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Full text of "Die Religion der Hellenen : aus den Mythen, den Lehren der Philosophen und dem Kultus"

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Princeton  Theological  Seminary  Library 


https://archive.org/details/diereligionderhe01rinc 


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Die 


Religion  der  Hellenen, 


aus 


den  Mythen,  den  Lehren  der  Philosophen  und 

dem  Kultus 


entwickelt  und  dargestellt 


von 


Wilhelm  Friedrich 


inek. 


ZÜRICH. 

Verlag  von  Meyer  und  Zeller. 

1S53. 


Hoher  Sinn  liegt  oft  in  kind  schem  Spiel. 

Schiller. 


Druck  von  Zürcher  und  Furier. 


Erster  Tlieil. 


Von  Gott  und  dem  Vcrhältniss  der  Welt  und  der  Menschen 

zu  Gott. 


Die  Wahrheit  in  dem  Wahn  zu  finden, 

Zu  ahnden  sie,  sie  zu  empfinden. 

Mich  aus  dem  Schutt  emporzuheben, 

Sey  meine  Freude,  mein  Destreben. 

Lavafer. 


V  o  r  r  e  d  e. 


Es  ist  ein  treffliches  Wort  Otfried  Müller’s  *),  dass 
nur  von  der  Höhe  der  christlichen  Welthetrachtung  sich  dem 
Philologen  die  classische  Welt  aufschliesse  in  ihrer  Wahrheit 
und  Schönheit.  »Wissen  wir  doch  sicher,  sagt  Ebenderselbe**), 
dass  die  Mythen  als  Grund  und  Boden  der  Poesie  und  Kunst 
Jahrhunderte  lang  den  Geist  des  hellenischen  Volkes  vor¬ 
zugsweise  beschäftigten;  und  wie  wäre  es  möglich,  ohne 
Kenntniss  der  Mythen  und  ihres  Entstehens  sich  von  dem 
geistigen  Leben  dieser  Zeit  einen  Begriff  zu  machen?«  Die 
Hellenen,  die  Lehrer  der  Humanität,  müssen  an  Hochach¬ 
tung  bei  uns  gewinnen  ,  wenn  ihr  Götterhimmel  durch  treue 
und  gläubige  Geschichtforschung  aufgeklärt  wird.  Meine 
Absicht  war,  nicht  den  Aberglauben  in  seinen  Verirrungen 
zu  verfolgen  und  vom  christlichen  Standpunkte  aus  zu  rich¬ 
ten,  sondern  die  Wahrheit,  die  ihm  zu  Grunde  liegt,  und 
deren  sich  die  bessern  Geister  mehr  oder  weniger  bewusst 
waren,  aufzusuchen,  und  die  unbestrittene  Frömmigkeit  der 
Alten  in  ihrem  Rechte  und  ihrer  ursprünglichen  Lauterkeit 


*)  Bei  Lücke  in  den  Erinnerungen  an  ihn  S.  25. 

“)  K.  0.  Müller  Prolegoniena  zu  einer  wissenschaftlichen  My¬ 
thologie  S.  206  f. 


VI 


nachzuweisen.  Ist  mir  dieses  Bestreben  gelungen ,  so  wer¬ 
den  die  erstorbenen  Götter  Griechenlands  wieder  anheben 
zu  leben  und  sich  in  die  Vorhallen  des  christlichen  Tempels 
stellen,  nicht  um  von  neuem  angebetet  zu  werden,  nicht 
um  einem  neuen  Heidenlhum  Vorschub  zu  thun  ,  sondern 
indem  sie  sich  der  Religionsgeschichte  wie  ein  Theil  dem  Gan¬ 
zen  einreihen  ,  wird  dadurch ,  dass  eine  und  dieselbe  bald 
mehr  bald  weniger  begriffene  Wahrheit  in  allen  Religionen 
wiederkehrt,  der  Unglaube,  der  diese  Wahrheit  in  Frage 
oder  in  Abrede  stellt,  beschämt,  und  sowohl  der  Religions¬ 
philosophie  als  der  allgemeinen  Anerkennung  der  geoffen- 
barten  Religion  ein  Dienst  geleistet.  Allerdings  mag  man 
die  Ergebnisse  meiner  Untersuchungen  mit  einigem  Misstrauen 
betrachten,  wenn  man  auf  ähnliche  Lehrsätze  stösst ,  die  wir 
in  der  christlichen  Religion  ausgeprägt  finden.  Jedoch  da 
der  Geist  und  das  Gemüth  des  Menschen  zu  allen  Zeiten 
sich  ähnlich  ,  die  Menschheit  eine  und  dieselbe  und  die  re¬ 
ligiösen  Bedürfnisse  immer  und  überall  die  gleichen  sind, 
so  ist  jene  Uebereinslimmung  an  sich  betrachtet  nicht  zu 
beanstanden,  eher  über  das  Gegenlheil  wäre  sich  zu  wun¬ 
dern  ;  und  ich  bin  mir  bewusst ,  ohne  Befangenheit  mich 
in  den  Sinn  der  Vorzeit  versetzt  zu  haben,  jederzeit  von 
den  überlieferten  Lehren  und  Gebräuchen  ausgegangen  zu 
seyn,  und  sie  mit  der  nöthigen  Nüchternheit  betrachtet  zu 
haben,  ohne  ein  selbstgemachtes  Spiel  damit  zu  treiben. 
Freilich  ist  auf  diesem  Gebiete  keine  unumstössliche  Gewiss¬ 
heit  zu  erwarten,  und  es  ist  daher  ein  Leichtes,  Einwürfe 
im  Einzelnen  zu  machen.  Sind  aber  die  entgegenstehenden 
Meinungen  nicht  geeignet,  die  vorhandenen  Räthsel  mit 
gleicher  Wahrscheinlichkeit  zu  lösen,  so  hoffe  ich,  dass 
meine  Grundansichten  im  Ganzen  sich  Bahn  brechen  wer¬ 
den.  Ein  Theil  des  wohlzusamrnonhängenden  Systems  wird 


Vll 


auf  den  andern  Licht  werfen  und  bei  Unbefangenen  man¬ 
ches  Bedenken  zerstreuen.  Mein  Plan  ist,  wie  auf  dem 
Titel  angedeulet  worden,  theils  ein  engerer  theils  ein  wei¬ 
terer  als  der  meiner  Vorgänger:  er  will  nicht  alle  Mythen 
des  griechischen  Volkes  behandeln,  sondern  nur  die  sich 
auf  die  Religionslehre  beziehen ,  dagegen  aber  zugleich  die 
gottesdienstlichen  Einrichtungen  und  Gebräuche  in  den  Kreis 
der  Untersuchung  ziehen  und  die  nicht  in  mythische  Form 
eingekleidelen  Lehren  von  Gott  und  seiner  Verehrung,  von 
unsern  Pflichten  und  unsrer  künftigen  Bestimmung  berück¬ 
sichtigen.  Mein  Buch  ist  daher  weniger  und  mehr  als  eine 
Mythologie.  Denn  eine  Wissenschaft,  dünkt  mich,  muss 
einen  fest  begrenzten  Gegenstand  haben;  die  Mythen  aber 
sind  nicht  ein  solcher  Gegenstand,  sondern  eine  Ausdrucks- 
w'eise  verschiedenartiger  Dinge,  die  keine  organische  Be¬ 
handlung  zulassen.  Apollodor  z.  B.  hat  in  seiner  Biblio¬ 
thek  eine  Mythensammlung  angelegt ;  aber  nur  die  sechs 
ersten  Kapitel  seines  ersten  Buches  enthalten  dürftige  No¬ 
tizen  von  der  Götterlehre,  fast  der  ganze  übrige  Theil  sei¬ 
nes  Buches  (mit  Ausnahme  der  Fabeln  von  Dionysos  und 
Hermes)  bandelt  von  der  mythischen  Geschichte  Griechen¬ 
lands,  von  den  berühmten  Männern  und  Frauen  der  fabel¬ 
haften  Vorzeit,  von  den  alten  Stammfürsten.  Beides  lasst 
sich  wohl  aus  einander  halten  und  gleichwohl  Rücksicht  auf 
das  Letztere  nehmen,  wofern  Götter  und  Menschen  in  Verkehr 
zusammen  treten  oder  Menschen  göttliche  Ehre  erwiesen 
wurde.  Religion  und  Geschichte,  wiewohl  verwandt,  sind 
dennoch  zu  unterscheiden,  wie  Göttliches  und  Menschliches. 
Apollodor  hat  diesen  Unterschied  selbst  festgehalten,  und 
ein  eigenes  Buch  von  den  Göttern  geschrieben,  das  verlo¬ 
ren  gegangen  ist.  Eine  wissenschaftliche  allgemeine  Mytho¬ 
logie  scheint  mir  ein  in  sich  selbst  widersprechender  Begrifl' 


VIII 


zu  seyn.  Die  Religion  der  Griechen  hingegen  suchte  ich 
als  einen  beslimmten  uud  würdigen  Gegenstand  wissenschaft¬ 
lich  aus  dreierlei  Erkenntnissquellen  zu  erforschen  und  dar¬ 
zustellen :  erstlich  aus  den  religiösen  Fabeln  als  einer  hei¬ 
ligen  Ueberlieferung  des  griechischen  Volkes ,  welche  mit 
den  Religionen  anderer  Völker  des  Alterthums  verwandt  ist. 
Sie  war  für  die  alten  Dichter  etwas  Gegebenes  und  zugleich 
ein  Gegenstand  der  weitern  Verarbeitung.  Die  andere  Quelle 
der  Religionserkennlniss  und  zugleich  der  Ausdruck  der 
Religion  selbst  sind  die  priesterlicben  Sliflungen ,  die  öffent¬ 
lichen  und  geheimen  Gottesdienste  und  die  Feste;  die  dritte 
Quelle  endlich  sind  die  Lehren  der  griechischen  VVeltwei- 
sen ,  so  fern  sie  nicht  blos  ihre  eigenen  Gedanken  mittheil¬ 
ten,  sondern  sich  an  das  licberlieferte  anschlossen  und  es 
durch  ihr  Nachdenken  weiter  ausbildeten.  Wenn  K.  O. 
Müller  (Prolegomena  S,  206)  von  einer  wissenschaftlichen 
Mythologie  sagt:  »Der  Weg  ist  misslich,  jeder  Schritt  mit 
Schwierigkeiten  verknüpft,  und  eine  durchgängige  und  all¬ 
gemeine  Befriedigung  nur  als  ein  fernes  Ziel  zu  erreichen“, 
so  möge  der  geneigte  Leser  meinen  Versuch,  diesem  Ziele 
näher  zu  kommen  ,  nachsichtig  beurtheilen.  Insbesondere 
in  der  logischen  Anordnung  des  weitschichtigen  Stoffes,  in 
der  kritischen  Ausscheidung  der  ursprünglichen  Fabeln  von 
den  spätem  Zutbaten  und  Mährchen  ,  in  der  erforderlichen 
Sichtung  des  mehr  und  minder  Wichtigen  und  in  der  rich¬ 
tigen  Auslegung  des  alterthümlichen  Sagenkreises  glaube 
ich  das  vorgesteckte  Ziel  vor  Augen  gehabt  zu  haben.  Mit 
Hesiod  und  Homer,  vor  welchen  jedoch  zwei  frühere  Re¬ 
ligionsperioden  liegen,  scheint  mir  das  hellenische  Religions¬ 
gebäude  im  Allgemeinen  abgeschlossen  zu  seyn;  spätere 
Ansätze  sind  meistens  mehr  eine  Verbildung  als  Ausbildung. 
Ihnen  ist  daher  weniger  Werth  beizulegen,  und  Manches 


IX 


davon  darf  füglich  übergangen  werden,  oder  ist  nur  zu 
berühren,  um  nicht  das  Verschiedenartige  allzu  sehr 
zu  vermischen;  wie  gemeiniglich  geschieht.  Die  cykli- 
schen  Dichter  haben  sich  an  dem  mythischen  Stoffe  mit 
mehr  oder  weniger  Glück  versucht;  die  von  ihnen  umgebil¬ 
deten  und  vermehrten  Fabeln  hat  besonders  Pherecy- 
des  von  Athen,  der  vor  dem  Feldzuge  des  Xerxes  zehn 
Bücher  von  der  ältesten  Geschichte  unter  dem  Titel  Auto- 
chthonen  schrieb,  in  ungebundener  Rede  zusammengetragen, 
und  wurde  selbst  eine  Quelle  für  die  auf  uns  gekommenen 
Mythographen ,  in  denen  bisweilen  noch  die  ursprüngliche 
Dichtersprache  durchschimmert,  die  man  aber  keineswegs 
der  Theogonie  Hesiods  gleichselzen  darf. 

Indem  ich  die  frühem  Bearbeitungen  dieses  Feldes, 
namentlich  die  Symbolik  und  Mythologie  von  Creuzer, 
meinem  ehemaligen  verehrten  Lehrer,  dankbar  benutzte, 
hauptsächlich  aber  mir  es  zur  Pflicht  machte ,  unmittelbar 
aus  den  Quellen  zu  schöpfen  und  sie  selbstständig  zu  ver¬ 
arbeiten,  wollte  ich  den  Leser  nicht  immer  mit  Anführung 
entgegenstehender  Ansichten,  die  durch  den  Vortrag  selbst 
ihre  Erledigung  finden,  behelligen,  und  die  alten  Schrift¬ 
steller  lieber  selbst  reden  lassen,  als  in  allgemeinen  Betrach¬ 
tungen  mich  ergehen.  Die  Alten  sind  gewöhnlich  nüchter¬ 
ner  und  treuer  in  ihren  üeberlieferungen  als  die  meisten 
der  neuern  Forscher ,  so  dass  wir  besser  thun  uns  ihrer 
Führung  anzuverlrauen.  Obgleich  sich  meine  Untersuchun¬ 
gen  auf  Ein  Volk  beschränken,  hütete  ich  mich  dennoch, 
aller  Geschichte  und  der  menschlichen  Entwicklung  zuwider, 
dasselbe  isolirt  zu  betrachten,  Verkehr,  Einwanderungen 
und  ausländische  Einflüsse  in  der  mythischen  Zeit  durch  ei¬ 
gensinniges  Leugnen  zum  voraus  abzuweisen;  vielmehr 
glaubte  ich  bei  aller  Originalität  des  griechischen  Volkes 


X 


seinen  religiösen  Zusammenhang  mit  dem  Morgenlande  in 
Sache  und  Sprache  anerkennen  zu  müssen,  ohne  darum 
einem  bunten  Pantheon  das  Wort  zu  reden.  Denn  ich 
pflichte  im  Ganzen  der  Ansicht  K.  O.  Müller’s  (Orchomenos 
S.  462)  bei,  dass  scharfe  Sonderung  die  allererste  Bedingung 
eines  bestimmten  und  wohlhegründelen  Wissens  ist.  —  Ein¬ 
sichtigen  Schulmännern  überlasse  ich  das  Urtheil ,  ob  ein 
Keligionsbuch  des  classischen  Alterlhums  nach  meinem  Plane 
für  Gymnasien  und  Lyceen  auszuarbeiten  sey.  Es  könnte 
ein  eben  so  nützlicher  als  anziehender  Unterrichtszweig  so¬ 
wohl  für  die  Humanitätsstudien  als  die  religiösen  Bedürf¬ 
nisse  unserer  Jugend  werden. 

Der  zweite  Theil  wird  sich  über  das  Opferwesen,  die 
Feste,  die  Orakel,  über  die  Lehren  von  der  Ewigkeit  und 
von  der  Heiligung  verbreiten,  und  in  diesem  Jahre  nach- 
folgen. 


Der  Verfasser. 


1  11  ]i  a  1  t 


Einleitung.  S.  1.  Wichtigkeit  des  Gegenstandes.  Gegensatz 
und  Zusammenhang  der  allen  und  neuen  Zeit.  Glauhensformen  des 
Polytheismus.  4.  —  Thierdienst.  Verständniss  der  Religion  der 

alten  Griechen.  5.  —  Allegorische  Lehrweise:  Sinnbild,  Vorbild, 
Fabel  und  Gleichniss.  6.  —  Inhalt  der  Mythologie.  12.  —  Hesiods 


*)  K.  O.  Müller  sagt  in  den  Prolegoraena  z.  ein.  ws.  Älytb.  S.  335, 
wie  ich  hier  nachträglich  bemerken  will:  »Mythus  und  Allegorie  sind 
ganz  aus  einander  liegende,  auf  verschiedenem  Boden  stehende,  in  an¬ 
dern  Epochen  der  Geistesbildung  vorkommende  Begriffe.  Der  Mythus 
meint  es  so,  wie  er  es  sagt;  jene  aber  eiXXo  fibv  ayugsisi,  aXXo  dh 
voei.n  Allein  eine  Rede  oder  ein  Bild  wird  eben  dadurch  bedeutsam, 
dass  es  etwas  Anderes  zu  sagen  scheint  als  es  wirklich  bedeutet,  dass 
es  einen  verborgenen  Sinn  hat,  und  diess  ist  gerade  der  Begriff  der 
Allegorie.  Es  scheint  mir  daher  angemessen,  die  vier  bildlichen  Lehr- 
weisen  unter  den  gemeinsamen  Begriff  des  Allegorischen  zu  stellen, 
wenn  ich  auch  hierin  keine  Vorgänger  habe.  Wie  man  versuchen  will , 
die  Allegorie  dem  Symbol,  Typus,  Mythus  und  der  Parabel,  die  sich 
scharf  von  einander  unterscheiden  lassen,  als  beigeordnet  entgegenzu¬ 
setzen,  so  wird  sie  gleichwohl  mehr  oder  weniger  mit  den  beiden  letz¬ 
ten  zusammenfallen.  —  Zum  Beispiel,  wie  in  den  Mythen  Wahrheit 
und  Lüge  gemischt  zu  seyn  pflegen,  diene:  Phrixus  musste  mit  seiner 
Schwester  Helle  vor  den  Nachstellungen  seiner  Stiefmutter  aus  seinem 
Vaterlande  Böotien  fliehen,  die  Letztere  verunglückte  unterwegs  im 
Hellespout,  der  von  ihr  den  Namen  erhielt,  er  aber  kam  nach  Kolchis 
^um  König  Aeetes  und  sah  den  Phasis  und  das  berühmte  Goldland 


XII 


riieogouie,  Ileroogonie  und  Schild.  1i.  —  Der  Heroeu  doppcKe  Ab- 
slaramung  und  Vergötterung.  15.  *)  —  Beschränkung  der  Aufgabe 
auf  das  Gebiet  der  Religion  als  einer  natürlichen  Offenbarung.  17.  — 


(s.  S.  53)  ,  wo  mau  noch  jetzt  nach  der  Wahrnehmung  eines  englischen 
Reisenden  durch  Taurien  (Maria  Guthrie ,  London  1802)  zur  Goldwäsche 
in  den  dasigen  riüssen  Schaffelle  gebraucht.  Da  die  erste  Kunde  hie¬ 
von,  die  Phrixus  oder  seine  Söhne  nach  Griechenland  brachten,  den 
Argonauleuzug  veranlasste,  so  waren  die  Dichter  um  die  Welle  ge¬ 
schäftig,  jenen  einfachen  Vorgang,  welcher  der  ältesten  Geschichte 
angebört,  mythisch  auszuscbmücken.  Anstatt  zu  sagen:  Die  reisenden 
Phrixus  und  Helle  fuhren  nach  Osten,  wie  eine  Wolke  dahin  zieht, 
machte  Sophokles  aus  ihnen  Kinder  des  Alhamas  und  der  Wolke  (Ne- 
cpeXr])  ;  obgleich  sie  nach  Andern  (beim  Schol.  Pind.  Pyth.  IV,  2S8) 
eine  andere  Mutter  hatten.  Um  den  Raubziig  in  das  reiche  Goldland 
zu  beschönigen,  fabelte  man,  Phrixus  und  Helle  selbst  seyen  auf  einem 
von  Hermes  empfangenen  Widder  mit  goldenem  Felle  durch  die  Luft 
über  das  Meer  gefahren,  und  nach  seiner  Ankunft  habe  Phrixus  den 
Widder  dem  Zeus  Erretter  geopfert,  das  Vliess  aber  dem  Aeetes  über¬ 
geben.  Weil  die  Argonauten  um  ihre  goldene  Beute  einen  Kampf  zu 
bestehen  halten,  so  hiess  es,  Aeetes  habe  das  goldene  Vliess  in  dem 
Haine  des  Ares  um  eine  Eiche  genagelt,  und  ein  Drache  habe  den 
Schatz  gehütet.  (Pind.  Pyth.  IV,  284  ff.  Apollodor.  I,  9,  1.)  Da  diese 
Fabel  des  religiösen  Gehaltes  entbehrt  und  auch  in  dieser  Gestalt  spä¬ 
tem  Ursprungs  ist,  so  habe  ich  sie  im  Texte  übergangen. 

*)  Dabin  gehören  auch  Theseus,  Sohn  des  attischen  Königs  Aegeus 
und  zugleich  des  Poseidon  (Plut.  in  Thes.  6),  Bellerophon,  Sohn  des 
Glaukos  und  des  Poseidon  (Schol.  Pind.  Ol.  XIH,  98),  und  Minyas,  ein 
Sohn  des  Sisyphos ,  des  Ares  und  des  Poseidon  (K.  0.  Müller  Orcho- 
menos  S.  133  ff.).  Bisweilen  stellten  die  Dichter  diese  Doppelerzeugung 
sogar  als  einen  eifersüchtigen  Kampf  zwischen  dem  göttlichen  und  dem 
menschlichen  Erzeuger  dar:  so  ging  die  Sage,  Phöbus  Apollon  habe 
die  schöne  Marpessa,  Tochter  des  Euenus  von  .beloben,  zum  Leidwe¬ 
sen  ihrer  Ellern  geraubt,  Idas  aber,  der  tapfere  Stammfürst  von  Mes- 
sene  (Apollodor.  I,  7,  9),  habe  sie  mit  Gewalt  dem  Gott  entrissen,  zu 
seiner  Gattin  gemacht  und  die  schöne  Kleopalra  (.Meleagers  Gattin)  mit 
ihr  erzeugt:  Hom.  II.  IX,  557  u,  das.  Schol,,  der  den  Simonides  an- 


—  xni 

Methodik.  20.  -  Etymologie.  21.  —  Einsiclit  Homers  und  Hesiods 
in  den  Sinn  der  Fabeln.  25.  —  Beide  waren  Urheber  der  griechi¬ 
schen  Theogonie.  29.  ‘)  —  Religionserkenntniss  der  Tragiker.  31. 
—  Anforderungen  an  den  Mythologen :  Quellenstudium,  Sprachkennt- 
niss,  Auslegungskunst,  Ordnungssinn,  religiöses  Gemüth  und  Erfor¬ 
schung  des  Zusammenhangs  aller  Religionen.  32. 

Eintheilung  in  drei  R  e  1  i  g  ions  pe  r  iod  e  n. 

Die  älteste  Periode  der  Ureinwohner. 

§.  1.  Die  Pelasger  verehrten  den  Uranos,  die  Gäa,  Sonne, 
Mond  und  Sterne.  38. 

Die  zweite  griechisch-phönicisciie  Periode  bis  Cecrops- 

§.  2.  Zwölf  Titanen  {yijyiVEiq)^  Kronos  -  Baal  -  Moloch 
(strahlende  Sonne)  an  der  Spitze.  39. 

A.  Von  der  Gottheit  an  sich. 

§.  3.  Das  göttliche  Wesen  mit  der  Welt  entstanden,  jedoch 
auch  in  Kronos  über  ihr  stehend.  42. 

§.  4.  Die  Allwissenheit  als  Mnemosyne,  die  Heiligkeit  und 
Gerechtigkeit  als  Themis,  die  Nothwendigkeit  als  Schicksal 
und  Mören,  die  Allmacht  als  Krios^)  und  Eurybia.  45. 


führt.  —  Bei  Zwillingen  tleutele  man,  der  eine  sey  von  Gott,  der  an¬ 
dere  von  einem  Menschen  erzeugt.  Homer  (Od.  X',  298)  machte  noch 
keinen  Unterschied  zwischen  Kastor  und  Polydeukes  als  Söhnen  des 
Tyndareos  ,  eben  so  Hesiod  (bei  Schot.  Find.  Nem.  X,  150),  der  beide 
von  Zeus  abstammen  lässt.  Die  cyprischen  Gedichte  dagegen  (bei  Giern. 
Al.  Coh.  p.  26)  geben  nur  den  Polydeukes  als  einen  Sprössling  des 
Ares  für  unsterblich,  den  Kastor  als  einen  Tyndariden  für  sterblich 
aus.  Dieser  Fabel  folgen  die  Spätem  (wie  Pindar,  s.  S.  262 ,  Apollodor. 
III,  10,  7),  nur  dass  sie  Zeus  und  Leda  dem  Polydeukes  zu  Eltern  gehen. 

Wegen  der  Verwechslung  der  Theogonie  und  Götlerlehre  fol¬ 
gert  sogar  Ritter  Gesch.  der  Philos.  I  S.  143  aus  der  herodoteischen 
Stelle ,  weil  die  Gesänge  Homers  und  Hesiods  den  Griechen  als  Quel¬ 
len  der  Götterlehre  galten ,  dass  eine  liefere  Auffassung  des  Religiösen 
in  ihrer  allgemeinen  Denkart  nicht  lag. 

2)  Diodor.  V,  66  schreibt  K^iög ,  Apollodor.  1,  1,  3  K^Toq. 


XIV 


5.  Der  Allmacht  Wirkung  und  Dolen  sind:  die  Schöpfungs- 
krafl  auf  der  Erde  in  Pallas*)  und  Styx  und  deren  Kindern, 
Macht  und  Gewalt,  Sieg  und  Wetteifer,  am  Himmel  in 
Aslräos  und  Eos  und  ihren  Kindern,  den  Sternen  und  Win¬ 
den,  die  Einwirkung  des  Sternenhimmels  auf  die  Erde  in  Perses 
und  seiner  Tochter  Hekate.  46. 

§.  6.  Die  göttliche  Allgegenwarl  als  Iris.  47. 

§.  7.  Die  Gesammtnalur  alsRhea.  48.  —  Das  Himmelsheer  als 
Hyperion  und  Theia,  mit  ihren  Kindern,  Sonne,  Mond  und 
Morgenrot  he,  und  mit  deren  Kindern,  Morgen-  und  die  übri- 


*)  Von  Pallas  empfing  Athene  ihren  gewöhnlichen  Beinamen. 
Als  alte  NaUirgöltin  wob  sie  mit  ihm  in  Liebe  verbunden  alle  Dinge. 
Um  den  spätem  Begriff  ihrer  Jungfräulichkeit  zu  retten ,  verwischte 
man  dieses  mannweibliche  Verhällniss  von  Pallas  Athene,  das  in  Etru¬ 
rien  in  Pales  und  Nortia  noch  durchblickt  (S.  120),  und  man  verfiel 
zu  diesem  Behufe  auf  einen  doppelten  Ausweg,  worin  die  ursprüng¬ 
liche  Zweiheit  von  Pallas  Athene  sich  noch  offenbart.  Entweder  nem- 
lich  sollte  Pallas  ihr  Vater  gewesen  seyn  und  ihrer  Jungfrauschaft  nach¬ 
gestellt  haben  (Cic.  N.  D.  Hl,  23  das.  Davies)  ,  oder  Pallas  wurde  zu 
ihrer  Gespielin  und  Nebenbuhlerin  in  der  Kriegskunst  und  zu  einer 
Tochter  des  Triton  gemacht  (Apollodor.  III,  12,  3).  Diese  Variation 
beweist  schon,  dass  sie  anfänglich  in  einem  ganz  andern  Verhältniss 
zu  Pallas  stand.  Nach  beiden  Fabeln  tödtete  sie  den  oder  die  Pallas 
und  identificirte  sie  gewissermassen  mit  sich.  Denn  des  Pallas  Haut 
warf  sie  um  sich  als  Aegide  und  seine  Fittige  band  sie  an  ihre  Füsse. 
Nach  der  andern  Sage  verfertigte  sie  ein  der  todten  Pallas  ähnliches 
Scbnitzhild  ,  legte  ihr  die  Aegis  um  die  Brust  und  setzte  es  ehrend  ne¬ 
ben  Zeus.  Als  aber  Elektra  bald  den  Dardanus  gebären  sollte,  warf 
sie  es  in  die  Gegend  von  Ilium,  wo  Ilus  der  .Athene  einen  Tempel 
baute  und  darin  jenes  Bild  als  Palladium  der  Trojaner  aufbewahrte.  — 
Hiernach  kann  ich  die  Meinung  Creuzer’s  (Syrab.  HI  S.  313)  nicht 
Iheilen ,  dass  jener  Pallas  kein  anderer  sey  als  Poseidon.  Die  Wett¬ 
kämpfe  aber  der  Jungfrauen  am  Tritonsee  am  Jahresfeste  der  Athene 
in  Libyen  (Herod.  IV,  180)  mögen  wohl  mit  der  Fabel  von  dem  Wett¬ 
streit  der  Athene  und  der  Pallas  im  Zusammenhang  stehen,  und  jene 
in  diesem  ihr  Vorbild  gehabt  haben.  Denselben  Zwang  that  man  sich 


XV 


gen  Sterne  und  die  (nützlichen)  Winde  (Süd,  Nord*),  und 
West).  49. 

§.8.  Pontos  d.  i.  das  mittelländische  Meer  mit  seinem  Sohne 
Nereus  und  dessen  Gattin  Doris  und  der  gleichnamigen  Tochter; 
als  Bild  der  Wahrhaftigkeit  2)  hat  er  die  Nemerles  oder  Apseu- 
des  zur  Tochter.  51.  -  Der  Okeanos  und  die  Tethys  sind  als 
der  grosse  Behälter  aller  Gewässer  die  Stammellern  aller  Flüsse  und 
Bäche.  52.  —  Die  Flüsse  der  mosaischen  Schöpfungsurkunde  entste¬ 
hen  gleichfalls  aus  einem  Urfluss.  53. 

§.9.  Koios  d.  i.  das  Himmelsgewölbe  und  Phoibe  d.  i.  die 
Wahrsagerin  haben  zu  Kindern  die  Leto  und  die  Asteria  als 
Vorsteherinnen  der  Wahrsagekunst ,  Zauberei  und  des  Slernenein- 
flusses.  53.  —  Der  Asteria  und  des  Perses  Tochter  ist  die  Glücks¬ 
göttin  Hekate.  55. 

§.  10.  la p  e  1 0  s ,  der  erste  Mensch  als  Vater  des  P  ro  m  e  t  h  eus 
(von  diesem  stammt  Deukalion  und  von  diesem  Hellen  ab)  und 
des  Atlas.  57. 

Bückblick.  58. 

B.  Wie  verhalt  sich  die  Welt  zu  Gott? 

§.  11.  1)  Ihre  Entstehung  aus  dem  Chaos  als  einem  Keime. 


an  ,  um  der  Athene  altes  Liebesverhältniss  zu  llephästos  zu  bemänteln, 
wodurch  aber  für  das  Gefühl  des  Auslandes  viel  weniger  gesorgt  war, 
wenn  man  die  Geschichte  von  der  Erzeugung  des  Erichthonius  bei 
.4pollodor  III,  14,  (5  nachliest. 

')  Der  Raub  der  Orilhyia  durch  Boreas  scheint  eine  andere  Be¬ 
deutung  zu  haben,  als  Platon  meint,  wenn  wir  bedenken,  dass  ihre 
Ebe  mit  Nachkommenschaft  gesegnet  war.  Ihre  Töchter  Kleopalra, 
Gattin  des  Ihiacischen  Phineus,  und  Chione  (von  Schnee),  Mutter 

des  Eumolpus  des  Thraciers,  weisen  nach  Norden  hin,  und  ihre  geflü¬ 
gelten  Söhne,  Zeles  und  Kalais  ,  erinnern  gleichfalls  an  den  Vater,  der 
ein  Mädchen  raubender  Normann  gewesen  zu  seyn  scheint.  S.  Apollo¬ 
dor  III ,  15,  2.  3.  4  u.  das.  Heyne  p.  334. 

2)  Nereus  sagt  daher  nach  späterer  Fabellehre  dem  Herakles  an, 
wo  die  Hesperiden  und  ihre  Aepfel  aufzufinden  seyen  (Apollodor. 
11,  5,  li). 


XVl 


59.  —  Daraus  entwickelt  sicli  die  Erde,  der  Tartaros  und  Eros 
als  der  Zeugungstrieb.  60. 

§.  12.  Aus  dem  Chaos  entstanden  der  Erebos  (Urdämmeruug) 
und  die  Nacht,  aus  diesen  der  Tag  und  der  A  et  her.  62. 

§.  13.  Die  Erde  gebar  aus  sich  den  Himmel  (mildem  Dunst¬ 
kreis),  die  Berge,  das  Meer,  in  Verbindung  mildem  Himmel  den 
Oke  an  OS.  63.  *)  —  Die  Kosmogonie  des  Homer  und  Thaies 
weist  nach  Aegypten  zurück.  6T 

§.  14.  Aus  der  Ehe  Himmels  und  der  Erde  entstehen 
Sonne,  Mond  und  Sterne,  die  Elektricität  als  Bronles,  S  t  e- 
ropes  und  Arges  und  die  alten  Patriarchen  Kollos,  Briareos 
und  Gyge  s.  67. 

§.  15.  In  Folge  der  Entmannung  des  Uranos  entsteht  das  Men¬ 
schenleben  in  den  Giganten  (Aulochlhonen)  und  das  Pflauzenleben 
in  den  melischen  Nymphen.  69.  —  Vergleichung  mit  der  Lehre 
der  Perser,  Phryger,  Aegypler  und  der  Edda.  72. 

§.  16.  Alles  Fliegende ,  vorgestellt  in  den  Harpyien  2)  Aello 
und  Okypele  (Heuschreckenschwärmen),  stammt  von  Thaumas, 
dem  Sohne  des  Meeres  und  der  Erde.  73.  3) 


')  Ein  Widerspiel  von  unserer  Auffassung,  warum  die  Erde  das 
Meer  (Ponlos)  aus  sich  allein  hervorbringe,  ist  die  seltsame  Ansicht 
K.  O.  Müller’s  (Prolegom.  S.  379):  Pontos  bedeute  das  Salzmeer,  das 
unfruchtbare,  und  sey  darum  ohne  Eros  erzeugt;  der  Okeanos  dagegen, 
der  Vater  des  Süsswassers,  sey  ein  durch  Liebe  erzeugtes  Kind  des 
Himmels  und  der  Erde. 

2)  Sogar  der  Name  Harpyien,  für  welchen  die  griechische  Ablei¬ 
tung  von  aqzä^Eiv  zu  unbestimmt  wäre ,  rechtfertigt  ihren  Begriff,  wenn 
wir  das  Hebräische  nsnx  (Heuschrecke)  als  die  wahrscheinliche  Wurzel 
vergleichen.  Wundern  wir  uns  nicht,  wenn  so  viele  semitische  Namen 
ihr  Bürgerrecht  erhielten,  da  Kadmus  auch  die  Buchstabenschrift  nach 
Griechenland  brachte  (s.  S.  341).  Schrift  und  Sprache  beweisen  seinen 
bedeutenden  Einfluss. 

3)  Die  Gehässigkeit  der  Harpyien,  wie  sie  sowohl  von  Virgil 
Aen.  III,  216  als  in  der  Geschichte  des  Phineus  (Apollodor.  I,  9,  21) 
beschrieben  wird,  sodann  die  Angabe  bei  Apollodor,  dass  die  Söhne 
des  Nordwindes  sie  zu  vertreiben  imstande  waren,  und  selbst  die  Ge- 


xvn 


§.  17.  Pliorkys  und  Kelo,  Kinder  des  Meeres  und  der  Erde, 
erzeugen  die  übrigen  Thiere  ira  Wasser  und  auf  dem  Lande,  zu¬ 
nächst  die  G  o  r  go  neu ;  aus  der  von  P  os  e  i  d  o  n  gescliwängerlen  M  e- 
dusa  springt  Chrysaor  (das  Sonnenrind)  und  Pegasus  (das 
Streif  ross)  Iieraus.  75.  ’)  —  Geryoneus,  Chrysaors  Sohn,  He¬ 
rakles  und  Perseus  2)  spielten  eine  Rolle  hei  Einführung  des 
Stier-  und  Pferdegeschlechtes  3)  in  Griechenland  zugleich  mit  dem  Po- 


nealogie  bei  Valerius  Fl.  IV,  515,  der  ihnen  wegen  ihrer  Verderblich¬ 
keit  den  Typhon  zum  Vater  gibt,  bestätigen  unsre  Erklärung  von  ihnen. 
Heyne  zum  Apollodor  S.  80  hält  sie  dagegen  für  den  Sturmwind  ;  al¬ 
lein  dieser  ist  weder  gefrässig,  noch  könnte  man  von  ihm  sagen,  dass 
er  mit  den  Winden  fliege  oder  von  dem  Nordwinde  verjagt  werde. 

Wegen  der  in  beiden  Tbieren  enthaltenen  Gegensätze  von  fried¬ 
lichem  Ackerbau  und  verderblichem  Kriege  entstand  die  attische  Fabel, 
dass  Ericbthonius  von  der  Pallas  zwei  Tropfen  des  Blutes  der  Gorgo 
erhalten  habe,  den  einen  tödtend,  den  andern  beilend  (Eurip.  Ion. 
V.  1018). 

2)  Mit  der  S.  82  angeführten  afrikanischen  Nationalsage  ist  zu  ver¬ 
gleichen  ,  dass  selbst  die  griechische  Sage  Perseus  und  die  Perser  gleich¬ 
zusetzen  scheint,  indem  sie  von  Perseus  und  Andromeda,  der  Tochter 
des  Kepheus,  den  Perses,  und  von  diesem  die  Könige  der  Perser  ab¬ 
stammen  lässt  (Apollodor  II,  4,  5).*  Sogar  Herodot  (VII,  61.  vgl.  mit 
Platon  Alcib.  I  p.  120)  berichtet,  dass  die  Perser  sich  selbst  'A^raioi 
nennen,  von  den  Hellenen  aber  ehemals  Krjcpijvsg ,  später  erst  von  je¬ 
nem  Perses,  Sohn  des  Perseus,  Perser  genannt  worden  seyen.  Dass 
dieses  nicht  etwa  übertreibende  Erfindungen  der  griechischen  Dichter 
sind,  bezeugen  die  Münzen  von  Pontus,  welche  den  Perseus  mit  dem 
Medusenhaupt  oder  den  Pegasus  und  auf  der  Kehrseite  den  Kopf  der 
Pallas  haben  (Eckhel  doctr,  num.  H  p.  341).  Die  Könige  von  Pontus 
aber  und  von  Kappadocien  stammten  von  den  Persern  und  dem  Ge- 
schlechte  der  Achämeniden  ab. 

3)  Pferd  und  Stier  erscheinen  häufig  in  Verbindung  auf  thessali- 
schen  Münzen,  auf  der  Vorderseite  ein  Pferd  und  auf  der  Kehrseite 
ein  unbekleideter  Mann  mit  hinten  herabhängendem  thessalischem  Hute, 
der  einen  wilden  Stier  an  den  Hörnern  hält.  (Eckhel  doct.  numor.  II 
p.  133,  Schneider  gr.  Wörterb.  tavQsldxrjq.) 


H 


XVIII 


s  ei  don  sd  ie  n  s  l.  76,  —  In  Arkadien  galt  Demeter  für  die  Mutier  der 
Despoina  *)  und  des  Arion.  80.  —  Pliorkys  und  Kelo  erzeugen  fer¬ 
ner  den  Vulkan  Echidna,  welclie  mit  dem  Erdfeuer  Typhaon 
vermischt  die  bellenden  (die  Hunde  Orlhos  und  Kerberos),  die 
giftigen  Thiere  (die  lernäische  Hyder)  und  den  feuerspeienden 
Berg  Chimära,  sodann  mit  ihrem  Sohn  Orlhos  vermischt  den 
nemeischen  Löwen  (die  reissenden  Thiere)  und  die  thebanische  Phix 
oder  S  p  h  i  n  X  2)  (die  ganze  allegorisch  zusammengesetzte  Thierwell) 
gebar,  82. 


*)  Paus,  VIII,  37,  6  selbst  unterscheidet  die  von  den  Arkadern 
hoch  verehrte  Göttin  Despoina  von  der  Persephone  (mit  welcher  sie 
die  Mythologen  insgemein  verwechseln)  und  sagt,  Despoina  sey  ihr  ge¬ 
meiner  Name,  sie  habe  aber  noch  einen  andern,  den  er  Bedenken  trage 
den  Ungeweihten  mitzutheilen  ;  gleichwie  die  Tochter  der  Demeter  von 
Zeus  gewöhnlich  Kore,  eigentlich  (idiq.)  aber  Persephone  heisse.  So 
könnte  er  sich  nicht  ausdrücken,  wenn  der  eigentliche  Name  der  Des¬ 
poina  (der  allerdings  mehr  appellative  Bedeutung  hat)  Persephone  wäre, 
—  Mit  der  S.  80  angeführten  Stelle  des  Pamphos  ist  zu  vergleichen 
Hom.  h.  XXII,  5,  wo  Poseidon  Pferdebändiger  und  Hort  der  Schiffe  ist. 

2)  Dass  die  thebanische  Sphinx  dem  Kadmus  ihren  Ursprung  ver¬ 
dankt  und  nach  Kreta  und  Phönicien  zurückweist ,  lässt  sich  auch 
daraus  schliessen,  weil  dasselbe  Emblem  den  Münzen  von  Chios  eigen- 
tbümlich  ist,  auf  welchen  die  Sphinx  den  Vorderfuss  bald  auf  ein  Wein- 
gefäss  (diota),  bald  auf  das  Vordertheil  eines  Schiffes  setzt.  Eckhel 
(Doctr.  Num.  Vef.  II  p.  ö6i)  sagt  zwar,  der  Grund  dieses  Gepräges 
sey  bisher  unbekannt  geblieben.  Das  Bild  rührt  aber  ohne  Zweifel  von 
der  ersten  kretensischen  Colonie  her,  die  unter  Oenopion  nach  Chios 
kam  ,  mit  welcher  sich  die  nachmals  eingewanderten  loner  vermischten. 
Vergleichen  wir  die  Münzen  von  Milet ,  wo  ein  Löwe  nach  einem  Stern 
(Sirius)  sieht  (Eckhel  p.  530),  eine  Münze  von  Chios,  wo  die  Diota 
zwischen  zwei  Sternen  (Sirius  und  Prokyon)  vorkommt  (Eckhel  p.  565), 
und  Münzen  von  Samos  mit  dem  Löwenkopf,  Ochsen  und  Ilirtenstab 
(Eckhel  p.  568) ,  so  scheint  die  aus  dem  Löwen  und  der  Jungfrau  zu¬ 
sammengesetzte  Sphinx  die  für  den  Weinkrug  ,  Ackerbau  und  Viehzucht 
verhängnissvolle  dürre  Jahreszeit  von  dem  Sternbild  des  Löwen  bis  zur 
Jungfrau  zu  bedeuten.  Was  hier  ein  Gegenstand  banger  Besorgniss 


XIX 


Rückblick.  84. 

§.  18,  T  a  r  la  rus  und  G  äa  erzeugenden  Typhon  (Erdfeuer), 
und  dieser  die  s  c  li  ä  d  1  i  c  li  e  n  Winde  (Nordosl  und  Südosl).  85. 
—  Ilesiods  Text  verbessert.  87, 

2)  Von  der  Fortdauer  und  der  Regierung  der  Welt.  89. 

§.  19.  Die  Erinnyen  bedeuten  den  Tod  des  Vergänglichen,  sind 
aber  auch  die  winterlichen  Samenbebälter,  90. 

§,  20.  Diese  Behälter  eröffnen  sich  durch  Aphrodite,  dem 
vergötterten  Fortpflanzungsvermögen.  91.  —  In  ihrem  Gefolge  wa¬ 
ren  die  H  u  I  d  gö  1 1  i  nn  e  n.  93.  —  Ihre  Heimath  ist  Syrien,  wo  sie 
unter  dem  Namen  As  chloret  verehrt  wurde.  93. 

§.  21.  Der  Aphrodite  wurde  als  Gatte  beigegeben  Hermes 
i  t  h  y  p  ha  1 1  i c  u  s  ,  der  durch  Abstammung,  Namen  und  Beinamen 
ihr  angenähert  wurde.  94.  —  Beide  vereinigt  gedacht ,  sind  He rm a- 
phrodit.  98.  —  Ihrer  Ehe  Frucht  ist  der  vergötterte  Geschlechls- 
tiieb,  Eros  und  Himeros  genannt.  99,  —  In  der  dritten  Periode 
wird  Hephäst  OS  Gatte  der  Aphrodite,  und  Hermes  wird  Götler- 
hote,  hat  aber  auch  als  solcher  Nachklänge  der  früheren  kosmischen 
Hoheit  in  seiner  Mutter  Maia,  in  seinem  Verhältniss  zu  Apollon,  in 
seinem  Schlangenstab  und  Widder.  101. 

§.  22.  Der  Aphrodite  winterlicher  Todesgatte  ist  Ares,  und 
ihre  Kinder  sind  Furcht  und  Schrecken.  102.  —  Auch  Har¬ 
monia  ist  ihre  Tochter.  104.  —  In  Thracien  stand  Artemis,  wie 
es  scheint,  in  dem  doppelten  Liebesverhältniss  zu  Dionysos  und  Ares. 
Jene  ist  wie  die  Artemis  der  Epheser  als  grosse  Mutter  aufge¬ 
fasst.  105. 

§.  23.  Die  Kabiren  in  Saraothrace  waren:  a)  Axieros-De- 
meter,  Mutter  Erde  ,  auch  Achlheia  genannt,  im  Sinn  einerlei  mit 
Rhea  und  Here.  107.  —  Sie  erzeugt  mit  Zeus  (eigentlich  mit  dem 
ersten  Zeus  d.  i.  dem  Himmel)  h)  die  A  x  i  o  k  e  r  s a  -  Pe  rs  e pho n e, 


war,  das  flösste  in  Aegypten  bei  der  gleichzeitigen  Nilüberschwemmung 
freudige  Erwartung  ein.  Die  Hebräer  aber  haben  von  dieser  Sinnbild¬ 
nerei  im  Geiste  des  Monotheismus  Gebrauch  gemacht. 

*)  Ihren  Beinamen  ^Axo-iä  erklärt  Sickler  (h,  an  Demet.  S.  fi4)  als 
Wehklagende  von  hnN  .  im  Arabischen  so  viel  als  ach  rufen. 


XX 


das  beslellle  Ackerland-  108.  —  Dieser  ist  c)  Axiokersos  ange- 
Iraul,  in  zweierlei  Zuständen,  bald  als  11  er m es  (gleichfalls  des 
Himmels  und  der  Deo  Sohn),  auch  Kadmilos  d.  i.  Diener  Gottes 
genannt,  und  bald  als  Hades.  109.  -  Mit  Hermes  gepaart  ist  sie 
Obrimo  oder  Brimo.  112.  —  Axiokersos  als  Hades  ist  so  viel  als 
der  unterirdische  Hermes,  der  die  Fruchlkeime  in  der  Tiefe  belebt 
und  zugleich  Seelenführer  wurde.  113.  —  Dieser  Hermes  ist  Sohn 
des  Kratos  (Valens,  Iscliys),  dnes  Sohnes  des  Pallas  und  der 
Styx  d.  i.  der  unterirdischen  Zeugungskraft.  114.  —  Das  sind  die 
starken  Gölter,  die  Alles  schaffen  und  erhallen  im  Himmel,  auf  der 
Erde  und  unter  der  Erde.  116.  —  Aidoneus,  der  Persephone 
raubt,  gehört  erst  dem  homerischen  Zeitalter  an.  117.  ’)  —  Der 
Granatapfel  d.  i.  die  Samenkerne  der  Gewächse  verbürgt  die  Rück¬ 
kehr  der  Persephone.  117. 

g.  24.  Weile  Verbreitung  des  Kabirendiensles  durch  die  Pelas- 
ger.  118.  —  In  Etrurien  Ceres,  Pales  und  Nortia  (Fortuna). 
119.  —  Die  Heimath  ist  muthmasslich  l.,ydien  und  Axieros  ur¬ 
sprünglich  einerlei  mit  Cybele.  121.  —  In  Phönicien  waren  sie¬ 
ben  Kabiren  Söhne  des  Sadyk  (Baal  - KronosV  122.  —  In  Mem¬ 
phis  waren  die  Kabiren  Söhne  des  Phtha.  Daher  auch  die  grie¬ 
chische  Genealogie  der  Kabiren  von  Hephästos  und  Kabira,  oder  von 
der  Sonne  und  Athene  (Phtha  w'ar  der  Sonne  Vater).  123.  —  Aehn- 
lichkeit  des  ma  c  e  d  on  is  ch  e  n  Kahir  mit  dem  nordischen  Gotte 
Thor.  124.  3) 

Die  Wortableitung  von  Aidoneus  flndet  darin  eine  Bestätigung, 
dass  ihm  ein  Helm  beigelegt  wird,  womit  sich  Athene  im  Kampfe  mit 
Ares  (Hom.  11.  £,  815)  und  Hermes  in  der  Gigantomacbie  (Apollodor. 
1,  6,  2)  unsichtbar  machen  konnten. 

2)  Wie  von  Persephone,  so  fabelte  man  gleichfalls  von  Adonis, 
dass  er  nach  Zeus  Rathschluss  einen  Theil  des  Jahres  für  sich  bleibe, 
einen  bei  Persephone  (in  der  Unterwelt)  und  den  andern  bei  Aphrodite 
weile,  er  aber  widmete  auch  seinen  Theil  der  Aphrodite:  Apollodor. 
HI,  14,  4 

3)  Da  der  Kabir  auf  den  Münzen  von  Thessalonich  mit  dem  Ham¬ 
mer  stets  den  Nagel  führt,  so  vermuthe  ich,  dass  er  als  Jahresgott 


XXI 


§.  25.  Vou  der  GoUlieil  erfülll  daclile  man  sich  die  fruchlbare 
Erde,  Berge,  Quellen  umJ  Wiesen  vou  den  N y  in  p  li  e  n  beseelt, 
den  Ocean,  das  Mi  1 1  e  1  m  ee  r,  Flüsse  und  Bäche,  Sonne, 
Mond  und  Sterne,  den  Sonnenaufgang  und  die  Winde  mit 
göttlicher  Persönlichkeit  begabt.  125.  —  Die  Nereiden  waren  die 
Beschützerinnen  der  Seefahrt  der  Pelasger,  und  zum  Theii  auch  die 
Okeaninen.  127.  —  Iris,  der  Begenbogen,  ist  der  Vorsehung  fer¬ 
tiger  Bote.  128. 

§.  26.  Der  Jahreszeiten  Wechsel  steht  unter  der  Obhut  der 
llesperiden.  128.  —  Sie  huldigen  dem  phönicischen  Jahresgott 
Herakles.  129.  Q  —  Zeus  /xrjXdtoioq.  130.  —  Der  Tag  bringt  das 
Licht  auf  die  Erde  und  die  Nacht  hat  den  Schlaf  in  deu  Hän¬ 
den.  133. 

§.  27.  Ein  Kind  der  Nacht  ist  das  verborgene  Schicksal.  133. 
—  Wetteifer  und  Sieg,  Macht  und  Gewalt  sind  Kinder  der 
Styx  und  des  Pallas.  13i.  —  Atlas  stellt  die  Verbindung  des 
Weltgauzeu  dar.  134.  —  Die  einzelnen  Theile  desselben  haben  Ein¬ 
fluss  auf  einander  und  Bedeutsamkeit;  zumal  die  Wandelsterne  und 
der  Mond  an  und  für  sich  und  durch  ihre  Stellungen  äussern  eine 
Einwirkung  auf  die  Erde  und  das  individuelle  Leben;  die  Fixsterne, 
die  Vögel,  Donner  und  Blitz  sind  vorbedeutend.  135. 

C.  Wie  verhält  sich  der  Mensch  zu  Gott? 

1 )  Im  Allgemeinen. 

§,  28,  lapetos  hat  als  Titan  mit  deu  Göllern  gemeinschaft¬ 
lichen  Ursprung.  Ausser  dem  griechischen  Volk  stammt  von  ihm 
Atlas  als  Stellvertreter  der  westlichen  Bevölkerung.  138.  —  Der 
Forfpllanzung  des  Menschengeschlechts  stand  Aphrodite  mit  dem 
Zaubergürtel  und  Eros  als  Liebe  vor;  jene  und  Hermes  waren  das 
Vorbild  der  Ehe.  139.  —  Persephone  das  Menschenkind  undller- 
mes  hallen  nicht  nur  eine  Bedeutung  für  die  Saaten,  sondern  auch 


aufzufassen  ist,  gleich  der  etruskischen  Norlia,  die  den  Kabirenhut  auf 
dem  Haupte  und  Nägel  in  den  Händen  hat  nach  S.  120. 

*)  Den  Namen  Herakles  empfing  er  erst  von  dem  delphischen 
Gott,  da  er  zuvor  nach  seinem  Grossvater  Alkäos  hiess  (Diodor.  tV,  10. 
Apollodor.  H,  4,  12  u.  das.  Heyne  p.  140  f.). 


XXII 


für  das  Leben  und  Slerben  der  Menschen.  140.  —  lambe  erheitert 
die  trauernde  Demeter  durch  Scherze,  und  B  aubo  durch  ilire  Scham- 
theile.  140. 

§.  ‘29.  Als  göttliche  Mächte  über  des  Menschen  Geschick  sind 
Asleria,  ihre  Tochter  Hekate,  die  Kinder  der  Nacht:  Schick¬ 
sal,  Verhängniss,  Tod,  Schlaf  und  Träume.  141.  —  Ne¬ 
reus  hat  zu  Töchtern  Wahrheit  und  Recht,  Mässigung  und  Wohl- 
seyn  als  die  Grundlage  einer  geordneten  Staalenverbindung.  142.  — 
Die  Gräen  Enyo  und  Pephredo  sind  die  ältesten  Kriegsgötlin- 
nen.  14‘2.  —  Muemosyne  ist  die  Vorsteherin  aller  geistigen  Thä- 
ligkeiten;  von  den  Musen  ist  die  Dicht-  und  Tonkunst.  142.  — 
Die  Namen  der  ältesten  Musen.  143. 

2)  Wie  verhält  sich  der  Mensch  als  ein  sittliches 

Wesen  zu  Gott? 

§.  30.  Die  fünf  Weltalter  zeigen  zuerst  einen  paradiesischen 
Zustand,  der  sich  je  mehr  und  mehr  verschlechterte.  144.  —  Der 
Ursprung  des  Bösen  liegt  in  der  Selbsständigkeit  ausser  Gott;  die 
Giganten  sind  aus  dem  Blut  des  entmannten  Himmels  entstanden, 
und  die  Erinnyen  sühnen  als  Rachegeister  den  Frevel.  144.  *)  — 
Die  Geburten  der  Nacht  sind  Elend,  Alter,  Würgeengel,  Tod  ,  Ver¬ 
geltung  und  Zwietracht  2) ,  und  die  Kinder  der  Zwietracht  sind  der 
Eid,  Mord  und  Todtschlag  und  das  Verderben.  146. 

§.  31.  Die  Mysterien  hatten  den  Zweck,  den  sündigen  Men¬ 
schen  zu  reinigen,  zur  Gemeinschaft  mit  Gott  zurückzuführen  und 
so  sein  Loos  nach  dem  Tode  zu  verbessern.  150.  —  Persephone 
ist  ein  Bild  der  gefallenen  und  hinfälligen  Menschheit,  Demeter  in 
ihrer  Trauer  zeigt  die  göttliche  Barmherzigkeit  an,  sie  will  den  De¬ 
mophon  im  Feuer  läutern  und  unsterblich  machen.  153.  —  Als 
Todlenfeier  für  ihn  wurden  fortwährend  Leibesübungen  angestellt.  155. 
—  Die  zwei  Dritttheile  des  Jahres  bei  den  Göttern  der  Oberwelt  wei¬ 
lende  Persephone  ist  ein  Vorbild  der  Rückkehr  der  Gefallenen  zum 
himmlischen  Lichte  der  Göller.  156.  —  Wer  sich  den  grossen  Na- 


')  Ihre  IVaiuen  kommen  auch  üiph.  Argon.  966  und  Apollodor.  I, 
1  ,  4  vor. 

2)  Hygin  fab.  Auf.  führt  unter  den  Geburten  der  JNacht  contineu- 
lia  auf,  was  ohne  Zweifel  contcnlio  (Kris)  heissen  soll. 


xxiii 


lurgöltern  weilile,  wiederholte  in  sich  naturgemäss  ihre  Höllen-  und 
Mimmeirahrl ,  und  verkündigte  weissagend  den  Tod  des  Herrn,  bis 
er  kam.  157.  —  Die  Demeter  der  Pheneaten  schlug  die  irdisch  ge¬ 
sinnten  Menschenkinder.  159. 

Die  dritte  ägyptisch -hellenische  Periode  von  Cecrops  bis 
und  mit  Homer  und  Hesiod. 

§.32.  Ursprung  der  griechischen  Götternamen.  161.  —  Cecrops 
führte  die  Verehrung  des  höchsten  Zeus  und  der  Athene  in  Athen 
ein.  162.  *)  —  Danaus  aus  Oberägypten  führte  in  Argos  den  Dienst 
des  Zeus,  der  Artemis,  der  Aphrodite  und  des  Apollon 
Lykios,  seine  Töchter  die  Thesmophorien  ein.  166.  —  Kad- 
mus  und  seine  Tochter  Semele  bringen  aus  Phönicien  den  Dienst 
des  Dionysos  nach  Theben;  wobei  auch  Ino  und  Melampus 
mitwirkten.  167.  —  Dionys  ist  Adonis,  und  eins  mit  dem  Adon  und 
Javoh  der  Hebräer.  169.  2)  —  Frühe  Verehrung  desselben  in  Kreta, 
Attika  und  Lakonien.  172.  —  Das  Widerstreben  eines  Lykurgus 
und  Orpheus  in  Thracien ,  des  Pentheus  in  Theben  wurde  be¬ 
straft,  und  das  des  Perseus  in  Argolis  war  erfolglos.  174,  —  Der 
Apolloudienst  verbreitete  sich  von  Delos  nach  Kreta  und  Athen, 
und  von  da  nach  Pytho-Delphi.  175,  —  Auch  Ephesus  war  eine 
alte  Stätte  der  Anbetung  des  Apollon  und  der  Artemis.  177,  — 
Letztere  kam  von  Delos  und  Tauris  nach  Attika.  177. 

§.  33.  Der  Titanenkampf  bezeichnet  die  Kämpfe  der  alten 
gegen  die  neuen  Götter  und  endigte  mit  der  Verstossung  der  Tita¬ 
nen  in  den  Tartarus.  178,  —  Kronos  und  Rhea  erhielten  nun  zu 
Kindern  drei  männliche  und  drei  weibliche  Gottheiten  neuen  Styls, 
die  sich  in  ihr  Reich  theilten.  180.  —  Kronos  verschlingt  anstatt 


*)  Wenn  auch  die  von  alten  Chronologen  angegebenen  und  von 
uns  beibebaltenen  Jahreszahlen  nicht  auf  Sicherheit  Anspruch  machen 
können,  so  sind  sie  doch  wegen  der  darin  überlieferten  Folge  der  Be¬ 
gebenheiten  von  Werth. 

2)  Zur  Vergleichung  der  hebräischen  Götternamen  mit  den  grie¬ 
chischen  gehört  noch  Hesych.  v.  "EXuiög,  welchen  er  für  einen  dorischen 
llephästos  erklärt. 


XXIV 


seines  Sohnes  einen  Slein.  181.  *)  —  Religionsfriede  zwischen  beiden 
GöUersysIeinen.  181.  2), 

A.  Von  der  Gottheit  an  sich. 

§.34.  Zeus  hat  die  Regierung  der  Göller  und  Menschen. 
182.  —  Der  Adler  ist  sein  Vogel.  Seine  Obergewalt  den  übrigen 
Göllern  gegenüber  in  Bildern  veranschaulich!.  In  dem  Valer  Zeus 
stellt  sich  die  Einheit  und  Freiheit  Gottes  dar.  183.  —  Platonische 
Lehre  vom  göttlichen  Wesen.  184. 

§.  35.  Des  Zeus  erste  Gemahlin  ist  Melis  (Weisheit),  die 
unergründliche  Okeanine,  und  dieser  Ehe  Frucht  Athene,  die  aus 
Zeus  Haupt  in  die  Welt  springt.  186. 

§.  36.  Zum  Andern  vermählte  sich  Zeus  mit  der  pelasgischeu 
Themis  (Gerechtigkeit,  Nothweudigkeil) ,  und  erzeugte  mit  ihr 
a)  die  Horen,  Eunomia,  Dike  und  Irene,  d.  i.  die  Wohlord¬ 
nung  in  dem  Wechsel  der  Jahreszeiten  und  in  dem  Zusammenleben 
der  Menschen ;  b)  die  Mö  ren  ,  Klotho,  Lach  esis  und  A  l r o p os  ^), 


*)  Die  Aehulichkeit  der  Wörter  Sohn  und  Stein  in  der  semitischen 
Sprache  scheint  auch  der  Grund  der  Fabel  gewesen  zu  seyn  ,  dass  aus 
den  Steinen,  welche  Deukalion  nach  der  Wasserfluth  auf  das  Geheiss 
des  Zeus  über  den  Kopf  warf,  Männer,  und  welche  seine  Gattin  Pyrrha 
warf,  Frauen  geworden  sind,  nach  Apollodor  I,  7,  2.  Die  Wortähn- 
licbkeit  von  J.cc^  und  Xaog  ist  zu  bemerken,  und  Hom.  11.  to  ,  611  zu 
vergleichen. 

2)  Die  ersten  Ritterzüge,  die  eine  nähere  Verbindung  unter  den 
Fürsten  von  Griechenland  bewirkten,  waren  die  Jagd  des  kalydonischen 
Ebers  und  der  Argonautenzug,  70  Jahre  vor  dem  trojanischen  Kriege 
(Apollodor.  I,  8,  2.  9,  16). 

Der  Homeride  h.  in  Merc,  552  stellt  die  drei  jungfräulichen 
Schwestern  geflügelt  und  mit  bepudertem  Haupte  dar  und  nennt  sie 
Loose  Bei  den  Orphikern  sind  sie,  als  aus  der  Tiefe  ent¬ 

sprungen,  Töchter  des  Ocean  und  der  Erde  (Athenag.  c.  15.  tiüvxu- 
yovoL  in  orac.  Sibyll.  ap.  Zosim.  II,  5,  2),  des  Chaos  Töchter  bei  Quint. 
Smyrn,  111,  753.  Auch  Pindar,  der  in  den  fragm.  p.  130  die  Themis 
durch  die  Mören  in  das  Ehebett  des  Zeus  fübren  lässt,  kann  Letztere 


XXV 


d.  i.  die  gereclite  t'ügung  der  Schicksale.  188.  -  Böse  Dämo¬ 

nen.  192.  ') 

§.  37.  Das  selige  Leben  der  Göller  wird  in  der  drillen  Gallin 
des  Zeus,  Eurynoine,  veranschaulichl  und  in  ihren  Kindern,  den 
Charilen,  Aglaja,  Euphrosyne  und  Thalia.  193.  —  Aglaja 
als  Schönheil  ist  die  Gallin  des  homerischen  Hephäslos  geworden. 
194.  —  Eine  Stelle  Platons  berichtigt.  195. 

§.  38.  Gotl  erhält  fortwährend  die  Fruchtbarkeit  der  Natur: 
die  vierte  Gattin  des  Zeus  ist  Demeter,  die  ibrn  die  Persephone 
gebar.  Alle  guten  Gaben  kommen  von  oben.  196.  —  Macht  und 
Gewalt  haben  ihren  Wohnsitz  bei  Zeus  aufgeschlagen,  und  seine 

t 

Leibwache  sind  die  Ccnlimanen.  Seine  Abzeichen  und  WaUen 
sind  Donner  und  Blitz.  197. 

§.  39.  Gotl  ist  allwi.ssend:  die  fünfte  Gallin  des  Zeus  ist  Mne- 
mosyne  (Erinnerung),  die  ihm  die  neun  Musen  gebar,  welche  Al¬ 
les  auf  das  vollkommenste  wissen.  198.  —  Zeus  mit  drei  Augen.  199. 

§.  40.  Gott  ist  wahrhaftig:  zura  sechsten  gebar  Leto  dem  Zeus 
den  Apollon  und  die  Artemis;  jener  als  Licht  des  Tages  üble 
die  Wahrsagekuusl,  diese  als  Nachtgötlin  die  Zauberei.  199.  —  Zeus 
duldet  im  Olymp  keinen  Meineid.  202. 

§.  41.  Gott  ist  ewig:  die  letzte  Gallin  des  Zeus  ist  die  pelas- 
gisch  argivische  Here,  welche  die  Hebe  und  den  Ares  (weibliche 
und  männliche  Kraft)  und  die  Ilithyia  (die  Geburtshelferin  der 
Menschen)  gebar.  203.  —  Hebe,  früher  Hephäslos,  später  Ganyme- 
des ,  schenkte  den  Göttern  den  Nektar  (Nuschdar)  ein,  wozu  sie 
Ambrosia  (.Amrit)  assen.  205.  —  Auf  dem  Olympus  hatten  sie 
ihre  Paläste.  206. 

§.  42.  Die  Göller  sind  allgegenwärtig,  vermöge  der  Schnellig¬ 
keit  ihres  Gangs,  ihrer  beliebigen  Erscheinungen  und  V^erwandlun- 
gen.  207.  —  Hermes  der  Göllerbote  richtet  ihre  Befehle  aus.  208. 

§.  43.  Vergötterung  der  Natur  (natura  ualurata) :  Himmel,  Erde, 


nicht  für  der  Erstem  Töchter  halten,  sondern  folgt  der  orphischen 
Tradition. 

')  Die  Lehre  der  Pythagoreer  und  des  Xenokrates,  eines  Akade¬ 
mikers,  kannte  gleichfalls  gute  und  höse  Dämonen,  Plut.  de  Is.  25.  26. 
de  placit.  phil.  I,  8.  de  dcf.  orac.  17. 


XXVI 


Wasser  uüd  Hölle  waren  in  den  Krouiden,  die  vier  Elenienle 
in  ihnen  und  Hephäslos  vergöUerl.  209.  —  Helios*)  und  Phae- 
thon.  210.  —  P  0  s e  i  don  und  die  Nereide  A  m  p  li  i  t  r  i  te  2)  ,  seine 
Gallin;  ihr  Sohn  Triton.  211.  —  Poseidon  ist  der  Dreizackführer, 
und  Stier  nud  Pferd  sind  seine  heiligen  Thiere.  212.  3)  —  Hades, 
vielleicht  ursprünglich  einerlei  mit  Zeus.  213.  '*) 

B.  Wie  verhält  sich  die  Welt  zu  Gott? 

§.  44.  Die  Lösung  der  Frage  1)  von  der  Entstehung  der 
Welt  war  von  Hesiod  gegeben.  Die  ägyptisch  ionische  Lehre  Hess 
.411es  aus  dem  Wasser,  der  Idealismus  aus  dem  Geist  entspringen. 
214.  —  2)  Das  B  e  s  l  e  h  e  n  und  die  Wirksamkeit  der  Wett  hänglab 
von  der  Vorsehung,  die  man  sich  besonders  in  Zeus  und  Athene 
persönlich  dachte.  Platonische  Lehre.  215. 

§.  45.  Gottes  Aufsehen  über  die  Weltordnung  und  die  W  i  t- 
lerung.  A  p  ol  1  on  und  A  r  l  e  m  i  s  sind  V'^orsteher  des  Sonnen  -  und 
Mondlaufs  und  im  Allgemeinen  der  Wellordnung,  welche  durch  die 
Leyer  und  die  Musen  veranschaulicht  wurde.  217.  —  Das  heilige 
Thier  des  Apollon  ist  der  Wolf  und  das  der  Artemis  der  Hund.  219. 
—  Unter  dem  Tanze  der  Horen  wächst  und  reifet  Alles;  die  älte¬ 
sten  waren  Thallo  und  Karpo.  220.  —  Die  Witterung  steht  unter 
des  Zeus  unmittelbarer  Aufsicht;  über  die  Winde  hat  er  den  Aeo- 
ius  gesetzt.  221. 

§.  46.  Dio  Fruchtbarkeit  der  Erde  und  der  Thiere  unter 


*)  Des  Helios  Geliebte  war  Rhode,  d.  i.  Rhodus,  wo  man  ihn 
besonders  verehrte.  Als  Insel  war  diese  die  Tochter  des  Poseidon  und 
der  Amphitrite  (Apollodor.  I,  4,  6) ,  oder  wegen  ihrer  Schönheit  der 
Aphrodite  (Pind.  Ol.  VII,  24  u.  das.  Schob,  der  den  Herophilus  als 
Gewährsmann  anführt) ,  oder  des  Okeanus  (Epiraenides  bei  Schob 
Pind,  b  c.). 

2)  Nach  Apollod.  I,  4,  6  war  sie  des  Okeanus  Tochter. 

3)  Mit  Demeter  als  Erinnys  hat  Poseidon  das  Pferd  Arion  erzeugt, 
nach  Apollod.  lll  ,  6,  8. 

Auch  lies.  Op.  465  nennt  den  Hades  Zeus  Yß6vLo<i. 


XXVII 


götlicher  Aufsicht.  Demeter,  Persephone,  die  Feld-  Quell- 
uud  Wassernymphen.  Typhon,  der  Here  Solin.  222.  — 
Aphrodite,  Tochter  des  Zeus  und  der  Dione.  Zeus  Ammon- 
Tammus -Adonis ;  Dione  -  Aschloret.  223.  —  Hermes  ist  Aufseher 
über  die  Erzeugung  der  Thiere,  und  sein  und  der  Penelope  Sohn  ist 
Pan-Mendes.  224. 

§.  47.  Fortsetzung.  Dionysos,  Sohn  des  Zeus  und  der  Per¬ 
sephone  oder  der  Semele,  Beisitzer  der  Demeter.  226.  —  Her¬ 
mes  war  sein  Träger,  dessen  stehendes  Glied  ein  Vorbild  des  bac- 
chischen  Phallosaufzuges.  227.  —  Er  wurde  bärtig,  später  jugend¬ 
lich,  auch  mannweiblich*)  gebildet;  die  Schlangen,  der  Bock,  das 
Gewild  und  das  Irdengeschirr  waren  ihm  geweiht,  die  Satyrn  in 
seinem  Gefolge.  230.  —  Als  Stellvertreter  des  Hephästos  alten  Styls 
war  er  der  Feuergeborne.  230.  —  Der  Weinstock  ist  seine  Gabe 
und  Sinnbild  seiner  zeugenden  Kräfte;  daher  sein  Beiname  Saba- 
zius.  231.  —  Epheu,  womit  er  bekränzt  ist,  veranschaulicht  das  im¬ 
mergrüne  Leben,  und  er  selbst  ist  der  unveränderliche  Säulengotl. 
232.  —  Der  Thyrsus  ist  sein  Abzeichen.  233.  —  Seine  Beziehung  zu 
P  a  n  -  Steinbock ,  zu  dem  Sternbild  der  Ziege,  zu  dem  Frühliugsstier, 
zu  den  Horen,  Chariten  und  Hyaden,  zu  Apollon.  234.  —  Er  ist 
Jahresgolt  in  dreierlei  Stufen:  Jacchos,  Stier  und  Zagreus.  234.  — 
Des  Letzten  Tod,  Grab  und  Wiedergeburt.  238.  —  Bacchus  von  Weh¬ 
klagen.  241.  —  Seine  Vorbilder  Adon  und  Osiris.  241. 

C.  Wie  verhält  sich  der  Mensch  zu  Gott? 

1)  Im  Allgemeinen. 

§.  48.  llithyia-  Alitta  -  Mylilta  vermittelt  die  Geburt  der  Men¬ 
schen.  243.  —  Ihre  Ellern,  Zeus  und  Here,  sind  Beschützerder  mo¬ 
nogamischen  Ehe.  243.  —  Später  wurde  Artemis  von  den  Gebärenden 
angerufen,  und  über  das  Gedeihen  der  Jugend  führten  Apollon,  die 
Mutter  Erde,  Demeter  und  Here  die  Aufsicht.  244.  —  Präexi¬ 
stenz  der  Seele  nach  Platon;  ein  Auslluss  davon  ist  die  spätere 
Fabel  von  Eros  und  Psyche.  2)  244. 


')  Als  ein  Mädchen  brachte  lleriues  den  jungen  Dionysos  zu  Ino 
und  Athamas,  nach  Apollodor.  III,  4,  3. 

2)  In  diesen  spätem  Fabelkreis  gehört  der  iiu  Wasserspiegel  sich 


XXVIII 


49.  Forlselzung.  Die  Palriarchen.  Prometheus  war  der 
Stammvater  der  Griechen,  Pandora  die  Mutier  des  weiblichen  Ge¬ 
schlechts.  247.  —  Die  Patriarchen  jedes  Volkes  hiessen  Kabiren-: 
inPhönicien,  Aegypten ,  ßöotien ,  Asien,  Samothrace,  Athen  (wo  sie 
Anakes  oder  Tritopatres  hiessen).  248.  —  Zeus  und  Apollon  wa¬ 
ren  die  väterlichen  Götter  der  Athener,  und  die  Kabiren  wurden  so 
Dioskoren,  grosse  Götter.  257.  —  Dionysos  ein  Kabir  und  Sohn 
des  Kabirus.  259.  —  Die  Kabiren  von  Lakonien  und  Argos:  Kastor 
und  Polydeukes  abwechselnd  todt  und  lebendig');  Alkon  und 
Melampus-Eurymedon.  260.  —  Die  Consentes  und  Com- 
plices  der  Etrusker.  264.  —  Die  Kabiren  als  Knaben,  als  Mann 
und  Weib  gedaeht,  zu  schaffenden  Naturgöttern  höher  gesteigert, 
nach  ihren  wechselnden  Zuständen  der  Kraft  und  der  Schwaebheit. 
265.  —  Sie  waren  schützende  Horte,  Patäken,  in  Italien  Penaten 
genannt.  267.  —  ^’ie  wurden  geheim  gehalten.  272.  —  Ihre  Attribute 
waren  die  ovale  Mütze,  Gefässe,  Schlangen,  J.anze,  Helm  und 
Pferde.  273.  —  Meinungen  über  die  Kabiren  von  Astori,  Sprengel, 
Reland ,  Creuzer,  Görres,  Baur  und  Sehelling.  276. 

§.  50.  Gott  lenkt  der  Menschen  Geschick  durch  die  Schicksals¬ 
göttinnen.  279.  —  Zeus,  Adrastea ,  Artemis ,  Hermes ,  Hekate,  Apol¬ 
lon  und  Plutos.  280. 

§.  51.  Die  Wissenschaft  und  Kunst  unter  göttlicher  Aufsicht.  284. 
—  Apollon  hat  die  Wahrsage-  Arznei  -  Ton-  und  Schützenkunst. 
285.  —  Als  Arzt  war  er  der  Vater  des  Asklepios.  287.  —  Apol¬ 
lon  ist  der  Spielmann  und  die  Musen  die  Sängerinnen  des  Olym- 


bescbauende  Narcissus,  der  ohne  Zweifel  zu  dem  Eros  von  Thespiä 
in  Beziehung  stand,  s.  Creuzer  IV  S.  162  ff.  Narcissus  ist  die  Seele^ 
die  durch  Eigenliehe,  durch  das  seihstgefällige  sich  Spiegeln  in  das 
Feuchte  hinahsinkt  und  zur  vergänglichen  Blume  wird.  Er  ist  Eros 
und  Psyche  in  Einer  Person. 

')  Wenn  man  sie  als  aus  einem  Ei  entsprungene  Naturgötler  auf¬ 
lässt,  so  lässt  sich  die  sonst  unerklärliche  Genealogie  hegreifen,  dass 
ilesiod  ihre  Schwester  Helena  (und  somit  auch  wohl  die  heiden  Brüder) 
zu  einer  Tochter  des  Okeanos  und  der  Tethys  macht,  wie  wenigstens 
Schol.  Pind.  Nem.  X,  150  angiht. 


XXIX 


pus.  289.  -  Ihre  Zahl,  Abstammung,  Namen  und  Bedeutung.  ')  290. 
—  Dionysos  Vorsteher  der  Komödie;  Artemis  vfivia.  295. 

§.  52.  Die  Gewerbe  unter  göttlicher  Aufsicht.  Athene  die 
Handfertige  mit  dem  Oelbaum  hat  den  Namen  von  der  Webekunsl, 
versteht  auch  das  Wagnerhandwerk.  295.  —  Hephästos  ist  der 
himmlische  Feuerwerker,  von  Here  im  Wetteifer  erzeugt,  und  mit 
Aglaja  vermählt.  296. 

§.  53.  Die  .lagd  und  der  Krieg  unter  göttlicher  Aufsicht.  .4  r- 
temis  ist  insgemein  die  Jägerin;  Pan  war  es  in  Arkadien  (daher 
sein  Beiname  dy^svg  bei  Apollodor).  298.  —  Der  Krieg  steht  unter 
der  Obhut  der  Athene  und  des  Ares;  von  jener  kommt  die  Kunst, 
von  diesem  die  Manneskraft  im  Krieg.  298.  —  lieber  beiden  steht 
Zeus  mit  der  Aegide^),  und  hat  den  Sieg  in  der  Hechten.  299.  - 
Auch  Athene  ist  mit  dem  Siege  geschmückt,  und  hat  als  Reisige  den 
Poseidon  und  die  Koryphe  zu  Eltern.  301.  —  Ares  iwöXioq  und  seine 
Kinder.  302. 


Bei  der  Muse  Achelois  hat  man  vielmehr  an  Lydien  als  Aeto- 
lien  zu  denken,  wenn  man  H.  II.  «i,  618  vergleicht,  dass  die  Göttinnen 
Nymphen  am  Sipylus  dfxq)'’  sich  aufhiellen  ,  wo  Schol.  Villois. 

bemerkt,  dass  Achelous  oder  Acheles  vom  Sipylus  in  das  Gebiet  von 
Smyrna  fliesse,  und  dass  man  auch  ^Axe^^'tov  lesen  könne. 

Schol.  H.  II.  ö,  187  bringt  die  Aegide  und  Araalthea  also  in 
Verbindung :  Themis  und  Amalthea  seyen  des  Zeus  Ammen  gewesen, 
jene  war  eine  Ziege,  vor  der  sich  die  Titanen  fürchteten;  daher  habe 
auf  den  Rath  der  Themis  Zeus  im  Kriege  gegen  die  Titanen  das  Fell 
der  Amalthea  ihnen  vorgehalten  ,  und  er  sey  Aegiochos  genannt  wor¬ 
den.  Nach  der  altern  Fabel  aber  war  Amalthea  gar  keine  Ziege.  Phe- 
recydes  (bei  Apollodor  II,  7,  5)  nennt  sie  eine  Tochter  des  Hämonius, 
die  ein  Horn  des  Ueberflusses  gehabt  habe  ,  welches  Achelous  dem  He¬ 
rakles  gab  ;  es  w  ar  aber  ein  Stierhorn  ,  und  ist  nichts  als  ein  morgen¬ 
ländisches  Bild  (wie  Luc.  1,  69).  Nach  Didymus  (bei  Lactant.  de  fals. 
rel.  I,  55,  13)  waren  Amalthea  und  Melissa  kretensische  Ammen  des 
Zeuskindes  ,  die  es  mit  Ziegenmilch  und  Honig  ernährten.  Sie  sind  der 
personificirte  üeberfluss  ,  und  daraus  machte  man  erst  später  eine  wirk¬ 
liche  Ziege,  die  aber  mit  Krieg  und  Aegide  nichts  zu  schafTen  hat. 
Vgl.  Ilygin.  Astron.  II,  13. 


XXX 


§.  54.  Der  Staat  unter  göttlicher  Obhut.  Ilestia  ist  die  Göttin 
des  festen  Wohnsitzes  und  ewige  Jungfrau.  302.  —  Demeter,  die 
Göttin  des  Ackerbaues,  ist  zugleich  die  gesetzgebende.  303.  —  Zeus 
regiert  durch  die  Könige  und  die  Obrigkeiten,  und  neben  ihnen  muss 
die  Ehrfurcht  thronen.  304.  —  Artemis  liebet  geordnete  Staaten, 
und  die  Horen  sind  ihre  Grundfesten,  vermöge  der  gesetzgebenden 
und  richtenden  Gewalt  und  der  dadurch  erzielten  Wohlfahrt.  305.  — 
Sie  haben  zur  Mutter  Themis,  das  Hecht.  306.  —  Zeus  iXlrivtog. 
306.  —  Die  weise  Athene  mit  der  wachsamen  Eule  ist  Beschirme¬ 
rin  der  Städte  *).  307.  —  Die  Schulz-  und  Stammgöller  der  Athe¬ 
ner  waren  Zeus,  der  py thische  A  p  o  1 1  o  n  und  Athene.  309.  —  Be¬ 
herrscher  der  loner  in  Kleinasien  ist  der  d  e  1  p hi  n  isch  e  A  p ol  I  o n,  der 
helikonische  Poseidon  und  die  ephesische  Artemis.  312, 

2)  Wie  verhält  sich  der  Mensch  als  ein  sittliches 
W ese II  zu  Gott? 

Von  dem  S  ü  n  d  e  n  f  a  1 1  e. 

§.55,  Prometheus  und  sein  Sohn  Deukalion,  Einwande¬ 
rer  aus  Indien ,  brachten  die  Sagen  vom  Sündenfall  und  von  der 
Sündflulh  nach  Griechenland.  321.  —  Der  klügelnde  Vorwitz,  die 
ungenügsame  Willkür,  verbunden  mit  Thorheit  und  Hoffahrt ,  ver- 
theilt  sich  unter  die  Brüder  Prometheus,  Epimetheus  und 
Menötius.  323.  —  Die  irre  Io  mit  ihrer  unziemlichen  Liebe  zu 
Zeus  ist  ein  Gegenbild  des  trotzigen  und  gefesselten  Prometheus  2).  331. 

§.  56.  Der  thörichte  Epimetheus  Hess  sich  von  der  reizen¬ 
den  Pandora  bezaubern,  an  der  seine  Sinnlichkeit  Wohlgefallen 
halte.  334.  —  Der  übermüthige  Menötius  weist  auf  das  dritte  we¬ 
sentliche  Merkmal  des  Bösen  hin.  335. 

§.  57.  Was  sind  die  traurigen  Folgen  des  Sündenfalls  und  des 


')  Das  Palladium  von  Ilium  war  nach  Apollodor  III,  12.  3  ein 
vom  Himmel  gefallenes  drei  Ellen  (4‘/2  Scliuh)  grosses  Bild  mit  zusam¬ 
menstehenden  Füssen,  in  der  Rechten  eine  aufgehobene  Lanze  und  in 
der  Linken  ein  Spinnrocken  und  eine  Spindel.  Es  war  also  eine  alte 
hölzerne  Pallas  als  schirmende  Schicksalsgöttin  vorgestellt  (vgl.  S.  124. 
218).  So  lange  man  dieses  Götterbild  bewahrte,  hielt  man  die  Stadt 
für  unüberwindlich. 

2)  Hygin.  fab,  145  behauptet  die  Einerleiheit  der  Io  und  der  Isis, 
welche  letztere  gleichfalls  zum  Abzeichen  die  Kuhhaut  mit  Hörnern  hatte. 


XXXI 


Bösen  überliaupl?  Prometfieus  wird  gefesselt  und  ein  Adler  frisst 
ihm  die  Leber.  336.  —  Aus  der  Büclise  der  Pandora  kamen  un¬ 
zählige  üebel.  Menötius  wurde  vom  Blitzstrahl  getroffen.  So 
wird  der  Vorwitz,  die  Lust  und  der  Ilochmuth  gebüsst.  337.  —  Die 
göttliche  Gerechtigkeit  und  die  Erinnyen  üben  ihr  Strafamt.  338.  — 
Die  Thorheit  und  das  sündliche  Verderben  ist  allgemein.  Der  Böse 
wird  dem  ungötllichen  Urbild  immer  ähnlicher.  Das  Elend  der  Sterb¬ 
lichen  ist  gross.  339.  —  Linuslied.  340.  —  Aristäus  und -Aktäon.  342. 
—  Hyacinth ,  Hylas  und  Lytierses.  345. 

Die  Lehre  von  der  Erlösung’. 

§.  58.  Gott  ist  barmherzig;  Herakles  ein  Erlöser.  345.  — 
Die  Bitten,  Zeus  Töchter,  hinken  dem  Verderben  nach.  Herak¬ 
les  befreite  den  Prometheus  und  sühnte  den  Zorn  des  Vaters.  Ae- 
gyptische  und  phönicische  Ideen  wurden  an  seine  Person  geknüpft. 
346.  —  Der  Sarkophag  Panfdi.  348.  —  Gehorsam,  Arbeit,  Kampf 
und  Entsagung  sühnet  den  Fall.  3'i9.  —  Selbst  Kämpfer  war  er  Stif¬ 
ter  der  olympischen  Kampfspiele  dem  höchsten  Gotte  zu  Ehren.  350. 
Er  kämpfte  mit  dem  Tode,  holte  den  Cerberus  herauf,  und  durch 
freiwilligen  Feuertod  geläutert,  trat  er  in  den  Kreis  der  unsterblichen 
Götter  ein  und  gewann  Hebe  zur  Gattin.  357. 

§  59.  Die  Mysterien  in  ihrer  sittlichen  Bedeutung.  Herak¬ 
les  war  ein  Eingeweihter.  358.  —  Die  Fessel  des  Prometheus 
hatte  ihr  fortwährendes  Gegenbild  in  dem  Weidenkranz,  den  man 
auf  das  Haupt  setzte.  359.  —  Dionysos  ist  ein  feuergehorner 
Weihegolt,  und  wird  von  den  Titanen  zerfleischt,  nach  ägyptisch¬ 
pythagoreischer  (sogenannter  orphischer)  Lehre.  360.  —  Inhalt  der 
bacchischen  Mysterienkisten.  364.  —  Pelops,  als  den  Göttern  ge¬ 
opfert  und  gekocht,  ist  seinen  Nachkommen  ein  Vorbild  der  Gott¬ 
seligkeit  und  sanfter  Sitten.  365.  —  Das  Gedächtniss  der  Kinder  der 
Medea  bei  den  Korinthern.  365. 

§.  60.  Rückblick.  Der  Altar  der  zwölf  Götter  in  Athen.  366. 


cnj/i  ^cßcßt/jrzicncncp  »it/icßcfiixicnc/ir/ixi/Jc/i'xcß 


Verbesserungen. 


S.  7  Note  2  nach  Creuzer  setze  man  Symbolik. 

S.  11  Note  1  Z.  0  statt  Orilhya  lies  Orithyia 
.  15  Noten  Z.  1  st.  Xefx.  1.  Asvv,. 

.  16  Z.  1  V.  u.  st.  man  1.  wir. 

.  49  Z.  16  st.  Ilyperinides  1.  Hyperionides. 

.  62  Note  2  setze  hinzu :  Vgl.  1  Mos.  2 ,  6. 

.  67  Z.  8  st.  Protheus  1.  Proteus. 

.  70  Z.  12  st.  Erynnien  1.  Erinnyen. 

.  79  zu  Note  3  setze  man:  Vgl.  Strabo  XIV  p.  660. 

.  85  st.  lerraäische  1.  lernäische. 

.  93  Z.  12  st.  1.  q)iX. 

.  109  Note  1  Z.  4  st.  ‘.ü-n  1.  önn. 

-  T  -  T 

.  110  Note  2  Z.  1  nach  Lycophr.  setze  162.  219. 

.  113  Note  1  soll  heissen:  Apollodor.  I,  3,  1. 

.  118  zu  Note  10  setze:  Vaicken.  zu  Eiirip.  Phoen.  p.  .'i97  739  und 

Heyne  zu  Apollodor.  III,  12,  1  p.  292. 

.  129  Z.  6  statt  V  lies  IV. 

.  164  Note  2  st.  I.  I.  III. 

.  174  Note  2  st.  Apoll.  III,  5,  1.  1.  Apollodor.  I,  3,  2.  Dagegen  ist 
Apoll.  III,  5,  2  ein  Beleg  für  Pentheus. 

.  176  Note  1  soll  heissen:  Apollodor.  I,  4,  1. 

.  179  Z.  13  nach  Apollon  setze  Artemis.  S.  179  Note  4  st.  16  lies  6. 

192  nach  Note  2  setze:  Apollodor.  I,  1,  6. 

201  Note  8  st.  III  lies  I,  4,  1. 

223  Note  1  setze  hinzu  :  Stesichor.  ap.  Etymol.  M.  in  Tvcpcosv^. 

229  Z.  9  V.  u.  st.  Poling.  1.  Paling. 

234  zu  Note  7  setze  Apollodor.  III,  4,  3. 

236  zu  Note  10  setze:  Pherecydes  von  Athen  bei  Hygin  Poet.  Astro¬ 
nom.  II,  21. 

253  Z.  6  V.  u.  st.  Tivopal  1.  nvoial. 

261  Note  1  Z.  3  st.  Som.  1.  Sam. 

S.  263  haben  die  Noten  st.  6  u.  1  die  Ziffern  1  und  2  zu  erhalten. 

S.  269  Z.  6  V.  u  st.  Antonius  1.  Antoninus. 


Einleitung. 


In  der  Menschengeschichle  stellt  der  uralte  ehrwürdige  Baum 
innerlicher  Ofl'enbarungen  Gottes,  welclier,  in  der  hohen  Abkunft 
unsers  Geschlechtes  gewurzelt  und  von  namenlosem  Sehnen  genährt, 
seine  Wipfel  zur  Heiniatli  eraporhebt,  gleich  einem  Atlas  das  ver¬ 
wirrte  Spiel  der  Geschichte  an  die  Feste  des  Himmels  knüpfet,  und 
mit  unendlichen  Verzweigungen  das  irdische  Leben  und  Treiben 
durchschlinget,  stets  sich  verjüngend  mit  unvergänglich  sprossendem 
Leben.  An  demselben  sehen  wir  mit  frommer  Erhebung  auf,  und 
freuen  uns,  dass  die  sündigen  Menschen,  welche  die  Wahrheit  in 
Lüge  verdreht  haben  ,  doch  nie  gänzlich  von  ihrem  Schöpfer  gefallen 
sind,  und  dass  der  Barmherzige  nicht  abgelassen  hat,  sich  ihnen  zu 
offenbaren.  Wie  wohllhuend  ist  es,  das  Göttliche  im  Menschen  auf¬ 
zusuchen  und  dessen  Pulsschläge  zum  Ewigen  zu  entdecken!  Wohl 
ist  die  Erkenntniss  des  Glaubens  der  allen  Völker  die  Blume,  die 
im  Garten  ihrer  Geschichte  farbig  und  duftend  blüht,  und  uns  oft 
im  Zorn  über  das  Unkraut  aussöhnt.  Auch  ist  sie  ein  Faden  der 
Liebe,  der  aus  mancherlei  Irrgängen  leitet,  viel  Unverstandenes 
aufklärt  und  würdigen  lehret ,  und  über  der  Menschen  Thun  und 
Lassen  einen  reizenden  Zauberschleier  webet. 

Nach  der  verschiedenen  Wcltansicht  der  Menschengeschlechter 
gestaltet  sich  das  religiöse  Ahnen  verschieden;  denn  dieses  ist  ein 
Hauch  ihres  Geistes  und  Uharacters.  Im  Kindesaller  lebte  die  Mensch- 

1 


heil  noch  in  der  wachen  Beschauung  der  AusscnweK,  fesler  an  sie 
gewurzen,-  jetzt  aber  ist  sie,  zum  volljährigen  Selbslhewusslsoin  er¬ 
wacht,  von  der  Natur  melir  abgezogen  einwärts  gekehret ;  jenes  war 
die  Zeit  der  Sinnlichkeit  und  der  Kunst,  dieses  ist  die  Zeit  der  Ge- 
inülhlichkeil  und  der  Wahrheit.  Der  Alte  vernahm  die  Muse  der 
ihn  umgebenden  Well,  der  Neuere  hat  sie  im  eigenen  Busen,  wie 
Schiller  (die  Sänger  der  Vorwelt  Thl.  IX.  S.  206)  den  durchgreifen¬ 
den  Gegensatz  beider  Zeitalter  bezeichnet,  wenn  er  sagt: 

Aus  der  Well  um  ihn  her  sprach  zu  dem  Alten  die  Muse; 

Kaum  noch  erscheint  sie  dem  Neu’n,  wenn  er  die  seine  vergisst. 

Alle  Wahrheit  ging  dem  allen  Griechen  von  der  Schönheit,  alle 
Erkenntniss  von  der  sinnlichen  .Anschauung  aus,  in  welcher  Hinsicht 
die  Bemerkung  Platons  (im  Gastmahl  c.  28  f.)  ,  die  wir  der  Haupt¬ 
sache  nach  bei  dem  späteren  Plotinus  wieder  finden ,  charakteristisch 
ist,  dass  man  zuerst  die  Schönheit  in  Einem  Körper  erkennen,  so¬ 
dann  zur  körperlichen  Schönheit  überhaupt  aufsleigen  solle,  von  da 
zur  Schönheit  in  tugendhaften  Seelen  und  im  praktischen  Leben,  in 
Anstalten  und  Gesetzen,  hernach  zu  den  Wissenschaften  und  end¬ 
lich  zu  der  höchsten  Wissenschaft  vom  Urbild  des  Schönen. 

In  solcher  Richtung  seines  Geistes  schaute  der  Heide  den  un¬ 
sichtbaren  Gott  mehr  in  der  Natur  und  ihren  Kräften ,  und  verlor  ihn 
nicht  selten  im  sinnlichen  Fabelkreis.  »Sie  sind  in  ihrem  Dichten 
eitel  geworden“,  nach  Röm.  1,21.  Im  Mannesalter  aber  neigte  sich 
der  Mensch  mehr  zur  Rückkehr  nach  oben  und  zum  Ende  der  sicht¬ 
baren  Welt.  Dort  ward  das  ewige  Wesen  in  die  Schranke  der  Zeit¬ 
lichkeit  herabgezogen  und  die  Götter  wandelten  menschlich  unter 
den  allen  Griechen,  denen  das  irdische  Leben  heiter  entgegen 
lächelte.  Hier  fährt  des  Menschen  Sohn  von  der  Erde  als  Gott  in 
den  Himmel  zurück,  und  zieht  die  Herzen  der  Menschen  sich  nach, 
welche  unter  der  Trauerweide  des  Vergänglichen  ein  sehnsüchtiges 
Verlangen  nach  der  unvergänglichen  Heimalh  hegen.  Denn  auf  dem 
Wendepunkt  beider  Zeitalter  sandle  Gott  seinen  eingebornen  Sohn, 
um  die  Zerstreuten  zu  suchen  und  in  ihm  ewiglich  zu  sammeln.  Da 
war  das  Ahnen  der  Vorzeit  erfüllt,  die  überirdische  Well  thal  selbst 


ihre  Geheimnisse  vor  den  verwunderlen  Blicken  der  Sterblichen  auf; 
sie  sahen  das  Liclit  der  Welt ,  und  in  ihm  ihre  selige  V^ereinigung 
mit  Gott,  das  ist  das  llimmelreich. 

Empor  ist  nun  das  Aug’  gerichtet 
Zum  Himmel,  den  er  uns  gewann; 

Das  Reich  der  Sinne  ist  vernichtet, 

Der  ird’schen  Schönheit  Zauberbann.  — 

Ganz  nur  dem  Geiste  hingegeben, 

Und  nur  nach  Himmlischem  entbrannt , 

Hat  von  dem  sünd’gen  Erdenleben 
Der  Gläubige  sich  abgewandt.  ') 

Allein  die  Sonne  wird  durchs  Morgenroth ,  die  Erfüllung  durch 
bedeutsame  Vorzeichen,  Christus  durch  den  Täufer  augekündigt. 
Also  finden  wir  auch  in  der  buntfarbigen  Iris  der  heidnischen  Reli¬ 
gionen  die  Strahlenbrechung  der  Einen  ungefärbten  Wahrheit  2), 
deren  himmlischer  Lichtglanz  menschlich  gedämpft  und  dem  An¬ 
schauen  näher  gerückt  ist,  gleichwie  hohe  Gedanken  im  schönen 
Spiele  der  Kunst  heiter  sich  ausprägen.  Daher  waren  im  Alterthume 
Religion  und  Kunst  im  schwesterlichen  Vereine;  diese  wurde  von 
jener  gehegt  und  erzogen,  schmückte  hinwieder  ihre  fromme  Schwe¬ 
ster  und  schuf  aus  ihren  Götzen  Ideale  3).  *  Recht  verstanden,  ist 
das  Heidenthum  die  Kunst  des  Christenthums,  und  dieses  die  Wis¬ 
senschaft. 

Betrachten  wir  das  grosse  Gemälde  der  heidnischen  Religionen, 
so  thut  uns  vor  allen  Dingen  Noth,  dass  wir  jenen  heiligen  Hinter¬ 
grund  fest  im  Auge  behalten.  Alsdann  hören  die  Eabelu  auf,  ein 
gedankenloses  Spiel  der  Einbildungskraft  zu  seyn,  sie  reden  viel¬ 
mehr  nach  Kinder  Weise  vom  Unaussprechlichen,  werden  zu  Ur¬ 
kunden  des  Menschenadels  und  zu  Vorboten  des  Vollkommenen. 


*)  Von  Oberkamp  in  einem  Osterliede  im  JVlorgenblatt  1819.  N.  91. 
2)  So  drückt  sich  ungefähr  Plutarch  de  Is.  et  Os.  c.  20  aus. 

Schlegel  Vorlesungen  über  dram.  Kunst  und  Lit.  Bd.  1.  S.  19, 


4 


W.1S  erst,  nachdem  Jahrtausende  verflossen, 

Die  alternde  Vernunft  erfand. 

Lag  im  Symbol  des  Scliöiieu  und  des  Grossen 
Voraus  geoffenbart  dem  kindischen  Verstand  ‘). 

Die  Glaubensfornien  des  Polylheismus  sind  irn  Allgemeinen: 
1)  Idealistisch,  wenn  vernünftige  Wesen  ein  Gegenstand  der 
Gottesfurcht  sind,  seyen  sie  nun  in  dualistischem  Kampfe,  wie  in 
der  Perserlehre,  oder  in  Ruhe  gedacht,  wie  der  Parabrahma  des 
Indiers,  der  höchste  Geist  über  der  Well  und  frei  von  ihr  2^,  oder 
menschlich  denkende  und  fühlende  Wesen,  wie  die  Götter  des  grie¬ 
chischen  Olympus.  2}  P  a  n  t h  e  i s  li  s  c  h ,  wenn  die  Natur  als  ein 
Ganzes  vergöttert  wird  in  den  grossen  allumfassenden  Naturgöttern, 
deren  mythische  Geschichte  zugleich  die  Grundlehren  des  Pantheis¬ 
mus  versinnlicht;  z.  ß.  die  indische  Trimurti  bedeutet  die  durch 
des  höchsten  Gottes  Kraft  sich  selbst  schaffende  (natura  naturans, 
Brahma)  und  ungeachtet  der  Zerstörung,  ja  mittelst  der  Zerstörung 
und  des  Kampfes  (Schiwa)  sich  erhaltende  (natura  naturata,  Wischnu) 
*  Natur,  was  der  Grieche  an  dem  mystischen  Naturleib  des  Dionysos 
anschaulich  machte.  3)  Materialistisch,  wenn  einzelne  Natur- 
gegenstände  angebetet  werden;  wie  die  Elemente  als  die  Wurzeln 
alles  Daseyns,  das  durch  Erde,  Feuchtigkeit,  Wärme  und  Luft  be¬ 
dingt  ist,  die  grossen  und  kleinen  Lichter  am  Himmel,  mit  welchen 
unsere  Erde  wie  ein  Theil  mit  dem  Ganzen  in  der  engsten  Verbin¬ 
dung  steht,  Meteorsteine,  Berge  und  Bäume,  als  Vermittler  zwischen 
oben  und  unten,  und  Thiere.  Herodot  (II,  65)  erfuhr  zwar  in  Aegyp¬ 
ten,  wo  der  Thierdienst  sehr  verbreitet  war,  den  Grund  davon, 
er  trug  aber  Bedenken  ihn  weiter  mitzutheilen.  Es  lässt  sich  ver- 
muthen,  dass  man  ihm  die  Seelenwanderung  in  Thierleiber  als  Grund 


')  Schillers  Künstler  Bd.  III.  S.  412.  Vgl.  Eustalh.  ad  Hom. 
II.  prooem.  p.  3  ed.  Polit. :  0  TiQÖg  yslcoza  ol  öjuijpixol  {xidoi,  dXXä 
ivvoiböv  evysvcüP  axiai  daiv  ^  iiaxa.  Plut.  de  Is.  et  Os. 

c.  58 :  xQt]axsov  xotg  /uv&oig  0/  cJj  Xdyoig  ,  dkXä  xb  TtQÖocpo^ov  ixdaxs 
xb  y.axd  X'^v  öfxoiöxrjxa  Xafxßdvovxag. 

2)  Upnekhat  Tch.  17. 


3 


angegeben  habe.  Vögel  mochle  man  für  lieilig  hallen,  weil  sie  von 
oben  herab  Kunde  zu  bringen  schienen.  Andere  Thiere  und  Pflan¬ 
zen  waren  wegen  ihrer  Sinnbildlichkeil  ehrwürdig  oder  wurden  we¬ 
gen  ihrer  Nülzlichkeit  verehrl.  Ferner  legle  der  Opferdiensl  den 
Thieren,  die  als  Eigenlhum  ihres  Golles  angesehen  wurden,  eine 
gewisse  Fleiligkeit  bei,  so  dass  man  den  Goll  und  sein  geweihles 
Thier  gleich  selzle.  Daher  verbargen  sich  die  ägyplischen  Gollhei- 
ten  vor  Typhon  in  die  Gestalten  verschiedener  Thiere,  und  daher 
hatten  die  Opfermahlzeilen  die  religiöse  Bedeutung,  dass  der  Gläu¬ 
bige  durch  sie  in  die  Gemeinschaft  seiner  Götter  trat.  Aus  ähn¬ 
lichem  Grunde  war  den  Israeliten  3  Mos.  7,  23  IT.  17,  11  der  Genuss 
des  Fettes  von  allem  Opfervieh  und  alles  Blutes  verboten,  weil  sol¬ 
ches  vorzugsweise  dem  Herrn  heilig  war. 

Wenn  in  der  alten  Geschichte  die  griechische  Menschheit  eine 
preisw'ürdige  Stelle  behauptet,  so  gefiel  mir  in  der  vorchristlichen 
Zeit  insbesondere  des  griechischen  Glaubens  Wunderbaum, 
sein  inneres  geheimnissvolles  Treiben  aufzuklären  und  von  seinen 
Wurzeln  Schutt  hinwegzuräumen.  Obgleich  der  Zusammenhang  der 
alten  Griechen  mit  andern  heidnischen  Völkern  unverkennbar  ist, 
so  wird  doch  durch  die  besondere  Darstellung  der  griechischen  Re¬ 
ligion  die  Klippe  vermieden,  woran  sich  Viele,  welche  sämmtliche 
polytheistische  Religionen  zusammen  bearbeiteten,  sliessen,  nemlich 
dass  in  ihren  Untersuchungen  Alles  in  einander  tliesst  und  die  grie¬ 
chische  Originalität  zum  Opfer  gebracht  wird. 

Die  Griechen  der  Vorzeit,  ausgezeichnet  in  Kunst  und  Wissen¬ 
schaft,  erscheinen  oft  in  der  heiligsten  Angelegenheit  der  Religion 
auf  einer  niedrigen  Stufe  ,  weil  man  ihre  Mythen  nicht  zu  deuten 
versteht.  Um  den  Widerspruch  zu  lösen,  ‘bleibt  nach  vielen  Vor¬ 
arbeiten  für  den  Forscher  noch  Vieles  zu  thun  übrig.  Denn  das  re¬ 
ligiöse  Leben  der  Alten  liegt  erstarret  in  räthselhaflen  Gestalten,  die 
erst  müssen  beschworen  werden,  ehe  sie  uns  lebendig  ansprechen. 
Wir  müssen  viele  Bilder  zusammen  lesen,  um  die  Religionslehre  der 
Alten  zu  erkennen;  aber  jene  nicht  als  Hieroglyphen  io  ein  Todten- 
haus  zusammenwerfen ,  sondern  zu  einem  heiligen  Tempel  auferbauen, 


/ 


6 


uud  den  Sinn  in  den  Bildern  erforschen,  wodurch  sie  aufs  Neue 
Leben  und  Odem  empfangen  ').  Was  isl  es,  alle  Mähren  zu  wissen, 
und  sie  nicht  deuten  zu  können,  zu  buchslabiren  und  nicht  zu  ver¬ 
stehen?  2)  Ein  blosser  Sammler  derselben  ist  wie  ein  Blinder  im 
prächtigen  Tempel  der  Natur,  wie  ein  Ungläubiger,  der  die  Lehren 
der  Bibel  zusammen  stellt. 

Die  Lehrweise  der  griechischen  Religion  ist  die  allego¬ 
rische,  d.  i.  die  bedeutsame.  Das  Wesen  der  Allegorie  nemlich 
steht  in  der  Beziehung  von  irgend  etwas  auf  einen  versteckten  Sinn. 
Es  ist  eine  Bilder-  und  Zeichensprache,  welche  im  Allgemeinen 
viererlei  Formen  hat:  1)  das  Sinnbild  (Symbol),  2)  das  Vorbild 
(Typus),  3)  die  Fabel  (Mythus)  und  4)  das  Gleichniss  (Para¬ 
bel  ^).  Sämmtliche  Arten  berühren  sich  in  dem  gemeinschaftlichen 
Mittelpunkt  des  Allegorischen  und  stehen  einander  je  nach  ihrem 
verschiedenen  bildlichen  Gegenstände  logisch  scharf  gegenüber.  Der 
allegorische  Sinn  1)  des  Sinnbildes  liegt  in  einem  sinnlichen  Gegen¬ 
stände,  2)  des  V'orbildes  in  einer  wahren  Geschichte,  3)  der  Fabel 
in  einer  erdichteten  Erzählung  ohne  bestimmte  Beziehung  auf  deren 
Bedeutung,  und  4)  des  Gleichnisses  in  einer  Erzählung,  die  sich 
selbst  für  erdichtet  ausgibt,  um  etwas  Bestimmtes  zu  bedeuten.  Die 
Lehrweise  des  Heidenlhums  ist  vornemlich  die  sinnbildliche  und  my- 


Möchten  wir  mit  Heraklides  sagen  können:  'H/.t£Tg  dk ,  di  rcöt' 
dßeßtjXcop  ipzög  neQt-QQavrrjQloiv  ‘^yvia/j.Eßa  ^  aEiJ.vr]V^  vTtö  vö/.ico  rütv 
zoirj  1.10.1  üiV ,  xrjv  aJ.'tj’diLOV  iyj'stmfxsv. 

2)  Wir  können  auf  Viele,  die  Mythologie  sludiren ,  anwenden, 

was  Dionysius  (Archaeol.  II,  20  p.  277)  sagt;  tä  fihv  xüiv  iXXtjPiycm' 
/ovdcop  dyoßd  x£  iaxl  ■/.dl  h  noWtiq  dvpöiiipa  iücpelsip,  dAAcc  f.iö- 

pop  xsq  i^jjxa/öxaq ,  mp  epsxa  yipopxai.  anäpioi  d’ siolp  oi  fx6X£tKr]cp6- 
x£q  xavxrjq  xrjq  cpiloaoifjiaq. 

3)  Willkürlich  beschränkt  man  den  Ausdruck  Sinnbild  auf  die 
niedere  Sphäre  der  Symbole  (Creuzer  IV.  ü.  111.  S.  535).  Im  Ganzen 
ist  der  deutsche  Ausdruck  bezeichnend,  und  nur  bei  den  Symbolen,  die 
in  Formeln  bestehen,  weniger  geeignet.  Eben  so  wenig  Grund  hat 
man  ,  das  Wort  Fabel  auf  die  Thierfabel  einzuschränken. 


\ 

thisclie ,  die  des  Clirislentliums  entweder  die  discursive,  oder  in  so 
fern  sie  allegorisch  ist ,  die  vorbildliche  und  parabolische.  Da  bei 
Bestimmung  dieser  Begriöe  viel  Schwankendes  und  Willkürliches 
obwaltet,  so  wollen  wir  die  vier  Arten  der  Allegorie  näher  ins  Auge 
fassen  '). 

Zu  1.  Das  Sinnbild  ist  a)  ein  Sinnenobject  im  Raum,  b)  eine 
sinnliche  Handlung,  c)  eine  Formel  (Symbol  im  engem  Sinn), 
a)  Es  ist  entweder  Natur  -  oder  K  u  n  s  t  s  y  m  b  o  1  i  k.  Die  Natur¬ 
symbolik  legt  natürlichen  Gegenständen  eine  Bedeulung  bei  wegen 
ihrer  Gestalt,  Eigenschaften,  Wirkungen  oder  Verrichtung ;  wie  wenn 
Flügel  die  Schnelligkeit  und  Gegenwart  der  Götter,  die  Nachteule, 
der  Hahn  und  der  Hund  die  Wachsamkeit  und  Vorsehung,  Blätter 
das  Werden  und  Vergehen,  ein  Schmetterling  die  Seele,  Pfeile  die 
Lichtstrahlen  anzeigen.  Die  Kunstsymbolik  setzt  mehr  oder  weniger 
die  Natur  nachahmend  eigene  Gestalten  zusammen,  um  ihre  Ideen 
anzudeuten,  z.  B.  in  einem  Priap  die  zeugende  Natur,  und  redet 
bedeutsam  auch  schon  durch  Stoffe  und  Farben  2).  Werden  aber  die 
Kunstgebilde  vollständig  ausgeprägt,  so  dass  der  Gedanke  nicht  den 
Stoff  überragt,  so  hört  es  auf  eine  Kunstsymbolik  zu  seyn,  und  es 
begegnen  uns  Bilder.  Das  Bild  sucht  hauptsächlich  Aehnlichkeit, 
das  Sinnbild  Bedeutsamkeit.  Artemis  zu  Ephesus  war  mehr  ein  Sinn¬ 
bild  der  fruchtbaren  Natur;  aber  Zeus  batte  zu  Olympia  sein  Bild. 
Es  ist  der  Symbolik  eigenthümlich ,  das  Bild  und  !die  Sache  durch 
die  Einbildungskraft  gleich  zu  setzen;  sonst  wäre  es  nur  eine  Ver¬ 
gleichung.  Die  Zeichen  im  christlichen  Abendmahle  sind  Sym¬ 
bole,  d.  h.  man  soll  sie  und  die  dadurch  bedeutete  Sache  zufolge 
der  Einsetzung  und  des  alterlhümlichen  Gebrauchs  gleich  setzen. 
Die  Zwingli’sche  Auffassung  machte  daraus  eine  blosse  Vergleichung 
und  zersetzte  so  das  religiöse  Element  in  nüchterne  Prosa ;  der  rö¬ 
mische  Katholicismus  dagegen  machte  daraus  eine  rnährchenhafte 

1)  Vgl.  meine  Recension  über  Daur’s  Symbol,  und  .^lythol.  Bd.  1. 
in  den  Heidelb.  Jahrb.  1825  ;  woraus  einiges  hierher  Gehörige  auf¬ 
genommen  wurde. 

2)  Creuzer  tV.  li.  Ul.  S.  591  IT,  drille  Ausgabe. 

I 


I 


8 


MeUuuorphose.  Zwingli  trennte  Sinn  und  Bild,  Rom  verwischte  das 
Bild,  das  ciiristliche  Alterthum  wollte  eine  Gleichsctzung  und 
Sinnbild. 

b)  Die  s  i  n  n  bi  1  d;l  i  c  h  en  Handlungen  sind  entweder  absicht¬ 
lich,  oder  unwillkürliche  Ereignisse.  Beispiele  der  erstem  Art  sind: 
die  Phokäer  verschworen  sich,  nie  wieder  in  ihre  Heimath  zurück¬ 
zukehren,  und  zürn  Wahrzeichen  versenkten  sie  eine  Eisenmasse 
(oder  einen  Stein)  in  die  Meerestiefe  (Her.  I,  165).  Thrasybul  von 
Milet  rupfte  die  hervorragenden  Halme  eines  Fruchtfeldes  aus,  um 
den  Periander  von  Korinth  zur  Tödtung  der  Grossen  zu  veranlassen 
(Her.  V,  92).  Heraklit  trank  auf  dem  Rednerstuhl  einen  Mischbecher 
mit  Wasser  und  Mehl  aus,  um  das  Volk  Massigkeit  (acocpQovsia)  zu 
lehren  (Plutarch.  de  garrulit.  p.  58).  Tarquinius  Superbus  schlug  in 
Gegenwart  des  von  seinem  Sohne  abgeschickten  Boten  schweigend 
die  höchsten  Mohnköpfe  in  seinem  Garten  ab,  und  gab  so  den  Ratb, 
die  Vornehmsten  der  Stadt  Gabii  zu  tödten  oder  zu  verjagen,  um 
sie  so  unter  seine  Botmässigkeil  zu  bringen  (Eiv.  I,  53  f.).  Der 
Pater  patratus  warf  bei  den  alten  Römern  zum  Zeichen  der  Kriegs¬ 
erklärung  einen  Spiess  ins  feindliche  Gebiet.  Der  Prophet  Jeremia 
zerbrach  ein  irdenes  Gefiiss  vor  dem  Volk,  oder  nahm  ein  Joch  auf 
seinen  Nacken,  um  das  bevorstehende  Schicksal  von  Jerusalem  zu 
bezeichnen.  Pilatus  wusch  auf  dem  Richterstuhl  seine  Hände  mit 
Wasser,  ehe  er  über  Jesum  das  Todesurtbeil  sprach.  Der  Doge  von 
Venedig  vermählte  sich  alljährlich  bei  einem  feierlichen  Aufzug 
durch  einen  Ring  mit  dem  Meere.  Noch  jetzt  wird  ebendaselbst  um 
die  Mille  der  Fastenzeit  das  Bild  einer  alten  Frau  im  Triumph  ent¬ 
zwei  gesägt  und  verbrannt  ‘).  Diese  sinnbildlichen  Handlungen  sind 
mit  dem  Drama  zu  vergleichen;  nur  fehlt  dem  letztem  der  allego¬ 
rische  Charakter  und  so  unterscheidet  es  sich  von  den  erstem.  Bei 
jenen  ist  die  Flandlung  nur  die  Unterlage  dessen,  was  sie  bedeutet: 
im  Drama  ist  es  um  die  Handlung  selbst  und  ihre  kunstmässige 
Darstellung  zu  thun.  Allerdings  liegt  auch  der  dramatischen  Hand- 


)  Vgl.  Creiizer  IV'.  II.  111.  S.  598  f. 


f) 


lung  eine  Idee  zu  Grunde,  aber  sie  ist  nielir  ini  Hintergründe  ver¬ 
borgen  als  beim  Symbol.  Ilirer  Natur  nach  muss  sich  die  symbo¬ 
lische  Handlung  als  eine  Zeichensprache  der  Kürze  und  Anschau¬ 
lichkeit  befleissigen,  während  die  dramatische  in  vielen  T  heilen  und 
durch  eine  längere  Zeitdauer  durchgeführt  werden  kann. 

Als  Sinnbilder  des  Schicksals  oder  der  Zukunft  galten  unwill¬ 
kürliche  Ereignisse  und  wurden  Symbole  genannt,  als  Blitze  und 
ähnliche  Naturerscheinungen,  vorbedeutende  Begegnungen  von  Men¬ 
schen  und  Vögeln*),  wobei  die  Worlableitung  von  ovidßäXkeiv  xivi 
jemand  begegnen,  durchschimmert. 

c)  Formeln  als  Erkennungszeichen  einer  Genossenschaft,  z.  B. 
der  Eingeweihten,  sodann  die  Glaubensbekenntnisse  als  Losung  der 
christlichen  Kirche  heissen  gleichfalls  Symbole  2).  Es  waren  Zeichen 
der  Zusammengehörigkeit,  wie  wenn  Gastfreunde  im  allen  Griechen¬ 
land  ein  Täfelchen  zerbrachen  und  die  getrennten  Hälften  als  Sym¬ 
bole  der  Freundschaft  aufbewahrlen  und  bei  ihren  Besuchen  mit- 
brachlen  ^).  Das  Symbol  als  Formel  grenzt  an  den  Mythus,  der  ja 
ursprünglich  Rede  bedeutet,  es  unterscheidet  sich  aber  von  diesem 
dadurch,  dass  qs  schon  durch  den  Ausdruck  als  ein  Wahrzeichen, 
der  Mythus  dagegen  durch  den  Inhalt  bedeutsam  ist. 

Zu  2.  Das  Vorbild  (Typus)  ist  eine  allegorisch  aufgefasste 
wirkliche  Begebenheit  oder  Gescbichle :  z.  B.  in  dem  Abnehmender 
Wintersonne  und  der  dadurch  herbeigeführlen  Zerstörung  der  Natur 
sah  der  Heide  ein  Vorbild  des  nolhwendigen  Todes  und  der  freiwil¬ 
ligen  Selbstverleugnung;  in  den  Thalen  der  Heroen  halle  der  Grieche 
Vorbilder  eines  frommen  Sinnes  und  grossarligen  Wirkens;  in  dem 
.\uszug  der  Israeliten  aus  Aegypten  ist  die  Erlösung  der  Menschheit 
durch  Christum,  in  Jonas  das  Sterben  und  Auferslehcn  Jesu,  in  sei¬ 
ner  Auferstehung  die  unsrige  vorgebildet.  Das  Vorbild  unterscheidet 


')  Xenoph.  Memor.  1,1,  3.  Aristoph.  av.  720  ^i’i/ußoXog  o(jrig. 
Cicuzer  IV.  H.  III,  S.  508. 

2)  Creuzer  a.  a.  O.  S.  513  f 
*)  Creuzer  S.  504. 


10 


sich  von  der  sinnbildlichen  Handlung,  dass  die  ihm  zu  Grunde 
liegende  Geschichte  von  der  vorgebildelen  Sache  nicht  in  dem  Grade 
abhängig  und  von  dieser  in  der  Zeit  entfernt  ist,  wie  das  Wort  schon 
treffend  bezeichnet.  Das  Vorbild  grenzt  an  das  Beispiel  (^Tiagd- 
detyjua),  aber  unterscheidet  sich  von  diesem  durch  die  Allegorie,  die 
letzterem  abgeht.  Man  macht  wohl  auch  aus  einer  wahren  Geschichte 
ein  Beispiel  für  einen  vorliegenden  Fall,  allein  die  Anwendung  ist 
nicht  schon  in  dieser  Geschichte  selber  gegeben  oder  bezweckt,  son¬ 
dern  erst  später  willkürlich  hineingelegt.  Das  Beispiel  ist  nicht  be¬ 
deutsam,  wenn  gleich  bedeutend.  Das  Vorbild  hat  eine  wirkliche, 
das  Beispiel  eine  hypothetische  Bedeutung.  Der  Zusammenhang  zwi¬ 
schen  der  Geschichte  und  der  vorzustellenden  Sache  ist  im  Vorbilde 
als  nothwendig,  im  Beispiel  als  zufällig  gedacht.  Wer  jenen  realen 
Zusammenhang  des  Vorbildes  leugnet ,  dem  fällt  dieses  in  eine  Klasse 

mit  dem  Beispiel,  weil  er  keine  Allegorie  in  der  Geschichte  an- 

« 

erkennt. 

Nach  der  allegorischen  Schriftauslegung  sind  die  Thaten  und 
Schicksale  Jesu  typisch,  d.  h.  sie  sind  wirklich  und  menschlich,  aber 
zugleich  ideal  und  göttlich,  das  Geschichtliche  in  seinem  Leben  wird 
ein  Spiegel  seines  verborgenen  Wesens  und  Tbuns,  eine  bedeutsame 
Zeichensprache;  Aussätzige,  Blinde,  Todte  und  dergleichen ,  mit  de¬ 
nen  er  sich  in  Berührung  setzte,  erscheinen  dann  als  Stellvertreter 
und  Abgesandte  unseres  Geschlechtes,  in  welchem  er  das  Gleiche 
in  höherer  Bedeutung  bewirken  will.  Also  eröffnet  sich  ein  Feld 
geistreicher  Bearbeitung  der  evangelischen  Geschichte,  worin  man 
dem  Menschlichen  und  Göttlichen  zugleich  Rechnung  trägt.  Wer 
sie  nur  als  nackte  Wirklichkeit  nimmt,  verkennt  den  göttlichen 
Vollgehall  darin;  wer  die  Wahrheit  der  heiligen  Geschichte  um  ihrer 
Bedeutung  willen  aufhebt,  zersetzt  sie  in  Mythus:  beide  Klippen 
muss  der  bibelkundige  Forscher  umgehen. 

Zu  3  und  4.  Die  Fabel  (Mythus)  und  das  Gleichniss 
(gleichgültig,  ob  aus  dem  Menschenleben,  oder  aus  der  Thier-  oder 
Pflanzenwelt  entlehnt)  unterscheiden  sich  von  den  zwei  ersten  For¬ 
men  durch  die  ihnen  zu  Grunde  liegende  erdichtete  Erzählung,  und 


11 


verhalten  sich  zum  Sinnbild  und  Vorbild  wie  Dichtung  zur  Wahr¬ 
heit.  Von  einander  sind  sie  darin  ^unterschieden ,  dass  sich  das 
Gleichniss  aufrichtig  für  das  ausgibt,  was  es  ist,  und  seine  allego¬ 
rische  Beziehung  unzweifelhaft  macht,  wie  schon  das  Wort  sagt;  wo¬ 
gegen  die  Fabel  sich  mehr  oder  weniger  mit  der  Lüge  schminkt  '). 
Die  Aufgabe  des  Mytbologen  ist  eben,  die  Fabel  ihres  Truges  zu 
entkleiden  und  zum  Gleichniss  zu  machen.  Sein  Verfahren  ist  das 
umgekehrte  des  Ovid,  welcher  aus  den  Fabeln  Mährchen  machte. 
Zum  Mähr  dien  wird  die  Fabel,  wenn  ihr  allegorisches  Gewand 
abgestreift  wird.  Mährchen  und  Gleichniss  sind  sich  confradictorisch 
entgegengesetzt.  Fabel  und  Gleichniss  haben  miteinander  gemein, 
dass  die  erdichtete  Erzählung  und  der  zum  Grunde  liegende  Sinn 
sich  gleich  gesetzt  werden ,  z.  B.  in  dem  Gleichniss  Platons  (Phädrus 
p.  248  Heindorf.)  von  der  menschlichen  Seele  als  dem  Wagenführer 
eines  Doppelgespanns,  dessen  eines  Pferd  gut,  das  andere  schlecht  ist. 

Wenn  die  Fabel  Wahrheit  mit  Dichtung  verknüpfend  sich  mit 
der  Geschichte  vermählt,  so  wird  sie  zur  historischen  Fabel. 
Dem  Historiker  liegt  das  schwierige  Geschäft  ob,  die  feine  Grenz¬ 
linie  des  Wahren  und  Erdichteten  zu  suchen  und  zu  ziehen.  Ein 
häufig  betretener  Abweg  ist,  die  Geschichte  selbst  wegen  des  fabel¬ 
haften  Beiwerks  in  Frage  oder  in  Abrede  zu  stellen;  wie  man  mit 
der  trojanischen  Kriegsgeschichte  wegen  der  bedeutsamen  Namen 
verfahren  ist  2).  Allein  schon  aus  der  Bibel  sollte  bekannt  seyn. 


*)  Platon  Polit.  II.  p.  377  A  bekennt  von  den  Fabeln  ,  sie  seyen 
Lügen,  doch  entbalten  sie  Wahrheit.  Den  tiefer  liegenden  Sinn  nennt 
er  p.  378  D  vnovoia.  Die  in  Fabeln  vorgetragene  Religion  nennt  schon 
Platon  im  Phädrus  p.  243  A  /.ivdoloyia ,  und  er  selbst  gibt  in  diesem 
Gespräche  p.  229  C  eine  verständige  Ausdeutung  der  Fabel  von  dem 
Raube  der  Orithya  durch  Boreas,  dass  der  Nordwind  das  am  Ufer  dos 
Ilissus  oder  auf  dem  Areopag  spielende  Mädchen  über  die  dortigen 
Felsen  hinabgerissen,  und  so  die  Legende  ihren  dadurch  herbeigeführ- 
len  Tod  ausgeschmückt  habe. 

2)  Hermann  Br.  über  Horn.  u.  lies.  S.  20;  »Der  ganze  trojanische 
Krieg  mag  wohl  am  Ende  nicht  viel  mehr  als  eine  Allegorie  seyn.  Zu 


♦ 


12 


wie  gerne  man  im  AUerlhum  die  Namen  der  Uedeutsamkeit  wegen 
wechselte;  ohne  dass  die  Personen  darum  aufhören  liislorisch  zu 
seyu.  Von  der  geschichtlichen  Fabel  ist  die  Sage  (Ad/oj)  zu  unter¬ 
scheiden,  welche  des  Allegorischen  ermangelt  und  eine  einfache  Ge¬ 
schichtserzählung  ohne  sichern  Grund  ist. 

Nachdem  wir  die  Lehrweisen  des  Alterthums  kürzlich  erörtert 
haben,  so  kommt  der  Inhalt  der  allegorisch  vorgetragenen  Lehren 
Und  sodann  die  Methodik  ihrer  Auffassung  und  Darstellung  in  Be¬ 
tracht.  Auf  verschiedenen  Wegen  haben  alte  und  neue  Mythologen 
einen  verschiedenen  Inhalt  gefunden.  Sie  trennen  sich  im  Allgemei¬ 
nen  in  zwei  Theile:  entweder  erkennen  sie  auch  im  Ileidenthum 
religiöses  Ahnen  und  Glauben  an  oder  nicht.  Im  zweiten  Fall  erklä¬ 
ren  Einige  die  Entstehung  der  Götterlehre  aus  Priesterbelrug  oder 
aus  Staatsklugheit,  um  durch  die  Religion  anstatt  durch  Vernunft- 
gründe  auf  das  Volk  zu  wirken.  Prodikus  von  Keos  meinte,  die 
Alten  hätten,  was  ihnen  nützlich  gewesen  sey,  als  Sonne,  Mond, 
Flüsse,  Auen,  Früchte  und  dergleichen,  für  Göller  gehalten*). 


seltsam  ist  die  Erscheinung,  dass  die  Namen  aller  Uauplpersonen  von 
ihren  Eigenschaften  und  Thaten  hergenoramen  sind.®  Clavier  histoire 
des  Premiers  temps  de  la  Gröce  T.  I  p.  48  f.  erinnert  dagegen  an  die 
Namen  Herakles,  Perseus,  Bellerophon,  Priamus  u.  a.,  die  ursprüng¬ 
lich  anders  hiessen ,  und  zieht  die  eben  so  wichtige  als  richtige  Schluss¬ 
folge;  De  ce  qu’un  nom  paroit  allegorique,  il  faut  en  conclure,  non 
pas  que  celui  a  qui  on  le  donne,  n’a  pas  existe ,  mais  que  son  veri- 
tahle  nom  est  perdu  ,  et  que  nous  ne  le  connoissons  que  par  son  surnom. 
Derselbe  Gelehrte  weist  p,  65  nach,  dass  Mära  (Uom.  Od.  XI,  326  ib. 
Schob),  Tochter  des  korinthischen  Königs  Prötus,  die  von  Medea  ver¬ 
giftet  wurde,  von  den  tragischen  Dichtern  riarntj  und  KQssaa  und 
Prötus  selbst  anderwärts  KpsoiP  genannt  W'erde.  Pyrrhus,  der  nach 
dem  Tode  seines  Vaters  Achilleus  nach  Troja  kam,  hiess  von  nun  an 
Neoptolemus,  »der  neu  in  den  Krieg  kommt«,  Sophocl.  Pbiloct.  73. 
343  ff.  Vgl.  Rosenmüller  das  alte  und  neue  Morgenland  von  der  Sitte 
der  Araber  ,  selbst  wegen  zufälliger  Begebenheiten  den  Namen  zu  ver¬ 
ändern. 

*)  Cicero  N.  D  1,  42  das  Davies. 


13 


Euhemerus,  welchem  Ennius  nachfolgle,  und  Persäiis,  ein  Scliiiler 
Zenons ,  hielten  die  Götter  für  ausgezeichnete  Menschen,  welche 
man  nach  dem  Tode  vergöttert  habe  *).  Xenokrates  hielt  in  seiner 
Schrift  über  die  Natur  der  Götter  fünf  Planeten,  den  Complex  der 
Fixsterne,  die  Sonne  und  den  Mond,  also  acht  an  der  Zahl  für 
Götter  2).  Dupuis  fand  gleichfalls  in  der  Gölterlehre  alte  Sternkunde, 
Andere  Kosraogonie  und  Naturlehre.  Chrysippus  nannte  die  Welt 
Gott;  den  man  Zeus  heisse,  sey  der  Aelher,  die  durch  die  Meere 
wehende  Luft  sey  Poseidon,  die  Erde  nenne  inan  Demeter  und  so 
die  übrigen  Gottheiten. 

In  dem  grossen  und  verschiedenartigen  Fabelkreis  findet  man 
für  jede  Ansicht  Belege;  denn  die  griechischen  Mythen  umfassenden 
gesammten  Umkreis  des  alten  griechischen  Wissens  und  Glaubens  ^). 
In  Fabeln  kleideten  die  Allen  ihre  Religion,  ihre  Geschichte,  ihr 
Nachdenken  über  die  Entstehung  der  Dinge  und  über  die  Beschaf¬ 
fenheit  des  Himmels  und  der  Erde  ein;  das  war  die  naive  Kinder¬ 
sprache  der  Menschen,  da  legten  sie  die  Schätze  ihrer  Weishmt 
nieder.  Die  Fabeln  sind  nicht  nur  das  Material  der  alten  Religions¬ 
lehre,  sondern  auch  die  Grundlage  der  ältesten  Geschichte,  Natur- 
lehre  und  Philosophie.  Nur  darin  fehlen  gemeiniglich  die  Ausleger, 
wenn  sie  einseitig  auf  einem  System  beharrend  Alles  auf  einen  ein¬ 
zigen  Zweig  beschränken  wollen.  Man  hat  z.  B.  die  schöne  Helena 
und  ihr  Bruderpaar  Kastor  und  Polydeukes  an  den  Sternenhimmel 
versetzt,  und  der  Dichter  Euripides  (Orest.  1624  ff.)  fabelte  hier¬ 
nach  ,  dass  Helena  unter  den  Mordslreichen  ihres  Neffen  Orestes 
von  Apollo  auf  Geheiss  ihres  Vaters  Zeus  entrückt,  mit  Leib  und 
Seele  unsichtbar  geworden,  und  in  des  Aethers  Räumen  ein  seliges 
Leben  führe.  Allein  man  würde  irren,  wenn  man  darum  in  der 
Geschichte  der  Helena  oder  Anderer,  die  als  Himmelslichter  glän¬ 
zen,  nichts  weiter  als  Astronomie  sehen  wollte. 

Cicero  N.  D.  I,  15.  42.  Diod.  Bibi.  Fragra.  L.  VI.  Sext. 
Empir.  p.  311. 

2)  Cicero  N.  D.  I,  13. 

3)  Hermann  über  das  Wesen  und  die  Behänd),  der  Mythol.  S.  28. 


14 


Die  Griechen  vergöüerlen  ausgezeichuele  Menschen,  und  nann- 
len  sie  Heroen,  während  die  Aegypler  keinen  lleroendiensl  hat¬ 
ten  *) ;  aber  inan  unterschied  auch  ausdrücklich  die  Heroen  von  den 
ewigen  und  uugebornen  Göttern  2),  und  Hesiod  schied  die  Theogonie 
von  der  Heroogonie,  wie  auch  Maxiraus  Tyrius  (Dissertat.  XVI) 
hievon  als  von  zwei  besondern  Werken  des  Dichters  spricht,  und  es 
ist  nur  ein  Versehen  unsrer  Ausgaben ,  dass  sie  diese  Unterscheidung 
verwischt  haben.  Mil  V.  961  neinlich  schliesst  die  Theogonie,  und 
von  V.  962  an  beginnt  die  Heroogonie,  wo  er  den  olympischen  Göl¬ 
lern  Lebewohl  sagt,  und  sich  anheischig  macht,  die  Heroen,  und 
zwar  zunächst  die  von  Göttinnen  mit  sterblichen  Männern  erzeug¬ 
ten,  zu  besingen.  Diese  Heroogonie,  von  dem  Scholiaslen  des  Ly- 
kophron  yavsaloyia  genannt,  hatte  mehrere  Theile,  welche 

xardloyot  hiessen  2),  Wir  besitzen  deren  zwei  vollständig;  der 
zweite  von  V.  1017  an  handelt  von  den  von  Göttern  mit  menschlichen 
Weibern  erzeugten  Heroen  und  wird  unmittelbar  fortgesetzt  in  dem 
sogenannten  Schild  des  Herakles,  weicherauch  in  der  florentinischen 
Handschrift  des  Herrn  von  Schellersheim  ohne  alle  Ueberschrift  dem 
Vorigen  richtig  angehängt  ist  ^).  Diese  beiden  Kataloge  waren  die 
/jsydXcu  ’Hoiat  des  Dichters,  an  welche  sich  kleinere 'flo/ai  anschlos¬ 
sen,  von  denen  noch  Bruchstücke  vorhanden  sind®). 

')  Herod.  II,  50. 

2)  Herod.  II,  45.  Plutarch.  Pelopid.  16.  Draco  bei  Porphyr,  de 
abstin.  IV.  p.  380.  Rhoer. 

3)  Jo.  Lydus  de  mens.  p.  12  Roether.  Schot.  Apollon,  in  L.  II. 
führt  den  dritten  Katalog  an. 

'*)  Dass  der  Schild  und  das  Ende  der  Theogonie  zusammenhängt 
und  nichts  dazwischen  ausgefallen  ist,  erhellt  aus  Servius  ad  Virgil. 
Aen.  XII,  164,  wo  schon  die  Verse  der  Theogonie  1010 — 1012  als  zur 
ojarcibonoua  gehörig  aufgeführt  werden.  Gegen  Clericus ,  der  ßaoyovia 
ändern  will,  ist  Wolfs  Anmerkung  zur  Theogonie  987  nacbzulesen. 

®)  Strabo  IX  p.  304.  XIV  p.  445  zählt  Verse,  die  mit  rj  oirj  an¬ 
fangen,  zu  den  xaräAoyot.  Der  ungedruckte  Scboliast  der  Schellers- 
heimer  Handschrift  führt  zu  Theog.  142  den  Katalog  der  Leucippiden, 


15 


Der  Glaube  der  Griechen,  dass  die  Verstorbenen  einen  Einlluss 
auT  die  Nachwelt  ausüben,  in  Nöthen  helfend  beistehen’),  ja  dass  • 
sie  als  Schutzgeister  walten,  hat  ohne  Zweifel  viel  zur  Vergötterung 
der  Heroen  beigetragen.  So  sind  die  verstorbenen  Menschen  des 
ersten  Weltalters  nach  Hesiod  (Werke  123  ff.)  gute  Dämonen,  Hüter 
der  Menschen,  die  gute  und  böse  Werke  beobachten,  als  Luftgestal¬ 
ten  überall  die  Erde  durchwandeln  und  Reichthura  verleihen.  Die 
Einbildungskraft  lieh  den  Heroen  je  nach  ihrem  Stand  oder  ihren 
Eigenschaften  göttliche  Eltern,  doch  ist  auch  nicht  selten  daneben 
die  wahre  menschliche  Abstammung  überliefert  worden.  Amphitryon 
und  Alkmene  waren  die  natürlichen  Ellern  des  Herakles,  aber  als 
Stammvater  der  Ilerakliden  gab  man  ihm  Zeus  zum  Vater  wozu 
man  um  so  mehr  Auflorderung  halle,  als  auf  den  Amphitryoniaden 
die  Aemler  und  Würden  eines  viel  altern  ägyptischen  und  lyrischen 
Gottes  Namens  Herakles  übergelragen  wurden  3),  Kastor  und  Poly- 
deukes  waren  Tyndariden,  die  aber  auch  vom  olympischen  Zeus 
erzeugt  sind  ^).  Die  Sänger  waren  Apollons  Söhne  ^),  die  Herrscher 
geborne  Zeus  Kinder^),  so  Minos  Zeus  Sohn  ^);  grosse  Seefahrer 
stammten  von  Poseidon  ab;  den  schönen  Aeneas  gebar  Kylherea 
dem  Anchises  ^).  Bisweilen  gab  blos  die  Lage  der  Ileimalh  den 

der  ohne  Zweifel  zu  den  kleiuern  gehörte,  an:  iv  tm  twv  Xsvxititicömp 
v.axaK6y(ü  vn'  A’^töklavog  avaiqüadaL  noiai  (rng  XöxAto.Tag).  Proklus 
in  der  Vorrede  zu  Hes.  Werken  scheint  unter  den  Katalogen  in  enge¬ 
rem  Sinne  die  kleineren  Eöen  zu  verstehen;  woraus  Mützell  und  van 
Lennep  (Comm.  zu  Hes.  S.  383)  irrig  auf  eine  Verschiedenheit  der 
Ileroogonie,  der  Katalogen  und  der  Eöen  schliessen,  und  den  Stand 
der  Sache  verwirren. 

’)  Eurip.  Orest.  1231. 

2)  Hesiod.  Th.  316  f.  Jtög  viög  —  'AfjLcpixQvtüviddrjg. 

3)  Herod.  II,  43. 

Uom.  hymn.  XVI. 

5)  Hes.  Th.  94. 

Hes.  Th.  96:  £x  dk  Aiög  ßaaiX^eg. 

7)  Hom.  Od.  XI,  568. 

ä)  Hes.  Th.  1007.  Hom.  hymn.  III  in  Vener. 


16 


Grund  ilirer  Vergöllerung  ab:  Eos  gebar  dem  Tilbonus  den  König 
der  Aelliioper,  Memnon’),  Alias  erzeugte  den  llesperus.  Wie  die 
Heiligenverehrung  der  römischen  Katholiken  die  Folge  halle,  dass 
den  Heiligen  oft  göllliche  Ehre  und  Anrufung  gezollt  wird,  so  wer¬ 
den  auch  die  griechischen  Halbgötter  manchmal  für  Gotttheiten  ge¬ 
nommen,  zumal  wenn  ihre  Geschichte  mit  Fabeln  reich  ausgeschmückl 
ist;  ohne  dass  desswegen  der  Unterschied  beider  im  Allgemeinen  zu 
bezweifeln  wäre-  Herakles  wurde  wegen  seiner  Verschmelzung  mit 
einem  wirklichen  Gott  Iheils  als  olympischer  angerufen  2),  theils  als 
Heros  mit  Todtenopfern  verehrt  3).  Gottheiten  werden  genannt  mehr 
uneigenllich  als  wirklich:  Asklepios '*)  1  Kastor  und  Polydeukes  ^), 
Psamathe,  die  Gattin  des  Aeakus  von  Aegina,  Thetis,  Gattin  des 
Peleus*^),  als  Töchter  des  Nereus^),  Medea,  Circe  und  Kalypso  s). 
Aeschyius  (Pers.  648)  nennt  nach  griechischer  und  dichterischer  An- 
schauungsweise^den  verstorbenen  Darius  einen  Perser-Gott. 

Wenn  die  gewöhnlichen  Mythologien  der  InbegrifT  aller  Mythen 
nebst  ihrer  Ausdeutung  seyn  wollen,  so  wären  sie  eine  Encyklopä- 
die  des  gesammlen  allen  Wissens  und  Glaubens.  Weil  diese  Auf¬ 
gabe  zu  weilschichlig  ist,  so  ist  grosse  Gefahr  vorhanden,  dass  man 

*)  Hes.  Th.  983. 

2)  Hom.  hymn.  XIV. 

3)  Her.  II,  43.  Umgekehrt  unterscheidet  Plutarch  Pelop.  16  den 
Herakles  und  Dionysos  als  menschlich  geboren  von  den  ewigen  Göttern, 
wie  Apollon.  So  stellt  auch  Horaz  Od.  IH,  3,  13  den  Bacchus  auf 
gleiche  Linie  mit  den  Heroen  Pollux,  Hercules,  Augustus  und  Quirinus. 
Wir  haben  hier  eine  spätere  Deutung,  die  in  dem  alleinigen  Umstande 
ihren  Grund  hat,  weil  Dionysos,  der  bei  den  alten  Griechen  Gott  ist, 
eine  menschliche  Mutter  hat. 

^‘)  Hom.  hymn.  XV. 

5)  Hom.  h.  XVI. 

6)  Hes.  Th.  1003  ff. 

7)  Hes.  Th.  244.  260. 

8)  Hes.  Th.  991.  1010.  1015.  Athenagoras  bemerkt  schon,  dass 
Alkman  und  Hesiod  die  Medea  eine  Gottheit  nennen.  (Legat,  pro 
Christ,  n.  14  p.  290,  wo  Petitus  mit  Unrecht  den  Text  ändern  wollte.) 


17 


l)ei  einem  so  umfassenden  Plane  slatl  einer  Wissenschafl  ein  i)unles 
Gemisch  verschiedenat (iger  Elemenle,  ein  Aggregat  von  Mähren  er¬ 
hallen,  welche  willkürlich  an  einander  gereiht  werden,  olme  nach 
ihrem  hesoudern  Inhalte  gehörig  geordnet  zu  seyn.  Will  man  sich 
nicht  mit  vereinzelten  wie  aus  einem  Schiffbruch  geretteten  Trüm¬ 
mern  dieser  Wissenschaft  begnügen,  so  wird  man  eine  allgemeine 
griechische  Mythologie  zur  Zeit  noch  ansleben  lassen  müssen,  bis 
ihre  einzelnen  Felder  für  sich  besonders  und  gründlich  bearbeitet 
sind.  Zu  diesem  Behuf  sind  die  Fabeln  in  Klassen  abzutheilen,  je 
nachdem  ein  gesundes  ürtheil  einen  zureichenden  Grund  findet,  sie 
dieser  oder  jener  Wissenschaft  zuzuscheiden.  Aus  solcher  Sichtung 
ist  allein  Heil,  Licht  und  Einheit  für  die  Mythologie  zu  erwarten. 

Es  wird  daher  weislich  gethan  seyn,  die  Aufgabe  zu  begrenzen 
und  die  Fabeln  auszuscheiden ,  in  deren  Einkleidung  und  Inhalt  ein 
feiner  Sinn  alte  Religion  ausgeprägt  findet,  und  dieselben  zum 
Gegenstand  einer  Mythologie  in  engerer  Bedeutung  zu  machen,  ohne 
Berücksichtigung  der  andern  nicht  hierher  gehörigen  Mythen,  welche 
einer  alten  Geschichte  mögen  Vorbehalten  bleiben.  Bildet  ja  doch 
die  Lehre  von  Gott,  von  dem  V'^erhältniss  der  W^elt  und  der  Men¬ 
schen  zu  Gott  und  von  unsrer  Bestimmung  ein  Ganzes  für  sich,  und 
es  ist  nicht  abzusehen,  dass  dasselbe  durch  alle  Geschichte  und  Phi- 
losophcme  blos  wegen  der  Aehulichkeit  der  mythischen  Form  und 
Darstellung  unterbrochen  werden  sollte.  Desshalb  wollte  ich  dem 
zarten  Punkte,  wo  das  heilere  griechische  Volk  in  Berührung  mit  dem 
Himmel  stand,  eine  ausschliessliche  Würdigung  widmen,  und  halte 
dessen  Aufhellung  für  die  Eos,  welche  der  vollkommeneren  Erkennl- 
niss  des  griechischen  (Geistes  den  Tag  bringt.  Aus  den  Grenzen 
meiner  Untersuchung  wurden  demnach  die  mythisch  historischen 
Personen  und  vergötterten  Heroen  ausgeschlossen,  so  fern  sie  nicht, 
wie  Herakles,  Träger  religiöser  Ideen  und  Vorbilder  ethischer  Cha¬ 
raktere  geworden  sind. 

Der  reale  Grund  dieser  Wissenschaft  ist  nicht  Religionsphiloso¬ 
phie,  sondern,  wie  Christus  Matth.  6,  23  sagt,  »das  Licht,  das  in 
dir  ist«,  die  innerliche  Offenbarung  Gqtles  im  Herzen,  das  ursprüng- 

2 


18 


licli  dem  verniiiirUgeii  Gescliöpfe  eingeprägte  Bevvusslseyn  vom 
Schöpfer.  Solclier  nalüriichcii  Oflenbarung  oder  des  von  Go(l  ein- 
gepflanzlen  Bewusslseyns  seiner  selbst  wurden  auch  die  erleucblelen 
Allen  inne.  Die  götllichen  Dinge,  sagt  Sophokles'),  kannst  du 
nicht  erfahren,  wenn  sie  die  Göller  verbergen,  würdest  du  auch 
Alles  durchforschen.  Diese  Grundlage  der  Mythologie  verkennt 
Hermann,  welcher  von  keiner  andern  natürlichen  Religion  weiss 
als  von  Philosophie  oder  Betrug.  Alle  Religion  ist  ihm  2)  entweder 
geolTenbarte ,  die  der  Mensch  von  aussen  oder  oben  lierab  vernimmt, 
oder  nalürliciie,  d,  i.  Philosophie,  die  er  aus  sich  selbst  heraus- 
bringl,  oder  Myslicismus,  d.  i.  ein  regelloses  Vernvischen  und  Ver¬ 
wechseln  von  Empfindungen  und  BegrilTen,  da  er  selber  nicht  weiss, 
was  er  will.  Aber  die  Religion  der  alten  Griechen  ist  keines  von 
diesen  dreien,  und  bat  weder  die  unmittelbare  Offenbarung,  noch 
die  Vernunft  als  das  Vermögen  zu  philosophiren  zu  ihrem  Princip ; 
sondern  dieses  Princip  wird  von  dem  Apostel  Paulus  folgendermas- 
sen  bezeichnet  Apostelgesch.  17,  27  f. :  »Gott  ist  nicht  ferne  von 
einem  jeglichen  unter  uns:  denn  in  ihm  leben,  weben  und  sind  wir«; 
Röm.  1,  19:  „das  Wissen,  dass  Gott  sey ,  ist  ihnen  kund,  denn  Gott 
hat  es  ihnen  kund  gelhan.“  Die  Mythologie  ist  der  Cornmentar  zu 
diesen  Schriflstellen.  Der  religiöse  Glaube  des  Heiden  beruht  aner¬ 
kannter  Massen  nicht  auf  göttlicher  Offenbarung,  aber  auch  nicht 
auf  Vernunflgründen  ,  denn  er  iiberschwebl  die  nüchterne  Vernunft, 
ob  er  gleich  von  ihr  aufgefasst  und  beleuchtet  wird.  Er  ist  nicht 
eine  Frucht  der  Reflexion,  überhaupt  kein  abgeleitetes,  sondern  ein 
unmittelbares  Erkennen  Gottes.  Gott  ist  dem  Menschen  in’s  Herz 
geschrieben,  dieser  Glaube  wird  ihm  nicht  erst  durch  Nachdenken 
oder  Philosophie  zu  Theil,  und  ist  doch  darum  kein  regelloser  My- 
sticisraus,  sondern  er  weiss,  was  er  will,  und  hat  seine  Beglaubigung 
in  unmittelbarer  innerer  Wahrnehmung,  und  kann  dabei  seiner  Sache 
so  gewiss  seyn,  als  jemand  durch  die  Anschauung  der  Sonne  von 


')  Bei  Slobaeus,  fragra.  N.  VII  ed.  Bothe. 

2)  Hermann  über  das  Wesen  und  die  ßehandl.  d.  Mythol,  S.  26. 


19 


ihrem  Onseyii  iiherzeust  isl.  Diese  Siclierheit  wird  ilirn  iiiclil  durcdi 
eine  Folgerunc  ;ius  der  VcrnunK,  denn  diese  reicht  niclit  so  weit 
den  Glauben  zu  begründen,  und  kann  sich  dies  nur  aus  Anrnassung 
berausnelimen  wollen,  sondern  es  ist  ein  immanentes  Wissen,  das 
die  Gewähr  der  Wahrheit  in  sich  selbst  trägt,  so  wie  die  letzten 
Axiome  der  Vernunft  ihre  Heglauhigung  in  sich  selbst  haben.  Pla¬ 
ton  (hgg.  X  p.  899  D)  sact:  »Eine  göttliche  Verwandtschaft 
leitet  dich  zu  dem  Gleichartigen  ,  die  Götter  zu  ehren 

und  an  ihr  Daseyn  zu  glauben.« 

Die  Anerkennung  dieses  Princips  ist  von  wesentlichem  Einfluss 
auf  die  ganze  mythologische  Ansicht.  Alte  und  neuere  Gelehrte  ha¬ 
ben  an  die  Stelle  dieses  Princips  ein  fremdartiges  gesetzt,  das  nichts 
mit  der  Religion  gemein  hat.  Einige  vermeinten,  die  Mythologie 
sey  eine  kluge  Staalserfindutig ,  um  durch  die  unsterblichen  Götter 
anstatt  durch  Vernunftgründe  auf  das  Volk  zu  wirken.  Aber  schon 
Cicero  (IV  D.  [,  42)  urtheilte  richtig,  dass  dadurch  alle  Religion  von 
Grund  aus  aufgehoben  würde  Hier  gehen  zuletzt  Creuzer  und  Her¬ 
mann  aus  einander,  wie  aus  ihren  Restrebungen  und  Grundsätzen, 
die  sie  in  ihrem  Briefwechsel  ausgesprochen  haben,  ersichtlich  ist; 
jener  behandelt  die  Mythologie  mit  religiösem  Sinne,  dieser  hält 
die  Religion  der  allen  Griechen  für  Philosophie  und  ihren  Inhalt  für 
Philosopheme .  aus  der  Betrachtung,  Beobachtung  und  Erforschung 
der  Natur  und  Well  hervorgegangen,  jedoch  in  .Mythen  eingehüllt, 
und  in  diesem  Gew'ande  ein  Gegenstand  des  religiösen  Aberglaubens 
für  das  unwissende  unphilosophische  Volk.  Daher  isl  nach  ihm  die 
theologische  Ansicht ,  welche  in  den  Mythen  religiösen  Glauben  sucht 
und  findet,  „nichts  anderes  als  die  blinde  Ansicht,  welche  das  un¬ 
wissende  V'^olk  von  den  Mythen  hafte«  *).  Der  religiöse  Glaube  er¬ 
scheint  ihm  nur  als  leerer  Volkswahn,  die  Philosophen  oder  Priester 
wussten  die  natürliche  Erklärung,  verschwiegen  sie  aber  dem  Volke, 
um  ihr  Ausehen  aufrecht  zu  erhallen.  »Je  grössere  Fortschritte  die 
Wissenschaft  machte,  desto  mehr  mussten  ihnen  die  heiligen  Dinge, 


0  Hermann  a.  a.  0.  S.  35. 


20 


die  ilire  üeiligkcit  hios  der  Unkuude  verdankten,  in  ihrer  wahren 
Gestalt  erscheinen,  und  folglich  der  religiöse  Glaube  sich  immer 
mehr  verlieren.“  ')  Diese  Ansicht  ist  nicht  viel  besser  als  der  wie¬ 
der  aufgewärmle  Wahn,  die  Religion  der  Heiden  sey  nur  ein  Gau¬ 
kelspiel  der  Priester  für  die  Unwissenden  gewesen,  ohne  dass  jene 
selbst  daran  geglaubt  hätten,  eine  berechnete  Ausgeburt  des  Egois¬ 
mus  und  Blendwerk.  Nur  dadurch  unterscheidet  sich  diese  Ansicht 
von  dem  allen  Wahne,  dass  sie  doch  Philosopheme  den  Mythen  zu 
Grunde  liegen  lässt.  Aber  die  Religion  verkennt  sie,  das  erste  Be- 
dürfniss  der  menschlichen  Natur,  denn  das  des  Philosopliirens  ist 
ein  zweites  und  untergeordnetes,  sie  verkennt  das  Wesen  und  den 
Ursprung  der  Religion,  dass  ein  inneres  Licht  dem  Menschen  von 
Natur  leuchtet,  das  er  sich  nicht  selbst  gibt,  sondern  das  ihm  ge¬ 
geben  ist,  welches,  wenn  auch  verdunkelt  durch  den  Sündenfall, 
doch  nicht  ganz  verloschen  ist,  und  unabhängig  von  dem  Vernunft- 
gebraucb  des  Gebildeten ,  von  göttlichen  Dingen  weiss  und  das 
Himmlische  ahnet.  Der  Mythologie  Aufgabe,  Würde  und  Gehalt 
besteht  eben  darin,  die  Spur  dieses  natürlichen  Lichtes  zu  verfolgen. 

Auf  die  Behandlung  der  Mythologie  äussert  die  ver¬ 
kehrte  Ansicht  von  ihrer  Grundlage  und  Inhalt  den  verderblichsten 
Einfluss,  wie  eben  Hermann  hierin  ein  Beispiel  gegeben  hat  io 
seiner  Dissertatio  de  Mythologia  Graecorurn  antiquissima  (Lipsiae 
1817).  Denn  was  die  Alten  von  ihrem  Zeus  und  andern  Göllern  sa¬ 
gen,  weist  er  durch  den  Machtspruch  ab,  dass  sie  es  nicht  verstan¬ 
den,  und  dass  ihr  Glaube  ein  falscher  Wahn  und  Aberglaube  war. 
Desshalb  denkt  ersieh  in  die  geheime  Prieslerweisheil ,  von  der  aber 
nichts  bekannt  worden  ist,  hinein,  bildet  sich  ein  kosmogonisches 
System,  und  gibt  das  für  die  älteste  Philosophie,  für  den  wahren 
Sinn  der  Mythen  aus.  Da  ist  denn  freilich  der  buntesten  Willkür 
ein  grosses  Feld  geöffnet,  auf  dem  sie  sich  frei  herumtreiben  kann; 
denn  sie  lässt  sich  durch  keine  Einwendung  von  dem ,  was  der 
Grieche  notorisch  glaubte,  stören,  und  entgegnet,  der  verborgene 


')  Ebendas.  S.  34. 


21 


Silin  sey  ihm  nicht  offenbar  geworden  oder  untergegangeu.  So  wird 
denn  nach  Hermann  z.  ß.  die  Nyx,  wobei  sicti  jeder  Grieclie  die 
Nacht  dachte,  das  Sinken,  der  erste  Mensch  Japet,  von  welchem 
Hellen  abstamrale,  wird  das  Hinabstürzen  in  den  Ocean,  die  Mutter 
der  Musen  Mneraosyne  ist  das  Aufregen  im  Ocean,  die  Themis  ist 
nicht  mehr  die  Gerechtigkeit,  sondern  das  Befestigen,  die  Chariten 
oder  Huldgöltinnen  sind  der  durch  den  Seehandel  erworbene  Reich¬ 
thum.  Mögen  das  gemeine  Volk  und  die  Dichter  faseln,  was  sie 
wollen,  darauf  kommt  es  nicht  an;  den  esoterischen  Verstand,  den 
sie  nicht  hatten,  müssen  wir  mit  Hermann  ergründen.  Der  vielbe¬ 
rühmte  Hesiod  folgt  in  der  Theogonie  Schritt  vor  Schritt  einem  al¬ 
ten  Philosophen  oder  weisen  Dichter,  den  er  aber  selbst  nicht  ver¬ 
stand  ,  und  da,  wo  es  in  Hermanns  System  nicht  passen  will,  falsch 
verstand;  wo  er  diesen  nicht  copirte,  sondern  von  seinem  Eigenen 
gab,  da  sind  es  unstatthafte  Zuthaten;  mitunter  muss  auch  die  An¬ 
nahme  von  unächten  Versen  aushelfen. 

Woiier  weiss  denn  aber  Hermann,  was  Homer  und  Hesiod  nicht 
gewusst  haben  sollen?  Woher  lernt  er  seinen  vermeintlichen  uralten 
Philosophen  kennen?  Nicht  aus  dem,  was  die  Allen  glaubten  und 
schrieben  —  das  war  nur  exoterischer  Wahn.  Die  buchstäbliche  Wort¬ 
erklärung  macht  ihn,  meint  er,  zum  esoterischen  Priester;  die  My¬ 
thologie  muss  Wortklauberei  seyn,  denn  die  Worte  sind  von  dem 
ursprünglichen  Philosophen  gesetzt,  die  Etymologie  ist  das  ein¬ 
zige  Kriterium  der  Wahrheit.  Aber  wie  ist  dieses  so  schwankend 
und  unsicher!  Diese  Methode  ist  schlimmer  als  die  der  oft  verlach¬ 
ten  Scholiasten,  die  doch  wenigstens  die  Gottheiten  Hessen,  wie  sie 
überliefert  sind,  und  nun  erst  die  wenn  auch  gekünstelte  Etymologie 
suchten.  Hier  aber  muss  sich  das  religiöse  Denken  der  alten  Welt 
blos  auf  eine  Etymologie  gründen,  die  noch  dazu  willkürlich,  un- 
besllramt,  vieldeutig  und  mangelhaft  ist;  denn  es  können  oft  meh¬ 
rere  Ableitungen  statlflnden,  und  mit  Einem  Wort  kann  man  nie 
Alles  sagen  Daher  werden  oft  sehr  allgemeine  Begriffe  in  eine  Ab¬ 
leitung  gelegt,  und  der  Etymolog  erlaubt  sich  erst  das  Nähere  zu 
bestimmen  und  was  er  will  hineinzulegen;  wie  wenn  Athene  dem 


1).  Sick  1er  die  (iHbeiispeuderin  bedeute!,  oder  wenn  er  Hekate 
von -rri;  (vereinigt  seyn)  ableitet.  Ebenso  Scbelling’s  Tbeorie  von 
den  sanudhraciscben  Gollheilen  beruht  auf  Etymologien,  die  ihm 
freien  Spielraum  genug  lassen ,  sich  und  sein  eigenes  philosophisches 
System  in  der  allen  Geheimlehre  zu  finden. 

Selbst  der  Boden,  auf  dem  die  Wurzeln  zu  suchen  sind,  ist  un¬ 
gewiss:  wenn  sie  Hermann  in  der  griechischen  Sprache  nachweist, 
so  sucht  sie  Sickler  in  seinem  Kadmus  in  der  semitischen.  Und  auf 
einem  so  schlüpfrigen  Grunde  will  man  eine  Wissenschaft  bauen? 
Um  sich  eiuigermassen  zu  behaupten,  weist  Hermann  (a.  a  O.  S.  51) 
den  Einwurf,  dass  die  wahre  Wurzel  einer  Gottheit  oft  in  morgen¬ 
ländischen  Sprachen  zu  suchen  sey ,  kurz  durch  die  unerwiesene 
Bemerkung  ab,  dass  die  Griechen  auch  den  orientalischen  Namen 
solche  Formen  gegeben  haben ,  die  auf  griechisch  bald  denselben, 
bald  einen  ähnlichen  Begritf  ausdrücken.  Ist  aber  dieses  so  ausge¬ 
macht?  Dem  Glauben  ist  auch  der  Name  heilig,  in  solchen  Dingen 
l>llegl  mit  der  Sache  auch  das  Wort  überliefert  zu  werden,  und  von 
dem  W'orte,  womit  die  Gottheit  bezeichnet  wird,  ist  der  Begriff  und 
die  Anbetung  unzerlrennlich.  Diess  liegt  in  der  Natur  des  abergläu¬ 
bischen  Polytheismus.  Jedoch  verstand  es  sich  von  selbst,  dass  die 
fremden  Wörter,  die  im  Munde  des  Volks  gang  und  gäbe  werden 
soll  len,  durch  Umbildung  der  Form  und  Endung  das  griechische 
Bürgerrecht  erhallen  und  wohl  auch  verwandten  J.aulen  gleichklin¬ 
gend  gemacht  werden  mussten  *).  Da  ist  es  freilich  nicht  schwer, 
eine  Ableitung  aus  griechischen  Wurzeln  aufzufinden,  während  das 
Wort  ägyptischen  oder  phönicischen  Ursprungs  seyn  mag.  Will  man 
gleichwohl  auf's  Gerathewohl  Alles  entweder  aus  semitischen  oder 


')  Die  Stelle  des  Plato  im  Kritias  S.  157  Bekker.  von  der  Ueber- 
tragung  ägyptischer  Namen  durch  Solon  darf  nicht  in  einer  zu  weiten 
Ausdehnung  verstanden  werden.  So  mögen  die  Namen  der  beiden 
Söhne  des  üarius  bei  Herod.  VII,  224  ^Aßpoxo/ut^g  und  'TTte^dvdrji;  wohl 
eine  griechische  Ueberselzung  seyn  nach  Baur  Mylh.  I.  S.  288.  Hier¬ 
aus  aber  darf  man  noch  nicht  auf  eine  gleiche  Sitte  in  Religionssachen 
und  bei  (lölternamen  schliessen. 


aus  griechischen  Spracheleinenien  al)lei(en,  so  möchle  die  Folge  da¬ 
von  ein  blindes  Heruniirren  und  Selbslläuschung  sejn.  Das  sehen 
wir  auch  an  den  Früchten  der  mythologischen  Forschungen  Her¬ 
manns.  Nach  Allem,  was  er  auf  jene  gewagte  und  willkürliche 
Weise  herausbringt,  müsste  sein  erträumter  alter  Philosoph  ärmlich 
und  kümmerlich,  und  sogleich  im  Anfang  seines  Systems  ziemlich 
unphilosophisch  gewesen  seyn,  indem  er  drei  Urgründe  oben  an 
stellt,  den  Raum  (Chaos),  die  Materie  (Gäa)  und  den  Einiger  (Eros). 
Die  Ungereimtheit  gibt  schon  unsere  Sprache  zu  erkennen,  indem 
ihr  die  Mehrzahl  von  Urgrund  widerlich  ist.  Dem  leeren  Raum  gibt 
er  zu  Söhnen  oder  Eigenschaften  die  Düsterheit  (Erebus)  und  das 
Sinken  oder  die  Bewegungskraft  (IVv^);  aber  wie  mag  das  Leere 
eine  Kraft  haben')?  Nur  dem  positiv  Seyenden  kann  die  Kraft  der 
Bewegung  zugeschrieben  werden. 

')  Plotin.  Ennead.  VI  C.  III  p.  637  I)  ;  y,ivr]aiq  de  ou  TteQl  t6 
öv ,  wie  aus  der  Marcianer  Hdschr.  A  zu  lesen  ist.  Mit  solchen  Deu¬ 
tungen  gaben  sich  schon  die  alten  Sophisten  ab,  namentlich  Euthy- 
phron,  wovon  Platon  folgende  Proben  im  Kratylus  S.  396  raittheilt: 
Zeus  komme  von  als  Urheber  des  Lebens  für  Alle,  Kronos  von 
und  vou(;  y  der  reine  Geist,  oder  von  -KQOvvdq  (Quelle)  p.  40'2.  'Pea 
von  Qelv ,  Heslia  von  aaia  statt  oiaia  oder  coaia  von  coi9eiv,  die  Trei¬ 
berin  (p.  401)  ,  Poseidon  von  Ttoatdeo/uog  (an  den  Füssen  gebunden, 
der  nicht  gut  auf  dem  Meere  wandeln  kann)  oder  von  TtoXXd  eidevai 
oder  oasioav  p.  402  E,  Pluton  von  TtXovacog,  Hades  von  detÖTjg  oder 
ndvxa  eidevai  mit  Beziehung  auf  die  Seligkeit  und  Weisheit  der  Ver¬ 
storbenen  p.  403  fl'.,  Demeter,  die  speisende  Mutter  von  ediodij  und 
/xi'jxrjQ  y  Hera  von  eparrj  oder  dvrjQ ,  Pherephatta  von  ixacpr]  xov  cpe^o- 
Apollon  als  Arzt  von  «.ToXotVor ,  als  Wahrsager  von  dxXovg  ,  als 
Bogenschütze  von  del  ßdXXiov ,  und  als  Tonkünstler  von  6f.io7ioX<Lv, 
Musen  von  fiioo&ai  (sinnen),  Letho  von  Xeiovijdog,  Artemis  von  dp- 
xe/uijg  (unverletzt),  oder  von  d^exijg  Ioxcoq,  oder  xöv  dpoxov  (Bei¬ 
wohnung)  /Luaovoa,  Dionysos  statt  didoivvaoq  von  6  didoig  xöv  o'ivov, 
Pallas  von  TidXXeiv  wegen  des  Waffentanzes ,  Athena  entweder  von 
deovörj  oder  ^dovorj ,  Hephästos  so  viel  als  cpaJaxoq ,  cpdeog  rorcop, 
Ares  von  aQQxjv  oder  «ppccro?  (nnbiegsam) ,  Hermes  statt 
rö  eiQeiv  imjoaxo,  Iris  von  eÜQeiv  (sagen). 


24 


Pia  Ion  gil)l  ini  Kralylus  einen  zum  'I  lieil  gelungenen,  zum  Theil 
gezwungenen  elyrnologischen  Versuch  über  die  Göllernamen;  allein 
er  hespöllell  sich  selbst  hin  und  wieder,  z-  B.  wenn  Socrales  den 
Hermogenes  auffordert,  sogleich  elwas  Anderes  zu  sagen,  sonst 
bringe  er  von  demselben  Worte  noch  eine  andere  Ableitung  vor, 
und  wenn  er  das  Ganze  für  eine  Eingebung  der  Sophisten  erklärt. 
Am  Ende  des  Gespräches  S.  436  f.  urlheill  er  treffend,  man  könne 
die  Sachen  nicht  aus  den  Worten  mit  Gewissheit  entnehmen,  denn 
der  Worlbildner  sey  seiner  individuellen,  nicht  immer  richtigen  An¬ 
sicht  gefolgt,  und  die  Ableitungen  seyet)  sehr  unsicher  und  zwei¬ 
deutig:  V^ieles  habe  Sitte  nnd  üebereinkommen  mit  einem  Worte 
erst  verknüpft,  das  in  dem  Worte  selbst  nicbl  liege.  Daher  lerne 
man  die  Sachen  viel  besser  aus  ihnen  selbst  kennen  als  durch  blosse 
Wörter,  und  aus  ihrer  Erkennluiss  sey  dann  erst  die  Richtigkeit  der 
Wörter  zu  prüfen  (S.  439  B). 

Darf  der  Mylholog,  was  sich  die  Griechen  unter  ihrem  Zeus, 
Nyx  ,  Themis  u.  s.  w,  dachten,  unter  dem  Vorwand  anmassend  ver¬ 
werfen  ,  als  hätten  sie  es  nicbl  mehr  verstanden  ?  Auf  diese  kTage 
müssen  wir  näher  eingehen ,  von  ihrer  Beantwortung  bängt  die  Be¬ 
handlung  unsrer  Wissenschaft  ab;  denn  haben  sie  die  Mythen  ver¬ 
standen,  so  sind  der  Willkür  Schraidien  gesetzt,  und  der  Weg  der 
W'orlableilung  ist  nicht  der  geignefe  zur  Erforschung  ihres  Inhaltes. 
Die  Behauptung  nun,  dem  griechischen  V^olke  sey  der  Sinn  der 
Mythen  gänzlich  unlergegangen ,  ist  schon  anthropologisch  nicht  zu 
rechtfertigen;  denn  sie  geht  von  dem  irrigen  Vordersätze  aus,  dass 
seine  natürliche  Religion  ein  abgeleitetes  Erzeugniss  der  pbilosophi- 
renden  Vernunft  war.  Hieraus  wird  dann  getolgert,  dass  sie  nur 
ein  Vorrecht  weniger  Weisen  war,  und  das  Volk  keine  Religion, 
sondern  nur  Aberwitz  in  den  Mythen  halle,  daher  die  Scheidung 
dessen,  was  sich  der  unbekannte  alte  Philosoph  von  demselben  ge¬ 
dacht  haben  mochte,  und  was  sich  das  Volk  und  die  Volksdichler 
dabei  dachten.  Diese  Folgerung  und  Sonderung  aber  ist  unrichtig, 
weil  der  Vordersatz  falsch  ist;  denn  nicht  Philosophie  ist  die  Quelle 
der  natürlichen  Religion ,  sondern  diese  liegt  lief  im  Menschen  und 


25 


enlwickell  sich  uiiinidelbar  und  noihwendig  zugleich  mit  dein  Sclhst- 
hewusslseyn  aus  seinem  Gemüthe.  Somit  darf  man  niclü  den  Glau¬ 
ben  der  ersten  Lehrer  und  Priester  von  dem  Volksglauben  (rennen, 
Religion  lehrten  jene  in  den  Mythen,  und  es  war  ihnen  ein  Ernst 
datnit,  Religion  fand  das  griechische  Volk  in  den  Mythen,  und  diese 
waren  ihm  wenigstens  in  der  guten  alten  Zeit  bedeutsam,  es  lebte 
und  webte  darin,  und  bloss  in  ihnen  konnte  dasselbe  das  jeglichem 
Menschen  eingeborne  religiöse  Redürfniss  befriedigen.  Wenn  auch 
einzelne  überkluge  Weltweise,  wie  zu  allen  Zeiten  ,  dem  Unglauben 
huldigten,  so  konnte  doch  nicht  dem  griechischen  Volke  die  Reli¬ 
gion,  die  mit  dem  menschlichen  Gemüthe  gleichsam  zusammen¬ 
gewachsen  ist,  ganz  und  gar  aus  den  Mythen  verschwinden,  und 
'dermassen  ersterben,  dass  wir  erst  die  Todte  wieder  in’s  Leben  ru¬ 
fen  müssten  —  wir,  denen  der  Mythen  Bedeutsamkeit  ferner  liegt 
als  den  Griechen  selbst. 

