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Full text of "Die religion der alten Ägypter"

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Darstellungen 



aus dem Gebiote 



der DicbtcMsiclieD ReligionsgescIiiGiite. 



111. 

Die Religion der alten Ägypter. 



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Münster i. W. 1890. 

Druck um) Verlag iler Ascliendorffschen BuohhamllunK- 



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Die 



Religion der alten Ägypter. 



Dargnstollt 



Dr. \. Hiodeinann. 



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Münster i. W. 1890. 

Druck un<l Verlag der Aschen clor ffsehen Buchliaiidlunfr. 



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ÜSvAte«« Kapitel. 

Einleitung. 

Oft hat man den Versuch gemacht, die Eigenart der einzel- 
nen Völker durch ein kurzes Schlagwort zu kennzeichnen; man 
hat die Römer die tapfern, die Israeliten die religiösen, die 
Assyrer die grausanien genannt. Wollte man für die alten Ägyp- 
ter ein solches Beiwort verwenden, so wäre es das conservativ 
in seiner ursprunglichen und schroffsten Bedeutung; und während 
für andere Völker die Benennung nur sehr bedingt zutritf!, würde 
man hier ein Wort gefunden haben, welches das Wesen der Nil- 
thalbewohner in allen seinen Äußerungen kennzeichnet. Nie hat 
sich das ägyptische Volk dazu entschließen können, eine Gestal- 
tung in der Sprache, Schrift, Staatsforni, Sitte als überlebt zu be- 
zeichnen, dauernd hat es an denselben während des ganzen Ver- 
laufes seiner Jahrtausende umfassenden Geschichte festgehalten. 
Selbstverständlich ließ es sich nicht vermeiden, daß Fortschritte 
gemacht wurden, daß man durch eigenes Nachdenken oder unter 
fremdem Einflüsse neue Anschauungen gewann, aber wenn man 
sich diesen auch nicht verschließen konnte, so hat man doch bei 
ihrer Übernahme die alten, liebgewordenen Vorstellungen nicht 
verworfen, man hat auch sie bewahrt und sie neben den 
neuen Gedankengängen als gleichberechtigt bestehen lassen. Auf 
diese Weise erklärt es sich, daß die Ägypter, als sie in den Be- 
sitz alphabetischer Schriftzeichen gekommen waren, neben diesen 
die Silbenzeichen weiter benutzten, aus denen die ganze Schrift 
einst entstanden war. So kommt es auch, daß noch in den Zei- 
len, in denen die ägyptische Monarchie eine absolute geworden 
war, Titel und Würden am Hofe und in der Verwaltung fortleb- 

Ur. A. Wiedoiiiaiin: I>ie Rnli^ioii dnr alten Ägypter. 1 



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^ t)ie Religion der allen Ägyptel*. 

len, die in der Feudalzeit entshinden , als der König nur als der 
Erste unter Gleichberechtigten galt. Zahllose Widerspruche wa- 
ren die natürliche Folge dieser Handlungsweise, die Titel deck- 
ten sich nicht mit der Stellung, die Worte nicht mit dem Inhalte, 
aber über allen praktischen Erwägungen stand dem Ägypter das 
Gefühl, nichts von dem verloren gehen zu lassen, was die Vor- 
fahren besessen und eingerichtet hatten, nie die Verbindung mit 
der Vorzeit zu verlieren, damit alles so bleibe, wie es gewesen 
war „seit den Zeiten des Gottes Ru**. 

Während in den Äußerungen des bürgerlichen Lebens die 
besprochene Empfindungsweise durch das Leben selbst eine ge- 
wisse Änderung erfahren mußte und man wohl an Namen und 
Formen, nicht aber an dem Inhalte festhalten konnte, wenn an- 
dere Allgemeinverhältnisse eintraten, war dies anders auf dem 
Gebiete des Seelenlebens, wo das Gefühl allein das Sinnen und 
Denken beherrschte und die rauhe Wirklichkeit nicht das System 
zerstören mußte. Vor allem ist es die Religion, in welcher der 
Ägypter seiner conservativen Gesinnung freien Lauf gelassen hat. 
Die wenigen Naturerscheinungen, die wenigen allgemeinen Wahr- 
heiten, die er ihr zu Grunde legte, ließen sich so verschiedenartig 
deuten und umgestalten, daß hier ein Verlassen alter Gedanken 
neuen zu Liebe, wenn auch nach unserer Anschauung wünschens- 
wert, doch nach ägyptischer durchaus nicht notwendig erschien. 
Dies war um so weniger der Fall, als der Hang zum Mysticismus, 
der das ägyptische Volk kennzeichnete, über etwa entstehende 
Widersprüche leicht hinweg half. Wo diese» für den irdischen 
Verstand unlösbar erschienen, da galt ihre Ausgleichung für ein 
tiefes Geheimnis, dessen Inhalt die Gottheit dem Seligen im Jen- 
seits enthüllen werde. 

Unter diesen Umständen ist die ägyptische Religion von ho- 
hem Interesse. Sie bietet die allereinfachsten Formen dar, unter 
denen das Volk an den Ufern des Niles sich seine Götter eine 
Zeit lang dachte, die Geremonien, mit denen man sie in einer 
Zeit, in der man über nur sehr geringe Ilülfsmittel zur Verschö- 
nerung des Cultus verfügte, verehrte; daneben aber zeigen sich 
die Anschauungen anderer Zeilen, eine stelig wachsende Zahl von 
Gottheilen, ein sich andauernd verfeinernder und prunkvoller ge- 
staltender Cultus, ganz neugeschaffene Verehrungs weisen, aus 
dem Ausland eingeführte höhere Wesen. >lle die voi'schiodencn 



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Erstes Kapitel. Einleitung. f) 

Gedankenkreise, welche der ägyptische Göllergiaube im Laufe der 
Zeit überhaupt entwickelt hat, finden sich in den Texten gleich- 
zeitig vertreten , alle aufeinander folgenden Gestaltungen sind bei- 
behalten worden. Widersprüche aller Art konnten dabei nicht 
ausbleiben, dieselben haben jedoch den Ägypter nie gestört, und 
dies um so weniger, als er nie versucht hat, seine Götterwelt in 
ein System zu bringen, welches als eine einheitliche Religion gel- 
ten könnte. Man kann in Ägypten wohl von religiösen Vorstel- 
lungen reden, aber nicht von einer ägyptischen Religion. Diese 
Thatsache, welche sich jedem , der die Texte mit unbefangenem 
Auge betrachtet, ohne weiteres aufdrängt und welche der Leser, 
auch aus den Texten, welche ihm im Folgenden vorgeführt wer- 
den sollen, klar erkennen wird, muß wohl im Auge behalten wer- 
den. Immer und immer wieder ist der Versuch gemacht worden, 
ein ägyptisches Religionssystem aufzustellen und damit den Ägyp- 
tern zu geben, was sie nie besessen haben. Alle die hierher ge- 
hörigen Arbeiten, mögen sie auch noch so geistreich sein, sind 
wissenschaftlich als verfehlt zu betrachten; stets beruhen sie auf 
einer willkürlichen Auswahl von Textstellen, welche ihre Verfas- 
ser von einem vorgefaßten Standpunkte aus vorgenommen haben, 
lassen aber die weit größere Zahl anderer, den betreffenden Theo- 
rien widersprechender Stellen außer acht. Ebensowenig, wie es 
möglich ist, ein solches allgemein gültiges System aufzustellen, 
läßt sich ein Urteil abgeben über die älteste Form der ägypti- 
schen Religion, und beweisen, ob dieselbe monotheistisch war, 
wie man aus allgemeinen Gründen annimmt, oder ob sie, wie 
von anderer Seite behauptet worden ist, auf Pantheismus, Poly- 
theismus, Stemdienst, Ahnenkult oder noch andern Vorstellungen 
beruht. Alle diese Glaubensformen finden sich in der ägyptischen 
Religion mehr oder weniger klar vertreten, es ist aber nicht be- 
legbar, welches die altern, welches die jüngeren sind. Bereits in 
den ältesten uns überkommenen längeren religiösen Texten, in 
den Inschriften der Pyramiden der sechsten Dynastie sind sie 
insgesamt vorhanden und nebeneinander in einzelnen Sätzen und 
langem Ausführungen dargelegt. Soweit unsere Kenntnis des 
alten Ägyptens reicht, ist die Forschung bei der Frage nach den 
Ursprüngen der Religion, der Verfassung, der Schrift, der Her- 
kunft des Volkes zu keinem Abschlüsse gelangt. Im Gegenteil, 
je mehr Material erschlos.sen , je gründlicher es durchgearbeitet 



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4 Die Religion der allen Ä}?ypter. 

wird , um so unklarer werden die Ursprünge , eine Theorie nach 
der andern erweist sich als verfehlt, ohne daß eine beweisbare 
Wahrheit sich an ihre Stelle setzen lieüe. Wie in so vielen an- 
dern Ländern, so kennt auch in Ägypten die Geschichte im wei- 
testen Sinne des Wortes ihre Anfänge nicht. Das Einzige, was 
die Religionswissenschaft für Ägypten bei dem jetzigen Stande 
unseres Wissens thun kann, ist, denselben Weg wieder einzuschla- 
gen, den die Ägypter einst gegangen sind, nur in umgekehrter 
Richtung. Wo sie combinierten , müssen wir isolieren. Auf 
Grund der Texte mul3 man suchen, die einzelnen durcheinander 
laufenden Lehren zu entwirren und jede für sich darzustellen, um 
auf diese Weise die einzelnen Steine loszulösen, aus denen sieh 
das bunte Mosaikbild zusammensetzt , welches der ägyptische 
Glaube an höhere Mächte darbietet. Wir werden sehen, dalä man 
auf diesem Wege eine längere Reihe einzelner klarer Lehren ge- 
winnen kann, w-elche hohes Interesse darbieten, welche jede für 
sich einen abgeschlossenen Gedankenkreis bilden, der logischer 
Weise aber, obwohl es die Ägypter versucht haben, nicht mit den 
andern zu besprechenden Lehren vereint werden kann. 

Ehe wir jedoch dazu übergehen, die wichtigsten dieser Kreise, 
die teils an bestimmte Göttergestalten, teils an einzelne Grund- 
ideen anknüpfen, zu betrachten, muL^ auf die Entstehung des 
ägyptischen Staates mit einigen Worten eingegangen werden, da 
sich aus dieser manche wichtige Thatsache der ägyptischen Glau- 
benslehre ohne weiteres erklärt, wie dies in einem Lande, wo 
Staat und Religion sich in so hohem Grade deckten, wie im Nil- 
thale, nicht anders möglich ist. 

Der altägyptische Staat hat sich gebildet durch die Vereini- 
gung einer größeren Zahl kleinerer Staaten , aus denen das Nil- 
thal in vorgeschichtlicher Zeit bestand. Bei dieser Einigung, de- 
ren Abschluß die Sage Menes, dem ersten menschlichen Könige 
Ägyptens, zuschreibt, wurden die Einzelstaaten nicht aufgelöst, 
sondern bestanden als solche fort, hatten eigene Verwaltung in 
religiöser, staatlicher und militärischer Beziehung und erkannten 
im Könige nur insofern ihr Oberhaupt an, als er die Einzelfürslen 
in ihrer Stellung zu bestätigen hatte, im Kriege den Oberbefehl 
führte, Ehrenämter und Titel verleihen konnte und bestimmte 
Abgaben gezahlt erhielt. Ob er auch das Recht besaß, die L'n- 
terfürston abzusetzen, ist fraglich. Thatsächlich ist es öflers ge- 



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Erstes Kapitel. Einleitunj?. b 

scheheii, docl) ging dem dann ein Krieg vorher, der zur Nieder- 
werfung des Fürsten geführt htitte, so datj der Pharao hier als 
Eroberer auftrat. Das auf diese Weise gewonnene Land durfte 
er jedoch nicht als sein Eigentum behalten, sondern hatte einen 
andern damit zu belehnen, der in alle Rechte und Pflichten sei- 
nes Vorgängers eintrat und das Gebiet seinen Nachkommen ver- 
erben konnte. Diese regelmäßige Weiterbelehnung hat dazu ge- 
führt, daß die uralten Landesteile bis in die späteste Zeit erhal- 
ten blieben; nur in seltenen Fällen traten Verschiebungen ein, 
wurden durch die Vererbung zwei Teile vereinigt oder früher 
vereinte Teile vvneder gelrennt, im großen und ganzen geben die 
Texte von der Pyramidenzeit an bis in die Epoche der Ptolemäer 
und römischen Kaiser stets die gleichen Bezirke als bestehend an. 
Der altägyptische Name dieser Bezirke war hesp *), während 
die Griechen sie Nomen nennen, eine Bezeichnung, die die Rö- 
mer, unter denen dieselben so selbständig gestellt waren, daß sie 
eigene Münzen prägen durften, beibehielten. Jeder Nomos zerfiel 
in vier Unterabteilungen, in die Hauptstadt, den Sitz der Behör- 
den, vor allem des Nomarchen und des Hauptgottes; in das re- 
gelmäßig Jahr für Jahr bestellte F'ruchtland; in die nur zeitweise 
bebauten, meist als Weideland und zur Gultur von Wasserpflan- 
zen benutzten Sümpfe, und endlich in die von eigenen Beamten ver- 
walteten Kanäle. Letztere unterlagen in weit höherem Grade als 
das übrige Land der Beaufsichtigung der Centralbehörden, da eine 
regelmäßige Bewässerung in Ägypten nur dann zu erzielen ist, 
wenn eine Behörde das Ganze leitet und im Interesse der Allge- 
meinheit den Versuchen entgegentritt zu Gunsten von Einzelinte- 

*) Bei der Umschrift ägyptischer Worte entspricht h dem schwächeren» 
X dem härteren Kehllaut, § dem seh, und » etwa dem englischen th. Die mit a, ä, ä, 
i, u wiedergegebenen Zeiclien stehen den semitischen Semivokalen näher, als 
unsem Vokalen, werden aber bei der Wiedergabe von Fremdwörtern und bis- 
weilen auch im Ägyptischen selbst als Vokakeichen benutzt. Im allgemeinen 
schreibt der Ägypter die Vokale nicht; wo in den Worten aus lauUichen oder 
sonstigen Gründen ein solcher bei der Aussprache einzusetzen ist, wird dies 
ein e andeuten, welches also den verschiedensten Vokalen entsprechen kann. 
Die wahre Vokalisation der Worte ist meist unbekannt, und\sind daher im 
fortlaufenden Texte die griechischen Umschriften, falls solche vorliegen, ver- 
wendet worden, die den Wortklang richtiger wiedergeben werden, als die buch- 
stäbliche Umschrift der ägyptischen Zeichen, deren einmalige Angabe für jeden 
Eigennamen genügen wird. 



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•^ Die Rel-^:on der allen Älpler. 

rvs^u das \Va:-<er abzusperren und abzuleiten, ein Versuch, den 
die ä^ptiscLe Mural als ein Vergehen getreu die Gottheit selbst 
betrachtete. 

Die Bedeutung dieser Nomen für die Zustände und Eni- 
wktlung Ägyptens, auch in religiöser Beziehung, ist eine so große, 
da^ eine tabellarische Aufführung dersell)en hier ihre Stelle fin- 
den mu^: 

I. Oberägypten. 

Hauptstadt GottlieiL 

Äh *De(*haiitiDek. 5{«äler Xuh-t Xnum 

I>eb •Af*>Ilinofii»lk ma^ma. Edfu» H«ir-l»eliiidet iHor- 

j bodeti 
Xe/*b (Eüeithyia . H*^ter Sene Xejeb 

iLaiopolis, Esiieli> 
IV: 'Teilen u sf^jiter An res «Her- " AiuoD-Rä . 



1 T- 



II 

ir. 

14 



1:* 



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3 Tea 



4 IV: 



später 



Horu: 

Äa-*is 

CaJ-l 
Xe^<— -. 
Scfi 

r= 

i -:■ 

A:^f;r:^: 

A:-f;--L 

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Kei't- -Co} •:!>>» 


Xeni 


Ta-«i-terw ^TentyTis. L>eo(ierahi 


HaÜK* 


Ha DiöspoUs panra 


.Hatlior 


Äi^c A^'ylk*^ .fr. wv>hITeniiTh:s. 


Ani-ef 


Äj« Panopc.;i> 


Xem 


Debu A pl .rvvJ ;of»ol :s 


H-:bv.r 


Lhi-ka Anl-tev'|H>li-i 


Horus 


Sasl.e:ep H>|t*^e' 


Anuni 


Xa-«iit-Bak iAntaev»}Rtlis 


HuTUS 


Saa-t LvcitjH;»lis, Siul» 


Äp-uat 


Kesi C-usae 


Hath^^r 


\«:.t-n::u Heni.ojHi;:< 


T:..<h 


Het^ema Hij^j^^nom 


H..nis 


Ka-sa t->a »f^i:- 


AruI'.> 


Hi >;:*.«•:: AU;*4>trv'n|H'!.> 


Anu{.;> 


Pa- r^ .. >rt Ol > rynoh v«s . 


s^: 


\rOrt-t^ H^Tav;^^'JH»h> »U^^'U* 


Her-^f ,Ans4|»l«^l 


SerL-^n-H.T 


\uun. 


Ta-T<*: l>v»c\«i.; }»^.»Ii> :«i Faxüm« 


<Vl*ek 


T<^*-. h A;-Iirv>ii!t»{x^:s 


HatlKT 


IL riiterägypten. 




Mr-n- n^itr Mem i ; . j< 


l^.^l. 


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Hvvr-ur 


Vu^r: H> V-, ^ 


H.:*..r 


•'»rta 


Aan»;.-K» 



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Ersl«8 Kapitel Einleitung. 





Name. 


Hauplstadl. 


Gottheit. 


5 


Sepi em liel 


Sau (Sais) 


Neith 


(i 


Ka-set 


Xasuu (Ghois) 


Amun-Ha 


7 


..... änienl 


Senl-nefer 


Hu 


8 


äbd 


feukot (Sukot^ 


Tum 


9 


A^i 


Pa-Ä.siri (Busiris) 


Osiris 


10 


Ka-kem 


Ha-her-db (Atbribis) 


Horus 


11 


Ka hebes 


Ka-hebes (Kaba.^ios) 


Isis 


12 


Ka-.veb 


^eb-neter (Sebennytos) 


Änher 


13 


Hak-ad 


An-u (Heliojjolis) 


Ra 


14 


.Vent-dbd 


feȊn (Tanis) 


Hurus 


15 


Thut 


Pa-Thuti (Hennopolis) 


Thoth 


16 


Xar 


Pa-Ba-neb-ded (Mendes) 


Ba-neb-ded (Osiris) 


17 


Sam-Ijut 


Pa-/en-en-Ämen ^Diospolis) 


Amon-Ra 


18 


Äm-jfcnt 


Pa-Bast (Bubasiis) 


Bast 


19 


Am-peh 


Pa-Üai^ (Buto) 


Ua.> (Buto) 


20 


Sepd 


Kesem (Gosen, Phakussa) 


Sepd 



Ein Blick auf die Liste zeigt, daß jeder Nomos seine eigene 
Gottheit besaß. Der Haupttempel derselben stand in der jewei- 
ligen Hauptstadt, hier war das PriestercoUegium thätig, das sich 
seinem Dienste geweiht hatte. An der Spitze der Priester, ägyp- 
tisch ab „der Reine**, neter hen „der Diener des Gottes** — von 
den Griechen mit Prophet wiedei^egeben , doch hatte der betref- 
fende Beamle mit Prophezeiungen nichts zu thun — und ähnlich 
genannt, stand regelmäßig eni Oberpriester, der einen besonderen 
Titel führte, so in Memphis den Oberster der Arbeiter, in 
Mendes den Vorsteher der Soldaten, in Heliopolis den Großer des 
Schauens- Neben ihm wai* eine in späterer Zeit gleichfalls beti- 
telte Oberpriesterin und ein festbestimrates Personal thätig, dessen 
Zahl je nach der Größe und dem Reichtum des Tempels wech- 
selte, doch war dasselbe nicht so groß, als man vielleicht glauben 
könnte, in Siut bestand es beispielsweise aus 10, in Abydos nur 
aus 5 Personen. Dazu kamen jedoch zahlreiche niedere Tempel- 
beamte und Persönlichkeiten aus der Stadt, welche priesterliche 
Funktionen im Nebenamte verrichteten. Die Priester in jedem 
Nomos waren selbständig und unterstanden keiner höheren Be- 
hörde. Wenn zuweilen der Gedanke auflauchte, einen Oberprie- 
ster für ganz Ägypten einzusetzen, der am Hofe lebend und un- 
ter dessen Einflüsse stehend die Priesterschaft in regierungsfreund- 
lichem Sinne beherrschen sollte, so ist dieser Versuch dem Selbstän- 
digkeitsgeluhle der einzelnen Collegien gegenüber regelmäßig geschei- 



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8 t)\e Religion der allen A-^'ypter. 

lerl. Die Könige haben sirh damit begnügen müssen, die Ober- 
priesterstellen an den wichtigsten Heiligtümern mit ihren Ver- 
wandten oder sonst ihnen ergebenen Milnnern zu besetzen, um so 
indirekt Einfluß auf das Priestertum zu gewinnen. Die Unabhän- 
gigkeit der Gollegien ward aber nicht nur in politischer Bezie- 
hung gewahrt, sie erhielt sich auch in religiösen Dingen. In je- 
dem Nomos bestand eine eigene Religion , die sich für sich ohne 
Rücksicht auf den Nachbamomos entwickelte; fast jeder hat seine 
Nomosgottheit zeitweise in henotheistischer Weise verehrt. Hier 
galt dieselbe als Herrscher der Götter, als Schöpfer der Welt, als 
Spender alles Guten, und es verschlug dem Anhanger der Gestalt 
wenig, daß im Nachbamomos eine ganz andere Gottheit die gleiche 
Rolle spielte, während sein Gott sich dort mit einer untergeord- 
neten Stellung begnügen mußte. 

Bei einer solchen Abgeschlossenheit der Nomen konnten tief- 
gehende Gegensätze zwischen denselben nicht ausbleiben; einzelne 
Gottheiten galten mythologisch als Feinde anderer; wurde nun in 
einem Landesteil die eine, in dem zweiten ihr Feind verehrt, so 
traten sich auch ihre Anhänger feindlich gegenüber und diese 
Gegnerschaft hat noch in der römischen Kaiserzeit mehrfach blu- 
tige Kämpfe zwischen verschiedenen Bezirken hervorgerufen. Zu- 
gleich mußte aber im Laufe der Geschichte die unbeeinflußte Fort- 
entwicklung der Nomenreligionen dazu führen , daß ursprünglich 
gleiche Gottheiten in verschiedenen Nomen sich auch selbständig 
entwickelten und zuletzt ganz verschiedenartige Gestalten wurden. 
Der Horus von Edfu deckt sich in geschichtlicher Zeit nicht mein- 
mit einem Horus von Letopolis; ersterer ist der scharfblickende 
Gott der klaren Sonne, letzterer ein blinder, in der Sonnenfinster- 
nis sich zeigender Gott. So darf man bei der Behandlung einer 
Gottheit nicht ohne weiteres alle auf sie bezüglichen Angaben ver- 
werten, sondern nmß sorgsam prüfen, ob dieselben auch von dem 
gleichen Orte herstammen, will man nicht Gefahr laufen, verfehlte 
Vorstellungen zu gewinnen. 

Gelegentlich freilich ist diese Abgeschlossenheit durchbrochen 
worden. Häufig geschah dies im Kleinen, wenn der Bewohner ei- 
nes Nomos sich in einem andern niederließ und dabei seine Göt- 
ter mit sich brachte. Dann durfte er denselben nach erfolgter 
behördlicher Erlaubnis Kapellen errichten. War aber ein solches 
Heiligtum reich ausgestattet, feierte es glänzende Feste, dann war 



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Zweites Knpilel. Die J^onnenrelifrkm. 9 

es besonders in Oden, deren llanpllenipel arm war, nur natür- 
lich, wenn sich bald mehr und mehr Anhänger um den neuen 
(füll scharten und dieser allmählich den alten zurückdrängte. So 
geschah es beispielsweise in Abydos, wo der Xomosgott Änher 
im Laufe der Zeit so gut wie ganz dem Osiris hat weichen müs- 
sen. Wenn sieh aber diese Vorgänge mehr im Geheimen ab- 
spielten und nur örtliche Bedeutung besauen, so war die religiöse 
Umwälzung eine ganz anders ausgedehnte, wenn eiru? neue Dy- 
nastie an das Kuder kam. Eine solche glaubte stets der (iotth(Mt 
ihres Heimatnomos die Krone zu verdanken, ihr galt daher auch 
vor allem die Verehrung des Begründers der Dynastie, ihren (Jult 
im ganzen Reiche zu verbreiten war sein Hauptbestreben^ 
dem die Bevölkerung gern entgegengekommen sein wird. 
Die Erhebung des Königs über die andern Nomarchen war 
für sie zugleich eine Erhöhung seines Gottes über die übri- 
gen Gottheiten, ihm wurden daher allgemein Opfer und Gebete 
gebracht. Solchen Erwägungen und königlichen Einflüssen hatten 
der Cult des Ptah, A'num, Amon-Rä ihre Verbreitung zu ver- 
danken. Wieder andere Götter gelangten infolge philosophischer 
Anschauungen zu ihrer Macht. Seit der Hyksoszeit suchte man 
in der Sonnenverehrung den Kern aller Religion, fast alle Haupt- 
götter wurden mit dem Sonnengotte verschmolzen; es entstanden 
Mischlbrmen wie Anum-Ra, Amon-Rä und zahlreiche ähnliche 
Gestalten, und zugleich ward jener solare Zug in die altägyptische 
Mythologie eingeführt, welcher dieselbe mit dem Beginne des 
neuen Reiches (um 1700 v. Chr.) als eine Sonnenreligion erschei- 
nen läßt und welcher, als man später seine letzten Consequenzen 
zog, die ganze Glaubenslehre zu dem Pantheismus hinführen 
mußte, obwohl sich mit diesem beispielsweise der an die Osiris- 
religion anknüpfende Gedankenkreis nicht vereinigen ließ. 



Zweites Kapitel. 

Die Sdniieiireiij^idii. 

Der Name, unter dem der Sonnengott am häufigsten in den 
Texten erscheint, ist der Rä. Man hat oft aus diesem Namen 
selbst weitgehende Schlüsse auf die Natur der Gottheit ziehen wol- 
len und hat venrmtet, da rä unter anderem geben, gelegentlich auch 



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10 Die Religion der alten Ägypter. 

anordnen bedeutet, Rä heiße so als das Wesen, das alles srhiif 
und anordnete, wie er denn auch nach Inschriften Alter war als 
das Firmament, und die Götter und Menschen bildete. Allein 
diese Erklärung ist zu weit hergeholt. Der Name des Gottes hat 
mit dem Worte für geben thatsächlich nichts zu thun, er ist ab- 
zuleiten von der seit den alleräl testen Zeiten allgemein gebräuch- 
lichen Bezeichnung der Sonne ra. Von dem Gestirne ist er auf 
den Gott übertragen worden, in dessen Gestalt man sich den 
Beseeler eben dieses Gestirnes verkörpert dachte. Daß man die- 
sem Wesen eine schöpferische Thätigkeit zuschrieb, war selbst- 
verständlich. Nur unter Mitwirkung der Sonne konnte Leben ge- 
dacht werden, ohne ihr Wirken blieb alles tot. Ehe andere Wesen 
entstehen konnten, mußte die Sonne und mit ihr das Licht ge- 
bildet sein, und von dieser Annahme eines Bestehens der 
Sonne vor den anderen Dingen war es, wenn man sich 
einmal die Sonne als Person dachte, nur ein Schritt zu der 
zweiten, die Sonne habe selbst alle Dinge in das Leben gerufen. 

Ursprünglich ward die Sonne männlich gedacht. Erst in 
verhältnismäßig junger Zeit kam man auf den Gedanken, sie in 
ein männliches und ein weibliches Wesen zu zerlegen. Das letz- 
lere erhielt den Namen Rä-t, welcher durch Anhängung des Zei- 
chens des weiblichen Geschlechtes an den alten Gottesnamen ge- 
bildet, durch eben diese künstliche Bildung seine junge Entstehung 
verrat. Man hat denn auch mit der Göttin nichts rechtes anzu- 
fangen gewußt. Sie wird öfters als Herrin von Heliopolis genannt, 
gilt als Bewohnerin einiger Landschaften wie z. B. der Sinai- 
Halbinsel und ist in Ennent neben Month und Harpocrates in die 
Göttertriade aufgenommen worden , eine selbständige Stellung 
vermochte sie jedoch nirgends zu erringen und deckt sich in 
ihrer Thätigkeit vollständig mit Isis. Ihr Bild zeigt sogar die 
Kuhhörner dieser Göttin, nicht aber den Sperberkopf, den sie 
tragen müßte, falls sie eine altüberkommene Sonnengottheit wäre. 

Die Verehrung der Sonne bestand in Ägypten schon, in vor- 
geschichtlicher Zeit. Bereits in den ältesten Texten tritt dieselbe 
auf und bis in die jüngsten Zeiten des Ägypterlums blieb sie ohne 
Unterbrechung beliebt. Der Sonne wurden als Weihegeschenke 
die Obelisken errichtet, welche neben den Tempeleingängeri sich 
erhoben, ebenso wie die kleinen gleichgeformten Votivgegenstände, 
die man besonders im allen Reiche in den Gräbern aufstellte. 



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Zweites Kapitel. Die Sonnenreliifion. 11 

Im neuen Reiche wurden letztere durch kleine Pyramiden ersetzt, 
die hier nicht als Ebenbilder der Grabpyramiden des alten Reiches, 
die nichts anderes sind als künstlich aufgemauerte Berge ohne 
tiefere symbolische Bedeutung, betrachtet werden dürfen, sondern 
als durch ihre Spitze allein ancfedeutete Obelisken anzusehen 
sind. Zuweilen erscheinen diese Volivpyramiden oben abgeflacht 
und mit einem Ringe versehen, damit man die Stücke als Amulett 
tragen könne. Eine dritte Art Denkmäler steht zwischen beiden 
Formen in der Mitte. Dieselbe besieht zunächst aus einer breiten 
oben abgeflachten Pyramide, welche die Gestalt der sogenannten 
Mastaba, der Gräber des alten Reiches, vorführt Aus der Mitte 
der oberen Fläche ragt ein Obelisk hervor, auf dem häufig eine 
Sonnenscheibe sich befindet. Derartige Denkmäler waren in der 
fünften Dynastie sehr beliebt; mehrere Könige Heßen in der Nähe 
von Memphis große monumentale Anlagen in dieser Form errich- 
ten und mit Tempelanlagen verbinden, in denen verschiedene 
Priester thätig waren. Die Bauten waren Rä oder Rä-Harmachis 
geweiht: verhältnismäßig selten ward daneben Horus und Hathor 
verehrt. Über die Lage der Bauwerke, ihren Plan u. s. f. liegen 
keine Angaben vor, doch bestand wohl ein Zusammenhang zwi- 
schen ihnen und den Grabpyramiden, auf den der Umstand hin- 
weist, daß dieselben Männer als Propheten an den Totenpyra- 
miden thätig waren und in diesen Rä- Heiligtümern Stellun- 
gen einahmen. 

Der Mittelpunkt der ganzen Sonnenreligion war die Stadt 
An, hebr. On, oder Pa-Rä ,,Haus des Ra", das Heliopolis der 
Griechen, dessen Geschichte sich freilich nicht sehr weit zurück- 
verfolgen läßt. Im alten Reiche wird es nur selten genannt und 
erst in der zwölften Dynastie (vor 2000 v. Chr.) erfolgte, wie eine 
dichterisch ausgeschmückte Schilderung des Ereignisses, die in 
einer Berliner Lederhandschrifl *) erhalten geblieben ist, berichtet, 
die Gründung des großen Rä-Tempels, an dem die späteren Pha- 
raonen eifrig thätig waren. Der Bau war jedoch nicht das erste 
Heiligtum an dieser Stelle, der eben genannte Papyrus erwähnt 
das große Haus des Tum in Heliopolis, das bei Gelegenheit der 
neuen Anlage vergrößert worden sei. Von dem Tum-Tempel ist 
nichts erhalten geblieben, und von der Gründung der zwölften 
Dynastie legt nur noch die Tempelumwallung und ein einsamer 
Obelisk mit dem Königsnamen Usertesen I bei dem Dörfchen 



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12 Die Religion der alten Aj^ypter. 

Malaiich Zcni^Miis ah. Das Wort des Proplioten Joromias 43. 13: 
„er wird die Bildsäulen im Sonnenteinpel in Agyptenland /erl)re- 
chen und die ägyptischen Götzentempel mit Feuer verbrennen", 
hat sicli liier im vollsten Umfange erfüllt. Schon im Altertume 
begannen die Zerstörungen. Unter Rarnses III. (um 1200) stand 
der Tempel auf der Höhe seiner Macht, 12013 Personen sollen in 
ihm angestellt gewesen sein; später weiü Herodot nur noch von 
der Weisheit der hiesigen Priester, nicht mehr von der Pracht 
der Anlage zu erzählen und unter Strabo war der Ort so gut 
wie ganz verlassen, wenn ihn auch Reisende noch häufig be- 
suchten. Trümmer erhielten sich bis in die arabische Zeit hin- 
ein, der Obelisk, der neben dem erhaltenen stand, stürzte ei^t im 
13. Jahrhundert n. Chr. um, eine prächtige Götterstatue, die in 
der Nähesich befand, ward von Ahmed ibnTulun (870—884 n. Chr.) 
zerstört. Bei neuern Ausgrabungen hat man auch unter der Erde 
fast nichts mehr vorgefunden. 

Länger als die Denkmäler des Gottes Rä erhielt sich eine ihm 
hier geweihte Quelle. Als um 730 v. Chr. der König Pianchi von 
Äthiopien auf seinem Siegeszuge durch Ägypten *) nach lleliopolis 
kam, da wusch er sein Angesicht, wie er selbst erzählt, in dem 
Becken frischen Wassers, in dem Rä sein Antlitz zu waschen 
pflegt. Es ist dies die Sonnenquelle, wie sie noch heute die Araber 
nennen, in der nach einer alten Legende die Mutter des Heilands 
die Windeln des Kindes wusch, als sie vor Herodes flüchtend nach 
Ägypten gelangte. Aus dem verschütteten Wasser entsproß der 
Balsamstrauch, der nach Maqrizis poetischer Erzählung nirgends 
auf der Welt wächst, als gerade hier; und noch heute zeigt man 
die Sycomore, in deren Schatten die heilige Familie gerastet haben 
soll. Wenn auch der jetzige Stamm erst wenige Jahrhunderte alt 
ist, so steht er doch an der Stelle eines Vorgängers , der bis in 
die Zeit Christi sein Alter zurückgeführt haben mag: die Stelle 
selbst gilt bis auf den heutigen Tag den Arabern und christlichen 
Kopten als eine geweihte. 

Der eben erwähnte altägy])tische Text gewährt in seinem 
weiteren Verlaufe Aufschluß über die Handlungen, die ein nach 
lleliopolis selbst gelangender Pharao vorzunehmen hatte. Nach- 
dem er sich gewaschen hatte, zog Pianchi auf die Sandhöhe in 
Heliopolis und brachte hier angesichts des Gottes Rä bei dessen 
Aufgange ein groties Opfer dar mit weifaen Rindern, Milch, Bal- 



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Zweites Kapitel. Die Sonnenreligion. 13 

sam, Weihrauch und allerhand wohlriechenden Hölzern. Als er 
von diesem Zuge nach dem Sonnontempel kam, da pries ihn der 
Vorsteher des Tempels, der Vorleser im Tempel sprach die For- 
mel vom Abwehren der Feinde vom Könige, die Ceremonie im 
Stemenhaus (ein Tempelraum) ward vollzogen, die heilige Binde 
angelegt. Der König reinigte sich mit frischem Weihrauch, man gab 
ihm die Blumen des Ha-t benben, d. h. die Pflanzen, die der Opfernde 
hier im Tenipel in den Händen halten mußte, wenn er vor der 
Gottheit erscheinen wollte. »Er trug die Blumen, erstieg hinauf die 
Treppe zu der großen Kammer (dem Allerheiligsten) luu zu sehn 
Ra in dem Hat-benben, er, der König selbst. Es stand der Fürst 
allein da, er löste den Riegel, er öfifnete die Thürflügel, er sah 
seinen Vater Bä in dem ehi-würdigen Hat-benben, die Mä.V-Barke 
des Rä und die Sekti-Barke des Tum. Dann verschloß er die 
Thüren, legte Siegelerde auf und drückte auf diese das könig- 
liche Siegel. Dann sprach er befehlend zu den Priestern: „Ich 
habe geprüft das Siegel, niemand soll zu ihm (dem Heiligtum) 
eingehen von den übrigen Königen (d. h. den Unterkönigen Pi- 
anchis)". Er stand da, sie aber warfen sich nieder auf ihren 
Bauch vor Seiner Majestät, indem sie sprachen: „es bleibe be* 
slehn, es mehre sich, nicht werde vernichtet Horus, der da liebt 
Heliopolis** d. h. der König selbst. Nun ging Pianchi zurück zu 
dem Tempel des Tum, herbeigebracht ward die Bildsäule seines 
V^aters Tum-A'eperä, des Fürsten von Heliopolis". Hierauf verließ 
der HeiTscher die Stadt. 

Das Heiligtum, welches Pianchi besuchte, enthielt zunächst 
zwei Barken. Dieser bedurfte der Sonnengott, um seine Tages- 
fahrt am Himmel durchführen zu können, bestand doch nach 
altägyptischer Anschauung die Bewegung der Gestirne in einer 
SchifTfahrt, die entweder auf dem aus Wasser bestehenden Him- 
melsgewölbe oder, falls man das Gewölbe für ehern hielt, auf dem 
dasselbe durchströmenden hinmilischen Nile vor sich ging. Die 
Sonne hatte nach der verbreitetsten Ansicht zwei Schüfe zur Ver- 
fügung, die Md.!/, bez. Mä.Vet-Barke, welche sie während der Mor- 
genstunden, und die Sekti-Barke, die sie Nachmittags benutzte. 
Daneben tritt der Gedanke auf, die Zahl der Barken sei eine weit 
größere, für jede Tagestunde sei eine besondere bestimmt. Die 
Boote haben die Gestalt der gewöhnlichen Nilschiffe, in der Mitte 
l>nefj:t eine Cajüto angebracht zu sein, in der der Gott Rä Platz 



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14 Die Religion der alten Ägypter. 

gonoinmen hat, davor und dahinter stehn je nach den Stunden 
wechselnde Gottheilen, die die Sonne begleiten, ihre Feinde be- 
kämpfen oder das :>chifT lenken. Vor allem werden gerne die 
Nebenformen des Ra selbst Tum und A'eperä unter seinen Ge- 
nossen aufgefuhii. 

Auser den beiden Barken befand sich in dem Tempelraume 
noch ein anderer heiliger Gegenstand, ein Göttersymbol in Gestalt 
eines kleinen, vermutlich aus Stein bestehenden Obelisken, ben- 
ben, nach dem der ganze Tempel den besonders in religiösen 
und magischen Texten vielverwendelen Namen Hat-benben „Haus 
des Obelisken" erhalten hatte. Dieser galt als Incorporation 
des Gottes Ra selbst. Wenn man als solche einen leblosen Gegen- 
stand auswählte, so geht dies, wie noch zu erwähnen sein wird, 
auf asiatische Anschauungen zurück, und ist es sehr beachtens- 
wert, daß diese Vorstellung in Heliopolis nicht nur bereits in ur- 
alter Zeit auftritt, sondern sich auch während der ganzen Dauer 
des Allägyptertumes zu erhalten vermochte. Dies ist um so auf- 
fallender, als man daneben in dem Phönix eine rein ägyptischen 
Vorstellungen entsprungene zweite Incorporationsform des Rä an 
dem gleichen Orte verehrte. Seit vorgeschichtlicher Zeit scheint 
ein inniger Zusammenhang zwischen Heliopolis und Asien be- 
slanden zu haben und die Erinnemng an ihn ward nie vergessen, 
noch den griechischen Reisenden ward von ihm erzählt, woraus 
sie freilich die irrtümliche Angabe erschlossen, Heliopolis sei 
eine arabische Gründung, während die Semiten thatsächlich liier 
nichts gestiftet hatten, als eine Religionsform. 

Schon die eben hervorgehobene Thatsache, daß man in He- 
liopolis zwei Incorporalionen des Sonnengottes verehren zu müssen 
glaubte, zeigt, daß man denselben nicht für eine einheitliche Ge- 
stalt hielt, sondern in verschiedene Teile zerlegte, deren jedem eine 
eigene Persönlichkeit zugeschrieben ward; altägyptische Texte be- 
haupten denn auch, Ra habe nicht weniger als 7 Seelen (ba) und 
14 Persönlichkeiten (ka) besessen. Anfangs wird jede Form einen 
eigenen Wirkungskreis gehabt haben, allmälig aber griff eine 
in die Machtsphäre der andern über, so daß zwar die Grundbe- 
deutung der Gestalten eine verschiedenartige blieb, ihr Wesen und 
Wirken sich sonst aber fast ganz deckte. Die wichtigsten unter 
diesen Einzelformen sind diese: Rä selbst, den die Inschriften als 
Gott von Heliopolis, von Chois, Apollinopolis magna und dos 



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Zweites Kapitel. Die Sonnenreligion. 15 

15. oberägyptischen Nomos bezeichnen. Dargestellt wird derselbe 
fast regelmäßig als Mann mit dem Sperberkopfe, in der einen 
Hand das Zeichen des Lebens, in der andern das der königlichen 
Würde, das Herrscherszepter us. Auf dem Kopfe befindet 
sich die Sonnenscheibe, um die sich die Uräusschlange, das 
Symbol der Macht über Leben und Tod schlingt. Der Sperber- 
kopf ist das charakteristische Zeichen aller Sonnengottheiten, ein 
großer Teil derselben verkörperte sich in Sperbern, und wenn ein 
Gott diese Gestalt zeigt, so ist der Rückschluß auf seine solare Natur 
ein zwingender. In der Zeit, in welcher die ganze aliägyptische 
Religion eine Sonnenreligion zu werden suchte, ward der Sperber 
gleichbedeutend mit Gott und dient das Bild des hockenden 

Vogels ^^ als Sinnzeichen für das Wort neter nGotl**, geradeso 

wie das Bild der Schlange J)^ für das neter-t „Göttin*' verwendet 

wird. Wie man dazu kam, den Sperber mit der Sonne in Ver- 
bindung zu setzen, wird nicht überliefert, der Name des Tieres 
bak hat mit dem Gestirne nichts zu thun, doch liegt die Ver- 
mutung nahe, daß das Volk den Raubvogel, der hoch in den 
Lüften dahinschwebte, der an dem blauen Himmel zu verschwin- 
den schien, der sich scheinbar mit der Sonne vereinigte, und dann 
wieder auf die Erde schnell wie ein Lichtstrahl herabschoß, für 
den Boten und einen Teil der Sonne ansah, und hiervon ausge- 
hend annahm, auch die Sonne selbst habe Sperbergestalt. Noch 
die Neuplatoniker haben einen innigen Zusammenhang zwischen 
Sperber und Sonne zu finden geglaubt: Porphyrius erzählt, dieser 
sei darauf begründet, daß der Sperber aus Blut und Geist (/rr^S/ia) 
sich zusammensetze. Daß derartige Schlüsse sehr nahe liegen, 
erkennt man am klarsten, wenn man sich erinnert, daß auch an- 
dere von den Ägyptern ganz unabhängige Völker Sperber und 
Sonne zu verbinden trachteten und beispielsweise Homer, Odyssee 
15. 525 den Habicht des Phöbus schnellen Boten nennt Im Nil- 
thale wurden in Folge dieser Gedankengänge die verschiedenen 
Sperberarien göttlich verehrt, in heiligen Hainen gepflegt und 
nach ihrem Tode einbalsamiert. 

Hör US. Unter dem Namen des Horus (Her) werden zwei 
ursprünglich ganz verschiedene Göttergestalten verstanden, Horus 
der 8ohn der Isis und der Sonnengott Horus. Erst später hat 
man versucht, beide Gotlheiten zu verschmolzon, und hat den Krieg, 



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IG Die Religion lier alten Ägypter. 

den der Sonnengott Ilonis mit den Mächten der Finslemis führte, 
gleichgesetzt dem Kampfe, den der Sohn der Isis mit Set aus- 
focht. Der Sonnengott Uorus ist es, den die Griechen ihrem 
Apollo gleichstellten, mit dem Isis-Sohne hat derselbe in seiner 
Innern Bedeutung nichts gemein. Meist wird der Sonnengott da- 
durch von seinem Namensverwandten unterschieden, daß man 
ihm bestimmte Beinamen giebt, die je nach den Nomen, in denen 
derselbe verehrt ward, wechseln; jede dieser Nomosformen ward 
im Laufe der Zeit zu einer selbständigen Gottheit und kommt es 
häufig vor, daß man mehrere derselben als von einander unab- 
hängige Gestalten gleichzeitig verehrte. Unter diesen Formen sind 
hervorzuheben: Hor-ur; „der ältere Horus", griechisch Aroöris, 
der besonders in dem nahe bei Memphis gelegenen Letopolis Ver- 
ehrung f.ind, als sein Geburtsort galt Apollinopolis parva, als seine 
Mutter eine Hathor. Auch in Ombos in Oberägypten war ihm 
ein ausgedehnter Tempel geweiht. Seine Gestalt war die eines 
Mannes mit Sperberkopf oder auch die eines Sperbers. Bezeich- 
nend für die Religionsnn'scherei der spätem Zeit ist es, dafj er in 
dieser als IIor-ur-6u, der Sohn des Rä auftritt, wobei er selbst, 
Su und Ra ursprünglich gleichbedeutende Begriffe sind. 

Hor-mer-ti, „der Horus der beiden Augen**, d. h. der Sonne 
und des Mondes, Herr von Sedennu, einer Stadt des unlerägyp- 
lischen Nomos Pharbäthus. In Panopolis setzte man ihn in 
späterer Zeit dem Gölte der zeugenden Naturkrafl Xem und 
dem Monde gleich, verwandelte demnach seine solare Natur in 
eine lunare. 

Ilor-xent-nen-ina „Horus, der Herr des nicht Sehens", 
eine in Letopolis auftretende als blind gedachte und die Sonnen- 
linsternis symbolisierende Gottheit, der die Spitzmaus heilig war, 
welche man nach Plutarchs Behauptung in Ägypten göttlich 
verehrte, weil sie als blind galt und die Finsternis älter war 
als das Licht. 

Hor-em-xu-ti, der griechische Harmachis „Horus an bei- 
den Horizonten**, d. h. am Horizonte des Ostens und Westens, 
bei seinem Aufgange und Tntergange; zuweilen nur als Hor-em- 
xn „Horus an dem Horizont" bezeichnet, gilt er als Gott der auf- 
gehenden Sonne insbesondere. Gerne und schon frühe ward er 
mit Rä vereinigt und daim „der groüe Golt, der Herr des Him- 
nu'ls Ra- Harmachis** genannt; in welcher Form er, zuweilen niil 



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Zweites Kapitel. Die Sonnenreligion. 17 

Hinzufügung des Namens des Tum als Gott von Heliopolis er- 
scheint, wo seine Gemahlin die lu-s-äas war. Außerdem spielte 
er in Tanis, ganz im Oslen des Deltas an der asiatischen Grenze, 
eine besondere Rolle. Ihm war die große Sphinx zu Gizeh ge- 
weiht, jenes uralte Denkmal, das den Inschriften zufolge bereits 
zur Zeit des Chephren vorhanden war. 

Ilor-nub „der goldene Horus** ist zunächst die Gottheit der 
Morgensonne, die sich im goldigen Glänze des Morgenrotes zeigt; 
er tritt dabei in einen gewissen Gegensatz zu der „goldenen** 
Hathor, die nichts zu thun hat mit der goldigen Aphrodite der 
Griechen, sondern Göttin des im Abendglanze strahlenden, die 
sterbende Sonne empfangenden Westhimmels ist. Mit Vorliebe 
nimmt der König, der sich stets als irdische Sonne hinzustellen 
suchte, den Titel Goldhorus an, wie er auch sein eigenes Er- 
scheinen als ein Erglänzen zu bezeichnen pflegt, mit demselben Aus- 
drucke, der regelmäßig für den Sonnenaufgang Verwendung findet. 

Hor-hekennu, ein sperberköpfiger Gott, der in Dendera als 
Gatte der Göttin Bast genannt wird und von dem es heißt, er 
glänze in der Sonnenscheibe. 

Hor-behudel, dem Ilor-dema entspricht, spielt in einer 
Sonnensage die Hauptrolle. 

Hor-ka „Horus der Stier*, ist der Planet Saturn, Hor- 
de§er ^.der rote Horus* der Planet Mars und Hor-äp-seta „der 
ErÖffner des Geheimnisses", der Planet Jupiter, wobei diese drei 
Planeten als Emanationen der Sonne betrachtet worden zu sein 
scheinen. — Eine auf grammatischem Wege gewonnene Gottheit 
ist Hor-t, unter deren Namen man Hathor in Sebennytos verehrte. 
Sie gilt hier als Tochter des Rä und Mutter des Än^ier, und wurde 
in später Zeit der Tefnut in ihrer Gestalt als Löwin und der 
wohlthätigen Nephthys gleichgestellt, Göttinnen, die mit ihr nur 
das weibliche Geschlecht gemeinsam hatten. In den Mythen war 
für diese nur priesterlicher Spekulation entsprungene Gestalt be- 
greiflicher W^eise ebensowenig wie für Rd-l Platz, alle ihr gege- 
benen Titel und Eigenschaften, ihre Geburt in Dendera und ähn- 
liches sind von anderen Gottheiten auf sie übertragen worden. 

Aep.'erä „der Werdende" ist genau genommen der Gott der 
Morgensonne. In einem Turiner Papyrus heißt es daher: „Ich bin 
A'eper des Morgens, Rä des Mittags, Tum des Abends*, doch ward 
diese Unterscheidung nicht streng durchgeführt und kann A'eperä 

Dr. A. WicduDianii: Hie Kolipion der alten A|OT)tor. 2 



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\H Die Religion der alten Ägypter. 

bisweilen die Sonne ganz allgemein bezeichnen. Meist tritt der Goti 
als Mensch auf mit dem Skarabäuskäfer über sich oder nnt einem 
Skarabäus als Kopf, wobei das Tier als Sinnbild für den Namen 
des Gottes und zugleich für das Wort yepev »werden**, welches 
seine Haupteigenschaft angab, diente. 

Tum, Ätum, griechisch Tomos ist zunächst die Abendsonne; 
er ward in Heliopolis als Herr der Welt und als Schöpfer hoch 
verehrt.' Das Totenbuch nennt ihn „den Schöpfer des Himmels, 
den Verfertiger der Wiesen, der alles was da ist erzengte, der die 
Götter gebar, der sich selbst erschuf, den Herrn des Lebens, der 
frische Kraft gewährt den Göttern". Er selbst entstand aus dem 
Urgewässer Nu und hatte für die Unsterblichkeit große Bedeu- 
tung, aber auch im Diesseits erwies er sich als gütige Gestalt, 
denn von ihm ging der Nordwind aus, der in dem hei&en Som- 
mer Ägyptens den Bewohnern frische Luft zuführte und dessen 
„süßen Hauch zu atmen* einen der Sehnsuchtswünsche noch der 
Toten bildete. Neben HeHopolis war eine Hauptstätte seiner Ver- 
ehrung die in dem alten Testamente erscheinende Stadt Pilhom 
(ägyptisch pa-Tum „Haus des Tum**), deren Reste vor einigen 
Jahren von Naville bei Teil el Maschüta im Süden des Della auf- 
gedeckt worden sind, wobei derselbe noch die Mauern der Korn- 
magazine nachzuweisen vermochte, deren Anlage nach IL Mos. 
i. 11. durch die Juden erfolgte. Dargestellt ward Tum meist als 
ein Mann mit der Krone von Ober- und Unterägypten; wenn er 
neben andern Sonnengöttern erscheint, so pflegt er Rä-Harmachis 
zu folgen, dagegen vor Aeperä zu stehn. Eine weibliche Gottheit 
steht ihm ursprünglich nicht zur Seite, erst ein später Text zu 
Dendera spricht von der Göttin Tum-t, dem weiblichen Tum, und 
behauptet, sie sei in Bubastis verehrt worden. 

Su, griechisch Sos, So.sos, Sosis genannt, ist der erstgebo- 
rene Sohn des Uä und der Hathor und der Zwillingsbruder der 
löwenköpfigen Göttin Tefnut, in den Götterdynastien zu Theben 
ebenso wie zu Memphis nimmt er die dritte Stelle ein. Ein Text 
der Königsgräber zu Theben berichtet von ihm in seiner Misch- 
form Aunsu-nefer-hetep-Su „er hat getrennt den Himmel von der 
Erde, er hat den Himmel erhoben in Ewigkeit über die Erde". 
Andere Texte lassen ihn das Urgewässer (Nu), die Säulen des 
Himmels u. s. f. erheben. Seine Gestalt ist die eines Menschen 
mit einer Feder auf dem Haupte; wenn er mit Tefnut zusammen 



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Zweites Kapitel. Die Sonnenreligion. li> 

abgebildet wird, häufig die eines Löwen. Unter seinen Veieh- 
rungsstätten sind die Insel Biggeh bei Philae, Latopolis, Dendera, 
Memphis zu nennen. Die Grundbedeutung des Goltesnamens ist 
wohl „der Erheber**, entsprechend dem Stamme su erheben, sich 
erheben, und denkt man dabei an ihn als den Träger des Him- 
mels, in andern, spätem Texten erscheint er mit veränderter 
Bedeutung als Vertreter der glühend heißen Sonne, bez. des 
heißen Windes; die zufällig dem eben erwähnten §u gleichlautenden 
Stämme für „heiß sein, ausdörren", und für „Wind** haben wohl 
diese Bedeutungsverschiebung veranlaßt. 

Die eben genannte Genossin des Su, die Göttin Tefnut, 
gilt im Totenbuche neben ihm selbst und neben Tum als einer 
der Herren von Heliopolis. In Philae wird sie als Tochter des 
Rä bezeichnet, in Nubien ist sie Mutter der Thoth, und in Ele- 
phantine wird sie Isis-Sothis gleichgestellt; während die jungem 
Texte sie mit Su in das Sternbild der Zwillinge versetzen. Wie 
man sieht, ist ihre Auffassung eine sehr verschiedenartige, je nach 
ihren Kultusstätten, zu denen noch Memphis, Lycopolis in Unter- 
ägypten, Dendera, Eileithyia u. a. hinzuzurechnen wären. Meist 
erscheint sie als Göttin mit Löwenkopf, die Sonnenscheibe auf 
dem Haupte, seltener wird der Löwenkopf durch einen Menschen- 
kopf ersetzt oder die ganze Gestalt als die eines Löwen gebildet. 
Ursprünglich wohl als solare Gottheit gedacht verwischt sich ihr 
Charakter später vollkommen, ebenso wie der der meisten ägyp- 
tischen Göttinnen. 

Äten bezeichnet zunächst die Sonnenscheibe und ist es ein 
wenig glücklicher Einfall gewesen, das Wort mit dem zwar laut- 
lich anklingenden, begrifflich aber gmndverschiedenen semitischen 
Adonai oder mit Adonis vergleichen zu wollen. Im allgemeinen 
wird äten nur im Zusammenhange mit Rä genannt, der dann Rä 
in seinem äten und ähnlich heißt, doch kommt daneben verschie- 
denfach bis in die Zeit des Taharka herab eine Verehmng des 
äten für sich vor. Dieselbe war in Heliopolis üblich, wo sich ein 
Äten-Tempel erhob, in dem Könige aus der 18. und 19. Dynastie 
baulich thätig gewesen sind. Während einer kurzen Periode der 
ägyptischen Geschichte gelang es der Äten-Religion ßeichsreligion 
zu werden. Es war dies unter dem Könige Amenophis IV. (um 
1500), einem Monarchen, der sich schon durch sein Äußeres, das 
weit vorspringende Untergesicht, die unproportionirt langen Glied- 

2* 



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ä^) Die Religion der alten Ägypter. 

malaen, die Fettwülste an seinen Gliedern auffallend von den 
librigen Ägyptern unterscheidet. Denn der Umstand, daß seine 
Zeitgenossen sich ihm ähnlich abbilden ließen, zeigt nicht etwa, 
daß sie es wirklich waren, sondern entspringt nur der ägyptischen 
Gewohnheit, in den Darstellungen die ganze Generation schab- 
lonenhaft mit den charakteristischen Zügen des augenblicklich 
regierenden Pharaos auszustatten. 

Vielfach hat man geglaubt, dem Könige asiatische Abstam- 
mung zuschreiben und dadurch seine Eigentümlichkeiten erklfiren 
zu müssen, obwohl gerade sein Äußeres den Gedanken an semi- 
tisches Blut hätte ausschließen sollen. Aber auch sonst ist die 
Vemmtung aus der Luft gegriffen. Sein Vater Amenophis III. 
war ein Ägypter in seinem Äußern wie in seinem Wesen nnd 
seine Mutter Tii trägt keinen semitischen, sondern eher einen 
libyschen Namen. Gelegentlich hat man behauptet, sie sei iden- 
tisch mit der Tochter eines asiatischen Fürsten, die Amenophis III. 
zum Geschenk erhalten hatte, und hat sogar in dem Vorhanden- 
sein von Urkunden, die einen innigen Verkehr zwischen Asien 
und Ägypten in dieser Periode beweisen, einen Beleg für diese 
Annahme finden wollen. Ein Blick auf die Denkmäler genügt, 
um sie als unberechtigt zu er\veisen. Nach diesen war Tu die 
Tochter zweier Privatpei-sonen Juäa und Tuäa, deren Namen 
gleichfalls auf libyschen Ursprung hindeuten und keinenfalls semi- 
tisch sein können. Wäre aber die regierende Königin Asiatin ge- 
wesen, dann würden gerade die erwähnten Urkunden, die mehr- 
fach der Familienbeziehungen der damaligen Monarchen unter ein- 
ander gedenken, auch diese für den asiatisch-ägyptischen V'erkehr 
grundlegende Thatsache anführen. 

Amenophis III. war, soweit die Inschriflen darüber Aufschluß 
gewähren, strenger Anhänger der alten ägyptischen Religion ge- 
wesen; Amon-Hä von Theben war es, dem er vor allem Tempel 
errichtete. Sein Sohn ließ anfangs die alten Verhältnisse beste- 
hen, trug er doch selbst einen mit Amon zusammengesetzten 
Namen; auf den ältesten Denkmälern ist sein Bild noch dem seines 
Vaters ähnlich. Bald änderten sich jedoch seine Anschauungen, 
er nahm einen neuen Namen Au-en-äten „Glanz des Äten" an, 
und beschloß den Äten-Kiilt in ganz Ägypten einzuführen mit 
Unterdrückung der Verehrung der anderen Gottheiten. Nur die 
Sonnengötter sollten insofern anerkannt werden, dnß man sie nu't 



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Zweites Kapitel. Die Sonnenreligion. 21 

Aldi, der als henotheistische Gestalt verehrt werden sollte, ver- 
schmolz. In diesem Sinne, als Teile der einen Gottheit, treten 
Horus, Rä, Tum und auch Amenophis III. unter seinem Vor- 
namen Rä-neb-ma& „Rä, der Herr der Wahrheit" in den Inschrif- 
ten dieser Zeit auf. Der Umschwung scheint plötzlich eingetreten 
zu sein. Noch ist in Theben ein Grab erhalten, dessen Anlage 
in den ersten Jahren des Königs erfolgte und dessen eine Hälfle 
ihn als Anhänger des Amon zeigt, während die andere von Äten 
spricht und das unvollendete innere Grab auf die dritte Periode 
dieser Religionsreform hindeutet. Der König hatte nämlich zuerst 
in Theben seinen Aufenthalt nehmen wollen, wie es seine Vor- 
fahren gethan hatten, hier sollte ein großer Tempel für Rä-Har- 
machis-Äten, ein Benben, also eine sich an einen Obelisken an- 
schließende Anlage sich erheben. Allein der Widerstand der 
thebanischen Priesterschaft war übermächtig, der König verließ 
mit seinem ganzen Hofstaat den Ort, legte sich in Mittelägypten 
bei dem heutigen Teil el Amarna eine neue Hauptstadt an, die 
ganz der Soimen Verehrung geweiht war; sogar das Reichsarchiv 
ward hierher mitgeschleppt, ihm entstammen die in letzter Zeit 
viel besprochenen Keilinschriften von Amarna. Hier befinden sich 
auch die Gräber der Anhänger des Monarchen, deren Inschriften 
und Reliefs die Quelle für das Wenige bilden, was von dem Aten- 
Kulte bekannt ist. 

Das Bild des Gottes war das einer Sonnenscheibe, die ihre 
Strahlen zur Erde sendet, jeder Strahl endet in eine Hand und 
die.se Hände reichen häufig das Zeichen des Lebens, der Macht 
und Ähnliches dem Könige, oder streuen dieselben über der Erde 
aus. In menschlicher Gestalt wird der Gott nie dargestellt. Der 
Kultus bestand ähnlich dem sonstigen ägyptischen wesentlich in 
feierlichen Umzügen, an denen der König mit seiner Familie Teil 
zu nehmen pflegte, und in dem Absingen von Hymnen, die sich 
durch ihre geschmackvolle Form auszeichnen. Einer derselben, 
der in dem Grabe eines Ahmes erhalten geblieben ist, lautet: 
„Dein Untergang ist schön, oh Du lebender Aten, Du Herr der 
Herrn, Du Fürst Ägyptens! Wenn Du Dich vereinigst mit dem 
Himmel im Untergehn, dann jubeln die Länder und die Menschen 
zu Deinem Angesicht, indem sie Lobpreisungen darbringen dem, 
der sie erschuf und anbeten den, der sie bildete vor dem Ange- 
sichte Deines Sohnes, den Du liebst, des Königs von Ober- und 



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22 Die Religion der alten Ägypter. 

Unterägypten, der da lebt von Wahrheit, Au-en-dten. Das ganze 
Ägypten und jedes Land, welches liegt innerhalb des Kreislaufes, 
den Du in Deinem Glanz vollbringst, preist Dich bei Deinem 
Aufgange und bei Deinem Untergange in gleicher Weise. O Du 
Gott, der Du lebst von Wahrheit, der Du uns vor Augen stehst, 
Du schaffest was nicht war, Du machtest dieses alles, wir gingen 
hervor aus Deinem Munde. Du giebst mir Ehren vor dem Kö- 
nige an jedem Tage, nicht fehle mir ein schönes Grab nach 
meinem Greisenalter in dem Berge der Stadt ATu-äten u. s, f.** 
Sogar ein Königsring ward dem Gotte verliehen, der ihn als Kö- 
nig der Welt kennzeichnen sollte, in ihm wird er bezeichnet als 
„Rd-Harmachis, der sich freut am Horizonte in seinem Namen als 
Su, der sich in dem Aten befindet"; unter seinen Titeln treten 
die „Herr des Himmels, Herr der Erde, der Leben giebt ewiglich, 
der erleuchtet die Erde, der sich freut über die Wahrheit" 
häufig auf. 

