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Die
Religion der Hellenen,
aus
den Mythen, den Lehren der Philosophen und
dem Kultus
entwickelt und dargestellt
von
Wilhelm Friedrich
inek.
ZÜRICH.
Verlag von Meyer und Zeller.
1S53.
Hoher Sinn liegt oft in kind schem Spiel.
Schiller.
Druck von Zürcher und Furier.
Erster Tlieil.
Von Gott und dem Vcrhältniss der Welt und der Menschen
zu Gott.
Die Wahrheit in dem Wahn zu finden,
Zu ahnden sie, sie zu empfinden.
Mich aus dem Schutt emporzuheben,
Sey meine Freude, mein Destreben.
Lavafer.
V o r r e d e.
Es ist ein treffliches Wort Otfried Müller’s *), dass
nur von der Höhe der christlichen Welthetrachtung sich dem
Philologen die classische Welt aufschliesse in ihrer Wahrheit
und Schönheit. »Wissen wir doch sicher, sagt Ebenderselbe**),
dass die Mythen als Grund und Boden der Poesie und Kunst
Jahrhunderte lang den Geist des hellenischen Volkes vor¬
zugsweise beschäftigten; und wie wäre es möglich, ohne
Kenntniss der Mythen und ihres Entstehens sich von dem
geistigen Leben dieser Zeit einen Begriff zu machen?« Die
Hellenen, die Lehrer der Humanität, müssen an Hochach¬
tung bei uns gewinnen , wenn ihr Götterhimmel durch treue
und gläubige Geschichtforschung aufgeklärt wird. Meine
Absicht war, nicht den Aberglauben in seinen Verirrungen
zu verfolgen und vom christlichen Standpunkte aus zu rich¬
ten, sondern die Wahrheit, die ihm zu Grunde liegt, und
deren sich die bessern Geister mehr oder weniger bewusst
waren, aufzusuchen, und die unbestrittene Frömmigkeit der
Alten in ihrem Rechte und ihrer ursprünglichen Lauterkeit
*) Bei Lücke in den Erinnerungen an ihn S. 25.
“) K. 0. Müller Prolegoniena zu einer wissenschaftlichen My¬
thologie S. 206 f.
VI
nachzuweisen. Ist mir dieses Bestreben gelungen , so wer¬
den die erstorbenen Götter Griechenlands wieder anheben
zu leben und sich in die Vorhallen des christlichen Tempels
stellen, nicht um von neuem angebetet zu werden, nicht
um einem neuen Heidenlhum Vorschub zu thun , sondern
indem sie sich der Religionsgeschichte wie ein Theil dem Gan¬
zen einreihen , wird dadurch , dass eine und dieselbe bald
mehr bald weniger begriffene Wahrheit in allen Religionen
wiederkehrt, der Unglaube, der diese Wahrheit in Frage
oder in Abrede stellt, beschämt, und sowohl der Religions¬
philosophie als der allgemeinen Anerkennung der geoffen-
barten Religion ein Dienst geleistet. Allerdings mag man
die Ergebnisse meiner Untersuchungen mit einigem Misstrauen
betrachten, wenn man auf ähnliche Lehrsätze stösst , die wir
in der christlichen Religion ausgeprägt finden. Jedoch da
der Geist und das Gemüth des Menschen zu allen Zeiten
sich ähnlich , die Menschheit eine und dieselbe und die re¬
ligiösen Bedürfnisse immer und überall die gleichen sind,
so ist jene Uebereinslimmung an sich betrachtet nicht zu
beanstanden, eher über das Gegenlheil wäre sich zu wun¬
dern ; und ich bin mir bewusst , ohne Befangenheit mich
in den Sinn der Vorzeit versetzt zu haben, jederzeit von
den überlieferten Lehren und Gebräuchen ausgegangen zu
seyn, und sie mit der nöthigen Nüchternheit betrachtet zu
haben, ohne ein selbstgemachtes Spiel damit zu treiben.
Freilich ist auf diesem Gebiete keine unumstössliche Gewiss¬
heit zu erwarten, und es ist daher ein Leichtes, Einwürfe
im Einzelnen zu machen. Sind aber die entgegenstehenden
Meinungen nicht geeignet, die vorhandenen Räthsel mit
gleicher Wahrscheinlichkeit zu lösen, so hoffe ich, dass
meine Grundansichten im Ganzen sich Bahn brechen wer¬
den. Ein Theil des wohlzusamrnonhängenden Systems wird
Vll
auf den andern Licht werfen und bei Unbefangenen man¬
ches Bedenken zerstreuen. Mein Plan ist, wie auf dem
Titel angedeulet worden, theils ein engerer theils ein wei¬
terer als der meiner Vorgänger: er will nicht alle Mythen
des griechischen Volkes behandeln, sondern nur die sich
auf die Religionslehre beziehen , dagegen aber zugleich die
gottesdienstlichen Einrichtungen und Gebräuche in den Kreis
der Untersuchung ziehen und die nicht in mythische Form
eingekleidelen Lehren von Gott und seiner Verehrung, von
unsern Pflichten und unsrer künftigen Bestimmung berück¬
sichtigen. Mein Buch ist daher weniger und mehr als eine
Mythologie. Denn eine Wissenschaft, dünkt mich, muss
einen fest begrenzten Gegenstand haben; die Mythen aber
sind nicht ein solcher Gegenstand, sondern eine Ausdrucks-
w'eise verschiedenartiger Dinge, die keine organische Be¬
handlung zulassen. Apollodor z. B. hat in seiner Biblio¬
thek eine Mythensammlung angelegt ; aber nur die sechs
ersten Kapitel seines ersten Buches enthalten dürftige No¬
tizen von der Götterlehre, fast der ganze übrige Theil sei¬
nes Buches (mit Ausnahme der Fabeln von Dionysos und
Hermes) bandelt von der mythischen Geschichte Griechen¬
lands, von den berühmten Männern und Frauen der fabel¬
haften Vorzeit, von den alten Stammfürsten. Beides lasst
sich wohl aus einander halten und gleichwohl Rücksicht auf
das Letztere nehmen, wofern Götter und Menschen in Verkehr
zusammen treten oder Menschen göttliche Ehre erwiesen
wurde. Religion und Geschichte, wiewohl verwandt, sind
dennoch zu unterscheiden, wie Göttliches und Menschliches.
Apollodor hat diesen Unterschied selbst festgehalten, und
ein eigenes Buch von den Göttern geschrieben, das verlo¬
ren gegangen ist. Eine wissenschaftliche allgemeine Mytho¬
logie scheint mir ein in sich selbst widersprechender Begrifl'
VIII
zu seyn. Die Religion der Griechen hingegen suchte ich
als einen beslimmten uud würdigen Gegenstand wissenschaft¬
lich aus dreierlei Erkenntnissquellen zu erforschen und dar¬
zustellen : erstlich aus den religiösen Fabeln als einer hei¬
ligen Ueberlieferung des griechischen Volkes , welche mit
den Religionen anderer Völker des Alterthums verwandt ist.
Sie war für die alten Dichter etwas Gegebenes und zugleich
ein Gegenstand der weitern Verarbeitung. Die andere Quelle
der Religionserkennlniss und zugleich der Ausdruck der
Religion selbst sind die priesterlicben Sliflungen , die öffent¬
lichen und geheimen Gottesdienste und die Feste; die dritte
Quelle endlich sind die Lehren der griechischen VVeltwei-
sen , so fern sie nicht blos ihre eigenen Gedanken mittheil¬
ten, sondern sich an das licberlieferte anschlossen und es
durch ihr Nachdenken weiter ausbildeten. Wenn K. O.
Müller (Prolegomena S, 206) von einer wissenschaftlichen
Mythologie sagt: »Der Weg ist misslich, jeder Schritt mit
Schwierigkeiten verknüpft, und eine durchgängige und all¬
gemeine Befriedigung nur als ein fernes Ziel zu erreichen“,
so möge der geneigte Leser meinen Versuch, diesem Ziele
näher zu kommen , nachsichtig beurtheilen. Insbesondere
in der logischen Anordnung des weitschichtigen Stoffes, in
der kritischen Ausscheidung der ursprünglichen Fabeln von
den spätem Zutbaten und Mährchen , in der erforderlichen
Sichtung des mehr und minder Wichtigen und in der rich¬
tigen Auslegung des alterthümlichen Sagenkreises glaube
ich das vorgesteckte Ziel vor Augen gehabt zu haben. Mit
Hesiod und Homer, vor welchen jedoch zwei frühere Re¬
ligionsperioden liegen, scheint mir das hellenische Religions¬
gebäude im Allgemeinen abgeschlossen zu seyn; spätere
Ansätze sind meistens mehr eine Verbildung als Ausbildung.
Ihnen ist daher weniger Werth beizulegen, und Manches
IX
davon darf füglich übergangen werden, oder ist nur zu
berühren, um nicht das Verschiedenartige allzu sehr
zu vermischen; wie gemeiniglich geschieht. Die cykli-
schen Dichter haben sich an dem mythischen Stoffe mit
mehr oder weniger Glück versucht; die von ihnen umgebil¬
deten und vermehrten Fabeln hat besonders Pherecy-
des von Athen, der vor dem Feldzuge des Xerxes zehn
Bücher von der ältesten Geschichte unter dem Titel Auto-
chthonen schrieb, in ungebundener Rede zusammengetragen,
und wurde selbst eine Quelle für die auf uns gekommenen
Mythographen , in denen bisweilen noch die ursprüngliche
Dichtersprache durchschimmert, die man aber keineswegs
der Theogonie Hesiods gleichselzen darf.
Indem ich die frühem Bearbeitungen dieses Feldes,
namentlich die Symbolik und Mythologie von Creuzer,
meinem ehemaligen verehrten Lehrer, dankbar benutzte,
hauptsächlich aber mir es zur Pflicht machte , unmittelbar
aus den Quellen zu schöpfen und sie selbstständig zu ver¬
arbeiten, wollte ich den Leser nicht immer mit Anführung
entgegenstehender Ansichten, die durch den Vortrag selbst
ihre Erledigung finden, behelligen, und die alten Schrift¬
steller lieber selbst reden lassen, als in allgemeinen Betrach¬
tungen mich ergehen. Die Alten sind gewöhnlich nüchter¬
ner und treuer in ihren üeberlieferungen als die meisten
der neuern Forscher , so dass wir besser thun uns ihrer
Führung anzuverlrauen. Obgleich sich meine Untersuchun¬
gen auf Ein Volk beschränken, hütete ich mich dennoch,
aller Geschichte und der menschlichen Entwicklung zuwider,
dasselbe isolirt zu betrachten, Verkehr, Einwanderungen
und ausländische Einflüsse in der mythischen Zeit durch ei¬
gensinniges Leugnen zum voraus abzuweisen; vielmehr
glaubte ich bei aller Originalität des griechischen Volkes
X
seinen religiösen Zusammenhang mit dem Morgenlande in
Sache und Sprache anerkennen zu müssen, ohne darum
einem bunten Pantheon das Wort zu reden. Denn ich
pflichte im Ganzen der Ansicht K. O. Müller’s (Orchomenos
S. 462) bei, dass scharfe Sonderung die allererste Bedingung
eines bestimmten und wohlhegründelen Wissens ist. — Ein¬
sichtigen Schulmännern überlasse ich das Urtheil , ob ein
Keligionsbuch des classischen Alterlhums nach meinem Plane
für Gymnasien und Lyceen auszuarbeiten sey. Es könnte
ein eben so nützlicher als anziehender Unterrichtszweig so¬
wohl für die Humanitätsstudien als die religiösen Bedürf¬
nisse unserer Jugend werden.
Der zweite Theil wird sich über das Opferwesen, die
Feste, die Orakel, über die Lehren von der Ewigkeit und
von der Heiligung verbreiten, und in diesem Jahre nach-
folgen.
Der Verfasser.
1 11 ]i a 1 t
Einleitung. S. 1. Wichtigkeit des Gegenstandes. Gegensatz
und Zusammenhang der allen und neuen Zeit. Glauhensformen des
Polytheismus. 4. — Thierdienst. Verständniss der Religion der
alten Griechen. 5. — Allegorische Lehrweise: Sinnbild, Vorbild,
Fabel und Gleichniss. 6. — Inhalt der Mythologie. 12. — Hesiods
*) K. O. Müller sagt in den Prolegoraena z. ein. ws. Älytb. S. 335,
wie ich hier nachträglich bemerken will: »Mythus und Allegorie sind
ganz aus einander liegende, auf verschiedenem Boden stehende, in an¬
dern Epochen der Geistesbildung vorkommende Begriffe. Der Mythus
meint es so, wie er es sagt; jene aber eiXXo fibv ayugsisi, aXXo dh
voei.n Allein eine Rede oder ein Bild wird eben dadurch bedeutsam,
dass es etwas Anderes zu sagen scheint als es wirklich bedeutet, dass
es einen verborgenen Sinn hat, und diess ist gerade der Begriff der
Allegorie. Es scheint mir daher angemessen, die vier bildlichen Lehr-
weisen unter den gemeinsamen Begriff des Allegorischen zu stellen,
wenn ich auch hierin keine Vorgänger habe. Wie man versuchen will ,
die Allegorie dem Symbol, Typus, Mythus und der Parabel, die sich
scharf von einander unterscheiden lassen, als beigeordnet entgegenzu¬
setzen, so wird sie gleichwohl mehr oder weniger mit den beiden letz¬
ten zusammenfallen. — Zum Beispiel, wie in den Mythen Wahrheit
und Lüge gemischt zu seyn pflegen, diene: Phrixus musste mit seiner
Schwester Helle vor den Nachstellungen seiner Stiefmutter aus seinem
Vaterlande Böotien fliehen, die Letztere verunglückte unterwegs im
Hellespout, der von ihr den Namen erhielt, er aber kam nach Kolchis
^um König Aeetes und sah den Phasis und das berühmte Goldland
XII
riieogouie, Ileroogonie und Schild. 1i. — Der Heroeu doppcKe Ab-
slaramung und Vergötterung. 15. *) — Beschränkung der Aufgabe
auf das Gebiet der Religion als einer natürlichen Offenbarung. 17. —
(s. S. 53) , wo mau noch jetzt nach der Wahrnehmung eines englischen
Reisenden durch Taurien (Maria Guthrie , London 1802) zur Goldwäsche
in den dasigen riüssen Schaffelle gebraucht. Da die erste Kunde hie¬
von, die Phrixus oder seine Söhne nach Griechenland brachten, den
Argonauleuzug veranlasste, so waren die Dichter um die Welle ge¬
schäftig, jenen einfachen Vorgang, welcher der ältesten Geschichte
angebört, mythisch auszuscbmücken. Anstatt zu sagen: Die reisenden
Phrixus und Helle fuhren nach Osten, wie eine Wolke dahin zieht,
machte Sophokles aus ihnen Kinder des Alhamas und der Wolke (Ne-
cpeXr]) ; obgleich sie nach Andern (beim Schol. Pind. Pyth. IV, 2S8)
eine andere Mutter hatten. Um den Raubziig in das reiche Goldland
zu beschönigen, fabelte man, Phrixus und Helle selbst seyen auf einem
von Hermes empfangenen Widder mit goldenem Felle durch die Luft
über das Meer gefahren, und nach seiner Ankunft habe Phrixus den
Widder dem Zeus Erretter geopfert, das Vliess aber dem Aeetes über¬
geben. Weil die Argonauten um ihre goldene Beute einen Kampf zu
bestehen halten, so hiess es, Aeetes habe das goldene Vliess in dem
Haine des Ares um eine Eiche genagelt, und ein Drache habe den
Schatz gehütet. (Pind. Pyth. IV, 284 ff. Apollodor. I, 9, 1.) Da diese
Fabel des religiösen Gehaltes entbehrt und auch in dieser Gestalt spä¬
tem Ursprungs ist, so habe ich sie im Texte übergangen.
*) Dabin gehören auch Theseus, Sohn des attischen Königs Aegeus
und zugleich des Poseidon (Plut. in Thes. 6), Bellerophon, Sohn des
Glaukos und des Poseidon (Schol. Pind. Ol. XIH, 98), und Minyas, ein
Sohn des Sisyphos , des Ares und des Poseidon (K. 0. Müller Orcho-
menos S. 133 ff.). Bisweilen stellten die Dichter diese Doppelerzeugung
sogar als einen eifersüchtigen Kampf zwischen dem göttlichen und dem
menschlichen Erzeuger dar: so ging die Sage, Phöbus Apollon habe
die schöne Marpessa, Tochter des Euenus von .beloben, zum Leidwe¬
sen ihrer Ellern geraubt, Idas aber, der tapfere Stammfürst von Mes-
sene (Apollodor. I, 7, 9), habe sie mit Gewalt dem Gott entrissen, zu
seiner Gattin gemacht und die schöne Kleopalra (.Meleagers Gattin) mit
ihr erzeugt: Hom. II. IX, 557 u, das. Schol,, der den Simonides an-
— xni
Methodik. 20. - Etymologie. 21. — Einsiclit Homers und Hesiods
in den Sinn der Fabeln. 25. — Beide waren Urheber der griechi¬
schen Theogonie. 29. ‘) — Religionserkenntniss der Tragiker. 31.
— Anforderungen an den Mythologen : Quellenstudium, Sprachkennt-
niss, Auslegungskunst, Ordnungssinn, religiöses Gemüth und Erfor¬
schung des Zusammenhangs aller Religionen. 32.
Eintheilung in drei R e 1 i g ions pe r iod e n.
Die älteste Periode der Ureinwohner.
§. 1. Die Pelasger verehrten den Uranos, die Gäa, Sonne,
Mond und Sterne. 38.
Die zweite griechisch-phönicisciie Periode bis Cecrops-
§. 2. Zwölf Titanen {yijyiVEiq)^ Kronos - Baal - Moloch
(strahlende Sonne) an der Spitze. 39.
A. Von der Gottheit an sich.
§. 3. Das göttliche Wesen mit der Welt entstanden, jedoch
auch in Kronos über ihr stehend. 42.
§. 4. Die Allwissenheit als Mnemosyne, die Heiligkeit und
Gerechtigkeit als Themis, die Nothwendigkeit als Schicksal
und Mören, die Allmacht als Krios^) und Eurybia. 45.
führt. — Bei Zwillingen tleutele man, der eine sey von Gott, der an¬
dere von einem Menschen erzeugt. Homer (Od. X', 298) machte noch
keinen Unterschied zwischen Kastor und Polydeukes als Söhnen des
Tyndareos , eben so Hesiod (bei Schot. Find. Nem. X, 150), der beide
von Zeus abstammen lässt. Die cyprischen Gedichte dagegen (bei Giern.
Al. Coh. p. 26) geben nur den Polydeukes als einen Sprössling des
Ares für unsterblich, den Kastor als einen Tyndariden für sterblich
aus. Dieser Fabel folgen die Spätem (wie Pindar, s. S. 262 , Apollodor.
III, 10, 7), nur dass sie Zeus und Leda dem Polydeukes zu Eltern gehen.
Wegen der Verwechslung der Theogonie und Götlerlehre fol¬
gert sogar Ritter Gesch. der Philos. I S. 143 aus der herodoteischen
Stelle , weil die Gesänge Homers und Hesiods den Griechen als Quel¬
len der Götterlehre galten , dass eine liefere Auffassung des Religiösen
in ihrer allgemeinen Denkart nicht lag.
2) Diodor. V, 66 schreibt K^iög , Apollodor. 1, 1, 3 K^Toq.
XIV
5. Der Allmacht Wirkung und Dolen sind: die Schöpfungs-
krafl auf der Erde in Pallas*) und Styx und deren Kindern,
Macht und Gewalt, Sieg und Wetteifer, am Himmel in
Aslräos und Eos und ihren Kindern, den Sternen und Win¬
den, die Einwirkung des Sternenhimmels auf die Erde in Perses
und seiner Tochter Hekate. 46.
§. 6. Die göttliche Allgegenwarl als Iris. 47.
§. 7. Die Gesammtnalur alsRhea. 48. — Das Himmelsheer als
Hyperion und Theia, mit ihren Kindern, Sonne, Mond und
Morgenrot he, und mit deren Kindern, Morgen- und die übri-
*) Von Pallas empfing Athene ihren gewöhnlichen Beinamen.
Als alte NaUirgöltin wob sie mit ihm in Liebe verbunden alle Dinge.
Um den spätem Begriff ihrer Jungfräulichkeit zu retten , verwischte
man dieses mannweibliche Verhällniss von Pallas Athene, das in Etru¬
rien in Pales und Nortia noch durchblickt (S. 120), und man verfiel
zu diesem Behufe auf einen doppelten Ausweg, worin die ursprüng¬
liche Zweiheit von Pallas Athene sich noch offenbart. Entweder nem-
lich sollte Pallas ihr Vater gewesen seyn und ihrer Jungfrauschaft nach¬
gestellt haben (Cic. N. D. Hl, 23 das. Davies) , oder Pallas wurde zu
ihrer Gespielin und Nebenbuhlerin in der Kriegskunst und zu einer
Tochter des Triton gemacht (Apollodor. III, 12, 3). Diese Variation
beweist schon, dass sie anfänglich in einem ganz andern Verhältniss
zu Pallas stand. Nach beiden Fabeln tödtete sie den oder die Pallas
und identificirte sie gewissermassen mit sich. Denn des Pallas Haut
warf sie um sich als Aegide und seine Fittige band sie an ihre Füsse.
Nach der andern Sage verfertigte sie ein der todten Pallas ähnliches
Scbnitzhild , legte ihr die Aegis um die Brust und setzte es ehrend ne¬
ben Zeus. Als aber Elektra bald den Dardanus gebären sollte, warf
sie es in die Gegend von Ilium, wo Ilus der .Athene einen Tempel
baute und darin jenes Bild als Palladium der Trojaner aufbewahrte. —
Hiernach kann ich die Meinung Creuzer’s (Syrab. HI S. 313) nicht
Iheilen , dass jener Pallas kein anderer sey als Poseidon. Die Wett¬
kämpfe aber der Jungfrauen am Tritonsee am Jahresfeste der Athene
in Libyen (Herod. IV, 180) mögen wohl mit der Fabel von dem Wett¬
streit der Athene und der Pallas im Zusammenhang stehen, und jene
in diesem ihr Vorbild gehabt haben. Denselben Zwang that man sich
XV
gen Sterne und die (nützlichen) Winde (Süd, Nord*), und
West). 49.
§.8. Pontos d. i. das mittelländische Meer mit seinem Sohne
Nereus und dessen Gattin Doris und der gleichnamigen Tochter;
als Bild der Wahrhaftigkeit 2) hat er die Nemerles oder Apseu-
des zur Tochter. 51. - Der Okeanos und die Tethys sind als
der grosse Behälter aller Gewässer die Stammellern aller Flüsse und
Bäche. 52. — Die Flüsse der mosaischen Schöpfungsurkunde entste¬
hen gleichfalls aus einem Urfluss. 53.
§.9. Koios d. i. das Himmelsgewölbe und Phoibe d. i. die
Wahrsagerin haben zu Kindern die Leto und die Asteria als
Vorsteherinnen der Wahrsagekunst , Zauberei und des Slernenein-
flusses. 53. — Der Asteria und des Perses Tochter ist die Glücks¬
göttin Hekate. 55.
§. 10. la p e 1 0 s , der erste Mensch als Vater des P ro m e t h eus
(von diesem stammt Deukalion und von diesem Hellen ab) und
des Atlas. 57.
Bückblick. 58.
B. Wie verhalt sich die Welt zu Gott?
§. 11. 1) Ihre Entstehung aus dem Chaos als einem Keime.
an , um der Athene altes Liebesverhältniss zu llephästos zu bemänteln,
wodurch aber für das Gefühl des Auslandes viel weniger gesorgt war,
wenn man die Geschichte von der Erzeugung des Erichthonius bei
.4pollodor III, 14, (5 nachliest.
') Der Raub der Orilhyia durch Boreas scheint eine andere Be¬
deutung zu haben, als Platon meint, wenn wir bedenken, dass ihre
Ebe mit Nachkommenschaft gesegnet war. Ihre Töchter Kleopalra,
Gattin des Ihiacischen Phineus, und Chione (von Schnee), Mutter
des Eumolpus des Thraciers, weisen nach Norden hin, und ihre geflü¬
gelten Söhne, Zeles und Kalais , erinnern gleichfalls an den Vater, der
ein Mädchen raubender Normann gewesen zu seyn scheint. S. Apollo¬
dor III , 15, 2. 3. 4 u. das. Heyne p. 334.
2) Nereus sagt daher nach späterer Fabellehre dem Herakles an,
wo die Hesperiden und ihre Aepfel aufzufinden seyen (Apollodor.
11, 5, li).
XVl
59. — Daraus entwickelt sicli die Erde, der Tartaros und Eros
als der Zeugungstrieb. 60.
§. 12. Aus dem Chaos entstanden der Erebos (Urdämmeruug)
und die Nacht, aus diesen der Tag und der A et her. 62.
§. 13. Die Erde gebar aus sich den Himmel (mildem Dunst¬
kreis), die Berge, das Meer, in Verbindung mildem Himmel den
Oke an OS. 63. *) — Die Kosmogonie des Homer und Thaies
weist nach Aegypten zurück. 6T
§. 14. Aus der Ehe Himmels und der Erde entstehen
Sonne, Mond und Sterne, die Elektricität als Bronles, S t e-
ropes und Arges und die alten Patriarchen Kollos, Briareos
und Gyge s. 67.
§. 15. In Folge der Entmannung des Uranos entsteht das Men¬
schenleben in den Giganten (Aulochlhonen) und das Pflauzenleben
in den melischen Nymphen. 69. — Vergleichung mit der Lehre
der Perser, Phryger, Aegypler und der Edda. 72.
§. 16. Alles Fliegende , vorgestellt in den Harpyien 2) Aello
und Okypele (Heuschreckenschwärmen), stammt von Thaumas,
dem Sohne des Meeres und der Erde. 73. 3)
') Ein Widerspiel von unserer Auffassung, warum die Erde das
Meer (Ponlos) aus sich allein hervorbringe, ist die seltsame Ansicht
K. O. Müller’s (Prolegom. S. 379): Pontos bedeute das Salzmeer, das
unfruchtbare, und sey darum ohne Eros erzeugt; der Okeanos dagegen,
der Vater des Süsswassers, sey ein durch Liebe erzeugtes Kind des
Himmels und der Erde.
2) Sogar der Name Harpyien, für welchen die griechische Ablei¬
tung von aqzä^Eiv zu unbestimmt wäre , rechtfertigt ihren Begriff, wenn
wir das Hebräische nsnx (Heuschrecke) als die wahrscheinliche Wurzel
vergleichen. Wundern wir uns nicht, wenn so viele semitische Namen
ihr Bürgerrecht erhielten, da Kadmus auch die Buchstabenschrift nach
Griechenland brachte (s. S. 341). Schrift und Sprache beweisen seinen
bedeutenden Einfluss.
3) Die Gehässigkeit der Harpyien, wie sie sowohl von Virgil
Aen. III, 216 als in der Geschichte des Phineus (Apollodor. I, 9, 21)
beschrieben wird, sodann die Angabe bei Apollodor, dass die Söhne
des Nordwindes sie zu vertreiben imstande waren, und selbst die Ge-
xvn
§. 17. Pliorkys und Kelo, Kinder des Meeres und der Erde,
erzeugen die übrigen Thiere ira Wasser und auf dem Lande, zu¬
nächst die G o r go neu ; aus der von P os e i d o n gescliwängerlen M e-
dusa springt Chrysaor (das Sonnenrind) und Pegasus (das
Streif ross) Iieraus. 75. ’) — Geryoneus, Chrysaors Sohn, He¬
rakles und Perseus 2) spielten eine Rolle hei Einführung des
Stier- und Pferdegeschlechtes 3) in Griechenland zugleich mit dem Po-
nealogie bei Valerius Fl. IV, 515, der ihnen wegen ihrer Verderblich¬
keit den Typhon zum Vater gibt, bestätigen unsre Erklärung von ihnen.
Heyne zum Apollodor S. 80 hält sie dagegen für den Sturmwind ; al¬
lein dieser ist weder gefrässig, noch könnte man von ihm sagen, dass
er mit den Winden fliege oder von dem Nordwinde verjagt werde.
Wegen der in beiden Tbieren enthaltenen Gegensätze von fried¬
lichem Ackerbau und verderblichem Kriege entstand die attische Fabel,
dass Ericbthonius von der Pallas zwei Tropfen des Blutes der Gorgo
erhalten habe, den einen tödtend, den andern beilend (Eurip. Ion.
V. 1018).
2) Mit der S. 82 angeführten afrikanischen Nationalsage ist zu ver¬
gleichen , dass selbst die griechische Sage Perseus und die Perser gleich¬
zusetzen scheint, indem sie von Perseus und Andromeda, der Tochter
des Kepheus, den Perses, und von diesem die Könige der Perser ab¬
stammen lässt (Apollodor II, 4, 5).* Sogar Herodot (VII, 61. vgl. mit
Platon Alcib. I p. 120) berichtet, dass die Perser sich selbst 'A^raioi
nennen, von den Hellenen aber ehemals Krjcpijvsg , später erst von je¬
nem Perses, Sohn des Perseus, Perser genannt worden seyen. Dass
dieses nicht etwa übertreibende Erfindungen der griechischen Dichter
sind, bezeugen die Münzen von Pontus, welche den Perseus mit dem
Medusenhaupt oder den Pegasus und auf der Kehrseite den Kopf der
Pallas haben (Eckhel doctr, num. H p. 341). Die Könige von Pontus
aber und von Kappadocien stammten von den Persern und dem Ge-
schlechte der Achämeniden ab.
3) Pferd und Stier erscheinen häufig in Verbindung auf thessali-
schen Münzen, auf der Vorderseite ein Pferd und auf der Kehrseite
ein unbekleideter Mann mit hinten herabhängendem thessalischem Hute,
der einen wilden Stier an den Hörnern hält. (Eckhel doct. numor. II
p. 133, Schneider gr. Wörterb. tavQsldxrjq.)
H
XVIII
s ei don sd ie n s l. 76, — In Arkadien galt Demeter für die Mutier der
Despoina *) und des Arion. 80. — Pliorkys und Kelo erzeugen fer¬
ner den Vulkan Echidna, welclie mit dem Erdfeuer Typhaon
vermischt die bellenden (die Hunde Orlhos und Kerberos), die
giftigen Thiere (die lernäische Hyder) und den feuerspeienden
Berg Chimära, sodann mit ihrem Sohn Orlhos vermischt den
nemeischen Löwen (die reissenden Thiere) und die thebanische Phix
oder S p h i n X 2) (die ganze allegorisch zusammengesetzte Thierwell)
gebar, 82.
*) Paus, VIII, 37, 6 selbst unterscheidet die von den Arkadern
hoch verehrte Göttin Despoina von der Persephone (mit welcher sie
die Mythologen insgemein verwechseln) und sagt, Despoina sey ihr ge¬
meiner Name, sie habe aber noch einen andern, den er Bedenken trage
den Ungeweihten mitzutheilen ; gleichwie die Tochter der Demeter von
Zeus gewöhnlich Kore, eigentlich (idiq.) aber Persephone heisse. So
könnte er sich nicht ausdrücken, wenn der eigentliche Name der Des¬
poina (der allerdings mehr appellative Bedeutung hat) Persephone wäre,
— Mit der S. 80 angeführten Stelle des Pamphos ist zu vergleichen
Hom. h. XXII, 5, wo Poseidon Pferdebändiger und Hort der Schiffe ist.
2) Dass die thebanische Sphinx dem Kadmus ihren Ursprung ver¬
dankt und nach Kreta und Phönicien zurückweist , lässt sich auch
daraus schliessen, weil dasselbe Emblem den Münzen von Chios eigen-
tbümlich ist, auf welchen die Sphinx den Vorderfuss bald auf ein Wein-
gefäss (diota), bald auf das Vordertheil eines Schiffes setzt. Eckhel
(Doctr. Num. Vef. II p. ö6i) sagt zwar, der Grund dieses Gepräges
sey bisher unbekannt geblieben. Das Bild rührt aber ohne Zweifel von
der ersten kretensischen Colonie her, die unter Oenopion nach Chios
kam , mit welcher sich die nachmals eingewanderten loner vermischten.
Vergleichen wir die Münzen von Milet , wo ein Löwe nach einem Stern
(Sirius) sieht (Eckhel p. 530), eine Münze von Chios, wo die Diota
zwischen zwei Sternen (Sirius und Prokyon) vorkommt (Eckhel p. 565),
und Münzen von Samos mit dem Löwenkopf, Ochsen und Ilirtenstab
(Eckhel p. 568) , so scheint die aus dem Löwen und der Jungfrau zu¬
sammengesetzte Sphinx die für den Weinkrug , Ackerbau und Viehzucht
verhängnissvolle dürre Jahreszeit von dem Sternbild des Löwen bis zur
Jungfrau zu bedeuten. Was hier ein Gegenstand banger Besorgniss
XIX
Rückblick. 84.
§. 18, T a r la rus und G äa erzeugenden Typhon (Erdfeuer),
und dieser die s c li ä d 1 i c li e n Winde (Nordosl und Südosl). 85.
— Ilesiods Text verbessert. 87,
2) Von der Fortdauer und der Regierung der Welt. 89.
§. 19. Die Erinnyen bedeuten den Tod des Vergänglichen, sind
aber auch die winterlichen Samenbebälter, 90.
§, 20. Diese Behälter eröffnen sich durch Aphrodite, dem
vergötterten Fortpflanzungsvermögen. 91. — In ihrem Gefolge wa¬
ren die H u I d gö 1 1 i nn e n. 93. — Ihre Heimath ist Syrien, wo sie
unter dem Namen As chloret verehrt wurde. 93.
§. 21. Der Aphrodite wurde als Gatte beigegeben Hermes
i t h y p ha 1 1 i c u s , der durch Abstammung, Namen und Beinamen
ihr angenähert wurde. 94. — Beide vereinigt gedacht , sind He rm a-
phrodit. 98. — Ihrer Ehe Frucht ist der vergötterte Geschlechls-
tiieb, Eros und Himeros genannt. 99, — In der dritten Periode
wird Hephäst OS Gatte der Aphrodite, und Hermes wird Götler-
hote, hat aber auch als solcher Nachklänge der früheren kosmischen
Hoheit in seiner Mutter Maia, in seinem Verhältniss zu Apollon, in
seinem Schlangenstab und Widder. 101.
§. 22. Der Aphrodite winterlicher Todesgatte ist Ares, und
ihre Kinder sind Furcht und Schrecken. 102. — Auch Har¬
monia ist ihre Tochter. 104. — In Thracien stand Artemis, wie
es scheint, in dem doppelten Liebesverhältniss zu Dionysos und Ares.
Jene ist wie die Artemis der Epheser als grosse Mutter aufge¬
fasst. 105.
§. 23. Die Kabiren in Saraothrace waren: a) Axieros-De-
meter, Mutter Erde , auch Achlheia genannt, im Sinn einerlei mit
Rhea und Here. 107. — Sie erzeugt mit Zeus (eigentlich mit dem
ersten Zeus d. i. dem Himmel) h) die A x i o k e r s a - Pe rs e pho n e,
war, das flösste in Aegypten bei der gleichzeitigen Nilüberschwemmung
freudige Erwartung ein. Die Hebräer aber haben von dieser Sinnbild¬
nerei im Geiste des Monotheismus Gebrauch gemacht.
*) Ihren Beinamen ^Axo-iä erklärt Sickler (h, an Demet. S. fi4) als
Wehklagende von hnN . im Arabischen so viel als ach rufen.
XX
das beslellle Ackerland- 108. — Dieser ist c) Axiokersos ange-
Iraul, in zweierlei Zuständen, bald als 11 er m es (gleichfalls des
Himmels und der Deo Sohn), auch Kadmilos d. i. Diener Gottes
genannt, und bald als Hades. 109. - Mit Hermes gepaart ist sie
Obrimo oder Brimo. 112. — Axiokersos als Hades ist so viel als
der unterirdische Hermes, der die Fruchlkeime in der Tiefe belebt
und zugleich Seelenführer wurde. 113. — Dieser Hermes ist Sohn
des Kratos (Valens, Iscliys), dnes Sohnes des Pallas und der
Styx d. i. der unterirdischen Zeugungskraft. 114. — Das sind die
starken Gölter, die Alles schaffen und erhallen im Himmel, auf der
Erde und unter der Erde. 116. — Aidoneus, der Persephone
raubt, gehört erst dem homerischen Zeitalter an. 117. ’) — Der
Granatapfel d. i. die Samenkerne der Gewächse verbürgt die Rück¬
kehr der Persephone. 117.
g. 24. Weile Verbreitung des Kabirendiensles durch die Pelas-
ger. 118. — In Etrurien Ceres, Pales und Nortia (Fortuna).
119. — Die Heimath ist muthmasslich l.,ydien und Axieros ur¬
sprünglich einerlei mit Cybele. 121. — In Phönicien waren sie¬
ben Kabiren Söhne des Sadyk (Baal - KronosV 122. — In Mem¬
phis waren die Kabiren Söhne des Phtha. Daher auch die grie¬
chische Genealogie der Kabiren von Hephästos und Kabira, oder von
der Sonne und Athene (Phtha w'ar der Sonne Vater). 123. — Aehn-
lichkeit des ma c e d on is ch e n Kahir mit dem nordischen Gotte
Thor. 124. 3)
Die Wortableitung von Aidoneus flndet darin eine Bestätigung,
dass ihm ein Helm beigelegt wird, womit sich Athene im Kampfe mit
Ares (Hom. 11. £, 815) und Hermes in der Gigantomacbie (Apollodor.
1, 6, 2) unsichtbar machen konnten.
2) Wie von Persephone, so fabelte man gleichfalls von Adonis,
dass er nach Zeus Rathschluss einen Theil des Jahres für sich bleibe,
einen bei Persephone (in der Unterwelt) und den andern bei Aphrodite
weile, er aber widmete auch seinen Theil der Aphrodite: Apollodor.
HI, 14, 4
3) Da der Kabir auf den Münzen von Thessalonich mit dem Ham¬
mer stets den Nagel führt, so vermuthe ich, dass er als Jahresgott
XXI
§. 25. Vou der GoUlieil erfülll daclile man sich die fruchlbare
Erde, Berge, Quellen umJ Wiesen vou den N y in p li e n beseelt,
den Ocean, das Mi 1 1 e 1 m ee r, Flüsse und Bäche, Sonne,
Mond und Sterne, den Sonnenaufgang und die Winde mit
göttlicher Persönlichkeit begabt. 125. — Die Nereiden waren die
Beschützerinnen der Seefahrt der Pelasger, und zum Theii auch die
Okeaninen. 127. — Iris, der Begenbogen, ist der Vorsehung fer¬
tiger Bote. 128.
§. 26. Der Jahreszeiten Wechsel steht unter der Obhut der
llesperiden. 128. — Sie huldigen dem phönicischen Jahresgott
Herakles. 129. Q — Zeus /xrjXdtoioq. 130. — Der Tag bringt das
Licht auf die Erde und die Nacht hat den Schlaf in deu Hän¬
den. 133.
§. 27. Ein Kind der Nacht ist das verborgene Schicksal. 133.
— Wetteifer und Sieg, Macht und Gewalt sind Kinder der
Styx und des Pallas. 13i. — Atlas stellt die Verbindung des
Weltgauzeu dar. 134. — Die einzelnen Theile desselben haben Ein¬
fluss auf einander und Bedeutsamkeit; zumal die Wandelsterne und
der Mond an und für sich und durch ihre Stellungen äussern eine
Einwirkung auf die Erde und das individuelle Leben; die Fixsterne,
die Vögel, Donner und Blitz sind vorbedeutend. 135.
C. Wie verhält sich der Mensch zu Gott?
1 ) Im Allgemeinen.
§, 28, lapetos hat als Titan mit deu Göllern gemeinschaft¬
lichen Ursprung. Ausser dem griechischen Volk stammt von ihm
Atlas als Stellvertreter der westlichen Bevölkerung. 138. — Der
Forfpllanzung des Menschengeschlechts stand Aphrodite mit dem
Zaubergürtel und Eros als Liebe vor; jene und Hermes waren das
Vorbild der Ehe. 139. — Persephone das Menschenkind undller-
mes hallen nicht nur eine Bedeutung für die Saaten, sondern auch
aufzufassen ist, gleich der etruskischen Norlia, die den Kabirenhut auf
dem Haupte und Nägel in den Händen hat nach S. 120.
*) Den Namen Herakles empfing er erst von dem delphischen
Gott, da er zuvor nach seinem Grossvater Alkäos hiess (Diodor. tV, 10.
Apollodor. H, 4, 12 u. das. Heyne p. 140 f.).
XXII
für das Leben und Slerben der Menschen. 140. — lambe erheitert
die trauernde Demeter durch Scherze, und B aubo durch ilire Scham-
theile. 140.
§. ‘29. Als göttliche Mächte über des Menschen Geschick sind
Asleria, ihre Tochter Hekate, die Kinder der Nacht: Schick¬
sal, Verhängniss, Tod, Schlaf und Träume. 141. — Ne¬
reus hat zu Töchtern Wahrheit und Recht, Mässigung und Wohl-
seyn als die Grundlage einer geordneten Staalenverbindung. 142. —
Die Gräen Enyo und Pephredo sind die ältesten Kriegsgötlin-
nen. 14‘2. — Muemosyne ist die Vorsteherin aller geistigen Thä-
ligkeiten; von den Musen ist die Dicht- und Tonkunst. 142. —
Die Namen der ältesten Musen. 143.
2) Wie verhält sich der Mensch als ein sittliches
Wesen zu Gott?
§. 30. Die fünf Weltalter zeigen zuerst einen paradiesischen
Zustand, der sich je mehr und mehr verschlechterte. 144. — Der
Ursprung des Bösen liegt in der Selbsständigkeit ausser Gott; die
Giganten sind aus dem Blut des entmannten Himmels entstanden,
und die Erinnyen sühnen als Rachegeister den Frevel. 144. *) —
Die Geburten der Nacht sind Elend, Alter, Würgeengel, Tod , Ver¬
geltung und Zwietracht 2) , und die Kinder der Zwietracht sind der
Eid, Mord und Todtschlag und das Verderben. 146.
§. 31. Die Mysterien hatten den Zweck, den sündigen Men¬
schen zu reinigen, zur Gemeinschaft mit Gott zurückzuführen und
so sein Loos nach dem Tode zu verbessern. 150. — Persephone
ist ein Bild der gefallenen und hinfälligen Menschheit, Demeter in
ihrer Trauer zeigt die göttliche Barmherzigkeit an, sie will den De¬
mophon im Feuer läutern und unsterblich machen. 153. — Als
Todlenfeier für ihn wurden fortwährend Leibesübungen angestellt. 155.
— Die zwei Dritttheile des Jahres bei den Göttern der Oberwelt wei¬
lende Persephone ist ein Vorbild der Rückkehr der Gefallenen zum
himmlischen Lichte der Göller. 156. — Wer sich den grossen Na-
') Ihre IVaiuen kommen auch üiph. Argon. 966 und Apollodor. I,
1 , 4 vor.
2) Hygin fab. Auf. führt unter den Geburten der JNacht contineu-
lia auf, was ohne Zweifel contcnlio (Kris) heissen soll.
xxiii
lurgöltern weilile, wiederholte in sich naturgemäss ihre Höllen- und
Mimmeirahrl , und verkündigte weissagend den Tod des Herrn, bis
er kam. 157. — Die Demeter der Pheneaten schlug die irdisch ge¬
sinnten Menschenkinder. 159.
Die dritte ägyptisch -hellenische Periode von Cecrops bis
und mit Homer und Hesiod.
§.32. Ursprung der griechischen Götternamen. 161. — Cecrops
führte die Verehrung des höchsten Zeus und der Athene in Athen
ein. 162. *) — Danaus aus Oberägypten führte in Argos den Dienst
des Zeus, der Artemis, der Aphrodite und des Apollon
Lykios, seine Töchter die Thesmophorien ein. 166. — Kad-
mus und seine Tochter Semele bringen aus Phönicien den Dienst
des Dionysos nach Theben; wobei auch Ino und Melampus
mitwirkten. 167. — Dionys ist Adonis, und eins mit dem Adon und
Javoh der Hebräer. 169. 2) — Frühe Verehrung desselben in Kreta,
Attika und Lakonien. 172. — Das Widerstreben eines Lykurgus
und Orpheus in Thracien , des Pentheus in Theben wurde be¬
straft, und das des Perseus in Argolis war erfolglos. 174, — Der
Apolloudienst verbreitete sich von Delos nach Kreta und Athen,
und von da nach Pytho-Delphi. 175, — Auch Ephesus war eine
alte Stätte der Anbetung des Apollon und der Artemis. 177, —
Letztere kam von Delos und Tauris nach Attika. 177.
§. 33. Der Titanenkampf bezeichnet die Kämpfe der alten
gegen die neuen Götter und endigte mit der Verstossung der Tita¬
nen in den Tartarus. 178, — Kronos und Rhea erhielten nun zu
Kindern drei männliche und drei weibliche Gottheiten neuen Styls,
die sich in ihr Reich theilten. 180. — Kronos verschlingt anstatt
*) Wenn auch die von alten Chronologen angegebenen und von
uns beibebaltenen Jahreszahlen nicht auf Sicherheit Anspruch machen
können, so sind sie doch wegen der darin überlieferten Folge der Be¬
gebenheiten von Werth.
2) Zur Vergleichung der hebräischen Götternamen mit den grie¬
chischen gehört noch Hesych. v. "EXuiög, welchen er für einen dorischen
llephästos erklärt.
XXIV
seines Sohnes einen Slein. 181. *) — Religionsfriede zwischen beiden
GöUersysIeinen. 181. 2),
A. Von der Gottheit an sich.
§.34. Zeus hat die Regierung der Göller und Menschen.
182. — Der Adler ist sein Vogel. Seine Obergewalt den übrigen
Göllern gegenüber in Bildern veranschaulich!. In dem Valer Zeus
stellt sich die Einheit und Freiheit Gottes dar. 183. — Platonische
Lehre vom göttlichen Wesen. 184.
§. 35. Des Zeus erste Gemahlin ist Melis (Weisheit), die
unergründliche Okeanine, und dieser Ehe Frucht Athene, die aus
Zeus Haupt in die Welt springt. 186.
§. 36. Zum Andern vermählte sich Zeus mit der pelasgischeu
Themis (Gerechtigkeit, Nothweudigkeil) , und erzeugte mit ihr
a) die Horen, Eunomia, Dike und Irene, d. i. die Wohlord¬
nung in dem Wechsel der Jahreszeiten und in dem Zusammenleben
der Menschen ; b) die Mö ren , Klotho, Lach esis und A l r o p os ^),
*) Die Aehulichkeit der Wörter Sohn und Stein in der semitischen
Sprache scheint auch der Grund der Fabel gewesen zu seyn , dass aus
den Steinen, welche Deukalion nach der Wasserfluth auf das Geheiss
des Zeus über den Kopf warf, Männer, und welche seine Gattin Pyrrha
warf, Frauen geworden sind, nach Apollodor I, 7, 2. Die Wortähn-
licbkeit von J.cc^ und Xaog ist zu bemerken, und Hom. 11. to , 611 zu
vergleichen.
2) Die ersten Ritterzüge, die eine nähere Verbindung unter den
Fürsten von Griechenland bewirkten, waren die Jagd des kalydonischen
Ebers und der Argonautenzug, 70 Jahre vor dem trojanischen Kriege
(Apollodor. I, 8, 2. 9, 16).
Der Homeride h. in Merc, 552 stellt die drei jungfräulichen
Schwestern geflügelt und mit bepudertem Haupte dar und nennt sie
Loose Bei den Orphikern sind sie, als aus der Tiefe ent¬
sprungen, Töchter des Ocean und der Erde (Athenag. c. 15. tiüvxu-
yovoL in orac. Sibyll. ap. Zosim. II, 5, 2), des Chaos Töchter bei Quint.
Smyrn, 111, 753. Auch Pindar, der in den fragm. p. 130 die Themis
durch die Mören in das Ehebett des Zeus fübren lässt, kann Letztere
XXV
d. i. die gereclite t'ügung der Schicksale. 188. - Böse Dämo¬
nen. 192. ')
§. 37. Das selige Leben der Göller wird in der drillen Gallin
des Zeus, Eurynoine, veranschaulichl und in ihren Kindern, den
Charilen, Aglaja, Euphrosyne und Thalia. 193. — Aglaja
als Schönheil ist die Gallin des homerischen Hephäslos geworden.
194. — Eine Stelle Platons berichtigt. 195.
§. 38. Gotl erhält fortwährend die Fruchtbarkeit der Natur:
die vierte Gattin des Zeus ist Demeter, die ibrn die Persephone
gebar. Alle guten Gaben kommen von oben. 196. — Macht und
Gewalt haben ihren Wohnsitz bei Zeus aufgeschlagen, und seine
t
Leibwache sind die Ccnlimanen. Seine Abzeichen und WaUen
sind Donner und Blitz. 197.
§. 39. Gotl ist allwi.ssend: die fünfte Gallin des Zeus ist Mne-
mosyne (Erinnerung), die ihm die neun Musen gebar, welche Al¬
les auf das vollkommenste wissen. 198. — Zeus mit drei Augen. 199.
§. 40. Gott ist wahrhaftig: zura sechsten gebar Leto dem Zeus
den Apollon und die Artemis; jener als Licht des Tages üble
die Wahrsagekuusl, diese als Nachtgötlin die Zauberei. 199. — Zeus
duldet im Olymp keinen Meineid. 202.
§. 41. Gott ist ewig: die letzte Gallin des Zeus ist die pelas-
gisch argivische Here, welche die Hebe und den Ares (weibliche
und männliche Kraft) und die Ilithyia (die Geburtshelferin der
Menschen) gebar. 203. — Hebe, früher Hephäslos, später Ganyme-
des , schenkte den Göttern den Nektar (Nuschdar) ein, wozu sie
Ambrosia (.Amrit) assen. 205. — Auf dem Olympus hatten sie
ihre Paläste. 206.
§. 42. Die Göller sind allgegenwärtig, vermöge der Schnellig¬
keit ihres Gangs, ihrer beliebigen Erscheinungen und V^erwandlun-
gen. 207. — Hermes der Göllerbote richtet ihre Befehle aus. 208.
§. 43. Vergötterung der Natur (natura ualurata) : Himmel, Erde,
nicht für der Erstem Töchter halten, sondern folgt der orphischen
Tradition.
') Die Lehre der Pythagoreer und des Xenokrates, eines Akade¬
mikers, kannte gleichfalls gute und höse Dämonen, Plut. de Is. 25. 26.
de placit. phil. I, 8. de dcf. orac. 17.
XXVI
Wasser uüd Hölle waren in den Krouiden, die vier Elenienle
in ihnen und Hephäslos vergöUerl. 209. — Helios*) und Phae-
thon. 210. — P 0 s e i don und die Nereide A m p li i t r i te 2) , seine
Gallin; ihr Sohn Triton. 211. — Poseidon ist der Dreizackführer,
und Stier nud Pferd sind seine heiligen Thiere. 212. 3) — Hades,
vielleicht ursprünglich einerlei mit Zeus. 213. '*)
B. Wie verhält sich die Welt zu Gott?
§. 44. Die Lösung der Frage 1) von der Entstehung der
Welt war von Hesiod gegeben. Die ägyptisch ionische Lehre Hess
.411es aus dem Wasser, der Idealismus aus dem Geist entspringen.
214. — 2) Das B e s l e h e n und die Wirksamkeit der Wett hänglab
von der Vorsehung, die man sich besonders in Zeus und Athene
persönlich dachte. Platonische Lehre. 215.
§. 45. Gottes Aufsehen über die Weltordnung und die W i t-
lerung. A p ol 1 on und A r l e m i s sind V'^orsteher des Sonnen - und
Mondlaufs und im Allgemeinen der Wellordnung, welche durch die
Leyer und die Musen veranschaulicht wurde. 217. — Das heilige
Thier des Apollon ist der Wolf und das der Artemis der Hund. 219.
— Unter dem Tanze der Horen wächst und reifet Alles; die älte¬
sten waren Thallo und Karpo. 220. — Die Witterung steht unter
des Zeus unmittelbarer Aufsicht; über die Winde hat er den Aeo-
ius gesetzt. 221.
§. 46. Dio Fruchtbarkeit der Erde und der Thiere unter
*) Des Helios Geliebte war Rhode, d. i. Rhodus, wo man ihn
besonders verehrte. Als Insel war diese die Tochter des Poseidon und
der Amphitrite (Apollodor. I, 4, 6) , oder wegen ihrer Schönheit der
Aphrodite (Pind. Ol. VII, 24 u. das. Schob, der den Herophilus als
Gewährsmann anführt) , oder des Okeanus (Epiraenides bei Schob
Pind, b c.).
2) Nach Apollod. I, 4, 6 war sie des Okeanus Tochter.
3) Mit Demeter als Erinnys hat Poseidon das Pferd Arion erzeugt,
nach Apollod. lll , 6, 8.
Auch lies. Op. 465 nennt den Hades Zeus Yß6vLo<i.
XXVII
götlicher Aufsicht. Demeter, Persephone, die Feld- Quell-
uud Wassernymphen. Typhon, der Here Solin. 222. —
Aphrodite, Tochter des Zeus und der Dione. Zeus Ammon-
Tammus -Adonis ; Dione - Aschloret. 223. — Hermes ist Aufseher
über die Erzeugung der Thiere, und sein und der Penelope Sohn ist
Pan-Mendes. 224.
§. 47. Fortsetzung. Dionysos, Sohn des Zeus und der Per¬
sephone oder der Semele, Beisitzer der Demeter. 226. — Her¬
mes war sein Träger, dessen stehendes Glied ein Vorbild des bac-
chischen Phallosaufzuges. 227. — Er wurde bärtig, später jugend¬
lich, auch mannweiblich*) gebildet; die Schlangen, der Bock, das
Gewild und das Irdengeschirr waren ihm geweiht, die Satyrn in
seinem Gefolge. 230. — Als Stellvertreter des Hephästos alten Styls
war er der Feuergeborne. 230. — Der Weinstock ist seine Gabe
und Sinnbild seiner zeugenden Kräfte; daher sein Beiname Saba-
zius. 231. — Epheu, womit er bekränzt ist, veranschaulicht das im¬
mergrüne Leben, und er selbst ist der unveränderliche Säulengotl.
232. — Der Thyrsus ist sein Abzeichen. 233. — Seine Beziehung zu
P a n - Steinbock , zu dem Sternbild der Ziege, zu dem Frühliugsstier,
zu den Horen, Chariten und Hyaden, zu Apollon. 234. — Er ist
Jahresgolt in dreierlei Stufen: Jacchos, Stier und Zagreus. 234. —
Des Letzten Tod, Grab und Wiedergeburt. 238. — Bacchus von Weh¬
klagen. 241. — Seine Vorbilder Adon und Osiris. 241.
C. Wie verhält sich der Mensch zu Gott?
1) Im Allgemeinen.
§. 48. llithyia- Alitta - Mylilta vermittelt die Geburt der Men¬
schen. 243. — Ihre Ellern, Zeus und Here, sind Beschützerder mo¬
nogamischen Ehe. 243. — Später wurde Artemis von den Gebärenden
angerufen, und über das Gedeihen der Jugend führten Apollon, die
Mutter Erde, Demeter und Here die Aufsicht. 244. — Präexi¬
stenz der Seele nach Platon; ein Auslluss davon ist die spätere
Fabel von Eros und Psyche. 2) 244.
') Als ein Mädchen brachte lleriues den jungen Dionysos zu Ino
und Athamas, nach Apollodor. III, 4, 3.
2) In diesen spätem Fabelkreis gehört der iiu Wasserspiegel sich
XXVIII
49. Forlselzung. Die Palriarchen. Prometheus war der
Stammvater der Griechen, Pandora die Mutier des weiblichen Ge¬
schlechts. 247. — Die Patriarchen jedes Volkes hiessen Kabiren-:
inPhönicien, Aegypten , ßöotien , Asien, Samothrace, Athen (wo sie
Anakes oder Tritopatres hiessen). 248. — Zeus und Apollon wa¬
ren die väterlichen Götter der Athener, und die Kabiren wurden so
Dioskoren, grosse Götter. 257. — Dionysos ein Kabir und Sohn
des Kabirus. 259. — Die Kabiren von Lakonien und Argos: Kastor
und Polydeukes abwechselnd todt und lebendig'); Alkon und
Melampus-Eurymedon. 260. — Die Consentes und Com-
plices der Etrusker. 264. — Die Kabiren als Knaben, als Mann
und Weib gedaeht, zu schaffenden Naturgöttern höher gesteigert,
nach ihren wechselnden Zuständen der Kraft und der Schwaebheit.
265. — Sie waren schützende Horte, Patäken, in Italien Penaten
genannt. 267. — ^’ie wurden geheim gehalten. 272. — Ihre Attribute
waren die ovale Mütze, Gefässe, Schlangen, J.anze, Helm und
Pferde. 273. — Meinungen über die Kabiren von Astori, Sprengel,
Reland , Creuzer, Görres, Baur und Sehelling. 276.
§. 50. Gott lenkt der Menschen Geschick durch die Schicksals¬
göttinnen. 279. — Zeus, Adrastea , Artemis , Hermes , Hekate, Apol¬
lon und Plutos. 280.
§. 51. Die Wissenschaft und Kunst unter göttlicher Aufsicht. 284.
— Apollon hat die Wahrsage- Arznei - Ton- und Schützenkunst.
285. — Als Arzt war er der Vater des Asklepios. 287. — Apol¬
lon ist der Spielmann und die Musen die Sängerinnen des Olym-
bescbauende Narcissus, der ohne Zweifel zu dem Eros von Thespiä
in Beziehung stand, s. Creuzer IV S. 162 ff. Narcissus ist die Seele^
die durch Eigenliehe, durch das seihstgefällige sich Spiegeln in das
Feuchte hinahsinkt und zur vergänglichen Blume wird. Er ist Eros
und Psyche in Einer Person.
') Wenn man sie als aus einem Ei entsprungene Naturgötler auf¬
lässt, so lässt sich die sonst unerklärliche Genealogie hegreifen, dass
ilesiod ihre Schwester Helena (und somit auch wohl die heiden Brüder)
zu einer Tochter des Okeanos und der Tethys macht, wie wenigstens
Schol. Pind. Nem. X, 150 angiht.
XXIX
pus. 289. - Ihre Zahl, Abstammung, Namen und Bedeutung. ') 290.
— Dionysos Vorsteher der Komödie; Artemis vfivia. 295.
§. 52. Die Gewerbe unter göttlicher Aufsicht. Athene die
Handfertige mit dem Oelbaum hat den Namen von der Webekunsl,
versteht auch das Wagnerhandwerk. 295. — Hephästos ist der
himmlische Feuerwerker, von Here im Wetteifer erzeugt, und mit
Aglaja vermählt. 296.
§. 53. Die .lagd und der Krieg unter göttlicher Aufsicht. .4 r-
temis ist insgemein die Jägerin; Pan war es in Arkadien (daher
sein Beiname dy^svg bei Apollodor). 298. — Der Krieg steht unter
der Obhut der Athene und des Ares; von jener kommt die Kunst,
von diesem die Manneskraft im Krieg. 298. — lieber beiden steht
Zeus mit der Aegide^), und hat den Sieg in der Hechten. 299. -
Auch Athene ist mit dem Siege geschmückt, und hat als Reisige den
Poseidon und die Koryphe zu Eltern. 301. — Ares iwöXioq und seine
Kinder. 302.
Bei der Muse Achelois hat man vielmehr an Lydien als Aeto-
lien zu denken, wenn man H. II. «i, 618 vergleicht, dass die Göttinnen
Nymphen am Sipylus dfxq)'’ sich aufhiellen , wo Schol. Villois.
bemerkt, dass Achelous oder Acheles vom Sipylus in das Gebiet von
Smyrna fliesse, und dass man auch ^Axe^^'tov lesen könne.
Schol. H. II. ö, 187 bringt die Aegide und Araalthea also in
Verbindung : Themis und Amalthea seyen des Zeus Ammen gewesen,
jene war eine Ziege, vor der sich die Titanen fürchteten; daher habe
auf den Rath der Themis Zeus im Kriege gegen die Titanen das Fell
der Amalthea ihnen vorgehalten , und er sey Aegiochos genannt wor¬
den. Nach der altern Fabel aber war Amalthea gar keine Ziege. Phe-
recydes (bei Apollodor II, 7, 5) nennt sie eine Tochter des Hämonius,
die ein Horn des Ueberflusses gehabt habe , welches Achelous dem He¬
rakles gab ; es w ar aber ein Stierhorn , und ist nichts als ein morgen¬
ländisches Bild (wie Luc. 1, 69). Nach Didymus (bei Lactant. de fals.
rel. I, 55, 13) waren Amalthea und Melissa kretensische Ammen des
Zeuskindes , die es mit Ziegenmilch und Honig ernährten. Sie sind der
personificirte üeberfluss , und daraus machte man erst später eine wirk¬
liche Ziege, die aber mit Krieg und Aegide nichts zu schafTen hat.
Vgl. Ilygin. Astron. II, 13.
XXX
§. 54. Der Staat unter göttlicher Obhut. Ilestia ist die Göttin
des festen Wohnsitzes und ewige Jungfrau. 302. — Demeter, die
Göttin des Ackerbaues, ist zugleich die gesetzgebende. 303. — Zeus
regiert durch die Könige und die Obrigkeiten, und neben ihnen muss
die Ehrfurcht thronen. 304. — Artemis liebet geordnete Staaten,
und die Horen sind ihre Grundfesten, vermöge der gesetzgebenden
und richtenden Gewalt und der dadurch erzielten Wohlfahrt. 305. —
Sie haben zur Mutter Themis, das Hecht. 306. — Zeus iXlrivtog.
306. — Die weise Athene mit der wachsamen Eule ist Beschirme¬
rin der Städte *). 307. — Die Schulz- und Stammgöller der Athe¬
ner waren Zeus, der py thische A p o 1 1 o n und Athene. 309. — Be¬
herrscher der loner in Kleinasien ist der d e 1 p hi n isch e A p ol I o n, der
helikonische Poseidon und die ephesische Artemis. 312,
2) Wie verhält sich der Mensch als ein sittliches
W ese II zu Gott?
Von dem S ü n d e n f a 1 1 e.
§.55, Prometheus und sein Sohn Deukalion, Einwande¬
rer aus Indien , brachten die Sagen vom Sündenfall und von der
Sündflulh nach Griechenland. 321. — Der klügelnde Vorwitz, die
ungenügsame Willkür, verbunden mit Thorheit und Hoffahrt , ver-
theilt sich unter die Brüder Prometheus, Epimetheus und
Menötius. 323. — Die irre Io mit ihrer unziemlichen Liebe zu
Zeus ist ein Gegenbild des trotzigen und gefesselten Prometheus 2). 331.
§. 56. Der thörichte Epimetheus Hess sich von der reizen¬
den Pandora bezaubern, an der seine Sinnlichkeit Wohlgefallen
halte. 334. — Der übermüthige Menötius weist auf das dritte we¬
sentliche Merkmal des Bösen hin. 335.
§. 57. Was sind die traurigen Folgen des Sündenfalls und des
') Das Palladium von Ilium war nach Apollodor III, 12. 3 ein
vom Himmel gefallenes drei Ellen (4‘/2 Scliuh) grosses Bild mit zusam¬
menstehenden Füssen, in der Rechten eine aufgehobene Lanze und in
der Linken ein Spinnrocken und eine Spindel. Es war also eine alte
hölzerne Pallas als schirmende Schicksalsgöttin vorgestellt (vgl. S. 124.
218). So lange man dieses Götterbild bewahrte, hielt man die Stadt
für unüberwindlich.
2) Hygin. fab, 145 behauptet die Einerleiheit der Io und der Isis,
welche letztere gleichfalls zum Abzeichen die Kuhhaut mit Hörnern hatte.
XXXI
Bösen überliaupl? Prometfieus wird gefesselt und ein Adler frisst
ihm die Leber. 336. — Aus der Büclise der Pandora kamen un¬
zählige üebel. Menötius wurde vom Blitzstrahl getroffen. So
wird der Vorwitz, die Lust und der Ilochmuth gebüsst. 337. — Die
göttliche Gerechtigkeit und die Erinnyen üben ihr Strafamt. 338. —
Die Thorheit und das sündliche Verderben ist allgemein. Der Böse
wird dem ungötllichen Urbild immer ähnlicher. Das Elend der Sterb¬
lichen ist gross. 339. — Linuslied. 340. — Aristäus und -Aktäon. 342.
— Hyacinth , Hylas und Lytierses. 345.
Die Lehre von der Erlösung’.
§. 58. Gott ist barmherzig; Herakles ein Erlöser. 345. —
Die Bitten, Zeus Töchter, hinken dem Verderben nach. Herak¬
les befreite den Prometheus und sühnte den Zorn des Vaters. Ae-
gyptische und phönicische Ideen wurden an seine Person geknüpft.
346. — Der Sarkophag Panfdi. 348. — Gehorsam, Arbeit, Kampf
und Entsagung sühnet den Fall. 3'i9. — Selbst Kämpfer war er Stif¬
ter der olympischen Kampfspiele dem höchsten Gotte zu Ehren. 350.
Er kämpfte mit dem Tode, holte den Cerberus herauf, und durch
freiwilligen Feuertod geläutert, trat er in den Kreis der unsterblichen
Götter ein und gewann Hebe zur Gattin. 357.
§ 59. Die Mysterien in ihrer sittlichen Bedeutung. Herak¬
les war ein Eingeweihter. 358. — Die Fessel des Prometheus
hatte ihr fortwährendes Gegenbild in dem Weidenkranz, den man
auf das Haupt setzte. 359. — Dionysos ist ein feuergehorner
Weihegolt, und wird von den Titanen zerfleischt, nach ägyptisch¬
pythagoreischer (sogenannter orphischer) Lehre. 360. — Inhalt der
bacchischen Mysterienkisten. 364. — Pelops, als den Göttern ge¬
opfert und gekocht, ist seinen Nachkommen ein Vorbild der Gott¬
seligkeit und sanfter Sitten. 365. — Das Gedächtniss der Kinder der
Medea bei den Korinthern. 365.
§. 60. Rückblick. Der Altar der zwölf Götter in Athen. 366.
cnj/i ^cßcßt/jrzicncncp »it/icßcfiixicnc/ir/ixi/Jc/i'xcß
Verbesserungen.
S. 7 Note 2 nach Creuzer setze man Symbolik.
S. 11 Note 1 Z. 0 statt Orilhya lies Orithyia
. 15 Noten Z. 1 st. Xefx. 1. Asvv,.
. 16 Z. 1 V. u. st. man 1. wir.
. 49 Z. 16 st. Ilyperinides 1. Hyperionides.
. 62 Note 2 setze hinzu : Vgl. 1 Mos. 2 , 6.
. 67 Z. 8 st. Protheus 1. Proteus.
. 70 Z. 12 st. Erynnien 1. Erinnyen.
. 79 zu Note 3 setze man: Vgl. Strabo XIV p. 660.
. 85 st. lerraäische 1. lernäische.
. 93 Z. 12 st. 1. q)iX.
. 109 Note 1 Z. 4 st. ‘.ü-n 1. önn.
- T - T
. 110 Note 2 Z. 1 nach Lycophr. setze 162. 219.
. 113 Note 1 soll heissen: Apollodor. I, 3, 1.
. 118 zu Note 10 setze: Vaicken. zu Eiirip. Phoen. p. .'i97 739 und
Heyne zu Apollodor. III, 12, 1 p. 292.
. 129 Z. 6 statt V lies IV.
. 164 Note 2 st. I. I. III.
. 174 Note 2 st. Apoll. III, 5, 1. 1. Apollodor. I, 3, 2. Dagegen ist
Apoll. III, 5, 2 ein Beleg für Pentheus.
. 176 Note 1 soll heissen: Apollodor. I, 4, 1.
. 179 Z. 13 nach Apollon setze Artemis. S. 179 Note 4 st. 16 lies 6.
192 nach Note 2 setze: Apollodor. I, 1, 6.
201 Note 8 st. III lies I, 4, 1.
223 Note 1 setze hinzu : Stesichor. ap. Etymol. M. in Tvcpcosv^.
229 Z. 9 V. u. st. Poling. 1. Paling.
234 zu Note 7 setze Apollodor. III, 4, 3.
236 zu Note 10 setze: Pherecydes von Athen bei Hygin Poet. Astro¬
nom. II, 21.
253 Z. 6 V. u. st. Tivopal 1. nvoial.
261 Note 1 Z. 3 st. Som. 1. Sam.
S. 263 haben die Noten st. 6 u. 1 die Ziffern 1 und 2 zu erhalten.
S. 269 Z. 6 V. u st. Antonius 1. Antoninus.
Einleitung.
In der Menschengeschichle stellt der uralte ehrwürdige Baum
innerlicher Ofl'enbarungen Gottes, welclier, in der hohen Abkunft
unsers Geschlechtes gewurzelt und von namenlosem Sehnen genährt,
seine Wipfel zur Heiniatli eraporhebt, gleich einem Atlas das ver¬
wirrte Spiel der Geschichte an die Feste des Himmels knüpfet, und
mit unendlichen Verzweigungen das irdische Leben und Treiben
durchschlinget, stets sich verjüngend mit unvergänglich sprossendem
Leben. An demselben sehen wir mit frommer Erhebung auf, und
freuen uns, dass die sündigen Menschen, welche die Wahrheit in
Lüge verdreht haben , doch nie gänzlich von ihrem Schöpfer gefallen
sind, und dass der Barmherzige nicht abgelassen hat, sich ihnen zu
offenbaren. Wie wohllhuend ist es, das Göttliche im Menschen auf¬
zusuchen und dessen Pulsschläge zum Ewigen zu entdecken! Wohl
ist die Erkenntniss des Glaubens der allen Völker die Blume, die
im Garten ihrer Geschichte farbig und duftend blüht, und uns oft
im Zorn über das Unkraut aussöhnt. Auch ist sie ein Faden der
Liebe, der aus mancherlei Irrgängen leitet, viel Unverstandenes
aufklärt und würdigen lehret , und über der Menschen Thun und
Lassen einen reizenden Zauberschleier webet.
Nach der verschiedenen Wcltansicht der Menschengeschlechter
gestaltet sich das religiöse Ahnen verschieden; denn dieses ist ein
Hauch ihres Geistes und Uharacters. Im Kindesaller lebte die Mensch-
1
heil noch in der wachen Beschauung der AusscnweK, fesler an sie
gewurzen,- jetzt aber ist sie, zum volljährigen Selbslhewusslsoin er¬
wacht, von der Natur melir abgezogen einwärts gekehret ; jenes war
die Zeit der Sinnlichkeit und der Kunst, dieses ist die Zeit der Ge-
inülhlichkeil und der Wahrheit. Der Alte vernahm die Muse der
ihn umgebenden Well, der Neuere hat sie im eigenen Busen, wie
Schiller (die Sänger der Vorwelt Thl. IX. S. 206) den durchgreifen¬
den Gegensatz beider Zeitalter bezeichnet, wenn er sagt:
Aus der Well um ihn her sprach zu dem Alten die Muse;
Kaum noch erscheint sie dem Neu’n, wenn er die seine vergisst.
Alle Wahrheit ging dem allen Griechen von der Schönheit, alle
Erkenntniss von der sinnlichen .Anschauung aus, in welcher Hinsicht
die Bemerkung Platons (im Gastmahl c. 28 f.) , die wir der Haupt¬
sache nach bei dem späteren Plotinus wieder finden , charakteristisch
ist, dass man zuerst die Schönheit in Einem Körper erkennen, so¬
dann zur körperlichen Schönheit überhaupt aufsleigen solle, von da
zur Schönheit in tugendhaften Seelen und im praktischen Leben, in
Anstalten und Gesetzen, hernach zu den Wissenschaften und end¬
lich zu der höchsten Wissenschaft vom Urbild des Schönen.
In solcher Richtung seines Geistes schaute der Heide den un¬
sichtbaren Gott mehr in der Natur und ihren Kräften , und verlor ihn
nicht selten im sinnlichen Fabelkreis. »Sie sind in ihrem Dichten
eitel geworden“, nach Röm. 1,21. Im Mannesalter aber neigte sich
der Mensch mehr zur Rückkehr nach oben und zum Ende der sicht¬
baren Welt. Dort ward das ewige Wesen in die Schranke der Zeit¬
lichkeit herabgezogen und die Götter wandelten menschlich unter
den allen Griechen, denen das irdische Leben heiter entgegen
lächelte. Hier fährt des Menschen Sohn von der Erde als Gott in
den Himmel zurück, und zieht die Herzen der Menschen sich nach,
welche unter der Trauerweide des Vergänglichen ein sehnsüchtiges
Verlangen nach der unvergänglichen Heimalh hegen. Denn auf dem
Wendepunkt beider Zeitalter sandle Gott seinen eingebornen Sohn,
um die Zerstreuten zu suchen und in ihm ewiglich zu sammeln. Da
war das Ahnen der Vorzeit erfüllt, die überirdische Well thal selbst
ihre Geheimnisse vor den verwunderlen Blicken der Sterblichen auf;
sie sahen das Liclit der Welt , und in ihm ihre selige V^ereinigung
mit Gott, das ist das llimmelreich.
Empor ist nun das Aug’ gerichtet
Zum Himmel, den er uns gewann;
Das Reich der Sinne ist vernichtet,
Der ird’schen Schönheit Zauberbann. —
Ganz nur dem Geiste hingegeben,
Und nur nach Himmlischem entbrannt ,
Hat von dem sünd’gen Erdenleben
Der Gläubige sich abgewandt. ')
Allein die Sonne wird durchs Morgenroth , die Erfüllung durch
bedeutsame Vorzeichen, Christus durch den Täufer augekündigt.
Also finden wir auch in der buntfarbigen Iris der heidnischen Reli¬
gionen die Strahlenbrechung der Einen ungefärbten Wahrheit 2),
deren himmlischer Lichtglanz menschlich gedämpft und dem An¬
schauen näher gerückt ist, gleichwie hohe Gedanken im schönen
Spiele der Kunst heiter sich ausprägen. Daher waren im Alterthume
Religion und Kunst im schwesterlichen Vereine; diese wurde von
jener gehegt und erzogen, schmückte hinwieder ihre fromme Schwe¬
ster und schuf aus ihren Götzen Ideale 3). * Recht verstanden, ist
das Heidenthum die Kunst des Christenthums, und dieses die Wis¬
senschaft.
Betrachten wir das grosse Gemälde der heidnischen Religionen,
so thut uns vor allen Dingen Noth, dass wir jenen heiligen Hinter¬
grund fest im Auge behalten. Alsdann hören die Eabelu auf, ein
gedankenloses Spiel der Einbildungskraft zu seyn, sie reden viel¬
mehr nach Kinder Weise vom Unaussprechlichen, werden zu Ur¬
kunden des Menschenadels und zu Vorboten des Vollkommenen.
*) Von Oberkamp in einem Osterliede im JVlorgenblatt 1819. N. 91.
2) So drückt sich ungefähr Plutarch de Is. et Os. c. 20 aus.
Schlegel Vorlesungen über dram. Kunst und Lit. Bd. 1. S. 19,
4
W.1S erst, nachdem Jahrtausende verflossen,
Die alternde Vernunft erfand.
Lag im Symbol des Scliöiieu und des Grossen
Voraus geoffenbart dem kindischen Verstand ‘).
Die Glaubensfornien des Polylheismus sind irn Allgemeinen:
1) Idealistisch, wenn vernünftige Wesen ein Gegenstand der
Gottesfurcht sind, seyen sie nun in dualistischem Kampfe, wie in
der Perserlehre, oder in Ruhe gedacht, wie der Parabrahma des
Indiers, der höchste Geist über der Well und frei von ihr 2^, oder
menschlich denkende und fühlende Wesen, wie die Götter des grie¬
chischen Olympus. 2} P a n t h e i s li s c h , wenn die Natur als ein
Ganzes vergöttert wird in den grossen allumfassenden Naturgöttern,
deren mythische Geschichte zugleich die Grundlehren des Pantheis¬
mus versinnlicht; z. ß. die indische Trimurti bedeutet die durch
des höchsten Gottes Kraft sich selbst schaffende (natura naturans,
Brahma) und ungeachtet der Zerstörung, ja mittelst der Zerstörung
und des Kampfes (Schiwa) sich erhaltende (natura naturata, Wischnu)
* Natur, was der Grieche an dem mystischen Naturleib des Dionysos
anschaulich machte. 3) Materialistisch, wenn einzelne Natur-
gegenstände angebetet werden; wie die Elemente als die Wurzeln
alles Daseyns, das durch Erde, Feuchtigkeit, Wärme und Luft be¬
dingt ist, die grossen und kleinen Lichter am Himmel, mit welchen
unsere Erde wie ein Theil mit dem Ganzen in der engsten Verbin¬
dung steht, Meteorsteine, Berge und Bäume, als Vermittler zwischen
oben und unten, und Thiere. Herodot (II, 65) erfuhr zwar in Aegyp¬
ten, wo der Thierdienst sehr verbreitet war, den Grund davon,
er trug aber Bedenken ihn weiter mitzutheilen. Es lässt sich ver-
muthen, dass man ihm die Seelenwanderung in Thierleiber als Grund
') Schillers Künstler Bd. III. S. 412. Vgl. Eustalh. ad Hom.
II. prooem. p. 3 ed. Polit. : 0 TiQÖg yslcoza ol öjuijpixol {xidoi, dXXä
ivvoiböv evysvcüP axiai daiv ^ iiaxa. Plut. de Is. et Os.
c. 58 : xQt]axsov xotg /uv&oig 0/ cJj Xdyoig , dkXä xb TtQÖocpo^ov ixdaxs
xb y.axd X'^v öfxoiöxrjxa Xafxßdvovxag.
2) Upnekhat Tch. 17.
3
angegeben habe. Vögel mochle man für lieilig hallen, weil sie von
oben herab Kunde zu bringen schienen. Andere Thiere und Pflan¬
zen waren wegen ihrer Sinnbildlichkeil ehrwürdig oder wurden we¬
gen ihrer Nülzlichkeit verehrl. Ferner legle der Opferdiensl den
Thieren, die als Eigenlhum ihres Golles angesehen wurden, eine
gewisse Fleiligkeit bei, so dass man den Goll und sein geweihles
Thier gleich selzle. Daher verbargen sich die ägyplischen Gollhei-
ten vor Typhon in die Gestalten verschiedener Thiere, und daher
hatten die Opfermahlzeilen die religiöse Bedeutung, dass der Gläu¬
bige durch sie in die Gemeinschaft seiner Götter trat. Aus ähn¬
lichem Grunde war den Israeliten 3 Mos. 7, 23 IT. 17, 11 der Genuss
des Fettes von allem Opfervieh und alles Blutes verboten, weil sol¬
ches vorzugsweise dem Herrn heilig war.
Wenn in der alten Geschichte die griechische Menschheit eine
preisw'ürdige Stelle behauptet, so gefiel mir in der vorchristlichen
Zeit insbesondere des griechischen Glaubens Wunderbaum,
sein inneres geheimnissvolles Treiben aufzuklären und von seinen
Wurzeln Schutt hinwegzuräumen. Obgleich der Zusammenhang der
alten Griechen mit andern heidnischen Völkern unverkennbar ist,
so wird doch durch die besondere Darstellung der griechischen Re¬
ligion die Klippe vermieden, woran sich Viele, welche sämmtliche
polytheistische Religionen zusammen bearbeiteten, sliessen, nemlich
dass in ihren Untersuchungen Alles in einander tliesst und die grie¬
chische Originalität zum Opfer gebracht wird.
Die Griechen der Vorzeit, ausgezeichnet in Kunst und Wissen¬
schaft, erscheinen oft in der heiligsten Angelegenheit der Religion
auf einer niedrigen Stufe , weil man ihre Mythen nicht zu deuten
versteht. Um den Widerspruch zu lösen, ‘bleibt nach vielen Vor¬
arbeiten für den Forscher noch Vieles zu thun übrig. Denn das re¬
ligiöse Leben der Alten liegt erstarret in räthselhaflen Gestalten, die
erst müssen beschworen werden, ehe sie uns lebendig ansprechen.
Wir müssen viele Bilder zusammen lesen, um die Religionslehre der
Alten zu erkennen; aber jene nicht als Hieroglyphen io ein Todten-
haus zusammenwerfen , sondern zu einem heiligen Tempel auferbauen,
/
6
uud den Sinn in den Bildern erforschen, wodurch sie aufs Neue
Leben und Odem empfangen '). Was isl es, alle Mähren zu wissen,
und sie nicht deuten zu können, zu buchslabiren und nicht zu ver¬
stehen? 2) Ein blosser Sammler derselben ist wie ein Blinder im
prächtigen Tempel der Natur, wie ein Ungläubiger, der die Lehren
der Bibel zusammen stellt.
Die Lehrweise der griechischen Religion ist die allego¬
rische, d. i. die bedeutsame. Das Wesen der Allegorie nemlich
steht in der Beziehung von irgend etwas auf einen versteckten Sinn.
Es ist eine Bilder- und Zeichensprache, welche im Allgemeinen
viererlei Formen hat: 1) das Sinnbild (Symbol), 2) das Vorbild
(Typus), 3) die Fabel (Mythus) und 4) das Gleichniss (Para¬
bel ^). Sämmtliche Arten berühren sich in dem gemeinschaftlichen
Mittelpunkt des Allegorischen und stehen einander je nach ihrem
verschiedenen bildlichen Gegenstände logisch scharf gegenüber. Der
allegorische Sinn 1) des Sinnbildes liegt in einem sinnlichen Gegen¬
stände, 2) des V'orbildes in einer wahren Geschichte, 3) der Fabel
in einer erdichteten Erzählung ohne bestimmte Beziehung auf deren
Bedeutung, und 4) des Gleichnisses in einer Erzählung, die sich
selbst für erdichtet ausgibt, um etwas Bestimmtes zu bedeuten. Die
Lehrweise des Heidenlhums ist vornemlich die sinnbildliche und my-
Möchten wir mit Heraklides sagen können: 'H/.t£Tg dk , di rcöt'
dßeßtjXcop ipzög neQt-QQavrrjQloiv ‘^yvia/j.Eßa ^ aEiJ.vr]V^ vTtö vö/.ico rütv
zoirj 1.10.1 üiV , xrjv aJ.'tj’diLOV iyj'stmfxsv.
2) Wir können auf Viele, die Mythologie sludiren , anwenden,
was Dionysius (Archaeol. II, 20 p. 277) sagt; tä fihv xüiv iXXtjPiycm'
/ovdcop dyoßd x£ iaxl ■/.dl h noWtiq dvpöiiipa iücpelsip, dAAcc f.iö-
pop xsq i^jjxa/öxaq , mp epsxa yipopxai. anäpioi d’ siolp oi fx6X£tKr]cp6-
x£q xavxrjq xrjq cpiloaoifjiaq.
3) Willkürlich beschränkt man den Ausdruck Sinnbild auf die
niedere Sphäre der Symbole (Creuzer IV. ü. 111. S. 535). Im Ganzen
ist der deutsche Ausdruck bezeichnend, und nur bei den Symbolen, die
in Formeln bestehen, weniger geeignet. Eben so wenig Grund hat
man , das Wort Fabel auf die Thierfabel einzuschränken.
\
thisclie , die des Clirislentliums entweder die discursive, oder in so
fern sie allegorisch ist , die vorbildliche und parabolische. Da bei
Bestimmung dieser Begriöe viel Schwankendes und Willkürliches
obwaltet, so wollen wir die vier Arten der Allegorie näher ins Auge
fassen ').
Zu 1. Das Sinnbild ist a) ein Sinnenobject im Raum, b) eine
sinnliche Handlung, c) eine Formel (Symbol im engem Sinn),
a) Es ist entweder Natur - oder K u n s t s y m b o 1 i k. Die Natur¬
symbolik legt natürlichen Gegenständen eine Bedeulung bei wegen
ihrer Gestalt, Eigenschaften, Wirkungen oder Verrichtung ; wie wenn
Flügel die Schnelligkeit und Gegenwart der Götter, die Nachteule,
der Hahn und der Hund die Wachsamkeit und Vorsehung, Blätter
das Werden und Vergehen, ein Schmetterling die Seele, Pfeile die
Lichtstrahlen anzeigen. Die Kunstsymbolik setzt mehr oder weniger
die Natur nachahmend eigene Gestalten zusammen, um ihre Ideen
anzudeuten, z. B. in einem Priap die zeugende Natur, und redet
bedeutsam auch schon durch Stoffe und Farben 2). Werden aber die
Kunstgebilde vollständig ausgeprägt, so dass der Gedanke nicht den
Stoff überragt, so hört es auf eine Kunstsymbolik zu seyn, und es
begegnen uns Bilder. Das Bild sucht hauptsächlich Aehnlichkeit,
das Sinnbild Bedeutsamkeit. Artemis zu Ephesus war mehr ein Sinn¬
bild der fruchtbaren Natur; aber Zeus batte zu Olympia sein Bild.
Es ist der Symbolik eigenthümlich , das Bild und !die Sache durch
die Einbildungskraft gleich zu setzen; sonst wäre es nur eine Ver¬
gleichung. Die Zeichen im christlichen Abendmahle sind Sym¬
bole, d. h. man soll sie und die dadurch bedeutete Sache zufolge
der Einsetzung und des alterlhümlichen Gebrauchs gleich setzen.
Die Zwingli’sche Auffassung machte daraus eine blosse Vergleichung
und zersetzte so das religiöse Element in nüchterne Prosa ; der rö¬
mische Katholicismus dagegen machte daraus eine rnährchenhafte
1) Vgl. meine Recension über Daur’s Symbol, und .^lythol. Bd. 1.
in den Heidelb. Jahrb. 1825 ; woraus einiges hierher Gehörige auf¬
genommen wurde.
2) Creuzer tV. li. Ul. S. 591 IT, drille Ausgabe.
I
I
8
MeUuuorphose. Zwingli trennte Sinn und Bild, Rom verwischte das
Bild, das ciiristliche Alterthum wollte eine Gleichsctzung und
Sinnbild.
b) Die s i n n bi 1 d;l i c h en Handlungen sind entweder absicht¬
lich, oder unwillkürliche Ereignisse. Beispiele der erstem Art sind:
die Phokäer verschworen sich, nie wieder in ihre Heimath zurück¬
zukehren, und zürn Wahrzeichen versenkten sie eine Eisenmasse
(oder einen Stein) in die Meerestiefe (Her. I, 165). Thrasybul von
Milet rupfte die hervorragenden Halme eines Fruchtfeldes aus, um
den Periander von Korinth zur Tödtung der Grossen zu veranlassen
(Her. V, 92). Heraklit trank auf dem Rednerstuhl einen Mischbecher
mit Wasser und Mehl aus, um das Volk Massigkeit (acocpQovsia) zu
lehren (Plutarch. de garrulit. p. 58). Tarquinius Superbus schlug in
Gegenwart des von seinem Sohne abgeschickten Boten schweigend
die höchsten Mohnköpfe in seinem Garten ab, und gab so den Ratb,
die Vornehmsten der Stadt Gabii zu tödten oder zu verjagen, um
sie so unter seine Botmässigkeil zu bringen (Eiv. I, 53 f.). Der
Pater patratus warf bei den alten Römern zum Zeichen der Kriegs¬
erklärung einen Spiess ins feindliche Gebiet. Der Prophet Jeremia
zerbrach ein irdenes Gefiiss vor dem Volk, oder nahm ein Joch auf
seinen Nacken, um das bevorstehende Schicksal von Jerusalem zu
bezeichnen. Pilatus wusch auf dem Richterstuhl seine Hände mit
Wasser, ehe er über Jesum das Todesurtbeil sprach. Der Doge von
Venedig vermählte sich alljährlich bei einem feierlichen Aufzug
durch einen Ring mit dem Meere. Noch jetzt wird ebendaselbst um
die Mille der Fastenzeit das Bild einer alten Frau im Triumph ent¬
zwei gesägt und verbrannt ‘). Diese sinnbildlichen Handlungen sind
mit dem Drama zu vergleichen; nur fehlt dem letztem der allego¬
rische Charakter und so unterscheidet es sich von den erstem. Bei
jenen ist die Flandlung nur die Unterlage dessen, was sie bedeutet:
im Drama ist es um die Handlung selbst und ihre kunstmässige
Darstellung zu thun. Allerdings liegt auch der dramatischen Hand-
) Vgl. Creiizer IV'. II. 111. S. 598 f.
f)
lung eine Idee zu Grunde, aber sie ist nielir ini Hintergründe ver¬
borgen als beim Symbol. Ilirer Natur nach muss sich die symbo¬
lische Handlung als eine Zeichensprache der Kürze und Anschau¬
lichkeit befleissigen, während die dramatische in vielen T heilen und
durch eine längere Zeitdauer durchgeführt werden kann.
Als Sinnbilder des Schicksals oder der Zukunft galten unwill¬
kürliche Ereignisse und wurden Symbole genannt, als Blitze und
ähnliche Naturerscheinungen, vorbedeutende Begegnungen von Men¬
schen und Vögeln*), wobei die Worlableitung von ovidßäXkeiv xivi
jemand begegnen, durchschimmert.
c) Formeln als Erkennungszeichen einer Genossenschaft, z. B.
der Eingeweihten, sodann die Glaubensbekenntnisse als Losung der
christlichen Kirche heissen gleichfalls Symbole 2). Es waren Zeichen
der Zusammengehörigkeit, wie wenn Gastfreunde im allen Griechen¬
land ein Täfelchen zerbrachen und die getrennten Hälften als Sym¬
bole der Freundschaft aufbewahrlen und bei ihren Besuchen mit-
brachlen ^). Das Symbol als Formel grenzt an den Mythus, der ja
ursprünglich Rede bedeutet, es unterscheidet sich aber von diesem
dadurch, dass qs schon durch den Ausdruck als ein Wahrzeichen,
der Mythus dagegen durch den Inhalt bedeutsam ist.
Zu 2. Das Vorbild (Typus) ist eine allegorisch aufgefasste
wirkliche Begebenheit oder Gescbichle : z. B. in dem Abnehmender
Wintersonne und der dadurch herbeigeführlen Zerstörung der Natur
sah der Heide ein Vorbild des nolhwendigen Todes und der freiwil¬
ligen Selbstverleugnung; in den Thalen der Heroen halle der Grieche
Vorbilder eines frommen Sinnes und grossarligen Wirkens; in dem
.\uszug der Israeliten aus Aegypten ist die Erlösung der Menschheit
durch Christum, in Jonas das Sterben und Auferslehcn Jesu, in sei¬
ner Auferstehung die unsrige vorgebildet. Das Vorbild unterscheidet
') Xenoph. Memor. 1,1, 3. Aristoph. av. 720 ^i’i/ußoXog o(jrig.
Cicuzer IV. H. III, S. 508.
2) Creuzer a. a. O. S. 513 f
*) Creuzer S. 504.
10
sich von der sinnbildlichen Handlung, dass die ihm zu Grunde
liegende Geschichte von der vorgebildelen Sache nicht in dem Grade
abhängig und von dieser in der Zeit entfernt ist, wie das Wort schon
treffend bezeichnet. Das Vorbild grenzt an das Beispiel (^Tiagd-
detyjua), aber unterscheidet sich von diesem durch die Allegorie, die
letzterem abgeht. Man macht wohl auch aus einer wahren Geschichte
ein Beispiel für einen vorliegenden Fall, allein die Anwendung ist
nicht schon in dieser Geschichte selber gegeben oder bezweckt, son¬
dern erst später willkürlich hineingelegt. Das Beispiel ist nicht be¬
deutsam, wenn gleich bedeutend. Das Vorbild hat eine wirkliche,
das Beispiel eine hypothetische Bedeutung. Der Zusammenhang zwi¬
schen der Geschichte und der vorzustellenden Sache ist im Vorbilde
als nothwendig, im Beispiel als zufällig gedacht. Wer jenen realen
Zusammenhang des Vorbildes leugnet , dem fällt dieses in eine Klasse
mit dem Beispiel, weil er keine Allegorie in der Geschichte an-
«
erkennt.
Nach der allegorischen Schriftauslegung sind die Thaten und
Schicksale Jesu typisch, d. h. sie sind wirklich und menschlich, aber
zugleich ideal und göttlich, das Geschichtliche in seinem Leben wird
ein Spiegel seines verborgenen Wesens und Tbuns, eine bedeutsame
Zeichensprache; Aussätzige, Blinde, Todte und dergleichen , mit de¬
nen er sich in Berührung setzte, erscheinen dann als Stellvertreter
und Abgesandte unseres Geschlechtes, in welchem er das Gleiche
in höherer Bedeutung bewirken will. Also eröffnet sich ein Feld
geistreicher Bearbeitung der evangelischen Geschichte, worin man
dem Menschlichen und Göttlichen zugleich Rechnung trägt. Wer
sie nur als nackte Wirklichkeit nimmt, verkennt den göttlichen
Vollgehall darin; wer die Wahrheit der heiligen Geschichte um ihrer
Bedeutung willen aufhebt, zersetzt sie in Mythus: beide Klippen
muss der bibelkundige Forscher umgehen.
Zu 3 und 4. Die Fabel (Mythus) und das Gleichniss
(gleichgültig, ob aus dem Menschenleben, oder aus der Thier- oder
Pflanzenwelt entlehnt) unterscheiden sich von den zwei ersten For¬
men durch die ihnen zu Grunde liegende erdichtete Erzählung, und
11
verhalten sich zum Sinnbild und Vorbild wie Dichtung zur Wahr¬
heit. Von einander sind sie darin ^unterschieden , dass sich das
Gleichniss aufrichtig für das ausgibt, was es ist, und seine allego¬
rische Beziehung unzweifelhaft macht, wie schon das Wort sagt; wo¬
gegen die Fabel sich mehr oder weniger mit der Lüge schminkt ').
Die Aufgabe des Mytbologen ist eben, die Fabel ihres Truges zu
entkleiden und zum Gleichniss zu machen. Sein Verfahren ist das
umgekehrte des Ovid, welcher aus den Fabeln Mährchen machte.
Zum Mähr dien wird die Fabel, wenn ihr allegorisches Gewand
abgestreift wird. Mährchen und Gleichniss sind sich confradictorisch
entgegengesetzt. Fabel und Gleichniss haben miteinander gemein,
dass die erdichtete Erzählung und der zum Grunde liegende Sinn
sich gleich gesetzt werden , z. B. in dem Gleichniss Platons (Phädrus
p. 248 Heindorf.) von der menschlichen Seele als dem Wagenführer
eines Doppelgespanns, dessen eines Pferd gut, das andere schlecht ist.
Wenn die Fabel Wahrheit mit Dichtung verknüpfend sich mit
der Geschichte vermählt, so wird sie zur historischen Fabel.
Dem Historiker liegt das schwierige Geschäft ob, die feine Grenz¬
linie des Wahren und Erdichteten zu suchen und zu ziehen. Ein
häufig betretener Abweg ist, die Geschichte selbst wegen des fabel¬
haften Beiwerks in Frage oder in Abrede zu stellen; wie man mit
der trojanischen Kriegsgeschichte wegen der bedeutsamen Namen
verfahren ist 2). Allein schon aus der Bibel sollte bekannt seyn.
*) Platon Polit. II. p. 377 A bekennt von den Fabeln , sie seyen
Lügen, doch entbalten sie Wahrheit. Den tiefer liegenden Sinn nennt
er p. 378 D vnovoia. Die in Fabeln vorgetragene Religion nennt schon
Platon im Phädrus p. 243 A /.ivdoloyia , und er selbst gibt in diesem
Gespräche p. 229 C eine verständige Ausdeutung der Fabel von dem
Raube der Orithya durch Boreas, dass der Nordwind das am Ufer dos
Ilissus oder auf dem Areopag spielende Mädchen über die dortigen
Felsen hinabgerissen, und so die Legende ihren dadurch herbeigeführ-
len Tod ausgeschmückt habe.
2) Hermann Br. über Horn. u. lies. S. 20; »Der ganze trojanische
Krieg mag wohl am Ende nicht viel mehr als eine Allegorie seyn. Zu
♦
12
wie gerne man im AUerlhum die Namen der Uedeutsamkeit wegen
wechselte; ohne dass die Personen darum aufhören liislorisch zu
seyu. Von der geschichtlichen Fabel ist die Sage (Ad/oj) zu unter¬
scheiden, welche des Allegorischen ermangelt und eine einfache Ge¬
schichtserzählung ohne sichern Grund ist.
Nachdem wir die Lehrweisen des Alterthums kürzlich erörtert
haben, so kommt der Inhalt der allegorisch vorgetragenen Lehren
Und sodann die Methodik ihrer Auffassung und Darstellung in Be¬
tracht. Auf verschiedenen Wegen haben alte und neue Mythologen
einen verschiedenen Inhalt gefunden. Sie trennen sich im Allgemei¬
nen in zwei Theile: entweder erkennen sie auch im Ileidenthum
religiöses Ahnen und Glauben an oder nicht. Im zweiten Fall erklä¬
ren Einige die Entstehung der Götterlehre aus Priesterbelrug oder
aus Staatsklugheit, um durch die Religion anstatt durch Vernunft-
gründe auf das Volk zu wirken. Prodikus von Keos meinte, die
Alten hätten, was ihnen nützlich gewesen sey, als Sonne, Mond,
Flüsse, Auen, Früchte und dergleichen, für Göller gehalten*).
seltsam ist die Erscheinung, dass die Namen aller Uauplpersonen von
ihren Eigenschaften und Thaten hergenoramen sind.® Clavier histoire
des Premiers temps de la Gröce T. I p. 48 f. erinnert dagegen an die
Namen Herakles, Perseus, Bellerophon, Priamus u. a., die ursprüng¬
lich anders hiessen , und zieht die eben so wichtige als richtige Schluss¬
folge; De ce qu’un nom paroit allegorique, il faut en conclure, non
pas que celui a qui on le donne, n’a pas existe , mais que son veri-
tahle nom est perdu , et que nous ne le connoissons que par son surnom.
Derselbe Gelehrte weist p, 65 nach, dass Mära (Uom. Od. XI, 326 ib.
Schob), Tochter des korinthischen Königs Prötus, die von Medea ver¬
giftet wurde, von den tragischen Dichtern riarntj und KQssaa und
Prötus selbst anderwärts KpsoiP genannt W'erde. Pyrrhus, der nach
dem Tode seines Vaters Achilleus nach Troja kam, hiess von nun an
Neoptolemus, »der neu in den Krieg kommt«, Sophocl. Pbiloct. 73.
343 ff. Vgl. Rosenmüller das alte und neue Morgenland von der Sitte
der Araber , selbst wegen zufälliger Begebenheiten den Namen zu ver¬
ändern.
*) Cicero N. D 1, 42 das Davies.
13
Euhemerus, welchem Ennius nachfolgle, und Persäiis, ein Scliiiler
Zenons , hielten die Götter für ausgezeichnete Menschen, welche
man nach dem Tode vergöttert habe *). Xenokrates hielt in seiner
Schrift über die Natur der Götter fünf Planeten, den Complex der
Fixsterne, die Sonne und den Mond, also acht an der Zahl für
Götter 2). Dupuis fand gleichfalls in der Gölterlehre alte Sternkunde,
Andere Kosraogonie und Naturlehre. Chrysippus nannte die Welt
Gott; den man Zeus heisse, sey der Aelher, die durch die Meere
wehende Luft sey Poseidon, die Erde nenne inan Demeter und so
die übrigen Gottheiten.
In dem grossen und verschiedenartigen Fabelkreis findet man
für jede Ansicht Belege; denn die griechischen Mythen umfassenden
gesammten Umkreis des alten griechischen Wissens und Glaubens ^).
In Fabeln kleideten die Allen ihre Religion, ihre Geschichte, ihr
Nachdenken über die Entstehung der Dinge und über die Beschaf¬
fenheit des Himmels und der Erde ein; das war die naive Kinder¬
sprache der Menschen, da legten sie die Schätze ihrer Weishmt
nieder. Die Fabeln sind nicht nur das Material der alten Religions¬
lehre, sondern auch die Grundlage der ältesten Geschichte, Natur-
lehre und Philosophie. Nur darin fehlen gemeiniglich die Ausleger,
wenn sie einseitig auf einem System beharrend Alles auf einen ein¬
zigen Zweig beschränken wollen. Man hat z. B. die schöne Helena
und ihr Bruderpaar Kastor und Polydeukes an den Sternenhimmel
versetzt, und der Dichter Euripides (Orest. 1624 ff.) fabelte hier¬
nach , dass Helena unter den Mordslreichen ihres Neffen Orestes
von Apollo auf Geheiss ihres Vaters Zeus entrückt, mit Leib und
Seele unsichtbar geworden, und in des Aethers Räumen ein seliges
Leben führe. Allein man würde irren, wenn man darum in der
Geschichte der Helena oder Anderer, die als Himmelslichter glän¬
zen, nichts weiter als Astronomie sehen wollte.
Cicero N. D. I, 15. 42. Diod. Bibi. Fragra. L. VI. Sext.
Empir. p. 311.
2) Cicero N. D. I, 13.
3) Hermann über das Wesen und die Behänd), der Mythol. S. 28.
14
Die Griechen vergöüerlen ausgezeichuele Menschen, und nann-
len sie Heroen, während die Aegypler keinen lleroendiensl hat¬
ten *) ; aber inan unterschied auch ausdrücklich die Heroen von den
ewigen und uugebornen Göttern 2), und Hesiod schied die Theogonie
von der Heroogonie, wie auch Maxiraus Tyrius (Dissertat. XVI)
hievon als von zwei besondern Werken des Dichters spricht, und es
ist nur ein Versehen unsrer Ausgaben , dass sie diese Unterscheidung
verwischt haben. Mil V. 961 neinlich schliesst die Theogonie, und
von V. 962 an beginnt die Heroogonie, wo er den olympischen Göl¬
lern Lebewohl sagt, und sich anheischig macht, die Heroen, und
zwar zunächst die von Göttinnen mit sterblichen Männern erzeug¬
ten, zu besingen. Diese Heroogonie, von dem Scholiaslen des Ly-
kophron yavsaloyia genannt, hatte mehrere Theile, welche
xardloyot hiessen 2), Wir besitzen deren zwei vollständig; der
zweite von V. 1017 an handelt von den von Göttern mit menschlichen
Weibern erzeugten Heroen und wird unmittelbar fortgesetzt in dem
sogenannten Schild des Herakles, weicherauch in der florentinischen
Handschrift des Herrn von Schellersheim ohne alle Ueberschrift dem
Vorigen richtig angehängt ist ^). Diese beiden Kataloge waren die
/jsydXcu ’Hoiat des Dichters, an welche sich kleinere 'flo/ai anschlos¬
sen, von denen noch Bruchstücke vorhanden sind®).
') Herod. II, 50.
2) Herod. II, 45. Plutarch. Pelopid. 16. Draco bei Porphyr, de
abstin. IV. p. 380. Rhoer.
3) Jo. Lydus de mens. p. 12 Roether. Schot. Apollon, in L. II.
führt den dritten Katalog an.
'*) Dass der Schild und das Ende der Theogonie zusammenhängt
und nichts dazwischen ausgefallen ist, erhellt aus Servius ad Virgil.
Aen. XII, 164, wo schon die Verse der Theogonie 1010 — 1012 als zur
ojarcibonoua gehörig aufgeführt werden. Gegen Clericus , der ßaoyovia
ändern will, ist Wolfs Anmerkung zur Theogonie 987 nacbzulesen.
®) Strabo IX p. 304. XIV p. 445 zählt Verse, die mit rj oirj an¬
fangen, zu den xaräAoyot. Der ungedruckte Scboliast der Schellers-
heimer Handschrift führt zu Theog. 142 den Katalog der Leucippiden,
15
Der Glaube der Griechen, dass die Verstorbenen einen Einlluss
auT die Nachwelt ausüben, in Nöthen helfend beistehen’), ja dass •
sie als Schutzgeister walten, hat ohne Zweifel viel zur Vergötterung
der Heroen beigetragen. So sind die verstorbenen Menschen des
ersten Weltalters nach Hesiod (Werke 123 ff.) gute Dämonen, Hüter
der Menschen, die gute und böse Werke beobachten, als Luftgestal¬
ten überall die Erde durchwandeln und Reichthura verleihen. Die
Einbildungskraft lieh den Heroen je nach ihrem Stand oder ihren
Eigenschaften göttliche Eltern, doch ist auch nicht selten daneben
die wahre menschliche Abstammung überliefert worden. Amphitryon
und Alkmene waren die natürlichen Ellern des Herakles, aber als
Stammvater der Ilerakliden gab man ihm Zeus zum Vater wozu
man um so mehr Auflorderung halle, als auf den Amphitryoniaden
die Aemler und Würden eines viel altern ägyptischen und lyrischen
Gottes Namens Herakles übergelragen wurden 3), Kastor und Poly-
deukes waren Tyndariden, die aber auch vom olympischen Zeus
erzeugt sind ^). Die Sänger waren Apollons Söhne ^), die Herrscher
geborne Zeus Kinder^), so Minos Zeus Sohn ^); grosse Seefahrer
stammten von Poseidon ab; den schönen Aeneas gebar Kylherea
dem Anchises ^). Bisweilen gab blos die Lage der Ileimalh den
der ohne Zweifel zu den kleiuern gehörte, an: iv tm twv Xsvxititicömp
v.axaK6y(ü vn' A’^töklavog avaiqüadaL noiai (rng XöxAto.Tag). Proklus
in der Vorrede zu Hes. Werken scheint unter den Katalogen in enge¬
rem Sinne die kleineren Eöen zu verstehen; woraus Mützell und van
Lennep (Comm. zu Hes. S. 383) irrig auf eine Verschiedenheit der
Ileroogonie, der Katalogen und der Eöen schliessen, und den Stand
der Sache verwirren.
’) Eurip. Orest. 1231.
2) Hesiod. Th. 316 f. Jtög viög — 'AfjLcpixQvtüviddrjg.
3) Herod. II, 43.
Uom. hymn. XVI.
5) Hes. Th. 94.
Hes. Th. 96: £x dk Aiög ßaaiX^eg.
7) Hom. Od. XI, 568.
ä) Hes. Th. 1007. Hom. hymn. III in Vener.
16
Grund ilirer Vergöllerung ab: Eos gebar dem Tilbonus den König
der Aelliioper, Memnon’), Alias erzeugte den llesperus. Wie die
Heiligenverehrung der römischen Katholiken die Folge halle, dass
den Heiligen oft göllliche Ehre und Anrufung gezollt wird, so wer¬
den auch die griechischen Halbgötter manchmal für Gotttheiten ge¬
nommen, zumal wenn ihre Geschichte mit Fabeln reich ausgeschmückl
ist; ohne dass desswegen der Unterschied beider im Allgemeinen zu
bezweifeln wäre- Herakles wurde wegen seiner Verschmelzung mit
einem wirklichen Gott Iheils als olympischer angerufen 2), theils als
Heros mit Todtenopfern verehrt 3). Gottheiten werden genannt mehr
uneigenllich als wirklich: Asklepios '*) 1 Kastor und Polydeukes ^),
Psamathe, die Gattin des Aeakus von Aegina, Thetis, Gattin des
Peleus*^), als Töchter des Nereus^), Medea, Circe und Kalypso s).
Aeschyius (Pers. 648) nennt nach griechischer und dichterischer An-
schauungsweise^den verstorbenen Darius einen Perser-Gott.
Wenn die gewöhnlichen Mythologien der InbegrifT aller Mythen
nebst ihrer Ausdeutung seyn wollen, so wären sie eine Encyklopä-
die des gesammlen allen Wissens und Glaubens. Weil diese Auf¬
gabe zu weilschichlig ist, so ist grosse Gefahr vorhanden, dass man
*) Hes. Th. 983.
2) Hom. hymn. XIV.
3) Her. II, 43. Umgekehrt unterscheidet Plutarch Pelop. 16 den
Herakles und Dionysos als menschlich geboren von den ewigen Göttern,
wie Apollon. So stellt auch Horaz Od. IH, 3, 13 den Bacchus auf
gleiche Linie mit den Heroen Pollux, Hercules, Augustus und Quirinus.
Wir haben hier eine spätere Deutung, die in dem alleinigen Umstande
ihren Grund hat, weil Dionysos, der bei den alten Griechen Gott ist,
eine menschliche Mutter hat.
^‘) Hom. hymn. XV.
5) Hom. h. XVI.
6) Hes. Th. 1003 ff.
7) Hes. Th. 244. 260.
8) Hes. Th. 991. 1010. 1015. Athenagoras bemerkt schon, dass
Alkman und Hesiod die Medea eine Gottheit nennen. (Legat, pro
Christ, n. 14 p. 290, wo Petitus mit Unrecht den Text ändern wollte.)
17
l)ei einem so umfassenden Plane slatl einer Wissenschafl ein i)unles
Gemisch verschiedenat (iger Elemenle, ein Aggregat von Mähren er¬
hallen, welche willkürlich an einander gereiht werden, olme nach
ihrem hesoudern Inhalte gehörig geordnet zu seyn. Will man sich
nicht mit vereinzelten wie aus einem Schiffbruch geretteten Trüm¬
mern dieser Wissenschaft begnügen, so wird man eine allgemeine
griechische Mythologie zur Zeit noch ansleben lassen müssen, bis
ihre einzelnen Felder für sich besonders und gründlich bearbeitet
sind. Zu diesem Behuf sind die Fabeln in Klassen abzutheilen, je
nachdem ein gesundes ürtheil einen zureichenden Grund findet, sie
dieser oder jener Wissenschaft zuzuscheiden. Aus solcher Sichtung
ist allein Heil, Licht und Einheit für die Mythologie zu erwarten.
Es wird daher weislich gethan seyn, die Aufgabe zu begrenzen
und die Fabeln auszuscheiden , in deren Einkleidung und Inhalt ein
feiner Sinn alte Religion ausgeprägt findet, und dieselben zum
Gegenstand einer Mythologie in engerer Bedeutung zu machen, ohne
Berücksichtigung der andern nicht hierher gehörigen Mythen, welche
einer alten Geschichte mögen Vorbehalten bleiben. Bildet ja doch
die Lehre von Gott, von dem V'^erhältniss der W^elt und der Men¬
schen zu Gott und von unsrer Bestimmung ein Ganzes für sich, und
es ist nicht abzusehen, dass dasselbe durch alle Geschichte und Phi-
losophcme blos wegen der Aehulichkeit der mythischen Form und
Darstellung unterbrochen werden sollte. Desshalb wollte ich dem
zarten Punkte, wo das heilere griechische Volk in Berührung mit dem
Himmel stand, eine ausschliessliche Würdigung widmen, und halte
dessen Aufhellung für die Eos, welche der vollkommeneren Erkennl-
niss des griechischen (Geistes den Tag bringt. Aus den Grenzen
meiner Untersuchung wurden demnach die mythisch historischen
Personen und vergötterten Heroen ausgeschlossen, so fern sie nicht,
wie Herakles, Träger religiöser Ideen und Vorbilder ethischer Cha¬
raktere geworden sind.
Der reale Grund dieser Wissenschaft ist nicht Religionsphiloso¬
phie, sondern, wie Christus Matth. 6, 23 sagt, »das Licht, das in
dir ist«, die innerliche Offenbarung Gqtles im Herzen, das ursprüng-
2
18
licli dem verniiiirUgeii Gescliöpfe eingeprägte Bevvusslseyn vom
Schöpfer. Solclier nalüriichcii Oflenbarung oder des von Go(l ein-
gepflanzlen Bewusslseyns seiner selbst wurden auch die erleucblelen
Allen inne. Die götllichen Dinge, sagt Sophokles'), kannst du
nicht erfahren, wenn sie die Göller verbergen, würdest du auch
Alles durchforschen. Diese Grundlage der Mythologie verkennt
Hermann, welcher von keiner andern natürlichen Religion weiss
als von Philosophie oder Betrug. Alle Religion ist ihm 2) entweder
geolTenbarte , die der Mensch von aussen oder oben lierab vernimmt,
oder nalürliciie, d, i. Philosophie, die er aus sich selbst heraus-
bringl, oder Myslicismus, d. i. ein regelloses Vernvischen und Ver¬
wechseln von Empfindungen und BegrilTen, da er selber nicht weiss,
was er will. Aber die Religion der alten Griechen ist keines von
diesen dreien, und bat weder die unmittelbare Offenbarung, noch
die Vernunft als das Vermögen zu philosophiren zu ihrem Princip ;
sondern dieses Princip wird von dem Apostel Paulus folgendermas-
sen bezeichnet Apostelgesch. 17, 27 f. : »Gott ist nicht ferne von
einem jeglichen unter uns: denn in ihm leben, weben und sind wir«;
Röm. 1, 19: „das Wissen, dass Gott sey , ist ihnen kund, denn Gott
hat es ihnen kund gelhan.“ Die Mythologie ist der Cornmentar zu
diesen Schriflstellen. Der religiöse Glaube des Heiden beruht aner¬
kannter Massen nicht auf göttlicher Offenbarung, aber auch nicht
auf Vernunflgründen , denn er iiberschwebl die nüchterne Vernunft,
ob er gleich von ihr aufgefasst und beleuchtet wird. Er ist nicht
eine Frucht der Reflexion, überhaupt kein abgeleitetes, sondern ein
unmittelbares Erkennen Gottes. Gott ist dem Menschen in’s Herz
geschrieben, dieser Glaube wird ihm nicht erst durch Nachdenken
oder Philosophie zu Theil, und ist doch darum kein regelloser My-
sticisraus, sondern er weiss, was er will, und hat seine Beglaubigung
in unmittelbarer innerer Wahrnehmung, und kann dabei seiner Sache
so gewiss seyn, als jemand durch die Anschauung der Sonne von
') Bei Slobaeus, fragra. N. VII ed. Bothe.
2) Hermann über das Wesen und die ßehandl. d. Mythol, S. 26.
19
ihrem Onseyii iiherzeust isl. Diese Siclierheit wird ilirn iiiclil durcdi
eine Folgerunc ;ius der VcrnunK, denn diese reicht niclit so weit
den Glauben zu begründen, und kann sich dies nur aus Anrnassung
berausnelimen wollen, sondern es ist ein immanentes Wissen, das
die Gewähr der Wahrheit in sich selbst trägt, so wie die letzten
Axiome der Vernunft ihre Heglauhigung in sich selbst haben. Pla¬
ton (hgg. X p. 899 D) sact: »Eine göttliche Verwandtschaft
leitet dich zu dem Gleichartigen , die Götter zu ehren
und an ihr Daseyn zu glauben.«
Die Anerkennung dieses Princips ist von wesentlichem Einfluss
auf die ganze mythologische Ansicht. Alte und neuere Gelehrte ha¬
ben an die Stelle dieses Princips ein fremdartiges gesetzt, das nichts
mit der Religion gemein hat. Einige vermeinten, die Mythologie
sey eine kluge Staalserfindutig , um durch die unsterblichen Götter
anstatt durch Vernunftgründe auf das Volk zu wirken. Aber schon
Cicero (IV D. [, 42) urtheilte richtig, dass dadurch alle Religion von
Grund aus aufgehoben würde Hier gehen zuletzt Creuzer und Her¬
mann aus einander, wie aus ihren Restrebungen und Grundsätzen,
die sie in ihrem Briefwechsel ausgesprochen haben, ersichtlich ist;
jener behandelt die Mythologie mit religiösem Sinne, dieser hält
die Religion der allen Griechen für Philosophie und ihren Inhalt für
Philosopheme . aus der Betrachtung, Beobachtung und Erforschung
der Natur und Well hervorgegangen, jedoch in .Mythen eingehüllt,
und in diesem Gew'ande ein Gegenstand des religiösen Aberglaubens
für das unwissende unphilosophische Volk. Daher isl nach ihm die
theologische Ansicht , welche in den Mythen religiösen Glauben sucht
und findet, „nichts anderes als die blinde Ansicht, welche das un¬
wissende V'^olk von den Mythen hafte« *). Der religiöse Glaube er¬
scheint ihm nur als leerer Volkswahn, die Philosophen oder Priester
wussten die natürliche Erklärung, verschwiegen sie aber dem Volke,
um ihr Ausehen aufrecht zu erhallen. »Je grössere Fortschritte die
Wissenschaft machte, desto mehr mussten ihnen die heiligen Dinge,
0 Hermann a. a. 0. S. 35.
20
die ilire üeiligkcit hios der Unkuude verdankten, in ihrer wahren
Gestalt erscheinen, und folglich der religiöse Glaube sich immer
mehr verlieren.“ ') Diese Ansicht ist nicht viel besser als der wie¬
der aufgewärmle Wahn, die Religion der Heiden sey nur ein Gau¬
kelspiel der Priester für die Unwissenden gewesen, ohne dass jene
selbst daran geglaubt hätten, eine berechnete Ausgeburt des Egois¬
mus und Blendwerk. Nur dadurch unterscheidet sich diese Ansicht
von dem allen Wahne, dass sie doch Philosopheme den Mythen zu
Grunde liegen lässt. Aber die Religion verkennt sie, das erste Be-
dürfniss der menschlichen Natur, denn das des Philosopliirens ist
ein zweites und untergeordnetes, sie verkennt das Wesen und den
Ursprung der Religion, dass ein inneres Licht dem Menschen von
Natur leuchtet, das er sich nicht selbst gibt, sondern das ihm ge¬
geben ist, welches, wenn auch verdunkelt durch den Sündenfall,
doch nicht ganz verloschen ist, und unabhängig von dem Vernunft-
gebraucb des Gebildeten , von göttlichen Dingen weiss und das
Himmlische ahnet. Der Mythologie Aufgabe, Würde und Gehalt
besteht eben darin, die Spur dieses natürlichen Lichtes zu verfolgen.