Was  schon  aus  der  menschlichen  Natur  und  ihrem  Hedürfniss 
und  aus  dem  Wesen  der  Religion  ges  hiossen  werden  muss,  lässt 
sich  auch  (hatsächlich  nachweisen.  Zwar  ist  Hermann  (Briefe  über 
Homer  und  Hesiod  S.  17)  der  Meinung,  »dass  Hornerus  nnd  Hesio- 
dus  von  dem  Sinne  der  (in  den  Mythen  ausgeprägten)  Lehre  durch¬ 
aus  weder  etwas  wissen  noch  etwas  ahnden.  Dass  dieses  so  ist,  be- 
weisst  am  deutlichsten  die  Theogonie  des  Hesiodus.  Nicht  nur,  dass 
nicht  die  geringste  Spur  auch  nur  einer  Andeutung,  dass  er  den 
Sinn  seiner  Lehre  kenne,  zu  finden  ist,  zeigen  sich  überall  die  deut¬ 
lichsten  Beweise,  dass  er  sie  nicht  verstand,  wiewohl  er  sie  treu  ge¬ 
nug  vorlrug.  Diese  Beweise  liegen  darin,  dass  er  Sachen  hinzu¬ 
mischt,  welche  ihr  widersprechen.«  Diese  angeblichen  Beweise  wer¬ 
den  wir  prüfen,  wenn  wir  zur  Sache  selbst  kommen,  und  finden, 
dass  Hermann  die  Lehre  nicht  recht  verstanden  habe,  dass  wir  viel¬ 
mehr,  je  getreuer  und  wörtlicher  wir  den  Hesiod  fassen,  desto  we¬ 
niger  Ursache  haben  ihn  der  Unkenntniss  und  Verfälschung  anzu¬ 
klagen.  Dass  Homer  und  Hesiod  der  Mythen  Sinn  nicht  ahnten, 
weil  nirgends  eine  Spur  einer  Andeutung  davon  Vorkommen  soll, 
belegt  Hermann  (a.  a.  0.  S.  21  f.)  mit  der  Erzählung  vom  Scepter 


26 


des  Aganiemiioii  II.  ß'  .  101  11'.,  wo  einfällig  gesagt  wird:  llepliäslos 
verl'erligle  das  Scepler,  und  gab  es  dem  Zeus,  dieser  dem  Bolen 
Hermes,  dieser  dem  Pelops  und  so  bis  zu  Agamemnon  herab.  Nun 
liälle  Homer  nacl>  der  .Anmulhung  Hermanns  sagen  sollen:  Zeus, 
von  dem  die  HerrscliafI  kommt,  liess  das  Scepler  verfertigen,  und 
scliickle  es  durch  Hermes  dem  Pelops  zum  Zeichen  der  Herrschaft 
über  den  Peloponnes.  Aber  diese  räsonnirende  Darstcliuncsweise 
ist  wider  die  epische  Art  und  dem  einfachen  1'on  der  Erzählung 
entgegen.  Man  darf  daher  nicht  schliessen,  es  sey  diess  ein  Bruch¬ 
stück  aus  einem  ältern  Gedichte,  dessen  Sinn  Homer  nicht  verstand; 
vielmehr  enthält  jene  epische  Darstellung  bemerkenswerthe  Winke 
vom  Gegeniheil.  Homer  sagt  doch  ganz  klar  V.  108,  dass  an  jenes 
Scepler  die  Herrschaft  über  ganz  Argos  und  viele  Eilande  geknüpft 
war;  wie  natürlich  war  es  nun  und  ohne  besondere  Andeutung  je¬ 
dermann  verständlich,  dass  und  warum  es  von  dem  Allherrscher 
Zeus  stammte.  .4her  Hermann  übersetzt  falsch  ,  dass  es  Zeus  von 
Hephäslos  geschenkt  bekam  und  wieder  verschetdcle ;  es  heisst  nur: 
Hephästos  verfertigte  und  gab  {d(Ly.£)  es,  schliesst  also  den  von 
Zeus  erhaltenen  Auftrag  nicht  aus.  Wiederum  heisst  es  nicht:  Zeus 
verschenkte  es  dem  Hermes,  sondern  gab  es,  und  zwar  wird  hier 
Hermes  der  Bote  (dtcixro^og)  genannt;  diess  möchte  doch  eine  feine 
Andeutung  seyn,  dass  er  nur  des  Zeus  Befehle  ausrichtele,  indem 
er  das  Scepter  dem  Pelops  einhändigte. 

Es  lassen  sich  aber  i)eslimmlere  Spuren  uachweiseu,  dass  Ho¬ 
mer  und  Hesiod  keineswegs  Alles  eigentlich  nahmen,  dass  sie  viel¬ 
mehr  ein  Versländniss  von  den  Fabeln  hatten.  Sie  führen  allegorische 
Personen  auf,  welche  liandgreiflich  personiticirte  Begriffe  und  Sachen 
sind:  Tod,  Schlaf,  Sonne,  Mond,  Atlas,  Ocean  ,  Gerechtigkeit 
Schamhaftigkeit  (AidcSg)  als  eine  Jungfrau,  die  sich  ver¬ 
schleiert.  Sie  lassen  diesen  Personen  ihre  Appellalivnanien ,  und 
gehen  ihnen  gerade  die  Beiwörter,  welche  den  Eigenscliaften  ihrer 
Begritfe  entsprechen.  Der  süsse  Schlaf  z.  B.  II.  XIV,  259  wird  vor 
Zeus  Zorn  von  der  Gefahr,  ins  Meer  geworfen  zu  werden,  durch 
die  schnelle  Nacht  gerettet  ,  welche  letztere  die  Bezwingerin  der 


üölter  uud  Menschen  genannt  wird.  Unverkennbar  ist  dieses  mit 
hellem  Ilewusstseyn  gescliehen,  weil  sonst  der  Dichter  niclit  die 
Wahrheit  des  Gegenstandes  und  seine  erdichtete  Persönlichkeit  mit 
einander  hätte  verweben  und  die  Farben  so  gesciiickt  liätle  misclien 
können,  und  es  lässt  sich  analogisch  schliessen,  dass  Homer  und 
llesiod  gleichlälis  die  andern  Götter  als  Personificationeu  werden  er¬ 
kannt  und  dem  Anthropomorphismus  auf  den  Grund  gesehen  haben. 
Man  vergleiche  das  homerische  Beiwort  von  Poseidon  der  schwarz¬ 
blaugelockte  (xvavoxaiTrjq) ,  das  der  Eos  mit  rosigen  Fingern  (^oöo- 
dd-ÄTvXoq).  Wenn  es  nun  Od.  20.  68  heisst,  der  Erde  umfassende 
Poseidon  habe  dem  Odysseus  widerstrebt,  von  der  Insel  Ogygia  ab¬ 
zufahren,  so  ist  unglaublich,  dass  nicht  Homer  das  personiticirte 
Erde  umfassende  Meer  darunter  verstanden  habe;  wie  es  anderer¬ 
seits  begreiflich  ist,  dass  er  demselben  als  einer  Person  menschliche 
Gefühle  und  Neigungen  lieh-  In  der  Stelle  Od.  XXll,  Wi  wird 
Aphrodite  als  Appellativum  für  gleichbedeutend  mit  Liebe  gesetzt. 

Da  Hermann  dafür  hält,  an  der  Theogonie  des  Hesiod  ersehe 
man  am  deutlichsten  die  Unkenntniss  des  Vollgehalts  der  Mythen, 
und  bereits  Greuzer  ‘)  den  Homer  gegen  den  Vorwurf  der  Unwissen¬ 
heit  einigermassen  in  Schulz  genommen  hat,  so  will  ich  vorzüglich 
von  erslerem  einige  sprechende  Züge  anführeu  2).  Nach  dem  Ein¬ 
gang  der  Theogonie  V'.  25  ff.  haben  die  Musen  den  Dichter  ange¬ 
redet,  ihm  einen  Lorbeerzweig  als  das  Scepler  des  Rhapsoden  ge¬ 
reicht  und  göttliche  Stimme  eiugehauchl.  Wer  versteht  den  Dich¬ 
ter  nicht,  oder  kann  ihn  für  so  einfältig  hallen,  als  hätte  er  sich 
selber  nicht  verstanden?  Der  Musen  Mutter  Mnemosyne  ist  ihm 
nichts  anderes  als  die  personificirle  Erinnerung  oder  Allwissenheit, 
wie  aus  dem  Wortspiele  Lesmosyne  (Vergessenheil)  V,  55  erhellet: 
Mnemosyne  gebar  die  Vergessenheit  der  Uebel.  Die  sinnhildliche 


*)  Creuzer’s  Hr.  au  Hermann  S.  5l  ff.  Symbol,  -ile  Ausg.  Th.  II. 
S.  447  ff.  Note  S.  459.  3te  Ausg.  Th.  HL  S,  65  f. 

2)  Vgl.  meine  Ilecension  von  Völker’s  Mylh.  des  Japet.  Geschlechts 
in  den  Heidelb.  Jabrh.  v.  1827. 


28 


I{cs(l)reil)unL:  V.  176  I  ,  wie  sich  der  grosse  Uranos,  die  Naclit  ini( 
sich  führend  ,  rings  um  die  Erde  in  sehnsüchtiger  Liehe  lagerte  und 
allenfhalben  ausbreifete  ,  (reägl  das  unverkennbare  Gepräge  an  sich, 
llesiüd  habe  sich  unter  Uranos  nichts  anderes  als  den  Himmel  und 
keinen  persönlichen  Mann  gedacht.  Wie  ist  es  glaublich  ,  dass  das, 
was  von  der  Eniniannung  des  Himmels  unmittelbar  darauf  folgt, 
nicht  auch  vorn  Dichter  erkannt  worden  sey  ?  Nachdem  in  Folge 
dieser  Entmannung  die  Natur  sich  besamte,  das  Menschengeschlecht 
so  zu  sagen  Fleisch  geworden,  und  die  Titanen  frevelnd  Hand  an 
den  himmlischen  Vater  Uranos  gelegt,  and  dieser  über  die  Kinder 
den  Fluch  ausgesprochen  halle,  so  folgen  V.  211  ff.  die  Geburten 
der  verderblichen  Nacht:  Fatum,  Tod,  Elend,  Nemesis,  Betrug, 
Beischlaf,  Aller,  Zwietracht.  Die  bedeutsame  Stellung  dieser  Verse, 
deren  Aechlheit  mit  Unrecht  angefochten  worden  ist,  bürgt  lür  das 
Verständniss  ihres  Verfassers-  Die  Flüsse  werden  als  Kinder  des 
Oceanos  zum  Theil  mit  Namen  aufgeführt,  endlich  lieissl  es  V.  370: 
die  daran  w  o  h  n  e  rt ,  kennen  auch  diejenigen  Namen,  die  er  nicht 
wisse.  Die  Styx,  welche  V.  397  als  Göttin  zu  Zeus  kommt,  wird 
V.  784  mit  ihrem  rechten  Namen  das  unterirdische  Wasser  genannt. 
Eos  (Morgenrölhe)  gebiert  V.  378  dem  Asträos  die  Winde,  welclie 
sich  bekanntlich  mit  Sonnenaufgang  besonders  regen.  Die  Macht 
und  Gewalt  {Kgdioq  und  Bia),  die  dem  Zeus  wider  die  Titanen 
beigestanden,  haben  fortan  bei  ihm  ihren  Silz  V.  385  ff.  Den  leicht 
begreiflichen  Sinn  dieses  Mythus  erklärt  am  Schlüsse  Hesiod  selbst 
mit  den  Worten  V^  403:  »er  (Zeus)  herrscliet  und  regieret  gewaltig.« 
Den  Plulus  (Keiclilhum)  gebiert  Demeter  auf  einem  dreimal  gepflüg¬ 
ten  Brachfelde  in  Kreta’s  fetten  Triften;  der  Gott  geht  über  Wasser 
und  J.,and  und  verleiht  Reichlhum  V.  968  ff.  »Man  erwarte  nur 
nicht,  sagt  Baur  ()  richtig,  dass  sich  die  Volkspoesie  über  solche 
Dinge  bestimmter  und  ausdrücklicher  erklären  sollte,  als  sie  es 
ihrem  Wesen  nach  thun  konnte,  so  wird  man  gewiss  die  Andeu¬ 
tungen  nicht  übersehen  können,  die  sie  auch  wirklich,  wie  es  die 

')  Baiir  .^ynib.  n.  Myth.  I'h.  1  ,S  3'r2.  Vgl  ebenda.s.  S.  35  If. 


29 


Natur  der  Sache  tnil  sich  hringl,  da  und  dort  den  Verständigen  ver¬ 
ständlich  genug  gegeben  hat.«  Zu  einer  Zeit,  da  der  Mythus  nocli 
in  seinem  vollen  Leben,  und  jedermann  gewohnt  war,  die  Wahrheit 
in  der  Hülle  der  Dichtung  anzuschauen  ,  konnte  man  noch  nicht 
eine  Erklärung  beabsichtigen,  und  darf  sie  eben  darum  auch  nicht 
daselbst  suchen. 

Ganz  anders  als  Hermann  urtheilt  Herodot  von  Homer  und  Ho- 
siod,  wenn  er  sie  H,  53  geradezu  Urheber  der  griechischen 
Theogonie  nennt,  und  Plato  Polit.  H  p.  377  ü,  wenn  er  von 
jenen  aussagt,  sie  hätten  Mythen  geschmiedet.  Schöpfer  stehen  mit¬ 
ten  im  Flusse  des  Lebens.  .4llerdings  haben  sie  nicht  die  Gotthei¬ 
ten  selbst  erfunden,  diese  fanden  sie  samrnt  und  sonders  vor;  allein 
ihr  Verhältniss  zu  einander  bestimmten  diese  Gesetzgeber  der  Volks¬ 
religion,  wie  sich  Herodot  ausdrückt,  durch  tlestimmung  ihrer  Ab¬ 
stammung  von  einander,  durch  lleilegung  von  Attributen,  durch 
Vertheiluug  ihrer  Würden  und  Aemter,  durch  Bezeichnung  ihrer 
Gestalten  ').  So  wie  die  Dichter  den  Polytheismus  darslellten,  konn- 


*)  So  deutlich  sich  Herodot  iilier  das,  was  dem  Uesiod  und  Ho¬ 
mer  zu  verdanken  sey ,  ausdrückt,  so  wird  er  doch  insgemein  missver¬ 
standen,  w'eil  man  nicht  zwischen  Götterlehre,  deren  Ursprung  er  ihnen 
mit  nichlen  zuschreibt,  und  zwischen  Gottzeugungslehre  unterscheidet. 
Schon  Athenagoras  Legal,  pro  Christian  n.  l7  p.  292  und  n  iS  p,  294 
ed.  Paris,  verstand  den  Herodot  so ,  als  hätten  Homer  und  Hesiod  ra 
ovöfiaxa  Ttöv  ßioiv  zuerst  erfunden;  jedocti  suchte  er  sein  Zeugniss 
stillschweigend  zu  verbessern,  indem  er  zu  jenen  zweien  noch  den 
Orpheus  hinzufügle.  Davon  sagt  aber  Herodot  im  Vorhergehenden  ge¬ 
rade  das  Gegentheil,  nemlich  dass  die  griechischen  Götlernamen  Iheils 
von  den  einlieimischen  Pelasgern,  theils  von  Phönizien,  theils  von  Ae¬ 
gypten  und  theils  von  Lybien  herstammen  ,  und  vom  dodonäischen  Ora¬ 
kel  bestätigt  worden  seyen;  nur  der  Götter  Abkunft,  .\lter  und  Gestalt 
sey  erst  seit  Kurzem  bekannt,  nemlich  durch  Hesiod  und  Homer,  die 
Urheber  der  Theogonie;  denn  die  Dichter,  die  man  für  früher  als  sie 
halle,  fallen  nach  seiner  Ansicht  in  eine  spätere  Zeit.  Mehr  Anheque- 
mung  als  Auslegung  scheint  es  mir  zu  seyn  ,  wenn  Hermann  Br.  über 
Hom.  u.  Hes.  S.  1 1  u.  Oeiizer  das.  S.  27  den  Herodot  sagen  lassen, 


teil  sie  ihn  in  der  Wirklichkeit  nicht  vorgefunden  haben;  sondern 
einzelne  Städte  und  Gegenden  hatten  ilire  eigenthiimlichen  Haiipl- 
schutzgotlheiten ,  welclien  liier  Aehnliches  beigelegt  wurde,  was  an 
einem  andern  Orte  einem  andern  Schulzgotle.  Eine  merkwürdige 
Zusammenstellung  derselben  Gottheit  unter  vielen  Namen  bei  ver¬ 
schiedenen  Völkern  findet  sich  bei  Apulejus  (Metam.  XI.  p.  761 
Oudend.).  Er  hält  die  Cybele  der  Phryger,  die  Minerva  Cecropia 
der  Aulochthonen  von  Athen,  die  Venus  der  Cyprer,  die  Dianader 
Kreier,  die  Proserpina  der  Siculer,  die  Ceres  der  Eleusinier,  die 
Juno  von  andern,  die  Bellona,  die  Hekate,  die  Bhamnusia  ander¬ 
wärts,  die  Isis  der  Aethiopier  und  Aegyptier  im  Grunde  für  einerlei. 
Nun  finden  wir  aber  die  homerischen  Götter  sich  ordentlich  in  die 
Aemter  Iheilen  und  den  einen  sein  ausschliessendes  Geschäft  ohne 
Beeinträchlisjung  des  andern  besorgen.  Den  Priestern,  die  an  ört¬ 
liche  lleiliglhürner  und  Herkommen  gebunden  wären,  dürfen  wir 
wohl  nicht,  sondern  den  Dichtern  müssen  wir  mit  Herodol  diesen 
freien  Blick ,  die  Scheidung  und  Vereinigung  der  Götter  zu  einem 
Ganzen,  zuschreiben.  Erst  aber  vermitlelsl  der  Beflexion  und  Ab- 
straclion  der  Epiker,  in  welchen  sich  der  geistige  Verkehr  und  die 
Einheit  des  griechischen  Volkes  aussprach,  konnten  die  Götter  in 
jenes  harmonische  Wechsel verhäl Iniss  gebracht  werden.  Athene  gab 
nun  das  kosmische  Weben  an  die  verwandten  Göttinnen  ab,  und 


nur  die  Gedichte  früherer  Sänger,  mit  denen  man  sich  zu  seiner 
Zeit  herumtrng,  gehören  in  eine  spätere  Zeit,  während  Herodot  diess 
bestimmt  von  den  Dichtern  aussagt,  und  zu  seinem  Zweck  im  Zu¬ 
sammenhang  aiissagen  musste.  Denn  nur  dadurch  ,  dass  er  das  Daseyn 
vorhomerischer  Dichter  überhaupt  leugnete,  erhärtete  er  seinen  Satz 
von  der  späteren  und  erst  von  Hesiod  und  Homer  herrührenden  Ent¬ 
stehung  der  Götterzeugung.  Wozu  würde  es  dienen,  gewissen  Gesän¬ 
gen  das  angemasste  Alter  abzuspreeben  ?  Hätten  Orpheus,  Linus,  Mu- 
säus  vor  Homer  und  Hesiod  gelebt,  nun  so  hätten  diese  schon  eine 
Theogonie  verfassen  können,  was  Herodot  gerade  in  Abrede  stellt. 
Uebrigens  gibt  er  dieses  chronologische  ürtheil  ausdrücklich  nur  für 
seine  Meinung  aus. 


—  ;{i  — 

behielt  davon  nur  die  IJaiullerliykeit ,  das  Geschick  und  den  Verstand 
übrig,  uni  sich  friedlich  an  Oenieter  und  Persephone  in  Einem  Göt- 
terhimmel  anzureilieu;  Persephone  musste  zur  Tochter  der  Demeter 
werden,  und  die  cyprische  Aphrodite  (rat  von  ihrem  dortigen  Voll¬ 
gehalte  an  dieses  Göfterpaar  die  Begriffe  der  Natur  und  ihrer  Truclit- 
harkeil  ab,  und  behielt  für  sich  nur  den  der  Zeugungslust.  Nur  aber 
mit  der  grössten  Umsicht  und  Einsicht  in  die  Priesterlebre  konnten 
es  die  Dichter  wagen  und  nur  so  es  zu  Stande  bringen.  Indem  sie 
durch  die  Theogonie  im  Geiste  der  Volksreligion  eine  Art  von  Göt¬ 
tersystem  aufstellten,  haben  sie  damit  einer  wissenschaftlichen  .My¬ 
thologie  vorgearbeitet;  und  diese  dürfte  viel  besser  gelingen,  wenn 
sie  ihrer  Führung  vertrauensvoller  folgte,  statt  sie  undankbar  von 
sich  zu  stossen.  Denn  hei  dem  entgegengesetzten  synkrelistischen 
V^erfahren  lernt  man  wohl,  was  überall  .Alles  von  einer  Gottheit  ge¬ 
fabelt  worden  ist,  aber  ihr  eigenthümlicher  und  in  dem  System  al¬ 
lein  passender  Grundbegriff  bleibt  gleichwohl  verborgen.  So  stösst 
man  z.  B.  in  den  neuern  Büchern  auf  eine  seltsame  liäulüng  von 
Sonnengöttern  und  wird  oft  versucht  zu  fragen,  wie  sich  doch  diese 
alle  in  Einem  Olymp  so  gutmüthig  zusammen  vertragen.  Die  ver¬ 
schiedene  Genealogie  derselben  Götter,  wie  sie  z.  B.  Cicero  N.  D. 
111,  21  ff.  aufbewahrt  hat,  zeigt  schon  den  nach  Ort  und  Zeit  ver¬ 
schiedenen  Glauben,  den  man  mit  ihnen  verband.  Was  die  .Allen 
selbst  schon  sonderten,  sollten  wir  nicht  mehr  in  ein  Chaos  zusam¬ 
men  werfen  ^). 

So  wenig  als  den  Epikern,  können  wir  den  Tragikern,  die 
von  der  V'^olksreligion  im  Ganzen  einen  so  würdigen  Gebrauch  ma¬ 
chen,  erleuchtete  Erkenntniss  der  .Mythen  absprechen.  So  nennt 
Aeschylus  (Agarnemn.  288)  das  Feuer  llephäslos,  die  Liebe  Aphro¬ 
dite  (das.  127),  den  Krieg  .Ares  (das.  146),  den  Tod  Hades  (V.  675). 
Er  führt  in  seinem  gefesselten  Prometheus  die  Kraft  und  Gewalt 
(Kgaiog  y.ai  Bia)  als  Eine  Person  auf,  wodurch  er  zu  erkenneh 


*)  Quibus  inlelligis  resisleiulnm  esse,  ne  perlni'i>enliir  religiones: 
Cic.  N  D.  III,  -23. 


gibt,  (lass  ibtii  wohl  bewusst  war,  jene  tiiylhologiscbe  Zweiheit  sey 
nur  (^lie  Porsonilication  Eines  Pegritres.  Eben  so  personificirt  er 
(7  vor  Theben  394)  tlie  Hescheidenheit  {^Alayjtvrf).  Euripides  (Plioen. 
782)  lässt  den  Eleokles,  der  zur  Vertbeidigung  von  Theben  schrei¬ 
tet,  die  Vorsicht  (EuXdßeia)  anrufen,  die  nützlichste  der  Götter,  die 
Stadl  zu  retten.  Derselbe  Dichter  (Flecub.  tü86  f.)  nennt  die  Echo 
eines  Bergfelsen  Tochter  —  hoffentlich  mit  Bewusslseyn. 

An  den  .Mythologen  ergeben  sich  hiernach  folgende  Anforde¬ 
rungen,  damit  seine  Untersuchungen  nicht  fruchlleeren  Adonis- 
gärlchen  gleichen  aus  vorübergehender  Lust,  sondern  eine  ernste 
-Aussaat  seyen,  welche  nach  dem  Ausdruck  Plalon's  (Phaedr.  p.  276  B) 
in  den  Freunden  der  Wahrheit  bleibende  Frucht  hervorbringt.  Vor 
allen  Dingen  muss  er  sich  an  die  Allen,  zunächst  Homer  und  lle- 
siod,  anschliessen  und  ihnen  zuhören,  was  sie  von  ihren  Göttern 
sagen,  von  der  Bahn  der  selbstgefälligen  Klügelei  hinweg  auf  ge- 
schichllicliem  Grund  und  Boden  lüssen  ,  mit  ungetrübtem  Sinne  zu¬ 
erst  wahrnebrnen,  wie  und  von  wem  die  Mythen  überliefert  sind, 
wie  sie  die  Allen  selbst  verstanden  haben,  und  dann  erst  wird  er 
dieses  Gegebene  zum  Gegenstand  des  Nachdenkens  und  der  Aus^ 
legung  machen.  Die  Quellen ,  woraus  wir  unsre  Erkennlniss  un¬ 
mittelbar  oder  mittelbar  schöpfen,  sind  die  Priester,  Dichlor  und 
Weltweisen.  Wenn  die  Dichter  bei  Platon  (Lys.  p.  214  A)  gleich¬ 
sam  der  Weisheit  Väter  und  Führer  heissen,  so  sind  die  Philosophen 
der  Weisheit  Ausleger  und  Ergründer.  Bei  diesen  unterscheide  man 
wohl  zwischen  ihren  besondern  Ansichten  und  zwischen  der  öffent¬ 
lichen  Religion;  jedoch  haben  sie  unleugbaren  Einfluss  auch  anf  diese 
und  besonders  bei  der  gebildetem  Volksklasse,  angeregt  von  der 
Volksreligion,  sind  sie  zum  Theil  eine  Frucht  ihrer  Zeitverhällnisse. 
Zu  den  Forlbildnern  der  Religion  sind  also  ebensowohl  die  griechi¬ 
schen  Weltweisen  als  die  Dichter  zu  zählen  und  als  solche  zu  be¬ 
nutzen,  in  so  ferne  und  soweit  sich  jene  nicht  in  offenen  Widerspruch 
und  Gegensatz  zur  Religion  überhaupt  gesetzt  haben.  Der  Mytho- 
log  mag  sich  daher  der  die  Götter  leugnenden  Lehre  eines  Anaxa- 
goras  enischlagen,  und  ebenso  den  Epikurus  umgehen,  welcher 


ifii  Widerstreit  mit  aller  Heligioii  den  liinlluss  der  Göller  auf  die 
Welt  und  Menschen  in  Abrede  stellte,  und  ihr  seliges  und  unsterb¬ 
liches  Lehen  in  ihre  Abgezogenheil  und  in  ihre  Beschränkung  auf 
die  eigene  Weisheit  und  Tugend  setzte').  Einen  Plato  aber  darf 
er  nicht  unbeachtet  lassen.  Die  Weltweisen  eines  spätem  Zeitalters 
indessen  nehmen  eine  untergeordnete  Stelle  ein,  als  die  Fortbildung 
der  Volksreligion  bereits  ein  Ende  genommen  ,  und  diese  nicht  sel¬ 
ten  zum  Gegenstände  heterogener  Reflexionen  gemacht  wurde.  Eine 
weitere  Quelle  der  mythologischen  Erkenntniss  ist  die  Sprache, 
womit  man  aber  nicht  anfangen,  sondern  aufhören  muss,  um  nach¬ 
zuweisen,  wie  die  sonsther  bekannte  Sache  sich  auch  in  dem  Wort 
ausprägt  und  abspiegelt. 

Die  erste  Eigenschaft  eines  Mythologen  ist^  daher  der  kritische 
Samralerfleiss,  der  aus  den  Quellen  schöpft  und  alles  zur  Sache  Ge¬ 
hörige  am  rechten  Orte  aufnimmt,  der  nicht  Altes  und  Neues  bunt 
durch  einander  mischt,  sondern  die  Zeiten  unterscheidet.  Verhäll- 
nissmässig  späte  Schriftsteller  können  zwar  alterthümliche  Sachen 
berichten;  allein  man  ist  nicht  befugt,  sie  geradezu  dem  Allerthum 
zuzuschreiben,  und  man  wird  in  der  Regel  besser  Ihun,  ein  überlie¬ 
fertes  System  rein  zu  lassen.  Freilich  ist  es  nicht  leicht,  dieser 
Anforderung  zu  genügen,  da  die  Gleichartigkeit  des  Stoffes  nicht 
selten  verbietet  den  Faden  abzurcissen.  Allein  im  Grossen  wenig¬ 
stens  sind  gewisse  Religionsperioden  historisch  zu  unterscheiden  und 
der  Stoff  darnach  zu  vertheilen,  wenn  auch  im  Einzelnen  die  Zei¬ 
ten  nicht  immer  auseinander  zu  halten  sind.  Die  zweite  Eigenschaft 
ist  ein  feiner  Sinn,  mit  der  kindlichen  Bildersprache  vertraut,  ihr 
auf  die  Spur  zu  sehen,  ohne  sich  willkürliche  Ausschreitungen  zu 
erlauben  2).  Ideen  werden  Personen  ,  correlate  Begriffe  werden  Ge¬ 
schwister,  die  Eigenschaften  eines  Gottes  sind  seine  ihm  beiwohnen¬ 
den  Gattinnen;  in  so  ferne  diese  Eigenschaften  auf  die  Aussenwelt 
einwirken,  sind  es  seine  Söhne  und  Töchter.  Das  Verhäl Iniss  der 

')  Cicero  N.  I).  I,  17.  19. 

2)  Julian  Or.  II.  p.  74  I)  klagt  über  gezwungene  Auslegungen 
der  Mythen. 


3 


Abhängigkeil  des  einen  vom  andern,  der  Ursaclie  und  Wirkung  wird 
durch  den  Uegriff  der  Zeugung  ausgedrückl.  Das  durch  Deulung 
gefundene  Ergebniss  darf  man  mit  den  überlieferlen  Fabeln  selbst 
nicht  vermischen,  sondern  muss  beides  so  auseinander  hallen,  dass 
man  leicht  den  Stoff  von  der  Verarbeitung  desselben  und  von  der 
individuellen  Auffassung  des  Mylhologen  unterscheidet,  um  der  in 
diesem  Gebiete  so  häufigen  Verwirrung  vorzubeugen.  Dazu  muss 
sich  drittens  ein  scharfer  Verstand,  ein  dialektischer  Sinn  gesellen, 
welcher  das  Viele  zur  Einheit  zurückführt  und  ordnet,  das  Zer¬ 
streute  sammelt  und  unter  einen  allgemeinen  Begriff  fasst,  welchem 
das  Einzelne  untergeordnet  ist  Den  einzelnen  Theilen  muss  im 
V'^erhällniss  zum  Ganzen  die  angemessene  Stellung  angewiesen  seyn; 
denn  eine  Abhandlung,  sagt  Plato  (Phaedrus  p.  26i  C  265),  muss 
wie  ein  lebendiges  Wesen  gebaut  seyn,  ein  Ganzes  darstellen  und 
wohlgeordnete  Glieder  haben.  Die  wissenschaftliche  Darstellung  geht 
den  absteigenden  Weg,  während  die  vorausgegangene  Forschung 
selbst  den  aufsleigenden:  jene  steigt  vom  Allgemeinen  zum  Beson- 
dern  herab  und  setzt  voraus,  dass  vorher  bei  der  Untersuchung  selbst 
umgekehrt  zu  Werke  gegangen,  und  der  anfänglich  zweifelnde  Leser 
findet  das  Allgemeine  später  im  Einzelnen  gerechtfertigt.  Die  höhere 
Weihe  aber  viertens  erwartet  die  Mythologie  von  dem  religiösen 
Gemülhe,  welches  die  gewonnenen  und  verständig  geordneten  Schätze 
auf  die  Religion  an  sich  bezieht  und  mit  ihr  vergleicht.  Es  ist  ein 
schwieriges,  aber  unerlässliches  Geschäft,  die  religiösen  von  den 
geschichtlichen  und  physiologischen  F'abeln  gehörig  zu  unterscheiden 
und  auseinander  zu  halten.  Eulhyphron  bei  Plato  (p.  6  A)  verfiel 
in  solche  Fehlschlüsse ,  indem  er  die  Fesselung  des  Kronos  durch 
Zeus,  welche  als  Religionsgeschichte  zu  verstehen  ist,  und  die  Ent¬ 
mannung  des  Uranos  durch  Kronos ,  die  eine  physiologische  Bedeu¬ 
tung  hat,  ethisch  auffassle,  und  damit  sein  liebloses  Betragen,  den 
eigenen  Vater  des  Todlschlags  anzuklagen,  beschönigen  wollte.  Da¬ 
her  warnt  Plato  (Polit.  II.  p.  378  A)  solche  Dinge  vor  Unverständi¬ 
gen  und  Kindern  auszukramen;  denn  sie  können  deren  Bedeutsam¬ 
keit  noch  nicht  unterscheiden.  Ursprünglich  sind  alle  Religionen  eins 


35 


und  linbon  gemeinsame  Wurzeln,  wie  Creuzer  (Hr.  über  llom.  und 
Hes.  S.  96  f.)  sagt ;  „Der  erste  Typus  ist  eine  reinere  Urreligion, 
die  Monotheismus  war,  und  die,  so  sehr  sie  auch  durch  den  ein¬ 
gerissenen  Polytheismus  öffentlich  zersplittert  und  verfälscht  worden, 
dennoch  zu  keiner  Zeit  ganz  untergegangen  ,  sondern  selbst  bis  mit¬ 
ten  unter  das  anthropomorphislische  Griechenthum  durch  Priester¬ 
tradition  und  Mysterien  im  Wesentlichen  ist  erhalten  worden.  So 
wenig  wir  nun  die  Einzelnheiten  in  der  Strahlenbrechung  des  mythi¬ 
schen  Prisma  übersehen  sollen,  oder  übersehen  mögen,  so  sehr 
kommt  es  doch  darauf  an,  das  Wesentliche  zu  erblicken,  nemlich 
durch  die  vielen  gebrochenen  Lichter  hindurch  das  Eine  wahre  Licht 
der  Sonne,  die,  wenn  sie  auch  das  bunte  Farbenspiel  der  Fabel  nicht  al¬ 
lein  hervorbrachte,  doch  alles  Scheines  und  Wiederscheines  letzte  Quelle 
und  Ursache  war.”  Wir  werden  somit  in  den  Mythen  die  Erkennt- 
niss  von  Gott  und  unserm  Verhältniss  zu  ihm,  von  un- 
sern  Pflichten  und  von  dem  Zustande  nach  dem  Tode, 
die  Lehre  vom  Glauben,  von  der  Liebe  und  von  der  Hoffnung  nach¬ 
zuweisen  haben.  Es  ist  schon  ein  Bedürfniss  des  menschlichen  Gei¬ 
stes  ,  in  seine  Erkenntnisse  Zusammenhang  zu  bringen ,  und  die  Re¬ 
ligion  der  alten  Griechen  nicht  als  etwas  Abgerissenes  und  Isolirtes 
zu  betrachten.  Zwar  will  sie  als  etwas  Abgerundetes  für  sich  selbst 
erforscht  und  behandelt  seyn,  jedoch  nicht  als  etwas  selbstständig 
in  sich  Ruhendes,  sondern  als  eine  Form  der  Religion.  Ohne  darum 
Fremdartiges,  wie  oft  geschieht ,  bunt  zu  mischen  und  zu  verwirren, 
bieten  sich  doch  mit  andern  Religionsformen  viele  V'^ergleichungs- 
punkte  dar.  Die  höchste  Aufgabe  aber  ist,  das  Ringen  nach  Wahr¬ 
heit  auf  die  reine  Wahrheit  seihst  zurückzuführen,  auf  die  Religion 
an  sich,  welche  im  Christenthum  als  ihrem  Culminationspunkt  her- 
vorgetrelen  ist.  Denn  es  ist  nicht  ein  beliebiger,  sondern  ein  inne¬ 
rer  Zusammenhang  in  den  Religionen.  Wie  sich  der  Schöpfer  ge¬ 
fiel,  seine  ewige  Kraft  und  Gottheit  in  den  verschiedenartigsten  We¬ 
sen  in  vielen  Abstufungen  zu  spiegeln,  also  beliebte  es  auch  dem 
ewigen  Worte,  dem  Urlichte  der  Menschen,  in  dem  bunten  Regen¬ 
bogen  der  allen  Religionsformen  seine  Strahlen  zu  brechen.  Die 


Schuld  der  Menschen  hal  zwar  das  lautere  Licht  oft  getrübt  und  die 
Wahrheit  in  Lüge  verdreht;  aber  auch  dann  noch  verlohnt  es  der 
Mühe,  zur  reinem  Quelle  aufwärts  zu  gehen.  Das  Heidenthum  ist 
ja  nach  dem  bildlichen  Ausdruck  Pauli  (Röm.  H,  17)  als  ein  wil¬ 
der  Oelbaum  auf  den  edeln  gepfropft  worden.  Die  Möglichkeit  die¬ 
ses  Pfropfens  setzt  einige  Aehnlichkeit  voraus.  Diese  nicht  etwa 
blos  in  einzelnen  äussern  Erscheinungen  und  religiösen  Gebräuchen, 
sondern  vornemlich  im  innersten  Grund  und  Wesen  zu  erforschen 
und  nachzuweisen,  liegt  im  Interesse  der  Wissenschaft  und  der  Re¬ 
ligion,  und  ist  ein  Hauptzweck  dieses  Buches.  Da  die  Wahrheit  im 
Christenthum  erschienen  ist,  so  haben  wir  in  demselben  den  Mass¬ 
stab,  woran  wir  alle  Religionen  messen  können.  An  dem  Lichte 
der  Oflenbarung  würdige  man  das  dunkle  Ahnen  der  Vorzeit,  an  der 
Rede  des  Mannes  das  Lallen  der  Kinder.  So  kommt  die  Seele  des 
redlichen  Forschers  zur  heitern  Ruhe,  und  sammelt  sich  bei  den  manch- 
faltigen  Erscheinungen.  Es  ist  etwas  Bleibendes  und  Festes  in  vie¬ 
lerlei  Gepräge.  Den  veränderlichen  Ansichten  von  den  Glaubens¬ 
lehren  stehen  sie  selbst  vor,  das  Dogma  seiner  Geschichte,  so  wie 
in  der  Staatengeschichte  über  dem  Thun  und  Lassen  der  Völker  die 
feste  Regel  des  Handelns,  das  Sittengeselz ,  steht,  an  welchem  ihr 
Leben  gerichtet  wird.  Das  Heidenlhum  wird  so  eine  ehrwürdige 
Mondnacht,  deren  Licht  von  der  Sonne  des  Hejls  geborgt  ist.  Im¬ 
mer  darauf  will  ich  hinweisen,  wie  die  Eine  wahre  Religion  sich  in 
den  Fabeln  abspiegelt;  durch  dieses  Verfahren  glaube  ich  eben  so 
wohl  der  Mythologie  als  dem  Christenlhum  selbst  einen  Dienst  zu 
leisten.  Denn  die  Natur  des  Keimes  wird  erst  an  der  Blüthe  und 
Frucht,  der  Schatten  an  dem  Körper,  das  Bild  aus  dem  Wesen  er¬ 
kannt.  So  gewinnt  das  alte  Testament  eine  rechte  Gestalt  und  Farbe 
durch  den,  in  welchem  das  Gesetz  und  die  Propheten  erfüllet  sind; 
in  welcher  Beziehung  es  wahr  ist ,  dass  wir  jenes  besser  verstehen 
können,  als  selbst  seine  Verfasser,  die  es  im  Sehnen  nach  dem,  das 
sie  nicht  sahen  und  das  wir  sehen,  geschrieben  haben.  Dessgleichen 
werden  die  dunkeln  Mythen  erhellt,  wenn  das  Licht  der  lautern 
Wahrheit  auf  sie  fällt;  auf  sie  bezogen,  hören  sie  auf  blosser  Wahn 


a7  - 

und  Aberglaube  zu  seyu,  sic  werden  in  ihrem  Wesen  und  Geist 
aufgefasst,  und  gewinnen  als  Vorbilder  des  Vollkommenen  höhere 
Bedeutsamkeit.  »Der  Geistliche  richtet  Alles«  (1  Kor.  2,  15).  Man 
geht  mit  Christo,  dem  Lichte  der  Welt,  in  die  weiten  Mumienhallen 
der  Mythologie,  da  stehen  viele  Leichensteiue,  welche  der  abgeschie¬ 
denen  Götter  Namen  und  Thaten  aufbewahren.  Die  lebendige  Wahr¬ 
heit  des  Christenlhums  erfüllt  das  Todteuhaus  und  hauchet  den  Mu¬ 
mien  Leben  ein.  Diese  aber  neigen  sich  dankbar  vor  ihrem  Ober- 
herrn  und  werfen  ihre  Kronen  vor  seinen  Füssen  nieder.  Im  Ge¬ 
gensatz  mit  der  Mondnacht  geht  die  Sonne  selbst  uiu  so  schöner 
über  unsern  Häuptern  auf,  das  Christenthum  ragt  als  vollendete  Kö¬ 
nigin  über  die  altern  Schwestern,  die  Weisen  des  Alterthums  brin¬ 
gen  Christo  ihre  Huldigungen  dar,  viele  Zungen  stammeln  und  sin¬ 
gen  sein  Lob  und  rufen:  in  ihm  findet,  wie  das  Gesetz,  so  auch  das 
Heidenthum  seine  Erfüllung,  ihm  sey  Ehre  von  Anfang  bis  in  Ewig¬ 
keit!  Amen. 


Wir  unlerscheideii  drei  (jöllerdjiiastieu  uach  drei  Zei(j)eriodeii; 
(Jäher  Cicero  (N.  D.  Ui,  ‘21)  dreierlei  Juppiler  d.  h.  Obergölter  lienut: 
der  erste  liabe  den  Aellier,  der  zweite  den  Himmel  und  der  dritte 
den  Kronos  zum  Vater.  Neunen  wir  einen  jeden  mit  seinem  eigeut- 
lichen  Namen,  so  war  der  Erste  laut  der  Tlieogouie  Uranos,  der 
Zweite  Kronos  und  der  Dritte  Zeus.  Die  erste  Periode  ist  die 
der  Ureinwohner  Griechenlands,  die  zweite  geht  bis  C  e- 
krops  und  ist  durch  pliönicische  Einflüsse  bedingt,  und 
die  dritte  reicht  von  Cekrops  bis  zu  den  einheimischen 
Dichtern,  welche  das  Ausländische  zusammen  verarbeitet  und 
einheimisch  gemacht  haben. 


§•  1. 

Die  älteste  Periode  der  IJreiiiwohiier. 

Zur  Zeit  der  alten  Pelasger  waren  die  verschiedenen  Gölter- 
benennungen  in  Griechenland  noch  nicht  vorhanden,  wie  die  dodo- 
näischen  Priester  den  Herodot  (II,  52)  versicherten.  Hi.mmel  und 
Erde,  Sonne,  Mond  und  Sterne  wurden  allein  in  den  ältesten 
Zeiten  Griechenlands,  wie  auch  in  dem  ältesten  Aegypten'),  gött¬ 
lich  verehrt  2).  Daher  setzt  Hesiod  (Theog.  127)  zuerst  die  Götter¬ 
herrschaft  des  Uranos  (Himmels)  und  der  Gäa  (Erde);  was  nicht 


')  Diodor.  I,  11, 

2)  Derselben  Ansicht  ist  Plat.  Cratyl.  31  p.  49  lleindorf.  und 
Vano  bei  Augustin,  de  civitale  Dei  VII,  28.  Vgl.  Alkman  bei  Dio¬ 
dor,  IV,  7. 


39 


blos  kosniogoiiisch ,  sondern  zugleich  als  Religionsgescliichte  zu  fas¬ 
sen  isl.  Der  Himmel  über  dem  Mensclien  mit  seinen  grossen  und 
kleinen  Licblern,  und  die  Erde,  auf  der  sein  Fuss  stand,  erweckte 
ihn  zur  Ehrfurcht  und  Dankbarkeit.  Diess  ist  die  natürlichste  Natur¬ 
religion,  der  Gott  Himmels  und  der  Erde  der  allen  Hebräer  verwan¬ 
delte  sich  in  Himmel  und  Erde;  und  es  scheint,  Gäa  sey  damals 
auch  eine  wahrsagende  Gottheit  gewesen.  Wenigstens  soll  sie 
nach  dem  Anfiing  der  Eumeniden  des  Aeschylos  zuallererst  das  del¬ 
phische  Orakel  inne  gehabt  haben,  zum  andern  Themis  und  zum 
dritten  Phöbe.  Daher  sagt  Hesiod  (Theog.  463),  Kronos  habe  von 
der  Gäa  und  dem  Uranos  in  Erfahrung  gebracht,  es  wäre  sein  Loos, 
von  seinem  eigenen  Sohne  gebändigt  zu  werden;  und  dieselbe  Gäa 
hilft  ihrem  Enkel  Zeus  mit  ihrem  Ralhe  auf  den  Göllerlhron  anstatt 
des  Kronos,  und  bezieht  sich  als  alte  Maga  auf  den  Willen  des 
Schicksals  *).  Noch  bei  Homer  (11.  XV,  36)  schwur  Here  (wie  sonst 
bei  den  Titanen)  bei  Himmel  und  Erde  und  dem  Wasser  der  Styx, 
oder  der  Alride  (11.  XIX,  258)  bei  Zeus,  Erde,  Sonne  und  den 
Erinnyen  unter  der  Erde. 

Diess  war  die  einfache  Religion  der  Ureinwohner,  so  lange  sie 
sich  selbst  überlassen  waren.  In  der  nachmaligen  Zeit  der  Vermi¬ 
schung  erhob  man  die  alle  Erde  wieder  zu  Ehren.  Auf  sie,  die 
Gattin  des  gestirnten  Uranos,  die  Mutter  der  Götter,  dichtete  der 
Homeride  seinen  30slen  Lobgesang,  und  Plutarch  gedenkt  eines  Hei¬ 
ligthums  der  olympischen  r?;  in  Athen  2), 

§•  2. 

Die  zweite  g^rieeiiiscii  -  piitinicisciie  Periode 

bis  Cekrops. 

Durch  Einflüsse  von  aussen  erlitt  jener  einfache  Gottesdienst 
schon  frühe  Veränderungen.  Je  nachdem  die  Ureinwohner  mit  dem 
Auslande  in  Rerührung  traten,  wurden  fremde  Göttereingeführt,  und 
durch  den  Begriff  der  Zeugung  der  jüngere  an  den  vormaligen  Got¬ 
tesdienst,  der  Thronräuber  an  den  frühem  Herrscher  angeknüpft. 


')  Hes.  Theog.  475.  883. 

2)  Plul.  in  Theseo  27  p.  13, 


Das  ällestc  und  einst  einzige  Orakel  zu  Dodona  bestätigte  sodann 
die  Neuerungen  und  beseitigte  alle  Gewissensbedenklichkeil  *). 

Ini  grauen  Allerllium  trieben  die  Phönicier  Seehandel  ini 
ganzen  Mittelmeer.  Ihr  oberster  Landesgott  Baal  d.  i.  Herr,  Mo¬ 
loch  d.  i.  König  ^),  erhielt  Zutritt  in  Griechenland  unter  dem  Na¬ 
men  Kronos,  den  wir  am  schicklichsten  von  einem  entsprechenden 
phönicischen  Worte  ahleiten;  N3“ip  bedeutet  Sonnenstrahl,  im 
Hebräischen  stralilen,  und  Kar  non  im  Arabischen  Sonnenstrahl  3). 
Kronos  hezeichnete  somit  der  notorischen  Bedeutung  dieser  Gottheit 
vollkommen  gemäss  die  strahlende  Sonne,  und  so  sehr  sonst 
die  Griechen  ihre  Götlernameu  aus  ihren  eigenen  Sprachwurzeln  zu 
erklären  pflegten,  so  ist  ihnen  doch  die  Bedeutung  jenes  Najnens 
nicht  gänzlich  verloren  gegangen,  indem  sie  den  Planeten  Saturnus 
<l>aivo)v  oder  Ad/nTtcov  nannten  ^),  was  eine  richtige  Ueberselzung  des 
orientalischen  Namens  Kronos  ist.  Bei  dieser  siderischen  Bedeutung 
konnte  sich  diese  Gottheit  an  den  frühem  Sabäistnus  in  Griechen¬ 
land  gar  leicht  anschliessen  und  daselbst  einheimisch  werden.  Da¬ 
her  wurde  er  hier  ein  Sohn  des  Uranos  und  der  Gäa  und  stand 
an  der  Spitze  der  zweiten  Religionsepoche. 

Kronos  und  seine  Geschwister  wurden  unter  dem  gemeinsamen 
Namen  Titanen  begriffen:  so  nannte  Uranos  seine  Kinder  nach  der 


')  Herod.  II,  52. 

2)  Damasc.  bei  Phot.  2i2.  Porphyr,  de  absl.  2,  56.  Euseb.  Praep. 
Ev.  I  ,  9.  Serv.  ad  Virg.  Aen.  1 ,  646.  Clavier  sur  les  preiniers  temps 
de  la  Gröce  T.  I.  p.  12.  Merkwürdiger  Weise  feiern  die  Juden  von 
Alters  her  ihrem  El  oder  Etoah  den  Tag  des  Saturn  (Sonnabend),  vgl. 
Tacit.  Hist.  5,  4. 

•^)  Unzulässig  scheint  es  mir,  den  Namen  mit  Buttmann  (Mylho- 
lügus  11  S.  34)  von  abzuleiten,  und  ihn  selbst  zu  einem  Gott 

der  Zeit  zu  machen  ;  obgleich  Eur.  Heracl.  900  sagt:  ai(ov  Kqövou  naiq 
Orph.  h.  in  Saturn.  12,  3:  »Der  du  Alles  verzehrst  und  Alles  auch 
wieder  gedeih’n  machst. <<  Cic.  N.  D.  II,  25:  Kqovoq  qui  est  idem  xpö- 
voq-  Die  Deutelei  halle  um  so  freieren  Spielraum,  weil  der  Cult  in 
Abnahme  gekommen  war. 

Cic.  N.  D.  II,  20  und  das.  Crcuzer  S.  286. 
lies.  Th.  137. 


41 


Tlieogoiiie  V.  207.  Die  Tilanen  waren  die  frühem  Götter, 
sagt  ausdrücklich  Hesiod  (Th.  424).  Mit  Unrecht  hält  man  sie  daher 
für  eine  Periode  der  kosmischen  Entwicklung,  für  elementarische 
Kräfte.  Sie  bilden  vielmehr  eine  Periode  in  der  Religionsgeschichte: 
»von  ihnen  stammen  die  Menschen  und  Göller  ah,«  sagt  treffend  Ho¬ 
mer  (h.  I.  in  Apoll.  336);  gleichwie  die  herrschende  dritte  Götlerord- 
nung  in  Aegypten  von  den  Zwölfen  der  zweiten  Ordnung  abstammle  '). 
Jener  Dichter  lässt  uns  einen  Blick  in  die  griechische  Vorzeit  wer¬ 
fen,  indem  er  (ebendas.  V.  92)  sagt:  als  Leto  den  Apollo  gebar,  so 
waren  alle  vornehmsten  Göttinnen  zugegen;  er  nennt  aber  nur  die 
Titaniden  Dione,  Rhea,  Themis  und  Amphitrite.  Diese  allen  Gott¬ 
heiten  schauten  also  der  Geburt  des  neuen  Gottes  zu.  Wenn  ihr 
Name  in  der  Theogonie  V.  207  von  ntaivstv  abgeleitet  wird,  so 
scheint  man  vielmehr  auch  hier  auf  eine  semitische  Wurzel  zurück¬ 
gehen  und  ihn  mit  Clericus  von  Thon  ableiten  zu  müssen,  um 
so  mehr  da  auch  die  Erde  Tiraia  genannt  wurde  2).  Die  griechische 
Uebersetzung  von  rträveq  wäre  demnach  yr^yeviiq^  Erdgeborne,  das 
waren  sie  so  gut  als  die  Giganten  In  dieser  Beziehung  nennt 
llesiod  (Th.  696)  die  Tilanen  ydoviovq,  und  Aeschylus  (Eumeuid.  6) 
von  der  Phöbe  redend,  setzt  Titaviq  und  nalq  Xdovöq  neben  einan¬ 
der.  Ihrer  sind  nach  der  Theogonie  (133  ff.  207)  zwölf:  Kronos 
und  Rhea,  Hyperion  und  Th  eia,  Krios,  Themis  und  Mue¬ 
rn  osy  ne,  Koios  und  Phoibe,  Okeanos  und  T e t li y s ,  und  end¬ 
lich  Japetos.  Sie  müssen  in  dieser  Periode  alle  zur  Sprache  kom¬ 
men;  ihr  eigentliches  Wesen  wird  oft  erst  aus  ihren  Kindern  er¬ 
kennbar.  Die  Orphiker^)  setzten  ausserdem  zu  den  Titanen  Phor- 
kys  und  Dione,  jenen  als  Sohn  der  Gäa  und  des  Pontus^),  diese 
nach  phönicischer  *’)  Theologie  als  Tochter  des  Uranos.  Die  späte- 


’)  Ilerod.  II,  145. 

2)  Diodor.  HI,  57.  V,  66. 

^)  Diodor.  111,  62. 

'*)  Orph.  fragil),  ex  Proclo  p.  374.  Vllt,  21.  Apollodor  1,  1  ,  .3 
zählt  Dione  zu  den  Titanen. 

5)  lies.  Th.  237. 

*’)  Sanchuniaton  bei  Ensch.  Pr.  Ev.  1,  10.  Nach  llesiod  Th.  353 
war  Dione  eine  liebliche  Tochter  des  Okeanos. 


'12 


reu  Üicliler  erweitei  len  den  Hegrill  der  Tilanen  und  benannten  so 
auch  deren  Abkömmlinge.  Die  Zwölfzalil  aber  scheint  die  ursprüng¬ 
liche  gewesen  zu  seyn.  Sie  war  eine  im  Morgenland  sehr  beliebte, 
um  nach  Analogie  des  Sonnenlaufs  einen  vollendeten  Cyklus  zu  be¬ 
zeichnen,  So  errichtete  noch  Herakles  zu  Olympia  zwölf  Göllern 
sechs  Altäre,  je  zweien  einen,  und  zwar  den  sechsten  dem  Kronos 
und  der  Rhea ,  die  übrigen  den  Jüngern  Göttern  i).  Nach  Herodot 
(II,  4)  sind  die  Aegypler  die  Ersten  gewesen,  welche  12  Göller  ver¬ 
ehrten,  und  die  Griechen  haben  es  von  ihnen  gelernt,  und  Herakles 
in  Aegypten  war  selbst  einer  von  den  Zwölfen ,  die  früher  als  Osi¬ 
ris  und  Isis  verehrt  wurden  2). 

Wir  wollen  an  den  genannten  Göllerwesen  nachweisen,  wie  in 
ihnen  die  drei  b'ragen  einer  jeden  Glaubenslehre:  was  ist  Gott? 
wie  verhält  sich  d  i  e  W  e  1 1  z  u  G  o  1 1  ?  und  wie  verhält  sich 
der  Mensch  zu  ihm?  beantwortet  wurden. 

A.  Von  der  Gottheit  an  sich. 

S-  3. 

Das  Heidenthuin  halle  von  dem  Wesen  der  Gottheit  keine 
richtigen  Begriffe,  eher  befriedigt  es  in  der  Lehre  von  ihren  Ei¬ 
genschaften.  Die  alten  Göller  waren  neralich  nicht  überweltliche 
Wesen ,  sondern  Kinder  der  Welt.  Die  Ideen  des  absoluten  Seyns 
und  der  ewigen  Aseität,  welche  in  dem  Begriffe  Gottes  wesentlich 
sind,  blieben  Geheimnisse  des  Monotheismus  oder  Ahnungen  eines 
Platon.  Das  Heidenthum  dagegen  unterwarf  seine  Göller  dem  Ge¬ 
setz  des  Werdens,  sie  entstehen  wie  alles  Andere;  Theogonie 
ist  ihr  charakteristisches  Merkmal  im  Unterschiede  von  dem  Mono¬ 
theismus;  denn  Götter  sind  in  der  Natur  und  aus  ihr.  Platon  (Lgg. 
X.  p.  886  C)  missbilligt  es,  dass  in  der  Theogonie  das  Natürliche 
zuerst  gesetzt  wird  und  die  Götter  daraus  entstehen;  er  selbst  setzt 
den  Geist  zuerst  und  zuoberst  (p.  899).  Die  hebräische  Urkunde 
dagegen  hat  eine  wahre  Kosmogonie,  weil  hier  Gott  über  der  Na¬ 
tur  steht  und  sie  entstehen  heisst.  Die  hesiodische  Theogonie  enthält 

')  Herocloios  bei  Schob  Pindar.  Ol.  V,  10. 

2)  Ilerod.  II,  145. 


43 


zwar  auch  Ivosuiogonie ;  allein  wenn  man  sie  selbst  mit  Kosinogouie 
schlechthin  verwecbsell ,  so  verkennt  man  das  Eigeulhiimliche  des 
Polytheismus,  welcher  die  Götter  zugleich  mit  der  Welt  werden 
lässt  und  die  Welttheile  selbst  vergöttert.  Der  Kirchenvater  Tatian 
dachte  schon  über  diesen  wesentlichen  Unterschied  beider  Religionen 
nach,  und  enigegnete  den  Griechen,  unser  Gott  sey  allein  aufangs- 
los  und  ohne  ein  Princip  ausser  sich  *),  nach  dem  Willen  des  Einen 
Gottes  komme  das  W'ort  zum  Vorschein,  und  von  diesem  die  Welt 2). 
Wo  man  dagegen  die  Gottheit  lediglich  im  Verhältniss  zur  Well  be¬ 
trachtet,  da  wird  sie  endlich  der  Welt  selbst  eingeboren.  Das  Chri- 
stenlhum  erscheint  hier  auf  dem  Gipfelpunkt  der  Vollendung,  indem 
es  einen  in  ewiger  Tiefe  ruhenden  Vater  von  dem  Sohne  als  dem 
Gott  im  Verhältniss  zur  Welt  unterscheidet,  jedoch  nicht,  wie  die 
indische  Religion,  eine  Wesensverschiedeuheit  aufstellt.  Wenn  durch 
die  Gölterzeugungslebre  die  Idee  des  ewigen  Seyns  aus  und  in  sich 
selber  verloren  geht,  so  ist  sie  doch  dadurch,  dass  sie  vermittelst 
der  Zeugung  die  niedern  einem  obern  und  obersten  Wesen  unter¬ 
ordnet,  des  Polytheismus  höhere  Potenz,  indem  sie  eine  Einheit  er¬ 
zielt  und  eine  Aelmlichkeit  mit  dem  Monotheismus  zuwege  bringt. 
Es  haben  alle  Götter  nach  Hes.  Th.  117.  I:i8  ihren  festen  Sitz  im 
Himmel  und  auf  der  Erde.  In  diesem  ihrem  gemeinschaftlichen  Mit¬ 
telpunkt  sind  die  Vielen  eins.  Sie  sind  allesammt,  und  zunächst 
die  Titanen,  Himmelskinder,  Uraniden,  und  die  Erde  ist  ihrer  Füsse 
Schemel.  Dass  sie  zugleich  Titanen  d.  i.  Erdkinder  sind,  bezeich¬ 
net  ihren  weltlichen  Charakter,  die  Mischung  des  Göttlichen  mit  dem 
Anthropomorphislischen ,  und  entspricht  dem  heidnischen  Glauben 
vollkommen. 

Wenn  man  das  göttliche  Wesen  mit  und  aus  der  Welt  sich  ent¬ 
wickelnd  vorstellte,  so  war  es  ganz  folgerichtig,  dass  man  sich  die 
vollkommene  Gottheit  zuletzt  als  die  Rlüthe  und  Spitze  des  Welt¬ 
organismus  dachte:  d.  h.  Kronos  ist  der  jüngste  Uranide  ,  der 
gewaltigste  unter  den  Titanen  3).  Dieses  Wesen  zuoberst  der  Natur 


Tatian.  :iq.  "EXX.  n.  4  p.  246.  fxöpoq  avaQxoq  üjv. 

2)  Ihid.  n.  5  p.  247:  SiXtj/uazc  öe  zrjq  dnXozrjzoq  zov  deov  Tt^oTtzjdq. 
Xöyoq'  6  ÖE  Xöyoq  ov  y.azd  xevov  xooQtjaaq  EQyov  ngoizozoxov  zov  nazQvq 
yivEzar  zovzop  iu/uep  zov  koo/uov  z)}p  uQXijp. 

Hes.  Th.  137,  Dieser  .\nalogie  gemäss  wurde  auch  Zeus  für 


44 


koiinle  man  sich  dann  wohl  von  ilir  losgewundon  und  über  ihr  ste¬ 
hend  denken,  mit  persönlicher  Freiheit  und  Intelligenz  begabt,  d.  h. 
Kronos  hat  bei  llesiod  das  eigenlhümliche  Beiwort  der  Kluge,  äy-Kv- 
XofxijxTjq ,  und  er  beherrschte  den  Himmel.  Sein  Gottesdienst  ist 
zwar  in  der  dritten  Periode  nach  und  nach  verdrängt  worden;  allein 
darum  darf  man  nicht  seine  ehemalige  Verehrung  bezweifeln,  wie 
ü.  Völcker  utid  Welcher  (äschjl.  Trilogie  S.  95)  thaten.  Die  Theo- 
gonie  V.  486  nennt  ihn  bestimmt  den  frühem  König  der  .Göller,  und 
nach  Hes.  Op.  tll  beherrschte  er  ehemals  den  Himmel  ^).  Die  in 
Phönicien  und  Karthago  diesem  Wesen  dargebrachten  Kinder¬ 
opfer  2)  scheinen  auch  in  Griechenland  beibehalten  worden  zu  seyn, 
und  durch  die  Fabel  Theog.  459  angedeutet  zu  werden,  dass  er  seine 
Kinder  verschlinge,  und  wegen  dieser  Grausamkeit  durch  das  dritte 
Göttergeschlecht  entthront  worden  sey.  Doch  ist  sein  Dienst  nie  ganz 
verdrängt  worden,  sondern  man  trug  der  altväterischen  Religion 
auch  später  Rechnung.  Die  Griechen  feierten  am  12ten  des  ersten 
attischen  Monats  Hekatombäon  (irn  Juli)  ihm  zu  Ehren  Kronia  3),  von 
welchem  Feste  der  Monat  Hekatombäon  vorher  xgövioq  hiess  ^).  In 
einer  attischen  Inschrift^)  kommt  ein  Opfer  Tür  den  Kronos  am  15ten 
Elaphebolion  (5  März)  vor. 


den  jüngsten  Kroniden  ausgegeben;  obgleich  bei  ihm  nicht  mehr  der¬ 
selbe  Grund  der  organischen  Entwicklung  vorwallelo. 

')  Desgl.  spricht  Apollonius  Argon.  II.  von  einer  Zeit,  da  Kronos 
im  Olymp  die  Titanen  beherrschte.  Platon  Gorg.  p.  523  A  redet  offen¬ 
bar  von  einer  verschiedenen  Zeit,  da  Kronos  regierte,  als  da  Zeus 
die  Herrschaft  hat,  und  zwar  bezeichnet  er  Jene  als  die  frühere. 

2)  üiodor.  XX,  14.  Plutarch.  de  superstitione.  Sanchuniaton  bei 
Euseb.  Praep.  Ev.  Varro  bei  Augustin,  de  Civ.  Dei  VII,  19. 

3)  Demosth,  adv.  Timocr.  p.  708.  Ilesych.  Snid.  s.  v.  Schol.  Arist. 
Nub.  Cekrops  soll  sie  dem  Kronos  und  der  Ops  in  Attika  eingeführt 
haben  (Philochor.  bei  Macrob.  I,  10).  Am  Eusse  der  Burg  von  Athen 
war  eine  alte  Capelle  des  Kronos  und  der  Rhea  (Paus.  I,  18). 

■*)  Plut.  in  Theseo. 

’)  Bei  Chandler  iMarni.  Ox.  11,  21. 


4l5 


§.  4. 

Ungeachlet  der  Verirrung  von  Menscltenopfern,  welche  der  ver- 
dienlen  Strafe  nicltl  entging,  finden  wir  die  mit  dein  Bewussfseyn 
von  Gott  verknüpften  Ideen  eines  allwissenden  Verstandes 
und  eines  heiligen  und  allmächtigen  Willens  durch  beson¬ 
dere  Wesen  unter  den  Titanen  personificirt,  und  ob  wir  gleich  ihre 
nähere  Beziehung  zu  Kronos  nicht  kennen ,  so  lässt  sich  dieselbe  mit 
Wahrscheinlichkeit  voraussetzen  und  vermuthen,  gleichwie  sie  mit 
dem  nachmaligen  Herrscher  Zeus  in  die  engste  Verbindung  gebracht 
worden  sind.  Mnemosyne  d.  i.  das  Gedächtniss,  als  Schwester 
des  Kronos,  zeigt  die  Anerkennung  einer  Intelligenz  in  dieser  Göl¬ 
lerperiode  an,  und  drückt  die  göttliche  Allwissenheit  aus. 
Themis,  deren  Cult  Herodot  (II,  50)  den  griechischen  Pelasgern 
zuschreibt,  bezeichnet  die  göttliche  Gerechtigkeit,  welche 
über  der  Welt  und  den  Menschen  waltet  und  die  sittliche  Ordnung 
der  Dinge  bewahrt.  Wenn  auch  die  Idee  der  Heiligkeit  nicht  in  den 
Willen  der  menschlich  handelnden  Götter  aufgenoinmen  ist,  so  wird 
doch  die  Willkür  der  Götter  durch  das  unerbittliche  Schicksal 
(Mö^oq)  gezügelt  gedacht,  durch  die  Mören  (ßloXgai),  welche  nach 
Hesiod  (Th.  211.  220  f.)  aus  der  verborgenen  Schöpfungsnachl  geboren, 
»der  Menschen  und  Götter  Ueberlrelungen  verfolgend,  nimmer 
ablassen  vom  schrecklichen  Zorn.“  So  bildete  sich  neben  dem  An¬ 
thropomorphismus  gleichwohl  die  Idee  einer  göttlichen  N  o  t  h- 
wendigkeil,  welcher  jegliche  Willkür  unterthan  ist,  sowohl  die 
wirkliche  in  der  Menschenwelt  als  auch  die  erdichtete  in  den  Göl¬ 
lern.  Der  letzte  Grund  der  Entthronung  des  Kronos  ist  nach  Theo- 
gonie  V.  464.  475  des  Schicksals  Wille  (ßingdOTo). 

Die  mit  der  Gottheit  noihwendig  zu  verbindende  Idee  einer  un¬ 
endlichen  Macht  ist  durch  den  Titan  Krios  sowohl  in  .4bsicht 
auf  seinen  Namen  als  auf  seine  Gattin  Eurybia,  seine  Söhne  und 
deren  Nachkommenschaft  bezeichnet.  Sein  Name  wird  von  Guielus  ’) 
von  )CQECi}  (herrschen)  abgeleitet;  ich  ziehe  vor,  das  Wort  ■xQiöq^)  ge- 


Zu  Hes.  Theog.  375. 

2)  Wie  Theog.  375  Kqico  ,  so  wird  man  auch  V.  134  richtiger 
KqTov  stall  Kqeiov  schreiheii.  Ai  islarclnis  schriel)  nacli  Elymol.  M. 


4« 


raclc  in  der  Bedeulung  zu  nehmen,  die  ihm  die  griecliische  Sprache 
beilegl,  als  Widder,  mil  Rücksiclit  auf  den  ägyplischen  WiddergoK 
Amun ,  der  so  frühe  in  Dodona  bekannl  war.  Euryhia  hedeulel 
ausgedehnte  Macht.  Sie  ist  die  Tocliter  der  Erde  und  des  Meeres,  und 
hat  ein  Merz  von  Stahl  ').  Ilire  Ehe  mit  Krios  bedeutet  die  allmäch¬ 
tige  Schöpfungskrafl ,  und  entspricht  dem  Hermes,  der  Aphrodite  und 
Persephone  in  der  folgenden  Periode  ;  denn  der  Widder  mil  Beziehung 
auf  den  Frühlingswidder  ist  ein  altes  ägyptisches  Sinnbild  der  mäch¬ 
tigen  Zeugungskraft.  Nach  morgenländischer  Anschauungsweise  be¬ 
deutet  i'N  Widder  und  mit  etwas  veränderter  Aussprache  Kraft, 
und  das  deutsche  geil  hängt  sprachlich  damit  zusammen. 

§•  5. 

Die  allmächtige  Schöpfungskraft  äussert  sich  sowohl  auf  der  Erde 
als  in  den  Gestirnen  und  in  deren  Einwirkung  auf  die  Erde:  d.  h. 
Krios  und  Euryhia  haben  zu  Söhnen  Pallas,  Asträos  und  Perses  2). 
Der  erste  ist  wegen  seines  Namens  (von  araXAco,  ich  setze  in  Bewe¬ 
gung,  in  Trieb,  verwandt  mil  cpdklÖQ  und  cpdXi]q,  das  männliche 
Glied)  und  seiner  Nachkommen  wegen  der  älteste  Phallusgoll,  als 
welcher  er  nach  Etrurien  unter  dem  Namen  Pales  kam.  Er  ver¬ 
mählte  sich  mit  der  Styx,  einer  Tochter  des  Okeanos  ^),  d.  h.  von 
unten  herauf  aus  dem  Schoos  der  Erde  (gleichwie  Persephone) 
bricht  die  Zeugungskrafl  hervor,  ein  Wunder  vor  unsern  Augen.  Es 
ist  eine  geheimnissvolle  Ehe  in  der  Tiefe,  worin  Pallas  Ihätig  ist, 
damit  alle  Keime  ans  Tageslicht  hervorkommen,  wann  der  gewaltige 
Widder  am  Himmel  steht.  Pallas  hat  eine  grosse  Macht  und  seine 
Frucht  und  Folge  ist  Macht;  darum  gibt  ihm  die  Fabel  zu  Kindern 
Macht  und  Gewalt  (Ä'^aro^  und  J5/a)^),  sodann  die  Nike  (Sieg) 
und  den  Zelos  (Wetteifer)»),  welchen  der  Sieg  voraussetzt. 

p.  346,  41  auch  den  Titan  als  Oxytonon  liQcög,  eine  Schreibart,  die 
unsrer  Erklärung  noch  mehr  entsprechen  würde. 

')  Hes.  Th.  239 

2)  Th.  375  ff. 

3)  Th.  383. 

^)  Wir  werden  unten  sehen  ,  wie  hieran  die  Genealogie  des  spä¬ 
tem  Hermes  ithyphallicus  der  Pelasger  angeknüpft  wurde. 

5)  Theog.  384  f. 


—  — 

In  des  Asträos  und  der  Eos  Kindern,  dem  Morgenslern, 
den  übrigen  Sternen  und  den  Winden  ,  erzeiget  sich  die  gött- 
lictie  Allmaclil  am  Himmel.  In  des  Perses  Tochter  Hekate  aber 
vermittelt  sie  eine  günstige  Einwirkung  des  Sternenhimmels  auf  die 
Erde;  wie  an  seinem  Orte  gezeigt  werden  wird. 

§•  6-  . 

Ein  Sinnbild  der  göttlichen  Allgegenwarl  ist  Iris,  der  Re¬ 
genbogen,  der  Himmel,  Erde  und  Meer  umfasst.  Denn  Iris  ist  der 
dienstbare  Geist,  welcher  den  Winken  der  Götter  zu  Gebote  steht, 
sowohl  bei  Hesiod  (Th.  779)  als  in  Homers  Ilias;  während  erst  in 
der  letzten  Rhapsodie  (V.  33t)  und  in  der  Odyssee  Hermes  an  ihre 
Stelle  tritt  2).  Daher  kommt  ihr  das  homerische  Beiwort,  die  schnell- 
füssige  (.To'Ja?  cJxea)  zu,  welches  wir  auch  in  der  angeführten  Stelle 
Hesiods  finden.  Der  Homeridc  (h.  in  Cer.  315)  gibt  ihr  goldene  Flü¬ 
gel,  eine  niorgenländische  Sinnbildnerei,  wovon  Griechenland  seltene 
Spuren  erhallen  hat  3).  Ihr  sachgemässer  Name  ist  ohne  Zweifel  aus 
T'y  (Engel,  Dan.  4,  10.  14.  20)  gebildet.  Sie  ist  die  Tochter  des 
Thaumas  d.  i.  des  Wundermannes  (von  und  der  Elektra, 

einer  Tochter  des  Okeanos  ^).  Thaumas  selbst  aber  ist  ein  Sohn 
der  Erde  und  des  Meeres^).  Wenn  wir  zugleich  an  den  Vater 
des  Okeanos,  den  Uranos,  denken,  so  scheint  diese  Geschlechtslafel 
der  Iris  absichtlich  so  gewählt  zu  seyn,  dass  Himmel,  Erde,  Meer 


')  Thcog.  378  ff. 

2)  Im  homer.  Hymn.  auf  Demeter  werden  beide  himmli.sche  Bolen 
aufgeführt,  die  ältere  Iris  geht  zu  Demeter  V.  31.5,  und  der  spä¬ 
tere  Hermes  zu  Hades  und  Persephone  V.  336;  ohne  dass  desshalb  an 
ein  verschiedenes  Amt  beider  zu  denken  ist,  wie  Voss  in  seiner  Ueber- 
setzung  und  Erläuterung  dieser  Hymne  vorgibt. 

3)  Zu  Amyklä  in  Lakonien  verehrte  man  den  geflügelten  Diony¬ 
sos  mit  dem  Beinamen  -iptlaq  von  dem  dorischen  'ipi'ka  (Flügel),  Paus. 
Lacon.  19,  6.  Auf  einer  griechischen  Vase  findet  sich  nach  der  Erklä¬ 
rung  Buonarrolti’s  ein  geflügelter  Apollon,  s.  Inghirami  Monum.  Etr. 
S.  V.  T.  7. 

')  Theog.  265  f. 

«)  Th,  237. 


48 


und  Okeanos  zur  Hervorbringuug  jenes  wunderbaren  IJiinmelsbogens 
Zusammenwirken  müssen,  um  die  Idee  der  allumfassenden  Gegen- 
wäiiigkeil  der  Göller  anzudeulen. 

§•  7. 

Jedoch  wurde  das  göUlicbe  Wesen  nicht  immer  rein  und  gei¬ 
stig  gehalten,  sondern  auch  der  Natur  selbst  göttliche  Verehrung 
gezollt,  und  den  Gestirnen,  die  eine  bleibende  Dauer  und  grosse 
Causaliläl  haben,  und  so  Schattenbilder  des  ewig  ruhigen  Seyns  und 
des  Urquells  alles  Daseyns  zu  seyn  schienen.  Rhea  bedeutete  die 
Gesammlnalur ,  und  wurde  daher  dem  Herrn  derselben,  Kronos,  als 
Gattin  beigegeben.  Sie  trat  nunmehr  an  die  Stelle  der  früheren  Gäa. 
Ihre  Bedeutung  als  Erde  war  den  Allen  selbst  gewiss.  Aeschylos 
(Suppl.  893)  und  Sophokles  (Philoct.  391)  nennen  die  Mutter  des  Zeus 
sogar  rä,  und  Athenagoras  (Legal,  pr.  Christ,  p.  19  Colon.)  hält  Rhea 
mit  Demeter  für  einerlei.  Ihr  Name  scheint  daher  nur  die  Versetzung 
von  epa  (-px  Erde)  zu  seyn.  Die  Verbindung  des  Kronos  und  der 
Rhea  war  also  eine  heilige  Ehe  Himmels  und  der  Erde.  Die  Kraft 
der  Natur  wird  durch  das  der  Rhea  gegebene  Attribut  des  Löwen 
veranschaulicht.  Darum  heisst  die  Fä  bei  Sophokles  (Phil.  400)  Vor¬ 
steherin  der  Stier  tödienden  Löwen,  und  auch  sonst  kommt  das  Bei¬ 
wort  zavQoxrövoq  von  den  Löwen  der  Rhea  vor’),  d,  h.  wenn  der 
Stier  ein  alles  Sinnbild  der  Stärke  ist,  so  ist  es  der  Löwe  noch 
mehr,  da  er  die  Stiere  zu  erlegen  im  Stande  ist.  Später  wurde  der 
phrygische  Gottesdienst  der  Cyhele  mit  dem  pelasgischen  der  Rhea 
vermischt,  und  Euripides  gebraucht  (Bacch.  59.  U28)  gleich¬ 
bedeutend  mit  KvßcXt]  ( V.  79)  2). 

Obgleich  Kronos  Name  und  Bedeutung  von  dem  leuchtenden 

’)  Z.  B.  Orph.  h.  in  Rheaiu  v.  26.  Wir  haben  noch  Münzen  und 
Gemmen,  die  einen  Löwen  vorstellen,  wie  er  den  Stier  würgt,  was 
fälschlich  von  dem  die  Erde  durchdringenden  Sonnenstrahl  erklärt  wor¬ 
den  ist:  Beger  Thesaur.  Brandenb.  Vol.  I.  p,  146.  In  Aegypten  hat 
man  die  beiden  Sinnbilder  auch  miteinander  verschmolzen;  zu  Theben 
in  Oberägypten  fand  man  in  den  Ueberresten  eines  Tempels  zwei  Lö¬ 
wen  mit  Stierköpfeu,  die  nach  England  gebracht  worden  sind. 

2)  Vgl.  Heyne  zu  Virgils  Äen.  III,  131  und  Exciirs.  5. 


—  4‘J  — 

Geslirue  des  Tages  enllelinte ,  so  konnte  sicli  gleichwohl  bei  der  Po- 
lenzirung  seines  Wesens  nocli  ein  besonderer  Sterne ncull  neben 
ihm,  dem  Herrn  der  Götter  und  der  Natur,  hervorlliun  und  behaup¬ 
ten,  oder  es  konnte  der  schon  bestehende  Sabäismus  der  ersten  Pe¬ 
riode  füglich  beibehalten  und  mit  dem  erweiterten  Polytheismus  ver¬ 
schmolzen  werden.  Nemlich  die  Titanen  Hyperion  und  Theia 
erzeugen  den  Helios  d.  i.  die  S  o  nne,  Selene  d.  i.  den  Mond, 
und  Eos  d.  i.  die  Morgen  rölhe  ').  Hyperion  (6  miQ  höv'),  der 
über  uns  Wandelnde,  ist  hei  Homer  (II.  VIH,  480  Od.  I,  8)  ein 
leicht  verständliches  Beiwort  der  Sonne  und  steht  auch  ((Id.  I,  24) 
als  Hauptwort  für  die  Sonne.  Die  Sonne  mag  unler  diesem  Namen 
in  der  ersten  Periode  verehrt  worden  seyn,  da  Cicero  (N.  D.  HI,  21) 
einen  Sol  vor  dem  Sohn  des  Hyperion  kennt,  als  Sohn  des  ersten 
Jupiter  und  Enkel  des  Aelhers  d.  i.  als  Sohn  des  Uranos,  wie  ja 
Hyperion  war.  ln  der  Odyssee  XII,  133  kommt  Helios  Ilyperion 
und  ebendaselbst  V.  176  Helios  Ilyperinides  vor,  wie  auch  im  Hymn. 
auf  Demeter  V.  26  der  König  Helios  als  der  glänzende  Sohn  des 
Hyperion  erscheint.  In  der  Theogonie  dagegen  vereinigt  Hyperion 
als  Vater  die  bedeutendsten  Lichter  des  Himmels.  Seine  Schwester 
und  Gattin  Theia  von  mit  Rücksicht  auf  der  Gestirne  Lauf 

dürfte  nur  eine  Zuthat  der  Zeugungstheorie  seyn.  Da  derselbe  Be¬ 
griff  schon  in  dem  Namen  des  Hyperion  niedergelegt  ist,  so  heisst 
nicht  minder  allegorisch  die  Schwester  und  Gattin  des  Hyperion  bei 
dem  Homeriden  (Hymn.  31)  'E  u r  y  p  ha  e  s s  a  ,  d.  h.  die  weithin 
Glänzende,  die  ihm  schöne  Kinder  gebar,  die  rosenarmige  Eos,  die 
schöngelockte  Selene  und  den  unermüdlichen  Helios.  Im  fernen  We¬ 
sten  bei  dem  Eiland  Aeäa  an  den  Strömungen  des  Okeanos  ist  der 
Aufgang  des  Helios,  die  Behausung  und  die  Chöre  der  Eos  2);  nicht 
als  gingen  Sonne  und  Morgenröthe  da  auf,  sondern  jenseits  dachte 
man  sich  die  ewige  Nacht,  also  hier  an  die  Grenzscheide  zwischen 
Licht  und  Finsterniss,  wo  die  ewige  Dämmerung  zu  seyn  schien, 
versetzte  man  ihren  Wohnsitz.  Eos  blieb  auch  in  der  spätem  Pe¬ 
riode  eine  göttliche  Personification.  Sie  fährt  nach  Homer  (Od. 
XXIH,  244)  mit  schnellen  Rossen,  Lampos  und  Phaethon,  welche 


»)  Hes.  Th.  371  ff. 

2)  Ilom.  Od.  fx  ,  3  f.  hymn.  III  in  Ven.  228. 


4 


30 


(len  Mensclien  das  Licht  bringen;  ihre  homerischen  Beiwörter  sind 
(frühgeborne) ,  Qoöoddy,Tvloq  (rosenfingerige) ,  £V7iX6y.a- 
uoq'^')  (schöngelockle)  ,  ivdgovoq^')  (scliön  thronende) ,  xgvaößgovoq^') 
(goldenlhronende) ,  godöitrjxvq  (rosenarmige). 

Eos  gebiert  dem  Asträos  (Sternenhimmel)  den  Morgen-  und 
die  übrigen  Sterne  sammt  den  Winden*^),  die  sich  ja  mit  Son¬ 
nenaufgang  am  liebsten  erheben.  Clericus  wundert  sich,  dass  Eos 
auch  der  Sterne  Mutter  ist,  die  doch  mit  Erscheinen  der  Morgen- 
rölhe  verschwinden.  Allein  weil  sie,  wie  die  Sonne,  von  Osten  her 
aufgehen,  so  sind  sie  Kinder  des  Ostens. 

Den  Winden  haben  die  alten  Griechen  gleich  den  Persern^) 
göttliche  Verehrung  gezollt;  jedoch  wurde  der  Ostwind  nicht  zum 
göttlichen  Geschlechte  gerechnet  9).  Sie  haben  auch  nach  Homer 
(II.  -ip' ,  195.  209)  einen  Cult,  und  ihre  Heimath  ist  Thracien  (das. 
V.  229).  Aeolos  ist  der  Gott  der  Winde  auf  einer  schwimmenden 
Insel  1*^).  Im  Perserkriege  erhielten  die  Delphier  vom  Orakel  die 
Weisung,  zu  den  Winden  zu  flehen  !^*)  Boreas  soll  die  Tochter 
des  Ereclitheus,  Orithyia,  zur  Gattin  gehabt  haben,  und  man 


')  Auch  bei  Hes.  Th.  381. 

2)  0(1.  V,  390. 

'’)  Od.  VI,  48. 

^)  Od.  XV,  250.  h.  in  Ven.  219. 

0  II.  h.  XXXI,  6. 

•’)  Hes.  Th.  378  ff.  Wenn  Eos  auch  die  Mutter  inorgenländischer 
Heroen  war,  des  Memnon,  Königs  von  Äetbiopien ,  von  ihrem  Gatten 
Tilhonus,  und  des  Phaethon,  den  sie  mit  Kephalos  erzeugte 
(H.  Th.  983  ff.  Vgl.  H.  Od.  V,  1  h.  in  Ven.  219),  so  scheint  diess 
nur  eine  dichterische  Ausschmückung  und  Bezeichnung  der  Herkunft 
derselben  zu  seyn;  so  wie  wenn  es  Od.  XV,  250  von  ihr  heisst,  dass 
sie  den  Kl  ei  tos  geraubt  habe,  wo  der  Grund  dabei  steht,  wegen  sei¬ 
ner  Schönheit. 

7)  Zu  Hes.  Th.  381. 

8)  Her.  I,  131. 

9)  Hes.  Th.  870. 

‘®)  Od.  x'.  z.  Anfg. 

'^)  Ilerod.  VH,  178. 


I 


51 


zeigte  die  Stelle  aoi  Flüsschen  Ilissus,  wo  er  sie  geraubt  haben 
sollte,  während  sie  mit  der  Quelluymphe  Pharmakea  im  Spiele  begrif¬ 
fen  war.  Diesen  Raub  legten  schon  die  alten  Weisen  so  aus,  dass 
sie  vom  Nordwinde  über  den  dortigen  Felsen  hinabgeworfen  den  Tod 
gefunden  habe.  Begreiflich  wählten  die  Athener,  als  sie  ihm  nach 
dem  Perserkriege  einen  Altar  erbauten,  gerade  diese  durch  die  alte 
Sage  berühmte  Stätte  dazu  2),  Bei  den  Megalopolitanern  stand  Bo¬ 
reas  keinem  andern  Gotte  an  Achtung  nach  3),  Auf  einem  Hügel  in 
Sicyon  '*)  und  auf  dem  Markte  zu  Korouea  =)  halten  die  Winde  ihren 
Altar.  In  einer  attischen  Inschrift  wird  am  9ten  Poseideon  ein 
unblutiges  in  einem  Opferkuchen  bestehendes  Opfer  für  die  Winde 
vorgeschrieben. 

S-  8. 

Ausserdem  sind  Staunen  erregende  Theile  uusers  Erdkörpers, 
die  den  Begriff  des  Erhabenen  und  Ueberschwenglichen  sinnlich  dar- 
zuslellen  schienen,  von  den  alten  Griechen  vergöttert  worden,  vor- 
nemlich  also  das  mittelländische  und  das  Weltmeer,  in  so  weit 
das  letztere  ihnen  bekannt  war.  Jenes  hiess  schlechthin  Meer  (^^löv- 
rog') ,  dieses  aber,  der  Okeanos,  welcher  sich  dem  unerfahrenen 
•  Blicke  nicht  in  seiner  ganzen  unermesslichen  Ausdehnung  darstellte, 
galt  für  einen  tiefströmenden  Fluss. 

Der  Meeresgolt  dieser  Periode  hiess  Nereus  (Nr]g£vg')^  und 
war  daher  der  älteste  Sohn  des  Ponlos  2).  Seine  Verbindung  mit 
dem  Ocean  wurde  dadurch  anerkannt,  dass  man  ihm  dessen  schön¬ 
gelockte  Tochter  Doris  in  die  Ehe  gab  8).  Wenn  man  bei  den 
Gattinnen  solcher  allgemeinen  Gottheiten  an  entsprechende  Begriffe 


*)  Plato  Phädr.  p.  229  C.  Wernsdorf  ad  Himer,  p.  358. 
2)  Her.  VII,  189.  Plat.  Phädr.  1.  c. 

2)  Pausan.  VHI,  36. 

Paus.  II,  12. 

5)  Paus.  IX,  34. 

Chandler  Marm.  Oxon.  II,  21. 

2)  Theog.  233. 

S)  Th.  241.  350. 


52 


ihres  Wesens  wird  denken  müssen,  so  scheint  arn  schicklichsten  Do¬ 
ris  von  “lii  die  lange  Zeit,  Ewigkeit  zu  bedeuten;  eine  Idee,  die 
durch  das  unter  den  irdischen  Dingen  am  meisten  sich  gleich  blei¬ 
bende  Meer  versinnlicht  wird.  Wie  mit  der  Ewigkeit  vermählt,  so 
hat  Nereus  die  Ewigkeit  zur  Tochter  “iSi) ;  denn  Doris  kommt 
auch  wieder  unter  den  Nereiden  vor  i).  Indessen  stelle  ich  diess  als 
blosse  Vermuthung  hin,  da  sie  sich  lediglich  auf  eine  Wortableitung 
gründet,  und  die  Allen  uns  nichts  Weiteres  von  der  Doris  wissen 
Messen.  Jedoch  ist  es  von  einigem  Gewicht,  dass  Nereus  (gleichwie 
Proteus)  vorzugsweise  der  Alte  (ysQcov)  hiess  2) ,  dass  man  also  mit 
seinem  Wesen  den  Begriff  der  Dauer  ausdrücklich  verband.  Solche 
Eigenschaften  aber  wurden  gerne  durch  Gattinnen  und  Kinder  per- 
sonificirt.  Von  einer  andern  Seite  lässt  sich  bestimmter  nachweisen, 
wie  an  das  Natürliche  göttliche  Eigenschaften  und  ethische  Ideen 
geknüpft  wurden.  Die  Klarheit  und  Durchsichtigkeit  des  Elements, 
das  Nereus  beherrschte,  wurde  ein  Bild  göttlicher  Wahrhaftig¬ 
keit.  Denn  Nereus  wurde,  so  wie  der  homerische  Proteus,  als  der 
Wahrhaftige  charaklerisirt  3) ,  und  hat  daher  auch  die  Ne  me  rt  es 
d.  i.  die  Wahrhaftige  zur  Tochter,  von  welcher  gesagt  wird,  dass 
sie  des  unsterblichen  Vaters  Geniüth  habe  ^).  Homer  (11.  VI)  nennt 
unter  Nereus  Töchtern  neben  der  die  eben  so  viel  bedeu¬ 

tende  "AipivÖTjg.  Eine  ähnliche  Naluranschauung,  wornach  die  Be¬ 
griffe  von  fliessen  und  klar  seyn  mit  einem  und  demselben  Worte 
ausgedrückt  werden,  finden  wir  in  dem  hebräischen  Zeitwort 
das  bald  strömen  bald  hell  seyn  bedeutet,  und  ohne  Zweifel  das 
Stamm  wort  des  griechischen  Nereus  ist,  da  es,  wie  selten  ein  Stamm¬ 
wort,  den  physischen  und  ethischen  Begriff  des  Namens  zugleich 
ausdrückt.  Damit  hängt  zusammen,  dass  ihm  Hesiod  (Th.  235)  einen 
rechtlichen  freundlichen  Sinn  beilegt.  Ewigkeit,  Wahrheit  und  Recht 
sind  die  verwandten  Ideen,  die  in  der  Meeresfläche  sich  abspiegeln 
und  als  Eigenschaften  des  Nereus  vorgestellt  wurden. 

Den  Okeanos  dachte  man  sich  an  den  Grenzen  der  bekannten 


*)  Theog.  250. 

2)  Theog.  234.  Hom.  II.  g',  141.  Orph.  Argonaut. 

3)  Th.  233.  235. 

'i)  Th.  262. 


53 


Erde,  dieselbe  umfliessend  ').  Neunmal  umkreiset  er  wirbelnd  die 
Erde  und  das  Meer,  und  fäll!  dann  in  das  Meer,  sein  zehnter  äus- 
serster  Arm  ist  die  Styx,  welche  lange  unter  der  Erde  fliesst  2). 
Hesiod  nennt  ihn  (Th.  242.  958)  den  äussersten  (relr/etq)  Fluss,  und 
als  solcher  umgibt  er  den  Schild  des  Herakles  (V^  314).  Er  hat 
Quellen  wie  ein  Fluss  ^).  Nach  Homer  (II.  I,  423)  fliesst  er  beiden 
Aethiopern ,  welche  nach  Od.  I,  23  ein  Grenzvolk  der  Erde  sind. 
Eine  dunkle  Bekanntschaft  mit  dem  Weltmeere  schimmert  durch; 
nur  so  konnte  man  von  dem  Urfluss  Okeanos  und  seiner  Gemahlin 
Tethys  alle  Flüsse  und  Bäche  ahstammen  lassen,  welche  ein 
jeder  an  seinem  Orte  für  heilig  gehalten  wurden  '♦)*  Wie  der  Ocean 
der  grosse  Behälter  aller  Gewässer  ist,  so  ist  er  vermöge  des  Ver- 
dunstungsprocesses  auch  wieder  ihr  Vater. 

Nach  der  mosaischen  Urkunde  (1  Mos.  2,  10  ff.)  wird  Eden  von 
Einem  Strome  bewässert,  der  sich  ausserhalb  in  vier  Hauptwasser 
theilt.  Also  auch  hier  ein  Urtluss,  von  dein  die  Flüsse  in  alle  Welt 
ausgehen;  denn  das  bedeutet  ihre  Vierzahl ,  ohne  dass  man  aus  ihnen 
die  Ortsbestimmung  des  Paradieses  folgern  könnte.  Die  merkwür¬ 
digsten  Flüsse  im  Norden,  Süden,  Osten  und  Westen  von  Mesopo¬ 
tamien  werden  mit  Namen  genannt:  I)  Pischon  (nach  den  LXX 
Phison)  d.  i.  Phasis  nach  Gatterer  im  Goldlande  Chavila  (die  alte 
Sage  setzt  das  goldene  Vliess  nach  Kolchis  an  den  Phasis);  2)  Gi- 
chon  (d.  i.  nach  den  ältesten  Bihelerklärern  und  den  Kirchenvätern 
der  Nil)  im  Lande  Chusch  d.  L  Aethiopien;  3)  Chidekel  d.  i.  nach 
Daniel  10,  4  der  Tigris  gegen  Morgen  von  Assyrien,  von  den  An¬ 
wohnern  selbst  seit  den  ältesten  Zeiten  Dikla  genannt,  und  4)  der 
Euphrat  gegen  Westen. 

§•  9. 

Die  Veste,  das  Himmelsgewölbe  unter  dem  Namen  Koios  (von 

Q  Ilom.  h.  in  Ven.  228,  wo  die  östliche  Grenze  gemeint  ist,  wie 
sonst  öfter  die  bekanntere  westliche. 

2)  H.  Th.  788  ff. 

3)  Th.  282. 

Th.  337  ff. 

3)  Uultinann  Mytholog.  1.  S.  87  hält  den  Pischon  für  den  üesynga 
in  Indien. 


% 


54 


xoAo?',  woher  coelum)  war  ferner  ein  Gegensland  der  Anbetung. 
Er  und  seine  Schwester  und  Gattin  Phoibe  *)  waren  gleiclifalls 
Titanen.  Letztere  als  vormalige  Inhaberin  des  delphischen  Orakels  2) 
war  die  alle  Vorsteherin  der  Wahrsagekunst,  und  offenbarte  des 
Himmels  Willen.  Sie  war  wie  in  der  Thal,  so  dem  Namen  nach, 
von  mni  '3  abgeleitet  (phiiavo  -  phoivo  -  phoihe) ,  Gottes  Mund. 
Ihre  Kinder  sind  Leto  und  Asteria^),  d.  h.  Wahrsagekunst,  Zau¬ 
berei  und  Sterneneinfluss.  Leto  hatte  ja  in  IJulo  in  Aegypten  ein 
Orakel  ^),  und  war  in  Griechenland  die  Mutter  des  wahrsagenden 
und  von  seiner  Ahnmulter  benannten  Phöbus  Apollon  und  der  zau¬ 
berischen  Artemis,  an  welche  Zwillinge  sie  in  der  dritten  Periode 
ihre  beiden  Aemter  ahtrat.  Sie  war  im  alten  Griechenland  die  ver¬ 
götterte  Astrologie,  d.  i.  die  Wissenschaft  von  der  Bedeutsamkeit 
und  der  Causalität  der  Gestirne,  verbunden  mit  Zauberei  {yorjxüa). 
Denn  ausser  der  natürlichen  Einwirkung  der  Gestirne  gibt  es  auch 
eine  künstliche,  da  sie  der  Mensch  durch  Beschwörungen  (^sTiMÖai) 
zu  seinen  Zwecken  wirksam  macht,  ohne  dass  diese  wissen,  wie 
ihnen  geschieht.  Wie  ihre  natürliche  Einwirkung  unwissentlich  er¬ 
folgt,  so  auch  die  durch  Beschwörung  veranlasste.  Der  Mensch 
veranlasst  durch  freies  Einwirken  in  die  Wellharmonie  die  Aeusse- 
rung  ihrer  Wirksamkeit.  Die  Zauberei  hat  dann  ihren  Grund,  weil 
der  Beschwörer  als  ein  Theil  des  Ganzen  keinem  Sterne  fremd  ist, 
sondern  jeden  mit  sich  in  Sympathie  bringen  kann.  Sey  er  auch 
ein  schlechter  Mensch ,  so  ist  es ,  wie  wenn  ein  Bösewicht  aus  einem 
Flusse  Wasser  schöpft  •’).  Leto  musste  für  eine  wohlthätige  Zaube¬ 
rin  gegolten  haben;  denn  Hesiod  (Th.  406  ff.)  beschreibt  sie  als  im¬ 
mer  sanft,  grundgütig  und  freundlich.  Mit  Clericus  halte  ich  dafür, 
dass  ihr  Name  mit  dem  hebräischen  Worte  c''U^  (Zauberkünste),  ver¬ 
glichen  mit  dem  griechischen  Stammwort  AA&Sl,  Zusammenhänge. 
In  der  lateinischen  Form  Latona  tritt  der  Selbstlauter  a  wieder 
hervor. 


1)  Th.  134.  136.404. 

2)  Aeschyl.  Eumen.  Anfg. 

’)  Th.  406  ff.  Ilom.  h.  in  Apoll.  62. 

Herod.  II,  155. 

’)  Bruchstück  in  Villoison  Anecd.  Gr.  T.  II.  p.  233  ff. 


Asteria  ist  die  einwirkeude  Kraft  des  gestiruleu  Himmels,  wie 
Iheils  aus  ihrem  Nameu  (von  darrjQ)  theils  aus  der  Natur  ihrer  Toch¬ 
ter  erhellet.  Sie  vermählte  sich  mit  Perses^),  welcher  nach  dem 
Ausdruck  der  Theogonie  V.  377  in  Wissenschaften  Alle  übertraf,  also 
der  geheimen  Wissenschaft  der  Astrologie  und  Magie  vor  Allen  kun¬ 
dig,  zu  der  Ehre  der  Verehelichung  mit  der  Göttin  Asteria  gelangte 
und  so  seihst  vergöttert  worden  zu  seyn  scheint.  Dieser  Ehe  Frucht 
ist  in  Folge  der  Constellationen  die  Glücksgöttin  Hekate,  die  äl¬ 
teste  Fortuna.  Von  ihrem  Einfluss  hängt  Glück  und  Reichthum, 
Ehre  und  Ruhm,  Sieg  und  Beule,  das  Gedeihen  der  Kinder  und  der 
Herden  ab.  Sie  ist  mächtig  im  Himmel,  auf  der  Erde  und  dem 
Meere,  auf  den  Königsthronen,  in  den  Volksversammlungen,  im 
Krieg  und  in  den  Wettspielen  2).  Wegen  ihres  verborgenen  Wallens 
hat  sie  ihr  Heiliglhum  in  einer  Grotte 3).  Hire  Verbindung  mit  dem 
Monde,  welchem  der  meiste  Einfluss  auf  die  Erde  zugeschrieheu 
wurde,  erklärt  sich  hieraus  von  seihst.  In  dem  homerischen  Lob¬ 
gesang  auf  Demeter  hat  daher  Hekate  einen  schimmernden  Schleier 
(V.  25)  und  ein  Licht  in  den  Händen  (V.  52).  Dass  ihr  Cult  in 
die  drille  Periode  überging,  meldet  Hesiod  bestimmt,  indem  er 
(Th.  424)  sagt:  die  Ehre,  welche  sie  zur  Zeit  der  frühem  Götter, 
der  Titanen,  genoss,  habe  ihr  Zeus  gelassen  und  noch  vermehrt. 
Hieraus  erkennen  wir  sowohl  das  Alter  ihrer  Verehrung  als  deren 
Fortdauer.  Hie  und  da  und  besonders  in  späterer  Zeit  verknüpfte  sich 
der  Begriff  der  Zauberei  mit  ihrem  Wesen,  so  dass  sie  nicht  nur 
als  Wirkung  der  guten  Constellation ,  sondern  auch  als  zaubernde 
Urheberin  derselben  angesehen  wurde.  Medea  hatte  die  Hekate  zur 
Mithelferin,  und  sie  verehrte  dieselbe  besonders  in  der  Nische  ihres 
Herdes'^).  Wegen  des  dreifach  wechselnden  Mondes  bildete  sie  Al- 
camenes  mit  drei  Gesichtern  ab  3),  und  wir  sehen  noch  eine  solche 
Hekate  bei  Paciaudi  (Mon.  Pelop.  11,  p.  188)  mit  dem  Scheffel  der 
Fruchtbarkeit  auf  dem  Haupte,  einen  Hund  an  den  Vorderfüssen 


1)  Persäos  im  Hom.  h  in  Cer.  24  genamit. 

2)  Theog.  411  ff. 

3)  Ilom.  h.  in  Cer.  25. 

'•)  Eurip.  Med.  400. 

’)  Pausan.  II,  30. 


56 


hallend.  Dieses  Tliier,  ein  natürliches  Sinnbild  der  Wachsan)kei(, 
dem  Begriffe  der  Nacht-  und  Mondsgöltin  wohl  entsprechend,  ist 
nach  Euripides  die  Lust  der  Hekate  und  wurde  ihr  geopfert* *);  ja 
die  Göttin  wurde  bisweilen  selbst  mit  einem  Hundskopfe  abgebil¬ 
det  2),  Jeden  Neumond  Abends  pflegten  ihr  die  Griechen  auf  den 
Kreuzwegen  eine  Opfermahlzeit  insbesondere  von  Eiern  fSinnbild 
der  Fruchtbarkeit)  ,  jungen  Hunden  (mit  Beziehung  auf  den  Mond) 
und  von  Esswaaren  vorzuselzeu,  um  dadurch  des  Glückes  Gunst  zu 
gewinnen,  und  das  Anerkennlniss  auszuspreclien ,  Speise  und  Trank 
kommen  von  oben  herab  3). 

In  Absicht  auf  den  Ursprung  der  Hekate  und  ihres  Namens  wer¬ 
den  wir  durch  eine  denkwürdige  Stelle  des  Propheten  Jesaja  65,  11 
nach  Phönicien  oder  Palästina  gewiesen:  »Ihr,  spricht  der  Herr  zu 
seinem  Volke,  die  ihr  den  Herrn  verlasset  und  des  heiligen  Berges 
vergesset,  und  richtet  der  Gad  einen  lisch  zu,  und  schenket  voll 
ein  vom  Trankopfer  der  AJeni.«  Die  gleiche  Verehrung  durch  das 
Zurichleu  eines  Tisches,  dieselbe  Vorstellung,  welche  der  Morgen¬ 
länder  mit  der  Gad  ^) ,  was  auch  ein  Appellativwort  mit  der  Bedeu¬ 
tung  des  Glückes  war,  verbinden  musste,  und  selbst  die  Namenähn¬ 
lichkeit  berechtigen  zu  der  Annahme,  Hekate  und  Gad  seyen  einer¬ 
lei.  Jenes  scheint  nur  eine  griechische  Umbeugung  der  phönicischen 
siderischen  Glücksgöttin  zu  seyn,  wobei  das  a  in  x  überging,  wie 
aus  y.dp.rj'koq  (Kameel)  wurde.  Unsre  deutsche  Sprache  bildete 
aus  der  Hekate  nach  ihrer  abgeleiteten  Bedeutung  das  Wort  Hexe. 
Das  Herbeiziehen  der  griechischen  Ableitung  von  exarog  (Voss)  oder 
der  hebräischen  von  in;  (vereinigt  seyn,  Sickler  Kadmus  S.  64)  halle 
ich  für  gesucht  und  verwerflich.  Die  Meni,  verglichen  mit 
Mond,  ist  meines  Erachtens  dasselbe  Wesen,  nur*im  Parallelismus 
mit  einem  andern  Namen  benannt. 


')  Daher  heisst  sie  dem  Lykophron  -jivvoacpayi^g  ded. 

2)  llesych.  v.  äyaXf^a  'E-/.u.rrjg. 

j)  Arisloph.  in  Pluto  und  daselbst  Schob  Ilemslerhuis  ad  Lucian. 
Dialog.  Deor.  II.  p.  399  Bip. 

*)  Die  LXX  übersetzen  Tüx’?,  die  Vulgata  Fortuna. 


§.  10. 

Japelos  euillicli ,  der  von  uns  zulelzl  Genannle  unter  den  Ti¬ 
tanen,  ist  der  erste  Mensch  der  Theogonie.  Denn  von  ihm  leiteten 
die  Griechen  ihr  eigenes  Geschlecht  und  die  westliche  Bevölkerung 
der  Erde  ah,  indem  sie  ihn  zum  Vater  des  Prometheus  und  des 
Westberges  Atlas  machten').  Des  Prometheus  Sohn  war  aber 
Denk  ali  011  und  dessen  Sohn  Hellen,  welcher  bei  dem  nachmali¬ 
gen  Uehergewichte  der  Hellenen  unter  den  Einwohnern  Griechenlands 
in  späterer  Zeit  au  die  Spitze  des  griechischen  Stammbaums  gesetzt 
wurde.  Wenn  der  Gesichtskreis  der  Theogonie  in  dem  Geschlechts- 
register  des  Menschengeschlechts  nicht  so  weit  umfassend  ist  als  der 
der  mosaischen  Schöpfungsgeschichte,  so  stellt  sie  doch  nur  Einen 
Menschen  oben  an,  um  die  Menschen  als  ein  zusammenhängendes 
Ganzes  darzustelleu,  im  Sinne  des  biblischen  Ausspruches  (Apostgesch. 
17,  26):  „Gott  hat  gemacht,  dass  von  Einem  Blute  aller  Menschen 
Geschlechter  auf  dem  Erdboden  wohnen.«  Der  Theil  des  Menschen¬ 
geschlechts,  auf  dessen  Genealogie  sich  die  Theogonie  eiuschränkt, 
hat  in  der  mosaischen  Völkertafel  ganz  dieselbe  Abstammung. 
Von  Japhet,  dem  Sohne  Noah’s,  wird  die  ganze  nördliche  und 
westliche  Bevölkerung  der  Erde  abgeleitet,  und  ausdrücklich,  wie 
dort  von  Japelos,  das  griechische  Volk  (Javan)  und  Tartessus,  ein 
Enkel  Japhel’s,  ferner  die  Meder  (Madai),  Magog  {rauthmasslich  am 
Kaukasus)  und  die  Ciinmerier  (Gomer).  Auch  der  griechische  Ja- 
pet  wird  mit  der  grossen  Wasserfluth  in  eine  Verbindung  gebracht, 
als  Grossvater  Deukalions.  Ueberdiess  ist  sein  Name  in  der  hebräi¬ 
schen  und  griechischen  Ueherlieferung  ganz  derselbe,  so  dass  mau 
au  der  Einerleiheil  nicht  zweifeln  kann.  Wir  besorgen  keinen  Wi¬ 
derspruch  von  Seile  der  Chronologie,  da  ja  in  der  mythischen  Ge¬ 
schichte  die  Begriffe  des  Vaters  und  des  Sohnes  nicht  so  streng  dür¬ 
fen  genommen  werden.  Die  griechische  Sage  setzt  uns  seihst  auf 
den  richtigen  Standpunkt  ihrer  Beurlheilung,  indem  sie  uns  von  dem 
frommen  Menschengeschlecht  in  der  goldenen  Zeit  zu  Anfang  der 
Well  meldet^),  und.  doch  schon  mit  Prometheus  Sünde  und  Elend 


')  Theog.  509  f. 
2)  l  Mos.  10. 

•’)  lies.  Op.  109. 


58 


liervorlrelen  lässt  *).  So  gibt  sie  selbst  zu  verstehen,  dass  zwischen 
Japet  dem  Uraniden  und  Prometheus  ein  ganzes  Geschlecht  in  der 
Mitte  liegen  könne,  und  Sohn  des  Japetos  bei  der  Unbekannlheit 
oder  Gleichgültigkeit  der  Mittelglieder  so  viel  sey  als  Nachkomme 
desselben 

Rückblick. 

Blicken  wir  auf  die  Götterlebre  der  Tilanenperiode  zurück,  so 
ist  es  ein  abgerundetes  phönicisch  griechisches  System.  Kronos  steht 
an  der  Spitze,  seine  rechte  Hand  ist  gleichsam  Krios,  sein  Wille 
Themis,  sein  Verstand  Mnemosyne;  wir  finden  schon  in  dieser  Zeit 
die  Anerkennung  einer  göttlichen  Intelligenz  und  sittlichen  Well¬ 
ordnung.  Hauptsächlich  erscheint  uns  die  Erde  als  der  Schauplatz 
der  Liebe  und  Herrlichkeit  Gottes;  daher  wird  Rhea  als  Gattin  des 
höchsten  Gottes  vorgeslellt.  Im  Anfang  ist  bei  Gott  das  ewige  Wort, 
das  den  Unsichtbaren  offenbaret  und  Himmel  und  Erde  verknüpft 
(Phoibe).  Der  Inhalt  dieser  Glaubenslehre  ist  demnach:  Bete  an 
den  Allvater,  der  über  Alles  leuchtet,  den  Allmächtigen ,  Allwissen¬ 
den,  Gerechten  und  Wahrhaftigen,  der  in  Liebe  unserer  Erde  zu- 
gelhan  ist  und  sich  durch  den  Logos  otlenbarel;  verehre  den  Himmel 
über  dir  (KoiosJ  und  die  Lichter  des  Himmels,  Sonne,  Mond  und 
Sterne  (Hyperion  und  Theia),  die  Erde,  worauf  du  siehst,  das  end¬ 
lose  Meer  mit  seinen  nie  versiegenden  Flüssen  und  Quellen,  und 
deinen  Patriarchen  Japet,  der  in  der  Gemeinschaft  der  Götter  weilt 
und  dich  erinnert,  dass  auch  du  göttlichen  Geschlechts  bist. 

B.  Wie  verhält  sich  die  Welt  zu  Gott? 

Die  Glaubenslehre  hat  hier  zweierlei  Fragen  zu  lösen;  wie  ver¬ 
hält  sich  die  Well  zu  Gott  1)  i u  ihrer  Entstehung,  2)  in  ihrem 
Bestehen?  Wenn  die  christliche  Religions'lehre  diese  Fragen  ver¬ 
mittelst  der  Begriffe  der  Schöpfung,  der  Erhaltung  und  der 
Regierung  beantwortet,  so  haben  wir  den  analogen  Glauben  der 
allen  Griechen  dieser  Periode,  wie  er  besonders  in  der  besiodischen 
Urkunde  sich  erhalten  bat  und  entwickelt  ist  ,  zu  erkennen  und  dar- 
zuslellen. 


')  lies.  Op.  94  IT. 


o9 


§.  11. 

1)  In  ihrer  Entstehung  ist  die  Welt  nacli  heidnischen  BegrilTen 
von  Goll  unabhängig,  und  der  Glaube  an  die  Schöpfung,  vermöge 
deren  das  Weltganze  von  Gott  dem  Geiste  Daseyn  hat,  ist  der  Na- 
lurreligiou  *)  an  sicli  fremd  geblieben,  darum  dass  sie  wenigstens  zum 
Theil  die  Natur  selbst  Gott  gleich  setzte.  Nach  Art  einzelner  Orga¬ 
nismen  entwickelte  sich  zufolge  heidnischer  Anschauungsweise  auch 
das  All,  und  Natur  und  Geist  brachen  aus  einem  gemeinsamen  Keime 
hervor.  Dieser  uranfängliche  Weltkeim  ist  das  Chaos  2),  ungefähr 
was  Schelling  unter  dem  Absoluten  versteht.  Da  ruhte  Alles  in  ewi¬ 
ger  Einheit  verborgen  3) ,  daraus  wuchsen  im  ordentlichen  Stufengang 
Leiber  und  Geister,  Welt,  Menschen  und  Götter  hervor.  Das  Wort 
kommt  von  fassen,  und  bedeutet  daher  das,  was  Alles  in  sich 

fasst  und  einschliesst  ^).  Wenn  sich  dieser  Begriff  aus  den  Entwick¬ 
lungen  des  Chaos  nach  Hesiod’s  Theog.  ergibt,  so  sprach  ihn  auch 
Orpheus*)  bestimmt  aus,  das  Chaos,  das  Princip  aller  Dinge,  sey 


')  Platon  wohl  kennt  den  Gott,  der  dieses  All  erzeugt  hat  (ö  röd£ 
rö  Tcäv  yevvi^oaq ,  Timaeus  p.  41  A)  ,  den  allei  vollkommensten  Geist, 
der  die  Welt  geordnet  hat  (xöojieop  h'ra^s  ^-oyog  6  Tidvruiv  deioratoq 
üQaröv,  Epinomis  p.  986  C). 

2)  Theog.  1 16. 

3)  Gerade  das  Gegentheil  von  dem,  was  Hermann  (aber  kein  ein¬ 
ziger  von  den  Alten)  unter  dem  Chaos  versteht,  nemlich  den  leeren 
Raum.  Diesen,  das  reine  Nichts,  zuerst  zu  setzen,  wäre  sehr  unkos- 
mogonisch  gewesen.  Die  Anschauung  des  Raums  kann  sich  erst  nach 
vollendeter  Schöpfung,  aber  nicht  die  Schöpfung  aus  ihm  gestalten. 
Eben  so  wenig  ist  das  Chaos  eine  todte  Materie,  sondern  vielmehr  der 
organische  Same,  worin  das  All  gebunden  gedacht  wurde,  wie  die  Eiche 
in  der  Eichel. 

^)  Eine  abgeleitetere  Bedeutung  ist  erst  die  A  t  m  0  s  p  h  ä  re,  welch  e 
die  Erde  umlässt,  wie  bei  lies.  Th,  699.  Aristoph.  Av.  191.  — Bacchy- 
lides  beim  Schob  Hes.  Th.  116  sagt  vom  Adler."  voj/märai,  di  är  dzQV- 
y£TM  ydu. 

Bei  Clem.  Rom.  Recognit.  ad  Gentil.  X,  17.  27  p  145  Colon 
Homil.  VI,  3  sq.  Auf  ähnliche  Weise  .4pollon.  .4rgon.  1,  495  ff. 


60 


weder  liell ,  iiocl»  finsler,  noch  feuchl,  nocli  warm,  noch  kalt  gewe¬ 
sen,  sondern  es  habe  Alles  gestaltlos  in  sich  verschlossen. 

Der  Wellkeim,  das  ('.haos ,  hricht  sich  zuerst  in  Oberes  und  Un¬ 
teres,  (reibt  auf-  und  abwärts,  und  somit  in  die  Länge  und  Breite, 
Das  Obere  ist  die  sich  ausbreitende  Erde  (rat’  evQvarcQvoq) ,  das 
Untere  der  finstere  Tartarus  ').  Das  leitende  Bild  eines  Baumes, 
dessen  Stamm  sich  von  den  Wurzeln  erhebt  und  oben  ausbreitel, 
tritt  in  den  Worten  der  Theogonie  V.  727:  vom  Tartarus  aufwärts 
seyen  die  Wurzeln  der  Erde  uud  des  Meeres,  deutlicher  hervor. 

Wodurch  ist  aber  das  Auseinandergehen  des  Chaos  nach  oben 
und  unten  veranlasst  worden?  Durch  den  Trieb,  Eros  genannt, 
welcher  mit  der  allerersten  Entwicklung  des  Chaos  gleichzeitig  ge¬ 
setzt  wird  2).  Eros  ist  der  Zeuguiigstrieb ,  welcher  nach  den  Wor¬ 
ten  Hesiod’s  die  Herzen  aller  Götter  und  Menschen  bezwingt,  er  ist 
der  Trieb,  die  Lebenskeirae  der  Natur  zu  befruchten,  und  ihnen  den 
ersten  Anstoss  zum  wirklichen  Leben  zu  geben.  Er  veranlasst  da¬ 
durch  den  Bildungstrieb,  d.  i.  den  Trieb  zur  Assimilation  des  Gleich¬ 
artigen,  wodurch  das  Wachslhura  bedingt  ist.  Christlich  verstanden 
und  gedeutet  ist  dieser  uranfängliche  Eros  die  personificirle  Schö¬ 
pfungslust,  und  eine  Fabel  über  die  Wahrheit:  aus  Liebe  hat  sich 
Gott  entäussert  und  die  Welt  erschaffen.  Wenn  der  Zeugungslrieb 
auf  gewöhnliche  Weise  durch  die  unterschiedenen  zwei  Geschlechter 
wirkt  und  die  Keime  entwickelt,  so  versteht  sich  von  selbst,  dass 
jener  erste  Eros,  in  seinem  Zweck  zwar  der  neraliche,  doch  ganz 
anderer  Mittel  sich  bedienen  musste.  Die  orphische  Theorie 
nannte  ihn  daher  zur  ausdrücklichen  Unterscheidung  geschlechtslos, 
Mannweib  {dQ^ev69i]'kiiq).  Um  die  Natur  dieses  Eros  als  des  die 
Welt  organisirenden  Triebes  näher  zu  bezeichnen ,  liess  ihn  Orpheus 
selbst  aus  einem  organischen  Keime  entstehen,  aus  einem  Ei,  das 
sich  im.  Chaos  bildete;  was  in  der  Sache  milder  hesiodischen  Ueber- 

1)  Theog  117  ff.  Ein  ungeschickter  Religionslehrer  hiitle  Himmel 
und  Erde  als  das  Obere  und  Untere  aus  dem  Chaos  unmittelbar  wer¬ 
den  lassen.  Aber  es  war  gewiss  weiser,  nicht  sogleich  das  Oberste, 
sondern  vorerst  ein  Oberes  uud  Unteres  und  zwar  im  Tartaros  gleich¬ 
sam  die  Wurzeln  entstehen  zu  lassen. 

2)  Th.  120. 


(>l 


lieferung  niclil  streitet,  soiuiern  eine  Ausschmückung  oder  weitere 
Ausbildung  derselben  ist  und  ihrer  Erklärung  zu  Slatlen  kommt. 
Dieses  Ei  ist  gleichsam  der  hüpfende  Punkt  im  Chaos,  und  der  dar¬ 
aus  entstandene  Eros  das  erste  Hüpfen  im  Punkte,  <Ier  Anfang  des 
Weltlebens,  der  erste  Lebenspuls  der  Natur,  das  Princip  der  Stewe- 
gung;  gleichwie  es  1  Mos.  1,  2  heisst:  »der  Geist  Gottes  regete 
sich  auf  dem  Wasser.«  Ob  es  nun  nach  orphischer  Lehre  bei  Da- 
raascius  *)  heisst,  Chronos,  die  unendliche  Zeit,  liabe  im  Chaos  das 
in  ein  Gewand  gehüllte  Ei  erzeugt,  oder  bei  Aristophanes  (Vögel 
693  f.),  die  Nacht  habe  es  aus  der  Umarmung  des  Erebos  geboren  2), 
ist  ziemlich  einerlei.  Denn  der  Sinn  der  ersten  Fabel  ist,  mit  dem 
Ei  als  dem  allerersten  Schöpfungsakt  sey  der  Zeitanfang  gesetzt. 
Wird  die  Zeit  als  das  Ganze  betrachtet,  so  mag  dieser  Anfang  als 
ein  Theil  des  Ganzen  wohl  für  die  Geburt  der  Zeit  gelten,  W^enn 
diese  Genealogie  durch  die  Einmischung  des  abstracten  Begriffes  der 
Zeit  gelehrter  ist,  so  ist  dagegen  die  bei  Aristophanes  fasslicher  und 
eben  so  wahr.  Das  Verhüllen  des  Eies,  wie  es  bei  Damascius  heisst, 
die  geheimnissvolle  Verborgenheit,  in  welcher  es  entstand,  wurde 
hier  ins  Auge  gefasst,  und  so  war  es  ein  Erzeugniss  des  Erebos  und 
der  Nacht.  Denn  niemand  hat  den  Schöpfer  belauscht.  Am  einfach¬ 
sten  und  ursprünglichsten  ist  ohne  Zweifel  die  Ueberlieferung  He- 
siod’s,  wornach  Eros  nicht  in  Folge  irgend  einer  Begattung,  die  ihn 
selbst  schon  voraussetzt,  entsteht,  sondern  Eros  unmittelbar  mit  dem 
Chaos,  der  Gäa  und  dem  Tartaros  gesetzt  wird.  Aristophanes  a.  a.  O. 
setzt  als  ungezeugt  obenan  das  Chaos,  die  Nacht,  den  schwarzen 
Erebos  und  den  weiten  Tartaros,  letzteren  nicht  als  das  Untere  in 
Folge  der  Entwicklung  im  Gegensatz  zur  Erde,  wie  bei  Hesiod,  son¬ 
dern  als  die  uranfängliche  Tiefe  oder  Abgrund  ,  nicht  eine  Geburt 
des  Chaos,  sondern  ein  Eigenschaftswort  desselben,  das  DSr;r  der 
Bibel.  Bei  Damascius  dagegen  zeugte  Chronos  das  unbegrenzte 
Chaos,  den  feuchten  Aether  und  den  finstern  Erebos,  und  darin  ein 


*)  In  Wolfii  Anecd.  Gr.  111  p.  252  ff.  Ausg.  Damasc.  xepl  apx* 
V.  Kopp  1826  p.  380. 

2)  So  sang  auch  Antagoras  bei  Diog.  L.  IV,  26:  Erebos  und  die 
Königin  Nacht  haben  unter  den  Fluthen  des  Okeanos  den  Eros 
erzeugt. 


G2 


Ei;  was  weder  grosse  Weisheit  noch  Alterthuin  veiräth.  Den  aus 
dem  Ei  gebornen  Eros  nannten  die  Orphiker  auch  Phanes  (nach  dem 
Aegyptischen  der  Ewige) ,  Erikapäus  (koptisch  Lebengeber)  und  Pan, 
gaben  ihm  die  Beiwörter  .r^xnJTÖyouog ,  nQtaröanoqoq ,  und  zu  Attri¬ 
buten  goldene  Flügel  wegen  seiner  Allerregsamkeit,  eine  Schlange 
auf  dem  Haupte,  weil  in  ihm  und  durch  ihn  der  Lebensanfang 
(Schlange)  erschienen  ist,  und  Slierköpfe  auf  den  Schultern,  wegen 
seiner  kosmischen  Bedeutung  mit  Anspielung  auf  den  Frühlingsslier  *). 

§•  12. 

Lehren  wir  zu  Hesiod  (Th.  123  IT.)  zurück:  »Aus  dem  Chaos 
sind  der  Erebos  und  die  schwarze  N  a  c  h  l  geworden,  aus  der  Nacht 
aber  der  Aether  und  der  Tag,  die  sie  dem  Erebos  in  Liebe  zuge¬ 
sellt  gebar.«  Auch  die  hebräische  Schöpfungsurkunde  sagt:  »es  war 
finster  auf  der  Tiefe.“  Erebos  nennt  die  Theogonie  diese  chaotische 
Finsterniss,  und  wählt  der  Feierlichkeit  wegen  dieses  ausländische 
Wort  von  aiy  (Abend),  mit  wahrscheinlicher  Anspielung  auf  das 
Zeitwort  (vermischen),  weil  in  diesem  Dunkel  Tag  und  Nacht, 
wie  im  Chaos  das  All,  noch  vermischt  und  ungetrennt  beisammen 
waren.  Es  war  die  Urdäramerung  2).  Mit  dem  Aufstreben  des  Welt¬ 
organismus  erzeugte  sich  allmälig  der  heitere  Tag.  Mit  dem  Be- 
griCTe  der  Nacht  ist  die  Trennung  schon  gesetzt,  denn  jener  Begriff 
ruft  seinen  natürlichen  Gegensatz,  den  des  Tages,  hervor.  Die  Nacht 
ist  gleichsam  die  eine  Hälfte,  in  die  sich  der  Erebos  gebrochen  hat, 
darum  heisst  sie  im  Vergleich  mit  der  Urdämmerung  richtig  die 
schwarze  Nacht.  Varro  3)  drückte  diese  Unterordnung  genauer  da- 


*)  lieber  die  orphischen  Kosmogonien,  deren  Werth  wir  auf  sich 
beruhen  lassen  ,  hat  Creuzer  3te  Ausgabe  IV.  S.  79  ff.  Mehreres  bei¬ 
gebracht. 

2)  Nebel  nannten  die  Sidonier  diese  Schöpfungsdämraerung ;  denn 

sie  setzten  vor  aller  Zeit  den  Pothos  und  den  Nebel  nach 

dem  Berichte  des  Eudemus  bei  Damasc.  de  princip.  Wolf.  Anecd. 
Gr.  111.  p.  259. 

3)  Bei  Festus  v.  Erebus,  wo  auch  eine  Dichterstelle  angeführt 
wird:  Erebo  creata  fuscis  crinibus  Nox,  te  invoco. 


durch  aus,  dass  er  den  Erebos  zuin  Vater  der  Naclit  machte.  Die 
andere  Hälfte,  die  sich  aus  dem  Erehos  heraus  geschieden,  ist  der 
Tag,  Herne  ra.  Er  würde  ohne  Zweifel  die  Nacht  zur  Schwester 
erhallen  haben,  wenn  sie  gleichzeitig  wären;  so  aber  wuchs  aus  der 
Nacht  die  Erde  in  den  hellen  Tag;  folglich  ist  der  Tag  eine  Geburt 
der  Nacht,  in  so  fern  diese  vorausging,  und  hat  den  Erebos  zum 
Vater,  in  so  fern  dieser  den  Tag  der  Potenz  nach  enthielt.  Die 
Nacht  verhält  sich  hier  zum  Tage  nicht  wie  Grund  zu  Folge,  son¬ 
dern  wie  vorher  zu  nachher ;  der  positive  Grund  des  Tages  aber 
liegt  in  seinem  Vater.  Es  ist  zu  bemerken,  dass,  wie  hier,  so  auch 
in  der  hebräischen  Urkunde  die  Nacht  dem  Tage  vorhergeht,  und 
dass  diese  Gegensätze  auch  hier  vermittelst  einer  Scheidung  zum  Vor¬ 
schein  kamen:  »Gott  schied  das  Licht  von  der  Finsterniss,  und 
nannte  das  Li'  hl  Tag  und  die  Finsterniss  Nacht:  da  ward  aus  Abend 
und  Morgen  der  erste  Tag« ,  1  Mos.  1  ,  4  f.  Nach  der  Theogonie 
schied  sich  ferner  der  Aelher  als  der  polenzirte  .Tag  aus.  Wie 
nemlich  die  Oberwelt  bis  zum  Himmel  stieg,  wuchs  die  unermess¬ 
liche  Pflanze  in  den  lichten  Aelher  hinein,  welcher  als  das  vollen¬ 
detste  Erzeugniss  des  Erebos  und  der  Nacht  anzusehen  ist,  gleich¬ 
wie  Uranos  die  vollkommenste  Entwicklung  des  Chaos  darstellt.  Es 
ist  gleichweit  vom  Himmel  auf  die  Erde,  als  von  der  Erde  in  den 
Tartaros  nach  Theog.  719. 

§.  13. 

Die  hesiodische  Urkunde,  welche  wie  die  hebräische  die  Erde, 
den  Abgrund  und  das  Licht  zuerst  entstehen  lässt,  folgt  dieser  in 
der  weitern  Entwicklung  Schritt  vor  Schritt,  Weil  die  Erde  und 
das  Gewässer  unvermischt  beisammen  waren,  so  schied  sich  vorerst 
das  verdunstete  Wasser  über  der  Erde  von  dem  Wasser  auf  der 
Erde,  und  jenes  wurde  die  Veste,  der  Himmel,  nach  1  Mos.  1,  6  11. 
Oder  bei  Hesiod  Th.  126  f.  :  „Die  Erde  gebar  sich  gleich  den  ge¬ 
stirnten  Himmel  (Uranos),  dass  er  sie  allerwärts  bedecke.“  Un¬ 
verkennbar  dachte  sich  die  Theogonie  an  der  Himmelsvesle  zugleich 
das  Wässerigte,  weil  nach  V.  133  Uranos  mit  Gäa  den  Okeanos  er¬ 
zeugte  *). 


*)  Nehmen  wir  den  ersten  .Juppiler  des  Cicero  N.  D.  III,  21  für 


(J4 


Sodann  sondcrie  sich  das  Gewässer  auf  Erden  von  dem  trocke¬ 
nen  Lande,  und  jenes  nannte  mau  Meer:  1  Mos.  I,  9  1.  Hesiod 
beschreibt  diese  Sonderung  in  drei  Acten  Th.  129  ff.:  Die  Erde  ge¬ 
bar  die  hohen  Berge  (als  die  zuerst  aus  dem  ahflie^isenden  Wasser 
herausraglen)  und  das  wallende  Meer  (Pontos),  und  zwar  aus  sich 
selber,  in  V^erbindung  mit  dem  Uranos  aber  gebar  sie  den  tiefwir¬ 
belnden  Okeanos,  von  welchem  alle  Flüsse  und  Bäche  herkom- 
men.  liier  ist  ein  richtiges  Nacheinander  der  kosmischen  Entwick¬ 
lung.  Sinnvoll  entstehen  die  Flüsse  und  Quellen,  in  dem  Urfluss 
Okeanos  personificirt ,  aus  dem  Bodenwasser  der  Erde  in  Verbindung 
mit  dem  Regenwasser  der  Veste  (Uranos),  das  mittelländische  Meer 
aber,  als  nur  ahgeflossen,  aus  der  Erde  allein,  ln  diesem  Sinne 
scheint  das  Meer  fl>öpy.vg,  etwas  Ausgeschiedenes,  von  (im  Ara¬ 
mäischen  und  Arabischen  scheiden,  zertrennen)  genannt  wor¬ 
den  zu  seyn.  Homer  (Od.  1,  72)  nennt  ihn  einen  Beherrscher  des 
Meeres,  und  Hesiod  (Th.  237)  den  mulhigen  Sohn  des  Ponlus  und 
der  Erde.  Seine  Tochter,  die  Nymphe  Oöcooa  (Schnelle),  deren 
Homer  a.  a.  0.  gedenkt,  mag  seine  Eigenschaft  ansdrücken.  Wenn 
Nereus  mehr  als  waltender  Meeresgotl  aufgefasst  wurde,  so  bezeich- 
uete  dagegen  Phorkys  das  Kosmogonische  jenes  Elementes. 

Behalten  wir  die  Lehre  der  Theogonie  im  Auge,  dass  sich  aus 
der  Erde  das  Gewässer  au  der  Veste,  das  Meer  und  die  Flüsse  her¬ 
ausbildeten,  so  wird  man  die  homerische  Kosrnogonie,  wor- 
nach  Alles  aus  dem  mit  Erdlheilen  vermischten  Wasser  entsteht, 
zwar  gegenüberstehend,  aber  nicht  widersprechend  finden.  Der 
Okeanos  ist  nach  Homer  Q  der  Ursprung  von  Allem,  auch  von 
den  Göttern,  in  welchem  Sinne  folgendes  von  Platon  im  Timäus  aus¬ 
geführte  Geschlechtsregister  entsteht:  Himmel  und  Erde,  von  ihnen 
Okeanos  und  Tethys,  und  von  denen  Phorkys,  Kronos,  Rhea  und 
die  übrigen  Titanen.  In  dieser  Bedeutung  ist  Okeanos  höher  gestei¬ 
gert,  und  nicht  mehr  blos  für  den  Urfluss,  sondern  für  das  Urwasser 


den  Uranos,  so  halle  dieser  nach  seiner  Angabe  den  Aether  zum 
Vater,  was  in  dieser  Genealogie  ganz  angemessen  wäre.  Sein  zweiter 
Zeus,  des  Himmels  Sohn,  entspricht  dem  Kronos,  und  der  drille  ist 
der  gewöhnliche  Sohn  des  Kronos. 

')  11  XIV, '202.  246.  301. 


65 


zu  nehmen,  üiess  sagt  Homer  (ll.  XXI,  196)  selbst  aus,  indem  von 
Okeanos  a  lles'^M  e  er  ,  alle  Flüsse  und  Bäche  entstehen.  Der  ioni¬ 
sche  Philosoph  Thaies  hat  diesen  I.ehrsatz  von  dem  Wasser  als 
dem  Ursprung  der  Dinge  zu  dem  seinigen  gemacht  i)  und  Pindar 
(Ol.  I,  1)  spielt  darauf  an  2).  Bestimmtere  Nachrichten  von  dieser 
Kosmogonie  geben  uns  Hellauikus  3)  und  Athenagoras  ^),  sie  unter¬ 
scheidet  sich  von  der  hesiodischen  durch  drei  charakteristische  Sätze: 
anstatt  des  Chaos  steht  hier  das  Wasser  obenan  5),  anstatt  des 
belebenden  Eros  ist  hier  die  Ananke,  die  Nothwendigkeit,  der 
letzte  Grund  der  Entwicklung,  und  wenn  dort  blos  Eros  aus  dem 
Ei  entstand,  so  tritt  hier  die  Lehre  eines  förmlichen  Welteies  her¬ 
vor.  Das  Urwasser,  heisst  es,  war  schlammig,  der  Schlamm  setzte 
sich  zu  Boden  und  verdickte  sich  zur  Erde.  Aus  Wasser  und  Erd- 
stoff  ward  Herakles  oder  Chronos,  d.  i.  eine  Schlange  mit  dem  Ge¬ 
sichte  eines  Gottes  und  einem  Löwen  -  und  einem  Stierkopfe.  Die¬ 
ser  erzeugte  mit  der  durch  die  ganze  Welt  ausgespannten  Nothwen¬ 
digkeit  ein  ungeheures  Ei,  welches  zerbrochen  oben  zum  Himmel 
und  unten  zur  Erde  ward.  .4uch  der  hesiodische  Eros  war  ein  nach 
dem  Gesetz  der  Nothwendigkeit  wirkendes  Wesen  und  mit  Nothwen¬ 
digkeit  gepaart;  wiewohl  durch  den  Begriff  des  Eros  angedeutet  zu 
seyn  scheint,  dass  kein  blinder  Trieb,  wie  man  leicht  versucht  wird 
in  der  Ananke  vorauszusetzen,  die  Welt  organisirte.  Platon  (Sympos. 
18,  4)  erkannte  wohl  die  Verschiedenheit  jenes  kosmischen  Eros  als 
des  Bildungstriebes  der  Welt  von  dem  Eros,  der  in  der  schon  ge¬ 
bildeten  Welt  waltet,  und  behauptet  geradezu,  jener  Eros,  von  wel¬ 
chem  Ilesiod  und  Parraenides  in  seiner  epischen  Physiologie  reden, 
sey  die  Nothwendigkeit  (’Ävdyxtj).  Er  verglich  hiermit  richtig  die 
hesiodische  mit  der  ionischen  Theorie ,  und  gab  der  letztem  den 


*)  Cic.  N.  D.  I,  10  das.  Ausleger  p.  43  Creuzer. 

2)  Sogar  nach  den  Untersuchungen  unsrer  Chemiker  haben  alle 
Pflanzen  und  Thiere  dieselben  Grundstoffe,  die  sich  auch  in  dem  Was¬ 
ser  vorflnden. 

3)  Bei  Damascius  Wolf.  Anecd.  Gr.  p.  253. 

Athenag.  Leg.  pr.  Christ,  p.  18  sq.  Colon. 

*)  Pherecydes  von  Syra  nannte  das  Urwasser  seihst  Chaos,  Achill 
Tal.  isag,  in  Arali  Phaenomena  c.  3. 


5 


—  (>6  — 

Vorzug.  Wir  werden  aber  nicht  irren,  wenn  wir  die  üeberzeugung 
liegen,  dass  beide  neben  einander  wohl  bestehen,  und  eine  jede  die¬ 
selbe  Sache  nach  einer  andern  Seile  hin  bezeichnet,  bald  als  Liebe 
bald  als  Nolhwendigkeil,  Wir  können  Beides  verbinden  und  eine 
mit  Nolhwendigkeil  wirkende  Liebe  verstehen  *). 

Diese  ionisch  homerische  Lehre  floss  wahrscheinlich  aus  Aegyp¬ 
ten,  wo  der  schlammige  Fluss  alles  Lebens  und  Segens  Urheber 
war,  und  die  Naturanschauung  das  Nachdenken  leitete,  wo  auch  der 
alte  Werkmeister  Phlha  für  einen  Sohn  des  Nils  ausgegeben  wurde  2). 
Proteus  wird  daher  ein  unsterblicher  Aegyplier  genannt,  und  erst 
von  den  Griechen  zu  einem  Diener  Poseidons  gemacht  ^).  Er  aber 
scheint  dieselbe  Idee  von  dem  Ursprung  der  Dinge  aus  dem  Wasser 
auszudrucken.  Bei  Ilesiod  dürfen  wir  ihn  nicht  suchen,  wohl  aber 
bei  Homer,  der  sich  zu  diesem  System  bekannte.  Er  ist  ihm  ein 
aller  Seegolt  (yeQcov  uXcog)^»),  welcher  das  Vermögen  besitzt,  sich 
in  alle  Gestalten  der  Thiere,  der  Bäume  und  des  Wassers  zu  ver¬ 
wandeln  ^).  Nägelsbach  (die  honi.  Theolog.  S.  81)  hält  ihn  für  ein 
Bild  der  Schifffahrt;  er  ist  aber  wohl,  wie  sein  Name  IlgcaTSvq  von 
nQÖSxoq  besagt,  das  uranfängliche  Feuchte,  die  Grundlage  aller  Schö¬ 
pfungen.  Diess  zeigt  sich  auch  in  seiner  Nachkommenschaft.  K  a- 
bira  ist,  sagt  Pherecydes  ®),  seine  Tochter,  die  er  mit  der  Anchione 
erzeugte,  und  jene  gebar  dem  Hephäslos  die  Kabiren.  Wir 


Nach  späterer  Lehre  waren  Zeus,  Kronos  und  die  Erde  uran- 
fänglich,  zwischen  Kronos  und  Ophioneus  entstand  ein  kosmischer 
Kampf,  jener  zeugte  aus  sich  Feuer,  Luft  und  Wasser,  und  Zeus,  als 
Eros  verwandelt,  brachte  in  die  zwieträchtigen  Elemente  Friede,  Eini¬ 
gung  und  also  die  Weltordnung:  Proclus  ad  Plat.  Tim.  III  p.  155  Da- 
masc.  de  princip.  bei  Sturz  p.  42.  Origen,  c.  Gels.  VI,  42.^  Bei  Da- 
mascius  und  Diogenes  L.  ist  die  Schreibart  meines  Bedünkens  irrig 
X(}6voq  anstatt  Kqövoq. 

2)  Cic.  N  D.  III,  22.  Auch  nach  der  indischen  Lehre  ist  das 
Wasser  der  Anfang  der  Schöpfung,  s.  Creuzer  I  S.  402. 

3)  Od.  IV,  385  f. 

•)  Od.  IV,  384.  3()5. 

3)  Od.  IV,  417.  456. 

Bei  Sirabo  X  p,  483  und  Stephan.  B.  v.  Kaßet^ttt' 


67 


werden  hier  abermal  nach  Aegypten  gewiesen;  denn  daselbst  waren 
die  Kabiren  Söhne  des  Pbtba  (Hephästos).  Die  Kabiren  aber  sind, 
wie  unten  klar  werden  wird,  die  Erzeuger,  die  Stammväter.  Ihre 
Mutter  scheint  den  aus  dem  lirwasser  niedergeschlagenen  Schlamm, 
die  Erde  aus  den  Wassern,  zu  bedeuten,  Hephästos  aber  den  gött¬ 
lichen  Odem,  der  den  Erdenklos  mit  Lehensfeuer  beseelte,  ähnlich 
jenem  Lebensdrachen  Chronos,  der  das  Weltei  erzeugte.  Homer 
(a.  a.  O.  366)  gibt  dem  Protheus  die  Idothea  (Eidoßsif)  zur  Toch¬ 
ter,  welche  die  jeder  Gestalt  eingeborne  göttliche  Idee  anzuzeigen 
scheint.  Da  erst  durch  ihn  und  nach  ihm  die  trügerischen  Gestalten 
zum  Vorschein  kommen ,  so  ist  er  selbst  noch  von  dem  Truge  frei, 
Homer  (V.  384)  nennt  ihn  untrüglich  (i’i](j.sQTrjq)  und  einen  Wahr¬ 
sager  der  Zukunft.  Nur  ist  es  schwer,  über  den  Trug  hinaus  auf 
den  Grund  und  zur  Wahrheit  zu  gelangen.  Man  muss  nicht  an  dem 
Aussenwerk  stehen  bleiben,  sondern  sich  an  die  Ideen  der  Dinge, 
an  Idothea,  halten.  Diese  verriet!»  dem  Odysseus  des  Vaters  Proteus 
geheime  Ruhestätte,  und  lehrte  ihn,  den  Alten  festzuhalten  und  von 
demselben  durch  Festhalten  die  Wahrheit  zu  erforschen,  ohne  sich 
«lurch  den  Trug  seiner  Gestalten  irre  führen  zu  lassen. 

§.  14. 

Gleichviel  nun^  ob  Himmel,  Erde  und  Wasser  aus  dem  schlam- 
migten  Urwasser  oder  aus  der  wässerigten  Erde  entstanden  seyen, 
so  werden  jenen  Substanzen  auf  physischem  Standpunkte  grosse 
Kräfte  der  kosmischen  Erzeugung  beigelegt;  sie  weben  mit  einander 
das  All.  Himmel  und  Erde  sind  nach  der  Auslegung  Varro’s  (de 
lingua  lat.  IV,  10)  die  grossen  Götter,  Mann  und  Weib,  Seele  und 
Leib.  Himmel  und  Erde  begattet,  haben  den  Hyperion  und  Iheia 
»md  diese  Sonne,  Mond  und  Sterne  zur  Nachkommenschaft*). 
Ferner  entstand  aus  der  ehelichen  Perührung  oder  Reibung  Himmels 
und  der  Erde  die  Na  I  u  re  I  e  k  t  r  i  c  i  t  ä  t ,  welche  in  der  Bildung  der 
Dinue  eine  grosse  Rolle  spielte.  Sie  erscheint  in  der  Theogonie 


')  Theog.  1.34.  371  ff.  Bei  Homer  h.  II  in  Merciir.  99  ist  Selene 
die  Tochter  des  Pallas,  des  Solines  des  iVIegainedes ;  bei  Enripides 
Phoen.  175  f.  isl  sie  die  Tochter  dos  Helios. 


68 


(V.  140)  mit  drei  Namen  persouificirl ,  als  Br  o  nies  (Donner), 
Steropes  (Blitz)  und  Arges  (Glanz,  hier  aber  der  treffende  Blitz¬ 
strahl,  welchem  der  blendende  Glanz  vorzugsweise  zukomiul)  *).  Sie 
haben  nach  Hesiod  nur  ein  einziges  Auge  auf  der  Stirne,  da  ja  das 
elektrische  Licht  einen  ungetheillen  Strahl  bildet.  Ihr  gemeinschaft¬ 
licher  Name  Ky  kl  open  kommt  ohne  Zweifel  von  einem  Volke  die¬ 
ses  Namens  im  Leontinischen  Gebiete  und  am  Aetna,  wo  vulkanisches 
Feuer  brannte.  Denn  Odysseus  besuchte  daselbst  das  Volk  der 
Kyklopen^),  dessen  Fürst  Polyp hemos  hiess,  welchen  die  Fabel 
wegen  der  einmal  beliebten  Uebertragung  nun  auch  einäugig  machte  ^). 
Da  die  Kyklopen  nach  unsrer  Deutung  blinde  Naturgewalten  sind, 
so  machte  man  den  Gegensatz  des  Apollon  als  des  Gottes  der  Wohl¬ 
ordnung  dadurch  bemerklich ,  dass  man  fabelte,  er  habe  sie  getöd- 
tet ,  wofür  ihn  Zeus  ein  Jahr  lang  bei  Admelos  dienen  und  seine 
Rinder  weiden  liess  ^). 

»Drei  andere  Kinder  entsprangen  von  dem  Himmel  und  der  Erde, 
gross  und  mächtig,  unnennbar,  Kotlos,  Briareos  und  Gyges, 
ein  stolzes  Geschlecht  mit  hundert  Armen  und  fünfzig  Köpfen«  ^). 
Welcher  (äschyl.  Trilogie  S.  147  ff.)  hält  diese  drei  Centimanen  nach 
blosser  Wortableitung  für  Wassergewölk,  Andere  halten  sie  für  Ha¬ 
gel,  Regen  und  Schnee,  oder  für  Stürme  und  unterirdische  Winde, 
oder  für  die  drei  Jahreszeiten,  namentlich  den  Briareus  für  den  Win¬ 
ter  nach  der  Deutelei  des  Johannes  Lydus  (p.  150  ed.  Roether.)  6). 
Nach  meinem  unzweifelhaften  Erachten  sind  sie  die  Stellvertreter 
der  ältesten  Bevölkerung  auf  Erden.  Als  Männer,  die  mehr  als 


*)  Der  Dritte  in  Gesellschaft  des  Brontes  und  Steropes  heisst 
Theog.  504.  853  aidaXöeiq  xs^avvög  und  ist  eine  Umschreibung  von 
’AQyrjq,  mit  vollem  Bewusstseyn  seiner  Bedeutung. 

2)  Od.  IX,  106  u.  das.  Eustathius,  u.  Bochart  in  Can.  L.  1.  c.  30. 
Von  den  Kyklopen  lernten  die  Griechen  nach  Tatian.  nrp.  "EXX.  p.  243 
Paris,  in  Erz  arbeiten. 

3)  Od.  I,  69. 

'<)  Eurip.  Alcest.  Anfg.  das.  Schol. 

5)  Theog.  147  ff. 

6)  So  Grenzer  Br.  an  Hermann  über  lies.  u.  Ilom.  S.  163  nicht  ohne 
Beistimmung  Hermanns.  Vgl.  van  Lennep  Comra.  in  II.  Theog.  p.  201  f. 


Einen  Spiess  und  Schild  zu  tragen  im  Stande  sind,  werden  von  Pla¬ 
ton  (Euthydein.  p.  299  C)  Geryones  und  Briareos  beschrieben.  Nach 
Homer  (II.  1,  403  f.)  hiess  Briareos  nach  seinem  menschlichen  Na¬ 
men  Aegäon,  und  nach  Aristoteles')  haben  die  nachmals  von 
Herkules  benannten  Säulen  ehemals  Säulen  des  Briareos  geheissen. 
Alles  diess  weist  auf  einen  mächtigen  Herrscher  im  fernen  Westen 
hin.  Er  muss  mächtig  zur  See  gewesen  seyil ,  da  er  von  Poseidon 
dessen  Tochter  Kymopoleia  zur  Gattin  empfingt),  und  nach  An¬ 
dern  2)  ein  Sohn  des  Meeres  und  der  Erde  war.  Dem  Gyges  ent¬ 
spricht  Gog,  von  Ezechiel  38,  6  als  ein  sehr  streitbarer  Fürst  be¬ 
schrieben,  dessen  Heereszug  Männer  von  der  hintersten  Mitternacht 
folgten,  unter  Andern  Gomer  (die  Kimmerier  des  Homer).  Da  diese 
beiden  die  westliche  und  nordöstliche  Bevölkerung  vertreten ,  so 
wird  wohl  der  minder  bekannte  Kottos  dem  Norden  angehören,  und 
der  Kithim  der  Völkertafel  1  Mos.  10  seyn ,  welcher  sich  in  Ma- 
cedonien  ausbreitete  ^).  Hiernach  aber  dürfte  auch  der  Name  Aegaeon, 
welcher  dem  Meer  zwischen  Asien  und  Europa  die  Benennung  des 
ägäischen  gegeben  hat,  nichts  als  eine  griechische  Umdeutung  des 
Askenas  der  mosaischen  Völkertafel  seyn,  der  aus  Hochasien  nach 
Europa  wanderte  und  dem  ganzen  Westen  unsers  Welttheils  seine 
Urbevölkerung  gab  ^).  Eine  Anspielung  auf  die  langen  Nächte  und 
kurzgemessenen  Tage,  die  den  mitternächtlichen  Völkern  beschieden 
sind,  scheinen  die  Verse  Hesiod’s  (Th.  157  f.)  zu  enthalten,  dass 
Uranos  seine  Kinder  in  der  Erde  Schluchten  verbarg  und  nicht  an 
die  Helle  herausliess.  Die  Patriarchen  vom  düslern  Westen  und 
Norden  werden  daher  in  die  Vorhalle  der  Unterwelt  versetzt  ^). 

%.  15. 

Wie  das  erste  Weltalter ,  das  goldene  Menschengeschlecht  unter 


*)  Bei  Aelian.  V.  H.  V,  3  ii.  das.  SchetTcr. 

2)  Thßog.  818. 

3)  Bei  Schol.  Apollon.  Rh.  l,  1165. 

*)  Preiswerk  Morgenland  I8'r2  S.  43. 

Preiswerk  a.  a.  0.  S.  38. 

'^)  Theog.  733  f. 


70 


Kronos,  deu  Göllern  gleich  lehle  und  ihnen  lieb  war  '),  so  mag  das 
Bergen  der  Uiinmelskiuder  auch  diesen  Sinn  habeti.  Eine  forlschrei- 
tende,  aber  minder  götlliche  Enlwicklungsslufe  isl  es,  wenn  die  or¬ 
ganischen  Wesen  von  dem  Urgrund,  woraus  sie  enlsprungen,  abge- 
lüst,  ein  selbstsländiges  Leben  haben  und  eigene  Mikrokosmen  dar- 
slellen.  Uiess  geschieht  nicht  ohne  Frevel  an  Gott,  jedoch  nach 
göttlichem  Rathschluss.  Aul' Ansliften  der  Gäa  nahm  Kronos  die  un¬ 
endliche  Sichel  in  die  Rechte,  als  Uranos  in  der  Nacht  die  Gäa  be¬ 
schlief  und  sie  allerwärts  bedeckte,  hieb  dem  Vater  die  Zeugungs- 
theile  ab,  und  liess  sie  hinter  sich  hinfahren,  und  nicht  vergeblich. 
Uie  blutigen  Tropfen  empfing  Gäa  allesammt,  und  gebar  seiner  Zeit 
die  starken  Erynnien,  die  grossen  Giganten,  glänzend  in  VVaf- 
fenrüstung  und  lange  Lanzen  in  den  Händen  hallend  ,  und  die  m  e- 
lischcn  Nymphen  auf  der  unendlichen  Erde  2).  Der  uranische 
Same,  welcher  alle  J.ebeusfiille  enthält,  zeigte  sich  nun  abgeschnillen 
in  den  manchfaltigsten  Gestalten  der  Erscheinungsvvelt.  Es  war  ein 
Opfer  der  Liebe,  das  der  Schöpfer  brachte,  dass  er  sein  eigenes 
Leben  so  ausgoss  und  an  die  Welt  dahin  gab,  danut  auch  in  ihr 
Leben  und  Odem  sich  rege  und  viele  Pulse  schlagen.  Jedoch  ein 
freiwilliges  Opfer  konnte  man  auf  dem  Standpunkt  menschlicher  An¬ 
schauungsweise  dem  Uranos  nicht  Zutrauen;  immerhin  aber  war  es 
ein  göllliches,  von  Kronos  vollbrachtes  Opfer  3). 

Als  menschliche  Krieger  bezeichnet  Hesiod  diese  Giganten 
deutlich,  ln  Uebereinstimiuuug  damit  legt  ihnen  Homer  (Od.  X,  l;iO) 
kriegerischen  Charakter  bei,  und  redet  von  ihnen  als  von  einem 
wilden  Volke  ■* *) ,  als  von  rohen  Gesclilechtern  ^).  Sopliokles  (Trachin.) 
spricht  von  dem  erdgebornen  (yijyev'tjg)  Heer  der  Giganten.  Man 
belegte  mit  diesem  Namen  die  Naturmenschen  und  Autochlhonen 
Grieciienlands  ;  wesswegen  man  auch  den  Japelos,  welchen  wir  als 


‘)  lies.  Op.  111  f.  116. 

2)  Theog.  178  ff. 

5)  llutlniann  (Mylhologus  II  S  35)  deutet  mit  Natalis  Comes  “2,  I 
die  Enlmaiiuung  des  Uranos  prosaisch  also:  weil  die  Zeit  Vater  von 
Allem  ist,  so  könne  der  Himmel,  der  sie  gebar,  nichts  weiter  zeugen. 

*)  Od.  VII,  59  f. 
i)  Od.  VH,  206. 


71 


den  erslen  Menschen  der  Theogonie  bezeiclinel  liabeu,  zu  den  Gi¬ 
ganten  zählte  *).  Indessen  da  sie  in  Folge  der  Entmannung  des 
Uranos  entstanden  sind,  so  scheinen  sie  zum  Unterschiede  von  den 
Ceulimanen  das  silberne  Geschlecht,  das  übermüthig  die  Unsterb¬ 
lichen  nicht  verehrte  2),  und  das  kupferne,  das  eherne  WatTen  liebt  3), 
vorzusteilen.  Ihr  Name  yiyaq  von  yaw,  mit  der  Reduplication 

ycydao,  y/yw,  bedeutet  ein  Erzeugter;  so  wie  von  yaw  ydq  (Gas,  Luft), 
yäaa  oder  nach  älterer  Form  yctfot ,  die  Erzeugte,  Erde. 

Die  meli  sehen  Nymphen  {Nv/uepat  MsUac)  sind  nach  der 
Theogonie  über  den  ganzen  Erdboden  verbreitet:  sie  sind  also  die 
Vorsteherinnen  eines  ganzen  Naturreiches,  und  da  ihr  Name  mit 
jusUa  (Esche)  gleichlautend  ist,  so  wird  auch  hier  der  Theil  für  das 
Ganze  personificirt ,  und  zwar  ein  eben  so  mächtiger  und  zum  Kriegs¬ 
dienst  tauglicher  Baum,  als  unter  dem  Menschengeschlecht  die  Gi¬ 
ganten  waren.  Die  Esche  an  ihrem  Theil  steht  ihnen  gewichtig  als 
die  erste  Pflanze  und- Kriegswerkzeug  gegenüber,  und  wir  glauben 
um  so  weniger  zu  irren,  wenn  wir  bei  den  melischen  Nymphen  an 
die  Esche  und  das  Pflanzenleben  überhaupt  denken,  da  dieser  Name 
in  dem  Geschlechtsregister  der  Hamadryaden  von  dem  Epiker 
Pherenikus  •^)  aufgeführt  wird ,  und  auch  sonst  von  wasserreichen 
Wiesennymphen  ö)  und  von  Früchte  nährenden  Nymphen  die  Rede 
ist  s).  Sinnvoll  war  es  daher  eine  Sichel ,  womit  Kronos  den  Uranos 


Virgil.  Georg.  1 ,  279  u.  das.  Serviu.s. 

2)  lies.  Op.  134  f. 

Op.  150. 

‘)  Malta  bedeutet  auch  Lanze. 

Bei  Athenäus  III  p.  300  sq.  Schweigh. 

*’)  Nvij,cpat  avvÖQOi  lai/Ltcovidöeg  in  Leninos  bei  Sophocl.  Philoct. 
1449.  Vgl.  Horat.  Od.  VI,  121. 

2)  Nuptcpai  KaQTtOTQÖcpoi  bei  Eustatb.  ad  Od.  IX,  107. 

8)  Die  Nufxcpai  Mrjltddsq  an  den  Ufern  des  Spercheus  von  dem 
Malischen  Meerbusen  benannt ,  deren  Sophokles  Philoct.  723  gedfenkt, 
so  wie  die  Nvf.icpat  ^Eniptrjltdjiai  in  Arkadien  (Pausan.  Vlll,  4,  2) 
scheinen  von  dei\  Melischen  in  der  Theogonie  unterschieden  werden  zu 
müssen.  Vgl.  Bergler  ad  Alciphron.  III,  11  p.  48  Wagner,  Grenzer  Br. 


72  ' 


eutniannle ;  was  sclion  Varro  •)  auf  deu  Ackerbau  uud  die  Erndle- 
sicliel  deutete. 

Das  Wort;  seyd  fruchtbar  und  mehret  euch,  und  Alles  besame 
sich,  das  der  Schöpfer  zur  Mitgift  des  neuen  Daseyns  aussprach, 
drückt  die  Tbeogonie  (188  ff.)  durcli  die  aus  den  abgescliuilteneu 
Hoden  des  Uranos  im  Meer  entstandene  Göttin  Aphrodite  aus; 
wie  wir  bei  der  Lehre  von  der  Erhaltung  der  Welt  nachweisen 
werden. 

Die  Erschaffung  der  organischen  Wesen  nach  der  Perserlehre 
geschah  auf  ähnliche  Weise.  Was  in  der  griechischen  Fabel  Uranos 
ist,  das  ist  hier  der  Stier  Abudad,  in  welchen  Ormuzd  deu  Samen 
alles  Lebeus  gelegt  hat.  Ahriman  kommt  in  Schlangengestalt  mit 
zwei  bösen  Geistern  über  ihn,  uud  erlegt  ihn.  Da  quillt  das  viel¬ 
gestaltige  Leben  hervor,  aus  seiner  rechten  Seite  Kajamorts,  der  erste 
Mensch ,  aus  seinen  Hörnern  die  Obslbäume ,  aus  seiner  Nase  die 
Laucharten,  aus  seinem  Blute  die  Trauben,  -aus  seinem  Schweife 
alle  Arien  Getreide.  Von  seinem  Samen  nimmt  die  Erde  ein  Dritt- 
theil ,  zwei  Dritlheile  der  Mond  auf,  d.  h.  der  Fruchtbarkeit  Sitz  ist 
im  Mond  und  in  der  Erde.  Aus  dem  Samen  bildeten  sich  zwei  neue 
Stiere ,  von  denen  alle  Thiere  abstammen.  Aus  der  linken  Seite 
steigt  des  Stieres  Seele  zum  Sternenhimmel  auf  2),  Wenn  die  Milhras- 
vorslellung  das  zersplitterte  Naturleben  aus  dem  Tode  des  Alllebens 
erklärt,  so  diente  dasselbe  Sinnbild  zugleich,  um  hinwieder  das 
Ende  des  Erschaffenen,  den  Tod  der  Natur  anzudeuten.  Bei  der  er¬ 
sten  Betrachtungsweise  galt  der  Stier  als  Ursache  der  Dinge,  bei  der 
zweiten  als  der  Inbegriff  der  organischen  Geschöpfe  selbst.  Das 
erstemal  quillt  aus  seinem  Tode  das  Leben  der  Welt,  das  zweitemal 
stellt  sein  Tod  den  Tod  der  Natur  selbst  vor.  Die  Entmannung  des 
Uranos  hat  mit  dem  Mithrasopfer  blos  in  der  ersten  kosmogonischen 
Beziehung  eine  Aehnlichkeit.  Eine  andere  Bedeutung  hatte  die  Ent- 
'  mannung  des  pbrygischen  Attis^),  indem  dieser  Gott  nicht  als  die 

über  lies,  und  Hom.  S.  166  und  Mythol.  2te  Ausg.  II.  S.  431,  wo  an 
die  kosmische  Esche  Ygdrasil  in  der  Edda  erinnert  wird. 

•)  Bei  Augustin  de  Civ.  Dei  VII,  19. 

2)  Anhang  zura  Zendavesta  I  p.  255. 

2)  Pausan.  Achaic.  17.  Varrn  bei  Augustin,  de  Civ.  D.  VI,  7. 


uraiiisclie,  sondern  als  die  natürliche  Zeugungskraft  aufgefasst  wurde. 
Ist  die  letztere  schwach  und  entmannt,  so  herrscht  der  Tod  auf  allen 
Fluren.  Das  gerade  Gegenlheil  findet  bei  der  uranischen  Entman¬ 
nung  statt,  wodurch  eben  in  die  Natur  eine  Zeugungskraft  gelegt  und 
lebendige  Erzeugnisse  gebildet  wurden ;  es  geschah  im  Grossen,  was 
im  Kleinen  bei  dem  Samenfluss  des  Hephästos  bei  Erzeugung  des 
Erichlhonius. 

Allgemeiner  wurde  diese  Idee  in  der  nordischen  Kosmogonie 
der  Edda  durchgeführl ,  indem  sie  nicht  nur  das  Organische,  son¬ 
dern  die  ganze  Welt  aus  dem  Tode  ihres  Schöpfers  entstehen  Hess. 
Geschmolzenes  Eis  war  nach  dieser  Lehre  *)  das  Erste,  daraus  ent¬ 
sprang  der  Riese  Ymer»  und  die  Kuh  Audumbla,  von  deren  Milch  er 
sich  nährte.  Ihre  Abkömmlinge  waren  drei  Götter,  Odin,  Vile  und 
Ve.  Sie  erschlugen  den  Vater;  aus  dessen  Schädel  ward  der  Him¬ 
mel.  aus  seinem  Gehirne  die  Wolken,  aus  seinem  Leibe  die  Erde, 
aus  seinem  Rlute  das  Wasser,  aus  seinen  Gebeinen  die  Berge,  aus 
seinen  Zähnen  wurden  Steine,  aus  seinen  Haaren  Pflanzen  und  Bäu¬ 
me;  die  Milben,  die  sich  in  seinem  Schosse  erzeugten,  wurden  Jet¬ 
ten  ,  denen  die  Götter  Verstand  und  menschliche  Bildung  verliehen. 
Dem  Menschen  selbst  aber  wurde  ein  besonderer  Vorzug  und  Gottähn¬ 
lichkeit  dadurch  eingeräumt,  dass  vor  Ymers  Ermordung  aus  seinem 
linken  Arme  während  seines  Schlafes  ein  Mann  und  ein  Weib  her¬ 
vorgegangen  seyn  sollen. 


§.  16. 

Wie  die  Giganten  unter  den  Menschen  und  die  Esche  im  Pflan¬ 
zenreiche,  so  sind  fabelhafte  Thiere  als  die  Könige  der  Thierwelt 
an  die  Spitze  gestellt  worden;  aber  sie  sind  nicht,  wie  nach  der  vor¬ 
hin  erwähnten  persischen  Theorie,  eine  Frucht  des  himmlischen 


Alys  rauliebri  zelo  abscisus.  Nach  Arnobius  adv.  Gent.  V  p.  159  ist 
das  Männliche  des  Allis  in  einen  Granatapfelbaum  verw'andelt  worden, 
dessen  Früchte  bekanntlich  von  Samenkörnern  ganz  erfüllt  sind. 

*)  Münter  über  die  odinisebe  Religion  im  Archiv  für  alte  und 
neue  Kirchengesch,  heraiisg.  von  Stäiidliii  und  Tzschiruer  Bd.  V.  St.  L 
t821  S.  .IS. 


74 


Samens,  sondern  aus  dem  feuchten  Elemente  und  der  Erde  entspros¬ 
sen,  wälirend  der  Mensch  und  die  Pflanzen  in  ihrer  Abkunft  dem 
Uranos  näher  verwandt  sind.  Orphische  Ansicliten  von  den  Thieren 
und  orphisclie  Enthaltung  von  dem  Genuss  ihres  Fleisches  mochte 
hier  den  alten  Kosmologen  leiten.  Das  Feuchte  ist  zugleich  das 
Thierische,  das  Trockene  aber  ist  das  Geistige  nach  den  Lehrsätzen 
des  Heraklitus.  V'^om  Thierischen,  aber  nicht  von  allen  Dingen,  ist 
nach  orphisch  hesiodischer  Lehre  das  Wasser  der  Urgrund.  Der 
Wundermann  Thaumas*),  aus  dem  Aleere  und  der  Erde  entspros¬ 
sen,  erzeugte  mit  der  Okeanine  Elektra  nicht  allein  den  Regen¬ 
bogen ,  wovon  oben,  sondern  auch  eine  andere  seltsame  Lufterschei¬ 
nung,  »die  Harpyien,  Aello  und  Okypete,  welche  mit  den 
Winden  und  Vögeln  hoch  in  den  l.üfteu  fliegen“  2).  jyjan  verband 
mit  ihrem  Regriffe,  wie  ihr  Name  von  d^Ttd^eiv  besagt,  das  Rauben, 
gleichwie  Telemach  von  seinem  Vater,  dessen  Aufenthalt  ihm  unbe¬ 
kannt  war,  sagt,  die  Harpyien  hätten  ihn  rühmlos  in  die  flöhe  ent¬ 
führt  ^).  Harpyien  entrückten  die  Töchter  des  Pandareus,  und  über¬ 
lieferten  sie  den  schrecklichen  Erinnyeu  Philoctet  ruft  sie  die 
Flüchtigen,  die  durch  die  helltöneude  Luft  fliegen,  an,  ihn  in  den 
Aether  zu  entrücken.  F'assen  wir  die  Vorstellungen  des  Rauhens, 
des  rauschenden  Fliegens  und  der  Schnelligkeit  zusammen,  worauf 
sich  auch  die  Namen  von  deXla  (Sturmwind)  und  "HxvTier?^ 

von  cüxvg  und  Tiero/uac  (die  schnell  Fliegende)  beziehen,  betrachten 
wir  sie  als  Enkel  des  Aleeres  und  des  Oceans  und  als  Kinder  eines 
Wundermanns;  so  werden  wir  der  Erklärung,  die  Clericus  in  seiner 
Abhandlung  de  statua  salina  von  ihnen  gibt,  dass  sie  die  fliegenden 
Heuschreckenschwärme  seyen ,  unsere  Reistimmung  nicht 
versagen  können.  Zugleich  aber  werden  wir  dieses  fabelhafte  Volk  in 
den  Lüften  als  Stellvertreter  alles  dessen,  was  in  der  Luft  lebt  und 


^)  Der  uugedruckle  Scholiast  zu  Hesiod  in  der  von  Demetrius 
Trikliuius  geschriebenen  Alarcianischen  Handschrift  N.  464  erklärt  den 
Thaumas  ro  ev  rjj  daXdaorj  ddfißog, 

2)  Theog.  267. 

3)  Od.  I,  241. 

»)  Od.  XX,  77. 

3)  bei  Sophocl.  1091. 


75 


sich  regt,  nach  der  Weise  des  Mythus,  der  den  Thcil  lür  das  Ganze 
niinral ,  betrachten  müssen. 


17. 

Die  übrigen  Thiere  dachte  man  sich  säramtlich  als  NachUomnien 
des  Meergotles  Phorkys  und  der  Keto,  welclie  beide  Kinder  des 
Pontus  'und  der  Erde  waren.  Wie  der  ägyptische  Proteus  seine 
Meerkälber  (^cpüixag,  v.i^xrf)  mustert  *) ,  also  stellt  ohne  Zweifel  die 
KrjTu»  die  Menge  der  Seefische  vor  2);  iu  weiterer  Bedeutung  aber 
ist  sie,  vom  feuchten  Element  befruchtet,  die  Thiermutter  überhaupt, 
wie  aus  ihrer  Nachkommenschaft  erhellet.  Wir  bemerken  in  der 
Stufenfolge  eine  abermalige  Aehulichkeit  mit  der  hebräischen  Schö¬ 
pfungsgeschichte,  wornach  die  W^allfische,  alle  Thiere  des  Wassers 
und  die  Vögel  unter  dem  Himmel  vor  den  Landthieren  erschaffen 
wurden.  Das  Pferd-  und  S  t  i  e  r  g  e  s  c  h  1  e  c  h  t  bringt  unstreitig 
dem  Menschen  am  meisten  Nutzen.  Wie  diese  beiden  Thiere  bei 
der  Gründung  Karthago’s  in  allegorischer  Verknüpfung  standen,  so 
hier  in  genealogischer:  Keto  gebar  dem  Phorkys ,  sagt  die  Theogonie 
274  ff.,  „die  Gorgonen  (^To^yovg) ,  Stheno,  Euryale  und  Me¬ 
dusa,  welche  jenseits  des  Okeanos  in  der  äussersten  Nachtgegend 
wohnen.  Der  letzten  wohnte  Poseidon  auf  weicher  Trift  und  un¬ 
ter  Frühlingsblumen  bei,  Perseus  hieb  ihr  den  Kopf  ab,  da  sprang 
der  grosse  Chrysaor  und  Pegasos  das  Pferd  heraus.  Dieser 
bat  daher  seinen  Namen,  weil  er  an  den  Quellen  {jtrjya'C)  des  Okea- 
,  nos  entsprungen  war,  jener  aber,  weil  er  ein  goldenes  Schwerdt 
'  {xQvoELov  aoq)  in  seinen  Händen  hat.  Dieser  flog  von  der  Erde  zu 
:  den  Unsterblichen,  und  wohnt  in  Zeus  Behausung  als  der  Träger 

seines  Donners  und  Blitzes.  Chrysaor  aber  erzeugte  mit  der  Okea- 
nineKalliroe  den  dreiköpfigen  Geryoneus,  welchen  Herakles 
bei  den  Ochsen  auf  deraf  Eilande  Erythia  tödlete,  damals  als  er  nach 
Tirynth  die  Ochsen  führte,  nachdem  er  jenseits  des  Okeanos  ira 
dunkeln  Stall  den  Hund  des  Geryoneus  Orthos  und  den  Rinder¬ 
hirten  Eurytion  umgebracht  hatte.« 


Q  Od.  IV,  411. 

2)  Der  Scholiast  bemerkt  zu  ihrem  Namen  lies.  Th.  270  xa 


76 


Offenbar  wird  hier  die  kosniogonisclie  Enlstehiing  des  Pferd-  und 
Sliergesclileclils  mi(  der  zeitlichen  Einführung  dieser  Thiere  in  Grie¬ 
chenland  vermischt  und  identificirl.  Seitdem  Perseus  das  erste  Pferd 
und  Herakles  nach  Tirynth  die  ersten  Ochsen  gebracht  halten,  von 
da  an  waren  diese  Geschlechter  für  die  Griechen  vorhanden.  Es 
musste  also  den  Männern,  welche  die  Bekanntschaft  mit  diesen  Thie- 
ren  vermittelten,  ihre  Rolle  angewiesen  werden,  und  zugleich  wur¬ 
den  sie  mit  den  Gottheiten  Phorkys  und  Poseidon  in  Verbindung  ge¬ 
bracht.  In  Ilhaka,  einer  vieh-  und  weidereichen  Insel'),  scheint 
Phorkys  verehrt  worden  zu  seyn ;  wenigstens  halte  der  dasige  Hafen 
von  ihm  den  Namen  Phorkyshafen  2).  Das  Pferd  wurde  als  Pega¬ 
sus  personificirt,  welchen  Namen  Clericus  3)  aus  dem  Phönicischeu 
53  (Zaum)  und  sw  (Pferd)  ableitete.  Da  mir  aber  das  Wort  5s  in 
jener  Bedeutung  sehr  zweifelhaft  scheint,  so  halte  ich  es  für  eine 
Zusammensetzung  von  v.\3  (angreifen)  und  d?d,  wornach  Pegasos  so 
viel  als  St  reilross  wäre,  in  welcher  Verbindung  eben  die  Kriegs- 
gölli;i  En  yo  unter  den  Kindern  Keto  und  des  Phorkys  genannt  wird  '^). 
Auf  Panzern  pflegt  darum  der  Medusa  Haupt  vorgestelll  zu  werden 
mit  Rücksicht  auf  den  Krieg,  wozu  sie  das  Hauptthier  geliefert,  und 
ihre  Beziehung  auf  den  Pegasus  wird  durch  die  beiden  Flügel  an 
ihrem  Haupte  deutlich  gemacht.  Die  Gorgonen  fehlen  daher  auch 
nicht  auf  dem  Schilde  des  Herakles  ^) ,  und  nach  denselben  sind 
Schlachten  abgebildel.  Wegen  dieser  Sitte  entstand  die  Fabel,  dass 
das  Medusenhaupt  die  Kraft  habe  zu  versteinern ,  d.  h.  der  Krieg, 
wo  dieses  Haupt  wegen  des  Kriegsrosses  vorkam,  flössl  Schrecken 
ein.  Als  Sinnbild  der  Schnelligkeit  lieh  mau  diesem  ürross  Flügel, 
und  liess  es  den  Blitz  tragen,  wodurch  Iheils  sein  feuerschnauben¬ 
der  Mulh,  theils  seine  blitzesschnelle  Geschwindigkeit  angedeulel 
wird  ®).  Desswegen  musste  es  auch  aus  seiner  Mutter  heraus- 

.  .  ^ 

1)  Od.  XIII,  246. 