Au-en-dten scheint anfangs versucht zu haben, seine Reform 
friedlich durchzuführen; der Widerstand, den er fand, machte ihn 
zum Fanatiker. Der Name des Amon, in dem er den Hauptgeg- 
ner seines Gottes erkannte, ward auf den Monumenten zerstört, 
bis in die Grabkammern hinein, auf Totenstelen und ähnlichen 
Gegenständen ward er aufgesucht und sogar in Eigennamen aus- 
gemeißelt. Trotz dieser Gewaltmittel gelang es ihm nicht seinen 
Zweck zu erreichen. Als er starb, hielt sein unmittelbar^er Nach- 
folger noch an dem Glauben fest, dann ließ man ihn fallen und 
nun begann umgekehrt eine Verfolgung des Äten. Die Haupt- 
stadt des Sonnenkönigs ward verlassen und ist nie wieder besie- 
delt worden, die Atentempel wurden zei-stört, der Name des 
Gottes und der des Königs ausgemeißelt. Nur gelegentlich wird 
diese Gestalt des Sonnengottes später in den Texten erwähnt, 
Heliopolis scheint der einzige Ort gewesen zu sein, wo sein Hei- 
ligtum bestehn blieb, im übrigen Reiche traten die andern Son- 
nengottheiten wieder an seine Stelle. Freilich erscheinen sie nun- 
mehr seilen allein und in reiner Form, meist sind sie mit andern 
Göttern verbunden, als Amon-Rä, A num-Rä u. s. f. Von bedeu- 
tendem (xöttern ist es fast nur Ptah, der sich der allgemeinen 
Verschmelzung mit der Sonne zu entziehen vermochte und dies 
auch nur dadurch, daß er so gut wie ganz in üsiris aufging, in 



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Zweites Kapitel. Die Sonnenrrligion. ;23 

dem Gölte des Totenreiches, der in gewissem Gegensalze zu Ra, 
dem Gotte der lebenden Welt, stand. 

Der Kult, der dem Sonnengotte galt, unterschied sich in 
nichts von dem, den man andern Gottheiten zollte Man opferte 
ihm Speisen und Getränke und brachte auch blutige Opfer neben 
pflanzlichen dar; die gern wiederholte Behauptung, Blut und Wein 
seien dem Gotte nicht genehm gewesen, beruht auf Irrtum. Nur 
darin ist eine Verschiedenheit zu erkennen, daß man Rä^mehr 
Hymnen sang und längere Gebete an ihn richtete als an andere 
Wesen. Dies lag in der Natur der Sache begründet, bei einer 
Naturgottheit wie der Sonne war es weit leichter, ihre wohlthätige 
Macht in ihren Werken, die jedermann vor Augen standen, zu 
preisen und klar zu legen, als bei mehr ethischen Gestalten, die 
keine so greifbaren Erfolge ihrer Thätigkeit aufweisen, konnten. 
So finden sich denn dichterische Werke aller Art.J^die Rä und 
seinen Doppelgängern, Harmachis, Aepera, Tum u. s. f. gewidmet 
sind, in reicher Fülle seit den ältesten Zeiten bis zur Herrschaft 
der römischen Kaiser herab in Papyris wie auf Steindenkmälem 
aufgezeichnet. 

Zahllos sind vor allem die Hymnen, welche in Totentexten 
in ermüdender Weise stets dieselben Gedanken über die schaffende 
und erfreuende Macht der Sonne und den Segen wiederholen, 
welchen der Verstorbene von ihr erwartete. Als bezeichnendes 
Beispiel sei hier ein in vielfachen, leicht abweichenden Gestalten 
erhaltener Gesang m der Form wiedergegeben, die der Turiner 
Totenbuchtext cap. 15 darbietet: 

„Rede des Osiris N. (Name des Toten): Preis sei Rä, dem 
Herrn der Strahlen, der leuchtet über dem Osiris N. Er wird ge- 
priesen am Morgen, er wird geehrt am Abend, es geht hervor 
seine Seele zu Dir an den Himmel, reisend in der Mädet- Barke, 
anlangend in der Sekti- Barke; sie dringt ein in den Kreis der 
Planeten am Himmel.** 

»Der Osiris N. spricht, indem er preist den Herrn der Ewig- 
keit: Preis sei Dir Rä-Harmachis, A'eperä, der sich selbst erzeugt, 
doppelt schöner! Du gehst auf am Horizonte, du erleuchtest 
Ägypten mit Deinen Strahlen. Alle Götter sind in Freude, wenn 
sie erblicken den König des Himmels. Die üräusschlange steht 
aufrecht an Deinem Haupte, die Krone des Südens und die Krone 
des Nordens stehn aufrecht an Deiner Stirn , sie bereiteten sich 



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24 Die Kelii5'ion der allen Äb'ypler. 

ihren Sitz vorn an Dir. Preis sei dein Wohlthütigen vorn an der 
Barke (v/ohl Öu), dieweil er für Dich vernichtet alle Deine Feinde, 
welche weilen im Dnat (Unterwelt), er geht hervor verteidigend 
Dehie Majestät, wenn man Deine schöne Gestall erblickt." 

«Ich komme zu Dir, ich bin bei Dir um zu sehen Deuie 
Sonnenscheibe jeden Tag. Nicht werde ich eingeschlossen, nicht 
werde ich zurückgestoßen, wenn ich erneuere meine Glieder mit 
dem Anblick Deiner Schönheit ebenso wie mit all Deinen Zauber- 
formeln, dieweil ich bin einer von diesen Dir Ergebenen auf Erden. 
Ich erreiche das Land der Ewigkeit, ich verehie mich mit dem 
Lande der Ewigkeit, mit Dir! Siehe da, es erleuchtet es mir Ra 
samt allen Göttern.** 

„Der Osiris N. spricht: Preis sei Dir, wenn Du aufgehst am 
Horizonte am Tage! Du befahrst den Himmel in Frieden um 
zu rechtfertigen. Alle Menschen freuen sich, wenn sie Dich kom- 
men sehn , Dich preisend mit ihren Händen. Du laut sein am 
Morgen jeden Tages Wachstum und Entstehen unter Deiner Ma- 
jestät. Deine Strahlen sind über den Menschen. Wie man nicht 
beschreiben kann den Glanz des Äsern (Legierung von Silber und 
Gold), so kann man nicht schildern Deinen Glanz oder die Länder 
der Götter. Deine Strahlen zerteilen das Dunkel über den Men- 
schen. Du wurdest allein gebildet als Du machtest Deine Gestal- 
tungen auf dem Urgewässer Nu.** 

„Möge ich gehn gleichwie Du gehst; kein Ende möge ich 
linden gleichwie Deine Majestät, o Kd! Keinen noch so großen 
Fürsten giebt es, der durcheilte unendlich viel Wasser in einer 
kleinen Minute! Du thust es. Du gehst unter. Du beendest die 
Stunden — anders gesagt: die Tage und Nächte gleichwie Du 
sie abgemessen hast — ; Du beendest sie, gleichwie Du es ange- 
ordnet hast. — Du erhellst die Erde mit Deinen Armen als Sonne 
wenn Du aufgehst am Horizonte*. (Dies bezieht sich auf Dar- 
slellungen des Sonnengottes als einen Menschen, der mit seinen 
beiden Armen die Sonnenscheibe in die Höhe hebt). 

;,Der Osiris N. spricht, indem er Dich preist am Morgen 
wenn Du strahlst, er spricht zu Dir bei Deinem Aufgange in 
Lobpreisungen: Der Du vergrößerst Deine Werdungen, glänzend, 
— anders gesagt: groß in dieser Deiner Schönheit. — Du formst 
Deine Glieder; Dich selbst gebärend und nicht geboren werdend 
am Horizonte gehst Du auf am Uberhimmel. Laß mich erreichen 



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ZummU's Kapllel. Die Sonnenn'lijJ:ion. 25 

den Oberhiminel der Ewigkeit an der Stätte derer, die Dich prei- 
sen. Ich vereinige mich den ehrwürdigen, vollkommenen, leueli- 
tenden Geistern der Unterwelt; ich gehe hervor mit ihnen um zu 
sehen Deinen Aufgang am Abend, an dem Du umarmst Deine 
Mutter, die Himmelsgöttin Nut. Wenn Du wendest Dein Antlitz 
nach Westen, dann preisen meine Arme Deinen Untergang im 
Lande des Lebens (die Unterwelt). Du schufst die Ewigkeit; Du 
wirst gepriesen bei Deinem Untergange im Urgewässer Nu. Du 
hast Dich eingesetzt in mein Herz, ohne Unterlaß. Du verjüngst 
Dich selbst mehr als alle Götter". 

„Der Osiris N. spricht: Preis sei Dir, wenn Du aufgehst im 
Urgewässer, erleuchtend die Erde am Tage, da Du geboren wardst, 
geboren von Deiner Mutter auf ihren Händen. Du strahlst , Du 
verjüngst Dich, Du leuchtest als Großer des Sonnenaufgangs im 
Urgewässer Es schmücken sich die Wesen an Deinem Strome, 
Feste feiern Dir die Nomen, alle Städte und alle Tempel, die er- 
leuchtet werden durch Deine Schönheiten. Dargebracht werden 
Dir Gaben, Überfluß und Fülle. Erhabener der Erhabenen, der 
da schützt alle seine Stätten gegen das Schlechte, der Große des 
Glanzes in der Sekti -Barke, der Große des Erwünschten in der 
M;nI/et-Barke. Du leuchtest dem Osiris N. in der Unterwelt, Du 
läßt ihn weilen im Westen als Herrn über das Böse, geschützt 
gegen das Schlechte. V^ersetze ihn unter die Ehrwürdigen, die 
sich Dir ergeben haben, er vereinige sich den Seelen in der Un- 
terwelt, er durch wandele die Felder von Äalu nach einer Fahrt 
voll Freuden.^ 

„Der Osiris N. spricht: Ich gehe hervor zum Himmel, ich 
befahre das Erz (den Himmel), mein Leib ist inmitten der 
Sterne. An mich richtet man Lobpreisungen in der Barke, ich 
werde angerufen in der Mäd-Barke, ich sehe Rä im Innern seiner 
Kapelle, indem ich anbete seine Sonnenscheibe täghch . . . Zeigt 
sich ehi Bösewicht, so wird er niedergeworfen angesichts der Ver- 
kündigung des Ra, daß ich ihn zerschneiden würde in Stücke 
an seinem Rückgrat. Ich öflne Dir, Rä, Deine Kapelle bei gün- 
stigem Winde, die Sekti -Barke vermind«>rt ihre Fahrkrafl:, die 
Schififsleute des Rä sind in Freude, wenn sie ihn selm, den Herrn 
des Lebens, dessen Herz erquickt ist, denn er hat niedergeworfen 
alle seine Feinde. Siehe da, ich sehe Horus am Steuerruder (?), 
und Thoth mit der Wahriieit auf seinen Händen. Alle Götter 



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26 Die Religion der alten Ägypter. 

sind voll Freude, weil sie ihn sehen, der da kam in Frieden. 
Verklärt sind die Herzen der Verklärten; der Osiris N. ist mit 
ihnen im Westen, sein Herz ist erquickt*. 

„Es spricht der Osiris N.: 

Preis sei Dir, der Du kommst als Tum, der Du wardst, 
indem Du erschufst die Neunheit der Gölter. 

Preis sei Dir, der Du kommst als Geist der herrlichen Gei- 
ster im Westen. 

Preis sei Dir, Obersler der Götter, der erleuchtet das Dual 
mit seinen Schönheiten. 

Preis sei Dir, der Du kommst als Leuchtender wandernd in 
Deiner Sonnenscheibe. 

Preis sei Dir, der Du größer bist als alle Götter, der leuchtet 
am Himmel, der herrscht in dem Duat. 

Du giebst süßen Hauch des Nordwindes dem Osiris N. 

Preis sei Dir, der Du eröffnest das Duat, der Du alle Pfor- 
ten zeigst. 

Preis sei Dir inmitten der Götter, der Du prüfest die Worte 
in der Unterwelt. 

Preis sei Dir in Deiner Wiege, der Du schaffend erschaffst 
das Duat mit Deinem Glänze. 

Preis sei Dir, Großer, Mächtiger, Deine Feinde sind hinge- 
worfen im Hinrichtungsraume. 

Preis sei Dir, der Du vernichtest Deine Feinde, der Du ver- 
tilgst die Äpep-Schlange (die Finsternis). 

Du giebst süssen Hauch des Nordwindes dem Osiris N.* 

,Es öffnet Aroeris das Thor (der Unterwelt) er, der große Er- 
öffner des großen Landes des Friedens im Berge der Unterwelt. 
Erhellt wird das Duat durch Deinen Glanz. Die Seelen in ihren 
geheimnisvollen Behausungen werden erhellt in ihren Höhlen. Du 
vernichtest das Böse, indem Du niederschmetterst und vernichtest 
die Feinde*. 

»Der Oskis N. spricht indem er preist Rä-Harmachis bei 
seinem Untergange im Lande des Lebens: Preis sei DirRä, Preis 
sei Dir Tum bei Demer Ankunft! Schöner, Gekrönter, Mächtiger. 
Du durchfährst den Himmel, Du durchwanderst die Erde, Du 
vereinigst Dich mit dem Oberhimmel im Glänze. Die Bewohner 
beider Hälften Ägyptens beugen sich vor Dir, sie geben Dir ihre 
Verehrung, es freuen sich die Götter und die Bewohner der Un- 



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Zweites Kapitel. Die Sonnenrelitrion. 27 

terwelt über Deine Schönheilen; es preisen Dich die Bewohner 
der geheimnisvollen Orte; Dir opfern die Fürsten, die Du erschufst 
auf Erden. Es fahren Dich die, welche weilen am Horizonte, es 
lassen Dich fahren die , welche sind in der Sekti - Barke. Sie 
sprechen preisend wegen des Sieges Deiner Majestät: Komme, 
komme! Nahe Dich in Frieden! Dir gilt der Freudenruf, Herr 
des Himmels, Herrscher der Unterwelt. Es umarmt Dich Deine 
Mutter Nut, sie sieht in Dir ihren Sohn, der da ist der Furchtbare 
und der Schreckliche, der da untergeht im Lande des Lebens, 
wenn es Nacht wird. Es erhebt Dich dann Dein Vater Tanen 
(hier die Erde), er breitet aus seine Arme hinter Dir zum Schutze. 
Es erfolgt Deine Verjüngung in der Erde; Tanen versetzt Dich 
unter die Geehrten vor Osiris. Der Tote N. ist in Frieden, in 
Frieden, er ist Rä selbst*. 

,Dies sind die Worte, welche zu sprechen sind vor Ra, wenn 
er untergeht im Lande des Lebens. Des Redenden beide Arme 
sind zur Erde geneigt". 

„Der Osiris N. spricht preisend Tum bei seinem Untergange 
im Lande des Lebens in dem Glänze des Duat (in dem Duat, das 
er mit Glanz erfüllt): Preis sei Dir, der Du untergehst im Lande 
des Lebens, Du Vater der Götter, Du vereinigst Dich mit Deiner 
Mutter im Lande des Westens; ihre Arme ergreifen Dich jeden 
Tag. Ein Teil Deiner Majestät ist in der Behausung des Sokaris 
(ein Teil der Unterwelt). Erfreut bist Du durch die Liebe zu Dir. 
Dir öflfnet man die Thore am Horizonte, Du gehst unter im Berge 
des Westens. Deine Strahlen durcheilen die Erde um zu erleuch- 
ten die Länder der Bewohner der Unterwelt. Die in der Unter- 
welt und die lobpreisenden Geister preisen, wenn sie Dich sehn 
an jedem Tage. Gieb Frieden den Göttern auf Erden, die Dir 
nämlich folgten; ich gehöre zu denen, welche sind in Deinem 
Gefolge. Erhabener Geist, gezeugt von den Göttern, den sie aus- 
rüsteten mit seinen Eigenschaften, über den kein Gericht abge- 
halten wird (?). Fürst, der Du groß bist in Geheimnissen. Gnä- 
dig sei Dein schönes Antlitz dem Osiris N. A'eperä, Vater der 
Götter! Nicht giebt es eine Vernichtung bis in alle Ewigkeit in 
Folge (des Vorhandenseins) dieses Buches; ich bin beständig 
durch dasselbe. Sagt man dasselbe her oder zeichnet es zu die- 
sem Zwecke auf, so ist man dadurch in Frieden. Überfluß ward 
mir gegeben, meine Arme sind voll Speise und Trank, ich ver- 



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^ Die Hehj^ion der allen Äjg'ypler. 

eiiile iiiicli mit diesem Buche nach meiner Ivcbenszeil. Es ward 
aufgezeicimet zu groüer Herzensbefriedigung.* Die letzten Sätze 
versichern demnacli dem Hersager dieses Kapitels, bez. demjenigen 
der es sich aufzeichnen heli, er werde sich mit dem Buche verei- 
nigen, es in das Jenseits mitnehmen können und so die ewige 
Sehgkeit erlangen; eine Versicherung, die bei zahheiclien Texten 
mit ahnlichen Worten wiederholt wird. 



llrltteM Kapitel. 

Die Sonnensa^en. 

Neben seiner Stellung als Sonnengott hat Rä nach agypli- 
scher Ansicht noch eine zweite besessen, er war der erste König 
des Landes. In der Volksanschauung der älteren Zeit galt er, 
wie es scheint, durchweg als solcher, unkekömmert darum, dali 
priesterliche Systeme andere Gestalten statt seiner an die Spitze des 
Pantheons zu setzen trachteten. Ei*st in späterer Zeit muüte er 
seinen Platz dem Osiris, dem Vorbilde der ägyptischen Herrscher 
einräumen, aber auch dann noch lieü man ihn nicht ganz 
fallen, sondern versetzte ihn, während Osiiis als Mensch imr über 
Menschen herrschte, in eine Zeit, in der noch Götter unter den 
Menschen weilten, über diese (iötter und Menschen schwang er 
sein Scepter. 

Die Zeit, in der Rä herrschte, war die früheste Vorzeit; dies 
ist nicht geschehn seit den Zeiten des Rä ist ein gewöhnlicher 
x\usdruck, um ein noch nie seit Menschengedenken erfolgtes Er- 
eignis einzuführen. Dabei ward der Gott ganz menschenähnlich 
gedacht. Wenn dies in Märchen geschieht, wenn er in diesen, 
wie in der Erzählung von den zwei Brüdern , auf Erden mit den 
andern Göttern sich ergeht, sich mit den Sterblichen unterhält, 
seinen Günstlingen Geschenke verleiht, die freilich oft nicht zu 
deren Glück dienen, und als eui gutmütiger, aller Mann aufge- 
faßt wird, so hat dies nichts auffallendes; man wird aus den 
Volksmärchen und aus den volkstümlichen Anschauungen der 
verschiedensten Völker und Religionskreise ähnliche Auffassungen 
als Parallele beibringen köimen. Allein in Ägypten war diese 
niedere Vorstellung von der Gottheit auch in den gebildeten Klas- 
sen verbreitet. Der König galt als der leibliche Sohn des Gottes 



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Drilles Kapilel. Die Sonnensagen. '20 

Rä, der auf rein rnaterielle Weise mit der Königin erzeugt wor- 
den war, der Vorgänger auf dem Throne war nur der scheinbare 
Vater. Diese Anschauung findet sich zunaclist in dem Volksmunde 
entnommenen Texten, wie dem Märchen vom König Cheops, in 
dem Rä zum Vater der Könige der fünften Dynastie wird; sie tritt 
noch in der von Alexander dem Großen selbst begünstigten Tradition 
auf, er sei dem Bunde des Jupiter- Amon und der Olympias entspros- 
sen, einer Tradition, die später spöttisch dahin umgedeutet wurde, 
der Vater sei gar nicht der Gott, sondern der als Gott verkleidete 
Zauberer Nectanebus, der letzte einheimische König Ägyptens ge- 
wesen. Derselbe Gedanke wird aber auch in den [nschriflen un- 
zählige Male ausgesprochen, der König nennt sich regelmäßig 
Sohn des Hu, und zahlreiche Texte liegen vor, in denen sich 
der Gott selbst seiner Vaterschaft in der drastischsten Weise 
rühmt. 

Diese menschenähnliche Auffassung des Gottes durchzieht 
auch die Mythen, die über Ha erhalten geblieben sind, Mythen, 
die alle ülier sein hohes Alter handeln, in dem ihm die Zügel der 
Kegierung bereits zu entsinken begannen und sich Gölter und 
Mensdien Ungehorsam und Aufruhr gegen ihren Herrscher er- 
laubten. Die drei wichtigsten Sagen sind die von Rä und Isis, 
erhalten in einem Turiner Papyrus aus der Zeit der 20. Dynastie ; 
die von der Vernichtung des Menschengeschlechtes, aufgezeichnet 
in den Gräbern der Könige Seti I. und Ramses III.; und endlich 
die von der geflügelten Sonnenscheibe, welche eine Wand des in 
der Ptolemäerzeit errichteten Tempels von Edfu bedeckt. Als 
bezeichnende Beispiele ägyptischer Denkweise und Götterauffassung 
sind diese Texte von hoher Bedeutung und verdienen daher in 
ihren Hauptteilen eine etwa wörtliche Wiedergabe. 

Die Sage von Rä und Isis«). 

Kapitel von dem Gotte, der sich selbst erschuf, dem ^ chöp- 
fer des Himmels, der Erde, der Götter, der Menschen, der wilden 
Tiere, der Viehherden, der Reptilien, Vögel und Fische, dem Kö- 
nige der Menschen und Götter, dem die Jahrhunderte Jahre sind, 
der zahlreiche Namen besitzt, die man nicht kennt, die nicht ein- 
mal die Götter kennen. 

Isis war eine Frau, mächtig an Worten, ihr Herz hatte die 



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3() Die Religion der alten Ägypter. 

Welt der Menschen satt, sie zog die Welt der Götter vor; da 
dachte sie in ihrem Herzen, ob sie nicht so gut wie Rä im Him- 
mel und auf Erden die Welt besitzen könne vernn'ttelst des Na- 
mens des hehren Gottes, d. h. des geheimnisvollen Namens des 
Rä, den niemand kannte und dessen Kenntnis dem Gotte selbst 
seine Maclit über die Gölter und die Menschen verlieh. 

Der Gott Rä kam jeden Tag auf seinen Thron; er war alt 
geworden, sein Mund lief und der Speichel floß auf die Erde; was 
er ausspie, fiel auf den Boden. Das knetete Isis mit ihrer Hand 
zusammen mit der Erde, die daran war; sie bildete daraus eine 
heilige Schlange, der sie die Gestalt eines Speeres gab. Sie wand 
sie nicht um ihr Gesicht (wie sonst die Göttinnen die Uräus- 
schlangen um den Kopf gewunden tragen), sondern warf sie auf 
den Weg, den der große Gott durchschritt, so oft er es wünschte, 
in seinem Doppelreiche. 

Der ehrwürdige Gott trat hervor, die Götter, die ihm als ih- 
rem Pharao dienten, begleiteten ihn, er erging sich, wie alle Tage. 
Da biß ihn die heilige Schlange. Der göttliche Gott öffnete den 
Mund und sein Schrei drang bis zum Himmel. Sein Götterkreis 
rief „Was ist das?** und die Götter schrieen ;,siehe dal" Er 
konnte nicht antworten, seine Kinnbacken klapperten, seine Glie- 
der zitierten, das Gift ergriff sein Fleisch, wie der Nil sein Gebiet 
bedeckt (bei der Überschwemmung). 

Als der große Gott sein Herz beruhigt hatte, da rief er zu 
seinem Gefolge: „Kommt zu mir, ihr Kinder meiner Glieder, ihr 
Götter, die ihr aus mir hervorgingt! Erklärt dies A'eperä. Ein 
schmerzhaftes Ding hat mich verletzt, mein Herz fühlt es, aber 
meine Augen sehen es nicht, meine Hand that es nicht. Nicht 
weiß ich, wer es vollbrachte; nie fühlte ich einen Schmerz wie 
diesen, kein Übel ist schlimmer als das. 

Ich bin ein Fürst, der Sohn eines Fürsten, der göttliche Sa- 
men eines Gottes; ich bin der Große, der Sohn des Großen, mein 
Vater erdachte meinen Namen ; ich bin der Vielnamige, der Viel- 
gestaltige, dessen Gestalt sich in jedem Gotte befindet. Mein Name 
ward durch meinen Vater und durch meine Mutter ausge- 
sprochen und dann ward er verborgen in mir durch meinen Er- 
zeuger, damit nicht entstehe ein Zauberer, der mich verzaubern 
könne (was mit Hülfe der Kenntnis des geheimnisvollen Namens 
des Rä möglich gewesen wäre). 



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Drittes Kapitel. Die Sonnensagen. 31 

Ich war herausgegangen um zu sehen, was ich geschaffen 
hatte; ich erging mich in den beiden Ländern, die ich gemacht 
hatte, als mich etwas stach, was ich nicht kannte. War es Feuer, 
war es Wasser? Mein Herz ist in Glut, meine Glieder zittern, 
alle meine Glieder erschaudern. Man bringe mir die Götterkinder, 
die wohlthuende Reden führenden, mit verständigem Munde, de- 
ren Macht bis zum Himmel reicht". 

Die Götterkinder kamen voller Trauer, Isis kam mit ihren 
Zaubereien; sie, deren Mund voll ist von Lebensodem, deren For- 
meln die Leiden vernichten, deren Wort den Toten belebt Sie 
sprach: „Was ist das, göttlicher Vater, was ist das? Eine Schlange 
hat das Übel in Dir verbreitet, eines Deiner Geschöpfe hat sein 
Haupt gegen Dich erhoben. Es soll fallen durch wirksame Zau- 
berformel, ich werde es zurückweichen lassen beim Anblicke 
deiner Strahlen". 

Der heilige Gott öffnete seinen Mund: „Ich ging auf dem 
Wege, ich erging mich in den beiden Ländern der Erde, nach 
dem Wunsche meines Herzens, um zu sehen, was ich erschuf, da 
ward ich gebissen von einer Schlange, die ich nicht sah. Ist es 
Feuer, ist es Wasser? Ich bin kälter als Wasser, ich bin heißer 
als Feuer, alle meine Glieder sind in Schweiß, ich zittere, mein 
Auge ist ohne Kraft, ich sehe den Himmel nicht, das Wasser 
steigt auf mein Gesicht wie im Sommer". 

Isis sprach zu Rä: „O nenne mir Deinen Namen, göttlicher 
Vater, denn der wird leben, der durch seinen Namen befreit wird". 
Da sprach Rä: „Ich habe den Himmel und die Erde geschaffen, 
ich habe die Berge geordnet und alle Wesen geschaffen, die dar- 
auf sind. Ich bin der, der das Wasser schuf und das große Ur- 
gewässer hervorbrachte. Ich erschuf dem Gatten seiner Mutter 
(eine Gottheit). Ich erschuf den Himmel und das Geheimnis bei- 
der Horizonte, ich habe die Seelen der Götter hineingesetzt. Ich 
bin der, der beim Öffnen seiner Augen alles hell werden läßt; 
wenn er die Augen schließt, dann dunkelt es. Das Wasser des 
Niles steigt, wenn er es befiehlt; die Götter kennen seinen Namen 
nicht. Ich mache die Stunden und schaffe die Tage, ich schicke 
das Jahr und schaffe die Überschwemmung, ich schaffe das le- 
bende Feuer, ich reinige die Häuser. Ich bin morgens A'eperä, 
mittags Rä und abends Tum". 

Das Gifl wich nicht, es drang weiter, der große Gott machte 



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32 Die Religion der alten Ägypter. 

keine Fortschritte. Isis sprach zu Rä: ^Das war nicht Dein Name, 
was Du mir anführtest. Sage ihn mir, damit das Gift herausgehe, 
denn der wird leben, dessen Name genannt wird.* 

Das Gilt glühte wie Feuer, es war heißer als die Flamme 
und das Feuer. Der Gott Rä sprach: „Ich gestalle, daß mich Isis 
erforsche, daß mein Name aus meiner Brust in ihre Brusl über- 
gehe". Der Gott verbarg sich vor den Göttern, leer ward die 
Barke der Unendlichkeit. Als der Augenblick des Herzausschüt- 
tens gekommen war, da sprach Isis zu ihrem Sohne Horus: „Er 
soll sich verpflichten, seine beiden Augen (Sonne und Mond, die 
sichtbaren Zeichen der Macht der Sonne) preiszugeben.* 

Des großen Gottes Name ward ihm genommen und Isis, die 
große Zauberin, sprach: „Fließe Gift, verlasse Rä, Horusauge (von 
einer Gottheit gesendete Gabe, hier das von Isis gesendete Gift) 
gehe aus dem Gotte, slrahle aus seinem Munde. Ich. 'ich handle; 
ich lasse fallen auf die Erde das besiegte Gift, denn der Name 
des großen Gottes ward ihm entrissen. Rä möge leben, das Gift 
dagegen möge sterben.** So sprach Isis, die Große, die Leiterin der 
fJiUter, sie, die da kennt Rä und dessen wahren Namen. — : 

Die Schlußworte des Textes bemerken noch, es sei ein vor- 
treffliches Mittel gegen Schlangengift, wenn man diese Erzählung 
über einem Bilde der Götter Tum, Horus und Isis hersage, oder 
sie aufschreibe, die Schrift auflöse und die Lösung von einer 
Person trinken lasse, oder sie auf einem Stück Leinewand nieder- 
sehieibe und dieses einer Person um den Hals hinge. 

Die Vernichtung des Menschengeschlechts *). 

Rä ist der Gott, der sich selbst erschuf seit er w^ar im Be- 
sitze der Königsherrschaft über Menschen und Götter zusammen. 
Die Menschen führten Reden gegen seine Majestät und sprachen: 
„Siehe da, Seine Majestät, der Gott Rä, ist alt geworden, seine 
Knochen sind zu Silber geworden, seine Glieder zu Gold und seine 
Haare zu echtem Lapis lazuli". Seine Ma^jestät hörte die Worte, 
die die Menschen über ihn aussprachen. Es sprach Seine Maje- 
stät zu denen, die in seinem Gefolge waren: „Rufet zu mir mein 
Auge (die Göttin Hathor-Se;{et / und den Gott Öu und die Göttin 
Tefnut, den Gott Seb und die Göttin Nut, und die Väter und die 
Mütter, die bei mir waren, als ich noch im Urgewasser Nu war, 



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Drittes Kapitel. Die Sonnensagen. 3.*) 

und auch den Gott des Urgewässers, Nu. Er möge mit sich brin- 
gen seine Umgebung, er möge sie bringen in aller Stille, damit 
die Menschen sie nicht sehen, damit sie nicht entfliehen. Er 
möge gehen mit ihnen zu dem Tempel in Heliopolis, damit sie 
Ratschläge geben, denn ich werde herausgehn aus dem Urgewäs- 
ser an den Ort, der mir gebührt, man bringe mir dorthin diese 
Götter. 

Als nun diese Götter kaufen an den Platz , an dem Rä sich 
befand, da warfen sie sich nieder zur Erde vor Seiner Majestät 
und er hielt eine Rede vor Nu, dem Vater der ältesten Götter, 
der da erschuf die Menschen, der der König war der denkenden 
Geister. Sie sprachen vor Seiner Majestät: „Rede zu uns, damit 
wir deine Worte hören/ Und es sprach Rä zu Nu: „0, Du älte- 
ster Gott, durch den ich entstand, und ihr Götter der Vorfähren! 
Sehet die Menschen, die entstanden sind aus meinem Auge, sie 
halten Reden gegen mich. Sagt mir, was ihr dagegen thun wür- 
det. Möget ihr für mich Rat suchen. Nicht will ich sie töten, 
bis ich gehört habe, was ihr in Bezug darauf sagt." 

Da sprach die Majestät des Gottes Nu: „0 mein Sohn Rä, 
Du Gott, der größer ist als sein Schöpfer (Nu selbst) und als die 
Götter, die ihn bildeten! Fest steht Dein Thron, groß ist die 
Furcht vor Dir. Wende Dein Auge gegen die, die sich gegen Dich 
verschwören." Es sprach der Gott Rä: »Sehet, die Menschen 
fliehen in die Berge, ihr Herz ist voll Furcht wegen dessen , was 
sie sagten." Da sprachen die Götter: „Entsende Dein Auge, es 
möge für Dich vernichten die Leute, die böse Anschläge erdach- 
ten. Nicht giebt es ein Auge unter den Menschen, das sich Dei- 
nem Auge widersetzen könnte, wenn es herabsteigt in der Gestalt 
der Göttin Hathor.« 

Da gmg diese Göttin hin und sie tötete die Menschen auf 
dem Gebirge. Da sprach die Majestät dieses Gottes: „Komme in 
Frieden, Hathor! Nie werde ich mich von Dir trennen (?)." Da 
sprach diese Göttin: „Mögest Du leben für mich! Als ich in Be- 
sitz nahm die Menschen, da war mein Herz erfreut." Da sprach 
die Majestät des Gottes Rä: ;,Ich werde die Menschen in Besitz 
nehmen als ihr König und sie vernichten {?y. Und es geschah, 
daß Se^et mehrere Nächte in dem Blute der Menschen watete, 
beginnend bei Heracleopolis magna. 

Da sprach Rä: „Rufet zu mir schnelle eilende Boten, sie niö- 

Dr. A. Wiu(l««mttnn: TMo Kelit^ioii dor alten A^pU^r. 3 



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34 t)ie Religion der alten Äj^ypler. . 

gen eilen wie ein Windstoß*". Man brachte diese Boten sogleich 
herbei. Es sprach die Majeslat dieses Gottes: „Sie mögen eilen 
nach Elephantine, sie mögen mir bringen viele Mandragoren (?)". 
Diese Mandragoren (?) wurden ihm gebracht. Sie wurden gege- 
ben dem Gotte Sekti (dem Zertnalmer) von Heliopolis , um zu 
zermalmen diese Früchte. Siehe da! Als die Sklavinnen zer- 
quetscht hatten Korn für Bier, da thal man diese Früchte in die 
Krüge [in denen sich dieses Bier befand und außerdem] das Blut 
der Menschen. Man bereitete daraus 7000 Bierkrüge. 

Als nun kam die Majestät des Königs von Ober- und Unter- 
Ägypten Rä mit den Göttern, um zu sehen dieses Bier, und es Tag 
wurde, nachdem diese Göttin während der Zeit ihrer Stromauflfahrt 
die Menschen abgeschlachtet hatte, da sprach die Majestät dieses 
Gottes: „Schön ist dies, schön ist dies. Icli werde schützen die 
Menschen vor ihr". 

Es sprach Rä: „Man möge tragen und bringen (?) die Krüge 
zu dem Orte, an dem die Menschen abgeschlachtet werden". Es 
befahl die Majestät des Königs von Ober- und Unter-Ägypten Rä, 
während der schönen Nacht auszugießen diesen einschläfernden 
Trank. Es waren die Felder nach allen vier Seiten hin voll Flüs- 
sigkeit, wie es befahl die Majestät dieses Gottes. 

Und es kam die Göttin Se/et am Morgen, sie fand die Fel- 
der überschwemmt, erfreut war ihr Gesicht dadurch, sie trank 
davon, erfi-eut ward ihr Herz, sie ging herum betrunken und er- 
kannte die Menschen nicht mehr. Da sprach die Majestät des Rä 
zu dieser Göttin: „Komme in Frieden, Du reizende Göttin" (ämi-t), 
daher entstanden die anmutigen Mädchen in Ämu (weil Rä die 
Sexet ämi-t „reizend" genannt hatte, darum wurden anmutige Mäd- 
chen als Prieslerinnen in der Stadt Ämu, d. h. Apis im westlichen 
Delta, (ingestellt). Und es sprach die Majestät des Rä zu dieser 
Göttin: „Man fertige für Dich Schlaftrünke bei allen Neujahrs- 
festen und zwar soll ihre Zahl (der den Trunk enthaltenden Krüge) 
entsprechen der meiner Dienerinnen". Daher werden gemacht die 
Schlaftrünke entsprechend der Zahl der Dienerinnen am Feste der 
Ilathor von allen Menschen seit diesem Tage. 

Und es sprach die Majestät des Rä zu dieser Göttin: „Ein 
brennender Schmerz macht mich leidend, woher kommt dieser 
Schmerz (?)" Es sprach die Majestät des Rä: „Zwar bin ich am 
Lehen, aber mein H(»rz ist es müde, mit den Menschen zusani- 



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Drittes Kapitel. Die Sonnensagen. /15 

nien zu sein; nicht habe ich sie vernichtet, nicht sind sie so ver- 
nichtet, wie es meiner Macht entsprochen hätte*'. Da sprachen 
die Götter, die sich in seinem Gefolge befanden: „Lasse ab von 
Deiner Mattigkeit, Du bist machtig entsprechend Deinem Wunsche." 
Aber es sprach die Majestät dieses Gottes zu dem Urgewässer 
Nu; „Meine Glieder sind Icrank zum ersten Male, nicht werde ich 
warten, bis mich ein zweites Mal diese Schwäche ergreift." 

Das folgende Stück wird von großen Lücken unterbrochen, 
so daß sich nur abgerissene Satzteile erkennen lassen; danach 
scheint Nu den Öu und die als Himmelskuh gedachte Göttin Nut 
aufgefordert zu haben, Rä in seinem Schmerze zu helfen, um ihm 
wieder Lust zur Regierung zu machen. Nach längern Verhand- 
lungen nimmt Nut den Gott Rä auf ihren Rücken. In diesem 
Augenblicke wagen sich auf Erden die Menschen wieder hervor 
und sehen, wie Rä auf dem Rücken der Nut sich befindet. Da 
erfaßt sie Reue über ihr Thun und sie bieten Rä an, seine Feinde, 
d. h. die, welche sich einst gegen Rä verschworen hatten, zu tö- 
ten. Rä wird unterdessen weitergetragen, bis er zu dem Heilig- 
tum [der Kuh, d. h. einem Tempel der Hathor im Nomos Libya] 
gelangt. Die Menschen begleiiten ihn dabei. Er kommt dort an, 
als es noch Nacht ist. Als aber die Erde hell ward und es Mor- 
gen wurde, da traten die Menschen hervor mit ihren Bogen und 
zogen in das Feld gegen die Feinde des Gottes Rä. Da sprach 
die Majestät dieses Gottes Rä: „Eure Vergehen sind Euch ver- 
geben, das Blutbad (das ihr für mich vollzogt) gleicht aus das 
Blutbad (das die Aufrührer gegen mich vorhatten)". Und es 
sprach dieser Gott zur Göttin Nut: „Ich habe beschlossen, mich 
in die Höhe erheben zu lassen'', d. h. zu den seligen Göttern ein- 
zugehen und auf die Regierung der Welt zu verzichten. Dieser 
Wunsch des Gottes wird vollzogen, er gelangt in die höhern Re- 
gionen und besichtigt die Gegend, die er sich ausgesucht hat. 
Er spricht seine Absicht aus , hier viele Menschen um sich zu 
versammeln und erschafft, um für diese einen Aufenthaltsort zu 
haben, die verschiedenen Teile des Jenseits. Es sprach Seine 
Majestät, der Leben, Heil und Gesundheit sei: „Es entstehe (hetep) 
ein großes Gefilde" und es entstand das Gefilde des Friedens 
(hetep). „Ich will sammeln (äaräd) in ihm Kräuter" und es ent- 
stand das Gefilde Aaru (Äalu). „Ich sammle darin als Bewohner 
Dinge, welche hängen am Ilimmol, nämlich die Sterne". Da zit- 

3* 



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•)V) Die Religion der alten Ägypter. 

tei-te Nut gar sehr, d. h. der Himmelsrauni schüUelte sich, die 
Sterne fielen dadurch ab und kamen., wie es Rd befohlen hatte, 
in das von ihm erschaffene Land. Und es sprach die Majestät 
des Gottes Rä: „Ich lasse entstehen Millionen von Wesen, um mich zu 
preisen" und da entstanden Millionen. Und es sprach die Majestät 
des Ra: „0 mein Sohn Su, mögest Du Dich vereinigen mit mei- 
ner Tochter Nut und dort behüten für mich die Millionen von 
Millionen, die dort sind, die dort in Finsternis weilen", d. h. Su 
wird von Rä angewiesen, den Menschen dort, auf der alten Erde, zu 
leuchten, er wird als die neue Sonne von der alten eingesetzt. 

Hieran schheßt sich ein langer Text, in welchem in sehr un- 
klaren Ausdrücken, die durch Schreibfehler noch schwerer ver- 
ständlich werden, die Himmelskuh geschildert wird. Diese Kuh, 
die man zuweilen Hai hör und auch Nut gleichstellte, bildete nach 
einer ägyptischen Weltanschauung das Himmelsgewölbe, das sich 
über unserer Erde erhebt, an ihr fahrt die Sonne dahin und sie 
selbst wird von verschiedenen Gottheiten , besonders dem Gotte 
Su, gestülzt. Auf ihrem Rücken weilt Rä, der sich zur Ruhe 
zurückgezogen hat und beherrscht den Oberhimmel, den er, wie 
wir eben sahen, sich selbst geschaffen hat mit allen seinen Fel- 
dern, in denen der Ägypter nach seinem Tode eine Wohnung zu 
finden hoflfte, um hier mit zu den Millionen zu gehören, die den 
Gott Rä preisen. 

Nachdem so der Himmel und die Erde neugeordnet sind, 
erinnert sich Rä daran, daß er auf Erden Wesen zurückläßt, die 
ihm selbst gefährlich gewesen sind, nämlich die Reptilien, deren 
Stich ihm die erste Einbuße seiner Macht zugefügt hatte. Ehe er 
also ganz auf seine Königswürde verzichtet, giebt er einen auf 
diese Tiere bezüglichen Befehl, der vor allem die Kenner des 
Schlangenzaubers als besondere Günstlinge der Gottheit hinstellen 
soll: Es sprach die Majestät dieses Gottes zu Thothi „Ruf^ mir 
die Majestät des Gottes Seb (die Erde) und sprich zu ihm: Mö- 
gest Du kommen in Eile**. Als zu ihm kam die Majestät des Seb, 
da sprach die Majestät des Gottes Rä: „Habe acht auf das Ge- 
würm, das in Dir ist, mögen sie Furcht empfinden vor mir, wie 
ich bin. Wenn Du erfahren hast ihre Absichten gegen mich, dann 
eile an den Ort, an dem sich mein Vater Nu befindet und sage ihm : 
„Bewache die Würmer der Erde und des Wassers" und mache 
auch Schriften für jedes Loch, in welchem sich Dein Gewürm be- 
findet des Inhaltes: „Hütet Euch, irgend etwas zu beschädigen\ 



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Drittes Kapitel. Die Sonnen.«ngen 37 

Sie mögen wissen, daß icli fortgehe, aber ich werde leuchten über 
sie. Achten auf sie soll ihr Vater, Du bist ihr Vater auf Erden 
für alle Zeit. Achten möge man auf diese Tiere. Kenner von 
Zauberformeln werden sie bezaubern, ausgerüstet mit meinen ei- 
gensten Zauberformeln. Ich werde die Fornieln von mir geben, 
ich werde ihre Besitzer anbefehlen Deinem Sohne Osiris; ihre 
Kinder sollen geschützt werden, gedeihen sollen sie, sie sollen 
handeln wie sie wünschen gegen die ganze Erde, indem sie be- 
zaubern die, die sich befinden in ihren Löchern.* 

Es sprach die Majestät des Gottes Uä: ^Man rufe zu mir 
Thoth*. Er ward sogleich herbeigebrachl . Es sprach die Maje- 
stät dieses Gottes zu Thoth: ^Laß uns gehn, verlassend den Him- 
mel und meine Behausung, derm ich werde erschaffen einen leuch- 
tenden glänzenden Gegenstand in dem Duat und in dem Lande 
der Tiefe. Einschreiben sollst Du dort als Bewohner und fest- 
halten sollst Du dort die, welche thaten böse Thaten und 

die Diener, welche haßt mein Herz. Du aber bist in meinem 
Orte, der Bewohner meines Ortes, Dich wird man nennen Thoth, 
den Ortsbewohner (Stellvertreter) des Ra. Ich gebe Dir die Macht, 
auszusenden Deine Boten (hab) — da entstand der Ibis (habi) des 
Tliolh. Ich lasse Dich erhoben Deine Hand angesichts der gro- 
ßen Neunheiten der Götter; schön ist die Handlung (xen), die Du 
ausführst — da entstand der heilige Vogel (? x^^^ ?) des Thoth. 
Ich lasse Dich umfassen (änh) beide Himmel (den des Ta- 
ges und den der Nacht) mit deinen Schönheiten - da entstand 
der Mond (äah) des Thoth. Ich lasse Dich Dich wenden (änän) 
zu den Nordvölkern — da entstand der Cynocephalus (änän) des 
Thoth, der da sein möge mein, des Rä Stellvertreter. Du, Thoth, 
hast jetzt inne meinen Platz vor den Blicken aller, die sich nach 
Dir hinrichten; jedes Wesen preist Dich als einen Gott". 

Nach diesen Worten, durch die Rä den Gott der Weisheit 
und der gesetzmäßigen Ordnung zu seinem Stellvertreter ernennt 
und ihm gleichzeitig seine heiligen Tiere erschafft — denn sobald 
Rä in seiner Rede ein Zeitwort ausspricht, das lautlich dem Na- 
men eines heiligen Tieres entspricht, entsteht dieses — folgt noch 
eine kurze Notiz, die nicht in Verbindung steht mit dem Inhalte 
der Legende. Dieselbe bezieht sich vielmehr darauf, in welcher 
Weise man dieselbe herzusagen hatte, wenn man eine magische 
Wirkung erzielen wollte. 



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38 Die Religion der allen Ägypter. 

„Wenn eine Person ausspricht diese Worte für sich selbst, 
soll sie sich einreiben mit Öl und Salbe, ein Räucherfaß sei auf 
ihren Hcänden voll Weihrauch , hinter ihren beiden Ohren (?) sei 
Natron, wohlriechende Salbe auf ihrer Mundspitze. Sie sei be- 
kleidet mit zwei neuen Gewändern, sie sei gereinigt mit Über- 
schwemmungswasser; bekleidet sei sie an den Füßen mit weißen 
Schuhen, gemalt sei das Bild der Wahrheit auf ihrer Zunge mit 
grüner Malerfarbe. Wenn das Herz des Thoth danach steht, her- 
zusagen dieses Buch für Rä, dann soll er sich selbst reinigen 
sieben mal an drei Tagen, es sollen handeln die Priester und 
Menschen in gleicher Weise." 

Die Sage von der geflügelten Sonnenscheibe*). 

Im Jahre 363 der Regierung des Rä-Harmachis, des ewig 
lebenden. Rä befand sich im Lande Nubien mit seinen Kriegern, 
Feinde aber verschworen sich (uu) gegen ihn und daher trägt das 
Land seit diesem Tage den Namen Verschwörerland (uaua). Da 
machte sich der Gott Rä auf den Weg in seinem Schiffe samt 
seinem Gefolge und landete im Nomos von Edfu. Hier befand 
sich der Gott Hor-behudet in dem Schiffe des Rä und sprach zu 
seinem Vater: „0 Harmachis, ich sehe, wie die Feinde sich ver- 
schwören gegen ihren Herrn.** Da sprach die Majestät des Gottes 
Rä-Harmachis zu der Person des Horbebudet: „Du Sohn des Rä, 
Erhabener, der aus mir hervorgegangen ist, schlage den Feind, 
der vor Dir ist, in kurzer Zeit.** Horbehudet flog empor zur 
Sonne (die also hier nicht der Sitz des Gottes Rä ist, der viel- 
mehr auf Erden weilt) als große geflügelte Scheibe; deshalb wird 
er seither genannt der große Gott, der Herr des Himmels. Er 
sah die Feinde vom Himmel her, er folgte ihnen als große ge- 
flügelte Scheibe. Infolge des Ansturmes, den er gegen sie machte 
mit seiner Vorderseite, sahen ihre Augen nicht mehr, hörten ihre 
Ohren nicht mehr, ein jeder tötete seinen Nebenmann in der kür- 
zesten Zeit, nicht blieb ein Haupt übrig, durch das sie hätten 
leben können. Horbehudet aber kam in einer vielfarbigen Gestalt 
als große geflügelte Scheibe in das Schiff* des Rä-Harmachis. Da 
sprach Thoth zu Rä: „Herr der Götter, es kam der Gott von 
Behudet (Edfu) in der Gestalt einer großen geflügelten Scheibe. 
Er soll genannt werden Hor-behudet (Horus von Edfu) von die- 
sem Tage an.** Und (Thoth) sprach: „Die Stadt Edfu werde ge- 



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Drilles Kapild. Die Sonnfnsut't^n. IfJ 

iiannl die Stadt des Hor-behudet von diesem Tage an." Und Ra 
umarmte die Geslalt des Hör und sprach zu Hor-behudel: ^Du 
thatst Weinbeeren in das Wasser, das aus Edfu hervorgeht (d. h. 
Du ließest das rote Blut der Feinde in dasselbe fließen) und Dein 
Herz ist darüber erfreut.** Daher heißt dieses Wasser von Edfu 
von diesem Tage an [Weinbeerenvvasser]. 

Und Horbehudet sprach: „Schreite voran, Rä, damit Du sehest 
Deine Feinde liegend unter Dir in diesem Lande *". Als nun die 
Majestät des Rä den Weg zurückgelegt hatte und mit ihm die 
Göttin Astarte, da sah er die Feinde liegen auf der Erde, jeder 
lag hingestreckt wie ein Gefangener. Da sprach Rä zu Hor- 
behudet: »Das ist ein angenehmes Leben*. Genannt wird ange- 
nehmes Leben deshalb der Ort des Hor-behudet seit diesem Tage. 
Es sprach der Gott Thoth: „Ein Erstechen (deb) meiner Feinde 
war dies". Erstechung (deb) wird genannt der Nomos von Edfu 
seit diesem Tage. Thoth sprach zu Hor-behudet: „Du bist ein 
großer Schutz (mäk 4^)". Großer des Schutzes (äa mak) wird ge- 
nannt das heilige Schiff des Horus seit diesem Tage. 

Es sprach Rä zu den Göttern, die in seinem Gefolge waren: 
„Lasset uns fahren (^en) in unserem Schiffe zu dem Nile, wir 
sind froh, da unsere Feinde liegen auf dem Boden.* Der pCanalJ, 
in den) sich der große Gott befand, heißt Fahrwasser (pe-^en) 
seit diesem Tage. 

Darauf begaben sich die Feinde des Rä in das Wasser; sie 
verwandelten sich in Krokodile und Nilpferde. Harmachis aber 
fuhr daher auf dem Wasser in seinem Schiffe. Als nun zu ihm 
gelangt waren die Krokodile und Nilpferde, da öffneten sie ihre 
Rachen, um zu verletzen die Majestät des Gottes Harmachis. Da 
kam heran Hor-behudet, seine Diener waren in seinem Gefolge 
als Arbeiter mit Erzwaffen (niesen), eine Eisenlanze und eine 
Kette hatte jeder in seiner Hand, da schlugen sie die Krokodile 
und die Nilpferde. Herbeigebracht wurden auf der Stelle 381 
Feinde, die man getötet hatte angesichts der Stadt Edfu. 

Da sprach Harmachis zu Hor-behudet : „Mein Bild möge sein 
im Südlande, denn das ist ein Platz, an dem man siegte" (ne;(t äh). 
Siegreicher Wohnsitz (ne^t äh) heißt der Wohnsitz des Hor- 
behudet seit diesem Tage. Thoth sprach, nachdem er gesehen 
hatte die Feinde liegend auf der Erde: „Froh ist Euer Herz, ihr 
Götter des Himmels, froh ist Euer Herz, ihr Götter auf Erden! 



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40 Die Religion der alten Ägypter» 

Ilorus der Jugendliche kommt in Frieden, er hat Wunderbares 
geleistet auf seinem Zuge, den er „unternahm gemäü dem 'Buche 
vom Schlagen des Nilpferdes" (Hor-behudet hat auf seinem Zuge 
die magischen Formeln, die dieses Buch enthielt, verwertet und 
daher seinen Sieg errungen). Erzbilder (mesen) des Hor-behudet 
giebt es seit diesem Tage. (Gerade Horus ward sehr häufig in 
Bronze dargestellt.) 

Hor-behudet verwandelte seine Gestalt in die einer geflü- 
gelten Soimenscheibe, die da weilt über dem Vorderteile des 
Schifles des Rä. Er nahm die Göttin des Südens Ne^eb-t und 
die des Nordens UaV-t mit sich in Gestalt zweier Schlangen, um 
zu vernichten die Feinde in ihren Leibern, in Gestalt von Kro- 
kodilen und Nilpferden an jeder Stelle, an die er kam im Süd- 
lande und im Nordlande. 

Da wandten sich die Feinde vor ihm, sie wandten ihr Ge- 
sicht nach Süden (als sie eingeholt waren, denn ihren Rückzug 
hatten sie, wie das Folgende lehrt, nach Norden hin angetreten), 
ihr Mut war ihnen entsunken aus Furcht vor ihm. Hor-beljudet 
aber war hinter ihnen in dem Schiffe des Rä, eine Eisen- 
lanze und eine Kette waren in seiner Hand. Mit ihm war sein 
Gefolge, das ausgestattet war mit Waffen und Ketten. Da er- 
blickte er die Feinde im Süd-Osten von Theben auf einer zwei 
Morgen großen Fläche" u. s. f. Die Feinde werden natürlich be- 
siegt und ebenso ergeht es ihnen an den nächsten Orten, an 
denen sie dem Gotte Widerstand zu leisten versuchen ; schon sind 
sie bis zum 19. oberägyptischen Nomos zurückgetrieben und hier 
geschlagen worden, als sich der Leiter und Veranlasser des Auf- 
standes entschließt, persönlich dem Gotte entgegenzutreten. 

„Siehe da, Set trat hervor und schrie gräßlich (neha), indem 
er ausstieß Verwünschungen wegen dessen, was that Hor-behudet, 
als er tötete die Feinde. Da sprach Rä zu Thoth: „Der Gräß- 
liche (nehaha) schreit laut wegen dessen, was Hor-behudet gegen 
ihn gethan hat". Da sprach Thoth zu Rä: „Genannt werden der- 
artige Rufe gräßliche (nehaha) deswegen von diesem Tage an*. 
Hor-behudet kämpfte mit Set eine Zeitlang, er schleuderte sein 
Eisen nach ihm, er schlug ihn nieder auf dem Boden dieser Stadt, 
die seit dieser Zeit Pa-rehehui (Ort der Zwillinge Horus und Set, 
die nach einer öfters erwähnten Ansicht Zwillingsbrüder waren) 
genannt wird. Als nun Hor-behudet zurückkehrte, da führte er 



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Drittes Kapitel. Die Sonnensa^^en. 41 

Set herbei, seiji Speer, stak an seinem Halse, seine Kette war an 
seiner Hand, die Keule des Horus hatte ihn getroffen, um seinen 
Mund zu vei-schließen. Er brachte ihn vor seinem Vater Ra. 

Es sprach Ra zu Thoth: „Es mögen gegeben werden die 
Genossen des Set der Isis und dem Horus, ihrem Sohne, damit 
sie verfahren mit ihnen nach ihrem Belieben**. ... Da schnitt 
Horus, der Sohn der Isis, ab den Kopf des Set und seiner Bun- 
desgenossen vor seinem Vater Rä und dem gesamten grotion 
Götterkreise. Erzog ihn an seinen. Sohlen durch das Land, er 
that den Dreizack an seinen Kopf und an seinen Rücken (An- 
spielung auf Bilder des Horus, der mit dem Dreizack in der Hanti 
über dem Set steht)**. 

So hatte, fährt der Text nach einigen Zeilen fort, Hor-be- 
hudet am 7. Tybi im Gemeinschaft mit Horus, dem Sohne der 
Isis, der seine Gestalt der des Hor-beliudet ähnlich gemacht hatte, 
diesen elenden Feind und seine Bundesgenossen abgeschlachtet. 
Der Kampf war damit noch nicht entschieden. Obwohl Set ent- 
hauptet worden war, lebte er fort; er verwandelte sich in eine 
brüllende Schlange, die sich in einem Loch verkroch, das zu ver- 
lassen ihr verwehrt ward. Dann ward das Land durchstreift, 
die vereinzelten Anhänger des Set metzelte man nieder, mehrfach 
trat Set wieder auf und man mußte sogar die magischen Sprüche 
der Isis gegen ihn zu Hülfe nehmen. Der letzte Ort, ian dem man 
kämpfte, war die Stadt ©alu ganz im Osten Ägyptens; m Gestalt 
eines Löwen erlegte Horbehudet hier 142 Feinde, mit seinen Kmllen 
tötete er sie, die Zunge riß er ihnen aus und ihr Blut strömte 
auf den Höhen. Nun floh der Rest der Feinde auf das Meer. 

Da sprach Rä zu Hor-behudet: „Stehe still! Laß uns se- 
geln auf das Meer um zu schlagen die Feinde in ihrer Gestalt als 
Krokodile und Nilpferde angesichts der Küste Ägyptens**. Da 
sprach Hor-behudet zur Person des Rä: ^,0 Herr der Götter] 
Gehemmt ist die Segelfahrt wegen des Drittels der Feinde, die 
übrig geblieben sind und sich im Meere befinden. Da las Thoth 
ab die Kapitel über den Schutz des Schiffes und der Barken der 
Kämpfer in Erz, um zu besänfl^igen das Meer in der Stunde sei- 
nes Wütens ; diese magischen Formeln thun selbstverständlich ihre 
Wirkung, was der Text gar nicht für nötig hält hervorzuheben, 
die Feinde, die den Sturm erregten, verschwinden. Da sprach 
Rä zu Thoth: „Haben wir nun nicht das ganze Land durchlau- 



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42 Die Relifc'ion (lt»r alten Ägypter. 

fen, haben wir nun nicht das ganze Meer durchlaufen (sekcd)**. 
Es sprach Thoth: „Genannt werde Meer des Durclilaufens (seked) 
dieses Wasser (das Meer) seit diesem Tage/ 

Hierauf kehrten die Götter um bei Nacht, denn nicht sahen 
sie mehr Feinde. Als sie sich näherten Nubien und der Stadt 
äasher, da erblickte Hor-behudet die Feinde, und ihre auser- 
wählten Krieger im Lande Uaua, wie sie sich verschworen (uaua) 
gegen Horns ihren Herrn. Der Gott verv\andelt sich wieder in 
eine geflügelte Sonnenscheibe und tötete in der Gestalt einer sol- 
chen die Feinde. 

Nach diesem letzten Siege kehrten die Götter zur Heimat 
zurück. „Es kam Harmachis in seinem Schiffe und landete am 
Horus-Thron (Tes-Hor, Edfu). Es sprach Thoth: „Der Strahlen- 
sender, der hervorging aus Ra, er besiegte die Feinde in seiner 
Gestalt [als geflügelte Sonnenscheibe], er werde genannt der 
Strahlensender, der aus dem Horizonte hervorgeht, seit diesem 
Tage.* Es sprach Rä zu Thoth: „Bringe an diese Sonne an 
jedem Platze, an üem ich weile, an den Plätzen der Götter im 
Südlande, an den Plätzen der Gölter im Nordlande, [an den 
Plätzen der Götter] in der Unterwelt, damit sie vertreibe das 
Böse aus ihrer Nähe." Thoth brachte an diese Gestalt an jedem 
Platze, an jedem Orte, so viele es ihrer gab, an denen irgend 
welche Götter und Göttinnen sich befanden. Und dies ist die ge- 
flügelte Sonnenscheibe, welche sich befindet über den Heilig- 
tmncrn aller Götter und Göttinnen in Ägypten, denn ihr Heih'g- 
tum ist auch das des Hor-behudet". 

Die soeben größtenteils mit den Worten des Originales vor- 
geführte Sage ist nach verschiedenen Richtungen hin von In- 
teresse. Auffallend ist in ihr vor allem das den Ägyptern eigen- 
tümliche Bestreben, welches bereits in der Sage von der Vernich- 
tung des Menschengeschlechts eine Rolle spielte, durch Wortspiele 
die Entstehung bestimmter Ausdrücke zu erklären. Weil ein Gott 
gelegentlich ein Wort aussprach, darum heiiat ein Ding, in dessen 
Nähe er es aussprach, ebenso wie dieses Wort. Naturgemäß war 
der Gang der Entwicklung thatsächlich ein umgekehrter, die Sach- 
bezeichnung war vorhanden, die Worte der Götter sind aus ihr 
heraus erfunden. Dabei bekümmerte man sich wenig um die 
Grammatik, um den Namen „Großer des Schutzes", was den Sinn 
von größter Beschützer hat, zu deuten, dient die Gruppe „großer 



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Drilles Kapilel. Die Soniiensatrcn. 43 

Schutz". Noch weniger ward der Sinn berücksichtigt. Nach die- 
ser Richtung hin bezeichnend ist die Erklärung des Namens der 
Isis durch eine Ptolemäer-lnschrift zu Philä, wo es heißt, „als 
Isis geboren ward, da sagte ihre Mutter Nut, als sie sie erblickte: 
Siehe da (äs), das bin ich, d. h. das ist mein Ebenbild ! und so 
gab man der Göttin den Namen Isis (Äs)*. Für die Mythendeu- 
tung ist aus derartigen Spielereien begreiflicher Weise ebenso- 
wenig zu gewinnen, wie aus den Etymologien, welche die Grie- 
chen und Römer für ihre Göttemamen vorgeschlagen haben. Ihre 
große Rolle in den erhaltenen Mythen beweist aber einmal de- 
ren verhältnismäßig jungen Ursprung, da sie ja bereits vorlie- 
gende und nicht mehr verständliche heilige Bezeichnungen erklä- 
ren sollten. Dann aber bieten sie treffliche Belege dar für die 
Kühnheit der mythologisch-sprachlichen Schlüsse der Altägypter 
auf der einen Seite und auf der andeni in ihrer durch und durch 
prosaischen Form für den Mangel an Phantasie und dichterischer 
Gestaltungsgabe des ägyptischen Volkes. Dieselbe steht in dem 
auffallendsten Gegensatze zu der poetischen Weise, in der grie- 
chische und römische Dichter die Entstehung später nicht mehr 
verständlicher Ausdrücke zu deuten wußten. Dieser Vergleich 
ist um so berechtigter, als die Sage von der geflügelten »Son- 
nenscheibe eine durchaus volkstümliche war, die sogar den Fall 
des Heidentums zu überdauern vermochte und eine Reihe kopti- 
scher Texte beeinflußte, welche im Anschlüsse an die bekannte 
Erzählung der Apocryphen von der Reise Christi als Kind durch 
Ägypten den Siegeszug des Heilands durch das Nilthal schilder- 
ten, und ihn dabei seine Feinde von Ort zu Ort treiben und an 
jedem derselben vernichten lassen. 

Von großem Werte ist der Te.xt endlich als Beispiel eines 
bewußten Sagensyncretismus, wie er in jungem Texten oft dem 
Leser entgegentritt. Die Grundlage der Erzählung bildet die Schil- 
derung eines Kampfes des Gottes Rä gegen seine Gegner, die 
sein Altem benutzten, um sich gegen ihn zu verschworen, ebenso 
wie die Menschen dies in einer bereits besprochenen Sage thaten. 
Rä trat ihnen nicht selbst entgegen, sondern nahm seine Zuflucht 
zu dem Gotte Hor-behudet, der die Gestalt einer geflügelten Son- 
nenscheibe besaß. Er war ursprünglich gleichfalls eine Sonnen- 
gottheit gewesen, ein Doppelgänger des Rä, der bei der Ver- 
schmelzung verschiedener Kulte als letzterem untergeben darge- 



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44 Die Religion der alten Ägypter. 

