eine 
Verkürzung des Staubfadens dar, die bei Centaurea Jacea 10 bis 
30°/, der Gesamtlänge beträgt, also sehr beträchtlich werden kann 
(Pfeffer 1873a). Die Verkürzung des ganzen Fadens beruht auf einer 
Kontraktion jeder einzelnen langgestreckten Zelle des bewegungs- 
tätigen Gewebes. Wie Pfeffer gezeigt hat, sind die Zellwände in der 
Längsrichtung außerordentlich dehnbar und durch den osmotischen 


Reizbare Blütenteile. 233 


Innendruck gespannt. Auf mechanische Reizung läßt dieser Innen- 
druck nach, die Zelle verliert plötzlich die Fähigkeit, das Wasser 
festzuhalten, und dieses tritt nun durch die Zellulosemembran in die 
vorher lufterfüllten, weithin miteinander verbundenen Zwischenzell- 
räume. Da es sich in diesen frei fortbewegen kann, übt es keinen 
Druck mehr aus, und die Zellen, mit ihnen der ganze Faden, ver- 
kürzt sich, der Kontraktion der elastisch gedehnten Zeltwände ent- 
sprechend. Nach einiger Zeit wird das Wasser wieder in die Zellen 
aufgenommen, der Faden gewinnt seine alte Spannung wieder und 
ist von neuem reizbar. Wodurch hier wie bei Mimosa auf einen Reiz 
hin der osmotische Druck in den Zellen so außerordentlich sinkt, 
wissen wir noch nicht. Es könnte die Ausstoßung des Zellsaftes 
z. B. auf einer größeren Durchlässigkeit der Plasmamembranen oder 
wahrscheinlicher auf der Beseitigung der osmotisch wirksamen Stoffe 
beruhen. Jedenfalls werden die elastischen Eigenschaften der Zell- 
wände durch die Reizung nicht verändert. Durch Bestimmung des 
Gewichtes, das zu ihrer Dehnung nötig ist, vor wie nach einer 
Reizung, konnte Pfeffer das einwandfrei beweisen. 

Wir haben die Bewegungen der Cynareenstaubfäden eingehend 
besprochen, weil über sie die genauesten Untersuchungen vorliegen. 
Bewegungen auf Stoßreiz sind aber garnicht selten unter den Blüten- 
teilen. Während jedoch bei den Cynareen (und wenigen anderen 
Kompositen) die Bewegung der Hauptsache nach auf eine gleich- 
mäßige Verkürzung des gereizten Organes hinausläuft, finden in allen 
anderen Fällen durch ungleiche Kontraktion Krümmungen statt. Die 
Bewegungsebene ist dabei meist durch den Bau der betreffenden 
Teile bestimmt und ein für alle Mal festgelegt. In einigen Fällen 
aber, so bei den Staubfäden von Cacteen (Opuntia und Cereus) macht 
sich bei der Krümmungsrichtung doch auch der Ort der Reizung 
bemerkbar, indem die resultierende Bewegung aus zwei Komponenten 
zusammengesetzt ist, von denen die eine durch den Bau des Organes 
bestimmt, die andere nach der gereizten Flanke hin gerichtet ist. 

Am besten bekannt ist unter den noch zu besprechenden reiz- 
baren Blütenteilen der Bewegungsvorgang der Staubfäden von Ber- 
beris (Sauerdorn) (Pfeffer 1873a und 1885. Literatur auch bei Fitting 
1907b und Haberlandt 1909a). Die fünf Staubgefäße liegen in der 
Ruhestellung den fünf schüsselförmigen Kronblättern an. Werden 
sie an ihrer Basis auf der Innenseite berührt, so krümmen sie sich 
sehr schnell nach dem Griffel hin. Die Außenseite der Staubfäden ist 
nicht empfindlich. Reizleitung über das Organ hinaus findet nicht 
statt. Jede Berührung hat die plötzliche Auslösung der ganzen Be- 
wegung zur Folge. Der Rückgang in die alte Stellung findet be- 
trächtlich langsamer statt, als die Reizreaktion. 

Die Bewegungsmechanik entspricht nach Pfeffer der von Mimosa 
und den Cynareen. Die Krümmung kommt also dadurch zustande, 
daß auf den Reiz hin die Zellen der Innenseite plötzlich ihren 
Turgor verlieren und Wasser auspressen. Da Lufträume zwischen den 


234 VI. Die Folgen mechanischer Reizung. 


Zellen fehlen, tritt das abgegebene Wasser an durchschnittenen Staub- 
fäden als Tropfen aus der Schnittfläche. 

Wie Haberlandt gezeigt hat, ist die reizbare Innenfläche der 
Staubfäden mit Hervorwölbungen bedeckt, die geeignet erscheinen, 
die Reizwirkung durch Zusammendrücken des Plasmas zu erhöhen. Die 
Papillen sind nicht so groß, wie die oben erwähnten von Centaurea. Ihr 
Vorkommen bei den meisten reizbaren Blütenteilen spricht aber für die 
angedeutete Funktion von ‚Stimulatoren“. Ein Insekt, das die Blüte 
besucht, wird bei dem Bemühen, den im Grunde der Kronblätter ab- 
geschiedenen Honig zu erlangen, an die reizbaren Staubfäden stoßen. 
Darauf schnellt das Staubblatt nach der Mitte zu und klebt den 
Pollen dem Insekt auf den Leib. Beim Besuch der nächsten Blüte 
wird er dann an der Narbe abgestreift. 

Staubfäden mit Stoßreizbarkeit finden sich außer bei den erwähn- 
ten Berberideen und Cacteen noch bei Helianthemum (Sonnenröschen) 
und Verwandten, bei Sparmannia (Zimmerlinde), Abutilon, Portulaca 
u. a. Ähnliche Krümmungen führen auch manche Griffel aus. Von 
den Teilen der Fruchtblätter sind es aber besonders die Narben, die 
öfters reizbar sind, so bei Mimulus (Gauklerblume) Martynia, Gold- 
fussia, Bignonia u. a. (Literatur Pfeffer 1904 S. 458). 

Die Narbe von Mimulus z. B. besteht aus zwei Zipfeln, die im 
ausgebildeten Zustande auseinanderklaffen. Auf Berührung klappen sie 
zusammen. Dabei bleibt bei Mimulus lutea die Bewegung auf den direkt 
gereizten Lappen beschränkt, während sie sich bei M. cardinalis u. a. 
auf den zweiten Zipfel überträgt. Der Zusammenschluß der beiden 
für die Pollenaufnahme eingerichteten Flächen wird offenbar die Be- 
stäubung mit dem eigenen Blütenstaub zu verhindern geeignet sein. 
Da das Insekt beim Aufsuchen des Nectars zunächst den mitgebrachten 
Pollen an der Narbe abstreift, und sich hierauf die Narbenlappen an- 
einanderschließen, so wird beim Zurückziehen des Kopfes die nun 
mit frischem Blütenstaub bepuderte Körperstelle nicht mit der Narben- 
innenfläche in Berührung kommen können. 

Reizbare Blütenteile kommen ferner noch bei einigen Orchideen 
vor, so bei Catasetum, Pterostylis, Masdevallia (Literatur bei Pfeffer 
1904 und Haberlandt 1909a). Dem die Blüte besuchenden Insekt stellt 
sich hier ein reizbares, zartes Anhangsgebilde des untersten Blüten- 
hüllblattes, der Lippe, entgegen. Wird dieses berührt, dann klappt die 
Lippe zu und schließt die Blüte hinter dem Eindringling fast ganz. 
Nur ein schmaler Ausgang bleibt. In diesem sind die Pollenmassen 
gelagert, die sich dem herauskriechenden Insekt an den Leib heften. 

Bei den reizbaren Unterlippen der Orchideenblüten findet eine 
ausgesprochene Leitung der Erregung statt. Der Ort der Perzeption 
ist von dem der Reaktion durchaus getrennt. Es ist dies einer von 
den wenigen Fällen, in denen die bewegungstätige Zone nicht selbst 
reizbar ist. Nach Oliver (1887/88) kommt die Bewegung durch Turgor- 
verminderung zustande. Genau ist dieser interessante Fall noch nicht 
untersucht. 


Insektivoren. 235 


Schließlich wäre hier einer Beobachtung von Tschermak (1904) 
zu gedenken, nach der bei manchen Grasblüten durch Erschütterung 
das Aufblühen wesentlich beschleunigt wird. Schüttelt man z. B. eine 
kurz vor dem Öffnen befindliche Ähre vom Roggen ein wenig, so 
schwellen gewisse am Grunde der Spelzen befindliche Körperchen und 
bewirken deren Auseinanderspreizen. Gleichzeitig verlängern sich die 
Staubfäden sehr schnell und lassen die sich öffnenden Staubbeutel heraus- 
hängen. Durch diese Einrichtung wird erreicht, daß der die Ver- 
breitung des Blütenstaubes übernehmende Wind gleichzeitig durch 
die bewirkten Erschütterungen das Aufblühen hervorruft. Es wird 
so ein Abwarten günstiger Umstände für die Pollenentleerung möglich. 
Übrigens wird wohl auch die austrocknende Wirkung eines warmen 
Windes das Aufblühen beschleunigen. 


e) Insektivoren. 


Unter den Pflanzen, die Insekten fangen und verdauen, den Insekti- 
voren, sind vier Gattungen, denen eine eigene Bewegungsfähigkeit 
und damit verbunden eine besondere Reizbarkeit für mechanische und 
chemische!) Einflüsse zukommt. Es sind dies die Arten von Pingui- 
eula, Drosera, Dionaea und Aldrovanda. 

Bei den ersten beiden spielt die Bewegung beim Fange der 
Beute kaum eine Rolle, da sie zu langsam von statten geht. Sie 
wird durch Wachstum vermittelt und ist mit einer Reizbarkeit 
verbunden, die der der Ranken entspricht. Dionaea und Aldrovanda 
dagegen besitzen Blätter, die wie ein Tellereisen plötzlich zusammen- 
klappen und das Insekt festhalten. Ihre Reizbarkeit und wahr- 
scheinlich auch die Bewegungsmechanik entspricht der von Mimosa. 

Pinguicula, das Fettkraut, mit seinen zwei einheimischen und 
einer großen Zahl ausländischer Arten, gehört der Familie der Lenti- 
bulariaceen an, deren Mitglieder vielfach Insekten fangen, aber meist 
keine besonderen Bewegungen dabei ausführen. Den deutschen wie 
den lateinischen Namen verdankt die Pflanze dem fettigglänzenden 
Aussehen ihrer gelblichen Blätter. Diese sind zungenförmig, in der 
Mittelrippe rinnig gebogen und rosettenartig angeordnet (Abb. 81). 
Wie die meisten insektenfangenden Pflanzen liebt Pinguicula nasse 
Standorte. 

Das Bewegungsvermögen ist hier nicht sehr ausgebildet. Setzt 
sich ein kleines Insekt auf die klebrige Blattfläche, so bleibt es hängen. 
Durch langsames Einrollen der Blattränder wird das Opfer nach der 
Mitte zu verschoben. Dabei kommt es mit einem immer größeren 
Teile der Drüsen, an denen das Blatt reich ist, in Berührung, es 
wird in Schleimmassen erstickt und schließlich verdaut. 


!) Die chemische Reizbarkeit der Insektivoren soll hier mit besprochen 
werden, obgleich sie unserer Disposition nach erst in das nächste Kapitel ge- 
hörte. Wollte man sich allzu streng an die gewählte Einteilung halten, so müßte 
man zusammengehörige Dinge auseinanderreißen. 


236 VI. Die Folgen mechanischer Reizung. 


Charles Darwin ([1865]) 1899) hat durch Versuche festzustellen 
gesucht, welches der eigentliche Reizanlaß ist. Nach ihm wirken 
hauptsächlich chemische Reize und unter ihnen besonders stickstoff- 
haltige Substanzen, die in gelöster Form angewendet wurden, um 
mechanische Reizung zu vermeiden. Es läge demnach eine Chemo- 
nastie vor. Doch sind auch mechanische Reize wirksam. Denn 
auf die Blattfläche gebrachte unlösliche Körper, wie Glassplitter, 
bewirken gleichfalls eine Einrollung der Blattfläche. Nur findet 
beim Mangel chemischer Reizung 
ein schnelleres Zurückgehen statt. 


>) 


> 
; Die übrigen Insektivoren mit 
Bewegungsvermögen gehören alle 
zu der Tierfängerfamilie der Dro- 
seraceen. 
Drosera (Sonnentau) hat 90 
Arten, darunter 3 einheimische, 
nämlich die in Torfmooren häufige 
rundblättrige Drosera rotundifolia 
I und die selteneren lJangblättrigen 
D. anglica und D. intermedia. 


\ Der gewöhnliche Sonnentau besitzt 

(( R 14 eine Rosette kleiner runder u 

ME gestielter Blätter, die am Rande 

I N mit langen Wimpern, den ‚Ten- 

! > takeln“ Darwins, besetzt sind. 

\ Ähnliche, aber kürzere Fortsätze 

N 4 stehen auf der Fläche des Blattes, 

N alle sind rot gefärbt und tragen 

Abb. 81. am Ende ein gleichfalls rotes 
Pinguicula vulgaris verkleinert. Köpfchen, das eine kleine Menge 


klaren, klebrigen Sekretes abson- 
dert. Von diesen tauartigen Tropfen, die auch in voller Sonne nicht 
verdunsten, hat die Pflanze ihren deutschen Namen (Abb. 82). 
Setzt sich ein nicht zu großes Insekt auf ein fangbereites Blatt, 
so bleibt es, ähnlich wie bei Pinguicula, an dem fliegenleimartig 
wirkenden Sekret hängen. Hierauf erfolgt nun eine Einkrüm- 
mung der Tentakeln, welche in ihrem Verlauf etwas verschieden 
ist, je nach der Stelle des Blattes, die zuerst gereizt wurde. Hat 
sich das Insekt, etwa eine kleine Mücke, auf die Mitte des Blattes 
gesetzt, so bleiben die daselbst eingefügten kürzeren Drüsenträger ge- 
rade, während die weiter nach außen stehenden, besonders die langen 
des Randes sich im scharfen Bogen nach innen einbiegen und über 
dem Insekt zasammenneigen. Dieses wird dadurch von dem klebrigen 
Sekret ganz eingehüllt und definitiv am Entkommen verhindert. Es 
bleibt dabei an Ort und Stelle (Abb. 83). 
Anders, wenn die erste Berührung am Rande erfolgt. Dann 


Insektivoren. 


237 


biegt sich sehr bald (schon nach 
15—20 Sekunden) der oder die 
zunächst gereizten Tentakeln, 
aber nur diese, nach der Mitte 
zu, und erst wenn dadurch das 
Insekt mit den Köpfchen der 
inneren kurzen Fortsätze in Be- 
rührung kommt, löst es eine Be- 
wegung auch der anderen rand- 
ständigen Drüsenträger aus. So 
wird in diesem Falle durch die 
schnelle Einkrümmung der zu- 
nächst berührten Tentakeln das 
Insekt auf die Blattfläche, also 
die für die Verdauung geeignetere 
Stelle gebracht, worauf das 
Weitere ganz so vor sich geht, 
als ob die Beute sich von vorn- 
herein dort niedergelassen hätte. 
Wie die Sache verlaufen würde, 


wenn der erst gereizte Tentakel 
an der Einkrümmung verhindert Abb. 82 


würde, scheint nicht bekannt zu Pflanze von Drosera capensis, verkleinert. (Bis 
auf die länglichen Blätter unserer Dr. rotundi- 


sein. Man darf aber wohl an- se annheh 
nehmen, daß ein vom Köpfchen 
der Randtentakeln ausgehender Reiz nicht direkt nach 


der Mitte 


geleitet wird, sondern lokalisiert bleibt, während bei Reizung der 
flächenständigen Drüsen eine Ausbreitung nach allen Seiten statt- 


NEL ar , 


Abb. 83. 


Blatt von Drosera capensis mit gefangenem Insekt. Über diesem 
sind die Tentakeln zusammengeschlagen, während sie sonst abstehen. 
Auch hat das Blatt sich etwas eingekrümmt. Vergrößert. 


238 VI. Die Folgen mechanischer Reizung. 


findet, so daß die nächststehenden zuerst, die entfernteren später 
ihre Krümmung ausführen. 

Bei intensiven Reizen beteiligen sich alle Drüsenträger an der 
Reaktion. Auch die Blattfläche selbst kann sich ähnlich wie bei 
Pinguicula, wölben (Abb.83). Ist der Eingriff schwächer, dann krümmen 
sich — besonders bei seitlicher Lage der Reizquelle — nur die zunächst 
gelegenen Tentakeln. Dabei ist nun noch etwas anderes, sehr inter- 
essantes zu beachten, nämlich eine Beziehung der Bewegungsrichtung 
zu der Stelle, von der der Reiz ausgeht. Die mittleren kurzen 
Tentakeln bleiben, wie erwähnt, bei direkter Reizung gerade. Auf 
einen zugeleiteten Impuls aber, wie er bei etwas seitlicher Lage 
des Insektes auftritt, krümmen sie sich nach dieser Richtung hin. 
Die Richtung ihrer Bewegung ist also nicht ein für alle Mal 
festgelest, wie es bei den Randtentakeln der Fall zu sein scheint, 
sondern sie steht in einer gewissen Beziehung zur Richtung des Reizes. 
Wir haben daher hier nastische und tropistische Bewegung neben- 
einander. 

Zur Aufnahme des Reizes befähigt sind nur die Drüsenköpfchen, 
nicht aber die übrigen Teile der Tentakeln, so daß diese allein 
auf zugeleitete Impulse hin zu reagieren vermögen. So krümmen 
sich z. B. die Randtentakeln nach einer in der Mitte des Blattes 
befindlichen Beute hin, auch dann, wenn ihr allein perzeptions- 
fähiges Köpfchen entfernt worden ist, ein schönes Beispiel von der 
Unabhängigkeit zwischen Reizaufnahme und Erregbarkeit. Die Ar- 
beitsteilung und die ineinandergreifenden Bewegungen der Teile des 
Blattes, zu deren Regelung ein kompliziertes Netz von Leitungen 
nötig sein muß, sind hier überhaupt so klar, wie selten bei Pflanzen, 
zu beobachten. 

Wir haben nämlich bei Drosera nicht nur zwischen chemischen 
und mechanischen Reizanlässen, sondern auch zwischen ‚chemischen‘ 
und ‚mechanischen‘ Reizerfolgen zu unterscheiden. Bisher haben 
wir nur die natürlichen Umstände im Auge gehabt, unter denen 
alles gleichzeitig erfolgt und ineinandergreift; nämlich die Berührung 
und die Bewegungen des Insektes (mechanische Reizung) mit der 
Abgabe von Spuren organischer Stoffe, die sich in den ausge- 
schiedenen Flüssigkeitstropfen an den Köpfchen lösen und von der 
Pflanze aufgenommen als Reiz wirken (chemische Reizung); sowie 
die Bewegungen der Tentakeln und der Blattfläche (Hapto- und 
Chemonastie, resp. Hapto- und Chemotropismus) mit der Aus- 
scheidung der Verdauungssäfte auf mechanischen oder chemischen Reiz 
hin. Hinzu kommt dann noch von sich anschließenden Vorgängen 
die Aufnahme der durch die gebildeten Fermente gelösten Stoffe, 
sowie die Rückkehr des Blattes in den reizbaren und aufnahme- 
fähigen Zustand. Auch muß bemerkt werden, daß im Innern der 
Zellen des gereizten Blattes sichtbare Veränderungen vor sich gehen, 
und daß das Blatt auch auf andere als die genannten, nämlich auf 
Wärmereize hin seinen Bewegungsmechanismus spielen läßt. 


Insektivoren. 239 


Mit der Zerlegung des ganzen Geschehens in die einzelnen 
Faktoren hat sich Ch. Darwin eingehend beschäftigt. Nach ihm 
ist leider aber nur wenig Neues zu unseren Kenntnissen hinzuge- 
kommen, obgleich sie noch große Lücken aufweisen, So wissen 
wir nicht genug darüber, welche chemischen Stoffe als Reizmittel 
wirksam sind. Zwar hat Darwin festgestellt, daß es vor allem stick- 
stoffhaltige Körper organischer und anorganischer Natur sind. Aber 
die moderne Pflanzenphysiologie verlangt genauere Angaben. In 
Darwins Versuchen erwiesen sich Eiweißkörper wie die des Fleisches, 
der Milch, das Casein usw. als besonders wirksam. Gern würde man 
auch wissen, ob Peptone resp. Polypeptide oder auch Aminosäuren usw. 
wirksam sind. Ferner fand unser Autor Ammonsalze und von diesen 
besonders das Phosphat, aber auch Ammoniumcarbonat und -Nitrat 
geeignet, die Reizbewegung der Droserablätter auszulösen. Von 
dem ersteren genügte ein Tröpfehen Lösung, das 0,0004 mer Salz 
enthielt. Auch andere Phosphate waren wirksam, sowie eine Anzahl 
weiterer Substanzen, die nicht als Nahrungsstoffe angesehen werden 
können. Interessant ist es, daß nach Darwin, dessen Befunde 
Correns (1896) bestätigte, Kalksalze, die für Drosera [wie für die 
Torfmoose, unter denen sie leben], schädlich sind, die Reizbarkeit 
schon in Spuren aufheben. Ferner, daß destilliertes Wasser eine 
Reizbewegung auslösen kann. Man sieht, wie viel merkwürdige Dinge 
da schon bekannt sind, und kann wohl schließen, daß eine noch 
intensivere Bearbeitung mehr dergleichen ans Tageslicht bringen würde. 

Im allgemeinen wirken chemische Reize bei Drosera [und den 
anderen bewegungsfähigen Insektivoren] intensiver und andauernder 
als mechanische. Sie auseinanderzuhalten gelang Darwin durch 
Verwendung von Tröpfcehen gelöster Stoffe, die keine mechanische 
Reizung auslösen und von Stückchen fester Körper, wie Glas, die 
keine chemischen Stoffe abgeben. 

Beide Arten von Reizen bewirken sowohl Krümmung der Ten- 
takeln wie auch verstärkte Sekretion. Diese Reizerfolge scheinen 
bei Drosera unlösbar miteinander verknüpft zu sein, während es 
Darwin bei Pinguicula gelungen ist, durch mechanischen Reiz um 
die Einkrümmung, durch Tropfen von Ammoniumphosphatlösung nur 
die Sekretion zu steigern. 

Neben den besprochenen Erscheinungen ist noch eine bemerkens- 
werte von Darwin entdeckt worden, nämlich eine Veränderung in 
der Anordnung der Teile innerhalb der Zelle. Schon mit bloßem 
Auge, besser mit Hilfe einer Lupe beobachtet man an den gereizten 
Tentakeln ein Fleckigwerden der vorher gleichmäßig rot gefärbten 
Köpfchen, das bald auf die Stiele übergeht und sogar auf andere 
Tentakeln übergreifen kann, wo es dann von den Köpfchen aus be- 
ginnt. Ein Zusammenfallen dieser Ausbreitungserscheinung mit den 
Prozessen, die die Leitung des Bewegungsreizes übernehmen, scheint 
nach Darwins Befunden nicht vorzuliegen. denn es kommt vor, 
daß ein Tentakelstiel schon an der Basis gekrümmt ist, bevor die 


240 VI. Die Folgen mechanischer Reizung. 


innere Veränderung, die dem fleckigen Aussehen zugrunde liegt, bis 
dahin vorgeschritten ist. Vielmehr scheint ein Zusammenhang dieser 
Erscheinung mit den Sekretionsvorgängen vorzuliegen. Vielleicht 
kann man die Sache folgendermaßen auffassen: Die Veränderungen 
im Innern der Zellen, die sich äußerlich als Fleckigwerden bemerkbar 
machen, bestehen in einer Verkleinerung der Vakuolen sowie Volum- 
zunahme und lebhafter Strömung des Protoplasmas. Ähnliche Er- 
scheinungen werden durch Einlegen von Schnitten aus den Tentakeln 
in schwach basische Lösungen hervorgerufen. Bei erhöhter Sekretion 
findet nun stets eine Ausscheidung von Säure statt. Diese bewirkt, 
ähnlich wie beim Magensaft, eine Aktivierung der gleichzeitig abge - 
schiedenen Enzyme und verhin- 
dert wohl auch das Aufkommen 
von Fäulnisbakterien. Durch 
Abgabe von Säure könnte der 
Zellsaft alkalisch werden und 
dadurch dieselbenVeränderungen 
bewirken, die durch Einlegen in 
alkalische Lösungen zustande 
kommen. 

Daß die Erscheinung nichts 
mit der Leitung der tropistischen 
Erregung zu tun hat, ergibt sich 
auch daraus, daß sie in gleicher 
Weise bei insektenfangenden 
Pflanzen ohne Bewegungsver- 
mögen auftritt und zwar gleich- 

Abb. 84. falls in Verbindung mit einer ver- 
Pflanze von Dionaea museipula. Die in spitzem stärkten Sekretionstätigkeit. Fer- 
Winkel auseinanderstehenden Blatthälften klap- . . 
pen auf Berührung plötzlich zusammen und NeEr spricht gegen einen solchen 
können Bo eiL InseEleintängen: dem durch die Zusammenhang, daß nach Dar- 
ineinandergreifenden Zähne der Austritt ver- : 3 
wehrt wird. Verkleinert. win in einer mittelbar gereizten 
Tentakel nach Abschneiden des 
Drüsenköpfehens, wodurch die Sekretion unmöglich gemacht wird, 
zwar noch die Krümmung, nicht aber die Zusammenballung des 
Plasmas auftritt. Schließlich fällt der Umstand für die erwähnte 
Deutung ins Gewicht, daß Ammoniumcarbonat, also ein alkalisches 
Salz, das Phänomen am deutlichsten hervorruft. 


Die Bewegungen der nordamerikanischen Dionaea muscipula, 
(der Venusfliegenfalle) und der einheimischen Aldrovanda vesiculosa 
finden, wie gesagt, sehr viel schneller statt, als die von Pinguicula 
und Drosera. Merkwürdig ist die Übereinstimmung im Fallenapparat 
zwischen den beiden erstgenannten Pflanzen, die unter ganz ver- 
schiedenen Bedingungen leben; denn Dionaea lebt auf Torfmooren 
etwa wie Drosera, und Aldrovanda im Wasser. Bei beiden bestehen die 
Blätter aus einem flachen, keilförmigen Basalstück (dem geflügelten Blatt- 


Insektivoren. - 241 


stiele) und einer zweiklappigen Blattfläche, die an den Rändern mit Zähnen 
besetzt ist (Abb. 84 u. 85). Ihre beiden Teile stehen im Ruhezustande in 
einem spitzen Winkel voneinander ab. Auf eine Reizung hin klappen sie 


Abb. 85. 


Dionaea muscipula. Blatt aufgeschnitten. Man sieht die Wöl- 
bung der Innenseite. Darauf rechts Andeutungen der drei Borsten. 
Außen die starren Zähne, die beim Schließen ineinander greifen. 
In der Mitte das durchschnittene Bewegungsgewebe. 
Etwas vergrößert. 


in der Mittelrippe scharnierartig zusammen. Sowohl bei Dionaea wie 
bei Aldrovanda sind ferner auf der Blattfläche Borsten eingefügt, 


die sich durch eine besondere 
Empfindlichkeit für Berührung aus- 
zeichnen. Bei der letzteren sind 
sie in größerer Zahl (über 20) vor- 
handen, bei der ersteren finden 
sich nur drei auf jeder Blattfläche 
(Abb. 85). 

Diese Borsten sind zuerst von 
Darwin [(1880) 1899], dann ge- 
nauer von Goebel (1889/91) und 
Haberlandt (vergl. z. B. 1909a) 
untersucht worden, Bei beiden 
Pflanzen sind sie zum größten Teile 
dickwandig und steif, besitzen aber 
an einer Stelle ein mit verdünnten 
Zellhäuten versehenes, biegsames 
Gelenk (Abb. 86). Beim Verbiegen 
der Spitze überträgt sich die Be- 
wegung hauptsächlich auf das Ge- 
lenk, in dem eine scharfe Knickung 
entsteht. Dadurch wird an dieser 
Stelle das Plasma einer weiter- 
gehenden Deformation ausgesetzt 
als wenn die Borste ihrer ganzen 


Pringsheim, Reizbewegurgen. 


\ 


Abb. 86. 


Längsschnitt durch den unteren Teil einer 
„Fühlborste‘‘ von Dionaea museipula.- g Ge- 
lenk. Stark vergrößert. 

(Nach Haberlandt 1909a.) 


16 


242 VI, Die Folgen mechanischer Reizung. 


Länge nach gleich biegsam wäre!). An gut reizbaren Blättern löst 
eine Beugung der ‚Fühlborsten‘‘ sofort die volle Bewegung aus. 
Neben den Borsten ist aber auch die Innen- und sogar die Außen- 
seite der Blattfläche, wenn auch in geringerem Maße, für Berührung 
empfindlich. 

Als Reizanlaß genügt die leiseste Verbiegung einer der sechs 
Fühlborsten. So berührte Darwin eine von ihnen mit der Spitze 
eines Härchens, das in einem Halter so weit gefaßt war, daß es 
sich gerade horizontal halten konnte. Es erfolgte eine Reizung. 
„Wenn wir bedenken, wie biegsam ein feines Haar ist, so können 
wir uns eine Idee davon machen, wie leicht die von dem Ende 
eines ein Zoli langen, langsam bewegten Stückes verursachte Be- 
rührung sein muß“. Da die reizempfindlichen Borsten selbst sehr 
zart sind, scheint uns der Erfolg immerhin begreiflich. 

Bemerkenswert für Dar wins physiologischen Scharfsinn ist aber der 
folgende Abschnitt: „Obgleich diese Filamente [die Fühlborsten] für eine 
momentane und zarte Berührung so empfindlich sind, so sind sie doch 
für länger anhaltenden Druck bei weitem weniger empfindlich als die 
Drüsen der Drosera. Mehrere Male gelang es mir, mit Hülfe einer 
mit äußerster Langsamkeit bewegten Nadel Stückchen von ziemlich 
dickem menschlichem Haar auf die Spitze eines Filamentes zu legen 
und diese regten keine Bewegung an, obschon sie mehr als zehn- 
mal so lang waren als diejenigen, die die Tentakeln der Drosera 
sich zu biegen veranlaßten. ... Auf der anderen Seite können 
die Drüsen der Drosera mit einer Nadel oder irgendeinem harten 
Gegenstande einmal, zweimal oder selbst dreimal mit beträchtlicher 
Kraft gestoßen werden, und es folgt doch keine Bewegung. Dieser 
eigentümliche Unterschied in der Natur der Empfindlichkeit der 
Filamente der Dionaea und der Drüsen der Drosera steht ofienbar 
in Beziehung zu den Lebensgewohnheiten der beiden Pflanzen. Wenn 
ein äußers kleines Insekt sich mit seinen zarten Füßen auf den 
Drüsen der Drosera niederläßt, so wird es von dem klebrigen Sekrete 
gefangen und der unbedeutende, indessen verlängerte Druck gibt 
die Notiz von der Anwesenheit der Beute weiter, die nun durch 
das langsame Biegen der Tentakeln gesichert wird. Auf der anderen 
Seite sind die empfindlichen Filamente der Dionaea nicht klebrig 
und das Fangen der Insekten kann nur durch ihre Empfindlichkeit 
für eine augenblickliche Berührung gesichert werden, der das schnelle 
Schließen der Lappen folgt.“ 

Diese ganze Stelle wurde hier abgedruckt, um zu zeigen, wie 
weit Darwin schon in die Besonderheiten des Empfindungsvermögens 
dieser Pflanzen eingedrungen ist. Finden wir doch bei ihm, wie 
man sieht, auch schon die oben dargelegte Unterscheidung von 
Tast- und Stoßreizbarkeit bei den Pflanzen, die gleichzeitig von 


1) Goebel (1889/91) weist darauf hin, daß das Gelenk der Borsten auch 
geeignet erscheint, ein Abknicken beim Schluß der Blätter zu verhindern. 


Insektivoren. 243 


Pfeffer (1881) ausgesprochen, später von ihm (1885) weiter ausge- 
arbeitet wurde. 

Nach Darwin hängt dieser Unterschied im Empfindungsvermögen von 
Drosera und Dionaea mit der Art ihres Insektenfanges zusammen. Die Blätter 
von Drosera sind nur für das Festhalten kleinster Beutetiere geeignet, die an 
ihren Tentakeln kleben bleiben. Die von Dionaea lassen so winzige Insekten 
durch die Randzähne entschlüpfen und fangen dafür etwas größere Tiere, für 
die eine derartige Leimruteneinrichtung nicht genügen würde. Nur durch 
schnelles Zupacken kann hier der Erfolg gesichert werden. 


Wie bei Drosera, so wirken auch bei Dionaea sowohl mechanische 
wie chemische Reize auf die Bewegung ein. Berührung der Blatt- 
fläche und besonders der Borsten bewirkt raschen Schluß des Blattes. 
Kommt aber keine chemische Reizung hinzu, so öffnet sich das 
Blatt schon nach wenigen Stunden wieder. Chemische Reize ohne 
mechanische, also etwa durch einen Tropfen einer organischen Ab- 
kochung, bewirken langsamen Schluß, der aber anhaltender ist. 
Auch sind sie selbst unter ungünstigen Umständen, also bei schwacher 
Reizbarkeit des Blattes wirksam, wenn kein Effekt der Berührung 
mehr zu beobachten ist. Unter natürlichen Umständen wirken beiderlei 
Reize zusammen. 

Die Bewegung der Blatthälften führt zunächst zu einem Anein- 
anderdrücken der Ränder, wobei die Zähne sich kreuzen wie die 
Finger der gefalteten Hände. Der Druck ist so beträchtlich, daß 
das Blatt nicht ohne Verletzung geöffnet werden kann. Wird eine 
Blatthälfte entfernt, so geht die andere weit über die sonst erreichte 
Schließlage hinaus. Die Lappen klappen gleichzeitig zusammen, auch 
wenn der Reiz einseitig erfolgt. Die Erregung kann um einen Ein- 
schnitt herumgeleitet werden, der sich zwischen der berührten Borste 
und dem Bewegungsgelenke befindet. Sie dürfte sich daher diffus im 
ganzen Blatte ausbreiten. 

Die chemischen Reize wirken lokal. Dasjenige Ende beginnt 
sich zu schließen, an dem der Reizstoff appliziert worden ist. Es 
wirken aber nur Flüssigkeiten, da die Blattfläche völlig trocken ist. 
Ein gefangenes Insekt wird zwischen den Blatthälften gequetscht, 
so daß Tropfen von Flüssigkeit austreten, die dann die chemische 
Reizung bewirken. Es nähern sich nämlich nicht nur die Blattränder, 
sondern es folgt auf deren Berühruug noch eine Abflachung der ge- 
wölbten Flächen, zwischen denen das Insekt liegt, so daß ein Druck 
auf dieses ausgeübt wird. Über den Mechanismus der Bewegung ist 
noch keine Klarheit erzielt. Vielleicht wirken Turgor- und Wachs- 
tumsbewegung zusammen. 


Die Sekretion des Verdauungssaftes erfolgt nur auf chemische Reize hin 
und nur von den direkt gereizten Drüsen. Durch das Andrücken der Blatt- 
fläche kommen aber große Flächen des mit Absonderungsorganen besetzten 
Blattes mit dem Opfer in Berührung. Auch verbreitet sich der reichlich 
auftretende Saft auf der Fläche und bewirkt so die Reizung aller Drüsen. 
Oft wird so viel Verdauungsflüssigkeit abgeschieden, daß sie zwischen den 
Blattflächen heraustropft. Schließlich aber wird alles wieder aufgesogen. Wenn 


16* 


244 VI. Die Folgen mechanischer Reizung. 


sich das Blatt öffnet, findet sich nur noch der Chitinpanzer des Insektes auf 
der trockenen Fläche. 

Über gefangenen Insekten bleiben die Dionaeablätter acht Tage 
und länger geschlossen. Daher ist es begreiflich, daß ganz kleine 
Tiere als nicht lohnend genug herausgelassen werden, so daß das 
Blatt nach Ausgleich der mechanischen Reizung sich bald wieder 
öffnet und fangbereit wird. Mehr als zwei bis drei Insekten vermag 
ein Blatt nicht zu verdauen. Da wir aber nicht wissen, auf was 
für Stoffe es abgesehen ist, so kann das schon eine beträchtliche 
Leistung sein, die vielleicht für die Pflanze von großer Bedeutung 
ist. Genaueres ist darüber nicht bekannt. 

Bei Aldrovanda liegen die Dinge, soweit untersucht, ganz ent- 
sprechend. Wegen der Kleinheit der Blätter und der untergetauchten 
Lebensweise ist aber nicht viel darüber bekannt geworden. 


Blicken wir auf die verschiedenen mechanischen Reize zurück, 
die im Pflanzenreich vorkommen, so können wir sie alle in zwei 
Gruppen einteilen, die in den Abschnitten über Ranken und über 
Mimosa definiert wurden. Berührungsreizbarkeit findet sich außer 
bei den Ranken noch bei Drosera, Pinguicula, Cuscuta, Pilzen und 
Algen, Stoßreizbarkeit bei den Sensitiven, bei Blütenteilen sowie bei 
Dionaea und Aldrovanda. Allgemein scheint die Reaktion auf Be- 
rührung in veränderten Wachstumsvorgängen, die auf Stoß in Turgor- 
bewegungen zu bestehen. Der ökologische Nutzen ist sehr mannigfaltig 
und meist leicht einzusehen. 

In die obigen Gruppen lassen sich auch die wenigen Beobach- 
tungen über Berührungsreizbarkeit bei niederen Organismen einordnen. 