Auf die Behandlung der Mythologie äussert die ver¬
kehrte Ansicht von ihrer Grundlage und Inhalt den verderblichsten
Einfluss, wie eben Hermann hierin ein Beispiel gegeben hat io
seiner Dissertatio de Mythologia Graecorurn antiquissima (Lipsiae
1817). Denn was die Alten von ihrem Zeus und andern Göllern sa¬
gen, weist er durch den Machtspruch ab, dass sie es nicht verstan¬
den, und dass ihr Glaube ein falscher Wahn und Aberglaube war.
Desshalb denkt ersieh in die geheime Prieslerweisheil , von der aber
nichts bekannt worden ist, hinein, bildet sich ein kosmogonisches
System, und gibt das für die älteste Philosophie, für den wahren
Sinn der Mythen aus. Da ist denn freilich der buntesten Willkür
ein grosses Feld geöffnet, auf dem sie sich frei herumtreiben kann;
denn sie lässt sich durch keine Einwendung von dem , was der
Grieche notorisch glaubte, stören, und entgegnet, der verborgene
') Ebendas. S. 34.
21
Silin sey ihm nicht offenbar geworden oder untergegangeu. So wird
denn nach Hermann z. ß. die Nyx, wobei sicti jeder Grieclie die
Nacht dachte, das Sinken, der erste Mensch Japet, von welchem
Hellen abstamrale, wird das Hinabstürzen in den Ocean, die Mutter
der Musen Mneraosyne ist das Aufregen im Ocean, die Themis ist
nicht mehr die Gerechtigkeit, sondern das Befestigen, die Chariten
oder Huldgöltinnen sind der durch den Seehandel erworbene Reich¬
thum. Mögen das gemeine Volk und die Dichter faseln, was sie
wollen, darauf kommt es nicht an; den esoterischen Verstand, den
sie nicht hatten, müssen wir mit Hermann ergründen. Der vielbe¬
rühmte Hesiod folgt in der Theogonie Schritt vor Schritt einem al¬
ten Philosophen oder weisen Dichter, den er aber selbst nicht ver¬
stand , und da, wo es in Hermanns System nicht passen will, falsch
verstand; wo er diesen nicht copirte, sondern von seinem Eigenen
gab, da sind es unstatthafte Zuthaten; mitunter muss auch die An¬
nahme von unächten Versen aushelfen.
Woiier weiss denn aber Hermann, was Homer und Hesiod nicht
gewusst haben sollen? Woher lernt er seinen vermeintlichen uralten
Philosophen kennen? Nicht aus dem, was die Allen glaubten und
schrieben — das war nur exoterischer Wahn. Die buchstäbliche Wort¬
erklärung macht ihn, meint er, zum esoterischen Priester; die My¬
thologie muss Wortklauberei seyn, denn die Worte sind von dem
ursprünglichen Philosophen gesetzt, die Etymologie ist das ein¬
zige Kriterium der Wahrheit. Aber wie ist dieses so schwankend
und unsicher! Diese Methode ist schlimmer als die der oft verlach¬
ten Scholiasten, die doch wenigstens die Gottheiten Hessen, wie sie
überliefert sind, und nun erst die wenn auch gekünstelte Etymologie
suchten. Hier aber muss sich das religiöse Denken der alten Welt
blos auf eine Etymologie gründen, die noch dazu willkürlich, un-
besllramt, vieldeutig und mangelhaft ist; denn es können oft meh¬
rere Ableitungen statlflnden, und mit Einem Wort kann man nie
Alles sagen Daher werden oft sehr allgemeine Begriffe in eine Ab¬
leitung gelegt, und der Etymolog erlaubt sich erst das Nähere zu
bestimmen und was er will hineinzulegen; wie wenn Athene dem
1). Sick 1er die (iHbeiispeuderin bedeute!, oder wenn er Hekate
von -rri; (vereinigt seyn) ableitet. Ebenso Scbelling’s Tbeorie von
den sanudhraciscben Gollheilen beruht auf Etymologien, die ihm
freien Spielraum genug lassen , sich und sein eigenes philosophisches
System in der allen Geheimlehre zu finden.
Selbst der Boden, auf dem die Wurzeln zu suchen sind, ist un¬
gewiss: wenn sie Hermann in der griechischen Sprache nachweist,
so sucht sie Sickler in seinem Kadmus in der semitischen. Und auf
einem so schlüpfrigen Grunde will man eine Wissenschaft bauen?
Um sich eiuigermassen zu behaupten, weist Hermann (a. a O. S. 51)
den Einwurf, dass die wahre Wurzel einer Gottheit oft in morgen¬
ländischen Sprachen zu suchen sey , kurz durch die unerwiesene
Bemerkung ab, dass die Griechen auch den orientalischen Namen
solche Formen gegeben haben , die auf griechisch bald denselben,
bald einen ähnlichen Begritf ausdrücken. Ist aber dieses so ausge¬
macht? Dem Glauben ist auch der Name heilig, in solchen Dingen
l>llegl mit der Sache auch das Wort überliefert zu werden, und von
dem W'orte, womit die Gottheit bezeichnet wird, ist der Begriff und
die Anbetung unzerlrennlich. Diess liegt in der Natur des abergläu¬
bischen Polytheismus. Jedoch verstand es sich von selbst, dass die
fremden Wörter, die im Munde des Volks gang und gäbe werden
soll len, durch Umbildung der Form und Endung das griechische
Bürgerrecht erhallen und wohl auch verwandten J.aulen gleichklin¬
gend gemacht werden mussten *). Da ist es freilich nicht schwer,
eine Ableitung aus griechischen Wurzeln aufzufinden, während das
Wort ägyptischen oder phönicischen Ursprungs seyn mag. Will man
gleichwohl auf's Gerathewohl Alles entweder aus semitischen oder
') Die Stelle des Plato im Kritias S. 157 Bekker. von der Ueber-
tragung ägyptischer Namen durch Solon darf nicht in einer zu weiten
Ausdehnung verstanden werden. So mögen die Namen der beiden
Söhne des üarius bei Herod. VII, 224 ^Aßpoxo/ut^g und 'TTte^dvdrji; wohl
eine griechische Ueberselzung seyn nach Baur Mylh. I. S. 288. Hier¬
aus aber darf man noch nicht auf eine gleiche Sitte in Religionssachen
und bei (lölternamen schliessen.
aus griechischen Spracheleinenien al)lei(en, so möchle die Folge da¬
von ein blindes Heruniirren und Selbslläuschung sejn. Das sehen
wir auch an den Früchten der mythologischen Forschungen Her¬
manns. Nach Allem, was er auf jene gewagte und willkürliche
Weise herausbringt, müsste sein erträumter alter Philosoph ärmlich
und kümmerlich, und sogleich im Anfang seines Systems ziemlich
unphilosophisch gewesen seyn, indem er drei Urgründe oben an
stellt, den Raum (Chaos), die Materie (Gäa) und den Einiger (Eros).
Die Ungereimtheit gibt schon unsere Sprache zu erkennen, indem
ihr die Mehrzahl von Urgrund widerlich ist. Dem leeren Raum gibt
er zu Söhnen oder Eigenschaften die Düsterheit (Erebus) und das
Sinken oder die Bewegungskraft (IVv^); aber wie mag das Leere
eine Kraft haben')? Nur dem positiv Seyenden kann die Kraft der
Bewegung zugeschrieben werden.
') Plotin. Ennead. VI C. III p. 637 I) ; y,ivr]aiq de ou TteQl t6
öv , wie aus der Marcianer Hdschr. A zu lesen ist. Mit solchen Deu¬
tungen gaben sich schon die alten Sophisten ab, namentlich Euthy-
phron, wovon Platon folgende Proben im Kratylus S. 396 raittheilt:
Zeus komme von als Urheber des Lebens für Alle, Kronos von
und vou(; y der reine Geist, oder von -KQOvvdq (Quelle) p. 40'2. 'Pea
von Qelv , Heslia von aaia statt oiaia oder coaia von coi9eiv, die Trei¬
berin (p. 401) , Poseidon von Ttoatdeo/uog (an den Füssen gebunden,
der nicht gut auf dem Meere wandeln kann) oder von TtoXXd eidevai
oder oasioav p. 402 E, Pluton von TtXovacog, Hades von detÖTjg oder
ndvxa eidevai mit Beziehung auf die Seligkeit und Weisheit der Ver¬
storbenen p. 403 fl'., Demeter, die speisende Mutter von ediodij und
/xi'jxrjQ y Hera von eparrj oder dvrjQ , Pherephatta von ixacpr] xov cpe^o-
Apollon als Arzt von «.ToXotVor , als Wahrsager von dxXovg , als
Bogenschütze von del ßdXXiov , und als Tonkünstler von 6f.io7ioX<Lv,
Musen von fiioo&ai (sinnen), Letho von Xeiovijdog, Artemis von dp-
xe/uijg (unverletzt), oder von d^exijg Ioxcoq, oder xöv dpoxov (Bei¬
wohnung) /Luaovoa, Dionysos statt didoivvaoq von 6 didoig xöv o'ivov,
Pallas von TidXXeiv wegen des Waffentanzes , Athena entweder von
deovörj oder ^dovorj , Hephästos so viel als cpaJaxoq , cpdeog rorcop,
Ares von aQQxjv oder «ppccro? (nnbiegsam) , Hermes statt
rö eiQeiv imjoaxo, Iris von eÜQeiv (sagen).
24
Pia Ion gil)l ini Kralylus einen zum 'I lieil gelungenen, zum Theil
gezwungenen elyrnologischen Versuch über die Göllernamen; allein
er hespöllell sich selbst hin und wieder, z- B. wenn Socrales den
Hermogenes auffordert, sogleich elwas Anderes zu sagen, sonst
bringe er von demselben Worte noch eine andere Ableitung vor,
und wenn er das Ganze für eine Eingebung der Sophisten erklärt.
Am Ende des Gespräches S. 436 f. urlheill er treffend, man könne
die Sachen nicht aus den Worten mit Gewissheit entnehmen, denn
der Worlbildner sey seiner individuellen, nicht immer richtigen An¬
sicht gefolgt, und die Ableitungen seyet) sehr unsicher und zwei¬
deutig: V^ieles habe Sitte nnd üebereinkommen mit einem Worte
erst verknüpft, das in dem Worte selbst nicbl liege. Daher lerne
man die Sachen viel besser aus ihnen selbst kennen als durch blosse
Wörter, und aus ihrer Erkennluiss sey dann erst die Richtigkeit der
Wörter zu prüfen (S. 439 B).
Darf der Mylholog, was sich die Griechen unter ihrem Zeus,
Nyx , Themis u. s. w, dachten, unter dem Vorwand anmassend ver¬
werfen , als hätten sie es nicbl mehr verstanden ? Auf diese kTage
müssen wir näher eingehen , von ihrer Beantwortung bängt die Be¬
handlung unsrer Wissenschaft ab; denn haben sie die Mythen ver¬
standen, so sind der Willkür Schraidien gesetzt, und der Weg der
W'orlableilung ist nicht der geignefe zur Erforschung ihres Inhaltes.
Die Behauptung nun, dem griechischen V^olke sey der Sinn der
Mythen gänzlich unlergegangen , ist schon anthropologisch nicht zu
rechtfertigen; denn sie geht von dem irrigen Vordersätze aus, dass
seine natürliche Religion ein abgeleitetes Erzeugniss der pbilosophi-
renden Vernunft war. Hieraus wird dann getolgert, dass sie nur
ein Vorrecht weniger Weisen war, und das Volk keine Religion,
sondern nur Aberwitz in den Mythen halle, daher die Scheidung
dessen, was sich der unbekannte alte Philosoph von demselben ge¬
dacht haben mochte, und was sich das Volk und die Volksdichler
dabei dachten. Diese Folgerung und Sonderung aber ist unrichtig,
weil der Vordersatz falsch ist; denn nicht Philosophie ist die Quelle
der natürlichen Religion , sondern diese liegt lief im Menschen und
25
enlwickell sich uiiinidelbar und noihwendig zugleich mit dein Sclhst-
hewusslseyn aus seinem Gemüthe. Somit darf man niclü den Glau¬
ben der ersten Lehrer und Priester von dem Volksglauben (rennen,
Religion lehrten jene in den Mythen, und es war ihnen ein Ernst
datnit, Religion fand das griechische Volk in den Mythen, und diese
waren ihm wenigstens in der guten alten Zeit bedeutsam, es lebte
und webte darin, und bloss in ihnen konnte dasselbe das jeglichem
Menschen eingeborne religiöse Redürfniss befriedigen. Wenn auch
einzelne überkluge Weltweise, wie zu allen Zeiten , dem Unglauben
huldigten, so konnte doch nicht dem griechischen Volke die Reli¬
gion, die mit dem menschlichen Gemüthe gleichsam zusammen¬
gewachsen ist, ganz und gar aus den Mythen verschwinden, und
'dermassen ersterben, dass wir erst die Todte wieder in’s Leben ru¬
fen müssten — wir, denen der Mythen Bedeutsamkeit ferner liegt
als den Griechen selbst.
Was schon aus der menschlichen Natur und ihrem Hedürfniss
und aus dem Wesen der Religion ges hiossen werden muss, lässt
sich auch (hatsächlich nachweisen. Zwar ist Hermann (Briefe über
Homer und Hesiod S. 17) der Meinung, »dass Hornerus nnd Hesio-
dus von dem Sinne der (in den Mythen ausgeprägten) Lehre durch¬
aus weder etwas wissen noch etwas ahnden. Dass dieses so ist, be-
weisst am deutlichsten die Theogonie des Hesiodus. Nicht nur, dass
nicht die geringste Spur auch nur einer Andeutung, dass er den
Sinn seiner Lehre kenne, zu finden ist, zeigen sich überall die deut¬
lichsten Beweise, dass er sie nicht verstand, wiewohl er sie treu ge¬
nug vorlrug. Diese Beweise liegen darin, dass er Sachen hinzu¬
mischt, welche ihr widersprechen.« Diese angeblichen Beweise wer¬
den wir prüfen, wenn wir zur Sache selbst kommen, und finden,
dass Hermann die Lehre nicht recht verstanden habe, dass wir viel¬
mehr, je getreuer und wörtlicher wir den Hesiod fassen, desto we¬
niger Ursache haben ihn der Unkenntniss und Verfälschung anzu¬
klagen. Dass Homer und Hesiod der Mythen Sinn nicht ahnten,
weil nirgends eine Spur einer Andeutung davon Vorkommen soll,
belegt Hermann (a. a. 0. S. 21 f.) mit der Erzählung vom Scepter
26
des Aganiemiioii II. ß' . 101 11'., wo einfällig gesagt wird: llepliäslos
verl'erligle das Scepler, und gab es dem Zeus, dieser dem Bolen
Hermes, dieser dem Pelops und so bis zu Agamemnon herab. Nun
liälle Homer nacl> der .Anmulhung Hermanns sagen sollen: Zeus,
von dem die HerrscliafI kommt, liess das Scepler verfertigen, und
scliickle es durch Hermes dem Pelops zum Zeichen der Herrschaft
über den Peloponnes. Aber diese räsonnirende Darstcliuncsweise
ist wider die epische Art und dem einfachen 1'on der Erzählung
entgegen. Man darf daher nicht schliessen, es sey diess ein Bruch¬
stück aus einem ältern Gedichte, dessen Sinn Homer nicht verstand;
vielmehr enthält jene epische Darstellung bemerkenswerthe Winke
vom Gegeniheil. Homer sagt doch ganz klar V. 108, dass an jenes
Scepler die Herrschaft über ganz Argos und viele Eilande geknüpft
war; wie natürlich war es nun und ohne besondere Andeutung je¬
dermann verständlich, dass und warum es von dem Allherrscher
Zeus stammte. .4her Hermann übersetzt falsch , dass es Zeus von
Hephäslos geschenkt bekam und wieder verschetdcle ; es heisst nur:
Hephästos verfertigte und gab {d(Ly.£) es, schliesst also den von
Zeus erhaltenen Auftrag nicht aus. Wiederum heisst es nicht: Zeus
verschenkte es dem Hermes, sondern gab es, und zwar wird hier
Hermes der Bote (dtcixro^og) genannt; diess möchte doch eine feine
Andeutung seyn, dass er nur des Zeus Befehle ausrichtele, indem
er das Scepter dem Pelops einhändigte.
Es lassen sich aber i)eslimmlere Spuren uachweiseu, dass Ho¬
mer und Hesiod keineswegs Alles eigentlich nahmen, dass sie viel¬
mehr ein Versländniss von den Fabeln hatten. Sie führen allegorische
Personen auf, welche liandgreiflich personiticirte Begriffe und Sachen
sind: Tod, Schlaf, Sonne, Mond, Atlas, Ocean , Gerechtigkeit
Schamhaftigkeit (AidcSg) als eine Jungfrau, die sich ver¬
schleiert. Sie lassen diesen Personen ihre Appellalivnanien , und
gehen ihnen gerade die Beiwörter, welche den Eigenscliaften ihrer
Begritfe entsprechen. Der süsse Schlaf z. B. II. XIV, 259 wird vor
Zeus Zorn von der Gefahr, ins Meer geworfen zu werden, durch
die schnelle Nacht gerettet , welche letztere die Bezwingerin der
üölter uud Menschen genannt wird. Unverkennbar ist dieses mit
hellem Ilewusstseyn gescliehen, weil sonst der Dichter niclit die
Wahrheit des Gegenstandes und seine erdichtete Persönlichkeit mit
einander hätte verweben und die Farben so gesciiickt liätle misclien
können, und es lässt sich analogisch schliessen, dass Homer und
llesiod gleichlälis die andern Götter als Personificationeu werden er¬
kannt und dem Anthropomorphismus auf den Grund gesehen haben.
Man vergleiche das homerische Beiwort von Poseidon der schwarz¬
blaugelockte (xvavoxaiTrjq) , das der Eos mit rosigen Fingern (^oöo-
dd-ÄTvXoq). Wenn es nun Od. 20. 68 heisst, der Erde umfassende
Poseidon habe dem Odysseus widerstrebt, von der Insel Ogygia ab¬
zufahren, so ist unglaublich, dass nicht Homer das personiticirte
Erde umfassende Meer darunter verstanden habe; wie es anderer¬
seits begreiflich ist, dass er demselben als einer Person menschliche
Gefühle und Neigungen lieh- In der Stelle Od. XXll, Wi wird
Aphrodite als Appellativum für gleichbedeutend mit Liebe gesetzt.
Da Hermann dafür hält, an der Theogonie des Hesiod ersehe
man am deutlichsten die Unkenntniss des Vollgehalts der Mythen,
und bereits Greuzer ‘) den Homer gegen den Vorwurf der Unwissen¬
heit einigermassen in Schulz genommen hat, so will ich vorzüglich
von erslerem einige sprechende Züge anführeu 2). Nach dem Ein¬
gang der Theogonie V'. 25 ff. haben die Musen den Dichter ange¬
redet, ihm einen Lorbeerzweig als das Scepler des Rhapsoden ge¬
reicht und göttliche Stimme eiugehauchl. Wer versteht den Dich¬
ter nicht, oder kann ihn für so einfältig hallen, als hätte er sich
selber nicht verstanden? Der Musen Mutter Mnemosyne ist ihm
nichts anderes als die personificirle Erinnerung oder Allwissenheit,
wie aus dem Wortspiele Lesmosyne (Vergessenheil) V, 55 erhellet:
Mnemosyne gebar die Vergessenheit der Uebel. Die sinnhildliche
*) Creuzer’s Hr. au Hermann S. 5l ff. Symbol, -ile Ausg. Th. II.
S. 447 ff. Note S. 459. 3te Ausg. Th. HL S, 65 f.
2) Vgl. meine Ilecension von Völker’s Mylh. des Japet. Geschlechts
in den Heidelb. Jabrh. v. 1827.
28
I{cs(l)reil)unL: V. 176 I , wie sich der grosse Uranos, die Naclit ini(
sich führend , rings um die Erde in sehnsüchtiger Liehe lagerte und
allenfhalben ausbreifete , (reägl das unverkennbare Gepräge an sich,
llesiüd habe sich unter Uranos nichts anderes als den Himmel und
keinen persönlichen Mann gedacht. Wie ist es glaublich , dass das,
was von der Eniniannung des Himmels unmittelbar darauf folgt,
nicht auch vorn Dichter erkannt worden sey ? Nachdem in Folge
dieser Entmannung die Natur sich besamte, das Menschengeschlecht
so zu sagen Fleisch geworden, und die Titanen frevelnd Hand an
den himmlischen Vater Uranos gelegt, and dieser über die Kinder
den Fluch ausgesprochen halle, so folgen V. 211 ff. die Geburten
der verderblichen Nacht: Fatum, Tod, Elend, Nemesis, Betrug,
Beischlaf, Aller, Zwietracht. Die bedeutsame Stellung dieser Verse,
deren Aechlheit mit Unrecht angefochten worden ist, bürgt lür das
Verständniss ihres Verfassers- Die Flüsse werden als Kinder des
Oceanos zum Theil mit Namen aufgeführt, endlich lieissl es V. 370:
die daran w o h n e rt , kennen auch diejenigen Namen, die er nicht
wisse. Die Styx, welche V. 397 als Göttin zu Zeus kommt, wird
V. 784 mit ihrem rechten Namen das unterirdische Wasser genannt.
Eos (Morgenrölhe) gebiert V. 378 dem Asträos die Winde, welclie
sich bekanntlich mit Sonnenaufgang besonders regen. Die Macht
und Gewalt {Kgdioq und Bia), die dem Zeus wider die Titanen
beigestanden, haben fortan bei ihm ihren Silz V. 385 ff. Den leicht
begreiflichen Sinn dieses Mythus erklärt am Schlüsse Hesiod selbst
mit den Worten V^ 403: »er (Zeus) herrscliet und regieret gewaltig.«
Den Plulus (Keiclilhum) gebiert Demeter auf einem dreimal gepflüg¬
ten Brachfelde in Kreta’s fetten Triften; der Gott geht über Wasser
und J.,and und verleiht Reichlhum V. 968 ff. »Man erwarte nur
nicht, sagt Baur () richtig, dass sich die Volkspoesie über solche
Dinge bestimmter und ausdrücklicher erklären sollte, als sie es
ihrem Wesen nach thun konnte, so wird man gewiss die Andeu¬
tungen nicht übersehen können, die sie auch wirklich, wie es die
') Baiir .^ynib. n. Myth. I'h. 1 ,S 3'r2. Vgl ebenda.s. S. 35 If.
29
Natur der Sache tnil sich hringl, da und dort den Verständigen ver¬
ständlich genug gegeben hat.« Zu einer Zeit, da der Mythus nocli
in seinem vollen Leben, und jedermann gewohnt war, die Wahrheit
in der Hülle der Dichtung anzuschauen , konnte man noch nicht
eine Erklärung beabsichtigen, und darf sie eben darum auch nicht
daselbst suchen.
Ganz anders als Hermann urtheilt Herodot von Homer und Ho-
siod, wenn er sie H, 53 geradezu Urheber der griechischen
Theogonie nennt, und Plato Polit. H p. 377 ü, wenn er von
jenen aussagt, sie hätten Mythen geschmiedet. Schöpfer stehen mit¬
ten im Flusse des Lebens. .4llerdings haben sie nicht die Gotthei¬
ten selbst erfunden, diese fanden sie samrnt und sonders vor; allein
ihr Verhältniss zu einander bestimmten diese Gesetzgeber der Volks¬
religion, wie sich Herodot ausdrückt, durch tlestimmung ihrer Ab¬
stammung von einander, durch lleilegung von Attributen, durch
Vertheiluug ihrer Würden und Aemter, durch Bezeichnung ihrer
Gestalten '). So wie die Dichter den Polytheismus darslellten, konn-
*) So deutlich sich Herodot iilier das, was dem Uesiod und Ho¬
mer zu verdanken sey , ausdrückt, so wird er doch insgemein missver¬
standen, w'eil man nicht zwischen Götterlehre, deren Ursprung er ihnen
mit nichlen zuschreibt, und zwischen Gottzeugungslehre unterscheidet.
Schon Athenagoras Legal, pro Christian n. l7 p. 292 und n iS p, 294
ed. Paris, verstand den Herodot so , als hätten Homer und Hesiod ra
ovöfiaxa Ttöv ßioiv zuerst erfunden; jedocti suchte er sein Zeugniss
stillschweigend zu verbessern, indem er zu jenen zweien noch den
Orpheus hinzufügle. Davon sagt aber Herodot im Vorhergehenden ge¬
rade das Gegentheil, nemlich dass die griechischen Götlernamen Iheils
von den einlieimischen Pelasgern, theils von Phönizien, theils von Ae¬
gypten und theils von Lybien herstammen , und vom dodonäischen Ora¬
kel bestätigt worden seyen; nur der Götter Abkunft, .\lter und Gestalt
sey erst seit Kurzem bekannt, nemlich durch Hesiod und Homer, die
Urheber der Theogonie; denn die Dichter, die man für früher als sie
halle, fallen nach seiner Ansicht in eine spätere Zeit. Mehr Anheque-
mung als Auslegung scheint es mir zu seyn , wenn Hermann Br. über
Hom. u. Hes. S. 1 1 u. Oeiizer das. S. 27 den Herodot sagen lassen,
teil sie ihn in der Wirklichkeit nicht vorgefunden haben; sondern
einzelne Städte und Gegenden hatten ilire eigenthiimlichen Haiipl-
schutzgotlheiten , welclien liier Aehnliches beigelegt wurde, was an
einem andern Orte einem andern Schulzgotle. Eine merkwürdige
Zusammenstellung derselben Gottheit unter vielen Namen bei ver¬
schiedenen Völkern findet sich bei Apulejus (Metam. XI. p. 761
Oudend.). Er hält die Cybele der Phryger, die Minerva Cecropia
der Aulochthonen von Athen, die Venus der Cyprer, die Dianader
Kreier, die Proserpina der Siculer, die Ceres der Eleusinier, die
Juno von andern, die Bellona, die Hekate, die Bhamnusia ander¬
wärts, die Isis der Aethiopier und Aegyptier im Grunde für einerlei.
Nun finden wir aber die homerischen Götter sich ordentlich in die
Aemter Iheilen und den einen sein ausschliessendes Geschäft ohne
Beeinträchlisjung des andern besorgen. Den Priestern, die an ört¬
liche lleiliglhürner und Herkommen gebunden wären, dürfen wir
wohl nicht, sondern den Dichtern müssen wir mit Herodol diesen
freien Blick , die Scheidung und Vereinigung der Götter zu einem
Ganzen, zuschreiben. Erst aber vermitlelsl der Beflexion und Ab-
straclion der Epiker, in welchen sich der geistige Verkehr und die
Einheit des griechischen Volkes aussprach, konnten die Götter in
jenes harmonische Wechsel verhäl Iniss gebracht werden. Athene gab
nun das kosmische Weben an die verwandten Göttinnen ab, und
nur die Gedichte früherer Sänger, mit denen man sich zu seiner
Zeit herumtrng, gehören in eine spätere Zeit, während Herodot diess
bestimmt von den Dichtern aussagt, und zu seinem Zweck im Zu¬
sammenhang aiissagen musste. Denn nur dadurch , dass er das Daseyn
vorhomerischer Dichter überhaupt leugnete, erhärtete er seinen Satz
von der späteren und erst von Hesiod und Homer herrührenden Ent¬
stehung der Götterzeugung. Wozu würde es dienen, gewissen Gesän¬
gen das angemasste Alter abzuspreeben ? Hätten Orpheus, Linus, Mu-
säus vor Homer und Hesiod gelebt, nun so hätten diese schon eine
Theogonie verfassen können, was Herodot gerade in Abrede stellt.
Uebrigens gibt er dieses chronologische ürtheil ausdrücklich nur für
seine Meinung aus.
— ;{i —
behielt davon nur die IJaiullerliykeit , das Geschick und den Verstand
übrig, uni sich friedlich an Oenieter und Persephone in Einem Göt-
terhimmel anzureilieu; Persephone musste zur Tochter der Demeter
werden, und die cyprische Aphrodite (rat von ihrem dortigen Voll¬
gehalte an dieses Göfterpaar die Begriffe der Natur und ihrer Truclit-
harkeil ab, und behielt für sich nur den der Zeugungslust. Nur aber
mit der grössten Umsicht und Einsicht in die Priesterlebre konnten
es die Dichter wagen und nur so es zu Stande bringen. Indem sie
durch die Theogonie im Geiste der Volksreligion eine Art von Göt¬
tersystem aufstellten, haben sie damit einer wissenschaftlichen .My¬
thologie vorgearbeitet; und diese dürfte viel besser gelingen, wenn
sie ihrer Führung vertrauensvoller folgte, statt sie undankbar von
sich zu stossen. Denn hei dem entgegengesetzten synkrelistischen
V^erfahren lernt man wohl, was überall .Alles von einer Gottheit ge¬
fabelt worden ist, aber ihr eigenthümlicher und in dem System al¬
lein passender Grundbegriff bleibt gleichwohl verborgen. So stösst
man z. B. in den neuern Büchern auf eine seltsame liäulüng von
Sonnengöttern und wird oft versucht zu fragen, wie sich doch diese
alle in Einem Olymp so gutmüthig zusammen vertragen. Die ver¬
schiedene Genealogie derselben Götter, wie sie z. B. Cicero N. D.
111, 21 ff. aufbewahrt hat, zeigt schon den nach Ort und Zeit ver¬
schiedenen Glauben, den man mit ihnen verband. Was die .Allen
selbst schon sonderten, sollten wir nicht mehr in ein Chaos zusam¬
men werfen ^).
So wenig als den Epikern, können wir den Tragikern, die
von der V'^olksreligion im Ganzen einen so würdigen Gebrauch ma¬
chen, erleuchtete Erkenntniss der .Mythen absprechen. So nennt
Aeschylus (Agarnemn. 288) das Feuer llephäslos, die Liebe Aphro¬
dite (das. 127), den Krieg .Ares (das. 146), den Tod Hades (V. 675).
Er führt in seinem gefesselten Prometheus die Kraft und Gewalt
(Kgaiog y.ai Bia) als Eine Person auf, wodurch er zu erkenneh
*) Quibus inlelligis resisleiulnm esse, ne perlni'i>enliir religiones:
Cic. N D. III, -23.
gibt, (lass ibtii wohl bewusst war, jene tiiylhologiscbe Zweiheit sey
nur (^lie Porsonilication Eines Pegritres. Eben so personificirt er
(7 vor Theben 394) tlie Hescheidenheit {^Alayjtvrf). Euripides (Plioen.
782) lässt den Eleokles, der zur Vertbeidigung von Theben schrei¬
tet, die Vorsicht (EuXdßeia) anrufen, die nützlichste der Götter, die
Stadl zu retten. Derselbe Dichter (Flecub. tü86 f.) nennt die Echo
eines Bergfelsen Tochter — hoffentlich mit Bewusslseyn.
An den .Mythologen ergeben sich hiernach folgende Anforde¬
rungen, damit seine Untersuchungen nicht fruchlleeren Adonis-
gärlchen gleichen aus vorübergehender Lust, sondern eine ernste
-Aussaat seyen, welche nach dem Ausdruck Plalon's (Phaedr. p. 276 B)
in den Freunden der Wahrheit bleibende Frucht hervorbringt. Vor
allen Dingen muss er sich an die Allen, zunächst Homer und lle-
siod, anschliessen und ihnen zuhören, was sie von ihren Göttern
sagen, von der Bahn der selbstgefälligen Klügelei hinweg auf ge-
schichllicliem Grund und Boden lüssen , mit ungetrübtem Sinne zu¬
erst wahrnebrnen, wie und von wem die Mythen überliefert sind,
wie sie die Allen selbst verstanden haben, und dann erst wird er
dieses Gegebene zum Gegenstand des Nachdenkens und der Aus^
legung machen. Die Quellen , woraus wir unsre Erkennlniss un¬
mittelbar oder mittelbar schöpfen, sind die Priester, Dichlor und
Weltweisen. Wenn die Dichter bei Platon (Lys. p. 214 A) gleich¬
sam der Weisheit Väter und Führer heissen, so sind die Philosophen
der Weisheit Ausleger und Ergründer. Bei diesen unterscheide man
wohl zwischen ihren besondern Ansichten und zwischen der öffent¬
lichen Religion; jedoch haben sie unleugbaren Einfluss auch anf diese
und besonders bei der gebildetem Volksklasse, angeregt von der
Volksreligion, sind sie zum Theil eine Frucht ihrer Zeitverhällnisse.
Zu den Forlbildnern der Religion sind also ebensowohl die griechi¬
schen Weltweisen als die Dichter zu zählen und als solche zu be¬
nutzen, in so ferne und soweit sich jene nicht in offenen Widerspruch
und Gegensatz zur Religion überhaupt gesetzt haben. Der Mytho-
log mag sich daher der die Götter leugnenden Lehre eines Anaxa-
goras enischlagen, und ebenso den Epikurus umgehen, welcher
ifii Widerstreit mit aller Heligioii den liinlluss der Göller auf die
Welt und Menschen in Abrede stellte, und ihr seliges und unsterb¬
liches Lehen in ihre Abgezogenheil und in ihre Beschränkung auf
die eigene Weisheit und Tugend setzte'). Einen Plato aber darf
er nicht unbeachtet lassen. Die Weltweisen eines spätem Zeitalters
indessen nehmen eine untergeordnete Stelle ein, als die Fortbildung
der Volksreligion bereits ein Ende genommen , und diese nicht sel¬
ten zum Gegenstände heterogener Reflexionen gemacht wurde. Eine
weitere Quelle der mythologischen Erkenntniss ist die Sprache,
womit man aber nicht anfangen, sondern aufhören muss, um nach¬
zuweisen, wie die sonsther bekannte Sache sich auch in dem Wort
ausprägt und abspiegelt.
Die erste Eigenschaft eines Mythologen ist^ daher der kritische
Samralerfleiss, der aus den Quellen schöpft und alles zur Sache Ge¬
hörige am rechten Orte aufnimmt, der nicht Altes und Neues bunt
durch einander mischt, sondern die Zeiten unterscheidet. Verhäll-
nissmässig späte Schriftsteller können zwar alterthümliche Sachen
berichten; allein man ist nicht befugt, sie geradezu dem Allerthum
zuzuschreiben, und man wird in der Regel besser Ihun, ein überlie¬
fertes System rein zu lassen. Freilich ist es nicht leicht, dieser
Anforderung zu genügen, da die Gleichartigkeit des Stoffes nicht
selten verbietet den Faden abzurcissen. Allein im Grossen wenig¬
stens sind gewisse Religionsperioden historisch zu unterscheiden und
der Stoff darnach zu vertheilen, wenn auch im Einzelnen die Zei¬
ten nicht immer auseinander zu halten sind. Die zweite Eigenschaft
ist ein feiner Sinn, mit der kindlichen Bildersprache vertraut, ihr
auf die Spur zu sehen, ohne sich willkürliche Ausschreitungen zu
erlauben 2). Ideen werden Personen , correlate Begriffe werden Ge¬
schwister, die Eigenschaften eines Gottes sind seine ihm beiwohnen¬
den Gattinnen; in so ferne diese Eigenschaften auf die Aussenwelt
einwirken, sind es seine Söhne und Töchter. Das Verhäl Iniss der
') Cicero N. I). I, 17. 19.
2) Julian Or. II. p. 74 I) klagt über gezwungene Auslegungen
der Mythen.
3
Abhängigkeil des einen vom andern, der Ursaclie und Wirkung wird
durch den Uegriff der Zeugung ausgedrückl. Das durch Deulung
gefundene Ergebniss darf man mit den überlieferlen Fabeln selbst
nicht vermischen, sondern muss beides so auseinander hallen, dass
man leicht den Stoff von der Verarbeitung desselben und von der
individuellen Auffassung des Mylhologen unterscheidet, um der in
diesem Gebiete so häufigen Verwirrung vorzubeugen. Dazu muss
sich drittens ein scharfer Verstand, ein dialektischer Sinn gesellen,
welcher das Viele zur Einheit zurückführt und ordnet, das Zer¬
streute sammelt und unter einen allgemeinen Begriff fasst, welchem
das Einzelne untergeordnet ist Den einzelnen Theilen muss im
V'^erhällniss zum Ganzen die angemessene Stellung angewiesen seyn;
denn eine Abhandlung, sagt Plato (Phaedrus p. 26i C 265), muss
wie ein lebendiges Wesen gebaut seyn, ein Ganzes darstellen und
wohlgeordnete Glieder haben. Die wissenschaftliche Darstellung geht
den absteigenden Weg, während die vorausgegangene Forschung
selbst den aufsleigenden: jene steigt vom Allgemeinen zum Beson-
dern herab und setzt voraus, dass vorher bei der Untersuchung selbst
umgekehrt zu Werke gegangen, und der anfänglich zweifelnde Leser
findet das Allgemeine später im Einzelnen gerechtfertigt. Die höhere
Weihe aber viertens erwartet die Mythologie von dem religiösen
Gemülhe, welches die gewonnenen und verständig geordneten Schätze
auf die Religion an sich bezieht und mit ihr vergleicht. Es ist ein
schwieriges, aber unerlässliches Geschäft, die religiösen von den
geschichtlichen und physiologischen F'abeln gehörig zu unterscheiden
und auseinander zu halten. Eulhyphron bei Plato (p. 6 A) verfiel
in solche Fehlschlüsse , indem er die Fesselung des Kronos durch
Zeus, welche als Religionsgeschichte zu verstehen ist, und die Ent¬
mannung des Uranos durch Kronos , die eine physiologische Bedeu¬
tung hat, ethisch auffassle, und damit sein liebloses Betragen, den
eigenen Vater des Todlschlags anzuklagen, beschönigen wollte. Da¬
her warnt Plato (Polit. II. p. 378 A) solche Dinge vor Unverständi¬
gen und Kindern auszukramen; denn sie können deren Bedeutsam¬
keit noch nicht unterscheiden. Ursprünglich sind alle Religionen eins
35
und linbon gemeinsame Wurzeln, wie Creuzer (Hr. über llom. und
Hes. S. 96 f.) sagt ; „Der erste Typus ist eine reinere Urreligion,
die Monotheismus war, und die, so sehr sie auch durch den ein¬
gerissenen Polytheismus öffentlich zersplittert und verfälscht worden,
dennoch zu keiner Zeit ganz untergegangen , sondern selbst bis mit¬
ten unter das anthropomorphislische Griechenthum durch Priester¬
tradition und Mysterien im Wesentlichen ist erhalten worden. So
wenig wir nun die Einzelnheiten in der Strahlenbrechung des mythi¬
schen Prisma übersehen sollen, oder übersehen mögen, so sehr
kommt es doch darauf an, das Wesentliche zu erblicken, nemlich
durch die vielen gebrochenen Lichter hindurch das Eine wahre Licht
der Sonne, die, wenn sie auch das bunte Farbenspiel der Fabel nicht al¬
lein hervorbrachte, doch alles Scheines und Wiederscheines letzte Quelle
und Ursache war.” Wir werden somit in den Mythen die Erkennt-
niss von Gott und unserm Verhältniss zu ihm, von un-
sern Pflichten und von dem Zustande nach dem Tode,
die Lehre vom Glauben, von der Liebe und von der Hoffnung nach¬
zuweisen haben. Es ist schon ein Bedürfniss des menschlichen Gei¬
stes , in seine Erkenntnisse Zusammenhang zu bringen , und die Re¬
ligion der alten Griechen nicht als etwas Abgerissenes und Isolirtes
zu betrachten. Zwar will sie als etwas Abgerundetes für sich selbst
erforscht und behandelt seyn, jedoch nicht als etwas selbstständig
in sich Ruhendes, sondern als eine Form der Religion. Ohne darum
Fremdartiges, wie oft geschieht , bunt zu mischen und zu verwirren,
bieten sich doch mit andern Religionsformen viele V'^ergleichungs-
punkte dar. Die höchste Aufgabe aber ist, das Ringen nach Wahr¬
heit auf die reine Wahrheit seihst zurückzuführen, auf die Religion
an sich, welche im Christenthum als ihrem Culminationspunkt her-
vorgetrelen ist. Denn es ist nicht ein beliebiger, sondern ein inne¬
rer Zusammenhang in den Religionen. Wie sich der Schöpfer ge¬
fiel, seine ewige Kraft und Gottheit in den verschiedenartigsten We¬
sen in vielen Abstufungen zu spiegeln, also beliebte es auch dem
ewigen Worte, dem Urlichte der Menschen, in dem bunten Regen¬
bogen der allen Religionsformen seine Strahlen zu brechen. Die
Schuld der Menschen hal zwar das lautere Licht oft getrübt und die
Wahrheit in Lüge verdreht; aber auch dann noch verlohnt es der
Mühe, zur reinem Quelle aufwärts zu gehen. Das Heidenthum ist
ja nach dem bildlichen Ausdruck Pauli (Röm. H, 17) als ein wil¬
der Oelbaum auf den edeln gepfropft worden. Die Möglichkeit die¬
ses Pfropfens setzt einige Aehnlichkeit voraus. Diese nicht etwa
blos in einzelnen äussern Erscheinungen und religiösen Gebräuchen,
sondern vornemlich im innersten Grund und Wesen zu erforschen
und nachzuweisen, liegt im Interesse der Wissenschaft und der Re¬
ligion, und ist ein Hauptzweck dieses Buches. Da die Wahrheit im
Christenthum erschienen ist, so haben wir in demselben den Mass¬
stab, woran wir alle Religionen messen können. An dem Lichte
der Oflenbarung würdige man das dunkle Ahnen der Vorzeit, an der
Rede des Mannes das Lallen der Kinder. So kommt die Seele des
redlichen Forschers zur heitern Ruhe, und sammelt sich bei den manch-
faltigen Erscheinungen. Es ist etwas Bleibendes und Festes in vie¬
lerlei Gepräge. Den veränderlichen Ansichten von den Glaubens¬
lehren stehen sie selbst vor, das Dogma seiner Geschichte, so wie
in der Staatengeschichte über dem Thun und Lassen der Völker die
feste Regel des Handelns, das Sittengeselz , steht, an welchem ihr
Leben gerichtet wird. Das Heidenlhum wird so eine ehrwürdige
Mondnacht, deren Licht von der Sonne des Hejls geborgt ist. Im¬
mer darauf will ich hinweisen, wie die Eine wahre Religion sich in
den Fabeln abspiegelt; durch dieses Verfahren glaube ich eben so
wohl der Mythologie als dem Christenlhum selbst einen Dienst zu
leisten. Denn die Natur des Keimes wird erst an der Blüthe und
Frucht, der Schatten an dem Körper, das Bild aus dem Wesen er¬
kannt. So gewinnt das alte Testament eine rechte Gestalt und Farbe
durch den, in welchem das Gesetz und die Propheten erfüllet sind;
in welcher Beziehung es wahr ist , dass wir jenes besser verstehen
können, als selbst seine Verfasser, die es im Sehnen nach dem, das
sie nicht sahen und das wir sehen, geschrieben haben. Dessgleichen
werden die dunkeln Mythen erhellt, wenn das Licht der lautern
Wahrheit auf sie fällt; auf sie bezogen, hören sie auf blosser Wahn
a7 -
und Aberglaube zu seyu, sic werden in ihrem Wesen und Geist
aufgefasst, und gewinnen als Vorbilder des Vollkommenen höhere
Bedeutsamkeit. »Der Geistliche richtet Alles« (1 Kor. 2, 15). Man
geht mit Christo, dem Lichte der Welt, in die weiten Mumienhallen
der Mythologie, da stehen viele Leichensteiue, welche der abgeschie¬
denen Götter Namen und Thaten aufbewahren. Die lebendige Wahr¬
heit des Christenlhums erfüllt das Todteuhaus und hauchet den Mu¬
mien Leben ein. Diese aber neigen sich dankbar vor ihrem Ober-
herrn und werfen ihre Kronen vor seinen Füssen nieder. Im Ge¬
gensatz mit der Mondnacht geht die Sonne selbst uiu so schöner
über unsern Häuptern auf, das Christenthum ragt als vollendete Kö¬
nigin über die altern Schwestern, die Weisen des Alterthums brin¬
gen Christo ihre Huldigungen dar, viele Zungen stammeln und sin¬
gen sein Lob und rufen: in ihm findet, wie das Gesetz, so auch das
Heidenthum seine Erfüllung, ihm sey Ehre von Anfang bis in Ewig¬
keit! Amen.
Wir unlerscheideii drei (jöllerdjiiastieu uach drei Zei(j)eriodeii;
(Jäher Cicero (N. D. Ui, ‘21) dreierlei Juppiler d. h. Obergölter lienut:
der erste liabe den Aellier, der zweite den Himmel und der dritte
den Kronos zum Vater. Neunen wir einen jeden mit seinem eigeut-
lichen Namen, so war der Erste laut der Tlieogouie Uranos, der
Zweite Kronos und der Dritte Zeus. Die erste Periode ist die
der Ureinwohner Griechenlands, die zweite geht bis C e-
krops und ist durch pliönicische Einflüsse bedingt, und
die dritte reicht von Cekrops bis zu den einheimischen
Dichtern, welche das Ausländische zusammen verarbeitet und
einheimisch gemacht haben.
§• 1.
Die älteste Periode der IJreiiiwohiier.
Zur Zeit der alten Pelasger waren die verschiedenen Gölter-
benennungen in Griechenland noch nicht vorhanden, wie die dodo-
näischen Priester den Herodot (II, 52) versicherten. Hi.mmel und
Erde, Sonne, Mond und Sterne wurden allein in den ältesten
Zeiten Griechenlands, wie auch in dem ältesten Aegypten'), gött¬
lich verehrt 2). Daher setzt Hesiod (Theog. 127) zuerst die Götter¬
herrschaft des Uranos (Himmels) und der Gäa (Erde); was nicht
') Diodor. I, 11,
2) Derselben Ansicht ist Plat. Cratyl. 31 p. 49 lleindorf. und
Vano bei Augustin, de civitale Dei VII, 28. Vgl. Alkman bei Dio¬
dor, IV, 7.
39
blos kosniogoiiisch , sondern zugleich als Religionsgescliichte zu fas¬
sen isl. Der Himmel über dem Mensclien mit seinen grossen und
kleinen Licblern, und die Erde, auf der sein Fuss stand, erweckte
ihn zur Ehrfurcht und Dankbarkeit. Diess ist die natürlichste Natur¬
religion, der Gott Himmels und der Erde der allen Hebräer verwan¬
delte sich in Himmel und Erde; und es scheint, Gäa sey damals
auch eine wahrsagende Gottheit gewesen. Wenigstens soll sie
nach dem Anfiing der Eumeniden des Aeschylos zuallererst das del¬
phische Orakel inne gehabt haben, zum andern Themis und zum
dritten Phöbe. Daher sagt Hesiod (Theog. 463), Kronos habe von
der Gäa und dem Uranos in Erfahrung gebracht, es wäre sein Loos,
von seinem eigenen Sohne gebändigt zu werden; und dieselbe Gäa
hilft ihrem Enkel Zeus mit ihrem Ralhe auf den Göllerlhron anstatt
des Kronos, und bezieht sich als alte Maga auf den Willen des
Schicksals *). Noch bei Homer (11. XV, 36) schwur Here (wie sonst
bei den Titanen) bei Himmel und Erde und dem Wasser der Styx,
oder der Alride (11. XIX, 258) bei Zeus, Erde, Sonne und den
Erinnyen unter der Erde.
Diess war die einfache Religion der Ureinwohner, so lange sie
sich selbst überlassen waren. In der nachmaligen Zeit der Vermi¬
schung erhob man die alle Erde wieder zu Ehren. Auf sie, die
Gattin des gestirnten Uranos, die Mutter der Götter, dichtete der
Homeride seinen 30slen Lobgesang, und Plutarch gedenkt eines Hei¬
ligthums der olympischen r?; in Athen 2),
§• 2.
Die zweite g^rieeiiiscii - piitinicisciie Periode
bis Cekrops.
Durch Einflüsse von aussen erlitt jener einfache Gottesdienst
schon frühe Veränderungen. Je nachdem die Ureinwohner mit dem
Auslande in Rerührung traten, wurden fremde Göttereingeführt, und
durch den Begriff der Zeugung der jüngere an den vormaligen Got¬
tesdienst, der Thronräuber an den frühem Herrscher angeknüpft.
') Hes. Theog. 475. 883.
2) Plul. in Theseo 27 p. 13,
Das ällestc und einst einzige Orakel zu Dodona bestätigte sodann
die Neuerungen und beseitigte alle Gewissensbedenklichkeil *).
Ini grauen Allerllium trieben die Phönicier Seehandel ini
ganzen Mittelmeer. Ihr oberster Landesgott Baal d. i. Herr, Mo¬
loch d. i. König ^), erhielt Zutritt in Griechenland unter dem Na¬
men Kronos, den wir am schicklichsten von einem entsprechenden
phönicischen Worte ahleiten; N3“ip bedeutet Sonnenstrahl, im
Hebräischen stralilen, und Kar non im Arabischen Sonnenstrahl 3).
Kronos hezeichnete somit der notorischen Bedeutung dieser Gottheit
vollkommen gemäss die strahlende Sonne, und so sehr sonst
die Griechen ihre Götlernameu aus ihren eigenen Sprachwurzeln zu
erklären pflegten, so ist ihnen doch die Bedeutung jenes Najnens
nicht gänzlich verloren gegangen, indem sie den Planeten Saturnus
<l>aivo)v oder Ad/nTtcov nannten ^), was eine richtige Ueberselzung des
orientalischen Namens Kronos ist. Bei dieser siderischen Bedeutung
konnte sich diese Gottheit an den frühem Sabäistnus in Griechen¬
land gar leicht anschliessen und daselbst einheimisch werden. Da¬
her wurde er hier ein Sohn des Uranos und der Gäa und stand
an der Spitze der zweiten Religionsepoche.
Kronos und seine Geschwister wurden unter dem gemeinsamen
Namen Titanen begriffen: so nannte Uranos seine Kinder nach der
') Herod. II, 52.
2) Damasc. bei Phot. 2i2. Porphyr, de absl. 2, 56. Euseb. Praep.
Ev. I , 9. Serv. ad Virg. Aen. 1 , 646. Clavier sur les preiniers temps
de la Gröce T. I. p. 12. Merkwürdiger Weise feiern die Juden von
Alters her ihrem El oder Etoah den Tag des Saturn (Sonnabend), vgl.
Tacit. Hist. 5, 4.
•^) Unzulässig scheint es mir, den Namen mit Buttmann (Mylho-
lügus 11 S. 34) von abzuleiten, und ihn selbst zu einem Gott
der Zeit zu machen ; obgleich Eur. Heracl. 900 sagt: ai(ov Kqövou naiq
Orph. h. in Saturn. 12, 3: »Der du Alles verzehrst und Alles auch
wieder gedeih’n machst. << Cic. N. D. II, 25: Kqovoq qui est idem xpö-
voq- Die Deutelei halle um so freieren Spielraum, weil der Cult in
Abnahme gekommen war.
Cic. N. D. II, 20 und das. Crcuzer S. 286.
lies. Th. 137.
41
Tlieogoiiie V. 207. Die Tilanen waren die frühem Götter,
sagt ausdrücklich Hesiod (Th. 424). Mit Unrecht hält man sie daher
für eine Periode der kosmischen Entwicklung, für elementarische
Kräfte. Sie bilden vielmehr eine Periode in der Religionsgeschichte:
»von ihnen stammen die Menschen und Göller ah,« sagt treffend Ho¬
mer (h. I. in Apoll. 336); gleichwie die herrschende dritte Götlerord-
nung in Aegypten von den Zwölfen der zweiten Ordnung abstammle ').
Jener Dichter lässt uns einen Blick in die griechische Vorzeit wer¬
fen, indem er (ebendas. V. 92) sagt: als Leto den Apollo gebar, so
waren alle vornehmsten Göttinnen zugegen; er nennt aber nur die
Titaniden Dione, Rhea, Themis und Amphitrite. Diese allen Gott¬
heiten schauten also der Geburt des neuen Gottes zu. Wenn ihr
Name in der Theogonie V. 207 von ntaivstv abgeleitet wird, so
scheint man vielmehr auch hier auf eine semitische Wurzel zurück¬
gehen und ihn mit Clericus von Thon ableiten zu müssen, um
so mehr da auch die Erde Tiraia genannt wurde 2). Die griechische
Uebersetzung von rträveq wäre demnach yr^yeviiq^ Erdgeborne, das
waren sie so gut als die Giganten In dieser Beziehung nennt
llesiod (Th. 696) die Tilanen ydoviovq, und Aeschylus (Eumeuid. 6)
von der Phöbe redend, setzt Titaviq und nalq Xdovöq neben einan¬
der. Ihrer sind nach der Theogonie (133 ff. 207) zwölf: Kronos
und Rhea, Hyperion und Th eia, Krios, Themis und Mue¬
rn osy ne, Koios und Phoibe, Okeanos und T e t li y s , und end¬
lich Japetos. Sie müssen in dieser Periode alle zur Sprache kom¬
men; ihr eigentliches Wesen wird oft erst aus ihren Kindern er¬
kennbar. Die Orphiker^) setzten ausserdem zu den Titanen Phor-
kys und Dione, jenen als Sohn der Gäa und des Pontus^), diese
nach phönicischer *’) Theologie als Tochter des Uranos. Die späte-
’) Ilerod. II, 145.
2) Diodor. HI, 57. V, 66.
^) Diodor. 111, 62.
'*) Orph. fragil), ex Proclo p. 374. Vllt, 21. Apollodor 1, 1 , .3
zählt Dione zu den Titanen.
5) lies. Th. 237.
*’) Sanchuniaton bei Ensch. Pr. Ev. 1, 10. Nach llesiod Th. 353
war Dione eine liebliche Tochter des Okeanos.
'12
reu Üicliler erweitei len den Hegrill der Tilanen und benannten so
auch deren Abkömmlinge. Die Zwölfzalil aber scheint die ursprüng¬
liche gewesen zu seyn. Sie war eine im Morgenland sehr beliebte,
um nach Analogie des Sonnenlaufs einen vollendeten Cyklus zu be¬
zeichnen, So errichtete noch Herakles zu Olympia zwölf Göllern
sechs Altäre, je zweien einen, und zwar den sechsten dem Kronos
und der Rhea , die übrigen den Jüngern Göttern i). Nach Herodot
(II, 4) sind die Aegypler die Ersten gewesen, welche 12 Göller ver¬
ehrten, und die Griechen haben es von ihnen gelernt, und Herakles
in Aegypten war selbst einer von den Zwölfen , die früher als Osi¬
ris und Isis verehrt wurden 2).
Wir wollen an den genannten Göllerwesen nachweisen, wie in
ihnen die drei b'ragen einer jeden Glaubenslehre: was ist Gott?
wie verhält sich d i e W e 1 1 z u G o 1 1 ? und wie verhält sich
der Mensch zu ihm? beantwortet wurden.
A. Von der Gottheit an sich.
S- 3.
Das Heidenthuin halle von dem Wesen der Gottheit keine
richtigen Begriffe, eher befriedigt es in der Lehre von ihren Ei¬
genschaften. Die alten Göller waren neralich nicht überweltliche
Wesen , sondern Kinder der Welt. Die Ideen des absoluten Seyns
und der ewigen Aseität, welche in dem Begriffe Gottes wesentlich
sind, blieben Geheimnisse des Monotheismus oder Ahnungen eines
Platon. Das Heidenthum dagegen unterwarf seine Göller dem Ge¬
setz des Werdens, sie entstehen wie alles Andere; Theogonie
ist ihr charakteristisches Merkmal im Unterschiede von dem Mono¬
theismus; denn Götter sind in der Natur und aus ihr. Platon (Lgg.
X. p. 886 C) missbilligt es, dass in der Theogonie das Natürliche
zuerst gesetzt wird und die Götter daraus entstehen; er selbst setzt
den Geist zuerst und zuoberst (p. 899). Die hebräische Urkunde
dagegen hat eine wahre Kosmogonie, weil hier Gott über der Na¬
tur steht und sie entstehen heisst. Die hesiodische Theogonie enthält
') Herocloios bei Schob Pindar. Ol. V, 10.
2) Ilerod. II, 145.
43
zwar auch Ivosuiogonie ; allein wenn man sie selbst mit Kosinogouie
schlechthin verwecbsell , so verkennt man das Eigeulhiimliche des
Polytheismus, welcher die Götter zugleich mit der Welt werden
lässt und die Welttheile selbst vergöttert. Der Kirchenvater Tatian
dachte schon über diesen wesentlichen Unterschied beider Religionen
nach, und enigegnete den Griechen, unser Gott sey allein aufangs-
los und ohne ein Princip ausser sich *), nach dem Willen des Einen
Gottes komme das W'ort zum Vorschein, und von diesem die Welt 2).
Wo man dagegen die Gottheit lediglich im Verhältniss zur Well be¬
trachtet, da wird sie endlich der Welt selbst eingeboren. Das Chri-
stenlhum erscheint hier auf dem Gipfelpunkt der Vollendung, indem
es einen in ewiger Tiefe ruhenden Vater von dem Sohne als dem
Gott im Verhältniss zur Welt unterscheidet, jedoch nicht, wie die
indische Religion, eine Wesensverschiedeuheit aufstellt. Wenn durch
die Gölterzeugungslebre die Idee des ewigen Seyns aus und in sich
selber verloren geht, so ist sie doch dadurch, dass sie vermittelst
der Zeugung die niedern einem obern und obersten Wesen unter¬
ordnet, des Polytheismus höhere Potenz, indem sie eine Einheit er¬
zielt und eine Aelmlichkeit mit dem Monotheismus zuwege bringt.
Es haben alle Götter nach Hes. Th. 117. I:i8 ihren festen Sitz im
Himmel und auf der Erde. In diesem ihrem gemeinschaftlichen Mit¬
telpunkt sind die Vielen eins. Sie sind allesammt, und zunächst
die Titanen, Himmelskinder, Uraniden, und die Erde ist ihrer Füsse
Schemel. Dass sie zugleich Titanen d. i. Erdkinder sind, bezeich¬
net ihren weltlichen Charakter, die Mischung des Göttlichen mit dem
Anthropomorphislischen , und entspricht dem heidnischen Glauben
vollkommen.
Wenn man das göttliche Wesen mit und aus der Welt sich ent¬
wickelnd vorstellte, so war es ganz folgerichtig, dass man sich die
vollkommene Gottheit zuletzt als die Rlüthe und Spitze des Welt¬
organismus dachte: d. h. Kronos ist der jüngste Uranide , der
gewaltigste unter den Titanen 3). Dieses Wesen zuoberst der Natur
Tatian. :iq. "EXX. n. 4 p. 246. fxöpoq avaQxoq üjv.
2) Ihid. n. 5 p. 247: SiXtj/uazc öe zrjq dnXozrjzoq zov deov Tt^oTtzjdq.
Xöyoq' 6 ÖE Xöyoq ov y.azd xevov xooQtjaaq EQyov ngoizozoxov zov nazQvq
yivEzar zovzop iu/uep zov koo/uov z)}p uQXijp.
Hes. Th. 137, Dieser .\nalogie gemäss wurde auch Zeus für
44
koiinle man sich dann wohl von ilir losgewundon und über ihr ste¬
hend denken, mit persönlicher Freiheit und Intelligenz begabt, d. h.
Kronos hat bei llesiod das eigenlhümliche Beiwort der Kluge, äy-Kv-
XofxijxTjq , und er beherrschte den Himmel. Sein Gottesdienst ist
zwar in der dritten Periode nach und nach verdrängt worden; allein
darum darf man nicht seine ehemalige Verehrung bezweifeln, wie
ü. Völcker utid Welcher (äschjl. Trilogie S. 95) thaten. Die Theo-
gonie V. 486 nennt ihn bestimmt den frühem König der .Göller, und
nach Hes. Op. tll beherrschte er ehemals den Himmel ^). Die in
Phönicien und Karthago diesem Wesen dargebrachten Kinder¬
opfer 2) scheinen auch in Griechenland beibehalten worden zu seyn,
und durch die Fabel Theog. 459 angedeutet zu werden, dass er seine
Kinder verschlinge, und wegen dieser Grausamkeit durch das dritte
Göttergeschlecht entthront worden sey. Doch ist sein Dienst nie ganz
verdrängt worden, sondern man trug der altväterischen Religion
auch später Rechnung. Die Griechen feierten am 12ten des ersten
attischen Monats Hekatombäon (irn Juli) ihm zu Ehren Kronia 3), von
welchem Feste der Monat Hekatombäon vorher xgövioq hiess ^). In
einer attischen Inschrift^) kommt ein Opfer Tür den Kronos am 15ten
Elaphebolion (5 März) vor.
den jüngsten Kroniden ausgegeben; obgleich bei ihm nicht mehr der¬
selbe Grund der organischen Entwicklung vorwallelo.
') Desgl. spricht Apollonius Argon. II. von einer Zeit, da Kronos
im Olymp die Titanen beherrschte. Platon Gorg. p. 523 A redet offen¬
bar von einer verschiedenen Zeit, da Kronos regierte, als da Zeus
die Herrschaft hat, und zwar bezeichnet er Jene als die frühere.
2) üiodor. XX, 14. Plutarch. de superstitione. Sanchuniaton bei
Euseb. Praep. Ev. Varro bei Augustin, de Civ. Dei VII, 19.
3) Demosth, adv. Timocr. p. 708. Ilesych. Snid. s. v. Schol. Arist.
Nub. Cekrops soll sie dem Kronos und der Ops in Attika eingeführt
haben (Philochor. bei Macrob. I, 10). Am Eusse der Burg von Athen
war eine alte Capelle des Kronos und der Rhea (Paus. I, 18).
■*) Plut. in Theseo.
’) Bei Chandler iMarni. Ox. 11, 21.
4l5
§. 4.
Ungeachlet der Verirrung von Menscltenopfern, welche der ver-
dienlen Strafe nicltl entging, finden wir die mit dein Bewussfseyn
von Gott verknüpften Ideen eines allwissenden Verstandes
und eines heiligen und allmächtigen Willens durch beson¬
dere Wesen unter den Titanen personificirt, und ob wir gleich ihre
nähere Beziehung zu Kronos nicht kennen , so lässt sich dieselbe mit
Wahrscheinlichkeit voraussetzen und vermuthen, gleichwie sie mit
dem nachmaligen Herrscher Zeus in die engste Verbindung gebracht
worden sind. Mnemosyne d. i. das Gedächtniss, als Schwester
des Kronos, zeigt die Anerkennung einer Intelligenz in dieser Göl¬
lerperiode an, und drückt die göttliche Allwissenheit aus.
Themis, deren Cult Herodot (II, 50) den griechischen Pelasgern
zuschreibt, bezeichnet die göttliche Gerechtigkeit, welche
über der Welt und den Menschen waltet und die sittliche Ordnung
der Dinge bewahrt. Wenn auch die Idee der Heiligkeit nicht in den
Willen der menschlich handelnden Götter aufgenoinmen ist, so wird
doch die Willkür der Götter durch das unerbittliche Schicksal
(Mö^oq) gezügelt gedacht, durch die Mören (ßloXgai), welche nach
Hesiod (Th. 211. 220 f.) aus der verborgenen Schöpfungsnachl geboren,
»der Menschen und Götter Ueberlrelungen verfolgend, nimmer
ablassen vom schrecklichen Zorn.“ So bildete sich neben dem An¬
thropomorphismus gleichwohl die Idee einer göttlichen N o t h-
wendigkeil, welcher jegliche Willkür unterthan ist, sowohl die
wirkliche in der Menschenwelt als auch die erdichtete in den Göl¬
lern. Der letzte Grund der Entthronung des Kronos ist nach Theo-
gonie V. 464. 475 des Schicksals Wille (ßingdOTo).
Die mit der Gottheit noihwendig zu verbindende Idee einer un¬
endlichen Macht ist durch den Titan Krios sowohl in .4bsicht
auf seinen Namen als auf seine Gattin Eurybia, seine Söhne und
deren Nachkommenschaft bezeichnet. Sein Name wird von Guielus ’)
von )CQECi} (herrschen) abgeleitet; ich ziehe vor, das Wort ■xQiöq^) ge-
Zu Hes. Theog. 375.
2) Wie Theog. 375 Kqico , so wird man auch V. 134 richtiger
KqTov stall Kqeiov schreiheii. Ai islarclnis schriel) nacli Elymol. M.
4«
raclc in der Bedeulung zu nehmen, die ihm die griecliische Sprache
beilegl, als Widder, mil Rücksiclit auf den ägyplischen WiddergoK
Amun , der so frühe in Dodona bekannl war. Euryhia hedeulel
ausgedehnte Macht. Sie ist die Tocliter der Erde und des Meeres, und
hat ein Merz von Stahl '). Ilire Ehe mit Krios bedeutet die allmäch¬
tige Schöpfungskrafl , und entspricht dem Hermes, der Aphrodite und
Persephone in der folgenden Periode ; denn der Widder mil Beziehung
auf den Frühlingswidder ist ein altes ägyptisches Sinnbild der mäch¬
tigen Zeugungskraft. Nach morgenländischer Anschauungsweise be¬
deutet i'N Widder und mit etwas veränderter Aussprache Kraft,
und das deutsche geil hängt sprachlich damit zusammen.
§• 5.
Die allmächtige Schöpfungskraft äussert sich sowohl auf der Erde
als in den Gestirnen und in deren Einwirkung auf die Erde: d. h.
Krios und Euryhia haben zu Söhnen Pallas, Asträos und Perses 2).
Der erste ist wegen seines Namens (von araXAco, ich setze in Bewe¬
gung, in Trieb, verwandt mil cpdklÖQ und cpdXi]q, das männliche
Glied) und seiner Nachkommen wegen der älteste Phallusgoll, als
welcher er nach Etrurien unter dem Namen Pales kam. Er ver¬
mählte sich mit der Styx, einer Tochter des Okeanos ^), d. h. von
unten herauf aus dem Schoos der Erde (gleichwie Persephone)
bricht die Zeugungskrafl hervor, ein Wunder vor unsern Augen. Es
ist eine geheimnissvolle Ehe in der Tiefe, worin Pallas Ihätig ist,
damit alle Keime ans Tageslicht hervorkommen, wann der gewaltige
Widder am Himmel steht. Pallas hat eine grosse Macht und seine
Frucht und Folge ist Macht; darum gibt ihm die Fabel zu Kindern
Macht und Gewalt (Ä'^aro^ und J5/a)^), sodann die Nike (Sieg)
und den Zelos (Wetteifer)»), welchen der Sieg voraussetzt.
p. 346, 41 auch den Titan als Oxytonon liQcög, eine Schreibart, die
unsrer Erklärung noch mehr entsprechen würde.
') Hes. Th. 239
2) Th. 375 ff.
3) Th. 383.
^) Wir werden unten sehen , wie hieran die Genealogie des spä¬
tem Hermes ithyphallicus der Pelasger angeknüpft wurde.
5) Theog. 384 f.
— —
In des Asträos und der Eos Kindern, dem Morgenslern,
den übrigen Sternen und den Winden , erzeiget sich die gött-
lictie Allmaclil am Himmel. In des Perses Tochter Hekate aber
vermittelt sie eine günstige Einwirkung des Sternenhimmels auf die
Erde; wie an seinem Orte gezeigt werden wird.
§• 6- .
Ein Sinnbild der göttlichen Allgegenwarl ist Iris, der Re¬
genbogen, der Himmel, Erde und Meer umfasst. Denn Iris ist der
dienstbare Geist, welcher den Winken der Götter zu Gebote steht,
sowohl bei Hesiod (Th. 779) als in Homers Ilias; während erst in
der letzten Rhapsodie (V. 33t) und in der Odyssee Hermes an ihre
Stelle tritt 2). Daher kommt ihr das homerische Beiwort, die schnell-
füssige (.To'Ja? cJxea) zu, welches wir auch in der angeführten Stelle
Hesiods finden. Der Homeridc (h. in Cer. 315) gibt ihr goldene Flü¬
gel, eine niorgenländische Sinnbildnerei, wovon Griechenland seltene
Spuren erhallen hat 3). Ihr sachgemässer Name ist ohne Zweifel aus
T'y (Engel, Dan. 4, 10. 14. 20) gebildet. Sie ist die Tochter des
Thaumas d. i. des Wundermannes (von und der Elektra,
einer Tochter des Okeanos ^). Thaumas selbst aber ist ein Sohn
der Erde und des Meeres^). Wenn wir zugleich an den Vater
des Okeanos, den Uranos, denken, so scheint diese Geschlechtslafel
der Iris absichtlich so gewählt zu seyn, dass Himmel, Erde, Meer
') Thcog. 378 ff.
2) Im homer. Hymn. auf Demeter werden beide himmli.sche Bolen
aufgeführt, die ältere Iris geht zu Demeter V. 31.5, und der spä¬
tere Hermes zu Hades und Persephone V. 336; ohne dass desshalb an
ein verschiedenes Amt beider zu denken ist, wie Voss in seiner Ueber-
setzung und Erläuterung dieser Hymne vorgibt.
3) Zu Amyklä in Lakonien verehrte man den geflügelten Diony¬
sos mit dem Beinamen -iptlaq von dem dorischen 'ipi'ka (Flügel), Paus.
Lacon. 19, 6. Auf einer griechischen Vase findet sich nach der Erklä¬
rung Buonarrolti’s ein geflügelter Apollon, s. Inghirami Monum. Etr.
S. V. T. 7.
') Theog. 265 f.
«) Th, 237.
48
und Okeanos zur Hervorbringuug jenes wunderbaren IJiinmelsbogens
Zusammenwirken müssen, um die Idee der allumfassenden Gegen-
wäiiigkeil der Göller anzudeulen.
§• 7.
Jedoch wurde das göUlicbe Wesen nicht immer rein und gei¬
stig gehalten, sondern auch der Natur selbst göttliche Verehrung
gezollt, und den Gestirnen, die eine bleibende Dauer und grosse
Causaliläl haben, und so Schattenbilder des ewig ruhigen Seyns und
des Urquells alles Daseyns zu seyn schienen. Rhea bedeutete die
Gesammlnalur , und wurde daher dem Herrn derselben, Kronos, als
Gattin beigegeben. Sie trat nunmehr an die Stelle der früheren Gäa.
Ihre Bedeutung als Erde war den Allen selbst gewiss. Aeschylos
(Suppl. 893) und Sophokles (Philoct. 391) nennen die Mutter des Zeus
sogar rä, und Athenagoras (Legal, pr. Christ, p. 19 Colon.) hält Rhea
mit Demeter für einerlei. Ihr Name scheint daher nur die Versetzung
von epa (-px Erde) zu seyn. Die Verbindung des Kronos und der
Rhea war also eine heilige Ehe Himmels und der Erde. Die Kraft
der Natur wird durch das der Rhea gegebene Attribut des Löwen
veranschaulicht. Darum heisst die Fä bei Sophokles (Phil. 400) Vor¬
steherin der Stier tödienden Löwen, und auch sonst kommt das Bei¬
wort zavQoxrövoq von den Löwen der Rhea vor’), d, h. wenn der
Stier ein alles Sinnbild der Stärke ist, so ist es der Löwe noch
mehr, da er die Stiere zu erlegen im Stande ist. Später wurde der
phrygische Gottesdienst der Cyhele mit dem pelasgischen der Rhea
vermischt, und Euripides gebraucht (Bacch. 59. U28) gleich¬
bedeutend mit KvßcXt] ( V. 79) 2).
Obgleich Kronos Name und Bedeutung von dem leuchtenden
’) Z. B. Orph. h. in Rheaiu v. 26. Wir haben noch Münzen und
Gemmen, die einen Löwen vorstellen, wie er den Stier würgt, was
fälschlich von dem die Erde durchdringenden Sonnenstrahl erklärt wor¬
den ist: Beger Thesaur. Brandenb. Vol. I. p, 146. In Aegypten hat
man die beiden Sinnbilder auch miteinander verschmolzen; zu Theben
in Oberägypten fand man in den Ueberresten eines Tempels zwei Lö¬
wen mit Stierköpfeu, die nach England gebracht worden sind.
2) Vgl. Heyne zu Virgils Äen. III, 131 und Exciirs. 5.
— 4‘J —
Geslirue des Tages enllelinte , so konnte sicli gleichwohl bei der Po-
lenzirung seines Wesens nocli ein besonderer Sterne ncull neben
ihm, dem Herrn der Götter und der Natur, hervorlliun und behaup¬
ten, oder es konnte der schon bestehende Sabäismus der ersten Pe¬
riode füglich beibehalten und mit dem erweiterten Polytheismus ver¬
schmolzen werden. Nemlich die Titanen Hyperion und Theia
erzeugen den Helios d. i. die S o nne, Selene d. i. den Mond,
und Eos d. i. die Morgen rölhe '). Hyperion (6 miQ höv'), der
über uns Wandelnde, ist hei Homer (II. VIH, 480 Od. I, 8) ein
leicht verständliches Beiwort der Sonne und steht auch ((Id. I, 24)
als Hauptwort für die Sonne. Die Sonne mag unler diesem Namen
in der ersten Periode verehrt worden seyn, da Cicero (N. D. HI, 21)
einen Sol vor dem Sohn des Hyperion kennt, als Sohn des ersten
Jupiter und Enkel des Aelhers d. i. als Sohn des Uranos, wie ja
Hyperion war. ln der Odyssee XII, 133 kommt Helios Ilyperion
und ebendaselbst V. 176 Helios Ilyperinides vor, wie auch im Hymn.
auf Demeter V. 26 der König Helios als der glänzende Sohn des
Hyperion erscheint. In der Theogonie dagegen vereinigt Hyperion
als Vater die bedeutendsten Lichter des Himmels. Seine Schwester
und Gattin Theia von mit Rücksicht auf der Gestirne Lauf
dürfte nur eine Zuthat der Zeugungstheorie seyn. Da derselbe Be¬
griff schon in dem Namen des Hyperion niedergelegt ist, so heisst
nicht minder allegorisch die Schwester und Gattin des Hyperion bei
dem Homeriden (Hymn. 31) 'E u r y p ha e s s a , d. h. die weithin
Glänzende, die ihm schöne Kinder gebar, die rosenarmige Eos, die
schöngelockte Selene und den unermüdlichen Helios. Im fernen We¬
sten bei dem Eiland Aeäa an den Strömungen des Okeanos ist der
Aufgang des Helios, die Behausung und die Chöre der Eos 2); nicht
als gingen Sonne und Morgenröthe da auf, sondern jenseits dachte
man sich die ewige Nacht, also hier an die Grenzscheide zwischen
Licht und Finsterniss, wo die ewige Dämmerung zu seyn schien,
versetzte man ihren Wohnsitz. Eos blieb auch in der spätem Pe¬
riode eine göttliche Personification. Sie fährt nach Homer (Od.
XXIH, 244) mit schnellen Rossen, Lampos und Phaethon, welche
») Hes. Th. 371 ff.
2) Ilom. Od. fx , 3 f. hymn. III in Ven. 228.
4
30
(len Mensclien das Licht bringen; ihre homerischen Beiwörter sind
(frühgeborne) , Qoöoddy,Tvloq (rosenfingerige) , £V7iX6y.a-
uoq'^') (schöngelockle) , ivdgovoq^') (scliön thronende) , xgvaößgovoq^')
(goldenlhronende) , godöitrjxvq (rosenarmige).
Eos gebiert dem Asträos (Sternenhimmel) den Morgen- und
die übrigen Sterne sammt den Winden*^), die sich ja mit Son¬
nenaufgang am liebsten erheben. Clericus wundert sich, dass Eos
auch der Sterne Mutter ist, die doch mit Erscheinen der Morgen-
rölhe verschwinden. Allein weil sie, wie die Sonne, von Osten her
aufgehen, so sind sie Kinder des Ostens.
Den Winden haben die alten Griechen gleich den Persern^)
göttliche Verehrung gezollt; jedoch wurde der Ostwind nicht zum
göttlichen Geschlechte gerechnet 9). Sie haben auch nach Homer
(II. -ip' , 195. 209) einen Cult, und ihre Heimath ist Thracien (das.
V. 229). Aeolos ist der Gott der Winde auf einer schwimmenden
Insel 1*^). Im Perserkriege erhielten die Delphier vom Orakel die
Weisung, zu den Winden zu flehen !^*) Boreas soll die Tochter
des Ereclitheus, Orithyia, zur Gattin gehabt haben, und man
') Auch bei Hes. Th. 381.
2) 0(1. V, 390.
'’) Od. VI, 48.
^) Od. XV, 250. h. in Ven. 219.
0 II. h. XXXI, 6.
•’) Hes. Th. 378 ff. Wenn Eos auch die Mutter inorgenländischer
Heroen war, des Memnon, Königs von Äetbiopien , von ihrem Gatten
Tilhonus, und des Phaethon, den sie mit Kephalos erzeugte
(H. Th. 983 ff. Vgl. H. Od. V, 1 h. in Ven. 219), so scheint diess
nur eine dichterische Ausschmückung und Bezeichnung der Herkunft
derselben zu seyn; so wie wenn es Od. XV, 250 von ihr heisst, dass
sie den Kl ei tos geraubt habe, wo der Grund dabei steht, wegen sei¬
ner Schönheit.
7) Zu Hes. Th. 381.
8) Her. I, 131.
9) Hes. Th. 870.
‘®) Od. x'. z. Anfg.
'^) Ilerod. VH, 178.
I
51
zeigte die Stelle aoi Flüsschen Ilissus, wo er sie geraubt haben
sollte, während sie mit der Quelluymphe Pharmakea im Spiele begrif¬
fen war. Diesen Raub legten schon die alten Weisen so aus, dass
sie vom Nordwinde über den dortigen Felsen hinabgeworfen den Tod
gefunden habe. Begreiflich wählten die Athener, als sie ihm nach
dem Perserkriege einen Altar erbauten, gerade diese durch die alte
Sage berühmte Stätte dazu 2), Bei den Megalopolitanern stand Bo¬
reas keinem andern Gotte an Achtung nach 3), Auf einem Hügel in
Sicyon '*) und auf dem Markte zu Korouea =) halten die Winde ihren
Altar. In einer attischen Inschrift wird am 9ten Poseideon ein
unblutiges in einem Opferkuchen bestehendes Opfer für die Winde
vorgeschrieben.
S- 8.
Ausserdem sind Staunen erregende Theile uusers Erdkörpers,
die den Begriff des Erhabenen und Ueberschwenglichen sinnlich dar-
zuslellen schienen, von den alten Griechen vergöttert worden, vor-
nemlich also das mittelländische und das Weltmeer, in so weit
das letztere ihnen bekannt war. Jenes hiess schlechthin Meer (^^löv-
rog') , dieses aber, der Okeanos, welcher sich dem unerfahrenen
• Blicke nicht in seiner ganzen unermesslichen Ausdehnung darstellte,
galt für einen tiefströmenden Fluss.
Der Meeresgolt dieser Periode hiess Nereus (Nr]g£vg')^ und
war daher der älteste Sohn des Ponlos 2). Seine Verbindung mit
dem Ocean wurde dadurch anerkannt, dass man ihm dessen schön¬
gelockte Tochter Doris in die Ehe gab 8). Wenn man bei den
Gattinnen solcher allgemeinen Gottheiten an entsprechende Begriffe
*) Plato Phädr. p. 229 C. Wernsdorf ad Himer, p. 358.
2) Her. VII, 189. Plat. Phädr. 1. c.
2) Pausan. VHI, 36.
Paus. II, 12.
5) Paus. IX, 34.
Chandler Marm. Oxon. II, 21.
2) Theog. 233.
S) Th. 241. 350.
52
ihres Wesens wird denken müssen, so scheint arn schicklichsten Do¬
ris von “lii die lange Zeit, Ewigkeit zu bedeuten; eine Idee, die
durch das unter den irdischen Dingen am meisten sich gleich blei¬
bende Meer versinnlicht wird. Wie mit der Ewigkeit vermählt, so
hat Nereus die Ewigkeit zur Tochter “iSi) ; denn Doris kommt
auch wieder unter den Nereiden vor i). Indessen stelle ich diess als
blosse Vermuthung hin, da sie sich lediglich auf eine Wortableitung
gründet, und die Allen uns nichts Weiteres von der Doris wissen
Messen. Jedoch ist es von einigem Gewicht, dass Nereus (gleichwie
Proteus) vorzugsweise der Alte (ysQcov) hiess 2) , dass man also mit
seinem Wesen den Begriff der Dauer ausdrücklich verband. Solche
Eigenschaften aber wurden gerne durch Gattinnen und Kinder per-
sonificirt. Von einer andern Seite lässt sich bestimmter nachweisen,
wie an das Natürliche göttliche Eigenschaften und ethische Ideen
geknüpft wurden. Die Klarheit und Durchsichtigkeit des Elements,
das Nereus beherrschte, wurde ein Bild göttlicher Wahrhaftig¬
keit. Denn Nereus wurde, so wie der homerische Proteus, als der
Wahrhaftige charaklerisirt 3) , und hat daher auch die Ne me rt es
d. i. die Wahrhaftige zur Tochter, von welcher gesagt wird, dass
sie des unsterblichen Vaters Geniüth habe ^). Homer (11. VI) nennt
unter Nereus Töchtern neben der die eben so viel bedeu¬
tende "AipivÖTjg. Eine ähnliche Naluranschauung, wornach die Be¬
griffe von fliessen und klar seyn mit einem und demselben Worte
ausgedrückt werden, finden wir in dem hebräischen Zeitwort
das bald strömen bald hell seyn bedeutet, und ohne Zweifel das
Stamm wort des griechischen Nereus ist, da es, wie selten ein Stamm¬
wort, den physischen und ethischen Begriff des Namens zugleich
ausdrückt. Damit hängt zusammen, dass ihm Hesiod (Th. 235) einen
rechtlichen freundlichen Sinn beilegt. Ewigkeit, Wahrheit und Recht
sind die verwandten Ideen, die in der Meeresfläche sich abspiegeln
und als Eigenschaften des Nereus vorgestellt wurden.
Den Okeanos dachte man sich an den Grenzen der bekannten
*) Theog. 250.
2) Theog. 234. Hom. II. g', 141. Orph. Argonaut.
3) Th. 233. 235.
'i) Th. 262.
53
Erde, dieselbe umfliessend '). Neunmal umkreiset er wirbelnd die
Erde und das Meer, und fäll! dann in das Meer, sein zehnter äus-
serster Arm ist die Styx, welche lange unter der Erde fliesst 2).
Hesiod nennt ihn (Th. 242. 958) den äussersten (relr/etq) Fluss, und
als solcher umgibt er den Schild des Herakles (V^ 314). Er hat
Quellen wie ein Fluss ^). Nach Homer (II. I, 423) fliesst er beiden
Aethiopern , welche nach Od. I, 23 ein Grenzvolk der Erde sind.
Eine dunkle Bekanntschaft mit dem Weltmeere schimmert durch;
nur so konnte man von dem Urfluss Okeanos und seiner Gemahlin
Tethys alle Flüsse und Bäche ahstammen lassen, welche ein
jeder an seinem Orte für heilig gehalten wurden '♦)* Wie der Ocean
der grosse Behälter aller Gewässer ist, so ist er vermöge des Ver-
dunstungsprocesses auch wieder ihr Vater.
Nach der mosaischen Urkunde (1 Mos. 2, 10 ff.) wird Eden von
Einem Strome bewässert, der sich ausserhalb in vier Hauptwasser
theilt. Also auch hier ein Urtluss, von dein die Flüsse in alle Welt
ausgehen; denn das bedeutet ihre Vierzahl , ohne dass man aus ihnen
die Ortsbestimmung des Paradieses folgern könnte. Die merkwür¬
digsten Flüsse im Norden, Süden, Osten und Westen von Mesopo¬
tamien werden mit Namen genannt: I) Pischon (nach den LXX
Phison) d. i. Phasis nach Gatterer im Goldlande Chavila (die alte
Sage setzt das goldene Vliess nach Kolchis an den Phasis); 2) Gi-
chon (d. i. nach den ältesten Bihelerklärern und den Kirchenvätern
der Nil) im Lande Chusch d. L Aethiopien; 3) Chidekel d. i. nach
Daniel 10, 4 der Tigris gegen Morgen von Assyrien, von den An¬
wohnern selbst seit den ältesten Zeiten Dikla genannt, und 4) der
Euphrat gegen Westen.
§• 9.
Die Veste, das Himmelsgewölbe unter dem Namen Koios (von
Q Ilom. h. in Ven. 228, wo die östliche Grenze gemeint ist, wie
sonst öfter die bekanntere westliche.
2) H. Th. 788 ff.
3) Th. 282.
Th. 337 ff.
3) Uultinann Mytholog. 1. S. 87 hält den Pischon für den üesynga
in Indien.
%
54
xoAo?', woher coelum) war ferner ein Gegensland der Anbetung.
Er und seine Schwester und Gattin Phoibe *) waren gleiclifalls
Titanen. Letztere als vormalige Inhaberin des delphischen Orakels 2)
war die alle Vorsteherin der Wahrsagekunst, und offenbarte des
Himmels Willen. Sie war wie in der Thal, so dem Namen nach,
von mni '3 abgeleitet (phiiavo - phoivo - phoihe) , Gottes Mund.
Ihre Kinder sind Leto und Asteria^), d. h. Wahrsagekunst, Zau¬
berei und Sterneneinfluss. Leto hatte ja in IJulo in Aegypten ein
Orakel ^), und war in Griechenland die Mutter des wahrsagenden
und von seiner Ahnmulter benannten Phöbus Apollon und der zau¬
berischen Artemis, an welche Zwillinge sie in der dritten Periode
ihre beiden Aemter ahtrat. Sie war im alten Griechenland die ver¬
götterte Astrologie, d. i. die Wissenschaft von der Bedeutsamkeit
und der Causalität der Gestirne, verbunden mit Zauberei {yorjxüa).
Denn ausser der natürlichen Einwirkung der Gestirne gibt es auch
eine künstliche, da sie der Mensch durch Beschwörungen (^sTiMÖai)
zu seinen Zwecken wirksam macht, ohne dass diese wissen, wie
ihnen geschieht. Wie ihre natürliche Einwirkung unwissentlich er¬
folgt, so auch die durch Beschwörung veranlasste. Der Mensch
veranlasst durch freies Einwirken in die Wellharmonie die Aeusse-
rung ihrer Wirksamkeit. Die Zauberei hat dann ihren Grund, weil
der Beschwörer als ein Theil des Ganzen keinem Sterne fremd ist,
sondern jeden mit sich in Sympathie bringen kann. Sey er auch
ein schlechter Mensch , so ist es , wie wenn ein Bösewicht aus einem
Flusse Wasser schöpft •’). Leto musste für eine wohlthätige Zaube¬
rin gegolten haben; denn Hesiod (Th. 406 ff.) beschreibt sie als im¬
mer sanft, grundgütig und freundlich. Mit Clericus halte ich dafür,
dass ihr Name mit dem hebräischen Worte c''U^ (Zauberkünste), ver¬
glichen mit dem griechischen Stammwort AA&Sl, Zusammenhänge.
In der lateinischen Form Latona tritt der Selbstlauter a wieder
hervor.
1) Th. 134. 136.404.
2) Aeschyl. Eumen. Anfg.
’) Th. 406 ff. Ilom. h. in Apoll. 62.
Herod. II, 155.
’) Bruchstück in Villoison Anecd. Gr. T. II. p. 233 ff.
Asteria ist die einwirkeude Kraft des gestiruleu Himmels, wie
Iheils aus ihrem Nameu (von darrjQ) theils aus der Natur ihrer Toch¬
ter erhellet. Sie vermählte sich mit Perses^), welcher nach dem
Ausdruck der Theogonie V. 377 in Wissenschaften Alle übertraf, also
der geheimen Wissenschaft der Astrologie und Magie vor Allen kun¬
dig, zu der Ehre der Verehelichung mit der Göttin Asteria gelangte
und so seihst vergöttert worden zu seyn scheint. Dieser Ehe Frucht
ist in Folge der Constellationen die Glücksgöttin Hekate, die äl¬
teste Fortuna. Von ihrem Einfluss hängt Glück und Reichthum,
Ehre und Ruhm, Sieg und Beule, das Gedeihen der Kinder und der
Herden ab. Sie ist mächtig im Himmel, auf der Erde und dem
Meere, auf den Königsthronen, in den Volksversammlungen, im
Krieg und in den Wettspielen 2). Wegen ihres verborgenen Wallens
hat sie ihr Heiliglhum in einer Grotte 3). Hire Verbindung mit dem
Monde, welchem der meiste Einfluss auf die Erde zugeschrieheu
wurde, erklärt sich hieraus von seihst. In dem homerischen Lob¬
gesang auf Demeter hat daher Hekate einen schimmernden Schleier
(V. 25) und ein Licht in den Händen (V. 52). Dass ihr Cult in
die drille Periode überging, meldet Hesiod bestimmt, indem er
(Th. 424) sagt: die Ehre, welche sie zur Zeit der frühem Götter,
der Titanen, genoss, habe ihr Zeus gelassen und noch vermehrt.
Hieraus erkennen wir sowohl das Alter ihrer Verehrung als deren
Fortdauer. Hie und da und besonders in späterer Zeit verknüpfte sich
der Begriff der Zauberei mit ihrem Wesen, so dass sie nicht nur
als Wirkung der guten Constellation , sondern auch als zaubernde
Urheberin derselben angesehen wurde. Medea hatte die Hekate zur
Mithelferin, und sie verehrte dieselbe besonders in der Nische ihres
Herdes'^). Wegen des dreifach wechselnden Mondes bildete sie Al-
camenes mit drei Gesichtern ab 3), und wir sehen noch eine solche
Hekate bei Paciaudi (Mon. Pelop. 11, p. 188) mit dem Scheffel der
Fruchtbarkeit auf dem Haupte, einen Hund an den Vorderfüssen
1) Persäos im Hom. h in Cer. 24 genamit.
2) Theog. 411 ff.
3) Ilom. h. in Cer. 25.
'•) Eurip. Med. 400.
’) Pausan. II, 30.
56
hallend. Dieses Tliier, ein natürliches Sinnbild der Wachsan)kei(,
dem Begriffe der Nacht- und Mondsgöltin wohl entsprechend, ist
nach Euripides die Lust der Hekate und wurde ihr geopfert* *); ja
die Göttin wurde bisweilen selbst mit einem Hundskopfe abgebil¬
det 2), Jeden Neumond Abends pflegten ihr die Griechen auf den
Kreuzwegen eine Opfermahlzeit insbesondere von Eiern fSinnbild
der Fruchtbarkeit) , jungen Hunden (mit Beziehung auf den Mond)
und von Esswaaren vorzuselzeu, um dadurch des Glückes Gunst zu
gewinnen, und das Anerkennlniss auszuspreclien , Speise und Trank
kommen von oben herab 3).
In Absicht auf den Ursprung der Hekate und ihres Namens wer¬
den wir durch eine denkwürdige Stelle des Propheten Jesaja 65, 11
nach Phönicien oder Palästina gewiesen: »Ihr, spricht der Herr zu
seinem Volke, die ihr den Herrn verlasset und des heiligen Berges
vergesset, und richtet der Gad einen lisch zu, und schenket voll
ein vom Trankopfer der AJeni.« Die gleiche Verehrung durch das
Zurichleu eines Tisches, dieselbe Vorstellung, welche der Morgen¬
länder mit der Gad ^) , was auch ein Appellativwort mit der Bedeu¬
tung des Glückes war, verbinden musste, und selbst die Namenähn¬
lichkeit berechtigen zu der Annahme, Hekate und Gad seyen einer¬
lei. Jenes scheint nur eine griechische Umbeugung der phönicischen
siderischen Glücksgöttin zu seyn, wobei das a in x überging, wie
aus y.dp.rj'koq (Kameel) wurde. Unsre deutsche Sprache bildete
aus der Hekate nach ihrer abgeleiteten Bedeutung das Wort Hexe.
Das Herbeiziehen der griechischen Ableitung von exarog (Voss) oder
der hebräischen von in; (vereinigt seyn, Sickler Kadmus S. 64) halle
ich für gesucht und verwerflich. Die Meni, verglichen mit
Mond, ist meines Erachtens dasselbe Wesen, nur*im Parallelismus
mit einem andern Namen benannt.
') Daher heisst sie dem Lykophron -jivvoacpayi^g ded.
2) llesych. v. äyaXf^a 'E-/.u.rrjg.
j) Arisloph. in Pluto und daselbst Schob Ilemslerhuis ad Lucian.
Dialog. Deor. II. p. 399 Bip.
*) Die LXX übersetzen Tüx’?, die Vulgata Fortuna.
§. 10.
Japelos euillicli , der von uns zulelzl Genannle unter den Ti¬
tanen, ist der erste Mensch der Theogonie. Denn von ihm leiteten
die Griechen ihr eigenes Geschlecht und die westliche Bevölkerung
der Erde ah, indem sie ihn zum Vater des Prometheus und des
Westberges Atlas machten'). Des Prometheus Sohn war aber
Denk ali 011 und dessen Sohn Hellen, welcher bei dem nachmali¬
gen Uehergewichte der Hellenen unter den Einwohnern Griechenlands
in späterer Zeit au die Spitze des griechischen Stammbaums gesetzt
wurde. Wenn der Gesichtskreis der Theogonie in dem Geschlechts-
register des Menschengeschlechts nicht so weit umfassend ist als der
der mosaischen Schöpfungsgeschichte, so stellt sie doch nur Einen
Menschen oben an, um die Menschen als ein zusammenhängendes
Ganzes darzustelleu, im Sinne des biblischen Ausspruches (Apostgesch.
17, 26): „Gott hat gemacht, dass von Einem Blute aller Menschen
Geschlechter auf dem Erdboden wohnen.« Der Theil des Menschen¬
geschlechts, auf dessen Genealogie sich die Theogonie eiuschränkt,
hat in der mosaischen Völkertafel ganz dieselbe Abstammung.
Von Japhet, dem Sohne Noah’s, wird die ganze nördliche und
westliche Bevölkerung der Erde abgeleitet, und ausdrücklich, wie
dort von Japelos, das griechische Volk (Javan) und Tartessus, ein
Enkel Japhel’s, ferner die Meder (Madai), Magog {rauthmasslich am
Kaukasus) und die Ciinmerier (Gomer). Auch der griechische Ja-
pet wird mit der grossen Wasserfluth in eine Verbindung gebracht,
als Grossvater Deukalions. Ueberdiess ist sein Name in der hebräi¬
schen und griechischen Ueherlieferung ganz derselbe, so dass mau
au der Einerleiheil nicht zweifeln kann. Wir besorgen keinen Wi¬
derspruch von Seile der Chronologie, da ja in der mythischen Ge¬
schichte die Begriffe des Vaters und des Sohnes nicht so streng dür¬
fen genommen werden. Die griechische Sage setzt uns seihst auf
den richtigen Standpunkt ihrer Beurlheilung, indem sie uns von dem
frommen Menschengeschlecht in der goldenen Zeit zu Anfang der
Well meldet^), und. doch schon mit Prometheus Sünde und Elend
') Theog. 509 f.
2) l Mos. 10.
•’) lies. Op. 109.
58
liervorlrelen lässt *). So gibt sie selbst zu verstehen, dass zwischen
Japet dem Uraniden und Prometheus ein ganzes Geschlecht in der
Mitte liegen könne, und Sohn des Japetos bei der Unbekannlheit
oder Gleichgültigkeit der Mittelglieder so viel sey als Nachkomme
desselben
Rückblick.
Blicken wir auf die Götterlebre der Tilanenperiode zurück, so
ist es ein abgerundetes phönicisch griechisches System. Kronos steht
an der Spitze, seine rechte Hand ist gleichsam Krios, sein Wille
Themis, sein Verstand Mnemosyne; wir finden schon in dieser Zeit
die Anerkennung einer göttlichen Intelligenz und sittlichen Well¬
ordnung. Hauptsächlich erscheint uns die Erde als der Schauplatz
der Liebe und Herrlichkeit Gottes; daher wird Rhea als Gattin des
höchsten Gottes vorgeslellt. Im Anfang ist bei Gott das ewige Wort,
das den Unsichtbaren offenbaret und Himmel und Erde verknüpft
(Phoibe). Der Inhalt dieser Glaubenslehre ist demnach: Bete an
den Allvater, der über Alles leuchtet, den Allmächtigen , Allwissen¬
den, Gerechten und Wahrhaftigen, der in Liebe unserer Erde zu-
gelhan ist und sich durch den Logos otlenbarel; verehre den Himmel
über dir (KoiosJ und die Lichter des Himmels, Sonne, Mond und
Sterne (Hyperion und Theia), die Erde, worauf du siehst, das end¬
lose Meer mit seinen nie versiegenden Flüssen und Quellen, und
deinen Patriarchen Japet, der in der Gemeinschaft der Götter weilt
und dich erinnert, dass auch du göttlichen Geschlechts bist.
B. Wie verhält sich die Welt zu Gott?
Die Glaubenslehre hat hier zweierlei Fragen zu lösen; wie ver¬
hält sich die Well zu Gott 1) i u ihrer Entstehung, 2) in ihrem
Bestehen? Wenn die christliche Religions'lehre diese Fragen ver¬
mittelst der Begriffe der Schöpfung, der Erhaltung und der
Regierung beantwortet, so haben wir den analogen Glauben der
allen Griechen dieser Periode, wie er besonders in der besiodischen
Urkunde sich erhalten bat und entwickelt ist , zu erkennen und dar-
zuslellen.
') lies. Op. 94 IT.
o9
§. 11.
1) In ihrer Entstehung ist die Welt nacli heidnischen BegrilTen
von Goll unabhängig, und der Glaube an die Schöpfung, vermöge
deren das Weltganze von Gott dem Geiste Daseyn hat, ist der Na-
lurreligiou *) an sicli fremd geblieben, darum dass sie wenigstens zum
Theil die Natur selbst Gott gleich setzte. Nach Art einzelner Orga¬
nismen entwickelte sich zufolge heidnischer Anschauungsweise auch
das All, und Natur und Geist brachen aus einem gemeinsamen Keime
hervor. Dieser uranfängliche Weltkeim ist das Chaos 2), ungefähr
was Schelling unter dem Absoluten versteht. Da ruhte Alles in ewi¬
ger Einheit verborgen 3) , daraus wuchsen im ordentlichen Stufengang
Leiber und Geister, Welt, Menschen und Götter hervor. Das Wort
kommt von fassen, und bedeutet daher das, was Alles in sich
fasst und einschliesst ^). Wenn sich dieser Begriff aus den Entwick¬
lungen des Chaos nach Hesiod’s Theog. ergibt, so sprach ihn auch
Orpheus*) bestimmt aus, das Chaos, das Princip aller Dinge, sey
') Platon wohl kennt den Gott, der dieses All erzeugt hat (ö röd£
rö Tcäv yevvi^oaq , Timaeus p. 41 A) , den allei vollkommensten Geist,
der die Welt geordnet hat (xöojieop h'ra^s ^-oyog 6 Tidvruiv deioratoq
üQaröv, Epinomis p. 986 C).
2) Theog. 1 16.
3) Gerade das Gegentheil von dem, was Hermann (aber kein ein¬
ziger von den Alten) unter dem Chaos versteht, nemlich den leeren
Raum. Diesen, das reine Nichts, zuerst zu setzen, wäre sehr unkos-
mogonisch gewesen. Die Anschauung des Raums kann sich erst nach
vollendeter Schöpfung, aber nicht die Schöpfung aus ihm gestalten.
Eben so wenig ist das Chaos eine todte Materie, sondern vielmehr der
organische Same, worin das All gebunden gedacht wurde, wie die Eiche
in der Eichel.
^) Eine abgeleitetere Bedeutung ist erst die A t m 0 s p h ä re, welch e
die Erde umlässt, wie bei lies. Th, 699. Aristoph. Av. 191. — Bacchy-
lides beim Schob Hes. Th. 116 sagt vom Adler." voj/märai, di är dzQV-
y£TM ydu.
Bei Clem. Rom. Recognit. ad Gentil. X, 17. 27 p 145 Colon
Homil. VI, 3 sq. Auf ähnliche Weise .4pollon. .4rgon. 1, 495 ff.
60
weder liell , iiocl» finsler, noch feuchl, nocli warm, noch kalt gewe¬
sen, sondern es habe Alles gestaltlos in sich verschlossen.
Der Wellkeim, das ('.haos , hricht sich zuerst in Oberes und Un¬
teres, (reibt auf- und abwärts, und somit in die Länge und Breite,
Das Obere ist die sich ausbreitende Erde (rat’ evQvarcQvoq) , das
Untere der finstere Tartarus '). Das leitende Bild eines Baumes,
dessen Stamm sich von den Wurzeln erhebt und oben ausbreitel,
tritt in den Worten der Theogonie V. 727: vom Tartarus aufwärts
seyen die Wurzeln der Erde uud des Meeres, deutlicher hervor.
Wodurch ist aber das Auseinandergehen des Chaos nach oben
und unten veranlasst worden? Durch den Trieb, Eros genannt,
welcher mit der allerersten Entwicklung des Chaos gleichzeitig ge¬
setzt wird 2). Eros ist der Zeuguiigstrieb , welcher nach den Wor¬
ten Hesiod’s die Herzen aller Götter und Menschen bezwingt, er ist
der Trieb, die Lebenskeirae der Natur zu befruchten, und ihnen den
ersten Anstoss zum wirklichen Leben zu geben. Er veranlasst da¬
durch den Bildungstrieb, d. i. den Trieb zur Assimilation des Gleich¬
artigen, wodurch das Wachslhura bedingt ist. Christlich verstanden
und gedeutet ist dieser uranfängliche Eros die personificirle Schö¬
pfungslust, und eine Fabel über die Wahrheit: aus Liebe hat sich
Gott entäussert und die Welt erschaffen. Wenn der Zeugungslrieb
auf gewöhnliche Weise durch die unterschiedenen zwei Geschlechter
wirkt und die Keime entwickelt, so versteht sich von selbst, dass
jener erste Eros, in seinem Zweck zwar der neraliche, doch ganz
anderer Mittel sich bedienen musste. Die orphische Theorie
nannte ihn daher zur ausdrücklichen Unterscheidung geschlechtslos,
Mannweib {dQ^ev69i]'kiiq). Um die Natur dieses Eros als des die
Welt organisirenden Triebes näher zu bezeichnen , liess ihn Orpheus
selbst aus einem organischen Keime entstehen, aus einem Ei, das
sich im. Chaos bildete; was in der Sache milder hesiodischen Ueber-
1) Theog 117 ff. Ein ungeschickter Religionslehrer hiitle Himmel
und Erde als das Obere und Untere aus dem Chaos unmittelbar wer¬
den lassen. Aber es war gewiss weiser, nicht sogleich das Oberste,
sondern vorerst ein Oberes uud Unteres und zwar im Tartaros gleich¬
sam die Wurzeln entstehen zu lassen.
2) Th. 120.
(>l
lieferung niclil streitet, soiuiern eine Ausschmückung oder weitere
Ausbildung derselben ist und ihrer Erklärung zu Slatlen kommt.
Dieses Ei ist gleichsam der hüpfende Punkt im Chaos, und der dar¬
aus entstandene Eros das erste Hüpfen im Punkte, <Ier Anfang des
Weltlebens, der erste Lebenspuls der Natur, das Princip der Stewe-
gung; gleichwie es 1 Mos. 1, 2 heisst: »der Geist Gottes regete
sich auf dem Wasser.« Ob es nun nach orphischer Lehre bei Da-
raascius *) heisst, Chronos, die unendliche Zeit, liabe im Chaos das
in ein Gewand gehüllte Ei erzeugt, oder bei Aristophanes (Vögel
693 f.), die Nacht habe es aus der Umarmung des Erebos geboren 2),
ist ziemlich einerlei. Denn der Sinn der ersten Fabel ist, mit dem
Ei als dem allerersten Schöpfungsakt sey der Zeitanfang gesetzt.
Wird die Zeit als das Ganze betrachtet, so mag dieser Anfang als
ein Theil des Ganzen wohl für die Geburt der Zeit gelten, W^enn
diese Genealogie durch die Einmischung des abstracten Begriffes der
Zeit gelehrter ist, so ist dagegen die bei Aristophanes fasslicher und
eben so wahr. Das Verhüllen des Eies, wie es bei Damascius heisst,
die geheimnissvolle Verborgenheit, in welcher es entstand, wurde
hier ins Auge gefasst, und so war es ein Erzeugniss des Erebos und
der Nacht. Denn niemand hat den Schöpfer belauscht. Am einfach¬
sten und ursprünglichsten ist ohne Zweifel die Ueberlieferung He-
siod’s, wornach Eros nicht in Folge irgend einer Begattung, die ihn
selbst schon voraussetzt, entsteht, sondern Eros unmittelbar mit dem
Chaos, der Gäa und dem Tartaros gesetzt wird. Aristophanes a. a. O.
setzt als ungezeugt obenan das Chaos, die Nacht, den schwarzen
Erebos und den weiten Tartaros, letzteren nicht als das Untere in
Folge der Entwicklung im Gegensatz zur Erde, wie bei Hesiod, son¬
dern als die uranfängliche Tiefe oder Abgrund , nicht eine Geburt
des Chaos, sondern ein Eigenschaftswort desselben, das DSr;r der
Bibel. Bei Damascius dagegen zeugte Chronos das unbegrenzte
Chaos, den feuchten Aether und den finstern Erebos, und darin ein
*) In Wolfii Anecd. Gr. 111 p. 252 ff. Ausg. Damasc. xepl apx*
V. Kopp 1826 p. 380.
2) So sang auch Antagoras bei Diog. L. IV, 26: Erebos und die
Königin Nacht haben unter den Fluthen des Okeanos den Eros
erzeugt.
G2
Ei; was weder grosse Weisheit noch Alterthuin veiräth. Den aus
dem Ei gebornen Eros nannten die Orphiker auch Phanes (nach dem
Aegyptischen der Ewige) , Erikapäus (koptisch Lebengeber) und Pan,
gaben ihm die Beiwörter .r^xnJTÖyouog , nQtaröanoqoq , und zu Attri¬
buten goldene Flügel wegen seiner Allerregsamkeit, eine Schlange
auf dem Haupte, weil in ihm und durch ihn der Lebensanfang
(Schlange) erschienen ist, und Slierköpfe auf den Schultern, wegen
seiner kosmischen Bedeutung mit Anspielung auf den Frühlingsslier *).
§• 12.
Lehren wir zu Hesiod (Th. 123 IT.) zurück: »Aus dem Chaos
sind der Erebos und die schwarze N a c h l geworden, aus der Nacht
aber der Aether und der Tag, die sie dem Erebos in Liebe zuge¬
sellt gebar.« Auch die hebräische Schöpfungsurkunde sagt: »es war
finster auf der Tiefe.“ Erebos nennt die Theogonie diese chaotische
Finsterniss, und wählt der Feierlichkeit wegen dieses ausländische
Wort von aiy (Abend), mit wahrscheinlicher Anspielung auf das
Zeitwort (vermischen), weil in diesem Dunkel Tag und Nacht,
wie im Chaos das All, noch vermischt und ungetrennt beisammen
waren. Es war die Urdäramerung 2). Mit dem Aufstreben des Welt¬
organismus erzeugte sich allmälig der heitere Tag. Mit dem Be-
griCTe der Nacht ist die Trennung schon gesetzt, denn jener Begriff
ruft seinen natürlichen Gegensatz, den des Tages, hervor. Die Nacht
ist gleichsam die eine Hälfte, in die sich der Erebos gebrochen hat,
darum heisst sie im Vergleich mit der Urdämmerung richtig die
schwarze Nacht. Varro 3) drückte diese Unterordnung genauer da-
*) lieber die orphischen Kosmogonien, deren Werth wir auf sich
beruhen lassen , hat Creuzer 3te Ausgabe IV. S. 79 ff. Mehreres bei¬
gebracht.
2) Nebel nannten die Sidonier diese Schöpfungsdämraerung ; denn
sie setzten vor aller Zeit den Pothos und den Nebel nach
dem Berichte des Eudemus bei Damasc. de princip. Wolf. Anecd.
Gr. 111. p. 259.
3) Bei Festus v. Erebus, wo auch eine Dichterstelle angeführt
wird: Erebo creata fuscis crinibus Nox, te invoco.
durch aus, dass er den Erebos zuin Vater der Naclit machte. Die
andere Hälfte, die sich aus dem Erehos heraus geschieden, ist der
Tag, Herne ra. Er würde ohne Zweifel die Nacht zur Schwester
erhallen haben, wenn sie gleichzeitig wären; so aber wuchs aus der
Nacht die Erde in den hellen Tag; folglich ist der Tag eine Geburt
der Nacht, in so fern diese vorausging, und hat den Erebos zum
Vater, in so fern dieser den Tag der Potenz nach enthielt. Die
Nacht verhält sich hier zum Tage nicht wie Grund zu Folge, son¬
dern wie vorher zu nachher ; der positive Grund des Tages aber
liegt in seinem Vater. Es ist zu bemerken, dass, wie hier, so auch
in der hebräischen Urkunde die Nacht dem Tage vorhergeht, und
dass diese Gegensätze auch hier vermittelst einer Scheidung zum Vor¬
schein kamen: »Gott schied das Licht von der Finsterniss, und
nannte das Li' hl Tag und die Finsterniss Nacht: da ward aus Abend
und Morgen der erste Tag« , 1 Mos. 1 , 4 f. Nach der Theogonie
schied sich ferner der Aelher als der polenzirte .Tag aus. Wie
nemlich die Oberwelt bis zum Himmel stieg, wuchs die unermess¬
liche Pflanze in den lichten Aelher hinein, welcher als das vollen¬
detste Erzeugniss des Erebos und der Nacht anzusehen ist, gleich¬
wie Uranos die vollkommenste Entwicklung des Chaos darstellt. Es
ist gleichweit vom Himmel auf die Erde, als von der Erde in den
Tartaros nach Theog. 719.
§. 13.
Die hesiodische Urkunde, welche wie die hebräische die Erde,
den Abgrund und das Licht zuerst entstehen lässt, folgt dieser in
der weitern Entwicklung Schritt vor Schritt, Weil die Erde und
das Gewässer unvermischt beisammen waren, so schied sich vorerst
das verdunstete Wasser über der Erde von dem Wasser auf der
Erde, und jenes wurde die Veste, der Himmel, nach 1 Mos. 1, 6 11.
Oder bei Hesiod Th. 126 f. : „Die Erde gebar sich gleich den ge¬
stirnten Himmel (Uranos), dass er sie allerwärts bedecke.“ Un¬
verkennbar dachte sich die Theogonie an der Himmelsvesle zugleich
das Wässerigte, weil nach V. 133 Uranos mit Gäa den Okeanos er¬
zeugte *).
*) Nehmen wir den ersten .Juppiler des Cicero N. D. III, 21 für
(J4
Sodann sondcrie sich das Gewässer auf Erden von dem trocke¬
nen Lande, und jenes nannte mau Meer: 1 Mos. I, 9 1. Hesiod
beschreibt diese Sonderung in drei Acten Th. 129 ff.: Die Erde ge¬
bar die hohen Berge (als die zuerst aus dem ahflie^isenden Wasser
herausraglen) und das wallende Meer (Pontos), und zwar aus sich
selber, in V^erbindung mit dem Uranos aber gebar sie den tiefwir¬
belnden Okeanos, von welchem alle Flüsse und Bäche herkom-
men. liier ist ein richtiges Nacheinander der kosmischen Entwick¬
lung. Sinnvoll entstehen die Flüsse und Quellen, in dem Urfluss
Okeanos personificirt , aus dem Bodenwasser der Erde in Verbindung
mit dem Regenwasser der Veste (Uranos), das mittelländische Meer
aber, als nur ahgeflossen, aus der Erde allein, ln diesem Sinne
scheint das Meer fl>öpy.vg, etwas Ausgeschiedenes, von (im Ara¬
mäischen und Arabischen scheiden, zertrennen) genannt wor¬
den zu seyn. Homer (Od. 1, 72) nennt ihn einen Beherrscher des
Meeres, und Hesiod (Th. 237) den mulhigen Sohn des Ponlus und
der Erde. Seine Tochter, die Nymphe Oöcooa (Schnelle), deren
Homer a. a. 0. gedenkt, mag seine Eigenschaft ansdrücken. Wenn
Nereus mehr als waltender Meeresgotl aufgefasst wurde, so bezeich-
uete dagegen Phorkys das Kosmogonische jenes Elementes.
Behalten wir die Lehre der Theogonie im Auge, dass sich aus
der Erde das Gewässer au der Veste, das Meer und die Flüsse her¬
ausbildeten, so wird man die homerische Kosrnogonie, wor-
nach Alles aus dem mit Erdlheilen vermischten Wasser entsteht,
zwar gegenüberstehend, aber nicht widersprechend finden. Der
Okeanos ist nach Homer Q der Ursprung von Allem, auch von
den Göttern, in welchem Sinne folgendes von Platon im Timäus aus¬
geführte Geschlechtsregister entsteht: Himmel und Erde, von ihnen
Okeanos und Tethys, und von denen Phorkys, Kronos, Rhea und
die übrigen Titanen. In dieser Bedeutung ist Okeanos höher gestei¬
gert, und nicht mehr blos für den Urfluss, sondern für das Urwasser
den Uranos, so halle dieser nach seiner Angabe den Aether zum
Vater, was in dieser Genealogie ganz angemessen wäre. Sein zweiter
Zeus, des Himmels Sohn, entspricht dem Kronos, und der drille ist
der gewöhnliche Sohn des Kronos.
') 11 XIV, '202. 246. 301.
65
zu nehmen, üiess sagt Homer (ll. XXI, 196) selbst aus, indem von
Okeanos a lles'^M e er , alle Flüsse und Bäche entstehen. Der ioni¬
sche Philosoph Thaies hat diesen I.ehrsatz von dem Wasser als
dem Ursprung der Dinge zu dem seinigen gemacht i) und Pindar
(Ol. I, 1) spielt darauf an 2). Bestimmtere Nachrichten von dieser
Kosmogonie geben uns Hellauikus 3) und Athenagoras ^), sie unter¬
scheidet sich von der hesiodischen durch drei charakteristische Sätze:
anstatt des Chaos steht hier das Wasser obenan 5), anstatt des
belebenden Eros ist hier die Ananke, die Nothwendigkeit, der
letzte Grund der Entwicklung, und wenn dort blos Eros aus dem
Ei entstand, so tritt hier die Lehre eines förmlichen Welteies her¬
vor. Das Urwasser, heisst es, war schlammig, der Schlamm setzte
sich zu Boden und verdickte sich zur Erde. Aus Wasser und Erd-
stoff ward Herakles oder Chronos, d. i. eine Schlange mit dem Ge¬
sichte eines Gottes und einem Löwen - und einem Stierkopfe. Die¬
ser erzeugte mit der durch die ganze Welt ausgespannten Nothwen¬
digkeit ein ungeheures Ei, welches zerbrochen oben zum Himmel
und unten zur Erde ward. .4uch der hesiodische Eros war ein nach
dem Gesetz der Nothwendigkeit wirkendes Wesen und mit Nothwen¬
digkeit gepaart; wiewohl durch den Begriff des Eros angedeutet zu
seyn scheint, dass kein blinder Trieb, wie man leicht versucht wird
in der Ananke vorauszusetzen, die Welt organisirte. Platon (Sympos.