.-telH ward. Ihm fiel die Aufgabe zu, die Feinde der Sonne zu 
besiegen und er Ihal es, indem er mit Ra ganz Ägypten durch- 
fuhr, und stets von dem Gölterkönig das Übel abwehrte. Da er 
dies liier gethan hatte, so hoCfle man, werde er es überall thun, 
und brachte daher, worauf die Schlußworte des Textes anspielen, 
über den Eingang der innern Tempelräume, wie übrigens auch 
über dem Thdren der Tempel, auf Stelen und sonstigen Gegen- 
ständen das Bild der geflügelten Sonne als Schutz gegen alles Un- 
heil, vor allem gegen die Vernichtung an. Bald erscheint die- 
selbe allein als Sonnenscheibe mit Flügeln ^ss7, bald befinden 
sich an der Sonne rechts und links Schlangen *^^, die bisweilen 
die Krone von Ober- bez. Unterägypten auf dem Haupte tragen. 
Sie sollen die Schutzgöttinnen dieser beiden Hälften Ägyptens, 
die Göttinnen Ne/eb-t und Ua.V-t darstellen, die Hor-behudet bei 
seinem Kampfe mit sich führte. Diese Bildnisse finden sich im 
alten Reiche nur selten, während sie im neuen so gut wie über- 
all auftreten und man in später Zeit auf demselben Monument 
sogar mehrere geflügelte Sonnenscheiben unter einander anbrachte 
in der Hoff'nung, durch die Wiederholung des heiligen Symboles 
seine schützende Wirkung zu verstärken. Die Mythe ist eine 
Lokalsage von Edfu, wo Hor-behudet Nomosgolt war, an andern 
Orten trat zwar eine ähnliche Sage von der Sonnenfahrt auf, er- 
scheinen jedoch andere Gestalten als V^erteidiger des Gestirnes, so 
trägt Änlier, der Gott von This, in Abydos den Beinamen „Schlä- 
ger der Feinde^ und hat die Aufgabe, vorn in der Sonnenbarke 
zu stehn und die Geschöpfe, die sich deren Fahrt und damit dem 
Rä widersetzen, besonders die Nilpferde und Schlangen, mit sei- 
ner Lanze niederzustechen. 

Mit der alten Sage von dem Kampfe des Hor-behudet gegen 
die Feinde des Rä, die die Mächte der Finsternis darstellen sol- 
len, ist in dem Edfu-Texte ein zweiter Mythus verschmolzen wor- 
den, der von dem Rachezuge des Sohnes der Isis, Florus gegen Set, 
den Mörder des Osiris. Dieser letztere Mythus, auf den noch zurück- 
zukommen sein wird, entspricht in seiner Anlage der ursprüng- 
lichen Hor-behudet-Sage. Nach ihm durchzog Horus ganz Ägyp- 
ten und besiegte aller Orten Set und dessen Anhänger, die hier 
aber nicht die finstern Gegner des Lichtgottes, sondern die bösen 
Feinde des guten Wesens sind. Daher war auch in beiden Sagen 
der Ausgang des Kampfes ein gleicher, ein unentschiedener. Wie 



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Viertes Kapitel. Die Sonnenfahrt in dei* Unterwelt. 45 

in der Hor-behudet-Sage die Feinde des Ra, nachdem sie von 
Süden nach Norden durch ganz Ägypten getrieben worden sind, 
plötzlich wieder im Süden auflrelen und so der ganze Kampf von 
neuem zu entbrennen droht, weil das Licht die Finsternis zwar 
zu besiegen und zurückzudrängen, aber nicht zu vernichten ver- 
mag , so ist es auch in der Horussage, in der das Gute den 
Sieg über das Böse erringt, ohne es aus der Welt schaffen zu 
können. So kommt es, daß in dem in den Edfuer Text aufge- 
nommenen Zuge der Horus-Sage Set besiegt und hingerichtet 
wird, daß er aber gleich darauf wieder Leben gewinnt und die 
Gottheil in anderer Gestalt angreift. Osiris selbst spielt in der 
Inschrift keine Rolle, aber seine Sage wird vorausgesetzt; nur aus 
ihr heraus hat es einen Sinn, wenn man Set der Isis, die als 
Gattin und Schwester des ermordeten Gottes an erster Stelle zur 
Blutrache berufen war, zur Bestrafung übergiebt. 

Neben den besprochenen drei großen Sagen vom Gotte Rh 
gab es zahlreiche kleinere, von denen eine^) dadurch bemerkens- 
wert ist, daß sie die Sonnen- bez. Mondfinsternis mythologisch 
erklären will. Eines Tages, berichtet dieselbe, wünschte Horus 
alle Wesen zu sehn, die Rä erschaffen hatte : da zeigte ihm die- 
ser ein schwarzes Schwein und in dem gleichen Augenblicke 
fühlte Horus einen heftigen Schmerz im Auge, denn Set hatte 
sich, um Horus zu verletzen, in ein Schwein verwandelt. In- 
folge dessen wollte Horus, als er wieder genesen war, keine 
Schweine mehr geopfert erhalten. Bei den Griechen erscheint 
die Sage dahin umgeändert, daß Set das Auge des Horus ver- 
letzte, ausriß, verschluckte, dann aber Helios zurückerstatten mußte. 

Vierte« Kapitel. 

Die Sonnenfahrt in der Unterwelt. 

Verläßt man etwas nördlich von dem von Seti L und Ram- 
ses IL um 1300 v. Chr. erbauten Tempel von Qurnah, der nörd- 
lichsten thebanischen Tempelanlage , das Fruchtland und reitet 
auf das Gebirge zu , so öffnet sich nach wenigen Minuten ein 
schmales Felsenthor, durch das ein vorgeschichtlicher Sturzbach 
sich seinen Ausweg in das Nilthal gegraben hat. Kurz darauf 
teilt sich sein ehemaliges' Botto und filhrt in zwei fast parallelen 



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4^ Die Religion der alten Ägypter. 

Linien hinler dem libyschen Gebirge entlang bis auf die Höhe 
des Assassiflhales in der Mitte der thebanischen Totenstadl. Mit 
einer steiFaufsteigenden Felswand findet der dem Nilthal zunächst 
gelegene Teil sein Ende. Kurz vorher öffnen sich in den Felsen 
dreiundzwanzjg Gänge, welche zu Königsgräbem fuhren, wäh- 
rend im andern Thale deren nur zwei mit Inschriften versehene 
entdeckt worden sind. Die Zahl derselben war im Altertume 
weit grötier, Strabo spricht von 40 zugänglichen und besich- 
tigungswerten , ihre Eingänge liegen jedoch teilweise unter dem 
Schult verborgen, der von den verwitternden Felsen in das Thal 
herabgestürzt ist und werden wohl nur durch Zufall wieder ent- 
deckt werden, wie auch nur die gelegentliche Beobachtung, daß 
ein Regenbach statt hinab in das Thal zu fliegen, an einer Stelle 
am Gebirgsrande verschwand, zu der Auffindung des schönsten 
dieser Gräber, der Ruhestätte Seti L, Veranlassung gab. 

Von dem Eingang der während der 19. und 20. Dynastie 
angelegten Gräber führt ein Gang oder auch eine Treppe schräg 
abwärts in den Fels; zuweilen erweitert sich der Gang zu 
Kammern oder sind Zimmereingänge in seine Seitenwandungen 
gebrochen, im allgemeinen hält er die gleiche Richtung ein bis 
er zu einem großen Räume gelangt, der den Sarkophag eines 
Königs enthält. An diesen Raum schließen sich Kammern an 
und bisweilen setzt sich hinter ihm der Gang wieder fort um 
blind in dem Gestein zu verlaufen. Diese Erschein irg beruht 
darauf, daß der König, sobald er zur Regierung kam, den Bau 
des Grabes begann, das zunächst nur einen Gang mit einer 
(irabkammer an seinem Ende umfaßte. Lebte er länger, so führte 
er von dieser Kammer den Gang weiter zu einer neuen Kammer 
n. s. f. bis ihn der Tod ereilte. Das eben genannte Grab Seti I. 
hat auf diese Weise eine Länge von fast GO m erhalten. 

Die Wände der Gänge und Kammern, die Decken und die 
Sarkophage in den Gräbern sind mit Inschriften und Darstellungen 
bedeckt, welche sich insgesamt fiuf das Jenseits beziehen '). Eines 
<lcr Texte, der Sage von der Vernichtung des Menschengeschlech- 
tes, ist bereits gedacht worden, zwei weitere, das negative Sün- 
denbekenntnis und die Begräbnisceremonien, werden bei Gelegen- 
heit der osirianischen Unsterblichkeitslehre zu berühren sein, 
zahlreiche andere unbedeutendere Ausführungen können unberück- 
si<*liligt bleiben, wie beispielsweise die Sonnenlitaneien ^), 75 An- 



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Viertes Kapitel. Die Sonnenfabit in der Unterwelt. 47 

rufungen an den Sonnengott, die man zu sprechen hatte „am 
Abend, wenn gerechtfertigt wird Bä gegen .seine Feinde in der 
Unterwelt**, mit andern Worten, wenn die verstorbene Sonne alle 
Hindemisse überwindend als ein seliger Gott in das Jenseits ein- 
geht. Dieselben rufen den Gott an unter allerhand geheimnis- 
vollen und ohne ausführlichen Gommentar nicht verständlichen 
Titeln, die ihn als eine alles umfassende, die verschiedensten 
Götterfunktionen in sich vereinigende Gestalt schildern, und be- 
weisen so den bedeutenden Einfluß des Syncretismus bereits 
um 1300 V. Chr. Weit wichtiger für das Verständnis der ägypti- 
.schon Religion sind 2 andere hier verzeichnete ausgedehnte ^Vorke, 
das Buch vom Am-Duat und das Buch der Thore. 

Das erste, das Buch von Ärn-Duat „von dem was ist in der 
Tiefe**, findet sich in diesen Gräbern begleitet von zahlreichen 
Abbildungen der in ihm geschilderten Räume des Jenseits und 
seiner Bewohner; dann kommt es auf Sarkophagen, wie auf dem 
jetzt in London aufbewahrten des 369 v. Chr. verstorbenen Königs 
Noctanebus I. vor, und ward besonders in der Zeit der 20. Dyn. 
auch auf Papyrus aufgezeichnet, um in dieser Gestalt vor allem 
Priestern und Priesterinnen des Amon in das Grab gegeben zu 
werden. Die erhaltenen Abschriften zerfallen in zwei Klassen, 
die eine giebt den vollständigen Text mit allen seinen Abbildun- 
gen, die andere, besonders in Papyris zu findende, enthält für die 
7 ersten Stunden der Nacht einen kurzen Auszug, während die 
5 letzten Stunden unverkürzt blieben. Im Grabe Seti I. sind 
merkwürdiger Weise beide Klassen vertreten und steht der Aus- 
zug neben dem vollständigen Texte. Diese AuflFührung der dop- 
pelten Version hat keine logische Veranlassung, sie beruht einzig 
und allein auf der Leichtfertigkeit der ägyptischen Schreiber, die 
zuKlUig vorhandene Vorlagen ohne Rücksicht auf ihren Inhalt 
absehrieben und daher öfters doppelte Texte anbrachten; findet 
sich doch auch sonst in dem prachtvoll ausge.statteten Seti-firabe 
keinerlei Ordnung in den Inschriften. Die für die verschiedenen 
Stunden bestimmten Texte folgen sich nicht nach einem bestimm- 
ten Systeme, sondern sind da angebracht, wo der Zeichner gerade 
einen pas.senden Raum für die eine oder andere zur Verfügung 
zu haben glaubte. 

Das Duat zerfiel nach diesen Texten in zwölf Teile, deren 
jeder von der Nachtsonnt^ in einer SInndc* dnichzogen ward. Die 



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48 Die Religion der allen Agv'pter. 

Abteilungen werden als Gefilde, als Stadt, als Behausung bezeich- 
net, den Eingang bildete jedesmal eine Thure. In der Mille lief 
durch alle diese Räume ein zusammenhängender Fluß, auf dem 
der Sonnengott in seiner Barke den Weg von Westen nach Osten 
zurücklegte, auf dem rechten und linken Stromufer hausten aller- 
hand Dämonen und Geister. Dem entsprechend zerfallt die ägyp- 
tische Darstellung in drei übereinander gestellte Reihen, die 
oberste bildet das rechte Ufer, die mittlere den Fluß , die untere 
das linke Ufer. Die Dämonen selbst sind sehr verschiedenartig. 
Einzelne sind alte Götter, andere erhielten Gestalten, die den Ei- 
schaften angepaßt waren, welche man ihnen zuschreiben zu müssen 
glaubte. So hatten einige Affenform, weil sie die untergehende 
Sonne anbeteten; man ging hier von der richtigen Naturbeöbach- 
tung aus, daß die AflTen bei Sonnenuntergang zu lärmen pflegen 
und sah hierin den Ausdruck ihrer Verehrung des Gestirns. An- 
dere, Männer und Frauen, die die Bösen zerrissen und verletzten, 
tragen Messer und Lanzen, und heißen denit »die schneidende*, 
nekit „die zerreißende**, §esri „der Stecher* u. s. f. Wieder an- 
dere verdankten ihre Form uiid ihre Namen nur der Ausgeburt 
der ägyptischen Phantasie, die im Ausdenken des Unmöglichen 
so rege war, wie es nur die eines orientalischen Volkes sein konnte. 
Bei Durchsehen der Duattexte wird man kaum eine vorstellbare 
Verbindung des menschlichen und tierischen Leibes vermissen, 
sie alle hat der Ägypter für that sächlich vorhandene Wesen ge- 
halten, die er nach dem Tode zu erblic. i hoffte, oder richtiger 
gesagt, fürchtete. Die Leichtgläubigkeit .'er Bewohner des Nil- 
thales hat nach dieser Richtung hin ahe übeilrolTen, was von 
abergläubischen Vorstellungen bei andern Völkc!*n des Altertumes 
bekannt geworden ist. 

Das Werk beginnt in der verkürzten, leichter verständlichen 
Form mit den W^orten: „Anfang des Beginnes der Amenti (eig. 
Westland, dann Unterwelt), der Grenze der versammelten Finster- 
nis", d. h. der Unterwelt und des Gebietes, in das sich während 
des Tages die Finsternis zurückgezogen und gesammelt halte, 
aus dem sie hervorzubrechen drohte, sobald die Macht der Sonne 
erlahmte, um die Nacht auch auf Erden zu verbreiten. 

„Es tritt ein dieser Gott (die Sonne) aus der Erde in diesen 
Raum des westlichen Horizontes; 120 äter (ein Längenmaß; ein 
Parallcltext giebt an, der Raum sei 309 ater lang und 120 breit) 



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Viertes Kapitel. Die Sonnenfahrt in der Unterwelt. 49 

sind zu durchfahren in diesem Raum, ehe die Sonne sich naht 
den Göttern des Duat. Net-Ra (Becken des Rä) ist der Name 
dieses ersten Gefildes des Duat. Rä teilt zu die Felder des Rau- 
mes den Göttern, die sich in seinem Gefolge befinden, er beginnt 
befehlende Worte zu sprechen, welche anordnen die Verhältnisse 
der Duat-Götter in Bezug auf dieses Gefilde. Wenn man dieses 
darstellt nach Maßgabe dieser Erscheinung, welche ist in der 
Ämenti des Duat (d. h. wenn uian die in dem Duat thatsächlich 
vorhandenen Verhältnisse abbildet), wenn man kennt diese Bilder, 
die gleichen dem großen Gotte selbst, dann wird der, der dies 
Ihut, glänzend sein auf Erden in der That, dann wird er glän- 
zend sein in dem großen Duat. Usemt hät-u x^ft-u Rä „Ver- 
nichterin der Stirnen der Feinde des Rä** ist der Name dieser 
ersten Stunde der Nacht, welche leitet diesen großen Gott in 
den Raum.*' 

Die Ausgabe mit Abbildungen giebt zunächst mit unbedeu- 
tenden Abänderungen den gleichen Text, dann aber stellt sie den 
Raum dar, den die Sonne in dieser ersten Nachtstunde betrat. 
In der Mitte läuft ein Wasserstreif, auf dem eine Barke schwimmt. 
In der Kabine steht aufrecht, das Zepter in der einen, das Zeichen 
des Lebens in der andern Hand, mit den Widderkopf, über dem 
die Sonnenscheibe sich erhebt, der Sonnengott, Äf-Rä „das 
Fleisch des Rä", nicht mehr Rä selbst, denn dieser ist gestorben, 
wohl aber sein Fleisch und Blut, denn Rä ist auch in seinem 
Leibe unsterblich. Aus diesem Grund hat die Gestalt das Leben 
in der Hand, das ihm auch nach dem Tode verblieb, das Zepter 
aber führte er als Herr der Unterwelt. Den Widderkopf trägt er, 
weil es sich nicht um den reinen Sonnengott Rä handelt, der 
sperberköpfig auftreten müßte, sondern um seine thebanische 
Form Amon-Rä, deren irdische Incorporation ein Widder war. 
Vor der Kajüte stehn Äp-uat „der Eröffner der Wege", eine Form 
des Gottes Anubis, die ebenso wie die Seelen der verstorbenen Men- 
schen so auch die des Rä in die Unterwelt einzuführen hatte; 
dann Sa, der Gott des Geschmackes und Wissens, und eine weib- 
liche Gestalt mit den Kuhhörnern und der Sonnenscheibe, die als 
Herrin der Barke bezeichnet wird. Hinter der Kabine stehn der 
sperberköpfige Hor-hekenu, der Stellvertreter des Rä auf dieser 
Fahrt, der Ka des Su, also der Ka einer Form des Sonnengottes, 
der ebenso wie der Ka des Menschen mit in die Unterwelt her- 

Dr. A. Wifideraann: Die R6litri<>n d«»r alt«n .\ optier. 4 



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5() Die Religion der alten Ägypter. 

absteigen mulate, hier aber neben HjI ein selbständiges Dasein 
führte, wenn er auch in seiner Nähc^ verblieb: dann Nehes ,der 
Wächter*' ^ Hu „der Schlager** (V) und der Lenker des Schiffes, 
der das Steuerruder in seiner Hand hält. 

Vor der Barke schreiten zwölf Gottheiten; an ihrer Spitze 
der Wächter der Stunden, ein Messer in der Hand; dann eine 
Schlange; vier Kasten, auf denen je ein Menschenkopf sitzt, welche 
die Rede des Osiris, des Aeper, des Tum, des Rä heißen, also 
für die verkörperten Worte dieser Gottheiten, die individuelle 
Selbständigkeit erlangt hatten, galten; dann kommt der widder- 
köpfige große Erleuchter, wohl eine Form des Sonnengottes selbst, 
die man von ihm abgelöst hat; dann die löwenköpflge treue Ge- 
nossin der SonnC; die Göttin Se^et oder, wie sie hier auch heißt, 
Sej^met; dann der, der in der Ämente weilt, die mumicnfömiige 
Gestalt des Osiris mit der Krone von Oberägypten auf dem 
Haupte; ein mit einem Messer bewaffneter menschlicher Gott „der 
Zerschneider"; endlich die beiden Göttinnen der Wahrheit, Wahr- 
haftigkeit und Gerechtigkeit. Der Begleittext wiederholt in etwa 
die einleitenden Worte, macht nur den einen bemerkenswerten 
Zusatz, der Fluß, auf dem der Gott fahre, sei derUrnes, was mit 
dem griechischen Uranos naturgemäß nichts zu thun hat, die 
Sonnenbarke sei die Sekti- Barke. Die Größe dieses Unterwell- 
teiles wird hier abweichend von obiger Angabe auf eine BriMlo 
von 220, eine Länge von 800 Äter veranschlagt, eine Abweichung, 
die zeigt, wie wenig consequent die Ägypter bei solchen Angaben 
in religiösen Dingen waren. Vermutlich hatten verschiedene 
Schriftsteller die Größe der Unterwelt sich verschieden berechnet 
und haben die Zusammensteller des Textes es für besser gehalten, 
die verschiedenen Lesarten nebeneinander aufzuführen, als sich 
der Gefahr auszusetzen, vielleicht die unrichtige allein ihrem Werke 
einzuverleiben. 

Unter dieser Darstellung des Gottes und seiner Begleiter 
befinden sich die Gestalten, welche dieselben in dem Raum der 
ersten Stunde erwarteten, Rä aber nur hier begleiteten und zn- 
rückblieben, wenn er den Raum verließ. Es sind 10 Gottheiten, 
welche teilweise Schlangen als Zepter tragen und drei lange 
Schlangen mit gefleckten Körpern. Dann folgt eine Barke, in 
deren Mitte ein Skarabäus schwebt, der als „dieser Rä** bezeich- 
net von zwei Osiris genannten Männern angebetet wird, es ist 



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Viertes Kapitel. Die Sonnenfahrt in «ler Unterwelt. 51 

die Anbetung der Sonne durcli die Verstorbenen, die das Bild 
symbolisiert. Eine Inschriftszeile über der Darstellung besagt 
etwa: „Dieser Gott (Rä) durchschreitet diesen Raum in Gestalt 
eines Widders. Wenn er ihn durchschritten hat, dann steigen 
nicht mit ihm auf (zu den andern Stunden) die Toten, die in 
.seinem Gefolge sind, sie bleiben stehen in diesem Räume, Rä 
aber giebt Befehle (zu Gunsten der Toten, denen er Felder ver- 
leiht) den Göttern, welche in diesem Räume weilen.** Die Toten, 
von denen hier die Rede ist, sind Menschen, deren Seelen gleich 
nach dem Absterben forteilten nach der Öffnung, die am west- 
lichen Himmel sich befand und durch die Rä in die Unterwelt 
einzog. Sie folgten dem Gölte hierher auf seinem Zuge, aber 
damit war auch ihre Laufbahn abgeschlossen, nur besonders Aus- 
orwählte, die das Buch von dem, was ist in der Tiefe, kannten, 
durften in die Sonnenbarke steigen und in ihr weiter fahren, alle 
übrigen blieben hier zurück, mitnehmen durfte Rä dieselben nicht. 

Auf dem linken Ufer des Urnes saßen neun Hundskopfaffen „die 
Thüröffner dieser großen Seele**, also Wesen, welche sobald die 
Sonne im Westen angelangt war, ihr die Pforten des ersten 
Stundenraumes erschlossen. Jeder derselben wird mit einem 
Namen bezeichnet; „der Öffner der Erde", „die Seele der Erde", 
„das Herz der Erde**, „das doppelte Herz der Erde**, „der der erbhckt 
Rä**, und andere sitzen da nebeneinander. Dann erscheinen 12 
weibliche Gottheiten „die da preisen auf Erden", die also dem 
Gotte Lobgesänge darbrachten in dem Augenblicke, in dem er 
von der Erde in die Unterwelt einging. Ihre Namen sind die der 
12 Tagesstunden, die hier Abschied von Rä nahmen, um an den 
Osthimmel zurückzukehren und dort die neue Sonne zu erwarten. 
Nun folgen neun hockende Götter, je drei mit Menschen-, mit 
Schakal- und Sperberkopf, „die Götter, die da anbeten Rä**; an 
sie schließen sich 12 Göttinnen an „die geleiten den großen Gott** ; 
wie ihre Namen beweisen, sind sie die zwölf Nachtstunden, die 
nunmehr statt der Tagesstunden die Führung der Sonne über- 
nehmen. 

Das rechte Ufer des Urnes zeigt zunächst wieder 9 Hunds- 
kopfaffen „die da sprechen die Lobpreisungen des Rä** ; dann 
kommen 12 Uräu.s.schlangen, die Feuer speien und damit die Fin- 
.sternis der Unterwelt erhellen, sie sind „die Göttinnen, die da er- 
leuchten die Finsternis im Dual"; die folgenden 9 Männer „prei- 

4* 



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o2 Die Reliffion der alten Ägypter. 

sen den Herrn des Götterkreises", also wiederum Rfi; und die 
1:2 sich anschlielsenden Göttinnen „lieben Lobpreisungen dem Ua, 
wenn er durchzieht den Urnes." 

Hiermit schließt die Schilderung des ersten Raumes der 
Unterwelt. Ist RA an sein Ende gelangt, so öffnet sich eine Thür, 
er tritt ein in den Bereich der zweiten Nachtstunde, in der er 
seinen Weg auf dem Urnes fortsetzt; die Götter in seiner Barke 
bleiben im allgemeinen die gleichen, aber die Gestalten, die ihn 
außerdem begleiten, werden andere und vor allem die Dämonen, 
die an beiden Seiten des Urnes hausen, wechseln fortwährend. 
Es kann keinen Zweck haben, dieselben im einzelnen zu be- 
trachten, der Gesamtcharakter zeigt gegen die erste Stunde, deren 
Schilderung die Art und Weise, wie sich die Ägypter ihr Duat 
ausmalten, genügend gekennzeichnet haben wird, nur darin eine 
Änderung, daß die Zahl der Dämonen immer mehr wächst, sie 
nehmen immer merkwürdigere Formen an, immer häufiger treten 
aus Menschen- und Tierleibem zusammengesetzte Gestalten auf. 
Jede Figur trägt einen besondern Namen ; es wurde vorausgesetzt, 
daß der tote Ägypter dieselben alle auswendig wußte oder 
doch einen Papyinistext bei sich führte, in dem er sie nachlesen 
konnte, falls er nicht bei Lebzeiten Sorge dafür gelragen hatte, 
daß, wie im Grabe Seti I, ein Reisehandbuch für das Duat an 
den Wänden seines Grabes aufgezeichnet ward. 

In jedem Teile der Unterweit ließ Rä einige seiner Begleiter, 
die er von der Oberwelt mitgebracht hatte, zurück, indem er 
ihnen, wie dies bereits in der ersten Stunde geschah, Felder zu- 
teilte, die sie bebauen durften. Der Gott verfuhr dabei ebenso 
wie der irdische König, der auch seine Getreuen dadurch be- 
lohnte, daß er ihnen Felder übergab zum Entgelt für geleistete 
Dienste und zur Ermunterung zu künftiger Treue. Der Pharao 
mußte dies thun, um bei den separatistischen Neigungen, die das 
ägyptische Volk nie verloren hat, Empörungen zu vermeiden oder 
doch sich in allen Nomen treu ergebene, von ihm abhängige 
Anhänger zu verschaffen. Ebenso verfuhr der Gott in eigenstem 
Interesse, er war es zwar, der den Bewohnern der Unterwelt bei 
seinem Durchzug Licht spendete, andererseits aber vermochte er 
allein nicht die Dämonen der Finsternis zu besiegen, er brauchte 
dazu Bundesgenossen, und diese fand er außer in einer Reihe 
von guten im Duat lebenden Dämonen, in den Toten, die er hier 



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Vierte? Kapitel Die Sonnenrahrt in der Unterwelt. 53 

ansiedelte und die wie irdische Vasallen an den ihnen verliehenen 
Grund und Boden gefesselt waren. Hier erwarteten dieselben 
Kä, um ihn und üsiris, der in einigen Angaben dieser Texte 
Kd gleichgestellt wird, gegen die Äpep-Schlange, die die Finsternis 
vei-sinnbildlicht, zu unterstützen. Nach andern Andeutungen 
trennte man Osiris gelegenthch von Ka und sah hi ihm den im 
Duat bleib<inden Herrscher der Toten, ein Widerspruch, der be- 
weist, daü in diesen Texten nicht mehr eine einheitliche Lehre, 
sondern bereits eine Verschmelzung verschiedener Gedankenreihen 
vorliegt. Ehie weitere wieder andersartige Gottheit, deren Gestalt 
in die Darstellung verflochten wird, ist Sokaris, als dessen Bereich 
besonders das Gebiet der vierten und fünften Stunde gilt. In 
dem letztern dieser Räume fand Rä bei seiner Durchfahrt den 
Skai-abäus A'epera vor, den Gott der neuen Morgensonne, der 
hier die Barke bestieg, um dem toten Gotte der gestrigen Sonne 
bis zum Osthorizonte das Geleite zu geben, wo dann seine eigene 
Herrschaft beginnen sollte. 

Der sechste und siebte Raum waren vor allem Osiris ge- 
weiht. In ersterem hausten zahlreiche mit seinem Mythus ver- 
knüpfte Wesen, Isis, der Ibis, ein Horus, verschiedene Erschei- 
nungsfonnen des Osiris selbst. Außerdem weilten hier in einer 
großen Kammer die Könige von Ober-Ägypten ; diejenigen die reich 
sind an Opfergaben, also die Vermögenden, denen ihre Nachkom- 
men viele Opfer darbrachten; die Könige von Unter-Ägypten und 
die verklärten Geister. Ihnen verheißt der Gott, sie sollten ihre 
Felder behalten, ihre Herrschaft weiter ausüben, die magischen 
Formeln, die sie erlernten, benutzen können, die ihnen darge- 
brachten Opfergaben auch wirklich ei+ialten. In der siebten 
Stunde legt sich die Schlange l^Iehen „die Umspannerin'* um die 
Kajüte des Rä; hier gilt es den schwersten Kampf gegen die 
Äpep-Schlange, die zuletzt glücklich besiegt und mit Messern 
durchbohrt wird, während die Sonnenbarke auf Beschwörungen 
der Isis hin sich von selbst fortbewegt. In diesem, dem siebten 
Räume, stehen vier Kästen, die z. T. mit Sand gefüllt sind und 
außerdem die Gestalten des Tum, Aeperä, Ra und Osiris enthal- 
ten; je eine mit einem Messer bewaffnete Göttin bewacht sie, die 
als besonders wirksame Talismane im Jenseits galten, und auf 
den Ruf des Rä hin zu seiner Hülfe aufgetaucht zu sein scheinen. 
Daneben erblickt man Schlangen ^ die ihre Flammen gegen die 



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M DiV Religion der alten Äjrypter 

Feinde des Osiri«? sclileudem und die Seelen der Feinde des 
(iotles fressen, Stern- und Stundengötter. 

Im neunten Räume spieen zwölf üräusschlangen Feuer, so 
lange Uä hier weilte, um seinen Weg zu erhellen; sobald er vor- 
beigezogen war, fraüen sie die Flammen wieder auf um sie nach 
Verlauf von 23 Stunden wieder von sich zu geben. Ihr Feuer 
traf die Feinde des Rä und sie lebten vom Blute derer, die sie 
jeden Tag töteten. In der zehnten Abteilung, hi der Aeperas 
Geburt dargestellt wird, im Gegensatz zu der oben erwähnten 
Stelle, die ihn bereits in der 5. entstehen lieli, findet sich haupt- 
sächlich Wasser und dessen Bewohner. Von dem 11. Räume 
t'ührle ein geheimer Gang nach Sais hin, der von zwei Formen 
der Göttin Neith, die eine mit der Krone von Ober-, die andere 
mit der von Unterägypten bewacht wurde. Er sollte wohl der 
\eith von Sais, die als Mutter des Rh galt, die Möglichkeit ge- 
währen, aus ihrer Stadt in die Unterwelt zu gelangen um hier 
die Sonne zu gebären. In der Nähe brannten groUe Feuer, in 
denen unter Aufsicht des Homs die Feinde des Rä verbrannt 
wurden. Im 12. und letzten Räume endlich entsteht die neue 
Sonne in ihrer irdischen Form, sie gewinnt neues Leben und 
wird von dem Gotte Su am Horizonte des Himmels emporge- 
hoben, mit ilir treten hier an das Tageslicht die Seelen derjenigen 
Toten, denen es durch ihre Kenntnisse der magischen Formeln 
gelungen ist, in der Sonnenbarke zu verbleiben und in ihr das 
ganze Duat zu durchfahren, sie sind jetzt bei Rä und untrennbar 
mit ihm verbunden, ohne darum ihrer Individualität verlustig 
zu gehen. 

Es ist eine ganz eigenartige Vorstellung vom Jenseits und 
der Unsterbhchkeit, die in diesem Texte vorliegt; eine Lehre, die 
sich um den toten Rä gnippiert und in die Teile der Sokaris- 
und Osiris -Lehre eingeflochten sind. Der Osiris, der dabei auf- 
tritt, ist aber nicht der des Totenbuches, der später zu behandeln 
sein wird, er ist ein Sonnengott geradeso wie Sokaris, der auf- 
gefaßt wird bald als Nebenform des RA, bald als Beherrscher 
eines Teiles der Rä gehörenden Unterwell. Unsterblichkeil besaü 
auch nach dieser Anschauungsweise jeder Mensch, aber nur der 
Freund des Rä hatte Aussicht darauf, Felder im Duat zu erhal- 
ten, deren Ertrag ihn vor Hunger schützte; jeden Tag sah er 
eine Stunde lang die Sonne, die übrige Zeit war er in Nacht 



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Viertes Kapitel. Die Sonnenfahrt in der Unterwelt. 55 

getaucht, dii' höchsleiis durcli feuerspeiende Schlangen oder die 
Flammenmeere erhellt ward, in denen die Feinde des Kd ver- 
brannt wurden. Jubelnd begrüßte er das Licht, wenn sein Gott 
erschien, aber sein Glück war kurz, nach einer Stunde schloß sich 
das Thor hinter der Sonne, er blieb in Finsternis zurück. Selbst 
Könige und Reiche traf dieses Los, wenn ihr Schicksal auch 
dadurch, daß ihre Nahrung ihnen ohne Arbeit zufloß, ertraglicher 
ward. Nur wenige konnten ewig bei der Soime bleiben, es waren 
dies nicht die Mächligen dieser Erde, auch nicht die besonders 
Guten, es waren die, welche am genauesten Bescheid im Jenseits 
wußten, die sich am besten auf Zaubereien verstanden. Die 
ganze Lehre entspringt demnach einem Glauben an die Macht 
der Magie, nur durch diese sind Dämonen zu besiegen, nur durch 
sie ewiges Glück zu erlangen; der Gedanke, durch tugendhaften 
Lebenswandel dieses verdienen zu können, tritt ganz zurück, das 
Einzige, worauf man in diesem Leben in dieser Beziehung zu 
achten hatte, war kein Feind des Rä zu sein. 

Das zweite in den Königsgräbern auftretende, der Sonnen- 
fahrt gewidmete Werk, das Buch von den Thoren, entspricht in 
seinen Grundgedanken der eben besprochenen Schrift; vor allem 
stellt es den Zustand der Toten im Jenseits in gleicher Weise dar, 
als ein Leben in Finsternis, in die täglich nur eine Stunde das 
Licht der Sonne dringt. Eine Lücke hat es aber ausgefüllt, die 
das Am-Duat darbot, es hat das Gericht des Osiris über 
Gute und Böse eingefügt. Dasselbe findet statt in einem Saale, 
der sich zwischen der 5. und G, Stunde befindet; hier sitzt üsiris 
auf seinem Throne, auf dessen Stufen neun Gottheiten, der Götter- 
kreis des Osiris stehen. Vor Osiris befindet sich die Wage, auf 
der der Mensch gegen seine Thaten abgewogen werden soll. Jen- 
seits steht Anubis, der in der Osirisreligion den Toten in die 
Gerichtshalle brachte, hier aber imr als Zuschauer auftritt. Der 
Ik'gicittext meldet, daß alle Feinde des Osiris niedergeworfen und 
vernichtet sind, und die Vernichtung wird in der Weise angedeu- 
tet, daß man in einer kleinen Barke einen HundskopfalTen, also 
den Gott Thoth, erblickt, der mit einem Stocke ein Schwehi „den 
Fresser des Armes*, d. h. den Gott Set, den Feind des Osiris 
aus der Halle heraustreibt und ihn aus der Gemeinschaft der Ge- 
rechten stößt. 

In der nun folgenden r». Stunde wird der Erfolg der Ge- 



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56 Die Religion der alten Ägypter. 

rirhlsscciic vcTanscIiaulicht, die (jiTochten bebauen das Feld, 
wahrend die Bösen an Pfähle angebunden, ihrer Bestrafung harren, 
die teilweise erst in der 8. Stunde durch Feuer und Wasser er- 
folgt. Die Ackerscenen erinnern in manchem an die Gefilde Äalu 
der Üsirisreligion , doch fehlt diesen Feldern das Licht, das in 
Äalu reichlich leuchtet. 

Eine ahnlich melancholische und doch wieder in manchem 
abweichende und an griechische Vorstellungen erinnernde Auflassung 
des Lebens nach dem Tode zeigen vereinzelte Texte, die dasselbe 
als ein Schattendasein schildern. So rult auf einer Stele des 
britischen Museums ••) eine verstorbene Frau ihrem Gatten zu: „O 
mein Bruder, mein Gemahl, höre nicht auf zu essen und zu trin- 
ken und den Becher der Freude bis auf die Neige zu leeren, die 
Liebe der Frauen zu genießen und Feste zu feiern. Diene täglich 
deinen Begierden, gönne der Sorge keinen Raum in deinem Her- 
zen, so lange du lebst auf Erden. Denn, was die Ämenti betriflft, 
so ist das das Land des Schlummers und der Finsternis, eine 
Wohnung der Trauer für die, die dort weilen. Sie schlafen in 
ihren körperlosen Gestalten, sie wachen nie wieder auf, ihre Brü- 
der zu sehen, sie erkennen weder Vater noch Mutler, ihr Herz ist 
gleichgültig gegen Weib und Kind. Auf Erden genießet ein jeder 
das Wasser des Lebens, ich aber leide DursL Das Wasser kommt 
zu dem, der auf Erden weilet, ich aber dürste nach dem Wasser, 
das mir nahe ist. Ich weiß nicht wo ich bin, seit ich an diesen 
Ort kam. Ich schmachte nach den Wassern, die an mir vorüber 
fließen. Ich weine nach dem Luftzuge am Ufer des Flusses, daß 
er mein Herz in seinem Kummer laben möge. Denn der Name 
des Gottes, der hier herrschet, ist „Vollkommener Tod**. Er ruft 
einen jeden und alle Menschen kommen, seine Gebote zu erfüllen^ 
und nahen sich ihm zitternd vor Furcht. Er macht keinen Un- 
terschied zwischen Göttern und Menschen, vor ihm sind die Großen 
den Kleinen gleich. Man scheut sich ihn anzm-ufen, denn er er- 
höret kein Gebet. Niemand kommt ihn anzubeten, denn er ist 
denen, die ihn verehren, nicht gütig, er achtet nicht auf die Opfer, 
die ihm dargebracht werden.** 

Den Anfang des Buches von den Thoren bildet das Eingelm 
der Sonne in die Unterwelt; sie naht sich in ihrer Barke in Ge- 
stalt einer Sonnenscheibe, um die eine Schlange sich .schlingt, einem 
Thale, das von zwei sandigen Höhen begrenzt wird. An der einen 



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Viertes Kapitel. Die Sonnenfahrt in der Unterwelt. 57 

Seite steht eine Standarte mit dem Kopie eines Widders, des 
Tieres, in dessen Gestalt der Gott im Jenseits ersclieineii wird; 
an der andern Seite trägt die Standarte den Schakalkopf und er- 
innert an Anubis, der die tote Sonne einführen soll in das jen- 
seitige Land. Vor jeder Standarte knieen 2 Geister, der des Duat 
und der des irdischen Berglandes, also der beiden Gegenden, die 
an dem Unterweltsthore zusammen stoßen. Das Thal wird abge- 
schlossen durch eine einfache Thür, die sich auf eine Beschwö- 
rung hin dem Rä öifnet, der damit in den ersten Stundenrauni 
gelangt und dort widderköpfige Gestalt annimmt. Die hier hau- 
senden Dämonen sind gerade so wie die in den andern Räumen 
in dem Texte ausführlich beschrieben, in der Mitte ist immer der 
Fluß, auf dem die Sonne dahinfahrt, begleitet von ihren Genossen ; 
rechts und links an den sandigen Ufern stehen die Geister, aber 
während die Anordnung als solche der des Äm-Duat entspricht, 
sind die Einzelheiten, die Dämonennamen, die Bilder und Texte 
durchweg andere. Es ist eine gleiche Grundlage benutzt, aber 
in ganz anderer Weise behandelt worden, zwei ganz abwei- 
chende Vorstellungen vom Jenseits haben sich gebildet, zwischen 
denen dem Ägypter die Wahl so schwer fiel, daß er sie bisweilen 
beide in seinem Grabe darstellen ließ. 

Schon die Trennung der 12 Stundenräume ist eine anders- 
artige. Im Äm-Duat genügte zu dem Zwecke eine einfache Thüre, 
hier hat sich dieselbe außer bei der ersten Stunde an eine Fes- 
tungsanlage verwandelt. Eine Mauer schließt den Raum ab, nur 
ein enger Pfad führt hinein, durch den man in einen Gang ge- 
langt, der zwischen zwei mit Zinnen versehenen Mauern läuft 
und einen rechten Winkel bildet, um so einem Feinde das Ein- 
dringen möglichst zu erschweren. An beiden Enden steht je eine 
Mumiengestalt, an dem rechten Winkel hängen zwei feuerspeiende 
Schlangen, die ihre Glut durch den Gang laufen lassen. Neun 
Götter lehnen außerdem noch als Verteidiger an der Wand. Nur 
mit Hülfe von Beschwörungen konnte Rä selbst den Engpaß 
durchfahren; hatte sein Fährmann dieselben ausgesprochen, so 
öffneten die Mumiengestalten ihm ihre Arme, die Schlangen hör- 
ten auf Feuer zu speien und eine große Schlange, die am Ende 
des Ganges die Thür zum nächsten Räume bewachte, öffnete 
dieselbe. Kaum hatte sie aber RA durchschritten , so traten alle 
Dämonen wieder ihre Wache an. Trotz all dieser Verteidigungs- 



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58 Die Religion der alten Ägypter. 

maßregeln jedoch war der Gott in den Räumen nicht in Sicher- 
heit, alle Augenbhcke traf er Feinde, vor allem die Äpep-Schlange, 
die er besiegen mußte. 

Beachtenswert ist endlich noch der Schluß des Textes, der 
weit genauer als das Äm-Duat die Geburt der neuen Tagessonne 
schildert. Wenn die letzte Thür der Unterwelt, die das Ende der 
12, Stunde bildet, zugefallen ist, dann herrscht angstvolles Seuf- 
zen unter den Seelen, welche weilen in der Ämenti, die in Fin- 
sternis zurückbleiben; an der Thüre aber sitzen Isis und Nephthys 
in Gestalt zweier Uräusschlangen, um den jungen Sonnengott zu 
schützen, wie sie ja auch Hoius, den Sohn der Isis, schützten. 
Vor der Pforte breitet sich ein Gewässer aus, das Urgewässer Nu, 
aus dem nach einer Mythe alles entstand, aus ihm mußte Kä 
sich erheben und dies geschah dadurch, daß der Gott dieses Ge- 
wässers ihn samt seiner Madet- Barke mit seinen Armen in die 
Höhe hob. In der Mitte des Schiffes beiludet sich Ra selbst in 
Gestalt des Skarabäus, die Sonnenscheibe auf dem Haupte, neben 
ihm stehen schützend Isis und Nephthys; hinten in der Barke außer- 
dem Seb, äu, der Gott Hek, der die Zauberformeln kennt, und 
zwei Steuermänner. Vorn im »Schiffe erblickt man die drei Off- 
ner, die die Tagesthore geöffnet haben und die vei-schiedenen 
Pforten am Oberhimmel erschließen sollen. Von der andern 
Seite her richtet sich Nut empor, die Göttin des Tageshimmels, 
und empfängt die Sonne: sie steht auf einer kreisförmigen Gestalt, 
die mit ihren Füßen ihien Kopf berührt und die als der Osiris, 
der das Duat umschließt, bezeichnet wird, der Tageshimmel er- 
hebt sich hier über dem Nachthimmel, das Reich der Nut über 
dem des Osiris. 

Mehrfach war auf den vorhergehenden Seiten hervorzuheben, 
daß diese Texte nicht eine reine Lehre wiedergeben, daß in die- 
selbe vielmehr manche Züge des ursprünglich von ihr unabhän- 
gigen Osirisglaubens eingedrungen sind; dasselbe Verhältnis wech- 
selseitiger Beeinflussung hat auch bei letzterem stattgehabt und 
im Totenbuche, dem grundlegenden Texte der Osirisreligion, fin- 
den sich auf Schritt und Tritt Züge, die mit dieser an und für 
sich nichts zu thun hatten, ja oft geradezu in Widerspruch zu 
ihr stehen, sie sind teilweise den Texten über die Sonnenfalul 
in der Unterwelt entlehnt worden. So findet sich in dem oben 
wiedergegebenen fünfzehnten Kapitel des Totenbuches das Duat 



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Fünftes Kapitel. Die wichtigsten Göttergestalten. r)9 

genannt, das Ra erhellt, die Äpep-Schlange Irilt auf und ähnliches 
nielir; Beispiele synkretislischer Neigungen, denen auch hier iVeies 
Spiel gelassen worden ist. 



Fttnftes Kapitel. 

Die wichtigste» (iSttergcstalten. 

Die ägyptischen Tempel wurden als solche, wie ihre In- 
schriften zeigen, im allgemeinen nur der einen Gottheil geweih', 
deren Incorporalion das Heiligtum bewohnte, der die Haupt- 
gebete , die groüen Opfer und die wichtigern Feste galten. 
Dieselben Inschriften zeigen aber, daß dieser Gott nicht allein 
stand. Neben ihm wurden in fast allen Heiligtümern andere Gott- 
heiten, die i^fol Ovvraoi der Griechen, verehrt, die mit ihm einen 
Kreis bildeten, der gewöhnlich in der Weise angeordnet war, daß 
die Mitgötter in naher verwandtschaftlicher Beziehung zu dem 
Tenipelgotte standen. Die Zahl der Gottheiten pflegt drei zu sein 
und entstehen auf diese Weise die sogenannten Triad'^n, zu denen 
meist zwei männliche und ein weibliches Wesen gehören; letzte- 
res ist die Gattin des einen Mannes, mit der derselbe den zweiten 
männlichen Gott erzeugt hat. Dieser Sohn ist dem Vater gleich, 
er ist bestimmt, an dessen Stelle zu treten, wenn der Vater nach 
dem Naturgesetze, dem auch die Götter unterworfen sind, altert 
und stirbt. So wird er der Vater selbst und in diesem Sinne 
können die ägyptischen Texte von ihren Göttern sagen, sie seien 
ewig, denn sobald ein Götterindividuum verschwindet, tritt ein 
zweites ihm genau Gleiches an seine Stelle. In diesem Sinne hat 
auch der Gott sich selbst erzeugt, er hat in seiner Stellung als 
Vater den ihm entsprechenden Sohn gebildet ; und so wird der 
Gott zum Gatten seiner Mutler, indem er nach dem Tode des 
Vaters auch seiner bisherigen Mutler, der weiblichen Gottheit ge- 
genüber, in alle Rechte eintritt und nun seinerseits mit ihr den 
neuen Göttersohn erzeugt, der berufen ist, einst ihn zu ersetzen. 
So wird ein stetig weiter wirkender Kreis gebildet, der die Dauer 
der Göttlichkeit und daneben die Selbständigkeit jedes Gölter- 
Individuums festhält. Eine Lücke in ihm entsieht nur durch die 
Behandlung der weiblichen Gestalt, für welche entsprechend dem 
Geschick der männlichen gleichfalls ein Altern, Absterben und 



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60 Die Reli^'on der alten Ägypter. 

Eiselzlwerdcn tinlrcteii uiüüle. Die allägyplische Lehre enthält 
keine hierauf bezügh'che Angaben , was darin begründet ist, daß 
in der Götterwelt die Göttin überhaupt kaum eine Rolle spielt; 
sie gebiert den neuen Gott und erzieht denselben, aber abgesehen 
von Isis, die für die Triaden nicht weiter in Betracht kommt, 
besitzt keine weibliche Gestalt eine klar umgrenzte Persönlich- 
keit, in den Mythen werden dieselben meist übergangen und im 
Kulte vernachlässigt. Die Inschriften nennen nur ihre Namen, 
bezeichnen sie als Mütter, Ernährerinnen, Schützerinnen, ohne 
charakterislische Züge hinzuzufügen. 

Triaden der eben geschilderten Art bilden Amon, Mut und 
Aunsu in Theben; Ptah, Se^et und Imhetep in Memphis; Sebäk, 
Ilathor und Aunsu in Koni Ombo u. s. f. An andern Orten tre- 
ten andersartige Dreiheiten von Göttern auf. In einer Reihe von 
Tempeln hat man entsprechend den Triaden drei Gottheiten ver- 
ehren wollen, da aber der Hauptgott keine fest und klar gekenn- 
zeichnete Familie besaß, so hat man sich damit begnügt, die 
Dreizahl festzuhalten, die Beziehung der Drei zu einander dagegen 
vernachlässigt. So erscheinen in den Kataraktengegenden A'nuni, 
Sati und Anuke, wobei die zwei letztgenannten Göttinnen dem 
Anum nur deshalb zur Seite gestellt wurden, weil sie in der be- 
trefifenden Gegend die Hauptrolle spielten und man sie daher in 
den Tempeln mit vertreten zu sehen wünschte. 

Der Begriff der Triade ist durch Verdreifachung derselben 
enveitert worden zur Enneade, zur Götterneunheit. In einer sol- 
chen ist nicht die Verwand! schaft das verbindende Band, sondern 
ein staatliches Verhältnis, der Hauptgott ist der Herr und König, 
die andern bilden seinen Hofstaat, der ihn bei der Herrschaft der 
Welt unterstützt und daher auch Anteil hat an den Ehren, die 
dem Gotte zu teil werden. Der Gedanke an diese Neunerkreise 
ist ein uralter; schon früh hat der Begriif Götterneunheit seine 
Grundbedeutung verloren und ist gleichbedeutend mit Götterkreis 
geworden. In den Märchen ergeht sich der Gott mit seiner Götter- 
neunheit und wird dabei ganz allgemein an seine Umgebung ge- 
dacht, und in mehreren Texten wird die Götterneunheit eines 
Tempels aufgeführt und stellt es sich dabei heraus, daß dieselbe 
aus nur acht Göttern bestand. 

Mancher Tempel begnügte sich nicht mit einer Götterneun- 
heit, sondern hatte deren zwei, „die große und die kleine", die 



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Fünftes Kapitel. Die wichtigsten Gftttergestalten. CA 

höhere und die niedere; man sprach sogar bisweilen in der Mehr- 
zahl von den Götterneunheiten , um die Gesamtheit der Vereh- 
i-ungswesen zu kennzeichnen. Bei der Auswahl der Neunheiten 
haben keine tiefern Gedanken obgewaltet, dieselben bestehen aus 
den wichtigsten Gottheiten Ägyptens , an deren Spitze der jewei- 
lige Nomosgott tritt. 

Ein verhältnismäßig junger Gedanke ist es gewesen, das Ne- 
beneinanderstehen verschiedener gleichartiger Gottheiten in ein und 
demselben Götterkreise, welches häufig vorkommt, dadurch zu ver- 
meiden, daß man die betreffenden Götter gerade so wie irdische Könige 
nach einander herrschen ließ und ihnen dann auch den Titel ei- 
nes Königs von Ober- und Unter-Ägypten beilegte. So sollten 
sieh nach einer heliopolitanischen Tradition gefolgt sein: Ätmu, 
Ra, Su, Seb, Osiris, Set, Horus; während in Memphis Ptah, in 
Theben Amon-Rä an erster »Stelle stand. Großen Anklanges hat 
sich diese Lehre nicht zu erfreuen gehabt; es lag auf der Hand, 
daß sie die Hauptschwierigkeit, welche die ägyptische Götterauf- 
fassung darbot, nicht lösen konnte, durch das angebliche Aufein- 
anderfolgen der Herrschaft der einzelnen Gestalten wurde das 
gleichzeitige Fortwirken derselben in der jeweiligen Gegenwart 
nicht beseitigt. Die Theorie blieb daher nur auf einzelne Prie- 
sterschulen beschränkt, ohne je in das V'^olk einzudringen. 

Naturgemäß können von den unzähligen Gottheiten, welche 
die Inschriften nennen, im Folgenden nur diejenigen hervorgeho- 
ben werden, welche am häufigsten auftreten und den Ägyptern 
selbst als die wichtigsten erschienen, und auch von ihnen kann nur 
das Notwendigste gesagt werden, eine Aufzählung aller Gestallen 
und Behandlung ihrer Eigenheiten würde Bände füllen. 

Amon, Mut und Aunsu bilden, wie bemerkt, die Triade von 
Theben, dem Diospolis der Griechen, der Stadt, welche von der 
elften Dynastie an bis tief in das neue Reich hinein die Haupl- 
stadt Ägyptens war, aus der die bedeutendsten und kriegerisch- 
sten Herrscher des Landes hervorgingen und aus deren Tempeln 
und Gräbern der größte Teil des Materiales entnommen ist, das 
der ägyptologischen Forschung zur Behandlung vorliegt. In Folge 
dessen besitzt man für die Verehrung der thebanischen Götler 
eine lange Reihe von Texten. Man muß sich aber wohl hülcMi, 
aus deren großer Zahl einen Schluß auf die Bedeutung des Amon 
in Ägypten überhaupt zu ziehen. Zwar haben die Theben ent- 



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*\2 Die Heligion der allen x\gypter. 

stammenden Pharaonen gesucht, den Kult ihres Gottes in ihrem 
«ganzen Reiche einzuführen und es ist ihnen dies auch insofern 
gelungen, als er in den meisten groüen Heiligtümern Aufnahme 
fand, aber er ward darum noch nicht der Hauplgott und muüte 
sich gewöhnlich mit einer bescheidenen Rolle neben den OHs- 
göllern begnügen. 

Der Xame des Gottes Amen bedeutet „der Verborgene", die 
(irundbedeutung der Gestalt wird nicht überliefert. In den vor- 
liegenden Texten tritt der reine Gott Amon sehr selten auf, ihn 
ors(»lzt die xMischform Amon-Rä, in der Amon zu einem Sonnen- 
golte geworden ist, was er ursprünglich kauni war, eher ist auf 
Grund des Namens, der von demselhfen Stamme sich ableitet, wie 
die Bezeichnung Ämenti für den Westen und die Unterwelt, an 
einen Totengott zu denken, wofür freilich zwingende Beweise feh- 
len. Wo in späteren Texten Amon allein erscheint, wird überall 
an Amon-Rä gedacht, die ursprüngliche Bedeutung scheinen die 
Ägypter selbst vergessen zu haben. In der spätesten Zeit ward 
Amon-Rfi zu einer pantheistischen Gottheit und klügelte man aus 
dem Namen „der Verborgene" vielerlei heraus , er galt als die 
geheimnisvolle, alles erschaffende und alles erhaltende Kraft, die 
man in der Sonne an erster Stelle verkörpert glaubte. Dieser 
pantheistische Gedanke lag gerade bei Amon-Ra um so naher, 
als bereits ältere Texte ihn in fast monotheistischer Weise als 
(l(»n Schöpfer des Alls und seinen Herrn gepriesen hatten, wobei 
sie ihre Beweise und Vergleichungspunkte von der Sonne, die al- 
les vvänut und erleuchtet, zu entlehnen pflegten. Besonders in 
Hymnen findet dieser Gedanke seinen Ausdruck. 

Man hat aus dieser Ausdrucksweise und aus Stellen, in de- 
nen es heißt, Gott bezw. ein Gott — das unbestimmte Pronomen 
ein wird im Ägyptischen meist nicht ausgedrückt — wird gelobt, 
Gott kennt den Bösen, Gott giebt ein Feld, Gott liebt den Gehor- 
san)en u. s. f. oft geschlossen, es sei darunter der wahre, ewige 
Gott zu verstehen. Dies ist jedoch nicht ohne weiteres möglich; 
dieselben Texte, die diese Angaben machen, sprechen daneben 
von einzelnen Gottheiten und zeigen, daß der Schreiber bei dem 
Worte Gott nur an seinen eigensten Gott dachte, an den Gott 
seines Nomos, den neter nu-ti „den zur Stadt gehörigen Gott*, wie 
ihn die Texte nennen, der für ihn eine alles umfassende Macht war, 
die aber darum das Bestehen anderer, für andere Menschen wich- 



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Fünftes Kapitel. Die wichtigsten Götter^est alten. GH 

tiger höherer Mächte nicht ausschloJa. Osiris, Horus, Thoth, Ra- 
Tum-Harmachis, Ptah-Tanen, der Nil, Anion-Ra und andere wer- 
den in den Texten als einzige Gölter gepriesen, ohne dala man 
daraus weitergehende Schlüsse auf eine tiefergehende Gotteserkonnt- 
nis ziehen dürfte. Wenn aber derartige Ausdrücke an und für sich 
keinen Beweis darbieten können für eine ursprüngliche und von Zeit 
zu Zeit dem ägyptischen Volke wieder zum Bewußtsein kommende 
reine, monotheistische Gotteserkenntnis, so kann man ebenso we- 
nig aus den Inschriften den Beweis erbringen, daß eine solche 
nicht vorhanden gewesen ist. Immer wieder und wieder muß den 
Versuchen, die ägyptische Religion als Belegmittel bei der Erör- 
terung dieser Frage bald für die eine, bald für die entgegenste- 
hende Ansicht heranzuziehn , gegenüber betont werden, daß dii^- 
selbe nach diesen Richtungen hin bisher keinen Anhalt gewährt. 
Nie darf man vergessen , daß erst ein kleiner Teil des aus dem 
alten Ägypten erhaltenen Materiales vorliegt, vieles deckt noch 
die Erde, vieles ruht noch unerforscht in den verschiedenen 
Sammlungen; besonders für die Herausgabe religiöser Texte ist 
äußerst wenig geschehen. Erst wenn solche in größerer Zahl in 
zuverlässigen Durcharbeitungen vorliegen , erst dann wird sich 
vielleicht über den tiefern Kern und den Ausgangspunkt des bun- 
ten Gewirres, das man. jetzt als ägyptische Religion bezeichnet, 
etwas beweisen lassen, bis dahin muß alles Vermutung bleiben. 
In der ägyptischen Religion ist eben, wie in allen andern Dingen, 
unser Wissen Stückwerk. Unter solchen Umständen sollte ma'n 
aber auch nicht, wie dies die sogenannte kritische Schule so gerne 
tliut , aus dem Schweigen des unzulänglichen vorhandenen Mate- 
rialos Schlüsse auf die Unzuverlässigkeit der nichtägyptischon 
Überlieferung, welche bestimmter bisher durch die Inschriften nirht 
belegter Gedankenkreise und Thatsachen gedenkt, ziehen. Zahl- 
reiche derartige mit großer Sicherheit vorgebrachte Behauptim- 
gon hat die genauere Durchforschimg der Inschriften bereits als 
irrtiimlich erwiesen, andere können jeden Tag durch einen glück- 
lichen Fund widerlegt werden. Wissenschaftlicben Gewinn erge- 
ben nur die Angaben der Inschrillen, nicht ihre zufilHigen Lücken. 
Der längste, schönste und zugleich lehrreichste der erhalte- 
nen Hymnen auf Amon-Rä findet sich in einem jetzt in Kairo 
anlbewahrlen, unlerderi^O.Dynaslie niedergeschriebenen Papyrus '"). 
Derselbe ist als poetisches Werk gedacht und sind die einzehien 



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<>4 Die Heligion der alten Ägypter. 

Verszeilen durch rote Punkte abgeschlossen, was im Folgenden 
durch Zeilenabteilung wiedergegeben werden soll. Die Anordnung 
der Gedanken, der Parallelismus der Glieder erinnert vielfach an 
die Art der Zusammenstellung der Psalmen, mit deren Wortlaut 
sich, selbstverständlich abgesehen von der andersgearteten Auf- 
fassung der Gottheit, auch manche Sätze fast vollständig decken. 
Der Text lautet: 



Preis sei Amon-Rä, 
«lern Stiere in Heliopolis, dem Ober- 
sten aller GöUer, 
dem gütigen, sehr geliebten Gölte, 
tler da giebt Leben durch allerhan«! 

Nahrungsmittel und durch 
alles schöne Vieh. 
Preis sei Dir, Amon-Rä, Herr der 

Throne der Welt, 
weilend in Theben, 
GaUe Deiner Mutter, der da weilt in 

in seinen Gefdden, 
der dahin schreitet in den Landern 

des Südens, 
Herr der Libyer, Fürst von Arabien, 
Fürst des Himmels, Thronfolger auf 

Erden, 
iler Herr, welcher giebt Bestand den 

Dingen, Bestand allen Dingen. 

Einzig ist er in seinen Formen in- 
mitten der Götter, 

iler .schöne Stier der Neunheit der 
Götter, 

der oberste aller Götter, 

der Herr der Wahrheit, der Vater der 
Götter, 

der Bildner der Menschen, der Schöp- 
fer des Viehs, 

der Herr des Seienden, der Schöpfer 
tler Obstbäume, 

der Bildner des Grases, der leben läßt 
das Vieh, 

iVie schöne Gestalt, gebildet von Ptah, 
der Jüngling, der schön ist durch 
Liebe. 

Ihm geben die Götter Preis, ihm, 



ilem Schöpfer des Untern und des Obern, 
der erleuchtet 

die Erde, der belehrt den Oberhimmel 
in Frieden 

als König von Ober- und Unterägyp- 
ten, Rä, der Selige, der Oberste 
der Welt, 

iler -Große an Tapferkeit, der Herr des 
Schreckens, 

der Oberste, der Schöpfer der Enle 
in allen ihren Gestalten, 

der mehr Gedanken hervorbringt als 
irgend ein Gott (?). Es freuen sich 
die Götter wegen seiner Güte, 

man giebt ihm Lobge.sänge im Temi)el 

und führt ihn aus in feierlichem Zuge 
aus dem Flammenbause. 

Es lieben die Götter seinen Geruch, 
wenn er kommt aus Arabien, 
der Große des Thaues, der Libyen 

durchläuft, 
der schön kommt aus dem Lamle 

Nord-Arabien. 
Wie Hunde umwedeln die Götter seine 

beiden Füße, 
wenn sie erkennen Seine Majestät als 

ihren Herrn, 
einen Herrn der Furcht, einen Großen 

des Schreckens, 
einen Großen an Geist, einen Erhabe- 
nen an Einsicht (?), 
einen Erfrischer der Gaben, einen 

Schöpfer des Überflusses. 
Lobpreis sei Dir, Schöpfer der GöU er, 
der Du in die Höhe hobst den Hinmiel, 
der Du nie»lord rücktest die Erde. 
Pause. 



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t^unfles Kapitel. t)ie wichiigäten Göltei-gesialten. 



6ft 



Gesund sich erhebender, Xem-Amon 
(Amon als Schöpfer), 

Herr, der Ewigkeit, Schöpfer der Un- 
endlichkeit, 

Herr der Lobpreisungen in Theben, fest- 
stellend seine Hnrner, schön von 
Angesicht, 

Herr der Uräuskrone, Erhabener in 
Bezug auf seine Federn, 

Schöner in Bezug auf sein Diadem, 
Erhabener in Bezug auf die 
Krone von Unterägypten, die 
Königsbinde mit den beiden 
Schlangen ist seine Größe. 

Gekrönt ist er im Palaste mit der Se- 
jret-Krone, dem Nemmes-Diadem 
und dem XepereS-Helm. 

Prächtig ergreift er die Atefkrone, 

liebend ihren Süden und ihren Norden 
(die beiden durch sie symboli- 
sierten Hälften Ägyptens\ 

Als Herr der Ausdehnung (Macht ?^ 
ergreift er das Ames-Scepter, 

als Herr des Schutzes besitzt er die 
Geißel, 

ein schöner Fürst, den man sieht mit der 
weißen Krone von OberSgypten. 