Es wäre nur zu erwähnen, daß die Sporangienträger von 
Phycomyces etwas kontaktreizbar sind, ferner, daß Pfeffer bei der 
freischwimmenden Volvocacee Chlamydomonas eine Reizbewegung auf 
Berührung, sowie einen vorübergehenden Stillstand der Wimper- 
schwingungen fand. Genaueres ist über diese letztere Art der 
Sensibilität, die sich auch bei Infusorien und vielleicht bei Bakterien 
findet, nicht bekannt. 


f) Reizwirkungen mechanischer Verletzung. 


Es ist die Frage, ob die auf tiefere mechanische Verletzungen 
hin an der Pflanze auftretenden Veränderungen ihren Ursprung in 
einer Art Tastsinn haben, der etwa mit der Sensibilität der Ranken 
zu vergleichen wäre. Man könnte auch annehmen, daß die Verwun- 
dung eine besondere, etwa unseren Schmerzempfindungen entsprechende 
teizung bewirkt, oder daß sie chemische Veränderungen zur Folge 
hat, die dann erst ihrerseits weitere Vorgänge veranlassen. Darüber 
läßt sich vorläufig keine Auskunft geben. 

Doch muß man jedenfalls bei mechanischen Eingriffen von vorn- 
herein die Zerstörung von Zellen von der Trennung des Zusammen- 


Reizwirkungen mechanischer Verletzung. 245 


hanges der Gewebe unterscheiden. Beide können einzeln Reizwir- 
kungen ausüben. So wird nach Rothert (1896) die Aufnahmefähigkeit 
der Graskeimscheide für geotropische und phototropische Reize durch 
Abschneiden der Spitze für einige Zeit völlig vernichtet, nicht aber 
durch bloße Verwundungen unter Erhaltung des Zusammenhanges 
der Teile, selbst wenn diese sehr viel schwererer Natur sind. Auch 
ist es nicht die Entfernung des Perzeptionsorganes, die die Reizbarkeit 
aufhebt. Denn Verdunkelung desselben Spitzenteiles hat keine Auf- 
hebung, sondern nur eine Verminderung der Wirkung zur Folge. 
Hier hat also die Abtrennung an sich eine bestimmte Reizwirkung, 
wenn auch nur eine hemmende. Es ist dabei die Störung der Wechsel- 
beziehungen der Teile, die hier wie in anderen Fällen für den Erfolg 
maßgebend ist. Ähnliches liegt etwa bei den Mohnknospen vor, 
für deren Nicken der Zusammenhang zwischen Stiel und Samen- 
knospen gewahrt sein muß (vgl. S. 83). 

Hemmungen sind es meist, die durch Verwundung bewirkt wer- 
den. Besonders empfindlich sind Wurzeln. Durch Entfernung ihrer 
Spitze wird das Reaktionsvermögen für andere Reize dauernd oder 
doch für längere Zeit aufgehoben und das Längenwachstum vermindert. 
Die Störungen können selbst eine größere Strecke weit fortgeleitet 
werden, so etwa von der Spitze der Keimwurzel nach dem jungen 
Sproß (Literatur bei Fitting 1907b). Vorübergehend können auch Be- 
schleunigungen des Wachstums auftreten, unter gleichzeitiger Ver- 
stärkung der Atmungstätigkeit. Bei den zuletzt erwähnten Vorgängen 
ist eine völlige Abtrennung eines Teiles nicht erforderlich. Es ge- 
nügt die Zerstörung einer gewissen Anzahl von Zellen. Von den 
unmittelbaren Folgen einer Verwundung verschieden, aber zeitlich 
unmittelbar auf sie folgend, sehen wir dann Vorgänge einsetzen, die 
auf Beseitigung des Schadens hinarbeiten. 

Die einzelne verletzte Zelle kann unter günstigen Umständen 
ihre zerrissene Zellulosehaut wieder ergänzen. Gelingt ihr das 
nicht, so muß sie zugrunde gehen. Besonders notwendig wird die 
Heilung bei den Schlauchalgen (Siphoneen) und den Algenpilzen 
(Mucorineen und Saprolegniaceen), deren ganzen Körper ein einziger 
plasmaerfüllter Hohlraum durchzieht. Denn wenn der Schaden 
nicht ausgebessert würde, so müßte der gesamte lebende Inhalt aus- 
fließen oder absterben. Hier wird durch erstarrende Innenbestand- 
teile ein vorläufiger Wundverschluß gebildet, der später durch Membran- 
wachstum wirksamer gemacht wird, ähnlich wie bei uns das gerinnende 
Blut eine Verletzung vorläufig verklebt, bevor die eigentliche Ver- 
narbung beginnt. Derselbe Vorgang spielt sich auch bei den „Milch- 
röhren“ der milchsafthaltigen Pflanzen, z. B. der Wolfsmilch- und Mohn- 
arten, ab, die gleichfalls weithin in Verbindung stehende Schläuche 
darstellen. Doch sind solche Zellwandheilungen in Wasser oder doch 
in feuchter Luft im allgemeinen leichter zu erzielen als im Trockenen. 

Mit der Einleitung der Heilung noch zu erhaltender Zellen ist 
aber in der Regel die Wunde nicht beseitigt und der Verlust nicht 


246 VI, Die Folgen mechanischer Reizung. 


ersetzt. Es muß vielmehr eine Neubildung von Gewebeelementen 
eintreten, die zur Ausfüllung der Lücke oder zum Aufbau verloren 
gegangener Teile verwendet werden. Diesen Wachstumsvorgängen 
gehen noch andere Veränderungen in dem verwundeten Teile voraus, 
von denen wir die Atmungssteigerung schon genannt haben. 

Außer ihr finden vielfach Umlagerungen der Zellbestandteile in 
den an die Verletzungsstelle stoßenden gesunden Zellen statt. Das 
Plasma häuft sich auf der Wundseite an und führt den Zellkern mit 
sich (Tangl 1884, Miehe 1901). In Blattzellen können auch die 
Chlorophylikörper eine veränderte Lagerung einnehmen (Literatur 
und eigene Untersuchungen bei Senn 1908). 

Ferner wird durch Verletzung vielfach die Plasmaströmung be- 
einflußt, und zwar wird das sonst ruhende oder ganz langsam strö- 
mende Protoplasma zunächst in der Nähe der Wunde in lebhafte 
Bewegung gesetzt. Diese Reaktion greift dann weiter und weiter 
um sich und kann bei stärkeren Eingriffen schließlich die ganze Pflanze 
umfassen (Hauptfleisch 1892, Ewart 1903, Kretzschmar 1904). 
Die Erscheinung wurde an Wasserpflanzen, wie Vallisneria, Elodea u. a. 
entdeckt und verfolgt. Doch dürfte sie auch bei vielen anderen Ge- 
wächsen in ähnlicher Weise auftreten. Da unverletzte Pflanzenteile 
fast nie mikroskopisch untersucht werden können, ist es schwer zu 
entscheiden, ob die einige Zeit nach der Präparation einsetzende leb- 
hafte Plasmaströmung durch die Verwundung zeitweilig gehemmt war 
oder durch sie erst hervorgerufen worden ist. Für Vallisneria und 
Elodea ist das letztere durch Keller (1890) und Hauptfleisch (1892) 
sichergestellt. Nach einiger Zeit, deren Länge von der Schwere der 
Verletzung abhängt, hört die Strömung wieder auf. 

Was ihre Bedeutung anbelangt, so liegt diese vielleicht in der 
besseren Durchmischung der Stoffe, die den sonst auf die langsame 
Diffusion angewiesenen Transport beschleunigen könnte. Die einer Ver- 
wundung folgende lebhafte Atem- und Bautätigkeit könnte eine solche 
Einrichtung als zweckmäßig erscheinen lassen. Denn offenbar muß 
als Reizwirkung der Verwundung auch ein reichliches Zuströmen von 
Baustoffen stattfinden, die dann zum Ersatz verloren gegangener 
Gewebeteile benützt werden. 

Die zuletzt besprochenen Veränderungen beobachtet man an 
verletzten Pflanzenteilen schon kurze Zeit nach dem Eingriff. Ihnen 
folgen dann die ersten Anfänge der eigentlichen Heilung, falls eine 
solche möglich ist. Sie geschieht durch Zellvermehrung, die in wenig 
differenzierten und in jungen Geweben leichter einsetzen kann als in 
einseitig spezialisierten. 

Sind alle Zellen noch teilungsfähig, so kann zuweilen an der Ampu- 
tationsstelle durch einfaches Auswachsen ein dem fortgenommenen genau 
entsprechender neuer Teil entstehen. Man spricht dann von echter 
Regeneration, wie sie z B. an Wurzelspitzen erfolgt. (Literatur 
z. B. bei Küster 1903, S. 9 und Goebel 1908, S. 211ff.). Besitzt der 
Pfilanzenteil aber neben teilungsfähigen auch solche Gewebe, die ihr 


Reizwirkungen mechanischer Verletzung. 247 


Wachstum abgeschlossen haben, wie das z. B. bei den verholzten 
Sprossen der Fall ist, so ist eine direkte Ergänzung des Verlorenen 
nicht möglich. Wir sehen dann meist eine von den noch wachstums- 
fähigen Zellen ausgehende Gewebewucherung, einen „Callus‘‘ entstehen, 
zu dessen Aufbau bei Stamm- und Stengelstücken das jugendlich 
gebliebene eigentliche Teilungsgewebe, das Cambium, den Hauptteil 
beiträgt. Aber auch die Rinde liefert vielfach Callusgewebe. 

Zu derartigen Neubildungen sind sehr viele ältere Pflanzenteile 
befähigt, Wurzeln, Stengel und Blätter. Natürlich wird bei sonst 
gleichen Umständen die Menge der gebildeten Zellmasse von der 
zur Verfügung stehenden Nahrungsmenge abhängen. Deshalb bilden 
die mit Reservestoffen vollgepfropften Keimblätter und die winterlichen 
Holzzweige besonders reichliche Wundgewebe. Doch spielt eine 
spezifische Befähigung zur Callusbildung, die bisher nicht weiter 
zerlest werden konnte, eine so große Rolle, daß sich schwer All- 
gemeines sagen läßt. Es gibt jedenfalls auch Pflanzen, die überhaupt 
keinen Callus bilden können. 

Die Ursache der Callusbildung ist die Freilegung von Zellen, die 
sonst im Gewebeverbande in ihrem Wachstum beschränkt sind. Welche 
speziellen Reizwirkungen aber vorliegen, ist schwer zu sagen. Daß 
es nicht die Beseitigung des Raummangels allein sein kann, die die 
Neubildung anregt, geht schon daraus hervor, daß sıch zuweilen auch 
die Epidermis an ihr beteiligt, die doch stets Platz zum Wachstum 
in die Dicke hätte. 

Die Callusgebilde an Querschnittsflächen von Zweigen stellen zu- 
nächst, da sie ja aus dem Cambium- und Rindenzylinder hervor- 
gehen, einen ringförmigen Wulst dar. Später können sie unter gün- 
stigen Umständen, zu denen Nahrungsüberfluß und Luftfeuchtigkeit 
gehören, zu rundlichen Körpern werden, die oft mit Warzen bedeckt 
sind. Innerlich sind sie ziemlich gleichförmig gebaut, jedenfalls 
zeigen sie lange nicht die Verschiedenheit der Zellformen wie ihr 
Ursprungsorgan. Es kann deshalb auch nicht direkt eine Ergänzung 
des verloren gegangenen Teiles in ihnen gesehen werden. Vielmehr 
müssen die zu ersetzenden Organe erst aus dem Callus heraus ent- 
stehen. Sie bilden sich vielfach als sog. Adventivsprosse oder 
-Wurzeln in der noch undifferenzierten Geschwulst. 

Damit kommen wir zu dem Ersatz der durch einen Eingriff 
entfernten Teile durch Entstehung entsprechender Organe an anderer 
Stelle. Solche Bildungen können entweder an vorgesehenen Orten, 
aus „schlafenden‘“ Knospen oder Wurzelanlagen entstehen oder durch 
„adventive‘‘ Differenzierung aus fremdartigem Gewebe. 

Im ersteren Falle wird durch die Verletzung nur die Veranlas- 
sung gegeben, daß Teile, die sonst gar nicht oder erst später zur 
Entwickelung kämen, auswachsen. Daß sie ohne besonderen Eingriff 
auf einer gewissen Stufe ihr Wachstum einstellen, beruht offenbar 
auf der Hemmung durch günstiger gestellte Organe, die die Nahrungs- 
stoffe an sich reißen. Ähnlich liegt die Sache bei den nach Ent- 


248 VI. Die Folgen mechanischer Reizung. 


fernung der Hauptwurzel schneller heranwachsenden Seitenwurzeln. 
Es ist also die Trennung des Zusammenhanges und nicht der Wund- 
reiz, der die Ersatzreaktion auslöst. Somit ist es auch zweifelhaft, 
ob hier überhaupt eine Reizwirkung oder nur eine „Ernährungs- 
störung‘“ vorliegt. 

In unmittelbarerem Zusammenhange mit unserem Thema stehen 
die Fälle, in denen die Seitenorgane nicht nur ihre Entwickelung 
beschleunigen, um die verloren gegangene Spitze des Verzweigungs- 
systemes zu ersetzen, sondern auch sonst ihr Verhalten ändern. Wir 
haben schon davon gesprochen, wie aus transversal geotropischen 
Seitenwurzeln und -Zweigen othotrope Ersatzorgane entstehen können. 
Doch ist es auch hier nicht gerade ein Wundreiz, der die Veränderung 
des Verhaltens bedingt; denn durch bloße Entwickelungshemmung 
der Spitze wird dieselbe Wirkung erzielt (vgl. S. 74, 76, 84). 

Bei Wurzeln jedoch kennen wir auch eine echte Reizwirkung 
mechanischer Verletzungen. Wie nämlich Ch. Darwin ([1880] 1899) 
fand, krümmen sich einseitig verwundete Wurzeln von der ver- 
letzten Seite fort. Man nennt diese Erscheinung Traumatropis- 
mus. Darwin benutzte in seinen Versuchen die einseitige 
Schädigung durch Ätzen mit Höllenstein oder dgl. Es kommt aber 
für die Wirkung nur auf die Abtötung von Zellen auf einer Seite der 
Wurzelspitze an, wie sie auch durch Einschneiden oder Ansengen 
bewirkt werden kann. Jedoch muß die Verletzung eine gewisse Tiefe 
erreichen. Die Wurzelhaube ist nicht empfindlich (Spalding 1894), 
sondern nur der Vegetationspunkt oder eine ihn umgebende Zell- 
schicht (Mac Dougal 1897). Die Nachwirkung der Verwundung kann 
ziemlich lange vorhalten. Spalding sah Krümmungen noch eine 
Woche nach der Verwundung auftreten, wenn die Wurzeln durch 
Eingipsen solange an der Reaktion verhindert worden waren. 

Nur die Spitze der Wurzel ist traumatropisch reizbar. Bei Lu- 
pinus albus z. B. bis zu 1,5 mm von der Spitze (Spalding 1894). 
Die Krümmung findet in der Wachstumszone statt.und kann nach 
1 bis 2 Tagen zur Bildung eines vollkommenen Kreises führen. Sie wird 
in der Natur die Wirkung haben, daß die fortwachsende Wurzel nach 
einer Verletzung an scharfkantigen Teilen im Boden sich von diesen 
abkehrt. (Ebenda.) Doch dürfte die Bedeutung der Einrichtung bei 
der Biegsamkeit der jungen Wurzel, die sich allen Unebenheiten an- 
schmiegt, nicht sehr groß sein. Eher könnten chemisch schädliche Stoffe, 
die die Wurzelspitze ähnlich wie Dar wins Höllenstein einseitig reizen, zu 
einem zweckmäßigen Ausweichen führen. Es läge dann eine Art von 
negativem CUhemotropismus vor, der aber erst durch die Abtötung 
von Zellen wirksam würde. Traumatropisch reizbar sind sehr viele 
Wurzeln, am deutlichsten nach Spalding die der Keimlinge, sowie 
gewisse Luftwurzeln. 

Eine echte Berührungsreizbarkeit scheint den Wurzeln abzugehen, 
oder doch wenigstens den in Erde wachsenden, denn es gibt ja auch 
Wurzelranken (vgl. S. 212). Darwin glaubte aus Versuchen, in denen 


Reizwirkungen mechanischer Verletzung. 249 


er Keimwurzeln einseitig Papierstückchen oder dgl. anklebte, auf 
einen Thigmotropismus schließen zu dürfen. Wiesner (1881) zeigte 
aber, daß auch dabei ein Fall von traumatischer Reizung vorliegt, 
hervorgerufen durch die Schädigung, die die Klebstoffe an der emp- 
findlichen Wurzelspitze bewirken. 

Mit der Besprechung der Wundreize haben wir uns schon von 
den sicher auf rein mechanische Einwirkung zurückzuführenden Er- 
scheinungen entfernt. Selbst beim Traumatropismus erscheint es als 
ungewiß, ob der Eingriff als solcher durch seine unmittelbare Wirkung 
auf das Protoplasma zum Reizanlaß wird oder ob nicht andere phy- 
sikalische oder chemische Veränderungen zwischengeschaltet sind. 
Noch mehr gilt das für die übrigen Wundreaktionen. Doch solange 
das unentschieden ist, können wir die traumatischen Reize bei den 
mechanischen lassen. Unsere Bezeichnungsweise kennzeichnet ja stets 
nur den äußeren Anlaß. An welcher Stelle der Ursachenverkettung 
der eigentliche physiologische Prozeß beginnt, das wissen wir ohne- 
hin in keinem einzigen Falle. 


VII. Reizwirkung stofflicher Einflüsse. 
a) Chemotropismus. 


Die ungleichmäßige Zusammensetzung des Mediums, in dem die 
Pflanzen vegetieren, wirkt in vielfacher Weise auf das Wachstum 
der wurzelartigen Organe ein. Da sie die Aufgabe haben, dem in die 
Luft ragenden Teile des Pflanzenkörpers Wasser- und Nahrungsstoffe 
zuzuführen, so werden sie ihrer Aufgabe um so besser genügen 
können, je günstiger die Aufnahmebedingungen für diese Substanzen 
liegen. Das gleiche gilt für die den Nährboden durchziehenden 
Pilzfäden. 

Machen sich nun Verschiedenheiten in der Zusammensetzung der 
Erde, der Pflanzenabfälle und was sonst als Substrat dient, geltend, 
so hat die Pflanze zwei Möglichkeiten, die in ihrem Bereich liegen- 
den Quellen wertvoller Stoffe vorzugsweise nutzbar zu machen und 
weniger günstigen Stellen auszuweichen. Sie kann nämlich einmal ihre 
den Untergrund durchziehenden Saugorgane ohne Bevorzugung einer 
bestimmten Richtung nach allen Seiten schicken, aber in günstigen 
Gebieten reichlicher verzweigen lassen. Oder sie kann von vornherein 
durch bestimmt gerichtetes Wachstum günstige Orte im Substrate 
aufsuchen. In beiden Fällen geben Reizwirkungen, die von den Stoffen 
im Untergrunde ausgehen, der Pflanze Kunde von den für ihre 
Wachstumsweise bedeutungsvollen Umständen. Für unsere Darstellung 
kommen aber, dem Thema gemäß, vorzugsweise die Richtungsreize 
in Betracht. 


Verhältnismäßig leicht ist nachzuweisen, daß Wurzeln die Fähig- 
keit besitzen, bestimmte Stellen im Boden aufzusuchen, daß sie also 
z. B. nach Nestern guter Erde in einem sandigen Grunde hinwachsen 
und dadurch von ihrer senkrechten Wachstumsrichtung abgelenkt 
werden (Abb. 87). Wohl den ersten derartigen Versuch hat C. Sprengel 
im ‚Jahre 1834 angestellt. Er ließ eine Pflanze in einem Gefäße 
wachsen, dessen unterer Teil durch senkrechte Scheidewände in ein- 
zelne Kammern abgeteilt war. Die Kammern enthielten verschieden 
gedüngte Erdproben. Die Zahl der in ihnen sich entwickelnden 
Wurzeln war sehr ungleich. Wiegmann und Polstorff (1842), 
denen ich diesen Bericht entnehme, haben ferner 1822 selbst be- 
obachtet, daß kalkliebende Pflanzen sich nach einem Kalkhaufen 
hinzogen. 


Chemotropismus. 251 


Welche Reize aber unter diesen Umständen wirksam sind, ist nicht 
eben einfach festzustellen. Jedenfalls kommen häufig Feuchtigkeits- 
differenzen mit in Betracht. Darüber später. Außerdem aber sind 
chemische Reize wirksam. Bei ihrem Studium ist die Schwierigkeit 


Abb. 87. 


Wurzeln von Raps, in einem aus unregelmäßigen Schichten von 

Erde und Sand zusammengesetzten Boden wachsend. Man sieht 

wie die schwarze Erde dem hellen Sande vorgezogen wird und 
ein besseres Wurzelwachstum gestattet. 


der Methodik ein großes Hemmnis. Sie hat bewirkt, daß das Gebiet 
bis heute noch wenig geklärt ist. 

Überlegen wir uns, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit 
ein chemischer Stoff als tropistisches Reizmittel wirken kann. Zu- 


252 VII. Reizwirkung stofllicher Einflüsse. 


nächst ist es klar, daß nur dann ein Richtungsreiz resultieren kann, 
wenn der Reizstofi ungleich verteilt ist, also in verschiedener Menge 
auf die Seiten eines Organes, hier der Wurzel, einwirkt. Ebenso wie 
das Licht kann auch ein chemischer Stoff bei diffuser, ringsherum 
gleichmäßiger Gegenwart keine Krümmung bewirken. Der Reizanlaß 
liest also in der ungleichen Verteilung des chemischen Reizmittels. 

Während aber das Licht im Experiment dauernd von einer 
Seite auf die Pflanze gelenkt werden kann, ist das bei chemischen 
Stoffen nur schwer zu erreichen. Denn um zu wirken, müssen die 
Substanzen in gelöster oder löslicher Form vorliegen. Unter diesen 
Umständen wird aber selbst bei der Ausschließung von Strömungen 
der ungleichmäßigen Verteilung die Diffussion dauernd entgegen- 
arbeiten. Jeder gasförmige oder gelöste Körper hat das Be- 
streben, sich über den gesamten zur Verfügung stehenden Raum 
auszubreiten, wodurch alle Konzentrationsdifferenzen früher oder 
später zunichte gemacht werden. Diese aber sind es gerade, die 
als Reize wirken. Man muß demnach für eine beständige Zufuhr 
des Reizstoffes auf der einen und Fortschaffung auf der anderen 
Seite sorgen. Dabei sollen womöglich keine gröberen Flüssigkeitsströme 
entstehen, weil solche ihrerseits als Reizursache in Betracht kommen 
können. Die gestellte theoretische Forderung eines dauernden kon- 
stanten Konzentrationsgefälles ist bisher wohl bei keiner Versuchs- 
anstellung verwirklicht. 

Will man gelöste Stoffe auf ihre Reizwirkung gegen Wurzeln 
untersuchen, so benutzt man mit Vorteil irgendwelche porösen und 
lockeren Substrate, die Wasser oder Lösungen aufnehmen und der 
Wurzel das Vordringen gestatten. Erde ist nicht brauchbar, weil sie 
selbst zu viel gelöste Substanzen enthält. Man nimmt also zweck- 
mäßig möglichst reinen Sand oder auch Gallerten. Bei den reinlicheren 
Wasserkulturen sind die Strömungen und die mangelhafte Durch- 
lüftung zu berücksichtigen. 

Man kann nun in ähnlicher Weise, wie das in der obigen Ab- 
bildung (87) zu ersehen ist, zwei Sandschichten, von denen die eine nur 
Wasser, die andere die zu prüfende Lösung enthält, nebeneinander 
bringen und der Wurzel die Wahl zwischen beiden lassen. Natürlich 
wird aber dabei das Konzentrationsgefälle nicht exakt zu bestimmen 
sein, da die Diffusion die Differenzen allmählich verwischt. 

Lilienfeld (1906) hat derartige Versuche angestellt. Er über- 
trug die gerade gewachsenen Wurzeln entweder in Gelatine oder 
in Sand, die reines Wasser enthielten, an einer Seite aber an 
eine Sand- oder Gelatineschicht anstießen, welche mit der Ver- 
suchslösung angemacht war. Es ergaben sich Krümmungen in der 
einen oder anderen Richtung oder auch gar keine Beeinflussung des 
Wachstums. Nähert sich die Spitze der Wurzel dem Reizstoffe, so 
spricht man von positiver Reaktion, im entgegengesetzten Falle von 
negativer, So verhielten sich in den Versuchen von Lilienfeld die 
Keimwurzeln von Lupinus albus (weiße Lupine) negativ chemotropisch 


Chemotropismus. 253 


gegen einprozentige Lösung von Ammoniumchlorid; gar nicht reagierten 
sie auf einhalbprozentige. Ebenso wirkte Ammoniumnitrat und Na- 
triumchlorid. Positive Reaktion wurde erzielt durch Ammoniumsulfat, 
Ammoniumcarbonat, Ammoniumphosphat. Gar keine Wirkung hatte 
bei den geprüften Konzentrationen z. B. Kalziumkarbonat und 
Magnesiumkarbonat. Die zahlreichen Versuche sind in einer Tabelle 
zusammengestellt (Lilienfeld 1906 S. 209 ff.). Irgendwelche Gesetz- 
mäßigkeiten lassen sich kaum daraus entnehmen. 

Lilienfelds Versuche sind insofern noch mangelhaft als sie mehr 
in die Breite als in die Tiefe gehen. Man vermißt vor allem die Be- 
rücksichtigung der physikalisch-chemischen Betrachtungsweise. So ist 
nicht untersucht worden, ob die bei Säuren von nicht tötlicher Kon- 
zentration regelmäßig auftretenden negativen Reaktionen auf der Säure- 
wirkung, d.h. H-Jonenkonzentration beruhen. Ebensowenig ist die Frage 
aufgestellt, ob nicht die Salze auch durch ihre osmotische Kraft, d.h. 
durch Wasserentziehung, wirken können. Schließlich vermißt man 
die Berücksichtigung der Tatsache, daß verdünnte Salzlösungen 
mindestens zum Teil in Jonen gespalten sind, die nun getrennt Reiz- 
wirkungen auszuüben vermögen. All das wäre einer neuen Unter- 
suchung zu empfehlen. 

Mit Wurzeln, die im Wasser wuchsen, hat Sammet (1905) einige 
Versuche angestellt. Er ließ aus einer porösen Tonzelle Lösungen von 
Alkohol, Äther, Chlornatrium, Kaliumnitrat, Rohrzucker, Essigsäure, 
Glyzerin oder eine gesättigte Kampherlösung herausdiffundieren. 
Auch Gips wurde versucht. Die Regelmäßigkeit der Resultate über- 
rascht. Alle geprüften Stoffe riefen eine positive Krümmung hervor, 
die bei manchen in eine negative überging, wenn höhere Konzen- 
trationen verwendet wurden. Unwirksame Stoffe wurden unter den 
verwendeten nicht gefunden. Die Wirkung trat unabhängig von dem 
osmotischen Druck der Lösung auf, so daß eine echte chemische 
Reizwirkung vorzuliegen scheint. Die Resultate bedürfen aber der 
Nachprüfung. 

Einige weitere Arbeiten (Brunchhorst 1884, Schellenberg 1906, 
Gaßner 1906) befassen sich mit der ‚‚galvanotropischen‘‘ Reaktion 
der in Flüssigkeit wachsenden Wurzel gegen elektrische Ströme, die 
schon 1882 von Elfving entdeckt worden war. Es. treten vielfach 
Krümmungen auf, die wohl zum größten Teil auf chemischen Wir- 
kungen beruhen. Die Verhältnisse sind aber noch viel komplizierter 
als in den oben geschilderten Versuchen, da die in den einzelnen 
Versuchen vorsichgehenden chemisch -physikalischen Veränderungen 
durch den elektrischen Strom unbekannt sind. Die Deutungen der 
Verfasser sind demnach noch stark hypothetisch. 

Die durch starke elektrische Ströme bewirkten Krümmungen 
nach der positiven Elektrode sind zweifellos vielfach durch Schädi- 
gungen bedingt, die auf dieser Seite das Wachstum aufheben 
(Gaßner 8. 184, Schellenberg S. 487). Durch schwächere Ströme 
werden entgegengesetzte Krümmungen erzielt, die typische Reiz- 


254 VII, Reizwirkung stofllicher Einflüsse. 


reaktionen darstellen (Gaßner S. 186, Schellenberg S. 487). Außer- 
dem fand Schellenberg noch Krümmungen nach dem positiven Pol, 
die nicht durch Schädigungen hervorgerufen waren, sondern dann auf- 
traten, wenn sich die Wurzeln in einer Salzlösung von nicht zu ge- 
ringer Konzentration befanden. Ein Strom von 6 Volt und 0,0001 
bis 0,0000001 Amp. bewirkte z. B. in einer Chorkaliumlösung bis 
etwa 0,1°/, Krümmung nach der Anode, bei 0,2—0,4°/, gleichviele 
Anoden- und Kathodenkrümmungen und von 1°/, ab nur noch Katho- 
denkrümmungen. Diese Umkehr trat bei allen geprüften Salzen auf. 
Schellenberg führt die galvanotropischen ebenso wie die chemotro- 
pischen Krümmungen auf elektrische Ströme und 
die damit verbundene Jonenwanderung zurück. Zur 
Klarlegung der Verhältnisse fehlt noch viel. Gaßner 
glaubt z. B. alle galvanotropischen Krümmungen 
durch Schädigungen erklären zu können. Wäh- 
rend aber die starken Ströme, wie gesagt, durch 
direkten Einfluß auf das Wachstum Krümmungen 
nach der positiven Elektrode bewirken, sollen die 
bei schwächeren Strömen beobachteten negativen 
Reaktionen einer durch die Schädigung bewirkten 
Reizung zuzuschreiben sein, wie sie als Traumatro- 
pismus auch bei mechanischen Verletzungen be- 
kannt ist. (Vgl. S. 248). 

In den bisher besprochenen Versuchen wurden 
gelöste Salze und dergleichen auf ihr chemotro- 
pisches Reizvermögen gegen Wurzeln untersucht. 
Nur äußerlich verschieden hiervon sind diejenigen 
Experimente, in denen einseitig einwirkende Gase 
Krümmungen bewirkten. Denn selbst dann, wenn 
die Wurzeln sich nicht in Wasser, sondern in Erde 
oder Luft befanden, müssen die geprüften Stoffe 
PER N irgendwie die Zusammensetzung der die Pflanze 
sucht geotropisch ins durchsetzenden Flüssigkeit verändern, um einen 
Nasen dem Reiz auf das Plasma auszuüben. 
ee Molisch (1884) war es, der es als erster wahr- 
geotropisch. Verklein. Scheinlich machte, daß Differenzen im Luftgehalt 

des Wassers die Wachstumsrichtung von Keim- 
wurzeln beeinflussen können. Er nennt die Erscheinung A&rotropis- 
mus (Luftwendigkeit). Läßt man gerade Wurzeln, z. B. von Pisum 
(Erbse), mit ihrer Spitze in Wasser hinunter wachsen, so weichen sie 
bald von der durch den Geotropismus bedingten vertikalen Richtung 
ab und krümmen sich zur Oberfläche empor. (Abb. 88). Molisch führt 
diese Reaktion auf eine Reizwirkung des höheren Sauerstofigehaltes 
der oberen Wasserschichten zurück. Die Natur des Reizstoffes ist 
aber aus solchen Versuchen nicht sicher zu entnehmen. Es könnte 
die durch die Atmung der Wurzeln angesammelte Kohlensäure eine 
negativ chemotropische Reaktion bewirkt haben. 


Abb. 88. 


Chemotropismus, 255 


Diese Fragen werden auch durch die Bestätigung und Ver- 
besserung der geschilderten Molischschen Versuche, die wir Ewart 
(1893—94) verdanken, nicht völlig aus der Welt geschafft. Dieser 
Forscher benutzte Wasser, das durch Kochen von Gasen befreit war 
und bekam nun die ‚„a@rotropischen‘“ Krümmungen sehr viel präziser. 
Wurde jedoch das Wasser künstlich durchlüftet, so wuchsen die 
Wurzeln normal abwärts. Entsprechende Resultate erhielt Polowzow 
(1909) in Erde, aus der die Luft durch einen Wasserstoff- oder 
Stickstofistrom ausgetrieben war, wenn durch eine kleine Öffnung 
seitlich Luft eindringen konnte. Diese Erfahrungen machen es 
wahrscheinlich, daß wirklich der Sauerstoff das Reizmittel darstellt. 
Molisch versuchte auch durch einseitige Gasströme Krümmungen 
von Wurzeln zu erzielen. Er bekam positive Reaktionen, die später 
in negative übergingen. Nach Bennett (1904) war dabei ungleiche 
Luftfeuchtigkeit, die eine Reizung bedingt haben kann, nicht ver- 
mieden. Diese Autorin konnte in keinem ihrer mannigfach variierten 
Versuche a@rotropische Reaktionen an Wurzeln feststellen, ob sie nun 
Luft von verschiedenen Sauerstoffgehalte, Kohlensäure oder Wasser- 
stoff einseitig einwirken ließ. 

Schließlich hat Sammet (1905), in Versuchen mit Erde gleich- 
falls Wurzeln sich nach besser durchlüfteten Stellen hinkrümmen 
sehen. Trotz allem diesem fehlen noch ausführlichere Untersuchungen 
über den Einfluß von Differenzen im Sauerstofigehalt des Mediums 
bei verschieden hohen absoluten Konzentrationen. Den Einfluß ein- 
seitiger Erhöhung des Sauerstofigehaltes hat gleichfalls Molisch (1884) 
untersucht. Er fand ein Wegkrümmen der Wurzeln von reinem 
Sauerstoff. Sammet behauptet dagegen stets positive Reaktionen 
erhalten zu haben. Während also einige Forscher in recht über- 
zeugender Weise für das Vorhandensein eines A&rotropismus bei den 
Wurzeln eintreten, sprechen andere ihnen dieses Vermögen gänzlich 
ab. Die mannigfachen Differenzen dürften wohl der Mangelhaftigkeit 
der Methoden, vielleicht auch der Verschiedenheit der Objekte zu- 
zuschreiben sein. 

Während die genannten Autoren eine große Diffusionsfläche be- 
nutzten, z. B. einen offenen Schlitz, ausgespannten Seidenstoff usw. 
wählte Polowzow ein dünnes poröses Tonrohr, welches von dem 
zu prüfenden Gas mit einer bestimmten Geschwindigkeit durch- 
strömt wurde. Aus dem Tonrohr diffundierte eine dem Druck ent- 
sprechende kleine Menge Gas heraus und bespülte das zu reizende 
pflanzliche Objekt, das sich im übrigen in Luft befand, an einer eng 
umgrenzten Stelle. Dabei wurde sicherlich das Diffusionsgefälle 
wesentlich länger konstant gehalten als in den früheren Versuchen, 
besonders da die mit dem Reizgase vermengte Luft dauernd er- 
neuert wurde. 

Um ein natürliches Medium verwenden zu können, wurden nicht 
Wurzeln, sondern Sprosse, und zwar meist Keimstengel von Sonnen- 
rosen, verwendet. Die Beobachtungsmethode wurde durch Verwen- 


256 VII. Reizwirkung stofilicher Einflüsse. 


dung eines Mikroskopes verfeinert, aber gleichzeitig dadurch die Zahl 
der Versuchsobjekte herabgesetzt. Bei Verwendung von Sauerstoff 
wurde eine positive Reaktion gegen schwache Diffusionsströme, eine 
negative gegen stärkere beobachtet. Entsprechende Resultate werden 
sehr häufig bei chemischen Reizen erzielt und erinnern uns an die Um- 
kehr der phototropischen Reaktion durch Verstärkung der Belichtung. 

Viel ausführlicher als mit der Reizwirkung des Sauerstoffes hat 
sich Polowzow mit der der Kohlensäure beschäftigt. Die Versuchs- 
bedingungen sind hierbei günstiger, weil Kohlensäure in sehr viel 
geringerer Menge in der atmosphärischen Luft enthalten ist. Schon 
früher hatten Molisch und Sammet (a. a. O.) Repulsion von Wurzeln 
durch Kohlensäure. letzterer bei geringerer Konzentration auch An- 
lockung beobachtet. Entsprechend fielen die Versuche von Polowzow 
mit Stengeln aus. Es fand sich, daß Diffusionsströme geringer 
Intensität im Anfang ihrer Wirkung positive, später aber negative 
Reaktion bewirken. Ferner, daß starke Ströme, falls sie zeitlich 
unterbrochen, also intermittierend appliziert werden, denselben Effekt 
geben wie schwache. 

In den letzterwähnten Befunden haben wir wiederum eine weit- 
gehende Analogie zu den Erscheinungen des Phototropismus (vgl. 
S. 165). Denn auch dort wurde durch starkes Licht, falls es kurz 
einwirkte, nicht negative, sondern positive Reaktion bewirkt und 
hatten intermittierende Reize einen geringeren Reizeffekt als ihrer 
absoluten Intensität entsprach. Freilich fand Polowzow niemals bei 
Dauerströmen eine bleibende positive Reaktion. Wahrscheinlich wäre 
aber, ebenso wie bei den vorübergehenden und den periodisch unter- 
brochenen Reizen, auch bei den dauernden die Umkehr zu ‚negativer 
Reaktion ausgeblieben, wenn noch schwächere Diffusionsströme ver- 
wendet worden wären. Schließlich wäre noch zu untersuchen, ob die 
Analogie mit dem Phototropismus auch soweit geht, daß nicht zu starke 
negative Krümmungen bei längerer Einwirkung wieder zurückgehen 
oder in positive umschlagen. Manche Erfahrungen mit chemischen 
Reizen, über die noch berichtet werden soll, sprechen dafür, daß 
hier, wie bei Lichtreizen eine allmähliche ‚Gewöhnung‘‘, d.h. Stim- 
mungserhöhung eintritt. Diese Fragen ließen sich wohl mit der 
Polowzowschen Methodik in Angriff nehmen. 