18, 4) erkannte wohl die Verschiedenheit jenes kosmischen Eros als
des Bildungstriebes der Welt von dem Eros, der in der schon ge¬
bildeten Welt waltet, und behauptet geradezu, jener Eros, von wel¬
chem Ilesiod und Parraenides in seiner epischen Physiologie reden,
sey die Nothwendigkeit (’Ävdyxtj). Er verglich hiermit richtig die
hesiodische mit der ionischen Theorie , und gab der letztem den
*) Cic. N. D. I, 10 das. Ausleger p. 43 Creuzer.
2) Sogar nach den Untersuchungen unsrer Chemiker haben alle
Pflanzen und Thiere dieselben Grundstoffe, die sich auch in dem Was¬
ser vorflnden.
3) Bei Damascius Wolf. Anecd. Gr. p. 253.
Athenag. Leg. pr. Christ, p. 18 sq. Colon.
*) Pherecydes von Syra nannte das Urwasser seihst Chaos, Achill
Tal. isag, in Arali Phaenomena c. 3.
5
— (>6 —
Vorzug. Wir werden aber nicht irren, wenn wir die üeberzeugung
liegen, dass beide neben einander wohl bestehen, und eine jede die¬
selbe Sache nach einer andern Seile hin bezeichnet, bald als Liebe
bald als Nolhwendigkeil, Wir können Beides verbinden und eine
mit Nolhwendigkeil wirkende Liebe verstehen *).
Diese ionisch homerische Lehre floss wahrscheinlich aus Aegyp¬
ten, wo der schlammige Fluss alles Lebens und Segens Urheber
war, und die Naturanschauung das Nachdenken leitete, wo auch der
alte Werkmeister Phlha für einen Sohn des Nils ausgegeben wurde 2).
Proteus wird daher ein unsterblicher Aegyplier genannt, und erst
von den Griechen zu einem Diener Poseidons gemacht ^). Er aber
scheint dieselbe Idee von dem Ursprung der Dinge aus dem Wasser
auszudrucken. Bei Ilesiod dürfen wir ihn nicht suchen, wohl aber
bei Homer, der sich zu diesem System bekannte. Er ist ihm ein
aller Seegolt (yeQcov uXcog)^»), welcher das Vermögen besitzt, sich
in alle Gestalten der Thiere, der Bäume und des Wassers zu ver¬
wandeln ^). Nägelsbach (die honi. Theolog. S. 81) hält ihn für ein
Bild der Schifffahrt; er ist aber wohl, wie sein Name IlgcaTSvq von
nQÖSxoq besagt, das uranfängliche Feuchte, die Grundlage aller Schö¬
pfungen. Diess zeigt sich auch in seiner Nachkommenschaft. K a-
bira ist, sagt Pherecydes ®), seine Tochter, die er mit der Anchione
erzeugte, und jene gebar dem Hephäslos die Kabiren. Wir
Nach späterer Lehre waren Zeus, Kronos und die Erde uran-
fänglich, zwischen Kronos und Ophioneus entstand ein kosmischer
Kampf, jener zeugte aus sich Feuer, Luft und Wasser, und Zeus, als
Eros verwandelt, brachte in die zwieträchtigen Elemente Friede, Eini¬
gung und also die Weltordnung: Proclus ad Plat. Tim. III p. 155 Da-
masc. de princip. bei Sturz p. 42. Origen, c. Gels. VI, 42.^ Bei Da-
mascius und Diogenes L. ist die Schreibart meines Bedünkens irrig
X(}6voq anstatt Kqövoq.
2) Cic. N D. III, 22. Auch nach der indischen Lehre ist das
Wasser der Anfang der Schöpfung, s. Creuzer I S. 402.
3) Od. IV, 385 f.
•) Od. IV, 384. 3()5.
3) Od. IV, 417. 456.
Bei Sirabo X p, 483 und Stephan. B. v. Kaßet^ttt'
67
werden hier abermal nach Aegypten gewiesen; denn daselbst waren
die Kabiren Söhne des Pbtba (Hephästos). Die Kabiren aber sind,
wie unten klar werden wird, die Erzeuger, die Stammväter. Ihre
Mutter scheint den aus dem lirwasser niedergeschlagenen Schlamm,
die Erde aus den Wassern, zu bedeuten, Hephästos aber den gött¬
lichen Odem, der den Erdenklos mit Lehensfeuer beseelte, ähnlich
jenem Lebensdrachen Chronos, der das Weltei erzeugte. Homer
(a. a. O. 366) gibt dem Protheus die Idothea (Eidoßsif) zur Toch¬
ter, welche die jeder Gestalt eingeborne göttliche Idee anzuzeigen
scheint. Da erst durch ihn und nach ihm die trügerischen Gestalten
zum Vorschein kommen , so ist er selbst noch von dem Truge frei,
Homer (V. 384) nennt ihn untrüglich (i’i](j.sQTrjq) und einen Wahr¬
sager der Zukunft. Nur ist es schwer, über den Trug hinaus auf
den Grund und zur Wahrheit zu gelangen. Man muss nicht an dem
Aussenwerk stehen bleiben, sondern sich an die Ideen der Dinge,
an Idothea, halten. Diese verriet!» dem Odysseus des Vaters Proteus
geheime Ruhestätte, und lehrte ihn, den Alten festzuhalten und von
demselben durch Festhalten die Wahrheit zu erforschen, ohne sich
«lurch den Trug seiner Gestalten irre führen zu lassen.
§. 14.
Gleichviel nun^ ob Himmel, Erde und Wasser aus dem schlam-
migten Urwasser oder aus der wässerigten Erde entstanden seyen,
so werden jenen Substanzen auf physischem Standpunkte grosse
Kräfte der kosmischen Erzeugung beigelegt; sie weben mit einander
das All. Himmel und Erde sind nach der Auslegung Varro’s (de
lingua lat. IV, 10) die grossen Götter, Mann und Weib, Seele und
Leib. Himmel und Erde begattet, haben den Hyperion und Iheia
»md diese Sonne, Mond und Sterne zur Nachkommenschaft*).
Ferner entstand aus der ehelichen Perührung oder Reibung Himmels
und der Erde die Na I u re I e k t r i c i t ä t , welche in der Bildung der
Dinue eine grosse Rolle spielte. Sie erscheint in der Theogonie
') Theog. 1.34. 371 ff. Bei Homer h. II in Merciir. 99 ist Selene
die Tochter des Pallas, des Solines des iVIegainedes ; bei Enripides
Phoen. 175 f. isl sie die Tochter dos Helios.
68
(V. 140) mit drei Namen persouificirl , als Br o nies (Donner),
Steropes (Blitz) und Arges (Glanz, hier aber der treffende Blitz¬
strahl, welchem der blendende Glanz vorzugsweise zukomiul) *). Sie
haben nach Hesiod nur ein einziges Auge auf der Stirne, da ja das
elektrische Licht einen ungetheillen Strahl bildet. Ihr gemeinschaft¬
licher Name Ky kl open kommt ohne Zweifel von einem Volke die¬
ses Namens im Leontinischen Gebiete und am Aetna, wo vulkanisches
Feuer brannte. Denn Odysseus besuchte daselbst das Volk der
Kyklopen^), dessen Fürst Polyp hemos hiess, welchen die Fabel
wegen der einmal beliebten Uebertragung nun auch einäugig machte ^).
Da die Kyklopen nach unsrer Deutung blinde Naturgewalten sind,
so machte man den Gegensatz des Apollon als des Gottes der Wohl¬
ordnung dadurch bemerklich , dass man fabelte, er habe sie getöd-
tet , wofür ihn Zeus ein Jahr lang bei Admelos dienen und seine
Rinder weiden liess ^).
»Drei andere Kinder entsprangen von dem Himmel und der Erde,
gross und mächtig, unnennbar, Kotlos, Briareos und Gyges,
ein stolzes Geschlecht mit hundert Armen und fünfzig Köpfen« ^).
Welcher (äschyl. Trilogie S. 147 ff.) hält diese drei Centimanen nach
blosser Wortableitung für Wassergewölk, Andere halten sie für Ha¬
gel, Regen und Schnee, oder für Stürme und unterirdische Winde,
oder für die drei Jahreszeiten, namentlich den Briareus für den Win¬
ter nach der Deutelei des Johannes Lydus (p. 150 ed. Roether.) 6).
Nach meinem unzweifelhaften Erachten sind sie die Stellvertreter
der ältesten Bevölkerung auf Erden. Als Männer, die mehr als
*) Der Dritte in Gesellschaft des Brontes und Steropes heisst
Theog. 504. 853 aidaXöeiq xs^avvög und ist eine Umschreibung von
’AQyrjq, mit vollem Bewusstseyn seiner Bedeutung.
2) Od. IX, 106 u. das. Eustathius, u. Bochart in Can. L. 1. c. 30.
Von den Kyklopen lernten die Griechen nach Tatian. nrp. "EXX. p. 243
Paris, in Erz arbeiten.
3) Od. I, 69.
'<) Eurip. Alcest. Anfg. das. Schol.
5) Theog. 147 ff.
6) So Grenzer Br. an Hermann über lies. u. Ilom. S. 163 nicht ohne
Beistimmung Hermanns. Vgl. van Lennep Comra. in II. Theog. p. 201 f.
Einen Spiess und Schild zu tragen im Stande sind, werden von Pla¬
ton (Euthydein. p. 299 C) Geryones und Briareos beschrieben. Nach
Homer (II. 1, 403 f.) hiess Briareos nach seinem menschlichen Na¬
men Aegäon, und nach Aristoteles') haben die nachmals von
Herkules benannten Säulen ehemals Säulen des Briareos geheissen.
Alles diess weist auf einen mächtigen Herrscher im fernen Westen
hin. Er muss mächtig zur See gewesen seyil , da er von Poseidon
dessen Tochter Kymopoleia zur Gattin empfingt), und nach An¬
dern 2) ein Sohn des Meeres und der Erde war. Dem Gyges ent¬
spricht Gog, von Ezechiel 38, 6 als ein sehr streitbarer Fürst be¬
schrieben, dessen Heereszug Männer von der hintersten Mitternacht
folgten, unter Andern Gomer (die Kimmerier des Homer). Da diese
beiden die westliche und nordöstliche Bevölkerung vertreten , so
wird wohl der minder bekannte Kottos dem Norden angehören, und
der Kithim der Völkertafel 1 Mos. 10 seyn , welcher sich in Ma-
cedonien ausbreitete ^). Hiernach aber dürfte auch der Name Aegaeon,
welcher dem Meer zwischen Asien und Europa die Benennung des
ägäischen gegeben hat, nichts als eine griechische Umdeutung des
Askenas der mosaischen Völkertafel seyn, der aus Hochasien nach
Europa wanderte und dem ganzen Westen unsers Welttheils seine
Urbevölkerung gab ^). Eine Anspielung auf die langen Nächte und
kurzgemessenen Tage, die den mitternächtlichen Völkern beschieden
sind, scheinen die Verse Hesiod’s (Th. 157 f.) zu enthalten, dass
Uranos seine Kinder in der Erde Schluchten verbarg und nicht an
die Helle herausliess. Die Patriarchen vom düslern Westen und
Norden werden daher in die Vorhalle der Unterwelt versetzt ^).
%. 15.
Wie das erste Weltalter , das goldene Menschengeschlecht unter
*) Bei Aelian. V. H. V, 3 ii. das. SchetTcr.
2) Thßog. 818.
3) Bei Schol. Apollon. Rh. l, 1165.
*) Preiswerk Morgenland I8'r2 S. 43.
Preiswerk a. a. 0. S. 38.
'^) Theog. 733 f.
70
Kronos, deu Göllern gleich lehle und ihnen lieb war '), so mag das
Bergen der Uiinmelskiuder auch diesen Sinn habeti. Eine forlschrei-
tende, aber minder götlliche Enlwicklungsslufe isl es, wenn die or¬
ganischen Wesen von dem Urgrund, woraus sie enlsprungen, abge-
lüst, ein selbstsländiges Leben haben und eigene Mikrokosmen dar-
slellen. Uiess geschieht nicht ohne Frevel an Gott, jedoch nach
göttlichem Rathschluss. Aul' Ansliften der Gäa nahm Kronos die un¬
endliche Sichel in die Rechte, als Uranos in der Nacht die Gäa be¬
schlief und sie allerwärts bedeckte, hieb dem Vater die Zeugungs-
theile ab, und liess sie hinter sich hinfahren, und nicht vergeblich.
Uie blutigen Tropfen empfing Gäa allesammt, und gebar seiner Zeit
die starken Erynnien, die grossen Giganten, glänzend in VVaf-
fenrüstung und lange Lanzen in den Händen hallend , und die m e-
lischcn Nymphen auf der unendlichen Erde 2). Der uranische
Same, welcher alle J.ebeusfiille enthält, zeigte sich nun abgeschnillen
in den manchfaltigsten Gestalten der Erscheinungsvvelt. Es war ein
Opfer der Liebe, das der Schöpfer brachte, dass er sein eigenes
Leben so ausgoss und an die Welt dahin gab, danut auch in ihr
Leben und Odem sich rege und viele Pulse schlagen. Jedoch ein
freiwilliges Opfer konnte man auf dem Standpunkt menschlicher An¬
schauungsweise dem Uranos nicht Zutrauen; immerhin aber war es
ein göllliches, von Kronos vollbrachtes Opfer 3).
Als menschliche Krieger bezeichnet Hesiod diese Giganten
deutlich, ln Uebereinstimiuuug damit legt ihnen Homer (Od. X, l;iO)
kriegerischen Charakter bei, und redet von ihnen als von einem
wilden Volke ■* *) , als von rohen Gesclilechtern ^). Sopliokles (Trachin.)
spricht von dem erdgebornen (yijyev'tjg) Heer der Giganten. Man
belegte mit diesem Namen die Naturmenschen und Autochlhonen
Grieciienlands ; wesswegen man auch den Japelos, welchen wir als
‘) lies. Op. 111 f. 116.
2) Theog. 178 ff.
5) llutlniann (Mylhologus II S 35) deutet mit Natalis Comes “2, I
die Enlmaiiuung des Uranos prosaisch also: weil die Zeit Vater von
Allem ist, so könne der Himmel, der sie gebar, nichts weiter zeugen.
*) Od. VII, 59 f.
i) Od. VH, 206.
71
den erslen Menschen der Theogonie bezeiclinel liabeu, zu den Gi¬
ganten zählte *). Indessen da sie in Folge der Entmannung des
Uranos entstanden sind, so scheinen sie zum Unterschiede von den
Ceulimanen das silberne Geschlecht, das übermüthig die Unsterb¬
lichen nicht verehrte 2), und das kupferne, das eherne WatTen liebt 3),
vorzusteilen. Ihr Name yiyaq von yaw, mit der Reduplication
ycydao, y/yw, bedeutet ein Erzeugter; so wie von yaw ydq (Gas, Luft),
yäaa oder nach älterer Form yctfot , die Erzeugte, Erde.
Die meli sehen Nymphen {Nv/uepat MsUac) sind nach der
Theogonie über den ganzen Erdboden verbreitet: sie sind also die
Vorsteherinnen eines ganzen Naturreiches, und da ihr Name mit
jusUa (Esche) gleichlautend ist, so wird auch hier der Theil für das
Ganze personificirt , und zwar ein eben so mächtiger und zum Kriegs¬
dienst tauglicher Baum, als unter dem Menschengeschlecht die Gi¬
ganten waren. Die Esche an ihrem Theil steht ihnen gewichtig als
die erste Pflanze und- Kriegswerkzeug gegenüber, und wir glauben
um so weniger zu irren, wenn wir bei den melischen Nymphen an
die Esche und das Pflanzenleben überhaupt denken, da dieser Name
in dem Geschlechtsregister der Hamadryaden von dem Epiker
Pherenikus •^) aufgeführt wird , und auch sonst von wasserreichen
Wiesennymphen ö) und von Früchte nährenden Nymphen die Rede
ist s). Sinnvoll war es daher eine Sichel , womit Kronos den Uranos
Virgil. Georg. 1 , 279 u. das. Serviu.s.
2) lies. Op. 134 f.
Op. 150.
‘) Malta bedeutet auch Lanze.
Bei Athenäus III p. 300 sq. Schweigh.
*’) Nvij,cpat avvÖQOi lai/Ltcovidöeg in Leninos bei Sophocl. Philoct.
1449. Vgl. Horat. Od. VI, 121.
2) Nuptcpai KaQTtOTQÖcpoi bei Eustatb. ad Od. IX, 107.
8) Die Nufxcpai Mrjltddsq an den Ufern des Spercheus von dem
Malischen Meerbusen benannt , deren Sophokles Philoct. 723 gedfenkt,
so wie die Nvf.icpat ^Eniptrjltdjiai in Arkadien (Pausan. Vlll, 4, 2)
scheinen von dei\ Melischen in der Theogonie unterschieden werden zu
müssen. Vgl. Bergler ad Alciphron. III, 11 p. 48 Wagner, Grenzer Br.
72 '
eutniannle ; was sclion Varro •) auf deu Ackerbau uud die Erndle-
sicliel deutete.
Das Wort; seyd fruchtbar und mehret euch, und Alles besame
sich, das der Schöpfer zur Mitgift des neuen Daseyns aussprach,
drückt die Tbeogonie (188 ff.) durcli die aus den abgescliuilteneu
Hoden des Uranos im Meer entstandene Göttin Aphrodite aus;
wie wir bei der Lehre von der Erhaltung der Welt nachweisen
werden.
Die Erschaffung der organischen Wesen nach der Perserlehre
geschah auf ähnliche Weise. Was in der griechischen Fabel Uranos
ist, das ist hier der Stier Abudad, in welchen Ormuzd deu Samen
alles Lebeus gelegt hat. Ahriman kommt in Schlangengestalt mit
zwei bösen Geistern über ihn, uud erlegt ihn. Da quillt das viel¬
gestaltige Leben hervor, aus seiner rechten Seite Kajamorts, der erste
Mensch , aus seinen Hörnern die Obslbäume , aus seiner Nase die
Laucharten, aus seinem Blute die Trauben, -aus seinem Schweife
alle Arien Getreide. Von seinem Samen nimmt die Erde ein Dritt-
theil , zwei Dritlheile der Mond auf, d. h. der Fruchtbarkeit Sitz ist
im Mond und in der Erde. Aus dem Samen bildeten sich zwei neue
Stiere , von denen alle Thiere abstammen. Aus der linken Seite
steigt des Stieres Seele zum Sternenhimmel auf 2), Wenn die Milhras-
vorslellung das zersplitterte Naturleben aus dem Tode des Alllebens
erklärt, so diente dasselbe Sinnbild zugleich, um hinwieder das
Ende des Erschaffenen, den Tod der Natur anzudeuten. Bei der er¬
sten Betrachtungsweise galt der Stier als Ursache der Dinge, bei der
zweiten als der Inbegriff der organischen Geschöpfe selbst. Das
erstemal quillt aus seinem Tode das Leben der Welt, das zweitemal
stellt sein Tod den Tod der Natur selbst vor. Die Entmannung des
Uranos hat mit dem Mithrasopfer blos in der ersten kosmogonischen
Beziehung eine Aehnlichkeit. Eine andere Bedeutung hatte die Ent-
' mannung des pbrygischen Attis^), indem dieser Gott nicht als die
über lies, und Hom. S. 166 und Mythol. 2te Ausg. II. S. 431, wo an
die kosmische Esche Ygdrasil in der Edda erinnert wird.
•) Bei Augustin de Civ. Dei VII, 19.
2) Anhang zura Zendavesta I p. 255.
2) Pausan. Achaic. 17. Varrn bei Augustin, de Civ. D. VI, 7.
uraiiisclie, sondern als die natürliche Zeugungskraft aufgefasst wurde.
Ist die letztere schwach und entmannt, so herrscht der Tod auf allen
Fluren. Das gerade Gegenlheil findet bei der uranischen Entman¬
nung statt, wodurch eben in die Natur eine Zeugungskraft gelegt und
lebendige Erzeugnisse gebildet wurden ; es geschah im Grossen, was
im Kleinen bei dem Samenfluss des Hephästos bei Erzeugung des
Erichlhonius.
Allgemeiner wurde diese Idee in der nordischen Kosmogonie
der Edda durchgeführl , indem sie nicht nur das Organische, son¬
dern die ganze Welt aus dem Tode ihres Schöpfers entstehen Hess.
Geschmolzenes Eis war nach dieser Lehre *) das Erste, daraus ent¬
sprang der Riese Ymer» und die Kuh Audumbla, von deren Milch er
sich nährte. Ihre Abkömmlinge waren drei Götter, Odin, Vile und
Ve. Sie erschlugen den Vater; aus dessen Schädel ward der Him¬
mel. aus seinem Gehirne die Wolken, aus seinem Leibe die Erde,
aus seinem Rlute das Wasser, aus seinen Gebeinen die Berge, aus
seinen Zähnen wurden Steine, aus seinen Haaren Pflanzen und Bäu¬
me; die Milben, die sich in seinem Schosse erzeugten, wurden Jet¬
ten , denen die Götter Verstand und menschliche Bildung verliehen.
Dem Menschen selbst aber wurde ein besonderer Vorzug und Gottähn¬
lichkeit dadurch eingeräumt, dass vor Ymers Ermordung aus seinem
linken Arme während seines Schlafes ein Mann und ein Weib her¬
vorgegangen seyn sollen.
§. 16.
Wie die Giganten unter den Menschen und die Esche im Pflan¬
zenreiche, so sind fabelhafte Thiere als die Könige der Thierwelt
an die Spitze gestellt worden; aber sie sind nicht, wie nach der vor¬
hin erwähnten persischen Theorie, eine Frucht des himmlischen
Alys rauliebri zelo abscisus. Nach Arnobius adv. Gent. V p. 159 ist
das Männliche des Allis in einen Granatapfelbaum verw'andelt worden,
dessen Früchte bekanntlich von Samenkörnern ganz erfüllt sind.
*) Münter über die odinisebe Religion im Archiv für alte und
neue Kirchengesch, heraiisg. von Stäiidliii und Tzschiruer Bd. V. St. L
t821 S. .IS.
74
Samens, sondern aus dem feuchten Elemente und der Erde entspros¬
sen, wälirend der Mensch und die Pflanzen in ihrer Abkunft dem
Uranos näher verwandt sind. Orphische Ansicliten von den Thieren
und orphisclie Enthaltung von dem Genuss ihres Fleisches mochte
hier den alten Kosmologen leiten. Das Feuchte ist zugleich das
Thierische, das Trockene aber ist das Geistige nach den Lehrsätzen
des Heraklitus. V'^om Thierischen, aber nicht von allen Dingen, ist
nach orphisch hesiodischer Lehre das Wasser der Urgrund. Der
Wundermann Thaumas*), aus dem Aleere und der Erde entspros¬
sen, erzeugte mit der Okeanine Elektra nicht allein den Regen¬
bogen , wovon oben, sondern auch eine andere seltsame Lufterschei¬
nung, »die Harpyien, Aello und Okypete, welche mit den
Winden und Vögeln hoch in den l.üfteu fliegen“ 2). jyjan verband
mit ihrem Regriffe, wie ihr Name von d^Ttd^eiv besagt, das Rauben,
gleichwie Telemach von seinem Vater, dessen Aufenthalt ihm unbe¬
kannt war, sagt, die Harpyien hätten ihn rühmlos in die flöhe ent¬
führt ^). Harpyien entrückten die Töchter des Pandareus, und über¬
lieferten sie den schrecklichen Erinnyeu Philoctet ruft sie die
Flüchtigen, die durch die helltöneude Luft fliegen, an, ihn in den
Aether zu entrücken. F'assen wir die Vorstellungen des Rauhens,
des rauschenden Fliegens und der Schnelligkeit zusammen, worauf
sich auch die Namen von deXla (Sturmwind) und "HxvTier?^
von cüxvg und Tiero/uac (die schnell Fliegende) beziehen, betrachten
wir sie als Enkel des Aleeres und des Oceans und als Kinder eines
Wundermanns; so werden wir der Erklärung, die Clericus in seiner
Abhandlung de statua salina von ihnen gibt, dass sie die fliegenden
Heuschreckenschwärme seyen , unsere Reistimmung nicht
versagen können. Zugleich aber werden wir dieses fabelhafte Volk in
den Lüften als Stellvertreter alles dessen, was in der Luft lebt und
^) Der uugedruckle Scholiast zu Hesiod in der von Demetrius
Trikliuius geschriebenen Alarcianischen Handschrift N. 464 erklärt den
Thaumas ro ev rjj daXdaorj ddfißog,
2) Theog. 267.
3) Od. I, 241.
») Od. XX, 77.
3) bei Sophocl. 1091.
75
sich regt, nach der Weise des Mythus, der den Thcil lür das Ganze
niinral , betrachten müssen.
17.
Die übrigen Thiere dachte man sich säramtlich als NachUomnien
des Meergotles Phorkys und der Keto, welclie beide Kinder des
Pontus 'und der Erde waren. Wie der ägyptische Proteus seine
Meerkälber (^cpüixag, v.i^xrf) mustert *) , also stellt ohne Zweifel die
KrjTu» die Menge der Seefische vor 2); iu weiterer Bedeutung aber
ist sie, vom feuchten Element befruchtet, die Thiermutter überhaupt,
wie aus ihrer Nachkommenschaft erhellet. Wir bemerken in der
Stufenfolge eine abermalige Aehulichkeit mit der hebräischen Schö¬
pfungsgeschichte, wornach die W^allfische, alle Thiere des Wassers
und die Vögel unter dem Himmel vor den Landthieren erschaffen
wurden. Das Pferd- und S t i e r g e s c h 1 e c h t bringt unstreitig
dem Menschen am meisten Nutzen. Wie diese beiden Thiere bei
der Gründung Karthago’s in allegorischer Verknüpfung standen, so
hier in genealogischer: Keto gebar dem Phorkys , sagt die Theogonie
274 ff., „die Gorgonen (^To^yovg) , Stheno, Euryale und Me¬
dusa, welche jenseits des Okeanos in der äussersten Nachtgegend
wohnen. Der letzten wohnte Poseidon auf weicher Trift und un¬
ter Frühlingsblumen bei, Perseus hieb ihr den Kopf ab, da sprang
der grosse Chrysaor und Pegasos das Pferd heraus. Dieser
bat daher seinen Namen, weil er an den Quellen {jtrjya'C) des Okea-
, nos entsprungen war, jener aber, weil er ein goldenes Schwerdt
' {xQvoELov aoq) in seinen Händen hat. Dieser flog von der Erde zu
: den Unsterblichen, und wohnt in Zeus Behausung als der Träger
seines Donners und Blitzes. Chrysaor aber erzeugte mit der Okea-
nineKalliroe den dreiköpfigen Geryoneus, welchen Herakles
bei den Ochsen auf deraf Eilande Erythia tödlete, damals als er nach
Tirynth die Ochsen führte, nachdem er jenseits des Okeanos ira
dunkeln Stall den Hund des Geryoneus Orthos und den Rinder¬
hirten Eurytion umgebracht hatte.«
Q Od. IV, 411.
2) Der Scholiast bemerkt zu ihrem Namen lies. Th. 270 xa
76
Offenbar wird hier die kosniogonisclie Enlstehiing des Pferd- und
Sliergesclileclils mi( der zeitlichen Einführung dieser Thiere in Grie¬
chenland vermischt und identificirl. Seitdem Perseus das erste Pferd
und Herakles nach Tirynth die ersten Ochsen gebracht halten, von
da an waren diese Geschlechter für die Griechen vorhanden. Es
musste also den Männern, welche die Bekanntschaft mit diesen Thie-
ren vermittelten, ihre Rolle angewiesen werden, und zugleich wur¬
den sie mit den Gottheiten Phorkys und Poseidon in Verbindung ge¬
bracht. In Ilhaka, einer vieh- und weidereichen Insel'), scheint
Phorkys verehrt worden zu seyn ; wenigstens halte der dasige Hafen
von ihm den Namen Phorkyshafen 2). Das Pferd wurde als Pega¬
sus personificirt, welchen Namen Clericus 3) aus dem Phönicischeu
53 (Zaum) und sw (Pferd) ableitete. Da mir aber das Wort 5s in
jener Bedeutung sehr zweifelhaft scheint, so halte ich es für eine
Zusammensetzung von v.\3 (angreifen) und d?d, wornach Pegasos so
viel als St reilross wäre, in welcher Verbindung eben die Kriegs-
gölli;i En yo unter den Kindern Keto und des Phorkys genannt wird '^).
Auf Panzern pflegt darum der Medusa Haupt vorgestelll zu werden
mit Rücksicht auf den Krieg, wozu sie das Hauptthier geliefert, und
ihre Beziehung auf den Pegasus wird durch die beiden Flügel an
ihrem Haupte deutlich gemacht. Die Gorgonen fehlen daher auch
nicht auf dem Schilde des Herakles ^) , und nach denselben sind
Schlachten abgebildel. Wegen dieser Sitte entstand die Fabel, dass
das Medusenhaupt die Kraft habe zu versteinern , d. h. der Krieg,
wo dieses Haupt wegen des Kriegsrosses vorkam, flössl Schrecken
ein. Als Sinnbild der Schnelligkeit lieh mau diesem ürross Flügel,
und liess es den Blitz tragen, wodurch Iheils sein feuerschnauben¬
der Mulh, theils seine blitzesschnelle Geschwindigkeit angedeulel
wird ®). Desswegen musste es auch aus seiner Mutter heraus-
. . ^
1) Od. XIII, 246.
2) Od. XIII, 96.
3) Zu Hes. Theog. 280.
') Theog. 273.
5) Hes. Scut. 230.
^) Bei der Bemerkung, dass Pegasus in Zeus Hause wohne (vgl.
Pindar. 01. XIII, 131) möchte man ausserdem anPlolin Enn. VI, L. VII
77
springen, und um dies anschaulich zu bewerkstelligen, so musste
Perseus die Ilebammendienste verrichten und der Mutier den Kopf
abhauen. Es mag damit zu gleicher Zeit angedeutet worden seyn,
dass die ersten Pferde mit Gewalt und durch Raub genommen wur¬
den. Wenigstens sollen nach alter Sage die beiden Schwestern der
Medusa den Perseus verfolgt haben , eine Vorstellung, die sich auf
dem Schilde des Herakles (V. 230) befand ^), und nach Pausanias
(in Corinthiacis) soll Perseus mit Heeresmacht die Medusa, eine Kö¬
nigin am Tritonsee, überwunden und erschlagen haben. Perseus
selbst als der Ueberbringer des Pferdes ist von tans (Reiter) nichts
anderes als der Reiter, wie schon Clericus erinnert hat, und wie ihn
Hesiod (Schild 216) selbst Innora ÜEQasvq oennt; womit jedoch nicht
in Abrede gestellt wird, dass er als Sohn der Danae zugleich eine
geschichtliche Person gewesen sey. Wegen seines Reitergeschäftes
gab man auch ihm Flügel an die Sohlen, damit flog er wie ein Ge¬
danke, sagt Hesiod (Schild 222); so war er auf dem Schilde des
Herakles kunstreich abgebildet, dass seine Füsse nicht einmal den
Boden berührten. Die alten Astronomen haben jene Fabel an dem
Sternenhimmel verewigt, nicht als wäre die Fabel aus den Sternbil¬
dern erst entstanden, wie uns Inghirami (Mon. Etr. S. I p. 327 f.)
glauben machen will; sondern umgekehrt, diese haben sich nach jener
gerichtet und setzen jene voraus. Die Jungfrau als Medusa mit Flü¬
geln und Schlange versehen, senkt ihr Haupt unter den Horizont,
wenn zu gleicher Zeit der Arm und das Schwerdt des Perseus und
auf der gegenüberstehenden Seite das Himmelspferd aufgehl. Den
Perseus für einen Sonnengott, sein Ross für die aufstrebende Sonne
und die Medusa für den versteinernden Winter zu erklären, halte
ich für eine verunglückte Auslegung älterer und neuerer Mytho-
logen 2).
erinnern, nach dessen Lehre auch die Ideen der Thiere im Himmel
sind, z. B. p. 701 B: ra ^coa ovx ola rä ivzavda, räxei , aXXä juet-
^öpcog öeT ixdva Xanßdvnv.
•) Dasselbe berichtete Ctesias Ephesius iv d lltQarjidoq bei Plu-
tarch. de Fluviis in Inacho p. 1034 Wyllenb.
2) Baur Symb. Bd. III S. 78 (T. Grenzer Symb, 3te Ausgabe III
S. 371. IV S. 244. 247.
78
Chrysaor ist das Ideal des Sliergeschlechts; denn er
erzeugte den Geryoneus, welcher bei den Rindern und ihret¬
wegen ') sammt seinem Hirten und Hunde von Herakles ersclda-
gen worden war. Der Eigenthümer der Herden (Hesiod Theog. 980
nennt ihn bestimmt einen Menschen) , welchem das erste nach Grie¬
chenland gebrachte Rindvieh abgenommen wurde, mochte wohl in
einem Zeugungsverhältniss mit demselben gedacht und sogar als Col-
lectivum damit identificirl werden. Die drei Köpfe, die man ihm an¬
dichtete, scheinen auf die dreierlei Geschlechter des Stiers, der Kuh
und des Ochsen anzuspielen. Heber ihm steht ohne Rücksicht auf
Geschlecht Chrysaor. Hesiod leitet dieses Wort von dem goldenen
Schwerdte ab und man deutete es auf den Ackerbau, welcher *zu
dem Streitross allerdings einen Gegensatz bilden würde. Allein wir
gehen richtiger wie bei dem Pegasus zu semitischen Wurzeln zurück,
um so mehr als uns Sanchuniaton 2) von einem phönicischen
Meldung thut, welchen er für den Hephästos auslegt. So
wird Chrysaor von sin (Sonne) und “iv.2 (Rind) seinem Begriffe voll¬
kommen entsprechend mit griechischer ümbeugung ein Sonnenrind.
Mit dem Stiere hätten somit die Griechen, was ohnedies wahrschein¬
lich ist, zugleich seine siderische Bedeutung überkommen und sich
angeeignet. Helios hatte ja seine Rinderherden auf der Insel Thri-
nakia (Sicilien), gehütet von seinen Töchtern, den beiden Nymphen
Phaethusa und Lampetia ; und zwar bedeutete daselbst ein jegliches
Rind einen Tag. Denn es waren ihrer 350 nach der Rechnung des
allen Mondjahres, und kam keine dazu noch davon; sie waren in
7 Herden abgetheilt, und in jeder befanden sich 50 3). Eine jede
hatte also für jede Woche ein Rind Auch auf den Bergen Pieriens
weideten der Götter unsterbliche Rinder ^). Hieraus ist cs erklär¬
lich , warum das Beiwort x^vodoQog dem Apollon 3) insbesondere
beigelegt wurde, auf welchen der Ausdruck »mit goldenem Schwerdt«
nur mit gezwungener Deutung passen würde. Von ihm ging jenes
') Theog. 982.
2) Bei Euseb. Praep. Ev. I, 35.
3) 0(1. XII, 127 ff. Vgl. Baur die .Xalnrreligion I. S. 187. 259.
‘) Iloin. h. in Mercnr. 71.
3) Z. B. 11 V, 509. XV, 2.56. hymn. I in Apoll, 123.
Prädicat dann zum Tlieil aus Unbekannlschafl mit der ursprünglichen
Bedeutung des Wortes auf den Orpheus* *), auf die Artemis 2), auf
den Zeus in Karien und auf die Demeter ') über.
Jene zwei Tliierarten, die für das J.eben so wichtig sind, liess
man aus der gemeinschaftlichen Mutter Medusa entspringen, sey
es nun dass man unter derselben die Königin am Tritonsee, die
Tochter des Phorbus, gegen welche Perseus zu Felde gezogen seyn
soll 5), oder überhaupt die Herrscherin verstand, in so fern die Herr¬
schaft und der Reichlhum vom Besitz der Rosse und Rinder unzer¬
trennlich gedacht wurde. .Diese Idee wurde bei der Gründung Kar¬
thagos an jene zwei Thiere geknüpft: die tyrischen Pflanzer fanden
beim Graben an einer Stelle einen Ochsenkopf und an der andern
einen Pferdskopf*»), und Virgil (V. 448 f.) drückt den Sinn davon
folgendermassen aus ;
sic nam fore bello
Egregiara et facilem viclu per saecula genlem.
Die beiden Schwestern der Medusa scheinen die Haupteigen-
schaften jener Geschlechter auszudrücken, neralich Stheno (die
Stärke), wovon der Stier ein altes Sinnbild ist, und Euryale (die
weithin Springende), den Vorzug der Pferde bezeichnend. Daher
nennt Hesiod (Th, 980) den Geryoneus den Stärksten unter allen
Sterblichen, erzeugt vom starken Chrysaor. Das Pferd als das Thier
des Krieges und das Rind als das des Friedens wurden in ihrem
Gegensatz in der Fabel aufgefasst, dass Athene und Asklepios die
nach dem Herausspringen des Pegasos und des Chrysaor aus der
Gorgo rinnenden Blutstropfen mit einander getheilt haben, und dass
jene damit tödte, dieser damit heile ^). Das den Acker bauende Rind
') Pindar bei Schob Villois. Horn. II. XIV, 250.
2) Orakel des Bakis bei Ilerod. VIll, 77.
3) Zeus Chrysaor und Hekate waren die Schutzgötter der Stadt
Stratonike in Karien nach einer Inschrift bei Chishull Antiquit. Asiat,
p. 156 f.
‘) Hom. h. in Cer. 4.
*) Pausan. Corinthiacis.
*») Serv. ad Virg. Aen. I, 447.
Talian. tiq. "EXk. p. 250.
80
heill die Schädeu des Krieges. — Poseidon aber, sagt Hesiod,
beschlief die Medusa auf weicher Trift, die zur Viehzucht geeignet
ist, und so ward er der Vater des Pferdes und des Stieres; was
ganz mit der Ansicht, die man sonst von diesem Gotte liatte, über¬
einstimmt. Stiere und Pferde waren seine heiligen Thiere. Hesiod
(Schild 104) nannte ihn selbst ravQsoq "Ewoalyaioq , und ebenso war
er i:t:iioq oder inneioq oder inTirjyixrjq Zu Athen brachte er ira
Streite mit der dortigen Schutzgöttin als ein Wunder seiner Macht
das erste Pferd liervor^), und schon der alte Dichter Pamphos 3)
gedachte seiner als des Gebers der Schiffe und Rosse. Eben so sollte
er durch den Schlag seines Dreizacks das erste thessalische Ross
ins Leben gerufen haben ^). Die A rka dier erzählten sich den Ur¬
sprung des Pferdes auf eine abweichende Art, aber auch nach ihrer
Meinung galt Poseidon für dessen Vater. Als Hengst soll er sich
mit der in ein Pferd verwandelten Demeter begattet haben, wo¬
von die Frucht Despoina und das Kriegsross Arion war 5). In
der Höhle der Demeter zu Phigalea in Arkadien war sie sogar mit
einem Pferdekopf abgebildet ^). Anlirnachus 7) erklärt uns, warum
nach dieser Fabel Demeter an die Stelle der Medusa getreten sey :
jenes Ross, sagte er, sey von der Erde hervorgebracht worden. In
Folge der Ideenvermischung mit Medusa scheint es geschehen zu
seyn , dass die Arkadier ihrer Demeter Schlangen in die Haare ga¬
ben ®). Jedoch den Regriff der Herrschaft, welche auf einer Menge
von Streilrossen beruht, hat auch diese Fabel nicht verwischt, son¬
dern dem Arion zur Schwester die Despoina (Herrin) beigegeben,
bei welcher man nicht an Persephone wird denken dürfen , da ja
Demeter diese ihre Tochter gerade suchte , als Poseidon sie mit sei¬
ner Liebe verfolgte. Sie scheint die Herrschaft in Folge des Kriegs
Creuzer Symb. 3te Ausg. III S. 264.
2) Her. VIII, 55. Pausan. I, 27.
3) Bei Pausan. Achaic. 21 , 3.
'») Lucan. VI, 396.
5) Pausan. Arcad. 25, 5.
*’) Pausan. ibid. c. 42 Anfang.
7) Antim. Reliquiae p. 61 Schellenberg.
Pausan. 1. c.
81
zu bezeichuen, wo der Ackerbau darnieder liegt und^ Persephone
verloren geht. Sie war mit das Gespräch in der arkadischen Ge¬
heimlehre, und halle ein Heiliglhum in Akakesiurn , wo sie das ihr
zukommende Scepler in der Rechten hielt, die Linke aber in die zu
ihren Knien liegende Kiste legte. Neben ihr stand ii»r Pflegevater
An y tos (Beförderer), und Demeter stützt sich mit der Linken auf
sie, aber in ihrer Rechten hat die Mutter eine Fackel, zum Zeichen,
dass sie Persephone suchte ')• Diese Vermischung der Demeter mit
Medusa ergibt sich auch aus den allen Sternbildern, indem man der
Jungfrau als Demeter bald Aehren in die Hand gab 2), bald sie als
Medusa ohne Kopf 3), bald mit einem Korb voll Schlangen und zwei
Fackeln abbildete.
Vater des Rosses ist Poseidon, weil mit seinem Namen zu
gleicher Zeit sein heiliges Thier in Griechenland eiugeführt worden
zu seyn scheint. Denn aus Libyen d. h. aus Westafrika stammte der
Gott*), und wir wissen nicht allein aus der römischen Geschichte,
dass die Mauren und Numider einen Reichthum an Pferden hallen
und sie zum Kriegsdienst benutzten, sondern die Theogonie (V. 274 f.)
führt uns eben dahin ins Abendland der Hesperiden, woselbst die
Gorgonen jenseits des Okeanos, also auf einem Eiland im Weltmeer
wohnen sollen. Den Namen der FoQyövsq erklären wir am schick¬
lichsten nach Pomponins Mela (Hl, 11) von den Gorgadeninseln in
Westafrika als ihrer Heimalh. Als das Vaterland der Rinder aber
bezeichnet die Theogonie (V. 290) die Insel Erylhia, welche nach
Slrabo (lli p. 117) Cadix gegenüber lag und fette Weiden besass.
Da auch hier der Okeanos floss, so wurde Kalliroe zur Mutier des
Geryoneus gemacht. Die seefahrenden Phönicier, aus deren Sprache
die Worte Pegasos, Perseus und Chrysaor entlehnt sind, haben allem
Anschein nach die Einführung des Poseidonculles , der Pferde- und
Viehzucht verraillell. Die Winke, welche uns die Theogonie über
das Vaterland dieser Thiere erlheill, dienen trefflich zur Bestätigung
>) Paus. Arcad. 37, 6.
2) Manilius V, v. 249. Inghirarni Mon. Etr. S. VI T. V. ii. ö.
3) Eraloslhenes bei Aralus Phaenomen. p. 71.
Inghirami M. E. S. VI T. F. 2 u. 2.
s) Her. II, 50.
ö
82
der Ansicht des Fröret') und Böltigers^), dass die Phönicier mit
dem Poseidon das Pferd den Griechen gebracht haben, und entkräf¬
ten D. Völcker’s 5) Einwurf, dass der Gebrauch der Pferde eher von
den Pferde melkenden Scythen zu den Griechen gekommen sey.
Wenn Herakles die Rinder aus Spanien und Perseus die Pferde aus
Westafrika vom Ocean her holte, so können wir uns das merkwür¬
dige Zusammentreöen einer afrikanischen Nationalsage '•) mit der
Theogonie nicht bergen, dass nemlich nach der Auflösung des Kriegs¬
heeres des Herakles in Spanien die darin befindlichen Perser nach
Afrika übergeselzt, sich am Ocean niedergelassen und nachmals mit
dem Namen Numider belegt worden seyen.
Keto war die fruchtbare Mutter anderer Thiergeschlechter. Sie
gebar dem Phorkys »in einer Kluft ein gewaltiges Ungeheuer, die
göttliche E c h i d n a, halb Jungfrau, halb entsetzliche, grosse und
grausame Schlange unter den Schluchten der Erde, wo Echidna nie
alternd in einer Felsenhöhle in Syrien (fV ^Jpijuoig) hauset“ ^). Dass
hiermit ein dasiger feuerspeiender Berg gemeint sey, erhellet aus
ihrer von Hesiod angegebenen Verbindung mit Typhoon^), dem
personificirlen Erdfeuer. Von Keto stammen alle Ungeheuer ab, und
auch das Meerwasser (Phorkys) ist bei vulkanischen Ausbrüchen
wirksam.
Bellende, giftige und reissende Thiere, welche eine feuer¬
speiende Natur haben, sind die Nachkommenschaft der Echidna und
des Typhon. „Sie gebar zuerst den Hund Orthos^) dem Geryo-
neus; zum andern den Kerberos, den fünfzigköpfigen Hund des
Hades, und zum dritten die lernäische Hyder, welche Herakles
*) Freiet origine de Tequitation , Academie des Inscriptions T. VH
p. 330 ff.
2) Böltiger Andeutungen zur Kunslmythologie des Neptun S. 155 f.
Völcker Mythol. des Japetischen Geschlechts S. 142 f.
') Bei Sallust bell. Jugurtb. c. 18.
5) Theog. 295 ff.
Nach Syrien verlegt auch Homer II. II, 783 das Ehebett des
Typhoeus.
Die Lesart schwankt zwischen Orlhos und Orthros.
8a
tödlele i). Der Hirlenhund Orlhos ist Stellvertreter des ganzen Hunde¬
geschlechtes und als Bruder wird ihm der allegorische Höllenhund
beigegehen. Die berühmte Hyder ist aller Schlangen Mutter. Fer¬
ner gebar Echidna »die feuerspeiende Chimära, die grässliche,
grosse, behende und gewaltige, mit drei Köpfen, einem Löwen-
Ziegen- und Schlangenkopf, vorn ein Löwe, hinten ein Drache und
in der Mitte eine Ziege« 2). Solches wird von einem feuerspeienden
Bergrücken in Lycien gefabelt, wie schon Strabo (XIV p. 458) richtig
auslegte. Unweit Phaselis brennt Tag und Nacht vulcanisches Feuer,
berichtete Klesias von Knidos 3). Bei dem Zusammenhang des un¬
terirdischen Feuers mag wohl ein Vulcan als abstammend von dem
andern, Chimära als die Tochter der Echidna und des Typhon ge¬
dacht werden.
Echidna gebar ferner, von Orthos überwältiget, die verderbliche
Phix, den Kadmeern zum Schaden, und den nemeischen Lö¬
wen^). Der letztere hat hier im Namen seiner Waldgenossen seine
Stelle; er ist gleichsam eine gesteigerte Thierheil, eine Hundesfrucht,
in welcher die Unverschämtheit des Hundes zur Wildheit und Grau¬
samkeit erhöht ist. Da man sich den Orthos auf der Insel Erythia
bei Spanien dachte, so konnte sich ihn der Grieche auch um dess-
willen füglich als Vater des in Weslafrika häufigen Löwengeschlech¬
tes vorstellen ; während Apollodor und Hygin a. a, O. dem Typhaon
1) Theog. 308 ff. Auch Sophocl. Trachin. 1079 nennt den drei¬
köpfigen Wächter des Hades Gezücht der Echidna.
2) Theog. 319 ff. Hom. II. VI, 180. Die Chimära wird Hom. h. I.
in Apoll. 363 in Verbindung mit Typhoeus genannt.
3) Bei Photius Cod. LXXII und Plinius II. N. II, 106.
4) Theog. 326 f. Apollodor II, 5, 1. Ill, 5, 8 u. Hygin Vorrede
p, 12 nennen gleichfalls die Mutter der thebanischen Sphinx und des
nemeischen Löwen Echidna, und auch Heyne (ad Apollod. Obss. p. 242),
Voss mylhol. Br. 11 S. 19 nnd van Lennep commentar. in lies. Th.
p. 255 legen unsere Stelle der Theog. so aus, dass sie ^ <3’ als Gegen¬
satz zu ti‘jv fxiv V. 325 fassen. Dagegen macht nach der Meinung des
Scholiaslen, Clavier’s (ad Apollod. 11 p. 258) und Hermann’s über die
älteste Mylhol. der Griechen S. XIII Hesiod die zuvor genannte Chi¬
mära zur Mutter der Phix und des Löwen.
84
die Vaterschaft beilegten. - Die Phix, gewöhnlicher Sphinx ge¬
nannt, ist eine allegorische Zusammensetzung von Wesen; sie pflegte
mit dem Angesichte eines Weibes und von der Brust an als ein ge¬
flügelter Löwe abgebildet zu werden, vereinigte also Theile vom
Menschen, Löwen und Vogel in Einer Gestalt '■). Die Alten deute¬
ten sie bald 2) auf die Gattin des Kadmus, welche sich aus Eifersucht
wegen der Harmonia von ihm getrennt und mit den Thebanern Krieg
geführt habe, bald auf eine Räuberbande, die auf dem Berge Phi-
kion hausend vom Menschen wohl das Gesicht, vom Löwen aber
die reissende Grausamkeit hatte. Die Räthsel, die sie den Wande¬
rern aufgab, wären dann die geheimen Schlupfwinkel, worin sie den
Nachforschungen derer, die sie suchten, entging und woraus sie über
die Unbefangenen und Wehrlosen herfiel, bis Oedipus sie ertappte,
erschlug und zerstreute. Allein da diese örtliche Deutung mit den
Sphinxen, die in den Vorhöfen der ägyptischen Tempel standen^),
und mit den zwei Sphinxen an den Vorderfüssen des Thrones des
Zeus in Olympia^) unvereinbar ist, und da die alte thebanische
Sinnbildnerei aller Wahrscheinlichkeit nach einen morgenländischen
Charakter halte, so werden wir in der Sphinx kein anderes Emblem
als in den Cherubim der Hebräer, die eine Zusammensetzung vom
Menschen, Löwen, Rind und Adler waren und die ganze Gott an¬
betende lebendige Schöpfung in Einem Bilde darstellten, zu suchen
haben. Das allegorisch Räthselhafte dieses Wesens und das Unter¬
gehen der Einzelwesen bei Erhaltung der Gattung gab den SlofT
zu den spätem Fabeln von ihren Räthseln und von ihrer zerflei¬
schenden Grausamkeit gegen die Thebaner.
Rückblick.
Ueberblicken wir die Reihe dieser Schöpfungen , so sind in der
hesiodischen Urkunde die fliegenden, die schwimmenden, die krie-
1) Apoltodor. III, 5, 8. Auson. Griph. 40.
2) Palaephatus c. 7.
3) Pausan.' IX, 26. Schol. lies. Th. 326.
'‘) Cieuzer Symb. II S. 219.
=) Pausan. V p. 306.
Hesekiel 1, 10. 10, 14.
85
eilenden und die vierfüssigen Thiere und von den letzlen die Haus¬
und Waldlhiere ausgezeichnel. Der Urmensch (Japel) ist gleich den
Göllern einer der Titanen, auch die Centimanen sind Himnielskin-
der und Erdgeborne, die Riesen (Giganten) sind schon in Folge
eines Frevels aus himmlischem Samen entsprossen. Aus dem feuch¬
ten Elemente, aber von einem Gotte (Phorkys) sind durch die
menschliche Beihiilfe des Perseus und Herakles die edlem Thiere,
das Pferd und der Stier, entstanden, sodann durch vulcanische Ver¬
mittlung (Typhon und Echidna) der Hund und die Schlange, und
durch Vermittlung des Hundes (Orlhos und Echidna) io immer wei¬
terer Abstufung der Löwe. Unmittelbar haben Phorkys und Keto
„zuletzt die Schlange erzeugt, welche in den Tiefen der Erde an
ihren Grenzen die goldenen Aepfel der Hesperiden bewacht« ^). Das
war nicht die giftige lermäische Schlange, sondern eine Lebensschlange,
der Aphrodite in der Menschenwelt entsprechend, wie weiter unleu
gezeigt werden wird.
§. 18.
Wie Typhon aus den Hunden bellt, aus den Schlangen zischt,
aus den Löwen brüllt, mit einem feuerspeienden Berge vermählt ist,
und einen andern Vulcan erzeugt, so wird er als das unterirdi¬
sche und in vulcanischen Ausbrüchen sich äusserode Feuer rich¬
tig von der Erde und der Unterwelt, Tartarus und Gäa, abslam-
mend gesetzt 2). Die Theogonie beschreibt es in der bezeichneten
Stelle unzweideutig, und zwar nicht nur auf einen bestimmten
Vulcan eingeschränkt, sondern in vielen Kratern auf der Erde her¬
ausbrechend. „Typhoeus hat hundert grässliche Schlangenköpfe«,
sagt Hesiod; er ist nach Aeschylus (Prometh. 351 ff.) der hundert-
köpfige Bewohner der cilicischen Klüfte; weil er den Zeus von sei¬
nem Thron stürzen wollte, wurde er von dessen Donnerkeil getrof¬
fen unter den Aetna geworfen, wo er von Zeus schwarz gebrannt,
Feuer speit. Nach Pindar (Pylh. I, 32 ff.) ist er in einer Kluft in
Cilicieo gross gewachsen, und nun liege seine borstige Brust unter
>) Theog 333 ff.
2) Theog. 821.
86
dem Gestade bei Kumä (wo der Vesuv ist) und in Sicilien, wo der
Aetna auf ihm liege. In allen einzelnen vulcanischen Aeusserungen
wird dieses »verschlungene und aufgeblasene Thier“ *) von Hesiod
a. a. O. geschildert: »seine Füsse sind unermüdlich als eines starken
Gottes“, d. h. schnell fährt das unterirdische Feuer. »Die hundert
Drachenköpfe lecken mit schwarzen Zungen“, d. h. die Vulkane
dampfen. »Aus den Augen sprüht Feuer, und aus allen Köpfen
brennt Feuer. Ein unaussprechliches und verschiedenartiges Tosen
kommt aus jeglichem Kopfe, bald leise nur den Göttern verständlich,
bald wie wenn ein Stier oder ein Löwe brüllte, bald dem Hunde¬
gebell gleich, bald ist es ein Zischen, und die hohen Berge wieder¬
hallen.“ Nun thut er’s mit dem Blitz und Donner in die Wette, was
als ein Kampf mit den Unsterblichen, insbesondere mit dem Blitze
schleudernden Zeus dargestellt wird 2). »Darob kracht Himmel,
Erde, Meer, Oceau und der Abgrund. Ein Feuerbrand und Gluth-
winde fahren in den Pontus, es kocht in der Höhe, auf dem Boden
und im Wasser, und die Brandung schlägt an das Ufer. Eine ge¬
waltige Erschütterung erfolgt, und Hades im Abgrunde erzittert.«
Dass man solches nicht für einen einmaligen Kampf mit Zeus aus¬
lege, sondern dass es zum fortwährenden W'^esen des Typhon ge¬
höre, wird in der F'abel des Homeriden ausgedrückt, Here habe
ihn allein für sich geboren, auf ihren Gemahl erzürnt, dass er ohne
sie die Athene aus seinem Haupte geboren. Die Frucht dieser Ei¬
fersucht war eben der Gott, der mit Zeus Blitzen wetteifert, und
zwar als Gegensatz zu der Göttin der Weisheit und Wohlordnung
Athene. Den ueugebornen Typhon übergab Here dem pythischen
.Drachen zur Erziehung. »Er thut den Menschengeschlechtern viel
Unheil.“ Die Theogonie (853 ff.) lässt es hierauf zum wirklichen
Lavaausbruch kommen: »Zeus senget die Köpfe des Ungethüms, es
fällt vom Blitze getroffen, die von ihm aussprühende Flamme fährt
in rauhe Bergklüfte, und viele Erde brennt im unendlichen Qualm
und schmilzt, wie das Eisen in ihr schmilzt unter den Händen des
*) Also nennt es Platon Phädr. c. 8 p. 197 Heindorf, woraus
Aristophan. Nub. 335 zu erklären ist.
2) .\uch Honi. II. II, 781 f. drückt sich so aus.
Iloni. h. in Apoll. 30ß ff. Stesichoriis bei Etyinol. M. p. 772. 50.
87
Hephäslos.« Weil der Vulcau uach volleudetem Ausbruche sich zur
Ruhe legi, so wird das Ausströmen der Lava als eine Folge seiner
Niederlage im Kampfe mit dem blitzenden Zeus vorgeslelll, und die
Ruhe nach dem Ausbruch am Schlüsse V. 867 mit den Worten aus-
gedrückt: „Zeus wirft ihn im Zorn in den weilen Tartarus« i). Das
’) Aus jener ganzen Beschreibung ist die Lesart Theog. 307 zu
beurlbeilen , welche in den gewöhnlichen Ausgaben ösivöv rßQiorijv
t avefiov lautet, aber nach der florentinischen Handschrift des Herrn
von Schellersheim und der gleichfalls von mir eingesehenen, von De¬
metrius Triklinius geschriebenen Älarcianer Handschrift Nr. 464 und
vielen andern zu verbessern ist, wie schon das Versmass erfordert;
dsivov ß' vßQioT^v uvofiov ??’. Van Lennep führt zwar V. 830 ff. die
Ausdrücke von dem Tosen des Typhon und V. 869, dass er der Winde
Vater sey , an; aber aus diesem Grunde wird er keineswegs selbst ein
Wind, die Allen beschreiben uns dieses Wesen zu klar, als dass ein
Zweifel darüber obwalten könnte. — Aus der Handschrift des Herrii
von Schellersheim, die auch den Theokrit enthält und von mir ver¬
glichen worden ist, lässt sich Hesiod noch an mehreren andern Stel¬
len verbessern, von denen ich folgende auszeichne: Theog. 49 xccqtsi
(mit 2 andern Hdschr.) wegen des Metrums. V. 171 Ttars^oq ys (mit
vielen andern) wegen des Metrums. V. 188 jurjöea d’, cSg , wie Gött-
ling und van Lennep aus vifelen Hdschr. richtig. gegeben haben; die ge¬
meine Lesart steht in unsrer Hdschr. über der Zeile: yQU. cog (aus
V. 187 entstanden). V. 199 Kvit^oyivia t?’ (die Hdschr. hat übrigens
KvnQiysvsa t9^) , woraus der Grund der Verderbniss anderer Hdschr.
KvTtQoyEvsiav eher ersichtlich ist, als aus der vorgeschlagenen Verbes¬
serung Robinson's KvTtQoyevij; vgl. V. 233, wo — sa gleichfalls als ein
langer Fuss gelesen wird. V. 202 ysiva/jiEvr] (mit andern Hdschr.) an¬
statt des sinnlosen yeivofiivrj, V. 228 Mayag t, wie van Lennep aus
andern Hdschr. wiederhergestellt hat; Robinson bat die Partikel aus¬
gelassen. V. 230 ukXtiXrjaLV, was aus andern Hdschr. schon Götlliug
und van Lennep statt des ungrammatischen aXktjXoiaiv aufgenommen
haben. V. 233 d' haben dieselben Herausgeber anstatt t aus andern
Hdschr. schon abgedruckl; da eine neue Genealogie der vorigen ent¬
gegen steht. V. 370 taaaiv , w'ie schon van Lennep nach andern.
V. 399 hätte er aus demselben Grunde dsdioycep aufnehmen sollen, das
88
Schmelzen des Eisens in den weilen Bergschachlen V. 863 ff. dürfte
mehr als ein blosses Bild der Lava, und zugleich eine Anzeigung
von dem Einfluss des Erdfeuers auf die Bildung der Metalle seyn.
Wenigstens hatten die Alten die Einsicht, dass die Entstehung
der Winde Iheils von den unterirdischen Bewegungen in den Ein¬
gemeine edcoxev hat keine oder fast keine hdschr. Beglaubigung, V. 419
vTtede^aro mit andern Zeugen als eine unbestimmte Zeit; am wenigsten
ist es im Verbältniss zu £071Eto eine zukünftige, wie in den Ausgaben
steht, ehereine vergangene. V. 431 ös noT iq rtok. cpd. doiQrjaaoivTO
mit einer andern Ildschr. Die gemeine Lesart d’ d;rdr’ wäre nur
statthaft, wenn es ein Gegensatz gegen eine andere Person wäre; allein
immerfort ist von derselben Hekate die Rede: die Lesart einer Hdschr.
ßioQijoaovTO zeigt den üebergang von der richtigen ^ooQijaaoiVTO zu
der gemeinen ^co^rjaaovrac oder (wie Göttling und van Lennep haben)
dcoQr]aooivxai. V. 416 EiQOTtövMV ocow , y ißclovoa , wie Götti,
und van Lennep. V. 454 'IoTLr]v (van Lennep hat ^laxtrjv^, wie auch
die Marc. Hdschr. u. Aldus; so Horn. h. 23.29. V. 548 Zed, wie An¬
dere. V. 552 efieXls. V. 559 nsQi. V. 569 loq Td" (statt coq i'ösv) mit
einer andern Hdschr., was uns zur richtigen und sinngemässen Wort-
abtheiluug führt : coq td’ ev ävßQ. V. 584 ßavf.idöia , wie v. Lenn.
richtig. V, 591 setze man nach yvvaivMV ein Kolon, und beziehe dem
Sinn nach yvvatxsq auf das Folgende. V. 593 schreibe man mit unse¬
rer u. a. Hdschr. ov avj^cpoQoi, oXX dy.ÖQeatoo statt dXku y.6Qoio, wor-
nach der xöpog von abhängig, und doch kein Gegenstand der
Mitleidenheit ist. V, 600 coaavruiq die unsrige u. a. V. 693 iojLta^d-
yi^E, wie V. Lenn. V. 743 öeivöv d^ xct/', wie v. Lenn. V. 797 dXXd
yc, wie auch andere Hdschr.; die abversative und die Verbindungs¬
partikel beisammen reimen sich nicht. V. 857 iTisidt}, wie auch eine
andere. V. 877 xsiv-rjoi von der zweiten Hand, wie v. Lenn. V, 895
j^tiv statt ydg, wie Götti, u. v. Lenn. V. 909 xe v.aL, wie v. Lenn.
V. 934 Exiy.TE, wie v. Lenn. V. 974 rov öij (wie auch andere), das
Vorige bestimmend , da eine entgegengesetzte Partikel ganz und gar
nicht am Platz ist. V. 989 dxaXd., wie v. Lenn. Zwischen V. 1013 u.
1014 hat auch unsre Hdschr den schlechten Vers eingeschoben: TtjXe-
yovov d’ EXEKE diä XQvoijv 'ÄcpQobixrjv. Schild V. 59 naxEpa ör,
, wie schon Guietus gcmuthmasst hat , da die erste Sylbc in ""Aqxjq
89
geweiden der Erde, llieils von dem Verliällniss des Erdkörpers zu
der Sonne bedingl sey. Weil die mit Erdbeben und vulcanischen
Ergiessungen verbundenen Winde heftiger und verderblicher Natur
sind, so lässt Hesiod (Th. 868 ff.) die schädlichen und die gefähr¬
lichen Winde, nemlicb die feuchten Lüfte und die unordentlich bald
daher bald dorther blasenden Seeslürrae und die Wirbelwinde von
Typhoeus abstammen; wohin der Nordost {Evgoq, vulturnus) und
der Südost {'ÄTrrjXicötrjq , subsolanus) zu rechnen sind. Die übrigen
wohlthätigen Winde, sagt er, der Süd {Noioq'), der Nord {Bogeaq')
und der West (dieser wird mit zwei Namen bezeichnet als Nord¬
westwind "Agysorriq und als Südwestwind vorzugsweise Zscpvgoq) sind
göttlichen Ursprungs. Der Sonnenaufgang (Eos) gebar sie nemlicb
dem Sternenhimmel (Asträos) ^).
2) Von der Fortdauer und der Regierung der Welt.
Die aus sich selbst entstandene Welt ist gleichwohl in ihrem
Bestehen und ihrer Thätigkeit von Gott abhängig, sie wird von
der Vorsehung erhalten und regiert.
kurz ist. Die Accusalivform der flor. Hdschr. ist der gewöhnlichen
'’Agrjv vorzuziehen, weil jene Theog. 922 steht; wo vorkommt
(Schild 333. 425. 457), geschieht dieses zur Vermeidung des Hiatus,
der aber hier nicht eintritt , da aroq ein Digamma hat. V. 68 evxo-
X£<t>v. V. 116 e'iJte. V. 195 dicpgw eTtejußeßacoq , wie Aldus, wegen des
Versmasses. V. 203 äyröq, denn das gewöhnliche ayvvz ist ohne hand¬
schriftliches Ansehen eine blosse Vermuthung des Heinsius. Wenn es
aber schon genug ist, das treffliche Saitenspiel Apollons bildlich dar¬
zustellen, so wäre es vollends übertrieben, sogar den Wiederhall des¬
selben zum Gegenstände der Bildnerci zu machen. Und wenn auch He¬
siod Sch. 279 sagt: äyvvro fjyjiä ^ so ist es etwas ganz anderes, das¬
selbe vom Olymp auszusagen. V. 276 djU(ocüi> (wie schon Guietus ver¬
besserte) Tui X dyXataiq. Dieser Satz schliesst sich enge an die d/uonai
im vorigen an, daher t’ nicht d’, dyXataiq aber haben auch andere
Hdschr. V. 299 fehlt .als unächt.
^) Theog. 378 ff.
90
S- 19-
Die mäciitigeii Eriuuyen (Furien, Hacliegeister) sind zugleicl»
niil den Giganten und den melischen Nymphen aus den Tropfen des
uranischen Samens, welche auf die Erde fielen, entstanden *). Ihre
Entstehung zugleich mit dem individuellen Leben gibt zu erkennen,
dass sie nicht nur eine ethische, sondern hier ganz besonders eine
physische Bedeutung haben. Den auf Unkosten des Himmels ge¬
wordenen Dingen gehen die Erinnyen auf dem Fusse nach, d. h.
jene sind dem Dienste des vergänglichen Wesens unterworfen. Sie
haben ein von Gott abgeschnittenes Leben , also nicht mehr das
wahre himmlische, sondern nur Schattenbilder des Lebens, welche
in Folge der Verstümmelung des Uranos zum Vorscheine kamen.
Die Erinnyen drücken also auf der einen Seite physisch den Tod des
Vergänglichen aus, und wollen so viel sagen als: das Werden rächt
sich am Gewordenen durch das Vergehen; was geboren wird, trägt
den Keim des Todes in sich; du bist Erde und sollst zur Erde wer¬
den. In ähnlichem Sinne ist die arkadische Fabel von Demeter
zu verstehen, welche, während sie die verlorne Tochter suchte, im
Zorne über die Nachstellungen Poseidons zur Erinnys geworden sey,
und als solche eine Fackel und einen Kasten trug 2). D. h. die Na¬
tur (Demeter) hat in der winterlichen nasskalten Jahreszeit das Bild
des Todes und der Leichentrauer, die Tage sind kurz, das Nacht¬
reich ist aufgethan (Fackel), und die Lebenskeime schlummern in
der Erde Schoos (Kasten).
Das ist die andere Seite der Erinnyen auf physiologischem Stand¬
punkt: der Tod, den sie bedeuten, ist nicht schlechthin eine Strafe,
die Individuen sterben, aber die Gattung wird erhalten. Als Samen¬
behälter hatten sie in Athen ihr Heiligthum; denn man opferte ihnen
an Hochzeitfesten für Kindersegen 3), und Aeschylus (Eumenid. 891 Cf.)
fasst ihre Idee gerade wie eine Hekate- Fortuna auf, mit welcher
1) Theog. 185.
2) Pausan. Arcad. I, 25, 5.
Aescbyl. Eumenid. 825. Bei Erzeugung der Kinder galt es den
Uranos gleichsam fort und fort zu entmannen und seinen unvergängli¬
chen Samen in neuen Wesen darzustellen.
91
die Göttin Athene theile, was ihrer Lieblingsstadt Athen zum From¬
men gereiche, so dass die Eumeniden (die eben daher im Ernste
benannten Wohlwollenden) allen Segen des Friedens bescheren,
Athene aber Streitferligkeit und Kriegsrubm, jene also namentlicli
die Woblthaten aus" dem Schosse der Erde, aus dem Meer, vom
Himmel und guten Winden, die Früchte des Feldes, der Herden und
der Menschen Vermehrung gewähren, den Gottlosen aber vorenthal-
ten. »Sie haben, sagt der Dichter (918 IT.), alle menschlichen An¬
gelegenheiten zu verwalten. Wer diese Gestrengen {ßapetov , ohne
Correctur) nicht für sich gewinnt (/u^ -xv^aag), weiss nicht, woher
des Lebens Schläge kommen.“ Die Gunst, die sie den Athenern
Zusagen, erzählen sie also (V. 926 ff): »kein Baum verletzender
Schaden, kein Pflanzen versengender Glutwind wehe, und über¬
schreite nicht die Grenze dieser Oerter (rd-Twi' ohne Correctur), noch
schleiche heran unfruchtbare böse Krankheit. Gedeihende Schafe
mit Zwillingsbrut ernähren das Land, zur rechten Zeit ehre ein be¬
reichernder Wurf die Göttergahe des Hermes.« *).
§. ^20.
Durch den Zeugungstrieb werden die verborgenen Samen zur
Erscheinung gebracht. »Die abgeschnittenen Hoden des Uranos warf
Kronos vom Lande in das Meer, wo sie lange Zeit umhergetrieben
wurden. Aus ihnen (die das unvergängliche Leben enthielten) bil¬
dete sich ringsum ein weisser Schaum , worin ein Mädchen entstand,
eine ehrwürdige schöne Göttin ging daraus hervor, Aphrodite, die
aus dem Schaume (d(^pd?) Gehörne, und unter ihren zarten Füssen
sprossten Pflanzen auf.« 2) Sie ist demnach der uranische Samen-
*) Die Ausleger lassen den Chor zuerst von den Pflanzen, sodann
von den Schafen und dann wieder von den Erzeugnissen der Erde re¬
den. Allein mit blosser Veränderung der Interpunktion ist zuletzt die
Rede von dem Wurf der Schafe, welcher unter der Aufsicht des Her¬
mes steht und wenn er reich und gut ausfällt, ihm Ehre macht. So
ist die Rede zusammenhängender, und die Worfe entsprechen besser
dem natürlichen Sinn.
2) Theog. 188 ff. Der ällern Fabel folgt auch der Homeride H. V,
92
behäller, aber im Gegensatz zu den Erinnyen als den ßewahrerin-
nen aller Samen verhält sie sich zu diesen wie der Frühling zum
Winter, Und bewirkt, dass eines aus dem andern werde, und die
Individuen in ununterbrochener Folge von einander abslammen. Das
denselben inwohuende Fortpflanzungsvermögen ist als das
Princip eines endlosen Lebensfadens etwas Unsterbliches , die gött¬
liche Schöpferkraft bethätiget sich in jener Naturkraft, und was für
die Individuen eine mittelbare Schöpfung ist, das ist für die Gattung,
zu der sie gehören, die Erhaltung. Jenes Vermögen ist von der
Vorsehung den organischen Creatoren eingeptlanzt, und wurde als
etwas Göttliches in Aphrodite vergöttert, welche den himmlischen
Samen in sich beschlossen hat * *)• H’re Idee ist somit sehr ernst;
nicht die Zeugungslust, sondern der Zweck, nämlich das Fortzeugen
des im Anfang Erzeugten, ist die Hauptsache. Diess erhellet theils
aus ihrer Entstehung von dem himmlischen Samen, theils aus ihren
Wirkungen, wornach Alles im Himmel, auf Erden und im Meer
durch sie entsteht ^). Sie ist also eine heidnische Vergötterung des
Wortes, das Gott bei der Schöpfung sprach: Gras und Kraut und
die Bäume sollen ihren eigenen Samen bei sich selbst haben auf
Erden, und die Menschen sollen fruchtbar seyn, sich mehren und
die Erde füllen. Als eine Entartung des Aphroditendienstes ist es
anzusehen, wenn sie die mit der Befriedigung des Geschlechtslriebes
verbundene Lust vorstellen sollte. Man unterschied dann diese un¬
ter dem Namen der gemeinen {7idvdi]fjt.oq) von der himmlischen
(ovQaviOL) 3).
Aphrodite als der Lebensanfang der Individuen ist die Vorstehe¬
rin der Geburten und heisst als solche TivsrvXXiq ^). Sie hat daher
ein Westwind habe Aphrodite im weichen Schaume über das Meer nach
Cypern geführt.
*) Ihre Geburt aus dem Meere erklärt der Scholiast des Hesiod
folgendermassen : ^ÄTtb rijg daXdaarjq rj 'ÄcpQodiT^ did rö vygöv t] yuQ
ijti&vfica iyQoxrjroq yivitar ödsv v,al rovq axjEXyeTq vyQovq
xaXovfxsv.
2) So drückt sich nach Orpheus Euripides in coronifero Hippolyto
447 ff. aus.
Platon Sympos. 8,3 p. 385 Bekker.
Aristoph. Nub. 53 das. Schob
93
das Amt, welches sonst die Lebensparce Klotho verwaltete, und man
sah in der That in den Gärten zu Athen eine alte Aphrodite mit
der Inschrift : die älteste der Moiren *). Auch hatte die syrische Asch-
toret wie eine Parce die Spindel neben dem Gürtel 2). Es ist be¬
greiflich, dass man sie mit dem Monde, welchem man die erste
Stufe der Menschen ernährenden Kraft zuschrieb ^), in Verbindung
dachte. Nach Lucian (de Dea Syra) war Astarte der Mond selbst,
und nach Philochorus war Aphrodite der Mond , oder vielmehr
war in ihren allgemeinen BegriCf der des Mondes mit aufgenommen.
Da durch die Kraft der Aphrodite die jugendliche Schönheit der Well
erhallen wird und fortdauert, so ist sie das Ideal der Schönheit, die
lieblich blickende (iXixoßXeqiaQog) und lächelnde (uilo/ustdi^q). Die
Huldgöllinnen (^XdQirsq') , worin der alte Pelasger'’) eine Alle¬
gorie der Anmuth und Freude aufstellte, pflegten, um sie geschäftig,
sie zu baden und mit Oel zu salben ^). Vorzüglich zur Fortpflan¬
zung geeignete Vögel, die Tauben und Sperlinge, waren ihr geweiht.
Nach Hesychius wurde ein geiler Mensch auch Sperling genannt.
Auf einem mit Sperlingen bespannten Wagen fährt Aphrodite von
des Vaters Zeus Hause zur singenden Sappho herab, wie diese in
ihrem Liede auf Aphrodite dichtete.
Die Heimath dieser Gottheit ist Syrien. Den Tempel der
Aphrodite Urania in Askalon hielt Herodot (I, 105) für den aller¬
ältesten. Man nannte sie daselbst Aschtoret (^Aord^rrj) 7), Baalat 8),
auch Himmelskönigin ns3=,)3) 9) , von den Hebräern rrjcN ge¬
nannt. Sie wurde durch eine grosse hölzerne Säule abgebildet, be¬
deutet das Glück (‘iiön) ’O), und ist daher wahrscheinlich einerlei mit
‘) Pausan. I, 19, 2.
2) Lucian de Dea Syra p. 117 Bip.
3) Pioclus ad Plat. Alcib. I p. 196 Creuz.
Philochor. in Atthide fragm. ed. Siebelis p. 19 f.
ä) Herod. II, 50.
Uom. Od. YIII, 364. h- in Vener. 61.
0 Cic. N. D. III, 23.
BaaXrlg bei Euseb. Praep. Ev. I, 10 p. 38 D.
Seiden, de Düs Syris Synt. II, c. 2.
'®) Gesenius ini bebr. Wörterbuch S. 99 f.
94
Gad und Meni. Sie wurde gewölinlich am Altar des Baal aufgestelll,
und wie ihr Name schon ausweisl, als Gattin des Baal- Moloch - Adon
aufgefasst. Wenn dieser bei den Griechen Kronos heisst, so war
sie in der Heimath nicht von Rhea verschieden, und wurde erst aus¬
wärts, wo man dem Kronos die Rhea beigeselKe, als ein eigenes
Götterwesen vorgestellt. Wir sehen hier an einem Beispiel, wie
theils durch die Vermischung, theils durch die Sonderung der Got¬
tesdienste verschiedener Länder die Vielgötterei sich vermehrte.
Selbst der griechische Name der Göttin scheint nur eine Umbeugung
des phönicischen zu seyn. Auf der Insel Cypern hatte Aphrodite
einen uralten Tempel, woher ihr Beiname Kv.r^ig , Kv^TQoysvtjq
allein die Cyprier selbst leiteten ihn von Askalon ab, und eben da¬
her hatten die Phönicier dieser Gegend jenen Gottesdienst auf die
Insel Kythera im lakonischen Meerbusen gebracht 2). Hier scheint
sie das erste Heiligthum in Griechenland erhalten zu haben; woher
ihr Name Kv^E^sia. Denn Hesiod (Th. 192) sagt, die Schaum-
geborne sey am ersten in Kythera gelandet; wenn er hinzusetzt, von
da sey sie nach Cypern gekommen , so wird mehr der Zusammen¬
hang uralter Religionssitze als die wirkliche Abstammung ange¬
deutet. Ihre Verehrung wurde auch in der folgenden dritten Periode
beibehalten, und sie dem neuen Göttersystem als eine Tochter des
Zeus und der Dione einverleibt.
§. 21.
Das Vermögen der Fortpflanzung ist durch die Geschlechts¬
verschiedenheit bedingt. Bei Hesiod ist zwar Aphrodite das
beiden Geschlechtern gemeinsame Vermögen. Alter Volksglaube aber
vergötterte das jedem Geschlecht besondere in einer Zweiheit, in
einer die Geschlechter fort und fort zeugenden Urehe. Wie die sy¬
rische Astarle, das Vorbild der griechischen Aphrodite, in Adonis
ihren Mann hatte; so lässt sich schon darum erwarten, dass auch
in Griechenland ein ähnliches Wesen mit ihr verbunden gedacht
wurde. Man suchte ihr einen passenden einheimischen Gatten, da
1) Theog. 199. Hom. h. IX.
2) Her. I, 105.
95
der oberste Gott Kronos bereits seine Gattin batte. Diess war Her¬
mes, mit welchem nach der wichtigen Stelle Ciceros (N. D. III, 23)
die vom Schaum erzeugte Aphrodite in einer altern Ehe stand als
mit Hephästos ^). Hermes war ohne Zweifel die Vergötterung des
männlichen Zeugungsgliedes, der pelasgische Phallusgott, welchen
man zur Unterscheidung von dem spätem Gölterboten Hermes den
ithyphallicus nannte. Die samolhracischen Pelasger hatten die Kennt-
niss dieses Gottes mit immer thätigem Zeugungsgliede nach Athen
gebracht, von wo sie sich über Griechenland verbreitete 2), In Athen
waren seine Bildnisse, die Hermen, in alter vordädalischer Gestalt
als viereckige Steine ohne Arme 3) mit Bezeichnung eines Gewandes
(^av^jua) , Bartes, Bauches und des Männlichen mit besonderem Aus¬
druck; sie standen häufig in den Vorhöfen der Häuser und in Tem¬
peln ^), dass man allenthalben des Besamers gedächte ^). Das Her¬
mesbild in Kyllene war nichts als ein Phallos, d. i. ein aufgerichte¬
tes männliches Glied auf einer Unterlage ^). Der Geschichtschrei¬
ber Timäus bezeugt von Landeseingebornen in Erfahrung gebracht
zu haben, dass die von Aeneas nach Lavinium gebrachten Heiligthü-
mer eiserne und eherne Hermesstäbe und trojanisches Irdengeschirr
gewesen seyen. Ohne Zweifel sollte hier der Stab , den man ihm
später in die Hand gab, den geschlossenen Leib des Gottes selbst
vorslellen, der nach alter Sinnbildnerei anstatt des Hauptes das sein
Amt bezeichnende Thier halte ; denn ein Hermesslab ist ein in
Schlangen ausgehender Stab. Schlange aber bedeutet das in der
Zeit sich ausdehnende Leben; woher noch die arabische Sprache
*) Vgl. Stäudlin und Tzschinier Bd. V. St. 1. 1821 S. 54.
2) Herod. II, 51. Vgl. Pausan. VI, 26 p. 518. Lucian Jov. tragoed.
T. VI p. 275 Bip. (wo der Gott Phales heisst) Plutarch. de republ.
gereiid. p. 797 F. Plotin. p. 321.
3> Strabo XV. Dio LIV.
^‘) Thucyd. VI, 27 und Ausleger.
Porphyrius bei Euseb. Praep. Ev. III p. 114 Colon, erklärt ihn
für den OTie^/xarfnöp Xöyov töv 6ii^y,ovTa öid Ttdvrcov.
Pausan. Eliac. II. Artemidor. I, 47. Philostr. vit. Apollon. VI, 10.
7) Bei Dionys. Hai. A. R. I. n. 67 T. I p. 170 Reiske : v.r]Qvy.ia
aidrjQa y.a\ xaXy.u.^ v.al v,eQa/.iop tgcai-KOP s'ipai.
96
Schlange und Leben mit einem und demselben Worte bezeichnet.
So hat der orphische Phanes, der Erstgeborne der Schöpfung, eine
Schlange auf dem Haupte, und sie ist das beständige Attribut aller
Urheber des Lebens. Der Grund dieser Hieroglyphik liegt in dem
langen sich fortschleichenden Schlangenleib. Die Zeit als das lange
Nacheinander bricht aus dem ewigen Rund hervor, die Schlange aus
dem Ei, sie windet und spinnt sich endlos fort, so wie sich der
Same der Schlangenmänner und Patriarchen in den Enkeln durch
die Jahrhunderte schlingt. Es waren aber Stäbe von unterschiede¬
nem Metall nach Timäus; wahrscheinlich stellte der eine die männ¬
liche , der andere die weibliche Potenz vor i). Das Irdengeschirr,
das zu den Penaten gehörte, wird wohl nicht neben den Stäben, son¬
dern unter sie gestellt worden seyn, so daSs es Kruggötter waren,
zwei im feuchten Becken der Natur in Liebe die Welt webenden
' Kräfte.
Man rückte auch durch die Genealogie Hermes und Aphro¬
dite nahe zusammen, indem man beide zu Kindern des Himmels
und der Dia (Erde) machte 2) , und diese Venus ist die erste des
Cicero, deren Heiliglhum noch zu seiner Zeit in Elis sich befand.
Wir hallen sie nicht von der Urania für verschieden 3), wiewohl sie
Cicero der Abstammung wegen unterscheidet, sondern wir sehen
darin nur einen pelasgischen Versuch , sie ihrem Gatten Hermes ge¬
hörig gegenüber zu stellen und ähnlich zu machen. Gerade so ha¬
ben die Perser die Urania in ihr System eiugeführt und sie Mitra
genannt, um sie in Verhältniss zu Milhras zu setzen. Die Assyrer
*) Die Denkzeichen des Baal waren von Stein und die der Asche-
rah (Astarte) von Holz, Gesenius hebr. Wörterb. S. 100.
2) Cic, N. D. III, 23: Venus prima Caelo et Die nata. Mag nun
Cicero selbst oder seine Abschreiber oder Ainpelius c. 9 und Jo. Lydus de
mens. p. 214 Roether, die Schreibart Die statt Dia verschuldet haben,
so waren doch gewiss die Eltern der Venus so gut wie die des Hermes
Cic. N. D. Hl, 22 Coelum und Dia, in welcher letztem Stelle mehrere
Handschriften gleichfalls Die haben.
3_) Jo. Lydus a. a. 0. führt die Meinung derer an , welche die
erste Aphrodite, die Tochter des Uranos und. der Hemera (so sagt er
statt Dia), Urania nennen.
97
nannten sie Mylilta, die Araber Alilal ij. Durch Namen und Bei¬
namen suchte man ferner die Verwandtscliaft des pelasgischen
Hermes und der cyprischen Aphrodite auszudrücken. Wir dürfen
aber, wie schon früher von mir geschelien ist, die hebräische Sprache
zu Hülfe uehmen: denn »die kananäische Spraclie hält zwischen der
ägyplisclien und hebräischen die Mitte und ist mit der Imbräischen
grossentlieils verwandt«, nach der Bemerkung des Hieronymus (in
Jesaj. c. 19). Der Name Hermes nun und der Beiname der Aphro¬
dite ajidxovQoq tretTeu in ihrer Bedeutung vollkommen zu, wenn wir
jenen von n'/sn (täuschen, betrügen) ableiten, woraus mit dem Vor¬
schlag des E der Name 'Ep/uijq (dichterisch 'E^juciag') wird, wovon sein
gewöhnliches Beiwort döXiog die Uebersetzung wäre. So hatte die
trügerische (^djidTovQog) Aphrodite zu Phanagoria in Ivleinasien ein
Heiligthum. Man wollte mit diesem Namen andeuten, dass die Ge¬
burten dieser Zeugungsgötler ein eitles Daseyn und kein dauerndes
Leben haben, den Adouisgärten zu vergleichen. Man setzte auch zu
Phanagoria jenen Beinamen der Aphrodite in bestimmte Beziehung
zu dem Tode. Die ihr nachstcllenden Giganten, fabelte man, über¬
lieferten sie dem im Hinterhalte lauernden Herakles zum Todlschlag,
von welcher List (darccr»;) ihr das Beiwort zu Theil ward 2). Die
Theogonie hat diesen Begriff in den Erinnyen niedergelegt, welche
sich durch alle Zeugungen der Aphrodite hindurchziehen und das
Leben feindselig verzehren; wie wenn bei persischen Milhrasvorslel-
luugen ein Jüngling mit gesenkter Fackel steht. Damit hängt auch
zusammen, wenn Hesiod (Th. 224) die Begattung ('PMxT^g) und
die Täuschung neben einander unter den Geburten der
Nacht aufführt; wobei nicht allein oder gar nicht au die betrüge¬
rische Verführung der Buhlen zu denken ist, sondern vorzugsweise
an das Scheingebilde des auf dem Wege der Begattung Hervorge¬
brachten 3), Hesiod übrigens gibt die phöuicisch hellenische Religion
der Aphrodite unvermischt, und berichtet nichts von ihrer Verbin-
') Herod. I, 131. III, 8.
2) StrabO'p. 495 Almei. Stephan B. in ^AnaxovQ.
Vgl. Creuzer Br. über Hom. u. Hes. S. 169, welcher an die
indische Maja erinnert.
7
08
düng mit Hermes; was ich für eine Vermengung der phönicisch hei-
lenischen mit der lydisclt pelasgischen Religion halte.
Hermes und Aphrodite dachte man sich zufolge dieses abgelei¬
teten Systems in ununterbrochener Liebesvereinigung; denn die
Schöpfung geht fort und fort, wo nur ein neues Wesen geboren wird.
Die allschaffende Natur mittelst der Geschlechtsverbindung zu ver¬
anschaulichen, trug man die beiden, Hermes und Aphrodite, auf
einen einzigen Leib zusammen, oben war es der bärtige Hermes und
unten Aphrodite. Gleichwie die Indier noch heutzutage solche
androgyne Bildwerke, Pulleiar genannt, haben; so sah man in Cy-
pern der Göttin Bild als das eines bärtigen Mannes mit dem
Scepter in der Hand, aber in weiblicher Kleidung; und gleichfalls
die Pamphylier verehrten eine bärtige Aphrodite. Aristophanes redet
daher von einem Aphroditos. Um diese Geschlecbtsvermischung
anschaulich zu machen, opferten ihr die Männer in Frauentracht und
die Weiber in Mannskleidern '). Von dieser Bildung des Herm¬
aphrodit, der eigentlich Hermes und Aphrodite in Vereinigung
vorstellte, fabelte ein späteres Zeitalter, er sey ihr gemeinschaftlicher
Sohn 2). Wenn bei Homer (Od. XX, 73) Aphrodite es ist, die sich
die Verehelichung der Töchter des Pandareus angelegen seyn lässt,
so galt später Hermaphrodit für einen Vorsteher des ehelichen Ver¬
hältnisses, und in seiner Kapelle hingen die Wittwen zu Athen den
Todtenkranz ihrer Männer auf 3). Wie die Kunstwerke zeigen, so
sagte es den Künstlern mehr zu, den obern Theil des Hermaphrodit
weiblich zu bilden, um beide Geschlechter in sanften Uebergängen
in einander fliessen zu lassen ^).
') Hermes iv rfj tloo [.tozoiia bei Jo. Lyd. de mens. p. 212 ed.
Roether, und Pbilochorus in Atlhide bei Macrob. Sat. 111, 8. Vgl.
5 Mos. 22, 5.
2) Ovid Metaraorph. XVIII. Lactant. Divin. Instit. I, 17. Jo. Lyd.
de mens. p. 214.
3) Alciphron. III, 37 p. 119 Wagner.
Ein schöner Hermaphrodit im Museum Grimani in Venedig
stützt die Linke auf den Silen, welcher mit thierischer Wollust lachend
an ihm aufschaut, die Rechte ruht sorgenfrei über dem Haupte, Die
weibliche Bildung, die in dem jugendlichen Gesichte rein ist, verliert
99
Das Vermögen der Fortpflanzung, in Hermes und Aphrodite
versinnlicht, äusserl sich in dem Geschlechtstriebe. Dieser, als Eros
und Himeros (sehnsüchtige Liebe) vergöttert, ist daher ihr gemein¬
schaftlicher Sohn *). Wenn nach Cicero der älteste geflügelte Cupido
den Hermes und die erste Artemis zu Ellern hatte , so ist diess im
Gahzen dasselbe, nur mit örtlicher Verschiedenheit. Denn zu Ephe¬
sus verband man mit Artemis ähnliche ßegrifle, wie mit Aphrodite
in Cyperu, oder mit Persephone in Samotbracien. Die Genealogie
jener Diana zeugt daher auch von ihrer Verwandtschaft, indem sie
mit Persephone verknüpft erscheint, als ihre und des Zeus Tochter 2).
In Thracien hiess Artemis Bevötg^), und Baur (Syrab. H S. 131)
macht wahrscheinlich, dass der lateinische Name Venus aus jenem
Ihracischen Namen entstanden ist: folglich war es eine Artemis, die
auch als Aphrodite genommen werden konnte. Den eigentlichen ersten
Eros hat Cicero vergessen, d. i. den kosmogonischen, den Schö-
pfungstrieb, der mehr Bildungstrieb war, und von dem Sohn der
Aphrodite als dem erhallenden Geschlechtstriebe wirklich dem We¬
sen nach verschieden ist. Hesiod, welcher sich bestrebte, die drei
Religionsperioden im Einklang darzuslellen, hat jenen ersten Eros
an der rechten Stelle der Theogonie eingeführt, und konnte ihn da¬
rum nicht nochmals von Aphrodite abslammen lassen ; jedoch »be¬
gleitete sie der Eros, und die schöne Sehnsucht folgte ihr, sobald
sie geboren war und zu dem Geschlechle der Götter wandelte. Be¬
gattung und Lust (^rsQxpig) empfing sie zu ihrem Loose“ '*).
Aphrodite verhält sich zu Eros wie die Kraft zum Triebe: der Trieb
hat seinen Grund in der Kraft. Aphrodite ist daher reich, ihr ho¬
merisches ^) und hesiodisches Beiwort ist die goldene , TtoXvxQvoog,
XQvasf]. Eros dagegen ist nach Platon 2), welcher die Entstehung
des Triebes mythisch philosophisch zu erklären suchte, ein Sohn des
Mangels {7tevLd)\ da ein jeder Trieb von Bedürftigkeit zeugt und
sich allmälig und zum Tbeil schon auf der Brust, völlig aber von der
Hüfte an abwärts ins Männliche.
1) Cic. N. D. III, 23. Plat. Phaedr. p. 242 D. Eurip. Ilippol. 449
2) Cic. a. a. O. S. 616 Creuzer. 3^ Ilesych. s. v.
Theog. 201 fT. II. III, 64. Od. IV, 14.
6) Theog. 979. 0 piat. Symp. 23 , 5 p 385 Bekker.
100
ausgehl. »Penia (Arraulh) kommt am Geburlsfeste der Aphrodite
vor die Thüre des Göltersaales , wo die Unsterblichen mit festlichem
Gelage den Freudentag feierten; Poros (die Fülle) war vom Nektar
berauscht, und ging in Zeus Garten. Als er da lag, gesellte sich
die dürftige Penia zu ihm, und erzeugte in seiner Gemeinschaft den
Eros.« Denn aus Bedürftigkeit, die in der Fülle Befriedigung hofft,
entsteht Liebe, und woraus sie entsteht, dadurch dauert sie auch
fort, so dass sie ein Schweben zwischen Sehnen und Befriedigung,
zwischen Suchen und Finden ist , wie Platon selbst diesen Zustand
beschreibt, dass Eros bald die bedürftige Natur der Mutter bald die
reiche des Vaters an sich trage, bald arm bald reich und weder das
eine noch das andere ganz sey. Wenn Platon dem Poros die Me¬
tis zur Mutter gibt, so zeigt er damit an, von was für einer Fülle,
Armulh und Liebe 'er zunächst rede, nemlich von der Liebe zur
Weisheit, welche aus dem Gefühl der geistlichen Armuth entsteht,
und ihr Sehnen in der Fülle der Wahrheit stillet. Auch das Philo-
sophiren ist ihm ein beständiges Schweben zwischen sehnsüchtigem
Forschen und befriedigtem Erkennen. Dieser Eros, sagt er, »liegt
zwischen Weisheit und Erkennen in der Milte“, er ist ihm die Phi¬
losophie selbst, »kein Gott und kein vollkommener Weiser philoso-
phirt, so wenig als ein Unweiser, sondern wer in der Mille zwischen
beidem steht.« Ungetheill aber versieht Platon den Eros als das
sinnliche Liebesverlangen und als den Durst nach Wahrheit. Wie
Menschenkinder die Frucht von jenem sind , so hat dieser herrliche
und reiche Gedanken zur Folge (c. 28).
Die Attribute, welche die Einbildungskraft der Dichter und
Künstler dem Eros lieh, sind die seiner Macht, Bogen und Köcher,
und der schnellen Erregsarakeit , Fillige, womit die Fabel zusam-
raenhängt, ihn für einen Sohn der Winde auszugeben ') , anstatt zu
sagen: schnell wie der Wind weht dich die Geschlechtsliebe an.
Wiewohl der Trieb, worin sich das Fortpflanzungsvermögen bethä-
tigel, in Eros besonders personificirl erscheint, so ist er darum doch
nicht von dem Begriffe der Aphrodite abgesondert gedacht, sondern
er ist ihr beständiger Begleiter und Diener, gleichsam ein Theil
ihres Wesens. Er schickt der Aphrodite Pfeil, er führt die Schlüssel
*) Aiilagoras bei Diog. L. IV, 26.
101
zu ihren lieben Gemächern , nach Euripides (Hippol. 532. 539). In
ällern Dichlern finden wir die Müller noch mehr das Amt des Eros
selbst führen, sie ist Zeugungskraft, Trieb und Lust, und erreget
Liebesverlangen in den Göttern, herrschet über die sterblichen Men¬
schen, über die Vögel des Himmels und alle Thiere des Feldes und
Meeres; nur Athene, .Artemis und Hestia bleiben von ihrem gebie¬
terischen Einflüsse frei *). »Kypris vermag nächst Zeus und Here
am meisten«, sagt Aeschylus (Suppl. 1036 IT.); die Mutier, heisst es
da , umgeben die Ueberredung (Ilhi&cS) und die Eintracht (^jQ/uovia).
Eben so Sophokles (in Trachin.): »Eine grosse Macht hat Kypris,
sie trägt allezeit Siege davon.«
Der altvaterische Gatte der Aphrodite, der Hermes der Pelas-
ger, musste später an den ägyptischen Phtha (Hephästos), wel¬
cher sein ägyptisches Verhällniss mit der jungfräulichen Athene auf¬
gab, seine ehelichen Rechte abirelen. Sein Name und seine Vereh¬
rung blieben zwar, aber um sich mit diesen spätem Gottheiten in
nachbarliches Einvernehmen zu setzen , wurde er ein täuschender
Gott ganz anderer Art, ethisch gewendet. Der täuschende Trug sei¬
ner Zeugungen und die täuschende Gewandtheit des Gölter-
bolen ist das Band, womit der alle und der neue Hermes verknüpft
sind. Sein ständiger Hauplbegriff alter und neuerer Zeit wurde also
richtig in der Namengebung ausgedrückt. Er wurde durch seine
Kindschaft von Zeus dem neuen System einverleibl. Doch beur¬
kunden einzelne Winke, die noch in sein ehemaliges Zeugungsamt
hinüberspielen, seine vorige Bedeutung, und zeigen an, dass ein
neues Pfropfreis anf einen allen Stamm geimpft worden sey. Die
Mutter, die ihn dem Zeus gebar, war die Bergnymphe Maia^) (von
/iidü>, sehnen, wie yaia von ydcj), d. i. die Hebamme, die alle Kin¬
der ans Licht bringt. Sie war eine Tochter des Atlas und eine En¬
kelin Japhels; iii einer Grotte begattete sich Zeus mit ihr und da¬
selbst wurde er ans Licht geboren 3). Als Kind sogleich spielte er
die Leyer, fertigte eine solche aus der Schildkröte, sang dazu und
zwar von der Erde und den Göttern, wie sie entstanden und ein
') Hom. h. in Vener. Anfang.
2) Theog. 938. Hom, h. II, in Mercur. 3.
3) Hom. 1. c. 6. 23. 244.
102
jeder sein Amt empfing’). Da Hermes so in das Amt Apollons,
des Gottes der Weltharmonie, eingriff, so hat darin ohne Zweifel
die Fabel ihren Grund, dass jener schon als kleiner Knabe fünfzig
Kühe Apollons bei Nacht von Pieria forttrieb und zwei davon schlach¬
tete 2). Selbst der laute Wind, den das Hermeskind, von Apollon
darüber zur Rede gestellt, fahren liess-3), zeugt von seinem leicht¬
fertigen Charakter. Im Lobgesang auf den Hermes stellt der Home-
ride einen förmlichen Vertrag und Ausgleichung zwischen Apollon
und Hermes dar: dieser übergab jenem die Leyer, und behielt für
sich die Aufsicht über die Herden und ihre Vermehrung. Apollon
gab ihm dazu die Geisel, und stall der Leyer nahm nun Hermes die
Hirtenpfeife. Apollon selbst verwunderte sich über das Spiel und
den Gesang des Hermes^). Letzterer war auch Wahrsager, gleich¬
wie Apollon, wovon unten.
Als Ueberbleibsel seiner kosmischen Hoheit verblieben ihm der
S c h 1 a ngens ta b und der Widder; aber jener wurde nun zum
Heroldslabe, und dieser war noch ein leiser Nachklang von seiner
Schöpfungskraft, womit sich die Natur erneuert, wann die Sonne
im Zeichen des Widders steht. Daher wurde er als Widderträger
(xr)tocpd^oi;) verehrt. Wiewohl Homer und Hesiod sich zu dem
Hermes neuen Styls bekennen, so blickt doch noch in einer Stelle
der Odyssee (VHI, 339 ff.) der alte hindurch, wo derselbe grosse
Lust bezeugt, bei Aphrodite zu schlafen, wenn ihn auch dreimal so
viel Kelten im Angesichte aller Götter und Göttinnen umschliessen
sollten, als den Ares.
S- 22.
Die Naturgölter aber sind zwischen dem Reiche des Lebens und
des Todes gelheilt. Wenn der Phönicier diesen zweiten Zustand
durch die Fabel vom Tode des Jägers Adonis durch den Zahn des
Ebers und von der Trauer der Aschloret bezeichnete, so gab der
alle Grieche seiner Aphrodite ausser Hermes (oder Hephästos) einen
’) Hom. a. a. 0. 17. 47. 54. 427.
2) llom. a. a. O. 70. 3^ Hom, ib. V. 297,
•) Hom. V. 434. 455. 491 IT. 512.
103
wiulerlichen Todesgatlen , unler dessen Herrsciiaft die Fruchlbarkeil
stocket und die Felder verheeret werden. Das war der thracische
Kriegsgotl Ares, der verheerende (^aidriloq Üd. *?', 309), welchem
Aphrodite Furcht und Schrecken (jI>6ßoq v,al JaTiJ.oq') gebar').
Wie der Krieg im Allgemeinen Verderben bringt, so ist er auch der
Pestgott 2); und wie seine Kinder, Furcht und Schrecken, im Krieg
die Schaaren der Wehrmänner und die Fluren des Landmanns durch¬
rasen, so verwüsten sie auch das Reich der Naturgöttin Aphrodite,
wann die Sonne den niedrigem Stand gegen die Erde einnimmt.
Das Hinabsinken der Sonne veranschaulichte man in Samothrace
durch den Himraelssturz des Phaethon, dessen Bildniss daselbst
aus diesem Grunde neben denen der Aphrodite und des Pothos von
Skopas gefertigt war ^). Den Ares setzten die Alten ausdrücklich
dem Adoniseber gleich, indem sie sagten, Ares habe sich in ein
wildes Schwein verwandelt und den .Adonis umgebracht'*); woraus
eben die Bedeutung der traurigen, Furcht und Schrecken gebärenden
Ehe des Ares mit Aphrodite zur Genüge erhellet. Die Fabel be¬
merkte auch treffend , Aphrodite habe einen Widerwillen vor Ares ^).
Wenn sich in der Iliade (XXI, 416) Aphrodite des im Krieg ver¬
wundeten Ares theilnehmend annimmt , und dieser bei Aeschylus
(Suppl. 668) ihr Gatte ist, so stellt die Odyssee (VIII, 268) blos in
Hephästos den eigentlichen und rechtmässigen Gatten der Aphrodite
und ihr Verhältniss zu Ares als eine Untreue und Buhlerei vor, wo¬
durch sie sich Spott und Schande vor allen Göttern zuzog. Nach
unsrer Ausdeutung ist diese Schande die Blosse der Natur zur Zeit,
da der rauhe Winter dem Kriegsschwerdt gleich Alles verheeret. .
Wenn der Dichter ihr hierin freien Willen lieh, so wusste der Wei¬
sere, dass sie nicht mit Willen dem Dienst des vergänglichen We¬
sens unterworfen war. Die Sonne entdecket dem Hephästos der
Natur jammervolles Schicksal, dass die schöne Göttin in des wüsten
0 Theog. 932. f. 2) Sophocl. Oed. Tyr. 185.
3) Plin. H. N. XXXVI, 4 p. 727,
'*) Jo. Lydus de mens. IV, 44 p. 212 Roelher.
3) Jo. Lyd. IV, 27 p. 181 u. 210. Unrichtig sieht meines Erach¬
tens Baur Symbol. II S. 124 in Ares das Princip der männlichen Be¬
fruchtung.
104
Ares Armen liege*); gleichwie eben dieselbe Sonne der trauernden
Demeter den Raub ihrer Tochter durch Hades verkündete. Hephä-
stos macht den Nebenbuhler sammt seiner Gattin zum Gespötte, zeigt
sie von Eisendraht umschlungen der Gölterversammlung , und trennte
durch seine schöpferisch siegende Macht die unwürdigen Rande. Die
steifen Füsse des Hephästos :i6daq) scheinen das Stocken
des Lebensfeuers der Natur in jener unglücklichen Zeit anzudeuten.
Here schämte sich dieses ihres Sohnes, und warf ihn, um ihn zu
verbergen, ins Meer, wo er bei der Nereide Thetis und der Okea-
nine Euryuome weilte 2); d. h. die Wassergötter herrschen in jener
Zeit und hatten das Lebensfeuer inne , bis es wieder hervorbricht.
Zugleich scheinen hier ägyptische Lehren eingeflossen zu seyn, wo
in der bösen Jahreszeit das Meer den Nil in Beschlag nahm, und
somit wohl auch die Lebenskraft, den Phtha , für dessen Vater man
in Aegypten den Nil hielt 3). Nach einer andern Fabel warf ihn
Zeus selbst, weil er der Here beistehen wollte, vom Himmel auf
seine heilige Insel Lemnos herab daher sein homerisches und
hesiodisches Beiwort der Hinkende 5) oder der Krumm¬
beinige (xvllonodibiv) 6). Obgleich in dieser Ideenreihe Hephästos an
die Stelle des pelasgischen Hermes getreten ist, so finden wir gleich¬
wohl bei dem Homeriden (h. I in Apoll. 200) Andeutungen aus älte¬
rer Zeit von dem Gegensatz zwischen Hermes und Ares, der sich
in höhere Einheit auflöst. Da scherzen Ares und Hermes im Olymp,
während Aphrodite, Hebe, Harmonia, die Horen und Chariten tan¬
zen, die Musen singen und Apollon die Cilher spielt. Diese Tänze¬
rin Harmonia galt für die Tochter des Ares und der Aphrodite 2);
als Gattin des Kadmus benannte sie die Thore von Theben nach
ihrer Mutter 8), und sie soll daselbst alle Schnitzbilder
') Od. VIII, 271.
2) Ilias XVIII, 395. H. in Apoll. 316.
Cic. N. D. III, 22 und das. Davies.
*) II. I, 591. Plat. Polit. II. p. 378 D.
5) II. I, 607. Theog. 944. 6) II. XVIIl, 371. XXI, 331.
^) Theog. 936.
Hellanikus und Idomeneus beide iin ersten Buche ihrer Tpwi'xa
bei Schob Apollon. I, v. 916. Vgl. Schob e cod. Paris, p. 72.
105
der Aplirodile geweiht haben '). Daher ist Kypris bei Aeschylus
(7 vor Theben V, 128) die Ahnmutier, von deren Blut die Thebaner
abslamraen. Wenn sich so Harmonia um die Verehrung jenes Göt¬
terpaares in Boölien verdient gemacht zu haben scheint, so war
wohl ihre Heimath Samothrace 2) die Vermittlerin des nordischen
Gottes mit der südlichen Aphrodite. Nach Thracien lässt ihn Homer
(Od. VHI, 361) heimgehen, nachdem ihn Hephästos wieder losgelas¬
sen hatte, sowie Aphrodite nach Cypern. Die Scylhen verehrten
ihn von Alters her unter dem Sinnbild eines Schwerdles 3), Nach
Herodol (V, 7) wurde zwar bei den Thraciern keine Aphrodite ver¬
ehrt, sondern nur drei Göller: Ares, Dionysos und Artemis, und
von den Königen noch besonders Hermes, von dem sie abslammen
sollen. Allein Artemis ist hier nicht die homerische Jägerin, son¬
dern als Erdmuller gedacht und zwar in ihrem sommerlichen und
winterlichen Verhällniss bald zu Dionysos und bald zu Ares. Die
Ideen sind dieselben, nur die Namen wechseln. Wie Artemis in
allen Inschriften^) Mutter genannt wird, so wird auch ihr Name von
dem persischen arlim (gross, Herod. VI, 98) und dem hebräischen
CN (Mutter) abgeleitet ^). Diese Bedeutung als Mutter aller leben¬
den Wesen halle sie namentlich zu Ephesus. Ihr Standbild ®) trägt
ein Halsband von Früchten und Eicheln: sie ist die Mutter des näh¬
renden Pflanzenreichs. Gegen der Brust zu ist ein Krebs, über
welchem zwei Siegesgöttinnen einen Kranz hallen: d. i. wenn auch
die Sonne im Krebs rückwärts gehl, so ist doch das Leben der Na¬
tur unvergänglich , und trägt den Sieg über den Tod davon. Daher
sind auf beiden Schultern je zwei Löwen als das unüberwindliche
Thier. Mehrere Reihen von Brüsten bedeuten. die Allernährende, sie
heisst und ist noXv/uaazog , polyniammia. Am Leibe sind vier llei-
hen Thiere, zwischen je zweien steht wieder der Krebs , als der das
Jahr theilet; in der ersten Reihe sind Hirschköpfe, in der zweiten
') Pausan. ßoeot. c. 16.
2) Sie war die Schwester des Dardanus und Eetion, die Tochter
der Atlantide Eleclra von Samothrace.
2) Herod. IV, 62, ^) Spanhem. ad Caliim. in Dian. 6,
5) Heyd etymolog. Versuche S. 51. Baur Symb. II S. 62 f.
Im siebenten Bande des Thesaurus Gronovü-
106
Slierköpfe: sie ist die Mutier der wilden und zahmen Thiere. Zu
beiden Seilen sind Sphinxe, Greife und Drachen, und einwärts je
drei Bienen, die auch der Demeter heilig sind. Eine Münze ‘) stellt
auf der einen Seite eine Biene und auf der andern zwei Ameisen
vor, als Sinnbild der zweckmässigen und nützlichen Thätigkeit der
Natur und des daraus entstehenden Ueberflusses. Die ephesischeu
Münzen mit der Biene weisen auf Artemis hin, eine hat auf einer
Seile dieses Insecl, auf der andern die Leier: d. i. Artemis und
Apollon 2). Auf dem Haupte hat die Göttin von Ephesus als Stadl¬
beschützerin die Mauerkrone, au den Haaren einen Blumenkranz.
Ein Schleier um das Haupt, woran vier Hirschköpfe (vielleicht mit
Beziehung auf die vier Wandlungen des Mondes) abgebildel sind,
bezeichnet sie als Nacht- und Waldgoltheil. Denn Nacht, Wald,
Gewild und Mond sind von ihrem Begriffe ungelrennl.
Das Naturgesetz der besamenden Beproducliviläl schrieben dem¬
nach die allen Griechen der Gottheit zu, und erkannten so die Ab¬
hängigkeit des fortdauernden Lebens in der Welt von einer Vorse¬
hung, von einer göttlichen Obergewalt in Artemis oder Aphrodite
und Hermes an. Sie vergassen auch nicht, dieses Erkennlniss auf
die göttliche Einheit zurückzuführen, indem sie in Kronos den
herrschenden König anbelelen, in dessen Dienste Alles geht, und
welcher durch die Handhabung seiner Sichel der erste Urheber der
goldenen Aphrodite geworden ist. ln diesem Sinne war es gedacht,
wenn Epimenides von Kreta den Kronos und die Euonyme gera¬
dezu jene Göttin erzeugen lässt, oder wenn der Orphiker den Kro¬
nos zum Vater des Eros macht ^).
U Gronov. Thesaur. VII col. 410.
2) Gronov. a. a. 0. col. 407 lab. 1 n. 1. Die Bezeichnung des
Ueberflusses in den hebr. Urkunden: Milch und Honig fliesst, wird auf
dyrrhacbischen Münzen (Numismata apibus insignita T. III n. 5. T. IV.
n. 2) durch eine Kuh mit einem saugenden Kalbe und darunter durch
eine oder zwei Bienen ausgedrückt.
3) Ihr Name bedeutet Glück , und eben so der Name ihrer Toch¬
ter (Ascherah), wie wir oben angedeulel haben.
Bei Euripides Ilippol. 534 ist Eros des Zeus Sohn; wobei
Zeus ohne weiters in das Amt seines Vaters eintrelend gedacht wird.
107
S- 23.
Auf der Insel Samolhrace (rat dieselbe Ideenreihe in ähn¬
lichen Götlerwesen hervor nach der Hauplstelle des Scholiasten zum
Apollonius (Argon. V. 917). „In Samolhrace, heissl es hier, em¬
pfängt man die Weihen der Kabiren. Mnaseas sagt, es seyen deren
drei der Zahl nach: Axieros, Axiokersa, Axiokersos. Axie-
ros sey die Demeter, Axiokersa die Persephone, Axiokersos
aber der Hades. Einige fügen auch einen vierten hinzu, Kasmi-
los genannt, welcher, wie Dionysodoros erzählt, Hermes ist.“
Wir werden hier wieder in die morgenländische Prieslersprache ein¬
geführt; nach einer bestimmten' Nachricht *) hallen die Samolhracer
eine besondere Sprache, von der in ihrem Gottesdienst Vieles bei-
behallen wurde. Die erste Hälfte der drei ersten Göllernamen, aus
dem Persischen achson (Würde, Vorzug) abgeleitet, in dem Königs¬
namen Achasveros, in dem persischen Worte Grossstalthaller Esther
3, 12 und in der Bezeichnung edler Maullhiere Esther 8, 10 vorge-
selzt, wie es scheint gleichen Ursprungs mit dem griechischen Worte
ä§iog , ist eine Ehrenbezeichnung und entspricht dem griechischen
nÖTviog. Axieros (die zweite Hälfte des Wortes von yi.x, %qa, Erde
abgeleitet) ist nöxvia Fr}, mit Verwandlung des harten Zischlautes
in das sanftere s , ohne dass man wegen der Endung berechtigt ist,
an der Weiblichkeit dieses Wesens zu zweifeln. Auf griechisch
lautet ihr Name richtig Demeter, Mutter Erde, »gleichsam Ftj-
sagt Cicero (N. D. H, 26), ohne den Beisatz von Mutter
Jr^cü genannt , von dä, so viel als yä oder ^). Sie ist mit Rhea
einerlei; denn auch Rhea wurde so gut als Demeter für die Mutter
der Persephone ausgegeben 3), Zeus, aber nach der Behauptung
der allen Theologen der erste Zeus, ein Sohn des Aelhers (d. i.
>) Diodor. L. V T. I p. 369 Wesseling.
2) Aeschylus Promelh. 570.
Athenagoras Legal, pr. Christ, p. 18 f. Sie soll mit vier Au‘
gen, einem Thiergesicht und Hörnern auf dem Kopfe gehören worden
seyn, und in der mystischen Sprache 'Adrfkä heissen, d. i. die Weberin
von (Leinwand).
’*) Bei Cicero N. D. III, 21.
108
der Uimniel), war Vater der Persephone; und als der ägyptisch
kretensische Zeus aufkam, so übernahm dieser ohne weitere Unter¬
scheidung in der Volksreligion die Vaterschaft der Persephone ').
Er konnte um so mehr mit Demeter die Persephone erzeugen , weil
seine eigentliche Gattin Here sowohl dem Namen nach eins mit
epa, 'Pea^), Axieros war, als auch ausdrücklich für Erde ausgedeu-
tet wurde 3). Den Namen Here hatte sie bei den alten Pelasgern ^),
hauptsächlich in Argolis und auf der Insel Samos, auf welcher sie
sogar geboren und erzogen worden seyn soll ^). Daselbst verehe¬
lichte sie sich mit Zeus, und alljährlich hielt man da ihre Hochzeit¬
feier, wobei der Here Bild in Gestalt einer Braut vorgestellt wurde®).
Anderwärts, vielleicht in Eleusis, hatte Demeter den mystischen
Namen Achtheia^), der nach dem samothracischen umgebildet zu
seyn scheint; denn wenn das S lispelnd ausgesprochen wurde, so
lautete das x wie und die Endung wurde dem griechischen Ohr
zu lieb ’9$ta, Göttliche.
Axiokersa, wie Persephone in Samothracien genannt wurde,
hat die Bedeutung des gebauten Ackerlandes, wenn wir die zweite
Hälfte des Wortes von «nn d. h. pflügen ableiten, eine Bedeutung,
die das Wort im Arabischen allezeit hat; mit welcher Wurzel die
Benennung unsers Ackerwerkzeugs Karst zusammenhängt. Der
andere Name Persephone hat im Hebräischen ■’is;) eine
ähnliche Bedeutung, nemlich die zugedeckte Frucht, d. i. das ein-
gesäete Getreide, und die Alten ®) haben sie selbst für die Getreide-
1) Hes. Theog. 91 1 f.
2) Clavier sur les premiers temps de la Gröce T. I p. 32.
Empedocles (fragm. ed. Sturz, p. 210 f.) bei Diog. VIII, 76 und
bei Stob. Ecl. phys. T. I p. 288. Prob, ad Virgil. Ecl. VI, 31.
Herod. II, 50. S) Virgil. Aen. I. Paus. VII, 4, 4.
®) Varro bei Lactant. L. I u. August, de Civ. D. YI, 7.