Als Herr der Strahlen schafft er die 
Helligkeit. 
Eis geben ihm Preis die Götter, 

seine beiden Hände geben dem der ihn 
liebt, . 

er richtet zugrunde seinen Feind mit 
Feuer, 

sein Auge nämlich wirft zu Boden den 
Bösen. 

es wirft seine Lanze auf den Fresser 

des Ozeans (die Apep Schlange), 

es läßt verzehrt wenlen die böse 

Schlange. 

Preis sei Dir, RA, Herr der Wahrheit, 

Verborgener in Deinem Grabe, Herr 
der Götter! 

Xepenl in seiner Barke, 

er befahl in Worten und es entstanden 
die Götter. 
Dr. A« Wiedemann: Die Eeligion der alten 



Tum, der bildete die denkenden Wesen 
alle, so viele ihrer sind, der sieleben ließ, 
der unterschied die Gestall des einen 

von der des andern, 
der sie erhört, wenn einer flehet im 

Unglück, 
der freundlichen Herzens ist gegen ilen, 

der ihn anruft 
Er errettet den Furchtsamen aus der 

Hand dessen, der stolzen Herzens 

ist, 
er beurteilt den Armen, den Armen 

. und den Mächtigen. 
Er ist der Herr des Erkennens, Über- 
fluß ist auf seinen Lippen. 
ErkommtalsNil zu denen, die ihnlieben, 
ein Herr der Süßigkeit, ein Großer an 

. Liebe^ 
Er läßt leben die denkenden Wesen, 
er öffnet jegliches Auge. 
Gebildet ist er aus dem UrgewAsser Nu, 
schaffend die Lichtsirahlen. 
Es freuen sich die Götter seiner Schön 

heiten, 
sie leben, wenn sie ihn sehn. 

Pause. 

O Rä, angebeteter in Theben, großer 
an Glanz im Benben-Hause, 

Ani (Feststehender), Herr des Festos 
am Dten des Monats, 

dem man feiertdasFest des Oten Monats- 
tages und das des Mondviertels. 

Fürst, dem Leben, Heil und Gesund- 
heit sei! Herr der Götter! 

Erblickt wird er weilend am Horizonte. 

über allen Menschen, die da unten sintl : 

verborgen (amen), ist sein Name sei- 
nen Sprößlingen 

in Folge dieses seines Namens Amen 
(der Verborgene). 
Preis sei Dir, der in Ruhe ist! 

Herr der Freuden, Erhabener der 

Kronen, 
Herr der Uräuslvrono, Erbal)enor beider 

Federn. 

Ägjpter. 5 



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66 



Die Religion der alten Ägypter. 



Schöner der Binde, Erhabener der 
weißen Krone. 

Es lieben die Götter Deinen Anblick, 

wenn die Se/et-Krone auf Deiner Stirn 
sich erhebt. 

Die Liebe zu Dir geht durch die Welt, 

Deine Strahlen glSnzen aus Deinen 
Augen, schön für die Menschen 
ist Dein Aufgang, 

matt werden die Tiere, wenn Du mit 
voller Kraft leuchtest. 

Sie lieben Dich am Himmel des Südens, 
angenehm bist Du am Hirpmel 
des Nordens. 

Deine Schönheit erobert die Herzen, 

Deine Liebe macht sinken die Arme 
(man kann sie nicht entsprechend 
preisen). 

Deine schönen Schöpfungen lassen sin- 
ken die Hände, 

die Herzen vergehen bei Deinem Anblick. 
Du einzige Gestalt, die alles Seiende 
erschuf. 

Alleiniger, einziger, Schöpfer alles Be- 
stehenden ! 

Hervorgehn die Menschen aus seinen 
beiden Augen, 

es wurden die Götter auf seinen Befehl, 

er erschuf die Kräuter, damit lebe das 
Vieh, Ochsen, Zielen, Esel, 
Schweine, Schafe, 

und die Obstbäume für die Menschen, 

er läßt leben die Fische in den Gewäs- 
sern, 

und die Vögel unter dem Himmel. 

Ergiebt Odem denen, welche sind im Ei, 

er läßt leben die Heuschrecken, 

or l)elebt das Geflügel, das da ist, 

die Reptilien und Vögel und in glei- 
cher Weise, was dazu gehört. 

Er schafft Korn für die Ratten in ih- 
ren Löchern, 

erläßt leben die Vögel auf jedem Baume. 
Preis sei Dir wegen dieser Freuden ! 

Einer, ein Einziger, hast Du viele 
Arme. 



Ruhend wachst Du, während alle 

schlafen, 
suchend das Gute für alle Deine Ge- 
schöpfe. 
Amon, der Du feststellst alle Dinge, 
Tum und Harmachis! 
Dich preisen die Geschöpfe, indem sie 

alle sagen: 
Lobpreisung sei Dir, der Du ruhest, 

wo wir sind; 
Huldigung sei Dir, der Du uns erschufst! 

Preis sei Dir durch alle Tiere, 
Lobpreisung sei Dir durch jedes I^nd, 
so hoch der Himmel ist, so weit die 

Erde ist, 
so tief das Meer ist. 
Die Götter verneigen sich vor Deiner 

Majestät, 
sie erheben den Geist ihres Schöpfers, 
sie freuen sich, wenn Du Dich nahsl, 

der sie erzeugte, 
sie sprechen zu Dir: „Komme inFrieilen, 
Vater der Väter aller Götter, 
der Du erhobst den Himmel, <ler Du 
niederdrücktest die Erde". 

Bildner des Bestehenden, Schöpfer 

des Seienden, 
Fürst, dem Leben, Heil und Gesund- 
heit sei. Oberster der Götter, 
Wir preisen Deinen Geist, dieweil Du 

uns bildetest. 
Deine Geschöpfe sind wir, da Du uns 

gebarst 
Wir preisen Dich , weil Du. unter uns 

ruhest. 
Preis sei Dir, der Du erschufst alles 

Seiende, 
Herr der Wahrheit, Vater der Götter, 
Schöpfer der Menschen, Erschaffer des 

Viehs, 
Herr des Getreides, 
der leben macht das Vieh des Landes, 
Amon, .schöner Stier, 
geheilter in Theben, 
Großer des Glanzes im Hause Benben, 
hinzunehmend das Diadem inHeliopolis, 



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Fünftes Kapitel. Die wichtigsten GAttergest alten. 



«17 



der Du schlichtetest den Streit der bei- 
den Brüder (Horus und Set) in 
der großen Halle (zu Heliopolis, 
wo Rä nach einer Legende das 
endgültige Urleil in dem Kampfe 
der beiden Gegner sprach). 

Oberster der großen neun Götter. 
Er ist einer, ein einziger, nicht giebt 
es seinesgleichen, 

er wohnt in Theben, 

er ist Ani unter «len neun Göttern, 

er lebt von Wahrheit jeden Tag. 

Als Harmachis im Osten 

schafft er das Land voll Silber, Gold. 

echtem Lapislazulifördie, die ihn lieben: 

lialsam und Weihrauch gemischt für 
die Libyer, 

weißen Weihrauch für deine Nase, 

wenn er kommt nach Libyen. 

A mon-Rä, Herr der Throne der Welt, 

der Du weilest in Theben, 

Ani in Deinem Heiligtume! 

Pause. 

König ist er, wenn er allein ist, ebenso 

wie inmitten der Götter, 
mit vielen Namen, deren Zahl man 

nicht kennt, 
auf geht er am Horizonte des Ostens, 
unter geht er am Horizonte des 
Westens, 
nieder wirft er seine Feinde, 
sorgend für den Tag an jedem Tage, 
am Morgen der Geburt jeden Tages. 
Es erhebt Thoth seine Augen, 
er senkt sie vor seinem Glänze. 
Es freuen sich die Götter wegen seiner 

Schönheiten, 
es erheben ihn die in Anbetung Be- 
findlichen (die Ra verehrenden 
Hundskopfaffen). 
Herr «ler Sekti- und der Madel- Barke, 
«lie Dir umfaßt der himmlische Ozean 

Xu in Frieden. 
Deine Schiffsgenossen freuen sich, 
wenn sie niedergeworfen seil n d ie Bösen. 



Des Bösen Glieder frißt das Schwert, 

die Flamme verzehrt ihn, 

er wird zur Rechenschaft gezogen we- 
gen seiner Missethat, 

dieser Böse, den seine Beine retteten. 
(Anspielung auf Apep, der be- 
siegt, aber nicht vernichtet wurde, 
und an einem Tage in die Flucht 
geschlagen, am nächsten seinen 
Angriff auf die Sonne erneuerte). 

Die Götter sind in Freude, 

dieSchiffsgenos.sen des Ru sind in Ruhe. 

Heliopolis ist in Freude, 

niedergeworfen sind die Feinde des Tum. 

Theben ist in Frieden, Heliopolis in 
Freude. 

Die Uräusschlange ist erfreuten Herzens, 

da niedergeworfen ist der Feind ihres 
Herrn. 

Die Götter von Babylon (bei Memphis) 
preisen ihn, 

die Bewohner von Letopolis verehren 
ihn. 

Siesehen Dich mächtig in Deiner Macht 

als den wahren Fürsten der Götter, 
den Herrn von Theben, 

in Deinem Namen „Schöpfer der Wahr- 
heit, Herr des Oberflusses, Stier 
der Opfer*, 

in Deinem Namen ., Amon, Stier Deiner 
Mutter, 

Schöpfer der Menschen. 

Schaffer und Bildner alles Bestehenden", 

in Deinem Namen als „Tum- Xeperd*. 

Als großer Sperber, dessen Leib man 
Feste feiert. 

Schön gesichtiger, de.ssen Auge (der 
Sonne) man Feste feiert. 

Deine Gestalt ist gebildet viele Ellen 
hoch, 

es fliegen die beiden Schlangen vorn 
an Dir. 

Es kriechen vor Dir die Herzen der 
Men.schen, 

i's gehn heraus für Dich die Erleuchteten, 
5* 



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68 Die Religion der alten Ägypter. 

es feiert Dich die Welt, wenn Du er- „Vollendet ward dies Werk 

scheinst. in Frieden, 

Preis sei Dir, Amon-HA, Herr der wie es vorgefunden wurde"* (regelmä- 
Throne der Welt, ßige Schlußformel ägyptischer 

es liebt Deine Stadt Deinen Aufgang. Texte, entsprechend dem mittel- 

alterlichen „ejcplicit feliciter*). 

Abgebildet wird der Gott Amon-Rfi gewöhnlich als eine 
menschliche Gestalt mit dem Scepter oder auch dem Zeichen des 
Lebens in den Händen, auf dem Kopfe die Sonnenscheibe und 

zwei lange steife Federn m, die sich entweder über einer den 

Kopf eng umschließenden Krone ^' oder den Widderhörnern ^ 

erheben. Die Farbe des Gottes ist blau, wohl als die Farbe dos 
blauen Himmels, in dem er als Sonnengott herrschte. Die Wid- 
derhörner erscheinen als sein Kopfputz, da er sich in Theben in 
einem Widder verkörperte. Daher liegen hier längs der Straßen, 
die zu seinem Tempel führen, Riesenbildnisse von Widdern, der 
heiligen Tiere des Gottes, die den Zugang zu seinem Heiliglumo 
bewachen. Die Ehrfurcht vor dem einen Widdergott übertrnpr 
man in Theben allmählich auf alle Widder, die man nicht schlach- 
ten durfte; die Gottheit hatte diese Gestalt gewürdigt, ihr als 
Hülle zu dienen, ihre Verletzung mußte als Sünde gelten. Von 
Theben aus gelangte der Kult des widderköpfigen Amon nach 
der Oase Jupiter Amon, wo man denselben mit einem ursprüng- 
lich semitischen, in Gestalt eines Steines verehrten Gotte verschmolz 
und von hier drang der Kult weiter über das Meer nach Grie- 
chenland, wo sich mehrere Tempel des Amon erhoben. In dem 
ganzen Bereiche der griechisch-orientalischen Welt ward der Gott 
bekannt durch Alexander den Großen, der sich als Sohn des 
Jupiter-Amon begrüßen und seine eingebogenen , um die Ohren 
gesclilungenen Hörner auf seinen Bildnissen, besonders auf Mün- 
zen, anbringen ließ. Die orakelgebende Kraft, die die Macht des 
Amon in der Griechenwelt begründete, besaß er auch in seiner 
Heimat Theben; hier zog man ihn, wenn es sich darum handello, 
beispielsweise den Verüber eines Diebstahls zu entdecken, zu Rate. 
Die thebanischen Könige sahen in ihm, den sie als Herm des 
Himmels und der Throne der Welt, als König der Götter anrie- 
fen, ihren steten Berater. Er sandle sie in den Krieg, er kämpfte 
mit ihnen in der Schlacht, er versclinffle ihnen den Sieg, ihm 



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Fünftes Kapitel. Die wichtigsten Göttergestalten. 69 

ward daher auch ein Hauptteil der Beute abgeliefert. Bei wich- 
tigem Fragen, selbst bei Testamentbestimmungen, suchten sie 
seine Ansicht zu erkunden, Urteile wurden von ihm bestätigt, wer 
sich den betreffenden Satzungen widersetzte, auf den fiel der Fluch 
der Gottheit. 

Die Inschriften berichten den Verkehr des Königs mit dem 
(Jotle in der Form, da£^ der König vor den Gott tritt, und seine 
Frage, die die Antwort gleich in sich schließen muß und nur mit 
Ja oder Nein zu beantworten ist, vorlegt, der Gott nickt dann be- 
jahend mit dem Kopfe oder schüttelt ihn verneinend. Man hat 
dabei oft an Statuen des Gottes gedacht, deren Bewegungen die 
Priester mittels Seilen geleitet hätten. Allein derartige Statuen 
haben sich im Nilthale nirgends gefunden und solche Einrichtun- 
gen hätten nur dann einen Sinn gehabt, wenn man das Volk 
hätte täuschen wollen, was hier dadurch ausgeschlossen erscheint, 
daß der König insgeheim und allein mit dem Gotte zu verkehren 
pflegte. Thatsächlich wird der König vor dem heiligen Tiere, 
welches der Gott selbst war, erschienen sein und dieses that in 
seinen Bewegungen seinen göttlichen Willen kund. 

Mut ist die Gattin des Amon-Rä, die Fürstin der Götter, die 
Herrin des Himmels, das Auge des Rä, als dessen Tochter sie in 
der Stadt Samhud galt. Ihr Hauptverehrungsort war Äser, worun- 
ter der südlich von dem großen Reichstempel zu Kamak an ei- 
nem heiligen See gelegene, von Amenophis III. errichtete Mut- 
Tempel zu verstehen ist. hi diesem Tempel haben sich zahl- 
reiche von seinem Gründer und später von dem Könige Scheschonk, 
dem Sisak der heiligen Schrift, geweihte löwenköpfige Statuen 
der Göttin gefunden. Die Zahl derselben w^ar so groß, daß sie 
zum Teil bereits im Altertume in andere Heiligtümer übergeführt 
wurden und daß noch jetzt fast jedes größere Museum derartige 
Statuen besitzt. In den Reliefs tritt Mut weit häufiger in mensch- 
licher Gestalt auf. Das Wort mut selbst bedeutet die Mutter und 
deutet demnach auf die mütterliche Stellung der Göttin in der Triade 
hin, gerade so wie die ideographische Schreibung ihres Namens mit 
dem Bilde eines Geiers, welcher, wie noch Horapollo, der in rö- 
mischer Zeit ein uns in griechischem Auszug erhaltenes Werk 
über die Hieroglyphen schrieb, wußte, das Zeichen für Mutter 
bildet. — Zuweilen wird statt Mut eine andere weibliche theba- 
nische Gottheit genannt, die Ämen-t, doch ist dies keine ursprüng- 



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70 Die Religion der alten Ägypter. 

liehe GeslaJl, üoiiduni, wie dchoii die ßilduug des Namens zeigt, 
eine künstliche Schöpfung. Darzustellen pflegt man dieselbe als 
Frau mit der Krone von ünterägypten, zuweilen reicht sie gerade 
so, wie dies Mut thut, dem jungen Könige die Brust. Daß sie 
aber Amon noch naher steht als Mut selbst, das zeigt ihre Vor- 
führung als eine Göttin mit Widderkopf, also ganz in der Art 
und Weise ihres Gemahles. Mit der Göttin Ämenti (griechisch 
Amenthes), der Personification der Unterwelt, hat diese Ämen-l 
nichts zu thun. 

Aunsu ist zunächst ein Mondgolt und wird als solcher in 
seiner Thätigkeit fast völlig dem Thoth, mit dem er gelegentlich 
in llermbpolis und Edfu zu einem Gotte A'unsu-Thoth verschmilzt, 
gleichgestellt; auch sein Name, der vom Stamme ;(ns ^durchlau- 
fen" abzuleiten ist, spielt auf seinen Zusammenhang mit dem Ge- 
stirne an. Ihn denkt man sich als Gott mit dem Sperberkopfe, 

auf dem Haupte die Mondsichel und die Sonnenscheibe ü?, welche 

letztere beide Symbole allen Mondgottlieilen , Thoth, dem reinen 
Mondgotte Äh und andern eigenen. Sein großer Tempel in Theben 
zwischen dem Amon- und dem Muttempel gelegen , ward von 
Kamses III. begonnen und dann von den Königen der 21. Dyna- 
stie ausgeschmückt. Um etwa die gleiche Zeit scheint sich die 
in der Bentrest- Stele mit großem Nachdruck betonte Zerlegung 
des Aunsu in zwei selbständige Fonnen, vollzogen zu haben, 
in die des Aunsu in Theben, des schön ruhenden, welcher bereits 
in sehr alten Texten genannt wird, und in Aunsu, den Ausführer 
der Pläne, der sich in Inschriften vom Anfange der 26. Dynastie 
wieder findet. 

Von den Griechen wird Aunsu bisweilen dem Herakles vei- 
glichen, keinenfalls in dem Sinne, daß man letzteren als Mondgott 
aufgefaßt hätte, eher noch könnte Aunsu als Sonnengott gegolten 
haben. Es wird nach dieser Richtung hin wenigstens beruhtet, 
daß er in Kom-Ümbo die Mischform Aunsu-Hor, in Theben die 
Aunsu-Su und Aunsu-Rä bildete, also gelegentlich einen solaren 
(Charakter annehmen konnte, für den auch sein Sperberkopf 
spricht. 

Ment, Month, ist der zweile unter den großen Göttern, die 
im thebanischen Nomos Verehrung fanden; er wird hier an so 
vielen Orten, in einem großen Tempel bei Karnak, in Medamot^ 



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Fünftes Kapitel. Die wichtigsten Göttergestalten. 71 

Erment, dem diesem gegenüber liegenden Taud verehrt, daß der 
Gedanke nahe liegt, er sei der eigentliche Nomosgott. Da sein 
Name außerdem stammverwandt mit amen zu sein seheint, wäre 
es wohl mögKch, daß beide Götter ursprünglich identisch waren 
und ei-st später sich von einander abtrennten. Als Gott ist Ment 
vor allem Kriegsgott, er kämpft mit dem ägyptischen Heere in 
den Schlachten und verleiht dem Könige Kraft und Sieg. Später 
wird er gern mit dem Sonnengotte zu Ment-Rä verbunden und 
steht als solcher vom in der Sonnenbarke mit einer Lanze be- 
waffnet, um die sich der Sonnenfahrt widersetzenden Feinde zu 
erstechen. Als seine Gattin gilt in Ennent Rä-ta-ui, in Taud 
dagegen Änit oder Hathor. Das Bild des Gottes ist sperberköpfig, 

der Kopfschmuck der des Amon jf. Sein heiliges Tier war in 

Erment ein Stier, Bax, der Bacis der Klassiker, der als die le- 
bende Seele des Rä, d. h. als dessen Verkörperung bezeichnet 
»vird, ein Beweis, daß der Gedanke an diese Incorpation einer 
Zeit entstammt, in der die Verschmelzung von Ment und Rä be- 
i-eits durchgeführt war. Auch in Taud ward das Tier verehrt, 
denn hier erscheint der Gott mit seinem gewöhnlichen Kopfputze, 
aber mit Stierkopf und Stierhömern. Der Kult des Ment spielt 
in späten Texten eine große Rolle ; damals wurde Erment Haupt- 
stadt des thebanischen Gaues, seihe Götter damit dessen Nomos- 
götter; damals wurden auch an den Amon und seinem Kreis ge- 
weihten Tempehi zu Kamak zahlreiche auf Ment , oder richtiger 
Ment-Rä, bezügliche Inschriften angebracht. In altern Texten er- 
scheint der Gott sehr häufig, aber fast nur in Redensarten: der 
König war tapfer wie Ment, besiegte die Feinde wie Ment und 
ähnhches mehr, Ausdrücke, die für den Gott und seine Vereh- 
rung keinen Anhalt gewähren. Bisweilen ist er als der ägyptische 
Kriegsgott in einem gewissen Gegensatz zu Baal, dem semitischen 
Kriegsgotte aufgefaßt, und gilt es als Inbegriff aller Kraft, wenn 
Ment und Baal vereint einem Herrscher ihre Macht verleihen. 

Anum oder Anef, der besonders in der Umgegend der Nil- 
katarakten verehrte Chnumis oder Kneph der Griechen, bezeichnet 
seinem Namen nach den Bildner. Er gilt in vielen ägyptischen 
Texten als der Schöpfer, «der erschuf alles Seiende, der bildete 
das Bestehende, der Vater der Väter, die Mutter der Mütter**, ;,der 
erbaute die Menschen, der machte die Götter, der Vater war am 



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72 Die Religion der alten Ägypter. 

Arifan^'e-, „der Schöprer des IliniuieLs, der Erde, der Unterwelt, 
des Wassers, der Berge**, „der da bildete je ein Männchen und 
ein Weibchen der Vögel; der Fische, des Wildes, der Viehherden 
und allen Gewürmes." Den Menschen hatte er dabei auf einer 
Töpferscheibe gebaut und gedreht und glaubte man noch im 
neuen Reiche gelegentlich, der Pharao werde so gebildet; in dem 
Märchen baut einmal A'num auf Befehl des Rä-Harmachis ein 
schönes Weib „und alle (Jötter waren in ihr". Nach andern 
Texten hat er sich auch an der Weltschöpfung beteiligt, eine 
späte Inschrift aus Esneh berichtet, er habe erhoben den Himmel 
auf seine vier Säulen, er habe ihn ui die Höhe gehoben seit 
Ewigkeiten. 

Das heilige Tier des Gottes war der Widder und wird er 
daher gewöhnlich mit einem Widderkopf**), dessen Homer nach 

der Seite hin sich ausstrecken, dargestellt ^. In späterer Zeit 

wird A'num mit Rä combiniert und der heilige Widder zu Aba- 
ton bei Philae als die lebende Seele des Rä bezeichnet, während 
man in Heliopolis den Gott dem üsiris gleichstellte und den Wid- 
der hier als dessen Verkörperung verehrte; der leitende Grund- 
gedanke war dabei immer der an die Zeugungskraft des Tieptjs, 
die man in der sich stets erneuenden Natur und in dem sich 
nach dem Tode erneuenden Leben des Menschen wiederzuerken- 
nen glaubte. 

Bisweilen galt als Gattin des Widders die froschköpfige Göt- 
tin Hek-t, die auch als Form der Hathor und als Mutler des 
Aroeris galt. Über ihre eigentüche Bedeutung sind wir nicht un- 
terrichtet, so häutig sie auch in den Texten auftritt; besonders 
im alten Reiche rühmen sich die Großen gerne Propheten der 
Wahrheit und dieser Hek-t gewesen zu sein. In der Auferste- 
hungslehre spielte sie eine gewisse Rolle, wie ihr Erscheinen auf 
Särgen beweist und der Umstand, daß aus koptischer Zeit Lam- 
pen erhalten blieben, auf denen neben dem Bilde eines Frosches 
die Inschrift steht „ich bin die Auferstehung\ Die Gedankenver- 
bindung, die zu dieser Zusammenstellung führte, beruht vennut- 
lich auf der oft erwähnten Annahme .der Ägypter, die Frösche 
entständen aus dem Schlamm, den der Nil bei seiner Überschwem- 
mung befruchtete. Man wollte sogar beobachtet haben, wie ein- 
7.elne Tiere noch halb aus Lehm bestanden und nur zur Hälfte 



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Fünftes Kapitel. Die wichtigsten GöUergestalten.. 73 

ausgebildet waren. Hieraus ergab sich ein selbständiges Entstehen 
der Frösche aus der Erde und iu weiterer Durchführung des Ge- 
dankens der Beweis der Entstehung der ersten Lebewesen über- 
haupt im Nilthale. 

Häufiger als Hek-t erscheint neben A'nuni die Göttin Sati, 
welche mit ihm und Änuk-t die Triade von Elephantine bildet. 
Ihr Titel, Herrin des Himmels, Herrscherin der Welt, Oberin aller 
Götter, hat die Griechen veranlaßt, sie Hera zu identificieren, mit 
der sie thatsächlich nichts zu thun hat. In den bisher bekaimten 
Mythen spielt Sati, die manche Texte Tochter des Rä nennen, 
die eine Geierhaube, Kuhhörner und die Krone von Oberägypten 
trägt, keine Rolle. 

Änuk-t, grichisch Anuki, wird Hestia verglichen, wofür kein 
Grund ersichtlich ist; ihr Verhältnis zu dem Könige charakteri- 
siert ein Text mit den Worten: er war ein Sohn des Anum, ge- 
boren von Sati, ernährt von Änuk. Sie erscheint als Frau mit 
dem Zeichen des Lebens in der Hand und einer Federkrone auf 

dem Haupte "Jj. Schon dieser Federschnmck erinnert an barba- 
rische Negergottheiten, und in der Thal zeigt die scharfe Begren- 
zung ihres Kultes durch die Grenze Nubiens, daß man in ihr eine 
ursprünghch nubische Gottheit zu erkennen hat. Früher wollte 
man ihr durch ihren Titel, Herrin von Sati verführt, asiatischen Ur- 
sin-ung zuschreiben. Allein Sati bezeichnet nicht nur Asien, wie mau 
anzunehmen geneigt war, sondern auch den Hauptverehrungsort 
der Göttin, die Insel Sehet in der Nähe von Philae. 

Ptah, von den Griechen mit Phtha umschrieben und als 
llephaestos gedeutet, leitet seinen Namen wohl vom Stamme pleh 
, öffnen" , besonders „den Mund öffnen** ab. In den Inschriften 
scheint sich eine Beziehung dieses Namens zu einem Ereignisse 
der Mythologie nicht zu finden, dagegen berichtet der in ägypti- 
schen Dingen sehr gut unterrichtete Porphyrius, der Gott sei aus 
einem Ei entstanden, das dem Kneph aus dem Munde ging. Dar- 
gestellt wird Ptah als eine eingewickelte Mumie, an der nur 
Gesicht und Hände frei sind, in letzteren trägt er ein Szepter, als 

Fußschemel benutzt er das Zeichen der Wahrheit m , häufig hängt 
hinten an seinem Halse ein bisweilen fast wie eine Blume gestal- 
tetes Anhängsel herab ^, über dessen Sinn viel gefabelt worden 



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74 Die Religion der alten Ägypter. 

ist. Nach Ausweis genauer Darstellungen ist es nichts weiter als 
ein sog. menät, ein Gegengewicht, welches verhindern sollte, daß 
der Halsschmuck hinten zu stark in die Höhe rutsche, es entbehrt 
jeder liefern Bedeutung. 

In Memphis, wo Ptah mit Se;t^t und Nefer-Tum oder Imhe- 
tep die göttliche Triade bildete, gilt er als erster König Ägyptens 
und als Schöpfer der Welt. Dieser Stellung verdankt er seine 
Titel Vater der mächtigen Väter (der andern Gölter), Vater der 
Anfange, der ei*schuf das Sonnen- und Mond-Ei, in welch letzte- 
rer Thätigkeit ihn, bezw. die Mischform Ptah-Tatunen ein Relief 
in Philae darstellt. Er dreht daselbst nach dem Begleittexte auf 
einer Töpferscheibe das Ei der Sonne und des Mondes. Weiler 
heiüt er der Schöpfer seines eigenen Bildes, der sich selbst er- 
schuf; der die Wahrheit feststellte, der König beider Welten, der 
Herrscher des Himmels u. s. f. Im Tolenbuche wird berichtet, 
dal3 er vollziehe an dem Toten die Ceremonie des Mundöffnens, 
die er einst an den verstorbenen Göttern vollzogen hatte. 

Sehr häufig wird Ptah mit andern Göttern verbunden; so er- 
scheinen: Ptah-äten-en-pet »Ptah, die Sonnenscheibe des Himmels**, 
eui Sonnengott, von dem es heißt, er erleuchte die Erde mit sei- 
nen Strahlen; Ptah-Nu „der Vater der Götter **, eine Erscheinungs- 
form des Urgewässers; Ptah-Häpi „Ptah der Nih, der die Über- 
schwemmung sendet und in ihr seine schöpferische Kraft bewährt; 

Ptah-Tanen, in dem Ptah in Beziehung tritt zu dem ver- 
hältnismäßig selten allein erscheinenden Gotte Tanen oder Ta- 
tunen, der ein Erdgott und Doppelgänger des Seb gewesen zu 
sein schehit. Die Mischform ist häufig und gilt beispielsweise in 
Abusimbel als Vater des Königs Ramses II. Hier heißt es: ,So 
spricht Ptah-Tatunen, der die hohen Federn trägt, der vei-sehn 
ist mit zwei Hörnern , der da zeugt die (iötter an jedem Tage. 
Ich bin dein Vater, der dich zeugte als ein Gott, um dich zu ma- 
chen zum Könige von Ober- und Unterägypten an meiner statt. 
Ich übergab Dir die Länder, die ich erschuf." Das Bild des Got- 
tes, auf welches der Text anspielt, entspricht dem des Ptah, nur 
trägt es auf dem Kopfe zwei Hörner und zwei Straußenfedern 

i^, die Symbole der Wahrheit und der Wahrhaftigkeit, die der 

Gott besitzt. In der Hand hält er ein Szepter, seltener eine Geißel, 

J^, ist letzteres der Fall, so ist eine weitere Combinalion einge- 



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Fünftes Kapitel. Die wichtij?sten Gröttergestalten. 75 

treten und Ptali-Tatunen in Verbindung gebracht zu den sehr htäu- 
figen Mischrorrnen 

Ptah-^Osiris, Ptah-Sokaris oderPtali-Sokaris-Os^iris, den Ge- 
stalten, als deren Verkörperung der Apis-Stier zu Memphis galt 
und über die zahllose Texte vorliegen. Von den Göttern, die hier 
sich vereinen, ist Osiris der wohlbekannte Totengott, während 
über Sokaris, ägyptisch Seker, nur wenig zu bemerken ist, da 
derselbe fast nur in der Mischform auftritt und seine ursprüng- 
liche Natur fast ganz verloren hat. Er war zunächst ein Sonnen- 
gott, dessen Incorporation in der heiligen Barke hennu autbewahrt 

wurde. Diese letztere ^J erscheint als ein Schiff, das auf einem 



Postamente steht; sein Hinterteil ist gesclunückt. mit einem üa- 
zellenkopf, auf der Kajüte hockt ein Sperber mit der Sonnen- 
scheibe auf dem Haupte, das Bild des Sokaris selbst. Bei dem 
Feste des Gottes zog eine feierliche Prozession, in deren Mitte 
diese Barke getragen wurde, um die Mauern des Sokaris-Tempels. 
Am prächtigsten war naturgemäß die Feier in Memphis, doch 
fand sie auch in andere Heiligtümer Eingang, wobei mehrfache 
V^eränderungen angebracht wurden und man beispielsweise auch 
die Sekti-Barke mit herumtrug. Das Fest fiel in der Ptolemäer- 
zeit auf den Morgen des 2(). Choiak (22. December), während es 
in älterer Zeit Abends statt gehabt zu haben scheint. Es stand 
in Beziehung zur Wintersonnenwende „der kleinen Sonne**, wie 
die Ägypter sich ausdrücken. „Die Sonne ist groß als Horus, die 
Sonne ist klein als Sokaris" sagt ein Text, doch ist dieser Ge- 
danke verhältnismäßig jung und entstand in einer Zeit, in der 
man die verschiedenen Sonnengötter in ihren Individualitäten da- 
durch zu retten suchte, daß man jedem von ihnen eine Erschei- 
nungsform der Sonne, je nach der Tages- oder Jahreszeit zuschrieb, 
während ursprünglich Rä, Horus, Sokaris gleiche Bedeutung be- 
saßen und Sonneng()tter im allgemeinen waren. Daß es sich um 
eine Klügelei handelt, geht auch daraus hervor, daß man von an- 
derer Seite versuchte, Sokaris in anderer Weise von Rä zu tren- 
nen; man erklärte ihn für einen (iott der Nachtsonne und diese 
Deutung hat zu seiner Verbindung mit Osiris , dem Könige der 
Unterwelt, geführt. Das Bild des Sokaris ist gewöhnlich sperber- 
köpfig wie das des Rä, aber ohne die Somienscheibe auf dem 
Haupte, in der Hand pflegt er außer dem Szepter die Herrscher- 
zeichen des Osiris, Geißel und Hirtenstab, zu halten. 



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7ß Die Religion der alten Ägypter. 

Die oben j?enannteii Mischformoi) des Plah mit Osirls und 
Sokaris vereinigen die Eigenschaften aller drei Gestalten; die so 
gebildete Gottheit ist Weltschöpfer, Sonnengott und König der 
Toten, sie wird zu einem pantheistisch aufgefaßten Wesen, das 
alles beherrscht und umfaßt, und ähnliche Gedankengänge, wie 
die oben im Hymnus an Amon-Ra ausgesprochenen, knüpfen sich 
an sie. Der einzige Unterschied ist der, daß bei Ptah die Bedeu- 
tung für das Fortloben im Jenseits über die Sonnenrolle über- 
wiegt, während bei Amon-Ra das umgekehrte der Fall ist. 51 it 
dem griechischen Hephaestos hat er an und für sich nichts zu 
thuu; er ist nie, wie man aus der Gleichstellung hat schließen 
wollen, Gott des Feuers gewesen; die Zusammenstellung erfolgte 
wohl nur, weil er als Bildner galt und weil seine Kleidung an die 
eines Schmiedes erinnerte. 

Bei der Weltschöpfung war Ptah unterstützt worden durch die 
Chnumu „die Bildner**, die im allgemeinen als seine Kinder, spä- 
ter aber auch als solche des Rä galten. Es waren dies kleine, 
zwergartige Gestalten mit dickem Kopfe, krummen Beinen, über- 
mäßig langen Armen und einem langen Schnurrbart, die den 
Eindruck von Karikaturen machen und über die nach Herodots 
Bericht schon Cambyses, als er sie im Hephaestostempel zu Mem- 
phis erblickte, spottete. Ihre Thonbildnisse finden sich unzählige 
Male hl den Gräbern, dorm ebenso wie sie einst die Gottheit beim 
Weltbau unterstützten, so sollten sie derselben helfen, den Toten, 
in dessen Grab sie lagen, wieder aufzubauen in allen seinen 
Gliedern. 

Sex et gilt in Memphis als Gattin des Ptah und Mutter des 
Nefer-Tum oderlmhetep; sie wird als Frau mit einem Löwenkopfe 
und der Sormenscheibe, durch die sich die Uräusschlange windet 

^, vorgeführt und deckt sich im großen und ganzen in ihrer Be-^ 

deutung mit den übrigen mit Köpfen des Katzengeschlechts dar- 
geslelllen Göttinnen , mit den löwenköpfigen Tefnut, Mut von 
Theben, Pa/t von Speos Artemidos, der katzenköpligen Bast von 
Bubastis. Sie alle entsprechen der Kraft der Sonne, die von der 
milden Wärme bis zur versengenden Glut wechselt; so heißt es 
in Philae von der in dem betreffenden Texte alle weiblichen Gott- 
heiten umfassenden Isis-Hathor „freundlich ist sie als Bast, schreck- 
lich ist sie als Se/ef*. Se^et gilt als Besiegerin der Feinde der 



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Pönttes Kapitel. Die wichtigsten Göttergestalten. 7< 

Götter und trägt als solche ein Messer in der Hand; sie, die als 
Auge des Rä bezeichnet wird, war es, welche einst die Vernich- 
tung des Menschengeschlechtes auszuführen begann. 

Nefer-Tum, je nach den Lokalmythen ein Sohn der Se^et, 
Pa;rt oder Bast ist ein wenig bedeutender Gott, der im lotenbuche 
und in der Unsterblichkeitslehre auftritt. Seine Darstellung als 
ein Mann mit einer Lotusblume , dem Symbol der Auferstehung 
auf dem Haupte, soll auf die durch ihn verbürgte Fortdauer im 
Jenseits hinweisen. Wichtiger als er ist der häufig in der Triade 
von Memphis an seiner Stelle genannte 

Imhetep „der da kommt in Frieden", wie sein Name über- 
setzt lautet, von den Griechen Imuthes umschrieben und Asklepios 
gleichgestellt. Dargestellt als junger Mann mit einer eng anschlie- 
ßenden Mütze sorgt er in der Unterwelt mit für die Unsterblich- 
keit des Menschen, in der Oberwelt heilt er durch Medizin und 
Zauber und gilt überhaupt als ein gelehrter Gott, den man gerne 
abbildet mit einer Papyrusrolle halb aufgerollt auf den Knien, aus 
der er als der erste x^r-heb, d. h. als der erste der priesterlichen 
Beamten, die beim Totenkulte die Gebete und die magischen 
Formeln aussprachen, seine Sprüche abzulesen scheint. Seine 
häufig gefundenen Brunze-Statuen sind meist klein, zeichnen sieh 
aber durch geschmackvolle Ausführung aus; sie stammen fast alle 
aus der hellenistischen Zeit, in der der Kult des Imhetep in Ägyp- 
ten besonders beliebt war. 

Unter den ägyptischen Göttinnen wird von den Griechen häufig 
genannt Neith, welche in Sais mit Osiris und Horus zu einer 
Triade sich vereint ^^). Ihr Name erscheint bereits in den älte- 
sten Inschriften, doch spielte sie keine Rolle, bis durch die aus 
Sais stanmiende 2Gte Dynastie die Göttin mehr in den Vorder- 
grund trat, ohne daß es ihr freilich gelungen wäre, eine Bedeu- 
tung über das Delta hinaus zu gewinnen. Dargestellt wird sie 
als weibliche Figur mit grünem Gesicht und grünen Händen, was 
auf ihre Stellung als Göttin der Unterwelt hindeutet; in den Hi1n- 
den hält sie als Kriegerin gewöhnlich Bogen und Pfeile und die?; 
bewog die Griechen, sie Athene gleichzusetzen; ihre Krone ist die 

von Uuterägypten, ihr Ideogramm das Weberschiffchen M, das dio 

Libyer, deren Göttin ursprünglich Neith gewesen zu sein scheint, 
an ihren Gewändern eingewebt trugen. In der Mythologie ist sie 



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7'*^ Die Religion der allen Ägypter. 

Mutter der Götter, insbesondere des Rh und heißt daher Sais be- 
reits in der 18ten Dynastie der Sitz der Göttei-mütter. Später 
verschmilzt sie mit Isis und tritt in der Osirisniythe an deren 
Stelle. Die Neithfeste in Sais, die Herodot schildert, entsprechen 
den von den Denkmälern erwähnten allgemein ägyptischen Isisfesten. 
Ne^eb und Ua^^ werden oft in den Inschriften als die 
Sehutzgottheilen von Ober- und Unterägypten einander gegenüber 
gestellt. Von ersterer, die die Griechen der Geburtsgötlin Eilei- 
thyia vergleichen, die in El Kab ihren Hauptverehrungsort hatte 
und als Geier über dem Könige zu schweben pflegte, ist wenig 
bekannt, mehr von der als geflügelte Schlange oder auch als Frau 
dargestellten, besonders im Delta verehrten Ua.V, der Buto der 
Griechen, welche mit Leto zusammengestellt und als Spenderin 
von Orakeln gepriesen wird. In der Osirismythe gilt Buto als 
Beschützerin des Horus, den ihr Isis, während sie selbst nach der 
Leiche des Osiris suchte, zur Aufbewahrung übergeben hatte. 

Maä, die Tochter des Rä, ist die Themis der Griechen, die 
man als eine Frau mit der Straufsenfeder, dem Symbole der 

Wahrheit auf dem Haupte abbildete ifl. Sie ist die Göttin der 

Wahrheit und Gerechtigkeit und hat daher zuweilen verbundene 
Augen, denn die Gerechtigkeit urteilt ohne Ansehen der Person. 
In der Unterwelt erscheint sie bei der Wägung des Herzens, in 
den ältesten Texten wird sie erwähnt und gilt es als Ehre, ihr 
Priester sein zu dürfen, zu allen Zeiten erklären Könige und Göt- 
ter, von ihr und durch sie zu leben *^), eine mythologische Be- 
deutung hat sie jedoch nie besessen. — Ebenso wie sie wird häu- 
fig genannt, ohne einen Mythus zu entwickeln, 

Hathor „das Haus des Horus", wie man den Namen, der 

ideographisch mit einem Sperber, der in einem Hausplan sitzt 



geschrieben wird, wiedergeben müßte, die Göttin der Liebe und 
Freude, der zahlreiche Feste galten und deren prachtvoller Tem- 
pel zu Denderah fast unversehrt erhalten geblieben ist. Hier war 
sie der Inbegriff der Göttlichkeit,*alle andern Göttinnen sind Teile 
von ihr, die unter anderem Namen verehrt wurden, in Wahrheit 
ist es stets Hathor, der die Gebete gelten. Ursprünglich ohne 
Zusammenhang mit dieser Hathor ist eine gleichnamige Göttin, 
die als Herrin der Unterwelt gilt und der S(»elo dos Toten Was- 



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Fünftes Kapitel. Die wichtigsten Göttergestallen. 79 

ser aus dem Baume des Lebens heraus spendet und ebenso selb- 
ständig wäre» die 7 Hathoren, die in den Inschriften die Königin 
bei der Entbindung unterstützen und in den Märchen die Rolle 
unserer Feen spielen. Sie erscheinen nach der Geburt oder der 
Schaffung eines Wesens und verkünden demselben sein Schicksal, 
insbesondere seine Todesart. Hathor erscheint gewöhnlich als 
Frau, bisweilen trägt sie die Ohren, die Homer oder auch den 
Kopf der Kuh, ihres heiligen Tieres. 

Sebäk, der Suchos der Griechen, wird mit Krokodilkopf oder 
auch in Gestalt seines heiligen Tieres, des Krokodiles vorgeführt. 
Zwei ganz verschiedene Gottheiten werden unter seinem Nanion 
zusammengefaßt. Einmal ist er ein Sonnengott, den man häufig 
mit Rä combinierte und besonders in Ombos hoch verehrte, wo 
daneben der Sonnengott Horus als Ortsgott galt. Dann ist 
Sebäk ein Doppelgänger des Osiris, im libyschen Nomos, beson- 
ders in der Stadt Apis soll nach Texten aus Denderah Osiris 
unter dem Namen Sebäk verehrt worden sein; und nach einer 
oberägyptischen Mythe gelangte die Leiche des Osiris auf dem 
Rücken eines Krokodiles nach Philae. Neben dieser osirianischen 
Stellung hat Sebäk gelegentlich auch die Bedeutung eines bösen 
Gottes besessen; seine heiligen Tiere, die Krokodile, gelten in der 
Unterwelt als Genossen des Set, und suchte man sich auch auf 
der Oberw^elt derselben durch Beschwörungen zu entledigen, wenn 
man es auch aus Ehrfurcht vor dem Gotte im größten Teile 
Ägyptens nicht wagte, regelrechte Jagden auf sie zu veranstalten. 
An andern Stellen, wo Sebäk nicht so hoch gehalten wurde, hat 
man dagegen das Tier erlegt, besonders im alten Reiche war 
seine Verfolgung im DeHa ein beliebter Zeitvertreib der Großen. 

Häpi, der Nil, ward viel verehrt, der größte oder doch we- 
nigstens der am allgemeinsten gefeierte Teil der ägyptischen Fe.^to 
galt ihm, und nahm man nach Libanius an, der Gott hielte auf 
diese Feierlichkeiten so sehr, daß, wenn man die Feste nicht rich- 
tig begehe, er auch das richtige Steigen unterließe. Prachtvolle 
Tempel erhoben sich für ihn in Nilopolis, Memphis, Heliopolis 
und an andern Orten; reich wurden dieselben von den Königen 
beschenkt. Den Flnßgott selbst dachte man sich als einen fetten 
Mann mit lang herabhängenden weiblichen Brüsten, die die Frucht- 
barkeit andeuten sollten, und denen zu Liebe auch seine Verehrer 
weibliche Sitten anzunehmen trachteten; auf dem Haupte trug er 



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^^> Die ftelijfion der alten Ajrypter. 

eine Blunienkrone. Bisweilen teilte man ihn in den Nilgott von Ober- 
und den von Unterägypten, dann war dem einen der Papyrus, dem 
andern der Lotus geweiht und beide erscheinen gern am Throne 
des Königs, um ihm die beiden Pflanzen zu einem schematisierten 

Strauß ^ zusammenzubinden und ihm damit die Herrschaft 
über Ober- und Unterägypten zu verleihen. Als Genossen des 
Gottes treten männliche Gestalten auf, wie „der Vater der Götter** 
Ka, der einen. Froschkopf und darüber einen Skarabäus trägt, Hu, 
©efa, Resef, welche insgesamt die Nahrung bez. den Überfluß 
darstellen, und die Göttinnen Neperä, die Herrin der Getreide- 
körner und die schlangenköpfige Rennut, die Göttin der Ernte. 

Sehr zahlreich sind die Hymnen, die den Nilgott und all 
das Gute preisen, was ihm und insbesondere seinen Überschwem- 
mungen Ägypten verdankt; auf Papyrus, Stelen und an Felswän- 
den finden sich die betreffenden Texte, die man gerne Königen 
in den Mund legt. Die folgenden Hauptstellen aus einem solchen 
Hymnus, der an den Felsen bei Gebel Silsilis in Oberägypten in 
zwei Exemplaren, auf Befehl des Merenptah, des Sohnes Ramses 
II., und des Ramses III. eingegraben worden ist , zeigen die Art 
und Weise, in welcher diese in ihrer Form meist ansprechenden 
Texte abgefaßt zu sein pflegen: 

„Der lebende gütige Gott, der den Nu liebende Nil, der 
Vater der Götter und des Götterkreises, der da weilt in dem 
Wasser, der Überfluß (hu), der Reichtum (ka), die Nahrung (resef) 
die in den Vögeln und Fischen Ägyptens besteht, der ernährt 
jedermann durch seinen Reichtiun, der ehrwürdig ist auf seinem 
Wege, der Überfluß hat an seinen Fingern. Die Menschen sind 
in Freude wegen seines Kommens. Du bist einzig, du schufst 
dich selbst, nicht kennt man den Ort, an dem du bist (die Quelle, 
an der man den Nilgott sitzend sich dachte). Wenn der Tag 
naht, an dem du hervorgehst aus deinem Schöße (der Anfang der 
Überschwemmung), dann ist jedermann voll Freude. Du bist 
der Herr der vielen Fische und der Gaben; du beschenkst 
Ägypten mit Nahrung und zwar mit Vögeln und Fischen; nicht 
kennt der Götterkreis den Ort, an dem du bist. Du bist der 
Götter Leben, denn, wenn Du kommst, mehren sich ihre Opfer- 
gabeU; voll Überfluß ist ihr Altar, sie jubeln, wenn Du erscheinst. 
Du teilst uns zu und besorgst das Nötige für das Leben der 
Menschen, gleichwie Rä es tlial, seit er beherrscht dieses Land." 



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Sechstes Kapitel. Ausländisclie Verelirungsweseu. 81 

Dann folgt ein Lob des Königs und dessen Befehl, dem Nil zwei 
Feste einzurichten, ihm dem Vater aller Götter, dem Fürsten auf 
dem Gewässer, der Ägypten ernährt, nach dessen Steigen Fülle 
und Reichtum entsteht und alle Welt Leben gewinnt. 

Reellstes Kapitel. 

Anslftndisehe Verehrnngsweseii. 

Die Ägypter haben ihre Götterwelt nicht rein von fremden 
Gestalten gehalten; wo sie bei fremden Stämmen einen Gott vor- 
fanden, haben sie dessen Gewalt nie in Frage gestellt, sondern 
als eine feststehende Thatsache aufgefaßt. War das Volk be- 
sonders mächtig, so galt auch sein Gott als hervorragend einfluL^- 
reich und war man im Nilthale sehr geneigt, ihn in die Reihe 
der ägyptischen Gottheiten aufzunehmen, um durch Gebete und 
Opfer seinen Schutz für das Vaterland zu gewinnen und ihn auf 
diese Weise seiner ursprünglichen Heimat abspenstig zu machen. 
Hatte man den Gott eines Landes gewonnen, dann konnte man 
überzeugt sein, auch sein Reich in festem Besitz zu haben, denn 
der Kampf der Stämme war stets ein Kampf ihrer Götter und 
das Volk, das keinen starken Gott besaß, verfiel als sichere Beute 
dem glücklichern Nachbarn. Unter den Völkern, denen die 
Ägypter Götter entlehnen konnten, kommen drei in Betracht, die 
Libyer, die Semiten Asiens und die Neger des Innern Afrikas. 

Von den Libyern wurden vermutlich Gottheiten am Anfange 
der ägyptischen Geschichte in einer Zeit entlehnt, in die keine 
Überlieferung hinaufreicht. Zu ihnen gehörten allem Anscheine 
nach Bast und Neith, zwei Göttinnen, die in den von Libyern 
bewohnten westlichen Teilen des Deltas Verehrung genossen, 
welche aber nicht einmal unter den aus ihren Cultuszentren 
Bubastis und Sais stammenden Dynastien Bedeutung in Ober- 
ägypten gewannen. 

Sicherer läßt sich die Entlehnung bei den asiatischen Gott- 
heiten nachweisen; unter denen Baal, Astarte, Änat, Respu und 
Kede§ zu nennen sind. 

Baal, ägyptisch Bäl, trat den Ägyptern als Hauptgott der 
Völker entgegen, mit denen sie am Anfange des neuen Reiches 
Jahrhunderte dauernde und nicht immer zu ihrem Vorteile aus- 

Dr. A. Wiedemann: Die Religion der alten Ägypter. 6 



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82 Die Religion der alten Ägypter. 

fallende Kämpfe ausfochten. Damais ward er in Ägypten einge- 
führt und gern nennen sieh die Ramessiden tapfer und mächtig 
wie Baal am Himmel. Über eine Mythe, die sich an ihn geknüpft 
hätte, wird nichts berichtet, da aber hinter seinem Namen meist 
das Bild des Gottes Set oder das seines heiligen Tieres gesetzt 
wird, so hat man offenbar beide Gestalten für einander nahezu 
gleichstehende gehalten und in der That wird in der Sage von 
der geflügelten Sonnenscheibe einmal der Name des Baal statt 
dem des Set verwendet. Der Gott galt als eine Himmelsmacht, 
was mit seiner ursprünglichen Natur sich in etwa deckt, und zu- 
gleich für eine mächtige, aber vor allem vernichtende Gottheit. 
Seine Verehrung blieb im allgemeinen auf die vielfach von Se- 
miten bewohnten östlichen Teile des Deltas beschränkt, sein 
wichtigster Tempel stand in der befestigten Grenzstadt Tanis. 

Ast arte hat in den ägyptischen Tempeln mehrfach eine 
Verehrungsstätte gefunden, eine Inschrift aus der Zeit der 21. 
Dyn. erwähnt in Memphis einen Priester, der ihr und dem Mond- 
gotte diente. In der Ptolemäerzeit stand hier innerhalb des Be- 
zirkes des Serapeums eine kleine Kapelle der ißöttin und an die- 
ses Heiligtum oder ein ihm vorangegangenes dachte wohl Herodot, 
als er von dem Kulte der fremden Aphrodite, die er freilich für 
Helena hielt, in Ägypten sprach. In Tanis war der Westen der 
Stadt Amon, der Süden dem Sute^, der Norden Buto, der Osten 
Astarte geweiht; unweit von hier am Sirbonissee soll einer ihrer 
Tempel gestanden haben; magische Texte erwähnen Astarte neben 
Änat als eine Göttin, die empfange, aber nicht gebäre. In dem 
Cheta-Vertrage tritt sie als eine Göttin des syrischen Gheta- Volkes 
auf, aber um dieselbe Zeit war sie auch im Nilthale so angesehen, 
daß Ramses II. einen seiner Söhne nach ihr benannte und daß 
auch sonst ihr Name bei der Bildung von Eigennamen verwendet 
ward. In die Mythen fand sie erst sehr spät Einlaß ; in der Sage 
von der geflügelten Sonnenscheibe wird sie dargestellt als eine 
Göttin mit Löwenkopf, auf einem Wagen stehend und ihr Vierge- 
spann über die Leichen der Feinde lenkend, und betitelt „Herrin 
der Rosse und des Wagens**, eine Bezeichnung, die den jungen 
Ursprung der betreffenden Episode verrät, denn das Pferd selbst 
ward erst unter den Hyksos im Nilthale eingeführt und tritt in 
Folge dessen in wirklich alten Sagen nicht auf. Die von Plutarch 
überlieferte Form der Osiris-Mythe gedenkt gelegentlich der Göttin, 



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Sechstes Itapilel. Ausländische Verehrungswesen. Xi 

doch ist sie hier in euhemerisüscher Weise umgedeutet worden 
in eine Königin von ßyblos. 

Äntä wird in dem Gheta - Vertrage neben Astarte genannt 
und war demnach eine Schutzgottheit dieses syrischen Volkes. 
Auf echt ägyptischen Denkmälern erscheint sie als Herrin des 
Himmels und Fürstin der Götter, mit Helm, Schild und Lanze, 
in der linken Hand eine Streitaxt schwingend, zuweilen zu Pferde 
sitzend. Ramses IL und III., beide kriegerische Fürsten, nennen 
oft in den Inschriften den Namen der Göttin, den letzterer sogar 
seiner LiebUngstochter Bent-antä „die Tochter der Anat" gab. 

Respu, der Helm und Lanze zu tragen pflegt, giebt sich 
durch die Zeichnung seines Profils als semitischen Gott zu er- 
kennen und entspricht dem phoenizischen Resef, der sich auch 
auf Gypern und in Carthago verehrt findet. Seine Titel „Großer 
Gott, Herr des Himmels, Fürst des Ewigkeit, Herr der Macht in- 
mitten des Götterkreises" sind die echt ägyptischer Gottheiten, 
geben aber über die Bedeutung ihres Trägers keinerlei Aufschhila. 
Mit ihm vereint findet sich 

Kedes, eine Göttin, die in der rechten Hand Blumen, in der 
linken eine Schlange zu halten, den von Hörnern umgebenen 
Sonnendiskus zu tragen und auf einem Löwen zu stehen pflegt. 
Sie bildet mit Re§pu und dem Zeugungsgotte ^em eine Triade, 
ist thatsächlich aber nichts anderes als die Stadtgöttin von Kades, 
dem Mittelpunkte des Cheta-Reiches, um dessen Besitz besonders 
Ramses II. zu kämpfen sich gezwungen sah; ihr liegt wohl ur- 
sprünglich eine vielleicht durch örtliche Lehren etwas veränderte 
Form der Astarte zugrunde. Als Titel führt sie auf den 
ägyptischen Stelen der 18. und li). Dynastie die „Herrin des 
Hinmiels, Herrscherin aller Götter, Auge des Rä, welche nicht 
ihres Gleichen hat, Tochter des Rä, U.Va-Auge des Tum, Geliebte 
des Sonnengottes*. Auf den gleichen Denkmälern wird sie ange- 
fleht um Leben und Gesundheit, um ein schönes Grab nach er- 
reichtem hohen Greisenalter im Westen von Theben, ein Beweis, 
daß man auch in der Reichshauptstadt ihrer gedachte. 

Die bisher besprochenen Gestalten sind samt ihren Namen 
aus Asien nach dem Nilthale gelangt und haben hier ihre Indivi- 
dualität zu bewahren gewußt; weit größer ist die Bedeutung ge- 
wesen, die gelegentlich semitische» Anschauungskroise in Ägypten 
gewannen, vermittelst deren sie umgestaltend auf die Vorstellun- 

6* 



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84 Die Religion der allen Ägypter. 

gen über echtägyptisehe Gottheiten einwirkten. Es zeigte sich ihr 
Einfluß vor allem in dem Glauben an heilige, von Gott beseelte 
leblose Körper, besonders Steine, welche bekanntlich von den 
Semiten als Bethels oder auch Betyls, d. h. Meteore so hoch ver- 
ehrt wurden, daß sie diesen Kult überall hin verpflanzten, wohin 
ihre Kolonisten drangen. Bei der Astarte in Paphos, bei Apollo 
in Ambracia, bei Zeus Teleios in Tegea in Arkadien und an 
zahlreichen andern Orten erscheinen die heiligen Steine. Auch 
in der Oase Jupiter Amon war das Orakelbild ein Stein, der in 
seiner Form einem Nabel verglichen wird und den man bei Fest- 
lichkeiten mit Edelsteinen reich geschmückt herumtrug. Hier ist 
keinenfalls an eine Einführung der Gestalt aus Ägypten zu denken, 
von wo nur das Widderbild des Gottes kam und kommen konnte, 
das andere Symbol ward von Norden eingeführt, aus einer der 
phönizischen Pflanzstädte an der Nordküste Afrikas, welche stets 
in regem Verkehr mit der Oase standen. Aber nicht nur in die- 
ser nur halbägyptischen Oase tritt die Kultform auf, sie findet 
sich wieder in Ägypten selbst in dem heiligsten der ägyptischen 
Tempel, in dem von Heliopolis. Hier war, wie schon hervorge- 
hoben wurde, eine Incorporationsform der Sonne ein Stein. Die 
Form desselben hat im Laufe der Zeit gewechselt, anfangs war 
er eine Pyramide oder ein Obelisk, später trat an deren Stelle 

eine stylisierte Säule n oder |, welche zugleich als Ideogramm 

für den Namen der Stadt Heliopolis An diente. Dieser Säule 
wird bisweilen auch an andern Orten gedacht, sodaß dieselbe 
göttliche Incorporationsform auch in andere Heiligtümer Aufnahme 
gefunden haben muß. 

Eine zweite Gottheit, die sich gelegentlich in einem Steine 
verkörperte, war der Gott Set, wie dies das häufig angewendete 
Deutzeichen eines länglichen Steines nnm hinter seinem Namen an- 
deutet, auch hierbei sind jedenfalls semitische Einflüsse maßgebend 
gewesen, denen man gerade bei der Gestalt dieses Gottes auch 
sonst begegnet. 

Ebenso wie den Kult der Steine kennt Ägypten den der 
Bäume, während der der Berge nicht nachgewiesen ist; der der 
Quellen kam von vornherein nicht in Betracht, da dieselben im 
Lande fehlen und sich so die Verehrung der Gewässer auf die 
des Niles beschränken mußte. Des Baumkultes wird Verhältnis« 



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Sechstes Kapitel. AuslAndische Verehrungswesen. 85 

mäßig seilen gedacht ; in der Ptolemäerzeit hat man versucht, ihn 
systematisch auf alle Nomosheiligtümer zu verteilen: 24 Nomen 
verehrten nach den hierher gehörigen Listen die Nilakazie, 17 die 
Cordia myxa (?), IB den Zizyphus spina Christi; während andere 
wie die Sycomore, Juniperus phoenicea, Tamarix nilotica nur in 
je zwei oder gar nur einem Nomos genannt werden. Im ganzen 
treten 10 Baumarten als heilig auf, von denen oft derselbe Nomos 
mehrere, bis zu drei verehrte. Mit dem eigentlichen Tempelkulte 
war ihre Verbindung stets eine lockere, nur gelegentlich ist die 
Rede von dem heiHgen Baum in Heliopolis, auf dem der Phönix 
entstand und in dessen Blätter der Gott Tum oder auch die 
Göttin der Wissenschaft Sefe/ oder Thot den Namen des Königs 
einschrieben, dem sie ewige Dauer verleihen wollten, von dem 
das Grab desOsiris beschattenden heiligen Stamm und ähnlichem; 
überall gewinnt man aber den Eindruck, als handele es sich hier 
nicht um Gedanken, die dem eigenen Empfinden der Ägypter 
entsprangen, sondern um solche, die von außen her eindrangen 
und die man mühsam mit den volkstümlichen Vorstellungen zu 
verschmelzen trachtete. Am auffallendsten ist dabei, daß die 
Palme, der Baum, der sonst am innigsten mit dem ganzen Den- 
ken und Fühlen der Ägypter verwachsen war, in dieser Glaubens- 
form gar keine Rolle spielt. Der von Porphyrius entwickelte Ge- 
danke, die Ägypter hielten es für Unrecht, Pflanzen zu verletzen, 
ist ein ganz junger, und entspringt pantheistischen Vorstellungen. 

Die libyschen und asiatischen Gottheiten zeigen in ihren 
Darstellungen, in Proportionen, Bewegungen und Attributen einen 
fast ganz rein ägyptischen Charakter, anders ist dies bei den ur- 
sprünglich afrikanischen Gestalten. Diese decken sich in allen 
ihren Zügen mit den Eigenschaften der Fetische der jetzigen Ne- 
gervölker, sie erscheinen verwachsen, unförmlich fett, häßlich und 
abschreckend ganz im Gegensatz zu den ägyptischen Gottheiten, 
welche, soweit dies der ägyptischen Kunst überhaupt möglich 
war, als Idealgestalten aufzutreten suchen. Der wichtigste unter 
den afrikanischen Göttern ist 

Bes^*), der dargestellt wird als ein Zwerg mit Bart, großen 
Ohren, dem Gesicht in Vorderansicht, krummen Beinen, auf die 
er seine langen Arme stützt, einem Tierfell mit lang herunter- 
hängendem Schwanz als Kleidung und einer breiten Federkrone 
die an die Krone der in Nubien verehrten Göttin Änuki erinnert, 



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8n Die Religion der allen Ägypter. 



auf dem Haupte ^. Der gewöhnlichste Name der Gottheit, die 

daneben zahlreiche andere, wie Hait, Ähti, Sepd, A'erau, führt 
ohne dadurch ihre Bedeutung zu ändern, Bes ist abzuleiten von 
dem Worte besä, welches eine große Katzenart, Cynaelurus gutta- 
lus bezeichnet. Ihr Fell trägt der Gott und ist er wohl nachdem 
Tiere benannt, in dem er sich nach ägyptischer Anschauung gele- 
gentlich verkörperte. Der Kult des Gottes ist ein alter, schon im 
alten Reiche scheint er bekannt gewesen zu sein, sicher tritt er 
am Anfange des neuen Reiches auf und ward besonders seit der 
26. Dynastie so beliebt, daß zahlreiche Eigennamen mit ihm ge- 
bildet wurden, eine Sitte, die dann zu den Römern und zu den 
Kopten, die dabei den ursprünglichen Sinn des Wortes völlig ver- 
gaßen, übergegangen ist. Sogar ein aiexandrinischer Märtyrer 
heißt noch mit seinem Namen Besas. Den Römern ward er 
durch sein Orakel in Abydos bekannt, weiches man bis in späte 
Zeit hinein gern befragte. In aiexandrinischer Zeit diente sein 
Bild als ornamentales Element bei Kunstwerken, wie es auch 
sonst in dei' hellenistischen Kutist ebenso wie in der der Phöni- 
zier eine ziemlich ausgedehnte Verwendung gefunden hat, die 
dazu führte, daß man dasselbe später auch auf arabischen -Mün- 
zen anbrachte, ohne daß man daraus auf einen engern Zusammen- 
hang der betreffenden Araber mit den Hauptstätten der Besreligion 
schließen dürfle. 