Was den Ort der Reizaufnahme und der Krümmung betrifft, 
so ließ sich zeigen, daß beide ein ganzes Stück voneinander entfernt 
liegen können. Die Reaktion erfolgte in der Zone maximalen Wachs- 
tums. Wurde der Gasstrom etwa l cm tiefer gegen den Stengel ge- 
leitet, so erfolgte eine Leitung nach oben. Dies ist bisher der einzige 
Fall, daß ein tropistischer Reiz in Stengeln spitzenwärts geleitet 
wird. Nur beim Chemotropismus der Droseratentakeln (vgl. S. 237/38) 
kennen wir etwas entsprechendes. Zu bemerken wäre noch, daß 
nicht alle geprüften Objekte in den Polowzowschen Versuchen sich 
als chemotropisch gegen Gase erwiesen. So waren Graskeimlinge 
stets indifferent, Phycomyces dagegen reagierte gut. 


Chemotropismus. 257 


Von anderen Gasen hat Polowzow noch Stickstoff und Wasser- 
stoff auf ihre Reizwirkung geprüft. Beiden gegenüber erwiesen sich 
die Versuchssprosse indifferent. Dagegen haben schon Molisch (1884) 
und Sammet (1905) mit Erfolg eine ganze Anzahl anderer gasförmiger 
Stoffe sowie Dämpfe von Alkohol, Äther, Aceton, Ammoniak usw. ver- 
wendet. Letzterer fand durchwegs bei Verdünnungen, die nicht mehr. 
tödlich wirkten, positive Krümmungen der verwendeten Wurzeln. Es 
erscheint aber zweifelhaft, ob sie nicht vielleicht auf Wachstumsver- 
minderung der gereizten Flanke durch geringe Schädigung beruhen, da 
auch der Autor angibt, daß viele Wurzeln nachher krank aussahen. Für 
diese Annahme spricht ferner das Ausbleiben negativer Krümmungen. 
An Sprossen dagegen erzielte Sammet durch flüchtige Stoffe wie Äther, 
Alkohol u. dgl. durch nicht tödliche Verdünnungen negative Reak- 
tionen. Auch Keimscheiden von Hafer und Weizen verhielten 
sich so. 

Im ganzen können wir sagen, daß, abgesehen von den schäd- 
lichen Stoffen, von den untersuchten Gasen die für die Pflanze be- 
bedeutungsvollen, nämlich Sauerstoff und Kohlensäure, eine Reiz- 
wirkung ausüben, daß dagegen der Stickstoff, der immer gleichmäßig 
vorhanden ist, und der Wasserstoff, der in der freien Luft nicht 
auftritt, keine Anpassung bewirkt haben. Schwer dürfte es aller- 
dings sein, eine ökologische Erklärung für die Einzelheiten der Reiz- 
wirkung, z. B. dafür zu geben, warum Kohlensäure in geringer 
Konzentration auch anlocken kann. Vielleicht liegt es im Wesen 
der chemischen Reizwirkung, daß Stoffe, die überhaupt einen Effekt 
ausüben, je nach der Konzentration positive oder negative Reaktion 
auslösen. 


Von den Organen der höheren Pflanze sind Blätter und Blüten- 
teile niemals auf chemische Reizbarkeit untersucht worden. Nur die 
Tentakeln von Drosera reagieren, wie wir gehört haben, chemotro- 
pisch. Bei den Wurzelhaaren ließ sich eine Ablenkung durch irgend- 
welche Stoffe nicht konstatieren. Dagegen sind die Pollenschläuche 
wiederholt und mit Erfolg zu derartigen Versuchen herangezogen 
worden. 

Der auf die Narbe übertragene Blütenstaub hat die Aufgabe, 
die Eizellen zu befruchten. Es muß also der männliche Sexualkern 
in den Fruchtknoten und die Samenanlagen gelangen. Zu dem 
Zwecke sendet jedes Pollehkorn einen Keimschlauch aus, der im 
Griffel entlang und bis zur Eizelle vordringt. 

Nachdem Strasburger (1886) die Vermutung ausgesprochen hatte, 
daß der Pollenschlauch auf seinem Wege durch chemische Reize ge- 
lenkt werde, gelang es Molisch (1889) und Correns (1889) diese An- 
nahme sehr wahrscheinlich zu machen. Molisch fand, daß in Wasser 
auskeimende Pollenschläuche nach einer im Präparat vorhandenen 
Narbe hinwuchsen. Dieselbe Wirkung hatten Stengelfragmente, sowie 
auch durch Erhitzen getötete Gewebestückchen. Correns bestätigte 


Pringsheim, Reizbewegungen. 17 


258 VII. Reizwirkung stofflicher Einflüsse. 


diese Resultate und zeigte noch, daß auch Teile artfremder Pflanzen 
Pollenschläuche anlocken. Demnach müssen die Reizstoffe weitver- 
breitet sein. Keinesfalls können bei jeder Pflanzenart spezifische 
Verbindungen vorliegen, was auch der Tatsache widersprechen würde, 
daß Pollen vielfach auf art- und selbst gattungsverschiedenen Narben 
auskeimt und in den Griffel hineinwächst, ja befruchtend wirkt. 

Genauere Untersuchungen über den Chemotropismus der Pollen- 
schläuche verdanken wir Miyoshi (1894a u. b).. Dieser Forscher 
arbeitete Methoden aus, um ein Konzentrationsgefälle bestimmter Reiz- 
stoffe zu erzielen und so eine Richtungsbeeinflussung an in Flüssigkeit 
wachsenden Pollenschläuchen hervorzurufen. Durch feine Poren in 
verschiedenen Membranen ließ er den zu untersuchenden Stoff heraus 
diffundieren, der so die in der Nähe wachsende Schläuche einseitig 
treffen konnte. Es wurden z. B. Blätter verwendet, deren Luft- 
räume mit der Flüssigkeit injiziert waren. Als Poren dienten dann 
die Spaltöffnungen in der Oberhaut des Blattes. Oder es wurde ein 
Glimmerplättchen, eine Collodiumhaut u. dgl. mit einer feinen Nadel- 
spitze durchbohrt und mit einer Schicht Agar- oder Gelatinegallerte 
versehen, die den Reizstoff enthielt. Die Pollenkörner wurden dann 
entweder unmittelbar auf die durchlochte Membran oder in eine 
zweite, aber nur mit Wasser angemachte Gallertschicht gesät. 

Es zeigte sich nun, daß die Pollenschläuche vielfach nach den 
Öffnungen hinwuchsen und in das den Reizstoff enthaltende Medium 
eindrangen. Als anlockend erwiesen sich in Miyoshis Versuchen die 
verschiedenen Zuckerarten, vor allem Rohrzucker, Traubenzucker 
und Dextrin, weniger Lävulose und Laktose, fast gar nicht Maltose. 
Bei Pollenschläuchen vom Fingerhut (Digitalis purpurea und grandi- 
flora) war die chemotropische Reaktion sehr ausgeprägt gegen 4 bis 
10°/,tige Rohrzuckerlösungen. Bei 0,25°/, ließ die Wirkung merk- 
lich nach, bei 0,1°/, unterblieb sie ganz. Eine 15°/,ige Lösung war 
für die Anlockung zu stark. Von anderen Stoffen wurde noch 
Fleischextrakt, Pepton, Asparagin, Glyzerin, Gummi arabicum, ohne 
positives Resultat untersucht. Alkalien, Säuren und verschiedene 
Salze erwiesen sich als abstoßend. 

Es wurde auch versucht, Aufschluß darüber zu erhalten, wie 
stark das Konzentrationsgefälle sein muß, damit eine Reizung statt- 
findet. Zu diesem Zwecke mußten die Konzentrationen auf beiden 
Seiten des zu reizenden Pollenschlauches konstant erhalten werden. 
Das ließ sich erreichen, wenn ein durchlochtes Kollodiumhäutchen 
zwischen zwei Fließpapierstreifen gelegt wurde, durch die verschieden 
konzentrierte Zuckerlösung floß. Die Pollenkörner wurden auf der 
Seite der schwächeren Lösung ausgesät. War die Konzentration 
auf der einen Seite 0,5°/,, so genügten 1 und 2°/, auf der anderen 
Seite nicht, um eine Ablenkung zu erzielen, wohl aber 2,5% AaeBeı 
1°/, auf der einen Seite, mußten 5°/, auf der anderen angewendet 
werden, bei 2°/, dagegen 10°/,. Es zeigte sich demnach, daß die 
eine Lösung fünfmal so stark sein muß als die andere, damit eine 


Chemotropismus. 259 


chemotropische Krümmung ausgelöst wird. Höhere Verhältnisse 
waren noch wirksamer. Nicht die Differenz zwischen den beiden 
Lösungen, sondern ihr Verhältnis war maßgebend. Dieses Gesetz 
gilt für chemische und wahrscheinlich auch für andere Reize in 
der Pflanzenwelt allgemein; es ist in der menschlichen Physiologie 
als das Weber-Fechnersche Gesetz bekannt. Über seine erste 
Entdeckung bei Pflanzen durch Pfeffer werden wir unten noch zu 
berichten haben. 

Miyoshi gelang es nicht, andere Reizstoffe für den Chemotro- 
pismus der Pollenschläuche zu finden als die Zuckerarten. Doch 
hatte er Anzeichen, daß solche existieren müssen. Wie wir eben ge- 
sehen haben, muß eine Reizquelle die Umgebung um ein vielfaches 
an Konzentration übertreffen, um anlockend zu wirken. Nun krümm- 
ten sich aber Pollenschläuche auch dann nach Samenknospen hin, 
wenn sie in hochkonzentrierten Zuckerlösungen lagen. 

Lidforss (1899) zeigte dann, daß früher nicht in Betracht ge- 
zogene Stoffe als Reizmittel wirken, nämlich hochmolekulare Eiweiß- 
körper oder Proteinstoffe. Da viele Pollenkörner auf künstlichen 
Substraten überhaupt nur dann keimen, wenn diese eine gewisse, 
von Art zu Art verschiedene Menge von Zucker enthalten, ließ sich 
der Chemotropismus gegen diesen Stoff nicht immer nachweisen. 
Anders ist das mit den Eiweißkörpern als Reizstoffen. Diese konnten 
in kleinen Partikelchen direkt auf das Keimbett, bestehend aus 
Zuckeragar, gebracht werden und diffundierten, ihrem großen Molekül 
entsprechend, langsam von da nach allen Seiten. So konnte bei 
allen unter den Versuchsbedingungen wachsenden Pollenschläuchen 
eine Anlockung durch Proteine beobachtet werden (Abb. 89). Als 
besonders wirksam zeigte sich dabei ein eiweißreiches Präparat, 
„Diastase aus Malz‘, aber auch viele andere untersuchte Proteinstoffe, 
falls sie nicht giftig für die Pollenschläuche waren. Hohe Konzen- 
trationen konnten auch negative Reaktionen auslösen, so daß die 
Nähe des Eiweißstückchens gemieden wurde. Alle Eiweißspaltungs- 
produkte erwiesen sich als unwirksam. 

Neben der anlockenden hatten die untersuchten Eiweißkörper 
noch eine wachstumsfördernde Wirkung, was sich besonders dann 
bemerkbar machte, wenn die Zuckerkonzentration nicht die best- 
mögliche für die betreffende Art war. Den Proteinen kommt also 
vielleicht auch ein Nahrungswert zu. Bei langen Pollenschläuchen 
ist eine Ernährung von seiten der Griffelzellen durchaus wahr- 
scheinlich. 

Um uns ein deutliches Bild von der Art zu machen, wie die 
Pollenschläuche ihren Weg zu den Eizellen finden, müssen wir uns 
noch einige weitere Tatsachen aus der Biologie des Pollens ver- 
gegenwärtigen. Unter natürlichen Umständen keimt das Blüten- 
staubkorn auf den klebrig-feuchten Papillen der Narbe. Von da 
wächst der Pollenschlauch in die Lufträume des lockeren Griffel- 
gewebes hinab, ohne sich aber von der festen Oberfläche zu ent- 

17* 


260 VII. Reizwirkung stofflicher Einflüsse. 


fernen. In der Fruchtknotenhöhle angelangt, schmiegt er sich der 
Wand an und findet schließlich seinen Weg in die Mikropyle, die 
empfangsbereite Öffnung der jungen, befruchtungsfähigen Samenanlage. 

Von Reizbarkeiten, die zur Orientierung dienen können, stehen 
den Pollenschläuchen neben der chemotropischen Anlockung durch 
Kohlehydrate und Proteinstoffe noch ihre Fähigkeit zur Verfügung, 
sauerstoffarme (Molisch 1893) und feuchte Stellen (Miyoshi 1894b) 


Abb. 89. 


Pollenschläuche von Vallota purpurea auf Gelatine mit 3°/, Rohrzucker wachsend, 
angelockt durch ein Klümpchen Diastase (der schwarze Fleck in der Mitte). 
Nach Lidforss 1909. Vergrößert. 


aufzusuchen. Wichtiger als die letztgenannten Orientierungsreize 
dürfte die mechanische Lenkung durch die langgestreckten Kanäle 
des Griffelgewebes sein. Wenn wir uns nämlich dächten, daß die 
Richtung, die der Pollenschlauch nimmt, allein durch die Diffusion 
eines von der Samenknospe ausgeschiedenen Stoffes zustande käme, 
so müßte das Konzentrationsgefälle überall groß genug sein, um die 
Lenkung zu bewirken. Das würde, besonders bei langen Grifteln, 
eine außerordentlich hohe Konzentration des Reizstoffes an der 
Diffusionsquelle erfordern. Denn, wie wir gesehen haben, müssen 


Chemotropismus. 261 


mit steigender absoluter Konzentration auch die Differenzen steigen, 
um eine Richtungsbewegung zu bewirken. Nun fand aber schon 
Miyoshi (1894b, S. 77), daß die anlockende Wirkung durch kleine 
Stücke des Griffels von der Narbe nach abwärts abnimmt, um 
später wieder zuzunehmen. Daher dürfen wir annehmen, daß das 
Wachstum der Pollenschläuche streckenweise nur gezwungen in der 
eingeschlagenen Richtung weitergeht. Dafür sprechen auch Versuche 
von Miyoshi (1894b, S. 88), dem es gelang, Pollenschläuche in ver- 
kehrter Richtung durch den Griffelkanal wachsen zu lassen. Durch 
das passive Vordringen nach der Samenknospe zu kann der Schlauch 
in eine neue Diffusionssphäre geraten, in der er dann zur Eizelle 
geleitet wird. In welcher Weise sich etwa Zucker und Eiweißstoffe 
in ihrer Wirkung ergänzen, darüber ist noch nichts bekannt. Es 
scheint aber, daß alle Pollenschläuche auf beide reagieren. 


Ähnliche tropistische Wachstumsbewegungen auf chemische Reize, 
wie wir sie bei den Wurzeln und Pollenschläuchen gesehen haben, 
sind auch bei Algen und Pilzen zu erwarten. Sichergestellt sind 
jedoch verhältnismäßig wenig Tatsachen, viel zu wenige um die Be- 
deutung des Chemotropismus für niedere Pflanzen einigermaßen über- 
sehen zu können. 

Schon 1881 sprach de Bary die Idee aus, ob nicht bei der Be- 
fruchtung gewisser Pilze die männlichen Äste durch chemische Reiz- 
barkeit geleitet würden. (Literatur für das folgende z. B. bei Fulton 
1906.) Zwei Jahre später wurden von Pfeffer (1884) Beobachtungen 
gemacht, die für einen Chemotropismus der Keimschläuche von 
Wasserpilzen (Saprolegnien) sprachen. Und im gleichen Jahre ver- 
zeichnete Kihlmann (1883) Anlockung von parasitischen Pilzen durch 
die Wirtspflanzen. Ähnliche Beobachtungen sind in der Literatur der 
folgenden Zeit häufig. Als aber Stange (1890) seine Aufmerksamkeit 
dieser Frage zuwandte, konnte er im Experiment zwar eine reich- 
lichere Verzweigung von Pilzhyphen an Stellen höherer Nährstoff- 
konzentration nachweisen, aber keinen Chemotropismus. Auch die 
Beobachtungen von Reinhardt (1892) über die Richtungsbeeinflußung 
verschiedener Pilze durcheinander schufen noch keinen sicheren Boden 
für weitere Forschung. 

Erst Miyoshi (1594a) machte den Chemotropismus der Pilze zum 
Gegenstande eingehender Studien. Die Methoden waren dieselben, 
die oben bei den Pollenschläuchen besprochen wurden. Es wurden 
verschiedene ‚Schimmelpilze‘‘ (Mucorarten, Penicillium, Aspergillus 
sowie Saprolegnien) als Versuchsobjekte benutzt. Als anlockend für die 
aus den Sporen auskeimenden Schläuche erwiesen sich z. B. Fleisch- 
extrakt, Pflaumenabkochung, Dextrin, Rohrzucker, Traubenzucker usw. 

Für die Saprolegnien, die häufig auf ins Wasser gefallenen 
Insektenleichen vorkommen, waren die aus einem Fliegenbein heraus- 
diffundierenden Stoffe geeignete Reizmittel. Bei den schnell wachsen- 
den Schläuchen dieser Pilze konnte auch eine von Pfeffer er- 


262 VII. Reizwirkung stofllicher Einflüsse. 


dachte Methode angewendet werden, bei der eine Lösung des zu 
prüfenden Stoffes in feine, einseitig geschlossene Glasröhrchen gefüllt 
wird. Werden diese mit ihrer Öffnung in den Kulturtropfen ge- 
schoben, so diffundiert der Reizstoff heraus. Er konnte so auf die 
in der Nähe wachsenden Pilzfäden einseitig einwirken. Dabei wurde 
oft ein Eindringen der wachsenden Fäden in die Öffnung beobachtet. 
Für langsamer wachsende Pilze ist diese Methode nicht anwendbar, 
weil sich das Diffusionsgefälle zu schnell wieder ausgleicht. 

Für den Grad und die Richtung der Krümmung erwies sich in 
Miyoshis Versuchen vielfach die Konzentration des Reizstoffes als 
maßgebend. Bei einer mittleren Stärke der Lösung war die An- 
lockung am ausgeprägtesten. Doch waren die geringsten noch wirk- 
samen Konzentrationen, also die Schwellenwerte, im allgemeinen 
sehr niedrig. Bei Mucor stolonifer hatte Traubenzucker in einer 
Konzentration von 0,01°/, schon eine, wenn auch nicht starke 
Wirkung, 0,05°/, wirkten gut, am besten 2—5°/,; bei 30°/, 
war die Wirkung wiederum schwach und bei 50°/, konnte kaum 
mehr positive Reaktion konstatiert werden. 

Für alle untersuchten Schimmelpilze war Zucker ein stark an- 
lockender Stoff. Auch sonst verhielt sich diese biologische (aber 
nicht systematische) Organismengruppe ziemlich einheitlich in Bezug auf 
ihre chemische Reizbarkeit. Dagegen wich Saprolegnia in verschiedenen 
Beziehungen ab, z. B. dadurch, daß Zucker sich als sehr mäßiger 
Reizstoff erwies. Es entspricht das ganz gut den Ernährungsver- 
hältnissen der verschiedenen Pilze. Eine breitere Bearbeitung der 
chemischen Reizbarkeit verschiedener Organismen mit Berücksichtigung 
ihrer Lebensweise würde sicherlich weitere interessante Beziehungen 
aufdecken. 

Jedoch darf man nicht etwa den Schluß ziehen, daß die an- 
lockende Wirkung durchaus der Nährwirkung entspräche. Vielmehr 
können Stoffe gute Chemotropika sein, obgleich sie kaum Nährwert 
haben und umgekehrt. Das zeigte sich bei der Prüfung einer größeren 
Anzahl verschiedener chemischer Verbindungen. Glyzerin und Mag- 
nesiumsulfat z. B., die als geeignete Zusätze für Pilznährlösungen 
bekannt sind, erwiesen sich als nicht anlockend. Von Salzen war 
besonders Ammoniumphosphat ein gutes Reizmittel, sonst auch 
Fleischextrakt, vielleicht infolge seines Gehaltes an diesem Salze. 
Saprolegniafäden wurden z. B. schon durch 0,005 prozentige Lösung 
von Fleischextrakt angelockt, die stärkste Wirkung übten 2—-10 pro- 
zentige Lösungen aus, 20 prozentige waren wieder schlechter. 

Beim Zucker wie beim Fleischextrakt haben wir die geringe 
chemotropische Wirkung starker Lösungen solcher Stoffe erwähnt, 
die in schwächerer Konzentration gut anlocken. Wahrscheinlich 
beruht diese Erscheinung auf dem Entgegenwirken einer neuen 
Reizwirkung, die durch die wasserentziehende Kraft der starken 
Lösungen ausgeübt wird. Es läge dann kein chemotropischer, 
sondern ein negativ „osmotropischer‘“ Effekt vor. Die Probe auf 


Chemotropismus. 263 


diese Vermutung müßten Versuche ergeben, in denen geprüft würde, 
ob gleich stark osmotisch wirksame Lösungen verschiedener Stoffe 
die Anlockung in derselben Weise zu verhindern imstande sind. 
Bei den frei beweglichen Organismen sind diese Dinge besser be- 
kannt (S.294ff.). Jedenfalls wurden Stoffe gefunden, die bei schwächerer 
Konzentration positiven, bei stärkerer negativen (oder keinen) 
Chemotropismus zeigten; außerdem aber andere, die immer ab- 
stoßend wirkten, falls überhaupt die Reizschwelle erreicht war. 

Freilich gelang es Miyoshi nur durch das Ausbleiben einer 
positiv chemotropischen Krümmung negative Reaktionen zu kon- 
statieren. Er gab also z. B. der Gelatine neben einem sonst gut 
anlockenden Stoffe noch eine zweite Substanz zu, dessen abstoßende 
Wirkung geprüft werden sollte. Es zeigte sich dann, daß Säuren, 
Alkalien, Alkohol und manche Salze, wie Magnesiumsulfat, Salpeter, 
chlorsaures Kali und dergl. die Anlockung zu verhindern imstande 
sind. Es leuchtet ein, daß diese Methode nicht sehr zuverlässig sein 
kann, um so weniger als es überhaupt, wie wir noch hören werden, 
nicht gerade leicht ist, die von Miyoshi erzielten Resultate mit 
seinen Methoden wiederzugewinnen. Immerhin konnte Miyoshi die 
Tatsache sicherstellen, daß neben negativem Osmotropismus auch ein 
negativer Chemotropismus existiert. Osmotropisch wirkt z. B. Salpeter, 
chemotropisch dagegen Alkohol. Die Möglichkeit der Unterschei- 
dung ist dadurch gegeben, daß letzterer schon in sehr großer Ver- 
dünnung abstoßend wirkt, während der osmotische Reiz erst bei 
hohen Konzentrationen beginnt. Mit Hilfe der oben (S. 258) be- 
schriebenen Methode zur Konstanthaltung des Difiusionsgefälles 
wurde auch für Pilzfäden die Abstumpfung der Reizbarkeit für einen 
Stoff durch dessen Vorhandensein im umgebenden Medium nachge- 
wiesen, sowie die quantitativen Verhältnisse wiedergefunden, die dem 
Weberschen Gesetze entsprechen. Bei Saprolegnia z. B. mußte die 
Zuckerkonzentration auf der einen Seite zehnmal so groß sein als 
auf der anderen, damit eine Ablenkung zustande kam'). 

Die Resultate von Miyoshi sind leider bisher nicht mit positivem 
Erfolge nachgeprüft worden. Es liegen im Gegenteil eine Reihe 
Arbeiten vor, aus denen die Schwierigkeit hervorgeht mit den be- 
schriebenen Methoden die chemotaktische Reizbarkeit nachzuweisen. 
So konnte Clark (1902) weder einen positiven Chemotropismus gegen 
gute Nährlösung noch Abstoßung durch allerlei Gifte konstatieren. 
Wohl aber fand er negativ chemotropische Wirkung durch vom Pilze 
selbst abgeschiedene Stoffe. Seine Folgerung, daß alle Resultate 
von Miyoshi darauf zurückzuführen sein sollen, daß der Pilz die 
schon von ihm durchwucherten Teile des Substrates meidet, scheint 
aber verfrüht. In Miyoshis Kontrollversuchen, in denen außer dem 
Fortlassen des Reizstoffes alle Bedingungen die gleichen waren, wurde 
kein Aufsuchen der Diffusionsöffnungen beobachtet, wie das nach 


1) Vgl. aber die Bemerkungen von Jost 1908 S. 571. 


264 VII. Reizwirkung stofflicher Einflüsse. 


der Clarkschen Theorie der Fall sein müßte. Immerhin hat dieser 
Autor das Verdienst, auf einen zweifellos wichtigen Faktor hingewiesen 
zu haben. Wenn wir z. B. so häufig sehen, wie das aus einer Spore 
entstandene Fadensystem eines Pilzes auf Gelatine oder dergl. sich 
radiär nach allen Seiten gleichmäßig ausbreitet und kreisförmig 
weiterwächst (Abb. 90) oder in Flüssigkeit untergetaucht völlig kugelige 
Gestalt annimmt, so ist die einfachste Erklärung hierfür die gegen- 
seitige Abstoßung der einzelnen Fadenenden. Etwa dieselben Resul- 
tate wie die des letztgenannten Autors ergaben sich aus einer ein- 
gehenden Bearbeitung 
der Frage durch Fulton 
(1906). Trotz der aufge- 
wandten Mühe konnte 
kein positiver Chemo- 
tropismus bei Pilzen 
nachgewiesen werden. 
Die von ihm gezogenen 
Schlüsse entsprechen un- 
gefähr denen Clarks. 
Auch Lidforss betont 
die Schwierigkeit nach 
Miyoshis Angaben zu 
arbeiten. Trotzdem ist 
an dessen Resultaten 
kaum zu zweifeln. Sehr 
erwünscht wären aber 
neue Untersuchungen 
mit verbesserten Me- 
thoden, die eine längere 
Erhaltung der Konzen- 
r | _  trationsdifferenzen ge- 
a 0 ma 
auszuweichen und noch unbesiedelte Fläche zu erreichen. Außer im Dienste 
Dadurch kommt der strahlige Bau des Ganzen zustande. x R 
der Ernährung sind 
chemotropische Reize 
wahrscheinlich auch bei der Kopulation von geschlechtlich differen- 
zierten Algen und Pilzen wirksam. Entsprechende Beobachtungen 
wurden wiederholt gemacht, aber nicht weiter verfolgt (Literatur 
bei Pfeffer 1904 S. 583). 


Abb. 90. 


b) Osmo-, Hydro- und Rheotropismus. 


Außer vermöge ihrer besonderen chemischen Eigenschaften 
können gelöste Stoffe bei ungleicher Verteilung noch auf eine andere 
Weise Reizkrümmungen verursachen, nämlich durch ihre wasserent- 
ziehende oder osmotische Kraft (vgl. oben S. 263). Diese Erschei- 
nung, der Osmotropismus muß vom Chemotropismus geschieden 


Osmo-, Hydro- und Rheotropismus. 265 


werden, denn hier handelt es sich im Grunde nicht um das Ver- 
hältnis des betreffenden Pflanzenteils zu chemisch wirkenden Sub- 
stanzen, sondern um das zum Wasser. 

An Wurzeln sind bisher keine osmotropischen Reaktionen beobachtet 
worden, wohl aber an Pilzfäden (Miyoshi 1894a) und Pollenschläuchen 
(Lidforss 1909). In beiden Fällen wendet sich die Spitze des fort- 
wachsenden Schlauches von einer Lösung bestimmter Konzentration 
ab. Daß es sich nicht um eine negativ chemotropische Reaktion 
handeln kann, geht daraus hervor, daß alle gelösten Stoffe, ent- 
sprechend dem von ihnen ausgeübten osmotischen Drucke gleich 
wirksam sind. Allerdings muß hier bemerkt werden, daß die Vor- 
aussetzung des osmotischen Einflusses das Nichteindringen der Sub- 
stanz ist. Genaueres über die Bedingungen der osmotischen Reizung 
wird man bei Besprechung des entsprechenden Verhaltens freibeweg- 
licher Organismen erfahren. Dort sind die Dinge besser geklärt. 

Wie durch konzentrierte Lösungen, so kann einem Pflanzenteile 
auch durch Verdunstung Wasser entzogen werden. Man könnte 
daher hoffen, über die eigentlichen Reizursachen etwas zu erfahren, 
wenn man diese beiden physikalisch ähnlich wirkenden Agentien 
vergliche. Reizkrümmungen durch einseitige Transpiration kennt 
man seit lange, ohne daß aber bisher genügend Tatsachenmaterial 
herbeigeschafit wäre, um die eben gestellte Frage zu lösen. 

Schon Knight (1811) hat festgestellt, daß Wurzeln sich nach 
feuchter Erde hin krümmen, selbst dem Geotropismus entgegen. Er 
säte Pferdebohnen oberflächlich in Blumentöpfe und verhinderte 
die Erde durch ein Gitter beim Umdrehen herauszufallen. Wurden 
nun die Töpfe umgekehrt und mäßig feucht gehalten, so traten die 
Keimwurzeln nicht an die Luft hinaus, sondern krochen an der 
feuchten Fläche entlang. Die Nebenwurzeln wuchsen nach oben in 
die Erde hinein. Keine verließ das feuchte Substrat. Wurde da- 
gegen sehr reichlich bewässert, so trat die Ablenkung der Wurzeln 
von der natürlichen Richtung nicht ein, die Hauptwurzel wuchs 
normal geotropisch abwärts. Ähnliche Versuche stellte Johnson an. 
Genauer ging aber erst Sachs (1872) der Reizwirkung feuchter Körper 
nach. Wir nennen die durch solche bewirkte Ablenkung von 
Pflanzenteilen Hydrotropismus und sprechen von positivem oder 
negativem Hydrotropismus, je nachdem die Krümmung nach dem 
feuchten Substrate hin gerichtet ist oder von ihm weg. 

Sachs benutzt einen einfachen Apparat, bestehend aus einer Art 
Sieb mit Zinkrahmen und Boden aus weitmaschigem Tüll. Auf diesen 
kommt eine dünne Schicht feuchtes Sägemehl, darüber Samen ge- 
eigneter Pflanzen, dann wieder feuchtes Sägemehl bis zum Rande. 
Wird diese Vorrichtung im Dunkeln schräg aufgehängt und feucht 
gehalten, so treten die Wurzeln durch die Löcher hervor, wachsen 
aber nicht senkrecht abwärts, sondern der feuchten Fläche entlang. 
Dabei führen sie oft periodisch geotropische und hydrotropische 
Krümmungen aus und nähen sich dadurch gewissermaßen durch die 


266 VII. Reizwirkung stofflicher Einflüsse. Er 
Maschen des Tülls. Die Erklärung hierfür liegt offenbar darin, daß 
die zunächst im feuchten Substrat verborgene Wurzel, nur geotropisch 
reagierend, abwärts wächst, bis sie in den Bereich der trockenen Luft 
kommt. Die eine Seite aber bleibt der feuchten Fläche genähert. 
Daher krümmt die Wurzel sich hydrotropisch aufwärts, bis sie 
ihre Spitze in das Sägemehl eingebohrt hat, und dann wiederholt 
sich das Spiel. Die Ursache des periodischen Wechsels in der Wachs- 
tumsrichtung liegt also darin, daß die Reaktionen nicht sofort 
erfolgen, sondern erst nach einer Latenzzeit. 

Ist das Sieb horizontal anstatt schräg aufgehängt, so gelingt 
der Versuch nur schlecht, weil nun die geotropische Gegenwirkung 
stärker ist und weil ferner die hervorbrechenden Wurzelspitzen von 
allen Seiten ungefähr gleichmäßig der Trockenheit ausgesetzt sind, so 
daß aus Mangel an einer Feuchtigkeitsdifferenz keine genügende 
hydrotropische Reizung zustande kommt. Das Gleiche gilt für den 
Fall, daß der Apparat in einem zu feuchten Raume aufgehängt wird; 
denn der Reizanlaß beim Hydrotropismus ist der verschiedene relative 
Wassergehalt der Luft auf beiden Seiten der Wurzel. 

Bei einer anderen Versuchsanstellung benutzt Sachs wasserge- 
tränkte Torfziegel, auf deren Oberfläche kleine Samen von Kresse 
(Lepidium), Senf (Sinapis) oder dgl. gesät werden. Haben die 
Pflänzchen die ersten Keimungsstadien durchlaufen, so wird der 
Torfziegel in umgekehrte und geneigte Lage gebracht. Die beobach- 
teten Erscheinungen sind den beschriebenen ähnlich. 

Molisch (1883) hat für Versuche über Wurzelhydrotropismus 
einen äußerlich trichterförmigen, aber kompakten porösen Tonkörper 
konstruiert. Dieser wird mit seinem unteren zylinderförmigen Ansatz 
in Wasser gestellt und hält sich durch Kapillarität selbst feucht. 
Der obere kegelförmige Teil trägt eine flache Aushöhlung, die mit 
feuchten Sägespänen gefüllt wird. In diese werden die Samen ein- 
gebettet, während die Keimwurzeln in Kanäle zu liegen kommen, 
die nach auswärts führen. Kommen sie an die einspringende Ober- 
fläche des Tontrichters, so wachsen sie nicht senkrecht abwärts, 
sondern schmiegen sich der feuchten Fläche an, falls die umgebende 
Luft nicht zu feucht ist. Auf diese Weise läßt sich das Verhalten 
jeder einzelnen Wurzel gut verfolgen. 

Molisch hat sich die Frage vorgelegt, welcher Teil der Wurzel 
den hydrotropischen Reiz perzipiere. Maiswurzeln, die mit Ausnahme 
der Spitze mit feuchtem Seidenpapier umgeben waren, wurden 
horizontal gelegt. Auf die eine Seite der Spitze kam ein Streifehen 
feuchtes Fließpapier, auf die andere ein Tropfen Schwefelsäure, der 
Wasserdampf absorbieren sollte. Auf diese Weise wurde eine mög- 
lichst große Differenz im Dampfsättigungsgrade der Luft erzielt. 
Die eintretende Krümmung nach dem feuchten Papier hin bewies 
die Fähigkeit der Wurzelspitze, den Reiz aufzunehmen, denn die 
mit feuchtem Papier umgebenen Regionen der Wurzel konnten hier- 
für nicht in Betracht kommen. Später hat Pfeffer (1904 S. 605) 


Osmo-, Hydro- und Rheotropismus. 267 


den ergänzenden Gegenversuch ausführen lassen: Umhüllung der 
Spitze mit feuchtem Papier verhindert die hydrotropische Krümmung, 
auch wenn die Wachstumszone dem Reize ausgesetzt ist. Also ist 
die Spitze der allein empfindliche Teil. 

Um seinen Tontrichter außen recht feucht zu erhalten, hat ihn 
Molisch mit Fließpapier belegt, das besser saugt als Ton. Ich habe 
dann gezeigt, daß man jede beliebig gestaltete Fläche von Glas, Zink- 
blech u. dgl. mit feuchtem Papier bedecken und als Substrat für das 
Wachstum kleiner und dünner 
Wurzeln benutzen kann (Prings- 
heim 1911). Auch auf diese 
Weise läßt sich der Hydrotropis- 
mus sehr schön demonstrieren. 
Am besten gelingt der Versuch, 
wenn man eine Blechplatte in 
einem stumpfen Winkel biegt 
und in einen großen, oben offenen 
Glaszylinder so einstellt, daß die 
obere Fläche senkrecht steht. 
Die Außenseite der Blechscheibe 
wird mit Fließpapier belegt, das 
durch eine Schicht Wasser am 
Boden des Zylinders feucht ge- 
halten wird. Die Samen von 
Sinapis, Lepidium u. a. kommen 
trocken auf das feuchte Papier der 
oberen Fläche nahe der Biegung. 
Das Resultat zeigt die Abb. 91. 

Der Reizanlaß ist beim 
Hydrotopismus durch den ver- 
schiedenen Wasserdampfgehalt 
der Luft an entgegengesetzten 
Flanken gegeben. Die dadurch 


bewirkte ungleiche Transpiration Abb. 91. 

dürfte die eigentliche Reizwir- Keimpflänzchen von Raps. Die Wurzeln 
. z haben sich der gebogenen feuchten Löschpapier- 

kung ausüben. Molisch betont fläche hydrotropisch angeschmiegt. Auf !/; 


die Analogie mit Krümmungen, 


die durch wasserentziehende 

Mittel, wie Gummi arabicum ausgelöst werden. Letztere müßte man 
dann als osmotropische Reaktionen auffassen. Solche ließen sich 
aber bei Wurzeln auch mit stärker osmotisch wirkenden Substanzen 
bisher nicht nachweisen. (Newcombe and Rhodes 1904). 

Die ökologische Bedeutung des Wurzelhydrotropismus ist ziemlich 
klar. Er verhindert die Wurzeln in trockene Bodenschichten einzu- 
dringen, wo sie verdorren müßten. In der Tat wuchsen Wurzeln, 
die Molisch an die Grenze zweier senkrecht nebeneinanderliegenden, 
ungleich feuchten Bodenmassen gepflanzt hatte, in die feuchtere 


268 VII. Reizwirkung stofflicher Einflüsse. 


Erde hinein. Stärker als bei den Hauptwurzeln macht sich der 
Hydrotropismus bei den Nebenwurzeln erster und zweiter Ordnung 
geltend. Letztere besonders, die keine geotropische ÖOrientierungs- 
fähigkeit besitzen, werden daraus Nutzen ziehen, indem sie verhindert 
werden an die trockene Luft hinaus zu wachsen. Man kann jeder- 
zeit leicht beobachten, daß bei einer Topfpflanze, die in sehr feuchter 
Luft gehalten wird, Wurzeln über die Erdoberfläche erscheinen. Unter 
solchen Umständen kann der schützende Hydroteopnzs nicht zu- 
stande kommen. 