Ilesycb. v. 'Ax^no: rj ij,voTiy.(aq. Bei Schol. Aristopb.
Acbarn. lautet dieser Name der Demeter Axaid.
Cic. N. D. II, 26 sagt von ihr: frugum semen esse volunt. So
auch Varro bei Augustin, de Civ. D. VII, 20 und Eudocia p. 110. Die
Lateiner leiteten daher ihren Namen ab: quod sata in lucem proser-
pant, cognomiiiatam esse Proserpinam: Arnob. adv. Gent. III, 33.
109
saal ausgelegt. Ihren samothracischen Nanoen fassten die Römer auf
und erhielten ihn in dem Namen ihrer Ceres *)• Zwar ist diese
der Persephone Mutter; aber wenn das fruchtbare Ackerland zur
Idee der fruchtbaren Natur überhaupt gesteigert wird, so gehen die
Begriffe und Namen der Persephone und Ceres leicht in einander
über 2). Umgekehrt wird der Name der Demeter ^dsiQa^), welchen
Scaliger mit dem italischen Terra vergleicht, auch ihrer Tochter
Persephone beigelegt ^) , da die Erde und ihre Erzeugnisse verwandte
BegritTe sind. Es ist merkwürdig, dass Schol. Theocrit. Id. Hl auch
den Adonis als das gesäete Getreide (aizov OTteigöfisvov) erklärt.
Diess ist nicht für eine Wort- sondern für eine Begriflserklärung zu
nehmen, wie durch die Adonisgärten jener Begriff versinnlicht wurde.
Aber auch ein Wort von derselben Bedeutung kommt hinzu nach
Hesychius v. "Aßcoßdq' 6 '"Adtovtq v:ib IleQoaicov, und Triglandius
(coniectanea de Dodone Gronov. Thes. VII c. 322) vergleicht das
Hebräische (Aehre). So erscheint Persephone in Thracien und
Griechenland als die weibliche Hälfte des Adonis, welcher mitunter
beide Geschlechter in sich vereinigte. Somit ist Persephone ursprüng¬
lich eins mit Aphrodite, welche man für die Gattin des Adonis hielt.
Axiokersos ist offenbar das männliche Princip der Axiokersa
gegenüber. Wie aber Aphrodite zwischen dem Herrn des Lebens
und des Todes (Hermes und Ares) getheilt ist, also auch Persephone,
deren beide Gatten Hermes und Hades waren. Durch der Per¬
sephone Anblick soll des Hermes Glied in Erection gekommen seyn^):
der Gott des Todtenreiches raubte sie aber mit Gewalt, und machte
die widerstrebende zu seiner Gattin ®). Nach dem Berichte Hero-
Daher schreibt Ovid Metam. L. V der Ceres das Pflügen zur
Prima Ceres unco glebam dimovit aralro. Schon Voss zu Firm. Lactant.
Divin. Inslit. L. I, 18 billigt die Meinung derer, welche Ceres von
«■nrt ableiten. So auch Schelling über die Golth. v. Samothr. S. 63, wo
er aber den fremdartigen Begriff der Zauberei mit einmischt.
2) Vgl. Spanheim ad Callimach. h. in Cerer. 113.
3) Phanodemus bei Eustath. II. VI p. 648.
'*) Creuzer Symb. IV. S. 321.
3) Cic. N. D. III, 22. Tzetz. ad Lycophr. 698.
•’) lies. Theog. 912 u. der hoiner. Hymn. auf Demeter, womit in
110
dots (11, 51) haben die Samolhracier von den Pelasgern die Orgien
der Kabiren gelernt, und den in diese Mysterien Eingeweihten wird
eine Legende geoffenbart, welche die Pelasger von dem Hermes mit
dem stehenden Gliede verbreiteten. Ohne Zweifel stimmte diese Le¬
gende mit der Nachricht des Cicero von dem Anblick der Persephone
überein. Axiokersos aber scheint mir ursprünglich der Persephone
Mann in beiden Zuständen zu seyn und dem Hermes und Hades un-
gptheill zu entsprechen; gleichwie in der phönicischen Religion Asch-
toret und Adonis im Sommer und Winter in einer unzertrennlichen
Ehe waren. Denn der ßericlil des Mnaseas von der Dreiheit der
Kabiren wird auch durch andere Nachrichten bestätigt. In der Renn¬
bahn zu Rom nemlich hatten die drei grossen und mächtigen Göt¬
ter drei Altäre, und man wusste, dass dies die samolhracischen
Götter seyen ^). Ebenso sah Pausauias (HI, 24) in Lakonien die
Bildsäulen der drei Kabiren. Diese Zahl ist unter der Voraussetzung
gerechtfertigt, so ferne Axiokersos als der obere ßegriflf sowohl Ha¬
des nach der Deutung des Mnaseas als auch Hermes ist, den Dio-
nysodorus als Kabir hinzufügt. Es wäre für den Hades allzuviel
Ehre, wenn er allein den Begriff des Axiokersos der Axiokersa ge¬
genüber erfüllte. Wenn Dionysodorus den Hermes als vierten auf-
lührt, so zeichnet er ihn auch durch den Eigennamen Kasmilos,
den wir füglich als ein Beiwort des Axiokersos, als eine Seite des¬
selben, und zwar als die sommerliche, die erschaffende, auffassen
dürfen. Kadmilos, wie sonst 2) sein Name lautet, von ?N-n-;)T (vor..
Gott), ist die Bezeichnung eines Engels, als der vor Gott steht, wie
Gabriel von sich aussagt 3). Denselben Namen führte ein Le¬
der Hauptsache Apollodor I, 5 übereinstimmt. Welcher in der Zeitschr.
für Gesch. u. Ausleg. der alten Kunst 1 , 1 findet in dem homerischen
Beiwort des Hades Y.\vT6nix)koq (II. V, 654. XI, 445. vgl. Pausan. IX, 23)
eine Anspielung auf den Raub der Persephone.
*) Tertullian. de spectaculis c. 8: tres autem arae trinis Düs pa¬
tent magnis, potentibus: eosdem Samothraces existimant.
2) Etymol. M. v. KdßeiQoi. Schob Lycophronis sagt: Kd.8ij.iloq,
6 'EQfjrjq ßoKOTixccq. Denn Methapus brachte die Kabirenweihe von
Athen nach Theben , somit auch den Namen Kadmilos.
^) Luc. 1 , 19,
111
vi(e bei Esra 2, 40 und Nehemia 7, 43. Zufolge der hierosolymila-
nischen Mundart des Cbaldäischen sprach man cp für cnj? aus^), und
so nannten die Etrusker den Mercurius Camillus 2). Der samothra-
cische Kadmilos ist demnach der Gatte der Persephone, in so fern
sie der Oberwelt angehört, als der vor Gott steht, und stimmt mit
der alttestamenilichen Idee eines Offenbarers der Gottheit, des En¬
gels von Jehova, überein, durch welchen der ewige Vater sich mit
der Sinnenwelt in Berührung setzt. Je mehr dieser Diener oder En¬
gel heidnisch gesteigert wurde, desto mehr wurde Kadmilos selbst
zum grossen Gott. Da aber Himmel und Erde für die Brunnquelle
aller Zeugungskraft und Fruchtbarkeit galten, so waren sowohl Per¬
sephone als der älteste Hermes Kinder des Himmels und der Dia
oder Deo d. i. der Erde 3), Die samolhracischen Weihen lehren, dass
Himmel und Erde, Mann und Weib, Seele und Leib, Feuchtes und
Kaltes die grossen Götter seyen '*). Also die schatTenden zwei Na-
furprinzipien, das männliche und weibliche, die Himmels - und Erd-
krafl, das befruchtende Feuchte und das in sich ziehende Kalle,
sind der Grund aller Erschaffung und alles Daseyns; ohne dass da¬
rum nur eine Zweiheit von Kabiren gewesen wäre. Denn hier spricht
nicht die Fabel|, sondern der Fabeln Ausleger. Vergleicht man den
Bericht Herodots von dem Phallusgott Hermes in Samothrace mit
dem des Varro^), Casmillus sey in den dasigen Mysterien ein den
grossen Göttern dienender Gott gewesen, so möchte man glauben,
er sey in verschiedenen Zeilen ein anderer gewesen. Allein Kad¬
milos vereinigt nach jener Wortableilung ungezwungen beide Aem-
ter des Offenbarers in sich, als der dem höchsten Gott (Himmels
und der Erde) dienende Erzeuger, der den Trug der Sinnenwelt
ßnxtorf. Lexic. p. 1971.
2) Callimach. bei. Macrob. Sal. III, 8.
3) Cicero N. D. III, 22 mit Moser’s und Creuzer’s Anm. S. fi03 f.
Varro de iingua lat. IV p. 17.
Varro de Iingua lat. VI p. 88 Bip. Casmillus nominatur in Samo-
thraces mysleriis Dius quidam administer Düs magneis. So praeminister
bei Macrob. Sat. I, 8. Le Moyne epist. ad Cuperum p. 206 vergleicht
das arabische Cadmala (Diener Gottes) von cadam (dienen), das mit
denselben Wurzeln zusammenhängt.
112
schafft, und als der trügerisch gewandte Bote, der vor dem Herrn
steht, alle seine Winke zu vollbringen. Aus dieser Ideenverbindung
wird es erklärlich, wie Hermes in den blossen Götterbolen über¬
gehen konnte , nachdem er alle demiurgische Bedeutung verloren
und an andere Göllerwesen abgetreten hatte.
Wie Hermes und Aphrodite als Ein Wesen gedacht wurde, so
enthält die gleiche Benennung Axiokersos uud Axiokersa eine An¬
spielung darauf. In Italien scheint die magna Pales ‘) jene Verbin¬
dung des Männlichen und Weiblichen dargeslelll zu haben; und eben
dahin gehört der cerus manus in einem saliarischen Gedichte 2).
Als die segenschwangere Frau des Hermes halle Persephone den
auszeichnenden Beinamen ^Oßgi/ucö oder Bqc/lkö^), in welcher Bedeu¬
tung man sie zuweilen mit Hekate für einerlei hielt ^). Hekate
war ja die Fortuna der alten Griechen, und in Samothrace war ihr
nach der Stiftung der Korybanten die zerynthische Grotte heilig ^),
wo man ihr Hunde opferte ®). Die personificirenden Dichter liehen
der Persephone Jugend und Schönheit, weisse Arme^), dünne
Knöchel ®), ein Rosengesicht ^). Des Hermes goldener dreiblätleriger
Stab wird als Stab des Segens und Reichthums bezeichnet ‘O).
1) Virgil. Georg. III, 1.
2) Bei Lanzi Saggio di ling. etr. p. 514. 518.
3) Tzelz. in Lycophron. v. 698 p. 744 Müller: Bqc/uu) ■Aal ’Oßgt-
ua> ÜSQoecpövii , oti r<v ßid^ovri avri]v iv Avvtj-yioiw ivsß^t-
fjirjaaro. Die Worlableitung halle ich für später und unrichtig ; näher
liegt die Etymologie von oßQc/nög (mächtig), wie Hesychius das Wort
ßQi/iid durch ia-y^vqd erklärt. Wegen der Verwechslung der Tochter
mit der Mutter verstand man bisM'eilen unter der Brirao die von Zeus
befruchtete Demeter : Giern. Protrept. und aus ihm Euseb. Praep. Ev.
II, 3 p. 63.
'^) Etym. M. v. Bq/jum p, 194 Lips. u. Tzelz. ad Lycophr. v. 1176
p. 945. 5) Nonnus Dionys. XIII v. 400.
Gutberleth Dissertatio philologica de mysleriis Deorum Cabiro-
rum in Opusctilis Franecverae 1704 und in Poleni Supplemenlis ulr.
Thesauri Anliq. T. II col. 825 c. 11.
2) Theog. 912. Hom. h. in Cer. 2.
H. in Cer. 8. 334. Hora. h. II in Mercur. 529.
Wie das Ackerfeld und die ganze Nalur zwisclien Wachsthum
und Siechthum, Kraft und Schwachheit getheilt, ja die grünende
Saat durch das vorausgegangene Säen und Begraben des Samens in
dem Schoosse der Erde bedingt ist; so muss auch Persephone in die
Tiefe hinabsinken; io welcher Beziehung man sie auch für die Toch¬
ter des Zeus und der Styx ausgab *). Mit ihr sinkt Hermes, die
männliche Zeugungskraft, hinab; das ist non nicht mehr der zeu¬
gungslustige, sondern der unterirdische, Hermes 2^ oder
EQiovvtjq^), ein hergebrachtes Beiwort, das Homer beibehalten hat,
und das ausdrücklich für unterirdisch erklärt wird ^). Als solcher
ist er aber einerlei mit dem spätem Hades; wodurch unsere Erklä¬
rung von Axiokersos bestätigt wird, dass dieser den Hermes in bei¬
derlei Zuständen als ithyphallicus und als Hades bedeute. Dem un¬
terirdischen Hermes zu Ehren sollen die aus der Sündfluth Errette¬
ten allerlei Sämereien in Töpfen gekocht haben, um ihn zu sühnen,
ohne dass jemand davon kostete, und daher soll das Topffest zu
Athen kommen, xvxqol genannt 5). Im Monate Anthesterion, der
in unsern Monat Februar und März fällt, stellten die alten Athener
dem unterirdischen Hermes allerlei Samen in Töpfen auf^); wie
auch im Dienste der Rhea ein Gefäss {v.eqvo(^ mit Sämereien vor¬
kommt, wovon gewisse Personen etwas geniessen durften 0- In
jener Jahreszeit bestellte man die Sommersaat; dabei gedachte man
betend und bittend der in der verborgenen Tiefe waltenden und die
Keime ins Leben rufenden Gotteskrafl. Beginnen einmal die Samen
Apollodor. I, 5, 3.
2) Hom. II. XX, 72 ib. Heyne. H. in Mercur. 3 ib. Ilgen.
3) Od. VIH, 322.
Nicander bei Antonin. Liberal, c. 25. Etyinol. M. p. 371 (330
Lips.) : EQCOvviog xal yßövio!; v.al iQixdövioq ’EQfzijq. Cicero
N. D. III, 22: Merciirius, qui sub terris. Von den spartanischen Dios-
kuren, auf welche später die Idee der Kabiren übergetragen wurde,
sagt daher Pindar Xem. X, 103, dass sie abwechselnd einen Tag oben
bei Vater Zeus und den andern unten in der Tiefe der Erde weilen.
3) Theopomp, bei Schol. Aristoph. Acharn. 1075.
*3) Creuzer Meletem. I p. 53.
2) Athen. XI p. 265 Schwcigh.
8
114
durch eine geheime Ge wall in der Erde zu keimen, so ringen sie
sich von der Scholle los an das Lichl , und Persephone sammt Her¬
mes gelangt im liebenden Bunde, nachdem sie unten gelegen und
thatkräftig Millionen Pflanzenleben zum Daseyn gefördert haben, zur
heitern Oberwelt. Die Idee des unterirdischen Hermes ist so viel
als wenn man in den Mysterien hörte, Zeus habe eines Widders Ho¬
den der Demeter in den Schooss geworfen und vorgegeben, es seyen
seine eigenen '). Es waren allerdings die eigenen Hoden des Wid¬
dergottes, welcher kraftlos zum Leidwesen der Mutter Erde zur
Winterzeit ist, aber die Keime für das neue Jahr darin zubereitet.
Der Grieche milderte das Anstössige der Fabel, und machte ein
Vorgeben des Gottes daraus. Was die samothracischen Götter be¬
deuten, sagt ohne die Hülle des Bildes der eben so philosophische
als religiöse Dichter Aeschylus (Choeph. 124 f.): „Die Erde, welche
Alles erzeuget, und die Fruchlkeinie (xvfxa) von dem, was sie erzo¬
gen hat, hinwieder in sich aufnimnit.« Der in der Unterwelt thätige
Hermes empfing für die verstorbenen Menschen, gleich dem ägypti¬
schen Thoyth, das Amt eines Seelenführers. Bei dem Todlen-
opfer für die in der Schlacht bei Platää gegen die Perser gefallenen
Griechen rief man ausser dem Zeus Eleutherios den unterirdischen
Hermes an ^).
Der unterirdische Hermes, der aus der Tiefe Alles hervorbringt,
ist der Allmacht Sohn. Seine Ellern sind Valens und Koronis
(nach der Verbesserung des Davies statt Phoronis) ^). Kr a tos,
wovon die lateinische Uebersetzung Valens ist, hat die Styx und
den Pallas zu Eltern^). Der alte Pallas halte selbst das Amt des
Hermes, und durch diese Genealogie wurden beide mit einander ver¬
knüpft. Pallas und Styx stellen zusammen die unterirdische Zeu¬
gungskraft vor, die Frucht ihrer Ehe ist Kratos, die unterirdische
Macht, und dessen Sohn ist Hermes. Eben dahin führt uns eine
Stelle des Jo. Lydus (de mens. IV, 90 p. 28§. Roether)., wo der Va¬
ter des Asklepios 'laxvq (Kraft) und dessen Vater Elatos heisst^).
*) Giern. Cohoit. ad Gent. p. 13 und daraus Eus. Pr. Ev. II, 3
p, 63 f. Aeschyl. Choeph. 1’21. Plut. in Aristide.
3) Cic. N. D. III, 22. •) Hes. Theog. 383.
lieber den Elatos vgl. Verheyk zu Antonin. Liber, p. 134.
Der zwei(e Aesculapius des Cicero a. a. 0. aber is( der Bruder des
zweifen (unterirdischen) Hermes, und also auch dieser ein Sohn des
Ischys , der so viel ist als Valens oder Kratos. Elatos ist nur ein
anderes Wort für Tldklac, und bedeutet, von ild(a abgeleitet, den
Beweger, der die Keime in Trieb bringt. Die Mutter des Asklepios *)
und also auch des unterirdischen Hermes ist Koronis, bei welchem
Namen man vielleicht an das Beiwort der Kühe y.ogaviq'^') denken
darf. Die Kuh aber ist ein Bild der Erde, als das der Here und
Demeter heilige Thier. Es wäre somit jene arkadische Genealogie,
wornach die Stierkraft (Ischys) und die Erde (Koronis) den Hermes
erzeugen, ziemlich einerlei mit der samothracischen , wornach von
Deo oder Axicros Hermes und Persephone abstammen. Auch wäre
es sehr angemessen, dass Hermes in seinen beiderlei- Zuständen als
unterirdischer und ithyphallicus eine und dieselbe Mutter, die Erde
(Deo, Axieros, Koronis), jedoch zwei verschiedene Väter hätte, im
ersten Zustand die unterirdische Macht (Kratos, Ischys), im zweiten
den überirdischen Himmel (Coelus, Uranos), und dass er im zweiten
den auszeichnenden Beinamen Kadmilos, als der oben vor Gott steht,
führte. Die Masculinendung Axieros (verglichen mit Cerus manus)
mag die geschlechtliche Verbindung der Demeter bald mit dem Him¬
mel und bald mit Kratos andeuten, je nach den wechselnden Zu¬
ständen ihrer bald in der Erde ruhenden und schaffenden, bald zur
Oberwelt gebornen Kinder Hermes und Persephone.
Axiokersos, von Mnaseas als Hades ausgelegt, ist demnach nicht
ein ohnmächtiger Schattenkönig; wie denn auch Hades schon bei
Platon den Namen Pluton (von nlovroq) hat, nicht blos wegen der
in seinem Bereiche liegenden Metalle, sondern als Gatte der Perse¬
phone, als Sinnbild und Urheber der Thätigkeit im Schoosse der
Erde, wo alle Keime sich regen und losringen, wodurch sie im lie¬
benden Bunde Alles weben und schaffen. Ueber beiden steht als
Mutier Axieros, die Natur überhaupt, in Verbindung mit den unter¬
irdischen Mächten und mit den himmlischen Kräften. Das sind die
mächtigen Naturgötter, welche in gemeinschaftlicher Wechselwirkung
1) Diodor. IV. p. 273. V p. 341.
VIII p. 288.
2) Theocrit. Id. 25, 151.
Cyrill, in Jnlian. VI p. 200.
116
die ErhaKung und Veränderung der Dinge bedingen. Dalier ist ihr
gemeinsamer Name Kabiren, KdßsiQot oder Käßigoi ‘) von
(stark, mächtig) 2), nach der Uebersetzung dieses Wortes ßsol dv-
varoi, Divi potes 3). Daher hat Hermes in dem homerischen Lob-
gedichl auf ilin öfter den Beinamen der Mächtige (y.Qarvg'), und als
Kind legte er eine Probe seiner Kraft ab, dass er schon zwei Kühe
abstreifen konnte {V. 405). Sein Beiwort ocöwg (stark) ■*) hat die¬
selbe Bedeutung wie Kabir. In demselben Sinne nannte man Demeter
und Persephone vorzugsweise die grossen Göttinnen (/xeydXat 5).
^) Die Münzen von Tripolis in'Phönicien haben QESIN. KABIPSIN.
STPIJIIV. oder CTPI. KABIPSIN. (Eckhel Docir. Num. V Vol. III p. 374 f.)
Die Münzen von Thessalonich haben bald KABEIPOC, bald KABIPOC
(Eckhel Vol. II p. 77, 79). Eine attische Inschrift KABEIPSIN (siehe
meine Lettera sopra una Inscriz. Gr, p. 5). Der Grammatiker Ilerodian
zog die Schreibung mit £i vor (Biblioth. coislin. p. 235).
2) Diese Etymologie nehmen an: Scaliger ad Varronem und ad
Chronic. Eusebii, Gerhard Voss de Idolol. p. 173, Bochart Geogr. S. ,
Hugo Grotius ad Matth. 4, 24, Seiden de Düs Syris Synt. II p. 287.
361, Marsham Canon Chron. p. 35, Gutberleth de myster. Deor. Ca-
biror, c. 1. Polen, Tbesaur. T. II col. 834 (welcher die Benennung
Chabar vergleicht, womit die Saracenen die Aphrodite bezeichneten,
was durch ^eydlr] ausgelegt wurde), Leonh. Hug Unters, über den
Myth. d. a. Welt S. 198 u. Creuzer Symb, III S. 18. Astori dagegen
Dissert. de Düs Cabiris p. 60 (Polen. Supplem. T. II) leitet das Wort
von 1^2.1 (mächtig) ab, und verfällt nachher auf die Wurzel "i2n (zau¬
bern), was Schelling über die Gotth. v. Samothr, S. 110 wieder auf¬
fasst, als wären sie die (socii), die magisch Vereinten. Der
Letztere wendet S. 98 gegen obige Ableitung ein, das Wort niii w'erde
im a. T. niemals von Gott gebraucht. Aber gerade von diesem Um¬
stande möchte man auf eine absichtliche Vermeidung, dem wahren Gott
einen Götzennamen beizulegen, schliessen.
3) Varro de ling. lat. IV p. 17: in Augurum libris Divi potes
sunt, in Sainothrace ߣol dvvaroL
^*) II. XX, 72. Apollon. Lex. Hom. p. 628.
*) Ein alles Epigramm bei Pausan, IV, 1 p. 282, Sophocl. Oed-
Col. 683 das. Ausl. u. Paus, VIII, 31.
117
Einem spätem Zeitalter war es, wie mir scheint, Vorbehalten,
den unterirdischen Hermes als eine besondere Gottheit vorzustellen,
als Aidoneus, d. i. unsichtbarer Herr (von diöiiq unsichtbar und
Herr). Das Verhältniss der Persephone zu ihm wurde durch
einen Raub vermittelt und von dem Homeriden im Hymnus auf De¬
meter ausgemalt. Das geschah in den Tagen des Spätherbstes, sagt
bezeichnend der Orphiker (h. XXIX, 14), und er legt den Sinn der
ganzen Fabel in den Worten nieder: »immer erschaffst und tödtest
du Alles.« Hekate und Helios vernahmen das Wehklagen der ge¬
raubten Göttin ‘) ; jener geht dieses Schicksal nahe, da sie im Win¬
ter unfähig ist ihren Segen zu spenden, und dieser ist während die¬
ser Jahreszeit selbst im Stande der Erniedrigung. Demeter zerriss
ihren Schleier und warf eine dunkle Kopfbedeckung bis über die
Schultern herab; d. h. die Erde ist ihres Schmuckes beraubt. Mit
brennenden Fackeln in der Hand suchte sie neun Tage lang tief¬
bekümmert die Tochter, ohne Ambrosia oder Nektar zu gemessen;
am zehnten gesellte sich theilnehmend Hekate zu ihr, die Verlorne
zu suchen. Der alles spähende Helios sagte ihnen die Wahrheit an 2),
Hermes holt Persephone aus den Armen ihres unterirdischen Gat¬
ten wieder herauf 3); seine Dienstbarkeit ist hier für den Kenner äl¬
terer Lehre bedeutsam. Beim Scheiden reichte .Aidoneus der Per¬
sephone einen Granatapfel zu essen , damit sie nicht beständig bei
Demeter verbliebe Der Granatapfel als von Kernen durch und
durch erfüllt, welchen auch die pelasgische Here zur Auszeichnung
halte ^), ist ein Sinnbild der Besamung. Pluton als Inhaber aller
Samen gibt der zum Olymp zurückkehrenden Gattin d. i. der aus
seinem Reiche aufstrebenden Pflanzenwelt die Granatkerne mit, da¬
mit sie aufs neue besamt immer fort der Erde und dem Pluton an-
heirafallen. Persephone, die aus dem Hades aufsteigt ans Licht, im
Aufsteigen einen Granatapfel isst und damit dem Hades wieder an¬
heimfällt, bedeutet so viel als: das Pflanzenreich wächst aus der
Tiefe empor und hat das Vermögen sich zu besamen, verfällt aber
eben darum wieder der Tiefe und die abgefallenen Samen werden
1) Hom. h. in Cer. 25 f. 2^ Hom. h. in Cer. 40 ff.
3) Ilom. 1. c. 336 ff. Hom. 1. c. 373 IT.
3) Pausan. II, 17, 5.
118
iu» ordeiillicheu Kreislciul'e wieder neue Gewächse. Hades heisst
daher ;ioXvÖ£y/uijjp , nicht nur weil er viele Todte lässt, sondern
auch weil er viel empfänglich viele Samen in sich schliesst und wie¬
der zurücksendet. Hekate bewillkommle die zur Mutter heraul-
gekommeue Persephone, und war ihre Begleiterin und Dienerin 2) ;
d. h. Glück folget auf das Wachsthum der Saaten. »Alsohald wuchs
die nährende Frucht für die Menschen« 3). Demeter hatte von dem
gelbgewordenen Getreide den Beinamen XXüij oder evxXooq, und als
solche einen Tempel bei der Burg zu Athen ^). Eben so heisst sie
die falbe „So oft die Erde mancherlei duftende Früh¬
lingsblumen hervorsprosst, kehrt Persephone wieder aus dem nächt¬
lichen Dunkel, ein grosses Wunder den Göttern und den sterblichen
Menschen“, sagt der Homeride (V. 401 0.). Ein Drittheil des Jah¬
res weilet sie unten, zwei Drittheile oben bei der Mutter und den
andern Unsterblichen ^). Denn man hatte vor Alters nur drei Jah¬
reszeiten; Winter, Frühling und Sornjuer.
§. 24.
Wie gross an Bedeutung, so aucli weit ausgebreitet war
der Kabirendienst. Von den Pelasgern lernten ihn die Samothraker,
sagt Herodot (11, 51), und hernach die Atliener. Letztere wurden
unter der Regierung des Pandion, eines Sohnes des Erichthonius,
611 Jahre nach Abraham mit Demeter bekannt 2), oder nach An¬
dern unter der Herrschaft seines Nachfolgers Erechtheus s). Als
Stifter oder als Wiederhersteller des Kabirendienstes in Samothrace
wird Eetion genannt, eiu Sohn des Zeus und der Atlanlide Elek¬
tra ^). Er hiess auch Jasion besonders in pnesterlicher Verbin-
*) Hotu. ). c. 31. 4ü4.
2) Houj. 1. c. 438 ff. lioni. 1. c. 469.
Euslalh. ad 11. i. p. 772. Pausau. 1, 22, 3. Sophocl. Oed. CoF
1600 ib. Schol. Vgl. Creuzer Syrnb. 2te Ausg. IV S. 314.
5) Z. B. 11. V, 500.
6) Hom, 1. c. 445. 463.
Apollodor. 111, 14, 7. Euseb. Chron. P. II p. 115.
*) Parische Cbronik Epoche 12. Clem. Al. Protr. p. 12.
Hellanikas bei Schol. Apollon. I. 916.
119
düng mi{ der Kabirenweihe , und nach Diodor (L. V.) erweiterte er
die sainothracischen Mysterien, indem er zuerst Fremde zu densel¬
ben zuliess. Sein Bruder Dardanus hat von Samollirace [aus die
dasigen Gottheiten in die von ihm in Troas erbaute und nach ihm
benannte Stadt Dardania gebracht*), 538 Jalire nach Abraham 2).
Die ganze Gegend der Pergamener war von Alters her den Kabiren
heiligt). Es waren die tyrrhenischen Pelasger , welche in Athen
die pelasgischen Mauern bauten, nach Lernnos zogen, sich am Helles-
pont in Plakia und Skylake ansiedellen , und nach Etrurien einwan-
derlen '*). Es wird uns aber ausdrücklich berichtet, dass auf Lem-
nos und Imbros die Kabiren verehrt wurden^), und dass sich von
Lernnos dieser Gottesdienst nach Etrurien verbreitete ®). Von Athen
aus brachte Methapus den Kabireudienst nach Theben^). Von
Eleusis brachte Kaukon die Orgien der grossen Gottheiten (ohne
Zweifel Demeter und Persephone) nach Messenien **). Im Tempel
der mysischen Demeter finden wir die Bildnisse der Demeter, Per¬
sephone und des Aidoneus vereinigt ^). Sogar auf einer britannischen
Insel, welche Picfet ***) für Irland hält, wurden Demeter und Kore
verehrt. Die Pelasger io Italien haben in der Zeit des Misswachses
den Kabiren den Fruchtzehnten dargebracht und so reichere Erndten
erlangt *'). Sogar die Gelten haben sie verehrt (Diod. V , 56).
Die etruskischen Kabiren hatten eine etwas abweichende
Färbung, sie waren Ceres, Pales und Fortuna *2). Der einheimische
*) Arktinus (den Arleinon von Klazomenä bei Suidas und Tzetzes
einen Schüler Homers nennen), der Mylhograph Satyrus und Kallistra-
tus in einer Geschichte über Samothrace bei Dionys. Hai. Ant. Rom.
L. I n. 688 T. I p. 172 ff. Reiske.
2) Euseb. Chronici Canon P. II p, 109.
3) Pausan. I, 4 p. 12. Slrabo X, 3, 21.
'i) Her. I, 57. Thueyd. IV, 109 und Myrsilus bei Dion. H. I, 1.
3) Strabo a. a. 0. Stephan. B. v.
^) Schol. Apollon. Arg. I, 608.
Pausan. IV, 1 p. 281. 8) Pausan. I. c.
9) Pausan. II. *<*) Pictet du culte des Gabires p. 3. Artemidor.
bei Strabo IV. p. 137. “) Dion. H. I p. 27.
*2) Serv. ad Virg. Aen. II, 325.
120
Name der lelzlen war Norlia oder Nursia *). Wir ireileii sie sämml-
lich auf den elruskischen Spiegeln an, besonders häufig die Norlia.
Sie haben weit herabgehende Flügel mit einander gemein, um ihre
überallhin sich erstreckende Macht auszudrücken. Ceres erscheint
mit Diadem und Halsband geschmückt, und hat Granatapfelblülhen
zur Seile 2). Pales, der Hermes der italischen Keligion, ist ein
geflügelter nackter Manu, und neben ihm sprosst eine Pflanze 3).
Norlia hat wegen ihrer Wandelbarkeit das rechte Bein hinter das
linke zurückgeschlagen, in leichter tanzender Stellung; bisweilen^)
ist ein Rad an ihre Füsse gebunden , öfter hat sie den Kabirenhut
auf dem Haupte^), bald auch eine Patera in der Rechten und in der
Idnken den Phallus *’). Sie wurde mitunter androgyn mit einem lan¬
gen Barte und weiblichen Geschlechlslheilen oder einer weiblichen
Brust abgebildet^), um so, wie ich glaube, ihre Verbindung mit Pa¬
les oder die Begattung des männlichen und weiblichen Princips in
der Natur auszudrücken. Wir wissen, dass Servius Tullus die Ver¬
ehrung der Fortuna barbata in Rom gebot Sie war nicht blos
als das zufällige Glück aufgefasst, sonder« als die Bedingung alles
Werdens und der Zeit, als die Fortuna primigenia (a giguendo)^).
Als solche war sie in Volsinii die Jahreszähleriu , wo alljährlich eine
obrigkeitliche Person in die Wand ihres Tempels einen Nagel eiu¬
schlug *0). Sie hat daher auch auf elruskischen Spiegeln Nägel in
der Hand Ihre Beziehung auf die Unterwelt wird auf einem an¬
dern Spiegel (tab. 8) durch ein angebrachtes Gorgonenhaupt ausge¬
drückt. Wenn hier Norlia die Rolle der Persephone übernommen
hat, so soll in der orphischeu Lehre Persephone der Fortuna gleich
gesetzt worden seyn *2); und wir haben vorhin die Verbindung der
*) Tertulliau Apologet. 24. Burmann ad Antholog. lat. I, 29. Ru-
perti ad Juvenal. Satir. X, 74. I p. 216. II p. 567.
2) Inghirami Mouumenti etruscbi Ser. II. 58. Spiegel von Perugia.
5) Inghirami 1. c. S. II tab. 52. Ser. II tab. 11.
5) ib. tab. 1. 8. 13. 19. 23. 24. ib, tab. 42. 44. 45.
7) ib. tab. 12. 13. 8) Plut. Opp. T. II. p. 323.
'^) Cic. Lgg. II, 11. 10^ Cincius Alimenlus bei Liv. VII, 3.
*^) Ingbir. 1. c. Ser. II tab. 12. 23. 24.
•2) Schot, lies. Theog. 268.
121
Persephone mit Hekate (Fortuna) sowohl durch die gleiche Benen¬
nung Briiuo als durch den thätigen Autheil der Hekate an der Lei¬
densgeschichte der Persephone nachgewiesen.
Nach dieser geschichtlichen Erörterung waren die tyrrheni¬
schen Pelasger die ersten Lehrer des Kabirendienstes. Wenn
wir aus der Nachricht, dass Tyrrhenus aus Lydien nach Etrurien
gewandert sey, und dass die von den tyrrhenischen Pelasgern er¬
bauten Städte Plakia und Skylake lydische Colonien seyen *), Fol¬
gerungen ziehen dürfen; so war die lleimath der tyrrhenischen Pe¬
lasger und somit des Kabireucultus Lydien. Merkwürdig ist in die¬
sem Betracht die Verknüpfung, worein die Stiftung der Kabirenweihe
in Samoihracien mit Cy bele, der phrygischen Götlermulter, gebracht
wird. Diese soll nemlich ihre Söhne, die Korybanten, nach Samo-
thrace verpflanzt haben, welche die dortigen Weihen lehrten 2) und
der Hekate ein Heiligthum stifteten Oder die Amazone Myriiia
soll der Mutter der Götter zu Gefallen Samoihrace geheiligt ha¬
ben ^). Oder Dardanus soll die Mysterien der Mutter der Götter ge¬
lehrt habend); während er nach Andern die samothracischen Göt¬
ter nach Troas verpflanzte. Demnach scheinen die Mysterien der
Göttermutler und die der Kabiren einerlei gewesen zu seyu *'). Die
Alten 2) selbst haben schon die Cybele als Demeter ausgedeutet, und
ich vermuthe, dass Axieros ursprünglich ein pbrygisches Beiwort
der Cybele gewesen, nachher aber für die griechische Deo oder De¬
meter gedeutet und einheimisch gemacht worden sey.
• In ältester Zeit waren die Kabiren noch nicht Dioskureu d. h.
Zeus Söhne. Später erst wurden sie diess, und neben ihnen that
sich abgesondert, wiewohl in naher Berührung, die Verehrung der
Demeter und Persephone hervor. So war in Athen der Kabirendienst
und die Weihe der Demeter in den Eleusinien getrennt. Eben so in
') Pompon. Meta I, 19.
2) Diodor. III, 55 p. 224 T. I Wessel.
Nonni Dionys. XIII v. 400. ‘*) Diodor. 1. c.
Clem. Al. Coh. ad Gent. p. 12. Vgl. unten g. 90.
*’) Auf einer Gemme in Academ. Cortou. T. VII p. ^8 sehen wir
die Dioskuren in Gesellschaft der Cybele.
2) Jo. Lyd. de mens. III , 34 p. 128.
122
liöolien: in der Sladt Anthedon hallen die Kabiren einen Tempel,
und in der Nälie Demeter und Persephone einen Hain ; unweit
Theben war ein Kaßet^iop, und sieben Stadien davon enlfernt ein
Hain der Demeter KaßeiQia und der Diese durch jenen
Beinamen mit den Kabiren nahe verbundene, wiewohl von ihnen
selbst unterschiedene Demeter lehrte die Einwohner die Kabiren-
weihe; so wie zu Athen Demeter den Triplolemus in den eleusini-
schen Mysterien unterwies ’).
In Phönicien finden wir zwar auch Kabiren, und der Name
selbst gehört diesem Landstrich an; allein die phönicischen und ägyp¬
tischen Kabiren dürfen darum doch nicht mit den samolhracischen
verwechselt werden. Die Idee und selbst der Name mag aus dem
Morgenlande stammen; allein sie wurden aufgetragen und verschmol¬
zen mit den unter den Pelasgern allein einheimischen Gottheiten
Demeter, Persephone und Hermes ithyphallicus, mit welchen die
Kabiren in Phönicien und Aegypten nichts zu Ihun hallen ^). In
Phönicien waren es ihrer sieben, Söhne des S y d y k 5) oder S a d y k ß)>
des höchsten Gottes, welche auf Münzen von Tripolis Vorkommen,
und in Berylus nebst Kronos und Poseidon die Hauptgollheiten wa-
*) Pausaii. IX, 22 p. 7.')3. 2) Paus. IX, 25, 5 p. 758.
■’) Auf einer Münze von Thasos in Creuzer’s Bilderb. zur Symb.
T. II. n. 4 ist auf der einen Seite der Kopf der Demeter mit Aehren
im Haar und auf der andern die beiden Dioskuren zwischen zw'ei Reb-
zweigen.
Es widerspricht der Geschichte, wenn Sprengel (Versuch einer
pragmat. Gesch. d. Arzneikuiide Th. I S. 113. 2te Ausg.) die Kabiren
unter Kadmus aus Phönicien nach Griechenland einwandern lässt, und
wenn Karl Michaeler in gleichem Sinne seine Abhandlung über die
phönicischen Alysterien (Wien 1769) betitelte.
5) Sanchiiniathon bei Euseb. Pr. Ev. I. p. 36 A 39 C.
6) Damascius in vita Isidori ap. Photium cod. 242 col. 1073. Sa-
dyk , der Gerechte , ist ein Beiwort Gottes , in Phönicien des
Baal oder Kronos. Daher belegen die hebräischen Schriften Sepher
ietsira , Zohar und Beresit Rahba mit diesem Namen den Zeus: s. Bo
chart Geogr. S. II , 2 col. 707. Marsham Can. Chron. p. 35.
reu ^). Nach dem Berichte des Sanchuniathon 2) sind die Sprösslinge
der Diüskureu am Berge Cassius (au den Grenzen Aegyptens auf
der Seite des mittelläudisciien Meeres) gestrandet uud haben daselbst
einen Tempel erbauet. Diese Nachricht zeigt die Brücke von den
phönicischen zu den ägyptischen Kabiren. ln Memphis hallen
die Kabiren einen Tempel und darinnen waren ihre Bildsäulen deui
Phlha ähnlich gemacht, indem man sie für Söhne desselben hielt 2).
Dieser Phlha war nicht etwa blos der gute Schmidt, sondern der
Werkmeister der Natur, und ihr Lebeusfeuer. Des liephäslos Schö¬
pfungskraft klingt in den griechischen Sagen , woruach er nach dem
Balhschluss des Kroniden das erste Weib, die Pandora, aus Erde
und Wasser gebildet habe ^), Erichthonius , der Patriarch der Athener;
aus seinem Samen entstanden*), und Aphrodite seine Gattin sey ®).
Dieser Hephäslos ist nicht der Sohn des Zeus und der Here , son¬
dern des Himmels, uud nach ägyptischer Lehre Vater der Sonne,
und mit Athene Vater Apollons, des Schulzgolles von Athen 2).
Für ägyptische, aber nicht samothracisclie Genealogie ist es daher
zu erachten, wenn Pherecydes die Kabiren von Heph ästos und
Kabira, der Tochter des Proteus, abslammen lässt. Den Proteus
kennen wir ja als einen ägyptischen Seegolt aus Homer. Mit der
Anchione soll er die Kabira erzeugt habend), Aehulich ist die
Genealogie des Philochorus ’O), wornach die Tritopatres, deren Einer¬
leiheil mit den Kabiren ich unten uachweisen werde, die Sonne,
die er auch Apollon nannte, und die Erde zu Ellern haben; oder
wenn nach Slrabo (X p. 204) die Sonne und Athene die Diosku-
ren erzeugt haben sollen. Diess war die ägyptische Neilh, ein de-
*) Sanchuniathon bei Eus. Pr. Ev. I p. 38.
2) Bei Eus. 1. c. I p. 39. 3) Herod. lll, 37.
Hes. Th. 590 Op. 60.
3) Meurs. de regib. Athen. II, 1. Creuzer ad Cic. N. D. p. 599.
6) Od. VIII, -266.
^) Aristot. bei Giern. Protepl. p. 8. Cic. N. D. III, 21. 22 p. 595.
598. Creuz.
3) Bei Slrabo X, 3, 21. Fragm. ed. Sturz p. 152, Hesych. v. Kd-
ßeiQui. '^1 Stephan. Byz. v. KaßeiQia.
‘'^) Bei Suidas v. TQiro^idropeg.
124
mlurgisches Wesen, dem der allische Erichlhonius das Daseyn ver¬
dankte. Auf einem Vorgebirge in Lakonien stand der Athene Bild¬
säule in Gesellschaft dreier eherner Statuen , die Hüte auf dem Kopfe
trugen, und welche Pausanias (Hl , 24 p. 272) für üioskuren oder
Korybanten hielt. Auch auf etruskischen Spiegeln erscheint Athene
in Verbindung mit den zwei Dioskuren, hat sogar selbst den Kabi-
renhut auf dem Haupte , ist bisweilen der Nortia durch die tanzende
Stellung der Füsse und durch lange Flügel ähnlich gehildel, biswei¬
len legt sie als segnende Mutter die Hand auf die Schultern der bei¬
den. Auch wird ihre pantheistische Bedeutung durch eine gellügelte
Weltkugel auf dem Haupte ausgedrückt ‘). Wenn Akusilaos von
Argos 2) dem Kadmilos den Hephästos und die Kahira zu Eltern
gibt, und von Kadmilos sodann drei Kabiren entstehen lässt, so
halte ich diess für einen Versuch, das samothracisch pelasgische Sy¬
stem mit dem ägyptischen, den Hermes mit dem Phtha, in Einklang
zu bringen. Ilerodot aber, welcher die Kabiren von Aegypten
kannte, unterschied sie dennoch so sehr von den griechischen
Dioskuren, dass er (H, 50) geradezu behauptete, dieselben seyen
in Aegypten unbekannt. In Macedonien indessen scheint die
ägyptische Ansicht, vielleicht aber erst in später Zeit, festen Fuss
4
gefasst zu haben. Wenigstens erblicken wir auf den Münzen von
Thessalonich einen Kabir mit den Attributen des Hephästos, mit dem
*
Hammer in der Linken, mit einem Stück zugespitzten Eisen in der
Rechten, mit dem Pallium bis au die Knie bekleidet, mit dem Hut
auf dem Kopf und der Umschrift KJBEIPOC 3). ln bestimmterer Be¬
ziehung auf die Sonne steht dieser Kabir auf einer Münze von Thes-
salonich den Steinbock in der Rechten haltend ‘^). Ebenso kommt
Inghirami Mon. Etr. S. II tab. 50. 65. 41. 66.
2) Bei Strabo 1. c.
3) Seguinus select. Num. c. 1 n. 7. Vaillant Imp. Num. Graec.
p. 91. 144. Laclant. divin. Instit. I. 15. Firmicus Maternus de errore
profan, relig. p. 426.
'*) Creuzer's Bilderb. z. Syiub. T. 111 n. 8. Die Kabiren hiessen
daher selbst "Hcpaiaioi, Pbotii Lex. gr. in KdßeiQoi. Eine Münze von
Leuinos mit Hephästos, den Sternen der Dioskuren und dem Hermes-
stab s. bei Creuzer Symb. Bd. HI H. 1 n. 3.
125
der nordische Gott Thor mit dem Hammer in Münzen vor, und aus
Island ist ein kleines Bild des Thor in sitzender, über den Hammer,
den er mit beiden Händen zwischen den Knien hält, gebeugter Stel¬
lung in die Sammlung der kön. dänischen antiquarischen Commission
gekommen ')*
§. 25.
Ausser den grossen Naturgöttern, die wir bisher betrachtet ha¬
ben, ist eine besondere göttliche Aufsicht nach dem Glauben des
alfgriechisehen Polytheismus über einzelne Theile der organischen
Natur. Die lebenden Individuen werden erhalten, indem sie sich
von den Gewächsen der Erde ernähren, welche darum die viel¬
ernährende hiess {TtoXvßözeiQa , ßb>rcm>£iQa , TtoXvcpÖQßij , noXvßoaxoq).
Die Ernährung, Fortpflanzung und Besamung der Pflanzenwelt ge¬
hörte, wiewohl auch unter den Füssen der neugebornen Aphro¬
dite Pflanzen erwuchsen, und Demeter mit ihren Kindern die ßrod-
fruchl gewährte, doeh vorzugsweise in das Bereich der Nymphen.
Die melischen Nymphen waren ja die ersten Pflanzen und Be¬
hüter des Pflanzenreiches zugleich. Denn alles organische Leben
quillt aus einem verborgenen himmlischen Urgrund , und Tropfen
des uranischen Samens regen sich fortzeugend in den Keimen und
Gefässen der Gewächse. Theils in der Höhe, theils in der Tiefe
sind diese Göttinnen wirksam; die Wälder auf den Bergen und die
Triften in der Ebene und in den Thälern sind der Schauplatz ihrer
Thätigkeit. Mit den erstem gatten sich Hermes und die Silene^);
die letztem lassen zugleich Quellen rieseln, die Auen zu befruchten.
Homer und Hesiod unterscheiden diese zweierlei Nymphen: jener 3)
redet von »Nymphen, welche der Berge hohe Gipfel bewohnen, und
die Quellen der Flüsse und die grünen Auen.« Die Berge sind es
aber nicht an und für sich, wcsshalb sie dieselben bewohnen, son¬
dern die wal dich len Berge, wie sich Hesiod (Th. 130) von den
reizenden Behausungen der Oreaden ausdrückt, oder die schönen
') Munter über die odinische Religion im Archiv für a. u. n.
Kirchengesch. herausgegeb. von Stiiudlin und Tzschirner Bd. V St. 1.
1821. S. 54. 2) Hom. h. in Vener. 263.
3) Od. VI, 123 f. H. IIl in Vener. 97.
12«
Haine, welche der Homeride (in Vener. 97) anslalt der Berge nennt ').
Ja er (ebendas. V. 258 (T.) idenlificirf sogar die lange lebenden und
mit unsterblicher Kost sich nährenden Bergnymphen (Nv/.icpai dp«-
oy.(üOi) mit den auf den Bergen wachsenden Fichten und Eichen,
))Weiche*mit ihrer Geburt entstehen , und wann des Todes Geschick
nahet, so vertrocknen die schönen Bäume zuerst am Boden, die
Rinde faulet, die Aeste fallen ab und die Seele entweichet.“ Sonst
aber sind sie nicht blos als lange lebend, sondern als unsterbliche
Göttinnen mehr ideal aufgefasst, und somit von den Bäumen unab¬
hängig, ihr Leben und Wachsen bedingend. Die Nymphen der Tiefe
sind bald Quell- bald F e I d - 2) bald W ie s e n n y m p h e n 3).
Nach besondern Gegenden gab man ihnen verschiedene Benennun¬
gen, als meliadische am malischen Meerbusen (si oben §. 15),
parnasiscbe am gleichnamigen Berge, korykiscbe an mehre¬
ren Orten ^). Die Nymphen wurden dem spätem Göttersysfem da¬
durch einverleibt, dass man ihnen, wie der Aphrodite, Zeus zum Va¬
ter gab ^). * Die Nymphen, welche die Haine, die Quellen der Flüsse
und die Wiespn bewohnen, besuchen nach Homer (II. XX, 8) die
GöKerversammlung. Man weiht ihnen Gebete und Opfer ^).
Ingleichen stehen die anorganischen Dinge und die Veränderun¬
gen in der Natur unter der regierenden Vorsehung. Diess erhellet
schon daraus, weil sich der Heide Alles von Gol! erfüllt und bevöl¬
kert dachte, er lieh der Erde als Gäa oder Bhea, dem Ocean,
dem Mittelmeer als Nereus, einem jeden Flusse und Bache
nach ihren Eigennamen als 3000 Söhnen und eben so vielen Töch¬
tern des Okeanos und der Tethys, den Meereszuständen als den Ne¬
reiden, der Sonne, dem Monde, den Gestirnen, dem Son¬
nenaufgang und den Winden menschliches Denken und in ge¬
wissem Betracht freies Handeln.
’) Nvfxcpai öpsanddsg , Zeus Töchter, pflanzen Ulmen bei Hom.
II. VI , 420.
2) dyQovöfzot Od. VI, 106.
leiucüvidöeq Soph. Philoct. 1449.
') Aeschy). Eum. 22. Sophocl. Antig, 1114. Ovid. Heroid. XX.
Metam. I, 320.
5) Od. VI, 105. IX. 151. 6) Od. V, 350. XIV 435. XVII, 210. 240.
r
127
Die Nereiden sind ursprünglicii pelasgisclic Göllinnen ') , und
galten nach der Bedeutung ihrer Namen für die alten Beschützerin¬
nen der Schiffe und Seefalirt. Zu ihnen wurden gezählt: 2) die Mee¬
resruhe {ralrjvij') , die Blaue (rXavxij), die Wogende (Kv/ucä) , die
Schnellwogende {Kvfzodörj), die Behende (ßoij) ^ die Wellenheschwich-
ligerin {KvfjLodöxrj und Kv/j.ato'krjyTj') , die Meeresbewohnerin {FXav-
xovöjuij) , die Seefahrerin (ILopzonÖQeia) , die schnelle ('/^r.TOiJdjy),
kluge (^iTtTtopöt}') und niulhige Seglerin (^M£Pi:t7t7j') , die Vorsichtige
QIqopözj), die gute Führerin {Ev:t()/uzi]') , die Seeräuberin {Anayo^ij),
die Kauffahrtheischiffahrl {Evayö^zj), die Waarenbringende (jPsQovaa),
die Gabenreiche (Evdcop}^), die Vermögende {Jvvafxivrf) , die Insel¬
reiche (iV^CToi) , das Inselland (^Ntjaairf) , Malta (MfA/r^ , wichtig für
die Schifffahrt im Mittelmeere), die Brandung {Kvficö) , das Gestade
i^Riövrj'), das sandige Ufer Ql>aiJ.ädri) , das Küstenland (^Ay-tairj mit
bestimmter Beziehung auf Attika), die Buchtenreiche (Ezsiui) , die
Hafenreiche (EL^ifj.svrj').
In dem Vorzeichnisse der Okeaninen^) sind Iheils wirkliche
ausgezeichnete, theils allegorische (lUir^o), TIXovtm, Tlx^ , OvQavir]),
theils das Wasser und seine Zustände betreffende Personen unter¬
gebracht, ohne dass wir uns Mühe geben dürfen, den Ursprung aller
ihrer Namen nachzuweisen. Von der letzten Gattung sind: die Be¬
hende (0d^), die schnell ^ die ringsum Fliessende (Ä/j.-
cpiQoi), die Abschüssige (^IIqvuvm), die Klippenreiche , die
Seglerin (l7c:z(o) , die Gabenreiche {Ilo'kvduiQrj und EvöwQt]'). Was den
Glauben an die Vorsehung über das Element des Wassers betrifft,
so erinnere man sich an das Gebet, welches der aus dem Meere an
die Mündung eines Flusses geschwommene Odysseus an den Fluss¬
gott als einen König richtet, der ihn auch willfährig erhörte*).
') Herod. II, 50.
2) Theog. 243 ff., wo der Scholiast sagt: zä oPo/Liaza zo^p NrjQt^U
dcop (Lg TZQog ta SaKdaaia ayi^y,aza y.al efötj Xeyezai. Mehrere von
ihnen werden auch von Homer II. g', 39 ff. Apollodor. I, 2, 7 und
Hygiu in der Voirede angeführt.
3) Hom. Od. IV, 703 nennt die Schiffe Rosse des Meeres.
<•) Theog. 346 ff. Hora. h. in Cer. 418 ff.
*) Od. V, 445 ff.
128
Um den Willen der Götter im Himmel und auf Erden zu voll¬
bringen, so war der allumfassende llimmelsbogen, Iris, ein allezeit
fertiger Götterbote, das bereitwillige Werkzeug der Vorsehung.
§. 26.
Der Jahreslauf und der Jahreszeiten Wechsel stehen
unter göttlicher Obhut.
»Den Hesperiden, sagt die Theogonie V. 215 f. , sind die
schönen goldenen Aepfel jenseits des Okeanos und die fruchttragen¬
den Bäume angelegen.« Der Baum , welcher Blüthe und Früchte in
wechselnder Fülle hervorbringt und mit sich verjüngender Kraft,
nachdem jene abgestossen sind, fortdauert, ist ein altes Sinnbild des
Jahreswechsels und des in gewissen Jahreszeiten abrollenden und
sich immer wieder erneuernden Sonnenlaufes; so wie 1 Mos. 2, 9
des Lebens ewige Dauer durch einen allegorischen Lebensbaum
mitten im Paradies veranschaulicht wird. Vorzugsweise befestigte
sich jene Idee an den Gitronen - oder Pomeranzenbaum , welche
Gattung durch das Immergrün und durch die Erzeugung stets neuer
Producte das unvergängliche Leben der Erscheinungswelt und die
Dauer der Zeit ungeachtet des Abfallens und Hinwelkens der einzel¬
nen Erscheinungen am besten zu bezeichnen schien. Zufolge der
libyschen Geschichte des Königs Juba von Mauritanien •) haben
nemlich die Libyer die Citrone hesperischen Apfel genannt. Cleri-
cus 2) vergleicht daher die semitische Wurzel -ibö (schön seyn), und
die Griechen mögen das libysche Wort mit Rücksicht auf das Vater¬
land des Baumes sowohl als der Allegorie selbst in das ähnlich klin¬
gende ’EaTtsgidbiv fiiqkov verändert haben. „Eine gewaltige Schlange,
sagt die Theog. V. 334 f. , bewacht in den Schluchten der finstern Erde
an ihren Grenzen die goldenen Aepfel.« Das ist die Schlange, die
allen üibebern des Lebens beigegeben wird, und welche hier das
endlose Leben beim Verschwinden der Jahre und beim Wechsel der
Jahreszeiten sorgsam bewahret.
*) Bei Allienaeus III p. 83, wo auch p. 82 die Zeugnisse des Ti-
machidos, des Painpbilos und Arislokrates aufgefiihrt werden.
2) Zu lies. Th. 215.
129
üen Ursprung der Hesperidenfabel verweist die Tlieogonie in den
fernen Westen, wo die Sonne in Afrika in den Ocean sinkt'; indem
sie a. a. O. die Hesperiden zu Töchtern der Nacht macht, und ihre
Wohnung jenseits des Okeanos setzt. Pomponius Mela (111, 10)
führt daher mit Hesiod übereinstimmend Inseln im Mittelmeer als
ihre Sitze auf; Plinius (H. N. V, 5 p. 219) dagegen, Ptoleraäus (V, 'l)
und Ammianus linden sie in der nachmaligen Stadt üerenice in Afrika.
Beide Angaben mögen in so fern richtig seyn, als man den Mythus
nicht auf einen einzigen Ort einschränken darf.
Der phönicische Sonnen- und Jahresgott Herakles, dessen
Name in der phönicischen Sprache sogar Sonne bedeuten soll *), und
welcliera Nikomachus den Umlauf der Jahreszeiten zuschrieb,
wahrscheinlich nur ein anderer Name für Baal, Adonis, wurde be¬
greiflicher Weise mit den Hesperiden in Verbindung gedacht, und
noch zur Zeit des Plinius des Aeltern (H. N. V, 5 p. 249) stand auf
jenem Vorgebirge, wohin er die Hesperiden verlegte, ein Altar des
Herakles. Die Tyrier und Karthager nannten ihn Melkarth, d. i.
Stadtkönig statt m]:' tiV’?)» ein offenbares Beiwort des Baal.
Der Name Herakles scheint mir, den ursprünglichen Begriff der
Sonne festhaltend, mit dem griechischen Ilyperion gleichbedeutend
zu seyn als der Herum wandelnde 3). Aus dem ursprünglichen
*) Farao Leltera sull’ interpretazioue di due Vasi filtili Pestani.
2) Bei Jo. Lydus de mens. p. 220 Roether.
3) Auch in .Aegypten w'ar Herakles ein viel älterer Gott als bei
den Griechen, die ihn erst dem Thebaner Herakles gleich setzten und
mit dessen menschlicher Geschichte verwoben. Herodot theilt uns in
der denkwürdigen Stelle H, 115 drei ägyptische Götterordnungen mit,
welche nach einander aufgekommen seyen, und macht an der Spitze
einer jeden Ordnung einen Gott, ohne Zweifel den obersten, namhaft,
von den ersten acht Göttern den Pan, von den nachfolgenden zwölf
den Herakles (in diese Klasse gehörte wahrscheinlich Phlha, Neilh
und Ammun] und von den dritten, die aus den zwölfen erzeugt seyen,
den Osiris (Dionysos). Es lässt sich hiernach denken, dass die frü¬
hem Götter durch die spätem verdrängt, die altväterische Pieligion
jedoch in einzelnen Kreisen beibehalten, Osiris und Isis aber allgemein
verehrt wurde, Her. H, 42.
9
130
Eigenschaftswort gestaltete der Polytheismus einen eigenen Gott und
ordnete ihn dem höclisten Gott (Zeus) als Sohn unter.
Die Griechen (jedoch Hesiod noch nicht) Hessen darum auch
ihren Herakles mit Beimischung von allerlei Mährchen die Hesperi-
den aufsuchen, und bezeichneten seine hervorragende Bedeutung in
dieser Ideenreihe dadurch, dass sie ihn dem Atlas seine Last ahneh-
men Hessen und so zum Himmelsträger machten. Die Hesperiden
pflücken die Aepfel des Baumes, bringen die Zeit zur Erscheinung
und überreichen sie opfernd und huldigend dem Herrn der Zeit He¬
rakles. Daher hat dieser den Beinamen utjXuyv oder ivi.ir]loq , in
welcher Eigenschaft er auf ägyptischen Münzen 2), auf einer Grab-
larape und auf einer alten Himmelskugel als Hercules Ingenicu-
lus '•) einen Zweig mit drei Aepfeln in der Hand hat, und in Böolien
und zu Athen durch ein Opfer von Aepfeln geehrt wurdet). Man
unterschied die Jahreszeiten bald durch die Anzahl der Aepfel, bald
durch die der Hesperiden. Auf einem Vasengemälde •’) hat der von
der Schlange umwundene Baum nur drei Aepfel, und Herakles, den
wir auf der Kehrseite als Himmelsträger erblicken, wird von einer
Hesperide vor dem Baume bewillkommt. Wir denken hier nicht so¬
wohl an die drei Zeiten, die vergangene, gegenwärtige und zukünf-
’) Creuzers Dionysos I. p. 145 ff. Daher, glaube ich, erklärt
sich das dunkle Beiwort des Zeus , welches der Marquis
Noinlel , französischer Botschafter am türkischen Hofe, am Eingang
einer Felsengrolte auf einem Berggipfel auf Naxos geschrieben fand :
OPOS JIOH MHASl^IOT, und welches Spon ignotorum Deorum arae
in Gronov. Thes. VH col. 241 nicht zu entzilfern wusste. Der Vater der
Horen, welcher nach Pherecydes (bei Schob Eurip. Hippolyt. 737) auch
die Hesperiden mit Themis erzeugt haben soll, verdiente so gut als
Herakles den Beinamen von den Aepfeln. Daher sollen diese goldenen
Aepfel bei der Hoebzeilfeier des Zeus mit Here gewachsen seyn, nach
Pherecydes bei Eratosthen. calasterism. 3 u. bei Schob Apoll. IV, 1396.
2) Creuzers Bilderb. z. Symb. T. II n, 1.
3) Bellori Part. II fin.
‘'') Inghirami Mon. Etr. S. VI tab. L 2 n. 3-
Pollux I, 1, 27. Hesych. v.
Inghirami S. V. tab. 17.
131
lige, wie Job. Lydus (p. 220), sondern vielmehr an die Jahreszeiten,
deren man in alter Zeit nur drei zählte, den Herbst in dem Sommer
mitbegritren ').
Auf einer Vase von Pästum und einer andern verwandten 3)
ist der Begriff der Jahreszeiten auf vier HeSperiden vertheilt, und
also eine Fortbildung des Fabelkreises ersichtlich. Auf der ersten
hat der fruchtreiche Baum die Inschrift 'Eo:i£piÖ£, auf die Aepfel zu
bezieiien. Auf beiden wird die Lebensschlange aus einer Patera ge¬
füttert, auf der ersten durch die Okeanine Kalypso, auf der andern
durch die Hesperide als Frühling, da das Leben neue Nahrung ge¬
winnt, neben ihr schiesst eine Pflanze auf. Auf der ersten ist die
F r ü h 1 i n g sh es p er i de durch Bänder in den Haaren ausgezeich¬
net, und durch einen Spiegel in der Linken als Sinnbild der sich
verjüngenden Schöpfung. Frucht hat sie noch keine in der Hand.
Beigeschrieben ist der Name NHAIHA , welcher uns an die sicilische
Niaiga, Gattin des Helios und Mutter der zwei Hüterinnen der Son¬
nenherden in Sicilicn erinnert. Ucber ihr ist der Kopf der Athene,
Vorsteherin dieser Jahreszeit, mit dem Diadem und dem Namen
AQNAKIE. Der Sommer pflücket auf beiden Vasen Aepfel von dem
Baume; das Gewand dieser Hesperide ist auf der zweiten Vase offen,
ihr Haar fliegend und sie allein unbeschuht. Neben ihr steht auf
der ersten der Schw'an, und ihr Name 'EPMHSA, von dem Vorste¬
her ihrer Jahreszeit Hermes genommen, dessen bekränztes Haupt
mit dem Schlangenstah über ihr abgebildet ist. In der Mitte der
Neäsa und Hermesa steht auf der ersten Herakles als jugendlicher
Gott mit Diadem, Keule, Köcher und Bogen und der Löwenhaut,
in der Hand eia Apfel und mit dem rechten Fuss auf der Weltkugel.
Auf der andern Seile des Bechers stehen die beiden andern Hespe-
riden. Der Herbst wird auf der zweiten Vase durch viele Aepfel,
die er in sein Gewand sammelt, auf der ersten durch die mystische
Binde in der Rechten durch die Erinnerung an die Mysterien in die¬
ser Jahrszeil, durch einen Ajffel in der Linken, durch den Namen
ANSEIA und den verhüllten Kopf der Here, TAPA (ra'HQo) ge-
1) Diodor. I, 11. 12. 26. Jabionski Opuscul. II p. 230.
2) Inghirami S. V. lab. 16. Iiighirami S. V lab. 18.
M Od. XII, 133.
132
nauni, ausgezeichnel. Der Win I er endlich ist auf beiden Denkmalen
verschleierl, um die düstere Herrschaft des Nachtreiches zu bezeich¬
nen. Auf dem zweiten bewahrt diese Hesperide die Aepfel in einem
Myslerienkästchen auf, um anzudeuten, dass die Natur im Winter
in sich verschlossen die Samen sammle, gleichsam in einem Kasten
niederlege und zum nächsten Jahressegen verwahre. Es gab aber
Mysterien des Herakles (wobei die Männer in Frauenlrachl erschie¬
nen i), wie bei der Festfeier des Hermes und der Aphrodite), und
die Hesperidenäpfel werden unter den geheimen Zeichen in den My-
slerienkästchen genannt 2). Auf der ersten Vase ist diese Hesperide
mit Namen AISiri'2 die hagerste, im Zustande der Schwachheit auf
die vorige Schwester gestützt, ohne Apfel und allein ohne Hals¬
schmuck: ihre herahfalleude Locke erinnert an Harpokrates. lieber
ihr ist Pan mit Bockshörnern, das Sternbild des Sleinbocks be¬
zeichnend 3).
Der mit der Schlange umwundene Baum kommt häufig auf ita¬
lischen Grabesdenkmalen als Sinnbild des wechselvollen Lebens vor,
mit Hinweisung auf die P'ortdauer der allgemeinen Lebenskraft. Die
Aepfel, welche einzelne Jahreszeiten und Jahre bedeuten, und dem
Herakles als Herrn der Natur in die Hand gegeben wurden, schei¬
nen überhaupt als Sinnbilder der Macht dessen, der sie trug oder
dem sie nachgetragen wurden, angesehen worden zu seyn; wie wenn
die tausend Trabanten der persischen Könige, /nt^locpopui genannt,
goldene Aepfel auf ihren Stäben hallen ') , oder wenn der Reichs¬
apfel eines von den Kleinodien des deutschen Reiches war.
■') Jo. Lydus de mens. IV, 46 p. 220.
2) Arnob. adv. Gent. V p. 213.
3) Vgl. Heidelberg. Jabrb. 1824 N. 49. Die Namen der Hesperi-
riden , Aegle, Aiethusa und Hesperusa, welche Servius ad Virg.
Aen. IV, 484 angeblich ans Hesiod beibringt, lassen wir dahingestellt
seyn. Auch sie würden unsre Deutung nur bestätigen : die erste (Licbt-
glanz) zeigt den neuen Aufschwung der Sonne an, die zweite (von
a^srij) ist die Fülle des strotzenden Jahressegens , und die dritte ist die
abendliche und winterliche.
'>) Athen. XII p. 410. 504 Schw'eigh. Brisson. de reg. Persar. princ.
p. 270. ed. Lederl. Als Schafe werden die Aepfel der Hesp.
Wie die Jahreszeileu, so wurdeu auch Tag und Nachl perso-
uificirt. Sie halten am Eingang in den Tartarus beim Atlas ihre mit
Wolken bedeckte ßeliausung, wo sie einander naliend anreden und
abwechselnd aus- und eingehen, ihre Stunde erwartend. Der Tag
bringt das Licht auf die Erde, die in eine Wolke gehüllte Nachl hat
den Schlaf in den Händen ').
S- 27.
Die Veränderungen in der Welt stehen unter höherer Leitung,
weil das All als ein Ganzes und somit das Einzelne durch dieses
bedingt gedacht wurde. Wie die verschiedenen Welllheile aus einem
einzigen Keime sich entwickelten, so herrscht ein Tolalzusammen-
hang unter ihnen selbst, ein Conlacl, eine Wechselwirkung und Mit-
leidenheit. Das ist die verborgene Macht des Schicksals, die sich
mit dem Werden des Alls entfaltete. MÖQog wird daher in der Theo-
gonie V. 211 unter den Kindern der Nachl zuerst aufgeführt. Die
Nachl ist des Schicksals Mutter wegen seiner geheimnissvollen und
unsichtbaren Gewalt und Wirkung. Wenn spätere Philosophen die
Well einen Organismus (fwov) nannten, so leuchtet die harmonische
üebereinsliramung aller Glieder schon aus der Weltansichl der Theo-
gonie (726 f. 735 fif. 8ü6 ff. 815) ein, wornach auf der Markscheide
zwischen der Erde und dem Tartarus die Wurzeln, Quellen und
Grenzen des Tartarus, der Erde, des Millelraeeres, des Okeanos
und des Himmels sind. Dort liegt also der Mittelpunkt des ganzen
Weltkreises. Es ist desshalb eben so weit abwärts in den Tartarus
als aufwärts zum Himmel: neun Tage und Nächte lang würde ein
Ambos vom Himmel auf die Erde fallen, und eben so lange von der
Erde bis in den Tartarus 2). Weil ein Baum in der Wurzel die Be¬
dingung seiner Fortdauer und ein Gebäude unten den Grund seiner
Fesligkeit hat, weil sich die göttliche Allmacht besonders in der un¬
zählige Keime weckenden Tiefe offenbart; so setzte man in dieser
gedeutet von Diodor. IV, Ü7. Varro de R. U. 11, I, 0. Palaeph. da
liicred. 19 u. Serv. Aen. IV, 'i8i.
‘) Theog. 743 ff.
2) Theog. 719 ff.
134
Na(uraüschauung den Grund der Allmaclil in die UnterweK, und
machfe den We l ( e ifer und Sieg, die Macht und Gewalt zu
Kindern der Styx und des Pallas '). Oben bricht die Mancbfal-
tigkeit heraus, unten aber sind die Grutjdfeslen der ünveränder-
lichkeit.
Das Zusammenhängen des Wellganzen wird im Atlas, dem ho¬
hen mit ewigem Sclinee bedeckten Berge in Weslafrika, vorgeslelK,
welcher um so geeigneter erscheinen musste, diese Idee auszudrücken,
weil er im fernen Abendlande steht, wo man sich alles Geheimniss-
volle, das Keich der Nacht und den Eingang in den Tartarus dachte,
und weil die von den Seefahrern erworbene dunkle Kunde von die¬
sem Gebirge der schöpferischen Einbildungskraft hinlänglichen Spiel¬
raum verstatlete. Homer (Od. I, 53' f.) legt ihm theils zufolge der
natürlichen Anschauungsweise, Berge Säulen des Himmels zu nen¬
nen 2), theils weil ihn die Eingebornen selbst Himmelssäule nann¬
ten 3), »hohe Säulen bei, welche zwischen Erde und Himmel stehen.“
Dasselbe drückt Hesiod (Th. 745 f.) bildlich also aus: »Atlas steht
an des Tartarus Pforten vor der Behausung, wo die Nacht und der
Tag sich scheiden, und hält fest mit dem Haupte und unermüdlichen
Händen das Himmelsgewölbe.“ Auch Homer a. a. O. personificirt
den Atlas als »einen weisen Mann, welcher des ganzen Meeres Tiefen
kenne«, d. h. welcher bis hinunter reicht in des Meeres Abgrund,
und mit seinen Gipfeln bis an den Himmel raget. Wird ihm aber
menschliche Empfindung und Weisheit bcigelegt, so bedeutet er
wahrscheinlich die Verbindung des Wellganzen , gleichsam die Brücke
von Himmel, Erde, Meer und Unterwelt, den Stamm zwischen der
Wurzel und den Zweigen. Was in Atlas physisch vorgestellt wird,
dasselbe haben die Christen geistlich in Gottes Sohn , welcher aus
U Theog. 383 ff.
2) Hiob 26, 11. Find. Pyth. I, 36.
3) Herod. IV, 184. In der Landessprache hiess der Berg eigent¬
lich nach Strabo und Plinius Dyris, und noch heutzutage Daran,
welches Wort bei dem Umstande, dass mehrere alle Urgebirge den
Begriff des Uranfä'nglichen vom Stier entlehnten, wie der Taurus, die
Alpen, die Apenninen , mit dem chaldäischcn (Rind), so wie Atlas
selbst mit dem etruskischen traXöq (Stier) Zusammenhängen möchte.
der Hölle uud des Grabes Tieleii oiiiporschoss über aller liiuiiuel
iliuiniel , eiue Säule, woran die Erde sich aufwärts richtet und die
Menschheil auch beim Untergang der Well sicher ruht.
Wenn das All als ein zusammenhängender Organismus begriffeu
wurde, so scheint darin eine Ahnung zu liegen, dass die Wellj^.des
alleinigen Golles Geschöpf ist. Hiermit verband der Heide den
Glauben au ein in einander greifendes Sympalhisiren Himmels uud
der Erde. Wenn der Christ die göllliche Vorsehung in ihrem Wal¬
ten vom höchsten und allgemefeen Slandpuukt aus bis ins Kleinste
herab anbelel, so verehrte der Heide den Kellenzug der Natur, die
gegenseitige gleichsam elektrische Einwirkung aller Wesen. Hören
wir darüber neuplalonische Philosophen, welche jenen allen Aber¬
glauben zum Gegenstände ihres Nachdenkens machten, und ihn in
seinem inwendigen Grunde begrifl'en, wo er noch einige Wahrheit
enthält, und woraus er also ohne Zweifel im ersten Anfang entsprang.
Obgleich,* sagt Plolinus (Euu. 11. L. 111 c. 8), ein Jegliches Wesen
seinen eigenlhümlicheu Wirkungskreis hat (ro auxov n^dizov) , so ist
doch keines vom Ganzen getrennt, sondern wirket zugleich in das¬
selbe ein, uud leidet hinwieder vom andern. Es gibt eiue natürliche
Einwirkung vom Ganzen in die Theile und von den 1 heilen zum
Ganzen, oder der Theile untereinander. Denn das Weltganze ist
ein Organismus, dessen Seele auf alle Theile in ihm sich erstreckt *).
Wie in einem Individuum, so ist auch im All ein Alles verbinden¬
der Hauch {av ij-nvoia fiia) ^). Auch das Ferne ist nahe, wie die
Glieder eines Leibes sich nahe siud^), und wie im Tanze die gleich-
mässige sympathetische Bewegung ersichtlich ist *). Wie die Bewe-
’) So drückt sieb auch der unbekannte Verfasser einer Abhand¬
lung von den natürlichen und künstlichen Einwirkungen der Wesen auf
einander in Villoison’s Aneedota Gr. T. II p. 227 f. aus, welche Ab¬
handlung zwar mit der Plotins Enn. II. L. III, c. 8 — 13 ähnlich ist,
jedoch nicht von Plotinus selbst geschrieben seyn kann.
5=) Plotin. Enn. II. L. III, c. 7.
Plolin. Enn. IV L. IV, c. 32 p. 426: avuTiaäkq örj ndv totiTO
TO iv , y,al lög fcoot' i't’, ycai rb 6^ eyyvi;' oio^teQ S(p ivbq r<öp
if.aOiv.aaxa , ovv^ val vSQag val ddnTvloq.
'*) Plolin. Enn. IV L. IV, c. 33 p. 427.
gungen des Tauzes durch den Rhythmus, so werden die Bewegun¬
gen des Alls nicht durch den Zufall, sondern mit Vernunft bestimmt.
Oer Zusammenhang und die Einwirkung der einzelnen Kräfte ist
willenlos, das Ganze aber hat die Absicht {7tQoaiQ£oiq) , welcher alle
einzelnen Kräfte, auch die feindselig auf einander wirkenden, dienen.
Selbst das Leblose hat seine Reihe im Ganzen, nichts ist klein oder
verworfen, .411es hat seinen Zweck, und ein jedes hat eine andere
Kraft, das Auge eine andere als der Fuss. So ist es nun auch am
Himmel mit den unwandelbaren, wfüwohl sich bewegenden Gestir¬
nen, welche die Alten und selbst noch Plotiii (Enn. II. L. III, c. 9)
Götter nennen. Theils ihre Stellungen und Gruppirungen {rä oy^rj-
{.taxa), theils sie an und für sich selbst (of ayr] i^iaxi^ojusvoi) äusseru
eine Einwirkung auf die Erde. Bei der vernuuftmässigen Bewegung
der ganzen Welt werden die Theile, wie an einem einzelnen Kör¬
per, nach Gesetzen in Bewegung gesetzt und in immer neue Stel¬
lungen gebracht. Als Urheber ist somit das den Reigen der Welt¬
körper veranlassende All (6 CTX7,««r/^cov) anzusehen. Die Figuren,
welche die Sterne bilden,- sind gleichsam die Rhythmen des Welt¬
organismus, und darnach richten sich die Dinge auf Erden (ßpdaöl
rä ovr£7tö/.t£Po.). Dass die Gruppirung der Gestirne schon eine eiu-
wirkende Kraft besitze, wird daraus ersehen, weil dieselben Sterne
in verschiedener Lage etwas Anderes wirken, und weil ja schon ge¬
malte Figuren einen Eindruck auf den Beschauer machen. Da aber
verschiedene Sterne im nemlichen Dreieck verbunden, doch etwas
verschieden wirken, so hängt die Einwirkung auch zum Theil von
der Natur der Sterne selbst ab. Nicht allein aber einen wirklichen
Einfluss (Txoirjoii;) , sondern auch eine Bedeutsamkeit {arjjxa-
oLa) schrieb man dem Sternenhimmel zu, in so ferne ein Theil des
Ganzen sympathetisch den Zustand des andern Theils abspiegelt *).
Wie man aus den Augen eines Menschen auf seinen Gemüthszustand
und seinen Charakter schliesst, so auch im Weltganzen von einem
Theil auf den andern, wie von den Vögeln und andern Thieren, oder
') Vgl. PloUn. Enn. IV L. IV, c. 34 p. 428 und das angeführte
Itrucbslück in Villois. Anecd. Gr. T. H p. 229 IT. Plotin sagt von der
Dedeiitsainkeil a. a. 0. c. 39 p. 433: 'Lvvxaicoixiviav öi dsl ndvztav, y.al
liq er Ol mXorvTcov Trd.rxMV , arj^iaivxoßai. nd.vxa.
137
nocli mit mehr Reclit von grossem und bedeutendem Theilen, >\ie
die Gestirne sind. Alles ist voll von Zeichen , der Weise weiss sie
zu finden*). — Vögel, besonders Raubvögel , sind vorbedeutend bei
Homer: der Falke oder Habicht (x/pxoj) ist Apollons schneller Bote 2).
Wenn sie zur Rechten flogen, so waren sie günstig 3), zur Linken
ungünstig '*). Zeus gibt durch den Blitz und durch den Donner
eine günstige Vorbedeutung.
Den Fixsternen schrieb man eine blos vorbedeulende, der
Bewegung der Wandelsterne aber eine einwirkende Kraft, und
zwar auf leibliche Zustände, Armulh und Reichthura, Krankheit und
Gesundheit, Schönheit und Hässlichkeit und Gemüthsbewegungen zu.
Ein jeder Planet habe, behaupteten die Astrologen, seine eigene
Kraft, wie das Auge oder die Galle im Thier. So schatTen Mars
und Venus die Wollust im Menschen. Die Planeten wirken aber
verschieden beim Aufgang, ira Meridian und bei ihrer Neigung. Der
Mond ist als voll gut, als neu schädlich. Es gibt böse kalte und
gute warme Planeten, jene werden gut, wenn sie ferne sind oder
des Tages erwärmt werden, diese sind besonders des Nachts gut.
Kommen sie einander gegenüber zu stehen, so werden sie beide
schädlich. Es kommt darauf an, ob die Planeten einzeln stehen,
oder einige einander anblicken, welche Figuren sie dann bilden,
oder ob sie allesammt in Wechselwirkung treten. Plotin (Enn. H
L. III c. 1—6) beurtheilt und bestreitet zum Theil diese Meinungen
der Astrologen; nach seiner Ansicht hängt vorzüglich die manchfal-
tige Verschiedenheit des individuellen Lebens von der verschiedenen
Constellalion ab; nicht die Art selbst kommt von oben her, sondern
das Einzelwesen empfängt bei seiner Geburt eine Zugabe von der
bei seinem Werden vorhandenen Verknüpfung der Gestirne. Diese
bildet also das Pferd nicht, sondern gibt einem werdenden Pferde
etwas, dass es gerade ein solches sey. Bald wird auf diese Weise
die Bildung gefördert , bald gehindert. Daher ist ein Sohn bald bes¬
ser, bald schlechter als sein Vater. Freilich ist hierbei auch die
') Plotin. Enn. II. L. III, c. 7, w'o es heisst: aocpöq rig ö txadMV
äXlov äXXo.
2) Od. XV, 5-2G. Od XV, 160 öe^ioq oQfiq.
'•) Od. XX, 242. ’) Od. XX, lO.'I. *') Od, XXI, 413.
138
Malerie im Spiel, je nachdem sie von der Form mehr oder minder
heherrsclil wird.
Diese astrologischen, magisclien und maulischen Gruudsälze, ob¬
gleich von spätem Philosophen vorgetragen, sind doch der Haupt¬
sache nach uralt, und werden von den Titanen Koios und Phoibe
und ihren Nachkommen Leto, Asteria und Hekate vertreten;
wie wir oben wahrgenommen haben.
C. Wie verhält sich der Mensch zu Gott?
1 ) Im Allgemeinen.
§. 28.
Der Mensch ist in seinem Entstehen und Bestehen von
Gott abhängig. Der Titan Japelos, den wir als den ersten Men¬
schen der Theogonie oben bezeichnet haben, ist der Sohn Him¬
mels und der Erde *) • Himmlisches und Irdisches ist in der mensch¬
lichen Natur vermischt, ein höheres Gepräge ist ihr aufgedrückt als
allen andern Gesciiöpfen auf Erden. Während die Thiere von der
Erde und dem Meere abstammen, so hat allein der Mensch gemein¬
schaftlich mit den Göttern den Himmel zum Vater. Japet ist ein
Titan so gut als der allerhöchste Kronos und die Sonue Hyperioii.
Die griechische Fabellehre begrenzt das iapetisclie Geschlecht
nicht auf das griechische Volk allein. Wenn bei Moses (I, 10) Tar-
tessus ein Nachkomme Japhets ist, so ist es in der Theogonie At¬
las. Dieses ürgebirge aber ist um so mehr zugleich eine Personi-
fication der dortigen Menschheit, weil daselbst eine Völkerschaft
Namens wohnhaft war 2), weil die Griechen dem Atlas
Kinder zuschrieben, namentlich den FJesperus als den Stammvater
der Hesperier, die Elektra, die sich nach Samothrace verehelichte 3),
') Theog. 134 2j Herod. IV, 184.
Hellanikus bei Schob Apollon. I, 910.
139
und die Maia, die Multer des Hermes^). Wegen des Atlas, scheint
es, wurde dem Japetos die Tochter des den Berg Atlas bespülen¬
den Okeanos, Kl y mene, zur Gattin beigegeben 2).
Das Wort: »seyd fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde«,
sichert den Bestand des Menschengeschlechts, indem es eine fort¬
dauernde Schöpfung, eine ergänzende Erhaltung veranlasst. Jenes
Wort verkörperte sich bei den alten Griechen in Aphrodite und
ihrem Sohne Eros. Wenn diese Götter das Vermögen der Fortpflan¬
zung und den Geschlechtstrieb in der ganzen Natur darslellen, so walten
sie auch in der Menschenwelt, allein io veredelterer Gestalt. Aphro¬
dite hat hier zu ihrem Theil das Lächeln, das Liebkosen, die Täu¬
schung und vertrauliche Unterhaltungen 3), Sie hat nach Homer
(11. XIV, 214 ff.) an der Brust einen gestickten Zaubergürtel , woran
Zuneigung, Sehnsucht, vertrauliches Gespräch und Zureden ist. Ihr
gewöhnliches Beiwort ist die Lächelnde {q)i'koj.isidiiq). Die Peitho,
der Genius der Ueberredung, des Okeanos Tochter^), und die gei¬
stesverwandte Paregoros, das Zureden ^) , wurde zu Athen neben
der Aphrodite Praxis in ihrem Tempel von Praxiteles abgebildel ®).
Eros trat unter den Menschen in der Gestalt der Liebe auf und
drückte zugleich die inwendige Zuneigung der Herzen aus. Als sol¬
cher wurde Eros auch besonders als Ilimeros^) (Liebesverlan-
gen) und Pothos (Sehnsucht) personificirt, und Skopas bildete sie
in jenem Tempel zu Athen neben einander 8). Die richtige Unter¬
scheidung Platons (Cratyl. p. 420 A) verdient hier eine Stelle, dass
nemlich l'/uegog das Verlangen nach einem gegenwärtigen Gegenstand,
rtödoi aber nach einem entfernten sey. Der Ehestand als die ordent¬
liche Werkstätte der Fortpflanzung stand unter der Aufsicht der
i) Theog. 937. 2) Theog. 508.
3) Theog. 205 f. Theog- 349.
3) Als Zureden ist Paregoros zu fassen, nicht als Tröstung beim
Liehesschmerz ; denn man vergleiche II. XIV, 217, wo die gleichbedeu¬
tende :tdQcpaaiq im Gürtel der Aphrodite steckt, wovon gesagt wird,
dass sie den Sinn auch der Weisen betrüge.
Pausan. I, 43, 6. ?) Theog. 201.
3) Pausan. I. c.
140
Aplirodile ‘) > und* sie selbsl io Verbiuduog mit Hermes war das
Vorbild der Ehe.
Persephone und Hermes hallen nach Ipelasgiscb samolhra-
cischer Lehre unslreilig eine beslimrale Beziehung auf den Menschen.
Persephone, schlechlhin Kögtj d. i. Mädchen, Menschenkind ge-
nannl, war nichl allein der ausgeslreule Sarne, wiewohl diess ihr
Grundbegriflf war , und an diesen alle andern sich rcihlen. Der
Same wurde nemlich bald eigenllich , bald uneigenllicb und sinnbild¬
lich verslanden und aufgefassl. Wir können diess an den» unedirlen
Grabesdenkmal des Archippos im Museum Grimani zu Venedig nach-
weiseu, wo einem Irauernden zur Erde blickenden Genius gegen¬
über ein anderer rail zwei Aehren in der Hand aufschaul. In der
Menschenwell gehls wie bei einem Saalfelde; wenn sie ihre Frucht
gebracht hal, wird sie eingelhan durch die Hand der Schnitter. Da¬
her wurde der Erudlekranz {elQEawvrf), den man am Erndlefesl urn-
herlrug, auch einem Verstorbenen zu Ehren aufgehäugt 2); womit
man sagen wollte: seine Aehren sind reif, die Garbe ist zeitig und
wird eingelhan in die Scheune. Daher erklärt sich auch die Ver¬
bindung der Thargelia als des Erndlefestes rail der Lustralion von
.4then. Der orphische Hymnus (XXIX, 13) nennt die Persephone
»Leben allein und Tod für die mühebeladenen Menschen«, und bit¬
tet sie nichl nur um Früchte aus dem Boden, sondern auch uro Ge¬
sundheit. Der orphische Hymnus (XL, 2) nennt Demeter Amme der
Jugend {y.ovQorQÖcpoq).
Es ist bemerkenswerth , dass die trauernde Demeter mitten in
ihrem Schmerze über die in des Hades Arm versunkene Tochter
durch die schlüpfrigen Scherzreden der Jambe im Hause des
Keleus aufgeheitert wird, dass sie lachen musste 3). Ein bedeutsa¬
mer Wink von dem Wiederersalz der Gestorbenen durch Geschlechts¬
trieb und Fleischeslust, wodurch die Mutter Erde allein über den
Verlust der Hingeschiedenen getröstet werden kann. Noch deut¬
licher tritt dieser bei Homer fein angedeulele Gedanke in einer
gröber sinnlichen orphischen Fabel hervor, wornach Demeter in ih-
') Hon». II. IV.
2) Alciphroii 111 epist. 37.
11. h. in Cer. 202 ff. Anthol. T. 111 p. 209 Jacobi.
141
rem Jammer zuerst den von Raubo dargereichten Labelrunk ver¬
schmäht habe, darnach aber zum Lachen gereizt wurde, als ihr
Raubo ihre Schamlheile aufdeckte; der Knabe Jacchus befijhlle sie
lachend unter der Hüfte, worauf die Göttin herzlich lächelte und den
angebolenen Mischtrank annahm '). Was Raubo für eine Allegorie
sey, sagt ihr Name genugsam, indem ßovßtöv im Griechischen die
Schamdrüseu bedeutet. Nachdem Demeter diese gesehen und dem
zeugungslustigen Gott zu seinem Werke geholfen, so mischte und
erhielt sie wieder das Leben, indem sie den Mischtrank zu sich
nahm. Die Erhaltung und Ergänzung der Gattung ist durch die
forlpflanzenden Theile beider Geschlechter bedingt; dadurch lebt das
hinfällige Geschlecht immer wieder auf und bleibt stets in frischer
Jugend. Nachgehends vermischte sich damit die Lehre von der See¬
lenwanderung, wornach dieselben Seelen (gleich einem in den Ro¬
den gefallenen Samen) wieder aus dem Orcus kehrten. Als Vorbild
galt davon die eigene Mutter des Dionysos, welche er aus der Un¬
terwelt herauf geholt haben sollte 2). Als eine vergötterte Sterbliche
kennt sie schon Hesiod (Th. 941).
§. 29.
Des Menschen Geschick wird von oben gelenkt und ist
zum Theil schon in den Sternen geschrieben, Asteria, der Ge¬
stirne Einfluss, erzeugt die wohlthälige Hekate, von welcher Glück
und Segen den Menschen zu Theil wird. Von sich aus gebiert die
dunkle Nacht das Schicksal {Mo^og), das schwarze Verhäng-
niss , den Tod (Gdrarog) , den Schlaf (’T.Ttog) und die
Schaar der Träume C'OPii()a) ^). Diese von dem Willen des Men¬
schen unabhängigen Zustände werden als göttliche Mächte über ihn
gestellt.
Wie die Einzelnen und F'amilien so stehen auch die V'^erbindun-
gen der Menschen in Staaten unter höherer Aufsicht, In pelasgi-
*) Orph, (fragm, XVI Hermann, p. 457) bei Clem. Uoh. ad Genf,
p. 32, Euseb. Pr. Ev. II, 3 p. ü6 u. Arnobius.
2) Apollodor. III, 5 das. Heyne. Paiisan. Corinth. 31, 2.
3) Theog. 211 IT.
142
scher Urzeit galt Nereus als der Gott des klaren Elements, als
der Wahrhallige für das Vorbild einer guten Obrigkeit, in so fern
sich diess aus seinen Töchtern Ntj /n und 0£/ziarw') schlies-
sen lässt. Diese beiden umfassen ihrer Wortbedeutung nach die
Haupltugenden einer Regierung, Wahrhaftigkeit und Recht, und pfle¬
gen unzertrennlich beisammen zu seyn, wie auch die hebräische
Sprache beide BegrilTe mit einem und demselben Worte bezeichnet;
denn das Klare und Wahre ist auch das Gerechte. Diese Ideenver¬
knüpfung tritt auch in der Fabel hervor, dass Themis einst gewahr¬
sagt habe. Zu diesen leitenden und helfenden Gottheiten scheinen
gleichfalls die zwei anderen Nereiden zu gehören: die Mässiguug
(Evx^aTr^) und das Wohlseyn (2aw) 2).
lieber den Krieg ist in dieser Periode Enyo mit dem Safran-
inaiilel nebst ihrer Schwester Pephredo (Schauder) gesetzt. Sie
heissen zusammen Gräen d. i. alle Weiber, und sind grau von
Geburt an. Zu Ellern haben sie Phorkys und Kelo^), weil von
diesen die Gorgonen und somit das Kriegsross abstammen. Mit die¬
ser Genealogie verhält sich’s, wie wenn heutzutage der Erfinder des
Pulvers der Vater des Kriegs genannt würde. Nach Aeschylus
(Promelh. 795) waren es drei Gräen , welche ein gemeinschaftliches
Auge und Einen Zahn haben (d. h. sie sind nur Eine Idee in drei
Personen), die weder Sonne noch Mond bescheinl. Apollodor (II, 4, 2)
nennt den Namen der drillen d. i. die Schreckliche.
Unter den Titanen erscheint Mnemosyne als Vorsteherin aller
geistigen Thäligkeilen. ln der drillen Periode ist sie mit Zeus die
Mutter der Musen und somit die Beschützerin der Sänger und Dich¬
ter. Alle Dichter '*) machen die ällern Musen unmittelbar zu Töch¬
tern des Himmels und der Erde und koordiniren sie also dem Kro-
1) Theog. 261 f. Z) Theog. 243.
3) Theog. 270 IT. Hermann Opusc. II p. 179 hält die Gräen für
die an das Ufer schlagenden Wellen, van Lennep ad Hes. 1. c. für See¬
kälber oder Affen. Aber schon aus Homer II. e, 333. 592 sollte der
Begriff der Städtezerstörerin Enyo, die mit Ares zusammengeslellt wird,
klar seyn.
■*) Alkman bei Diodor. IV p. 215 u. Mimnermus bei Pausan. Boeot.
29 p. 766. Musäus bei Schob Apollon. III, 3.
143
nos. Uehereinstimraend ist der Bericht *), der sie von Zeus, dem
Sohne des Aelhers, und der Nymphe Piusia abslammen lässt; denn
jener Zeus ist gleichbedeutend mit Uranos, und der Name der Piu¬
sia enthält eine Anspielung, dass die Musensöhne in ihrer Kunst
reich sind und machen. Uie Zahl der allen Musen wird von Epho-
rus drei, von Mnaseas vier, von Myrtilus sieben, von Krates acht
und von Ilesiod neun angegeben 2). Die Delphier benannten sie vor
Alters nach Massgabe der Uaupltonarlen Nrjrrj, Mdot] und ^T:tdtr] ,
d. i. den höchsten , miltlern und tiefsten Ton Otus und Ephialtes
haben den Berg Helikon den drei Musen: JMneme (Erinnerung),
Melete (Nachdenken) und A öde Gesang) geweiht^). Sie
deuten nicht mehr blos die verschiedene Melodie au, sondern die
Haupteigenschaften eines geschickten Bhapsoden, welcher, was sein
Gedächtniss ihm bol und sein Nachdenken verarbeitete, sinnig zu
singen wusste. Die zwei ersten verhallen sich zur dritten wie Inhalt
zum Vortrag, und der Inhalt ist theils ein überlieferter, theils ein
selbslthätig gewonnener. Nach Andern 5) hiesseii sie Arche, Me¬
lete, Tbelxinoe und .4 ö d e. Die erste der Anfang genannt, weil
die epischen Dichter mit ihrer Anrufung zu beginnen pflegten, die
zweite, das Nachdenken, zeigt den verständigen Gehalt, die dritte,
Geislesergötzung, den Zweck des Angenehmen, und die vierte, Ge¬
sang, das iMillel zum Zweck an.
*) Aralus L. V rtöi' doTQty.cöu bei Tzetzes in Hcs. Op. p. 6 rich¬
tiger als Cic. N. D. III, 2t : Musae primae quatluor, nalae Jove altero.
Denn Juppiter alter wäre nicht üranos, sondern Kronos.
2) Arnob. III p. 121. Die Angabe des Cornutus N. D. c. 14 und
der Eudocia, dass Einige nur zwei Musen kennen, dürfte auf einer
Verwechslung beruhen; vgl. Schob Apollon. III, 3.
3) Plut. Symp. IX, 14. Daher gab Varro bei Augustin, de Civ. D.
XVIII. folgende Ursache der Dreizahl der Musen an: quia facile esset
aniraadvertere , omnemsonura, qui materies cantileuarum est, triformem
esse natura.
Pausan. IX, 29. Ephorus bei Arnob. III, 14 p. 121. fragm. ed.
Marx. p. 204. Varro bei Serv. ad Virgil. Ecb VII , 21. Diodor. IV
p. 215. Augustin, de doctr. Christ. II, 17, 27. Auson. ep. IV, 62.
Aratus I. c. Cicero 1. c. Eudocia Violnr. p. 293.
144
'2) Wie verli.111 sich der Mensch als ein sitlliches
Wesen zu G o 1 1 ?
\
§. 30.
Ursprünglich war ein Stand der Vollkommenheit und Gottähnlich¬
keit, worauf ein Zustand der Verscldimmerung und des Abfalls folgte.
Schon der Ursprung des Japetos von Himmel und Erde beurkun¬
det das himmlisclie Gepräge, das dem Menschen von Erde aufge¬
drückt ist. Noch deutlicher geht diess aus der griechischen Lehre
von den Weltaltern hervor. Der indische, persische und grie¬
chische Glaube setzte in Uebereinslimmung mit der biblischen Ur¬
kunde an die Spitze der Menschengeschichle einen paradiesischen
Zustand ')• Hesiod (Werke 109 ff.) schildert das erste Menschen¬
geschlecht als^das goldene, das den Göttern gleich harmlos lebte
in frischer Jugend, ohne Altersbeschwerden und Arbeit; die Erde
erzeugte aus freien Stücken reichliche Vorräihe , und der Tod über¬
fiel die Menschen wie ein Schlaf. Die Indier und Perser nahmen
ausser diesem noch drei Geschlechter an, eines geringer als das an¬
dere; Hesiod aber schaltet das den Griechen eigenthümliche Heroen¬
geschlecht des thebanischen und trojanischen Krieges ein, und zählt
so im Ganzen fünf Weltalter. Das zweite ist das silberne, an
Leib und Seele geringer, weder gottesfürchtig noch menschenfreund¬
lich; das dritte das eherne, aus Eschen gebildet, stark und krie¬
gerisch, das sich unter einander aufrieb; das vierte die Heroen
vor Thebe und Troja, und das fünfte das eiserne, frühe alternd,
voller Mühe, Sorgen, Zwietracht und Gottlosigkeit. Jene Heroen
vor Troja nennen Homer (11. Xll, 2.3), Hesiod (Op. 160) und Pla¬
ton (Apolog. p. 28 C) Halbgötter {-^uidsoi uvÖQaq^.
Von dem Ursprung des Bösen finden sich in der Theo-
gonie bedeutsame Winke. Die mächtigen E rinny en d. i. die Rache¬
geister des Bösen sind aus den Blutstropfen des entmannten Uranos
zugleich mit den kriegslustigen Giganlen entsprungen 2), und die
*) Slolberg Geschichte der Religion Jesu S. 367. Zendavesta hei
Rhode S. 163.
2) Theog. 18.5.
145
Entmannung selbst wird als ein strafbarer Frevel an der Gottheit
vorgestellt *). Wir haben oben den Sinn jener Entmannung als den
Grund des selbstständigen Lebens ausser Gott in der I.ehre von der
Schöpfung begritTen Wenn nun aber die Selbstständigkeit ausser
Gott zugleich als der Grund alles Bösen und somit der Erinnyen
dargeslellt wird, so finden wir eben damit die Frage nach dem
Grunde der Möglichkeit der Sünde aufs bündigste beantwortet. Der
Stolz ist aller Sünde Anfang, dieser aber ist bedingt durch eine
Entfernung des zeitlichen Lebens von dem göttlichen; wer frei aus¬
ser Gott steht, kann sich ihm auch gegenüber und entgegen setzen.
Die ^alur des Menschen, der ausser dem Gesetz der Notbwendigkeit
in das Reich der Freiheit und Willkür gesetzt ist, enthält die Mög¬
lichkeit des Falls. Das Streben aber, sich ausser Gott geltend zu
machen und sich seihst nach sinnlicher Willkür Gesetz des Lebens
zu seyn, ist eben das Böse. Die Giganten, als welche eine Frucht
des am Himmel begangenen Frevels sind und zugleich mit den Erin¬
nyen entstehen, enthalten den NebenbegritT des Abfalls von Gott,
und wie in der h. Schrift 2) die Biesen von den Söhnen Gottes mit
den Töchtern der Menschen erzeugt sind, so gibt es auch in der
Theogonie zwei Linien, ein adeliges und ein gemeines Geschlecht,
die Japetiden von Himmel und Erde, und die Giganten von dem
durch Frevel vergossenen Samcnhlut des Lümmels entsprossen. Die
G ig a n 1 0 m a ch i e mag zugleich ein Sinnbild des widerspenstigen
Auflehnens der Menschen wider die Gottheit gewesen seyn.
Die Strafe folgt der Sünde auf dem Fusse nach. Die Erin¬
nyen, welche sowohl durch das Gewissen als durch sonstige Straf¬
mittel die Ruchlosigkeit der Menschen ahnden und besonders in der
Ewigkeit ihr furchtbares Amt der Vergeilung ausühen , sind die Strafe
und Schranke des ausser Gott Gesetzten, des vollzogenen Abfalls.
Sie werden deutlich als Gottheiten des allen Styls in den Eumeniden
des Aeschylus (z. B. 768. 798) bezeichnet im Gegensatz zu Zeus,
Apollon und Athene als Göttern neuern Stamms. Eine Mutter würde
die furchtbare Erinnys wider ihren Sohn, der sie verstösst , aufrufen,
heisst es Odyss. H, 135. Der Mutter Epikaste Rachegeister (Eqiv-’
vvsq) vollziehen die Strafe an dem Sohne Oedipus, welcher unwis-
') Theog. 209 f.
2) 1 Mos. 0, 4.
10
146
senllicli in bliitschünderisclicr Ehe mit ihr gelebt hat '). Sic bestra¬
fen unter der Erde den Meineidigen , sagt Agamemnon, der die Erin-
nyen bei einem Scliwur anrief 2). Ihre Strafe besteht bisweilen in
dem Unrecht selbst, worauf Unheil erfolgt. So klagt Agamemnon
den Zeus, das Schicksal und die im Dunkeln wandelnde Erinnys an,
dass sie ihm die Unbesonnenheit eingegeben hätten, den Achilleus
zu beleidigen 3). Aeschylus (Eumen. 920) singt : »Die aus den frü¬
hem entstandenen Sünden führen den Menschen zu den Erinnyen,
und schweigend zermalmt das Verderben auch den Grossprecher mit
feindseligem Grimm.“ Zu Athen hiessen sie schlechthin die ehrwür¬
digen Göttinnen (oe^vaA -daaC), zu Sicyon die Wohlmeinenden
/Ltsvidsg') ^). Ihr und des Theseus Heiligthura war zu Athen eine
Freistätte für Verfolgte Der Gedanke an sie entwaflhete die Ver¬
folger. Wenn Ilesiod (Th. 185) das Geschlecht der Erinnyen kos-
mogonisch ableitete, dass die Erde sie von den Tropfen des ent¬
mannten Uranos gebar, so genealogisirte sie Aeschylus ethisch als
Kinder der Nach t und gab ihnen die Mören zu Schwestern ^). Als
Persephone zur Königin des Nachtreiches gestempelt wurde, so
machte man sie zur Mutter der Eumeniden ^). Euripides (Orest. 398)
nennt sie drei der Nacht gleiche Mädchen, und sein Scholiast (zu
V. 37) führt ihre Namen auf: Tiaicpöp?] ^ Meyaiga und "‘AXtjxtm, wo¬
durch ihr Begriff in drei Theile zerlegt wird, ihre Namen (von r/w,
rpövog, fiieyaiQco und zusammengesetzt bedeuten die unaufhör-
licli zürnende Bluträcherin. .
Die Nacht, die Finsterniss ist wie im Morgenlande so in
der Theogonie Sinnbild und Mutter der Laster, ihrer traurigen Fol¬
gen und der göttlichen Strafgerechtigkeit. Platon (Alcib. J p, 13i E)
setzt das Ungöttliche und Finstere in gleiche Linie. Nach Hesiod
*) Od. XI, 280. Die, welche gerächt werden, stehen im Genitiv
bei Erinnyen, so Od. XVII, 475: »es gibt Götter und Rachegeister der
Armen.«
2) II. XIX, 259. 3) II. XIX, 87.
^) Pausan. Corintbiacis. Suidas in Orjosiov.
Aeschyl. Eumen. 69. 317. 410. 949. Bei Sophocl. Oed. Cot. 42
sind sie Töchter der Erde und der Fiuslerniss.
^) Orph. hymn. XXIX, 6.
147
(Th. 214 ff.) »gebiert die Nacht das Schicksal (Mopog) , das
schwarze Verhängniss den Tod — sodann den Spott
(MM/uog) , das thränenreiche Elend {’Oi^vg) , die Mören und
Rachegeister (Kij^sg), welche der Menschen und Götter Ueber-
tretungen verfolgend, von dem erschrecklichen Zorne nicht ablassen,
bis sie dem Frevler gebührende Strafe vergotten haben. Die ver¬
derbliche Nacht gebar auch die Nemesis, zur Züchtigung der sterb¬
lichen Menschen, hernach den Trug, den Beischlaf, das jämmer¬
liche Aller und die hartherzige Zwietracht (”E^)cg'). Die ver¬
hasste Zwietracht aber gebar das Mühsal, die Vergesslichkeit
den Hunger, Schmerzen, Blulvergiessen, Mord,
Schlachten, Todtschlag, Hader, Lügenreden, Zank,
Ungesetzlichkeit und das Verderben i^’Arrj)^ die mit einan¬
der verwandt sind, und den Eid, der die Menschen sehr beschä¬
digt, so jemand wissentlich einen Meineid schwört.«
Als Hauplsünden werden somit hervorgehoben: Trug, Fleisches¬
lust und Hass. Wenn der Trug, wie oft, nur als eine Bestimmung
des Folgenden anzusehen ist, so gäbe es zwei Wurzeln der Laster¬
haftigkeit: täuschende Sinnenlust und trügerischen Hass, eine ver-
/
kehrte Liebe und Mangel an Liebe. Neben der gehässigen gibt es
aber auch eine gute und nützliche Eris, welche die Nacht vor der
schlechten gebar, d. i. der Wetteifer, »der auch den Müssiggänger
zur Arbeit erwecket.” Ja wenn nach Hesiod (Op. 18) der erha¬
bene Kronide diese an die Wurzeln der Erde gesetzt hat , so hat
sie nicht nur eine sillliciie, sondern auch nach der Lehre des
Heraklilus eine kosmogonische Bedeutung, dass, wie es unter den
Menschen einen heilsamen Widerstreit gibt, also auch in der Ent¬
wicklung der Dinge aus ihrem Widerstreben die schlummernden
Triebe geweckt und eine höhere Einigung bewirkt wird.
Die Ker pflegt bei gewaltsamem Tode 2), oft auch mit dem
Ausdruck von Tod oder Mord verbunden 3) gebraucht zu werden.
Die Theogonie (211 f.) nennt darum neben einander Ker und Tha-
nalos, gewaltsamen und natürlichen Tod. Die Ker heisst auch To-
Hes. Op. 20.
2) Od. III, 410. IV, 502. VI, 11.
5) Od. II, 283. 352. III, 242. IV, 273-
148
desparce ') , und wie sic unter den Naclilgeburlen in der Tlieogonie
in der Einzahl neben dem Schicksal erscheint, so auch eben daselbst
in der Mehrzahl neben den Schicksalsgöttinnen (MoT^ai), und so sind
sie auch auf dem Schilde des Herakles neben und ausser den Moren
als schwarze Todesgöttinnen abgebildet, die mit den weissen Zähnen
knirschen, in den Schlachten auf die Gefallenen die Klauen werfen,
das schwarze Blut aussaugen und die Seelen in den Hades senden 2).
Auf einem Vasengemälde 3) schwebt eine Ker über dem von Herak¬
les erlegten Alkyoneus und ergreift ihn beim Kopf. Es scheint aber
unthunlich, dass dieselbe Tlieogonie V. 218 f. Klotho, Lachesis und
Atropos zu Töchtern der Nacht, und V. 905 nach der spätem Ueber-
lieferung zu Töchtern des Zeus und der Themis macht. Hesiod bleibt
sich sonst gleich , ohne sich in solche Widersprüche zu verwickeln.
Ich pflichte daher dem Commentator van Lennep S. 224 bei, dass
jene zwei Verse aus V. 905 f. am Rande wiederholt, sich fälschlich
in V. 218 f. eingeschlichen haben. Bei den Geburten der Nacht sind
es die ältern Mören, die nicht mit den Töchtern des Zeus zu ver¬
wechseln sind.
Die Vergeltung, Nemesis, als eine insgeheim wallende Macht
ist gleichfalls eine Geburt der Nacht. Sie hiess auch 'ÄSQdaxfta von
Adrast, der ihr einen Altar errichtete^). Da sie die Willkür der
Menschen zügelt, so hat sie einen Zaum als Attribut, und da sie in
der Ferne erreicht, die Flügel und die Schleuder; wenigstens war
die zu Smyrna verehrte Nemesis mit Flügeln versehen^), die rham-
nusische ohne Flügel. Als prüfende Gerechtigkeit hatte sie das
Maass oder Richtscheit auf smyrnäischen Münzen 6); oder sie stellte
’) MoTq oXo'^ tavaXrjysoq ßaväxoio Od. II , 100. III, 238. MotQa
Od. III , 269.
2) Hes. Scut. 249 ff. Od. II, 316. IV, 512. V, 387.
Bei Tischbein II, 20. S. Bötliger in Schlichtegrolls Auswahl
von Gemmen des Sloschischen Kahinets I S. H5 und meine Recens.
V. Inghiramis M. Etr. Ileidelb. Jahrh. 1824 S. 799 ff.
"*) Aeschyl. Prom. 936- Antimachus hei Siraho XIII p. 588.
•’) Paiisan. Allic. 33, 6.
Liebe Gotha nnmaria p. 282.
149
mit ihrem Arm das Ellenmaass vor*). Die Gerechligkeil ist ihre
Beisitzerin. »Du missest stets, sagt ein alter Dichter 2), am Maass
der Sterblichen Leben ab, und blickest zum Busen hinunter mit im¬
mer ernstem Blick.« Als Zeichen der Rache hat sie das Rad; denn
der Dreschwagen der Alten diente zur Züchtigung von Verbrechern 3).
In Verbindung mit Aedos (Jidcog') ist Nemesis das sittliche Gefühl, die
Gewissenhaftigkeit der Menschen, vermöge welcher man das Böse
für schandbar achtet, richtet und straft, t'o verbindet Homer (11. XIII,
122) beide Wörter: iv cpQsal ^iads aidcö xal veiueaiv, schämt euch
eurer Feigheit und verabscheut dieselbe. Im eisernen Zeitalter ent¬
weichen Aedos und Nemesis in weisse Gewänder gehüllt von den
sündigen Menschen zum Olympos und überlassen sie unreltbar ihrem
Verderben ^); d. h. niemand schämt sich und niemand verabscheut
mehr das Böse. Aedos erscheint auf Münzen als eine jugendliche
Gestalt , die einen Schleier vors Gesicht zieht.
Das Verderben, Ate, wird von Homer (II. XIX, 91) zu einer
Tochter des Zeus gemacht, welche mit leichten Füssen verderblich
über die Häupter der Menschen schreitet. Sie ist vornemlich das
selbstverschuldete Unglück, und darum bei Hesiod eine Tochter der
Eris, vertraut mit dem gesetzwidrigen Leben (^Jvavo/uitj). So auch
Homer (II. IX, 510 ff.): wer gegen die Bitten (Änat) taub ist, und
somit feindselig und eigensinnig, über den kommt Ate und verhängt
Strafe und Schaden.
*) Museum Pio- Clement. T. II n. I3. Eine Münze von Tripolis
in Creuzer’s Bilderb. T. IV n. 6.
2) Mesomedes in h. in Nemes. Anlholog. Gr. II, 292.
2) Richter 8, 7. 16. 2 Samuel. 12, 31. Daher Spr. Sal. 20, 26:
„ein weiser König zerstreut die Gottlosen und bringet das Rad über
sie.« Dionysius der Thracier hatte eine eigene Schrift über die Bedeu¬
tung des Sinnbildes der Räder geschrieben (Giern. AI. Strom. V, 8
p. 672). Creuzer Symbol. IV S. 601 hält das Rad für ein Zeichen des
Umschwungs der Nemesis. Von diesem Sinnbild in den Mysterien
siebe unten.
*) lies. Op. 200.
150
§• 31.
Es war insbesondere Aufgabe der g r iech i s c lien Myste¬
rien, den Mensclien von seiner sittlichen Seite im Verhällniss zur
Goltlieit aufzufassen. Gegenstand der samothracischen und
e 1 e u s i ni scli e n Mysterien war der Raub der Persephone *). De-
meler und Kore hiessen schiechtiiin die grossen Göttinnen 2), Die
physischen Lehren, welciie an diesen Glauben sich knüpften, haben
wir oben nacbgewiesen , und die Eingeweihten sahen zunächst durch
den Schleier der Fabel die Naturveränderungen vergöttert, wie sich
Cicero über die eleusinischen , samothracischen und lemnischen
Mysterien richtig ausdrückt. Gleichwie aber zwischen dem Reich
der Natur und dem Gebiete der Sittlichkeit einiger Zusammenhang
ist, und auf jeden Fall jenes voll von Sinnbildern und Gleichnissen
der moralischen Weltordnung ist; so liegen die religiös sittlichen
Winke, die Mahnungen zur Veredlung und Heiligung in der Fabel
von Persephone sehr nahe, und nach den Bemerkungen der Allen
von dem hohen Werth der Mysterien für das Leben und Sterben
der Menschen sind wir genöthigt, jene uns ansprechenden Winke
und Spuren genau ins Auge zu fassen und zu verfolgen. Nur dann
haben wir die Mysterien richtig verstanden, wenn wir in diesen Zu¬
sammenhang des Natürlichen und Geistigen eingedrungen sind. Auch
der Israeliten religiöse Feste lehnten sich an Natur- und Jahresfeste
an; Ostern, Pfingsten und Laubhütten waren Gedächlnisstage von
den Führungen Gottes mit seinem Volk und zugleich Dankfeste für
*) Von der eleusinischen Geheimlehre sagt Tatian. tiq. "EXkrjvaq
n. 8 p. 251: "‘Äcdoavshq aQTtö^st xi^v Köqtjv , y.al ai avxov ysyö-
vaat ^vox^Qia. Vgl. Isocrat. Panegyr. c. 6 p. 59. Ihre Einerleiheil
mit den samothracischen Mysterien lässt sich schon aus der Nachricht
des Mnaseas bei Schol. Apollon. Arg. 915 von den Namen der samo-
thracischeu Kabiren und aus dem geschichtlichen Zeugniss llerodots
II, 51 von der Wanderung der samothracischen Pelasger schliessen,
wird aber auch ausdrücklich von Terlultian Apologet, c. 7 bezeugt.
2) Sophocl. Oed. Col. 683. Pausan. Messen. Anfg. p. 281.
3) Cic. N. D. I, 42: Quibus explicatis ad ralioneraque revocatis,
rerum magis natura cognoscilur quam Deorum.
151
die jährlich vviederkehreiiden Segnungen der Erndle und Weinlese.
Sogar das Christenlhuni, diese rein iniierliciie Religion, die in des
Menschen Sohn den MiUelpunkt unsrer Versöhnung und Heiligung
aufstellt, schliesst die Naturbetrachtung nicht aus, wie wenn Paulus
in Christi Tod der Welt Ende schaut und daraus die Anwendung
auf sich macht: „durch Christum ist mir die Welt gekreuziget und
ich der Welt« (Galat. 6). Aehnliche Ideen wurden ungesucht durch
die Mythen und die Gebräuche der griechischen Mysterien angeregt.
Wir beschränken uns jetzt auf die Anklänge, die in der Fabel selbst
liegen, und behalten uns vor, unten von der Mysterienfeier zu reden.
Die Berechtigung zur geistlichen Deutung gibt uns schon Pythago¬
ras, der seine Weisheit unter andern auch zu Eleusis, in Imbros
und Samothrace erlernt haben soll *). Derselbe Cicero (Legg. II, 11)
sagt von den atlischen Weihen, sie gestalten das rohe Leben zu
einem menschlichen und gesitteten um, und sind eine Schule, nach
richtigen Grundsätzen mit Freuden zu leben und mit besserer Hoff¬
nung zu sterben. Die Stifter der Weihen behaupten, wer als Un-
geweihter in das Schattenreich kommt, wird im Morast liegen, der
Geläuterte und Geweihte aber wird, dort angelangt , bei den Göttern
wohnen; denn es gebe viele Tbyrsusträger, aber wenige Bacchanten
Der Homeride (h. in Cer. 480 ff.), Pindar^), Sophocles und Iso-
krates (Penegyr. c. 6) preisen die Eingeweihten selig, sie kennen
des Lebens Ursprung von Gott und des Lebens Ziel, sie allein leben
*) Jamblich, vit. Pythagor. 1 , 28.