Eine der ältesten Darstellungen des Gottes Bes findet sich 
auf einem Relief des Tempels zu Luqsor, welches die Geburt 
Amenophis III. darstellt. Zu oberst sind hier zwei Wehemütter 
und die sieben Hathoren, die Schicksalsgöttinnen um die Königin 
beschäftigt, die auf einem Stuhle ermaltet sitzt, während 2 der 
Göltinnen bereits das Kind, oder richtiger dessen Ka, der ihnen 
als Gottheiten näher stand, als die rein menschliche Erscheinungs- 
form des Herrschers, in die Höhe hallen. Darunter hocken zehn 
Gottheiten als Sinnbilder des Lebens, das dem Könige zuteil ge- 
woiden ist. Darunter wieder erblickt man links sechs anbetende 
(lottheiten; drei derselben mit Sperberkopf versehene sind die See- 
len von Pe, dem Tempel von Buto, als deren Namen das Toten- 
buch Horus, Amsel und Hapi angiebt, und die als die Geister 
des Nordens gelten; die andern drei mit Schakalskopf sind Horus, 
Duamutf und Kebsenuf, die Seelen von Ne^eb, die Geister des 



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Sechstes Kapitel. Ausländische Verehrungswesen. 87 

Südens. Die Huldigung der Gestalten drückt demnach die von 
Süd- und von Nord-Ägypten vor dem neugeborenen Pharao in 
symbolischer Weise aus. Neben diesen Geistern steht der Gott 
Bes und die Nilpferdgöttin Ta-urt. Die gleiche Darstellung wird 
wiederholt in einem Tempel zu Denderah, wo etwa in der Zeit 
Trajans die Geburt des Sonnengottes ebenso dargestellt wird, wie 
die des Königs, und in entsprechender Weise ti-itt Bes in allen 
den Geburtshäusern auf, die mit den ägyptischen Tempeln ver- 
bunden zu sein pflegen und die als Geburtsort des Tempelgottes 
galten. Diese Bauten nannte man anfangs Typhonien, weil man 
das in ihnen auftretende Bild des fratzenhaften Bes für das des 
Gottes des Bösen, Typhon, hielt, eine Ansicht, die jeder Berech- 
tigung entbehrt und gleich nach Entzifl'erung der Hieroglyphen 
aufgegeben werden mußte. 

In diesen Bildern ist Bes eine der Gottheiten, welche dem 
neugeborenen Sonnengotte oder dem Könige, der sich in allen 
Stücken der Sonne gleich stellt, zur Seite stehn. Er wird weiter 
vorgeführt, wie er den jungen Sonnengott Harpokrates auf dem 
linken Arm trägt und ihm mit der rechten Hand Nahrung reicht. 
Aber nicht nur für die leibliche Nahrung des Kindes hatte er zu 
sorgen, sondern auch für sein Vergnügen. Daher wird er abge- 
bildet, wie er ihm groteske Tänze vortanzt, ihm auf der Harfe 
Musikstücke vorträgt oder es anlacht. So wird der Gott allmälig 
zum Gotte des Tanzes, der Musik, der Freude, welche er schon 
durch seine Lächeln erregende Gestalt hervorzurufen bestimmt 
schien. Aus seiner Stellung als Beschützer der jungen Sonne 
entwickelt sich aber noch eine weitere. Die Hauptgegner der 
Sonne waren die Schlangen, ihr Feind ward Bes; häufig erscheint 
er, wie er mit seinen Händen Schlangen gefaßt hält und zerdrückt 
oder sie ähnlich wie die Göttin Ta-urt mit den Zähnen zerbeißt. 
In später Zeit verschmilzt der Gott mit seinem Schützling, der 
Sonne; er erhält die Attribute des Sonnengottes, sitzt wie der 
Gott der jungen Sonne auf der Lotusblume, ihm werden die 
Sonnenlöwen beigegeben und er gilt als der Gott Sepd, der Herr 
des Ostens, der die Bergvölker der Sinaihalbinsel niederwirft, und 
nach der späteren Lehre kein anderer ist als der sperberköpflge 
Horus. Derselben Zeit allgemeinen Synkretismuses gehört die 
(ileichstellung des Amon, ja sogar eines Osiris-Amon mit Bes an. 

Als Sonnengott wird Bes zum Gott des Ostens, als solcher 



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88 Dit? IJeligion der alten Ätrypler. 

ist er Herr von Punt, den Ländern zu beiden Seiten des roten 
Meeres, in späterer Zeit besonders Arabiens, wo auch die Heimat 
des Sonnengottes und dessen heiligen Vogels, des Phönix, gesucht 
wurde. Dieser erst spät auftretende Zusammenhang von Bes mit 
dem Lande Punt berechtigt nicht dazu, die Heimat des Gottes in 
Arabien zu suchen, wie man es längere Zeit allgemein gethan 
hat. Dieselbe war vielmehr wie seine Gestalt, sein Schmuck u. 
s. f. zeigen Afrika und hier wohl ein Negerland unmittelbar 
südlich von Ägypten, wo in früheren Zeiten Neger saßen, die 
später durch hamitische Stämme weiter nach Süden gedrängt 
wurden. Letztere waren damals bereits durchweg von der ägyp- 
tischen Kultur abhangig, und haben daher, als sie das Land be- 
setzten, nicht auf die afrikanische Urform des Bes zurückgegrilien, 
sondern die ägyptisierte beibehalten, ihn nur häutig statt als Zwerg 
als erwachsenen Mann dargestellt. 

In etwas anderem Sinne als in der Oberwelt erscheint Bes 
in der Unterwelt. Hier ist er ein strafender Gott, sein verzerrtes 
Gesicht soll Schrecken einflößen, seine Zwerggestait weicht hier 
bereits der eines Mannes oder gar eines Riesen. Mit seinen 
Messern bedräut er den Bösen, er droht ihm sein Herz auszu- 
reißen und heißt daher der Kämpfer. In später Zeit hat man ihm 
in der Oberwelt die gleiche Stellung zuweisen wollen, nur daß er 
nunmehr nicht mehr als Feind des Bösen, sondern als Freund 
des Guten aufgefaßt wird. Als solcher trägt er den Schild und 
schwingt das Schwert, bereit denjenigen niederzuschmettern, der 
dem Günstlinge des Bes, dem Besitzer seines Bildes, das als 
schützendes Amulett diente, sich zu widersetzen wagen würde. 

Ta-urt „die Grosse** tritt meist auf als ein auf den Hinter- 
pfoten Siehendes Nilpferd mit unförmlich dickem Bauch und hän- 
genden Brüsten, das sich mit den Vorderpfoten auf eine das Blut 
des Jsis darstellende Schleife stützt; auf dem Kopfe trägt es die 



Sonnenscheibe und zwei hohe Federn J^ ; weit seltener hat die 

(jrestalt einen Menschenkopf oder ist ganz als ein Weib dargestellt, 
dessen Haupt die Kuhhörner, der Schmuck aller weiblichen Gott- 
heiten zieren. Sie gilt als die Mutter der Götter und als deren 
Amme, und hilft daher auch bei ihrer und der Könige Geburt. 
Der Ta-urt entspricht die in Theben verehrte Nilpferdgöttin Äpet, 
der hier in der Ptolemäerzeit ein kleiner Tempel errichtet ward, 



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Sechstes Kapitel Ausländische Verehrunt^swesen. 89 

in dem sie Osiris geboren haben sollte, während die Ombiten sie 
bei sich im Tempel Mutter werden ließen. In noch späterer Zeit 
wird sie einfach als Rer-t „Nilpferd** bezeichnet und als Bewoh- 
nerin des Ammenhauses aufgeführt. Schon früher war sie bei 
dem allgemeinen Synkretismus der Jsis-Hathor gleichgestellt und 
dann weiter mit Bast von Bubastis, Buto von Pelusium , der 
löwenköpfigen Menht von Heliopolis, der Renpt, d. h. dem personi- 
tizirten Jahr, in Memphis und andern weiblichen Gottheiten iden- 
tifiziert worden. Ihr Bild in glasirter Terracotta gearbeitet, war 
ein sehr beliebtes Amulett, das wohl ähnlich wie das Bild des 
Bes bei der Geburt als heilbringend galt. Im Totenkulte fällt 
Ta-urt mit der Hathorkuh zusammen und gilt als Wächterin des 
Berges des Westens, durch den der Weg in das Reich des Todes 
führt. Mit Bes zusammen fand auch sie später ihren Weg nach 
Äthiopien zurück, von wo sie einst ihren Ursprung genommen 
zu haben scheint. Wie er spielt sie im eigentlichen Ägypten erst 
seit dem neuen Reiche eine grölaere Rolle, wie er ward sie be- 
sonders in später Zeit beliebt, in der Periode der ägyptischen 
Religionsgeschichte, die mit Vorliebe das Absonderliche aus den 
altern Texten hervorsuchte und auf dieses das Hauptgewicht im 
Kultus wie im Glauben legte. 

Auffallender Weise hat diese späte Zeit, die alles vermischte 
und verwertete, an der griechischen Reügion keinen Geschmack 
gefunden. Ebenso wie die Sprache, die früher zahlreiche semitische 
Worte aufgenommen hatte, sich gegen griechische und lateinische 
verschloss und nur höchst selten den einen oder anderen Ausdruck 
statt des ägyptischen verwendete, so verfuhr die Religion gegen den 
Glauben der macedonischen Herrn des Landes. Nur ganz vereinzelt 
findet sich ein griechischer ReligionsbegriflT, wie der Name Hades für 
die Unterwelt in den Texten. In dem Augenblicke, in dem die Hel- 
lenen mit größtem Eifer bestrebt waren, die fremden Götter sich 
anzueignen, sie geradezu zu übernehmen oder doch als den ihri- 
gen gleich auszugeben, hat die ägyptische Religion ihre frühere 
Weitherzigkeit abgelegt und es aufgegeben, ausländische Gestalten 
zu den ihren zu machen. 

Den Fremdenhaß und die Fremden Verachtung, die in der 
späteren Zeit der Ägypter besaß und die er seinen fremden 
Herrschern gegenüber gern zur Schau trug, hat er auch seinen 
Göttern zugeschrieben; wie er, so verachteten diese das von Norden 



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90 Die Religion der alten Ägypter. 

her kommende junge Barbaronvolk samt seinen Göttern, die wie 
Plalo sich ausdrücken würde, keine Gescliichte, keine auf alte 
Erinnerung gegründeten sicheren Beweise ihrer Thatsächlich- 
keit besaßen. 

Siebente» Kapitel. 

Die Tierverehrung:. 

Die Verehrung der Tiere ^^) hat immer als eine der auffal- 
lendsten Erscheinungen der ägyptischen Religion gegolten, die Kir- 
chenväter haben darin eine der abschreckendsten Verirrungen des 
heidnischen Geistes erkannt, die christlichen Apologeten haben sie 
benutzt, um die Lächerlichkeit und Unsinnigkeit des heidnischen 
Götterglaubens zu kennzeichnen, die griechischen Philosophen ha- 
ben umgekehrt in ihr besonders tiefe symbolische Lehren finden 
wollen. In ähnlichen Gegensätzen bewegen sich die modernen 
Beurteiler Ägyptens, bald wird der Tierkult herangezogen, um 
die tiefe Weisheit des Volkes, seinen durchdachten Fantheismus, 
sein Verständnis für die Tierseele und ähnliches zu erweisen, bald 
wird er mit dem Fetischismus der Negerstämme zusammengestellt 
als Beleg für den tiefen Stand, auf dem Glauben und Denken 
im Altertume im Nilthale sich bewegten, bald wird er für den 
Überrest eines uralten Volksglaubens, bald für das Ergebnis einer 
stetig tiefer und tiefer verfallenden religiösen Anschauungsweise 
angeführt. 

Alle diese Urteile haben ihre Berechtigung, aber sie alle ha- 
ben Falsches und Kichtiges gemischt. Niemanden wird es wohl 
mehr in den Sinn kommen, die Berechtigung des Tierkultes er- 
weisen zu wollen und in ihm einen besonders großartigen Zug 
des ägyptischen Seelenlebens zu erkennen, andererseits aber wird 
wohl die folgende Darstellung zeigen, wie die Ägypter zu dieser Ver- 
ehrung kamen und wie sich dieselbe als eine logische Schlußfol* 
gerung aus ihrem ganzen religiösen Denken entwickelt hat. Bei 
der Behandlung der Frage muß ab(T stets streng geschieden wer- 
den zwischen zwei von verschiedenen Gesichtspunkten ausgehen- 
den, in der Folgezeit aber neben- und durcheinander verlgiuf enden 
Gedankenkreisen, der Anbetung von Thierindividuen und der 
Hochachtung vor Tierarten. 



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Siebentes Kapilel. Die Tierverehrung. 91 

Die erslere, der Glaube an von der Gottheit selbst beseelte 
Tiere, ist echt ägyptisch. Das Jenseils ward gerade so wie 
das Diesseits aufgefaßt, das Leben der Seligen spielte sich dort 
genau so ab, wie das der Lebenden auf Erden: sie aßen und 
tranken, hungerten und dürsleten, freuten sich und litten, nur das 
Eine hatten sie gewonnen, daß sie nicht mehr an eine Form ge- 
bunden waren, sondern sich in Tiere, Pflanzen und Götter ver- 
wandeln konnten. Aber auch die Götter unterschieden sich in 
nichts vom Menschen, ihr Leben war zwar länger, aber auch ihm 
machte der Tod ein Ende, ihre Macht war größer, aber doch be- 
schränkt. In allen Vorstellungskreisen ist dem Ägypter der Mensch 
und der Mensch allein das Maß aller Dinge. 

Die Seele des Toten konnte kein unfaßbares, immaterielles 
Sein besitzen, sie mußte eine Hülle haben, vermittelst derer sie 
die Lebensfunktionen ausübte, und dasselbe war beim Gotte der 
Fall. Wollte dieser mit den Menschen verkehren, dann mußte 
auch er eine irdische Gestalt annehmen, sonst hätte er ja nicht 
in menschlicher Spiache sich ausdrücken, menschliche Handlungen 
vornehmen können. Die Texte berichten lange Gespräche zwi- 
schen dem Gott und dem Könige, ersterer nickt mit dem Kopfe, 
streckt seine Arme aus, die Göttin hilft als Wehenmutter bei der 
Geburt eines Prinzen, reicht dem Thronfolger selbst die Brust, 
um ihn mit ihrer Milch zu nähren, ihn, der berufen ist, an Stelle 
seines leiblichen Vaters, des Gottes, auf Erden zu herrschen. 
Nach unserer Auflfassungsweise würde man geneigt sein, hier 
überall allegorische Ausdrücke anzunehmen , in Ägypten war dies 
nicht der Fall. Dem Ägypter ging das Verständnis für abstraktes 
Denken durchweg ab, für ihn mußte alles klar faßbar sich dar- 
stellen. Schon seine Schrift zeigt dies Bestreben in der Art und 
Weise, wie er Deutzeichen hinter die Worte setzt, er wollte den 
Begriff nicht nur lesen, sondern auch sehen und zeichnete daher 
hinter dem Namen des Krokodils dessen Bild, hinter das Wort 
trinken einen trinkenden Mann, hinter das Wort schlagen eine 
schlagende Gestalt. Und auch für Begriffe, die sich an und für 
sich nicht zeichnen lassen, hat er vermittelst ziemlich verwickelter 
Gedanken verbhidungen Deutzeichen erfunden; hinter hungern 
setzte man einen Mann, der den Finger an den Mund hält, von 
derselben Vorstellung ausgehend, die den modernen italienischen 
Bettler veranlaßt, bei seinem „morio di fame** auf den Mund zu 



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^^2 Die Religion der alten Ägypter. 

zeigen; hinter schlerlit ^stand ein Sperling, weil dieser Vogel un- 
gemein häufig war und viel Schaden anrichtete; hinter rein stand 
das Wasser oder saß ein Mann, über dem das Wasser sich er- 
goß; und die Worte, die sich durchaus nicht abbilden lassen 
wollten, wie z. ß. gut, schön u. dergl. , zeichnete man als eine 
Schriftrolle, denn auf dem Papyrusblatte konnte man sie ver- 
zeichnen. Wie die Schrift, so verfuhr die Sprache, auch in die- 
ser werden die Sätze alle so gestellt und verbunden, daß sie sich 
wie der begleitende Text zu einer Bilderreihe lesen. 

Dieser Mangel an Vorstellungsfähigkeit wirkte auf dte Reli- 
gion ein, es genügte dem Menschen nicht, sein Gebet für sich zu 
sprechen, hoffend, eine unsichtbare Macht werde es erhören, er 
wollte es den leiblichen Ohren seines Gottes anvertrauen. Zu- 
nächst wird man naturgemäß den Gott in menschlicher Gestalt 
sich gedacht haben. Ein solcher menschlicher Gott war der Kö- 
nig, der als gütiger Gott, als großer Gott, als Horus, wie 
seine Titel lauten, Gebete annahm und dieselben entweder 
selbst erfüllte oder sie seinen Vätern und Müttern , den 
himmlischen Göttern, mit denen er in stetigem Verkehre stand, 
übermittelte. „Du gleichst völlig, o König Merenptah, dem Bilde 
deines Vaters, der Sonne, die am Himmel aufgeht. Deine Strah- 
len dringen bis in die Höhlen. Kein Ort entbehrt deiner Güte. 
Deine Aussprüche sind in jedem Lande Gesetz. Wenn du in dei- 
nem Palaste nihest, so h()rst du die Worte aller Länder. Du 
hast Millionen von Ohren. Hell ist dein Auge über allen Sternen 
des Himmels, fähig die Sonnenscheibe zu schauen. Was der 
Mund in der Tiefe auch immer ausspricht, es dringt bis zu dei- 
nen Ohren. Dein Auge sieht, was im Verborgenen geschieht, 
barmherziger Herr, Schöpfer des Athems!* Dieser Gedanke an 
die Göttlichkeil des Monarchen ist während der ganzen ägypti- 
schen Geschichte festgehalten worden, ein besonderer Kult ward 
dem Herrscher eingerichtet, eigens dazu bestellte Priester dienten 
ihm, Opfer wurden ihm dargebracht. Zuweilen hat die Ehrfurcht 
vor der eigenen Göttlichkeit die Könige so überwältigt, daß sie 
sich selbst anbeteten, wobei sie die Unsinnigkeit, die hierin lag, 
dadurch zu mildern suchten, daß sie die Gebete nicht geradezu 
an sich, sondern an ihren ka, einen Teil ihrer unsterblichen Seele 
richteten, mit dem sie dann längere Gespräche zu führen für an- 
gemessen fanden, Gespräche, in denen der ka sich ihnen sehr gnä- 



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Siebentes Kapitel. Die Tierverehrung. 93 

dig ZU erweisen und ihnen Freude, Heil, Gesundheit, Macht, soviel 
sie begehrten, zu verleihen pflegt. 

War demnach der König ein Gott, so war er doch nicht der ein- 
zige, neben und über ihm standen die andern Gestalten des Pan- 
theons, Amon, Rä, Ptah, und außerdem war er nicht allgegen- 
wärtig. Weilte er in Theben, so war Memphis ohne sichtbaren 
Gott und umgekehrt, ein Zustand, der dem Ägypter, der täglich 
und stündlich mit seinen Göttern verkehren wollte, unerträglich 
erschien. Am nächsten lag es da, neben dem im Könige verkör- 
perten Gott an andere sich in menschlicher Gestalt auf Erden be- 
wegende Gottheiten zu denken. In der That scheint in vorge- 
schichtlicher Zeit jeder Nomarch als Gott gegolten zu haben, wie 
das noch die in historischen Zeiten verwendeten Titel dieser Män- 
ner andeuten. Erhalten hat sich die Vorstellung in späterer Zeit nur 
an einem Orte, in Anabe, wo man sich einen Menschen aus- 
wählte, ihn verehrte und ihm , wie noch die ältesten christlichen 
Autoren berichten, Opfer darbrachte. An allen anderen Orten hat 
man den Gott-Menschen durch andere Lebewesen ersetzt und zwar 
durch Tiere. 

Die Veranlassung zu dieser Ersetzung ist zunächst in rein 
praktischen Gründen zu suchen. Galten neben dem Könige an- 
dere Menschen als Götter, so konnten bei eintretenden Meinungs- 
verschiedenheiten leicht die Götter mit einander in einen Zwie- 
spalt geraten, der für den Bestand des Staates sehr gefährlich 
werden konnte. Ganz anders lag dies bei den Tieren. Diese be- 
saßen genugsam seelisches Empfinden und Handlungsfähigkeil, 
um ihrem Willen durch Bewegungen Ausdruck zu geben; sie aßen 
und tranken, hatten also die materielle Faßbarkeit, die der Ägyp- 
ter von seinem Gotte verlangte. Andererseits aber war es leicht 
sie abzurichten und sie so dazu zu bringen, daß sie scheinbar aus 
eigenem Antriebe diese oder jene Bewegung ausführten, während 
dies in der That nur auf einen gegebenen Wink geschah, durch 
den die Priesterschaft oder auch der König selbst die Willens- 
äußerung des Tieres veranlaßte. Denn der König, der sich selbst 
für einen Gott hielt, wird sich nicht gescheut haben, sich selbst 
eine (Komödie vorzuspielen und sich von dem Gotte die Antwort 
zu erpressen, die ihm gerade angenehm war, denselben zu veran- 
lassen, zu allen seinen Wünschen ja zu sagen. Die Ägypter ha- 
ben überhaupt nicht in dem Sinne Ehrfurcht vor den Götteni 



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94 Die Relijrion der allen Ägypter. 

empfunden, daß sie ihre Wünsche dem Göllen^illen unterordne- 
ten, sie haben oftmals versucht, diesen ihre Ansichten aufzuzwin- 
gen. Wollten oder konnten die heiligen Tiere in Noten nicht 
helfen, dann wurden sie geschlagen und hatte auch dieses keinen 
Erfolg, so traf sie die Todesstrafe. Bei den verschiedensten Völ- 
kern finden wir in den niedem Klassen derartige abergläubische 
Handlungsweisen; Götterbilder, Statuen von Heiligen u. s. f. müs- 
sen es entgelten, wenn der Himmel nicht den Willen der Masse er- 
füllt, im Nilthale ist nur das auffallend, daß es nicht nur das Volk 
war, welches diese Gedanken hegte, daß vielmehr auch die höheren 
Klassen die gleichen niederen Vorstellungen von ihren Göttern hatten. 
Es waren die Priester selbst, die die Weihung des zum Tode be- 
stimmten heiligen Tieres vornahmen und es hinrichteten , dann 
pflegten sie es freilich einzubalsamieren, um ihm die Unsterblich- 
keit zu verschaffen und den Zorn der Gottheit zu beschwichtigen, 
die sonst leicht die Tötung ihrer Incorporalion an den Menschen 
hätte rächen können. 

Die Wahl der einzelnen Tiere als Verkörperungen bestimm- 
ter Gottheiten hing zusammen mit den charakteristischen Eigen- 
schaften, die der Ägypter bei diesem oder jenem Tiere zu erken- 
nen glaubte. Den Gottheiten der sich jedes Jahr verjüngenden 
Natur waren Tiere, denen man besonders große Zeugungskraft 
zuschrieb, wie der Stier und der Widder zu eigen, den fruchtba- 
ren und nährenden Gottheiten Tiere, die die gleichen Eigentüm- 
lichkeiten hatten, wie die Kuh; die Schlange verdankte ihren ge- 
heimnisvollen Bewegungen, ihrer Gefährlichkeit und andererseits 
ihrer Zutraulichkeit, die allen Völkern aufgefallen ist, ihre gött- 
liche Stellung; der Sperber zeigte durch seinen Flug hoch am 
Himmel seine Beziehung zu den Sonnengottheiten; das Krokodil, 
das träge am Ufer lag, gereizt aber furchtbar wurde und jeden 
Feind vei-schlang, hatte die Zeichen der Würde und selbstbewuß- 
ten Macht, die der Orientale immer besonders verehrt hat. Über- 
blickt man die Reihe der heiligen Tiere, so finden sich darunter 
fast alle wichtigeren Gestalten der ägyptischen Fauna, Säugetiere, 
Vögel, Fische, Amphibien, Insekten und außerdem zahlreiche Fa- 
belwesen, wie die Sphinx, das Settier, der Vogel Greif. Letztere 
galten dem Ägypter freilich nicht für Erfindungen, es waren für 
ihn seltene, aber thatsächlich vorhandene Wüstentiere. Die Ab- 
bildung einer Jagd aus der Zeit der 12. Dynastie zeigt neben Ga- 



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Siebentes Kapitel. Die Tierverehrung. 95 

Zellen und ähnlichen Wesen Vierfüßler mit Greifenkopf, mit Köp- 
fen auf dem Rücken u. s. f., die ein hoher Würdenträger bei 
Lebzeiten angetroffen zu haben glaubte. Man hat es hier kaum 
mit reinen Erfindungen zu thun. Dem einfach denkenden Men- 
schen erscheint alles möglich, was sich seine Phantasie ausmalt 
oder was ihm ein Traumbild vorgaukelt, und stets haben Völker, 
die ihr Leben viel auf dem Boden der Wüste zubrachten, an 
schreckliche Fabelwesen geglaubt und der festen Überzeugung ge- 
lebt, sie selbst oder doch ihre Vorfahren wären auf dieselben ge- 
stoßen. In dem Dunkel der Nacht, in der Einsamkeit, hilflos al- 
len Gefahren gegenüber und widerstandslos gegen alle äußeren 
Eindrucke glaubt der Mensch in den einfachsten Erscheinungen 
das schrecklichste zu sehen und trägt später kein Bedenken, die 
Vorspiegelungen seiner Furcht für Thatsachen auszugeben. 

Das heilige Tier „das erneute Leben" des in ihm verkörper- 
ten Gottes, das dessen in dem vorigen heiligen Tiere gestorbene 
Lebensform erneute, unterschied sich von den übrigen Tieren 
derselben Art durch gewisse Kennzeichen, die den Priestern be- 
kaimt waren. Für den Apis-Stier soll es deren 29 gegeben haben, 
doch werden sie verschieden angegeben; nach Herodot waren es 
schwarze Farbe, ein weißes Viereck auf der Stirn, auf dem Rücken 
das Bild eines Adlers, am Schwänze zweierlei Haar und unter der 
Zunge ein Käfer, doch sind diese Angaben nicht vollständig si- 
cher, da beispielsweise die erhaltenen Apisbilder ein Dreieck auf 
der Stirn zeigen. War ein derartiges Tier gefunden worden und 
hatte es eine bestimmte Erziehung genossen, so ward es in den 
Tempel feierlich eingeführt. Man hat lange Zeit angenommen 
und fast bei allen modernen Darstellungen ägyptischer Tempel 
ist dies geschehen, den Mittelpunkt des Baues habe eine Statue 
gebildet. Dies ist nicht richtig; die zahlreichen in den Heihglü- 
mem aufgestellten Bildsäulen waren Weihebilder, die von den Kö- 
nigen oder auch von Privaten zur Verschönerung derselben gestiflet 
worden waren, an ihnen zogen die Prozessionen vorüber, die 
(Jebete und Opfer galten aber im allgemeinen nicht ihnen, sondern 
einem lebenden Wesen, dem heiligen Tiere. 

Celsus berichtete in seiner Streitschrift gegen die (Hirisleii 
an einer von Origenes angeführten Stelle; „Wenn man nach 
Ägypten kommt , so fallen sofort die prächtigen Haine und Hei- 
ligtümer in die Augen, man sieht prachlvolle, große Propyläen, 



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0(> Die Heligion der alten Ägypter. 

bewundernswerte Tempel, angenehme Spaziei-gänge ringsherum, 
ansehnliche und geheimnisvolle Ceremonien; wenn man aber hin- 
eingetreten ist und bis zum innersten Räume gelangt, dann sieht 
man, daß eine Katze oder ein Affe oder ein Krokodil oder ein 
Bock oder ein Hund verehrt wird/ Ähnlich sprechen sich Clemens 
von Alexandrien und Lucian aus. Ihr Zeugnis ist vielfach als 
gehässige Erfindung verworfen worden, ohne daß man bedachte, 
daß ein Mann wie Celsus eher geneigt gewesen wäre, das, was 
die Ägypter schädigen konnte, zu verschweigen, als etwas dieselben 
lächerlich machendes zu erfinden. Führte er derartiges auf, so 
lag eben darin der beste Beweis, daß es sich um eine allgemein 
bekannte, von den Ägyptern als selbstverständlich betrachtete, nie 
geleugnete Thatsache handelte. 

Und in der That, wie konnte der Ägypter, der glaubte, in 
dem Tiere seinen Gott selbst bei sich zu haben, sich schämen, 
diesen Besitz einzugestehen, so lange er überhaupt an dem Bestand 
und der Macht seiner Götter festhielt, und an diesen hat er nie 
ernstlich gezweifelt. Wirklich atheistische Gesinnungen finden 
sich im Nilthale nicht, so verschiedenfach auch die Vorstellungen 
waren, die man über die Götter hegte und so vei'schiedenartig 
man sich auch das Jenseits vorstellte und das Verhältnis, in das 
dort der Mensch zur Gottheit treten würde. Erst als höhere Re- 
ligionsformen in Ägypten bekannter wurden, erst da hat man em- 
pfunden, daß die Anbetung der Tiere doch sehr eigentümlich 
war; erst damals hat man versucht, ihr eine andere Deutung zu 
geben und sie für eine geheimnisvolle Verehrung von Göttersym- 
bolen zu erklären. Es war der Einfluß der griechischen Philoso- 
phie und der christlichen Lehren, dem sich auch die heidnischen 
Ägypter nicht ganz zu entziehen vermochten, der diesen Um- 
schwung hervorrief. So lange die ägyptische Religion rein er- 
halten blieb , so lange war die Göttlichkeit der Tiere eines der 
Grunddogmen ihrer Lehren. 

Starb das heilige Tier, so verlor es seine Persönlichkeit nicht. 
Der Gott als solcher starb nicht mit ihm, er verkörperte sich sogleich 
in einem andern, dem ersten in seinem Aussehen gleichen Tiere, 
aber auch die Seele der früheren Incorporation lebte fort. 
Wie der Mensch einer Lehre zufolge nach seinem Tode ein Osiris 
wurde, so ward der Apis ein Osiris-Apis, der Widder ein Osiris- 
Widder u. s. f. An seiner Mumie vollzog man dieselben Ge- 



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Siebentes Kapitel. Die Tierverehrung. 97 

brauche wie an der menschlichen; man balsamierte sie ein und 
gab ihr Anmlette mit in das Jenseils, wo ihre Seele dann ein 
ewiges Dasein führte. Die Schwierigkeit, daß auf diese Weise 
in das Jenseits immer mehr Apis-Stiere. Widder, Krokodile einzo- 
gen, die doch alle unumschränkte Göttlichkeit besitzen sollten, 
hat den Ägypter nicht gestört. Ließ er doch ganz entsprechend 
den Pharao im Jenseits König von Ober- und Unterägypten blei- 
ben, unbekümmert darum, daß dort schon so und so viele seiner 
Vorgänger dieselbe Stellung einnahmen und er mit diesen in 
Wettbewerb um die höchste Macht treten mußte. Die Ägypter, 
die nie versuchten, ihren Himmel in ein System zu bringen, sa- 
hen in solchen logischen Widersprüchen und Unmöglichkeiten 
nichts, was sie in ihren Gedanken hätte stören können. 

Auffallen muß es bei der großen Rolle, die das heilige Tier 
im Kultus spielt, daß es verhältnismäßig so seilen dargestellt wird; 
auf tausend Gotlesdarstellungen wird man kaum eine des Tieres 
finden. Statt dessen erscheint der Gott als Mensch oder als 
Mischbild, als Mensch mit dem Kopfe seines Tieres. Ist ersteres 
der Fall, so pflegt die Gottheit die Züge des augenblicklichen 
Herrschers oder seiner Gemahlin zu tragen. Hier dachte der 
Ägypter wohl an die Verwandlungsfahigkeit des Gottes und nahm 
an, das höhere Wesen werde, um mit dem Könige Gespräche zu 
führen, bisweilen menschliche Gestalt annehmen, um auf gleicher 
Stufe wie der Herrscher zu stehen, und dabei war die gegebene 
Form eben die des Herrschers, der als Gottessohn dem Gölte am 
nächsten stand. In den Mischbildern dagegen liegen nicht wirk- 
liche Gestallen der Gottheit vor, hier hat man es mit Ideogram- 
men, mit Schriftzeichen zu thun, die man stall des Gottesbildes 
aus künstlerischen Gründen verwendete. Es ist ein streng durch- 
geführter Grundsatz der ägyptischen Kunst, daß alle handehide 
Personen gleich hoch zu sein haben, nur der Gott vor dem ge- 
wöhnlichen Menschen, der Pharao vor seinen Unterthanen, der 
Herr vor seinen Dienern erscheint größer als diese, um durch 
seine körperliche Größe seinen höheren Rang zum Ausdruck zu 
bringen. König und Gott hatten gleich groß zu sein, da beide 
als auf gleicher Stufe stehend angesehen wurden. Die Durchfüh- 
rung dieses Gmndsalzes bot den heiligen Tieren gegenüber große 
Schwierigkeiten dar, die Größen Verhältnisse der Tiere wären durch 
dieselbe unkünstlerisch und siimlos geworden; man denke sich 

Dr. A, WiedjBiuuun: Die Keligiou dor altoii A;,'y|iU'r. 7 



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f)8 Die Religion der alten Ägypter. 

nur ein Krokodil ebenso lioch wie den König dargestellt und 
seinen Körper in entsprechenden Verhältnissen ausgeführt. Zu- 
weilen half man sich damit , daß man das heiUge Tier auf ein 
Postament stellte und ihm so die richtige Höhe gab ; lieber ver- 
zichtete man ganz auf seine Darstellung und ersetzte es durch 
das Mischbild, dessen Bedeutung durch den aufgesetzten Kopf 
jedem Beschauer klar wurde. Man hatte dabei den weiteren Vor- 
teil, daß das Mischbild mil seinen Händen und Füßen Bewegun- 
gen ausführen, den König umarmen, ihm das Zeichen des Lebens 
geben, ihm die Brust reichen konnte, Bewegungen, die durch ein 
Tier ausgeführt, auf den Beschauer des Bildes unnatürlich wirken 
mußten. 

Dies waren die Gedanken, welche an die göttlich verehrten 
heiligen Tiere anknüpften , an Tiere , die als Götter galten und 
deren Tötung durch den gewöhnlichen Menschen als Gottesmord 
mit dem Tode bestraft wurde; von ihnen ward stets nur ein beson- 
ders gekennzeichnetes Individuum so hoher Ehre teilhaftig. Ganz 
anders steht es mit der Hochachtung vor ganzen Tierarten in 
den verschiedenen Nomen Ägyptens. Diese Arten galten nicht 
als Götter, sondern nur als Liebhnge derselben, man nahm an, 
dieser oder jener Gott nehme gerne, wenn er auf Erden wandle, 
ihre Gestalt an und wollte durch ihren Schutz die Gefahr ver- 
meiden, sie gerade in dem Augenblick zu töten, in dem sie von 
Gott beseelt waren; an andern Stellen glaubte man die Zeichen 
nicht sicher zu kennen, die die göttliche Verkörperung von ihren 
Artsgenossen unterschied und schonte daher lieber die ganze Art 
als daß man das Gotlestier verletzte. Die Hochachtung dieser 
Tiere steht mit der Religion in sehr lockerem Zusammenhang, 
sie steht auf gleicher Linie wie die Achtung vor Tieren bei ver- 
schiedenen Völkern bis in die neueste Zeit, in der es beispiels- 
weise der Bauer in manchen Gegenden Deutschlands für ein 
schweres Vergehen ansieht, einen Storch zu schädigen. Angebe- 
tet wurden diese Tierarten in Ägypten nicht, dagegen wurden 
sie gefüttert, nicht getötet und bisweilen einbalsamiert. Letzteres 
geschah, um ihnen die Unsterblichkeit zu sichern, die ohne Mu- 
mificierung nicht gewonnen werden konnte. Man nahm an, der 
Gott , der die betreffende Tierart liebte, werde sich dem dankbar 
bezeigen, der einem seiner Lieblinge das ewige Leben verschaflle. 
Auch dieses Tier ward dann ein Osiris-Tier, aber nicht wie der 



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Siebentes Kapitel. Die Tierverehrung. 90 

Osiris-Apis ein Gotttier im Jenseits; es lebte dort in derselben 
Stellung fort, die es im Diesseits gehabt hatte, gerade so wie der 
Osiris des Sklaven ein Sklave blieb und der des Bauern ein Bauer. 

Die geschonten Tierarten wechseln je nach dem Nomos, in 
dem sie auftreten , und diese Verschiedenheit hat bis in die rö- 
mische Kaiserzeit hinein zu förmlichen Kriegen zwischen den No- 
men geführt, wenn es sich die Bevölkerung des einen nicht ge- 
fallen lassen wollte, daß der Nachbarnomos ihr verehrtes Tier 
schlachtete und afi. Die Anschauung hat sich in ihren letzten Aus- 
läufern bis in unsere Zeit erhalten. So lange es Krokodile im Nilthale 
gab, hat sie der Ägypter mit Ehrfurcht angesehen und noch jetzt blickt 
er mit Liebe und Verehrung auf die Katze, die sein heidnischer 
V^orfahr für den Liebling seiner Göttin hielt. Wenn dies später 
damit begründet wurde, man folge hier Muhammeds Beispiel, der 
die Katzen geliebt habe, so ist das nur ein Versuch, die heid- 
nische Sitte als muhammedanische umzudeuten und erweist sich 
um so mehr als Erfindung, als die Achtung vor der Katze bej 
den christlichen Kopten fast noch größer ist als bei ihren muham- 
medanischen Mitbürgern. 

Unter den heiligen Tieren der ersten Klasse sind vier von 
besonderer Bedeutung gewesen und werden von den griechischen 
Schriftstellern ebenso wie von den Inschriften sehr häufig erwähnt 
es sind der Apis-Stier, das Suchos-Krokodil , der Phönix und die 
Sphinx, er^tere beiden wirklich vorhandene, an ihren Kultorten 
lebende Tiere, letztere dagegen Fabelwesen, die nur in der Phan- 
tasie ihrer Anhänger ein Dasein führten. 

Apis, ägyptisch hapi, war der Name des heiligen Stieres in 
Memphis, dessen Verehrung so alt ist wie die ägyptische Ge- 
schichte. Schon *unter den Königen der vierten Dynastie treten 
seine Priester auf und von da an wird seiner bis in die späteste 
Zeit gedacht; unter dem Kaiser Hadrian wird von Unruhen be- 
richtet, die hei Gelegenheit der Auffindung eines neuen Apis ein- 
traten und noch unter Julian ward ein Apis feierlich in seine 
Stellung eingeführt. Der Apis war erzeugt worden durch einen 
Mondstrahl, der eine Kuh getroflfen hatte, er war damit ein Sohn 
der Gottheit, die in diesem Mondstrahle zur Erde niederstieg; der 
Mensch erkannte das auserwählte Tier an seinen Zeichen und 
galt es, wenn der alte Apis gestorben war, den neuen aus den 
ägyptischen Herden herauszufinden. Dann durcheilten Priester 

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100 Die Religion der allen Ägypter. 

das ganze Land und suchten oft jahrelang, ehe sie das Tier ent- 
decken konnten. Reiche Belohnung wurde seinem Besitzer zuteil, 
*hohe Achtung der Mutter des Stieres, der ein eigener Tempel er- 
richtet war, und auch der Entdecker des Stieres erhielt große 
Geldsummen, bisweilen bis zu 100 Talenten Gold. Das Tier ward 
nach Nilopolis in Unterägypten geführt und hier so weit abgerich- 
tet, als erforderlich schien, um es nach Memphis selbst bringen 
zu können, was beim Mondaufgange in der vergoldeten Kabine 
einer heiligen Barke geschah. Seine Behausung war im Ptah- 
Tempel, hier erbaute ihm der König Psammetich einen prächti- 
gen Hof, in dem man zu Strabos Zeit das Tier herumspringen 
sehen konnte, wenn man sich nicht damit begnügte, durch ein 
Fenster einen Blick in seinen Stall zu werfen. 

Groß waren die Ehren, die dem Tiere zu teil wurden, die 
Pharaonen verwendeten bedeutende Summen auf seinen Kult, 
Alexander der Große und noch Titus hielten es für nötig; ihm 
ihre Opfer darzubringen. Besonders berühmt war es durch seine 
Orakel, die es in verschiedenster Weise erteilte. Als es dem be- 
kannten Astronomen Eudoxus von Cnidus das Gewand beleckte, 
bedeutete dies dessen Tod; ein gleiches Schicksal ward Germani- 
cus vorhergesagt, als das Tier nicht aus seiner Hand fressen 
wollte. Das Brüllen des Stieres bereitete auf die Eroberung Ägyp- 
tens durch Augustus vor. Auf andere Fragen erwiederte er , in- 
dem er bald in dieses, bald in jenes zweier ihm zur Verfügung 
gestellten Gemächer eintrat; wieder andere Fragen wurden durch 
Träume beantwortet, die er den *im Tempel Schlafenden schickte 
und die sich diese durch heilige Erklärer deuten ließen. Wieder 
andere stellte man dem Stiere selbst und lauschte dann auf die 
Stimme der Kinder, die vor dem Tempel spielten; aus ihren AVor- 
ten vernahm der gläubige Fragcr die Antwort in rhythmischer 
Form. Prophezeiungen im allgemeinen konnte man vornehmen, 
wenn der Stier bei Umzügen ausgeführt wurde, „dann sangen die 
hn begleitenden Jünglinge bis sie der Geist ergriff* und sie pro- 
.phezeiten, während der Apis Anbetung fordernd verständnisvoll 
umherblickte." 

So lebte der Apis im Tempel, bis er eines natürlichen Todes 

verschied. Trat dieser ein, so war die Trauer in Ägypten groß, 

eierlich ward das Tier einbalsamiert und dann zu seiner letzten 

Ruh estätte geleitet. Durch eine Entdeckung Mariettes ist dieselbe 



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Siebentes Kapitel. Die Tierverehrung. 10t 

bekannt geworden, wenigstens soweit sie die Tiere seit der Mitte 
der 18ten Dynastie, d. h. seit etwa dem Jahre 150() v. Chr. auf- 
genommen hat. Hier stehen in einzelnen Kammern, die sich zum 
Teil an ein ausgedehntes System von Gängen anschließen, zum 
Teil aber auch isoliert unter kleinen Kapellen angelegt sind, 
die riesigen, meist aus einem Stein gefertigten, durchschnittlich 
65000 Kilogramm schworen Särge der Tiere. In einzelnen Särgen 
lagen noch die Stiere, eine Kammer war seit dem Alterlume ganz 
unberührt geblieben, so daß man noch die Fußspuren des letzten 
Ägypters, der sie vor etwa 3000 Jahre verließ, erkennen konnte. 
Vor und in den Kammern waren zahlreiche Stelen und Statuetten 
aufgestellt, welche Widmungen an den toten Apis enthielten und 
von Leuten herrührten, die kurz nach dem Tode des Tieres hier 
her gewallfahrtet waren, um ihm noch einmal ihre Ehrfurcht zu 
bezeigen in der Hoffnung, dadurch den Gott zu Gegenleistungen 
aller Art zu veranlassen. Die Seele des Tieres, der Osiris-Apis 
ward in den Himmel aufgenommen und später fast ganz als 
Doppelgänger des Osiris aufgefaßt; in dieser Gestalt haben ihn 
die Griechen kennen gelernt, Züge des Pluto und des Asklepios 
mit ihm verschmolzen und den so entstandenen halbägyptischen, 
halbgriechischen Gott als Serapis bezeichnet. Dieser Gott hat 
mit seiner Verehrung im römischen Kaiserreiche eine ungemein 
große Rolle gespielt, in allen Provinzen erscheinen seine Anhän- 
ger, so gut wie überall, wohin die römischen Legionen vordrangen, 
linden sich Inschriften mit seinem Namen. Er trat als Genosse 
der Isis auf, deren eigentlichen Gemahl Osiris er fast ganz ver- 
drängte. Seine Anhänger waren es, die es zur Ausübung der 
richtigen Verehrung für nötig hielten, ägyptische Gegenstände in 
den Tempeln und in ihren Häusern aufzustellen, ihnen ist es zuzu- 
schreiben, daß sich so häufig in dem ehemals römischen Gebiete 
echtägyptische Altertümer aller Art, von den Obelisken an ab- 
wärts bis zu den kleinsten Amuletten gefunden haben. 

Such OS, ein Krokodil, in dem Sebäk sich verkörperte, lebte 
in einem See bei Krokodilopolis im Fayum und war gegen die 
Priester zahm. Einen Besuch bei ihm schildert der Reisende 
Strabo, der unter dem Kaiser Augustus in Ägypten sich aufhielt, 
mit den Worten: „Mein Gastfreund, ein sehr angesehener Mann, 
der uns in Krokodilopolis die heiligen Dinge zeigte, ging mit uns 
an den See; er hatte von der Mahlzeit einen kleinen Kuchen, ge- 



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102 Die Religion der alten Ägypter. 

bralenes Fleisch und ein Fläschchen Honigwein mitgenommen. 
Wir fanden das Tier am Ufer liegend ; die Priester gingen zu ihm, 
einer öffnete seinen Rachen, einer steckte den Kuchen hinein, 
dann das Fleisch und goß hierauf den Wein. Nun sprang das 
Tier in den See und schwamm an das jenseitige Ufer. Unterdes- 
sen kam ein anderer Fremder, der eine gleiche Gabe bei sich 
hatte; da nahmen die Priester dieselbe in Empfang, gingen um 
den See herum und als sie das Tier gefunden hatten, da gaben 
sie ihm das Mitgebrachte in derselben Weise." Wie der Apiskult 
so hat sich auch die Verehrung des Suchos oder wie er später 
hieß, Petesuclios „die Gabe des Suchos** lange Zeit erhallen, noch 
200 n. Chr. wird ein Priester des Tieres erwähnt. Mit dem Apis 
teilte es auch die prophetische Begabung; als es sich eines Tages 
weigerte, auf den König Ptolemäus zu hören und bei der Gele- 
genheit selbst die Priester nicht beachtete, da war das ein Zeichen 
des baldigen Todes des Herrschers. Seine letzte Ruhestätte fand 
das sorgsam einbalsamirte Amphibium in den unterirdischen Ge- 
mächern des Labyrinths und galt der Raum als so heilig, daß 
sein Besuch Herodot, als er in diese Gegenden kam, verwehrt 
wurde. 

Der Phönix, den die römischen und christlichen Künstler 
gern als Adler darstellen, hatte nach ägyptischer Anschauung 
vielmehr die Gestalt eines Reihers und war besonders gekennzeich- 
net durch zwei lange Federn am Hinterkopfe ^r^, zu denen bis- 
weilen noch ein Federbüschel vom an der Brust trat; sein Name 
war bennu, was den sich Umwendenden, den Zurückkehrenden 
bezeichnet. Das Tier entstand nach der Sage auf der Spitze ei- 
nes Baumes in Heliopolis während eine Flamme emporloderte und 
zeichnete sich durch seinen schönen Gesang aus, dem sogar die 
Sonne gerne lauschte. Es war Rä geweiht, denn es ist eine Form 
der Morgensonne, die im Feuer der Morgenröte entsteht; wenn 
diese erlischt, dann fliegt die Sonne neugeboren am Himmel eni-^ 
por. Aber wenn die Sonne stirbt, dann wird sie zum Osiris und 
hre einbalsamierte Leiche wird nach Heliopolis gebracht, wo aus 
ihr die neue Sonne entsteht, so wird der Phönix zugleich eine 
Form des Osiris, in dessen Gestalt er zur Heimat zurückkehrt. 
Wie aber die Sonne stirbt und aus der Osiris-Sonne die Phönix- 
Sonne entsteht, so geht es auch dem Menschen, auch bei ihm 



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Siebentes Kapitel. Die Tier Verehrung. 103 

entwickelt sich aus dem Osiris das neue Leben und darum wird 
der Tote dem Phönix gleichgestellt, dieser wird zu einem Zeichen 
der Auferstehung. Als solches ist er zu den klassischen Völkern 
und weiter zu den Christen gelangt, als solches wird er bei den 
Kirchenvätern erwähnt und in den ältesten christlichen Darstel- 
lungen abgebildet. 

Die Sphinx der Ägypter hat mit der griechischen nur den 
Namen gemein. Als die ersten Griechen in das Nilthal gelangten, 
als sie hier Gestalten von Tieren mit Menschenköpfen erblickten, 
da war es nur natürlich, dala sie sich erinnerten, daß auch in ih- 
rer Heimat einst ein derartiges Wesen gehaust haben sollte; sie ga- 
ben den ägyptischen Gestalten dessen Namen unbekümmert darum, 
daß von einer thatsächlichen Ähnlichkeit nicht die Rede sein 
konnte. Die Sphinx der Ägypter gilt als Wächter eines Heilig- 
tumes oder Gottes und nimmt daher der Wächter der Unterwelt, 
der Schützer des Gottes Rä, der Gott Aker mit Vorliebe die Ge- 
stalt einer Löwensphinx an, wenn er auszieht die Feinde des 
Sonnengottes zu vernichten. Wie die geflügelte Sonnenscheibe 
über dem Tempelthore schon durch ihr Dasein jeden Bösen ver- 
hinderte, in die geweihten Räume einzutreten, so wehrte das vor 
dem Bau liegende Bild der Sphinx jeden Gegner des Gottes von 
der Pforte seiner Behausung ab. Und im Grabe spielten die be- 
sonders in später Zeit hier aufgestellten Sphinxe die gleiche Rolle: 
„Ich beschütze deine Grabkapelle", ruft eine solche ^^) dem To- 
ten zu, „ich bewache deine Grabkammer, ich wehre ab den frem- 
den Eindringling, ich werfe zu Boden die Feinde samt ihren 
Waffen, ich vertreibe den Bösen aus deiner Grabkapelle, ich ver- 
nichte deine Widersacher in ihrem Schlupfwinkel, dann verschließe 
ich denselben, so daß sie nicht mehr hervorkommen." 

Die Sphinx im eigentlichen Sinne des Wortes war ein vier- 
füßiges Tier mit Menschenkopf, das in der Wüste sein Dasein 
führte, in ihm verkörperte sich gerne der Sonnengott Rä, wenn 
er seine Freunde und Anhänger beschützen wollte. Diese Be- 
deutung hat das Riesenbild der Sphinx, das sich 20 m hoch aus 
natürlichem Fels gearbeitet neben den Pyramiden von Gizeh aus 
dem Wüstensande erhebt. In unbekannter Vorzeit gefertigt, lag 
es schon unter dem Erbauer der zweiten Pyramide Ghephren an 
dieser Stelle und bewachte das Gräberfeld vor feindlichen Dämo- 
nen; sein Auge war nach Osten gerichtet, wo die Sonne aufging, 



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101 Die Religion der ulten Ägypter. 

deren Gott auch in ihm sich offenbart hatte, denn die Morgeii- 
sonne, welche die Nebel der Nacht verscheucht, ist es vor allem, der 
die Sphinx geweiht ist, die daher neben dem Namen Ra-Harmachis 
gern den des A'eperä führt. Zwischen ihren Vorderpfoten lag ein 
kleiner Tempel, zu dem Treppen hinaufführten und in dem Ste- 
len und Inschriften von ihrer Verehrung Zeugnis ablegten. Zu- 
gänglich war der Bau freilich nur selten. Wie noch jetzt, so 
lag bereits im Altertume die Sphinx im Bereiche der Wüste und 
des Flugsandes, mehrfach ward sie von letzterem bedeckt. Eine 
Stele ist erhalten geblieben, die berichtet, wie der Gott Harmachis 
selbst eines Tages , als der König Thutmes IV. auf der Jagd sei- 
jien Mittagsschlaf bei der Sphinx hielt, diesem im Traume erschien 
und ihn aufforderte, sein Bild ausgraben zu lassen. Die Arbeit 
des Königs brachte keinen dauernden Gewinn. Bald hatte der 
Sand das Bildwerk und mit ihm die Stele, auf der der König 
sein Thun hatte aufzeichnen lassen, von neuem bedeckt. Ramses II. 
scheint die Sphinx wieder ausgegraben zu haben, denn sein Name 
erscheint in dem Sphinxtempel, dann verschwand sie wieder, 
Herodot gedenkt ihrer nicht , während spätere griechische Texte 
sie erwähnen. In unserem Jahrhundert hat man mehrfach den 
Sand weggeschafft, aber stets ist er wiedergekehrt und nur das 
majestätische, leider durch die Araber stark verstümmelte Gesicht 
des Bildnisses schaut über das Sandmeer als „Vater des Schreckens**, 
wie es die Umwohner gleichsam in Erinnerung an seine uralte 
Bedeutung nennen. Dieser wird es so gut gerecht, daia es die 
Reisenden schon lange vor der Entzifferung der Hieroglyphen, 
lange ehe man den eigentlichen Sinn der Sphinx kennen lernte, 
oftmals als das Bild des Wächters des Grabfeldes bei den Pyra- 
miden bezeichneten. 

Die Zahl der erhaltenen Sphinxe aus dem alten Reiche ist 
sehr gering, häufig werden sie in der zwölften Dynastie und blei- 
ben dann bis zu den Ptolemäern heralD beliebt. Ihr Gesicht ist 
das des augenblicklichen Herrschers, aus demselben Grunde, der, 
wie bereits bemerkt, die Ägypter veranlaßte , den menschlichen 
Köpfen ihrer Götter die Züge des Pharao zu geben. Da es sich 
meist um Könige handelt, so sind die Sphinxe gewöhnlich männlich, 
wie auch schon Herodot von den männlichen Sphinxen des Atna- 
sis zu Sais berichtet; daneben kommen aber auch, wenn Köni- 
ginnen als Stifterinnen auftreten, weibliche Sphinxe vor und dies um 



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Siel»enles Kafulel. Die Tierverehrunjr. Wi 

SO mehr, wenn die Sphinx gleichzeitig eine Göttin darstellen sollte. 
Ihr Bild blieb nämlich nicht ausschließlich eine Incorporationst'orm 
des Rä, es wurde, wie erwähnt, auch vom Gotte Aker gewählt, 
weim er als Wächter auftreten wollte, und ebenso handelten an- 
dere schützende Gottheiten, wie beispielsweise gelegentlich Isis als 
Schützerin ihres Gatten Osiris. 

Hieraus erklärt es sich, daß die Sphinxe bisweilen andere 
als menschliche Köpfe tragen, wie den eines Sperbers, es sind 
dies dann die üblichen Köpfe des Gottes, als dessen Verkörperung 
sie gelten, bezw. die Köpfe seines heiligen Tieres. Nicht zu ver- 
wechseln mit diesen Gestalten sind dagegen die Widder, Löwen und 
andere Geschöpfe, die sich an andern Stellen in Ägypten vor Tempeln 
und als Amulette vorfinden, sie sind nichts anderes als die Bilder 
der heiligen Tiere selbst, in denen die Incorporation der Götter 
erfolgte, sie haben genau die gleiche Bedeutung wie Bildnisse der 
betreifenden Götter. Die Übertragung des Namens Sphinx auf sie 
ist sachlich nicht berechtigt. Daß man überhaupt auf diesen Ge- 
danken kam, hat seinen Grund mir darin, daß diese Gestalten 
und die Sphinxe in der ägyptischen Architektur eine gleiche Ver- 
wendung fanden. 

Der ägyptische Tempel hatte als solcher einen doppelten 
Zweck zu erfüllen. Einmal war er die Behausung des Gottes oder 
richtiger seines heiligen Tieres, die zugleich Bäume für seine Ver- 
ehrer darbieten niußte, wenn sich dieselben zum Gebet oder ()()- 
fer vereinigten , dann aber war er eine Festung, in der sich der 
Gott und seine Anhänger gegen Feinde verteidigen konnten. Diese 
letzte Bedeutung stammt jedenfalls aus der vorgeschichtlichen Zeit 
Ägyptens, in der Nomos mit Nomos um die Macht kämpfte und 
noch kein Pharao die Streitigkeiten der kleinen Bezirke schlich- 
tete und blutige Ausbrüche der Einzelinteressen und Parteileiden- 
schaften verhinderte. Damals wird die Eroberung eines Ortes, 
wie noch jetzt bei wilden Stämmen, zur Vernichtung seines Got- 
tes, zur Abschlachtung des heiligen Tieres geführt haben. Der 
Ägypter verfuhr damals ebenso, wie später Cambyses, als er den 
Apis zu töten versuchte, oder Ochus, als er den heiligen Stier 
und den mendesischen Widder umbringen ließ. Um solches zu 
vermeiden, mußte der Aufenthaltsorl des Gottes zugleich der fe- 
steste Punkt seines Bezirkes sein, die Citadelle, in der sich seine 
Anhänger zum letzten Kampfe zusammen scharten. Dieser Fe- 



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KX> Die Religion der allen Ägypter. 

stungscliarakter des Tempels ist von den Bewohnern des Nilthaies 
auch dann noch festgehalten worden, als bei wachsender Einheit 
des Reiches und bei zunehmender Anerkennung der Berechtigung 
aller, auch der nicht unmittelbar dem Einzelnomos angehörigen 
Götter, die Gefahr der Vernichtung der Tempel und ihrer Götter 
geschwunden oder doch sehr vermindert war. Der Grundplan des 
Tempels ist im großen und ganzen von den ältesten bis zu den 
jüngsten Zeiten unverändert geblieben. 

Der wichtigste Raum des Baues war das Sanctuar, das den 
Naos enthielt, einen viereckigen, nach vorn offenen, durch ein 
Gilter verschließbaren Kasten, der als Käfig des heiligen Tieres 
oder als Aufenthaltsort der göttlichen Incorporation in Stein- oder 
sonstiger Gestalt diente; in Tempeln, in denen ausnahmsweise 
mehrere Götter als gleichberechtigt verehrt wurden, konnten statt 
des einen Sanctuars mehrere vorhanden sein, die dann nebenein- 
ander lagen. Um diese Räume herum lagen Kammern, die dunkel 
zu sein pflegten und in denen man das Tempelgerät, die heiligen 
Gewänder, Prozessionsbarken, Standarten u. dgl. aufbewahrte. 
Vor dieser Anlage befand sich ein Hof, dessen Dach von Säulen 
getragen wurde und der von oben sein Licht empfing, also halb- 
dunkel war, eine schmale und nicht hohe Thür verband ihn mit 
dem Sanctuar. Kaum größer war die Thür, die auf der entge- 
gengesetzten Seite herausführte in einen zweiten ungedeckten Hof, 
über dem der Himmel sich wölbte. Nur an seiner rechten und 
linken Seite pflegen Säulengänge zu laufen, selten geht auch in 
der Mitte ein solcher. Den Abschluß dieses Hofes bildet ein mo- 
numentales Thor. Auch hier ist der Eingang klein, aber — und 
dies pflegt auch bei dem Thor zwischen dem ersten und zweiten 
Hof der Fall zu sein — an seinen Seiten erheben sich gewaltige, 
nach den Seilen leicht abgeschrägte, breite Turmanlagen, von deren 
Brustwehren sich der Eingang leicht verteidigen ließ; diese Anlagen 
sind die sogenannten Pylonen. In die eigentliche Thür pflegten 
Holzthore eingelassen zu sein, die, mit edlen Metallen beschlagen, 
in der Sonne glitzerten. Außer diesem Eingang führten in den 
Tempel nur kleine Seitenthüren, die man leicht verranmieln oder 
gegebenen Falls zu Ausfällen benutzen konnte. 

Vor dem Pylon standen meist Obelisken , je einer auf jeder 
Thürseite, dahinter je eine sitzende Statue des den Tempel grün- 
denden Königs, neben der je vier hohe Stangen, an denen oben 



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Siebentes Kapitel. Die Tierverehrung. 107 

bunte Fähnchen wehten, sich befanden. Ihr Zweck war, auf my- 
stischem Wege das Böse vom Tempel abzuhalten, ein Zweck, 
dem auch das über der Thür angebrachte Bild der geflügelten 
Sonnenscheibe diente. Die Wände aller dieser Tempel teile, vom 
Obelisken an bis zum Sanctuar, sind mit Darstellungen geschmückt, 
die nach einem bestimmten Schema angeordnet zu sein pflegen. 
In der Hauptsache bilden sie eine Art Vademecum für den den 
Tempel betretenden König und stellen die verschiedenen Cererno- 
nien dar, die er selbst vorzunehmen hatte. Sie beginnen an der 
Thür und gehn dann voran bis zum innersten Räume; stets ent- 
sprechen sich die rechte und linke Wand in den Darstellungen, fast 
immer blickt der anzubetende Gott nach außen, während der König 
nach innen zu schreitet. Verhältnismäßig selten wird die regel- 
rechte Folge durch historische Texte, durch Schlachtendarstellun- 
gen und ähnliches unterbrochen, diese brachte man lieber an 
den Außenwänden des Tempels an. Zu dem Tempel aber gehör- 
ten dieselben, denn jeder Krieg galt dem Ägypter als ein heiliger. 
Der Gott selbt ordnete an, gegen welches Volk nian ziehen solle, 
er gab bis in das Einzelne gehende Ratschläge, befahl beispiels- 
weise, der König dürfe nicht persönlich mit in die Schlacht zie- 
hen, eine Anordnung, die sich der betreffende Herrscher Meren- 
ptah, der sich nicht durch persönlichen Mut auszeichnete, gern 
gefallen ließ. In andern Fällen kämpfte der König mit und 
dann schwebte der Gott als Vogel über ihm, ihn schützend und 
ihm Sieg verleihend; im Augenblicke dei' Gefahr nahm er sogar 
Menschengestalt an und focht neben dem Pharao. Da der Gott den 
Krieg geleitel hatte, ward ihm auch von dem siegreichen Herr- 
scher das Beste der Beute dargebracht, Geld, Sklaven, die Ein- 
künfte ganzer Städte wurden ihm verliehen, die Kriegsthaten aber 
und besonders den Sieg zeichnete man in der Behausung des Got- 
tes auf, waren es doch dessen Thaten, die hier berichtet wurden 
und war doch der König sein Sohn, der als sein Werkzeug für 
ihn gefochten hatte. Fast regelmäßig erscheint eine Siegesscene 
an der V^orderwand der Pylone, hier erblickt man den König, wie 
er vor dem Gotte eine Reihe von Gefangenen, die flehentlich um 
Gnade bitten, niederschlägt. Dies stellt einmal einen wirklichen 
Vorgang aus der Geschichte des Pharao dar, dann aber war es 
zugleich ein abschreckendes Beispiel für jeden Feind des Gottes, 



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108 Die ReIi|,'ion der alten Ägypter. 

der hier sah, wie es ihm ergehen würde, wenn er sich der gött- 
lichen Macht widersetzte. 