Ähnlich wie die Wurzeln höherer Pflanzen verhalten sich nach 
Molisch die Haarwurzeln (Rhizoiden) von Lebermoosen und Farn- 
vorkeimen. Ragte in seinen Versuchen der Thallus über den Rand 
eines feuchten Fließpapierstückes, das eine umgelegte Glasschale über- 
zog, so bogen sich die Rhizoiden nach dem der Glasschale senk- 
recht anliegenden Teile des Papieres hin. Bei diesen Gewächsen, die 
oft an senkrechten Baumstämmen u. dgl. wachsen, ist der Nutzen 
des Hydrotropismus der Wurzelfasern wiederum leicht ersichtlich. 


Im Gegensatz zu den positiv hydrotropischen Wurzeln krümmen 
sich die Fruktifikationsorgane vieler Pilze von feuchten Flächen fort 
und erreichen dadurch die zum Ausstreuen oder jedenfalls zur Ver- 
breitung der Sporen geeignete Lage in der trockeneren Luft. 

So verhalten sich nach Molisch die Hutstiele des Pilzes Coprinus 
stercorarius und die Sporangienträger von Mucor stolonifer, nach 
anderen die Fruchtträger von Phycomyces, wie überhaupt der Mucorineen 
(vgl. Wortmann 1881, Steyer 1901 und Pfeffer 1904 8. 587), 

Die großen Sporangienstiele von Phycomyces eignen sich beson- 
ders zu Versuchen. Steyer bedeckte die auf Brot wachsenden Kul- 
turen mit Glimmerplatten, welche Öffnungen zum Hervortreten von 
Fruchtträgern besaßen. Dadurch wurden einzelne von ihnen zur Be- 
obachtung isoliert, während sie sonst in dichten Büscheln wachsen, 
die auseinander spreizen, weil sie selbst Feuchtigkeit abgeben. Außer- 
dem wurde durch die Bedeckung die Wirkung des feuchten Brotes 
unschädlich gemacht. Wurde nun den aufrechten Fruchtträgern eine 
feuchte Papierflächte genähert, so krümmten sich die zunächst ge- 
legenen, zwischen 1—4 mm von der dampfabgebenden Fläche, von ihr 
fort, die ferner stehenden waren in einer Breite von l cm gerade, 
die folgenden waren dem Papier zu gekrümmt. 

Es scheint also, daß ein geringer einseitiger Feuchtigkeitsüber- 
schuß positiven Hydrotropismus hervorrufen kann und ein größerer 
erst negativen. Demnach stünde das ganze Verhalten in bemerkens- 
werter Analogie zum Phototropismus, auch in bezug auf die Diffe- 
renzen zwischen positiv und negativ reagierenden Organen. Nur daß 
es physikalisch unmöglich ist, bei den positiv hydrotropischen Ob- 
jekten die Luftfeuchtigkeit über 100°/, hinaus weiter zu steigern, 
um etwa negative Reaktionen zu erzielen. Wenn man übrigens 
die Transpiration an Stelle des Dampfgehaltes der Luft als Reiz- 


Osmo-, Hydro- und Rheotropismus. 269 


mittel betrachtet, wozu man mindestens ebenso berechtigt ist, so 
dreht sich das Bild um und die Analogie wird noch besser. 

Bei den im Substrat wachsenden Pilzfäden konnte Steyer keine 
Reaktion auf Feuchtigkeitsdifferenzen nachweisen. Ebensowenig zeigen 
die Stengelorgane der meisten höheren Pflanzen irgendwelchen Hydro- 
tropismus. Nur beim Flachs (Linum usitatissimum) gelang es Molisch, 
falls er durch Klinostatendrehung die geotropische Gegenwirkung aus- 
schaltete, ein Fortkrümmen von feuchten Flächen zu beobachten. Aber 
auch da ist die Reizwirkung gering. 


In den bisher geschildeten Fällen veranlaßte das Wasser als 
Dampf durch seine ungleiche Verteilung eine Richtungsbewegung. 
Aber auch im tropfbar flüssigen Zustande ist es vielfach imstande, 
einen Reiz auszuüben, und zwar durch seine Strömung. Entdeckt 
wurde diese Tatsache, der „Rheotropismus“, durch Jönsson (1883). 
Er sähte Sporen von Schimmelpilzen auf Streifen von Filtrierpapier, 
durch die er einen Strom von Nährflüssigkeit leitete, indem er sie 
heberartig aus einem Gefäß heraushängen ließ. Die auskeimenden 
Pilzfäden wuchsen bei der gewählten Stromgeschwindigkeit mit dem 
Strom, reagierten also negativ, wenn Phycomyces und Mucor benutzt 
wurde, — gegen den Strom aber, positiv, bei Botrytis. Die Ver- 
suche wären mit variierter Schnelligkeit der Strömung zu wiederholen, 
denn mindestens die negativen Krümmungen könnten rein mecha- 
nischer Natur sein. 

Besser unterrichtet sind wir über entsprechende Reaktionen von 
Wurzeln. Jönsson (1883) ließ Maiskeimwurzeln in Wasser hängen, 
das von der Leitung her eine schräg gestellte Wanne durchfloß. Nach 
einigen Stunden krümmten sie sich in der Wachstumszone in die 
Richtung gegen den Strom, also positiv rheotropisch. Ähnlich ver- 
hielten sich junge Roggen- und Weizenwurzeln, falls die Stromstärke 
so gering war, daß eine mechanische Beugung dieser zarten Objekte 
nicht stattfinden konnte. 

Berg (1889) fügte dem hinzu, daß auch in Erde rheotropische 
Krümmungen auftreten können. Alle untersuchten Keimwurzeln 
(mit einer Ausnahme), sowie auch Nebenwurzeln erster Ordnung 
reagierten rheotropisch; doch machte sich nach dem Zustandekom- 
men der Horizontalstellung eine geotropische Gegenkrümmung der 
Wurzelspitze bemerkbar. Berg verbesserte die Methode wesentlich. 
Da es ja nur auf die relative Bewegung zwischen Wurzeln und 
Wasser ankommt, konnte er sich von der Verwendung großer 
Wassermassen freimachen. Er benutzte runde geschlossene Gefäße 
und ließ entweder die Wurzeln mit Hilfe eines Uhrwerkes sich im 
Kreise gegen das Wasser bewegen oder die Flüssigkeit in der Schale 
durch einen tangential einströmenden Wasserstrahl in Rotation ver- 
setzen. 

Juel (1900) bediente sich dann einer ähnlichen, von Pfeffer er- 
dachten Anordnung (Abb. 92). Die Wurzeln werden bei ihr an einem 


270 VII. Reizwirkung stofflicher Einflüsse. 


horizontal feststehenden Glasstabe befestigt. Sie tauchen in eine Glas- 
schale voll Wasser, die durch den Klinostaten in Drehung versetzt wird. 
Je nach der Entfernung der Wurzeln vom Drehungsmittelpunkte und 
nach der Geschwindigkeit der Rotation sind die Strömungen ver- 
schieden stark. Mit dieser Methode konnte Juel zeigen, daß an den 
Wurzeln von Vicia Faba bei großer Gewalt des Stromes meist nega- 
tive, bei geringerer als 40 cm in der Sekunde meist positive Krüm- 
mungen auftreten. Selbst bei einer Strömung, die nur 0,3mm in 
der Sekunde zurücklegte, bekam er noch Reaktionen, die aber 
schwächer waren als z. B. bei 0,5 mm. Um zu prüfen, ob vielleicht 
die Wurzelspitze das reizaufnehmende Organ ist, schnitt er sie ab. 
Die Krümmungen wurden nun aber sogar noch stärker, wahrschein- 


Abb. 92. 
Rheotropische Wurzeln von Vicia sativa. Das Gefäß mit dem 
Wasser dreht sich in der angedeuteten Richtung. Nach Pfeffer 1904. 


lich durch Ausschaltung des Geotropismus. Jedenfalls zeigt sich hier 
ein fundamentaler Unterschied gegenüber dem Hydrotropismus, der 
nur an der Spitze perzipiert wird. 

Newcombe (1902) hat dann die Lokalisierung der rheotropischen 
Empfindlichkeit in der Wurzelspitze weiter untersucht. Er schützte 
bestimmte Regionen der Wurzeln gegen den Wasserstrom, indem er 
sie in Glasröhrchen einführte und die Zwischenräume mit Watte ver- 
stopfte. Es zeigte sich, daß Krümmungen in der Wachstumszone 
auftraten, wenn allein die Spitze auf 1mm frei blieb, aber auch 
wenn umgekehrt nur der obere Teil vom Strome getroffen werden 
konnte, weil die Wurzel bis auf 20 mm von der Spitze eingeschlossen 
war (Raphanus sativus, Brassica alba). Da das Wachstum dicht 
hinter der Spitze vor sich geht, muß hier also der Reiz in einer nicht 
mehr streckungsfähigen Zone perzipiert und von da spitzenwärts 
geleitet werden, ein in der Pflanzenwelt seltenes Verhalten. 


Chemonastie. 271 


Trotz mehrfacher Untersuchung des Rheotropismus wissen wir 
über den eigentlichen Reizanlaß nicht Bescheid. In Betracht kommen 
die mechanische Wirkung des Stromes oder die etwa durch ihn be- 
wirkte Verschiebung der Wasserverteilung in der Wurzel. Wäre die 
Reibung des Wassers für das Zustandekommen der Reizung von Be- 
deutung, so läge ein Fall von Thigmotropismus vor. Ein solcher 
ist aber sonst an Wurzeln nicht nachweisbar. Auch haben bei den thig- 
motropisch so empfindlichen Ranken gerade Flüssigkeiten keine Wir- 
kung (vgl. S. 218). Eine Wasserverschiebung in der Wurzel könnte 
dadurch zustande kommen, daß der Strom auf der einen Seite Wasser 
einpreßt, auf der anderen aber saugt. Nur müßte diese physikalische 
Wirkung bei langsamen Strömen außerordentlich gering sein. Die 
Frage ist, wie gesagt, nicht entschieden. Einen gewissen Anhalt 
geben Versuche von Hryniewiecki (1908), in denen festgestellt wurde, 
daß manche in Luft befindliche, einseitig mit Wasser besprühte 
Wurzeln sich nach dieser Seite hin krümmen, und zwar auch, wenn 
die Wurzelspitze entfernt ist. 

Ferner fand der genannte Autor, daß destilliertes Wasser ener- 
gischer wirkt als Leitungswasser, daß basische Reaktion die Wirkung 
aufhebt, ganz schwach sauere sie aber wesentlich verstärkt. Der Schluß 
des Verfassers auf Gleichartigkeit der Perzeptionsvorgänge beim Hydro- 
und Chemotropismus ist freilich wohl verfehlt. 

Auch über eine etwaige ökologische Bedeutung des Rheotropis- 
mus läßt sich nichts aussagen. Es ist nicht wahrscheinlich, daß eine 
Erdwurzel häufig Vorteil daraus zieht, Wasserströmungen entgegenzu- 
wachsen. Bis hierauf gerichtete Untersuchngen vorliegen, ist es besser, 
Vermutungen zu unterlassen. 


c) Chemonastie. 


Wir haben in den letzten Abschnitten die durch chemische Reize 
bewirkten Richtungsbewegungen besprochen, bei denen also der Reiz- 
anlaß durch die ungleiche Verteilung des Reizmittels gegeben war. 

Ist dagegen die Krümmungsrichtung von der örtlichen Verteilung 
des Reizstoffes unabhängig, so spricht man von Chemonastie. Die 
bedeutungsvollsten Beispiele haben wir schon bei den Insektivoren 
besprochen (S. 235ff.), so daß hier nur kurz darauf hingewiesen werden 
soll. Die eigenartigen Reizbewegungen der Blätter von Pinguicula, 
Drosera und Dionaea werden unter natürlichen Umständen durch 
gleichzeitigen Einfluß mechanischer und chemischer Reize bewirkt. 

Im Experiment ließen sich die chemonastischen Reaktionen ge- 
trennt studieren, wenn der Reizstoff in einer Form geboten wurde, 
die mechanische Reizung ausschloß, also als vorsichtig auf die Blätter 
gebrachte Tropfen flüssiger oder gelöster Substanzen. Es erfolgte 
dann die durch den Bau des Blattes festgelegte Schließbewegung, 
die besonders bei Dionaea sich durch ihre Langsamkeit und längeres 
Vorhalten von der Reaktion auf Berührung unterschied. 


272 VII Reizwirkung stofllicher Einflüsse. 


Jedenfalls vollzog sich die Bewegung nicht in einem bestimmten 
Sinne zur Richtung des Reizes, war also eine echte Chemonastie. 
Das wird besonders deutlich, wenn das ganze Blatt durch Eintauchen 
in die Lösung eines Reizstoffes diffus gereizt wird. Auch dann, wenn 
bei Pinguieula und Drosera die Bewegung an der Stelle beginnt, die 
mit dem Reizstoffe belegt worden ist, liegt doch keine Richtungs- 
bewegung vor. Anders ist es, wenn die Tentakeln von Drosera sich 
nicht nach der Mitte, sondern nach einer seitlichen gereizten Stelle 
hin biegen. Dann spielt ein tropistischer Reiz mit hinein. Aber 
die vorliegenden Erfahrungen gestatten nicht zu entscheiden, ob das 
durch rein chemische Einflüsse zu erzielen ist, denn Darwin (1865 
[1899]) experimentierte nur mit festen Substanzen, mit Stückchen 
von Fleisch und von Ammoniumphosphat. 

Chemonastische Bewegungen kommen (ebenso wie thermona- 
stische) bei Pflanzenteilen, die vorwiegend mechanisch reizbar sind, als 
Nebenerscheinung vor. So krümmen sich Ranken bogenförmig ein, 
wenn man sie in eine Atmosphäre bringt, die mit Ammoniak- oder 
Chlorophormdämpfen geschwängert ist. Ähnlich wirkt bei ihnen, 
sowie bei verschiedenen reizbaren Narben und Staubgefäßen, der Ent- 
zug des Sauerstoffes (Correns 1892 und 1896). Auch Mimosa reagiert 
auf Chloroform, und zwar durch Hebung der Blätter. Diese er- 
folgt, trotzdem durch das Narkotikum die Erschütterungsreizbarkeit 
aufgehoben wird (Pfeffer 1873). 

Ebenso wie hier ist irgendwelche ökologische Bedeutung der 
chemonastischen Reaktionen auch in einem neuerdings aufgefundenen 
Falle nicht zu ersehen. Die Blätter von Callisia repens, einer Trades- 
cantia-ähnlichen Pflanze, fielen Wächter (1905) dadurch auf, daß sie 
im Zimmer eine andere Lage einnahmen als in dem Gewächshaus, 
in dem sie kultiviert wurden. Und zwar klappten die Blätter, 
die sonst ausgebreitet sind, durch ungleiches Wachstum an der 
Basis herab. Es zeigte sich, daß es irgendwelche Beimengungen der 
Laboratoriumsluft sind, die diese Bewegungen herbeiführen. Im Ver- 
suche konnte mit den verschiedenartigsten schädlichen Stoffen die- 
selbe Wirkung erreicht werden, aber nur an Callisia, nicht an nahe 
verwandten anderen Pflanzen. Die Reaktion tritt so sicher ein, daß 
Pfeffer (1907) ihr Ausbleiben als deutliches Zeichen genügend reiner 
Luft in seinem Versuchsraum verwenden konnte. 

Aus solehen Beobachtungen muß man die Lehre ziehen, daß in 
botanischen Laboratorien auf besonders gute Luft zu sehen ist, wenn 
man nicht allerlei Täuschungen und Störungen gewärtigen will. 
Dasselbe hatte schon Richter (1903) betont. Es lagen vielfältige 
Erfahrungen vor, daß Keimpflanzen, besonders von Leguminosen, 
die für reizphysiologische Zwecke verwendet werden sollten, durch 
schiefen Wuchs enttäuschten. Die Literatur über den für die Labo- 
ratoriumspraxis so wichtigen Gegenstand ist recht ausgedehnt. (Zu- 
sammengestellt findet sie sich z. B. bei Guttenberg 1910 und 
Neljubow 1911). 


Chemonastie. 273 


Die Keimstengel von Wicken, Erbsen, Linsen und anderen Le- 
guminosen, sowie die von Tropaeolum, Agrostemma, Helianthus!) 
zeigen den Einfluß verunreinigter Luft, wie sie in Laboratorien ohne 
besondere Vorsichtsmaßregeln stets herrscht, in einer Verlangsamung 
des Wachstums, mit der vielfach ein abnormes Dickenwachstum und 
bleiche Farbe Hand in Hand geht. Dabei sind sie in ihrem oberen 
Teile seitlich gekrümmt, und zwar oft so stark, daß sie dem Erd- 
boden angepreßt wachsen. 

Der Grund der Erscheinung liegt in einer Störung des Geotro- 
pismus. Durch die Ausschaltung des Bestrebens sich aufzurichten, 
werden anderweitige Krümmungsreize, z. B. phototropische, eine 
stärkere Ablenkung aus der Vertikalstellung bewirken als ihrem Ein- 
fluß allein entspräche (Richter 1906 und 1909). Die experimentellen 
Schwierigkeiten, die dadurch zustande kommen können, hat Gutten- 
berg (1910) eingehend besprochen. 

Die Art, wie das geotropische Verhalten beeinflußt wird, hat 
aber erst Neljubow (1911) klargelest. Er fand, daß die oberen 
Teile der betreffenden Keimlinge sich unter dem Einflusse gewisser 
gasförmiger Stoffe horizontal zu stellen suchen, und zwar deshalb, 
weil sie durch den chemischen Reiz transversal geotropisch werden. 
Es liegt hier also eine geotropische Sinnesänderung, ausgelöst durch 
chemische Stoffe, vor. 

Die Seite, nach der die Krümmung vor sich geht, wird durch 
kleine Abweichungen von der Vertikalstellung bestimmt, denn genau 
in dieser haben radiäre transversalgeotropische Objekte eine Ruhe- 
lage. Wirkt ein tropistischer Außenreiz, also etwa Licht ein, so be- 
stimmt dessen Richtung die Ebene der Krümmung, wodurch dann 
die ganze Beugung aussieht, als wäre sie dem Phototropismus allein 
zuzuschreiben. Man sieht, daß die Beachtung dieser Erscheinung für 
die Deutung vieler reizphysiologischer Versuchsergebnisse von großer 
Bedeutung ist, um so mehr als unter den beliebten Laboratoriums- 
objekten gerade viele sind, die diese Art von Chemonastie aufweisen, 
und als die geringsten Spuren von schwer nachweisbaren Stoffen 
wirksam sind. 

Die meisten Versuche über die Chemonastie der Keimlinge sind 
leider mit schwer übersehbaren Gemischen von Stoffen, mit ‚Labo- 
ratoriumsluft‘‘ und Leuchtgas angestellt. Nur Neljubow hat be- 
stimmte Stoffe, wie Ätylen und Azetylen verwendet, die im Leucht- 
gase vorkommen und dessen Wirkung bedingen dürften. Weitere 
Untersuchungen darüber, welche Substanzen und in welchen Mengen 
sie denselben Erfolg hervorrufen, wären erwünscht. 


Wenn durch chemische Einflüsse nicht Wachstumskrümmungen, 
sondern nur Veränderungen in der Schnelligkeit auch sonst verlau- 


1) Auch das von Darwin soviel benutzte Gras Phalaris canariensis ge- 
hört nach eigenen Erfahrungen hierher. 


Pringsheim, Reizbewegungen. 18 


274 VII. Reizwirkung stofflicher Einflüsse. 


fender geradliniger Wachstumsvorgänge hervorgerufen werden, so ist 
die Deutung- solcher Vorgänge als Reizreaktion recht zweifelhaft. 
Wir wollen daher alle jene Wachstumsbeeipflussungen, die durch 
Narkotika, durchEntziehung von Sauerstoff oderdurch Kohlensäureu.dgl. 
hervorgerufen werden, hier nicht besprechen. 

Über die Veränderung in der Reizbarkeit gegen anderweitige 
Einflüsse, die durch dieselben Stoffe bewirkt werden, haben wir an 
mehreren Orten schon berichtet. Es wäre demnach nur noch dar- 
auf hinzuweisen, daß besonders die Plasmaströmung und die Be- 
wegungen frei schwimmender Organismen auf ihre Beeinflussung durch 
chemische Mittel hin studiert worden sind. So läßt sich die Plasma- 
strömung durch Chloroform und Äther aufheben, andererseits aber 
bei kurzer Einwirkung auch gerade durch diese Mittel hervorrufen, 
ähnlich wie durch Verletzungen. 

Daß die Plasmaströmung als Zeichen für lebhafte Tätigkeit in 
einem Gewebe angesehen werden kann, zeigen besonders deutlich die 
Blatt-Tentakeln von Drosera, in denen neben anderen Veränderungen 
in den Zellen (vgl. S. 239), auf chemische Reize hin und während der 
Absonderung des Verdauungssaftes, eine lebhafte Plasmaströmung 
einsetzt. (Literatur bei Pfeffer 1904, S. 466.) Meist werden die 
durch chemische Reize hervorgerufenen Umsetzungen und Umlage- 
rungen in Zellen nicht so leicht der Beobachtung zugänglich sein. 
Man darf aber wohl annehmen, daß die Droseratentakeln in der 
Beziehung nicht allein dastehen. 


d) Allgemeines über Chemotaxis und Aörotaxis. 


Bedeutend besser als über die durch Wachstum bewirkten chemo- 
tropischen Reizerfolge sind wir über die chemotaktischen Reaktionen 
frei beweglicher Organismen unterrichtet. Der Grund hierfür liegt 
offenbar darin, daß die als Reizanlaß dienende ungleiche Verteilung 
chemischer Stoffe in einer Lösung nicht lange bestehen bleiben kann 
und daher leichter auf die lokale Anordnung der relativ schnell be- 
weglichen schwimmfähigen als der trägeren durch Wachstum rea- 
gierenden Objekte einwirken kann. 

Der Erfolg einer chemotropischen Reaktionsweise macht sich 
darin bemerkbar, daß innerhalb des verfügbaren Raumes Stellen auf- 
gesucht werden, die eine bestimmte Konzentration des Reizstofles 
darbieten. Ein ähnliches Verhalten war auch für frei bewegliche 
Organismen als wahrscheinlich angenommen worden (Literatur Pfeffer 
1884) bevor es Engelmann (188la u. 1882) und Pfeffer (1884) gelang, 
sichere Beweise zu erbringen. Durch diese Veröffentlichungen, denen 
bald (1888) eine weitere von Pfeffer folgte, wurde die Lehre von 
der Chemotaxis sogleich unter die am besten bekannten und an- 
ziehendsten Gebiete der pflanzlichen Reizbarkeit eingereiht. 

Chemotaktische Reizbarkeit kommt ebenso wie die chemotro- 
pische sowohl im Dienste der Fortpflanzung wie der Ernährung und 


Allgemeines über Chemotaxis und Aörotaxis. 275 


der Atmung vor. Auch finden wir wiederum, daß gelöste Stoffe, die 
eine Wasserentziehung oder sonstige Schädigungen bewirken könnten, 
die Orientierungsbewegungen beeinflussen. 


Aerotaxis. 


Am längsten von aller chemotaktischen Erscheinungen ist die 
von Engelmann (188la) entdeckte Tatsache bekannt, daß luftbe- 
dürftige Bakterien Orte hoher Sauerstofikonzentration aufsuchen. In 
einem durch das Deckglas abgeschlossenen Kulturtropfen sammeln sie 
sich in der Randzone und um eingeschlossene Luftblasen, sobald im 
Innern der Flüssigkeit Sauerstoffmangel eintritt. Durch die lebhafte 
Atmung der Bakterien wird bald auch der Sauerstoff der Bläschen 
aufgezehrt, die dadurch ihr Anlockungsvermögen einbüßen. Am 
Rande des Deckgläschens wird dafür bei freiem Luftzutritt die An- 
sammlung immer dichter und kann stundenlang anhalten, falls die Ver- 
dunstung der Kulturflüssigkeit verhindert wird. Die Bakterien jedoch, 
die die Randzone nicht rechtzeitig zu erreichen vermögen, werden aus 
Mangel an Atmungssauerstoff unbeweglich. 

Eine Unklarheit bleibt diesen Versuchen durch die Nichtberück- 
sichtigung der entstehenden Atmungskohlensäure. Sollte diese eine 
negative Chemotaxis bewirken, so könnte ihre Reizwirkung das ge- 
schilderte Verhalten, wenn nicht allein, so doch mit hervorrufen. 
Solange über diese Fragen nichts genaueres bekannt ist, ist es ganz 
zweckmäßig, die erwähnten und einige gleich zu schildernde Erschei- 
nungen als Aörotaxis (Richtungsreizung durch die ‚„Luft‘‘) zusammen- 
zufassen. 

In derselben Weise wie Luftblasen wirken auch andere Sauer- 
stoffquellen in einem abgeschlossenen sauerstoffarmen Medium als 
Anlockungszentren geeigneter Bakterien. So z. B. grüne Algenzellen, 
die im Lichte durch Kohlensäurespaltung Sauerstoff frei machen. 
Diese Tatsache machte sich der genannte Forscher zur Ausbildung 
der als „Engelmannsche Bakterienmethode“ bekannten Versuchs- 
anstellung zunutze (188la). Sie dient zum Nachweis geringer Mengen 
von assimilatorischem Sauerstofi. 

Wird nämlich ein Algenfaden unter einem Deckglase mit aero- 
taktischen Bakterien zusammen luftdicht eingeschlossen, so zerstreuen 
sich diese im Dunkeln in der Wasserschicht und werden schließlich 
unbeweglich. Im Lichte aber scheidet die Alge Sauerstoff aus und 
gibt dadurch den Bakterien in ihrer Nähe die Möglichkeit, ihre Be- 
wegungen wieder aufzunehmen und sich a@rotaktisch anzusammeln. 
Wird mit verschiedenfarbigem Lichte in Form eines kleinen Spektrums 
beleuchtet, so sammeln sich die Bakterien um den Algenfaden da 
am stärksten, wo die reichlichste Sauerstoffabscheidung stattfindet. 
Man kann daher aus der Verteilung der Bakterien auf die relative 
Größe der Assimilation in verschiedenen Spektralbezirken schließen 
(Abb. 93). Besonders wertvoll wird diese Methode dann, wenn es sich 

135 


276 VII. Reizwirkung stofflicher Einflüsse. 


um kleine Organismen, wie Diatomeen oder dergleichen handelt, bei 
denen die assimilatorisch wirksamen Strahlen auf andere Weise nur 
schwer bestimmbar sind, und die wegen ihrer abweichenden Färbung 
der Physiologie besondere, an größere Pflanzen nicht lösbare Probleme 
stellen. Auch gestattet die Engelmannsche Methode den Nachweis, 
ob ein bestimmter mikroskopischer Organismus überhaupt Sauer- 
stoffe. zu produzieren vermag. 

Engelmann benutzte für seine Versuche die gewöhnlichen 
Fäulnisbakterien, wie sie sich z. B. an Erbsen in Wasser entwickeln. 
Ist diesen Bakterien die Wahl zwischen Sauerstoff vom Partiärdruck 
der Atmosphäre und einem niedrigeren freigestellt, so suchen sie den 
ersteren auf. Noch höhere Tensionen würden sie vielleicht fliehen. 
Wir wissen nämlich, besonders aus Versuchen Beijerincks (1894), 
daß viele Bakterien an geringere Sauerstoffimengen angepaßt sind als 
sie die Atmosphäre liefert. Sie suchen deshalb, unter dem einfach 


N 


v. 


TIER ECE D “ 


> 1 DREI grH 


| | | 
Abb. 93. 


Engelmannsche Bakterienmethode. Ein Faden von Oedogonium mit 

einem kleinen Spektrum beleuchtet, von dem nur die wichtigsten 

Fraunhoferschen Linien angegeben sind. Die Bakterien sammeln 

sich hauptsächlich an den Stellen, wo die stärkste Sauerstoffab- 
scheidung stattfindet. Nach Pfeffer 1897. 


aufgelegten Deckglase eingeschlossen, nicht die äußerste Randzone auf, 
sondern eine mehr oder weniger tief nach innen liegende (Abb. 94). Es 
gibt selbst solche, die auch die geringsten Sauerstofispuren fliehen und 
sich daher in dem geschilderten Versuche möglichst weit vom Rande, 
also in der Mitte zusammendrängen (Rothert 1901, 8. 376). Es war 
Beijerinck möglich, auf Grund dieses Verhaltens verschiedene Bak- 
terientypen von abweichendem Sauerstoffbedürfnis voneinander zu 
trennen, den Aöroben-, den Spirillen- und den Anaörobentypus. Daraus 
darf man wohl schließen, daß jedem Bakterium ein gewisses Sauer- 
stoff-,,‚ Optimum“ zukommt, das bei manchen weit über der normalen 
Tension dieses Gases, bei anderen sehr tief liegen kann. 

Betrachten wir ein einzelnes Individuum jener Bakterienarten, 
die sich bei gegebener Auswahl in einer mittleren Sauerstoffkonzen- 
tration sammeln, so sehen wir, daß es sich je nach der ursprüng- 
lichen Lage entweder nach einem Orte höherer oder niedrigerer 
Tension begibt, also positiv oder negativ reagiert. Wir finden hier 
wiederum die allgemeine Regel bestätigt, daß Reize, die überhaupt 


Allgemeines über Chemotaxis und Aörotaxis. 277 


in der Natur quantitativ abgestuft vorkommen, bei starker Ein- 
wirkung negative, bei schwächerer positive Reaktion be- 
wirken. Im Prinzip müssen wir dasselbe für alle Arten von aero- 
taktischen Bakterien annehmen, z. B. auch für die sich am Deck- 
glasrande sammelnden vom A&robentypus Beijerincks. Der Einfluß 
höherer Drucke, als sie der Atmosphäre entsprechen, auf die Aörotaxis 
wurde bisher nicht untersucht. Die untere physikalisch mögliche 
Grenze ist jedenfalls in einem unter Deckglas befindlichen Kultur- 
tropfen auch im Zentrum nicht gegeben und die obere nicht am 
Rande. Es fehlten demnach noch Versuche mit exakterer Methode, 
in denen Art und Konzentration der gelösten Gase genau be- 
kannt wären. 


\ Bakterienzone Rand des Deckglases 
v Y 


Abb. 94. 


Bewegliche Purpurbakterien (Chromatium) an mäßige Luft- 
zufuhr angepaßt, unterm Deckglas in Flüssigkeit. Die Bakterien 
suchen eine gewisse Zone auf, in die vom Deckglasrande nicht 
zu viel und nicht zu wenig Sauerstoff dringt und bilden dort einen 
scharf begrenzten Strich. An der Ecke weichen sie wegen der 
reichlicheren Sauerstoffdiffusion mehr zurück. 


Über die Reaktionsweise des Einzelbakteriums finden wir An- 
gaben bei Jennings ([1905] 1910, S. 39 ff.), der sie besonders an gewissen 
Spirillen genau verfolgt hat. Die Ansammlung um eine Luftblase 
z. B. kommt auf folgende Weise zustande: Die Individuen, die zu- 
fällig im Laufe ihrer Bahn in die Nähe einer solchen Sauerstoffquelle 
gekommen sind, schwimmen zunächst ohne Änderung ihrer Bewe- 
gungsrichtung daran vorbei; sobald sie aber wieder in eine sauerstoff- 
arme Zone geraten, prallen sie zurück als hätten sie an ein Hindernis 
gestoßen. So schwimmen sie eine gewisse Strecke rückwärts und 
kommen dadurch wieder in sauerstoffhaltiges Wasser. Individuen, 
die gerade in Teilung begriffen sind und deshalb an beiden Enden 
Bewegungsorgane besitzen, behalten jetzt diese Schwimmrichtung bei, 


278 VII. Reizwirkung stofflicher Einflüsse. 


bis sie wieder an die Grenze der Diffusionszone geraten. Diejenigen 
Spirillen aber, die nur am vorderen Ende Geißeln tragen, kehren 
ihre Bewegung nur kurze Zeit um und schwimmen dann wieder vor- 
wärts, meist jedoch in etwas abweichender Richtung, so. daß sie nicht 
sofort wieder an die Grenze gelangen. Auf diese Weise pendeln alle 
Individuen dauernd in der Diffusionszone hin und her. Die ganze 
Reaktionsweise durch ‚Schreckbewegung‘‘ entspricht genau dem, was 
wir oben für die Lichtreaktionen der Purpurbakterien kennen gelernt 
haben, bei denen von Engelmann die Reizbewegungen der Bakterien 
zuerst eingehend studiert wurden (vgl. S. 96). In derselben Art 
kommen bei Bakterien überhaupt durchwegs die „Richtungsbewe- 
gungen‘ zustande. 

Diejenigen Bakterienarten, die geringere Sauerstofftensionen als 
die der Atmosphäre aufsuchen, führen ihre negativen Reaktionen in 
ganz entsprechender Art aus, indem sie beim Übergange aus niederer 
zu höherer Konzentration zurückschrecken. Manche sammeln sich um 
eine Luftblase oder am Rande des Deckglases in einem ganz schmalen 
Streifen, weil ihr Sauerstoffbedürfnis sehr genau auf einen bestimmten 
Gehalt an diesem Gase eingestellt ist. Sie prallen dann dauernd 
einmal an Zonen zu hoher, einmal an solchen zu niederer Sauerstoff- 
konzentration zurück (Abb. 94). In einseitig offenen Röhrchen bilden 
sie auf dieselbe Weise schmale, plattenförmige Zonen. 

Ähnlich geformte Anhäufungen von Bakterien auf engem Raume 
kommen auch noch auf andere Weise zustande, nämlich dann, wenn 
in einem oben offenen Gefäße dem durch Diffusion von der Atmo- 
sphäre her gedeckten Bedürfnisse an Sauerstoff der Mangel an 
Nahrungsstoffen in den höheren Flüssigkeitsschichten entgegenarbeitet. 

Befindet sich z. B. am Boden eines Reagensglases nach einer von 
Beijerinck (1893) angegebenen Methode eine Bohne, die von einer 
größeren Wassersäule bedeckt ist, so entwickeln sich auf Grund der 
aus den Samen herausdiffundierenden Stoffe Bakterien, welche sich 
anfangs nahe an die Nahrungsquelle halten. Später aber bilden sie 
eine plattenförmige, scharf umgrenzte Schicht, die sich infolge des 
eintretenden Sauerstoffmangels im Laufe der nächsten Tage langsam 
nach oben bewegt. Daß die positiv a@rotaktischen Bakterien nicht 
allein dem Atembedürfnis folgen und an die Wasseroberfläche steigen, 
liegt daran, daß sie gleichzeitig der von unten herauf diffundierenden 
Nahrungsstoffe bedürfen. Diese können ebensowenig über die ‚„Bak- 
terienplatte‘“ hinauf gelangen als der Sauerstoff tiefer hinunter, weil 
beide von den Organismen aufgezehrt werden. So stellt deren Lage 
einen Kompromiß zwischen Sauerstoff- und Nährstoffbedürfnis dar. 

Ganz entsprechend verhalten sich viele von den sogenannten 
Schwefelbakterien, die ihren Betriebsstoffwechsel durch Oxydation von 
Schwefelwasserstoff befriedigen. Da dieses Gas sich mit freiem Sauer- 
stoff selbständig umsetzt, so müssen die Schwefelbakterien in Genzzonen 
leben, zu denen von der einen Seite Schwefelwasserstoff und von der 
anderen Sauerstoff diffundiert (Winogradsky 1887). Die frei beweg- 


Allgemeines über Chemotaxis und Aörotaxis. 279 


lichen unter ihnen suchen dementsprechend mittlere Orte auf. Auch 
konnte Winogradsky beobachten, daß manche Schwefelbakterien 
dauernd hin- und herschwimmen, indem sie abwechselnd gewissermaßen 
einmal Schwefelwasserstoff und einmal Sauerstoff holen und dann beides 
vereinigen. Genau verfolgt wurden diese Bewegungen von Jegunowan 
Schwefelbakterien des schwarzen Meeres (1896 und 97, sowie Lafar LIL 
1904-06). In hohen, schmalen Glaszylindern, an deren Boden sich 
Schwefelwasserstoff entbindender Meeresschlamm befand, traten ähn- 
liche Bakterienplatten auf, wie sie oben im Anschluß an die Beijerinck- 
schen Versuche geschildert wurden; nur war hier ein beständiges, 
ziemlich regelmäßig Aufwärts- und Abwärtswandern der einzelnen 
Individuen zu beobachten, die sich ähnlich bewegten wie die Tropfen 
eines Springbrunnens und nach dem Fallen wieder aufstiegen. Ein 
Umlauf fand etwa in fünf Minuten statt. Dadurch, das die Bakterien 
sich zwischen die Schwefelwasserstoff- und die Sauerstoffzone ein- 


Glaswand 
Flüssigkeit 


Luftblase 


Glaswand 


U 
Euglenen 


Abb. 95. 