2) Plat. Phaedon. c. 15 Wyttenb. p. 69 C. Vgl. Plat. de Republ.
II p. 58 f. de Lgg. IX p. 152 ed. Bekker. Der Cynikcr Diogenes fand
es dagegen lächerlich , wenn ein Agesilaus und Epaininondas im Mo¬
raste, unbedeutende Eingeweihte aber io den Inseln der Seligen leben
sollten (Diog. L. VI, 39).
3) Pind. fragm. XCVI p. 128: "'OXßiog öarig iScov ixeiva v.olvcw
üg vnb yßova' o'iöev ij.lv ßiov reXsvtäv , o'idsv dl öioaöoTOV aQxdv.
Ich lese •xoiväv £ig" anstatt -/.oivä eig, wofür Heyne und Böckh (p. 625)
die weiter von dem Worttext sich entfernende Vermuthung des Hein-
sius '/coi^av ßiaiv aufgeuommen haben. Segaar. ad Cloment, quis div.
salv. p. 226 erklärt sich gleichfalls für Y,oivdv.
^) Bei Plut. de leg. poet. c. 3 p. 21 F.
152
walirliafl iin Hades uud habeu süssere HofFuung in Absicht auf des
Lebens Ende und auf alle Zeit; die Andern haben nicht gleiches
Loos lin finstern Dunkel. Nach Aristophanes *) kann der in Sarno-
thrace Eingeweihte gut und erbörlich beten. Denn er ist zufolge
einer griechischen von Munter erklärten Inschrift in der Götter Ge-
nieinscliafl , und beginnt, wie sie sich ausdrückt, den Reigen mit den
leuchtenden Hiinmelsgestirnen und hat einen Gott zum Führer. Bes¬
ser und für das Leben wie für den Tod fröhlicher werden nach all¬
gemeiner Ueberzeugung die Eingeweihten, sagt Diodor (1, 49 p. 262 f.
vgl. V, -iS). Die Ungeweihlen werden bestraft 2). Auch Platon
(Polit. II p. 366 A) spricht den Glauben seiner Zeitgenossen von den
Weihen dahin aus, dass sie in Beziehung auf den Zustand nach dem
Tode viel vermögen , und im Pbädon (p. 8l A), dass man in Gemein¬
schaft mit den Göttern lebe. Darum will jemand bei Aristophanes
(Frieden 375) vor seinem Tode in die Mysterien eiugeweiht werden.
Der Scholiast zu dieser Stelle bemerkt: der in Samothrace Einge¬
weihte hält sich für gerecht und glaubt Rettung in Gefahren und
Stürmen zu finden. »Zur Erziehung und Besserung des Lebens,
sagt Arrian (in Epictet. III, 21), haben die Alten das Alles geordnet.“
Libanius (Declani. XIX): den Eingeweihten wurde befohlen, rein zu
seyn, nemlich au Händen, Seele und Zunge. Chrysippus ^) sagt in
Beziehung auf die Mysterien: »es ist etwas Preiswürdiges, von den
Göttern richtig belehrt und ihrer selbst mächtig zu werden.«
Wir geben dem Herrn Professor Lobeck (Aglaophamus sive
de Theologiae mysticae Graecorum causis Libri tres , Regimontii
Prussorum 1829) gerne zu, dass in den griechischen Mysterien keine
christlichen Predigten, überhaupt keine discursiven Vorträge gehalten
wurden; aber wir werden nach den obigen Angaben der Alten selbst
nicht irren, wenn wir den Weihehandlungen eine in Sinnbildern ver¬
deckte Bedeutsamkeit beimessen, welche sich die verschiedenen
Theilnehmer zwar verschieden zurechtlegen mochten , die sich aber
doch jedem unwillkürlich aufdrängte. Der Alterlhumsforscber kann
sich daher sicher nicht mit den blos verneinenden Ergebnissen Lo-
*) Aristoph. Pax 276, welche Stelle Schob Apollon. Arg. 918
anziehl. Zenob. Ceulur. 11. Proverb. 6.
Bei Etymolog. M. v. rcAir/;.
153
becks zufrieden stellen , der Versuch, die Räthsel zu lösen, muss
immer wieder gemacht werden, und er wird es vielmehr entschuldi¬
gen, wenn dabei die den Mysterien zu Grunde liegenden Fabeln und
Gebräuche etwas idealisirt werden , wenn man eher zu viel als zu
wenig von ihnen hält. Fs sind Hieroglyphen, deren Auslegung uns
erlaubt ist, ohne dass wir behaupten, alle Eingeweihten hätten die¬
ser Zeichensprache den gleichen Sinn unterlegt. Wir glauben auch
die Schriften des alten Testaments durch die Erkeunlniss von Christo
richtiger zu verstehen als die Hebräer selbst. Man lasse sich daher
nachstehende Darstellung so lauge gefallen, bis jemand eine bessere
zu geben im Staude ist oder negativ nachgewiesen haben wird, dass
die unsrige mit dem Geiste des griechischen Alferthums oder den
überlieferten Thatsachen im Widerspruch stehe.
Persephone d. i. das Samenkorn in der Erde fällt in das
Grauen der Nacht, doch nicht ohne Hoffnung. Auch in dieser He-
ziehuug ist sie das Menschenkind (Kö^r^) , das Vorbild der sündigen
Menschheit, die ein Kaub des Todes wird. Der Anlass ihres Falls
war Spiel und Leichtsinn: beim Blumenlesen auf weicher Trift über¬
raschte sie nach Zeus Kathschluss Aidoneus und riss sie wider ihren
Willen hinab *). So sind die Aepfel auf dem Baume des Erkennt¬
nisses lieblich anzusehen, und mitten in der Freude ist die Natter
versteckt. Demeter trauert, entäussert sich ihrer Gotlheil, ent¬
hält sich des Olympus und kommt zu den Menschen in Gestalt eines
alten Weibes 2). ihre Trauer galt in Persephone nicht der Natur
allein, sondern auch der gefallenen und hinfälligen Menschheit, und
ist eine Andeutung der göttlichen Barmherzigkeit, die nicht den Tod
des Sünders will, sondern dass er sich bekehre und lebe. Im Stande
der Erniedrigung und Befrübniss wurde sie ja die Amme des könig¬
lichen Sohnes D emo p hon, salbte ihn mit Ambrosia und legte ihn
des Nachts ins Feuer, wodurch ihr Zögling den Göttern ähnlich
wurde Hieraus wird der sittliche Gehalt der Fabel klar. Das
Beklagen und Suchen der gefallenen Tochter hat den Zweck, dass
ein neuer und im Feuer geläuterter Mensch, den niedern Trieben
*) Ilona, b. in Cer. 5 ff. Von Narcissen war der Kranz der gros¬
sen Göttinnen, Sophocl. Oed. Col. 683.
2) II h. in Cer. ffO ff. 3) jjom, p j.. ->33 IT.
\
154
entnommen, aus dem Nachtreich auferstehe und zur Gottähnlichkeil
erzogen werde. Diess ist nicht anders möglich, als wenn Demeter
aus Liehe, der göttlichen Würde beraubt, in Menschengestalt die
Versunkene aufsucht, ihr Loos bejammert und den richtigen Steig,
der zu den Göttern führt, anzeigt, ln dieser Bedeutung scheint der
liomeride jene Klage aufzufassen, wenn er in mystischer Kürze
sagt '), man dürfe die heiligen Orgien nicht betrauern, die Gottes¬
furcht gebiete Schweigen. Die grosse Mutter hatte den hohen End¬
zweck, den Zögling von dem gebrechlichen Aller und Tod ganz zu
befreien; allein ihre Absicht scheiterte an der menschlichen Thorheit.
Der Mensch sollte sich in Derauth und heiliger Scheu der Götter
Zucht ganz hingeben, dass die neue Crealur geschaffen würde.
Aber der Erde Kräfte ziehen abwärts: klügelnder Vorwitz verleitete
Melanira, die seltsame Erziehungsweise ihres Sohnes Demophon zu
erspähen, sie klagte laut beim Anblick des Feuers, um ihren Sohn
bekümmert. So stören die unbesonnenen Menschen das Werk der
Götter, welches auf halbem Wege stehen bleibt. Demeter zürnt und
gibt sich zu erkennen, hinterlässt aber, nachdem sie in den Himmel
zurückgekehrl , die ehrwürdigen Orgien, welche belehren, dass das
Fleisch im Feuer geläutert werden und die Menschen in einem neuen
Wesen wandeln sollen 2). Diese Züge sind aus Aegypten herüber
genommen. Während Isis den Tod ihres Gallen Osiris beweinte,
wurde sie Amme an dem königlichen Kinde von Byblus, liess durch
Feuer das Sterbliche seines Leibes bei Nacht verzehren, und nur
durch das Ihörichle Geschrei der Mutter wurde die Unsterblichkeit
desselben vereitelt 3). In ähnlichem Sinne verlangt Jesus von seinen
ßekennern:^) „ein jeglicher muss mit Feuer gesalzen werden, und
alles Opfer wird mit Salz gesalzen.“ Mit andern Worten: der Mensch
') Hora. 1. c. 479. Nach der Beraerkung des sachkundigen Tatia-
nus beschäftigten sich die Mysterien mit der Wehklage der Demeter
um das geliebte Kind, und Proclus in Plat. rempubl. c. 10 hält das
mystische Wehklagen für ein Sinnbild der uns betreffenden Fürsorge:
zoTq UvaxrjQLOiq zoig iJ.vazcv.ohq d^iqvovq fjvaxcv.Chq na^aiX^cpaijev ,
avfjßola ovxa xrjq alq ^i-iäq v.ad7]v.ovarjq iv xä>v v.gecxx6v(x)v Ttgovocaq,
2) Hora. 1. c. 243 ff. 476. 3) Plutarch. de Isid. c. 12 f.
Marc. 9, 49.
155
soll ein geläutertes und lebendiges Opfer Gottes seyn. Das Feuer
und das Salz, deren man sich bei Opfern bediente, ist ein Sinnbild
des Absterbens vom sundlichen Wesen der Welt.
Etwas einheimisch Griechisches verknüpfte sich mit dem Ge-
dächlniss des Feuerkindes Demophon. Die Jünglinge von Eleusis
hallen ihm zu Ehren alljährliche Tnruübungen *) und selbst Kämpfe
mit Stieren 2) (wahrscheinlich mit Rücksicht auf die Bändigung des
ackerbauenden Thieres der Göttin) veranstaltet , worin der Preiss in
Gerste bestand 3). Dergleichen Uebungen sollten die Stelle des läu¬
ternden Feuers vertreten, den Leib durchdrungen und dauerhaft zu
machen nnd dem Geiste unlerzuordnen. Sie standen so in Bezie¬
hung auf die Fabel und halten wie einen wohlthätigen Einfluss auf
die Jugend, so einen allegorischen Sinn. Der spätere Ausdruck des
') Hom. 1. c. 263 sagt Demeter von Demophon; »nun kann er
nicht mehr dem Tode entrinnen, aber unvergängliche Ehre wird ihm
allezeit zu Theil werden, weil er in meinem Schoosse gesessen und in
meinen Armen geschlummert hat: es werden ihm nemlich in den Zei¬
ten der wechselnden Jahre immerwährend die Jünglinge von Eleusis
Krieg und Kampf unter einander veranstalten.« Es ist zu bemerken,
dass damals die Ausdrücke von Kampfspielen und ernstlichen Kämpfen
noch nicht so geschieden waren. Homer II. III, 126. Od. IV, 170 ge¬
braucht das Wort äedXog für Kriegskampf, und umgekehrt Hesiod
Schild 306 bedient sich des Wortes bei Gelegenheit eines Pferde¬
rennens , welches Wort sonst gewöhnlich dem Krieg Vorbehalten war,
und von ihm selbst V. 241 in diesem Sinne gebraucht wurde. Eben
so steht Od. XXIV, 515 vom Wettkampf. So ist man in jener
Stelle des Hymnus auf Demeter nicht genöthigt mit Hermann au einen
wirklichen Krieg zu denken , sondern mit Creuzer Symb. IV S. 316
an einen Festkampf, von welchem und von dessen Alterthum andere
Schriftsteller ausdrückliche Meldung thun: Gellius XV, 20. Inscr. Marm.
Oxon. p. 83.
2) Artemidor. Oneirocrit. I, 9.
Aristid. Eleusin. p. 257 Jebb. cf. Plin. 18, 7. Schol. Pindar.
01. IX, 150; woraus Meursius c. 28 die Lücke des Etymol. M. v.
’EXevaig und des Suidas v. "EXsvacPia ausfüllt.
156
Porphyrius '), die Myslagogen zu Eleusis seyeu Weisheit und zu-
gleich Kampf liebende (^cpiXoaöcpovg ■xal cpiXono'kifxovg'), ist demnach
ini allcrlhümlichen Geiste gedacht, und fasst jene Ideeuverbindung
treffend auf. Denn das Analogon der Leibesübung, der geistliehe
Kampf, die Feuerläulerung ist eben wahre Weisheit des Geistes,
eines Weihepriesters würdig. Die eleusischen waren die ältesten
Kampfspiele Griechenlands, wegen der Frucht der Demeter, wie
Aristoteles, ein Dichter der ninloi 2), sagt 5 später erfolgte erst die
Einführung der Paualhenäen. Es ist merkwürdig, dass die ersten
Kampfspiele von einer Gottheit geordnete religiöse Leichenspiele
zu Ehren eines heiligen Feuersohnes waren; wie dergleichen Achil¬
leus dem gefallenen Helden Patroklus feierte 3), und sonst viele Lei¬
chenspiele gehalten wurden. Für eine Todtenfeier galt es also, das
Leben in seiner höchsten Anspannung und Thäligkeit an der Stätte
des ewigen Friedens zu zeigen. Man wollte gleichsam den Gegen¬
satz des Todes aufführen, und zugleich in der daraus entspringen¬
den Folge, in der Körperstärke, eine Arznei wider den Tod, ein
Analogon jenes unsterblich machenden Feuers der Demeter anstre¬
ben und finden.
Die Rückkehr der Gefallenen zum himmlischen Lichte der
Götter ist in der Himmelfahrt der Persephone vorgebildet. Hermes
als Seelenführer und Engel geleitet die Göttin auf Zeus Befehl aus
den Armen des Hades zu den Göttern der Oberwelt. Ihr Daseyn
ist zwischen beiden Welten getheilt, ein Drittheil des Jahres weilt
sie in der Tiefe und zwei Drittheile oben bei den Unsterblichen
So ist des Menschen Natur zugleich nach unten und oben gerichtet:
Geist und Fleisch sind nach dem Ausdruck des heil. Paulus im Wi¬
derstreit mit einander. Hades vermochte seine Gattin durch List
und Gewalt zum Essen des Granatapfels, damit sie ihm anhänglich
bliebe ^). D. h. die befruchtete Natur gibt ihren Samen zurück in
die Erde, um den beständigen Kreislauf der Fruchtbarkeit zu erhal-
*) Bei Proclus in Plat. Tim. p. 51.
2) Bei Scbol. ms. Aristidis Panalheii. p. 189 Jebb. Vgl. llelladius
p. 18 ed. Meurs. und Arislid. Eleus. I. c.
3) II. XXIII. '•j Uom. h. in Cer. 335 ff.
’) Uom t. c. 411 ff.
157
len; die Eingeweihlen , die das ewige Sterben und Leben der Natur
in diesem Fabelkreis belracbtefen , schöpften liieraus als Tbeile des
Nalurganzen Trost, wenn auch das individuelle Leben schwindet,
und sogar dieses soll nach der Lehre der Palingenesie aufs neue er¬
stehen. Ethisch gewendet bedeutet jene Fabel : die sinnliche Natur
streut vielerlei Samen aus, um uns listig und gewaltsam von der
Höhe geistiger Naturen herabzuziehen. Wie aber in der geraubten
Persephone der ausgeslreule Same ein Sinnbild der gefallenen Mensch¬
heit ist, so ist die im Frühling zurückgekehrte Göttin als die heran-
wachsende und Frucht bringende Saat zugleich ein Vorbild der an
den Tag der Geislerwelt sich aufrichtenden, aus dem Kerker zur
Freiheit gelangenden Menschen. Das natürlich wechselnde Verhält-
niss der Erde zur Sonne ist ein Gleichniss der Richtungen der Gei¬
ster zum Lichte. Eine jede Frucht enthält eine Aufforderung an den
Menschen, ira Aufschwung zum Lichte Frucht zu tragen in guten
Werken. Die Aehren, welche Demeter dem Triplolemus zu. Eleusis
reichte, bedeuten nicht allein den Getreidebau, den sie ihn lehrte,
sondern sind zugleich ein Sinnbild der Weihen, worin sie ihn unter¬
wies; denn sie erinnern an die zur Oberwelt gelangte Persephone,
welche als Menschenkind alle Geweihten sich nachziehen will. Sie
erinnern uns an Jesum, der als Weizenkorn in die Erde fiel, auf-
erstand und Frucht brachte für alle Welt *). Wenn der Heide in
der Aehre eine Mahnung fand , mit ihr (oder auf dem Standpunkt
der Fabel: mit Persephone) vom Tode zum geistlichen Leben, von
der Nacht zum Tage, vom Hades zu den himmlischen Göttern auf¬
zusteigen; so lag in solchem Glauben eine Ahnung des Bekenntnis¬
ses 2) : »wir sind mit Christo begraben durch die Taufe und in ihm
mit auferstanden durch den Glauben, den Gott wirket, welcher ihn
auferwecket hat von den Todten.« Gleichwie das Sterben und Auf¬
erstehen Christi der Mittelpunkt der christlichen Religion, der Grund
unsrer Begnadigung, das Vorbild der Busse und des neuen Lebens
der Menschen, und der Gekreuzigte und Auferstandene über Todte
und Lebendige Herr ist, also war das Sterben und unvergängliche
Leben der Naturgöller, ihre Höllen- und Himmelfahrt, die nicht
blos in der Einbildungskraft und Dichtung ihren Grund hat, die man
') Job. 12, 24. Luc. 8, n.
2) Coloss. 2, 12.
158
in dem alljährliclien Wechsel der Dinge anschaute und scenisch dar-
stellle, Gegenstand der Verehrung, des Gebets, der IJoflhung, Vor¬
bild der Läuterung und Heiligung, Grund ihrer Herrschaft über die
Lebendigen und die Todten. Wir haben es nicht nur mit Ausgebur¬
ten des Aberglaubens zu thun, sondern mit dem wirklichen Sterben
und I,eben der ganzen Natur, dessen Gegenbild wir in Christo an¬
sebauen. Christus ist auch uns der Herr der Natur, deren Hinfäl¬
ligkeit und unvergängliches Leben in ihm zur Erscheinung gekommen
und ein einladendes Vorbild zur Tbeilnahme und Nachfolge gewor¬
den ist. Wer in ihm nur ein menschliches Individuum sieht und
einem solchen sich ergibt, ist ein Menschendiener und steht hinter dem
Heiden zurück, der sich den grossen Göttern, den Mensch geworde¬
nen himmlischen Mächten weihte. Die Mystik hat dieselbe Grundlage
in den griechischen Mysterien und im Christentbum, sie ist ein heiliger
Krieg gegen die Selbstsucht, ein Opfer an die Gottheit und das All.
Dem alten Heiden war Persephone die Potenz der ganzen Natur und
ihrer Wechselfälle, Inhaberin zweier Reiche, Beherrscherin des To¬
des und Vorbild des ewigen Lebens bei den olympischen Göttern:
so ist dem Christen Christus nicht nur Bruder, sondern Herr und
Weltregent, als ein Iheil des Alls versenkt er sein Ich gläubig mit
der feiernden Menge in dem Herrn des Weltalls. In den griechi¬
schen und christlichen Mysterien wollte und will man das Ende und
den Tod alles Fleisches und das ewig junge Lehen der Natur und
Menschheit durch Gottes Kraft anschauen und selbsttheilriehmend
festlich begehen. Die Vergleichung der verschiedenen Religionen hat
mehr Berechtigung, als wenn Schelling sein System in den alten My¬
sterien findet. Alles führet uns zu Christo, dem Mittelpunkt aller
wahren Religion, wir finden seinen Namen in der Zeichensprache
aller Nationen geschrieben. Brosamen von den Verheissungen Got¬
tes waren auch den Heiden zugefallen, sie haben dieselben vor der
sinnlich rohen Menge in der Geheimlehre aufbe wahrt, und haben
des Herrn Tod weissagend verkündigt, bis er kam. Gott hat das
allgemein und tief gefühlte Redürfniss zu seiner Zeit erfüllt, und
die Predigt von Christo fand die Heiden viel heilshegieriger als die
erstgebornen Kinder der Verheissung.
Die Anforderungen , welche an die Eingeweihten gemacht wur¬
den, damit sie ihrerseits der göttlichen Heilsanstalt entsprächen und
zur Gemeinschaft der Götter gelangten, lassen sich aus dem Bisheri-
159
gen ohne Mülie errathen und aus den Gebräuchen der Mysterien,
wovon unten die Rede seyn wird, folgern. Bei den Pheneaten in
Arkadien schlug am Jahresfeste der eleusischen Demeter der Prie¬
ster in der Maske seiner Göttin mit Stäben die irdischen Menschen
(tovg ETtixdoviovq Ttaiei) ^). Die sinnlichen Menschen werden gezüch¬
tigt, wenn sie an der hehren Festfeier Theil haben wollen; wie sich
auch der Apostel Tit. 2 ausdrückt: die heilsame Gnade Gottes züch¬
tigt uns. Es war ohne Zweifel ein sinnbildlicher Schlag, wie der
am Aschermittwoch, mit dem memento mori begleitet. Wenn wir
die Predigt der Mystagogen in christliche Worte fassen, so würde
sie zufolge der obigen Andeutungen der Alten von dem Zweck und
Werth der Weihen in Uebereinstimmung mit der Fabel ungefähr fol-
gendermassen gelautet haben.
Thut Busse, o Menschenkinderl i) Seyd ernst und wachsam,
unter Blumen lauert Hades und trachtet darnach euch zu haschen.
2) Entsaget der Welt und ihrer Eitelkeit: der Persephone Fall ist
euch zum Vorbild geschehen; wenn nicht einmal die Götter, so habt
viel weniger ihr eine bleibende Stätte hienieden; wenn der Winter
euch der Dinge Vergänglichkeit lehrt, so zieht den Geist von dem
Wesen der Welt ab. 3) Leget von euch ab den allen Menschen,
der in Lüste verderbt ist, ziehet den Rock des Fleisches aus, fröhnet
nicht dem Tode der Sünde. Demeter selbst hat darüber geweint,
reisst lieber Augen oder Füsse aus, als dass ihr thut, was der Gott¬
heit Thränen gekostet hat. Hekate d. i. euer eigenes Glück sucht
euch auf, wie sie nach Persephone geforschet hat. Das Fasten in
den Mysterien erinnere euch nicht allein an die Wohlthat der Gaben
der Demeter, sondern auch an die Pflicht der Mässigkeil. Aus Ge¬
nusssucht verfiel die Göttin dem unterirdischen Galten:
Die von ihren Gütern nichts berühren.
Fesselt kein Gesetz der Zeit.
Wollt ihr schon auf Erden Göttern gleichen,
Frei seyn in des Todes Reichen,
Brechet nicht von seines Gartens Frucht!
Selbst der Styx, der neunfach sie umwindet,
Wehrt die Rückkehr Ceres Tochter nicht;
*) Pausau. VIII, 15.
160
Nach dem Apfel greift sie, und es bindet
Ewig sie des Orkus Pflicht *)
Diess sind die drei Schläge abwärts aufs Fleisch, welche die
Demelerweilie auf die irdischen Menschen lliul. Eben so viele Scidäge
aufwärts aber erfordert der Stufengang der Älysterien. An die Pre¬
digt der Busse schliessen sich die Worte der Weihe an:
Werdet heilig , Gottes Kinder! i) Ziehet den neuen Menschen
an, der nach Gott geschatTen ist. Persephone ist zurückgekchrt, die
M’elt ist neu; spiegelt euch am milden sanften Frühling, entreissel
euch den höllischen Mächten und tretet in einen neuen Stand und
Wesen; wie ein Saatfeld steht da als Kinder des Lichts und mit
Frucht beladen. Der Demeter Freund und Zögling muss durchs
Feuer zur Gottähnlichkeit geläutert werden, wie sie’s an Demophon
versucht hat. Jammert nicht, wie Metanira: wer sein Leben verlie¬
ret, der wird es finden. Die Wassertaufe, die ihr in den Weihen
empfanget, sey euch eine solche Feuertaufe. Das neue Gewand,
womit man euch in der geheimen Feslfeier bekleidet, sey euch ein
Sinnbild des neuen Menschen, der sich heiliget. Thut das Opfer am
Altar und seyd ein Opfer Gottes; verwirket nimmermehr die Gnade,
die euch widerfahren ist. 2) Der Götter Gnadenheistand führe euch
die Himmelsbahn; Hermes geleitete Persephone mit sicherer Hand
von der Unterwelt herauf. Gleichet nicht dem Phaelhon, welcher,
auf die eigene Kraft vermessen, den Sonnenwagen lenken wollte und
in die Tiefe stürzte. 3) Zum seligen Chor der Himmlischen gesellet
.euch als Epopten, in ihrer Gemeinschaft und ihrem Anschauen lebet
reines Herzens, wie Persephone hochbeglückt vor Zeus Angesicht
steht, und im Tode wird nicht ewige Finsterniss euch decken. 2)
*) Schiller das Ideal und das Leben, Werke Th. IX, Ablhei-
lung I. S. 141 f.
2) Die Stiftung der Mysterien fällt in die Grenzscheide dieser und
der folgenden Periode; die samothracischen als die wahrscheinlich al¬
tern gehören noch in die zweite.
161
Die dritte ägyptlseb hellenische Periode von Cekrops
bis und mit Homer und Heslod.
§. 32.
Zufolge der Nachforscliungen Herodots (II, 50) sind fasi alle
riöllernamen von den Barbaren nach Griechenland gekommen, und
zwar nach seiner Meinung aus Aegypten, wo sie nach der eige¬
nen Aussage der Aegypler üblich gewesen seyen, mit Ausnahme des
Poseidon, der Dioskuren, der Here, der Hestia, der Themis, der
Chariten und der Nereiden. Welche Götternainen in Aegypten un¬
bekannt seyen, diese scheinen dem unterrichteten Geschichtschreiber
von den Pelasgern herzurühren, ausser Poseidon, welcher aus
Libyen, wo er allezeit verehrt wurde, nach Griechenland gekom¬
men sey. Heroenkult sey gleichfalls den Aegyplern fremd. Die Pe-
lasger, von denen vor Zeiten ganz Griechenland den Natnen Pelas-
gia hatte*), hätten sich mit Zustimmung des dodouäischen Orakels
der barbarischen Götternamen bedient, und von ihnen seyen sie spä¬
ter zu den Hellenen übergegangen 2). Weit später sey dann ihr ge¬
genseitiges Verhältniss und ihre Abstammung von einander, ihre Ei¬
genschaften, Würden, Wirksamkeit und Gestalt von Hesiod und
Homer, die nur 400 Jahre älter als Herodot seyen, bestimmt
worden ^).
Die Namen Dioskuren, Hera (von f'pa), Hestia, Themis und
Chariten sind ursprünglich griechisch und werden daher mit Recht
als nicht von den Barbaren angenommen aufgeführt. Indessen wenn
derselbe Herodot (H, 144) meldet, Osiris heisse in griechischer
Sprache Jcöwaoq, Orus auf griechisch ’AttüXXcjp, Ammus der Aegyp-
ter sey Zeus der Hellenen ^), so scheinen wenigstens Iheil weise die
griechischen Götternamen nicht den ägyptischen zu entsprechen,
wenn wir nicht annehmen , die ägyptischen Götter hätten ausser ihren
bekannten Namen noch unbekannte den griechischen ähnlich lautende
Beinamen geiiabl. Des ägyptisclien Ursprungs ist sich jedoch der
•) Her. II, 56. 2) Iler. II, 52. Iler. 11, 53.
^) Her II, 42.
11
grierliisclie Myllius sellisl l»c\viiss( gc[)licl)en, Indom er (Ion Zeus
sammi den ül)rigen Göllern vom Olymp zu den Aelliiopern am Ocean
zu einer Opfermalilzeil '), oder ein andermal den l’oseidon alUnn eben
dahin zu einer Slier- und Faimmerhckalombe geben lässl 2). Der
erste altlscbe König Cekrops, ein Zeilgenosse Mosis (461 nach
Abrabam) 3) , soll zuerst den Namen des Zeus eingefiibrt •♦) und
ihm den Beinamen Hypatos (Höchste) gegeben ^), das erste Bild der
Athene gesetzt, auf der Burg ihr den Oelbaum gepflanzt und die
Sladt Athen nach ihr benannt haben *^). Durch die Untersuchungen
neuerer Gelehrten ist zwar die Nachricht des Eusebius, der den
Okrops in der Chronik (S. 101) einen Aegypter, in der Vorrede zum
Canon aber (S. 52) einen Einheimischen (indigena) nennt, und die
darauf gegründete Mulhmaassung einer ägyptischen Colonie sehr zwei¬
felhaft geworden. Nach Diodor von Sicilien erklärten die ägyptischen
Priester Athen für eine sailische Colonie, und er nennt unter den
Fürsten der Athener, welche Aegypter gewesen se\n sollen, zwar
nicht den Cekrops, aber doch den Petes oder Peteos, den Vater
des Meneslheus , der drei Jahrhunderte später lebte und im zweiten
Buch der Iliade genatinl wird, welchen er als öupvijg d. i. als einen
Schlangenmenschen bezeichnet. Mit Unrecht wollen die Erklärer
dieses Prädikat mit Annahme einer Lücke auf den Cekrops, der es
sonst führte, deuten; wogegen ich erinnere, dass alle Erzväter das
Attribut der Schlange haben können, und jener ganz besonders sich
hiezu eignet vermöge der Ableitung seines Namens von -,n£. das iin
Hebräischen und Arabischen Schlange bedeutet S). Dessenungeach¬
tet dürfen wir mit Cekrops, sey er auch ein attischer Autochthon
') lloin. II. I. 42-2. 2) od
3) Kiiseb. Praep. Kv, X , It.
') Fuseb. 1. c. u. irn Chronic. P. II. p. 101.
’) Pausan. VHI, 2.
'’) Fuseb. 1. c. n. piooein. ad (.anonem p. 52.
K. 0. Müller Orchonienos S. 106 IT. Voss mylbologisclie Br. III
S. 180. Hermann von Göllingen Verbandl. der denlscben Philologen
von 1847. Basel 1818 S. 31 ff.
8) BnUinann im Lexilogus S. 67 f. findel in dem doppollgeslalle-
Icn Cekrops eine mythische Personilicalion verschiedener Slämme.
gewesen, ägyplische und libysche Einflüsse auf Griechenland als
sicher annehmen und die dritte Religionsperiode darnach charakteri-
siren. Alle Genealogien weisen auf die enge Verbindung von Phö-
nicien , Aegypten und dem Danaerlande in der Urzeit hin: Agenor
und Belus waren Brüder, die Kinder des Erstem waren Kadmus
und Europa, die des Letztem Aegyplus und Danaus. Sogar der
höchste Gott dieser Periode Zfi'ci äolisch (Deus), und das Ap-
pellalivwort dsöq hat grosse Aehnlichkeit mit dem lispelnd ausgespro¬
chenen GoiiiJ oder *), woher auch der alldeulsclie Teilt. Man
verglich wohl diesen vornehmlich in der Gegend von Naukratis ver¬
ehrten Theuth mit dem homerisch griechischen Hermes und den
ägyptischen Amun mit dem homerischen Zeus 2); allein solche Ver¬
gleichungen fallen in eine spätere Zeit, und es wäre bezeichnend für
die hellenische Religionsperiode, wenn in dieser die ägyplische In¬
telligenz den höchsten Göllerthron bestieg. Zum herrschenden Gott
gesteigert, konnte er sich neben Hermes als einem besondern We¬
sen behaupten. Die Theogonie (V. 477 IT.) lässt den Zeus in Kreta
von Rhea geboren, und den Neugebornen zuerst in die dasige Stadt
Lyktos getragen werden. Andere fabelten von seiner Geburfsstältc
in Arkadien und Messenien 3). Die Hauplsilze des Zeuskullus
waren Kreta, Lydien und Troas; er sollte daher auf jenem Ei¬
land in Lydien ^ und auf dem Berge Ida geboren seyn. Nach
Pausanias (VIH, 2, 37 f.) war er auch auf dem lykaischen Berge
in Arkadien geboren; allein nach Cicero war diess der erste und
zweite Juppiter, nicht der dritte, Sohn des Kronos. Arkadien war
ein Silz der allvälerischen Religion. Da blieben unverändert diesel¬
ben Bewohner und wurden nicht durch die Dorier aus dem Pelopon¬
nes vertrieben ^). Von dem ägyptischen Theben her lernten die Pe-
') Plato Pliilcl). p. 18 B Pliaedr. p. 274 C.
2) Der. I! , 42. Pint. Is. et Os. c. U.
3) Cic. N. 1). III, *21, Pansan. IV, 3:5. VIII, 38.
') Eralosthenes bei Jo. Lydus IV, 48.
Eninehis, Geschichtschreiber von Corintli, hei Jo. I.yd. I. c.
*») Jo. Lyd. 1. c.
2) Ilerod. II, 171. Straho d.Qy^aiörara\ ^Ao'^adtxr/. rcöi' "EX-
h'jPOiv.
1G4
liisger in Dodona in Epirus den Amon kennen (§. 92), den gros¬
sen Werkmeister (vcn heisst im Ilebriiischen Demiurg, in welcher
Bedeutung das Wort Sprüche 8, 30 von der göttlichen Weislieit bei
l'’rscbatrung der Welt gebraucht, und von Plut. de Is. p. 368 B selbst
ausgelegt wird), den im Früliling Alles neu scbatTenden Widdergott,
der das Taubenweib Dione befrucbtet und die Erde mit ihren Gü¬
tern erfüllt, den Offenbarer iles göttlichen Willens an die Menschen,
die nach ihm fragen. Man natinte ihn in der tbebaniscben Landes¬
sprache auch Th am US d. i. den Anbetungswürdigen (§. 46), und
weil in Griechenland der Name Zeus das Vorrecht eines obersten
Gottes behauptete, so setzte man durch Vermischung Zeus und den
höchsten Ammon zusammen.
Athene (in Acg5pten Nt]td genannt) ') soll am Tritonsee
in Libyen, wo sie und Poseidon besonders verehrt wurden 2),
geboren seyn, und zwar galt sie hier für eine Tochter des Poseidon
und des Trilonsees 3) ; woher sie die Griechen iQnoyspeia biessen *).
Am böotiscben See Kopais gab es einen Fluss Triton, wo Athene
erzogen worden seyn soll ^). Wenn Athene in Böotien, namentlich
in Theben, hier unter dem Namen ^) , verehrt wurde, so ist
zu bemerken, dass Cekrops nicht bloss über Attika, sondern auch
über Böotien, das damals Ogygien hiess , herrschte^). Oie von ihr
benannte Stadt Athen galt für ihren Wohnsitz s). Der alte fiönig
von Libyen und Phönicieu , Agenor, war Poseidons Sohn 9). Die
Saiter machten .4thene und Pbtha zu des Nilus Kindern •<>). H;e-
p hast OS, dessen Heimath die Insel Lemnos gewesen seyn soll "),
welcher dem Phtba der Aegypter entsprach, erzeugte mit Athene
') Plat. Tim. p. 21.
2) Her. IV, 188. Heyne zu Apollodor I p. 297.
’) Herod. IV'^, 180. Aescbyl. Füuni. 288 f.
*) Z. ß. Od. HI , 378. b. 28 , 4. Hes. fragm. 77.
Pausan. IX, 33.
*') Aesch. 7 vor Theben 148 ih. Schot. Pausan. IX, 12.
2) Paus. IX, 24. Slraho IX p. 427 Tzsch.
*) Od. v/, 80. ‘J) Serv. ad Virg. Aeri. 1, 342.
’O) Cic. N. D. HI, 22. 23.
1') Od. 283.
den vierlen König nach Cekrops Namens Erichlhonius ') (530 nach
Abraham). Daher nennl Aescliylus (Eunien. 13) die allen Alhener
Söhne des Hephäslos , welche dem Apollo den Weg [nach Delphi
bereilelen und seinen Dienst dahin hrachlen 2). Um den spälern
Begriff der Jungfräulichkeit der Göllin zu retten, so laheKe man,
sie sey dem Andriugen des Hephäslos widerstanden, dessen Same
sey auf die Erde getlossen , und daraus sey der allische König ent¬
standen 3). Hephästos und Athene erzeugten den Apollon nat^oMq
von Athen, den ältesten des Cicero (N. D. III, 22. 23)^).
Athene soll mit Poseidon um den Besitz des Landes (gleichwie
um Trözeu) ^) gestritten haben, und als Zeugnisse hievon befanden
sich im Heiligthura des erdgeboruen Erechlheus auf der Burg ein
Oelbaura und eine Salzquelle {^daXaood) *’). Athene und Hephäslos
waren aber in Sais in hoher demiurgischer Bedeutung aufgefassl,
während sie sich in dem homerischen Götterhimmei blos in die
Künste des Lebens theillen. Sie wurden nach ägyptisch orphischer
Lehre 2) mannweiblich gedacht, und in dem Tempel der Neilh zu
Sais standen die Worte: »was da ist, was seyn wird und was ge¬
wesen ist, das bin ich. Meinen Schleier hat keiner^gelüflet, und
die Frucht, die ich geboren, ist Sonne geworden“ 8). Ihr Lebens¬
feuer zu veranschaulichen, feierte man ihr in Sais ein Lampenfest,
und auf der Burg zu Athen brannte ihr ein ewiges Licht in einer
goldenen Lampe 2), obgleich sie andererseits aus dem feuchten Ele¬
mente, dem Ursprung aller Dinge, abstammle. Zeus und Koryphe,
*) Euseb. Chron. P. II p. 109.
2) Die Ausleger des Aesebylus hielten irrig jene Söhne des He-
pliästos für Sclimidle, welche aber keine Wegiuacher sind.
^3) Meiirsius de Begib. Alheniens. II, 1.
') Aristot. bei Clem. Protrept. p. 8.
Paus. II, 30, 6. Die Münzen von Trözen haben den Dreizack
u. d. Kopf d. Athene,
öj Herod. VIII, 55.
2) Orph. h. in Min. XXXII, 10.
Procl. in Plat. Tim. p. 30.
2) Paus. I, ‘26, 7. Meurs. Cecrop. c. ‘21.
Tocliter des Oceanus ') oder tiacli Andern 2) Poseidons, sollen ihre
Elfern jjewesen seyn nach arkadischer Sage. Die Lebensschlange
war ihr ständiges AKrihnl ^); sie war die Vorsleherin des Frühlings
in Italien (S. 131), in Athen war sie die Heilende [Ttanovia au>-
die man um Gesundheit anllehte, auch hyieia genannt*^),
Ihre Verbindung mit Hephäslos wurde in Athen fortwährend aner¬
kannt, da sich ihr Bild in dem Tempel des Letztem befand^). Ihre
Verbindung mit Apollonaber erhellet daraus, dass man ihr als nrjo-
vata vor dessen Tempel in Delphi ein Ueiliglhum baute S), und sie
gleichfalls als TiQÜPaog vor dem Tempel des israenischen Apollon in
Theben eine steinerne Bildsäule hatte 9). Dass sie von Aegypten
her zu Schilf gekommen ist, deutet die Sage an, sie sey auf einem
Krokodil auf die Burg von Athen gefahren'®), und die Sitte, auf
einem durch Uäder bewegten Schilfe an den Panathenäen den Peplus
ihr zu überbringen ").
Im Todesjahr des Moses 5H nach Abraham wanderte Dan aus
von der Stadt Chemnus in Oberägyplen nach Argos und riss nach
Vertreibung des Stheuelus die Herrschaft an sicli *2). Er,hiess in
seiner Heimath Armais, und Danaus scheint eigentlich sein Arnts-
') Cic. N. D. 111, 23 p. 624 Cr. Amn.
~} Harpocrat. v. innia \'ldr]vä.
3) llerod. VIII, 41. Grenzer Syinh. III S. 407.
') Paus. I, 2, 4. Diog. L. v. Aiistot. 16.
Arislid. h. in JMin. p. 22 üindorf.
2) Paus. I, 14, 5.
llerod. I, 92. VllI, 37 :ioovrjtiq. Die Allen selbst], z. B. De¬
mosthenes in Aristügil. p. 780, haben schon, wie es scheint, diesen
ihren Beinamen nQovaia in TCQÖvoia umgebengt , ’j zumal da diese Aen-
derung den sonstigen Begrifl'en, die man mit lihrem Wesen verband,
entsprach. So glaube ich die Streitfrage, welche Grenzer Symb. III
S. 452 ff. behandelt , füglich erledigen zu können. Ursprünglich we¬
nigstens scheinen beide Namen zugleich ihr nicht anzugehören.
5) Paus. IX, 10, 2.
'®) Charax bei Schob Aristid. Panatheii. p. 95.
") Schob Aristid. ad p. 197 Jebb.
Manetho bei Fuseb. Ghron. P. 1 p. 233 f. n. (ihron. P. 11 p. 109
1G7
name zu seyn, zu deutsch Richter vou Die Ställe, wo er aus
Land gesliegeu war , blieb iu der Sage der Argiver in lehcndigeiu
Andenken *). Der Peloponnes hiess damals Apia und war von Pe-
lasgern bewohnt 2), Das Uebergewichl, das sich Danaus in Griechen¬
land erwarb, gehl schon aus dem Umstand hervor, dass Homer alle
Griechen nach seinem Namen Danaer nannte. Er weihle dem Zeus
und der Artemis Bildnisse; auch sclieint unter seiner llerrscliait
der Cultus der Aphrodite-^), der in Lypern •) und ursprünglich
in Askalon in Syrien seine ileimalh halte, aulgekommen zu seyn.
Sodann erbaute er dem Apollon Autiioq oder Avzeiog einen Tem¬
pel woher die ältesten Münzen von Argos den Wolf, zum Theii mit
dem mit Lorbeer bekränzten Kopf des Apollon, zeigen L)es Da¬
naus Töchter lehrten die pelasgischen Frauen in Argos die Isisweihe,
die mau hier der Demeter zu Ehren T h es in opho r i en liiess. Nach
der dorischen Einwanderung sind diese Mysterien im Peloponnes
unlergegangen, nur bei den Arkadern, die ihre Wohnsitze behaup¬
teten , haben sie sich erhallen
im Jahr 5t)2 nach Abraliam wanderten Phönix und Kadmus
aus dem ägyptischen Theben nach Syrien iu die Gegend von Ty-
rus und Sidou , und die Tochter des Phönix, Europa, wurde 5b7
die Gattin des Königs Kerius oder Asterius von Kreta Kad¬
mus führte im Jahr 587 eine Colouie aus Phönicien nach Böolien
und erlangte die Herrschaft iu Theben "). Wir müssen uns eine an¬
sehnliche Anpflanzung vorslellen; denn unter den alten Einwohnern
von Euböa kommen Araber vor, welche mit Kadmus übergesiedelt
seyn sollen Irn Jahr 623 wurde Dionysos von Semele, einer
Dasselbe behauptelen die Aegypler bei Herod. II, 91 u. die Griechen
bei demselben Vli, 91.
•j Pausau. Corintb. 38 , 4. Aesch. Suppt. 251 11'.
3) Pausan. 11, 19. üd. «?', 362. ’) Her. I, 105.
Paus. Corintb. 19.
• 2) Pellerin Recueil T. 1 pl. 20 n. 1. 1.
8) Uerod. 11, 171,
-*) Eus. Chron. P. II p. 111. Syncellus 121 E nennt ihn Asterius.
'0) Herod. II, 49. ") Euseb. Cliron. H p. 113.
•2) Strabo X p. 447.
168
Tochter des Kadmus, in Theben geboren ‘), Ino, ihre Scliwesler,
war des Gottes Amme, die ihren Sohn Melikertes in Raserei lödtele
und daun in das Äleer sprang 2^, Die jüngsten Göller, welche die
Grieclien kennen lernlen, sagt Herodol (II, 145), sind Dionysos
(1060 Jahre vor seiner Zeit), Herakles (900 Jahre vor Herodol)
und Pan (800 Jahre vor Her.). Seitdem aber die Griechen diese
Göller kennen lernlen, bemerkt er (II, 146) ganz richtig, von da
an haben sie ihre Genealogien gemacht 3). Bei Semele als der Mut¬
ter des Dionysos sollte man um so weniger an eine Allegorie den¬
ken, als Hesiod (Th. 941) sie beslimmt eine Sterbliche nennt. Ne¬
ben ihrem eigentlichen halle sie auch einen priesterlichen Namen,
Thyone^), was so viel als Mänade bedeutet, von Svo> i. e. iiaivo-
Wenn Panyasis ^) die Thyone die Amme des Dionysos nennt,
so folgern wir nicht mit dem Scholiasten des Pindar, dass er sie für
verschieden von Semele gehalten habe; sondern wir gewahren darin
einen Versuch, die attische Genealogie, die dem Gott Persephone
zur Mutter gibt, mit der Ihebanischen auszugleichen; gleichwie Ho¬
mer (II. VT, 132) die Bachantinnen Arnmen des Dionysos heisst.
Zu Athen , wo Dionysos der Idee nach eine andere Abstammung er¬
hielt von Zeus und Persephone, wo ihm in den Lenäen der raysli-
I
sehe Jacchos gesungen wurde *>), fing man diesen Lobgesang gleich¬
wohl mit den Worten an: „Sohn der Semele, Jacchos, Beichlhum-
geber« '). Das Volk kehrte sich nicht an solche Widersprüche.
Wenn Semele als die Lehrerin der böotischeu Töchter das Recht
') Euseb. p. 117 Hes. Th. 939. Horn. li. XIV, 325.
2) Eurip. Med. 1274 ib. Schot. Noninis Dionys. X, 75.
«
Nach Euseb. Chion. P. II p. 107 ist der Weinslock schon im
J. 508 nach .Vbrah. von Dionysos entdeckt worden.
■') Pind. Pyth. III, 1 77, wozu der Scholiast: ört ßv£i y,ai ivdov-
oiä Y.atä ro'vq xoQovq. Hom. h. XXVI, 21. Cic. N. D. III, 23. ib.
Davies u. Moser zu Nonn. I, 26. Daher bedeutet ßvdjq eine Bacchan¬
tin, ßvodla so viel als ßvQooi , dvia das Dionysosfesl bei den Eleerii,
Pausan. VI, 26.
5) Panyasis Heraclea L. III bei Schol. Pind. Pyth. III, 177.
Arrian. de expedit. Alex. II, 16.
2) Schob Aristoph. Ran. 479.
\
169
der Mullerschafl sich zueigiiele, so wurde dagegen die Tochter des
Königs Minos von Kreta, die blonde Ariadne, als des Dionysos
Priesterin seine Gattin und als solche unsterblich ‘). Wenn wir von
einer menschlichen Mutter, Gattin und Kindern des Dionysos hören,
so ist es so viel , als wenn Circe und Aeetes Kinder des Helios sind,
dessen Dienst in ihrem Vaterland hoch geehrt war, oder wenn aut
den Münzen von Venedig der Doge vor der Madonna kniet. Me¬
in mpus, Sohn des Amythaon, dessen ßlülhe in das Jahr 6i8
fällt 2), lehrte die Griechen unter Anderm den Namen, das Opfer
und den Phallusaufzug des Dionysos 3). Nach der Ansicht Herodots
brachte Melampus diesen Gottesdienst aus Aegypten und zwar durch
Vermittlung des Tyriers Kadmus in Erfahrung; wiewohl der ägyp¬
tische Dienst des Osiris dem griechischen des Dionysos nicht ganz
gleich, sondern nur ähnlich sey. Der phöniciscbe Adonis war
selbst von Osiris herübergenommen und mit demselben anfänglich
eins. Die Cyprier verehrten den Osiris unter dem Namen Adonis
und die Alexandriner beteten beide Gottheiten unter Einem Bilde
zugleich an ^). Die Verknüpfung des phönicischen Adonis und des
griechischen Dionysos erhellet sowohl aus ihrer Idee als Zeugungs-
gölter, aus ihrem Tode, als auch aus ihrem gemeinschaftlichen Na¬
men. Denn Jiowaoq oder Jicöpvooq bedeutet Herr von Nysa^
verwandt mit ""Adoivig von (Herr). Der Vorschlag A fiel aus,
wie die Saraceneu aus Adon in Spanien Don machten*^), wie man
auch Apiithas und Phthas sagte Donysos wurde in Dionysos um¬
gebeugt, dass er sich leichter an den V'^ater der Götter und Men-
') Hes. Th. 946. Theseus wollte Ariadne nach Athen führen,
sie slarh aber unterwegs auf der Insel Dia, von Artemis gelödtet, eines
jähen Todes , Od. XI , 321.
2) Euseb. Chron, P. II p. 119. Dadurch werden die Schwierig¬
keiten, die Larcher Chronolog. p. 201 f. in der Zeitrechnung zu linden
glaubt , gehoben.
3) llerod. II, 49. Vgl. Diodor I, 97 p. 109.
Sleph. 15. V. Aixadovq.
■’) Damascius bei Suidas v. ’JI^6xay.oq.
Plaulus Poenul. V, 2 donni, mein Herr.
Suidas V. ’Acp^dq.
170
sollen Zeus ansclilösse. Die Fabel, Zeus habe den Diouysos,
in seine Ilüfle eingenähl, nach Nysa in Aelhiopien gebracht *), deu¬
tet auf die eigentliche Heiinath des Gottes hin. Dieses Nysa nennt
der Honieride (h. XXV, 5. XXVI, 8) ein waldiges Gebirge fern von
IMiönicien, nahe beim Nilstrom, wo Dionysos von den Nymphen
auferzogen worden sey. Dionysos, des Nils Sohn (Osiris), soll über
Libyen, Aethiopien und Arabien geherrscht habend). Es ist wohl
erklärlich, wenn später eben dieses Nysa als das Nazareth des Got¬
tes zu seiner Amme gemacht wurdet), welche er zu Nysa begraben
habe-*), oder wenn Andere den Nysus für dessen Ernährer ausga-
ben ’), welcher nach Cicero (N. D. 111, 23) mit Thyone ihn erzeugt
haben soll *^). Mit dem Dionysosdienst verbreitete sich auch der
Name Nysa: inXhracieu hatten die Dacchantinnen einen Berg Namens
Nyseion 7)} in Päonien war gleichfalls ein Nysa zufolge der Münzeu'S)-,
ebenso auf Euböa und Naxos^); in Karlen war eine Stadl Nysa mit
Dionysosdiensl, und eine Kaisermünze dieser Stadt zeigt uns das Bac¬
chuskind auf einem mit Trauben gefüllten Füllhorn “^). ln Indien befand
sich eine Stadl Nysa, die von Diouysos gegründet worden seyu soll “),
und die Griechen *2) Hessen ihren Dionysos nach Indien ziehen, woselbst
') Ilerod. II, 146. Vgt. Apollodor. III, 4, 3.
2) Jo. Lydus IV, 38 p. 198.
Terpander von Lesbos bei Jo. Lyd. 1. c. Wesseling ad Üiodor.
III, 70 und Schweigbäuser zu Athen. V, 28. Animadvers. p. 238.
Plin. 11. N. V, 8, 16.
Ilygin. fab. 131. 167. 197. Commodiauus Inst. XII.
üesgl. Jo. Lyd. p. 200, wo aber der neueste Herausgeber aus
Cicero u Niaou statt des bessern 6 Nvaov änderte; während umgekehrt
das i bei Cicero verdächtig scheint, indem ohne Zweifel der angeb¬
liche Vater nur eine Personitication des Berges Nysa ist und darnach
sich die Schreibart zu richten hat. Muncker will auch bei Ilygin p. 236.
692 lieber Nysus schreiben, wo die Lesart schwankt.
') Ilom. II. VI, 133. Steph. B. v. Nvaat.
8) Mionnet I. p. 395.
Steph. B. V. Nvaai.
Millingen llecueil d. medaill. grecq inedit. p. 66. T. 111. n. 2'i.
Anian. Exped. Alex. V, 1. '2) Arrian. Ind. c. 5.
171
dem Scliiwa Phallusaiifzüge um den Berg Meru gefeiert wurden *).
Die erste Hälfte des Namens Dionysos erinnert uns an die Benen¬
nung des Nationalgolles der Hebräer Adon , die so gewölinlicli war,
dass schon die alexandrinischen üebersetzer den unaussprechlichen
Gottesnaraen Javoii (nirr') immer mit den Vokalpunk len von Adonai
lasen und mit xvQioq üherselzlen. Wie die griechischen Kirchenväter
und das Orakel des Apollon Klarius 2) den [Gott der Hebräer nach
der richtigen Aussprache Yao) oder ’laoj nannten, und wie die [he-
hräisclie Sprache seihst das Wort durch Jo abkürzte, z. B. in
der Zusammensetzung von Joah (soviel als Juppiler, Jovis pater 3));
so riefen die griechischen Bacchanten ihrem Dionysos ’fcJ, Evot zu
und nannten den Gott auch ’lößaxxog. Die Aegypter sangen ihrem,
Thoylh iaoeaou 5). Die allen Dorier nannten den Adonis Üw •'). Sogar
das Prädicat des hebräischen Gottes langmüthig d-isn tjix wurde in
derselben Sprache dem griechischen Dionysos bcigelegt, nemlich
ri()iY.analoq ^),
Esjkann nicht autTallen , dass die Namen und Prädicate der höch¬
sten Götter der allen Völker in einander übergehen , und es war erst
einem spätem Zeitalter Vorbehalten, zwischen Zeus und Theulh,
Dionysos, Adonis und Javo- Juppiler zu unterscheiden Das ver-
*) Der geschichtliche Zusammenhang, der zwischen Griechenland,
Aegypten und Phönicien vorhanden ist, fehlt zwischen Griechenland und
Indien ; wesswegen w'ir zur Naraenserklärung der ionischen Form Jev-
i>v(Joq nicht nölhig haben mit dem Etymol. M. p 251 ed.^Lips., Tzetzes
und Zonaras Lex. Gr. p. 478 nach Indien zu gehen, wo öavvoq König
bedeuten soll.
2) Macrob. Sal. I, [18. Jo. Lyd. IV, 38 'p. 202 f . : oi Xdkdatoi
xbv diüv ’/acJ Xayovaiv — 'Poivkmv yXo^aat], Vgl. daselbst Röther
und Gesenius hebr. Wörterb. s. nini S. 373.
T ;
3) Schon Seiden und Dilherr leiteten den Juppiler der Römer von
dem Nalionalgott der Hebräer ab.
') Demoslh. de corona c. 79.
Dcnietr. Phaler. tibqI EQurjveiaq c. 71.
Etymolog. Al. v. ^Aco.
Procl. ad Orph. fragm. p. 460. Vgl. Schelling über die Gollh.
V. Sam. S 89.
172
w.intllscliaflliclie Verhällniss der obersten Golllieiten der Aegyplcr,
Phonicier, Grieclien, Römer und sogar der Hebräer in ihrem Ur¬
sprung ist nicht zu verkennen und widerlegt am besten das System
derer, welche den Götterhimmel der Griechen auf ihren eigenen
Gesiclitskreis einschränken und lediglich aus griechischen Wurzeln
ahleiten wollen. Die Hebräer halten bekanntlich drei Namen für
ihren Gott: El, Javo und Adon, und alle drei haben eine Aehnlich-
keit mit den Namen oder Begrifien der Götter anderer Völker.
heisst der Starke, hängt aber zusammen mit , Widder, dem al¬
ten Sinnbild der Stärke, und erinnert an den ägyptischen Widder-
gott und an den pelasgischen Krios (§. 4). Ich halle dafür, dass
Dionysos und Apollon nur verschiedene Namen eines und desselben
ägyptisch phönicischen Gottes sind, des Adon Bel. Adon war in Kreta
stierköpfig gestaltet (Minotaurus, §. 61) und kam als der Stiergoll
Dionysos nach Griechenland, ebenso Bel als Apollon (§. 40). Je¬
doch beide Namen scheinen den Gott in seinen zwei verschiedenen
Zuständen zu bezeichnen (wie Hades und Kadmilos bei den Pelas-
gern), Adon in dem der Todesschwachheit als ein zerfleischter und
begrabener (als ein gelödleter Stier), welcher in dem strahlenden
Sonnengott Bel (Kronos) wieder auferslehl. Dieser Gedanke und
ihre ursprüngliche Einerleiheit wird durch die Fabel sinnig angedeu-
tet, dass die Gebeine des Dionysos neben dem goldenen Standbilde
des Apollon in Delphi begraben liegen *).
Die Vermählung der Prinzessin Ariadne mit Dionysos ist von
geschichtlicher Wichtigkeit; denn sie zeugt von der frühen Ehrerbie¬
tung, die man ihm in Kreta zollte. Von Kreta aus führte Oeno-
pion (Weinlriuker) , ein Sohn des Dionysos, Pflanzer nach Chius.
Da dort auch Zeus einheimisch war, so mochte daselbst zuerst Dio¬
nysos zu diesem in Verhällniss als Sohn getreten seyn. Diodor
(1 , 23) schreibt jene Genealogie dem Kadmus zu.
In Attika wurde Dionysos mit seiner nützlichen Pflanze schon
ein Jahrhundert vor Kadmus unter dem dritten attischen König
Amphiklyon, welcher 520 nach Abraham zur Regierung kam 2),
') Dinarchus von Delos bei Cyrill adv. Jul. X p. 31-1.
2) Euseb. Chron. P. II p. 107.
bekannt'). Er wurde von Semacbus bewirlhel, und bescbenkle
dessen Tochter mit einem Rcbfell. Der König weihte einen Altar
des Gottes in der Ereclion {diövvooq oQddq) in der Horen Tempel
und nahe dabei einen Altar der Nymphen 2). Ueber die Bedeutung
dieses geraden Dionysos kann kein Zweifel seyn, da von einem sol¬
chen die Ithyphallen sangen 3). Sodann kan» der Gott unter P a n-
dion zu Ikarius in Attika, gab ihm den Weinslock und Wein,
und lehrte ihn den Weinbau und die Weinhereilung. Die Folge war
hacchische Raserei, Ikarius wurde von den Bauern und flirten im Lande
erschlagen und seine Tochter Erigone erhenkle sich '* *). Festen Fuss
fasste dieser Gottesdienst in Athen erst durch Einlliisse von Böo-
tien her. Der Vermittler und lleberhringer war Pegasus von
Eleulherä, und Delphi unterstützte ihn ^). Um diese Epochen seines
Gottesdienstes anzuzeigen und der Nachwelt zu überliefern, so sah
man hinter dem Heiligthum des Dionysos zu .Athen in einem Häus¬
chen irdene Bildwerke: einmal den Amphiktyon, wie er unter an¬
dern Göttern dem Dionysos ein Mahl gibt, sodann den Pegasus von
Eleutherä, welclier unter Mitwirkung des delphischen Orakels den
Dionysosdienst in Athen einführte. Das Orakel nemlich erinnerte
an die ehemalige Erscheinung des Gottes unter Ikarius. Der atti¬
sche Heros Keramus, von welchem der Keramikus seinen Namen
hat, war ein Sohn des Dionysos und der Ariadne *^), eine Sage, wor-
nach der kretensische Dionysos durch die Vermittlung des Theseus
in Athen zum Vorschein kommt. Die Lakonier brachten ihren
Dionysosdienst mit Kadmos in Verbindung. Dieser habe, so fabel¬
ten sie, seine Tochter Semele sammt dem neugehornen Kinde in
einem Kasten den Wellen des Meeres überlassen, derselbe sey in
Brasiä in Lakonien ans Land getrieben worden, Ino habe <len jun¬
gen Gott in einer dortigen Grotte erzogen 2).
*) Meursius de Reg. Athen. I, 15. Syncellus p. 157.
2) Philochorus , vgl. die Nachweisungen bei Böckh vom Unter¬
schied der attischen Lenäen , Anlheslerien etc. S. 72.
Semos bei Alhenaeus XIV p. 622 B.
•) Paus. I, 2. Apollodor. IH, 14, 7. Boeckli 1. c. S. 7:1.
Pausan. Alt. 2, 4. Schob .Aristoph. Acharn. 242.
Paus. Atlic. 3 .Anfg. Paus. Lacon. 24, 3.
174
Hie faiialische Verhreilun" dieses CiiKus gescliali niclil oline Zei-
clien göKlicher Alindung, wo er Widerstand fand. Der (Iiracisclie König
Lykiirgus M'iifhele so gegen die Ammen des rasenden Dionysos,
dass der Gott selbst ans Furcht sich ins Meer verbarg; zur Strafe
aber wurde der Mann blind und lebte nicht lange i). Dieser Triumph
des Gottes war oft ein Gegenstand der redenden und bildenden
Künste, und wurde von Aesebylus auf die Kühne gebracht. Der
thracische Orpheus, Sohn des Oeaarus, Priester (oder gar Sohn)
des Apollon, wurde von den Mänaden zerrissen 2), Pentheus,
Knkel und Nachfolger des Kadmus auf dem Ibebanischen Throne,
Sohn der Aeave, Avurde als Verächter der Dionysosreligion ermor¬
det. Ein scythischer König Skyles, der von den Griechen am Bo-
rysthenes die Bacchusweihe gelernt batte, wurde desshalb von sei¬
nen Unlerlbanen vom Thron und Vaterland verjagt 3). In Argolis
IVihrle Perseus einen blutigen Kampf gegen den neuen Gott und
seine Schaar um das Jahr 670 nach Abraham , in welchem sogar
Dionysos umgekommen seyn soll ^). Er wollte die vaterländische
Eandesgoltbeil Hera gegen den neuen Gottesdienst vertheidigen,
wie man aus der Fabel 5) ersieht, dass Hera in der Gestalt des Me-
lampus (nicht mit dem obigen Bacchuspricsier zu A^erwecbseln) dem
Perseus beigestanden sey. Indessen es Avurde Friede gestiftet: die
Argiver erwiesen dem Dionysos grosse Ehre und nannten ihn den
kretischen; er sollte sogar daselbst Ariadne in einem irdenen
Sarge begraben haben®). Von Kreta aus verbreitete sich also der
Gült nach Argolis. Uebrigens gewann er erst in späterer Zeit in
Griechenland bedeutende Fortschritte und Anhang. Denn Homer
kennt ihn zwar, nennt ihn aber nur einmal gelegentlich 2).
*) Ilom. 11. VI, 130 IT. Grenzer Synib III S. 176 ff. ^le Ausg.
2) Aeschyl. bei Eraloslben. Catasler. c. 24 p. 19. Schaub. Platon.
Symp. 7, 3. ApolloJor. III, 5, 1. Pans. IX, 30.
5) llerod. IV, 79 f.
Pans. Gorintb. 20, 3. Grenzer Dionys, p. 230.
Nonnns L. 47 v. 533. Perseus n. Melampus erscheinen auf einer
etruskischen Todtenkisle bei Ingbiranii Ser. I. t. 53 auf einem Altar
kniend, die Volksreligion Aerfechtend.
®) Pans. Gorintb. 23, 8. 7) j|. yi, 130.
175
Kreta war auch l)ei der Aushreilung des A p o 1 1 o n d i e n s t e s
Ihälig Geboren ist zwar der Gott auf Delos, von da ging er aus,
sagt der Homeride (ii. in Apoll. ‘27), über die Menschen zu lierr-
schen in Kreta, Athen u. s. w. Von Delos kam er auch nach an¬
dern Gewährsmännern') nach Athen und von da nach Delphi.
Nach dem Homeriden (h. in .4poll. 393. 438^. 517 Eudocia p. 108)
kamen kretensische Scliifl'er von Knosus unter Anführung des Kasta-
l^ius, von dem Gotte mit der Cilher selbst geleitet, nach Pytbo,
wo sie seinen Tempel bauten und sein Orakel stifteten 2). Hie
Schlange Python, die Apollon erlegte, ist wahrscheinlich nichts an¬
deres als eine Sammlung von Menschen, die Ureinwohner von Pytbo,
welche von den neuen Ankömmlingen zum Theil verjagt, zum Tbeil
getödtet wurden. Darauf deutet eine Stelle bei Plularch (Oiiaest.
Horn), wo von einer förmlichen Schlacht Apollons gegen Python,
von einer Flucht des Letztem bis Tempe, von der Verfolgung von
Seile Apollons und von dem Begräbniss des Python durch seinen
Sohn .4ex (^^s) die Rede ist. Versteht sich, dass der Gott sich der
kräftigen Arme seiner Diener bei diesem Geschäfte bediente. Jenes
Volk, von -,r3 (Viper, Schlange) 3) abgeleitet, bestand vielleicht aus
') Aeschyl. Eiimcn. 9. Ephorus bei Slrabo IX. fr. p. 181. So-
phocl. Oed. Tyr. 154 nennt den delphischen Gott Jdliog Ilaidv.
2) Wir haben keinen Grund zu der entgegengesetzten Annahme
Ilöck’s (Kreta III S. I.i9), als wäre der Apotlodiensl von Delphi nach
Kreta gekommen , als sich dorische Colonien nach dem Ileraklidenzug
daselbst ansiedelten. War dieser Gott ursprünglich der phöniciscbe
Baal (§. 40), so ist es im Gegentheil sehr w'ahrscheinlich , dass Kreta
die Brücke zwischen dem Morgenland und Grieclienlaud gewesen ist.
Diese Vermittlung zeigt sich sogar im Namen , indem man in Kreta die
Sonne nannte (Oesych. s. v.) , und eine dorische Namenform
des Gottes war ^AticXXcüv. Es verdient bemerkt zu werden , dass der
als eine menschliche Geschichte vorgetragene Tod Abels von der Hand
eines Bruders in der grauen Vorzeit unseres Geschlechts mit den kre-
tensisch griechischen Fabeln von dem Tode eines Nalurgottes zusam¬
menstimmt ; und auch die alten Sonnengötter weideten ihre Herden.
3) Eine Stadt in Aegypten hiess 2 Mos. I, 11 CP£ , nach der sa-
maritanischen Mundart (Piton).
— 17(i -
Sclilangenaiibelern , konnte so unter dem Bilde eines Draciien vor¬
gestellt werden, und die Vermischung des alten Sclilangendienstes
mit dem neuen Apollondiensl in Delphi vermitteln. Die Sage •) er¬
zählt, Apollon habe das Orakel nicht überkommen können, bevor er
den Python erlegte: diess deutet auf einen Völker- und Religions¬
krieg, was in heidni.scher Zeit beisammen war. Schon unter den
Pelasgern war hier eine Wahrsagerslätte, zuerst unter Themis,
hernach unter Phöhe. Der neueingelreteue Gott wurde nunmely
•Poißoq als Nachfolger seiner V’^orgängerin , die zu seiner Grossmulter
gemacht wurde, nachdem er schon eine Mutier in Lelo von Delos
milbrachte.
Die Erlegung des Python gibt ein 'delphischer Schriflsteller 2) als
Grund an von der Dienstbarkeit Apollons bei dem thcssaliscben Kö¬
nige Admetos von Pherä, den er vom Tode errettete, und in der
That hei den delphischen Festgebräuchen stellte ein Knabe den
Kampf, die Irrsale, die Dienstbarkeit des Gottes und die Sühne in
Tempe dar. Schon Homer (II. II, 766), Aeschylus (Eum. 713) und
Euripides (Alcest. 2) wissen von diesem seinem Verhältnisse zu Ad¬
metos. K. 0. Müller (Prolegomena z. e. wiss. Mylh. S. 300 tT.) deu¬
tele es also, die Dienstbarkeit sey mit eine Bedingung der Reinigung
und der Wiederaufnahme ins Vaterland gewesen; und so habe auch
der sonst reine Gott Apollon der Sühne sich unterziehen und dienen
müssen. Mir scheint aber nicht, dass die Fabel und die Festge-
bräuche einem leeren Gedanken ihren Ursprung verdankten, sondern
dass die wirkliche Slifluugsgeschichle des apollinischen Orakels in
jenen ihren entsprechenden Ausdruck gefunden habe, dass nicht
der Gott, sondern seine Diener und Ankömmlinge, welche die
Schlacht mit den Ureinwohnern geschlagen hatten, sich in Tempe
sühnen liessen und anfänglich bei Admetus in Pherä eine Zeit lang
als Hirten und durch Ausübung der Heilkunde dienend verweilten,
ehe sie sich zu dem Orakelsilz Delphi zurückbegaben. Diese Aus¬
legung ist gewiss natürlicher und besser begründet, als wenn man
dem Gott selbst für seine rettende Grosslhal, woran nach der ge¬
wöhnlichen Meinung nicht einmal Menschenblul haftete, Knechtschaft
Apollodor. III.
2) Anaxandiidas bei Schob Eurip, Ale. 2.
177
und Sühne als Strafe auferlegen lässt. Sodann war das Dienen eine
zufällige Sache der Landesflüchtigen, und nicht eine gebotene Strafe
zur Sühne für einen Mord; wie man nach der Deutung 0. Müller’s
annehraen müsste. Hatte man einmal dem Gott die Tödtung des
Python und das Dienen in Pherä zugeschrieben, was eigentlich seine
Colonie vollbrachte, so erschöpfte sich begreiflich der Erfindungs¬
geist der spätem Dichter, den Grund hievon anzugeben , und ver¬
wandelte so die fabelhafte Geschichte in ein Mährchen, dem die
neuern Mythologen eine tiefe Bedeutsamkeit unterlegen. Unser erstes
Geschäft muss aber immer seyn, das muthmasslich Ursprüngliche
von den nachmaligen Zuthaten zu sondern. Als Grund des Dienens
wurde nemlich von Pherecydes *)* eine von Zeus verhängte Strafe
angeführt, weil Apollon die Söhne der Cyklopen oder nach Andern
die Cyklopen selbst gelödtet habe, und der Grund hievon soll gewe¬
sen seyn, weil sie dem Zeus die Blitze schmiedeten, womit er den
Asklepios erschlug.
Artemis soll gleichfalls von Delos nach Attika gekommen,
und zuerst am Ufer des Ilissus gejagt haben; daher ihr dortiger Bei¬
name äyQa , dyqaia oder dyQOTSQa von dygiot (jagen) und der Ort
selbst , wo ihr ein Tempel errichtet wurde , ^'AyQa oder ""Aygat hiess 2).
Auch wurde der Artemisdienst von Tauris durch Iphigenia
nach Attika verpflanzt. Als diese von dort flüchtig geworden, so
soll sie das dasige Arlemisbild in den attischen Gau Brauron ge¬
bracht und da zurückgelassen haben 3), welches nachmals Xerxes
wegnahm '•). Daselbst wurde seitdem die Göttin hoch verehrt ^), die
auch den Beinamen Brauronia empfingt). Nach der Aussage der
Ep lies er sollen Apollon und Artemis im Haine Ortygia bei Ephe¬
sus geboren seyn ^). Der Homeride (h. I in Apoll. 16) lässt wenig¬
stens Artemis da neben einer Palme, jedoch den Apollon in Delos
geboren werden. Die Palme finden wir auf ephesischen Münzen
*) Bei Schob Eurip. I. c. fragm. p. 82 Sturz.
2) Plat. Phaedr. p. 229 C. Paus. Attic. p. 45.
3) Paus. Attic. Paus. Arcadic.
Diphilus bei Athenaeus L. VI.
®) Stephan. B. v. BQavQoyv.
Tacit. Annal. III, 61.
12
178
neben dem Hirsch *). Nach Kalliniach (h. in Dian. v. 237) haben
die Amazonen der Artemis ein Bild zu Ephesus unter einer Eiche
geweiht. Im Tscherkessischen heisst Maza Mond; woher jene Arte¬
mis- und Mondsverelirerinnen vielleicht den Namen erhalten haben.
Nach der delischen Sage bei Herodot (IV, 33) ist die Religion des
Apollon und der Artemis ursprünglich von den Hyperboreern
zu den Scythen, von diesen nach Dodona, von da an den melischen
Meerbusen und nach Euböa, Karystos, Andros , Tenos und von da
nach Delos gekommen.
§. 33.
Die Reibungen und Religionskriege beim Uebergang der zweiten
Periode in die dritte, welche einen Zeitraum von mehreren Jahrhun¬
derten einnehmen mochten, stellt die Fabel als einen mehr als zehn¬
jährigen Titanenkampf vor 2). Thessalien, die Wiege der
Hellenen, bei denen die neue Religion den meisten Anklang gefun¬
den und mit denen sie sich über ganz Griechenland verbreitet zu
haben scheint, war der Schauplatz des grossen Kampfes. Die Alt¬
gläubigen und Neugläubigen hatten daselbst eine jede Partei ihren
abgesonderten heiligen Berg, jene im Süden den Olhrys, diese im
Norden den Olympus; wie ich aus der Angabe schliessen zu müssen
glaube, dass dort die Titanen, hier die Kronideu feindselig gelagert
waren 3). Die Parteihäupter waren begreiflicher Weise dort Kronos
hier Zeus ^).
Wenn bei Hesiod die Götter selbst als Kämpfer für ihre Altäre
erscheinen, so führt dagegen Homer (Od. XI, 308 ff.) menschliche
Vorfechter auf. Der Kampf scheint aber bei beiden derselbe gewe¬
sen zu seyn, so weit man aus dem gleichen Orte und Zwecke des¬
selben urtheilen kann. Otus und Ephialtes, Söhne des Poseidon
und der Iphimedeia (welche den Berg Helikon den drei Musen ge-
Numisniata apibus insignita T. I n. 2.
2) Hes. Th. 616 ff. Richtig sagt Clavier sur les premiers temps
de la Gröce T. I p. 79: cette rivalite de cultes avoit donne lieu ä la
guerre donl nous tiouvons la descriplion dans la Theogoniej^dTlesiode.
3) Theog. 631 f. Theog. 490 f.
179
weiht haben sollen *)), von ungeheurer Grösse und Kraft, befehde¬
ten am Olympus die Unsterblichen , thürmten den Berg Ossa auf den
Olympus und auf den Ossa den Pelion, um den Himmel zu stürmen.
Apollon aber als der olympische Bogenschütze erlegte sie beide. Sie
waren nach Homer neun Ellen lang und doch nicht ausgewachsen.
Daher macht Virgil (Georg. I, 280 ib. Servius) sie als Giganten zu
Söhnen der Erde, und die Giganlomachie und Tilanomachie war ur¬
sprünglich einerlei, und wurde von den Alten gleichbedeutend ge¬
braucht uud erst von Spätem ein Unterschied angenommen. Es gab
in verschiedenen Gegenden, wo die Giganten d. i. die griechischen
Ureinwohner lebten, auch Gigautomachien 2) , als in Arkadien 3), zu
Phlegrä auf der pallenischen Halbinsel in Macedonien '*). Am letztem
Orte zeichneten sich aus Zeus, Here, Apollon, Dionysos, Hekate,
Hephästos, Athene, Poseidon, Hermes, die Mören und als Sterb¬
licher Herakles Nach Homers Froschmäusekrieg 283 besiegte
Zeus die Titanen, den Kapaneus, Enceladus und die wilde Schaar
der Giganten mit dem Donnerkeil.
Die ägyptisch hellenische Religion gewann ungeachtet aller Ge¬
genkämpfe das Uebergewicht; den alten Göttern aber wurde der
Tartarus unter der Erde als das schicklichste Sinnbild ihrer Ver¬
drängung zum Wohnsitz angewiesen. Daselbst dachte man sich die
Titanen^), oder nach Hesiod (Th. 729. 814) in der Finsterniss, wo
die Wurzeln der Erde, des Tartarus, des Meeres und des Himmels
sind. Weil die Menschen, ihre Verehrer, gut und fromm waren 2),
*) Plularch. Symp. IX, 14.
2) Ihrer gedenkt daher Platon Polit. II p. 378 C in der Mehrzahl.
3) Pausan. in Arcadicis.
Apollodor. I, 16, 1 und Isacius Tzetzes , welche die dortigen
Vorkämpfer Porphyrion und Alkyoneus nennen.
Diodor. IV, 15. Vgl. Wunder ed. Sophocl. Vol. II sect. 3
p. 14 sqq.
II. VIII, 479 wird diess von Kronos und Japetos, II. XIV, 274.
279. H. in Apoll. 335. lies. Th. 717. 851. Orph. bymn. 37 (36) von den
Titanen überhaupt ausgesagt.
2) Hes. Op. 111.
ICO
so hatten nach Pindar Kronos und Rhea auf dem Eiland der Se¬
ligen ihre Burg. Man schwur bei den unterirdischen Titanen 2), und
spielte auf Grabdenkmalen nach griechischer , ägyptischer und etrus¬
kischer Sitte durch Löwen und Löwenköpfe, wie es scheint, auf die
gute Göttin Rhea als Beherrscherin der Seligen an. Denn der Löwe
war der Rhea heilig, und mit dem Löwenkopf erblicken wir sie in
Gesellschaft ihres Gemahles Kronos auf der linken Wand des liby¬
schen Ammonlempels von Umebeda in einer Reihe unterirdischer
Gottheiten ^).
Zum Zeichen des gestifteten Religionsfriedens gab man dem
neuen Beherrscher der Götter und Menschen Zeus den Kronos
und die Rhea zu Eltern, deren weitere Kinder Here, Poseidon,
Demeter, Hestia und Hades waren '*). Die vormalige Allein¬
herrschaft des Kronos zertrennte sich in überirdische (Zeus), unter¬
irdische (Hades) und Meeresherrschaft (Poseidon), und die Splitter
des Thrones der mütterlichen Rhea wurden drei besondere Throne,
wovon den einen Here im Himmel , den andern Demeter auf Erden
und den dritten Hestia in den Häusern aufschlug. So redet Homer
(II. d, 187. h. in Cer. 86) von einer dreifachen Theilung: Zeus habe
den Himmel im Aether und in den Wolken erhallen, Poseidon das
Meer und Hades das Dunkel der Unterwelt, die Erde aber und der
hohe Olymp blieb Allen gemeinschaftlich. Somit ist Hades auch
vom Olymp nicht ausgeschlossen, und die Erde ist der Schauplatz
der Wirksamkeit aller Götter. — Die Zeit des Kronos und des Ja-
petos wurden sprüchwörilich bei den Griechen, um etwas Allerthüm-
liches zu bezeichnen.
Die Fabel, welche die neuen Götter zu Kindern des Kronos
machte und diesen seine eigenen Kinder verschlingen lässt, was oben
gedeutet wurde, war nun genölhigt, um sich einigermassen in den
Grenzen der Wahrscheinlichkeit zu halten , das Hervortreten der
neuen Götter zu erklären. Da mochte nun nach der Meinung des
Pindar. 01. II, 125. 140. Auch Saturnus war den Römern ein
unterirdischer Gott, nach der Meldung Plutarch. Quaest. Rom. 34.
2) II. XIV, 274. 279.
3) Tölken Erläuterung der Bildwerke am Tempel des Juppiter
Ammon T. VIII. Hes. Th. 453.
181
Clericus die Wortähnlichkeit von (Sohn) und -,dn (Stein) die
Veranlassung zn dem Mährchen abgegeben haben , Kronos habe an¬
statt des Zeus einen grossen Stein verschluckt , und sodann durch
die List und Kraft dieses seines Sohnes überwältigt, zuerst diesen
Stein und dann seine Kinder wieder von sich gegeben; diesen Stein
habe nun Zeus in Pytho, einem Hauplsitz der neuen Religion, gleich¬
sam als Siegeszeichen niedergelegt 2), und das sey derselbe, den
man vor dem Tempel zu Delphi gewahre, Abaddir oder ßaizvXiov
nannte 3) und täglich mit Oel begoss''»), gerade wie Jakob an dem
Malslein zu Bethel that 5). An einen dortigen Meteorstein mochte
sich disse Fabel angekuüpft haben; sowie in dem alten Orchomenus
und in dem pessinunlischen Gottesdienst der Cybele Meteorsteine
verehrt wurden ®).
Zu dem neuen Religionsgebäude trugen alle griechische Völker¬
schaften von dem Ihrigen bei, die thebanischen und der trojanische
Krieg vermittelten allem Anschein nach den Austausch und bereite¬
ten die Zusammensetzung vor- Die Epiker, namentlich Homer und
Hesiod, gaben dem erwachten griechischen Gemeinsinn Ausdruck,
vereinigten die Vorgefundenen Götter zu einem Ganzen, und brach¬
ten so in den Polytheismus lichte Ordnung. Unter ihrem Einfluss
schlossen die altern und neuern Gottheiten einen panhellenischen
Bund, die veralteten wurden ausgeschieden und die beibehaltenen
durch Genealogie einander über- und untergjeordnet. Eine charak¬
teristische Nachricht von dem friedlichen Nebeueinanderbestehen des
Zeus - und Kronoscultus in einer Uebergangsperiode hat uns Hero-
dorus bei Schob Pindar. Ob V, 10 aufbewahrt, dass Herakles zu
Olympia sechs Altäre errichtet habe , den ersten dem Zeus und Po¬
seidon, den zweiten der Hera und Athena, den dritten dem Hermes
und Apollon, den vierten den Chariten und dem Dionysos, den fünf¬
ten der Artemis und dem Alpheus und den sechsten dem Kronos
1) Zu Hes. Th. 485.
2) Th. 485 ff. Platon sagt im Euthyphron p. 6 A , Zeus habe
seinen Vater gefesselt.
3) Priscian. L. V fob 21 ed. Ascensianae und die Nachweisungen
bei Creuzer Symb. IV S. 639.
Pausan. X, 24. S) i mqs. 28, 18.
Paus. IX , 38.
182
und der Rhea. Sogar Cekrops, der Stifter des Zeuscultus, soll am
Fusse der Akropolis zu Athen dem Kronos und der Rhea einen Al¬
tar geweiht haben *).
A. Von der Gottheit an sich.
§. 34.
Das erste Glied der grossen Kette, der Erste und der Letzte,
war Zeus. Sein Amt ist das königliche, »Als die seligen Göt¬
ter, sagt Hesiod (Th. 880 ff.), den Kampf mit den T tanen beendigt
hallen, erhoben sie den Zeus auf den Stuhl der Herrschaft, nach
den Rathschlägen der Erde.“ Er ist der beste Herrscher, dglataQ-
Sein ist die höchste Majestät 3). »König der Könige, der
Seligen Seligster, und der Vollkommenheiten vollkommenste Macht,
glückseliger Zeus“, so redet ihn Aeschylus (Suppl. 527 ff.) an. Als
Höchsten der Herrscher ruft ihn Athene Od. a, 45 an^), und Pla¬
ton (Syrap. 19, 6) legt ihm als sein auszeichnendes Amt die Regie¬
rung der Götter und Menschen bei, so wie Hephästos der Schmidt-
und Athene der Webekunst vorstehe. Weisheit und Herrschaft
kommt ihm nach Plat. Phaedr. p. 252 E vorzugsweise zu, sowie
seiner Gattin Here der königliche Charakter. Die Versuche der
Götter, sich gegen seine Herrschaft aufzulehuen, scheiterten an sei¬
ner Allmacht. Here, Poseidon und Athene wollten ihn einst fesseln,
allein die Meeresgöllin Thetis berief den hunderlarmigen Briareus
zum Schirm auf den Olympus, vor welchem die seligen Götter sich
scheuten ^). Here wurde von ihrem Gemahl in den Aelher und die
Wolken aufgehüngt und Ambosse an ihre Füsse gelegt, weil sie ihm zu¬
wider den göttlichen Herakles durch einen Sturmwind ins weile Meer
*) Paus. 1, 18. Bacchylid. fragm. p. 62.
3) Sophocl. Philoct. 1284: dyvov Ztjvög viptarov oeßag,
’*) Vgl. II. K, 566. ,9', 450. A', 78 ff. ö, 107. Od. e, 103.
5) 11. I, 399 ff.
18a
gejagt hatte ‘). Er fordert darum alle Götter heraus, wenn es ihnen
beliebe, eine goldene Kette an den Himmel zu befestigen und sich
sämmtlich daran zu hängen, sie würden dennoch nicht den höchsten
Regenten herabzuziehen im Stande seyn trotz aller Mühe; er dage¬
gen würde sie mit der Erde und dem Meere emporzuziehen vermö¬
gen , und die Kette an des Olympus Spitze anbinden , dass Alles in
der Luft schwebete : so sehr bin ich grösser als Göller und Men¬
schen, spricht Zeus Auf menschliche Weise ist hier seine Ober¬
gewalt versinnlicht, wie auch der Schluss dieser Stelle selbst an¬
zeigt, dass sie also verstanden seyn wolle; und ihre Deutung von
Creuzer (Symb. IV S. 566 f.) , als hinge das Weltall an Zeus seinem
Mittelpunkt, scheint keineswegs darin zu liegen. Daher lesen wir
so oft im Homer, die Götter haben etwas nach dem Ralhschlusse
des Zeus gethan , in seinem Palaste beralhen sie der Menschen Ge¬
schick, und er führt den Vorsitz 3). Vater ist sein eigen-
Ihümlicher Name, Vater der Menschen und Götter; wie auch in dem
Juppiter der Römer das Wort pater als bezeichnend hervorslicht. —
Sein Attribut ist daher der Adler als der König der Vögel, der
himmelan fliegt. — Auf dem Kampfplatz vor Troja lässt Homer (11.
XXI, 387) die beiheiligten Göller selbst einen Kampf mit einander
beginnen, die Erde stöhnt und der grosse Himmel trompetet dazu;
aber Zeus sitzt im Olymp und lachet darob. Der menschliche Ha¬
der der unsterblichen Götter in der lliade (I, 573 ff.) gleicht sich
auf den Rath des Hephäslos durch ein Göttermahl und darauf fol¬
genden sanften Schlaf aus. Daher ist eine homerische Theolo¬
gie, wie sie Professor Nägelsbach (Nürnberg 1840) bearbeitet
hat, nicht sowohl eine Theologie, als vielmehr ein Aggregat dessen,
was der epische Dichter im freien Spiel der Einbildungskraft dar¬
gestellt hat, ohne Anspruch darauf zu machen, dass seine Gebilde
und Ergüsse Glaubensartikel gewesen und zu einem Lehrgebäude
zusammengesetzt werden sollen.
Durch die Idee eines obersten Himmelskönigs wurde die Ein¬
heit Gottes gerettet. Die vergötterten Naturkräfte sind seinem
gebietenden Willen unterthan; er aber steht frei und unabhän¬
gig über Allem im Aelher. So wurde der Heide ungeachtet der
*) II. XV, 18 IT.
2) II. VIII, 18 ff. 3) od. 1, 27.
184
Vielgölterei auf den Monotheismus geleitet. Selbst im Homer *)
wird das höchste Wesen im Allgemeinen oft schlechthin Gottheit,
6aiiJ.u>v , genannt, von barjutav ^ so viel als cpgövifioi;^ der Weise,
nach der Erklärung Platons (Cralyl. p. 398 11) 2). Denkwürdig ist
der sophokleische Ausspruch: »einig in Wahrheit, einig ist Gott, der
Himmel und Erde gemacht hat« 3). Anlisthenes in seiner Schrift
über die Natur ■^) sagt, der Volksgölter seyen viele, es sey aber nur
Ein natürlicher Gott. Plutarch (de oracul. def. p. 436 D) führt einen
Ausspruch der allen Theologen und Dichter an: »Zeus der Anfang,
Zeus die Mitte, Alles durch Zeus« ^). Platon (Tim. p. 41 A) macht
einen bedeutenden Unterschied zwischen dem höchsten Gott, von
welchem Alles ist, und zwischen den Göttern, die ihren Ursprung
wieder Göttern verdanken, und sagt von den letztem, als geborne
seyen sie zusammengesetzt, und die Möglichkeit ihrer Auflösung sey
Od. II, 134. 111, 27. 166. IV, 275.
2) Wenn Platon daselbst die Dämonen mit Hinsicht auf Hes.
Op. 122 für die ersten Menschen des goldenen Geschlechts nnd die He¬
roen für Söhne aus der Vermischung der Götter und Menschen erklärt,
und wenn er Phaedr. p. 246 E und Lgg. X p. 9U6 A Götter und Dä¬
monen neben einander setzt, und gleichfalls Aristoteles (Problem. XIX,
49) die Unsterblichen in Götter und Dämonen theilt, so wird da¬
durch der Sprachgebrauch Homers und der Tragiker, w'elchen dai/xctiv
und ^eöq gleichbedeutend sind, nicht entkräftet, und auch in einer
andern Stelle bei Platon Apolog. Socr. p. 27 C sind die Dämonen Göt¬
ter oder Göttersöhne. Wenn auch Hesiod V. 122, da er von vergöt¬
terten Menschen redet , sie wohl absichtlich dai^ovsq und nicht
nennt, so bildet er darum doch nicht aus jenen eine eigene Klasse
von Mittelwesen , und unterscheidet sie bestimmt V. 141 von den seli¬
gen Sterblichen [dvrjxoi) des silbernen Geschlechtes. Die Griechen
kannten in alter Zeit nur Götter, Menschen und Heroen (Göttersöhne),
und wenn ein Mensch vergöttert wurde, so zählte er zu den Göttern.
Vgl. Spanheim zu Aristoph. Plut. v. 81.
3) Bei Athenagoras Leg. pr. Christ, n. 5 p. 283 Paris.
Elq xalq dkrjßeiaiaiv , alq eaxlv ■debq,
"Oq oigavöv x axev^a xal yaiav juaxQÜv,
^) Bei Cic, N. D. I, 13. Vgl. Plat. Lgg. IV p. 716 A.
185
damit gegeben; unsterblich seyen sie nur durch den Willen des
höchsten Gottes , dessen Wille ein noch mächtigeres Band sey als
das ihrer Znsammenselzung bei ihrer Erzeugung. Hier ist eine An-
erkennlniss der götllichen Aseilät niedergelegl. In diesem Sinne
sagt Ebenderselbe (Epist. XIll p. 363 B): seine eruslhaflen Briefe
heben mit Gott , seine scherzhaften mit den Göllern an. Von dem
gölllichen Wesen spricht Platon (Phaedr. p. 246 C) auf eine beschei¬
dene Weise, als nach einer Mulbmassung, nicht aus erwiesenen
Gründen, indem niemand Gott gesehen noch lünlängiich erkenne,
und nach dieser Einleitung gibt er zwar dem gölllichen Wesen Seele
und Leib, jedoch allezeit unzertrennlich. »Indessen, fügt er zwei¬
felnd hinzu, wie es Gott gefällt, verhalle sich solches und also sey
davon geredet.« Die Götter sind ihm (Phaedr. p. 253) Urbilder der
Vollkommenlieit , so dass ein jeder Mensch sich nach dem ihm an¬
gemessenen Gott als seinem Ideal bilden sollte.
Im Parmenides beschäftigte sich Platon mit der Erforschung des
gölllichen Wesens , jedoch lässt er sein wirkliches Daseyn proble¬
matisch, und es wird nur eine Voraussetzung aufgeslellt : »wenn er
'ist“, oder abgesehen von seiner Persönlichkeit und Intelligenz: »wenn
es ist.« Die Idee des Einen fasst er scharf ins Auge und sagt
§. 22 ff.: wenn es ein solches gibt, so ist es weder ein Vieles noch
ein Theil noch ein aus Theilen bestehendes Ganzes, als solches aber
unendlich; denn die Grenzen wären sein Ende, sein Ende aber
ein Theil von ihm dem Ganzen. Ferner ist es ohne eine Gestalt
(unkörperlich), an keinem Orte, weder in einem Andern noch in
sich selbst, sonst müsste es einem Andern oder sich selbst Berüh¬
rungspunkte zum Einschliessen darbieten, was der Einheit nicht zu¬
kommt. Sodann ist es unveränderlich; denn sich verändernd würde
es aufhören eins zu seyn, oder falls es sieb um sich selbst bewegte,
wäre ein Unterschied zwischen Mittelpunkt und Umkreis; falls es
sich aber im Raume bewegte, wäre es in etwas Anderem. Eben so
wenig bleibt es irgendwo fest; also weder der Begriff von Bewegung
noch der von Ruhe passt auf das Eine. Es ist ohne Gleichen und
schlechthin unvergleichlich; denn es kann nicht einerlei oder
ähnlich seyn mit etwas Anderem , sonst wäre es etwas Anderes und
nicht mehr Eines, sondern wenigstens zwei kämen zum Vorschein.
Nicht einmal kann man sagen, es sey verschieden von Andern, da
es mit nichts kann verglichen werden. Auch nicht ist es mit sich
(86
selbst einerlei, viel weniger verschieden von sich, sonst erschiene
sogleich eine Zweiheit. Es erscheint gar nicht in der Form der
Zeit, sonst würde es dem Werden und Wechsel unterworfen, also
nicht mehr eins seyn. Hieraus lässt er (§. 31) seinen Parmenides
schliessen: weil ihm als dem Ausserzeitlichen das war, ist und seyn
wird nicht zukomml, so ist es überhaupt nicht. Zu diesem Trug¬
schluss kommt man in Folge einer Verwechslung des zeitlichen
Seyns und des Seyns überhaupt.
Anderwärts^) beschreibt Platon die Gottheit also: sie sey in
Absicht auf ihr Leben unvergänglich, auf ihre Seligkeit selbstgenugsam,
auf ihre Wesenheit ewig und auf ihr Wirken die Urquelle alles Gu¬
ten. Nach Polit. VI p. 508. VII p. 517 ist Gott das Gute an
sich (j; xdi) äyadov idia), alles Wahren, Guten und Schönen Ur¬
quelle. Während nach Hesiod (Th. 220) die Götter sogar zu Ueber-
tretungen fähig sind, so will Platon (Polit. II p. 380) in seinem
Staate nicht gestatten, dass man von den Göttern etwas Anderes
fabele , als dass das Gute von ihnen komme , welches sie sogar durch
Strafen nur bezwecken. »Niemand ist gut, denn der einige Gott,“
ist schon ein Spruch des Simonides^), welcher ein Lehrgedicht ge¬
gen den bekannten Ausspruch des weisen Pittakus von Mitylene:
%ak£n.bv ioxSXüv e/Ufievai , verfasste. Bei den Göttern findet nicht
wie hienieden ein Gegensatz des Guten slatt: Gott ist gerecht, hei¬
lig und allweise, sagt Platon (Theaetet. p. 176).
§. 35.
Die erste Gemahlin des Zeus war Metis (Weisheit), »welche am
meisten unter den Göttern und sterblichen Menschen versteht. Als
sie die Athene gebären sollte, so barg sie Zeus durch einschmei¬
chelnde Rede gewinnend in seinen eigenen Leib, nach dem Ralhe
der Erde und des Himmels, damit nicht ein Anderer der ewigen
^) Plat. Definitionen p. 411 A; i9£Ög ^öoov dddvarov, avxa^Y.£q
nqbg sidaifMOviav , ovaia äidioq, xy\q xdyadov cpiaianq alxia.
2) Bei Plat. Protagor. p. 341 E. 344 C .* Xsysi bxi dsöq dp fiöpoq
f/ot xovxo yigaq^ nemlich d.yadbq
187
Götter statt Zeus die königliche Würde empfange“ '). Dieser inni¬
gen Ehe Fruclit war nun Athene, welche in goldener glänzender
Waffenrüstung aus Zeus Haupte hervorsprang 2) , und ihrem Vater
an Sinn und Verstände gleicht 3), Hätte Melis noch einen Sohn ge¬
boren, so wäre dieser König der Göller und Menschen geworden.
Die ewige Dauer des Reiches des Zeus erforderte daher, dass er die
Metis in seinem Unterleib verbarg, damit sie ihn Gutes und Böses
lehrete ^). Weil die Weisheit von dem Begriff eines obersten Gottes
unzertrennlich ist, so ist des Zeus gewöhnliches Beiwort nrjxUxa^
{.irjxiosiq, der Allweise. So heisst es Weish. Salom. 8, 3 von der
Weisheit, sie wohne Gott bei, und der Herr aller Dinge habe sie
lieb. Später fabelte man, Zeus sey der Sohn des Prometheus, d. i.
der Vorsehung, wie man es auslegte ^). Aeschylus Suppl. 86 ff.
singt: „der Wille des Zeus ist nicht leicht zu ergründen; doch strahlt
er überall auch in Finsterniss mit schwarzem Geschick den Völkern.
Sicher fällt es und nicht in Schwebe, wenn im Scheitel des Zeus
ein reifes Werk vollbracht ist. Denn verdeckt und im Schallen ge¬
hen seines Sinnes Wege unausforschlich.« Sophocles Oed. Tyr.
485 f. : »Zeus und Apollon sind weise und kundig der Angelegenhei¬
ten der Sterblichen.« Athene ist der himmlischen Weisheit erster
Abglanz, der göttliche Geist in seiner Richtung zur Well. Sie ist
die aus dem All ins Einzelne ausslrahlende Weisheit, wie sich Plo-
lin *') ohne Zweifel mit Rücksicht auf die Geburt der Athene aus¬
drückt. „Ich allein unter den Göllern, führt sie Aeschylus (Eumen.
817 f.) redend ein, kenne die Schlüssel zu den Wohnungen, worin
der Blitzstrahl versiegelt ist.« „Das Wort weise, dünkt mich, sagt
Hes, Th. 886 ff. fragm. 77.
2) Theog. 924. Horn. h. I, 309. XXVIII, 4. Nach Pindars 01. Vif,
65 sinnlicher Darstellung wurde der Kopf des Vaters durch das Beil
des Hephästos geöffnet, damit Athenaia herausspränge. Eurip. Phoe-
niss. 670 nennt sie daher mutterlos,
3) Theog. 896. '•) Theog. 900.
5) Jo. Lyd. IV, 48 p. 228. Fulgeut. Mythol. II, 9 p. 680 Staveren.
Plotin. Ennead. VI L. IV c. 16 p. 659 : 7 £7tiaxi]fxr] oX-rj xov
:tavxbq ovaa v.6ofxov vorjxov v.at iv x<^ oXm xu jusQoq outoyiQVTtxovaa ,
olov E^sdoQsv iy. xov itavxoq eii; /zepo?.
188
Platon (Phaedr. p. 278 D), sey etwas Grosses, und komme Gott
allein zu“ i). Platon Syrapos. p. 204 A: »der Götter keiner begehrt
weise zu werden; denn er ist es.« Plat. Epinomis p. 985 A; die
vollendete Gottheit ist über Freude und Leid erhaben, durchaus des
Denkens und Erkennens tlieilhaftig. So lange nun Zeus die Okea-
nine 2) Melis, die so unergründlich ist als ihr Vater, in sich birgt,
und ‘ein Sohn der Weisheit (der Logos) nicht ans Licht geboren
ist, sitzt jener fest auf seinem Throne.
§. 36.
Weisheit und Gerechtigkeit sind die Grundsäulen eines
Königsthrones: die zweite Gattin des Zeus ist Themis (Recht),
die Tilanide^), die als unwandelbare göttliche Eigenschaft aus der
zweiten Religionsperiode der dritten einverleibt wurde, aus der pe-
lasgischen Zeit in die hellenische überging. Der Homeride (h. XXII)
legt diese Ehe also aus : »Zeus wechselt mit der ihm zugekehrlen
Themis viele trauliche Reden.« Homer (Od. Xlll , 214) : »Zeus
schaut auf die Menschen und strafet den Sünder.« Od. XIV, 83 f.:
»verschiedenartige Götter, Fremdlingen ähnlich, durchwandern die
Städte und schauen auf der Menschen Uebermulh und Gesetzmässig¬
keit (fwo^r^).« Aeschylus (Agamemn. 1564 f.) ; »dabei bleibl’s, so
lange Zeus in den Zeitläuften wallet, dass jeder leiden muss, was
er verdient. Diess ist das Gesetz.« Aeschyl, SuppL 95 ff.: »Zeus
trifft von der Höhe seiner Gedanken die verkehrten Sterblichen, und
niemand übel Gewalt ganz ungestraft von den Göttern. Den hoch¬
fahrenden Muth bestrafet er gleichwohl aus heiligem Wohnsitz.«
Suppl. 384 ff.: »Schaue auf den aus der Höhe blickenden Hort der
bedrängten Sterblichen, welche bei den Anverwandten bittend das
gesetzliche Recht nicht finden. Der Zorn des Zeus, des Beschützers
der Flehenden, bleibt schwer zu sühnen bei den Klagen des Leiden¬
den.« Suppl. 1077: »Das Recht folgt dem Rechte durch Gottes Fü-
^) Vgl. Paul. Rom. 16, 27.
2) Theog. 358. Der Prometheus des Aeschylus rühmt sich zu
wissen , durch wen Zeus seiner Herrschaft verlustig gehen werde.
3) Theog. 135. 901. ''•) Herod. II, 50.
189
gung auf mein Fleh’n um Erlösung.“ Platon Theälel. p. 176 B:
»Gott ist auf keine Weise und durchaus nicht ungerecht, sondern
der Allgerechte.« Plat. Lgg. IV p. 716 A: Gottes Wege sind ge¬
rade, und in seinem Gefolge ist allezeit die Gerechtigkeit. Wer
glückselig seyn will, muss sich an sie anschliessen und im Schmucke
der Demuth nachfolgen. Der Uebermüthige wird von Gott verlassen
und bestraft. Sophokles Ajax 132: „Die Götter lieben die Tugend¬
haften (ocügjpovag) und hassen die Bösen.«
Zeus erzeugt mit Themis zweierlei Töchter: die drei Horen
oder Jahreszeiten und die drei Mören oder Schicksalsgöttiunen *).
1) Der heilige Wille Gottes ist Gesetz für die Thätigkeit der Natur
und der freien Menschen. Der Wechsel der Jahreszeiten, das Ver-
hältniss der Erde zur Sonne, die dadurch bedingte Wohlordnung
des Weltganzen, das Naturgesetz überhaupt ist zugleich ein Sinnbild
des Sittengesetzes für die vernünftige Schöpfung, und dieselben Ho¬
ren , welche das Jahr in dieser Periode anstatt der Hesperiden thei-
len, sind zugleich die Vorsteherinnen aller Gesetzmässigkeit, Gerech¬
tigkeit und des friedlichen Zusammenlebens der Menschen in Fami¬
lie und Staat, wie ihr Name Eunomia, Dike und Irene aus¬
weist. Ihre Bedeutung ist, dass wie die Natur, so die menschliche
Freiheit sich nach der ewigen Regel der göttlichen Ordnung halten
und richten soll. Wie sie in natürlichem Sinn die Erzeugnisse der
Erde behüten, so wachen sie im hohem Sion, dass jedermann die
Früchte seines Fleisses sicher und ruhig geniesse. Wenn die Athe¬
ner vor Alters nur zwei Horen Namens Karpo und Thallo ver¬
ehrten 2), so pflichtet Pindar (Ol. XIII, 6) dem Hesiod bei, und
Phidias bildete am Thron des eleischen Zeus über seinem Haupte
drei Horen ab 3). Die Höre der Gerechtigkeit, Dike, ist eine hehre
Jungfrau, ehrwürdig den olympischen Göttern ^). Themis^), Dike ß)
und Aedos werden als Beisitzerinnen am Throne des Zeus
genannt.
*) Theog. 901 ff. II. £, 749. 393. 433. Od. 344.
2) Pausan. II, 20. 3) paus. V, 11.
Hes. Op. 256 f, das. Proklus. Vgl. Aeschyl. 7 vor Theben 647.
5) Pindar. Ol. VIII, 28. 6) Sophocl. Oed. Col. 1381.
2) Sophocl. 1. c. 1268.
2) Der Wille Gottes ist eine gesetzte Bestimmung, die uns
■widerfährt. Der Wille als Richtschnur der Thätigkeit der Natur und
der Menschen (Horen) und als Fügung des Schicksals (Mören) ist
die göttliche No t h w e n d i g k e i t (Themis) und hat in ihr die hö¬
here Einheit. Chrysippus nannte im ersten Buch über die Natur der
Götter *) den Zeus die Noihwendigkeit, welche ewiges Natur - und
Sittengesetz ist und für die zukünftigen Dinge unvergängliche Wahr¬
heit enthält. In diesem BegritT fasst der Philosoph die Gottheit als
höchstes und ewiges Gesetz auf, das in Beziehung auf die Menschen
ihr Leben regiert und sie in ihren Pflichten unterweist, und sich auf
die Zukunft als fatale Nothwendigkeit erstreckt, mithin die Schick¬
salsgöttinnen und den wahrsagenden Apollon als Zeus Kinder um¬
fasst. Schon nach Aeschylus ist in Zeus Freiheit und Nothwendig¬
keit vereinigt, wenn er im Prometheus V. 49 f. sagt: »Alles ward
den Göttern, nur nicht Herrschaft. Frei ist keiner ausser Zeus.«
Der heidnische Anthropomorphismus stattete die Götter, insbeson¬
dere die dem Zeus untergeordneten, mit menschlicher Willkür,
Schwächen und Leidenschaften aus , und hielt sie sogar der üeber-
tretungen für fähig 2). Wenn sie als Versucher zum Bösen und nei¬
disch dargestellt werden, so ist diess auf Rechnung des Menschlichen,
das mit dem Göttlichen in ihnen gemischt ist, zu setzen, oder es
ist, wie bei Pharao, eine verdiente Verstockung, deren Grund zu¬
letzt doch in dem sündigen Menschen liegt 3). Weil man die Noth-
■wendigkeit nicht in die menschlich gedachten Götter setzen konnte,
so wurde sie, um ihre Idee zu retten, ausser ihnen in das Schick¬
sal und die Mören gesetzt; die Götter aber waren entweder der
Nothwendigkeit unterlhan oder in Uebereinslimmung mit ihr- Ho¬
mer (Od. III, 236) sagt: »vor dem allgemeinen Todesloos können
*) Bei Cic. N. D. I, 15 ib. Creuzer p. 70.
2) Theog. 220.
3) Das stoische Philosophem (Plut. de stoic. repugn. c. 35) von
dem Bösen, dass es als Gegensatz gegen das Gute einigermassen natur-
gemäss und so zu sagen nicht ohne Nutzen für das Ganze sey , kann
so w'enig der Religion der alten Griechen aufgebürdet ■werden , als die
Lehren eines Hegel in dieser Beziehung auf Rechnung des Christenthuras
zu setzen sind.
191
nicht einmal die Götter einen lieben Mann bewahren, wenn die ver¬
derbliche Todesmöre ihn erfasst.“ Pythia bei Herodot I, 91: »Auch
ein Gott kann dem Geschick nicht entfliehen.« Zeus konnte jedoch
nur als fabelhafter Mensch mit dem Schicksal im Widerstreit ge¬
dacht und vorgestellt werden. Auf religiösem Standpunkt lässt sich
eigentlich nicht untersuchen, ob das Schicksal über Zeus oder Zeus
über dem Schicksal stehe; worüber Nägelsbach (die homer. Theolog.
S. 113 f.) Nachweisungen gibt. Theologisch sind beide identisch;
menschlich gefasst, lassen sich homerische Stellen für beiderlei Be¬
hauptungen Je nach der Auffassung beibringen. Des Zeus Anthropo-
pathismus tritt auf eine merkwürdige Weise beim Tode seines Soh¬
nes Sarpedon (II. XVI, 433 Cf.) hervor. Er klagt, dass ihm nach
dem Verhängniss der liebe Sarpedon von den Händen des Patroklus
fallen müsse. Jedoch auch da wird seine Gewalt über das Schicksal
anerkannt; denn er zeigt sich unschlüssig, ob er ihn lebendig aus
der beklagenswerthen Schlacht nach Lycien entrücken oder seinem
Schicksal überlassen wolle: worüber ihn Here zurechtweist. An sich
aber kannte die Religion keinen Gegensatz zwischen den Göttern
und dem Schicksal. In so fern jene mit menschlicher Willkür sich
bewegen , stellt sich die göttliche Nothwendigkeit und gerechte Welt¬
regierung in den Mören dar. Aeschylus (Choeph. 641 f.) weist in
schöner Dichtung die Uebereinstimmung des Schicksals (aiaa) und
der Gerechtigkeit, der Nothwendigkeit und der sittlichen Weltord¬
nung nach, wenn er sagt: der Grund der Gerechtigkeit ist fest, die
Waffe reicht ihr das Schicksal als Zeugschmidt, und führt ein neues
Kind des frühem Blutvergiessens ins Haus (auf die Ermordung der
Mörderin Klytämnestra anspielend). Das Schicksal hebt aber das
Verschulden der Menschen nicht auf. Wenn Klytämnestra bei Ae¬
schylus (1. c. 902) versucht, wegen der Ermordung ihres Gatten
Agamemnon das Schicksal als Ursache vorzuschützen, so weist es
Orestes also ab, dass es nun auch Schicksal sey , wesshalb sie ster¬
ben müsse. Wegen der Menschen Freiheit und Verschuldung trifft
sie auch Schicksalwidriges {yitsQfjio^ov) nach der Odyssee a', 34.
Die Mören Klotho, Lachesis und Atropos sind als Töch¬
ter des Zeus und der Themis , denen der Vater »hohe Ehre verlieh« *),
0 Theog. 904.
192
eine Personificalion seines eigenen Willens und Ratlischiusses. Wie
das Juppiterkind zu Pränesle im Bilde von der Fortuna gesäugt
wurde'), so halle Zeus zu Anomen Ida (nach Andern Ile) und
Adraslea (Beiwort der Nemesis) 2), und als Mörenführer {Mot^ays-
T?7?) einen Altar zu Olympia 3). Aeschylus Agamemn. 1488 singt:
»Was geschieht den Sterblichen ohne Zeus? Was trifft sie ohne
göttliche Fügung ?« So fiel Agamemnon durch seines Weibes Hand,
weil der Rachegeisl (dacfiMP aXdorcop) seines Vaters Atreus in Wei-
besgeslalt den Sohn für des Vaters Sünde heimsuchte und schlach¬
tete, welcher Vater die Kinder seines Bruders Thyestes tödlele und
ihm zu essen vorselzle. Jedoch die Thälerin Klylämneslra wird kei¬
neswegs freigesprochen, sondern nur die Mitwirkung des Dämons
behauptet (V. 1500 ff.). Man wird diesen nicht für einen bösen Dä¬
mon hallen können; wie denn deren Daseyn nicht eigentlich allge¬
meiner Volksglaube der Griechen war, sondern die guten Dämonen
achten nach Uesiod (Op. 124) auch auf die Misseihalen der Men¬
schen, wie auf ihre gerechten Werke '<), eine Ansicht, die mit der
Engel - und Genienlehre in Einklang steht. Hören wir den hoch¬
sinnigen Aeschylus noch in andern Stellen. Der Chor ruft in seinen
Choeph. 303 die grossen Mören an, dass sie kraft des Zeus {Jiödsv')
vollenden, wie es das Recht mit sich bringt. Aeschylus Suppl. 676:
»Zeus ordnet das Schicksal nach ewigem Gesetz.“ Ibid. V. 1051 ff.:
„Was verhängt ist, das soll geschehen: des Zeus unendlichem Hoch-
sinn- kann niemand widerstehen.“ Nach diesen Stellen darf man
nicht etwa ein blindes Fatum über die göttliche Intelligenz setzen;
wogegen schon Themis als Mutter der Mören spricht. Intelligenz,
Gerechtigkeit und Geschick erscheinen nie im Conflikt; wohl finden
bisweilen die den Göllern angedichlelen menschlichen Neigungen an
1) Cic. de Divin. Il, 41. 2) Plut. Symp. III, 9 p. 657 E.
5) Paus. V, 15.
^) Alle Gesetzgeber von Lokris und Sicilien sprechen bei Stobäus
Serm. 42 wirklich von bösen Dämonen: Zaieucus weist denjenigen, dem
ein böser Dämon sich nahet, an, bei den Altären der Götter ZuQucbt
zu suchen und sich zu tugendhaften Männern zu wenden, und Charon-
das warnt unzüchtige Weiber, sich vor den Dämonen zu hüten, welche
aus dem Hause verjagen und Zwietracht anrichten.
193
dem Schicksal ihre rechlmässige Schranke, damit die göttliche Noth-
wendigkeit mit dem Anthropopathismus versöhnt werde.
In eine Dreiheit getheill, drücken die Mören doch nur einen
und denselben BegriCF aus, nemlich wie ihre Namen besagen: die
unabwendbare (Atropos) Scliicksals- (Lachesis) Spinnerin (Klotho).
Die Idee der Nothwendigkeit ist die erste und ursprüngliche in ihrem
Wesen; darum heisst Atropos die älteste und vornehmste, wiewohl
sie etwas kleiner als die beiden Schwestern gebildet wurde '). Sie
und die Erinnyen führen das Steuerruder {oiay.oaTQÖcpoi) der Noth¬
wendigkeit, sagt Aeschylus (Prometh. 515). Wie die alten Athener
nur zwei Horen (Sommer und Winter) verehrten, so waren in dem
Tempel zu Delphi nur zwei Mören abgebildet 2).
§• 37.
Das selige Leben der Götter.
Zum dritten führt die Theogonie V. 907 unter den Gattinnen des
Zeus die Eurynome auf von lieblicher Gestalt, des Okeanos Toch¬
ter, welcher die Inseln der Seligen bespült 3), Ihr Name bedeutet
die weithin Weidende; die Phigalenser hielten sie für einen Beina¬
men der Artemis, und batten ihr einen Tempel erbaut, den sie ver¬
schlossen hielten, und nur des Jahres einmal an ihrem Feste eröfl'ne-
ten ^). Mit Eurynome erzeugte Zeus die drei schönwangigen Cha¬
riten: Aglaja, Euphrosyne und Thalia d. i. die blühende
und glänzende Freude. »Von ihren Augenwimpern träufelt ergötz¬
liche Liebe, und holdselig sind ihre Blicke“^). Wie sie einen Ge-
sammtbegriff ausdrücken, so sind sie schwesterlich beisammen, und
bilden gleichwohl eine Dreiheit von Wesen, in so ferne die Freude
bald als innerliche Gemüthsstimmung, bald als Heiterkeit, die auf
‘) lies. Schild 258 ff.
2) Pausan. IX, 24. Plutarch. de « ap. Delph. c. 2.
3) lies. Op. 171. In diesem Sinne ist es gedichtet, wenn Homer
II. 18, 398 den aus dem Olymp gestürzten llephiislos bei Eurynome
und Thetis seine Ruhe finden lässt.
Pausan. in Arcadic. *) Theog. 910 f.
13
194
dem Gesichte blinkt und äusserlich glänzend hervortritl, bald als gedeih¬
liches Wohlbehagen aufgefassl wird. Gerade so finden wir diese Idee
Sirach 34, 17 zergliedert: »Gott erfreuet das II e r z (Euphrosyne) und
macht das Angesicht fröhlich (Aglaja) und gibt Gesundheit,
Leben und Segen“ (Thalia). Wie Zeus die Seligkeit in sich ewig¬
lich ruhend hat '), so glänzt sie auch ausser ihm und verbreitet sich
als Charis über die ganze Schöpfung. Wie alle Götter die vergnügt
Lebenden (gsTa ^eoovieq) 2) sind , so sind die Chariten um alle freund¬
lich geschäftig 3) , ohne sie hallen die Götter weder Tanz noch Gast¬
mahle sie baden und salben die Aphrodite^), sie thronen neben
dem herrlichen Apollon und singen des olympischen Vaters Ehre 6),
sie halten in Olympia einen gemeinschaftlichen Altar mit Dionysos ^),
sie und die Ueberredung (Ilaidcö) spendeten der Pandora goldene
Halsketten^); sie nahten tröstend der Demeter in ihrem Schmerze
über die geraubte Tochter 9). Wie Freude , so verleihen sie aber
auch Schönheit, welche ein Freudenglanz, gleichsam eine äusser¬
lich gewordene Freude ist, und darum auch wieder den innern Sinn
erfreut. Daher sagt Homer (Od. VI, 18) von zwei Dienerinnen, »sie
haben Schönheit von den Chariten.« Insbesondere kommt dieser
Vorzug der Aglaja zu, welche (a.yXairD bei Homer i®) gleichbedeu¬
tend mit Schönheit ist. Hephäslos , welcher als ägyplisirender De-
miurg Aphrodite freite, hatte daher als homerischer Feuerkünstler
Aglaja mit glänzendem Schleier, als den schönen Glanz auf seinen
Kunstwerken, zur Gattin *•).