2)  Od.  XIII,  96. 

3)  Zu  Hes.  Theog.  280. 

')  Theog.  273. 

5)  Hes.  Scut.  230. 

^)  Bei  der  Bemerkung,  dass  Pegasus  in  Zeus  Hause  wohne  (vgl. 
Pindar.  01.  XIII,  131)  möchte  man  ausserdem  anPlolin  Enn.  VI,  L.  VII 


77 


springen,  und  um  dies  anschaulich  zu  bewerkstelligen,  so  musste 
Perseus  die  Ilebammendienste  verrichten  und  der  Mutier  den  Kopf 
abhauen.  Es  mag  damit  zu  gleicher  Zeit  angedeutet  worden  seyn, 
dass  die  ersten  Pferde  mit  Gewalt  und  durch  Raub  genommen  wur¬ 
den.  Wenigstens  sollen  nach  alter  Sage  die  beiden  Schwestern  der 
Medusa  den  Perseus  verfolgt  haben  ,  eine  Vorstellung,  die  sich  auf 
dem  Schilde  des  Herakles  (V.  230)  befand  ^),  und  nach  Pausanias 
(in  Corinthiacis)  soll  Perseus  mit  Heeresmacht  die  Medusa,  eine  Kö¬ 
nigin  am  Tritonsee,  überwunden  und  erschlagen  haben.  Perseus 
selbst  als  der  Ueberbringer  des  Pferdes  ist  von  tans  (Reiter)  nichts 
anderes  als  der  Reiter,  wie  schon  Clericus  erinnert  hat,  und  wie  ihn 
Hesiod  (Schild  216)  selbst  Innora  ÜEQasvq  oennt;  womit  jedoch  nicht 
in  Abrede  gestellt  wird,  dass  er  als  Sohn  der  Danae  zugleich  eine 
geschichtliche  Person  gewesen  sey.  Wegen  seines  Reitergeschäftes 
gab  man  auch  ihm  Flügel  an  die  Sohlen,  damit  flog  er  wie  ein  Ge¬ 
danke,  sagt  Hesiod  (Schild  222);  so  war  er  auf  dem  Schilde  des 
Herakles  kunstreich  abgebildet,  dass  seine  Füsse  nicht  einmal  den 
Boden  berührten.  Die  alten  Astronomen  haben  jene  Fabel  an  dem 
Sternenhimmel  verewigt,  nicht  als  wäre  die  Fabel  aus  den  Sternbil¬ 
dern  erst  entstanden,  wie  uns  Inghirami  (Mon.  Etr.  S.  I  p.  327  f.) 
glauben  machen  will;  sondern  umgekehrt,  diese  haben  sich  nach  jener 
gerichtet  und  setzen  jene  voraus.  Die  Jungfrau  als  Medusa  mit  Flü¬ 
geln  und  Schlange  versehen,  senkt  ihr  Haupt  unter  den  Horizont, 
wenn  zu  gleicher  Zeit  der  Arm  und  das  Schwerdt  des  Perseus  und 
auf  der  gegenüberstehenden  Seite  das  Himmelspferd  aufgehl.  Den 
Perseus  für  einen  Sonnengott,  sein  Ross  für  die  aufstrebende  Sonne 
und  die  Medusa  für  den  versteinernden  Winter  zu  erklären,  halte 
ich  für  eine  verunglückte  Auslegung  älterer  und  neuerer  Mytho- 
logen  2). 


erinnern,  nach  dessen  Lehre  auch  die  Ideen  der  Thiere  im  Himmel 
sind,  z.  B.  p.  701  B:  ra  ^coa  ovx  ola  rä  ivzavda,  räxei ,  aXXä  juet- 
^öpcog  öeT  ixdva  Xanßdvnv. 

•)  Dasselbe  berichtete  Ctesias  Ephesius  iv  d  lltQarjidoq  bei  Plu- 
tarch.  de  Fluviis  in  Inacho  p.  1034  Wyllenb. 

2)  Baur  Symb.  Bd.  III  S.  78  (T.  Grenzer  Symb,  3te  Ausgabe  III 
S.  371.  IV  S.  244.  247. 


78 


Chrysaor  ist  das  Ideal  des  Sliergeschlechts;  denn  er 
erzeugte  den  Geryoneus,  welcher  bei  den  Rindern  und  ihret¬ 
wegen  ')  sammt  seinem  Hirten  und  Hunde  von  Herakles  ersclda- 
gen  worden  war.  Der  Eigenthümer  der  Herden  (Hesiod  Theog.  980 
nennt  ihn  bestimmt  einen  Menschen) ,  welchem  das  erste  nach  Grie¬ 
chenland  gebrachte  Rindvieh  abgenommen  wurde,  mochte  wohl  in 
einem  Zeugungsverhältniss  mit  demselben  gedacht  und  sogar  als  Col- 
lectivum  damit  identificirl  werden.  Die  drei  Köpfe,  die  man  ihm  an¬ 
dichtete,  scheinen  auf  die  dreierlei  Geschlechter  des  Stiers,  der  Kuh 
und  des  Ochsen  anzuspielen.  Heber  ihm  steht  ohne  Rücksicht  auf 
Geschlecht  Chrysaor.  Hesiod  leitet  dieses  Wort  von  dem  goldenen 
Schwerdte  ab  und  man  deutete  es  auf  den  Ackerbau,  welcher  *zu 
dem  Streitross  allerdings  einen  Gegensatz  bilden  würde.  Allein  wir 
gehen  richtiger  wie  bei  dem  Pegasus  zu  semitischen  Wurzeln  zurück, 
um  so  mehr  als  uns  Sanchuniaton  2)  von  einem  phönicischen 
Meldung  thut,  welchen  er  für  den  Hephästos  auslegt.  So 
wird  Chrysaor  von  sin  (Sonne)  und  “iv.2  (Rind)  seinem  Begriffe  voll¬ 
kommen  entsprechend  mit  griechischer  ümbeugung  ein  Sonnenrind. 
Mit  dem  Stiere  hätten  somit  die  Griechen,  was  ohnedies  wahrschein¬ 
lich  ist,  zugleich  seine  siderische  Bedeutung  überkommen  und  sich 
angeeignet.  Helios  hatte  ja  seine  Rinderherden  auf  der  Insel  Thri- 
nakia  (Sicilien),  gehütet  von  seinen  Töchtern,  den  beiden  Nymphen 
Phaethusa  und  Lampetia ;  und  zwar  bedeutete  daselbst  ein  jegliches 
Rind  einen  Tag.  Denn  es  waren  ihrer  350  nach  der  Rechnung  des 
allen  Mondjahres,  und  kam  keine  dazu  noch  davon;  sie  waren  in 
7  Herden  abgetheilt,  und  in  jeder  befanden  sich  50  3).  Eine  jede 
hatte  also  für  jede  Woche  ein  Rind  Auch  auf  den  Bergen  Pieriens 
weideten  der  Götter  unsterbliche  Rinder  ^).  Hieraus  ist  cs  erklär¬ 
lich  ,  warum  das  Beiwort  x^vodoQog  dem  Apollon  3)  insbesondere 
beigelegt  wurde,  auf  welchen  der  Ausdruck  »mit  goldenem  Schwerdt« 
nur  mit  gezwungener  Deutung  passen  würde.  Von  ihm  ging  jenes 

')  Theog.  982. 

2)  Bei  Euseb.  Praep.  Ev.  I,  35. 

3)  0(1.  XII,  127  ff.  Vgl.  Baur  die  .Xalnrreligion  I.  S.  187.  259. 

‘)  Iloin.  h.  in  Mercnr.  71. 

3)  Z.  B.  11  V,  509.  XV,  2.56.  hymn.  I  in  Apoll,  123. 


Prädicat  dann  zum  Tlieil  aus  Unbekannlschafl  mit  der  ursprünglichen 
Bedeutung  des  Wortes  auf  den  Orpheus* *),  auf  die  Artemis  2),  auf 
den  Zeus  in  Karien  und  auf  die  Demeter  ')  über. 

Jene  zwei  Tliierarten,  die  für  das  J.eben  so  wichtig  sind,  liess 
man  aus  der  gemeinschaftlichen  Mutter  Medusa  entspringen,  sey 
es  nun  dass  man  unter  derselben  die  Königin  am  Tritonsee,  die 
Tochter  des  Phorbus,  gegen  welche  Perseus  zu  Felde  gezogen  seyn 
soll  5),  oder  überhaupt  die  Herrscherin  verstand,  in  so  fern  die  Herr¬ 
schaft  und  der  Reichlhum  vom  Besitz  der  Rosse  und  Rinder  unzer¬ 
trennlich  gedacht  wurde.  .Diese  Idee  wurde  bei  der  Gründung  Kar¬ 
thagos  an  jene  zwei  Thiere  geknüpft:  die  tyrischen  Pflanzer  fanden 
beim  Graben  an  einer  Stelle  einen  Ochsenkopf  und  an  der  andern 
einen  Pferdskopf*»),  und  Virgil  (V.  448  f.)  drückt  den  Sinn  davon 
folgendermassen  aus ; 

sic  nam  fore  bello 

Egregiara  et  facilem  viclu  per  saecula  genlem. 

Die  beiden  Schwestern  der  Medusa  scheinen  die  Haupteigen- 
schaften  jener  Geschlechter  auszudrücken,  neralich  Stheno  (die 
Stärke),  wovon  der  Stier  ein  altes  Sinnbild  ist,  und  Euryale  (die 
weithin  Springende),  den  Vorzug  der  Pferde  bezeichnend.  Daher 
nennt  Hesiod  (Th,  980)  den  Geryoneus  den  Stärksten  unter  allen 
Sterblichen,  erzeugt  vom  starken  Chrysaor.  Das  Pferd  als  das  Thier 
des  Krieges  und  das  Rind  als  das  des  Friedens  wurden  in  ihrem 
Gegensatz  in  der  Fabel  aufgefasst,  dass  Athene  und  Asklepios  die 
nach  dem  Herausspringen  des  Pegasos  und  des  Chrysaor  aus  der 
Gorgo  rinnenden  Blutstropfen  mit  einander  getheilt  haben,  und  dass 
jene  damit  tödte,  dieser  damit  heile  ^).  Das  den  Acker  bauende  Rind 


')  Pindar  bei  Schob  Villois.  Horn.  II.  XIV,  250. 

2)  Orakel  des  Bakis  bei  Ilerod.  VIll,  77. 

3)  Zeus  Chrysaor  und  Hekate  waren  die  Schutzgötter  der  Stadt 
Stratonike  in  Karien  nach  einer  Inschrift  bei  Chishull  Antiquit.  Asiat, 
p.  156  f. 

‘)  Hom.  h.  in  Cer.  4. 

*)  Pausan.  Corinthiacis. 

*»)  Serv.  ad  Virg.  Aen.  I,  447. 

Talian.  tiq.  "EXk.  p.  250. 


80 


heill  die  Schädeu  des  Krieges.  —  Poseidon  aber,  sagt  Hesiod, 
beschlief  die  Medusa  auf  weicher  Trift,  die  zur  Viehzucht  geeignet 
ist,  und  so  ward  er  der  Vater  des  Pferdes  und  des  Stieres;  was 
ganz  mit  der  Ansicht,  die  man  sonst  von  diesem  Gotte  liatte,  über¬ 
einstimmt.  Stiere  und  Pferde  waren  seine  heiligen  Thiere.  Hesiod 
(Schild  104)  nannte  ihn  selbst  ravQsoq  "Ewoalyaioq ,  und  ebenso  war 
er  i:t:iioq  oder  inneioq  oder  inTirjyixrjq Zu  Athen  brachte  er  ira 
Streite  mit  der  dortigen  Schutzgöttin  als  ein  Wunder  seiner  Macht 
das  erste  Pferd  liervor^),  und  schon  der  alte  Dichter  Pamphos  3) 
gedachte  seiner  als  des  Gebers  der  Schiffe  und  Rosse.  Eben  so  sollte 
er  durch  den  Schlag  seines  Dreizacks  das  erste  thessalische  Ross 
ins  Leben  gerufen  haben  ^).  Die  A  rka  dier  erzählten  sich  den  Ur¬ 
sprung  des  Pferdes  auf  eine  abweichende  Art,  aber  auch  nach  ihrer 
Meinung  galt  Poseidon  für  dessen  Vater.  Als  Hengst  soll  er  sich 
mit  der  in  ein  Pferd  verwandelten  Demeter  begattet  haben,  wo¬ 
von  die  Frucht  Despoina  und  das  Kriegsross  Arion  war  5).  In 
der  Höhle  der  Demeter  zu  Phigalea  in  Arkadien  war  sie  sogar  mit 
einem  Pferdekopf  abgebildet  ^).  Anlirnachus  7)  erklärt  uns,  warum 
nach  dieser  Fabel  Demeter  an  die  Stelle  der  Medusa  getreten  sey : 
jenes  Ross,  sagte  er,  sey  von  der  Erde  hervorgebracht  worden.  In 
Folge  der  Ideenvermischung  mit  Medusa  scheint  es  geschehen  zu 
seyn  ,  dass  die  Arkadier  ihrer  Demeter  Schlangen  in  die  Haare  ga¬ 
ben  ®).  Jedoch  den  Regriff  der  Herrschaft,  welche  auf  einer  Menge 
von  Streilrossen  beruht,  hat  auch  diese  Fabel  nicht  verwischt,  son¬ 
dern  dem  Arion  zur  Schwester  die  Despoina  (Herrin)  beigegeben, 
bei  welcher  man  nicht  an  Persephone  wird  denken  dürfen  ,  da  ja 
Demeter  diese  ihre  Tochter  gerade  suchte ,  als  Poseidon  sie  mit  sei¬ 
ner  Liebe  verfolgte.  Sie  scheint  die  Herrschaft  in  Folge  des  Kriegs 


Creuzer  Symb.  3te  Ausg.  III  S.  264. 

2)  Her.  VIII,  55.  Pausan.  I,  27. 

3)  Bei  Pausan.  Achaic.  21  ,  3. 

'»)  Lucan.  VI,  396. 

5)  Pausan.  Arcad.  25,  5. 

*’)  Pausan.  ibid.  c.  42  Anfang. 

7)  Antim.  Reliquiae  p.  61  Schellenberg. 
Pausan.  1.  c. 


81 


zu  bezeichuen,  wo  der  Ackerbau  darnieder  liegt  und^  Persephone 
verloren  geht.  Sie  war  mit  das  Gespräch  in  der  arkadischen  Ge¬ 
heimlehre,  und  halle  ein  Heiliglhum  in  Akakesiurn ,  wo  sie  das  ihr 
zukommende  Scepler  in  der  Rechten  hielt,  die  Linke  aber  in  die  zu 
ihren  Knien  liegende  Kiste  legte.  Neben  ihr  stand  ii»r  Pflegevater 
An  y  tos  (Beförderer),  und  Demeter  stützt  sich  mit  der  Linken  auf 
sie,  aber  in  ihrer  Rechten  hat  die  Mutter  eine  Fackel,  zum  Zeichen, 
dass  sie  Persephone  suchte  ')•  Diese  Vermischung  der  Demeter  mit 
Medusa  ergibt  sich  auch  aus  den  allen  Sternbildern,  indem  man  der 
Jungfrau  als  Demeter  bald  Aehren  in  die  Hand  gab  2),  bald  sie  als 
Medusa  ohne  Kopf  3),  bald  mit  einem  Korb  voll  Schlangen  und  zwei 
Fackeln  abbildete. 

Vater  des  Rosses  ist  Poseidon,  weil  mit  seinem  Namen  zu 
gleicher  Zeit  sein  heiliges  Thier  in  Griechenland  eiugeführt  worden 
zu  seyn  scheint.  Denn  aus  Libyen  d.  h.  aus  Westafrika  stammte  der 
Gott*),  und  wir  wissen  nicht  allein  aus  der  römischen  Geschichte, 
dass  die  Mauren  und  Numider  einen  Reichthum  an  Pferden  hallen 
und  sie  zum  Kriegsdienst  benutzten,  sondern  die  Theogonie  (V.  274  f.) 
führt  uns  eben  dahin  ins  Abendland  der  Hesperiden,  woselbst  die 
Gorgonen  jenseits  des  Okeanos,  also  auf  einem  Eiland  im  Weltmeer 
wohnen  sollen.  Den  Namen  der  FoQyövsq  erklären  wir  am  schick¬ 
lichsten  nach  Pomponins  Mela  (Hl,  11)  von  den  Gorgadeninseln  in 
Westafrika  als  ihrer  Heimalh.  Als  das  Vaterland  der  Rinder  aber 
bezeichnet  die  Theogonie  (V.  290)  die  Insel  Erylhia,  welche  nach 
Slrabo  (lli  p.  117)  Cadix  gegenüber  lag  und  fette  Weiden  besass. 
Da  auch  hier  der  Okeanos  floss,  so  wurde  Kalliroe  zur  Mutier  des 
Geryoneus  gemacht.  Die  seefahrenden  Phönicier,  aus  deren  Sprache 
die  Worte  Pegasos,  Perseus  und  Chrysaor  entlehnt  sind,  haben  allem 
Anschein  nach  die  Einführung  des  Poseidonculles ,  der  Pferde-  und 
Viehzucht  verraillell.  Die  Winke,  welche  uns  die  Theogonie  über 
das  Vaterland  dieser  Thiere  erlheill,  dienen  trefflich  zur  Bestätigung 


>)  Paus.  Arcad.  37,  6. 

2)  Manilius  V,  v.  249.  Inghirarni  Mon.  Etr.  S.  VI  T.  V.  ii.  ö. 

3)  Eraloslhenes  bei  Aralus  Phaenomen.  p.  71. 

Inghirami  M.  E.  S.  VI  T.  F.  2  u.  2. 

s)  Her.  II,  50. 

ö 


82 


der  Ansicht  des  Fröret')  und  Böltigers^),  dass  die  Phönicier  mit 
dem  Poseidon  das  Pferd  den  Griechen  gebracht  haben,  und  entkräf¬ 
ten  D.  Völcker’s  5)  Einwurf,  dass  der  Gebrauch  der  Pferde  eher  von 
den  Pferde  melkenden  Scythen  zu  den  Griechen  gekommen  sey. 
Wenn  Herakles  die  Rinder  aus  Spanien  und  Perseus  die  Pferde  aus 
Westafrika  vom  Ocean  her  holte,  so  können  wir  uns  das  merkwür¬ 
dige  Zusammentreöen  einer  afrikanischen  Nationalsage  '•)  mit  der 
Theogonie  nicht  bergen,  dass  nemlich  nach  der  Auflösung  des  Kriegs¬ 
heeres  des  Herakles  in  Spanien  die  darin  befindlichen  Perser  nach 
Afrika  übergeselzt,  sich  am  Ocean  niedergelassen  und  nachmals  mit 
dem  Namen  Numider  belegt  worden  seyen. 

Keto  war  die  fruchtbare  Mutter  anderer  Thiergeschlechter.  Sie 
gebar  dem  Phorkys  »in  einer  Kluft  ein  gewaltiges  Ungeheuer,  die 
göttliche  E  c  h  i  d  n  a,  halb  Jungfrau,  halb  entsetzliche,  grosse  und 
grausame  Schlange  unter  den  Schluchten  der  Erde,  wo  Echidna  nie 
alternd  in  einer  Felsenhöhle  in  Syrien  (fV  ^Jpijuoig)  hauset“  ^).  Dass 
hiermit  ein  dasiger  feuerspeiender  Berg  gemeint  sey,  erhellet  aus 
ihrer  von  Hesiod  angegebenen  Verbindung  mit  Typhoon^),  dem 
personificirlen  Erdfeuer.  Von  Keto  stammen  alle  Ungeheuer  ab,  und 
auch  das  Meerwasser  (Phorkys)  ist  bei  vulkanischen  Ausbrüchen 
wirksam. 

Bellende,  giftige  und  reissende  Thiere,  welche  eine  feuer¬ 
speiende  Natur  haben,  sind  die  Nachkommenschaft  der  Echidna  und 
des  Typhon.  „Sie  gebar  zuerst  den  Hund  Orthos^)  dem  Geryo- 
neus;  zum  andern  den  Kerberos,  den  fünfzigköpfigen  Hund  des 
Hades,  und  zum  dritten  die  lernäische  Hyder,  welche  Herakles 


*)  Freiet  origine  de  Tequitation  ,  Academie  des  Inscriptions  T.  VH 
p.  330  ff. 

2)  Böltiger  Andeutungen  zur  Kunslmythologie  des  Neptun  S.  155  f. 

Völcker  Mythol.  des  Japetischen  Geschlechts  S.  142  f. 

')  Bei  Sallust  bell.  Jugurtb.  c.  18. 

5)  Theog.  295  ff. 

Nach  Syrien  verlegt  auch  Homer  II.  II,  783  das  Ehebett  des 
Typhoeus. 

Die  Lesart  schwankt  zwischen  Orlhos  und  Orthros. 


8a 


tödlele  i).  Der  Hirlenhund  Orlhos  ist  Stellvertreter  des  ganzen  Hunde¬ 
geschlechtes  und  als  Bruder  wird  ihm  der  allegorische  Höllenhund 
beigegehen.  Die  berühmte  Hyder  ist  aller  Schlangen  Mutter.  Fer¬ 
ner  gebar  Echidna  »die  feuerspeiende  Chimära,  die  grässliche, 
grosse,  behende  und  gewaltige,  mit  drei  Köpfen,  einem  Löwen- 
Ziegen-  und  Schlangenkopf,  vorn  ein  Löwe,  hinten  ein  Drache  und 
in  der  Mitte  eine  Ziege«  2).  Solches  wird  von  einem  feuerspeienden 
Bergrücken  in  Lycien  gefabelt,  wie  schon  Strabo  (XIV  p.  458)  richtig 
auslegte.  Unweit  Phaselis  brennt  Tag  und  Nacht  vulcanisches  Feuer, 
berichtete  Klesias  von  Knidos  3).  Bei  dem  Zusammenhang  des  un¬ 
terirdischen  Feuers  mag  wohl  ein  Vulcan  als  abstammend  von  dem 
andern,  Chimära  als  die  Tochter  der  Echidna  und  des  Typhon  ge¬ 
dacht  werden. 

Echidna  gebar  ferner,  von  Orthos  überwältiget,  die  verderbliche 
Phix,  den  Kadmeern  zum  Schaden,  und  den  nemeischen  Lö¬ 
wen^).  Der  letztere  hat  hier  im  Namen  seiner  Waldgenossen  seine 
Stelle;  er  ist  gleichsam  eine  gesteigerte  Thierheil,  eine  Hundesfrucht, 
in  welcher  die  Unverschämtheit  des  Hundes  zur  Wildheit  und  Grau¬ 
samkeit  erhöht  ist.  Da  man  sich  den  Orthos  auf  der  Insel  Erythia 
bei  Spanien  dachte,  so  konnte  sich  ihn  der  Grieche  auch  um  dess- 
willen  füglich  als  Vater  des  in  Weslafrika  häufigen  Löwengeschlech¬ 
tes  vorstellen ;  während  Apollodor  und  Hygin  a.  a,  O.  dem  Typhaon 


1)  Theog.  308  ff.  Auch  Sophocl.  Trachin.  1079  nennt  den  drei¬ 
köpfigen  Wächter  des  Hades  Gezücht  der  Echidna. 

2)  Theog.  319  ff.  Hom.  II.  VI,  180.  Die  Chimära  wird  Hom.  h.  I. 
in  Apoll.  363  in  Verbindung  mit  Typhoeus  genannt. 

3)  Bei  Photius  Cod.  LXXII  und  Plinius  II.  N.  II,  106. 

4)  Theog.  326  f.  Apollodor  II,  5,  1.  Ill,  5,  8  u.  Hygin  Vorrede 
p,  12  nennen  gleichfalls  die  Mutter  der  thebanischen  Sphinx  und  des 
nemeischen  Löwen  Echidna,  und  auch  Heyne  (ad  Apollod.  Obss.  p.  242), 
Voss  mylhol.  Br.  11  S.  19  nnd  van  Lennep  commentar.  in  lies.  Th. 
p.  255  legen  unsere  Stelle  der  Theog.  so  aus,  dass  sie  ^  <3’  als  Gegen¬ 
satz  zu  ti‘jv  fxiv  V.  325  fassen.  Dagegen  macht  nach  der  Meinung  des 
Scholiaslen,  Clavier’s  (ad  Apollod.  11  p.  258)  und  Hermann’s  über  die 
älteste  Mylhol.  der  Griechen  S.  XIII  Hesiod  die  zuvor  genannte  Chi¬ 
mära  zur  Mutter  der  Phix  und  des  Löwen. 


84 


die  Vaterschaft  beilegten.  -  Die  Phix,  gewöhnlicher  Sphinx  ge¬ 
nannt,  ist  eine  allegorische  Zusammensetzung  von  Wesen;  sie  pflegte 
mit  dem  Angesichte  eines  Weibes  und  von  der  Brust  an  als  ein  ge¬ 
flügelter  Löwe  abgebildet  zu  werden,  vereinigte  also  Theile  vom 
Menschen,  Löwen  und  Vogel  in  Einer  Gestalt  '■).  Die  Alten  deute¬ 
ten  sie  bald  2)  auf  die  Gattin  des  Kadmus,  welche  sich  aus  Eifersucht 
wegen  der  Harmonia  von  ihm  getrennt  und  mit  den  Thebanern  Krieg 
geführt  habe,  bald  auf  eine  Räuberbande,  die  auf  dem  Berge  Phi- 
kion  hausend  vom  Menschen  wohl  das  Gesicht,  vom  Löwen  aber 
die  reissende  Grausamkeit  hatte.  Die  Räthsel,  die  sie  den  Wande¬ 
rern  aufgab,  wären  dann  die  geheimen  Schlupfwinkel,  worin  sie  den 
Nachforschungen  derer,  die  sie  suchten,  entging  und  woraus  sie  über 
die  Unbefangenen  und  Wehrlosen  herfiel,  bis  Oedipus  sie  ertappte, 
erschlug  und  zerstreute.  Allein  da  diese  örtliche  Deutung  mit  den 
Sphinxen,  die  in  den  Vorhöfen  der  ägyptischen  Tempel  standen^), 
und  mit  den  zwei  Sphinxen  an  den  Vorderfüssen  des  Thrones  des 
Zeus  in  Olympia^)  unvereinbar  ist,  und  da  die  alte  thebanische 
Sinnbildnerei  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  einen  morgenländischen 
Charakter  halte,  so  werden  wir  in  der  Sphinx  kein  anderes  Emblem 
als  in  den  Cherubim  der  Hebräer,  die  eine  Zusammensetzung  vom 
Menschen,  Löwen,  Rind  und  Adler  waren  und  die  ganze  Gott  an¬ 
betende  lebendige  Schöpfung  in  Einem  Bilde  darstellten,  zu  suchen 
haben.  Das  allegorisch  Räthselhafte  dieses  Wesens  und  das  Unter¬ 
gehen  der  Einzelwesen  bei  Erhaltung  der  Gattung  gab  den  SlofT 
zu  den  spätem  Fabeln  von  ihren  Räthseln  und  von  ihrer  zerflei¬ 
schenden  Grausamkeit  gegen  die  Thebaner. 

Rückblick. 

Ueberblicken  wir  die  Reihe  dieser  Schöpfungen ,  so  sind  in  der 
hesiodischen  Urkunde  die  fliegenden,  die  schwimmenden,  die  krie- 


1)  Apoltodor.  III,  5,  8.  Auson.  Griph.  40. 

2)  Palaephatus  c.  7. 

3)  Pausan.'  IX,  26.  Schol.  lies.  Th.  326. 

'‘)  Cieuzer  Symb.  II  S.  219. 

=)  Pausan.  V  p.  306. 

Hesekiel  1,  10.  10,  14. 


85 


eilenden  und  die  vierfüssigen  Thiere  und  von  den  letzlen  die  Haus¬ 
und  Waldlhiere  ausgezeichnel.  Der  Urmensch  (Japel)  ist  gleich  den 
Göllern  einer  der  Titanen,  auch  die  Centimanen  sind  Himnielskin- 
der  und  Erdgeborne,  die  Riesen  (Giganten)  sind  schon  in  Folge 
eines  Frevels  aus  himmlischem  Samen  entsprossen.  Aus  dem  feuch¬ 
ten  Elemente,  aber  von  einem  Gotte  (Phorkys)  sind  durch  die 
menschliche  Beihiilfe  des  Perseus  und  Herakles  die  edlem  Thiere, 
das  Pferd  und  der  Stier,  entstanden,  sodann  durch  vulcanische  Ver¬ 
mittlung  (Typhon  und  Echidna)  der  Hund  und  die  Schlange,  und 
durch  Vermittlung  des  Hundes  (Orlhos  und  Echidna)  io  immer  wei¬ 
terer  Abstufung  der  Löwe.  Unmittelbar  haben  Phorkys  und  Keto 
„zuletzt  die  Schlange  erzeugt,  welche  in  den  Tiefen  der  Erde  an 
ihren  Grenzen  die  goldenen  Aepfel  der  Hesperiden  bewacht«  ^).  Das 
war  nicht  die  giftige  lermäische  Schlange,  sondern  eine  Lebensschlange, 
der  Aphrodite  in  der  Menschenwelt  entsprechend,  wie  weiter  unleu 
gezeigt  werden  wird. 


§.  18. 

Wie  Typhon  aus  den  Hunden  bellt,  aus  den  Schlangen  zischt, 
aus  den  Löwen  brüllt,  mit  einem  feuerspeienden  Berge  vermählt  ist, 
und  einen  andern  Vulcan  erzeugt,  so  wird  er  als  das  unterirdi¬ 
sche  und  in  vulcanischen  Ausbrüchen  sich  äusserode  Feuer  rich¬ 
tig  von  der  Erde  und  der  Unterwelt,  Tartarus  und  Gäa,  abslam- 
mend  gesetzt  2).  Die  Theogonie  beschreibt  es  in  der  bezeichneten 
Stelle  unzweideutig,  und  zwar  nicht  nur  auf  einen  bestimmten 
Vulcan  eingeschränkt,  sondern  in  vielen  Kratern  auf  der  Erde  her¬ 
ausbrechend.  „Typhoeus  hat  hundert  grässliche  Schlangenköpfe«, 
sagt  Hesiod;  er  ist  nach  Aeschylus  (Prometh.  351  ff.)  der  hundert- 
köpfige  Bewohner  der  cilicischen  Klüfte;  weil  er  den  Zeus  von  sei¬ 
nem  Thron  stürzen  wollte,  wurde  er  von  dessen  Donnerkeil  getrof¬ 
fen  unter  den  Aetna  geworfen,  wo  er  von  Zeus  schwarz  gebrannt, 
Feuer  speit.  Nach  Pindar  (Pylh.  I,  32  ff.)  ist  er  in  einer  Kluft  in 
Cilicieo  gross  gewachsen,  und  nun  liege  seine  borstige  Brust  unter 


>)  Theog  333  ff. 
2)  Theog.  821. 


86 


dem  Gestade  bei  Kumä  (wo  der  Vesuv  ist)  und  in  Sicilien,  wo  der 
Aetna  auf  ihm  liege.  In  allen  einzelnen  vulcanischen  Aeusserungen 
wird  dieses  »verschlungene  und  aufgeblasene  Thier“  *)  von  Hesiod 
a.  a.  O.  geschildert:  »seine  Füsse  sind  unermüdlich  als  eines  starken 
Gottes“,  d.  h.  schnell  fährt  das  unterirdische  Feuer.  »Die  hundert 
Drachenköpfe  lecken  mit  schwarzen  Zungen“,  d.  h.  die  Vulkane 
dampfen.  »Aus  den  Augen  sprüht  Feuer,  und  aus  allen  Köpfen 
brennt  Feuer.  Ein  unaussprechliches  und  verschiedenartiges  Tosen 
kommt  aus  jeglichem  Kopfe,  bald  leise  nur  den  Göttern  verständlich, 
bald  wie  wenn  ein  Stier  oder  ein  Löwe  brüllte,  bald  dem  Hunde¬ 
gebell  gleich,  bald  ist  es  ein  Zischen,  und  die  hohen  Berge  wieder¬ 
hallen.“  Nun  thut  er’s  mit  dem  Blitz  und  Donner  in  die  Wette,  was 
als  ein  Kampf  mit  den  Unsterblichen,  insbesondere  mit  dem  Blitze 
schleudernden  Zeus  dargestellt  wird  2).  »Darob  kracht  Himmel, 
Erde,  Meer,  Oceau  und  der  Abgrund.  Ein  Feuerbrand  und  Gluth- 
winde  fahren  in  den  Pontus,  es  kocht  in  der  Höhe,  auf  dem  Boden 
und  im  Wasser,  und  die  Brandung  schlägt  an  das  Ufer.  Eine  ge¬ 
waltige  Erschütterung  erfolgt,  und  Hades  im  Abgrunde  erzittert.« 
Dass  man  solches  nicht  für  einen  einmaligen  Kampf  mit  Zeus  aus¬ 
lege,  sondern  dass  es  zum  fortwährenden  W'^esen  des  Typhon  ge¬ 
höre,  wird  in  der  F'abel  des  Homeriden  ausgedrückt,  Here  habe 
ihn  allein  für  sich  geboren,  auf  ihren  Gemahl  erzürnt,  dass  er  ohne 
sie  die  Athene  aus  seinem  Haupte  geboren.  Die  Frucht  dieser  Ei¬ 
fersucht  war  eben  der  Gott,  der  mit  Zeus  Blitzen  wetteifert,  und 
zwar  als  Gegensatz  zu  der  Göttin  der  Weisheit  und  Wohlordnung 
Athene.  Den  ueugebornen  Typhon  übergab  Here  dem  pythischen 
.Drachen  zur  Erziehung.  »Er  thut  den  Menschengeschlechtern  viel 
Unheil.“  Die  Theogonie  (853  ff.)  lässt  es  hierauf  zum  wirklichen 
Lavaausbruch  kommen:  »Zeus  senget  die  Köpfe  des  Ungethüms,  es 
fällt  vom  Blitze  getroffen,  die  von  ihm  aussprühende  Flamme  fährt 
in  rauhe  Bergklüfte,  und  viele  Erde  brennt  im  unendlichen  Qualm 
und  schmilzt,  wie  das  Eisen  in  ihr  schmilzt  unter  den  Händen  des 


*)  Also  nennt  es  Platon  Phädr.  c.  8  p.  197  Heindorf,  woraus 
Aristophan.  Nub.  335  zu  erklären  ist. 

2)  .\uch  Honi.  II.  II,  781  f.  drückt  sich  so  aus. 

Iloni.  h.  in  Apoll.  30ß  ff.  Stesichoriis  bei  Etyinol.  M.  p.  772.  50. 


87 


Hephäslos.«  Weil  der  Vulcau  uach  volleudetem  Ausbruche  sich  zur 
Ruhe  legi,  so  wird  das  Ausströmen  der  Lava  als  eine  Folge  seiner 
Niederlage  im  Kampfe  mit  dem  blitzenden  Zeus  vorgeslelll,  und  die 
Ruhe  nach  dem  Ausbruch  am  Schlüsse  V.  867  mit  den  Worten  aus- 
gedrückt:  „Zeus  wirft  ihn  im  Zorn  in  den  weilen  Tartarus«  i).  Das 


’)  Aus  jener  ganzen  Beschreibung  ist  die  Lesart  Theog.  307  zu 
beurlbeilen ,  welche  in  den  gewöhnlichen  Ausgaben  ösivöv  rßQiorijv 
t  avefiov  lautet,  aber  nach  der  florentinischen  Handschrift  des  Herrn 
von  Schellersheim  und  der  gleichfalls  von  mir  eingesehenen,  von  De¬ 
metrius  Triklinius  geschriebenen  Älarcianer  Handschrift  Nr.  464  und 
vielen  andern  zu  verbessern  ist,  wie  schon  das  Versmass  erfordert; 
dsivov  ß'  vßQioT^v  uvofiov  ??’.  Van  Lennep  führt  zwar  V.  830  ff.  die 
Ausdrücke  von  dem  Tosen  des  Typhon  und  V.  869,  dass  er  der  Winde 
Vater  sey ,  an;  aber  aus  diesem  Grunde  wird  er  keineswegs  selbst  ein 
Wind,  die  Allen  beschreiben  uns  dieses  Wesen  zu  klar,  als  dass  ein 
Zweifel  darüber  obwalten  könnte.  —  Aus  der  Handschrift  des  Herrii 
von  Schellersheim,  die  auch  den  Theokrit  enthält  und  von  mir  ver¬ 
glichen  worden  ist,  lässt  sich  Hesiod  noch  an  mehreren  andern  Stel¬ 
len  verbessern,  von  denen  ich  folgende  auszeichne:  Theog.  49  xccqtsi 
(mit  2  andern  Hdschr.)  wegen  des  Metrums.  V.  171  Ttars^oq  ys  (mit 
vielen  andern)  wegen  des  Metrums.  V.  188  jurjöea  d’,  cSg ,  wie  Gött- 
ling  und  van  Lennep  aus  vifelen  Hdschr.  richtig. gegeben  haben;  die  ge¬ 
meine  Lesart  steht  in  unsrer  Hdschr.  über  der  Zeile:  yQU.  cog  (aus 
V.  187  entstanden).  V.  199  Kvit^oyivia  t?’  (die  Hdschr.  hat  übrigens 
KvnQiysvsa  t9^) ,  woraus  der  Grund  der  Verderbniss  anderer  Hdschr. 
KvTtQoyEvsiav  eher  ersichtlich  ist,  als  aus  der  vorgeschlagenen  Verbes¬ 
serung  Robinson's  KvTtQoyevij;  vgl.  V.  233,  wo  —  sa  gleichfalls  als  ein 
langer  Fuss  gelesen  wird.  V.  202  ysiva/jiEvr]  (mit  andern  Hdschr.)  an¬ 
statt  des  sinnlosen  yeivofiivrj,  V.  228  Mayag  t,  wie  van  Lennep  aus 
andern  Hdschr.  wiederhergestellt  hat;  Robinson  bat  die  Partikel  aus¬ 
gelassen.  V.  230  ukXtiXrjaLV,  was  aus  andern  Hdschr.  schon  Götlliug 
und  van  Lennep  statt  des  ungrammatischen  aXktjXoiaiv  aufgenommen 
haben.  V.  233  d'  haben  dieselben  Herausgeber  anstatt  t  aus  andern 
Hdschr.  schon  abgedruckl;  da  eine  neue  Genealogie  der  vorigen  ent¬ 
gegen  steht.  V.  370  taaaiv ,  w'ie  schon  van  Lennep  nach  andern. 
V.  399  hätte  er  aus  demselben  Grunde  dsdioycep  aufnehmen  sollen,  das 


88 


Schmelzen  des  Eisens  in  den  weilen  Bergschachlen  V.  863  ff.  dürfte 
mehr  als  ein  blosses  Bild  der  Lava,  und  zugleich  eine  Anzeigung 
von  dem  Einfluss  des  Erdfeuers  auf  die  Bildung  der  Metalle  seyn. 
Wenigstens  hatten  die  Alten  die  Einsicht,  dass  die  Entstehung 
der  Winde  Iheils  von  den  unterirdischen  Bewegungen  in  den  Ein¬ 


gemeine  edcoxev  hat  keine  oder  fast  keine  hdschr.  Beglaubigung,  V.  419 
vTtede^aro  mit  andern  Zeugen  als  eine  unbestimmte  Zeit;  am  wenigsten 
ist  es  im  Verbältniss  zu  £071Eto  eine  zukünftige,  wie  in  den  Ausgaben 
steht,  ehereine  vergangene.  V.  431  ös  noT  iq  rtok.  cpd.  doiQrjaaoivTO 
mit  einer  andern  Ildschr.  Die  gemeine  Lesart  d’  d;rdr’  wäre  nur 
statthaft,  wenn  es  ein  Gegensatz  gegen  eine  andere  Person  wäre;  allein 
immerfort  ist  von  derselben  Hekate  die  Rede:  die  Lesart  einer  Hdschr. 
ßioQijoaovTO  zeigt  den  üebergang  von  der  richtigen  ^ooQijaaoiVTO  zu 
der  gemeinen  ^co^rjaaovrac  oder  (wie  Göttling  und  van  Lennep  haben) 
dcoQr]aooivxai.  V.  416  EiQOTtövMV  ocow ,  y  ißclovoa ,  wie  Götti, 

und  van  Lennep.  V.  454  'IoTLr]v  (van  Lennep  hat  ^laxtrjv^,  wie  auch 
die  Marc.  Hdschr.  u.  Aldus;  so  Horn.  h.  23.29.  V.  548  Zed,  wie  An¬ 
dere.  V.  552  efieXls.  V.  559  nsQi.  V.  569  loq  Td"  (statt  coq  i'ösv)  mit 
einer  andern  Hdschr.,  was  uns  zur  richtigen  und  sinngemässen  Wort- 
abtheiluug  führt :  coq  td’  ev  ävßQ.  V.  584  ßavf.idöia ,  wie  v.  Lenn. 
richtig.  V,  591  setze  man  nach  yvvaivMV  ein  Kolon,  und  beziehe  dem 
Sinn  nach  yvvatxsq  auf  das  Folgende.  V.  593  schreibe  man  mit  unse¬ 
rer  u.  a.  Hdschr.  ov  avj^cpoQoi,  oXX  dy.ÖQeatoo  statt  dXku  y.6Qoio,  wor- 
nach  der  xöpog  von  abhängig,  und  doch  kein  Gegenstand  der 

Mitleidenheit  ist.  V,  600  coaavruiq  die  unsrige  u.  a.  V.  693  iojLta^d- 
yi^E,  wie  V.  Lenn.  V.  743  öeivöv  d^  xct/',  wie  v.  Lenn.  V.  797  dXXd 
yc,  wie  auch  andere  Hdschr.;  die  abversative  und  die  Verbindungs¬ 
partikel  beisammen  reimen  sich  nicht.  V.  857  iTisidt},  wie  auch  eine 
andere.  V.  877  xsiv-rjoi  von  der  zweiten  Hand,  wie  v.  Lenn.  V,  895 
j^tiv  statt  ydg,  wie  Götti,  u.  v.  Lenn.  V.  909  xe  v.aL,  wie  v.  Lenn. 
V.  934  Exiy.TE,  wie  v.  Lenn.  V.  974  rov  öij  (wie  auch  andere),  das 
Vorige  bestimmend  ,  da  eine  entgegengesetzte  Partikel  ganz  und  gar 
nicht  am  Platz  ist.  V.  989  dxaXd.,  wie  v.  Lenn.  Zwischen  V.  1013  u. 
1014  hat  auch  unsre  Hdschr  den  schlechten  Vers  eingeschoben:  TtjXe- 
yovov  d’  EXEKE  diä  XQvoijv  'ÄcpQobixrjv.  Schild  V.  59  naxEpa  ör, 
,  wie  schon  Guietus  gcmuthmasst  hat  ,  da  die  erste  Sylbc  in  ""Aqxjq 


89 


geweiden  der  Erde,  llieils  von  dem  Verliällniss  des  Erdkörpers  zu 
der  Sonne  bedingl  sey.  Weil  die  mit  Erdbeben  und  vulcanischen 
Ergiessungen  verbundenen  Winde  heftiger  und  verderblicher  Natur 
sind,  so  lässt  Hesiod  (Th.  868  ff.)  die  schädlichen  und  die  gefähr¬ 
lichen  Winde,  nemlicb  die  feuchten  Lüfte  und  die  unordentlich  bald 
daher  bald  dorther  blasenden  Seeslürrae  und  die  Wirbelwinde  von 
Typhoeus  abstammen;  wohin  der  Nordost  {Evgoq,  vulturnus)  und 
der  Südost  {'ÄTrrjXicötrjq ,  subsolanus)  zu  rechnen  sind.  Die  übrigen 
wohlthätigen  Winde,  sagt  er,  der  Süd  {Noioq'),  der  Nord  {Bogeaq') 
und  der  West  (dieser  wird  mit  zwei  Namen  bezeichnet  als  Nord¬ 
westwind  "Agysorriq  und  als  Südwestwind  vorzugsweise  Zscpvgoq)  sind 
göttlichen  Ursprungs.  Der  Sonnenaufgang  (Eos)  gebar  sie  nemlicb 
dem  Sternenhimmel  (Asträos)  ^). 

2)  Von  der  Fortdauer  und  der  Regierung  der  Welt. 

Die  aus  sich  selbst  entstandene  Welt  ist  gleichwohl  in  ihrem 
Bestehen  und  ihrer  Thätigkeit  von  Gott  abhängig,  sie  wird  von 
der  Vorsehung  erhalten  und  regiert. 


kurz  ist.  Die  Accusalivform  der  flor.  Hdschr.  ist  der  gewöhnlichen 
'’Agrjv  vorzuziehen,  weil  jene  Theog.  922  steht;  wo  vorkommt 

(Schild  333.  425.  457),  geschieht  dieses  zur  Vermeidung  des  Hiatus, 
der  aber  hier  nicht  eintritt ,  da  aroq  ein  Digamma  hat.  V.  68  evxo- 
X£<t>v.  V.  116  e'iJte.  V.  195  dicpgw  eTtejußeßacoq ,  wie  Aldus,  wegen  des 
Versmasses.  V.  203  äyröq,  denn  das  gewöhnliche  ayvvz  ist  ohne  hand¬ 
schriftliches  Ansehen  eine  blosse  Vermuthung  des  Heinsius.  Wenn  es 
aber  schon  genug  ist,  das  treffliche  Saitenspiel  Apollons  bildlich  dar¬ 
zustellen,  so  wäre  es  vollends  übertrieben,  sogar  den  Wiederhall  des¬ 
selben  zum  Gegenstände  der  Bildnerci  zu  machen.  Und  wenn  auch  He¬ 
siod  Sch.  279  sagt:  äyvvro  fjyjiä  ^  so  ist  es  etwas  ganz  anderes,  das¬ 
selbe  vom  Olymp  auszusagen.  V.  276  djU(ocüi>  (wie  schon  Guietus  ver¬ 
besserte)  Tui  X  dyXataiq.  Dieser  Satz  schliesst  sich  enge  an  die  d/uonai 
im  vorigen  an,  daher  t’  nicht  d’,  dyXataiq  aber  haben  auch  andere 
Hdschr.  V.  299  fehlt  .als  unächt. 

^)  Theog.  378  ff. 


90 


S-  19- 

Die  mäciitigeii  Eriuuyen  (Furien,  Hacliegeister)  sind  zugleicl» 
niil  den  Giganten  und  den  melischen  Nymphen  aus  den  Tropfen  des 
uranischen  Samens,  welche  auf  die  Erde  fielen,  entstanden  *).  Ihre 
Entstehung  zugleich  mit  dem  individuellen  Leben  gibt  zu  erkennen, 
dass  sie  nicht  nur  eine  ethische,  sondern  hier  ganz  besonders  eine 
physische  Bedeutung  haben.  Den  auf  Unkosten  des  Himmels  ge¬ 
wordenen  Dingen  gehen  die  Erinnyen  auf  dem  Fusse  nach,  d.  h. 
jene  sind  dem  Dienste  des  vergänglichen  Wesens  unterworfen.  Sie 
haben  ein  von  Gott  abgeschnittenes  Leben ,  also  nicht  mehr  das 
wahre  himmlische,  sondern  nur  Schattenbilder  des  Lebens,  welche 
in  Folge  der  Verstümmelung  des  Uranos  zum  Vorscheine  kamen. 
Die  Erinnyen  drücken  also  auf  der  einen  Seite  physisch  den  Tod  des 
Vergänglichen  aus,  und  wollen  so  viel  sagen  als:  das  Werden  rächt 
sich  am  Gewordenen  durch  das  Vergehen;  was  geboren  wird,  trägt 
den  Keim  des  Todes  in  sich;  du  bist  Erde  und  sollst  zur  Erde  wer¬ 
den.  In  ähnlichem  Sinne  ist  die  arkadische  Fabel  von  Demeter 
zu  verstehen,  welche,  während  sie  die  verlorne  Tochter  suchte,  im 
Zorne  über  die  Nachstellungen  Poseidons  zur  Erinnys  geworden  sey, 
und  als  solche  eine  Fackel  und  einen  Kasten  trug  2).  D.  h.  die  Na¬ 
tur  (Demeter)  hat  in  der  winterlichen  nasskalten  Jahreszeit  das  Bild 
des  Todes  und  der  Leichentrauer,  die  Tage  sind  kurz,  das  Nacht¬ 
reich  ist  aufgethan  (Fackel),  und  die  Lebenskeime  schlummern  in 
der  Erde  Schoos  (Kasten). 

Das  ist  die  andere  Seite  der  Erinnyen  auf  physiologischem  Stand¬ 
punkt:  der  Tod,  den  sie  bedeuten,  ist  nicht  schlechthin  eine  Strafe, 
die  Individuen  sterben,  aber  die  Gattung  wird  erhalten.  Als  Samen¬ 
behälter  hatten  sie  in  Athen  ihr  Heiligthum;  denn  man  opferte  ihnen 
an  Hochzeitfesten  für  Kindersegen  3),  und  Aeschylus  (Eumenid.  891  Cf.) 
fasst  ihre  Idee  gerade  wie  eine  Hekate- Fortuna  auf,  mit  welcher 


1)  Theog.  185. 

2)  Pausan.  Arcad.  I,  25,  5. 

Aescbyl.  Eumenid.  825.  Bei  Erzeugung  der  Kinder  galt  es  den 
Uranos  gleichsam  fort  und  fort  zu  entmannen  und  seinen  unvergängli¬ 
chen  Samen  in  neuen  Wesen  darzustellen. 


91 


die  Göttin  Athene  theile,  was  ihrer  Lieblingsstadt  Athen  zum  From¬ 
men  gereiche,  so  dass  die  Eumeniden  (die  eben  daher  im  Ernste 
benannten  Wohlwollenden)  allen  Segen  des  Friedens  bescheren, 
Athene  aber  Streitferligkeit  und  Kriegsrubm,  jene  also  namentlicli 
die  Woblthaten  aus"  dem  Schosse  der  Erde,  aus  dem  Meer,  vom 
Himmel  und  guten  Winden,  die  Früchte  des  Feldes,  der  Herden  und 
der  Menschen  Vermehrung  gewähren,  den  Gottlosen  aber  vorenthal- 
ten.  »Sie  haben,  sagt  der  Dichter  (918  IT.),  alle  menschlichen  An¬ 
gelegenheiten  zu  verwalten.  Wer  diese  Gestrengen  {ßapetov ,  ohne 
Correctur)  nicht  für  sich  gewinnt  (/u^  -xv^aag),  weiss  nicht,  woher 
des  Lebens  Schläge  kommen.“  Die  Gunst,  die  sie  den  Athenern 
Zusagen,  erzählen  sie  also  (V.  926  ff):  »kein  Baum  verletzender 
Schaden,  kein  Pflanzen  versengender  Glutwind  wehe,  und  über¬ 
schreite  nicht  die  Grenze  dieser  Oerter  (rd-Twi'  ohne  Correctur),  noch 
schleiche  heran  unfruchtbare  böse  Krankheit.  Gedeihende  Schafe 
mit  Zwillingsbrut  ernähren  das  Land,  zur  rechten  Zeit  ehre  ein  be¬ 
reichernder  Wurf  die  Göttergahe  des  Hermes.«  *). 

§.  ^20. 

Durch  den  Zeugungstrieb  werden  die  verborgenen  Samen  zur 
Erscheinung  gebracht.  »Die  abgeschnittenen  Hoden  des  Uranos  warf 
Kronos  vom  Lande  in  das  Meer,  wo  sie  lange  Zeit  umhergetrieben 
wurden.  Aus  ihnen  (die  das  unvergängliche  Leben  enthielten)  bil¬ 
dete  sich  ringsum  ein  weisser  Schaum ,  worin  ein  Mädchen  entstand, 
eine  ehrwürdige  schöne  Göttin  ging  daraus  hervor,  Aphrodite,  die 
aus  dem  Schaume  (d(^pd?)  Gehörne,  und  unter  ihren  zarten  Füssen 
sprossten  Pflanzen  auf.«  2)  Sie  ist  demnach  der  uranische  Samen- 


*)  Die  Ausleger  lassen  den  Chor  zuerst  von  den  Pflanzen,  sodann 
von  den  Schafen  und  dann  wieder  von  den  Erzeugnissen  der  Erde  re¬ 
den.  Allein  mit  blosser  Veränderung  der  Interpunktion  ist  zuletzt  die 
Rede  von  dem  Wurf  der  Schafe,  welcher  unter  der  Aufsicht  des  Her¬ 
mes  steht  und  wenn  er  reich  und  gut  ausfällt,  ihm  Ehre  macht.  So 
ist  die  Rede  zusammenhängender,  und  die  Worfe  entsprechen  besser 
dem  natürlichen  Sinn. 

2)  Theog.  188  ff.  Der  ällern  Fabel  folgt  auch  der  Homeride  H.  V, 


92 


behäller,  aber  im  Gegensatz  zu  den  Erinnyen  als  den  ßewahrerin- 
nen  aller  Samen  verhält  sie  sich  zu  diesen  wie  der  Frühling  zum 
Winter,  Und  bewirkt,  dass  eines  aus  dem  andern  werde,  und  die 
Individuen  in  ununterbrochener  Folge  von  einander  abslammen.  Das 
denselben  inwohuende  Fortpflanzungsvermögen  ist  als  das 
Princip  eines  endlosen  Lebensfadens  etwas  Unsterbliches ,  die  gött¬ 
liche  Schöpferkraft  bethätiget  sich  in  jener  Naturkraft,  und  was  für 
die  Individuen  eine  mittelbare  Schöpfung  ist,  das  ist  für  die  Gattung, 
zu  der  sie  gehören,  die  Erhaltung.  Jenes  Vermögen  ist  von  der 
Vorsehung  den  organischen  Creatoren  eingeptlanzt,  und  wurde  als 
etwas  Göttliches  in  Aphrodite  vergöttert,  welche  den  himmlischen 
Samen  in  sich  beschlossen  hat *  *)•  H’re  Idee  ist  somit  sehr  ernst; 
nicht  die  Zeugungslust,  sondern  der  Zweck,  nämlich  das  Fortzeugen 
des  im  Anfang  Erzeugten,  ist  die  Hauptsache.  Diess  erhellet  theils 
aus  ihrer  Entstehung  von  dem  himmlischen  Samen,  theils  aus  ihren 
Wirkungen,  wornach  Alles  im  Himmel,  auf  Erden  und  im  Meer 
durch  sie  entsteht  ^).  Sie  ist  also  eine  heidnische  Vergötterung  des 
Wortes,  das  Gott  bei  der  Schöpfung  sprach:  Gras  und  Kraut  und 
die  Bäume  sollen  ihren  eigenen  Samen  bei  sich  selbst  haben  auf 
Erden,  und  die  Menschen  sollen  fruchtbar  seyn,  sich  mehren  und 
die  Erde  füllen.  Als  eine  Entartung  des  Aphroditendienstes  ist  es 
anzusehen,  wenn  sie  die  mit  der  Befriedigung  des  Geschlechtslriebes 
verbundene  Lust  vorstellen  sollte.  Man  unterschied  dann  diese  un¬ 
ter  dem  Namen  der  gemeinen  {7idvdi]fjt.oq)  von  der  himmlischen 
(ovQaviOL)  3). 

Aphrodite  als  der  Lebensanfang  der  Individuen  ist  die  Vorstehe¬ 
rin  der  Geburten  und  heisst  als  solche  TivsrvXXiq  ^).  Sie  hat  daher 

ein  Westwind  habe  Aphrodite  im  weichen  Schaume  über  das  Meer  nach 
Cypern  geführt. 

*)  Ihre  Geburt  aus  dem  Meere  erklärt  der  Scholiast  des  Hesiod 
folgendermassen  :  ^ÄTtb  rijg  daXdaarjq  rj  'ÄcpQodiT^  did  rö  vygöv  t]  yuQ 
ijti&vfica  iyQoxrjroq  yivitar  ödsv  v,al  rovq  axjEXyeTq  vyQovq 
xaXovfxsv. 

2)  So  drückt  sich  nach  Orpheus  Euripides  in  coronifero  Hippolyto 
447  ff.  aus. 

Platon  Sympos.  8,3  p.  385  Bekker. 

Aristoph.  Nub.  53  das.  Schob 


93 


das  Amt,  welches  sonst  die  Lebensparce  Klotho  verwaltete,  und  man 
sah  in  der  That  in  den  Gärten  zu  Athen  eine  alte  Aphrodite  mit 
der  Inschrift :  die  älteste  der  Moiren  *).  Auch  hatte  die  syrische  Asch- 
toret  wie  eine  Parce  die  Spindel  neben  dem  Gürtel  2).  Es  ist  be¬ 
greiflich,  dass  man  sie  mit  dem  Monde,  welchem  man  die  erste 
Stufe  der  Menschen  ernährenden  Kraft  zuschrieb  ^),  in  Verbindung 
dachte.  Nach  Lucian  (de  Dea  Syra)  war  Astarte  der  Mond  selbst, 
und  nach  Philochorus  war  Aphrodite  der  Mond ,  oder  vielmehr 
war  in  ihren  allgemeinen  BegriCf  der  des  Mondes  mit  aufgenommen. 
Da  durch  die  Kraft  der  Aphrodite  die  jugendliche  Schönheit  der  Well 
erhallen  wird  und  fortdauert,  so  ist  sie  das  Ideal  der  Schönheit,  die 
lieblich  blickende  (iXixoßXeqiaQog)  und  lächelnde  (uilo/ustdi^q).  Die 
Huldgöllinnen  (^XdQirsq') ,  worin  der  alte  Pelasger'’)  eine  Alle¬ 
gorie  der  Anmuth  und  Freude  aufstellte,  pflegten,  um  sie  geschäftig, 
sie  zu  baden  und  mit  Oel  zu  salben  ^).  Vorzüglich  zur  Fortpflan¬ 
zung  geeignete  Vögel,  die  Tauben  und  Sperlinge,  waren  ihr  geweiht. 
Nach  Hesychius  wurde  ein  geiler  Mensch  auch  Sperling  genannt. 
Auf  einem  mit  Sperlingen  bespannten  Wagen  fährt  Aphrodite  von 
des  Vaters  Zeus  Hause  zur  singenden  Sappho  herab,  wie  diese  in 
ihrem  Liede  auf  Aphrodite  dichtete. 

Die  Heimath  dieser  Gottheit  ist  Syrien.  Den  Tempel  der 
Aphrodite  Urania  in  Askalon  hielt  Herodot  (I,  105)  für  den  aller¬ 
ältesten.  Man  nannte  sie  daselbst  Aschtoret  (^Aord^rrj)  7),  Baalat  8), 
auch  Himmelskönigin  ns3=,)3)  9) ,  von  den  Hebräern  rrjcN  ge¬ 

nannt.  Sie  wurde  durch  eine  grosse  hölzerne  Säule  abgebildet,  be¬ 
deutet  das  Glück  (‘iiön)  ’O),  und  ist  daher  wahrscheinlich  einerlei  mit 


‘)  Pausan.  I,  19,  2. 

2)  Lucian  de  Dea  Syra  p.  117  Bip. 

3)  Pioclus  ad  Plat.  Alcib.  I  p.  196  Creuz. 

Philochor.  in  Atthide  fragm.  ed.  Siebelis  p.  19  f. 

ä)  Herod.  II,  50. 

Uom.  Od.  YIII,  364.  h-  in  Vener.  61. 

0  Cic.  N.  D.  III,  23. 

BaaXrlg  bei  Euseb.  Praep.  Ev.  I,  10  p.  38  D. 
Seiden,  de  Düs  Syris  Synt.  II,  c.  2. 

'®)  Gesenius  ini  bebr.  Wörterbuch  S.  99  f. 


94 


Gad  und  Meni.  Sie  wurde  gewölinlich  am  Altar  des  Baal  aufgestelll, 
und  wie  ihr  Name  schon  ausweisl,  als  Gattin  des  Baal- Moloch  -  Adon 
aufgefasst.  Wenn  dieser  bei  den  Griechen  Kronos  heisst,  so  war 
sie  in  der  Heimath  nicht  von  Rhea  verschieden,  und  wurde  erst  aus¬ 
wärts,  wo  man  dem  Kronos  die  Rhea  beigeselKe,  als  ein  eigenes 
Götterwesen  vorgestellt.  Wir  sehen  hier  an  einem  Beispiel,  wie 
theils  durch  die  Vermischung,  theils  durch  die  Sonderung  der  Got¬ 
tesdienste  verschiedener  Länder  die  Vielgötterei  sich  vermehrte. 
Selbst  der  griechische  Name  der  Göttin  scheint  nur  eine  Umbeugung 
des  phönicischen  zu  seyn.  Auf  der  Insel  Cypern  hatte  Aphrodite 
einen  uralten  Tempel,  woher  ihr  Beiname  Kv.r^ig ,  Kv^TQoysvtjq 
allein  die  Cyprier  selbst  leiteten  ihn  von  Askalon  ab,  und  eben  da¬ 
her  hatten  die  Phönicier  dieser  Gegend  jenen  Gottesdienst  auf  die 
Insel  Kythera  im  lakonischen  Meerbusen  gebracht  2).  Hier  scheint 
sie  das  erste  Heiligthum  in  Griechenland  erhalten  zu  haben;  woher 
ihr  Name  Kv^E^sia.  Denn  Hesiod  (Th.  192)  sagt,  die  Schaum- 
geborne  sey  am  ersten  in  Kythera  gelandet;  wenn  er  hinzusetzt,  von 
da  sey  sie  nach  Cypern  gekommen ,  so  wird  mehr  der  Zusammen¬ 
hang  uralter  Religionssitze  als  die  wirkliche  Abstammung  ange¬ 
deutet.  Ihre  Verehrung  wurde  auch  in  der  folgenden  dritten  Periode 
beibehalten,  und  sie  dem  neuen  Göttersystem  als  eine  Tochter  des 
Zeus  und  der  Dione  einverleibt. 


§.  21. 

Das  Vermögen  der  Fortpflanzung  ist  durch  die  Geschlechts¬ 
verschiedenheit  bedingt.  Bei  Hesiod  ist  zwar  Aphrodite  das 
beiden  Geschlechtern  gemeinsame  Vermögen.  Alter  Volksglaube  aber 
vergötterte  das  jedem  Geschlecht  besondere  in  einer  Zweiheit,  in 
einer  die  Geschlechter  fort  und  fort  zeugenden  Urehe.  Wie  die  sy¬ 
rische  Astarle,  das  Vorbild  der  griechischen  Aphrodite,  in  Adonis 
ihren  Mann  hatte;  so  lässt  sich  schon  darum  erwarten,  dass  auch 
in  Griechenland  ein  ähnliches  Wesen  mit  ihr  verbunden  gedacht 
wurde.  Man  suchte  ihr  einen  passenden  einheimischen  Gatten,  da 


1)  Theog.  199.  Hom.  h.  IX. 

2)  Her.  I,  105. 


95 


der  oberste  Gott  Kronos  bereits  seine  Gattin  batte.  Diess  war  Her¬ 
mes,  mit  welchem  nach  der  wichtigen  Stelle  Ciceros  (N.  D.  III,  23) 
die  vom  Schaum  erzeugte  Aphrodite  in  einer  altern  Ehe  stand  als 
mit  Hephästos  ^).  Hermes  war  ohne  Zweifel  die  Vergötterung  des 
männlichen  Zeugungsgliedes,  der  pelasgische  Phallusgott,  welchen 
man  zur  Unterscheidung  von  dem  spätem  Gölterboten  Hermes  den 
ithyphallicus  nannte.  Die  samolhracischen  Pelasger  hatten  die  Kennt- 
niss  dieses  Gottes  mit  immer  thätigem  Zeugungsgliede  nach  Athen 
gebracht,  von  wo  sie  sich  über  Griechenland  verbreitete  2),  In  Athen 
waren  seine  Bildnisse,  die  Hermen,  in  alter  vordädalischer  Gestalt 
als  viereckige  Steine  ohne  Arme  3)  mit  Bezeichnung  eines  Gewandes 
(^av^jua) ,  Bartes,  Bauches  und  des  Männlichen  mit  besonderem  Aus¬ 
druck;  sie  standen  häufig  in  den  Vorhöfen  der  Häuser  und  in  Tem¬ 
peln  ^),  dass  man  allenthalben  des  Besamers  gedächte  ^).  Das  Her¬ 
mesbild  in  Kyllene  war  nichts  als  ein  Phallos,  d.  i.  ein  aufgerichte¬ 
tes  männliches  Glied  auf  einer  Unterlage  ^).  Der  Geschichtschrei¬ 
ber  Timäus  bezeugt  von  Landeseingebornen  in  Erfahrung  gebracht 
zu  haben,  dass  die  von  Aeneas  nach  Lavinium  gebrachten  Heiligthü- 
mer  eiserne  und  eherne  Hermesstäbe  und  trojanisches  Irdengeschirr 
gewesen  seyen.  Ohne  Zweifel  sollte  hier  der  Stab  ,  den  man  ihm 
später  in  die  Hand  gab,  den  geschlossenen  Leib  des  Gottes  selbst 
vorslellen,  der  nach  alter  Sinnbildnerei  anstatt  des  Hauptes  das  sein 
Amt  bezeichnende  Thier  halte ;  denn  ein  Hermesslab  ist  ein  in 
Schlangen  ausgehender  Stab.  Schlange  aber  bedeutet  das  in  der 
Zeit  sich  ausdehnende  Leben;  woher  noch  die  arabische  Sprache 


*)  Vgl.  Stäudlin  und  Tzschinier  Bd.  V.  St.  1.  1821  S.  54. 

2)  Herod.  II,  51.  Vgl.  Pausan.  VI,  26  p.  518.  Lucian  Jov.  tragoed. 
T.  VI  p.  275  Bip.  (wo  der  Gott  Phales  heisst)  Plutarch.  de  republ. 
gereiid.  p.  797  F.  Plotin.  p.  321. 

3>  Strabo  XV.  Dio  LIV. 

^‘)  Thucyd.  VI,  27  und  Ausleger. 

Porphyrius  bei  Euseb.  Praep.  Ev.  III  p.  114  Colon,  erklärt  ihn 
für  den  OTie^/xarfnöp  Xöyov  töv  6ii^y,ovTa  öid  Ttdvrcov. 

Pausan.  Eliac.  II.  Artemidor.  I,  47.  Philostr.  vit.  Apollon.  VI,  10. 
7)  Bei  Dionys.  Hai.  A.  R.  I.  n.  67  T.  I  p.  170  Reiske :  v.r]Qvy.ia 
aidrjQa  y.a\  xaXy.u.^  v.al  v,eQa/.iop  tgcai-KOP  s'ipai. 


96 


Schlange  und  Leben  mit  einem  und  demselben  Worte  bezeichnet. 
So  hat  der  orphische  Phanes,  der  Erstgeborne  der  Schöpfung,  eine 
Schlange  auf  dem  Haupte,  und  sie  ist  das  beständige  Attribut  aller 
Urheber  des  Lebens.  Der  Grund  dieser  Hieroglyphik  liegt  in  dem 
langen  sich  fortschleichenden  Schlangenleib.  Die  Zeit  als  das  lange 
Nacheinander  bricht  aus  dem  ewigen  Rund  hervor,  die  Schlange  aus 
dem  Ei,  sie  windet  und  spinnt  sich  endlos  fort,  so  wie  sich  der 
Same  der  Schlangenmänner  und  Patriarchen  in  den  Enkeln  durch 
die  Jahrhunderte  schlingt.  Es  waren  aber  Stäbe  von  unterschiede¬ 
nem  Metall  nach  Timäus;  wahrscheinlich  stellte  der  eine  die  männ¬ 
liche ,  der  andere  die  weibliche  Potenz  vor  i).  Das  Irdengeschirr, 
das  zu  den  Penaten  gehörte,  wird  wohl  nicht  neben  den  Stäben,  son¬ 
dern  unter  sie  gestellt  worden  seyn,  so  daSs  es  Kruggötter  waren, 
zwei  im  feuchten  Becken  der  Natur  in  Liebe  die  Welt  webenden 
'  Kräfte. 

Man  rückte  auch  durch  die  Genealogie  Hermes  und  Aphro¬ 
dite  nahe  zusammen,  indem  man  beide  zu  Kindern  des  Himmels 
und  der  Dia  (Erde)  machte  2)  ,  und  diese  Venus  ist  die  erste  des 
Cicero,  deren  Heiliglhum  noch  zu  seiner  Zeit  in  Elis  sich  befand. 
Wir  hallen  sie  nicht  von  der  Urania  für  verschieden  3),  wiewohl  sie 
Cicero  der  Abstammung  wegen  unterscheidet,  sondern  wir  sehen 
darin  nur  einen  pelasgischen  Versuch ,  sie  ihrem  Gatten  Hermes  ge¬ 
hörig  gegenüber  zu  stellen  und  ähnlich  zu  machen.  Gerade  so  ha¬ 
ben  die  Perser  die  Urania  in  ihr  System  eiugeführt  und  sie  Mitra 
genannt,  um  sie  in  Verhältniss  zu  Milhras  zu  setzen.  Die  Assyrer 


*)  Die  Denkzeichen  des  Baal  waren  von  Stein  und  die  der  Asche- 
rah  (Astarte)  von  Holz,  Gesenius  hebr.  Wörterb.  S.  100. 

2)  Cic,  N.  D.  III,  23:  Venus  prima  Caelo  et  Die  nata.  Mag  nun 
Cicero  selbst  oder  seine  Abschreiber  oder  Ainpelius  c.  9  und  Jo.  Lydus  de 
mens.  p.  214  Roether,  die  Schreibart  Die  statt  Dia  verschuldet  haben, 
so  waren  doch  gewiss  die  Eltern  der  Venus  so  gut  wie  die  des  Hermes 
Cic.  N.  D.  Hl,  22  Coelum  und  Dia,  in  welcher  letztem  Stelle  mehrere 
Handschriften  gleichfalls  Die  haben. 

3_)  Jo.  Lydus  a.  a.  0.  führt  die  Meinung  derer  an ,  welche  die 
erste  Aphrodite,  die  Tochter  des  Uranos  und.  der  Hemera  (so  sagt  er 
statt  Dia),  Urania  nennen. 


97 


nannten  sie  Mylilta,  die  Araber  Alilal  ij.  Durch  Namen  und  Bei¬ 
namen  suchte  man  ferner  die  Verwandtscliaft  des  pelasgischen 
Hermes  und  der  cyprischen  Aphrodite  auszudrücken.  Wir  dürfen 
aber,  wie  schon  früher  von  mir  geschelien  ist,  die  hebräische  Sprache 
zu  Hülfe  uehmen:  denn  »die  kananäische  Spraclie  hält  zwischen  der 
ägyplisclien  und  hebräischen  die  Mitte  und  ist  mit  der  Imbräischen 
grossentlieils  verwandt«,  nach  der  Bemerkung  des  Hieronymus  (in 
Jesaj.  c.  19).  Der  Name  Hermes  nun  und  der  Beiname  der  Aphro¬ 
dite  ajidxovQoq  tretTeu  in  ihrer  Bedeutung  vollkommen  zu,  wenn  wir 
jenen  von  n'/sn  (täuschen,  betrügen)  ableiten,  woraus  mit  dem  Vor¬ 
schlag  des  E  der  Name  'Ep/uijq  (dichterisch  'E^juciag')  wird,  wovon  sein 
gewöhnliches  Beiwort  döXiog  die  Uebersetzung  wäre.  So  hatte  die 
trügerische  (^djidTovQog)  Aphrodite  zu  Phanagoria  in  Ivleinasien  ein 
Heiligthum.  Man  wollte  mit  diesem  Namen  andeuten,  dass  die  Ge¬ 
burten  dieser  Zeugungsgötler  ein  eitles  Daseyn  und  kein  dauerndes 
Leben  haben,  den  Adouisgärten  zu  vergleichen.  Man  setzte  auch  zu 
Phanagoria  jenen  Beinamen  der  Aphrodite  in  bestimmte  Beziehung 
zu  dem  Tode.  Die  ihr  nachstcllenden  Giganten,  fabelte  man,  über¬ 
lieferten  sie  dem  im  Hinterhalte  lauernden  Herakles  zum  Todlschlag, 
von  welcher  List  (darccr»;)  ihr  das  Beiwort  zu  Theil  ward  2).  Die 
Theogonie  hat  diesen  Begriff  in  den  Erinnyen  niedergelegt,  welche 
sich  durch  alle  Zeugungen  der  Aphrodite  hindurchziehen  und  das 
Leben  feindselig  verzehren;  wie  wenn  bei  persischen  Milhrasvorslel- 
luugen  ein  Jüngling  mit  gesenkter  Fackel  steht.  Damit  hängt  auch 
zusammen,  wenn  Hesiod  (Th.  224)  die  Begattung  ('PMxT^g)  und 
die  Täuschung  neben  einander  unter  den  Geburten  der 

Nacht  aufführt;  wobei  nicht  allein  oder  gar  nicht  au  die  betrüge¬ 
rische  Verführung  der  Buhlen  zu  denken  ist,  sondern  vorzugsweise 
an  das  Scheingebilde  des  auf  dem  Wege  der  Begattung  Hervorge¬ 
brachten  3),  Hesiod  übrigens  gibt  die  phöuicisch  hellenische  Religion 
der  Aphrodite  unvermischt,  und  berichtet  nichts  von  ihrer  Verbin- 


')  Herod.  I,  131.  III,  8. 

2)  StrabO'p.  495  Almei.  Stephan  B.  in  ^AnaxovQ. 

Vgl.  Creuzer  Br.  über  Hom.  u.  Hes.  S.  169,  welcher  an  die 
indische  Maja  erinnert. 


7 


08 


düng  mit  Hermes;  was  ich  für  eine  Vermengung  der  phönicisch  hei- 
lenischen  mit  der  lydisclt  pelasgischen  Religion  halte. 

Hermes  und  Aphrodite  dachte  man  sich  zufolge  dieses  abgelei¬ 
teten  Systems  in  ununterbrochener  Liebesvereinigung;  denn  die 
Schöpfung  geht  fort  und  fort,  wo  nur  ein  neues  Wesen  geboren  wird. 
Die  allschaffende  Natur  mittelst  der  Geschlechtsverbindung  zu  ver¬ 
anschaulichen,  trug  man  die  beiden,  Hermes  und  Aphrodite,  auf 
einen  einzigen  Leib  zusammen,  oben  war  es  der  bärtige  Hermes  und 
unten  Aphrodite.  Gleichwie  die  Indier  noch  heutzutage  solche 
androgyne  Bildwerke,  Pulleiar  genannt,  haben;  so  sah  man  in  Cy- 
pern  der  Göttin  Bild  als  das  eines  bärtigen  Mannes  mit  dem 
Scepter  in  der  Hand,  aber  in  weiblicher  Kleidung;  und  gleichfalls 
die  Pamphylier  verehrten  eine  bärtige  Aphrodite.  Aristophanes  redet 
daher  von  einem  Aphroditos.  Um  diese  Geschlecbtsvermischung 
anschaulich  zu  machen,  opferten  ihr  die  Männer  in  Frauentracht  und 
die  Weiber  in  Mannskleidern  ').  Von  dieser  Bildung  des  Herm¬ 
aphrodit,  der  eigentlich  Hermes  und  Aphrodite  in  Vereinigung 
vorstellte,  fabelte  ein  späteres  Zeitalter,  er  sey  ihr  gemeinschaftlicher 
Sohn  2).  Wenn  bei  Homer  (Od.  XX,  73)  Aphrodite  es  ist,  die  sich 
die  Verehelichung  der  Töchter  des  Pandareus  angelegen  seyn  lässt, 
so  galt  später  Hermaphrodit  für  einen  Vorsteher  des  ehelichen  Ver¬ 
hältnisses,  und  in  seiner  Kapelle  hingen  die  Wittwen  zu  Athen  den 
Todtenkranz  ihrer  Männer  auf 3).  Wie  die  Kunstwerke  zeigen,  so 
sagte  es  den  Künstlern  mehr  zu,  den  obern  Theil  des  Hermaphrodit 
weiblich  zu  bilden,  um  beide  Geschlechter  in  sanften  Uebergängen 
in  einander  fliessen  zu  lassen  ^). 


')  Hermes  iv  rfj  tloo [.tozoiia  bei  Jo.  Lyd.  de  mens.  p.  212  ed. 
Roether,  und  Pbilochorus  in  Atlhide  bei  Macrob.  Sat.  111,  8.  Vgl. 
5  Mos.  22,  5. 

2)  Ovid  Metaraorph.  XVIII.  Lactant.  Divin.  Instit.  I,  17.  Jo.  Lyd. 
de  mens.  p.  214. 

3)  Alciphron.  III,  37  p.  119  Wagner. 

Ein  schöner  Hermaphrodit  im  Museum  Grimani  in  Venedig 
stützt  die  Linke  auf  den  Silen,  welcher  mit  thierischer  Wollust  lachend 
an  ihm  aufschaut,  die  Rechte  ruht  sorgenfrei  über  dem  Haupte,  Die 
weibliche  Bildung,  die  in  dem  jugendlichen  Gesichte  rein  ist,  verliert 


99 


Das  Vermögen  der  Fortpflanzung,  in  Hermes  und  Aphrodite 
versinnlicht,  äusserl  sich  in  dem  Geschlechtstriebe.  Dieser,  als  Eros 
und  Himeros  (sehnsüchtige  Liebe)  vergöttert,  ist  daher  ihr  gemein¬ 
schaftlicher  Sohn  *).  Wenn  nach  Cicero  der  älteste  geflügelte  Cupido 
den  Hermes  und  die  erste  Artemis  zu  Ellern  hatte ,  so  ist  diess  im 
Gahzen  dasselbe,  nur  mit  örtlicher  Verschiedenheit.  Denn  zu  Ephe¬ 
sus  verband  man  mit  Artemis  ähnliche  ßegrifle,  wie  mit  Aphrodite 
in  Cyperu,  oder  mit  Persephone  in  Samotbracien.  Die  Genealogie 
jener  Diana  zeugt  daher  auch  von  ihrer  Verwandtschaft,  indem  sie 
mit  Persephone  verknüpft  erscheint,  als  ihre  und  des  Zeus  Tochter  2). 
In  Thracien  hiess  Artemis  Bevötg^),  und  Baur  (Syrab.  H  S.  131) 
macht  wahrscheinlich,  dass  der  lateinische  Name  Venus  aus  jenem 
Ihracischen  Namen  entstanden  ist:  folglich  war  es  eine  Artemis,  die 
auch  als  Aphrodite  genommen  werden  konnte.  Den  eigentlichen  ersten 
Eros  hat  Cicero  vergessen,  d.  i.  den  kosmogonischen,  den  Schö- 
pfungstrieb,  der  mehr  Bildungstrieb  war,  und  von  dem  Sohn  der 
Aphrodite  als  dem  erhallenden  Geschlechtstriebe  wirklich  dem  We¬ 
sen  nach  verschieden  ist.  Hesiod,  welcher  sich  bestrebte,  die  drei 
Religionsperioden  im  Einklang  darzuslellen,  hat  jenen  ersten  Eros 
an  der  rechten  Stelle  der  Theogonie  eingeführt,  und  konnte  ihn  da¬ 
rum  nicht  nochmals  von  Aphrodite  abslammen  lassen ;  jedoch  »be¬ 
gleitete  sie  der  Eros,  und  die  schöne  Sehnsucht  folgte  ihr,  sobald 
sie  geboren  war  und  zu  dem  Geschlechle  der  Götter  wandelte.  Be¬ 
gattung  und  Lust  (^rsQxpig)  empfing  sie  zu  ihrem  Loose“  '*). 

Aphrodite  verhält  sich  zu  Eros  wie  die  Kraft  zum  Triebe:  der  Trieb 
hat  seinen  Grund  in  der  Kraft.  Aphrodite  ist  daher  reich,  ihr  ho¬ 
merisches  ^)  und  hesiodisches  Beiwort  ist  die  goldene  ,  TtoXvxQvoog, 
XQvasf].  Eros  dagegen  ist  nach  Platon  2),  welcher  die  Entstehung 
des  Triebes  mythisch  philosophisch  zu  erklären  suchte,  ein  Sohn  des 
Mangels  {7tevLd)\  da  ein  jeder  Trieb  von  Bedürftigkeit  zeugt  und 


sich  allmälig  und  zum  Tbeil  schon  auf  der  Brust,  völlig  aber  von  der 
Hüfte  an  abwärts  ins  Männliche. 

1)  Cic.  N.  D.  III,  23.  Plat.  Phaedr.  p.  242  D.  Eurip.  Ilippol.  449 

2)  Cic.  a.  a.  O.  S.  616  Creuzer.  3^  Ilesych.  s.  v. 

Theog.  201  fT.  II.  III,  64.  Od.  IV,  14. 

6)  Theog.  979.  0  piat.  Symp.  23 ,  5  p  385  Bekker. 


100 


ausgehl.  »Penia  (Arraulh)  kommt  am  Geburlsfeste  der  Aphrodite 
vor  die  Thüre  des  Göltersaales ,  wo  die  Unsterblichen  mit  festlichem 
Gelage  den  Freudentag  feierten;  Poros  (die  Fülle)  war  vom  Nektar 
berauscht,  und  ging  in  Zeus  Garten.  Als  er  da  lag,  gesellte  sich 
die  dürftige  Penia  zu  ihm,  und  erzeugte  in  seiner  Gemeinschaft  den 
Eros.«  Denn  aus  Bedürftigkeit,  die  in  der  Fülle  Befriedigung  hofft, 
entsteht  Liebe,  und  woraus  sie  entsteht,  dadurch  dauert  sie  auch 
fort,  so  dass  sie  ein  Schweben  zwischen  Sehnen  und  Befriedigung, 
zwischen  Suchen  und  Finden  ist ,  wie  Platon  selbst  diesen  Zustand 
beschreibt,  dass  Eros  bald  die  bedürftige  Natur  der  Mutter  bald  die 
reiche  des  Vaters  an  sich  trage,  bald  arm  bald  reich  und  weder  das 
eine  noch  das  andere  ganz  sey.  Wenn  Platon  dem  Poros  die  Me¬ 
tis  zur  Mutter  gibt,  so  zeigt  er  damit  an,  von  was  für  einer  Fülle, 
Armulh  und  Liebe  'er  zunächst  rede,  nemlich  von  der  Liebe  zur 
Weisheit,  welche  aus  dem  Gefühl  der  geistlichen  Armuth  entsteht, 
und  ihr  Sehnen  in  der  Fülle  der  Wahrheit  stillet.  Auch  das  Philo- 
sophiren  ist  ihm  ein  beständiges  Schweben  zwischen  sehnsüchtigem 
Forschen  und  befriedigtem  Erkennen.  Dieser  Eros,  sagt  er,  »liegt 
zwischen  Weisheit  und  Erkennen  in  der  Milte“,  er  ist  ihm  die  Phi¬ 
losophie  selbst,  »kein  Gott  und  kein  vollkommener  Weiser  philoso- 
phirt,  so  wenig  als  ein  Unweiser,  sondern  wer  in  der  Mille  zwischen 
beidem  steht.«  Ungetheill  aber  versieht  Platon  den  Eros  als  das 
sinnliche  Liebesverlangen  und  als  den  Durst  nach  Wahrheit.  Wie 
Menschenkinder  die  Frucht  von  jenem  sind ,  so  hat  dieser  herrliche 
und  reiche  Gedanken  zur  Folge  (c.  28). 

Die  Attribute,  welche  die  Einbildungskraft  der  Dichter  und 
Künstler  dem  Eros  lieh,  sind  die  seiner  Macht,  Bogen  und  Köcher, 
und  der  schnellen  Erregsarakeit ,  Fillige,  womit  die  Fabel  zusam- 
raenhängt,  ihn  für  einen  Sohn  der  Winde  auszugeben  ') ,  anstatt  zu 
sagen:  schnell  wie  der  Wind  weht  dich  die  Geschlechtsliebe  an. 
Wiewohl  der  Trieb,  worin  sich  das  Fortpflanzungsvermögen  bethä- 
tigel,  in  Eros  besonders  personificirl  erscheint,  so  ist  er  darum  doch 
nicht  von  dem  Begriffe  der  Aphrodite  abgesondert  gedacht,  sondern 
er  ist  ihr  beständiger  Begleiter  und  Diener,  gleichsam  ein  Theil 
ihres  Wesens.  Er  schickt  der  Aphrodite  Pfeil,  er  führt  die  Schlüssel 


*)  Aiilagoras  bei  Diog.  L.  IV,  26. 


101 


zu  ihren  lieben  Gemächern ,  nach  Euripides  (Hippol.  532.  539).  In 
ällern  Dichlern  finden  wir  die  Müller  noch  mehr  das  Amt  des  Eros 
selbst  führen,  sie  ist  Zeugungskraft,  Trieb  und  Lust,  und  erreget 
Liebesverlangen  in  den  Göttern,  herrschet  über  die  sterblichen  Men¬ 
schen,  über  die  Vögel  des  Himmels  und  alle  Thiere  des  Feldes  und 
Meeres;  nur  Athene,  .Artemis  und  Hestia  bleiben  von  ihrem  gebie¬ 
terischen  Einflüsse  frei  *).  »Kypris  vermag  nächst  Zeus  und  Here 
am  meisten«,  sagt  Aeschylus  (Suppl.  1036  IT.);  die  Mutier,  heisst  es 
da  ,  umgeben  die  Ueberredung  (Ilhi&cS)  und  die  Eintracht  (^jQ/uovia). 
Eben  so  Sophokles  (in  Trachin.):  »Eine  grosse  Macht  hat  Kypris, 
sie  trägt  allezeit  Siege  davon.« 

Der  altvaterische  Gatte  der  Aphrodite,  der  Hermes  der  Pelas- 
ger,  musste  später  an  den  ägyptischen  Phtha  (Hephästos),  wel¬ 
cher  sein  ägyptisches  Verhällniss  mit  der  jungfräulichen  Athene  auf¬ 
gab,  seine  ehelichen  Rechte  abirelen.  Sein  Name  und  seine  Vereh¬ 
rung  blieben  zwar,  aber  um  sich  mit  diesen  spätem  Gottheiten  in 
nachbarliches  Einvernehmen  zu  setzen ,  wurde  er  ein  täuschender 
Gott  ganz  anderer  Art,  ethisch  gewendet.  Der  täuschende  Trug  sei¬ 
ner  Zeugungen  und  die  täuschende  Gewandtheit  des  Gölter- 
bolen  ist  das  Band,  womit  der  alle  und  der  neue  Hermes  verknüpft 
sind.  Sein  ständiger  Hauplbegriff  alter  und  neuerer  Zeit  wurde  also 
richtig  in  der  Namengebung  ausgedrückt.  Er  wurde  durch  seine 
Kindschaft  von  Zeus  dem  neuen  System  einverleibl.  Doch  beur¬ 
kunden  einzelne  Winke,  die  noch  in  sein  ehemaliges  Zeugungsamt 
hinüberspielen,  seine  vorige  Bedeutung,  und  zeigen  an,  dass  ein 
neues  Pfropfreis  anf  einen  allen  Stamm  geimpft  worden  sey.  Die 
Mutter,  die  ihn  dem  Zeus  gebar,  war  die  Bergnymphe  Maia^)  (von 
/iidü>,  sehnen,  wie  yaia  von  ydcj),  d.  i.  die  Hebamme,  die  alle  Kin¬ 
der  ans  Licht  bringt.  Sie  war  eine  Tochter  des  Atlas  und  eine  En¬ 
kelin  Japhels;  iii  einer  Grotte  begattete  sich  Zeus  mit  ihr  und  da¬ 
selbst  wurde  er  ans  Licht  geboren  3).  Als  Kind  sogleich  spielte  er 
die  Leyer,  fertigte  eine  solche  aus  der  Schildkröte,  sang  dazu  und 
zwar  von  der  Erde  und  den  Göttern,  wie  sie  entstanden  und  ein 


')  Hom.  h.  in  Vener.  Anfang. 

2)  Theog.  938.  Hom,  h.  II,  in  Mercur.  3. 

3)  Hom.  1.  c.  6.  23.  244. 


102 


jeder  sein  Amt  empfing’).  Da  Hermes  so  in  das  Amt  Apollons, 
des  Gottes  der  Weltharmonie,  eingriff,  so  hat  darin  ohne  Zweifel 
die  Fabel  ihren  Grund,  dass  jener  schon  als  kleiner  Knabe  fünfzig 
Kühe  Apollons  bei  Nacht  von  Pieria  forttrieb  und  zwei  davon  schlach¬ 
tete  2).  Selbst  der  laute  Wind,  den  das  Hermeskind,  von  Apollon 
darüber  zur  Rede  gestellt,  fahren  liess-3),  zeugt  von  seinem  leicht¬ 
fertigen  Charakter.  Im  Lobgesang  auf  den  Hermes  stellt  der  Home- 
ride  einen  förmlichen  Vertrag  und  Ausgleichung  zwischen  Apollon 
und  Hermes  dar:  dieser  übergab  jenem  die  Leyer,  und  behielt  für 
sich  die  Aufsicht  über  die  Herden  und  ihre  Vermehrung.  Apollon 
gab  ihm  dazu  die  Geisel,  und  stall  der  Leyer  nahm  nun  Hermes  die 
Hirtenpfeife.  Apollon  selbst  verwunderte  sich  über  das  Spiel  und 
den  Gesang  des  Hermes^).  Letzterer  war  auch  Wahrsager,  gleich¬ 
wie  Apollon,  wovon  unten. 

Als  Ueberbleibsel  seiner  kosmischen  Hoheit  verblieben  ihm  der 
S  c  h  1  a  ngens  ta  b  und  der  Widder;  aber  jener  wurde  nun  zum 
Heroldslabe,  und  dieser  war  noch  ein  leiser  Nachklang  von  seiner 
Schöpfungskraft,  womit  sich  die  Natur  erneuert,  wann  die  Sonne 
im  Zeichen  des  Widders  steht.  Daher  wurde  er  als  Widderträger 
(xr)tocpd^oi;)  verehrt.  Wiewohl  Homer  und  Hesiod  sich  zu  dem 
Hermes  neuen  Styls  bekennen,  so  blickt  doch  noch  in  einer  Stelle 
der  Odyssee  (VHI,  339  ff.)  der  alte  hindurch,  wo  derselbe  grosse 
Lust  bezeugt,  bei  Aphrodite  zu  schlafen,  wenn  ihn  auch  dreimal  so 
viel  Kelten  im  Angesichte  aller  Götter  und  Göttinnen  umschliessen 
sollten,  als  den  Ares. 

S-  22. 

Die  Naturgölter  aber  sind  zwischen  dem  Reiche  des  Lebens  und 
des  Todes  gelheilt.  Wenn  der  Phönicier  diesen  zweiten  Zustand 
durch  die  Fabel  vom  Tode  des  Jägers  Adonis  durch  den  Zahn  des 
Ebers  und  von  der  Trauer  der  Aschloret  bezeichnete,  so  gab  der 
alle  Grieche  seiner  Aphrodite  ausser  Hermes  (oder  Hephästos)  einen 


’)  Hom.  a.  a.  0.  17.  47.  54.  427. 

2)  llom.  a.  a.  O.  70.  3^  Hom,  ib.  V.  297, 

•)  Hom.  V.  434.  455.  491  IT.  512. 


103 


wiulerlichen  Todesgatlen ,  unler  dessen  Herrsciiaft  die  Fruchlbarkeil 
stocket  und  die  Felder  verheeret  werden.  Das  war  der  thracische 
Kriegsgotl  Ares,  der  verheerende  (^aidriloq  Üd.  *?',  309),  welchem 
Aphrodite  Furcht  und  Schrecken  (jI>6ßoq  v,al  JaTiJ.oq')  gebar'). 
Wie  der  Krieg  im  Allgemeinen  Verderben  bringt,  so  ist  er  auch  der 
Pestgott  2);  und  wie  seine  Kinder,  Furcht  und  Schrecken,  im  Krieg 
die  Schaaren  der  Wehrmänner  und  die  Fluren  des  Landmanns  durch¬ 
rasen,  so  verwüsten  sie  auch  das  Reich  der  Naturgöttin  Aphrodite, 
wann  die  Sonne  den  niedrigem  Stand  gegen  die  Erde  einnimmt. 
Das  Hinabsinken  der  Sonne  veranschaulichte  man  in  Samothrace 
durch  den  Himraelssturz  des  Phaethon,  dessen  Bildniss  daselbst 
aus  diesem  Grunde  neben  denen  der  Aphrodite  und  des  Pothos  von 
Skopas  gefertigt  war  ^).  Den  Ares  setzten  die  Alten  ausdrücklich 
dem  Adoniseber  gleich,  indem  sie  sagten,  Ares  habe  sich  in  ein 
wildes  Schwein  verwandelt  und  den  .Adonis  umgebracht'*);  woraus 
eben  die  Bedeutung  der  traurigen,  Furcht  und  Schrecken  gebärenden 
Ehe  des  Ares  mit  Aphrodite  zur  Genüge  erhellet.  Die  Fabel  be¬ 
merkte  auch  treffend  ,  Aphrodite  habe  einen  Widerwillen  vor  Ares  ^). 
Wenn  sich  in  der  Iliade  (XXI,  416)  Aphrodite  des  im  Krieg  ver¬ 
wundeten  Ares  theilnehmend  annimmt ,  und  dieser  bei  Aeschylus 
(Suppl.  668)  ihr  Gatte  ist,  so  stellt  die  Odyssee  (VIII,  268)  blos  in 
Hephästos  den  eigentlichen  und  rechtmässigen  Gatten  der  Aphrodite 
und  ihr  Verhältniss  zu  Ares  als  eine  Untreue  und  Buhlerei  vor,  wo¬ 
durch  sie  sich  Spott  und  Schande  vor  allen  Göttern  zuzog.  Nach 
unsrer  Ausdeutung  ist  diese  Schande  die  Blosse  der  Natur  zur  Zeit, 
da  der  rauhe  Winter  dem  Kriegsschwerdt  gleich  Alles  verheeret. . 
Wenn  der  Dichter  ihr  hierin  freien  Willen  lieh,  so  wusste  der  Wei¬ 
sere,  dass  sie  nicht  mit  Willen  dem  Dienst  des  vergänglichen  We¬ 
sens  unterworfen  war.  Die  Sonne  entdecket  dem  Hephästos  der 
Natur  jammervolles  Schicksal,  dass  die  schöne  Göttin  in  des  wüsten 


0  Theog.  932.  f.  2)  Sophocl.  Oed.  Tyr.  185. 

3)  Plin.  H.  N.  XXXVI,  4  p.  727, 

'*)  Jo.  Lydus  de  mens.  IV,  44  p.  212  Roelher. 

3)  Jo.  Lyd.  IV,  27  p.  181  u.  210.  Unrichtig  sieht  meines  Erach¬ 
tens  Baur  Symbol.  II  S.  124  in  Ares  das  Princip  der  männlichen  Be¬ 
fruchtung. 


104 


Ares  Armen  liege*);  gleichwie  eben  dieselbe  Sonne  der  trauernden 
Demeter  den  Raub  ihrer  Tochter  durch  Hades  verkündete.  Hephä- 
stos  macht  den  Nebenbuhler  sammt  seiner  Gattin  zum  Gespötte,  zeigt 
sie  von  Eisendraht  umschlungen  der  Gölterversammlung ,  und  trennte 
durch  seine  schöpferisch  siegende  Macht  die  unwürdigen  Rande.  Die 
steifen  Füsse  des  Hephästos  :i6daq)  scheinen  das  Stocken 

des  Lebensfeuers  der  Natur  in  jener  unglücklichen  Zeit  anzudeuten. 
Here  schämte  sich  dieses  ihres  Sohnes,  und  warf  ihn,  um  ihn  zu 
verbergen,  ins  Meer,  wo  er  bei  der  Nereide  Thetis  und  der  Okea- 
nine  Euryuome  weilte  2);  d.  h.  die  Wassergötter  herrschen  in  jener 
Zeit  und  hatten  das  Lebensfeuer  inne ,  bis  es  wieder  hervorbricht. 
Zugleich  scheinen  hier  ägyptische  Lehren  eingeflossen  zu  seyn,  wo 
in  der  bösen  Jahreszeit  das  Meer  den  Nil  in  Beschlag  nahm,  und 
somit  wohl  auch  die  Lebenskraft,  den  Phtha ,  für  dessen  Vater  man 
in  Aegypten  den  Nil  hielt  3).  Nach  einer  andern  Fabel  warf  ihn 
Zeus  selbst,  weil  er  der  Here  beistehen  wollte,  vom  Himmel  auf 
seine  heilige  Insel  Lemnos  herab  daher  sein  homerisches  und 
hesiodisches  Beiwort  der  Hinkende  5)  oder  der  Krumm¬ 

beinige  (xvllonodibiv)  6).  Obgleich  in  dieser  Ideenreihe  Hephästos  an 
die  Stelle  des  pelasgischen  Hermes  getreten  ist,  so  finden  wir  gleich¬ 
wohl  bei  dem  Homeriden  (h.  I  in  Apoll.  200)  Andeutungen  aus  älte¬ 
rer  Zeit  von  dem  Gegensatz  zwischen  Hermes  und  Ares,  der  sich 
in  höhere  Einheit  auflöst.  Da  scherzen  Ares  und  Hermes  im  Olymp, 
während  Aphrodite,  Hebe,  Harmonia,  die  Horen  und  Chariten  tan¬ 
zen,  die  Musen  singen  und  Apollon  die  Cilher  spielt.  Diese  Tänze¬ 
rin  Harmonia  galt  für  die  Tochter  des  Ares  und  der  Aphrodite  2); 
als  Gattin  des  Kadmus  benannte  sie  die  Thore  von  Theben  nach 
ihrer  Mutter  8),  und  sie  soll  daselbst  alle  Schnitzbilder 


')  Od.  VIII,  271. 

2)  Ilias  XVIII,  395.  H.  in  Apoll.  316. 

Cic.  N.  D.  III,  22  und  das.  Davies. 

*)  II.  I,  591.  Plat.  Polit.  II.  p.  378  D. 

5)  II.  I,  607.  Theog.  944.  6)  II.  XVIIl,  371.  XXI,  331. 

^)  Theog.  936. 

Hellanikus  und  Idomeneus  beide  iin  ersten  Buche  ihrer  Tpwi'xa 
bei  Schob  Apollon.  I,  v.  916.  Vgl.  Schob  e  cod.  Paris,  p.  72. 


105 


der  Aplirodile  geweiht  haben  ').  Daher  ist  Kypris  bei  Aeschylus 
(7  vor  Theben  V,  128)  die  Ahnmutier,  von  deren  Blut  die  Thebaner 
abslamraen.  Wenn  sich  so  Harmonia  um  die  Verehrung  jenes  Göt¬ 
terpaares  in  Boölien  verdient  gemacht  zu  haben  scheint,  so  war 
wohl  ihre  Heimath  Samothrace  2)  die  Vermittlerin  des  nordischen 
Gottes  mit  der  südlichen  Aphrodite.  Nach  Thracien  lässt  ihn  Homer 
(Od.  VHI,  361)  heimgehen,  nachdem  ihn  Hephästos  wieder  losgelas¬ 
sen  hatte,  sowie  Aphrodite  nach  Cypern.  Die  Scylhen  verehrten 
ihn  von  Alters  her  unter  dem  Sinnbild  eines  Schwerdles  3),  Nach 
Herodol  (V,  7)  wurde  zwar  bei  den  Thraciern  keine  Aphrodite  ver¬ 
ehrt,  sondern  nur  drei  Göller:  Ares,  Dionysos  und  Artemis,  und 
von  den  Königen  noch  besonders  Hermes,  von  dem  sie  abslammen 
sollen.  Allein  Artemis  ist  hier  nicht  die  homerische  Jägerin,  son¬ 
dern  als  Erdmuller  gedacht  und  zwar  in  ihrem  sommerlichen  und 
winterlichen  Verhällniss  bald  zu  Dionysos  und  bald  zu  Ares.  Die 
Ideen  sind  dieselben,  nur  die  Namen  wechseln.  Wie  Artemis  in 
allen  Inschriften^)  Mutter  genannt  wird,  so  wird  auch  ihr  Name  von 
dem  persischen  arlim  (gross,  Herod.  VI,  98)  und  dem  hebräischen 
CN  (Mutter)  abgeleitet  ^).  Diese  Bedeutung  als  Mutter  aller  leben¬ 
den  Wesen  halle  sie  namentlich  zu  Ephesus.  Ihr  Standbild  ®)  trägt 
ein  Halsband  von  Früchten  und  Eicheln:  sie  ist  die  Mutter  des  näh¬ 
renden  Pflanzenreichs.  Gegen  der  Brust  zu  ist  ein  Krebs,  über 
welchem  zwei  Siegesgöttinnen  einen  Kranz  hallen:  d.  i.  wenn  auch 
die  Sonne  im  Krebs  rückwärts  gehl,  so  ist  doch  das  Leben  der  Na¬ 
tur  unvergänglich ,  und  trägt  den  Sieg  über  den  Tod  davon.  Daher 
sind  auf  beiden  Schultern  je  zwei  Löwen  als  das  unüberwindliche 
Thier.  Mehrere  Reihen  von  Brüsten  bedeuten. die  Allernährende,  sie 
heisst  und  ist  noXv/uaazog ,  polyniammia.  Am  Leibe  sind  vier  llei- 
hen  Thiere,  zwischen  je  zweien  steht  wieder  der  Krebs ,  als  der  das 
Jahr  theilet;  in  der  ersten  Reihe  sind  Hirschköpfe,  in  der  zweiten 


')  Pausan.  ßoeot.  c.  16. 

2)  Sie  war  die  Schwester  des  Dardanus  und  Eetion,  die  Tochter 
der  Atlantide  Eleclra  von  Samothrace. 

2)  Herod.  IV,  62,  ^)  Spanhem.  ad  Caliim.  in  Dian.  6, 

5)  Heyd  etymolog.  Versuche  S.  51.  Baur  Symb.  II  S.  62  f. 

Im  siebenten  Bande  des  Thesaurus  Gronovü- 


106 


Slierköpfe:  sie  ist  die  Mutier  der  wilden  und  zahmen  Thiere.  Zu 
beiden  Seilen  sind  Sphinxe,  Greife  und  Drachen,  und  einwärts  je 
drei  Bienen,  die  auch  der  Demeter  heilig  sind.  Eine  Münze  ‘)  stellt 
auf  der  einen  Seite  eine  Biene  und  auf  der  andern  zwei  Ameisen 
vor,  als  Sinnbild  der  zweckmässigen  und  nützlichen  Thätigkeit  der 
Natur  und  des  daraus  entstehenden  Ueberflusses.  Die  ephesischeu 
Münzen  mit  der  Biene  weisen  auf  Artemis  hin,  eine  hat  auf  einer 
Seile  dieses  Insecl,  auf  der  andern  die  Leier:  d.  i.  Artemis  und 
Apollon  2).  Auf  dem  Haupte  hat  die  Göttin  von  Ephesus  als  Stadl¬ 
beschützerin  die  Mauerkrone,  au  den  Haaren  einen  Blumenkranz. 
Ein  Schleier  um  das  Haupt,  woran  vier  Hirschköpfe  (vielleicht  mit 
Beziehung  auf  die  vier  Wandlungen  des  Mondes)  abgebildel  sind, 
bezeichnet  sie  als  Nacht-  und  Waldgoltheil.  Denn  Nacht,  Wald, 
Gewild  und  Mond  sind  von  ihrem  Begriffe  ungelrennl. 

Das  Naturgesetz  der  besamenden  Beproducliviläl  schrieben  dem¬ 
nach  die  allen  Griechen  der  Gottheit  zu,  und  erkannten  so  die  Ab¬ 
hängigkeit  des  fortdauernden  Lebens  in  der  Welt  von  einer  Vorse¬ 
hung,  von  einer  göttlichen  Obergewalt  in  Artemis  oder  Aphrodite 
und  Hermes  an.  Sie  vergassen  auch  nicht,  dieses  Erkennlniss  auf 
die  göttliche  Einheit  zurückzuführen,  indem  sie  in  Kronos  den 
herrschenden  König  anbelelen,  in  dessen  Dienste  Alles  geht,  und 
welcher  durch  die  Handhabung  seiner  Sichel  der  erste  Urheber  der 
goldenen  Aphrodite  geworden  ist.  ln  diesem  Sinne  war  es  gedacht, 
wenn  Epimenides  von  Kreta  den  Kronos  und  die  Euonyme  gera¬ 
dezu  jene  Göttin  erzeugen  lässt,  oder  wenn  der  Orphiker  den  Kro¬ 
nos  zum  Vater  des  Eros  macht  ^). 


U  Gronov.  Thesaur.  VII  col.  410. 

2)  Gronov.  a.  a.  0.  col.  407  lab.  1  n.  1.  Die  Bezeichnung  des 
Ueberflusses  in  den  hebr.  Urkunden:  Milch  und  Honig  fliesst,  wird  auf 
dyrrhacbischen  Münzen  (Numismata  apibus  insignita  T.  III  n.  5.  T.  IV. 
n.  2)  durch  eine  Kuh  mit  einem  saugenden  Kalbe  und  darunter  durch 
eine  oder  zwei  Bienen  ausgedrückt. 

3)  Ihr  Name  bedeutet  Glück ,  und  eben  so  der  Name  ihrer  Toch¬ 
ter  (Ascherah),  wie  wir  oben  angedeulel  haben. 

Bei  Euripides  Ilippol.  534  ist  Eros  des  Zeus  Sohn;  wobei 
Zeus  ohne  weiters  in  das  Amt  seines  Vaters  eintrelend  gedacht  wird. 


107 


S-  23. 

Auf  der  Insel  Samolhrace  (rat  dieselbe  Ideenreihe  in  ähn¬ 
lichen  Götlerwesen  hervor  nach  der  Hauplstelle  des  Scholiasten  zum 
Apollonius  (Argon.  V.  917).  „In  Samolhrace,  heissl  es  hier,  em¬ 
pfängt  man  die  Weihen  der  Kabiren.  Mnaseas  sagt,  es  seyen  deren 
drei  der  Zahl  nach:  Axieros,  Axiokersa,  Axiokersos.  Axie- 
ros  sey  die  Demeter,  Axiokersa  die  Persephone,  Axiokersos 
aber  der  Hades.  Einige  fügen  auch  einen  vierten  hinzu,  Kasmi- 
los  genannt,  welcher,  wie  Dionysodoros  erzählt,  Hermes  ist.“ 
Wir  werden  hier  wieder  in  die  morgenländische  Prieslersprache  ein¬ 
geführt;  nach  einer  bestimmten' Nachricht  *)  hallen  die  Samolhracer 
eine  besondere  Sprache,  von  der  in  ihrem  Gottesdienst  Vieles  bei- 
behallen  wurde.  Die  erste  Hälfte  der  drei  ersten  Göllernamen,  aus 
dem  Persischen  achson  (Würde,  Vorzug)  abgeleitet,  in  dem  Königs¬ 
namen  Achasveros,  in  dem  persischen  Worte  Grossstalthaller  Esther 
3,  12  und  in  der  Bezeichnung  edler  Maullhiere  Esther  8,  10  vorge- 
selzt,  wie  es  scheint  gleichen  Ursprungs  mit  dem  griechischen  Worte 
ä§iog ,  ist  eine  Ehrenbezeichnung  und  entspricht  dem  griechischen 
nÖTviog.  Axieros  (die  zweite  Hälfte  des  Wortes  von  yi.x,  %qa,  Erde 
abgeleitet)  ist  nöxvia  Fr},  mit  Verwandlung  des  harten  Zischlautes 
in  das  sanftere  s  ,  ohne  dass  man  wegen  der  Endung  berechtigt  ist, 
an  der  Weiblichkeit  dieses  Wesens  zu  zweifeln.  Auf  griechisch 
lautet  ihr  Name  richtig  Demeter,  Mutter  Erde,  »gleichsam  Ftj- 
sagt  Cicero  (N.  D.  H,  26),  ohne  den  Beisatz  von  Mutter 
Jr^cü  genannt ,  von  dä,  so  viel  als  yä  oder  ^).  Sie  ist  mit  Rhea 
einerlei;  denn  auch  Rhea  wurde  so  gut  als  Demeter  für  die  Mutter 
der  Persephone  ausgegeben  3),  Zeus,  aber  nach  der  Behauptung 
der  allen  Theologen  der  erste  Zeus,  ein  Sohn  des  Aelhers  (d.  i. 


>)  Diodor.  L.  V  T.  I  p.  369  Wesseling. 

2)  Aeschylus  Promelh.  570. 

Athenagoras  Legal,  pr.  Christ,  p.  18  f.  Sie  soll  mit  vier  Au‘ 
gen,  einem  Thiergesicht  und  Hörnern  auf  dem  Kopfe  gehören  worden 
seyn,  und  in  der  mystischen  Sprache  'Adrfkä  heissen,  d.  i.  die  Weberin 
von  (Leinwand). 

’*)  Bei  Cicero  N.  D.  III,  21. 


108 


der  Uimniel),  war  Vater  der  Persephone;  und  als  der  ägyptisch 
kretensische  Zeus  aufkam,  so  übernahm  dieser  ohne  weitere  Unter¬ 
scheidung  in  der  Volksreligion  die  Vaterschaft  der  Persephone '). 
Er  konnte  um  so  mehr  mit  Demeter  die  Persephone  erzeugen ,  weil 
seine  eigentliche  Gattin  Here  sowohl  dem  Namen  nach  eins  mit 
epa,  'Pea^),  Axieros  war,  als  auch  ausdrücklich  für  Erde  ausgedeu- 
tet  wurde  3).  Den  Namen  Here  hatte  sie  bei  den  alten  Pelasgern  ^), 
hauptsächlich  in  Argolis  und  auf  der  Insel  Samos,  auf  welcher  sie 
sogar  geboren  und  erzogen  worden  seyn  soll  ^).  Daselbst  verehe¬ 
lichte  sie  sich  mit  Zeus,  und  alljährlich  hielt  man  da  ihre  Hochzeit¬ 
feier,  wobei  der  Here  Bild  in  Gestalt  einer  Braut  vorgestellt  wurde®). 
Anderwärts,  vielleicht  in  Eleusis,  hatte  Demeter  den  mystischen 
Namen  Achtheia^),  der  nach  dem  samothracischen  umgebildet  zu 
seyn  scheint;  denn  wenn  das  S  lispelnd  ausgesprochen  wurde,  so 
lautete  das  x  wie  und  die  Endung  wurde  dem  griechischen  Ohr 
zu  lieb  ’9$ta,  Göttliche. 

Axiokersa,  wie  Persephone  in  Samothracien  genannt  wurde, 
hat  die  Bedeutung  des  gebauten  Ackerlandes,  wenn  wir  die  zweite 
Hälfte  des  Wortes  von  «nn  d.  h.  pflügen  ableiten,  eine  Bedeutung, 
die  das  Wort  im  Arabischen  allezeit  hat;  mit  welcher  Wurzel  die 
Benennung  unsers  Ackerwerkzeugs  Karst  zusammenhängt.  Der 
andere  Name  Persephone  hat  im  Hebräischen  ■’is;)  eine 

ähnliche  Bedeutung,  nemlich  die  zugedeckte  Frucht,  d.  i.  das  ein- 
gesäete  Getreide,  und  die  Alten  ®)  haben  sie  selbst  für  die  Getreide- 


1)  Hes.  Theog.  91 1  f. 

2)  Clavier  sur  les  premiers  temps  de  la  Gröce  T.  I  p.  32. 
Empedocles  (fragm.  ed.  Sturz,  p.  210  f.)  bei  Diog.  VIII,  76  und 

bei  Stob.  Ecl.  phys.  T.  I  p.  288.  Prob,  ad  Virgil.  Ecl.  VI,  31. 

Herod.  II,  50.  S)  Virgil.  Aen.  I.  Paus.  VII,  4,  4. 

®)  Varro  bei  Lactant.  L.  I  u.  August,  de  Civ.  D.  YI,  7. 

Ilesycb.  v.  'Ax^no:  rj  ij,voTiy.(aq.  Bei  Schol.  Aristopb. 

Acbarn.  lautet  dieser  Name  der  Demeter  Axaid. 

Cic.  N.  D.  II,  26  sagt  von  ihr:  frugum  semen  esse  volunt.  So 
auch  Varro  bei  Augustin,  de  Civ.  D.  VII,  20  und  Eudocia  p.  110.  Die 
Lateiner  leiteten  daher  ihren  Namen  ab:  quod  sata  in  lucem  proser- 
pant,  cognomiiiatam  esse  Proserpinam:  Arnob.  adv.  Gent.  III,  33. 


109 


saal  ausgelegt.  Ihren  samothracischen  Nanoen  fassten  die  Römer  auf 
und  erhielten  ihn  in  dem  Namen  ihrer  Ceres  *)•  Zwar  ist  diese 
der  Persephone  Mutter;  aber  wenn  das  fruchtbare  Ackerland  zur 
Idee  der  fruchtbaren  Natur  überhaupt  gesteigert  wird,  so  gehen  die 
Begriffe  und  Namen  der  Persephone  und  Ceres  leicht  in  einander 
über  2).  Umgekehrt  wird  der  Name  der  Demeter  ^dsiQa^),  welchen 
Scaliger  mit  dem  italischen  Terra  vergleicht,  auch  ihrer  Tochter 
Persephone  beigelegt  ^) ,  da  die  Erde  und  ihre  Erzeugnisse  verwandte 
BegritTe  sind.  Es  ist  merkwürdig,  dass  Schol.  Theocrit.  Id.  Hl  auch 
den  Adonis  als  das  gesäete  Getreide  (aizov  OTteigöfisvov)  erklärt. 
Diess  ist  nicht  für  eine  Wort-  sondern  für  eine  Begriflserklärung  zu 
nehmen,  wie  durch  die  Adonisgärten  jener  Begriff  versinnlicht  wurde. 
Aber  auch  ein  Wort  von  derselben  Bedeutung  kommt  hinzu  nach 
Hesychius  v.  "Aßcoßdq'  6  '"Adtovtq  v:ib  IleQoaicov,  und  Triglandius 
(coniectanea  de  Dodone  Gronov.  Thes.  VII  c.  322)  vergleicht  das 
Hebräische  (Aehre).  So  erscheint  Persephone  in  Thracien  und 
Griechenland  als  die  weibliche  Hälfte  des  Adonis,  welcher  mitunter 
beide  Geschlechter  in  sich  vereinigte.  Somit  ist  Persephone  ursprüng¬ 
lich  eins  mit  Aphrodite,  welche  man  für  die  Gattin  des  Adonis  hielt. 

Axiokersos  ist  offenbar  das  männliche  Princip  der  Axiokersa 
gegenüber.  Wie  aber  Aphrodite  zwischen  dem  Herrn  des  Lebens 
und  des  Todes  (Hermes  und  Ares)  getheilt  ist,  also  auch  Persephone, 
deren  beide  Gatten  Hermes  und  Hades  waren.  Durch  der  Per¬ 
sephone  Anblick  soll  des  Hermes  Glied  in  Erection  gekommen  seyn^): 
der  Gott  des  Todtenreiches  raubte  sie  aber  mit  Gewalt,  und  machte 
die  widerstrebende  zu  seiner  Gattin  ®).  Nach  dem  Berichte  Hero- 


Daher  schreibt  Ovid  Metam.  L.  V  der  Ceres  das  Pflügen  zur 
Prima  Ceres  unco  glebam  dimovit  aralro.  Schon  Voss  zu  Firm.  Lactant. 
Divin.  Inslit.  L.  I,  18  billigt  die  Meinung  derer,  welche  Ceres  von 
«■nrt  ableiten.  So  auch  Schelling  über  die  Golth.  v.  Samothr.  S.  63,  wo 
er  aber  den  fremdartigen  Begriff  der  Zauberei  mit  einmischt. 

2)  Vgl.  Spanheim  ad  Callimach.  h.  in  Cerer.  113. 

3)  Phanodemus  bei  Eustath.  II.  VI  p.  648. 

'*)  Creuzer  Symb.  IV.  S.  321. 

3)  Cic.  N.  D.  III,  22.  Tzetz.  ad  Lycophr.  698. 

•’)  lies.  Theog.  912  u.  der  hoiner.  Hymn.  auf  Demeter,  womit  in 


110 


dots  (11,  51)  haben  die  Samolhracier  von  den  Pelasgern  die  Orgien 
der  Kabiren  gelernt,  und  den  in  diese  Mysterien  Eingeweihten  wird 
eine  Legende  geoffenbart,  welche  die  Pelasger  von  dem  Hermes  mit 
dem  stehenden  Gliede  verbreiteten.  Ohne  Zweifel  stimmte  diese  Le¬ 
gende  mit  der  Nachricht  des  Cicero  von  dem  Anblick  der  Persephone 
überein.  Axiokersos  aber  scheint  mir  ursprünglich  der  Persephone 
Mann  in  beiden  Zuständen  zu  seyn  und  dem  Hermes  und  Hades  un- 
gptheill  zu  entsprechen;  gleichwie  in  der  phönicischen  Religion  Asch- 
toret  und  Adonis  im  Sommer  und  Winter  in  einer  unzertrennlichen 
Ehe  waren.  Denn  der  ßericlil  des  Mnaseas  von  der  Dreiheit  der 
Kabiren  wird  auch  durch  andere  Nachrichten  bestätigt.  In  der  Renn¬ 
bahn  zu  Rom  nemlich  hatten  die  drei  grossen  und  mächtigen  Göt¬ 
ter  drei  Altäre,  und  man  wusste,  dass  dies  die  samolhracischen 
Götter  seyen  ^).  Ebenso  sah  Pausauias  (HI,  24)  in  Lakonien  die 
Bildsäulen  der  drei  Kabiren.  Diese  Zahl  ist  unter  der  Voraussetzung 
gerechtfertigt,  so  ferne  Axiokersos  als  der  obere  ßegriflf  sowohl  Ha¬ 
des  nach  der  Deutung  des  Mnaseas  als  auch  Hermes  ist,  den  Dio- 
nysodorus  als  Kabir  hinzufügt.  Es  wäre  für  den  Hades  allzuviel 
Ehre,  wenn  er  allein  den  Begriff  des  Axiokersos  der  Axiokersa  ge¬ 
genüber  erfüllte.  Wenn  Dionysodorus  den  Hermes  als  vierten  auf- 
lührt,  so  zeichnet  er  ihn  auch  durch  den  Eigennamen  Kasmilos, 
den  wir  füglich  als  ein  Beiwort  des  Axiokersos,  als  eine  Seite  des¬ 
selben,  und  zwar  als  die  sommerliche,  die  erschaffende,  auffassen 
dürfen.  Kadmilos,  wie  sonst  2)  sein  Name  lautet,  von  ?N-n-;)T  (vor.. 
Gott),  ist  die  Bezeichnung  eines  Engels,  als  der  vor  Gott  steht,  wie 
Gabriel  von  sich  aussagt  3).  Denselben  Namen  führte  ein  Le¬ 


der  Hauptsache  Apollodor  I,  5  übereinstimmt.  Welcher  in  der  Zeitschr. 
für  Gesch.  u.  Ausleg.  der  alten  Kunst  1 ,  1  findet  in  dem  homerischen 
Beiwort  des  Hades  Y.\vT6nix)koq  (II.  V,  654.  XI,  445.  vgl.  Pausan.  IX,  23) 
eine  Anspielung  auf  den  Raub  der  Persephone. 

*)  Tertullian.  de  spectaculis  c.  8:  tres  autem  arae  trinis  Düs  pa¬ 
tent  magnis,  potentibus:  eosdem  Samothraces  existimant. 

2)  Etymol.  M.  v.  KdßeiQoi.  Schob  Lycophronis  sagt:  Kd.8ij.iloq, 
6  'EQfjrjq  ßoKOTixccq.  Denn  Methapus  brachte  die  Kabirenweihe  von 
Athen  nach  Theben ,  somit  auch  den  Namen  Kadmilos. 

^)  Luc.  1 ,  19, 


111 


vi(e  bei  Esra  2,  40  und  Nehemia  7,  43.  Zufolge  der  hierosolymila- 
nischen  Mundart  des  Cbaldäischen  sprach  man  cp  für  cnj?  aus^),  und 
so  nannten  die  Etrusker  den  Mercurius  Camillus  2).  Der  samothra- 
cische  Kadmilos  ist  demnach  der  Gatte  der  Persephone,  in  so  fern 
sie  der  Oberwelt  angehört,  als  der  vor  Gott  steht,  und  stimmt  mit 
der  alttestamenilichen  Idee  eines  Offenbarers  der  Gottheit,  des  En¬ 
gels  von  Jehova,  überein,  durch  welchen  der  ewige  Vater  sich  mit 
der  Sinnenwelt  in  Berührung  setzt.  Je  mehr  dieser  Diener  oder  En¬ 
gel  heidnisch  gesteigert  wurde,  desto  mehr  wurde  Kadmilos  selbst 
zum  grossen  Gott.  Da  aber  Himmel  und  Erde  für  die  Brunnquelle 
aller  Zeugungskraft  und  Fruchtbarkeit  galten,  so  waren  sowohl  Per¬ 
sephone  als  der  älteste  Hermes  Kinder  des  Himmels  und  der  Dia 
oder  Deo  d.  i.  der  Erde  3),  Die  samolhracischen  Weihen  lehren,  dass 
Himmel  und  Erde,  Mann  und  Weib,  Seele  und  Leib,  Feuchtes  und 
Kaltes  die  grossen  Götter  seyen  '*).  Also  die  schatTenden  zwei  Na- 
furprinzipien,  das  männliche  und  weibliche,  die  Himmels  -  und  Erd- 
krafl,  das  befruchtende  Feuchte  und  das  in  sich  ziehende  Kalle, 
sind  der  Grund  aller  Erschaffung  und  alles  Daseyns;  ohne  dass  da¬ 
rum  nur  eine  Zweiheit  von  Kabiren  gewesen  wäre.  Denn  hier  spricht 
nicht  die  Fabel|,  sondern  der  Fabeln  Ausleger.  Vergleicht  man  den 
Bericht  Herodots  von  dem  Phallusgott  Hermes  in  Samothrace  mit 
dem  des  Varro^),  Casmillus  sey  in  den  dasigen  Mysterien  ein  den 
grossen  Göttern  dienender  Gott  gewesen,  so  möchte  man  glauben, 
er  sey  in  verschiedenen  Zeilen  ein  anderer  gewesen.  Allein  Kad¬ 
milos  vereinigt  nach  jener  Wortableilung  ungezwungen  beide  Aem- 
ter  des  Offenbarers  in  sich,  als  der  dem  höchsten  Gott  (Himmels 
und  der  Erde)  dienende  Erzeuger,  der  den  Trug  der  Sinnenwelt 


ßnxtorf.  Lexic.  p.  1971. 

2)  Callimach.  bei.  Macrob.  Sal.  III,  8. 

3)  Cicero  N.  D.  III,  22  mit  Moser’s  und  Creuzer’s  Anm.  S.  fi03  f. 

Varro  de  iingua  lat.  IV  p.  17. 

Varro  de  Iingua  lat.  VI  p.  88  Bip.  Casmillus  nominatur  in  Samo- 
thraces  mysleriis  Dius  quidam  administer  Düs  magneis.  So  praeminister 
bei  Macrob.  Sat.  I,  8.  Le  Moyne  epist.  ad  Cuperum  p.  206  vergleicht 
das  arabische  Cadmala  (Diener  Gottes)  von  cadam  (dienen),  das  mit 
denselben  Wurzeln  zusammenhängt. 


112 


schafft,  und  als  der  trügerisch  gewandte  Bote,  der  vor  dem  Herrn 
steht,  alle  seine  Winke  zu  vollbringen.  Aus  dieser  Ideenverbindung 
wird  es  erklärlich,  wie  Hermes  in  den  blossen  Götterbolen  über¬ 
gehen  konnte ,  nachdem  er  alle  demiurgische  Bedeutung  verloren 
und  an  andere  Göllerwesen  abgetreten  hatte. 

Wie  Hermes  und  Aphrodite  als  Ein  Wesen  gedacht  wurde,  so 
enthält  die  gleiche  Benennung  Axiokersos  uud  Axiokersa  eine  An¬ 
spielung  darauf.  In  Italien  scheint  die  magna  Pales  ‘)  jene  Verbin¬ 
dung  des  Männlichen  und  Weiblichen  dargeslelll  zu  haben;  und  eben 
dahin  gehört  der  cerus  manus  in  einem  saliarischen  Gedichte  2). 
Als  die  segenschwangere  Frau  des  Hermes  halle  Persephone  den 
auszeichnenden  Beinamen  ^Oßgi/ucö  oder  Bqc/lkö^),  in  welcher  Bedeu¬ 
tung  man  sie  zuweilen  mit  Hekate  für  einerlei  hielt  ^).  Hekate 
war  ja  die  Fortuna  der  alten  Griechen,  und  in  Samothrace  war  ihr 
nach  der  Stiftung  der  Korybanten  die  zerynthische  Grotte  heilig  ^), 
wo  man  ihr  Hunde  opferte  ®).  Die  personificirenden  Dichter  liehen 
der  Persephone  Jugend  und  Schönheit,  weisse  Arme^),  dünne 
Knöchel  ®),  ein  Rosengesicht  ^).  Des  Hermes  goldener  dreiblätleriger 
Stab  wird  als  Stab  des  Segens  und  Reichthums  bezeichnet  ‘O). 


1)  Virgil.  Georg.  III,  1. 

2)  Bei  Lanzi  Saggio  di  ling.  etr.  p.  514.  518. 

3)  Tzelz.  in  Lycophron.  v.  698  p.  744  Müller:  Bqc/uu)  ■Aal  ’Oßgt- 

ua>  ÜSQoecpövii ,  oti  r<v  ßid^ovri  avri]v  iv  Avvtj-yioiw  ivsß^t- 

fjirjaaro.  Die  Worlableitung  halle  ich  für  später  und  unrichtig  ;  näher 
liegt  die  Etymologie  von  oßQc/nög  (mächtig),  wie  Hesychius  das  Wort 
ßQi/iid  durch  ia-y^vqd  erklärt.  Wegen  der  Verwechslung  der  Tochter 
mit  der  Mutter  verstand  man  bisM'eilen  unter  der  Brirao  die  von  Zeus 
befruchtete  Demeter  :  Giern.  Protrept.  und  aus  ihm  Euseb.  Praep.  Ev. 
II,  3  p.  63. 

'^)  Etym.  M.  v.  Bq/jum  p,  194  Lips.  u.  Tzelz.  ad  Lycophr.  v.  1176 
p.  945.  5)  Nonnus  Dionys.  XIII  v.  400. 

Gutberleth  Dissertatio  philologica  de  mysleriis  Deorum  Cabiro- 
rum  in  Opusctilis  Franecverae  1704  und  in  Poleni  Supplemenlis  ulr. 
Thesauri  Anliq.  T.  II  col.  825  c.  11. 

2)  Theog.  912.  Hom.  h.  in  Cer.  2. 

H.  in  Cer.  8.  334.  Hora.  h.  II  in  Mercur.  529. 


Wie  das  Ackerfeld  und  die  ganze  Nalur  zwisclien  Wachsthum 
und  Siechthum,  Kraft  und  Schwachheit  getheilt,  ja  die  grünende 
Saat  durch  das  vorausgegangene  Säen  und  Begraben  des  Samens  in 
dem  Schoosse  der  Erde  bedingt  ist;  so  muss  auch  Persephone  in  die 
Tiefe  hinabsinken;  io  welcher  Beziehung  man  sie  auch  für  die  Toch¬ 
ter  des  Zeus  und  der  Styx  ausgab  *).  Mit  ihr  sinkt  Hermes,  die 
männliche  Zeugungskraft,  hinab;  das  ist  non  nicht  mehr  der  zeu¬ 
gungslustige,  sondern  der  unterirdische,  Hermes  2^  oder 

EQiovvtjq^),  ein  hergebrachtes  Beiwort,  das  Homer  beibehalten  hat, 
und  das  ausdrücklich  für  unterirdisch  erklärt  wird  ^).  Als  solcher 
ist  er  aber  einerlei  mit  dem  spätem  Hades;  wodurch  unsere  Erklä¬ 
rung  von  Axiokersos  bestätigt  wird,  dass  dieser  den  Hermes  in  bei¬ 
derlei  Zuständen  als  ithyphallicus  und  als  Hades  bedeute.  Dem  un¬ 
terirdischen  Hermes  zu  Ehren  sollen  die  aus  der  Sündfluth  Errette¬ 
ten  allerlei  Sämereien  in  Töpfen  gekocht  haben,  um  ihn  zu  sühnen, 
ohne  dass  jemand  davon  kostete,  und  daher  soll  das  Topffest  zu 
Athen  kommen,  xvxqol  genannt  5).  Im  Monate  Anthesterion,  der 
in  unsern  Monat  Februar  und  März  fällt,  stellten  die  alten  Athener 
dem  unterirdischen  Hermes  allerlei  Samen  in  Töpfen  auf^);  wie 
auch  im  Dienste  der  Rhea  ein  Gefäss  {v.eqvo(^  mit  Sämereien  vor¬ 
kommt,  wovon  gewisse  Personen  etwas  geniessen  durften  0-  In 
jener  Jahreszeit  bestellte  man  die  Sommersaat;  dabei  gedachte  man 
betend  und  bittend  der  in  der  verborgenen  Tiefe  waltenden  und  die 
Keime  ins  Leben  rufenden  Gotteskrafl.  Beginnen  einmal  die  Samen 


Apollodor.  I,  5,  3. 

2)  Hom.  II.  XX,  72  ib.  Heyne.  H.  in  Mercur.  3  ib.  Ilgen. 

3)  Od.  VIH,  322. 

Nicander  bei  Antonin.  Liberal,  c.  25.  Etyinol.  M.  p.  371  (330 
Lips.) :  EQCOvviog  xal  yßövio!;  v.al  iQixdövioq  ’EQfzijq.  Cicero 

N.  D.  III,  22:  Merciirius,  qui  sub  terris.  Von  den  spartanischen  Dios- 
kuren,  auf  welche  später  die  Idee  der  Kabiren  übergetragen  wurde, 
sagt  daher  Pindar  Xem.  X,  103,  dass  sie  abwechselnd  einen  Tag  oben 
bei  Vater  Zeus  und  den  andern  unten  in  der  Tiefe  der  Erde  weilen. 

3)  Theopomp,  bei  Schol.  Aristoph.  Acharn.  1075. 

*3)  Creuzer  Meletem.  I  p.  53. 

2)  Athen.  XI  p.  265  Schwcigh. 


8 


114 


durch  eine  geheime  Ge  wall  in  der  Erde  zu  keimen,  so  ringen  sie 
sich  von  der  Scholle  los  an  das  Lichl ,  und  Persephone  sammt  Her¬ 
mes  gelangt  im  liebenden  Bunde,  nachdem  sie  unten  gelegen  und 
thatkräftig  Millionen  Pflanzenleben  zum  Daseyn  gefördert  haben,  zur 
heitern  Oberwelt.  Die  Idee  des  unterirdischen  Hermes  ist  so  viel 
als  wenn  man  in  den  Mysterien  hörte,  Zeus  habe  eines  Widders  Ho¬ 
den  der  Demeter  in  den  Schooss  geworfen  und  vorgegeben,  es  seyen 
seine  eigenen  ').  Es  waren  allerdings  die  eigenen  Hoden  des  Wid¬ 
dergottes,  welcher  kraftlos  zum  Leidwesen  der  Mutter  Erde  zur 
Winterzeit  ist,  aber  die  Keime  für  das  neue  Jahr  darin  zubereitet. 
Der  Grieche  milderte  das  Anstössige  der  Fabel,  und  machte  ein 
Vorgeben  des  Gottes  daraus.  Was  die  samothracischen  Götter  be¬ 
deuten,  sagt  ohne  die  Hülle  des  Bildes  der  eben  so  philosophische 
als  religiöse  Dichter  Aeschylus  (Choeph.  124  f.):  „Die  Erde,  welche 
Alles  erzeuget,  und  die  Fruchlkeinie  (xvfxa)  von  dem,  was  sie  erzo¬ 
gen  hat,  hinwieder  in  sich  aufnimnit.«  Der  in  der  Unterwelt  thätige 
Hermes  empfing  für  die  verstorbenen  Menschen,  gleich  dem  ägypti¬ 
schen  Thoyth,  das  Amt  eines  Seelenführers.  Bei  dem  Todlen- 
opfer  für  die  in  der  Schlacht  bei  Platää  gegen  die  Perser  gefallenen 
Griechen  rief  man  ausser  dem  Zeus  Eleutherios  den  unterirdischen 
Hermes  an  ^). 

Der  unterirdische  Hermes,  der  aus  der  Tiefe  Alles  hervorbringt, 
ist  der  Allmacht  Sohn.  Seine  Ellern  sind  Valens  und  Koronis 
(nach  der  Verbesserung  des  Davies  statt  Phoronis)  ^).  Kr  a  tos, 
wovon  die  lateinische  Uebersetzung  Valens  ist,  hat  die  Styx  und 
den  Pallas  zu  Eltern^).  Der  alte  Pallas  halte  selbst  das  Amt  des 
Hermes,  und  durch  diese  Genealogie  wurden  beide  mit  einander  ver¬ 
knüpft.  Pallas  und  Styx  stellen  zusammen  die  unterirdische  Zeu¬ 
gungskraft  vor,  die  Frucht  ihrer  Ehe  ist  Kratos,  die  unterirdische 
Macht,  und  dessen  Sohn  ist  Hermes.  Eben  dahin  führt  uns  eine 
Stelle  des  Jo.  Lydus  (de  mens.  IV,  90  p.  28§.  Roether).,  wo  der  Va¬ 
ter  des  Asklepios  'laxvq  (Kraft)  und  dessen  Vater  Elatos  heisst^). 


*)  Giern.  Cohoit.  ad  Gent.  p.  13  und  daraus  Eus.  Pr.  Ev.  II,  3 
p,  63  f.  Aeschyl.  Choeph.  1’21.  Plut.  in  Aristide. 

3)  Cic.  N.  D.  III,  22.  •)  Hes.  Theog.  383. 

lieber  den  Elatos  vgl.  Verheyk  zu  Antonin.  Liber,  p.  134. 


Der  zwei(e  Aesculapius  des  Cicero  a.  a.  0.  aber  is(  der  Bruder  des 
zweifen  (unterirdischen)  Hermes,  und  also  auch  dieser  ein  Sohn  des 
Ischys ,  der  so  viel  ist  als  Valens  oder  Kratos.  Elatos  ist  nur  ein 
anderes  Wort  für  Tldklac,  und  bedeutet,  von  ild(a  abgeleitet,  den 
Beweger,  der  die  Keime  in  Trieb  bringt.  Die  Mutter  des  Asklepios  *) 
und  also  auch  des  unterirdischen  Hermes  ist  Koronis,  bei  welchem 
Namen  man  vielleicht  an  das  Beiwort  der  Kühe  y.ogaviq'^')  denken 
darf.  Die  Kuh  aber  ist  ein  Bild  der  Erde,  als  das  der  Here  und 
Demeter  heilige  Thier.  Es  wäre  somit  jene  arkadische  Genealogie, 
wornach  die  Stierkraft  (Ischys)  und  die  Erde  (Koronis)  den  Hermes 
erzeugen,  ziemlich  einerlei  mit  der  samothracischen ,  wornach  von 
Deo  oder  Axicros  Hermes  und  Persephone  abstammen.  Auch  wäre 
es  sehr  angemessen,  dass  Hermes  in  seinen  beiderlei- Zuständen  als 
unterirdischer  und  ithyphallicus  eine  und  dieselbe  Mutter,  die  Erde 
(Deo,  Axieros,  Koronis),  jedoch  zwei  verschiedene  Väter  hätte,  im 
ersten  Zustand  die  unterirdische  Macht  (Kratos,  Ischys),  im  zweiten 
den  überirdischen  Himmel  (Coelus,  Uranos),  und  dass  er  im  zweiten 
den  auszeichnenden  Beinamen  Kadmilos,  als  der  oben  vor  Gott  steht, 
führte.  Die  Masculinendung  Axieros  (verglichen  mit  Cerus  manus) 
mag  die  geschlechtliche  Verbindung  der  Demeter  bald  mit  dem  Him¬ 
mel  und  bald  mit  Kratos  andeuten,  je  nach  den  wechselnden  Zu¬ 
ständen  ihrer  bald  in  der  Erde  ruhenden  und  schaffenden,  bald  zur 
Oberwelt  gebornen  Kinder  Hermes  und  Persephone. 

Axiokersos,  von  Mnaseas  als  Hades  ausgelegt,  ist  demnach  nicht 
ein  ohnmächtiger  Schattenkönig;  wie  denn  auch  Hades  schon  bei 
Platon  den  Namen  Pluton  (von  nlovroq)  hat,  nicht  blos  wegen  der 
in  seinem  Bereiche  liegenden  Metalle,  sondern  als  Gatte  der  Perse¬ 
phone,  als  Sinnbild  und  Urheber  der  Thätigkeit  im  Schoosse  der 
Erde,  wo  alle  Keime  sich  regen  und  losringen,  wodurch  sie  im  lie¬ 
benden  Bunde  Alles  weben  und  schaffen.  Ueber  beiden  steht  als 
Mutier  Axieros,  die  Natur  überhaupt,  in  Verbindung  mit  den  unter¬ 
irdischen  Mächten  und  mit  den  himmlischen  Kräften.  Das  sind  die 
mächtigen  Naturgötter,  welche  in  gemeinschaftlicher  Wechselwirkung 


1)  Diodor.  IV.  p.  273.  V  p.  341. 
VIII  p.  288. 

2)  Theocrit.  Id.  25,  151. 


Cyrill,  in  Jnlian.  VI  p.  200. 


116 


die  ErhaKung  und  Veränderung  der  Dinge  bedingen.  Dalier  ist  ihr 
gemeinsamer  Name  Kabiren,  KdßsiQot  oder  Käßigoi  ‘)  von 
(stark,  mächtig)  2),  nach  der  Uebersetzung  dieses  Wortes  ßsol  dv- 
varoi,  Divi  potes  3).  Daher  hat  Hermes  in  dem  homerischen  Lob- 
gedichl  auf  ilin  öfter  den  Beinamen  der  Mächtige  (y.Qarvg'),  und  als 
Kind  legte  er  eine  Probe  seiner  Kraft  ab,  dass  er  schon  zwei  Kühe 
abstreifen  konnte  {V.  405).  Sein  Beiwort  ocöwg  (stark)  ■*)  hat  die¬ 
selbe  Bedeutung  wie  Kabir.  In  demselben  Sinne  nannte  man  Demeter 
und  Persephone  vorzugsweise  die  grossen  Göttinnen  (/xeydXat  5). 


^)  Die  Münzen  von  Tripolis  in'Phönicien  haben  QESIN.  KABIPSIN. 
STPIJIIV.  oder  CTPI.  KABIPSIN.  (Eckhel  Docir.  Num.  V  Vol.  III  p.  374 f.) 
Die  Münzen  von  Thessalonich  haben  bald  KABEIPOC,  bald  KABIPOC 
(Eckhel  Vol.  II  p.  77,  79).  Eine  attische  Inschrift  KABEIPSIN  (siehe 
meine  Lettera  sopra  una  Inscriz.  Gr,  p.  5).  Der  Grammatiker  Ilerodian 
zog  die  Schreibung  mit  £i  vor  (Biblioth.  coislin.  p.  235). 

2)  Diese  Etymologie  nehmen  an:  Scaliger  ad  Varronem  und  ad 

Chronic.  Eusebii,  Gerhard  Voss  de  Idolol.  p.  173,  Bochart  Geogr.  S. , 
Hugo  Grotius  ad  Matth.  4,  24,  Seiden  de  Düs  Syris  Synt.  II  p.  287. 
361,  Marsham  Canon  Chron.  p.  35,  Gutberleth  de  myster.  Deor.  Ca- 
biror,  c.  1.  Polen,  Tbesaur.  T.  II  col.  834  (welcher  die  Benennung 
Chabar  vergleicht,  womit  die  Saracenen  die  Aphrodite  bezeichneten, 
was  durch  ^eydlr]  ausgelegt  wurde),  Leonh.  Hug  Unters,  über  den 
Myth.  d.  a.  Welt  S.  198  u.  Creuzer  Symb,  III  S.  18.  Astori  dagegen 
Dissert.  de  Düs  Cabiris  p.  60  (Polen.  Supplem.  T.  II)  leitet  das  Wort 
von  1^2.1  (mächtig)  ab,  und  verfällt  nachher  auf  die  Wurzel  "i2n  (zau¬ 
bern),  was  Schelling  über  die  Gotth.  v.  Samothr,  S.  110  wieder  auf¬ 
fasst,  als  wären  sie  die  (socii),  die  magisch  Vereinten.  Der 

Letztere  wendet  S.  98  gegen  obige  Ableitung  ein,  das  Wort  niii  w'erde 
im  a.  T.  niemals  von  Gott  gebraucht.  Aber  gerade  von  diesem  Um¬ 
stande  möchte  man  auf  eine  absichtliche  Vermeidung,  dem  wahren  Gott 
einen  Götzennamen  beizulegen,  schliessen. 

3)  Varro  de  ling.  lat.  IV  p.  17:  in  Augurum  libris  Divi  potes 
sunt,  in  Sainothrace  ߣol  dvvaroL 

^*)  II.  XX,  72.  Apollon.  Lex.  Hom.  p.  628. 

*)  Ein  alles  Epigramm  bei  Pausan,  IV,  1  p.  282,  Sophocl.  Oed- 
Col.  683  das.  Ausl.  u.  Paus,  VIII,  31. 


117 


Einem  spätem  Zeitalter  war  es,  wie  mir  scheint,  Vorbehalten, 
den  unterirdischen  Hermes  als  eine  besondere  Gottheit  vorzustellen, 
als  Aidoneus,  d.  i.  unsichtbarer  Herr  (von  diöiiq  unsichtbar  und 
Herr).  Das  Verhältniss  der  Persephone  zu  ihm  wurde  durch 
einen  Raub  vermittelt  und  von  dem  Homeriden  im  Hymnus  auf  De¬ 
meter  ausgemalt.  Das  geschah  in  den  Tagen  des  Spätherbstes,  sagt 
bezeichnend  der  Orphiker  (h.  XXIX,  14),  und  er  legt  den  Sinn  der 
ganzen  Fabel  in  den  Worten  nieder:  »immer  erschaffst  und  tödtest 
du  Alles.«  Hekate  und  Helios  vernahmen  das  Wehklagen  der  ge¬ 
raubten  Göttin  ‘) ;  jener  geht  dieses  Schicksal  nahe,  da  sie  im  Win¬ 
ter  unfähig  ist  ihren  Segen  zu  spenden,  und  dieser  ist  während  die¬ 
ser  Jahreszeit  selbst  im  Stande  der  Erniedrigung.  Demeter  zerriss 
ihren  Schleier  und  warf  eine  dunkle  Kopfbedeckung  bis  über  die 
Schultern  herab;  d.  h.  die  Erde  ist  ihres  Schmuckes  beraubt.  Mit 
brennenden  Fackeln  in  der  Hand  suchte  sie  neun  Tage  lang  tief¬ 
bekümmert  die  Tochter,  ohne  Ambrosia  oder  Nektar  zu  gemessen; 
am  zehnten  gesellte  sich  theilnehmend  Hekate  zu  ihr,  die  Verlorne 
zu  suchen.  Der  alles  spähende  Helios  sagte  ihnen  die  Wahrheit  an  2), 
Hermes  holt  Persephone  aus  den  Armen  ihres  unterirdischen  Gat¬ 
ten  wieder  herauf  3);  seine  Dienstbarkeit  ist  hier  für  den  Kenner  äl¬ 
terer  Lehre  bedeutsam.  Beim  Scheiden  reichte  .Aidoneus  der  Per¬ 
sephone  einen  Granatapfel  zu  essen ,  damit  sie  nicht  beständig  bei 
Demeter  verbliebe  Der  Granatapfel  als  von  Kernen  durch  und 
durch  erfüllt,  welchen  auch  die  pelasgische  Here  zur  Auszeichnung 
halte  ^),  ist  ein  Sinnbild  der  Besamung.  Pluton  als  Inhaber  aller 
Samen  gibt  der  zum  Olymp  zurückkehrenden  Gattin  d.  i.  der  aus 
seinem  Reiche  aufstrebenden  Pflanzenwelt  die  Granatkerne  mit,  da¬ 
mit  sie  aufs  neue  besamt  immer  fort  der  Erde  und  dem  Pluton  an- 
heirafallen.  Persephone,  die  aus  dem  Hades  aufsteigt  ans  Licht,  im 
Aufsteigen  einen  Granatapfel  isst  und  damit  dem  Hades  wieder  an¬ 
heimfällt,  bedeutet  so  viel  als:  das  Pflanzenreich  wächst  aus  der 
Tiefe  empor  und  hat  das  Vermögen  sich  zu  besamen,  verfällt  aber 
eben  darum  wieder  der  Tiefe  und  die  abgefallenen  Samen  werden 


1)  Hom.  h.  in  Cer.  25  f.  2^  Hom.  h.  in  Cer.  40  ff. 
3)  Ilom.  1.  c.  336  ff.  Hom.  1.  c.  373  IT. 

3)  Pausan.  II,  17,  5. 


118 


iu»  ordeiillicheu  Kreislciul'e  wieder  neue  Gewächse.  Hades  heisst 
daher  ;ioXvÖ£y/uijjp  ,  nicht  nur  weil  er  viele  Todte  lässt,  sondern 
auch  weil  er  viel  empfänglich  viele  Samen  in  sich  schliesst  und  wie¬ 
der  zurücksendet.  Hekate  bewillkommle  die  zur  Mutter  heraul- 
gekommeue  Persephone,  und  war  ihre  Begleiterin  und  Dienerin  2) ; 
d.  h.  Glück  folget  auf  das  Wachsthum  der  Saaten.  »Alsohald  wuchs 
die  nährende  Frucht  für  die  Menschen«  3).  Demeter  hatte  von  dem 
gelbgewordenen  Getreide  den  Beinamen  XXüij  oder  evxXooq,  und  als 
solche  einen  Tempel  bei  der  Burg  zu  Athen  ^).  Eben  so  heisst  sie 
die  falbe  „So  oft  die  Erde  mancherlei  duftende  Früh¬ 

lingsblumen  hervorsprosst,  kehrt  Persephone  wieder  aus  dem  nächt¬ 
lichen  Dunkel,  ein  grosses  Wunder  den  Göttern  und  den  sterblichen 
Menschen“,  sagt  der  Homeride  (V.  401  0.).  Ein  Drittheil  des  Jah¬ 
res  weilet  sie  unten,  zwei  Drittheile  oben  bei  der  Mutter  und  den 
andern  Unsterblichen  ^).  Denn  man  hatte  vor  Alters  nur  drei  Jah¬ 
reszeiten;  Winter,  Frühling  und  Sornjuer. 

§.  24. 

Wie  gross  an  Bedeutung,  so  aucli  weit  ausgebreitet  war 
der  Kabirendienst.  Von  den  Pelasgern  lernten  ihn  die  Samothraker, 
sagt  Herodot  (11,  51),  und  hernach  die  Atliener.  Letztere  wurden 
unter  der  Regierung  des  Pandion,  eines  Sohnes  des  Erichthonius, 
611  Jahre  nach  Abraham  mit  Demeter  bekannt  2),  oder  nach  An¬ 
dern  unter  der  Herrschaft  seines  Nachfolgers  Erechtheus  s).  Als 
Stifter  oder  als  Wiederhersteller  des  Kabirendienstes  in  Samothrace 
wird  Eetion  genannt,  eiu  Sohn  des  Zeus  und  der  Atlanlide  Elek¬ 
tra  ^).  Er  hiess  auch  Jasion  besonders  in  pnesterlicher  Verbin- 


*)  Hotu.  ).  c.  31.  4ü4. 

2)  Houj.  1.  c.  438  ff.  lioni.  1.  c.  469. 

Euslalh.  ad  11.  i.  p.  772.  Pausau.  1,  22,  3.  Sophocl.  Oed.  CoF 
1600  ib.  Schol.  Vgl.  Creuzer  Syrnb.  2te  Ausg.  IV  S.  314. 

5)  Z.  B.  11.  V,  500. 

6)  Hom,  1.  c.  445.  463. 

Apollodor.  111,  14,  7.  Euseb.  Chron.  P.  II  p.  115. 

*)  Parische  Cbronik  Epoche  12.  Clem.  Al.  Protr.  p.  12. 

Hellanikas  bei  Schol.  Apollon.  I.  916. 


119 


düng  mi{  der  Kabirenweihe ,  und  nach  Diodor  (L.  V.)  erweiterte  er 
die  sainothracischen  Mysterien,  indem  er  zuerst  Fremde  zu  densel¬ 
ben  zuliess.  Sein  Bruder  Dardanus  hat  von  Samollirace  [aus  die 
dasigen  Gottheiten  in  die  von  ihm  in  Troas  erbaute  und  nach  ihm 
benannte  Stadt  Dardania  gebracht*),  538  Jalire  nach  Abraham  2). 
Die  ganze  Gegend  der  Pergamener  war  von  Alters  her  den  Kabiren 
heiligt).  Es  waren  die  tyrrhenischen  Pelasger ,  welche  in  Athen 
die  pelasgischen  Mauern  bauten,  nach  Lernnos  zogen,  sich  am  Helles- 
pont  in  Plakia  und  Skylake  ansiedellen ,  und  nach  Etrurien  einwan- 
derlen  '*).  Es  wird  uns  aber  ausdrücklich  berichtet,  dass  auf  Lem- 
nos  und  Imbros  die  Kabiren  verehrt  wurden^),  und  dass  sich  von 
Lernnos  dieser  Gottesdienst  nach  Etrurien  verbreitete  ®).  Von  Athen 
aus  brachte  Methapus  den  Kabireudienst  nach  Theben^).  Von 
Eleusis  brachte  Kaukon  die  Orgien  der  grossen  Gottheiten  (ohne 
Zweifel  Demeter  und  Persephone)  nach  Messenien  **).  Im  Tempel 
der  mysischen  Demeter  finden  wir  die  Bildnisse  der  Demeter,  Per¬ 
sephone  und  des  Aidoneus  vereinigt  ^).  Sogar  auf  einer  britannischen 
Insel,  welche  Picfet  ***)  für  Irland  hält,  wurden  Demeter  und  Kore 
verehrt.  Die  Pelasger  io  Italien  haben  in  der  Zeit  des  Misswachses 
den  Kabiren  den  Fruchtzehnten  dargebracht  und  so  reichere  Erndten 
erlangt  *').  Sogar  die  Gelten  haben  sie  verehrt  (Diod.  V ,  56). 

Die  etruskischen  Kabiren  hatten  eine  etwas  abweichende 
Färbung,  sie  waren  Ceres,  Pales  und  Fortuna  *2).  Der  einheimische 


*)  Arktinus  (den  Arleinon  von  Klazomenä  bei  Suidas  und  Tzetzes 
einen  Schüler  Homers  nennen),  der  Mylhograph  Satyrus  und  Kallistra- 
tus  in  einer  Geschichte  über  Samothrace  bei  Dionys.  Hai.  Ant.  Rom. 
L.  I  n.  688  T.  I  p.  172  ff.  Reiske. 

2)  Euseb.  Chronici  Canon  P.  II  p,  109. 

3)  Pausan.  I,  4  p.  12.  Slrabo  X,  3,  21. 

'i)  Her.  I,  57.  Thueyd.  IV,  109  und  Myrsilus  bei  Dion.  H.  I,  1. 
3)  Strabo  a.  a.  0.  Stephan.  B.  v. 

^)  Schol.  Apollon.  Arg.  I,  608. 

Pausan.  IV,  1  p.  281.  8)  Pausan.  I.  c. 

9)  Pausan.  II.  *<*)  Pictet  du  culte  des  Gabires  p.  3.  Artemidor. 
bei  Strabo  IV.  p.  137.  “)  Dion.  H.  I  p.  27. 

*2)  Serv.  ad  Virg.  Aen.  II,  325. 


120 


Name  der  lelzlen  war  Norlia  oder  Nursia  *).  Wir  ireileii  sie  sämml- 
lich  auf  den  elruskischen  Spiegeln  an,  besonders  häufig  die  Norlia. 
Sie  haben  weit  herabgehende  Flügel  mit  einander  gemein,  um  ihre 
überallhin  sich  erstreckende  Macht  auszudrücken.  Ceres  erscheint 
mit  Diadem  und  Halsband  geschmückt,  und  hat  Granatapfelblülhen 
zur  Seile  2).  Pales,  der  Hermes  der  italischen  Keligion,  ist  ein 
geflügelter  nackter  Manu,  und  neben  ihm  sprosst  eine  Pflanze  3). 
Norlia  hat  wegen  ihrer  Wandelbarkeit  das  rechte  Bein  hinter  das 
linke  zurückgeschlagen,  in  leichter  tanzender  Stellung;  bisweilen^) 
ist  ein  Rad  an  ihre  Füsse  gebunden ,  öfter  hat  sie  den  Kabirenhut 
auf  dem  Haupte^),  bald  auch  eine  Patera  in  der  Rechten  und  in  der 
Idnken  den  Phallus  *’).  Sie  wurde  mitunter  androgyn  mit  einem  lan¬ 
gen  Barte  und  weiblichen  Geschlechlslheilen  oder  einer  weiblichen 
Brust  abgebildet^),  um  so,  wie  ich  glaube,  ihre  Verbindung  mit  Pa¬ 
les  oder  die  Begattung  des  männlichen  und  weiblichen  Princips  in 
der  Natur  auszudrücken.  Wir  wissen,  dass  Servius  Tullus  die  Ver¬ 
ehrung  der  Fortuna  barbata  in  Rom  gebot  Sie  war  nicht  blos 
als  das  zufällige  Glück  aufgefasst,  sonder«  als  die  Bedingung  alles 
Werdens  und  der  Zeit,  als  die  Fortuna  primigenia  (a  giguendo)^). 
Als  solche  war  sie  in  Volsinii  die  Jahreszähleriu ,  wo  alljährlich  eine 
obrigkeitliche  Person  in  die  Wand  ihres  Tempels  einen  Nagel  eiu¬ 
schlug  *0).  Sie  hat  daher  auch  auf  elruskischen  Spiegeln  Nägel  in 
der  Hand  Ihre  Beziehung  auf  die  Unterwelt  wird  auf  einem  an¬ 
dern  Spiegel  (tab.  8)  durch  ein  angebrachtes  Gorgonenhaupt  ausge¬ 
drückt.  Wenn  hier  Norlia  die  Rolle  der  Persephone  übernommen 
hat,  so  soll  in  der  orphischeu  Lehre  Persephone  der  Fortuna  gleich 
gesetzt  worden  seyn  *2);  und  wir  haben  vorhin  die  Verbindung  der 


*)  Tertulliau  Apologet.  24.  Burmann  ad  Antholog.  lat.  I,  29.  Ru- 
perti  ad  Juvenal.  Satir.  X,  74.  I  p.  216.  II  p.  567. 

2)  Inghirami  Mouumenti  etruscbi  Ser.  II.  58.  Spiegel  von  Perugia. 
5)  Inghirami  1.  c.  S.  II  tab.  52.  Ser.  II  tab.  11. 

5)  ib.  tab.  1.  8.  13.  19.  23.  24.  ib,  tab.  42.  44.  45. 

7)  ib.  tab.  12.  13.  8)  Plut.  Opp.  T.  II.  p.  323. 

'^)  Cic.  Lgg.  II,  11.  10^  Cincius  Alimenlus  bei  Liv.  VII,  3. 

*^)  Ingbir.  1.  c.  Ser.  II  tab.  12.  23.  24. 

•2)  Schot,  lies.  Theog.  268. 


121 


Persephone  mit  Hekate  (Fortuna)  sowohl  durch  die  gleiche  Benen¬ 
nung  Briiuo  als  durch  den  thätigen  Autheil  der  Hekate  an  der  Lei¬ 
densgeschichte  der  Persephone  nachgewiesen. 

Nach  dieser  geschichtlichen  Erörterung  waren  die  tyrrheni¬ 
schen  Pelasger  die  ersten  Lehrer  des  Kabirendienstes.  Wenn 
wir  aus  der  Nachricht,  dass  Tyrrhenus  aus  Lydien  nach  Etrurien 
gewandert  sey,  und  dass  die  von  den  tyrrhenischen  Pelasgern  er¬ 
bauten  Städte  Plakia  und  Skylake  lydische  Colonien  seyen  *),  Fol¬ 
gerungen  ziehen  dürfen;  so  war  die  lleimath  der  tyrrhenischen  Pe¬ 
lasger  und  somit  des  Kabireucultus  Lydien.  Merkwürdig  ist  in  die¬ 
sem  Betracht  die  Verknüpfung,  worein  die  Stiftung  der  Kabirenweihe 
in  Samoihracien  mit  Cy  bele,  der  phrygischen  Götlermulter,  gebracht 
wird.  Diese  soll  nemlich  ihre  Söhne,  die  Korybanten,  nach  Samo- 
thrace  verpflanzt  haben,  welche  die  dortigen  Weihen  lehrten  2)  und 
der  Hekate  ein  Heiligthum  stifteten  Oder  die  Amazone  Myriiia 
soll  der  Mutter  der  Götter  zu  Gefallen  Samoihrace  geheiligt  ha¬ 
ben  ^).  Oder  Dardanus  soll  die  Mysterien  der  Mutter  der  Götter  ge¬ 
lehrt  habend);  während  er  nach  Andern  die  samothracischen  Göt¬ 
ter  nach  Troas  verpflanzte.  Demnach  scheinen  die  Mysterien  der 
Göttermutler  und  die  der  Kabiren  einerlei  gewesen  zu  seyu  *').  Die 
Alten  2)  selbst  haben  schon  die  Cybele  als  Demeter  ausgedeutet,  und 
ich  vermuthe,  dass  Axieros  ursprünglich  ein  pbrygisches  Beiwort 
der  Cybele  gewesen,  nachher  aber  für  die  griechische  Deo  oder  De¬ 
meter  gedeutet  und  einheimisch  gemacht  worden  sey. 

•  In  ältester  Zeit  waren  die  Kabiren  noch  nicht  Dioskureu  d.  h. 
Zeus  Söhne.  Später  erst  wurden  sie  diess,  und  neben  ihnen  that 
sich  abgesondert,  wiewohl  in  naher  Berührung,  die  Verehrung  der 
Demeter  und  Persephone  hervor.  So  war  in  Athen  der  Kabirendienst 
und  die  Weihe  der  Demeter  in  den  Eleusinien  getrennt.  Eben  so  in 


')  Pompon.  Meta  I,  19. 

2)  Diodor.  III,  55  p.  224  T.  I  Wessel. 

Nonni  Dionys.  XIII  v.  400.  ‘*)  Diodor.  1.  c. 

Clem.  Al.  Coh.  ad  Gent.  p.  12.  Vgl.  unten  g.  90. 

*’)  Auf  einer  Gemme  in  Academ.  Cortou.  T.  VII  p.  ^8  sehen  wir 
die  Dioskuren  in  Gesellschaft  der  Cybele. 

2)  Jo.  Lyd.  de  mens.  III ,  34  p.  128. 


122 


liöolien:  in  der  Sladt  Anthedon  hallen  die  Kabiren  einen  Tempel, 
und  in  der  Nälie  Demeter  und  Persephone  einen  Hain  ;  unweit 
Theben  war  ein  Kaßet^iop,  und  sieben  Stadien  davon  enlfernt  ein 
Hain  der  Demeter  KaßeiQia  und  der  Diese  durch  jenen 

Beinamen  mit  den  Kabiren  nahe  verbundene,  wiewohl  von  ihnen 
selbst  unterschiedene  Demeter  lehrte  die  Einwohner  die  Kabiren- 
weihe;  so  wie  zu  Athen  Demeter  den  Triplolemus  in  den  eleusini- 
schen  Mysterien  unterwies  ’). 

In  Phönicien  finden  wir  zwar  auch  Kabiren,  und  der  Name 
selbst  gehört  diesem  Landstrich  an;  allein  die  phönicischen  und  ägyp¬ 
tischen  Kabiren  dürfen  darum  doch  nicht  mit  den  samolhracischen 
verwechselt  werden.  Die  Idee  und  selbst  der  Name  mag  aus  dem 
Morgenlande  stammen;  allein  sie  wurden  aufgetragen  und  verschmol¬ 
zen  mit  den  unter  den  Pelasgern  allein  einheimischen  Gottheiten 
Demeter,  Persephone  und  Hermes  ithyphallicus,  mit  welchen  die 
Kabiren  in  Phönicien  und  Aegypten  nichts  zu  Ihun  hallen  ^).  In 
Phönicien  waren  es  ihrer  sieben,  Söhne  des  S  y  d  y  k  5)  oder  S  a  d  y  k  ß)> 
des  höchsten  Gottes,  welche  auf  Münzen  von  Tripolis  Vorkommen, 
und  in  Berylus  nebst  Kronos  und  Poseidon  die  Hauptgollheiten  wa- 


*)  Pausaii.  IX,  22  p.  7.')3.  2)  Paus.  IX,  25,  5  p.  758. 

■’)  Auf  einer  Münze  von  Thasos  in  Creuzer’s  Bilderb.  zur  Symb. 
T.  II.  n.  4  ist  auf  der  einen  Seite  der  Kopf  der  Demeter  mit  Aehren 
im  Haar  und  auf  der  andern  die  beiden  Dioskuren  zwischen  zw'ei  Reb- 
zweigen. 

Es  widerspricht  der  Geschichte,  wenn  Sprengel  (Versuch  einer 
pragmat.  Gesch.  d.  Arzneikuiide  Th.  I  S.  113.  2te  Ausg.)  die  Kabiren 
unter  Kadmus  aus  Phönicien  nach  Griechenland  einwandern  lässt,  und 
wenn  Karl  Michaeler  in  gleichem  Sinne  seine  Abhandlung  über  die 
phönicischen  Alysterien  (Wien  1769)  betitelte. 

5)  Sanchiiniathon  bei  Euseb.  Pr.  Ev.  I.  p.  36  A  39  C. 

6)  Damascius  in  vita  Isidori  ap.  Photium  cod.  242  col.  1073.  Sa- 

dyk  ,  der  Gerechte ,  ist  ein  Beiwort  Gottes ,  in  Phönicien  des 

Baal  oder  Kronos.  Daher  belegen  die  hebräischen  Schriften  Sepher 
ietsira  ,  Zohar  und  Beresit  Rahba  mit  diesem  Namen  den  Zeus:  s.  Bo 
chart  Geogr.  S.  II ,  2  col.  707.  Marsham  Can.  Chron.  p.  35. 


reu  ^).  Nach  dem  Berichte  des  Sanchuniathon  2)  sind  die  Sprösslinge 
der  Diüskureu  am  Berge  Cassius  (au  den  Grenzen  Aegyptens  auf 
der  Seite  des  mittelläudisciien  Meeres)  gestrandet  uud  haben  daselbst 
einen  Tempel  erbauet.  Diese  Nachricht  zeigt  die  Brücke  von  den 
phönicischen  zu  den  ägyptischen  Kabiren.  ln  Memphis  hallen 
die  Kabiren  einen  Tempel  und  darinnen  waren  ihre  Bildsäulen  deui 
Phlha  ähnlich  gemacht,  indem  man  sie  für  Söhne  desselben  hielt  2). 
Dieser  Phlha  war  nicht  etwa  blos  der  gute  Schmidt,  sondern  der 
Werkmeister  der  Natur,  und  ihr  Lebeusfeuer.  Des  liephäslos  Schö¬ 
pfungskraft  klingt  in  den  griechischen  Sagen ,  woruach  er  nach  dem 
Balhschluss  des  Kroniden  das  erste  Weib,  die  Pandora,  aus  Erde 
und  Wasser  gebildet  habe  ^),  Erichthonius  ,  der  Patriarch  der  Athener; 
aus  seinem  Samen  entstanden*),  und  Aphrodite  seine  Gattin  sey  ®). 
Dieser  Hephäslos  ist  nicht  der  Sohn  des  Zeus  und  der  Here ,  son¬ 
dern  des  Himmels,  uud  nach  ägyptischer  Lehre  Vater  der  Sonne, 
und  mit  Athene  Vater  Apollons,  des  Schulzgolles  von  Athen  2). 
Für  ägyptische,  aber  nicht  samothracisclie  Genealogie  ist  es  daher 
zu  erachten,  wenn  Pherecydes  die  Kabiren  von  Heph  ästos  und 
Kabira,  der  Tochter  des  Proteus,  abslammen  lässt.  Den  Proteus 
kennen  wir  ja  als  einen  ägyptischen  Seegolt  aus  Homer.  Mit  der 
Anchione  soll  er  die  Kabira  erzeugt  habend),  Aehulich  ist  die 
Genealogie  des  Philochorus  ’O),  wornach  die  Tritopatres,  deren  Einer¬ 
leiheil  mit  den  Kabiren  ich  unten  uachweisen  werde,  die  Sonne, 
die  er  auch  Apollon  nannte,  und  die  Erde  zu  Ellern  haben;  oder 
wenn  nach  Slrabo  (X  p.  204)  die  Sonne  und  Athene  die  Diosku- 
ren  erzeugt  haben  sollen.  Diess  war  die  ägyptische  Neilh,  ein  de- 


*)  Sanchuniathon  bei  Eus.  Pr.  Ev.  I  p.  38. 

2)  Bei  Eus.  1.  c.  I  p.  39.  3)  Herod.  lll,  37. 

Hes.  Th.  590  Op.  60. 

3)  Meurs.  de  regib.  Athen.  II,  1.  Creuzer  ad  Cic.  N.  D.  p.  599. 
6)  Od.  VIII,  -266. 

^)  Aristot.  bei  Giern.  Protepl.  p.  8.  Cic.  N.  D.  III,  21.  22  p.  595. 
598.  Creuz. 

3)  Bei  Slrabo  X,  3,  21.  Fragm.  ed.  Sturz  p.  152,  Hesych.  v.  Kd- 
ßeiQui.  '^1  Stephan.  Byz.  v.  KaßeiQia. 

‘'^)  Bei  Suidas  v.  TQiro^idropeg. 


124 


mlurgisches  Wesen,  dem  der  allische  Erichlhonius  das  Daseyn  ver¬ 
dankte.  Auf  einem  Vorgebirge  in  Lakonien  stand  der  Athene  Bild¬ 
säule  in  Gesellschaft  dreier  eherner  Statuen ,  die  Hüte  auf  dem  Kopfe 
trugen,  und  welche  Pausanias  (Hl ,  24  p.  272)  für  üioskuren  oder 
Korybanten  hielt.  Auch  auf  etruskischen  Spiegeln  erscheint  Athene 
in  Verbindung  mit  den  zwei  Dioskuren,  hat  sogar  selbst  den  Kabi- 
renhut  auf  dem  Haupte ,  ist  bisweilen  der  Nortia  durch  die  tanzende 
Stellung  der  Füsse  und  durch  lange  Flügel  ähnlich  gehildel,  biswei¬ 
len  legt  sie  als  segnende  Mutter  die  Hand  auf  die  Schultern  der  bei¬ 
den.  Auch  wird  ihre  pantheistische  Bedeutung  durch  eine  gellügelte 
Weltkugel  auf  dem  Haupte  ausgedrückt  ‘).  Wenn  Akusilaos  von 
Argos  2)  dem  Kadmilos  den  Hephästos  und  die  Kahira  zu  Eltern 
gibt,  und  von  Kadmilos  sodann  drei  Kabiren  entstehen  lässt,  so 
halte  ich  diess  für  einen  Versuch,  das  samothracisch  pelasgische  Sy¬ 
stem  mit  dem  ägyptischen,  den  Hermes  mit  dem  Phtha,  in  Einklang 
zu  bringen.  Ilerodot  aber,  welcher  die  Kabiren  von  Aegypten 
kannte,  unterschied  sie  dennoch  so  sehr  von  den  griechischen 
Dioskuren,  dass  er  (H,  50)  geradezu  behauptete,  dieselben  seyen 
in  Aegypten  unbekannt.  In  Macedonien  indessen  scheint  die 
ägyptische  Ansicht,  vielleicht  aber  erst  in  später  Zeit,  festen  Fuss 

4 

gefasst  zu  haben.  Wenigstens  erblicken  wir  auf  den  Münzen  von 
Thessalonich  einen  Kabir  mit  den  Attributen  des  Hephästos,  mit  dem 

* 

Hammer  in  der  Linken,  mit  einem  Stück  zugespitzten  Eisen  in  der 
Rechten,  mit  dem  Pallium  bis  au  die  Knie  bekleidet,  mit  dem  Hut 
auf  dem  Kopf  und  der  Umschrift  KJBEIPOC  3).  ln  bestimmterer  Be¬ 
ziehung  auf  die  Sonne  steht  dieser  Kabir  auf  einer  Münze  von  Thes- 
salonich  den  Steinbock  in  der  Rechten  haltend  ‘^).  Ebenso  kommt 


Inghirami  Mon.  Etr.  S.  II  tab.  50.  65.  41.  66. 

2)  Bei  Strabo  1.  c. 

3)  Seguinus  select.  Num.  c.  1  n.  7.  Vaillant  Imp.  Num.  Graec. 
p.  91.  144.  Laclant.  divin.  Instit.  I.  15.  Firmicus  Maternus  de  errore 
profan,  relig.  p.  426. 

'*)  Creuzer's  Bilderb.  z.  Syiub.  T.  111  n.  8.  Die  Kabiren  hiessen 
daher  selbst  "Hcpaiaioi,  Pbotii  Lex.  gr.  in  KdßeiQoi.  Eine  Münze  von 
Leuinos  mit  Hephästos,  den  Sternen  der  Dioskuren  und  dem  Hermes- 
stab  s.  bei  Creuzer  Symb.  Bd.  HI  H.  1  n.  3. 


125 


der  nordische  Gott  Thor  mit  dem  Hammer  in  Münzen  vor,  und  aus 
Island  ist  ein  kleines  Bild  des  Thor  in  sitzender,  über  den  Hammer, 
den  er  mit  beiden  Händen  zwischen  den  Knien  hält,  gebeugter  Stel¬ 
lung  in  die  Sammlung  der  kön.  dänischen  antiquarischen  Commission 
gekommen  ')* 

§.  25. 