Die bisher besprochenen Tempelanlagen befanden sich inner- 
halb einer meist aus Erde aufgeschütteten Umwallung, die bis- 
weilen mehrere Tempel, Haine, in denen Vögel nisteten, Seen, 
auf denen die Tempelbarken umhertuhren und das Osirisfest ge- 
feiert ward, Wohnungen für die Priester und, wie es scheint, ge- 
legentlich auch Palastanlagen umschlossen. Thore gewährten 
den Pylonenthüren gegenüber Einlaß in den heiligen Umkreis. 
Zu diesen Thoren führten heilige Straßen, auf denen die Umzüge 
mit den Bildern der Götter stattfanden, die Begräbnisse sich be- 
wegten und der König zum opfern hinzog. Zu dem Nil herab 
waren mit den Straßen verbundene Treppen angelegt, an deren 
Fuß die nur dem Tempel und dem Totenkulte dienenden Barken 
ankerten. Diese Wege pflegen eingefaßt zu sein von Sphinxen 
und noch häufiger von den Bildern des heiligen Tempeltieres, in 
Theben also gewöhnlich des Widders, die in regelmäßigen Ab- 
ständen von einander aufgerichtet standen. Tausende solcher 
Tierbilder waren vorhanden, ihre Inschriften preisen den König, 
der sie weihte, und zwischen den Beinen hielten sie bisweilen 
das Bildnis eben dieses Herrschers. iSie bewachten die heilige 
Straße und umgränzten das heilige Gebiet des Gottes, der bei 
Umzügen nirgends sein Eigentum zu verlassen brauchte, denn die 
Straßen führten mitten hindurch durch die Städte und durch das 
Fruchtland von Ten^pel zu Tempel, und sogar bis zu den Einbal- 
saniierungsstätten und den Grabern, denn auch der Tote, den 
man dorthin geleitete, war ein Gott geworden, der nicht mehr 
ungeweihten Boden betreten sollte. 

Die Schranken, welche die Sphinxreihen bildeten und die 
Tempelumwallungen darboten, waren die einzigen, die im Nilthale 
den Gott von den Menschen schieden. Wer reines Herzens, wer 
ein Freund der Götter war, durfte bei Festen die Straßen benut- 
zen und mit den Umzügen eintreten in di(j Tempel, er durfte 
den Gesangen der Priester lauschen und ehrfurchtsvolle Blicke 
hineinwerfen in das Allerheiligste, in dem in geheimnisvollem, nur 
durch Lampen erhellten Dunkel der Gott in seiner Tiergestalt 
sich bewegte. Jeder Ägypter konnte hier eintreten, eine Trennung 
des Volkes in Esoteriker, die die tiefere Kenntnis der Religion 
besessen hätten^ und in Exoteriker, die nur von außen den hei- 



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Achtes Kapitel. Osiris un<1 sein Kreis. W,) 

ligen Handlungen beiwohnen, den Tempel oder gar die Innen- 
räume aber nicht betreten durften, kennen die Inschriften nicht, 
so oft neuere Gelehrte auch davon zu erzählen gewußt haben. 
Selbstverständlich wird man ebenso wenig wie bei uns jeden be- 
liebigen Menschen ohne weiteres in den Tempel gelassen und ihm 
gestaltet haben zu dem Allerheiligsten zu treten; es gehörte dazu 
eine gewisse Vorbereitung, die besonders in Gebeten, in Fasten 
und Waschungen bestand, ausgeschlossen war aber von den Ge- 
heimnissen der ägyptischen Religion niemand, sie waren den 
höheren Ständen so gut zugänglich wie dem Volke, wenn sich 
letzteres auch wenig um dieselben bekümmert und den Priestern 
die Abhaltung der Opfer überlassen haben wird. Das Volk wird 
mehr an Amulette und Zauberei geglaubt haben als der Gebil- 
dete, grundsätzlich war der Glaube aller Klassen der gleiche, My- 
sterien bot die ägyptische Religion nur dem, der sie nicht kannte oder 
der nicht den Wunsch empfand, sich über seinen Glauben näher zu 
unterrichten, was bei der Verwickoltheit und dem Widerspruchs- 
vollen der Lehren freilich schwierig und zeitraubend sein mußte. 

Achten Kapitel. 

Osiris und sein Kreis. 

Die Sage von Osiris und Isis wird am vollständigsten von 
Plutarch in einer etwa 100 n. Chr. abgefaßten Schrift *^) berich- 
tet, dessen Fassung unter Fortlassung unwesentlicher Züge und 
der eigenen Betrachtungen Plutarchs selbst folgendermaßen lautet: 
Rhea (Nut), die Gemahlin des Helios (Rä) hatte ein heimliches 
Verhältnis mit Kronos (Seb) gehabt; als dies Helios bemerkte, 
sprach er eine Verwünschung über sie aus, daß sie in keinem 
Monate noch Jahre gebären solle. Auch Hermes (Thoth) liebte 
die Göttin und pflog mit ihr Umgang; als er nun eines Tagos 
mit Selene Brett spielte und ihr den 70. Teil jedes Tages abge- 
wann, da bildete er aus allen diesen Teilen 5 ganze Tage und 
schaltete dieselben hinter den 300 Tagen des ägyptischen Jahres 
ein. Am ersten dieser neu geschaffenen und von Helios' Fluch 
nicht berührten Tage, entstand Osiris und zugleich ertönte eine 
Stimme, der Herr aller Dinge trete an das Licht; einem gewissen 
Pamyles in Theben wurde eröffnet, er sol'e die Geburt des großen 
Königs, des wohlthätigen Osiris, laut vorkünden und zugleich 



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110 Die Religion der alten Ägypter, 

Übergab ihm Kronos den Osiris zur Erziehung. Am zweiten Tage 
ward Aroeris (Hor-ur),der ältere Horus geboren ; am dritten Typhon 
(Set), der die Weiche der Mutter durchbrechend seitwärts heraus- 
sprang, am vierten Isis, am fünften Nephthys. Osiris und Aroeris 
sollen Kinder des Helios, Isis des Hermes, Typhon und Nephthys 
des Kronos gewesen sein, nach e-nigen Angaben hätten sich Osiris 
und Isis so sehr geliebt, daß sie. bereits im Mutterleibe Umgang 
pflogen, diesem sei Aroeris entsprossen. Jedenfalls waren später 
Osiris und Isis vermählt, ebenso wie Typhon und Nephthys. 

Als Osiris zur Regierung kam, änderte er sogleich die ärm- 
liche und tierähnliche Lebensweise der Ägypter, zeigte den Bau 
der Feldfrüchte, gab Gesetze und lehrte die Götter ehren. Später 
durchzog er die ganze Welt um die Sitten zu mildem, wobei er 
kaum der Waffen bedurfte, sondern die meisten durch Überredung 
und Lehre, durch Gesang und Musik gewann, weshalb ihn auch 
die Griechen für denseli^en wie Dionysos halten. So lange er 
abwesend war, unternahm Typhon keine Neuerung, da Isis sehr 
auf der Hut war und ihm kräftig entgegentrat, bei seiner Rückkehr 
aber stellte er Osiris mit List nach, wobei er als Mitverschworene 
72 Männer und eine Königin aus Äthiopien Aso hatte. Er nahm 
heimlich das Maß des Körpers des Osiris und fertigte nach diesem 
einen schönen, reichgeschmückten Kasten, den er zu dem Gast- 
mahle mitbrachte. Als ihn nun alle bewunderten, versprach 
Typhon, wie im Scherze, den Kasten dem zu schenken, der darin 
liegend ihn genau ausfüllen würde. Alle nach einander versuchten 
es, endlich stieg auch Osiris hinein und legte sich hin. Da spran- 
gen die Verschworenen hinzu, warfen den Deckel zu, verschlossen 
ihn von außen mit Nägeln, gössen heißes Blei darüber, trugen 
ihn an den Fluß und sandten ihn durch die Tanitische Mündung 
in das Meer. Es war am 17. des Monats Athyr als dies geschah, 
im 28. Jahre des Lebens, oder wie andere angeben, der Regierung 
des Osiris. 

Isis trauerte tief, als sie die Nachricht von dem Geschehe- 
nen erhielt und irrte überall umher, nach dem Körper des Gatten 
suchend, bis sie von einigen Kindern erfuhr, durch welche Nil- 
mündung der Kasten in das Meer gelangt sei. Darauf erfuhr sie 
weiter, daß Osiris einmal seiner Schwester Nephthys beigewohnt 
habe als wenn dieselbe Isis wäre, sie suchte das dieser Verbin- 
dung entsprossene Kind auf, nährte es und gewann in ihm, das 



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Achtes Kapitel. Osiris und sein Kreis. 111 

den Namen Anubis erhielt, einen Wächter und Gefährten. Der 
Kasten mit Osiris war unterdessen in Byblos an das Land getrie- 
ben worden, eine prachtvolle Erika, die in der Nähe stand, um- 
schloß ihn schnell aufwachsend mit ihrem Stamme. Als diesen 
der König des Landes sah, ließ er ihn samt dem Sarge, dessen 
Vorhandensein er nicht ahnte, abschneiden und als Säule in seinem 
Hause aufstellen. Isis kam nun selbst nach Byblos, durch den 
Wohlgeruch, den sie von sich gab und den Mägden des Königs 
einflößte, erlangte sie Zutritt in den Palast und ward zur Amme 
des Kindes des Königs ernannt. 

Die Göttin nährte das Kind, indem sie ihm statt der Brust 
den Finger in den Mund steckte, und verbrannte nachts die sterb- 
liehen Teile seines Körpers, während sie selbst, in eine Schwalbe 
verwandelt, klagend die Säule umflog, bis einst die Königin Astarte, 
die sie beobachtete, laut aufschrie als sie ihr Kind in den Flam- 
men sah und dasselbe so der Unsterblichkeit beraubte. Die Göftin 
offenbarte sich jetzt und verlangte jene Säule, leicht zog sie die- 
selbe unter dem Dache fort und schnitt die Erika rings um den 
Sarg ab. Die Säule wickelte sie in ein Leintuch, goß Myrrhen dar- 
über, gab das Ganze dem Könige und schuf so das von den Bybliern 
bis in späte Zeit verehrte Holz der Isis; dann warf sie sich über 
den Sarg, schluchzte laut und nahm ihn endlich mit sich auf ein 
SchiflF. Erst als sie in die Einsamkeit gelangt war, öffnete sie den 
Kasten, legte ihr Gesicht an das des Toten, küßte ihn und weinte. 

Hierauf verbarg sie den Sarg und reiste zu ihrem Sohne 
Horos, der in Buto in Unterägypten erzogen wurde. Typhon, 
der in der Nacht bei Mondlicht jagte, fand den Sarg, erkannte 
den Körper, zerriß ihn in 14 Teile und streute dieselben umher. 
Sobald dies Isis erfuhr, begab sie sich auf einen Kahn, durchfuhr 
das Delta und suchte nach den einzelnen Teilen; mit Ausnahme 
des "Gliedes entdeckte sie alle, an jeder Fundstätte ward ein 
Osirisgrab errichtet. Unterdessen war Horus erwachsen und rü- 
stete sich zum Kampfe gegen Typhon; derselbe dauerte viele 
Tage und endete mit dem Siege des Horus. Isis aber, der man 
den gefesselten Typlion übergab, tötete denselben nicht, sondern 
entließ ihn. Voll Entrüstung riß Horus der Isis die Krone vom 
Haupte oder richtiger hieb ihr das Haupt ab, Hermes setzte ihr 
statt dessen einen Kuhkopf auf. Isis gebar später noch von 
Osiris, der nach seinem Tode mit ihr Umgang pflog, den vorzei- 



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1V2 Die Religion der alten Ägypter. 

tigen, an den untern Gliedern nicht entwickelten Harpocrates 
(Hör pe ;{rut „Horus das Kind"). 

Dies ist der Bericht Plutarchs, der als forllaufende Erzählung 
auf den Monumenten sich nicht nachweisen läßt. Trotzdem ist 
er durchweg altägyptisch , fast jeder seiner Einzelzüge wird gele- 
gentlich ei-wähnt, forldauernd wird auf denselben angespielt; 
offenbar war der Mythus so allgemein bekannt, daß man eine 
ausführliche Wiedergabe für unnötig hielt. Jedenfalls ist er kein 
Mysterium gewesen , wie man auf Grund herodoteischer Andeu- 
tungen oft hat behaupten wollen, das beweist am besten das der 
Zeit der 19. Dynastie entstammende Märchen von den beiden 
Brüdern, welches bei seiner Erzählung eine Reihe von Zügen des 
Mythus verwendet, die teilweise dem Hörer des Märchens unver- 
ständlich gewesen wären, hätte er nicht den Osirisraythus fest im 
Gedächtnis gehabt. Nur auf wenige besonders wichtige inschrift- 
lich beglaubigte Züge sei im einzelnen hingewiesen. 

Die Geburt der fünf Götter des Osiriskreises an den sog. 
Epagomenen tagen, d. h. den fünf Tagen, die der Ägypter an den 
Schluß der 12 je dreißigtägigen Monate seines Jahres setzte, um 
ein annähernd richtiges Jahr zu erhalten, wurde schon früh in 
den Tempeln als hohes Fest gefeiert; der dritte Tag, an dem 
Typhon geboren ward, galt dabei als einer der gefährlichsten 
Unglückstage. Auf die Güte des Osiris deutet vor allem hin seine 
Bezeichnung als Un-nefer „das gute Wesen", welche seinen ge- 
wöhnlichsten Titel und einen seiner Königsnamen bildet. Seine 
Ermordung am 17. Athyr wird bestätigt durch eine Notiz des der 
19. Dynastie entstammenden Papyrus Sallier IV, welcher auf die- 
sen Tag die Osirisklage in Sais setzt, ein Zusammentreffen, wel- 
ches um so beachtenswerter ist, als der größte Teil der ägypti- 
schen Texte den Tod des Gottes und die Klage um ihn auf die 
letzten Tage des Monats Ghoiak verlegt. Diese auf den ersten 
Blick sehr auffallende Verschiedenheit in der Datierung erklärt 
sich daraus, daß in Osiris zwei Gottesgestalten in einander ge- 
flossen sind, der sterbende und tote Rä und der menschenähn- 
liche Götterkönig. Ersterer starb Ende Ghoiak an dem kürzesten 
Tage des Jahres, auf welchen auch andere Völker den Tod und 
dann die Wiedergeburt der Sonne, die auch bei Rä gleich nach 
dem Tode eintritt, setzen, während für den König Osiris das 
Todesdatum auf Grund anderweitiger Erwägun^'cn gewählt werden 



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Achtes Kapitel. Oslris und sein Kreis. 113 

konnte. Besonders in späterer Zeit, als man in allen Gottheiten 
die Sonne wiederzufinden suchte, ward der Gedanke an den Athyr 
sehr zurückgedrängt, doch blieb diese Datierung, wie ihr regel- 
mäßiges Auftreten bei den klassischen Auloren beweist, dauernd 
bekannt, die älteste Anspielung auf den Tod des Osiris im Mo- 
nate Choiak findet sich in einer Inschrift der 18. Dynastie, i«) 

Die Verschmelzung von Rä und Osiris hat auch nach andern 
Riclitungen hin auf die Auffassung des Gottes eingewirkt und 
seine ursprüngliche Bedeutung verwischt. Letztere war die eines 
Idealmenschen, bez. Königs, dessen Leben das Vorbild anderer 
sein sollte, dessen Tod zeigte wie jeder sterben müsse, auch der 
beste, dessen Weiterleben in der Untenveit aber andererseits be- 
wies, daß jeder Mensch durch Tugend ein ähnliches Fortbestehen 
seines Ichs werde gewinnen können. Eine eigentlich göttliche 
Stellung hat dieser urspningliche Osiris während seines Lebens 
nicht besessen, wenn er auch von Göltern abstammte. Später 
hat man gesucht ihm eine solche zuzuschreiben, so behauptet 
eine Inschrift*^) der 18. Dynastie „er sei der Schöpfer der Welt, 
die er bildete mit seiner Hand, mit ihrem Wasser, ihrer Luft, 
ihren Kräutern, all ihren Viehherden, allen Vögeln, ihrem Gewürm, 
ihren Vierfüßlern**, läßt ihn also das Werk verrichten, welches 
nach der gewöhnlichen Annahme Rä ausgeführt hatte und giebt 
ihm eine Stellung, die zu seiner Legende logischer Weise nicht 
paßt. Und doch spielt ebenderselbe Text auf diese Legende in 
längerer Ausführung an und bemerkt: „Isis die glänzende, die 
Rächerin ihres Bruders (Osiris) suchle ihn und ruhte nicht wäh- 
rend sie dies Land durchstreifte voller Trauer, nicht blieb sie 
stehn, ehe sie ihn gefunden hatte; Licht machte sie mit ihren 
Federn, Wind machte sie mit ihren Flügeln, die beim Begräbnisse 
üblichen Lobpreisungen brachte sie ihm dar, sie entnahm dem 
Gotte sein Wasser und bildete ihm einen Erben, sie nährte 
das Kind mit einem ihrer Arme u. s. f." Das betreffende Kind 
ist dasselbe, welches die Griechen Harpocrates nennen und nach 
Osiris Tode empfangen werden lassen. 

Die Irrfahrten der Isis waren besonders in späterer Zeit ein 
beliebter Stoff für ägyptische Sagen. Es wird beispielsweise ^^) 
erzählt, Set habe nach dem Tode des Osiris die Isis mit Horus 
in einem Hause eingesperrt, auf Rat des Thoth entfloh dieselbe 
samt ihrem Kinde. Die Episoden der Flucht werden genau be- 

Dr. A. Wiodoraann: Dio Rftlie:ion der «Iton Aj^yptcr. 8 



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114 Die Religion der alten Agyf^ler. 

richtet, interessant ist dabei, daß sich einmal Isis in eine Kuh 
verwandelt und Horus in einen Apis-Stier, um vereint nach dem 
Orte Apis im libyschen Nomos sich zu begeben, „um zu schauen 
den Gott Osiris." Weder die Verwandlung in das Tier noch der 
Besuch der betreffenden außerhalb des Weges der Göttin liegen- 
den Stadt hat innerhalb der üsirismythe einen Sinn, sie sind 
entlehnt der Sage vom Gotte Rä, der sich bei seiner Abdankung 
auf einer Kuh nach eben diesem Orte „der Behausung der Kuh** 
zurückgezogen hatte. 

In diese Berichte hineinverflochten werden dann Züge aus 
der Einziehung und dem Jugendleben des Horus, den Isis, während 
sie die Leiche des Gatten suchte, der in der Stadt Buto mitten 
in den Sümpfen des Deltas lebenden Göttin Ua^^ (Leto) überge- 
ben hatte. Vor Set war das Kind hier geschützt, aber andere 
Gefahren bedrohten dasselbe. Eines Tages fiel es plötzlich von 
einem Skorpion gestochen leblos zur Erde, da rief Isis den Gott 
Rä um Hilfe an und die Sonnenbarke blieb stehn, ihr entstieg 
der Gott Thoth mit all seiner Zaubermacht und belebte das Kind 
von neuem, das berufen war, als Erwachsener den Thron seines 
Vaters Osiris zu besteigen und dessen Tod an Set zu rächen. 
Auf die Episoden dieses Kampfes, der lange dauerte und durch 
ganz Ägypten sich hinzog, weisen die Texte gleichfalls gern hin, 
er wird gewöhnlich in Verbindung gesetzt mit dem Kampfe des 
Hor-behudet gegen die Feinde des Rä, unter denen auch Set er- 
scheint. Der Ausgang all der Schlachten erfolgt zu gunsten des 
Horus, einen endgültigen Sieg vermag er aber nicht zu erringen, 
stets erhebt Set von neuem das Haupt und der Gedanke, zum 
Schluß habe Seb den Kampf geschlichtet, indem er Homs zum 
König von Ober-,- Set zu dem von Unter - Ägypten machte und 
die Grenze etwas südlich von Memphis laufen ließ, scheint ver- 
hältnißmäßig jung zu sein. Logisch mußte der Kampf ewig 
währen, denn Horus, bez. der ihm gleiche Osiris ist das gute, 
Set das böse Prinzip, welche beide stets in der Welt bleiben 
werden, wenn auch das Gute im Einzelfalle den Sieg erringen 
soll. Set ist infolge dessen auch der Tod, der den guten Gott 
Osiris zeitweise niederwirft, aber das Gute überwindet den Tod, 
in der Unterwelt lebt es wieder auf, und auf dieser Erde läßt es 
in Honis ein ihm gleiches gutes Wesen zurück. 

Lange Texte beschäftigen sich mit der Bestattung des Osiris. 



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Achtes Kapitel. Osiris und sein Kreis. 115 

Die Lieder, welche Isis und ihre Schwester Nephthys an seinem 
Sarge gesungen haben sollen und in denen sie ihn häufig als 
reinen Sonnengott darstellen, sind in mehreren von einander im 
einzelnen abweichenden, in den Grundgedanken aber sich ent- 
sprechenden Exemplaren erhalten geblieben *i). Die Feste, welche 
alljährlich bei der Wiederkehr des Todestages des Gottes im Monate 
Choiak gefeiert werden sollten und durch die seine Bestattung und 
seine Auferstehung dargestellt wurden, werden in einem langen Texte 
des Tempels zuDenderah *2)bis in das Einzelste hinein geschildert. 
Bei dieser Gelegenheit werden auch die verschiedenen Orte auf- 
gezählt, an denen sich Gräber des Osiris befanden, andere Texte 
ergänzen die betreffende Liste und geben zugleich an, welcher 
Teil des Gottes in jedem der Heiligtümer als heiliges Überbleibsel 
aufbewahrt und verehrt wurde. So befand sich in Memphis der 
Kopf, in Letopolis der Hals, in Athribis das Herz. Das Verzeich- 
nis ist dabei nicht nach einheitlichen Grundsätzen gemacht und 
ist daher manches Überbleibsel doppelt vertreten, der Kopf war 
auch in Abydos zu finden und die Zahl der vorhandenen Beine 
hätte für mehrere Menschen genügt. In später Zeit gab es 42 der- 
artiger Tempel, Serapeen, wie die Griechen sie nennen, mit einer 
Bezeichnung, die sie dem Serapeum zu Memphis entlehnten ohne 
zu beachten, welch ein grolaer Unterschied zwischen dem Grabe 
eines Osiris gewordenen toten Stieres und der Ruhestätte des 
menschenähnlichen Gottes Osiris selbst bestand; dem Ägypter 
galten sie als Heiligtümer des Osiris, „der da weilt in der Unterwelt* 

Nach seinem Tode ward Osiris König des Jenseits. In die- 
ser Stellung lag für den Ägypter seine Hauptbedeutung, er 
herrschte über die Verstorbenen und vor ihm fand das Gericht 
statt, welches über die Zulassung in sein Reich entschied. Seiner 
Gunst sich zu versichern, mußte demnach das Bestreben eines 
jeden sein. Aus diesem Grunde gelten ihm bei weitem die mei- 
sten Totengebete und Opferformeln. „Ein königliches Opfer sei 
dargebracht Osiris, damit er gebe allerhand Gutes, Speise und 
Trank der Person des Verstorbenen so und so" liest man in 
tausenden und abertausenden von Grabinschriften. Alle andern 
Götter treten in diesen Texten zurück und, wenn sie erscheinen, 
so wird fast immer Osiris neben oder richtiger vor ihnen genannt 

und angerufen. Die Gestalt i?, in der man sich den Gott dachte, 

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116 Die HeJigion der alten Ägypter. 

war die eines Menschen; meist ist er in Mumienbinden einge- 
wickelt um seine Stellung als begrabener Gott anzudeuten, nur 
das grüne, mit einem langen, steifen Barte, dem Zeichen der 
Göttlichkeit geschmückte Gesicht und die Hände, welche ein Zep- 
ter halten, sind frei. Auf dem Haupte trägt er eine Krone, die 
sich zusammensetzt aus der Krone von Oberägypten und zwei 
Federn der Wahrheit. Diese Krone besitzt ursprünglich er allein, 
ein anderer Gott erhält sie nur, wenn er mit ihm verschmolzen 
worden ist, wie z. B. der Osiris gewordene Rä, der als Sperber 
mit dieser Krone auftritt. ^^) 

Isis, die Gattin und Schwester des Osiris, erscheint als Frau, 
n der Hand das Zeichen des Lebens oder eine Lotusblume an 
angem Stiele, welche das gewöhnliche Zepter der Göttinnen bil- 
det, auf dem Haupte einen Sitz lA. Dieser Sitz hat mit der Bedeu- 
tung der Göttin nichts zu thun, er ist das Ideogramm, mit dem ihr 
ägyptischer Name Hes-t oder Äs-t geschrieben zu werden pflegte. 
Was der Name bedeutet, ist unbekannt, die Griechen haben 
an einen Zusammenhang mit dem Worte äs „alf* gedacht, die 
Ägypter an einen solchen mit dem Wörtchen äs „siehe da", bei- 
des wenig glückliche Erklärungen. Isis gilt als das Muster einer 
Gattin und Mutter und außerdem als besonders erfahrene Zau- 
berin, in welcher Stellung sie auch in der Rä-Sage auftrat. Als 
heiliges Tier ist ihr, wie allen mütterlichen Gottheiten, die Kuh 
geweiht und erscheint sie daher bisweilen mit dem Kuhkopf und 

häufiger mit den Kuhhörnern auf dem Haupte yi. Als Göttin 

wird Isis geradeso wie Osiris an unzähligen Orten, besonders in 
Abydos und Mendes bez. Busiris verehrt, oft bildet sie mit ihm 
und Horus eine Triade. Später war der Mittelpunkt ihres Kultes 
Philae, hier erhoben sich prächtige ihr geweihte Tempel, und 
noch im Jahre 453 n. Chr., also noch über 70 Jahre nach dem 
berühmten Edikt des Theodosius, welches die Anbetung der 
ägyptischen Götter untersagte, galt sie hier; wie eine Inschrift 
beweist, als eine Gottheit. Besonders die Blemmyer brachten 
ihr Opfer dar, jene wilden Nomadenstämme, welche dauernd 
Ägypten bedrohten und von den römischen und byzantinischen 
Statthaltern nur mit größter Mühe zurückgehalten und am Vor- 
dringen bis nach Unterägypten hin verhindert werden konnten. 
Nephthys, die ägyptische Neb-ljat „die Herrin des Hauses", 



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Achtes Kapitel. Osiris und sein Kreis. 117 

tritt als Persönlichkeit in den Texten sehr zurück, sie wird gele- 
gentlich als Mutter des Anubis, als Gattin des Set und ähnlich 
genannt, in mehreren Städten war ihr ein Kult geweiht, aber im 
Grunde ist sie nichts als eine Genossin der Isis, die mit dieser 
vereint die Totenklage um Osiris zu sprechen hat. Geradeso wie 
sie diesen einst beschützte, so sollte sie auch dem Verstorbenen 
freundlich zur Seite stehn. Gern wird sie in dieser Rolle geflü- 
gelt abgebildet, wie dies auch bei Isis geschieht, ihre Flügel brei- 
tet sie hinler Osiris oder dem Toten aus und schützt ihn so vor 

heimtückischen Angriffen. Sonst hat sie menschliche Gestalt »S 

auf dem Haupte trägt sie ihr Ideogramm, was unbedingt nötig 
war, da sie sich nur durch dieses von andern Göttinnen, beson- 
ders Isis unterscheidet. Zuweilen erhält sie die Kuhhörner und 
die Sonnenscheibe, ohne daß man aus letzterem Umstände auf 
eine solare Bedeutung der Göttin Rückschlüsse ziehen dürfte. 

Set, der Bruder und Mörder des Osiris ") ist in allem und 
jedem dessen Gegenteil, er ist das Böse im Gegensatz zum Guten, 
die Wüste in dem zum Fmchtlande, die Dürre in dem zum Nil, 
die Finsternis in dem zum Licht, das Ausland in dem zu Ägypten, 
die Krankheit in dem zur Gesundheit. Diese böse Natur des 
Gottes hat seine Verehrung nicht verhindert, sondern eher begün- 
stigt; brachte man Osiris die Opfer aus Liebe dar, so galten ihm 
die Gebete aus Furcht, denn er war ein kräftiges und mächtiges 
Wesen, das den andern Göttern und dem Menschen in hohem 
Grade gefährlich werden konnte. Daher suchen die Könige vor 
allem ihn sich gewogen zu machen, im alten Reiche bereits be- 
zeichnen sie sich als Horus und Set, als die Verkörperung der 
guten und der bösen Mächte, im neuen Reiche nennen sich ei- 
nige sogar nach ihm und erst in den späten Zeiten überwog der 
Abscheu vor seiner Schlechtigkeit über die Furcht, so daß man 
ihm nicht mehr opferte, sondern ihn verwünschte und ihn in 
seinen Anhängern, den ihm geweihten rothaarigen Menschen, und 
in seinen heiligen Tieren, dem Krokodil, Esel, Nilpferd zu schä- 
digen trachtete. Dabei vergaß man seine Bedeutung als Gott 
des Auslandes nicht und gab den fremden Göttern, wie beispiels- 
weise dem Baal gern seine Gestalt tö, die eine menschliche ein 
Zepter haltende Bildung zeigt. Ihr Haupt erirmert an einen Ka- 



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118 Die Religion der allen Ägypter. 

nieelskopf, und ist der gleiche, den auch das langschwänzige 

Fabellier 'Cvl» die angebliche Incorporation des Gottes trug. 

Eine eigentümliche Stellung nimmt Set in Tanis und an einigen 
von hier aus beeinflußten Orten ein, hier wird er zum Sonnengotte; 
mit einer Lanze durchbohrt er die Äpepschlange und heißt der 
Liebling des Rä, der Sohn der Nut — dies ist fast regelmäßig 
seine Mutter — der mächtig ist in der Sonnenbarke und ähn- 
liches mehr. Diese Auffassung ist nicht die ursprünglich ägyp- 
tische, nach der er nicht der Feind der Äpepschlange, sondern 
diese selbst ist, sie ist zweifelsohne veranlaßt worden durch cino 
Gleichstellung mit dem Sonnengotte Baal, der den ihm gleichen 
Set mit in seinen Kreis hineinzog. 

Im neuen Reiche heißt Set sehr häufig Sule/. Die Sage 
von dem Ausbruch des Befreiungskampfes gegen die Hyksos be- 
hauptet, der Hyksoskönig Äpepi habe diese Gestalt zu seiner ein- 
zigen Gottheit erheben wollen und in der That scheint dieselbe 
von den Hyksos hoch verehrt worden zu sein; auf den ihrer 
Zeit entstammenden Denkmälern wird sie öfters erwähnt. Später 
ist Sute;^ der Gott der Ghcta und tritt in dieser Bedeutung in 
Gegensatz zu Rä, dem Gotte der Ägypter. Der Name selbst ist 
der gleiche wie Set, er ist von diesem durch Anhängung eines x 
abgeleitet, eine Bildungsform, die sich auch sonst findet und mit 
dem Bestreben der Ägypter zusammenhängt, aus ihren ui*sprüng- 
lich nur aus zwei Radikalen bestehenden Wortstämmen drei -ra- 
dikale zu entwickeln, ein Vorgang, der sich in ganz ähnlicher 
Weise bei den semitischen Sprachen beobachten läßt. Der wich- 
tigste Kultort des Set war seit alter Zeit Ombos in Oberägypten, 
wo er als der Herr des Südlandes gilt und bisweilen mit dem 
Krokodil gott Sebäk verschmilzt, in Theben erhob sich einer seiner 
Tempel und im westlichen Delta, besonders in Tanis, waren solche 
mehrfach zu finden. 

Horus, der Sohn der Isis, ist in der Sage in dreifacher 
Weise dargestellt, einmal als Kind Hor-pe-^red Harpokrates, als 
welches er den Finger im Munde zu halten pflegt, dann als Rächer 
seines Vaters und endlich als dessen Nachfolger und König. Seine 
ursprüngliche Bedeutung läßt sich nicht mehr feststellen, er ver- 
schmolz bereits in vorgeschichtlicher Zeit mit dem Sonnengotte 
Horus und ist von diesem in unsern Texten nicht mehr zu 



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Achtes Kapitel. Osiris und sein Kreis. 119 

trennen; so ist Harpokrates nebenbei die junge, neu entstehende 
Sonne und sein Doppelgänger Aroeris ein fast reiner Sonnengott* 
Nur an einzelnen Zügen erkennt man, abgesehen von der Legende, 
daß er nicht ganz seinen ursprünglichen Sinn eingebüßt hatte? 
so wenn die Könige erklären , sie hätten den Thron des Horus 
bestiegen, denn der Sonnengott Homs ist nie König Ägyptens 
gewesen, diese Stellung blieb Rä, bez. Su vorbehalten, als deren 
Nachfolger der Pharao gleichfalls autlritl. Der Gleichstellung mit 
dem Sonnengotte ist es zuzuschreiben, daß Horus statt in 
menschlicher Gestalt, wie man erwarten sollte, mit Sperberkopf 
und mit der Sonnenscheibe auf dem Haupte dargestellt wird. 

Thoth*^), derDhuli, d. h. wohl der Doppel-Ibis der Ägypter, 
spielt in der Osirissage eine verhältnismäßig geringe Rolle. Wo 
er auftritt, erscheint er als Berater und als derjenige, der ein 
begangenes Unrecht wieder gut zu machen weiß, bo war er es, 
der der Isis einen Kuhkopf aufsetzte, als Horus ihr den mensch- 
lichen abgeschlagen hatte. Seine Grundbedeutung war eine lunare 
und wird er in diesem Sinne gern mit A'unsu und mit dem Mond- 
gotte Äh in Verbindung gebracht. Der Cynocephalus , von dem 
man annahm, daß sein Geschlechtsleben nach dem Mondumlauf 
sich regele, war sein heiliges Tier, doch erscheint noch häufiger 
als solches der Ibis. Als Eltern des Thoth werden Ptah und Mut 
genannt, doch waren daneben auch andere Angaben verbreitet; 
in Theben, wo er gelegentlich statt Set Gemahl der Nephthys war, 
erscheint er als Mitglied der Triade A'unsu, Mut und Thoth. Seine 
Darstellung erfolgt meist in der Fonn eines Menschen mit Ibiskopf 

^, der gewöhnlich die Sonnenscheibe und die Mondsichel auf dem • 

Haupte trägt, letzteres weist auf seine lunare Bedeutung hin, er- 
steres kennzeichnet ihn als eine Zeitgottheit. Ausgehend von der 
Wichtigkeit des Mondes für die Einteilung der Zeit ward nämlich 
Thoth allmählich zu einer Gottheit dieser selbst, ohne daß man im 
einzelnen Falle an den Mond dachte. So ist ihm der erste Monat 
und die sechste Stunde des Tages geweiht ; er zeichnet allein oder 
mit der Göttin Safe^ den Namen des Königs auf dem heiligen Sy- 
komorenbaume ein, um dem Namen ewige Dauer zu verleihen, 
er verspricht den HeiTschern die Jahre des Tum, die Herrschaft 
des Horus und Millionen von Jahren. 

Andererseits ist der Mond der Teiler der Zeit und so wird 
der Gott der Herr über das richtige Maß; die ihm geweihte Elle 



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120 Die Religion der iilleii Ajirypter. 

ist CS, (lie bei den Ternpelplänen zu Grunde gelegt werden niuüte. 
Auch die Welt hatte er einst abgemessen und ihr dabei Gesetze 
gegeben, er ist daher der Schützer alles Rechtes, das er teils aus 
sich selbst, teils auf Befehl des Rä ausübt. Ferner wird er Herr 
der Schrift, der Schreiber der Götter und Verwalter der Litteratur, 
besonders der religiösen. Die Schreiber sahen in ihm ihren 
Schutzgott und riefen ihm an, ihnen bei ihren Arbeiten hülfreich 
zur Seite zu stehen. Die heiligsten Bücher und Gebete sollte er 
selbst verfaßt und darin seine Kenntnisse von der Magie, welche 
er mit Isis teilte, niedergelegt haben. Unmittelbar damit hängt 
es zusammen, wenn er auch Gott der Ärzte ist, bei deren Berufe 
im Nilthale die Magie mindestens ebenso wichtig war, wie die 
Kenntnis der Heilmittel. 

Starb der Mensch, so wuchs für ihn noch die Bedeutung 
des Thoth. Dieser hatte es einst nach Osiris Tode übernommen, 
den Gott gegen seine Feinde, die Mächte der Finsternis zu recht- 
ferti-ren und ihm die königliche Würde im Jenseits zu verschaffen. 
Gleiches erwartete jeder Ägypter von ihm. Thoth gab ihm die 
Sprache und lehrte ihn die richtigen Sprüche hersagen, er gelei- 
tete ihn bis zur Halle des Gerichts, wo er das Ergebnis der letz- 
ten Aburteilung über den Toten aufzeichnete und sich gelegentlich 
auch als Anwalt hören ließ. 

Die Griechen geben seinen Namen mit Hermes wieder und 
in der That ist er diesem nahe verwandt, freilich nicht in der 
ursprünglichsten Bedeutung des griechischen Gottes, aber in der 
Auffassung, die die Alexandriner und Neuplaloniker von ihm sich 
gebildet hatten. Sogar die griechische Art, den Gott zur beson- 
dern Auszeichnung als den Hermes Trismegistos , den dreimal 
großen Hennes, zu benennen, findet in Ägypten ihr Gegenstück. 
Hier heißt er, besonders in späterer Zeit, häufig der doppelgroße 
Thoth und seine Bezeichnung als Doppel-Ibis ist gleichfalls als eine 
auszeichnende Benennung aufzufassen und nicht etwa in dem 
Sinne, als habe der Gott ans zwei Ibis-Vögeln bestanden. 

Außer im Osiris -Kreise spielt Thoth auch in den Rd-Sagen 
eine große Rolle, immer als der Berater der Götter, als der Auf- 
zeichner ihrer Befehle und Worte. Am höchsten verehrt, wenn 
auch nur selten durch Errichtung eigener Tempel ausgezeichnet, 
ward er am Anfange des neuen Reiches, damals nannten sich 



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Achtes Kapitel. Osiiis und sein Kreis. 121 

Pharaonen nach ihm Dhutiues (Thutniosis) ^Sohn des Thoth**, 
oder nach seniem Gestirne Ähnies (Amasis), „Sohn des Mondes.* 

Anubis, ägyptisch Anepu, wird dargestellt ^ mit einem 

Schakalkopfe, dem Haupte seines heih'gen Tieres. Die Griechen 
haben dieses irrtümlicherweise für einen Hund gehalten und als 
solcher hat der Gott dann in den römischen Isiskult Eingang ge- 
funden. Zeitweise fieilich begingen bereits die Ägypter den Irr- 
tum und erscheinen in den Begräbnisstätten der Schakale zu 
Lycopolis auch vereinzelt einbalsamierte Hunde. Im großen und 
ganzen war letzteres Tier aber nicht heilig, wurde dagegen gern 
für die Jagd und auch im Hause gehalten. Anubis galt gewöhn- 
lich als Sohn des Osiris und der Nephthys, doch wird in einem 
magischen Texte daneben als Vater Rä genannt, wohl nur, weil 
man Rä und Osiris einander gleichstellte. In der Sage ist er ein 
Helfer der Isis, im ägyptischen Glauben ein besonderer Gönner 
des Toten. Er bewacht denselben und leitet seine Einbalsamierung, 
er geleitet ihn abwechselnd mit Thoth in das Jenseits und führt 
ihn mit eigener Hand in den Gerichtssaal. An zahlreichen Orten 
erhoben sich seine Tempel, am höchsten war die Verehrung in 
Lycopolis in Oberägypten, dem heutigen Siut, wo er unter dem 
Namen oder richtiger Titel Äp-uat „der Eröffner der Pfade**, d. 
h. der Unterwelt, angebetet ward. Auch Lycopolis im Delta war 
ihm geweiht und an diese beiden Orte denkt wohl der Ägypter, 
wenn er von dem Anubis des Nordens und dem Anubis des 
Südens spricht und auf seinen Todtenstelen zwei Schakale dar- 
stellt, die den Schutz des Verstorbenen zu übernehmen bestimmt 
sind. Er hat hier noch die deutliche Empfindung, daß selbst 
gleichnamige Gottheiten, falls ihre Verehrungsstätten verschiedene 
waren, als verschiedene Gestalten zu betrachten sind, ohne daß 
er sich darum zu der Angabe entschlossen hätte, es gäbe mehrere 
Anubis. Erst die griechischen Mythographen haben in ähnlichen 
Fällen diesen notwendigen Schluß gezogen, sie haben mehrere 
Herakles, Hermes u. s. f. angenommen, weil es unmöglich erschien, 
alle Mythen, die von denselben vorlagen, in einer Biographie zu 
vereinen. 

Seb oder, wie er in späten Texten wohl irrtümlich geschrie- 
ben wird Keb, ist der Gott der Erde, als deren Bezeichnung sein 
Name in Redensarten wie „auf den Rücken des Seb" Verwendung 



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122 Die Religion der allen Ägypter. 

findet. Die Griechen bezeichnen ihn als Kronos, wohl nur, weil 
er als Vater des Osiris älter ist als andere Gottheiten; als sein 
Vater gilt Su, als seine Gattin Nut. Nach den Götterlisten in 
Memphis und Theben wäre er der vierte König Ägyptens ge- 
wesen, also eine verhältnismäßig junge Gestalt. Die Texte deuten 
eher auf ein sehr hohes Alter hin, sie bezeichnen ihn als den 
Nomarchen (erpä) der Götter, während sonst immer von dem 
König derselben die Rede ist, als ob zu der Zeit, wo er seine 
erste Verehrung fand, noch keine Könige in Ägypten vorhanden 
gewesen wären. Einen Mythus hat Seb, der in menschlicher 
Gestalt aufzutreten pflegt, nicht entwickelt, wenn er auch oft ge- 
nannt wird. Sein heiliges Tier war die Gans und bisweilen heißt 
er die Gans, welche das Ei legte, aus dem die Welt entstand, 
während die Sage von der Vernichtung des Menschengeschlechtes 
ihn erst von Rä in seiner Wurde eingesetzt werden läßt. Im 
Tolenkulte ist seine Bedeutung eine sehr geringe 

Nut, meist als Frau dargestellt, ist die weibliche Personi- 
flcation des Himmels, sie bildet sein Gewölbe, indem sie sich mit 
Händen und Füßen auf die Erde stützt und den Leib hoch in die 
Höhe hebt. Zuweilen steht unter ihr J^u und stützt sie in ihrer 
unbequemen Lage. An und auf ihrem Leibe fahren die Gestirn(.' 
dahin, die sie mit beaufsichtigt. Sie gilt als Herrin des Hinnnels, 
als Herrin und Gebärerin der Götter, als Herrin der Erde. Sorg- 
sam muß diese Göttin unterschieden werden von dem ähnlich 
benannten Gotte Nu oder Nun, der den hinmilischen Ocean, das 
Wasser darstellt, auf dem die Sonnenbarke dahinfahrt; er ist der 
Vater der Götter, der Veranlasser der Schöpfung, aus dem alles 
entstanden ist. In späterer Zeit wird er zuweilen genannt als der 
erste der ach! falschlich sogenannten Elementargottheiten, unter 
denen er und seine weibliche Erscheinungsform Nu-t, oder Nun-t 
das Nil Wasser darstellt; in diesem Falle pflegt er den Kopf eines 
Frosches, seine Genossin den einer Schlange zu haben. Diese 
Nu-t ist es, welche bisweilen dargestellt wird als eine in einer 
Sykomore sitzende Frau, welche Libationswasser auf die Hände 
der am Fuße des Baunies kauernden menschliche Seele gießt, 
um diese zu erfrischen. Die übrigen in diesen Kreis gehörigen 
Gestalten scheinen zu sein: die männliche und weibliche Ewigkeit, 
die männliche und weibliche F'insternis, das männliche und weib- 
liche Cberschwemmungswasser, doch sind diese Deutungen un- 



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Neuntes Kapitel. Üie Osirianlsclie Unsterhlichkeitslehre. 123 

sicher, wenn auch besser beglaubigt als die allem ^^) auf männliche 
und weibliche Personificationen der vier Elemente, Wasser, Feuer, 
Erde, Lutt. 



IVenntes Kapitel. 

J)ie ÜKiriauische Unsterblichkeiislelire. 

BereiLs früher war hinzuweisen auf eine Keihe von Vorstel- 
lungen, welche sich die alten Ägypter von dem Dasein nach dem 
Tode gebildet hatten und welche sich an den Mythus von dem 
Sonnengotle Ra und an seine Fahrt durch die Unterwelt an- 
schlössen. Diese Gedanken galten nur in verhrdtrnsmäßig engem 
Kreise als richtig, bei wtntem die meisten Ägypter von den älte- 
sten Zeiten bis in die der römischen Kaiser berat) scliöpften die 
Überzeugung von einer Fortdauer nach dem Tode aus dem Glau- 
ben an Osiris. In ausfuhrlichster Weise malte man sich bis in 
das Einzelnste hinein das Schicksal der Seele und des Leibes aus 
und hat eine Lehre entwickelt, welche an Genauigkeit und Um- 
fang fast alle anderen Ansichten über dcis Jenseits übertrifft. Ihre 
Bedeutung liegt für die Wissenschaft einmal in ihrem hohen Al- 
ter, denn bereits zur Pyramidenzeit war sie in allem wesenthchen 
abgeschlossen, dann aber auch in manchen Anklängen an jü- 
dische und christliche Glaubenssätze, welche sie darbietet. 

War der Mensch gestorben, hatte sein Herz zu schlagen 
aufgehört und war der Leib erkaltet, so blieb nach Ansicht der 
Anhänger der Osiris-Religion nur eine leblose Hülle auf der Erde 
zurück. Es war dies der Leichnam, x^ genannt und ideographisch 
mit dem Bilde eines toten Fisches, dem Zeichen für unangenehme, 
faulende Dinge geschrieben. Seine Erhaltung war die erste Pflicht 
der Hinterbliebenen. Kurz nach dem Eintritt des Todes ward er 
den Einbalsamirern übergeben, welche ihn so zuzubereiten hatten, 
daß er gegen Verwesung geschützt war. Freilich war dies nur 
teilweise möglich, auf die Aufbewahrung der Innern Organe in 
ihrer ursprünglichen Gestalt hat man bald verzichtet, in einem 
heißen Klima, wie Ägypten es besaß, mußten dieselben auf jeden 
Fall zu Grunde gehen. Die Eingeweide, Heiz, Lunge und Leber, 
auch das Gehirn wurden aus dem Körper entfernt, entweder ver- 
scharrt oder in besonderen Gefäßen beigesetzt, nur in Ausnahme- 
fällen legte man sie dick mit Asphalt bestrichen und dadurch so 



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124 Die Religion der alten Ägypter. 

gut wie ganz zerstört in den Körper zurück. Das Übrige, Kno- 
chen, Fleisch und Haut, ließ man in dem ursprünglichen Zustande, 
behandelte es aber so lange mit Natron, bis es völlig ausgedörrt 
war und bestrich es dann mit Asphalt. Auf diese Weise erhielt 
man die sogenannten Mumien, schwarze Körper, welche in dem 
trockenen Klima des Nilthals während Jahrlausenden unverändert 
geblieben sind, unter unseren feuchten Himmel gebracht aber doch 
allmählich der Verwesung anheimfallen. In die Körperhöhle wur- 
den allerhand Amulette gelegt, andere brachte man an verschie- 
denen Stellen des Leibes, besonders am Halse an, dann umklei- 
dete man das Ganze mit Leinewandbinden. Jede einzelne dabei 
vorzunehmende Handlung, jedes zu sprechende Gebet war genau 
vorgeschrieben und enthalten mehrere Papyri*') Anweisungen 
für diese Ceremonien, die freilich nicht für alle Ägypter dia glei- 
chen blieben, sondern je nach den Summen, die die Hinterbliebe- 
nen für den Toten aufwenden wollten oder konnten, mehr oder 
weniger umständliche waren. Die eingewickelte Mumie wurde in 
einen Sarg von Pappe, Holz oder Stein gelegt, der Inschriften, 
Gebete für den Verstorbenen, Anrufungen verschiedener Gotthei- 
ten, die für sein künftiges Wohl zu sorgen hatten, neben deren 
Bildern zeigte. Auch hier herrscht eine große Verschiedenheit, 
je nachdem es sich um reiche oder arme Leute handelt. 
Während sich letzlere mit wenigen Texten und oft ganz ohne 
Sarg behelfen nmßten, haben erslere bisweilen in drei und vier 
in einander gestellten, mit Tausenden von Bildern und zahllosen 
Inschriften geschmückten Sarkophagen ihre letzte Ruhestätte 
gefunden. 

Der Sarg mit der Leiche ward der Familie zurückgegeben, 
bezw. wenn der Tote in der Fremde gestorben war, gewöhnlich 
in seine Heimatstadt gebracht, damit er dort in dem Grabe, das 
sich der Ägypter bereits bei Lebzeiten zuzubereiten pflegte, bei- 
gesetzt werde, in feierlichem Zuge, begleitet von der Familie, 
Klageweibern und Priestern, ging es über den Nil, an dessen Ost- 
ufer die meisten Städte lagen, zu den westlichen Gebirgen, wo 
die Necropolen sich befanden. Lag der Nil nicht zwischen Wohn- 
stätte und Grab, so ward die Überfahrt wenigstens symbolisch 
vollzogen und fuhr man mit dem Sarge über einen in keiner To- 
lenstadt fehlenden heiligen See. Am Grabe, dem „ewigen Wohn- 
orte** angelangt, ward der Sarg aufrecht hingestellt auf einer klei- 



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Neuntes Kapitel. Die Osirlanische Unsterblichkeitslehre. 12f) 

nen Sanderhebung, die den Berg des Westens, das Totenreich 
darsleilen sollte, das Gesicht nach Süden hin gerichtet. Dann tra- 
ten zu ihm zahlreiche Persönlichkeiten, die vor ihm zu beten 
und allerhand heilige Handlungen auszuführen hatten. Die wich- 
tigste Person war der >.er-heb, der Ceremonienrneister, wie man 
ihn bei seiner Thätigkeit hier am besten bezeichnet, der eine Pa- 
pyrusrolle in der Hand, alles leitete, jedem seinen Platz an- 
wies und ihm die jeweilig zu sprechenden Worte vorflüsterte oder 
dieselben auch in seinem Namen hersagte. Ihm zur Seite standen 
ein Diener, ein Freund, der Sohn des Toten, zwei Klageweiber, 
deren größere Isis und deren kleine Nephthys darstellte, ein 
Schlächter und eine Reihe anderer Wesen, die mehr als Figuran- 
ten als als wirklich mithandelnde Personen dargestellt werden. Das 
Ganze war eine W^iederholung der Vorgänge, welche sich am 
Sarge des Osiris abgespielt haben sollten. 

Im einzelnen auf die sehr verwickelten Vorgänge hier bei 
der Mumie einzugehen, hat keinen Zweck, lange, genaue Schil- 
derungen derselben sind erhalten geblieben *^), die zeigen, daß es 
sich vor allem darum handelte, der Mumie den Gebrauch ihrer 
Organe wiederzugeben, deren sie zur Durchwanderung des Jen- 
seits bedurfte. Der Mund ward ihr symbolisch geöffnet, ebenso 
wie die Augen, damit sie sehen und sprechen könne, ein Stier 
ward ihr geschlachtet, damit sie Speise bereit stehen habe, sie 
ward zubereitet, um Kleider, Salben, Abzeichen aller Art in Em- 
pfang zu nehmen, kurz um wieder ein Wesen zu werden, wie sie 
es auf dieser Erde gewesen war. Dabei ward die Mumie selbst 
nicht berührt, alle Handlungen vollzog man am Sarge; meist ge- 
nügte es um einen Erfolg zu erreichen, das betreffende Gebet zu 
sprechen und den Sarg mit einem Stabe der Form r^ — . zu be- 
rühren. Bisweilen hat man auch statt des Sarges die Statue des 
Toten als Gegenstand der symbolischen Behandlung gewählt. 
War alles vollendet, so ward der Tote in die Gruft herabgesenkt, 
der Schacht, der zu dieser führte, geschlossen und vermauert — 
erst in später Zeit hat man besonders in dem vielfach von Grie- 
chen bewohnten nördlichen Teile des Landes die Leichen nicht 
mehr begraben, sondern in oberirdischen, stets zugänglichen Kam- 
mern beigesetzt. Ein Leichenmahl vereinigte nach der Bestattung 
in der Vorkammer des Grabes noch einmal die Hinterbliebenen, 
dem Toten konnten fortan seine Venvandten und Freunde nur 



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V2i\ Die Religion der alten Äj^ypler. 

in sofern noch von Nutzen sein, als sie ihrn selbst oder den Göt- 
tern für ihn Opfer darbrachten oder diese durch magische For- 
meln zu einer freundUchen Behandlung des Toten zwangen. 

Neben dem Leibe, der so zu einer vollkonunenen Mumie, zu 
einem Osiris, wie der Ägypter sich ausdruckt, gemacht worden 
war, besaß der Mensch eine unslerbliche Seele. Diese war aber 
nicht, wie bei den meisten Völkern, ein einheitliches Wesen, son- 
dern verschiedenfach zusammen gesetzt. Im Leben hatten sich 
alle Bestandteile in dem Körper vereinigt , nach dem Tode ver- 
ließen sie denselben und suchten jeder für sich den Weg zu den 
Göttern zu finden **). 

Der erste und wichtigste dieser Bestandteile ist der soge- 
nannte ka. Es war dies eine Gestalt, welche dem Menschen 
durchaus ähnlich, aber nicht gleich war, die zu ihm etwa in dem 
gleichen Verhältnisse stand, wie das Wort zu dem sinnlich 
faßbaren Begriffe, den es ausdrückt, wie der Name zur Gestalt 
des Menschen. Der Gedanke an einen ka ist wohl dadurch zu er- 
klfiren, daß man sich, auch wenn der Mensch gestorben war, 
oder wenn er in der Ferne weilte, seine Gestalt in Gedan- 
ken aufbauen oder dieselbe im Traume erbUcken konnte. 
Man schloß hieraus, daß der Mensch als solcher nicht einfach ein 
materielles Wesen sei, das nur an einem Orte weilen könne, son- 
dern daneben in sich ein zweites umschließe, welches nicht an 
Raum und Zeit gebunden nach Jahrtausenden noch fortzubestehn 
und durch Wände und Mauern hindurchzudringen vermöge. In 
manchen Punkten berührt sich der ka mit dem ren, dem Namen 
des Menschen, dessen Klang, oder auch mit seiner Statue, deren 
Anblick eben den Gedanken an das betreffende Wesen wach rief. 
Ähnlichen Vorstellungen von dem Bestehen einer Persönlichkeit 
neben der thatsächlich vorhandenen Person begegnet man bei 
den verschiedensten Völkern, die Ägypter haben aber nach einer 
Seile hin den Gedanken eigentümlich entwickelt, sie haben die 
abstrakte Persönlichkeit wieder zu einem concreten Wesen umge- 
bildet, haben ihr eine materielle Gestaltung gegeben, welche vor 
allem der Nahrung bedurfte, um fortbestehen zu können. 

Mit dem Tode hört das Dasein des Menschen als solcher 
auf, seine irdische Erscheinungsform, die Mumie liegt im Sarge, 
den sie, wie die Erfahrung lehrt, nicht verlassen kann. In diesem 
Augenblicke tritt der ka, der während des Lebens der Begleiter 



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Neuntes Kapitel. Die Osirianische Unsterbiichkeitslehre. 1*27 

des irdischen Körpers war, in selbständige Thätigkeit, er ist es 
an den man die Totengebete richtet und dem man Opfer dar- 
bringt, denn die Mumie selbst konnte ohne weiteres keinen Nutzen 
von diesen haben. Er aber kann die Mumie beleben, indem er 
in sie zurückkehrt, indem er zu einem in seinem Sarge lebenden 
ka wird, dann können beide vereint ein dem irdischen ähnliches 
Dasein fuhren, essen und trinken und auf Erden uragehn um 
die Hinterbliebenen zu besuchen und sie an ihre Pflicht, Toten- 
opfer darzubringen, zu erinnern. Der Reiche hatte dies weniger 
nötig als der Arme, er sicherte sich die nötige Nahrung für das 
Jenseits dadurch, daß er mit den Totenpriestern seiner Heimat- 
stadt Verträge abschloß, durch die er diesen Grundbesitz und 
ähnliches vermachte gegen das Versprechen, ihm an gewissen 
Festtagen fest bestimmte Opfer darzubringen. Der Arme konnte 
die dazu nötigen Mittel nicht aufbringen, er war auf die Güte sei- 
ner Familie angewiesen. 

Wie fest die Vorstellung von diesem ka bei den Ägyptern 
Wurzeln gefaßt hatte, zeigt am besten der Umstand, daß man ihn 
für einen unumgänglich nötigen Bestandteil jedes lebenden We- 
sens hielt und auch den Göttern bereits zur Pyramidenzeit einen 
ka zuschrieb oder für den Fall, daß in dem Gotte, wie in Rä, 
mehrere verschiedene göttliche Formen im Laufe der Zeit ver- 
schmolzen waren, in diesem mehrere ka, so in Rä deren 14 ver- 
mutete, die je einer dieser Formen entsprachen. 

Auf den zweiten unsterblichen Teil der Seele, das Herz, 
wird bei Besprechung der Amulette zurückzukommen sein, der 
dritte war derjba, der am ehesten unsem Vorstellungen von der 
Seele entspricht. Er hat die Gestalt eines Vogels, gewöhnlich mit 
menschlichen Händen und Kopfe. Im Augenblicke des Todes 
fliegt er zu den Göttern, ist aber darum doch nicht immateriell, 
sondern braucht wiederum Speise und Trank. Gerne stellen die 
Ägypter den Abschied des ba von der Mumie dar, wie er an de- 
ren Sarge sitzend denselben streichelt. An vierter Stelle ist zu 
erwähnen der sähu, der die Gestalt eines in Mumienbinden ein- 
gewickelten Menschen hatte und die Gestalt des Toten daistelÜ, 
eine Hülle, die demselben von Gott geworden war, die dahei auch 
zu der Gottheit zurückkehren konnte. Dann folgt der xaib, der 
Schatten, der meist die Form eines Fächers zeigt. Der Schatten, 
den der Mensch warf, galt als ein selbständiges Wesen, das sich 



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1*28 Die Religion der alten Ägypter. 

gelegentlich vom Menschen trennen konnte und dies nach dorn 
Tode regelmäßig that. Ferner wäre zu nennen der yn „der (Glän- 
zende*', der aus einer verklärten, leuchtenden Hülle in Gestalt der 
Mumie bestanden zu haben scheint; einiger seltener vorkommen- 
den Formen zu geschweigen. Weit wichtiger als sie alle, ja ei- 
gentlich der wichtigste unsterbliche Bestandteil des Menschen 
überhaupt, ist sein Osiris. 

Dieser Osiris hat das Äußere des Menschen , er entspricht 
vollkommen der Mumie, nur ist letztere sterblich, er dagegen 
nicht. Allein alles, was man der Mumie anthut, thut man dem 
Osiris, die Amulette, die man ersterer mitgiebt, besitzt letzterer, 
die Geräte, die man ihr in das Grab stellt, gelten als sein Besitz. 
Wie alle übrigen unsterblichen Teile verläßt auch der Osiris den 
Menschen nach der Einbalsamierung bezw. nach dem Tode, um 
zu den Göttern zu wandern. 

Wie man sieht, ist das Handeln aller dieser Gestalten etwa 
das Gleiche, einzelne derselben, wie der ka, Osiris, sähu, decken 
sich fast vollständig, so daß hier offenbar verschiedene Vorstel- 
lungen über die unsterbliche Seele, die in vorgeschichtlicher Zeit 
an gesonderten Orten bestanden, verschmolzen worden sind. Man 
wagte dabei keine Gestaltung zu üborgehn, konnte es doch ge- 
rade die einzig richtige Form sein, die man damit bei Seite ließ, 
man behielt sie daher alle bei, unbekümmert um die logischen 
Schwierigkeiten, die daraus sich entwickeln mußten. Diese Ver- 
schmelzung ist eine uralte, ihren Verlauf vermag man nicht zu 
verfolgen, da er bereits in den ältesten Zeiten, in denen der Py- 
ramidenerbauer zum Abschluß gekommen war; Vermutungen über 
seine Einzelheiten aufzustellen, kann daher auch keinen Wert be- 
sitzen. Nur das eine läßt sich klar erkennen, daß diejenige Form, 
welche am meisten Anhänger hatte, der Osiris war, denn diese 
hat alle andern in den Hintergrund gedrängt. Während von den 
Einzelheiten der Schicksale der übrigen Teile fast nichts berichtet 
wird, und eigentlich nur davon die Rede ist, daß sie beim Tode die 
Leiche verlassen und sich zerstreuen, nach dem Totengerichte 
aber sich in dem Osiris wieder zusammenfinden, berichten die 
Texte mit größter Weitschweifigkeit die Schicksale eben dieses 
Osiris. Das dem so ist, liegt jedenfalls daran, daß man seine 
Hoffnungen auf ein ewiges Leben anknüpfte an die Gestalt des 
Gottes Osiris, und darum der Seelenform den Vorzug gab, deren 



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Neuntes Kapitel. Die Osirianische Unsterbliohkeitslehre. 129 

Geschicke derart an den Gott erinnerten, daß man ihr sogar des- 
sen Namen geben konnte. 

Das Werk, welches sich besonders mit dem menschlichen 
Osiris beschäftigt, die wichtigste und verbreitetste Schrift über 
ägyptische Religion überhaupt, ist das sogenannte Totenbuch, 
eine Sammlung von Gebeten und Formeln, die der Osiris zu spre- 
chen hatte, wenn er die verschiedenen Teile der Unterwelt betre- 
ten, böse Dämonen besiegen, gute sich zu Beschützern machen 
wollte. Die ältesten Exemplare des Werkes entstammen der Uten 
Dynastie, doch ist es damals selten, häufiger wird es im neuen 
Reiche, und in späterer Zeit findet sich nur selten eine bessere 
Mumie, der nicht wenigstens ein Teil desselben mitgegeben wor- 
den wäre 30). Der Umfang der verschiedenen Abschriften ist ein 
wechselnder; das Ganze bestand aus einzelnen Kapiteln oder Bü- 
cliern , die jedes für eine bestimmte Gelegenheit dienen sollten. 
Der Reiche und Fromme ließ sich möglichst viele derselben in 
den Papyrus aufzeichnen, den er mit in das Grab nahm, der Är- 
mere begnügte sich mit nur wenigen, die er für besonders wich- 
tig hielt. Zählt man alle Kapitel zusammen, so sind es deren 
über 200, doch enthält keine einzige Handschrift ihre Gesamtheit, 
slels ist eine Auswahl getroffen worden, welche teils von dem 
Geschmack des jeweiligen Inhabers abhängig ist, teils aber auch 
von Zeitrichtungen; bald waren die einen, bald die andern Ab- 
schnitte beliebter. Im Laufe der Jahrhunderte ist das vorliegende 
Material gewachsen, die ältesten Texte sind verhältnismäßig kurz, 
dann werden sie immer länger und länger. Wann die Anfänge 
des Werkes entstanden, ist unbekannt, die Pyramiden enthalten 
andere Texte, welche zwar auch magische Formeln für das Jen- 
seits ergeben^ aber einen abweichenden Wortlaut zeigen. Da die- 
selben jedoch die Osiris- Sage in allen ihren Einzelheiten voraus- 
setzen, so ist es wohl möglich, daü auch die sich an diese an- 
knüpfende Unsterblichkeitslehre bereits bestand, daß die Texte 
aber insbesondere memphitische Glaubensformen vorführen, wäh- 
rend man in Heliopolis und Abydos bereits damals die osiriani- 
schen Lehren entwickelt haben mag. 