Aörotaktische Ansammlung von Euglenen gegen eine Luftblase. Der rechte Teil des Glas- 
röhrehens mit Flüssigkeit, der linke mit Luit erfüllt, die durch die starke Lichtbrechung an der 
Glaswand schwarz und weiß aussieht. An der Grenze die Euglenen zusammengedrängt. 


schalten, bleibt ihnen die für sie nutzbringende, sonst von selbst 
verlaufende Oxydation vorbehalten. Durch abwechselndes Eintauchen 
in beide Regionen beschleunigen sie die Reaktion. 

Außer bei Bakterien sind a@rotaktische Reaktionen noch für 
grüne Flagellaten bekannt geworden (Aderhold 1888). Doch sind sie 
wenig untersucht. Euglenen z. B., die in einer engen Glaskapillare 
eingeschlossen sind, sammeln sich im Dunkeln sehr schön am offenen 
Ende, auch dann, wenn dieses seitlich oder abwärts steht und Geo- 
taxis (S. 92) nicht in Betracht kommen kann (Abb. 95). Doch ist ihr 
Sauerstoffbedürfnis offenbar gering, da die Reaktion ziemlich lange 
auf sich warten läßt. In kräftigerem Lichte kommt sie gar nicht zu- 
stande, weil die Euglenen sich durch Kohlensäurespaltung selbst 
Sauerstoff bereiten. Die Samenfäden der Farne sind gar nicht a@ro- 
taktisch (Pfeffer 1884, S. 372), die von Lebermoosen dagegen sehr 
deutlich (Lidforss 1904, S. 85). Bei Plasmodien von Aethalium 
septicum (Myxomycet), die sich auf Fließpapier teilweise in aus- 
gekochtem und durch Öl abgedichtetem Wasser, teils an der Luft 


280 VII. Reizwirkung stofflicher Einflüsse. 


befanden, beobachtete Stahl (1884b), daß sie ganz an die Luft 
herauskrochen, also das sauerstoffarme Medium flohen. Die A&rotaxis 
ist im Grunde nur ein besonderer Fall der Chemotaxis, eben die 
Reaktion auf Sauerstoff. Nur wegen ihrer besonderen Bedeutung für 
die Pflanze haben wir sie von den nun zu besprechenden übrigen 
chemotaktischen Erscheinungen abgesondert. 


e) Chemotaxis der Samenfäden. 


Waren durch Engelmann die a@rotaktischen Reaktionen der 
Bakterien gleich bei ihrer Entdeckung dem Studium unterzogen 
worden, so blieb die chemotaktische Anlockung der männlichen Samen- 
fäden durch den weiblichen Geschlechtsapparat längere Zeit Ver- 
mutung, bis dann Pfeffer (1884) seine Untersuchung dieses Vorganges 
unternahm. Er bediente sich zunächst der Samenfäden von Farnen, 
die leicht in Masse zum Ausschlüpfen veranlaßt werden können, wenn 
vorher nicht zu feucht gehaltene Vorkeime in Wasser gebracht 
werden. Das geschah in Pfeffers Versuchen auf dem Öbjektträger 
unter dem Mikroskope. Waren an dem Vorkeime gleichzeitig reife 
weibliche Geschlechtsorgane, die hier etwa flaschenförmig sind, so 
öffnete sich deren Hals und ließ einen schleimigen Tropfen austreten. 
Nach diesem steuerten die rasch beweglichen Samenfäden hin und 
suchten durch den Hals nach der im ‚„Bauche der Flasche‘ befind- 
lichen Eizelle vorzudringen. 

Pfeffer hegte nun die Vermutung, daß es ein bestimmter chemi- 
scher Stoff sein dürfte, der die Anlockung bewirkte. Um die Masse 
der möglichen Substanzen einzuengen, wurde folgendes Verfahren an- 
gewendet: Zunächst wurde untersucht, ob es sich um einen in Pflanzen 
verbreiteten oder einen spezifischen Stoff handle. Es zeigte sich, daß 
sowohl der aus verschiedenen angeschnittenen Pflanzenhaaren her- 
vorquellende Saft als auch die durch Auspressen aus einigen Ge- 
wächsen gewonnene Flüssigkeit wirksam war. Für diese letzten und 
die folgenden Versuche mußte eine Methode ersonnen werden, die zu 
prüfenden Substanzen in ähnlicher Weise ins Wasser diffundieren zu 
lassen wie das bei den Hälsen der weiblichen Geschlechtsorgane und 
den zuerst verwendeten Haaren der Fall war. Pfeffer bediente 
sich hierzu haardünn ausgezogener und einseitig zugeschmolzener 
Glasröhrchen oder Kapillaren, die mit den Lösungen gefüllt 
wurden. 

Nachdem sich aus den ersten Versuchen ergeben hatte, daß die 
Reizwirkung von einem oder vielen allgemein verbreiteten Pflanzen- 
stoffen ausgehe, verschaffte sich Pfeffer durch Kochen, Eindampfen, 
Wiederauflösen, Glühen usw. eines Saftes die Gewißheit, daß es sich um 
eine kochfeste, nicht flüchtige, organische Substanz oder deren mehrere 
handeln müsse. Durch weitere chemische Behandlung wurde es noch 
wahrscheinlicher, daß wirklich eine einzelne chemische Verbindung 
die Reizwirkung ausübe. Alle in Betracht kommenden Substanzen 


Chemotaxis der Samenfäden. 281 


einzeln durchzuprüfen hätte nun sehr lange gedauert. Deshalb 
stellte sich Pfeffer zunächst aus Gruppen von Stoffen Gemische her, 
die in verdünnter Lösung in die Kapillaren gefüllt wurden. Die erste 
Gruppe enthielt Salze organischer Säuren, die zweite Kohlehydrate, 
die dritte Aminosäuren und dergleichen. Nur die erste Gruppe übte 
eine Reizwirkung aus, und durch Prüfung der einzelnen Verbindungen 
erwies sich die Apfelsäure als Reizstoff. Diese ist in der Tat ein 
allgemein verbreiteter Pflanzenstoft. 

Pfeffer begnügte sich nun nicht mit diesen Feststellungen, son- 
dern benutzte die gewonnenen Resultate sogleich zu einem exakten 
Studium des chemotaktischen Reizvorganges. Bei genauerer Beob- 
achtung des Verhaltens der Samenfäden zeigte sich, daß im Ver- 
suchstropfen nach dem Hineinschieben einer Kapillare mit Apfel- 
säurelösung die vorher ungeordnet durcheinander schießenden 
Schwärmer, sobald sie in die Nähe der Diffusionsöffnung kamen, 
plötzlich nach dieser hin abschwenkten und in das Röhrchen ein- 
drangen. Bald wimmelte es erst um und dann in der Kapillare von 
Samenfäden, die so fast alle aus dem Beobachtungstropfen heraus- 
gefangen werden konnten. 

Des weiteren wurden dann quantitative Versuche angestellt, die 
über das Verhalten der Samenfäden bei verschiedenen Konzentrationen 
des Reizstoffes Aufschluß geben sollten. Sie zeitigten folgende 
Ergebnisse: Damit eine bemerkbare Reizreaktion ausgelöst werde, 
muß die Apfelsäure in der Kapillare eine gewisse, allerdings sehr 
niedrige Konzentration erreichen, die als Reizschwelle bezeichnet 
wird. Die Grenze liegt etwa bei 0,001°/, Apfelsäure. Bei einer so 
schwachen Lösung kommt freilich nur eine schwache Ansammlung 
zustande, die sich wieder zerstreut, sobald der Reizstoff sich durch 
Ausbreitung verdünnt hat. 

Die bezeichnete [absolute] Reizschwelle gilt nur dann, wenn 
die Samenfäden selbst sich in völlig apfelsäurefreiem Wasser befinden. 
Sobald die Außenlösung auch nur Spuren des Reizstoffes enthält, 
wie er z. B. aus verletzten Zellen des im Präparat befindlichen 
Vorkeimes herausdiffundiert, so wird die Empfindlichkeit ganz be- 
trächtlich vermindert, d. h. die Anlockung wird erst durch eine 
höhere Konzentration in der Kapillare bewirkt. Die hierfür geltende 
Zahlenregel, das sog. Weber-Fechnersche Gesetz, stellte Pfeffer 
für die Samenfäden der Farne zum ersten Male im Pflanzenreiche fest. 
Er fügte der Außenflüssigkeit vorsätzlich gewisse Mengen von Apfel- 
säure zu und bestimmte die niedrigste Konzentration, die die Lösung 
im Röhrchen haben mußte, damit Chemotaxis zustande kam. Das 
Resultat war, daß eben merkliches Einschwärmen beobachtet 
wurde, wenn die Apfelsäurelösung in der Kapillare dreißig- 
mal so konzentriert war als die Außenlösung. Dieses kon- 
stante Verhältnis heißt die Unterschieds- oder besser die Verhält- 
nisschwelle. 


ID 
es] 
ID 


VII. Reizwirkung stofflicher Einflüsse. 


Tabelle nach Pfeffer (1884). 


Die Kapillarflüssigkeit besitzt die 
20fache | 30fache | 4Ofache | 50fache 
Konzentration und enthält an Apfelsäure: 


Die Außenflüssigkeit 
enthält Apfelsäure: 


1. 0,0005 %/, 0,019), 0,015), 0,020), 0,025 %/, 
2. 0,001 %% 0,02% | 0,08 % 0,040/, 0,05 %/, 
3...0:0R 207: 0,2 %. | 0,3 9% 0,4 %% 05 % 
4. 0,05 °% 10% | 18 Yp.2. 11, 2,000 25.20 


in obiger Tabelle sind die von Pfeffer in einer Versuchsreihe 
geprüften Kombinationen angegeben. Bei 50- und 40facher Kon- 
zentration trat stets starke, bei 20facher keine Ansammlung ein, bei 
30facher war die Anlockung etwa so wie bei Erreichung der absoluten 
Reizschwelle, also bei 0°/, außen und 0,001 °/, innen. 

Man ersieht daraus zunächst, daß der Reizanlaß nicht in dem 
Vorhandensein einer gewissen Menge von Apfelsäure liegt, sondern 
darin, daß sich in oder vor der Kapillare mehr davon befindet als 
in der umgebenden Flüssigkeit. Und zwar kommt es nicht auf die 
Differenz, sondern auf das Verhältnis der Konzentrationen an. Das 
eben ist der Sinn des Weberschen Gesetzes. 

Weiterhin ergibt sich aus den angeführten Befunden, daß die 
untere Grenze des Empfindungsvermögens für chemische Stoffe 
durchaus noch nicht mit dem Schwellenwert für die Chemotaxis, 
also mit der niedrigsten gegen Wasser anlockenden Konzentration 
gegeben ist. Vielmehr hat eine sehr viel verdünntere Lösung, falls 
sie als Außenflüssigkeit verwendet wird, einen Einfluß auf die Lage 
der Verhältnisschwelle, muß also eine Reizwirkung ausüben. Nehmen 
wir an, daß das Webersche Gesetz auch noch bei geringeren Kon- 
zentrationen gälte als sie Pfeffer verwendete, so würde durch eine 
Außenlösung, die nur wenig mehr als 0,001 : 30 — 0,000 033 °/, Apfel- 
säure enthielte, die Reizschwelle erhöht werden. Diese Konzentration 
würde also die untere Grenze des empfindlichkeitsvermindernden Ein- 
flusses der Apfelsäure darstellen, vorausgesetzt, daß das Weber- 
Fechnersche Gesetz noch bis zu so niederen Konzentrationen hinab 
gilt. Über eine etwa bestehende untere Grenze ist nichts bekannt. 
Unzweifelhaft müssen aber ungeheuer verdünnte Lösungen schon eine 
teizwirkung ausüben. 

Mit Hilfe des Weberschen Gesetzes kann auch die Konzentration 
von Apfelsäure in irgendwelchen Pflanzenteilen festgestellt werden, 
indem diejenige Außenlösung ausgeprobt wird, in der gerade noch 
Anlockung von Farnspermatozoiden stattfindet. Die weiblichen Ge- 
schlechtsorgane z. B. wirken nach Pfeffer noch chemotaktisch, wenn 
sie in einer 0,001 prozentigen Apfelsäurelösung liegen. Sie müssen 
daher etwa 0,3°/, davon enthalten. 


Chemotaxis der Samenfäden. 283 


Von allen untersuchten chemischen Stoffen fand Pfeffer nur die 
Apfelsäure und deren Salze, sowie in geringerem Maße die ihr 
chemisch nahe stehende Maleinsäure wirksam. Keine Anlockung 
erhielt er durch den Diäthylester der Apfelsäure, der einem Salze 
ähnlich zusammengesetzt ist. Ostwald machte später darauf auf- 
merksam, daß die wirksamen Verbindungen alle in Wasser dasselbe 
Apfelsäure-Ion abspalten, der Ester dagegen nicht. Dieser Hinweis 
hat eine große Bedeutung gewonnen. Heute unterscheiden wir bei 
allen chemischen Reizwirkungen den Einfluß der Ionen unter sich 
und von dem der Molekule. 

Schon in Pfeffers Versuchen wurden die Samenfäden verschie- 
dener Farnarten mit dem gleichen Erfolge auf Apfelsäure geprüft. 
Desgleichen die eines Moosfarns (Selaginella).. Unwirksam erwies 
sich diese Säure dagegen für das Kleeblattfarn (Marsilia). Später 
haben verschiedene Autoren eine große Anzahl von Samenfäden der 
Gefäßkryptogamen systematisch auf ihre Reizbarkeit untersucht, so 
Lidforss (1905) die von Schachtelhalmen (Equisetum), Bruchmann 
(1909) die vom Bärlapp (Lycopodium) und besonders eingehend 
Shibata die von Farnen, von Isoötes, Salvinia und Equisetum (zu- 
sammengestellt 1911). Mit Ausnahme von Lycopodium, für das Bruch- 
mann Zitronensäure als wirksam nachwies, und Marsilia, für das 
noch keine Erfolge vorliegen, reagieren alle geprüften Spermatozoen 
der farnartigen Gewächse auf das Apfelsäure-Ion, und zwar beginnt 
die Wirkung überall etwa bei derselben Reizschwelle. Außerdem ist 
wie bei den Farnen so auch bei Salvinia Maleinsäure wirksam; bei 
lsoötes dagegen Fumarsäure und bei Equisetum Weinsäure. Da- 
neben findet sich bei einigen Samenfäden noch eine Reizbarkeit für 
gewisse andere organische Säuren, die in ihrer chemischen Kon- 
stitution eine Verwandtschaft mit den genannten aufweisen (Shi- 
bata 1911). 

So wie die Reizschwelle ist auch die Verhältnisschwelle für 
Apfelsäure meist nicht sehr abweichend von der bei Farnen und 
bewegt sich zwischen 30 und 50. Nur Isoötes macht darin eine 
Ausnahme, denn die Lösung in der Kapillare muß hier 400 mal so 
konzentriert sein, als die Außenflüssigkeit, damit Anlockung stattfindet. 


Shibata drückt diese Tatsache so aus, daß er sagt: „Die Unterschieds- 
empfindlichkeit der Isoötes-Samenfäden für die Malat- (Apfelsäure-) Ionen ist 
eine viel gröbere als die der Farn-Samenfäden“. Mit demselben Rechte kann 
man aber auch sagen, daß die Isoötes-Spermatozoen sehr viel empfindlicher 
für die schwellenerhöhende Wirkung des Reizmittels in der Außenlösung sind. 
Führen wir hier dieselbe Rechnung aus wie oben für Farnspermatozoen, um 
die untere Grenze dieser Reizwirkung zu bestimmen, so kommen wir auf 
0,0000017 °/, gegen 0,000033 ®/,, resp. 0,000022°/, bei Farnen, wenn wir Shiba- 
tas Angaben zur Rechnung verwenden, also auf eine noch viel geringere Kon- 
zentration. (Die Bestimmungen sind naturgemäß nicht exakt genug, um ge- 
nauere Rechnungen zu ermöglichen.) 


Neben den organischen Säuren fand Buller (1900) bei Farnen 
auch noch Kalium- und Rubidiumsalze anlockend, deren Wirksamkeit 


254 VII. Reizwirkung stofllicher Einflüsse. 


Pfeffer seinerzeit übersehen hatte, offenbar wegen der unerwartet 
hohen Konzentrationen, die angewendet werden müssen. So wie hier 
die Wirkung den zwei chemisch sehr nahestehenden Metall-Ionen 
zuzuschreiben ist, so wirken bei Salvinia und Osmunda (Farn) das 
Calcium- und das Strontium-Ion und bei Equisetum eine ganze 
Zahl von Metall-Ionen (Shibata 1911), und zwar bemerkenswerter- 
weise graduell verschieden, je nach ihrer Stellung im System der 
Elemente. 

Damit ist aber die Reihe der Stoffe, die auf die taktischen 
Reaktionen der Spermatozoön von Farnen und Verwandten einwirken, 
noch nicht erschöpft. 

Wie Pfeffer (1884) fand, wirkt sowohl die freie Apfelsäure wie 
auch deren Salze bei höherer Konzentration nicht mehr anlockend, 
sondern im Gegenteil abstoßend auf Farnsamenfäden. Die Repulsiv- 
wirkung konzentrierterer Salzlösungen beruht auf deren wasserent- 
ziehender Kraft, ist also keine Chemotaxis, und wird deshalb unter 
der Bezeichnung Osmotaxis weiter unten behandelt werden. 

Bei der Apfelsäure liegt der Grund der Abstoßung dagegen in 
der sauren Reaktion, die bei höherer Konzentration negative Chemo- 
taxis bewirkt. Daß dem so ist, erkennt man daraus, daß auch 
nicht anlockende Säuren die Samenfäden abstoßen. Bei der in 
stärkerer Lösung gleichzeitig anlockenden und abstoßenden Apfelsäure 
sieht man die Schwärmer sich der Kapillarenöfinung nähern, dann 
aber zurückprallen und erst eindringen, wenn durch Diffusion eine 
Verdünnung der Innenlösung eingetreten ist. 

Während sich die Samenfäden von Isoötes in ihrer Reaktions- 
weise gegen Säure wie die der Farne verhalten, also stets nur fliehen, 
fand Shibata bei Equisetum und Salvinia daneben bei größerer Ver- 
dünnung auch Anlockung. In allen diesen Fällen positiver und 
negativer Chemotaxis gegen saure Lösungen entspricht die Wirkung 
der einzelnen Säuren ihrem Dissoziationsgrade, ist also dem H-Ion 
allein zuzuschreiben. 

Ebenso wie die saure, so wirkt die alkalische Reaktion, also 
das OH-Ion, abstoßend auf Farn- und andere Samenfäden, doch 
können auch sie unter Umständen, nämlich bei Isoötes, in verdünnter 
Lösung Anlockung hervorrufen. Noch eine Anzahl weiterer Stoffe, 
Alkaloide und Farbstoffibasen fand Shibata zuweilen wirksam. 

Derselbe Autor stellte sich auch die Frage, ob die chemotaktische 
teaktion der Samenfäden gegen verschiedene Stofle auf eine einzige 
teizbarkeit des Plasmas zurückzuführen sei oder ob verschiedene 
Sensibilitäten anzunehmen sind!). Eine Möglichkeit, dieses Problem 
anzugreifen, gibt die Gültigkeit des Weberschen Gesetzes an die Hand. 
Beruht nämlich die Attraktion der Samenfäden durch verschiedene 
Substanzen immer auf derselben Sensibilität, so muß jeder von ihnen, 


1) Dieselbe Frage war für Bakterien von Pfeffer, Rothert und Kniep 
schon früher behandelt worden. Darüber weiter unten S. 290. 


Chemotaxis der Samenfäden. 285 


falls er in der Außenflüssigkeit gegeben ist, die Reizwirkung jedes 
anderen vermindern. 

Das ist nun nicht der Fall. Es kann sogar vorkommen, daß 
Samenfäden, die sich in der Lösung eines Reizstofies befinden, einer 
Kapillare zustreben, obgleich diese mit einer an sich weniger wirk- 
samen Füssigkeit gefüllt ist. Doch greift auch nicht jeder chemisch 
verschiedene Stoff auf besondere Weise reizend ins Plasma ein. 
Vielmehr müssen wir eine gleichartige Wirkung für die einzelnen, 
einer physiologisch-chemischen Gruppe angehörigen Sustanzen an- 
nehmen. 

So konnten bei den Samenfäden der farnartigen Pflanzen 
drei verschiedene chemotaktische Sensibilitäten für die Anlockung 
unterschieden werden, eine für das Apfelsäure-Ion und die anderen 
wirksamen organischen Säuren, eine für das OH-Ion (nur bei Isoötes) 
und eine gemeinsame für die Metall-Ionen (und H-Ionen bei Equisetum 
und Salvinia), sowie die Alkaloide. Die Anwesenheit anorganischer 
Säuren in der Außenlösung würde also bei Equisetum-Samenfäden 
die Anlockung durch ein Salz der Apfelsäure nicht stören, wohl 
aber die von Weinsäure. Innerhalb der einzelnen auf dieselbe Sensi- 
bilität wirkenden Gruppen von Reizstoffen sind die Verhältnisse recht 
verwickelt. Meist stumpft zwar ein Stoff entsprechend der Größe 
seiner anlockenden Reizwirkung ab, doch nicht immer. 

Von den chemisch sich nahestehenden Stoffen allerdings be- 
wirken die einzelnen die gleichen oder ähnliche Reizperzeptionen. 


Neben den Samenfäden der Farnpflanzen prüfte schon Pfeffer 
(1884) auch die einiger anderer grüner Gewächse. Bei den Laub- 
moosen entdeckte er .in Rohrzucker den, also chemisch gegenüber 
den Farnen ganz abweichenden, spezifischen Reizstoffl, während es 
ihm bei den Lebermoosen und Armleuchtergewächsen (Charen), trotz 
deutlicher Chemotaxis gegen die weiblichen Organe, nicht gelang 
die wirksame Substanz aufzufinden. Bei den paarweise verschmel- 
zenden Sexualschwärmern von Ulothrix und Chlamydomonas konnte 
er Anlockung überhaupt’ nicht beobachten. 

Für die Lebermoose, oder doch eins von ihnen, dem die 
anderen wohl entsprechen werden, nämlich Marchantia polymorpha, 
hat inzwischen Lidforss (1904) das spezifische Chemotaktikum in 
Eiweißstoffien gefunden. Sie bilden also in dieser Hinsicht einen 
Parallelfall zu den Pollenschläuchen. Doch wirken hier nicht wie 
dort auch Zuckerarten, überhaupt gar keine anderen Stoffe anlockend. 
Höhere Konzentrationen verschiedener Substanzen, auch von Ei- 
weißstoffen haben negative Chemotaxis zur Folge, sodaß die an- 
fangs angelockten Spermatozo@en in der Nähe der Kapillare zurück- 
prallen. 

Wie man sieht, werden in den verschiedenen Gruppen der mit 
Samenfäden versehenen Pflanzen chemisch stark voneinander ab- 
weichende Stoffe als im Dienste der Befruchtung stehende spezifische 


286 VII. Reizwirkung stofflicher Einflüsse. 


Chemotropika aufgefunden. Daneben reagieren die Spermatozoen 
freilich oft noch auf ganz andere Substanzen, aber viel schwächer. 
Immer sind die natürlichen Anlockungsstoffe jedenfalls organische 
Substanzen, die in Pflanzen weit verbreitet sind, und fast überall er- 

'3streckt sich die Wirkung über eine Gruppe sich chemisch nahe- 
stehender Verbindungen. Nur bei den Laubmoosen ist bisher allein 
der Rohrzucker wirksam gefunden worden. Andrerseits drückt sich 
in der Natur der anlockenden Stoffe die natürliche Verwandtschaft 
der Organismen aus, wie das besonders bei den farnartigen Pflanzen 
hervortritt. Bei einigen Gewächsen, wie bei den Armleuchter- 
gewächsen und Tangen ist bisher ein wirksamer Stoff nicht auf- 
gefunden worden, obgleich auch da zweifellos chemotaktische An- 
lockung durch die weiblichen Organe stattfindet. 


f) Chemotaxis der Schwärmsporen, Bakterien usw. 


An die der Befruchtung dienenden Spermatozoen schließen wir 
die ungeschlechtlichen Schwärmsporen oder Zoosporen an. Beide 
zeigen in ihrer Entwickelung und Gestalt viefache Übereinstimmung. 
Auch die Zoosporen finden ihren Weg auf Grund von taktischer 
Reizbarkeit; und zwar sind im allgemeinen die der grünen Algen 
vorwiegend phototaktisch, die der farblosen Pilze chemotaktisch, wie 
das der Ernährungsweise dieser Gewächse entspricht. 

Ökologisch betrachtet dient die Chemotaxis der Zoosporen einem 
anderen Zwecke als die der Samenfäden. Die letzteren haben allein 
die unbewegliche Eizelle aufzusuchen. Die Gewinnung geeigneter 
Ansiedelungsorte bleibt anderen Umständen überlassen. Dagegen ist 
es die Aufgabe der Zoosporen, auf Grund ihrer Beweglichkeit von 
dem ausgenutzten Substrate und der Mutterpflanze sich zu entfernen 
und einen günstigen neuen Standort zu erreichen, dort sich festzu- 
setzen und zu keimen. Dieser Funktion dient ihre Reizbarkeit. 

Genauere Untersuchungen liegen über die Schwärmsporen der 
Myxomyceten (Schleimpilze) und Saprolegniaceen (Wasserpilze) vor, 
ferner über die beweglichen Stadien der Bakterien, die man in ge- 
wisser Hinsicht den Zoosporen angliedern darf, wenn auch ihr Schwärm- 
zustand gegenüber dem unbeweglichen eine größere Rolle spielt. 
Die Flagellaten und Volvocineen kann man gleichfalls in diese Gruppe 
einordnen. 


Mit der Chemotaxis der Myxomycetenschwärmer hat sich zu- 
erst Stange (1890) beschäftigt. Er fand, daß die in Wasser leicht 
keimenden Sporen von Aethalium septicum und Chondrioderma dif- 
forme langsam schwimmende und daher auch langsam sich ansam- 
melnde Schwärmer entlassen. So beobachtete er erst einige Zeit nach 
dem Ansetzen des Versuches, was seine Befunde etwas unsicher 
macht. In dünne Kapillaren gefüllte Lösungen von Apfelsäure, Milch- 
und Buttersäure lockten die Schwärmer von Chondrioderma an, auch 


Chemotaxis der Schwärmsporen, Bakterien usw. 287 


Asparagin erwies sich, wenn auch weniger wirksam. Einige andere 
organische Stofie hatten keine Ansammlung zur Folge. Auch die 
meisten organischen Säuren außer den genannten wirkten, wenn 
überhaupt, nur abstoßend. Dagegen erfolgte Attraktion durch die 
Salze der als wirksam erwähnten Säuren. Demnach müßte deren 
Reizkraft in den Stangeschen Versuchen den besonderen Anionen 
zugeschrieben werden. Neben den organischen Säuren und ihren 
Salzen lockte auch Fleischextrakt die Schwärmer an. 

Eine Ergänzung und teilweise Berichtigung erfuhren diese Er- 
gebnisse durch eine ausführliche Arbeit von Kusano (1909), in der 
auch die Anschauungen der modernen physikalischen Chemie zu 
ihrem Rechte kommen. Im Gegensatz zu Stange fand Kusano bei 
seinen Versuchsobjekten, nämlich Schwärmern von Aethalium, Stemonitis 
und Comatricha (Sporen anderer Arten wollten in Wasser nicht keimen) 
eine Ansammlung oft schon nach fünf Minuten. Wirksam erwiesen 
sich alle sauren Stoffe, und zwar nach Maßgabe ihrer Säurewirkung, 
d. h. ihrer H-Ionen-Konzentration. Dieses Resultat wird eingehend be- 
gründet. Durch andere Substanzen, z. B verschiedene neutrale an- 
organische Salze, Zucker, Pepton u. dgl. wurde keine Anlockung 
bewirkt, die vielmehr nach Kusano allein dem H-Ion vorbehalten 
ist. Da wo Stange mit Säuren keine positive Resultate bekommen 
hat, soll nach Kusano zur Zeit der Beobachtung die Diffusion schon 
zu weit fortgeschritten gewesen sein). 

Im Gegensatz zu der Einheitlichkeit des bei Kusano positive 
Chemotaxis bewirkenden Reizmittels steht die Mannigfaltigkeit der 
abstoßend wirkenden Stoffe. Stange fand einen solchen im Apfel- 
säurediäthylester. Auch erwiesen sich die bei niederer Konzentration 
anlockenden organischen Säuren bei höherer als repulsiv. Genauere 
Beachtung fanden diese Verhältnisse wieder bei Kusano. Eine zehn- 
prozentive Schwefelsäurelösung (1 Mol) bewirkte eine scharfe Ring- 
bildung vor der Kapillarenöffnung, d. h. in einer bestimmten engen 
Diffusionszone hielten sich Anlockung und Abstoßung gerade das 
Gleichgewicht. Man sieht hier also deutlich, daß ein Optimum der 
H-Ionenkonzentration aufgesucht wird und daß Attraktion und Re- 
pulsion demselben Reizmittel zuzuschreiben sind. Bei den organischen 
Säuren ist die Ringbildung nicht so scharf, und die in der betreffen- 
den Zone herrschende H-Ionenkonzentration ist niedriger als die opti- 
male. Mithin muß hier noch eine Repulsivwirkung der Anionen oder 
der Molekule als solcher angenommen werden. 

Da die aus den Schwärmern hervorgehenden Plasmodien (vgl. 
S. 19) gleichfalls freie Ortsbewegung besitzen, so sei ihre Reizbarkeit 
hier gleich mit angeschlossen. Die in Gerberlohe lebenden Plas- 
modien von Aethalium werden nach Stahl (1854b) durch Loheauszug 
angelockt. Befinden sie sich auf Fließpapier, das auf einer Seite in 


1) So zuverlässig die K.sche Arbeit aussieht, so wären einige nicht ver- 
ständliche Differenzen gegen Stange doch erneut zu prüfen. 


288 VII. Reizwirkung stofflicher Einflüsse. 


die genannte Lösung eintaucht, so kriechen sie nach dieser Seite. 
Säure dagegen wirkt repulsiv. Stange (1890) konnte bei demselben 
Objekte Stahls Befund bestätigen, aber nicht den wirksamen Be- 
standteil des Loheauszuges feststellen, auch keinen weiteren Reizstoff 
auffinden. Dagegen konnte er bei Chondrioderma durch Lösungen 
von Apfelsäure und Asparagin, in Kapillaren geboten, positive Chemo- 
taxis bewirken. Er übertrug etwas von dem Schleimpilz auf den 
Objektträger und nachdem es sich etwas beruhigt hatte, näherte er 
die Kapillarenöffnung dem Rande des umherkriechenden Plasmodiums. 
Es zeigte sich dann die anlockende Wirkung in der vorzugsweisen 
Strömung nach der betreffenden Seite. In anderen Versuchen stellte 
er zwei Bechergläser, von denen eins mit Wasser, eins mit der Ver- 
suchslösung gefüllt war, nebeneinander. Ein Fließpapierstreifen tauchte 
mit je einem Ende in die beiden Flüssigkeiten, die gleich hochstehen 
mußten, um Strömungen zu vermeiden. Ein Teil von dem Plas- 
modium wurde nun auf das Papier gesetzt, in dem eine Diffusion 
des Reizstoffes stattfand, und es wurde dann beobachtet, nach wel- 
cher Seite es kroch. 

Mit dem Alter des Materials und seiner Herkunft ändert sich 
die Reaktionsweise häufig in schwer übersichtlicher Weise, wie über- 
haupt die Plasmodien als reizphysiologisch sehr „launisch“ betrachtet 
werden. Die Untersuchung der Ursachen dieser Veränderungen 
wäre eine besondere Aufgabe, die erst noch in Angriff genommen 
werden soll. 


Den Schwärmsporen der Saprolegnien hat schon Pfeffer in 
seiner ersten Arbeit (1884) seine Aufmerksamkeit zugewendet. Die 
Zoosporen dieser Pilze, die in Wasser besonders auf Tierleichen wachsen, 
werden durch die aus Fliegenbeinen diffundierenden Stoffe angelockt, 
ferner auch durch Fleischextraktlösung. Stange, der diese Unter- 
suchung fortsetzte (1890), gelang es, die anlockenden Stofle mehr zu 
präzisieren. Danach muß das Phosphat-Ion als spezifisches Lock- 
mittel angesehen werden. Phosphate sind in Fleischextrakt reichlich 
vorhanden und dürften aus toten Tierkörpern stets diffundieren. Be- 
merkenswert ist die Anlockung durch Leeithin, einen hoch zusammen- 
gesetzten Ester der Phosphorsäure. Außer den genannten Stoffen 
war nur noch Essig- und Weinsäure wirksam. Kapillaren, die mit 
diesen Säuren angefüllt waren, wurden aber von den Schwärmern 
allmählich wieder verlassen, die im Gegensatz dazu in Phosphaten usw. 
zur Ruhe kamen und keimten. 

Bei den Saprolegnien machen die Zoosporen zwei Schwärmstadien 
durch, indem die frisch aus der Mutterpflanze entlassenen Schwärmer 
nach einiger Zeit zur Ruhe kommen, bald aber wieder auskeimen 
und von neuem, und zwar schneller, davoneilen. Stange fand nun, 
daß nur das zweite Stadium chemotaktisch reizbar ist. Rothert 
(1901) betont, wie merkwürdig dieser Fall ist, daß plötzlich, in einem 
bestimmten Entwickelungstadium, ohne das Dazwischentreten irgend- 


Chemotaxis der Schwärmsporen, Bakterien usw. 289 


welcher äußerer Einflüsse, eine neue Eigenschaft auftritt. Ökologisch 
findet er es begreiflich, daß dem ersten Schwärmstadium, dem noch 
ein zweites Schwärmen zu folgen hat, chemotaktische Fähigkeiten 
abgehen. Ist es aber nicht sogar sehr rationell, daß die Zoosporen 
erst der Anlockungssphäre des schon .besiedelten Substrates enteilen, 
ehe ihre eigene Reizbarkeit erwacht? Sie werden dadurch verhin- 
dert, mit dem Muttermycel in Wettbewerb zu treten. Übrigens gibt 
es auch Saprolegniaceen, bei denen die den ersten Schwärmern ent- 
sprechenden Gebilde keine Eigenbewegung besitzen. 


Auch bei den Bakterien als typischen Flüssigkeitsbewohnern 
werden wir, soweit sie beweglich sind, eine gut entwickelte chemo- 
taktische Reizbarkeit erwarten dürfen. Dementsprechend reagieren 
besonders die Fäulnisbakterien auf eine große Anzahl von Stoffen, 
während mehr spezialisierte Formen auch in ihrer Reizbarkeit der 
besonderen Lebensweise angepaßt sind. 

Schon in seinen ersten Versuchen mit Fäulnisbakterien (Bacterium 
termo und Spirillum Undula) fand Pfeffer (1884) vielerlei Sub- 
stanzen wirksam. Besonders Fleischextrakt erwies sich als stark 
anlockend, desgleichen Asparagin und alle zur. Ernährung ge- 
eigneten Substanzgemische. Außer Asparagin scheinen damals ein- 
zelne Stoffe nicht geprüft worden zu sein. Doch ergibt sich aus den 
Resultaten deutlich, daß auch Pepton und Rohrzucker Anlockungs- 
stoffe darstellen. 

Außer der chemotaktischen entfalteten die wirksamen Substanzen 
noch eine beschleunigende Wirkung auf die Bewegung der Bakterien, 
ganz im Gegensatz zu den Saprolegniaschwärmern, die in den wirk- 
samen Lösungen zur Ruhe kommen. Doch entspricht diese Diffe- 
renz durchaus der Lebensweise der beiden Örganismengruppen; 
denn die beweglichen Bakterien tummeln sich, solange Nährstoffe 
vorhanden sind, in der Diffusionszone der faulenden Substanzen, 
während die Saprolegniaschwärmer auf geeigneten Substraten zur 
Ruhe kommen, keimen und sich zu den watteartigen Pilzmassen 
entwickeln. 

Später (1888) untersuchte Pfeffer eine große Anzahl von Bak- 
terien auf ihr chemotaktisches Verhalten gegen die verschiedensten 
Stoffe. Von anorganischen Salzen erwiesen sich besonders die des 
Kaliums als wirksam, doch werden die empfindlichsten Bakterien auch 
durch die meisten anderen Neutralsalze der Alkali- und alkalischen 
Erdmetalle angelockt. Die weniger empfindlichen reagieren nur auf 
die wirksamsten Reizstoffe. Allerdings ist die Reihenfolge der Wirk- 
samkeit — geschlossen aus der Höhe der Reizschwelle — nicht bei 
allen Bakterien dieselbe. Doch sind allgemein Kaliumsalze bessere 
Lockmittel als die des Natriums, Ammoniums, Lithiums, Caesiums, Rubi- 
diums wie auch des Magnesiums, Calciums, Strontiums und Bariums. 
Von den Eisensalzen scheinen nur die Ferriverbindungen, nicht aber 
die Ferrosalze anzulocken. 


Pringsheim, Reizbewegungen. 19 


290 VII, Reizwirkung stofllicher Einflüsse. 


Organische Stoffe wurden nicht in so großer Anzahl geprüft. 
Die Kohlehydrate sind im allgemeinen zwar wirksam, aber erst in 
auffallend hoher Konzentration. Davon macht allein das Dextrin 
eine Ausnahme, das den besten Reizmitteln, wenigstens Bakterium 
termo gegenüber gleichkommt. Seine Reizschwelle beträgt hier nur 
0,001°/,, während Traubenzucker erst bei etwa 10°/, deutlich an- 
lockt. Bei Spirillum undula freilich konnte mit Dextrin überhaupt 
keine Anlockung erzielt werden. 