Ausser  den  grossen  Naturgöttern,  die  wir  bisher  betrachtet  ha¬ 
ben,  ist  eine  besondere  göttliche  Aufsicht  nach  dem  Glauben  des 
alfgriechisehen  Polytheismus  über  einzelne  Theile  der  organischen 
Natur.  Die  lebenden  Individuen  werden  erhalten,  indem  sie  sich 
von  den  Gewächsen  der  Erde  ernähren,  welche  darum  die  viel¬ 
ernährende  hiess  {TtoXvßözeiQa ,  ßb>rcm>£iQa ,  TtoXvcpÖQßij ,  noXvßoaxoq). 
Die  Ernährung,  Fortpflanzung  und  Besamung  der  Pflanzenwelt  ge¬ 
hörte,  wiewohl  auch  unter  den  Füssen  der  neugebornen  Aphro¬ 
dite  Pflanzen  erwuchsen,  und  Demeter  mit  ihren  Kindern  die  ßrod- 
fruchl  gewährte,  doeh  vorzugsweise  in  das  Bereich  der  Nymphen. 
Die  melischen  Nymphen  waren  ja  die  ersten  Pflanzen  und  Be¬ 
hüter  des  Pflanzenreiches  zugleich.  Denn  alles  organische  Leben 
quillt  aus  einem  verborgenen  himmlischen  Urgrund ,  und  Tropfen 
des  uranischen  Samens  regen  sich  fortzeugend  in  den  Keimen  und 
Gefässen  der  Gewächse.  Theils  in  der  Höhe,  theils  in  der  Tiefe 
sind  diese  Göttinnen  wirksam;  die  Wälder  auf  den  Bergen  und  die 
Triften  in  der  Ebene  und  in  den  Thälern  sind  der  Schauplatz  ihrer 
Thätigkeit.  Mit  den  erstem  gatten  sich  Hermes  und  die  Silene^); 
die  letztem  lassen  zugleich  Quellen  rieseln,  die  Auen  zu  befruchten. 
Homer  und  Hesiod  unterscheiden  diese  zweierlei  Nymphen:  jener  3) 
redet  von  »Nymphen,  welche  der  Berge  hohe  Gipfel  bewohnen,  und 
die  Quellen  der  Flüsse  und  die  grünen  Auen.«  Die  Berge  sind  es 
aber  nicht  an  und  für  sich,  wcsshalb  sie  dieselben  bewohnen,  son¬ 
dern  die  wal  dich  len  Berge,  wie  sich  Hesiod  (Th.  130)  von  den 
reizenden  Behausungen  der  Oreaden  ausdrückt,  oder  die  schönen 


')  Munter  über  die  odinische  Religion  im  Archiv  für  a.  u.  n. 
Kirchengesch.  herausgegeb.  von  Stiiudlin  und  Tzschirner  Bd.  V  St.  1. 
1821.  S.  54.  2)  Hom.  h.  in  Vener.  263. 

3)  Od.  VI,  123  f.  H.  IIl  in  Vener.  97. 


12« 


Haine,  welche  der  Homeride  (in  Vener.  97)  anslalt  der  Berge  nennt '). 
Ja  er  (ebendas.  V.  258  (T.)  idenlificirf  sogar  die  lange  lebenden  und 
mit  unsterblicher  Kost  sich  nährenden  Bergnymphen  (Nv/.icpai  dp«- 
oy.(üOi)  mit  den  auf  den  Bergen  wachsenden  Fichten  und  Eichen, 
))Weiche*mit  ihrer  Geburt  entstehen  ,  und  wann  des  Todes  Geschick 
nahet,  so  vertrocknen  die  schönen  Bäume  zuerst  am  Boden,  die 
Rinde  faulet,  die  Aeste  fallen  ab  und  die  Seele  entweichet.“  Sonst 
aber  sind  sie  nicht  blos  als  lange  lebend,  sondern  als  unsterbliche 
Göttinnen  mehr  ideal  aufgefasst,  und  somit  von  den  Bäumen  unab¬ 
hängig,  ihr  Leben  und  Wachsen  bedingend.  Die  Nymphen  der  Tiefe 
sind  bald  Quell-  bald  F  e  I  d  -  2)  bald  W  ie  s  e  n  n  y  m  p  h  e  n  3). 
Nach  besondern  Gegenden  gab  man  ihnen  verschiedene  Benennun¬ 
gen,  als  meliadische  am  malischen  Meerbusen  (si  oben  §.  15), 
parnasiscbe  am  gleichnamigen  Berge,  korykiscbe  an  mehre¬ 
ren  Orten  ^).  Die  Nymphen  wurden  dem  spätem  Göttersysfem  da¬ 
durch  einverleibt,  dass  man  ihnen,  wie  der  Aphrodite,  Zeus  zum  Va¬ 
ter  gab  ^).  *  Die  Nymphen,  welche  die  Haine,  die  Quellen  der  Flüsse 
und  die  Wiespn  bewohnen,  besuchen  nach  Homer  (II.  XX,  8)  die 
GöKerversammlung.  Man  weiht  ihnen  Gebete  und  Opfer  ^). 

Ingleichen  stehen  die  anorganischen  Dinge  und  die  Veränderun¬ 
gen  in  der  Natur  unter  der  regierenden  Vorsehung.  Diess  erhellet 
schon  daraus,  weil  sich  der  Heide  Alles  von  Gol!  erfüllt  und  bevöl¬ 
kert  dachte,  er  lieh  der  Erde  als  Gäa  oder  Bhea,  dem  Ocean, 
dem  Mittelmeer  als  Nereus,  einem  jeden  Flusse  und  Bache 
nach  ihren  Eigennamen  als  3000  Söhnen  und  eben  so  vielen  Töch¬ 
tern  des  Okeanos  und  der  Tethys,  den  Meereszuständen  als  den  Ne¬ 
reiden,  der  Sonne,  dem  Monde,  den  Gestirnen,  dem  Son¬ 
nenaufgang  und  den  Winden  menschliches  Denken  und  in  ge¬ 
wissem  Betracht  freies  Handeln. 


’)  Nvfxcpai  öpsanddsg ,  Zeus  Töchter,  pflanzen  Ulmen  bei  Hom. 
II.  VI  ,  420. 

2)  dyQovöfzot  Od.  VI,  106. 

leiucüvidöeq  Soph.  Philoct.  1449. 

')  Aeschy).  Eum.  22.  Sophocl.  Antig,  1114.  Ovid.  Heroid.  XX. 
Metam.  I,  320. 

5)  Od.  VI,  105.  IX.  151.  6)  Od.  V,  350.  XIV  435.  XVII,  210.  240. 

r 


127 


Die  Nereiden  sind  ursprünglicii  pelasgisclic  Göllinnen  ') ,  und 
galten  nach  der  Bedeutung  ihrer  Namen  für  die  alten  Beschützerin¬ 
nen  der  Schiffe  und  Seefalirt.  Zu  ihnen  wurden  gezählt:  2)  die  Mee¬ 
resruhe  {ralrjvij') ,  die  Blaue  (rXavxij),  die  Wogende  (Kv/ucä) ,  die 
Schnellwogende  {Kvfzodörj),  die  Behende  (ßoij)  ^  die  Wellenheschwich- 
ligerin  {KvfjLodöxrj  und  Kv/j.ato'krjyTj') ,  die  Meeresbewohnerin  {FXav- 
xovöjuij) ,  die  Seefahrerin  (ILopzonÖQeia) ,  die  schnelle  ('/^r.TOiJdjy), 
kluge  (^iTtTtopöt}')  und  niulhige  Seglerin  (^M£Pi:t7t7j')  ,  die  Vorsichtige 

QIqopözj),  die  gute  Führerin  {Ev:t()/uzi]') ,  die  Seeräuberin  {Anayo^ij), 
die  Kauffahrtheischiffahrl  {Evayö^zj),  die  Waarenbringende  (jPsQovaa), 
die  Gabenreiche  (Evdcop}^),  die  Vermögende  {Jvvafxivrf) ,  die  Insel¬ 
reiche  (iV^CToi)  ,  das  Inselland  (^Ntjaairf)  ,  Malta  (MfA/r^ ,  wichtig  für 
die  Schifffahrt  im  Mittelmeere),  die  Brandung  {Kvficö) ,  das  Gestade 
i^Riövrj'),  das  sandige  Ufer  Ql>aiJ.ädri) ,  das  Küstenland  (^Ay-tairj  mit 
bestimmter  Beziehung  auf  Attika),  die  Buchtenreiche  (Ezsiui) ,  die 
Hafenreiche  (EL^ifj.svrj'). 

In  dem  Vorzeichnisse  der  Okeaninen^)  sind  Iheils  wirkliche 
ausgezeichnete,  theils  allegorische  (lUir^o),  TIXovtm,  Tlx^  ,  OvQavir]), 
theils  das  Wasser  und  seine  Zustände  betreffende  Personen  unter¬ 
gebracht,  ohne  dass  wir  uns  Mühe  geben  dürfen,  den  Ursprung  aller 
ihrer  Namen  nachzuweisen.  Von  der  letzten  Gattung  sind:  die  Be¬ 
hende  (0d^),  die  schnell  ^  die  ringsum  Fliessende  (Ä/j.- 

cpiQoi),  die  Abschüssige  (^IIqvuvm),  die  Klippenreiche  ,  die 

Seglerin  (l7c:z(o)  ,  die  Gabenreiche  {Ilo'kvduiQrj  und  EvöwQt]').  Was  den 
Glauben  an  die  Vorsehung  über  das  Element  des  Wassers  betrifft, 
so  erinnere  man  sich  an  das  Gebet,  welches  der  aus  dem  Meere  an 
die  Mündung  eines  Flusses  geschwommene  Odysseus  an  den  Fluss¬ 
gott  als  einen  König  richtet,  der  ihn  auch  willfährig  erhörte*). 


')  Herod.  II,  50. 

2)  Theog.  243  ff.,  wo  der  Scholiast  sagt:  zä  oPo/Liaza  zo^p  NrjQt^U 
dcop  (Lg  TZQog  ta  SaKdaaia  ayi^y,aza  y.al  efötj  Xeyezai.  Mehrere  von 
ihnen  werden  auch  von  Homer  II.  g',  39  ff.  Apollodor.  I,  2,  7  und 
Hygiu  in  der  Voirede  angeführt. 

3)  Hom.  Od.  IV,  703  nennt  die  Schiffe  Rosse  des  Meeres. 

<•)  Theog.  346  ff.  Hora.  h.  in  Cer.  418  ff. 

*)  Od.  V,  445  ff. 


128 


Um  den  Willen  der  Götter  im  Himmel  und  auf  Erden  zu  voll¬ 
bringen,  so  war  der  allumfassende  llimmelsbogen,  Iris,  ein  allezeit 
fertiger  Götterbote,  das  bereitwillige  Werkzeug  der  Vorsehung. 

§.  26. 

Der  Jahreslauf  und  der  Jahreszeiten  Wechsel  stehen 
unter  göttlicher  Obhut. 

»Den  Hesperiden,  sagt  die  Theogonie  V.  215  f. ,  sind  die 
schönen  goldenen  Aepfel  jenseits  des  Okeanos  und  die  fruchttragen¬ 
den  Bäume  angelegen.«  Der  Baum ,  welcher  Blüthe  und  Früchte  in 
wechselnder  Fülle  hervorbringt  und  mit  sich  verjüngender  Kraft, 
nachdem  jene  abgestossen  sind,  fortdauert,  ist  ein  altes  Sinnbild  des 
Jahreswechsels  und  des  in  gewissen  Jahreszeiten  abrollenden  und 
sich  immer  wieder  erneuernden  Sonnenlaufes;  so  wie  1  Mos.  2,  9 
des  Lebens  ewige  Dauer  durch  einen  allegorischen  Lebensbaum 
mitten  im  Paradies  veranschaulicht  wird.  Vorzugsweise  befestigte 
sich  jene  Idee  an  den  Gitronen  -  oder  Pomeranzenbaum ,  welche 
Gattung  durch  das  Immergrün  und  durch  die  Erzeugung  stets  neuer 
Producte  das  unvergängliche  Leben  der  Erscheinungswelt  und  die 
Dauer  der  Zeit  ungeachtet  des  Abfallens  und  Hinwelkens  der  einzel¬ 
nen  Erscheinungen  am  besten  zu  bezeichnen  schien.  Zufolge  der 
libyschen  Geschichte  des  Königs  Juba  von  Mauritanien  •)  haben 
nemlich  die  Libyer  die  Citrone  hesperischen  Apfel  genannt.  Cleri- 
cus  2)  vergleicht  daher  die  semitische  Wurzel  -ibö  (schön  seyn),  und 
die  Griechen  mögen  das  libysche  Wort  mit  Rücksicht  auf  das  Vater¬ 
land  des  Baumes  sowohl  als  der  Allegorie  selbst  in  das  ähnlich  klin¬ 
gende  ’EaTtsgidbiv  fiiqkov  verändert  haben.  „Eine  gewaltige  Schlange, 
sagt  die  Theog.  V.  334  f. ,  bewacht  in  den  Schluchten  der  finstern  Erde 
an  ihren  Grenzen  die  goldenen  Aepfel.«  Das  ist  die  Schlange,  die 
allen  üibebern  des  Lebens  beigegeben  wird,  und  welche  hier  das 
endlose  Leben  beim  Verschwinden  der  Jahre  und  beim  Wechsel  der 
Jahreszeiten  sorgsam  bewahret. 


*)  Bei  Allienaeus  III  p.  83,  wo  auch  p.  82  die  Zeugnisse  des  Ti- 
machidos,  des  Painpbilos  und  Arislokrates  aufgefiihrt  werden. 

2)  Zu  lies.  Th.  215. 


129 


üen  Ursprung  der  Hesperidenfabel  verweist  die  Tlieogonie  in  den 
fernen  Westen,  wo  die  Sonne  in  Afrika  in  den  Ocean  sinkt';  indem 
sie  a.  a.  O.  die  Hesperiden  zu  Töchtern  der  Nacht  macht,  und  ihre 
Wohnung  jenseits  des  Okeanos  setzt.  Pomponius  Mela  (111,  10) 
führt  daher  mit  Hesiod  übereinstimmend  Inseln  im  Mittelmeer  als 
ihre  Sitze  auf;  Plinius  (H.  N.  V,  5  p.  219)  dagegen,  Ptoleraäus  (V, 'l) 
und  Ammianus  linden  sie  in  der  nachmaligen  Stadt  üerenice  in  Afrika. 
Beide  Angaben  mögen  in  so  fern  richtig  seyn,  als  man  den  Mythus 
nicht  auf  einen  einzigen  Ort  einschränken  darf. 

Der  phönicische  Sonnen-  und  Jahresgott  Herakles,  dessen 
Name  in  der  phönicischen  Sprache  sogar  Sonne  bedeuten  soll  *),  und 
welcliera  Nikomachus  den  Umlauf  der  Jahreszeiten  zuschrieb, 
wahrscheinlich  nur  ein  anderer  Name  für  Baal,  Adonis,  wurde  be¬ 
greiflicher  Weise  mit  den  Hesperiden  in  Verbindung  gedacht,  und 
noch  zur  Zeit  des  Plinius  des  Aeltern  (H.  N.  V,  5  p.  249)  stand  auf 
jenem  Vorgebirge,  wohin  er  die  Hesperiden  verlegte,  ein  Altar  des 
Herakles.  Die  Tyrier  und  Karthager  nannten  ihn  Melkarth,  d.  i. 
Stadtkönig  statt  m]:'  tiV’?)»  ein  offenbares  Beiwort  des  Baal. 

Der  Name  Herakles  scheint  mir,  den  ursprünglichen  Begriff  der 
Sonne  festhaltend,  mit  dem  griechischen  Ilyperion  gleichbedeutend 
zu  seyn  als  der  Herum  wandelnde  3).  Aus  dem  ursprünglichen 


*)  Farao  Leltera  sull’  interpretazioue  di  due  Vasi  filtili  Pestani. 

2)  Bei  Jo.  Lydus  de  mens.  p.  220  Roether. 

3)  Auch  in  .Aegypten  w'ar  Herakles  ein  viel  älterer  Gott  als  bei 
den  Griechen,  die  ihn  erst  dem  Thebaner  Herakles  gleich  setzten  und 
mit  dessen  menschlicher  Geschichte  verwoben.  Herodot  theilt  uns  in 
der  denkwürdigen  Stelle  H,  115  drei  ägyptische  Götterordnungen  mit, 
welche  nach  einander  aufgekommen  seyen,  und  macht  an  der  Spitze 
einer  jeden  Ordnung  einen  Gott,  ohne  Zweifel  den  obersten,  namhaft, 
von  den  ersten  acht  Göttern  den  Pan,  von  den  nachfolgenden  zwölf 
den  Herakles  (in  diese  Klasse  gehörte  wahrscheinlich  Phlha,  Neilh 
und  Ammun]  und  von  den  dritten,  die  aus  den  zwölfen  erzeugt  seyen, 
den  Osiris  (Dionysos).  Es  lässt  sich  hiernach  denken,  dass  die  frü¬ 
hem  Götter  durch  die  spätem  verdrängt,  die  altväterische  Pieligion 
jedoch  in  einzelnen  Kreisen  beibehalten,  Osiris  und  Isis  aber  allgemein 
verehrt  wurde,  Her.  H,  42. 


9 


130 


Eigenschaftswort  gestaltete  der  Polytheismus  einen  eigenen  Gott  und 
ordnete  ihn  dem  höclisten  Gott  (Zeus)  als  Sohn  unter. 

Die  Griechen  (jedoch  Hesiod  noch  nicht)  Hessen  darum  auch 
ihren  Herakles  mit  Beimischung  von  allerlei  Mährchen  die  Hesperi- 
den  aufsuchen,  und  bezeichneten  seine  hervorragende  Bedeutung  in 
dieser  Ideenreihe  dadurch,  dass  sie  ihn  dem  Atlas  seine  Last  ahneh- 
men  Hessen  und  so  zum  Himmelsträger  machten.  Die  Hesperiden 
pflücken  die  Aepfel  des  Baumes,  bringen  die  Zeit  zur  Erscheinung 
und  überreichen  sie  opfernd  und  huldigend  dem  Herrn  der  Zeit  He¬ 
rakles.  Daher  hat  dieser  den  Beinamen  utjXuyv  oder  ivi.ir]loq  ,  in 
welcher  Eigenschaft  er  auf  ägyptischen  Münzen  2),  auf  einer  Grab- 
larape  und  auf  einer  alten  Himmelskugel  als  Hercules  Ingenicu- 
lus '•)  einen  Zweig  mit  drei  Aepfeln  in  der  Hand  hat,  und  in  Böolien 
und  zu  Athen  durch  ein  Opfer  von  Aepfeln  geehrt  wurdet).  Man 
unterschied  die  Jahreszeiten  bald  durch  die  Anzahl  der  Aepfel,  bald 
durch  die  der  Hesperiden.  Auf  einem  Vasengemälde  •’)  hat  der  von 
der  Schlange  umwundene  Baum  nur  drei  Aepfel,  und  Herakles,  den 
wir  auf  der  Kehrseite  als  Himmelsträger  erblicken,  wird  von  einer 
Hesperide  vor  dem  Baume  bewillkommt.  Wir  denken  hier  nicht  so¬ 
wohl  an  die  drei  Zeiten,  die  vergangene,  gegenwärtige  und  zukünf- 

’)  Creuzers  Dionysos  I.  p.  145  ff.  Daher,  glaube  ich,  erklärt 
sich  das  dunkle  Beiwort  des  Zeus  ,  welches  der  Marquis 

Noinlel ,  französischer  Botschafter  am  türkischen  Hofe,  am  Eingang 
einer  Felsengrolte  auf  einem  Berggipfel  auf  Naxos  geschrieben  fand  : 
OPOS  JIOH  MHASl^IOT,  und  welches  Spon  ignotorum  Deorum  arae 
in  Gronov.  Thes.  VH  col.  241  nicht  zu  entzilfern  wusste.  Der  Vater  der 
Horen,  welcher  nach  Pherecydes  (bei  Schob  Eurip.  Hippolyt.  737)  auch 
die  Hesperiden  mit  Themis  erzeugt  haben  soll,  verdiente  so  gut  als 
Herakles  den  Beinamen  von  den  Aepfeln.  Daher  sollen  diese  goldenen 
Aepfel  bei  der  Hoebzeilfeier  des  Zeus  mit  Here  gewachsen  seyn,  nach 
Pherecydes  bei  Eratosthen.  calasterism.  3  u.  bei  Schob  Apoll.  IV,  1396. 

2)  Creuzers  Bilderb.  z.  Symb.  T.  II  n,  1. 

3)  Bellori  Part.  II  fin. 

‘'')  Inghirami  Mon.  Etr.  S.  VI  tab.  L  2  n.  3- 
Pollux  I,  1,  27.  Hesych.  v. 

Inghirami  S.  V.  tab.  17. 


131 


lige,  wie  Job.  Lydus  (p.  220),  sondern  vielmehr  an  die  Jahreszeiten, 
deren  man  in  alter  Zeit  nur  drei  zählte,  den  Herbst  in  dem  Sommer 
mitbegritren  '). 

Auf  einer  Vase  von  Pästum  und  einer  andern  verwandten  3) 
ist  der  Begriff  der  Jahreszeiten  auf  vier  HeSperiden  vertheilt,  und 
also  eine  Fortbildung  des  Fabelkreises  ersichtlich.  Auf  der  ersten 
hat  der  fruchtreiche  Baum  die  Inschrift  'Eo:i£piÖ£,  auf  die  Aepfel  zu 
bezieiien.  Auf  beiden  wird  die  Lebensschlange  aus  einer  Patera  ge¬ 
füttert,  auf  der  ersten  durch  die  Okeanine  Kalypso,  auf  der  andern 
durch  die  Hesperide  als  Frühling,  da  das  Leben  neue  Nahrung  ge¬ 
winnt,  neben  ihr  schiesst  eine  Pflanze  auf.  Auf  der  ersten  ist  die 
F  r  ü  h  1  i  n  g  sh  es  p  er  i  de  durch  Bänder  in  den  Haaren  ausgezeich¬ 
net,  und  durch  einen  Spiegel  in  der  Linken  als  Sinnbild  der  sich 
verjüngenden  Schöpfung.  Frucht  hat  sie  noch  keine  in  der  Hand. 
Beigeschrieben  ist  der  Name  NHAIHA ,  welcher  uns  an  die  sicilische 
Niaiga,  Gattin  des  Helios  und  Mutter  der  zwei  Hüterinnen  der  Son¬ 
nenherden  in  Sicilicn  erinnert.  Ucber  ihr  ist  der  Kopf  der  Athene, 
Vorsteherin  dieser  Jahreszeit,  mit  dem  Diadem  und  dem  Namen 
AQNAKIE.  Der  Sommer  pflücket  auf  beiden  Vasen  Aepfel  von  dem 
Baume;  das  Gewand  dieser  Hesperide  ist  auf  der  zweiten  Vase  offen, 
ihr  Haar  fliegend  und  sie  allein  unbeschuht.  Neben  ihr  steht  auf 
der  ersten  der  Schw'an,  und  ihr  Name  'EPMHSA,  von  dem  Vorste¬ 
her  ihrer  Jahreszeit  Hermes  genommen,  dessen  bekränztes  Haupt 
mit  dem  Schlangenstah  über  ihr  abgebildet  ist.  In  der  Mitte  der 
Neäsa  und  Hermesa  steht  auf  der  ersten  Herakles  als  jugendlicher 
Gott  mit  Diadem,  Keule,  Köcher  und  Bogen  und  der  Löwenhaut, 
in  der  Hand  eia  Apfel  und  mit  dem  rechten  Fuss  auf  der  Weltkugel. 
Auf  der  andern  Seile  des  Bechers  stehen  die  beiden  andern  Hespe- 
riden.  Der  Herbst  wird  auf  der  zweiten  Vase  durch  viele  Aepfel, 
die  er  in  sein  Gewand  sammelt,  auf  der  ersten  durch  die  mystische 
Binde  in  der  Rechten  durch  die  Erinnerung  an  die  Mysterien  in  die¬ 
ser  Jahrszeil,  durch  einen  Ajffel  in  der  Linken,  durch  den  Namen 
ANSEIA  und  den  verhüllten  Kopf  der  Here,  TAPA  (ra'HQo)  ge- 


1)  Diodor.  I,  11.  12.  26.  Jabionski  Opuscul.  II  p.  230. 

2)  Inghirami  S.  V.  lab.  16.  Iiighirami  S.  V  lab.  18. 

M  Od.  XII,  133. 


132 


nauni,  ausgezeichnel.  Der  Win  I  er  endlich  ist  auf  beiden  Denkmalen 
verschleierl,  um  die  düstere  Herrschaft  des  Nachtreiches  zu  bezeich¬ 
nen.  Auf  dem  zweiten  bewahrt  diese  Hesperide  die  Aepfel  in  einem 
Myslerienkästchen  auf,  um  anzudeuten,  dass  die  Natur  im  Winter 
in  sich  verschlossen  die  Samen  sammle,  gleichsam  in  einem  Kasten 
niederlege  und  zum  nächsten  Jahressegen  verwahre.  Es  gab  aber 
Mysterien  des  Herakles  (wobei  die  Männer  in  Frauenlrachl  erschie¬ 
nen  i),  wie  bei  der  Festfeier  des  Hermes  und  der  Aphrodite),  und 
die  Hesperidenäpfel  werden  unter  den  geheimen  Zeichen  in  den  My- 
slerienkästchen  genannt  2).  Auf  der  ersten  Vase  ist  diese  Hesperide 
mit  Namen  AISiri'2  die  hagerste,  im  Zustande  der  Schwachheit  auf 
die  vorige  Schwester  gestützt,  ohne  Apfel  und  allein  ohne  Hals¬ 
schmuck:  ihre  herahfalleude  Locke  erinnert  an  Harpokrates.  lieber 
ihr  ist  Pan  mit  Bockshörnern,  das  Sternbild  des  Sleinbocks  be¬ 
zeichnend  3). 

Der  mit  der  Schlange  umwundene  Baum  kommt  häufig  auf  ita¬ 
lischen  Grabesdenkmalen  als  Sinnbild  des  wechselvollen  Lebens  vor, 
mit  Hinweisung  auf  die  P'ortdauer  der  allgemeinen  Lebenskraft.  Die 
Aepfel,  welche  einzelne  Jahreszeiten  und  Jahre  bedeuten,  und  dem 
Herakles  als  Herrn  der  Natur  in  die  Hand  gegeben  wurden,  schei¬ 
nen  überhaupt  als  Sinnbilder  der  Macht  dessen,  der  sie  trug  oder 
dem  sie  nachgetragen  wurden,  angesehen  worden  zu  seyn;  wie  wenn 
die  tausend  Trabanten  der  persischen  Könige,  /nt^locpopui  genannt, 
goldene  Aepfel  auf  ihren  Stäben  hallen  ') ,  oder  wenn  der  Reichs¬ 
apfel  eines  von  den  Kleinodien  des  deutschen  Reiches  war. 


■')  Jo.  Lydus  de  mens.  IV,  46  p.  220. 

2)  Arnob.  adv.  Gent.  V  p.  213. 

3)  Vgl.  Heidelberg.  Jabrb.  1824  N.  49.  Die  Namen  der  Hesperi- 
riden  ,  Aegle,  Aiethusa  und  Hesperusa,  welche  Servius  ad  Virg. 
Aen.  IV,  484  angeblich  ans  Hesiod  beibringt,  lassen  wir  dahingestellt 
seyn.  Auch  sie  würden  unsre  Deutung  nur  bestätigen :  die  erste  (Licbt- 
glanz)  zeigt  den  neuen  Aufschwung  der  Sonne  an,  die  zweite  (von 
a^srij)  ist  die  Fülle  des  strotzenden  Jahressegens ,  und  die  dritte  ist  die 
abendliche  und  winterliche. 

'>)  Athen.  XII  p.  410.  504  Schw'eigh.  Brisson.  de  reg.  Persar.  princ. 
p.  270.  ed.  Lederl.  Als  Schafe  werden  die  Aepfel  der  Hesp. 


Wie  die  Jahreszeileu,  so  wurdeu  auch  Tag  und  Nachl  perso- 
uificirt.  Sie  halten  am  Eingang  in  den  Tartarus  beim  Atlas  ihre  mit 
Wolken  bedeckte  ßeliausung,  wo  sie  einander  naliend  anreden  und 
abwechselnd  aus-  und  eingehen,  ihre  Stunde  erwartend.  Der  Tag 
bringt  das  Licht  auf  die  Erde,  die  in  eine  Wolke  gehüllte  Nachl  hat 
den  Schlaf  in  den  Händen  '). 

S-  27. 

Die  Veränderungen  in  der  Welt  stehen  unter  höherer  Leitung, 
weil  das  All  als  ein  Ganzes  und  somit  das  Einzelne  durch  dieses 
bedingt  gedacht  wurde.  Wie  die  verschiedenen  Welllheile  aus  einem 
einzigen  Keime  sich  entwickelten,  so  herrscht  ein  Tolalzusammen- 
hang  unter  ihnen  selbst,  ein  Conlacl,  eine  Wechselwirkung  und  Mit- 
leidenheit.  Das  ist  die  verborgene  Macht  des  Schicksals,  die  sich 
mit  dem  Werden  des  Alls  entfaltete.  MÖQog  wird  daher  in  der  Theo- 
gonie  V.  211  unter  den  Kindern  der  Nachl  zuerst  aufgeführt.  Die 
Nachl  ist  des  Schicksals  Mutter  wegen  seiner  geheimnissvollen  und 
unsichtbaren  Gewalt  und  Wirkung.  Wenn  spätere  Philosophen  die 
Well  einen  Organismus  (fwov)  nannten,  so  leuchtet  die  harmonische 
üebereinsliramung  aller  Glieder  schon  aus  der  Weltansichl  der  Theo- 
gonie  (726  f.  735  fif.  8ü6  ff.  815)  ein,  wornach  auf  der  Markscheide 
zwischen  der  Erde  und  dem  Tartarus  die  Wurzeln,  Quellen  und 
Grenzen  des  Tartarus,  der  Erde,  des  Millelraeeres,  des  Okeanos 
und  des  Himmels  sind.  Dort  liegt  also  der  Mittelpunkt  des  ganzen 
Weltkreises.  Es  ist  desshalb  eben  so  weit  abwärts  in  den  Tartarus 
als  aufwärts  zum  Himmel:  neun  Tage  und  Nächte  lang  würde  ein 
Ambos  vom  Himmel  auf  die  Erde  fallen,  und  eben  so  lange  von  der 
Erde  bis  in  den  Tartarus  2).  Weil  ein  Baum  in  der  Wurzel  die  Be¬ 
dingung  seiner  Fortdauer  und  ein  Gebäude  unten  den  Grund  seiner 
Fesligkeit  hat,  weil  sich  die  göttliche  Allmacht  besonders  in  der  un¬ 
zählige  Keime  weckenden  Tiefe  offenbart;  so  setzte  man  in  dieser 


gedeutet  von  Diodor.  IV,  Ü7.  Varro  de  R.  U.  11,  I,  0.  Palaeph.  da 
liicred.  19  u.  Serv.  Aen.  IV,  'i8i. 

‘)  Theog.  743  ff. 

2)  Theog.  719  ff. 


134 


Na(uraüschauung  den  Grund  der  Allmaclil  in  die  UnterweK,  und 
machfe  den  We  l  ( e  ifer  und  Sieg,  die  Macht  und  Gewalt  zu 
Kindern  der  Styx  und  des  Pallas  ').  Oben  bricht  die  Mancbfal- 
tigkeit  heraus,  unten  aber  sind  die  Grutjdfeslen  der  ünveränder- 
lichkeit. 

Das  Zusammenhängen  des  Wellganzen  wird  im  Atlas,  dem  ho¬ 
hen  mit  ewigem  Sclinee  bedeckten  Berge  in  Weslafrika,  vorgeslelK, 
welcher  um  so  geeigneter  erscheinen  musste,  diese  Idee  auszudrücken, 
weil  er  im  fernen  Abendlande  steht,  wo  man  sich  alles  Geheimniss- 
volle,  das  Keich  der  Nacht  und  den  Eingang  in  den  Tartarus  dachte, 
und  weil  die  von  den  Seefahrern  erworbene  dunkle  Kunde  von  die¬ 
sem  Gebirge  der  schöpferischen  Einbildungskraft  hinlänglichen  Spiel¬ 
raum  verstatlete.  Homer  (Od.  I,  53' f.)  legt  ihm  theils  zufolge  der 
natürlichen  Anschauungsweise,  Berge  Säulen  des  Himmels  zu  nen¬ 
nen  2),  theils  weil  ihn  die  Eingebornen  selbst  Himmelssäule  nann¬ 
ten  3),  »hohe  Säulen  bei,  welche  zwischen  Erde  und  Himmel  stehen.“ 
Dasselbe  drückt  Hesiod  (Th.  745  f.)  bildlich  also  aus:  »Atlas  steht 
an  des  Tartarus  Pforten  vor  der  Behausung,  wo  die  Nacht  und  der 
Tag  sich  scheiden,  und  hält  fest  mit  dem  Haupte  und  unermüdlichen 
Händen  das  Himmelsgewölbe.“  Auch  Homer  a.  a.  O.  personificirt 
den  Atlas  als  »einen  weisen  Mann,  welcher  des  ganzen  Meeres  Tiefen 
kenne«,  d.  h.  welcher  bis  hinunter  reicht  in  des  Meeres  Abgrund, 
und  mit  seinen  Gipfeln  bis  an  den  Himmel  raget.  Wird  ihm  aber 
menschliche  Empfindung  und  Weisheit  bcigelegt,  so  bedeutet  er 
wahrscheinlich  die  Verbindung  des  Wellganzen  ,  gleichsam  die  Brücke 
von  Himmel,  Erde,  Meer  und  Unterwelt,  den  Stamm  zwischen  der 
Wurzel  und  den  Zweigen.  Was  in  Atlas  physisch  vorgestellt  wird, 
dasselbe  haben  die  Christen  geistlich  in  Gottes  Sohn  ,  welcher  aus 


U  Theog.  383  ff. 

2)  Hiob  26,  11.  Find.  Pyth.  I,  36. 

3)  Herod.  IV,  184.  In  der  Landessprache  hiess  der  Berg  eigent¬ 
lich  nach  Strabo  und  Plinius  Dyris,  und  noch  heutzutage  Daran, 
welches  Wort  bei  dem  Umstande,  dass  mehrere  alle  Urgebirge  den 
Begriff  des  Uranfä'nglichen  vom  Stier  entlehnten,  wie  der  Taurus,  die 
Alpen,  die  Apenninen  ,  mit  dem  chaldäischcn  (Rind),  so  wie  Atlas 
selbst  mit  dem  etruskischen  traXöq  (Stier)  Zusammenhängen  möchte. 


der  Hölle  uud  des  Grabes  Tieleii  oiiiporschoss  über  aller  liiuiiuel 
iliuiniel ,  eiue  Säule,  woran  die  Erde  sich  aufwärts  richtet  und  die 
Menschheil  auch  beim  Untergang  der  Well  sicher  ruht. 

Wenn  das  All  als  ein  zusammenhängender  Organismus  begriffeu 
wurde,  so  scheint  darin  eine  Ahnung  zu  liegen,  dass  die  Wellj^.des 
alleinigen  Golles  Geschöpf  ist.  Hiermit  verband  der  Heide  den 
Glauben  au  ein  in  einander  greifendes  Sympalhisiren  Himmels  uud 
der  Erde.  Wenn  der  Christ  die  göllliche  Vorsehung  in  ihrem  Wal¬ 
ten  vom  höchsten  und  allgemefeen  Slandpuukt  aus  bis  ins  Kleinste 
herab  anbelel,  so  verehrte  der  Heide  den  Kellenzug  der  Natur,  die 
gegenseitige  gleichsam  elektrische  Einwirkung  aller  Wesen.  Hören 
wir  darüber  neuplalonische  Philosophen,  welche  jenen  allen  Aber¬ 
glauben  zum  Gegenstände  ihres  Nachdenkens  machten,  und  ihn  in 
seinem  inwendigen  Grunde  begrifl'en,  wo  er  noch  einige  Wahrheit 
enthält,  und  woraus  er  also  ohne  Zweifel  im  ersten  Anfang  entsprang. 
Obgleich,*  sagt  Plolinus  (Euu.  11.  L.  111  c.  8),  ein  Jegliches  Wesen 
seinen  eigenlhümlicheu  Wirkungskreis  hat  (ro  auxov  n^dizov) ,  so  ist 
doch  keines  vom  Ganzen  getrennt,  sondern  wirket  zugleich  in  das¬ 
selbe  ein,  uud  leidet  hinwieder  vom  andern.  Es  gibt  eiue  natürliche 
Einwirkung  vom  Ganzen  in  die  Theile  und  von  den  1  heilen  zum 
Ganzen,  oder  der  Theile  untereinander.  Denn  das  Weltganze  ist 
ein  Organismus,  dessen  Seele  auf  alle  Theile  in  ihm  sich  erstreckt  *). 
Wie  in  einem  Individuum,  so  ist  auch  im  All  ein  Alles  verbinden¬ 
der  Hauch  {av ij-nvoia  fiia)  ^).  Auch  das  Ferne  ist  nahe,  wie  die 
Glieder  eines  Leibes  sich  nahe  siud^),  und  wie  im  Tanze  die  gleich- 
mässige  sympathetische  Bewegung  ersichtlich  ist  *).  Wie  die  Bewe- 


’)  So  drückt  sieb  auch  der  unbekannte  Verfasser  einer  Abhand¬ 
lung  von  den  natürlichen  und  künstlichen  Einwirkungen  der  Wesen  auf 
einander  in  Villoison’s  Aneedota  Gr.  T.  II  p.  227  f.  aus,  welche  Ab¬ 
handlung  zwar  mit  der  Plotins  Enn.  II.  L.  III,  c.  8  —  13  ähnlich  ist, 

jedoch  nicht  von  Plotinus  selbst  geschrieben  seyn  kann. 

5=)  Plotin.  Enn.  II.  L.  III,  c.  7. 

Plolin.  Enn.  IV  L.  IV,  c.  32  p.  426:  avuTiaäkq  örj  ndv  totiTO 

TO  iv ,  y,al  lög  fcoot'  i't’,  ycai  rb  6^  eyyvi;'  oio^teQ  S(p  ivbq  r<öp 

if.aOiv.aaxa ,  ovv^  val  vSQag  val  ddnTvloq. 

'*)  Plolin.  Enn.  IV  L.  IV,  c.  33  p.  427. 


gungen  des  Tauzes  durch  den  Rhythmus,  so  werden  die  Bewegun¬ 
gen  des  Alls  nicht  durch  den  Zufall,  sondern  mit  Vernunft  bestimmt. 
Oer  Zusammenhang  und  die  Einwirkung  der  einzelnen  Kräfte  ist 
willenlos,  das  Ganze  aber  hat  die  Absicht  {7tQoaiQ£oiq) ,  welcher  alle 
einzelnen  Kräfte,  auch  die  feindselig  auf  einander  wirkenden,  dienen. 
Selbst  das  Leblose  hat  seine  Reihe  im  Ganzen,  nichts  ist  klein  oder 
verworfen,  .411es  hat  seinen  Zweck,  und  ein  jedes  hat  eine  andere 
Kraft,  das  Auge  eine  andere  als  der  Fuss.  So  ist  es  nun  auch  am 
Himmel  mit  den  unwandelbaren,  wfüwohl  sich  bewegenden  Gestir¬ 
nen,  welche  die  Alten  und  selbst  noch  Plotiii  (Enn.  II.  L.  III,  c.  9) 
Götter  nennen.  Theils  ihre  Stellungen  und  Gruppirungen  {rä  oy^rj- 
{.taxa),  theils  sie  an  und  für  sich  selbst  (of  ayr] i^iaxi^ojusvoi)  äusseru 
eine  Einwirkung  auf  die  Erde.  Bei  der  vernuuftmässigen  Bewegung 
der  ganzen  Welt  werden  die  Theile,  wie  an  einem  einzelnen  Kör¬ 
per,  nach  Gesetzen  in  Bewegung  gesetzt  und  in  immer  neue  Stel¬ 
lungen  gebracht.  Als  Urheber  ist  somit  das  den  Reigen  der  Welt¬ 
körper  veranlassende  All  (6  CTX7,««r/^cov)  anzusehen.  Die  Figuren, 
welche  die  Sterne  bilden,-  sind  gleichsam  die  Rhythmen  des  Welt¬ 
organismus,  und  darnach  richten  sich  die  Dinge  auf  Erden  (ßpdaöl 
rä  ovr£7tö/.t£Po.).  Dass  die  Gruppirung  der  Gestirne  schon  eine  eiu- 
wirkende  Kraft  besitze,  wird  daraus  ersehen,  weil  dieselben  Sterne 
in  verschiedener  Lage  etwas  Anderes  wirken,  und  weil  ja  schon  ge¬ 
malte  Figuren  einen  Eindruck  auf  den  Beschauer  machen.  Da  aber 
verschiedene  Sterne  im  nemlichen  Dreieck  verbunden,  doch  etwas 
verschieden  wirken,  so  hängt  die  Einwirkung  auch  zum  Theil  von 
der  Natur  der  Sterne  selbst  ab.  Nicht  allein  aber  einen  wirklichen 
Einfluss  (Txoirjoii;) ,  sondern  auch  eine  Bedeutsamkeit  {arjjxa- 
oLa)  schrieb  man  dem  Sternenhimmel  zu,  in  so  ferne  ein  Theil  des 
Ganzen  sympathetisch  den  Zustand  des  andern  Theils  abspiegelt  *). 
Wie  man  aus  den  Augen  eines  Menschen  auf  seinen  Gemüthszustand 
und  seinen  Charakter  schliesst,  so  auch  im  Weltganzen  von  einem 
Theil  auf  den  andern,  wie  von  den  Vögeln  und  andern  Thieren,  oder 


')  Vgl.  PloUn.  Enn.  IV  L.  IV,  c.  34  p.  428  und  das  angeführte 
Itrucbslück  in  Villois.  Anecd.  Gr.  T.  H  p.  229  IT.  Plotin  sagt  von  der 
Dedeiitsainkeil  a.  a.  0.  c.  39  p.  433:  'Lvvxaicoixiviav  öi  dsl  ndvztav,  y.al 
liq  er  Ol mXorvTcov  Trd.rxMV ,  arj^iaivxoßai.  nd.vxa. 


137 


nocli  mit  mehr  Reclit  von  grossem  und  bedeutendem  Theilen,  >\ie 
die  Gestirne  sind.  Alles  ist  voll  von  Zeichen ,  der  Weise  weiss  sie 
zu  finden*).  —  Vögel,  besonders  Raubvögel ,  sind  vorbedeutend  bei 
Homer:  der  Falke  oder  Habicht  (x/pxoj)  ist  Apollons  schneller  Bote  2). 
Wenn  sie  zur  Rechten  flogen,  so  waren  sie  günstig  3),  zur  Linken 
ungünstig  '*).  Zeus  gibt  durch  den  Blitz  und  durch  den  Donner 
eine  günstige  Vorbedeutung. 

Den  Fixsternen  schrieb  man  eine  blos  vorbedeulende,  der 
Bewegung  der  Wandelsterne  aber  eine  einwirkende  Kraft,  und 
zwar  auf  leibliche  Zustände,  Armulh  und  Reichthura,  Krankheit  und 
Gesundheit,  Schönheit  und  Hässlichkeit  und  Gemüthsbewegungen  zu. 
Ein  jeder  Planet  habe,  behaupteten  die  Astrologen,  seine  eigene 
Kraft,  wie  das  Auge  oder  die  Galle  im  Thier.  So  schatTen  Mars 
und  Venus  die  Wollust  im  Menschen.  Die  Planeten  wirken  aber 
verschieden  beim  Aufgang,  ira  Meridian  und  bei  ihrer  Neigung.  Der 
Mond  ist  als  voll  gut,  als  neu  schädlich.  Es  gibt  böse  kalte  und 
gute  warme  Planeten,  jene  werden  gut,  wenn  sie  ferne  sind  oder 
des  Tages  erwärmt  werden,  diese  sind  besonders  des  Nachts  gut. 
Kommen  sie  einander  gegenüber  zu  stehen,  so  werden  sie  beide 
schädlich.  Es  kommt  darauf  an,  ob  die  Planeten  einzeln  stehen, 
oder  einige  einander  anblicken,  welche  Figuren  sie  dann  bilden, 
oder  ob  sie  allesammt  in  Wechselwirkung  treten.  Plotin  (Enn.  H 
L.  III  c.  1—6)  beurtheilt  und  bestreitet  zum  Theil  diese  Meinungen 
der  Astrologen;  nach  seiner  Ansicht  hängt  vorzüglich  die  manchfal- 
tige  Verschiedenheit  des  individuellen  Lebens  von  der  verschiedenen 
Constellalion  ab;  nicht  die  Art  selbst  kommt  von  oben  her,  sondern 
das  Einzelwesen  empfängt  bei  seiner  Geburt  eine  Zugabe  von  der 
bei  seinem  Werden  vorhandenen  Verknüpfung  der  Gestirne.  Diese 
bildet  also  das  Pferd  nicht,  sondern  gibt  einem  werdenden  Pferde 
etwas,  dass  es  gerade  ein  solches  sey.  Bald  wird  auf  diese  Weise 
die  Bildung  gefördert ,  bald  gehindert.  Daher  ist  ein  Sohn  bald  bes¬ 
ser,  bald  schlechter  als  sein  Vater.  Freilich  ist  hierbei  auch  die 


')  Plotin.  Enn.  II.  L.  III,  c.  7,  w'o  es  heisst:  aocpöq  rig  ö  txadMV 
äXlov  äXXo. 

2)  Od.  XV,  5-2G.  Od  XV,  160  öe^ioq  oQfiq. 

'•)  Od.  XX,  242.  ’)  Od.  XX,  lO.'I.  *')  Od,  XXI,  413. 


138 


Malerie  im  Spiel,  je  nachdem  sie  von  der  Form  mehr  oder  minder 
heherrsclil  wird. 

Diese  astrologischen,  magisclien  und  maulischen  Gruudsälze,  ob¬ 
gleich  von  spätem  Philosophen  vorgetragen,  sind  doch  der  Haupt¬ 
sache  nach  uralt,  und  werden  von  den  Titanen  Koios  und  Phoibe 
und  ihren  Nachkommen  Leto,  Asteria  und  Hekate  vertreten; 
wie  wir  oben  wahrgenommen  haben. 


C.  Wie  verhält  sich  der  Mensch  zu  Gott? 

1 )  Im  Allgemeinen. 

§.  28. 

Der  Mensch  ist  in  seinem  Entstehen  und  Bestehen  von 
Gott  abhängig.  Der  Titan  Japelos,  den  wir  als  den  ersten  Men¬ 
schen  der  Theogonie  oben  bezeichnet  haben,  ist  der  Sohn  Him¬ 
mels  und  der  Erde  *)  •  Himmlisches  und  Irdisches  ist  in  der  mensch¬ 
lichen  Natur  vermischt,  ein  höheres  Gepräge  ist  ihr  aufgedrückt  als 
allen  andern  Gesciiöpfen  auf  Erden.  Während  die  Thiere  von  der 
Erde  und  dem  Meere  abstammen,  so  hat  allein  der  Mensch  gemein¬ 
schaftlich  mit  den  Göttern  den  Himmel  zum  Vater.  Japet  ist  ein 
Titan  so  gut  als  der  allerhöchste  Kronos  und  die  Sonue  Hyperioii. 

Die  griechische  Fabellehre  begrenzt  das  iapetisclie  Geschlecht 
nicht  auf  das  griechische  Volk  allein.  Wenn  bei  Moses  (I,  10)  Tar- 
tessus  ein  Nachkomme  Japhets  ist,  so  ist  es  in  der  Theogonie  At¬ 
las.  Dieses  ürgebirge  aber  ist  um  so  mehr  zugleich  eine  Personi- 
fication  der  dortigen  Menschheit,  weil  daselbst  eine  Völkerschaft 
Namens  wohnhaft  war  2),  weil  die  Griechen  dem  Atlas 

Kinder  zuschrieben,  namentlich  den  FJesperus  als  den  Stammvater 
der  Hesperier,  die  Elektra,  die  sich  nach  Samothrace  verehelichte  3), 


')  Theog.  134  2j  Herod.  IV,  184. 
Hellanikus  bei  Schob  Apollon.  I,  910. 


139 


und  die  Maia,  die  Multer  des  Hermes^).  Wegen  des  Atlas,  scheint 
es,  wurde  dem  Japetos  die  Tochter  des  den  Berg  Atlas  bespülen¬ 
den  Okeanos,  Kl  y  mene,  zur  Gattin  beigegeben  2). 

Das  Wort:  »seyd  fruchtbar  und  mehret  euch  und  füllet  die  Erde«, 
sichert  den  Bestand  des  Menschengeschlechts,  indem  es  eine  fort¬ 
dauernde  Schöpfung,  eine  ergänzende  Erhaltung  veranlasst.  Jenes 
Wort  verkörperte  sich  bei  den  alten  Griechen  in  Aphrodite  und 
ihrem  Sohne  Eros.  Wenn  diese  Götter  das  Vermögen  der  Fortpflan¬ 
zung  und  den  Geschlechtstrieb  in  der  ganzen  Natur  darslellen,  so  walten 
sie  auch  in  der  Menschenwelt,  allein  io  veredelterer  Gestalt.  Aphro¬ 
dite  hat  hier  zu  ihrem  Theil  das  Lächeln,  das  Liebkosen,  die  Täu¬ 
schung  und  vertrauliche  Unterhaltungen  3),  Sie  hat  nach  Homer 
(11.  XIV,  214  ff.)  an  der  Brust  einen  gestickten  Zaubergürtel ,  woran 
Zuneigung,  Sehnsucht,  vertrauliches  Gespräch  und  Zureden  ist.  Ihr 
gewöhnliches  Beiwort  ist  die  Lächelnde  {q)i'koj.isidiiq).  Die  Peitho, 
der  Genius  der  Ueberredung,  des  Okeanos  Tochter^),  und  die  gei¬ 
stesverwandte  Paregoros,  das  Zureden  ^) ,  wurde  zu  Athen  neben 
der  Aphrodite  Praxis  in  ihrem  Tempel  von  Praxiteles  abgebildel  ®). 
Eros  trat  unter  den  Menschen  in  der  Gestalt  der  Liebe  auf  und 
drückte  zugleich  die  inwendige  Zuneigung  der  Herzen  aus.  Als  sol¬ 
cher  wurde  Eros  auch  besonders  als  Ilimeros^)  (Liebesverlan- 
gen)  und  Pothos  (Sehnsucht)  personificirt,  und  Skopas  bildete  sie 
in  jenem  Tempel  zu  Athen  neben  einander  8).  Die  richtige  Unter¬ 
scheidung  Platons  (Cratyl.  p.  420  A)  verdient  hier  eine  Stelle,  dass 
nemlich  l'/uegog  das  Verlangen  nach  einem  gegenwärtigen  Gegenstand, 
rtödoi  aber  nach  einem  entfernten  sey.  Der  Ehestand  als  die  ordent¬ 
liche  Werkstätte  der  Fortpflanzung  stand  unter  der  Aufsicht  der 


i)  Theog.  937.  2)  Theog.  508. 

3)  Theog.  205  f.  Theog-  349. 

3)  Als  Zureden  ist  Paregoros  zu  fassen,  nicht  als  Tröstung  beim 
Liehesschmerz ;  denn  man  vergleiche  II.  XIV,  217,  wo  die  gleichbedeu¬ 
tende  :tdQcpaaiq  im  Gürtel  der  Aphrodite  steckt,  wovon  gesagt  wird, 
dass  sie  den  Sinn  auch  der  Weisen  betrüge. 

Pausan.  I,  43,  6.  ?)  Theog.  201. 

3)  Pausan.  I.  c. 


140 


Aplirodile ‘)  >  und*  sie  selbsl  io  Verbiuduog  mit  Hermes  war  das 
Vorbild  der  Ehe. 

Persephone  und  Hermes  hallen  nach  Ipelasgiscb  samolhra- 
cischer  Lehre  unslreilig  eine  beslimrale  Beziehung  auf  den  Menschen. 
Persephone,  schlechlhin  Kögtj  d.  i.  Mädchen,  Menschenkind  ge- 
nannl,  war  nichl  allein  der  ausgeslreule  Sarne,  wiewohl  diess  ihr 
Grundbegriflf  war ,  und  an  diesen  alle  andern  sich  rcihlen.  Der 
Same  wurde  nemlich  bald  eigenllich ,  bald  uneigenllicb  und  sinnbild¬ 
lich  verslanden  und  aufgefassl.  Wir  können  diess  an  den»  unedirlen 
Grabesdenkmal  des  Archippos  im  Museum  Grimani  zu  Venedig  nach- 
weiseu,  wo  einem  Irauernden  zur  Erde  blickenden  Genius  gegen¬ 
über  ein  anderer  rail  zwei  Aehren  in  der  Hand  aufschaul.  In  der 
Menschenwell  gehls  wie  bei  einem  Saalfelde;  wenn  sie  ihre  Frucht 
gebracht  hal,  wird  sie  eingelhan  durch  die  Hand  der  Schnitter.  Da¬ 
her  wurde  der  Erudlekranz  {elQEawvrf),  den  man  am  Erndlefesl  urn- 
herlrug,  auch  einem  Verstorbenen  zu  Ehren  aufgehäugt  2);  womit 
man  sagen  wollte:  seine  Aehren  sind  reif,  die  Garbe  ist  zeitig  und 
wird  eingelhan  in  die  Scheune.  Daher  erklärt  sich  auch  die  Ver¬ 
bindung  der  Thargelia  als  des  Erndlefestes  rail  der  Lustralion  von 
.4then.  Der  orphische  Hymnus  (XXIX,  13)  nennt  die  Persephone 
»Leben  allein  und  Tod  für  die  mühebeladenen  Menschen«,  und  bit¬ 
tet  sie  nichl  nur  um  Früchte  aus  dem  Boden,  sondern  auch  uro  Ge¬ 
sundheit.  Der  orphische  Hymnus  (XL,  2)  nennt  Demeter  Amme  der 
Jugend  {y.ovQorQÖcpoq). 

Es  ist  bemerkenswerth ,  dass  die  trauernde  Demeter  mitten  in 
ihrem  Schmerze  über  die  in  des  Hades  Arm  versunkene  Tochter 
durch  die  schlüpfrigen  Scherzreden  der  Jambe  im  Hause  des 
Keleus  aufgeheitert  wird,  dass  sie  lachen  musste  3).  Ein  bedeutsa¬ 
mer  Wink  von  dem  Wiederersalz  der  Gestorbenen  durch  Geschlechts¬ 
trieb  und  Fleischeslust,  wodurch  die  Mutter  Erde  allein  über  den 
Verlust  der  Hingeschiedenen  getröstet  werden  kann.  Noch  deut¬ 
licher  tritt  dieser  bei  Homer  fein  angedeulele  Gedanke  in  einer 
gröber  sinnlichen  orphischen  Fabel  hervor,  wornach  Demeter  in  ih- 


')  Hon».  II.  IV. 

2)  Alciphroii  111  epist.  37. 

11.  h.  in  Cer.  202  ff.  Anthol.  T.  111  p.  209  Jacobi. 


141 


rem  Jammer  zuerst  den  von  Raubo  dargereichten  Labelrunk  ver¬ 
schmäht  habe,  darnach  aber  zum  Lachen  gereizt  wurde,  als  ihr 
Raubo  ihre  Schamlheile  aufdeckte;  der  Knabe  Jacchus  befijhlle  sie 
lachend  unter  der  Hüfte,  worauf  die  Göttin  herzlich  lächelte  und  den 
angebolenen  Mischtrank  annahm  ').  Was  Raubo  für  eine  Allegorie 
sey,  sagt  ihr  Name  genugsam,  indem  ßovßtöv  im  Griechischen  die 
Schamdrüseu  bedeutet.  Nachdem  Demeter  diese  gesehen  und  dem 
zeugungslustigen  Gott  zu  seinem  Werke  geholfen,  so  mischte  und 
erhielt  sie  wieder  das  Leben,  indem  sie  den  Mischtrank  zu  sich 
nahm.  Die  Erhaltung  und  Ergänzung  der  Gattung  ist  durch  die 
forlpflanzenden  Theile  beider  Geschlechter  bedingt;  dadurch  lebt  das 
hinfällige  Geschlecht  immer  wieder  auf  und  bleibt  stets  in  frischer 
Jugend.  Nachgehends  vermischte  sich  damit  die  Lehre  von  der  See¬ 
lenwanderung,  wornach  dieselben  Seelen  (gleich  einem  in  den  Ro¬ 
den  gefallenen  Samen)  wieder  aus  dem  Orcus  kehrten.  Als  Vorbild 
galt  davon  die  eigene  Mutter  des  Dionysos,  welche  er  aus  der  Un¬ 
terwelt  herauf  geholt  haben  sollte  2).  Als  eine  vergötterte  Sterbliche 
kennt  sie  schon  Hesiod  (Th.  941). 

§.  29. 

Des  Menschen  Geschick  wird  von  oben  gelenkt  und  ist 
zum  Theil  schon  in  den  Sternen  geschrieben,  Asteria,  der  Ge¬ 
stirne  Einfluss,  erzeugt  die  wohlthälige  Hekate,  von  welcher  Glück 
und  Segen  den  Menschen  zu  Theil  wird.  Von  sich  aus  gebiert  die 
dunkle  Nacht  das  Schicksal  {Mo^og),  das  schwarze  Verhäng- 
niss  ,  den  Tod  (Gdrarog) ,  den  Schlaf  (’T.Ttog)  und  die 

Schaar  der  Träume  C'OPii()a)  ^).  Diese  von  dem  Willen  des  Men¬ 
schen  unabhängigen  Zustände  werden  als  göttliche  Mächte  über  ihn 
gestellt. 

Wie  die  Einzelnen  und  F'amilien  so  stehen  auch  die  V'^erbindun- 
gen  der  Menschen  in  Staaten  unter  höherer  Aufsicht,  In  pelasgi- 


*)  Orph,  (fragm,  XVI  Hermann,  p.  457)  bei  Clem.  Uoh.  ad  Genf, 
p.  32,  Euseb.  Pr.  Ev.  II,  3  p.  ü6  u.  Arnobius. 

2)  Apollodor.  III,  5  das.  Heyne.  Paiisan.  Corinth.  31,  2. 

3)  Theog.  211  IT. 


142 


scher  Urzeit  galt  Nereus  als  der  Gott  des  klaren  Elements,  als 
der  Wahrhallige  für  das  Vorbild  einer  guten  Obrigkeit,  in  so  fern 
sich  diess  aus  seinen  Töchtern  Ntj /n  und  0£/ziarw')  schlies- 

sen  lässt.  Diese  beiden  umfassen  ihrer  Wortbedeutung  nach  die 
Haupltugenden  einer  Regierung,  Wahrhaftigkeit  und  Recht,  und  pfle¬ 
gen  unzertrennlich  beisammen  zu  seyn,  wie  auch  die  hebräische 
Sprache  beide  BegrilTe  mit  einem  und  demselben  Worte  bezeichnet; 
denn  das  Klare  und  Wahre  ist  auch  das  Gerechte.  Diese  Ideenver¬ 
knüpfung  tritt  auch  in  der  Fabel  hervor,  dass  Themis  einst  gewahr¬ 
sagt  habe.  Zu  diesen  leitenden  und  helfenden  Gottheiten  scheinen 
gleichfalls  die  zwei  anderen  Nereiden  zu  gehören:  die  Mässiguug 
(Evx^aTr^)  und  das  Wohlseyn  (2aw)  2). 

lieber  den  Krieg  ist  in  dieser  Periode  Enyo  mit  dem  Safran- 
inaiilel  nebst  ihrer  Schwester  Pephredo  (Schauder)  gesetzt.  Sie 
heissen  zusammen  Gräen  d.  i.  alle  Weiber,  und  sind  grau  von 
Geburt  an.  Zu  Ellern  haben  sie  Phorkys  und  Kelo^),  weil  von 
diesen  die  Gorgonen  und  somit  das  Kriegsross  abstammen.  Mit  die¬ 
ser  Genealogie  verhält  sich’s,  wie  wenn  heutzutage  der  Erfinder  des 
Pulvers  der  Vater  des  Kriegs  genannt  würde.  Nach  Aeschylus 
(Promelh.  795)  waren  es  drei  Gräen  ,  welche  ein  gemeinschaftliches 
Auge  und  Einen  Zahn  haben  (d.  h.  sie  sind  nur  Eine  Idee  in  drei 
Personen),  die  weder  Sonne  noch  Mond  bescheinl.  Apollodor  (II,  4,  2) 
nennt  den  Namen  der  drillen  d.  i.  die  Schreckliche. 

Unter  den  Titanen  erscheint  Mnemosyne  als  Vorsteherin  aller 
geistigen  Thäligkeilen.  ln  der  drillen  Periode  ist  sie  mit  Zeus  die 
Mutter  der  Musen  und  somit  die  Beschützerin  der  Sänger  und  Dich¬ 
ter.  Alle  Dichter  '*)  machen  die  ällern  Musen  unmittelbar  zu  Töch¬ 
tern  des  Himmels  und  der  Erde  und  koordiniren  sie  also  dem  Kro- 


1)  Theog.  261  f.  Z)  Theog.  243. 

3)  Theog.  270  IT.  Hermann  Opusc.  II  p.  179  hält  die  Gräen  für 
die  an  das  Ufer  schlagenden  Wellen,  van  Lennep  ad  Hes.  1.  c.  für  See¬ 
kälber  oder  Affen.  Aber  schon  aus  Homer  II.  e,  333.  592  sollte  der 
Begriff  der  Städtezerstörerin  Enyo,  die  mit  Ares  zusammengeslellt  wird, 
klar  seyn. 

■*)  Alkman  bei  Diodor.  IV  p.  215  u.  Mimnermus  bei  Pausan.  Boeot. 
29  p.  766.  Musäus  bei  Schob  Apollon.  III,  3. 


143 


nos.  Uehereinstimraend  ist  der  Bericht  *),  der  sie  von  Zeus,  dem 
Sohne  des  Aelhers,  und  der  Nymphe  Piusia  abslammen  lässt;  denn 
jener  Zeus  ist  gleichbedeutend  mit  Uranos,  und  der  Name  der  Piu¬ 
sia  enthält  eine  Anspielung,  dass  die  Musensöhne  in  ihrer  Kunst 
reich  sind  und  machen.  Uie  Zahl  der  allen  Musen  wird  von  Epho- 
rus  drei,  von  Mnaseas  vier,  von  Myrtilus  sieben,  von  Krates  acht 
und  von  Ilesiod  neun  angegeben  2).  Die  Delphier  benannten  sie  vor 
Alters  nach  Massgabe  der  Uaupltonarlen  Nrjrrj,  Mdot]  und  ^T:tdtr] , 
d.  i.  den  höchsten  ,  miltlern  und  tiefsten  Ton  Otus  und  Ephialtes 
haben  den  Berg  Helikon  den  drei  Musen:  JMneme  (Erinnerung), 
Melete  (Nachdenken)  und  A  öde  Gesang)  geweiht^).  Sie 

deuten  nicht  mehr  blos  die  verschiedene  Melodie  au,  sondern  die 
Haupteigenschaften  eines  geschickten  Bhapsoden,  welcher,  was  sein 
Gedächtniss  ihm  bol  und  sein  Nachdenken  verarbeitete,  sinnig  zu 
singen  wusste.  Die  zwei  ersten  verhallen  sich  zur  dritten  wie  Inhalt 
zum  Vortrag,  und  der  Inhalt  ist  theils  ein  überlieferter,  theils  ein 
selbslthätig  gewonnener.  Nach  Andern  5)  hiesseii  sie  Arche,  Me¬ 
lete,  Tbelxinoe  und  .4  ö  d  e.  Die  erste  der  Anfang  genannt,  weil 
die  epischen  Dichter  mit  ihrer  Anrufung  zu  beginnen  pflegten,  die 
zweite,  das  Nachdenken,  zeigt  den  verständigen  Gehalt,  die  dritte, 
Geislesergötzung,  den  Zweck  des  Angenehmen,  und  die  vierte,  Ge¬ 
sang,  das  iMillel  zum  Zweck  an. 


*)  Aralus  L.  V  rtöi'  doTQty.cöu  bei  Tzetzes  in  Hcs.  Op.  p.  6  rich¬ 
tiger  als  Cic.  N.  D.  III,  2t  :  Musae  primae  quatluor,  nalae  Jove  altero. 
Denn  Juppiter  alter  wäre  nicht  üranos,  sondern  Kronos. 

2)  Arnob.  III  p.  121.  Die  Angabe  des  Cornutus  N.  D.  c.  14  und 
der  Eudocia,  dass  Einige  nur  zwei  Musen  kennen,  dürfte  auf  einer 
Verwechslung  beruhen;  vgl.  Schob  Apollon.  III,  3. 

3)  Plut.  Symp.  IX,  14.  Daher  gab  Varro  bei  Augustin,  de  Civ.  D. 
XVIII.  folgende  Ursache  der  Dreizahl  der  Musen  an:  quia  facile  esset 
aniraadvertere ,  omnemsonura,  qui  materies  cantileuarum  est,  triformem 
esse  natura. 

Pausan.  IX,  29.  Ephorus  bei  Arnob.  III,  14  p.  121.  fragm.  ed. 
Marx.  p.  204.  Varro  bei  Serv.  ad  Virgil.  Ecb  VII ,  21.  Diodor.  IV 
p.  215.  Augustin,  de  doctr.  Christ.  II,  17,  27.  Auson.  ep.  IV,  62. 
Aratus  I.  c.  Cicero  1.  c.  Eudocia  Violnr.  p.  293. 


144 


'2)  Wie  verli.111  sich  der  Mensch  als  ein  sitlliches 

Wesen  zu  G  o  1 1  ? 

\ 

§.  30. 

Ursprünglich  war  ein  Stand  der  Vollkommenheit  und  Gottähnlich¬ 
keit,  worauf  ein  Zustand  der  Verscldimmerung  und  des  Abfalls  folgte. 
Schon  der  Ursprung  des  Japetos  von  Himmel  und  Erde  beurkun¬ 
det  das  himmlisclie  Gepräge,  das  dem  Menschen  von  Erde  aufge¬ 
drückt  ist.  Noch  deutlicher  geht  diess  aus  der  griechischen  Lehre 
von  den  Weltaltern  hervor.  Der  indische,  persische  und  grie¬ 
chische  Glaube  setzte  in  Uebereinslimmung  mit  der  biblischen  Ur¬ 
kunde  an  die  Spitze  der  Menschengeschichle  einen  paradiesischen 
Zustand  ')•  Hesiod  (Werke  109  ff.)  schildert  das  erste  Menschen¬ 
geschlecht  als^das  goldene,  das  den  Göttern  gleich  harmlos  lebte 
in  frischer  Jugend,  ohne  Altersbeschwerden  und  Arbeit;  die  Erde 
erzeugte  aus  freien  Stücken  reichliche  Vorräihe ,  und  der  Tod  über¬ 
fiel  die  Menschen  wie  ein  Schlaf.  Die  Indier  und  Perser  nahmen 
ausser  diesem  noch  drei  Geschlechter  an,  eines  geringer  als  das  an¬ 
dere;  Hesiod  aber  schaltet  das  den  Griechen  eigenthümliche  Heroen¬ 
geschlecht  des  thebanischen  und  trojanischen  Krieges  ein,  und  zählt 
so  im  Ganzen  fünf  Weltalter.  Das  zweite  ist  das  silberne,  an 
Leib  und  Seele  geringer,  weder  gottesfürchtig  noch  menschenfreund¬ 
lich;  das  dritte  das  eherne,  aus  Eschen  gebildet,  stark  und  krie¬ 
gerisch,  das  sich  unter  einander  aufrieb;  das  vierte  die  Heroen 
vor  Thebe  und  Troja,  und  das  fünfte  das  eiserne,  frühe  alternd, 
voller  Mühe,  Sorgen,  Zwietracht  und  Gottlosigkeit.  Jene  Heroen 
vor  Troja  nennen  Homer  (11.  Xll,  2.3),  Hesiod  (Op.  160)  und  Pla¬ 
ton  (Apolog.  p.  28  C)  Halbgötter  {-^uidsoi  uvÖQaq^. 

Von  dem  Ursprung  des  Bösen  finden  sich  in  der  Theo- 
gonie  bedeutsame  Winke.  Die  mächtigen  E  rinny  en  d.  i.  die  Rache¬ 
geister  des  Bösen  sind  aus  den  Blutstropfen  des  entmannten  Uranos 
zugleich  mit  den  kriegslustigen  Giganlen  entsprungen  2),  und  die 


*)  Slolberg  Geschichte  der  Religion  Jesu  S.  367.  Zendavesta  hei 
Rhode  S.  163. 

2)  Theog.  18.5. 


145 


Entmannung  selbst  wird  als  ein  strafbarer  Frevel  an  der  Gottheit 
vorgestellt  *).  Wir  haben  oben  den  Sinn  jener  Entmannung  als  den 
Grund  des  selbstständigen  Lebens  ausser  Gott  in  der  I.ehre  von  der 
Schöpfung  begritTen  Wenn  nun  aber  die  Selbstständigkeit  ausser 
Gott  zugleich  als  der  Grund  alles  Bösen  und  somit  der  Erinnyen 
dargeslellt  wird,  so  finden  wir  eben  damit  die  Frage  nach  dem 
Grunde  der  Möglichkeit  der  Sünde  aufs  bündigste  beantwortet.  Der 
Stolz  ist  aller  Sünde  Anfang,  dieser  aber  ist  bedingt  durch  eine 
Entfernung  des  zeitlichen  Lebens  von  dem  göttlichen;  wer  frei  aus¬ 
ser  Gott  steht,  kann  sich  ihm  auch  gegenüber  und  entgegen  setzen. 
Die  ^alur  des  Menschen,  der  ausser  dem  Gesetz  der  Notbwendigkeit 
in  das  Reich  der  Freiheit  und  Willkür  gesetzt  ist,  enthält  die  Mög¬ 
lichkeit  des  Falls.  Das  Streben  aber,  sich  ausser  Gott  geltend  zu 
machen  und  sich  seihst  nach  sinnlicher  Willkür  Gesetz  des  Lebens 
zu  seyn,  ist  eben  das  Böse.  Die  Giganten,  als  welche  eine  Frucht 
des  am  Himmel  begangenen  Frevels  sind  und  zugleich  mit  den  Erin¬ 
nyen  entstehen,  enthalten  den  NebenbegritT  des  Abfalls  von  Gott, 
und  wie  in  der  h.  Schrift  2)  die  Biesen  von  den  Söhnen  Gottes  mit 
den  Töchtern  der  Menschen  erzeugt  sind,  so  gibt  es  auch  in  der 
Theogonie  zwei  Linien,  ein  adeliges  und  ein  gemeines  Geschlecht, 
die  Japetiden  von  Himmel  und  Erde,  und  die  Giganten  von  dem 
durch  Frevel  vergossenen  Samcnhlut  des  Lümmels  entsprossen.  Die 
G  ig  a  n  1 0  m  a  ch  i  e  mag  zugleich  ein  Sinnbild  des  widerspenstigen 
Auflehnens  der  Menschen  wider  die  Gottheit  gewesen  seyn. 

Die  Strafe  folgt  der  Sünde  auf  dem  Fusse  nach.  Die  Erin¬ 
nyen,  welche  sowohl  durch  das  Gewissen  als  durch  sonstige  Straf¬ 
mittel  die  Ruchlosigkeit  der  Menschen  ahnden  und  besonders  in  der 
Ewigkeit  ihr  furchtbares  Amt  der  Vergeilung  ausühen ,  sind  die  Strafe 
und  Schranke  des  ausser  Gott  Gesetzten,  des  vollzogenen  Abfalls. 
Sie  werden  deutlich  als  Gottheiten  des  allen  Styls  in  den  Eumeniden 
des  Aeschylus  (z.  B.  768.  798)  bezeichnet  im  Gegensatz  zu  Zeus, 
Apollon  und  Athene  als  Göttern  neuern  Stamms.  Eine  Mutter  würde 
die  furchtbare  Erinnys  wider  ihren  Sohn,  der  sie  verstösst ,  aufrufen, 
heisst  es  Odyss.  H,  135.  Der  Mutter  Epikaste  Rachegeister  (Eqiv-’ 
vvsq)  vollziehen  die  Strafe  an  dem  Sohne  Oedipus,  welcher  unwis- 


')  Theog.  209  f. 


2)  1  Mos.  0,  4. 


10 


146 


senllicli  in  bliitschünderisclicr  Ehe  mit  ihr  gelebt  hat  ').  Sic  bestra¬ 
fen  unter  der  Erde  den  Meineidigen ,  sagt  Agamemnon,  der  die  Erin- 
nyen  bei  einem  Scliwur  anrief 2).  Ihre  Strafe  besteht  bisweilen  in 
dem  Unrecht  selbst,  worauf  Unheil  erfolgt.  So  klagt  Agamemnon 
den  Zeus,  das  Schicksal  und  die  im  Dunkeln  wandelnde  Erinnys  an, 
dass  sie  ihm  die  Unbesonnenheit  eingegeben  hätten,  den  Achilleus 
zu  beleidigen  3).  Aeschylus  (Eumen.  920)  singt :  »Die  aus  den  frü¬ 
hem  entstandenen  Sünden  führen  den  Menschen  zu  den  Erinnyen, 
und  schweigend  zermalmt  das  Verderben  auch  den  Grossprecher  mit 
feindseligem  Grimm.“  Zu  Athen  hiessen  sie  schlechthin  die  ehrwür¬ 
digen  Göttinnen  (oe^vaA  -daaC),  zu  Sicyon  die  Wohlmeinenden 
/Ltsvidsg')  ^).  Ihr  und  des  Theseus  Heiligthura  war  zu  Athen  eine 
Freistätte  für  Verfolgte  Der  Gedanke  an  sie  entwaflhete  die  Ver¬ 
folger.  Wenn  Ilesiod  (Th.  185)  das  Geschlecht  der  Erinnyen  kos- 
mogonisch  ableitete,  dass  die  Erde  sie  von  den  Tropfen  des  ent¬ 
mannten  Uranos  gebar,  so  genealogisirte  sie  Aeschylus  ethisch  als 
Kinder  der  Nach  t  und  gab  ihnen  die  Mören  zu  Schwestern  ^).  Als 
Persephone  zur  Königin  des  Nachtreiches  gestempelt  wurde,  so 
machte  man  sie  zur  Mutter  der  Eumeniden  ^).  Euripides  (Orest.  398) 
nennt  sie  drei  der  Nacht  gleiche  Mädchen,  und  sein  Scholiast  (zu 
V.  37)  führt  ihre  Namen  auf:  Tiaicpöp?]  ^  Meyaiga  und  "‘AXtjxtm,  wo¬ 
durch  ihr  Begriff  in  drei  Theile  zerlegt  wird,  ihre  Namen  (von  r/w, 
rpövog,  fiieyaiQco  und  zusammengesetzt  bedeuten  die  unaufhör- 

licli  zürnende  Bluträcherin.  . 

Die  Nacht,  die  Finsterniss  ist  wie  im  Morgenlande  so  in 
der  Theogonie  Sinnbild  und  Mutter  der  Laster,  ihrer  traurigen  Fol¬ 
gen  und  der  göttlichen  Strafgerechtigkeit.  Platon  (Alcib.  J  p,  13i  E) 
setzt  das  Ungöttliche  und  Finstere  in  gleiche  Linie.  Nach  Hesiod 


*)  Od.  XI,  280.  Die,  welche  gerächt  werden,  stehen  im  Genitiv 
bei  Erinnyen,  so  Od.  XVII,  475:  »es  gibt  Götter  und  Rachegeister  der 
Armen.« 

2)  II.  XIX,  259.  3)  II.  XIX,  87. 

^)  Pausan.  Corintbiacis.  Suidas  in  Orjosiov. 

Aeschyl.  Eumen.  69.  317.  410.  949.  Bei  Sophocl.  Oed.  Cot.  42 
sind  sie  Töchter  der  Erde  und  der  Fiuslerniss. 

^)  Orph.  hymn.  XXIX,  6. 


147 


(Th.  214  ff.)  »gebiert  die  Nacht  das  Schicksal  (Mopog) ,  das 
schwarze  Verhängniss  den  Tod  —  sodann  den  Spott 

(MM/uog) ,  das  thränenreiche  Elend  {’Oi^vg) ,  die  Mören  und 
Rachegeister  (Kij^sg),  welche  der  Menschen  und  Götter  Ueber- 
tretungen  verfolgend,  von  dem  erschrecklichen  Zorne  nicht  ablassen, 
bis  sie  dem  Frevler  gebührende  Strafe  vergotten  haben.  Die  ver¬ 
derbliche  Nacht  gebar  auch  die  Nemesis,  zur  Züchtigung  der  sterb¬ 
lichen  Menschen,  hernach  den  Trug,  den  Beischlaf,  das  jämmer¬ 
liche  Aller  und  die  hartherzige  Zwietracht  (”E^)cg').  Die  ver¬ 
hasste  Zwietracht  aber  gebar  das  Mühsal,  die  Vergesslichkeit 
den  Hunger,  Schmerzen,  Blulvergiessen,  Mord, 
Schlachten,  Todtschlag,  Hader,  Lügenreden,  Zank, 
Ungesetzlichkeit  und  das  Verderben  i^’Arrj)^  die  mit  einan¬ 
der  verwandt  sind,  und  den  Eid,  der  die  Menschen  sehr  beschä¬ 
digt,  so  jemand  wissentlich  einen  Meineid  schwört.« 

Als  Hauplsünden  werden  somit  hervorgehoben:  Trug,  Fleisches¬ 
lust  und  Hass.  Wenn  der  Trug,  wie  oft,  nur  als  eine  Bestimmung 
des  Folgenden  anzusehen  ist,  so  gäbe  es  zwei  Wurzeln  der  Laster¬ 
haftigkeit:  täuschende  Sinnenlust  und  trügerischen  Hass,  eine  ver- 

/ 

kehrte  Liebe  und  Mangel  an  Liebe.  Neben  der  gehässigen  gibt  es 
aber  auch  eine  gute  und  nützliche  Eris,  welche  die  Nacht  vor  der 
schlechten  gebar,  d.  i.  der  Wetteifer,  »der  auch  den  Müssiggänger 
zur  Arbeit  erwecket.”  Ja  wenn  nach  Hesiod  (Op.  18)  der  erha¬ 
bene  Kronide  diese  an  die  Wurzeln  der  Erde  gesetzt  hat ,  so  hat 
sie  nicht  nur  eine  sillliciie,  sondern  auch  nach  der  Lehre  des 
Heraklilus  eine  kosmogonische  Bedeutung,  dass,  wie  es  unter  den 
Menschen  einen  heilsamen  Widerstreit  gibt,  also  auch  in  der  Ent¬ 
wicklung  der  Dinge  aus  ihrem  Widerstreben  die  schlummernden 
Triebe  geweckt  und  eine  höhere  Einigung  bewirkt  wird. 

Die  Ker  pflegt  bei  gewaltsamem  Tode  2),  oft  auch  mit  dem 
Ausdruck  von  Tod  oder  Mord  verbunden  3)  gebraucht  zu  werden. 
Die  Theogonie  (211  f.)  nennt  darum  neben  einander  Ker  und  Tha- 
nalos,  gewaltsamen  und  natürlichen  Tod.  Die  Ker  heisst  auch  To- 


Hes.  Op.  20. 

2)  Od.  III,  410.  IV,  502.  VI,  11. 

5)  Od.  II,  283.  352.  III,  242.  IV,  273- 


148 


desparce  ')  ,  und  wie  sic  unter  den  Naclilgeburlen  in  der  Tlieogonie 
in  der  Einzahl  neben  dem  Schicksal  erscheint,  so  auch  eben  daselbst 
in  der  Mehrzahl  neben  den  Schicksalsgöttinnen  (MoT^ai),  und  so  sind 
sie  auch  auf  dem  Schilde  des  Herakles  neben  und  ausser  den  Moren 
als  schwarze  Todesgöttinnen  abgebildet,  die  mit  den  weissen  Zähnen 
knirschen,  in  den  Schlachten  auf  die  Gefallenen  die  Klauen  werfen, 
das  schwarze  Blut  aussaugen  und  die  Seelen  in  den  Hades  senden  2). 
Auf  einem  Vasengemälde  3)  schwebt  eine  Ker  über  dem  von  Herak¬ 
les  erlegten  Alkyoneus  und  ergreift  ihn  beim  Kopf.  Es  scheint  aber 
unthunlich,  dass  dieselbe  Tlieogonie  V.  218  f.  Klotho,  Lachesis  und 
Atropos  zu  Töchtern  der  Nacht,  und  V.  905  nach  der  spätem  Ueber- 
lieferung  zu  Töchtern  des  Zeus  und  der  Themis  macht.  Hesiod  bleibt 
sich  sonst  gleich ,  ohne  sich  in  solche  Widersprüche  zu  verwickeln. 
Ich  pflichte  daher  dem  Commentator  van  Lennep  S.  224  bei,  dass 
jene  zwei  Verse  aus  V.  905  f.  am  Rande  wiederholt,  sich  fälschlich 
in  V.  218  f.  eingeschlichen  haben.  Bei  den  Geburten  der  Nacht  sind 
es  die  ältern  Mören,  die  nicht  mit  den  Töchtern  des  Zeus  zu  ver¬ 
wechseln  sind. 

Die  Vergeltung,  Nemesis,  als  eine  insgeheim  wallende  Macht 
ist  gleichfalls  eine  Geburt  der  Nacht.  Sie  hiess  auch  'ÄSQdaxfta  von 
Adrast,  der  ihr  einen  Altar  errichtete^).  Da  sie  die  Willkür  der 
Menschen  zügelt,  so  hat  sie  einen  Zaum  als  Attribut,  und  da  sie  in 
der  Ferne  erreicht,  die  Flügel  und  die  Schleuder;  wenigstens  war 
die  zu  Smyrna  verehrte  Nemesis  mit  Flügeln  versehen^),  die  rham- 
nusische  ohne  Flügel.  Als  prüfende  Gerechtigkeit  hatte  sie  das 
Maass  oder  Richtscheit  auf  smyrnäischen  Münzen  6);  oder  sie  stellte 


’)  MoTq  oXo'^  tavaXrjysoq  ßaväxoio  Od.  II ,  100.  III,  238.  MotQa 
Od.  III  ,  269. 

2)  Hes.  Scut.  249  ff.  Od.  II,  316.  IV,  512.  V,  387. 

Bei  Tischbein  II,  20.  S.  Bötliger  in  Schlichtegrolls  Auswahl 
von  Gemmen  des  Sloschischen  Kahinets  I  S.  H5  und  meine  Recens. 
V.  Inghiramis  M.  Etr.  Ileidelb.  Jahrh.  1824  S.  799  ff. 

"*)  Aeschyl.  Prom.  936-  Antimachus  hei  Siraho  XIII  p.  588. 

•’)  Paiisan.  Allic.  33,  6. 

Liebe  Gotha  nnmaria  p.  282. 


149 


mit  ihrem  Arm  das  Ellenmaass  vor*).  Die  Gerechligkeil  ist  ihre 
Beisitzerin.  »Du  missest  stets,  sagt  ein  alter  Dichter  2),  am  Maass 
der  Sterblichen  Leben  ab,  und  blickest  zum  Busen  hinunter  mit  im¬ 
mer  ernstem  Blick.«  Als  Zeichen  der  Rache  hat  sie  das  Rad;  denn 
der  Dreschwagen  der  Alten  diente  zur  Züchtigung  von  Verbrechern  3). 
In  Verbindung  mit  Aedos  (Jidcog')  ist  Nemesis  das  sittliche  Gefühl,  die 
Gewissenhaftigkeit  der  Menschen,  vermöge  welcher  man  das  Böse 
für  schandbar  achtet,  richtet  und  straft,  t'o  verbindet  Homer  (11.  XIII, 
122)  beide  Wörter:  iv  cpQsal  ^iads  aidcö  xal  veiueaiv,  schämt  euch 
eurer  Feigheit  und  verabscheut  dieselbe.  Im  eisernen  Zeitalter  ent¬ 
weichen  Aedos  und  Nemesis  in  weisse  Gewänder  gehüllt  von  den 
sündigen  Menschen  zum  Olympos  und  überlassen  sie  unreltbar  ihrem 
Verderben  ^);  d.  h.  niemand  schämt  sich  und  niemand  verabscheut 
mehr  das  Böse.  Aedos  erscheint  auf  Münzen  als  eine  jugendliche 
Gestalt ,  die  einen  Schleier  vors  Gesicht  zieht. 

Das  Verderben,  Ate,  wird  von  Homer  (II.  XIX,  91)  zu  einer 
Tochter  des  Zeus  gemacht,  welche  mit  leichten  Füssen  verderblich 
über  die  Häupter  der  Menschen  schreitet.  Sie  ist  vornemlich  das 
selbstverschuldete  Unglück,  und  darum  bei  Hesiod  eine  Tochter  der 
Eris,  vertraut  mit  dem  gesetzwidrigen  Leben  (^Jvavo/uitj).  So  auch 
Homer  (II.  IX,  510  ff.):  wer  gegen  die  Bitten  (Änat)  taub  ist,  und 
somit  feindselig  und  eigensinnig,  über  den  kommt  Ate  und  verhängt 
Strafe  und  Schaden. 


*)  Museum  Pio- Clement.  T.  II  n.  I3.  Eine  Münze  von  Tripolis 
in  Creuzer’s  Bilderb.  T.  IV  n.  6. 

2)  Mesomedes  in  h.  in  Nemes.  Anlholog.  Gr.  II,  292. 

2)  Richter  8,  7.  16.  2  Samuel.  12,  31.  Daher  Spr.  Sal.  20,  26: 
„ein  weiser  König  zerstreut  die  Gottlosen  und  bringet  das  Rad  über 
sie.«  Dionysius  der  Thracier  hatte  eine  eigene  Schrift  über  die  Bedeu¬ 
tung  des  Sinnbildes  der  Räder  geschrieben  (Giern.  AI.  Strom.  V,  8 
p.  672).  Creuzer  Symbol.  IV  S.  601  hält  das  Rad  für  ein  Zeichen  des 
Umschwungs  der  Nemesis.  Von  diesem  Sinnbild  in  den  Mysterien 
siebe  unten. 

*)  lies.  Op.  200. 


150 


§•  31. 

Es  war  insbesondere  Aufgabe  der  g  r  iech  i  s  c  lien  Myste¬ 
rien,  den  Mensclien  von  seiner  sittlichen  Seite  im  Verhällniss  zur 
Goltlieit  aufzufassen.  Gegenstand  der  samothracischen  und 
e  1  e  u s  i ni scli  e n  Mysterien  war  der  Raub  der  Persephone  *).  De- 
meler  und  Kore  hiessen  schiechtiiin  die  grossen  Göttinnen  2),  Die 
physischen  Lehren,  welciie  an  diesen  Glauben  sich  knüpften,  haben 
wir  oben  nacbgewiesen ,  und  die  Eingeweihten  sahen  zunächst  durch 
den  Schleier  der  Fabel  die  Naturveränderungen  vergöttert,  wie  sich 
Cicero  über  die  eleusinischen ,  samothracischen  und  lemnischen 
Mysterien  richtig  ausdrückt.  Gleichwie  aber  zwischen  dem  Reich 
der  Natur  und  dem  Gebiete  der  Sittlichkeit  einiger  Zusammenhang 
ist,  und  auf  jeden  Fall  jenes  voll  von  Sinnbildern  und  Gleichnissen 
der  moralischen  Weltordnung  ist;  so  liegen  die  religiös  sittlichen 
Winke,  die  Mahnungen  zur  Veredlung  und  Heiligung  in  der  Fabel 
von  Persephone  sehr  nahe,  und  nach  den  Bemerkungen  der  Allen 
von  dem  hohen  Werth  der  Mysterien  für  das  Leben  und  Sterben 
der  Menschen  sind  wir  genöthigt,  jene  uns  ansprechenden  Winke 
und  Spuren  genau  ins  Auge  zu  fassen  und  zu  verfolgen.  Nur  dann 
haben  wir  die  Mysterien  richtig  verstanden,  wenn  wir  in  diesen  Zu¬ 
sammenhang  des  Natürlichen  und  Geistigen  eingedrungen  sind.  Auch 
der  Israeliten  religiöse  Feste  lehnten  sich  an  Natur-  und  Jahresfeste 
an;  Ostern,  Pfingsten  und  Laubhütten  waren  Gedächlnisstage  von 
den  Führungen  Gottes  mit  seinem  Volk  und  zugleich  Dankfeste  für 


*)  Von  der  eleusinischen  Geheimlehre  sagt  Tatian.  tiq.  "EXkrjvaq 
n.  8  p.  251:  "‘Äcdoavshq  aQTtö^st  xi^v  Köqtjv  ,  y.al  ai  avxov  ysyö- 

vaat  ^vox^Qia.  Vgl.  Isocrat.  Panegyr.  c.  6  p.  59.  Ihre  Einerleiheil 
mit  den  samothracischen  Mysterien  lässt  sich  schon  aus  der  Nachricht 
des  Mnaseas  bei  Schol.  Apollon.  Arg.  915  von  den  Namen  der  samo- 
thracischeu  Kabiren  und  aus  dem  geschichtlichen  Zeugniss  llerodots 
II,  51  von  der  Wanderung  der  samothracischen  Pelasger  schliessen, 
wird  aber  auch  ausdrücklich  von  Terlultian  Apologet,  c.  7  bezeugt. 

2)  Sophocl.  Oed.  Col.  683.  Pausan.  Messen.  Anfg.  p.  281. 

3)  Cic.  N.  D.  I,  42:  Quibus  explicatis  ad  ralioneraque  revocatis, 
rerum  magis  natura  cognoscilur  quam  Deorum. 


151 


die  jährlich  vviederkehreiiden  Segnungen  der  Erndle  und  Weinlese. 
Sogar  das  Christenlhuni,  diese  rein  iniierliciie  Religion,  die  in  des 
Menschen  Sohn  den  MiUelpunkt  unsrer  Versöhnung  und  Heiligung 
aufstellt,  schliesst  die  Naturbetrachtung  nicht  aus,  wie  wenn  Paulus 
in  Christi  Tod  der  Welt  Ende  schaut  und  daraus  die  Anwendung 
auf  sich  macht:  „durch  Christum  ist  mir  die  Welt  gekreuziget  und 
ich  der  Welt«  (Galat.  6).  Aehnliche  Ideen  wurden  ungesucht  durch 
die  Mythen  und  die  Gebräuche  der  griechischen  Mysterien  angeregt. 
Wir  beschränken  uns  jetzt  auf  die  Anklänge,  die  in  der  Fabel  selbst 
liegen,  und  behalten  uns  vor,  unten  von  der  Mysterienfeier  zu  reden. 
Die  Berechtigung  zur  geistlichen  Deutung  gibt  uns  schon  Pythago¬ 
ras,  der  seine  Weisheit  unter  andern  auch  zu  Eleusis,  in  Imbros 
und  Samothrace  erlernt  haben  soll  *).  Derselbe  Cicero  (Legg.  II,  11) 
sagt  von  den  atlischen  Weihen,  sie  gestalten  das  rohe  Leben  zu 
einem  menschlichen  und  gesitteten  um,  und  sind  eine  Schule,  nach 
richtigen  Grundsätzen  mit  Freuden  zu  leben  und  mit  besserer  Hoff¬ 
nung  zu  sterben.  Die  Stifter  der  Weihen  behaupten,  wer  als  Un- 
geweihter  in  das  Schattenreich  kommt,  wird  im  Morast  liegen,  der 
Geläuterte  und  Geweihte  aber  wird,  dort  angelangt ,  bei  den  Göttern 
wohnen;  denn  es  gebe  viele  Tbyrsusträger,  aber  wenige  Bacchanten 
Der  Homeride  (h.  in  Cer.  480  ff.),  Pindar^),  Sophocles und  Iso- 
krates  (Penegyr.  c.  6)  preisen  die  Eingeweihten  selig,  sie  kennen 
des  Lebens  Ursprung  von  Gott  und  des  Lebens  Ziel,  sie  allein  leben 


*)  Jamblich,  vit.  Pythagor.  1 ,  28. 

2)  Plat.  Phaedon.  c.  15  Wyttenb.  p.  69  C.  Vgl.  Plat.  de  Republ. 
II  p.  58  f.  de  Lgg.  IX  p.  152  ed.  Bekker.  Der  Cynikcr  Diogenes  fand 
es  dagegen  lächerlich ,  wenn  ein  Agesilaus  und  Epaininondas  im  Mo¬ 
raste,  unbedeutende  Eingeweihte  aber  io  den  Inseln  der  Seligen  leben 
sollten  (Diog.  L.  VI,  39). 

3)  Pind.  fragm.  XCVI  p.  128:  "'OXßiog  öarig  iScov  ixeiva  v.olvcw 
üg  vnb  yßova'  o'iöev  ij.lv  ßiov  reXsvtäv ,  o'idsv  dl  öioaöoTOV  aQxdv. 
Ich  lese  •xoiväv  £ig"  anstatt  -/.oivä  eig,  wofür  Heyne  und  Böckh  (p.  625) 
die  weiter  von  dem  Worttext  sich  entfernende  Vermuthung  des  Hein- 
sius  '/coi^av  ßiaiv  aufgeuommen  haben.  Segaar.  ad  Cloment,  quis  div. 
salv.  p.  226  erklärt  sich  gleichfalls  für  Y,oivdv. 

^)  Bei  Plut.  de  leg.  poet.  c.  3  p.  21  F. 


152 


walirliafl  iin  Hades  uud  habeu  süssere  HofFuung  in  Absicht  auf  des 
Lebens  Ende  und  auf  alle  Zeit;  die  Andern  haben  nicht  gleiches 
Loos  lin  finstern  Dunkel.  Nach  Aristophanes  *)  kann  der  in  Sarno- 
thrace  Eingeweihte  gut  und  erbörlich  beten.  Denn  er  ist  zufolge 
einer  griechischen  von  Munter  erklärten  Inschrift  in  der  Götter  Ge- 
nieinscliafl ,  und  beginnt,  wie  sie  sich  ausdrückt,  den  Reigen  mit  den 
leuchtenden  Hiinmelsgestirnen  und  hat  einen  Gott  zum  Führer.  Bes¬ 
ser  und  für  das  Leben  wie  für  den  Tod  fröhlicher  werden  nach  all¬ 
gemeiner  Ueberzeugung  die  Eingeweihten,  sagt  Diodor  (1,  49  p.  262  f. 
vgl.  V,  -iS).  Die  Ungeweihlen  werden  bestraft  2).  Auch  Platon 
(Polit.  II  p.  366  A)  spricht  den  Glauben  seiner  Zeitgenossen  von  den 
Weihen  dahin  aus,  dass  sie  in  Beziehung  auf  den  Zustand  nach  dem 
Tode  viel  vermögen ,  und  im  Pbädon  (p.  8l  A),  dass  man  in  Gemein¬ 
schaft  mit  den  Göttern  lebe.  Darum  will  jemand  bei  Aristophanes 
(Frieden  375)  vor  seinem  Tode  in  die  Mysterien  eiugeweiht  werden. 
Der  Scholiast  zu  dieser  Stelle  bemerkt:  der  in  Samothrace  Einge¬ 
weihte  hält  sich  für  gerecht  und  glaubt  Rettung  in  Gefahren  und 
Stürmen  zu  finden.  »Zur  Erziehung  und  Besserung  des  Lebens, 
sagt  Arrian  (in  Epictet.  III,  21),  haben  die  Alten  das  Alles  geordnet.“ 
Libanius  (Declani.  XIX):  den  Eingeweihten  wurde  befohlen,  rein  zu 
seyn,  nemlich  au  Händen,  Seele  und  Zunge.  Chrysippus  ^)  sagt  in 
Beziehung  auf  die  Mysterien:  »es  ist  etwas  Preiswürdiges,  von  den 
Göttern  richtig  belehrt  und  ihrer  selbst  mächtig  zu  werden.« 

Wir  geben  dem  Herrn  Professor  Lobeck  (Aglaophamus  sive 
de  Theologiae  mysticae  Graecorum  causis  Libri  tres ,  Regimontii 
Prussorum  1829)  gerne  zu,  dass  in  den  griechischen  Mysterien  keine 
christlichen  Predigten,  überhaupt  keine  discursiven  Vorträge  gehalten 
wurden;  aber  wir  werden  nach  den  obigen  Angaben  der  Alten  selbst 
nicht  irren,  wenn  wir  den  Weihehandlungen  eine  in  Sinnbildern  ver¬ 
deckte  Bedeutsamkeit  beimessen,  welche  sich  die  verschiedenen 
Theilnehmer  zwar  verschieden  zurechtlegen  mochten ,  die  sich  aber 
doch  jedem  unwillkürlich  aufdrängte.  Der  Alterlhumsforscber  kann 
sich  daher  sicher  nicht  mit  den  blos  verneinenden  Ergebnissen  Lo- 


*)  Aristoph.  Pax  276,  welche  Stelle  Schob  Apollon.  Arg.  918 
anziehl.  Zenob.  Ceulur.  11.  Proverb.  6. 

Bei  Etymolog.  M.  v.  rcAir/;. 


153 


becks  zufrieden  stellen  ,  der  Versuch,  die  Räthsel  zu  lösen,  muss 
immer  wieder  gemacht  werden,  und  er  wird  es  vielmehr  entschuldi¬ 
gen,  wenn  dabei  die  den  Mysterien  zu  Grunde  liegenden  Fabeln  und 
Gebräuche  etwas  idealisirt  werden  ,  wenn  man  eher  zu  viel  als  zu 
wenig  von  ihnen  hält.  Fs  sind  Hieroglyphen,  deren  Auslegung  uns 
erlaubt  ist,  ohne  dass  wir  behaupten,  alle  Eingeweihten  hätten  die¬ 
ser  Zeichensprache  den  gleichen  Sinn  unterlegt.  Wir  glauben  auch 
die  Schriften  des  alten  Testaments  durch  die  Erkeunlniss  von  Christo 
richtiger  zu  verstehen  als  die  Hebräer  selbst.  Man  lasse  sich  daher 
nachstehende  Darstellung  so  lauge  gefallen,  bis  jemand  eine  bessere 
zu  geben  im  Staude  ist  oder  negativ  nachgewiesen  haben  wird,  dass 
die  unsrige  mit  dem  Geiste  des  griechischen  Alferthums  oder  den 
überlieferten  Thatsachen  im  Widerspruch  stehe. 

Persephone  d.  i.  das  Samenkorn  in  der  Erde  fällt  in  das 
Grauen  der  Nacht,  doch  nicht  ohne  Hoffnung.  Auch  in  dieser  He- 
ziehuug  ist  sie  das  Menschenkind  (Kö^r^) ,  das  Vorbild  der  sündigen 
Menschheit,  die  ein  Kaub  des  Todes  wird.  Der  Anlass  ihres  Falls 
war  Spiel  und  Leichtsinn:  beim  Blumenlesen  auf  weicher  Trift  über¬ 
raschte  sie  nach  Zeus  Kathschluss  Aidoneus  und  riss  sie  wider  ihren 
Willen  hinab  *).  So  sind  die  Aepfel  auf  dem  Baume  des  Erkennt¬ 
nisses  lieblich  anzusehen,  und  mitten  in  der  Freude  ist  die  Natter 
versteckt.  Demeter  trauert,  entäussert  sich  ihrer  Gotlheil,  ent¬ 
hält  sich  des  Olympus  und  kommt  zu  den  Menschen  in  Gestalt  eines 
alten  Weibes  2).  ihre  Trauer  galt  in  Persephone  nicht  der  Natur 
allein,  sondern  auch  der  gefallenen  und  hinfälligen  Menschheit,  und 
ist  eine  Andeutung  der  göttlichen  Barmherzigkeit,  die  nicht  den  Tod 
des  Sünders  will,  sondern  dass  er  sich  bekehre  und  lebe.  Im  Stande 
der  Erniedrigung  und  Befrübniss  wurde  sie  ja  die  Amme  des  könig¬ 
lichen  Sohnes  D emo p hon,  salbte  ihn  mit  Ambrosia  und  legte  ihn 
des  Nachts  ins  Feuer,  wodurch  ihr  Zögling  den  Göttern  ähnlich 
wurde  Hieraus  wird  der  sittliche  Gehalt  der  Fabel  klar.  Das 
Beklagen  und  Suchen  der  gefallenen  Tochter  hat  den  Zweck,  dass 
ein  neuer  und  im  Feuer  geläuterter  Mensch,  den  niedern  Trieben 


*)  Ilona,  b.  in  Cer.  5  ff.  Von  Narcissen  war  der  Kranz  der  gros¬ 
sen  Göttinnen,  Sophocl.  Oed.  Col.  683. 

2)  II  h.  in  Cer.  ffO  ff.  3)  jjom,  p  j..  ->33  IT. 


\ 


154 


entnommen,  aus  dem  Nachtreich  auferstehe  und  zur  Gottähnlichkeil 
erzogen  werde.  Diess  ist  nicht  anders  möglich,  als  wenn  Demeter 
aus  Liehe,  der  göttlichen  Würde  beraubt,  in  Menschengestalt  die 
Versunkene  aufsucht,  ihr  Loos  bejammert  und  den  richtigen  Steig, 
der  zu  den  Göttern  führt,  anzeigt,  ln  dieser  Bedeutung  scheint  der 
liomeride  jene  Klage  aufzufassen,  wenn  er  in  mystischer  Kürze 
sagt  '),  man  dürfe  die  heiligen  Orgien  nicht  betrauern,  die  Gottes¬ 
furcht  gebiete  Schweigen.  Die  grosse  Mutter  hatte  den  hohen  End¬ 
zweck,  den  Zögling  von  dem  gebrechlichen  Aller  und  Tod  ganz  zu 
befreien;  allein  ihre  Absicht  scheiterte  an  der  menschlichen  Thorheit. 
Der  Mensch  sollte  sich  in  Derauth  und  heiliger  Scheu  der  Götter 
Zucht  ganz  hingeben,  dass  die  neue  Crealur  geschaffen  würde. 
Aber  der  Erde  Kräfte  ziehen  abwärts:  klügelnder  Vorwitz  verleitete 
Melanira,  die  seltsame  Erziehungsweise  ihres  Sohnes  Demophon  zu 
erspähen,  sie  klagte  laut  beim  Anblick  des  Feuers,  um  ihren  Sohn 
bekümmert.  So  stören  die  unbesonnenen  Menschen  das  Werk  der 
Götter,  welches  auf  halbem  Wege  stehen  bleibt.  Demeter  zürnt  und 
gibt  sich  zu  erkennen,  hinterlässt  aber,  nachdem  sie  in  den  Himmel 
zurückgekehrl ,  die  ehrwürdigen  Orgien,  welche  belehren,  dass  das 
Fleisch  im  Feuer  geläutert  werden  und  die  Menschen  in  einem  neuen 
Wesen  wandeln  sollen  2).  Diese  Züge  sind  aus  Aegypten  herüber 
genommen.  Während  Isis  den  Tod  ihres  Gallen  Osiris  beweinte, 
wurde  sie  Amme  an  dem  königlichen  Kinde  von  Byblus,  liess  durch 
Feuer  das  Sterbliche  seines  Leibes  bei  Nacht  verzehren,  und  nur 
durch  das  Ihörichle  Geschrei  der  Mutter  wurde  die  Unsterblichkeit 
desselben  vereitelt  3).  In  ähnlichem  Sinne  verlangt  Jesus  von  seinen 
ßekennern:^)  „ein  jeglicher  muss  mit  Feuer  gesalzen  werden,  und 
alles  Opfer  wird  mit  Salz  gesalzen.“  Mit  andern  Worten:  der  Mensch 


')  Hora.  1.  c.  479.  Nach  der  Beraerkung  des  sachkundigen  Tatia- 
nus  beschäftigten  sich  die  Mysterien  mit  der  Wehklage  der  Demeter 
um  das  geliebte  Kind,  und  Proclus  in  Plat.  rempubl.  c.  10  hält  das 
mystische  Wehklagen  für  ein  Sinnbild  der  uns  betreffenden  Fürsorge: 
zoTq  UvaxrjQLOiq  zoig  iJ.vazcv.ohq  d^iqvovq  fjvaxcv.Chq  na^aiX^cpaijev , 
avfjßola  ovxa  xrjq  alq  ^i-iäq  v.ad7]v.ovarjq  iv  xä>v  v.gecxx6v(x)v  Ttgovocaq, 
2)  Hora.  1.  c.  243  ff.  476.  3)  Plutarch.  de  Isid.  c.  12  f. 

Marc.  9,  49. 


155 


soll  ein  geläutertes  und  lebendiges  Opfer  Gottes  seyn.  Das  Feuer 
und  das  Salz,  deren  man  sich  bei  Opfern  bediente,  ist  ein  Sinnbild 
des  Absterbens  vom  sundlichen  Wesen  der  Welt. 

Etwas  einheimisch  Griechisches  verknüpfte  sich  mit  dem  Ge- 
dächlniss  des  Feuerkindes  Demophon.  Die  Jünglinge  von  Eleusis 
hallen  ihm  zu  Ehren  alljährliche  Tnruübungen  *)  und  selbst  Kämpfe 
mit  Stieren  2)  (wahrscheinlich  mit  Rücksicht  auf  die  Bändigung  des 
ackerbauenden  Thieres  der  Göttin)  veranstaltet ,  worin  der  Preiss  in 
Gerste  bestand  3).  Dergleichen  Uebungen  sollten  die  Stelle  des  läu¬ 
ternden  Feuers  vertreten,  den  Leib  durchdrungen  und  dauerhaft  zu 
machen  nnd  dem  Geiste  unlerzuordnen.  Sie  standen  so  in  Bezie¬ 
hung  auf  die  Fabel  und  halten  wie  einen  wohlthätigen  Einfluss  auf 
die  Jugend,  so  einen  allegorischen  Sinn.  Der  spätere  Ausdruck  des 


')  Hom.  1.  c.  263  sagt  Demeter  von  Demophon;  »nun  kann  er 
nicht  mehr  dem  Tode  entrinnen,  aber  unvergängliche  Ehre  wird  ihm 
allezeit  zu  Theil  werden,  weil  er  in  meinem  Schoosse  gesessen  und  in 
meinen  Armen  geschlummert  hat:  es  werden  ihm  nemlich  in  den  Zei¬ 
ten  der  wechselnden  Jahre  immerwährend  die  Jünglinge  von  Eleusis 
Krieg  und  Kampf  unter  einander  veranstalten.«  Es  ist  zu  bemerken, 
dass  damals  die  Ausdrücke  von  Kampfspielen  und  ernstlichen  Kämpfen 
noch  nicht  so  geschieden  waren.  Homer  II.  III,  126.  Od.  IV,  170  ge¬ 
braucht  das  Wort  äedXog  für  Kriegskampf,  und  umgekehrt  Hesiod 
Schild  306  bedient  sich  des  Wortes  bei  Gelegenheit  eines  Pferde¬ 

rennens  ,  welches  Wort  sonst  gewöhnlich  dem  Krieg  Vorbehalten  war, 
und  von  ihm  selbst  V.  241  in  diesem  Sinne  gebraucht  wurde.  Eben 
so  steht  Od.  XXIV,  515  vom  Wettkampf.  So  ist  man  in  jener 

Stelle  des  Hymnus  auf  Demeter  nicht  genöthigt  mit  Hermann  au  einen 
wirklichen  Krieg  zu  denken ,  sondern  mit  Creuzer  Symb.  IV  S.  316 
an  einen  Festkampf,  von  welchem  und  von  dessen  Alterthum  andere 
Schriftsteller  ausdrückliche  Meldung  thun:  Gellius  XV,  20.  Inscr.  Marm. 
Oxon.  p.  83. 

2)  Artemidor.  Oneirocrit.  I,  9. 

Aristid.  Eleusin.  p.  257  Jebb.  cf.  Plin.  18,  7.  Schol.  Pindar. 
01.  IX,  150;  woraus  Meursius  c.  28  die  Lücke  des  Etymol.  M.  v. 
’EXevaig  und  des  Suidas  v.  "EXsvacPia  ausfüllt. 


156 


Porphyrius  '),  die  Myslagogen  zu  Eleusis  seyeu  Weisheit  und  zu- 
gleich  Kampf  liebende  (^cpiXoaöcpovg  ■xal  cpiXono'kifxovg'),  ist  demnach 
ini  allcrlhümlichen  Geiste  gedacht,  und  fasst  jene  Ideeuverbindung 
treffend  auf.  Denn  das  Analogon  der  Leibesübung,  der  geistliehe 
Kampf,  die  Feuerläulerung  ist  eben  wahre  Weisheit  des  Geistes, 
eines  Weihepriesters  würdig.  Die  eleusischen  waren  die  ältesten 
Kampfspiele  Griechenlands,  wegen  der  Frucht  der  Demeter,  wie 
Aristoteles,  ein  Dichter  der  ninloi  2),  sagt 5  später  erfolgte  erst  die 
Einführung  der  Paualhenäen.  Es  ist  merkwürdig,  dass  die  ersten 
Kampfspiele  von  einer  Gottheit  geordnete  religiöse  Leichenspiele 
zu  Ehren  eines  heiligen  Feuersohnes  waren;  wie  dergleichen  Achil¬ 
leus  dem  gefallenen  Helden  Patroklus  feierte  3),  und  sonst  viele  Lei¬ 
chenspiele  gehalten  wurden.  Für  eine  Todtenfeier  galt  es  also,  das 
Leben  in  seiner  höchsten  Anspannung  und  Thäligkeit  an  der  Stätte 
des  ewigen  Friedens  zu  zeigen.  Man  wollte  gleichsam  den  Gegen¬ 
satz  des  Todes  aufführen,  und  zugleich  in  der  daraus  entspringen¬ 
den  Folge,  in  der  Körperstärke,  eine  Arznei  wider  den  Tod,  ein 
Analogon  jenes  unsterblich  machenden  Feuers  der  Demeter  anstre¬ 
ben  und  finden. 

Die  Rückkehr  der  Gefallenen  zum  himmlischen  Lichte  der 
Götter  ist  in  der  Himmelfahrt  der  Persephone  vorgebildet.  Hermes 
als  Seelenführer  und  Engel  geleitet  die  Göttin  auf  Zeus  Befehl  aus 
den  Armen  des  Hades  zu  den  Göttern  der  Oberwelt.  Ihr  Daseyn 
ist  zwischen  beiden  Welten  getheilt,  ein  Drittheil  des  Jahres  weilt 
sie  in  der  Tiefe  und  zwei  Drittheile  oben  bei  den  Unsterblichen 
So  ist  des  Menschen  Natur  zugleich  nach  unten  und  oben  gerichtet: 
Geist  und  Fleisch  sind  nach  dem  Ausdruck  des  heil.  Paulus  im  Wi¬ 
derstreit  mit  einander.  Hades  vermochte  seine  Gattin  durch  List 
und  Gewalt  zum  Essen  des  Granatapfels,  damit  sie  ihm  anhänglich 
bliebe  ^).  D.  h.  die  befruchtete  Natur  gibt  ihren  Samen  zurück  in 
die  Erde,  um  den  beständigen  Kreislauf  der  Fruchtbarkeit  zu  erhal- 


*)  Bei  Proclus  in  Plat.  Tim.  p.  51. 

2)  Bei  Scbol.  ms.  Aristidis  Panalheii.  p.  189  Jebb.  Vgl.  llelladius 
p.  18  ed.  Meurs.  und  Arislid.  Eleus.  I.  c. 

3)  II.  XXIII.  '•j  Uom.  h.  in  Cer.  335  ff. 

’)  Uom  t.  c.  411  ff. 


157 


len;  die  Eingeweihlen ,  die  das  ewige  Sterben  und  Leben  der  Natur 
in  diesem  Fabelkreis  belracbtefen ,  schöpften  liieraus  als  Tbeile  des 
Nalurganzen  Trost,  wenn  auch  das  individuelle  Leben  schwindet, 
und  sogar  dieses  soll  nach  der  Lehre  der  Palingenesie  aufs  neue  er¬ 
stehen.  Ethisch  gewendet  bedeutet  jene  Fabel :  die  sinnliche  Natur 
streut  vielerlei  Samen  aus,  um  uns  listig  und  gewaltsam  von  der 
Höhe  geistiger  Naturen  herabzuziehen.  Wie  aber  in  der  geraubten 
Persephone  der  ausgeslreule  Same  ein  Sinnbild  der  gefallenen  Mensch¬ 
heit  ist,  so  ist  die  im  Frühling  zurückgekehrte  Göttin  als  die  heran- 
wachsende  und  Frucht  bringende  Saat  zugleich  ein  Vorbild  der  an 
den  Tag  der  Geislerwelt  sich  aufrichtenden,  aus  dem  Kerker  zur 
Freiheit  gelangenden  Menschen.  Das  natürlich  wechselnde  Verhält- 
niss  der  Erde  zur  Sonne  ist  ein  Gleichniss  der  Richtungen  der  Gei¬ 
ster  zum  Lichte.  Eine  jede  Frucht  enthält  eine  Aufforderung  an  den 
Menschen,  ira  Aufschwung  zum  Lichte  Frucht  zu  tragen  in  guten 
Werken.  Die  Aehren,  welche  Demeter  dem  Triplolemus  zu.  Eleusis 
reichte,  bedeuten  nicht  allein  den  Getreidebau,  den  sie  ihn  lehrte, 
sondern  sind  zugleich  ein  Sinnbild  der  Weihen,  worin  sie  ihn  unter¬ 
wies;  denn  sie  erinnern  an  die  zur  Oberwelt  gelangte  Persephone, 
welche  als  Menschenkind  alle  Geweihten  sich  nachziehen  will.  Sie 
erinnern  uns  an  Jesum,  der  als  Weizenkorn  in  die  Erde  fiel,  auf- 
erstand  und  Frucht  brachte  für  alle  Welt  *).  Wenn  der  Heide  in 
der  Aehre  eine  Mahnung  fand ,  mit  ihr  (oder  auf  dem  Standpunkt 
der  Fabel:  mit  Persephone)  vom  Tode  zum  geistlichen  Leben,  von 
der  Nacht  zum  Tage,  vom  Hades  zu  den  himmlischen  Göttern  auf¬ 
zusteigen;  so  lag  in  solchem  Glauben  eine  Ahnung  des  Bekenntnis¬ 
ses  2) :  »wir  sind  mit  Christo  begraben  durch  die  Taufe  und  in  ihm 
mit  auferstanden  durch  den  Glauben,  den  Gott  wirket,  welcher  ihn 
auferwecket  hat  von  den  Todten.«  Gleichwie  das  Sterben  und  Auf¬ 
erstehen  Christi  der  Mittelpunkt  der  christlichen  Religion,  der  Grund 
unsrer  Begnadigung,  das  Vorbild  der  Busse  und  des  neuen  Lebens 
der  Menschen,  und  der  Gekreuzigte  und  Auferstandene  über  Todte 
und  Lebendige  Herr  ist,  also  war  das  Sterben  und  unvergängliche 
Leben  der  Naturgöller,  ihre  Höllen-  und  Himmelfahrt,  die  nicht 
blos  in  der  Einbildungskraft  und  Dichtung  ihren  Grund  hat,  die  man 


')  Job.  12,  24.  Luc.  8,  n. 


2)  Coloss.  2,  12. 


158 


in  dem  alljährliclien  Wechsel  der  Dinge  anschaute  und  scenisch  dar- 
stellle,  Gegenstand  der  Verehrung,  des  Gebets,  der  IJoflhung,  Vor¬ 
bild  der  Läuterung  und  Heiligung,  Grund  ihrer  Herrschaft  über  die 
Lebendigen  und  die  Todten.  Wir  haben  es  nicht  nur  mit  Ausgebur¬ 
ten  des  Aberglaubens  zu  thun,  sondern  mit  dem  wirklichen  Sterben 
und  I,eben  der  ganzen  Natur,  dessen  Gegenbild  wir  in  Christo  an¬ 
sebauen.  Christus  ist  auch  uns  der  Herr  der  Natur,  deren  Hinfäl¬ 
ligkeit  und  unvergängliches  Leben  in  ihm  zur  Erscheinung  gekommen 
und  ein  einladendes  Vorbild  zur  Tbeilnahme  und  Nachfolge  gewor¬ 
den  ist.  Wer  in  ihm  nur  ein  menschliches  Individuum  sieht  und 
einem  solchen  sich  ergibt,  ist  ein  Menschendiener  und  steht  hinter  dem 
Heiden  zurück,  der  sich  den  grossen  Göttern,  den  Mensch  geworde¬ 
nen  himmlischen  Mächten  weihte.  Die  Mystik  hat  dieselbe  Grundlage 
in  den  griechischen  Mysterien  und  im  Christentbum,  sie  ist  ein  heiliger 
Krieg  gegen  die  Selbstsucht,  ein  Opfer  an  die  Gottheit  und  das  All. 
Dem  alten  Heiden  war  Persephone  die  Potenz  der  ganzen  Natur  und 
ihrer  Wechselfälle,  Inhaberin  zweier  Reiche,  Beherrscherin  des  To¬ 
des  und  Vorbild  des  ewigen  Lebens  bei  den  olympischen  Göttern: 
so  ist  dem  Christen  Christus  nicht  nur  Bruder,  sondern  Herr  und 
Weltregent,  als  ein  Iheil  des  Alls  versenkt  er  sein  Ich  gläubig  mit 
der  feiernden  Menge  in  dem  Herrn  des  Weltalls.  In  den  griechi¬ 
schen  und  christlichen  Mysterien  wollte  und  will  man  das  Ende  und 
den  Tod  alles  Fleisches  und  das  ewig  junge  Lehen  der  Natur  und 
Menschheit  durch  Gottes  Kraft  anschauen  und  selbsttheilriehmend 
festlich  begehen.  Die  Vergleichung  der  verschiedenen  Religionen  hat 
mehr  Berechtigung,  als  wenn  Schelling  sein  System  in  den  alten  My¬ 
sterien  findet.  Alles  führet  uns  zu  Christo,  dem  Mittelpunkt  aller 
wahren  Religion,  wir  finden  seinen  Namen  in  der  Zeichensprache 
aller  Nationen  geschrieben.  Brosamen  von  den  Verheissungen  Got¬ 
tes  waren  auch  den  Heiden  zugefallen,  sie  haben  dieselben  vor  der 
sinnlich  rohen  Menge  in  der  Geheimlehre  aufbe wahrt,  und  haben 
des  Herrn  Tod  weissagend  verkündigt,  bis  er  kam.  Gott  hat  das 
allgemein  und  tief  gefühlte  Redürfniss  zu  seiner  Zeit  erfüllt,  und 
die  Predigt  von  Christo  fand  die  Heiden  viel  heilshegieriger  als  die 
erstgebornen  Kinder  der  Verheissung. 

Die  Anforderungen ,  welche  an  die  Eingeweihten  gemacht  wur¬ 
den,  damit  sie  ihrerseits  der  göttlichen  Heilsanstalt  entsprächen  und 
zur  Gemeinschaft  der  Götter  gelangten,  lassen  sich  aus  dem  Bisheri- 


159 


gen  ohne  Mülie  errathen  und  aus  den  Gebräuchen  der  Mysterien, 
wovon  unten  die  Rede  seyn  wird,  folgern.  Bei  den  Pheneaten  in 
Arkadien  schlug  am  Jahresfeste  der  eleusischen  Demeter  der  Prie¬ 
ster  in  der  Maske  seiner  Göttin  mit  Stäben  die  irdischen  Menschen 
(tovg  ETtixdoviovq  Ttaiei)  ^).  Die  sinnlichen  Menschen  werden  gezüch¬ 
tigt,  wenn  sie  an  der  hehren  Festfeier  Theil  haben  wollen;  wie  sich 
auch  der  Apostel  Tit.  2  ausdrückt:  die  heilsame  Gnade  Gottes  züch¬ 
tigt  uns.  Es  war  ohne  Zweifel  ein  sinnbildlicher  Schlag,  wie  der 
am  Aschermittwoch,  mit  dem  memento  mori  begleitet.  Wenn  wir 
die  Predigt  der  Mystagogen  in  christliche  Worte  fassen,  so  würde 
sie  zufolge  der  obigen  Andeutungen  der  Alten  von  dem  Zweck  und 
Werth  der  Weihen  in  Uebereinstimmung  mit  der  Fabel  ungefähr  fol- 
gendermassen  gelautet  haben. 

Thut  Busse,  o  Menschenkinderl  i)  Seyd  ernst  und  wachsam, 
unter  Blumen  lauert  Hades  und  trachtet  darnach  euch  zu  haschen. 
2)  Entsaget  der  Welt  und  ihrer  Eitelkeit:  der  Persephone  Fall  ist 
euch  zum  Vorbild  geschehen;  wenn  nicht  einmal  die  Götter,  so  habt 
viel  weniger  ihr  eine  bleibende  Stätte  hienieden;  wenn  der  Winter 
euch  der  Dinge  Vergänglichkeit  lehrt,  so  zieht  den  Geist  von  dem 
Wesen  der  Welt  ab.  3)  Leget  von  euch  ab  den  allen  Menschen, 
der  in  Lüste  verderbt  ist,  ziehet  den  Rock  des  Fleisches  aus,  fröhnet 
nicht  dem  Tode  der  Sünde.  Demeter  selbst  hat  darüber  geweint, 
reisst  lieber  Augen  oder  Füsse  aus,  als  dass  ihr  thut,  was  der  Gott¬ 
heit  Thränen  gekostet  hat.  Hekate  d.  i.  euer  eigenes  Glück  sucht 
euch  auf,  wie  sie  nach  Persephone  geforschet  hat.  Das  Fasten  in 
den  Mysterien  erinnere  euch  nicht  allein  an  die  Wohlthat  der  Gaben 
der  Demeter,  sondern  auch  an  die  Pflicht  der  Mässigkeil.  Aus  Ge¬ 
nusssucht  verfiel  die  Göttin  dem  unterirdischen  Galten: 

Die  von  ihren  Gütern  nichts  berühren. 

Fesselt  kein  Gesetz  der  Zeit. 

Wollt  ihr  schon  auf  Erden  Göttern  gleichen, 

Frei  seyn  in  des  Todes  Reichen, 

Brechet  nicht  von  seines  Gartens  Frucht! 

Selbst  der  Styx,  der  neunfach  sie  umwindet, 

Wehrt  die  Rückkehr  Ceres  Tochter  nicht; 


*)  Pausau.  VIII,  15. 


160 


Nach  dem  Apfel  greift  sie,  und  es  bindet 
Ewig  sie  des  Orkus  Pflicht  *) 

Diess  sind  die  drei  Schläge  abwärts  aufs  Fleisch,  welche  die 
Demelerweilie  auf  die  irdischen  Menschen  lliul.  Eben  so  viele  Scidäge 
aufwärts  aber  erfordert  der  Stufengang  der  Älysterien.  An  die  Pre¬ 
digt  der  Busse  schliessen  sich  die  Worte  der  Weihe  an: 

Werdet  heilig  ,  Gottes  Kinder!  i)  Ziehet  den  neuen  Menschen 
an,  der  nach  Gott  geschatTen  ist.  Persephone  ist  zurückgekchrt,  die 
M’elt  ist  neu;  spiegelt  euch  am  milden  sanften  Frühling,  entreissel 
euch  den  höllischen  Mächten  und  tretet  in  einen  neuen  Stand  und 
Wesen;  wie  ein  Saatfeld  steht  da  als  Kinder  des  Lichts  und  mit 
Frucht  beladen.  Der  Demeter  Freund  und  Zögling  muss  durchs 
Feuer  zur  Gottähnlichkeit  geläutert  werden,  wie  sie’s  an  Demophon 
versucht  hat.  Jammert  nicht,  wie  Metanira:  wer  sein  Leben  verlie¬ 
ret,  der  wird  es  finden.  Die  Wassertaufe,  die  ihr  in  den  Weihen 
empfanget,  sey  euch  eine  solche  Feuertaufe.  Das  neue  Gewand, 
womit  man  euch  in  der  geheimen  Feslfeier  bekleidet,  sey  euch  ein 
Sinnbild  des  neuen  Menschen,  der  sich  heiliget.  Thut  das  Opfer  am 
Altar  und  seyd  ein  Opfer  Gottes;  verwirket  nimmermehr  die  Gnade, 
die  euch  widerfahren  ist.  2)  Der  Götter  Gnadenheistand  führe  euch 
die  Himmelsbahn;  Hermes  geleitete  Persephone  mit  sicherer  Hand 
von  der  Unterwelt  herauf.  Gleichet  nicht  dem  Phaelhon,  welcher, 
auf  die  eigene  Kraft  vermessen,  den  Sonnenwagen  lenken  wollte  und 
in  die  Tiefe  stürzte.  3)  Zum  seligen  Chor  der  Himmlischen  gesellet 
.euch  als  Epopten,  in  ihrer  Gemeinschaft  und  ihrem  Anschauen  lebet 
reines  Herzens,  wie  Persephone  hochbeglückt  vor  Zeus  Angesicht 
steht,  und  im  Tode  wird  nicht  ewige  Finsterniss  euch  decken.  2) 


*)  Schiller  das  Ideal  und  das  Leben,  Werke  Th.  IX,  Ablhei- 
lung  I.  S.  141  f. 

2)  Die  Stiftung  der  Mysterien  fällt  in  die  Grenzscheide  dieser  und 
der  folgenden  Periode;  die  samothracischen  als  die  wahrscheinlich  al¬ 
tern  gehören  noch  in  die  zweite. 


161 


Die  dritte  ägyptlseb  hellenische  Periode  von  Cekrops 
bis  und  mit  Homer  und  Heslod. 

§.  32. 

Zufolge  der  Nachforscliungen  Herodots  (II,  50)  sind  fasi  alle 
riöllernamen  von  den  Barbaren  nach  Griechenland  gekommen,  und 
zwar  nach  seiner  Meinung  aus  Aegypten,  wo  sie  nach  der  eige¬ 
nen  Aussage  der  Aegypler  üblich  gewesen  seyen,  mit  Ausnahme  des 
Poseidon,  der  Dioskuren,  der  Here,  der  Hestia,  der  Themis,  der 
Chariten  und  der  Nereiden.  Welche  Götternainen  in  Aegypten  un¬ 
bekannt  seyen,  diese  scheinen  dem  unterrichteten  Geschichtschreiber 
von  den  Pelasgern  herzurühren,  ausser  Poseidon,  welcher  aus 
Libyen,  wo  er  allezeit  verehrt  wurde,  nach  Griechenland  gekom¬ 
men  sey.  Heroenkult  sey  gleichfalls  den  Aegyplern  fremd.  Die  Pe- 
lasger,  von  denen  vor  Zeiten  ganz  Griechenland  den  Natnen  Pelas- 
gia  hatte*),  hätten  sich  mit  Zustimmung  des  dodouäischen  Orakels 
der  barbarischen  Götternamen  bedient,  und  von  ihnen  seyen  sie  spä¬ 
ter  zu  den  Hellenen  übergegangen  2).  Weit  später  sey  dann  ihr  ge¬ 
genseitiges  Verhältniss  und  ihre  Abstammung  von  einander,  ihre  Ei¬ 
genschaften,  Würden,  Wirksamkeit  und  Gestalt  von  Hesiod  und 
Homer,  die  nur  400  Jahre  älter  als  Herodot  seyen,  bestimmt 
worden  ^). 

Die  Namen  Dioskuren,  Hera  (von  f'pa),  Hestia,  Themis  und 
Chariten  sind  ursprünglich  griechisch  und  werden  daher  mit  Recht 
als  nicht  von  den  Barbaren  angenommen  aufgeführt.  Indessen  wenn 
derselbe  Herodot  (H,  144)  meldet,  Osiris  heisse  in  griechischer 
Sprache  Jcöwaoq,  Orus  auf  griechisch  ’AttüXXcjp,  Ammus  der  Aegyp- 
ter  sey  Zeus  der  Hellenen  ^),  so  scheinen  wenigstens  Iheil weise  die 
griechischen  Götternamen  nicht  den  ägyptischen  zu  entsprechen, 
wenn  wir  nicht  annehmen ,  die  ägyptischen  Götter  hätten  ausser  ihren 
bekannten  Namen  noch  unbekannte  den  griechischen  ähnlich  lautende 
Beinamen  geiiabl.  Des  ägyptisclien  Ursprungs  ist  sich  jedoch  der 


•)  Her.  II,  56.  2)  Iler.  II,  52.  Iler.  11,  53. 

^)  Her  II,  42. 


11 


grierliisclie  Myllius  sellisl  l»c\viiss(  gc[)licl)en,  Indom  er  (Ion  Zeus 
sammi  den  ül)rigen  Göllern  vom  Olymp  zu  den  Aelliiopern  am  Ocean 
zu  einer  Opfermalilzeil  '),  oder  ein  andermal  den  l’oseidon  alUnn  eben 
dahin  zu  einer  Slier-  und  Faimmerhckalombe  geben  lässl  2).  Der 
erste  altlscbe  König  Cekrops,  ein  Zeilgenosse  Mosis  (461  nach 
Abrabam)  3) ,  soll  zuerst  den  Namen  des  Zeus  eingefiibrt  •♦)  und 
ihm  den  Beinamen  Hypatos  (Höchste)  gegeben  ^),  das  erste  Bild  der 
Athene  gesetzt,  auf  der  Burg  ihr  den  Oelbaum  gepflanzt  und  die 
Sladt  Athen  nach  ihr  benannt  haben  *^).  Durch  die  Untersuchungen 
neuerer  Gelehrten  ist  zwar  die  Nachricht  des  Eusebius,  der  den 
Okrops  in  der  Chronik  (S.  101)  einen  Aegypter,  in  der  Vorrede  zum 
Canon  aber  (S.  52)  einen  Einheimischen  (indigena)  nennt,  und  die 
darauf  gegründete  Mulhmaassung  einer  ägyptischen  Colonie  sehr  zwei¬ 
felhaft  geworden.  Nach  Diodor  von  Sicilien  erklärten  die  ägyptischen 
Priester  Athen  für  eine  sailische  Colonie,  und  er  nennt  unter  den 
Fürsten  der  Athener,  welche  Aegypter  gewesen  se\n  sollen,  zwar 
nicht  den  Cekrops,  aber  doch  den  Petes  oder  Peteos,  den  Vater 
des  Meneslheus ,  der  drei  Jahrhunderte  später  lebte  und  im  zweiten 
Buch  der  Iliade  genatinl  wird,  welchen  er  als  öupvijg  d.  i.  als  einen 
Schlangenmenschen  bezeichnet.  Mit  Unrecht  wollen  die  Erklärer 
dieses  Prädikat  mit  Annahme  einer  Lücke  auf  den  Cekrops,  der  es 
sonst  führte,  deuten;  wogegen  ich  erinnere,  dass  alle  Erzväter  das 
Attribut  der  Schlange  haben  können,  und  jener  ganz  besonders  sich 
hiezu  eignet  vermöge  der  Ableitung  seines  Namens  von  -,n£.  das  iin 
Hebräischen  und  Arabischen  Schlange  bedeutet  S).  Dessenungeach¬ 
tet  dürfen  wir  mit  Cekrops,  sey  er  auch  ein  attischer  Autochthon 


')  lloin.  II.  I.  42-2.  2)  od 

3)  Kiiseb.  Praep.  Kv,  X  ,  It. 

')  Fuseb.  1.  c.  u.  irn  Chronic.  P.  II.  p.  101. 

’)  Pausan.  VHI,  2. 

'’)  Fuseb.  1.  c.  n.  piooein.  ad  (.anonem  p.  52. 

K.  0.  Müller  Orchonienos  S.  106  IT.  Voss  mylbologisclie  Br.  III 
S.  180.  Hermann  von  Göllingen  Verbandl.  der  denlscben  Philologen 
von  1847.  Basel  1818  S.  31  ff. 

8)  BnUinann  im  Lexilogus  S.  67  f.  findel  in  dem  doppollgeslalle- 
Icn  Cekrops  eine  mythische  Personilicalion  verschiedener  Slämme. 


gewesen,  ägyplische  und  libysche  Einflüsse  auf  Griechenland  als 
sicher  annehmen  und  die  dritte  Religionsperiode  darnach  charakteri- 
siren.  Alle  Genealogien  weisen  auf  die  enge  Verbindung  von  Phö- 
nicien  ,  Aegypten  und  dem  Danaerlande  in  der  Urzeit  hin:  Agenor 
und  Belus  waren  Brüder,  die  Kinder  des  Erstem  waren  Kadmus 
und  Europa,  die  des  Letztem  Aegyplus  und  Danaus.  Sogar  der 
höchste  Gott  dieser  Periode  Zfi'ci  äolisch  (Deus),  und  das  Ap- 
pellalivwort  dsöq  hat  grosse  Aehnlichkeit  mit  dem  lispelnd  ausgespro¬ 
chenen  GoiiiJ  oder  *),  woher  auch  der  alldeulsclie  Teilt.  Man 

verglich  wohl  diesen  vornehmlich  in  der  Gegend  von  Naukratis  ver¬ 
ehrten  Theuth  mit  dem  homerisch  griechischen  Hermes  und  den 
ägyptischen  Amun  mit  dem  homerischen  Zeus  2);  allein  solche  Ver¬ 
gleichungen  fallen  in  eine  spätere  Zeit,  und  es  wäre  bezeichnend  für 
die  hellenische  Religionsperiode,  wenn  in  dieser  die  ägyplische  In¬ 
telligenz  den  höchsten  Göllerthron  bestieg.  Zum  herrschenden  Gott 
gesteigert,  konnte  er  sich  neben  Hermes  als  einem  besondern  We¬ 
sen  behaupten.  Die  Theogonie  (V.  477  IT.)  lässt  den  Zeus  in  Kreta 
von  Rhea  geboren,  und  den  Neugebornen  zuerst  in  die  dasige  Stadt 
Lyktos  getragen  werden.  Andere  fabelten  von  seiner  Geburfsstältc 
in  Arkadien  und  Messenien  3).  Die  Hauplsilze  des  Zeuskullus 
waren  Kreta,  Lydien  und  Troas;  er  sollte  daher  auf  jenem  Ei¬ 
land  in  Lydien  ^  und  auf  dem  Berge  Ida  geboren  seyn.  Nach 
Pausanias  (VIH,  2,  37  f.)  war  er  auch  auf  dem  lykaischen  Berge 
in  Arkadien  geboren;  allein  nach  Cicero  war  diess  der  erste  und 
zweite  Juppiter,  nicht  der  dritte,  Sohn  des  Kronos.  Arkadien  war 
ein  Silz  der  allvälerischen  Religion.  Da  blieben  unverändert  diesel¬ 
ben  Bewohner  und  wurden  nicht  durch  die  Dorier  aus  dem  Pelopon¬ 
nes  vertrieben  ^).  Von  dem  ägyptischen  Theben  her  lernten  die  Pe- 


')  Plato  Pliilcl).  p.  18  B  Pliaedr.  p.  274  C. 

2)  Der.  I!  ,  42.  Pint.  Is.  et  Os.  c.  U. 

3)  Cic.  N.  1).  III,  *21,  Pansan.  IV,  3:5.  VIII,  38. 

')  Eralosthenes  bei  Jo.  Lydus  IV,  48. 

Eninehis,  Geschichtschreiber  von  Corintli,  hei  Jo.  I.yd.  I.  c. 

*»)  Jo.  Lyd.  1.  c. 

2)  Ilerod.  II,  171.  Straho  d.Qy^aiörara\  ^Ao'^adtxr/.  rcöi'  "EX- 

h'jPOiv. 


1G4 


liisger  in  Dodona  in  Epirus  den  Amon  kennen  (§.  92),  den  gros¬ 
sen  Werkmeister  (vcn  heisst  im  Ilebriiischen  Demiurg,  in  welcher 
Bedeutung  das  Wort  Sprüche  8,  30  von  der  göttlichen  Weislieit  bei 
l'’rscbatrung  der  Welt  gebraucht,  und  von  Plut.  de  Is.  p.  368  B  selbst 
ausgelegt  wird),  den  im  Früliling  Alles  neu  scbatTenden  Widdergott, 
der  das  Taubenweib  Dione  befrucbtet  und  die  Erde  mit  ihren  Gü¬ 
tern  erfüllt,  den  Offenbarer  iles  göttlichen  Willens  an  die  Menschen, 
die  nach  ihm  fragen.  Man  natinte  ihn  in  der  tbebaniscben  Landes¬ 
sprache  auch  Th  am  US  d.  i.  den  Anbetungswürdigen  (§.  46),  und 
weil  in  Griechenland  der  Name  Zeus  das  Vorrecht  eines  obersten 
Gottes  behauptete,  so  setzte  man  durch  Vermischung  Zeus  und  den 
höchsten  Ammon  zusammen. 

Athene  (in  Acg5pten  Nt]td  genannt)  ')  soll  am  Tritonsee 
in  Libyen,  wo  sie  und  Poseidon  besonders  verehrt  wurden  2), 
geboren  seyn,  und  zwar  galt  sie  hier  für  eine  Tochter  des  Poseidon 
und  des  Trilonsees  3) ;  woher  sie  die  Griechen  iQnoyspeia  biessen  *). 
Am  böotiscben  See  Kopais  gab  es  einen  Fluss  Triton,  wo  Athene 
erzogen  worden  seyn  soll  ^).  Wenn  Athene  in  Böotien,  namentlich 
in  Theben,  hier  unter  dem  Namen ^) ,  verehrt  wurde,  so  ist 
zu  bemerken,  dass  Cekrops  nicht  bloss  über  Attika,  sondern  auch 
über  Böotien,  das  damals  Ogygien  hiess ,  herrschte^).  Oie  von  ihr 
benannte  Stadt  Athen  galt  für  ihren  Wohnsitz  s).  Der  alte  fiönig 
von  Libyen  und  Phönicieu  ,  Agenor,  war  Poseidons  Sohn  9).  Die 
Saiter  machten  .4thene  und  Pbtha  zu  des  Nilus  Kindern  •<>).  H;e- 
p  hast  OS,  dessen  Heimath  die  Insel  Lemnos  gewesen  seyn  soll  "), 
welcher  dem  Phtba  der  Aegypter  entsprach,  erzeugte  mit  Athene 


')  Plat.  Tim.  p.  21. 

2)  Her.  IV,  188.  Heyne  zu  Apollodor  I  p.  297. 

’)  Herod.  IV'^,  180.  Aescbyl.  Füuni.  288  f. 

*)  Z.  ß.  Od.  HI  ,  378.  b.  28  ,  4.  Hes.  fragm.  77. 

Pausan.  IX,  33. 

*')  Aesch.  7  vor  Theben  148  ih.  Schot.  Pausan.  IX,  12. 
2)  Paus.  IX,  24.  Slraho  IX  p.  427  Tzsch. 

*)  Od.  v/,  80.  ‘J)  Serv.  ad  Virg.  Aeri.  1,  342. 

’O)  Cic.  N.  D.  HI,  22.  23. 

1')  Od.  283. 


den  vierlen  König  nach  Cekrops  Namens  Erichlhonius  ')  (530  nach 
Abraham).  Daher  nennl  Aescliylus  (Eunien.  13)  die  allen  Alhener 
Söhne  des  Hephäslos ,  welche  dem  Apollo  den  Weg  [nach  Delphi 
bereilelen  und  seinen  Dienst  dahin  hrachlen  2).  Um  den  spälern 
Begriff  der  Jungfräulichkeit  der  Göllin  zu  retten,  so  laheKe  man, 
sie  sey  dem  Andriugen  des  Hephäslos  widerstanden,  dessen  Same 
sey  auf  die  Erde  getlossen ,  und  daraus  sey  der  allische  König  ent¬ 
standen  3).  Hephästos  und  Athene  erzeugten  den  Apollon  nat^oMq 
von  Athen,  den  ältesten  des  Cicero  (N.  D.  III,  22.  23)^). 

Athene  soll  mit  Poseidon  um  den  Besitz  des  Landes  (gleichwie 
um  Trözeu)  ^)  gestritten  haben,  und  als  Zeugnisse  hievon  befanden 
sich  im  Heiligthura  des  erdgeboruen  Erechlheus  auf  der  Burg  ein 
Oelbaura  und  eine  Salzquelle  {^daXaood)  *’).  Athene  und  Hephäslos 
waren  aber  in  Sais  in  hoher  demiurgischer  Bedeutung  aufgefassl, 
während  sie  sich  in  dem  homerischen  Götterhimmei  blos  in  die 
Künste  des  Lebens  theillen.  Sie  wurden  nach  ägyptisch  orphischer 
Lehre  2)  mannweiblich  gedacht,  und  in  dem  Tempel  der  Neilh  zu 
Sais  standen  die  Worte:  »was  da  ist,  was  seyn  wird  und  was  ge¬ 
wesen  ist,  das  bin  ich.  Meinen  Schleier  hat  keiner^gelüflet,  und 
die  Frucht,  die  ich  geboren,  ist  Sonne  geworden“  8).  Ihr  Lebens¬ 
feuer  zu  veranschaulichen,  feierte  man  ihr  in  Sais  ein  Lampenfest, 
und  auf  der  Burg  zu  Athen  brannte  ihr  ein  ewiges  Licht  in  einer 
goldenen  Lampe  2),  obgleich  sie  andererseits  aus  dem  feuchten  Ele¬ 
mente,  dem  Ursprung  aller  Dinge,  abstammle.  Zeus  und  Koryphe, 


*)  Euseb.  Chron.  P.  II  p.  109. 

2)  Die  Ausleger  des  Aesebylus  hielten  irrig  jene  Söhne  des  He- 
pliästos  für  Sclimidle,  welche  aber  keine  Wegiuacher  sind. 

^3)  Meiirsius  de  Begib.  Alheniens.  II,  1. 

')  Aristot.  bei  Clem.  Protrept.  p.  8. 

Paus.  II,  30,  6.  Die  Münzen  von  Trözen  haben  den  Dreizack 
u.  d.  Kopf  d.  Athene, 
öj  Herod.  VIII,  55. 

2)  Orph.  h.  in  Min.  XXXII,  10. 

Procl.  in  Plat.  Tim.  p.  30. 

2)  Paus.  I,  ‘26,  7.  Meurs.  Cecrop.  c.  ‘21. 


Tocliter  des  Oceanus ')  oder  tiacli  Andern  2)  Poseidons,  sollen  ihre 
Elfern  jjewesen  seyn  nach  arkadischer  Sage.  Die  Lebensschlange 
war  ihr  ständiges  AKrihnl  ^);  sie  war  die  Vorsleherin  des  Frühlings 
in  Italien  (S.  131),  in  Athen  war  sie  die  Heilende  [Ttanovia  au>- 
die  man  um  Gesundheit  anllehte,  auch  hyieia  genannt*^), 
Ihre  Verbindung  mit  Hephäslos  wurde  in  Athen  fortwährend  aner¬ 
kannt,  da  sich  ihr  Bild  in  dem  Tempel  des  Letztem  befand^).  Ihre 
Verbindung  mit  Apollonaber  erhellet  daraus,  dass  man  ihr  als  nrjo- 
vata  vor  dessen  Tempel  in  Delphi  ein  Ueiliglhum  baute  S),  und  sie 
gleichfalls  als  TiQÜPaog  vor  dem  Tempel  des  israenischen  Apollon  in 
Theben  eine  steinerne  Bildsäule  hatte  9).  Dass  sie  von  Aegypten 
her  zu  Schilf  gekommen  ist,  deutet  die  Sage  an,  sie  sey  auf  einem 
Krokodil  auf  die  Burg  von  Athen  gefahren'®),  und  die  Sitte,  auf 
einem  durch  Uäder  bewegten  Schilfe  an  den  Panathenäen  den  Peplus 
ihr  zu  überbringen  "). 

Im  Todesjahr  des  Moses  5H  nach  Abraham  wanderte  Dan  aus 
von  der  Stadt  Chemnus  in  Oberägyplen  nach  Argos  und  riss  nach 
Vertreibung  des  Stheuelus  die  Herrschaft  an  sicli  *2).  Er,hiess  in 
seiner  Heimath  Armais,  und  Danaus  scheint  eigentlich  sein  Arnts- 


')  Cic.  N.  D.  111,  23  p.  624  Cr.  Amn. 

~}  Harpocrat.  v.  innia  \'ldr]vä. 

3)  llerod.  VIII,  41.  Grenzer  Syinh.  III  S.  407. 

')  Paus.  I,  2,  4.  Diog.  L.  v.  Aiistot.  16. 

Arislid.  h.  in  JMin.  p.  22  üindorf. 

2)  Paus.  I,  14,  5. 

llerod.  I,  92.  VllI,  37  :ioovrjtiq.  Die  Allen  selbst],  z.  B.  De¬ 
mosthenes  in  Aristügil.  p.  780,  haben  schon,  wie  es  scheint,  diesen 
ihren  Beinamen  nQovaia  in  TCQÖvoia  umgebengt  , ’j  zumal  da  diese  Aen- 
derung  den  sonstigen  Begrifl'en,  die  man  mit  lihrem  Wesen  verband, 
entsprach.  So  glaube  ich  die  Streitfrage,  welche  Grenzer  Symb.  III 
S.  452  ff.  behandelt ,  füglich  erledigen  zu  können.  Ursprünglich  we¬ 
nigstens  scheinen  beide  Namen  zugleich  ihr  nicht  anzugehören. 

5)  Paus.  IX,  10,  2. 

'®)  Charax  bei  Schob  Aristid.  Panatheii.  p.  95. 

")  Schob  Aristid.  ad  p.  197  Jebb. 

Manetho  bei  Fuseb.  Ghron.  P.  1  p.  233  f.  n.  (ihron.  P.  11  p.  109 


1G7 


name  zu  seyn,  zu  deutsch  Richter  vou  Die  Ställe,  wo  er  aus 
Land  gesliegeu  war ,  blieb  iu  der  Sage  der  Argiver  in  lehcndigeiu 
Andenken  *).  Der  Peloponnes  hiess  damals  Apia  und  war  von  Pe- 
lasgern  bewohnt  2),  Das  Uebergewichl,  das  sich  Danaus  in  Griechen¬ 
land  erwarb,  gehl  schon  aus  dem  Umstand  hervor,  dass  Homer  alle 
Griechen  nach  seinem  Namen  Danaer  nannte.  Er  weihle  dem  Zeus 
und  der  Artemis  Bildnisse;  auch  sclieint  unter  seiner  llerrscliait 
der  Cultus  der  Aphrodite-^),  der  in  Lypern  •)  und  ursprünglich 
in  Askalon  in  Syrien  seine  ileimalh  halte,  aulgekommen  zu  seyn. 
Sodann  erbaute  er  dem  Apollon  Autiioq  oder  Avzeiog  einen  Tem¬ 
pel  woher  die  ältesten  Münzen  von  Argos  den  Wolf,  zum  Theii  mit 
dem  mit  Lorbeer  bekränzten  Kopf  des  Apollon,  zeigen  L)es  Da¬ 
naus  Töchter  lehrten  die  pelasgischen  Frauen  in  Argos  die  Isisweihe, 
die  mau  hier  der  Demeter  zu  Ehren  T  h  es  in  opho  r  i  en  liiess.  Nach 
der  dorischen  Einwanderung  sind  diese  Mysterien  im  Peloponnes 
unlergegangen,  nur  bei  den  Arkadern,  die  ihre  Wohnsitze  behaup¬ 
teten  ,  haben  sie  sich  erhallen 

im  Jahr  5t)2  nach  Abraliam  wanderten  Phönix  und  Kadmus 
aus  dem  ägyptischen  Theben  nach  Syrien  iu  die  Gegend  von  Ty- 
rus  und  Sidou ,  und  die  Tochter  des  Phönix,  Europa,  wurde  5b7 
die  Gattin  des  Königs  Kerius  oder  Asterius  von  Kreta  Kad¬ 
mus  führte  im  Jahr  587  eine  Colouie  aus  Phönicien  nach  Böolien 
und  erlangte  die  Herrschaft  iu  Theben  ").  Wir  müssen  uns  eine  an¬ 
sehnliche  Anpflanzung  vorslellen;  denn  unter  den  alten  Einwohnern 
von  Euböa  kommen  Araber  vor,  welche  mit  Kadmus  übergesiedelt 
seyn  sollen Irn  Jahr  623  wurde  Dionysos  von  Semele,  einer 


Dasselbe  behauptelen  die  Aegypler  bei  Herod.  II,  91  u.  die  Griechen 
bei  demselben  Vli,  91. 

•j  Pausau.  Corintb.  38 ,  4.  Aesch.  Suppt.  251  11'. 

3)  Pausan.  11,  19.  üd.  «?',  362.  ’)  Her.  I,  105. 

Paus.  Corintb.  19. 

•  2)  Pellerin  Recueil  T.  1  pl.  20  n.  1.  1. 

8)  Uerod.  11,  171, 

-*)  Eus.  Chron.  P.  II  p.  111.  Syncellus  121  E  nennt  ihn  Asterius. 
'0)  Herod.  II,  49.  ")  Euseb.  Cliron.  H  p.  113. 

•2)  Strabo  X  p.  447. 


168 


Tochter  des  Kadmus,  in  Theben  geboren  ‘),  Ino,  ihre  Scliwesler, 
war  des  Gottes  Amme,  die  ihren  Sohn  Melikertes  in  Raserei  lödtele 
und  daun  in  das  Äleer  sprang  2^,  Die  jüngsten  Göller,  welche  die 
Grieclien  kennen  lernlen,  sagt  Herodol  (II,  145),  sind  Dionysos 
(1060  Jahre  vor  seiner  Zeit),  Herakles  (900  Jahre  vor  Herodol) 
und  Pan  (800  Jahre  vor  Her.).  Seitdem  aber  die  Griechen  diese 
Göller  kennen  lernlen,  bemerkt  er  (II,  146)  ganz  richtig,  von  da 
an  haben  sie  ihre  Genealogien  gemacht  3).  Bei  Semele  als  der  Mut¬ 
ter  des  Dionysos  sollte  man  um  so  weniger  an  eine  Allegorie  den¬ 
ken,  als  Hesiod  (Th.  941)  sie  beslimmt  eine  Sterbliche  nennt.  Ne¬ 
ben  ihrem  eigentlichen  halle  sie  auch  einen  priesterlichen  Namen, 
Thyone^),  was  so  viel  als  Mänade  bedeutet,  von  Svo>  i.  e.  iiaivo- 
Wenn  Panyasis  ^)  die  Thyone  die  Amme  des  Dionysos  nennt, 
so  folgern  wir  nicht  mit  dem  Scholiasten  des  Pindar,  dass  er  sie  für 
verschieden  von  Semele  gehalten  habe;  sondern  wir  gewahren  darin 
einen  Versuch,  die  attische  Genealogie,  die  dem  Gott  Persephone 
zur  Mutter  gibt,  mit  der  Ihebanischen  auszugleichen;  gleichwie  Ho¬ 
mer  (II.  VT,  132)  die  Bachantinnen  Arnmen  des  Dionysos  heisst. 
Zu  Athen  ,  wo  Dionysos  der  Idee  nach  eine  andere  Abstammung  er¬ 
hielt  von  Zeus  und  Persephone,  wo  ihm  in  den  Lenäen  der  raysli- 

I 

sehe  Jacchos  gesungen  wurde  *>),  fing  man  diesen  Lobgesang  gleich¬ 
wohl  mit  den  Worten  an:  „Sohn  der  Semele,  Jacchos,  Beichlhum- 
geber«  ').  Das  Volk  kehrte  sich  nicht  an  solche  Widersprüche. 
Wenn  Semele  als  die  Lehrerin  der  böotischeu  Töchter  das  Recht 


')  Euseb.  p.  117  Hes.  Th.  939.  Horn.  li.  XIV,  325. 

2)  Eurip.  Med.  1274  ib.  Schot.  Noninis  Dionys.  X,  75. 

« 

Nach  Euseb.  Chion.  P.  II  p.  107  ist  der  Weinslock  schon  im 
J.  508  nach  .Vbrah.  von  Dionysos  entdeckt  worden. 

■')  Pind.  Pyth.  III,  1  77,  wozu  der  Scholiast:  ört  ßv£i  y,ai  ivdov- 
oiä  Y.atä  ro'vq  xoQovq.  Hom.  h.  XXVI,  21.  Cic.  N.  D.  III,  23.  ib. 
Davies  u.  Moser  zu  Nonn.  I,  26.  Daher  bedeutet  ßvdjq  eine  Bacchan¬ 
tin,  ßvodla  so  viel  als  ßvQooi ,  dvia  das  Dionysosfesl  bei  den  Eleerii, 
Pausan.  VI,  26. 

5)  Panyasis  Heraclea  L.  III  bei  Schol.  Pind.  Pyth.  III,  177. 

Arrian.  de  expedit.  Alex.  II,  16. 

2)  Schob  Aristoph.  Ran.  479. 


\ 


169 


der  Mullerschafl  sich  zueigiiele,  so  wurde  dagegen  die  Tochter  des 
Königs  Minos  von  Kreta,  die  blonde  Ariadne,  als  des  Dionysos 
Priesterin  seine  Gattin  und  als  solche  unsterblich  ‘).  Wenn  wir  von 
einer  menschlichen  Mutter,  Gattin  und  Kindern  des  Dionysos  hören, 
so  ist  es  so  viel  ,  als  wenn  Circe  und  Aeetes  Kinder  des  Helios  sind, 
dessen  Dienst  in  ihrem  Vaterland  hoch  geehrt  war,  oder  wenn  aut 
den  Münzen  von  Venedig  der  Doge  vor  der  Madonna  kniet.  Me¬ 
in  mpus,  Sohn  des  Amythaon,  dessen  ßlülhe  in  das  Jahr  6i8 
fällt  2),  lehrte  die  Griechen  unter  Anderm  den  Namen,  das  Opfer 
und  den  Phallusaufzug  des  Dionysos  3).  Nach  der  Ansicht  Herodots 
brachte  Melampus  diesen  Gottesdienst  aus  Aegypten  und  zwar  durch 
Vermittlung  des  Tyriers  Kadmus  in  Erfahrung;  wiewohl  der  ägyp¬ 
tische  Dienst  des  Osiris  dem  griechischen  des  Dionysos  nicht  ganz 
gleich,  sondern  nur  ähnlich  sey.  Der  phöniciscbe  Adonis  war 
selbst  von  Osiris  herübergenommen  und  mit  demselben  anfänglich 
eins.  Die  Cyprier  verehrten  den  Osiris  unter  dem  Namen  Adonis 
und  die  Alexandriner  beteten  beide  Gottheiten  unter  Einem  Bilde 
zugleich  an  ^).  Die  Verknüpfung  des  phönicischen  Adonis  und  des 
griechischen  Dionysos  erhellet  sowohl  aus  ihrer  Idee  als  Zeugungs- 
gölter,  aus  ihrem  Tode,  als  auch  aus  ihrem  gemeinschaftlichen  Na¬ 
men.  Denn  Jiowaoq  oder  Jicöpvooq  bedeutet  Herr  von  Nysa^ 
verwandt  mit  ""Adoivig  von  (Herr).  Der  Vorschlag  A  fiel  aus, 
wie  die  Saraceneu  aus  Adon  in  Spanien  Don  machten*^),  wie  man 
auch  Apiithas  und  Phthas  sagte  Donysos  wurde  in  Dionysos  um¬ 
gebeugt,  dass  er  sich  leichter  an  den  V'^ater  der  Götter  und  Men- 


')  Hes.  Th.  946.  Theseus  wollte  Ariadne  nach  Athen  führen, 
sie  slarh  aber  unterwegs  auf  der  Insel  Dia,  von  Artemis  gelödtet,  eines 
jähen  Todes  ,  Od.  XI ,  321. 

2)  Euseb.  Chron,  P.  II  p.  119.  Dadurch  werden  die  Schwierig¬ 
keiten,  die  Larcher  Chronolog.  p.  201  f.  in  der  Zeitrechnung  zu  linden 
glaubt ,  gehoben. 

3)  llerod.  II,  49.  Vgl.  Diodor  I,  97  p.  109. 

Sleph.  15.  V.  Aixadovq. 

■’)  Damascius  bei  Suidas  v.  ’JI^6xay.oq. 

Plaulus  Poenul.  V,  2  donni,  mein  Herr. 

Suidas  V.  ’Acp^dq. 


170 


sollen  Zeus  ansclilösse.  Die  Fabel,  Zeus  habe  den  Diouysos, 

in  seine  Ilüfle  eingenähl,  nach  Nysa  in  Aelhiopien  gebracht  *),  deu¬ 
tet  auf  die  eigentliche  Heiinath  des  Gottes  hin.  Dieses  Nysa  nennt 
der  Honieride  (h.  XXV,  5.  XXVI,  8)  ein  waldiges  Gebirge  fern  von 
IMiönicien,  nahe  beim  Nilstrom,  wo  Dionysos  von  den  Nymphen 
auferzogen  worden  sey.  Dionysos,  des  Nils  Sohn  (Osiris),  soll  über 
Libyen,  Aethiopien  und  Arabien  geherrscht  habend).  Es  ist  wohl 
erklärlich,  wenn  später  eben  dieses  Nysa  als  das  Nazareth  des  Got¬ 
tes  zu  seiner  Amme  gemacht  wurdet),  welche  er  zu  Nysa  begraben 
habe-*),  oder  wenn  Andere  den  Nysus  für  dessen  Ernährer  ausga- 
ben ’),  welcher  nach  Cicero  (N.  D.  111,  23)  mit  Thyone  ihn  erzeugt 
haben  soll  *^).  Mit  dem  Dionysosdienst  verbreitete  sich  auch  der 
Name  Nysa:  inXhracieu  hatten  die  Dacchantinnen  einen  Berg  Namens 
Nyseion  7)}  in  Päonien  war  gleichfalls  ein  Nysa  zufolge  der  Münzeu'S)-, 
ebenso  auf  Euböa  und  Naxos^);  in  Karlen  war  eine  Stadl  Nysa  mit 
Dionysosdiensl,  und  eine  Kaisermünze  dieser  Stadt  zeigt  uns  das  Bac¬ 
chuskind  auf  einem  mit  Trauben  gefüllten  Füllhorn  “^).  ln  Indien  befand 
sich  eine  Stadl  Nysa,  die  von  Diouysos  gegründet  worden  seyu  soll  “), 
und  die  Griechen  *2)  Hessen  ihren  Dionysos  nach  Indien  ziehen,  woselbst 


')  Ilerod.  II,  146.  Vgt.  Apollodor.  III,  4,  3. 

2)  Jo.  Lydus  IV,  38  p.  198. 

Terpander  von  Lesbos  bei  Jo.  Lyd.  1.  c.  Wesseling  ad  Üiodor. 
III,  70  und  Schweigbäuser  zu  Athen.  V,  28.  Animadvers.  p.  238. 

Plin.  11.  N.  V,  8,  16. 

Ilygin.  fab.  131.  167.  197.  Commodiauus  Inst.  XII. 
üesgl.  Jo.  Lyd.  p.  200,  wo  aber  der  neueste  Herausgeber  aus 
Cicero  u  Niaou  statt  des  bessern  6  Nvaov  änderte;  während  umgekehrt 
das  i  bei  Cicero  verdächtig  scheint,  indem  ohne  Zweifel  der  angeb¬ 
liche  Vater  nur  eine  Personitication  des  Berges  Nysa  ist  und  darnach 
sich  die  Schreibart  zu  richten  hat.  Muncker  will  auch  bei  Ilygin  p.  236. 
692  lieber  Nysus  schreiben,  wo  die  Lesart  schwankt. 

')  Ilom.  II.  VI,  133.  Steph.  B.  v.  Nvaat. 

8)  Mionnet  I.  p.  395. 

Steph.  B.  V.  Nvaai. 

Millingen  llecueil  d.  medaill.  grecq  inedit.  p.  66.  T.  111.  n.  2'i. 
Anian.  Exped.  Alex.  V,  1.  '2)  Arrian.  Ind.  c.  5. 


171 


dem  Scliiwa  Phallusaiifzüge  um  den  Berg  Meru  gefeiert  wurden  *). 
Die  erste  Hälfte  des  Namens  Dionysos  erinnert  uns  an  die  Benen¬ 
nung  des  Nationalgolles  der  Hebräer  Adon  ,  die  so  gewölinlicli  war, 
dass  schon  die  alexandrinischen  üebersetzer  den  unaussprechlichen 
Gottesnaraen  Javoii  (nirr')  immer  mit  den  Vokalpunk  len  von  Adonai 
lasen  und  mit  xvQioq  üherselzlen.  Wie  die  griechischen  Kirchenväter 
und  das  Orakel  des  Apollon  Klarius  2)  den  [Gott  der  Hebräer  nach 
der  richtigen  Aussprache  Yao)  oder  ’laoj  nannten,  und  wie  die  [he- 
hräisclie  Sprache  seihst  das  Wort  durch  Jo  abkürzte,  z.  B.  in 
der  Zusammensetzung  von  Joah  (soviel  als  Juppiler,  Jovis  pater  3)); 
so  riefen  die  griechischen  Bacchanten  ihrem  Dionysos  ’fcJ,  Evot  zu 
und  nannten  den  Gott  auch  ’lößaxxog.  Die  Aegypter  sangen  ihrem, 
Thoylh  iaoeaou  5).  Die  allen  Dorier  nannten  den  Adonis  Üw  •').  Sogar 
das  Prädicat  des  hebräischen  Gottes  langmüthig  d-isn  tjix  wurde  in 
derselben  Sprache  dem  griechischen  Dionysos  bcigelegt,  nemlich 

ri()iY.analoq  ^), 

Esjkann  nicht  autTallen ,  dass  die  Namen  und  Prädicate  der  höch¬ 
sten  Götter  der  allen  Völker  in  einander  übergehen ,  und  es  war  erst 
einem  spätem  Zeitalter  Vorbehalten,  zwischen  Zeus  und  Theulh, 
Dionysos,  Adonis  und  Javo- Juppiler  zu  unterscheiden  Das  ver- 


*)  Der  geschichtliche  Zusammenhang,  der  zwischen  Griechenland, 
Aegypten  und  Phönicien  vorhanden  ist,  fehlt  zwischen  Griechenland  und 
Indien  ;  wesswegen  w'ir  zur  Naraenserklärung  der  ionischen  Form  Jev- 
i>v(Joq  nicht  nölhig  haben  mit  dem  Etymol.  M.  p  251  ed.^Lips.,  Tzetzes 
und  Zonaras  Lex.  Gr.  p.  478  nach  Indien  zu  gehen,  wo  öavvoq  König 
bedeuten  soll. 

2)  Macrob.  Sal.  I,  [18.  Jo.  Lyd.  IV,  38  'p.  202  f . :  oi  Xdkdatoi 
xbv  diüv  ’/acJ  Xayovaiv  —  'Poivkmv  yXo^aat],  Vgl.  daselbst  Röther 
und  Gesenius  hebr.  Wörterb.  s.  nini  S.  373. 

T  ; 

3)  Schon  Seiden  und  Dilherr  leiteten  den  Juppiler  der  Römer  von 
dem  Nalionalgott  der  Hebräer  ab. 

')  Demoslh.  de  corona  c.  79. 

Dcnietr.  Phaler.  tibqI  EQurjveiaq  c.  71. 

Etymolog.  Al.  v.  ^Aco. 

Procl.  ad  Orph.  fragm.  p.  460.  Vgl.  Schelling  über  die  Gollh. 
V.  Sam.  S  89. 


172 


w.intllscliaflliclie  Verhällniss  der  obersten  Golllieiten  der  Aegyplcr, 
Phonicier,  Grieclien,  Römer  und  sogar  der  Hebräer  in  ihrem  Ur¬ 
sprung  ist  nicht  zu  verkennen  und  widerlegt  am  besten  das  System 
derer,  welche  den  Götterhimmel  der  Griechen  auf  ihren  eigenen 
Gesiclitskreis  einschränken  und  lediglich  aus  griechischen  Wurzeln 
ahleiten  wollen.  Die  Hebräer  halten  bekanntlich  drei  Namen  für 
ihren  Gott:  El,  Javo  und  Adon,  und  alle  drei  haben  eine  Aehnlich- 
keit  mit  den  Namen  oder  Begrifien  der  Götter  anderer  Völker. 
heisst  der  Starke,  hängt  aber  zusammen  mit  ,  Widder,  dem  al¬ 
ten  Sinnbild  der  Stärke,  und  erinnert  an  den  ägyptischen  Widder- 
gott  und  an  den  pelasgischen  Krios  (§.  4).  Ich  halle  dafür,  dass 
Dionysos  und  Apollon  nur  verschiedene  Namen  eines  und  desselben 
ägyptisch  phönicischen  Gottes  sind,  des  Adon  Bel.  Adon  war  in  Kreta 
stierköpfig  gestaltet  (Minotaurus,  §.  61)  und  kam  als  der  Stiergoll 
Dionysos  nach  Griechenland,  ebenso  Bel  als  Apollon  (§.  40).  Je¬ 
doch  beide  Namen  scheinen  den  Gott  in  seinen  zwei  verschiedenen 
Zuständen  zu  bezeichnen  (wie  Hades  und  Kadmilos  bei  den  Pelas- 
gern),  Adon  in  dem  der  Todesschwachheit  als  ein  zerfleischter  und 
begrabener  (als  ein  gelödleter  Stier),  welcher  in  dem  strahlenden 
Sonnengott  Bel  (Kronos)  wieder  auferslehl.  Dieser  Gedanke  und 
ihre  ursprüngliche  Einerleiheit  wird  durch  die  Fabel  sinnig  angedeu- 
tet,  dass  die  Gebeine  des  Dionysos  neben  dem  goldenen  Standbilde 
des  Apollon  in  Delphi  begraben  liegen  *). 

Die  Vermählung  der  Prinzessin  Ariadne  mit  Dionysos  ist  von 
geschichtlicher  Wichtigkeit;  denn  sie  zeugt  von  der  frühen  Ehrerbie¬ 
tung,  die  man  ihm  in  Kreta  zollte.  Von  Kreta  aus  führte  Oeno- 
pion  (Weinlriuker) ,  ein  Sohn  des  Dionysos,  Pflanzer  nach  Chius. 
Da  dort  auch  Zeus  einheimisch  war,  so  mochte  daselbst  zuerst  Dio¬ 
nysos  zu  diesem  in  Verhällniss  als  Sohn  getreten  seyn.  Diodor 
(1 ,  23)  schreibt  jene  Genealogie  dem  Kadmus  zu. 

In  Attika  wurde  Dionysos  mit  seiner  nützlichen  Pflanze  schon 
ein  Jahrhundert  vor  Kadmus  unter  dem  dritten  attischen  König 
Amphiklyon,  welcher  520  nach  Abraham  zur  Regierung  kam  2), 


')  Dinarchus  von  Delos  bei  Cyrill  adv.  Jul.  X  p.  31-1. 
2)  Euseb.  Chron.  P.  II  p.  107. 


bekannt').  Er  wurde  von  Semacbus  bewirlhel,  und  bescbenkle 
dessen  Tochter  mit  einem  Rcbfell.  Der  König  weihte  einen  Altar 
des  Gottes  in  der  Ereclion  {diövvooq  oQddq)  in  der  Horen  Tempel 
und  nahe  dabei  einen  Altar  der  Nymphen  2).  Ueber  die  Bedeutung 
dieses  geraden  Dionysos  kann  kein  Zweifel  seyn,  da  von  einem  sol¬ 
chen  die  Ithyphallen  sangen  3).  Sodann  kan»  der  Gott  unter  P  a  n- 
dion  zu  Ikarius  in  Attika,  gab  ihm  den  Weinslock  und  Wein, 
und  lehrte  ihn  den  Weinbau  und  die  Weinhereilung.  Die  Folge  war 
hacchische  Raserei,  Ikarius  wurde  von  den  Bauern  und  flirten  im  Lande 
erschlagen  und  seine  Tochter  Erigone  erhenkle  sich  '* *).  Festen  Fuss 
fasste  dieser  Gottesdienst  in  Athen  erst  durch  Einlliisse  von  Böo- 
tien  her.  Der  Vermittler  und  lleberhringer  war  Pegasus  von 
Eleulherä,  und  Delphi  unterstützte  ihn  ^).  Um  diese  Epochen  seines 
Gottesdienstes  anzuzeigen  und  der  Nachwelt  zu  überliefern,  so  sah 
man  hinter  dem  Heiligthum  des  Dionysos  zu  .Athen  in  einem  Häus¬ 
chen  irdene  Bildwerke:  einmal  den  Amphiktyon,  wie  er  unter  an¬ 
dern  Göttern  dem  Dionysos  ein  Mahl  gibt,  sodann  den  Pegasus  von 
Eleutherä,  welclier  unter  Mitwirkung  des  delphischen  Orakels  den 
Dionysosdienst  in  Athen  einführte.  Das  Orakel  nemlich  erinnerte 
an  die  ehemalige  Erscheinung  des  Gottes  unter  Ikarius.  Der  atti¬ 
sche  Heros  Keramus,  von  welchem  der  Keramikus  seinen  Namen 
hat,  war  ein  Sohn  des  Dionysos  und  der  Ariadne  *^),  eine  Sage,  wor- 
nach  der  kretensische  Dionysos  durch  die  Vermittlung  des  Theseus 
in  Athen  zum  Vorschein  kommt.  Die  Lakonier  brachten  ihren 
Dionysosdienst  mit  Kadmos  in  Verbindung.  Dieser  habe,  so  fabel¬ 
ten  sie,  seine  Tochter  Semele  sammt  dem  neugehornen  Kinde  in 
einem  Kasten  den  Wellen  des  Meeres  überlassen,  derselbe  sey  in 
Brasiä  in  Lakonien  ans  Land  getrieben  worden,  Ino  habe  <len  jun¬ 
gen  Gott  in  einer  dortigen  Grotte  erzogen  2). 


*)  Meursius  de  Reg.  Athen.  I,  15.  Syncellus  p.  157. 

2)  Philochorus ,  vgl.  die  Nachweisungen  bei  Böckh  vom  Unter¬ 
schied  der  attischen  Lenäen  ,  Anlheslerien  etc.  S.  72. 

Semos  bei  Alhenaeus  XIV  p.  622  B. 

•)  Paus.  I,  2.  Apollodor.  IH,  14,  7.  Boeckli  1.  c.  S.  7:1. 

Pausan.  Alt.  2,  4.  Schob  .Aristoph.  Acharn.  242. 

Paus.  Atlic.  3  .Anfg.  Paus.  Lacon.  24,  3. 