Wie alle ägyptischen religiösen Texte, so ermangelt auch das 
Totenbuch jeder systematischen Anordimng. Nur selten findet man 
zwei Exemplare, in denen sich die Kapitel in gleicher Weise folgen, 
die einzelnen Kapitel oder Gruppen von Kapiteln werden vielmehr 

Dr. A. Wioileiuauii : l>i*i IwjliKiou dor alten ÄjjypUr. [) 



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130 Die Religion der alten Ägypter. 

ganz nach Laune bald so bald so zusammengestellt. Dabei nimmt 
man auch auf die zeitliche und logisclie Folge keine Rücksicht; die 
Gebete, durch die der seliggesprochene Tote in Stand gesetzt wurde, 
verschiedene Gestalten anzunehmen, stehn beispielsweise gewöhnlich 
vor dem Kapitel, durch das er die Seligsprechung erlangte. Weniger 
störend, wenn auch oft unbequem, ist es, daß er von Anfang an die 
Titel erhält, die er erst im Laufe seiner Prüfungen erlangte, so 
heißt er stets maä-;{er, der Gerechtfertigte, bez. der sich Rechtfer- 
tigende, obwohl diese Rechtfertigung erst das Ergebnis der Ge- 
richtsscene sein konnte; es liegen hier ähnliche Gedanken zugrunde 
wie bei uns, wenn wir den Toten den Seeligen nennen, hoffend, 
daß er die ewige Seligkeit gefunden haben möge. 

Die Angaben des Totenbuches werden ergänzt durch zahl- 
reiche meist jüngere Texte. Besonders in der Ptolemäerzeit ließ 
man sich gerne aus einzelnen Sätzen des Totenbuches und ande- . 
rer Compositionen neue Werke zusammenstellen, die nur die 
Quintessenz der Formeln enthielten und für den Privatgebrauch 
einzelner Kreise oder Personen, nicht für die große Monge be- 
stimmt waren, die stets am Totenbueh selbst festhielt. Einige 
dieser Zusammenstellungen waren verhältnismäßig verbreitet, wie 
das „Buch vom Hauche** , das „zweite Buch vom Hauche*, 
das „Buch vom Durchwandein der Ewigkeit" u. s. f., während 
wieder andere nur in einem Exemplare vorliegen und wohl we- 
nigstens teilweise, nie in mehreren aufgezeichnet worden sind *^). 

Während die Texte von der Sonnenfahrt in der Unterwelt 
ein klares Bild des Jenseits entwerfen, ist dies bei dem Totenbuch 
nicht der Fall; es wäre ein Ding der Unmöglichkeit, die Gegen- 
den, die dasselbe schildert, in Gestalt einer Karte aufzuzeichnen. 
Es wird von einem Flusse gesprochen, von verschiedenen Land- 
bezirken, von Thoren, die man durchschreiten mußte, von Ka- 
pellen, in denen Götter weilen, von Dämonen, die an verschiede- 
nen Stellen der Seele auflauem, von Feuerscen und von Inseln, 
aber wie sich dies alles gruppierte, war offenbar den ägyptischen 
Priestern selbst nicht klar, sonst würde auch bei der Schilderung 
der Wanderung der Seele ein einheitlicher Faden festgehalten 
worden sein. Bei dieser Verworrenheit und bei der Unwichlig- 
keit der einzelnen Punkte kann die Wanderung der Seele hier 
übergangen werden, es genügt hervorzuheben, daß es ihr mil 
Hülfe der Formeln des Totenbuches gelang, alle bösen Geisler zu 



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Neunies Kapitel. Die Osirianische Unsterblichkeitslehre. I.Ol 

besiegen, alle guten sich willfährig zu machen, alle Thore sich zu 
eröffnen und zuletzt in die Gerichtshalle, in die Halle der doppel- 
ten Wahrheit, d. h. der Wahrheit und der Gerechtigkeit zu ge- 
langen. 

Hier saß unter einem Baldachin auf einem einfachen Sessel 
der Gott ^Osiris, das gute Wesen, der Herr des Lebens, der grojae 
Gott, der Hen* von Abydos, der König der Ewigkeit." In der 
Hand hält er Herrscherstab und Geißel, auf dem Haupte trägt er 
seine Krone. Vor ihm erblickt man auf manchen Darstellungen 
das Symbol des Anubis, während dieser auf andern an der ent- 
gegengesetzten Seile der Halle beschäfligl ist und den Toten, der 
sonst allein eintreten muß, einführt in den Saal. Vor Osiris sa- 
ßen die 42 Totenrichter, die aus den verschiedenen Städten 
Ägyptens berufen worden waren, um über je eine Sünde des To- 
ten abzuurteilen. Ferner standen vor dem Gotte die vier Toten- 
genien, der menschenköpfige Ämset, der affenköpfige Hapi, der 
schakalköpfige Duamulef und der sperberköpfige Kebsenuf, denen 
die Sorge für die Eingeweide, des Toten anvertraut war und die 
hier zu erscheinen hatten, da nach einer ägyptischen Ansicht 
nicht das göltliche Ich des Menschen sündigte, sondern nur seine 
Eingeweide dies thaten. Der Tote selbst wird empfangen von der 
Göttin der Wahrheit. Er sprach seine Rechtfertigung und dann 
ward sein Herz gegen die Wahrheit abgewogen; ob er wahr 
sprach; als er behauptete, keine Todsünde begangen zu haben. 
Bei der Wägung ist die Hauptperson Horus, bisweilen hilft dem- 
selben Anubis oder Thoth, während letzterer gewöhnlich nur als 
Schriftführer der Götter das Ergebnis des Vorganges aufzeichnet. 

Ward der Tote gerecht befunden, dann erhielt er sein Herz 
zurück, die übrigen unsterblichen Teile seiner Seele vereinten sich 
von neuem mit ihm und es baute sich in ihm der Mensch wie- 
der auf, der einst auf unserer Erde wandelte und der nunmehr 
ein neues ewiges Leben begann. Was geschah, wenn das Urteil 
ungünstig ausfiel, ist nicht so klar, vermutlich durften nach ge- 
wöhnlicher Ansicht dann die unsterblichen Teile nicht zum Osiris 
zurückkehren und dieser starb infolge dessen eines zweiten Todes, 
der seine völlige Vernichtung zur Folge hatte. Manche Darstel- 
lungen zeigen in dem Gerichtssaal das Bild eines weiblichen Nil- 
pferdes, das als Fresserin der Unterw^elt bezeichnet wird und in 
dem man oft das Tier gesehen hat, dorn die Bösen preisgegeben 

9* 



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Iä2 Die Ketigion der alten Ägypter. 

werden. In wie weil dies richtig ist, läiat sich nicht bestimmen, 
meist scheint das Tier nur als Wächter des Thores zum Gefilde 
der Seligen zu dienen, bisweilen wird es aber auch Set verglichen. 
Wieder an anderen Stellen ist davon die Rede, daß die Toten- 
richter die Bösen verzehren und ihr Blut trinken, kurz, auch hier 
widersprechen sich vielfach die Angaben, über das Schicksal der 
Bösen scheint keine Übereinstimmung bei den Nilthalbewohnern 
geherrscht zu haben. 

Es ist das Kapitel 125 des Totenbuches, welches von der 
eben erwähnten Gerichtsscene handelt und die Worte aufführt, 
die der Tote in dem Saale zu sprechen hatte; dieselben lau- 
ten im ersten Teile des Kapitels nach dem Turiner Texte folgen- 
dermaßen: „Preis sei Euch, ihr Herrn der doppelten Wahrheit, 
Preis sei Dir, großer Gott, Herr der doppelten Wahrheit (Osiris). 
Ich komme zu Dir, Du mein Herr, ich nahe mich um zu sehn 
Deine Schönheiten. Ich habe kennen gelernt und kenne Deinen 
Namen, ich kenne den Namen Deiner 42 Götter, die bei Dir sind 
in der Halle der doppelten Wahrhejt, die da leben in Beaufsich- 
tigung der Bösen, die da essen von deren Blute an jenem Tage 
des Prüfens der Worte vor dem guten, gerechtfertigten Wesen 
(Osiris). Wohlan! Doppelgeist, Herr der doppelten Wahrheit ist 
Dein Name. Wohlan! Ich kenne Euch, ihr Herrn der doppelten 
Wahrheit, ich bringe Euch Wahrheit, ich vernichte für Euch das 
Übel! 

Nicht vollbrachte ich Hinterlist und Schlechtes gegen die 
Menschen. 

Nicht bedrückte ich die Mitmenschen, anders gesagt: die 
Genossen. 

Nicht verübte ich Schlechtigkeiten im Gerichtssaal. 

Nicht kenne ich etwas von den Schlechtigkeiten. 

Nicht that ich etwas Böses. 

Nicht habe ich als Aufseher eines Menschen denselben an 
irgend einem Tage mehr arbeiten lassen, als er zu thun hatte (?). 

Nicht war ich ängstlich. 

Nicht ließ ich es an mir fehlen. 

Nicht war ich schwach. 

Nicht war ich elend. 

Nicht that ich das, was die Götter verabscheuen. 

Nicht ließ ich schädigen einen Sklaven durch seinen Henii. 



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Neunies Knpitel. Die Osirianische Unsterhlichkeitslehre. 133 

Nicht brachte ich jemanden zum hungern. 

Nicht machte ich jemanden weinen. 

Nicht habe ich gemordet. 

Nicht befahl ich einen hinterlistigen Mord. 

Nicht handelte ich hinterlistig gegen irgend jemand. 

Nicht verdarb ich die Opferbrote in den Tempeln. 

Nicht verminderte ich die Opferkuchen der Götter. 

Nicht raubte ich die Bekleidungen und Binden der Toten. 

Nicht trieb ich Unzucht. 

Nicht habe ich mich befleckt im Heiligtume des Gottes mei- 
ner Stadt. 

Nicht legte ich zu und 

Nicht verringerte ich die Opfergaben. 

Nicht legte ich zu beim Gewicht der Wage. 

Nicht fälschte ich an dem Zeiger der Wage. 

Nicht raubte ich die Milch dem Munde der Kinder. 

Nicht jagte ich das Vieh auf seiner Weide. 

Nicht fing ich im Netze die Vögel der Götter. 

Nicht fing ich die Fische in ihren (der Götter) Weihern. 

Nicht wehrte ich ab das Wasser (von den Feldern der Nach- 
barn) zu seiner Überschwemmungszeit. 

Nicht schnitt ich ab einen Arm des Flusses in seinem Laufe. 

Nicht löschte ich aus die Flamme zu ihrer Zeit (in der sie 
brennen sollte. Es bezieht sich dies auf die ewig brennenden 
Lampen, die sich in einigen Tempeln befanden). 

Nicht schädigte ich die Götterneunheit in Bezug auf das, 
was sie billigten. 

Nicht trieb ich zurück (von meinen Feldern?) die Herden 
des Tempelbesitzes. 

Nicht trieb ich zurück einen Gott, wenn er auszog aus dem 
Tempel«. 

Hierauf folgen einige Worte, durch die der Tote sich als 
ein seliger Auferstandener zu erkennen giebt und dann ein zwei- 
tes, negatives Sündenbekenntnis, welches sich von dem ersten da- 
durch unterscheidet, daß es in 42 Zeilen abgeteilt ist. Jedesmal 
wird ein Dämon angerufen und dessen Heimat genannt und dann 
folgt die Sünde, die der Tote nicht begangen haben will. So 
heißt es: „0 du Schreiter, der du hervorgehst aus Heliopolis, nicht 
that ich Böses! du Mundöflfner, der du hervorgehst aus Baby- 



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131 Die lleligion der allen A^'ypler. 

Ion (das jetzige Alt-Kairo), nicht fügte ich Schaden zu" u. s. f. 
Die Sünden sind im großen und ganzen die des ersten Bekennt- 
nisses, doch sind manche mehr in das Einzelne gehend angege- 
ben, um die Zahl von 42 zu erhalten. Hervorzuheben ist nur, 
daß der Tote hier auch versichert, er habe nicht gestohlen, sei 
nicht neidisch gewesen, habe kein Tempelvieh getötet, habe nicht 
gelauscht, habe nicht geflucht, nicht den Tauben wahren Worten 
gegenüber gespielt, habe keine Beschwörungen ausgesprochen, 
besonders nicht über den König, den eigenen Vater, oder einen Gott. 
Die Bedeutung dieses negativen Sündenbekenntnisses liegt 
darin, daß es uns zeigt, auf einer wie hohen Stufe die morali- 
schen Anschauungen in Ägypten standen und von welcher langen 
Reihe verweiflicher Thaten der Mensch sich fern halten mußte, 
wollte er sich Hoffnung darauf machen, in das Reich des Osiris 
einzugehn. Diese Betonung der Moral wird von den vei*schieden- 
sten Seiten bestätigt. Mehrfach sind Papyri erhalten geblieben, 
welche Ermahnungen zu guten Thaten enthalten und genau ange- 
ben, was man in jedöra Falle zu thun hatte. Der älteste der- 
selben entstammt der Titen Dynastie, es ist der vielgenannte Pa- 
pyrus Prisse, der den Namen seines Entdeckers trägt, der jüngste 
wurde in demotischer Schrift niedergeschrieben und aus der Zwi- 
schenzeit liegen gleichfalls ähnliche Texte vor. In vielen ihrer 
Sätze, ja bisweilen sogar im Wortlaute, erinnern diese Papyri an 
die biblischen Spruchsammlungen, an die Weisheit Salomons und 
die Sprüche des Jesus Sirach, oder auch an in verschiedenen 
der biblischen Schriften gegebene Ermahnungen. Findet sich 
doch beispielsweise das vierte Gebot in fast genau der gleichen 
Fassung im Papyrus Prisse wieder „der Sohn, der aufnimmt das 
Wort seines Vaters, der wird alt werden deswegen.** Andere 
Sätze ermahnen zum Studium der Weisheit, zur Achtung und 
Verehrung der Eltern und Vorgesetzten, zur Barmherzigkeit, Frei- 
gebigkeit, Bescheidenheit, Ehrlichkeit, Nüchternheit, Keuschheit 
und ähnHchem. In den Toteninschriften rühmen sich die Ver- 
storbenen gern ihrer guten Thaten. „Ichthat das Rechte", spricht 
ein Ägypter, „und haßte das Böse, dem Hungrigen gab ich Brot 
dem Durstenden Wasser, dem Nackten Kleidung, dem in Not be- 
findlichen Zuflucht**. „Nicht schädigte ich ein Kind, nicht ver- 
letzte ich eine Witwe, zu meiner Zeit gab es keine Bettler noch 
Darbende; niemand hungerte, die Witwen wurden versorgt, als 



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Neuntes Kapitel. Die Osirianisdie Unsterbliclikeitslehre. 135 

ob ihre Gatten noch lebten.* „Ich that was meinen Eltern 
wohlgefällig war, ich war die Freude meiner Brüder, der Freund 
meiner Gefährten, edel gesinnt gegen alle meine Mitbürger. Dem 
Hungernden gab ich Brot, den Wanderer beherbergte ich, mein 
Thor stand dem von außen kommenden oflien, ich erquickte ihn »»). 

Während der Tote sein Bekenntnis ablegte, schwiegen Osiris 
und seine Beisitzer, sie gaben weder Beifall noch Mißfallen zu 
erkennen, die Wahrheit der Behauptungen des Toten ergab sich 
ja ohne weiteres bei der Wägung des Herzens. Nach dem Abschluß 
und günstigem Verlaufe derselben ward der neu aufgebaute Tote 
eingeführt in die Gefilde von Aaru oder Äalu, in das Reich der 
seligen Anhänger des Osiris. Dieses Gebiet war gestaltet wie un- 
sere Erde, und ähnelte vor allem dem Delta, ein Nil floß darin, 
der sich in zahlreiche Arme teilte und viele Inseln bildete. Die 
Toten aßen und tranken, gingen auf die Jagd, kämpften mit ih- 
ren Feinden, erfreuten sich mit ihren Freunden am Brettspiel, 
opferten den Göttern, fuhren auf den Kanälen spazieren und trie- 
ben als Hauptbeschäftigung Ackerbau, der sich von dem irdischen 
nur dadurch unterschied, daß keine Mißernten eintraten und daß 
das Getreide weit üppiger emporsproßte, die einzelnen Halme 
überstiegen die Höhe eines erwachsenen Mannes. 

Die Feldbestellung hatte den Zweck, dem Toten die nötige 
Nahrung zu verschaffen, insoweit für diese nicht durch Opferga- 
ben und magische Formeln, die auf Erden zu seinen Gunsten 
dargebracht und ausgesprochen wurden, gesorgt ward. Selbst- 
verständlich konnte es für den vornehmern Ägypter, der in die- 
sem Leben nie schwere Arbeit verrichtet hatte, keine erfreuliche 
Aussicht sein, gegebenen Falls im Jenseits ackern zu müssen, er 
sah sich daher nach einem Auskunftsmittel um, um diesem Zwange 
zu entgehen. In alter Zeit scheint man dieses darin gefunden zu 
haben, daß man seiner Dienerschaft die Unsterblichkeit verschaffte, 
sie einbalsamieren, ihre Bildsäulen in den Gräbern aufstellen, Ge- 
bete für sie aufzeichnen ließ; zum Danke dafür hatte dieselbe 
dann im lenseits ewig ihrem Herrn behülflich zu sein. Später 
kamen menschlichere Empfindungen zum Durchbruche, man er- 
kannte, daß vor dem Tode alle Menschen gleich seien und daß 
daher auch der Arme und Niedere im lenseits darauf Anspruch 
erheben könne, ein sorgenfreies Leben, unabhängig von den Lau- 
nen seines Gebieters, zu führen. Seine ehemaligen Diener waren 



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13H Die Helij^lün der alten Ägypter. 

damit doiii Heichin genouiineii und er halte nunmehr seihst zum 
l^fluge greifen müssen, hätte nicht ein neuer Gedanke dem Übel- 
stande abgeholfen. Man fertigte seit etwa der 12. Dynastie kleine 
Slatuetten in Mumiengestalt, sogenannte (J^ebti, beschrieb sie mit 
einer magischen Formel und hoftte, dieselben würden im Jenseits 
Leben gewinnen und dem V^erstorbenen , der sie in das Dasein 
gerufen hatte, durch fleiiäige Arbeit ihren Dank dafür abstatten. 
Ihie Thätigkeit begann gleich nach dem Tode, nach welchem sie 
Klagelieder hersagen sollten, dies jedoch erst dann thaten, wenn es ih- 
nen die Gottheit selbst befohlen hatte. Um der Gottheit die Erlassung 
dieses Befehles zu erleichtem, wurde bisweilen sein gewünschter 
Wortlaut aufgezeichnet und die Urkunde dem Toten mit in das Grab 
gegeben ^»). Später pflügten und ernteten die Gestalten, die man 
daher mit Hacken und einem Korbe auszustatten pflegte. 

Derselben Vorstellung, der diese Statuen ihr Dasein verdan- 
ken, verdanken dasselbe alle die zahllosen in den Gräbern aufge- 
stellten Geräte, Spielzeuge, Waffen und ähnliches. Mit ihnen 
konnte der Tote sein Haus ausstatten und hatte es nicht nötig, 
sich diese Gegenstände im Jenseits erst mühsam zu beschaffnen. 
Dabei hat man nicht nur für den täglichen Gebrauch gesorgt, 
sondern auch für geistige Interessen, hat Papyri in das Grab ge- 
legt, mit deren Lecture sich der Osiris die Zeit verti-eiben konnte, 
Mährchen, Liebeslieder, sogar Anweisungen zum Brettspiel haben 
sich in derartigen Handschriften gefunden. 

So behaglieh sich derartig aber auch, besonders für den 
Vermögenden, der Aufenthalt in den Gefilden Aalu gestaltete, 
immer und ewig hoffte der Tote doch nicht hier in seiner Gestalt 
als Osiris bleiben zu müssen. Mit Hülfe magischer Formeln 
konnte er, wann er wollte, jeden beliebigen Ort besuchen. Er 
konnte als Krokodil, Sperber, Phönix, Heiher, Taube, als Lotus- 
blume, ja als Gott Ptah selbst auftreten oder auch in die Mumie 
zurückkehren, diese beleben und in ihr die Stätten besuchen, 
welche ihm im Leben lieb geworden waren. So blieb er in Ver- 
bindung mit dem Diesseits, von dem los sich zu lösen stets 
dem Menschen schwer geworden ist, vor allem aber dem Ägyp- 
ter, der in dem Leben, welches er am Ufer des Niles führte, das 
idealste Dasein erkannte, welches man sich überhaupt ausdenken 
konnte, so daß er sich sogar nach dessen Vorbild das Leben der 
Seligen im Jenseits ausmalte. 



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Neuntes Kapitel. Die Osirianische Unslerblichk^'itslehre. 137 

Im allgemeinen erscheint jedes Kapitel des Totenbuches als 
ein in sich geschlossenes Ganzes. Dieselben haben zwar im Laufe 
der Zeit hier und da Umänderungen erfahren, die sich freilich 
fast ausschließHch auf die Fassung, nicht auf den sachlichen In- 
halt bezogen, die jeweiligen Texte weisen hierauf jedoch nur sehr 
selten hin, höchstens daß es einmal bei einem Worte heißt „an- 
ders gesagt"* und dann die abweichende Lesart einer ändern 
Handschrift folgt als derjenigen, der sonst der Text entlehnt ist. 
Nur ein Kapitel macht hiervon eine Ausnahme, das 17le des 
Turiner Exemplars, welches außer seinem eigentlichen Texte 
zahlreiche Varianten und außerdem einen durch „was be- 
deutet das?" eingeleiteten Commentar zu einer Reihe von Stellen 
enthält. Man hat dieses Kapitel, das sich im wesentlichen in der- 
selben Form wie in spätem Texten bereits in denen der Uten 
Dynastie findet — nur sind letztere in der Fassung etwas kürzer 
— - für sehr alt gehalten. Ein genaueres Studium zeigt, daß es 
das nicht ist, vielmehr eine verhältnismäßig späte Stufe der ägyp- 
tischen Religionsentwicklung darstellt und mit der bestimmten 
Absicht angefertigt worden ist, dem Syncretismus der ägyptischen 
Götter und religiösen Gedankenkreise Vorschub zu leisten. Die 
Wiedergabe des ersten Abschnittes des Textes wird dies am klar- 
sten darzulegen vermögen. Die älteste Fassung, die auf dem 
Sarge des Mentuhetep zu Berlin aufgezeichnet ist, wird dabei 
zugrunde gelegt, die wichtigern Zusätze des von Lepsius heraus- 
gegebenen, vermutlich im vierten Jahrhundert v. Chr. niederge- 
schriebenen Turiner Exemplars unter Voraussetzung von T. in 
Klammer hinzugefugt werden. Der Tote spricht: 

„Ich bin Tum, das einzige Wesen bin ich (T. im Urgewäs- 
ser Nu), ich bin Rä bei seiner ersten Erscheinung (T. bei seiner 
Erscheinung am Anfange der Herrschaft, die er führte. Was ist 
das? Rä in seiner Erscheinung am Anfange der Herrschaft, 
die er führte, ist der Anfang des Rä, der herrschte in Heracleo- 
poüs magna, als erhoben ward der Gott Nu, er war auf der 
Treppe in Hermopolis magna, er vernichtete die Kinder der Re- 
bellen auf der Treppe zu Hermopolis magna). Ich bin der große 
Gott, der sich selbst erschuf (T. das Wasser nämlich, der Gott 
Nu nämlich, der Vater der Götter), der Schöpfer seines Namens, 
der Herr der Götterneunheit (T. Was bedeutet das? hä nämlich 
den Schöpfer seiner Glieder, erschaffend diese Gölter, die im Ge- 



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1'^ Die Heligitm der allen Ägypter. 

fü]\fc des Ra sind), keiner wehrt ihn ab unter den Göttera(T. 
Was bedeutet das? Tum ist es in seiner Sonnenscheibe. Anders 
gesagt: Rä ist es in seiner Sonnenscheibe, der da strahlt am 
östlichen Horizonte des Himmels). Ich bin der gestrige Tag, ich 
kenne den morgigen Tag,, nämlich Osiris. (T. nach morgigen 
Tag: Was ist das? Das Gestrige ist Osiris, das Morgige Ra. 
Jener Tag, an dem vernichtet werden die Feinde des Herrn des 
Alls (Osiris), an dem er bestätigt seinen Sohn Horus (als Herrscher). 
Anders gesagt: Jener Tag, an dem man festsetzt das Fest seiner 
Aufstellung, d. h. als Herr der Unterwelt, der Bestattung nämlich 
des Osiris durch seinen Vater Rä). Es entstand ein Kampf der 
Götter als ich sprach (T. er [Ra?] ließ entstehen einen Kampf 
der Götter als er befahl, daß Osiris sein solle der Herr des Ber- 
ges des Westens). Ein Kampfgegenstand nämlich war der Westen 
(T. Was bedeutet das? Der Westen war zubestimmt den Gei- 
stern der Götter als er befahl, daß Osiris sei der Herr des Berges 
des Westens. Anders gesagt: Der Westen bezeichnet das Endziel, 
zu dem Rä jeden Gott gelangen ließ. Siehe da! er, d. h. jeder 
Gott, kämpfte um denselben; d. h. die verschiedenen toten Götter 
wollten nicht zulassen, daß Osiris König des Westens wurde, als 
dessen Herrn sie selbst sich fühlten und kämpften daher gegen 
ihn). Ich kenne den Namen dieses großen Gottes, welcher in ihr 
(der Unterwelt) ist. (T. Was bedeutet das? Osiris. Variante:) 
Preis des Rä ist sein Name (T. Seele des Rä, ist sein Name, er 
zeugte in sich selbst). Ich bin jener große Phönix, welcher in 
Heliopolis ist, der da ist (T. ich bin) die Bestätigung (?) alles dessen, 
was ist und was besteht. Was bedeutet das? (T. der Phönix 
ist) Osiris (T. welcher ist in Heliopolis), es ist (T. die Bestätigung [?] 
dessen) was ist und besteht (T. sein Leib. Variante:) die Ewigkeit 
und das immer Dauernde (T. es ist die Ewigkeit der Tag, es ist 
das immer Dauernde die Nacht). Ich bin A'em bei seiner Erschei- 
nung, mir sind gegeben seine beiden Federn an mein Haupt. 
W^as bedeutet das? Seine beiden Federn sind die des Horus, des 
Rächers seines Vaters (T. hat nach was bedeutet das?: Es ist 
Aem der Horus , der Rächer seines Vaters Osiris ; es sind seine 
Erscheinungen seine Geburt); es sind seine beiden Federn (T. an 
seinem Kopfe das Kommen der Isis und Nephthys, welche hinter 
ihn gestellt sind, damit sie seien die beiden Klageschwestern. 
Siehe da! sie stehn an seinem Kopfe. Variante:) die beiden 



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Zehntes Kapitel. Die (ieheimwissensdiaflen. W.) 

Uräussehlangen (T. die sehr großen), die sich befinden an der 
Stirn seines Vaters Tum (T. Variante: seine beiden Augen, d. h. 
Sonne und Mond, sind seine beiden Federn an seinem Haupte). 
Ich bin in meinem Lande, ich bin angekommen in meiner Stadt. 
Was bedeutet das? In dem Sonnenberge meines Vaters Tum.** 
In ähnlicher Weise Fährt der Text fort. Der Tote stellt sich 
allen Göttern gleich, diese werden unter einander gleichgestellt, 
das Resultat ist eine allgemeine Verschmelzung der Gestalten, die 
logischer Weise zu einem Pantheismus hätte führen müssen. 
Dies ist nicht geschehn, da der Ägypter die Individualität der 
einzelnen Gestalten trotz ihrer Identität nicht opfern wollte. Das 
Kapitel aber ist irnnitten des Totenbuches stehen geblieben trotz 
aller Abweichungen, welche seine Gedanken von der individuell 
menschenähnlichen Auffassung darbolen, die sonst die Götter in 
diesem Werke zeigen, und trotz des Widerspruches, in dem sein 
Grundgedanke, der den Verstorbenen in den Göttern und im All 
aufgehen lälat, sich stellt zu der leitenden Totenbuchidee, nach 
der er ein genau seiner Lebensform im Diesseits entsprechendes 
selbständiges Dasein im Jenseits führen sollte. 



Zehntes Kapitel. 

Die Geheimwissenschaften. 

Alles unterstand in Ägypten der Gottheit; jedoch nicht in 
dem Sinne als hätte ein Gott alles beherrscht, vielmehr hatten 
die Gestalten des Pantheons eine Teilung ihrer Wirkungskreise 
eintreten lassen. Bestimmte Nomen, Städte, Tempel, waren be- 
stimmten Gottheiten geweiht, wenn man dabei auch nicht so con- 
sequent war, darum andere Gestalten hier auszuschließen. Ebenso 
war zeitlich die Thätigkeit der Götter zuweilen eine umgrenzte. 
Jedem Monate stand eine Gestalt vor, so dem Thoth der Gott 
Thoth, dem Athyr die Hathor, dem Pachons Aunsu und nach 
ihnen haben wenigstens einige der Monate ihre Namen erhalten. 
In späteren Texten ist dann jeder Monatstag einer bestimmten 
Gottheit geweiht, der erste dem Thoth, der zweite Horus, dem 
Rächer seines Vaters, der dritte Osiris, der vierte bis siebente 
den vier Totengenien u. s. f. Die fünf Epagomenentage gehörten 
den fünf an ihnen geborenen Hauptgestalten des Osiriskreises, 



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140 Die Religion der allen Äjrypler. 

In der Ptoleinäerzeil ward zuweilen der Naine der Schutzgoltheit 
eines Tages durch den des regierenden Königs ersetzt, so erhiel- 
ten damals der 30. Mesorl als der Geburtstag und der 1 7. Mechir 
als der Thronbesteigungstag des Ptolemäus Epiphanes den Bei- 
namen dieses Herrschers. Das System der Zuteilung der Zeit an 
höhere Wesen ging noch weiter, jede Stunde des Tages und der 
Nacht ward einer Göttin verliehen, doch waren dies hier keine 
der großen Götter, sondern eigens zu dem Zwecke geschaffene 
Gestalten. 

Ebenso wie den Zeitabschnitten standen den die Zeit regeln- 
den Gestirnen Gottheiten vor, der Sonne, dem Monde, den Pla- 
neten und auch den einzelnen Fixsternen, bez. den Sternbildern. 
Ihnen und den Zeitgottheiten lag vor allem die Herrschaft über 
das ob, was zu der ihnen unterstehenden Zeit geschah oder 
entstand, sie bestimmten sein Schicksal. Allein sie konnten dies 
im allgemeinen nicht nach freiem Ermessen thun, sie waren viel- 
mehr abhängig von Gesetzen. Kannte man diese meist aus dem 
Wesen der in Rede stehenden Gottheiten abgeleiteten Gesetze, so 
ließ sich das Schicksal vorausbestimmen. Hierauf beruht der 
Gedanke Horoscope aufzustellen. Öfters wird derartiger Berech- 
nungen in Ägypten gedacht und späte Papyri enthalten Sphären, 
d. h. Tabellen, mittelst derer man die Schicksale des Menschen 
aus gegebenen Größen, dem Geburtstag und ähnlichem berechnen 
konnte. Von den Ägyptern und den ähnlich denkenden Chaldäern 
ist die Sitte zu den Griechen und von diesen zu den mittelalter- 
lichen Gelehrten gekommen, sie spielt in den modernen Prophe- 
zeiungsbüchern in ihren letzten, freilich ihres ursprünglich reli- 
giösen Charakters längst entkleideten Ausläufern noch immer eine 
große Rolle. 

Nicht immer war es nötig, Sphären und Berechnungen zu 
benutzen um einen Blick in die Zukunft zu thun, man gewann 
denselben einfacher durch Nachschlagen in Kalendern, in denen 
den verschiedenen Monatslagen die Notiz beigefügt war, ob sie 
günstige, ungünstige oder verschiedenartige Aussichten darboten, 
was man an ihnen zu thun und zu lassen hatte, was den an 
ihnen Geborenen begegnen würde, und ähnliches mehr. Diese 
Angaben waren darauf begründet, daß an dem betreffenden Tage 
sich ein mythologisches Ereignis zugetragen hatte, das dem Tage 
für alle Zeiten eine bestimmte Bedeutung gab. Ein derartiger 



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Zehntes Kapitel. Die Geheim Wissenschaften. 141 

Kalender ist in dem der neunzehnten Dynastie entstammenden 
Papyrus Sallier IV erhalten geblieben, der, wenn auch nicht für 
das ganze Jahr, so doch für mehrere Monate Angaben enthalt 
und beispielsweise bemerkt: 

4. Paophi: Ungünstig, günstig, günstig (also von verschie- 
denem Werte). Gehe auf keinerlei Weise aus deinem Hause an 
diesem Tage. Wer an diesem Tage geboren wird, stirbt an die- 
sem Tage durch Ansteckung. 

5. Paophi: Ungünstig, ungünstig, ungünstig. Gehe auf kei- 
nerlei Weise aus deinem Hause an diesem Tage, nähere dich 
keiner Frau. An diesem Tage hat man Opfergaben vor dem 
Gölte darzubringen. Die Majestät des Gottes Month war zufrie- 
den an diesem Tage. Wer an diesem Tage geboren ward, wird 
durch Liebe sterben. 

G. Paophi: Günstig^ günstig, günstig. Freudentag des Ra 
im Himmel. Die Götter sind in Frieden vor dem Gotle Rä, die 
Neunheit der Götter vollzieht die Geremonien vor LRä]. Wer an 
diesem Tage geboren ward, stirbt am Rausche. 

9. Paophi: Günstig, günstig, günstig. Die Götter sind in 
Freude, die Menschen in Jubel, der Feind des Rä ist gefallen. 
Wer an diesem Tage geboren ward, stirbt an Allersschwäche. 

2i\ Paophi: Ungünstig, ungünstig, ungünstig. Bade in kei- 
nem Wasser an diesem Tage. Wer im Schiffe fahrt auf dem 
Flusse an diesem Tage, wird in Stücke gerissen durch die Zunge 
des Krokodils. 

29. Paophi: Günstig, günstig, günstig. Wer an diesem Tage 
geboren wird, der stirbt geehrt von seinen Mitbürgern. 

17. Athyr: Ungünstig, ungünstig, ungünstig. Ankunft der 
obern und untern Großen in Abydos, der viele Thränen ver- 
gießenden. Große Wehklage der Isis und Nephthys um ihren 
Bruder Unnefer (Osiris^ der nach Plutarch am 17. Athyr ermor- 
det ward) in Sais, eine Klage, die man bis nach Abydos hört. 

10. Ghoiak: Günstig, günstig, günstig. Wer an diesem Tage 
geboren ward, stirbt das Brot in der Hand, Bier im Munde, das 
Auge auf das Essen gerichtet. 

13. ilechir: Ungünstig, ungünstig, ungünstig. Gehe auf 
keine Weise an diesem Tage heraus. Es ist der Tag, an dem 
das Auge der Se^et entsetzlich ward und die Felder mit Verwü- 
stung (?) erfüllte (also der der Vernichtung des Menschengeschlech- 



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lii Die Religion der alten Ägypter. 

tes durch Se^et). Gehe an diesem Tage beim Sonnenaufgang 
nicht heraus. 

Ähnliche Angaben, wie in diesem Texte, werden bis in 
späte Zeit hinein häufig gemacht und beweisen die weite Verbreitung 
derartiger Anschauungen. So behauptet Cicero, wer beim Auf- 
gang des Hundssternes geboren werde, der sei vor dem Ertrinken 
in der See sicher, und Plinius, wer sich am 28 Thoth mit dem 
Safte des Mäuseöhrchen- Krautes einreibe, der werde das ganze? 
Jahr nicht triefaugig sein. 

Bei den meisten Völkern hat sich entsprechend diesen Ge- 
dankengängen der Glaube gebildet , daß wenn einmal auf Erden 
einem wunderbaren Ereignis eine Thatsache gefolgt sei, daß dann 
regelmäßig bei Wiederauftritt des ersten Ereignisses auch die 
Thalsache sich wiederholen wurde. Um für die hierdurch er- 
möglichten Prophezeiungen das nötige Material zu gewinnen, hat 
man Listen von Wundererscheinungen angelegt. Derartige Texte 
haben sich im Nilthale bisher nicht gefunden, doch zeigt die 
mehrfache Erwähnung von Wundern bei dem auf ägyptischen 
Anschauungen fußenden Manelho, wie die Angalie, der Nil habe 
von Honig geflossen, ein achtbeiniges Lamm sei erschienen und 
ähnliches mehr, daß auch die Ägypter glaubten, solche den Natur- 
gesetzen widersprechende Ereignisse besäßen eine besonders große 
Bedeutung. 

War aber dergestalt ein Gesetz vorhanden, nach welchem 
sich das Menschenleben abspielen sollte, so war dasselbe doch 
nicht allgemein gültig. Einmal hatte die Gottheit bisweilen die 
Macht es zu durchbrechen, ihren Günstlingen und Verehren ein 
bevorstehendes trauriges Geschick zu ersparen, ihren Feinden 
dagegen den Untergang zu bereiten. Andererseits aber konnte 
auch der Mensch willkürlich das V^erhängte anders gestalten 
mit Hülfe der Magie, durch welche er Macht erlangen konnte 
nicht nur über die Mitlebenden, sondern auch über die Toten 
und die Götter selbst, so hoch auch sonst deren Stellung war. 
Ziinächst ward dieselbe in Anwendung gebracht behufs Erlangung 
von Träumen. 

Der Traum hat bei allen Völkern eine große Rolle gespielt 
In ihm, in seinen bunten Bildern glaubte der Men.sch thatsächliche 
Vorgänge vor sich zu sehn, die in ihm vernommenen Worte hielt 
er für wirklich gehörte. Bei einem so frommen Volke, wie dem 



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Zehntes Kapitel. Die Geheimwissenschaflen. 14.') 

ägyptischen, bei dem während des ganzen Lebens der Dienst der 
Gottheiten ein Hauptinteresse bildete, war es nur natürlich, wenn 
diese Beziehung zu höhern Mächten, die man den Tag über fest- 
hielt, auch während des Traumes fortdauerte, und man hier in 
persönlichen Verkehr mit der Gottheit zu treten glaubte, mit ihr 
sprach und von ihr Rat und Antwort in schweren Fragen erhielt. 

Prophetische von der Gottheit gesandte Träume konnte man 
überall haben, so erschien Rä-Harmachis dem König Thutmes IV, 
als er bei der großen Sphinx auf der Jagd ausruhte und 
befahl ihm das Steinbild aus dem Sande ausgraben zu lassen. 
Kin Traum befahl etwa lausend Jahre später gelegentlich dem 
Könige Nut-Ämen von Äthiopien nach Ägypten zu ziehen. Siche- 
rer war es, sich in einen der Tempel zu begeben, welche als Sitze 
orakelgebender Gölter bekannt waren, und hier zu schlafen, dann 
konnte man mit Bestimmtheit einen Traum erhoffen. Kin solcher 
Tempel war der des Serapis zu Memphis, dessen in der Plole- 
mäerzeit öfters gedacht wird, sogar Aufzeichnungen der hier hau- 
senden Einsiedler über die Träume, die sie im Laufe der Zeit 
hatten, sind erhalten geblieben. Meist wird man selbst die Be- 
deutung des Traumes sich ersclilossen haben aus dem Zusam- 
menhange, in dem er eintrat. Bisweilen aber bot dies doch 
Schwierigkeiten dar und dann wandte man sich an besondere 
Traumdeuter, von denen in Ägypten bereits L Mos. 41. 8 berich- 
tet. Bis in späte Zeit blieben solche Männer in Thätigkeit und 
noch eine griechische Stele nennt einen am Serapeum zu Memphis 
angestellten derartigen Beamten. Der Glaube an solche prophe- 
tische Träume, in denen man besonders Heilmittel für Krankhei- 
ten zu erfahren pflegte, findet sich auch in andern Ländern, wie» 
im Asklepios- Tempel zu Epidauros, Ägypten aber war sein Mil- 
lelpunkt, so daß noch der beim Beginne der Völkerwanderung 
thätige Dichter Claudian prophetische Träume ägyptische nennen 
konnte. 

Die Götter sandten diese Träume, wenn sie es für gut fan- 
den, und im allgemeinen begnügten sich die Menschen damit, um 
dieselben zu bitten. Wenn sie aber ausblieben, dann konnte man 
seine Zuflucht zur Magie nehmen und die Götter zur Sendung 
eines Traumes und zwar eines bestimmten zwingen. Aus der 
langen Reihe von Vorschriften hierzu, die erhalten geblieben sind, 
stammt die folgende aus einem gnostischen griechischen Papyrus 



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144 Die Religion der alten Ägypter. 

des Leydener Museums; trotz ihres verhültnisrnfißig jungen Ur- 
sprunges fußt sie durchweg auf altügyptischen Ansdiauungen. 3*) 

„Traumsendemittel des Agathokles: 

Nimm eine ganz schwarze, getötete Katze, fertige eine 
Sclu-eibtafel und schreibe mit Myrrhenlösung das folgende und 
den Trauni; den du senden willst, und thue es in den Mund der 
Katze. [Der zu schreibende Text lautet]: Keimi, keimi, ich bin 
der große, der in dem Munde ruht Mommom, Thoth, Nanumbre, 
Karieha, Kenyro, Paarmiathon, das heilige lau iee ieu aeoi, wel- 
cher da ist über dem Hinimel, Amecheumeu, Nennana, Sennana, 
Ablanathanalba, Akramm chamaria brasiua lampsor eieeieiei 

aöeeö theuris ö Setze dich in Verbindung mit N. N. 

hienlber (über den genannten Trauminhalt). Ist es (?) aber nötig, 
so befestige (bringe?) mir den N. N. hierher durch deine Macht, 
Herrscher der ganzen Welt, feuriger Gott, setze dich in Verbin- 
dung mit N. N. Tharthar thamara thatha mommom thanabotha 
apranu bamalea ehr[a]thna basuleth rombru tharael albana 
brochrex abranazuchel! Erhöre mich, denn ich werde den groüen 
Namen aussprechen, Thoth, den jeder Gott verehrt und jeder 
Dämon fürchtet, auf den hin jeder Bote seinen Auftrag verrichtet. 
Dein Name entspricht den sieben (Vokalen) a, e, e, i, o, y, ö 
iauöeeaö ouee öia. Ich nannte deinen herrlichen Namen, den 
Namen für alle Bedürfnisse. Setze dich in Verbindung mit N. N., 
Verborgener, Gott, in Bezug auf diesen Namen, den auch Apol- 
lobex benutzte". 

Ebenso wie mittelst dieser Formel der Magier den Gott 
zwingen konnte, einer bestimmten Person einen bestimmten Traum 
zu senden, so konnte er veranlassen, daß derselben ein prophe- 
tischer Traum zukam und konnte auch für sich einen solchen, 
der Antwort auf eine vorher gestellte Frage gab, gewinnen. Er 
brauchte dazu nur etwas anders lautende Formeln anzuwenden, 
deren Zusammenstellung aber nach ähnlichen Grundsätzen erfolgt 
ist. Kurz wird am Anfange eine vorzunehmende Handlung ange- 
geben, besonders das Material genannt, auf das die Worte zu 
schreiben seien, ob man sie an enien bestimmten Ort zu legen 
oder zu vernichten habe, oder ob ein einfaches Hersagen dersel- 
ben genüge. Dann folgen die Worte, die neben der Nennung 
der vom Gotte zu verrichtenden Handlung fast nur Anrufungen 
enthalten und deren Schluß meist der Hinweis darauf bildet, daß 



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Zehntes Kapitel. Die Geheimwissenschaflen. 145 

bereits ein Gott sie mit Erfolg verwendet habe, wie dies in dem 
angeführten Beispiele Apollöbex that. Dieser Name setzt sich zu- 
sammen aus dem griechischen Apollo, dem der ägyptische Horus 
entspricht und dem Worte bex, welches auf das ägyptische bak, 
der Sperber, zurückgeht, es ist demnach Horus der Sperber, der 
sperbergestaltige Sohn der Isis gemeint, der auch in andern 
Texten als in der Magie wohl erfahren auftritt. In der eigent- 
lichen Anrufung erscheinen nur wenige wirkliche Götternamen 
wie hier der Name des Thoth ; meist foly^en auf einander schein- 
bar ganz sinnlose Sylbenzusammenstellungen, wie solche bei den 
Gnostikern und bei den Zauberern aller Zeiten beliebt gewesen 
sind; Zusammenstellungen, die geheimnisvoll und unverständlich 
klangen und denen man gerade darum eine um so größere Be- 
deutung zuschrieb. Sie gelten hier wie auch sonst als die tief- 
verborgenen Namen der Gottheit, die nach ihrer Aussprache dem 
Zauberer zu willen sein mußte. Noch in später Zeit glaubte man, 
den Ägyptern vor allem seien die hierzu notwendigen Worte be- 
kannt und der um 400 n. Chr. lebende Bischof Synesius von 
Cyrene bemerkt in einer seiner noch während seiner heidnischen 
Zeit verfaßten Schriften, er habe sagen hören, die Ägypter hätten 
ein Mittel gegen die Götter und gewisse Zauberräder, so daß sie, 
so oft sie wollten, einige unverständliche Worte murmelten und 
so alles Göttliche, welches diesem Rufe zu folgen geeignet sei, an 
sich zu ziehn vermöchten. Daher kennten die Ägypter auch das 
Aussehn der einzelnen Götter, da sie ja täglich mit ihnen ver- 
kehrten. 

So sinnlos wie die Worte klingen, waren sie ursprünglich 
jedoch nicht Nur wenige von ihnen sind rein willkürliche Erfin- 
dungen, die meisten sind Gottesnamen und Titel, die fremden 
Sprachen entlehnt sind. Mehrfach heben die Besprecher der an- 
tiken Magie, wie beispielsweise noch Origenes, hervor, daß man 
annahm, es komme bei Beschwörungen besonders darauf an, die 
richtige Bezeichnung für die Gottheit zu wählen; so besäße das 
den jüdischen heiligen Schriften entlehnte Sabaoth eine geheim- 
nisvolle Kraft, setze man aber dafür etwa Herr der Mächte, oder 
Herr der Heerscharen ein, dann habe es seine Macht verloren. 
Es kam also nicht auf den' Sinn des Wortes an, sondern nur auf 
seinen Laut, der Versuch einer Übersetzung desselben machte 
nicht nur die Anrufung unwirksam, sondern stürzte auch ihren 

Dr. A. Wiodemnnn: Die Religion der alton Ay^pter. 10 



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146 Die Religion der alten Ägypter. 

Aussprecher in große Gefahr, denn wie bei allen Völkern, so 
folgte auch nach ägyptischer Lehre der Dämon nur widerwillig 
den Befehlen des Zauberers und lauerte ständig auf eine Gelegen- 
heit, bei der sich derselbe eine Blöße gab, um ihn zu vernichten. 
So sind denn die meisten der sinnlos erscheinenden Worte ur- 
sprünglich bedeutungsvolle gewesen, wenn dies auch im Einzelnen 
schwer nachweisbar ist. So sehr man sich auch bemüht haben 
mag, fremdsprachige Laute genau wiederzugeben, ganz gelang es 
nicht und im Laufe der Zeit mußte die Kenntnis der richtigen 
Laute immer mehr und mehr dem Gedächtnisse entschwinden, 
um so mehr als die mündliche Überlieferung bei derartigen un- 
verstandenen Worten immer unzuverlässig sein muß und die 
schriftliche Wiedergabe magischer Texte eine sehr unsorgsame 
zu sein pflegt. Greift man aus den in obigem Texte enthaltenen 
Anrufungen eine heraus, so scheint Paarmiathon ägyptisch zu 
sein und für pa Hör m äthu „der Horus in dem Sumpfe" zu 
stehn, für eine gewöhnliche Bezeichnung des Gottes Horus, der 
sich während seiner Jugend in den Sümpfen des Deltas aufge- 
halten hatte. 

Eine sehr große Rolle spielte die Magie in der Medizin. Die 
Ägypter waren keine hervorragenden Ärzte, ihre Mittel sind rein 
empirische und wenig ansprechend; bedenklicher noch war es, 
daß sie nicht imstande waren, ordentliche Diagnosen aufzustellen, 
da ihnen anatomische Kenntnisse abgingen. Die Ägypter waren 
von großer Ehrfurcht gegenüber dem menschlichen Leichname 
beseelt, wie sich dies noch in der Sitte ausspricht, den Paraschi- 
sten, der den Körper für die Einbalsamierung geöffnet hatte, mit 
Steinwürfen zu verfolgen, als den Begeher einer zwar notwendi- 
gen, aber nichts desto weniger sündhaften That. Die schemati- 
schen Vornahmen bei der Einbalsamierung selbst, die in stets 
gleicher W^eise vor sich gingen, lehrten die Zusammensetzung des 
Körpers nicht kennen und so hatte man von dem menschlichen 
Organismus bis in die griechische Zeit hinein die allerunvollkom- 
menste und irrtümlichste Vorstellung. In Folge hiervon hatte 
man von den meisten innern und besonders den Geisteskrankhei- 
ten keine Kenntnis, man ahnte nicht, daß dieselben auf inneren 
Veränderungen des Organismus beruhten und nahm daher an, 
sie seien durch einen Dämon entstanden, der in den Kranken 
gefahren sei. Unter diesen Umständen konnten Medizinen das 



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Zehntes Kapitel. Die Geheim Wissenschaften. 147 

eine oder andere Symptom zum Verschwinden bringen, die Hei- 
lung erfolgte erst, wenn der Dämon ausgetrieben worden war; 
der ägyptische Arzt mußte daher auch Magier sein. 

Nach späten Angaben war seine Thätigkeit eine verhältnis- 
mäßig einfache. Nach ihnen zerfiel der menschliche Körper in 
36 Teile, jedem stand ein bestimmter Dämon vor und genügte 
es, den Dämon des kranken Teiles anzurufen, um die Genesung 
zu veranlassen. Diese Anschauung ist im Grunde eine altägyp- 
tische; das Totenbuch berichtet, daß bei dem Toten die Sorge 
für das Heil seines Körpers unter verschiedene Gottheiten ver- 
teilt wurde, Nu sorgte für das Haar, Rä für das Gesicht, Hathor 
für die Augen, Äp-uat für die Ohren, Anubis für die Lippen, ein 
Wächter über alle Glieder aber war Thoth. Später ward diese Lehre 
auf den lebenden Leib übertragen, doch haben dabei die 
Gottheiten gewechselt und statt der großen ägyptischen Götter, 
die das Totenbuch nennt, erscheinen als heilende Götter, wie die 
von Celsus bei Origenes aufbewahrten Namen zeigen, die Vorste- 
her der 36 Dekane, der 36 Teile, in die der Ägypter den Tier- 
kreis zerfallen ließ. In alter Zeit war die Auswahl der anzuru- 
fenden Gottheit schwieriger, sie richtete sich nicht nur nach dem 
Körperteil, sondern auch nach der Krankheit, ihren Symptomen, 
den gerade vorhandenen Heilmitteln und ähnlichem. 

Die in mehreren Exemplaren erhaltenen altägyptischen Re- 
zeptsammlungen enthalten neben den Arzeneimitteln auch die je- 
weils zu sprechenden Formeln gegen die Dämonen. Verhältnis- 
mäßig selten sind dieselben in älterer Zeit, je weiter die Medizin 
aber vor- oder richtiger zurückschreitet, um so länger und zahl- 
reicher werden sie. Als Beispiel sei aus dem um das Jahr 1700 
V. Chr. aus älteren Schriften zusammengestellten Leipziger me- 
dizinischen Papyrus die folgende Formel, die man beim Bereiten 
von Arzeneien zu sprechen hatte entlehnt: „es erlöse, es erlöse 
Isis ; es ward erlöst Horus durch Isis von allem Leid, das ihm zu- 
gefügt ward von seinem Bruder Set, als er tötete seinen Vater 
Osiris. Isis, Herrin der Zaubereien, erlöse mich, befreie mich 
von allen schlechten, bösen, roten (da rot die Farbe des Set war, 
war rot gleichbedeutend mit schlecht) Dingen, aus der Macht der 
Krankheit, die von einem Gotte und der, die von einer Göttin 
kommt, von einer männlichen und einer weiblichen Todesart, 
von einem männlichen und einem weiblichen Übel, das mich er- 

10* 



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148 Die Religion der alten Ägypter. 

greift, geradeso wie du befreitest, geradeso wie du erlöstest deinen 
Sohn Horus. (Thue dies), da ich hineinging in das Feuer und 
herausging aus dem Wasser und nicht fiel in die Schlinge an je- 
nem Tage (d. h. da ich magische Kraft besitze) u. s. f. 0! rette 
mich aus der Macht aller schlechten, bösen, roten Dinge, aus der 
Macht der von einem Gotte und der von einer Göttin ausgehen- 
den Krankheit, von einer mannlichen wie von einer weiblichen 
Todesart/ 

Diese Formel konnte bei der Bereitung jeder Arzenei verwen- 
det werden, andere besaßen nur bei bestimmten Erkrankungen 
Wert. So hatte man bei Entzündungen über dem Heilmittel, wel- 
ches in der Milch einer Frau, die ein männliches Kind geboren 
hatte, bestand, zu sprechen: „O mein Sohn Horus, es brennt auf 
dem Berge, nicht ist Wasser dort, kein Retter ist da, bringe Was- 
ser über die Flut (also das Wasser der Nilüberschwemmung), um 
das Feuer zu löschen.* Die Worte spielen an auf die Mythe von 
einem großen Weltbrande, deren die Texte öfters, jedoch nur ne- 
benbei gedenken, und von der die Kunde noch zu Plato kam. 
Wie damals Horus die Glut löschte, so sollte er auch die Glut 
der Entzündung zur Ruhe bringen. 

Zuweilen hielt man es für angemessen, der Gottheit zu drohen, 
falls sie nicht zu Hülfe kommen wollte. So erklärt sich in einer 
Beschwörung eine Gebärende für Isis und fordert die Götter auf, 
sie bei ihrer Niederkunft zu unterstützen; wollten dies die- 
selben nicht, „dann sollt ihr vernichtet werden, ihr Götter, die 
Erde soll nicht mehr bestehn, die fünf das Jahr ergänzenden 
Tage sollen aufhören zu sein, es soll den Göttern, den Herrn von 
Heliopolis, nicht mehr geopfert werden. Es soll sinken der Him- 
mel des Südens und Unglück hereinbrechen von dem Himmel 
des Nordens, Weheruf soll aus den Gräbern ertönen, die Mittags- 
sonne nicht länger scheinen, der Nil nicht zur gewohnten Zeit 
sein Überschwemmungswasser spenden**. Bis in die römische 
Kaiserzeit waren derartige Formeln im Gebrauche und Philoso- 
phen, wie Porphyrius, fanden noch Gelegenheit, über die Selbst- 
überhebung der Magier zu spotten, die Himmel und Erde zu ver- 
nichten drohten, wenn nicht ihr Wille geschehe. 

Nicht immer genügte es, die Formel einmal zu sprechen, 
um einen Erfolg zu erzielen und auch ihre Wiederholung war 
nicht immer genügend, man mußte zu andern Dingen seine Zu- 



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Zehnies Kapilcl. Die Geheimwisäenschaflen. 149 

flucht nehmen, man mußte geheimnisvolle Handbewegungen ma- 
chen, Geremonien aller Art verrichten, die Formel auf Papyrus 
schreiben und diesen dem Kranken eingeben und ähnliches mehr. 
Wirksamer noch erwiesen sich in den meisten Fällen Amulette 
oder das persönliche Eingreifen eines durch Bitten oder Zauberei 
dazu veranlagten Gottes. Wie man dabei verfuhr, berichtet ein 
um 1000 vor Christus entstandenes oder richtiger zur Verherrlichung 
des Gottes Aunsu von Theben erfundenes Mährchen ^•'») in einge- 
hender Weise; die folgenden Angaben desselben haben für uns 
ein Interesse. 

Ein ägyptischer König begab sich eines Tages nach Asien, 
um Tribute einzuziehen, da brachte ihm der Fürst von Be;ften 
als Geschenk seine Tochter, die der König von Liebe entbrannt 
zu seiner Gemahlin erhob. Längere Jahre nachher, als der König 
nach Ägypten zurückgekehrt war und in Theben ein Fest feierte, 
kam ein Bote von Bebten dorthin, der zu ihm sprach: „Ich komme 
zu Dir, Fürst, mein Herr, wegen der Bentre§t, die durch die kö- 
nigliche Gemahlin deine Schwägerin ward. Ein Übel drang in 
ihre Glieder. Möge senden Deine Majestät einen Schriflgelehrten, 
um nach ihr zu sehn." Der König sandte den höchst gelehrten 
königlichen Schreiber Thoth-era-heb ab; doch als dieser nach 
Bebten kam, da fand er die Bentrest im Zustande einer Person, 
die einen Dämon in sich hat und fand sich zu schwach, um mit 
dem Dämon zu kämpfen. Da sandte der Fürst von Bebten wie- 
derum zum Pharao und sprach: „O Fürst, mein Herr, lasse einen 
Gott kommen (um den Geist zu bekämpfen)**. Und Pharao ging 
zu Aunsu in Theben, dem schön ruhenden, und sprach: „0 Du 
mein schöner Herr, ich komme wiederum zu Dir wegen der Toch- 
ter des Fürsten von Be;cten**. Da brachte man Aunsu in Theben, 
den schön ruhenden (d. h. die stets im Tempel weilende Form 
des Aunsu, die die Pläne faßt) zu ATunsu, dem Ausführer der 
Pläne, dem großen Gotte, der besiegt die Bösen (d. h. zu der 
Form des Gottes, welche die von der andern gefaßten Pläne zur 
Durchführung bringt). Es sprach der König vor A^unsu, dem 
schön ruhenden: „Mein schöner Herr, o wende Dein Antlitz hin 
zu Aunsu, dem Ausführer der Pläne, damit er gehe nach Bebten**. 
Da nickte der Gott zweimal mit dem Kopfe. Und der König 
sprach: „Möge sein dein Amulett mit ihm, wenn ich ihn gehn 
lasse nach Bebten, um zu retten die Tochter des Fürsten von 



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löO "Die Religion der alleft Ägypter. 

Bebten". Da nickte A^unsu, der schön ruhende, zwehnal mit dein 
Kopfe. Er verlieh viermal sein Amulett dem A'unsu, dem Aus- 
führer der Pläne. 

Der Pharao sandte nun den Gott nach Bebten, wo er feier- 
lich empfangen ward, dann ging der Gott an den Ort, an dem 
Bentreät war; er verlieh das Amulett der Tochter des Fürsten 
von Bebten, gesund ward sie sogleich. Der Dämon aber, der in 
ihr gewesen war, sprach vor A'unsu, dem Ausfährer der Pläne: 
„Komme in Frieden, Du großer Gott, Besieger des Bösen, Deine 
Stadt ist Bebten, Deine Sklaven sind seine Bewohner, ich selbst 
bin Dein Diener. Ich werde gehn an den Ort, von dem ich ge- 
kommen bin um zu befriedigen Dein Herz in Bezug auf die Sache, 
wegen der Du gekommen bist. Deine Majestät aber möge befeh- 
len, daß veranstaltet werde ein Fest für mich und für den Für- 
sten von Bexten". Da neigte sich der Gott zustimmend zu seinem 
Priester und sprach: „Möge der Fürst von Bebten ein großes 
Opfer vor diesem Dämon darbringen". Während der Gott Aunsu 
mit dem Dämon verhandelte, stand der Fürst von Bebten mit sei- 
nen Soldaten in großer Furcht da. Das Opfer wurde dann dar- 
gebracht und es ging der Dämon in Frieden an den Ort, an den 
er wollte, tinf Befehl des Gottes Aunsu. 

Der Fürst von Bebten freute sich sehr und überlegte sich, 
es wäre ein recht kluger Streich, wenn er den Gott, der sich so 
mächtig erwiesen hatte, in Bebten behielte, um ihn gegebenen 
Falles wieder benutzen zu können, er hielt ihn daher drei Jahre 
neun Monate zurück. Allein, als nach Ablauf dieser Zeit der 
Fürst eines Tages auf seinem Bette ruhte, da sah er den Gott, 
wie er aus seiner Kapelle in Gestalt eines goldenen Sperbers her- 
auskam und in die Höhe flog nach Ägypten zu. Als er erwachte, 
fühlte er sich krank und rief sogleich den Priester des Gottes 
herbei und entließ ihn und den Gott reich beschenkt nach Theben. 
„Als nun gelangt war Aunsu, der Ausführer der Pläne in den 
Tempel des Aunsu, des schön ruhenden, da gab er ihm die Ge- 
schenke, die ihm gegeben hatte der Fürst von Be/ten und behielt 
nichts davon für sich selbst." 

Nicht nur gegen Gefahren , die von innen heraus dem Men- 
schen drohten, bot die Magie Schutz, sondern auch gegen äußeie. 
Vor allem kamen hier die gefährlichen Tiere in Betracht, deren 
Ägypten eine große Zahl hervorgebracht hatte. Gegen die Kro- 



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Zehntes Kapitel. Die Gelieimwissenscliaften. 151 

kodile, welche an seichten Stellen den Herden auflauerten, um 
das Vieh zu überfallen, kannten die Hirten schon während der 
12len Dynastie Formeln, die sie zurückschreckten. Der dem 
neuen Reiche entstammende magische Papyrus Harris enthält eine 
längere Reihe von Besprechungen, vermittelst derer sich auch der 
Mensch gegen die Amphibien zu schützen vermochte, er brauchte 
da nur auszurufen: „Ich bin der Erwählte von Millionen, der aus 
dem Lichtkreis hervorgeht, dessen Namen nicht gekannt wird. 
Wenn man meinen Namen auf dem Strom ausspricht, so versiegt 
er; wenn man meinen Namen auf dem Lande ausspricht, so er- 
zeugt er Feuer. Ich bin Su, das Bild des Rä, das in seinem Auge 
(der Sonnenscheibe) sitzt. Wenn ein Wasserungeheuer seinen 
Mund öffnet, so lasse ich die Erde m die Flut (?) fallen, den Sü- 
den zum Norden werden und die Erde sich umdrehen.** Das 
Krokodil, das diese Worte hörte, glaubte den Gott, für den sich 
der Sprecher ausgab, selbst vor sich zu haben und tauchte schleu- 
nigst unter. Hatte das Tier doch überhaupt große Ehrfurcht vor 
allem, was mit der Gottheit zusammenhing und griff beispiels- 
weise niemanden an, der im Delta in einem Papyrusnachen fuhr, 
da sich einst Isis eines derartigen Botes bedient hatte. 