Wie die seligen Göller selbst die Urbilder der Schönheit sind,
so stellt Platon (Syrap. p. 211) die Idee »des an und für und in sich
selbst ewig gleichartigen Schönen auf, an welchem alles andere
Schöne in Wissenschaften , Anstalten , Tugenden und Körpern seinen
Antheil hat«; und wie, wer solches schaut, nach Platon selig zu
nennen ist, so ist gewisslich die Fülle aller Seligkeit in Gott. Die
1) Aeschyl. Suppl. 527. 2) Z. B. Od. IV, 805.
3) Horn. h. in Vener. 95 f. '») Find. Ol. XIV, 10 ff.
5) Od. VIII, 364. 6) Pindar. 01. XIV, 15 ff.
^) Schob Find. 01. V, 10. Fausan. V, 14.
8) Hes. Op. 73. 9) Eurip. Hel. 1360.
iO) Z. B. Od. XVIII, 180. 1») II. XVIII, 382. Theog. 944 f.
195
Selbstbeschauung Gottes ist seine Seligkeit. Diess drückt Platon
(Pbaedr. p. 247 fabelhaft also aus : wenn die Götter zum Festmahl
gehen, so wandeln sie an den Rand des Himmels und beschauen
das wahrhafte Wesen, das weder Farbe, noch Form, noch Materie
hat, ausserhalb desselben, die Gerechtigkeit an sich, die Besonnen¬
heit, die wahre Erkenntniss und alles andere wahrhaft Seyende, so
lange bis des Himmels Umschwung vollendet ist, sodann kehren sie
wieder einwärts nach Hause i).
\) Diese Stelle ist übrigens in exegetischer und kritischer Hin¬
sicht zu berichtigen. Heindorf erklärt S. 253 : das wahrhafte Wesen
könne nur von der Vernunft durch die Anführung der Seele beschaut
werden. Alsdann aber müsste es 'ipvxfi y-vßegvijT-^ so gut als deaxfj
VM heissen; denn xvßsgv^jrtjq bedeutet ja nicht die Anführung, sondern
den Anführer, und wenn darauf gehen sollte, so müsste dieses
Wort in gleichem Beugfall stehen. Dem Sinn nach wäre die Anfüh¬
rung der Seele ein ziemlich müssiger Zusatz. Richtiger hängt 'tpvx^g
von ovoia ab , und der Deutlichkeit wegen wird hinter 'ipvx- ein Kom¬
ma gesetzt, wie Hörstel (Plat. doctr. de Deo p. 120) hat abdrucken
lassen. So hiesse es: die wahrhafte Wesenheit der Seele (die Gerech¬
tigkeit, Besonnenheit, die wahre Erkenntniss und dergl.) hat zum Füh¬
rer allein die beschauende Vernunft, d. h. allein durch die beschauende
Vernunft kann man bis zur wahrhaften Wesenheit der Seele dringen.
Diese zu erkennen ist die höchste Wissenschaft, fährt Platon fort; und
weil sich der göttliche Verstand mit Vernunft und lauterer Wissenschaft
beschäftigt, so schaut er das Wesen u. s. w. Die gewöhnliche Lesart
ar^scpofXEVT] hat Heimdorf in tQEcpofxsvrj geändert; allein der Dativ
v<ü und iTiiartj/u^ wäre bei dem letztem Zeitwort unpassend, und das
sich Nähren und Ergötzen ist erst weiter unten an seinem Platz in Be¬
ziehung auf das Schauen ; hier aber will Platon nur die Neigung oder
gewöhnliche Beschäftigung der Götter und frommer Seelen anzeigen.
Eben so wenig lässt sich die verdorbene Lesart oarjv anstatt oarj durch
eine von Heindorf beliebte Hypallage entschuldigen. Die von ihm an¬
geführte Stelle Her. I, 48: xü>v ovdhv ngoaiexö (icv, enthält keine Hy-
pallage, so w'enig als die lateinische üebersetzung derselben: eorum
nibil probabatur ei. — Ich sehe nachträglich, dass Stallbaum mit Ast
auf das Ansehen mehrerer Hdschr. weglässt und daher ■dsaxi^
— 196 —
§. 38.
Gott erliäll for Iw ährend die Fruchtbarkeit der Natur.
Gott ist gnädig und allmächtig.
Zum vierten vermählt sich Zeus mit Demeter, diese gebar
Persephone, welche Aidoneus mit Zulassen des allweisen Zeus
von der Seite der Mutter entführte *). Persephone, die bald üppige
bald stockende Fruchtbarkeit der Firde, hat in dem neuen System
nicht mehr den Himmel , sondern den an dessen Statt verehrten
Zeus zum Vater 2) ; sie hat zierliche Knöchel {TavvacpvQoq) , und
wie Here, weisse Arme (Xavx^kavoq) Die Mutter, aus deren
Schooss sie erwächst, ist die Allernährende (nolvq>6Q^-r]) die
Fruchtreiche (ayXctöjcaparo^) 6) , die Schöngelockte {^amlöy.afj.oq'^')
■^'vY.ofxoq) 8), die Blonde 9), die Schöngrünende (^avxXooq) ^O),
die Rothfüssige (^cpoiviv.Ö7ta^a) ").
Platon (Eutbyphron gegen Ende) bezeugt daher: „Wir haben
gar nichts Gutes, das uns die Götter nicht gegeben hätten.« Im
Theätet p. 151 C : »Kein Gott ist den Menschen übelwollend.« Zeus
hatte daher die Beinamen piailixioq'^'^)^ iXav^igioq.
»Die Götter vermögen Alles«, heisst es in der Odyssee X, 306;
Od. HI, 231 : »ohne Mühe kann ein Gott, so er will, auch aus der
Ferne einen Menschen erretten.« Pindar Pyth. H, 89 IT: „Gott voll¬
führt Alles nach Wunsch, Gott, der auch den geflügelten Adler er-
schreibt, was den guten Sinn gibt: die wahrhafte Wesenheit ist allein
der die Seele regierenden Vernunft sichtbar. Derselbe behält jedoch
das unrichtige XQacpoptävrj bei, wiewohl er sich an dem nachfolgenden
rgicparai slösst; richtig dagegen liest er öot],
0 Theog. 912 ff.
9) Als der unterirdischen gibt ihr Apollodor I, 5, 3 Zeus und
Styx zu Eltern.
3) Hom. h. in Cer. 2. ‘*) Theog. 913.
5) Theog. 912. Op. 32. H. h. in Cer. 4.
7) Od. V, 125. 8) H. h. in Cer. 1. 9) II. V, 500.
'0) Sophocl. Oed. Col. 1600 ib. Schol. Pindar. Ol. VI, 159.
^9) Xenoph. Anab. VII.
reicht und den Delphin iin Meer an Schnelligkeit überlriffl, der die
Hoffärtigen erniedrigt und Andere erhöht.“ Pindar Pyth. X, 76 IT.:
»Wunderbar wohl, aber nichts ist unglaublich, wenn es die Götter
vollenden.« Insbesondere heisst es von Zeus Od. V, 4: »seine Kraft
ist die allergrössle.« Aeschylus Suppl. 598 CF.: »Du (Zeus) unter
keinem Höhern stehend, herrschest über die geringem Herrscher,
und verehrest von oben her niemanden, der unten sitzet. Das Werk
entspricht deinem Worte, schnell zu vollbringen, was dein Rathschluss
will,“ Diess drückt die Theogonie 386 ff. bildlich also aus: Macht
und Gewalt (Kratos und Bia), der unterirdischen Styx Kinder,
haben ihren beständigen Wohnsitz bei Zeus, seitdem dieser mit den
Titanen kämpfte, und Styx mit ihren Kindern seine Partei ergreifend
auf den Rath ihres Vaters Okeanus in den Olymp ging. Macht und
Gewalt führen daher den Prometheus nach Aeschylus auf Zeus Ge¬
bot an einen Felsen in Scythien, wo Hephästos ihn mit diamantenen
Ketten anbindet. Dieselbe Kraft ist auch im Menschen und befähigt
ihn zu Tbaten *)• Die Leibwache der Allmacht des Zeus 2) sind die
Centimanen, Kottus, Briareus und Gyges, von welchen wir oben
schon ausführlicher gesprochen haben. Hundert kräftige Arme ent¬
stürzen ihren Schultern, je fünfzig Köpfe haben sie auf dem Rumpfe,
ihre Kraft ist unermesslich, ihre Grösse ungeheuer 3). Als die Kro-
niden mit den Titanen um die Herrschaft stritten, löste Zeus die
Bande der Centimanen im Erebus, welche kräftigen Beistand leiste¬
ten, dreihundert Felsstücke auf einmal auf die Feinde warfen und
sie in den Tartarus schleuderten ‘‘). Jngleichen half Briareus dem
Zeus bei einem Aufruhr anderer Götter gegen ihn 3).
N
Zeichen und Waffen der Allmacht des Zeus sind der Donner
und Blitz. Er entfesselte nach der Fabel die Kyklopen, welche
der Vater Uranos gebunden hatte, und aus Dankbarkeit gaben sie
ihm den Donner (Bronte), Blitz (Sterope) und Wetterstrahl (Kerau-
nos oder Arges), welche Namen sie auch selbst führten. Im Ver-
i trauen darauf beherrschte nunmehr Zeus die Menschen und Götter ß),
und gebrauchte diese Waffen gegen seine Feinde ^). Daher kommen
1) Aeschyl. Cboeph. 241. Theog. 735 : cpvkaY,Eq nioTÖl
Jiög aiyioxoio. Theog, 148 ff. Theog. 625. 668. 712.
5) II. I, 402. 6) Theog. 139 ff, 501 ff. 0 Theog. S53 f.
198
seine gewöhnlichen Beiwörter: der Wolkenlhürmende {yiqialrjyaQira,
v.Elaiv£cpriq) der Donnerer in der Höhe {mpißQE^iirrjq , EvQvoTia,
ßa^vxTvjtog , iQiydovnoq) , der ßlitzeschleuderer (aar£()o:?r77rj;g, tequi-
xEQavpoq). Als Hesiod Th. 457 f. den Zeus zuerst einführt, gibt er
ihm sogleich seine bezeichnendsten Prädicale : »der Allweise , der
Vater der Götter und Menschen, von dessen Donner die weite Erde
erschüttert wird.“
§. 39.
Gott ist allwissend.
Zum fünften hatte Zeus die schöngelockte Mnemosyne lieb,
von welcher die neun Musen entsprangen, die sich an Festen und
Gesang ergötzen 2), Die Erinnerung aller Dinge (Mnemosyne) ist
Zeus Gattin, ist immanent in ihm; die Musen aber sind gezeugt,
sind nicht mehr in Gott ruhend, sondern die Allwissenheit in der
Erscheinung. Ihre erste Bestimmung ist, des Vaters Gemüth im
Olymp durch lieblichen Gesang des Vergangenen , Gegenwärtigen
und Zukünftigen zu ergötzen Ihre Wissenschaft ist begreiflicher
Weise keine todte, sondern eine vollkommene, himmlische, folglich
eine harmonische, musikalische, mit dem schönsten Vortrag verbun¬
dene. Eine Personification der göttlichen Allwissenheit sind die Mu¬
sen auch dem Sänger der Iliade und Odyssee. Er wendet sich an
sie, ihm zu sagen, welche der Danaer Heerführer gewesen seyen;
denn sie wissen Alles und sind zugegen ^). Eben so ruft er im An¬
fang der Odyssee die Muse, Zeus Tochter, an, ihm die manchfacheu
Schicksale des Odysseus und seiner Gefährten zu berichten.
Daher die Aussprüche: Hesiod Op. 267: »Alles sieht Zeus Auge,
und merket Alles.« Sophokles Oed. Col. 1085: »der allsehende Zeus.«
Derselbe Elektra 173 ff.: »Sey getrost, mein Kind, noch ist im
Himmel der grosse Zeus , welcher Alles sieht und regieret.« Der¬
selbe Chor aber sagt V. 810 ff., als der Tod des Orestes gemeldet
wurde: »Wo sind die Blitze des Zeus und wo der leuchtende He-
*) Od. XIII, 147. 2) Theog. 915 ff. 3) Theog. 36 ff.
0 II. H, 484 ff.
199
lios, wenn sie dieses schauend ruhig verbleiben?« Man pflegle den
Helios (Sonne) anzurufen, das Verborgene zu enthüllen *). Homer
Od. IV, 379. 468: »Die Götter wissen Alles « Od. V, 79 f.: »Die
Götter sind sich nicht unbekannt, wenn sie auch ferne von einander
wohnen.“ Aeschylus Eumen. 293; „Gott hört, auch wenn er ferne
ist.« Hesiod Schild 20: »Die Götter waren Zeugen« (des Eides).
Sophokles lässt seinen Philoktet V. 1038 die allwissenden Götter
(^£oi iTtöipcoi) anrufen. Sophocl. Oed. Col. 1336; »Die Götter sehen
wohl, wenn auch spät, wenn jemand das Göttliche vernachlässigend
zur Thorheit sich wendet.“ Platon Egg. X p. 901 D : »Die Götter
erkennen und sehen und hören Alles, nichts von Allem, was ein
Gegenstand unsers Wahrnehmens und Wissens ist, kann ihnen ver¬
borgen bleiben.« Pindar Pyth. HI, 53 f. : »Kein Gott, kein Sterb¬
licher bleibt in Gedanken und Werken dem Apollon verborgen.« In
Larissa war Zeus als Ttaz^woq mit drei Augen abgebildet. Nach der
Sage hatte man sein Bild von Troja mitgebracht, und man deutete
diese Augen auf die Oberaufsicht über Himmel, Erde und Meer 2).
Sie haben jedenfalls ihren guten Grund, wenn auch nicht gerade
diese Deutung nothwendig ist.
§. 40.
Gott ist wahrhaftig.
Zum sechsten gebar Leto dem Zeus in Liebe verbunden den
Apollon und die Artemis, vor allen Himmlischen liebliche Kin¬
der 3). Voss schliesst seine mythologischen Briefe mit der Behaup¬
tung, dass erst Jahrhunderte nach Homer Apollon für die Sonne und
Artemis für den Mond umgedeutet wurden. Es ist wahr, dass bei
Homer, Aeschylus und den Spätem die Sonne und der Mond mit
ihren eigentlichen Namen Helios und Selene als Götter genannt wer¬
den. Aber es Hesse sich nicht absehen , wie Apollon und Artemis
als Zwillingsgeschwister zusammenkämen, wenn man nicht ihre si-
derische Bedeutung einer Tag - und Nachtgotlheit für die ursprüug-
*) Sophocl. Trachin. 94 flf. ib. Wunder. Aiax 827.
2) Paus. Corinth. II, 24, 5. 3) Theog. 918 ff.
200
liehe hallen wollte 0- Ihre homerischen Aeraler und Beinamen las¬
sen sich in dieser Bedeutung als ihrem Mittelpunkt vereinigen und
daraus ablei len. Ihr früherer Vollgehall wurde daher von Homer
und Uesiod vielmehr eingeschränkt, Sonne und Mond besonders ver¬
ehrt, aber die Vorstellungen, wovon diese Gestirne Sinnbilder wa¬
ren, blieben dem Apollon und der Artemis Vorbehalten. Wie die
üichler 2) die Lichtstrahlen mit Pfeilen verglichen, so liehen jene
beiden Göller den Bogen und die Pfeile, und Apollon hat die Bei¬
namen £xaTog , exdeQyog, extjßolog, xo^otpvQog, £y.aTt}ß6Xog, äoyvgö-
To^og, Artemis, £vaxo7tog , ioyeai^a^), sie schiesst den Orion mit
Pfeilen lodl ^). Mil einer Fackel in der Hand sah sie Pausanias
(VIH , 37) zu Megalopolis und (IX, 19) zu Aulis, und die Dichter^)
nannten sie q)(oaq)ÖQog. Apollon hat bei dem Homeriden (h. 1 in
Apoll. 134) ein uubeschorenes Haupthaar, dx£QO£yöi^7jg , ein Beiwort,
welches auf Dionysos überging. Bei Pindar (01. VI, 71. VII, 58)
ist er der Goldgelockte, x^vaoxö^ag. In Delphi wurde von Jung¬
frauen ein ewiges Feuer unterhalten ö). Bei den Spartanern hiess er
Belus, eine dorische Form war ^dTtällcov und eine italische
Apello^); wesshalb nicht ohne Wahrscheinlichkeit Heyd (elymolog.
Versuche, Tübingen 1824 S. 55) seinen Namen von As- Bai d. i.
Gott Herr (besser, von Habel mit dem Artikel) ableitet. Im Olymp
stand er in höchster Achtung: wenn er mit seinen glänzenden Ge¬
schossen in den Palast des Vaters Zeus eintriit, so stehen alle Göl-
0 Orpheus bei Eratosthenes Catasterism. c. 24. Gallim. fragm.
p. 432 das. ßeull. Plat. Cratyl. p. 405. Cic. N. D. II, 27. (Derselbe
kennt zwar III, 21 unter fünf Soles keinen Apollon.) Plutarch. de £i
ap. Deipb. c. 4. Cornutus N. D. c. 32. Pausan. VII , 23. Heiaclides
p. 416. Vgl. K. Fr. Hermann gottesdiensll. Alt. der Gr. S. 22.
2) Eurip. Hippol. 532.
3) Od. XI, 198. VII, 64. h. in Apoll. 1. 13. 15. h. in Ven. 18,
"i) Od. V, 123.
3) Eurip. Iph. Aul, 1546 (Art. dreht in der Nacht das glänzende
Licht). Iph. Taur, 21. Sophocl. Oed. Tyr. 201 (sie hat in jeder Hand
eine Fackel). Trach. 214. Spanhem. ad Callini, h. in Dian. II.
®) Aeschyl. Choeph. 1030. Plut. vit. Numae.
7) Eustalb. ad H. ß' , 99 ») Festus.
201
ler aui' bis auf Zeus und Leto, welche von seinen mächtigen Schul¬
tern Bogen und Köcher abniminf und an einen Nagel aufhängt, der
V\Tter aber reicht iliin Nektar aus goldenem Pokal, und darauf setzen
sic!» die übrigen Götter *). Desgleichen hat Artemis einen goldenen
'Phron 2).
Leto, die alle Zauberin in Aegypten, eine von den achtersten
Göttern und Ernährerin des Orus und der Bubastis 3), wurde in
Griechenland gleichfalls mit Apollon und Artemis in Verbindung ge¬
setzt; jedoch wurde die Amme hier zur Mutter und Zeus zum Va¬
ter, während in Aegypten Osiris und Isis die Ellern des Orus (Apol¬
lon) und der Bubaslis (Artemis) waren; wesswegen Aeschylus 4) die
Artemis zur Tochter der Demeter (Isis) machte. Apollon und Ar¬
temis theilten sich in die Aemler der zauberischen Leto, jener als
das helle Licht des Tages übernahm die W a h r s a g e kuns l , diese
als Nachlgöltin die Zauberei 3), Zeus aber als der dodonäische
Wahrsagegott hatte ein natürliches Recht zur Vaterschaft. Apollon
»wahrsagt den Menschen des Zeus untrüglichen Rathschluss® ^).
»Des V^alers Zeus Prophet ist Loxiasa ^), d. i. der dunkel Redende.
»Niemals sprach ich auf den Wahrsagestühlen von einem Mann , einer
Frau, einem Staate, was nicht Zeus der olympische Vater befohlen
hat«, sagt er bei Aeschylus Eumenid. 6ü6 tf. Apollon war in dieser
Periode ausser Zeus der ausschliessliche Inhaber der Wahrsagekuust,
wie er sich dessen im Hymnus auf Hermes 537 gegen Hermes
rühmt, dass kein anderer Gott des Zeus Ralhschluss wisse ausser
ihm. Weil das Wasser ein durchsichtiges Element ist, und daher
in der zweiten Religionsperiode Nereus der Träger göttlicher Wahr¬
haftigkeit und Offenbarung war (s. oben); so sollte Apollon von dem
Meeresgoll Glaukos die Wahrsagekunst erlernt haben 3). Sein ge¬
wöhnliches Beiwort von der Gros.-multer Phöbe entlehnt, ist daher
') H. h, in Apoll. 2 ff. 2) od. V, 123. 3) Herod. II, 156.
■*) Bei Herod. 11, 156. Paus. VIII, 37, 3.
3) Talian. "EXXijv. n. 8 p. 250: /Lidyoq iaxlv^'AQzefjiiq.
•’j Hoin. h. in Apoll. 132.
Aeschyl. Eumen. 19. Sopbocl. Oed. Tyr. 498. Ao^iaq als Haupt¬
wort z. B. Aescbyl. Agamemn. 1072. Eumen. 4. Aristoph. Plutus 8.
3) Nicander in Aetolicis , Alhenäus VH. Nach Apollodor HI soll
202
Phöbus, d. i. nach der obigen Ableitung Gottes Mund. Wie er die
Wahrsagung besonders in Delphi ausübte, so war sie ein Heliseben,
ein Licht in die Zukunft für die kurzsichtigen Menschenkinder, deren
Blick auf die Vergangenheit und Gegenwart eingeschränkt ist.
Diesem Glauben lag unstreitig die Idee der göttlichen Wahrhaf¬
tigkeit zu Grunde; wie Aescbylus Prometh. 1032 f. sagt: »Zeus Mund
versteht sich nicht aufs Lügen, sondern er vollzieht jedes Wort.«
Platon Polit. II p. 382 E : »Aufrichtig und wahrhaftig ist Gott in
Worten und Werken.« Wenn unter den olympischen Mächten Streit
und Zank entsteht, so richtet und schlichtet Zeus vermittelst eines
heiligen Eides als der letzten Entscheidung. Beim stygischen Was¬
ser (bei der grausenvolleu Unterwelt) schwören Menschen und Göt¬
ter i): Zeus stellt, um in Jenem Fall die Wahrheit ans Licht zu
bringen, eine Wasserprobe an. Er lässt durch Iris ein goldenes Ge-
fäss voll von jenem berühmten kalten Wasser heraufbriugen ; wer
nun von den streitenden Theilen dasselbe libirend meineidig wird,
verliert auf lange göttliche Rechte, liegt ein Jahr lang ohne Ambro¬
sia und Nektar athem- und sprachlos in liefen Schlaf versunken,
und muss neun weitere Jahre einen Kampf nach dem andern beste¬
hen, bis er wieder der Göttergemeinschaft einverleibt werden kann 2).
Eine ähnliche Wasserprobe findet sich im mosaischen Recht 4 Mos.
5, 17, um den Ehebruch einer Frau zu ermitteln. Die Macht der
Wahrheit , die im Olymp herrschet, tritt in jener Schilderung leben¬
dig hervor. Zeus ist auch unter den Menschen Wächter über den
Apollon von Pan, dem Sohne des Zeus und der Thymbris, in der
Wahrsagekunst unterrichtet worden seyn.
1) Od. V. 185 f.
2) Theog. 783 ff. Aus diesem Zusammenhang erklären sich die
Verse 780 f. von dem seltenen Gang der Iris anders als Hermann sie
auslegte, nämlich als gäbe es selten Regenbogen, wenn die Götter
zwieträchtig seyen , d. i. wenn es stürme. Das seltene Kommen der
Iris steht nur in Beziehung auf die Styx, und jene ist lediglich als
Bote aufzufassen, dass sie in die Unterwelt gehe, nur wann ein Zwist
unter den Göttern entstehe, und Zeus, um ihn beizulegen, sie dahin
schicke, das Wasser zu holen.
203
Eidschwur (S^xiog) , und war als solcher in dem lialhhause zu Olyni-
pia iiiil zwei BliCzeu in beiden Händen vorgestellt * )•
S-
Gott ist ewig.
Zum siebenten und letzten machte Zeus die blühende Here zur
Gattin; diese gebar in Liebe vermählt mit dem König der Göller
und Menschen, die Hebe, den Ares und die Ililhyia^).
Als letzte Gemahlin ist Here die bleibende. Aus religiösem Ge¬
sichtspunkt betrachtet sind sie zwar alle sieben gleichzeitig und fort¬
während in Zeus , nur nach menschlicher, monogamischer Betrach¬
tungsweise ist es ein Nacheinander. Diese sieben Gemahlinnen wer¬
den in der Theogonie mit Recht als Gottheiten von menschlichen
Weibern, mit denen Zeus Kinder (Götter oder Heroen) erzeugt ha¬
ben sollte, unterschieden. Die erst später erdichtete Eifersucht der
Here gegen andere Liebesverhältnisse ihres Gemahls hat keine hö¬
here Bedeutung und widerstreitet sogar der religiösen Anschauung.
Auf etruskischen Spiegeln leistet Juno als Lucina unter dem Namen
QAANA ohne allen Ansland Hebammendienste bei den Geburten der
Athene und des Dionysos 3).
Zu der Ehrenslufe einer obersten Himmelskönigin gelangte sie
unstreitig wegen des politischen Uebergewichts der griechischen Land¬
schaft Argos, wo sie von Alters her als Schulzgollheil verehrt wurde.
Den Pelasgern, welche bekanntlich daselbst eine Hauptniederlassung
hatten, schreibt Ilerodot (H, 50) ihre Verehrung zu; und noch im
neuen System führte sie den Beinamen Argiverin ‘^). In ihrem Tem¬
pel zu Argos wurde sie auf dem Throne sitzend mit einem Scepter,
worauf ein Kukuk (als Frühlingsvogel) war, vorgestellt, in der an¬
dern Hand halle sie einen Granatapfel (als Samenbehäller) ^). Als
*) Eurip. Med. 171. Paus. V, 24, 2.
2) Theog. 921 ff. Inghirami Monum. Elr. Ser. 11 T. 10. 16.
S. unten §. 58.
Theog. 12. 11. V, 908
Dorotbeus Metamorph. L. II bei Natalis Coines p. 134. Paus. II,
17, 4. 5. Philostr. v. Apoll. IV, 28 p. 168. Schot. Theocrit. XY, 64.
204
Kukuk soll Zeus ihr auf dem Berge Thornax an der Südspitze von
Argolis zuerst genaht seyn. Sie heisst die Göttin mit goldenem
Throne ') , und ihr ständiges Beiwort ist die mit goldenen Sohlen
i^xgvaoTiädiXoq)'^'), mit weissen Armen (lev-Kwlavog) ^ die kuhäugige
{ßocÖTiig) von dem ihr heiligen Thiere, von welchem sie in der Tem-
pelhildnerei und Sprache wenigstens die Augen heibehielt. Der Pfau
mit seiner stolzen Farbenpracht ist ihr heiliger VogeP). ln Samos
scheint sie zuerst für eine Gemahlin des Zeus ausgegeben worden
zu seyn. Daselbst soll sie ihre Jugendzeit zugebracht und sich mit
Zeus vermählt haben (s. oben S. 1ü8). Im Gölterolymp wurde ihr
ehemaliger Vollgehalt (vonl'f>a, Erde, abgeleitet) eingeschränkt, da¬
mit sie sich mit Demeter, Persephone, Athene uud Artemis ver¬
trüge. Doch haben schon die Alten sie der Aphrodite gleich
gesetzt.
Hebe und Ares d. i. Jugeud, weibliche und männliche Kraft,
sind die Frucht der Selbstbeschauung Gottes, der das Leben in sich
selber hat, sie entspringen aus der Ehe des Zeus mit Here ^). Und
wie diese vermöge ihrer ewigen Jugeud und Aseität aller Dinge Le¬
hensquelle sind, so strömt aus ihnen durch ihre Tochter llithyia,
die allen Menscheukindern zum Daseyn verhilft, das Leben in die
Menschenwell, und bedeutsam nennt die Theogonie gerade an dieser
Stelle den Zeus König der Göller und Menschen. Hebe mit der
Krone von Gold auf dem Haupte 6) und mit zierlichen Füssen 7)
schenkt den Göttern Nektar ein, und sie reichen ihn einander in
goldenen Pokalen s). Nach älterer Fabel, wie es scheint, war es
He ph äs tos als das Lebensprinzip, woran sich alle Dinge erwär¬
men und ihren Lebensfunken anzünden, welcher süssen Nektar aus
dem Mischgefässe den Göttern darreichle. Wenigstens versieht er
noch in der Iliade I, 597 dieses Amt, wiewohl die seligen Götter
schon über diesen Mundschenken lachen. Die spätere Schmeichelei
der Rhapsoden machte den blonden Ganymedes, Sohn des Tros
') Hom. h. in Apoll. 305. Theog. 12. 454. Od. X, 604.
3) Creuzer Symb. III S. 228 f.
Paus. III, 13, 6. Plotin. p. 542 ed. Oxon. Schob Od. y , 91.
5) Theog. 922. II. e', 892. Od. X, 604.
fi) Theog. 17. 7) Od. XI, 603. 8) n. ly, 2 f.
205
von Ilium , zum Mundschenken der Götter , welchen Zeus seiner
Schönheit wegen durch den Sturmwind entführt haben soll, damit
er aus dem goldenen Mischgefäss rothen Nektar schöpfte *). Als ein
weiteres Sinnbild des ewigen Lebens der Götter ist ihre Nahrung,
die Ambrosia d. i. die Speise der Unsterblichkeit (von ä/ußQoroq),
anzusehen, um die Idee der Unsterblichen (di9avdToiv , aikv iovroav')^
wie sie so oft genannt werden , auszudrücken 2). Dabei ergötzet Apol¬
lons Saitenspiel und der Musen Wechsetgesang die Götter beim se¬
ligen Mahle ^). Wahrscheinlich ist indischer Glaube hier eiugeflos-
sen; denn die indische Götterspeise heisst Amrit, welche für grie¬
chische Ohren sinngemäss umgebeugt wurde. Jene Speise entquillt
nach indischem Glauben dem Milchmeer, welches die Götter und
Dämonen mit dem Berg Meru quirlen. Nuschdar bedeutet im In¬
dischen Wein, auch heilender Balsam, woher Nektar abgeleitet zu
seyn scheint ^).
Daher ein Orakelspruch von Dodoua bei Pausanias X; „Zeus
war, Zeus ist, Zeus wird seyn. 0 grosser Zeus ! Die Erde, die euch
Hom. h. III. in Vener. 203 ff., in w’elchetn Hymnus ohnehin
die ilischen Helden Anchises, Äeneas, Tros und Tilhoneus verherrlicht
werden. Eurip. Iph. Aul. 1041. Pindar 01. I, 70, dessen Stelle Platon
im Phädrus p. 25ö C im Sinne hatte, wo Heindorf I p. 279 bemerkt:
ex Lyrico sunt sine dubio sumpta, de quo videndum eruditioribus.
2) Buttmann im Lexilogus S. 133 stellt die Meinung auf, als wäre
Ambrosia nicht eine Götterspeise, sondern Unsterblichkeit, soviel als
dßavaaicL^ und vergleicht Od. XVIII, 192: y.dk'ksi Y.dßrjQ^v djußpoacM,
als hiesse diess: sie wusch mit Schönheit. Die bildliche Redensweise
ginge aber wirklich zu weit, wenn es weiter V. 193 heisst: ofw
KvdsQEia XQLEtat^ als könnte man sich sogar mit Schönheit salben.
Vielmehr wie hier Y-aXloq (vgl. das italienische bellelto) Schminke als
ein schön machender Färbestoff bedeutet, so ist offenbar auch djußgo-
aia für etwas Concretes zu nehmen , wie aus Theog. 639 hervorgeht,
wo Zeus den Centimanen Nektar und Ambrosia darreicht , »was Götter
zu geniessen pflegen®, wie auch aus der Stelle der Odyssee, wo Po-
lyphem den Labetrunk Weins, den er von Odysseus empfangen, mit
Ambrosia und Nektar vergleicht. 3) 11. I, 603.
Hammer in Böttigers Amalthea Bd. H.
20(i
Frucht bringt, nennet ihr Mutter.« Sophocles Oed. Colon. 607 ff.;
»Allein die Götter altern und sterben nie; alles Uebrige zerstört die
bewältigende Zeit. Es vergeht der Erde und des Körpers Kraft.«
Zwar entstehen die heidnischen Götter mit und in der Welt und sind
die unsterbliche ßlüthe derselben, und nach menschlicher Anschau¬
ungsweise fällt ihr Leben auch in die Zeit. Eos bringt wie den
Sterblichen so auch ihnen den Tag ^). Die Nacht überwältiget Men¬
schen und Götter, und der Schlaf ist ein König über alle beide, je¬
doch an Zeus Kronion wagt er sich nicht ohne dessen Befehl 2).
Die Zeiten, Horen genannt, in welchen alles irdische Leben beginnt
und sich beschliesst, sind auch die Pförtnerinnen des Himmels und
des Olympus, welche ihn mit einer dicken Wolke beschliessen und
wiederum öffnen 3), Jedoch wird der Himmel, worin sich das gött¬
liche Leben bewegt, als eine unwandelbare Veste vorgestellt ^). Er
ist das Alleroberste, wie der Tartarus das Allerliefste. Neun volle
Tage und Nächte müsste ein Amboss vom Himmel herabfallen, um
auf die Erde zu kommen; und eben so lange müsste er von der
Erde weiter fallen, um in den Tartarus zu stürzen Einen gan¬
zen Tag lang fuhr der aus der Götlerversammlung herabgestürzte
Hephästos, und fiel mit Untergang der Sonne auf Lemnos hernieder®).
Indessen hatte der Grieche in dieser Periode ein sinnliches Ab¬
bild des Himmels in dem himmelauragenden schneebedeckten 7) Olym¬
pus in Thessalien, wo die überirdischen Götter ihre Paläste, ein
jeder seinen eigenen hattet); woher das gewöhnliche Prädicat: -^eol
okvixTtia dcöij,az sxovreg. Ohne Zweifel war das Uebergewicht der
aus Thessalien sich über Griechenland ausbreitenden Hellenen,
welche ihre Religionsideen geltend zu machen wussten , der Grund,
dass der Olymp der griechische Götterberg wurde. Hohe Berge
führten den Naturmenschen himmelwärts und schienen ihm eine Ver¬
bindung der Götter- Sund Menschenwelt darzustellen. Daher hatte
der alte Deutsche seinen Asciburgius, der Indier seinen Meru , der
Perser seinen Albordi , woher er sich Sonne und Mond aufgehend
1) Od. V, 2. 2) 11. XIV, 233. 247. 259. 3) II. V, 749.
Hes. Tbeog. 128: edoj doq)ak£q aiet. Od. III , 2 : ovgavöq
noXvxaly.oq. Theog. 722 ff. 6) II. 1 , 592.
') Theog. 62. 118 vicpöetq. II. I, 607.
207
dachte, wo Orrnuzd mit allen Lichtern des Himmels thronte, und
um welchen sich die sieben Erdgürtel ziehen. Der Mongole dachte
sich den Berg Sumer -Oula aus Gold, Silber und andern Kleinodien
zusammengesetzt, ihn umgaben sieben goldene Berge, sieben Meere
und das Beich des Saitenspiels '). Jedoch war den Griechen wohl
bewusst, dass die Götter nicht eigentlich und wirklich auf dem Olymp
wohnten; wie aus der Beschreibung des Kampfes des Otus und
Ephialtes gegen die olympischen Götter hervorgeht. Um sie zu er¬
reichen, reichte es nicht hin den Olymp zu stürmen, sondern sie
thürmten auf diesen Berg den Ossa und auf diesen den Pelion, um
bis in den Himmel zu gelangen 2). Bei dieser Gleichsetzung des
Olympus und des Himmels im Volksglauben singt die Odyssee VI,
42, dass Olymp nach der Sage der Götter ein für und für fester
Wohnsitz sey, weder von Winden bewegt, noch von Regen benetzt,
noch von Schnee beladen, wo ein wolkenloser Aether voll weissen
Glanzes sey, wo die seligen Götter sich allezeit freuen.
§. 42.
Gott ist allgegenwärtig.
Der alte Grieche dachte sich seine Götter nicht auf den Himmel
beschränkt, sondern in der Schnelligkeit ihres Gangs, in ihren be¬
liebigen Verwandlungen und in der Gewandtheit des Götterboten
Hermes fand er eine Ahnung von der göttlichen Allgegenwart.
»Athene band schöne , ambrosische, goldene Sohlen an die Füsse,
welche sie über Wasser und Land mit den Lüften trugen« ; so lesen
wir in der Odyssee I, 96 ff. 3), und nach ihrer Rückkehr heisst es
von ihr V. 320: »wie ein Vogel entfloh sie nach oben.« Der gött¬
liche Leib, den die Einbildungskraft ihr lieh, hatte keine materielle
Schwere und gediegene Gestalt, sondern konnte beliebige Verwand¬
lungen annehmen. In Ithaka erschien Athene in Gestalt des Men-
*) Baur Mytholog. I S. 311.
2) Od. XI , 316 : IV ovgavdq d/ußaröq d'r].
2) Dieselben Verse stehen Od. V , 44 ff. von Hermes.
208
tes '), und wurde hernach als Menlor Führer des Telemachus 2).
Beim Weggehen wurde sie einem Adler gleich 3). Die erscheinen¬
den Göller sind nicht Allen gleich sichtbar. Athene wurde so im
Zelt des Schweinhirlen Eumäus nur von Odysseus und den Hunden,
nicht von Telemach gesehen; »denn die Götter erscheinen nicht Al¬
len deutlich“ Die Tragiker lassen unbedingt die Götter, die das
menschliche Leben regieren, auf der Bühne erscheinen, mitunter
um die V^erwicklung des ganzen Stücks durch ihr mächtiges Einschrei¬
ten, durcli ihre Offenbarungen und ihre Ehrfurcht gebietenden Be¬
fehle zu lösen. Kaum hat der klagende Peleus bei Euripides in der
Andromache seiner abgeschiedenen Gattin gedacht, so erscheint sie
selbst, die Nereide Thetis, am Ende des Stückes.
Hermes, im neuen System an die Stelle der Iris getreten, En¬
gel der Götter und insbesondere des Zeus (^didxroQog, dewv
dyyeXoq rcöv juaxdpoov , ersetzt ihre Allgegenwart. Sowohl oben
im Himmel als unten auf Erden und unter der Erde richtet er ihre
Befehle aus. Er heisst daher mit Recht ein Vermittler der obern
und untern Götter 7), „der grösste Herold der Obern und der Unter¬
irdischen“ S). Sein Gang ist sicher, seine Tritte leise, und niemand
mag ihn aufhallen. Da er die unwiderstehliche Gewalt der göttlichen
Intelligenz verstellt, so sagt der Homeride (h. H in Mercur. 430):
»Mnemosyne , die Mutier der Musen, habe den Hermes zu ihrem
Theil empfangen.“ Sein Attribut ist ein goldener Stab; daher sein
Beiwort xQ^oÖQ(ja:tiq. Mit seinem Stabe schläfert er die Wachenden
ein und wecket die Schlafenden, welche er will^); er kann ungese¬
hen allerwärts durchdringen und handeln. Der Stab als Sinnbild
seiner Gewandtheit hat die Bedeutung: die Wege Gottes sind verbor¬
gen, die Mittel, seinen Willen auszuführen, zahllos, der Menschen
Ränke können’s nicht hindern. Weil Gott der Ränkevollen spottet.
1) Od. I, 105. 2) od. II, 268.
3) Od. III , 372. Platon , welcher hauptsächlich die sittliche Seite
der Theologie berücksichtigte, tadelt Polit. II p. 380 die Dichter, dass
sie die Götter durch solche Wandlungen zu Gauklern herabwürdigeu.
Od. XVI, 161. 5) Theog. 938. Opp. 77. 80.
Ilom. h. XXIX, 8. 7) Claudian. de raptu Proserp. I, 89 ff
8) Aeschyl. Choeph. 162. 9) od. V, 47 f. XXIV, 3 f.
209
so führt Hermes selbst den Beinamen des Listigen und
aQyaicpövTr]^. Er vereitelte die Ränke der Zauberin Circe, indem er
dem Odysseus ein Gegenmittel darbietet, nachdem seine Gefährten
schon in Schweine verwandelt waren ^). Der Homeride (h. II in
Mercur. 13) bezeichnet diesen Gott als vielgewandt, listig, als Dieb,
Forttreiber von Rindern, Führer von Träumen, Späher der Nacht,
Anführer der Diebe (V. 175. 292), Bote und Führer in die Unter¬
welt (V. 572). Von ihm empfing Pandora listigen Charakter, Lügen
und einschmeichelnde Reden 2), Odysseus empfahl sich bei einem
schlauen Anschlag der Leitung des listigen Hermes 3). Er war der
Geleitsmann der Wanderer ^).
§. 43.
Vergötterung der Natur.
Himmel, Erde, Wasser und Hölle sind die grossen Ge¬
biete der Natur, welche in den Kroniden: Zeus, Here, Deme¬
ter, Poseidon und Hades vergöttert wurden. Wenn wir den
Hephäst OS als Sohn des Zeus und der Here 5) oder der Here al¬
lein 6) hinzunehmen, so begegnen wir zugleich einem Elementen-
dienst, welcher nebst der Verehrung der Sonne und des Mondes
auch bei den alten Persern gebräuchlich war 2), Denn Zeus und
Here waren die Vorsteher altes dessen, was sich in der Luft er¬
eignet, als Blitz und Regen. Jener wohnt hoch im Aether^), er
war dem Seefahrer der Gott, welcher den guten Wind verleiht,
ovQioq genannt , und als solcher in Sicilien verehrt 9). Der Name
der Here wurde sogar von allen Auslegern >9) durch dijg erklärt.
J) Od. X, 277. 2) lies. Op. 78.
9) Sophocl. Philoct. 133.
'*) Aristoph. Plut. 1161. Pausan. VIII, 31.
5) II. a, 572. 578. Od. t?', 312. h. in Apoll. 317. Plal. Grit. p. 109.
6) Theog. 927. Herod. I, 131. ») lies. Op. 18.
9) Cic. Verr. IV, 57.
^9) Z. B. in der von Demetrius Triklinius geschriebenen Hdschr.
der Marcusbibliothek N. 464 zu Hes. Theog. 454.
14
210
Luft und Feuer sind verwandte Elemente, wie Erde und Wasser.
Daher stammt der Feuergott Hephäslos, welcher nach älterer Lehre
ein Sohn des Himmels *) als der natürlichen Werkstätte der Feuer-
flammen war, von Zeus und Here ab. Vom Himmel holte daher
auch Prometheus das Feuer. Der Philosoph Empedokles hielt die
vier Elemente für so viele Gottheiten 2). Unsre neuern Chemiker
mit ihren vielen Grundstoffen dürfen die Alten nicht verlachen. Denn
die Frage ist nicht: in welche ßestandlheile lassen sich die Dinge
als eine todte Masse auflösen. Sondern die Frage ist: woraus
entsteht Alles ? Und da ist unhezweifelt der Nährstoff der Dinge
Luft, Wärme, Erde und Feuchtigkeit. Dieser Stoffe bedarf Perse¬
phone, um die Erde zur fruchtbaren Mutter zu machen.
Helios (Sonne) ist schon bei Homer eine persönliche Gottheit
(nicht so Selene). Er durchschneidet unter den Himmelsgestirnen
seinen Weg, auf goldenem Wagen sitzend und mit schnellen Rossen
seine Flamme rollend 3). Auf dem Vorgebirge Tänarum weiden
seine Schafe ^). Auf Thrinakia (Sicilien) hat er sieben Herden Kühe
und eben so viele Schafe, eine jede aus 50 Stücken bestehend (also
bilden nngerdhr sieben Herden ein Jahr), sie sterben nicht und ver¬
mehren sich nicht, seine Töchter, die er mit Neära erzeugte, Phae-
thusa und Lampetie, weiden dieselben®). — Phaethon, Sohn des
Helios , ist entweder ein ständiges Bild der alljährlichen Sonnenhitze
und Gewitter, oder ein besonderes einer ausserordentlichen Trockene.
Nach der Fabel führte er des Vaters Sonnenwagen, ohne im Stande
zu seyn den rechten Weg zu halten, versengte was auf der Erde
war und ging selbst zu Grunde , vom Blitz herabgeschleudert ^).
Des Wassers und zunächst des Meeres Gott war Posei¬
don, welcher aus Libyen stammend 2) an die Stelle des pelasgischen
Nereus trat, jedoch, um sich mit dem alten System zu befreun-
1) Cic. N. D. III, 22.
2) Cic. N. D. I, 12 das. Auslgr. p. 51 Crcuzer. Empedocl. fragm.
V. 26. 160.
3) Eiirip. Phoeniss. Anfg. Iloni. h. I. in Apoll. 412.
®) Od. XII, 127.
Plat. Tim. p. 22 C. Vgl. oben S. 103 eine andere Auslegung
von d. Phaethon in Samolhracc. 2) Ilerod. 11, .50.
211
den, dessen Tochter Amphitrite ehelichte '); woher auch Amphi-
trito gleichbedeutend mit dem Meere selbst geworden ist 2). Ihr
Sohn ist der personificirte Meeresgrund, »der weithin mächtige
Triton, welcher des Meeres Grund inne hat, und bei seiner Mut¬
ter und dem herrschenden Vater im goldenen Hanse wohnt, ein ge¬
waltiger Gott“ Poseidon hat ein meergrünes Haupthaar {v,vavo-
%aLxr](^ ‘5') und heisst der den Erdboden Umfassende (yairjoxog) , der
Tosende (iQLy,TV7toQ) 5), nicht allein wegen der Meereswogen, son¬
dern auch wegen der an den Meeresküsten gewöhnlichen und durch
Mitwirkung des Meerwassers entstehenden Erdbeben (Her. VH, 129),
wegen welcher er der Erderschütterer {ivoalyaiog , ivoaixdoiv')
heisst. Höher gesteigert ist er das Wasser überhaupt 6), und sein
ursprünglicher Name lautet bei Epicharm und Sophron IloTiöag
(von TTotöp Trank). So aufgefasst, heisst er nach ionischen Begrif¬
fen der Erzeuger (ysiysaiog s) ©der (pvrdXjuwg 9) ). Nach Aeschylus
(7 vor Theben 294) entsenden Poseidon und der Tethys Kinder die
Quellen. — Das Scepter seiner Macht ist der Dreizack (rpeatpa) ’O)^
welcher, bisweilen mit Widerhacken versehen, bisweilen nur in drei
Enden auslaufend, von dem beim Thunfischfang gebräuchlichen
Werkzeug entlehnt zu seyn scheint. Damit sammelt er Wolken,
gebietet den Stürmen und erreget das Meer “). Mit dem Stoss sei¬
nes Dreizacks bringt er im Streit mit Athene im Pandrosium zu
Athen eine Salzquelle, damit in Thessalien das erste Pferd hervor.
Er ist darum der mächtige Dreizackführer ^2). Der Stier als ein
Sinnbild der Macht ’3) seines Elements und das Pferd als ein Zei-
Q Theog. 243. 929. 2) Od. III, 91. V, 422.
3) Theog. 930. Hom. n. Hes. Th. 278. Theog. 930.
®) To näv vygbv, r] vyqd. cpvaiq. Schob Villois. H. II. v , 67. 69.
Schob Aristoph. Nub. v. 563. 2) Herodiao fjt,ov. "ki^. p. 10.
8) Paus. II, 38. III, 15, 7. VIII, 7.
2) Plutarch. Sympos. 7 Sapient.
10) 11. XII, 17. Pindar. 01. I, 64. 2') Od. V, 291.
32) dykaoxQiaivrjg Pind. Ob I, 64. OQOOXQialvrjg Ob VIII, 64.
33) Strabo L. X und Tzetzes ad Hes. Schild 104 erklären dieses
Sinnbild weniger angemessen von dem Brüllen der Stiere oder von den .
Stieropfern Poseidons. Diess ist so wenig richtig, als wenn nach Athe-
chen des beweglich wogenden Wassers sind seine heiligen Thiere,
die er seihst mit Medusa erzeugt hat (S. 75). Ein doppeltes Ehren¬
amt theilt ihm daher der Homeride (h. XXI) zu , Pferdehändiger und
Reiter der Schiffe zu seyn. Eine ähnliche Zeichensprache ist es,
wenn Od. IV, 708 die Schiffe Pferde des Meeres genannt werden,
oder wenn an den panischen Schiffsschnäbeln Pferde abgebildet wa¬
ren ’). Denn das Pferd war ein allgemeines Symbol der Schnellig¬
keit. Daher kommen die beiden Beinamen Poseidons als des Slier-
(ravpeog 2) ) und Pferdegotles (^,Tar^o? 3) ). Er gab dem Bellerophon
das geflügelte Pferd, den Pegasos'^'), dem Pelops Ross und Wagen
zum Wettrennen mit Hippodamia ^), dem Peleus die Rosse, die des¬
sen Sohn Achilleus vor Troja gebrauchte ^), den Sohn des Nestor
lehrte er mancherlei Reitkünste 2). Das herrliche Pferd des Adra-
stus vor Thehen , Namens Arion, war ein Erzeugniss des Poseidon,
der in Pferdgestalt in Böotien sich mit der Erinnys vermischte ,
näus XI , 51 die Hörner des Dionysos oder sein Name Stier den Grund
in seinen Trinkbörnern haben sollen.
1) Munter Religion der Karlhager S. 102.
2) Ues. Schild 104.
j) Hom. h. in Nept. 6. Eurip. Phoen. 1707. Aristoph. Nub. 84.
iTtTtütv öiirjxrjQ Find. Pyth. IV, 80. iitnaQxVi Aeschyl. 7 vor Theb. 121.
Sophocl. Oed. Col. 713.
-i) Schob Villois. ad II. 155. S) Schol. Villois. II. 38.
6) Hom. 11. -ip', 277. vgl. n , 153.
2) H. 11. 307.
*) Die cyklischen Dichter bei Schol. Villois. II. -ip', 346. Preller
(Demeter und Persephone S. 154) sieht in der Mutterschaft der Erin¬
nys das Walten einer zürnenden Nothwendigkeit, den Arion in den
Krieg gegen Theben zu schicken. Desswegen würde man aber ein
Pferd nicht zu einer Geburt des Verhängnisses machen ; ohnehin be¬
stand seine Trefflichkeit vor Thehen darin, dem Adrastos durch schleu¬
nige Flucht das Leben zu retten. Seine Wirksamkeit beschränkte sich
auch nicht auf den thebaniscben Krieg, sondern schon vorher sind
Kopreus und Herakles als Eigenthümer nach dem Scholiasten des Vil-
loison zu der hom. Stelle auf ihm geritten. — Die gewöhnlichen Scho¬
lien führen ausser der Genealogie der Cykliker (von Poseidon und
213
sein edles Schnauben anzudeuten. Wir haben S. 80 die arkadische
Fabel von dem Ursprung des Arion aus Poseidon und Demeter be¬
rührt. Da nun Lykophron *) u. A. von einer Demeter Erinnys wis¬
sen, so ist D. Preller (a. a. O. S. 156) der Meinung, dass diess in
Folge einer Durchkreuzung und Vermischung jener böotischen und
dieser arkadischen Fabel geschehen sey. Allein ich habe S. 90 nach¬
gewiesen, dass auch in Arkadien selbst von einer Demeter Erinnys
die Rede war, welche, ohne Zweifel unabhängig von Poseidon und
Arion, eine physiologische Bedeutung hatte, wie die hesiodischen
Erinnyen. Wenn die Nachstellungen Poseidons als die Ursache an¬
gegeben werden, sie zur Erinnys zu machen, so war er als das
feuchte, im Winter vorherrschende Element aufgefasst. — Alle Fluss¬
götter wurden mit Slierhörnern abgebildet (rav^iöx^avoi^) ). Xan-
thus brüllt schon bei Homer (II. gj', 237) wie ein Stier, und Ache-
lous kämpft in Stiergestalt mit Herakles 3).
Hades, auch Aidoneus, in der Iliade (IX, -iä?) der unter¬
irdische Zeus, später auch Pluton^) genannt, ist der Beherrscher
der Unterwelt und als solcher unbarmherzig 5). Er raubte nach dem
Zulassen des allweisen Zeus die Persephone und machte sie zur Ge¬
fährtin seines höllischen Wohnortes 6). Ursprünglich mochte er nicht
nur dem Namen nach, sondern in der That einerlei mit seinem Bru¬
der Zeus seyn. In Kreta nemlich zeigte man das Grab des Zeus ^).
Erinnys) die der Jüngern Epiker an, welche den Arion von Poseidon
und einer Harpyie abstammen lassen; wie wenn Homer II. l49 die
Rosse Achills vom Zephyr und der Harpyie Podarge erzeugt werden
lässt, oder Slesichorus (fragm. I) die Pferde der Dioskuren zu Kindern
der Podarge macht, um ihre Geschwindigkeit anzudeuten, womit sie
wie die fabelhaften Luftgestalten die Lüfte durchfliegen.
^) Lycophron Alex. v. 153. 1040. 1225. Phot. bibl. p. 148.
2) Strabo L. X. Tzetz. ad Hes. Scut. 104.
j) Archilochus bei Schol. Villois. ad II. gi', 237.
Aeschyl. Pers. 806. Sophocl. Antig. 1200. Eurip. Alcest. 360.
Plat. Gorg. p. 523 A.
5) Theog. 455 f. Theog. 913.
7) Cic. N. D. III, 21. Pompon. Mela II, 7. Minucius Fel. c. 22.
Tatian TtQÖg "EAX. n. 27 p. 267.
214
Der reinere Gotlesdieust schied Zeus und Hades, oder behiell das
Todesscliicksai dem (äuscheudeu Sinneagoll Dionysos vor, um nicht
die Majestät und Seligkeit des über die irdischen Wehen erhabenen
himmlischen Vaters zu trüben. In einer spätem Periode wurde Zeus
als Beherrscher des Himmels, des Meeres und der Unterwelt idea-
lisirt und die Dreiheit von Brüdern als ein einiger Gott dargestellt.
So erscheint Zeus auf einem geschnittenen Stein *) mit dem Blitze
des Himmels , dem Dreizack des Meeres und der Wage der Unter¬
welt. Ein dreifacher Zeus war zu Korinth im Freien aufgestellt 2),
und zu Argos wurde er wenigstens mit drei Augen verehrt ^).
13. Wie verhält sich die Welt zu Gott?
§. 44.
Die Frage 1) nach der Entstehung der Welt war durch die
alte Schöpfungsurkunde Hesiods zur Genüge beantwortet und, blieb
auch in der dritten Periode in fortdauerndem Ansehen. Auf die
ägyptisch ionische Abweichung von der Entstehung der Dinge aus
dem Okeanos haben wir schon oben aufmerksam gemacht. Die Welt¬
weisen auf dem Standpunkt des Idealismus haben die Schöpfung an¬
ders als die Fabellehre gefasst. So Auaxagoras ^), dass der Geist
der Urheber von Allem sey und Alles ordne. Platon selbst
(Sophist, p. 266 B) sagt: »Wir wissen, dass die organischen Wesen
und die Elemente, aus welchen sie geworden sind, Feuer und Was¬
ser und die mit diesen verwandte , Geschöpfe Gottes sind.“
2) Das Bestehen und die Wirksamkeit der Welt
wurde voruemlich von Zeus als dem König der Göller und der
Welt abhängig gedacht. Ein alter Spruch lautet bei Platon (Lgg. IV
p. 715 E); »Gott hat den Anfang, das Mittel und Ende aller Dinge«,
1) Bei Creuzer Symbol. 3te Ausg. Th. 111 Ablh. 1 S. 204 Taf. Yl*
u. 26. 2) Paus. 11, 2, 8. 3) paus. 11, 24, 3. 4.
Bei Platon Phädon. p. 97 C.
215
in Uebereinstirnmung mit dem allleslamenllicheü: ich bin der Erste
und ich bin der Letzte, spricht der Herr. Die Vorsehung (jtgö-
voLo) wacliet im Himmel über der Erde. Aus dem Haupte des Zeus
entsprang Athene*), die behütende Weisheit {7iolviJ,r]xiq) ^ die
Schutzgöltiu der gleichnamigen Stadt Athen, wo sie unter dem Na¬
men der Schirmenden (jiQÖfxaxoq) verehrt wurde. Unten an ihrer
Bildsäule war der ihr heilige Vogel, die Eule, als Sinnbild der gött¬
lichen Wachsamkeit zur Zeit, da die Menschen schlummern 2). Diese
Symbolik wird durch das lliuzuthun einer Gazelle neben der Eule
verdeutlicht 3). Die Gazelle aber ist ihrer Scharfsichtigkeit wegen
bekannt und hat daher den Namen dogxdg bei den Griechen. Von
der Eule hatte Athene die Augen, woher ihr gewöhnlicher Beiname
ylavv.<i>Tciq. Auch der Hase war ihr aus demselben Grunde heilig
Mit dem Beinamen der Vorsehung waren ihr Tempel geweiht {ngo~
voiag '‘Ädrjväg *). Ihre Bildnisse (Palladien) befanden sich auf den
Vordertheilen der Schiffe
Platon (Lgg. X p. 900 ff.) erweist und vertheidigt die göttliche
Vorsehung. »Wir nennen, spricht er p. 902 B, alle sterbliche Ge¬
schöpfe und unter diesen auch den ganzen Himmel der Götter Eigen¬
thum. Wenn sie nun für das Grosse Sorge tragen , wie sollten sie
das Kleinere, das viel leichter zu regieren ist, vernachlässigen, da
doch die Besorgung der Theile zur Erhaltung des Ganzen nothwen-
dig ist? Denn die grossen Steine liegen bei einem Bauwerk nicht
gut ohne die kleinen. Ihnen aber kommt die Einsicht in das Kleinste,
die Macht und der beste Wille zu, welcher frei von aller mensch¬
lichen Fahrlässigkeit und Weichlichkeit ist.“ Die Ursache, warum
die göttliche Regierung der menschlichen Angelegenheiten von Man¬
chen geleugnet wird, liegt in der Wahrnehmung, sagt Platon p. 899
1) Theog. 924. Ilom. h. XXVII, 4. Piudar 01. VII, 68.
2) Jo. Lyd. III, 30 p. 126 Roether: ylama cfj 'Ad7]vä. dvaxißea-
aiv , OXL Tisg iyQTjyogs öiä Ttdatjg vvyixög,
3) Auf einer Münze bei Eckhel, abgedruckt in Creuzers liilderb.
T. VI n. 11.
'») Plut. Cunviv. III, 6. Paus. VI, 26, 2.
5) Cornul. N. ü. 20 p. 184. Demosth. in Aristogilon. p. 780. Doch
vgl. unsern §. 32. ^) Arisloph. Acharn. v. 546 das. Schob
216
E , dass es schlechten Menschen so oft wohl ergehe oder doch zu
ergehen scheine, und dass sie von ihrer Schlechtigkeit oft den gröss¬
ten Nutzen ziehen- Diesen Erfahrungssatz sucht nun Platon S. 903
mit der Lehre von der Vorsehung in Einklang zu bringen. Seine
Theodicee ist folgende: die Vorsehung hat Alles zum Wohl des
Ganzen angeordnet, und ein jeder Theil thut und leidet nach Ver¬
mögen das ihm Gebührende. Der Theil aber ist wegen des Ganzen
und nicht das Ganze des Theiles wegen thätig. Sonach wäre es die
Sprache der Selbstsucht, sich als Einzelwesen ins Auge fassend die
Götter anzuklagen. Es geschieht aber auch aus Kurzsichtigkeit.
Denn es waltet ein göttliches Geschick, dem niemand entfliehen kann,
er bette sich auch in die Tiefe der Erde oder fliege gen Himmel,
ein Gericht, wornach eine jede Seele bei ihren Wanderungen auf
die ihrem jedesmaligen Charakter angemessene Stufe gesetzt wird.
Auf ihren freien Willen kommt es wohl an, ob sie zum Bessern
hinauf oder zum Schlechtem hinab gerückt werden soll. Diese Ord¬
nung ist so negativ bedingt durch eines jeden Selbstthäligkeit, posi¬
tiv aber durch die ordnende Macht der Vorsehung, welche es so ge¬
fügt hat, dass die jedesmalige Beschaffenheit der Seele bei einer
Wandlung die angemessene Stufe des Daseyns nach sich ziehe, die
geringere auf einen geringem Platz komme, die schlechtere in die
Tiefe verstossen werde, die grössere und von göttlicher Tugend er¬
füllte die ganze heilige Stätte {xönov äyiov oAot') durchwandere,
wenn sie aber wieder fällt, auch wieder in ihrer Lebensstufe zurück¬
gesetzt werde.« Die platonische Theodicee also lehrt auf das Ganze
und auf das Ende (owrslsia) blicken, auf die Vergeltung nach dem
Tode und zugleich auf das Innere, dass die Tugend und das Lasier
an und für sich und abgesehen von allen Folgen glücklich oder un¬
glücklich mache, sey es dass „man in diesem Leben bleibe, oder in
den Hades wandere, oder auch auf einen noch schlimmem Platz
versetzt werde.« ln der Politik X p. 613 A heisst es: »Wenn ein
Rechtschaffener auch in Armulh, Krankheiten oder sonst ein an¬
scheinendes Uebel fällt, so wird ihm solches, sey es bei Lebzeiten
oder nach dem Tode, in etwas Gutes endigen.«
Die Wellordnung, das Sonnensystem, die Witterung, die Frucht¬
barkeit der Natur, die Fortpflanzung des Lebendigen stehen unter
der Leitung der Vorsehung und werden als personificirte Kräfte des
Zeus unter seinen Kindern aufgeführt.
217
§• 45.
Golles Aufsehen über die WeKordnung und die
Witterung.
Apollon und Artemis sind vornemlich die Vorsteher des
Sonnen- und Mondlaufs, des regelmässigen ümkreisens der Wandel¬
sterne, des Wechsels von Tag und Nacht und im Allgemeinen der
Weltordnung, und daher sind sie als unzertrennlich verknüpft Zwil-
liugsgeschwister, Kinder des Zeus und der Lelo i). Apollon ist der
Gott der Jahre, und wie die Sonne, so hat auch er Kuhherden auf
Pieria 2) : ein jedes Rind ist ein personificirtes Jahr oder Zeitperiode,
wie Apis in Aegypten, welchen die Griechen von dem ägyptischen
Monatsnamen Epiphi Epaphus nannten 3). Die Ringmauern meh¬
rerer aller Städte sollten ein sinnliches Abbild des Sonnenlaufes
seyn “*); Sardes bedeutet in lydischer Sprache das Jahr 5), und Apol¬
lon erbaute daher mit dem Schutzgott Poseidon die Mauern von
Troja ln Lakonien brachten die Priesterinnen dem Apollon nach
dem Abwinden eines Jahres ein Gewebe dar 7). Die W'ohlorduung
des Sternenlaufes hat in der Harmonie der Töne und der Reigen
ein natürliches Sinnbild 8). Wie der Artemis, die der Musen und
Chariten Reigen eröffnet 9), so gefielen diese besonders ihrem Rru-
der Apollon wohl. Seine Leyer ist ein Bild der Harmonie der
Sphären und zugleich der Jahresordnung nach dem Wechsel der
*) Allerdings hat man später die Gestirne Sonne und Mond mit
eigenen Namen aufgeführt, und dem Apollon und der Astemis nur ihre
davon abgeleiteten Aemter gelassen. Doch wer tiefer sah, war sich
noch ihrer ursprünglichen Bedeutung bewusst: so Euripides in Phaeth.
fr. II, in Iphig. Aul. 1570.
2) II. II, 766. XXI , 441. h. II in Mercur. 70. Callim. in Apoll. 47.
3) Baur Älythol. I S. 258.
Baur Mythol. I S. 190 f. Jo. Lyd. de mens. III, 14.
6) II. VII, 452. Paus. II, 33. 7) paus. III.
8) Plat. Cratyl. p. 49 Bekker.
Horn. h. in Vener. 19. hymn. XXVII, 17.
218
Jalireszeiten. Sie halle daher drei, auch vier Sailen, und es wird
ausdrücklich berichlei, Apollon mische durch die drei Töne seiner
Cilher die drei Jahreszeilen * *)* der liefe Ton sey der VVinler, der
miniere der Frühling und der hohe der Sommer 2). Auch sein Drei-
fuss ist eine Anspielung auf die Jahreszeiten. Wenn seiner Leyer
gewöhnlich sieben Sailen zugeschrieben werden^), so können wir
dieselben analog auf den harmonischen Lauf der fünf Planeten, der
Sonne und des Mondes beziehen. Die Musen sind daher nach der
altern Slammableilung Töchter des Himmels und der Erde, d. h.
Personificalionen der Weltordnung. Eine von den neun Jüngern
Musen heisst noch Urania.
Die Nalurgötlin Artemis wurde mit dem Monde in Verbin¬
dung gedacht, daher mit Hekate für einerlei gehalten 5). Als
Nachtgöllin lieble sie schattige Wälder und Berge*’); Feldnyni-
pheu sind ihre Gespielinnen 2), und die Freundin der freien Natur
ist beständige Jungfrau Will Eros sie verwunden, so flieht sie in
die Berge; daher ihr Beiname o()£cog ^). Sie schweift mit ihrer
Mutter auf den Bergen mit Pfeilen ***). Sie hat eine goldene Spindel
(xpfo^^^axaTo^) '*), wie ähnliche Wesen von fatalistischer Zauber¬
kraft, als Klolho, Leto *2) und Amphilrile , welche den Lebens-
fadeu der Menschen spinnen.
Die hellsehende Eigenschaft Apollons und die Nachtwache der
1) Orph. h. in Apoll. XXXIV. 2) Diodor. I, 16.
3) Pindar, Nem. V, 43. Eurip. Ion 880. Iptiig. Taur. 1098.
Alkman bei Diodor. IV, 7 p. 252. Mimnernius bei Paus. IX,
29, 2, Musäus bei Schol. Apollon. III, 1.
5) Eurip. Pboeniss. 109 Tiai Aaroug 'E^dza. Schol. Arisloph.
Plut. 549. Hom. h. in Yener. 20. h. XXVII, 4. Callim. in Dian. 19.
7) Od. VI, 105. Hom. h. in Yener. 16.
9) Lucian. Dial. Deor. T. I p. 212. 217.
*0) Eurip. Phoen. 151 f.
11) II. XVI, 183. XX, 70. Od. IV, 122. hymn. XXVIl. Sophocl.
Tracbin. 637. i2) Pindar. Nem. VI, 63.
13) Pindar. 01. VI, 178. Ampbitrite ist ja die Gattin des Poseidon
yeveoiog; wesswegen Böckh das Beiwort nicht von goldenen Pfeilen
oder Scepter, sondern von goldener Spindel versteht.
219
Artemis veranlassleu die Waid zweier Thiere, die diesen Göttern
geweiht wurden, nemlich des Wolfes und des Hundes. Jener
gehörte dem Apollon zu, weil er bei Tag und bei Nacht gleich sieht j
daher auch die Sprache seinen Namen mit dem Lichte in Verbindung
setzte, kv-Aoq und Aw?; (Dämmerung), lux, diluculum, Xvyt] (Dunkel).
Der Gott hat von ihm den Beinamen Xvxiog oder Xvxscog, selbst Ar¬
temis bisweilen Xvy.sia ^), und die Sonnenbahn heisst daher Xvxdßag“^).
Der Wolf war in Aegypten dem Horus (Apollon) 3) heilig '■') , und
Danaus, der aus Oberägypten einwanderte, errichtete in Argos dem
Apollon XvHiiog einen Tempel, woran sich allerlei Legenden knüpf¬
ten 3). In Argos soll man ihm Wölfe geopfert und sein Bild auf
den Münzen eingegraben habend). Aeschylus (7 geg. Theben 132)
begründet durch den Beinamen Xmuog die Bitte des Chors, dass er
dem feindlichen Heere ein Xvxetog (Wolfsgott) werden möge. Als
Wölfin kam Leto nach Delos ^). — Der Hund gesellt sich als Nacht¬
wächter, als den Mond anbellend und als Jagdgehülfe zur Mouds-
uud Jagdgötliu Artemis.
In dem ausser- und vorhomerischen Göttersysteme waren Apol¬
lon und Artemis in einem allgemeinem Vollgehalte aufgefasst als die
männliche und weibliche erzeugende Potenz, wie sonst der Himmel
mit der Sonne und die Erde mit dem Monde, oder Kronos und Rhea.
Als die grosse Mutter Natur war die Artemis von Ephesus darge¬
stellt (s. oben S. 105 f.); in ihrem Tempel legte Heraklitus der
Epheser seine Bücher über die Natur nieder s). Als solche hatte
sie Zeus und Persephone zu Eltern und den geflügelten Eros zum
Sohne ^); sie schafft den Zeugungs- und Bildungstrieb zur Besamung
und Fortpflanzung. Sie heisst die Allernährende, navr(t6cpog und
Creuzer Metetem. Macrob. Saturn. I, 17.
3) Herod. II , 144. ‘*) Creuzer Syinb. 3le Ausg. 11 S. 554 f.
3) Paus. Coriutb. 19, 3. Schob Sophocl. Eleclr. 6.
Aristol. Hist, Anim. VI, 35. 3) Diog. L. IX, 6.
Das war die erste Diana des Cicero N. D. III, 23. Vgl. Paus.
IX, 27. Wenn Aeschylus bei Her. II, 156 die Artemis zu einer Toch¬
ter der Demeter machte, so geschah dies nach ägyptischer Abstammung,
wornach Orus und Bubastis (Apollon und Artemis) Kinder von Osiris
und Isis (Dionysos und Demeter) waren.
220
Tißi]vö(;^), und wurde abgebildel mit Fackeln und Schlangen (Leben)
in den Iläuden 2). Die Delier sagen, die Hyperboreer bütlcn Hei-
liglhünier in Weizenhalmen eingebunden weiter bis zu ihnen ge¬
bracht, und Herodot (IV, 33) bezeugt, dass die thracischeu und
päonischen Frauen nicht ohne Weizenhairae der Königin Artemis
opfern. Ihre Idee war somit der einer Demeter gleichgesetzt, und
als diejenige, von der Jugend, Blüthe und Wachsthum kommt, hatte
sie hei den Tragikern und Lyrikern den Beinamen die Schöne oder
die Schönste, und als ^'dgrefj-iq y.aXXiarrj in Arkadien einen Tempel 3).
In Elis stand sie in Liebesverhältniss mit dem das Land beherrschen¬
den Flussgott Alpheus, hiess daselbst d/lfpftam ^) , erhielt mit ihm
gemeinschaftlich einen Altar in Olympia (§. 33) und wird von Pin-
dar (Pyth. II, 12) Flussgöttin {TtoTafxla) genannt, die auf Ortygia
bei Syrakus ihren Wohnsitz habe.
Der Wechsel der Jahreszeiten wurde noch besonders in
den drei Horen (d. i. Zeiten) persönlich dargestellt. Sie sind Töch¬
ter des Zeus und der Themis^), d. h. nach dem Willen des
Allerhöchsten laufen in unverrückler Ordnung die Jahreszeiten ab;
so lange die Erde steht, soll nicht aufhören Sommer und Winter.
Wie unter ihrem Tanze Alles wachset und reifet, so sind sie auch
der Here Erzieherinnen ^). Von ihrem Amte, den Himmel und
Olymp zu beschliessen und zu öffnen , haben wir oben gehandelt*
Wie unter ihrer Pflege zweierlei Dinge , das Wachsen und das
Fruchlbringen, erfolgen, so haben die Athener vor Alters nur zwei
Horen verehrt, deren Namen Thallo (die Sprossende) und Karpo
(die Fruchtbringende) ^) in näherer Beziehung zur Natur stehen als
die Namen der gewöhnlichen drei, auf die wir in der Lehre von der
bürgerlichen Ordnung zurückkommen müssen. Die Horen »behüten
den Sterblichen die ländlichen Arbeiten« 8). Man betete zu ihnen,
1) Orph. X , 12.
2) Paus. Arcad. 37, 2. Vgl. Vaillant Nuraism. Imperat. p. 192.
3) S. K. 0. Müller Prolegomena zu einer wissensch. Mythologie
1825. S. 75 f. Schob Pind. Nem. I, 3.
5) Theog. 901. Olenus bei Pausan. II, 13.
7) Pausan. II , 20.
Theog. 903 : %()y copevovai, nach den neuern Ausgaben, wie ich
221
sie möchten die auslrocknende Hitze ahwenden und mit gemässigter
Wärme und fruchtbarem Regen die Feldfrüchte zeitigen •)• Sie sind
schöngelockt 2) , und haben ein goldenes Stirnband 3). Als die neu-
geborne Aphrodite nach Cypern geschwommen kam, so empfingen
sie freundlich die Horen und legten ihr ambrosische Gewänder an,
ein goldenes Diadem, Ohrringe und Halsspangen, womit sie selbst
geziert sind, wann sie in den Chor der Götter gehen. So geschmückt
führten sie die holde Göttin in den Kreis der Unsterblichen ein
Die Pandora bekränzten sie mit Frühlingsblumen 5). Sie sind daher
auch ein allgemeineres Sinnbild der Zierlichkeit. Ein reinlicher und
wohlriechender Trinkbecher scheint an den Quellen der Horen ge¬
waschen zu seyn 6). Daher äqa die Schönheit, co^aloq schön.
Die Witterung, namentlich heilere Luft, erquickender Regen,
Gewitter und wohlthätige Winde wurden dem Herrscher im Himmel
unmittelbar zugeschrieben. Daher seine Beinamen aidgioq, vstioq,
ojußQioq, %SQavvtoq, ovQioq, auch , der Stürmische, woher
der attische Herbslmonat Mämakleriou seinen Namen halle. Der
lyrische Dichter Alkman (fragm. n. 47 p. 57 ed. Welcher) macht den
Thau C'E^oa) zur Tochter des Zeus und des Mondes (JSslüpa). Zum
besondern Aufseher der Winde hatte Kronion den Aeolus, Sohn
des Hippotes, Bewohner einer schwimmenden Insel, bestellt Q. Als
regnender Zeus halte er im Westen von Sardis auf einer Spitze
des Berges Tmolus seine Geburlsslälte ^), weil von dorther der Re¬
genwind in die Stadt Sardis wehte. Die Athener beteten zu ihm :
»regne, regne, lieber Zeus, auf die Fluren der Athener und auf das
auch in der Maicianischen Hdschr. gefunden habe; Demetrius Trikii-
nius schrieb darüber die Erklärung cpvXdiTzovac, und so hat auch der
Scholiast der Schellersheimer Hdschr. das Scholion : cpvXäaoovoi, öia
cpQOvriöoq exovoi, woraus erhellt, dass er nicht togaiovai gelesen ha¬
ben kann , wie die Hdschr. wohl mit unsern altern Ausgaben hat (was
Graevius Lectl. Hes. p. 634 durch schön machen erklärt).
’) Philochorus bei Athenaeus, fragm. ed. Lenz. p. 90.
2) lies. Op. 75. 3) Horn. h. V , 5. Horn. h. V.
5) Hes. Op. 75. 6) Theocrit. Id. I, 149. Q Od. X, 21.
8) Jo. Lyd. IV, 48 p. 228.
_ ooo _
Blachfelcl« •) Die gulen Winde schrieb man wie dem Valer, so
auch seinen Söhnen , den Dioskuren zu.
§. 46.
Die Fruchlbarkeil der Erde und der T liiere unter
göttlicher Aufsicht.
Wie oben am Himmel, so wallet Zeus segnend auch unten auf
der Erde und befrucblel den Scbooss der Demeter, woraus Per¬
sephone oder die Fruchtbarkeit entsteiget. Jegliche Nahrung, die
man im Sommer einsammelt, ist der Demeter Gabe 2). Sie hat den
Beinamen xQvadoQoq, mit Rücksicht auf den ersten Stier (§. 17),
der für den Ackerbau nolhwendig ist. Die Feldnymphen, unter
deren Aufsicht die Pflanzungen des Landmanns stehen, sind daher
Zeus Töchter 3), ebenso die Quelluymphen (xQrjvaiai) ‘*') und
die Wassernymphen (^Nv/ucpac Naiddsq oder ionisch Ntj'idßsq')
J^elztere wohnen z. B. am Hafen in Ithaka in einer Grotte und we¬
ben Gewänder ^). Selbst die Eingeweide der Erde stehen unter
göttlicher Aufsicht. Das Erdfeuer als Typhon personificirt , nach
der Theogonie ein Sohn des Tartarus und der Gäa, wurde nach ho¬
merischer Dichtung von derselben Göttin erzeugt, welche die Mutter
des überirdischen und irdischen Feuereiemenles Hephästos war. Und
zwar wie nach der Theogonie Here wetteifernd mit Zeus, der die
Athene aus seinem Haupte hervorbrachte, den Hephästos allein aus
sich erzeugte, so hob der Homeride den Gegensatz beider Feuer¬
wesen also hervor, dass Here den Hephästos mit dem himmlischen
Zeus, den Typhon aber sie allein durch eigene Anstrengung ohne
Zuthun ihres Galten gebar. Den Neugebornen, weder den Göllern
’) M. Antoninns ad se ipsum V, 7 p. 37.
2) Hes. Op. 32. Zeus und Demeter sind o/uolcoioc, s. Suidas s. v.
Die Früchte, die Kelter, die Tenne und der Pflug hatten ihre vorste¬
henden Gottheiten, die daher eTtixd^Ttcoc , iTtiXrjvaioi, äXcooi und .-rpo-
7JQÖOIOC hiessen , s. Maxim. Tyr. Dissert. XIV.
3) Od. VI, 105. Od. XVII, 240. 5) Od. XIII, 356.
6) Od. XIII, 104.
223
noch den Menschen ähnlich , übergab sie zur Ernährung der pylhi-
schen Schlange , von welcher alle Vulcane auf Erden den verderb¬
lich zischenden Giflhauch einsogen. So wurde der alle Typhon ins
neue System übergetragen.
Ebenso die uranische Aphrodite, durch deren Kraft Zeus die
Geschlechter der Menschen und Thiere erhält, sich besamen und
fortpflanzen lässt 2). Anstatt des Uranus wird Zeus der Vater der
goldenen Kytherea^), und ihre Mutter wurde Diene ^). Diese war
nemlich die Gattin des dodonäischen Zeus^), und hatte Aehnlich-
keit mit der phönicischen Aphrodite. Die Münzen von Epirus und
Dodona stellen Zeus und Diene vereint dar 6). Ihr Name bedeutet die
Taube (von nsii) ^), und in dem libyschen Tempel des Zeus Ammon,
wovon uns Minutoli Bildwerke (T. X fig. 2) gegeben hat, erscheint sie
an den Schenkeln in Flügel gehüllt. Man legte daher Dione bald
wegen ihres Begriffes für Aphrodite ®) , bald wegen ihres Verhältnis¬
ses zu Zeus für Here aus 9) ; man wusste sogar in Lacedämon von
einer Aphrodite Hera *9), und nannte in Italien Zeus Gattin von
Dione, wie es scheint, Juno. Die ägyptisch dodonäische Dione war
mit der phönicischen Göttin Aschtoret (Aphrodite), so wie Ammon
(der Gatte der Dione) mit Adonis (dem Gatten der Aschtoret) ur¬
sprünglich einerlei, und es sind nur verschiedene Namen oder Bei¬
namen einer und derselben Gottheit; wie aus Folgendem erhellet.
Der ägyptisch thebanische Ammon hiess in der Landessprache nach
Platon (Phaedr. 13i p. 274 D) Qafiovq , nach Herodot (H, 42) '‘A/n-
/jiovq, nach Plularch (de Isid. c. 9) ^A/j-ovq. Nun hiess aber ein sy-
^) Hom. h. in Apoll. 316 ff. Hom. b. III in Vener. 3.
3) II. 312. Od. y, 308. II. 370. Eiirip. Hel. 1098.
3) Demosth. in Mid. 15 p. 531. de fals. legal, c. Aeschin. p. 437
und in epist. IV c. Theraraenem. Strabo VII p. 329.
Jak. Gronov. zu Stephanus Dodone.
2) In der saraaritaniscben Mundart wird nach Cellarius Gramm,
c. 5 häufig der Buchstabe d, sowie in der etruskischen Sprache t (Tara
für Hera), als Artikel vorgesetzt.
**) Servius ad Aen. HI, 466: Jovi et Veneri templum (dodonaeum)
a veleribus fuerat consecratum,
9) Paus. V, 15. 19) Paus, ni, 13.
224
rischer Gott, über dessen Schicksal Weiber zu weinen pflegten,
Tammus (Ti>sr) nach Hesekiel 8, 14, welchen schon Hieronymus
zu dieser Stelle für gleichbedeutend mit Adonis hielt. Auch hiess
der Monat, in welchen sein Fest fiel, in Palästina und Syrien und
noch jetzt im jüdischen Kalender Tamrauz i). Dieser Name hängt
ohne Zweifel mit der hebräischen Wurzel tnan (erstaunen) zusam¬
men, und bedeutete der Erstaunens würdige, während der andere
Name desselben Gottes Adoni mein Herr bezeichnete ^). Hieraus
erhellet die merkwürdige Einerleiheil des thebanischen und des phö-
nicischen Gottes, und um so natürlicher wird cs erscheinen, dass
jener ein Taubenweib, Dione, zur Gattin halte, wie auch dieser die
Aschloret, und dass sowohl jene als diese für Aphrodite erklärt
wurde und mit Aphrodite zusammenfiel, in Griechenland aber Dione
als die ältere und mehr veraltete zur Ehre der Mutterschaft der
Aphrodite erhoben wurde. Theils wegen ihrer Herkunft aus Afrika,
Iheils um die hesiodische ältere Fabel von der Entstehung der Aphro¬
dite aus dem Meere zu berücksichtigen , machte man die liebliche
Dione zu einer Okeanine ^).
Hermes war Aufseher über alle T hie re, zahme und wilde,
und über ihre Erzeugung ^). Nach dem trojanischen Krieg (800
Jahre vor Herodot, wie er selbst II, 145 angibl) wurde der ägyp¬
tische M en d es, mit welchem Namen man sowohl den Bock als
einen der acht ältesten Göller bezeichnete ^), in Griechenland be¬
kannt. Die Griechen benannten ihn Pan und bildeten ihn, wie die
Aegypler, mit einem Ziegenangesicht und Bocksfüssen ab. Diese
mannweibliche, doppelgeslaltele (Sicpvtjg) Bildung lässt vermulhen,
dass er der ägyptische Hermaphrodit, der grosse Nalurleib mit all
*) Michaelis de mensibus Hebraeor. p. 29 sq.
2) Vgl. die Nachweisungen über den Thamnaus bei Creuzer Symb.
dritte Ausg. II S. 417 ff. Jedoch die Hauptstelle aus Platon, die den
Schlüssel zur Erklärung abgibt und die Brücke aus Aegypten nach Phö-
nicien baut, war bisher unbeachtet geblieben.
3) Theog. 353.
'’>) II. XIV, 491. Theog. 444. Hotn. h. II in Mercur. 567.
Ilerod. II, 46. Zu diesen acht ersten Göttern gehörte auch
Lelo, Her. II, 156,
225
den männlichen und weiblichen Zeugungspotenzen ursprünglich war.
Damit stimmt sein griechischer Name Ildp (All) i) und die Ausdeu¬
tung des Orpheus überein, welcher den Pan »den starken Gott nennt,
das Weltall, Himmel, Erde und Meer und das unsterbliche Feuer,
denn das seyen Glieder des Pan.« Pindar (Pyth. III, 139 das. Schob)
nennt ihn den Begleiter der grossen Mutter (Cybele) 2) und nach
ägyptischer Priesterlehre den vollkommensten Tänzer unter den Göt¬
tern (fragm. p. 29), der nach einer pindarischen Ode getanzt haben
soll (fragm. p. 50). Er selbst soll an sein Haus der Mutter der Göt¬
ter und dem Pan Bildnisse gesetzt haben 2). Auf seinem Altar zu
Olympia brannte ein ewiges Licht ^), und die Athener hielten ihm
und dem Prometheus zu Ehren einen Fackellauf 5). In dieser um¬
fassenden Bedeutung konnte sich Pan freilich nicht mit dem griechi¬
schen Olymp und dem Herrscheramt des Zeus vertragen; er sank
daher zu der untergeordneten Rolle eines Hirleugottes herab , und
wurde ungefähr, was der Hermes der Pelasger in engerer Bedeu¬
tung war 6). Hermes selbst in Bocksgestalt soll ihn mit der Gattin
des Odysseus, Penelope, der schöngelockteu Nymphe des arkadi¬
schen Dryops, erzeugt haben, dessen Schafe Hermes aus Liebe zur
Tochter hütete ^). Nach Andern waren Kronos und Rhea seine El¬
tern, der Aether oder Zeus sein Vater, seine Mutter Kallisto, oder
die Nymphe Hybris (oder Thymbris), oder die Nymphe Oeneis *).
^) Bei diesem Zusammentreffen haben wir nicht nöthig, zu aus¬
ländischen Etymologien, die weniger bezeichnend sind, dergleichen
Creuzer Symb. IV S. 58. 208 Noten anführt, unsere Zuffucbt zu nehmen.
2) Plut. Erot. p. 758.
•^) Aristodemus bei Schob Find. Pyth. III, 137.
'•) Paus. V, 15. S) Herod. VI, 105.
6) Steph. B. V. llavbq Ttöhq.
2) Hom. h. in Pana XVIII, 34. Plat. Phaedr. 103 p. 263 D Cra-
tyb p. 408 B. Herod. II, 145. Cic. N. D. III, 22 p. 609 ed. Creuzer
u. das. Davies. Lucian. Dial. Deor. XXII T. II p. 76 Bip, Pans Geburt
. wird auf einem Grimanischen Marmorrelief in Venedig dargestellt, wie
der Homeride sie beschreibt, dass die Mutter beim Anblick des ziegen-
füssigen, zweihörnigen Enäblein aufsprang und die Amme davon lief.
8) Jo. Lyd. de mens. p. 274 Roeth. Schob Theocr. v. 3. 123.
Apollodor. I, 4, 1.
15
226
Als Hirlengott (yofiioq) bläst er die Ilirtenpfeife ^), wandelt in Ge¬
meinschaft mit den Bergnyraphen auf den Bergspitzen, wendet sich
bald zu den Flüssen, bald schreitet er auf steilen Felsen, Schnee¬
bergen und Einöden, bald erlegt er Wild in den Wäldern 2). Aus
diesem Grunde leitete man die Verrücktheit von Pan oder Hekate
oder den Korybanten oder der Bergmutter Rhea ab 3).
§. 47.
Fortsetzung. Dionysos.
Dionysos, der fröhliche Geber des Weinstocks, der grosse
Besamer, welcher sich von dem pelasgischen Hermes und dem ägyp¬
tischen Osiris den Phallus und von Hephästos die Geburt aus dem
Feuer aneignete , ging aus den Lenden des Vaters Zeus (f.irjQoyav7jg)
hervor, und wurde durch Abstammung und Mythengeschichte mit
den verwandten Nalurgöttern verflochten. Seine Mutter war Perse¬
phone, welche Genealogie eine Erfindung der Athener zu seyn
scheint^); während die Thebaner die Priesterin Semele, des Kad-
mus Tochter, zur Ehre der Mutterschaft erhoben 5). Er war Bei¬
sitzer der Demeter*»). In ihrem Tempel zu Athen
verfertigte Praxiteles ihr, der Tochter und des Jacchos Bildniss. An
1) Hom. h. XVIII, 15.
2) Hom. 1. c. 6. Aeschyl. Pers. 446 ib. Schol.
3) Eurip. Hippolyt. 141 ff.
Arrian. de expedit. Alex. II, 16. Cic. N. D. HI, 23 u. das.
die Nachweisungen des Davies p. 617 f. ed. Creuzer, wozu hinzuzu¬
fügen Jo. Lydus IV, 38 p. 198. Eurip. Orest. 952 ÜSQaacpövrj xaXXt-
naiq, ihr Sohn ist nach dem Schol.
5) Theog. 940 IT. Ilom. h. VI , 57. Eurip. Phoen. 649. In The¬
ben hatten auch von Alters her Persephassa und Demeter ihren Wohn¬
sitz: Eurip. 1. c. 684 f.
Pindar Isthm. VII, 3. — Diodor III, 62 geht noch weiter und
macht den Dionysos zum Sohn des Zeus und der Demeter, und Apol¬
lodor fragm. p. 399 ed. Heyne zum Sohn des Zeus und der Erde. Diese
Genealogie setzte sich bei den Römern fest , bei welchen Liber und
_ 007 ^
- ^mä i
eioetn Tage der Eleusinien wurde Dionysos als Knabe unter dem
Namen Jacchos mit dem Myrtenkranz auf dem Haupte in den Tem¬
pel der Demeter nach Eleusis gebracht; und bekanntlich war dieser
Knabe der leidtragenden Demeter in ihrem Kummer ein Trost, wie
wir oben gesehen haben. Seine Verbindung mit den Mysterien der
Demeter erklärt sich am natürlichsten aus der ägyptischen Religion,
wo Isis, von den Griechen für Demeter ausgelegt, Gattin des Osiris
(Dionysos) war. Sophokles (Antig. 1119) singt: »Du herrschest in
dem allumfassenden Busen der eleusinischen Deo.® Suidas
legt den Namen Jacchos aus: der an der Mutter Brust liegende;
was Bochart (Canaan p. 442) auffasst und aus dem Syrischen für
Säugling erklärt»
Hermes ist zwar nicht Vater des Dionysos geworden, weil er
in dem neuen System eine mehr untergeordnete Rolle spielt; allein
er ist doch um den neugebornen Gott geschäftig. Bei der Geburt
des Dionysos soll er behülflich gewesen und die Hüfte des Zeus er¬
öffnet haben '). Zeus übergab das Bacchuskind dem Hermes, es zu
Ino und Athamas zur Erziehung zu tragen 2). Cephisodotus bildete
so den Hermes als Träger des Kindes 3); der Meisel des Praxiteles
schuf eine Marmorgruppe, wo Hermes den jungen Dionysos trug''*).
Auch auf uns sind alle Bildwerke dieser Art gekommen 5). Er war
bei diesem Geschäfte nicht blos Götterbote, sondern führte seinen
Nachfolger in die Welt ein- So wie Hermes in einer Grotte aufer¬
zogen wurde, so wuchs auch Dionysos von den Nymphen gepflegt
in einer duftenden Grotte auf 6). Die Amme soll das neugeborne
Libera (Dionysos und Persephone) Kinder der Ceres waren (Cicero
N. D. II, 24).
1) Eudocia p. 118.
2) Eurip. Bacch. 84. 495. Apollodor. III, 4, 3. Zu den Nym¬
phen zu tragen, sagen Nonnus p. 250 und Athen. XI, 13.
3) Paus. Lacon. 18, 7. ^) Paus. V, 17.
5) Welcher Zeitschr. für Gesch. und Auslegung d. a. Kunst 1 , 3.
S. 500 ff. Taf. V n. 23. VI n. 24. 25. 26. 27. Die letzte Abbildung
eines geschnittenen Steines zeigt den Hermes, wie er das Kind dem
Zeus vorhält. Zoega Bassirilievi antichi di Roma T. III.
ß) Horn. b. XXV , 6.
228
Kind zuerst an der Quelle Kiaaovoa in ßöolien mit angenehmem
klarem Wasser gewaschen haben Q. In Lydien war die Amme des
Dionysos Ma (Mä, Mutter); so hiess bald Rhea bald eine ihrer Die¬
nerinnen 2), und erinnert an Maja , die Mutter des Hermes (S. 101).
An seinem Feste hielten die Griechen einen Aufzug mit einem lan¬
gen männlichen Gliede, Phallos genannt. Diess war zwar nach der
Bemerkung Herodols (n, <18 f.) von den Aegyptern entlehnt, welche
am Osirisfeste etwas Aehnliches hatten; allein Hermes mit dem ste¬
henden Gliede war ohne Zweifel zugleich Vorbild jener bacchischen
Naturfeier. In der ältesten ßildnerei hatte Dionysos auch den Bart
mit Hermes und Osiris gemein, welchen er nachher mit üppigen ju¬
gendlichen Formen vertauschte, um das stets frische Leben der sich
verjüngenden Natur auszudrücken. Wie der unterirdische Hermes
mit Persephone das Loos ihrer Höllenfahrt theilte , so wusste man
gleichfalls von einem unterirdischen (/(?oV/o^) Dionysos 3). Wenn
Hermes den Schlangenstab hatte und in den samothracischen und
römischen Penaten wahrscheinlich selbst als solcher vorgestellt wurde,
so sollte den Dionysos Zeus in Schlangengestalt mit Persephone er¬
zeugt haben ^), und die Schlangen waren ein ständiges Sinnbild in
den bacchischen Orgien ^ ; die Bacchantinnen pflegten in den Hän¬
den Schlangen zu haben ß). Wie Hermes ein Sohn des Kratos oder
Valens (Macht) war, so kennt Cicero (N. D. HI, 23) einen Diony¬
sos als Sohn des Kabirus nach der richtigen Verbesserung des
Jakob Gronovius ^). Kabirus aber sagt auf hebräisch , was Kratos auf
griechisch oder Valens auf lateinisch 8). Und mau rief den Dionysos
*) Plutarch in Lysandro c. 28. Stephan. B. v. Mdarav^a.
3) Etymol. M. u. Suidas in ZayQsvg.
'^) Athenagoias Legat, pr. Christ, p. 20. Clemens Prolrept. und aus
ihm Euseb. Pracp. Ev. II, 3 p. 64.
Clem. Prolr. p. 11. 6) Eudocia Violar. p. 87. 118.
Er verglich den Ampelius e. 9; wozu jetzt noch Jo. Lydus IV,
38 p. 198 gelugt werden kann.
®) Es ist daher nicht ein verschiedener Dionysos, wie Cicero un¬
terscheidet, sondern nur eine andere Abstammung desselben Gottes;
wesswegen Diodor III p. 197. IV p. 212 demselben Dionysos Sabazios
zu Eitern Zeus und Persephone gibt.
229
selbst als Allmächtigen (jtayy.QaTi)q) au ^). Wenn die Penaten in
Troja Hermesstäbe und Irdengeschirr waren (s. oben), so hatte Dio¬
nysos das Geschirr zum Eigenthum^), wie wir auch aus vielen
bacchischen Vorstellungen auf alten gebrannten Vasen ersehen. Die
Manchfaltigkeit der Lebensformen wurde sinnbildlich durch die Vasen
ausgedrückt; wie denn Dionysos selbst der buntgeslaltele {aloloixoQ-
cpog) hiess 3). Daran erinnerten die Allen in den Stätten des Todes,
und legten mehrere Vasen von den verschiedenartigsten oft seltsam¬
sten Formen in die Grüfte, um die tröstliche Wahrheit darin nieder¬
zulegen: die Lebensgeslalten der Natur sind unerschöpflich; ihre Ge-
fässe sind wohl zerbrechlich, aber ist eines gebrochen, so tritt das
Leben in einem andern hervor; du stirbst, aber es ist nur ein Wech¬
sel des Gefässes. Zur Beisetzung der Asche des Achilleus gab da¬
her seine unsterbliche Mutter Thetis einen goldenen Aschenkrug,
welcher als metallen zwar von Hephästos verfertigt wurde, allein doch
des Dionysos Geschenk war ^). Dionysos selbst begrub zu Argos
seine Ariadne in einem irdenen Sarge®), und die Athener dachten
sich ein ehrliches Begräbniss und das Milgeben einer Todtenvase,
wofür es besondere Künstler oder Handwerker gab, unzertrennlich
zusammen®). Der Neuplatoniker Hermias (ad Plat. Phaedr. p. 94
ed. Ast) nennt daher den Dionysos Aufseher über die Polin-
genesie aller in die Sinnenwelt herabgekommenen Wesen. Nach
einer argivischen Fabel stieg Dionysos durch den alkyonischen See
in die Unterwelt, seine Mutter Semele zurückzuführen, und man
feierte ihm daselbst alljährlich nächtliche Feste ^). Wenn Hermes
dem Namen nach (s. oben) der täuschende Sinnengott ist und A-
phrodite nach ihrem Beinamen anätovgoq, so halle auch Dionysos das
Prädicat der täuschende {änatovQioq) 8) , und das Fest der Apaturia
soll ihm geweiht seyn. Wenn Hermes und Aphrodite in geschlechtlicher
0
2)
Jo. Lydus IV, 38 p. 200.
Porphyrius de anlro Nymph. c. 13 p. 14.
Orpb. h. L (XLIX) v. 5. Od. XXIV, 74.
Paus. Corinth. c. 23 z. Ende,
Aristoph. Ecclesiaz. 533. 989. 1024.
Paus. Corinth. 37, 5. Apollodor. III, 5, 1.
Nonnus Dionys. XXVII, 302 p. 716.
230
Vereinigung vorstellig gemacht wurden, so wurde auch Dionysos
Mannweib {uQGSvudrjlvq) *) und der weiblich Gestaltete (ßrjlvfxo^-
cpoq'^'), yvviq genannt und als solcher abgebildet;
gerade wie sein Vorbild Adonis als Mädchen und Knabe zugleich
[xovQT] Y.a\ xÖQoq) angerufen wurde ^). Wenn Hermes als Bock den
Pan erzeugt haben sollte , so war dieses geile Thier auch dem Dio¬
nysos heilig und sein gewöhnliches Opfer. In seinem Gefolge fabelte
man die Satyrn d. i. Dämonen mit ßocksohren. Dieser Fabel lag
ein morgenländisches Mährchen von bocksgestalteten Waldmenschen
zu Grunde. Der Name schon ist semitisch, niya bedeutet Bock , und
Jesajah 13, 21. 34, 14 weiss von einer Mehrheit von Satyrn, die
einander zurufen und in Einöden tanzen. Aehnliche fabelhafte Ge¬
stalten hatten die Araber in Menge ®). Man hielt nun den Satyr
für den Erzieher des Dionysos, und Plinius (H. N. XXXVI, 4, 8)
erwähnt eines Bildes, wo Satyr das weinende Bacchuskind schweigt.
Ein im ähnlichen Geschäfte begriffener Silen ist auf uns gekommen 0.
Die Silene hielt mau nemlich für alte Satyrn S), die den Gott zu
begleiten pflegen. Silen von (Sorglosigkeit, Ruhe) abgeleitet,
entspricht seinem Begriffe und den bildlichen Darstellungen von ihm.
Er ist eine Personification von Ivaioq, ein Sohn des Hermes oder
des Pan , nach Andern aus den Blutstropfen des Uranos entsprossen 9).
Wie das Lebensfeuer in dem Hephästos alten Styls verkör¬
pert war, wie bei Hochzeiten die Lebensfackel des Hymenäus
Rackerte, und der Todesgeuius dieselbe umstürzte und verlöschte,
so wurde diese Idee auch auf den neuen Lebensgott Dionysos über¬
getragen. Semele hat ihn unter dem Wetterstrahl des Zeus zur
Welt gebracht *9). Zeus nimmt hierauf das sechsmonatliche Kind
*) Jo. Lydus IV, 95 p. 292.
9) Philochor. bei Euseb. Chron. P. II p. 125. fragm. ed. Lenz. p. 21.
3) Lucian. Dial. Deor. II p. 51 ibiq. Hemsterhuis. p. 297.
') Nicetas in Cieuzer. Melelem. I p. 21.
Orph. b. LVI (LV), 4. 6) Bocbart. Hieroz. II p. 844.
Welcker akadem. Kunstmuseum zu Bonn S. 37.
Etym. M. in SetXijpoi. Serv. ad Virg. Ecl. VI , 14. Nonuus
Dionys. XIV, 101. 9) Serv. ad Virg. Ecl. VI, 13.
*9) Eurip. Baccb. 3.
231
von der enlseellen Mutter und näht es, um die zarte Frucht zu zei¬
tigen, in seine Lenden ein*). Dionysos ist daher der Feuergeborne
{nvQiysvrjq, 7tvQLroy.oq)^)\ was Johannes Lydus (p. 292) richtig auf
den warmen und fortzeugenden Lebenshauch deutete. Er hatte auch
selbst wie sein Vater den Blitz in der Hand und hiess der Donnerer
(iglß^üfioq) 3), Wie der Morgenländer von einem Sohne aussagte,
er sey aus den Lenden seines Vaters geboren , so war Dionysos als
Urheber alles irdischen Daseyns aus den Lenden des Vaters Zeus
hervorgegangen {iJ.i]goT^acprjq) Hephästos, vormals das Lebens¬
feuer der Natur, wurde nunmehr ein Feuerkünstler in der Schmidt¬
esse; was die Fabellehre dadurch andeutete, dass Here diesen ihren
Sohn wegen seines Hinkens fernliin an den Okeanos warf, wo er
neun Jahre lang schmiedete 3). Der schleppende Gang der Schmidte
ist nun wohl der Grund seines Hinkens. Nur als Künstler in Me¬
tallen fand er hinfort Zutritt zu den Göttern. Dionysos, hiess es be¬
deutsam^), machte den Hephästos trunken und schickte ihn zum
Himmel zurück.
In Chios hatte Dionysos den Beinamen q^Xsvq (nagä xb smag-
er hiess auch der Baumgott (ösvdgLxrjq')^). Unter allen
Pflanzen aber ist der Weinstock die am meisten üppig wuchernde
und rankende, die in einem einzigen Sommer einen Wald von Schos¬
sen treibt; desshalb scheint mit Rücksicht auf die edle Gabe des
Weins, die davon gewonnen wird , dieses Gewächs vorzugsweise dem
zeugenden und Frucht schatTenden Gott Dionysos gewidmet worden
*) Apollodor. III, 4, 3.
2) Jo. Lydus p. 200. 292 und Moser zu Nonnus p. 216.
3) Hom. h. XXV, 1. Vgl. Creuzer Dionys, p. 251 ff.
''») Jo. Lydus p. 292.
3) II. XVIII, 395 ff. Wir haben oben S. 104 diese Fabel in ihrer
ersten kosmischen Bedeutung ausgelegt.
6) Paus. Att. 20 , 2.
7) Etymol. M. s. v. cpX(ä. Eine verschiedene Schreibart finden
wir bei Schol. Apollon. Argon. cp}.v£vq, auch cpXioq, cpXsToq bei Etymol.
V. ycgioq , oder cpXeuiv bei Aelian. V. H. III, 41.
8) Pindar. fragm. 125 ed. Boeckh. Plutarch. Sympos. Qu. V, 3, 1.
Schwarz. Miscellan politior. humanit. p. 69.
232
zu seyn *); nicht als beschränkte sich seine Bedeutung allein auf den
Wein, wie der Antisymboiiker Voss wähnte, sondern weil der Wein¬
slock zugleich ein passendes Sinnbild seiner andern Kräfte und Gü¬
ter ist. In Phönicien und Palästina war der Weinbau vpn Alters her
einheimisch. Mit dem Gotte scheint daher auch seine Pflanze und
deren Anbau nach Griechenland gekommen zu seyn. Er wird schon
bei Hesiod (Theog. 9it) als der fröhliche Gott {noXvyrjdtiq) und bei
Homer (11. VI, 132) als der rasende eingeführl; er ist der Trauben-
golt (nolvaxdcpv'koq'^') , oxacpvltxrjq ^ , der Keltergott (Xijvaioq')^ als
welcher er zu Athen io der Stadt einen Tempel halte ^). Sein gan¬
zer Dienst halle daher einen ausschweifenden Charakter; in welcher
Beziehung ihn der Homeride (h. VI , 56) als den lautrauschenden
i^i^LßQoiJ.oq') zu bezeichnen scheint. In Asien und Thracien halle er
den Beinamen Saßd^coq und sein Fest hiess Sabazia, von tcsö,
Wein saufen 6). Sabazius heisst auf hebräisch so viel als Oeno-
pion auf griechisch, wie sein Sohn in Kreta hiess. An seinen Fe¬
sten wusste man von Wundergeschichteo. In Elis brachten die Prie¬
ster an dem Bacchusfesle drei leere Kessel versiegelt in den Tem¬
pel, welche den Tag darauf mit Wein angefüllt gefunden wurden^).
Die Lakonier behaupteten, am Bacchusfesle auf dem Berge Lasyrium
eine reife Traube zu finden *).
Wenn die Rebe als Geschenk und zugleich als Sinnbild des üp¬
pigen Wachslhums dem Dionysos heilig war, so war ihm der Ep heu
als Symbol des immergrünen Nalurlebens geweiht 9) ; wie er schon
in Aegypten des Osiris Pflanze hiess i“). Damit erschienen er und
Hom. h. VI, 35. 2) Ilom. h. XXV, 11.
3) Aelian. V. H. III, 41. Hesych. v. Xtjvaioq.
5) Diodor. III p. 197. IV p. 212 und Davies zu Cic. N. D. III,
23 p. 618 Creuzor. Schob Aristoph. Vesp. 9: Saßd^tov röv Jidvvaov
oi Ogä-nsq xaXovat, Eine Verwechslung aus Missverständniss des Kle¬
mens scheint es zu seyn , wenn Firmicus de errore prob relig, von
einem Juppiter Sabazius spricht.
Hammer in den Wiener Jahrb. 1818 leitet den Namen ge¬
zwungen von Sebes ab, das im Persischen grün bedeutet.
7) Paus. VI, 26, 1. 8) Paus. III, 22, 2.
Ilom. h. VI, 40. Phit. de Is. p. 498 Wyttenbacb.
233
seine Diener gewöhnlich bekränzt; er hiess *) , auch cpt,-
Xooricpavoq 2). Die Dorier nannten einen Kranz ßd^xog , die Si-
cyonier einen Rlumenstrauss ^axy.a 4). So wie er dem Schoosse der
Mutter entsank , spross an den Säulen des Palastes zu Theben Epheu
auf, den Knaben in seinem Schatten zu bergen 5). Man leitete sei¬
nen Beinamen Säuleugott (TrspiMÖvcog) davon ab ^); allein schon
ägyptisch phönicische Fabeln scheinen hiezu Anlass gegeben zu ha¬
ben: der Sarg des Osiris wurde bei der Stadl Byblos von einer
Erikastaude umwachsen; woraus der phönicische König Malkander
eine Säule für seinen Palast verfertigen liess. Man wollte ohne Zwei¬
fel damit andeuten, dass das Feste, die Säule, der Beweglichkeit und
Veränderlichkeit des Lebens entgegen stehe. Der Säuleugott zeigte
die dem täuschenden (^aTtarov^ioq) Dionysos entgegengesetzte Seite
an. Ueber den Wandlungen des bacchischen Lebens steht der Gott
als der Urheber des Wechsels fest und unverrückt; obgleich in der
Erscheinungswelt Truggestalten abwechseln, so ist gleichwohl eine
stete Fortdauer des Lebens. Der Grieche wählte daher zu jener
Säule, welche den Gott der Beständigkeit über dem Unbestand des
irdischen Lebens bezeichnete, sinnvoll den Epheu als ein Bild des
immergrünen Daseyns.
Ein Rebschoss mit Epheuzweigen umwunden war der ursprüng¬
liche Thyrsus, der dem Dionysos und seinen Dienern eigenthüm-
liche Zweigt), Das Gewild, Hirschkälber, Panther u. dergl. sind
Eigenthum des Dionysos als des freien Herrn der Natur, seine Frei¬
heit, Macht und Grösse zu bezeichnen ; und das buntgefleckle Pan¬
therfell , womit er oder sein Polster bekleidet war, enthielt zugleich
eine Andeutung von den bunten Gestalten der Erscheinungswelt, de¬
ren Urheber er war.
Als Jahresgott bekränzen ihn die Horen mit Epheu®), und
schon Amphiktyon soll ihm einen Altar in einem Heiligtbum der
1) Hom. h. XXV, i. 2) piin. h. N. XVI, 4,
Nicander in Lex. rhetor. ms. in Bekkeri Anecd. gr. p. 224.
'•) Philetas bei Athen., fragm. ed. Kayser p, 78.
•5) Mnaseas in den europäisch. Gesch. bei Schob Eurip. Phoen. 651.
Mnaseas a. a. 0. Orpheus h. XLVI. Vgl. Creuzer Symb. IV S. 10.
7) Eorip. Bacch. 308. 8) Nonnus IX, 11 f.
234
Horen gestiftet haben '). Wie aber die Natur je nach dem Stande
der Erde zur Sonne anders beschaffen ist , so weist die Fabel auch
im Leben des Dionysos einen ähnlichen Kreislauf auf. Bald hatte er
den Pan in seinem Gefolge 2) , bald ist er selbst der Frühlings¬
stier. Pan aber war der Steinbock im Thierkreis, da die Sonne
wieder höher steigt, mit Bockshörnern und einem Fischschwanz ge¬
bildet 3); wie sich jenes Sternbild auf einer alten Himmelskugel fin¬
det '<). Wiewohl vom Steinbock an die Sonne ihren hohem Stand
wieder einnimmt, wesshalb Pan als zeugungslustiger Gott vorgestellt
wurde; so ist doch die Natur alsdann im Stande ihrer Erniedrigung
und Dionysos in Schwachheit. Daher fabelten die Patrenser in Achaja,
dass die Pane einst dem Dionysos nachgestellt hätten, und dass der
Gott in grosse Noth gerathen sey ^). So durchziehen Pane und Sa¬
tyrn mit Klaggeschrei Aegypten und verkündigen des Osiris Tod ®).
Ein andermal fabelte man von Dionysos selbst, dass er in einen
Ziegenbock von Zeus verwandelt worden sey^), und die Athener
erbauten ihm mit dem schwarzen Ziegenfell (^iJ,&XavaLyiq) einen Tem¬
pel 8) ; was, wie bei Zeus Aegiochos , eine Anspielung auf das Sturm
und Wetter bringende Sternbild der Ziege zu seyn scheint 9). Aber
der Bock wird zum mächtigen Stier. Viele Griechen bildeten den
Dionysos stierartig, und namentlich verehrten ihn die Argiver als
solchen {ßovyavrf) ^o). Er ist in dieser Beziehung nicht ausschliess¬
lich das Sternbild des Stiers, auch nicht blos die Sonne im Stier,
*) Philochorus bei Creuzev Dionys, p. 273.
2) Hom. h. XVIII, 46.
3) Epimenides bei Eratostben. Cataster, c. 27.
‘•) Ingbirami Mon. Etr. Ser. YI T. L 2 n. 3.
5) Paus. YII, 18, 3.
6) Plutarch. de Is. et Os. p. 461 Wyltenb.
Nonnus XIY, 154 ff. das. Moser.
8) Fischeri index ad Theophr. Charact. v. uTtatovgia.
9) Im Hause Townley in England findet sich eine Bildsäule des
Dionysos mit einem Ziegenfell bekleidet, in der Rechten eine Traube,
in der Linken eine Schale : Goede England , Wales , Irland und Schott¬
land Th. lY S. 49 f,
Plut. de Is. p. 364.
235
sondern die Nalur beim Stand der Sonne in diesem Sternbilde, der
Frühling mit seinem reichen Segen. Es ist so viel, als wenn dem
Hermes der Widder geweiht war. In so fern man bald drei bald
vier Jahreszeiten zählte, so konnte man den Frühling bald früher
bald später anheben. Damit fingen namentlich die Araber das Jahr
an, und die Stierhörner waren ihnen die erste Constellation *). Die
Frauen von Elis riefen den Dionysos an, sich mit dem Stierfuss bei
ihnen in Begleitung der Chariten einzustellen, und nannten ihn
erhabenen Stier {a^ie ravQs)'^'). Man flehte: erscheine, o Stier! 3).
Auf böotischen Münzen hat sein mit Epheu bekränzter Kopf Stier¬
hörner'')» und in Kyzikus war er stierförraig abgebildel 3); gerade
wie ihn Euripides (Bacch. 90. 918) den Gott mit Stierhörnern {xav-
QOKEQüiq) nannte 6). Persephone gebar ihn mit einem Slierhaupte
versehen 7). Mit seinen Hörnern soll er sich sogar durch die Hüfte
des Vaters den Ausgang verschafft haben s). Diess sind ägyptische
Ideen auf griechischem Boden. Denn dort wurde das Himraelszeichen
des Stiers in dem Apis auf Erden verehrt^), und dieser für die
Seele des Osiris gehalten ^‘^), Osiris selbst aber mit Stierhörnern
Bailly hist, de l’Astronom. p. 490. So auch Virgil. Georg. I,
217 , wo Servius im Zweifel ist.
2) Plut. Quaest. gr. XXXVI p. 299 B und de Is. p. 495. Paus. VI,
26, 1. Athenaeus XI, 51. Lycophron Cassandra p. 42^ ib. jTzetz.
Etyinol. M. v. Acopvoog.
3) Eurip. Bacch. 971.
'*) Spanheim de usu et praest. Num. p. 357. Pellerin Recueil
T. I pl. 24 n. 8.
3) Athenaeus 1. c.
Vgl. Clem. AI. Protrept. p. 11. Arnob. V p. 171. Eudocia Viol.
p, 118. Moser zu Nonnus p. 207 f. Denkmale des Dionysos mit Hör¬
nern bei Philostrat. Icon. I, 15. Mus. Pio - Clem. X, 3. Hirt S. 78.
Clemens 1. c. p. 15 Potter.
3) Stasimbrotus der Thasier bei Tzetz. Lycophr. Cassandr, p. 42,
welcher daher den Namen Dionysos von Aiög und vvaasiv ableilelc.
Lucian. de astrolog. p. 363.
^0) Strabo XVH p. 708. Plut. de Is. p. 362 f.
236
dargestelll ‘). Mit dem Begriffe des Stiers vermischte sich danu
der allgemeine der schöpferischen Kraft und der Stärke; wesswegen
eben der Stier zu dem Sternbilde des Frühlings gewählt war, und
wozu der Sprachgebrauch der Griechen und Lateiner selbst veran-
lassle , indem taurus zugleich das männliche Glied bedeutete 2). Den
Chariten, wie sie im Dienste der Aphrodite sind, weihte Herak¬
les zu Olympia einen gemeinschaftlichen Altar mit Dionysos ^). Sie
bezeichneten die Schönheit der Natur im Frühling. Man verehrte
daher in Attika einen blumenreichen {aviSsioq) Dionysos Er hatte
in Theben den Beinamen Auflöser (Xvoiog)^), als der den Schooss
der Erde auftbut; womit sein anderes Beiwort Ivalog verwandt ist,
zugleich mit Rücksicht auf die Sorgen lösende Kraft des Weines®) und
auf den freien ausgelassenen Charakter seiner Feste. Diese Begriffe
scheint der Lateiner in seinem Liber zu vereinigen. Zu Trözen hatte
Dionysos als der Heilbringende {oaMzrjq) einen Tempel ^). Die
Hyaden, welche die Stirne des Stieres im Thierkreise bilden®),
werden daher in ein enges Verhältniss zu Dionysos gebracht. Sie,
bei deren Aufgang im Frühjahr milder Regen herabzuträufeln pflegt 9),
sollen ihn gross gezogen und die Menschen den Gebrauch des
Weines gelehrt haben ‘9- Wie der Stier der Eröffner des Jahres
ist, so ist auch Dionysos der Führer der Sterne {xoQaybq aarg(üv) *2),
Diodor. I, 9.
2) Suidas V. ravgog u. Diomedes de amphibol. L. II.
Herodorus bei Schob Pindar. Ol. V, 10. Paus. V, 14.
‘*) Paus. I, 31.
Paus. Corinlh ,7,6. Er wurde auch xäXiq von xa\^ genannt
nach Eustath. ad Od. III p. 132.
®) Als Sorgenloser hat Dionysos auf Bildwerken öfter die Rechte
über dem Haupte; so im Museum v. S. Marco zu Venedig, wo er die
Linke auf einen Satyr lehnt.
2) Paus. Corinth. 31, 8. ®) Manil. Astronom. I, v. 371.
Servius ad Virgil. Georg. 1 p. 71.
'®) Apollodor. III, 4. Hygin. fab. 182 p. 301.
si) Schob in Horn. 11. XVIII, 486.
’2) Sophocl. Antig. 1118,
237
in so ferne man mit jenem Sternbild die andern alle zu zählen
außng.
Die Verbindung des Dionysos mit Apollon erhellet schon aus
dem Bisherigen; sie wird aber auch ausdrücklich hervorgehoben.