174 


Hie  faiialische  Verhreilun"  dieses  CiiKus  gescliali  niclil  oline  Zei- 
clien  göKlicher  Alindung,  wo  er  Widerstand  fand.  Der  (Iiracisclie  König 
Lykiirgus  M'iifhele  so  gegen  die  Ammen  des  rasenden  Dionysos, 
dass  der  Gott  selbst  ans  Furcht  sich  ins  Meer  verbarg;  zur  Strafe 
aber  wurde  der  Mann  blind  und  lebte  nicht  lange  i).  Dieser  Triumph 
des  Gottes  war  oft  ein  Gegenstand  der  redenden  und  bildenden 
Künste,  und  wurde  von  Aesebylus  auf  die  Kühne  gebracht.  Der 
thracische  Orpheus,  Sohn  des  Oeaarus,  Priester  (oder  gar  Sohn) 
des  Apollon,  wurde  von  den  Mänaden  zerrissen  2),  Pentheus, 
Knkel  und  Nachfolger  des  Kadmus  auf  dem  Ibebanischen  Throne, 
Sohn  der  Aeave,  Avurde  als  Verächter  der  Dionysosreligion  ermor¬ 
det.  Ein  scythischer  König  Skyles,  der  von  den  Griechen  am  Bo- 
rysthenes  die  Bacchusweihe  gelernt  batte,  wurde  desshalb  von  sei¬ 
nen  Unlerlbanen  vom  Thron  und  Vaterland  verjagt  3).  In  Argolis 
IVihrle  Perseus  einen  blutigen  Kampf  gegen  den  neuen  Gott  und 
seine  Schaar  um  das  Jahr  670  nach  Abraham  ,  in  welchem  sogar 
Dionysos  umgekommen  seyn  soll  ^).  Er  wollte  die  vaterländische 
Eandesgoltbeil  Hera  gegen  den  neuen  Gottesdienst  vertheidigen, 
wie  man  aus  der  Fabel  5)  ersieht,  dass  Hera  in  der  Gestalt  des  Me- 
lampus  (nicht  mit  dem  obigen  Bacchuspricsier  zu  A^erwecbseln)  dem 
Perseus  beigestanden  sey.  Indessen  es  Avurde  Friede  gestiftet:  die 
Argiver  erwiesen  dem  Dionysos  grosse  Ehre  und  nannten  ihn  den 
kretischen;  er  sollte  sogar  daselbst  Ariadne  in  einem  irdenen 
Sarge  begraben  haben®).  Von  Kreta  aus  verbreitete  sich  also  der 
Gült  nach  Argolis.  Uebrigens  gewann  er  erst  in  späterer  Zeit  in 
Griechenland  bedeutende  Fortschritte  und  Anhang.  Denn  Homer 
kennt  ihn  zwar,  nennt  ihn  aber  nur  einmal  gelegentlich  2). 


*)  Ilom.  11.  VI,  130  IT.  Grenzer  Synib  III  S.  176  ff.  ^le  Ausg. 
2)  Aeschyl.  bei  Eraloslben.  Catasler.  c.  24  p.  19.  Schaub.  Platon. 
Symp.  7,  3.  ApolloJor.  III,  5,  1.  Pans.  IX,  30. 

5)  llerod.  IV,  79  f. 

Pans.  Gorintb.  20,  3.  Grenzer  Dionys,  p.  230. 

Nonnns  L.  47  v.  533.  Perseus  n.  Melampus  erscheinen  auf  einer 
etruskischen  Todtenkisle  bei  Ingbiranii  Ser.  I.  t.  53  auf  einem  Altar 
kniend,  die  Volksreligion  Aerfechtend. 

®)  Pans.  Gorintb.  23,  8.  7)  j|.  yi,  130. 


175 


Kreta  war  auch  l)ei  der  Aushreilung  des  A  p  o  1 1  o  n  d  i  e  n  s  t  e  s 
Ihälig  Geboren  ist  zwar  der  Gott  auf  Delos,  von  da  ging  er  aus, 
sagt  der  Homeride  (ii.  in  Apoll.  ‘27),  über  die  Menschen  zu  lierr- 
schen  in  Kreta,  Athen  u.  s.  w.  Von  Delos  kam  er  auch  nach  an¬ 
dern  Gewährsmännern')  nach  Athen  und  von  da  nach  Delphi. 
Nach  dem  Homeriden  (h.  in  .4poll.  393.  438^.  517  Eudocia  p.  108) 
kamen  kretensische  Scliifl'er  von  Knosus  unter  Anführung  des  Kasta- 
l^ius,  von  dem  Gotte  mit  der  Cilher  selbst  geleitet,  nach  Pytbo, 
wo  sie  seinen  Tempel  bauten  und  sein  Orakel  stifteten  2).  Hie 
Schlange  Python,  die  Apollon  erlegte,  ist  wahrscheinlich  nichts  an¬ 
deres  als  eine  Sammlung  von  Menschen,  die  Ureinwohner  von  Pytbo, 
welche  von  den  neuen  Ankömmlingen  zum  Theil  verjagt,  zum  Tbeil 
getödtet  wurden.  Darauf  deutet  eine  Stelle  bei  Plularch  (Oiiaest. 
Horn),  wo  von  einer  förmlichen  Schlacht  Apollons  gegen  Python, 
von  einer  Flucht  des  Letztem  bis  Tempe,  von  der  Verfolgung  von 
Seile  Apollons  und  von  dem  Begräbniss  des  Python  durch  seinen 
Sohn  .4ex  (^^s)  die  Rede  ist.  Versteht  sich,  dass  der  Gott  sich  der 
kräftigen  Arme  seiner  Diener  bei  diesem  Geschäfte  bediente.  Jenes 
Volk,  von  -,r3  (Viper,  Schlange)  3)  abgeleitet,  bestand  vielleicht  aus 


')  Aeschyl.  Eiimcn.  9.  Ephorus  bei  Slrabo  IX.  fr.  p.  181.  So- 
phocl.  Oed.  Tyr.  154  nennt  den  delphischen  Gott  Jdliog  Ilaidv. 

2)  Wir  haben  keinen  Grund  zu  der  entgegengesetzten  Annahme 

Ilöck’s  (Kreta  III  S.  I.i9),  als  wäre  der  Apotlodiensl  von  Delphi  nach 
Kreta  gekommen  ,  als  sich  dorische  Colonien  nach  dem  Ileraklidenzug 
daselbst  ansiedelten.  War  dieser  Gott  ursprünglich  der  phöniciscbe 
Baal  (§.  40),  so  ist  es  im  Gegentheil  sehr  w'ahrscheinlich ,  dass  Kreta 
die  Brücke  zwischen  dem  Morgenland  und  Grieclienlaud  gewesen  ist. 
Diese  Vermittlung  zeigt  sich  sogar  im  Namen  ,  indem  man  in  Kreta  die 
Sonne  nannte  (Oesych.  s.  v.) ,  und  eine  dorische  Namenform 

des  Gottes  war  ^AticXXcüv.  Es  verdient  bemerkt  zu  werden ,  dass  der 
als  eine  menschliche  Geschichte  vorgetragene  Tod  Abels  von  der  Hand 
eines  Bruders  in  der  grauen  Vorzeit  unseres  Geschlechts  mit  den  kre- 
tensisch  griechischen  Fabeln  von  dem  Tode  eines  Nalurgottes  zusam¬ 
menstimmt ;  und  auch  die  alten  Sonnengötter  weideten  ihre  Herden. 

3)  Eine  Stadt  in  Aegypten  hiess  2  Mos.  I,  11  CP£ ,  nach  der  sa- 

maritanischen  Mundart  (Piton). 


—  17(i  - 

Sclilangenaiibelern ,  konnte  so  unter  dem  Bilde  eines  Draciien  vor¬ 
gestellt  werden,  und  die  Vermischung  des  alten  Sclilangendienstes 
mit  dem  neuen  Apollondiensl  in  Delphi  vermitteln.  Die  Sage  •)  er¬ 
zählt,  Apollon  habe  das  Orakel  nicht  überkommen  können,  bevor  er 
den  Python  erlegte:  diess  deutet  auf  einen  Völker-  und  Religions¬ 
krieg,  was  in  heidni.scher  Zeit  beisammen  war.  Schon  unter  den 
Pelasgern  war  hier  eine  Wahrsagerslätte,  zuerst  unter  Themis, 
hernach  unter  Phöhe.  Der  neueingelreteue  Gott  wurde  nunmely 
•Poißoq  als  Nachfolger  seiner  V’^orgängerin  ,  die  zu  seiner  Grossmulter 
gemacht  wurde,  nachdem  er  schon  eine  Mutier  in  Lelo  von  Delos 
milbrachte. 

Die  Erlegung  des  Python  gibt  ein  'delphischer  Schriflsteller  2)  als 
Grund  an  von  der  Dienstbarkeit  Apollons  bei  dem  thcssaliscben  Kö¬ 
nige  Admetos  von  Pherä,  den  er  vom  Tode  errettete,  und  in  der 
That  hei  den  delphischen  Festgebräuchen  stellte  ein  Knabe  den 
Kampf,  die  Irrsale,  die  Dienstbarkeit  des  Gottes  und  die  Sühne  in 
Tempe  dar.  Schon  Homer  (II.  II,  766),  Aeschylus  (Eum.  713)  und 
Euripides  (Alcest.  2)  wissen  von  diesem  seinem  Verhältnisse  zu  Ad¬ 
metos.  K.  0.  Müller  (Prolegomena  z.  e.  wiss.  Mylh.  S.  300  tT.)  deu¬ 
tele  es  also,  die  Dienstbarkeit  sey  mit  eine  Bedingung  der  Reinigung 
und  der  Wiederaufnahme  ins  Vaterland  gewesen;  und  so  habe  auch 
der  sonst  reine  Gott  Apollon  der  Sühne  sich  unterziehen  und  dienen 
müssen.  Mir  scheint  aber  nicht,  dass  die  Fabel  und  die  Festge- 
bräuche  einem  leeren  Gedanken  ihren  Ursprung  verdankten,  sondern 
dass  die  wirkliche  Slifluugsgeschichle  des  apollinischen  Orakels  in 
jenen  ihren  entsprechenden  Ausdruck  gefunden  habe,  dass  nicht 
der  Gott,  sondern  seine  Diener  und  Ankömmlinge,  welche  die 
Schlacht  mit  den  Ureinwohnern  geschlagen  hatten,  sich  in  Tempe 
sühnen  liessen  und  anfänglich  bei  Admetus  in  Pherä  eine  Zeit  lang 
als  Hirten  und  durch  Ausübung  der  Heilkunde  dienend  verweilten, 
ehe  sie  sich  zu  dem  Orakelsilz  Delphi  zurückbegaben.  Diese  Aus¬ 
legung  ist  gewiss  natürlicher  und  besser  begründet,  als  wenn  man 
dem  Gott  selbst  für  seine  rettende  Grosslhal,  woran  nach  der  ge¬ 
wöhnlichen  Meinung  nicht  einmal  Menschenblul  haftete,  Knechtschaft 


Apollodor.  III. 

2)  Anaxandiidas  bei  Schob  Eurip,  Ale.  2. 


177 


und  Sühne  als  Strafe  auferlegen  lässt.  Sodann  war  das  Dienen  eine 
zufällige  Sache  der  Landesflüchtigen,  und  nicht  eine  gebotene  Strafe 
zur  Sühne  für  einen  Mord;  wie  man  nach  der  Deutung  0.  Müller’s 
annehraen  müsste.  Hatte  man  einmal  dem  Gott  die  Tödtung  des 
Python  und  das  Dienen  in  Pherä  zugeschrieben,  was  eigentlich  seine 
Colonie  vollbrachte,  so  erschöpfte  sich  begreiflich  der  Erfindungs¬ 
geist  der  spätem  Dichter,  den  Grund  hievon  anzugeben ,  und  ver¬ 
wandelte  so  die  fabelhafte  Geschichte  in  ein  Mährchen,  dem  die 
neuern  Mythologen  eine  tiefe  Bedeutsamkeit  unterlegen.  Unser  erstes 
Geschäft  muss  aber  immer  seyn,  das  muthmasslich  Ursprüngliche 
von  den  nachmaligen  Zuthaten  zu  sondern.  Als  Grund  des  Dienens 
wurde  nemlich  von  Pherecydes  *)*  eine  von  Zeus  verhängte  Strafe 
angeführt,  weil  Apollon  die  Söhne  der  Cyklopen  oder  nach  Andern 
die  Cyklopen  selbst  gelödtet  habe,  und  der  Grund  hievon  soll  gewe¬ 
sen  seyn,  weil  sie  dem  Zeus  die  Blitze  schmiedeten,  womit  er  den 
Asklepios  erschlug. 

Artemis  soll  gleichfalls  von  Delos  nach  Attika  gekommen, 
und  zuerst  am  Ufer  des  Ilissus  gejagt  haben;  daher  ihr  dortiger  Bei¬ 
name  äyQa ,  dyqaia  oder  dyQOTSQa  von  dygiot  (jagen)  und  der  Ort 
selbst ,  wo  ihr  ein  Tempel  errichtet  wurde  ,  ^'AyQa  oder  ""Aygat  hiess  2). 
Auch  wurde  der  Artemisdienst  von  Tauris  durch  Iphigenia 
nach  Attika  verpflanzt.  Als  diese  von  dort  flüchtig  geworden,  so 
soll  sie  das  dasige  Arlemisbild  in  den  attischen  Gau  Brauron  ge¬ 
bracht  und  da  zurückgelassen  haben  3),  welches  nachmals  Xerxes 
wegnahm  '•).  Daselbst  wurde  seitdem  die  Göttin  hoch  verehrt  ^),  die 
auch  den  Beinamen  Brauronia  empfingt).  Nach  der  Aussage  der 
Ep  lies  er  sollen  Apollon  und  Artemis  im  Haine  Ortygia  bei  Ephe¬ 
sus  geboren  seyn  ^).  Der  Homeride  (h.  I  in  Apoll.  16)  lässt  wenig¬ 
stens  Artemis  da  neben  einer  Palme,  jedoch  den  Apollon  in  Delos 
geboren  werden.  Die  Palme  finden  wir  auf  ephesischen  Münzen 


*)  Bei  Schob  Eurip.  I.  c.  fragm.  p.  82  Sturz. 

2)  Plat.  Phaedr.  p.  229  C.  Paus.  Attic.  p.  45. 

3)  Paus.  Attic.  Paus.  Arcadic. 

Diphilus  bei  Athenaeus  L.  VI. 

®)  Stephan.  B.  v.  BQavQoyv. 

Tacit.  Annal.  III,  61. 


12 


178 


neben  dem  Hirsch  *).  Nach  Kalliniach  (h.  in  Dian.  v.  237)  haben 
die  Amazonen  der  Artemis  ein  Bild  zu  Ephesus  unter  einer  Eiche 
geweiht.  Im  Tscherkessischen  heisst  Maza  Mond;  woher  jene  Arte¬ 
mis-  und  Mondsverelirerinnen  vielleicht  den  Namen  erhalten  haben. 
Nach  der  delischen  Sage  bei  Herodot  (IV,  33)  ist  die  Religion  des 
Apollon  und  der  Artemis  ursprünglich  von  den  Hyperboreern 
zu  den  Scythen,  von  diesen  nach  Dodona,  von  da  an  den  melischen 
Meerbusen  und  nach  Euböa,  Karystos,  Andros ,  Tenos  und  von  da 
nach  Delos  gekommen. 


§.  33. 

Die  Reibungen  und  Religionskriege  beim  Uebergang  der  zweiten 
Periode  in  die  dritte,  welche  einen  Zeitraum  von  mehreren  Jahrhun¬ 
derten  einnehmen  mochten,  stellt  die  Fabel  als  einen  mehr  als  zehn¬ 
jährigen  Titanenkampf  vor  2).  Thessalien,  die  Wiege  der 
Hellenen,  bei  denen  die  neue  Religion  den  meisten  Anklang  gefun¬ 
den  und  mit  denen  sie  sich  über  ganz  Griechenland  verbreitet  zu 
haben  scheint,  war  der  Schauplatz  des  grossen  Kampfes.  Die  Alt¬ 
gläubigen  und  Neugläubigen  hatten  daselbst  eine  jede  Partei  ihren 
abgesonderten  heiligen  Berg,  jene  im  Süden  den  Olhrys,  diese  im 
Norden  den  Olympus;  wie  ich  aus  der  Angabe  schliessen  zu  müssen 
glaube,  dass  dort  die  Titanen,  hier  die  Kronideu  feindselig  gelagert 
waren  3).  Die  Parteihäupter  waren  begreiflicher  Weise  dort  Kronos 
hier  Zeus  ^). 

Wenn  bei  Hesiod  die  Götter  selbst  als  Kämpfer  für  ihre  Altäre 
erscheinen,  so  führt  dagegen  Homer  (Od.  XI,  308  ff.)  menschliche 
Vorfechter  auf.  Der  Kampf  scheint  aber  bei  beiden  derselbe  gewe¬ 
sen  zu  seyn,  so  weit  man  aus  dem  gleichen  Orte  und  Zwecke  des¬ 
selben  urtheilen  kann.  Otus  und  Ephialtes,  Söhne  des  Poseidon 
und  der  Iphimedeia  (welche  den  Berg  Helikon  den  drei  Musen  ge- 


Numisniata  apibus  insignita  T.  I  n.  2. 

2)  Hes.  Th.  616  ff.  Richtig  sagt  Clavier  sur  les  premiers  temps 
de  la  Gröce  T.  I  p.  79:  cette  rivalite  de  cultes  avoit  donne  lieu  ä  la 
guerre  donl  nous  tiouvons  la  descriplion  dans  la  Theogoniej^dTlesiode. 

3)  Theog.  631  f.  Theog.  490  f. 


179 


weiht  haben  sollen  *)),  von  ungeheurer  Grösse  und  Kraft,  befehde¬ 
ten  am  Olympus  die  Unsterblichen ,  thürmten  den  Berg  Ossa  auf  den 
Olympus  und  auf  den  Ossa  den  Pelion,  um  den  Himmel  zu  stürmen. 
Apollon  aber  als  der  olympische  Bogenschütze  erlegte  sie  beide.  Sie 
waren  nach  Homer  neun  Ellen  lang  und  doch  nicht  ausgewachsen. 
Daher  macht  Virgil  (Georg.  I,  280  ib.  Servius)  sie  als  Giganten  zu 
Söhnen  der  Erde,  und  die  Giganlomachie  und  Tilanomachie  war  ur¬ 
sprünglich  einerlei,  und  wurde  von  den  Alten  gleichbedeutend  ge¬ 
braucht  uud  erst  von  Spätem  ein  Unterschied  angenommen.  Es  gab 
in  verschiedenen  Gegenden,  wo  die  Giganten  d.  i.  die  griechischen 
Ureinwohner  lebten,  auch  Gigautomachien  2) ,  als  in  Arkadien  3),  zu 
Phlegrä  auf  der  pallenischen  Halbinsel  in  Macedonien '*).  Am  letztem 
Orte  zeichneten  sich  aus  Zeus,  Here,  Apollon,  Dionysos,  Hekate, 
Hephästos,  Athene,  Poseidon,  Hermes,  die  Mören  und  als  Sterb¬ 
licher  Herakles  Nach  Homers  Froschmäusekrieg  283  besiegte 
Zeus  die  Titanen,  den  Kapaneus,  Enceladus  und  die  wilde  Schaar 
der  Giganten  mit  dem  Donnerkeil. 

Die  ägyptisch  hellenische  Religion  gewann  ungeachtet  aller  Ge¬ 
genkämpfe  das  Uebergewicht;  den  alten  Göttern  aber  wurde  der 
Tartarus  unter  der  Erde  als  das  schicklichste  Sinnbild  ihrer  Ver¬ 
drängung  zum  Wohnsitz  angewiesen.  Daselbst  dachte  man  sich  die 
Titanen^),  oder  nach  Hesiod  (Th.  729.  814)  in  der  Finsterniss,  wo 
die  Wurzeln  der  Erde,  des  Tartarus,  des  Meeres  und  des  Himmels 
sind.  Weil  die  Menschen,  ihre  Verehrer,  gut  und  fromm  waren  2), 


*)  Plularch.  Symp.  IX,  14. 

2)  Ihrer  gedenkt  daher  Platon  Polit.  II  p.  378  C  in  der  Mehrzahl. 

3)  Pausan.  in  Arcadicis. 

Apollodor.  I,  16,  1  und  Isacius  Tzetzes ,  welche  die  dortigen 
Vorkämpfer  Porphyrion  und  Alkyoneus  nennen. 

Diodor.  IV,  15.  Vgl.  Wunder  ed.  Sophocl.  Vol.  II  sect.  3 
p.  14  sqq. 

II.  VIII,  479  wird  diess  von  Kronos  und  Japetos,  II.  XIV,  274. 
279.  H.  in  Apoll.  335.  lies.  Th.  717.  851.  Orph.  bymn.  37  (36)  von  den 
Titanen  überhaupt  ausgesagt. 

2)  Hes.  Op.  111. 


ICO 


so  hatten  nach  Pindar  Kronos  und  Rhea  auf  dem  Eiland  der  Se¬ 
ligen  ihre  Burg.  Man  schwur  bei  den  unterirdischen  Titanen  2),  und 
spielte  auf  Grabdenkmalen  nach  griechischer ,  ägyptischer  und  etrus¬ 
kischer  Sitte  durch  Löwen  und  Löwenköpfe,  wie  es  scheint,  auf  die 
gute  Göttin  Rhea  als  Beherrscherin  der  Seligen  an.  Denn  der  Löwe 
war  der  Rhea  heilig,  und  mit  dem  Löwenkopf  erblicken  wir  sie  in 
Gesellschaft  ihres  Gemahles  Kronos  auf  der  linken  Wand  des  liby¬ 
schen  Ammonlempels  von  Umebeda  in  einer  Reihe  unterirdischer 
Gottheiten  ^). 

Zum  Zeichen  des  gestifteten  Religionsfriedens  gab  man  dem 
neuen  Beherrscher  der  Götter  und  Menschen  Zeus  den  Kronos 
und  die  Rhea  zu  Eltern,  deren  weitere  Kinder  Here,  Poseidon, 
Demeter,  Hestia  und  Hades  waren  '*).  Die  vormalige  Allein¬ 
herrschaft  des  Kronos  zertrennte  sich  in  überirdische  (Zeus),  unter¬ 
irdische  (Hades)  und  Meeresherrschaft  (Poseidon),  und  die  Splitter 
des  Thrones  der  mütterlichen  Rhea  wurden  drei  besondere  Throne, 
wovon  den  einen  Here  im  Himmel ,  den  andern  Demeter  auf  Erden 
und  den  dritten  Hestia  in  den  Häusern  aufschlug.  So  redet  Homer 
(II.  d,  187.  h.  in  Cer.  86)  von  einer  dreifachen  Theilung:  Zeus  habe 
den  Himmel  im  Aether  und  in  den  Wolken  erhallen,  Poseidon  das 
Meer  und  Hades  das  Dunkel  der  Unterwelt,  die  Erde  aber  und  der 
hohe  Olymp  blieb  Allen  gemeinschaftlich.  Somit  ist  Hades  auch 
vom  Olymp  nicht  ausgeschlossen,  und  die  Erde  ist  der  Schauplatz 
der  Wirksamkeit  aller  Götter.  —  Die  Zeit  des  Kronos  und  des  Ja- 
petos  wurden  sprüchwörilich  bei  den  Griechen,  um  etwas  Allerthüm- 
liches  zu  bezeichnen. 

Die  Fabel,  welche  die  neuen  Götter  zu  Kindern  des  Kronos 
machte  und  diesen  seine  eigenen  Kinder  verschlingen  lässt,  was  oben 
gedeutet  wurde,  war  nun  genölhigt,  um  sich  einigermassen  in  den 
Grenzen  der  Wahrscheinlichkeit  zu  halten ,  das  Hervortreten  der 
neuen  Götter  zu  erklären.  Da  mochte  nun  nach  der  Meinung  des 


Pindar.  01.  II,  125.  140.  Auch  Saturnus  war  den  Römern  ein 
unterirdischer  Gott,  nach  der  Meldung  Plutarch.  Quaest.  Rom.  34. 

2)  II.  XIV,  274.  279. 

3)  Tölken  Erläuterung  der  Bildwerke  am  Tempel  des  Juppiter 

Ammon  T.  VIII.  Hes.  Th.  453. 


181 


Clericus  die  Wortähnlichkeit  von  (Sohn)  und  -,dn  (Stein)  die 
Veranlassung  zn  dem  Mährchen  abgegeben  haben ,  Kronos  habe  an¬ 
statt  des  Zeus  einen  grossen  Stein  verschluckt ,  und  sodann  durch 
die  List  und  Kraft  dieses  seines  Sohnes  überwältigt,  zuerst  diesen 
Stein  und  dann  seine  Kinder  wieder  von  sich  gegeben;  diesen  Stein 
habe  nun  Zeus  in  Pytho,  einem  Hauplsitz  der  neuen  Religion,  gleich¬ 
sam  als  Siegeszeichen  niedergelegt  2),  und  das  sey  derselbe,  den 
man  vor  dem  Tempel  zu  Delphi  gewahre,  Abaddir  oder  ßaizvXiov 
nannte  3)  und  täglich  mit  Oel  begoss''»),  gerade  wie  Jakob  an  dem 
Malslein  zu  Bethel  that  5).  An  einen  dortigen  Meteorstein  mochte 
sich  disse  Fabel  angekuüpft  haben;  sowie  in  dem  alten  Orchomenus 
und  in  dem  pessinunlischen  Gottesdienst  der  Cybele  Meteorsteine 
verehrt  wurden  ®). 

Zu  dem  neuen  Religionsgebäude  trugen  alle  griechische  Völker¬ 
schaften  von  dem  Ihrigen  bei,  die  thebanischen  und  der  trojanische 
Krieg  vermittelten  allem  Anschein  nach  den  Austausch  und  bereite¬ 
ten  die  Zusammensetzung  vor-  Die  Epiker,  namentlich  Homer  und 
Hesiod,  gaben  dem  erwachten  griechischen  Gemeinsinn  Ausdruck, 
vereinigten  die  Vorgefundenen  Götter  zu  einem  Ganzen,  und  brach¬ 
ten  so  in  den  Polytheismus  lichte  Ordnung.  Unter  ihrem  Einfluss 
schlossen  die  altern  und  neuern  Gottheiten  einen  panhellenischen 
Bund,  die  veralteten  wurden  ausgeschieden  und  die  beibehaltenen 
durch  Genealogie  einander  über-  und  untergjeordnet.  Eine  charak¬ 
teristische  Nachricht  von  dem  friedlichen  Nebeueinanderbestehen  des 
Zeus  -  und  Kronoscultus  in  einer  Uebergangsperiode  hat  uns  Hero- 
dorus  bei  Schob  Pindar.  Ob  V,  10  aufbewahrt,  dass  Herakles  zu 
Olympia  sechs  Altäre  errichtet  habe ,  den  ersten  dem  Zeus  und  Po¬ 
seidon,  den  zweiten  der  Hera  und  Athena,  den  dritten  dem  Hermes 
und  Apollon,  den  vierten  den  Chariten  und  dem  Dionysos,  den  fünf¬ 
ten  der  Artemis  und  dem  Alpheus  und  den  sechsten  dem  Kronos 


1)  Zu  Hes.  Th.  485. 

2)  Th.  485  ff.  Platon  sagt  im  Euthyphron  p.  6  A ,  Zeus  habe 
seinen  Vater  gefesselt. 

3)  Priscian.  L.  V  fob  21  ed.  Ascensianae  und  die  Nachweisungen 
bei  Creuzer  Symb.  IV  S.  639. 

Pausan.  X,  24.  S)  i  mqs.  28,  18. 


Paus.  IX  ,  38. 


182 


und  der  Rhea.  Sogar  Cekrops,  der  Stifter  des  Zeuscultus,  soll  am 
Fusse  der  Akropolis  zu  Athen  dem  Kronos  und  der  Rhea  einen  Al¬ 
tar  geweiht  haben  *). 


A.  Von  der  Gottheit  an  sich. 

§.  34. 

Das  erste  Glied  der  grossen  Kette,  der  Erste  und  der  Letzte, 
war  Zeus.  Sein  Amt  ist  das  königliche,  »Als  die  seligen  Göt¬ 
ter,  sagt  Hesiod  (Th.  880  ff.),  den  Kampf  mit  den  T  tanen  beendigt 
hallen,  erhoben  sie  den  Zeus  auf  den  Stuhl  der  Herrschaft,  nach 
den  Rathschlägen  der  Erde.“  Er  ist  der  beste  Herrscher,  dglataQ- 
Sein  ist  die  höchste  Majestät  3).  »König  der  Könige,  der 
Seligen  Seligster,  und  der  Vollkommenheiten  vollkommenste  Macht, 
glückseliger  Zeus“,  so  redet  ihn  Aeschylus  (Suppl.  527  ff.)  an.  Als 
Höchsten  der  Herrscher  ruft  ihn  Athene  Od.  a,  45  an^),  und  Pla¬ 
ton  (Syrap.  19,  6)  legt  ihm  als  sein  auszeichnendes  Amt  die  Regie¬ 
rung  der  Götter  und  Menschen  bei,  so  wie  Hephästos  der  Schmidt- 
und  Athene  der  Webekunst  vorstehe.  Weisheit  und  Herrschaft 
kommt  ihm  nach  Plat.  Phaedr.  p.  252  E  vorzugsweise  zu,  sowie 
seiner  Gattin  Here  der  königliche  Charakter.  Die  Versuche  der 
Götter,  sich  gegen  seine  Herrschaft  aufzulehuen,  scheiterten  an  sei¬ 
ner  Allmacht.  Here,  Poseidon  und  Athene  wollten  ihn  einst  fesseln, 
allein  die  Meeresgöllin  Thetis  berief  den  hunderlarmigen  Briareus 
zum  Schirm  auf  den  Olympus,  vor  welchem  die  seligen  Götter  sich 
scheuten  ^).  Here  wurde  von  ihrem  Gemahl  in  den  Aelher  und  die 
Wolken  aufgehüngt  und  Ambosse  an  ihre  Füsse  gelegt,  weil  sie  ihm  zu¬ 
wider  den  göttlichen  Herakles  durch  einen  Sturmwind  ins  weile  Meer 


*)  Paus.  1,  18.  Bacchylid.  fragm.  p.  62. 

3)  Sophocl.  Philoct.  1284:  dyvov  Ztjvög  viptarov  oeßag, 
’*)  Vgl.  II.  K,  566.  ,9',  450.  A',  78  ff.  ö,  107.  Od.  e,  103. 
5)  11.  I,  399  ff. 


18a 


gejagt  hatte  ‘).  Er  fordert  darum  alle  Götter  heraus,  wenn  es  ihnen 
beliebe,  eine  goldene  Kette  an  den  Himmel  zu  befestigen  und  sich 
sämmtlich  daran  zu  hängen,  sie  würden  dennoch  nicht  den  höchsten 
Regenten  herabzuziehen  im  Stande  seyn  trotz  aller  Mühe;  er  dage¬ 
gen  würde  sie  mit  der  Erde  und  dem  Meere  emporzuziehen  vermö¬ 
gen  ,  und  die  Kette  an  des  Olympus  Spitze  anbinden ,  dass  Alles  in 
der  Luft  schwebete  :  so  sehr  bin  ich  grösser  als  Göller  und  Men¬ 
schen,  spricht  Zeus  Auf  menschliche  Weise  ist  hier  seine  Ober¬ 
gewalt  versinnlicht,  wie  auch  der  Schluss  dieser  Stelle  selbst  an¬ 
zeigt,  dass  sie  also  verstanden  seyn  wolle;  und  ihre  Deutung  von 
Creuzer  (Symb.  IV  S.  566  f.) ,  als  hinge  das  Weltall  an  Zeus  seinem 
Mittelpunkt,  scheint  keineswegs  darin  zu  liegen.  Daher  lesen  wir 
so  oft  im  Homer,  die  Götter  haben  etwas  nach  dem  Ralhschlusse 
des  Zeus  gethan ,  in  seinem  Palaste  beralhen  sie  der  Menschen  Ge¬ 
schick,  und  er  führt  den  Vorsitz  3).  Vater  ist  sein  eigen- 

Ihümlicher  Name,  Vater  der  Menschen  und  Götter;  wie  auch  in  dem 
Juppiter  der  Römer  das  Wort  pater  als  bezeichnend  hervorslicht.  — 
Sein  Attribut  ist  daher  der  Adler  als  der  König  der  Vögel,  der 

himmelan  fliegt.  —  Auf  dem  Kampfplatz  vor  Troja  lässt  Homer  (11. 

XXI,  387)  die  beiheiligten  Göller  selbst  einen  Kampf  mit  einander 
beginnen,  die  Erde  stöhnt  und  der  grosse  Himmel  trompetet  dazu; 
aber  Zeus  sitzt  im  Olymp  und  lachet  darob.  Der  menschliche  Ha¬ 
der  der  unsterblichen  Götter  in  der  lliade  (I,  573  ff.)  gleicht  sich 

auf  den  Rath  des  Hephäslos  durch  ein  Göttermahl  und  darauf  fol¬ 

genden  sanften  Schlaf  aus.  Daher  ist  eine  homerische  Theolo¬ 
gie,  wie  sie  Professor  Nägelsbach  (Nürnberg  1840)  bearbeitet 
hat,  nicht  sowohl  eine  Theologie,  als  vielmehr  ein  Aggregat  dessen, 
was  der  epische  Dichter  im  freien  Spiel  der  Einbildungskraft  dar¬ 
gestellt  hat,  ohne  Anspruch  darauf  zu  machen,  dass  seine  Gebilde 
und  Ergüsse  Glaubensartikel  gewesen  und  zu  einem  Lehrgebäude 
zusammengesetzt  werden  sollen. 

Durch  die  Idee  eines  obersten  Himmelskönigs  wurde  die  Ein¬ 
heit  Gottes  gerettet.  Die  vergötterten  Naturkräfte  sind  seinem 
gebietenden  Willen  unterthan;  er  aber  steht  frei  und  unabhän¬ 
gig  über  Allem  im  Aelher.  So  wurde  der  Heide  ungeachtet  der 


*)  II.  XV,  18  IT. 


2)  II.  VIII,  18  ff.  3)  od.  1,  27. 


184 


Vielgölterei  auf  den  Monotheismus  geleitet.  Selbst  im  Homer  *) 
wird  das  höchste  Wesen  im  Allgemeinen  oft  schlechthin  Gottheit, 
6aiiJ.u>v ,  genannt,  von  barjutav ^  so  viel  als  cpgövifioi;^  der  Weise, 
nach  der  Erklärung  Platons  (Cralyl.  p.  398  11)  2).  Denkwürdig  ist 
der  sophokleische  Ausspruch:  »einig  in  Wahrheit,  einig  ist  Gott,  der 
Himmel  und  Erde  gemacht  hat«  3).  Anlisthenes  in  seiner  Schrift 
über  die  Natur  ■^)  sagt,  der  Volksgölter  seyen  viele,  es  sey  aber  nur 
Ein  natürlicher  Gott.  Plutarch  (de  oracul.  def.  p.  436  D)  führt  einen 
Ausspruch  der  allen  Theologen  und  Dichter  an:  »Zeus  der  Anfang, 
Zeus  die  Mitte,  Alles  durch  Zeus«  ^).  Platon  (Tim.  p.  41  A)  macht 
einen  bedeutenden  Unterschied  zwischen  dem  höchsten  Gott,  von 
welchem  Alles  ist,  und  zwischen  den  Göttern,  die  ihren  Ursprung 
wieder  Göttern  verdanken,  und  sagt  von  den  letztem,  als  geborne 
seyen  sie  zusammengesetzt,  und  die  Möglichkeit  ihrer  Auflösung  sey 


Od.  II,  134.  111,  27.  166.  IV,  275. 

2)  Wenn  Platon  daselbst  die  Dämonen  mit  Hinsicht  auf  Hes. 
Op.  122  für  die  ersten  Menschen  des  goldenen  Geschlechts  nnd  die  He¬ 
roen  für  Söhne  aus  der  Vermischung  der  Götter  und  Menschen  erklärt, 
und  wenn  er  Phaedr.  p.  246  E  und  Lgg.  X  p.  9U6  A  Götter  und  Dä¬ 
monen  neben  einander  setzt,  und  gleichfalls  Aristoteles  (Problem.  XIX, 
49)  die  Unsterblichen  in  Götter  und  Dämonen  theilt,  so  wird  da¬ 
durch  der  Sprachgebrauch  Homers  und  der  Tragiker,  w'elchen  dai/xctiv 
und  ^eöq  gleichbedeutend  sind,  nicht  entkräftet,  und  auch  in  einer 
andern  Stelle  bei  Platon  Apolog.  Socr.  p.  27  C  sind  die  Dämonen  Göt¬ 
ter  oder  Göttersöhne.  Wenn  auch  Hesiod  V.  122,  da  er  von  vergöt¬ 
terten  Menschen  redet ,  sie  wohl  absichtlich  dai^ovsq  und  nicht 
nennt,  so  bildet  er  darum  doch  nicht  aus  jenen  eine  eigene  Klasse 
von  Mittelwesen  ,  und  unterscheidet  sie  bestimmt  V.  141  von  den  seli¬ 
gen  Sterblichen  [dvrjxoi)  des  silbernen  Geschlechtes.  Die  Griechen 
kannten  in  alter  Zeit  nur  Götter,  Menschen  und  Heroen  (Göttersöhne), 
und  wenn  ein  Mensch  vergöttert  wurde,  so  zählte  er  zu  den  Göttern. 
Vgl.  Spanheim  zu  Aristoph.  Plut.  v.  81. 

3)  Bei  Athenagoras  Leg.  pr.  Christ,  n.  5  p.  283  Paris. 

Elq  xalq  dkrjßeiaiaiv ,  alq  eaxlv  ■debq, 

"Oq  oigavöv  x  axev^a  xal  yaiav  juaxQÜv, 

^)  Bei  Cic,  N.  D.  I,  13.  Vgl.  Plat.  Lgg.  IV  p.  716  A. 


185 


damit  gegeben;  unsterblich  seyen  sie  nur  durch  den  Willen  des 
höchsten  Gottes ,  dessen  Wille  ein  noch  mächtigeres  Band  sey  als 
das  ihrer  Znsammenselzung  bei  ihrer  Erzeugung.  Hier  ist  eine  An- 
erkennlniss  der  götllichen  Aseilät  niedergelegl.  In  diesem  Sinne 
sagt  Ebenderselbe  (Epist.  XIll  p.  363  B):  seine  eruslhaflen  Briefe 
heben  mit  Gott ,  seine  scherzhaften  mit  den  Göllern  an.  Von  dem 
gölllichen  Wesen  spricht  Platon  (Phaedr.  p.  246  C)  auf  eine  beschei¬ 
dene  Weise,  als  nach  einer  Mulbmassung,  nicht  aus  erwiesenen 
Gründen,  indem  niemand  Gott  gesehen  noch  lünlängiich  erkenne, 
und  nach  dieser  Einleitung  gibt  er  zwar  dem  gölllichen  Wesen  Seele 
und  Leib,  jedoch  allezeit  unzertrennlich.  »Indessen,  fügt  er  zwei¬ 
felnd  hinzu,  wie  es  Gott  gefällt,  verhalle  sich  solches  und  also  sey 
davon  geredet.«  Die  Götter  sind  ihm  (Phaedr.  p.  253)  Urbilder  der 
Vollkommenlieit ,  so  dass  ein  jeder  Mensch  sich  nach  dem  ihm  an¬ 
gemessenen  Gott  als  seinem  Ideal  bilden  sollte. 

Im  Parmenides  beschäftigte  sich  Platon  mit  der  Erforschung  des 
gölllichen  Wesens ,  jedoch  lässt  er  sein  wirkliches  Daseyn  proble¬ 
matisch,  und  es  wird  nur  eine  Voraussetzung  aufgeslellt :  »wenn  er 
'ist“,  oder  abgesehen  von  seiner  Persönlichkeit  und  Intelligenz:  »wenn 
es  ist.«  Die  Idee  des  Einen  fasst  er  scharf  ins  Auge  und  sagt 
§.  22  ff.:  wenn  es  ein  solches  gibt,  so  ist  es  weder  ein  Vieles  noch 
ein  Theil  noch  ein  aus  Theilen  bestehendes  Ganzes,  als  solches  aber 
unendlich;  denn  die  Grenzen  wären  sein  Ende,  sein  Ende  aber 
ein  Theil  von  ihm  dem  Ganzen.  Ferner  ist  es  ohne  eine  Gestalt 
(unkörperlich),  an  keinem  Orte,  weder  in  einem  Andern  noch  in 
sich  selbst,  sonst  müsste  es  einem  Andern  oder  sich  selbst  Berüh¬ 
rungspunkte  zum  Einschliessen  darbieten,  was  der  Einheit  nicht  zu¬ 
kommt.  Sodann  ist  es  unveränderlich;  denn  sich  verändernd  würde 
es  aufhören  eins  zu  seyn,  oder  falls  es  sieb  um  sich  selbst  bewegte, 
wäre  ein  Unterschied  zwischen  Mittelpunkt  und  Umkreis;  falls  es 
sich  aber  im  Raume  bewegte,  wäre  es  in  etwas  Anderem.  Eben  so 
wenig  bleibt  es  irgendwo  fest;  also  weder  der  Begriff  von  Bewegung 
noch  der  von  Ruhe  passt  auf  das  Eine.  Es  ist  ohne  Gleichen  und 
schlechthin  unvergleichlich;  denn  es  kann  nicht  einerlei  oder 
ähnlich  seyn  mit  etwas  Anderem ,  sonst  wäre  es  etwas  Anderes  und 
nicht  mehr  Eines,  sondern  wenigstens  zwei  kämen  zum  Vorschein. 
Nicht  einmal  kann  man  sagen,  es  sey  verschieden  von  Andern,  da 
es  mit  nichts  kann  verglichen  werden.  Auch  nicht  ist  es  mit  sich 


(86 


selbst  einerlei,  viel  weniger  verschieden  von  sich,  sonst  erschiene 
sogleich  eine  Zweiheit.  Es  erscheint  gar  nicht  in  der  Form  der 
Zeit,  sonst  würde  es  dem  Werden  und  Wechsel  unterworfen,  also 
nicht  mehr  eins  seyn.  Hieraus  lässt  er  (§.  31)  seinen  Parmenides 
schliessen:  weil  ihm  als  dem  Ausserzeitlichen  das  war,  ist  und  seyn 
wird  nicht  zukomml,  so  ist  es  überhaupt  nicht.  Zu  diesem  Trug¬ 
schluss  kommt  man  in  Folge  einer  Verwechslung  des  zeitlichen 
Seyns  und  des  Seyns  überhaupt. 

Anderwärts^)  beschreibt  Platon  die  Gottheit  also:  sie  sey  in 
Absicht  auf  ihr  Leben  unvergänglich,  auf  ihre  Seligkeit  selbstgenugsam, 
auf  ihre  Wesenheit  ewig  und  auf  ihr  Wirken  die  Urquelle  alles  Gu¬ 
ten.  Nach  Polit.  VI  p.  508.  VII  p.  517  ist  Gott  das  Gute  an 
sich  (j;  xdi)  äyadov  idia),  alles  Wahren,  Guten  und  Schönen  Ur¬ 
quelle.  Während  nach  Hesiod  (Th.  220)  die  Götter  sogar  zu  Ueber- 
tretungen  fähig  sind,  so  will  Platon  (Polit.  II  p.  380)  in  seinem 
Staate  nicht  gestatten,  dass  man  von  den  Göttern  etwas  Anderes 
fabele ,  als  dass  das  Gute  von  ihnen  komme ,  welches  sie  sogar  durch 
Strafen  nur  bezwecken.  »Niemand  ist  gut,  denn  der  einige  Gott,“ 
ist  schon  ein  Spruch  des  Simonides^),  welcher  ein  Lehrgedicht  ge¬ 
gen  den  bekannten  Ausspruch  des  weisen  Pittakus  von  Mitylene: 
%ak£n.bv  ioxSXüv  e/Ufievai ,  verfasste.  Bei  den  Göttern  findet  nicht 
wie  hienieden  ein  Gegensatz  des  Guten  slatt:  Gott  ist  gerecht,  hei¬ 
lig  und  allweise,  sagt  Platon  (Theaetet.  p.  176). 


§.  35. 

Die  erste  Gemahlin  des  Zeus  war  Metis  (Weisheit),  »welche  am 
meisten  unter  den  Göttern  und  sterblichen  Menschen  versteht.  Als 
sie  die  Athene  gebären  sollte,  so  barg  sie  Zeus  durch  einschmei¬ 
chelnde  Rede  gewinnend  in  seinen  eigenen  Leib,  nach  dem  Ralhe 
der  Erde  und  des  Himmels,  damit  nicht  ein  Anderer  der  ewigen 


^)  Plat.  Definitionen  p.  411  A;  i9£Ög  ^öoov  dddvarov,  avxa^Y.£q 
nqbg  sidaifMOviav ,  ovaia  äidioq,  xy\q  xdyadov  cpiaianq  alxia. 

2)  Bei  Plat.  Protagor.  p.  341  E.  344  C  .*  Xsysi  bxi  dsöq  dp  fiöpoq 
f/ot  xovxo  yigaq^  nemlich  d.yadbq 


187 


Götter  statt  Zeus  die  königliche  Würde  empfange“  ').  Dieser  inni¬ 
gen  Ehe  Fruclit  war  nun  Athene,  welche  in  goldener  glänzender 
Waffenrüstung  aus  Zeus  Haupte  hervorsprang  2) ,  und  ihrem  Vater 
an  Sinn  und  Verstände  gleicht  3),  Hätte  Melis  noch  einen  Sohn  ge¬ 
boren,  so  wäre  dieser  König  der  Göller  und  Menschen  geworden. 
Die  ewige  Dauer  des  Reiches  des  Zeus  erforderte  daher,  dass  er  die 
Metis  in  seinem  Unterleib  verbarg,  damit  sie  ihn  Gutes  und  Böses 
lehrete  ^).  Weil  die  Weisheit  von  dem  Begriff  eines  obersten  Gottes 
unzertrennlich  ist,  so  ist  des  Zeus  gewöhnliches  Beiwort  nrjxUxa^ 
{.irjxiosiq,  der  Allweise.  So  heisst  es  Weish.  Salom.  8,  3  von  der 
Weisheit,  sie  wohne  Gott  bei,  und  der  Herr  aller  Dinge  habe  sie 
lieb.  Später  fabelte  man,  Zeus  sey  der  Sohn  des  Prometheus,  d.  i. 
der  Vorsehung,  wie  man  es  auslegte  ^).  Aeschylus  Suppl.  86  ff. 
singt:  „der  Wille  des  Zeus  ist  nicht  leicht  zu  ergründen;  doch  strahlt 
er  überall  auch  in  Finsterniss  mit  schwarzem  Geschick  den  Völkern. 
Sicher  fällt  es  und  nicht  in  Schwebe,  wenn  im  Scheitel  des  Zeus 
ein  reifes  Werk  vollbracht  ist.  Denn  verdeckt  und  im  Schallen  ge¬ 
hen  seines  Sinnes  Wege  unausforschlich.«  Sophocles  Oed.  Tyr. 
485  f. :  »Zeus  und  Apollon  sind  weise  und  kundig  der  Angelegenhei¬ 
ten  der  Sterblichen.«  Athene  ist  der  himmlischen  Weisheit  erster 
Abglanz,  der  göttliche  Geist  in  seiner  Richtung  zur  Well.  Sie  ist 
die  aus  dem  All  ins  Einzelne  ausslrahlende  Weisheit,  wie  sich  Plo- 
lin  *')  ohne  Zweifel  mit  Rücksicht  auf  die  Geburt  der  Athene  aus¬ 
drückt.  „Ich  allein  unter  den  Göllern,  führt  sie  Aeschylus  (Eumen. 
817  f.)  redend  ein,  kenne  die  Schlüssel  zu  den  Wohnungen,  worin 
der  Blitzstrahl  versiegelt  ist.«  „Das  Wort  weise,  dünkt  mich,  sagt 


Hes,  Th.  886  ff.  fragm.  77. 

2)  Theog.  924.  Horn.  h.  I,  309.  XXVIII,  4.  Nach  Pindars  01.  Vif, 
65  sinnlicher  Darstellung  wurde  der  Kopf  des  Vaters  durch  das  Beil 
des  Hephästos  geöffnet,  damit  Athenaia  herausspränge.  Eurip.  Phoe- 
niss.  670  nennt  sie  daher  mutterlos, 

3)  Theog.  896.  '•)  Theog.  900. 

5)  Jo.  Lyd.  IV,  48  p.  228.  Fulgeut.  Mythol.  II,  9  p.  680  Staveren. 

Plotin.  Ennead.  VI  L.  IV  c.  16  p.  659 :  7  £7tiaxi]fxr]  oX-rj  xov 
:tavxbq  ovaa  v.6ofxov  vorjxov  v.at  iv  x<^  oXm  xu  jusQoq  outoyiQVTtxovaa , 
olov  E^sdoQsv  iy.  xov  itavxoq  eii;  /zepo?. 


188 


Platon  (Phaedr.  p.  278  D),  sey  etwas  Grosses,  und  komme  Gott 
allein  zu“  i).  Platon  Syrapos.  p.  204  A:  »der  Götter  keiner  begehrt 
weise  zu  werden;  denn  er  ist  es.«  Plat.  Epinomis  p.  985  A;  die 
vollendete  Gottheit  ist  über  Freude  und  Leid  erhaben,  durchaus  des 
Denkens  und  Erkennens  tlieilhaftig.  So  lange  nun  Zeus  die  Okea- 
nine  2)  Melis,  die  so  unergründlich  ist  als  ihr  Vater,  in  sich  birgt, 
und  ‘ein  Sohn  der  Weisheit  (der  Logos)  nicht  ans  Licht  geboren 
ist,  sitzt  jener  fest  auf  seinem  Throne. 

§.  36. 

Weisheit  und  Gerechtigkeit  sind  die  Grundsäulen  eines 
Königsthrones:  die  zweite  Gattin  des  Zeus  ist  Themis  (Recht), 
die  Tilanide^),  die  als  unwandelbare  göttliche  Eigenschaft  aus  der 
zweiten  Religionsperiode  der  dritten  einverleibt  wurde,  aus  der  pe- 
lasgischen  Zeit  in  die  hellenische  überging.  Der  Homeride  (h.  XXII) 
legt  diese  Ehe  also  aus  :  »Zeus  wechselt  mit  der  ihm  zugekehrlen 
Themis  viele  trauliche  Reden.«  Homer  (Od.  Xlll ,  214) :  »Zeus 
schaut  auf  die  Menschen  und  strafet  den  Sünder.«  Od.  XIV,  83  f.: 
»verschiedenartige  Götter,  Fremdlingen  ähnlich,  durchwandern  die 
Städte  und  schauen  auf  der  Menschen  Uebermulh  und  Gesetzmässig¬ 
keit  (fwo^r^).«  Aeschylus  (Agamemn.  1564  f.) ;  »dabei  bleibl’s,  so 
lange  Zeus  in  den  Zeitläuften  wallet,  dass  jeder  leiden  muss,  was 
er  verdient.  Diess  ist  das  Gesetz.«  Aeschyl,  SuppL  95  ff.:  »Zeus 
trifft  von  der  Höhe  seiner  Gedanken  die  verkehrten  Sterblichen,  und 
niemand  übel  Gewalt  ganz  ungestraft  von  den  Göttern.  Den  hoch¬ 
fahrenden  Muth  bestrafet  er  gleichwohl  aus  heiligem  Wohnsitz.« 
Suppl.  384  ff.:  »Schaue  auf  den  aus  der  Höhe  blickenden  Hort  der 
bedrängten  Sterblichen,  welche  bei  den  Anverwandten  bittend  das 
gesetzliche  Recht  nicht  finden.  Der  Zorn  des  Zeus,  des  Beschützers 
der  Flehenden,  bleibt  schwer  zu  sühnen  bei  den  Klagen  des  Leiden¬ 
den.«  Suppl.  1077:  »Das  Recht  folgt  dem  Rechte  durch  Gottes  Fü- 


^)  Vgl.  Paul.  Rom.  16,  27. 

2)  Theog.  358.  Der  Prometheus  des  Aeschylus  rühmt  sich  zu 
wissen ,  durch  wen  Zeus  seiner  Herrschaft  verlustig  gehen  werde. 

3)  Theog.  135.  901.  ''•)  Herod.  II,  50. 


189 


gung  auf  mein  Fleh’n  um  Erlösung.“  Platon  Theälel.  p.  176  B: 
»Gott  ist  auf  keine  Weise  und  durchaus  nicht  ungerecht,  sondern 
der  Allgerechte.«  Plat.  Lgg.  IV  p.  716  A:  Gottes  Wege  sind  ge¬ 
rade,  und  in  seinem  Gefolge  ist  allezeit  die  Gerechtigkeit.  Wer 
glückselig  seyn  will,  muss  sich  an  sie  anschliessen  und  im  Schmucke 
der  Demuth  nachfolgen.  Der  Uebermüthige  wird  von  Gott  verlassen 
und  bestraft.  Sophokles  Ajax  132:  „Die  Götter  lieben  die  Tugend¬ 
haften  (ocügjpovag)  und  hassen  die  Bösen.« 

Zeus  erzeugt  mit  Themis  zweierlei  Töchter:  die  drei  Horen 
oder  Jahreszeiten  und  die  drei  Mören  oder  Schicksalsgöttiunen  *). 
1)  Der  heilige  Wille  Gottes  ist  Gesetz  für  die  Thätigkeit  der  Natur 
und  der  freien  Menschen.  Der  Wechsel  der  Jahreszeiten,  das  Ver- 
hältniss  der  Erde  zur  Sonne,  die  dadurch  bedingte  Wohlordnung 
des  Weltganzen,  das  Naturgesetz  überhaupt  ist  zugleich  ein  Sinnbild 
des  Sittengesetzes  für  die  vernünftige  Schöpfung,  und  dieselben  Ho¬ 
ren  ,  welche  das  Jahr  in  dieser  Periode  anstatt  der  Hesperiden  thei- 
len,  sind  zugleich  die  Vorsteherinnen  aller  Gesetzmässigkeit,  Gerech¬ 
tigkeit  und  des  friedlichen  Zusammenlebens  der  Menschen  in  Fami¬ 
lie  und  Staat,  wie  ihr  Name  Eunomia,  Dike  und  Irene  aus¬ 
weist.  Ihre  Bedeutung  ist,  dass  wie  die  Natur,  so  die  menschliche 
Freiheit  sich  nach  der  ewigen  Regel  der  göttlichen  Ordnung  halten 
und  richten  soll.  Wie  sie  in  natürlichem  Sinn  die  Erzeugnisse  der 
Erde  behüten,  so  wachen  sie  im  hohem  Sion,  dass  jedermann  die 
Früchte  seines  Fleisses  sicher  und  ruhig  geniesse.  Wenn  die  Athe¬ 
ner  vor  Alters  nur  zwei  Horen  Namens  Karpo  und  Thallo  ver¬ 
ehrten  2),  so  pflichtet  Pindar  (Ol.  XIII,  6)  dem  Hesiod  bei,  und 
Phidias  bildete  am  Thron  des  eleischen  Zeus  über  seinem  Haupte 
drei  Horen  ab  3).  Die  Höre  der  Gerechtigkeit,  Dike,  ist  eine  hehre 
Jungfrau,  ehrwürdig  den  olympischen  Göttern  ^).  Themis^),  Dike  ß) 
und  Aedos  werden  als  Beisitzerinnen  am  Throne  des  Zeus 
genannt. 


*)  Theog.  901  ff.  II.  £,  749.  393.  433.  Od.  344. 

2)  Pausan.  II,  20.  3)  paus.  V,  11. 

Hes.  Op.  256  f,  das.  Proklus.  Vgl.  Aeschyl.  7  vor  Theben  647. 
5)  Pindar.  Ol.  VIII,  28.  6)  Sophocl.  Oed.  Col.  1381. 

2)  Sophocl.  1.  c.  1268. 


2)  Der  Wille  Gottes  ist  eine  gesetzte  Bestimmung,  die  uns 
■widerfährt.  Der  Wille  als  Richtschnur  der  Thätigkeit  der  Natur  und 
der  Menschen  (Horen)  und  als  Fügung  des  Schicksals  (Mören)  ist 
die  göttliche  No  t  h  w  e  n  d  i  g  k  e  i  t  (Themis)  und  hat  in  ihr  die  hö¬ 
here  Einheit.  Chrysippus  nannte  im  ersten  Buch  über  die  Natur  der 
Götter  *)  den  Zeus  die  Noihwendigkeit,  welche  ewiges  Natur  -  und 
Sittengesetz  ist  und  für  die  zukünftigen  Dinge  unvergängliche  Wahr¬ 
heit  enthält.  In  diesem  BegritT  fasst  der  Philosoph  die  Gottheit  als 
höchstes  und  ewiges  Gesetz  auf,  das  in  Beziehung  auf  die  Menschen 
ihr  Leben  regiert  und  sie  in  ihren  Pflichten  unterweist,  und  sich  auf 
die  Zukunft  als  fatale  Nothwendigkeit  erstreckt,  mithin  die  Schick¬ 
salsgöttinnen  und  den  wahrsagenden  Apollon  als  Zeus  Kinder  um¬ 
fasst.  Schon  nach  Aeschylus  ist  in  Zeus  Freiheit  und  Nothwendig¬ 
keit  vereinigt,  wenn  er  im  Prometheus  V.  49  f.  sagt:  »Alles  ward 
den  Göttern,  nur  nicht  Herrschaft.  Frei  ist  keiner  ausser  Zeus.« 
Der  heidnische  Anthropomorphismus  stattete  die  Götter,  insbeson¬ 
dere  die  dem  Zeus  untergeordneten,  mit  menschlicher  Willkür, 
Schwächen  und  Leidenschaften  aus ,  und  hielt  sie  sogar  der  üeber- 
tretungen  für  fähig  2).  Wenn  sie  als  Versucher  zum  Bösen  und  nei¬ 
disch  dargestellt  werden,  so  ist  diess  auf  Rechnung  des  Menschlichen, 
das  mit  dem  Göttlichen  in  ihnen  gemischt  ist,  zu  setzen,  oder  es 
ist,  wie  bei  Pharao,  eine  verdiente  Verstockung,  deren  Grund  zu¬ 
letzt  doch  in  dem  sündigen  Menschen  liegt  3).  Weil  man  die  Noth- 
■wendigkeit  nicht  in  die  menschlich  gedachten  Götter  setzen  konnte, 
so  wurde  sie,  um  ihre  Idee  zu  retten,  ausser  ihnen  in  das  Schick¬ 
sal  und  die  Mören  gesetzt;  die  Götter  aber  waren  entweder  der 
Nothwendigkeit  unterlhan  oder  in  Uebereinslimmung  mit  ihr-  Ho¬ 
mer  (Od.  III,  236)  sagt:  »vor  dem  allgemeinen  Todesloos  können 


*)  Bei  Cic.  N.  D.  I,  15  ib.  Creuzer  p.  70. 

2)  Theog.  220. 

3)  Das  stoische  Philosophem  (Plut.  de  stoic.  repugn.  c.  35)  von 
dem  Bösen,  dass  es  als  Gegensatz  gegen  das  Gute  einigermassen  natur- 
gemäss  und  so  zu  sagen  nicht  ohne  Nutzen  für  das  Ganze  sey  ,  kann 
so  w'enig  der  Religion  der  alten  Griechen  aufgebürdet  ■werden ,  als  die 
Lehren  eines  Hegel  in  dieser  Beziehung  auf  Rechnung  des  Christenthuras 
zu  setzen  sind. 


191 


nicht  einmal  die  Götter  einen  lieben  Mann  bewahren,  wenn  die  ver¬ 
derbliche  Todesmöre  ihn  erfasst.“  Pythia  bei  Herodot  I,  91:  »Auch 
ein  Gott  kann  dem  Geschick  nicht  entfliehen.«  Zeus  konnte  jedoch 
nur  als  fabelhafter  Mensch  mit  dem  Schicksal  im  Widerstreit  ge¬ 
dacht  und  vorgestellt  werden.  Auf  religiösem  Standpunkt  lässt  sich 
eigentlich  nicht  untersuchen,  ob  das  Schicksal  über  Zeus  oder  Zeus 
über  dem  Schicksal  stehe;  worüber  Nägelsbach  (die  homer.  Theolog. 
S.  113  f.)  Nachweisungen  gibt.  Theologisch  sind  beide  identisch; 
menschlich  gefasst,  lassen  sich  homerische  Stellen  für  beiderlei  Be¬ 
hauptungen  Je  nach  der  Auffassung  beibringen.  Des  Zeus  Anthropo- 
pathismus  tritt  auf  eine  merkwürdige  Weise  beim  Tode  seines  Soh¬ 
nes  Sarpedon  (II.  XVI,  433  Cf.)  hervor.  Er  klagt,  dass  ihm  nach 
dem  Verhängniss  der  liebe  Sarpedon  von  den  Händen  des  Patroklus 
fallen  müsse.  Jedoch  auch  da  wird  seine  Gewalt  über  das  Schicksal 
anerkannt;  denn  er  zeigt  sich  unschlüssig,  ob  er  ihn  lebendig  aus 
der  beklagenswerthen  Schlacht  nach  Lycien  entrücken  oder  seinem 
Schicksal  überlassen  wolle:  worüber  ihn  Here  zurechtweist.  An  sich 
aber  kannte  die  Religion  keinen  Gegensatz  zwischen  den  Göttern 
und  dem  Schicksal.  In  so  fern  jene  mit  menschlicher  Willkür  sich 
bewegen  ,  stellt  sich  die  göttliche  Nothwendigkeit  und  gerechte  Welt¬ 
regierung  in  den  Mören  dar.  Aeschylus  (Choeph.  641  f.)  weist  in 
schöner  Dichtung  die  Uebereinstimmung  des  Schicksals  (aiaa)  und 
der  Gerechtigkeit,  der  Nothwendigkeit  und  der  sittlichen  Weltord¬ 
nung  nach,  wenn  er  sagt:  der  Grund  der  Gerechtigkeit  ist  fest,  die 
Waffe  reicht  ihr  das  Schicksal  als  Zeugschmidt,  und  führt  ein  neues 
Kind  des  frühem  Blutvergiessens  ins  Haus  (auf  die  Ermordung  der 
Mörderin  Klytämnestra  anspielend).  Das  Schicksal  hebt  aber  das 
Verschulden  der  Menschen  nicht  auf.  Wenn  Klytämnestra  bei  Ae¬ 
schylus  (1.  c.  902)  versucht,  wegen  der  Ermordung  ihres  Gatten 
Agamemnon  das  Schicksal  als  Ursache  vorzuschützen,  so  weist  es 
Orestes  also  ab,  dass  es  nun  auch  Schicksal  sey ,  wesshalb  sie  ster¬ 
ben  müsse.  Wegen  der  Menschen  Freiheit  und  Verschuldung  trifft 
sie  auch  Schicksalwidriges  {yitsQfjio^ov)  nach  der  Odyssee  a',  34. 

Die  Mören  Klotho,  Lachesis  und  Atropos  sind  als  Töch¬ 
ter  des  Zeus  und  der  Themis ,  denen  der  Vater  »hohe  Ehre  verlieh«  *), 


0  Theog.  904. 


192 


eine  Personificalion  seines  eigenen  Willens  und  Ratlischiusses.  Wie 
das  Juppiterkind  zu  Pränesle  im  Bilde  von  der  Fortuna  gesäugt 
wurde'),  so  halle  Zeus  zu  Anomen  Ida  (nach  Andern  Ile)  und 
Adraslea  (Beiwort  der  Nemesis)  2),  und  als  Mörenführer  {Mot^ays- 
T?7?)  einen  Altar  zu  Olympia  3).  Aeschylus  Agamemn.  1488  singt: 
»Was  geschieht  den  Sterblichen  ohne  Zeus?  Was  trifft  sie  ohne 
göttliche  Fügung  ?«  So  fiel  Agamemnon  durch  seines  Weibes  Hand, 
weil  der  Rachegeisl  (dacfiMP  aXdorcop)  seines  Vaters  Atreus  in  Wei- 
besgeslalt  den  Sohn  für  des  Vaters  Sünde  heimsuchte  und  schlach¬ 
tete,  welcher  Vater  die  Kinder  seines  Bruders  Thyestes  tödlele  und 
ihm  zu  essen  vorselzle.  Jedoch  die  Thälerin  Klylämneslra  wird  kei¬ 
neswegs  freigesprochen,  sondern  nur  die  Mitwirkung  des  Dämons 
behauptet  (V.  1500  ff.).  Man  wird  diesen  nicht  für  einen  bösen  Dä¬ 
mon  hallen  können;  wie  denn  deren  Daseyn  nicht  eigentlich  allge¬ 
meiner  Volksglaube  der  Griechen  war,  sondern  die  guten  Dämonen 
achten  nach  Uesiod  (Op.  124)  auch  auf  die  Misseihalen  der  Men¬ 
schen,  wie  auf  ihre  gerechten  Werke '<),  eine  Ansicht,  die  mit  der 
Engel  -  und  Genienlehre  in  Einklang  steht.  Hören  wir  den  hoch¬ 
sinnigen  Aeschylus  noch  in  andern  Stellen.  Der  Chor  ruft  in  seinen 
Choeph.  303  die  grossen  Mören  an,  dass  sie  kraft  des  Zeus  {Jiödsv') 
vollenden,  wie  es  das  Recht  mit  sich  bringt.  Aeschylus  Suppl.  676: 
»Zeus  ordnet  das  Schicksal  nach  ewigem  Gesetz.“  Ibid.  V.  1051  ff.: 
„Was  verhängt  ist,  das  soll  geschehen:  des  Zeus  unendlichem  Hoch- 
sinn-  kann  niemand  widerstehen.“  Nach  diesen  Stellen  darf  man 
nicht  etwa  ein  blindes  Fatum  über  die  göttliche  Intelligenz  setzen; 
wogegen  schon  Themis  als  Mutter  der  Mören  spricht.  Intelligenz, 
Gerechtigkeit  und  Geschick  erscheinen  nie  im  Conflikt;  wohl  finden 
bisweilen  die  den  Göllern  angedichlelen  menschlichen  Neigungen  an 


1)  Cic.  de  Divin.  Il,  41.  2)  Plut.  Symp.  III,  9  p.  657  E. 

5)  Paus.  V,  15. 

^)  Alle  Gesetzgeber  von  Lokris  und  Sicilien  sprechen  bei  Stobäus 
Serm.  42  wirklich  von  bösen  Dämonen:  Zaieucus  weist  denjenigen,  dem 
ein  böser  Dämon  sich  nahet,  an,  bei  den  Altären  der  Götter  ZuQucbt 
zu  suchen  und  sich  zu  tugendhaften  Männern  zu  wenden,  und  Charon- 
das  warnt  unzüchtige  Weiber,  sich  vor  den  Dämonen  zu  hüten,  welche 
aus  dem  Hause  verjagen  und  Zwietracht  anrichten. 


193 


dem  Schicksal  ihre  rechlmässige  Schranke,  damit  die  göttliche  Noth- 
wendigkeit  mit  dem  Anthropopathismus  versöhnt  werde. 

In  eine  Dreiheit  getheill,  drücken  die  Mören  doch  nur  einen 
und  denselben  BegriCF  aus,  nemlich  wie  ihre  Namen  besagen:  die 
unabwendbare  (Atropos)  Scliicksals-  (Lachesis)  Spinnerin  (Klotho). 
Die  Idee  der  Nothwendigkeit  ist  die  erste  und  ursprüngliche  in  ihrem 
Wesen;  darum  heisst  Atropos  die  älteste  und  vornehmste,  wiewohl 
sie  etwas  kleiner  als  die  beiden  Schwestern  gebildet  wurde  ').  Sie 
und  die  Erinnyen  führen  das  Steuerruder  {oiay.oaTQÖcpoi)  der  Noth¬ 
wendigkeit,  sagt  Aeschylus  (Prometh.  515).  Wie  die  alten  Athener 
nur  zwei  Horen  (Sommer  und  Winter)  verehrten,  so  waren  in  dem 
Tempel  zu  Delphi  nur  zwei  Mören  abgebildet  2). 

§•  37. 

Das  selige  Leben  der  Götter. 

Zum  dritten  führt  die  Theogonie  V.  907  unter  den  Gattinnen  des 
Zeus  die  Eurynome  auf  von  lieblicher  Gestalt,  des  Okeanos  Toch¬ 
ter,  welcher  die  Inseln  der  Seligen  bespült  3),  Ihr  Name  bedeutet 
die  weithin  Weidende;  die  Phigalenser  hielten  sie  für  einen  Beina¬ 
men  der  Artemis,  und  batten  ihr  einen  Tempel  erbaut,  den  sie  ver¬ 
schlossen  hielten,  und  nur  des  Jahres  einmal  an  ihrem  Feste  eröfl'ne- 
ten  ^).  Mit  Eurynome  erzeugte  Zeus  die  drei  schönwangigen  Cha¬ 
riten:  Aglaja,  Euphrosyne  und  Thalia  d.  i.  die  blühende 
und  glänzende  Freude.  »Von  ihren  Augenwimpern  träufelt  ergötz¬ 
liche  Liebe,  und  holdselig  sind  ihre  Blicke“^).  Wie  sie  einen  Ge- 
sammtbegriff  ausdrücken,  so  sind  sie  schwesterlich  beisammen,  und 
bilden  gleichwohl  eine  Dreiheit  von  Wesen,  in  so  ferne  die  Freude 
bald  als  innerliche  Gemüthsstimmung,  bald  als  Heiterkeit,  die  auf 


‘)  lies.  Schild  258  ff. 

2)  Pausan.  IX,  24.  Plutarch.  de  «  ap.  Delph.  c.  2. 

3)  lies.  Op.  171.  In  diesem  Sinne  ist  es  gedichtet,  wenn  Homer 
II.  18,  398  den  aus  dem  Olymp  gestürzten  llephiislos  bei  Eurynome 
und  Thetis  seine  Ruhe  finden  lässt. 

Pausan.  in  Arcadic.  *)  Theog.  910  f. 


13 


194 


dem  Gesichte  blinkt  und  äusserlich  glänzend  hervortritl,  bald  als  gedeih¬ 
liches  Wohlbehagen  aufgefassl  wird.  Gerade  so  finden  wir  diese  Idee 
Sirach  34,  17  zergliedert:  »Gott  erfreuet  das  II  e r  z  (Euphrosyne)  und 
macht  das  Angesicht  fröhlich  (Aglaja)  und  gibt  Gesundheit, 
Leben  und  Segen“  (Thalia).  Wie  Zeus  die  Seligkeit  in  sich  ewig¬ 
lich  ruhend  hat  '),  so  glänzt  sie  auch  ausser  ihm  und  verbreitet  sich 
als  Charis  über  die  ganze  Schöpfung.  Wie  alle  Götter  die  vergnügt 
Lebenden  (gsTa  ^eoovieq)  2)  sind ,  so  sind  die  Chariten  um  alle  freund¬ 
lich  geschäftig  3) ,  ohne  sie  hallen  die  Götter  weder  Tanz  noch  Gast¬ 
mahle  sie  baden  und  salben  die  Aphrodite^),  sie  thronen  neben 
dem  herrlichen  Apollon  und  singen  des  olympischen  Vaters  Ehre  6), 
sie  halten  in  Olympia  einen  gemeinschaftlichen  Altar  mit  Dionysos  ^), 
sie  und  die  Ueberredung  (Ilaidcö)  spendeten  der  Pandora  goldene 
Halsketten^);  sie  nahten  tröstend  der  Demeter  in  ihrem  Schmerze 
über  die  geraubte  Tochter  9).  Wie  Freude ,  so  verleihen  sie  aber 
auch  Schönheit,  welche  ein  Freudenglanz,  gleichsam  eine  äusser¬ 
lich  gewordene  Freude  ist,  und  darum  auch  wieder  den  innern  Sinn 
erfreut.  Daher  sagt  Homer  (Od.  VI,  18)  von  zwei  Dienerinnen,  »sie 
haben  Schönheit  von  den  Chariten.«  Insbesondere  kommt  dieser 
Vorzug  der  Aglaja  zu,  welche  (a.yXairD  bei  Homer  i®)  gleichbedeu¬ 
tend  mit  Schönheit  ist.  Hephäslos ,  welcher  als  ägyplisirender  De- 
miurg  Aphrodite  freite,  hatte  daher  als  homerischer  Feuerkünstler 
Aglaja  mit  glänzendem  Schleier,  als  den  schönen  Glanz  auf  seinen 
Kunstwerken,  zur  Gattin  *•). 

Wie  die  seligen  Göller  selbst  die  Urbilder  der  Schönheit  sind, 
so  stellt  Platon  (Syrap.  p.  211)  die  Idee  »des  an  und  für  und  in  sich 
selbst  ewig  gleichartigen  Schönen  auf,  an  welchem  alles  andere 
Schöne  in  Wissenschaften  ,  Anstalten  ,  Tugenden  und  Körpern  seinen 
Antheil  hat«;  und  wie,  wer  solches  schaut,  nach  Platon  selig  zu 
nennen  ist,  so  ist  gewisslich  die  Fülle  aller  Seligkeit  in  Gott.  Die 


1)  Aeschyl.  Suppl.  527.  2)  Z.  B.  Od.  IV,  805. 

3)  Horn.  h.  in  Vener.  95  f.  '»)  Find.  Ol.  XIV,  10  ff. 

5)  Od.  VIII,  364.  6)  Pindar.  01.  XIV,  15  ff. 

^)  Schob  Find.  01.  V,  10.  Fausan.  V,  14. 

8)  Hes.  Op.  73.  9)  Eurip.  Hel.  1360. 

iO)  Z.  B.  Od.  XVIII,  180.  1»)  II.  XVIII,  382.  Theog.  944  f. 


195 


Selbstbeschauung  Gottes  ist  seine  Seligkeit.  Diess  drückt  Platon 
(Pbaedr.  p.  247  fabelhaft  also  aus :  wenn  die  Götter  zum  Festmahl 
gehen,  so  wandeln  sie  an  den  Rand  des  Himmels  und  beschauen 
das  wahrhafte  Wesen,  das  weder  Farbe,  noch  Form,  noch  Materie 
hat,  ausserhalb  desselben,  die  Gerechtigkeit  an  sich,  die  Besonnen¬ 
heit,  die  wahre  Erkenntniss  und  alles  andere  wahrhaft  Seyende,  so 
lange  bis  des  Himmels  Umschwung  vollendet  ist,  sodann  kehren  sie 
wieder  einwärts  nach  Hause  i). 


\)  Diese  Stelle  ist  übrigens  in  exegetischer  und  kritischer  Hin¬ 
sicht  zu  berichtigen.  Heindorf  erklärt  S.  253  :  das  wahrhafte  Wesen 
könne  nur  von  der  Vernunft  durch  die  Anführung  der  Seele  beschaut 
werden.  Alsdann  aber  müsste  es  'ipvxfi  y-vßegvijT-^  so  gut  als  deaxfj 
VM  heissen;  denn  xvßsgv^jrtjq  bedeutet  ja  nicht  die  Anführung,  sondern 
den  Anführer,  und  wenn  darauf  gehen  sollte,  so  müsste  dieses 

Wort  in  gleichem  Beugfall  stehen.  Dem  Sinn  nach  wäre  die  Anfüh¬ 
rung  der  Seele  ein  ziemlich  müssiger  Zusatz.  Richtiger  hängt  'tpvx^g 
von  ovoia  ab  ,  und  der  Deutlichkeit  wegen  wird  hinter  'ipvx-  ein  Kom¬ 
ma  gesetzt,  wie  Hörstel  (Plat.  doctr.  de  Deo  p.  120)  hat  abdrucken 
lassen.  So  hiesse  es:  die  wahrhafte  Wesenheit  der  Seele  (die  Gerech¬ 
tigkeit,  Besonnenheit,  die  wahre  Erkenntniss  und  dergl.)  hat  zum  Füh¬ 
rer  allein  die  beschauende  Vernunft,  d.  h.  allein  durch  die  beschauende 
Vernunft  kann  man  bis  zur  wahrhaften  Wesenheit  der  Seele  dringen. 
Diese  zu  erkennen  ist  die  höchste  Wissenschaft,  fährt  Platon  fort;  und 
weil  sich  der  göttliche  Verstand  mit  Vernunft  und  lauterer  Wissenschaft 
beschäftigt,  so  schaut  er  das  Wesen  u.  s.  w.  Die  gewöhnliche  Lesart 
ar^scpofXEVT]  hat  Heimdorf  in  tQEcpofxsvrj  geändert;  allein  der  Dativ 
v<ü  und  iTiiartj/u^  wäre  bei  dem  letztem  Zeitwort  unpassend,  und  das 
sich  Nähren  und  Ergötzen  ist  erst  weiter  unten  an  seinem  Platz  in  Be¬ 
ziehung  auf  das  Schauen ;  hier  aber  will  Platon  nur  die  Neigung  oder 
gewöhnliche  Beschäftigung  der  Götter  und  frommer  Seelen  anzeigen. 
Eben  so  wenig  lässt  sich  die  verdorbene  Lesart  oarjv  anstatt  oarj  durch 
eine  von  Heindorf  beliebte  Hypallage  entschuldigen.  Die  von  ihm  an¬ 
geführte  Stelle  Her.  I,  48:  xü>v  ovdhv  ngoaiexö  (icv,  enthält  keine  Hy- 
pallage,  so  w'enig  als  die  lateinische  üebersetzung  derselben:  eorum 
nibil  probabatur  ei.  —  Ich  sehe  nachträglich,  dass  Stallbaum  mit  Ast 
auf  das  Ansehen  mehrerer  Hdschr.  weglässt  und  daher  ■dsaxi^ 


—  196  — 

§.  38. 

Gott  erliäll  for  Iw  ährend  die  Fruchtbarkeit  der  Natur. 

Gott  ist  gnädig  und  allmächtig. 

Zum  vierten  vermählt  sich  Zeus  mit  Demeter,  diese  gebar 
Persephone,  welche  Aidoneus  mit  Zulassen  des  allweisen  Zeus 
von  der  Seite  der  Mutter  entführte  *).  Persephone,  die  bald  üppige 
bald  stockende  Fruchtbarkeit  der  Firde,  hat  in  dem  neuen  System 
nicht  mehr  den  Himmel ,  sondern  den  an  dessen  Statt  verehrten 
Zeus  zum  Vater  2)  ;  sie  hat  zierliche  Knöchel  {TavvacpvQoq)  ,  und 
wie  Here,  weisse  Arme  (Xavx^kavoq) Die  Mutter,  aus  deren 
Schooss  sie  erwächst,  ist  die  Allernährende  (nolvq>6Q^-r])  die 
Fruchtreiche  (ayXctöjcaparo^)  6) ,  die  Schöngelockte  {^amlöy.afj.oq'^') 
■^'vY.ofxoq)  8),  die  Blonde  9),  die  Schöngrünende  (^avxXooq)  ^O), 

die  Rothfüssige  (^cpoiviv.Ö7ta^a)  "). 

Platon  (Eutbyphron  gegen  Ende)  bezeugt  daher:  „Wir  haben 
gar  nichts  Gutes,  das  uns  die  Götter  nicht  gegeben  hätten.«  Im 
Theätet  p.  151  C :  »Kein  Gott  ist  den  Menschen  übelwollend.«  Zeus 
hatte  daher  die  Beinamen  piailixioq'^'^)^  iXav^igioq. 

»Die  Götter  vermögen  Alles«,  heisst  es  in  der  Odyssee  X,  306; 
Od.  HI,  231  :  »ohne  Mühe  kann  ein  Gott,  so  er  will,  auch  aus  der 
Ferne  einen  Menschen  erretten.«  Pindar  Pyth.  H,  89  IT:  „Gott  voll¬ 
führt  Alles  nach  Wunsch,  Gott,  der  auch  den  geflügelten  Adler  er- 


schreibt,  was  den  guten  Sinn  gibt:  die  wahrhafte  Wesenheit  ist  allein 
der  die  Seele  regierenden  Vernunft  sichtbar.  Derselbe  behält  jedoch 
das  unrichtige  XQacpoptävrj  bei,  wiewohl  er  sich  an  dem  nachfolgenden 
rgicparai  slösst;  richtig  dagegen  liest  er  öot], 

0  Theog.  912  ff. 

9)  Als  der  unterirdischen  gibt  ihr  Apollodor  I,  5,  3  Zeus  und 
Styx  zu  Eltern. 

3)  Hom.  h.  in  Cer.  2.  ‘*)  Theog.  913. 

5)  Theog.  912.  Op.  32.  H.  h.  in  Cer.  4. 

7)  Od.  V,  125.  8)  H.  h.  in  Cer.  1.  9)  II.  V,  500. 

'0)  Sophocl.  Oed.  Col.  1600  ib.  Schol.  Pindar.  Ol.  VI,  159. 

^9)  Xenoph.  Anab.  VII. 


reicht  und  den  Delphin  iin  Meer  an  Schnelligkeit  überlriffl,  der  die 
Hoffärtigen  erniedrigt  und  Andere  erhöht.“  Pindar  Pyth.  X,  76  IT.: 
»Wunderbar  wohl,  aber  nichts  ist  unglaublich,  wenn  es  die  Götter 
vollenden.«  Insbesondere  heisst  es  von  Zeus  Od.  V,  4:  »seine  Kraft 
ist  die  allergrössle.«  Aeschylus  Suppl.  598  CF.:  »Du  (Zeus)  unter 
keinem  Höhern  stehend,  herrschest  über  die  geringem  Herrscher, 
und  verehrest  von  oben  her  niemanden,  der  unten  sitzet.  Das  Werk 
entspricht  deinem  Worte,  schnell  zu  vollbringen,  was  dein  Rathschluss 
will,“  Diess  drückt  die  Theogonie  386  ff.  bildlich  also  aus:  Macht 
und  Gewalt  (Kratos  und  Bia),  der  unterirdischen  Styx  Kinder, 
haben  ihren  beständigen  Wohnsitz  bei  Zeus,  seitdem  dieser  mit  den 
Titanen  kämpfte,  und  Styx  mit  ihren  Kindern  seine  Partei  ergreifend 
auf  den  Rath  ihres  Vaters  Okeanus  in  den  Olymp  ging.  Macht  und 
Gewalt  führen  daher  den  Prometheus  nach  Aeschylus  auf  Zeus  Ge¬ 
bot  an  einen  Felsen  in  Scythien,  wo  Hephästos  ihn  mit  diamantenen 
Ketten  anbindet.  Dieselbe  Kraft  ist  auch  im  Menschen  und  befähigt 
ihn  zu  Tbaten  *)•  Die  Leibwache  der  Allmacht  des  Zeus  2)  sind  die 
Centimanen,  Kottus,  Briareus  und  Gyges,  von  welchen  wir  oben 
schon  ausführlicher  gesprochen  haben.  Hundert  kräftige  Arme  ent¬ 
stürzen  ihren  Schultern,  je  fünfzig  Köpfe  haben  sie  auf  dem  Rumpfe, 
ihre  Kraft  ist  unermesslich,  ihre  Grösse  ungeheuer  3).  Als  die  Kro- 
niden  mit  den  Titanen  um  die  Herrschaft  stritten,  löste  Zeus  die 
Bande  der  Centimanen  im  Erebus,  welche  kräftigen  Beistand  leiste¬ 
ten,  dreihundert  Felsstücke  auf  einmal  auf  die  Feinde  warfen  und 
sie  in  den  Tartarus  schleuderten  ‘‘).  Jngleichen  half  Briareus  dem 
Zeus  bei  einem  Aufruhr  anderer  Götter  gegen  ihn  3). 

N 

Zeichen  und  Waffen  der  Allmacht  des  Zeus  sind  der  Donner 
und  Blitz.  Er  entfesselte  nach  der  Fabel  die  Kyklopen,  welche 
der  Vater  Uranos  gebunden  hatte,  und  aus  Dankbarkeit  gaben  sie 
ihm  den  Donner  (Bronte),  Blitz  (Sterope)  und  Wetterstrahl  (Kerau- 
nos  oder  Arges),  welche  Namen  sie  auch  selbst  führten.  Im  Ver- 
i  trauen  darauf  beherrschte  nunmehr  Zeus  die  Menschen  und  Götter  ß), 
und  gebrauchte  diese  Waffen  gegen  seine  Feinde  ^).  Daher  kommen 


1)  Aeschyl.  Cboeph.  241.  Theog.  735 :  cpvkaY,Eq  nioTÖl 

Jiög  aiyioxoio.  Theog,  148  ff.  Theog.  625.  668.  712. 

5)  II.  I,  402.  6)  Theog.  139  ff,  501  ff.  0  Theog.  S53  f. 


198 


seine  gewöhnlichen  Beiwörter:  der  Wolkenlhürmende  {yiqialrjyaQira, 
v.Elaiv£cpriq)  der  Donnerer  in  der  Höhe  {mpißQE^iirrjq ,  EvQvoTia, 
ßa^vxTvjtog ,  iQiydovnoq) ,  der  ßlitzeschleuderer  (aar£()o:?r77rj;g,  tequi- 
xEQavpoq).  Als  Hesiod  Th.  457  f.  den  Zeus  zuerst  einführt,  gibt  er 
ihm  sogleich  seine  bezeichnendsten  Prädicale :  »der  Allweise ,  der 
Vater  der  Götter  und  Menschen,  von  dessen  Donner  die  weite  Erde 
erschüttert  wird.“ 

§.  39. 

Gott  ist  allwissend. 

Zum  fünften  hatte  Zeus  die  schöngelockte  Mnemosyne  lieb, 
von  welcher  die  neun  Musen  entsprangen,  die  sich  an  Festen  und 
Gesang  ergötzen  2),  Die  Erinnerung  aller  Dinge  (Mnemosyne)  ist 
Zeus  Gattin,  ist  immanent  in  ihm;  die  Musen  aber  sind  gezeugt, 
sind  nicht  mehr  in  Gott  ruhend,  sondern  die  Allwissenheit  in  der 
Erscheinung.  Ihre  erste  Bestimmung  ist,  des  Vaters  Gemüth  im 
Olymp  durch  lieblichen  Gesang  des  Vergangenen ,  Gegenwärtigen 
und  Zukünftigen  zu  ergötzen  Ihre  Wissenschaft  ist  begreiflicher 
Weise  keine  todte,  sondern  eine  vollkommene,  himmlische,  folglich 
eine  harmonische,  musikalische,  mit  dem  schönsten  Vortrag  verbun¬ 
dene.  Eine  Personification  der  göttlichen  Allwissenheit  sind  die  Mu¬ 
sen  auch  dem  Sänger  der  Iliade  und  Odyssee.  Er  wendet  sich  an 
sie,  ihm  zu  sagen,  welche  der  Danaer  Heerführer  gewesen  seyen; 
denn  sie  wissen  Alles  und  sind  zugegen  ^).  Eben  so  ruft  er  im  An¬ 
fang  der  Odyssee  die  Muse,  Zeus  Tochter,  an,  ihm  die  manchfacheu 
Schicksale  des  Odysseus  und  seiner  Gefährten  zu  berichten. 

Daher  die  Aussprüche:  Hesiod  Op.  267:  »Alles  sieht  Zeus  Auge, 
und  merket  Alles.«  Sophokles  Oed.  Col.  1085:  »der  allsehende  Zeus.« 
Derselbe  Elektra  173  ff.:  »Sey  getrost,  mein  Kind,  noch  ist  im 
Himmel  der  grosse  Zeus  ,  welcher  Alles  sieht  und  regieret.«  Der¬ 
selbe  Chor  aber  sagt  V.  810  ff.,  als  der  Tod  des  Orestes  gemeldet 
wurde:  »Wo  sind  die  Blitze  des  Zeus  und  wo  der  leuchtende  He- 


*)  Od.  XIII,  147.  2)  Theog.  915  ff.  3)  Theog.  36  ff. 

0  II.  H,  484  ff. 


199 


lios,  wenn  sie  dieses  schauend  ruhig  verbleiben?«  Man  pflegle  den 
Helios  (Sonne)  anzurufen,  das  Verborgene  zu  enthüllen  *).  Homer 
Od.  IV,  379.  468:  »Die  Götter  wissen  Alles  «  Od.  V,  79  f.:  »Die 
Götter  sind  sich  nicht  unbekannt,  wenn  sie  auch  ferne  von  einander 
wohnen.“  Aeschylus  Eumen.  293;  „Gott  hört,  auch  wenn  er  ferne 
ist.«  Hesiod  Schild  20:  »Die  Götter  waren  Zeugen«  (des  Eides). 
Sophokles  lässt  seinen  Philoktet  V.  1038  die  allwissenden  Götter 
(^£oi  iTtöipcoi)  anrufen.  Sophocl.  Oed.  Col.  1336;  »Die  Götter  sehen 
wohl,  wenn  auch  spät,  wenn  jemand  das  Göttliche  vernachlässigend 
zur  Thorheit  sich  wendet.“  Platon  Egg.  X  p.  901  D  :  »Die  Götter 
erkennen  und  sehen  und  hören  Alles,  nichts  von  Allem,  was  ein 
Gegenstand  unsers  Wahrnehmens  und  Wissens  ist,  kann  ihnen  ver¬ 
borgen  bleiben.«  Pindar  Pyth.  HI,  53  f. :  »Kein  Gott,  kein  Sterb¬ 
licher  bleibt  in  Gedanken  und  Werken  dem  Apollon  verborgen.«  In 
Larissa  war  Zeus  als  Ttaz^woq  mit  drei  Augen  abgebildet.  Nach  der 
Sage  hatte  man  sein  Bild  von  Troja  mitgebracht,  und  man  deutete 
diese  Augen  auf  die  Oberaufsicht  über  Himmel,  Erde  und  Meer  2). 
Sie  haben  jedenfalls  ihren  guten  Grund,  wenn  auch  nicht  gerade 
diese  Deutung  nothwendig  ist. 


§.  40. 

Gott  ist  wahrhaftig. 

Zum  sechsten  gebar  Leto  dem  Zeus  in  Liebe  verbunden  den 
Apollon  und  die  Artemis,  vor  allen  Himmlischen  liebliche  Kin¬ 
der  3).  Voss  schliesst  seine  mythologischen  Briefe  mit  der  Behaup¬ 
tung,  dass  erst  Jahrhunderte  nach  Homer  Apollon  für  die  Sonne  und 
Artemis  für  den  Mond  umgedeutet  wurden.  Es  ist  wahr,  dass  bei 
Homer,  Aeschylus  und  den  Spätem  die  Sonne  und  der  Mond  mit 
ihren  eigentlichen  Namen  Helios  und  Selene  als  Götter  genannt  wer¬ 
den.  Aber  es  Hesse  sich  nicht  absehen ,  wie  Apollon  und  Artemis 
als  Zwillingsgeschwister  zusammenkämen,  wenn  man  nicht  ihre  si- 
derische  Bedeutung  einer  Tag  -  und  Nachtgotlheit  für  die  ursprüug- 


*)  Sophocl.  Trachin.  94  flf.  ib.  Wunder.  Aiax  827. 
2)  Paus.  Corinth.  II,  24,  5.  3)  Theog.  918  ff. 


200 


liehe  hallen  wollte  0-  Ihre  homerischen  Aeraler  und  Beinamen  las¬ 
sen  sich  in  dieser  Bedeutung  als  ihrem  Mittelpunkt  vereinigen  und 
daraus  ablei  len.  Ihr  früherer  Vollgehall  wurde  daher  von  Homer 
und  Uesiod  vielmehr  eingeschränkt,  Sonne  und  Mond  besonders  ver¬ 
ehrt,  aber  die  Vorstellungen,  wovon  diese  Gestirne  Sinnbilder  wa¬ 
ren,  blieben  dem  Apollon  und  der  Artemis  Vorbehalten.  Wie  die 
üichler  2)  die  Lichtstrahlen  mit  Pfeilen  verglichen,  so  liehen  jene 
beiden  Göller  den  Bogen  und  die  Pfeile,  und  Apollon  hat  die  Bei¬ 
namen  £xaTog ,  exdeQyog,  extjßolog,  xo^otpvQog,  £y.aTt}ß6Xog,  äoyvgö- 
To^og,  Artemis,  £vaxo7tog ,  ioyeai^a^),  sie  schiesst  den  Orion  mit 
Pfeilen  lodl  ^).  Mil  einer  Fackel  in  der  Hand  sah  sie  Pausanias 
(VIH  ,  37)  zu  Megalopolis  und  (IX,  19)  zu  Aulis,  und  die  Dichter^) 
nannten  sie  q)(oaq)ÖQog.  Apollon  hat  bei  dem  Homeriden  (h.  1  in 
Apoll.  134)  ein  uubeschorenes  Haupthaar,  dx£QO£yöi^7jg ,  ein  Beiwort, 
welches  auf  Dionysos  überging.  Bei  Pindar  (01.  VI,  71.  VII,  58) 
ist  er  der  Goldgelockte,  x^vaoxö^ag.  In  Delphi  wurde  von  Jung¬ 
frauen  ein  ewiges  Feuer  unterhalten  ö).  Bei  den  Spartanern  hiess  er 
Belus,  eine  dorische  Form  war  ^dTtällcov und  eine  italische 
Apello^);  wesshalb  nicht  ohne  Wahrscheinlichkeit  Heyd  (elymolog. 
Versuche,  Tübingen  1824  S.  55)  seinen  Namen  von  As- Bai  d.  i. 
Gott  Herr  (besser,  von  Habel  mit  dem  Artikel)  ableitet.  Im  Olymp 
stand  er  in  höchster  Achtung:  wenn  er  mit  seinen  glänzenden  Ge¬ 
schossen  in  den  Palast  des  Vaters  Zeus  eintriit,  so  stehen  alle  Göl- 


0  Orpheus  bei  Eratosthenes  Catasterism.  c.  24.  Gallim.  fragm. 
p.  432  das.  ßeull.  Plat.  Cratyl.  p.  405.  Cic.  N.  D.  II,  27.  (Derselbe 
kennt  zwar  III,  21  unter  fünf  Soles  keinen  Apollon.)  Plutarch.  de  £i 
ap.  Deipb.  c.  4.  Cornutus  N.  D.  c.  32.  Pausan.  VII ,  23.  Heiaclides 
p.  416.  Vgl.  K.  Fr.  Hermann  gottesdiensll.  Alt.  der  Gr.  S.  22. 

2)  Eurip.  Hippol.  532. 

3)  Od.  XI,  198.  VII,  64.  h.  in  Apoll.  1.  13.  15.  h.  in  Ven.  18, 

"i)  Od.  V,  123. 

3)  Eurip.  Iph.  Aul,  1546  (Art.  dreht  in  der  Nacht  das  glänzende 
Licht).  Iph.  Taur,  21.  Sophocl.  Oed.  Tyr.  201  (sie  hat  in  jeder  Hand 
eine  Fackel).  Trach.  214.  Spanhem.  ad  Callini,  h.  in  Dian.  II. 

®)  Aeschyl.  Choeph.  1030.  Plut.  vit.  Numae. 

7)  Eustalb.  ad  H.  ß' ,  99  »)  Festus. 


201 


ler  aui'  bis  auf  Zeus  und  Leto,  welche  von  seinen  mächtigen  Schul¬ 
tern  Bogen  und  Köcher  abniminf  und  an  einen  Nagel  aufhängt,  der 
V\Tter  aber  reicht  iliin  Nektar  aus  goldenem  Pokal,  und  darauf  setzen 
sic!»  die  übrigen  Götter  *).  Desgleichen  hat  Artemis  einen  goldenen 
'Phron  2). 

Leto,  die  alle  Zauberin  in  Aegypten,  eine  von  den  achtersten 
Göttern  und  Ernährerin  des  Orus  und  der  Bubastis  3),  wurde  in 
Griechenland  gleichfalls  mit  Apollon  und  Artemis  in  Verbindung  ge¬ 
setzt;  jedoch  wurde  die  Amme  hier  zur  Mutter  und  Zeus  zum  Va¬ 
ter,  während  in  Aegypten  Osiris  und  Isis  die  Ellern  des  Orus  (Apol¬ 
lon)  und  der  Bubaslis  (Artemis)  waren;  wesswegen  Aeschylus  4)  die 
Artemis  zur  Tochter  der  Demeter  (Isis)  machte.  Apollon  und  Ar¬ 
temis  theilten  sich  in  die  Aemler  der  zauberischen  Leto,  jener  als 
das  helle  Licht  des  Tages  übernahm  die  W  a  h  r s a  g e  kuns  l ,  diese 
als  Nachlgöltin  die  Zauberei  3),  Zeus  aber  als  der  dodonäische 
Wahrsagegott  hatte  ein  natürliches  Recht  zur  Vaterschaft.  Apollon 
»wahrsagt  den  Menschen  des  Zeus  untrüglichen  Rathschluss®  ^). 
»Des  V^alers  Zeus  Prophet  ist  Loxiasa  ^),  d.  i.  der  dunkel  Redende. 
»Niemals  sprach  ich  auf  den  Wahrsagestühlen  von  einem  Mann ,  einer 
Frau,  einem  Staate,  was  nicht  Zeus  der  olympische  Vater  befohlen 
hat«,  sagt  er  bei  Aeschylus  Eumenid.  6ü6  tf.  Apollon  war  in  dieser 
Periode  ausser  Zeus  der  ausschliessliche  Inhaber  der  Wahrsagekuust, 
wie  er  sich  dessen  im  Hymnus  auf  Hermes  537  gegen  Hermes 
rühmt,  dass  kein  anderer  Gott  des  Zeus  Ralhschluss  wisse  ausser 
ihm.  Weil  das  Wasser  ein  durchsichtiges  Element  ist,  und  daher 
in  der  zweiten  Religionsperiode  Nereus  der  Träger  göttlicher  Wahr¬ 
haftigkeit  und  Offenbarung  war  (s.  oben);  so  sollte  Apollon  von  dem 
Meeresgoll  Glaukos  die  Wahrsagekunst  erlernt  haben  3).  Sein  ge¬ 
wöhnliches  Beiwort  von  der  Gros.-multer  Phöbe  entlehnt,  ist  daher 


')  H.  h,  in  Apoll.  2  ff.  2)  od.  V,  123.  3)  Herod.  II,  156. 

■*)  Bei  Herod.  11,  156.  Paus.  VIII,  37,  3. 

3)  Talian.  "EXXijv.  n.  8  p.  250:  /Lidyoq  iaxlv^'AQzefjiiq. 

•’j  Hoin.  h.  in  Apoll.  132. 

Aeschyl.  Eumen.  19.  Sopbocl.  Oed.  Tyr.  498.  Ao^iaq  als  Haupt¬ 
wort  z.  B.  Aescbyl.  Agamemn.  1072.  Eumen.  4.  Aristoph.  Plutus  8. 

3)  Nicander  in  Aetolicis ,  Alhenäus  VH.  Nach  Apollodor  HI  soll 


202 


Phöbus,  d.  i.  nach  der  obigen  Ableitung  Gottes  Mund.  Wie  er  die 
Wahrsagung  besonders  in  Delphi  ausübte,  so  war  sie  ein  Heliseben, 
ein  Licht  in  die  Zukunft  für  die  kurzsichtigen  Menschenkinder,  deren 
Blick  auf  die  Vergangenheit  und  Gegenwart  eingeschränkt  ist. 

Diesem  Glauben  lag  unstreitig  die  Idee  der  göttlichen  Wahrhaf¬ 
tigkeit  zu  Grunde;  wie  Aescbylus  Prometh.  1032  f.  sagt:  »Zeus  Mund 
versteht  sich  nicht  aufs  Lügen,  sondern  er  vollzieht  jedes  Wort.« 
Platon  Polit.  II  p.  382  E :  »Aufrichtig  und  wahrhaftig  ist  Gott  in 
Worten  und  Werken.«  Wenn  unter  den  olympischen  Mächten  Streit 
und  Zank  entsteht,  so  richtet  und  schlichtet  Zeus  vermittelst  eines 
heiligen  Eides  als  der  letzten  Entscheidung.  Beim  stygischen  Was¬ 
ser  (bei  der  grausenvolleu  Unterwelt)  schwören  Menschen  und  Göt¬ 
ter  i):  Zeus  stellt,  um  in  Jenem  Fall  die  Wahrheit  ans  Licht  zu 
bringen,  eine  Wasserprobe  an.  Er  lässt  durch  Iris  ein  goldenes  Ge- 
fäss  voll  von  jenem  berühmten  kalten  Wasser  heraufbriugen ;  wer 
nun  von  den  streitenden  Theilen  dasselbe  libirend  meineidig  wird, 
verliert  auf  lange  göttliche  Rechte,  liegt  ein  Jahr  lang  ohne  Ambro¬ 
sia  und  Nektar  athem-  und  sprachlos  in  liefen  Schlaf  versunken, 
und  muss  neun  weitere  Jahre  einen  Kampf  nach  dem  andern  beste¬ 
hen,  bis  er  wieder  der  Göttergemeinschaft  einverleibt  werden  kann  2). 
Eine  ähnliche  Wasserprobe  findet  sich  im  mosaischen  Recht  4  Mos. 
5,  17,  um  den  Ehebruch  einer  Frau  zu  ermitteln.  Die  Macht  der 
Wahrheit ,  die  im  Olymp  herrschet,  tritt  in  jener  Schilderung  leben¬ 
dig  hervor.  Zeus  ist  auch  unter  den  Menschen  Wächter  über  den 


Apollon  von  Pan,  dem  Sohne  des  Zeus  und  der  Thymbris,  in  der 
Wahrsagekunst  unterrichtet  worden  seyn. 

1)  Od.  V.  185  f. 

2)  Theog.  783  ff.  Aus  diesem  Zusammenhang  erklären  sich  die 
Verse  780  f.  von  dem  seltenen  Gang  der  Iris  anders  als  Hermann  sie 
auslegte,  nämlich  als  gäbe  es  selten  Regenbogen,  wenn  die  Götter 
zwieträchtig  seyen  ,  d.  i.  wenn  es  stürme.  Das  seltene  Kommen  der 
Iris  steht  nur  in  Beziehung  auf  die  Styx,  und  jene  ist  lediglich  als 
Bote  aufzufassen,  dass  sie  in  die  Unterwelt  gehe,  nur  wann  ein  Zwist 
unter  den  Göttern  entstehe,  und  Zeus,  um  ihn  beizulegen,  sie  dahin 
schicke,  das  Wasser  zu  holen. 


203 


Eidschwur  (S^xiog)  ,  und  war  als  solcher  in  dem  lialhhause  zu  Olyni- 
pia  iiiil  zwei  BliCzeu  in  beiden  Händen  vorgestellt  * )• 

S- 

Gott  ist  ewig. 

Zum  siebenten  und  letzten  machte  Zeus  die  blühende  Here  zur 
Gattin;  diese  gebar  in  Liebe  vermählt  mit  dem  König  der  Göller 
und  Menschen,  die  Hebe,  den  Ares  und  die  Ililhyia^). 

Als  letzte  Gemahlin  ist  Here  die  bleibende.  Aus  religiösem  Ge¬ 
sichtspunkt  betrachtet  sind  sie  zwar  alle  sieben  gleichzeitig  und  fort¬ 
während  in  Zeus  ,  nur  nach  menschlicher,  monogamischer  Betrach¬ 
tungsweise  ist  es  ein  Nacheinander.  Diese  sieben  Gemahlinnen  wer¬ 
den  in  der  Theogonie  mit  Recht  als  Gottheiten  von  menschlichen 
Weibern,  mit  denen  Zeus  Kinder  (Götter  oder  Heroen)  erzeugt  ha¬ 
ben  sollte,  unterschieden.  Die  erst  später  erdichtete  Eifersucht  der 
Here  gegen  andere  Liebesverhältnisse  ihres  Gemahls  hat  keine  hö¬ 
here  Bedeutung  und  widerstreitet  sogar  der  religiösen  Anschauung. 
Auf  etruskischen  Spiegeln  leistet  Juno  als  Lucina  unter  dem  Namen 
QAANA  ohne  allen  Ansland  Hebammendienste  bei  den  Geburten  der 
Athene  und  des  Dionysos  3). 

Zu  der  Ehrenslufe  einer  obersten  Himmelskönigin  gelangte  sie 
unstreitig  wegen  des  politischen  Uebergewichts  der  griechischen  Land¬ 
schaft  Argos,  wo  sie  von  Alters  her  als  Schulzgollheil  verehrt  wurde. 
Den  Pelasgern,  welche  bekanntlich  daselbst  eine  Hauptniederlassung 
hatten,  schreibt  Ilerodot  (H,  50)  ihre  Verehrung  zu;  und  noch  im 
neuen  System  führte  sie  den  Beinamen  Argiverin  ‘^).  In  ihrem  Tem¬ 
pel  zu  Argos  wurde  sie  auf  dem  Throne  sitzend  mit  einem  Scepter, 
worauf  ein  Kukuk  (als  Frühlingsvogel)  war,  vorgestellt,  in  der  an¬ 
dern  Hand  halle  sie  einen  Granatapfel  (als  Samenbehäller)  ^).  Als 


*)  Eurip.  Med.  171.  Paus.  V,  24,  2. 

2)  Theog.  921  ff.  Inghirami  Monum.  Elr.  Ser.  11  T.  10.  16. 

S.  unten  §.  58. 

Theog.  12.  11.  V,  908 

Dorotbeus  Metamorph.  L.  II  bei  Natalis  Coines  p.  134.  Paus.  II, 
17,  4.  5.  Philostr.  v.  Apoll.  IV,  28  p.  168.  Schot.  Theocrit.  XY,  64. 


204 


Kukuk  soll  Zeus  ihr  auf  dem  Berge  Thornax  an  der  Südspitze  von 
Argolis  zuerst  genaht  seyn.  Sie  heisst  die  Göttin  mit  goldenem 
Throne  ') ,  und  ihr  ständiges  Beiwort  ist  die  mit  goldenen  Sohlen 
i^xgvaoTiädiXoq)'^'),  mit  weissen  Armen  (lev-Kwlavog)  ^  die  kuhäugige 
{ßocÖTiig)  von  dem  ihr  heiligen  Thiere,  von  welchem  sie  in  der  Tem- 
pelhildnerei  und  Sprache  wenigstens  die  Augen  heibehielt.  Der  Pfau 
mit  seiner  stolzen  Farbenpracht  ist  ihr  heiliger  VogeP).  ln  Samos 
scheint  sie  zuerst  für  eine  Gemahlin  des  Zeus  ausgegeben  worden 
zu  seyn.  Daselbst  soll  sie  ihre  Jugendzeit  zugebracht  und  sich  mit 
Zeus  vermählt  haben  (s.  oben  S.  1ü8).  Im  Gölterolymp  wurde  ihr 
ehemaliger  Vollgehalt  (vonl'f>a,  Erde,  abgeleitet)  eingeschränkt,  da¬ 
mit  sie  sich  mit  Demeter,  Persephone,  Athene  uud  Artemis  ver¬ 
trüge.  Doch  haben  schon  die  Alten  sie  der  Aphrodite  gleich 
gesetzt. 

Hebe  und  Ares  d.  i.  Jugeud,  weibliche  und  männliche  Kraft, 
sind  die  Frucht  der  Selbstbeschauung  Gottes,  der  das  Leben  in  sich 
selber  hat,  sie  entspringen  aus  der  Ehe  des  Zeus  mit  Here  ^).  Und 
wie  diese  vermöge  ihrer  ewigen  Jugeud  und  Aseität  aller  Dinge  Le¬ 
hensquelle  sind,  so  strömt  aus  ihnen  durch  ihre  Tochter  llithyia, 
die  allen  Menscheukindern  zum  Daseyn  verhilft,  das  Leben  in  die 
Menschenwell,  und  bedeutsam  nennt  die  Theogonie  gerade  an  dieser 
Stelle  den  Zeus  König  der  Göller  und  Menschen.  Hebe  mit  der 
Krone  von  Gold  auf  dem  Haupte  6)  und  mit  zierlichen  Füssen  7) 
schenkt  den  Göttern  Nektar  ein,  und  sie  reichen  ihn  einander  in 
goldenen  Pokalen  s).  Nach  älterer  Fabel,  wie  es  scheint,  war  es 
He  ph  äs  tos  als  das  Lebensprinzip,  woran  sich  alle  Dinge  erwär¬ 
men  und  ihren  Lebensfunken  anzünden,  welcher  süssen  Nektar  aus 
dem  Mischgefässe  den  Göttern  darreichle.  Wenigstens  versieht  er 
noch  in  der  Iliade  I,  597  dieses  Amt,  wiewohl  die  seligen  Götter 
schon  über  diesen  Mundschenken  lachen.  Die  spätere  Schmeichelei 
der  Rhapsoden  machte  den  blonden  Ganymedes,  Sohn  des  Tros 


')  Hom.  h.  in  Apoll.  305.  Theog.  12.  454.  Od.  X,  604. 

3)  Creuzer  Symb.  III  S.  228  f. 

Paus.  III,  13,  6.  Plotin.  p.  542  ed.  Oxon.  Schob  Od.  y  ,  91. 
5)  Theog.  922.  II.  e',  892.  Od.  X,  604. 
fi)  Theog.  17.  7)  Od.  XI,  603.  8)  n.  ly,  2  f. 


205 


von  Ilium ,  zum  Mundschenken  der  Götter ,  welchen  Zeus  seiner 
Schönheit  wegen  durch  den  Sturmwind  entführt  haben  soll,  damit 
er  aus  dem  goldenen  Mischgefäss  rothen  Nektar  schöpfte  *).  Als  ein 
weiteres  Sinnbild  des  ewigen  Lebens  der  Götter  ist  ihre  Nahrung, 
die  Ambrosia  d.  i.  die  Speise  der  Unsterblichkeit  (von  ä/ußQoroq), 
anzusehen,  um  die  Idee  der  Unsterblichen  (di9avdToiv ,  aikv  iovroav')^ 
wie  sie  so  oft  genannt  werden  ,  auszudrücken  2).  Dabei  ergötzet  Apol¬ 
lons  Saitenspiel  und  der  Musen  Wechsetgesang  die  Götter  beim  se¬ 
ligen  Mahle  ^).  Wahrscheinlich  ist  indischer  Glaube  hier  eiugeflos- 
sen;  denn  die  indische  Götterspeise  heisst  Amrit,  welche  für  grie¬ 
chische  Ohren  sinngemäss  umgebeugt  wurde.  Jene  Speise  entquillt 
nach  indischem  Glauben  dem  Milchmeer,  welches  die  Götter  und 
Dämonen  mit  dem  Berg  Meru  quirlen.  Nuschdar  bedeutet  im  In¬ 
dischen  Wein,  auch  heilender  Balsam,  woher  Nektar  abgeleitet  zu 
seyn  scheint  ^). 

Daher  ein  Orakelspruch  von  Dodoua  bei  Pausanias  X;  „Zeus 
war,  Zeus  ist,  Zeus  wird  seyn.  0  grosser  Zeus !  Die  Erde,  die  euch 


Hom.  h.  III.  in  Vener.  203  ff.,  in  w’elchetn  Hymnus  ohnehin 
die  ilischen  Helden  Anchises,  Äeneas,  Tros  und  Tilhoneus  verherrlicht 
werden.  Eurip.  Iph.  Aul.  1041.  Pindar  01.  I,  70,  dessen  Stelle  Platon 
im  Phädrus  p.  25ö  C  im  Sinne  hatte,  wo  Heindorf  I  p.  279  bemerkt: 
ex  Lyrico  sunt  sine  dubio  sumpta,  de  quo  videndum  eruditioribus. 

2)  Buttmann  im  Lexilogus  S.  133  stellt  die  Meinung  auf,  als  wäre 
Ambrosia  nicht  eine  Götterspeise,  sondern  Unsterblichkeit,  soviel  als 
dßavaaicL^  und  vergleicht  Od.  XVIII,  192:  y.dk'ksi  Y.dßrjQ^v  djußpoacM, 
als  hiesse  diess:  sie  wusch  mit  Schönheit.  Die  bildliche  Redensweise 
ginge  aber  wirklich  zu  weit,  wenn  es  weiter  V.  193  heisst:  ofw 
KvdsQEia  XQLEtat^  als  könnte  man  sich  sogar  mit  Schönheit  salben. 
Vielmehr  wie  hier  Y-aXloq  (vgl.  das  italienische  bellelto)  Schminke  als 
ein  schön  machender  Färbestoff  bedeutet,  so  ist  offenbar  auch  djußgo- 
aia  für  etwas  Concretes  zu  nehmen ,  wie  aus  Theog.  639  hervorgeht, 
wo  Zeus  den  Centimanen  Nektar  und  Ambrosia  darreicht ,  »was  Götter 
zu  geniessen  pflegen®,  wie  auch  aus  der  Stelle  der  Odyssee,  wo  Po- 
lyphem  den  Labetrunk  Weins,  den  er  von  Odysseus  empfangen,  mit 
Ambrosia  und  Nektar  vergleicht.  3)  11.  I,  603. 

Hammer  in  Böttigers  Amalthea  Bd.  H. 


20(i 


Frucht  bringt,  nennet  ihr  Mutter.«  Sophocles  Oed.  Colon.  607  ff.; 
»Allein  die  Götter  altern  und  sterben  nie;  alles  Uebrige  zerstört  die 
bewältigende  Zeit.  Es  vergeht  der  Erde  und  des  Körpers  Kraft.« 
Zwar  entstehen  die  heidnischen  Götter  mit  und  in  der  Welt  und  sind 
die  unsterbliche  ßlüthe  derselben,  und  nach  menschlicher  Anschau¬ 
ungsweise  fällt  ihr  Leben  auch  in  die  Zeit.  Eos  bringt  wie  den 
Sterblichen  so  auch  ihnen  den  Tag  ^).  Die  Nacht  überwältiget  Men¬ 
schen  und  Götter,  und  der  Schlaf  ist  ein  König  über  alle  beide,  je¬ 
doch  an  Zeus  Kronion  wagt  er  sich  nicht  ohne  dessen  Befehl  2). 
Die  Zeiten,  Horen  genannt,  in  welchen  alles  irdische  Leben  beginnt 
und  sich  beschliesst,  sind  auch  die  Pförtnerinnen  des  Himmels  und 
des  Olympus,  welche  ihn  mit  einer  dicken  Wolke  beschliessen  und 
wiederum  öffnen  3),  Jedoch  wird  der  Himmel,  worin  sich  das  gött¬ 
liche  Leben  bewegt,  als  eine  unwandelbare  Veste  vorgestellt  ^).  Er 
ist  das  Alleroberste,  wie  der  Tartarus  das  Allerliefste.  Neun  volle 
Tage  und  Nächte  müsste  ein  Amboss  vom  Himmel  herabfallen,  um 
auf  die  Erde  zu  kommen;  und  eben  so  lange  müsste  er  von  der 
Erde  weiter  fallen,  um  in  den  Tartarus  zu  stürzen  Einen  gan¬ 
zen  Tag  lang  fuhr  der  aus  der  Götlerversammlung  herabgestürzte 
Hephästos,  und  fiel  mit  Untergang  der  Sonne  auf  Lemnos  hernieder®). 

Indessen  hatte  der  Grieche  in  dieser  Periode  ein  sinnliches  Ab¬ 
bild  des  Himmels  in  dem  himmelauragenden schneebedeckten 7)  Olym¬ 
pus  in  Thessalien,  wo  die  überirdischen  Götter  ihre  Paläste,  ein 
jeder  seinen  eigenen  hattet);  woher  das  gewöhnliche  Prädicat:  -^eol 
okvixTtia  dcöij,az  sxovreg.  Ohne  Zweifel  war  das  Uebergewicht  der 
aus  Thessalien  sich  über  Griechenland  ausbreitenden  Hellenen, 
welche  ihre  Religionsideen  geltend  zu  machen  wussten  ,  der  Grund, 
dass  der  Olymp  der  griechische  Götterberg  wurde.  Hohe  Berge 
führten  den  Naturmenschen  himmelwärts  und  schienen  ihm  eine  Ver¬ 
bindung  der  Götter-  Sund  Menschenwelt  darzustellen.  Daher  hatte 
der  alte  Deutsche  seinen  Asciburgius,  der  Indier  seinen  Meru ,  der 
Perser  seinen  Albordi ,  woher  er  sich  Sonne  und  Mond  aufgehend 


1)  Od.  V,  2.  2)  11.  XIV,  233.  247.  259.  3)  II.  V,  749. 

Hes.  Tbeog.  128:  edoj  doq)ak£q  aiet.  Od.  III ,  2 :  ovgavöq 
noXvxaly.oq.  Theog.  722  ff.  6)  II.  1 ,  592. 

')  Theog.  62.  118  vicpöetq.  II.  I,  607. 


207 


dachte,  wo  Orrnuzd  mit  allen  Lichtern  des  Himmels  thronte,  und 
um  welchen  sich  die  sieben  Erdgürtel  ziehen.  Der  Mongole  dachte 
sich  den  Berg  Sumer -Oula  aus  Gold,  Silber  und  andern  Kleinodien 
zusammengesetzt,  ihn  umgaben  sieben  goldene  Berge,  sieben  Meere 
und  das  Beich  des  Saitenspiels  ').  Jedoch  war  den  Griechen  wohl 
bewusst,  dass  die  Götter  nicht  eigentlich  und  wirklich  auf  dem  Olymp 
wohnten;  wie  aus  der  Beschreibung  des  Kampfes  des  Otus  und 
Ephialtes  gegen  die  olympischen  Götter  hervorgeht.  Um  sie  zu  er¬ 
reichen,  reichte  es  nicht  hin  den  Olymp  zu  stürmen,  sondern  sie 
thürmten  auf  diesen  Berg  den  Ossa  und  auf  diesen  den  Pelion,  um 
bis  in  den  Himmel  zu  gelangen  2).  Bei  dieser  Gleichsetzung  des 
Olympus  und  des  Himmels  im  Volksglauben  singt  die  Odyssee  VI, 
42,  dass  Olymp  nach  der  Sage  der  Götter  ein  für  und  für  fester 
Wohnsitz  sey,  weder  von  Winden  bewegt,  noch  von  Regen  benetzt, 
noch  von  Schnee  beladen,  wo  ein  wolkenloser  Aether  voll  weissen 
Glanzes  sey,  wo  die  seligen  Götter  sich  allezeit  freuen. 


§.  42. 

Gott  ist  allgegenwärtig. 

Der  alte  Grieche  dachte  sich  seine  Götter  nicht  auf  den  Himmel 
beschränkt,  sondern  in  der  Schnelligkeit  ihres  Gangs,  in  ihren  be¬ 
liebigen  Verwandlungen  und  in  der  Gewandtheit  des  Götterboten 
Hermes  fand  er  eine  Ahnung  von  der  göttlichen  Allgegenwart. 

»Athene  band  schöne  ,  ambrosische,  goldene  Sohlen  an  die  Füsse, 
welche  sie  über  Wasser  und  Land  mit  den  Lüften  trugen« ;  so  lesen 
wir  in  der  Odyssee  I,  96  ff.  3),  und  nach  ihrer  Rückkehr  heisst  es 
von  ihr  V.  320:  »wie  ein  Vogel  entfloh  sie  nach  oben.«  Der  gött¬ 
liche  Leib,  den  die  Einbildungskraft  ihr  lieh,  hatte  keine  materielle 
Schwere  und  gediegene  Gestalt,  sondern  konnte  beliebige  Verwand¬ 
lungen  annehmen.  In  Ithaka  erschien  Athene  in  Gestalt  des  Men- 


*)  Baur  Mytholog.  I  S.  311. 

2)  Od.  XI ,  316 :  IV  ovgavdq  d/ußaröq  d'r]. 

2)  Dieselben  Verse  stehen  Od.  V ,  44  ff.  von  Hermes. 


208 


tes  '),  und  wurde  hernach  als  Menlor  Führer  des  Telemachus  2). 
Beim  Weggehen  wurde  sie  einem  Adler  gleich  3).  Die  erscheinen¬ 
den  Göller  sind  nicht  Allen  gleich  sichtbar.  Athene  wurde  so  im 
Zelt  des  Schweinhirlen  Eumäus  nur  von  Odysseus  und  den  Hunden, 
nicht  von  Telemach  gesehen;  »denn  die  Götter  erscheinen  nicht  Al¬ 
len  deutlich“  Die  Tragiker  lassen  unbedingt  die  Götter,  die  das 
menschliche  Leben  regieren,  auf  der  Bühne  erscheinen,  mitunter 
um  die  V^erwicklung  des  ganzen  Stücks  durch  ihr  mächtiges  Einschrei¬ 
ten,  durcli  ihre  Offenbarungen  und  ihre  Ehrfurcht  gebietenden  Be¬ 
fehle  zu  lösen.  Kaum  hat  der  klagende  Peleus  bei  Euripides  in  der 
Andromache  seiner  abgeschiedenen  Gattin  gedacht,  so  erscheint  sie 
selbst,  die  Nereide  Thetis,  am  Ende  des  Stückes. 

Hermes,  im  neuen  System  an  die  Stelle  der  Iris  getreten,  En¬ 
gel  der  Götter  und  insbesondere  des  Zeus  (^didxroQog,  dewv 
dyyeXoq  rcöv  juaxdpoov  ,  ersetzt  ihre  Allgegenwart.  Sowohl  oben 
im  Himmel  als  unten  auf  Erden  und  unter  der  Erde  richtet  er  ihre 
Befehle  aus.  Er  heisst  daher  mit  Recht  ein  Vermittler  der  obern 
und  untern  Götter  7),  „der  grösste  Herold  der  Obern  und  der  Unter¬ 
irdischen“  S).  Sein  Gang  ist  sicher,  seine  Tritte  leise,  und  niemand 
mag  ihn  aufhallen.  Da  er  die  unwiderstehliche  Gewalt  der  göttlichen 
Intelligenz  verstellt,  so  sagt  der  Homeride  (h.  H  in  Mercur.  430): 
»Mnemosyne ,  die  Mutier  der  Musen,  habe  den  Hermes  zu  ihrem 
Theil  empfangen.“  Sein  Attribut  ist  ein  goldener  Stab;  daher  sein 
Beiwort  xQ^oÖQ(ja:tiq.  Mit  seinem  Stabe  schläfert  er  die  Wachenden 
ein  und  wecket  die  Schlafenden,  welche  er  will^);  er  kann  ungese¬ 
hen  allerwärts  durchdringen  und  handeln.  Der  Stab  als  Sinnbild 
seiner  Gewandtheit  hat  die  Bedeutung:  die  Wege  Gottes  sind  verbor¬ 
gen,  die  Mittel,  seinen  Willen  auszuführen,  zahllos,  der  Menschen 
Ränke  können’s  nicht  hindern.  Weil  Gott  der  Ränkevollen  spottet. 


1)  Od.  I,  105.  2)  od.  II,  268. 

3)  Od.  III  ,  372.  Platon  ,  welcher  hauptsächlich  die  sittliche  Seite 
der  Theologie  berücksichtigte,  tadelt  Polit.  II  p.  380  die  Dichter,  dass 
sie  die  Götter  durch  solche  Wandlungen  zu  Gauklern  herabwürdigeu. 
Od.  XVI,  161.  5)  Theog.  938.  Opp.  77.  80. 

Ilom.  h.  XXIX,  8.  7)  Claudian.  de  raptu  Proserp.  I,  89  ff 

8)  Aeschyl.  Choeph.  162.  9)  od.  V,  47  f.  XXIV,  3  f. 


209 


so  führt  Hermes  selbst  den  Beinamen  des  Listigen  und 

aQyaicpövTr]^.  Er  vereitelte  die  Ränke  der  Zauberin  Circe,  indem  er 
dem  Odysseus  ein  Gegenmittel  darbietet,  nachdem  seine  Gefährten 
schon  in  Schweine  verwandelt  waren  ^).  Der  Homeride  (h.  II  in 
Mercur.  13)  bezeichnet  diesen  Gott  als  vielgewandt,  listig,  als  Dieb, 
Forttreiber  von  Rindern,  Führer  von  Träumen,  Späher  der  Nacht, 
Anführer  der  Diebe  (V.  175.  292),  Bote  und  Führer  in  die  Unter¬ 
welt  (V.  572).  Von  ihm  empfing  Pandora  listigen  Charakter,  Lügen 
und  einschmeichelnde  Reden  2),  Odysseus  empfahl  sich  bei  einem 
schlauen  Anschlag  der  Leitung  des  listigen  Hermes  3).  Er  war  der 
Geleitsmann  der  Wanderer  ^). 

§.  43. 

Vergötterung  der  Natur. 

Himmel,  Erde,  Wasser  und  Hölle  sind  die  grossen  Ge¬ 
biete  der  Natur,  welche  in  den  Kroniden:  Zeus,  Here,  Deme¬ 
ter,  Poseidon  und  Hades  vergöttert  wurden.  Wenn  wir  den 
Hephäst  OS  als  Sohn  des  Zeus  und  der  Here  5)  oder  der  Here  al¬ 
lein  6)  hinzunehmen,  so  begegnen  wir  zugleich  einem  Elementen- 
dienst,  welcher  nebst  der  Verehrung  der  Sonne  und  des  Mondes 
auch  bei  den  alten  Persern  gebräuchlich  war  2),  Denn  Zeus  und 
Here  waren  die  Vorsteher  altes  dessen,  was  sich  in  der  Luft  er¬ 
eignet,  als  Blitz  und  Regen.  Jener  wohnt  hoch  im  Aether^),  er 
war  dem  Seefahrer  der  Gott,  welcher  den  guten  Wind  verleiht, 
ovQioq  genannt ,  und  als  solcher  in  Sicilien  verehrt  9).  Der  Name 
der  Here  wurde  sogar  von  allen  Auslegern  >9)  durch  dijg  erklärt. 


J)  Od.  X,  277.  2)  lies.  Op.  78. 

9)  Sophocl.  Philoct.  133. 

'*)  Aristoph.  Plut.  1161.  Pausan.  VIII,  31. 

5)  II.  a,  572.  578.  Od.  t?',  312.  h.  in  Apoll.  317.  Plal.  Grit.  p.  109. 

6)  Theog.  927.  Herod.  I,  131.  »)  lies.  Op.  18. 

9)  Cic.  Verr.  IV,  57. 

^9)  Z.  B.  in  der  von  Demetrius  Triklinius  geschriebenen  Hdschr. 
der  Marcusbibliothek  N.  464  zu  Hes.  Theog.  454. 


14 


210 


Luft  und  Feuer  sind  verwandte  Elemente,  wie  Erde  und  Wasser. 
Daher  stammt  der  Feuergott  Hephäslos,  welcher  nach  älterer  Lehre 
ein  Sohn  des  Himmels  *)  als  der  natürlichen  Werkstätte  der  Feuer- 
flammen  war,  von  Zeus  und  Here  ab.  Vom  Himmel  holte  daher 
auch  Prometheus  das  Feuer.  Der  Philosoph  Empedokles  hielt  die 
vier  Elemente  für  so  viele  Gottheiten  2).  Unsre  neuern  Chemiker 
mit  ihren  vielen  Grundstoffen  dürfen  die  Alten  nicht  verlachen.  Denn 
die  Frage  ist  nicht:  in  welche  ßestandlheile  lassen  sich  die  Dinge 
als  eine  todte  Masse  auflösen.  Sondern  die  Frage  ist:  woraus 
entsteht  Alles  ?  Und  da  ist  unhezweifelt  der  Nährstoff  der  Dinge 
Luft,  Wärme,  Erde  und  Feuchtigkeit.  Dieser  Stoffe  bedarf  Perse¬ 
phone,  um  die  Erde  zur  fruchtbaren  Mutter  zu  machen. 

Helios  (Sonne)  ist  schon  bei  Homer  eine  persönliche  Gottheit 
(nicht  so  Selene).  Er  durchschneidet  unter  den  Himmelsgestirnen 
seinen  Weg,  auf  goldenem  Wagen  sitzend  und  mit  schnellen  Rossen 
seine  Flamme  rollend  3).  Auf  dem  Vorgebirge  Tänarum  weiden 
seine  Schafe  ^).  Auf  Thrinakia  (Sicilien)  hat  er  sieben  Herden  Kühe 
und  eben  so  viele  Schafe,  eine  jede  aus  50  Stücken  bestehend  (also 
bilden  nngerdhr  sieben  Herden  ein  Jahr),  sie  sterben  nicht  und  ver¬ 
mehren  sich  nicht,  seine  Töchter,  die  er  mit  Neära  erzeugte,  Phae- 
thusa  und  Lampetie,  weiden  dieselben®).  —  Phaethon,  Sohn  des 
Helios ,  ist  entweder  ein  ständiges  Bild  der  alljährlichen  Sonnenhitze 
und  Gewitter,  oder  ein  besonderes  einer  ausserordentlichen  Trockene. 
Nach  der  Fabel  führte  er  des  Vaters  Sonnenwagen,  ohne  im  Stande 
zu  seyn  den  rechten  Weg  zu  halten,  versengte  was  auf  der  Erde 
war  und  ging  selbst  zu  Grunde ,  vom  Blitz  herabgeschleudert  ^). 

Des  Wassers  und  zunächst  des  Meeres  Gott  war  Posei¬ 
don,  welcher  aus  Libyen  stammend  2)  an  die  Stelle  des  pelasgischen 
Nereus  trat,  jedoch,  um  sich  mit  dem  alten  System  zu  befreun- 


1)  Cic.  N.  D.  III,  22. 

2)  Cic.  N.  D.  I,  12  das.  Auslgr.  p.  51  Crcuzer.  Empedocl.  fragm. 
V.  26.  160. 

3)  Eiirip.  Phoeniss.  Anfg.  Iloni.  h.  I.  in  Apoll.  412. 

®)  Od.  XII,  127. 

Plat.  Tim.  p.  22  C.  Vgl.  oben  S.  103  eine  andere  Auslegung 
von  d.  Phaethon  in  Samolhracc.  2)  Ilerod.  11,  .50. 


211 


den,  dessen  Tochter  Amphitrite  ehelichte  ');  woher  auch  Amphi- 
trito  gleichbedeutend  mit  dem  Meere  selbst  geworden  ist  2).  Ihr 
Sohn  ist  der  personificirte  Meeresgrund,  »der  weithin  mächtige 
Triton,  welcher  des  Meeres  Grund  inne  hat,  und  bei  seiner  Mut¬ 
ter  und  dem  herrschenden  Vater  im  goldenen  Hanse  wohnt,  ein  ge¬ 
waltiger  Gott“  Poseidon  hat  ein  meergrünes  Haupthaar  {v,vavo- 
%aLxr](^  ‘5')  und  heisst  der  den  Erdboden  Umfassende  (yairjoxog) ,  der 
Tosende  (iQLy,TV7toQ)  5),  nicht  allein  wegen  der  Meereswogen,  son¬ 
dern  auch  wegen  der  an  den  Meeresküsten  gewöhnlichen  und  durch 
Mitwirkung  des  Meerwassers  entstehenden  Erdbeben  (Her.  VH,  129), 
wegen  welcher  er  der  Erderschütterer  {ivoalyaiog ,  ivoaixdoiv') 
heisst.  Höher  gesteigert  ist  er  das  Wasser  überhaupt  6),  und  sein 
ursprünglicher  Name  lautet  bei  Epicharm  und  Sophron  IloTiöag 
(von  TTotöp  Trank).  So  aufgefasst,  heisst  er  nach  ionischen  Begrif¬ 
fen  der  Erzeuger  (ysiysaiog  s)  ©der  (pvrdXjuwg  9)  ).  Nach  Aeschylus 
(7  vor  Theben  294)  entsenden  Poseidon  und  der  Tethys  Kinder  die 
Quellen.  —  Das  Scepter  seiner  Macht  ist  der  Dreizack  (rpeatpa)  ’O)^ 
welcher,  bisweilen  mit  Widerhacken  versehen,  bisweilen  nur  in  drei 
Enden  auslaufend,  von  dem  beim  Thunfischfang  gebräuchlichen 
Werkzeug  entlehnt  zu  seyn  scheint.  Damit  sammelt  er  Wolken, 
gebietet  den  Stürmen  und  erreget  das  Meer  “).  Mit  dem  Stoss  sei¬ 
nes  Dreizacks  bringt  er  im  Streit  mit  Athene  im  Pandrosium  zu 
Athen  eine  Salzquelle,  damit  in  Thessalien  das  erste  Pferd  hervor. 
Er  ist  darum  der  mächtige  Dreizackführer  ^2).  Der  Stier  als  ein 
Sinnbild  der  Macht ’3)  seines  Elements  und  das  Pferd  als  ein  Zei- 


Q  Theog.  243.  929.  2)  Od.  III,  91.  V,  422. 

3)  Theog.  930.  Hom.  n.  Hes.  Th.  278.  Theog.  930. 

®)  To  näv  vygbv,  r]  vyqd.  cpvaiq.  Schob  Villois.  H.  II.  v  ,  67.  69. 
Schob  Aristoph.  Nub.  v.  563.  2)  Herodiao  fjt,ov.  "ki^.  p.  10. 

8)  Paus.  II,  38.  III,  15,  7.  VIII,  7. 

2)  Plutarch.  Sympos.  7  Sapient. 

10)  11.  XII,  17.  Pindar.  01.  I,  64.  2')  Od.  V,  291. 

32)  dykaoxQiaivrjg  Pind.  Ob  I,  64.  OQOOXQialvrjg  Ob  VIII,  64. 

33)  Strabo  L.  X  und  Tzetzes  ad  Hes.  Schild  104  erklären  dieses 
Sinnbild  weniger  angemessen  von  dem  Brüllen  der  Stiere  oder  von  den  . 
Stieropfern  Poseidons.  Diess  ist  so  wenig  richtig,  als  wenn  nach  Athe- 


chen  des  beweglich  wogenden  Wassers  sind  seine  heiligen  Thiere, 
die  er  seihst  mit  Medusa  erzeugt  hat  (S.  75).  Ein  doppeltes  Ehren¬ 
amt  theilt  ihm  daher  der  Homeride  (h.  XXI)  zu  ,  Pferdehändiger  und 
Reiter  der  Schiffe  zu  seyn.  Eine  ähnliche  Zeichensprache  ist  es, 
wenn  Od.  IV,  708  die  Schiffe  Pferde  des  Meeres  genannt  werden, 
oder  wenn  an  den  panischen  Schiffsschnäbeln  Pferde  abgebildet  wa¬ 
ren  ’).  Denn  das  Pferd  war  ein  allgemeines  Symbol  der  Schnellig¬ 
keit.  Daher  kommen  die  beiden  Beinamen  Poseidons  als  des  Slier- 
(ravpeog  2)  )  und  Pferdegotles  (^,Tar^o?  3)  ).  Er  gab  dem  Bellerophon 
das  geflügelte  Pferd,  den  Pegasos'^'),  dem  Pelops  Ross  und  Wagen 
zum  Wettrennen  mit  Hippodamia  ^),  dem  Peleus  die  Rosse,  die  des¬ 
sen  Sohn  Achilleus  vor  Troja  gebrauchte  ^),  den  Sohn  des  Nestor 
lehrte  er  mancherlei  Reitkünste  2).  Das  herrliche  Pferd  des  Adra- 
stus  vor  Thehen ,  Namens  Arion,  war  ein  Erzeugniss  des  Poseidon, 
der  in  Pferdgestalt  in  Böotien  sich  mit  der  Erinnys  vermischte  , 


näus  XI ,  51  die  Hörner  des  Dionysos  oder  sein  Name  Stier  den  Grund 
in  seinen  Trinkbörnern  haben  sollen. 

1)  Munter  Religion  der  Karlhager  S.  102. 

2)  Ues.  Schild  104. 

j)  Hom.  h.  in  Nept.  6.  Eurip.  Phoen.  1707.  Aristoph.  Nub.  84. 
iTtTtütv  öiirjxrjQ  Find.  Pyth.  IV,  80.  iitnaQxVi  Aeschyl.  7  vor  Theb.  121. 
Sophocl.  Oed.  Col.  713. 

-i)  Schob  Villois.  ad  II.  155.  S)  Schol.  Villois.  II.  38. 

6)  Hom.  11.  -ip',  277.  vgl.  n  ,  153. 

2)  H.  11.  307. 

*)  Die  cyklischen  Dichter  bei  Schol.  Villois.  II.  -ip',  346.  Preller 
(Demeter  und  Persephone  S.  154)  sieht  in  der  Mutterschaft  der  Erin¬ 
nys  das  Walten  einer  zürnenden  Nothwendigkeit,  den  Arion  in  den 
Krieg  gegen  Theben  zu  schicken.  Desswegen  würde  man  aber  ein 
Pferd  nicht  zu  einer  Geburt  des  Verhängnisses  machen ;  ohnehin  be¬ 
stand  seine  Trefflichkeit  vor  Thehen  darin,  dem  Adrastos  durch  schleu¬ 
nige  Flucht  das  Leben  zu  retten.  Seine  Wirksamkeit  beschränkte  sich 
auch  nicht  auf  den  thebaniscben  Krieg,  sondern  schon  vorher  sind 
Kopreus  und  Herakles  als  Eigenthümer  nach  dem  Scholiasten  des  Vil- 
loison  zu  der  hom.  Stelle  auf  ihm  geritten.  —  Die  gewöhnlichen  Scho¬ 
lien  führen  ausser  der  Genealogie  der  Cykliker  (von  Poseidon  und 


213 


sein  edles  Schnauben  anzudeuten.  Wir  haben  S.  80  die  arkadische 
Fabel  von  dem  Ursprung  des  Arion  aus  Poseidon  und  Demeter  be¬ 
rührt.  Da  nun  Lykophron  *)  u.  A.  von  einer  Demeter  Erinnys  wis¬ 
sen,  so  ist  D.  Preller  (a.  a.  O.  S.  156)  der  Meinung,  dass  diess  in 
Folge  einer  Durchkreuzung  und  Vermischung  jener  böotischen  und 
dieser  arkadischen  Fabel  geschehen  sey.  Allein  ich  habe  S.  90  nach¬ 
gewiesen,  dass  auch  in  Arkadien  selbst  von  einer  Demeter  Erinnys 
die  Rede  war,  welche,  ohne  Zweifel  unabhängig  von  Poseidon  und 
Arion,  eine  physiologische  Bedeutung  hatte,  wie  die  hesiodischen 
Erinnyen.  Wenn  die  Nachstellungen  Poseidons  als  die  Ursache  an¬ 
gegeben  werden,  sie  zur  Erinnys  zu  machen,  so  war  er  als  das 
feuchte,  im  Winter  vorherrschende  Element  aufgefasst.  —  Alle  Fluss¬ 
götter  wurden  mit  Slierhörnern  abgebildet  (rav^iöx^avoi^)  ).  Xan- 
thus  brüllt  schon  bei  Homer  (II.  gj',  237)  wie  ein  Stier,  und  Ache- 
lous  kämpft  in  Stiergestalt  mit  Herakles  3). 

Hades,  auch  Aidoneus,  in  der  Iliade  (IX,  -iä?)  der  unter¬ 
irdische  Zeus,  später  auch  Pluton^)  genannt,  ist  der  Beherrscher 
der  Unterwelt  und  als  solcher  unbarmherzig  5).  Er  raubte  nach  dem 
Zulassen  des  allweisen  Zeus  die  Persephone  und  machte  sie  zur  Ge¬ 
fährtin  seines  höllischen  Wohnortes  6).  Ursprünglich  mochte  er  nicht 
nur  dem  Namen  nach,  sondern  in  der  That  einerlei  mit  seinem  Bru¬ 
der  Zeus  seyn.  In  Kreta  nemlich  zeigte  man  das  Grab  des  Zeus  ^). 


Erinnys)  die  der  Jüngern  Epiker  an,  welche  den  Arion  von  Poseidon 
und  einer  Harpyie  abstammen  lassen;  wie  wenn  Homer  II.  l49  die 
Rosse  Achills  vom  Zephyr  und  der  Harpyie  Podarge  erzeugt  werden 
lässt,  oder  Slesichorus  (fragm.  I)  die  Pferde  der  Dioskuren  zu  Kindern 
der  Podarge  macht,  um  ihre  Geschwindigkeit  anzudeuten,  womit  sie 
wie  die  fabelhaften  Luftgestalten  die  Lüfte  durchfliegen. 

^)  Lycophron  Alex.  v.  153.  1040.  1225.  Phot.  bibl.  p.  148. 

2)  Strabo  L.  X.  Tzetz.  ad  Hes.  Scut.  104. 

j)  Archilochus  bei  Schol.  Villois.  ad  II.  gi',  237. 

Aeschyl.  Pers.  806.  Sophocl.  Antig.  1200.  Eurip.  Alcest.  360. 
Plat.  Gorg.  p.  523  A. 

5)  Theog.  455  f.  Theog.  913. 

7)  Cic.  N.  D.  III,  21.  Pompon.  Mela  II,  7.  Minucius  Fel.  c.  22. 
Tatian  TtQÖg  "EAX.  n.  27  p.  267. 


214 


Der  reinere  Gotlesdieust  schied  Zeus  und  Hades,  oder  behiell  das 
Todesscliicksai  dem  (äuscheudeu  Sinneagoll  Dionysos  vor,  um  nicht 
die  Majestät  und  Seligkeit  des  über  die  irdischen  Wehen  erhabenen 
himmlischen  Vaters  zu  trüben.  In  einer  spätem  Periode  wurde  Zeus 
als  Beherrscher  des  Himmels,  des  Meeres  und  der  Unterwelt  idea- 
lisirt  und  die  Dreiheit  von  Brüdern  als  ein  einiger  Gott  dargestellt. 
So  erscheint  Zeus  auf  einem  geschnittenen  Stein  *)  mit  dem  Blitze 
des  Himmels ,  dem  Dreizack  des  Meeres  und  der  Wage  der  Unter¬ 
welt.  Ein  dreifacher  Zeus  war  zu  Korinth  im  Freien  aufgestellt  2), 
und  zu  Argos  wurde  er  wenigstens  mit  drei  Augen  verehrt  ^). 


13.  Wie  verhält  sich  die  Welt  zu  Gott? 

§.  44. 

Die  Frage  1)  nach  der  Entstehung  der  Welt  war  durch  die 
alte  Schöpfungsurkunde  Hesiods  zur  Genüge  beantwortet  und,  blieb 
auch  in  der  dritten  Periode  in  fortdauerndem  Ansehen.  Auf  die 
ägyptisch  ionische  Abweichung  von  der  Entstehung  der  Dinge  aus 
dem  Okeanos  haben  wir  schon  oben  aufmerksam  gemacht.  Die  Welt¬ 
weisen  auf  dem  Standpunkt  des  Idealismus  haben  die  Schöpfung  an¬ 
ders  als  die  Fabellehre  gefasst.  So  Auaxagoras  ^),  dass  der  Geist 
der  Urheber  von  Allem  sey  und  Alles  ordne.  Platon  selbst 
(Sophist,  p.  266  B)  sagt:  »Wir  wissen,  dass  die  organischen  Wesen 
und  die  Elemente,  aus  welchen  sie  geworden  sind,  Feuer  und  Was¬ 
ser  und  die  mit  diesen  verwandte  ,  Geschöpfe  Gottes  sind.“ 

2)  Das  Bestehen  und  die  Wirksamkeit  der  Welt 
wurde  voruemlich  von  Zeus  als  dem  König  der  Göller  und  der 
Welt  abhängig  gedacht.  Ein  alter  Spruch  lautet  bei  Platon  (Lgg.  IV 
p.  715  E);  »Gott  hat  den  Anfang,  das  Mittel  und  Ende  aller  Dinge«, 


1)  Bei  Creuzer  Symbol.  3te  Ausg.  Th.  111  Ablh.  1  S.  204  Taf.  Yl* 
u.  26.  2)  Paus.  11,  2,  8.  3)  paus.  11,  24,  3.  4. 

Bei  Platon  Phädon.  p.  97  C. 


215 


in  Uebereinstirnmung  mit  dem  allleslamenllicheü:  ich  bin  der  Erste 
und  ich  bin  der  Letzte,  spricht  der  Herr.  Die  Vorsehung  (jtgö- 
voLo)  wacliet  im  Himmel  über  der  Erde.  Aus  dem  Haupte  des  Zeus 
entsprang  Athene*),  die  behütende  Weisheit  {7iolviJ,r]xiq)  ^  die 
Schutzgöltiu  der  gleichnamigen  Stadt  Athen,  wo  sie  unter  dem  Na¬ 
men  der  Schirmenden  (jiQÖfxaxoq)  verehrt  wurde.  Unten  an  ihrer 
Bildsäule  war  der  ihr  heilige  Vogel,  die  Eule,  als  Sinnbild  der  gött¬ 
lichen  Wachsamkeit  zur  Zeit,  da  die  Menschen  schlummern  2).  Diese 
Symbolik  wird  durch  das  lliuzuthun  einer  Gazelle  neben  der  Eule 
verdeutlicht  3).  Die  Gazelle  aber  ist  ihrer  Scharfsichtigkeit  wegen 
bekannt  und  hat  daher  den  Namen  dogxdg  bei  den  Griechen.  Von 
der  Eule  hatte  Athene  die  Augen,  woher  ihr  gewöhnlicher  Beiname 
ylavv.<i>Tciq.  Auch  der  Hase  war  ihr  aus  demselben  Grunde  heilig 
Mit  dem  Beinamen  der  Vorsehung  waren  ihr  Tempel  geweiht  {ngo~ 
voiag  '‘Ädrjväg  *).  Ihre  Bildnisse  (Palladien)  befanden  sich  auf  den 
Vordertheilen  der  Schiffe 

Platon  (Lgg.  X  p.  900  ff.)  erweist  und  vertheidigt  die  göttliche 
Vorsehung.  »Wir  nennen,  spricht  er  p.  902  B,  alle  sterbliche  Ge¬ 
schöpfe  und  unter  diesen  auch  den  ganzen  Himmel  der  Götter  Eigen¬ 
thum.  Wenn  sie  nun  für  das  Grosse  Sorge  tragen ,  wie  sollten  sie 
das  Kleinere,  das  viel  leichter  zu  regieren  ist,  vernachlässigen,  da 
doch  die  Besorgung  der  Theile  zur  Erhaltung  des  Ganzen  nothwen- 
dig  ist?  Denn  die  grossen  Steine  liegen  bei  einem  Bauwerk  nicht 
gut  ohne  die  kleinen.  Ihnen  aber  kommt  die  Einsicht  in  das  Kleinste, 
die  Macht  und  der  beste  Wille  zu,  welcher  frei  von  aller  mensch¬ 
lichen  Fahrlässigkeit  und  Weichlichkeit  ist.“  Die  Ursache,  warum 
die  göttliche  Regierung  der  menschlichen  Angelegenheiten  von  Man¬ 
chen  geleugnet  wird,  liegt  in  der  Wahrnehmung,  sagt  Platon  p.  899 


1)  Theog.  924.  Ilom.  h.  XXVII,  4.  Piudar  01.  VII,  68. 

2)  Jo.  Lyd.  III,  30  p.  126  Roether:  ylama  cfj  'Ad7]vä.  dvaxißea- 
aiv ,  OXL  Tisg  iyQTjyogs  öiä  Ttdatjg  vvyixög, 

3)  Auf  einer  Münze  bei  Eckhel,  abgedruckt  in  Creuzers  liilderb. 
T.  VI  n.  11. 

'»)  Plut.  Cunviv.  III,  6.  Paus.  VI,  26,  2. 

5)  Cornul.  N.  ü.  20  p.  184.  Demosth.  in  Aristogilon.  p.  780.  Doch 
vgl.  unsern  §.  32.  ^)  Arisloph.  Acharn.  v.  546  das.  Schob 


216 


E ,  dass  es  schlechten  Menschen  so  oft  wohl  ergehe  oder  doch  zu 
ergehen  scheine,  und  dass  sie  von  ihrer  Schlechtigkeit  oft  den  gröss¬ 
ten  Nutzen  ziehen-  Diesen  Erfahrungssatz  sucht  nun  Platon  S.  903 
mit  der  Lehre  von  der  Vorsehung  in  Einklang  zu  bringen.  Seine 
Theodicee  ist  folgende:  die  Vorsehung  hat  Alles  zum  Wohl  des 
Ganzen  angeordnet,  und  ein  jeder  Theil  thut  und  leidet  nach  Ver¬ 
mögen  das  ihm  Gebührende.  Der  Theil  aber  ist  wegen  des  Ganzen 
und  nicht  das  Ganze  des  Theiles  wegen  thätig.  Sonach  wäre  es  die 
Sprache  der  Selbstsucht,  sich  als  Einzelwesen  ins  Auge  fassend  die 
Götter  anzuklagen.  Es  geschieht  aber  auch  aus  Kurzsichtigkeit. 
Denn  es  waltet  ein  göttliches  Geschick,  dem  niemand  entfliehen  kann, 
er  bette  sich  auch  in  die  Tiefe  der  Erde  oder  fliege  gen  Himmel, 
ein  Gericht,  wornach  eine  jede  Seele  bei  ihren  Wanderungen  auf 
die  ihrem  jedesmaligen  Charakter  angemessene  Stufe  gesetzt  wird. 
Auf  ihren  freien  Willen  kommt  es  wohl  an,  ob  sie  zum  Bessern 
hinauf  oder  zum  Schlechtem  hinab  gerückt  werden  soll.  Diese  Ord¬ 
nung  ist  so  negativ  bedingt  durch  eines  jeden  Selbstthäligkeit,  posi¬ 
tiv  aber  durch  die  ordnende  Macht  der  Vorsehung,  welche  es  so  ge¬ 
fügt  hat,  dass  die  jedesmalige  Beschaffenheit  der  Seele  bei  einer 
Wandlung  die  angemessene  Stufe  des  Daseyns  nach  sich  ziehe,  die 
geringere  auf  einen  geringem  Platz  komme,  die  schlechtere  in  die 
Tiefe  verstossen  werde,  die  grössere  und  von  göttlicher  Tugend  er¬ 
füllte  die  ganze  heilige  Stätte  {xönov  äyiov  oAot')  durchwandere, 
wenn  sie  aber  wieder  fällt,  auch  wieder  in  ihrer  Lebensstufe  zurück¬ 
gesetzt  werde.«  Die  platonische  Theodicee  also  lehrt  auf  das  Ganze 
und  auf  das  Ende  (owrslsia)  blicken,  auf  die  Vergeltung  nach  dem 
Tode  und  zugleich  auf  das  Innere,  dass  die  Tugend  und  das  Lasier 
an  und  für  sich  und  abgesehen  von  allen  Folgen  glücklich  oder  un¬ 
glücklich  mache,  sey  es  dass  „man  in  diesem  Leben  bleibe,  oder  in 
den  Hades  wandere,  oder  auch  auf  einen  noch  schlimmem  Platz 
versetzt  werde.«  ln  der  Politik  X  p.  613  A  heisst  es:  »Wenn  ein 
Rechtschaffener  auch  in  Armulh,  Krankheiten  oder  sonst  ein  an¬ 
scheinendes  Uebel  fällt,  so  wird  ihm  solches,  sey  es  bei  Lebzeiten 
oder  nach  dem  Tode,  in  etwas  Gutes  endigen.« 

Die  Wellordnung,  das  Sonnensystem,  die  Witterung,  die  Frucht¬ 
barkeit  der  Natur,  die  Fortpflanzung  des  Lebendigen  stehen  unter 
der  Leitung  der  Vorsehung  und  werden  als  personificirte  Kräfte  des 
Zeus  unter  seinen  Kindern  aufgeführt. 


217 


§•  45. 

Golles  Aufsehen  über  die  WeKordnung  und  die 

Witterung. 

Apollon  und  Artemis  sind  vornemlich  die  Vorsteher  des 
Sonnen-  und  Mondlaufs,  des  regelmässigen  ümkreisens  der  Wandel¬ 
sterne,  des  Wechsels  von  Tag  und  Nacht  und  im  Allgemeinen  der 
Weltordnung,  und  daher  sind  sie  als  unzertrennlich  verknüpft  Zwil- 
liugsgeschwister,  Kinder  des  Zeus  und  der  Lelo  i).  Apollon  ist  der 
Gott  der  Jahre,  und  wie  die  Sonne,  so  hat  auch  er  Kuhherden  auf 
Pieria  2)  :  ein  jedes  Rind  ist  ein  personificirtes  Jahr  oder  Zeitperiode, 
wie  Apis  in  Aegypten,  welchen  die  Griechen  von  dem  ägyptischen 
Monatsnamen  Epiphi  Epaphus  nannten  3).  Die  Ringmauern  meh¬ 
rerer  aller  Städte  sollten  ein  sinnliches  Abbild  des  Sonnenlaufes 
seyn  “*);  Sardes  bedeutet  in  lydischer  Sprache  das  Jahr  5),  und  Apol¬ 
lon  erbaute  daher  mit  dem  Schutzgott  Poseidon  die  Mauern  von 
Troja  ln  Lakonien  brachten  die  Priesterinnen  dem  Apollon  nach 
dem  Abwinden  eines  Jahres  ein  Gewebe  dar  7).  Die  W'ohlorduung 
des  Sternenlaufes  hat  in  der  Harmonie  der  Töne  und  der  Reigen 
ein  natürliches  Sinnbild  8).  Wie  der  Artemis,  die  der  Musen  und 
Chariten  Reigen  eröffnet  9),  so  gefielen  diese  besonders  ihrem  Rru- 
der  Apollon  wohl.  Seine  Leyer  ist  ein  Bild  der  Harmonie  der 
Sphären  und  zugleich  der  Jahresordnung  nach  dem  Wechsel  der 


*)  Allerdings  hat  man  später  die  Gestirne  Sonne  und  Mond  mit 
eigenen  Namen  aufgeführt,  und  dem  Apollon  und  der  Astemis  nur  ihre 
davon  abgeleiteten  Aemter  gelassen.  Doch  wer  tiefer  sah,  war  sich 
noch  ihrer  ursprünglichen  Bedeutung  bewusst:  so  Euripides  in  Phaeth. 
fr.  II,  in  Iphig.  Aul.  1570. 

2)  II.  II,  766.  XXI ,  441.  h.  II  in  Mercur.  70.  Callim.  in  Apoll.  47. 

3)  Baur  Älythol.  I  S.  258. 

Baur  Mythol.  I  S.  190  f.  Jo.  Lyd.  de  mens.  III,  14. 

6)  II.  VII,  452.  Paus.  II,  33.  7)  paus.  III. 

8)  Plat.  Cratyl.  p.  49  Bekker. 

Horn.  h.  in  Vener.  19.  hymn.  XXVII,  17. 


218 


Jalireszeiten.  Sie  halle  daher  drei,  auch  vier  Sailen,  und  es  wird 
ausdrücklich  berichlei,  Apollon  mische  durch  die  drei  Töne  seiner 
Cilher  die  drei  Jahreszeilen *  *)*  der  liefe  Ton  sey  der  VVinler,  der 
miniere  der  Frühling  und  der  hohe  der  Sommer  2).  Auch  sein  Drei- 
fuss  ist  eine  Anspielung  auf  die  Jahreszeiten.  Wenn  seiner  Leyer 
gewöhnlich  sieben  Sailen  zugeschrieben  werden^),  so  können  wir 
dieselben  analog  auf  den  harmonischen  Lauf  der  fünf  Planeten,  der 
Sonne  und  des  Mondes  beziehen.  Die  Musen  sind  daher  nach  der 
altern  Slammableilung  Töchter  des  Himmels  und  der  Erde,  d.  h. 
Personificalionen  der  Weltordnung.  Eine  von  den  neun  Jüngern 
Musen  heisst  noch  Urania. 

Die  Nalurgötlin  Artemis  wurde  mit  dem  Monde  in  Verbin¬ 
dung  gedacht,  daher  mit  Hekate  für  einerlei  gehalten  5).  Als 
Nachtgöllin  lieble  sie  schattige  Wälder  und  Berge*’);  Feldnyni- 
pheu  sind  ihre  Gespielinnen  2),  und  die  Freundin  der  freien  Natur 
ist  beständige  Jungfrau  Will  Eros  sie  verwunden,  so  flieht  sie  in 
die  Berge;  daher  ihr  Beiname  o()£cog  ^).  Sie  schweift  mit  ihrer 
Mutter  auf  den  Bergen  mit  Pfeilen  ***).  Sie  hat  eine  goldene  Spindel 
(xpfo^^^axaTo^)  '*),  wie  ähnliche  Wesen  von  fatalistischer  Zauber¬ 
kraft,  als  Klolho,  Leto  *2)  und  Amphilrile  ,  welche  den  Lebens- 
fadeu  der  Menschen  spinnen. 

Die  hellsehende  Eigenschaft  Apollons  und  die  Nachtwache  der 


1)  Orph.  h.  in  Apoll.  XXXIV.  2)  Diodor.  I,  16. 

3)  Pindar,  Nem.  V,  43.  Eurip.  Ion  880.  Iptiig.  Taur.  1098. 
Alkman  bei  Diodor.  IV,  7  p.  252.  Mimnernius  bei  Paus.  IX, 
29,  2,  Musäus  bei  Schol.  Apollon.  III,  1. 

5)  Eurip.  Pboeniss.  109  Tiai  Aaroug  'E^dza.  Schol.  Arisloph. 
Plut.  549.  Hom.  h.  in  Yener.  20.  h.  XXVII,  4.  Callim.  in  Dian.  19. 

7)  Od.  VI,  105.  Hom.  h.  in  Yener.  16. 

9)  Lucian.  Dial.  Deor.  T.  I  p.  212.  217. 

*0)  Eurip.  Phoen.  151  f. 

11)  II.  XVI,  183.  XX,  70.  Od.  IV,  122.  hymn.  XXVIl.  Sophocl. 
Tracbin.  637.  i2)  Pindar.  Nem.  VI,  63. 

13)  Pindar.  01.  VI,  178.  Ampbitrite  ist  ja  die  Gattin  des  Poseidon 
yeveoiog;  wesswegen  Böckh  das  Beiwort  nicht  von  goldenen  Pfeilen 
oder  Scepter,  sondern  von  goldener  Spindel  versteht. 


219 


Artemis  veranlassleu  die  Waid  zweier  Thiere,  die  diesen  Göttern 
geweiht  wurden,  nemlich  des  Wolfes  und  des  Hundes.  Jener 
gehörte  dem  Apollon  zu,  weil  er  bei  Tag  und  bei  Nacht  gleich  sieht  j 
daher  auch  die  Sprache  seinen  Namen  mit  dem  Lichte  in  Verbindung 
setzte,  kv-Aoq  und  Aw?;  (Dämmerung),  lux,  diluculum,  Xvyt]  (Dunkel). 
Der  Gott  hat  von  ihm  den  Beinamen  Xvxiog  oder  Xvxscog,  selbst  Ar¬ 
temis  bisweilen  Xvy.sia  ^),  und  die  Sonnenbahn  heisst  daher  Xvxdßag“^). 
Der  Wolf  war  in  Aegypten  dem  Horus  (Apollon)  3)  heilig  '■') ,  und 
Danaus,  der  aus  Oberägypten  einwanderte,  errichtete  in  Argos  dem 
Apollon  XvHiiog  einen  Tempel,  woran  sich  allerlei  Legenden  knüpf¬ 
ten  3).  In  Argos  soll  man  ihm  Wölfe  geopfert  und  sein  Bild  auf 
den  Münzen  eingegraben  habend).  Aeschylus  (7  geg.  Theben  132) 
begründet  durch  den  Beinamen  Xmuog  die  Bitte  des  Chors,  dass  er 
dem  feindlichen  Heere  ein  Xvxetog  (Wolfsgott)  werden  möge.  Als 
Wölfin  kam  Leto  nach  Delos  ^).  —  Der  Hund  gesellt  sich  als  Nacht¬ 
wächter,  als  den  Mond  anbellend  und  als  Jagdgehülfe  zur  Mouds- 
uud  Jagdgötliu  Artemis. 

In  dem  ausser-  und  vorhomerischen  Göttersysteme  waren  Apol¬ 
lon  und  Artemis  in  einem  allgemeinem  Vollgehalte  aufgefasst  als  die 
männliche  und  weibliche  erzeugende  Potenz,  wie  sonst  der  Himmel 
mit  der  Sonne  und  die  Erde  mit  dem  Monde,  oder  Kronos  und  Rhea. 
Als  die  grosse  Mutter  Natur  war  die  Artemis  von  Ephesus  darge¬ 
stellt  (s.  oben  S.  105  f.);  in  ihrem  Tempel  legte  Heraklitus  der 
Epheser  seine  Bücher  über  die  Natur  nieder  s).  Als  solche  hatte 
sie  Zeus  und  Persephone  zu  Eltern  und  den  geflügelten  Eros  zum 
Sohne  ^);  sie  schafft  den  Zeugungs-  und  Bildungstrieb  zur  Besamung 
und  Fortpflanzung.  Sie  heisst  die  Allernährende,  navr(t6cpog  und 


Creuzer  Metetem.  Macrob.  Saturn.  I,  17. 

3)  Herod.  II ,  144.  ‘*)  Creuzer  Syinb.  3le  Ausg.  11  S.  554  f. 

3)  Paus.  Coriutb.  19,  3.  Schob  Sophocl.  Eleclr.  6. 

Aristol.  Hist,  Anim.  VI,  35.  3)  Diog.  L.  IX,  6. 

Das  war  die  erste  Diana  des  Cicero  N.  D.  III,  23.  Vgl.  Paus. 
IX,  27.  Wenn  Aeschylus  bei  Her.  II,  156  die  Artemis  zu  einer  Toch¬ 
ter  der  Demeter  machte,  so  geschah  dies  nach  ägyptischer  Abstammung, 
wornach  Orus  und  Bubastis  (Apollon  und  Artemis)  Kinder  von  Osiris 
und  Isis  (Dionysos  und  Demeter)  waren. 


220 


Tißi]vö(;^),  und  wurde  abgebildel  mit  Fackeln  und  Schlangen  (Leben) 
in  den  Iläuden  2).  Die  Delier  sagen,  die  Hyperboreer  bütlcn  Hei- 
liglhünier  in  Weizenhalmen  eingebunden  weiter  bis  zu  ihnen  ge¬ 
bracht,  und  Herodot  (IV,  33)  bezeugt,  dass  die  thracischeu  und 
päonischen  Frauen  nicht  ohne  Weizenhairae  der  Königin  Artemis 
opfern.  Ihre  Idee  war  somit  der  einer  Demeter  gleichgesetzt,  und 
als  diejenige,  von  der  Jugend,  Blüthe  und  Wachsthum  kommt,  hatte 
sie  hei  den  Tragikern  und  Lyrikern  den  Beinamen  die  Schöne  oder 
die  Schönste,  und  als  ^'dgrefj-iq  y.aXXiarrj  in  Arkadien  einen  Tempel  3). 
In  Elis  stand  sie  in  Liebesverhältniss  mit  dem  das  Land  beherrschen¬ 
den  Flussgott  Alpheus,  hiess  daselbst  d/lfpftam  ^)  ,  erhielt  mit  ihm 
gemeinschaftlich  einen  Altar  in  Olympia  (§.  33)  und  wird  von  Pin- 
dar  (Pyth.  II,  12)  Flussgöttin  {TtoTafxla)  genannt,  die  auf  Ortygia 
bei  Syrakus  ihren  Wohnsitz  habe. 

Der  Wechsel  der  Jahreszeiten  wurde  noch  besonders  in 
den  drei  Horen  (d.  i.  Zeiten)  persönlich  dargestellt.  Sie  sind  Töch¬ 
ter  des  Zeus  und  der  Themis^),  d.  h.  nach  dem  Willen  des 
Allerhöchsten  laufen  in  unverrückler  Ordnung  die  Jahreszeiten  ab; 
so  lange  die  Erde  steht,  soll  nicht  aufhören  Sommer  und  Winter. 
Wie  unter  ihrem  Tanze  Alles  wachset  und  reifet,  so  sind  sie  auch 
der  Here  Erzieherinnen  ^).  Von  ihrem  Amte,  den  Himmel  und 
Olymp  zu  beschliessen  und  zu  öffnen ,  haben  wir  oben  gehandelt* 
Wie  unter  ihrer  Pflege  zweierlei  Dinge ,  das  Wachsen  und  das 
Fruchlbringen,  erfolgen,  so  haben  die  Athener  vor  Alters  nur  zwei 
Horen  verehrt,  deren  Namen  Thallo  (die  Sprossende)  und  Karpo 
(die  Fruchtbringende)  ^)  in  näherer  Beziehung  zur  Natur  stehen  als 
die  Namen  der  gewöhnlichen  drei,  auf  die  wir  in  der  Lehre  von  der 
bürgerlichen  Ordnung  zurückkommen  müssen.  Die  Horen  »behüten 
den  Sterblichen  die  ländlichen  Arbeiten«  8).  Man  betete  zu  ihnen, 


1)  Orph.  X ,  12. 

2)  Paus.  Arcad.  37,  2.  Vgl.  Vaillant  Nuraism.  Imperat.  p.  192. 

3)  S.  K.  0.  Müller  Prolegomena  zu  einer  wissensch.  Mythologie 

1825.  S.  75  f.  Schob  Pind.  Nem.  I,  3. 

5)  Theog.  901.  Olenus  bei  Pausan.  II,  13. 

7)  Pausan.  II ,  20. 

Theog.  903 :  %()y  copevovai,  nach  den  neuern  Ausgaben,  wie  ich 


221 


sie  möchten  die  auslrocknende  Hitze  ahwenden  und  mit  gemässigter 
Wärme  und  fruchtbarem  Regen  die  Feldfrüchte  zeitigen  •)•  Sie  sind 
schöngelockt  2) ,  und  haben  ein  goldenes  Stirnband  3).  Als  die  neu- 
geborne  Aphrodite  nach  Cypern  geschwommen  kam,  so  empfingen 
sie  freundlich  die  Horen  und  legten  ihr  ambrosische  Gewänder  an, 
ein  goldenes  Diadem,  Ohrringe  und  Halsspangen,  womit  sie  selbst 
geziert  sind,  wann  sie  in  den  Chor  der  Götter  gehen.  So  geschmückt 
führten  sie  die  holde  Göttin  in  den  Kreis  der  Unsterblichen  ein 
Die  Pandora  bekränzten  sie  mit  Frühlingsblumen  5).  Sie  sind  daher 
auch  ein  allgemeineres  Sinnbild  der  Zierlichkeit.  Ein  reinlicher  und 
wohlriechender  Trinkbecher  scheint  an  den  Quellen  der  Horen  ge¬ 
waschen  zu  seyn  6).  Daher  äqa  die  Schönheit,  co^aloq  schön. 

Die  Witterung,  namentlich  heilere  Luft,  erquickender  Regen, 
Gewitter  und  wohlthätige  Winde  wurden  dem  Herrscher  im  Himmel 
unmittelbar  zugeschrieben.  Daher  seine  Beinamen  aidgioq,  vstioq, 
ojußQioq,  %SQavvtoq,  ovQioq,  auch  ,  der  Stürmische,  woher 

der  attische  Herbslmonat  Mämakleriou  seinen  Namen  halle.  Der 
lyrische  Dichter  Alkman  (fragm.  n.  47  p.  57  ed.  Welcher)  macht  den 
Thau  C'E^oa)  zur  Tochter  des  Zeus  und  des  Mondes  (JSslüpa).  Zum 
besondern  Aufseher  der  Winde  hatte  Kronion  den  Aeolus,  Sohn 
des  Hippotes,  Bewohner  einer  schwimmenden  Insel,  bestellt  Q.  Als 
regnender  Zeus  halte  er  im  Westen  von  Sardis  auf  einer  Spitze 
des  Berges  Tmolus  seine  Geburlsslälte  ^),  weil  von  dorther  der  Re¬ 
genwind  in  die  Stadt  Sardis  wehte.  Die  Athener  beteten  zu  ihm  : 
»regne,  regne,  lieber  Zeus,  auf  die  Fluren  der  Athener  und  auf  das 


auch  in  der  Maicianischen  Hdschr.  gefunden  habe;  Demetrius  Trikii- 
nius  schrieb  darüber  die  Erklärung  cpvXdiTzovac,  und  so  hat  auch  der 
Scholiast  der  Schellersheimer  Hdschr.  das  Scholion :  cpvXäaoovoi,  öia 
cpQOvriöoq  exovoi,  woraus  erhellt,  dass  er  nicht  togaiovai  gelesen  ha¬ 
ben  kann  ,  wie  die  Hdschr.  wohl  mit  unsern  altern  Ausgaben  hat  (was 
Graevius  Lectl.  Hes.  p.  634  durch  schön  machen  erklärt). 

’)  Philochorus  bei  Athenaeus,  fragm.  ed.  Lenz.  p.  90. 

2)  lies.  Op.  75.  3)  Horn.  h.  V ,  5.  Horn.  h.  V. 

5)  Hes.  Op.  75.  6)  Theocrit.  Id.  I,  149.  Q  Od.  X,  21. 

8)  Jo.  Lyd.  IV,  48  p.  228. 


_  ooo  _ 

Blachfelcl«  •)  Die  gulen  Winde  schrieb  man  wie  dem  Valer,  so 
auch  seinen  Söhnen ,  den  Dioskuren  zu. 

§.  46. 

Die  Fruchlbarkeil  der  Erde  und  der  T liiere  unter 
göttlicher  Aufsicht. 

Wie  oben  am  Himmel,  so  wallet  Zeus  segnend  auch  unten  auf 
der  Erde  und  befrucblel  den  Scbooss  der  Demeter,  woraus  Per¬ 
sephone  oder  die  Fruchtbarkeit  entsteiget.  Jegliche  Nahrung,  die 
man  im  Sommer  einsammelt,  ist  der  Demeter  Gabe  2).  Sie  hat  den 
Beinamen  xQvadoQoq,  mit  Rücksicht  auf  den  ersten  Stier  (§.  17), 
der  für  den  Ackerbau  nolhwendig  ist.  Die  Feldnymphen,  unter 
deren  Aufsicht  die  Pflanzungen  des  Landmanns  stehen,  sind  daher 
Zeus  Töchter  3),  ebenso  die  Quelluymphen  (xQrjvaiai) ‘*')  und 
die  Wassernymphen  (^Nv/ucpac  Naiddsq  oder  ionisch  Ntj'idßsq') 
J^elztere  wohnen  z.  B.  am  Hafen  in  Ithaka  in  einer  Grotte  und  we¬ 
ben  Gewänder  ^).  Selbst  die  Eingeweide  der  Erde  stehen  unter 
göttlicher  Aufsicht.  Das  Erdfeuer  als  Typhon  personificirt ,  nach 
der  Theogonie  ein  Sohn  des  Tartarus  und  der  Gäa,  wurde  nach  ho¬ 
merischer  Dichtung  von  derselben  Göttin  erzeugt,  welche  die  Mutter 
des  überirdischen  und  irdischen  Feuereiemenles  Hephästos  war.  Und 
zwar  wie  nach  der  Theogonie  Here  wetteifernd  mit  Zeus,  der  die 
Athene  aus  seinem  Haupte  hervorbrachte,  den  Hephästos  allein  aus 
sich  erzeugte,  so  hob  der  Homeride  den  Gegensatz  beider  Feuer¬ 
wesen  also  hervor,  dass  Here  den  Hephästos  mit  dem  himmlischen 
Zeus,  den  Typhon  aber  sie  allein  durch  eigene  Anstrengung  ohne 
Zuthun  ihres  Galten  gebar.  Den  Neugebornen,  weder  den  Göllern 


’)  M.  Antoninns  ad  se  ipsum  V,  7  p.  37. 

2)  Hes.  Op.  32.  Zeus  und  Demeter  sind  o/uolcoioc,  s.  Suidas  s.  v. 
Die  Früchte,  die  Kelter,  die  Tenne  und  der  Pflug  hatten  ihre  vorste¬ 
henden  Gottheiten,  die  daher  eTtixd^Ttcoc ,  iTtiXrjvaioi,  äXcooi  und  .-rpo- 
7JQÖOIOC  hiessen  ,  s.  Maxim.  Tyr.  Dissert.  XIV. 