Noch furchtbarer als die Krokodile erschienen dem Ägypter 
die Schlangen, deren Biß ihn mit plötzlichem Tode bedrohte und 
die bis in das Jenseits hinein eine stete Gefahr für den Menschen 
bildeten. Die Zahl der gegen sie gerichteten Formeln ist eine 
ungemein große, bereits in den Grabpyramiden der sechsten Dy- 
nastie sind deren eine lange Reihe aufgeführt ^^) , die zunächst 
für das Jenseits bestimmt jedenfalls auch im Diesseits von Wert 
sein konnten. Da hatte man zu sagen: „Es ringelt sich die 
Schlange; die Schlange ringelt sich um das Kalb; o Nilpferd, das 
hervorging aus dem Nomos der Erde, du fraßest, was aus dir 
hervorging. Schlange, die du niedersteigst, lege dich, weiche zu- 
rück. Der Gott Hen-pe-se.!/et ist im Wasser, die Schlange ist 
umgeworfen, du erblickst den Gott Rä!* oder man rief „Falle 
Körper, der hervorging aus der Erde, Flamme, die hervorging aus 
dem himmlischen Ozean, falle, weiche zurück!* Die zweite dieser 
Formeln enthält einfach eine Anrufung an die Schlange, die sie 
zum Weichen bringen sollte, während die erste erfüllt ist von 
Anspielungen an mythologische Begebenheiten, die uns unbekannt 



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152 Die Religion iler alten Ägypter. 

sind, und es wohl auch dem Ägypter, der die Worte aussprach, 
waren. 

An die Sprüche gegen Krokodile und Schlangen reihten sich 
solche gegen allerhand andere schädliche Tiere, wie Scorpione 
und Nilpferde, deren einige auch dann wirksam bliebgi , wenn 
die Verletzung schon eingetreten war; so ist die Formel erhalten 
geblieben, vermittelst derer Isis ihren durch einen Scorpionenstich 
getöteten Sohn Horus zum Leben zurückrief und sind dem Texte 
Angaben beigefügt, in welcher Weise der Mensch in gleicher Lage 
dieselbe Formel benutzen solle 3'). 

Noch wichtiger als im Diesseits war die Kenntnis der rich- 
tigen magischen Worte und Formeln im Jenseits. Kein Thor 
öflTnete sich hier, wenn man nicht seinen Namen kannte, kehi 
Dämon ließ den Toten vorüber, wenn er ihn nicht in richtiger 
Weise anrief, kein Gott kam ihm zu Hülfe, so lange ihm nicht 
die gebührende Bezeichnung ward, keinerlei Nahrung war erhält- 
lich, so lange nicht die genau vorgeschriebenen Gebetsworte er- 
klangen. Eine fast unübersehbare Fülle magischer Formeln sam- 
melte sich an, eine Fülle, die um so mehr wuchs, je -verwickelter 
und ausgebildeter die Vorstellungen vom Jenseits überhaupt wur- 
den. Dieselben waren um so wichtiger, als ihrem Kenner der 
Schutz der Dämonen nicht nur zu teil werden konnte, sondern 
werden mußte. „0 Pforte, ich kenne deinen Namen« der so und 
so lautet"^ brauchte er nur zu sprechen, und die Pforte sprang 
auf, und ähnlich ging es bei jeder Gottheit. Kaum war ihr ge- 
heimnisvoller Name erklungen, so war sie dem Toten zu Willen 
und unterstützte ihn, soweit ihr Können und Machtvermögen 
reichte. Der feste Glaube, den der Ägypter in Bezug auf die 
Kraft der Formeln und der Magie im Jenseits hegte, hat ihn daran 
verhindert, je an der Möglichkeit der Zauberei im Diesseits zu 
zweifeln. Zauberer spielten überall eine Rolle und sie verstanden 
es, den Glauben an ihre Kunst durch allerhand Taschenspieler- 
kunststücke zu bestärken. Weiß doch schon die heilige Schrift 
von den Künsten zu berichten, die dieselben den Wundern, die 
Moses und Aaron vor Pharao vollbrachten, gegenüber vorzuführen 
suchten. 

In den bisher besprochenen Fällen zeigte sich die ägyptische 
Magie, wenn man so sagen darf, von ihrer guten Seite; sie suchte 
dem Menschen im Leben, in Krankheit und Bedrängnis, und auch 



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Zehntes Kapitel. Die Geheim Wissenschaften. Iö3 

noch nach dem Tode zu helfen. Allein diesem angeblichen iNutzcn, 
den man von ihr erhoffte, stand ein fast noch größerer Schaden 
gegenüber, den man von ihr fürchtete. Die Macht des Zauberers 
war eine ungeheuere, so berichtet die aus der Ptolemäerzeit stam- 
mende Sotna-Sage, es gäbe zwei Formeln, „wenn man die erste 
hersagte, dann bezauberte man den Himmel, die Erde, die Unter- 
welt, die Berge und das Wasser, man kannte alle Vögel des 
Himmels und alle Reptilien, man sah die Fische der Tiefe, denn 
eine göttliche Gewalt ließ sie an die Oberfläche des Wassers kom- 
men; and wenn man die zweite Formel las, dann nahm ntan 
auch wenn man im Grabe lag, die Gestalt wieder an, die man 
einst auf Erden besaß, man erblickte den Sonnengott wie er sich 
am Himmel erhob und seinen Götterkreis und sah den Mondgolt 
in der wahren Gestalt, die er bei seinem Erscheinen aimimmt**. 
Freilich war es nicht leicht , in den Besitz solcher Formeln zu 
kommen, die eben berührte lag in einem goldenen Kasten, dieser 
stand in einem silbernen, dieser in einem aus Ebenholz und El- 
fenbein, dieser in einem hölzernen, dieser in einem ehernen, dieser 
in einem eisernen; um das Ganze schlang sich eine unsterbliche 
Schlange und war ein Gewimmel von Schlangen, Scorpionen und 
allerhand Reptilien, die man erst besiegen mußte, ehe man Herr 
der Formeln wurde; aber die Setna-Sage zeigt in ihrem Ver- 
laufe, daß man annahm, solcher Schwierigkeit Herr werden und 
sich der Formeln bemächtigen zu können. Wenn ihr Besitz dann 
dem Setna zum Verderben ausschlug, so lag das nicht an den 
Formeln, sondern daran, daß er moralische Schuld auf sich lud 
und dadurch in die Hand der Dämonen kam, die er durch die 
Formeln gebändigt zu haben glaubte. 

Vertraut man den Texten, so hätten die Zauberer ihr Wis- 
sen in Ägypten in der That zum Schaden ihrer Mitmenschen 
verwendet; es wird berichtet, man habe einen Mann, der ver- 
suchte, Pharao selbst durch Zauber zu schädigen, zum Tode ver- 
urteilt. In den Papyris sind mehrfach derartige schädigende For- 
meln erhalten. Schon das Senden bestimmter Träume, dessen 
oben gedacht ward, konnte für den, dem sie gesendet wurden, 
gegebenen Falls große Unannehmlichkeit im Gefolge haben; schlim- 
mer war es noch, wenn man eine Frau durch freilich recht um- 
ständliche Ceremonien aus der Ferne zwang, jemanden derart zu 
lieben, daß sie nicht mehr aß und trank, sich nicht mehr salbte 



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154 Die Religion der alten Ägypter. 

noch selzle, alles um sich vergaß, bis sie zu dem Geliebten ge- 
langte. Liebeszauber tindet sich bei vielen Völkern; Theokrit 
schildert in seiner zweiten Idylle in einer höchst poetischen Weise, 
wie er bei den Hellenen ausgeübt ward; in römischer Kaiserzeit 
hielt man es für nötig, ihn feierlich zu verbieten; der Jurist Pau- 
lus verordnete, wer einen Liebestrank darreiche, der solle, wenn 
er niedern Standes war, in die Bergwerke, wenn er höheren Klas- 
sen angehörte, zum warnenden Beispiel auf eine Insel verschickt 
werden, hatte er aber einen Mann oder eine Frau dabei getötet, 
so wurde er hingerichtet; das ganze Mittelalter hat an Liebe 
erregende Mittel geglaubt; den Ägyptern aber gebührt der zwei- 
felhafte Ruhm, als die ersten diese Art Beschwörungen in ein 
System gebracht zu haben. 

Die Magie konnte aber nicht nur Unannehmlichkeiten berel- 
teu; sie konnte den Tod senden. Eine Vorschrift berichtet, wie 
man einem Feinde das Zittern und das Fieber, also wohl Wech- 
selfieber, senden könne, bis er zu Grunde gerichtet sei; eine an- 
dere, wie man einem Menschen so lan;-,'.lauernde Schlaflosigkeit 
bereiten konnte, bis er starb, und ähnliche Mittel hat es viele ge- 
geben. Mögen dieselben noch so unsiüiiig sein, die Menge glaubte 
an sie und groß war die Furcht, die jeder vor dem Zauberer und 
der Zauberei empfand. Die ganzen Lehren bildeten im Nilthale 
nicht etwa einen Teil des Aberglaubens, sondern einen wesent- 
lichen Bestandteil des Glaubens, der zum großen Teil gerade auf 
der Magie fußte und mit ihr stets auf das Innigste verknüpft blieb. 

Klftes Kapitel. 

Die Amulette. 

In den ägyptischen Texten aller Perioden spielen die Amulette 
und ihre Wirkungen eine ausgedehnte Rolle, in den Darstellungen 
sieht man sie in den Händen oder sonst am Körper der verschie- 
densten Personen, sogar der Götter, und unter den im Nilthale 
entdeckten Überresten der Kleinkunst sind sie fast ausschließlich 
vertreten. Einzelne derselben verdankten ihr Ansehn nur der 
zufälligen Lesung des Ideogramms, welches ihr Bild ergab, wäh- 
rend an andere sich ausgedehntere religiöse Anschauungskreise 
knüpfen, welche bald die Entstehung der Gestalt des Amulettes 
und seine Verwendung erklären sollen, bald philosophisch durch- 



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Elftes Kapitel. Die Amulette. 155 

dachte Vorstellungen vorführen, die sonst in den Texten nur selten 
erwähnt werden, wie die Verbreitung der betreffenden Amulette 
und deren häufige Erwähnung jedoch zeigt, bei dem Volke in 
hohem Ansehen gestanden haben müssen. Eine Aufführung der 
wichtigsten dieser Gegenstände ist unerlässig, wenn es sieh darum 
handelt, ein Bild der ägyptischen Religion zu entwerfen. 

1. Die verbreitetste und interessanteste unter allen zu nennen- 
den Formen ist die des Skarabäuskäfers, der gewöhnlich mit ge- 
schlossenen ^ , in späterer Zeit aber auch mit ausgespannten Flü- 
geln ^i^^ auftritt. Das dabei zur Darstellung kommende Tier 
ist der in den Miltelmeerländern und besonders in Ägypten sehr 
häufige Ateuchus sacer, der die eigenartige Ge^vohnheit hat, sich 
des Mistes, in welchen er seine Eier legt, zu gleicher Zeit zum 
Schutze eben dieser Eier zu bedienen. Das Weibchen formt aus 
dem Stück Fladen, der dieselben enthält, eine Pille, wälzt diese 
im Staube und rollt sie dann wohl geglättet und gerundet, damit 
sie sich länger frisch erhalte und als Nahrung der jungen Brut 
diene, in eine zuvor daneben gescharrte Grube, welche sie nach 
vollendeter Arbeil mit Erde zudeckt. ^^) 

Dem Ägypter war diese Gewohnheit des Tieres nicht ent- 
gangen, doch hatte er sie nicht richtig verstanden, wie dies bei 
dem geringen Grade naturwissenschaftlicher Beobachtungsgabe, 
der die Ägypter ebenso wie überhaupt die Völker des Altertumes 
kennzeichnet, nur natürlich war. Er glaubte, der männlich ge- 
dachte Skarabäus erzeuge sich in dem selbst gefertigten Ei stets 
von neuem und besitze so ein ewiges Leben. Es war eine ähn- 
liche Vorstellung wie die von dem Vogel Phoenix, der aus seiner 
eigenen Asche neu erstand. Und ähnlich wie spätere Zeiten in 
dem Phoenix ein Symbol der menschlichen Unsterblichkeit er- 
kannten, so übertrugen die Ägypter die obige angebliche Erschei- 
nung aus dem Tierreiche auf den Menschen. Der Skarabäus 
erhebt sich neu belebt aus seiner Eihülle und ebenso ersteht die 
menschliche Seele aus den Mumienbinden zu neuem Leben, wie 
jener so schwebt auch sie in geflügeltem Zustande dem Himmel 
und der Sonne zu. 

Auf diese Weise ward der Skarabäus zum Symbol der Auf- 
erstehung ähnlich wie es später der Schmetterling und die Blume 
wurden, die Ägypter wurden in dieser Verwendung aber noch durch 



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t5f; Die Religion iler alten Ägypter. 

einen sprachlichen Grund besUlrkt. Der Name des Tieres war 
xeper, ein Wort, das außerdem ^werden** bedeutet, so bildete das 
Bild des Käfers gleichzeitig das ideographische Zeichen für werden 
und entstehn, in dem Simie des sich nach dem Tode Erneuens. 
Dieser Unsterblichkeit glaubte man teilhaftig zu werden oder doch 
wenigstens die Götter zu ihrer Verleihung veranlassen zu können, 
wenn man einen Skarabäus bei sich trug und ihn mit in das 
Grab nahm. 

Neben der Bedeutung als V^erbürger der Unsterblichkeit im 
allgemeinen besitzen die Skarabäen noch eine zweite, die mit 
ihnen eine etwas seltenere Amulettklasse teilt, welche gebildet 
wird durch schematisch geformte Bilder des Gefäßes, in dem 
man das Herz des Toten beizusetzen pflegte «O*. Dieses Herz war 
bei der Einbalsamierung aus dem Körper genommen worden, 
in ihm suchte der Ägypter aber den Sitz des Lebens und mußte 
daher der Tote, wollte er wieder auferstehn und neues Leben 
gewinnen, suchen wieder in den Besitz seines Herzens zu gelan- 
gen, ein Gedanke, dem man an zahlreichen Stellen der religiösen 
Texte begegnet. Allmählich entwickelte sich hierbei eine in sich 
abgeschlossene Lehre über die Rolle des Herzens im jenseitigen 
Leben und seine Wiedergewinnung, der zufolge das Herz nach 
dem Tode ein gesondertes Dasein führte, selbständig die Räume 
des Jenseits durchwanderte und dem Toten erst im Saale des Ge- 
richts wieder begegnete. 

An und für sich war diese Lehre einfach, sie bot aber für 
den Ägypter eine große Schwierigkeit dar. In der Zeit zwischen 
dem Tode und dem Gericht fehlte dem Osiris das Herz und doch 
sollte derselbe Leben besitzen. Da kam man auf den Gedanken, 
der Mumie für diese Zeit ein provisorisches Herz zu geben, und 
dies geschah durch ein Herzensgefäß oder durch einen großen 
Skarabäus in Stein oder Thon, welch letzterer nebenbei durch 
seine Gestalt die Unsterblichkeit mit verbürgte. Auf den betref- 
fenden Stücken wurden Inschriften angebracht, die sich auf die 
Bedeutung des Herzens bezogen. Der Tote wird redend einge- 
führt, er wünscht, sein Herz möge bei ihm sein, während er 
seine Gestaltungen in der Unterwelt vornehme; es möge in der 
Halle des Gerichts nicht gegen ihn sprechen, sondern ihm bei 
der verhängnisvollen Wagescene zur Seite stehen. Denn das 
Herz, hebt er ausdrücklich hervor, sei seine eigentliche Persönlich- 



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Elftes Kapitel. Die Amulette. 157 

keit, welche in seinem Innern lebe, es sei der Gott A'num, der 
Schöpfer, der seine Glieder erstarken und gesunden mache. Dabei 
sei das Herz selbständig, überall hin könne es gelangen, so möge 
es denn auch ihm, dem Toten und seinem Namen die Wege zu 
den Göttern eröffnen. Zum Schlüsse setzt er voraus, seine 
Wünsche seien bereits erfüllt, das Herz habe ihm beigestanden, 
Freude herrsche bei der Gerichtsscene und er, der Tote, sei, d. h. 
er habe die Berechtigung erlangt, im Jenseits fortzubestehen. 

Sehr beachtenswert ist in dieser Formel und den sie erläu- 
ternden Texten, daß es nicht das Herz des Menschen ist, welches 
in diesem Leben sündigt, sondern nur dessen Umhüllung; das 
Herz ist und bleibt rein, im Jenseits erhebt es selbst die Anklage 
wegen der Befleckung, die seine irdische Hülle sich zugezogen 
hat. Nur, wenn dieselbe rein geblieben war, kehrte das Herz in 
sie zurück; war dies nicht der Fall, dann blieb es wohl in der 
„Wohnung der Herzen**, einem besondern Teile des Jenseits und 
weihte durch sein Ausbleiben seinen frühern Inhaber dem Unter- 
gange. Der Herzensskarabäus hatte, wie alle Amulette, nur für 
kurze Zeit Wert, hatte das Gericht stattgefunden, dann verlor er 
seine Bedeutung und konnte den Untergang des Wesens, dem er 
in das Grab mitgegeben worden war, nicht mehr verhindern. 

2. Häufig findel man aus Gold, rotem Stein oder auch ge- 
branntem Thon gearbeitet, bei der Mumie liegend ein oder auch 

zwei Exemplare eines Amulettes in Gestalt einer Schleife J|, Tel 

genannt. 8«) Dasselbe stellte nach Texten, die zuweilen auf dem 
Amulett selbst aufgezeichnet sind, das Blut der Isis dar, welches 
samt den Beschwörungen und Formeln der Isis den Toten schützte 
und das, was ihn schädigte, vernichtete. Gab man dem Verstor- 
benen ein solches Stück mit in das Grab, so verhalf es ihm 
dazu, ein Gefolgsmann des Osiris zu werden, die Thüren der 
Unterwelt öffneten sich ihm ebenso wie die Straßen des Himmels 
und der Erde, im Gefilde Äalu ward ihm ein Feld eingeräumt, 
das Korn als Ertrag lieferte. Am wirksamsten erwies es sich, 
wenn es aus Cornalin gearbeitet am Hals des Toten angebracht 
war, doch hat man auf letztere Vorschrift, wie die Mumienfunde 
zeigen, kein besonders großes Gewicht gelegt. 

3. Das Zeichen ■¥- änx findet man gleichfalls als Amulett, 
dasselbe slellt eine Binde dar und dient, da än^ der Name dieser 



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15 S Die Religion der alten Ägypter. 

Binde war, gleichzeitig als Ideogramm für das änx lautende Wort 
„Leben*. Dasselbe hat mit einem Kreuze nichts zu thun und ist 
daher seine Bezeichnung als Henkelkreuz ebenso verfehlt, wie die 
zahllosen Vermutungen, die zu einer Zeit, in der die Hieroglyphen 
noch nicht entziffert waren, über seine geheimnisvolle Bedeutung 
aufgestellt worden sind und sich noch immer wiederholt finden. 
Das Zeichen wird Göttern und Königen in die Hand gegeben, 
um sie als lebend zu bezeichnen; sie können das Zeichen aber 
auch weiter verleihen, das Leben geben, wie der Ägypter sagt, 
dann halten sie es einem andern Wesen an den Mund und durch 
die Berührung mit dem Symbol wird auch diesem das Leben zu 
teil. Man ist schon frühe auf den Gedanken gekommen, diesem 
Leben eine Sonderexistenz zuzuschreiben und finden sich Bilder 
des persönlich gedachten Lebens in Gestalt des besprochenen 
Hieroglyphenzeichens mit Armen und Beinen, ja die Inschriften 
eines von dem der G. Dynastie angehörigen Könige Pepi geweih- 
ten Altares *®) nenmen sogar das Leben neben der Beständigkeit 
(Ded), der Freude, dem Tag, dem Jahr, der Ewigkeit als göttlich 
verehrte Wesenheit. 

4. Viel mißverstanden ward früher das Amulett ff Ded. 



Man hat dasselbe für einen Altar mit 4 Abteilungen, ein Gerät, 
auf dem die Bildhauer ihre Werkzeuge niederlegten, ein Bild des 
Weltalls mit vier übereinander gelegenen Welten, und mit beson- 
derem Nachdrucke für einen Nilmesser erklärt, ohne daß es mög- 
lich gewesen wäre, für diese Deutungen Beweise beizubringen. 
Die Inschriften lehren vielmehr, daß das Zeichen das Rückgrat 
des Gottes Osiris darstellen soll, einen Körperteil, der als Reliquie 
in der Stadt Busiris in Unterägypten verehrt ward. Da das 
Rückgrat dem ganzen Körper Bestand und Festigkeit verleiht, so 
war seine Aufrichtung eine der wichtigsten Handlungen, welche 
nach der Zerstücklung des Körpers des Osiris bei dem Neuaufbau 
seiner Glieder vorgenommen wurde und ward die Erinnerung an 
diese Begebenheit in Busiris am 30. Choiak, am Ende des den 
Osirisfesten geweihten Teiles des ägyptischen Jahres gefeiert. 
Merkwürdige Gebräuche waren dabei üblich. Unter anderem 
fand eine große Prügelei zwischen den Priestern verschiedener 
Heiligtümer statt, bei der mit Fäusten und Knütteln losgeschlagen 
wurde. Es ist dies wohl das Fest, von dessen Feier in einem 



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Elfles Kapitel. Die Amulette. 159 

andern Deltaorle, in Papreniis, Herodot zu erzählen weiß; das- 
selbe sollte zeigen, in welcher Weise einst die Anhänger des Set 
der Wiederherstellung des Osiris sich widersetzten. 

Das Ded- Symbol erinnerte einmal an diese Auferstehung, 
dann aber gewann es durch seinen Namen Bedeutung; ded be- 
deutet „fest, beständig sein", und diese Eigenschaft wurde mit 
Vorliebe dem unsterblichen Toten zugeschrieben. Das Totenbuch 
hat diesem Amulet ein besonderes Kapitel (155) gewidmet, welches 
unter dem Bilde des Symbols lautet: „Der Tote spricht: Dein 
Rücken (Rückgrat) ist in dir, du, der du stillen Herzens bist 
(Osiris), es ist gegeben an deinen Platz, ich gebe dir die dir nö- 
tige Flüssigkeit. Ich bringe dir das Ded, an dem du dich er- 
freust!— Dies sind Worte zu sprechen über ein vergoldetes Ded, 
welches gefertigt ist aus dem Innern einer Sykomore, das gethan 
wird an den Hals eines Seligen. Dann wird er eingehen durch 
die Thore des Duat. Es soll gethan werden an seinen Platz an 
dem Tage, an dem beginnt das Jahr der Gefolgsleute des Osiris 
(d. h. am ersten Tage des neuen Lebens des Gottes). Wenn 
man dieses Kapitel kennt, dann ist man als ein vortreflTlicher 
Seliger in der Unterwelt, der nicht zurückgestoßen wird an den 
Thoren der Unterwell, dem gegeben werden Brote, Kuchen, eine 
Menge Fleisch auf den Altären des Rä — Variante: des Osiris, 
des guten Wesens — gerecht sind seine (des Toten) Worte gegen 
seine Feinde in der Unterwelt in der richtigen Weise.** Wie 
dieser Text beweist, ward dem Ded wieder einmal eine genügende 
Macht zugeschrieben, um dem Toten den Eintritt in die Unter- 
welt und den nötigen Lebensunterhalt ebendort zu verschaffen. 
An und für sich hätte es als einziges Amulett genügt, aber die 
Ägypter hielten es doch für vorsichtiger, sich nicht darauf zu 
verlassen, sondern lieber noch mehr Amulette mit in das Grab 
zu nehmen, welche für den Fall, daß das eine in seiner Wirkung 
versagte, es zu ersetzen vermochten. 

5. Die Lotossäule T wirkte durch ihre ideographische Be- 
deutung; ihr Name war ua«> und dies bedeutete »grün seui und 
sprossen". Wie in vielen andern Sprachen ward dieses Bild aus 
dem Pflanzenleben auf das Leben der Seele übertragen. Ein Re- 
lief der Ptolemäerzeit zeigt Pflanzen, die aus der Mumie des 
Osiris hervorsprießen, es ist das neue Leben, das aus dem toten 



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100 Die Religion der alten Ägypter. 

Körper sich entwickelt, das Grünen ist eine Umschreibung der 
Auferstehung. Das dem Amulett gewidmete Tolenbuchkapitel 159, 
welches zu sprechen war über einem Säulchen von Feldspath, 
auf das man das Kapitel zu schreiben halte und das man am 
Halse des Toten niederlegte, beginnt mit der Anrufung „0 du, 
die du hervorgehst an jedem Tage aus dem Hause des Gottes, 
großvvortige Kennerin gewaltiger Zauberformeln, die herausgeht 
aus der F^forte des Palastes und ergreift die Zauberformeln ihres 
Vaters", also mit einer Anspielung auf die Sage von Rä und Isis 
und die Zaubermacht, die Isis sich damals durch List von Rä 
erwarb. 

G. Auf die freie Bewegung im Jenseits spielt das Amulet 
^^ use^ an. Ausgehend von dem Stamme use^ »weit sein**, 
wird usex insbesondere in der Verbindung verwendet „Deine 
Beine sind weit", d. h. Du kannst dich frei bewegen. Diesen 
Sprachwert drückt das Amulett aus, welches zu bestehn hatte aus 
einem vergoldeten Halsbande in der eben angegebenen Form, tmd 
das man am Tage des Begräbnisses an den Hals des Toten 
legte. Auf ihm hatte nach dem Totenbuche cap. 158 die Anru- 
fung zu stehn: „Mein Vater, mein Bruder, meine Mutter und du 
Isis, ich bin von meinen Mumienbinden befreit und sehe. Ich 
bin einer von denen, die von ihren Mumienbinden befreit sind 
und sehen den Gott Seb." Wie in den meisten derartigen ägyp- 
tischen Texten behandelt der Tote in seinem Gebete seinen 
Wunsch als bereits erfüllt, wie dies ja eintreten mußte, falls er 
in richtiger Weise die richtige Formel ausgesprochen hatte. 

7. Das Auge mit Andeutung der dasselbe in) Gesichte umge- 
benden Linien als rechtes -^S^ oder linkes ^S Auge wird im 

Ägyptischen u^a genannt. Die beiden Augen stellen die des 
Gottes Rä dar und zwar war das rechte die Soime, das linke 
der Mond, so daß Rä hier nicht als Sonnengott, sondern allge- 
meiner als Gott der lichtspendenden Himmelskörper auftritt. Das 
Tagesauge erscheint häufig als u^a des Horus bezeichnet und 
gilt als solches als Spender alles Guten. Zahlreiche besonders 
nützliche und angenehme Dinge, wie Wein, Salben, Öl 
werden als von ihm stammend und dann übertragen als es selbst 
bezeichnet. Zuweilen ließ man dieselben aus seinen Thränen 
entstehen. Mehrfach bedrohte Set dieses Auge, ebenso wie das 



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Elftes Kapitel. Die Amulette. 161 

der Nacht, in der Sonnen- bezw. der Mondfinsternis schien es ihm 
zu unteriiegen, allein es blieb Sieger in dem Kampfe und darum 
stellt sich der Tote gern unter seinen Schutz, hoffend, daß er 
dann seinerseits den Sieg über die Mächte der Finsteniis und des 
Todes gewinnen werde. Dazu kam, daß das Wort UiVa ;,blühend, 
gesund sein" bedeutete und daher sein Ideogramm den Wert 
eines Amulettes haben mußte. Das U^a ward dem Toten an 
den Handknöchel gebunden, an den Hals, die Brust oder auch 
in den Bauch gelegt; ein Stoff, aus dem es gearbeitet werden 
sollte, war nicht vorgeschrieben, es kommt in Gold, Lapis lazuli, 
Feldspalh, Holz, gebranntem Thon unzählige Male vor, neben 
dem Skarabäus bildet es das häufigste Amulett. 

8. Eine andere Vorstellung verband sich mit einer Reihe von 
Amuletten, die die Abzeichen des Königtumes und insbesondere 
die des Königtumes des Osiris vorführen. Es waren dies zunächst 

\/ net, die rot gefärbte Krone von Unter -Ägypten; A hei>, die 

weiße Krone von Ober-Ägypten; )u die Verbindung dieser beiden 

Kronen, Pschent genannt, durch deren Aufsetzung sich der Pha- 
rao als Herr von ganz Ägypten zu erkennen gab; dann die ver- 
schiedenen Zepter, wie | us, das Herrscherzepter im allgemeinen, 

das die Macht über Himmel und Erde verlieh, j hek, ein Hirten- 
stab, der zugleich als Ideogramm des Wortes, „herrschen* Ver- 
wendung fand, /\ ne^ex, die Geißel. Von letztern beiden Zei- 
chen hieß es, sie stellten die doppelte Gewalt des Königs, die 
zurückhaltende, mäßigende und die antreibende, zum Fortschritt 
mahnende dar. Diese und ähnliche Symbole gab man dem Toten 
mit, wenn man annahm, derselbe werde im Jenseits nicht etwa 
nur das Leben, das er im Diesseits geführt hatte, fortsetzen, 
sondern er werde thatsächlich zum Osiris, zum Herrn der Unter- 
welt werden. Dann hatte er in diesen Zeichen gleich die notwen- 
digen Herrscherinsignien zur Hand, ihr Besitz aber und die ihnen 
inne wohnende magische Kraft verbürgten ihm andererseits die 
Gewinnung der Herrscherwürde. 

9. Das Zeichen czDi, welches zur Umrahmung der Namen 
von Königen und Götterkönigen dient, um diese ehrwürdigen 
Bezeichnungen auch in der Schrift auszuzeichnen, wird als Amu- 

Dr. A. Wiedemaun: Die Religion der alten Ä{,7pter. 11 



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162 Die Religion der alten Ägypter. 

lett benutzt, um den Namen des Toten zu ersetzen. Der Name 
hat für den Ägypter eine große Bedeutung, er bildet einen wich- 
tigen Teil des Menschen selbst. Kein Wesen konnte ohne Namen 
bestehn, es war der höchste Wunsch des Menschen, daß sein 
Name leben möge, denn wenn der Name fortbestand, dann dau- 
erte auch der durch ihn ausgedrückte Begriff fort. Man suchte 
daher dem Namen dadurch Dauer zu verschaffen, daß man ihn 
so oft als möglich auf Tempelwände, Stelen und andere Denkmäler 
aufschrieb und den Leser dadurch zu seiner Aussprache veran- 
laßte. Andererseits mußte man aber auch den Namen zu schüt- 
zen suchen; wer den wahren Namen eines Wesens kannte, wurde 
dadurch dessen Herr und erhielt seine Macht. Zeichnete man 
den Namen auf heilige Gegenstände auf, dann lag keine Gefahr 
vor, denn dann schützte deren Heiligkeit den Namen mit. Anders 
lag es bei Stücken, die nur den Namen selbst zeigten, wie die 
besprochenen Amulette; wer diese in Händen hielt, hatte den 
Namen und damit den Toten in seiner Gewalt. Daher kommt 
es, daß meist die Namensringe unausgefüUt geblieben sind, der 
Tote hatte in ihnen seinen Namen sich erhallen, aber ein Dämon, 
der sich eines solchen Stückes bemächtigte, hatte keinen Vorteil 
davon, da er den in den Ring gehörigen Inhalt nicht mit rauben 
konnte. Diese Lehre von Namen ist übrigens nicht während der 
ganzen Zeit der ägyptischen Monarchie im Gebrauch gewesen 
und schrieb man beispielsweise unter Amenophis ilL ruhig den 
Namen auf die betreffenden Talismane. 

10. Zum Schluß dieser Amulette seien noch folgende kurz 
mit ihrer Bedeutung aufgeführt, über deren genauem Sinn wir 
nicht unterrichtet sind, obwohl ihre Verbreitung den Wert zeigt, 
den der Ägypter ihrem Besitze beilegte, seltener vorkommende 
Formen können übergangen werden: 

T nefer, die Laute, bezeichnet schön und gut und sollte den 

Toten dieser beiden Eigenschaften versichern. 

^ sam „Vereinigung" verschaffte die Vereinigung mit der 

Erde, in Gestalt einer guten und regelrechten Bestattung, und 
andererseits die mit den Göttern, ein pantheistisches Gottsein. 

^ neh, das Bild eines rechten Winkels scheint entsprechend 
dem Lautwert neh „Schutz" den göttlichen Schutz, den die Seele 
erhoffte, darzustellen. 



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Elftes Kapitel. Die Amulette. laS 

/N xex^ sexex, das Richlscheid, bei dem jedoch das Pendel- 
gewicht zu fehlen pflegt, ist Zeichen des rechten Maßes und 
Maßhallens, das dem Toten als Eigenschaft zukommen sollte. 

rOi x^i das Bild der Sonne, die sich am Horizonte erhebt, 
ist Symbol des Gottes Rä-Harmachis. Der Mumie, welche das 
Zeichen besaß , verbürgte es die Vereinigung mit der Sonne , ' die 
Möglichkeit mit ihr Morgens aufzugehn und Abends sich zu Ruhe 
zu legen, kurz die Göttlichkeit im Jenseits. 

11. Sehr groß ist die Zahl von kleinen Götterstatuetten, oder 
von Darstellungen einzelner Teile der Götter oder ihrer Abzeichen, 
die man dem Toten mit in den Sarg legte. Meist bestanden die- 
selben aus glasirtem gebranntem Thon und waren mit einem 
Ring versehn, durch den man einen Faden ziehn konnte. Man 
formte aus den Stücken ein Halsband, das man dem Toten um 
den Hals legte und in dem auch die bereits besprochenen Amu- 
lette Aufnahme finden konnten. Durch die Mitnahme einer 
Götter-Statuette stellte sich der Tote unter den besondem Schutz 
der dargestellten Gottheit, welche ihn je nach ihrer Macht im 
Jenseits unterstützen sollte, also Osiris beim Gericht, Isis und 
Nephthys durch Absingen der wirkungsvollen Formeln der Klage- 
lieder, A'num als Neuerbauer des Körpers u. s. w. Je mehr 
Götter man mitnahm, um so sicherer konnte man sich fühlen; 
wo die Macht des einen versagte, da trat ein anderer für ihn 
helfend und schützend ein. 

Dieselbe Bedeutung wie die plastisch geformten Göttersta- 
tuetten besaßen die auf die Mumienbinden oder auf den Sarg ge- 
malten, sie alle verwandelten sich im Jenseits in wahre Gotthei- 
ten^ die dienstbeflissen zu dem Toten eilten, sobald er sie mit den 
jeweils vorgeschriebenen Formeln anrief. 

12. Ebenso wie diese Gestalten durch bestimmte Formeln 
Leben gewannen, so erhielten andere in das Grab gelegte Gegen- 
stände durch solche Thatsächlichkeit. Man gab dem Toten näm- 
lich das für das Jenseits Nötige nicht immer in wahrer Gestalt 
mit, sondern häufig in kleiner Nachbildung, was naturgemäß die 
Kosten einer Bestattung sehr verringerte. Die dergestalt im Bilde 
geweihten Gegenstände waren zunächst Dinge des Gebrauches, 
wie verkleinerte meist steinerne Darstellungen des unten mit 
Fransen versehenen hemdartigen Kleidungsstückes, das man im 

11 * 



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164 Die Religion der alten Ägypter. 

Jenseits trug A, dann steinerne oder thönerne Bilder metallener 

nm 

Spiegel Q, dann solche der Stützen ^, die der alte Ägypter 
ebenso wie der heutige Sudanese während des Schlafes unter den 
Hals zu stellen pflegte, um seine Haartracht zu schonen, dann 
Bilder von Werkzeugen aller Art und ähnliches mehr. Eine zweite 
Klasse bilden die Nahrungsmittel, die in symbolischer Form dar- 
gebracht wurden, eine Sitte, deren schon Herodot gedenkt, wenn 
er erzählt, arme Ägypter büken beim Vollmondsfeste Schweine 
aus Teig und weihten diese der Gottheit statt wirklicher Schweine. 
Ähnlich verfuhr man für den Toten, nur daß man die Bilder nicht 
aus vergänglichem, leicht verweslichem Brot, sondern aus Stein 
oder gebranntem Tlion fertigte. Kraft magischer Formeln wurden 
die Stücke auf Wunsch des Toten zu wirklichen Gegenständen, 
und ging dies so weit, dala aus einem Bilde beispielsweise nicht 
nur ein Ochse entstand, sondern deren gleich Tausende. Häufig 
finden sich meist aus rotem Steine gefertigte Bilder von Ochsen, 
denen man zum Schlachten die Beine zusammengebunden hat 

^^^, dann solche von verschiedenartigen Früchten und beson- 
ders häufig Darstellungen von Broten =^. Gerade die letzten 
„Grabkegel" sind in Gräbern oft gefunden worden und haben zu 
mannigfaltigen irrtümlichen Deutungen Veranlassung gegeben. 
Sie bestehen fast regelmäßig aus roh gebranntem Thon und 
zeigen auf der Unterseite den Namen des Toten, für den sie be- 
stimmt waren, damit es sich kein anderer einfallen ließe, sich die 
für diesen bestimmte Nahrung anzueignen. Dann gab es Modelle 
von Libationsvasen g, die das in diesen enthaltene frische Nil- 
wasser ersetzten, u. s. f. Zuweilen faßte man auch mehrere sol- 
cher Gaben in ein Stück zusammen und fertigte einen kleinen 
Altar, auf dem die Gaben, die der Verstorbene im Jenseits zur 
Verfügung haben sollte, aufgebaut lagen. Ein derartiges, kaum 
1 cm breites, nicht ganz l^a cm^langes Exemplar aus Thon zeigt 
zwei Libationsvasen, vier Brote verschiedener Form und | zwei 
Früchte; andere ähnliche Altäre sind noch reicher ausgestattet. 

13. Zum Schlüsse ist noch ein Amulett zu behandeln, wel- 
ches sich wesentlich von den bisher besprochenen Stücken unter- 
scheidet, das Hypocephal, so genannt, weil man dasselbe unter 
dem Haupte der Mumie liegend zu finden pflegt. Das Amulett 



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Eiaes Kapitel. Die Amulette. 165 

ist noch in unserem Jahrhundert berufen gewesen, eine religiöse 
Rolle zu spielen, das heilige Buch der Mormonen ist nichts an- 
deres als ein solches Hypocephal. Diese Stücke bestehen meist 
aus Leinewand, die mit Stuck überzogen worden ist, kommen 
aber auch in Bronze vor. Die Unterseite ist roh gelassen, auf 
der Oberseite des kreisrund geschnittenen. Ganzen, der Seite, auf 
der der Kopf des Toten ruhte, sind Inschriften und Darstellungen 
angebracht, welche nicht fest vorgeschrieben waren, sondern je 
nach dem Geschmack des Inhabers im einzelnen wechseln konn- 
ten, hn großen und ganzen ergeben sie aber doch ähnliche 
Texte, sodaß die Schilderung eines jetzt in London befindlichen 
Exemplares*^) die ganze Denkmälerklasse genügend kennzeichnet. 

Um die Scheibe läuft eine Inschriftszeile des Inhaltes: „O 
du Kasten in Ha-t benben, erhabener, erhabener, glänzender, 
glänzender, Stier [deiner Mutter], großer, lebender Gott, Obersler 
der Götter, mögest du kommen zu dem Osiris Hör (Name des 
Inhaber dieses Hypocephal) dem Gerechtfertigten. Gieb, daß ent- 
stehe Wärme unter seinem Haupte, er ist ja einer von deinen 
Gefolgsleuten.'' In der Mitte des Innenraumes läuft ein Streif, in 
dessen Mitte ein Gott mit 4 Widderköpfen hockt, deren je zwei 
nach einer Seite sehn, auf dem Haupte trägt er eine Krone. 
Dieser (Jott ist Amon, die Widderköpfe stellen die 4 Winde dar, 
er wird dadurch als Gott eben dieser Winde und damit als der 
Herr der 4 Weltgegenden gekennzeichnet. Rechts und links stehn je 
.'i HundskopfafTen mit der Sonnenscheibe auf dem Haupte, es 
sind die Geister des Ostens und des Westens, des Aufgangs und 
des Untergangs, die dem Amon, der gleichzeitig Amon-Rä, der 
Gott der Sonne ist, ihre Verehrung bezeugen. 

Über dieser Darstellung steht in der Mitte ein Gott mit zwei 
Menschenköpfen, die nach rechts und nach links sehen, es ist 
wiederum Amon, der von Westen nach Osten schreitet und dabei 
nach Süden blickt, die ganze Welt erleuchtend und betrachtend. 
Auf dem Haupte trägt er die Amonsfedern, die Sonnenscheibe 
und seine gewöhnlichen Widderhörner; aus den Schultern wach- 
sen zwei Schakalköpfe heraus, Sinnbilder der beiden Formen des 
Anubis als des EröflFners der Pfade des Nordens und der Pfade 
des Südens. Auch auf dem Zepter des Gottes steht Anubis in 
Schakalgestalt als Führer desselben. Rechts hiervon findet sich 
die Inschrift: „Du (Amon) bist in den 8 Seelen deiner Götter", 



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166 Die Religion der alten Ägypter. 

d. h. Du zeigst dich in allen Manil'eslationen der Gottheit, die du 
beseelst. Darunter sitzt in einer Barke ein Sperber mit ausge- 
breiteten Flügeln, der Sonnengott Rä. Links stehn 2 Barken 
übereinander, die obere zeigt in der Mitte das Bild der Seele des 
Toten und neben ihm die Namen von Isis und Nephthys ; es ist 
eine Anspielung auf den Osiris gewordenen Toten, den die beiden 
göttlichen Schwesteni beklagen und beschützen. In der untern 
Barke hockt der sperberköpfige Gott Rä, vor ihm steht das Wort 
ba, „die Seele" des Toten und zwischen beiden ein auf Ra sich 
zuwendender Skarabäus, die Seele nähert sich in Gestalt des 
Skarabäus, des Gottes Äeperä der Sonne, um sich mit dieser und 
damit mit dem Weltall zu vereinen. 

Auf der andern Seite des Mittelstreifens und in umgekehrter 
Richtung gemalt findet sich unter einer auf die Nilüberschwem- 
mung und ihr Wasser anspielenden Zeile noch eine Darstellung. 
In der Mitte steht eine Kuh, die Meh-urt oder Hathorkuh, auf 
deren Schenkeln, wie ein Sarkophagtext des alten Reiches berich- 
tet, die gestrige Sonne geboren ward, womit, wie andere In- 
schriften zeigen, nicht etwa die Sonne des gestrigen Tages, son- 
dern die am Abend desselben geborene Nachtsonne gemeint ist, 
denn diese Kuh ist eine im Westen des Himmels weilende Ge- 
stalt. Sie, Mehurt oder richtiger ihr Kind ist u.^a, die Sonne 
oder der Mond, und daher steht auf dem Hypocephal hinter der 
Kuh eine weibliche Gestalt, deren Kopf durch ein U^a-Auge ge- 
bildet wird. Vor der Kuh stehn die vier Totengenien, unter deren 
Schutz der Tote seine Eingeweide stellte, während auf der ande- 
ren Seite eine Anbetung stattfindet; eine als zeugende Gottheit 
gekennzeichnete, mit Armen und Beinen versehene Schlange, der 
kosmische Gott Nehebka betet einen sitzenden Gott mit Flügeln, 
Sonnenscheibe und Geißel an, der als Amon-A'em, als alles zeu- 
gende Form des Amon, anzusehen ist. 

Alle diese Bilder und Inschriften zeigen einen panlheistischen 
Grundzug, in dem sich der Glaube an eine in der Sonne beson- 
ders ausgeprägte alles umfassende Naturmacht ausdrückt. Ihr 
entstammen die Götter, die ihre Manifestationen sind und sie 
schützt den Toten, der in ihr aufzugehn hofft. Ihren Platz hat 
diese Gestalt aber in Heliopolis in dem heiligen Kasten in dem 
Sonnentempel, hier ist also der Mittelpunkt der Lehre zu suchen. 
Diese Lehre ward auf dem Hypocephal aber nicht um ihrer selbst 



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Eirtes Kapitel. Die Amulelle. 167 

willen aufgezeichnel, sondern weil man glaubte, durch Unierlegen 
dieser Platte der Mumie des Toten die für die Fortexistenz im 
Jenseits notwendige Lebenswärme zu verschaffen und zu be- 
wahren; der panlheistische Amon war es, der dafür zu sorgen hatte. 

Die Texte, welche diesem besonders in später Zeit in Ägyp- 
ten weit verbreiteten Pantheismus am klarsten Ausdruck geben, 
finden sich an den Wänden des der Perserzeit entstammenden 
Tempels der Oase El-Chargeh, aufgezeichnet, wo ein Hymnus, 
der den fälschlich so genannten acht Elementargottheiten in den 
Mund gelegt wird, lautet**): „Die Götter grüßen seine königliche 
Majestät als ihren Herrn, der sich in allem, was da ist, offenbart, 
und dessen Name in allem ist, im Berge wie im Strome. Das, 
was in allen Dingen bleibet, ist Amon. Dieser königliche Gott 
war von Anfang an; er ist Ptah, der größte unter den Göttern 
.... Dein Geheimnis ist unbekannt und ruht in den Tiefen der 
geheimnisvollen Wasser. Du bist auf die Straße gekommen und 
hast den Pfad erleuchtet Jeder Gott hat deine Gestalt an- 
genommen, aber mit der deinen verglichen ist die seine ohne 
Glanz. Dich preisen alle Dinge, die da sind, wenn du am Abend 
in die Unterwelt zurückkehrst. Du erweckst Osiris durch den 
Glanz deiner Strahlen, dich preisen die, die in Gräbern mhen. 
.... Du bist der Herr, dein ist das Königreich des Himmels 
und die Erde gehorcht deinem Willen. Die Götter sind in deiner 
Hand und die Menschen liegen zu deinen Füßen. Welcher Gott 
ist dir gleich? Als Ptah hast du Ägypten gemacht, gleich Amon 
hast du deinen Thron auf das Leben Ägyptens gebaut. Deine 
Seele ist die Säule und das Gewölbe beider Himmel. Deine Ge- 
stalt ging zuerst hervor, du glänzest als Amon, Ptah und Rä . . . 
§u, Tefnut, Nut und A'unsu sind Gestalten, die du annimmst, sie 
wohnen in deinem Heiligtum e unter den Sinnbildern des zeugen- 
den Gottes, der seine hohen Federn erhebt (A'em). ... Du bist 
Mentu-Rä, du bist Sokaris, du verwandelst dich in den Nil, du 
bist Jugend und Alter, du verleihst Leben der Erde durch deinen 
Strom, du bist der Himmel, du bist die Erde und alles, was in 
diesen ist." 

Derartige Vorstellungen von dem Aufgehn des Gottes im All 
oder richtiger vom Aufgehn des Alls im Gotte sind in Ägypten 
uralt; sie finden sich bereits in den Pyramidentexten auf den 
vergötterten Toten übertragen und in der allermateriellsten Weise 



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1B8 Die Religion der allen Ägypter. 

ausgeschmückt*^). Da thränt der Himmel und enlfliehn die Bo- 
genträger (Sternbilder), zittern die Knochen der Wächter der 
Götter und entfliehn ihre Unterthanen, wenn sie erblicken den 
verstorbenen König, den seine Seele verklärt, als einen Gott, der 
lebt von seinen Vätern und sich nährt von seinen Müttern; er 
ist ein Herr der Zauberweisheit, dessen Namen seine eigene 
Mutter nicht kennt. Er ißt die Menschen und lebt von den 
Göttern, auf die er unterstützt von einigen Dämonen Jagd macht; 
er ißt ihre Zaubersprüche und verzehrt ihre magische Kraft; die 
großen Götter dienen ihm zum Frühstück, die mittleren zum 
Mittagsmahl, die kleinen zum Abendessen, die alten männlichen 
und weiblichen Geschlechts benutzt er für seine Öfen, also als 
Heizmaterial, Er ißt die Krone von über- und Unter-Ägypten, 
um so Herr des ganzen Landes zu werden, u. s. f. 

Dieser pantheistische Glaube hat auch in das Totenbuch 
Eingang gefunden, das dem Hypocephal gewidmete Kapitel 162 
„das Kapitel vom Geben Wärme unter den Kopf eines Geistes", 
welches bezeichnend ist für eine lange Reihe ähnlicher panthei- 
stischer Texte, lautet: 

„Preis sei Dir kräftiger Löwe (heiliges Tier des Rä), erhab- 
ner mit den beiden Federn, Herr des Diadems, der Du schvvingst 
die Geißel. Du bist der Herr der Männlichkeit, blühend in leuch- 
tenden Strahlen, dessen Glanz keine Grenze besitzt. Du bist der 
Herr vieler bunter Gestalten, der sie einschließt in seinem Ut^a (der 
Sonne) für seine Kinder (die Menschen). Du beschützest die^ die 
losgetrennt wurden von dem Kreise der Götterneunheit (? wohl die 
Gestalten in der Unterwelt), Du Renner, der groß ist beim Aus- 
schreiten seiner Beine. Du bist der rettende Gott, der kommt zu dem, 
der ihn ruft, der rettet den Elenden aus der Hand seines Bedrängers. 

Komme auf meinen Ruf! Ich bin die Kuh (Mehurt), Dein 
Name ist in meinem Munde, ich werde ihn aussprechen: Penha- 
kahakaher ist Dein Name, Fuläuäakresaank-Lebati ist Dein Name, 
Aaib-mäu-seräu (Schatten des Löwen des Widders) ist Dein Name, 
A'alsatä ist Dein Name. 

Ich preise Deinen Namen, ich, die Kuh. Erhöre meine Bitte 
an diesem Tage, gieb Wärme unter das Haupt des Ra! Schütze 
ihn im Duat, ihn erneuernd zu Heliopolis. Gieb, daß er werde, 
gleichwie er war auf Erden. Er ist deine Seele. Vergiß nicht 
seines Namens. 



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Elftes Kapitel. Die Amulette. UV.) 

Komme zu dem Osiris N. N. Gieb, daß Wärme .sei unter 
seinem Haupte. 0! Er ist die Seele des großen Leichnams, 
der bestattet ward in Heliopolis (Rä) , der Strahlende , der Wer- 
dende, der Alte ist sein Name. Barekatä»Vaua ist sein Name. 
Komme, gieb, daß er (der Tote) werde gleichwie einer Deiner 
Gefolgsleute. O! Er ist Du.« 

[Dies sind die] Worte für eine junge Kuh, die gefertigt ist 
aus gutem Gold und gethan an den Hals eines Verklärten und 
die gezeichnet ist auf ein neues Papyrusblatt, das gelegt wird 
unter sein Haupt. Nunmehr durchströmt ihn viele Wärme ge- 
radeso wie es war auf Erden. Dies ist ein sehr großes Schutz- 
mittel, das gemacht ward von der Kuh 'für ihren Sohn Rä bei 
seinem Untergange. Da ward er umringt von Genossen, zum 
Schutz vor dem Feuer (V), er ward erneut in der Unterwelt, nicht ward 
er ausgeschlossen von irgend eineui Thore des Duat ordnungsgemäß 
(es konnte nicht anders geschehen, da das Amulett eben diese 
Wirkung hatte). 

Worte, die Du zu sprechen hast, wenn Du legst diese Göt- 
tin (die Kuh) an den Hals eines V^erklärten : Verborgener (amen) 
unter den Wesen, Amon, der da weilt im Himmel! Mögest 
Du wenden Dein Antlitz hin zu dem Leichnam Deines Soh- 
nes, indem Du ihn gesunden läßt in der Unterwelt! 

Diese Schrift ist ein großes Geheimnis, Lasse sie nicht sehn 
von irgend einem Auge. Eine Sünde ist es, sie zu kennen, sie 
zu verbergen, sie herzustellen, diese Schrift der Herrin des Tem- 
pels (der Kuji), deren Name verborgen ist." Ein Leydener Text 
macht hier am Schlüsse den Zusatz, die Schrift sei gefertigt wor- 
den von der Kuh (der Isis identificierten Mehurt) für ihren Sohn 
Horus und schließt mit der Anrufung: „0 Osiris und ihr Bewoh- 
ner der Unterwelt, möget Ihr schützen den Osiris N. N., seine 
Wohlfahrt sei Eure Wohlfahrt und umgekehrt.** 

Vor allem beachtenswert ist in diesem Texte, wie vollstän- 
dig die Rä- und die Osiris-Mythe verschmelzen. Amon, der gleich 
Rä ist, wird angerufen dem Toten zu helfen, der dassselbe Schick- 
sal wie er, den Tod, erlitt, geradeso wie sonst die Zuhülferufung 
des Osiris begründet wird; wie in der Osirismythe siels die wirk- 
samen Amulette einst an Osiris selbst ihre Wirksamkeit bewiesen, 
so zeigte das Hypocephal die seine zuerst an Rä. Der Leydener 
Text sucht dasselbe weiter mit der Osirismythe in Verbindung 



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170 Die Religion der allen Apypter. 

ZU bringen, indem er es von Isis für Horus verwenden läßt, der 
in der spätem Fomi des Osirismythus bisweilen als ein gestorbe- 
ner, neu zu belebender Gott auftritt. Neben den pantheistischen 
Grundgedanken finden sich demnach in dieser Formel Versuche, 
die Persönh'chkeit einzelner Götter und die Thatsächlichkeit ihrer 
Schicksale beizubehalten trotz der allumfassenden Kraft der All- 
gottheit. Zu diesem Zwecke werden sie für gleich erklärt mit 
eben dieser Allgottheit, die ihrerseits dann selbst ihre umfassende 
Stellung aufgeben muß, um menschenähnlich gedacht eine Lebens- 
geschichte zu besitzen. So wird der Text zu einem interessanten 
Beispiele der Widersinnigkeit, zu der die Ägypter kommen muß- 
ten, we)m sie versuchten , tiefere philosophische Gedanken in ih- 
rer Religion auszudrücken. Sie mußten zu solchen Unmöglich- 
keiten kommen, weil sie sich nicht entschließen konnten, auch 
nur einen Zug ihres alten Glaubens fallen zu lassen, vielmehr jeden 
mit zu verwerten trachteten. In diesen Widersprüchen lag der 
Hauplkeim zum Untergange der ägyptischen Religion; der den- 
kende Ägypter mußte sich selbst sagen, daß dieselben unmöglich 
thatsächlich vorhanden sein, daß Götter, wie sie hier gelehrt wür- 
den, nimmermehr nebeneinander bestehn könnten, daß eine solche 
Religion nicht die Wahrheit ergeben könne. 

Als die christlichen Glaubensboten in das Nilthal kamen, da 
scheinen die Ägypter im allgemeinen widerstandslos ihren heidni- 
schen Glauben aufgegeben zu haben. Zwar wurde bis in das dritte 
Jahrhundert hinein an den Tempelwänden und in Inschriften noch 
der alten Götter gedacht, aber hier handelte es sich um offizielle 
Schriftstücke, die von der heidnischen Obrigkeit ausgingen; das 
Volk, und besonders die höheren Klassen, konnten vor derartigen 
Werken keine Achtung mehr empfinden. Tief drang die christ- 
liche Lehre in wenigen Jahrzehnten in das Volksbewußtsein ein; 
unter den Übersetzungen der biblischen Bücher ist die in das 
Koptische, in die Tochtersprache des Altägyptischen, die man 
seit etwa dem Beginne unserer Zeitrechnung im Nilthale sprach, 
eine der ältesten. Und dabei handelte es sich nicht um eine ge- 
lehrte Arbeit, die nur für einen beschränkten Kreis von Anhän- 
gern des neuen Glaubens bestimmt gewesen wäre, sondern um 
ein echt volkstümliches Werk, das etwa gleichzeitig in den ver- 
schiedenen im Lande gesprochenen Mundarten dem Volke zu- 
gänglich gemacht ward. Voll Glaubensmut haben die Christen 



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Elftes Kapitel. Die Amulette. 171 

im Nilthale die Verfolgungen ertragen, die unter Diocietiaii über 
sie hereinbrachen, mit Feuereifer haben sie sich an den Streitig- 
keiten über einzelne Dogmen, die das vierte Jahrhundert erfüllten, 
beteiligt; zuletzt freilich durch sta^rres Festhalten an bestimmten 
Ansichten sich in Gegensatz gebracht zu der übrigen christlichen 
Kirche, von der sie bis auf unsere Zeit getrennt geblieben sind. 



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174 Lilteratur. 

6) Tolenbuch c. 112; vgl. Zeilschr. fr ägypt. Spr. 1871, S. 144 ff., Naville 
in Etudes ded. k Leenians p. 75 ff.; Plutarch, de Is. c. 55. 

7) Beste Publication von Lef6bure, Les hypog^es royaux de Th^hes. I. 
Tombeau de S6ti I; IL Notices des Hypog^es; III. Tombeau de Rams^s IV. 
Für den Inhalt der Texte vgl. Maspero, Les hypog^es royaux de Th^bes in Rev. 
de rhist. des rel. 1888. 

8) Naville, La litanie du Soleil. Leipzig 1875. 

9) Sharpe, Egypt. Inscr. I. 4; vgl. Renouf, a. a. 0. S. 224 f. 

10) Papyrus Boulaq nr. 17 bei Mariette, Pap. de Boulaq II, pl. 11—3. vgl. 
bes. Gröbaut, Hymne k Ammon-Ra, Paris 1874. 

11) Vgl. Lepsius, Z. f. ägypt. Spr. 1877, S. 8 ff. 

12) Vgl. Mallet, Le culte de Neit a Sais. Paris 1889. 

13) Wiedemann, Annales du Mus. Guimet. X. 561 ff. 
14» Krall in Jahrb. d. Wiener kunsth. Samml. IX, 72 ff. 

15) Wiedemann, Le culte des animaux in Le Museon VIII 211 ff., 309 ff. 
IG; Z. f. ägypt. Spr. 1880, S. 50. 

17) de Iside et Osiride. cap. 12—9. 

18) Proc. of the Soc. of Bibl. Archaeology XI, 417. 

19) Ledrain, Mon. de la Bibl. nat. pl. 21 — 7; vgl. Chabas, Hymne a Osiris 
in Rev. arch. 1857. 

20) Mettemich-Stele, herausgegeben von Golenischeff, Leipzig 1877; vgl. 
Brugsch, Z. f. ägypt. Spr. 1879, S. 1 ff. 

21) Horrack, Lamentations d'Isis et de Nephthys, Paris 1866; Budge, 
Proc Soc. Bibl. Arch. IX, 13 ff.; Pierret, Etudes 6gypt. S. 20 ff. 

t2) Loret, Recueil de trav. rel. al'Epyptologie III,43ff.; IV, 21 ff.; V,85ff. 

23) Vgl. für Osiris: Lef6bure, Le Mythe Osirien, I. Les yeux d'Horus; 
II. Osiris. Paris 1874-5. 

24) Pleyte, Le religion des Pr6-Isra61iles, Utrecht 1862, Lettre ä Dev6ria, 
Leiden 1863, Set dans la barque du Soleil, Leiden 1866; Meyer, Set-Typhon, 
Leipzig 1875. 

25) Pietschmann, Hermes Trismegistos, Leipzig 1875. 

26) So z. B. Lepsius, lieber die Götter der 4 Elemente bei den Aegyptem 
(Abb. der Berl. Akad.\ Berlin 1856, wo sich das inschriftliche Material gesam- 
melt vorfindet. 

27) Papyrus Rhind ed. Birch, London 1863. und Brugsch, Leipzig 1865; 
Pap. Bulaq und Paris ed. Maspero, M6m. sur quelques pap. du Louvre, Paris 
1875; Pap. Wien ed. von Bergmann, Hierat. Texte, Wien 1887. 

28) Schiaparelli, II Libro dei Funerali, Turin 1881—2, vgl. Maspero, Rev. 
de rhist. des rel. XV, 162 ff. 

29) Wiedemann, Jahrb. d. Ver. v. Altertumsfr. im Rheinl. 86, S. 42 ff 

30) Älteste Texte bei Lepsius, Aelteste Texte des Todtenbuches , Berlin 
1867; Maspero, M6m. de la Miss, du Caire I, 155 ff.; Lepsius, Denkm. II, 98—9, 
145-8. Spätere bei Naville, Das ägypL Todtenbuch der 18—20. Dyn., Berlin 
1886 (vgl. Maspero, Le livre des morts in Rev. del'hist. desRel. 1887); deRoug^, 
Rituel fun^rair Paris 1867. Noch jüngere bei Lepsius, Das Toitenbuch der 
Aegypt., Beriin 1842; Pap. Gadet in Descr. d'Eg. Ant. II; u. s. f. — Obersetzun- 



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Litteralur. 175 

gen des ganzen Werkes versuchten Birch in Bunsen, Egypfs place in Universal 
Hislory V, 123 fif., und Pierret, Le livre des Morts, Paris 1881. 

31) Brugsch, Sai en Sinsin, Berlin 1851; de Horrack, Le livre des Re- 
spirations, Paris 1877. — von Bergmann, Das Buch vom Durchwandeln der- 
Ewigkeit in Wiener Sitzungsber. 188t>, S. 369 fif. — Pap. Louvre nr. 3283 ed. 
Wiedemann, Hierat. Texte, Leipzig 1879. 

32) Prisse, Facsimile d'un papyrus Egyptien, Paris 1847 (vgl. Virey, Etüde' 
sur le Papyrus Prisse, Paris 1887); Mariette, Pap. de Boulaq I. pl. 15—23 (vgl. 
Ghabas, L'Egyptologie 1876—8); Pierret im Rec. de trav. rel. äTEgypt. I, 40 ff. 
Vgl. Renouf, a. a. 0. S. 66 ff. 

33) Maspero, in Rec. de trav. rel. ä l'Egypt. II, 13 ff. 

34) Papyri Graeci Musei Lugduni-Batavi ed. LeemansII, p. 16; vgl. Diete- 
rich, Papyrus Magica, Leipzig 1888, p. 800 (aus Fleckeisens Jahrb. f. klassische 
Philologie). 

35) Ledrain, Mon. 6gypt. de la Bibl. nat. pl. 36— 44; vgl. de Rougd, Elude 
sur une st61e 6g. in Journal asial. 1856—8. 

36) Z. B. Pyr. des ünäs 1. 300—340 in Rec. de trav. rel. ä PEgypt. III, 
220 ff 

37) Metternich-Stele; vgl. Z. f. ägypt. Spr. 1879, S. 1 ff. 

38) Wiedemann, Jahrb. d. Ver. v. Altfr. im Rheinlande 78, S. 113 ff. 

39) Maspero, M^m. sur quelq. pap. du Louvre, p. 1 ff. 

40) jetzt in Turin; publ. Transact of the Soc. of Bibl. Arch. III, HO ff. 

41) publ. Proc. of Soc. of Bibl. Arch. VI, p. 52; vgl. 1. c. 37, 106, 126, 
129, 170, 185; VII, 213; Pleyte, Chapitres suppl^mentaires du Livre des Morts 
162—163, p, 60 ff.: Leemans in M6m. du Congr. des Orientalistes de Leide IV. 3, 
p. 91 ff. 

42) Renouf, a. a 0. S. 214 f. 

43) Pyramide des Unäs 1. 496 ff.; Pyramide des Tetä 1. 318 ff. 



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Iiihaltsverzeichiiis* 

Erstes Kapitel. Einleitung Seile 1 

Zweites Kapitel. Die Sonnenreligion „ 9 

Drittes Kapitel. Die Sonnensagen , 28 

Viertes Kapitel. Die Sonnen fahrt in der Unterwelt , 45 

Fünftes Kapitel. Die wichtigsten Göttergeslalten „ 59 

Sechstes Kapitel. Ausländische Verehr ungswesen „ 81 

Siebentes Kapitel. Die Tierverehrung 90 

Achtes Kapitel. Osiris und sein Kreis , 1()9 

Neuntes Kapitel. Die Osirianische Unsterblichkeitslehre .... „ 123 

Zehntes Kapitel. Die Geheimwis.senschaflen r 1«^ 

Elftes Kapitel. Die Amulette ,154 

Litleratur ,172 



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