Dionysos ist sowohl mit Epheu als Lorbeer bedeckt *); er ist der
goldgelockte , und hat wallendes Haupthaar 3) ; er ist sogar Musen¬
führer (juovcray£ri;g) ^) , und soll die Musen zu Ammen gehabt ha¬
ben 3) — ohne Zweifel mit Rücksicht auf die ihm gewidmete drama¬
tische Kunst. Neben dem Orakel zu Delphi dachten sich die Del-
phier des Dionysos Grab, und am Auferstehungstage desselben
brachten die Priester zugleich im Heiligthum des Apollon ein gehei¬
mes Opfer <>). Der thracische Volksstamm Saträ (Sdrpat) hatte auf
dem höchsten Berge ein Orakel des Dionysos, wo eine Priesterin,
wie in Delphi, wahrsagte, und die Propheten Bessi (Brjoaoi) hiessen^).
Auf einem etruskischen Spiegel 3) finden wir bei der Geburt des
Dionysos auch den Apollon mit dem Lorbeerzweig gegenwärtig. Man
hat so später den Dionysos zum Demiurg gesteigert , und ihm den
Metallspiegel des Hephästos beigelegt , worin er sein Bild beschaute
und dadurch sich zur Schöpfung entäusserte 9). Die Welt wurde
also wie ein Bild des sich spiegelnden GoKes aufgefasst. Daher
kommen in etruskischen Gräbern Metallspiegel vor, die man vormals
für Pateren hielt, um das sich Spiegeln der Seele in einem Leibe
nach der Ordnung der Palingenesie anzudeuten.
Gleichwie aber die schöne Persephone zum namenlosen Jam¬
mer der Mutter in den düstern Hades hinabfällt , so theilt auch der
herrliche Dionysos gleiches Loos und wird schwach, und die Cha¬
riten entweichen von den verödeten Fluren , bis der Gott wieder
verjüngt aufersteht. Dionysos stellte so pantheistisch den ganzen
Naturleib dar, und da diese Fabeln ein und dasselbe bedeutend
streng genommen einander ausschliessen, so bezeugen sie die Ver-
1) Hom. h. XXV, 9. 2) Theog. 947.
3) Find. Islhm. VII, 4. '•) Paus. Attic. 2, 3. Diodor. IV, 5.
3) Athenaeus Epitom. II, 7.
Plut. de Is. c. 55. Vgl. Aristoph. Nub. 599. Paus. Alt. 31 , 2.
Herod. VII, 111. 3) Inghirami Moii. Etr. Ser. II T. 16-
9) Proclus p. 163.
238
mischungsperiode , worin auswärtige Religionseleraenle zusammen¬
getragen wurden und sich neben einander Geltung verschalTlen. Als
Gott in der Schwachheit liatte er den Beinamen Zagreus, welcher
von spätem Schriftstellern ’) mit Dionysos identisch genommen und ge¬
braucht wurde. Allein die Ausleger 2) , die genauer unterschieden, fan¬
den in ihm den unterirdischen {x^övioq) Dionysos , und Aeschylus
setzt den Zagreus dem Hades gleich oder macht aus ihm einen Sohn
des Hades. Wenn wir uns in der Heimath des Gottes bei der semi¬
tischen Sprache Raths erholen, so leiten wir das Wort am füglich-
sten von (klein, gering, verachtet) ab; wobei zu bemerken,
dass das s im entsprechenden arabischen Worte mit einem Punkte
geschrieben, also wie ein sanftes y ausgesprochen wurde. Zagreus
drückt somit den Gegensatz des andern Eigenschaftswortes des Got¬
tes, des Erstaunens würdigen (Thammus, s. oben), aus; Thammus
und Zagreus verhalten sich zu einander wie Hermes zu Hades oder
Hephästos zu Ares nach unsrer obigen Ausführung. Von Zagreus
müssen wir den Ausspruch des Heraklitus '») verstehen, Flades und
Dionysos sey einer und derselbe; wie wir denn auch gefunden haben,
dass ihren Namen Aidoneus und Dionysos derselbe Laut Adon (Herr)
zu Grunde liege. Demnach käme Dionysos in dreierlei Lebensstufen
zum Vorschein und wäre derselbe Gott in drei Verhältnissen: ein¬
mal als Säugling unter dem Namen Jacchos, wo die Sonne vom
Steinbock an aufwärts steigt, sodann in seiner Manneskraft als besa¬
mender Stier vom Frühling an und endlich als Zagreus d. i. die Na¬
tur im Spätherbst, wo ihre Kraft erstirbt und unfreundliche Stürme
hausen. So ist er der Jahresgott, würdig von den Horen bekränzt
zu werden.
Von seiner Höllenfahrt und Wiedergeburt dichtete man eine ei¬
gene Legende. Bald sollten seine zwei Brüder, Korybanten auch
Kabiren genannt, den Dionysos erschlagen und am Fuss des Olym¬
pus begraben, sein Zeugungsglied aber in einer Kiste verwahrt und
1) Z. B. Nonnus V p. 174.
2) Bei Etyniol. M. , Hesych. u. Siiidas v. ZayQsiq.
3) Bei Etym. M. 1. c.
^) Bei Plut. de Is. c. 28 p. 333. Clem. Prolr. p. 30.
239
nach Tyrrhenien getragen haben ') ; diess war die Lehre der Saba-
zien. Bald waren es nach orphischer Theologie die Titanen, welche
ihn ermordeten, in sieben Theile zerstückelten und seine Gliedmas¬
sen in einem Becken dem Apollon (als dem Gott der Weltharmonie)
brachten, welcher sie neben seinen Dreifuss setzte. Dionysos setzte
sich zwar mit seinen Stierhörnern zur Wehre, und hatte zuvor seine
Mörder durch die wunderbarsten Verwandlungen in alle Elemente
und Körper ermüdet. Pallas entriss ihren Händen sein noch schla¬
gendes Herz und brachte es dem Vater Zeus (dem ewigen Erhal¬
ter) 2), Diess war kretensische Fabel, wo man hinzusetzte, dass
Zeus das Bild des Erschlagenen von Gyps nachbildete und das wirk¬
liche Herz an die rechte Stelle des Bildes setzen liess. Anstatt des
Grabmals liess er einen Tempel bauen und machte den Pädagogen
Silenus zum Priester in demselben 3). Sein Grabmal zeigte man in
Delphi neben dem goldenen Apollon als an dem vorgeblichen Mittel¬
punkt der Erde bei dem steinernen Sitz , welcher djLicpaXog hiess
Die Titanen wurden ohne Zweifel aus dem Grunde eingeflochten,
weil man sich in ihnen Kämpfer wider die Götter und zugleich weil
man sie als unterirdische Wesen dachte. Vor seinem Tode geht
Dionysos durch alle Wandlungen hindurch; d. h. die bunten Gestal¬
ten als seine Geschöpfe gehen dem Winter oder Tode vorher. Und
durch die vielen Gebilde wird der Schöpfer in Folge der Emanation
erschöpft und gleichsam zerstückt; obgleich in seiner innersten We¬
senheit durch göttliche Kraft und Weisheit erhalten. Es ist wie wenn
in der Religionslehre der Mongolen der Schöpfer Schagdschamuni
’) Giern. Prolr. p. 15 f.
2) Onoraacrilus bei Paus. VIII, 37, 3, Fragm. Orph. VHI, 46
p. 469 Herrn. Terpander von Lesbos bei Jo. Lydus IV, 38 p. 198.
Gallimacb. u. Eupborion bei Tzelz. Lycopbron. p. 43. Epipban. adv.
haeres. III p. 1092. Nonnus Dion. VI, 174 ff. Hygin. fab. 155: Liber
ex Proserpina, quem Tilanes carpserunt, i. e. wie Muncker Mythographi
latini p. 267 f. auslegt: membratim discerpserunt.
3) Jul. Firmicus de err. prof. rel. VI p. 115.
Euseb. Ghron. P. II p. 125. Plut. de Is. c. 55. Tatian. Ttpdg
"EXXf]v. p. 251 : "Ev rca re/xivsi roh Arjrotdov v.aX^ixaL rtg d/.tcpal6q’ 6
ofxcpaXöq , rdcpoq iorlv diovvaov.
240
spricht: »Ich will euch das immerwährende Sterben zeigen; nichts
währet ewig, und ob ich gleich, der Dreieinige, vollkommen bin,
so bin ich doch dem sichtbaren Leibe nach sterblich geworden« *).
Aus den Blutstropfen des Dionysos sind Granatäpfel entstanden 2),
als reiche Samenbehälter für die Zukunft, so gut als Aphrodite aus
den Hoden des Himmels. Denn die Zerstörung ist der Same einer
neuen Wett. Diess ist die Hauptsache, welche die Legende auf
zweierlei Weise ansdrückte : einmal dass des Dionysos Zeugungs¬
glied in einer Kiste verwahrt worden, d. h. die Zeugungskraft der
Natur schlummert im Winter im Schooss der Erde wie in einer Kiste
verborgen, aber sie ist darum nicht abgestorben , sondern harret nur
der Zeit, da man singet: komm herauf, göttlicher Stier! Das Tra¬
gen der Kiste nach Tyrrhenien ist nur ein geschichtlicher Fingerzeig
von dem Zusammenhang des griechischen und etruskischen Bacchus¬
dienstes. Derselbe Gedanke ist edler zweitens so ausgedrückt, dass
Pallas als die göttliche Weisheit auf die Erhaltung des Lebens und
der Weltordnung bedacht, das schlagende Herz des Dionysos als
den unsterblichen Lebenspuls der Natur gerettet hat. Aus dem ge¬
storbenen aber doch nicht ganz ertödteten Gott wird der neue ge¬
boren, und das war eben der Knabe Jacchos. Bald hiess es, Rhea 3)
oder Demeter '•) als die allgemeine Naturkraft habe seine zerstückel¬
ten Glieder wieder zusammengesetzt, wie in Aegypten Isis mit dem
zerstückten Osiris that; bald, Zeus habe das zerstampfte Herz des
Zagreus der Semele als einen Liebestrank eingegeben, wodurch sie
Mutter des Dionysos geworden *). Genug, es ist immer dieselbe
Natur, die zum neuen Leben erwacht, in dem zerstörten Naturleibe
bleibt das Herz inwendig unversehrt , und damit ist unter dem Auf¬
sehen der göttlichen Allweisheit die Möglichkeit zur Wiederbelebung
unter dem Tanze der Horen gegeben, wann die Hyaden einen war¬
men Mairegen senden.
Wie in der Geschichte des Gottes, so war auch in seinen Festen
ein Wechsel von Klage und ausgelassener Freude. Die Weiber
*) Basler Missionsmagazin 1823. 2tes Heft S. 312.
2) Clem. Al, Cohort. p. 12. Euseb. Praep. Ev. II, 3 p. 65,
3) Cornut. N. D. c. 30. Diodor. HI, 61.
3) Hygin. fab. 167 p. 282 Staveren.
24!
heulten und klagten über den Raub der Persephone und den Tod
des Dionysos '). Nachdem der Gottesdienst beider verbunden wor¬
den, so sah man in ihrer beiderseitigen Leidensgeschichte das Schick¬
sal der winterlichen Natur. Das Ausschweifende sowohl in dem Ju¬
bel als in der Trauer war ein Rasen (^/j-aivsaßai). Von der letztem
Art seiner Festfeier hat er, wie es scheint, den von den Lateinern
festgelialtenen Namen Bdxxog , auch ßdy./jog ßdxxsiog dsoTto-
xrjg^ d ßdxx^iog Jiövvoog , von nsa, weinen. Hesychius (I p. 682
Alberti) erklärt daher ßdxxog aus dem Phönicischen durch Weh¬
klagen.
Sehen wir uns in den Ländern, woher der Dionysosdienst ent¬
lehnt worden war, nach seinen Vorbildern um, damit wir Verglei¬
chungen anstellen können; so wusste man in Phönicien von dem
Tode des Adon^), des Geliebten der Aschtoreth , und in Aegypten
von dem Tode des Osiris. Dort war das Sinnbild der zerstören¬
den Macht’ das wilde Schwein, dessen Zahn den schönen Adon töd-
tete. Seine Verehrer feierten sein Todten- und Freudenfest, jenes
mit Klageliedern unter Begleitung von Flöten, mit Ausstellung sei¬
nes Bildes auf einer Bahre und mit einer förmlichen Bestattung des¬
selben , dieses mit ungemessenem Jubel und mit Hervortreibung von
schnell aufgehenden Sämereien in Töpfen, als Lattich und derglei¬
chen , innerhalb acht Tagen , was man die Adonisgärlen nannte.
Auch die Einwohner von Brasiä in Lakonieu nannten ein Feld den
Garten des Dionysos '). Etwas Aehnliches fanden wir oben in der
Verehrung des unterirdischen Hermes zu Athen und in dem Dienst
der Rhea. Wenn die Adonien, in Griechenland als Dionysosdienst
eingeführt, sich eigenfhümlich gestalteten, so wurden sie in der Folge
auch unverändert in Athen aufgenommen und gefeiert.
Osiris in Aegypten ward ein Opfer seines Bruders Typhon,
so wie Dionysos von seinen zwei Brüdern erschlagen wurde. Typhon
verschwor sich mit der äthiopischen Königin Aso gegen das Leben
des Gottes. Osiris wurde zugleich als der Segensslrom Nil aufgefassf,
*) Dionys. Hai. Ant. II, 67.
2) Hom. h. XVIII , 46 Vgl. Küster zu Arisloph. Thesmophor.
und Wesseling zu Diodor I, 18 p. 21.
’) Creuzer Symbol. II S. 177. '•) Pausan. Lacon. 24, 3.
16
242
von welchem die Fruchtbarkeit der jigyptisclien Natur abhing. In
Aethiopicn aber wird der Fluss nach der Ueberschwernniung zurück¬
gehalten. In einen Kasten schliesst ihn der grausame Typhon nach
Art der ägyptischen Mumien und sendet ihn dem Meere zu am sie¬
benzehnten des Monats Athyr, den 13. November, wann die Sonne
im Scorpion ist und dieser mit seinem giftigen Stich das reiche Ge¬
wand der Natur besudelt’, und wann in Aegypten der Nil ins Meer
abfliesst. Der Götterwächter Anubis mit dem Hundskopf lialf der
wehklagenden Isis den heiligen Leichnam in der Stadt Byblos, wo¬
hin ihn das Meer getrieben, auffinden; gleichwie die hundsköpfige
Hekate der suchenden Demeter nach dem homerischen Hymnus be-
hülflich gewesen ist, und wie Pan der grossen Göttin vielgestaltiger
Hund hiess ^). Typhon zerschneidet den Leichnam in vierzehn oder
nach Andern 2) in sechs und zwanzig Stücke, und das Männliche wird
von den Fischen des Meeres gefressen. Diess ist eine Anspielung
auf das Sternbild der Fische als das letzte vor Erscheinung des
Frühlings, um den ganzen Zeitraum zu beschreiben, da die Zeu-
guDgskraft der Natur erstorben ist. Isis setzt die übrigen dreizehn
Stücke zusammen, ergänzt den fehlenden Theil durch einen Phallus
von Holz, und bestattete hierauf den Leichnam in Ehren. So hör¬
ten wir, dass Demeter den zerstückelten Dionysos zusammengesetzt
habe. Und wie Pallas sein Herz rettete, so befand sich unter an¬
dern Grabstätten des Osiris sein Grab auch zu Sais an der Mauer
des Tempels der Neith (Athene), wo die Saiter nächtliche Myste¬
rien feierten und die Leiden des Gottes autführfen 3). Horus d. h.
die vom Widder an aufwärts steigende Sonne ist Rächer des Vaters
und nimmt den Typhon gefangen: so war auch Helios der Demeter
zu Diensten, die verlorne Tochter wieder zu finden nach dem ho¬
merischen Hymnus. Typhon aber will den Horus verdächtigen und
bezüchtigt ihn der unächten Abkunft. Denn die Sonne senget in
Aegypten vor der Nilfluth und Gluthwinde dörren das Land aus;
erst um die Sonnenwende tritt der Fluss aus den Ufern. Horus aber
’) Pindar. bei Aristot. Rhetor. II , 24. Fragm. p, 29.
2) Euseb. Praep. Ev. 1 , 1 p. 46.
^ Herod, II, 170 f.
243
lierrscht in siegender Krall, und nun wird Harpokrales der l.ahnie
d. i. die wieder abnelimendc Sonne geboren ').
C. Wie verhalt sich der Mensch zu Gott?
48.
1) Im .4 II gern ei neu.
Wenn in Ansehung der Entstehung des Menschen David
Psalm 22, 10 bekennt: »Du hast mich aus Mutterlcibe gezogen'*; so
erzeuget nach analogen heidnischen Begriffen Zeus als Menschen¬
vater (der den Beinamen ysvBdlioq hattet) ) mit Here die Ilithyia
(^EiXsißvia) ^ die Geburtshelferin, welche alle Menschen ans Tages¬
licht fördert 3), ohne die wir weder Tag noch Nacht sehen, noch
ihre Schwester, die glänzende Hebe, überkommen*^). Mit ihr be¬
ginnt der Lebensfaden; wesswegen sie auch als Spinnerin dargestellt
wurde (Paus. VIII, 21). Ihren Name^leitet Clericus am besten
' aus dem hebräischen (gebären machen) ab. Die Araber ver¬
ehrten nach derselben Wurzel die Alitta und die Babylonier die
Mylitla (ni^:«) als Geburtshelferin. Homer (II. XI, 270) kennt meh¬
rere Ilitbyien als Töchter der Here, welche den einschneidenden
Pfeil bitterer Wehen senden. Solche wurden zu Megara verehrt 5).
Oien Lycius im Hymnus auf Ilylhyia macht sie zur Mutter des
Eros 6), d. i. die Geschlechlsliebe entspringt aus der Zeugungsgöttin.
Die römischen Gebährerinnen riefen die Juno Lucina an und legten
der Mutter bei , was die allen Griechen ihrer Tochter. Daher galt
Here als Beschützerin der Ehe, die eine Salzung des Zeus und der
^) Plut. de Is. c. 12 f. p. 459 Wyltenb. Diodor. I, 2l,
2) Aristot. de mundo VII, 5 p. 313 Kapp.
’) Theog. 922. '*) Pindar. Nem. vn, 3.
’) Paus. I, 44. ö) Paus. II, 13. VIII, 21. IX, 27.
244
Here nXsia war *). Ilir pflegte man in Gemeinschaft mit Aphrodite
und den Chariten vor der Hochzeit ein Opfer {ya^rfkia ßvoia) dar¬
zubringen 2). Monogamie war griechische Sitte, das Gegenlheil hielt
man für barbarisch 3),
Wenn Ilithyia der kreisenden Leto zu Hülfe kam'^), so verehr¬
ten die späteren Griechen in Artemis, der Leto Tochter, als der
Moudsgöttin die Beschützerin der Gebührenden *) ; woher ihre Bei-
ntamen Aox/a^), cwAoxo? und als die ans Tageslicht führende
cpcoaq^ÖQoq , Lucifera **), weil nach neunmaligem und bisweilen sieben¬
maligem Umlauf des Mondes die Geburt zu erfolgen pflegt, wie Ci¬
cero a. a. O. selbst sagt. Ihr Zwillingsbruder steht der aufwachsen¬
den Jugend vor 3). »Auf dich bin ich geworfen aus Multerschooss“,
heisst es Psalm 22, 11. »Alle Menschen bedürfen der Götter«, sagt
Homer (Od. HI, 48). Unser Wachslbum und Gedeihen steht unter
ihrer Aufsicht. Der Kinder ernährenden Erde (^ovQorQÖcpoq') weihte
Erichthonius auf der Burg zu Athen ein Heiligthum ‘O), und nachmals
wurde Demeter ycovQotQÖcpoq genannt und verehrt '*)• Here von Sa¬
mos *2) und Apollon *3) hatten den gleichen Beinamen. Zu Tegea ^
weihte man der Athene aksa (die von der Stadt Alea in Arkadien
den Namen hatte) ein Kind bis zu den Jahren der Mannbarkeit zum
Tempeldienste..
Platon (Phaedr. p. 246) sieht die Ursache der Entstehung des
Menschen als eines Sinnenwesens in dem Abfall und Herabneigen
seiner präexistirenden Seele; diese sey unerzeugt, weil sie dem Na¬
türlichen und Leiblichen erst Bewegung ertheile, also unabhängig
von diesem da seyn müsse (p. 245). Er setzt neunerlei Lebens¬
stufen, welche die sinkende Seele einnehme: auf der vornehmsten
*) Aeschyl. Eiim. 209. Suidas v. rsktia.
2) Etymolog. M. s. v.
'^) Eurip. Andrem. 173 ff. 891. Hoin. h. in Apoll, 115.
■’) Schon bei Aeschyl. Suppl. 679 f. hat Artemis dieses Amt.
Eurip. Suppl. 959. Jon 452.
~) Eurip. Hippol. 165. cf. Plat, Theaetet. p. 149 B.
Cic. N. D. 11, 27 das. Davies. 9) Aeschyl. Suppl. 689 f.
Meurs. de Reg. Ath. 11, 1. <i) Herod. vit. Horn. 30.
•2) Hom. Epigr. XII. *3) Eustath. in llom. 11. ß'.
245
slelil der Freund der Weisheit oder Schönheit, oder der Musen und
der Liebe, auf der zweiten der König, der nach Gesetzen regiert
oder Krieg führt, auf der dritten der Staats- Haus- oder Handels¬
mann, auf der vierten ein Turner oder Arzt, die fünfte ist das prie-
sterliche Leben, die sechste das Leben eines Dichters, in so ferner
ausübend ist und nicht in der Theorie nach der ersten Stufe, zum
siebenten kommt der Land - und Handwerksmann , zum achten das
Gewerbe der Lehrer (Sophisten) und Volksredner, und zum neun¬
ten ein Tyrann *). Oben an steht die Contemplation , sodann folgt das
Herrschen, bernaci» in immer grösserem Abfall das praktische Leben.
Platon macht einen wesentlichen Unterschied zwischen Mensch und
Thier; wiewohl eine Menschenseele in der Wanderung auch in einen
Thierleib bis auf eine gewisse Zeit eingekerkert werden kann, allein
das unterscheidende Merkmal ist , dass der Mensch Begriffe bilden,
aus vielen Wahrnehmungen mit dem Verstand eine Einheit finden
und sie auf die Gattung beziehen kann 2), Orpheus 2) lehrte schon,
dass die Seele im Körper als einem Kerker Strafe leide. Die Seele
wird bald dem bald jenem Körper vorgesetzt und wechselt mancher¬
lei Gestalten Je nach ihrer Würdigkeit wegen ihrer selbst oder we¬
gen des Umgangs mit andern Seelen. Gott weist ihr die jedesmalige
Stelle an , sie selbst aber verursacht die gerechte Fügung ^).
Ein Ausfluss der platonischen Lehre von der Präexistenz der
Seele scheint die spätere Fabel von Eros und Psyche zu seyn,
welche das Herabsinken der Seelen ins Fleisch vermittelst des ero¬
tischen Gelüstens bedeutet, und somit eine fabelhafte philosophische
Erklärung von der Entstehung des Menschen ist. Plotinus und
') Plat. Phaedr. p. 248 ü.
2) Plat. Phaedr. p. 249 ß.
•>) ßei Plat. Cratyl. p. 400 C. ') Plat. Lgg. X p. 903 D.
Plotin. Enn. VI L. IX c. 9 p. 7G8 sagt, Eros und Psyche in
Fabeln und Gemälden hedeule den s^cog avficpvtog Trjg -ipvyj^g’ insl yä(j
exsQov ßeoi) Ev.£ivrj , ekeIvov de, igä avzov dvdiyxT^g , v.uX ovoa
iy.£l xbv ovgdviop lsgeoxa £y£i-£ga ovv y.axä (piiaiv %xovaa d£ov,
£V(»drjvai d£lovoa. Platon , welcher in seinem Gaslmahl von der himm¬
lischen Liebe der Seele ausführlich handelt , weiss nichts von jenem
neuplatonischen Eros tind Psyche.
240
nach ihm die neuern Mylhologen *) finden zwar darin eine der Seele
eingehornc GoUesliebe und ein Bestreben, in Gottes Gemeinschaft
zu treten. Allein sowohl die Fabel, wie sie bei Apulejus (Melam.
!V% 83) sich findet, als die auf uns gekommenen Bildwerke stehen
mit jener Ausdeutung in offenbarem Widerspruch. Denn die vom
Pfeil des Eros verwundete Psyche müsste, wenn sie so eine Sehn¬
sucht nach dem Himmlischen gewänne, dadurch in einen glücklichem
Zustand versetzt werden; dagegen muss sie nach der Fabel als irre
Pilgerin umher schweifen und endlich in den Hades hinabsinken.
Eros wischt ilir zwar den Todesschlaf von den Augen und verbindet
sich mit ihr; wodurch aber nur der Kreislauf der nach dem Tode
zur Unsterblichkeit gelangenden und durch Eros Kuss wieder in die
Sinnenwelt einlretenden Seelen augezeigl wird. Auch auf Bildwer¬
ken ist die Umartnung des Eros und der Seele mit Schmetterlings-
flügeln eine wollüstige ; dabei ist der Dionysosspiegel als Sinnbild
der Sinnenwelt angebracht -). Auf dem Sarkophage Panfili (s. un-
sern §. 58) 'bedeuten die sich küssenden Eros und Psyche gleichfalls
nichts anderes als die Fortpflanzung des Menschengeschlechts; wäh¬
rend die nach dem Tode enteilende Psyche auf diesem Bildwerke
nicht den Eros, sondern den Hermes zum Führer hat; so dass man
über die Bedeutung des Eros nicht im Unklaren seyn sollte. Noch
deutlicher wird der Sinn auf einem allen Spiegel^) , wo anstatt des
Eros der mit Tulpen bekränzte lüsterne Satyr, welcher die Pfeile
des Eros hat , die Psyche umarmt. Auf einem marmornen Misch-
gefäss ^) hält Eros von tiefem Schmerz ergriffen die Psyche in Ge¬
stalt eines Schmetterlings; die Ursache seiner Belrübniss ist, weil
sie dem sinnlichen Leben entfliegt, was durch eine halb umgestürzte
Fackel als dem Bilde des Todes unter dem Schmetterling angedeutet
ist. Dem Eros abgewendet reicht Nemesis dem Schmetterling eine
Blume und scheint den Tod des Vergänglichen zu rechtfertigen.
Dem Eros aber ist die tröstende Hoffnung zugekehrl, sie macht ihm
durch die angebotene Frühlingsblume, die Tulpe, Hoffnung zur
1) S. Cieuzer IV S. 161. 176.
2) Inghirami Mon. Etr. Ser. VI T. N. ii. 4. 6.
j) Inghirami Ser. II T. 17.
') Creuzcrs Bilderbuch z. Mythol. T. 37 ii 3.
247
Wiedervermähiung mit der eulschwiudeuden Seele auf dem Wege
der Palingenesie. Zoiiga u. A. haben diese auch sonst vorkoraniende
Vorstellung dahin gedeutet, als würde Eros die Seele wider Willen
über der brennenden Fackel läutern. Allein die dabei stehende
Gruppe auf dem Krater steht im schönsten Einklang mit unsrer obi¬
gen Erklärung. Aphrodite nemlich lehnt sich verwundet und von
einer Nymphe gesalbt, an Adonis Grab. Hier haben wir ein ähn¬
liches Bild anstatt der Nemesis, der umgestürzten Lebensfackel und
der als ätherischer Schmetterling enteilenden Psyche. Eben so sehen
wir die Allegorie der Hoffnung in einem Satyr versinnlicht, welcher
mit aufgehobener Rechten auf ein Priapusbild d. i. auf die ünver-
gänglichkeit des Naturlebens ungeachtet des gestorbenen Adonis und
der verwundeten Aphrodite hinweist. Zoega dagegen sah in der
Geberde des Satyr ein Ausspotten der leidenden Göttin. Auf einer
Kamee ’) führt der Seelenführer Hermes die Psyche zu dem gefessel¬
ten Eros , und beide Geliebte sind in freundlicher Bewegung gegen
einander. Schon sprosst hinter der Seele eine Pflanze, das Geboren¬
werden und Wachsen anzudeuten.
§. 49.
Fortsetzung. Die Patriarchen.
Den Erzvätern zollte man als den Anfängern und Gründern
*
eines Volksstammes göttliche V^erehrung; wie sich Jehova im alten
Testamente den Gott Abrahams , Isaaks und Jakobs nennt. Der Ja-
petide Prometheus, Grossvater des Hellen, war den alten Grie¬
chen Urheber der Menschen (^avd^<jjno7ioi6q) das weibliche Ge¬
schlecht bildete als das schlechtere nach griechischen Begriffen
und Erziehung eine eigene Seitenlinie und stammte von Pandora,
der Gattin des Epimetheus, ab ^).
') Creuzers Bilderbuch T. 50 n. 3.
2) Völckei die Mylbolog. des Japelischen Geschl S. 315 11. Ta-
tiaii. 7tQ. "EXl-rjV. n. 10 p. 252. Nach Orpheus hymii, 37 (36) stammen
von den Titanen das ganze Menschengeschlecht , die Wasser - Landthierc
und Vögel ab. Theog. 590.
248
Die Palriarcheu eines jeden Volkes waren die Kabiren d. i.
die Starken, Je nach den üertlichkeilen an Namen und Zahl ver¬
schieden, und wurden als vergötterte Menschen mit den eigentlichen
grossen Zeugungsgöllern in V'^erbindung gebracht. In Phönicien
waren es sieben Kabiren, und es wird bestimmt von ihnen ausge-
sagl , dass sie zu allererst die Fabeln des Kronos aufgezeichnet *),
das erste Schiff erfunden 2) , dass ihre Kinder das Meer befahren
habend), dass sie Ackerleute und Fischer gewesen seyen ^). Also
die hauptsächlichsten Beschäftigungen des Lehens nach unterschied¬
lichen Ständen trieben die phönicischen Kabiren als deren Erstlinge
und Häupter, sie waren die ältesten geistlichen Lehrer und Schrei¬
ber, Seefahrer, Fischer und Ackerleute. Auch die Aerzte waren
milbegriffen; denn ausser den sieben Kabiren soll Sydyk als den
achten Esmun (welcher Name selbst der achte bedeutet) erzeugt
haben, und dieser wird mit dem Asklepios der Griechen verglichen*).
So wurde auch in Arkadien Asklepios mit den Kabiren verknüpft:
einmal wurde er, wie der uulerirdische Hermes, für einen Sohn des
Ischys und der Koronis gehalten, und ein andermal für einen Sohn
des Arsippus und der Arsinoe *’). Durch die zweite Abstammung ist
er mit Kastor und Pollux in V^erbindung gebracht ; denn Arsinoe war
eine von den Töchtern des Leucippus ^), aber von dem Liebesver-
hältniss des Kastor und Pollux zu den Leucippiden werden wir un¬
ten sprechen. — Wenn wir weiter hören ^) , dass die Sprösslinge der
phönicischen Dioskuren nach Aegypten gekommen und daselbst
einen Tempel erbaut haben, und wenn wir in diesem Lande gerade
sieben Kasten, in welche die verschiedenen Stände eingelheill wa¬
ren, linden; so wird es wahrscheinlich, dass auch in Aegypten erst¬
lich die Anzahl der Kabiren sich auf sieben belief, und zweitens
') Sancbunialbon bei Fuseb, Piaep. Ev. 1 p. 39.
2) Derselbe das. p. 36. *) Ders. das. p. 37.
*) Ders. das. p. 38 f. ; 6 K^övog — ölöojui Bt^^vtov lLouaiö<jovi y.ul
Kaßeifioiq (so ist statt Kaßiigoig zu scbreiben, da Euseb. auch ander¬
wärts jene Form hat), dygoraig re xar akiavaiv.
*) Damascius ap. Phot. cod. 242. Euseb. Pr. Ev. I, 10.
*>) Cic. N. D. 111, 22. 7) ,| ^ 26, 4.
Sancbuniathoii bei Eus. Pr. Ev. ! p. 39.
249
diese als Stamnihelden der sieben Kasten zu Memphis verehrt wur¬
den; gleichwie die Hebräer in den zwölf Söhnen Jakobs ihre Erz¬
väter hatten. Die ägyptische Genealogie, den Phtha den Kabiren
zum Vater zu geben ^) , stimmt vollkommen mit dieser Ansicht von
ihnen überein; da auch der attische Stammvater und König Erich-
thonius ein Sohn des Hephästos war 2). Die sieben ägyptischen Ka¬
sten , von welchen wir vielleicht auf ähnliche in Phönicien zurück-
schliessen dürfen, waren folgende: der Priester- der Krieger- der
Bauern 3)- der Hirten- der Handelsstand, die Sprecher ausländi¬
scher Sprachen und die Schiffer^). Es ist nicht nöthig, sich unter
den Kabiren von Memphis bestimmte Menschen zu denken, da
die Apotheose, der Heroendienst den Aegyptern fremd war, und sie
ausdrücklich leugneten , dass ein Mensch von einem Gott abslamme ^).
Als menschliche Urväter werden die Kabiren in Böolien be¬
zeichnet. Unweit Theben sollen die Kabiren einmal gewohnt und
einen der Kabiräer Namens Prometheus und dessen Sohn Aet-
näus soll Demeter die kabirische Weihe gelehrt haben ^). Kad-
mus kam über Samothrace nach Böotien, soll sich dort in die Ka-
birenweihe haben einweihen lassen und daselbst die Harmonia ge¬
sehen habend). Nachmals scheinen Zethus und Amphion die
Ehre mit den böotischen Kabiren getheilt zu haben ; denn sie wer¬
den als Söhne des Zeus und der Antiope, einer Tochter des böoti-
') Herod. III , 37.
~) Homer II. II, 547 nennt ausdrücklich die Athener des Erech-
theus (einerlei mit Erichthonius, vgl. Euseb. Chron. P. II p. 109) Volk,
und daher Aeschylus Eumen. 13 eben dieselben Kinder des Hephästos.
In dieser Beziehung wird Erichthonius auch der erste Mensch genannt,
Schol. ms. ad Aristid. Panatheu. p. 102.
•^) Die ßovxöXoi müssen wir im Gegensatz mit den ovßiörai so
allgemein fassen , dass Stiere weiden und den Acker bauen unzertrenn¬
lich zusammengedacht wurde, weil sonst in dem Lande des Ackerbaus
der Stand der Ackerleute fehlen würde, und weit auch Triptolemus,
der doch den Getreidebau von Demeter selbst lernte, als be¬
zeichnet wurde, Giern. Prolr. p. 17.
*) Herod. II, 104. Herod. H , 143.
•’) Paus. IX, 2.5, f}. Schol. Eurip. Pliocn. 7.
250
scheu Flusses Asopus, Dioskuren genannM). — In Asien finden
sich Spuren von uralten Einwohnern, die mit diesem Namen belegt
wurden; daher eine Stadl in Kleiuasieu Namens Kabiria 2), in Phry-
gien ein Berg Kabira 3),
Wer in Samolhrace neben und unter den grossen Göttern
die menschlichen Kabiren waren, wird uns zwar nicht bestimmt be¬
richtet. Allein die ältesten Häupter des Priesterstandes werden in
Samolhrace ausdrücklich unter dem Namen der Kabiren hervorgeho¬
ben; die Korybanten uemlich wurden mit den Kabiren für einer¬
lei gehalten^), und neun Korybanten sollen sich in Samolhrace nie¬
dergelassen haben, Söhne des Apollon und der Rhylia^), oder der
Thalia , oder nach Andern des Zeus und der Kalliope ^). Die
Karkiner sind allem Anschein nach dieselben, Ilauplschülller,
wovon diese Gattung Priester den Namen hatte (von xct^a und xi-
p£ip). Das Haupt zu schütteln, that ihnen aber sowohl ihrer WaCfen-
läuze als ihrer schlaflosen Nächte wegen bei der mystischen Feier
Noth ®). In Lemnos wurden die Karkiner als Götter verehrt 9). -
ln der Urgeschichte von Samothrace ragen zwei Männer hervor:
Etymol. M. u, llesych. s. v.
9) Stephan B. v. KaßeiQia, TtoXcg xrjq xdita ^Aaiaq, r>)v
Kaßei(jioi coxovp. Suidas kennt eine Stadt Kaßeigoiv und die Kabiren
als einen Volksslamm.
3) Strabo XII. Plutarch. Lucullo p. 500. Athenion bei Schob
Apollon. 1, 917 (vgl. mit dem aus einer Pariser lldschr. von Brunck
herausgegebeneu p. 7*2) wollte sogar, dass die Kabiren von jenem
Berge rä KdßecQa ihren Namen batten.
'*) Orph. h. 37. Giern. Protr. p, 15. Strabo X, 3, 19. Eustatb. in
Dionys. Per. n. 77.
5) Pherecydes bei Strabo X, 3, 21 p. 472. Daher singt Diony¬
sius Perieg. V. 524: &Qrj'ixirj re Sdjuoq, KoQvßdvrcov darv.
Apollodor. I, 3, 4. Tzetz. ad Lycophr. v. 78.
7) Strabo X, 3, 19. Orph. h. 37.
Nonnus XIII, 400 nennt die samotbracischen Korybanten äxoi-
/.ii’TOvq.
9) Hesych. v. KdßeiQor KaQxlvoi, Ildvv dk ri/juaviai oviot iv
coq riioi. Aiyovrai de stvai ’Hcpaiorov natSeq.
251
Eelion und Dardauus, jener auch Jasion, dieser Polyarches
genannt '), Söline des Zeus. Diese mochten die einheimischen
Dioskuren seyn und sich zu Demeter , Persephone und Hermes wie
der Menscli zu Gott verhalten. Der Name des Jasion scheint von
dem gleichnamigen kretensischen Fürsten, mit welchem Demeter
den Plutos (Reichthum) erzeugte 2), entlehnt zu seyn; denn auch
der samothracische Jasus (so wird er gleichfalls genannt, wie der
kreteusische des Hesiod Jasius) soll die Demeter haben beschlafen
wollen und vom Blitz aul Samothrace getroffen , gestorben seyn 3).
Nicht allein die neuere Genealogie, wornach Persephone, Hermes
und Jasion von Zeus abstaramen , sondern auch die ältere finden wir
auf den Jasion angewendet, woraus seine enge Verbindung mit den
grossen samothracischen Gottheiten noch klarer wird. Denn er wurde
für einen Sohn des Kr a tos, somit für einen Bruder des unterirdi¬
schen Hermes ausgegeben, und von ihm behauptet, dass er nach
der Fluth zuerst das Säen erfunden habe '^). Athenio, der ein Lust¬
spiel, die Samolhraker, geschrieben hat“), nennt den Dardanus und
Jasion, Söhne des Zeus und der Elektra, geradezu Kabireu'’), ein
Name, welcher die grossen Götter und die Patriarchen zugleich um¬
fasste. Andere setzten die menschlichen Kabiren in ein anderes ge¬
nealogisches Verhältniss zu Hermes und Perseplione : nach Akusilaos
von Argos ^) war Kadmilos der Vater der drei Kabiren. Hermes
und die Okeanine Daira (diess ist aber auch der mystische Name
der Persephone) sollen den Heros Eleusis erzeugt haben ä). Eleu-
sinius , von dem die Stadt Eleusis den Namen hat, heisst der Sohn
des Hermes^). Persephone war, jedoch mit Zeus, die Mutter der
Kabiren von Athen "J).
War das Leben einfacher als in Phönicien und Aegypten, da
') llellanicus Troica L. 1 bei Schot. ^Vpollon. I, 1)16. vgl. mit
Schot, e cod. Paris, p. 72.
•) Theog. 969. ">j Dionys. Hat. I, 61.
*) Schot. Palatin, ad Od. V, 125 in Creuzei. Metetciu. 1 p. 52.
’) Athen. XIV p. 661 A.
Hei Schol. Apollon. 1, 9)3.
') Bei Strabo X , 3. *) Paus. I, 38, 7.
llarpocration u. Suidas s. v. Cic. N. D. III, 21.
war auch die Zahl der Patriarchen kleiner. In Athen waren es
zwei nebst einem Gott; dieser Gott aber war anstatt des samothra-
cisch pelasgischen Hermes der ägyptisch phönicische Dionysos als
Zeugungsgott der Menschengeschlechter vermittelst der Erzväter.
Sie hiessen daselbst Anakes^) und ihr Tempel Anakeon (ärd-
xstop); wiewohl man überhaupt Götter und Könige mit diesem Na¬
men zu belegen pflegte. Unter dem Namen der Anakles wurde
ihnen zu Amphissa in Lokri eine Feier (reAsr?/) veranstaltet, und
man legte sie bald für die Dioskuren , bald für die Kureten, bald
für die Kabiren aus^j, und alle drei Auslegungen laufen auf dasselbe
hinaus. Desgleichen verehrte man in und bei Korinth 3) und in Sa-
mothrace die Jtöaxov^oi"'AvaxTeq, und die Priester, welche zu
Theben die Kabireuweihe begingen, hiessen dvaxToxsliarat ^). —
In Absicht auf die Bedeutung dieser Anakes sind zwei Stellen der
Allen bemerkenswerlh. Arislenälus bringt am Hochzeittag seines
Sohnes ein Opfer im Anakeon, und Demosthenes (de corona) drückt
sich von einem Menschen, welcher von Haus aus schlecht ist, also
aus : 7iov7](>öq ovrog dpcodsp ex zov dpaxeiov xal döixog (so viel als
uTcb ^tQoyupcop) ^ ungefähr wie David (Ps. 58, 4) sagt: »Die Gottlosen
sind verkehrt von Geburt aus, die Lügner irren von Mutterleibe an.“
Das Anakeon galt demnach dem Athener für die Brunnstube der
Kinderzeugung. Mil dieser Bedeutung stimmt die Worlableilung von
die wir mit Spauheim (ad Callim. Jov. 79), Kanne und
Schelling (über die samolhr. Golth. S. 95) für die richtige hallen,
zusammen ^). Jene Anakim waren ja die Äboriginer, welche die
') Cic. 1. c. Anaces Alhenis wird in den Ausgaben fälschlich durch
ein Coiiinia getrennt , was schon Davies rügte.
2) Paus. X, 38, 3. 3) Paus II. 36 p. 198,
') Orph. h. 37: KovQtjzeg , Ko^vßapzeg, dvdxzoQeg , epövpatoi re
"Ep Eafiodgdxy dpaxzeg , 6/uoö Zijpvg xo^oi avzoi.
3) Paus, IV, 1 p, 281. Clem. Protr. p, 16 Polter.
Bei Lucian. Syrap. IX p. 66 Bip.
2) Das Verzeichniss der griechischen aus dem Semitischen abge¬
leiteten Wörter im Kadmus von Sickler lässt sich mit diesem, wie mit
vielen andern Wörtern vermehren. Der ursprüngliche Genitiv von
253
Israeliten beim Einfall in Palästina antrafen und daraus verjagten.
Dasselbe Wort ira Arabischen (onkon) bedeutet gleichfalls proceres,
und die deutschen Ahnen mögen wohl aus jenem Urlaut gebildet
seyn. Das abgeleitete (König) hat den Grund seiner Bedeu¬
tung in dem patriarchalischen Ursprung des Fürstenstandes, wo der
Aelteste das Haupt oder der Anführer ist. — Die griechische Ueber-
setzung von jenen Anakes ist TgiroTtatgatq oder Tgirondrogeq, d. i.
dritte Väter, Vorväter, ^goTtarsgsq , wie sie Hesychius (v. TgizoTtd-
Togsq) erklärt. Sie sind einerlei mit jenen Anakes: denn theils die
Bedeutung ihres Namens ist dieselbe, theils ihre Verehrung, indem
uns ausdrücklich berichtet wird, dass die Athener (und zwar sie
allein) bei Hochzeiten zu den Tritopatres für Kindersegen beteten
und ihnen opferten , und dass man sie für die Vorsteher der Zeu¬
gung hielt 2), welche Bedeutung, wie wir vorhin ersehen haben,
gerade auch den Anakes zukam; theils wurden beiden die gleichen
Geschäfte beigelegt, denn sowohl die Tritopatres galten für Wäch¬
ter der Winde oder für Winde selbst^), als auch die Dioskuren
hiessen ewige Lüfte (^xvoval dsvaoi) ^). Diese Einerleiheit ergibt
sich auch aus Cicero N. D. HI, 21 nach der Verbesserung des
Hemsterhuis ®).
Wollen wir die Namen der attischen Anakes oder Tritopato-
res, welche aus der kritisch verdächtigen Stelle des Cicero nicht ge¬
radezu entnommen werden können, ausfindig machen, so haben wir
ccpa^ ist dvaxoq , wie sich noch in dem Nebenwort dvaxöiq (vorsorgend J
zeigt: Herod. I, 24. Thucyd. VIII , 102.
') Phanodemus L. VI bei Etyra. M. u. Siiidas v. TgizonÜTogeq,
vgl. Demonis et Phanodemi fragm. p. 3. 17.
2) Hesych. 1. c. yevsoscog dgxrjyoi.
3) Orpheus bei Suidas I. c.
Demon in d. Atthis bei Suidas a. a, 0.
5) Orph. h. 37.
*’) Hemsterh. ad Lucian. Dial. Deor. XXVI, 1 T. II p. 335 Bip.
Die Stelle des Cicero ist: dfioaxogoi etiam apud Graios raultis modis
nominanlur: primi tres , qui appellantur Anaces Athenis , ex Jove rege
antiquissimo et Proserpina nati, Tritopatreus (verbessert Tritopatres,
wie editio Marsi hat), Eubuleus, Dionysus.
254
uns vornehmlich zu den Altvordern von Eleusis, wo die saruo-
thracischen Kabircn Demeter und Persephone verehrt wurden, zu
wenden. Dysaules von Eleusis hatte zwei Söhne, Triptolemus
und Eubuleus*); diese hielt man für Erdgeborne d. i. Urväter,
und fügte ihnen bisweilen den Eumolpus und als das ürweib die
allegorische Baubo bei, über welche wir uns oben erklärt haben 2).
Eumolpus wurde auch weggelassen, weil er von Triptolemus selbst-
abstamraen sollte, da ihn wenigstens Ister zu dem Enkel des Tri¬
ptolemus, zum Sohne seiner Tochter Deiope machte. Triptolemus
war Rinder- Eumolpus Schaf- '’>) und Eubuleus Schweinhirte. Also
der Begriff der ältesten Stände in Attika knüpfte sich an jene Pa¬
triarchen, wie an die Namen Kain und Abel; wie wir diess an den
Kabiren aller Orten gewohnt sind. Triptolemus war der Kain von
Attika; denn der Rinderhirle {ßovy.6koq) pflügte und säete auch mit
seinem Rindergespann; wie wir diess an der Kaste der Rinderhirten
von Aegypten nachgewiesen haben. Wie in der Landschaft des Ce-
krops die allen Stammväter ein Rinder- und ein Schweinhirle wa¬
ren, so traten auch in Aegypten diese beiden Kasten hervor. Tri¬
ptolemus nebst seinem Bruder Eubuleus eignen sich in jedem
') Orpheus bei Paus. I, 14, 2. Wenn Andere (Paus. 1, 14, 2.
II, 14, 2) den Triptolemus zum Sohn des Keleos und zum Neffen des
Dysaules, Andere (Choerilus bei Paus. I, 14, 2 vgl. Pholii Lev. p, 357
Herrn.) zum Sohn des Rharos machten; so scheint jene 'Abstammung
erfunden worden zu seyn , w'eil zu jener Zeit Keleos König zu Eleusis
war, und diese, weil Rharos Grossvater des Triptolemus w'ar (vergl.
Heyne ad Apollodor. p. 27). Nach Homer h. in Cer. 153 ff. waren die
Gewalthaber und Richter zu Eleusis; Keleos, Triptolemos , Diokles,
Polyxenos , Eumolpos und Dolichos. Panyasis (bei Apollod. I, 5, 2)
nennt den Triptolemus Sohn des Eleusis, was leicht zu verstehen ist;
bei Nikander Ther. v. 484 ist er Sohn des Hippothoon, bei Pherecydes
und Musäus (Paus. I, 14, 2) Sohn des Oceans und der Erde.
2) Paus. Attic. p. 13. ,36, Corinth. p. 57. Clemens Protrept. p. 17
und aus ihm Euseb. Praep. Ev. II, 3 p, 66 u. Arnob. V, 25.
Bei Schob Sophocb Oed. Colon.
Plin. II. N. VlI , 57 macht den Eumolpus zum Erhnder des
attischen Weinbaues und der Baumzucht.
Betracht als Stammheiden ins Anakeon als die Alinherreu und
Vorsteher der Ackerleute und Hirten. Der Erstere gründete eine
Stadt in Achaja Namens Aroa, vom Ptlügen benannt *); auf einem
Schlangenwagen (als Heros) lassen ihn die Dichter ausziehen, um
nicht nur in Attika, sondern alle Well den Getreidebau zu lehren 2)
(nirgends verweilend wie Kain). In Athen sah Pausanias sein Bild-
niss nebst einem wie zum Opfer geführten Ochsen. Als einen Adam
machten ihn der sogenannte Musäos und Pherecydes (fragm. p. 96
Sturz) zu einem Sohne des Okeanos und der Erde; was mit seiner
natürlichen .4bstammung nicht im Widerstreit ist. Auch zu Eleusis
hatte er einen Tempel '). — Fassen wir nach diesen Vorbemerkungen
die Stelle des Cicero N. D. HI, 21 von den attischen Anakes ins
Auge, nachdem wir die Verbesserung des Hemsterhuis Tritopatres
anstatt Tritopatreus aufgenommen haben; so passen zwar die zwei
von Cicero namhaft gemachten Eubuleus unil Dionysos sehr gut,
jener als Hirte und dieser als der kabirische Gott, durch dessen
Kraft die menschlicheh Patriarchen den Samen des Volkes für und
für forlpflanzen. Weil aber Cicero selbst sagt, es seyen ihrer drei
gewesen, so ist einer von den Abschreibern ausgelassen worden.
Auf wen dürfen wir anders verfallen als auf den Bruder des Eubu¬
leus, auf den gegenüber stehenden Ackermann Triptolemus ? Um so
mehr als dieser Name wegen des gleichen Anfangs, den das Wort
Tritopatres hat, leicht übersehen wurde und ausfiel ; zumal wenn
die Abschreiber irrig Tritopatres selbst für einen von den drei Ana¬
kes hielten 5). Die Stelle ist demnach also zu verbessern: Trito-
*) Paus. VII, 18, 2.
2) Sophocl. fragra. 538. Sein verloren gegangenes Stück Triplo-
lemos behandelte diesen Gegenstand , s. Preller Demeter u. Persephone
S. 303 ff.
3) Bei Paus. I, 14, 2. Paus. I, 38, 6.
Hemsterhuis erkannte wohl, dass in Tritopatreus zwei Wörter
verborgen liegen , aber er rieth auf Tritopatres , Zagreus , wie auch
Schütz abdrucken liess. Nun ist Zagreus ein bekannter Beiname des
Dionysos, und auch Eubuleus mag man für einen Beinamen desselben
Gottes halten (Plutarch. Symp Q. 7. 9); wie denn Eubuleus ein Bei¬
name noch anderer Götter war (Ilesych, v. EvßovXsvq o TIXovzow, das.
patres, Triplolemus , Eubuleus, Dionysus. Dass Triplolemus einer
von den attisch eleusinischen Kabiren war, geht auch daraus liervor,
dass Demeter ihm ihre Orgien zeigte ^). Mit seinem Verhällniss zu
Dionysos, worin wir den Triptolemus hier an treffen , hat es auch
sonst seine Richtigkeit, wodurch unsere Lesung bestätigt wird. Osi¬
ris d. i. Dionysos soll dem Triptolemus in Attika den Ackerbau an¬
vertraut haben 2), Zu Mesatis, einer Stadt in Achaja , welche Tri¬
ptolemus und Eumelus gründeten, soll nach der Sage der Patrenser
der Gott Dionysos erzogen worden seyn, wo er durch die Nachstel¬
lung der Pane in grosse Gefahr gerathen sey ^). Mit Cicero steht
auch Orpheus (h. XXIX, 8) in Uebereinstimmung, welcher den Eu¬
buleus theils einen brausenden Stürmer (also einen von den Trilo-
patres als Wächter der Winde), theils einen Sohn der Persephone
nennt-
So hat das bildsame attische Volk seine Landesheroen, die pe-
lasgisch samothracischen Gottheiten Demeter und Persephone und
den phönicisch thebanischen Dionysos mit einander verschmolzen,
und dadurch das Fremde auf eigenen Boden verpflanzt. An die Stelle
des pelasgischen Hermes trat hier einerseits der höheren Einheit
zu lieb der Menschenvater Zeus als Urgrund aller Zeugung und
somit als Vater der Kabiren und als Gatte der Persephone, an¬
dererseits Dionysos als der Erzeuger neuen Styls in Gemeinschaft
mit den eleusinischen Patriarchen. Aus diesem Grunde nannte man
den Zeus den altern Kabir und den Dionysos den Jüngern ^). Diess
ist nicht für samothracische, sondern national attische Lehre zu hal¬
ten; wie denn auch zu Athen Zeus der älteste Anax war, von welchem
Ausleger, Nicandri Alexipharm. v. 14 ib. Schneider). Es wäre aber
doch seltsam , wenn der Gott Dionysos mit seinem eigentlichen Namen
und ausserdem mit zwei Beinamen aufgeführt und diese für drei Per¬
sonen gezählt würden. Zudem entspricht das göttliche Wesen des
Dionysos allein nicht dem Begriff der Triptopatres , welche die Aller¬
ersten oder Altvordern gewesen sind. (Philochorus bei Suidas, fragm.
ed. Siebelis p. 11; tovg TQiroitdrQSK; Ttdvzcov yeyovsvai 7tQa>rovq.)
*) Hom. h. in Cer. 474. ’^) Euseb. Praep. Ev, I, 1 p, 46.
3) Pausan. VII , 18 , .8.
Schot. Apollon. I , v. 918. Elymot. M. v. Kaßsipoc.
257
<iie Anakes abslammleo. Denn so sind die Worte Ciceros : ex Jove
rege antiquissimo et Proserpina nali, zu verstehen. Aus demselben
Grunde war Zeus den Athenern ein väterlicher (;rar(»wo?) Gott.
Wie sie aus zwei Volkssläinraen entstanden waren, so standen auch
an der Spitze ihres Stammbaumes zwei verschiedene Götter, und
beide waren naxqMoi^ Zeus als Vater des pelasgischen Stammes, zu¬
nächst der Altvordern Triptolemus und Eubuleus, und der pythische
Apollon als Vater des hellenischen Stammes, zunächst des Jon,
den er nach attischer Fabel mit Kreusa erzeugte. Die Kabiren oder
Anakes wurden nunmehr Dioskoren •) d. i. Zeus Söhne, und diese
Benennung galt für einerlei mit jener, oder wurde im feierlichen
Styl zusammengesetzt. So in einer Inschrift von der Zeit des Augu-
slus, welche wahrscheinlich im attischen Anakeon zu Hause war,
und zum Andenken verfasst wurde , dass Cajus Sohn des Ca jus aus
dem attischen Distrikt Acharnä Priester geworden war der 'grossen
Götter Dioskoren Kabiren [j.£yäXcov JioaY.6g(x>v Kaßsl-
po)»') 2). Wir lernen hieraus die Tempelsprache kennen, anstatt
welcher das attische Volk Anakes und Tritopatres sagte. Man nannte
«ie kürzer auch bloss grosse Götter, wie Eubulus von Marathon,
Sohn des Demetrius, in dem V'^olksbeschluss der Athener auf Delos
im Museum von S. Marco zu Venedig Priester der grossen Götter
heisst (^isgsvi; yevö/uerog rcöfx, juiydXoop dswv) 3). Im attischen Gau
KscpaXtj wurden die sogenannten grossen Götter besonders ver-
dcöaxoQoi ist die attische Schreibart (Arisloph. Pac. v. 28i
Ecclesiaz. v. 1060), w'elcher auch Jo. Lydiis IV, 13 p. I6i folgt, und
Cicero N. D. III, 21 nach den Spuren der Handschriften, die zwischen
Dioscoroe, dioscore, dioscorae (diese Lesart befindet sich auch in der
noch nicht verglichenen marcianischen Ildschr. N. CDXIV), Dioscorte,
Dioscorce, Dioscoridae, discordiae schwanken; wiewohl die Ausgaben
die Form ^töoy.ovgoi geben. Die letztere Form ist die ionische:
Herod. II, 43. Hom. h. XXXIII, 1 und bei den Spätem, als Plutarch
und Pausanias.
2) S. meine Lettera sopra una Inscrizione Greca nel Seminario
Patriarcale di Venezia intorno agli Dei grandi Cabiri. Venezia 1820.
Vgl. Montfaucon Diar. Ital. c. 3 p. 43 , wo irrig xmv statt
XM/ii steht.
17
258
ehrl •). In Trilia , einer Stadt in Achaja, hatten die sogenannten
grössten Götter einen Tempel 2). Die Dioskureu unter dem Namen
der grossen Götter hatten zu Klitorii, einer Stadt in Arkadien, Tem¬
pel uud eherne Bildsäulen 3) , und so wurden auch die samothraci-
schen Gottheiten benannt ^). Hammond fand daher eine entgegen¬
setzende Anspielung auf diese heidnische Benennung in dem pauli-
nischen Ausdruck Tit. 2, 13, wo Jesus Christus grosser Gott und
Heiland (acor^^)) genannt wird 5). Heilande oder Horte waren auch
die grossen Götter der Heiden, wie wir unten sehen werden. — Nun
verstehen wir den Ausdruck des Themistokles yopiyiol der
den Auslegern zu schaffen machte. Er führte nemlich sein Heer
zur Schlacht gegen die Perser aus, dass sie für das Vaterland, die
Göller ihrer Väter und die erzeugenden Heroen kämpfen 6).
Es ist in der Ordnung, die Patriarchen in Verbindung mit den Na¬
tionalgöttern zu setzen; wie auch die Hebräer ihren Gott den Gott
Abrahams, Isaaks und Jakobs nannten. Jedes Land hatte seine be-
sondern dsdl y£vi%'\ioL'^'), z. B. die fhebaner rühmten sich aus der
Aphrodite Blut entsprossen zu seyn®), weil sie für die Mutter der
Harmonia, der Gattin des Kadmos, galt 9).
Wenn uns in der ciceronischen Stelle der Allerzeuger Diony¬
sos in der Zahl der Kabiren aufgeführt wird, so stimmen damit
ähnliche Berichte überein. Zu Tritia in Achaja hat man den gröss¬
ten Göttern (roXq fxeyioxoiq ein jährliches Fest veranstaltet,
wie die Griechen dem Dionysos zu hallen pflegten “^), also wahr-
‘) Paus. I p. 77. 2) Paus. VIl , 22 p. 580.
3) Paus. VIII, 21 p. 639.
Varro de ling. lat. IV p. t7. VI p. 88 Bip. Dionys. Hai. Antiq.
Rom. I, 70.
3) Grosser Gott wird am besten auf Christum bezogen, wie Cle¬
mens von Alex. , Athanasius , Cyrillus und neuerlich Matthäi thun.
Schon die Auslassung des Artikels vor a<axr]Qoq schliesst die beiden
Prädicate eng an einander.
6) Aelian. V. H. II, 28. '<) Aeschyl. 7 vor Theb. 62t.
3) Aeschyl. a. a. O. 129.
9) Vgl. Eurip. Phoeniss. 7.
10) Paus. VII , 22.
259
sclieinlicli mil einem Pliallusaul'zug ‘). An den Schnilzbildern Qöara)
der Dioskuri Anaktes zu Korinth bemerkte Pausanias (!l, 36 p. 198)
eine l)esondere Gestalt; vielleicht mit hermenartigem Gliede. Daher
erscliienen die Argonauten in dem Trauerspiel des Aeschylus, die
Kabiren betitelt, betrunken auf der Bühne. In Phrygien gab man
dem Dionysos Sabazios, welchem zu Ehren die Sabazien als eine
kabirische Bacchusweihe gefeiert wurden, geradezu den Kabirus
zum Vater 2). Wegen dieser verschiedenen Abstammung nannte Ci¬
cero diesen letztgenannten Dionysos den dritten und den Sohn des
Zeus und der Persephone den ersten. Allein da die Kabiren Dios-
kuren, zu welchen Dionysos auch gehörte, Kinder des Zeus und der
Persephone waren, so ist eigentlich Dionysos der Sohn des Kabirus
nicht verschieden von dem Sohne des Zeus und der Persephone, und
in der That geben Andere auch dem Dionysos Sabazios den Zeus
und die Persephone zu Eltern 3). In Verbindung mit den Kabiren
erscheint Dionysos auch in jener mystischen Sage, dass er von sei¬
nen zwei Brüdern Korybanten, auch Kabiren genannt, erschlagen
worden sey Auf etruskischen Denkmälern tritt diese Verbindung
des Dionysos mit den Kabiren hervor, z. B. auf einer etruskischen
Vase steht auf einer Seite Dionysos mit dem Myrtenkranz in der
Beeilten und in der Linken mit einem Stabe mit fünf grünenden En¬
den, auf der andern Seite drei Kabiren mit dem Kabirenhut und an
der Wand ist eine Binde ^). Auf einem etruskischen Spiegel *") steht
Dionysos in der Mitte von Kastor und Pollux.
Ein jedes Land hatte in seinen Stararahelden seine eigenen
1) Herod. II, 48 f.
2) Cic. N. D. III, 23 Cabiro patre nach der Verbesserung des Ja¬
kob Gronovius anstatt Caprio patre, mit Vergleichung des Ampelius
c. 9, wo freilich nur in der ed. princ. das Bichlige, in den spätem
Ausgaben fehlerhaft Cabitus steht. Gutberleth. de Myst. Deor. Cabiror.
c. 2 col. 837, Ernesti u. Heindorf pflichten bei. Dazu kommt nun fer¬
ner Jo. Lyd, de mens. IV, 38 p. 198: TQltoq KaßlQov naiq.
3) Diodor. Bibi. IV p. 212. Jo. Lyd. p 198.
^‘) Clemens Protrept. p. 15 f.
3) Dempster de Etr. reg, T. I. T. XI.
ö) Inghirami Mon. Etr, Ser. II T, 77.
260
Dioskoren Kabiren: in Lakonien waren es Kaslor und Polydeu-
kes (Pollux), in Argos Alkon und M e 1 a m p u s '); wodurch un¬
sere Erklärung von allen Seilen unlerslülzt wird. Die Ellern von
jenen waren Tindareus und Leda, wie Homer (Od. XI, 298)
sie geradezu uennl, der ihre Söhne noch nichl für Göller erachlel,
sondern nur sagl, dass sie Göllern gleich Ehre empfingen, Kaslor
ein Pferdebändiger, Polydeukes im Fauslkampf geübl gewesen sey.
Als vergöllerte Heroen und Kabiren hallen sie Zeus zum Valer, und
hiessen daher sowohl Dioskoren 2) als grosse Göller 2). Sie gelang-
len wahrscheinlich zu dieser Auszeichnung dadurch, dass sie nach
der Argonaulenfahrl den samolhracischen Kabirendiensl in ihre Hei-
malh verpflanzlen und ausbreilelen. Man erzählle sich davon ein
Mährcheu, dass zwei Slerne , als das Schiff der Argonaulen sich in
Slurm und Gefahr befand, und der eingeweihle Orpheus zu den sa¬
molhracischen Gollheilen flehle, als Zeichen der Erhörung auf das
Haupl der Dioskuren fielen, und darauf der Wind sich legle ^).
Genug, nichl allein in ihrem Valerlande gallen die Tyndariden für
grosse Göller und mächlige Kabiren, sondern auch anderwärls bis
nach Haben verbreilele sich ihre Verehrung um so leichler fan¬
den sie, weil man die Namen der eigenllichen Väler oder Anakes
eines jeden Landes geheim biell , zur Anschauung des neugierigen
Volkes Eingang. Indessen darf man desswegen den Begriff der Ka¬
biren nichl auf Kaslor und Pollux oder auf ihr Zeilaller einschrän¬
ken; wie schon einsichlige Gelehrle des Allerlhums bemerklich ge-
machl haben, sondern sie sind nur, wie Sexlus Empiricus (IX, 37)
sagl, in die Ehre der lange zuvor für Göller gehallenen Dioskuren
eiiigelreten *'). Sogar vor dem Hafen von Saraolhrace hallen Kaslor
1) Cic. N. D. III, 21. 2) cic. 1. c.
Die Corcyräer nannten nach Pausanias den Kastor und Pollux
so. Also steht in einer Inschrift bei Gruter, p. 89 n. 9: Castori et
Polluci Djs magnis Sulpitia.
Diodor. IV p. 172 A.
*) Z. B. in Agrigent nach Aristarch zu Pindar Ol. III, 1.
6) So haben die Sicyonier ihren Heroen Adrastus, welcher den
ersten und zweiten Krieg gegen Theben mit machte und hernach mit
2ßl
uud Pollux zwei eherne Slandbilder ^). Allien verehrte neben den
eingebornen Anakes als solche noch die ausländischen Kastor und
Pollux, uud zwar durch Veranlassung des Menest heus, dessel¬
ben, welcher den trojanischen Feldzug mit machte. Die Tyndarideu
Herzeleid starb, anstatt des Dionysos verehrt und dessen Leiden durch
tragische Chöre verherrlicht: Herod. V, 67.
*) Varro IV p. 17: neque quas Samothracia ante portas slatuit
duos virileis species aheneas, Dei magni , neque, ut volgus putat, hi
Somotbraces Dii, qui Castor et Pollux; sed hi mas et femina. Schel-
ling über die Gottheiten v. Samolbr. S. 103 folgert aus den letzten
Worten, weil die saraothr. Gottheiten Mann und Weib seyen, so könn¬
ten es nicht die zwei männlichen Gestalten von Erz seyn. Sicher;
allein daraus folgt noch nicht, dass jene zwei Erzstatuen überhaupt
nicht in Samothrace gestanden seyn können, wie Schelling meint, wel¬
cher die Lesart der römischen Handschrift Ambracia statt Samothracia
vorzieht. Im Gegentheil wenn der Pöbel die samothr. Götter für Kastor
und Pollux hielt, wie Yarro deutlich sagt, so ist es ganz im Zusam¬
menhang, wenn die zwei ehernen Gestalten auf Samothrace standen.
Varro behauptet nur , diess seyen nicht die eigentlichen samothracischen
Gottheiten, nicht die grossen Götter, sondern ein blosses Schauspiel
für das Volk. Servius zu Virgils Aen. III, 12 setzt die richtige Lesung
ausser Zweifel: Varro et alii complures magnos Deos adflrmant simu-
lacbra duo virilia, Castoris et Pollucis , in Samothracia ante portum
sita , quibus naufragio liberati vola solvebant. Freilich vermischt hier
Servius Varro’s und Anderer Meinung , er führt an, was der Pöbel bei
Varro sagt, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, dass Varro selbst der
Meinung ist, Kastor und Pollux am Hafen von Samothrace seyen nicht
die grossen Götter, Samothrace übrigens, wiewohl nach Plin. H. N.
p. 214 importuosissima omnium, hat doch einen Hafen nach Plut. in
Aemilio c. 26 und Liv. XLV , 6: Demetrium est portus in promonto-
rio quodam Samothracae. Choiseul -Goulfier T, II p. 123 hält dafür, im
Norden des Eilandes sey der Hafen gelegen gewesen. Unstreitig war
es bei der Schwierigkeit, auf Samothrace zu landen, geeignet, am
Hafen Gnadenbilder aufzustellen. üeber die Stelle Varro’s haben sich
schon Lipsius ad Tacit. Annal, II und Matthaeus Aegyptius explicatio
S. C. de Bacchanal, in Poleni Thes, I col. 774 verbreitet.
262
uernlich verlialfeu ihm durch Verlreibung der Söhne des Theseus
zur Regierung von Allien. Aus Dankbarkeit benannte sie Mene-
slheus Könige und Reiter v.al ‘). Wahrsclieinlicb
liess er ihre Bildsäulen im Anakeon aufslellen, wodurch sie mit den
vaterländischen Penaten nach und nach vermischt und verwechselt
wurden. Dem unterrichteten Cicero aber verdanken wir die Kennl-
niss der wahren Namen der grossen Göller des Anakeon. Die Ver¬
mählung der Tyndaridcn mit den Leucippiden Hessen die Athener
von Polygnolus malen 2).
Um den Wechsel des Lebens und Sterbens unter den Menschen¬
geschlechtern zu bezeichnen, dichtete schon Homer (Od. XI, 302 ff.),
Kastor und Pplydeukes seyen zwar unter der Erde, aber nicht als
Schallen, sondern bei Leibesleben; abwechselnd seyen sie einen Tag
um den andern lebendig und lodl, solche Auszeichnung empfingen
sie unter der Erde von Zeus. Pindar (Pyth. XI z. Ende u. Nein. X,
103 ff.) schmückte diese Fabel weiter aus: Polydeukes sey eigent¬
lich allein Sohn des Zeus und Kastor des Tyndareus, dieser sey im
Krieg wegen Rindern von des Idas Lanze getroffen, gestorben und
zu Therapua begraben worden, jener hätte vorgezogen, anstatt das ihm
gebührende ewige Leben bei Zeus im Olymp zu geniessen , das Loos
mit seinem Bruder zu theileu, uud daher seyen sie abwechselnd
einen Tag im Grabe zu Therapna und den andern im Olympus. Für
eine falsche Auslegung ist es zu erachten, wenn Servius (zu Virg.
Aeu. II, 601. VI, 121) meint, Kastor sey wegen seiner menschlichen
Abstammung allein sterblich gewesen , oder wenn alle Philosophen
aus jener Erzählung Anlass zu Deuteleien nahmen, als ob die Dios-
kuren die Halbkugel über und die unter der Erde wären 3) , oder
wenn man sie auf Tag und Nacht deutete '•).
In Argos waren die Dioskoren Kabiren Alkon und Melam-
pus, Söhne des Atreus, Enkel des Pelops =). Melampus halle von
1) Plut. in The^eo T. 1 p. 16. Aelian. V. H. IV, 5.
2) Pausan. 1,18.
3) Bei Jo. Lydus 111, 22 p. 118. 164. Sexlus Empirie, adv. Ma-
Ihem. IX p. 157.
Schob Eurip. Oresl. v. 448.
^) Cic. N. D. III, 21: z/fdoxopot .... tertii dicunlur a uoimullis
2G3
seinem Amte, wie es scheint, auch den Namen Eurymedon (der
weithin Herrschende); vielleicht um ihn von Melampus, dem Sohne
des Amythaon, dem Enkel des Krelheus, zu unterscheiden. Denn
Nonnus (Dionys. XIV, 16 ff.) nennt „die beiden Kabiren Alkon und
Eurymedon Götter des Herdes.” So hiess auch Perseus noch Eu¬
rymedon ^). Nonnus gibt ihnen überdiess auf ägyptische Weise die
Genealogie von Hephästos und der thracischen Kahiro^); was
in der Sache keine Abweichung ist. Denn die Verschiedenheiten,
welclie der Gattung der Kabiren zukommen, können auch Einzelnen
von ihnen beigelegt werden. In Lakonien sah Pausanias (HI p. 242)
das ijQwop des Alkon , den man für den Sohn des Hippokaon aus-
AIco et Melampus, Emolus , Atrei Olii , qui Pelope nalus fuit. Die Ver¬
dorbenheit dieser Stelle springt aus zweierlei Ursachen in die Augen:
einmal weil auf das schliessende Bindewort et nicht noch ein Name und
zwar ohne Verbindung folgen kann, sodann weil die Dioskoren d. i. Zeus
Söhne nicht geradezu als Söhne des Atreus bezeichnet werden können.
Die verbessernde Kritik wird sich nicht erlauben dürfen , das Binde¬
wort zu umstellen, weil die Versetzung desselben in den Handschriften
ganz unbegreiflich wäre. Darum verwerfe ich die Aeuderung des Da-
vies, wiewohl sie Beifall gefunden hat: Alco, Melampus et Tmolus.
Sie lässt die Schwierigkeiten zurück, welche eine Aenderung überhaupt
räthlich machen, und hilft da, wo man keiner Hülfe bedarf, indem
sie statt des Emolus einen gleichfalls unbekannten Sohn des Atreus
Namens Tmolus auftisebt. Ich verbessere daher: ab aliis statt Emolus.
So behält et seine rechte Stelle, die Söhne des Zeus werden von An¬
dern für Söhne des Atreus gehalten. Der Zusammenhang stimmt ganz
dafür, indem der Ausdruck a nonnullis dicuntur Dioscori zu verstehen
gibt, dass Andere ihnen diese Ehre abspracheu. Selbst fünf Hand¬
schriften weisen dahin , welche zwischen aviolus , eviolus und oviolus
schwanken (s. Moser ad h. 1. p. 589). Endlich die oben angeführte
Stelle des Nonnus spricht bestimmt nur von einem Bruderpaar als Ka¬
biren: Alkon und Eurymedon, und stimmt somit gegen die eine Drei¬
heit zum Vorschein bringende Vermuthung des Davies.
6) Schob Apollon. IV, 1514.
*) Statt Kaßsl^io ist Kaßec^ui zu lesen, nach der richtigen Be¬
merkung Creuzers zu Cic. N. D. p. 589.
264
gab. Wir köünen über die Einerleiiieit oder Verschiedenheit dieser
Alkone niclU entscheiden.
Die Etrusker nannten diese Gottheiten Consentes und
Complices, sie waren im Ralhe des höchsten Zeus, und es waren
ihrer sechs männliche und sechs weibliche ‘) : also so viele als es
etruskische Stämme oder Hauptstädte gab. Sie waren die Schutz¬
geister des zwölf Slädtebundes und stellten den Verein des ganzen
Volkes dar. Daher sagte man von ihnen, sie entstehen und ver¬
gehen mit einander, sie sind unzertrennlich, sind Consentes, die
Einträchtigen, und Complices, die Verbundenen.
Allenthalben tritt uns die Wahrheit entgegen, dass das Alter¬
thum unter den Kabiren die Patriarchen eines jeden Volkes in Ver¬
bindung mit der höchsten Nationalgottheit verstand; und so ist uns
der bekannte Ausspruch Cicero’s in den tusculanischen Untersuchun¬
gen klar, man lerne in den Mysterien, dass vergötterte Menschen
zu Göttern erhoben worden seyen. Das waren die Stammhäupter,
die ältesten Anakes, Kabiren d. i. die Starken, in so fern theils ihre
Zeugungskraft immer in den Kindern fortlebte, theils weil die ersten
Menschen von ausserordentlicher Stärke gedacht wurden. So nann¬
ten die Perser die Menschen der Vorzeit wie die Grie¬
chen Heroen 2). Artäi aber bedeutet die Grossen^). Sie waren der
Mittelpunkt des V^olkslebens, Daher befand sich der Tempel der
Kabiren in der Mitte der Stadl Anthedon in Böotien , und in der
Nähe ein Hain und Heiligthum der Demeter ^). Das Anakeon von
Athen war innerhalb der eigentlichen Stadl (uotv') 5), neben dem
Tempel der Agraulos, der Tochter des Cekrops, in der Nähe des
Rathhauses (Prytaneum), wo der Hestia das ewige Feuer brannte^).
Als die Erstlinge des Daseyns, als die Lebenskeime eines Vol-
’) Varro bei Arnob. adv. Gent. III, 40: (Renates) hos Consentes
et Complices Etrusci aiunl et nominant, quod unä orianliir et occidant
unä , sex mares et totidem feminas, nominibus ignotis et memorationis
parcissiraae, sed eos summi Jovis consiliarios et principes exislimari.
2) Hellanicus ed. Sturz n. 63 p. 91.
3) Herod. VI, 98. Gesenius hebr. Wörterbuch v. NnsiahniN.
"*) Paus. IX, 22 p. 753. S) Thucyd. VIII, 93.
Meurs. Ath. Atl. 1 , 7.
265
kes waren die Kabiren zu Memphis nebst ihrem Vater Phtha wie
Zwerge gestaltet weichein unförmlicher Fülle Alles in sich ver¬
einigten. Knaben waren und hiessen die Anaktes von Amphissa 2);
nicht über einen Schuh hoch waren die drei ehernen Bilder der Dios-
kuren, welche Pausanias (III. 24 p. 272) auf einem Vorgebirg in La-
konien sah. Diese ägyptische Sinnbildnerei war mit der griechischen
Heroenlehre unvereinbar und wurde daher im Allgemeinen nicht
nachgeahmt. Aber Dionysos wurde aus demselben Grunde, wie es
scheint, bald jugendlich bald bärtig gebildet, als der Alle und im¬
merfort Junge. Dieselbe Verschiedenheit gewahrt man an den Bil¬
dern des Hephästos. So gaben die Athener ihrem Cekrops und die
Etrusker ihrem Janus sogar zwei Gesichter zugleich, ein alles und
ein jugendliches, durch eine Schlange vereinigt^), und nannten den
Cekrops daher digjvijg, d. h. nach obiger Ideenreihe nicht wegen
Einführung der Monogamie, wie Alhenäus u. A. vermeinten^), son¬
dern es soll so viel heissen als: der Allvater lebt in frischer Ju¬
gend in seinen Nachkommen fort durch eine lange Reihe von Jah¬
ren, die durch den Schlangenleib versinnlicht ist.
Wie nach der heil. Schrift Gott von dem ersten Menschen das
Weib absonderte, so legte man auch die Kabiren, die ersten Men¬
schen eines jeden Volkes, als Mann und Weib aus, durch deren .
geschlechtliche Verbindung die Zeugung bedingt ist ^). Nach Phere-
cydes gab es drei männliche und eben so viel weibliche Kabiren,
und vorhin haben wir bei den Etruskern sechs männliche Consentes
und sechs weibliche nachgewiesen. Kastor und Polydeukes dachte
man sich in Liebe den Töchtern des Leucippus, Hilaira und Phöbe,
zugelhan, welche sie geraubt und geheiralhel habend). Diese bei¬
den hatten einen Tempel in Lakonien , wo an der Wand ein Ei her¬
abhing, welches man für das Ei der Leda deutele s). Wir treffen
‘) Herod. III, 37. 2) Paus. X, 38, 3.
So im Tbesaur. Gronov. T. I und Meurs. Opp. T. I col. 165.
'*) Meurs. De Reg. Athen. I, 8.
^) Epimenides bei Jo. Lydus IV, 13 p. 164. Varro de ling. lat.
IV p. 17.
^) Bei Strabo X, 3, 21. Apollodor. III, 10, 2.
Paus. 111, 16, 2.
2G0
sie iu Verbindung mit den Dioskuren auf etruskischen Spiegeln *):
die eine ist nackt, die andere züchtig, Kastor reckt lüstern seine
Hand gegen die nackte aus. Abstracl als Mann und Weib scheinen
die Kabiren im attischen Distrikt Päania aufgefasst und verehrt wor¬
den zu seyn, wie ich aus einer Inschrift im Museum Nani zu Vene¬
dig ersehe. Hier kommt ein gewisser Irenaus von Päania vor als
Aufseher der Jünglinge und Priester der männlichen und weiblichen
Gottheit: KOSMHTHS lEPETS OEOT KAI OE AE. Corsini
muthmasste , Augustus und Roma seyen damit gemeint, und Biagi
(Monum. Gr. et Lat. p. 41 fl’,), Zeus und Athene. Wahr ist es,
unter -fj ßsä. verstanden die Athener ihre Schutzgöttin Athene; allein
die geschlechtliche Entgegensetzung und der geheimnissvolle Aus¬
druck ohne Artikel nöthigt, die beiden als mas und femina zu be¬
greifen, und erinnert an die Kabiren, welche wegen ihrer Geheim¬
haltung also elliptisch angedeutet wurden, und vielleicht iauf An-
ralhen des Epimenides daselbst unter jenem Namen ein Heiliglhum
erhielten. Damit stimmt am besten auch das Amt eines Aufsehers
über die Jugend zusammen, welches Jener Priester zugleich versah.
Wenn uns ausdrücklich berichtet wird, dass Epimenides zum An¬
denken an die Reinigung Athens von der Pest ß<ojuovg ävcovvfiovg
daselbst errichtet habe, welche noch Diogenes Laertius (I, 10 p. 78
ed. Steph.) gesehen hat; so mag um so mehr Jener Ausdruck Gott
und Göttin von Epimenides ursprünglich herrühren, und unsere Er¬
klärung Jener Inschrift gewinnt durch die gewissen Thatsachen un¬
streitigen Beifall: einmal sie ist attisch, sodann hielt Epimenides
die Kabiren für Mann und Weib, und endlich er errichtete Altäre
in Attika ohne bestimmten Namen der Gottheit, welcher sie galten.
So allgemein als das männliche und weibliche Lebensprincip
aufgefasst, wurden die Kabiren in späterer Zeit zu schaffenden
Naturgöttern im Allgemeinen gesteigert. Von Mann und Weib
dachte man sich die Natur und alles Lebendige entstanden als von
der allerersten Zweiheit, über welcher die Ewigkeit als die Einheit
steht 2). Was die Orphiker von der Geburt ihres Phanes aus einem
Ei fabelten, wurde dorthin aufgetragen. Zeus beschlief in Schwa-
*) Ingbirami Mon. Etr. Ser. II T. 54. 55. 85.
2) Jo. Lyd. p. 164.
267
uengeslall die Leda, was wir uocli in alten Denkmalen sehen, und
diese gebar ein Ei, woraus Kastor und Polydeukes entsprangen’).
Dieses Ei sah Pausanias (in, 16, 2) in einer Binde im Tempel der
Hilaira und Phöbe in Lakonien herabhängen ; und die dortigen Prie-
sterinuen woben alljährlich dem Jahresgotl Apollon einen Rock.
Sonnenumlauf und Jahressegen waren also die leitenden Ideen jenes
Naturdienstes. — Oft ist auch eine Verschiedenheit je nach den Zu¬
ständen der Natur in der Kraft oder in der Schwachheit an ihnen
bemerklich. So steht auf etruskischen Spiegeln bei Inghirami (Mon.
Etr. Ser. II T. 48) Polydeukes nackt und in Bewegung, Kastor be¬
kleidet und in Ruhe, jener Naturgott iin Sommer, dieser im Win¬
ter, wie aus T. 51 deutlicher wird, wo der eine, welcher den Heim
vom Haupte abgezogen hat, drei Pflanzen neben sich hat, der an¬
dere, welcher den Helm auf dem Haupte hat, hält das gezogene
Schwerdt als Sinnbild der Verheerung in der Hand und hat neben
sich einen Baumstamm. T. 77 sitzt der eine auf einem gepolsterten
Stuhle, bat den Degen an der Seite und die Zeichen der Mannheit,
und hinter ihm hängt ein Gefäss mit ausfliessendem Wasser als Bild
der Vermehrung, gleichsam die Bruunstube, woraus das Wasser
des Menschenlebens entspringt und immerfort quillt; wie 4 Mos.
24, 7 Bileam vom Volke Israel sagt: »es wird Wasser aus seinem
Eimer fliessen, und sein Same wird ein grosses Wasser werden.«
Der Bruder dagegen verdeckt als im Stande der Schwachheit seine
Scham. Dieser Unterschied zeigt sich sogar in ihren Gattinnen.
T. 55 ist Polydeukes gegen eine bekleidete Frau gerichtet, die sich
zu der unbekleideten des Kastor wie eine züchtige zu einer Hetäre
verhält. Indessen halte ich diese auf den Kabirencult aufgetragenen
Bestimmungen für nicht ursprünglich, sondern für eine spätere Ue-
berladung, wornach die Ideen, die sich in der Wechselbeziehung
der Aphrodite zu Hermes oder der Persephone zu Dionysos aus¬
gedrückt finden, den Dioskuren angedichtet, und so der Ansicht des
Euhemerus von der Vergötterung der Menschen Vorschub geleistet
wurde.
Das aber lag im ursprünglichen Gedankenzusammenhang, dass
man die Kabiren als schützende Horte verehrte. Der Geist der
’) Albcnacus II, 58 p. 22t Schweigb.
2G8
Väler ruhle nach dem Glauben der Alten segnend auf den Enkeln.
Die im Leben Wohlthäter ihres Vaterlandes und helfende Beschützer
waren, die blieben es auch nach ihrem Tode. So sind nach Hesiod
(Op. 123) die ersten Menschen, die auf Erden lebten, Dämonen und
gütige Beschützer der Gerechten. Die gottesfürchtigen Todten,
welche in das höhere Geisterleben eingetaucht waren, schienen die
Kluft beider Welten auszufüllen; wesshalb man sie als Segen herüber
bringend und auch in diesem Betracht als grosse Götter *) und als
Starke (Kabiren) anrief. Auf diesem natürlichen Standpunkte hat
die Anrufung der Heiligen ihren Grund , und diese sowohl als jene
heidnische Kabirenanbetung ist eine Ausartung der christlichen Wahr¬
heit, dass Gottes und des Menschen Sohn als der Mittler zwischen
Gott und den Menschen die beiden Welten mit sich verbunden und
versöhnt hat, und nun seine Gläubigen in seinem Namen den Vater
um Alles bitten sollen. — In Gefahren rief man die Kabiren als
Retter an, und ihr eigentlicher Beiname war atajrjQsq, Retter in
Todesgefahr 2). Die Argonauten riefen zu ihnen im Sturm zur See,
und sie waren die erkornen Schiffspatroue ^) ; wie die Phönicier ihre
Patäken, mit welchem Namen sie auch ihre Kabiren belegt zu
haben scheinen, auf den Vordertheilen ihrer Schiffe mit sich führ¬
ten ^). Das phönicische naTaHöq von (vertrauen) abgeleitet,
scheint dem griechischen oaittiQ zu entsprechen. Das alexandrini-
sche Schiff, worauf der Apostel Paulus von Malta nach Italien fuhr,
hatte das Panier der Zwillinge (Kastor und Pollux) 5). In Samo-
thrace befanden sich viele Gemälde , welche von den aus dem Schiff¬
bruch Geretteten gelobt und geweihet waren ^). Daher kam es ohne
Zweifel, dass man sie auch für die Vorsteher der Winde hielt
(s. oben). „Sie stillen die Stürme, mit falben Fittigen durch die
*) So wurden die Beschützer der Stadt Stratonike in Karlen, Zeus
Chrysaor und Hekate, in einer Inschrift /jisycaroc ßtoi genannt: Chis-
hull Antiquit. Asiat, p. 156 f.
2) Find. Pyth. V, 10. Aelian. V. H. 1, 30 das, Scheffer.
3) Hom. h. 33, 6, Horat. Od. I, 3, 2.
Herod, III, 37.
Apostgesch. 28, 11.
6) Cic. N. D. III, 37. Paciaudi Mon. Pelop. Vol. II p. 167 f
269
Luft fahrend.« *) In Schlachten standen sie nicht minder hülfreich
bei. Die spartanischen Könige nahmen ihre Bildnisse mit in Krieg,
wie die hebräischen die ßundeslade. Und als ein Gesetz gegeben
wurde, dass nur Ein König ausziehen dürfe, der andere in der
Stadt Zurückbleiben müsse, so nahm man auch nur Einen der Tyn-
dariden hinfort mit 2). In der Schlacht am regillischen See, welche
die Römer den Lateinern lieferten, sah man den Kastor und Pollux
auf der Seite der Römer von den Pferden aus kämpfen 3). Eben so
waren sie in Wettkämpfen Mitaufseher und verliehen Heil und Sieg^).
Die Genesenen verdankten ihnen Gesundheit ^). - Pindar (Nem.
X, 97) nennt die Dioskuren Aufseher (rafiLai) von Sparta, als
welche für die gerechten Männer vorzüglich Sorge tragen. Die Athe¬
ner Messen daher im Anakeon das allegorische Bild des waltenden
Verstandes {^Novq) als Sinnbild der Vorsehung von Polygnot malen 6).
In Samothrace verfertigte man Amulete in Gestalt von eisernen
Ringen und nannte sie Samothraces, zur Erinnerung an der samo-
thracischen Götter schützende Kraft ^). Die Schmeichelei späterer
Zeiten setzte die römischen Kaiser den Dioskuren gleich, zeigte
übrigens noch, was man sich unter ihnen dachte, nemlich schützende
Mächte, Die Lacedämonier widmeten ein Epigramm dem Aurelius
und Verus als den Qsolq öXvf.i7icoiq vioiq dioaxov^oiq **). Die Phö-
nicier in Tripolis ehrten auf Münzen die Kaiser .Antonius Pius, Marc
Aurel und Domitian durch die Beischrift der syrischen KabirenS).
In Italien nannte man diese Götter Penaten, welche eben
so vielseitig wie die Kabiren als Lebengeber, Erhalter und Beschützer
aufgefasst wurden. Denn sie galten nicht allein als Horte, sondern
auch als t9«oi ysvidXioi , kraft deren jedermann Leben und Odem
>) Hom. h. 33, 13. 2) Herod. V, 75. 3) Cic. N. D. II, 2.
Pindar. Ol. III, 71. Pyth. V, 11. Nem. X, 97.
3) Gruter. p. 89 n. 9 : Sulpitia ob fdium saluti restituluin. Eine
Votivtafel für Kastor und Pollux.
Hesych. v. üoXvypcoroq.
Pinedo ad Stephan. B, v. Sa/uo^Qdxtj.
3) Caylus Rec. d’Antiquit. T. V p. 190.
9) Eckhel doctr. Num. Vol. III p. 374 f
270
hat*), als xfji'xoTQÖcpui Man wollte in ihrem Begriff die Wahr¬
heit niederlegen ; »Gott ist nicht ferne von einem jeglichen unter
uns, denn in ihm leben, weben und sind wir.« 3) Sie waren nach
dem Ausdruck des Cassius Heraina ''•) grosse, gütige und mächtige
Gottheiten. Daher möchte ich am liebsten den Namen der penates
als ursprünglicher Phallusgötter von penis ableiten; auf welche Weise
ihr HauptbegriCF besser ausgedrückt zu werden scheint, als wenn
Cicero (N. D. II, 27) bald penus für die Wurzel angibt (als welchen
man sein tägliches Brod verdankte, in welcher Beziehung die Pena¬
ten auch <9£oI KTijaioc, die Götter des Eigenthums, hiessen ), bald
penitus, als welche inwendig im Hause wohnen, woher die Dichter
sie penetrales Deos nannten 6). Je nach ihrem Umfang waren die
Penaten gedoppelter Art; entweder waren es Tiarg^oi, patrii Pena¬
tes, magni Dii, oder es waren icpeorioi, familiäres Penates, auch
Penates schlechtweg in engerer Bedeutung oder Lares genannt ^).
*) Macrob. Saturn. III, Qui diligentius eruunt veritatem, Pe-
nales esse dixerunt, per quos penitus spiramiis, per quos habenius
Corpus, per quos rationem animi possidernus.
2) Orph. h. 37.
3) Apostgesch. 17, 27 f. Bei Macrob. III, 4.
5) Dionys. Ant. I, 67. VIII, 41.
Cicero 1. c. Catutl. carm. 69. Seneca Oedip. v. 265. Phoe-
niss. v. 340.
7) Vgl. über diesen Unterschied Cic. pro Sext. c. 20: te , patria,
testor, et vos, Penates (Hausgötter), patriique Dii. Virgil. Aen. V,
V. 62 f. : adhibete Penates et patrios epulis, et quos colit hospes Ace-
stes. Virg. Aen. II, 293. 717 werden sacra et patrii Penates verbun¬
den. So legt Hygin bei Macrob. III, 4 die Penaten für ^Ssoig naTQ<Mvg
aus, und Statius Sylv. XIV, 7 redet von patriis Penatibus. Cic. pro
Domo c. 57 ruft die patrios Penates tämiliaresque an. So wird die
Stelle Virgils Aen. III, 11 f. verständlich; feror exsul in altum cum
sociis natoque, Penatibus et magnis DJs. Schelling über die Gotth.
V. Sam. S. 99 findet die Wortverbindung mit et auffallend, ist es aber
nicht, verglichen mit der engem Bedeutung von Penates, welche aus
den obigen Stellen Virg. Aen. V , 62 und Cic. pro Sext. 20 ersichtlich
ist. Nun wird auch die Unterscheidung des Themistokles bei Aerai-
Sie verhielten sich zu einander wie Vaterland und Haus. Wie die
Laren der Vereinigungspunkt einer Familie, so waren die vaterlän-
’dischen Penaten der Mittelpunkt der Heimath , gleichsam das Lebens¬
mark eines Volkes , woher die einzelnen Kräfte immerfort ausslröm-
ten. Die römischen Feldherren opferten ihnen vor dem Auszug aus
der Stadt •). und bezeugten durch diese Feierlichkeit ihren Vorsatz,
im öffentlichen Interesse zu handeln. Die Hausgötter hatten ihren
Altar auf dem Herde als dem Orte des festen Wohnsitzes. Wie
Laban in Mesopotamien seine Hausgötter (aianri) hatte, welche seine
Tochter Rachel entwandte 2), so gab es dergleichen auch bei den
Griechen und Römern. In Argos waren die Kabiren Alkon und Eu-
rymedon Götter des Herdes 3), und wir sehen auf einer etruskischen
Todtenkiste die Dioskuren mit Schild und Degen bewaffnet auf dem
Herde knien ^). Der vaterländischen Penaten zu Rom waren drei,
sie hatten auf der dasigen Rennbahn drei Altäre, welche vor drei
Säulen angebracht waren Sie erschienen auch auf der Säule
Trajans als drei mit Lanzen bewaffnete Männer mit Kabirenhüten
auf einem Lorbeerkranz stehend, in dessen Mitte ein Adler sch webt 6);
d. h. Roms Penaten steigen auf des Sieges Adlersfitligen empor.
Die römischen Alterlhumsforscher 2) haben selbst die Einerleiheit
ihrer Penaten und der samoihracischen Götter erkannt, und in
lius Probus (in vita 7, 4) zwischen Dii publici , suique patrii ac pena-
tes bei den Athenern klar. Die ersten sind die allgemeinen griechischen,
die zweiten die in Athen als vaterländische besonders verehrten (Zeus
und Apollon), die dritten die in einzelnen Häusern. Die Ausleger irren,
wenn sie die zweiten für die von den Vätern überkommenen ausdeu¬
ten ; als wären die öffentlichen Götter nicht auch a patribus accepli.
>) Serv. ad Aen. III, 12. 2) 1 Mos. 31, 34.
3) Nonnus XIV, 19. '*) Inghirami Mon. Etr. Ser. I T. 59.
5) Tertullian. de spectacul. c. 8: columnas sessias a sementatio-
nibus , messias a messibus, tutelinas a tutelis fructuum suslinent. Ante
bas tres arae trinis Düs patent magnis , potentibus, valentibus: eosdem-
que Samothraces existimant.
Fabretti de columna Traiani Synt. p. 73.
2) Cassius Hemina bei Macrob. III, 4 dicit, Samothracas Deos
eosdemque Romanornm Penates proprie dici deov<; /Lcsyälovg, fSeovq
272
Dardanus und Aeneas die gescliichllichen Vermittler und UeherlieCe-
rer betrachtet *).
Der Kabiren Name und Heiligthum waren ein (ieheimniss,
dem uneingeweihten Auge unzugänglich und nur den Gläubigen und
Pflegern sichtbar. Beim Anblick ihrer Gestalten wäre der Glaube
an den Ursprung alles Lebens aus dem unerschöpflichen Abgrund
der göttlichen Tiefe eher verloren gegangen. Wie des Lebens Wur¬
zeln verborgen sind, so sollten es auch die Kabiren seyn. In ihren
Tempel zu Memphis durfte niemand als der Priester gehen 2). Pau-
sanias (IX, 25 p. 758) sagt, er dürfe nicht melden, wer die Kabi¬
ren von Böotien seyen und was man ihnen und der Mutter mache.
Nicht so gewissenhaft war Cicero mit den Namen der attischen Ka¬
biren, die wir ohne seinen Bericht für Kastor und Polydeukes hal¬
ten würden. Die Letztem dienten zur Schau für das vorwitzige
Volk, um die eigentlichen Penaten im Innern des Heiligthums desto
sicherer hinter ihnen zu verbergen. Sie hiessen darum schlechthin
grosse Götter, und werden in der oben angezogenen attischen In¬
schrift des Cajus nicht mit Namen genannt. Eben so wenig kannte
das römische Volk die Anzahl und die Namen seiner Penaten ^),
und Dionysius von Halicarnass (I, 67 T. I p. 170 Reisk.) unterschei¬
det weislich die Penaten, die im Allerheiligen verborgen seyen, von
denen , die jedermann sehen könne. Es sitzen nemlich in einem
düstern nicht grossen Tempel unweit des Platzes (forum) zu Rom
zwei Jünglinge mit Lanzen von alter Kunst, worauf geschrieben stehe
dENAS, und er halte dafür, dass vor Alters das A die Stelle des n
dvvarovg. Daher Juvenal. Sat, 111, v. 144: iures licet
et Samothracum et nostrorum aras. Vgl. Terlullian. 1. c.
Varro rerum humanarum L. II (bei Macrob. a. a. O.) Darda-
nuin refert Deos Penales ex Sainothracia in Phrygiam, et Aeneam ex
Phrygia in Italiam detulisse. Eben so alle Zeugen bei Dionys. Hai. 1,
68. Plutarch. in Camillo und Serv. ad Aen. II, 325. III, 12: Dii Pe-
nates a Samothracia sublati , ab Aenea in Italiam advecti sunt; unde
Samotbraces cognali Romanorum esse dicuntur.
2) Herod. III, 37.
3) Varro bei Arnob. adv. Gent. L. 111: nec eorum numerum nec
nomina sciri. Serv. ad Aen. III, 12.
273
vertreten habe. Er habe in andern alten Tempeln dieselben Götter
angetrofFen.
Die Attribute der Kabiren sind äusserliche Zeichen ihrer in-
nern Bedeutung und dienen zum Beleg der gegebenen Erläuterung.
— Die ovale Mütze ist ihnen, wie ihrem ägyptischen Vater Hephä-
stos und dem phönicischen Kadmos’), eigenthümlich. Daran er¬
kannte Pausanias (HF, 24) die Dioskuren in den drei ehernen Stand¬
bildern in Lakonien. Eine Münze von Berytus in Phönicien hat
daher bloss zwei Hüte als bezeichnendes Sinnbild der Dioskuren.
So finden sich auch auf lakonischen Silbermünzen ihre Sternhüte
allein nebst einer Diota, auf deren Bauch eine Schlange abgebildet
ist 3). Schon Lucian deutele diese Mütze auf das halbe Ei, woraus
die Dioskuren hervorgegangen seyn sollten ^). Die untere Hälfte
desselben wurde ihnen als Patera beigegeben. Wenigstens sind Ge-
fässe ein weiteres Attribut der Kabiren, sey es um die manchfal-
tigen Lebensformen, worin sich ihre göttliche Kraft äussert, oder
um den Ueberfluss, den sie ausgiessen und spenden, damit bildlich
zu bezeichnen. Trojanisches Irdengeschirr gehörte daher mit zu
den Heiliglhümern, welche Aeneas von Troja mit sich nahm ^).
Wenn jene ursprünglich ins Geschirr als auf den feuchten Grund
und Boden der Natur gestellt worden seyn mochten, so gab ihnen
die ausgebildetere Kunst eine Schale in die Hand, wie wir an einem
etruskischen Kabir von Erz sehen®), welcher in der Rechten die
Patera hält und die Linke segnend ausbreitet. Es ist die Schale des
Lebens und des üeberflusses, woraus daher die Schlange des Askle¬
pios gefüttert wird, die auch Altis auf einem etruskischen Spiegel^)
’) Vasengeraälde bei Millin T. II pl. 7.
2) Berger Thesaur. Palat. p. 281.
3) Peilerin Recueil I, 19, 1 — 3.
'O Lucian. Diät. Deor. XXVI ; roi) MOV TO rjijiiTO/JCOV y.al davrjQ
vJiSQdvco. Sext. Empirie, adv. Malhein. sagt, durch die Sternhüte wür¬
den die Hemisphären angedeutef.
Timäus bei Dionys. Hai. I, 67.
®) Gori Mus. Etr. Vol. H T. .66. Polen! Praef. ad Supplem. The¬
saur. p. XHI.
2) Inghirami Mon. Etr. Ser. H T. 9.
18
274
und Demelcr *) in der Hand haben. — Die Sclilange isl ferner
eine Auszeichnung der Kabiren. Sie isl als das sieh schlängelnde
Thier ein Gegensatz des runden Welleis. Dieses isl der Lebens¬
keim aller Dinge, jene aber das in der Erscheinung sich enlfallende
Leben, also sowohl die lange Ausdehnung im Raum als die sich in
die Länge windende Zeit. Hermesstäbe von Eisen und Erz, die
sich somit in Schlangen endigten, waren jene Heiliglhümer des Ae-
neas, wie wir schon wissen. Einen Beleg zu dieser Nachricht fin¬
den wir in Ueberbleibseln des bildlichen Allerthums. Auf einem
antiken Relief erscheint das Palladium als Hermentronk mit geschlos¬
senen Füssen 2). Eine alle Gemme enthält einen geflügelten Her¬
messtab, um den sich eine Schlange windet, darüber sind Sterne
und der Mond , welche auch sonst mit den Kastoren in Verbindung
Vorkommen ^), und zu beiden Seilen halten zwei Schlangen mit dem
Munde ein Ei. Dieses merkwürdige Verhältuiss der Schlange zu
dem Ei, wie wir es vorhin erläutert haben, bemerken wir noch¬
mals auf einem Relief bei Nani wo unter Kastor und Pollux zwei
Schlangen nach einem in ihrer Milte befindlichen Ei blicken; über
den Göttern isl das Zeichen des Mondes, sie selbst haben in der
einen Hand eine Lanze, mit der andern hallen sie Pferde am Zaum.
Auf einem andern Relief^) schnappen zwei gehörnte Schlangen nach
zw'ei Eiern. Ein Weihgeschenk in gehobener Arbeit 2) stellt die
Kastoren im Anakeon vor, und dabei zwei grosse Gefässe , wohin
sich von oben her eine Schlange neigt. Den Heroen im Allgemei¬
nen wurde die Schlange als ständiges Attribut beigegeben, nach der
Bemerkung der Allen 8), So weissagten die römischen Haruspices
*) Wheler bei Meiirs. Opp. T. I col. 165.
2) Winckelmann Anni. z. Gesch. d. Kst. I S. 272.
Passeri gemmae astriferae lab. 123.
Museum Odescalchi lab. 31. Passeri I c. T. 85.
Biagi Monum. Gr. et Lat. ex Mus. Nanii p. 73.
Anlicbilä di Ercolano T. IV tav. 13.
2} Camillus Silvestrius in anaglyphum Graec. interprelatio , cf.
Biagi 1. c. p. 90 f.
Plularch. vit. Agesil. et Cleom. p. 524. Artemidor. Onirocrit.
11, 13. Schob Arislopli Plut. v. 733.
275
von dem Kinde des Roscius , welclies bei Nacht von Schlangen um¬
wunden worden seyn sollte, es werde hoch berühmt werden ^). Aus
diesem Grunde ist dieses Symbol für die Kabiren als Heroen, Le¬
bensaufänger und Erstgeborne sehr geeignet. In entgegengesetztem
Sinne finden wir es zwar auch auf Grabesdenkmalen gebraucht;
allein diese Sitte ist durch die einfache Bemerkung gerechtfertigt,
dass man die Verstorbenen (divi) auf griechisch wie wir die
Seligen , ehrenvoll zu nennen pflegte 2). Daher wird der Satz nur
bestätigt, dass Heroen, Altväter und Schlange in unzertrennlicher
Verbindung gedacht waren. Selbst die Schlange der Genesis hat
mit obiger Anschauungsweise eine Ideenverwandtschaft.' Die ausser
Gott getretene Schöpfung vernünftelt in der Schlange mit ihm und
wider ihn, und tritt als Versucherin auf, in schwankendem Gelüsten
von dem Baum des Erkenntnisses des Guten und des Bösen zu ko¬
sten. — Triptolemus, von dem wir es wahrscheinlich gemacht
haben, dass er einer der drei Anakes von Athen war, wurde als
solcher auf einem AVagen abgebildet mit zwei Schlangen zu beiden
Seiten, die mit oder ohne I^lügel sind 3), und hat als Heros das
Scepter in der Hand. So auf einem Vasengem'älde bei Visconti '*),
wo der wichtige Auftritt vorgestellt ist, dass dieser Heros von Eleu-
sis aus den Händen der Demeter das Getreide empfängt. Philocho-
rus die Sinnbildnerei des Scblangenwagens verkennend, machte
eine natürliche Erklärung davon und meinte, Triptolemus wäre auf
einem Schitl', das man für eine geflügelte Schlange angesehen hätte,
gesegelt, und hätte den Getreidebau verbreitet. Wenn wir noch auf
einer Münze Hadrians *') die Stadtgottheit von .Alexandria auf einem
Wagen mit gellügeller Schlange, nach Art des Triptolemus, vorge¬
stellt sehen , so begegnen wir derselben Symbolik. Nicht allein ne¬
ben den Heroen oder unter ihrem Wagen befinden sich Schlangen,
’) Cic. de Divin. L. f.
2) Alcipliron III cp. 37. Fabrelli Inscr ant. p. 20 ti. 80 und eil»
Denkmal bei I. I). AVeber in. Venetlig.
3) Pausan. VII , 18 , 2.
'•) Abgedruckt in Creuzers Dilderb. z. Syinb. T. XIII.
Dei Euseb. Chron. P. II p. 115 ed. Venet.
*’) Zoega Niinii Aegypt. imperal. lab. VII n. 17.
276
sondern auch sie selbst wurden bisweilen schlangenförmig gebildet.
Der erste attische König Cekrops hatte Schlangenfüsse i), und
sollte aus eines Drachen Zähnen entstanden seyn 2), Erichtho-
nius wurde als Knabe von der Sehulzgöttin Athene in einer Kiste
zugleich mit einer Schlange verwahrt und den drei Töchtern des
Cekrops, Aglauros, Herse und Pandrosos , zum Aufheben überge¬
ben ^); d. i. sein Same soll ewiglich bleiben. Man soll den Knaben
mit dem Drachen in dem gemeinschaftlichen Tempel des Vaters He-
phästos und der Athene gefunden haben ^). An jene Kiste knüpfte
sich ein fortdauerndes geheimes Gedächtnissfest in Athen: in den
Mysterien, die man daselbst zu Ehren der Aglauros und Pandrosos
beging, achtete man es für eine Missethat, dass sie die Kiste geöff¬
net hatten^). Etwas Aehnliches wird es gewesen seyn, was Deme¬
ter in Böotien dem Kabiräer Prometheus und seinem Sohne Aetnäus
anvertraute, was aber Pausanias (IX, 25 p. 759) zurückhaltend ver¬
schweigt. — Als Heroen, in so fern sie kriegliebeud waren, halten
die Dioskuren, namentlich Kastor und Polydeukes, die Lanze,
auch Helm und Pferde'zu Attributen; so die römischen öffent¬
lichen Penaten®), die daher auch schlechthin hastali hiessen ^). Als
Hausbeschützer hat Kastor zu Pferde ausser der Schlange noch den
Hund neben sich in einem Denkmal des Herzogs von Modena im
Schloss al Caltaio unweit Padua.
Nachdem wir bei der Darstellung der Kabirenlehre alle Mo¬
mente, die Ansicht der Alten, die Uebereinslimmung vieler Völker¬
schaften, die Etymologie, die Attribute, gesammelt und aus allen
das einhellige Ergebniss gezogen haben , dass die Kabiren Patriar¬
chen der Völker in Gemeinschaft mit V’^olks- und Naturgöltern ge¬
wesen sind; so blicken wir zuletzt auf die bisher üblichen Meinun-
') Arisloph. Vesp. ’ü KstcQOxp, rjQcaq , rä nQoq no&üiv ÖQa-
v.ovti8r]. Noniius Dionys. L. XLI.
2) Tzetzes ad Lycophron.
3) Meurs. de Regib. Alheniens. II, 1. Lactant. divin. Instil. I, 17
und Ausleger.
Meurs. Athenae atlicae I, 4.
’) Athenagor. Legat, pr. Christ. Anfg. p. 280 Paris.
®) Dionys. Hat. I, 07. Serv. ad Aen. II v. 32.'i.
277
gen der Gelehrten, welche einseitig ohne geschichtliche Grundlage
entweder auf einer zu weit gedehnten Folgerung aus einzelnen Nach¬
richten oder leeren Speculationen beruhen. Aus der Angabe des
Sanchuniathon *) , dass von den Dioskuren, Söhnen des Sydyk, die
Aerzte geboren seycn, welche giftige Bisse heilten und die Beschwö¬
rungen erfanden, schliesst Astori^), dass die Kabiren den Teichi¬
nen ähnliche Zauberer gewesen seyen; als umfasste jene einzige
Meldung ihren ganzen Begriff und als könnte man ihnen geradezu,
was ihren Kindern zugeschrieben wird, beilegen. Ferner nimmt
Astori (§. 9) aus dem orphischen Hymnus, wornach die Kureten zu¬
erst die Mysterien gelehrt haben sollen, Veranlassung zu behaupten,
als hätten die Kabiren die Mythologie und den Götzendienst in Grie¬
chenland eingeführt. Diess ist eine Verwirrung der Personen und
der Sachen. Man darf die Kureten und Kabiren, ob sie gleich
manchmal verwechselt werden, nicht geradezu für einerlei hallen,
und zwischen Mysterien und Mythologie ist ein Unterschied. Spren¬
gel 3) folgte dem Astori, ohne ihn zu nennen, und wiederholte, die
Kabiren seyen die ersten Lehrer der griechischen Aboriginer und
zu gleicher Zeit Quacksalber gewesen. — Hadrian Reland'^')
griff die Nachricht des Mnaseas nnd Üionysodorus auf, dass De¬
meter, Persephone, Hades und Hermes die Kabiren seyen, und er¬
klärte sie für ein Collegium von unterirdischen Gottheiten.
Damit ist aber noch nichts erklärt, zu geschweigen, dass Demeter
nicht zu den unterirdischen Göttern gerechnet werden kann. —
Creuzerim Dionysus und in der Symbolik, Gör res (Mythengesch.
Q Bei Euseb. Praep. Ev. I, 10.
2) Astori Dissert. de Djs Cabiris, Venet. 1703 in Poleni Suppl.
T. H §. 8. Montfaucon l’Anliquite expliquee T. I P. II p. 300 pflich¬
tet ihm bei.
3) Sprengel pragmatische Gsch. der Arzueikunde Band I S. 646.
2te Ausgabe.
‘*) Reland Dissertat. de Düs Cabiris in seinen Dissertatt- niiscell.
T. I und in Poleni Suppl. T. IV col. 335 f. Karl Michaeler in seiner
histor. krit. Abhdlg. über die phöniciscben Mysterien, Wien 1796
S. 119. 150 stimmte dem Reland bei.
®) Beim Schob Apollon. Arg. I, 918.
278
II S. 372) und Baur (Naturrelig. 1 S. 229) halten die Kabireu lür
die Planeten; sie haben aber nichts für ihre Annahme aufzuweisen
als die blosse Zahl sieben der phönicischen Kabiren, welche Zahl in
vielen andern Dingen ihren guten Grund haben und zufällig mit der
Planetenzahl zusammenstimmen kann, wie oben gezeigt. Ausserdem
wäre es dann ein iJaupterforderniss des Kabirendienstes, wo er sich
nur festgesetzt, dass jene Zahl als ständig beibehaiten worden wäre;
wovon wir aber gerade das Gegentheil gefunden haben. Auch will
jenes drei- oder vierblätterige Kleeblatt von samothracischen Gott¬
heiten sich ganz und gar nicht zu dem Begriffe vergötterter Plane¬
ten schicken. Wer kennt einen Planeten Plulon ? — Schelling
in seiner Schrift über die Gottheiten von Samothrace findet durch
die willkürlichsten Deutungen sein eigenes philosophisches System
in der Kabirenlehre. Wie Cicero (N. D. I , 15) von Chrysippus be¬
richtet, dass er in seinem zweiten Buch über die Natur der Götter
die Fabeln des Orpheus, Musäus, Hesiod und Homer nach dem,
was er selbst im ersten Buche über die unsterblichen Götter gesagt
hatte, ausdeutete, als wären die ältesten Dichter, die solches nicht
einmal ahnten, Stoiker gewesen; so findet Schelling in den samo-
Ihracischen Myslen Schellingianer. Die Kabiren sind ihm (S. 24)
Steigerungen einer untersten zu Grunde liegenden Kraft, welche sich
zu oberst in Eine höchste Persönlichkeit verklärt. Sie sind wie Glie¬
der einer vom Tiefsten ins Höchste aufsteigenden Kelle. Er hat
aber keinen andern Beleg zu solchen Sätzen als morgenländische
Worlableilungen der samothracischen Götlernamen, die uns der
Scholiasl des Apollonius aufbewahrt hat. Das Tiefste ist Demeter
oder Axieros von üt' (S. 53 f.). Dieses hebräische Zeitwort bedeu¬
tet freilich nichts Anderes als besitzen und aus dem Besitz vertrei¬
ben ; allein Schelling (S. 27) findet darin zugleich einen Hunger als
das Wesen seiner Ceres, eine Sucht, die der erste entfernteste An¬
fang alles wirklichen oUenbaren Seyns ist- Zunächst folgt Persephone
oder Axiokersa von -jin, das wieder nicht zaubern bedeutet, son¬
dern pllügen, woiier aber doch Axiokersa eine Zauberin werden soll,
die das Kleid der Slerblichkeil webt und der Sinne Blendwerk her¬
vorbringt (S. 17 f.) , als der Grundanfang der ganzen sichtbaren Na-
lur (S. 28). Hades oder Dionysos oder Axiokersos von derselben
Wurzel ist ein höherer Zauberer, welcher die Strenge des ersten
Zaubers mildert und beschwört, der Herr der Geisterwell. Hermes
279
oder Kadmilos vermillell Nalur und Geislerwelt unter sich und mit
dem Ueberweltlichen. lieber diesen Allen steht der gegen die Welt
freie Zeus, der Demiurg. »Also ein von untergeordneten Persönlieh-
keiten oder Naturgottheiten zu einer höchsten sie alle beherrschen¬
den Persönlichkeit, zu einem überweltlichen Gott aufsteigendes Sy¬
stem war die kabirische Lehre« (S. 28). Wir können diese Ansicht
nicht theilen, weil sie den geschichtlichen Grund und Boden ver¬
lässt, bloss auf Etymologien und dazu auf schwankenden und sehr
zweifelhaften beruht, und dieselben zu vorgefassten Meinungen benutzt’
§. 50.
Gott lenkt der Menschen Geschick.
Wie des Menschen Geburt, so ist auch sein weiteres Schick¬
sal ein Gegenstand der göttlichen Aufsicht und Leitung. Glück und
Unglück, Leben und Tod, Armuth und Reichthum verleihen die
tiefsinnigen 1) Mören Klolho, Lachesis und Atropos, welche
nach dem neuen System Zeus mit Themis erzeugte 2). Der Chor
der Eumeniden singt bei Aeschylus (914 ff.): »ünzeitigen Männer-
tod wünsche ich fern, den lieblichen Jungfrauen gebt Männer, die
ihr darüber gesetzt seyd, schwesterlicbe Mören, Gesetzgeberinnen,
jeglichen Hauses Genossen, allezeit ehrwürdig durch gerechten Ver¬
kehr, allverehrt unter den Göttern.“ 3). Alle zufällige Glücksgüter
sind Zeus Gaben ^). Die TvXt^ personificirt Aescbyius (Agam. 672).
„Mit Gott lachet und weinet jedermann«, sagt Sophocles (Ajax 373).
Zeus hatte den Beinamen Abwender des Unglücks ^).
^) ßaßvcpqovsq Find. Nem. VII, 1.
. 2) Theog. 906.
3) Die Herausgeber haben obige Stelle durch Correclur veiuustal-
tet: Hermann änderte ^sal Kal Moiqai, und Schütz exovraq. Die ge¬
wöhnliche Lesart ist die richtige: xv^i exovteq ^sal rcop Mol^at. Das
Masculinum sxovrsq statt sxovaai, wie Aesch. Agam. 120 yivvav ßXa-
ßivza, vgl. Matlhiä gr. Gr. §. 434 1. a.
Plutarch. bei Schob ms. Schellersheim ad Hesiod. Op. p. 3’2
ed. Heins.
3) Aeschyl. 7 vor Theben v. 8.