3)  Od.  VI,  105.  Od.  XVII,  240.  5)  Od.  XIII,  356. 

6)  Od.  XIII,  104. 


223 


noch  den  Menschen  ähnlich ,  übergab  sie  zur  Ernährung  der  pylhi- 
schen  Schlange  ,  von  welcher  alle  Vulcane  auf  Erden  den  verderb¬ 
lich  zischenden  Giflhauch  einsogen.  So  wurde  der  alle  Typhon  ins 
neue  System  übergetragen. 

Ebenso  die  uranische  Aphrodite,  durch  deren  Kraft  Zeus  die 
Geschlechter  der  Menschen  und  Thiere  erhält,  sich  besamen  und 
fortpflanzen  lässt  2).  Anstatt  des  Uranus  wird  Zeus  der  Vater  der 
goldenen  Kytherea^),  und  ihre  Mutter  wurde  Diene  ^).  Diese  war 
nemlich  die  Gattin  des  dodonäischen  Zeus^),  und  hatte  Aehnlich- 
keit  mit  der  phönicischen  Aphrodite.  Die  Münzen  von  Epirus  und 
Dodona  stellen  Zeus  und  Diene  vereint  dar  6).  Ihr  Name  bedeutet  die 
Taube  (von  nsii)  ^),  und  in  dem  libyschen  Tempel  des  Zeus  Ammon, 
wovon  uns  Minutoli  Bildwerke  (T.  X  fig.  2)  gegeben  hat,  erscheint  sie 
an  den  Schenkeln  in  Flügel  gehüllt.  Man  legte  daher  Dione  bald 
wegen  ihres  Begriffes  für  Aphrodite  ®) ,  bald  wegen  ihres  Verhältnis¬ 
ses  zu  Zeus  für  Here  aus  9) ;  man  wusste  sogar  in  Lacedämon  von 
einer  Aphrodite  Hera  *9),  und  nannte  in  Italien  Zeus  Gattin  von 
Dione,  wie  es  scheint,  Juno.  Die  ägyptisch  dodonäische  Dione  war 
mit  der  phönicischen  Göttin  Aschtoret  (Aphrodite),  so  wie  Ammon 
(der  Gatte  der  Dione)  mit  Adonis  (dem  Gatten  der  Aschtoret)  ur¬ 
sprünglich  einerlei,  und  es  sind  nur  verschiedene  Namen  oder  Bei¬ 
namen  einer  und  derselben  Gottheit;  wie  aus  Folgendem  erhellet. 
Der  ägyptisch  thebanische  Ammon  hiess  in  der  Landessprache  nach 
Platon  (Phaedr.  13i  p.  274  D)  Qafiovq ,  nach  Herodot  (H,  42)  '‘A/n- 
/jiovq,  nach  Plularch  (de  Isid.  c.  9)  ^A/j-ovq.  Nun  hiess  aber  ein  sy- 


^)  Hom.  h.  in  Apoll.  316  ff.  Hom.  b.  III  in  Vener.  3. 

3)  II.  312.  Od.  y,  308.  II.  370.  Eiirip.  Hel.  1098. 

3)  Demosth.  in  Mid.  15  p.  531.  de  fals.  legal,  c.  Aeschin.  p.  437 
und  in  epist.  IV  c.  Theraraenem.  Strabo  VII  p.  329. 

Jak.  Gronov.  zu  Stephanus  Dodone. 

2)  In  der  saraaritaniscben  Mundart  wird  nach  Cellarius  Gramm, 
c.  5  häufig  der  Buchstabe  d,  sowie  in  der  etruskischen  Sprache  t  (Tara 
für  Hera),  als  Artikel  vorgesetzt. 

**)  Servius  ad  Aen.  HI,  466:  Jovi  et  Veneri  templum  (dodonaeum) 
a  veleribus  fuerat  consecratum, 

9)  Paus.  V,  15.  19)  Paus,  ni,  13. 


224 


rischer  Gott,  über  dessen  Schicksal  Weiber  zu  weinen  pflegten, 
Tammus  (Ti>sr)  nach  Hesekiel  8,  14,  welchen  schon  Hieronymus 
zu  dieser  Stelle  für  gleichbedeutend  mit  Adonis  hielt.  Auch  hiess 
der  Monat,  in  welchen  sein  Fest  fiel,  in  Palästina  und  Syrien  und 
noch  jetzt  im  jüdischen  Kalender  Tamrauz  i).  Dieser  Name  hängt 
ohne  Zweifel  mit  der  hebräischen  Wurzel  tnan  (erstaunen)  zusam¬ 
men,  und  bedeutete  der  Erstaunens  würdige,  während  der  andere 
Name  desselben  Gottes  Adoni  mein  Herr  bezeichnete  ^).  Hieraus 
erhellet  die  merkwürdige  Einerleiheil  des  thebanischen  und  des  phö- 
nicischen  Gottes,  und  um  so  natürlicher  wird  cs  erscheinen,  dass 
jener  ein  Taubenweib,  Dione,  zur  Gattin  halte,  wie  auch  dieser  die 
Aschloret,  und  dass  sowohl  jene  als  diese  für  Aphrodite  erklärt 
wurde  und  mit  Aphrodite  zusammenfiel,  in  Griechenland  aber  Dione 
als  die  ältere  und  mehr  veraltete  zur  Ehre  der  Mutterschaft  der 
Aphrodite  erhoben  wurde.  Theils  wegen  ihrer  Herkunft  aus  Afrika, 
Iheils  um  die  hesiodische  ältere  Fabel  von  der  Entstehung  der  Aphro¬ 
dite  aus  dem  Meere  zu  berücksichtigen ,  machte  man  die  liebliche 
Dione  zu  einer  Okeanine  ^). 

Hermes  war  Aufseher  über  alle  T  hie  re,  zahme  und  wilde, 
und  über  ihre  Erzeugung  ^).  Nach  dem  trojanischen  Krieg  (800 
Jahre  vor  Herodot,  wie  er  selbst  II,  145  angibl)  wurde  der  ägyp¬ 
tische  M  en  d  es,  mit  welchem  Namen  man  sowohl  den  Bock  als 
einen  der  acht  ältesten  Göller  bezeichnete  ^),  in  Griechenland  be¬ 
kannt.  Die  Griechen  benannten  ihn  Pan  und  bildeten  ihn,  wie  die 
Aegypler,  mit  einem  Ziegenangesicht  und  Bocksfüssen  ab.  Diese 
mannweibliche,  doppelgeslaltele  (Sicpvtjg)  Bildung  lässt  vermulhen, 
dass  er  der  ägyptische  Hermaphrodit,  der  grosse  Nalurleib  mit  all 


*)  Michaelis  de  mensibus  Hebraeor.  p.  29  sq. 

2)  Vgl.  die  Nachweisungen  über  den  Thamnaus  bei  Creuzer  Symb. 
dritte  Ausg.  II  S.  417  ff.  Jedoch  die  Hauptstelle  aus  Platon,  die  den 
Schlüssel  zur  Erklärung  abgibt  und  die  Brücke  aus  Aegypten  nach  Phö- 
nicien  baut,  war  bisher  unbeachtet  geblieben. 

3)  Theog.  353. 

'’>)  II.  XIV,  491.  Theog.  444.  Hotn.  h.  II  in  Mercur.  567. 

Ilerod.  II,  46.  Zu  diesen  acht  ersten  Göttern  gehörte  auch 
Lelo,  Her.  II,  156, 


225 


den  männlichen  und  weiblichen  Zeugungspotenzen  ursprünglich  war. 
Damit  stimmt  sein  griechischer  Name  Ildp  (All)  i)  und  die  Ausdeu¬ 
tung  des  Orpheus  überein,  welcher  den  Pan  »den  starken  Gott  nennt, 
das  Weltall,  Himmel,  Erde  und  Meer  und  das  unsterbliche  Feuer, 
denn  das  seyen  Glieder  des  Pan.«  Pindar  (Pyth.  III,  139  das.  Schob) 
nennt  ihn  den  Begleiter  der  grossen  Mutter  (Cybele)  2)  und  nach 
ägyptischer  Priesterlehre  den  vollkommensten  Tänzer  unter  den  Göt¬ 
tern  (fragm.  p.  29),  der  nach  einer  pindarischen  Ode  getanzt  haben 
soll  (fragm.  p.  50).  Er  selbst  soll  an  sein  Haus  der  Mutter  der  Göt¬ 
ter  und  dem  Pan  Bildnisse  gesetzt  haben  2).  Auf  seinem  Altar  zu 
Olympia  brannte  ein  ewiges  Licht  ^),  und  die  Athener  hielten  ihm 
und  dem  Prometheus  zu  Ehren  einen  Fackellauf  5).  In  dieser  um¬ 
fassenden  Bedeutung  konnte  sich  Pan  freilich  nicht  mit  dem  griechi¬ 
schen  Olymp  und  dem  Herrscheramt  des  Zeus  vertragen;  er  sank 
daher  zu  der  untergeordneten  Rolle  eines  Hirleugottes  herab ,  und 
wurde  ungefähr,  was  der  Hermes  der  Pelasger  in  engerer  Bedeu¬ 
tung  war  6).  Hermes  selbst  in  Bocksgestalt  soll  ihn  mit  der  Gattin 
des  Odysseus,  Penelope,  der  schöngelockteu  Nymphe  des  arkadi¬ 
schen  Dryops,  erzeugt  haben,  dessen  Schafe  Hermes  aus  Liebe  zur 
Tochter  hütete  ^).  Nach  Andern  waren  Kronos  und  Rhea  seine  El¬ 
tern,  der  Aether  oder  Zeus  sein  Vater,  seine  Mutter  Kallisto,  oder 
die  Nymphe  Hybris  (oder  Thymbris),  oder  die  Nymphe  Oeneis  *). 


^)  Bei  diesem  Zusammentreffen  haben  wir  nicht  nöthig,  zu  aus¬ 
ländischen  Etymologien,  die  weniger  bezeichnend  sind,  dergleichen 
Creuzer  Symb.  IV  S.  58.  208  Noten  anführt,  unsere  Zuffucbt  zu  nehmen. 

2)  Plut.  Erot.  p.  758. 

•^)  Aristodemus  bei  Schob  Find.  Pyth.  III,  137. 

'•)  Paus.  V,  15.  S)  Herod.  VI,  105. 

6)  Steph.  B.  V.  llavbq  Ttöhq. 

2)  Hom.  h.  in  Pana  XVIII,  34.  Plat.  Phaedr.  103  p.  263  D  Cra- 
tyb  p.  408  B.  Herod.  II,  145.  Cic.  N.  D.  III,  22  p.  609  ed.  Creuzer 
u.  das.  Davies.  Lucian.  Dial.  Deor.  XXII  T.  II  p.  76  Bip,  Pans  Geburt 
.  wird  auf  einem  Grimanischen  Marmorrelief  in  Venedig  dargestellt,  wie 
der  Homeride  sie  beschreibt,  dass  die  Mutter  beim  Anblick  des  ziegen- 
füssigen,  zweihörnigen  Enäblein  aufsprang  und  die  Amme  davon  lief. 

8)  Jo.  Lyd.  de  mens.  p.  274  Roeth.  Schob  Theocr.  v.  3.  123. 
Apollodor.  I,  4,  1. 


15 


226 


Als  Hirlengott  (yofiioq)  bläst  er  die  Ilirtenpfeife  ^),  wandelt  in  Ge¬ 
meinschaft  mit  den  Bergnyraphen  auf  den  Bergspitzen,  wendet  sich 
bald  zu  den  Flüssen,  bald  schreitet  er  auf  steilen  Felsen,  Schnee¬ 
bergen  und  Einöden,  bald  erlegt  er  Wild  in  den  Wäldern  2).  Aus 
diesem  Grunde  leitete  man  die  Verrücktheit  von  Pan  oder  Hekate 
oder  den  Korybanten  oder  der  Bergmutter  Rhea  ab  3). 

§.  47. 

Fortsetzung.  Dionysos. 

Dionysos,  der  fröhliche  Geber  des  Weinstocks,  der  grosse 
Besamer,  welcher  sich  von  dem  pelasgischen  Hermes  und  dem  ägyp¬ 
tischen  Osiris  den  Phallus  und  von  Hephästos  die  Geburt  aus  dem 
Feuer  aneignete ,  ging  aus  den  Lenden  des  Vaters  Zeus  (f.irjQoyav7jg) 
hervor,  und  wurde  durch  Abstammung  und  Mythengeschichte  mit 
den  verwandten  Nalurgöttern  verflochten.  Seine  Mutter  war  Perse¬ 
phone,  welche  Genealogie  eine  Erfindung  der  Athener  zu  seyn 
scheint^);  während  die  Thebaner  die  Priesterin  Semele,  des  Kad- 
mus  Tochter,  zur  Ehre  der  Mutterschaft  erhoben  5).  Er  war  Bei¬ 
sitzer  der  Demeter*»).  In  ihrem  Tempel  zu  Athen 

verfertigte  Praxiteles  ihr,  der  Tochter  und  des  Jacchos  Bildniss.  An 


1)  Hom.  h.  XVIII,  15. 

2)  Hom.  1.  c.  6.  Aeschyl.  Pers.  446  ib.  Schol. 

3)  Eurip.  Hippolyt.  141  ff. 

Arrian.  de  expedit.  Alex.  II,  16.  Cic.  N.  D.  HI,  23  u.  das. 
die  Nachweisungen  des  Davies  p.  617  f.  ed.  Creuzer,  wozu  hinzuzu¬ 
fügen  Jo.  Lydus  IV,  38  p.  198.  Eurip.  Orest.  952  ÜSQaacpövrj  xaXXt- 
naiq,  ihr  Sohn  ist  nach  dem  Schol. 

5)  Theog.  940  IT.  Ilom.  h.  VI ,  57.  Eurip.  Phoen.  649.  In  The¬ 
ben  hatten  auch  von  Alters  her  Persephassa  und  Demeter  ihren  Wohn¬ 
sitz:  Eurip.  1.  c.  684  f. 

Pindar  Isthm.  VII,  3.  —  Diodor  III,  62  geht  noch  weiter  und 
macht  den  Dionysos  zum  Sohn  des  Zeus  und  der  Demeter,  und  Apol¬ 
lodor  fragm.  p.  399  ed.  Heyne  zum  Sohn  des  Zeus  und  der  Erde.  Diese 
Genealogie  setzte  sich  bei  den  Römern  fest ,  bei  welchen  Liber  und 


_  007  ^ 

-  ^mä  i 

eioetn  Tage  der  Eleusinien  wurde  Dionysos  als  Knabe  unter  dem 
Namen  Jacchos  mit  dem  Myrtenkranz  auf  dem  Haupte  in  den  Tem¬ 
pel  der  Demeter  nach  Eleusis  gebracht;  und  bekanntlich  war  dieser 
Knabe  der  leidtragenden  Demeter  in  ihrem  Kummer  ein  Trost,  wie 
wir  oben  gesehen  haben.  Seine  Verbindung  mit  den  Mysterien  der 
Demeter  erklärt  sich  am  natürlichsten  aus  der  ägyptischen  Religion, 
wo  Isis,  von  den  Griechen  für  Demeter  ausgelegt,  Gattin  des  Osiris 
(Dionysos)  war.  Sophokles  (Antig.  1119)  singt:  »Du  herrschest  in 
dem  allumfassenden  Busen  der  eleusinischen  Deo.®  Suidas 
legt  den  Namen  Jacchos  aus:  der  an  der  Mutter  Brust  liegende; 
was  Bochart  (Canaan  p.  442)  auffasst  und  aus  dem  Syrischen  für 
Säugling  erklärt» 

Hermes  ist  zwar  nicht  Vater  des  Dionysos  geworden,  weil  er 
in  dem  neuen  System  eine  mehr  untergeordnete  Rolle  spielt;  allein 
er  ist  doch  um  den  neugebornen  Gott  geschäftig.  Bei  der  Geburt 
des  Dionysos  soll  er  behülflich  gewesen  und  die  Hüfte  des  Zeus  er¬ 
öffnet  haben  ').  Zeus  übergab  das  Bacchuskind  dem  Hermes,  es  zu 
Ino  und  Athamas  zur  Erziehung  zu  tragen  2).  Cephisodotus  bildete 
so  den  Hermes  als  Träger  des  Kindes  3);  der  Meisel  des  Praxiteles 
schuf  eine  Marmorgruppe,  wo  Hermes  den  jungen  Dionysos  trug''*). 
Auch  auf  uns  sind  alle  Bildwerke  dieser  Art  gekommen  5).  Er  war 
bei  diesem  Geschäfte  nicht  blos  Götterbote,  sondern  führte  seinen 
Nachfolger  in  die  Welt  ein-  So  wie  Hermes  in  einer  Grotte  aufer¬ 
zogen  wurde,  so  wuchs  auch  Dionysos  von  den  Nymphen  gepflegt 
in  einer  duftenden  Grotte  auf  6).  Die  Amme  soll  das  neugeborne 


Libera  (Dionysos  und  Persephone)  Kinder  der  Ceres  waren  (Cicero 
N.  D.  II,  24). 

1)  Eudocia  p.  118. 

2)  Eurip.  Bacch.  84.  495.  Apollodor.  III,  4,  3.  Zu  den  Nym¬ 
phen  zu  tragen,  sagen  Nonnus  p.  250  und  Athen.  XI,  13. 

3)  Paus.  Lacon.  18,  7.  ^)  Paus.  V,  17. 

5)  Welcher  Zeitschr.  für  Gesch.  und  Auslegung  d.  a.  Kunst  1 ,  3. 
S.  500  ff.  Taf.  V  n.  23.  VI  n.  24.  25.  26.  27.  Die  letzte  Abbildung 
eines  geschnittenen  Steines  zeigt  den  Hermes,  wie  er  das  Kind  dem 
Zeus  vorhält.  Zoega  Bassirilievi  antichi  di  Roma  T.  III. 

ß)  Horn.  b.  XXV  ,  6. 


228 


Kind  zuerst  an  der  Quelle  Kiaaovoa  in  ßöolien  mit  angenehmem 
klarem  Wasser  gewaschen  haben  Q.  In  Lydien  war  die  Amme  des 
Dionysos  Ma  (Mä,  Mutter);  so  hiess  bald  Rhea  bald  eine  ihrer  Die¬ 
nerinnen  2),  und  erinnert  an  Maja ,  die  Mutter  des  Hermes  (S.  101). 
An  seinem  Feste  hielten  die  Griechen  einen  Aufzug  mit  einem  lan¬ 
gen  männlichen  Gliede,  Phallos  genannt.  Diess  war  zwar  nach  der 
Bemerkung  Herodols  (n,  <18  f.)  von  den  Aegyptern  entlehnt,  welche 
am  Osirisfeste  etwas  Aehnliches  hatten;  allein  Hermes  mit  dem  ste¬ 
henden  Gliede  war  ohne  Zweifel  zugleich  Vorbild  jener  bacchischen 
Naturfeier.  In  der  ältesten  ßildnerei  hatte  Dionysos  auch  den  Bart 
mit  Hermes  und  Osiris  gemein,  welchen  er  nachher  mit  üppigen  ju¬ 
gendlichen  Formen  vertauschte,  um  das  stets  frische  Leben  der  sich 
verjüngenden  Natur  auszudrücken.  Wie  der  unterirdische  Hermes 
mit  Persephone  das  Loos  ihrer  Höllenfahrt  theilte ,  so  wusste  man 
gleichfalls  von  einem  unterirdischen  (/(?oV/o^)  Dionysos  3).  Wenn 
Hermes  den  Schlangenstab  hatte  und  in  den  samothracischen  und 
römischen  Penaten  wahrscheinlich  selbst  als  solcher  vorgestellt  wurde, 
so  sollte  den  Dionysos  Zeus  in  Schlangengestalt  mit  Persephone  er¬ 
zeugt  haben  ^),  und  die  Schlangen  waren  ein  ständiges  Sinnbild  in 
den  bacchischen  Orgien  ^  ;  die  Bacchantinnen  pflegten  in  den  Hän¬ 
den  Schlangen  zu  haben  ß).  Wie  Hermes  ein  Sohn  des  Kratos  oder 
Valens  (Macht)  war,  so  kennt  Cicero  (N.  D.  HI,  23)  einen  Diony¬ 
sos  als  Sohn  des  Kabirus  nach  der  richtigen  Verbesserung  des 
Jakob  Gronovius  ^).  Kabirus  aber  sagt  auf  hebräisch  ,  was  Kratos  auf 
griechisch  oder  Valens  auf  lateinisch  8).  Und  mau  rief  den  Dionysos 


*)  Plutarch  in  Lysandro  c.  28.  Stephan.  B.  v.  Mdarav^a. 

3)  Etymol.  M.  u.  Suidas  in  ZayQsvg. 

'^)  Athenagoias  Legat,  pr.  Christ,  p.  20.  Clemens  Prolrept.  und  aus 
ihm  Euseb.  Pracp.  Ev.  II,  3  p.  64. 

Clem.  Prolr.  p.  11.  6)  Eudocia  Violar.  p.  87.  118. 

Er  verglich  den  Ampelius  e.  9;  wozu  jetzt  noch  Jo.  Lydus  IV, 
38  p.  198  gelugt  werden  kann. 

®)  Es  ist  daher  nicht  ein  verschiedener  Dionysos,  wie  Cicero  un¬ 
terscheidet,  sondern  nur  eine  andere  Abstammung  desselben  Gottes; 
wesswegen  Diodor  III  p.  197.  IV  p.  212  demselben  Dionysos  Sabazios 
zu  Eitern  Zeus  und  Persephone  gibt. 


229 


selbst  als  Allmächtigen  (jtayy.QaTi)q)  au  ^).  Wenn  die  Penaten  in 
Troja  Hermesstäbe  und  Irdengeschirr  waren  (s.  oben),  so  hatte  Dio¬ 
nysos  das  Geschirr  zum  Eigenthum^),  wie  wir  auch  aus  vielen 
bacchischen  Vorstellungen  auf  alten  gebrannten  Vasen  ersehen.  Die 
Manchfaltigkeit  der  Lebensformen  wurde  sinnbildlich  durch  die  Vasen 
ausgedrückt;  wie  denn  Dionysos  selbst  der  buntgeslaltele  {aloloixoQ- 
cpog)  hiess  3).  Daran  erinnerten  die  Allen  in  den  Stätten  des  Todes, 
und  legten  mehrere  Vasen  von  den  verschiedenartigsten  oft  seltsam¬ 
sten  Formen  in  die  Grüfte,  um  die  tröstliche  Wahrheit  darin  nieder¬ 
zulegen:  die  Lebensgeslalten  der  Natur  sind  unerschöpflich;  ihre  Ge- 
fässe  sind  wohl  zerbrechlich,  aber  ist  eines  gebrochen,  so  tritt  das 
Leben  in  einem  andern  hervor;  du  stirbst,  aber  es  ist  nur  ein  Wech¬ 
sel  des  Gefässes.  Zur  Beisetzung  der  Asche  des  Achilleus  gab  da¬ 
her  seine  unsterbliche  Mutter  Thetis  einen  goldenen  Aschenkrug, 
welcher  als  metallen  zwar  von  Hephästos  verfertigt  wurde,  allein  doch 
des  Dionysos  Geschenk  war  ^).  Dionysos  selbst  begrub  zu  Argos 
seine  Ariadne  in  einem  irdenen  Sarge®),  und  die  Athener  dachten 
sich  ein  ehrliches  Begräbniss  und  das  Milgeben  einer  Todtenvase, 
wofür  es  besondere  Künstler  oder  Handwerker  gab,  unzertrennlich 
zusammen®).  Der  Neuplatoniker  Hermias  (ad  Plat.  Phaedr.  p.  94 
ed.  Ast)  nennt  daher  den  Dionysos  Aufseher  über  die  Polin- 
genesie  aller  in  die  Sinnenwelt  herabgekommenen  Wesen.  Nach 
einer  argivischen  Fabel  stieg  Dionysos  durch  den  alkyonischen  See 
in  die  Unterwelt,  seine  Mutter  Semele  zurückzuführen,  und  man 
feierte  ihm  daselbst  alljährlich  nächtliche  Feste  ^).  Wenn  Hermes 
dem  Namen  nach  (s.  oben)  der  täuschende  Sinnengott  ist  und  A- 
phrodite  nach  ihrem  Beinamen  anätovgoq,  so  halle  auch  Dionysos  das 
Prädicat  der  täuschende  {änatovQioq)  8) ,  und  das  Fest  der  Apaturia 
soll  ihm  geweiht  seyn.  Wenn  Hermes  und  Aphrodite  in  geschlechtlicher 


0 

2) 


Jo.  Lydus  IV,  38  p.  200. 

Porphyrius  de  anlro  Nymph.  c.  13  p.  14. 

Orpb.  h.  L  (XLIX)  v.  5.  Od.  XXIV,  74. 

Paus.  Corinth.  c.  23  z.  Ende, 

Aristoph.  Ecclesiaz.  533.  989.  1024. 

Paus.  Corinth.  37,  5.  Apollodor.  III,  5,  1. 
Nonnus  Dionys.  XXVII,  302  p.  716. 


230 


Vereinigung  vorstellig  gemacht  wurden,  so  wurde  auch  Dionysos 
Mannweib  {uQGSvudrjlvq)  *)  und  der  weiblich  Gestaltete  (ßrjlvfxo^- 
cpoq'^'),  yvviq genannt  und  als  solcher  abgebildet; 

gerade  wie  sein  Vorbild  Adonis  als  Mädchen  und  Knabe  zugleich 
[xovQT]  Y.a\  xÖQoq)  angerufen  wurde  ^).  Wenn  Hermes  als  Bock  den 
Pan  erzeugt  haben  sollte  ,  so  war  dieses  geile  Thier  auch  dem  Dio¬ 
nysos  heilig  und  sein  gewöhnliches  Opfer.  In  seinem  Gefolge  fabelte 
man  die  Satyrn  d.  i.  Dämonen  mit  ßocksohren.  Dieser  Fabel  lag 
ein  morgenländisches  Mährchen  von  bocksgestalteten  Waldmenschen 
zu  Grunde.  Der  Name  schon  ist  semitisch,  niya  bedeutet  Bock ,  und 
Jesajah  13,  21.  34,  14  weiss  von  einer  Mehrheit  von  Satyrn,  die 
einander  zurufen  und  in  Einöden  tanzen.  Aehnliche  fabelhafte  Ge¬ 
stalten  hatten  die  Araber  in  Menge  ®).  Man  hielt  nun  den  Satyr 
für  den  Erzieher  des  Dionysos,  und  Plinius  (H.  N.  XXXVI,  4,  8) 
erwähnt  eines  Bildes,  wo  Satyr  das  weinende  Bacchuskind  schweigt. 
Ein  im  ähnlichen  Geschäfte  begriffener  Silen  ist  auf  uns  gekommen  0. 
Die  Silene  hielt  mau  nemlich  für  alte  Satyrn  S),  die  den  Gott  zu 
begleiten  pflegen.  Silen  von  (Sorglosigkeit,  Ruhe)  abgeleitet, 

entspricht  seinem  Begriffe  und  den  bildlichen  Darstellungen  von  ihm. 
Er  ist  eine  Personification  von  Ivaioq,  ein  Sohn  des  Hermes  oder 
des  Pan ,  nach  Andern  aus  den  Blutstropfen  des  Uranos  entsprossen  9). 

Wie  das  Lebensfeuer  in  dem  Hephästos  alten  Styls  verkör¬ 
pert  war,  wie  bei  Hochzeiten  die  Lebensfackel  des  Hymenäus 
Rackerte,  und  der  Todesgeuius  dieselbe  umstürzte  und  verlöschte, 
so  wurde  diese  Idee  auch  auf  den  neuen  Lebensgott  Dionysos  über¬ 
getragen.  Semele  hat  ihn  unter  dem  Wetterstrahl  des  Zeus  zur 
Welt  gebracht  *9).  Zeus  nimmt  hierauf  das  sechsmonatliche  Kind 


*)  Jo.  Lydus  IV,  95  p.  292. 

9)  Philochor.  bei  Euseb.  Chron.  P.  II  p.  125.  fragm.  ed.  Lenz.  p.  21. 
3)  Lucian.  Dial.  Deor.  II  p.  51  ibiq.  Hemsterhuis.  p.  297. 

')  Nicetas  in  Cieuzer.  Melelem.  I  p.  21. 

Orph.  b.  LVI  (LV),  4.  6)  Bocbart.  Hieroz.  II  p.  844. 

Welcker  akadem.  Kunstmuseum  zu  Bonn  S.  37. 

Etym.  M.  in  SetXijpoi.  Serv.  ad  Virg.  Ecl.  VI  ,  14.  Nonuus 
Dionys.  XIV,  101.  9)  Serv.  ad  Virg.  Ecl.  VI,  13. 

*9)  Eurip.  Baccb.  3. 


231 


von  der  enlseellen  Mutter  und  näht  es,  um  die  zarte  Frucht  zu  zei¬ 
tigen,  in  seine  Lenden  ein*).  Dionysos  ist  daher  der  Feuergeborne 
{nvQiysvrjq,  7tvQLroy.oq)^)\  was  Johannes  Lydus  (p.  292)  richtig  auf 
den  warmen  und  fortzeugenden  Lebenshauch  deutete.  Er  hatte  auch 
selbst  wie  sein  Vater  den  Blitz  in  der  Hand  und  hiess  der  Donnerer 
(iglß^üfioq)  3),  Wie  der  Morgenländer  von  einem  Sohne  aussagte, 
er  sey  aus  den  Lenden  seines  Vaters  geboren  ,  so  war  Dionysos  als 
Urheber  alles  irdischen  Daseyns  aus  den  Lenden  des  Vaters  Zeus 
hervorgegangen  {iJ.i]goT^acprjq) Hephästos,  vormals  das  Lebens¬ 
feuer  der  Natur,  wurde  nunmehr  ein  Feuerkünstler  in  der  Schmidt¬ 
esse;  was  die  Fabellehre  dadurch  andeutete,  dass  Here  diesen  ihren 
Sohn  wegen  seines  Hinkens  fernliin  an  den  Okeanos  warf,  wo  er 
neun  Jahre  lang  schmiedete  3).  Der  schleppende  Gang  der  Schmidte 
ist  nun  wohl  der  Grund  seines  Hinkens.  Nur  als  Künstler  in  Me¬ 
tallen  fand  er  hinfort  Zutritt  zu  den  Göttern.  Dionysos,  hiess  es  be¬ 
deutsam^),  machte  den  Hephästos  trunken  und  schickte  ihn  zum 
Himmel  zurück. 

In  Chios  hatte  Dionysos  den  Beinamen  q^Xsvq  (nagä  xb  smag- 
er  hiess  auch  der  Baumgott  (ösvdgLxrjq')^).  Unter  allen 
Pflanzen  aber  ist  der  Weinstock  die  am  meisten  üppig  wuchernde 
und  rankende,  die  in  einem  einzigen  Sommer  einen  Wald  von  Schos¬ 
sen  treibt;  desshalb  scheint  mit  Rücksicht  auf  die  edle  Gabe  des 
Weins,  die  davon  gewonnen  wird ,  dieses  Gewächs  vorzugsweise  dem 
zeugenden  und  Frucht  schatTenden  Gott  Dionysos  gewidmet  worden 


*)  Apollodor.  III,  4,  3. 

2)  Jo.  Lydus  p.  200.  292  und  Moser  zu  Nonnus  p.  216. 

3)  Hom.  h.  XXV,  1.  Vgl.  Creuzer  Dionys,  p.  251  ff. 

''»)  Jo.  Lydus  p.  292. 

3)  II.  XVIII,  395  ff.  Wir  haben  oben  S.  104  diese  Fabel  in  ihrer 
ersten  kosmischen  Bedeutung  ausgelegt. 

6)  Paus.  Att.  20 ,  2. 

7)  Etymol.  M.  s.  v.  cpX(ä.  Eine  verschiedene  Schreibart  finden 
wir  bei  Schol.  Apollon.  Argon.  cp}.v£vq,  auch  cpXioq,  cpXsToq  bei  Etymol. 
V.  ycgioq ,  oder  cpXeuiv  bei  Aelian.  V.  H.  III,  41. 

8)  Pindar.  fragm.  125  ed.  Boeckh.  Plutarch.  Sympos.  Qu.  V,  3,  1. 
Schwarz.  Miscellan  politior.  humanit.  p.  69. 


232 


zu  seyn  *);  nicht  als  beschränkte  sich  seine  Bedeutung  allein  auf  den 
Wein,  wie  der  Antisymboiiker  Voss  wähnte,  sondern  weil  der  Wein¬ 
slock  zugleich  ein  passendes  Sinnbild  seiner  andern  Kräfte  und  Gü¬ 
ter  ist.  In  Phönicien  und  Palästina  war  der  Weinbau  vpn  Alters  her 
einheimisch.  Mit  dem  Gotte  scheint  daher  auch  seine  Pflanze  und 
deren  Anbau  nach  Griechenland  gekommen  zu  seyn.  Er  wird  schon 
bei  Hesiod  (Theog.  9it)  als  der  fröhliche  Gott  {noXvyrjdtiq)  und  bei 
Homer  (11.  VI,  132)  als  der  rasende  eingeführl;  er  ist  der  Trauben- 
golt  (nolvaxdcpv'koq'^') ,  oxacpvltxrjq  ^ ,  der  Keltergott  (Xijvaioq')^  als 
welcher  er  zu  Athen  io  der  Stadt  einen  Tempel  halte  ^).  Sein  gan¬ 
zer  Dienst  halle  daher  einen  ausschweifenden  Charakter;  in  welcher 
Beziehung  ihn  der  Homeride  (h.  VI ,  56)  als  den  lautrauschenden 
i^i^LßQoiJ.oq')  zu  bezeichnen  scheint.  In  Asien  und  Thracien  halle  er 
den  Beinamen  Saßd^coq  und  sein  Fest  hiess  Sabazia,  von  tcsö, 
Wein  saufen  6).  Sabazius  heisst  auf  hebräisch  so  viel  als  Oeno- 
pion  auf  griechisch,  wie  sein  Sohn  in  Kreta  hiess.  An  seinen  Fe¬ 
sten  wusste  man  von  Wundergeschichteo.  In  Elis  brachten  die  Prie¬ 
ster  an  dem  Bacchusfesle  drei  leere  Kessel  versiegelt  in  den  Tem¬ 
pel,  welche  den  Tag  darauf  mit  Wein  angefüllt  gefunden  wurden^). 
Die  Lakonier  behaupteten,  am  Bacchusfesle  auf  dem  Berge  Lasyrium 
eine  reife  Traube  zu  finden  *). 

Wenn  die  Rebe  als  Geschenk  und  zugleich  als  Sinnbild  des  üp¬ 
pigen  Wachslhums  dem  Dionysos  heilig  war,  so  war  ihm  der  Ep  heu 
als  Symbol  des  immergrünen  Nalurlebens  geweiht  9) ;  wie  er  schon 
in  Aegypten  des  Osiris  Pflanze  hiess  i“).  Damit  erschienen  er  und 


Hom.  h.  VI,  35.  2)  Ilom.  h.  XXV,  11. 

3)  Aelian.  V.  H.  III,  41.  Hesych.  v.  Xtjvaioq. 

5)  Diodor.  III  p.  197.  IV  p.  212  und  Davies  zu  Cic.  N.  D.  III, 
23  p.  618  Creuzor.  Schob  Aristoph.  Vesp.  9:  Saßd^tov  röv  Jidvvaov 
oi  Ogä-nsq  xaXovat,  Eine  Verwechslung  aus  Missverständniss  des  Kle¬ 
mens  scheint  es  zu  seyn ,  wenn  Firmicus  de  errore  prob  relig,  von 
einem  Juppiter  Sabazius  spricht. 

Hammer  in  den  Wiener  Jahrb.  1818  leitet  den  Namen  ge¬ 
zwungen  von  Sebes  ab,  das  im  Persischen  grün  bedeutet. 

7)  Paus.  VI,  26,  1.  8)  Paus.  III,  22,  2. 

Ilom.  h.  VI,  40.  Phit.  de  Is.  p.  498  Wyttenbacb. 


233 


seine  Diener  gewöhnlich  bekränzt;  er  hiess  *) ,  auch  cpt,- 

Xooricpavoq  2).  Die  Dorier  nannten  einen  Kranz  ßd^xog  ,  die  Si- 
cyonier  einen  Rlumenstrauss  ^axy.a  4).  So  wie  er  dem  Schoosse  der 
Mutter  entsank ,  spross  an  den  Säulen  des  Palastes  zu  Theben  Epheu 
auf,  den  Knaben  in  seinem  Schatten  zu  bergen  5).  Man  leitete  sei¬ 
nen  Beinamen  Säuleugott  (TrspiMÖvcog)  davon  ab  ^);  allein  schon 
ägyptisch  phönicische  Fabeln  scheinen  hiezu  Anlass  gegeben  zu  ha¬ 
ben:  der  Sarg  des  Osiris  wurde  bei  der  Stadl  Byblos  von  einer 
Erikastaude  umwachsen;  woraus  der  phönicische  König  Malkander 
eine  Säule  für  seinen  Palast  verfertigen  liess.  Man  wollte  ohne  Zwei¬ 
fel  damit  andeuten,  dass  das  Feste,  die  Säule,  der  Beweglichkeit  und 
Veränderlichkeit  des  Lebens  entgegen  stehe.  Der  Säuleugott  zeigte 
die  dem  täuschenden  (^aTtarov^ioq)  Dionysos  entgegengesetzte  Seite 
an.  Ueber  den  Wandlungen  des  bacchischen  Lebens  steht  der  Gott 
als  der  Urheber  des  Wechsels  fest  und  unverrückt;  obgleich  in  der 
Erscheinungswelt  Truggestalten  abwechseln,  so  ist  gleichwohl  eine 
stete  Fortdauer  des  Lebens.  Der  Grieche  wählte  daher  zu  jener 
Säule,  welche  den  Gott  der  Beständigkeit  über  dem  Unbestand  des 
irdischen  Lebens  bezeichnete,  sinnvoll  den  Epheu  als  ein  Bild  des 
immergrünen  Daseyns. 

Ein  Rebschoss  mit  Epheuzweigen  umwunden  war  der  ursprüng¬ 
liche  Thyrsus,  der  dem  Dionysos  und  seinen  Dienern  eigenthüm- 
liche  Zweigt),  Das  Gewild,  Hirschkälber,  Panther  u.  dergl.  sind 
Eigenthum  des  Dionysos  als  des  freien  Herrn  der  Natur,  seine  Frei¬ 
heit,  Macht  und  Grösse  zu  bezeichnen  ;  und  das  buntgefleckle  Pan¬ 
therfell ,  womit  er  oder  sein  Polster  bekleidet  war,  enthielt  zugleich 
eine  Andeutung  von  den  bunten  Gestalten  der  Erscheinungswelt,  de¬ 
ren  Urheber  er  war. 

Als  Jahresgott  bekränzen  ihn  die  Horen  mit  Epheu®),  und 
schon  Amphiktyon  soll  ihm  einen  Altar  in  einem  Heiligtbum  der 


1)  Hom.  h.  XXV,  i.  2)  piin.  h.  N.  XVI,  4, 

Nicander  in  Lex.  rhetor.  ms.  in  Bekkeri  Anecd.  gr.  p.  224. 

'•)  Philetas  bei  Athen.,  fragm.  ed.  Kayser  p,  78. 

•5)  Mnaseas  in  den  europäisch.  Gesch.  bei  Schob  Eurip.  Phoen.  651. 

Mnaseas  a.  a.  0.  Orpheus  h.  XLVI.  Vgl.  Creuzer  Symb.  IV  S.  10. 
7)  Eorip.  Bacch.  308.  8)  Nonnus  IX,  11  f. 


234 


Horen  gestiftet  haben  ').  Wie  aber  die  Natur  je  nach  dem  Stande 
der  Erde  zur  Sonne  anders  beschaffen  ist ,  so  weist  die  Fabel  auch 
im  Leben  des  Dionysos  einen  ähnlichen  Kreislauf  auf.  Bald  hatte  er 
den  Pan  in  seinem  Gefolge  2) ,  bald  ist  er  selbst  der  Frühlings¬ 
stier.  Pan  aber  war  der  Steinbock  im  Thierkreis,  da  die  Sonne 
wieder  höher  steigt,  mit  Bockshörnern  und  einem  Fischschwanz  ge¬ 
bildet  3);  wie  sich  jenes  Sternbild  auf  einer  alten  Himmelskugel  fin¬ 
det  '<).  Wiewohl  vom  Steinbock  an  die  Sonne  ihren  hohem  Stand 
wieder  einnimmt,  wesshalb  Pan  als  zeugungslustiger  Gott  vorgestellt 
wurde;  so  ist  doch  die  Natur  alsdann  im  Stande  ihrer  Erniedrigung 
und  Dionysos  in  Schwachheit.  Daher  fabelten  die  Patrenser  in  Achaja, 
dass  die  Pane  einst  dem  Dionysos  nachgestellt  hätten,  und  dass  der 
Gott  in  grosse  Noth  gerathen  sey  ^).  So  durchziehen  Pane  und  Sa¬ 
tyrn  mit  Klaggeschrei  Aegypten  und  verkündigen  des  Osiris  Tod  ®). 
Ein  andermal  fabelte  man  von  Dionysos  selbst,  dass  er  in  einen 
Ziegenbock  von  Zeus  verwandelt  worden  sey^),  und  die  Athener 
erbauten  ihm  mit  dem  schwarzen  Ziegenfell  (^iJ,&XavaLyiq)  einen  Tem¬ 
pel  8)  ;  was,  wie  bei  Zeus  Aegiochos  ,  eine  Anspielung  auf  das  Sturm 
und  Wetter  bringende  Sternbild  der  Ziege  zu  seyn  scheint  9).  Aber 
der  Bock  wird  zum  mächtigen  Stier.  Viele  Griechen  bildeten  den 
Dionysos  stierartig,  und  namentlich  verehrten  ihn  die  Argiver  als 
solchen  {ßovyavrf)  ^o).  Er  ist  in  dieser  Beziehung  nicht  ausschliess¬ 
lich  das  Sternbild  des  Stiers,  auch  nicht  blos  die  Sonne  im  Stier, 


*)  Philochorus  bei  Creuzev  Dionys,  p.  273. 

2)  Hom.  h.  XVIII,  46. 

3)  Epimenides  bei  Eratostben.  Cataster,  c.  27. 

‘•)  Ingbirami  Mon.  Etr.  Ser.  YI  T.  L  2  n.  3. 

5)  Paus.  YII,  18,  3. 

6)  Plutarch.  de  Is.  et  Os.  p.  461  Wyltenb. 

Nonnus  XIY,  154  ff.  das.  Moser. 

8)  Fischeri  index  ad  Theophr.  Charact.  v.  uTtatovgia. 

9)  Im  Hause  Townley  in  England  findet  sich  eine  Bildsäule  des 
Dionysos  mit  einem  Ziegenfell  bekleidet,  in  der  Rechten  eine  Traube, 
in  der  Linken  eine  Schale :  Goede  England ,  Wales ,  Irland  und  Schott¬ 
land  Th.  lY  S.  49  f, 

Plut.  de  Is.  p.  364. 


235 


sondern  die  Nalur  beim  Stand  der  Sonne  in  diesem  Sternbilde,  der 
Frühling  mit  seinem  reichen  Segen.  Es  ist  so  viel,  als  wenn  dem 
Hermes  der  Widder  geweiht  war.  In  so  fern  man  bald  drei  bald 
vier  Jahreszeiten  zählte,  so  konnte  man  den  Frühling  bald  früher 
bald  später  anheben.  Damit  fingen  namentlich  die  Araber  das  Jahr 
an,  und  die  Stierhörner  waren  ihnen  die  erste  Constellation  *).  Die 
Frauen  von  Elis  riefen  den  Dionysos  an,  sich  mit  dem  Stierfuss  bei 
ihnen  in  Begleitung  der  Chariten  einzustellen,  und  nannten  ihn 
erhabenen  Stier  {a^ie  ravQs)'^').  Man  flehte:  erscheine,  o  Stier!  3). 
Auf  böotischen  Münzen  hat  sein  mit  Epheu  bekränzter  Kopf  Stier¬ 
hörner'')»  und  in  Kyzikus  war  er  stierförraig  abgebildel  3);  gerade 
wie  ihn  Euripides  (Bacch.  90.  918)  den  Gott  mit  Stierhörnern  {xav- 
QOKEQüiq)  nannte  6).  Persephone  gebar  ihn  mit  einem  Slierhaupte 
versehen  7).  Mit  seinen  Hörnern  soll  er  sich  sogar  durch  die  Hüfte 
des  Vaters  den  Ausgang  verschafft  haben  s).  Diess  sind  ägyptische 
Ideen  auf  griechischem  Boden.  Denn  dort  wurde  das  Himraelszeichen 
des  Stiers  in  dem  Apis  auf  Erden  verehrt^),  und  dieser  für  die 
Seele  des  Osiris  gehalten  ^‘^),  Osiris  selbst  aber  mit  Stierhörnern 


Bailly  hist,  de  l’Astronom.  p.  490.  So  auch  Virgil.  Georg.  I, 
217 ,  wo  Servius  im  Zweifel  ist. 

2)  Plut.  Quaest.  gr.  XXXVI  p.  299  B  und  de  Is.  p.  495.  Paus.  VI, 
26,  1.  Athenaeus  XI,  51.  Lycophron  Cassandra  p.  42^  ib.  jTzetz. 
Etyinol.  M.  v.  Acopvoog. 

3)  Eurip.  Bacch.  971. 

'*)  Spanheim  de  usu  et  praest.  Num.  p.  357.  Pellerin  Recueil 
T.  I  pl.  24  n.  8. 

3)  Athenaeus  1.  c. 

Vgl.  Clem.  AI.  Protrept.  p.  11.  Arnob.  V  p.  171.  Eudocia  Viol. 
p,  118.  Moser  zu  Nonnus  p.  207  f.  Denkmale  des  Dionysos  mit  Hör¬ 
nern  bei  Philostrat.  Icon.  I,  15.  Mus.  Pio  -  Clem.  X,  3.  Hirt  S.  78. 

Clemens  1.  c.  p.  15  Potter. 

3)  Stasimbrotus  der  Thasier  bei  Tzetz.  Lycophr.  Cassandr,  p.  42, 
welcher  daher  den  Namen  Dionysos  von  Aiög  und  vvaasiv  ableilelc. 

Lucian.  de  astrolog.  p.  363. 

^0)  Strabo  XVH  p.  708.  Plut.  de  Is.  p.  362  f. 


236 


dargestelll  ‘).  Mit  dem  Begriffe  des  Stiers  vermischte  sich  danu 
der  allgemeine  der  schöpferischen  Kraft  und  der  Stärke;  wesswegen 
eben  der  Stier  zu  dem  Sternbilde  des  Frühlings  gewählt  war,  und 
wozu  der  Sprachgebrauch  der  Griechen  und  Lateiner  selbst  veran- 
lassle  ,  indem  taurus  zugleich  das  männliche  Glied  bedeutete  2).  Den 
Chariten,  wie  sie  im  Dienste  der  Aphrodite  sind,  weihte  Herak¬ 
les  zu  Olympia  einen  gemeinschaftlichen  Altar  mit  Dionysos  ^).  Sie 
bezeichneten  die  Schönheit  der  Natur  im  Frühling.  Man  verehrte 
daher  in  Attika  einen  blumenreichen  {aviSsioq)  Dionysos  Er  hatte 
in  Theben  den  Beinamen  Auflöser  (Xvoiog)^),  als  der  den  Schooss 
der  Erde  auftbut;  womit  sein  anderes  Beiwort  Ivalog  verwandt  ist, 
zugleich  mit  Rücksicht  auf  die  Sorgen  lösende  Kraft  des  Weines®)  und 
auf  den  freien  ausgelassenen  Charakter  seiner  Feste.  Diese  Begriffe 
scheint  der  Lateiner  in  seinem  Liber  zu  vereinigen.  Zu  Trözen  hatte 
Dionysos  als  der  Heilbringende  {oaMzrjq)  einen  Tempel  ^).  Die 
Hyaden,  welche  die  Stirne  des  Stieres  im  Thierkreise  bilden®), 
werden  daher  in  ein  enges  Verhältniss  zu  Dionysos  gebracht.  Sie, 
bei  deren  Aufgang  im  Frühjahr  milder  Regen  herabzuträufeln  pflegt  9), 
sollen  ihn  gross  gezogen  und  die  Menschen  den  Gebrauch  des 
Weines  gelehrt  haben  ‘9-  Wie  der  Stier  der  Eröffner  des  Jahres 
ist,  so  ist  auch  Dionysos  der  Führer  der  Sterne  {xoQaybq  aarg(üv)  *2), 


Diodor.  I,  9. 

2)  Suidas  V.  ravgog  u.  Diomedes  de  amphibol.  L.  II. 

Herodorus  bei  Schob  Pindar.  Ol.  V,  10.  Paus.  V,  14. 

‘*)  Paus.  I,  31. 

Paus.  Corinlh  ,7,6.  Er  wurde  auch  xäXiq  von  xa\^  genannt 
nach  Eustath.  ad  Od.  III  p.  132. 

®)  Als  Sorgenloser  hat  Dionysos  auf  Bildwerken  öfter  die  Rechte 
über  dem  Haupte;  so  im  Museum  v.  S.  Marco  zu  Venedig,  wo  er  die 
Linke  auf  einen  Satyr  lehnt. 

2)  Paus.  Corinth.  31,  8.  ®)  Manil.  Astronom.  I,  v.  371. 

Servius  ad  Virgil.  Georg.  1  p.  71. 

'®)  Apollodor.  III,  4.  Hygin.  fab.  182  p.  301. 
si)  Schob  in  Horn.  11.  XVIII,  486. 

’2)  Sophocl.  Antig.  1118, 


237 


in  so  ferne  man  mit  jenem  Sternbild  die  andern  alle  zu  zählen 
außng. 

Die  Verbindung  des  Dionysos  mit  Apollon  erhellet  schon  aus 
dem  Bisherigen;  sie  wird  aber  auch  ausdrücklich  hervorgehoben. 
Dionysos  ist  sowohl  mit  Epheu  als  Lorbeer  bedeckt  *);  er  ist  der 
goldgelockte  ,  und  hat  wallendes  Haupthaar  3) ;  er  ist  sogar  Musen¬ 
führer  (juovcray£ri;g)  ^) ,  und  soll  die  Musen  zu  Ammen  gehabt  ha¬ 
ben  3)  —  ohne  Zweifel  mit  Rücksicht  auf  die  ihm  gewidmete  drama¬ 
tische  Kunst.  Neben  dem  Orakel  zu  Delphi  dachten  sich  die  Del- 
phier  des  Dionysos  Grab,  und  am  Auferstehungstage  desselben 
brachten  die  Priester  zugleich  im  Heiligthum  des  Apollon  ein  gehei¬ 
mes  Opfer  <>).  Der  thracische  Volksstamm  Saträ  (Sdrpat)  hatte  auf 
dem  höchsten  Berge  ein  Orakel  des  Dionysos,  wo  eine  Priesterin, 
wie  in  Delphi,  wahrsagte,  und  die  Propheten  Bessi  (Brjoaoi)  hiessen^). 
Auf  einem  etruskischen  Spiegel  3)  finden  wir  bei  der  Geburt  des 
Dionysos  auch  den  Apollon  mit  dem  Lorbeerzweig  gegenwärtig.  Man 
hat  so  später  den  Dionysos  zum  Demiurg  gesteigert ,  und  ihm  den 
Metallspiegel  des  Hephästos  beigelegt ,  worin  er  sein  Bild  beschaute 
und  dadurch  sich  zur  Schöpfung  entäusserte  9).  Die  Welt  wurde 
also  wie  ein  Bild  des  sich  spiegelnden  GoKes  aufgefasst.  Daher 
kommen  in  etruskischen  Gräbern  Metallspiegel  vor,  die  man  vormals 
für  Pateren  hielt,  um  das  sich  Spiegeln  der  Seele  in  einem  Leibe 
nach  der  Ordnung  der  Palingenesie  anzudeuten. 

Gleichwie  aber  die  schöne  Persephone  zum  namenlosen  Jam¬ 
mer  der  Mutter  in  den  düstern  Hades  hinabfällt ,  so  theilt  auch  der 
herrliche  Dionysos  gleiches  Loos  und  wird  schwach,  und  die  Cha¬ 
riten  entweichen  von  den  verödeten  Fluren ,  bis  der  Gott  wieder 
verjüngt  aufersteht.  Dionysos  stellte  so  pantheistisch  den  ganzen 
Naturleib  dar,  und  da  diese  Fabeln  ein  und  dasselbe  bedeutend 
streng  genommen  einander  ausschliessen,  so  bezeugen  sie  die  Ver- 


1)  Hom.  h.  XXV,  9.  2)  Theog.  947. 

3)  Find.  Islhm.  VII,  4.  '•)  Paus.  Attic.  2,  3.  Diodor.  IV,  5. 

3)  Athenaeus  Epitom.  II,  7. 

Plut.  de  Is.  c.  55.  Vgl.  Aristoph.  Nub.  599.  Paus.  Alt.  31 ,  2. 
Herod.  VII,  111.  3)  Inghirami  Moii.  Etr.  Ser.  II  T.  16- 

9)  Proclus  p.  163. 


238 


mischungsperiode ,  worin  auswärtige  Religionseleraenle  zusammen¬ 
getragen  wurden  und  sich  neben  einander  Geltung  verschalTlen.  Als 
Gott  in  der  Schwachheit  liatte  er  den  Beinamen  Zagreus,  welcher 
von  spätem  Schriftstellern  ’)  mit  Dionysos  identisch  genommen  und  ge¬ 
braucht  wurde.  Allein  die  Ausleger  2)  ,  die  genauer  unterschieden,  fan¬ 
den  in  ihm  den  unterirdischen  {x^övioq)  Dionysos ,  und  Aeschylus 
setzt  den  Zagreus  dem  Hades  gleich  oder  macht  aus  ihm  einen  Sohn 
des  Hades.  Wenn  wir  uns  in  der  Heimath  des  Gottes  bei  der  semi¬ 
tischen  Sprache  Raths  erholen,  so  leiten  wir  das  Wort  am  füglich- 
sten  von  (klein,  gering,  verachtet)  ab;  wobei  zu  bemerken, 
dass  das  s  im  entsprechenden  arabischen  Worte  mit  einem  Punkte 
geschrieben,  also  wie  ein  sanftes  y  ausgesprochen  wurde.  Zagreus 
drückt  somit  den  Gegensatz  des  andern  Eigenschaftswortes  des  Got¬ 
tes,  des  Erstaunens  würdigen  (Thammus,  s.  oben),  aus;  Thammus 
und  Zagreus  verhalten  sich  zu  einander  wie  Hermes  zu  Hades  oder 
Hephästos  zu  Ares  nach  unsrer  obigen  Ausführung.  Von  Zagreus 
müssen  wir  den  Ausspruch  des  Heraklitus  '»)  verstehen,  Flades  und 
Dionysos  sey  einer  und  derselbe;  wie  wir  denn  auch  gefunden  haben, 
dass  ihren  Namen  Aidoneus  und  Dionysos  derselbe  Laut  Adon  (Herr) 
zu  Grunde  liege.  Demnach  käme  Dionysos  in  dreierlei  Lebensstufen 
zum  Vorschein  und  wäre  derselbe  Gott  in  drei  Verhältnissen:  ein¬ 
mal  als  Säugling  unter  dem  Namen  Jacchos,  wo  die  Sonne  vom 
Steinbock  an  aufwärts  steigt,  sodann  in  seiner  Manneskraft  als  besa¬ 
mender  Stier  vom  Frühling  an  und  endlich  als  Zagreus  d.  i.  die  Na¬ 
tur  im  Spätherbst,  wo  ihre  Kraft  erstirbt  und  unfreundliche  Stürme 
hausen.  So  ist  er  der  Jahresgott,  würdig  von  den  Horen  bekränzt 
zu  werden. 

Von  seiner  Höllenfahrt  und  Wiedergeburt  dichtete  man  eine  ei¬ 
gene  Legende.  Bald  sollten  seine  zwei  Brüder,  Korybanten  auch 
Kabiren  genannt,  den  Dionysos  erschlagen  und  am  Fuss  des  Olym¬ 
pus  begraben,  sein  Zeugungsglied  aber  in  einer  Kiste  verwahrt  und 


1)  Z.  B.  Nonnus  V  p.  174. 

2)  Bei  Etyniol.  M. ,  Hesych.  u.  Siiidas  v.  ZayQsiq. 

3)  Bei  Etym.  M.  1.  c. 

^)  Bei  Plut.  de  Is.  c.  28  p.  333.  Clem.  Prolr.  p.  30. 


239 


nach  Tyrrhenien  getragen  haben  ') ;  diess  war  die  Lehre  der  Saba- 
zien.  Bald  waren  es  nach  orphischer  Theologie  die  Titanen,  welche 
ihn  ermordeten,  in  sieben  Theile  zerstückelten  und  seine  Gliedmas¬ 
sen  in  einem  Becken  dem  Apollon  (als  dem  Gott  der  Weltharmonie) 
brachten,  welcher  sie  neben  seinen  Dreifuss  setzte.  Dionysos  setzte 
sich  zwar  mit  seinen  Stierhörnern  zur  Wehre,  und  hatte  zuvor  seine 
Mörder  durch  die  wunderbarsten  Verwandlungen  in  alle  Elemente 
und  Körper  ermüdet.  Pallas  entriss  ihren  Händen  sein  noch  schla¬ 
gendes  Herz  und  brachte  es  dem  Vater  Zeus  (dem  ewigen  Erhal¬ 
ter)  2),  Diess  war  kretensische  Fabel,  wo  man  hinzusetzte,  dass 
Zeus  das  Bild  des  Erschlagenen  von  Gyps  nachbildete  und  das  wirk¬ 
liche  Herz  an  die  rechte  Stelle  des  Bildes  setzen  liess.  Anstatt  des 
Grabmals  liess  er  einen  Tempel  bauen  und  machte  den  Pädagogen 
Silenus  zum  Priester  in  demselben  3).  Sein  Grabmal  zeigte  man  in 
Delphi  neben  dem  goldenen  Apollon  als  an  dem  vorgeblichen  Mittel¬ 
punkt  der  Erde  bei  dem  steinernen  Sitz  ,  welcher  djLicpaXog  hiess 
Die  Titanen  wurden  ohne  Zweifel  aus  dem  Grunde  eingeflochten, 
weil  man  sich  in  ihnen  Kämpfer  wider  die  Götter  und  zugleich  weil 
man  sie  als  unterirdische  Wesen  dachte.  Vor  seinem  Tode  geht 
Dionysos  durch  alle  Wandlungen  hindurch;  d.  h.  die  bunten  Gestal¬ 
ten  als  seine  Geschöpfe  gehen  dem  Winter  oder  Tode  vorher.  Und 
durch  die  vielen  Gebilde  wird  der  Schöpfer  in  Folge  der  Emanation 
erschöpft  und  gleichsam  zerstückt;  obgleich  in  seiner  innersten  We¬ 
senheit  durch  göttliche  Kraft  und  Weisheit  erhalten.  Es  ist  wie  wenn 
in  der  Religionslehre  der  Mongolen  der  Schöpfer  Schagdschamuni 


’)  Giern.  Prolr.  p.  15  f. 

2)  Onoraacrilus  bei  Paus.  VIII,  37,  3,  Fragm.  Orph.  VHI,  46 
p.  469  Herrn.  Terpander  von  Lesbos  bei  Jo.  Lydus  IV,  38  p.  198. 
Gallimacb.  u.  Eupborion  bei  Tzelz.  Lycopbron.  p.  43.  Epipban.  adv. 
haeres.  III  p.  1092.  Nonnus  Dion.  VI,  174  ff.  Hygin.  fab.  155:  Liber 
ex  Proserpina,  quem  Tilanes  carpserunt,  i.  e.  wie  Muncker  Mythographi 
latini  p.  267  f.  auslegt:  membratim  discerpserunt. 

3)  Jul.  Firmicus  de  err.  prof.  rel.  VI  p.  115. 

Euseb.  Ghron.  P.  II  p.  125.  Plut.  de  Is.  c.  55.  Tatian.  Ttpdg 
"EXXf]v.  p.  251  :  "Ev  rca  re/xivsi  roh  Arjrotdov  v.aX^ixaL  rtg  d/.tcpal6q’  6 
ofxcpaXöq ,  rdcpoq  iorlv  diovvaov. 


240 


spricht:  »Ich  will  euch  das  immerwährende  Sterben  zeigen;  nichts 
währet  ewig,  und  ob  ich  gleich,  der  Dreieinige,  vollkommen  bin, 
so  bin  ich  doch  dem  sichtbaren  Leibe  nach  sterblich  geworden«  *). 
Aus  den  Blutstropfen  des  Dionysos  sind  Granatäpfel  entstanden  2), 
als  reiche  Samenbehälter  für  die  Zukunft,  so  gut  als  Aphrodite  aus 
den  Hoden  des  Himmels.  Denn  die  Zerstörung  ist  der  Same  einer 
neuen  Wett.  Diess  ist  die  Hauptsache,  welche  die  Legende  auf 
zweierlei  Weise  ansdrückte  :  einmal  dass  des  Dionysos  Zeugungs¬ 
glied  in  einer  Kiste  verwahrt  worden,  d.  h.  die  Zeugungskraft  der 
Natur  schlummert  im  Winter  im  Schooss  der  Erde  wie  in  einer  Kiste 
verborgen,  aber  sie  ist  darum  nicht  abgestorben ,  sondern  harret  nur 
der  Zeit,  da  man  singet:  komm  herauf,  göttlicher  Stier!  Das  Tra¬ 
gen  der  Kiste  nach  Tyrrhenien  ist  nur  ein  geschichtlicher  Fingerzeig 
von  dem  Zusammenhang  des  griechischen  und  etruskischen  Bacchus¬ 
dienstes.  Derselbe  Gedanke  ist  edler  zweitens  so  ausgedrückt,  dass 
Pallas  als  die  göttliche  Weisheit  auf  die  Erhaltung  des  Lebens  und 
der  Weltordnung  bedacht,  das  schlagende  Herz  des  Dionysos  als 
den  unsterblichen  Lebenspuls  der  Natur  gerettet  hat.  Aus  dem  ge¬ 
storbenen  aber  doch  nicht  ganz  ertödteten  Gott  wird  der  neue  ge¬ 
boren,  und  das  war  eben  der  Knabe  Jacchos.  Bald  hiess  es,  Rhea  3) 
oder  Demeter  '•)  als  die  allgemeine  Naturkraft  habe  seine  zerstückel¬ 
ten  Glieder  wieder  zusammengesetzt,  wie  in  Aegypten  Isis  mit  dem 
zerstückten  Osiris  that;  bald,  Zeus  habe  das  zerstampfte  Herz  des 
Zagreus  der  Semele  als  einen  Liebestrank  eingegeben,  wodurch  sie 
Mutter  des  Dionysos  geworden  *).  Genug,  es  ist  immer  dieselbe 
Natur,  die  zum  neuen  Leben  erwacht,  in  dem  zerstörten  Naturleibe 
bleibt  das  Herz  inwendig  unversehrt ,  und  damit  ist  unter  dem  Auf¬ 
sehen  der  göttlichen  Allweisheit  die  Möglichkeit  zur  Wiederbelebung 
unter  dem  Tanze  der  Horen  gegeben,  wann  die  Hyaden  einen  war¬ 
men  Mairegen  senden. 

Wie  in  der  Geschichte  des  Gottes,  so  war  auch  in  seinen  Festen 
ein  Wechsel  von  Klage  und  ausgelassener  Freude.  Die  Weiber 


*)  Basler  Missionsmagazin  1823.  2tes  Heft  S.  312. 

2)  Clem.  Al,  Cohort.  p.  12.  Euseb.  Praep.  Ev.  II,  3  p.  65, 

3)  Cornut.  N.  D.  c.  30.  Diodor.  HI,  61. 

3)  Hygin.  fab.  167  p.  282  Staveren. 


24! 


heulten  und  klagten  über  den  Raub  der  Persephone  und  den  Tod 
des  Dionysos  ').  Nachdem  der  Gottesdienst  beider  verbunden  wor¬ 
den,  so  sah  man  in  ihrer  beiderseitigen  Leidensgeschichte  das  Schick¬ 
sal  der  winterlichen  Natur.  Das  Ausschweifende  sowohl  in  dem  Ju¬ 
bel  als  in  der  Trauer  war  ein  Rasen  (^/j-aivsaßai).  Von  der  letztem 
Art  seiner  Festfeier  hat  er,  wie  es  scheint,  den  von  den  Lateinern 
festgelialtenen  Namen  Bdxxog ,  auch  ßdy./jog  ßdxxsiog  dsoTto- 

xrjg^  d  ßdxx^iog  Jiövvoog ,  von  nsa,  weinen.  Hesychius  (I  p.  682 
Alberti)  erklärt  daher  ßdxxog  aus  dem  Phönicischen  durch  Weh¬ 
klagen. 

Sehen  wir  uns  in  den  Ländern,  woher  der  Dionysosdienst  ent¬ 
lehnt  worden  war,  nach  seinen  Vorbildern  um,  damit  wir  Verglei¬ 
chungen  anstellen  können;  so  wusste  man  in  Phönicien  von  dem 
Tode  des  Adon^),  des  Geliebten  der  Aschtoreth  ,  und  in  Aegypten 
von  dem  Tode  des  Osiris.  Dort  war  das  Sinnbild  der  zerstören¬ 
den  Macht’ das  wilde  Schwein,  dessen  Zahn  den  schönen  Adon  töd- 
tete.  Seine  Verehrer  feierten  sein  Todten-  und  Freudenfest,  jenes 
mit  Klageliedern  unter  Begleitung  von  Flöten,  mit  Ausstellung  sei¬ 
nes  Bildes  auf  einer  Bahre  und  mit  einer  förmlichen  Bestattung  des¬ 
selben  ,  dieses  mit  ungemessenem  Jubel  und  mit  Hervortreibung  von 
schnell  aufgehenden  Sämereien  in  Töpfen,  als  Lattich  und  derglei¬ 
chen  ,  innerhalb  acht  Tagen ,  was  man  die  Adonisgärlen  nannte. 
Auch  die  Einwohner  von  Brasiä  in  Lakonieu  nannten  ein  Feld  den 
Garten  des  Dionysos  ').  Etwas  Aehnliches  fanden  wir  oben  in  der 
Verehrung  des  unterirdischen  Hermes  zu  Athen  und  in  dem  Dienst 
der  Rhea.  Wenn  die  Adonien,  in  Griechenland  als  Dionysosdienst 
eingeführt,  sich  eigenfhümlich  gestalteten,  so  wurden  sie  in  der  Folge 
auch  unverändert  in  Athen  aufgenommen  und  gefeiert. 

Osiris  in  Aegypten  ward  ein  Opfer  seines  Bruders  Typhon, 
so  wie  Dionysos  von  seinen  zwei  Brüdern  erschlagen  wurde.  Typhon 
verschwor  sich  mit  der  äthiopischen  Königin  Aso  gegen  das  Leben 
des  Gottes.  Osiris  wurde  zugleich  als  der  Segensslrom  Nil  aufgefassf, 


*)  Dionys.  Hai.  Ant.  II,  67. 

2)  Hom.  h.  XVIII ,  46  Vgl.  Küster  zu  Arisloph.  Thesmophor. 
und  Wesseling  zu  Diodor  I,  18  p.  21. 

’)  Creuzer  Symbol.  II  S.  177.  '•)  Pausan.  Lacon.  24,  3. 

16 


242 


von  welchem  die  Fruchtbarkeit  der  jigyptisclien  Natur  abhing.  In 
Aethiopicn  aber  wird  der  Fluss  nach  der  Ueberschwernniung  zurück¬ 
gehalten.  In  einen  Kasten  schliesst  ihn  der  grausame  Typhon  nach 
Art  der  ägyptischen  Mumien  und  sendet  ihn  dem  Meere  zu  am  sie¬ 
benzehnten  des  Monats  Athyr,  den  13.  November,  wann  die  Sonne 
im  Scorpion  ist  und  dieser  mit  seinem  giftigen  Stich  das  reiche  Ge¬ 
wand  der  Natur  besudelt’,  und  wann  in  Aegypten  der  Nil  ins  Meer 
abfliesst.  Der  Götterwächter  Anubis  mit  dem  Hundskopf  lialf  der 
wehklagenden  Isis  den  heiligen  Leichnam  in  der  Stadt  Byblos,  wo¬ 
hin  ihn  das  Meer  getrieben,  auffinden;  gleichwie  die  hundsköpfige 
Hekate  der  suchenden  Demeter  nach  dem  homerischen  Hymnus  be- 
hülflich  gewesen  ist,  und  wie  Pan  der  grossen  Göttin  vielgestaltiger 
Hund  hiess  ^).  Typhon  zerschneidet  den  Leichnam  in  vierzehn  oder 
nach  Andern  2)  in  sechs  und  zwanzig  Stücke,  und  das  Männliche  wird 
von  den  Fischen  des  Meeres  gefressen.  Diess  ist  eine  Anspielung 
auf  das  Sternbild  der  Fische  als  das  letzte  vor  Erscheinung  des 
Frühlings,  um  den  ganzen  Zeitraum  zu  beschreiben,  da  die  Zeu- 
guDgskraft  der  Natur  erstorben  ist.  Isis  setzt  die  übrigen  dreizehn 
Stücke  zusammen,  ergänzt  den  fehlenden  Theil  durch  einen  Phallus 
von  Holz,  und  bestattete  hierauf  den  Leichnam  in  Ehren.  So  hör¬ 
ten  wir,  dass  Demeter  den  zerstückelten  Dionysos  zusammengesetzt 
habe.  Und  wie  Pallas  sein  Herz  rettete,  so  befand  sich  unter  an¬ 
dern  Grabstätten  des  Osiris  sein  Grab  auch  zu  Sais  an  der  Mauer 
des  Tempels  der  Neith  (Athene),  wo  die  Saiter  nächtliche  Myste¬ 
rien  feierten  und  die  Leiden  des  Gottes  autführfen  3).  Horus  d.  h. 
die  vom  Widder  an  aufwärts  steigende  Sonne  ist  Rächer  des  Vaters 
und  nimmt  den  Typhon  gefangen:  so  war  auch  Helios  der  Demeter 
zu  Diensten,  die  verlorne  Tochter  wieder  zu  finden  nach  dem  ho¬ 
merischen  Hymnus.  Typhon  aber  will  den  Horus  verdächtigen  und 
bezüchtigt  ihn  der  unächten  Abkunft.  Denn  die  Sonne  senget  in 
Aegypten  vor  der  Nilfluth  und  Gluthwinde  dörren  das  Land  aus; 
erst  um  die  Sonnenwende  tritt  der  Fluss  aus  den  Ufern.  Horus  aber 


’)  Pindar.  bei  Aristot.  Rhetor.  II ,  24.  Fragm.  p,  29. 
2)  Euseb.  Praep.  Ev.  1 ,  1  p.  46. 

^  Herod,  II,  170  f. 


243 


lierrscht  in  siegender  Krall,  und  nun  wird  Harpokrales  der  l.ahnie 
d.  i.  die  wieder  abnelimendc  Sonne  geboren  '). 


C.  Wie  verhalt  sich  der  Mensch  zu  Gott? 

48. 

1)  Im  .4  II  gern  ei  neu. 

Wenn  in  Ansehung  der  Entstehung  des  Menschen  David 
Psalm  22,  10  bekennt:  »Du  hast  mich  aus  Mutterlcibe  gezogen'*;  so 
erzeuget  nach  analogen  heidnischen  Begriffen  Zeus  als  Menschen¬ 
vater  (der  den  Beinamen  ysvBdlioq  hattet)  )  mit  Here  die  Ilithyia 
(^EiXsißvia)  ^  die  Geburtshelferin,  welche  alle  Menschen  ans  Tages¬ 
licht  fördert  3),  ohne  die  wir  weder  Tag  noch  Nacht  sehen,  noch 
ihre  Schwester,  die  glänzende  Hebe,  überkommen*^).  Mit  ihr  be¬ 
ginnt  der  Lebensfaden;  wesswegen  sie  auch  als  Spinnerin  dargestellt 
wurde  (Paus.  VIII,  21).  Ihren  Name^leitet  Clericus  am  besten 
'  aus  dem  hebräischen  (gebären  machen)  ab.  Die  Araber  ver¬ 

ehrten  nach  derselben  Wurzel  die  Alitta  und  die  Babylonier  die 
Mylitla  (ni^:«)  als  Geburtshelferin.  Homer  (II.  XI,  270)  kennt  meh¬ 
rere  Ilitbyien  als  Töchter  der  Here,  welche  den  einschneidenden 
Pfeil  bitterer  Wehen  senden.  Solche  wurden  zu  Megara  verehrt  5). 
Oien  Lycius  im  Hymnus  auf  Ilylhyia  macht  sie  zur  Mutter  des 
Eros  6),  d.  i.  die  Geschlechlsliebe  entspringt  aus  der  Zeugungsgöttin. 
Die  römischen  Gebährerinnen  riefen  die  Juno  Lucina  an  und  legten 
der  Mutter  bei ,  was  die  allen  Griechen  ihrer  Tochter.  Daher  galt 
Here  als  Beschützerin  der  Ehe,  die  eine  Salzung  des  Zeus  und  der 


^)  Plut.  de  Is.  c.  12  f.  p.  459  Wyltenb.  Diodor.  I,  2l, 
2)  Aristot.  de  mundo  VII,  5  p.  313  Kapp. 

’)  Theog.  922.  '*)  Pindar.  Nem.  vn,  3. 

’)  Paus.  I,  44.  ö)  Paus.  II,  13.  VIII,  21.  IX,  27. 


244 


Here  nXsia  war  *).  Ilir  pflegte  man  in  Gemeinschaft  mit  Aphrodite 
und  den  Chariten  vor  der  Hochzeit  ein  Opfer  {ya^rfkia  ßvoia)  dar¬ 
zubringen  2).  Monogamie  war  griechische  Sitte,  das  Gegenlheil  hielt 
man  für  barbarisch  3), 

Wenn  Ilithyia  der  kreisenden  Leto  zu  Hülfe  kam'^),  so  verehr¬ 
ten  die  späteren  Griechen  in  Artemis,  der  Leto  Tochter,  als  der 
Moudsgöttin  die  Beschützerin  der  Gebührenden  *) ;  woher  ihre  Bei- 
ntamen  Aox/a^),  cwAoxo?  und  als  die  ans  Tageslicht  führende 
cpcoaq^ÖQoq ,  Lucifera  **),  weil  nach  neunmaligem  und  bisweilen  sieben¬ 
maligem  Umlauf  des  Mondes  die  Geburt  zu  erfolgen  pflegt,  wie  Ci¬ 
cero  a.  a.  O.  selbst  sagt.  Ihr  Zwillingsbruder  steht  der  aufwachsen¬ 
den  Jugend  vor  3).  »Auf  dich  bin  ich  geworfen  aus  Multerschooss“, 
heisst  es  Psalm  22,  11.  »Alle  Menschen  bedürfen  der  Götter«,  sagt 
Homer  (Od.  HI,  48).  Unser  Wachslbum  und  Gedeihen  steht  unter 
ihrer  Aufsicht.  Der  Kinder  ernährenden  Erde  (^ovQorQÖcpoq')  weihte 
Erichthonius  auf  der  Burg  zu  Athen  ein  Heiligthum ‘O),  und  nachmals 
wurde  Demeter  ycovQotQÖcpoq  genannt  und  verehrt  '*)•  Here  von  Sa¬ 
mos  *2)  und  Apollon  *3)  hatten  den  gleichen  Beinamen.  Zu  Tegea  ^ 
weihte  man  der  Athene  aksa  (die  von  der  Stadt  Alea  in  Arkadien 
den  Namen  hatte)  ein  Kind  bis  zu  den  Jahren  der  Mannbarkeit  zum 
Tempeldienste.. 

Platon  (Phaedr.  p.  246)  sieht  die  Ursache  der  Entstehung  des 
Menschen  als  eines  Sinnenwesens  in  dem  Abfall  und  Herabneigen 
seiner  präexistirenden  Seele;  diese  sey  unerzeugt,  weil  sie  dem  Na¬ 
türlichen  und  Leiblichen  erst  Bewegung  ertheile,  also  unabhängig 
von  diesem  da  seyn  müsse  (p.  245).  Er  setzt  neunerlei  Lebens¬ 
stufen,  welche  die  sinkende  Seele  einnehme:  auf  der  vornehmsten 


*)  Aeschyl.  Eiim.  209.  Suidas  v.  rsktia. 

2)  Etymolog.  M.  s.  v. 

'^)  Eurip.  Andrem.  173  ff.  891.  Hoin.  h.  in  Apoll,  115. 

■’)  Schon  bei  Aeschyl.  Suppl.  679  f.  hat  Artemis  dieses  Amt. 

Eurip.  Suppl.  959.  Jon  452. 

~)  Eurip.  Hippol.  165.  cf.  Plat,  Theaetet.  p.  149  B. 

Cic.  N.  D.  11,  27  das.  Davies.  9)  Aeschyl.  Suppl.  689  f. 
Meurs.  de  Reg.  Ath.  11,  1.  <i)  Herod.  vit.  Horn.  30. 

•2)  Hom.  Epigr.  XII.  *3)  Eustath.  in  llom.  11.  ß'. 


245 


slelil  der  Freund  der  Weisheit  oder  Schönheit,  oder  der  Musen  und 
der  Liebe,  auf  der  zweiten  der  König,  der  nach  Gesetzen  regiert 
oder  Krieg  führt,  auf  der  dritten  der  Staats-  Haus-  oder  Handels¬ 
mann,  auf  der  vierten  ein  Turner  oder  Arzt,  die  fünfte  ist  das  prie- 
sterliche  Leben,  die  sechste  das  Leben  eines  Dichters,  in  so  ferner 
ausübend  ist  und  nicht  in  der  Theorie  nach  der  ersten  Stufe,  zum 
siebenten  kommt  der  Land  -  und  Handwerksmann ,  zum  achten  das 
Gewerbe  der  Lehrer  (Sophisten)  und  Volksredner,  und  zum  neun¬ 
ten  ein  Tyrann  *).  Oben  an  steht  die  Contemplation ,  sodann  folgt  das 
Herrschen,  bernaci»  in  immer  grösserem  Abfall  das  praktische  Leben. 
Platon  macht  einen  wesentlichen  Unterschied  zwischen  Mensch  und 
Thier;  wiewohl  eine  Menschenseele  in  der  Wanderung  auch  in  einen 
Thierleib  bis  auf  eine  gewisse  Zeit  eingekerkert  werden  kann,  allein 
das  unterscheidende  Merkmal  ist ,  dass  der  Mensch  Begriffe  bilden, 
aus  vielen  Wahrnehmungen  mit  dem  Verstand  eine  Einheit  finden 
und  sie  auf  die  Gattung  beziehen  kann  2),  Orpheus  2)  lehrte  schon, 
dass  die  Seele  im  Körper  als  einem  Kerker  Strafe  leide.  Die  Seele 
wird  bald  dem  bald  jenem  Körper  vorgesetzt  und  wechselt  mancher¬ 
lei  Gestalten  Je  nach  ihrer  Würdigkeit  wegen  ihrer  selbst  oder  we¬ 
gen  des  Umgangs  mit  andern  Seelen.  Gott  weist  ihr  die  jedesmalige 
Stelle  an  ,  sie  selbst  aber  verursacht  die  gerechte  Fügung  ^). 

Ein  Ausfluss  der  platonischen  Lehre  von  der  Präexistenz  der 
Seele  scheint  die  spätere  Fabel  von  Eros  und  Psyche  zu  seyn, 
welche  das  Herabsinken  der  Seelen  ins  Fleisch  vermittelst  des  ero¬ 
tischen  Gelüstens  bedeutet,  und  somit  eine  fabelhafte  philosophische 
Erklärung  von  der  Entstehung  des  Menschen  ist.  Plotinus  und 


')  Plat.  Phaedr.  p.  248  ü. 

2)  Plat.  Phaedr.  p.  249  ß. 

•>)  ßei  Plat.  Cratyl.  p.  400  C.  ')  Plat.  Lgg.  X  p.  903  D. 

Plotin.  Enn.  VI  L.  IX  c.  9  p.  7G8  sagt,  Eros  und  Psyche  in 
Fabeln  und  Gemälden  hedeule  den  s^cog  avficpvtog  Trjg  -ipvyj^g’  insl  yä(j 
exsQov  ßeoi)  Ev.£ivrj ,  ekeIvov  de,  igä  avzov  dvdiyxT^g ,  v.uX  ovoa 
iy.£l  xbv  ovgdviop  lsgeoxa  £y£i-£ga  ovv  y.axä  (piiaiv  %xovaa  d£ov, 

£V(»drjvai  d£lovoa.  Platon ,  welcher  in  seinem  Gaslmahl  von  der  himm¬ 
lischen  Liebe  der  Seele  ausführlich  handelt ,  weiss  nichts  von  jenem 
neuplatonischen  Eros  tind  Psyche. 


240 


nach  ihm  die  neuern  Mylhologen  *)  finden  zwar  darin  eine  der  Seele 
eingehornc  GoUesliebe  und  ein  Bestreben,  in  Gottes  Gemeinschaft 
zu  treten.  Allein  sowohl  die  Fabel,  wie  sie  bei  Apulejus  (Melam. 
!V%  83)  sich  findet,  als  die  auf  uns  gekommenen  Bildwerke  stehen 
mit  jener  Ausdeutung  in  offenbarem  Widerspruch.  Denn  die  vom 
Pfeil  des  Eros  verwundete  Psyche  müsste,  wenn  sie  so  eine  Sehn¬ 
sucht  nach  dem  Himmlischen  gewänne,  dadurch  in  einen  glücklichem 
Zustand  versetzt  werden;  dagegen  muss  sie  nach  der  Fabel  als  irre 
Pilgerin  umher  schweifen  und  endlich  in  den  Hades  hinabsinken. 
Eros  wischt  ilir  zwar  den  Todesschlaf  von  den  Augen  und  verbindet 
sich  mit  ihr;  wodurch  aber  nur  der  Kreislauf  der  nach  dem  Tode 
zur  Unsterblichkeit  gelangenden  und  durch  Eros  Kuss  wieder  in  die 
Sinnenwelt  einlretenden  Seelen  augezeigl  wird.  Auch  auf  Bildwer¬ 
ken  ist  die  Umartnung  des  Eros  und  der  Seele  mit  Schmetterlings- 
flügeln  eine  wollüstige ;  dabei  ist  der  Dionysosspiegel  als  Sinnbild 
der  Sinnenwelt  angebracht  -).  Auf  dem  Sarkophage  Panfili  (s.  un- 
sern  §.  58) 'bedeuten  die  sich  küssenden  Eros  und  Psyche  gleichfalls 
nichts  anderes  als  die  Fortpflanzung  des  Menschengeschlechts;  wäh¬ 
rend  die  nach  dem  Tode  enteilende  Psyche  auf  diesem  Bildwerke 
nicht  den  Eros,  sondern  den  Hermes  zum  Führer  hat;  so  dass  man 
über  die  Bedeutung  des  Eros  nicht  im  Unklaren  seyn  sollte.  Noch 
deutlicher  wird  der  Sinn  auf  einem  allen  Spiegel^) ,  wo  anstatt  des 
Eros  der  mit  Tulpen  bekränzte  lüsterne  Satyr,  welcher  die  Pfeile 
des  Eros  hat ,  die  Psyche  umarmt.  Auf  einem  marmornen  Misch- 
gefäss  ^)  hält  Eros  von  tiefem  Schmerz  ergriffen  die  Psyche  in  Ge¬ 
stalt  eines  Schmetterlings;  die  Ursache  seiner  Belrübniss  ist,  weil 
sie  dem  sinnlichen  Leben  entfliegt,  was  durch  eine  halb  umgestürzte 
Fackel  als  dem  Bilde  des  Todes  unter  dem  Schmetterling  angedeutet 
ist.  Dem  Eros  abgewendet  reicht  Nemesis  dem  Schmetterling  eine 
Blume  und  scheint  den  Tod  des  Vergänglichen  zu  rechtfertigen. 
Dem  Eros  aber  ist  die  tröstende  Hoffnung  zugekehrl,  sie  macht  ihm 
durch  die  angebotene  Frühlingsblume,  die  Tulpe,  Hoffnung  zur 


1)  S.  Cieuzer  IV  S.  161.  176. 

2)  Inghirami  Mon.  Etr.  Ser.  VI  T.  N.  ii.  4.  6. 
j)  Inghirami  Ser.  II  T.  17. 

')  Creuzcrs  Bilderbuch  z.  Mythol.  T.  37  ii  3. 


247 


Wiedervermähiung  mit  der  eulschwiudeuden  Seele  auf  dem  Wege 
der  Palingenesie.  Zoiiga  u.  A.  haben  diese  auch  sonst  vorkoraniende 
Vorstellung  dahin  gedeutet,  als  würde  Eros  die  Seele  wider  Willen 
über  der  brennenden  Fackel  läutern.  Allein  die  dabei  stehende 
Gruppe  auf  dem  Krater  steht  im  schönsten  Einklang  mit  unsrer  obi¬ 
gen  Erklärung.  Aphrodite  nemlich  lehnt  sich  verwundet  und  von 
einer  Nymphe  gesalbt,  an  Adonis  Grab.  Hier  haben  wir  ein  ähn¬ 
liches  Bild  anstatt  der  Nemesis,  der  umgestürzten  Lebensfackel  und 
der  als  ätherischer  Schmetterling  enteilenden  Psyche.  Eben  so  sehen 
wir  die  Allegorie  der  Hoffnung  in  einem  Satyr  versinnlicht,  welcher 
mit  aufgehobener  Rechten  auf  ein  Priapusbild  d.  i.  auf  die  ünver- 
gänglichkeit  des  Naturlebens  ungeachtet  des  gestorbenen  Adonis  und 
der  verwundeten  Aphrodite  hinweist.  Zoega  dagegen  sah  in  der 
Geberde  des  Satyr  ein  Ausspotten  der  leidenden  Göttin.  Auf  einer 
Kamee  ’)  führt  der  Seelenführer  Hermes  die  Psyche  zu  dem  gefessel¬ 
ten  Eros ,  und  beide  Geliebte  sind  in  freundlicher  Bewegung  gegen 
einander.  Schon  sprosst  hinter  der  Seele  eine  Pflanze,  das  Geboren¬ 
werden  und  Wachsen  anzudeuten. 


§.  49. 


Fortsetzung.  Die  Patriarchen. 

Den  Erzvätern  zollte  man  als  den  Anfängern  und  Gründern 

* 

eines  Volksstammes  göttliche  V^erehrung;  wie  sich  Jehova  im  alten 
Testamente  den  Gott  Abrahams ,  Isaaks  und  Jakobs  nennt.  Der  Ja- 
petide  Prometheus,  Grossvater  des  Hellen,  war  den  alten  Grie¬ 
chen  Urheber  der  Menschen  (^avd^<jjno7ioi6q)  das  weibliche  Ge¬ 
schlecht  bildete  als  das  schlechtere  nach  griechischen  Begriffen 
und  Erziehung  eine  eigene  Seitenlinie  und  stammte  von  Pandora, 
der  Gattin  des  Epimetheus,  ab  ^). 


')  Creuzers  Bilderbuch  T.  50  n.  3. 

2)  Völckei  die  Mylbolog.  des  Japelischen  Geschl  S.  315  11.  Ta- 
tiaii.  7tQ.  "EXl-rjV.  n.  10  p.  252.  Nach  Orpheus  hymii,  37  (36)  stammen 
von  den  Titanen  das  ganze  Menschengeschlecht  ,  die  Wasser  -  Landthierc 
und  Vögel  ab.  Theog.  590. 


248 


Die  Palriarcheu  eines  jeden  Volkes  waren  die  Kabiren  d.  i. 
die  Starken,  Je  nach  den  üertlichkeilen  an  Namen  und  Zahl  ver¬ 
schieden,  und  wurden  als  vergötterte  Menschen  mit  den  eigentlichen 
grossen  Zeugungsgöllern  in  V'^erbindung  gebracht.  In  Phönicien 
waren  es  sieben  Kabiren,  und  es  wird  bestimmt  von  ihnen  ausge- 
sagl ,  dass  sie  zu  allererst  die  Fabeln  des  Kronos  aufgezeichnet  *), 
das  erste  Schiff  erfunden  2) ,  dass  ihre  Kinder  das  Meer  befahren 
habend),  dass  sie  Ackerleute  und  Fischer  gewesen  seyen  ^).  Also 
die  hauptsächlichsten  Beschäftigungen  des  Lehens  nach  unterschied¬ 
lichen  Ständen  trieben  die  phönicischen  Kabiren  als  deren  Erstlinge 
und  Häupter,  sie  waren  die  ältesten  geistlichen  Lehrer  und  Schrei¬ 
ber,  Seefahrer,  Fischer  und  Ackerleute.  Auch  die  Aerzte  waren 
milbegriffen;  denn  ausser  den  sieben  Kabiren  soll  Sydyk  als  den 
achten  Esmun  (welcher  Name  selbst  der  achte  bedeutet)  erzeugt 
haben,  und  dieser  wird  mit  dem  Asklepios  der  Griechen  verglichen*). 
So  wurde  auch  in  Arkadien  Asklepios  mit  den  Kabiren  verknüpft: 
einmal  wurde  er,  wie  der  uulerirdische  Hermes,  für  einen  Sohn  des 
Ischys  und  der  Koronis  gehalten,  und  ein  andermal  für  einen  Sohn 
des  Arsippus  und  der  Arsinoe  *’).  Durch  die  zweite  Abstammung  ist 
er  mit  Kastor  und  Pollux  in  V^erbindung  gebracht ;  denn  Arsinoe  war 
eine  von  den  Töchtern  des  Leucippus  ^),  aber  von  dem  Liebesver- 
hältniss  des  Kastor  und  Pollux  zu  den  Leucippiden  werden  wir  un¬ 
ten  sprechen.  —  Wenn  wir  weiter  hören  ^) ,  dass  die  Sprösslinge  der 
phönicischen  Dioskuren  nach  Aegypten  gekommen  und  daselbst 
einen  Tempel  erbaut  haben,  und  wenn  wir  in  diesem  Lande  gerade 
sieben  Kasten,  in  welche  die  verschiedenen  Stände  eingelheill  wa¬ 
ren,  linden;  so  wird  es  wahrscheinlich,  dass  auch  in  Aegypten  erst¬ 
lich  die  Anzahl  der  Kabiren  sich  auf  sieben  belief,  und  zweitens 


')  Sancbunialbon  bei  Fuseb,  Piaep.  Ev.  1  p.  39. 

2)  Derselbe  das.  p.  36.  *)  Ders.  das.  p.  37. 

*)  Ders.  das.  p.  38  f. ;  6  K^övog  —  ölöojui  Bt^^vtov  lLouaiö<jovi  y.ul 
Kaßeifioiq  (so  ist  statt  Kaßiigoig  zu  scbreiben,  da  Euseb.  auch  ander¬ 
wärts  jene  Form  hat),  dygoraig  re  xar  akiavaiv. 

*)  Damascius  ap.  Phot.  cod.  242.  Euseb.  Pr.  Ev.  I,  10. 

*>)  Cic.  N.  D.  111,  22.  7)  ,|  ^  26,  4. 

Sancbuniathoii  bei  Eus.  Pr.  Ev.  !  p.  39. 


249 


diese  als  Stamnihelden  der  sieben  Kasten  zu  Memphis  verehrt  wur¬ 
den;  gleichwie  die  Hebräer  in  den  zwölf  Söhnen  Jakobs  ihre  Erz¬ 
väter  hatten.  Die  ägyptische  Genealogie,  den  Phtha  den  Kabiren 
zum  Vater  zu  geben  ^) ,  stimmt  vollkommen  mit  dieser  Ansicht  von 
ihnen  überein;  da  auch  der  attische  Stammvater  und  König  Erich- 
thonius  ein  Sohn  des  Hephästos  war  2).  Die  sieben  ägyptischen  Ka¬ 
sten  ,  von  welchen  wir  vielleicht  auf  ähnliche  in  Phönicien  zurück- 
schliessen  dürfen,  waren  folgende:  der  Priester-  der  Krieger-  der 
Bauern  3)-  der  Hirten-  der  Handelsstand,  die  Sprecher  ausländi¬ 
scher  Sprachen  und  die  Schiffer^).  Es  ist  nicht  nöthig,  sich  unter 
den  Kabiren  von  Memphis  bestimmte  Menschen  zu  denken,  da 
die  Apotheose,  der  Heroendienst  den  Aegyptern  fremd  war,  und  sie 
ausdrücklich  leugneten  ,  dass  ein  Mensch  von  einem  Gott  abslamme  ^). 

Als  menschliche  Urväter  werden  die  Kabiren  in  Böolien  be¬ 
zeichnet.  Unweit  Theben  sollen  die  Kabiren  einmal  gewohnt  und 
einen  der  Kabiräer  Namens  Prometheus  und  dessen  Sohn  Aet- 
näus  soll  Demeter  die  kabirische  Weihe  gelehrt  haben  ^).  Kad- 
mus  kam  über  Samothrace  nach  Böotien,  soll  sich  dort  in  die  Ka- 
birenweihe  haben  einweihen  lassen  und  daselbst  die  Harmonia  ge¬ 
sehen  habend).  Nachmals  scheinen  Zethus  und  Amphion  die 
Ehre  mit  den  böotischen  Kabiren  getheilt  zu  haben ;  denn  sie  wer¬ 
den  als  Söhne  des  Zeus  und  der  Antiope,  einer  Tochter  des  böoti- 


')  Herod.  III ,  37. 

~)  Homer  II.  II,  547  nennt  ausdrücklich  die  Athener  des  Erech- 
theus  (einerlei  mit  Erichthonius,  vgl.  Euseb.  Chron.  P.  II  p.  109)  Volk, 
und  daher  Aeschylus  Eumen.  13  eben  dieselben  Kinder  des  Hephästos. 
In  dieser  Beziehung  wird  Erichthonius  auch  der  erste  Mensch  genannt, 
Schol.  ms.  ad  Aristid.  Panatheu.  p.  102. 

•^)  Die  ßovxöXoi  müssen  wir  im  Gegensatz  mit  den  ovßiörai  so 
allgemein  fassen ,  dass  Stiere  weiden  und  den  Acker  bauen  unzertrenn¬ 
lich  zusammengedacht  wurde,  weil  sonst  in  dem  Lande  des  Ackerbaus 
der  Stand  der  Ackerleute  fehlen  würde,  und  weit  auch  Triptolemus, 
der  doch  den  Getreidebau  von  Demeter  selbst  lernte,  als  be¬ 

zeichnet  wurde,  Giern.  Prolr.  p.  17. 

*)  Herod.  II,  104.  Herod.  H  ,  143. 

•’)  Paus.  IX,  2.5,  f}.  Schol.  Eurip.  Pliocn.  7. 


250 


scheu  Flusses  Asopus,  Dioskuren  genannM).  —  In  Asien  finden 
sich  Spuren  von  uralten  Einwohnern,  die  mit  diesem  Namen  belegt 
wurden;  daher  eine  Stadl  in  Kleiuasieu  Namens  Kabiria  2),  in  Phry- 
gien  ein  Berg  Kabira  3), 

Wer  in  Samolhrace  neben  und  unter  den  grossen  Göttern 
die  menschlichen  Kabiren  waren,  wird  uns  zwar  nicht  bestimmt  be¬ 
richtet.  Allein  die  ältesten  Häupter  des  Priesterstandes  werden  in 
Samolhrace  ausdrücklich  unter  dem  Namen  der  Kabiren  hervorgeho¬ 
ben;  die  Korybanten  uemlich  wurden  mit  den  Kabiren  für  einer¬ 
lei  gehalten^),  und  neun  Korybanten  sollen  sich  in  Samolhrace  nie¬ 
dergelassen  haben,  Söhne  des  Apollon  und  der  Rhylia^),  oder  der 
Thalia  ,  oder  nach  Andern  des  Zeus  und  der  Kalliope  ^).  Die 
Karkiner  sind  allem  Anschein  nach  dieselben,  Ilauplschülller, 
wovon  diese  Gattung  Priester  den  Namen  hatte  (von  xct^a  und  xi- 
p£ip).  Das  Haupt  zu  schütteln,  that  ihnen  aber  sowohl  ihrer  WaCfen- 
läuze  als  ihrer  schlaflosen  Nächte  wegen  bei  der  mystischen  Feier 
Noth  ®).  In  Lemnos  wurden  die  Karkiner  als  Götter  verehrt  9). - 
ln  der  Urgeschichte  von  Samothrace  ragen  zwei  Männer  hervor: 


Etymol.  M.  u,  llesych.  s.  v. 

9)  Stephan  B.  v.  KaßeiQia,  TtoXcg  xrjq  xdita  ^Aaiaq,  r>)v 
Kaßei(jioi  coxovp.  Suidas  kennt  eine  Stadt  Kaßeigoiv  und  die  Kabiren 
als  einen  Volksslamm. 

3)  Strabo  XII.  Plutarch.  Lucullo  p.  500.  Athenion  bei  Schob 
Apollon.  1,  917  (vgl.  mit  dem  aus  einer  Pariser  lldschr.  von  Brunck 
herausgegebeneu  p.  7*2)  wollte  sogar,  dass  die  Kabiren  von  jenem 
Berge  rä  KdßecQa  ihren  Namen  batten. 

'*)  Orph.  h.  37.  Giern.  Protr.  p,  15.  Strabo  X,  3,  19.  Eustatb.  in 
Dionys.  Per.  n.  77. 

5)  Pherecydes  bei  Strabo  X,  3,  21  p.  472.  Daher  singt  Diony¬ 
sius  Perieg.  V.  524:  &Qrj'ixirj  re  Sdjuoq,  KoQvßdvrcov  darv. 

Apollodor.  I,  3,  4.  Tzetz.  ad  Lycophr.  v.  78. 

7)  Strabo  X,  3,  19.  Orph.  h.  37. 

Nonnus  XIII,  400  nennt  die  samotbracischen  Korybanten  äxoi- 

/.ii’TOvq. 

9)  Hesych.  v.  KdßeiQor  KaQxlvoi,  Ildvv  dk  ri/juaviai  oviot  iv 
coq  riioi.  Aiyovrai  de  stvai  ’Hcpaiorov  natSeq. 


251 


Eelion  und  Dardauus,  jener  auch  Jasion,  dieser  Polyarches 
genannt  '),  Söline  des  Zeus.  Diese  mochten  die  einheimischen 
Dioskuren  seyn  und  sich  zu  Demeter ,  Persephone  und  Hermes  wie 
der  Menscli  zu  Gott  verhalten.  Der  Name  des  Jasion  scheint  von 
dem  gleichnamigen  kretensischen  Fürsten,  mit  welchem  Demeter 
den  Plutos  (Reichthum)  erzeugte  2),  entlehnt  zu  seyn;  denn  auch 
der  samothracische  Jasus  (so  wird  er  gleichfalls  genannt,  wie  der 
kreteusische  des  Hesiod  Jasius)  soll  die  Demeter  haben  beschlafen 
wollen  und  vom  Blitz  aul  Samothrace  getroffen  ,  gestorben  seyn  3). 
Nicht  allein  die  neuere  Genealogie,  wornach  Persephone,  Hermes 
und  Jasion  von  Zeus  abstaramen  ,  sondern  auch  die  ältere  finden  wir 
auf  den  Jasion  angewendet,  woraus  seine  enge  Verbindung  mit  den 
grossen  samothracischen  Gottheiten  noch  klarer  wird.  Denn  er  wurde 
für  einen  Sohn  des  Kr  a  tos,  somit  für  einen  Bruder  des  unterirdi¬ 
schen  Hermes  ausgegeben,  und  von  ihm  behauptet,  dass  er  nach 
der  Fluth  zuerst  das  Säen  erfunden  habe '^).  Athenio,  der  ein  Lust¬ 
spiel,  die  Samolhraker,  geschrieben  hat“),  nennt  den  Dardanus  und 
Jasion,  Söhne  des  Zeus  und  der  Elektra,  geradezu  Kabireu'’),  ein 
Name,  welcher  die  grossen  Götter  und  die  Patriarchen  zugleich  um¬ 
fasste.  Andere  setzten  die  menschlichen  Kabiren  in  ein  anderes  ge¬ 
nealogisches  Verhältniss  zu  Hermes  und  Perseplione  :  nach  Akusilaos 
von  Argos  ^)  war  Kadmilos  der  Vater  der  drei  Kabiren.  Hermes 
und  die  Okeanine  Daira  (diess  ist  aber  auch  der  mystische  Name 
der  Persephone)  sollen  den  Heros  Eleusis  erzeugt  haben  ä).  Eleu- 
sinius ,  von  dem  die  Stadt  Eleusis  den  Namen  hat,  heisst  der  Sohn 
des  Hermes^).  Persephone  war,  jedoch  mit  Zeus,  die  Mutter  der 
Kabiren  von  Athen  "J). 

War  das  Leben  einfacher  als  in  Phönicien  und  Aegypten,  da 

')  llellanicus  Troica  L.  1  bei  Schot.  ^Vpollon.  I,  1)16.  vgl.  mit 
Schot,  e  cod.  Paris,  p.  72. 

•)  Theog.  969.  ">j  Dionys.  Hat.  I,  61. 

*)  Schot.  Palatin,  ad  Od.  V,  125  in  Creuzei.  Metetciu.  1  p.  52. 

’)  Athen.  XIV  p.  661  A. 

Hei  Schol.  Apollon.  1,  9)3. 

')  Bei  Strabo  X ,  3.  *)  Paus.  I,  38,  7. 

llarpocration  u.  Suidas  s.  v.  Cic.  N.  D.  III,  21. 


war  auch  die  Zahl  der  Patriarchen  kleiner.  In  Athen  waren  es 
zwei  nebst  einem  Gott;  dieser  Gott  aber  war  anstatt  des  samothra- 
cisch  pelasgischen  Hermes  der  ägyptisch  phönicische  Dionysos  als 
Zeugungsgott  der  Menschengeschlechter  vermittelst  der  Erzväter. 
Sie  hiessen  daselbst  Anakes^)  und  ihr  Tempel  Anakeon  (ärd- 
xstop);  wiewohl  man  überhaupt  Götter  und  Könige  mit  diesem  Na¬ 
men  zu  belegen  pflegte.  Unter  dem  Namen  der  Anakles  wurde 
ihnen  zu  Amphissa  in  Lokri  eine  Feier  (reAsr?/)  veranstaltet,  und 
man  legte  sie  bald  für  die  Dioskuren ,  bald  für  die  Kureten,  bald 
für  die  Kabiren  aus^j,  und  alle  drei  Auslegungen  laufen  auf  dasselbe 
hinaus.  Desgleichen  verehrte  man  in  und  bei  Korinth  3)  und  in  Sa- 
mothrace  die  Jtöaxov^oi"'AvaxTeq,  und  die  Priester,  welche  zu 
Theben  die  Kabireuweihe  begingen,  hiessen  dvaxToxsliarat  ^).  — 
In  Absicht  auf  die  Bedeutung  dieser  Anakes  sind  zwei  Stellen  der 
Allen  bemerkenswerlh.  Arislenälus  bringt  am  Hochzeittag  seines 
Sohnes  ein  Opfer  im  Anakeon,  und  Demosthenes  (de  corona)  drückt 
sich  von  einem  Menschen,  welcher  von  Haus  aus  schlecht  ist,  also 
aus  :  7iov7](>öq  ovrog  dpcodsp  ex  zov  dpaxeiov  xal  döixog  (so  viel  als 
uTcb  ^tQoyupcop)  ^  ungefähr  wie  David  (Ps.  58,  4)  sagt:  »Die  Gottlosen 
sind  verkehrt  von  Geburt  aus,  die  Lügner  irren  von  Mutterleibe  an.“ 
Das  Anakeon  galt  demnach  dem  Athener  für  die  Brunnstube  der 
Kinderzeugung.  Mil  dieser  Bedeutung  stimmt  die  Worlableilung  von 
die  wir  mit  Spauheim  (ad  Callim.  Jov.  79),  Kanne  und 
Schelling  (über  die  samolhr.  Golth.  S.  95)  für  die  richtige  hallen, 
zusammen  ^).  Jene  Anakim  waren  ja  die  Äboriginer,  welche  die 


')  Cic.  1.  c.  Anaces  Alhenis  wird  in  den  Ausgaben  fälschlich  durch 
ein  Coiiinia  getrennt ,  was  schon  Davies  rügte. 

2)  Paus.  X,  38,  3.  3)  Paus  II.  36  p.  198, 

')  Orph.  h.  37:  KovQtjzeg  ,  Ko^vßapzeg,  dvdxzoQeg  ,  epövpatoi  re 
"Ep  Eafiodgdxy  dpaxzeg  ,  6/uoö  Zijpvg  xo^oi  avzoi. 

3)  Paus,  IV,  1  p,  281.  Clem.  Protr.  p,  16  Polter. 

Bei  Lucian.  Syrap.  IX  p.  66  Bip. 

2)  Das  Verzeichniss  der  griechischen  aus  dem  Semitischen  abge¬ 
leiteten  Wörter  im  Kadmus  von  Sickler  lässt  sich  mit  diesem,  wie  mit 
vielen  andern  Wörtern  vermehren.  Der  ursprüngliche  Genitiv  von 


253 


Israeliten  beim  Einfall  in  Palästina  antrafen  und  daraus  verjagten. 
Dasselbe  Wort  ira  Arabischen  (onkon)  bedeutet  gleichfalls  proceres, 
und  die  deutschen  Ahnen  mögen  wohl  aus  jenem  Urlaut  gebildet 
seyn.  Das  abgeleitete  (König)  hat  den  Grund  seiner  Bedeu¬ 

tung  in  dem  patriarchalischen  Ursprung  des  Fürstenstandes,  wo  der 
Aelteste  das  Haupt  oder  der  Anführer  ist.  —  Die  griechische  Ueber- 
setzung  von  jenen  Anakes  ist  TgiroTtatgatq  oder  Tgirondrogeq,  d.  i. 
dritte  Väter,  Vorväter,  ^goTtarsgsq ,  wie  sie  Hesychius  (v.  TgizoTtd- 
Togsq)  erklärt.  Sie  sind  einerlei  mit  jenen  Anakes:  denn  theils  die 
Bedeutung  ihres  Namens  ist  dieselbe,  theils  ihre  Verehrung,  indem 
uns  ausdrücklich  berichtet  wird,  dass  die  Athener  (und  zwar  sie 
allein)  bei  Hochzeiten  zu  den  Tritopatres  für  Kindersegen  beteten 
und  ihnen  opferten  ,  und  dass  man  sie  für  die  Vorsteher  der  Zeu¬ 
gung  hielt  2),  welche  Bedeutung,  wie  wir  vorhin  ersehen  haben, 
gerade  auch  den  Anakes  zukam;  theils  wurden  beiden  die  gleichen 
Geschäfte  beigelegt,  denn  sowohl  die  Tritopatres  galten  für  Wäch¬ 
ter  der  Winde  oder  für  Winde  selbst^),  als  auch  die  Dioskuren 
hiessen  ewige  Lüfte  (^xvoval  dsvaoi)  ^).  Diese  Einerleiheit  ergibt 
sich  auch  aus  Cicero  N.  D.  HI,  21  nach  der  Verbesserung  des 
Hemsterhuis  ®). 

Wollen  wir  die  Namen  der  attischen  Anakes  oder  Tritopato- 
res,  welche  aus  der  kritisch  verdächtigen  Stelle  des  Cicero  nicht  ge¬ 
radezu  entnommen  werden  können,  ausfindig  machen,  so  haben  wir 


ccpa^  ist  dvaxoq ,  wie  sich  noch  in  dem  Nebenwort  dvaxöiq  (vorsorgend  J 
zeigt:  Herod.  I,  24.  Thucyd.  VIII  ,  102. 

')  Phanodemus  L.  VI  bei  Etyra.  M.  u.  Siiidas  v.  TgizonÜTogeq, 
vgl.  Demonis  et  Phanodemi  fragm.  p.  3.  17. 

2)  Hesych.  1.  c.  yevsoscog  dgxrjyoi. 

3)  Orpheus  bei  Suidas  I.  c. 

Demon  in  d.  Atthis  bei  Suidas  a.  a,  0. 

5)  Orph.  h.  37. 

*’)  Hemsterh.  ad  Lucian.  Dial.  Deor.  XXVI,  1  T.  II  p.  335  Bip. 
Die  Stelle  des  Cicero  ist:  dfioaxogoi  etiam  apud  Graios  raultis  modis 
nominanlur:  primi  tres  ,  qui  appellantur  Anaces  Athenis ,  ex  Jove  rege 
antiquissimo  et  Proserpina  nati,  Tritopatreus  (verbessert  Tritopatres, 
wie  editio  Marsi  hat),  Eubuleus,  Dionysus. 


254 


uns  vornehmlich  zu  den  Altvordern  von  Eleusis,  wo  die  saruo- 
thracischen  Kabircn  Demeter  und  Persephone  verehrt  wurden,  zu 
wenden.  Dysaules  von  Eleusis  hatte  zwei  Söhne,  Triptolemus 
und  Eubuleus*);  diese  hielt  man  für  Erdgeborne  d.  i.  Urväter, 
und  fügte  ihnen  bisweilen  den  Eumolpus  und  als  das  ürweib  die 
allegorische  Baubo  bei,  über  welche  wir  uns  oben  erklärt  haben  2). 
Eumolpus  wurde  auch  weggelassen,  weil  er  von  Triptolemus  selbst- 
abstamraen  sollte,  da  ihn  wenigstens  Ister  zu  dem  Enkel  des  Tri¬ 
ptolemus,  zum  Sohne  seiner  Tochter  Deiope  machte.  Triptolemus 
war  Rinder-  Eumolpus  Schaf-  '’>)  und  Eubuleus  Schweinhirte.  Also 
der  Begriff  der  ältesten  Stände  in  Attika  knüpfte  sich  an  jene  Pa¬ 
triarchen,  wie  an  die  Namen  Kain  und  Abel;  wie  wir  diess  an  den 
Kabiren  aller  Orten  gewohnt  sind.  Triptolemus  war  der  Kain  von 
Attika;  denn  der  Rinderhirle  {ßovy.6koq)  pflügte  und  säete  auch  mit 
seinem  Rindergespann;  wie  wir  diess  an  der  Kaste  der  Rinderhirten 
von  Aegypten  nachgewiesen  haben.  Wie  in  der  Landschaft  des  Ce- 
krops  die  allen  Stammväter  ein  Rinder-  und  ein  Schweinhirle  wa¬ 
ren,  so  traten  auch  in  Aegypten  diese  beiden  Kasten  hervor.  Tri¬ 
ptolemus  nebst  seinem  Bruder  Eubuleus  eignen  sich  in  jedem 


')  Orpheus  bei  Paus.  I,  14,  2.  Wenn  Andere  (Paus.  1,  14,  2. 
II,  14,  2)  den  Triptolemus  zum  Sohn  des  Keleos  und  zum  Neffen  des 
Dysaules,  Andere  (Choerilus  bei  Paus.  I,  14,  2  vgl.  Pholii  Lev.  p,  357 
Herrn.)  zum  Sohn  des  Rharos  machten;  so  scheint  jene 'Abstammung 
erfunden  worden  zu  seyn  ,  w'eil  zu  jener  Zeit  Keleos  König  zu  Eleusis 
war,  und  diese,  weil  Rharos  Grossvater  des  Triptolemus  w'ar  (vergl. 
Heyne  ad  Apollodor.  p.  27).  Nach  Homer  h.  in  Cer.  153  ff.  waren  die 
Gewalthaber  und  Richter  zu  Eleusis;  Keleos,  Triptolemos ,  Diokles, 
Polyxenos  ,  Eumolpos  und  Dolichos.  Panyasis  (bei  Apollod.  I,  5,  2) 
nennt  den  Triptolemus  Sohn  des  Eleusis,  was  leicht  zu  verstehen  ist; 
bei  Nikander  Ther.  v.  484  ist  er  Sohn  des  Hippothoon,  bei  Pherecydes 
und  Musäus  (Paus.  I,  14,  2)  Sohn  des  Oceans  und  der  Erde. 

2)  Paus.  Attic.  p.  13.  ,36,  Corinth.  p.  57.  Clemens  Protrept.  p.  17 
und  aus  ihm  Euseb.  Praep.  Ev.  II,  3  p,  66  u.  Arnob.  V,  25. 

Bei  Schob  Sophocb  Oed.  Colon. 

Plin.  II.  N.  VlI ,  57  macht  den  Eumolpus  zum  Erhnder  des 
attischen  Weinbaues  und  der  Baumzucht. 


Betracht  als  Stammheiden  ins  Anakeon  als  die  Alinherreu  und 
Vorsteher  der  Ackerleute  und  Hirten.  Der  Erstere  gründete  eine 
Stadt  in  Achaja  Namens  Aroa,  vom  Ptlügen  benannt  *);  auf  einem 
Schlangenwagen  (als  Heros)  lassen  ihn  die  Dichter  ausziehen,  um 
nicht  nur  in  Attika,  sondern  alle  Well  den  Getreidebau  zu  lehren  2) 
(nirgends  verweilend  wie  Kain).  In  Athen  sah  Pausanias  sein  Bild- 
niss  nebst  einem  wie  zum  Opfer  geführten  Ochsen.  Als  einen  Adam 
machten  ihn  der  sogenannte  Musäos  und  Pherecydes  (fragm.  p.  96 
Sturz)  zu  einem  Sohne  des  Okeanos  und  der  Erde;  was  mit  seiner 
natürlichen  .4bstammung  nicht  im  Widerstreit  ist.  Auch  zu  Eleusis 
hatte  er  einen  Tempel  ').  —  Fassen  wir  nach  diesen  Vorbemerkungen 
die  Stelle  des  Cicero  N.  D.  HI,  21  von  den  attischen  Anakes  ins 
Auge,  nachdem  wir  die  Verbesserung  des  Hemsterhuis  Tritopatres 
anstatt  Tritopatreus  aufgenommen  haben;  so  passen  zwar  die  zwei 
von  Cicero  namhaft  gemachten  Eubuleus  unil  Dionysos  sehr  gut, 
jener  als  Hirte  und  dieser  als  der  kabirische  Gott,  durch  dessen 
Kraft  die  menschlicheh  Patriarchen  den  Samen  des  Volkes  für  und 
für  forlpflanzen.  Weil  aber  Cicero  selbst  sagt,  es  seyen  ihrer  drei 
gewesen,  so  ist  einer  von  den  Abschreibern  ausgelassen  worden. 
Auf  wen  dürfen  wir  anders  verfallen  als  auf  den  Bruder  des  Eubu¬ 
leus,  auf  den  gegenüber  stehenden  Ackermann  Triptolemus  ?  Um  so 
mehr  als  dieser  Name  wegen  des  gleichen  Anfangs,  den  das  Wort 
Tritopatres  hat,  leicht  übersehen  wurde  und  ausfiel ;  zumal  wenn 
die  Abschreiber  irrig  Tritopatres  selbst  für  einen  von  den  drei  Ana¬ 
kes  hielten  5).  Die  Stelle  ist  demnach  also  zu  verbessern:  Trito- 


*)  Paus.  VII,  18,  2. 

2)  Sophocl.  fragra.  538.  Sein  verloren  gegangenes  Stück  Triplo- 
lemos  behandelte  diesen  Gegenstand ,  s.  Preller  Demeter  u.  Persephone 
S.  303  ff. 

3)  Bei  Paus.  I,  14,  2.  Paus.  I,  38,  6. 

Hemsterhuis  erkannte  wohl,  dass  in  Tritopatreus  zwei  Wörter 
verborgen  liegen ,  aber  er  rieth  auf  Tritopatres ,  Zagreus ,  wie  auch 
Schütz  abdrucken  liess.  Nun  ist  Zagreus  ein  bekannter  Beiname  des 
Dionysos,  und  auch  Eubuleus  mag  man  für  einen  Beinamen  desselben 
Gottes  halten  (Plutarch.  Symp  Q.  7.  9);  wie  denn  Eubuleus  ein  Bei¬ 
name  noch  anderer  Götter  war  (Ilesych,  v.  EvßovXsvq  o  TIXovzow,  das. 


patres,  Triplolemus ,  Eubuleus,  Dionysus.  Dass  Triplolemus  einer 
von  den  attisch  eleusinischen  Kabiren  war,  geht  auch  daraus  liervor, 
dass  Demeter  ihm  ihre  Orgien  zeigte  ^).  Mit  seinem  Verhällniss  zu 
Dionysos,  worin  wir  den  Triptolemus  hier  an  treffen ,  hat  es  auch 
sonst  seine  Richtigkeit,  wodurch  unsere  Lesung  bestätigt  wird.  Osi¬ 
ris  d.  i.  Dionysos  soll  dem  Triptolemus  in  Attika  den  Ackerbau  an¬ 
vertraut  haben  2),  Zu  Mesatis,  einer  Stadt  in  Achaja ,  welche  Tri¬ 
ptolemus  und  Eumelus  gründeten,  soll  nach  der  Sage  der  Patrenser 
der  Gott  Dionysos  erzogen  worden  seyn,  wo  er  durch  die  Nachstel¬ 
lung  der  Pane  in  grosse  Gefahr  gerathen  sey  ^).  Mit  Cicero  steht 
auch  Orpheus  (h.  XXIX,  8)  in  Uebereinstimmung,  welcher  den  Eu¬ 
buleus  theils  einen  brausenden  Stürmer  (also  einen  von  den  Trilo- 
patres  als  Wächter  der  Winde),  theils  einen  Sohn  der  Persephone 
nennt- 

So  hat  das  bildsame  attische  Volk  seine  Landesheroen,  die  pe- 
lasgisch  samothracischen  Gottheiten  Demeter  und  Persephone  und 
den  phönicisch  thebanischen  Dionysos  mit  einander  verschmolzen, 
und  dadurch  das  Fremde  auf  eigenen  Boden  verpflanzt.  An  die  Stelle 
des  pelasgischen  Hermes  trat  hier  einerseits  der  höheren  Einheit 
zu  lieb  der  Menschenvater  Zeus  als  Urgrund  aller  Zeugung  und 
somit  als  Vater  der  Kabiren  und  als  Gatte  der  Persephone,  an¬ 
dererseits  Dionysos  als  der  Erzeuger  neuen  Styls  in  Gemeinschaft 
mit  den  eleusinischen  Patriarchen.  Aus  diesem  Grunde  nannte  man 
den  Zeus  den  altern  Kabir  und  den  Dionysos  den  Jüngern  ^).  Diess 
ist  nicht  für  samothracische,  sondern  national  attische  Lehre  zu  hal¬ 
ten;  wie  denn  auch  zu  Athen  Zeus  der  älteste  Anax  war,  von  welchem 


Ausleger,  Nicandri  Alexipharm.  v.  14  ib.  Schneider).  Es  wäre  aber 
doch  seltsam ,  wenn  der  Gott  Dionysos  mit  seinem  eigentlichen  Namen 
und  ausserdem  mit  zwei  Beinamen  aufgeführt  und  diese  für  drei  Per¬ 
sonen  gezählt  würden.  Zudem  entspricht  das  göttliche  Wesen  des 
Dionysos  allein  nicht  dem  Begriff  der  Triptopatres  ,  welche  die  Aller¬ 
ersten  oder  Altvordern  gewesen  sind.  (Philochorus  bei  Suidas,  fragm. 
ed.  Siebelis  p.  11;  tovg  TQiroitdrQSK;  Ttdvzcov  yeyovsvai  7tQa>rovq.) 

*)  Hom.  h.  in  Cer.  474.  ’^)  Euseb.  Praep.  Ev,  I,  1  p,  46. 

3)  Pausan.  VII ,  18  ,  .8. 

Schot.  Apollon.  I  ,  v.  918.  Elymot.  M.  v.  Kaßsipoc. 


257 


<iie  Anakes  abslammleo.  Denn  so  sind  die  Worte  Ciceros :  ex  Jove 
rege  antiquissimo  et  Proserpina  nali,  zu  verstehen.  Aus  demselben 
Grunde  war  Zeus  den  Athenern  ein  väterlicher  (;rar(»wo?)  Gott. 
Wie  sie  aus  zwei  Volkssläinraen  entstanden  waren,  so  standen  auch 
an  der  Spitze  ihres  Stammbaumes  zwei  verschiedene  Götter,  und 
beide  waren  naxqMoi^  Zeus  als  Vater  des  pelasgischen  Stammes,  zu¬ 
nächst  der  Altvordern  Triptolemus  und  Eubuleus,  und  der  pythische 
Apollon  als  Vater  des  hellenischen  Stammes,  zunächst  des  Jon, 
den  er  nach  attischer  Fabel  mit  Kreusa  erzeugte.  Die  Kabiren  oder 
Anakes  wurden  nunmehr  Dioskoren  •)  d.  i.  Zeus  Söhne,  und  diese 
Benennung  galt  für  einerlei  mit  jener,  oder  wurde  im  feierlichen 
Styl  zusammengesetzt.  So  in  einer  Inschrift  von  der  Zeit  des  Augu- 
slus,  welche  wahrscheinlich  im  attischen  Anakeon  zu  Hause  war, 
und  zum  Andenken  verfasst  wurde  ,  dass  Cajus  Sohn  des  Ca  jus  aus 
dem  attischen  Distrikt  Acharnä  Priester  geworden  war  der 'grossen 
Götter  Dioskoren  Kabiren  [j.£yäXcov  JioaY.6g(x>v  Kaßsl- 

po)»')  2).  Wir  lernen  hieraus  die  Tempelsprache  kennen,  anstatt 
welcher  das  attische  Volk  Anakes  und  Tritopatres  sagte.  Man  nannte 
«ie  kürzer  auch  bloss  grosse  Götter,  wie  Eubulus  von  Marathon, 
Sohn  des  Demetrius,  in  dem  V'^olksbeschluss  der  Athener  auf  Delos 
im  Museum  von  S.  Marco  zu  Venedig  Priester  der  grossen  Götter 
heisst  (^isgsvi;  yevö/uerog  rcöfx,  juiydXoop  dswv)  3).  Im  attischen  Gau 
KscpaXtj  wurden  die  sogenannten  grossen  Götter  besonders  ver- 


dcöaxoQoi  ist  die  attische  Schreibart  (Arisloph.  Pac.  v.  28i 
Ecclesiaz.  v.  1060),  w'elcher  auch  Jo.  Lydiis  IV,  13  p.  I6i  folgt,  und 
Cicero  N.  D.  III,  21  nach  den  Spuren  der  Handschriften,  die  zwischen 
Dioscoroe,  dioscore,  dioscorae  (diese  Lesart  befindet  sich  auch  in  der 
noch  nicht  verglichenen  marcianischen  Ildschr.  N.  CDXIV),  Dioscorte, 
Dioscorce,  Dioscoridae,  discordiae  schwanken;  wiewohl  die  Ausgaben 
die  Form  ^töoy.ovgoi  geben.  Die  letztere  Form  ist  die  ionische: 
Herod.  II,  43.  Hom.  h.  XXXIII,  1  und  bei  den  Spätem,  als  Plutarch 
und  Pausanias. 

2)  S.  meine  Lettera  sopra  una  Inscrizione  Greca  nel  Seminario 
Patriarcale  di  Venezia  intorno  agli  Dei  grandi  Cabiri.  Venezia  1820. 

Vgl.  Montfaucon  Diar.  Ital.  c.  3  p.  43 ,  wo  irrig  xmv  statt 
XM/ii  steht. 


17 


258 


ehrl  •).  In  Trilia ,  einer  Stadt  in  Achaja,  hatten  die  sogenannten 
grössten  Götter  einen  Tempel  2).  Die  Dioskureu  unter  dem  Namen 
der  grossen  Götter  hatten  zu  Klitorii,  einer  Stadt  in  Arkadien,  Tem¬ 
pel  uud  eherne  Bildsäulen  3) ,  und  so  wurden  auch  die  samothraci- 
schen  Gottheiten  benannt  ^).  Hammond  fand  daher  eine  entgegen¬ 
setzende  Anspielung  auf  diese  heidnische  Benennung  in  dem  pauli- 
nischen  Ausdruck  Tit.  2,  13,  wo  Jesus  Christus  grosser  Gott  und 
Heiland  (acor^^))  genannt  wird  5).  Heilande  oder  Horte  waren  auch 
die  grossen  Götter  der  Heiden,  wie  wir  unten  sehen  werden.  —  Nun 
verstehen  wir  den  Ausdruck  des  Themistokles  yopiyiol  der 

den  Auslegern  zu  schaffen  machte.  Er  führte  nemlich  sein  Heer 
zur  Schlacht  gegen  die  Perser  aus,  dass  sie  für  das  Vaterland,  die 
Göller  ihrer  Väter  und  die  erzeugenden  Heroen  kämpfen  6). 
Es  ist  in  der  Ordnung,  die  Patriarchen  in  Verbindung  mit  den  Na¬ 
tionalgöttern  zu  setzen;  wie  auch  die  Hebräer  ihren  Gott  den  Gott 
Abrahams,  Isaaks  und  Jakobs  nannten.  Jedes  Land  hatte  seine  be- 
sondern  dsdl  y£vi%'\ioL'^'),  z.  B.  die  fhebaner  rühmten  sich  aus  der 
Aphrodite  Blut  entsprossen  zu  seyn®),  weil  sie  für  die  Mutter  der 
Harmonia,  der  Gattin  des  Kadmos,  galt 9). 

Wenn  uns  in  der  ciceronischen  Stelle  der  Allerzeuger  Diony¬ 
sos  in  der  Zahl  der  Kabiren  aufgeführt  wird,  so  stimmen  damit 
ähnliche  Berichte  überein.  Zu  Tritia  in  Achaja  hat  man  den  gröss¬ 
ten  Göttern  (roXq  fxeyioxoiq  ein  jährliches  Fest  veranstaltet, 

wie  die  Griechen  dem  Dionysos  zu  hallen  pflegten  “^),  also  wahr- 


‘)  Paus.  I  p.  77.  2)  Paus.  VIl ,  22  p.  580. 

3)  Paus.  VIII,  21  p.  639. 

Varro  de  ling.  lat.  IV  p.  t7.  VI  p.  88  Bip.  Dionys.  Hai.  Antiq. 
Rom.  I,  70. 

3)  Grosser  Gott  wird  am  besten  auf  Christum  bezogen,  wie  Cle¬ 
mens  von  Alex.  ,  Athanasius ,  Cyrillus  und  neuerlich  Matthäi  thun. 
Schon  die  Auslassung  des  Artikels  vor  a<axr]Qoq  schliesst  die  beiden 
Prädicate  eng  an  einander. 

6)  Aelian.  V.  H.  II,  28.  '<)  Aeschyl.  7  vor  Theb.  62t. 

3)  Aeschyl.  a.  a.  O.  129. 

9)  Vgl.  Eurip.  Phoeniss.  7. 

10)  Paus.  VII ,  22. 


259 


sclieinlicli  mil  einem  Pliallusaul'zug  ‘).  An  den  Schnilzbildern  Qöara) 
der  Dioskuri  Anaktes  zu  Korinth  bemerkte  Pausanias  (!l,  36  p.  198) 
eine  l)esondere  Gestalt;  vielleicht  mit  hermenartigem  Gliede.  Daher 
erscliienen  die  Argonauten  in  dem  Trauerspiel  des  Aeschylus,  die 
Kabiren  betitelt,  betrunken  auf  der  Bühne.  In  Phrygien  gab  man 
dem  Dionysos  Sabazios,  welchem  zu  Ehren  die  Sabazien  als  eine 
kabirische  Bacchusweihe  gefeiert  wurden,  geradezu  den  Kabirus 
zum  Vater  2).  Wegen  dieser  verschiedenen  Abstammung  nannte  Ci¬ 
cero  diesen  letztgenannten  Dionysos  den  dritten  und  den  Sohn  des 
Zeus  und  der  Persephone  den  ersten.  Allein  da  die  Kabiren  Dios- 
kuren,  zu  welchen  Dionysos  auch  gehörte,  Kinder  des  Zeus  und  der 
Persephone  waren,  so  ist  eigentlich  Dionysos  der  Sohn  des  Kabirus 
nicht  verschieden  von  dem  Sohne  des  Zeus  und  der  Persephone,  und 
in  der  That  geben  Andere  auch  dem  Dionysos  Sabazios  den  Zeus 
und  die  Persephone  zu  Eltern  3).  In  Verbindung  mit  den  Kabiren 
erscheint  Dionysos  auch  in  jener  mystischen  Sage,  dass  er  von  sei¬ 
nen  zwei  Brüdern  Korybanten,  auch  Kabiren  genannt,  erschlagen 
worden  sey  Auf  etruskischen  Denkmälern  tritt  diese  Verbindung 
des  Dionysos  mit  den  Kabiren  hervor,  z.  B.  auf  einer  etruskischen 
Vase  steht  auf  einer  Seite  Dionysos  mit  dem  Myrtenkranz  in  der 
Beeilten  und  in  der  Linken  mit  einem  Stabe  mit  fünf  grünenden  En¬ 
den,  auf  der  andern  Seite  drei  Kabiren  mit  dem  Kabirenhut  und  an 
der  Wand  ist  eine  Binde  ^).  Auf  einem  etruskischen  Spiegel  *")  steht 
Dionysos  in  der  Mitte  von  Kastor  und  Pollux. 

Ein  jedes  Land  hatte  in  seinen  Stararahelden  seine  eigenen 

1)  Herod.  II,  48  f. 

2)  Cic.  N.  D.  III,  23  Cabiro  patre  nach  der  Verbesserung  des  Ja¬ 
kob  Gronovius  anstatt  Caprio  patre,  mit  Vergleichung  des  Ampelius 
c.  9,  wo  freilich  nur  in  der  ed.  princ.  das  Bichlige,  in  den  spätem 
Ausgaben  fehlerhaft  Cabitus  steht.  Gutberleth.  de  Myst.  Deor.  Cabiror. 
c.  2  col.  837,  Ernesti  u.  Heindorf  pflichten  bei.  Dazu  kommt  nun  fer¬ 
ner  Jo.  Lyd,  de  mens.  IV,  38  p.  198:  TQltoq  KaßlQov  naiq. 

3)  Diodor.  Bibi.  IV  p.  212.  Jo.  Lyd.  p  198. 

^‘)  Clemens  Protrept.  p.  15  f. 

3)  Dempster  de  Etr.  reg,  T.  I.  T.  XI. 

ö)  Inghirami  Mon.  Etr,  Ser.  II  T,  77. 


260 


Dioskoren  Kabiren:  in  Lakonien  waren  es  Kaslor  und  Polydeu- 
kes  (Pollux),  in  Argos  Alkon  und  M  e  1  a  m  p  u  s ');  wodurch  un¬ 
sere  Erklärung  von  allen  Seilen  unlerslülzt  wird.  Die  Ellern  von 
jenen  waren  Tindareus  und  Leda,  wie  Homer  (Od.  XI,  298) 
sie  geradezu  uennl,  der  ihre  Söhne  noch  nichl  für  Göller  erachlel, 
sondern  nur  sagl,  dass  sie  Göllern  gleich  Ehre  empfingen,  Kaslor 
ein  Pferdebändiger,  Polydeukes  im  Fauslkampf  geübl  gewesen  sey. 
Als  vergöllerte  Heroen  und  Kabiren  hallen  sie  Zeus  zum  Valer,  und 
hiessen  daher  sowohl  Dioskoren  2)  als  grosse  Göller  2).  Sie  gelang- 
len  wahrscheinlich  zu  dieser  Auszeichnung  dadurch,  dass  sie  nach 
der  Argonaulenfahrl  den  samolhracischen  Kabirendiensl  in  ihre  Hei- 
malh  verpflanzlen  und  ausbreilelen.  Man  erzählle  sich  davon  ein 
Mährcheu,  dass  zwei  Slerne ,  als  das  Schiff  der  Argonaulen  sich  in 
Slurm  und  Gefahr  befand,  und  der  eingeweihle  Orpheus  zu  den  sa¬ 
molhracischen  Gollheilen  flehle,  als  Zeichen  der  Erhörung  auf  das 
Haupl  der  Dioskuren  fielen,  und  darauf  der  Wind  sich  legle  ^). 
Genug,  nichl  allein  in  ihrem  Valerlande  gallen  die  Tyndariden  für 
grosse  Göller  und  mächlige  Kabiren,  sondern  auch  anderwärls  bis 
nach  Haben  verbreilele  sich  ihre  Verehrung  um  so  leichler  fan¬ 
den  sie,  weil  man  die  Namen  der  eigenllichen  Väler  oder  Anakes 
eines  jeden  Landes  geheim  biell ,  zur  Anschauung  des  neugierigen 
Volkes  Eingang.  Indessen  darf  man  desswegen  den  Begriff  der  Ka¬ 
biren  nichl  auf  Kaslor  und  Pollux  oder  auf  ihr  Zeilaller  einschrän¬ 
ken;  wie  schon  einsichlige  Gelehrle  des  Allerlhums  bemerklich  ge- 
machl  haben,  sondern  sie  sind  nur,  wie  Sexlus  Empiricus  (IX,  37) 
sagl,  in  die  Ehre  der  lange  zuvor  für  Göller  gehallenen  Dioskuren 
eiiigelreten  *').  Sogar  vor  dem  Hafen  von  Saraolhrace  hallen  Kaslor 


1)  Cic.  N.  D.  III,  21.  2)  cic.  1.  c. 

Die  Corcyräer  nannten  nach  Pausanias  den  Kastor  und  Pollux 
so.  Also  steht  in  einer  Inschrift  bei  Gruter,  p.  89  n.  9:  Castori  et 
Polluci  Djs  magnis  Sulpitia. 

Diodor.  IV  p.  172  A. 

*)  Z.  B.  in  Agrigent  nach  Aristarch  zu  Pindar  Ol.  III,  1. 

6)  So  haben  die  Sicyonier  ihren  Heroen  Adrastus,  welcher  den 
ersten  und  zweiten  Krieg  gegen  Theben  mit  machte  und  hernach  mit 


2ßl 


uud  Pollux  zwei  eherne  Slandbilder  ^).  Allien  verehrte  neben  den 
eingebornen  Anakes  als  solche  noch  die  ausländischen  Kastor  und 
Pollux,  uud  zwar  durch  Veranlassung  des  Menest heus,  dessel¬ 
ben,  welcher  den  trojanischen  Feldzug  mit  machte.  Die  Tyndarideu 


Herzeleid  starb,  anstatt  des  Dionysos  verehrt  und  dessen  Leiden  durch 
tragische  Chöre  verherrlicht:  Herod.  V,  67. 

*)  Varro  IV  p.  17:  neque  quas  Samothracia  ante  portas  slatuit 
duos  virileis  species  aheneas,  Dei  magni ,  neque,  ut  volgus  putat,  hi 
Somotbraces  Dii,  qui  Castor  et  Pollux;  sed  hi  mas  et  femina.  Schel- 
ling  über  die  Gottheiten  v.  Samolbr.  S.  103  folgert  aus  den  letzten 
Worten,  weil  die  saraothr.  Gottheiten  Mann  und  Weib  seyen,  so  könn¬ 
ten  es  nicht  die  zwei  männlichen  Gestalten  von  Erz  seyn.  Sicher; 
allein  daraus  folgt  noch  nicht,  dass  jene  zwei  Erzstatuen  überhaupt 
nicht  in  Samothrace  gestanden  seyn  können,  wie  Schelling  meint,  wel¬ 
cher  die  Lesart  der  römischen  Handschrift  Ambracia  statt  Samothracia 
vorzieht.  Im  Gegentheil  wenn  der  Pöbel  die  samothr.  Götter  für  Kastor 
und  Pollux  hielt,  wie  Yarro  deutlich  sagt,  so  ist  es  ganz  im  Zusam¬ 
menhang,  wenn  die  zwei  ehernen  Gestalten  auf  Samothrace  standen. 
Varro  behauptet  nur ,  diess  seyen  nicht  die  eigentlichen  samothracischen 
Gottheiten,  nicht  die  grossen  Götter,  sondern  ein  blosses  Schauspiel 
für  das  Volk.  Servius  zu  Virgils  Aen.  III,  12  setzt  die  richtige  Lesung 
ausser  Zweifel:  Varro  et  alii  complures  magnos  Deos  adflrmant  simu- 
lacbra  duo  virilia,  Castoris  et  Pollucis ,  in  Samothracia  ante  portum 
sita ,  quibus  naufragio  liberati  vola  solvebant.  Freilich  vermischt  hier 
Servius  Varro’s  und  Anderer  Meinung ,  er  führt  an,  was  der  Pöbel  bei 
Varro  sagt,  ohne  darauf  Rücksicht  zu  nehmen,  dass  Varro  selbst  der 
Meinung  ist,  Kastor  und  Pollux  am  Hafen  von  Samothrace  seyen  nicht 
die  grossen  Götter,  Samothrace  übrigens,  wiewohl  nach  Plin.  H.  N. 
p.  214  importuosissima  omnium,  hat  doch  einen  Hafen  nach  Plut.  in 
Aemilio  c.  26  und  Liv.  XLV  ,  6:  Demetrium  est  portus  in  promonto- 
rio  quodam  Samothracae.  Choiseul -Goulfier  T,  II  p.  123  hält  dafür,  im 
Norden  des  Eilandes  sey  der  Hafen  gelegen  gewesen.  Unstreitig  war 
es  bei  der  Schwierigkeit,  auf  Samothrace  zu  landen,  geeignet,  am 
Hafen  Gnadenbilder  aufzustellen.  üeber  die  Stelle  Varro’s  haben  sich 
schon  Lipsius  ad  Tacit.  Annal,  II  und  Matthaeus  Aegyptius  explicatio 
S.  C.  de  Bacchanal,  in  Poleni  Thes,  I  col.  774  verbreitet. 


262 


uernlich  verlialfeu  ihm  durch  Verlreibung  der  Söhne  des  Theseus 
zur  Regierung  von  Allien.  Aus  Dankbarkeit  benannte  sie  Mene- 
slheus  Könige  und  Reiter  v.al  ‘).  Wahrsclieinlicb 

liess  er  ihre  Bildsäulen  im  Anakeon  aufslellen,  wodurch  sie  mit  den 
vaterländischen  Penaten  nach  und  nach  vermischt  und  verwechselt 
wurden.  Dem  unterrichteten  Cicero  aber  verdanken  wir  die  Kennl- 
niss  der  wahren  Namen  der  grossen  Göller  des  Anakeon.  Die  Ver¬ 
mählung  der  Tyndaridcn  mit  den  Leucippiden  Hessen  die  Athener 
von  Polygnolus  malen  2). 

Um  den  Wechsel  des  Lebens  und  Sterbens  unter  den  Menschen¬ 
geschlechtern  zu  bezeichnen,  dichtete  schon  Homer  (Od.  XI,  302  ff.), 
Kastor  und  Pplydeukes  seyen  zwar  unter  der  Erde,  aber  nicht  als 
Schallen,  sondern  bei  Leibesleben;  abwechselnd  seyen  sie  einen  Tag 
um  den  andern  lebendig  und  lodl,  solche  Auszeichnung  empfingen 
sie  unter  der  Erde  von  Zeus.  Pindar  (Pyth.  XI  z.  Ende  u.  Nein.  X, 
103  ff.)  schmückte  diese  Fabel  weiter  aus:  Polydeukes  sey  eigent¬ 
lich  allein  Sohn  des  Zeus  und  Kastor  des  Tyndareus,  dieser  sey  im 
Krieg  wegen  Rindern  von  des  Idas  Lanze  getroffen,  gestorben  und 
zu  Therapua  begraben  worden,  jener  hätte  vorgezogen,  anstatt  das  ihm 
gebührende  ewige  Leben  bei  Zeus  im  Olymp  zu  geniessen ,  das  Loos 
mit  seinem  Bruder  zu  theileu,  uud  daher  seyen  sie  abwechselnd 
einen  Tag  im  Grabe  zu  Therapna  und  den  andern  im  Olympus.  Für 
eine  falsche  Auslegung  ist  es  zu  erachten,  wenn  Servius  (zu  Virg. 
Aeu.  II,  601.  VI,  121)  meint,  Kastor  sey  wegen  seiner  menschlichen 
Abstammung  allein  sterblich  gewesen  ,  oder  wenn  alle  Philosophen 
aus  jener  Erzählung  Anlass  zu  Deuteleien  nahmen,  als  ob  die  Dios- 
kuren  die  Halbkugel  über  und  die  unter  der  Erde  wären  3) ,  oder 
wenn  man  sie  auf  Tag  und  Nacht  deutete  '•). 

In  Argos  waren  die  Dioskoren  Kabiren  Alkon  und  Melam- 
pus,  Söhne  des  Atreus,  Enkel  des  Pelops  =).  Melampus  halle  von 


1)  Plut.  in  The^eo  T.  1  p.  16.  Aelian.  V.  H.  IV,  5. 

2)  Pausan.  1,18. 

3)  Bei  Jo.  Lydus  111,  22  p.  118.  164.  Sexlus  Empirie,  adv.  Ma- 
Ihem.  IX  p.  157. 

Schob  Eurip.  Oresl.  v.  448. 

^)  Cic.  N.  D.  III,  21:  z/fdoxopot  ....  tertii  dicunlur  a  uoimullis 


2G3 


seinem  Amte,  wie  es  scheint,  auch  den  Namen  Eurymedon  (der 
weithin  Herrschende);  vielleicht  um  ihn  von  Melampus,  dem  Sohne 
des  Amythaon,  dem  Enkel  des  Krelheus,  zu  unterscheiden.  Denn 
Nonnus  (Dionys.  XIV,  16  ff.)  nennt  „die  beiden  Kabiren  Alkon  und 
Eurymedon  Götter  des  Herdes.”  So  hiess  auch  Perseus  noch  Eu¬ 
rymedon  ^).  Nonnus  gibt  ihnen  überdiess  auf  ägyptische  Weise  die 
Genealogie  von  Hephästos  und  der  thracischen  Kahiro^);  was 
in  der  Sache  keine  Abweichung  ist.  Denn  die  Verschiedenheiten, 
welclie  der  Gattung  der  Kabiren  zukommen,  können  auch  Einzelnen 
von  ihnen  beigelegt  werden.  In  Lakonien  sah  Pausanias  (HI  p.  242) 
das  ijQwop  des  Alkon ,  den  man  für  den  Sohn  des  Hippokaon  aus- 


AIco  et  Melampus,  Emolus  ,  Atrei  Olii ,  qui  Pelope  nalus  fuit.  Die  Ver¬ 
dorbenheit  dieser  Stelle  springt  aus  zweierlei  Ursachen  in  die  Augen: 
einmal  weil  auf  das  schliessende  Bindewort  et  nicht  noch  ein  Name  und 
zwar  ohne  Verbindung  folgen  kann,  sodann  weil  die  Dioskoren  d.  i.  Zeus 
Söhne  nicht  geradezu  als  Söhne  des  Atreus  bezeichnet  werden  können. 
Die  verbessernde  Kritik  wird  sich  nicht  erlauben  dürfen ,  das  Binde¬ 
wort  zu  umstellen,  weil  die  Versetzung  desselben  in  den  Handschriften 
ganz  unbegreiflich  wäre.  Darum  verwerfe  ich  die  Aeuderung  des  Da- 
vies,  wiewohl  sie  Beifall  gefunden  hat:  Alco,  Melampus  et  Tmolus. 
Sie  lässt  die  Schwierigkeiten  zurück,  welche  eine  Aenderung  überhaupt 
räthlich  machen,  und  hilft  da,  wo  man  keiner  Hülfe  bedarf,  indem 
sie  statt  des  Emolus  einen  gleichfalls  unbekannten  Sohn  des  Atreus 
Namens  Tmolus  auftisebt.  Ich  verbessere  daher:  ab  aliis  statt  Emolus. 
So  behält  et  seine  rechte  Stelle,  die  Söhne  des  Zeus  werden  von  An¬ 
dern  für  Söhne  des  Atreus  gehalten.  Der  Zusammenhang  stimmt  ganz 
dafür,  indem  der  Ausdruck  a  nonnullis  dicuntur  Dioscori  zu  verstehen 
gibt,  dass  Andere  ihnen  diese  Ehre  abspracheu.  Selbst  fünf  Hand¬ 
schriften  weisen  dahin ,  welche  zwischen  aviolus ,  eviolus  und  oviolus 
schwanken  (s.  Moser  ad  h.  1.  p.  589).  Endlich  die  oben  angeführte 
Stelle  des  Nonnus  spricht  bestimmt  nur  von  einem  Bruderpaar  als  Ka¬ 
biren:  Alkon  und  Eurymedon,  und  stimmt  somit  gegen  die  eine  Drei¬ 
heit  zum  Vorschein  bringende  Vermuthung  des  Davies. 

6)  Schob  Apollon.  IV,  1514. 

*)  Statt  Kaßsl^io  ist  Kaßec^ui  zu  lesen,  nach  der  richtigen  Be¬ 
merkung  Creuzers  zu  Cic.  N.  D.  p.  589. 


264 


gab.  Wir  köünen  über  die  Einerleiiieit  oder  Verschiedenheit  dieser 
Alkone  niclU  entscheiden. 

Die  Etrusker  nannten  diese  Gottheiten  Consentes  und 
Complices,  sie  waren  im  Ralhe  des  höchsten  Zeus,  und  es  waren 
ihrer  sechs  männliche  und  sechs  weibliche  ‘) :  also  so  viele  als  es 
etruskische  Stämme  oder  Hauptstädte  gab.  Sie  waren  die  Schutz¬ 
geister  des  zwölf  Slädtebundes  und  stellten  den  Verein  des  ganzen 
Volkes  dar.  Daher  sagte  man  von  ihnen,  sie  entstehen  und  ver¬ 
gehen  mit  einander,  sie  sind  unzertrennlich,  sind  Consentes,  die 
Einträchtigen,  und  Complices,  die  Verbundenen. 

Allenthalben  tritt  uns  die  Wahrheit  entgegen,  dass  das  Alter¬ 
thum  unter  den  Kabiren  die  Patriarchen  eines  jeden  Volkes  in  Ver¬ 
bindung  mit  der  höchsten  Nationalgottheit  verstand;  und  so  ist  uns 
der  bekannte  Ausspruch  Cicero’s  in  den  tusculanischen  Untersuchun¬ 
gen  klar,  man  lerne  in  den  Mysterien,  dass  vergötterte  Menschen 
zu  Göttern  erhoben  worden  seyen.  Das  waren  die  Stammhäupter, 
die  ältesten  Anakes,  Kabiren  d.  i.  die  Starken,  in  so  fern  theils  ihre 
Zeugungskraft  immer  in  den  Kindern  fortlebte,  theils  weil  die  ersten 
Menschen  von  ausserordentlicher  Stärke  gedacht  wurden.  So  nann¬ 
ten  die  Perser  die  Menschen  der  Vorzeit wie  die  Grie¬ 
chen  Heroen  2).  Artäi  aber  bedeutet  die  Grossen^).  Sie  waren  der 
Mittelpunkt  des  V^olkslebens,  Daher  befand  sich  der  Tempel  der 
Kabiren  in  der  Mitte  der  Stadl  Anthedon  in  Böotien ,  und  in  der 
Nähe  ein  Hain  und  Heiligthum  der  Demeter  ^).  Das  Anakeon  von 
Athen  war  innerhalb  der  eigentlichen  Stadl  (uotv')  5),  neben  dem 
Tempel  der  Agraulos,  der  Tochter  des  Cekrops,  in  der  Nähe  des 
Rathhauses  (Prytaneum),  wo  der  Hestia  das  ewige  Feuer  brannte^). 

Als  die  Erstlinge  des  Daseyns,  als  die  Lebenskeime  eines  Vol- 


’)  Varro  bei  Arnob.  adv.  Gent.  III,  40:  (Renates)  hos  Consentes 
et  Complices  Etrusci  aiunl  et  nominant,  quod  unä  orianliir  et  occidant 
unä  ,  sex  mares  et  totidem  feminas,  nominibus  ignotis  et  memorationis 
parcissiraae,  sed  eos  summi  Jovis  consiliarios  et  principes  exislimari. 

2)  Hellanicus  ed.  Sturz  n.  63  p.  91. 

3)  Herod.  VI,  98.  Gesenius  hebr.  Wörterbuch  v.  NnsiahniN. 

"*)  Paus.  IX,  22  p.  753.  S)  Thucyd.  VIII,  93. 

Meurs.  Ath.  Atl.  1 ,  7. 


265 


kes  waren  die  Kabiren  zu  Memphis  nebst  ihrem  Vater  Phtha  wie 
Zwerge  gestaltet  weichein  unförmlicher  Fülle  Alles  in  sich  ver¬ 
einigten.  Knaben  waren  und  hiessen  die  Anaktes  von  Amphissa  2); 
nicht  über  einen  Schuh  hoch  waren  die  drei  ehernen  Bilder  der  Dios- 
kuren,  welche  Pausanias  (III.  24  p.  272)  auf  einem  Vorgebirg  in  La- 
konien  sah.  Diese  ägyptische  Sinnbildnerei  war  mit  der  griechischen 
Heroenlehre  unvereinbar  und  wurde  daher  im  Allgemeinen  nicht 
nachgeahmt.  Aber  Dionysos  wurde  aus  demselben  Grunde,  wie  es 
scheint,  bald  jugendlich  bald  bärtig  gebildet,  als  der  Alle  und  im¬ 
merfort  Junge.  Dieselbe  Verschiedenheit  gewahrt  man  an  den  Bil¬ 
dern  des  Hephästos.  So  gaben  die  Athener  ihrem  Cekrops  und  die 
Etrusker  ihrem  Janus  sogar  zwei  Gesichter  zugleich,  ein  alles  und 
ein  jugendliches,  durch  eine  Schlange  vereinigt^),  und  nannten  den 
Cekrops  daher  digjvijg,  d.  h.  nach  obiger  Ideenreihe  nicht  wegen 
Einführung  der  Monogamie,  wie  Alhenäus  u.  A.  vermeinten^),  son¬ 
dern  es  soll  so  viel  heissen  als:  der  Allvater  lebt  in  frischer  Ju¬ 
gend  in  seinen  Nachkommen  fort  durch  eine  lange  Reihe  von  Jah¬ 
ren,  die  durch  den  Schlangenleib  versinnlicht  ist. 

Wie  nach  der  heil.  Schrift  Gott  von  dem  ersten  Menschen  das 
Weib  absonderte,  so  legte  man  auch  die  Kabiren,  die  ersten  Men¬ 
schen  eines  jeden  Volkes,  als  Mann  und  Weib  aus,  durch  deren  . 
geschlechtliche  Verbindung  die  Zeugung  bedingt  ist  ^).  Nach  Phere- 
cydes  gab  es  drei  männliche  und  eben  so  viel  weibliche  Kabiren, 
und  vorhin  haben  wir  bei  den  Etruskern  sechs  männliche  Consentes 
und  sechs  weibliche  nachgewiesen.  Kastor  und  Polydeukes  dachte 
man  sich  in  Liebe  den  Töchtern  des  Leucippus,  Hilaira  und  Phöbe, 
zugelhan,  welche  sie  geraubt  und  geheiralhel  habend).  Diese  bei¬ 
den  hatten  einen  Tempel  in  Lakonien ,  wo  an  der  Wand  ein  Ei  her¬ 
abhing,  welches  man  für  das  Ei  der  Leda  deutele  s).  Wir  treffen 


‘)  Herod.  III,  37.  2)  Paus.  X,  38,  3. 

So  im  Tbesaur.  Gronov.  T.  I  und  Meurs.  Opp.  T.  I  col.  165. 
'*)  Meurs.  De  Reg.  Athen.  I,  8. 

^)  Epimenides  bei  Jo.  Lydus  IV,  13  p.  164.  Varro  de  ling.  lat. 
IV  p.  17. 

^)  Bei  Strabo  X,  3,  21.  Apollodor.  III,  10,  2. 

Paus.  111,  16,  2. 


2G0 


sie  iu  Verbindung  mit  den  Dioskuren  auf  etruskischen  Spiegeln  *): 
die  eine  ist  nackt,  die  andere  züchtig,  Kastor  reckt  lüstern  seine 
Hand  gegen  die  nackte  aus.  Abstracl  als  Mann  und  Weib  scheinen 
die  Kabiren  im  attischen  Distrikt  Päania  aufgefasst  und  verehrt  wor¬ 
den  zu  seyn,  wie  ich  aus  einer  Inschrift  im  Museum  Nani  zu  Vene¬ 
dig  ersehe.  Hier  kommt  ein  gewisser  Irenaus  von  Päania  vor  als 
Aufseher  der  Jünglinge  und  Priester  der  männlichen  und  weiblichen 
Gottheit:  KOSMHTHS  lEPETS  OEOT  KAI  OE  AE.  Corsini 

muthmasste ,  Augustus  und  Roma  seyen  damit  gemeint,  und  Biagi 
(Monum.  Gr.  et  Lat.  p.  41  fl’,),  Zeus  und  Athene.  Wahr  ist  es, 
unter  -fj  ßsä.  verstanden  die  Athener  ihre  Schutzgöttin  Athene;  allein 
die  geschlechtliche  Entgegensetzung  und  der  geheimnissvolle  Aus¬ 
druck  ohne  Artikel  nöthigt,  die  beiden  als  mas  und  femina  zu  be¬ 
greifen,  und  erinnert  an  die  Kabiren,  welche  wegen  ihrer  Geheim¬ 
haltung  also  elliptisch  angedeutet  wurden,  und  vielleicht  iauf  An- 
ralhen  des  Epimenides  daselbst  unter  jenem  Namen  ein  Heiliglhum 
erhielten.  Damit  stimmt  am  besten  auch  das  Amt  eines  Aufsehers 
über  die  Jugend  zusammen,  welches  Jener  Priester  zugleich  versah. 
Wenn  uns  ausdrücklich  berichtet  wird,  dass  Epimenides  zum  An¬ 
denken  an  die  Reinigung  Athens  von  der  Pest  ß<ojuovg  ävcovvfiovg 
daselbst  errichtet  habe,  welche  noch  Diogenes  Laertius  (I,  10  p.  78 
ed.  Steph.)  gesehen  hat;  so  mag  um  so  mehr  Jener  Ausdruck  Gott 
und  Göttin  von  Epimenides  ursprünglich  herrühren,  und  unsere  Er¬ 
klärung  Jener  Inschrift  gewinnt  durch  die  gewissen  Thatsachen  un¬ 
streitigen  Beifall:  einmal  sie  ist  attisch,  sodann  hielt  Epimenides 
die  Kabiren  für  Mann  und  Weib,  und  endlich  er  errichtete  Altäre 
in  Attika  ohne  bestimmten  Namen  der  Gottheit,  welcher  sie  galten. 

So  allgemein  als  das  männliche  und  weibliche  Lebensprincip 
aufgefasst,  wurden  die  Kabiren  in  späterer  Zeit  zu  schaffenden 
Naturgöttern  im  Allgemeinen  gesteigert.  Von  Mann  und  Weib 
dachte  man  sich  die  Natur  und  alles  Lebendige  entstanden  als  von 
der  allerersten  Zweiheit,  über  welcher  die  Ewigkeit  als  die  Einheit 
steht  2).  Was  die  Orphiker  von  der  Geburt  ihres  Phanes  aus  einem 
Ei  fabelten,  wurde  dorthin  aufgetragen.  Zeus  beschlief  in  Schwa- 


*)  Ingbirami  Mon.  Etr.  Ser.  II  T.  54.  55.  85. 
2)  Jo.  Lyd.  p.  164. 


267 


uengeslall  die  Leda,  was  wir  uocli  in  alten  Denkmalen  sehen,  und 
diese  gebar  ein  Ei,  woraus  Kastor  und  Polydeukes  entsprangen’). 
Dieses  Ei  sah  Pausanias  (in,  16,  2)  in  einer  Binde  im  Tempel  der 
Hilaira  und  Phöbe  in  Lakonien  herabhängen ;  und  die  dortigen  Prie- 
sterinuen  woben  alljährlich  dem  Jahresgotl  Apollon  einen  Rock. 
Sonnenumlauf  und  Jahressegen  waren  also  die  leitenden  Ideen  jenes 
Naturdienstes.  —  Oft  ist  auch  eine  Verschiedenheit  je  nach  den  Zu¬ 
ständen  der  Natur  in  der  Kraft  oder  in  der  Schwachheit  an  ihnen 
bemerklich.  So  steht  auf  etruskischen  Spiegeln  bei  Inghirami  (Mon. 
Etr.  Ser.  II  T.  48)  Polydeukes  nackt  und  in  Bewegung,  Kastor  be¬ 
kleidet  und  in  Ruhe,  jener  Naturgott  iin  Sommer,  dieser  im  Win¬ 
ter,  wie  aus  T.  51  deutlicher  wird,  wo  der  eine,  welcher  den  Heim 
vom  Haupte  abgezogen  hat,  drei  Pflanzen  neben  sich  hat,  der  an¬ 
dere,  welcher  den  Helm  auf  dem  Haupte  hat,  hält  das  gezogene 
Schwerdt  als  Sinnbild  der  Verheerung  in  der  Hand  und  hat  neben 
sich  einen  Baumstamm.  T.  77  sitzt  der  eine  auf  einem  gepolsterten 
Stuhle,  bat  den  Degen  an  der  Seite  und  die  Zeichen  der  Mannheit, 
und  hinter  ihm  hängt  ein  Gefäss  mit  ausfliessendem  Wasser  als  Bild 
der  Vermehrung,  gleichsam  die  Bruunstube,  woraus  das  Wasser 
des  Menschenlebens  entspringt  und  immerfort  quillt;  wie  4  Mos. 
24,  7  Bileam  vom  Volke  Israel  sagt:  »es  wird  Wasser  aus  seinem 
Eimer  fliessen,  und  sein  Same  wird  ein  grosses  Wasser  werden.« 
Der  Bruder  dagegen  verdeckt  als  im  Stande  der  Schwachheit  seine 
Scham.  Dieser  Unterschied  zeigt  sich  sogar  in  ihren  Gattinnen. 
T.  55  ist  Polydeukes  gegen  eine  bekleidete  Frau  gerichtet,  die  sich 
zu  der  unbekleideten  des  Kastor  wie  eine  züchtige  zu  einer  Hetäre 
verhält.  Indessen  halte  ich  diese  auf  den  Kabirencult  aufgetragenen 
Bestimmungen  für  nicht  ursprünglich,  sondern  für  eine  spätere  Ue- 
berladung,  wornach  die  Ideen,  die  sich  in  der  Wechselbeziehung 
der  Aphrodite  zu  Hermes  oder  der  Persephone  zu  Dionysos  aus¬ 
gedrückt  finden,  den  Dioskuren  angedichtet,  und  so  der  Ansicht  des 
Euhemerus  von  der  Vergötterung  der  Menschen  Vorschub  geleistet 
wurde. 

Das  aber  lag  im  ursprünglichen  Gedankenzusammenhang,  dass 
man  die  Kabiren  als  schützende  Horte  verehrte.  Der  Geist  der 


’)  Albcnacus  II,  58  p.  22t  Schweigb. 


2G8 


Väler  ruhle  nach  dem  Glauben  der  Alten  segnend  auf  den  Enkeln. 
Die  im  Leben  Wohlthäter  ihres  Vaterlandes  und  helfende  Beschützer 
waren,  die  blieben  es  auch  nach  ihrem  Tode.  So  sind  nach  Hesiod 
(Op.  123)  die  ersten  Menschen,  die  auf  Erden  lebten,  Dämonen  und 
gütige  Beschützer  der  Gerechten.  Die  gottesfürchtigen  Todten, 
welche  in  das  höhere  Geisterleben  eingetaucht  waren,  schienen  die 
Kluft  beider  Welten  auszufüllen;  wesshalb  man  sie  als  Segen  herüber 
bringend  und  auch  in  diesem  Betracht  als  grosse  Götter  *)  und  als 
Starke  (Kabiren)  anrief.  Auf  diesem  natürlichen  Standpunkte  hat 
die  Anrufung  der  Heiligen  ihren  Grund  ,  und  diese  sowohl  als  jene 
heidnische  Kabirenanbetung  ist  eine  Ausartung  der  christlichen  Wahr¬ 
heit,  dass  Gottes  und  des  Menschen  Sohn  als  der  Mittler  zwischen 
Gott  und  den  Menschen  die  beiden  Welten  mit  sich  verbunden  und 
versöhnt  hat,  und  nun  seine  Gläubigen  in  seinem  Namen  den  Vater 
um  Alles  bitten  sollen.  —  In  Gefahren  rief  man  die  Kabiren  als 
Retter  an,  und  ihr  eigentlicher  Beiname  war  atajrjQsq,  Retter  in 
Todesgefahr  2).  Die  Argonauten  riefen  zu  ihnen  im  Sturm  zur  See, 
und  sie  waren  die  erkornen  Schiffspatroue  ^) ;  wie  die  Phönicier  ihre 
Patäken,  mit  welchem  Namen  sie  auch  ihre  Kabiren  belegt  zu 
haben  scheinen,  auf  den  Vordertheilen  ihrer  Schiffe  mit  sich  führ¬ 
ten  ^).  Das  phönicische  naTaHöq  von  (vertrauen)  abgeleitet, 
scheint  dem  griechischen  oaittiQ  zu  entsprechen.  Das  alexandrini- 
sche  Schiff,  worauf  der  Apostel  Paulus  von  Malta  nach  Italien  fuhr, 
hatte  das  Panier  der  Zwillinge  (Kastor  und  Pollux)  5).  In  Samo- 
thrace  befanden  sich  viele  Gemälde ,  welche  von  den  aus  dem  Schiff¬ 
bruch  Geretteten  gelobt  und  geweihet  waren  ^).  Daher  kam  es  ohne 
Zweifel,  dass  man  sie  auch  für  die  Vorsteher  der  Winde  hielt 
(s.  oben).  „Sie  stillen  die  Stürme,  mit  falben  Fittigen  durch  die 


*)  So  wurden  die  Beschützer  der  Stadt  Stratonike  in  Karlen,  Zeus 
Chrysaor  und  Hekate,  in  einer  Inschrift  /jisycaroc  ßtoi  genannt:  Chis- 
hull  Antiquit.  Asiat,  p.  156  f. 

2)  Find.  Pyth.  V,  10.  Aelian.  V.  H.  1,  30  das,  Scheffer. 

3)  Hom.  h.  33,  6,  Horat.  Od.  I,  3,  2. 

Herod,  III,  37. 

Apostgesch.  28,  11. 

6)  Cic.  N.  D.  III,  37.  Paciaudi  Mon.  Pelop.  Vol.  II  p.  167  f 


269 


Luft  fahrend.«  *)  In  Schlachten  standen  sie  nicht  minder  hülfreich 
bei.  Die  spartanischen  Könige  nahmen  ihre  Bildnisse  mit  in  Krieg, 
wie  die  hebräischen  die  ßundeslade.  Und  als  ein  Gesetz  gegeben 
wurde,  dass  nur  Ein  König  ausziehen  dürfe,  der  andere  in  der 
Stadt  Zurückbleiben  müsse,  so  nahm  man  auch  nur  Einen  der  Tyn- 
dariden  hinfort  mit 2).  In  der  Schlacht  am  regillischen  See,  welche 
die  Römer  den  Lateinern  lieferten,  sah  man  den  Kastor  und  Pollux 
auf  der  Seite  der  Römer  von  den  Pferden  aus  kämpfen  3).  Eben  so 
waren  sie  in  Wettkämpfen  Mitaufseher  und  verliehen  Heil  und  Sieg^). 
Die  Genesenen  verdankten  ihnen  Gesundheit  ^).  -  Pindar  (Nem. 
X,  97)  nennt  die  Dioskuren  Aufseher  (rafiLai)  von  Sparta,  als 
welche  für  die  gerechten  Männer  vorzüglich  Sorge  tragen.  Die  Athe¬ 
ner  Messen  daher  im  Anakeon  das  allegorische  Bild  des  waltenden 
Verstandes  {^Novq)  als  Sinnbild  der  Vorsehung  von  Polygnot  malen  6). 
In  Samothrace  verfertigte  man  Amulete  in  Gestalt  von  eisernen 
Ringen  und  nannte  sie  Samothraces,  zur  Erinnerung  an  der  samo- 
thracischen  Götter  schützende  Kraft  ^).  Die  Schmeichelei  späterer 
Zeiten  setzte  die  römischen  Kaiser  den  Dioskuren  gleich,  zeigte 
übrigens  noch,  was  man  sich  unter  ihnen  dachte,  nemlich  schützende 
Mächte,  Die  Lacedämonier  widmeten  ein  Epigramm  dem  Aurelius 
und  Verus  als  den  Qsolq  öXvf.i7icoiq  vioiq  dioaxov^oiq  **).  Die  Phö- 
nicier  in  Tripolis  ehrten  auf  Münzen  die  Kaiser  .Antonius  Pius,  Marc 
Aurel  und  Domitian  durch  die  Beischrift  der  syrischen  KabirenS). 

In  Italien  nannte  man  diese  Götter  Penaten,  welche  eben 
so  vielseitig  wie  die  Kabiren  als  Lebengeber,  Erhalter  und  Beschützer 
aufgefasst  wurden.  Denn  sie  galten  nicht  allein  als  Horte,  sondern 
auch  als  t9«oi  ysvidXioi ,  kraft  deren  jedermann  Leben  und  Odem 


>)  Hom.  h.  33,  13.  2)  Herod.  V,  75.  3)  Cic.  N.  D.  II,  2. 

Pindar.  Ol.  III,  71.  Pyth.  V,  11.  Nem.  X,  97. 

3)  Gruter.  p.  89  n.  9 :  Sulpitia  ob  fdium  saluti  restituluin.  Eine 
Votivtafel  für  Kastor  und  Pollux. 

Hesych.  v.  üoXvypcoroq. 

Pinedo  ad  Stephan.  B,  v.  Sa/uo^Qdxtj. 

3)  Caylus  Rec.  d’Antiquit.  T.  V  p.  190. 

9)  Eckhel  doctr.  Num.  Vol.  III  p.  374  f 


270 


hat*),  als  xfji'xoTQÖcpui Man  wollte  in  ihrem  Begriff  die  Wahr¬ 
heit  niederlegen ;  »Gott  ist  nicht  ferne  von  einem  jeglichen  unter 
uns,  denn  in  ihm  leben,  weben  und  sind  wir.«  3)  Sie  waren  nach 
dem  Ausdruck  des  Cassius  Heraina ''•)  grosse,  gütige  und  mächtige 
Gottheiten.  Daher  möchte  ich  am  liebsten  den  Namen  der  penates 
als  ursprünglicher  Phallusgötter  von  penis  ableiten;  auf  welche  Weise 
ihr  HauptbegriCF  besser  ausgedrückt  zu  werden  scheint,  als  wenn 
Cicero  (N.  D.  II,  27)  bald  penus  für  die  Wurzel  angibt  (als  welchen 
man  sein  tägliches  Brod  verdankte,  in  welcher  Beziehung  die  Pena¬ 
ten  auch  <9£oI  KTijaioc,  die  Götter  des  Eigenthums,  hiessen  ),  bald 
penitus,  als  welche  inwendig  im  Hause  wohnen,  woher  die  Dichter 
sie  penetrales  Deos  nannten  6).  Je  nach  ihrem  Umfang  waren  die 
Penaten  gedoppelter  Art;  entweder  waren  es  Tiarg^oi,  patrii  Pena¬ 
tes,  magni  Dii,  oder  es  waren  icpeorioi,  familiäres  Penates,  auch 
Penates  schlechtweg  in  engerer  Bedeutung  oder  Lares  genannt  ^). 


*)  Macrob.  Saturn.  III,  Qui  diligentius  eruunt  veritatem,  Pe- 
nales  esse  dixerunt,  per  quos  penitus  spiramiis,  per  quos  habenius 
Corpus,  per  quos  rationem  animi  possidernus. 

2)  Orph.  h.  37. 

3)  Apostgesch.  17,  27  f.  Bei  Macrob.  III,  4. 

5)  Dionys.  Ant.  I,  67.  VIII,  41. 

Cicero  1.  c.  Catutl.  carm.  69.  Seneca  Oedip.  v.  265.  Phoe- 
niss.  v.  340. 

7)  Vgl.  über  diesen  Unterschied  Cic.  pro  Sext.  c.  20:  te ,  patria, 
testor,  et  vos,  Penates  (Hausgötter),  patriique  Dii.  Virgil.  Aen.  V, 
V.  62  f. :  adhibete  Penates  et  patrios  epulis,  et  quos  colit  hospes  Ace- 
stes.  Virg.  Aen.  II,  293.  717  werden  sacra  et  patrii  Penates  verbun¬ 
den.  So  legt  Hygin  bei  Macrob.  III,  4  die  Penaten  für  ^Ssoig  naTQ<Mvg 
aus,  und  Statius  Sylv.  XIV,  7  redet  von  patriis  Penatibus.  Cic.  pro 
Domo  c.  57  ruft  die  patrios  Penates  tämiliaresque  an.  So  wird  die 
Stelle  Virgils  Aen.  III,  11  f.  verständlich;  feror  exsul  in  altum  cum 
sociis  natoque,  Penatibus  et  magnis  DJs.  Schelling  über  die  Gotth. 
V.  Sam.  S.  99  findet  die  Wortverbindung  mit  et  auffallend,  ist  es  aber 
nicht,  verglichen  mit  der  engem  Bedeutung  von  Penates,  welche  aus 
den  obigen  Stellen  Virg.  Aen.  V  ,  62  und  Cic.  pro  Sext.  20  ersichtlich 
ist.  Nun  wird  auch  die  Unterscheidung  des  Themistokles  bei  Aerai- 


Sie  verhielten  sich  zu  einander  wie  Vaterland  und  Haus.  Wie  die 
Laren  der  Vereinigungspunkt  einer  Familie,  so  waren  die  vaterlän- 
’dischen  Penaten  der  Mittelpunkt  der  Heimath  ,  gleichsam  das  Lebens¬ 
mark  eines  Volkes ,  woher  die  einzelnen  Kräfte  immerfort  ausslröm- 
ten.  Die  römischen  Feldherren  opferten  ihnen  vor  dem  Auszug  aus 
der  Stadt  •).  und  bezeugten  durch  diese  Feierlichkeit  ihren  Vorsatz, 
im  öffentlichen  Interesse  zu  handeln.  Die  Hausgötter  hatten  ihren 
Altar  auf  dem  Herde  als  dem  Orte  des  festen  Wohnsitzes.  Wie 
Laban  in  Mesopotamien  seine  Hausgötter  (aianri)  hatte,  welche  seine 
Tochter  Rachel  entwandte  2),  so  gab  es  dergleichen  auch  bei  den 
Griechen  und  Römern.  In  Argos  waren  die  Kabiren  Alkon  und  Eu- 
rymedon  Götter  des  Herdes  3),  und  wir  sehen  auf  einer  etruskischen 
Todtenkiste  die  Dioskuren  mit  Schild  und  Degen  bewaffnet  auf  dem 
Herde  knien  ^).  Der  vaterländischen  Penaten  zu  Rom  waren  drei, 
sie  hatten  auf  der  dasigen  Rennbahn  drei  Altäre,  welche  vor  drei 
Säulen  angebracht  waren  Sie  erschienen  auch  auf  der  Säule 
Trajans  als  drei  mit  Lanzen  bewaffnete  Männer  mit  Kabirenhüten 
auf  einem  Lorbeerkranz  stehend,  in  dessen  Mitte  ein  Adler  sch  webt  6); 
d.  h.  Roms  Penaten  steigen  auf  des  Sieges  Adlersfitligen  empor. 
Die  römischen  Alterlhumsforscher  2)  haben  selbst  die  Einerleiheit 
ihrer  Penaten  und  der  samoihracischen  Götter  erkannt,  und  in 


lius  Probus  (in  vita  7,  4)  zwischen  Dii  publici ,  suique  patrii  ac  pena- 
tes  bei  den  Athenern  klar.  Die  ersten  sind  die  allgemeinen  griechischen, 
die  zweiten  die  in  Athen  als  vaterländische  besonders  verehrten  (Zeus 
und  Apollon),  die  dritten  die  in  einzelnen  Häusern.  Die  Ausleger  irren, 
wenn  sie  die  zweiten  für  die  von  den  Vätern  überkommenen  ausdeu¬ 
ten  ;  als  wären  die  öffentlichen  Götter  nicht  auch  a  patribus  accepli. 