Von Alkoholen wirkt Mannit mäßig anlockend, Glyzerin, obgleich 
ein guter Nährstoffl, gar nicht, Äthylalkohol stark repulsiv. Die 
stickstoffhaltigen Substanzen sind, soweit sie von Pfeffer geprüft 
wurden, alle Anlockungsmittel, besonders Pepton und Asparagin, auch 
Harnstoff, Taurin, Sarkin, Carnin usw. 

Alkalische und saure Reaktion wirken repulsiv. 

Rothert (1901) fand in einem Clostridium (= Amylobakter) und 
einer Termoform Organismen, die außer durch viele andere Substan- 
zen, wie z. B. Fleischextrakt, durch Äthyläther angelockt werden, 
also durch einen zur Ernährung kaum in Betracht kommenden Stoff. 
Höhere Konzentration davon wirkt auch repulsiv. Die Ansammlung 
findet dann in Ringform statt. Da hier weder saure oder basische 
Reaktion, noch der osmotische Druck als komplizierender Faktor in 
Betracht kommt, ist das wieder ein deutlicher Fall, daß bei quan- 
titativ verschiedener Verteilung eines einheitlich wirkenden Reiz- 
stoffes eine „optimale“ Konzentration aufgesucht wird. 

Rothert knüpfte an seine Beobachtungen noch eine weitere wich- 
tige Überlegung. Ernahm nämlich die schon von Pfeffer gestellte, 
aber nicht endgültig beantwortete Frage wieder auf, ob verschiedene 
Stoffe vermöge ein- und derselben oder verschiedener Sensibilitäten 
chemotaktisch anlocken.!) Bei so verschiedenen Stoffen wie Fleisch- 
extrakt und Sauerstoff schien schon Pfeffer das letztere wahrschein- 
licher. Das gleiche gilt für Fleischextrakt und Äther in den Rothert- 
schen Versuchen. Eine exakte Beantwortung fand diese Frage hier 
zum ersten Male auf Grund der Gültigkeit des Weberschen Gesetzes. 
Es konnte gezeigt werden, daß Äther die Empfindlichkeit gegen 
Fleischextrakt nicht aufhebt, daß also der Amylobakter mindestens 
zwei Sensibilitäten für chemische Stoffe besitzt. Wir können sie etwa 
vergleichen mit unseren Geschmacksempfindungen sauer, süß, salzig, 
bitter, die zwar nicht streng bezeichnend für die chemische Natur 
der Stoffe sind, aber uns doch helfen Gruppen von solchen, wie die 
Säuren, Zucker, Halogenalkalisalze zu unterscheiden. In ähnlicher 
Weise haben, wie aus dem bei den Samenfäden Gesagten und dem 
Folgenden hervorgeht, die chemotaktischen Organismen vielfach eine 
gemeinsame Sensibilität für ganze Gruppen von Stoflen, aber ver- 
schiedene Reizbarkeiten für chemisch abweichende Substanzen. 


1) Diese Frage wurde für die Farnsamenfäden schon oben (S. 284) be- 
sprochen. 


Chemotaxis der Schwärmsporen, Bakterien usw. 291 


Diese Frage hat dann Kniep (1906) neben anderem einer ge- 
naueren Bearbeitung unterzogen. Seine Objekte waren ein nicht 
genau bestimmter „Bacillus z“ und Spirillum rubrum. 

Bei Bacillus z ergab sich überraschenderweise ein verschiedenes 
Verhalten gegen Phosphate je nach der Ernährung. Auf Gelatine 
gewachsene Bakterien wollten nicht reagieren, während solche aus 
Erbsenwasser stark angelockt wurden. Es fand sich, daß die Reak- 
tion des Nährbodens das Ausschlaggebende ist. Die schwach alka- 
lische Reaktion der Nährgelatine vernichtet die Sensibilität gegen 
Phosphate, die durch schwache Säure gerade hervorgerufen wird. 
Wurde die Veränderung der Reaktion erst kurz vor dem Versuche 
vorgenommen, so zeigte sich die Vernichtung der Sensibilität gegen 
Phosphate durch OH’-Ionen fast plötzlich, wogegen die Wiederher- 
stellung durch H-Ionen zwölf und mehr Stunden erforderte, 

Umgekehrt wie die Reizbarkeit gegen das Phosphat-Ion verhielt 
sich die gegen das Ammon-Ion. Allerdings wurde die Empfindlich- 
keit gegen dieses durch Säure nur vermindert, nicht vernichtet. 

Das verschiedene Verhalten der PO,” und der NH, '-Sensibilität 
gegen die Reaktion der Nährflüssigkeit sprach schon für deren innere 
Selbständigkeit, die auch durch Versuche auf Grund der Abstump- 
fung nach dem Weberschen Gesetze bestätigt wurde. 

Kniep fragte sich nun, ob es auch Anlockungungsstoffe geben 
möge, deren Wirksamkeit von der Reaktion des Nährmediums unab- 
hängig sei. Als eine solche Substanz hatte sich freilich das Ammo- 
niumphosphat schon erwiesen, aber nur deshalb, weil es in Wasser 
beide oben besprochenen Ionen abspaltet. Im Gegensatz dazu ist das 
Asparagin ein undissoziierter Körper, der gleichwohl in seiner Wirkung 
durch saure oder alkalische Reaktion nicht beeinträchtigt wird und eine 
von den beiden früher konstatierten unabhängige Sensibilität auslöst. 

Das Spirillum rubrum konnte auf Beeinflussung der Reizbarkeit 
durch die Reaktion nicht untersucht werden, weil es durch Säuren 
und Basen zu leicht geschädigt wird. Doch ließ sich hier eine ge- 
trennte Sensibilität für CJ-(Chlorid) und SO,” (Sulfat)-Ionen nach- 
weisen. Was aber noch merkwürdiger schien, war die Beobachtung, 
daß Caleiumchlorid in der Außenlösung eine Anlockung durch Kalium- 
chlorid in der Kapillare verhindert, nicht aber umgekehrt. Die Er- 
klärung liegt wahrscheinlich darin, daß bei CaCl, sowohl das Cl- 
wie das Ca”-Jon wirksam sind, bei KCl aber allein das Cl’-Ion. Barium-, 
Strontium- und Magnesium-Salze erwiesen sich übrigens als ohne 
Einfluß. Weniger klar als der geschilderte Fall des Caleiumchlorids 
ist ein anderer von Kniep gefundener. Bei Spirillum rubrum zeigen 
nämlich Kaliumnitrat und Ammoniumnitrat zwar selbst keine an- 
lockende Wirkung, verhindern aber die Anlockung durch Chlor- 
kalium und Chlorammonium und zwar gradweise, je nach der vor- 
handenen Menge. 

Bisher sind zwei Wege gezeigt worden, die die Identität oder 
Verschiedenheit der Reizbarkeit für verschiedene Stoffe zu untersuchen 

19* 


292 VII. Reizwirkung stofflicher Einflüsse. 


erlauben. Man kann über diese Frage Aufschluß erhalten: einmal, 
indem man prüft, ob die Sensibilität für die verschiedenen Stoffe 
durch Einflüsse, die die Empfindlichkeit verändern, im gleichen oder 
ungleichen Sinne beeinflußt wird, oder man kann die gegenseitige 
Abstumpfung nach dem Weberschen Gesetz als Anzeichen verwenden. 
Ein dritter möglicher Weg ist bisher nicht ausdrücklich in diesem 
Sinne ausgebeutet worden. Er besteht darin, zu untersuchen, ob 
die einzeln unter der Schwelle bleibenden Reizwirkungen verdünnter 
Lösungen der beiden Stoffe in Gemischen sich bis zur wirksamen 
Reizung ergänzen. Einige derartige Versuche hat freilich Pfeffer 
(1888, S. 629) angestellt, und zwar mit dem für uns überraschenden 
Resultate, daß die Erregung durch sehr verschiedene Stoffe, z. B. 
Chlorkalium und Pepton oder Kreatin und Glukose sich summieren 
ließ. Neue Versuche in der Richtung wären sehr erwünscht. 

Außer Fäulnisbakterien hat Pfeffer auch einige Krankheitserreger 
auf Chemotaxis geprüft, fand sie aber wenig empfindlich. Vielleicht 
wurden nur die wirksamen Stoffe nicht gefunden. Nach Ali-Cohen 
reagieren die sonst ziemlich unempfindlichen Typhusbazillen und Cholera- 
vibrionen auf rohen Kartoffelsaft (Lafar I, 1904—1907). Sollte das 
vielleicht bedeuten, daß hier wie bei den Lebermoos-Samenfäden 
Eiweißkörper wirksam sind? 

Ein rotes Schwefelbakterium (Chromatium Weissii) wird nach 
Miyoshi (Pfeffer 1904) bemerkenswerterweise durch Schwefelwasser- 
stoff angelockt. Voraussichtlich werden Zusammenhänge zwischen 
chemotaktischer Reizbarkeit und Lebensweise auch sonst noch auf- 
zufinden sein. Hier liegt ein weites Feld für zukünftige Forschung! 


Ganz ähnlich wie die Bakterien, mit denen sie auch die Art der 
Ernäherung gemein haben, reagierten in Pfeffers Versuchen einige 
farblose Flagellaten, so der genauer untersuchte Bodo saltans. Im 
Grade der Empfindlichkeit und der Art der anlockenden Substanzen 
sind im Übrigen mancherlei Verschiedenheiten zwischen den geprüften 
Organismen vorhanden, die aber gegenüber dem Gesagten nichts 
neues zeigen. Auch einige grüne Flagellaten und Volvocineen 
wurden herangezogen. Bei ihnen übten wiederum Kalisalze eine 
starke Reizwirkung aus, daneben aber auch organische Stoffe, wie 
Pepton und Fleischextrakt. Offenbar findet das seine Begründung 
in der Ernährungsweise der geprüften Organismen, die neben der 
Kohlensäureassimilation auch organische Nahrung aufzunehmen im- 
stande sind. 

Innerhalb dieser Gruppe von zwar grünen, sich aber teilweise ge- 
mischt ernährenden Lebewesen finden sich, je nach der Bedeutung der 
organischen Nahrung für sie, Differenzen in der Reizbarkeit (Frank 
1904). Chlamydomonas tingens, eine in „‚mineralischer‘ Nährlösung gut 
wachsende Volvocinee wurde vorzugsweise durch anorganische Salze, 
besonders Nitrate angelockt, nicht aber durch Zucker, Pepton usf. 
Auch die für ihre Ernährung wichtige Kohlensäure hatte positive 


Chemotaxis der Schwärmsporen, Bakterien usw. 293 
Reaktion zur Folge. Im Gegensatz dazu stand Euglena gracilis, ein 
grüner Flagellat, der mit organischen Stoffen, besonders organischen 
Stickstoffverbindungen versorgt, sehr viel üppiger gedeiht als ohne diese. 
Er reagierte auf Nitrate gar nicht, dagegen auf 
Pepton und organische Säuren, die seine Ent- 
wickelung gleichfalls fördern, sehr schön. 

* Die ökologische Bedeutung dieser Reizbewe- 
gungen ist klar genug. Sie dürften wohl bei allen 
frei beweglichen Organismen vorkommen und diese 
in geeignete Ernährungsbedingungen bringen. 
Dabei wird ebensowohl die aus äußeren Gründen 
verschiedene Verteilung von Nahrungsstoffen als 
Reizursache in Betracht kommen, wie auch der 
Verbrauch von wertvollen und’ die Ausscheidung jpiatomeenkolonie auf 
von giftigen Stoffen durch die eigenen Art- Nährgallerte. Die Kiesel- 

S . 2 . algen streben von der 
genossen. Das Auseinanderspreizen der Oscillarien Mitte fort, den unbe- 
(velrAbb.7; 8.17) ist dafür ein 'hübsches Beispiel. : ""tzten Teilen des Nähr. 
In ähnlicher Weise fliehen sich dicht gedrängte Phot. Th. Meinhold. 
Diatomeen, z. B. in Agarkulturen, und werden sich 
entsprechend auch auf natürlichem Substrat ausbreiten (Abb. 96). 


Abb. 96. 


Chemische Reize beeinflussen schließlich auch noch die selbst- 
ständigeren Organe der Pflanzenzelle, ähnlich wie wir das von den 
Lichtreizen gehört haben. Senn (1908) entdeckte, das die Chloro- 
phylikörper vielfach durch Kohlensäure, aber auch durch mancherlei 
organische Stoffe, die von Zelle zu Zelle wandern, angelockt werden 
und sich nach der Seite begeben, von wo der Reizstoff her diffundiert, 
also echte Chemotaxis zeigen. Ähnliches wurde dann von Ritter 
(1911) auch für Zellkerne nachgewiesen. Inwieweit bei den nach 
Verwundungen (vergl. S. 246) stattfindenden Umlagerungen der Zell- 
bestandteile chemische Reize mitspielen, läßt sich noch nicht über- 
sehen. 


Zusammenfassend können wir sagen, daß bei allen darauf hin 
untersuchten freibeweglichen Organismen eine ihrer Ernährung und 
Lebensweise entsprechende chemische Reizbarkeit gefunden wurde. 
Allerdings darf man in ökologischen Deutungen nicht zu weit gehen. 
Davor warnen einige Beispiele, die Pfeffer und Rothert aufdeckten. 
So konnte der erstere Farnspermatozoen in Kapillaren locken, in 
denen sich neben einem Reizstoff ein tödliches Gift befand. Solche 
Stoffe wie Sublimat und Strychnin werden nun freilich in der Natur 
keine Rolle spielen. Und gegen andere, verbreitetere, wie Säuren, 
Basen, Alkohol reagieren bei höheren Konzentrationen wohl alle 
untersuchten Objekte durch die Flucht. 

Andrerseits ist aber auch bekannt, daß in der Natur nicht vorkom- 
wende Stoffe positive Reaktion bewirken. Hierhin kann man die 
Salze des Rubidiums, Caesiums, Lithiums usf. rechnen, und auch die 


294 VII. Reizwirkung stofflicher Einflüsse. 


nur künstlich darzustellende Maleinsäure. Aber in diesen Fällen 
kann man noch nicht von nutzloser Reaktion sprechen, da die Reiz- 
barkeit für die chemisch nahestehenden Kalium- resp. Apfelsäuresalze 
die Wirkung der genannten Stoffe mit bedingt. Derartiges läßt 
sich dagegen wohl nicht für die Anlockung des Rothertschen Clostri- 
diums durch Äther sagen. ‚‚Es ist bisher noch kein auch nur ent- 
fernt dem Äthyläther verwandter Stoff bekannt, welcher auf Bakterien 
oder andere Organismen anlockend wirkte.“ Allerdings sind die 
chemisch ähnlichen Stoffe auch nicht untersucht worden. Vor- 
läufig aber kann man auch kaum denken wie diese Reizbarkeit durch 
Anpassung erworben sein kann. 


&) Osmo-, Hydro-, Rheotaxis. 


Wiederholt wurde erwähnt, daß Stoffe, die sonst anlocken, bei 
höherer Konzentration repulsiv wirken. Das kann verschiedene 
Ursachen haben, die schon Pfeffer (1884) unterschied. So fand er, 
daß die freie Apfelsäure in großer Verdünnung positive, in höherer 
Konzentration aber wegen ihrer Säurewirkung negative Chemotaxis 
erzeugt. Ähnliches gilt für alkalische Stoffe. 

In anderen Fällen, z. B. bei dem Verhalten der Spirillen zum 
Sauerstoff und zum Pepton oder der Samenfäden von Marchantia 
zu den Eiweißstoffen wirkt eine Substanz bei höherer Konzentration 
negativ, bei niederer positiv, ohne daß wir angeben können, daß 
irgendeine Nebenwirkung der konzentrierteren Lösung daran die 
Schuld trägt, daß ein Umschlag in der Reaktion eintritt. Hier be- 
dingt ein Stoff vermöge seiner chemischen Reizwirkung das Aufsuchen 
einer optimalen Konzentration. Ob aber der Erregungsvorgang 
selbst einheitlich ist, oder ob nicht vielleicht im Organismus zwei 
physiologische Prozesse einander entgegen arbeiten, das ist noch 
nicht aufgeklärt. 

Deutlich als besonderer Reizvorgang unterscheidbar ist dagegen 
wiederum die von Pfeffer zuerst als solche erkannte Repulsions- 
wirkung konzentrierterer Lösungen vermöge ihrer wasseranziehenden 
oder osmotischen Kraft. Man nennt diese Erscheinung Osmotaxis. 
Daß sie mit Chemotaxis nichts zu tun hat, ergibt sich daraus, daß 
die relative Reizwirkung verschiedener Substanzen durch die Art der 
gelösten Stoffe nicht beeinflußt wird, sondern dem osmotischen Drucke 
der geprüften Flüssigkeit entspricht. (Vgl. S. 262.) 

Danach könnte es scheinen als wäre eine Reizreaktion sehr 
leicht als osmotaktisch zu erkennen. Man brauchte nur nach physi- 
kalisch-chemischen Regeln Lösungen verschiedener Stoffe von dem 
gleichen osmotischen Drucke herzustellen und zu sehen, ob sie die- 
selbe Reizwirkung ausüben. In Wirklichkeit liegt die Sache aber 
doch verwickelter. Nur der positive Ausfall solcher Versuche, also 
die Übereinstimmung des osmotischen Druckes verschiedener Sub- 
stanzen an der Reizschwelle für die negative Reaktion, ist beweisend 


Osmo-, Hydro-, Rheotaxis. 295 


für die osmotaktische Natur des beobachteten Vorganges. Findet man 
bei einem einzelnen Stoffe eine Repulsion schon bei geringerer osmo- 
tischer Konzentration als bei den übrigen, so ist bei diesem auf 
eine chemische Reizwirkung zu schließen. AÄußerlich unterscheiden 
sich die Reaktionen nicht voneinander. Man wird also eine größere 
Anzahl von Substanzen recht verschiedener Ärt prüfen müssen, um zu 
sehen, ob die als osmotaktisch angesehene Reaktion wirklich von der 
chemischen Konstitution unabhängig ist. 

Es kann nun auch vorkommen, daß die Lösung eines Stoffes 
gar keine oder eine geringere osmotaktische Reizwirkung entfaltet 
als man beim Vergleich mit anderen Lösungen von gleichem osmo- 
tischen Drucke erwarten sollte. Solches tritt ein, wenn der Organis- 
mus für den betreffenden Stoff durchlässig ist. Nur durch die un- 
gleiche Verteilung innerhalb und außerhalb des Körpers wird die 
osmotische Wirkung ausgeübt, nämlich dem Protoplasma Wasser 
entzogen. Eine Veränderung des Wassergehaltes ist aber zweifellos 
die der Osmotaxis zugrunde liegende primäre physikalische Einwirkung. 
Stoffe, die das Plasma sogleich oder doch allmählich durchdringen, 
werden daher gar keine oder einen ihrer Konzentration nicht ent- 
sprechenden osmotaktischen Effekt ausüben. Solches gilt vielfach für 
Glyzerin, dessen Unfähigkeit, Osmotaxis hervorzurufen, Pfeffer sogar 
vorübergehend zur Ableugnung dieser vorher klar erkannten neuen 
Reizursache veranlaßte. Noch schwieriger zu durchschauen sind die 
Verhältnisse, die bei langsamer eindringenden Stoffen zustande kommen. 

Abgesehen von der Natur des gelösten Stoffes hängt das Zu- 
standekommen der osmotischen Wasserentziehung auch von der 
Konstitution des Plasmas ab. Verschiedene Organismen sind für die 
einzelnen Substanzen in wechselndem Maße durchlässig. Manche 
aber, und besonders viele Bakterien, werden von allen Stoffen so 
leicht durchdrungen, daß eine osmotische Wirkung überhaupt nicht 
zustande kommen kann. Damit dürfte es zusammenhängen, daß sie 
niemals eine osmotaktische Reizwirkung erfahren. So war z. B. 
Pfeffers Bakterium termo gegen konzentrierte Lösungen ganz un- 
empfindlich und drang in sie ein, ohne geschädigt zu werden. 

Ob diesem Bakterium gar keine osmotaktische Sensibilität zu- 
kommt, läßt sich schwer entscheiden, weil kein Stoff gefunden werden 
konnte, der ihm Wasser entzieht. In anderen Fällen ist aber leicht 
zu sehen, daß das Ausbleiben der Repulsionswirkung nicht durch Per- 
meabilität veranlaßt ist, sondern durch den Mangel der betreffenden 
Reizbarkeit. Wir sehen dann den betreffenden Organismus alsbald 
durch Wasserentziehung schrumpfen, ohne daß er die Flucht ergreift. 
Die osmotaktische Unempfindlichkeit hat ihm den Tod gebracht. 

Das Nichteindringen eines Stoffes ist also Bedingung 
für die Osmotaxis, wenn auch nicht die einzige. Die Chemo- 
taxis dagegen wird offenbar gerade durch den eindringenden 
Teil des Reizstoffes hervorgerufen. So präzisiert Rothert kurz 
den Unterschied zwischen beiden Sensibilitäten. 


296 VII. Reizwirkung stofflicher Einflüsse. 


Massart. (1891) hat gezeigt, daß neben der negativen auch 
positive Osmotaxis vorkommt, und zwar bei gewissen Meeres- 
organismen, die also an den Aufenthalt in Salzlösungen angepaßt 
sind. Wird diesen die Wahl zwischen normalem und verdünntem 
Seewasser geboten, so suchen sie das erstere auf, reagieren also 
positiv. Wird das Meerwasser aber durch Kochsalzzusatz konzentrierter 
gemacht, so fliehen sie es. Sie suchen daher in allen Fällen die 
gewohnte mittlere Konzentration auf. ‚Leider hat Massart bezüglich 
dieser Organismen es nicht hinreichend sicher gestellt, daß die be- 
obachteten Reizwirkungen osmotaktischer und nicht etwa chemo- 
taktischer Natur sind, da er nur mit Meerwasser und NaCl experi- 
mentierte; immerhin wird man, bis zum Beweis des Gegenteils, das 
erstere für wahrscheinlicher halten dürfen“. (Rothert 1901.) Wie 
für die Chemotaxis scheint auch für die Osmotaxis das Webersche 
Gesetz zu gelten. Massart fand bei Spirillum undula, daß die 
Kapillarflüssigkeit etwa das 6—8fache eines osmotisch wirksamen 
Stoffes enthalten muß als die Außenlösung, damit Abstoßung zustande 
kommt. Und zwar gilt diese Regel innerhalb ziemlich weiter Grenzen, so 
daß eine und dieselbe Konzentration je nach der Außenlösung anlockend 
oder abstoßend wirken kann. Somit muß man annehmen, daß schon 
in der Kulturflüssigkeit eine die Empfindlichkeit herabsetzende Wasser- 
entziehung stattfindet, und daß das Bakterium imstande ist nicht nur 
diese selbst, sondern auch ihren Grad genau zu perzipieren. Ferner ist 
es in diesem Falle besonders deutlich, daß nur der Übergang die Reiz- 
bewegung auslöst, da die Lösung an sich nicht schädlich zu sein braucht. 

ÖOsmotaktisch empfindlich sind, wie gesagt, zwar viele, aber nicht 
alle Organismen. Manche werden noch durch Lösungen chemotaktisch 
angelockt, die durch Wasserentziehung sofort den Tod herbeiführen. 
(Buller 1900, Lidforss 1904). 

Bei Myxomycetenplasmodien hat Stahl (1884b) ein Zurückziehen 
vor Kochsalzkrystallen und anderen osmotisch wirksamen Substanzen 
beobachtet. Bei Rohrzucker fand nach anfänglichem Rückzug eine 
„Gewöhnung‘‘ statt. Hernach wirkte reines Wasser repulsiv. Die 
Schleimpilze scheinen also gleichfalls positiv und negativ osmotaktisch 
reagieren zu können. Bei ihnen ist die Osmotaxis noch deshalb 
von besonderem Interesse, weil bei diesen, meist an der Luft leben- 
den Organismen auch durch Verdunstung eine Wasserentziehung be- 
wirkt werden kann, die augenscheinlich denselben Reizerfolg hat wie 
die durch Osmose. Man spricht dann von Hydrotaxis. Bei den 
ganz in Wasser lebenden schwimmenden Organismen ist etwas der- 
artiges nicht möglich. Ganz sicher ist es freilich nicht, daß die 
Osmotaxis und Hydrotaxis der Myxomyceten dieselbe Reizbeant- 
wortung darstellen. Es kehren hier dieselben Probleme wieder wie 
beim Hydrotropismus (8. 265). 


Die Hydrotaxis konnte Pfeffer (1881, 8. 388) an Plasmodien 
beobachten, als er sie auf feuchtes Fließpapier setzte und dieses lang- 


Osmo-, Hydro-, Rheotaxis. 297 


sam austrocknen ließ. Stahl (1884b) hat dann dieselbe Erscheinung 
eingehender studiert, indem er eine Stelle des feuchten Papieres vor 
dem Austrocknen schützte.e Die Plasmastränge, die sich anfangs 
strahlig ausbreiteten, zogen sich nun mehr und mehr von den 
trockenen Stellen zurück und häuften sich klumpig an den feuchten. 
Wurde dem ausgebreiteten Plasmodium eine mit Gelatinegallerte 
bedeckte kleine Glasplatte von oben bis auf 2 mm genähert, so 
fand sich das Plasmodium beim beginnenden Austrocknen des Sub- 
strates bald ganz unter diesem und erhob sich selbst zäpfchenartig, 
um die feuchte Gelatine zu erreichen und auf sie hinüberzukriechen. 
Dasselbe wurde mit feuchtem Papier oder Holz erreicht. Die Er- 
scheinung hat also mit der chemischen Natur des feuchten Körpers 
nichts zu tun. Nur der von ihm ausgehende und die Verdunstung 
mindernde Wasserdampf übt die Reizwirkung aus. 

Ein solches Aufsuchen feuchter Stellen ist bei Organismen, die 
in Lohe, ‘unter Blättern im Walde und an ähnlichen Orten leben, 
ökologisch begreiflich, umsomehr da sie als nackte Protoplasmamassen 
keinerlei Verdunstungsschutz auszubilden imstande sind. Auch werden 
wir uns nun nicht wundern, wenn wir sie bei feuchter Luft, also 
etwa nach einem Regen, an der Oberfläche finden, wo sie sonst nicht 
zu sehen sind. 

Ebenso ist es im Zusammenhange mit ihrer Lebensweise zu 
verstehen, daß ihr Verhalten sich ändert, wenn sie sich anschicken 
zu fruktifizieren, also trockene Sporen auszubilden, die durch den 
Wind verbreitet werden sollen. Nun werden sie auf einmal negativ 
hydrotaktisch (ob auch positiv osmotaktisch??), sie kriechen aus ihrem 
feuchten Substrate hervor und sammeln sich an den äußersten, 
trockenen Stellen, auf Grashalmen, Holzstückchen u. dgl. Je feuchter 
der Untergrund, desto weiter reichen ihre nun konsistenter werdenden, 
sich zur Fruktifikation anschickenden Körper in die Luft, sicherlich 
ein geeignetes Mittel um die Verbreiterung der Sporen zu förden. 

Eine positive Hydrotaxis findet sich wahrscheinlich bei allen 
kriechenden Organismen des Pflanzenreiches, die sich an die Luft 
wagen. So ziehen sich Oscillarien und Diatomeen beim Austrocknen 
ihrer Wohnorte in den feuchten Schlamm zurück. Untersuchungen 
hierüber sind aber. bisher nicht angestellt worden. 

Noch auf andere Weise übt das Wasser eine Reizwirkung auf 
die Plasmodien der Myxomyceten aus, nämlich durch seine Strö- 
mungen. Sie kriechen dem fließenden Wasser entgegen, sind also 
positivrheotaktisch. Aufgedeckt wurde dieses Verhalten in Versuchen, 
die Strasburger (1878) ausführen ließ. Später hat Jönsson (1883) 
ähnliche Experimente angestellt. Er brachte Äthaliumplasmodien 
auf Fließpapier, das heberartig aus einem Gefäß mit Wasser heraus- 
hing, so daß durch dasselbe ein Strom Wasser herablief. Die Plas- 
modien wanderten dann nach oben, der Strömung entgegen. 

Auch wenn das von Wasser durchflossene Fließpapier strecken- 
weise horizontal auf einer Glasplatte lag, ging die rheotaktische Be- 


298 VII. Reizwirkung stofflicher Einflüsse. 


wegung in derselben Weise von statten. Die Schwerkraft hat damit 
also nichts zu tun. Die Versuche wurden von Stahl (1884) mit 
demselben Erfolge wiederholt. Auch wird dieselbe Methode oft an- 
gewendet, um für physiologische Versuche sauberes Plasmodienmaterial 
zu erlangen. Man legt auf das von den Schleimpilzen durchzogene 
Substrat, z. B. Lohe, das Ende eines in der geschilderten Weise von 
einem Wasserstrome durchzogenen Papierstreifens und findet den Pilz 
nach einiger Zeit auf dem Papier schön ausgebreitet. 

Clifford (1897) suchte sich zu vergewissern, ob der Rheotropismus 
nicht vielleicht durch chemische Beimengungen im Wasser vorgetäuscht 
sei, so unwahrscheinlich das auch ist. Er ließ zwei Wasserströme 
nebeneinander verlaufen, von denen der eine destilliertes, der andere 
gewöhnliches Wasser enthielt. Die zwischen beide gebrachten Plas- 
modien machten keinen Unterschied. 

In anderen Versuchen wollte er prüfen, welchen Einfluß die 
Stärke der Strömung hat. Zu diesem Zwecke variierte er die Ge- 
schwindigkeit des Stromes, indem er ein Holzstück mit Plasmodium 
dicht unter dem Wasserspiegel in einem Gefäße befestigte, das ver- 
schieden schnell in Rotation versetzt werden konnte. Der Pilz streifte 
dabei die Wasseroberfläche. Drehte sich die Glasschale, die neun Zoll 
Durchmesser hatte bis zu sechsmal in der Minute, so erfolgte positive 
Reaktion. Bei siebenmal aber bewegte sich das Plasmodium in der 
Stromrichtung, ob durch mechanische Gewalt getrieben oder aktiv, 
läßt sich nicht ersehen. Wurde die Geschwindigkeit noch mehr erhöht, 
so suchte der Pilz auf die vom Wasser nicht bespülten Stellen zu 
gelangen, ‚als ob er sich davor schützen wollte weggespült zu werden“. 

Das was die Myxomyceten zur rheotaktischen Reaktion ver- 
anlaßt, ist offenbar der über ihren festgehefteten Körper hinweg- 
streichende Wasserstrom, wobei freilich die Art der Perzeption 
noch rätselhaft bleibt. Etwas ähnliches kann an frei schwim- 
menden Organismen nicht auftreten, solange sie sich in einem 
ruhigen Strome schwebend erhalten. Denn dann fehlt die für die 
Perzeption notwendige relative Bewegung zwischen Körper und 
Wasser. Daß der Strom fließt, kann für die in seinem Innern ent- 
haltenen Organismen nichts ausmachen. Nur wenn ein von außen 
wirkender Richtungsreiz hinzukommt, wie z. B. Phototaxis, 
kann ein äußerlich mit Rheotaxis zu verwechselndes Schwimmen 
gegen den Strom zustande kommen; aber auch dann nur, wenn 
die Geschwindigkeit der Wasserbewegung geringer ist als die der 
Eigenbewegung. So meint auch Pfeffer (1904 S. 815) gegenüber 
einer Angabe von Rheotaxis bei Bakterien: ‚Da die schwärmenden 
Organismen schon durch eine mäßige Wasserströmung mechanisch 
fortgerissen werden, so ist es nicht wahrscheinlich, daß bei frei 
schwimmenden Organismen häufig eine rheotaktische Sensibilität zur 
Erreichung bestimmter Ziele und Zwecke ausgebildet ist“. 

Hydro- und Rheotaxis haben wahrscheinlich nichts gemein, als 
daß in beiden Fällen Wasser den Reizanstoß abgibt. 


Die chemotaktische Reaktionsweise. 299 


h) Die chemotaktische Reaktionsweise. 


Bisher wurde in den Erörterungen über Chemotaxis fast nur 
das Endresultat geschildert. Sein Zustandekommen, also das Verhalten 
der einzelnen Individuen, soll im Folgenden eingehender besprochen 
werden. Wir hatten gesehen, daß die chemotaktisch empfindlichen, 
beweglichen Entwicklungszustände der verschiedensten Organismen 
sich bei gegebenen Konzentrationsverschiedenheiten eines Reizstoffes an 
bestimmten Stellen sammeln. Damit ist aber weder der Reizanlaß noch 
die Art der Reaktion genügend präzisiert. Vielmehr kehren hier ent- 
sprechende Probleme wieder wie wir sie bei der Phototaxis be- 
sprochen haben. So wie dort die Frage zu beantworten war, ob die 
Richtung oder die Intensität des Lichtes die eigentliche physikalische 
Ursache der phototaktischen Erregung darstellen, so ist hier zwischen 
zwei ähnlichen Möglichkeiten zu entscheiden. 

Denkt man sich die Ausbreitung eines löslichen Reizstoffes im 
Wasser von einer bestimmten Stelle, z. B. einem Krystalle der Sub- 
stanz oder einer Kapillarenöffnung ausgehend, so wird ein Abfall der 
Konzentration von da nach allen Seiten zu beobachten sein, also 
das was in der Literatur unseres Gegenstandes seit Pfeffer (1884) als 
Diffusionsgefälle bezeichnet wird. 

Derselbe Autor stellte sich sogleich die Frage, ob die Ansamm- 
lung seiner chemotaktischen Organismen etwa in ähnlicher Weise zu- 
stande komme wie die der Engelmannschen phototaktischen Bak- 
terien in der „Lichtfalle“, nämlich durch zufälliges Hineingelangen 
in die Lösung von bestimmter Konzentration und Zurückschrecken 
beim Verlassen derselben. Er lehnte aber diese Auffassung ab, 
und zwar auf Grund der Beobachtung, daß die Samenfäden der 
Farne eine deutliche Ablenkung ihrer Bahn erfahren, sobald sie 
in die Difiusionssphäre des Reizstoffes gelangen und nun mehr 
oder weniger gradlinig der Kapillaröffnung zuschwimmen. Nach 
ihm „bewirkt die Reizung eine bestimmte Richtung der Körperachse 
und erzielt hiermit, daß diese ohnehin mit fortschreitender Be- 
wegung begabten Organismen nach bestimmter Richtung hin fort- 
schreiten.‘‘ Der Reizanlaß soll in der verschiedenen Beeinflussung 
der Flanken liegen, ähnlich wie bei den tropistischen Bewegungen 
festgewachsener Pflanzen. 

Auch für Bakterien betrachtete Pfeffer damals die ungleiche 
Beeinflussung der Flanken als Reizursache für die beobachtete Be- 
vorzugung einer bestimmten Bewegungsrichtung bei diesen niemals 
geradlinig schwimmenden Lebewesen. 

Später haben Jennings und Crosby (Pfeffer 1904 S. 756) sowie 
Rothert (1901) gleichzeitig durch genaue Beobachtung einzelner großer 
Bakterien nachgewiesen, daß bei diesen Organismen die Ansammlung 
doch nach der Art der Engelmannschen Schreckbewegung zustande 
kommt. Jede Erniedrigung der Konzentration des Reizstoffes bewirkt 
bei einem positiv chemotaktischen Bakterium eine Rückzugsbewegung, 


300 VII. Reizwirkung stofflicher Einflüsse. 


der ein Vorwärtsschwimmen in einem etwas abweichenden Winkel 
folgt. Falls das Bakterium zufällig in der Richtung auf das Diffusions- 
zentrum hinschwimmt, nimmt es ungereizt seinen Weg. Ist seine 
Bahn aber anders gerichtet, so schwimmt es am Diffusionszentrum 
vorbei und gelangt bald in Zonen absteigender Konzentration. Da- 
durch wird es gereizt, schwimmt rückwärts und kommt so, wieder 
der Kapillarenöffnung näher. 

Indem nun allmählich eine ‚„Gewöhnung‘‘ an den Reizstoft statt- 
findet, wird bewirkt, daß die einzelnen Individuen schließlich schon 
vor relativ hohen Konzentrationen zurückschrecken und sich dadurch 
immer mehr in der Zone höchster Konzentration zusammendrängen, 
vorausgesetzt, daß keine anderen Reizwirkungen das verhindern. Dieser 
eben geschilderten Reaktion durch Schreckbewegung stellt Rothert 
die Richtungsbewegungen der Samenfäden, Saprolegniaschwärmer usw. 
entgegen, die nicht durch die Veränderung der Intensität eines Reiz- 
stoffes zustande kommen sollen, sondern durch das Einstellen der 
Körperachse in der Diffusionszone, durch die beide Flanken. einer 
gleichstarken Einwirkung ausgesetzt würden. Die erste Reaktions- 
weise wurde später von Pfeffer (1904) Phobochemotaxis, die zweite 
Topochemotaxis genannt. 

Der Gegensatz der beiden Reaktionsarten wird gekennzeichnet 
durch folgende Gegenüberstellung: Während bei den phobotaktischen 
Organismen die Entfernung der Intensität des Reizmittels vom 
Optimum den Reiz ausübt und die Organismen veranlaßt, sich zu- 
rückzuziehen, wendet sich ein topotaktischer Organismus nach der- 
jenigen Seite, auf welcher das Reizmittel mit einer dem Optimum näheren 
Konzentration auf seinen Körper einwirkt (Rothert 1901). Diese 
Definitionen gelten nicht nur für chemische, sondern auch für 
andere Reize. Da bei der phobischen Reaktionsweise der Über- 
gang in andere Reizbedingungen, bei der topischen dagegen die Ver- 
schiedenheit der Einwirkung auf beiden Flanken den Anlaß zur Be- 
wegungsänderung abgibt, kann man die Differenz der beiden Reiz- 
arten kurz so ausdrücken, daß man sagt: In dem einem Falle geben 
zeitliche, in dem anderen örtliche Differenzen den Reizanlaß ab. 