>)  Serv.  ad  Aen.  III,  12.  2)  1  Mos.  31,  34. 

3)  Nonnus  XIV,  19.  '*)  Inghirami  Mon.  Etr.  Ser.  I  T.  59. 

5)  Tertullian.  de  spectacul.  c.  8:  columnas  sessias  a  sementatio- 
nibus  ,  messias  a  messibus,  tutelinas  a  tutelis  fructuum  suslinent.  Ante 
bas  tres  arae  trinis  Düs  patent  magnis ,  potentibus,  valentibus:  eosdem- 
que  Samothraces  existimant. 

Fabretti  de  columna  Traiani  Synt.  p.  73. 

2)  Cassius  Hemina  bei  Macrob.  III,  4  dicit,  Samothracas  Deos 
eosdemque  Romanornm  Penates  proprie  dici  deov<;  /Lcsyälovg,  fSeovq 


272 


Dardanus  und  Aeneas  die  gescliichllichen  Vermittler  und  UeherlieCe- 
rer  betrachtet  *). 

Der  Kabiren  Name  und  Heiligthum  waren  ein  (ieheimniss, 
dem  uneingeweihten  Auge  unzugänglich  und  nur  den  Gläubigen  und 
Pflegern  sichtbar.  Beim  Anblick  ihrer  Gestalten  wäre  der  Glaube 
an  den  Ursprung  alles  Lebens  aus  dem  unerschöpflichen  Abgrund 
der  göttlichen  Tiefe  eher  verloren  gegangen.  Wie  des  Lebens  Wur¬ 
zeln  verborgen  sind,  so  sollten  es  auch  die  Kabiren  seyn.  In  ihren 
Tempel  zu  Memphis  durfte  niemand  als  der  Priester  gehen  2).  Pau- 
sanias  (IX,  25  p.  758)  sagt,  er  dürfe  nicht  melden,  wer  die  Kabi¬ 
ren  von  Böotien  seyen  und  was  man  ihnen  und  der  Mutter  mache. 
Nicht  so  gewissenhaft  war  Cicero  mit  den  Namen  der  attischen  Ka¬ 
biren,  die  wir  ohne  seinen  Bericht  für  Kastor  und  Polydeukes  hal¬ 
ten  würden.  Die  Letztem  dienten  zur  Schau  für  das  vorwitzige 
Volk,  um  die  eigentlichen  Penaten  im  Innern  des  Heiligthums  desto 
sicherer  hinter  ihnen  zu  verbergen.  Sie  hiessen  darum  schlechthin 
grosse  Götter,  und  werden  in  der  oben  angezogenen  attischen  In¬ 
schrift  des  Cajus  nicht  mit  Namen  genannt.  Eben  so  wenig  kannte 
das  römische  Volk  die  Anzahl  und  die  Namen  seiner  Penaten  ^), 
und  Dionysius  von  Halicarnass  (I,  67  T.  I  p.  170  Reisk.)  unterschei¬ 
det  weislich  die  Penaten,  die  im  Allerheiligen  verborgen  seyen,  von 
denen  ,  die  jedermann  sehen  könne.  Es  sitzen  nemlich  in  einem 
düstern  nicht  grossen  Tempel  unweit  des  Platzes  (forum)  zu  Rom 
zwei  Jünglinge  mit  Lanzen  von  alter  Kunst,  worauf  geschrieben  stehe 
dENAS,  und  er  halte  dafür,  dass  vor  Alters  das  A  die  Stelle  des  n 


dvvarovg.  Daher  Juvenal.  Sat,  111,  v.  144:  iures  licet 
et  Samothracum  et  nostrorum  aras.  Vgl.  Terlullian.  1.  c. 

Varro  rerum  humanarum  L.  II  (bei  Macrob.  a.  a.  O.)  Darda- 
nuin  refert  Deos  Penales  ex  Sainothracia  in  Phrygiam,  et  Aeneam  ex 
Phrygia  in  Italiam  detulisse.  Eben  so  alle  Zeugen  bei  Dionys.  Hai.  1, 
68.  Plutarch.  in  Camillo  und  Serv.  ad  Aen.  II,  325.  III,  12:  Dii  Pe- 
nates  a  Samothracia  sublati ,  ab  Aenea  in  Italiam  advecti  sunt;  unde 
Samotbraces  cognali  Romanorum  esse  dicuntur. 

2)  Herod.  III,  37. 

3)  Varro  bei  Arnob.  adv.  Gent.  L.  111:  nec  eorum  numerum  nec 
nomina  sciri.  Serv.  ad  Aen.  III,  12. 


273 


vertreten  habe.  Er  habe  in  andern  alten  Tempeln  dieselben  Götter 
angetrofFen. 

Die  Attribute  der  Kabiren  sind  äusserliche  Zeichen  ihrer  in- 
nern  Bedeutung  und  dienen  zum  Beleg  der  gegebenen  Erläuterung. 
—  Die  ovale  Mütze  ist  ihnen,  wie  ihrem  ägyptischen  Vater  Hephä- 
stos  und  dem  phönicischen  Kadmos’),  eigenthümlich.  Daran  er¬ 
kannte  Pausanias  (HF,  24)  die  Dioskuren  in  den  drei  ehernen  Stand¬ 
bildern  in  Lakonien.  Eine  Münze  von  Berytus  in  Phönicien  hat 
daher  bloss  zwei  Hüte  als  bezeichnendes  Sinnbild  der  Dioskuren. 
So  finden  sich  auch  auf  lakonischen  Silbermünzen  ihre  Sternhüte 
allein  nebst  einer  Diota,  auf  deren  Bauch  eine  Schlange  abgebildet 
ist  3).  Schon  Lucian  deutele  diese  Mütze  auf  das  halbe  Ei,  woraus 
die  Dioskuren  hervorgegangen  seyn  sollten  ^).  Die  untere  Hälfte 
desselben  wurde  ihnen  als  Patera  beigegeben.  Wenigstens  sind  Ge- 
fässe  ein  weiteres  Attribut  der  Kabiren,  sey  es  um  die  manchfal- 
tigen  Lebensformen,  worin  sich  ihre  göttliche  Kraft  äussert,  oder 
um  den  Ueberfluss,  den  sie  ausgiessen  und  spenden,  damit  bildlich 
zu  bezeichnen.  Trojanisches  Irdengeschirr  gehörte  daher  mit  zu 
den  Heiliglhümern,  welche  Aeneas  von  Troja  mit  sich  nahm  ^). 
Wenn  jene  ursprünglich  ins  Geschirr  als  auf  den  feuchten  Grund 
und  Boden  der  Natur  gestellt  worden  seyn  mochten,  so  gab  ihnen 
die  ausgebildetere  Kunst  eine  Schale  in  die  Hand,  wie  wir  an  einem 
etruskischen  Kabir  von  Erz  sehen®),  welcher  in  der  Rechten  die 
Patera  hält  und  die  Linke  segnend  ausbreitet.  Es  ist  die  Schale  des 
Lebens  und  des  üeberflusses,  woraus  daher  die  Schlange  des  Askle¬ 
pios  gefüttert  wird,  die  auch  Altis  auf  einem  etruskischen  Spiegel^) 


’)  Vasengeraälde  bei  Millin  T.  II  pl.  7. 

2)  Berger  Thesaur.  Palat.  p.  281. 

3)  Peilerin  Recueil  I,  19,  1  —  3. 

'O  Lucian.  Diät.  Deor.  XXVI  ;  roi)  MOV  TO  rjijiiTO/JCOV  y.al  davrjQ 
vJiSQdvco.  Sext.  Empirie,  adv.  Malhein.  sagt,  durch  die  Sternhüte  wür¬ 
den  die  Hemisphären  angedeutef. 

Timäus  bei  Dionys.  Hai.  I,  67. 

®)  Gori  Mus.  Etr.  Vol.  H  T.  .66.  Polen!  Praef.  ad  Supplem.  The¬ 
saur.  p.  XHI. 

2)  Inghirami  Mon.  Etr.  Ser.  H  T.  9. 


18 


274 


und  Demelcr  *)  in  der  Hand  haben.  —  Die  Sclilange  isl  ferner 
eine  Auszeichnung  der  Kabiren.  Sie  isl  als  das  sieh  schlängelnde 
Thier  ein  Gegensatz  des  runden  Welleis.  Dieses  isl  der  Lebens¬ 
keim  aller  Dinge,  jene  aber  das  in  der  Erscheinung  sich  enlfallende 
Leben,  also  sowohl  die  lange  Ausdehnung  im  Raum  als  die  sich  in 
die  Länge  windende  Zeit.  Hermesstäbe  von  Eisen  und  Erz,  die 
sich  somit  in  Schlangen  endigten,  waren  jene  Heiliglhümer  des  Ae- 
neas,  wie  wir  schon  wissen.  Einen  Beleg  zu  dieser  Nachricht  fin¬ 
den  wir  in  Ueberbleibseln  des  bildlichen  Allerthums.  Auf  einem 
antiken  Relief  erscheint  das  Palladium  als  Hermentronk  mit  geschlos¬ 
senen  Füssen  2).  Eine  alle  Gemme  enthält  einen  geflügelten  Her¬ 
messtab,  um  den  sich  eine  Schlange  windet,  darüber  sind  Sterne 
und  der  Mond  ,  welche  auch  sonst  mit  den  Kastoren  in  Verbindung 
Vorkommen  ^),  und  zu  beiden  Seilen  halten  zwei  Schlangen  mit  dem 
Munde  ein  Ei.  Dieses  merkwürdige  Verhältuiss  der  Schlange  zu 
dem  Ei,  wie  wir  es  vorhin  erläutert  haben,  bemerken  wir  noch¬ 
mals  auf  einem  Relief  bei  Nani  wo  unter  Kastor  und  Pollux  zwei 
Schlangen  nach  einem  in  ihrer  Milte  befindlichen  Ei  blicken;  über 
den  Göttern  isl  das  Zeichen  des  Mondes,  sie  selbst  haben  in  der 
einen  Hand  eine  Lanze,  mit  der  andern  hallen  sie  Pferde  am  Zaum. 
Auf  einem  andern  Relief^)  schnappen  zwei  gehörnte  Schlangen  nach 
zw'ei  Eiern.  Ein  Weihgeschenk  in  gehobener  Arbeit  2)  stellt  die 
Kastoren  im  Anakeon  vor,  und  dabei  zwei  grosse  Gefässe ,  wohin 
sich  von  oben  her  eine  Schlange  neigt.  Den  Heroen  im  Allgemei¬ 
nen  wurde  die  Schlange  als  ständiges  Attribut  beigegeben,  nach  der 
Bemerkung  der  Allen  8),  So  weissagten  die  römischen  Haruspices 


*)  Wheler  bei  Meiirs.  Opp.  T.  I  col.  165. 

2)  Winckelmann  Anni.  z.  Gesch.  d.  Kst.  I  S.  272. 

Passeri  gemmae  astriferae  lab.  123. 

Museum  Odescalchi  lab.  31.  Passeri  I  c.  T.  85. 

Biagi  Monum.  Gr.  et  Lat.  ex  Mus.  Nanii  p.  73. 

Anlicbilä  di  Ercolano  T.  IV  tav.  13. 

2}  Camillus  Silvestrius  in  anaglyphum  Graec.  interprelatio ,  cf. 
Biagi  1.  c.  p.  90  f. 

Plularch.  vit.  Agesil.  et  Cleom.  p.  524.  Artemidor.  Onirocrit. 
11,  13.  Schob  Arislopli  Plut.  v.  733. 


275 


von  dem  Kinde  des  Roscius ,  welclies  bei  Nacht  von  Schlangen  um¬ 
wunden  worden  seyn  sollte,  es  werde  hoch  berühmt  werden  ^).  Aus 
diesem  Grunde  ist  dieses  Symbol  für  die  Kabiren  als  Heroen,  Le¬ 
bensaufänger  und  Erstgeborne  sehr  geeignet.  In  entgegengesetztem 
Sinne  finden  wir  es  zwar  auch  auf  Grabesdenkmalen  gebraucht; 
allein  diese  Sitte  ist  durch  die  einfache  Bemerkung  gerechtfertigt, 
dass  man  die  Verstorbenen  (divi)  auf  griechisch  wie  wir  die 

Seligen  ,  ehrenvoll  zu  nennen  pflegte  2).  Daher  wird  der  Satz  nur 
bestätigt,  dass  Heroen,  Altväter  und  Schlange  in  unzertrennlicher 
Verbindung  gedacht  waren.  Selbst  die  Schlange  der  Genesis  hat 
mit  obiger  Anschauungsweise  eine  Ideenverwandtschaft.'  Die  ausser 
Gott  getretene  Schöpfung  vernünftelt  in  der  Schlange  mit  ihm  und 
wider  ihn,  und  tritt  als  Versucherin  auf,  in  schwankendem  Gelüsten 
von  dem  Baum  des  Erkenntnisses  des  Guten  und  des  Bösen  zu  ko¬ 
sten.  —  Triptolemus,  von  dem  wir  es  wahrscheinlich  gemacht 
haben,  dass  er  einer  der  drei  Anakes  von  Athen  war,  wurde  als 
solcher  auf  einem  AVagen  abgebildet  mit  zwei  Schlangen  zu  beiden 
Seiten,  die  mit  oder  ohne  I^lügel  sind  3),  und  hat  als  Heros  das 
Scepter  in  der  Hand.  So  auf  einem  Vasengem'älde  bei  Visconti  '*), 
wo  der  wichtige  Auftritt  vorgestellt  ist,  dass  dieser  Heros  von  Eleu- 
sis  aus  den  Händen  der  Demeter  das  Getreide  empfängt.  Philocho- 
rus  die  Sinnbildnerei  des  Scblangenwagens  verkennend,  machte 
eine  natürliche  Erklärung  davon  und  meinte,  Triptolemus  wäre  auf 
einem  Schitl',  das  man  für  eine  geflügelte  Schlange  angesehen  hätte, 
gesegelt,  und  hätte  den  Getreidebau  verbreitet.  Wenn  wir  noch  auf 
einer  Münze  Hadrians  *')  die  Stadtgottheit  von  .Alexandria  auf  einem 
Wagen  mit  gellügeller  Schlange,  nach  Art  des  Triptolemus,  vorge¬ 
stellt  sehen  ,  so  begegnen  wir  derselben  Symbolik.  Nicht  allein  ne¬ 
ben  den  Heroen  oder  unter  ihrem  Wagen  befinden  sich  Schlangen, 


’)  Cic.  de  Divin.  L.  f. 

2)  Alcipliron  III  cp.  37.  Fabrelli  Inscr  ant.  p.  20  ti.  80  und  eil» 
Denkmal  bei  I.  I).  AVeber  in.  Venetlig. 

3)  Pausan.  VII ,  18  ,  2. 

'•)  Abgedruckt  in  Creuzers  Dilderb.  z.  Syinb.  T.  XIII. 

Dei  Euseb.  Chron.  P.  II  p.  115  ed.  Venet. 

*’)  Zoega  Niinii  Aegypt.  imperal.  lab.  VII  n.  17. 


276 


sondern  auch  sie  selbst  wurden  bisweilen  schlangenförmig  gebildet. 
Der  erste  attische  König  Cekrops  hatte  Schlangenfüsse  i),  und 
sollte  aus  eines  Drachen  Zähnen  entstanden  seyn  2),  Erichtho- 
nius  wurde  als  Knabe  von  der  Sehulzgöttin  Athene  in  einer  Kiste 
zugleich  mit  einer  Schlange  verwahrt  und  den  drei  Töchtern  des 
Cekrops,  Aglauros,  Herse  und  Pandrosos ,  zum  Aufheben  überge¬ 
ben  ^);  d.  i.  sein  Same  soll  ewiglich  bleiben.  Man  soll  den  Knaben 
mit  dem  Drachen  in  dem  gemeinschaftlichen  Tempel  des  Vaters  He- 
phästos  und  der  Athene  gefunden  haben  ^).  An  jene  Kiste  knüpfte 
sich  ein  fortdauerndes  geheimes  Gedächtnissfest  in  Athen:  in  den 
Mysterien,  die  man  daselbst  zu  Ehren  der  Aglauros  und  Pandrosos 
beging,  achtete  man  es  für  eine  Missethat,  dass  sie  die  Kiste  geöff¬ 
net  hatten^).  Etwas  Aehnliches  wird  es  gewesen  seyn,  was  Deme¬ 
ter  in  Böotien  dem  Kabiräer  Prometheus  und  seinem  Sohne  Aetnäus 
anvertraute,  was  aber  Pausanias  (IX,  25  p.  759)  zurückhaltend  ver¬ 
schweigt.  —  Als  Heroen,  in  so  fern  sie  kriegliebeud  waren,  halten 
die  Dioskuren,  namentlich  Kastor  und  Polydeukes,  die  Lanze, 
auch  Helm  und  Pferde'zu  Attributen;  so  die  römischen  öffent¬ 
lichen  Penaten®),  die  daher  auch  schlechthin  hastali  hiessen  ^).  Als 
Hausbeschützer  hat  Kastor  zu  Pferde  ausser  der  Schlange  noch  den 
Hund  neben  sich  in  einem  Denkmal  des  Herzogs  von  Modena  im 
Schloss  al  Caltaio  unweit  Padua. 

Nachdem  wir  bei  der  Darstellung  der  Kabirenlehre  alle  Mo¬ 
mente,  die  Ansicht  der  Alten,  die  Uebereinslimmung  vieler  Völker¬ 
schaften,  die  Etymologie,  die  Attribute,  gesammelt  und  aus  allen 
das  einhellige  Ergebniss  gezogen  haben  ,  dass  die  Kabiren  Patriar¬ 
chen  der  Völker  in  Gemeinschaft  mit  V’^olks-  und  Naturgöltern  ge¬ 
wesen  sind;  so  blicken  wir  zuletzt  auf  die  bisher  üblichen  Meinun- 


')  Arisloph.  Vesp.  ’ü  KstcQOxp,  rjQcaq  ,  rä  nQoq  no&üiv  ÖQa- 
v.ovti8r].  Noniius  Dionys.  L.  XLI. 

2)  Tzetzes  ad  Lycophron. 

3)  Meurs.  de  Regib.  Alheniens.  II,  1.  Lactant.  divin.  Instil.  I,  17 
und  Ausleger. 

Meurs.  Athenae  atlicae  I,  4. 

’)  Athenagor.  Legat,  pr.  Christ.  Anfg.  p.  280  Paris. 

®)  Dionys.  Hat.  I,  07.  Serv.  ad  Aen.  II  v.  32.'i. 


277 


gen  der  Gelehrten,  welche  einseitig  ohne  geschichtliche  Grundlage 
entweder  auf  einer  zu  weit  gedehnten  Folgerung  aus  einzelnen  Nach¬ 
richten  oder  leeren  Speculationen  beruhen.  Aus  der  Angabe  des 
Sanchuniathon  *) ,  dass  von  den  Dioskuren,  Söhnen  des  Sydyk,  die 
Aerzte  geboren  seycn,  welche  giftige  Bisse  heilten  und  die  Beschwö¬ 
rungen  erfanden,  schliesst  Astori^),  dass  die  Kabiren  den  Teichi¬ 
nen  ähnliche  Zauberer  gewesen  seyen;  als  umfasste  jene  einzige 
Meldung  ihren  ganzen  Begriff  und  als  könnte  man  ihnen  geradezu, 
was  ihren  Kindern  zugeschrieben  wird,  beilegen.  Ferner  nimmt 
Astori  (§.  9)  aus  dem  orphischen  Hymnus,  wornach  die  Kureten  zu¬ 
erst  die  Mysterien  gelehrt  haben  sollen,  Veranlassung  zu  behaupten, 
als  hätten  die  Kabiren  die  Mythologie  und  den  Götzendienst  in  Grie¬ 
chenland  eingeführt.  Diess  ist  eine  Verwirrung  der  Personen  und 
der  Sachen.  Man  darf  die  Kureten  und  Kabiren,  ob  sie  gleich 
manchmal  verwechselt  werden,  nicht  geradezu  für  einerlei  hallen, 
und  zwischen  Mysterien  und  Mythologie  ist  ein  Unterschied.  Spren¬ 
gel  3)  folgte  dem  Astori,  ohne  ihn  zu  nennen,  und  wiederholte,  die 
Kabiren  seyen  die  ersten  Lehrer  der  griechischen  Aboriginer  und 
zu  gleicher  Zeit  Quacksalber  gewesen.  —  Hadrian  Reland'^') 
griff  die  Nachricht  des  Mnaseas  nnd  Üionysodorus  auf,  dass  De¬ 
meter,  Persephone,  Hades  und  Hermes  die  Kabiren  seyen,  und  er¬ 
klärte  sie  für  ein  Collegium  von  unterirdischen  Gottheiten. 
Damit  ist  aber  noch  nichts  erklärt,  zu  geschweigen,  dass  Demeter 
nicht  zu  den  unterirdischen  Göttern  gerechnet  werden  kann.  — 
Creuzerim  Dionysus  und  in  der  Symbolik,  Gör  res  (Mythengesch. 


Q  Bei  Euseb.  Praep.  Ev.  I,  10. 

2)  Astori  Dissert.  de  Djs  Cabiris,  Venet.  1703  in  Poleni  Suppl. 
T.  H  §.  8.  Montfaucon  l’Anliquite  expliquee  T.  I  P.  II  p.  300  pflich¬ 
tet  ihm  bei. 

3)  Sprengel  pragmatische  Gsch.  der  Arzueikunde  Band  I  S.  646. 
2te  Ausgabe. 

‘*)  Reland  Dissertat.  de  Düs  Cabiris  in  seinen  Dissertatt-  niiscell. 
T.  I  und  in  Poleni  Suppl.  T.  IV  col.  335  f.  Karl  Michaeler  in  seiner 
histor.  krit.  Abhdlg.  über  die  phöniciscben  Mysterien,  Wien  1796 
S.  119.  150  stimmte  dem  Reland  bei. 

®)  Beim  Schob  Apollon.  Arg.  I,  918. 


278 


II  S.  372)  und  Baur  (Naturrelig.  1  S.  229)  halten  die  Kabireu  lür 
die  Planeten;  sie  haben  aber  nichts  für  ihre  Annahme  aufzuweisen 
als  die  blosse  Zahl  sieben  der  phönicischen  Kabiren,  welche  Zahl  in 
vielen  andern  Dingen  ihren  guten  Grund  haben  und  zufällig  mit  der 
Planetenzahl  zusammenstimmen  kann,  wie  oben  gezeigt.  Ausserdem 
wäre  es  dann  ein  iJaupterforderniss  des  Kabirendienstes,  wo  er  sich 
nur  festgesetzt,  dass  jene  Zahl  als  ständig  beibehaiten  worden  wäre; 
wovon  wir  aber  gerade  das  Gegentheil  gefunden  haben.  Auch  will 
jenes  drei-  oder  vierblätterige  Kleeblatt  von  samothracischen  Gott¬ 
heiten  sich  ganz  und  gar  nicht  zu  dem  Begriffe  vergötterter  Plane¬ 
ten  schicken.  Wer  kennt  einen  Planeten  Plulon  ?  —  Schelling 
in  seiner  Schrift  über  die  Gottheiten  von  Samothrace  findet  durch 
die  willkürlichsten  Deutungen  sein  eigenes  philosophisches  System 
in  der  Kabirenlehre.  Wie  Cicero  (N.  D.  I  ,  15)  von  Chrysippus  be¬ 
richtet,  dass  er  in  seinem  zweiten  Buch  über  die  Natur  der  Götter 
die  Fabeln  des  Orpheus,  Musäus,  Hesiod  und  Homer  nach  dem, 
was  er  selbst  im  ersten  Buche  über  die  unsterblichen  Götter  gesagt 
hatte,  ausdeutete,  als  wären  die  ältesten  Dichter,  die  solches  nicht 
einmal  ahnten,  Stoiker  gewesen;  so  findet  Schelling  in  den  samo- 
Ihracischen  Myslen  Schellingianer.  Die  Kabiren  sind  ihm  (S.  24) 
Steigerungen  einer  untersten  zu  Grunde  liegenden  Kraft,  welche  sich 
zu  oberst  in  Eine  höchste  Persönlichkeit  verklärt.  Sie  sind  wie  Glie¬ 
der  einer  vom  Tiefsten  ins  Höchste  aufsteigenden  Kelle.  Er  hat 
aber  keinen  andern  Beleg  zu  solchen  Sätzen  als  morgenländische 
Worlableilungen  der  samothracischen  Götlernamen,  die  uns  der 
Scholiasl  des  Apollonius  aufbewahrt  hat.  Das  Tiefste  ist  Demeter 
oder  Axieros  von  üt'  (S.  53  f.).  Dieses  hebräische  Zeitwort  bedeu¬ 
tet  freilich  nichts  Anderes  als  besitzen  und  aus  dem  Besitz  vertrei¬ 
ben  ;  allein  Schelling  (S.  27)  findet  darin  zugleich  einen  Hunger  als 
das  Wesen  seiner  Ceres,  eine  Sucht,  die  der  erste  entfernteste  An¬ 
fang  alles  wirklichen  oUenbaren  Seyns  ist-  Zunächst  folgt  Persephone 
oder  Axiokersa  von  -jin,  das  wieder  nicht  zaubern  bedeutet,  son¬ 
dern  pllügen,  woiier  aber  doch  Axiokersa  eine  Zauberin  werden  soll, 
die  das  Kleid  der  Slerblichkeil  webt  und  der  Sinne  Blendwerk  her¬ 
vorbringt  (S.  17  f.) ,  als  der  Grundanfang  der  ganzen  sichtbaren  Na- 
lur  (S.  28).  Hades  oder  Dionysos  oder  Axiokersos  von  derselben 
Wurzel  ist  ein  höherer  Zauberer,  welcher  die  Strenge  des  ersten 
Zaubers  mildert  und  beschwört,  der  Herr  der  Geisterwell.  Hermes 


279 


oder  Kadmilos  vermillell  Nalur  und  Geislerwelt  unter  sich  und  mit 
dem  Ueberweltlichen.  lieber  diesen  Allen  steht  der  gegen  die  Welt 
freie  Zeus,  der  Demiurg.  »Also  ein  von  untergeordneten  Persönlieh- 
keiten  oder  Naturgottheiten  zu  einer  höchsten  sie  alle  beherrschen¬ 
den  Persönlichkeit,  zu  einem  überweltlichen  Gott  aufsteigendes  Sy¬ 
stem  war  die  kabirische  Lehre«  (S.  28).  Wir  können  diese  Ansicht 
nicht  theilen,  weil  sie  den  geschichtlichen  Grund  und  Boden  ver¬ 
lässt,  bloss  auf  Etymologien  und  dazu  auf  schwankenden  und  sehr 
zweifelhaften  beruht,  und  dieselben  zu  vorgefassten  Meinungen  benutzt’ 

§.  50. 

Gott  lenkt  der  Menschen  Geschick. 

Wie  des  Menschen  Geburt,  so  ist  auch  sein  weiteres  Schick¬ 
sal  ein  Gegenstand  der  göttlichen  Aufsicht  und  Leitung.  Glück  und 
Unglück,  Leben  und  Tod,  Armuth  und  Reichthum  verleihen  die 
tiefsinnigen  1)  Mören  Klolho,  Lachesis  und  Atropos,  welche 
nach  dem  neuen  System  Zeus  mit  Themis  erzeugte  2).  Der  Chor 
der  Eumeniden  singt  bei  Aeschylus  (914  ff.):  »ünzeitigen  Männer- 
tod  wünsche  ich  fern,  den  lieblichen  Jungfrauen  gebt  Männer,  die 
ihr  darüber  gesetzt  seyd,  schwesterlicbe  Mören,  Gesetzgeberinnen, 
jeglichen  Hauses  Genossen,  allezeit  ehrwürdig  durch  gerechten  Ver¬ 
kehr,  allverehrt  unter  den  Göttern.“  3).  Alle  zufällige  Glücksgüter 
sind  Zeus  Gaben  ^).  Die  TvXt^  personificirt  Aescbyius  (Agam.  672). 
„Mit  Gott  lachet  und  weinet  jedermann«,  sagt  Sophocles  (Ajax  373). 
Zeus  hatte  den  Beinamen  Abwender  des  Unglücks  ^). 


^)  ßaßvcpqovsq  Find.  Nem.  VII,  1. 

.  2)  Theog.  906. 

3)  Die  Herausgeber  haben  obige  Stelle  durch  Correclur  veiuustal- 
tet:  Hermann  änderte  ^sal  Kal  Moiqai,  und  Schütz  exovraq.  Die  ge¬ 
wöhnliche  Lesart  ist  die  richtige:  xv^i  exovteq  ^sal  rcop  Mol^at.  Das 
Masculinum  sxovrsq  statt  sxovaai,  wie  Aesch.  Agam.  120  yivvav  ßXa- 
ßivza,  vgl.  Matlhiä  gr.  Gr.  §.  434  1.  a. 

Plutarch.  bei  Schob  ms.  Schellersheim  ad  Hesiod.  Op.  p.  3’2 
ed.  Heins. 

3)  Aeschyl.  7  vor  Theben  v.  8. 


280 


Wenn  die  Lesart  Odyssee  57,  197  rictilig  ist,  so  kannte  auch  schon 
Homer  eine  Mehrzahl  von  ernsten  Schicksalsspinnerinnen  (KaroxAtö- 
■Seg'),  welche  er  der  Alaa  coordinirte.  Als  oberster  Schiedsrichter 
ergriff  Zeus  in  der  Schlacht  der  Achäer  vor  Troja  die  goldene  Wage 
und  legte  zwei  Todesparcen  darein,  die  der  Achäer  und  die  der 
Trojaner;  die  erstere  sank  auf  den  Boden,  unter  Donner  und  Blitz 
ward  es  verkündigt,  und  die  Griechen  wurden  geschlagen^)-  Wenn 
Homer  über  dem  Treiben  seiner  Helden  die  Götter  schauend  und 
waltend  einführt,  so  lässt  auch  Aeschylus  io  den  Persern  die  Schlacht 
von  Salamis  nicht  durch  die  Tapferkeit  und  Klugheit  der  Griechen, 
sondern  durch  das  Walten  der  Gottheit  allein  gelingen,  welche  ab¬ 
wägend  Sieg  und  den  Persern  Leid  zufügt.  Eben  so  zeigt  der  Va¬ 
ter  der  griechischen  Geschichtschreibung  Herodot  überall  kindlichen 
Glauben  an  die  V'orsehung.  —  Zwei  Fässer  liegen  im  Hause  des  Zeus, 
das  eine  mit  Heil,  das  andere  mit  Wehe  gefüllt;  dem  Einen  gibt  er 
gemischt  aus  beiden,  dem  Andern  nur  Uebel.  So  verliehen  die  Göt¬ 
ter  dem  Peleus  nur  herrliche  Gaben  von  Geburt  an,  zierten  ihn  mit 
Segen  und  Reichthum,  Herrschaft  und  einer  göttlichen  Gattin,  je¬ 
doch  Hessen  sie  es  ihm  an  einem  Thronerben  fehlen  2).  Aiax  im 
Ringen  mit  Odysseus  sich  messend,  vertraute  auf  Zeus,  er  werde 
darauf  achten  ^).  »Zeus  der  Olympier  vertheilt  das  Glück  den  Men¬ 
schen,  den  guten  und  bösen,  einem  jeglichen  nach  seinem  Gefallen“  ^). 
»Die  Götter  bereiten  und  verhängen  den  Menschen,  den  Untergang, 
damit  die  kommenden  Geschlechter  Stofl  zum  Gesang  haben«  ^). 
Nach  dem  Rathe  der  Götter  schlossen  Aeetes  und  Jason  ihre  Ehen®). 
»Leicht  wird  die  Nachkomraenschatt  eines  Mannes  berühmt,  welchem 
Kronion  bei  der  Geburt  und  beim  Heirathen  Glück  verhänget“  ^). 
Es  liegt  in  den  Knien  (statt  in  den  Händen)  der  Götter  ,  ob  Odys¬ 
seus  nach  Ithaka  zurückkehreu  werde  oder  nicht®),  und  wer  auf 
dem  Eiland  die  Herrschaft  überkommen  werde  9).  »Gott  theilet 


1)  II.  VIII,  69.  2)  ji  XXIV,  527. 

It.  XXIII,  72i  :  rä  ö'aü  Ali  Ttdvxa  /iteXijaei, 
Ocl.  VI,  188.  5)  Od.  t?',  579. 

®)  Theog.  960.  993.  ?)  Od.  IV,  207. 

8)  Od.  I,  267.  5»)  Od.  I,  400. 


281 


jedem  sein  Geschick  zu«  •).  Euripides  (Alcesl.)  besiogl  die  Gewalt 
der  Notliweudigkeit,  aber  V.  993  sagt  er:  »auch  Zeus,  was  er  zu- 
winkl,  vollbringt  er  mit  dir.«  „Die  Geschicke,  welche  die  Götter 
verhängen,  müssen  die  Menschen  nolhwendig  tragen«  2).  Jedoch 
sind  sie  nicht  unausweichlich,  sondern  die  Freiheit  hat  ihren  Spiel¬ 
raum  und  kann  in  Zeiten  ihnen  Vorbeugen.  So  Hess  Zeus  durch  Her¬ 
mes  dem  Aegislhus  Vorhersagen,  er  solle  den  Agamemnon  nicht 
tödten  noch  dessen  Gattin  ehelichen,  sonst  würde  Orestes  den  Va¬ 
ter  rächen;  allein  Aegisthus  liess  sich  nicht  warnen  und  stürzte  sich 
durch  eigenes  Verschulden  in  sein  Verderben  3).  Ein  Prophet  for¬ 
derte  die  Freier  der  Penelope  auf,  zuzusehen,  wie  sie  ihrem  bevor¬ 
stehenden  Schicksal  entrinnen  möchten  ^).  Des  Menschen  Herz 
schlägt  seinen  Weg  an,  aber  »das  Ende  von  Allem  geschieht,  wie 
Gott  will«  ^). 

Platon,  Aeschylus  und  Euripides  nannten  das  Geschick  auch 
Adrastea  (s.  oben  S.  148).  —  Zeus  und  Apollon  waren  im 
Tempel  zu  Delphi  mit  zwei  Mören  vorgestellt •^).  Der  allerhöchste 
und  der  die  Zukunft  offenbarende  Gott  lenken  die  Geschicke.  Die 
Pythagoreer,  die  das  Wesen  und  den  Grund  aller  Dinge  in  die  Zahl 
und  die  Harmonie  setzten  8),  verehrten  daher  besonders  den  Apol¬ 
lon.  Thaies,  Heraklitus  und  Pythagoras  vertraten  die  dreierlei  my¬ 
thischen  Weltansichten  von  dem  Lebensgrunde  der  Welt  und  dem 
göttlichen  Walten  in  ihr:  der  erste  die  neptunische  von  dem  Lebens¬ 
wasser,  der  zweite  die  vulcanische  von  dem  Lebensfeuer  9),  und  der 
dritte  die  a[)ollinische  von  der  Weltharmonie,  wodurch  alle  Dinge 
Bestand  haben.  -  Apollons  Schwester  Artemis  war  eine  astrolo¬ 
gische  Schicksalsgöttin  mit  goldener  Spindel,  wie  wir  oben  gesehen 
haben.  Namentlich  knüpfte  man  in  Arkadien  diese  Idee  an  ihr  We¬ 
sen,  und  verehrte  sie  in  Verbindung  mit  den  Mören  *ö).  Sie  hiess 
daher  in  Sparta  **)  (ionisch  ovziq^ ,  die  Schauende.  Ihr  (wie 


Demosiben,  de  Corona  p.  317  ed.  Lips. 

2)  Sophocl.  Philoct.  1311.  3)  Od.  I,  35. 

Od.  II,  168.  Demosthen.  1.  c.  p.  312. 

6)  Plat,  Phaedr.  p.  248  C.  Eurip.  Rhes.  338:  ^Adgdareia,  d  Jibq 
Tiaiq.  Paus.  X,  24,  4.  8)  Aristot.  Met.  I,  5. 

9)  Aristot.  Met.  1,  3.  ’3)  Paus.  Arcad.  c.  37. 

“)  Palaephal.  32. 


282 


der  Bubastis)  Attribut  war  der  Hund  (VVachsarakeit) ;  woher  ich  ih¬ 
ren  Beinamen  ÖQdta  oder  o^donaia von  Ortlms,  dem  fabelhaften 
Hunde  der  Theogonie,  ableite.  Das  Schicksal  fordert  seine  Opfer, 
Menschenopfer  fielen  eliemals  an  ihren  Altären.  Weil  ihre  und  ihres 
Bruders  Pfeile  sicher  treffen,  so  schrieb  man  ihnen  jähen  Tod  zu. 
Bei  Frauen  verrichtete  Artemis  dieses  Geschäft;  ihre  schnell  lödten- 
den  Pfeile  werden  langer  Krankheit  entgegengesetzt  2),  Des  Mene- 
laus  Steuermann  wurde  das  Steuerruder  in  der  Hand  haltend  von 
den  schmerzlosen  Pfeilen  des  Phöbus  getroffen  3). 

Hermes,  der  göttliche  Wanderer,  bewahrt  der  Menschen  Ein¬ 
gang  und  Ausgang;  daher  sein  Beiwort  der  Thürhüter  (argocpaloq'* *), 
zvXr]d6A.oq  Er  ist  ihr  Wächter  {^avaxonoq)^  wenn  sie  schlafen®), 

ihr  Geleitsmann  (^ya/j-övioq ,  ayrircoq^)')  auf  allen  ihren  Wegen, 
der  Beschützer  des  Handels  (ßfxiiolaioq)  ^) ,  der  Gewinnbringende 
(xapdüjoq) ‘0) ,  der  Beförderer  aller  klugen  Anschläge  (ööhoq)  **)  und 
der  Vorsteher  der  Leibesübungen  (eVaycJwog)  als  das  Mittel  zur 
Erzielung  hermetischer  Gewandtheit.  Mit  einem  Worte  ist  und  heisst 
er  der  Gutthätige  {axdxtjxa)  *3)^  unter  welchem  Namen  er  als  dxa- 
x}^aioq  in  Arkadien  verehrt  wurde  Man  ptlegle  in  alten  Zeiten 
heim  Nachhausegehen  von  einem  Gastmahl  der  vor  der  Hausthüre 
stehenden  Herme  den  Kranz ,  womit  die  Gäste  geschmückt  waren, 
aufzusetzen  ‘^).  Die  Erstlinge  setzte  man  dem  Hermes  auf  die  Stras¬ 
sen  vor,  welche  daun  die  Wanderer  zu  verzehren  pflegten;  diese 
Gabe  hiess  epiuaiop,  womit  man  dann  vergleichungsweise  einen  jeden 


*)  R.  0.  Müller  Dorier  1  S.  383. 

2)  Od.  XI,  172.  Find.  Pjth.  III,  10.  Euslalh.  ad  II.  q. 

3)  Od.  III,  279.  Arisloph.  Plut.  1154  das.  Spanheim. 

*)  Horn.  h.  II  in  Mercur.  15.  ®)  Od.  VH ,  138. 

0  Od.  VII,  1160.  S)  Pausan.  VIII,  31. 

Arisloph.  Plut.  1156  und  das,  d.  Erklärer. 

Spanheim  zu  Gallim.  h.  in  Dian.  68. 

*')  Allst.  1.  c.  1158. 

•2)  Allst.  1.  c.  Ii62.  Euslath.  ad  Od.  VIII,  266.  Paus.  V,  14. 
‘3)  11.  XVI,  185. 

'*)  Paus.  VIII,  3,  36.  Gallim.  Dian.  143  das.  Spanheim. 

’3)  Aelian.  V.  H.  II,  41. 


283 


uuverhofflen  Gewinn  bezeichnele  *)•  —  Hekate  war  die  Göttin  der 
Wege  (ivodia  ^aoq)  2).  Ihr  Bild  s-Karaiov  genannt  war  in  Atlien 
häufig  vor  den  Häusern;  sie  war  Aufseherin  und  Ainrne  3).  —  Auch 
Apollon  stand  vor  der  Hausthüre  in  den  Gassen^),  und  er  sowohl 
als  seine  da  befindliche  zugespitzte  Säule  hiess  daher  dyvcavq  ^).  Das 
war  auch  in  Delphi  die  älteste  Darstellungsweise  des  Gottes,  nem- 
lich  als  eine  hohe  Säule  ®),  und  bestätigt  den  §.  40  behaupteten  Zu¬ 
sammenhang  mit  Bai,  der  gleichfalls  so  abgebildet  wurde.  Als  der 
Alles  sehende  hiess  Apollon  ajiöxpwq'^),  als  der  Alles  hörende  und 
wirkende  hatte  er  zu  Amyklä  in  Lakonien  4  Ohren  und  4  Hände  ^). 
Als  der  vor  der  Thüre  steht,  hiess  er  7iQoaTaT7^^ioq  ^) ,  und  hatte 
unter  diesem  Beinamen  ein  fJeiligthum  in  Attika  (Pausan.),  auch  dv- 
*0)  oder  7r^o:rv?Mtoq  Als  Patron  derer,  die  aus  dem  Ha¬ 
fen  ausfuhren ,  hiess  er  iitcßaTijgioq  und  hatte  einen  Tempel  in 
Trözen  (Pausan.)  —  Das  Glück  (Tvxrj')  ist  nach  Pindar  (fragm.  p.  95 
Heyne)  unergründlich  {aitavd-^q  ohne  Correclur),  und  wendet  ein 
zweifaches  Steuerruder;  nach  Alkman  *2)  aber  ist  Tyche  der  Recht- 
schalTenheit  und  üeberredung  (Evvofxiaq  v.dl  llacdovq')  Schwester  und 
der  Klugheit  {ü^o/LiT^daiaq)  Tochter.  Homer  nennt  ihren  Namen 
nicht,  aber  Hesiod  (Th.  360)  kennt  sie  als  Okeanine,  und  der  Ho- 
meride  (h.  in  Cer.  420)  führt  sie  unter  den  Gespielinnen  der  Perse¬ 
phone  auf. 

Der  Reichthum  oder  auf  griechisch  PI  u  tos  wurde  beson¬ 
ders  personificirt,  und  zwar  wird  er  aus  der  natürlichen  Erwerbs¬ 
quelle,  dem  Ackerbau,  geboren.  Demeter  ist  seine  Mutter,  mit 
dem  kretensischen  Fürsten  Jasios  gattet  sie  sich  in  Liebe  auf  einem 
dreimal  gepflügten  Brachfeld  und  gebiert  den  IreCflichen  Plutos  ,  der 


1)  Suidas  s,  v.  Sophocl.  Anlig.  H99. 

Aiisloph.  Vesp.  800  ib.  Schot.  Hesych.  v.  Ev.axala. 

')  So  zu  Tege^  ,  Pausan.  I. 

5)  Suidas  V.  dyvievq  und  Valckenar.  ad  Eurip.  Phoeniss.  v.  634. 
Clem.  AI.  Strom.  1  p.  349.  Hesych.  s.  v. 

llesycb.  v.  xovQLÖioq. 

Sophocl.  Electr.  638  ib.  Schob 

Terlullian.  de  Idololalr.  Aristid.  h.  in  Minerv- 

■2)  Itei  Plut.  de  Fort.  rom.  p.  318  A. 


284 


über  Land  und  Wasser  geht  und  reich  macht,  zu  wem  er  kommt*). 
»Heil  dem,  welchem  Demeter  gewogen  ist,  sie  sendet  ihm  den  Plu- 
tos  ins  Haus,  welcher  den  Sterblichen  Reichlhum  verleiheti®  2),  Ho¬ 
mer  (Od.  V,  125)  nennt  dessen  Vater  Jasion,  der  durch  Länder¬ 
ertrag  reich  geworden  seyn  muss,  behält  aber  den  bedeutsamen  Zug 
der  Fabel  von  dem  dreimal  gepflügten  Brachfeld  als  von  dem  tüchtig 
getriebenen  Ackerbau  wörtlich  bei.  Die  Thespienser  haben  den 
Beichthum  in  Folge  des  Gewerbtleisses  aufgefasst,  indem  sie  den 
Plutos  an  die  Seite  der  Athene  iQydvr]  stellten  3).  lu  Athen  trug  der 
Friede  den  Plutos  in  den  Händen  ^).  Euripides  gab  ihm  Flügel. 
Auch  Zeus  als  Geber  von  Besitzlhümern  hiess  ■xn^aioq  6).  Er,  Athene, 
Demeter  und  Ko^rj  n^Mxoyövrj  halten  zu  Athen  Altäre  in  Einem  Tem¬ 
pel  Da  waren  die  durch  Besitzstand ,  Gewerbe  und  Ackerbau 
ernährenden  Göller  beisammen. 


§.  51. 

Die  Wissenschaft  und  Kunst  unter  göttlicher 

A  u  fsi  ch  l. 

Der  Menschen  Kräfte,  Bestrebungen  und  Leistungen  werden  von 
Gott  geleitet  oder  haben  in  einem  Gott  ein  Musterbild  der  Vollkom¬ 
menheit.  Apollon  ist  Vorsteher  der  Wissenschaft  und  höheren 
Künste,  A  l  h e  n  e  der  Handwerke  ohne  Feuer,  Ilephäslos  der¬ 
selben  mit  Feuer,  Hermes  der  Herden,  Demeter  des  Acker¬ 
baus,  Artemis  der  Jagd,  Athene  und  Ares  des  Kriegs.  So  re¬ 
gieren  und  tragen  die  Götter  [das  Thun  und  Lassen  der  Menschen, 
und  weihen  ihre  Wege  und  Beschäftigungen  durch  .Aufsicht  und 
Vorbild. 


1)  Theog.  969.  Athen.  XV  p.  694  C.  Diodor.  V,  77. 

2)  Horn.  h.  in  Cer.  486,  Pausan.  IX,  26. 

Pausan.  IX,  16. 

Eurip.  in  Meleagro  bei  Stobaeus  74  und  in  Ino  bei  Stob.  105. 
Vgl.  Philostrat.  Imagg.  II,  27. 

Aescbyl.  Suppl,  448.  Paus.  I,  31,  2. 


285 


Im  Leben  vernünftiger  Wesen  leuchtet  ein  höheres  Licht  *).  Das 
Licht  des  reinen  Apollon  aber,  wie  es  Sinnbild  der  Denkkraft 
und  Erkenntniss  ist,  wird  in  ihm  zur  vollendeten  Wissenschaft 
und  Kunst  verwirklicht.  Ton-  Wahrsage-  Arznei-  und  Schützen¬ 
kunst  legt  ihm  Platon  (Cratyl.  p.  405),  Ebenderselbe  (Symp  19,  6) 
die  drei  letzten  ihm  und  die  Tonkunst  den  Musen,  und  Pindar  (Pyth. 
V,  85)  die  drei  ersten  Diuge  bei.  Der  Homeride  (h.  I  in  Apoll.  131) 
lässt  ihn  als  neugebornes  Kind  sagen:  »die  Cither  sey  mir  lieb  und 
die  krummen  Bogen,  und  den  Menschen  will  ich  des  Zeus  untrüg¬ 
lichen  Rathschluss  weissagen.«  Doch  führt  er  ebendaselbst  V.  272 
schon  den  Beinamen  Arzt  irjnai'^tav.  Apollon  ist  so  nicht  mehr  Na¬ 
turgott,  wie  er  als  Sohn  des  Hephästos  und  der  Athene  ursprünglich 
gedacht  war.  Er  war  einst  das  wärmende  Himmelslicht,  welches  die 
Lebenskeime  weckt,  und  die  leibhafte  Wohlordnung  der  ganzen 
Welt,  wie  noch  das  attische  Volk  in  den  Thargelien  ihm  seine  Hul¬ 
digung  brachte.  In  diesem  göttlichen  Vollgehalt  war  er  nicht  gerade 
einerlei  mit  der  materiellen  Sonne,  die  als  solche  besonders  verehrt 
werden  konnte,  auch  war  er  edler  aufgefasst,  als  der  pelasgische 
Hermes  und  der  schwärmende  Dionysos.  Ueberdiess  war  er  aber 
und  blieb  fortwährend  das  Licht  der  Welt  in  bildlichem  Sinne,  in 
den  genannten  priesterlichen ,  intellectuellen  und  künstlerischen  Be¬ 
ziehungen.  In  diesem  Zusammenhang  lassen  sich  alle  Ideen  vereini¬ 
gen,  die  man  an  seinen  Namen  und  seine  Verehrung  knüpfte. 

Gott  offenbart  die  Zukunft  entweder  durch  Eingebung  an  be¬ 
geisterte  Menschen  oder  durch  Wahrzeichen  und  Vorbedeutungen, 
durch  Träume,  Vogelflug,  Vogelstiminen  2) ,  durch  die  Eingeweide 
der  Opferlhiere,  die  BeschafTenbeit  der  Opferflamme  und  durch  Ge¬ 
stirne.  Das  Vermögen  zu  wahrsagen  heisst  im  Allgemeinen  ^avTiv-iq. 
Genauer  gesprochen  aber  ist  dieses,  von  ixaivtaßai  abgeleitet,  das 
begeisterte  Wahrsagen  aus  götilicher  Eingebung,  wie  bei  der  Sibylla, 
dem  Tiresias,  den  Bakides  und  den  Orakeln;  und  davon  unterschei¬ 
det  Platon  (Phädr.  p.  244  C)  die  Wabrsagerkunst  als  die  nüchterne 
Erforschung  der  Zukunft  durch  Vögel  und  andere  Zeichen,  oicoviaxi- 


')  Ev.  Job.  I,  4. 

2)  Hom,  h.  II  in  Mercur.  213,  54'4,  Vgl.  K.  0.  Müller  Dorier  I 
S.  341. 


286 


y.r].  Eben  so  stehen  bei  Homer  (Od.  1,  202)  (.idviiq  und  oicouäi’ 
odcpa  eidcöq  einander  gegenüber.  Der  allgemeinere  Name  aber  für 
Wahrsager  ist  daoTigÖTtoq  bei  Ebendemselben  V.  416.  Es  gab  im 
Altertbum  einen  eigenen  Stand,  der  sich  damit  abgab  (s.  §.  91). 
Hesiod  (Schild  185)  nennt  so  einen  oidavtar^q,  V'^ogelbescbauer.  ln 
Platons  Zeitalter  waren  die  umherziebenden  Wahrsager  schlecht  an¬ 
gesehen;  er  setzt  sie  (juavTaiq)  und  die  Markjscbreier  (dyv^Tai)  in 
eine  Klasse').  Sie  gaben  vor,  Lösungsmittel  und  Reinigungen 
(Ablass)  von  Verbrechen  zu  besitzen,  sowohl  für  die  Lebenden  als 
die  Verstorbenen,  welche  durch  ihre  Weihen  von  allen  Uebeln  in 
der  Unterwelt  befreit  würden.  Theophrast  (Charakt.  c.  16)  noch 
kannte  diese  Betrüger  unter  dem  Namen  der  Orpheoleleslen ,  zu  de¬ 
nen  Abergläubige  jeden  Monat  mit  Weib  und  Kind  gingen,  um  sich 
reinigen  und  weihen  zu  lassen.  —  Vorzugsweise  verlieh  Apollon 
das  Wahrsagen  durch  prophetische  Eingebung.  Platon  (Phädr.  p.  265 
B)  sagt,  es  gebe  vier  Götter,  welchen  die  Menschen  die  Begeiste¬ 
rung  verdanken:  Apollon,  von  dem  der  Geist  der  Weissagung,  Dio¬ 
nysos,  von  welchem  die  Begeisterung  der  Andacht,  die  Musen,  von 
denen  die  dichterische  Begeisterung,  Aphrodite  und  Eros,  von  wel¬ 
chen  der  Geist  der  Liebe  webt.  Indessen  hat  Apollon  auch  den  Bei¬ 
namen  Eidechsenlödter  {oavpo-xröroq)  ;  denn  man  pflegte  Eidechsen 
zu  durchbohren  und  aus  ihrem  Pfeifen  zu  wahrsagen.  Wir  besitzen 
noch  einen  alten  .Apollon,  welcher  die  Eidechsen  beim  Durchbohren 
belauscht  2).  Dem  Zeus  schrieb  man  besonders  die  in  der  Luft  sich 
ergebenden  Wahrzeichen  oder  die  durch  Hermes  Botschaft  verkün¬ 
digten  Weissagungen  zu  ^).  Zeus  sandle  in  die  Volksversammlung 
von  Itbaka  zwei  vorbedeutende  Adler  '*).  Götter  erscheinen  im  Schlafe 
den  Menschen,  so  Athene  in  erborgter  fremder  Gestalt  erscheint  der 
schlafenden  Penelope  *)  und  der  Nausikaa  '’)  und  redet  mit  ihnen  im 
Traum.  Das  Wahrsagen  durch  Träume,  das  wir  in  Attika  beim 
Grabmal  des  Amphiaraus  und  anderwärts  finden ,  sollen  die  Tel- 
misser ,  das  Vorhersehen  aus  den  Gestirnen  die  Karer,  aus  dem  Flug 


')  Plat.  Polit.  II  p.  364  B. 

2)  Welckers  akadem.  Kunstniuseiim  zu  Bonn  1827.  S.  71. 

3)  Od.  I,  37.  282.  II,  216.  •)  Od.  II,  116. 

3)  Od.  IV,  795.  6)  Od.  VI,  25. 


287 


der  Vögel  die  Phryger  und  Isaurer,  das  aus  den  Eingeweiden  der 
Opferlhiere  (r^v  ■dvxiv.iqv)  die  Kyprier  erfunden  haben  i). 

Wie  alles  Licht  der  Wissenschaft ,  so  kommt  \on  Apollon  ins¬ 
besondere  die  Heilkunde  2).  Homer  (II.  V,  401 . 899.  Od.  IV,  232) 
nennt  zwar  den  Gott  der  Arzneikunde  Päeon.  Man  holte  sich 
walirscheinlich  Raths  für  die  Kranken  bei  dem  Orakel  des  Apollon) 
und  so  wurde  er  nach  und  nach  in  dieses  Amt  eingesetzt.  So  nennt 
ihn  Aeschylus  (Eumenid.  62)  Wahrsagerarzt  {iargöfiavriq)  3).  Bei 
der  Pest  wandten  sich  die  Athener  an  ihn  als  den  Abwehrer  des 
Uebels  ^).  In  Elis  nannte  man  ihn  Akesios  3). 

Asklepios,  ein  ausgezeichneter  Arzt  6)  und  Zeitgenosse  der 
Helden  vor  Theben,  wurde  als  Vorsteher  seiner  Wissenschaft  vergöt¬ 
tert  und  daher  zu  einem  Sohne  des  Apollon  gemacht.  Weil  er  Todte 
(dem  Tode  Nahe?),  namentlich  den  Hippolytus,  auferweckte  und  so 
in  den  Gang  der  Natur  eingriff,  so  soll  ihn  Zeus  mit  dem  Blitzstrahl 
getödtet  haben  7).  Man  kann  zwei  Männer  dieses  Namens  unter¬ 
scheiden.  Der  erste  hatte  zur  Mutter  Koronis,  eine  Tochter  des 
Königs  Phlegyas ,  welche  diesen  Linderer  der  Schmerzen  auf  der 
Ebene  Dolion  gebar  3);  er  soll  die  Sonde  und  das  Verbinden  der 
Wunden  erfunden  haben,  und  auf  dem  arkadischen  Gebirge  Kyno- 
sura  begraben  liegen  9).  Zweierlei  Väter  werden  von  ihm  genannt 
je  nach  den  verschiedenen  Fabeln,  ohne  dass  es  darum  bei  der  glei¬ 
chen  Mutter  Koronis  ein  verschiedener  Aesculap  wäre;  so  dass  wir 


3)  Tatiaii.  tcq.  "EXl.  p.  243  Paris. 

2)  Find.  Pyth.  IV,  480.  V,  85.  Sophocl.  Oed.  Tyr.  149.  162. 
Aristoph.  Pliil.  8.  Talian.  tiq.  'EXX.  n.  8  p.  250  ;  ßegunavei  6  "AnöXXcov. 

3)  Aristoph.  Plut.  11  trennt  es  in  iazQÖg  y.cü  fiävriq. 

Thucyd.  II,  47.  Vgl,  Aristoph.  Fried.  420.  Auch  Psalm  91,  5 
werden  die  Peslanfalle  mit  den  Pfeilen,  die  des  Tages  fliegen,  ver¬ 
glichen.  3)  Paus.  VI,  24,  5. 

6)  II.  IV,  194  Plat.  Symp.  12,  6. 

2)  Aeschyl.  Agam.  1020  ib.  Schob  Eurip.  Alcest.  Anfg.  ib.  Schob 

3)  Horn.  h.  XV.  Ilesiod.  fragm.  p.  443  ed.  I.ips.  Pind.  Pyth.  III, 
14,  43.  Apollodor.  III,  10,  3. 

Cic.  N.  D.  III,  22.  dem.  AI.  Protr.  p.  8.  Tatian.  71q."EXX.  4. 
21  p.  262  :  xidvrjysv  v/utov  6  ^Aoy.Xr]7ti6q. 


288 


austalt  der  drei  Aesculape  des  Cicero  nur  zwei  annelimen.  Denn 
bald  wurde  Asklepios,  um  ihn  auf  die  Weise  der  phöniciscben  Ka- 
biren  in  die  Reibe  der  mächtigen  und  starken  Horte  einzurdbren, 
zum  Sohne  des  Ischys,  eines  Sohnes  des  Elatos,  und  so  zum  Bru¬ 
der  des  unterirdischen  Hermes  (des  geheimnissvoll  Wirksamen)  ge¬ 
stempelt  ‘);  bald  und  insgemein  behielt  der  ohnehin  für  die  Heil¬ 
kunde  Aufsicht  tragende  Apollon  das  Recht  der  Vaterschaft^).  He- 
siod  (a.  a.  0.)  und  Pindar  (Pyth.  IH,  55)  suchten  beide  Genealogien 
durch  die  Annahme  zu  vereinigen,  dass  Ischys  die  von  Apollon  ge¬ 
schwängerte  Koronis  geehelicht  habe;  wesswegen  eben  die  Unter¬ 
scheidung  des  ersten  und  zweiten  Aesculapius  bei  Cicero  verwerflich 
scheint.  Der  zweite  oder  bei  Cicero  der  dritte  Aesculap  hatte  nach 
der  Sage  der  Messenier  den  Arsippus  und  die  Arsinoe  zu  Eltern;  er 
soll  das  Laxiren  und  das  Zahnausreissen  erfunden  haben,  und  man 
zeigte  sein  Grab  in  Arkadien  nicht  weil  von  dem  Fluss  Lusios  3), 
Anstatt  seines  eigentlichen  Vaters  wurde  gleichfalls  der  Gott  Apollon 
dafür  ansgegeben,  dass  dieser  mit  Arsinoe,  der  Tochter  des  Leu- 
cippus,  den  Asklepios  erzeugt  habe  ^).  Die  Verschiedenheit  der 
Mutier  versuchten  Einige  in  Einklang  zu  bringen,  nemlich  Socra- 
tes  ^)  durch  die  Vermulhung,  als  sey  Asklepios  Sohn  der  Arsinoe, 
aber  von  Koronis  an  Kindesslalt  angenommen,  Aristides  aber  in  der 
Geschichte  von  Knidos  6),  als  sey  Arsinoe  nachmals  Koronis  benannt 
worden.  Man  könnte  einwenden,  dass  beide  Frauen  verschiedene 
Väter  haben  und  daher  verschieden  seyen.  Will  man  ungeachtet 
zweier  Mütter  nur  einen  einzigen  Asklepios  annehmen,  so  liegt  die 
Muthmassung  nahe,  entweder  dass  Arsinoe  aus  demselben  Grunde, 
aus  welchem  Asklepios  zum  Bruder  des  kabirischen  Hermes  gemacht 
wurde,  eingeführt  worden  sey,  um  ihren  vorgeblichen  Sohn  in  nahe 
Berührung  mit  den  Dioskuren  Kastor  und  Polydeukes,  deren  Gattin¬ 
nen  die  Schwestern  der  Arsinoe  waren,  zu  bringen,  oder  dass  Ko¬ 
ronis  eine  allegorische  Mutter  war,  um  den  Asklepios  als  Bruder 
mit  dem  allwallenden  unterirdischen  Hermes  in  Verbindung  zu  brin- 


*)  Cic.  I.  c.  2)  Hom.  I.  c.  Cic.  I.  c. 

3)  Cic.  1.  c.  Paus.  II,  12.  IV,  3.  31. 

^‘)  Der  Dichter  Asktepiades  bei  Schot.  Find.  Pyth.  III  ,  14. 
3)  Beim  Schol.  I.  c.  6)  Beim  Schot.  I.  c. 


289 


gen  (s.  S.  115).  Des  Asklepios  Lehrer  war  Chiron  der  Centaur  i), 
seine  Gallin  E pion e  und  seine  Söhne  Pod al i  r iu s  und  Ma  chaon^), 
welcher  letztere  als  Wundarzt  die  Griechen  vor  Troja  begleitete  und 
den  Menelaus  heilte  3). 

Der  Sphären  Harmonie,  wovon  Apollons  Leyerein  Sinnbild  war, 
ist  das  Urbild  aller  irdischen  Harmonien,  in  welchen  jene  sich  gleich¬ 
sam  ausprägt.  Daher  hat  das  Reich  der  redenden  und  tönen¬ 
den  Künste  {ij,ovoiy.t])  seinen  Ursprung ,  Halt  und  Meister  in  A p o I- 
lon.  Schon  Pan  hatte  in  derselben  Bedeutung  eine  siebenröhrige 
Hirtenpfeife  “i).  Eben  so  spannte  Hermes  über  den  Rücken  einer 
Schildkröte  sieben  wohlklingende  Sailen  nach  der  Zahl  der  Plane¬ 
ten^),  und  das  war  seine  Leyer,  welche  an  Apollon  überging.  »In 
der  Mitte  des  heiligen  Reigens  der  Unsterblichen  schlägt  Letos  und 
Zeus  Sohn  in  lieblichen  Tönen  die  goldene  Leyer;  und  die  pieri- 
schen  Musen  singen  mit  heller  Stimme  dazu«  ^).  Wenn  jener  der 
Spielmann  des  Olympus  ist,  so  sind  die  Musen  die  Sängerinnen, 
gleichsam  der  leibhafte  Mund  des  musicirenden  Gottes  ^),  und  er 
selbst  Musenführer  ^).  Als  er  des  gastlichen  thessalischen  Königs 
Admetos  Herden  weidete ,  lauschten  seinen  Melodien  Luchse,  Löwen 
und  Rehe  und  weideten  mit  9).  In  Verbindung  mit  Apollon  kommt 
auf  Münzen  die  im  Sommer  auf  Bäumen  unermüdlich  kreischende 
Cicade  vor,  ein  altes  Sinnbild  der  Redner  und  Sänger  *0).  _  Es  ist 
eine  Uebereinstimmung  der  apollinischen  Saiten  und  der  Anzahl  der 


’)  Pindar.  Pylh.  III,  80. 

2)  Schot.  1.  c.  Der  Orphiker  h.  in  Aesculap.  gab  dem  Asklepios 
eine  allegorische  Gattin,  die  leibhafte  Gesundheit  (Hygiea).  Nach  Paus. 
I,  23,  5  war  Hygiea  seine  Tochter. 

3)  II.  IV,  193. 

Orph.  h.  XI;  Pan  spielt  auf  scherzender  Flöte  die  Harmo¬ 
nien  der  Welt. 

3)  Hom.  h.  in  Merc.  450.  Schot.  Arat.  Phaenom.  296. 

6)  Hes.  Schild  201.  205. 

7)  II.  I,  603.  Theog.  60.  916.  Pind.  Nem.  V,  42. 

3)  Wesseling  zu  Diodor.  I,  18^  9)  Eurip.  Ale.  590  ff. 

30)  H.  11.  III,  151.  Anacr.  43,  16.  Plut.  Symp.  VHI  p.  727  C. 
Paus.  Eliac.  II,  6,  2. 


19 


290 


Musen;  je  nachdem  jene  sich  vermehrlen ,  so  wuchs  auch  die  Zahl 
von  diesen.  Die  Leyer  halle  bald  drei,  bald  vier,  bald  sieben  und 
bald  neun  Saiten,  und  eben  so  wechselten  die  Musen.  Sie  waren 
ja  nach  der  ältesten  Genealogie  vom  Himmel  und  Erde  entsprossen  *), 
um  die  Wohlordnung  des  Weltsystems  zu  bezeichnen,  wovon  eben 
die  Leyer  ein  Sinnbild  war;  und  man  wusste  sogar  von  nur  zwe' 
Musen  zu  sagend),  nach  Analogie  der  zwei  alten  Horen  von  Athen. 
Jedoch  würde  ich  ungeachtet  dieser  Uebereinstimmung  die  Musen 
nicht  gerade  für  die  Sailen  der  apollinischen  Leyer,  mit  Persönlich¬ 
keit  gedacht,  hallen  3);  sondern  sie  verhalten  sich  zur  Leyer  wie 
Gesang  zum  Saitenspiel,  und  beide  zusammen  die  Musen  mit  Apol¬ 
lon  ergänzen  und  erfüllen  den  Begriff  der  redenden  und  tönenden 
Künste.  Nach  der  spätem  Slammableilung  ist  daher  Mnemosyne 
als  die  Erinnerung  aller  Dinge,  die  dem  Gesang  den  Inhalt  und 
Stoff  liefert,  der  Musen  Mutter,  sie  selbst  aber  des  Uranos  und  der 
Gäa  Tochter,  um  sich  an  die  ältere  Genealogie  anzuschliessen. 
Zeus  als  Vater  Himmels  und  der  Erde  und  als  Ordner  aller  Dinge 
ist  in  dieser  Religionsperiode  der  Vater  der  Musen  ^).  Dass  sie  nicht 
geradezu  die  personificirlen  Saiten  ihres  Führers  Apollon  waren,  er¬ 
hellet  auch  aus  der  umgekehrten  Nachricht,  Orpheus,  Sohn  der  Kal¬ 
liope,  habe  der  Leyer  nach  der  Zahl  der  Musen  neun  Sailen  erst 
gegeben  5). 

Andere  benennen  die  drei  Musen  als  Töchter  Apollons  nach 
den  Orlen  ihrer  Verehrung:  Krjcpiaovv  (so  zu  lesen  siäll  Kicpi^oiovv'), 
’Anolltovida  xal  BoQvadsvida.  Die  Erste  ist  von  dem  Kephisos  in 
Phocis,  der  an  dem  Fusse  des  Parnasos  vorbeifliesst ,  die  Letzte  von 
dem  Flusse  Boryslhenes ,  der  an  den  hyperboreisehen  Apollon  erin¬ 
nert  (beide  also  von  den  apollinischen  Hauplsitzen),  und  die  Mitt¬ 
lere  zugleich  im  Namen  ihrer  Schwestern  von  dem  Vater  Apollon 


')  Alkman  bei  Diodor.  IV,  7  p.  215. 

2)  Cornut.  N.  D.  c.  14. 

3)  Wie  Hug  über  den  Mythos  d.  ber.  Völker  d.  all.  Welt  S.  220 
und  Baur  die  Naturreligion  Bd.  II  S.  317. 

Theog.  915.  Eratoslhen.  Cataster,  c.  24. 

Eumelus  von  Korinth  ms.  bei  Rubnken  epist.  cril.  II  p.  309, 


291 


benannt  ^).  Epicharmus  in  der  Hochzeit  der  Hebe  2)  führt  folgende 
sieben  Musen  als  Töchter  des  Pierus  und  der  Nymphe  Pitnpleis  auf: 
NdXovp,  Tqit(Ö7]v,  ’Aoo):iovp ,  "EntaTtoXiv ,  TitiötiXovv  Kai 

A^odiav.  Sie  sind  nach  Flüssen  benannt,  an  deren  Ufern  die  musi¬ 
kalischen  Hirten,  wie  mir  scheint,  ihre  Herden  weideten  und  die 
Quellnymphen  als  begeisternde  Musen  anriefen.  Gottfried  Hermann  2) 
verbessert  den  Namen  der  vierten  Heptapore,  und  leitet  ihren  und 
den  Namen  der  siebenten  von  zwei  Flüssen  bei  Troja  her  ^).  Der 
Name  Tipoplus  oder  Titoplus  ist  ungewiss  (vielleicht  Tilpusa,  Quelle 
in  Böotien).  Desgleichen  wurden  die  musikalischen  Nymphen  des 
torrhebischen  Sees  von  den  Lydiern  Musen  genannt^),  und  von 
Virgil  (Eel.  10)  Arethusa  als  die  sicilisch  idyllisehe  Muse  von  der 
Quelle  dieses  Namens  bei  Syracus  angerufen.  Platon  (Phaedr.  p.  306 
Heind.)  setzt  die  Nymphen  des  Achelous  in  Verbindung  mit  dem 
Hirtengotte  Pan  in  Rücksicht  anf  die  Wohlredenheit,  und  bestätigt 
so  unsere  Vermulhung  ^).  An  jenen  Bächen  und  Flüssen,  von  de¬ 
nen  die  Musen  ihre  Namen  entlehnten,  standen  ohne  Zweifel  Apollo- 
lempel ,  so  dass  sie  sich  auch  aus  diesem  Grunde  erklären.  Krates 
gibt  acht  Musen  an.  Pierus  von  Macedonien  erhöhte  ihre  Zahl  zu 
Thespiä  in  Böotien  zuerst  auf  neun  s).  So  viele  kennt  auch  schon 
Homer  (Od.  XXIV ,  60) ;  wiewohl  Od.  VHl ,  63.  488  nnd  in  der 
Ilias  zu  Anfang  die  Muse  in  der  Einzahl,  Zens  Tochter,  als  die  Ge¬ 
sang  eingehende  genannt,  II.  ß' ,  484  sie  in  der  Mehrzahl  als  die  all¬ 
wissenden  Göttinnen  angerufen  werden.  Pierus  gab  ihnen  die  gewöhn^ 


1)  S.  die  lichtvolle  Abhandlung  Bullmanns  im  Mythologus  1  die 
mythol.  Vorstellung  d.  Musen. 

2)  Bei  Tzetzes  ad  Hes.  Op.  I.  Gleichfalls  sieben  kennen  Myrtilus 
bei  Arnob.  III,  14  p.  121  u.  Gornutus  I.  c. 

3)  Hermann  de  Musis  fluvialibus  Opusc.  Vol.  II. 

‘*)  Horn.  II.  f/,  20.  Hes.  Th.  341. 

5)  Steph.  Byz.  v.  TÖQ^rjßoq. 

Der  Gedanke,  dass  die  Nymphen  als  Inhaberinnen  der  begei¬ 
sternden  Quellen  den  Musen  bisweilen  gleich  gesetzt  werden  (Gren¬ 
zer  Symb.  IV  S.  72) ,  scheint  mir  ferner  zu  liegen. 

2)  Bei  Arnob.  1.  c. 

8)  Paus.  Boeot.  29  p.  765.  Plul.  Symp.  IX,  14,  3. 


292 


liehen  Namen,  die  zuerst  bei  Hesiod  (Tlieog-  76)  Vorkommen,  und 
schon  bei  diesem  Dicliler  (Schild  206)  heissen.  Pierus  hatte 

aber  auch  neun  Töchter,  welche  dieselben  Namen  führten  '),  uudesmag 
wohl  seyn,  dass  sie  Anlass  zur  Aenderung  der  Zahl  und  Namen  der 
Musen  gaben.  Denn  die  Fabel  machte  ihn  und  seine  Gattin  Antiope  2) 
zu  Eltern  der  neun  Musen 3),  die  aber  darum  nicht,  wie  Cicero 
meinte,  von  den  neun  Musen  des  Zeus  und  der  Mnemosyne  verschieden 
sind ,  sondern  von  den  nemlichen  machte  man  eine  verschiedene 
Genealogie;  wie  schon  daraus,  erhellet,  dass  Hesiod  seine  Musen 
Zeus  Kinder  und  gleichwohl  ebendieselben  Pieriden  nennt.  Ihre  Na¬ 
men  bei  Hesiod  und  in  derselben  Reihenfolge  bei  Herodot,  der  sei¬ 
nen  neun  Geschichtsbüchern  die  Namen  der  Musen  zur  Aufschrift 
gab,  sind  folgende:  Klio,  Euterpe,  Thalia,  Mel po mene, 
Terpsichore,  Erato,  Polymnia,  Urania  und  Kall  iope '•). 
Die  spätere  Auslegung  der  Einzelnen  3)  ist  sehr  zufällig  und  ohne 
Wahrheit,  als  wären  sie  in  der  nemlichen  Ordnung:  das  Epos,  die 
Lyrik,  die  Tragödie,  die  Komödie,  das  Lehrgedicht,  die  Musik,  der 
Tanz ,  die  Astronomie  und  die  Geschichte.  Im  Gegentheil  zeigen 
ihre  Namen  an,  dass  unter  Urania  {Ovgavla)  die  Wohlordnung  des 
W'^eltsystems  als  Urbild  der  irdischen  Harmonien  zu  verstehen  sey, 
unter  Kalliope  {KaXXiÖTtij')  die  Beredtsamkeil  oder  der  rednerische 
Wohllaut,  unter  Polymnia  (IloXv/iivia)  die  Dichtkunst  oder  der 
rhythmische  Wohllaut,  unter  Melpomene^)  (MaXTrof.iEvrj')  der  Ge¬ 
sang  oder  der  Wohllaut  der  Melodien,  so  viel  als  die  ältere  Aöde, 
und  unter  Terpsichore  der  Tanz  oder  die  rhyth¬ 

mische  Bewegung.  Diese  fünf  umfassen  zugleich  mit  dem  Spielmann 
Apollon  das  ganze  Reich  der  himmlischen  und  irdischen  Harmonien, 
die  der  Ton-  der  Rede-  der  Dicht  -  und  der  Tanzkunst:  »sie  singen 
die  Harmonien  (pö/novg)  aller  Dinge«  ^).  Kalliope  heisst  bei  Hesiod 
(Th.  79)  die  am  meisten  ausgezeichnete,  als  die  im  Gefolge  der  ho- 


’)  Paus.  1.  c.  2)  Euippe  nach  Ovid.  Metam.  V,  302. 

3)  Cic.  N.  D.  III ,  21. 

^)  Die  Worte  tum  peccel  enthalten  die  Anfangsbuchstaben  aller 
neun. 

3)  Anthol.  Gr.  T.  111  p.  214.  220.  f.  Jacobs.  Auson.  Idyll.  XX. 

6)  Vgl.  Theog,  66.  Theog.  66. 


293 


hen  Könige  ist  und  ihnen  in  der  Volksversammlung  und  im  Gerichte 
Mund  verleiht:  »alles  Volk  blickt  auf  den  redenden  Fürsten,  wenn 
er  Recht  spricht  und  mit  männlichen  Worten  grosse  Mündel  weise 
und  bald  schlichtet;  wenn  er  durch  die  Stadt  schreitet,  so  wird  ihm 
wie  einem  Gotte  mit  schmeichelnder  Ehrerbietung  gehuldigt,  und  in 
der  Volksversammlung  ist  er  ausgezeichnet:  das  ist  der  Musen  hei¬ 
lige  Gabe  an  die  Menschen«  (V.  84  ff.)  *).  Die  übrigen  vier  Musen 
gesellen  sich  zu  den  Schwestern  als  Eigenschaften  und  nähere  Be¬ 
stimmungen  ihrer  Begriffe:  Klio  von  y.Xelaiv'^)  ),  als  die  das 

Objekt  und  das  Subjekt  der  Musen  berühmt  macht,  Euterpe  (Ev- 
xäQitrj)  d.  i.  die  Ergötzung,  so  viel  als  die  ältere  Muse  Thelxinoe  3), 
Thalia  {ßciXaia)  d.  i.  Freudenfest,  als  der  Anlass  zur  Aeusserung 
der  Musen;  denn  »sie  haben  Wohlgefallen  an  Freudenfesten  und  am 
Gesang«  ^),  und  endlich  Erato  (E()ar<ö)  d.  i.  die  Lieblichkeit,  indem 
die  Musen  bei  jedermann  Beifall  erzwingen.  Um  die  letzte  von  der 
verwandten  Euterpe  zu  unterscheiden,  so  enthält  Erato  die  den  Mu¬ 
sen  inwohnende  Lieblichkeit,  Euterpe  aber  die  daraus  in  ihren  Aeus- 
seruugen  erfolgende  und  in  den  Menschen  geweckte  Ergötzung;  jene 
bezeichnet  ihren  eigenen  Zustand,  diese  eine  Frucht  ihrer  Wirksam¬ 
keit.  Diese  vier  Musen  also  bedeuten,  dass  derselben  Gesammtchor 
Ehre  (Klio)  und  Freude  gewähre,  Freude  ist  ihr  Anlass  (sowohl 
äusserlich  als  innerlich  im  Gemüth:  Thalia),  Freude  ist  ihr  Wesen 
(Erato)  und  ihre  Wirkung  (Euterpe).  Platon  (Phaedr.  p.  259)  un¬ 
terscheidet  der  Musen  Aemter  auf  ähnliche  Weise:  die  älteste  Kal¬ 
liope  und  die  ihr  zunächst  folgende  Urania  sind  am  meisten  um  den 
Himmel  und  göttliche  und  menschliche  Reden  beschäftigt  und  haben 


*)  Der  Ilomcride  h.  XXXI  ruft  die  Muse  Kalliope  iin  Gesang  auf 
den  Helios  an. 

2)  Theog.  66:  v.a8va  ddaudreav  ycXeiovaiP^  ani’jQaxov  daaav 

iaZaai. 

»Denn  so  jemand  bekümmert  ist  im  tiefverwundeten  Herzen, 
und  ein  Diener  der  Musen  besinget  die  Tbaten  der  Vorzeit  und  die  se¬ 
ligen  Götter,  die  den  Olymp  bewohnen,  so  vergisst  jener  das  Trauern 
und  gedenket  nicht  mehr  der  Schmerzen  ;  der  Göttinnen  Gaben  wenden 
ihn  alsobald  um:«  Theog.  98. 

Theog.  917. 


21)4 


eine  überaus  schöne  Stimme,  Terpsicliore  ist  über  die  Chöre,  Erato 
über  das  Erotische  gesetzt  •)•  Neben  den  Musen  wohnen  auf  dem 
Olymp  die  Chariten  und  die  Sehnsucht  (Himeros)  2).  Die 
Chariten  sassen  auf  Thronen  zur  Rechten  Apollons  von  Delphi,  zu 
Lob  und  Preis  des  olympischen  Vaters  ^).  Zwischen  dem  Tempel 
der  Artemis  und  dem  des  amykläischen  Apollon  am  Flusse  Tiasa 
hatten  die  spartanischen  Chariten,  Kleta  und  Phaenna,  ihr  Heilig¬ 
thum  ^).  In  Uebereinstimmung  mit  ihrer  Natur  legt  die  älteste  Kunst 
den  Musen ,  gleichwie  den  Horen,  als  ein  Zeichen  festlicher  Freude 
ein  goldenes  Stirnband  bei  (^xQvodfiTtvy.ig')  ^).  Auf  einem  herkulani- 
schen  Gemälde  ist  Polymnia  mit  der  Geberde  des  Nachsinnens, 
den  Zeigefinger  gegen  den  Mund  hallend,  abgebildet.  Der  Musen 
Lieblinge,  Orpheus,  Linus,  Hyacinihus,  die  Sirenen,  heissen  ihre 
Kinder  2). 

Wie  die  Fähigkeiten  und  Leistungen  des  Menschen  in  Beziehung 
auf  das  Reich  der  redenden  und  tönenden  Künste  im  Verhältniss  zu 
Gott  dem  Geber  aller  guten  Gaben  stehen,  lehrt  mit  deutlichen 
Worten  Hesiod  Theog.  94  :  von  den  Musen  und  von  Apollon  sind 
die  Sänger  und  Spielleute  auf  Erden.  Heil  dem  ,  welchen  die  Mu¬ 
sen  liebeni  Süss  fliesst  ihm  die  Rede  vom  Munde.  Theog.  81:  Wen 
von  den  Königen  des  grossen  Zeus  Töchter  ehren  und  bei  der  Ge¬ 
burt  anblicken,  dem  giessen  sie  Honigthau  auf  die  Zunge,  und  seine 
Worte  entströmen  anmuthig  dem  Munde.  Eben  so  Platon  (Phaedr. 
p.  245  A):  »Die  Musen  ergreifen  eine  zarte  und  geweihte  Seele, 
wecken  und  begeistern  dieselbe  zum  Gesang  und  zur  Dichtkunst. 
Wer  aber  ohne  der  Musen  Begeisterung  in  die  Vorhallen  der  Dicht¬ 
kunst  tritt,  im  Wahne,  er  könne  durch  Kunst  ein  tauglicher  Dich¬ 
ter  werden,  der  wird  selbst  sammt  seiner  nüchternen  Dichtkunst  von 
der  des  Begeisterten  als  ungeweiht  verdunkelt.“  Nach  Euripides 


’)  Plularch.  Amator.  p.  746  berücksichtigt  diese  platonische  Stelle. 

2)  Theog.  64. 

3)  Find.  01.  XIV ,  15  das.  Schob  Vgl.  den  delischen  Apollon  be- 
IrelTend  Flut,  de  mus.  14.  Macrob.  Sat.  I,  17, 

■•)  Fans.  III,  18,  4.  IX,  35.  Athen.  IV  p.  139. 

Theog.  915.  6)  Grenzers  Bilderbuch  T.  VI  n.  2. 

2)  Creuzer  Symb.  IV  S.  76. 


293 


(Medea  825  f.)  haben  die  neun  Musen  zu  Athen  die  blonde  Harmo¬ 
nia  erzeugt,  eine  Anspielung,  deren  Sinn  deutlich  genug  ist.  —  Die 
Komödie,  als  welche  den  Festen  des  Dionysos  ihren  Ursprung 
verdankt,  hat  diesen  Gott  zu  ihrem  Vorsteher,  und  die  Komiker 
sind  seine  Künstler  ^).  —  Auch  Artemis  singt  im  Chore  der  Göt¬ 
ter  2)  uud  führt  Reigen  auf  3)  ;  als  i/xvia  hatte  sie  einen  Tempel  im 
Gebiete  der  Orchoraenier 


§.  52. 

Die  Gewerbe  unter  göttlicher  Aufsicht. 

Vorsteherin  der  Handfertigkeit  in  Gewerben  ist  Athene.  In 
den  reichen  Schöpfungen  der  Künste  des  Lebens  zeigt  sich,  was  der 
erfinderische  Verstand  des  Menschen  vermag;  und  Athene  ist  eben 
der  personificirte  Verstand  in  dergleichen  Künsten,  von  Zeus  Haupte 
geboren.  Als  solche  führt  sie  den  Beinamen  der  Handfertigen  ’E^- 
yclvtj')  5),  von  welcher  man  schöne  und  nützliche  Fertigkeiten  lernt 
Als  fxaxavlrtg  halte  sie  zu  Megalopolis  in  Arkadien  einen  Tempel  ^). 
Im  Gegensatz  zu  ihrem  Kriegsamle  ist  ihr  der  Oelbaum  des  Frie¬ 
dens  geweiht,  unter  dessen  Schalten  die  Gewerbe  blühen.  In  dieser 
Beziehung  heisst  sie  wohl  auch  bei  den  Dichtern  die  Schöngelockte  ®). 
Anstalt  aller  andern  wird  ihr  vorzugsweise  die  Kunst  des  Webe  ns 
beigelegt  ^).  Diese  lehrte  sie  die  Phäakerinnen  ‘O),  und  schon  die 
Pandora^*),  sie  legte  ihr  auch  selbst  ein  weisses  Gewand,  Gürtel 
und  Schleier  an,  und  zierte  sie  mit  Kopfputz  *2).  Sowohl  we¬ 
gen  der  Form  dieses  Handwerks,  sich  durchkreuzende  Fäden  ord- 
nungsmässig  in  einander  zu  schlingen  und  zu  wirken,  als  wegen  sei- 


’)  Aristopb.  Nub.  515.  Hora.  b.  1  in  Apoll.  197. 

3)  Hora.  11.  XVI,  183.  ‘i)  Paus.  Arcad. 

3)  Paus.  IX,  26.  Plutarcb.  Syrap.  IH,  6.  Pbolii  Lex.  Gr.  p.  12. 
Suidas  s.  v. 

6)  Od.  II,  117.  7)  Paus.  VIH,  36,  3. 

8)  Od.  VII,  41.  9)  Plat.  Syrap.  19,  6.  Aclian.  V.  H.  I,  2. 

10)  Od.  VII,  110.  i')  lies.  Op.  64. 

12)  Tbeog.  573.  Op.  72.  76. 


296 


ües  Zwecks  und  Nutzens,  die  einst  in  Thierhäuten  uraherwandeln- 
den  Wilden  sinnig  und  sitlig  mit  gewirkten  Zeugen  zu  kleiden,  eig¬ 
net  sich  die  Weberei  vorzüglich  im  Namen  aller  andern  Gewerbe 
von  Athene  geliebt  und  beschützt  zu  werden.  Sie  entlehnte  sogar 
daher  als  von  ihrem  hauptsächlichen  Amte  bei  Griechen  und  Rö¬ 
mern  den  Namen.  Denn  ^Adi^vrj^  ^Adrjvä  oder  dichterisch  'Aßrjvairj 
kommt  von  iitswNt  (Leinwand)  *),  einem  ägyptischen  Worte,  von  wel¬ 
chem  auch  das  griechische  ddovr]  abgeleitet  ist.  Um  so  weniger  wird 
man  diese  Etymologie  bezweifeln  können,  weil  der  Zusammenhang 
von  der  lateinischen  Minerva  und  der  etruskischen  Menerea  mit 
(Webstuhl)  autTallend  und  sprechend  ist.  —  Unter  den  Hand¬ 
fertigkeiten  in  Holz  wird  ihr  die  Wagnerkunst  besonders  zuge¬ 
schrieben,  als  die  den  ersten  Wagen  und  Kutsche  gefertigt  habe  2). 

Alle  Kunstfertigkeit  in  Metallen  durch  des  Feuers 
Gewalt  ist  des  Feuergoltes  Hephästos  Werk  und  Amt,  gleichwie 
in  der  Prometheusfabel  Feuer,  Kunst  und  Geschicklichkeit  unzer¬ 
trennlich  gedacht  sind.  Athene  und  Hephästos  sind  zusammen  die 
Handwerker  des  Olympus,  ein  jeder  in  seiner  Art  gleich  gross  und 
berühmt.  Um  ihren  Gegensatz  und  ßegriffsverwandtschaft  gehörig 
hervorzuheben,  so  sagt  Hesiod  3),  Here  habe  mit  ihrem  Gemahl  wett- 


Spr.  Sal.  7,  16.  Vgl.  Gesenius  hebr.  Wörterbuch  s.  v.  Baur 
Mythol.  II  S.  158  leitet  ihren  Namen  von  ihrem  Beinamen  Aaia  ab, 
den  sie  zu  Las  in  Lakonien  und  in  Koicbis  batte  (Pausan.  111,  24,  5), 
von  den  Doriern  Aadva  ausgesprochen  (Aristoph.  Lysistr.  170.  989.  1251. 
1256). 

2)  Hom,  h.  III ,  13.  Mnaseas  bei  Harpocrat.  v.  iTtTtia.  Cic.  N.  D, 
III,  23.  Eratostbenes  Cataster.  13  u.  A.  lassen  den  Erichthonius  den 
vierspännigen  Wagen  durch  der  Göttin  Kraft  erfinden  und  desshalb 
unter  die  Sterne  versetzt  werden  . 

3)  Theog.  927  ov  cpiXor^rt  verbesserte  Cuper  statt  £p  cpiXötrjzi 
was  nachher  durch  viele  Hdschr.  (auch  die  Schellersheiraer  u.  d.  Mar- 
cianisebe  und  den  Schob  lies.)  bestätigt ,  und  von  den  Herausgebern 
nach  Clericus  aufgenommen  wurde.  Apollodor  1,5:  “Hga  öh  X(t>glq 
svvTjq  ayEvvTjaev  "Hcpacarov.  Wenn  es  Theog.  580  von  Hephästos  heisst, 
er  habe  dem  Vater  Zeus  etwas  zu  lieb  gethan ,  so  ist  dieser  Aus¬ 
druck  nicht  in  Beziehung  auf  Hephästos,  sondern  als  ein  gewöhnliches 


297 


eifernd,  welcher  aus  seinem  Haupte  die  Athene  geboren,  durch  eigene 
Kraftanslrengung  ohne  Zuthun  eines  Mannes  den  vor  allen  Himniels- 
bewohnern  in  Künsten  erfahrenen  Hephästos  erzeugt.  Wir  erinnern 
uns,  dass  dagegen  der  Homeride  (h.  in  Apoll.  340)  aus  dem  Wett¬ 
eifer  der  Here  und  aus  ihrem  Schooss  allein  das  verderbliche  Erd¬ 
feuer  Typhon  entstehen  lässt.  Er  fasste  den  Typhon  an  und  für 
sich  und  zugleich  im  Verhältniss  zu  der  gegenüber  stehenden  Künst¬ 
lerin  Athene;  und  so  enthalten  die  abweichenden  Fabeln  eine  jede 
,  die  Wahrheit  von  einer  andern  Seite  und  in  anderer  Beziehung  be¬ 
trachtet. 

Hephästos  schmelzt  in  den  Bergklüften  das  harte  Eisen  ^);  der 
Eisenhammer  auf  Leranos  war  seiner  Aufsicht  gewidmet  2);  »die  ge¬ 
waltigen  Feuerflammen  daselbst  waren  von  ihm  bereitet«  3).  Die 
Sintier  von  roher  Mundart  auf  dieser  Insel  waren  seine  Diener  und 
Handwerker  ^).  Allen  Göttern  hat  er  mit  Geschick  Paläste  erbaut  ^), 
und  sich  selbst  ein  ausgezeichnetes  Sternenhaus  von  Erz  ^).  Der 
Homeride  (h.  XIX)  macht  auf  den  wichtigen  Einfluss  der  Metalle 
hinsichtlich  der  Bequemlichkeit  des  Lebens  aufmerksam,  dass  durch 
Hephästos  Gunst  die  Menschen  ruhig  in  Häusern  wohnen,  während 
sie  zuvor,  wie  die  Thiere,  in  Berghöhlen  hausten.  Hephästos  hat 
den  Schild  des  Herakles  2),  woran  ihm  namentlich  die  trefflichen 
Goldarbeiten  zugeschrieben  werden  und  den  Schild  des  Achil¬ 
leus  y)  verfertigt.  Der  Pandora  gab  er  eine  goldene  mit  Thierfigu¬ 
ren  verzierte  Krone  ‘O).  Schwitzend  am  Blasbalg  traf  ihn  Thetis, 
wie  er  zwanzig  Dreifüsse  mit  goldenen  Bingen  an  den  Böden  schmie¬ 
dete  “).  Für  den  Palast  des  Alkinous  arbeitete  er  goldene  und  sil¬ 
berne  Hunde  ^2),  Wegen  des  schönen  Glanzes  der  Metallarbeiten  hat 


Prädical  des  Zeus  zu  verstehen.  So  heisst  es  Hom.  h.  in  Ven.  27, 
Uestia,  die  Tochter  des  Kronos,  habe  den  Vater  Zeus  beim  Haupte 
gefasst. 

*)  Theog.  866.  2)  cic.  N.  D.  III,  22. 

3)  Sophocl.  Phil.  984.  4)  n.  i,  594,  Od.  VIII,  294. 

5)  11.1,  607.  6)  11.  XVIII,  369. 

7)  Hes.  Schild  319.  »)  Schild  219.  297.  313. 

9)  II.  XVIII,  478  >0)  Theog.  578. 

i‘)  II.  XVIII,  372.  12)  Od.  VII,  92. 


298 


der  (ioU  die  Charis  Aglaja  zur  Gattin,  und  die  Prädicate  eines 
berühmten  und  sinnigen  Künstlers,  vXvxoxEy.vrjq  i),  vXvxöq^  TtsgivXv- 
xög -)  ,  xXvxoegyug  ,  7tegicpg(op  ,  TtoXvipgeov  ,  x}.vx6/^7^xiq 


%.  53. 

Die  Jagd  und  der  Krieg  unter  göttlicher  Aufsicht. 

Die  Jagd  hat  ihre  Meisterin  in  Artemis,  theils  weil  sie  als 
Nacht-  und  Mondgöttin  die  dunkeln  Wälder  liebt,  theils  weil  die 
Pfeile  ein  natürliches  Sinnbild  ihrer  Strahlen  sind.  Am  Bogenschies¬ 
sen  sich  ergötzend  jagt  sie  Eber  und  Hirsche  von  den  Bergen  her¬ 
ab  ’).  Als  behende  und  dem  Wild  auflauernde  Jägerin  erscheint  sie 
in  dem  homerischen  Lobgedicht  XXVII  8).  Daher  ist  sie  die  Rosse- 
lummlerin  («;r.7ocrüa)  9),  ^iy.xvt  va  ovgüa^^)^  sie  durchstreift  die 
lycischen  Berge  ").  Von  den  arkadischen  Bergen  Orthion  und  Or- 
Ihosion  hatte  sie  die  Beinamen  Vgdta  und  ’Ogdduaia  *2).  —  Ihrem  Bru¬ 
der  Apollon  wurde  gleichfalls  aus  bekannten  Gründen  die  Bogen¬ 
schützkunst  zugeschrieben.  —  In  Arcadien  war  ausserdem  der  hoch¬ 
geachtete  Thiergott  Pan  über  die  Jagd  gesetzt;  er  wurde  verehrt, 
wenn  die  arkadischen  Jünglinge  einen  glücklichen  Fang  thaten,  wo 
nicht,  so  geisselten  sie  sein  Bild  mit  Meerzwiebeln 

Der  Krieg  von  zwei  Seilen  aufgefasst  als  Kriegskunst  einerseits 
und  als  ein  Tummelplatz  männlicher  Tapferkeit  andererseits  hat 
zweierlei  Vorsteher:  Athene  in  der  ersten  und  Ares  in  der  zwei¬ 
ten  Beziehung.  »Der  Athene  und  des  Ares  Anliegen  sind  die  Werke 
des  Krieges,  der  Städte  Zerstörung,  Feldgeschrei  und  Schlachten« 


«)  II.  XVIII,  391.  2)  Theog.  571.  3)  od.  VIII .  345. 

Schild  297.  313.  S)  od.  VIII,  297.  6)  Hom.  h.  XIX. 

2)  Od.  VI,  102.  Vgl.  Aeschyl.  Agam.  140. 

9)  Piodar.  01.  III,  47.  Eurip.  Ipbigen.  in  Taur.  127. 

^')  Sophocl.  Oed.  Tyr.  203. 

'2)  Find.  01,  III,  54  ib.  Schob  Xenopb.  Lac.  2,  10.  Paus.  111.  16. 
’3)  Paus.  Arcad.  Theocr*  Id.  VII,  106  ib.  Schob  Hom.  h.  XVIII,  13. 
*i)  Iloni.  h.  X,  2. 


299 


Beider  Geilheiten  Gegensatz  und  die  Ueherlegcnheil  der  Kunst  in 
der  Anordnung  und  der  Gewandtheit  in  der  Ausführung  der  Schlach¬ 
ten  und  Plane  über  die  rohe  Kraft  der  Sireitmassen  wird  absichtlich 
hervorgehoben.  Zeus  rathel  der  Here,  welche  den  Ares  aus  dem 
Gefechte  entfernt  wissen  wollte,  die  Athene  zu  Hülfe  zu  nehmen, 
als  die  dem  Kriegsgolte  herbe  Schmerzen  anzulhun  pflege  *);  und 
in  der  Thal  verwundete  ihn  Diomedes  mit  der  Lanze  Unter  dem 
Beistand  der  Athene,  dass  er  laut  aufschrie 2).  Ja  als  vor  Troja 
die  beiderseitigen  Göller  sich  wechselseitig  befehdeten,  so  standen 
Ares  und  Athene  einander  gegenüber.  Jener  traf  mit  der  Lanze  der 
Göttin  Schild,  den  nicht  einmal  Zeus  Blitzstrahl  durchbohrt;  sie 
aber  streckte  den  Gegner  mit  einem  Ungeheuern  Stein  zu  Boden 
und  behielt  das  Feld  3).  Desgleichen  im  Schilde  Hesiods  (V.  325)  half 
sie  dem  Herakles  im  Kampfe  gegen  Kyknus,  welchem  Ares  zur  Seile 
stand,  und  sie  reizte  ihren  Schützling,  er  solle  den  Ares,  wo  er  vom 
Schilde  entblössl  sey,  verwunden.  Diess  geschah  und  der  Gott  fiel 
auf  die  Erde  ^).  —  üebrigens  weil  die  Gottheit  über  dem  Kriegs¬ 
glück  steht,  so  verband  sich  damit  der  Glaube  an  das  gerechte  Wal¬ 
len  des  Kriegsgoltes.  So  ruft  der  Homeride  (h.  VH,  4)  den  Ares 
an ,  als  den  Helfer  der  Themis ,  als  den  Führer  gerechter  Männer. 

Geber  beiden  Gegensätzen  steht  als  Vater  und  höhere  Einheit 
Zeus  mit  der  Aegide  (^aiycoxoq).  Zur  Erklärung  dieses  gewöhn¬ 
lichen  homerischen  und  hesiodischen  Beiwortes  haben  Buttmann 
und  Böltiger  (Amallhea  Bd.  I)  an  die  himmlische  Ziege  erinnert, 
deren  Erscheinen  Sturm  ankündige.  Es  mag  wohl  daher  die  Ver¬ 
wandtschaft  der  Wörter  (Ziege)  ,  (heftige  Bewegung)  und 
aiyiq  (Sturmwind)  6)  herrühren;  allein  damit  ist  die  Aegide  nicht 
erklärt,  welche  in  der  Hand  des  Zeus  und  der  Athene^)  ein 
Schild,  ein  Attribut  des  Krieges  ist,  ursprünglich  von  Ziegenfell 
seinem  Namen  nach,  jedoch  mit  Erz  gehörig  befestigt,  als  welcher 


»)  II.  V,  766.  2)  11.  V,  856. 

3)  II.  XXI,  391.  4)  Hes.  Sch.  461. 

In  Idelers  Untersuch,  über  d.  Ursprung  und  die  Bedeutung  der 
Sternnaraen  S.  309. 

^)  Aeschyl.  Choeph.  591.  Hesych.  s.  v. 

2)  Hes.  Sch.  444.  Eurip.  Ion.  996. 


300 


vom  Schmidt  Hephäslos  dem  Zeus  zum  Schrecken  der  Menschen 
gegeben  ward*)  und  Glanz  verbreitet,  mit  Franzen  versehen  2). 
Diese  Aegide  ist  ein  Talisman  göttlicher  Uebermachl  im  blutigen 
Kriegsspiel.  Wenn  Zeus  sie  ergreift,  so  wird  ein  Theil  in  die  Flucht 
geschlagen,  und  der  andere  siegt.  Diess  that  er  z.  B.  ^),  um  den 
Trojanern  Sieg  zu  verleihen,  und  zum  grossem  Nachdruck  bediente 
er  sich  der  weitern  Attribute  seiner  Macht,  überzog  den  Ida  mit 
Wolken,  donnerte  und  blitzte,  und  schüttelte  die  Aegide.  Als  Ta¬ 
lisman  überreichte  Zeus  im  Gefecht  einst  dem  Apollon  seinen  Schild 
zu  demselben  ßehufe,  und  so  lange  er  ihn  unbeweglich  in  der  Hand 
hielt,  trafen  von  beiden  Seilen  die  Pfeile,  so  bald  er  ihn  aber  gegen 
die  Danaer  schüttelte  und  dazu  schrie,  entsank  diesen  der  Muth,  und 
die  Trojer  trieben  sie  wie  Schafe  vor  sich  her  '). 

Als  Kriegsgolt  trägt  der  olympische  Zeus  des  Phidias  die  Nike, 
welche  eine  Binde  und  eine  Krone  hält,  die  Tochter  der  Styx,  auf 
der  rechten  Hand,  und  vier  Siegesgöttinnen  tanzen  vor  jedem  Pfei¬ 
ler  seines  Thrones  5).  Nike  wurde  bald  gellügelt,  bald  um  ihre  blei¬ 
bende  Dauer  auszudrücken,  ungeflügelt  vorgestellt®).  Aber  auch 
Athene  hält  Sieg  und  Ruhm  in  den  unsterblichen  Händen^);  wäh¬ 
rend  Furcht  und  Schrecken  ira  Gefolge  des  Ares  sind.  Mit  der  Nike 
in  der  Hand  bildete  sie  Phidias  auf  der  Burg  zu  Athen  ab,  in  der 


*}  II.  XV,  310.  2)  II.  XVII,  593.  3)  II.  1,  c. 

II.  XV,  230.  310.  318.  Wenn  Hock  (Kreta  I  S.  180)  der  Mei¬ 
nung  ist,  Zeus  habe  von  der  ihn  säugenden  Ziege  Amalthea  den  Bei¬ 
namen  Aegioebos  entlehnt  und  Homer  habe  diese  Aegis  erst  zu  einer 
künstlichen  Schutzwaffe  umgebildet,  so  lässt  sich  der  Zusammenhang 
zwischen  jener  Ziege  und  dem  Schilde  nicht  also  begreifen,  dass  jene 
die  ursprüngliche  und  diese  die  abgeleitete  Fabel  wäre,  üeberhaupt 
ist  die  Fabel  von  der  Amalthea  nicht  alt  (Eratostb.  c.  13  Apollodor.  I, 
1,7),  wohl  aber  das  Beiwort  Aegioebos;  so  dass  wir,  wenn  eines 
aus  dem  andern  entstanden  ist,  das  umgekehrte  Verbältniss  annebmen 
müssen. 

3)  Paus.  V,  10.  Auf  einem  geschnittenen  Steine  des  Aleandri  zu 
Venedig  hält  Zeus  die  Nike  in  der  Hand. 

6)  Pausan.  I  p.  39.  HI  p.  189.  V  p.  340. 

7)  Hes.  Sch.  339. 


301 


andern  Hand  rail  dem  Speer,  und  daneben  eine  grosse  Schlange,  zu 
ihren  Füssen  lag  der  Schild,  auf  der  Brust  war  ein  Medusenhaupt, 
woraus  ja  das  Kriegsross  entsprungen  war,  auf  dem 'Haupte  ein 
Helm,  darüber  ein  liegender  Sphinx  und  an  dessen  Seilen  Greife^) 
als  Sinnbild  der  Zerstörung,  ln  voller  Wafifenrüslung  sprang  sie  aus 
des  Vaters  Haupte  zum  Staunen  der  Götter,  und  selbst  Hyperions 
glänzender  Sohn  stellte  so  lange  die  Rosse,  bis  das  Mädchen  die 
herrlichen  Waffen  von  den  unsterblichen  Schultern  abgenommen 
hatte  2).  Von  der  ihr  zugeordneten  Siegesgöttin  halle  sie  selbst  den 
Beinamen  Nike  3),  und  wurde  wie  diese  bisweilen  geflügelt  vorge¬ 
stern  ^).  Sie  ist  und  heisst  die  Unüberwindliche  (arQvrutvrj)  die 
Heerfijbrerin ,  die  Erregerin  des  Feldgescbreis  und  die  da  Beule 
macht  {aysleiri  ,  Xrjtriq  8)  ).  Als  Kriegsgöttin  hat  sie  den  unter¬ 
scheidenden  Beinamen  die  Reisige  {Innia)  9)  und  als  solche  eine  be¬ 
sondere  Stammableitung,  welche  sie  dem  Peloponnes  zu  verdanken 
scheint.  Poseidon  nemlich  als  der  Schöpfer  des  Pferdes  und  die 
Okeanine  Koryphe  werden  für  ihre  Ellern  ausgegeben Neben 
dem  reisigen  Poseidon  und  den  Dioskuren  hatte  sie  als 

Reisige  {innia)  ihren  Altar  zu  Olympia  *•).  Die  Messenier  nannten 
sie  Koryph  asia ‘2)  von  dem  Vorgebirge  Koryphasiura.  Die  Arka- 


1)  Paus.  I,  24.  2)  Hom.  h.  XXVIII. 

8)  Sophocl.  Phil.  134  ib.  Schol.  Eurip.  Ion.  1529.  Paus.  I  p.  79. 
Aeschyl.  Eum.  1004.  Eurip.  Ion.  460.  Eustalh.  ad  II.  XI  p.  879. 
Wir  sehen  sie  auf  einer  goldenen  Münze  des  Agathokles  (bei  Fröhlich 
Notilia  numismatura  t.  VIII  n.  10)  mit  Flügeln,  Helm,  Schild  und 
Lanze,  vor  ihr  die  Eule.  In  anderer  Beziehung  erscheint  sie  als  magna 
Pales  auf  etruskischen  Spiegeln  geflügelt  in  Verbindung  mit  den  Dios¬ 
kuren:  Inghirami  Mon.  Etr.  Ser.  II  T.  41.  65. 

5)  Od.  IV,  762.  VI,  324.  Theog.  925.  fi)  Theog.  1.  c. 

7)  II.  V,  765.  Od.  XIII,  359.  Hes.  Sch.  197. 

8)  II.  X,  460.  9)  Sophocl.  Oed.  Col.  1070. 

■9)  Mnaseas  im  ersten  B.  seiner  Europa  hei  Ilarpocrat.  v.  'Ädrjvä 
innia,  vgl.  Meurs.  lect.  Altic.  V,  20  und  Davies  zu  Cic.  N.  D.  III,  23. 
Cic.  das.  nennt  ihre  Eltern  Zeus  u.  Koryphe. 

■")  Paus.  V,  15. 

12]  Clem.  Protr.  p.  8.  Paus.  IV,  36.  Arnoh.  IV,  p.  136  f. 


302 


der  verehrten  diese  A  diene  auf  einem  Berggipfel  als  Koria*),  wel¬ 
chen  Beinamen  wir  entweder  von  ^ö^vg ,  die  Behelmte,  oder  besser 
von  “i^p:  (Burg),  die  Burggöltin,  ableiten  können.  Ihr  wurde  die  Er¬ 
findung  der  Kriegswageii  Leigelegl^);  allein  ohne  Unterscheidung 
schreibt  der  Homeride  (h.  III  iu  Vener.  12)  der  Athene  die  Erfin¬ 
dung  der  Wagen  zu.  Als  gestrenge  Kriegsgötlin  ist  sie  Jung¬ 
frau  (V.  8). 

Ares,  der  aus  Thracien  nach  Griechenland  kam  3),  trat  an  die 
Stelle  der  Enyo  und  Pephredo  der  vorigen  Periode,  woher  er  auch 
evvdkiog  hiess  ^).  Doch  hat  Homer  (II.  e,  333)  die  Enyo  noch  ne¬ 
ben  der  kriegerischen  Athene  und  neben  Ares  (ib.  592).  So  stellt 
auch  Aeschylus  (7  vor  Theben  45)  Ares,  Enyo  und  die  blutige 
Furcht  (<P6ßog')  zusammen.  Die  Athener  sollen  sogar  den  ’Evvakiog 
als  ein  von  Ares  verschiedenes  Wesen  verehrt  haben  ^).  Auf  dem 
Schilde  des  Herakles  war  Ares  blutroth  abgebildet  (V.  191).  Seine 
Beiwörter  Durchbohrer  der  Schilde  (^poröpog)  ^) ,  Männerwürger 
(ßpoTo^-oiyog)  ,  Städtezerstörer  *)  und  dergleichen  9) ,  sowie  seine 
Söhne  Furcht  und  Schrecken,  welche  seine  Wagenleuker  sind 
und  die  dichten  Kriegsschaaren  verwirren  *<’),  bezeichnen  zur  Genüge 
seine  kriegerischen  Geschäfte.  Der  Homeride  (h.  VH,  4)  gibt  ihm 
die  Siegesgöttin  zur  Tochter. 

§.  54. 

Der  Staat  unter  göttlicher  Obhut. 

Der  Verein  der  Menschen  in  Staaten,  Städten  und  Familien  im 
Gegensatz  zu  dem  schweifenden  Nomadenleben  hat  seinen  göttlichen 
Halt  in  Hestia  (ionisch  Histia  “)),  der  personificirteu  Heimath  und 


’)  Paus.  VIII,  -21.  Cic.  1.  c.  2)  cic.  1.  c. 

3)  Od.  ,9’,  361.  Z.  B.  II,  (>',  211. 

3)  Arisloph.  Pac.  457.  Schob  Yen.  ad  II.  p',  211.  Sophocl.  Ajax 
179,  II.  XXI,  392.  Theog.  934.  7)  II.  V,  846. 

8)  Theog.  936.  9)  Hora,  h.  VII.  Creuzer  III  S.  277  f. 

•0)  11.  p',  299.  ö,  119.  Theog.  934.  Schild  195.  463. 

1')  Herod.  II,  50. 


303 


Liebe  zur  Heimath,  von  iardvai  (festsleben).  Sic  ist  die  älteste 
Tochter  des  Kronos  und  der  Hhea  ^),  und  wurde  schon  von  den  Pe- 
lasgern  verehrt  2).  Sie  hat  den  festen  Wohnsitz  in  allen  Tempeln 
der  Götter  und  in  den  Häusern  der  Menschen  3)  ,  und  zwar  an  den 
Altären  im  Innern  der  Tempel  und  in  der  Milte  der  Häuser  am 
Herde,  wo  ihr  zu  Ehren  ein  Oellicht  brannte^).  Vorzugsweise 
rühmt  daher  der  Homeride  (h.  XXHI)  ihr  nach ,  dass  sie  das  heilige 
Haus  Apollons  in  Pytho  umgebe,  weil  dieses  ja  den  Griechen  für 
einen  religiösen  Mittelpunkt  galt.  Die  Gegensätze  der  Rastenden, 
die  rastlosen  Götter  Poseidon  als  das  bewegliche  Element  und  Apol¬ 
lon  als  die  Sphärenbewegung,  haben  um  sie  gefreit  und  wollten  sie 
in  ihren  beständigen  Fluss  mit  fortziehen;  sie  aber  verweigerte  es 
mit  Festigkeit  und  schwur  beim  Haupte  des  Zeus  ewige  Jung- 
frauschafl  5). 

Das  Zusammenleben  der  Menschen,  wovon  Hestia  das  himm¬ 
lische  Urbild  ist,  wird  bedingt  durch  den  Ackerbau,  w’omil  sie  sich 
nähren,  und  durch  Gesetze,  welche  die  Rechte  und  Pflichten  der 
Gesellschaft  ins  Ebenmaass  bringen  und  regeln.  Die  Gesetze  kom¬ 
men  von  oben  herab,  und  die  Göttin,  welche  den  Ackerbau  lehrte, 
stiftete  auch  heilige  Rechte  und  Ordnungen  unter  den  Menschen; 
diess  ist  Demeter  die  Gesetzgebende  §),  sie  und  ihre  Tochter 
wurden  als  deaixocpö^oi  augerufen  2).  Bei  Thermopylä,  wo  die  Am- 
phiklyonen  sich  versammelten ,  hatten  Demeter  "‘Aixcpiy.rvoviq  (auch 
IlvXaia  genannt)  und  Amphiktyon  selbst  ein  Heiligthum  8).  Daher 
wurden  dieser  Göttin  zu  Ehren  die  Bänke  der  gesetzgebenden  Volks¬ 
versammlung  zu  Athen  mit  dem  Blote  geopferter  Schweine  besprengt^). 
Diese  Verehrung  kam  ihr  aus  mehreren  Gründen  zu,  weil  durch  sie 
erst  Ordnung  in  das  wilde  Leben  der  Menschen  kommt:  mit  der 
milden  Nahrung  hängen  die  milden  Sitten  zusammen,  der  Ackerbau 


Ilom.  h.  in  Vener.  22.  Theog.  454. 

2)  Herod.  1.  c.  3)  Hom.  h.  XXIX  Anfg. 

‘*)  Hora.  h.  in  Vener.  30.  Cic.  N.  D.  II,  27, 

5)  Hom.  1.  c.  24.  Herod.  VI,  91. 

2)  Aristoph.  Tbesmoph.  v.  304. 

3)  Herod.  VH,  200.  S.  TiUmann  Bund  d.  Amphikt.  S.  101. 
2)  Preller  Demeter  und  Pers.  S.  358. 


304 


bewirkt  feste  Wolinsitze  und  einen  gesellsciialtliclien  Zustand,  wel¬ 
cher  nur  durch  Gesetze  möglich  ist,  die  das  verwickeltere  Mein  und 
Dein  auseinander  setzen.  Die  Göttin  selbst  ist  das  Vorbild  einer 
gesetzlichen  Ordnung  in  der  wechselnden  Aufeinanderfolge  von  Sa¬ 
men  und  Erndte. 

Organe  der  Gesetzgebung  und  vollstreckende  Richter  sind  die 
Obrigkeiten.  Zeus  aber,  bei  dem  die  Macht  und  Gewalt  ist,  re¬ 
giert  durch  sie  auf  Erden  die  Völker.  „Von  Zeus  sind  die  Könige«^). 
»Zeus  göttliches  Scepter  regieret  bei  ihnen«  2).  Der  Pelopiden  Herr¬ 
scherstab  über  Argos,  welchen  auch  Agamemnon  führte,  von  He- 
pliästos  gearbeitet,  wurde  von  Zeus  durch  Hermes  dem  Pelops  über¬ 
geben  3),  Der  gewöhnliche  Ehrentitel  der  Fürsten  bei  Homer  ist  da¬ 
her  die  von  Zeus  Erzeugten  (dioyevsiq)  und  Genährten  {öiotQscpeh;). 
Die  Pythagoreer  setzten  zwischen  Gott  und  den  Menschen  in  die 
Mitte  ein  ehrwürdiges  Geschlecht,  den  König  oder  einen  weisen 
Mann  ^).  Daher  singt  Pindar  (Ol.  I,  181):  „auf  der  höchsten  Stufe 
stehen  die  Könige;  weiterhin  trachte  nicht.«  Die  Spartaner  setzten 
neben  den  Sitz  der  Ephoren  ein  Heiligthum  der  Ehrfurcht  5);  was 
Menelaos  bei  Sophocles  (Ajax  1046  Cf.)  auslegt:  »die  Gesetzein  den 
Staaten  werden  nie  gut  gehandhabt,  wo  die  Furcht  nicht  herrscht; 
kein  Heer  wird  weise  beherrscht ,  das  keine  Furcht  noch  Scheu 
kennt.  Wem  Furcht  und  Scham  zugleich  inwohnt,  der  hat,  wisse, 
das  Heil;  wo  man  aber  übermüthig  ist  und  thut,  was  man  will,  eine 
solche  Stadt  wird,  glaube  es  nur,  mit  der  Zeit  einst  aus  dem  Wohl¬ 
stand  in  den  Abgrund  sinken.« 

Ein  wohlgeordneter  gesellschaftlicher  Zustand ,  wo  im  Auseinan¬ 
dergehen  und  Zusammenwirken  vieler  Kräfte  das  Ganze  im  Einklang 
und  schönster  Ordnung  besteht,  ist  ein  Abbild  des  Laufes  der  sich 
durchkreuzenden  und  doch  in  ewiger  Harmonie  fortdauernden  Him¬ 
melskörper.  Die  Regelmässigkeit  im  Sternenlauf  und  im  Wechsel 
der  Jahreszeiten  bot  daher  ein  sinnvoll  gewähltes  Bild  von  der  Wohl¬ 
ordnung  im  Staate.  »Phöbus  freuet  sich  immerdar  über  die  Grün¬ 
dung  von  Städten;  Phöbus  selbst  leget  den  Grund«,  singt  Kallimach 


')  Theog.  96,  wiederholt  von  Kallimach  h.  in  Jov.  79. 

2)  Sophocl.  Phil.  139.  3)  II.  II,  101. 

'-*)  Schob  Villois.  in  11.  ä,  340.  3)  Plut.  v.  Cleomen.  c.  9. 


(h.  in  Apoll.  56  f.).  Er  ist  wie  seiner  Idee  nach,  so  in  der  Wirk¬ 
lichkeit  der  eigentliche  Mittelpunkt  aller  Bundesstaaten,  die  daher 
am  liebsten,  wie  das  Jahr,  zwölftheilig  waren.  Artemis,  deren 
Gestirn  jeden  Monat  die  Erde  umkreiset,  liebt  nicht  nur  die  Har¬ 
monie  des  Saitenspiels  und  des  Tanzes ,  sondern  auch  den  Staat  ge¬ 
rechter  Männer*).  Eben  so  bedeuten  die  Horen  nicht  allein  das 
geregelte  Verhältniss  unsers  Erdkörpers  zur  Sonne,  sondern  ihre  po¬ 
litische  Anwendung  wird  durch  ihre  Namen,  ihre  Mutter  und  durch 
den  ausdrücklichen  Ausspruch  Pindars  (Ol.  XIH,  6)  gerechtfertigt. 
Dieser  nennt  sie  die  Grundfeste  der  Staaten,  zu  Korinth  wohne  Eu- 
nomia  und  ihre  Schwestern,  die  feste  Dike  und  die  gleichgesinnte 
Irene,  die  goldenen  Töchter  der  weisen  Themis,  welche  den 
Männern  Reichthum  verleihen,  wofern  sie  vor  Uebermuth  sich  be¬ 
wahren.  Ihre  Namen  gehen  eigentlich  auf  die  bürgerliche  Ordnung, 
und  lassen  sich  erst  in  Folge  der  Abslraction  anf  die  Jahreszeiten 
zurückführen.  Die  beiden  Hauptgewalten  des  Staates,  die  gesetz¬ 
gebende  und  die  richtende,  sind  in  Eunomia  und  Dike  persönlich 
vorgestern.  Jene  ist  das  gute  Gesetz  2),  diese  die  Handhabung  und 
Vollstreckung  desselben,  die  Gerechtigkeit,  die  dritte  ist  die  Frucht 
dieser  gesellschaftlichen  Ordnung,  Irene,  Bürgereintracht,  Friede  und 
Wohlstand.  Wie  bei  Eunomia  die  Irene  hält,  so  ist  dagegen  in  Be¬ 
gleitung  der  Disnomia  die  Ate  ^).  Gleichwie  die  Horen  das  Füllhorn 
des  Segens  über  die  Fluren  verbreiten  und  das  Jahr  mit  seinem 
Gut  krönen;  also  ergiessen  dieselben  ethisch  gewendet  Glück  und 
Heil  über  den  Staatenverband.  Es  lässt  sich  auch  in  der  letztem 


')  Hom.  h.  in  Vener.  20. 

2)  Von  der  Bemerkung,  dass  im  Homer  zufälligerweise  das  Wort 
vöfxoq  fehlt,  Hessen  sich  Aristarchus,  Josephus  (conlr.  Apion.  II  p.  1375 
ed.  Iluds.)  und  Ilesychius  (v.  vd/uog)  zu  der  Behauptung  verleiten,  als 
wäre  dieses  Wort  in  dem  Sinn  von  Gesetz  überhaupt  damals  nicht  be¬ 
kannt  gewesen.  Alsdann  wäre  freilich  die  obige  Ausdeutung  von  Eu¬ 
nomia  nicht  richtig ;  allein  dvavo/uia  Thcog.  230  in  dem  Sinne  von 
Gesetzlosigkeit  und  vö/xog  Theog.  417  Op.  276  in  der  Bedeutung  des 
Gesetzes  zeigen  deutlich  den  alterthümlichen  Gebrauch  Jenes  Wortes 
und  den  Geist  bei  Zusammensetzung  des  Eigennamens  Eunomia. 

Theog.  230. 


•20 


306 


Beziehung  ein  Fortsclireilen  nach  Analogie  ihrer  physisclien  Bedeu¬ 
tung  nach  weisen.  Erstens  die  Gesetze  sind  die  Grundlage  eines  je¬ 
den  Vereins  von  Mensclien  ,  sie  begreifen  den  Anfang  und  die  Keime 
des  ölTentlicIien  Lebens,  und  gleiclien  so  dem  Frühling,  der  alle 
Keime  des  Jahres  weckt,  zurechtlegt  und  dem  Sommer  übergibt. 
Zweitens  die  Gesetze  werden  der  Hand  der  Gerechtigkeit  (Dike) 
übergeben ,  welche  im  Leben  Gebrauch  davon  macht  und  sie  voll¬ 
zieht:  so  erreicht  sie  die  Bestimmung  des  Sommers,  der  die  Keime 
zur  Zeitigung  bringt.  Drittens  die  Fülle  des  Herbstes  ist  ein  Sinn¬ 
bild  der  Wohlfahrt  geordneter  und  gerechter  Staaten  ,  und  die  dar¬ 
auf  folgende  Ruhe  des  Winters  ein  Bild  des  Friedens,  worin  man 
den  bescherten  Reich Ihum  verzehrt  und  verarbeitet.  Mit  weisem  Be¬ 
dacht  wird  die  dritte  Höre  nicht  etwa  Ueberfluss,  sondern  Friejde 
(Irene)  genannt,  weil  darin  zugleich  eine  Ordnung  unter  den  Men¬ 
schen  liegt,  wie  eine  jede  Jahreszeit  nicht  nur  eine  Frucht  der  vor¬ 
hergehenden  ,  sondern  eine  Ordnung  in  der  Natur  ist.  Die  zwei  er¬ 
sten  Horen  haben  mehr  die  Obrigkeiten,  die  dritte  mehr  die  Unter- 
thanen  im  Auge.  Wie  der  Frühling  und  Sommer  vorausgehen,  je¬ 
doch  nur  um  die  Erndte  und  den  Herbst  vorzubereiten;  so  haben 
die  gesetzgebende  und  richtende  Gewalt  zwar  den  Vorrang,  jedoch 
der  Zweck  ihres  Daseyns  ist  Friede  und  Wohlfahrt  der  Untergebe¬ 
nen.  —  Im  Rechte  (Themis)  haben  die  Gewalten  des  Staates  und 
die  Ordnung  der  Bürger  ihren  gemeinsamen  Mittelpunkt:  Themis 
ist  aus  diesem  Grunde  Mutter  der  Horen.  »Der  olympische  Zeus 
und  Themis  lösen  auf  und  bekräftigen  die  Volksversammlungen«  *). 
Sie  ist  und  heisset  die  erhallende  (ocöisi^a)  2). 

Schulzgott  aller  Hellenen  war  der  oberste  Zeus,  illiqvioq  ge¬ 
nannt,  vor  welchem  die  Athener  im  Perserkriege  eine  heilige  Scheu 
bezeugten,  dass  sie  Hellas  nicht  verriethen  3).  Nach  dem  Perser¬ 
kriege  weihten  die  Peloponnesier  ein  Zeusbild  nach  Olympia  und 
setzten  an  dessen  Fussgestell  die  Namen  der  Bundesglieder  ^).  Die¬ 
ser  Zeus  lässt  sich  bis  zu  den  ersten  Anfängen  des  hellenischen 
Volksslammes  nachweisen.  Sein  ältestes  Vaterland  war  nemlich 


')  Od.  II,  68. 

3)  Herod.  IX,  7. 


2)  Piiid.  Ol.  Vtlt,  28. 
Paus.  V,  23,  1. 


307 


Molossis  in  Epirus  ’),  wo  man  im  grauen  Alterlhum  in  Dodona  den 
Zeus  Ammon  verelirle.  Da  waren  die  Helli  oder  Selli  (von  laut 
schallen,  im  Fiel  Golt  loben)  und  dienlen  dem  Gode,  das  Land  hiess 
auch  Hellopia;  da  wohnlen  die  TQa.i-if.oL,  welche  Benennung  die  Bö¬ 
rner  in  ihrer  Sprache  sich  aneignelen.  Achilleus,  der  in  Phlhia  und 
Hellas  die  Myrraidonen,  Hellenen  und  Achäer  beherrschle^),  haUe 
noch  ein  Bewusslseyn  davon,  dass  der  dodonäische  Zeus,  der  pelas- 
gische,  der  God  seiuer  Väler  war;  denn  er  rud  ihn  in  der  Ilias  (XVF, 
233)  an.  Aeakus,  der  Myrmidonen  Fürst  in  Aegina,  war  des  Zeus 
Sohn  und  betete  zur  Abwendung  einer  Landplage  von  Griechenland 
zu  seinem  Vater,  welchem  man  auf  dem  hellenischen  Vorgebirge  dieser 
Insel  einen  Altar  errichtete  3),  Dessen  Sohn  Peleus,  des  Achilleus 
Vater,  flüchtete  nach  Phthia.  Wie  nun  die  kleine  Landschaft  Hella» 
in  Phthia  später,  wiewohl  schon  in  der  hesiodischen  Periode,  ganz 
Griechenland  den  Namen  gab,  so  wurde  auch  der  hellenische  Zeus  von 
Aegina  und  Phthia  der  gemeinsame  Zeus  aller  Hellenen.  Daher  gab 
eine  Fabel  dem  Hellen  statt  des  Deukalion  den  Zeus  zum  Vater  ^). 
Die  Spartaner  verehrten  zu  Lykurgs  Zeit  dem  Geheiss  des  pythischen 
Orakels  zufolge  Zeus  Hellanios  und  Athena  Hellania  ^).  —  Im  Rath¬ 
haus  i^ßov'kavx^Qiov)  zu  Athen  hat  Zeus  ßovlatoq  und  Athene  ßov- 
laLa  eine  Kapelle,  und  die  Ralhsherren  verrichteten  beim  Eintritt 
ihr  Gebet  daselbst  6).  Hier  standen  drei  Scbnitzbilder,  des  Zeus  Bu- 
läos ,  des  Apollon  und  des  (souveränen)  Volkes  ^). 

Weisheit  ist  der  Thronen  Stütze  und  der  Städte  Hut.  Athene 
ist  daher  besonders  geeignet,  eine  Schutzgottheit  der  Städte  zu  seyn, 
als  welche  die  Eule,  das  Sinnbild  der  Wachsamkeit,  neben  sich  hat. 
Sie  war  und  hiess  Inhaberin  und  Beschirraerin  der  Stadt  Athen,  auf 
deren  Burg  sie  ihren  Tempel  hatte  (jiohdq ,  aroXiow/og)  ^),  Vorkäm- 


1)  Arislot.  Meteor.  I,  14.  Creuzer  Symb.  III  S.  178. 

2)  H.  II.  II,  683.  3)  Find.  Nem.  V,  19  das.  Schot. 

‘^)  Apollodor.  I,  7,  2.  Schob  Horn.  Od.  X,  2. 

3)  Flut.  Lycurg.  6  nach  verbesserter  Lesart. 

Antiphon  TtsQi  xov  xoq.  p.  789  Reisk. 

2)  Faus.  1 ,  3  ,  4. 

3)  Sophocl.  Fhil.  134.  Spanhetn.  ad  Callira.  h.  in  Fallad.  v.  .73. 
p.  668,  Hemsterh.  ad  Aristoph.  Flut.  v.  772 


308 


pferin  (^TtQÖfiaxo^) ,  Königin  von  Attika*),  Städteerhalterin  {ipval- 
TtroXig)  2),  welche  den  Eingang  und  Ausgang  des  Volkes  heschirmel. 
Ihr  brannte  daher  zu  Athen  ein  ewiges  Licht  Diese  Bedeutung 
hat  wahrscheinlieh  ihr  Beiwort ’'Oj/xa  in  phönicischer  Spraehe.  Nach 
einem  alten  Epigramm  hat  neralich  Kadmus  der  Athene  Ogka  bei 
der  Gründung  von  Theben  einen  Tempel  errichtet.  Stephanus  By- 
zantinus  besagt  ausdrücklich,  dass  bei  den  Phöniziern  Athene  "Oyxa 
benannt  worden  sey,  und  auch  Pausanias  (IX,  12,  2)  weist  über 
diesen  Namen  auf  die  phönicische  Sprache  hin,  Kadmus  habe  ihr 
unter  freiem  Himmel  Altar  und  Bildsäule  geweiht.  Der  Chor  bei 
Aeschylus  (7  vor  Theben  149)  ruft  sie  unter  diesem  Namen  an  und 
zwar  als  vor  der  Stadl  nahe  an  einem  der  sieben  Thore  befindlich 
(vgl.  V.  471.  486).  Vaickenaer '*)  vergleicht  daher  die  Wurzel 
dass ’'Oyxa  die  Erhabene  bedeute,  als  vor  dem  Eingang  stehende 
Städtebeschülzerin.  ln  diesem  Sinne  heisst  auch  Artemis  in  The¬ 
ben  n^oaxaxrjfila  5).  —  Auch  wegen  ihres  kriegerischen  Charakters 
eignete  sich  Athene,  Burggöltin  und  der  Städte  Schulz  zu  seyn.  So 
aufgefasst,  halle  sie,  wie  wir  nachgewiesen  haben,  Koryphe,  des 
Oceans  Tochter,  zur  Mutter,  und  als  solche  nicht  nur  Poseidon, 
sondern  auch  den  höchsten  Zeus  zum  Vater;  d.  h.  sie  thront  auf 
einer  aus  dem  Urwasser  entstandenen  Bergspitze  6).  Sie  war  gleich¬ 
falls  in  Sparta  :ToA4oi!>;of  2) ;  die  Achäer  verehrten  sie  a\s  navaxat(;^), 
auf  der  Höhe  von  Larissa  halte  sie  ihren  Tempel;  als  dv.Qia  auf  der 
Burg  von  Argos  2),  und  hatte  als  alles  Durchschauende  die  Beina¬ 
men  onxilixiq  und  ö^v5£Qy.r]q  *0). 

Wie  in  Phönicien  eine  jede  Stadt  ihren  Schutzgott  hatte  ^‘),  so 
waren  auch  in  Griechenland  ausser  den  ihrer  Natur  nach  in  beson¬ 
derer  Beziehung  auf  Staaten  und  Vereine  stehenden  Gottheiten  die 

• 

*)  Aeschyl.  Eumeii.  284.  2)  Horn.  h.  X,  1, 

3)  Paus.  I,  26.  '*)  Zu  Eurip.  Phoeiiiss.  p.  725. 

Aeschyl.  7  vor  Theben  434. 

Paus.  VIII,  21:  etxI  oQovq  ■KOQvcpfj. 

7)  Paus.  III,  17,  3.  8)  pa„g.  yil,  20,  2. 

Clem.  Protr.  p.  29. 

Paus.  II,  24.  III,  18,  1.  Plut.  Lyc.  11. 

*’)  Clavier  sur  les  premiers  temps  de  la  Gr^ce  T.  I  p.  13. 


309 


in  einer  Stadt  oder  Landschaft  vorzugsweise  verehrten  Götter  die 
hauptsächlichen  Scliutzgötter  derselben.  So  war  Hera  unter  dem 
Beinamen  ax^aia  (von  axpa)  die  ßurggöllin  von  Korinth  und  von 
der  argivischen  Stadt  Larissa,  und  die  Argiver  brachten  ihre  Vereh¬ 
rung  in  die  Colonie  Byzanz ,  wo  man  ihr  zum  Jahresanfang  opferte 
Paläphatus  nennt  die  Hera  von  Argos  iioXiovxoq ,  was  eben  so  viel 
bedeutet.  Auf  den  Münzen  von  Smyrna  3)  heisst  auch  Zeus  dx^aTog, 
auf  dem  Throne  sitzend  und  die  Nike  in  der  Rechten  hallend.  Da¬ 
hin  gehören  besonders  die  Stammgötler,  an  welche  ein  Volk  seine 
Abkunft  knüpfte.  Also  nennt  Platon  (Eulhydem.  p.  302  C)  Zeus, 
Apollon  und  Athene  Altvordern  (Ttgoyopoi}  und  Herren.  Das 
Verhällniss  der  Athene  zu  Erichthonius  ist  bekannt,  wesswegen  sie 
sich  an  die  Häupter  des  attischen  Stammbaumes  auschliessen  konnte. 
Zeus'* *)  und  Apollon  waren  t9-sol  in  Athen,  Zeus  als  Vater 

ihrer  Anakes  oder  der  eleusinischen  Altvordern,  auf  der  Akropolis 
als  Stadtgott  {TtoXiaioq  oder  verehrt,  und  Apollon  als 

Vater  des  Ion,  den  er  mit  der  Tochter  des  attischen  Königs  Erech- 
(heus  Kreusa  anstatt  seines  menschlichen  Vaters  Xuthus  erzeugt  ha- 


*)  Paus,  II,  4,  7. 

2)  K.  0.  Müller  Prolegomena  z,  Myth.  S.  132  f. 

3)  Spanhem.  p.  701. 

*)  Alberti  ad  Hesych.  v.  Tfazgtäoq  Zsvq.  Soph.  Trachlii.  7ö4.  Eu- 
rip.  Eleclr.  675.  Aeschyl.  ap.  Slrab.  XII.  p.  580.  Aristopb.  Nub.  1472 
xatQtäov  Jta,  erläutert  von  Wesseling  Observall.  p.  21,  Dagegen 
ioQzal  näxqioL  im  Gegensatz  zu  den  ausländiscben ,  Isocrales  Areopa- 
git.  bei  Ilarpocralion.  Ueber  den  Unterschied  von  nar^Mog  u.  jtdzQcog 
vgl.  Graev.  ad  Lucian.  Soloec.  T.  IX  p.  459  Bip.  Creuzer  fragm.  Ili- 
slor.  Gr.  Änt.  p.  '<48,  —  Man  hat  die  Stelle  Platons  Eulhydem.  p.  302 
C  missverstanden,  als  gebe  es  in  Athen  keinen  Zeig  TtazQMug,  allein 
cs  heisst  nur,  kein  loner,  auch  nicht  die  in  Asien,  hätten  den  Zeus 
zum  väterlichen  Gott,  sondern  den  Apollon;  wobei  er  nicht  in  Abrede 
stellt  ,  dass  nicht  die  Athener  vonder  Pelasger  Zeit  her  den  Zeus  als 
solchen  gehabt  und  verehrt  haben. 

Elym.  M.  v.  diinoXia 

Paus.  Allicis.  Porphyr,  de  abslinenlia.  Arislol.  de  mundo  VII,  5. 


ben  sollte  '),  Den  lonera  verdankten  die  Athener  die  Einführung 
des  Apollondienstes,  und  weil  jene  selbst  ihr  Geschlecht  von  diesem 
Gott  ableiteten,  so  wurde  er  ein  Stammgott  von  Athen.  Ion  sollte 
sogar  als  achter  Zögling  dieses  Gottes  im  delphischen  Tempel  erzo¬ 
gen  worden  seyn^),  und  in  der  That  war  es  den  Athenern  noch 
bewusst,  dass  der  Gott  ihrer  Väter  Apollon  eben  der  pythische 
Gott  war  3),  Die  Archonten  erwiesen  nach  ihrer  Erwählung  dem 
Apollon  als  ihrem  Ahnherrn  (TtQÖyopog)  Ehre,  und  die  Athener  allein 
unter  den  Hellenen  opferten  jenen  beiden  Stammgöttern  in  jeder 
Phratria,  in  jedem  Gau  und  in  jedem  Geschlechte  (xcträ  ovyyevdag)  '*). 
Ich  erlaube  mir  daher,  der  Ansicht,  die  K.  0.  Müller  in  dem  ersten 
Bande  seiner  Dorier  niedergelegt  hat,  dass  Apollon  vorzugsweise  eine 
dorische  Gottheit  sey,  zu  widersprechen.  Es  ist  wahr,  auch  Do- 
ros  wurde  für  einen  Sohn  Apollons  ausgegeben  ^) ;  es  mag  seyn,  dass 
seine  Verehrung  sich  von  Kreta  aus  verbreitete,  und  auch  das  ist 
glaubwürdig,  dass  schon  vor  Minos  Dorier  unter  Tektaphus  mit 
Achäern  und  Pelasgern  nach  Kreta  eingowandert  sind  ®).  Ob  sie 


')  Plal.  Eulbydera.  72:  ‘A:i6XXiop  nazQMoq  6ia  rijp  roü^'lcopog  ye- 
peoip.  ib,  Schot.  Eurip.  Ion,  v.  10.  338  1479.  Arrian.  Anab.  VII,  29,  7. 
Harpocrat.  v.  nazQc^og  ib.  Vales.  p.  18.  Eudocia  p.  331  in  Villois. 
Anecd.  T.  I.  (Deren  Text  aus  dem  das  Nemliche  sagenden  Schot. 
Arist.  Nub.  1472  zu  verbessern  ist.) 

2)  Eurip.  Ion  v.  28.  308.  —  Ions  Urgrossvater  von  väterlicher 

Seite,  Deukalion,  sollte  auf  dem  apollinischen  Berge  Parnasus  zuerst 
mit  seiner  Arche  sitzen  geblieben  seyn. 

Aeschyl.  Agam.  520 :  vrcaiog  t£  y.wQctg  Zevg  6  llv^iög  z“  äpa§. 
Doch  mag  sich  dieses  auch  auf  Argos  beziehen,  woselbst  die  Stamm¬ 
verwandten  der  loner  ,  ein  Theil  der  Achäer,  mit  den  Doriern  zu  ei¬ 
nem  Volke  verwachsen  waren.  Demoslh,  de  corona  c.  115  ed.  Wun¬ 
derlich  p.  274  T.  I  ed.  Reisk.  xctAcJ  spuptiop  ii/limp,  m  aPÖQsg  'Adr]- 
patoi ,  Tovg  ßeovg  ä:taPTag  v.a\  ndoag ,  oooi  r^p  yjdpup  fxovai  zijp 
Attcki^p,  xal  TOP  AjioXXoi  rop  Ilvßiop ,  dg  natQz^dg  iazi  tfi  nöKec. 
Arislol.  bei  llarpocr.  v.  'AitöXk.  naxQ. 

■'*)  Schol.  Arist.  INub.  1472,  Apollod.  1 ,  7,  6. 

*’)  Horn,  Od.  XIX,  174,  Andron  bei  Slrabo  X  p.  475  D  u,  Sleph, 

B.  V.  JlOQlüP. 


311 


aber  den  Apollocult  milgebracbt,  oder  sclion  vorgefuuden  liabeu, 
darüber  haben  wir  keine  sichere  Kunde.  Wer  in  Kreta  die  Brücke 
von  ägyptischen  und  ptiönicischen  Einflüssen  nach  Grieciienland  sieht, 
wird  geneigt  seyn  das  Letztere  zu  behaupten.  Es  ist  sogar  unge¬ 
wiss  ,  ob  je  eine  eigentliche  Colonie  von  Kretern  nach  Delphi  kam. 
Der  delphische  Apollon  wird  von  Einigen  hyperboreischen  Einflüssen 
zugeschrieben  (§.  77).  Aeschylus  (Eum.  9)  lässt  von  Delos  her  den 
Apollon  über  Athen  nach  Pytho  kommen  *).  Der  allen  Hellenen  zu¬ 
gehörige  Gott  ist  also  nicht  den  Doriern  eigenthüralich,  noch  von 
iJinen  erweislich  ausgegangen.  —  Zeus  ist  Vorsteher  der  ötTent- 
lichen  Verhandlungen  (dyopatog ,  forensis)  in  Athen  2).  Als  Schutz- 
gott  des  Quartiers,  deren  ein  jeder  Stamm  drei  hatte,  hiess  Zeus 
q>Q6.rQioq  und  Athene  q^gar^la  3).  Haus  und  Hof  stand  in  Athen  un¬ 
ter  dem  Schirme  des  Zeus  im  Hofraum  hatte  er  einen  Al¬ 

tar,  wo  man  ihm  Hausgottesdienst  verrichtete  Man  betrug  die 
obrigkeitlichen  Personen  nach  ihrer  Erwählung,  nicht  nur  ob  sie 
von  väterlicher  und  mütterlicher  Seite  her  Athener  seyen,  sondern 
auch  ob  sie  den  urväterlichen  Apollon  und  den  Zeus,  den  Beschützer 
des  Hofraums,  hätten  5).  Apollons  Tempel  zu  Athen  hiess  Delphi- 
nium  und  war  von  dem  Pythion  verschieden  ,  stand  schon  zu  The- 
seus  Zeiten  ,  und  daneben  befand  sich  ein  von  Aegeus  erbauter. 


Euseb.  Chron.  P.  II  p.  107  lässt  unter  dem  König  Amphiclyon 
von  Athen  den  Tempel  von  Delphi  von  Erysichthon,  dem  Sohne  des 
Cekrops,  erbaut  werden,  524  n.  Abrah.  Nach  Ephorus  fragm.  p.  152 
verbanden  sich  die  Autochthonen  von  dem  Parnas  mit  dem  von  Athen 
anrückenden  Apollon ,  um  den  Python  (einen  feindseligen  Mann  nennt 
er  ihn)  zu  erlegen.  S.  oben  S.  176. 

2)  Aeschyl.  Eumen.  960. 

3)  Plat.  Euthydem.  p.  302  D  das.  Schol.  Pollux  I,  1,  24  das. 
Ausleger. 

Harpocr.  v.  epxeiog  Zevg  u.  das.  Ilyperides.  Auch  in  Ithaka 
im  Hause  des  Odysseus  hatte  Zeus  (Qxsioq  seinen  Altar,  Od.  XXII,  334. 

Pollux  VIII,  85  u.  das.  Ausleger. 

Meurs.  in  Areopago  c.  11  in  Gronov.  Thes.  V  p.  2120  und  de 
Athen,  atticis  II ,  1  Gronov.  IV  p.  853. 

Theseus  opferte  dem  delphinischen  Apollon  den  marathonischoß 


dem  Apollon  Delphinios  und  der  Arlemis  Delpliinia  gewidmeter  Ge¬ 
richtshof  (örAaaxijQiov  öeXcplviov)  ’),  Ausserdem  scheinen  die  loner 
andere  apollinisch  pythische  Oertlichkeiten  nach  Attika  verpflanzt  zu 
haben;  wenigstens  erinnert  der  über  Athen  liegende  Berg  Farnes 
{nd^vrjQ,  heutzutage  Casha)  2)  an  den  Delphi  beherrschenden  Par- 
nasos  (ionisch  IlaQvi^aoq).  Die  Aegineter  verehrten  gleichfalls 
in  dem  delphinischen  Apollon  ihren  Stamm-  und  Hausgotl  {oi-Aiatrjq 
■Kal  ÖMfiarlrrjq')  ,  und  nannten  sogar  den  Monat,  in  welchen  sein 
Fest  fiel,  nach  ihm  dalcplvtoq '* *). 

Der  d  e  1  ph  i  n  ische  Apollon  verblieb  in  grosser  Verehrung 
bei  allen  lonern  auch  in  ihrer  neuen  Heimath  in  Kleinasien.  Der 
milesische  Wellweise  Thaies ,  welchem  als  dem  Weisesten  Griechen¬ 
lands  der  Arkader  Bathykles  ein  goldenes  Becken  verehrt  hatte,  gab 
es  aus  Bescheidenheit  dem  Bias,  dieser  wieder  einem  andern,  und 
als  es  zum  zweitenmal  an  Thaies  zurückkam,  so  weihte  er  es  dem 
delphinischen  Apollon,  als  dem  Beherrscher  des  Volkes  des 
Neleus  d.  i.  der  loner  5),  »Der  Tempel  des  delphinischen  Apollon 


Stier  (Plul.  Thes.  c.  14  p.  0  ß ,  wo  Reiske  anstatt  /iaXcpivi<a  mit  Un¬ 
recht  AiXcpioi  oder  AiX(piy.(a  schreiben  möchte).  Vgl.  ibid.  c.  18  p.  7 
F,  dass  Theseus  für  die  Knaben,  die  er  im  Begriff  stand  nach  Kreta 
abzuführen  ,  im  Delphinium  Fürbitte  bei  Apollon  that. 

Pollux  VIII,  10.  Das  Richlercollegium  der  Heliasten  zu  Athen 
wurde  bei  Zeus,  Athene  und  der  (gesetzgebenden)  Demeter  beeidigt, 
s.  Preller  Dem.  u.  Pers.  S.  358.  Der  Polemarch  sprach  in  dem  Heilig¬ 
thum  des  Apollon  Lykeios  (Lykeion)  bei  dem  Standbild  eines  Wolfes 
Recht,  wo  der  Wolf  Sinnbild  der  obrigkeitlichen  Strafgerechtigkeit 
war,  s.  K.  0.  Müller  Dorier  I  S.  243. 

2)  Aristoph.  Nub.  322  ib  Schob  u.  Schob  ad  Arist.  Acharn.  347. 
Stephan.  B.  s.  v. 

3)  Pythänetos  bei  Schob  Pind.  Nem.  V,  81. 

‘^)  Pind.  b  c.  ib.  Schob 

*)  Kallimach.  in  den  Jamben,  dessen  Quelle  der  Milesier  Lean- 
drius  war,  bei  Diog.  L.  I,  29  Plut.  Solon.  c.  4.  Die  Weiheschrift 
lautete: 

SaXrjq  pia  t<L  /nadevPit  NeiXaco  dtj/AOv 
Acömoi  Tovro  dlq  Xaßd>v  dpiaxetov. 


war  gemeinschafHich  für  alle  loner«  wesshalb  er  auch  der  Tem¬ 
pel  des  panionischen  Apollon  hiess,  welchen  sie  sogleich  nach 
ihrer  llebersiedelung  in  Asien  nach  der  dorischen  Säulenordnung  er¬ 
bauten  2).  Es  ist  nicht  leicht  zu  entscheiden,  ob  dieser  Tempel  der 
berühmte  des  klarischen  Apollon  bei  Milet  war,  worauf  eine  Inschrift 
bei  Potock  p.  52  anspielt  {UÄTPSIOT  IlTOIKOT  KAAPIOT  IlÄNISl- 
NIOT)  :  oder  ob  er  in  Panionium ,  dem  Sitz  der  ionischen  Zusam¬ 
menkünfte  zum  Poseidonsfeste,  befindlich  war,  worauf  Hesychius 
zu  deuten  scheint  3).  Auch  der  Homeride  (h.  1  in  Apoll.  41)  nennt 
unter  den  Hauptsitzen  des  Apollondienstes  die  hohen  Gipfel  von  My- 
kale,  und  macht  so  wahrscheinlich,  dass  da,  wo  der  panionische 
Poseidon,  gemeinschaftlich  der  panionische  Apollon  verehrt  wurdet). 
Wie  in  Milet  ein  besonderer  Tempel  des  helikonischen  Poseidon 
stand  5) ,  so  hatten  die  ersten  Gründer  von  Ephesus  auch  an  dem 
Hafen  dieser  Stadt  dem  pythischen  Apollon  ein  Heiligthum  errich¬ 
tet  ^) ,  ohne  dass  man  daraus  schliessen  dürfte,  das  wäre  der  pan¬ 
ionische  Tempel  gewesen,-  so  wenig  als  aus  dem  Orte  auf  der  Insel 
Chios  Delphinion ,  welcher  nahe  bei  der  Stadt  gelegen  und  mit  ei- 


Menagius  zu  Diog.  1.  c.  wollte  anstatt  deXcpiPiM  dvrdi/ual<p  lesen,  und 
Meursius  Graecia  feriata  v.  JaXcpcvia  vermeinte,  es  sey  der  bekannte 
Tempel  des  deipbinischen  Apollon  zu  Athen  gemeint;  was  Corsini  Fast. 
Att.  T.  II  dissert.  XVII,  31  p.  319  rügt. 

1)  Strab.  IV  p.  270. 

2)  Vitruv.  IV,  1,  5,  woselbst  Schneider  Vol.  II  p.  230  gegen 
Rode  u.  A. ,  die  den  Neptun  an  die  Stelle  des  Apollo  zu  setzen  ver¬ 
suchten,  die  Statthaftigkeit  des  Letztem  in  Schutz  nimmt. 

3)  Hes.  V.  TlavicovioP’  lapöv  ^d^ioXXcovog  ip  Poapia. 

‘^)  Daselbst  werden  andere  ionische  Städte  unter  den  Apollons¬ 
sitzen  namhaft  gemacht:  Phokäa ,  Chios,  Samos,  Milet,  Klaros. 

«)  Schob  Horn.  II.  V,  403. 

6)  Kreophylus  in  den  Annalen  von  Ephesus  bei  Athen.  VIII,  62 
p.  333.  Uebrigens  scheint  daselbst  nicht  genau  geschieden  zu  seyn, 
was  den  allerersten  Gründern  von  Ephesus  und  was  den  einwaiiderii- 
den  lonern  zuzuschreiben  ist.  Auf  der  Letztem  Rechnung  dürfte  nach 
dem  Obigen  der  Tempel  des  pythischen  Apollon  zu  setzen  seyn. 


314 


nem  Hafen  versehen  war* **)),  gefolgert  werden  dürfte,  dass  man  da¬ 
selbst  den  delphinischen  Apollon  verehrt  hätte.  Nur  so  viel  wird  aus 
diesem  Zusammentreffen  wahrscheinlich,  dass  die  Kreier,  welche 
vor  der  ionischen  Einwanderung  sich  schon  in  Chios  angesiedelt  hal¬ 
len  2),  der  Ortschaft  Delphinion  den  Namen  gegeben  haben;  da 
Ebendieselben  in  Knosos  den  Apollon  Delphinios  verehrten  3),  und 
Delphi  und  den  delphinischen  Apollon  in  Phocis  benannten.  Delphi¬ 
nion  ist  aber  unstreitig  ein  passender  Name  für  einen  Seehafen, 
wenn  man  bedenkt,  dass  der  Delphin  ein  sehr  altes  Sinnbild  für 
die  Schifffahrt  war;  wesswegen  die  Elrurier  am  Vorderlheil  ihrer 
Schiffe  einen  Delphin  abgebildet  halten  ^) ,  und  auf  ihren  Assemün¬ 
zen  öfter  dasselbe  Thier  5),  die  römischen  dagegen  ohne  Sinnbild  ge¬ 
radezu  ein  Schiff  zeigen.  So  glaube  ich  ,  wurden  die  kretensischen 
Ankömmlinge  bei  ihrer  Ankunft  in  Phocis  von  den  dasigen  Einge- 
bornen  als  Delphinier  d.  h.  als  Seefahrer,  ihr  mitgebrachler  Gott 
Apollon  als  Delphinios  und  die  früher  Pylho  genannte  Stadt  nach 
ihnen  als  Delphi  bezeichnet.  Auf  diese  Weise  wird  die  Schwierig¬ 
keit,  dass  der  delphische  Gott  anslall  deXcpixög  dslcpivioq  hiess,  am 
füglichslen  gehoben;  denn  diessmal  wurde  die  Stadl  nach  den  Ein¬ 
wanderern  und  nicht  umgekehrt  die  Bewohner  von  der  Stadl  ge¬ 
nannt,  d.  h.  nicht  JsXcptPioi  von  JeXcpoi,  sondern  JeXcpol  von  JsX- 
cptvioc,  und  so  auch  der  durch  die  Seefahrt  eingewanderle  Gott  JsX- 
cplvioq  6).  Nun  liegt  der  Ursprung  der  Fabel  sehr  nahe  und  ist  über- 


*)  Thucyd.  VIII,  38  ib.  Ausleger ,  40.  Diod.  XIII,  76  T.  V  p.  364. 
Er  heisst  noch  heute  Delpbiushafen. 

2)  Strab.  XIII  p.  922. 

^)  Ghishull  Ant.  asiat.  p.  134. 

Plin.  H.  N.  IX,  9. 

Inghirami  Mon.  Etr.  Ser.  III  T.  I. 

**)  So  wird  uns  in  der  That  berichtet:  Delphis  (d.  h.  der  Seefah¬ 
rer)  habe  Delphi  den  Namen  gegeben:  Orus  von  Theben  bei  ßuhnken. 
in  epist.  crit.  I  p.  109.  Erst  später  wurde  der  Yolksname  von  JiXcpoi 
analog  Xaöi;  JeXqjög  (Callim.  b.  in  Apoll.  98) ,  oi  Jelcpol  (Schol.  Apol¬ 
lon.  II,  711)  gebildet.  Ursprünglich  aber  lautet  das  Beiwort  anders, 
wie  auch  der  Name  der  pythischen  Schlange,  welche  Apollon  erlegte, 
deXcpivrj  zeigt.  (Apollon.  Arg.  II,  v.  706,  wo  Bruuck  in  den  Noten 


aus  natürlich,  dass  Apollon  in  Gestalt  eines  Delphins  auf  das  kreti¬ 
sche  Schiff  gehüpft,  dasselbe  geleitet,  und  am  Hafen  von  Krisa  an- 
gelangt,  als  der  Erste  gleich  einem  Sterne  ausgesprungeu  sey,  und 
seinen  Verehrern  im  Schiffe  befohlen  habe:  „weil  ich  zuerst  als 
Delphin  auf  das  Schiff  im  Meere  gesprungen,  so  betet  zu  mir  als 
dem  Delphinier,  und  der  Altar  soll  immerfort  der  delphische  und 
hochberühmt  seyn“ *  *).  Diese  Fabel  ist  allem  Anschein  nach  erst 
hintendrein  entstanden;  er  kam  schon  als  Delphinios  von  Kreta  her. 


p.  276  aus  Pariser  Hdschr.  öskcpivr]v  anstatt  ÖsXcpvvtjv  verbessert,  und 
eben  so  die  Lesart  bei  Dionys.  Per.  v.  442  dsXcpivrjq  aus  den  Hdschr. 
berichtigt,  Eudocia  p.  107  steht  ösXcpiva  statt  daXcpivrjv,  dieselben 
Worte  hat  Tzetzes  ad  Lycophr.  v.  208,  von  Brunck  zu  Apollon  1.  c. 
verbessert.) 

*)  Hom.  b.  in  Apoll.  493  cf.  Eudocia  p.  107  f.  Nach  Ruhnken. 
in  der  episl.  crit.  I  p.  109  geben  Ilgen  und  Matlhiä  aus  einer  Mosk. 
Hdschr.  auch  das  zweilemal  daXcpivioq  statt  öaXcpaioq.  Hermann  dage¬ 
gen  zeigte,  dass  solche  lange  Sylben  nur  da,  wo  die  unumgängliche 
Nothwendigkeil  des  Hexameters  es  erfordert,  wie  bei  ^EXevocvidao  (h. 
in  Cer.  v.  105)  verkürzt  werden,  was  aber  bei  öaXcpivioq  nicht  der 
Fall  sey  ;  jedoch  zeigt  sich  dieser  Metriker  in  einer  Anmerkung  zu 
Orph.  Argon,  v.  190  ohne  Noth  in  Absicht  auf  dieses  Wort  nachgiebi¬ 
ger,  Matthiä  in  Animadv,  p.  201  ficht  die  Stelle  an,  weil  man  nicht 
zu  Apollon  beten  könne,  wie  er  ins  Schiff  gesprungen  sey,  eher 
könne  man  dieses  besingen.  Allein  u)q  gibt  den  Grund  der  Benennung 
Delphinios  an,  bedeutet  bei  Platon  (z.  B.  Lysis  p.  206  D)  und  den 
Dichtern  (Sophocl.  Electr.  17.  21.  Aristoph.  Nub.  503)  häufig  weil. 
Wenn  derselbe  Gelehrte  das  zweite  Glied  nach  vermisst,  so  wird 
Ja  dieses  V.  495  mit  avraQ  deutlich  eingeführt,  und  dadurch  Apollon 
und  sein  Altar  einander  gegenüber  gestellt.  Hermann  findet  es  unan¬ 
gemessen,  dass  das  alsL  auch  auf  das  Prädikat  deXcpaioq  bezogen,  und 
dass  dieses  durch  y.ai  mit  dem  ganz  verschiedenartigen  Prädicat  an6- 
\pioq  verknüpft  werde.  Er  will  daher  ändern  :  avTUQ  6  ßw/uoq  aviiy. 
(Iq  axpvaioq  y.ai  inöxpioq.  Es  mögen  so  die  beiden  Prädikate  gut  zu¬ 
sammen  passen,  allein  nicht  die  beiden  durch  piav  und  avrdfj  verbun¬ 
denen  Sätze,  Es  handelt  sich  vielmehr  um  die  Namengebung  wie  des 
Gottes,  so  des  neugestii'teten  Altars,  w  ohin  auch  V.  496  das  ihn  in  gleiches 


Die  Annahme  des  Matthiä  *)?  als  hätte  die  Fabel  blos  der  Etymolo¬ 
gie  des  Apollon  Delphinios  und  der  Stadt  Delphi  ihre  Entstehung 
zu  verdanken,  ist  bei  weitem  nicht  so  natürlich,  als  wenn  jene  Ety¬ 
mologie  ausdrücklich  für  die  richtige  gehalten  wird.  Die  Abweichung 
der  Fabel,  dass  Apollon  den  Delphin  als  Begleiter  zu  den  Kretern 
gesandt  habe  2),  ist  unbedeutend  und  einer  natürlichen  Wundererklä¬ 
rung  zu  vergleichen. 

Nach  dem  Bisherigen  werden  wir  es  begreiflich  finden,  dass  die 
louer  hin  und  wieder  dem  pythischen  Apollon  in  seinem  Vaterlaude 
Huldigungen  darbrachten.  So  schickten  die  Phokäer  nach  Delphi 
ein  silbernes  Henkelgefäss  (carthesium),  welches  der  phocensische 
Tyrann  Phayllus  seiner  Geliebten  zum  Geschenk  machte.  Die  Ephe- 
sier  sandten  ebendahin  als  Weihgeschenk  einen  Lorbeerkranz,  den 
nachmals  Onomarchus  seinem  Liebling  verehrte  3).  Dionysios  der 
Perieget  (v.  4'i5)  lässt  den  Apollon  von  Milet  oder  von  Klaros  nach 
Delphi  sich  begeben.  Eben  so  ist  es  natürlich,  dass  der  benachbarte 
delische  Apollon  die  besondere  Aufmerksamkeit,  Andacht  und 
Wallfahrten  von  Seite  der  loner  veranlasste  ‘^).  Einen  andern  Wink 


Verhältniss  dem  deipbinischen  Gott  gegenüberstellende  Fürwort  av~ 
xöq  zielt.  Jene  Bedeuklicbkeiten  werden  entweder  durch  die  orakel- 
massige  Sprache,  oder  wenn  man  will ,  durch  die  von  Macrobius 
Sat.  I,  17  p.  297  beigebrachte  Etymologie  des  Wortes  SsXcpioq  äjiö 
Tov  Stj'kovv  oxpavifj ,  gehoben,  nach  welcher  letztem  Erklärung  öikcpeioq 
und  (noxpiog  allerdings  sinnverwandt  würden.  Oder  wenn  man  eine 
Aenderung  wagen  wollte,  so  wäre  folgende  viel  leichter  und  für  den 
Zusammenhang  schicklicher:  avzög  d£X(f)iog,  og  v.aX  sTcd^piog  soaszac 
ahi.  Eine  Pariser  Hdsebr.  hat  ösXcpcog,  das  Wort  ög  konnte  wegen 
der  Endsylbe  des  vorigen  Wortes  leicht  ausgelassen  seyn,  wie  in  ähn¬ 
lichen  Fällen  oftmals  geschah.  So  wäre  dilcpiog  von  ahi  und  von 
£:t6'ipwg  mehr  geschieden.  Jedoch  ist  nicht  genug  Grund  zu  irgend 
einer  Aenderung  vorhanden. 

Matth,  in  prolegom.  ad  Animadv.  in  hymnos  Hom.  p.  33. 

2)  Paus.  X,  6. 

3)  Tbeopomp  über  den  Raub  der  delphischen  Weihgeschenke  bei 
Alben.  XIII,  83  p.  190. 

Thueyd.  III,  104. 


von  der  Anhänglichkeit  der  loner  an  Apollon  gibt  uns  Pindar *  *), 
dass  die  Samier  das  Orakel  Apollons  zu  Abä  in  Lycien  gestiftet 
hätten. 

Die  zwölf  Städte  der  Aeoler  feierten  ihr  Bundesfest  im  Haine 
Gryneion  bei  Myrina  gleichfalls  dem  Apollon  zu  Ehren.  Eben  so 
war  Apollon  Tqi  öji lo g  der  ßundesgott  der  sechs  und  nach  Aus¬ 
schliessung  der  Halikarnaser  der  fünf  dorischen  Städte,  und  hatte 
sein  Heiligthum  auf  dem  triopischen  Vorgebirge.  Bei  dem  dabei 
stattfindenden  Kampfspiele  erhielten  die  Sieger  eherne  Dreifüsse,  die 
sie  aber  dem  Gotte  weihen  mussten.  Als  nun  ein  Halikarnaser  den 
gewonnenen  in  seinem  Hause  aufhing,  wurde  seine  Vaterstadt  dess- 
wegen  aus  dem  Bunde  ausgeschlossen,  und  auch  die  andern  benach¬ 
barten  Dorier  durften  an  dem  Nationalfeste  nicht  Theil  nehmen  2). 

Poseidon  hatte  von  Alters  her  seinen  vorzüglichen  Wohnplatz 
im  Peloponnes,  und  die  dasigen  Städte  verehrten  unter  allen  diesen 
Gott  am  meisten  3).  Aegä  '•)  und  Helike  in  Achaja  galten  besonders 
dem  Gotte  für  heilig  ^).  Homer  (II.  V)  machte  daher  den  Poseidon 
zum  Beistand  der  Achäer  vor  Troja.  Neleus,  Vater  des  Nestor^), 
und  Bellerophon  2)  galten  für  Söhne  Poseidons.  Helike,  Tochter  des 
Selinus ,  eines  Sohnes  des  Poseidon,  war  die  Gattin  des  Ion*),  d.  i. 
jene  Stadt  in  Achaja  war  die  Hauptniederlassung  für  die  aus  Athen 
angerückten  loner.  Von  dieser  Stadt  empfing  er  den  Beinamen  der 
Helikonier  (Ehxoiviog)^'),  unter  welchem  ihn  die  loner  während 


*)  Bei  Schol.  Soph.  Oed.  Tyr.  v.  894.  fragm.  Find,  p.  158 
ed.  Heyn. 

2)  Herod.  I,  144.  Theocr.  Id.  XVII,  69  u.  das.  Schol. 

3)  Diod.  XV,  49  T.  VI  p.  386  Argenlor.  ib.  Wesseling,  p.  640. 

II.  ö>',  203.  441.  6,  194.  Od.  d’,  506. 

*)  Schol.  Villois.  II.  V,  403.  Nicocrates  bei  Schol.  Apollon,  1,831. 
u.  Gallim.  in  Del.  v.  101. 

*)  Schol.  Vill.  II.  et,  v.  544.  \p' ,  514. 

2)  Asklepiades  bei  Schol.  Vill.  II.  VI,  155. 

*)  Paus.  Achaic.  c.  1.  Eustatb.  ad  II.  ß'  p.  618  Polil. 

9)  Clitophon  bei  Schol.  Vill.  II.  v,  403:  ajtö  rov  iv  'EXiy.r]  xe- 
jLUVovg  'EXcY.d>vtov  n^oorjyoQivasv.  Zwar  könnte  von  der  Form  ’EXixi] 
nicht  'JSXtxcJvtog  abgeleitet  werden ,  und  es  versuchten  daher  der  Schol. 


318 


ihres  Aufenlhalles  in  Achaja  und  mit  denselben  Gebräuclien  nacli 
ihrer  Auswanderung  in  Asien  als  den  Gott  ihres  Slaatenbundes  ver- 
ehrlen  ').  Poseidon  war  gleichfalls  in  Lampsakus ,  einer  ionischen 
Kolonie  von  Phokäa,  der  oberste  Gott,  wie  aus  Münzen  jener  Stadt 
erhellet  2).  Er  war  eben  so  der  Schutzgott  von  Theben  in  Poolien  3). 

Ausser  Apollon  und  Poseidon  verehrte  die  Gesaramtheit  der 
loner  die  ephesische  Artemis,  weil  Ephesus  die  Hauptstadt 
loniens  war;  gleichwie  sie  ehemals  auf  Delos  gemeinschaftlich  den 
Apollon  verehrten  '*).  Zwar  war  Artemis  ohne  Beziehung  auf  Ephe¬ 
sus  in  Milet  einheimisch ;  indem  Neleus  an  der  Spitze  der  ionischen 


Vill.  1.  c.  u.  Ilgen  zu  Hom.  h.  XXI  die  Ableitung  von  dem  Berge  He¬ 
likon,  n.  A.  wollten  in  diesem  hom.  Hymnus  ’Ehy,b>va  in  EXixijp  xe 
ändern  (s.  Bocchus  Slothouwer  in  tirocin.  crit,  p.  97).  Allein  auch 
die  Bürger  von  Helike  hiessen  "EXi-kmvioi  von  dem  angeblichen  Grün¬ 
der  Helikon  (Stephan  B.  v.  'EHyitj.  Die  spätere  Form  ist  wohl  ^EXi~ 
ycEvg ,  Heraclides  bei  Slrabo  VHI  p.  590),  und  gewiss  nicht  von  dem 
böolischen  Berge;  folglich  musste  auch  Poseidon  von  Helike  eben  so 
heissen,  und  es  ist  kein  Grund  wegen  der  Form  zum  Berge  seine  Zu¬ 
flucht  zu  nehmen.  Wohl  muss  die  Form  gerechtfertigt  werden,  was 
am  besten  durch  die  Annahme  geschieht,  dass  Helike  anfänglich  He¬ 
likon  hiess.  So  nennt  Homer  1.  c.  Helikon  in  Verbindung  mit  Aegä 
als  dem  Poseidon  heilig,  und  es  wäre  hart,  mit  Ilgen  z.  d.  Stelle 
p,  588,  Matlhiä  Animadv.  in  h.  XXH  p.  444-  und  dem  Schellersheimer 
Schol.  ad  Hes.  Scut.  v.  104  an  den  Berg  Helikon  hier  zu  denken,  da 
Aegä  nahe  bei  Helike  liegt.  Eben  so  herrscht  Hom.  Epigr.  VH,  2  ed. 
Herrn.  Poseidon  im  EvQvxo^og  ’EXcy.cSv,  wo  jene  Gelehrten  wieder  an 
den  Berg  denken ,  das  Beiw'ort  aber  schon  eher  auf  die  Stadt  passt. 
Ebendieselbe  heisst  ja  II.  II,  575  "E\iY.rj  EVQEia.  Helikon  war  auch 
ehemals  ei«  Stadtname  in  Böotien,  welcher  in  den  bekannten  Namen 
Orchomenus  durch  die  Söhne  des  Sisyphus  verändert  wurde.  (Schol. 
Vill.  SchitTskatalog  18.) 

Herod.  I,  148.  Slrab.  XIV  p.  947  cf.  VIII  p.  589.  Paus.  VH. 
24  p.  585. 

2)  Eckhel  D.  Nuni.  V.  p.  456.  Cornut.  N.  D.  c.  22. 

Hes.  Sch.  105. 

‘)  Thucyd.  HI,  104. 


/ 


—  319  — 

Pflanzer  von  Athen  aus  sie  als  Schicksalsgöllin  zur  Führerin  des  Zu¬ 
ges  {rjysiiövrf)  gemacht  haben  soll^);  wesswegen  ihr  Fest  daselbst 
Neleis  hiess  2).  Dieselbe  Artemis  hatte  als  Hegemone  ein  Heilig¬ 
thum  in  Arkadien  unweit  Akakesium,  wo  sie  mit  Fackeln  in  den 
Händen  abgebildel  war,  und  wo  die  Mören  und  Zeus  Möragetes  ihre 
Nischen  halten  3).  Indessen  benannten  die  ionischen  Städte  die  Ar¬ 
temis  gewöhnlich  die  ephesische,  womit  sie  Zeugniss  von  dem  Ur¬ 
sprung  ihrer  Verehrung  ableglen  Ihren  Tempel  zu  Ephesus  sollen 
die  Städte  Kleinasiens  auf  gemeinschaftliche  Kosten  erbaut  haben  5), 
Aber  nicht  allein  zu  Ephesus  als  ihrem  Hauptsilz  wurde  sie  gemein¬ 
schaftlich  von  den  lonern  verehrt,  sondern  einzelne  ionische  Städte 
besassen  eigene  Filial- Tempel  dieser  Gottheit.  Von  Chesion,  einem 
Vorgebirge  auf  Samos,  und  von  dem  Flusse  Imbrasus  ebendaselbst 
hatte  sie  die  Beinamen  Chesias  und  Imbrasie  6).  Ferner  geschieht 
von  ihrer  Verehrung  zu  Smyrna  2) ,  zu  Erythrä  mit  dem  Beinamen 
'"A^tsjuig  Szocpea  und  zu  Pygela ,  einem  Städtchen  unweit  Ephesus, 
wo  sie  als  Artemis  Mowixla  einen  von  Agamemnon  gestifteten  Tem¬ 
pel  halle  9) ,  Erwähnung.  Da  das  letzte  Beiwort  mit  dem  an  dem 
attischen  Hafen  ihr  beigelegten  ""Aqt.  Movwyja  zusammentritTt,  so 
scheint  es  ihr  erst  durch  die  eingewanderten  loner  beigegeben  wor¬ 
den  zu  seyn ;  wiewohl  ihr  Tempel  schon  von  der  Zeit  des  trojani¬ 
schen  Kriegs  her  stand.  Artemis  Ephesia  hatte  sogar  ihr  Heilig- 
thum  zu  Korinth  und  zu  Alea  in  Arkadien  ”).  Dalier  heisst  sie 
Apostgesch.  19,  27  die  grosse  Göttin  Artemis,  welche  ganz  Asien 
und  das  römische  Reich  (77  oiy.ov/uevrj)  verehre.  Als  solche  halte 


')  Gallim.  Dian.  v.  226. 

2)  Plut.  de  virtut.  mulier.  162  Vol.  II  p.  4t  Wyttenb. 

3)  Paus.  Arcad.  c.  37.  ‘•)  Paus.  IV,  31  p.  357. 

5)  Liv.  I.  Plin.  H.  N..XVf.  79.  XXXVI,  21. 

*»)  Gallim.  Dian.  228  ib.  Schot.  Hom.  h.  VIII ,  4. 

8)  Ilippias  bei  Athen.  VI,  74  p.  492  mit  Gasaubon.  u.  Schweigb 
Animadv.  in  Athen.  T.  III  p.  532  f. 

9)  Strab.  XIV  p.  9i7. 

10)  Paus.  II,  2  ,  5. 

“)  Paus.  VIII,  23,  1. 


320 


sie  den  entsprechenden  Beinamen  der  Vorsitzenden  {jtQMxodgovlij  *), 

-Tpwro'Opot'os  2)  ) 

Bei  der  Vereiirung  der  loner  für  Apollon  ermangelten  sie  dem¬ 
nach  nicht  zugleich  seiner  Schwester  zu  huldigen.  K.  O.  Müller 
(Dorier  I  S.  368)  sagt  zwar,  Apollon  komme  nicht  als  Brudergott 
der  ephesischen  Artemis  vor.  Seine  Ansicht,  dass  Apollon  nicht 
ein  Naturgott  sey,  käme  freilich  sehr  ins  Gedränge,  wenn  die  un¬ 
leugbare  NaturgÖttin  von  Ephesus  seine  Schwester  wäre.  Allein  wie 
seine  Behauptung  hinsichtlich  Apollons  nach  unserer  Darstellung  eine 
erhebliche  Einschränkung  erleidet,  so  pflegte  überhaupt  das  Heiden¬ 
thum  die  Mutter  Natur  nie  ohne  ein  männliches  Wesen  zu  denken 
und  darzustellen;  beide  Principien  mit  einander  weben  und  zeugen 
fort  und  fort.  Wenn  nun  nach  S.  105  in  Thracien  Dionysos,  in  Elis 
Alpheios  die  männliche  Zeugungskraft  der  Artemis  gegenüber  ver¬ 
tritt ,  so  ist  doch,  wo  Artemis  jungfräulich  bleibt,  Apollon  die 
noihwendige  Ergänzung,  welcher  daher  auch  als  v-iaasi/q  bacchische 
Attribute  hat,  und  ob  er  gleich  zu  Artemis  in  keinem  Zeugungsver- 
hältniss  steht,  so  ist  durch  das  Zwillingsgeschwisterverhältniss  die 
enge  Wechselbeziehung  beider  und  zwar  zarter  und  minder  anstös- 
sig  bezeichnet.  Sie  sind  so  unzertrennlich,  wie  wenn  man  in  Sparta 
die  Tyndariden  mit  zwei  aufgerichleten  Balken  und  zwei  Querbal¬ 
ken  (Joxetra)  abbildete  ^). 


•)  Paus.  X,  38  p.  896. 

2)  Callim.  Dian.  v.  228.  Dieser  Beiname  hat  den  Auslegern  viel 
zu  schafTen  gemacht,  welche  diese  Auszeichnung  der  Artemis  mit  der 
Mythologie  nicht  zusammen  reimen  konnten,  indem  nach  Ilom.  II.  ol, 
100  ib.  Scbol.  Villois.  Here  zur  Rechten  und  Athene  zur  Linken  des 
Zeus  sitzen.  Allein  Jenes  Prädikat  ist  lediglich  auf  die  ephesische  Oert- 
licbkeit  zu  beziehen,  wie  auch  ihre  zwei .  vorhergehenden  Beinamen 
von  der  ionischen  Insel  Samos  entlehnt  sind. 

'’)  Plut.  de  amor.  frat.  1  p.  36, 


321 


2)  Wie  verhalt  sich  der  Mensch  als  ein  sittliches  Wesen 

zu  Gott? 

Von  dem  Sündenfalle. 

§.  55. 

Prometheus. 

In  der  Religionsperiode  der  Hellenen  bildete  sich  eine  charak¬ 
teristische  Sage  vom  Sündenfall  aus,  und  knüpfte  sich  an  die  Per¬ 
son  ihres  gemeinsamen  Stammhalters  Prometheus  und  seiner  Brü¬ 
der  Epirae  theus  und  Menötius.  Sie  konnte  erst  entstehen, 
nachdem  die  Hellenen  ein  in  den  Völkerschaften  Dorier,  loner  und 
Aeoler  verbreiteter  Volksstamm  waren  und  über  die  pelasgischen  Ur¬ 
einwohner  Griechenlands  hervorragten.  Nun  aber  finden  wir  die  im 
Homer  auf  eine  Landschaft  in  Thessalien  beschränkte  Benennung 
Hellas  für  ganz  Griechenland  zuerst  bei  Hesiod  (Op.  453)  gebraucht, 
und  die  Söhne  Hellens,  Dorus,  Xuthus  und  Aeolus  von  demselben 
Hesiod  io  seiner  Genealogie  der  Heroen  *)  zuerst  angegeben.  Hel¬ 
lens  Vater  aber  war  Deukalion  und  dessen  Vater  Prometheus, 
dessen  Gattin  die  Okeanine  Hesione^).  ln  Prometheus  fanden  da¬ 
her  alle  hellenische  Geschlechter  den  Anfang  ihres  Stammbaumes. 
Wenn  auf  seinen  und  seines  Sohnes  Namen  Allegorien  und  Sagen 
aufgetragen  wurden,  so  folgt  daraus  noch  nicht,  dass  sie  selbst  blos 
allegorische  Personen  gewesen  seyen.  Vielmehr  waren  sie,  nach 
dem  Inhalt  eines  indischen  Gedichtes  zu  urtheilen,  in  einem  Reli¬ 
gionskrieg  vertriebene  Auswanderer  aus  Indien,  in  welches  Land 
die  Griechen  selbst  zurück  weisen  3).  Deo-Cal-yun  (Deucalioo) ,  so 
lautet  die  indische  Sage ,  dessen  Vater  den  Beinamen  Pramat  hesa 
(Prometheus)  hatte,  sey  als  Empörer  gegen  den  Braminengott 
Krischna  mit  seinen  Begleitern  nach  dem  Westen  zu  den  Yavana 


•)  Bei  Schob  Lycophron.  v.  284  und  Schob  Pindar.  Pylh.  IV 
fragni.  p.  443. 

2)  Aeschyb  Prom.  5.59.  Akusilaus  bei  Schot.  Od.  X,  2. 

Strabo  u.  Arrian  bei  Schütz  Aeschyb  T.  I  p.  106. 

21 


(Griechen)  verjagt  worden  ^).  Mil  dieser  angegebenen  Herkunft  steht 
in  der  Thal  die  indische  Lehre  vom  Sündenfall,  verglichen  mit  der 
an  die  Person  des  Prometlieus  verknüpften,  im  Einklang.  Nach  in¬ 
discher  Fabel  stahl  der  Geist  Hajagriva  die  h.  Bücher  (Veda),  was 
dem  ganzen  Menschengeschlecht  Verderben  brachte  und  die  Sündflulh 
veranlassle  ^).  Ferner  der  Demiurg  Birmah  verfiel  in  Hochmulh 
gegen  die  andern  Geister  und  in  Lüsternheit  gegen  seine  eigene 
Tochter  Sursety;  wesshalb  er  zur  Büssung  in  die  niedern  Regionen 
herabsank  3).  Wenn  wir  hiermit  den  Feuerraub  des  Prometheus,  sei¬ 
nen  Hochmulh,  die  Götter  im  Opfer  betrügen  zu  wollen,  des  Epi- 
melheus  Lüsternheit  und  die  unter’Deukalion  staltfindende  Wasser- 
flulh  vergleichen,  so  werden  wir  ohne  Bedenken  in  Prometheus  und 
Deukalion  geschichtliche  Vermittler  indischer  und  griechischer  Leh¬ 
ren  annehmen  müssen.  Die  griechische  Fabel  spielt  selbst  nach 
Asien  und  dem  fernen  Osten  hinüber,  woher  die  hellenischen  Pflan¬ 
zer  gekommen  zu  seyn  scheinen.  Am  kaukasischen  Gebirge  soll 
Prometheus  dem  Zeus  missratheu  haben ,  die  Thetis  zu  schwängern, 
weil  sie  einen  Sohn  gebären  werde,  der  grösser  als  sein  Vater  sey  ^). 
An  denselben  Berg  wurde  er  nach  der  Fabel  zur  Bestrafung  ange¬ 
schmiedet.  Um  die  Zeitrechnung,  ob  das,  was  von  diesen  Männern 
ausgesagl  wird,  mit  der  mulhmasslichen  Zeit  ihrer  Einwanderung 
übereinstimme,  darf  man  sich  natürlich  im  Gebiete  der  Sage  und  der 
Fabeln  nicht  kümmern.  Im  Gegentheil  ist  es  begreiflich,  dass  Dinge, 
welche  die  Wiege  der  Menschheit  betreCTen,  mit  der  Vorstellung 
von  jenen  Personen  darum  verknüpft  wurden  ,  weil  sie  die  Wiege 
der  Hellenen  waren.  So  sollte  die  noachische  Wasserfluth,  von 
der  sich  bei  vielen  Völkern  üeberlieferungen  erhallen  habend),  un- 


0  ßaur  Mythol.  1  S.  247  nach  Ritter. 

2)  Purana  bei  Jones  Asiat.  Abhdign.  I  S.  359  deutsche  Ausg. 

3)  Polier  Myth.  d.  Indier  I  S.  171. 

“♦)  Schol.  Villois.  Hom.  11.  d,  519.  Aeschylus  spielt  im  Prome¬ 
theus  öfter  darauf  an,  z.  B.  v.  920  ff.,  dieser  kündet  dem  Zeus  einen 
Kämpen  an,  der  ihn  vom  Thron  stossen  werde,  ob  er  gleich  trotzig 
dem  abgesandten  Götterboten  Hermes  keinen  Bescheid  über  die  Person 
des  Thronräubeis  noch  irgend  einen  guten  Rath  crtheilt. 

Sogar  in  Amerika  weiss  man  unter  allen  Stämmen  an  den  Ufern 


323 


ler  Deukalion,  einem  Zeilgenossen  Mosis'),  sich  begeben  haben. 
Ohne  Zweifel  hat  sich  die  ältere  hebräisch  indische  Sage  nur  an  sei¬ 
nen  Namen  geknüpft.  Dessgleichen  Japhet  oder  lapetos,  der  Be- 
völkerer  Europas,  ein  Sohn  Noahs  nach  der  mosaischen  Urkunde, 
wurde  mit  Ueberspriogung  der  unbekannten  nnd  unwesentlichen  Mit¬ 
telglieder  bei  den  Griechen  geradezu  zum  Vater  des  Prometheus  ge¬ 
macht  2).  Ja  Prometheus  galt  als  der  Stammhalter  der  Uellenen  für 
den  ersten  Menschen  überhaupt  und  Pandora  für  das  erste  Weib. 
Nach  einem  Bruchstück  des  Euripides  (nach  Andern  des  Philemon) 
soll  er  die  Menschen  aus  Thon  gemacht  haben,  was  die  alte  Kunst 
nachbildete.  Er  heisst  darum  Menschenbildner  (avdguiTtoTtoiöq)  j), 
und  was  ein  Volk  von  seinem  Adam  als  dem  sittlichen  Stellvertreter 
seines  Samens  im  Verhältniss  zu  Gott  dichten  kann,  finden  wir  auf 
seine  Person  aufgetragen.  Aeschylus  (Prom.  14)  nennt  ihn  zwar  ei¬ 
nen  Gott,  dem  das  Sterben  nicht  beschieden  sey  (v.  753);  allein 
mehr  darum,  weil  er  eine  verkörperte  Idee,  ein  Träger  religiöser 
Wahrheiten  ist,  (in  welcher  Beziehung  auch  Herakles  ein  Gott  war, 
V.  1027)  als  dass  er  seine  Menschheit  leugnen  wollte.  Nach  Aeschy¬ 
lus  (Prom.  232  ff.)  wollte  Zeus  das  ganze  Menschengeschlecht  ver¬ 
tilgen,  aber  Prometheus  widerstand  ihm.  Auf  seinen  Bath  nemlich 
haute  sein  Sohn  Deukalion  die  Arche  ‘^). 

Die  einfache  Erklärung  des  Sündenfalls:  der  Mensch  wollte  klü¬ 
ger  seyn  als  Gott  und  sein  Gebot ,  trat  aber  eben  damit  aus  dem  ihm 

des  Obern  Oronooko,  dass  ein  Mann  und  ein  Weib  sich  aus  der  Was- 
serfluth  auf  ein  hohes  Gebirge  Tamanaia  gerettet,  darauf  an  den  Ufern 
des  Asiveru  über  das  Haupt  hinweg  Früchte  hinter  sich  geworfen  habe, 
woraus  Männer  und  Weiber  entstanden:  Alex.  v.  Huinboldt  u.  Bonpland 
Personal  narrative  of  Iravels  to  the  equinoctial  regions  of  the  new 
continent  Vol.  IV. 

*)  Euseb.  Ghron.  P.  II  p.  103.  Schon  Platon  (Tim.  p.  22  A)  er¬ 
wähnt  der  Fluth  unter  Deukalion  u.  Pyrrha. 

2)  Theog.  510. 

3)  S.  die  Nachweisungen  bei  Völcker  Mytb.  des  lapet.  Geschl. 
S.  315  ff-  Welcker  äschyl.  Trilog.  S.  13  Note;  wozu  Tatian  ttq. 

n.  10  p.  252  gefügt  werden  kann. 

''•)  Apollodor  I  p.  19. 


324 


angewiesenen  Pfade  der  Ordnung  heraus ,  und  war  wahrliafl  (höricht 
und  hoflährlig  gegen  Gotl ,  vertheilt  sich  in  der  griechischen  Fabel¬ 
lehre  unter  die  drei  Personen  Prometheus,  Epiraetheus  und 
M  e  n  ö  t  i  u  s  ^).  Der  Pegritr  des  klügelnden  und  ausschweifenden  Vor¬ 
witzes  setzte  sich  in  Prometheus,  dessen  Name  schon  darnach  ge¬ 
modelt  wurde,  fest  und  hatte  seinen  geschichtlichen  Beleg  und  Stütz¬ 
punkt  in  den  Neuerungen  und  Verbesserungen,  welche  der  Einwan¬ 
derer  Prometheus  im  Gottesdienst  und  Leben  einführte.  Von  ihm 
kam  die  Sitte,  die  in  Nierenfett  eingewickelten  Schenkelknochen  der 
Thiere  anstatt  der  Holokauste  zu  verbrennen;  was  aber  also  gedeutet 
wird,  als  hätte  er  damit  die  Weisheit  des  Zeus  überlisten  wollen. 
Zu  Mekone,  dem  allen  Namen  der  alten  Stadt  Sicyon  in  Achaja, 
opferte  er  einen  grossen  Ochsen,  das  Fleisch  und  das  fette  Einge¬ 
weide  sammt  dem  Magen  darüber  that  er  in  die  Haut,  die  Knoehen 
aber  legte  er  schlau  in  Fett  verhüllt  bei  Seite.  Zeus  merkte  die  List 
und  schmälte  darüber;  Prometheus  aber  hiess  ihn  lächelnd  wählen, 
welcher  Theil  ihm  beliebe.  Zornig  griff  der  Gott  nach  dem  weissen 
Fett  und  ergrimmte,  als  er  das  weisse  Gebein  darunter  gewahrte  2). 
Nicht  dieser  gottesdienstliche  Gebrauch  an  sich,  sondern  daran  wird 
überhaupt  die  Unart  des  Menschen,  klüger  seyn  zu  wollen  als  Gott 
und  sein  Gebot,  als  die  Grundsuppe  der  Sünden  gerügt;  gerade  wie 
sich  Eva  mit  dem  Gedanken  kitzelte,  sie  werde  seyn  wie  Gott  und 
klug  werden,  wenn  sie  von  der  verbotenen  Frucht  kostete  3).  Der 
Vorwitz  der  Metauira  hinderte  ja  auch  Demeter  au  ihrem  Vorhaben, 
den  Menschen  zur  Heiligung  und  Ewigkeit  zu  führen,  wie  wir  oben 
gesehen  haben.  Weil  nun  der  Mensch  sich  vermass ,  mit  der  Weis¬ 
heit  des  allmächtigen  Kronion  zu  rechten  ,  so  entzog  dieser  dem 
unglückseligen  Menschen  zur  Strafe  das  Feuer  Diese  Entzie¬ 
hung  ist  wohl  nicht  blos  eingeführt ,  um  den  nachfolgenden  Feuerraub 
vorzubereiten ;  sondern  gleichwie  im  Feuerraub  das  Feuer  allegorisch 
zu  nehmen  ist,  so  ist  es  auch  hier  als  das  heilige  und  lautere  Ele¬ 
ment  im  Sinn  eines  Heraklitus,  als  das  und  als  Sinnbild  des 


*)  Vgl.  Baur  von  Giessen  die  alltest,  und  die  griechische  Vorstel¬ 
lung  vom  Sündenfalle  in  den  Studien  und  Kritiken  1848  H.  II. 

2)  Theog.  534. 

3)  1  Mos'.  3,  5  f. 


Theog.  533. 


3)  Theog.  561. 


325 


Lebens  im  Geiste  aufzufassen.  Uesiod  •)  selbst  erklärt  das  Feuer, 
das  Zeus  den  Sterblichen  verbarg,  für  das  zufriedene  Leben  in  kind¬ 
licher  Einfall,  das  den  Menschen  verloren  ging.  Mit  jener  Strafe 
hat  es  demnach  die  Bewandtuiss ,  dass  Gott  den  Menschen,  der  klü» 
ger  seyn  wollte  als  sein  Schöpfer  und  Herr,  seinem  ungenügsamen 
und  habsüchtigen  Herzen,  oder  allgemeiner  gefasst  dem  feuchten  und 
thierischen  Wesen  dahin  gab.  Diess  war  die  natürliche  Folge  des 
Falls  als  einer  Entfremdung  des  Lebens  aus  Gott.  Die  gefallenen 
Menschen  haben  sich  eigentlich  des  Feuers  selber  beraubt,  und  es 
ist  so  viel  als  wenn  es  heisst :  der  Baum  des  Lebens  wurde  ihnen 
verwehrt  2).  Oder:  »Gott  hat  sie  dahin  gegeben  in  verkehrten  Sinn, 
zu  thuu  das  nicht  laugt“  3).  Dass  es  sowohl  bei  Prometheus  als  in 
der  Bibel  als  eine  Eifersucht  Gottes  gegen  die  Menschen  dargestellt 
wird,  ist  blosse  Einkleidung. 

Nach  dem  Verbotenen  aber  hascht  der  Mensch  gleichwohl,  über¬ 
flügelt  seine  eigene  Kraft  und  überschreitet  mit  ungemessenen  Be¬ 
gierden  alles  Maass  und  Ziel,  das  Gott  dem  Menschen  gesetzt  hat; 
d.  h.  in  den  Worten  der  Fabel:  Prometheus  entwand  das  Feuer  in  dem 
Mark  eines  knotigen  Stengels  zum  Aerger  des  erhabenen  Donnerers  ^). 
Es  war  aber  nicht  das  lautere  himmlische  Feuer,  das  Gott  den  Men¬ 
schen  entzogen  halte,  sondern  irdische  Weisheit  und  menschliche 
Fertigkeiten,  das  Feuer  verwandelte  sich  in  den  Händen  des  Diebes, 
und  ist  hier  ein  Sinnbild  der  Künste  des  Lebens,  zu  deren  Vervoll¬ 
kommnung  der  Gebrauch  desselben  unentbehrlich  ist.  Nicht  etwa 
die  Kultur,  die  Prometheus  von  Asien  herüber  zu  den  griechischen 
Pelasgern  brachte,  auch  nicht  geradezu  die  mit  der  Kultur  verbun¬ 
denen  Folgen  der  üeppigkeit  und  Verweichlichung,  sondern  das  Rau¬ 
ben  des  Feuers,  das  klügelnde  Auffliegen  nach  schwindelnden  Hö¬ 
hen,  das  Ausfahren  nach  dem  Fernen  und  Weitlosen,  das  Leiden¬ 
schaftliche  im  Begehrungsvermögen  ist  sein  Frevel.  Durch  den  Vor¬ 
witz  des  Prometheus  wurden  die  Menschen  aus  dem  Zustande  behag¬ 
licher  Genügsamkeit  aufgejagl,  sagt  Hesiod  (Op.  48)  selbst.  Das  Feuer 
ist  also  wie  ein  Baum  der  Erkenntniss  und  der  Erfahrung  vorgeslellt, 
von  welchem  Prometheus  pflückte,  wodurch  er  über  die  dem  Men- 


»)  lies.  Op.  47  vgl.  42.  2)  i  Mos,  3,  22. 

3)  Röm.  1,  28.  ')  Theog.  b64. 


326 


sehen  geordnete  Sphäre  hinausschweifte.  Genauer  nennt  ihn  die  mo¬ 
saische  Urkunde  Baum  der  Erkennlniss  Gutes  und  Böses,  und  es 
möchte  scheinen,  dass  die  griechische  diesen  Baum  mit  dem  Baum 
der  Erkenntniss  überhaupt,  das  Praktische  mit  dem  Theoretischen, 
verwechselt  habe,  und  so  der  gemeinen  Ansicht  der  Morgenländer 
huldigte,  als  bestände  die  Glückseligkeit  in  dem  dumpfen  Zustande 
der  Unwissenheit,  Bedürfnisslosigkeit  und  Unthätigkeit.  Hält  man 
aber  den  Begriff  des  Rauhens  als  des  Ausschweifenden  fest,  so  ist 
die  Theogonie  gerechtfertigt,  und  ihr  Erklärungsversuch  des  Sünden¬ 
falls  hat  im  Feuerraub  ein  unverkennbar  praktisches  Element.  Auch 
die  biblische  Urkunde  liess  den  im  Feuerraub  versinnlichten  Zug  des 
aus  dem  Geleise  der  Ordnung  schweifenden  Slrebens  nicht  unberührt; 
denn  Gott  der  Herr  sprach  V.  22:  Adam  ist  geworden  als  unser 
einer,  und  weiss,  was  gut  und  bös  ist.  Es  stand  zu  besorgen,  dass 
er  nun  auch  seine  verwegene  Hand  nach  dem  Baume  des  Lebens 
ausslreckte.  Darum  wurde  er  aus  dem  Garten  Eden  gejagt,  dass  er 
das  Feld  bauete ,  davon  er  genommen  war. 

Verweilen  wir  einen  Augenblick  bei  dem  merkwürdigen  Zusam¬ 
mentreffen  der  hebräischen  und  griechischen  Urkunde,  dass  der  Sün- 
denfall  der  ersten  Menschen  durch  klügelnden  und  ausschweifenden 
Vorwitz  vermittelt  gedacht  ist.  Gehen  wir  einen  Schritt  weiter  zu¬ 
rück  und  fragen  nach  der  Ursache  dieses  Vorwitzes  in  der  mensch¬ 
lichen  Naluranlage,  so  können  wir  die  Streitfrage  der  Wettweisen 
nach  dem  Ursprung  des  Bösen  am  richtigsten  lösen.  Der  negative 
Entstehungsgrund  des  Bösen  liegt  in  der  Stufe  des  Daseyns,  wornach 
der  Mensch  weder  der  Nolhwendigkeit  unterworfen,  wie  die  Kreatur, 
noch  ihr  gleich  gesetzt  ist,  wie  Gott,  erliegt  in  seiner  Willkür  oder 
in  dem  Grade  von  Selbstständigkeit,  wodurch  er  sich  aus  eigener 
Wahl  von  der  Nolhwendigkeit  absondern  kann.  Diese  seine  Natur 
persönlich  und  ausser  ihm  dargestellt,  ist  eben  der  Baum  der  Er¬ 
kenntniss  Gutes  und  Böses,  an  und  für  sich  nicht  böse,  sondern  von 
Gott  selbst  in  seinem  Garten  d.  h.  im  Menschen  gepflanzt  und  zur 
Prüfung  hingeslellt.  Dieser  Baum  so  ausgelegt  enthält  den  Grund 
der  Möglichkeit  der  Sünde,  es  ist  aber  ein  negativer  und  kein  nöthi- 
gender  Grund;  der  Schöpfer  halle  das  Verbot  des  Genusses  der  fal¬ 
schen  Erkenntniss  hinzugefügl.  Doch  der  Baum  stand  da,  die  Mög¬ 
lichkeit  war  gegeben  ,  und  so  konnte  um  der  schwankenden  Willkür 
willen  der  Satan  am  Menschen  Ursache  suchen  und  Fuss  bei  ihm 


327 


fassen.  Der  wirkliche  Fall  wurde  für  die  Nachkommen  eine  reelle 
Möglichkeit  des  Bösen  d.  i.  Erbsünde.  Die  erste  Bewegung  nun  der 
irren  Willkür,  gleichsam  der  Kindesschritt  der  Süude  ist  das  Klü¬ 
geln  und  der  Vorwitz,  der  alsbald  aus  dem  Geleise  der  Ordnung 
schweift.  Im  Stande  kindlicher  Unschuld  waltet  noch  das  Gesetz  der 
Nothwendigkeit  vor,  wie  Schiller^)  singt; 

Da  noch  das  grosse  Gesetz ,  das  oben  im  Sonnenlauf  waltet. 

Und  verborgen  im  Ei  reget  den  hüpfenden  Punkt, 

Noch  der  Nothwendigkeit  stilles  Gesetz,  das  stetige,  gleiche. 

Auch  der  menschlichen  Brust  freiere  Wellen  bewegt. 

Dagegen  sagt  derselbe  a.  a.  0.: 

Vermessene  Willkür  hat  der  getreuen  Natur  göttlichen  Frieden 

gestört. 

Oder  mit  den*  Worten  Platons  2) :  „Ungemessene  Knechtschaft  und 
Freiheit  ist  beides  ein  grosses  Uebel,  die  gemessene  aber  ein  grosses 
Gut.«  Prometheus  wird  uns  bei  seinem  ersten  Auftreten  in  der 
Theogonie  v.  511  als  dem  Festen,  Stetigen  und  Nothwendigen  ent¬ 
gegengesetzt,  als  gewandt  und  durchtrieben  (jrofx/Äo?,  aioXöfirjtiq, 
xoiY.ikSßovloq  V.  521)  geschildert;  in  seiner  Willkür ,  die  dem  Gesetz 
der  Nothwendigkeit  abgewandt  war,  regte  sich  zuerst  die  Süude  und 
machte  ihn  frei  ausser  und  wider  Gott;  wofür  ihn  dieser  in  Fesseln  legte. 
Das  Wesen  der  Sünde  steht  darin,  dass  der  Mensch  sein  eigener  Gott 
seyn  will.  Prometheus  ist  als  der  seine  Sphäre  vergessende  in  dem  Sinne 
gedichtet,  in  welchem  die  sieben  Weisen  Griechenlands  als  die  Ilaupt- 
tugenden  Selbstkenntniss  und  Mässigung  in  den  beiden  nach  Delphi 
gesandten  Sprüchen  »erkenne  dich  selbst®  und  »nicht  zu  viel«  er¬ 
kannten  3),  als  wollten  sie  das  Gegentheil  von  Prometheus  aufstelleu. 
Das  Schrankenlose  ist  zugleich  das  Gesetzlose.  »Gott  ist  uns ,  sagt 
Platon  (Lgg.  IV  p.  716  C),  das  Maass  {fjLSt^ov)  aller  Dinge,  der 
Gott  Wohlgefällige  muss  daher  auch  mässig  {ocxpQUiv)  seyn®,  d.  h» 
in  der  weitesten  Bedeutung,  er  muss  das  Maass  des  göttlichen  Ge¬ 
setzes  in  sich  selbst,  in  seinem  Willen  haben;  wie  aus  dem  Gegeu- 


1)  Im  Genius  T.  IX  Ab,  I  S.  222. 

2)  Plat.  Epist.  VIII  p.  354  E. 

3)  Plat.  Prolagor.  p.  343  B. 


328 


salz  erhellet:  »der  nicht  mässig  und  Gott  unähnlich  ist,  der  ist  auch 
ungerecht.“ 

Aeschylus  hat  diesen  Gegenstand  in  drei  dramatischen  Vor¬ 
stellungen  bearbeitet:  in  einem  Salyrspiel  Prometheus  der  Feuerlrä- 
ger  (TivQxasvg,  Ttv^cpögog)  ,  und  zwei  Trauerspielen,  der  gefesselte 
und  der  befreite  Prometheus,  von  welchen  der  gefesselte  auf  uns 
gekommen  ist.  Dieser  rühmt  sich  freilich ,  ein  Wohllliäter  der  Men¬ 
schen  gewesen  zu  seyn,  sie  vom  Verderben,  worein  der  neue  König 
sie  habe  stürzen  wollen,  errettet,  ihnen  die  Voraussicht  ihres  Schick¬ 
sals  durch  Vorspieglung  eitler  Hoflnungen  benommen  2),  das  Feuer 
und  die  Feuerkünsle  verliehen  zu  haben  (v.  235  ff.).  »Alle  Künste 
haben  die  Menschen  von  Prometheus“  (v.  506).  Namentlich  werden 
ihm  V.  450  ff.  die  Baukunst,  die  Sternkunde,  die  Buchstabenschrift, 
die  Zahlen,  die  Reil-  Fahr-  Schiffs-  Arznei-  Wahrsagerkunsl,  Deu¬ 
tung  der  Träume  und  des  Vogelflugs ,  in  Fett  gewick^te  Glieder  an- 


Pollux  IX,  156,  X,  64.  Argument.  Aeschyl.  Persarum.  Ohne 
Grund  unterscheidet  Welcker  in  der  äscbyl.  Trilogie  S.  7  den  nvQcpo- 
pog  von  dem  Ttv^xaeiq ,  und  macht  aus  jenem  ein  verloren  gegangenes 
Trauerspiel.  Allein  jiv^cpÖQog  heisst  eigentlich  Feuerträger,  wie  Aeschyl. 
7  vor  Theben  417  das  Wort  gebraucht  und  erklärt:  der  eine  Fackel 
in  den  Händen  hat;  und  der  Gegenstand  des  Feuerraubs  ist  nichts  Tra¬ 
gisches,  sondern  eignet  sich  ganz  zu  einem  Satyrspiel,  woraus  nach 
Voss  myth.  Br.  II  S.  249  u.  Schütz  ad  Aesch.  Prom.  vinct.  v-  367  das 
anonyme  Bruchstück,  welches  Plutaruh  angeführt  hat,  entlehnt  scheint: 
„o  Bock,  du  wirst  den  Bart  betrauern,  es  brennt,  wer  es  anrührl.“ 
So  sagte  nemlich  Prom.  zu  dem  Satyr,  welcher  das  zuerst  erschienene 
Feuer  küssen  wollte.  Ich  stimme  daher  dem  Gasaubonus,  Böckh  Gr. 
Trag.  S.  28  u.  Schlegel  dram.  Kunst  I  S.  163  bei,  dass  es  gar  keine 
äschyl.  Tragödie  Prom.  TtvgcpoQoq  gab.  Damit  fällt  aber  die  ganze 
Hypothese  einer  äschyl.  Trilogie  Prometheus ,  und  wir  besitzen  nur  Eine 
Trilogie  von  diesem  Dichter:  die  Orestie,  nemlich  Agamemnon,  die 
Ghoephoren  und  Eumeniden. 

-)  Platon  Gorg,  p.  523  D  hat  diess  anders  gewendet,  dass  Zeus 
dem  Prometheus  (mit  Rücksicht  auf  die  Wortableitung)  aufgetragen  habe, 
es  dahin  zu  ändern,  dass  die  Menschen  ihren  Tod  nicht  mehr  voraus 


wissen. 


329 


zuzlinden  (v.  496) ,  das  lange  Kreuzbein  und  die  Zeichen  der  Opfer¬ 
flamme  zu  verstehen,  die  Metalle  aufzufinden ,  zugeschriehen.  Gleich¬ 
wie  dem  Socrates  in  den  Wolken  des  Aristoplianes  als  dem  Philoso¬ 
phen  seines  Jahrhunderts  alle  Thorheiten  seiner  Zunflgenosseu  auf- 
gebürdet  werden,  so  ist  es  bei  dem  Polytechniker  Prometheus  das 
schrankenlose  Jagen  und  Streben  in  allen  Zweigen  des  roenscblichen 
Wissens  und  Begehrens,  was  ihm  zur  Schuld  angerechnet  wird. 
Aeschylus  (v.  62)  nennt  ihn  einen  Klügling  {aocpiaTi^q) ,  den  Reprä¬ 
sentanten  der  falschen  Weisheit  dieser  Welt,  die  Gott  nicht  fürch¬ 
tet,  und  macht  ihm  (v.  82)  zum  Vorwurf,  der  Götter  Gaben  ent¬ 
wendet  zu  haben.  Geflissentlich  lässt  der  Dichter  (v.  938)  seinen 
Helden  trotzig  auf  Zeus  schmähen,  er  ist  ihm  ein  Gezüchtigter,  der 
gegen  die  Streiche  ausschlägt  und  sich  nicht  demüthigt.  So  sagt  der 
Chor  (v.  542):  »Zeus  nicht  fürchtend,  bist  du  den  Sterblichen  nach 
eigenem  Rathe  allzu  gewogen,  o  Prometheus.«  Wenn  dieser  selbst 
seine  Strafe  als  eine  Folge  des  Neides  des  jungen  Herrschers  Zeus 
gegen  die  Menschen,  deren  Wohlthäter  er  gewesen  sey,  darstellt; 
so  entgegnet  ihm  der  Chor  der  Okeaninen  (v.  547  ff.);  »sahst  du 
nicht  die  schwache  traumähnliche  Ohnmacht,  worein  der  Menschen 
blindes  Geschlecht  verstrickt  ist?  Niemals  mögen  ihre  Anschläge 
des  Zeus  Wohlordnung  (uQ^ovLav)  überschreiten.  Das  erkannte  ich, 
da  ich  dein  unheilvolles  Geschick  ansah,  Prometheus.“  Man  irrt  sich, 
wenn  man  die  gottlosen  Reden  des  Prometheus  gegen  Zeus  für  des 
Dichters  wahre  Meinung  hält,  als  habe  er  in  diesem  einen  ungerech¬ 
ten  Tyrannen  schildern  und  die  Freiheitsliebe  seiner  Mitbürger  näh¬ 
ren  wollen  *).  Diese  Ansicht  hat  ihren  Grund  in  dem  gänzlichen 
Verkennen  der  Persönlichkeit  des  Dichters  und  der  Bedeutung  des 
Prometheus  als  Lästerers.  Welcker  (S.  110  f.)  versucht  das  Räthsel 
durch  das  Verhältniss,  in  dem  Aeschylus  als  Philosoph  und  als  Ein¬ 
geweihter  in  die  Mysterien  zur  Volksreligion  stand,  zu  erklären; 
allein  er  selbst  weist  S.  99  nach,  wie  sonst  dieser  Tragiker  so  gross 
von  Zeus  immer  rede:  wie  sollte  er  nun  auf  einmal  im  Prometheus 
sich  in  Widerspruch  nicht  nur  mit  der  Volksreligion,  sondern  auch 
mit  sich  selbst  setzen,  und  den  Zeus  der  griechischen  Gölterlchre 
für  eine  eitle  Dichtung  hinstellen  ?  Er  würde  so  das  Göttliche  nur 


‘)  Schütz  excursus  V  ad  Aeschylum  u.  Welcker  äsch.  Tril.  S.  22. 


330 


profaniren ,  da  er  nichts  Anderes  und  Besseres  an  des  Zeus  Stelle 
setzt.  Prometheus  spricht  z.  B.  v.  975:  »offen  gesagt,  ich  hasse  alle 
Göller,  welche  ungerecht  Gutes  mit  Bösem  mir  vergelten.«  Hätte 
das  Aeschylus  selbst  im  Ernste  gesagt,  so  wäre  er  vom  Volk  gestei¬ 
nigt,  oder  verklagt,  vom  Areopag  diessmal  nicht  freigesprochen  wor¬ 
den.  Dagegen  lässt  der  Dichter  seinen  gefesselten  Helden  durch 
den  Chor  v.  928  tf.  1036  in  seinem  und  des  ganzen  Volkes  Sinn  zu- 
rechlweisen.  Nicht  viel  besser  ist  die  Ansicht  eines  Freundes  von 
Welcher,  die  dieser  S.  92  ff.  miltheilt,  als  sey  Zeus  im  Prometheus 
erst  noch  als  ein  werdender  und  in  die  neue  Weltordnung  sich  erst  zv>- 
rechtfmdender,  daher  noch  unvollkommener  Gott  dargeslellt.  Weit 
näher  liegt  der  Gedanke,  dass  jeder  Zuhörer  des  äschylischen  Stücks 
die  Lästerungen  in  dem  Munde  des  Prometheus  als  frevelhaft  und 
gottlos  werde  aufgenommen  haben ,  und  dass  das  auch  die  Meinung 
des  Dichters  selbst  gewesen  sey,  um  so  seine  gerechte  Bestrafung 
zu  begründen  und  die  Aufmerksamkeit  auf  seinen  vollkommenen  Ge¬ 
gensatz,  den  Befreier  Herakles,  zum  voraus  hinzulenken.  Dass  Ae¬ 
schylus  (v.  18)  Themis  zur  Mutter  des  Prometheus  macht  ‘),  hat 
ohne  Zweifel  seinen  Grund  darin,  um  seine  Leiden  als  eine  Hand¬ 
lung  der  göttlichen  Gerechtigkeit,  nicht  Grausamkeit,  darzustellen. 
Also  schliesst  das  Trauerspiel,  indem  Prometheus  in  den  Abgrund 
stürzend,  seine  ehrwürdige  Mutier  und  den  Alles  erleuchtenden 
Aelher  zu  Zeugen  auruft,  wie  widerrechtlich  er  leide  (wg  ey.Siy.a 
Ttdaxoi).  Im  Sinne  des  Dichters  aber  enthalten  diese  Worte  eine 
feine  Hinweisung  auf  die  göttliche  Gerechtigkeit,  die  ihr  Strafgericht 
an  ihrem  ungerathenen  Sohne  vollzieht,  welcher  seinen  Aufruhr  wi¬ 
der  die  herrschenden  Götter  büssen  muss.  Eine  irreligiöse  Ansicht 
der  Ausleger  ist  es,  die  sehr  gegen  die  Frömmigkeit  des  heidnischen 
Dichters  abslicht,  als  wäre  Prometheus  das  Ideal  einer  ungebeugten 


*)  Hes.  Theog.  508  gibt  ihm  die  Okeanine  Klymene  ,  Apollodor  I, 
2,  3  und  Tzetzes  ad  Lycophron.  Cassandr.  1283  die  Asia  zur  Mutter, 
letztere  mit  Bezug  auf  die  Herkunft  der  griechischen  Menschheit.  Nach 
Euphorion  (bei  Schol.  Hom.  II.  295)  war  Prometheus  (im  Gegensatz 
zu  Herakles,  Zeus  Sohn)  ein  Bastard  der  Here,  die  ihn  mit  einem  der 
Giganten  Namens  Eurymedon  erzeugte;  wesswegen  Zeus  den  Letztem 
in  den  Tartarus  warf. 


331 


Slandhafligkeit  in  Ertragung  der  Leiden  *).  Schade,  dass  der  be¬ 
freite  Prometheus  nicht  erhallen  worden  ist!  Wir  würden  in  ihm 
den  Schlüssel  zu  manchem  Räthsel  finden.  Hier  wird  Prometheus 
ganz  anders  von  seinem  Feuerraub,  von  den  zweideutigen  Wohltha- 
len,  die  er  der  Menschheit  gebracht,  und  von  seinen  Leiden  gespro¬ 
chen,  und  sein  Gegenbild  in  Herakles  als  dem  wahrhaften  Wohl- 
thäler  der  Menschen  gefunden  haben,  dem  wir  nachfolgen  sollen  in 
Kämpfen,  Entsagung,  Gehorsam  gegen  Gott  und  Feuerläuterung. 
Hier  war  ihm  auch  Gelegenheit  dargeboten,  mystische  Dinge  auszu¬ 
sagen,  die  man  sonst  in  den  Eleusinien  geheim  hielt;  wesshalb  er 
angeklagt  worden  war  2);  nicht  als  ob  in  den  Eleusinien  die  Fabel 
des  Prometheus  Gegenstand  gewesen  wäre,  aber  derselbe  religiöse 
Inhalt,  der  hier  in  den  Legenden  der  Demeter  und  Persephone  dar¬ 
gestellt  wurde,  war  auch  in  dem  gelösten  Prometheus  nahe  gelegt. 

Sinnvoll  lässt  Aeschylus  als  Gegenbild  des  gefesselten  Prome¬ 
theus  in  demselben  Stücke  die  Io  auftrelen,  welche  durch  ihre  Irr¬ 
sale  die  maasslose  Leidenschaft  und  ihre  Liebschaft  mit  Zeus  büsste. 
Wahnsinnig  und  unstät  wird  sie  umhergelrieben,  während  Prometheus 
für  ähnliche  Schuld  an  der  Klippe  fest  angeuagell  ist.  Jedoch  ist 
auch  in  dem  beiderseitigen  Verschulden  ein  Gegensatz  nicht  zu  ver¬ 
kennen,  indem  Prometheus  eine  ungemessene  Hinneigung  zu  den 
Menschen  mehr  als  zu  Gott  hat,  Io  dagegen  eine  übertriebene  Liebe 
zu  dem  Obersten  der  Götter,  mit  Hintansetzung  der  den  Menschen 
gesetzten  Schranke  der  Ziemlicbkeil.  Der  Abfall  des  Prometheus 
wird  durch  Einbüssung  der  Freiheit,  der  Mysticismus  der  Io  durch 
Entziehung  des  Friedens  gestraft.  Dort  war  lauter  Unruhe,  daher 
ist  die  Strafe  Fesselung,  hier  ein  verkehrtes  Versenken  in  die  Gott¬ 
heit,  und  die  entsprechende  Strafe  ist  Unruhe.  Die  Lehre  ist:  halte 


')  Aug.  Wilh.  Schlegel  dramatische  Kunst  I  S.  164:  »Prometheus 
hüsst  seine  Empörung  gegen  die  weltregierende  Macht,  und  diese  Em¬ 
pörung  besteht  in  nichts  Änderm  als  der  bezweckten  Vervollkommnung 
des  Menschengeschlechts.« 

2)  Aristot.  Eth.  Nicom.  III,  1,  17  das.  der  alte  Commentator  Aspa- 
slus ,  p.  86  Zell.  Doch  hatte  er  auch  ein  Stück  ol  Kdßeipoc  geschrie¬ 
ben  (Schob  Find.  Pyth.  IV,  303),  das  ihm  die  Anklage  zugezogen  ha¬ 
ben  mochte. 


332 


Maass  in  allen  Dingen.  Der  Chor  ')  maeht  selbst  diese  Nutzanwen¬ 
dung,  indem  er  den  Ausspruch  des  Pittakus  anführt:  »Ja  weise,  ja 
weise  war,  der  zuerst  in  seinem  Sinne  trug  und  mit  der  Zunge  aus¬ 
sprach:  dass  es  weit  besser  sey,  nach  seinem  Stande  zu  ehelichen, 
dass  ein  Taglöhner  sich  weder  in  die  üppigen  Reichen  noch  in  den 
hohen  Adel  verlieben  soll.  —  Wenn  ich  eine  gleiche  Ehe  ohne  Grauen 
eingehe,  bangt  mir  nicht,  aber  der  hohem  Götter  unentfliehbares 
Auge  möge  mich  nicht  anschauen.«  —  Indessen  unbeschadet  der  pas¬ 
senden  ethischen  Anwendung,  welche  Aeschylus  für  seinen  Zweck 
von  der  Io  macht,  hat  die  Fabel  von  ihr  eine  eigeuthümliche  und 
von  Prometheus  unabhängige  Bedeutung,  die  wir  bei  dieser  Gelegen¬ 
heit  in  physicalischer  und  religionsgeschichtlicher  Hinsicht  angeben 
wollen.  Io  gebiert  von  des  Zeus  Berührung  befruchtet  am  Kanobus 
an  des  Nils  Mündung  den  schwarzen  Epaphus,  welcher  das  Land 
des  Nils  erndtet  ^).  Die  Griechen  nennen  Epaphus  den  Apis  der 
Aegyptier  ^),  und  dieser  ist  ein  Kalb,  in  welchem  Gott  von  Zeit  zu 
Zeit  (nemlich  alle  25  Jahre)  den  Aegyptiern  erscheint;  den  Anfang 
dieser  neuen  Jahresperiode  hegrüssen  die  Aegyptier  als  Jubiläum 
festlich  und  mit  Gastraählern.  Dieses  Kalb  hat  folgende  Zeichen; 
es  ist  schwarz,  hal  auf  der  Stirne  ein  weisses  Viereck,  auf  dem 
Rücken  das  Bild  eines  Adlers,  an  dem  Schweif  doppelte  Haare  und 
auf  der  Zunge  einen  Käfer.  Nach  der  Sage  der  Aegyptier  fährt 
ein  Strahl  vom  Himmel  in  eine  Kuh,  welche  nicht  mehr  fähig  ist, 
trächtig  zu  werden  (die  alte  Zeit) ,  und  so  wird  sie  Mutter  des 
Apiskalbes.  Io  war  nach  Aeschylus  eine  argivische  Jungfrau,  Toch¬ 
ter  des  Inachus;  die  Argiver  aber  benannten  den  Mond  mit  dem 
geheimnissvollen  Namen  Io  5) ,  und  im  Aegyptischen  bedeutet  noch 
heute  ioch  Mond  6).  Der  in  die  lo-Kuh  gefahrene  Himmelsstrahl 
wurde  griechisch  als  eine  Liebschaft  mit  Zeus  ausgedeutet.  Man 


’)  Aesch.  Prom.  887  das.  Schol. 

2)  Aesch.  Prom.  850  f.  3)  Ilerod.  III,  27. 

Herod.  III,  28. 

3)  Suidas,  Eustath.  ad  Dionys.  Per.  92.  Ghron.  Pasch,  p.  90. 
Malelae  Chronogr.  p.  31. 

Jablonsky  voc.  aegypt.  T.  I  p.  99.  De  Rossi  Etymol.  Aegypt. 
p.  75  sq. 


333 


dachte  sich  die  Fruchtbarkeit  der  Erde  bedingt  durch  den  Mond,  der 
die  besamenden  Strahlen  der  Sonne  in  sich  ziehe;  des  Mondes  Frucht 
ist  nun  Apis,  die  personificirte  Fruchtbarkeit  des  Landes  auf  eine 
bestimmte  Periode,  wornach  man  die  Zeit  eintheilte.  Bei  Aeschylus 
(Prom.  588)  ist  Io  ein  Mädclien  mit  Kuhhörnern;  am  amykläischen 
Thron  war  sie  als  Kuh  neben  Here  abgebildet  ').  Wenn  nun  Here 
aus  Eifersucht  den  erdgebornen  Rinderhirten  Argos  mit  hundert  Au¬ 
gen  ihr  zum  Wächter  gibt  und  sie  dann  von  Land  zu  Land  wahn¬ 
sinnig  forltreibt,  so  glaubte  Welcher  2)  in  dem  Argos  den  Sternen¬ 
himmel  und  in  den  Irren  der  Io  den  unermüdlichen  Kreislauf  des 
Mondes  angedeutet.  Wenn  ich  aber  Argos  als  das  Land  des  berühm¬ 
ten  Heredienstes  ins  Auge  fasse,  während  daselbst  der  lodienst  ab¬ 
gekommen  ist,  so  finde  ich  in  dieser  Fabel  ursprünglich  nichts  als 
die  Geschichte  der  entstandenen  Religionsstreitigkeiten  zwischen  dem 
Dienst  der  selbst  kuhäugigen  Here  und  dem  damit  nicht  verträg¬ 
lichen  Io  -  oder  Mondskullus.  Der  erdgeborne  Argos  bedeutet  die 
Anhänger  der  Here,  welche  die  Mondsdiener  eifersüchtig  bewachten. 
Die  Folge  dieses  Kampfes  war  die  Austreibung  des  altväterischen 
Dienstes.  Richtig  verlegt  daher  Aeschylus  die  Irren  der  Io  in  die 
Zeit,  als  die  neue  Götterdynastie,  Zeus  mit  Here,  den  Olymp  ein¬ 
genommen  und  die  alten  Religionen  verdrängte.  —  Wenn  sich  die 
Arkader  TtpooeXtjpovg  nannten  3) ,  als  die  schon  vor  dem  Monde  da 
gewesen  seyen,  so  wollen  sie  ohne  Zweifel  sagen,  sie  seyen  älter 
als  die  alte  Zeit  des  Mondskullus.  —  Der  hundertäugige  Argos  gab 
zu  der  Fabel  Veranlassung,  dass  Hermes  ihn  getödtet  habe'*),  um 


*)  Pausau.  III,  19,  7. 

2)  Welcker  äsch.  Tril.  S.  129.  Eurip.  Phoeniss.  1123.  Macrob. 
Sat.  I,  19. 

j)  Heynii  Opusc.  academ.  II  p.  337  sq. 

^IpyeccpüPTT^g  nennen  ihn  schon  Homer  (II.  ß',  103  das.  Heyne, 
h.  in  Mercur.  73  das.  Ilgen)  und  Hesiod  e^y.  77.  Als  eine  spätere  Zu- 
Ihat  ist  es  zu  betrachten,  wenn  man  weiter  fabelte,  Hermes  sey  aus 
jenem  Grunde  nach  Aegypten  geflohen  und  habe  die  Aegypter  Gesetze 
und  Buchstabenschrift  gelehrt:  Cic.  N.  D.  III,  22  das,  Davies.  Daran 
dachte  gewiss  nicht  der  erste  Urheber  des  Beiwortes,  womit  er  den 


334 


den  alldurchdringenden  Scharfblick  Gottes  anzuzeigen.  —  Die  Wan¬ 
derungen  der  Io  bedeuten,  so  wie  die  des  Herakles,  die  weite  Aus¬ 
breitung  ihrer  Verehrung. 

§.  56. 

Epimetheus.  Menötius. 

Das  Umherschweifen  der  Willkür  und  das  Klügeln  wider  Got¬ 
tes  Gebot  ist  thö  richte  Vermessenheit,  welcher  Begriff  sich 
unter  die  zwei  Brüder  des  Prometheus  vertheilt.  Epimetheus  ist 
der  Thörichle  (^a/xaQzivooq  ^^,  öxfjcpöog  ,  welcher  ein  Uebel  für  ein 
Gut  erwählte,  und  seinem  sinnlichen  Gelüsten  folgend  sich  von  Pan¬ 
dora,  dem  schönen  Uebel,  bezaubern  liess,  gleichwie  Persephone 
von  den  vergänglichen  Blumen.  Diess  wird  als  eine  tiefere  Stufe 
des  Sündenfalls  in  der  Theogonie  bezeichnet  und  in  die  nächste  Ver¬ 
bindung  mit  dem  Feuerraub  gebracht.  Um  dieses  Raubes  willen  nem- 
lich  liess  Zeus  zur  Strafe  die  Pandora  entstehen,  und  durch  die 
Götter  mit  allen  Reizen  und  Gaben,  wie  ihr  Name  besagt,  ausstat¬ 
ten  und  dem  Menschen  zubringen  3).  Sie  ist  die  Stellvertreterin  ihres 
ganzen  Geschlechts;  denn  es  heisst  Theog.  589 :  von  ihr  sey  das 
weibliche  Geschlecht,  ein  Unheil  der  Männer,  den  Brutbieneu  zu 
vergleichen,  die  fremde  Arbeit  verprassen.  Wenn  also  zuvor  dem 
gefallenen  Menschen  zur  ersten  Strafe  das  Feuer  entzogen  und  er 
seiner  irdischen  Klugheit  überlassen  wurde,  so'verfiel  er  weiter,  als 
er  nach  dem  Feuer  haschen  wollte,  in  Thorheit,  Wollust  und  Weich¬ 
lichkeit,  die  Folgen  seines  ungemessenen  Strebens,  seiner  ausschwei¬ 
fenden  Leidenschaft.  Von  Epimetheus  stammet  her  der  personificirte 
Schein  oder  Ausflucht  (^ügdcpaacg) ,  welche  die  Menschen,  die 
ihr  trauen,  betrügt  und  beschädiget  '»).  Vom  Schein  liess  sich  Epi¬ 
metheus  selbst  hintergehen.  Dieser  weitere  Fall  ist  zugleich  als 
Strafe  für  den  vorigen  dargestellt,  indem  es  heisst:  Zeus  bereitet 


Gott  bloss  verherrlichen  wollte.  Jenem  Mährchen  lag  griechische  Ei¬ 
telkeit  zu  Grunde. 

1)  Theog.  511.  2)  pind.  pyth.  V,  36. 

’)  Theog.  569.  Op.  56.  'i)  Find.  Pyth.  V,  35. 


I 


335 


Unheil  den  Menschen  durch  die  Erschaffung  der  Pandora,  und  über¬ 
gab  sie,  da  sie  sich  nicht  mehr  von  seinem  Geiste  strafen  liessen, 
dem  Fleisch.  Die  Sinnlichkeit  spielt  also  auch  in  dieser  Fabel 
vom  Sundenfall  eine  bedeutende  Rolle,  wie  in  der  hebräischen  i) : 
»Das  Weib  schauete  an,  dass  von  dem  Baum  gut  zu  essen  wäre 
und  lieblich  anzusehen,  und  dass  es  ein  lustiger  Baum  wäre,  weil 
er  klug  machte;  und  nahm  von  seiner  Frucht  und  ass  und  gab  ihrem 
Manne  auch  davon  und  er  ass.«  Die  Theogonie  hat  die  Stufenord¬ 
nung  richtig  beobachlet ,  indem  sie  den  Vorwitz  und  den  Feuerraub 
als  die  ünmässigkeit  im  Denken,  Wollen  und  Begehren,  gleichsam 
die  Verwirrung  der  theoretischen  und  praktischen  Vernunft ,  des  Ko¬ 
pfes  und  Herzens,  vorausschickt  und  den  Hang  zur  Sinnlichkeit,  die 
Knechtschaft  der  Fleischeslust  nachfolgen  lässt.  Denn  die  Naturtriebe 
sind  schon  aus  dem  Geleise  der  Ordnung,  der  Verstand  ist  erblindet, 
und  die  innere  Harmonie  ist  entwichen,  wenn  die  Sinnlichkeit  die 
Oberhand  gewinnt,  wenn  man  sich  von  der  blossen  Lust  seines  Ge- 
fühlsverraögens  kann  betäuben  und  überwältigen  lassen.  Jener  von 
Gott  entfremdete  Verstand  aber  ist  ja  in  dem  Vorwitz  des  Prome¬ 
theus  und  jene  innere  Disharmonie  in  seinem  Feuerraub  vorgestellt 
und  der  Sinnenlust  des  Bruders  Epimetheus  vorangeschickt:  gerade 
wie  das  habsüchtige  Sammeln  von  Reichthum  (welches  mit  in  dem 
Feuerraub  begriöen  ist)  der  Genusssucht,  üeppigkeit  und  Schwelge¬ 
rei  voranszugehen  pflegt. 

Menötius,  der  dritte  Bruder,  ist  der  Vermessene  und  Ueber- 
müthige  {v:t£Q-Kvöag  ,  vßpiartjt;  3)).  Auch  diess  ist  ein  wesentliches 
Merkmal  der  Sünde;  denn  alles  Böse  ist  ein  Widerstreben  wider 
Gottes  Gebot,  ein  Aufruhr  in  seinem  Reiche  und  Mangel  an  schul¬ 
diger  Demuth.  Hochmuth  war  es ,  dass  Prometheus  beim  Opfer  mit 
Gott  rechtete,  Hochmuth  verleitete  ihn,  seine  Sphäre  zu  überflügeln 
und  das  Feuer  zu  rauben:  Hochmuth  bereitete  dem  Fall  der  Eva 
den  Weg,  der  Hochmuth,  in  einen  Stand  der  ungebundenen  Freiheit 
gleich  Gott  und  des  verbotenen  Wissens  zu  kommen. 

Dieser  Geschwisterverein,  unter  den  sich  die  Idee  vom  Sünden- 
fall  vertheilt,  weist  das  Böse  in  den  drei  Ilauptseelenvermögen  nach: 


»)  1  Mos.  3,6.  2)  Theog.  510. 

Theog.  514. 


Promellieus  im  Vorslellungs-  Menöfius  im  ßegehrungs-  und  Epime- 
Iheus  ifu  Gefiihlsvermögen.  Gleicher  Weise  deckt  der  Dichter  ’)  das 
ßöse  in  diesen  seinen  drei  Schlupfwinkeln  auf,  und  stimmt,  ohne 
sicli  wohl  dessen  bewusst  zu  seyu,  mit  der  griechischen  Fabellehre 
vollkommen  überein; 

Freiheit  ruft  die  Vernunft  (Prometh.),  Freiheit  die  wilde  Be¬ 
gierde  (Menötius) ; 

Von  der  heiligen  Natur  ringen  sie  lüstern  sich  los  (Epimeth.). 

§.  57. 

Was  sind  die  traurigen  Folgen  des  Sündenfalls  und 
des  Bösen  überhaupt? 

Der  Mensch  büsst  Freiheit,  Leben  und  Ehre  ein.  Pro¬ 
metheus,  welcher  wider  Zeus  anstrebend  klug  und  frei  seyn  wollte, 
verlor  die  wahre  Freiheit,  die  nur  auf  Gottes  Wegen  wohnt,  und 
ward  ein  Beispiel  von  der  Knechtschaft  der  Sünde.  Mit  Ketten  fes¬ 
selte  ihn  Zeus  an  eine  Säule,  und  an  seiner  Leber  als  dem  Silz  der 
Leidenschaften  2)  sass  der  Adler,  Zeus  gehorsamer  Vogel,  und  frass 
die  immer  wieder  wachsende  um  ihres  eigenmächtigen  Strebens  wil¬ 
len  3).  Aeschylus  bildete  diese  Sage  weiter  aus:  Prometheus  ist  in 
Scythien  am  schwarzen  Meer  an  einer  Felswand  gekettet  (v.  2), 
aber,  um  seinen  Trotz  zu  bestrafen,  hat  Zeus  mit  dem  Blitzstrahl 
diese  zertrümmert,  und  den  Leib  des  Prometheus  darunter  begraben ; 
nach  langer  Zeit  kam  er  wieder  an  das  Tageslicht  und  ein  Adler 
zerhackte  ihm  das  Fleisch  und  die  Leber  (v.  1016  ff.)  *)•  —  Epi- 


*)  Schillers  Spaziergang  Wke.  T.  IX  S.  167.  Vgl.  Plat.  Lgg.  X 
p.  906  A:  „uns  verdirbt  Unrecht  und  Uebermuth  mit  Unverstand;  uns 
erhält  Recht  und  Mässigung  mit  Verstand.« 

2)  Valckenar.  ad  Hippolyt.  1070.  '  3)  Theog.  521. 

'•)  Apollodor  1,  7,  1,  Apollon.  Rh.  II,  1049,  Pausan.  V,  11,  2 
u.  A.  nennen  den  Kaukasus  als  die  Scene  der  Fesselung.  Welcker 
äschyl.  Trilog.  S.  33  f.  sucht  gegen  Stanley  und  Schütz  S.  9  f.  zu  er¬ 
weisen,  dass  die  Scene  des  Gefesselten  bei  Aeschylus  nicht  das  euro¬ 
päische  Scythien  zwischen  dem  Ister  und  Tanais  seyn  müsse,  sondern 


337 


melhens,  welcher  das  Leben  mit  dem  sciiönen  Weibe  in  Wollust 
zu  geniessen  wähnle,  belrog  sich  in  Selbstläuschung  um  das  wahre 
Leben  und  des  Lebens  Freude.  „Denn  zuvor  leblen  die  Menschen- 
geschlechler  sonder  Uebel  und  Harm  und  Aller  gebärende  Krankhei¬ 
ten.  Pandora  aber  öffnete  eine  Büchse  und  verbreitete  unzählige 
Uebel  unter  die  Menschen,  wovon  das  Festland  und  das  Meer  ange- 
füllt  ist.  Krankheiten  wandeln  bei  Tag  und  bei  Nacht  leise  unter 
den  Menschen  umher.  Nur  die  Hoffnung  blieb  in  der  Büchse  zu¬ 
rück;  denn  sie  schloss  zuvor  den  Deckel«  *).  Es  ist  also  ein  hoff¬ 
nungsloser  Zustand,  indem  die  Uehel  auf  Erden  umherwandern,  die 
Hoffnung  des  Besserwerdens  aber  nicht  mit  aus  der  Büchse  heraus¬ 
gekommen  ist.  Es  war  somit  ein  missliches  Scheinglück,  wornach 
Epimelheus,  dem  zu  spät  die  Augen  aufgingen,  haschte.  —  Der 
frevle  Menötius,  welcher  in  der  Widerspenstigkeit  gegen  die  Göt¬ 
ter  seine  Ehre  suchte,  wurde  erniedrigt  und  durch  Zeus  Blitzstrahl 
in  des  Erebus  Tiefe  geschleudert  ^).  —  So  ist  die  Sünde  eine  betrü¬ 
gerische  Thorheit  und  ihr  Glück  ein  leerer  Schein ,  indem  ihr  immer 
das  Widerspiel  von  dem,  wornach  sie  trachtet,  widerfährt:  anstatt 
der  Freiheit  Knechtschaft,  anstatt  des  Lebens  und  der  Freude  üe- 


auch  der  Kaukasus  seyn  könne  ;  was  aber  sehr  unwahrscheinlich  ist. 
Sonst  hätte  der  Dichter  im  Anfang  nicht  unterlassen  den  Ort  genauer 
zu  bezeichnen,  und  er  hätte  V.  719  den  Kaukasus  nicht  von  dem  Ort 
der  Scene  unterschieden.  Wenn  W'elcker  unwahrscheinlich  findet,  was 
Schütz  vermuthet,  dass  der  gefesselte  Prometheus  an  einem  Orte  in 
Europa  und  der  befreite  am  Kaukasus  spiele,  so  ist  zu  bemerken,  dass 
es  ganz  und. gar  nicht  ausgemacht  ist,  ob  Aeschylus  die  Scene  des  Be¬ 
freiten  an  den  Kaukasus  versetze  ;  denn  Accius,  der  sonst  den  Aeschy¬ 
lus  nachahmte,  konnte  hei  Cic.  Tuscul.  II,  10  sehr  wohl  den  Schau¬ 
platz  nach  der  Sage  der  Neuern  verändern. 

1)  lies.  Op.  90.  Unrichtig  scheint  mir  Buttmann  im  Mythologus 
I  S.  57  die  Fabel  zu  deuten,  wenn  er  sagt:  »nur  die  Hoffnung  ward 
noch  festgehalten  ;  diese  allein  hat  seitdem  der  Mensch  noch  in  seiner 
Gewalt,  während  alle  Uebel  ihn,  wie  und  wann  sie  wollen,  besuchen.® 
Allein  wa?  in  der  Büchse  (oder  dem  Fass)  verschlossen  ist,  hat  der 
Mensch  nicht  in  seiner  Gewalt. 

2)  Theog.  514. 


2-2 


338 


bei,  Zerrüttung  des  Körpers,  Aller  und  Tod,  anstall  der  Ehre 
Schande  und  tiefe  Erniedrigung,  so  dass  die  gefallene  Menschheit 
dem  Menötius  gleich  im  Verhältniss  zu  Goll  steht ,  wie  der  finstere 
Erebus  zum  lichten  Himmel.  Die  Sünde  ist  der  Leute  Verderben, 
und  ein  V'^ergelter  wallet  oben  im  Himmel,  der  an  allem  gottlosen 
Wesen  Missfallen  hat.  „Dreimal  zehntausend  unsterbliche  Aufseher 
des  Zeus  wandeln  in  Dunkel  gehüllel  allenthalben  auf  Erden  und 
wachen  über  das  Recht  und  die  lasterhaften  Werke.  Zeus  Tochter, 
die  Gerechtigkeit,  eine  ehrwürdige  Jungfrau,  erscheint,  sobald 
jemand  sie  verletzt,  vor  dem  Vater  Kronion  und  klagt  der  Menschen 
ungerechten  Sinn  an,  dass  auch  das  V'’olk  für  die  Sünden  der  Kö¬ 
nige  büsset«  ^). 

Die  strafenden  Eumeniden  sind  in  Zeus  Dienste.  Aeschylus 
Eum.  354  ff. :  „wir  eilen  den  Zeus  solcher  Sorgen  zu  entledigen, 
durch  unser  Amt  dieses  Geschäft  zu  vollziehen,  dass  es  nicht  in  sein 
Gericht  falle.  Denn  Zeus  hält  dieses  blutbefleckte  hassenswerlhe 
Geschlecht  von  seinem  Gerichlsaale  ab  «  Sophokles  (Ajax  816  ff.) 
macht  die  schnellfüssigen  vergeltenden  Erinyen  namhaft,  immerdar 
Jungfrauen,  die  alle  Leiden  unter  den  Sterblichen  sehen,  die  ehr¬ 
würdigen.  Unter  diesem  ihrem  eigenthümlichen  Namen  der  Ehrwür¬ 
digen  wurden  sie  in  Athen  verehrt  2). 

Von  der  Allgemeinheit  der  Sünde  redet  ein  unbekannter 
Dichter  3) :  »Auch  ein  trefflicher  Mann  ist  einmal  böse  und  ein  an¬ 
dermal  wieder  gut."  Simonides  ^)  :  »Ich  will  nicht  die  Zeit  mit  einer 
unerfüllbaren  Hoffnung  verderben  und  das  Unmögliche  suchen,  einen 
untadeihaflen  Mann  unter  allen,  die  wir  der  weilbewohnlen  Erde 
Frucht  brechen:  sollte  ich  ihn  finden,  so  will  ichs  euch  verkünden." 
Platon  (Theätel  p.  176  A):  „Nothwendiger  Weise  umgibt  das  Böse 
die  sterbliche  Natur  und  den  irdischen  Zustand:  darum  muss  man 
von  hinnen  dorthin  (zu  Gott)  schleunigst  fliehen.«  Platon  (Apolog. 
p.  23  A)  :  »Die  menschliche  Weisheit  ist  wenig  oder  nichts  nütze." 
Socrates  behauptet  daselbst,  nirgends  einen  weisen  Menschen  finden 
zu  können,  er  selbst,  vom  Orakel  für  den  Weisesten  erklärt,  sey 


Hes.  Op.  252.  2\  Wunder  zu  Sophocl.  1.  c. 

3)  Bei  Platon  Prolagor.  p.  344  D  u.  Xenoph.  Memorab.  I,  2,  20. 
'•)  Bei  Platon  Protagor.  p.  345  C. 


339 


es  bloss  darum,  weil  er  die  Erkennlniss  habe,  nichl  weise  zu  seyn 
Seines  Lebens  Endzweck  und  Goltes  Gebot  an  ihn  sey ,  diejenigen, 
die  sicli  weise  zu  seyn  dünken  und  es  nicht  sind,  auszuforschen  und 
ihres  Frrthunis  zu  überführen  (p.  33  C).  Von  der  Strafe  der  Sün¬ 
den  spricht  Platon  (Theätel.  p.  176  D),  dass  sie  nicht  sowohl  in 
Leibesslrafen  und  Tod  bestehe,  sondern  es  seyen  im  Wesen  der 
Dinge  zwei  Urbilder  niedergelegt,  ein  göttliches  und  überaus  seliges 
und  ein  ungöttliches  und  überaus  unseliges:  dem  letzten  nun  nähere 
sich  der  Gottlose  immer  mehr,  ohne  es  in  seiner  Thorbeit  zu  mer¬ 
ken,  und  wenn  er  zur  Rechenschaft  gezogen  werde,  so  verwickle  er 
sich  in  seinen  Reden,  und  könne  sich  so  wenig  alsein  Kind  zurecht 
helfen.  Die  Strafe  der  Sünde  liegt  demnach  in  ihr  selbst;  indem  sie 
die  Entfernung  von  dem  heiligen  Gott  ist,  entfernt  sie  sich  zugleich 
von  dem  allein  seligen  und  fällt  der  ünseligkeit  anheim.  Wie  die 
Seligkeit  in  Gott,  so  hat  die  Unseligkeit  in  dem  Gegensatz  Gottes 
sein  Urbild.  Platon  nennt  diesen  Gegensatz  zwar  nicht  Teufel,  aber 
seine  l.ehre  von  dem  naQckdeiyfxa  adsov  y.al  ddhutraxov  fällt  offen¬ 
bar  mit  der  vom  Teufel  zusammen,  und  noch  weiter  stimmt  damit 
seine  Lehre  überein,  dass  der  böse  Mensch  dem  ungöttlichen  Urbild 
immer  mehr  verähnlicht  werde  und  dadurch  an  seiner  Verdammniss 
Theil  nehme. 

In  starken  Ausdrücken  seufzen  die  Erleuchteten  unter  den  Hei¬ 
den  über  den  Nothstand  und  das  Elend  unsers  Geschlechts.  »Es 
gibt  nichts  Unglückseligeres  unter  allen  Geschöpfen,  die  auf  Erden 
athmen  und  kriechen,  als  der  Mensch“,  spricht  Kronion  bei  Homer 
(II.  XVII,  446),  und  der  vielerfahreue  Odysseus  bei  demselben  (Od. 
XVIH,  130);  „Nichts  Armseligeres  nähret  die  Erde,  als  den  Men¬ 
schen,  unter  allen  Geschöpfen,  die  auf  Erden  athmen  und  kriechen. 
Denn  er  schmeichelt  sich  immer,  frei  von  Plage  in  Zukunft  zu  seyn; 
wann  aber  die  seligen  Götter  Wehe  verhängen,  so  erträgt  er  auch 
das  mit  bekümmertem  Herzen  und  je  nachdem  der  Tag  beschaffen 
ist,  den  der  Vater  der  Menschen  und  Götter  herbeiführt,  darnach 
richtet  er  seinen  Sinn“  Die  alten  Theologen,  die  man  bald  Orphi¬ 
ker  bald  Pythagoreer  nannte,  lehrten,  die  Seele  sey  zur  Strafe  im 
Leibe  wie  in  einem  Gefängnisse  oder  Grabe  ').  Diese  orphische 


')  Plat.  Cratyl.  p.  400  C.  Phaedon  62.  Hock  Kreta  HI  S.  215  f. 
Böckh’s  Philol.  n.  2.3. 


a40 


Lebensansiclil  finden  wir  in  der  Volkssille  der  Trausen,  eines  llira- 
cisclien  Volksslammes,  ausgeprägl,  welche  nach  der  Erzählung  Ile- 
rodols  (V,  4)  die  Neugebornen  wegen  der  mancherlei  Uebel  des 
Erdenlehens  zu  bejammern,  die  Verslorhenen  dagegen,  die  ihnen 
entronnen  und  der  Seligkeit  llieilhaftig  geworden  sind,  fröhlich  zu 
beerdigen  pflegten.  Pindar  singt  (Pylh.  VIII,  1H5):  „Die  Menschen 
sind  Erscheinungen  des  Tages,  eines  Schattens  Traum.«  Auf  ähn¬ 
liche  Weise  nennt  Sophokles  (Ajax  126)  die  Menschen  Schattenbil¬ 
der.  Derselbe  (Oed.  Tyr.  1155  ff.):  »Wehe  Menschengeschlechter, 
ich  achte  euch  gleich  als  nicht  lebendig.  Denn  welcher  Mann  bringt 
es  weiter  in  der  Glückseligkeit,  als  dass  ers  scheine  und  hernach 
wieder  falle?«  Daher  der  alle  Ausspruch  Solons  ,  keinen  Menschen 
vor  seinem  Tode  glücklich  zu  preisen  '),  welcher  von  den  Tragi¬ 
kern  2)  öfter  wiederholt  worden  ist.  Sophokles  (Oed.  Col.  1225  ff.): 
„Nicht  geboren  zu  seyn,  ist  besser  als  Alles,  was  man  sagen  kann; 
ist  man  aber  ans  Licht  gekommen,  so  ist  das  zweite  Beste,  so  schnell 
als  möglich  dorthin,  woher  man  gekommen,  zurückzukehren“  ^). 
Euripides  ev  TtoXvidü)  „wer  weiss,  ob  das  Leben  nicht  ist  ein 
Gestorben  seyn  und  das  Gestorben  seyn  ein  Lehen?«  Der  Philosoph 
Empedokles  (ed.  Sturz  p.  448)  verglich  das  Herabkommen  der  See¬ 
len  in  den  Körper  mit  einer  Verbannung,  und  nannte  die  Erde  ein 
Jammerlhal  (dzsQ.rea  xmqov  ,  dzrjq  XzL^iiäva)  ^). 

Dieses  Klaglied  tönt  durch  alle  Zeiten  hindurch ,  mischt  sich  auch 
in  Freudengelage,  und  verbindet  sich  sinnvoll  mit  dem  Wehklagen 
über  den  Tod  der  Naturgöller.  Sappho  besang  zugleich  den  Adonis 
und  den  Oetolinus  {Olxöhvoq^  Trauerlinus),  wie  sie  nach  dem  Vor¬ 
gang  des  allen  Dichters  Pamphos  den  Linus  nannte®).  Schon 
hieraus  lässt  sich  auf  den  ähnlichen  Inhalt  der  hvoadiai  und  der  ddoa- 
vidia  schliessen ;  sogar  setzte  man  jenen  wie  diesen  «?'  vor,  woher 


*)  Herod.  1 ,  32. 

2)  Sophocl.  Oed.  Tyr.  1494  ff.  das.  Wunder. 

3)  Eben  so  Theognis  v.  425  ff.  vgl.  Cic.  Tuscul.  1 ,  48  ib.  Davis. 
■*)  Bei  Plat.  Gorg.  p.  494  E  ib.  Heindorf.  p.  155  sq.  u.  bei  Schol. 

Eurip.  Hippolyt.  190.  Vgl.  Baur  Mylbol.  II  S.  382. 

^)  Hierocles  in  aiir  carm.  Pylh.  p.  186, 

®)  Paus.  IX,  29,  3. 


341 


aihvog  überliaupt  kläglich  heisst  '),  Es  war  ein  uraltes  Klaglied, 
an  dessen  Anfang  und  Ende  mau  den  Linus  anrief,  im  Munde  aller 
Barden  und  so  beliebt,  dass  man  es  auch  (vielleicht  ohne  Rücksicht 
auf  den  wehmüthigen  Inhalt  von  dem  Tode  desselben)  als  Volkslied 
bei  Gastmahlen  und  Tänzen  vortrug  2).  Clerikus  leitet  den  Namen 
Linus  von  dem  phönicischen  Worte  -pV  (Geheul,  woher  auch  canli- 
lena  zu  kommen  scheint)  ab.  Demnach  würde  der  älteste  Lieder¬ 
dichter  Linus  (angeblich  Lehrer  des  Thamyris  und  Orpheus)  von 
dem  Liede,  dessen  erster  Sänger  er  war,  benannt  worden  seyn. 
Der  Mytholog  Dionysius  ^)  berichtet  von  diesem  Schöpfer  der  pelas- 
gischen  Bildung,  er  habe  nicht  nur  die  Tonkunst  erfunden,  sondern 
auch  die  von  Kadmus  gebrachte  phönicische  Buchstabenschrift  zuerst 
der  griechischen  Sprache  angepasst,  und  die  Thaten  des  ersten  Dio¬ 
nysos  (Adonis)  und  die  übrigen  Mythologien  in  die  sogenannte  pe- 
lasgische  Schrift  verfasst  und  hinterlassen.  Wenn  Schriftforscher 
nachweisen ,  dass  das  phönicische  Alphabet  unter  mancherlei  Wand¬ 
lungen  zu  allen  übrigen  Völkern  übergegangen  ist,  so  sagt  uns  He- 
rodot  (II,  79),  dass  dasselbe  Lied,  welches  die  Griechen  Linos  heis¬ 
sen,  in  Phönicien,  Cypern  und  anderwärts  gesungen  werde,  in  Ae¬ 
gypten  sey  es  von  jeher  einheimisch,  Linos  werde  auf  ägyptisch 
Maneros  genannt ,  dieser  soll  der  einzige  Sohn  des  ersten  Königs 
von  Aegypten  gewesen,  in  früher  Jugend  gestorben  und  durch  dieses 
erste  und  einzige  Klaglied  geehrt  worden  seyn.  Diese  Verbreitung 
durch  alle  Lande  wäre  undenkbar,  wenn  Linos  -  Maneros  nichts  als 
ein  schöner  Königssohn  wäre  ohne  höhere  Bedeutung.  Wir  müssten 
uns  mit  Herodot  über  diese  Uebereinstimmung  der  Linosklage  bei  so 
vielen  Völkern  des  Alterthums  verwundern,  wenn  sie  nicht  eine 


*)  Hesych.  v.  al'XiPog.  Euslalh.  ad  11.  XXI  p.  1’236.  Eur.  Orest. 
1380. 

2)  Hesiod.  fragm.  p.  430  sq.  Eurip.  bei  Athen.  XIV  p.  619  C. 
Pollux  I,  1,  38. 

5)  Bei  Diodor.  S.  L.  III,  66.  Böckh  setzt  diesen  Dionysius  in  die 
alexandriniscbe  Periode,  Welcker  über  den  Linos  (kleine  Scbr.  S.  43) 
in  Cicero’s  Zeit  herab,  um  seinen  Bericht  zu  verdächtigen;  wiewohl 
auch  Tacitus  Ann.  XI ,  14  u.  Suidas  v.  Atvog  von  der  Einführung  der 
Buchstabenschrift  durch  den  Thebaner  Linus  wissen. 


342 


allgemeine  über  die  Hinfälligkeit  der  Menschenkinder  wäre,  ähnlich 
der  Todesklage  über  Osiris,  Adonis,  Dionysos,  Atlis  und  über  den 
Raub  der  Persephone.  Nach  griechischer  Fabellehre  halle  der  Jah- 
resgotl  Apollon  selbst  den  Linus,  seinen  eigenen  Sohn,  im  Grimm 
gelödlel  '),  nach  Andern  2)  wurde  er  von  den  Schäferhunden  zerris¬ 
sen.  Die  Hunde  erinnern  uns  an  die  auslrocknende  Hitze  in  den 
Huudstagen;  wesswegen  man  in  Argos  nach  dem  Berichte  des  Pau- 
sanias  (H,  19,  \)  ihn  und  die  Klage  über  sein  vorbildliches  Hinster- 
ben  mit  den  in  den  Hundstagen  sterbenden  kleinen  Kindern  in  Ver¬ 
bindung  brachte,  und  an  dem  Feste  Kynophontis  eine  Menge  Hunde 
ötTentlich  lodt  schlug.  Es  ist  merkwürdig,  dass  man  in  Theben, 
von  wo  durch  die  Vermittlung  des  Kadmus  die  Linusklage  verrnuth- 
lich  ausgegangen  ist,  zwei  Gräber  für  den  Linus  hattet),  d.  h.  eines 
für  den  allegorischen  und  eines  für  den  wirklichen.  Dem  Letztem 
scheint  es  zu  gelten,  wenn  ihn  Hesiod  (fragm.  p.  430)  der  Urania 
lieblichen  Sohn  nennt,  oder  wenn  ihm  Andere  Terpsichore  oder 
Psamathe  zur  Mutier  oder  Kalliope  und  Oeagrus  zu  Ellern  ge¬ 
ben,  und  Apollodor  (I,  3,  2.  H,  4,  9)  ihn  durch  Herakles  mit  der 
Cither  umgebracht  werden  lässt. 

Zur  Erläuterung  dient  die  ähnlich  lautende  und  Gleiches  bedeu¬ 
tende  Fabel  von  Akläon,  der  gleichfalls  zu  Theben  von  seinen 
Jagdhunden  zerfleischt  worden  seyn  soll  2).  Sein  Vater  Arisläus 
verliess  hierauf  Theben  und  begab  sich  nach  der  Insel  Keos  Hier 


*)  Philochorus  bei  Schol.  Venet.  Horn.  II.  a' ,  570.  In  Byblos  sagte 
man ,  Maneros  sey  im  Schrecken  vor  dem  grimmigen  Anblick  der  Isis 
gestorben,  Plut.  de  Is.  p.  357.  Die  Griechen  gaben  als  Ursache  des 
Todes  einen  Wettstreit  Apollons  mit  Linus  in  der  Tonkunst  an. 

2)  Schol.  Yen.  Hom.  a.  a.  O.  Konon  19. 

Paus.  IX,  29,  3.  Nach  Diog.  L.  prooem.  4  starh  Linus  von 
Apollou  getroffen  in  Euböa  und  hatte  daseihst  sein  Grab. 

'»)  Suidas  s.  v.  u.  Eustath.  ad  11.  X  p.  8l7. 

ä)  Paus.  I,  43,  7.  Konon  c.  19. 

•’)  Apollodor.  I,  3,  2. 

2)  Akusilaus  fragm.  p.  220  Stesichor.  bei  Paus.  IX,  2,  3.  Vgl. 
Creuzer  Symb.  111  S.  155  ff. 

8)  Sallust  bei  Serv.  ad  V.  Georg.  1,  14.  Fragm.  p.  858  ed.  Cortii 


343 


aber  beobachtele  man  alljährlich  den  Aufgang  des  Hundssternes  (zu 
Anfang  der  Huudslage  des  Morgens  gegen  Ostern),  um  daraus  die 
Gesundheit  oder  Ungesundheil  der  Zukunft  abzunehmen  *);  und  auf 
den  keischeu  Münzen  sieht  man  noch  den  bärtigen  Kopf  des  Arisläus 
und  einen  grossen  Stern  entweder  allein  oder  zur  deutlichem  Be¬ 
zeichnung  mit  dem  Vordertheil  eines  Hundes.  Akläons  Tod  war 
daher  ohne  Zweifel  ein  vorbildliches  Sterben  in  der  versengenden 
Jahreszeit  in  den  Hundstagen,  die  so  manchem  Kinde  das  Leben  ko¬ 
stet,  deren  Einfluss  man  durch  Bittgang  und  Suhnfesl  abzu wenden 
suchte.  In  dieser  Ideenverbindung  geschah  es ,  dass  Arisläus  auf 
Keos  dem  ikmäischen  (regnenden)  Zeus  einen  Altar  errichtete;  ja 
die  Keier  haben  ihn  selbst  als  Feuchtigkeit  sendenden  Zeus  vergöt¬ 
tert.  Daher  gab  man  ihm  Hekate  (die  glückliche  Constellalion) 
zur  Tochter  2),  und  den  Apollon  zum  Vater  3).  Der  Letztere 

war  in  Arkadien  in  alterthümlichem  Sinne  beibehalteu  als  Natur- 
Sonnen-  und  Herdengolt,  wie  der  pelasgische  Hermes.  Um  ihn  von 
dem  homerischen  Apollon  zu  unterscheiden,  gab  man  dem  arkadi¬ 
schen  den  Silen  zum  Vater  5),  und  brachte  den  Aktäon  mit  Personen 
aus  dem  bacchischen  Kreise  in  Verbindung,  als  hätte  er  seine  Muhme 
Seinele  ehelichen  wollen,  wesswegen  er  den  Zorn  der  Artemis  reizte. 
Aklüon  wurde  in  dem  böotischen  Orchomenus  noch  zu  Pausanias 
(IX,  38,  4)  Zeit  jährlich  mit  Heroenopfern  verehrt ,  und  um  sich  sei¬ 
nes  Schutzes  zu  versichern,  wurde  sein  ehernes  Bild  au  einen  Felsen 
angefessell.  K.  0.  Müller  (Orchomenos  S.  348  und  Dorier  Bd.  I 
S.  281)  sieht  in  Aristäus  und  seinem  Sohne  Aktäon  eine  alle  Gott¬ 
heit  der  Urbewiffiner  Griechenlands;  allein  in  diesem  Falle  müsste  ihn 
Hesiod  als  solche  aulTühren,  welcher  dagegen  (Th.  976)  den  Arisläus 
einen  Mann  von  buschigem  Haupthaar  und  seine  Gattin  Aulonoe 
nennt.  Ich  halle  ihn  für  einen  Astrologen  und  Verbreiter  des  älte¬ 
sten  Apollonkultus ,  der  von  Keos  mit  Dädalus  nach  Sardinien  ge- 


')  Heraclides  Pontic.  bei  Cic.  de  Divin.  I,  57. 

Pherecydes  XXXII  p.  147  Sturz. 

3)  Pindar.  Pyth.  IX,  116. 

"•)  Cic.  N.  D.  III,  23  p.  615  Creuz. 

Clem.  Prolr.  p.  8.  Auch  auf  IVIünzen  kommen  Silen  u.  Apollon 
in  Verbindung  vor,  Winckelmann  Monum.  ant.  ined.  I,  33. 


344 


wandert  seyn  soll  und  von  da  nach  Kyrene  in  Libyen.  Pindar 
(a-  a.  O.)  gibt  ihm  Kyrene  als  die  personificirle  Geliebte  Apollons 
zur  Mutter  und  beschreibt  deutlich  die  Apotheose  dieses  Einwande¬ 
rers,  wie  ihm  schon  als  Kinde  Nektar  und  Ambrosia  in  die  Lippen 
geträufelt  worden,  und  er  nun  bald  Zeus,  bald  Apollon,  Begleiter 
der  Schafe,  Jäger  und  Hirte  (No/uiog),  bald  aber  (mit  seinem  Eigen¬ 
namen)  Arisläos  genannt  werde.  Seine  Gleichsetzung  mit  Zeus  und 
Apollon  hat  keinen  andern  Sinn,  als  wenn  Lykophron  (11-23)  Zeus 
Agamemnon  oder  Klemens  von  Alex.  (Protr.  p.  32)  Zeus  Asklepios 
sagt,  wenn  man  eine  Iphigenia  Artemis  2) ,  einen  Zeus  Trophonios, 
Hermes  Trophonios,  Apollon  Karneios  verehrte  (§.  95).  Eine  Folge 
der  Uebertragung  göttlicher  Attribute  auf  den  Diener  und  Priester 
war  es,  dass  man  den  Arisläus  als  Schutzgeist  der  Herden  anrief  3), 
Umgekehrt  konnte,  was  dem  Aktäon  widerfuhr,  dem  Gotte  selbst,  in 
dessen  Dienste  er  litt,  zugeschrieben  werden,  und  es  ist  nicht  so 
widersinnig,  als  Otfr.  Müller  (Dor.  S.  283)  meint,  dass  man  in  Delphi 
ein  Grabmal  Apollons  zeigte,  auf  welches  Pythagoras  eine  elegische 
Inschrift  schrieb:  Apollon,  des  Silenos  Sohn,  sey  von  Python  um¬ 
gebracht  und  an  dem  Dreifuss  begraben  worden  ^).  Er  deutele  hier¬ 
mit  auf  die  ursprüngliche  Einerleiheit  des  Apollon  und  Dionysos  und 
ihrer  Leidensgeschichte  hin  (s.  §.  59).  Es  spricht  ein  Philosoph, 
der  sich  über  die  Vielgötterei  erhebt  und  des  Dionysos  Grab  in 
Delphi  dem  des  Apollon  gleich  setzt.  Unbeschadet  der  ursprüng¬ 
lichen  Thalsachen  legt  er  ihnen  religiöse  Ideen  unter:  Apollon  wird 
offenbar  Nalurgolt,  Python  so  viel  als  Typhon  (Baby  im  Aegypti- 
schen),  der  seine  Kraft  verdunkelt,  die  Dienstbai%eit  bei  Adraelus 
wird  physisch  genommen,  ja  der  Gott  stirbt,  verjüngt  sich  wieder 
und  holt  sich  seinen  Siegeslorbeer,  den  er  auch  seinen  Kampfgenos¬ 
sen  in  den  pylhischen  Spielen  verleiht  ^). 


')  Sallust  a.  a.  0.  2)  Hesych.  s.  v. 

5)  Virgil.  Georg.  1,  14. 

'•)  Porphyr,  vit.  Pylhag.  16  p.  18.  Vgl.  oben  S.  172. 

In  demselben  Ideengange  scheint  der  philosophische  Aeschylus 
bei  Macrob.  I,  18  von  einem  Aiaoshg  ^AnoXkoov  zu  reden.  Die  Rhodier 
hielten  zu  des  Chrysostomus  Zeit  (Orat.  31  p.  570)  den  Apollon,  Helios 
und  Dionysos  für  einen  und  denselben  Gott. 


345 


Die  allgemeine  Klage  wegen  frühen  Hinscheidens  drehte  sich 
in  Sparta  um  den  Jüngling  Ilyacinth,  löste  sich  aber  in  Freude 
und  Hoffnung  mit  Rücksicht  auf  den  unvergänglichen  Apollon  auf 
(§.  80).  In  Oithynieu  klagte  man  um  den  im  Wasser  verunglückten 
jugendlichen  Hylas,  den  man  um  Soramerrnilte  an  den  Quellen  be¬ 
weinte;  er  wurde  hernach  in  die  Geschichte  des  in  Todesnolh  hel¬ 
fenden  Hortes  Herakles  verflochten.  In  Phrygien  war  Lytierses, 
Sohn  des  Midas,  in  derselben  Jahreszeit  Gegenstand  des  Klagliedes 
der  Schnitter,  von  welchem  mau  fabelte,  er  habe  seinen  Schnittern 
des  Abends  die  Köpfe  abgeschnitten.  Aber  auch  hier  war  Herakles 
der  Heiland,  der  den  Unhold  tödtete  und  seinen  Leichnam  in  den 
Mäander  warf  ^).  Als  der  die  schädlichen  Einflüsse  im  hohen  Som¬ 
mer  abwendet,  hiess  Herakles  in  Erythrä  /.Toscrövo?,  d.  i.  welcher 
den  der  Traubenblüthe  schädlichen  Wurm  tödtet  2).  Ganz  allgemein 
nannte  man  ihn  und  als  welchen  wir  ihn  sofort 

zu  betrachten  haben. 


Die  Lehre  von  der  Erlösung'. 


§.  58. 


Gott  ist  barmherzig;  Herakles  ein  Erlöser. 


Homer  (11.  IX,  497)  singt:  „die  Götter  sind  nachgiebig,  und  las¬ 
sen  sich  durch  Weihrauch,  Gebet,  Trankopfer  und  Fett  beugen,  so 
jemand  Übertritt  und  sündigt.«  Zeus  hat  daher  die  Beinamen  fiaiXi- 
Xioq,  iy.arijoioq ,  au>xijQ  und  Hav^aQioq,  und  die  Götter  heissen  die 
erlösenden  (Ivoioi^,  welche  besänftigt  den  Frevler  freilassen  ’).  Die 


*)  Alben.  X  p.  415  B.  Suid.  in  Avtii^a.  Schob  Theocr.  Id.  X,  41. 
2)  Strab.  XIII  p.  613. 

Müller  Dorier  Bd.  I  S.  455.  Alciphron.  ep.  47.  Lucian.  Gail,  2. 
'-*)  Od.  XIII,  213.  Arislotel.  de  mundo  VII,  6. 

5)  Plat,  Polit.  II  p.  366  A. 


Ui  Heu  {Altai)  sind  des  grossen  Zeus  Töchter,  die  dem  Verderben 
nachhiuken  und  den  Schaden  wieder  gut  zu  machen  tracliten  ') » 
d.  h.  die  Notl»  lehrt  beten.  Hierin  sind  aber  die  Götter  auch  den 
Menschen  Vorbilder  der  Versöhnlichkeit,  und  die  Bitten  übergeben 
den  unerbittlichen  Menschen  dem  Verderben. 

Vorbild  der  Bekehrung  zu  Gott  und  Wegweiser  zu  des  Olympus 
seliger  Höhe  ist  Herakles.  Er  tödtete  den  quälenden  Adler  mit 
Willen  des  höchsten  Zeus,  und  befreite  den  Prometheus  von  seinen 
Schmerzen:  aus  Rücksicht  gegen  diesen  seinen  Sohn  ward  nunmehr 
Zeus  versöhnt  2),  Wir  finden  in  des  Herakles  Leben  und  Leiden  den 
Schlüssel  zum  Verstäudniss  des  gefesselten  Prometheus  und  des  gan¬ 
zen  Versöhnungswerks. 

Auf  die  geschichtliche  Person  des  griechischen  Herakles  wurden 
ausländische  Ideen  aufgetrageu  und  mit  seiner  Geschichte  verwebt, 
und  so  konnte  er  mit  Prometheus  und  mit  der  Lehre  von  der  Wie¬ 
derherstellung  des  gefallenen  Menschengeschlechts  verflochten  wer¬ 
den.  In  Aegypten  und  Phönicien  nämlich  wurde  er  nicht  als  Heros, 
sondern  als  Gott  von  Alters  her  verehrt,  in  Aegypten  als  einer  von 
den  zwölf  Göttern,  und  seine  ausländische  Verehrung  reicht  zufolge 
der  Nachforschungen  Herodots  (11,  43  f.)  viel  weiter  hinauf  als  das 
Zeilaller  des  thehauischen  Herakles,  des  Sohnes  des  Amphilryon  und 
der  Alkmene,  ist;  sein  Tempel  zu  Tyrus  war  nach  der  Aussage  je¬ 
ner  Priester  so  alt  als  die  Stadt  seihst,  und  der  zu  Thasus  wurde 
von  den  Phöuicieru,  welche  die  Europa  suchten,  erbaut.  Die  Grie¬ 
chen  selbst  bezeichueten  die  Verknüpfung  des  ägyptischen  und  ihres 
eigenen  Herakles  durch  die  Fabel,  er  sey  einst  nach  Aegypten  ge¬ 
kommen,  die  Eingebornen  hätten  ihn  bekränzt  und  dem  Zeus  opfern 
wollen;  als  er  aber  zum  Altar  gebracht  worden  sey,  so  habe  er  Ge¬ 
walt  gebraucht  und  sie  Alle  umgebracht  2).  Bei  dieser  Aehnlichkeit 
mit  einem  auswärtigen  Gottesdienst  aber  darf  man  die  gescbichtliche 
Person  des  thebanischeu  Herakles  darum  nicht  leugnen,  sondern  der¬ 
selbe  wurde  nur  zum  Träger  religiöser,  zum  Theil  ausländischer 
Ideen  gemacht  und  vergöttert. 

Er  war  gleichsam  der  zweite  Adam  des  Lebens,  dem  ersten  und 


i)  11.  IX,  5ü2  fl'. 
3)  Ilerod.  II,  45. 


2)  Theog.  521. 


347 


sündigen  Promelheus  entgegengesetzt.  Er  war  Zeus  eigener  Sohn, 
den  er  mit  Alkinene  erzeugte  *);  »damit  er  Göttern  und  Menschen 
einen  Erlöser  vom  üebel  schaffete“  2),  Er  konnte  diess  nur  durch 
göttliche  Kraft  und  zugleich  als  Menschensohu ;  er  entspricht  der 
christlichen  Idee  eines  Gotlmenschen.  Seine  Freiheit  und  Ehre 
suchte  er  ira  Gehorsam  gegen  des  Vaters  Gebot,  sein  Leben  und 
seine  Freude  hatte  er  in  Mühe  und  Kämpfen:  Unsterblichkeit  war 
sein  Lohn.  Wer  in  seinen  Schranken  läuft  und  gleich  ihm  Gott¬ 
seligkeit,  Tugend  und  Entsagung  übet,  ist  errettet  von  den  prome- 
theischeu  Fesseln  und  wahrhaft  frei,  fällt  nicht  mit  Menötius  in  des 
Erebus  Nacht,  sondern  hat  einen  versöhnten  Vater  im  Olymp,  ist 
nicht  lebendig  todt  in  entkräftender  Genusssucht,  wie  Epimetheus, 
sondern  übt  und  stählt  seine  Kraft  in  männlichen  Thateu  und  zügelt 
sein  Fleisch  durch  tüchtige  Arbeit.  In  allen  Stücken  ist  Herakles 
das  vollkommene  Widerspiel  von  jener  Dreiheit  sündiger  Ahnherren 
und  ein  Vorbild  zur  Nacheiferung  der  heilsbegierigeu  Meuscheu.  Er 
machte  sich  für  die  Ausbreitung  und  den  Sieg  der  hellenischen  Ke- 
ligion  über  die  pelasgische  verdient.  Die  olympischen  und  nemei- 
scheu  Kampfspiele,  die  zuvor  nur  Heroen  geweiht  waren,  heiligte 
er  seinem  V^ater  Zeus.  Er  war  dabei ,  als  die  Götter  auf  der  Ebene 
von  Phlegra  mit  den  Giganten  kämpften,  und  schoss  sie  mit  seinen 
Pfeilen  nieder  ^).  Als  yiyaptocpövoq  erscheint  er  schon  auf  dem 
Throne  des  amykläischen  Apollon  und  auf  allen  Vasengemälden. 
Als  Verehrer  der  Götter  steht  Herakles  auch  so  dem  Prometheus 
als  ihrem  trotzigen  Verächter  entgegen,  nicht  als  hätte  ein  Wohlthä- 
ter  den  andern  grossen  Freund  des  Menschengeschlechts  befreit,  wie 
Welcher  S.  45  vermeint.  Der  Adler,  der  die  Leber  des  Prometheus 
frass,  war  nach  Pherecydes  5)  ein  Sohn  der  Echidna  und  des  Typhon, 
und  stellte  seine  verdiente  Höllenpein  vor.  Herakles  erschoss  ihn, 
und  stellte  den  unsterblichen  Chiron,  den  er  verwundet  hatte  ,  dem 
Zeus  als  Stellvertreter  dar,  dass  dieser  stürbe  und  Prometheus  an¬ 
statt  seiner  unslefbtich  würde  ^).  Daher  lässt  Aeschylus  (Prom.  1027) 


1)  Theog.  943.  Od.  XI ,  620.  2)  Hes.  Schild  28  f. 

3)  Piud.  Nem.  I,  100.  Paus.  111,  18,  7. 

Bei  Schob  Apollon.  11,  1252. 

.4pollodor.  11,  5,  4.  11.  Die  Lesart  ist  zu  verbessern  dviiöohq 


348 


den  Hermes  weissagen ,  was  er  in  seinem  befreiten  Prometheus  wei¬ 
ter  wird  ausgeführt  liahen :  »Prometheus  wird  nicht  erlöst,  bis  der¬ 
einst  ein  Gott  als  Stellvertreter  (dLddoxoq)  seiner  Leiden  erscheine 
und  in  den  finstern  Hades  gehen  wolle.«  Also  der  Gerechte,  ja  ein 
Gott  stirbt  für  den  Sünder  zu  seiner  Erlösung.  —  Der  Sarkophag 
Panfili *  *),  der  eine  merkwürdige  Vermischung  christlicher  und  heid¬ 
nischer  Vorstellungen  enthält,  dient  zur  Bestätigung  unserer  Ansicht. 
Wir  sehen  zuerst  den  Sündenfall  dargestellt  in  Adam  und  Eva  un¬ 
ter  dem  Baume  (beide  noch  nackt),  sodann  die  Folgen  der  Sünde 
in  drei  Cyklopen,  welche  die  Fesseln  des  Prometheus  schmieden, 
hernach  die  Fortpflanzung  des  Menschengeschlechts  in  zwei  Bildern: 
einmal  durch  den  Kuss  des  Eros  und  der  Psyche,  zweitens  durch 
Prometheus,  der  Menschen  bildet,  welche  Athene  belebt.  Der  fer¬ 
tige  Mensch  steht  neben  der  Athene  Nachteule.  Hierauf  ist  das  To¬ 
desschicksal  als  der  Sünden  Sold  abgebildet  durch  einen  geflügelten 
Genius,  der  seine  umgekehrte  Fackel,  woran  die  Seele  als  ein 
Schmetterling  aufsleigt,  auf  einen  Leichnam  stützt;  eine  stehende 
und  eine  sitzende  Möre  als  das  unerbittliche  Verhängniss  umgeben 
den  Todten.  Die  bekleidete  Psyche  mit  Schmetlerlingsflügeln  hält 
Hermes  in  der  Kechten,  sie  zu  ihrer  Bestimmung  zu  führen.  Die 
Erlösung  der  sündigen  Menschheit  endlich  wird  auf  griechische  und 
christliche  Weise  versinnlicht:  Herakles  schiessl  mit  seinem  Pfeile 
den  Adler,  der  des  gefesselten  Prometheus  Leber  nagt,  und  dicht 
hinter  dem  rettenden  Gotte  erhöht  Moses  die  Heilsschlange  in  pro¬ 
phetischem  Hinblick  auf  Christum,  der  Alles  erfüllt  (Joh.  3,  14). 
Der  allgemeinen  Bedeutung  des  Bildes  wegen  ist  die  ganze  Welt 
sowohl  als  Kugel  (bei  Athene)  als  auch  nach  ihren  vier  Theilen  vor- 
geslellt;  das  Wasser  durch  einen  bärtigen  Mann  mit  dem  Ruder  auf 
einem  Seelhier  reitend,  die  Sonne  auf  dem  Viergespann,  dem  Phos- 
phoros  vorangehl,  der  Mond  mit  dem  Zweigespann,  und  die  Erde 


dh  Ji'i  ÜQOftfjdEa  röv ,  oder  mit  Heyne  p.  148  dviidövToq  6i  Ju  Uqo- 
^irjßEO.  ’JlqayXioq  röv. 

*)  Bei  Creuzer  Symb.  IV  H.  II  T.  VIII  n.  21  mit  seiner  Erklärung 
S.  455  IT.  lieber  die  Vermischung  christlicher  und  heidnischer  Bild¬ 
nerei  seit  dem  dritten  und  vierten  Jahrhundert  hat  sich  Bötliger  in  der 
Kunstmythologie  II  S.  38l  verbreitet. 


349 


unten  in  liegender  Stellung  mit  dem  reichen  Füllhorn  i).  Die  Dar¬ 
stellung  des  deraiurgischen  Menschenbildens,  der  Sonne,  des  Mondes 
•und  des  Hermes  enthält  zugleich  eine  priesterliche  Hinweisung  auf 
die  eleusische  Mysterienfeier,  wo  der  Hierophant  den  Demiurgen, 
der  Daduch  die  Sonne,  der  Epihomius  den  Mond  und  der  Hieroke- 
ryx  den  Hermes,  wenigstens  nach  einem  späteren  Zeugniss,  vorge¬ 
stellt  haben  soll  (§.  89).  Nach  dieser  Ausdeutung  stehen  sämmt- 
liche  Gruppen  des  heidenchristlichen  Denkmals  in  einem  abgerunde¬ 
ten  Zusammenhang,  um  am  Grabe  die  gewisse  Hofl'nung  des  ewigen 
Lebens  auszudrücken. 

Am  Scheidewege  beim  Eintritt  ins  Jünglingsalter,  sagt  der  Sophist 
Prodikus  in  seiner  Schrift  über  den  Herakles  ^),  da  der  Mensch  sich 
für  seinen  künftigen  Lebensweg  zu  entscheiden  pflegt,  wurde  auch 
er  von  dem  Glück,  das  im  Sinnengenuss  besieht,  versucht.  Zwei 
weibliche  Gestalten  erschienen  ihm;  das  Glück  (eidaifjoria)  bot  ihm 
alle  Sinnenfreuden  und  Lebensgenuss,  die  Tugend  bekennt  ihm  die 
von  den  Göttern  gestiftete  Ordnung  der  Dinge,  dass  sie  nichts  wahr¬ 
haft  Gutes  ohne  Mühe  und  Sorge  verleihen,  auch  sie  gewähre  Glück¬ 
seligkeit,  aber  auf  jenem  dornenvollen*  Pfade,  wogegen  jenes  Glück 
des  Wohllebens  zugleich  die  leibhafte  Schlechtigkeit  sey.  Prodikus 
würdigte  in  dieser  Dichtung  den  wahren  Geist  der  herakleischen 
Kämpfe.  »Nach  Vollendung  der  .4rbeiten  habe  ich  unsterbliche  Tu¬ 
gend  verlangt« ,  lässt  ihn  Sophokles  am  Ende  seines  Philokletes  vom 
Himmel  herab  reden  (V\  1414). 

Entsagen  und  kämpfen  sühnet  den  Fall.  »Wer  über¬ 
windet,  dem  will  ich  zu  essen  geben  von  dem  Holz  des  Lebens,  das 
im  Paradies  Gottes  ist«  Zum  Kampf  und  zur  Arbeit  stiess  Gott 
den  gefallenen  Adam  in  die  Welt  hinaus  ‘):  »Verflucht  sey  der  Acker 
um  deinetwillen,  mit  Kummer  sollst  du  dich  darauf  nähren  dein  Le- 


*)  Weniger  richtig  ist  wohl  die  Deutung  Grenzers  a.  a.  0.  S.  459 
Note  nach  dein  Vorgang  von  K.  O.  Müller,  dass  man  die  Elemente 
vorstellen  w'ollte,  woraus  Prometheus  die  Menschen  bildete,*  denn  Sonne 
und  Mond  würden  nicht  passen,  und  das  Menschenbilden  ist  nicht  die 
Hauptsache  des  Ganzen,  sondern  Sünde,  Tod  und  Erlösung. 

2)  Bei  Xenoph.  Memorab.  II,  1,  21. 

3)  OtT.  Joh.  2,  7.  '•)  1  Mos.  3,  17. 


350 


bcnlang.  Dornen  und  Disteln  soll  er  dir  tragen,  und  sollst  das  Kraut 
auf  dem  Felde  essen:  im  Sclnveiss  deines  Angesichts  sollst  du  dein 
Brod  essen «  So  sühnte  auch  in  Indien  Birmah  durch  mancherlei  . 
Büssungen  seinen  Fall  und  erstarkte  allmälig  wieder  am  Geist.  Als 
ein  irrender  und  tüchtiger  Ritter  kommt  Herakles  und  spricht:  »mein 
Vater  Amphitryon  muss  viel  gesündigt  haben :  er  büssle  selber  da¬ 
für,  und  mir  hat  die  Gottheit  {öaifxuiv^  schwere  Kämpfe  aufgetra¬ 
gen«  ^).  Nur  oben  im  Olymp,  wo  kein  Gegensatz  der  Nolhwendigkeit 
und  Freiheit  stattfindet,  fliesst  das  Leben  spiegelrein  und  kampflos; 
hienieden  aber  fimlen  sich  Behaglichkeit  und  Tugend  nicht  mehr 
beisammen. 

Zwischen  Sinnenglück  und  Seelenfrieden 
Bleibt  dem  Menschen  nur  die  bange  Wahl. 

Auf  der  Stirn  des  hohen  üraniden 
Leuchtet  ihr  vermählter  Strahl  2). 

Der  Vater  Zeus  bat  dem  Herakles  selbst  die  Nothwendigkeit  der 
Kcämpfe  auferlegt  3),  sein  Oheim  Eurystbeus  aber  war  der  V^ollzieher 
durch  beslimmle  Aufträge,  wozu  er  sich  eines  Boten  von  Mykene 
Namens  Kopreus  bediente  ^).  Pythia  verhiess,  er  werde  nach  ihrer 
Vollendung  unsterblich  seyn  3).  Den  Kampf  des  Herakles  unter  dem 
Schutze  der  Athene  mit  Cyknus  und  dessen  Vater  Ares  im  Haine 
Apollons  beschreibt  Hesiod  (Schild  57  ff.)  ausführlich.  Er  endete 
mit  dem  Tode  seines  Gegners  und  mit  der  Verwundung  des  Ares. 
Den  dreiköpfigen  Geryoneus  tödtete  er  sammt  seinem  Hirten  Eu- 
rytion  und  Hunde  Orthos  auf  Erythia  ,  welches  man  für  das  alte 
Cadix  hält,  und  trieb  die  Rinder  in  seine  Heimath  Tiryns  ®).  Eben 
so  erlegte  er  die  lernäische  Hyder,  welche  Here  ihm  zürnend  auf¬ 
wachsen  liess,  nach  dem  Rath  der  Athene  und  mit  Hülfe  seines 
Waffengefährten  lolaus  ^).  Here  sandte  ferner  den  nemeischen  L  ö- 
wen,  welcher  nach  vielen  Verwüstungen  von  Herakles  bezwungen 


1)  Hes.  Schild  80,  94.  2)  Schiller  T.  IX  Ah.  I  S.  141. 

3)  Pindar.  Ol.  III,  51  dvdyxa  naxqöß^v. 

11.  ö,  639.  r',  133.  5)  Apollodor  II,  5. 

6)  Theog.  289. 

7)  Theog.  316.  Sopbocl.  Trach.  1074. 


351 


wurde  ')•  So  viele  von  seinen  Thalen  erwähnt  Hesiod  gelegentlich, 
und  deren  umständliche  Erzählung  gehört  nicht  in  die  Religions¬ 
lehre  2).  Wie  hei  Hesiod  ,  so  erscheint  auch  hei  Homer  3)  Here  als 
eine  ihm  feindselige  Gottheit,  da  sie  die  Herrschaft  des  Eurystheus 
über  die  Argiver,  welche  Zeus  dem  Herakles  zugedacht  halte,  be¬ 
günstigte,  und  als  dieser  Ilium  zerstört  halle,  ihn  durch  aufgeregte 
Winde  nach  Kos  trieb.  Die  Ursache  dieser  Fehde  liegt  wahrschein¬ 
lich  in  der  Einwanderung  der  Herakliden  in  das  Stammland  der  Here, 
nach  Argos;  so  dass  die  Feindschaft  der  altvaterischen  Religion  ge¬ 
gen  die  Herakliden  und  gegen  den  durch  sie  verbreiteten  Apollo¬ 
dienst  auf  ihren  Erzvater  übertragen  wurde.  Sogar  die  ihm  zuge¬ 
schriebene  Zerstörung  Iliums  und  das  Verschlagen  nach  Kos  scheint 
mir  nichts  als  ein  mythischer  Anachronismus  zu  seyn  von  der  Ge¬ 
schichte,  dass  nach  der  Zerstörung  von  Troja  durch  die  Griechen 
Dorier  unter  Anführung  heraklidischer  Fürsten  aus  dem  Peloponnes 
nach  Kos,  Rhodos,  Knidos  und  Halikarnas  auswanderten —  Ei¬ 
nem  späteren  Zeitalter  ist  die  Festsetzung  der  Arbeiten  des  Hera¬ 
kles  auf  zwölf  zuzuschreiben  5) ,  da  man  ihn  zugleich  als  Sonnengott 
vergötterte  und  auf  die  zwölf  Zeichen  des  Thierkreises  Rücksicht 
nahm®).  Apollodor  (H,  5)  und  Hygin  (fah.  XXX)  nennen  als  seine 
zwölf  Hauptarbeiten  ausser  den  drei  von  Hesiod  zuletzt  genannten 
folgende:  der  Fang  des  Ebers  auf  dem  Rerge  Erymanthus  in  Arka- 


1)  Theog.  327,  Soph.  Trach.  i072 

2)  Vgl.  Wunder  ad  Sophocl,  Vol.  II  sect.  3  p.  13  sqq, 

3j  II.  XIV,  250.  XVIII,  119.  XIX,  119  Paus.  IX,  1 1 , 2  sah  als  Ver- 
sinnlichung  der  letzten  hom,  Stelle  auf  einem  alten  Bildwerke  in  Theben 
Zauberinnen,  welche  Here  geschickt  hatte,  die  Geburt  des  Herakles  zu 
verhindern.  Auch  die  Niederkunft  der  Leto  erschwerte  Here  aus  den¬ 
selben  Gründen.  Aus  der  Eifersucht  gegen  den  apoll.  Kultus  machte 
die  Fabel  eiue  eheliche  Eifersucht. 

K.  O.  Müller  Dorier  I  S.  103. 

5)  Theocrit.  Id.  XXIV,  80.  Apollon.  Rh.  Argon.  I,  1318.  Diodor. 
IV,  29.  31.  Vgl.  Zoega  Bassiril.  2  p  46.  u.  Ouwaroff  Exam.  er.  d.  1.  f. 
d’Herc.  Macrob.  I,  20. 

®)  Porphyr,  bei  Euseb.  Pr.  Kv.  HI,  11. 


352 


dien  '),  der  Fang  der  Hirschkuh  auf  dem  Berge  Mänalus  in  Arka¬ 
dien,  die  Verjagung  der  furclilbaren  Vögel  an  dem  Flusse  Slympha- 
lus  in  derselben  Landscliafl,  die  Reinigung  des  Stalls  des  elischen 
Königs  Augias  vermittelst  der  Dämmung  des  Flusses  Alpheus,  wel¬ 
cher  hineingeleitet  den  Unrath  hinwegschwemmte  2) ,  der  Fang  des 
Stieres  des  Minos  in  Kreta,  die  Erlegung  des  thracischen  Tyrannen 
Dioraedes  und  der  Raub  seiner  Rosse,  welchen  Diomedes  die  Frem¬ 
den  vorzuwerfen  pflegte  und  denen  er  nunmehr  selbst  vorgeworfen 
wurde  3),  die  Erbeutung  des  Wehrgehängs  der  Amazone  Hippolyte, 
das  Pflücken  der  goldenen  Aepfel  der  Hesperiden  in  Libyen  ^),  und 
endlich  die  Entführung  des  Cerberus  aus  dem  Hades  *).  Ein  römi¬ 
sches  Relief^)  stellt  den  Herakles  und  Omphale  mitten  in  den  Bil¬ 
dern  von  seinen  zwölf  Arbeiten  als  in  den  Zeichen  des  Thierkreises 
stehend  dar.  ln  dieser  Gedankenreihe  wollte  man  durch  die  gefa¬ 
belte  Dienstbarkeit  des  Heroen  unter  eine  Frau  ohne  Zweifel  den 
Zustand  der  Erniedrigung  des  Sonnengottes  bezeichnen.  Von  seinem 
Gang  zu  den  Hesperiden  (d.  i.  Jahreszeiten)  haben  wir  oben  S.  130  Cf. 
gehandelt  8).  Auf  die  Uebertragung  des  Sonnenamtes  scheint  die 
spätere  Fabel  sich  zu  beziehen,  dass  er  dem  delphischen  .Apollon 


*)  Sophocl.  Trachin.  1077.  Herat.  Miles.  Vogel  p.  34.  36. 

2)  Find.  Ol.  X ,  34.  Eurip.  Alcest.  501  (T. 

Soph.  Trachin.  1079.  Panyasis  in  der  Heraklea  bei  Schob  ad 
Germanici  Aratea  Phaenom.  u.  Euripides  Hercul.  394  ff.  erzählen  schon, 
dass  Herakles  den  Drachen  erlegt  habe,  der  die  goldenen  Aepfel  be¬ 
wachte. 

5)  Horn.  Od.  XI,  623.  Pindar.  bei  Schob  Ilom.  11.  cp',  194.  Soph. 
Ti  ach.  1077  ff. 

Grenzers  Bilderb.  T.  36  n.  3. 

7)  Pherecydes  bei  Schob  Od.  XXI,  23.  Sophocl.  Trachin.  252. 
Apollodor.  I,  9,  19.  II,  6,  3. 

8)  Wir  tragen  hier  nach ,  dass  die  Hesperiden  bei  Apollodor  H, 
5,  11  heissen:  Al'ylTj ,  'E^vdsia ,  '^Earia  (ab  '^EoTtepca),  "Agidovaa ,  bei 
Apollon.  IV,  •,  'Eansgrj ,  "EQv^rjig,  Al'yXij ,  bei  Hygin  fab.  z.  Anfg.: 
Aegle,  Ilesperie,  Aerica  (verdorbene  Lesart,  Muncker  schlägt  vor:  Ery- 
thia),  bei  Lutat.  ad  Slat.  Theb.  11,  28:  Aegle,  Arethusa,  Ilesperie, 
bei  Fulgentius:  Aegle,  Ilesperie,  Medusa,  Arethusa. 


353 


den  Dreifuss  geraubt  habe;  was  ein  Gegenstand  alter  Kunst  ge¬ 
worden,  wovon  wir  noch  mehrere  Ueberbleibsel  besitzen  i).  Die 
ältere  Fabel  von  gleicher  Bedeutung  scheint  es  zu  seyn,  dass  man 
den  Herakles  die  Rinder  des  Geryoneus  rauben  Hess ;  denn  von  die¬ 
sen  wird  bestimmt  ausgesagt  2),  dass  sie  der  Sonne  angehörten;  wo¬ 
durch  unsere  Erklärung  von  Chrysaor  S.  78  eine  Stütze  gewinnt. 
Vielleicht  ist  auch  die  Zahl  der  360  Kampfgenossen  von  Kleonä  be¬ 
deutsam,  welche  dem  Herakles  im  Kriege  gegen  die  Molioniden  hal¬ 
fen  und  ihr  Leben  Hessen ;  wofür  er  sie  in  den  neraeischen  Spielen 
ehrtet}.  Diese,  anfänglich  eine  Leichenfeier  für  den  Archemorus, 
wurden  von  Herakles  zu  Ehren  des  Zeus  neu  eingerichtet,  nur 
Kriegsleute  durften  früher  hier  turnen,  und  die  Kleonäer  waren  die 
Vorsteher  ^).  Ist  Herakles  der  unermüdliche  Kämpfer  im  ganzen 
Jahreslauf,  so  ist  ein  jeder  der  30  mal  12  Tage  sein  Mitgenosse  und 
seiner  Ehre  Theilnehmer.  —  Weil  das  alle  römische  Jahr  vor  Numa 
nur  10  Monate  gehabt  haben  soll  ^),  so  suchte  man  dieses  Schwan¬ 
ken  zwischen  zehn  und  zwölf  durch  die  Fabel  auszudrücken,  dass 
zuerst  zehn  Arbeiten  genügten,  Eurystheus  aber  zwei  davon  nicht 
gelten  Hess,  und  daher  die  zwei  letzten  später  aufgetragen  habe  6). 

Wie  er  selbst  ein  streitender  Held  war,  so  verordnete  er  dem 
Zeus  zu  Ehren  die  olympischen  Kampfspiele  in  EHs  am 
Grabhügel  des  Pelops^)  alle  vier  Jahre,  um  die  Sommersonnen- 


K.  O.  Müller  (Dorier  Bd.  I  S.  432)  versteht  unter  dem  Drei- 
fussraub  eine  Verpflanzung  des  Apollodiensles  nach  andern  Orten  durch 
Vermittlung  des  Herakles  oder  der  Herakliden  ;  er  vervrischt  aber  so 
das  Charakteristische  der  Fabel,  nemlich  das  Rauben,  und  macht  ein 
Weitertragen  und  Befördern  daraus.  Nach  Apollodor  II,  6,  2  hat  He¬ 
rakles  mit  Apollon  um  den  Dreifuss  gekämpft,  und  hat  ein  eigenes 
Orakel  gegründet,  Zeus  aber  Frieden  gestiftet.  Ein  ehernes  Bildwerk 
in  Delphi  stellte  diesen  Auftritt  dar:  Paus.  X,  13. 

2)  Apollodor.  I,  6,  4.  3)  Aelian.  V.  H.  IV,  5. 

'*)  Schol.  Find.  Nem.  Anfg. 

3)  Scaliger  de  emendat.  tempor.  p.  172  hält  diese  Meinung  des 
Varro  u.  des  Ovid.  Fast.  v.  64  für  albern. 

Apollodor.  H  ,  5  ,  11. 

Pindar.  01.  X ,  30. 


23 


354 


wende  im  Vollmond  zu  hallen,  als  deren  Stifter  ihn  Archilochus  in 
einem  eigenen  Gedichte  pries.  Sie  waren  die  grössten  und  am  mei¬ 
sten  besuchten  unter  den  vier  panhelleuischen  Spielen,  welche  Pin- 
dar  mit  ihren  Siegern  verherrlichte.  Herolde  verkündeten  sie  im 
ganzen  Peloponnes,  wührend  ihrer  Feier  sollte  allda  Waffenruhe 
seyn,  und  nach  der  Uebereinkunfl  der  Griechen  galt  das  Gebiet  der 
Eleer  für  heiliges  und  vor  Verwüstungen  gesichertes  Land  ').  Der 
Dichter  Aristoteles  2)  (nicht  der  Slagirite)  führt  zwölf  berühmte 
Kampfspiele  der  Griechen  auf,  er  fängt  mit  den  eleusinischen  an,  setzt 
die  kleinern  Panalhenäen  in  die  zweite,  die  olympischen  in  die  sie¬ 
bente  und  die  pylhischen  in  die  letzte  Stelle.  Wir  haben  schon  oben 
gesehen:  Demeter  setzte  zugleich  mit  den  Orgien  Leibesübungen  für 
die  eleusinische  Jugend  ein,  um  ein  lebenskräftiges  Geschlecht  zu 
bilden,  als  Nothbehelf  für  den  missglückten  Versuch,  alle  Schlacken 
des  verderbten  Fleisches  im  Läulerungsfeuer  abzulhun.  Wenn  die 
Göttin  hoch  oben  mit  dem  Feuer  begann,  und  sich  darnach  mit 
Kampfspielen  begnügte,  so  fing  dagegen  Herakles  unten  als  Kämpfer 
und  Stifter  von  Kampfspielen  an  und  endete  oben  mit  dem  Feuer 
welches  die  übrig  gebliebenen  Schlacken  seines  Leibes  verzehrte. 
Diese  Uebereinslimmung  beweist  den  gleichen  Sinn  dieser  Fabel  und 
die  Richtigkeit  unserer  Auffassung  derselben.  Es  war  ein  religiöses 
Turnen,  nicht  bloss  ein  körperliches.  Man  dachte  sich  eigene  Göt¬ 
ter  als  Vorsteher  der  Wettspiele,  ’dsol  äyuivLoi  genannt.  Als  solche 
hatten  in  Argos  einen  gemeinsamen  Altar  Zeus,  Apollon,  Poseidon 
und  Hermes  3).  In  dem  Charakter  dieser  Gottheiten  liegt  ja  die  Be¬ 
weglichkeit,  und  dem  Zeus  waren  die  olympischen ,  dem  Apollon  die 
pylhischen,  dem  Poseidon  die  islhmischen  Spiele  geweiht.  Wettkämpfe 
waren  mit  Götter-  und  besonders  Heroenfesten  verbunden.  Olympia 
dem  Zeus  heilig  hielt  man  zu  Athen  ^),  zu  Megara,  wo  mau  die  Na¬ 
men  der  Sieger  in  Stein  grub  ^) ,  in  Smyrna,  Alexandria  und  in 


‘)  K.  0.  Müller  Dorier  I  S.  139. 

2)  Bei  Schol.  ms.  Arislid.  Panalh.  p.  189  des  Jebbischen  Textes.  Das 
erste  Kampfspiel  war  nach  Arislid.  Eleusin.  p,  417  Ddf.  das  zu  Eleusis. 

3)  Aeschyl.  Suppt.  192. 

')  Schol.  Pind.  Pylh.  IX.  Nein.  II.  Hesych.  s.  v. 

Schol.  Sophocl.  u.  Schol.  Pind.  01. 

Inschrift  bei  Meurs.  Graecia  feriata  col.  830. 


Maeedonien  ').  In  Allien  feierte  man  ausserdem  Wettspiele  an  den 
Panathenäen,  die  Heraklea,  Eleusinia ,  Panhellenia  2) ,  [ferner  zur 
Ehre  der  Erde,  die  ihren  Tempel  auf  der  Burg  hatte  ^);  in  Aegina 
die  Delphinia  dem  Apollon  zu  Ehren  vielleicht  auch  Hydrophoria 
genannt  ^);  in  Lacedämon  die  avQi^iata,  worin  der  Preiss  in  einer 
aus  F’elt  und  Honig  bereiteten  Esswaare  {ov()iJ,aia)  bestand^);  in 
Argos  die  Sthenia^);  die  Tegeaten  in  Arkadien  die  ^Aksaia  von  der 
Athene  Alea  benannt,  nahe  bei  ihrem  Tempel,  die  "Äkuyria  eben¬ 
daselbst  zum  Andenken  der  Gefangennehraung  vieler  Lacedämonier  s)  ; 
zu  Platää  in  ßöotien  die  Eleutheria  in  Waffenrüstung  dem  Zeus  Eleu¬ 
therius  vor  seinem  Altar,  zu  Ehren  der  daselbst  in  der  Schlacht  ge¬ 
gen  den  Mardonius  gefallenen  Griechen  5),  alle  fünf  Jahre  noch  zu 
den  Zeilen  des  Pausanias  (Boeoticis)  am  16.  Mämaklerion  (welchen 
Monat  die  Böotier  Alalkomenios  hiessen:  November);  zu  Larissa 
ein  Wettspiel  der  Jünglinge,  woran  Perseus  Antheil  nahm  'O);  am 
Berg  Oeta  ein  Wettlauf,  von  Amphissus  zu  Ehren  seiner  Mutter 
Dryope  und  der  Nymphen,  denen  er  einen  Tempel  erbaute,  veran¬ 
staltet  *');  in  Kreta  eine  Leibesübung  xaXaidixrjq  genannt  von  dem 
unter  dem  Beinamen  xaXaioq  dort  verehrten  Zeus  *2);  Jn  Thesprotia 
ein  Wettspiel  Namens  ßÜQaxQov 

Mehrere  Gattungen  von  r.,eibesübungen  werden  schon  von  Ho- 


’)  Schol.  Thucyd.  I,  126. 

2)  Schol.  Find.  Ol.  VlI.  Philostr.  Herod.  Soph.  II.  Meurs.  Gr.  fer. 
col.  835. 

3)  Find.  Pylh.  IX,  wo  der  Schol.  den  Didymus  anführt. 

Schol.  Find.  Ol.  VIII.  Pylh.  VII. 

Die  Aegineler  hielten  in  dem  Monat  Delphinios  den  Wettkampf 
Apollons  Hydrophoria  genannt:  Schol.  Find.  Nem.  V,  81.  Wahrschein¬ 
lich  war  ein  Todlenopfer  für  die  in  der  Wasserflulh  ümgekommenen 
damit  verbunden,  wie  an  den  Hydrophoria  zu  Athen. 

Hesych.  s.  v.  Hesych.  v.  adsvia. 

8)  Pausan.  Arcad.  Schol.  Find.  Ol.  VII. 

Eustath.  ad  II.  /?’.  Strabo  IX.  Schol.  Antholog.  Epigr.  Gr.  II,  1. 
Fliitarch.  in  Aristide. 

10)  Schol.  Apollon.  IV.  i‘)  Antonin.  Liber.  Melam.  XXXH. 

12)  Hesych.  v.  xaXaioq.  lO)  Hesych.  s.  v. 


356 


mer  bei  Gelegenheit  der  Leichenspiele  des  Patroklus  und  von  Hesiod 
namhaft  gemacht:  der  F’auslkampf  (^Tivy/taxia) ^  das  Ringen  {na- 
XaiayLoavvrj)’^^ ,  wobei  man  den  Gegner  durch  Ziehen  oder  Aufheben 
zu  Boden  warf;  beide  Uehungen  wurden  auch  mit  einander  verbun¬ 
den  re  v.aX  kXxrjböv ^  was  man  nayv.g6.xLOv  hiess);  der  Welt¬ 
lauf  zu  Fuss  5  der  Zweikampf  mit  dem  Speere  ^) ,  das 

Discuswerfen  (adXo?)  und  das  Bogenschiessen  {xo^bvilv')  7).  Bei 
den  Phäakern  waren  fünferlei  Weltkämpfe  üblich  :  Wetllauf,  Ringen, 
Hüpfen  (aX^a) ,  Discuswerfen  (je  weiter,  desto  besser)  und  Faust¬ 
kampf  ^)-  Von  dem  Wettlauf  führt  Hesiod  noch  zwei  andere  Arten 
auf,  nemlich  den  zu  Pferde-),  welches  Spiel  man  vsXrjxi  d.  i.  mit 
dem  Wettpferde  nannte,  und  das  Wagenrennen  ’®)  mit  Pferden  oder 
Mauleseln,  welches  man  ag^axi.,  redginnoiq ^  innoig,  antjvrj  t')  nannte. 
Der  allgemeine  Ausdruck  für  Welllauf,  sey  es  zu  Fuss,  zu  Pferde 
oder  zu  Wagen,  ist  ögojuog  ^2)  oder  uneigentlich  noöcoveia  in  dem 
Verse  des  Simonides  in  der  Anthologie,  wo  folgende  fünferlei  Kampf¬ 
spiele  Vorkommen:  aX/.ia  (mit  den  Gewichten  in  den  Händen  sprin¬ 
gen),  noÖLovsirjv y  diavbv,  avovxa,  naXt^v.  Diess  war  das  sogenannte 
nivxadXov  i3).  Die  Kampfpreisse  waren  blosser  Ehrenlohn;  denn  rit¬ 
terliche  Tugend  und  Würdigkeit  kann  nur  durch  Ehre  belohnt  und 
ausgezeichnet  werden,  und  jede  andere  Triebfeder  zum  Rilterlhura 
wäre  seiner  Natur  fremd  und  unwürdig.  Ein  Kranz  von  Oelzweigen 
war  der  Preiss  der  olympischen  Sieger  ^^) ,  von  Lorbeer  der  pylhi- 


’)  II.  XXIII,  653.  2)  II.  1.  c.  701.  3)  lies.  Schild  302. 

It.  1.  c.  740.  Daher  das  ehrende  Beiwort  homerischer  Helden 
nobaq  iovvq,  noödgvTjg, 

S)  II.  !.  c.  803.  6)  II.  V.  826.  7)  n.  y.  850. 

8)  Od.  y,  103  IT.  9)  Hes.  Schild  286. 

^0)  Hes.  1.  c.  305.  n)  Find.  Ol.  VI. 

*2)  Arisloph.  Nuh.  25.  28. 

*3)  Schot.  Apollon.  IV  bemerkt ,  dass  es  zu  Zeiten  des  Perseus 
noch  nicht  üblich  war,  wiewohl  eine  jede  Kampfart  für  sich  be¬ 
sonders. 

‘'•)  Find.  Ol.  HI.  Etymol.  M.  v.  vöxivoq.  Hermann  gottesd.  Alterth. 
S.  254  Not.  25. 


357 


scheut),  von  Eppich  (^aehpop')  der  nemeischen^)  uud  von  Fichleu- 
zweigen  oder  (zu  andern  Zeilen)  von  Eppich  der  isüiniischen,'’). 

Das  Ende  des  heldenraülhigen  Herakles  war  ein  freiwilliger 
Flammenlod  auf  einem  Scheiterhaufen  auf  dem  Berge  Oela.  Die 
Allen  geben  als  Ursache  einen  schmerzhaften  Haulausschlag  an, 
wovon  er  durch  den  Feuertod  Befreiung  gesucht  habe.  Allein  eine 
ägyptisch  -  phönicische  Anschauungsweise  scheint  jener  Fabel  zu 
Grunde  zu  liegen.  Denn  die  Karthager  haben  jährlich  dem  Melkarlh 
(Herakles)  zu  Ehren  einen  Scheiterhaufen  angezündel,  aus  dem  mau 
einen  Adler  (Phönix)  aufsteigeu  liess  ^) ,  um  damit  anzudeulen,  die 
alle  Periode  sey  abgeschlossen  und  eine  neue  beginne ;  gleichwie  man 
der  Athene  an  den  Panalhenäen  ein  Gewebe  auf  die  Burg  brachte. 
Auf  griechischem  Boden,  wo  Herakles  mehr  eine  sittliche  Bedeutung 
halte,  wurde  jener  Tod  im  Sinne  des  Feuerkindes  Demophon  ethisch 
gedeutet,  es  war  ein  Läuterungsfeuer,  welches,  was  sterblich  au  ihm 
,  war,  verzehrte®);  es  war  die  Vollendung  des  Opfers,  das  im  Ge¬ 
horsam  mit  Vollführung  der  aufgelragenen  Arbeiten  begann.  »Von 
göttlichem  Feuer  erglänzend  auf  Oela’s  Höhen,  nahet  er  zu  allen 
Göttern“,  sagt  Sophocles  (Philocl.  71 1).  Seine  Himmelfahrt  erinnert 
an  die  eines  Henoch  uud  Elia.  Mit  seiner  Apotheose  ist  auch  die 
Erzählung  zu  vergleichen,  dass  Thetis  ihren  neugeborueu  Achil¬ 
leus  bei  Nacht  im  Feuer  barg,  damit  es  das  Sterbliche  au  ihm  ver¬ 
zehre,  uud  ihn  am  Tage  mit  Ambrosia  salbte.  Als  der  Vater  Peleus 
aufschrie,  liess  sie  das  Kind  im  Stich  uud  flüchtete  sich  zu  den  Ne¬ 
reiden;  hierauf  zog  ihn  Chiron  mit  dem  Mark  von  Löwen  ,  wil¬ 
den  Schweinen  und  Bären  auf  ^).  —  Des  Herakles  Schallen  (ci'öwXov) 
ist  zwar,  so  wie  der  anderer  Helden,  in  der  Unterwelt,  er  selbst 
aber  im  Kreis  der  unsterblichen  Götter  in  festlicher  Freude  und  hat 


»)  Paus.  X,  7,  4.  2)  Schol.  Find.  p.  5.  425. 

3)  Plut.  qu.  symp.  V,  3.  Schol.  Nicandr.  alex.  601.  Weitere  Nach¬ 
weisungen  über  diesen  Gegenstand  gibt  Hermann  gottesdienstl.  Alterth. 
S.  138  ff. 

Sophocl.  Trachin.  1173  ff.  Ovid.  Metara.  IX. 

Grenzer  Symb.  II  S.  451. 

®)  Theocrit.  Id.  XXIV,  81.  Lucian.  llerraotim.  §.  7. 

0  Apollodor.  III,  13,  6.  Apollon.  IV,  866. 


J58 


die  reizende  Hebe  *).  Diese  als  die  leibhafte  Unsterblichkeit  und 
ewige  Jugend  wird  ihm,  welcher  durch  den  Tod  zum  ewigen  Leben 
vor  Gott  hindurchgedrungen  ist,  als  Gattin  beigegeben,  jedoch  nur 
»nach  Vollendung  der  säuern  Kämpfe®,  wie  llesiod  (Theog.  951)  be¬ 
deutend  hinzusetzt.  Derselbe  legt  seine  olympische  Ehe  richtig  in 
den  Worten  aus  V.  95i  f. :  »selig  er,  der  ein  grosses  Werk  zu  Stande 
gebracht,  und  nun  harmlos  und  nie  alternd  unter  den  Unsterblichen 
allezeit  weilet.®  Heil  und  Sieg,  'AXs^cdQrjq  und  Ai'ixTjrog,  sind  die 
allegorischen  Söhne,  die  er  nach  späterer  Dichtung  mit  Hebe  er¬ 
zeugte  2).  Wenn  Menötius  in  den  Erebus  hinabgeworfen  wurde,  so 
ist  Herakles  dagegen  des  Todes  Ueberwinder;  diessist  die  Krone  seiner 
Heldenkraft  und  zugleich  sein  Lohn.  Das  will  Homer  (11.  V,  395)  mit 
den  Worten  sagen:  „Herakles  traf  und  verwundete  den  gewaltigen 
Hades  unter  den  Todten  mit  seinem  Pfeil.®  ln  mehr  eigentlicher 
Sprache  sagen  es  Euripides  (Alcesl.  8öl.  1050)  u.  A.  3),  er  habe  mit 
dem  Tode  (Oavarog)  gekämpft  und  die  verstorbene  Alceste  ihm  ab¬ 
gerungen.  Man  fabelte  daher ,  er  habe  den  Cerberus  heraufgeholt  ^). 
Er  wurde  nicht  allein  als  Heros,  sondern  auch  als  olympischer  Gott 
verehrt,  worin  Athen  voranging  5),  und  Herodot  (H,  44)  bemerkt 
ausdrücklich  solche  zweierlei  Herakleen  unter  den  Griechen.  Vom 
himmlischen  Wohnsitz  lässt  ihn  Sophocles  (Phil.  1408)  herabkommen, 
dem  Philoktetes  des  Zeus  Kathschluss  zu  verkünden.  Herakles  zeigt 
demnach  die  Möglichkeit,  aus  dem  Zustand  des  Verderbens  erlöst, 
in  das  rechte  V’^erhältniss  zu  Gott  zurückzukehren  und  so  endlich 
die  Höhe  des  Olympus  zu  erklimmen,  wofern  man  nach  seinem  Vor¬ 
bilde  dem  mächtigen  Schutz  der  Götter  in  frommer  Hingebung  ver¬ 
traut  und  in  den  Schranken  heldenmüthiger  Tugend  läuft. 

§.  59. 

Die  Mysterien  in  ihrer  sittlichen  liedeutung. 

Herakles  soll  der  erste  Ausländer  gewesen  seyn ,  der  in  den 


*)  Od.  XI,  601.  Iloni.  h.  in  Heiacl. 

2)  Apollodor.  II,  7,  7. 

’)  S.  Heyne  zu  Hom.  II.  V,  395. 

II.  (?'.  Strabo  VlII  p.  363.  Apoliodor.  II,  5  linde. 
Diodor.  IV,  39. 


359 


Eleusinieo  eingeweiht  wurde.  Nach  unserer  obigen  Ausdeutung  ent¬ 
sprach  dieses  vollkommen  seiner  Idee  und  dem  Sinne  der  Mysterien. 
Vor  Ausführung  des  Cerberus  hielt  er  es  für  dienlich  ein  Myste  zu 
werden  •),  was  unter  der  Leitung  desMusäos,  eines  Sohnes  des  Or¬ 
pheus  ,  oder  nach  Andern  2)  vermittelst  des  Eumolpus  in  Eleusis  ge¬ 
schehen  seyn  soll.  Wie  Herakles  der  Erlöser,  so  hatte  auch  der 
gefesselte  Prometheus  unverkennbar  eine  mystische  Ileziehung.  Me- 
nodotos  der  Sander  erzählt  in  den  samischen  Alterthümern  ^) ,  Zeus 
habe  dem  Prometheus  nach  seiner  Befreiung  zum  Gedächtniss  an 
die  Fessel  einen  Zweig  von  Weiden  (Xvyog,  agnus  castus)  auf  das 
Haupt  gelegt,  und  dabei  führt  Athenäus  (p.  674  ü)  den  befreiten 
Prometheus  des  Aeschylus  an,  »dass  wir  zu  Ehren  des  Prometheus 
den  Kranz  als  Gegenbild  {avriTiocva)  von  jenes  Fessel  auf  das  Haupt 
setzen.«  Wie  Prometheus  als  der  Menschen  Stellvertreter  litt,  so 
sollte  hinwieder  die  Bekränzung,  die  auch  auf  allen  Bildwerken  vor¬ 
kommt,  eine  Communion  seiner  Bande  seyn,  um  die  o()iq)Qoavvr], 
die  Fesselung  der  Zügellosigkeit,  sinnbildlich  zu  lehren.  Nach  sei¬ 
nem  Vorbilde  bekränzen  sich  namentlich  die  Karer  und  Samier  mit 
Keuschlamm.  Auch  Ringe  von  Stein  und  Eisen,  die  an  den  Felsen 
und  die  Ketten  erinnern  sollten,  trug  man  zu  seinem  Gedächtniss  ^). 

Die  Lehre  von  der  Wiedergeburt  des  Menschen  verknüpfte 
sich  aufs  natürlichste  sowohl  mit  den  Gottheiten  von  Samothrace  und 
Eleusis  als  auch  mit  der  Fabel  von  Dionysos,  dem  zu  Ehren  mau 
anderwärts  Mysterien  feierte.  Wir  haben  uns  über  die  erstem  §.  31 
ausgesprochen,  und  verweisen  hier  nur  auf  ein  marmornes  Basrelief 
aus  dem  Peloponnes^),  welches  die  beiden  Gaben,  die  wir  der  De¬ 
meter  verdanken,  sinnig  gegenüber  stellt:  links  steht  der  Ueberlluss 
als  eine  weibliche  Gestalt  mit  dem  Namen  ET&IINIA,  über  ihr  steht 
an  einem  Baume  eine  weibliche  Figur  mit  aufgeschürztem  Gewände, 
wahrscheinlich  Hekate,  rechts  sitzet  die  Weihe  TEAETH  als  eine  ein¬ 
fach  gekleidete  Frau  auf  einem  Armsessel,  an  dessen  Lehne 


*)  Diodor.  IV,  24.  2)  Apollodor.  II,  5,  12. 

2)  Bei  Athenäus  XV  p.  672  E. 

•)  Ilygiti.  Poet.  Astron.  II,  15. 

’)  Bei  Creuzer  Symb.  IV  II.  II  T.  VIII  n.  19.  In  der  Erklärung 

erinnert  er  an  die  bekannte  Stelle  des  Isokrates  ira  Panegyr. 


J160 


EIllKTHSIS  (Besitz  dazu,  d.  h.  ausser  den  zeitlichen  Gütern)  ge¬ 
schrieben  steht,  und  an  dessen  unterm  Theil  eine  geflügelte  Sphinx 
als  Sinnbild  des  Gelieimnissvollen  angebracht  ist.  Andererseits  ha¬ 
ben  die  bacchischen  Mysterien,  die  man  nicht  mit  den  öirent- 
lichen  Dionysosfesten  verwechseln  darf,  bedeutsame  Winke.  Mao 
zeigte  darin  Sinnbilder,  die  an  des  Gottes  Leidensgeschichte  erinnerten. 
Beim  Spiel  nemlich  überraschten  den  jugendlichen  Gott  die  tücki¬ 
schen  Titanen,  er  blickte  in  den  Spiegel  (sinnliche  Selbstbeschauung), 
er  belustigte  sich  mit  dem  Ball  (Well),  mit  dem  Würfel  (Zufall), 
mit  dem  Kreisel  und  Kegeln  (Beweglichkeit),  mit  Hesperidenäpfeln 
(Jahreszeiten)  und  mit  Wolle  *);  so  wie  Bersephone  als  eitle  Blu¬ 
menleserin,  nach  den  betäubenden  Narcissen  haschend  2),  die  Beute 
des  grausen  Galten  wurde.  Die  eiteln  Spiele  bringen  Tod  und  Ver¬ 
derben.  Pallas,  die  göttliche  Weisheit,  allein  rettet  davon,  sie 
trägt  das  schlagende  Herz  des  ermordeten  Gottes  zum  Vater  Zeus. 
Er  wird  ein  neugebornes  Kind  Jacchus.  Hygin  (fab.  155.  167)  un¬ 
terscheidet  den  von  den  Titanen  zerrissenen  Liber  als  einen  Sohn 
der  Proserpina  von  dem  Neugebornen  als  einem  Sohne  der  Semele 
(s.  S.  238).  Als  Herr  der  Natur  bedeutet  Jacchus  die  Wiedergeburt 
derselben,  aber  als  Menschenvater  und  Weihegott  stellt  er  ohne 
Zweifel  der  Menschen  Gemeinschaft  mit  den  Göttern  und  ihre  Wie¬ 
dergeburt  in  Folge  der  freiwilligen  Nachahmung  des  durch  Nothwen- 
digkeit  gebotenen  Absterbens  und  Erneuerns  der  Natur  vor.  Wenn 
sonst  Dionysos  das  Amt  des  alten  pelasgischen  Hermes  übernahm,  so 
war  er  doch  von  dieser  Seite  betrachtet  rein  und  enthaltsam,  und 
zur  Bezeichnung  des  Gegensatzes  scheint  es  geschehen  zu  seyn,  dass 
man  auf  der  Akropolis  zu  Athen  dem  ungeweihten  (djum^rog)  Hermes 
ein  Heiligthum  errichtete  3).  Dionysos  als  Feuergeborner  war  schon 
von  Geburt  an  rein  und  geweiht,  und  dieses  Feuer  in  Uebereinstim- 
mung  mit  dem  Feuerkind  Deinophon  wurde  ohne  Zweifel  auch  bei 
ihm  auf  seine  Peinigung  gedeutet.  Eben  dahin  zielt  die  Fabel ,  die 


')  Clem.  Piolr.  p.  15.  30  und  daraus  Arnob.  L.  V,  19.  Firmicus 
de  errore  prof.  relig.  :  ein  Bruder  von  zwei  Brüdern  uingebracbt. 
Nonnus  Dionys.  VI,  173.  Etym.  M.  v.  ZayQsvg  und  JeXcpui.  Tzelz. 
ad  Lycopbr.  208. 

2)  Paus.  IX  ,  31  ,  0. 


llesych.  dem.  Prolr. 


361 


Kinder  der  Erde  hätten  die  Glieder  des  zerfleischten  Dionysos  in 
einem  Kessel  gekocht,  Demeter  aber  sie  wieder  zusammengefügt*). 
Hieran  knüpfte  sich  leicht  die  Warnung  vor  den  einschmeichelnden 
Titanen,  damit  man  nicht  in  des  Orkus  ewige  Nacht  falle,  ln  des 
Dionysos  Tod  ersieht  man  den  traurigen  Sold  der  Ausschweifungen. 
Wie  seine  Scham  (der  Phallus)  in  der  mystischen  Kiste  verborgen 
liegt,  so  seyd  keusch  und  entsaget  dem  Fleische.  Der  Archigallus 
entmannte  sich ,  seinen  Gott  Attis  nachahmend  und  auferlegte  sich 
Enthaltsamkeit ,  wovon  die  ßeschneidung  hei  den  Aegyptern,  Aethio- 
piern,  Kolchiern ,  Phöniziern  und  Hebräern  das  Zeichen  war  2), 
Aber  auch  dem  Dionysos  haben  die  Titanen  zum  Vorbild  für  die  Ge¬ 
weihten  die  Schamtheile  ausgeschnitten.  Dadurch  wurde  der  Frevel 
des  Kronos  wieder  gut  gemacht,  und  die  Entmannung  des  Dionysos, 
Osiris  und  Attis  steht  im  umgekehrten  Verhältniss  zur  Entmannung 
des  Uranus.  Als  der  Himmel  seines  Männlichen  beraubt  worden,  so 
wurde  das  Fleisch  und  die  fort  und  fort  Fleisch  zeugende  Kraft, 
Aphrodite,  geboren.  Werden  aber  die  zeugenden  Götter  des  Flei¬ 
sches  entmannt,  so  wird  der  Himmel  mit  dem  Menschen  versöhnt, 
die  Erinnyen,  die  aus  dem  uranischen  Samen  entsprangen,  werden 
beschwichtigt  und  die  Sinnenwelt  richtet  sich  geheiligt  aufwärts ,  vom 
Geiste  beherrscht  und  getragen.  Das  ist  die  Beschneidung  des  Her¬ 
zens;  darum  obgleich  in  der  Vorhaut,  windet  purpurne  Binden  um 
eure  Lenden.  Daher  hatte  man  in  den  bacchischen  Weihen  dreierlei 
Reinigungen:  durch  Wasser,  F’euer  und  Luft,  um  die  Läuterung  der 
Seele  von  der  Erde  anzudeulen  3). 

Wegen  der  gebotenen  geheimnissvollen  Zurückhaltung  können 


*)  Diodor.  III,  61.  Clem.  Prolr.  p.  15. 

2)  Herod.  II,  104.  Wenn  Winer  in  seinem  Reallexicon  die  Be- 
scbneidung  auf  die  edlem  Kasten  Aegyptens,  besonders  die  Priester¬ 
kaste,  einschränken  möchte,  so  war  dieses  vielleicht  später  der  Fall, 
scheint  mir  aber  dem  lichtvollen  Berichte  Ilerodols  zu  widersprechen 
(vgl.  §.  92).  Abraham  hatte  sich  diese  Ceremonie  ohne  Zweifel  auf 
seiner  Wanderung  in  Aegypten  angeeignet  und  seinen  Nachkommen 
überliefert. 

3)  Serv.  ad  Virg.  Ecl.  II,  389.  ad  Aen.  VI,  741.  Creuzer  Symb.  IV 
S.  92. 


wir  die  Fabel  von  dem  Zerreissen  des  Dionysos  durch  die  Tilanen 
nur  bei  spätem  Scliriflstellern  erwarten.  Auf  die  ursprüngliche  llei- 
inath  dieses  Gottesdienstes  verweist  uns  eine  Stelle  Herodotsj,  die 
auch  in  anderer  Uücksicht  beachlenswerth  ist.  Er  erwähnt  die  ägyp¬ 
tische  Sitte,  nicht  in  wollenen,  sondern  leinenen  Kleidern  in  die 
Tempel  zu  gehen,  und  eben  so  wenig  sich  mit  Wolle  begraben  zu 
lassen;  das  stimme  mit  dem  Orphischen  und  Bacchischen  überein, 
was  mau  aber  so  nenne,  sey  Aegyptisches  und  Pythagoreisches; 
denn  die  Theilnehmer  dieser  Orgien  dürfe  man  nicht  in  wollenen 
Kleidern  beerdigen ,  worüber  es  eine  heilige  Sage  gebe.  Hiermit 
setzt  er  nach  seiner  Ansicht  das  sogenannte  Orphische  und  Bacchi- 
sche  dem  Aegyptischen  und  Pythagoreischen  gleich,  und  gibt  mit 
kritischer  Besonnenheit  zu  verstehen,  das  Orphische  im  Munde  des 
Volkes  sey  dem  spätem  Pythagoras  und  seiner  ägyptischen  Quelle, 
woraus  er  schöpfte,  zuzuschreiben,  und  die  Pythagoreer  hätten  sich 
für  Orphiker  ausgegeben,  um  sich  ein  Ansehen  zu  geben;  wie  sie 
denn  auch  dem  Orpheus  Schriften  unterschoben  •).  In  Aegypten  nun 
wird  nach  alter  Fabellehre  Osiris  von  seinem  Bruder  Typhon  und 
dessen  Genossen  erschlagen,  zerfleischt  und  begraben,  ein  Beherr¬ 
scher  des  Todtenreichs  ,  und  hatte  seine  Mysterienfeier.  Der  Zusam¬ 
menhang  ist  unverkennbar  und  gewiss  nicht  zufällig,  noch  von  Hero- 
dot  ersonnen;  wenn  auch  zugleich  Kreta  und  Phrygieu  eine  Brücke 
des  ägyptischen  Gottesdienstes  für  Griechenland  gewesen  sind  (§.90). 
Die  heilige  Sage,  die  Ilerodot  leise  berührt,  ist  wahrscheinlich  die¬ 
selbe,  die  wir  vorhin  aus  Clemens  von  Alexandrien  anfübrten,  dass 
Dionysos  überfallen  worden  sey,  während  er  sich  unter  Anderm  mit 
Wolle  beschäftigte;  wobei  dahin  gestellt  bleibt,  ob  man  nicht  aus 
andern  Gründen  die  wollenen  Kleider  für  unrein  erachtete  und  erst 
hintendrein  jenen  ^öyog  erdichtete,  um  das  Verbot  mit  einem 

Heiligenschein  zu  umgeben  und  so  zu  empfehlen.  Dem  Urtheil  He- 
rodots  stehen  andere  Zeugnisse  zur  Seite.  Wenn  Heraklitus  (fragm. 
70  p.  52't)  den  Hades  Dionysos  und  Aeschylus  die  Artemis  eine  Toch¬ 
ter  der  Demeter  2)  nannte,  so  zeigen  sie  ihre  ägyptische  Gelehrsam¬ 
keit  ;  denn  die  Griechen  nannten  den  Osiris  Dionysos,  die  Isis  De- 


')  Diog.  T.  VllI  ,  8.  Clem,  Strom.  I  p.  333. 
2)  llerod.  11.  150.  Paus.  Arcatl.  37,  3. 


ineler,  und  die  Kinder  des  Osiris  und  der  Isis  waren  ürus  und  ßu- 
bastis  (Apollon  und  Arleniis).  Wenn  Arislophanes  (Frösche  1032) 
sagt:  Orpheus  hat  uns  die  Weihen  (reXfrct^),  und  vom  Tödlen  die 
Hände  abzuhallen  gelehrt,  so  hören  wir  den  gewöhnlichen  Sprach¬ 
gebrauch  orphisch  und  das  damit  in  Zusammenhang  gebrachte  Ver¬ 
bot  Ihierischer  Kost.  Unter  diesen  Weihen  werden  wir  hauptsäch¬ 
lich  die  bacchischen  ,  auch  Melroa  und  Sabazia  genannt,  zu  verste¬ 
hen  haben,  von  deren  Gebräuchen  wir  unten  reden  werden.  Euri- 
pides  (Hippolyt.  949)  bestätigt  es,  indem  er  seinen  Theseus  auf  des 
Orpheus  Dionysosdien  st,  die  leblose  Nahrung  und  die  alten 
Mährchenbücher  losziehen  lässt.  Es  ist  indessen  kein  Widerspruch, 
dass  man  dem  Orpheus  und  Pythagoras,  welche  der  apollinischen 
Religion  ergeben  waren,  ja  für  Apollons  Söhne  gehalten  wurden  '), 
bacchische  Weihen  zuschrieb,  und  eben  so  wenig  hat  man  hierbei 
der  Ausgleichung  wegen  an  verschiedetie  Zeilen  zu  denken.  Es  war 
ja  nicht  die  ausgelassene  bacchische  Profanreligion,  der  sie  huldigten, 
sondern  die  Geheimlehre,  die  den  Tod  des  Gottes  und  alles  Flei¬ 
sches  andächtig  betrachtete,  die  sein  Grab  neben  dem  reinen  Apol¬ 
lon  aufzeigle,  und  so  durch  uachahmendes  Abslerben  und  Läuterung 
eine  Versöhnung  beider  Götter  anslreble.  Wir  haben  .')7  nach¬ 
gewiesen,  dass  diese  Versöhnung  sogar  eine  Gleichselzung  geworden 
ist.  Ein  charakteristisches  Zeugniss  von  dem  Verschmelzen  bacchi- 
scher  und  phrygischer  Mysterien  und  von  orphisch  pythagoreischer 
Reinigkeit  auf  der  Insel  Kreta  gibt  uns  ein  ßruchslück  aus  den  Kre¬ 
tern  des  Euripides  2) ,  wo  der  Chor  der  Priester  des  idäischen  Zeus 
zu  Minos  spricht:  „Ich  führe  ein  lauteres  Leben,  seit  ich  des  idäi¬ 
schen  Zeus  und  des  nächtlichen  Zagreus  Geweiheier  bin,  seil  ich  die 
Mahlzeiten  der  rohen  Fleischeskost  vollbracht  und  der  Mutter  vom 
Berge  die  Fackeln  trage,  seit  ich  feierlich  geweiht  der  Kurelen  Bac- 
chos  heisse.  Angethan  mit  glänzend  weissem  Gewände,  fliehe  ich 
der  Sterblichen  Geburt  und  berühre  nicht  den  Sarg,  abgewandt  von 
jeglicher  Kost,  die  Leben  hauchte.«  Wir  haben  zu  unterscheiden, 
was  öffentlich  am  Tage  und  was  als  ein  Mysterium  hei  Nacht  ge¬ 
schah,  sowohl  nach  einer  Stelle  des  Demosthenes  (s.  §.  90),  als 


')  Jambl.  v.  Pylhag.  10,  177.  Porphyr,  v.  Pylhag.  28. 
2)  Bei  Porphyr,  de  abstiii.  IV,  19  p.  .305. 


364 


uacb  Catullus,  welcher  (Eleg-  65)  ein  Bacchanal  also  beschreibt: 
Die  Bacchanten  rufen  laut  Evoe  das  Haupt  schüttelnd,  einige  schwin¬ 
gen  die  Thyrsusslähe,  andere  raffen  Stücke  von  einem  zerrissenen  jun¬ 
gen  Stiere  zu  sich  ,  andere  schlingen  sich  windende  Schlangen  in  die 
Haare,  andere  feiern  mit  den  Kisten  die  verborgenen 
Orgien,  welche  die  Ungeweihten  vergebens  zu  hören  begehren, 
andere  schlagen  Trommeln  und  Cymbeln  oder  blasen  die  Hörner, 
Was  die  mystischen  Kisten  in  sich  verschlossen,  lehrt  uns  Klemens 
von  Alexandria  (Protrept.  p,  19),  nemlich  eine  Menge  Arten  von 
Gebackenem,  dessen  vcrsciiiedene  Gestalt  wir  nicht  mehr  zu  unter¬ 
scheiden  wissen,  vielleicht  von  allen  Arten  von  Getreide,  um  die 
Gaben  der  Demeter  zu  ehren,  als  arjaa(ial,  nv^ajuldsg ,  xokvnai  i), 
itÖTiava  7to'kv6}j,q)a\a,  cpdoig.  Es  lässt  sich  vermuthen,  dass  die  Ge¬ 
stalt  des  männlichen  und  weiblichen  Gliedes  und  andere  Gliedmassen 
des  erschlagenen  Dionysos  nachgebildet  wurden,  wie  in  den  Thes- 
mophorieu  Honigkuchen  von  Sesam  in  der  Gestalt  des  weiblichen 
Gliedes  genannt  werden  (s.  §.  74).  Kerner  waren  in  der  Kiste  nach 
Klemens  Salzkörner  (als  die  Würze  aller  Nahrung) ,  eine  Schlange, 
dem  Dionysos  Bassarus  gewidmet  (au  die  Erzeugung  des  Lebensgot¬ 
tes  erinnernd),  Herzen  (vermuthlich  zum  Gedächtniss  an  das  nach 
der  Erschlagung  allein  noch  lebendige  Herz  des  Dionysos),  Epheu 
(als  Sinnbild  des  immergrünen  Lebens),  Ferulastäbe  (deren  die  Bac¬ 
chanten  sich  bedienten),  Granatäpfel  und  Mohnköpfe  (beide  als  Be¬ 
hälter  von  vielen  Samen)  2),  Da  waren  also  die  Symbole  der  Natur¬ 
gesetze,  gleichwie  in  der  Bundeslade  der  Hebräer  die  Tafeln  des 
Sittengesetzes. 


')  ToXvjtac  heisst  auch  gekrempelte  Wolle,  eine  Nachahmung  des 
Spielzeugs  des  Dionysos,  als  er  von  den  Titanen  ertappt  wurde,  wor¬ 
unter  auch  Wolle  sich  befand. 

2)  Phurnutus  N,  D.  will  durch  die  Mohnköpfe  die  Erde,  Berge 
und  Thäler  angedeulet  hnden ;  besser  ist,  was  er  dann  sagt:  per  semi- 
na  innumerabilia  terrae  foecundam  generationem  intellige.  —  Mohn 
kommt  auch  unter  den  Attributen  der  Demeter  vor:  Spanhem.  ad  Cal- 
lim.  h.  in  Apoll,  v.  HO.  in  Cer.  v.  44.  Mitscherl,  ad  Hom.  h.  in  Cer, 
13.  Creuzers  Bilderb.  T.  37,  —  Granatäpfel  vertheilt  man  jetzt  noch 
bei  ilochzeiten  in  Griechenland  :  Dodwell  Reisen  II  S.  76. 


365 


Eine  ähnliche  Sage  wie  vom  Zerfleischen  und  Kochen  des  Dio¬ 
nysos  haften  die  Peloponneser  von  ihrem  Stammherrn  Pelops.  Sein 
Vater  Tantalus  opferte  ihn  den  Göttern,  lud  sie  zu  sich  ein  und  setzte 
ihn  zu  essen  vor.  Sie  aber  verschmähten  das  Menschenfleisch;  nur 
Demeter,  die  gerade  ihre  Tochter  suchte,  ass  ein  Schulterblatt  da¬ 
von.  D.  i.  der  Mensch  verfällt  zum  Theil  der  Mutter  Erde;  sie  ihre 
hingesunkene  Tochter  suchend,  nimmt  auch  die  Menschen  in  ihren 
Schooss.  Die  Göller  liessen  aber  die  übrigen  Glieder  in  einem  Kes¬ 
sel  kochen  und  die  Schulter  durch  eine  elfenbeinerne  ersetzen,  und 
machten  den  Pelops  wieder  lebendig.  Klotho  nahm  den  neuen  Men¬ 
schen  aus  dem  Kessel  heraus  ^).  Seinem  Vergehen  scheinen  Kinder¬ 
opfer  des  Tanlalus  und  die  Sille  der  rohen  Vorzeit,  Menschenfleisch 
zu  speisen  2) ,  zu  Grunde  zu  liegen.  Tydeus  z.  B.  im  thebanischen 
Kriege  von  dem  Thebaner  Melanippus  verwundet  und  daroh  erzürnt, 
bat  den  Amphiaraus,  denselben  zu  tödten  und  seinen  Kopf  ihm  zu 
bringen.  Als  dieses  geseheheu  war,  so  vergriff  er  sich  daran  und 
ass  davon  3).  Die  Ergänzung  aber  und  die  Wiederbelebung  des  Pe¬ 
lops  mag  mehrere  Bedeutungen  haben:  das  Fortleben  desselben  in 
seinen  Kindern,  in  denen  er  immer  wieder  auferstebt,  während  ein 
Theil  von  ihm  (d.  i.  die  Individuen)  in  die  Erde  fällt  und  stirbt; 
aber  zugleich  ist  er  das  Vorbild  eines  geweihten,  Gott  geopferten 
Menschen,  der  frei  von  Roheit  ist.  Nach  Andern  ass  Thetis  von 
Pelops,  das  hiesse  ebenso  viel  als;  das  feuchte  und  irdische  Element 
macht  immer  Anspruch  auf  den  Menschen  ungeachtet  aller  Weihe. 

Wie  hier  Demeter  und  ein  Gott  geopferter  Mensch  im  Verbäll- 
niss  stehen,  so  wurde  zu  Korinth  ein  Trauerfest  der  Here,  ’H^aia 
genannt,  mit  der  Ermordung  der  Kinder  der  Medea  in  Verbindung 
gebracht,  welche  die  Mutier  selbst  in  dem  Tempel  der  Burggüllin 
Here  allda  begrub.  Die  Bedeutung  dieses  Festes  wird  in  den  Wor- 


*)  Find.  Ol.  I  ,  40  ff.  ib.  Schob  Lycophr.  152  f.  ib.  Schob 

2)  Orphische  Verse  bei  Sexlus  Erapiricus  adv.  Mathem.  II,  31. 
IX,  15. 

3)  Eurip.  bei  Scbol.  Find.  Nera.  X,  12.  Apollodor.  III,  6,  8. 
Eustalb.  p.  1273.  2.  Auch  die  Söhne  Lycaons  sollen  dem  Zeus  Men¬ 
schenfleisch  aufgetischt  haben,  und  ihr  Vater  in  einen  Wolf  verwan¬ 
delt  worden  seyn :  Hygin.  fah.  17(5. 


366 


ten  *)  ausgedrückl :  »Wir  werden  dem  Lande  des  Sisyphos  liinfort 
ein  ehrwürdiges  Fest  und  Weilien  (ralij')  anslait  jenes  godlosen  Mor¬ 
des  einrichten.“  Indem  man  diesen  Kindern  ein  Todlenopfer  brachte, 
was  sich  zufolge  eines  Orakels  bis  nacli  Argos  verbreitete,  so  wollte 
man  zunächst  die  Manen  der  Kinder  sühnen.  Die  Verknüpfung  aber 
eines  Kinderfestes  mit  Here  und  mit  Weihen  lässt  vermulhen,  dass 
jene  Kinder  der  Here  geopfert  worden  sind.  In  den  Weihen  wurde 
aber  die  wahre  Bedeutung  der  Menschenopfer  fesigehalten  und  fort¬ 
gepflanzt,  und  zwar  in  Beziehung  auf  eine  bestimmte  Gottheit,  der 
sich  der  Mensch  weihen  soll.  Uebrigens  soll  nicht  Medea,  sondern 
die  Korinther  selbst  die  Kinder  getödtet  und  erst  Euripides  in  seiner 
Tragödie  auf  Anstehen  der  Korinther  die  Mutter  zur  Kindesraörderin 
gemacht  haben  2). 


S-  60. 

B  ü  c  k  b  I  i  c  k. 

Blicken  wir  nach  der  Betrachtung  der  griechischen  Götter  und 
des  Verhällo'^'es  der  Menschen  zu  ihnen  auf  ihre  Gesammtzahl  zu¬ 
rück,  so  wird  uns  gemeldet,  dass  Pisistratus  Archon,  Enkel  des 
gleichnamigen  Tyrannen,  zwölf  Göttern  auf  dem  Marktplatze  zu 
Athen  einen  Altar  errichtet  habe  3),  und  hinter  der  Stoa  waren  ihre 
Bildnisse  gemalt.  Platon  (Phädr.  p.  247  A)  gibt  gleichfalls  ihre  An¬ 
zahl  auf  zwölf  an,  dass  sie  in  eilf  Reihen,  den  Zeus  an  der  Spitze» 
in  der  jedem  angewiesenen  Ordnung  als  Häupter  und  Anführer  einer 
himmlischen  Schaar  aufziehen.  Denn  Hestia  als  die  zwölfte  bleibe 
allein  im  Göllerhaus  zurück ,  was  der  Natur  ihres  Wesens  und  häus¬ 
lichen  Sinnes  entspricht.  Welches  sind  nun  die  eilf  andern  Götter 
als  Hauptideen  des  griechischen  Himmels  und  als  Regenten  unsers 


')  Eurip.  Med.  1.369  das.  Schob 

2)  .4cliau,  V.  H.  V,  21.  Paus.  Corinth.  p.  43. 

')  Thucyd.  VI,  54.  Aristoph.  Aves  95  das.  Beck.  Ennius  bei  Apii- 
lej  de  Deo  Socrat.  p.  225.  Hermann  die  goltesdienstl.  Alterth.  d.  Gr. 
S.  36.  Als  den  131en  Gott  schlug  Demades  den  Alexander  in  der  Volks¬ 
versammlung  von  Athen  vor,  wurde  aber  wegen  Gottlosigkeit  bestraft: 
Aelian.  V.  H.  V,  12. 


a67 


Lebens?  Abgesehen  von  Dionysos  als  einem  jüngern  Gott  und  von 
Hades  als  der  andern  Hälfle  unsers  Lebens  in  der  Unlerwell,  be¬ 
zeichnen  wir  als  solche  in  Uebereiuslimmung  mit  Ennius:  1)  Zeus 
als  Weltregent  und  Menschen vater  mit  seinen  Gattinnen  Metis, 
Themis,  Mnemosyne  und  Lelo,  mit  seinen  Kindern,  den  Ho¬ 
ren,  Mören,  Chariten,  Herakles  und  den  mit  menschlichen 
Müttern  erzeugten  Dios  kuren.  ‘2)  Here  als  Himmelskönigin  mit 
Hebe  und  Ilithyia.  3)  Apollon  und  4)  Artemis,  die  unzer¬ 
trennlichen  Zwillinge,  als  die  grossen  Lichter  und  V^orsteher  der 

Wissenschaft  und  der  hohem  Künste  mit  den  Musen  und  As- 

> 

klepios.  5)  Athene  mit  den  Künsten  und  Gewerben  des  Le¬ 
bens.  6)  Heph  ästos  als  der  Gott  des  Feuers  und  der  Hand¬ 
werke  mit  Feuer.  7)  Ares  der  Kriegsgolt.  8)  Hermes  als  der  Göt- 
lerbote  und  Mittler.  9)  Aphrodite  mit  Eros  als  das  Vermögen 
der  Fortpflanzung.  10)  Demeter  mit  der  Tochter  Persephone 
und  dem  Sohne  Pluto  s  als  die  Erde  und  deren  Fruchtharkeit.  11) 
Poseidon  als  das  Wasser.  Es  sind  sechs  Götter  männlichen  und 
sechs  weiblichen  Geschlechts,  die  im  ehelichen  oder  geschwisterlichen 
Verhältniss  zusammen  stehen. 

Himmel,  Erde  und  Meer  ist  der  Schauplatz  der  göttlichen  Thä- 
tigkeit  (Zeus  ,  Demeter,  Poseidon),  lieber  der  Bewegung  aller  Dinge 
und  dem  Kreisen  -der  Welten  steht  unveränderlich  die  ewige  Ord¬ 
nung  (Hestia).  Gott  ist  der  allerhöchste  Geist ,  allweise  (Metis),  all¬ 
wissend  (Mnemosyne),  gerecht  (Themis),  wahrhaftig  (Leto)  und  se¬ 
lig  (Chariten).  Durch  göttliche  Kraft  wird  die  Fruchtbarkeit  erhal¬ 
ten  und  besamen  sich  die  Pflanzen  (Demeter  und  Persephone),  Men¬ 
schen  und  Thiere  pflanzen  sich  fort  (Aphrodite,  Dionysos  und  Her¬ 
mes).  Gott  ist  Vater  der  Menschen  (Zeus  und  Here  mit  Ilithyia) 
und  ihr  Erlöser,  wenn  sie  den  Tod  der  grossen  Götter  verkündigen, 
von  dem  vergänglichen  und  sündigen  Wesen  aufwärts  blicken,  käm¬ 
pfen  und  sich  reinigen  (Weihen  der  Demeter  und  des  Dionysos,  He¬ 
rakles).  (iott  leitet  alle  Veränderungen  in  der  Natur  (Horen)  und 
in  der  Geschichte  (Mören),  ist  der  Urheber  wie  der  Wellharmonie, 
so  der  Wissenschaft  und  Kunst  (Apollon,  Artemis,  Musen,  Askle¬ 
pios)  ,  Meister  in  allen  Gewerben  (Athene  ,  Hephäslos)  ,  im  Acker¬ 
bau  (Demeter)  und  im  Handel  (Hermes),  Vorsteher  der  Jagd  (Ar¬ 
temis)  und  des  Kriegs  (Athene  und  Ares).  Dazu  stehen  Gott  alle 
Mittel  und  Wege  zu  Gebote  (Hermes). 


368 


Die  Namen  der  überirdischen  Mächte  stehen  an  der  Feste  des 
Himmels  gesclirieben  und  leuchten  so  in  das  Erdenthal  hernieder, 
und  zwar  die  Namen  der  Götter  Apollon  und  Artemis  in  Sonne  und 
Mond,  Kronos,  Zeus,  Hermes,  Ares  und  Aphrodite,  jeder  in  einem 
Planeten  ').  Die  Heroenwelt  spiegelt  sich  in  dem  verschwimmenden 
Heer  der  entfernteren  Fixsterne  als  der  Erinnerungszeichen  und  Bil¬ 
der  der  grossen  Thaten  der  V'^orzeit. 


*)  Jene  fünf  Planeten  nannten  die  Griechen  auch  nach  der  Sille 
der  Aegypter  'I>aivcov,  fpasScov,  I^riXßwp,  Ilv^öetg  und  f^bnacpoQoq. 
Cic.  N.  D.  II,  29.  Jo.  Lydus  de  diebus. 


Ende  des  ersten  Theiles. 


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BL781  .R57 

Die  Religion  der  Hellenen  :  aus  den 

Princeton  Theological  Seminary-Speer  Library 


1  1012  00163  5525