Diese Unterscheidung und Auffassung der beiden nach dem Aus- 
sehen verschiedenen Reaktionsweisen ist in alle botanischen Lehr- 
und Handbücher übergegangen. Gleichwohl stimmt Jennings ([1905] 
1910) ihr nicht bei. Von seinen Beobachtungen an Infusorien und 
Flagellaten her weiß er, daß scheinbares Einstellen der Körperachse 
in eine bestimmte Richtung durch oft wiederholte ‚Schreckbewegung‘ 
zustande kommen kann, wobei dann nicht örtliche, sondern wie bei 
der typisch phobischen Reaktion zeitliche Differenzen den Reizanlaß 
abgeben (vgl. das über Phototaxis Gesagte auf S. 194). Die Möglich- 
keit einer solchen Reaktionsweise wird auch von Pfeffer betont 
(1904 8. 757). Verhalten sich aber die Samenfäden usw. in dieser 
Weise, dann fallen die prinzipiellen Differenzen zwischen phobischer 
und topischer Reaktionsweise fort. 


Die chemotaktische Reaktionsweise. 301 


Rothert (1901) hat die bis dahin vorliegenden Erfahrungen zu- 
sammengestellt, um die Verbreitung der von ihm neu entdeckten 
Phobotaxis zu beweisen. Besonders bei Repulsivwirkungen war oft 
ein „Zurückschrecken‘ beobachtet worden, auch bei solchen Orga- 
nismen, die Rothert nach dem Auftreten der Körperschwenkung bei 
Frreichung der Reizsphäre zu den topisch reagierenden rechnet. Be- 
sonders aber lagen damals schon die eingehenden Untersuchungen von 
Jennings an Infusorien vor. 

Diese Tiere vollführen auch bei einseitiger Einwirkung chemischer 
Reizmittel keine Richtungseinstellung der Körperachse, sondern ein 
seitliches Drehen nach einer morphologisch bestimmtan Seite des 
Körpers hin. Beim Vorwärtsschwimmen beschreiben sie eine lang- 
gestreckte Schraubenlinie, wobei sie so rotieren, daß stets eine be- 
stimmte Seite nach innen gerichtet ist. Auf einen Reiz hin wird 
die Vorwärtsbewegung gehemmt, das Tier fährt ein Stück zurück, 
und das Vorderende beschreibt einen Kreis, wodurch der Körper in 
einem Kegelmantel herumschwingt. Das Drehen in einem Trichter 
kommt immer dann zustande, wenn durch die Bewegung des Orga- 
nismus, also in zeitlicher Aufeinanderfolge, eine Entfernung vom 
Optimum eingetreten ist. Es wird so lange fortgesetzt, bis wieder eine 
Annäherung an das Optimum erreicht ist. Da die Konzentrations- 
veränderung nach dem Optimum zu keinen Reiz ausübt, wird nun 
die Trichterdrehung eingestellt und unter bloßer Rotation um 
die Längsachse die Vorwärtsbewegung in dem zuletzt eingeschlagenen 
Winkel fortgesetzt. 

Daß bei diesen Reizbewegungen wirklich die zeitliche und nicht 
die örtliche Konzentrationsdifierenz den Reizanlaß abgibt, konnte 
Jennings am zwingendsten beweisen, indem er seine Versuchsobjekte 
plötzlich aus einer Lösung in die andere übertrug. Dabei fand dann 
wieder das Herumschwingen in Form eines Trichters statt, wie es 
für die Reaktionsweise der Infusorien bezeichnend ist. Bei kleineren 
Organismen ist ein derartiger Versuch nur möglich, wenn der Reiz- 
stoff ein Gas ist, bei dem man Konzentrationsveränderungen ohne 
stärkere mechanische Störungen bewirken kann, indem man es über 
das Präparat leitet. Solche Experimente hat Engelmann (1882) bei 
seinen Purpurbakterien mit Erfolg angestellt. Auch verzeichnet 
Klebs (1896) ein Rückwärtsschwimmen von Schwärmern der Alge 
Ulothrix nach dem plötzlichen Übertragen aus Wasser in eine Salz- 
lösung. Rothert weist darauf hin, daß aus derartigen Versuchen 
am besten auf phobische Reaktionsweise geschlossen werden kann. 
Die Methode wäre bei den meisten chemotaktischen Organismen 
anwendbar und würde gegebenen Falles ihre von örtlichen Kon- 
zentrationsdifferenzen unabhängige Reaktionsweise aufzudecken ge- 
eignet sein. 

Bisher sind die Angaben über die verschiedene Reaktionsweise 
der einzelnen beobachteten Organismen mit großen Unklarheiten be- 
haftet, so daß Jost (1908) neue Untersuchungen für dringend not- 


302 VII. Reizwirkung stofllicher Einflüsse. 


wendig erklärt. Die Schwierigkeit der Deutung hat ihren Grund 
hauptsächlich darin, daß man die Beobachtung der Richtungsablenkung 
beim Berühren der Diffusionszone als genügend für das Vorhandensein 
der Topotaxis erachtete. Von Phobotaxis sprach man, wenn etwas 
derartiges nicht zu sehen war, vielmehr die Einzelindividuen schein- 
bar ungestört die Diffusionssphäre durcheilten, um erst an deren 
hinterer Grenze zurückzuschrecken. Nach diesen Kennzeichen mußte 
man häufig bei ein und demselben Organismus beide Arten von 
Chemotaxis (und auch Osmo- und Phototaxis) annehmen (Rothert 
1901). Auch wollten sich die Jenningsschen Infusorien dem Schema 
nicht einfügen, denn diese zeigen eine Richtungsablenkung, obgleich 
sie zweifellos phobisch reagieren. 

Jennings nun ([1905] 1910) spricht die Vermutung aus, daß auch 
die bisher als typisch topotaktisch betrachteten Samenfäden und 
Saprolegniaschwärmer sich nach Art seiner Infusorien verhalten möchten. 
Nach seinen Erfahrungen hängt allgemein die Art der Reaktion nicht 
von dem Reizanlasse, sondern von dem Bewegungsmodus des be- 
treffenden Lebewesens ab, so daß phobische und topische Taxieen bei 
ein und derselben Organismenart unwahrscheinlich sind. Allerdings bleibt 
es ein Unterschied, ob der Reiz, also die Entfernung vom Optimum, 
nur ein Rückwärtsschwimmen oder auch eine Winkelabweichung 
(Erweiterung des Bewegungstrichters) hervorruft; aber die Differenz 
liegt nach Jennings im Körperbau und der dadurch bedingten Be- 
wegungsart, nicht in der Art der Perzeption. 

Die symmetrisch gebauten Bakterien schwimmen auf den Reiz 
rückwärts, die asymmetrischen Infusorien drehen sich nach einer mor- 
phologisch bestimmten Seite. Wie ich zeigen werde, fügen sich dieser 
Unterscheidung die meisten untersuchten Objekte, wenn ich auch nicht 
leugnen will, daß es bei Organismen, die in ihrem Bau abweichen, noch 
andere Bewegungs- und damit Reaktionsformen geben dürfte. So voll- 
führt der von Pfeffer als gut chemotaktisch nachgewiesene Bodo 
saltans beim Schwimmen überhaupt keine Rotationen, sondern pendelt 
nur hin und her. Ebenso verhalten sich, wie es scheint, die stark 
unregelmäßig gestalteten Peridineen. Bei beiden liegt offenbar der 
Schwerpunkt zu weit seitlich, als daß eine Drehung möglich wäre. 

Sehen wir aber die genauer untersuchten Schwimmer auf Bau 
und Reaktionsweise durch, so finden wir die Bakterien und Schleinı- 
pilzschwärmer radiär und typisch phobotaktisch. Letzteres bei den 
Bakterien nach Jennings und Rothert, bei den Myxomyceten nach 
Kusano. Die asymmetrischen Objekte stellen sich zwar alle in die 
tichtung der einwirkenden Kraft, sind also nach der herrschenden 
3ezeichnung topisch. Sie können aber auch phobisch reagieren. Doch 
sind in Wirklichkeit die Infusorien und Flagellaten von Jennings als 
im Grunde phobotaktisch erkannt worden. 

Da die Samenfäden der Farn- und Moospflanzen sowie die 
Saprolegniaschwärmer asymmetrisch sind, so ist es nach dem Gesagten 
begreiflich, daß sie von allen Beobachtern als typisch topisch rea- 


Die chemotaktische Reaktionsweise. 303 


gierend angegeben werden. Wegen ihrer Kleinheit und Geschwindig- 
keit ist die Jenningssche Vermutung, sie möchten sich wie seine 
Infusorien verhalten, schwer durch direkte Verfolgung ihrer Bewe- 
gungen zu belegen. Doch führt schon Rothert einen Satz von Pfeffer 
an, der darauf hindeutet, daß auch bei ihnen Schreckbewegungen 
vorkommen. Pfeffer spricht nämlich von dem ‚Zurückprallen‘‘ der 
Samenfäden vor schädlichen Stoffen. 

Im Folgenden sollen nun die Tatsachen angeführt werden, die 
mir dafür zu sprechen scheinen, daß Jennings im Rechte ist: 

1. Nach den Untersuchungen von Jennings sind zweierlei Reiz- 
bewegungsformen bei ein und demselben Organismus nicht wahr- 
scheinlich. Es kommen aber 

2. bei den genannten Objekten zweifellos Schreckbewegungen 
vor (Pfeffer 1884 S. 374, 375, 376, 385 usw., Shibata 1905 S. 566, 
567). Die Samenfäden ‚‚prallen zurück‘, „schießen wie erschreckt hin 
und her“ u. ä. 

3. Die Samenfäden nehmen in der Diffusionszone keine be- 
stimmte Richtung ein, sondern wimmeln hin und her. Auch enteilen 
sie zuweilen, nämlich dann, wenn die Schreckbewegung erst erfolgt, 
nach dem die reizlose Region schon erreicht ist. 

4. Die Verschiedenheit der Konzentration auf beiden Flanken 
kann kaum als Reizanlaß gelten, da die Rotation um die Längs- 
achse die einseitige Einwirkung in derselben Weise aufheben würde, 
wie an einer Pflanze auf dem Klinostaten. 

Jost (1908), der dieses Argument betont, zieht daraus den Schluß, daß der 
Reizanlaß dann also die Verschiedenheit in der Stärke des Reizanlasses an der 
Vorder- und Hinterseite sein müsse, In der Tat können mit dieser Hypothese 
viele Erscheinungen erklärt werden, aber doch nicht alle. Rothert, der diesen 
Gedanken auch schon erwogen hat, führt die erwähnten Versuche von Jennings 
und Engelmann über Schreckbewegungen bei plötzlicher diffuser Einwirkung 
eines Reizstoffes dagegen an und vermutet, daß auch die anderen Organismen 
sich ähnlich verhalten möchten. Auch die Analogie mit der Phototaxis kann gegen 
Jost angeführt werden. Vor allem scheint mir aber, daß die Jostsche Hypothese 
die tatsächlich zustande kommende Einstellung in die Diffusionsrichtung gar 
nicht erklären kann, denn auch ein schräggestellter Samenfaden findet noch 
die „‚positive‘‘ Differenz zwischen der Konzentration hinten und vorn. Erst 
wenn die Ablenkung von der Diffusionsrichtung mehr als 90% beträgt, wird 
dieses Verhältnis umgekehrt. Nach Josts Schema sich verhaltende Schwärmer 
würden daher in ihrem Gebahren den typisch phobischen gleichen. Endlich 
müßte die Reizwirkung um so stärker sein, je langsamer die Bewegung vor 
sich ginge, denn dann würde die Intensitätsdifferenz am Vorder- und Hinter- 
ende um so länger dauern und umso intensivere Erregung hervorrufen. In 
Wirklichkeit ist das Umgekehrte der Fall. 

5. Die Schwärmer reagieren um so besser, je schneller ihre Be- 
wegung ist. Jede Verlangsamung der Bewegung, ob sie nun durch 
abnormen Bau (Pfeffer 1884), durch das Alter der Schwärmer, durch 
Kälte oder Wärme (Vögler 1891) oder durch Narkotika (Rothert 
1904) hervorgerufen wird, beeinträchtigt die „Empfindlichkeit“. Nun 
ist es nicht wahrscheinlich, daß alle diese recht verschiedenen Agentien 
die Perzeptionsfähigkeit gleichzeitig mit der Beweglichkeit so stark 


304 VII. Reizwirkung stofflicher Einflüsse. 


schwächen sollten. Auch kann die Erhöhung der Schwelle bei den 
teilweise intensiven Reizen kaum die Ursache des Ausbleibens der Reiz- 
bewegungen sein. Daher glaube ich den Grund für die Wichtigkeit des 
schnellen Schwimmens darin sehen zu dürfen, daß bei langsamer Be- 
wegung die als Reiz wirkende Intensitätsveränderung auf eine längere 
Zeit auseinander gezogen und dadurch unwirksamer gemacht wird. 


6. Auch möchte ich hier das Verhalten bei Reizen erwähnen, 
die die Schwelle gerade erreichen. Nur bei sofortiger Beobachtung 
findet man hier eine Anlockung. Später wird der Reizstoff durch 
Strömungen zu stark verstreut und verdünnt als daß er noch wirken 
könnte, und die Schwärmer verteilen sich wieder. Gleich nach dem 
Zuschieben der Kapillare kann aber von einem Diffusionsgefälle noch 
keine Rede sein, besonders nicht bei langsam diffundierenden Colloiden, 
wie Pepton, Eiweißstoffen, Dextrin. Daher kann auch keine Rich- 
tungseinstellung des Körpers zustande kommen. 


7. Wenn wir nun ferner sehen, daß entsprechend dem Weberschen 
Gesetze die anzulockenden Samenfäden usw. durch einen Gehalt der 
Außenlösung an dem Reizstoffe „abgestumpft‘‘ werden, so können 
wir uns kaum vorstellen, daß die Reizung durch das Hineingelangen 
in ein Diffusionsgefälle zustande kommt. Bei Isoetes z. B. beträgt 
die Verhältnisschwelle für Apfelsäure und OH’-Ionen 400 (Shibata 
1911). Ein verhältnismäßig so geringer Zusatz des Reizmittels in der 
Außenlösung kann die einzelnen Konzentrationen in einem Diffussions- 
gefälle nur um ein minimales Maß nach innen verschieben. Warum 
soll dadurch aber die Reizwirkung aufgehoben werden? Nehmen wir 
dagegen an, daß bei unseren Schwellenversuchen die Diffusion noch 
kaum merklich ist und die Samenfäden durch das Eindringen in die 
durch ihre Schwere teilweise ausgeflossene Lösung des Reizstoffes von 
der Kapillare gereizt werden, oder vielmehr dann wenn sie diese 
Lösung wieder zu verlassen im Begriff sind, so wird alles viel 
verständlicher. Denn wir können uns gut denken, daß es etwas 
anderes ist, wenn ein Samenfaden aus der Lösung eines Stoffes in 
reines Wasser gelangt, als wenn nur die Konzentration dieses Stoffes 
abnimmt. Zudem mag im letzteren Falle das vorherige Verweilen in 
der Außenlösung des Reizstoffes nachwirken. 

“inzelne von den angeführten Gründen mögen nicht absolut be- 
weisend sein. Ihre Gesamtheit ergibt aber doch ein starkes Über- 
gewicht zugunsten der vorgetragenen Meinung. Endgültig zu ent- 
scheiden ist die Frage nur durch genaue Beobachtung, verbunden 
mit eigens darauf gerichteten Experimenten!). Das spezifische Aktions- 
system jeder Organismenklasse aufzudecken, wird noch viel’ Mühe 


!) Diese, von mir erst begonnene Aufgabe ist, wie ich leider erst bei der 
Korrektur bemerke, von Hoyt (Botanical Gazette Bd. 49, 1910 S. 355 ff.) für 
die Farnsamenfäden schon gelöst worden. Da sich also diese „‚typisch-topischen“ 
Objekte der Jenningsschen Theorie einfügen lassen, wird für die wenigen noch 
übrigen kaum mehr ein Zweifel bestehen bleiben. 


Die chemotaktische Reaktionsweise. 305 


machen. Eine eingehende Kenntnis dieser Erscheinungen dürfte aber 
auch manches unerwartete Licht auf andere Tatsachen werfen. 

Hier wäre nur noch zu bemerken, daß jene Reaktionsweise, die 
man bisher als topisch bezeichnet hat (und die diesen Namen ruhig 
weiter tragen sollte), offenbar eine schnellere und sichere Erreichung 
des Zieles gewährleistet als die phobische (vgl. S. 197). So ist es wohl 
kein zufälliges Zusammentreffen, daß bei den niedrig organisierten 
Bakterien und Myxomyceten die phobotaktische, bei den höher stehen- 
den Flagellaten dagegen, sowie bei den Zoosporen der Saprolegnien, 
den Infusorien und den Samenfäden der Moose und Farne die topo- 
taktische Reaktionsweise ausgebildet ist. Die niederen Flagellaten, 
die Volvocineen und die Schwärmer der Algen müssen erst auf ihren 
Bewegungsmodus hin untersucht werden. 


Pringsheim, Reizbewegungen. 20 


VII. Allgemeines. 


a) Das Wesen der Reizbarkeit. 


Ältere Autoren begannen wohl ihre wissenschaftlichen Schriften 
mit der begrifilichen Erklärung und Umgrenzung des zu behandeln- 
den Gebietes. Sie taten das mit Rücksicht auf die außerwissenschaft- 
liche, volkstümliche Auffassung des Gegenstandes, auf die allein sie 
sich stützen konnten, da bei dem Leser nicht von vornherein die 
Durchdringung des gesamten erst vorzulegenden Stoffes erwartet wer- 
den konnte. 

Dieser Brauch schwand gleichzeitig mit dem allzu großen Vertrauen 
auf Worte. Denn der Begriff, den sich der unvorbereitete Leser und 
der, den der Verfasser sich über den Gegenstand der Erörterung 
macht, werden sich schwerlich decken oder durch eine kurze Er- 
klärung zur Übereinstimmung gebracht werden können. Dieser 
Schwierigkeit trug man Rechnung, indem man den Fortschritt der 
Erkenntnis auf dem betreffenden Gebiete, von der vorwissenschaft- 
lichen Zeit an bis zur Gegenwart, darlegte und dann auf diesem 
Boden die eigenen Erörterungen aufbaute. 

Bei einer Schrift, die nicht nur der Wiedergabe von Tatsachen, 
sondern der Klärung eines bestimmten Begriffes dienen soll, wird 
man stets den Wunsch hegen. am Schlusse das Ergebnis der Unter- 
suchung in Form einer abschließenden Definition zusammenzufassen. 
Um logischen Ansprüchen zu genügen, wird man also nicht mehr 
von einer Worterklärung ausgehen, man wird sich auch nieht begnügen, 
alte Begriffe zu einer zeitgemäßen Definition umzugestalten, sondern 
man wird die Gesamtheit des mitzuteilenden Stoffes als Inhalt und 
Umgrenzung des Begriffes betrachten. Damit allein ist eine aus- 
reichende Definition gegeben, die allerdings womöglich rückblickend 
in kurze Worte zu fassen ist. 

Im Eingange dieses Buches wurde der Leser sogleich mit ge- 
wissen Erscheinungen bekannt gemacht, denen nur eine knappe An- 
deutung des Tatsachengebietes voranging, um das es sich handelt. 
Darauf folgte Schilderung auf Schilderung von Tatsachen recht ver- 
schiedener Art. Mancher wird nun fragen: Was ist das Gemeinsame, 
wie lassen sich die gewonnenen Kenntnisse in einer Formel zusam- 
menfassen, was ist Reizbarkeit? 

Auf diese Frage läßt sich nun nicht einmal am Schlusse unserer 
Erörterungen eine abschließende Antwort erteilen. Man kann keine 


Das Wesen der Reizbarkeit. 307 


Definition für Reizbarkeit geben, ohne das Wort Leben zu nennen, 
denn es gehört zum Wesen der Reizvorgänge, daß sie sich in 
einem „lebenden Systeme‘ abspielen. Was Leben ist, wissen wir 
aber nicht. Wir können es auch nicht umschreiben; vielmehr höch- 
stens in einen Gegensatz zum Leblosen (oder ‚Toten‘‘) stellen und 
die unterscheidenden Merkmale aufzählen. Unter diesen ist, neben 
Ernährung und Atmung, Wachstum und Fortpflanzung, die Reizbar- 
keit wohl das klarste Zeichen für die Lebenstätigkeit in einem orga- 
nisierten Gebilde. Jeder der beiden Begriffe Leben und Reizbarkeit 
kann demnach nur mit Hilfe des anderen, d. h. überhaupt nicht 
befriedigend, festgelegt werden. Dieses Eingeständnis soll uns aber 
nicht den Mut zum Nachdenken über das Wesen der Reizbarkeit 
nehmen, denn bei näherem Zusehen verhalten sich die meisten Be- 
griffsumschreibungen ebenso. 


Auf einem anderen Wege kommen wir wenigstens zu einem An- 
halt für die Natur der Reizvorgänge. Obgleich wir nämlich nicht 
wissen, was Leben ist, so müsssen wir doch als sicher annehmen, 
daß auch die Vorgänge innerhalb des Organismus den allgemeinen 
Gesetzen folgen, die die Materie beherrschen. Pfeffer (1881 und 1893) 
hat darauf hingewiesen, daß die Reizerscheinungen auf anorganischem 
Gebiete mit den Auslösungs- und Umsteuerungsvorgängen verglichen 
werden können. 

Ein solcher Auslösungsvorgang, bei dem eine ruhende Energie- 
menge in Tätigkeit versetzt wird, ist z. B. das Abschießen eines Ge- 
wehres. So wie der Fingerdruck, der den Schuß auslöst, in gar 
keinem Verhältnis zu der Kraft der einschlagenden Kugel steht, so 
hat auch die Energie, mit der ein Insekt die Fühlborste des Dionaea- 
blattes berührt, nichts mit der Gewalt zu tun, mit der die beiden 
Blatthälften zusammenklappen. In anderen Fällen wird eine schon 
tätige Energie, etwa die des Wachstums bei tropistischen Krümmun- 
gen, durch den Einfluß einer Außenkraft, wie des Lichtes, in andere 
Bahnen gelenkt. Ähnlich schlägt ein Dampfer, der bisher geradeaus 
fuhr, durch Schiefstellung des Steuers einen anderen Kurs ein, ob- 
gleich die Kraft des Steuermannes nur einen geringen Bruchteil von 
der der Dampfmaschine ausmacht. 

Der Vergleichspunkt zwischen den genannten physikalischen 
Vorgängen und den Reizprozessen liegt in den energetischen Verhält- 
nissen. In beiden Fällen haben wir zwei Geschehnisse, die in einem 
ursächlichen Verhältnisse zueinander stehen, ohne daß die Energie 
des ersten in dem zweiten wiederkehrt. Und ähnlich wie beim Los- 
schießen des Gewehres oder bei der, vielleicht elektrisch auf das 
Steuerruder übertragenen Drehung des Steuerrades, eine ganze Kette 
von zwischengeschalteten Auslösungsvorgängen der Reihe nach durch- 
laufen werden, so muß man sich auch die Reizkette aus einzelnen 
Reizreaktionen zusammengesetzt denken, von der Perzeption bis zur 
Reaktion. Jeder von diesen Einzelvorgängen kehrt beim Aufhören 

20* 


308 VIII. Allgemeines. 


der Reizursache allmählich in den Ruhestand zurück, jeder hat seine 
eigene ‚„‚Gegenreaktion“. 

Pfeffer sagt: ‚Alles was im physiologischen Getriebe dem Cha- 
rakter der Auslösung entspricht, sehen wir als Reizvorgang an, gleich- 
viel ob es sich um Bewegungen oder um eine nicht auffällige che- 
mische Reaktion handelt, und gleichviel ob eine Mimosa plötzlich 
sich bewegt, oder ob der Erfolg erst nach Tagen oder Wochen be- 
merklich wird‘ (1897, S. 11). Damit ist aber noch nicht gesagt, 
dal alle Auslösungs- und Umschaltungsprozesse, die im Organismus 
verlaufen, Reizprozesse wären. Denn wäre bei einem Geschehen klar 
der physikalisch-chemische Zusammenhang aufgedeckt, so würden wir 
nicht mehr von einem Reizvorgange sprechen. In dem Pfefferschen 
Ausspruche ist mit den Worten: „physiologisches Getriebe“ auf die un- 
erklärbaren Faktoren hingewiesen. 

Somit können wir nur sagen: Dem Reizprozesse liegt ein nicht 
klar übersehbarer Zusammenhang zwischen den Lebensvorgängen im 
Organismus und den Kräften der Außenwelt zugrunde, für den in 
energetischer Beziehung ein Auslösungsprozeß das beste Modell ergibt. 


Hätten wir freilich nicht noch andere Merkmale, die einen Vor- 
gang als Reizreaktion charakterisieren, so hätte sich dieser Begriff 
schwerlich entwickelt. Vielmehr muß noch an eine Reihe von in den 
einzelnen Kapiteln wiederkehrenden Zügen erinnert werden, um dem 
Bilde der pflanzlichen Reizbarkeit mehr Rundung zu verleihen. 

Die Reizerfolge sind die für die Lebewesen bezeichnenden Reak- 
tionen auf äußere Eingriffe. ‚Der Reiz gibt immer nur den Anstoß, 
ist also nur Veranlassung, daß der Organismus gemäß seiner Eigen- 
schaften und mit den ihm zu Gebote stehenden Mitteln in diesem 
oder jenem Sinne reagiert und antwortet, oder, wenn wir wollen, 
handelnd auftritt‘‘ (Pfeffer 1897, S. 10). Die Art des Erfolges ist 
also von dem Bau des Organismus abhängig, nicht von dem aus- 
lösenden Reize und kann bei sehr verschiedenen Anlässen äußerlich 
gleichartig sein. Sie kann ferner je nach dem Alter, Vorleben und 
sonstigen Bedingungen wechseln. 

Sind Reizanlaß und Reizreaktion quantitativ abstufbar, so wächst 
letzterer innerhalb gewisser Grenzen mit dem ersteren, aber meist 
nicht proportional. In den Reizbewegungen von Mimosa und denen 
der Üynareenstaubfäden haben wir Fälle kennen gelernt, in denen 
normalerweise durch jeden überhaupt wirksamen mechanischen An- 
stoß die volle Reaktionsgröße ausgelöst wird. Meist steigt freilich 
die Größe des Reizerfolges mit der Intensität des Anlasses. Über- 
all aber kann der Umfang der Reaktion nicht über ein gewisses Maß 
hinaus gesteigert werden. Ein weiter verstärkter Reizanlaß hat keine 
Vergrößerung des Reizerfolges, bei Richtungsreizen aber oft eine Ver- 
änderung oder Umkehrung desselben zur Folge. Hierbei wird näm- 
lich, soweit das Bewegungssystem die Möglichkeit dazu gibt, in einem 
Raum mit abgestuften Reizindensitäten eine gewisse („optimale‘‘) 


Das Wesen der Reizbarkeit. 309 


Reizstärke aufgesucht. Ist daher der Reiz intensiver als diesem 
„Optimum“ entspricht, so erfolgt ‚‚negative‘“, ist er schwächer ‚‚posi- 
tive‘, d. h. in beiden Fällen nach dem ‚Optimum‘ hin gerichtete 
Reaktion. Ein solches Verhalten finden wir sowohl bei den Be- 
wegungen, die durch Licht- und Temperaturdifferenzen, wie auch bei 
solchen, die durch Verschiedenheiten in der Verteilung von chemischen 
Stoffen und Feuchtigkeit veranlaßt werden. 

Nicht immer braucht die Abstufungsmöglichkeit eines Reizes so groß 
zu sein, daß das Optimum innerhalb der dadurch gesetzten Grenzen 
liegt. Solche Beschränkungen sind entweder in physikalischen und 
chemischen Umständen gegeben, wie z. B. in den Löslichkeitsgrenzen 
eines Reizstoffes oder aber in physiologischen Verhältnissen. So können 
vor Erreichung des Optimums andere, störende Faktoren dazwischen 
kommen, z. B. die Giftigkeit oder der negativ osmotaktische Reiz- 
wert eines Stoffes. Auch braucht dem sog. Optimum nicht die für 
dauerndes Gedeihen günstige Stärke der als Reiz wirkenden Energie- 
art zu entsprechen; die Lage des Reizoptimums hängt vielfach 
vom Vorleben ab und ändert sich durch die Einwirkung der betref- 
fenden Kraft selbst, wie wir das bei den photischen und chemischen 
Reizen kennen gelernt haben. 

Des weiteren sei zur Charakteristik der Reizreaktionen daran 
erinnert, daß wir bei ihnen, falls sie nicht gar zu schnell verlaufen, 
auch ohne besondere Hilfmittel eine Latenz- oder Reaktionszeit, eine 
Präsentationszeit, ein Abklingen der Erregung und eine Gegenreaktion 
beobachten konnten. Auch eine Leitung der Erregung kann als be- 
zeichnendes Merkmal angeführt werden. Denn, wie früher betont, 
muß sie auch da angenommen werden, wo der Ort der Perzeption 
mit dem der Reaktion äußerlich zusammenfällt. Bei den rasch ver- 
laufenden Reizreaktionen werden im übrigen, sobald die Meßmethoden 
dem raschen Ablauf der Vorgänge angepaßt werden, dieselben eben 
aufgezählten Teilprozesse gefunden. Auch für die verschiedenen Arten 
der Stimmungsreizbarkeit sind Anhaltspunkte gegeben, die es er- 
lauben, das Gesagte zu verallgemeinern, und für die taktischen und 
nastischen Reaktionen gilt zweifellos im Prinzip dasselbe wie für die 
tropistischen.!) 

Die hier dargelegte kritisch-skeptische Auffassung über die Er- 
klärbarkeit der Reizprozesse wird nicht von allen Seiten geteilt. Es 
stehen sich zwei Richtungen gegenüber, deren Extreme etwa durch 


1) Als Belege sei an Folgendes erinnert: Die Lichtstimmung von photo- 
tropischen Keimlingen wurde durch kurze starke Belichtung ebenso beeinflußt 
wie durch längere schwache, deren Wirkung eine Zeitlang latent bleibt. Bei 
nachträglicher Verdunkelung geht sie in den Anfangszustand zurück: Gegen- 
reaktion. — Panicumkeimlinge zeigen eine Wirkung der Belichtung des Keim- 
stengels auf die Sensibilität der Blattscheide und umgekehrt: Reizleitung. — 
Phototaktische Organismen überschreiten eine Licht- oder Schattengrenze bevor 
sie reagieren, sie zeigen also eine Reaktionszeit. Auch Reizleitung kommt 
bei ihnen wohl stets vor. Man denke an die Volvoxkolonien und die Bakterien- 
pakete als zwei markante Beispiele (vgl. S. 9 und S. 13). 


310 VIII. Allgemeines. 


J. Loeb (1909) und R. H. France (1909) gekennzeichnet sind. Beide 
nehmen für sich ein restloses Begreifen der Lebensprozesse in An- 
spruch, die eine auf physikalisch-chemischer Grundlage, die andere 
mit Hilfe von in der Pflanze angenommenen psychischen Fähigkeiten. 
Beide Erklärungsversuche sind abzuweisen. Der erste ist bisher noch 
in keinem Falle wirklich geglückt, der zweite genügt logischen An- 
sprüchen nicht. 

Man kann sehr wohl der Meinung sein, daß die physikalisch- 
chemische Erklärung der Reizprozesseund der Lebensvorgänge überhaupt, 
möglich sei, ja sogar, daß sie das Endziel der Physiologie bilde, ohne 
den Zeitpunkt für gekommen zu halten, in dem die Wissenschaft 
dieser Aufgabe gewachsen ist. Bisher ist es immer nur gelungen, 
von den im Organismus sich. abspielenden Vorgängen hier und da 
einen, der sich auch an leblosen Stoffen wiederholen ließ, von der 
Masse der Lebensprozesse im engeren Sinne abzulösen. Besonders auf 
dem Gebiete des Stoffwechsels sind solche Fortschritte zu verzeichnen. 

Anders bei den Reizvorgängen in der Pflanze. Von allen Glie- 
dern der Reizkette sind überhaupt nur die duktorischen Prozesse in 
wenigen Fällen Gegenstand von Erklärungsversuchen geworden. Es 
sei an die Auffassungen von Pfeffer und Haberlandt über die Bedeu- 
tung von Flüssigkeitsströmungen für die Reizleitung bei Mimosa 
(vgl. S.225) erinnert, ferner an Boysen-Jensens Diffusionstheorie für 
die Ausbreitung der phototropischen Erregung (vgl. S. 148). Die so 
erklärten Leitungsvorgänge scheiden übrigens für die genannten Ver- 
fasser aus der Reihe der eigentlichen Reizprozesse aus. 

Über die Art wie die. Perzeption vor sich geht, was die Er- 
regung darstellt und wie die Reaktion zustande kommt, sind nicht 
mehr als Gleichnisse oder undeutliche Vorstellung vorhanden. Man 
kann es z. B. nicht als Erklärung ansehen, wenn Loeb ‚‚heliotropische 
Stoffe“ für die Liehtreizbarkeit verantwortlich macht. Wohl können 
photochemische Prozesse bei der Perzeption eine Rolle spielen; aber 
weder sind sie bisher nachgewiesen, noch sind Anhaltspunkte dafür 
vorhanden, in welchem Verhältnisse sie etwa zur Erregung stehen 
könnten. Auch aus den Gesetzen, die das quantitative Verhältnis von 
Reizanlaß, Erregung und Reaktion beherrschen, kann man nicht, wie 
das z. B. Blaauw (1909) versucht hat, auf bestimmte physikalisch- 
chemische Vorgänge bei der Perzeption schließen, denn diese Zahlen- 
gesetzmäßigkeiten deuten nur ganz allgemein auf die Umsetzung 
einer Energieform in eine andere hin (Pringsheim 1910). 

Man kann somit nicht behaupten, daß bisher irgendein Anfang 
mit der Zurückführung der Reizvorgänge auf physikalisch-chemische 
Prozesse gemacht sei. Trotzdem muß natürlich auch weiterhin ver- 
sucht werden, die Gesetze, die für leblose Substanzen gelten, bis ins 
innere Lebensgetriebe hinein zu verfolgen. Dabei bleibt die Frage, 
ob etwa besondere Energieformen mit den Lebensvorgängen verknüpft 
sind (Ostwald 1905), besser unerörtert, bis irgendwelche methodischen 
Anhaltspunkte zu ihrem Nachweise gefunden sind. 


Das Wesen der Reizbarkeit. 3ıl 


Die physikalisch-chemische (‚‚mechanistische‘“) Zerlegung der Reiz- 
vorgänge schwebt uns also wohl als — vielleicht unerreichbares — 
Endziel vor, wir können in ihr aber nicht eine schon jetzt erfüllbare, 
und glücklicherweise auch nicht die einzige Aufgabe der Reizphysiologie 
sehen. Vielmehr haben die Reizvorgänge auch ihre eigenen Erschei- 
nungsformen und Gesetze, denen wir in den einzelnen Kapiteln nach- 
gegangen sind und die auf lange hinaus eine Fülle der dankbarsten 
Fragestellungen bieten. Selbst wenn diese reizphysiologischen Gesetz- 
mäßigkeiten, wie das Webersche, das Reizmengengesetz usf. nur ein 
Ausdruck des physikalisch-chemischen Geschehens in einem höchst 
komplizierten Systeme von ineinandergreifenden Prozessen wären, 
einem Systeme, das wir eben Organismus nennen, so wären sie darum 
nicht weniger des Studiums wert. Denn erst genaue Kenntnis dieses 
besonderen Geschehens kann uns einen Einblick in die Natur des 
„lebenden physikalisch-chemischen Systems“ gewähren. Falls die 
Elektronentheorie die Erklärung der Newtonschen Gesetze finden 
sollte, so wäre deren Bedeutung dadurch nicht im geringsten ver- 
mindert. Dieses vorläufige Bescheiden mit lösbaren Problemen kenn- 
zeichnet also die Physiologie durchaus nicht als eine Wissenschaft 
von geringerem Werte oder niedrigerer Ausbildungsstufe als andere. 
„Auf komplexe Größen, auf Eigenschaften ...., die wir nicht weiter 
zergliedern wollen oder können, führt schließlich das Streben nach 
letzten Zielen in jeder naturwissenschaftlichen Forschung. Auch Ko- 
häsion, Elastizität, Schwere sind ebenfalls solche Eigenschaften, und 
dereinst dürfte es auch gelingen, die Atome und den mit denselben 
verknüpften Komplex von Eigenschaften noch weiter zu zergliedern. 
Im Prinzip steht also die physiologische Forschung auf keinem anderen 
Boden als die übrigen Naturwissenschaften, wenn sie auch vielfach 
komplexe Größen als gegeben und vorläufig nicht weiter zerlegbar 
hinnehmen muß, also im allgemeinen die vitalen Vorgänge nicht so 
weit wie Chemie und Physik, auf Atome und einfache energetische 
Faktoren zurückzuführen vermag“ (Pfeffer 1897, 8. 4). 


Während nach dem Gesagten der physikalisch-chemische Er- 
klärungsversuch ein sehr notwendiges, wenn auch nicht das einzige 
methodologische Hilfsmittel des Biologen ist, hat die psychistische 
Richtung, die seelische Vorgänge zur Erklärung von Lebenserschei- 
nungen heranzieht, kaum irgendwelche Berechtigung. Höchstens als 
Gegengewicht gegen allzu mechanistische Anschauurgen mag sie ge- 
duldet werden. Positive Leistungen hat sie nicht aufzuweisen. Und 
während die mechanistische Richtung zu exakten Versuchen anspornt 
und in konsequenter Durchführung selbst die Grenzen ihres Bereiches 
deutlich macht, begnügt sich die psychistische Schule mit Schein- 
erklärungen, die den Fortschritt aufhalten. 

Wenn in diesem Büchlein die Pflanze da und dort dem Ausdrucke 
nach als handelndes Subjekt vorgeführt und wenn auch oft auf ihre 
zweckmäßige Reaktionsweise hingewiesen wurde, so soll damit natürlich 


312 VIII. Allgemeines. 

nicht der Auffassung Vorschub geleistet werden, als würde bei ihr der 
Endzweck zur Ursache des Geschehens, wie wir das bei unseren eigenen 
Willenshandlungen kennen. Vielmehr betrachte ich die sinnvolle Re- 
aktionsweise ebenso wie zweckmäßigen Bau als Anpassungserscheinung, 
die im Darwinschen Sinne durch Auslese erworben sein dürfte. Nur 
der Kürze des Ausdruckes wegen wird von der Pflanze wie von einem 
bewußt handelnden Wesen gesprochen. Unsere ganze Sprache ist ja 
doch auf uns selbst zugeschnitten, und wollte man jede Zweideutig- 
keit des Ausdruckes vermeiden, so käme man nicht von der Stelle. 
Immer wieder macht es sich störend bemerkbar, daß die Wissenschaft, 
vom deszendenztheoretischen Standpunkte betrachtet, am verkehrten 
Ende, nämlich beim Menschen, anstatt bei den niedersten Lebewesen 
begonnen hat. 

Die Übertragung des vom Menschen hergenommenen Seelenbe- 
griffes auf die Pflanze kann von vornherein nur geringen Wert haben. 
Der einzige dazu berechtigende Grund wäre das Vorhandensein von, 
den unsrigen ähnlichen, Bewußtseinsvorgängen. Solche kennen wir 
aber im Grunde nur bei uns selbst. Schon bei anderen Menschen 
schließen wir auf sie nur auf Grund der Ähnlichkeit in der sonstigen 
Beschaffenheit. Bei Pflanzen ist ein solcher Schluß offenbar ganz 
unzulässig. Selbst wenn gewisse Übereinstimmungen, z. B. zwischen 
Sinnestätigkeit und Reizbarkeit, vorliegen, so bleibt doch die Frage 
offen, ob erstere selbst beim Menschen zu den psychischen Fähig- 
keiten zu rechnen ist. Von Begrifisstreiterei wollen wir uns aber 
fern halten. 

Wenn wir dem Begriffe „Seele“ auf den Grund gehen, so finden 
wir darin nichts, als die Abstraktion aus den Erscheinungen, die das 
lebende Wesen, das ähnlich wie wir selbst organisiert ist, vom toten 
unterscheiden. Wenn wir also auch in den Pflanzen psychische Vor- 
gänge annehmen wollten, die den unseren ähnlich sind, so können diese 
doch niemals zur Erklärung der Reizbarkeit herangezogen werden, 
da eine Abstraktion niemals etwas erklärt, zumal wenn sie nur der 
zusanımenfassende Ausdruck für eine Reihe von Erscheinungen ist, 
unter denen die zu erklärenden sich befinden. Auch kann keines- 
falls das Einfachere, nämlich die Reizbarkeit, aus dem Zusammen- 
gesetzten, der Seelentätigkeit erklärt werden. 

Ist also die psychistische Erklärungsweise der pflanzlichen Reiz- 
barkeit abzulehnen, so bleibt doch die Frage offen, ob die Lebens- 
vorgänge nicht doch etwas enthalten, das vom anorganischen Ge- 
schehen grundsätzlich verschieden ist, ob also besondere vitale Kräfte 
existieren. In dieser Frage, zu deren Ablehnung ich neige, ist eine 
zwingende Entscheidung zur Zeit nicht möglich. Für die wissen- 
schaftliche Arbeit scheint es mir aber zweckmäßig, zunächst ein 
physiologisches Geschehen vom physikalisch-chemischen zu scheiden, 
das jenes etwa in derselben Weise überlagert, wie das psychische 
das physiologische. 


Die Entwickelung der Reizbarkeit. 313 


b) Die Entwickelung der Reizbarkeit. 


Im Ganzen bemerken wir, daß die Reizbarkeit im Verein mit 
den sonstigen morphologischen und physiologischen Einrichtungen der 
Arterhaltung dient, also im Sinne der Pflanze zweckmäßig ist. Das 
braucht nicht immer für die Versuche im Laboratorium zu gelten, 
muß aber für das Leben in der freien Natur gefordert werden. Denn 
wäre ein Organismus mit irgendeiner unter natürlichen Umständen 
nicht zweckentsprechenden Einrichtung versehen, so könnte er nicht 
lange gedeihen. Auch könnte eine Formanpassung nicht wirk- 
sam sein, ja nicht einmal entstehen, wenn nicht die entsprechende 
Sensibilität mit ausgebildet würde. Wie hat man sich aber diese 
Ausbildung zu denken? Darüber muß man sich doch auch Gedanken 
machen! 

Die Reizbarkeit als solche gehört zwar zu den Grundeigenschaf- 
ten des lebenden Plasmas, dessen Entstehung hier nicht erörtert 
werden soll. Wie aber steht es mit ihren einzelnen, zum Teil recht 
verwickelten Erscheinungsformen? 

Es wurde schon darauf hingewiesen, daß man sich vom deszen- 
denztheoretischen Standpunkte auch die Reizerscheinungen in ihren 
besonderen Ausbildungsformen als Anpassungen zu denken hat, die 
im Laufe der Stammesentwickelung durch Auslese erworben und ge- 
festigt worden sind. Demnach läge die Aufgabe vor, die Fortbildung 
der Reizbarkeit in der Pflanzenwelt von ihren einfachsten Anfängen 
bis zur höchsten Vervollkommnung zu schildern. 

Von einer solchen Entwickelungsgeschichte des pflanzlichen Reiz- 
vermögens liegt noch nicht einmal der erste Versuch vor. Dem- 
entsprechend wurde in diesem Buche zwar in dem allgemeinen 
Abschnitte über die Bewegungen von den niederen zu den höheren 
Gewächsen vorgeschritten und wiederholt darauf aufmerksam ge- 
macht, daß die Verschiedenheiten der motorischen Fähigkeiten in 
einem gewissen Zusammenhange mit der Stammesentwickelung stehen; 
aber schon hier konnte man kaum von einer Vervollkommnung im 
Aktionsvermögen etwa vom Bakterium zur höheren Pflanze sprechen. 
Jeder Organismus führt vielmehr die Bewegungen aus, die seiner 
sonstigen Lebensweise entsprechen. 

Noch weniger waren deszendenztheoretische Gesichtspunkte bei 
den Reizerscheinungen selbst zu gewinnen. Es erwies sich bei deren 
Besprechung in den einzelnen Abschnitten nicht einmal als tunlich, 
mit den niederen Organismen zu beginnen, da deren Verhalten nicht 
einfacher und außerdem im ganzen weniger genau bekannt ist als 
das der höheren. 

Das Wenige, das sich über dieses Thema der Zukunft sagen 
läßt, soll im Folgenden aneinandergereiht werden. Zunächst ist die 
Frage berechtigt, ob wir uns Organismen denken können, die gar 
keine Reizbarkeit besitzen? Auf diese Frage ist mit nein zu ant- 
worten. „Reizvorgänge sind mit dem ganzen lebendigen Getriebe ver- 


314 VIII. Allgemeines, 


kettet, und es gibt vielleicht keine Einzelaktion, in welcher nicht 
Reize als veranlassende, hemmende, vermittelnde oder regulierende 
Glieder eine Rolle spielen und spielen müssen. Reizbarkeit kommt 
demgemäß den niedersten wie den höchsten Organismen zu, ist also eine 
allgemeine Eigenschaft der lebenden Substanz‘ (Pfeffer 1897, S. 10). 

Wohl aber existieren Lebewesen ohne Reizbewegungen, näm- 
lich solche die überhaupt keine nach außen erkennbare Motilität be- 
sitzen. Hierher gehören viele Bakterien und einzellige wie kolonie- 
bildende niedere Algen. Sobald jedoch ein Bewegungsvermögen auf- 
tritt, finden wir es auch durch Reize in bestimmte Bahnen gelenkt. 
Es ist nun ohne weiteres klar, daß ein Bakterium, das aktiv zu 
geeigneten Nahrungsquellen zu gelangen vermag oder ein grüner 
Organismus, der günstige Lichtverhältnisse aufsuchen kann, gegen- 
über sonst ebenso ausgerüsteten unbeweglichen Mitbewerbern im 
Vorteil sein werden. Dasselbe gilt von dem Fliehen vor schädlichen 
Einflüssen. Sollen nun gar bewegliche Befruchtungszellen ohne 
Richtungsreize ihr Ziel erreichen, so ist dies nur unter sehr großen 
Verlusten und unter besonderen Umständen, z. B. Anhäufung auf 
kleinem Raume, Beschränkung der Bewegungsfreiheit, massenhafte 
Verbreitung usw. überhaupt möglich. 

Wo jedoch die Fähigkeit zu Reizbewegungen einmal erworben 
ist, finden wir sie im allgemeinen bei den höchststehenden Pflanzen 
in derselben Form wie bei den niederen. Es gilt dies beispielsweise 
meist für die tropistischen Reaktionen. Die am höchsten aus- 
gestalteten grünen Gewächse krümmen sich nicht vollkommener nach 
dem Lichte als gewisse einfache Pilze. Immerhin ist es möglich, 
daß noch Tatsachen gefunden werden, die auf eine allmähliche Ver- 
vollkommnung der Richtungsbewegungen schließen lassen. 

Nur ganz vereinzelt konnten Urteile über die Höhe der Aus- 
bildung eines Empfindungs- oder Reaktionsvermögens gefällt werden. 
So schienen die mit besonderen Gelenken, versehenen Blätter besser 
an häufige Bewegungen angepaßt als die durch Wachstum reagieren- 
den. Auch fanden wir die photo- und chemotaktischen Reaktionen 
der Bakterien weniger fein ausgebildet als die der Flagellaten. Aber 
die Seltenheit solcher Vergleichsmöglichkeiten verbietet vorerst weitere 
Schlüsse. 

Im Grunde haben wir nicht einmal allzuviele sichere Zeichen 
dafür, daß eine bestimmte Reizempfänglichkeit überhaupt erworben 
worden sei, also im Laufe der Stammesentwickelung früher nicht 
vorhanden gewesen sei. Können wir doch, wie oben (S. 144) betont, 
niemals etwas über das Fehlen der Sensibilität aussagen, selbst wenn 
kein Reizerfolg zu beobachten ist. Aus allgemeinen Gründen darf 
man sogar annehmen, daß die Empfindlichkeit gegen Wärme und 
chemische Stoffe, wahrscheinlich auch die für Licht und Feuchtigkeit 
der lebenden Substanz stets zukommt. Sie mag dann den Lebens- 
bedingungen gemäß vervollkommnet worden sein; doch auch darüber 
wissen wir fast nichts. 


an 


u 
_ 


Die Entwickelung der Beizbarkeit. 315 


Nur in einzelner Fällen haben wir einen sicheren Anhalt für 
die Auffassung gewisser Reizvorgänge als Anpassungen, nämlich 


‚dann, wenn diese in deutlichem ökologischen Zusammenhange mit 


bestimmten physiologischen Aufgaben stehen. Man denke etwa an 
Cuscuta oder die Insektivoren. Manchmal beobachten wir dann die 
‚merkwürdige Erscheinung, daß die die Reizreaktion auslösende Kraft 
verschieden ist von der. um deretwillen sie offenbar geschieht. Ökolo- 
gisch ist das nur dadurch verständlich, daß beide Kräfte in der Natur 
stets oder meist gleichzeitig einwirken. Einige Beispiele mögen ver- 
deutlichen, wie das gemeint ist. 

Für die phototropischen Reaktionen finden wir auch da, wo sie 
zweifellos im Dienste der Kohlensäureassimilation stehen, das Maxi- 
ınum der Wirkung bei den blauen Strahlen, obgleich diese an assimi- 
latorischer Wirkung praktisch hinter den rotzelben zurückstehen. 
So sind ferner bei Bakterien vielfach die Kaliumverbindungen be- 
sonders stark chemotaktisch anlockend, obgleich deren Gewinnung 
an Bedeutung hinter der gleichzeitig von der Nahrungsquelle ab- 
gegebener organischer Stoffe zurücktritt. Ebenso wirken bei Drosera 

Ammoniumsalze stark auf die Bewegungen der Tentiakeln, während 
doch, soviel wir wissen, die erst später durch die Verdauungsenzyme 
gelösten Eiweißverbindungen das Ziel der Bemühungen bilden. Auch 
können wir hier die farblosen Schwärmer gewisser parasitischer Orga- 
nismen anführen, die ihre das Licht aufsuchenden Opfer vermöge 
einer gleichen phototaktischen Reizbarkeit zu finden wissen. In allen 
(diesen Fällen wird ein ökologischer Nutzen auf einem Umwege er- 
reicht, der aber die Wahrscheinlichkeit des Gelingens. nicht allzusehr 
vermindert. An Sielle des eigentlich bedeutungsvollen Umstandes 
fritt ein ihn meist begleitender als Beizursache auf. Dieses Prinzip 
ist bei den Tieren in noch größerem Umfange wirksam und steigt 
an Bedeutung mit deren höherer Organisation. Mit Jennings (1910) 
können wir von stellvertretenden Reizfaktoren sprechen. Neben 
einigen weiteren Beispielen finden wir bei ihm eine Erörterung über 
die Entstehungsweise derartiger Stellvertretungen. Jennings nimmt 
eine Vereinfachung früher noch verwickelterer Vorgänge an. Eine 
häufig eingetretene zeitliche Aufeinanderfolzge soll schließlich einen 
kausalen Zusammenhang bewirkt haben, in dem- zuletzt die über- 
flüssigen Zwischenglieder ausfielen. Diese Annahme scheint für 
manche Fälle viel Wahrscheinlichkeit zu besitzen, wenn sie auch 
nicht für alle zutrifft. So ist z.B. das letzterwähnte Beispiel der 
Chytridiaceenschwärmer kaum ohne Auslese der bestangepaßten Indi- 
viduen enstanden zu denken. 

Für uns aber ist es schon von Bedeutung. überhaupt Fälle zu 
wissen, in denen ein Beizvermögen allmählich entstanden oder doch 
vervollkommnet worden sein muß. Man könnte sonst vielleicht 
zu der Meinung kommen, daß die Beizbarkeit als solche in nicht 
mehr vervollkommnungsfähiger Weise von Anfang an dazewesen sei 
und nur das Beaktionsvermögen sich nach Bedarf ausgebildet habe. 


316 VIII. Allgemeines, 


Diese Auffassung ist aber unwahrscheinlich angesichts der Tat- 
sache, daß z. B. Purpurbakterien besonders auf rote Strahlen, die 
anderen phototaktischen Organismen aber auf die stärker brechbaren 
reagieren. Denn man kann kaum annehmen, daß beide für alle 
Strahlen des Spektrums empfindlich sind, aber nur auf einen Teil 
von ihnen reagieren. Wir kennen keinen Pflanzenteil, der sich etwa 
für verschiedene Reizauslösungen verschiedener Spektralbezirke be- 
diente.) Doch liegen eigens hierauf gerichtete Untersuchungen nicht 
vor (vgl. Pfeffer 1904 S. 120). Nur aus solchen Befunden könnte 
man auf eine Ausdehnung der Lichtempfindlichkeit über die bei einer 
speziellen Reizauslösnng wirksamen Bezirke hinaus schließen. 

Was die Reihenfolge in der Ausbildung der einzelnen Reizreaktions- 
weisen betrifft, so haben wir auch dafür nur wenig Anhaltspunkte. 
Als wahrscheinlich kann man annehmen, daß der positive Geotropismus 
der Wurzeln vorhanden gewesen sei, bevor die anderen Reaktions- 
weisen, also etwa der Hydro- und Chemotropismus ausgebildet wurden. 
Ist doch auch im Einzelleben das Versenken der Wurzel in den Boden 
der erste und wichtigste Vorgang. Ja die Abwärtskrümmung beginnt 
zuweilen schon, bevor das Würzelchen die Samenschale oder das 
Gewebe der Mutterwurzel durchbrochen hat, so daß also die Be- 
dingungen für das Eingreifen anderer Außenreize noch gar nicht 
gegeben sind. Bei den Stengeln der höheren Pflanzen dürfte der 
negative Geotropismus älter sein als die nastische Reaktionsweise der 
Seitenglieder, denn deren Bewegungen bekommen nur durch sein Vor- 
handensein eine für ihren Nutzen Ausschlag gebende Orientierung 
zur Außenwelt. Man denke etwa an die Schlafbewegungen der 
Blätter. Die der Blüten freilich, die ein Öffnen und Schließen be- 
wirken, sind auch ohne solche Beziehungen vielfach zweckmäßig. 

Man sieht wohl, daß wir bei den meisten Fragen, die eine des- 
zendenztheoretische Betrachtungsweise der Reizerscheinungen stellt, 
durchaus oder fast ganz im Dunkeln tappen. Somit kann man auch 
hieraus wieder schließen, daß die Reizphysiologie der Pflanzen, so 
viele schöne Ergebnisse sie auch schon gezeitigt hat, doch erst im 
Anfange einer höheren Entwickelung steht. 


1) Wie es z. B. mit dem Einfluß der Lichtfarben auf das Wachstum und 
die phototropische Reaktion steht, kann man aus den vorliegenden Unter- 
suchungen nicht mit hinreichender Genauigkeit entnehmen. 


Literaturübersicht. 


Die angeführten Schriften stellen keine vollständige Bibliographie des 
Gegenstandes dar. Auch ist aus ihnen nicht immer ohne weiteres der Ent- 
decker oder erste Bearbeiter irgendeiner Tatsache zu ersehen. Denn vielfach 
wurde vorgezogen neuere oder zusammenfassende Literatur zu nennen, aus 
der dann bei Bedarf frühere Arbeiten entnommen werden können. Die Literatur 
wurde im Allgemeinen bis zum Frühjahr 1911 benutzt, doch ließen sich Un- 
gleichheiten in der zeitlichen Grenze bei den einzelnen Kapiteln nicht vermeiden. 


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DI 
7 
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Saehverzeiehnis. 


Abklingen von Erregungen 40. 

Achsenfadenranken 211. 

Aörotaxis 275. 

A&rotropismus 254. 

Ather, Narkose durch 47, 141. 

Aktionssystem 19. 

Aktionszone, Trennung von der Per- 
zeptionszone 49. 

Algen, Geotropismus 91; Phototro- 
pismus 185; Rankenreizbarkeit 212. 

Alpenpflanzen, Einfluß des Lichtes 
105. 

Amöben, Bewegungen 18—20. 

Arbeitsleistung bei der geotro- 
pischen Krümmung 45. 

Atemwurzeln, negativer Geotropis- 
mus 69. 

Augenfleck der Flacellaten 
Algenschwärmer 8, 193. 

Auslösungsvorgänge 307. 

Autonome Bewegungen 123, 
Nutation 112. 

Autonyctinastie 133. 

Autotropismus 44. 

Auxanometer 25, 101. 


und 


131: 


Bakterien, Bewegungen 12—14; 
Chemotaxis 288; Geißeln 12—14. 

Bedingungen des Wachstums 28. 

Bewegungsvorgänge — motorische 
Prozesse 48. 

Blätter, Geotropismus 
tropismus 177. 

Blattgelenke, Geotropismus 54. 

Blattranken 211ff. 

Blüten, dorsiventrale 80. 

Blütenöffnung, Abhängigkeit von 
der Beleuchtung 104. 

Blütenstiele, Geotropismus 79ff.; 
negat. Phototropismus 174; Schlaf- 
bewegungen 123. 


79; Photo- 


Callusbildung 247. 

Chemonastie 271. 

Chlorophyllkörper, Lageverände- 
rungen 22; Lageveränderungen auf 
chemische Reize 293; auf Lichtreiz 
200ff.; auf Verletzung 246. 


Chromulina, Chloroplastenbewe- 
gungen 202. 

Coleoptile 98. 

Cuscuta, Klettern 90, 221. 


Dauerbelichtung, Wirkung auf das 
Wa:hstum 100. 

Desmidiaceen, Bewegungen 18; Pho- 
totaxis 198. 

Diatomeen, Bewegungen 15, 16; 
Chemotaxis 293; Chloroplastenbe we- 
gungen 203; Hydrotaxis 297; Photo- 
taxis 198. 

Dionaea 240. 

Dorsiventrale Organe 28; geotro- 
pische Reaktionen derselben 76ff. 
Dorsiventralität, Abhängigkeit von 

der Beleuchtung 173. 

Drehungen wachsender Pflanzen- 
teile 28, siehe auch Torsionen. 

Drosera 236. 

Duktorische Prozesse — Leitungsvor- 
gänge 48. 

Dunkelstarre 131. 


Efeu, Phototropismus 171. 

Empfindlichkeit, Maß der geotro- 
pischen 65; phototropische 140. 

Entwickelung der Reizbarkeit 313. 

Eremosphaera, Chloroplastenbewe- 
gungen 203. 

Ermüdung 55. 

Erregung 40, 46. 

Ersatzreaktionen 74. 

Etiolement — Vergeilung 93; bei 
Pilzen 107. 


Farbe des Lichtes beim Etiolement 
94; beim Phototropismus 169. 

Farbenempfindlichkeit 169. 

Farbenunterscheidungsver- 
mögen 169, 201. 

Farnblätter, Winden 90. 

Flachsprosse, Ausbildung im Dun- 
keln 100. 

Flagellaten, Bewegungen 7; Chemo- 
taxis 292. 

Fliehkraft als Reizursache 41. 

2a li 


324 


Freie Windungen 88. 
Fühlborsten 241. 
Fühltüpfel 220. 


Galvanotropismus 253. 

Gegenreaktionen 308; geotropische 
44; bei Ranken 217. 

Geißeln der Flagellaten 7; der Myxo- 
mycetenschwärmer 19; Wirkungs- 
weise 8, 13. 

Gelenkblätter, 
124. 

selenkpolster der Blätter 31; Pho- 
totropismus derselben 178. 

Geonyctinastie 133. 

Geotaxis 91. 

Geotropismus 34; negativer 69; 
transversaler 70ff.; der Schlingpflan- 
zen 86. 

Gestaltung, Abhängigkeit von der 
Belichtung 102. 

Gewöhnung bei Mimosa 227. 

Gleitbewegungen der Diatomeen 15. 

Grasblüten, Reizung durch Er- 
schütterung 235. 

Graskeimlinge, Lichtwirkung auf 99; 
Spitzenkrümmung 50, 151. 

Grasknoten als Bewegungsorgane 33; 
Geotropismus derselben 55. 

Gravitation — Schwerkraft 41. 

Greifbewegung der Schlingpflanzen 
88. 


Schlafbewegungen 


Haftpolster bei Ranken 212. 

Haptotropismus 211. 

Heliotropismus — Phototropismus 
93. 

Helligkeitsverteilung, wichtig für 
Chloroplastenbewegung202; inrunden 
Gefäßen 189; in phototropischen 
Pflanzenteilen 145; in Tropfen 188. 

Hemmung des Wachstums durch 
Licht 95. 

Horizontalstellung als wirksamste 
geotropische Reizlage 62. 

Hydrotaxis 296. 

Hydrotropismus 265. 


Indifferenz, phototropische 162. 

Induktionszeit 39. 

Innere Richtkräfte 43, 44. 

Insektivoren 235ft., 271. 

Intensitätsschwelle, geotropische 
66; phototropische 156. 

Intermittierende Reizung, chemo- 
tropische 256; geotropische 39; photo- 
tropische 165. 


Kältestarre 29. 
Kapillarenmethode 280. 


Sachverzeichnis. 


Keimpflanzen, Lichtwirkung auf 97; 
Photonastie 109. 

Keimstengel, Lichtwirkung auf 97. 

Klammerorgane von Mucorineen213. 

Kleistogamie 104. 

Klinostat 8. 

Kompaßpflanzen 183. 

Kompensationsmethode beim Geo- 
tropismus 59, 62; beim Phototropis- 
mus 164. 

Korrelation — Wechselwirkung 83; 
zwischen Haupt- und Seitenwurzeln 
73, 74. 

Kraftquelle, Atmung als 29. 

Kreisen der Schlingpflanzen 85. 

Kriechbewegungen der Ösecillarien 
16, 417. 

Krümmungen wachsender Pflanzen- 
teile 27. 

Krümmungsfähigkeit 60. 

Krümmungsstärke als Maß der Er- 
regung 59, 61. 


Leitung der geotropischen Erregung 
49; der phototropischen 141, 147; in 
Blättern 179; der Erregung bei 
Drosera 238; bei Mimosa 225. 

Leitungsbahnen bei Volvox 10. 

Leitungsvorgänge — duktorische 
Prozesse 48. 

Lianen 89. 

Lichtabfall als Reizanlaß 145. 

Lichtfalle 191. 

Lichtmenge, phototropisch wirksame 
160, 163; bei Blättern 182. 

Lichtperzeptionsorgane 181. 

Lichtrichtung, Einstellung in die 
139; als Reizanlaß 145. 

Linkswindende Pflanzen 86. 


Markierung für Messungen 26, 37. 

Mechanische Reizbarkeit 209. 

Mechanistische Erklärung der Reiz- 
barkeit 311. 

Meeresalgen, Formbeeinflussung 
durch Licht 106. 

Mesocarpus, Chlorophyliplatte 201. 

Metabolie 21. 

Mimose, Reizbarkeit 223fr. 

Moosblätter, Chloroplastenbewe- 
gungen 203. 


Monosymmetrische-- dorsiventrale 
Pflanzenteile 76, 77. 
Motorische Prozesse Bewegungs- 


vorgänge 48. 

Myxomyceten, Bewegungen 19; 
Chemotaxis 236—88; Phototaxis 199; 
Thermotaxis 200. 


Sachverzeichnis. 


Nachwirkung, bei Chloroplastenbe- 


wegung 207; geotropische 39; nyc- 
tinastische 122; phototropische 139; 
des Tageslichtwechsels 102. 
Nadelbäume 76. 
Narben, reizbare 234. 
Narkose 47, 226. 
Nickende Pflanzenteile 82. 
Nutation, autonome 112. 
Nyetinastie — Schlafbewegung 118. 


Ökologie des Phototropismus 170 f.; 
der Ranken 220; der Schlafbewe- 
gungen 135; des Windens 8Sff. 

Orchideen, reizbare Lippe 234. 

Orthotrope Pflanzenteile 58, 70. 

Ortsbewegunsg, freie 6fl. 

Oscillarien, Bewegungen 16, 17; Che- 


i« 9092. ern ale u 
motaxis 293; Hydrotaxis 297; Pho ie 


totaxis 198. 
Osmotaxis 294. 
Osmotropismus 264. 


Paniceenkeimlinge, Lichtwirkung 
auf sie 97; Phototropismus 143. 
Palissadenparenchym 103; Chloro- 

plastenbewegungen darin 204. 

Perzeption, geotropische 51; photo- 
tropische 144. 

Perzeptionszone, Trennung von der 
Aktionszone 49. 

Pflanzenschlaf 118. 

Phobochemotaxis 300. 

Photische Erregung 162, 163. 

Photomorphosen 102. 

Photonastie 108ff.; bei Euglena 194; 
bei Schlafbewegungen 118, 129. 

Phototaxis 138, 186. 

Phototonus 9. 

Phototropismus138Sff.; bei Blättern 
177; bei der Keimung 175; negativer 
155ff., 160; negativer als Nachwir- 
kung 164; Zusammenwirken mit 
Geotropismus 153. 

Pilze, Chemotropismus 261; Einfluß 
des Lichtes auf sie 106 ff,; Geotropis- 
mus 90; Hydrotropismus 268; Photo- 
tropismus 184. 

Pilzfruchtkörper, Krümmungen 29. 

Pinguicula 235. 

Plagiotrope Pflanzenteile 70. 

Plasmafäden zur Reizleitung 27. 

Plasmaströmung 2l, 22; auf Wund- 
reiz 246. 

Plasmodium der Schleimpilze 19. 


Polarisation, phototropische 148, 
163. 

Pollenschläuche, Chemotropismus 
257 ft. 


325 


Präsentationszeit, geotropische 39; 
als Maß der Erregung 59, 61; pho- 
totropische 140. 

Protoplasmastrom bei den Diato- 
meen 15. 

Psychistische Erklärung der Reiz- 
barkeit 311. 

Purpurbakterien, 
Phototaxis 196. 


Radiäre — ringsgleiche Pflanzenteile 
7], 77. 

Ranken, Phototropismus 174; Reiz- 
barkeit 211. 

Raphe der Diatomeen 15. 

Reaktionszeit, geotropische 38; als 
Maß der Erregung 59; phototropische 
140, 157. 

Rechtswindende Pflanzen S6. 


Aerotaxis 277; 


RegulierendeVorgänge—rektorische 
Prozesse 48. 

Rheotaxis 297. 

Rheotropismus 269. 

Reizanlaß 3; geotropischer 46, 51; 
haptotropischer 218; hydrotropischer 
266; phototaktischer 190; phototro- 
pischer 145; bei Sensitiven 228. 

Reizaufnahme — Perzeption 46. 

Reizerfolge, chemische und physi- 
kalische 3; geotropische 54. 

Reizleitung, Geschwindigkeit der 
phototropischen 149, siehe auch Lei- 
tung. 

Reizkette 46ff. 

Reizmenge, geotropische 65; photo- 
tropische 160. 

Reizreaktion — Reizerfolg — Reiz- 
antwort 4, 46. 

Reizschwelle bei derChemotaxis 281; 
bei Mimosa 227; phototropische 158; 
des negativen Phototropismus 163; 
bei Ranken 219. 

Reizursache 4; geotropische 46, 51. 

Reizwert der Lichtfarben 169. 

Rektipetalität 44. 

Rosettenblätter, Photonastie 113. 

Ruhelagen, geotropische 57, 273. 


Samenfäden, Bewegungen 1]; 
Chemotaxis 280. 
Sauerstoff, Einfluß 

pismus 141. 
Schattenblätter 103, 109. 
Scheidenblatt bei Gräsern — Coleop- 

tile 98. 

Schlafbewegungen der Blüten 119; 

der Blätter 124. 

Schleimhülle der Oscillarien 7. 
Schlingpflanzen S4fl. 


auf Phototro- 


326 


Schreekbewegungen 191, 193, 278, 
303. 

Schwammparencehym 103; Chloro- 
plastenbewegungen darin 204. 

Schwärmsporen, Bewegungen 8; 
Chemotaxis 286. 

Schwelle 40. 

Schwerkraft als Reizursache 41. 

Schwimmen, freies 6. 

Seitenwurzeln, Geotropismus71—75. 

Seitenzweige, Geotropismus 75. 

Sinnesänderung, geotropische 84, 
273; phototropische 155, 173. 

Sinnesorgane 2. 

Sinusgesetz des Geotropismus 64. 

Sonnenblätter 103, 109. 

Spaltöffnungen, Öffnen u. Schließen 
115, 116. 

Staubfäden, reizbare 31, 230 ft. 

Spirogyra, Bewegungen bei 30, 91. 

Stärkekörner als Statolithen Slff. 

Statolithen 5lft. 

Stellvertretende Reizfaktoren 315. 

Stimmung, phototaktische 188; pho- 
totropische 157. 


Summation von Einzelreizen 39, 63, 
227,292. 


Tageslichtwechsel, Periodische Be- 
wegungen 118; Wirkung auf das 
Wachstum 101. 

Tagesschlaf 134. 

Talbotsches Gesetz 165. 

Thermonastie von Blütenstielen 117; 
bei Schlafbewegungen 118, 129. 

Thermotaxis 199. 

Thigmotropismus 211. 

Topochemotaxis 300. 

Torsionen 28; geotropische 77; bei 
Schlafbewegungen 126; bei Schling- 
pflanzen 87. 

Transversalgeotropismus 70, 275; 
der Schlingpflanzen 85. 

Tranversalphototropismus 177. 

Traumatropismus 248. 

Tropaeolum, Phototropismus 172. 

Turgoränderungen als Bewegungs- 
ursache 31. 

Turgordruck als 
25, 31. 


bewegende Kraft 


Uberkrümmungen, geotropische 38; 
phototropische 151. 


Sachverzeichnis. 


Umbelliferen, geotropische Reak- 
tionen 80. 

Umstimmung, geotropische 84. 

Unterschiedsschwelle 62; geotro- 
pische 65; phototropische 164; zeit- 
liche beim Geotropismus 65. 


Vaucheria,Chloroplastenbewegungen 
202. 

Veränderlichkeit des geotropischen 
Verhaltens 82. 

Vergeilung — Etiolement 93. 

Verhältnisschwelle 281, 283. 

Verholzte Zweige, geotropische Krüm- 
mung 56. 

Verletzungen, Reizwirkung 244 ff. 


Wachstum als Bewegungsmittel 23. 
Wachstumskurven l0l. 
Wachstumsperiode, große 101. 


_ Wachstumssteigerung bei Gelenk- 


pflanzen 55; beim Öffnen u. Schließen 
der Blüten 128; bei Rankenkrüm- 
mungen 217; bei den Schlafbewe- 
gungen der Blätter 128. 

Wärmestarre 29, 149. 

Weber-Fechnersches Gesetz bei der 
Chemotaxis 264, 281£., 290, 304; 
beim Chemotropismus 259, 263; beim 
Geotropismus 66. 

Wechsel der Helligkeit als Bewegungs- 
reiz 109, 129, 193. 

Wechselwirkungen 83, 245. 

Winkellagen, geotropische Reiz- 
wirkung 64; phototropische Reiz- 
wirkung 167. 

Wurzeln, (Chemotropismus 250f.; 
Geotropismus 36; Phototropismus 
174, 175. 

Wurzelhaare 24, 75. 

Wurzelhaube 24. 

Wurzelkasten, Sachsscher 36. 

Wurzelranken 212. 

Wurzelstöcke, Geotropismus71; Ein- 
fluß des Lichtes auf denselben 115. 


Zahlenmäßige Forschungsweise 56. 

Zeiger am Bogen 25. 

Zellkern, Lageveränderungen 22, 246, 
293. 

Zentrifugalwirkung als 
sache 41. 

Zusammenarbeiten der Teile 27. 


Reizur- 


Druck von Oscar Brandstetter in Leipzig. 


Verlag von Julius Springer in Berlin. 


Pflanzenphysiologie. Von Dr. W. Palladin, Professor an der Univer- 
sität zu St. Petersburg. Mit 180 Textfiguren. 1911. 
Preis M. 8,—; in Leinwand gebunden M. 9,—. 


Die Variabilität niederer Organismen. Eine deszendenz-theo- 
retische Studie. Von Hans Pringsheim. 1910. 
Preis M. 7,—; in Leinwand geb. M. 8,—. 


Neuere Anschauungen über den Bau und den Stoff- 
wechsel der Zelle von Emil Abderhalden. Vorträge gehalten an 


der 94. Jahresversammlung der Schweizerischen Naturforschenden Gesell- 
schaft in Solothurn am 2. August 1911. Preis M. 1,—. 


Umwelt und Innenwelt der Tiere. Von J. v. Uexküll, Dr. med. h. c. 
1909. Preis M. 7,—, in Leinwand geb. M. 8,—. 


Vorlesungen über Physiologie. Von Dr. M. von Frey, Professor 
der Physiologie und Vorstand des Physiologischen Instituts an der Uni- 
versität Würzburg. Mit 80 Textfiguren. Zweite, neubearbeitete Auflage. 
1911. In Leinwand gebunden Preis M. 11,—. 


Biochemie. Ein Lehrbuch für Mediziner, Zoologen und Botaniker von 
Dr. F. Röhmann, a. o. Professor an der Universität und Vorsteher der 
chemischen Abteilung des Physiologischen Instituts zu Breslau. Mit 
43 Textfiguren und 1 Tafel. 1908. In Leinwand gebunden Preis M. 20,—. 


Biochemisches Handlexikon. Unter Mitarbeit hervorragender Fach- 
genossen herausgegeben von Prof. Dr. Emil Abderhalden, Direktor des 
Physiologischen Instituts der Tierärztlichen Hochschule in Berlin. In 
sieben Bänden, 


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M. 46,50. I. Band, 2. Hälfte 1911, Preis M. 48,—; geb. M. 50,50. — 
II. Band, 1911, Preis M. 44,—; geb. M. 46,50. — III. Band, 1911, Preis 
M. 20,—; geb. M. 22,50. — IV. Band, 1. Hälfte, 1910, Preis M. 14,—. 
IV. Band, 2. Hälfte, 1911, Preis M. 54,—. IV. Band, kpl. geb. Preis 
M.71.—. — V. Band, 1911, Preis M. 38,—; geb. M. 40,50. — VI. Band, 
1911, Preis M. 22,—; geb. M. 24,50. — VII. Band, 1. Hälfte 1910, Preis 
M. 22.—. VII. Band, 2. Hälfte erscheint im Winter 1911/12. 


Ausführliches Inhaltsverzeichnis steht zur Verfügung. 


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Verlag von Julius Springer in Berlin. 


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(Künstliche Parthenogenese). Von Jacques Loeb, Professor der Physio- 
logie an der University of California in Berkeley. Mit 56 Textfiguren. 1909, 

Preis M. 9,—; in Leinwand gebunden M. 10,—. 


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Professor der Physiologie an der University of California in Berkeley. 
Vortrag, gehalten auf dem XVI. Internationalen Medizinischen Kongreß 
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stituierung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissen- 
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Fischer, Professor an der Universität Berlin. 1911. Preis 80 Pf. 


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