280
Wenn die Lesart Odyssee 57, 197 rictilig ist, so kannte auch schon
Homer eine Mehrzahl von ernsten Schicksalsspinnerinnen (KaroxAtö-
■Seg'), welche er der Alaa coordinirte. Als oberster Schiedsrichter
ergriff Zeus in der Schlacht der Achäer vor Troja die goldene Wage
und legte zwei Todesparcen darein, die der Achäer und die der
Trojaner; die erstere sank auf den Boden, unter Donner und Blitz
ward es verkündigt, und die Griechen wurden geschlagen^)- Wenn
Homer über dem Treiben seiner Helden die Götter schauend und
waltend einführt, so lässt auch Aeschylus io den Persern die Schlacht
von Salamis nicht durch die Tapferkeit und Klugheit der Griechen,
sondern durch das Walten der Gottheit allein gelingen, welche ab¬
wägend Sieg und den Persern Leid zufügt. Eben so zeigt der Va¬
ter der griechischen Geschichtschreibung Herodot überall kindlichen
Glauben an die V'orsehung. — Zwei Fässer liegen im Hause des Zeus,
das eine mit Heil, das andere mit Wehe gefüllt; dem Einen gibt er
gemischt aus beiden, dem Andern nur Uebel. So verliehen die Göt¬
ter dem Peleus nur herrliche Gaben von Geburt an, zierten ihn mit
Segen und Reichthum, Herrschaft und einer göttlichen Gattin, je¬
doch Hessen sie es ihm an einem Thronerben fehlen 2). Aiax im
Ringen mit Odysseus sich messend, vertraute auf Zeus, er werde
darauf achten ^). »Zeus der Olympier vertheilt das Glück den Men¬
schen, den guten und bösen, einem jeglichen nach seinem Gefallen“ ^).
»Die Götter bereiten und verhängen den Menschen, den Untergang,
damit die kommenden Geschlechter Stofl zum Gesang haben« ^).
Nach dem Rathe der Götter schlossen Aeetes und Jason ihre Ehen®).
»Leicht wird die Nachkomraenschatt eines Mannes berühmt, welchem
Kronion bei der Geburt und beim Heirathen Glück verhänget“ ^).
Es liegt in den Knien (statt in den Händen) der Götter , ob Odys¬
seus nach Ithaka zurückkehreu werde oder nicht®), und wer auf
dem Eiland die Herrschaft überkommen werde 9). »Gott theilet
1) II. VIII, 69. 2) ji XXIV, 527.
It. XXIII, 72i : rä ö'aü Ali Ttdvxa /iteXijaei,
Ocl. VI, 188. 5) Od. t?', 579.
®) Theog. 960. 993. ?) Od. IV, 207.
8) Od. I, 267. 5») Od. I, 400.
281
jedem sein Geschick zu« •). Euripides (Alcesl.) besiogl die Gewalt
der Notliweudigkeit, aber V. 993 sagt er: »auch Zeus, was er zu-
winkl, vollbringt er mit dir.« „Die Geschicke, welche die Götter
verhängen, müssen die Menschen nolhwendig tragen« 2). Jedoch
sind sie nicht unausweichlich, sondern die Freiheit hat ihren Spiel¬
raum und kann in Zeiten ihnen Vorbeugen. So Hess Zeus durch Her¬
mes dem Aegislhus Vorhersagen, er solle den Agamemnon nicht
tödten noch dessen Gattin ehelichen, sonst würde Orestes den Va¬
ter rächen; allein Aegisthus liess sich nicht warnen und stürzte sich
durch eigenes Verschulden in sein Verderben 3). Ein Prophet for¬
derte die Freier der Penelope auf, zuzusehen, wie sie ihrem bevor¬
stehenden Schicksal entrinnen möchten ^). Des Menschen Herz
schlägt seinen Weg an, aber »das Ende von Allem geschieht, wie
Gott will« ^).
Platon, Aeschylus und Euripides nannten das Geschick auch
Adrastea (s. oben S. 148). — Zeus und Apollon waren im
Tempel zu Delphi mit zwei Mören vorgestellt •^). Der allerhöchste
und der die Zukunft offenbarende Gott lenken die Geschicke. Die
Pythagoreer, die das Wesen und den Grund aller Dinge in die Zahl
und die Harmonie setzten 8), verehrten daher besonders den Apol¬
lon. Thaies, Heraklitus und Pythagoras vertraten die dreierlei my¬
thischen Weltansichten von dem Lebensgrunde der Welt und dem
göttlichen Walten in ihr: der erste die neptunische von dem Lebens¬
wasser, der zweite die vulcanische von dem Lebensfeuer 9), und der
dritte die a[)ollinische von der Weltharmonie, wodurch alle Dinge
Bestand haben. - Apollons Schwester Artemis war eine astrolo¬
gische Schicksalsgöttin mit goldener Spindel, wie wir oben gesehen
haben. Namentlich knüpfte man in Arkadien diese Idee an ihr We¬
sen, und verehrte sie in Verbindung mit den Mören *ö). Sie hiess
daher in Sparta **) (ionisch ovziq^ , die Schauende. Ihr (wie
Demosiben, de Corona p. 317 ed. Lips.
2) Sophocl. Philoct. 1311. 3) Od. I, 35.
Od. II, 168. Demosthen. 1. c. p. 312.
6) Plat, Phaedr. p. 248 C. Eurip. Rhes. 338: ^Adgdareia, d Jibq
Tiaiq. Paus. X, 24, 4. 8) Aristot. Met. I, 5.
9) Aristot. Met. 1, 3. ’3) Paus. Arcad. c. 37.
“) Palaephal. 32.
282
der Bubastis) Attribut war der Hund (VVachsarakeit) ; woher ich ih¬
ren Beinamen ÖQdta oder o^donaia von Ortlms, dem fabelhaften
Hunde der Theogonie, ableite. Das Schicksal fordert seine Opfer,
Menschenopfer fielen eliemals an ihren Altären. Weil ihre und ihres
Bruders Pfeile sicher treffen, so schrieb man ihnen jähen Tod zu.
Bei Frauen verrichtete Artemis dieses Geschäft; ihre schnell lödten-
den Pfeile werden langer Krankheit entgegengesetzt 2), Des Mene-
laus Steuermann wurde das Steuerruder in der Hand haltend von
den schmerzlosen Pfeilen des Phöbus getroffen 3).
Hermes, der göttliche Wanderer, bewahrt der Menschen Ein¬
gang und Ausgang; daher sein Beiwort der Thürhüter (argocpaloq'* *),
zvXr]d6A.oq Er ist ihr Wächter {^avaxonoq)^ wenn sie schlafen®),
ihr Geleitsmann (^ya/j-övioq , ayrircoq^)') auf allen ihren Wegen,
der Beschützer des Handels (ßfxiiolaioq) ^) , der Gewinnbringende
(xapdüjoq) ‘0) , der Beförderer aller klugen Anschläge (ööhoq) **) und
der Vorsteher der Leibesübungen (eVaycJwog) als das Mittel zur
Erzielung hermetischer Gewandtheit. Mit einem Worte ist und heisst
er der Gutthätige {axdxtjxa) *3)^ unter welchem Namen er als dxa-
x}^aioq in Arkadien verehrt wurde Man ptlegle in alten Zeiten
heim Nachhausegehen von einem Gastmahl der vor der Hausthüre
stehenden Herme den Kranz , womit die Gäste geschmückt waren,
aufzusetzen ‘^). Die Erstlinge setzte man dem Hermes auf die Stras¬
sen vor, welche daun die Wanderer zu verzehren pflegten; diese
Gabe hiess epiuaiop, womit man dann vergleichungsweise einen jeden
*) R. 0. Müller Dorier 1 S. 383.
2) Od. XI, 172. Find. Pjth. III, 10. Euslalh. ad II. q.
3) Od. III, 279. Arisloph. Plut. 1154 das. Spanheim.
*) Horn. h. II in Mercur. 15. ®) Od. VH , 138.
0 Od. VII, 1160. S) Pausan. VIII, 31.
Arisloph. Plut. 1156 und das, d. Erklärer.
Spanheim zu Gallim. h. in Dian. 68.
*') Allst. 1. c. 1158.
•2) Allst. 1. c. Ii62. Euslath. ad Od. VIII, 266. Paus. V, 14.
‘3) 11. XVI, 185.
'*) Paus. VIII, 3, 36. Gallim. Dian. 143 das. Spanheim.
’3) Aelian. V. H. II, 41.
283
uuverhofflen Gewinn bezeichnele *)• — Hekate war die Göttin der
Wege (ivodia ^aoq) 2). Ihr Bild s-Karaiov genannt war in Atlien
häufig vor den Häusern; sie war Aufseherin und Ainrne 3). — Auch
Apollon stand vor der Hausthüre in den Gassen^), und er sowohl
als seine da befindliche zugespitzte Säule hiess daher dyvcavq ^). Das
war auch in Delphi die älteste Darstellungsweise des Gottes, nem-
lich als eine hohe Säule ®), und bestätigt den §. 40 behaupteten Zu¬
sammenhang mit Bai, der gleichfalls so abgebildet wurde. Als der
Alles sehende hiess Apollon ajiöxpwq'^), als der Alles hörende und
wirkende hatte er zu Amyklä in Lakonien 4 Ohren und 4 Hände ^).
Als der vor der Thüre steht, hiess er 7iQoaTaT7^^ioq ^) , und hatte
unter diesem Beinamen ein fJeiligthum in Attika (Pausan.), auch dv-
*0) oder 7r^o:rv?Mtoq Als Patron derer, die aus dem Ha¬
fen ausfuhren , hiess er iitcßaTijgioq und hatte einen Tempel in
Trözen (Pausan.) — Das Glück (Tvxrj') ist nach Pindar (fragm. p. 95
Heyne) unergründlich {aitavd-^q ohne Correclur), und wendet ein
zweifaches Steuerruder; nach Alkman *2) aber ist Tyche der Recht-
schalTenheit und üeberredung (Evvofxiaq v.dl llacdovq') Schwester und
der Klugheit {ü^o/LiT^daiaq) Tochter. Homer nennt ihren Namen
nicht, aber Hesiod (Th. 360) kennt sie als Okeanine, und der Ho-
meride (h. in Cer. 420) führt sie unter den Gespielinnen der Perse¬
phone auf.
Der Reichthum oder auf griechisch PI u tos wurde beson¬
ders personificirt, und zwar wird er aus der natürlichen Erwerbs¬
quelle, dem Ackerbau, geboren. Demeter ist seine Mutter, mit
dem kretensischen Fürsten Jasios gattet sie sich in Liebe auf einem
dreimal gepflügten Brachfeld und gebiert den IreCflichen Plutos , der
1) Suidas s, v. Sophocl. Anlig. H99.
Aiisloph. Vesp. 800 ib. Schot. Hesych. v. Ev.axala.
') So zu Tege^ , Pausan. I.
5) Suidas V. dyvievq und Valckenar. ad Eurip. Phoeniss. v. 634.
Clem. AI. Strom. 1 p. 349. Hesych. s. v.
llesycb. v. xovQLÖioq.
Sophocl. Electr. 638 ib. Schob
Terlullian. de Idololalr. Aristid. h. in Minerv-
■2) Itei Plut. de Fort. rom. p. 318 A.
284
über Land und Wasser geht und reich macht, zu wem er kommt*).
»Heil dem, welchem Demeter gewogen ist, sie sendet ihm den Plu-
tos ins Haus, welcher den Sterblichen Reichlhum verleiheti® 2), Ho¬
mer (Od. V, 125) nennt dessen Vater Jasion, der durch Länder¬
ertrag reich geworden seyn muss, behält aber den bedeutsamen Zug
der Fabel von dem dreimal gepflügten Brachfeld als von dem tüchtig
getriebenen Ackerbau wörtlich bei. Die Thespienser haben den
Beichthum in Folge des Gewerbtleisses aufgefasst, indem sie den
Plutos an die Seite der Athene iQydvr] stellten 3). lu Athen trug der
Friede den Plutos in den Händen ^). Euripides gab ihm Flügel.
Auch Zeus als Geber von Besitzlhümern hiess ■xn^aioq 6). Er, Athene,
Demeter und Ko^rj n^Mxoyövrj halten zu Athen Altäre in Einem Tem¬
pel Da waren die durch Besitzstand , Gewerbe und Ackerbau
ernährenden Göller beisammen.
§. 51.
Die Wissenschaft und Kunst unter göttlicher
A u fsi ch l.
Der Menschen Kräfte, Bestrebungen und Leistungen werden von
Gott geleitet oder haben in einem Gott ein Musterbild der Vollkom¬
menheit. Apollon ist Vorsteher der Wissenschaft und höheren
Künste, A l h e n e der Handwerke ohne Feuer, Ilephäslos der¬
selben mit Feuer, Hermes der Herden, Demeter des Acker¬
baus, Artemis der Jagd, Athene und Ares des Kriegs. So re¬
gieren und tragen die Götter [das Thun und Lassen der Menschen,
und weihen ihre Wege und Beschäftigungen durch .Aufsicht und
Vorbild.
1) Theog. 969. Athen. XV p. 694 C. Diodor. V, 77.
2) Horn. h. in Cer. 486, Pausan. IX, 26.
Pausan. IX, 16.
Eurip. in Meleagro bei Stobaeus 74 und in Ino bei Stob. 105.
Vgl. Philostrat. Imagg. II, 27.
Aescbyl. Suppl, 448. Paus. I, 31, 2.
285
Im Leben vernünftiger Wesen leuchtet ein höheres Licht *). Das
Licht des reinen Apollon aber, wie es Sinnbild der Denkkraft
und Erkenntniss ist, wird in ihm zur vollendeten Wissenschaft
und Kunst verwirklicht. Ton- Wahrsage- Arznei- und Schützen¬
kunst legt ihm Platon (Cratyl. p. 405), Ebenderselbe (Symp 19, 6)
die drei letzten ihm und die Tonkunst den Musen, und Pindar (Pyth.
V, 85) die drei ersten Diuge bei. Der Homeride (h. I in Apoll. 131)
lässt ihn als neugebornes Kind sagen: »die Cither sey mir lieb und
die krummen Bogen, und den Menschen will ich des Zeus untrüg¬
lichen Rathschluss weissagen.« Doch führt er ebendaselbst V. 272
schon den Beinamen Arzt irjnai'^tav. Apollon ist so nicht mehr Na¬
turgott, wie er als Sohn des Hephästos und der Athene ursprünglich
gedacht war. Er war einst das wärmende Himmelslicht, welches die
Lebenskeime weckt, und die leibhafte Wohlordnung der ganzen
Welt, wie noch das attische Volk in den Thargelien ihm seine Hul¬
digung brachte. In diesem göttlichen Vollgehalt war er nicht gerade
einerlei mit der materiellen Sonne, die als solche besonders verehrt
werden konnte, auch war er edler aufgefasst, als der pelasgische
Hermes und der schwärmende Dionysos. Ueberdiess war er aber
und blieb fortwährend das Licht der Welt in bildlichem Sinne, in
den genannten priesterlichen , intellectuellen und künstlerischen Be¬
ziehungen. In diesem Zusammenhang lassen sich alle Ideen vereini¬
gen, die man an seinen Namen und seine Verehrung knüpfte.
Gott offenbart die Zukunft entweder durch Eingebung an be¬
geisterte Menschen oder durch Wahrzeichen und Vorbedeutungen,
durch Träume, Vogelflug, Vogelstiminen 2) , durch die Eingeweide
der Opferlhiere, die BeschafTenbeit der Opferflamme und durch Ge¬
stirne. Das Vermögen zu wahrsagen heisst im Allgemeinen ^avTiv-iq.
Genauer gesprochen aber ist dieses, von ixaivtaßai abgeleitet, das
begeisterte Wahrsagen aus götilicher Eingebung, wie bei der Sibylla,
dem Tiresias, den Bakides und den Orakeln; und davon unterschei¬
det Platon (Phädr. p. 244 C) die Wabrsagerkunst als die nüchterne
Erforschung der Zukunft durch Vögel und andere Zeichen, oicoviaxi-
') Ev. Job. I, 4.
2) Hom, h. II in Mercur. 213, 54'4, Vgl. K. 0. Müller Dorier I
S. 341.
286
y.r]. Eben so stehen bei Homer (Od. 1, 202) (.idviiq und oicouäi’
odcpa eidcöq einander gegenüber. Der allgemeinere Name aber für
Wahrsager ist daoTigÖTtoq bei Ebendemselben V. 416. Es gab im
Altertbum einen eigenen Stand, der sich damit abgab (s. §. 91).
Hesiod (Schild 185) nennt so einen oidavtar^q, V'^ogelbescbauer. ln
Platons Zeitalter waren die umherziebenden Wahrsager schlecht an¬
gesehen; er setzt sie (juavTaiq) und die Markjscbreier (dyv^Tai) in
eine Klasse'). Sie gaben vor, Lösungsmittel und Reinigungen
(Ablass) von Verbrechen zu besitzen, sowohl für die Lebenden als
die Verstorbenen, welche durch ihre Weihen von allen Uebeln in
der Unterwelt befreit würden. Theophrast (Charakt. c. 16) noch
kannte diese Betrüger unter dem Namen der Orpheoleleslen , zu de¬
nen Abergläubige jeden Monat mit Weib und Kind gingen, um sich
reinigen und weihen zu lassen. — Vorzugsweise verlieh Apollon
das Wahrsagen durch prophetische Eingebung. Platon (Phädr. p. 265
B) sagt, es gebe vier Götter, welchen die Menschen die Begeiste¬
rung verdanken: Apollon, von dem der Geist der Weissagung, Dio¬
nysos, von welchem die Begeisterung der Andacht, die Musen, von
denen die dichterische Begeisterung, Aphrodite und Eros, von wel¬
chen der Geist der Liebe webt. Indessen hat Apollon auch den Bei¬
namen Eidechsenlödter {oavpo-xröroq) ; denn man pflegte Eidechsen
zu durchbohren und aus ihrem Pfeifen zu wahrsagen. Wir besitzen
noch einen alten .Apollon, welcher die Eidechsen beim Durchbohren
belauscht 2). Dem Zeus schrieb man besonders die in der Luft sich
ergebenden Wahrzeichen oder die durch Hermes Botschaft verkün¬
digten Weissagungen zu ^). Zeus sandle in die Volksversammlung
von Itbaka zwei vorbedeutende Adler '*). Götter erscheinen im Schlafe
den Menschen, so Athene in erborgter fremder Gestalt erscheint der
schlafenden Penelope *) und der Nausikaa '’) und redet mit ihnen im
Traum. Das Wahrsagen durch Träume, das wir in Attika beim
Grabmal des Amphiaraus und anderwärts finden , sollen die Tel-
misser , das Vorhersehen aus den Gestirnen die Karer, aus dem Flug
') Plat. Polit. II p. 364 B.
2) Welckers akadem. Kunstniuseiim zu Bonn 1827. S. 71.
3) Od. I, 37. 282. II, 216. •) Od. II, 116.
3) Od. IV, 795. 6) Od. VI, 25.
287
der Vögel die Phryger und Isaurer, das aus den Eingeweiden der
Opferlhiere (r^v ■dvxiv.iqv) die Kyprier erfunden haben i).
Wie alles Licht der Wissenschaft , so kommt \on Apollon ins¬
besondere die Heilkunde 2). Homer (II. V, 401 . 899. Od. IV, 232)
nennt zwar den Gott der Arzneikunde Päeon. Man holte sich
walirscheinlich Raths für die Kranken bei dem Orakel des Apollon)
und so wurde er nach und nach in dieses Amt eingesetzt. So nennt
ihn Aeschylus (Eumenid. 62) Wahrsagerarzt {iargöfiavriq) 3). Bei
der Pest wandten sich die Athener an ihn als den Abwehrer des
Uebels ^). In Elis nannte man ihn Akesios 3).
Asklepios, ein ausgezeichneter Arzt 6) und Zeitgenosse der
Helden vor Theben, wurde als Vorsteher seiner Wissenschaft vergöt¬
tert und daher zu einem Sohne des Apollon gemacht. Weil er Todte
(dem Tode Nahe?), namentlich den Hippolytus, auferweckte und so
in den Gang der Natur eingriff, so soll ihn Zeus mit dem Blitzstrahl
getödtet haben 7). Man kann zwei Männer dieses Namens unter¬
scheiden. Der erste hatte zur Mutter Koronis, eine Tochter des
Königs Phlegyas , welche diesen Linderer der Schmerzen auf der
Ebene Dolion gebar 3); er soll die Sonde und das Verbinden der
Wunden erfunden haben, und auf dem arkadischen Gebirge Kyno-
sura begraben liegen 9). Zweierlei Väter werden von ihm genannt
je nach den verschiedenen Fabeln, ohne dass es darum bei der glei¬
chen Mutter Koronis ein verschiedener Aesculap wäre; so dass wir
3) Tatiaii. tcq. "EXl. p. 243 Paris.
2) Find. Pyth. IV, 480. V, 85. Sophocl. Oed. Tyr. 149. 162.
Aristoph. Pliil. 8. Talian. tiq. 'EXX. n. 8 p. 250 ; ßegunavei 6 "AnöXXcov.
3) Aristoph. Plut. 11 trennt es in iazQÖg y.cü fiävriq.
Thucyd. II, 47. Vgl, Aristoph. Fried. 420. Auch Psalm 91, 5
werden die Peslanfalle mit den Pfeilen, die des Tages fliegen, ver¬
glichen. 3) Paus. VI, 24, 5.
6) II. IV, 194 Plat. Symp. 12, 6.
2) Aeschyl. Agam. 1020 ib. Schob Eurip. Alcest. Anfg. ib. Schob
3) Horn. h. XV. Ilesiod. fragm. p. 443 ed. I.ips. Pind. Pyth. III,
14, 43. Apollodor. III, 10, 3.
Cic. N. D. III, 22. dem. AI. Protr. p. 8. Tatian. 71q."EXX. 4.
21 p. 262 : xidvrjysv v/utov 6 ^Aoy.Xr]7ti6q.
288
austalt der drei Aesculape des Cicero nur zwei annelimen. Denn
bald wurde Asklepios, um ihn auf die Weise der phöniciscben Ka-
biren in die Reibe der mächtigen und starken Horte einzurdbren,
zum Sohne des Ischys, eines Sohnes des Elatos, und so zum Bru¬
der des unterirdischen Hermes (des geheimnissvoll Wirksamen) ge¬
stempelt ‘); bald und insgemein behielt der ohnehin für die Heil¬
kunde Aufsicht tragende Apollon das Recht der Vaterschaft^). He-
siod (a. a. 0.) und Pindar (Pyth. IH, 55) suchten beide Genealogien
durch die Annahme zu vereinigen, dass Ischys die von Apollon ge¬
schwängerte Koronis geehelicht habe; wesswegen eben die Unter¬
scheidung des ersten und zweiten Aesculapius bei Cicero verwerflich
scheint. Der zweite oder bei Cicero der dritte Aesculap hatte nach
der Sage der Messenier den Arsippus und die Arsinoe zu Eltern; er
soll das Laxiren und das Zahnausreissen erfunden haben, und man
zeigte sein Grab in Arkadien nicht weil von dem Fluss Lusios 3),
Anstatt seines eigentlichen Vaters wurde gleichfalls der Gott Apollon
dafür ansgegeben, dass dieser mit Arsinoe, der Tochter des Leu-
cippus, den Asklepios erzeugt habe ^). Die Verschiedenheit der
Mutier versuchten Einige in Einklang zu bringen, nemlich Socra-
tes ^) durch die Vermulhung, als sey Asklepios Sohn der Arsinoe,
aber von Koronis an Kindesslalt angenommen, Aristides aber in der
Geschichte von Knidos 6), als sey Arsinoe nachmals Koronis benannt
worden. Man könnte einwenden, dass beide Frauen verschiedene
Väter haben und daher verschieden seyen. Will man ungeachtet
zweier Mütter nur einen einzigen Asklepios annehmen, so liegt die
Muthmassung nahe, entweder dass Arsinoe aus demselben Grunde,
aus welchem Asklepios zum Bruder des kabirischen Hermes gemacht
wurde, eingeführt worden sey, um ihren vorgeblichen Sohn in nahe
Berührung mit den Dioskuren Kastor und Polydeukes, deren Gattin¬
nen die Schwestern der Arsinoe waren, zu bringen, oder dass Ko¬
ronis eine allegorische Mutter war, um den Asklepios als Bruder
mit dem allwallenden unterirdischen Hermes in Verbindung zu brin-
*) Cic. I. c. 2) Hom. I. c. Cic. I. c.
3) Cic. 1. c. Paus. II, 12. IV, 3. 31.
^‘) Der Dichter Asktepiades bei Schot. Find. Pyth. III , 14.
3) Beim Schol. I. c. 6) Beim Schot. I. c.
289
gen (s. S. 115). Des Asklepios Lehrer war Chiron der Centaur i),
seine Gallin E pion e und seine Söhne Pod al i r iu s und Ma chaon^),
welcher letztere als Wundarzt die Griechen vor Troja begleitete und
den Menelaus heilte 3).
Der Sphären Harmonie, wovon Apollons Leyerein Sinnbild war,
ist das Urbild aller irdischen Harmonien, in welchen jene sich gleich¬
sam ausprägt. Daher hat das Reich der redenden und tönen¬
den Künste {ij,ovoiy.t]) seinen Ursprung , Halt und Meister in A p o I-
lon. Schon Pan hatte in derselben Bedeutung eine siebenröhrige
Hirtenpfeife “i). Eben so spannte Hermes über den Rücken einer
Schildkröte sieben wohlklingende Sailen nach der Zahl der Plane¬
ten^), und das war seine Leyer, welche an Apollon überging. »In
der Mitte des heiligen Reigens der Unsterblichen schlägt Letos und
Zeus Sohn in lieblichen Tönen die goldene Leyer; und die pieri-
schen Musen singen mit heller Stimme dazu« ^). Wenn jener der
Spielmann des Olympus ist, so sind die Musen die Sängerinnen,
gleichsam der leibhafte Mund des musicirenden Gottes ^), und er
selbst Musenführer ^). Als er des gastlichen thessalischen Königs
Admetos Herden weidete , lauschten seinen Melodien Luchse, Löwen
und Rehe und weideten mit 9). In Verbindung mit Apollon kommt
auf Münzen die im Sommer auf Bäumen unermüdlich kreischende
Cicade vor, ein altes Sinnbild der Redner und Sänger *0). _ Es ist
eine Uebereinstimmung der apollinischen Saiten und der Anzahl der
’) Pindar. Pylh. III, 80.
2) Schot. 1. c. Der Orphiker h. in Aesculap. gab dem Asklepios
eine allegorische Gattin, die leibhafte Gesundheit (Hygiea). Nach Paus.
I, 23, 5 war Hygiea seine Tochter.
3) II. IV, 193.
Orph. h. XI; Pan spielt auf scherzender Flöte die Harmo¬
nien der Welt.
3) Hom. h. in Merc. 450. Schot. Arat. Phaenom. 296.
6) Hes. Schild 201. 205.
7) II. I, 603. Theog. 60. 916. Pind. Nem. V, 42.
3) Wesseling zu Diodor. I, 18^ 9) Eurip. Ale. 590 ff.
30) H. 11. III, 151. Anacr. 43, 16. Plut. Symp. VHI p. 727 C.
Paus. Eliac. II, 6, 2.
19
290
Musen; je nachdem jene sich vermehrlen , so wuchs auch die Zahl
von diesen. Die Leyer halle bald drei, bald vier, bald sieben und
bald neun Saiten, und eben so wechselten die Musen. Sie waren
ja nach der ältesten Genealogie vom Himmel und Erde entsprossen *),
um die Wohlordnung des Weltsystems zu bezeichnen, wovon eben
die Leyer ein Sinnbild war; und man wusste sogar von nur zwe'
Musen zu sagend), nach Analogie der zwei alten Horen von Athen.
Jedoch würde ich ungeachtet dieser Uebereinstimmung die Musen
nicht gerade für die Sailen der apollinischen Leyer, mit Persönlich¬
keit gedacht, hallen 3); sondern sie verhalten sich zur Leyer wie
Gesang zum Saitenspiel, und beide zusammen die Musen mit Apol¬
lon ergänzen und erfüllen den Begriff der redenden und tönenden
Künste. Nach der spätem Slammableilung ist daher Mnemosyne
als die Erinnerung aller Dinge, die dem Gesang den Inhalt und
Stoff liefert, der Musen Mutter, sie selbst aber des Uranos und der
Gäa Tochter, um sich an die ältere Genealogie anzuschliessen.
Zeus als Vater Himmels und der Erde und als Ordner aller Dinge
ist in dieser Religionsperiode der Vater der Musen ^). Dass sie nicht
geradezu die personificirlen Saiten ihres Führers Apollon waren, er¬
hellet auch aus der umgekehrten Nachricht, Orpheus, Sohn der Kal¬
liope, habe der Leyer nach der Zahl der Musen neun Sailen erst
gegeben 5).
Andere benennen die drei Musen als Töchter Apollons nach
den Orlen ihrer Verehrung: Krjcpiaovv (so zu lesen siäll Kicpi^oiovv'),
’Anolltovida xal BoQvadsvida. Die Erste ist von dem Kephisos in
Phocis, der an dem Fusse des Parnasos vorbeifliesst , die Letzte von
dem Flusse Boryslhenes , der an den hyperboreisehen Apollon erin¬
nert (beide also von den apollinischen Hauplsitzen), und die Mitt¬
lere zugleich im Namen ihrer Schwestern von dem Vater Apollon
') Alkman bei Diodor. IV, 7 p. 215.
2) Cornut. N. D. c. 14.
3) Wie Hug über den Mythos d. ber. Völker d. all. Welt S. 220
und Baur die Naturreligion Bd. II S. 317.
Theog. 915. Eratoslhen. Cataster, c. 24.
Eumelus von Korinth ms. bei Rubnken epist. cril. II p. 309,
291
benannt ^). Epicharmus in der Hochzeit der Hebe 2) führt folgende
sieben Musen als Töchter des Pierus und der Nymphe Pitnpleis auf:
NdXovp, Tqit(Ö7]v, ’Aoo):iovp , "EntaTtoXiv , TitiötiXovv Kai
A^odiav. Sie sind nach Flüssen benannt, an deren Ufern die musi¬
kalischen Hirten, wie mir scheint, ihre Herden weideten und die
Quellnymphen als begeisternde Musen anriefen. Gottfried Hermann 2)
verbessert den Namen der vierten Heptapore, und leitet ihren und
den Namen der siebenten von zwei Flüssen bei Troja her ^). Der
Name Tipoplus oder Titoplus ist ungewiss (vielleicht Tilpusa, Quelle
in Böotien). Desgleichen wurden die musikalischen Nymphen des
torrhebischen Sees von den Lydiern Musen genannt^), und von
Virgil (Eel. 10) Arethusa als die sicilisch idyllisehe Muse von der
Quelle dieses Namens bei Syracus angerufen. Platon (Phaedr. p. 306
Heind.) setzt die Nymphen des Achelous in Verbindung mit dem
Hirtengotte Pan in Rücksicht anf die Wohlredenheit, und bestätigt
so unsere Vermulhung ^). An jenen Bächen und Flüssen, von de¬
nen die Musen ihre Namen entlehnten, standen ohne Zweifel Apollo-
lempel , so dass sie sich auch aus diesem Grunde erklären. Krates
gibt acht Musen an. Pierus von Macedonien erhöhte ihre Zahl zu
Thespiä in Böotien zuerst auf neun s). So viele kennt auch schon
Homer (Od. XXIV , 60) ; wiewohl Od. VHl , 63. 488 nnd in der
Ilias zu Anfang die Muse in der Einzahl, Zens Tochter, als die Ge¬
sang eingehende genannt, II. ß' , 484 sie in der Mehrzahl als die all¬
wissenden Göttinnen angerufen werden. Pierus gab ihnen die gewöhn^
1) S. die lichtvolle Abhandlung Bullmanns im Mythologus 1 die
mythol. Vorstellung d. Musen.
2) Bei Tzetzes ad Hes. Op. I. Gleichfalls sieben kennen Myrtilus
bei Arnob. III, 14 p. 121 u. Gornutus I. c.
3) Hermann de Musis fluvialibus Opusc. Vol. II.
‘*) Horn. II. f/, 20. Hes. Th. 341.
5) Steph. Byz. v. TÖQ^rjßoq.
Der Gedanke, dass die Nymphen als Inhaberinnen der begei¬
sternden Quellen den Musen bisweilen gleich gesetzt werden (Gren¬
zer Symb. IV S. 72) , scheint mir ferner zu liegen.
2) Bei Arnob. 1. c.
8) Paus. Boeot. 29 p. 765. Plul. Symp. IX, 14, 3.
292
liehen Namen, die zuerst bei Hesiod (Tlieog- 76) Vorkommen, und
schon bei diesem Dicliler (Schild 206) heissen. Pierus hatte
aber auch neun Töchter, welche dieselben Namen führten '), uudesmag
wohl seyn, dass sie Anlass zur Aenderung der Zahl und Namen der
Musen gaben. Denn die Fabel machte ihn und seine Gattin Antiope 2)
zu Eltern der neun Musen 3), die aber darum nicht, wie Cicero
meinte, von den neun Musen des Zeus und der Mnemosyne verschieden
sind , sondern von den nemlichen machte man eine verschiedene
Genealogie; wie schon daraus, erhellet, dass Hesiod seine Musen
Zeus Kinder und gleichwohl ebendieselben Pieriden nennt. Ihre Na¬
men bei Hesiod und in derselben Reihenfolge bei Herodot, der sei¬
nen neun Geschichtsbüchern die Namen der Musen zur Aufschrift
gab, sind folgende: Klio, Euterpe, Thalia, Mel po mene,
Terpsichore, Erato, Polymnia, Urania und Kall iope '•).
Die spätere Auslegung der Einzelnen 3) ist sehr zufällig und ohne
Wahrheit, als wären sie in der nemlichen Ordnung: das Epos, die
Lyrik, die Tragödie, die Komödie, das Lehrgedicht, die Musik, der
Tanz , die Astronomie und die Geschichte. Im Gegentheil zeigen
ihre Namen an, dass unter Urania {Ovgavla) die Wohlordnung des
W'^eltsystems als Urbild der irdischen Harmonien zu verstehen sey,
unter Kalliope {KaXXiÖTtij') die Beredtsamkeil oder der rednerische
Wohllaut, unter Polymnia (IloXv/iivia) die Dichtkunst oder der
rhythmische Wohllaut, unter Melpomene^) (MaXTrof.iEvrj') der Ge¬
sang oder der Wohllaut der Melodien, so viel als die ältere Aöde,
und unter Terpsichore der Tanz oder die rhyth¬
mische Bewegung. Diese fünf umfassen zugleich mit dem Spielmann
Apollon das ganze Reich der himmlischen und irdischen Harmonien,
die der Ton- der Rede- der Dicht - und der Tanzkunst: »sie singen
die Harmonien (pö/novg) aller Dinge« ^). Kalliope heisst bei Hesiod
(Th. 79) die am meisten ausgezeichnete, als die im Gefolge der ho-
’) Paus. 1. c. 2) Euippe nach Ovid. Metam. V, 302.
3) Cic. N. D. III , 21.
^) Die Worte tum peccel enthalten die Anfangsbuchstaben aller
neun.
3) Anthol. Gr. T. 111 p. 214. 220. f. Jacobs. Auson. Idyll. XX.
6) Vgl. Theog, 66. Theog. 66.
293
hen Könige ist und ihnen in der Volksversammlung und im Gerichte
Mund verleiht: »alles Volk blickt auf den redenden Fürsten, wenn
er Recht spricht und mit männlichen Worten grosse Mündel weise
und bald schlichtet; wenn er durch die Stadt schreitet, so wird ihm
wie einem Gotte mit schmeichelnder Ehrerbietung gehuldigt, und in
der Volksversammlung ist er ausgezeichnet: das ist der Musen hei¬
lige Gabe an die Menschen« (V. 84 ff.) *). Die übrigen vier Musen
gesellen sich zu den Schwestern als Eigenschaften und nähere Be¬
stimmungen ihrer Begriffe: Klio von y.Xelaiv'^) ), als die das
Objekt und das Subjekt der Musen berühmt macht, Euterpe (Ev-
xäQitrj) d. i. die Ergötzung, so viel als die ältere Muse Thelxinoe 3),
Thalia {ßciXaia) d. i. Freudenfest, als der Anlass zur Aeusserung
der Musen; denn »sie haben Wohlgefallen an Freudenfesten und am
Gesang« ^), und endlich Erato (E()ar<ö) d. i. die Lieblichkeit, indem
die Musen bei jedermann Beifall erzwingen. Um die letzte von der
verwandten Euterpe zu unterscheiden, so enthält Erato die den Mu¬
sen inwohnende Lieblichkeit, Euterpe aber die daraus in ihren Aeus-
seruugen erfolgende und in den Menschen geweckte Ergötzung; jene
bezeichnet ihren eigenen Zustand, diese eine Frucht ihrer Wirksam¬
keit. Diese vier Musen also bedeuten, dass derselben Gesammtchor
Ehre (Klio) und Freude gewähre, Freude ist ihr Anlass (sowohl
äusserlich als innerlich im Gemüth: Thalia), Freude ist ihr Wesen
(Erato) und ihre Wirkung (Euterpe). Platon (Phaedr. p. 259) un¬
terscheidet der Musen Aemter auf ähnliche Weise: die älteste Kal¬
liope und die ihr zunächst folgende Urania sind am meisten um den
Himmel und göttliche und menschliche Reden beschäftigt und haben
*) Der Ilomcride h. XXXI ruft die Muse Kalliope iin Gesang auf
den Helios an.
2) Theog. 66: v.a8va ddaudreav ycXeiovaiP^ ani’jQaxov daaav
iaZaai.
»Denn so jemand bekümmert ist im tiefverwundeten Herzen,
und ein Diener der Musen besinget die Tbaten der Vorzeit und die se¬
ligen Götter, die den Olymp bewohnen, so vergisst jener das Trauern
und gedenket nicht mehr der Schmerzen ; der Göttinnen Gaben wenden
ihn alsobald um:« Theog. 98.
Theog. 917.
21)4
eine überaus schöne Stimme, Terpsicliore ist über die Chöre, Erato
über das Erotische gesetzt •)• Neben den Musen wohnen auf dem
Olymp die Chariten und die Sehnsucht (Himeros) 2). Die
Chariten sassen auf Thronen zur Rechten Apollons von Delphi, zu
Lob und Preis des olympischen Vaters ^). Zwischen dem Tempel
der Artemis und dem des amykläischen Apollon am Flusse Tiasa
hatten die spartanischen Chariten, Kleta und Phaenna, ihr Heilig¬
thum ^). In Uebereinstimmung mit ihrer Natur legt die älteste Kunst
den Musen , gleichwie den Horen, als ein Zeichen festlicher Freude
ein goldenes Stirnband bei (^xQvodfiTtvy.ig') ^). Auf einem herkulani-
schen Gemälde ist Polymnia mit der Geberde des Nachsinnens,
den Zeigefinger gegen den Mund hallend, abgebildet. Der Musen
Lieblinge, Orpheus, Linus, Hyacinihus, die Sirenen, heissen ihre
Kinder 2).
Wie die Fähigkeiten und Leistungen des Menschen in Beziehung
auf das Reich der redenden und tönenden Künste im Verhältniss zu
Gott dem Geber aller guten Gaben stehen, lehrt mit deutlichen
Worten Hesiod Theog. 94 : von den Musen und von Apollon sind
die Sänger und Spielleute auf Erden. Heil dem , welchen die Mu¬
sen liebeni Süss fliesst ihm die Rede vom Munde. Theog. 81: Wen
von den Königen des grossen Zeus Töchter ehren und bei der Ge¬
burt anblicken, dem giessen sie Honigthau auf die Zunge, und seine
Worte entströmen anmuthig dem Munde. Eben so Platon (Phaedr.
p. 245 A): »Die Musen ergreifen eine zarte und geweihte Seele,
wecken und begeistern dieselbe zum Gesang und zur Dichtkunst.
Wer aber ohne der Musen Begeisterung in die Vorhallen der Dicht¬
kunst tritt, im Wahne, er könne durch Kunst ein tauglicher Dich¬
ter werden, der wird selbst sammt seiner nüchternen Dichtkunst von
der des Begeisterten als ungeweiht verdunkelt.“ Nach Euripides
’) Plularch. Amator. p. 746 berücksichtigt diese platonische Stelle.
2) Theog. 64.
3) Find. 01. XIV , 15 das. Schob Vgl. den delischen Apollon be-
IrelTend Flut, de mus. 14. Macrob. Sat. I, 17,
■•) Fans. III, 18, 4. IX, 35. Athen. IV p. 139.
Theog. 915. 6) Grenzers Bilderbuch T. VI n. 2.
2) Creuzer Symb. IV S. 76.
293
(Medea 825 f.) haben die neun Musen zu Athen die blonde Harmo¬
nia erzeugt, eine Anspielung, deren Sinn deutlich genug ist. — Die
Komödie, als welche den Festen des Dionysos ihren Ursprung
verdankt, hat diesen Gott zu ihrem Vorsteher, und die Komiker
sind seine Künstler ^). — Auch Artemis singt im Chore der Göt¬
ter 2) uud führt Reigen auf 3) ; als i/xvia hatte sie einen Tempel im
Gebiete der Orchoraenier
§. 52.
Die Gewerbe unter göttlicher Aufsicht.
Vorsteherin der Handfertigkeit in Gewerben ist Athene. In
den reichen Schöpfungen der Künste des Lebens zeigt sich, was der
erfinderische Verstand des Menschen vermag; und Athene ist eben
der personificirte Verstand in dergleichen Künsten, von Zeus Haupte
geboren. Als solche führt sie den Beinamen der Handfertigen ’E^-
yclvtj') 5), von welcher man schöne und nützliche Fertigkeiten lernt
Als fxaxavlrtg halte sie zu Megalopolis in Arkadien einen Tempel ^).
Im Gegensatz zu ihrem Kriegsamle ist ihr der Oelbaum des Frie¬
dens geweiht, unter dessen Schalten die Gewerbe blühen. In dieser
Beziehung heisst sie wohl auch bei den Dichtern die Schöngelockte ®).
Anstalt aller andern wird ihr vorzugsweise die Kunst des Webe ns
beigelegt ^). Diese lehrte sie die Phäakerinnen ‘O), und schon die
Pandora^*), sie legte ihr auch selbst ein weisses Gewand, Gürtel
und Schleier an, und zierte sie mit Kopfputz *2). Sowohl we¬
gen der Form dieses Handwerks, sich durchkreuzende Fäden ord-
nungsmässig in einander zu schlingen und zu wirken, als wegen sei-
’) Aristopb. Nub. 515. Hora. b. 1 in Apoll. 197.
3) Hora. 11. XVI, 183. ‘i) Paus. Arcad.
3) Paus. IX, 26. Plutarcb. Syrap. IH, 6. Pbolii Lex. Gr. p. 12.
Suidas s. v.
6) Od. II, 117. 7) Paus. VIH, 36, 3.
8) Od. VII, 41. 9) Plat. Syrap. 19, 6. Aclian. V. H. I, 2.
10) Od. VII, 110. i') lies. Op. 64.
12) Tbeog. 573. Op. 72. 76.
296
ües Zwecks und Nutzens, die einst in Thierhäuten uraherwandeln-
den Wilden sinnig und sitlig mit gewirkten Zeugen zu kleiden, eig¬
net sich die Weberei vorzüglich im Namen aller andern Gewerbe
von Athene geliebt und beschützt zu werden. Sie entlehnte sogar
daher als von ihrem hauptsächlichen Amte bei Griechen und Rö¬
mern den Namen. Denn ^Adi^vrj^ ^Adrjvä oder dichterisch 'Aßrjvairj
kommt von iitswNt (Leinwand) *), einem ägyptischen Worte, von wel¬
chem auch das griechische ddovr] abgeleitet ist. Um so weniger wird
man diese Etymologie bezweifeln können, weil der Zusammenhang
von der lateinischen Minerva und der etruskischen Menerea mit
(Webstuhl) autTallend und sprechend ist. — Unter den Hand¬
fertigkeiten in Holz wird ihr die Wagnerkunst besonders zuge¬
schrieben, als die den ersten Wagen und Kutsche gefertigt habe 2).
Alle Kunstfertigkeit in Metallen durch des Feuers
Gewalt ist des Feuergoltes Hephästos Werk und Amt, gleichwie
in der Prometheusfabel Feuer, Kunst und Geschicklichkeit unzer¬
trennlich gedacht sind. Athene und Hephästos sind zusammen die
Handwerker des Olympus, ein jeder in seiner Art gleich gross und
berühmt. Um ihren Gegensatz und ßegriffsverwandtschaft gehörig
hervorzuheben, so sagt Hesiod 3), Here habe mit ihrem Gemahl wett-
Spr. Sal. 7, 16. Vgl. Gesenius hebr. Wörterbuch s. v. Baur
Mythol. II S. 158 leitet ihren Namen von ihrem Beinamen Aaia ab,
den sie zu Las in Lakonien und in Koicbis batte (Pausan. 111, 24, 5),
von den Doriern Aadva ausgesprochen (Aristoph. Lysistr. 170. 989. 1251.
1256).
2) Hom, h. III , 13. Mnaseas bei Harpocrat. v. iTtTtia. Cic. N. D,
III, 23. Eratostbenes Cataster. 13 u. A. lassen den Erichthonius den
vierspännigen Wagen durch der Göttin Kraft erfinden und desshalb
unter die Sterne versetzt werden .
3) Theog. 927 ov cpiXor^rt verbesserte Cuper statt £p cpiXötrjzi
was nachher durch viele Hdschr. (auch die Schellersheiraer u. d. Mar-
cianisebe und den Schob lies.) bestätigt , und von den Herausgebern
nach Clericus aufgenommen wurde. Apollodor 1,5: “Hga öh X(t>glq
svvTjq ayEvvTjaev "Hcpacarov. Wenn es Theog. 580 von Hephästos heisst,
er habe dem Vater Zeus etwas zu lieb gethan , so ist dieser Aus¬
druck nicht in Beziehung auf Hephästos, sondern als ein gewöhnliches
297
eifernd, welcher aus seinem Haupte die Athene geboren, durch eigene
Kraftanslrengung ohne Zuthun eines Mannes den vor allen Himniels-
bewohnern in Künsten erfahrenen Hephästos erzeugt. Wir erinnern
uns, dass dagegen der Homeride (h. in Apoll. 340) aus dem Wett¬
eifer der Here und aus ihrem Schooss allein das verderbliche Erd¬
feuer Typhon entstehen lässt. Er fasste den Typhon an und für
sich und zugleich im Verhältniss zu der gegenüber stehenden Künst¬
lerin Athene; und so enthalten die abweichenden Fabeln eine jede
, die Wahrheit von einer andern Seite und in anderer Beziehung be¬
trachtet.
Hephästos schmelzt in den Bergklüften das harte Eisen ^); der
Eisenhammer auf Leranos war seiner Aufsicht gewidmet 2); »die ge¬
waltigen Feuerflammen daselbst waren von ihm bereitet« 3). Die
Sintier von roher Mundart auf dieser Insel waren seine Diener und
Handwerker ^). Allen Göttern hat er mit Geschick Paläste erbaut ^),
und sich selbst ein ausgezeichnetes Sternenhaus von Erz ^). Der
Homeride (h. XIX) macht auf den wichtigen Einfluss der Metalle
hinsichtlich der Bequemlichkeit des Lebens aufmerksam, dass durch
Hephästos Gunst die Menschen ruhig in Häusern wohnen, während
sie zuvor, wie die Thiere, in Berghöhlen hausten. Hephästos hat
den Schild des Herakles 2), woran ihm namentlich die trefflichen
Goldarbeiten zugeschrieben werden und den Schild des Achil¬
leus y) verfertigt. Der Pandora gab er eine goldene mit Thierfigu¬
ren verzierte Krone ‘O). Schwitzend am Blasbalg traf ihn Thetis,
wie er zwanzig Dreifüsse mit goldenen Bingen an den Böden schmie¬
dete “). Für den Palast des Alkinous arbeitete er goldene und sil¬
berne Hunde ^2), Wegen des schönen Glanzes der Metallarbeiten hat
Prädical des Zeus zu verstehen. So heisst es Hom. h. in Ven. 27,
Uestia, die Tochter des Kronos, habe den Vater Zeus beim Haupte
gefasst.
*) Theog. 866. 2) cic. N. D. III, 22.
3) Sophocl. Phil. 984. 4) n. i, 594, Od. VIII, 294.
5) 11.1, 607. 6) 11. XVIII, 369.
7) Hes. Schild 319. ») Schild 219. 297. 313.
9) II. XVIII, 478 >0) Theog. 578.
i‘) II. XVIII, 372. 12) Od. VII, 92.
298
der (ioU die Charis Aglaja zur Gattin, und die Prädicate eines
berühmten und sinnigen Künstlers, vXvxoxEy.vrjq i), vXvxöq^ TtsgivXv-
xög -) , xXvxoegyug , 7tegicpg(op , TtoXvipgeov , x}.vx6/^7^xiq
%. 53.
Die Jagd und der Krieg unter göttlicher Aufsicht.
Die Jagd hat ihre Meisterin in Artemis, theils weil sie als
Nacht- und Mondgöttin die dunkeln Wälder liebt, theils weil die
Pfeile ein natürliches Sinnbild ihrer Strahlen sind. Am Bogenschies¬
sen sich ergötzend jagt sie Eber und Hirsche von den Bergen her¬
ab ’). Als behende und dem Wild auflauernde Jägerin erscheint sie
in dem homerischen Lobgedicht XXVII 8). Daher ist sie die Rosse-
lummlerin («;r.7ocrüa) 9), ^iy.xvt va ovgüa^^)^ sie durchstreift die
lycischen Berge "). Von den arkadischen Bergen Orthion und Or-
Ihosion hatte sie die Beinamen Vgdta und ’Ogdduaia *2). — Ihrem Bru¬
der Apollon wurde gleichfalls aus bekannten Gründen die Bogen¬
schützkunst zugeschrieben. — In Arcadien war ausserdem der hoch¬
geachtete Thiergott Pan über die Jagd gesetzt; er wurde verehrt,
wenn die arkadischen Jünglinge einen glücklichen Fang thaten, wo
nicht, so geisselten sie sein Bild mit Meerzwiebeln
Der Krieg von zwei Seilen aufgefasst als Kriegskunst einerseits
und als ein Tummelplatz männlicher Tapferkeit andererseits hat
zweierlei Vorsteher: Athene in der ersten und Ares in der zwei¬
ten Beziehung. »Der Athene und des Ares Anliegen sind die Werke
des Krieges, der Städte Zerstörung, Feldgeschrei und Schlachten«
«) II. XVIII, 391. 2) Theog. 571. 3) od. VIII . 345.
Schild 297. 313. S) od. VIII, 297. 6) Hom. h. XIX.
2) Od. VI, 102. Vgl. Aeschyl. Agam. 140.
9) Piodar. 01. III, 47. Eurip. Ipbigen. in Taur. 127.
^') Sophocl. Oed. Tyr. 203.
'2) Find. 01, III, 54 ib. Schob Xenopb. Lac. 2, 10. Paus. 111. 16.
’3) Paus. Arcad. Theocr* Id. VII, 106 ib. Schob Hom. h. XVIII, 13.
*i) Iloni. h. X, 2.
299
Beider Geilheiten Gegensatz und die Ueherlegcnheil der Kunst in
der Anordnung und der Gewandtheit in der Ausführung der Schlach¬
ten und Plane über die rohe Kraft der Sireitmassen wird absichtlich
hervorgehoben. Zeus rathel der Here, welche den Ares aus dem
Gefechte entfernt wissen wollte, die Athene zu Hülfe zu nehmen,
als die dem Kriegsgolte herbe Schmerzen anzulhun pflege *); und
in der Thal verwundete ihn Diomedes mit der Lanze Unter dem
Beistand der Athene, dass er laut aufschrie 2). Ja als vor Troja
die beiderseitigen Göller sich wechselseitig befehdeten, so standen
Ares und Athene einander gegenüber. Jener traf mit der Lanze der
Göttin Schild, den nicht einmal Zeus Blitzstrahl durchbohrt; sie
aber streckte den Gegner mit einem Ungeheuern Stein zu Boden
und behielt das Feld 3). Desgleichen im Schilde Hesiods (V. 325) half
sie dem Herakles im Kampfe gegen Kyknus, welchem Ares zur Seile
stand, und sie reizte ihren Schützling, er solle den Ares, wo er vom
Schilde entblössl sey, verwunden. Diess geschah und der Gott fiel
auf die Erde ^). — üebrigens weil die Gottheit über dem Kriegs¬
glück steht, so verband sich damit der Glaube an das gerechte Wal¬
len des Kriegsgoltes. So ruft der Homeride (h. VH, 4) den Ares
an , als den Helfer der Themis , als den Führer gerechter Männer.
Geber beiden Gegensätzen steht als Vater und höhere Einheit
Zeus mit der Aegide (^aiycoxoq). Zur Erklärung dieses gewöhn¬
lichen homerischen und hesiodischen Beiwortes haben Buttmann
und Böltiger (Amallhea Bd. I) an die himmlische Ziege erinnert,
deren Erscheinen Sturm ankündige. Es mag wohl daher die Ver¬
wandtschaft der Wörter (Ziege) , (heftige Bewegung) und
aiyiq (Sturmwind) 6) herrühren; allein damit ist die Aegide nicht
erklärt, welche in der Hand des Zeus und der Athene^) ein
Schild, ein Attribut des Krieges ist, ursprünglich von Ziegenfell
seinem Namen nach, jedoch mit Erz gehörig befestigt, als welcher
») II. V, 766. 2) 11. V, 856.
3) II. XXI, 391. 4) Hes. Sch. 461.
In Idelers Untersuch, über d. Ursprung und die Bedeutung der
Sternnaraen S. 309.
^) Aeschyl. Choeph. 591. Hesych. s. v.
2) Hes. Sch. 444. Eurip. Ion. 996.
300
vom Schmidt Hephäslos dem Zeus zum Schrecken der Menschen
gegeben ward*) und Glanz verbreitet, mit Franzen versehen 2).
Diese Aegide ist ein Talisman göttlicher Uebermachl im blutigen
Kriegsspiel. Wenn Zeus sie ergreift, so wird ein Theil in die Flucht
geschlagen, und der andere siegt. Diess that er z. B. ^), um den
Trojanern Sieg zu verleihen, und zum grossem Nachdruck bediente
er sich der weitern Attribute seiner Macht, überzog den Ida mit
Wolken, donnerte und blitzte, und schüttelte die Aegide. Als Ta¬
lisman überreichte Zeus im Gefecht einst dem Apollon seinen Schild
zu demselben ßehufe, und so lange er ihn unbeweglich in der Hand
hielt, trafen von beiden Seilen die Pfeile, so bald er ihn aber gegen
die Danaer schüttelte und dazu schrie, entsank diesen der Muth, und
die Trojer trieben sie wie Schafe vor sich her ').
Als Kriegsgolt trägt der olympische Zeus des Phidias die Nike,
welche eine Binde und eine Krone hält, die Tochter der Styx, auf
der rechten Hand, und vier Siegesgöttinnen tanzen vor jedem Pfei¬
ler seines Thrones 5). Nike wurde bald gellügelt, bald um ihre blei¬
bende Dauer auszudrücken, ungeflügelt vorgestellt®). Aber auch
Athene hält Sieg und Ruhm in den unsterblichen Händen^); wäh¬
rend Furcht und Schrecken ira Gefolge des Ares sind. Mit der Nike
in der Hand bildete sie Phidias auf der Burg zu Athen ab, in der
*} II. XV, 310. 2) II. XVII, 593. 3) II. 1, c.
II. XV, 230. 310. 318. Wenn Hock (Kreta I S. 180) der Mei¬
nung ist, Zeus habe von der ihn säugenden Ziege Amalthea den Bei¬
namen Aegioebos entlehnt und Homer habe diese Aegis erst zu einer
künstlichen Schutzwaffe umgebildet, so lässt sich der Zusammenhang
zwischen jener Ziege und dem Schilde nicht also begreifen, dass jene
die ursprüngliche und diese die abgeleitete Fabel wäre, üeberhaupt
ist die Fabel von der Amalthea nicht alt (Eratostb. c. 13 Apollodor. I,
1,7), wohl aber das Beiwort Aegioebos; so dass wir, wenn eines
aus dem andern entstanden ist, das umgekehrte Verbältniss annebmen
müssen.
3) Paus. V, 10. Auf einem geschnittenen Steine des Aleandri zu
Venedig hält Zeus die Nike in der Hand.
6) Pausan. I p. 39. HI p. 189. V p. 340.
7) Hes. Sch. 339.
301
andern Hand rail dem Speer, und daneben eine grosse Schlange, zu
ihren Füssen lag der Schild, auf der Brust war ein Medusenhaupt,
woraus ja das Kriegsross entsprungen war, auf dem 'Haupte ein
Helm, darüber ein liegender Sphinx und an dessen Seilen Greife^)
als Sinnbild der Zerstörung, ln voller Wafifenrüslung sprang sie aus
des Vaters Haupte zum Staunen der Götter, und selbst Hyperions
glänzender Sohn stellte so lange die Rosse, bis das Mädchen die
herrlichen Waffen von den unsterblichen Schultern abgenommen
hatte 2). Von der ihr zugeordneten Siegesgöttin halle sie selbst den
Beinamen Nike 3), und wurde wie diese bisweilen geflügelt vorge¬
stern ^). Sie ist und heisst die Unüberwindliche (arQvrutvrj) die
Heerfijbrerin , die Erregerin des Feldgescbreis und die da Beule
macht {aysleiri , Xrjtriq 8) ). Als Kriegsgöttin hat sie den unter¬
scheidenden Beinamen die Reisige {Innia) 9) und als solche eine be¬
sondere Stammableitung, welche sie dem Peloponnes zu verdanken
scheint. Poseidon nemlich als der Schöpfer des Pferdes und die
Okeanine Koryphe werden für ihre Ellern ausgegeben Neben
dem reisigen Poseidon und den Dioskuren hatte sie als
Reisige {innia) ihren Altar zu Olympia *•). Die Messenier nannten
sie Koryph asia ‘2) von dem Vorgebirge Koryphasiura. Die Arka-
1) Paus. I, 24. 2) Hom. h. XXVIII.
8) Sophocl. Phil. 134 ib. Schol. Eurip. Ion. 1529. Paus. I p. 79.
Aeschyl. Eum. 1004. Eurip. Ion. 460. Eustalh. ad II. XI p. 879.
Wir sehen sie auf einer goldenen Münze des Agathokles (bei Fröhlich
Notilia numismatura t. VIII n. 10) mit Flügeln, Helm, Schild und
Lanze, vor ihr die Eule. In anderer Beziehung erscheint sie als magna
Pales auf etruskischen Spiegeln geflügelt in Verbindung mit den Dios¬
kuren: Inghirami Mon. Etr. Ser. II T. 41. 65.
5) Od. IV, 762. VI, 324. Theog. 925. fi) Theog. 1. c.
7) II. V, 765. Od. XIII, 359. Hes. Sch. 197.
8) II. X, 460. 9) Sophocl. Oed. Col. 1070.
■9) Mnaseas im ersten B. seiner Europa hei Ilarpocrat. v. 'Ädrjvä
innia, vgl. Meurs. lect. Altic. V, 20 und Davies zu Cic. N. D. III, 23.
Cic. das. nennt ihre Eltern Zeus u. Koryphe.
■") Paus. V, 15.
12] Clem. Protr. p. 8. Paus. IV, 36. Arnoh. IV, p. 136 f.
302
der verehrten diese A diene auf einem Berggipfel als Koria*), wel¬
chen Beinamen wir entweder von ^ö^vg , die Behelmte, oder besser
von “i^p: (Burg), die Burggöltin, ableiten können. Ihr wurde die Er¬
findung der Kriegswageii Leigelegl^); allein ohne Unterscheidung
schreibt der Homeride (h. III iu Vener. 12) der Athene die Erfin¬
dung der Wagen zu. Als gestrenge Kriegsgötlin ist sie Jung¬
frau (V. 8).
Ares, der aus Thracien nach Griechenland kam 3), trat an die
Stelle der Enyo und Pephredo der vorigen Periode, woher er auch
evvdkiog hiess ^). Doch hat Homer (II. e, 333) die Enyo noch ne¬
ben der kriegerischen Athene und neben Ares (ib. 592). So stellt
auch Aeschylus (7 vor Theben 45) Ares, Enyo und die blutige
Furcht (<P6ßog') zusammen. Die Athener sollen sogar den ’Evvakiog
als ein von Ares verschiedenes Wesen verehrt haben ^). Auf dem
Schilde des Herakles war Ares blutroth abgebildet (V. 191). Seine
Beiwörter Durchbohrer der Schilde (^poröpog) ^) , Männerwürger
(ßpoTo^-oiyog) , Städtezerstörer *) und dergleichen 9) , sowie seine
Söhne Furcht und Schrecken, welche seine Wagenleuker sind
und die dichten Kriegsschaaren verwirren *<’), bezeichnen zur Genüge
seine kriegerischen Geschäfte. Der Homeride (h. VH, 4) gibt ihm
die Siegesgöttin zur Tochter.
§. 54.
Der Staat unter göttlicher Obhut.
Der Verein der Menschen in Staaten, Städten und Familien im
Gegensatz zu dem schweifenden Nomadenleben hat seinen göttlichen
Halt in Hestia (ionisch Histia “)), der personificirteu Heimath und
’) Paus. VIII, -21. Cic. 1. c. 2) cic. 1. c.
3) Od. ,9’, 361. Z. B. II, (>', 211.
3) Arisloph. Pac. 457. Schob Yen. ad II. p', 211. Sophocl. Ajax
179, II. XXI, 392. Theog. 934. 7) II. V, 846.
8) Theog. 936. 9) Hora, h. VII. Creuzer III S. 277 f.
•0) 11. p', 299. ö, 119. Theog. 934. Schild 195. 463.
1') Herod. II, 50.
303
Liebe zur Heimath, von iardvai (festsleben). Sic ist die älteste
Tochter des Kronos und der Hhea ^), und wurde schon von den Pe-
lasgern verehrt 2). Sie hat den festen Wohnsitz in allen Tempeln
der Götter und in den Häusern der Menschen 3) , und zwar an den
Altären im Innern der Tempel und in der Milte der Häuser am
Herde, wo ihr zu Ehren ein Oellicht brannte^). Vorzugsweise
rühmt daher der Homeride (h. XXHI) ihr nach , dass sie das heilige
Haus Apollons in Pytho umgebe, weil dieses ja den Griechen für
einen religiösen Mittelpunkt galt. Die Gegensätze der Rastenden,
die rastlosen Götter Poseidon als das bewegliche Element und Apol¬
lon als die Sphärenbewegung, haben um sie gefreit und wollten sie
in ihren beständigen Fluss mit fortziehen; sie aber verweigerte es
mit Festigkeit und schwur beim Haupte des Zeus ewige Jung-
frauschafl 5).
Das Zusammenleben der Menschen, wovon Hestia das himm¬
lische Urbild ist, wird bedingt durch den Ackerbau, w’omil sie sich
nähren, und durch Gesetze, welche die Rechte und Pflichten der
Gesellschaft ins Ebenmaass bringen und regeln. Die Gesetze kom¬
men von oben herab, und die Göttin, welche den Ackerbau lehrte,
stiftete auch heilige Rechte und Ordnungen unter den Menschen;
diess ist Demeter die Gesetzgebende §), sie und ihre Tochter
wurden als deaixocpö^oi augerufen 2). Bei Thermopylä, wo die Am-
phiklyonen sich versammelten , hatten Demeter "‘Aixcpiy.rvoviq (auch
IlvXaia genannt) und Amphiktyon selbst ein Heiligthum 8). Daher
wurden dieser Göttin zu Ehren die Bänke der gesetzgebenden Volks¬
versammlung zu Athen mit dem Blote geopferter Schweine besprengt^).
Diese Verehrung kam ihr aus mehreren Gründen zu, weil durch sie
erst Ordnung in das wilde Leben der Menschen kommt: mit der
milden Nahrung hängen die milden Sitten zusammen, der Ackerbau
Ilom. h. in Vener. 22. Theog. 454.
2) Herod. 1. c. 3) Hom. h. XXIX Anfg.
‘*) Hora. h. in Vener. 30. Cic. N. D. II, 27,
5) Hom. 1. c. 24. Herod. VI, 91.
2) Aristoph. Tbesmoph. v. 304.
3) Herod. VH, 200. S. TiUmann Bund d. Amphikt. S. 101.
2) Preller Demeter und Pers. S. 358.
304
bewirkt feste Wolinsitze und einen gesellsciialtliclien Zustand, wel¬
cher nur durch Gesetze möglich ist, die das verwickeltere Mein und
Dein auseinander setzen. Die Göttin selbst ist das Vorbild einer
gesetzlichen Ordnung in der wechselnden Aufeinanderfolge von Sa¬
men und Erndte.
Organe der Gesetzgebung und vollstreckende Richter sind die
Obrigkeiten. Zeus aber, bei dem die Macht und Gewalt ist, re¬
giert durch sie auf Erden die Völker. „Von Zeus sind die Könige«^).
»Zeus göttliches Scepter regieret bei ihnen« 2). Der Pelopiden Herr¬
scherstab über Argos, welchen auch Agamemnon führte, von He-
pliästos gearbeitet, wurde von Zeus durch Hermes dem Pelops über¬
geben 3), Der gewöhnliche Ehrentitel der Fürsten bei Homer ist da¬
her die von Zeus Erzeugten (dioyevsiq) und Genährten {öiotQscpeh;).
Die Pythagoreer setzten zwischen Gott und den Menschen in die
Mitte ein ehrwürdiges Geschlecht, den König oder einen weisen
Mann ^). Daher singt Pindar (Ol. I, 181): „auf der höchsten Stufe
stehen die Könige; weiterhin trachte nicht.« Die Spartaner setzten
neben den Sitz der Ephoren ein Heiligthum der Ehrfurcht 5); was
Menelaos bei Sophocles (Ajax 1046 Cf.) auslegt: »die Gesetzein den
Staaten werden nie gut gehandhabt, wo die Furcht nicht herrscht;
kein Heer wird weise beherrscht , das keine Furcht noch Scheu
kennt. Wem Furcht und Scham zugleich inwohnt, der hat, wisse,
das Heil; wo man aber übermüthig ist und thut, was man will, eine
solche Stadt wird, glaube es nur, mit der Zeit einst aus dem Wohl¬
stand in den Abgrund sinken.«
Ein wohlgeordneter gesellschaftlicher Zustand , wo im Auseinan¬
dergehen und Zusammenwirken vieler Kräfte das Ganze im Einklang
und schönster Ordnung besteht, ist ein Abbild des Laufes der sich
durchkreuzenden und doch in ewiger Harmonie fortdauernden Him¬
melskörper. Die Regelmässigkeit im Sternenlauf und im Wechsel
der Jahreszeiten bot daher ein sinnvoll gewähltes Bild von der Wohl¬
ordnung im Staate. »Phöbus freuet sich immerdar über die Grün¬
dung von Städten; Phöbus selbst leget den Grund«, singt Kallimach
') Theog. 96, wiederholt von Kallimach h. in Jov. 79.
2) Sophocl. Phil. 139. 3) II. II, 101.
'-*) Schob Villois. in 11. ä, 340. 3) Plut. v. Cleomen. c. 9.
(h. in Apoll. 56 f.). Er ist wie seiner Idee nach, so in der Wirk¬
lichkeit der eigentliche Mittelpunkt aller Bundesstaaten, die daher
am liebsten, wie das Jahr, zwölftheilig waren. Artemis, deren
Gestirn jeden Monat die Erde umkreiset, liebt nicht nur die Har¬
monie des Saitenspiels und des Tanzes , sondern auch den Staat ge¬
rechter Männer*). Eben so bedeuten die Horen nicht allein das
geregelte Verhältniss unsers Erdkörpers zur Sonne, sondern ihre po¬
litische Anwendung wird durch ihre Namen, ihre Mutter und durch
den ausdrücklichen Ausspruch Pindars (Ol. XIH, 6) gerechtfertigt.
Dieser nennt sie die Grundfeste der Staaten, zu Korinth wohne Eu-
nomia und ihre Schwestern, die feste Dike und die gleichgesinnte
Irene, die goldenen Töchter der weisen Themis, welche den
Männern Reichthum verleihen, wofern sie vor Uebermuth sich be¬
wahren. Ihre Namen gehen eigentlich auf die bürgerliche Ordnung,
und lassen sich erst in Folge der Abslraction anf die Jahreszeiten
zurückführen. Die beiden Hauptgewalten des Staates, die gesetz¬
gebende und die richtende, sind in Eunomia und Dike persönlich
vorgestern. Jene ist das gute Gesetz 2), diese die Handhabung und
Vollstreckung desselben, die Gerechtigkeit, die dritte ist die Frucht
dieser gesellschaftlichen Ordnung, Irene, Bürgereintracht, Friede und
Wohlstand. Wie bei Eunomia die Irene hält, so ist dagegen in Be¬
gleitung der Disnomia die Ate ^). Gleichwie die Horen das Füllhorn
des Segens über die Fluren verbreiten und das Jahr mit seinem
Gut krönen; also ergiessen dieselben ethisch gewendet Glück und
Heil über den Staatenverband. Es lässt sich auch in der letztem
') Hom. h. in Vener. 20.
2) Von der Bemerkung, dass im Homer zufälligerweise das Wort
vöfxoq fehlt, Hessen sich Aristarchus, Josephus (conlr. Apion. II p. 1375
ed. Iluds.) und Ilesychius (v. vd/uog) zu der Behauptung verleiten, als
wäre dieses Wort in dem Sinn von Gesetz überhaupt damals nicht be¬
kannt gewesen. Alsdann wäre freilich die obige Ausdeutung von Eu¬
nomia nicht richtig ; allein dvavo/uia Thcog. 230 in dem Sinne von
Gesetzlosigkeit und vö/xog Theog. 417 Op. 276 in der Bedeutung des
Gesetzes zeigen deutlich den alterthümlichen Gebrauch Jenes Wortes
und den Geist bei Zusammensetzung des Eigennamens Eunomia.
Theog. 230.
•20
306
Beziehung ein Fortsclireilen nach Analogie ihrer physisclien Bedeu¬
tung nach weisen. Erstens die Gesetze sind die Grundlage eines je¬
den Vereins von Mensclien , sie begreifen den Anfang und die Keime
des ölTentlicIien Lebens, und gleiclien so dem Frühling, der alle
Keime des Jahres weckt, zurechtlegt und dem Sommer übergibt.
Zweitens die Gesetze werden der Hand der Gerechtigkeit (Dike)
übergeben , welche im Leben Gebrauch davon macht und sie voll¬
zieht: so erreicht sie die Bestimmung des Sommers, der die Keime
zur Zeitigung bringt. Drittens die Fülle des Herbstes ist ein Sinn¬
bild der Wohlfahrt geordneter und gerechter Staaten , und die dar¬
auf folgende Ruhe des Winters ein Bild des Friedens, worin man
den bescherten Reich Ihum verzehrt und verarbeitet. Mit weisem Be¬
dacht wird die dritte Höre nicht etwa Ueberfluss, sondern Friejde
(Irene) genannt, weil darin zugleich eine Ordnung unter den Men¬
schen liegt, wie eine jede Jahreszeit nicht nur eine Frucht der vor¬
hergehenden , sondern eine Ordnung in der Natur ist. Die zwei er¬
sten Horen haben mehr die Obrigkeiten, die dritte mehr die Unter-
thanen im Auge. Wie der Frühling und Sommer vorausgehen, je¬
doch nur um die Erndte und den Herbst vorzubereiten; so haben
die gesetzgebende und richtende Gewalt zwar den Vorrang, jedoch
der Zweck ihres Daseyns ist Friede und Wohlfahrt der Untergebe¬
nen. — Im Rechte (Themis) haben die Gewalten des Staates und
die Ordnung der Bürger ihren gemeinsamen Mittelpunkt: Themis
ist aus diesem Grunde Mutter der Horen. »Der olympische Zeus
und Themis lösen auf und bekräftigen die Volksversammlungen« *).
Sie ist und heisset die erhallende (ocöisi^a) 2).
Schulzgott aller Hellenen war der oberste Zeus, illiqvioq ge¬
nannt, vor welchem die Athener im Perserkriege eine heilige Scheu
bezeugten, dass sie Hellas nicht verriethen 3). Nach dem Perser¬
kriege weihten die Peloponnesier ein Zeusbild nach Olympia und
setzten an dessen Fussgestell die Namen der Bundesglieder ^). Die¬
ser Zeus lässt sich bis zu den ersten Anfängen des hellenischen
Volksslammes nachweisen. Sein ältestes Vaterland war nemlich
') Od. II, 68.
3) Herod. IX, 7.
2) Piiid. Ol. Vtlt, 28.
Paus. V, 23, 1.
307
Molossis in Epirus ’), wo man im grauen Alterlhum in Dodona den
Zeus Ammon verelirle. Da waren die Helli oder Selli (von laut
schallen, im Fiel Golt loben) und dienlen dem Gode, das Land hiess
auch Hellopia; da wohnlen die TQa.i-if.oL, welche Benennung die Bö¬
rner in ihrer Sprache sich aneignelen. Achilleus, der in Phlhia und
Hellas die Myrraidonen, Hellenen und Achäer beherrschle^), haUe
noch ein Bewusslseyn davon, dass der dodonäische Zeus, der pelas-
gische, der God seiuer Väler war; denn er rud ihn in der Ilias (XVF,
233) an. Aeakus, der Myrmidonen Fürst in Aegina, war des Zeus
Sohn und betete zur Abwendung einer Landplage von Griechenland
zu seinem Vater, welchem man auf dem hellenischen Vorgebirge dieser
Insel einen Altar errichtete 3), Dessen Sohn Peleus, des Achilleus
Vater, flüchtete nach Phthia. Wie nun die kleine Landschaft Hella»
in Phthia später, wiewohl schon in der hesiodischen Periode, ganz
Griechenland den Namen gab, so wurde auch der hellenische Zeus von
Aegina und Phthia der gemeinsame Zeus aller Hellenen. Daher gab
eine Fabel dem Hellen statt des Deukalion den Zeus zum Vater ^).
Die Spartaner verehrten zu Lykurgs Zeit dem Geheiss des pythischen
Orakels zufolge Zeus Hellanios und Athena Hellania ^). — Im Rath¬
haus i^ßov'kavx^Qiov) zu Athen hat Zeus ßovlatoq und Athene ßov-
laLa eine Kapelle, und die Ralhsherren verrichteten beim Eintritt
ihr Gebet daselbst 6). Hier standen drei Scbnitzbilder, des Zeus Bu-
läos , des Apollon und des (souveränen) Volkes ^).
Weisheit ist der Thronen Stütze und der Städte Hut. Athene
ist daher besonders geeignet, eine Schutzgottheit der Städte zu seyn,
als welche die Eule, das Sinnbild der Wachsamkeit, neben sich hat.
Sie war und hiess Inhaberin und Beschirraerin der Stadt Athen, auf
deren Burg sie ihren Tempel hatte (jiohdq , aroXiow/og) ^), Vorkäm-
1) Arislot. Meteor. I, 14. Creuzer Symb. III S. 178.
2) H. II. II, 683. 3) Find. Nem. V, 19 das. Schot.
‘^) Apollodor. I, 7, 2. Schob Horn. Od. X, 2.
3) Flut. Lycurg. 6 nach verbesserter Lesart.
Antiphon TtsQi xov xoq. p. 789 Reisk.
2) Faus. 1 , 3 , 4.
3) Sophocl. Fhil. 134. Spanhetn. ad Callira. h. in Fallad. v. .73.
p. 668, Hemsterh. ad Aristoph. Flut. v. 772
308
pferin (^TtQÖfiaxo^) , Königin von Attika*), Städteerhalterin {ipval-
TtroXig) 2), welche den Eingang und Ausgang des Volkes heschirmel.
Ihr brannte daher zu Athen ein ewiges Licht Diese Bedeutung
hat wahrscheinlieh ihr Beiwort ’'Oj/xa in phönicischer Spraehe. Nach
einem alten Epigramm hat neralich Kadmus der Athene Ogka bei
der Gründung von Theben einen Tempel errichtet. Stephanus By-
zantinus besagt ausdrücklich, dass bei den Phöniziern Athene "Oyxa
benannt worden sey, und auch Pausanias (IX, 12, 2) weist über
diesen Namen auf die phönicische Sprache hin, Kadmus habe ihr
unter freiem Himmel Altar und Bildsäule geweiht. Der Chor bei
Aeschylus (7 vor Theben 149) ruft sie unter diesem Namen an und
zwar als vor der Stadl nahe an einem der sieben Thore befindlich
(vgl. V. 471. 486). Vaickenaer '*) vergleicht daher die Wurzel
dass ’'Oyxa die Erhabene bedeute, als vor dem Eingang stehende
Städtebeschülzerin. ln diesem Sinne heisst auch Artemis in The¬
ben n^oaxaxrjfila 5). — Auch wegen ihres kriegerischen Charakters
eignete sich Athene, Burggöltin und der Städte Schulz zu seyn. So
aufgefasst, halle sie, wie wir nachgewiesen haben, Koryphe, des
Oceans Tochter, zur Mutter, und als solche nicht nur Poseidon,
sondern auch den höchsten Zeus zum Vater; d. h. sie thront auf
einer aus dem Urwasser entstandenen Bergspitze 6). Sie war gleich¬
falls in Sparta :ToA4oi!>;of 2) ; die Achäer verehrten sie a\s navaxat(;^),
auf der Höhe von Larissa halte sie ihren Tempel; als dv.Qia auf der
Burg von Argos 2), und hatte als alles Durchschauende die Beina¬
men onxilixiq und ö^v5£Qy.r]q *0).
Wie in Phönicien eine jede Stadt ihren Schutzgott hatte ^‘), so
waren auch in Griechenland ausser den ihrer Natur nach in beson¬
derer Beziehung auf Staaten und Vereine stehenden Gottheiten die
•
*) Aeschyl. Eumeii. 284. 2) Horn. h. X, 1,
3) Paus. I, 26. '*) Zu Eurip. Phoeiiiss. p. 725.
Aeschyl. 7 vor Theben 434.
Paus. VIII, 21: etxI oQovq ■KOQvcpfj.
7) Paus. III, 17, 3. 8) pa„g. yil, 20, 2.
Clem. Protr. p. 29.
Paus. II, 24. III, 18, 1. Plut. Lyc. 11.
*’) Clavier sur les premiers temps de la Gr^ce T. I p. 13.
309
in einer Stadt oder Landschaft vorzugsweise verehrten Götter die
hauptsächlichen Scliutzgötter derselben. So war Hera unter dem
Beinamen ax^aia (von axpa) die ßurggöllin von Korinth und von
der argivischen Stadt Larissa, und die Argiver brachten ihre Vereh¬
rung in die Colonie Byzanz , wo man ihr zum Jahresanfang opferte
Paläphatus nennt die Hera von Argos iioXiovxoq , was eben so viel
bedeutet. Auf den Münzen von Smyrna 3) heisst auch Zeus dx^aTog,
auf dem Throne sitzend und die Nike in der Rechten hallend. Da¬
hin gehören besonders die Stammgötler, an welche ein Volk seine
Abkunft knüpfte. Also nennt Platon (Eulhydem. p. 302 C) Zeus,
Apollon und Athene Altvordern (Ttgoyopoi} und Herren. Das
Verhällniss der Athene zu Erichthonius ist bekannt, wesswegen sie
sich an die Häupter des attischen Stammbaumes auschliessen konnte.
Zeus'* *) und Apollon waren t9-sol in Athen, Zeus als Vater
ihrer Anakes oder der eleusinischen Altvordern, auf der Akropolis
als Stadtgott {TtoXiaioq oder verehrt, und Apollon als
Vater des Ion, den er mit der Tochter des attischen Königs Erech-
(heus Kreusa anstatt seines menschlichen Vaters Xuthus erzeugt ha-
*) Paus, II, 4, 7.
2) K. 0. Müller Prolegomena z, Myth. S. 132 f.
3) Spanhem. p. 701.
*) Alberti ad Hesych. v. Tfazgtäoq Zsvq. Soph. Trachlii. 7ö4. Eu-
rip. Eleclr. 675. Aeschyl. ap. Slrab. XII. p. 580. Aristopb. Nub. 1472
xatQtäov Jta, erläutert von Wesseling Observall. p. 21, Dagegen
ioQzal näxqioL im Gegensatz zu den ausländiscben , Isocrales Areopa-
git. bei Ilarpocralion. Ueber den Unterschied von nar^Mog u. jtdzQcog
vgl. Graev. ad Lucian. Soloec. T. IX p. 459 Bip. Creuzer fragm. Ili-
slor. Gr. Änt. p. '<48, — Man hat die Stelle Platons Eulhydem. p. 302
C missverstanden, als gebe es in Athen keinen Zeig TtazQMug, allein
cs heisst nur, kein loner, auch nicht die in Asien, hätten den Zeus
zum väterlichen Gott, sondern den Apollon; wobei er nicht in Abrede
stellt , dass nicht die Athener vonder Pelasger Zeit her den Zeus als
solchen gehabt und verehrt haben.
Elym. M. v. diinoXia
Paus. Allicis. Porphyr, de abslinenlia. Arislol. de mundo VII, 5.
ben sollte '), Den lonera verdankten die Athener die Einführung
des Apollondienstes, und weil jene selbst ihr Geschlecht von diesem
Gott ableiteten, so wurde er ein Stammgott von Athen. Ion sollte
sogar als achter Zögling dieses Gottes im delphischen Tempel erzo¬
gen worden seyn^), und in der That war es den Athenern noch
bewusst, dass der Gott ihrer Väter Apollon eben der pythische
Gott war 3), Die Archonten erwiesen nach ihrer Erwählung dem
Apollon als ihrem Ahnherrn (TtQÖyopog) Ehre, und die Athener allein
unter den Hellenen opferten jenen beiden Stammgöttern in jeder
Phratria, in jedem Gau und in jedem Geschlechte (xcträ ovyyevdag) '*).
Ich erlaube mir daher, der Ansicht, die K. 0. Müller in dem ersten
Bande seiner Dorier niedergelegt hat, dass Apollon vorzugsweise eine
dorische Gottheit sey, zu widersprechen. Es ist wahr, auch Do-
ros wurde für einen Sohn Apollons ausgegeben ^) ; es mag seyn, dass
seine Verehrung sich von Kreta aus verbreitete, und auch das ist
glaubwürdig, dass schon vor Minos Dorier unter Tektaphus mit
Achäern und Pelasgern nach Kreta eingowandert sind ®). Ob sie
') Plal. Eulbydera. 72: ‘A:i6XXiop nazQMoq 6ia rijp roü^'lcopog ye-
peoip. ib, Schot. Eurip. Ion, v. 10. 338 1479. Arrian. Anab. VII, 29, 7.
Harpocrat. v. nazQc^og ib. Vales. p. 18. Eudocia p. 331 in Villois.
Anecd. T. I. (Deren Text aus dem das Nemliche sagenden Schot.
Arist. Nub. 1472 zu verbessern ist.)
2) Eurip. Ion v. 28. 308. — Ions Urgrossvater von väterlicher
Seite, Deukalion, sollte auf dem apollinischen Berge Parnasus zuerst
mit seiner Arche sitzen geblieben seyn.
Aeschyl. Agam. 520 : vrcaiog t£ y.wQctg Zevg 6 llv^iög z“ äpa§.
Doch mag sich dieses auch auf Argos beziehen, woselbst die Stamm¬
verwandten der loner , ein Theil der Achäer, mit den Doriern zu ei¬
nem Volke verwachsen waren. Demoslh, de corona c. 115 ed. Wun¬
derlich p. 274 T. I ed. Reisk. xctAcJ spuptiop ii/limp, m aPÖQsg 'Adr]-
patoi , Tovg ßeovg ä:taPTag v.a\ ndoag , oooi r^p yjdpup fxovai zijp
Attcki^p, xal TOP AjioXXoi rop Ilvßiop , dg natQz^dg iazi tfi nöKec.
Arislol. bei llarpocr. v. 'AitöXk. naxQ.
■'*) Schol. Arist. INub. 1472, Apollod. 1 , 7, 6.
*’) Horn, Od. XIX, 174, Andron bei Slrabo X p. 475 D u, Sleph,
B. V. JlOQlüP.
311
aber den Apollocult milgebracbt, oder sclion vorgefuuden liabeu,
darüber haben wir keine sichere Kunde. Wer in Kreta die Brücke
von ägyptischen und ptiönicischen Einflüssen nach Grieciienland sieht,
wird geneigt seyn das Letztere zu behaupten. Es ist sogar unge¬
wiss , ob je eine eigentliche Colonie von Kretern nach Delphi kam.
Der delphische Apollon wird von Einigen hyperboreischen Einflüssen
zugeschrieben (§. 77). Aeschylus (Eum. 9) lässt von Delos her den
Apollon über Athen nach Pytho kommen *). Der allen Hellenen zu¬
gehörige Gott ist also nicht den Doriern eigenthüralich, noch von
iJinen erweislich ausgegangen. — Zeus ist Vorsteher der ötTent-
lichen Verhandlungen (dyopatog , forensis) in Athen 2). Als Schutz-
gott des Quartiers, deren ein jeder Stamm drei hatte, hiess Zeus
q>Q6.rQioq und Athene q^gar^la 3). Haus und Hof stand in Athen un¬
ter dem Schirme des Zeus im Hofraum hatte er einen Al¬
tar, wo man ihm Hausgottesdienst verrichtete Man betrug die
obrigkeitlichen Personen nach ihrer Erwählung, nicht nur ob sie
von väterlicher und mütterlicher Seite her Athener seyen, sondern
auch ob sie den urväterlichen Apollon und den Zeus, den Beschützer
des Hofraums, hätten 5). Apollons Tempel zu Athen hiess Delphi-
nium und war von dem Pythion verschieden , stand schon zu The-
seus Zeiten , und daneben befand sich ein von Aegeus erbauter.
Euseb. Chron. P. II p. 107 lässt unter dem König Amphiclyon
von Athen den Tempel von Delphi von Erysichthon, dem Sohne des
Cekrops, erbaut werden, 524 n. Abrah. Nach Ephorus fragm. p. 152
verbanden sich die Autochthonen von dem Parnas mit dem von Athen
anrückenden Apollon , um den Python (einen feindseligen Mann nennt
er ihn) zu erlegen. S. oben S. 176.
2) Aeschyl. Eumen. 960.
3) Plat. Euthydem. p. 302 D das. Schol. Pollux I, 1, 24 das.
Ausleger.
Harpocr. v. epxeiog Zevg u. das. Ilyperides. Auch in Ithaka
im Hause des Odysseus hatte Zeus (Qxsioq seinen Altar, Od. XXII, 334.
Pollux VIII, 85 u. das. Ausleger.
Meurs. in Areopago c. 11 in Gronov. Thes. V p. 2120 und de
Athen, atticis II , 1 Gronov. IV p. 853.
Theseus opferte dem delphinischen Apollon den marathonischoß
dem Apollon Delphinios und der Arlemis Delpliinia gewidmeter Ge¬
richtshof (örAaaxijQiov öeXcplviov) ’), Ausserdem scheinen die loner
andere apollinisch pythische Oertlichkeiten nach Attika verpflanzt zu
haben; wenigstens erinnert der über Athen liegende Berg Farnes
{nd^vrjQ, heutzutage Casha) 2) an den Delphi beherrschenden Par-
nasos (ionisch IlaQvi^aoq). Die Aegineter verehrten gleichfalls
in dem delphinischen Apollon ihren Stamm- und Hausgotl {oi-Aiatrjq
■Kal ÖMfiarlrrjq') , und nannten sogar den Monat, in welchen sein
Fest fiel, nach ihm dalcplvtoq '* *).
Der d e 1 ph i n ische Apollon verblieb in grosser Verehrung
bei allen lonern auch in ihrer neuen Heimath in Kleinasien. Der
milesische Wellweise Thaies , welchem als dem Weisesten Griechen¬
lands der Arkader Bathykles ein goldenes Becken verehrt hatte, gab
es aus Bescheidenheit dem Bias, dieser wieder einem andern, und
als es zum zweitenmal an Thaies zurückkam, so weihte er es dem
delphinischen Apollon, als dem Beherrscher des Volkes des
Neleus d. i. der loner 5), »Der Tempel des delphinischen Apollon
Stier (Plul. Thes. c. 14 p. 0 ß , wo Reiske anstatt /iaXcpivi<a mit Un¬
recht AiXcpioi oder AiX(piy.(a schreiben möchte). Vgl. ibid. c. 18 p. 7
F, dass Theseus für die Knaben, die er im Begriff stand nach Kreta
abzuführen , im Delphinium Fürbitte bei Apollon that.
Pollux VIII, 10. Das Richlercollegium der Heliasten zu Athen
wurde bei Zeus, Athene und der (gesetzgebenden) Demeter beeidigt,
s. Preller Dem. u. Pers. S. 358. Der Polemarch sprach in dem Heilig¬
thum des Apollon Lykeios (Lykeion) bei dem Standbild eines Wolfes
Recht, wo der Wolf Sinnbild der obrigkeitlichen Strafgerechtigkeit
war, s. K. 0. Müller Dorier I S. 243.
2) Aristoph. Nub. 322 ib Schob u. Schob ad Arist. Acharn. 347.
Stephan. B. s. v.
3) Pythänetos bei Schob Pind. Nem. V, 81.
‘^) Pind. b c. ib. Schob
*) Kallimach. in den Jamben, dessen Quelle der Milesier Lean-
drius war, bei Diog. L. I, 29 Plut. Solon. c. 4. Die Weiheschrift
lautete:
SaXrjq pia t<L /nadevPit NeiXaco dtj/AOv
Acömoi Tovro dlq Xaßd>v dpiaxetov.
war gemeinschafHich für alle loner« wesshalb er auch der Tem¬
pel des panionischen Apollon hiess, welchen sie sogleich nach
ihrer llebersiedelung in Asien nach der dorischen Säulenordnung er¬
bauten 2). Es ist nicht leicht zu entscheiden, ob dieser Tempel der
berühmte des klarischen Apollon bei Milet war, worauf eine Inschrift
bei Potock p. 52 anspielt {UÄTPSIOT IlTOIKOT KAAPIOT IlÄNISl-
NIOT) : oder ob er in Panionium , dem Sitz der ionischen Zusam¬
menkünfte zum Poseidonsfeste, befindlich war, worauf Hesychius
zu deuten scheint 3). Auch der Homeride (h. 1 in Apoll. 41) nennt
unter den Hauptsitzen des Apollondienstes die hohen Gipfel von My-
kale, und macht so wahrscheinlich, dass da, wo der panionische
Poseidon, gemeinschaftlich der panionische Apollon verehrt wurdet).
Wie in Milet ein besonderer Tempel des helikonischen Poseidon
stand 5) , so hatten die ersten Gründer von Ephesus auch an dem
Hafen dieser Stadt dem pythischen Apollon ein Heiligthum errich¬
tet ^) , ohne dass man daraus schliessen dürfte, das wäre der pan¬
ionische Tempel gewesen,- so wenig als aus dem Orte auf der Insel
Chios Delphinion , welcher nahe bei der Stadt gelegen und mit ei-
Menagius zu Diog. 1. c. wollte anstatt deXcpiPiM dvrdi/ual<p lesen, und
Meursius Graecia feriata v. JaXcpcvia vermeinte, es sey der bekannte
Tempel des deipbinischen Apollon zu Athen gemeint; was Corsini Fast.
Att. T. II dissert. XVII, 31 p. 319 rügt.
1) Strab. IV p. 270.
2) Vitruv. IV, 1, 5, woselbst Schneider Vol. II p. 230 gegen
Rode u. A. , die den Neptun an die Stelle des Apollo zu setzen ver¬
suchten, die Statthaftigkeit des Letztem in Schutz nimmt.
3) Hes. V. TlavicovioP’ lapöv ^d^ioXXcovog ip Poapia.
‘^) Daselbst werden andere ionische Städte unter den Apollons¬
sitzen namhaft gemacht: Phokäa , Chios, Samos, Milet, Klaros.
«) Schob Horn. II. V, 403.
6) Kreophylus in den Annalen von Ephesus bei Athen. VIII, 62
p. 333. Uebrigens scheint daselbst nicht genau geschieden zu seyn,
was den allerersten Gründern von Ephesus und was den einwaiiderii-
den lonern zuzuschreiben ist. Auf der Letztem Rechnung dürfte nach
dem Obigen der Tempel des pythischen Apollon zu setzen seyn.
314
nem Hafen versehen war* **)), gefolgert werden dürfte, dass man da¬
selbst den delphinischen Apollon verehrt hätte. Nur so viel wird aus
diesem Zusammentreffen wahrscheinlich, dass die Kreier, welche
vor der ionischen Einwanderung sich schon in Chios angesiedelt hal¬
len 2), der Ortschaft Delphinion den Namen gegeben haben; da
Ebendieselben in Knosos den Apollon Delphinios verehrten 3), und
Delphi und den delphinischen Apollon in Phocis benannten. Delphi¬
nion ist aber unstreitig ein passender Name für einen Seehafen,
wenn man bedenkt, dass der Delphin ein sehr altes Sinnbild für
die Schifffahrt war; wesswegen die Elrurier am Vorderlheil ihrer
Schiffe einen Delphin abgebildet halten ^) , und auf ihren Assemün¬
zen öfter dasselbe Thier 5), die römischen dagegen ohne Sinnbild ge¬
radezu ein Schiff zeigen. So glaube ich , wurden die kretensischen
Ankömmlinge bei ihrer Ankunft in Phocis von den dasigen Einge-
bornen als Delphinier d. h. als Seefahrer, ihr mitgebrachler Gott
Apollon als Delphinios und die früher Pylho genannte Stadt nach
ihnen als Delphi bezeichnet. Auf diese Weise wird die Schwierig¬
keit, dass der delphische Gott anslall deXcpixög dslcpivioq hiess, am
füglichslen gehoben; denn diessmal wurde die Stadl nach den Ein¬
wanderern und nicht umgekehrt die Bewohner von der Stadl ge¬
nannt, d. h. nicht JsXcptPioi von JeXcpoi, sondern JeXcpol von JsX-
cptvioc, und so auch der durch die Seefahrt eingewanderle Gott JsX-
cplvioq 6). Nun liegt der Ursprung der Fabel sehr nahe und ist über-
*) Thucyd. VIII, 38 ib. Ausleger , 40. Diod. XIII, 76 T. V p. 364.
Er heisst noch heute Delpbiushafen.
2) Strab. XIII p. 922.
^) Ghishull Ant. asiat. p. 134.
Plin. H. N. IX, 9.
Inghirami Mon. Etr. Ser. III T. I.
**) So wird uns in der That berichtet: Delphis (d. h. der Seefah¬
rer) habe Delphi den Namen gegeben: Orus von Theben bei ßuhnken.
in epist. crit. I p. 109. Erst später wurde der Yolksname von JiXcpoi
analog Xaöi; JeXqjög (Callim. b. in Apoll. 98) , oi Jelcpol (Schol. Apol¬
lon. II, 711) gebildet. Ursprünglich aber lautet das Beiwort anders,
wie auch der Name der pythischen Schlange, welche Apollon erlegte,
deXcpivrj zeigt. (Apollon. Arg. II, v. 706, wo Bruuck in den Noten
aus natürlich, dass Apollon in Gestalt eines Delphins auf das kreti¬
sche Schiff gehüpft, dasselbe geleitet, und am Hafen von Krisa an-
gelangt, als der Erste gleich einem Sterne ausgesprungeu sey, und
seinen Verehrern im Schiffe befohlen habe: „weil ich zuerst als
Delphin auf das Schiff im Meere gesprungen, so betet zu mir als
dem Delphinier, und der Altar soll immerfort der delphische und
hochberühmt seyn“ * *). Diese Fabel ist allem Anschein nach erst
hintendrein entstanden; er kam schon als Delphinios von Kreta her.
p. 276 aus Pariser Hdschr. öskcpivr]v anstatt ÖsXcpvvtjv verbessert, und
eben so die Lesart bei Dionys. Per. v. 442 dsXcpivrjq aus den Hdschr.
berichtigt, Eudocia p. 107 steht ösXcpiva statt daXcpivrjv, dieselben
Worte hat Tzetzes ad Lycophr. v. 208, von Brunck zu Apollon 1. c.
verbessert.)
*) Hom. b. in Apoll. 493 cf. Eudocia p. 107 f. Nach Ruhnken.
in der episl. crit. I p. 109 geben Ilgen und Matlhiä aus einer Mosk.
Hdschr. auch das zweilemal daXcpivioq statt öaXcpaioq. Hermann dage¬
gen zeigte, dass solche lange Sylben nur da, wo die unumgängliche
Nothwendigkeil des Hexameters es erfordert, wie bei ^EXevocvidao (h.
in Cer. v. 105) verkürzt werden, was aber bei öaXcpivioq nicht der
Fall sey ; jedoch zeigt sich dieser Metriker in einer Anmerkung zu
Orph. Argon, v. 190 ohne Noth in Absicht auf dieses Wort nachgiebi¬
ger, Matthiä in Animadv, p. 201 ficht die Stelle an, weil man nicht
zu Apollon beten könne, wie er ins Schiff gesprungen sey, eher
könne man dieses besingen. Allein u)q gibt den Grund der Benennung
Delphinios an, bedeutet bei Platon (z. B. Lysis p. 206 D) und den
Dichtern (Sophocl. Electr. 17. 21. Aristoph. Nub. 503) häufig weil.
Wenn derselbe Gelehrte das zweite Glied nach vermisst, so wird
Ja dieses V. 495 mit avraQ deutlich eingeführt, und dadurch Apollon
und sein Altar einander gegenüber gestellt. Hermann findet es unan¬
gemessen, dass das alsL auch auf das Prädikat deXcpaioq bezogen, und
dass dieses durch y.ai mit dem ganz verschiedenartigen Prädicat an6-
\pioq verknüpft werde. Er will daher ändern : avTUQ 6 ßw/uoq aviiy.
(Iq axpvaioq y.ai inöxpioq. Es mögen so die beiden Prädikate gut zu¬
sammen passen, allein nicht die beiden durch piav und avrdfj verbun¬
denen Sätze, Es handelt sich vielmehr um die Namengebung wie des
Gottes, so des neugestii'teten Altars, w ohin auch V. 496 das ihn in gleiches
Die Annahme des Matthiä *)? als hätte die Fabel blos der Etymolo¬
gie des Apollon Delphinios und der Stadt Delphi ihre Entstehung
zu verdanken, ist bei weitem nicht so natürlich, als wenn jene Ety¬
mologie ausdrücklich für die richtige gehalten wird. Die Abweichung
der Fabel, dass Apollon den Delphin als Begleiter zu den Kretern
gesandt habe 2), ist unbedeutend und einer natürlichen Wundererklä¬
rung zu vergleichen.
Nach dem Bisherigen werden wir es begreiflich finden, dass die
louer hin und wieder dem pythischen Apollon in seinem Vaterlaude
Huldigungen darbrachten. So schickten die Phokäer nach Delphi
ein silbernes Henkelgefäss (carthesium), welches der phocensische
Tyrann Phayllus seiner Geliebten zum Geschenk machte. Die Ephe-
sier sandten ebendahin als Weihgeschenk einen Lorbeerkranz, den
nachmals Onomarchus seinem Liebling verehrte 3). Dionysios der
Perieget (v. 4'i5) lässt den Apollon von Milet oder von Klaros nach
Delphi sich begeben. Eben so ist es natürlich, dass der benachbarte
delische Apollon die besondere Aufmerksamkeit, Andacht und
Wallfahrten von Seite der loner veranlasste ‘^). Einen andern Wink
Verhältniss dem deipbinischen Gott gegenüberstellende Fürwort av~
xöq zielt. Jene Bedeuklicbkeiten werden entweder durch die orakel-
massige Sprache, oder wenn man will , durch die von Macrobius
Sat. I, 17 p. 297 beigebrachte Etymologie des Wortes SsXcpioq äjiö
Tov Stj'kovv oxpavifj , gehoben, nach welcher letztem Erklärung öikcpeioq
und (noxpiog allerdings sinnverwandt würden. Oder wenn man eine
Aenderung wagen wollte, so wäre folgende viel leichter und für den
Zusammenhang schicklicher: avzög d£X(f)iog, og v.aX sTcd^piog soaszac
ahi. Eine Pariser Hdsebr. hat ösXcpcog, das Wort ög konnte wegen
der Endsylbe des vorigen Wortes leicht ausgelassen seyn, wie in ähn¬
lichen Fällen oftmals geschah. So wäre dilcpiog von ahi und von
£:t6'ipwg mehr geschieden. Jedoch ist nicht genug Grund zu irgend
einer Aenderung vorhanden.
Matth, in prolegom. ad Animadv. in hymnos Hom. p. 33.
2) Paus. X, 6.
3) Tbeopomp über den Raub der delphischen Weihgeschenke bei
Alben. XIII, 83 p. 190.
Thueyd. III, 104.
von der Anhänglichkeit der loner an Apollon gibt uns Pindar * *),
dass die Samier das Orakel Apollons zu Abä in Lycien gestiftet
hätten.
Die zwölf Städte der Aeoler feierten ihr Bundesfest im Haine
Gryneion bei Myrina gleichfalls dem Apollon zu Ehren. Eben so
war Apollon Tqi öji lo g der ßundesgott der sechs und nach Aus¬
schliessung der Halikarnaser der fünf dorischen Städte, und hatte
sein Heiligthum auf dem triopischen Vorgebirge. Bei dem dabei
stattfindenden Kampfspiele erhielten die Sieger eherne Dreifüsse, die
sie aber dem Gotte weihen mussten. Als nun ein Halikarnaser den
gewonnenen in seinem Hause aufhing, wurde seine Vaterstadt dess-
wegen aus dem Bunde ausgeschlossen, und auch die andern benach¬
barten Dorier durften an dem Nationalfeste nicht Theil nehmen 2).
Poseidon hatte von Alters her seinen vorzüglichen Wohnplatz
im Peloponnes, und die dasigen Städte verehrten unter allen diesen
Gott am meisten 3). Aegä '•) und Helike in Achaja galten besonders
dem Gotte für heilig ^). Homer (II. V) machte daher den Poseidon
zum Beistand der Achäer vor Troja. Neleus, Vater des Nestor^),
und Bellerophon 2) galten für Söhne Poseidons. Helike, Tochter des
Selinus , eines Sohnes des Poseidon, war die Gattin des Ion*), d. i.
jene Stadt in Achaja war die Hauptniederlassung für die aus Athen
angerückten loner. Von dieser Stadt empfing er den Beinamen der
Helikonier (Ehxoiviog)^'), unter welchem ihn die loner während
*) Bei Schol. Soph. Oed. Tyr. v. 894. fragm. Find, p. 158
ed. Heyn.
2) Herod. I, 144. Theocr. Id. XVII, 69 u. das. Schol.
3) Diod. XV, 49 T. VI p. 386 Argenlor. ib. Wesseling, p. 640.
II. ö>', 203. 441. 6, 194. Od. d’, 506.
*) Schol. Villois. II. V, 403. Nicocrates bei Schol. Apollon, 1,831.
u. Gallim. in Del. v. 101.
*) Schol. Vill. II. et, v. 544. \p' , 514.
2) Asklepiades bei Schol. Vill. II. VI, 155.
*) Paus. Achaic. c. 1. Eustatb. ad II. ß' p. 618 Polil.
9) Clitophon bei Schol. Vill. II. v, 403: ajtö rov iv 'EXiy.r] xe-
jLUVovg 'EXcY.d>vtov n^oorjyoQivasv. Zwar könnte von der Form ’EXixi]
nicht 'JSXtxcJvtog abgeleitet werden , und es versuchten daher der Schol.
318
ihres Aufenlhalles in Achaja und mit denselben Gebräuclien nacli
ihrer Auswanderung in Asien als den Gott ihres Slaatenbundes ver-
ehrlen '). Poseidon war gleichfalls in Lampsakus , einer ionischen
Kolonie von Phokäa, der oberste Gott, wie aus Münzen jener Stadt
erhellet 2). Er war eben so der Schutzgott von Theben in Poolien 3).
Ausser Apollon und Poseidon verehrte die Gesaramtheit der
loner die ephesische Artemis, weil Ephesus die Hauptstadt
loniens war; gleichwie sie ehemals auf Delos gemeinschaftlich den
Apollon verehrten '*). Zwar war Artemis ohne Beziehung auf Ephe¬
sus in Milet einheimisch ; indem Neleus an der Spitze der ionischen
Vill. 1. c. u. Ilgen zu Hom. h. XXI die Ableitung von dem Berge He¬
likon, n. A. wollten in diesem hom. Hymnus ’Ehy,b>va in EXixijp xe
ändern (s. Bocchus Slothouwer in tirocin. crit, p. 97). Allein auch
die Bürger von Helike hiessen "EXi-kmvioi von dem angeblichen Grün¬
der Helikon (Stephan B. v. 'EHyitj. Die spätere Form ist wohl ^EXi~
ycEvg , Heraclides bei Slrabo VHI p. 590), und gewiss nicht von dem
böolischen Berge; folglich musste auch Poseidon von Helike eben so
heissen, und es ist kein Grund wegen der Form zum Berge seine Zu¬
flucht zu nehmen. Wohl muss die Form gerechtfertigt werden, was
am besten durch die Annahme geschieht, dass Helike anfänglich He¬
likon hiess. So nennt Homer 1. c. Helikon in Verbindung mit Aegä
als dem Poseidon heilig, und es wäre hart, mit Ilgen z. d. Stelle
p, 588, Matlhiä Animadv. in h. XXH p. 444- und dem Schellersheimer
Schol. ad Hes. Scut. v. 104 an den Berg Helikon hier zu denken, da
Aegä nahe bei Helike liegt. Eben so herrscht Hom. Epigr. VH, 2 ed.
Herrn. Poseidon im EvQvxo^og ’EXcy.cSv, wo jene Gelehrten wieder an
den Berg denken , das Beiw'ort aber schon eher auf die Stadt passt.
Ebendieselbe heisst ja II. II, 575 "E\iY.rj EVQEia. Helikon war auch
ehemals ei« Stadtname in Böotien, welcher in den bekannten Namen
Orchomenus durch die Söhne des Sisyphus verändert wurde. (Schol.
Vill. SchitTskatalog 18.)
Herod. I, 148. Slrab. XIV p. 947 cf. VIII p. 589. Paus. VH.
24 p. 585.
2) Eckhel D. Nuni. V. p. 456. Cornut. N. D. c. 22.
Hes. Sch. 105.
‘) Thucyd. HI, 104.
/
— 319 —
Pflanzer von Athen aus sie als Schicksalsgöllin zur Führerin des Zu¬
ges {rjysiiövrf) gemacht haben soll^); wesswegen ihr Fest daselbst
Neleis hiess 2). Dieselbe Artemis hatte als Hegemone ein Heilig¬
thum in Arkadien unweit Akakesium, wo sie mit Fackeln in den
Händen abgebildel war, und wo die Mören und Zeus Möragetes ihre
Nischen halten 3). Indessen benannten die ionischen Städte die Ar¬
temis gewöhnlich die ephesische, womit sie Zeugniss von dem Ur¬
sprung ihrer Verehrung ableglen Ihren Tempel zu Ephesus sollen
die Städte Kleinasiens auf gemeinschaftliche Kosten erbaut haben 5),
Aber nicht allein zu Ephesus als ihrem Hauptsilz wurde sie gemein¬
schaftlich von den lonern verehrt, sondern einzelne ionische Städte
besassen eigene Filial- Tempel dieser Gottheit. Von Chesion, einem
Vorgebirge auf Samos, und von dem Flusse Imbrasus ebendaselbst
hatte sie die Beinamen Chesias und Imbrasie 6). Ferner geschieht
von ihrer Verehrung zu Smyrna 2) , zu Erythrä mit dem Beinamen
'"A^tsjuig Szocpea und zu Pygela , einem Städtchen unweit Ephesus,
wo sie als Artemis Mowixla einen von Agamemnon gestifteten Tem¬
pel halle 9) , Erwähnung. Da das letzte Beiwort mit dem an dem
attischen Hafen ihr beigelegten ""Aqt. Movwyja zusammentritTt, so
scheint es ihr erst durch die eingewanderten loner beigegeben wor¬
den zu seyn ; wiewohl ihr Tempel schon von der Zeit des trojani¬
schen Kriegs her stand. Artemis Ephesia hatte sogar ihr Heilig-
thum zu Korinth und zu Alea in Arkadien ”). Dalier heisst sie
Apostgesch. 19, 27 die grosse Göttin Artemis, welche ganz Asien
und das römische Reich (77 oiy.ov/uevrj) verehre. Als solche halte
') Gallim. Dian. v. 226.
2) Plut. de virtut. mulier. 162 Vol. II p. 4t Wyttenb.
3) Paus. Arcad. c. 37. ‘•) Paus. IV, 31 p. 357.
5) Liv. I. Plin. H. N..XVf. 79. XXXVI, 21.
*») Gallim. Dian. 228 ib. Schot. Hom. h. VIII , 4.
8) Ilippias bei Athen. VI, 74 p. 492 mit Gasaubon. u. Schweigb
Animadv. in Athen. T. III p. 532 f.
9) Strab. XIV p. 9i7.
10) Paus. II, 2 , 5.
“) Paus. VIII, 23, 1.
320
sie den entsprechenden Beinamen der Vorsitzenden {jtQMxodgovlij *),
-Tpwro'Opot'os 2) )
Bei der Vereiirung der loner für Apollon ermangelten sie dem¬
nach nicht zugleich seiner Schwester zu huldigen. K. O. Müller
(Dorier I S. 368) sagt zwar, Apollon komme nicht als Brudergott
der ephesischen Artemis vor. Seine Ansicht, dass Apollon nicht
ein Naturgott sey, käme freilich sehr ins Gedränge, wenn die un¬
leugbare NaturgÖttin von Ephesus seine Schwester wäre. Allein wie
seine Behauptung hinsichtlich Apollons nach unserer Darstellung eine
erhebliche Einschränkung erleidet, so pflegte überhaupt das Heiden¬
thum die Mutter Natur nie ohne ein männliches Wesen zu denken
und darzustellen; beide Principien mit einander weben und zeugen
fort und fort. Wenn nun nach S. 105 in Thracien Dionysos, in Elis
Alpheios die männliche Zeugungskraft der Artemis gegenüber ver¬
tritt , so ist doch, wo Artemis jungfräulich bleibt, Apollon die
noihwendige Ergänzung, welcher daher auch als v-iaasi/q bacchische
Attribute hat, und ob er gleich zu Artemis in keinem Zeugungsver-
hältniss steht, so ist durch das Zwillingsgeschwisterverhältniss die
enge Wechselbeziehung beider und zwar zarter und minder anstös-
sig bezeichnet. Sie sind so unzertrennlich, wie wenn man in Sparta
die Tyndariden mit zwei aufgerichleten Balken und zwei Querbal¬
ken (Joxetra) abbildete ^).
•) Paus. X, 38 p. 896.
2) Callim. Dian. v. 228. Dieser Beiname hat den Auslegern viel
zu schafTen gemacht, welche diese Auszeichnung der Artemis mit der
Mythologie nicht zusammen reimen konnten, indem nach Ilom. II. ol,
100 ib. Scbol. Villois. Here zur Rechten und Athene zur Linken des
Zeus sitzen. Allein Jenes Prädikat ist lediglich auf die ephesische Oert-
licbkeit zu beziehen, wie auch ihre zwei . vorhergehenden Beinamen
von der ionischen Insel Samos entlehnt sind.
'’) Plut. de amor. frat. 1 p. 36,
321
2) Wie verhalt sich der Mensch als ein sittliches Wesen
zu Gott?
Von dem Sündenfalle.
§. 55.
Prometheus.
In der Religionsperiode der Hellenen bildete sich eine charak¬
teristische Sage vom Sündenfall aus, und knüpfte sich an die Per¬
son ihres gemeinsamen Stammhalters Prometheus und seiner Brü¬
der Epirae theus und Menötius. Sie konnte erst entstehen,
nachdem die Hellenen ein in den Völkerschaften Dorier, loner und
Aeoler verbreiteter Volksstamm waren und über die pelasgischen Ur¬
einwohner Griechenlands hervorragten. Nun aber finden wir die im
Homer auf eine Landschaft in Thessalien beschränkte Benennung
Hellas für ganz Griechenland zuerst bei Hesiod (Op. 453) gebraucht,
und die Söhne Hellens, Dorus, Xuthus und Aeolus von demselben
Hesiod io seiner Genealogie der Heroen *) zuerst angegeben. Hel¬
lens Vater aber war Deukalion und dessen Vater Prometheus,
dessen Gattin die Okeanine Hesione^). ln Prometheus fanden da¬
her alle hellenische Geschlechter den Anfang ihres Stammbaumes.
Wenn auf seinen und seines Sohnes Namen Allegorien und Sagen
aufgetragen wurden, so folgt daraus noch nicht, dass sie selbst blos
allegorische Personen gewesen seyen. Vielmehr waren sie, nach
dem Inhalt eines indischen Gedichtes zu urtheilen, in einem Reli¬
gionskrieg vertriebene Auswanderer aus Indien, in welches Land
die Griechen selbst zurück weisen 3). Deo-Cal-yun (Deucalioo) , so
lautet die indische Sage , dessen Vater den Beinamen Pramat hesa
(Prometheus) hatte, sey als Empörer gegen den Braminengott
Krischna mit seinen Begleitern nach dem Westen zu den Yavana
•) Bei Schob Lycophron. v. 284 und Schob Pindar. Pylh. IV
fragni. p. 443.
2) Aeschyb Prom. 5.59. Akusilaus bei Schot. Od. X, 2.
Strabo u. Arrian bei Schütz Aeschyb T. I p. 106.
21
(Griechen) verjagt worden ^). Mil dieser angegebenen Herkunft steht
in der Thal die indische Lehre vom Sündenfall, verglichen mit der
an die Person des Prometlieus verknüpften, im Einklang. Nach in¬
discher Fabel stahl der Geist Hajagriva die h. Bücher (Veda), was
dem ganzen Menschengeschlecht Verderben brachte und die Sündflulh
veranlassle ^). Ferner der Demiurg Birmah verfiel in Hochmulh
gegen die andern Geister und in Lüsternheit gegen seine eigene
Tochter Sursety; wesshalb er zur Büssung in die niedern Regionen
herabsank 3). Wenn wir hiermit den Feuerraub des Prometheus, sei¬
nen Hochmulh, die Götter im Opfer betrügen zu wollen, des Epi-
melheus Lüsternheit und die unter’Deukalion staltfindende Wasser-
flulh vergleichen, so werden wir ohne Bedenken in Prometheus und
Deukalion geschichtliche Vermittler indischer und griechischer Leh¬
ren annehmen müssen. Die griechische Fabel spielt selbst nach
Asien und dem fernen Osten hinüber, woher die hellenischen Pflan¬
zer gekommen zu seyn scheinen. Am kaukasischen Gebirge soll
Prometheus dem Zeus missratheu haben , die Thetis zu schwängern,
weil sie einen Sohn gebären werde, der grösser als sein Vater sey ^).
An denselben Berg wurde er nach der Fabel zur Bestrafung ange¬
schmiedet. Um die Zeitrechnung, ob das, was von diesen Männern
ausgesagl wird, mit der mulhmasslichen Zeit ihrer Einwanderung
übereinstimme, darf man sich natürlich im Gebiete der Sage und der
Fabeln nicht kümmern. Im Gegentheil ist es begreiflich, dass Dinge,
welche die Wiege der Menschheit betreCTen, mit der Vorstellung
von jenen Personen darum verknüpft wurden , weil sie die Wiege
der Hellenen waren. So sollte die noachische Wasserfluth, von
der sich bei vielen Völkern üeberlieferungen erhallen habend), un-
0 ßaur Mythol. 1 S. 247 nach Ritter.
2) Purana bei Jones Asiat. Abhdign. I S. 359 deutsche Ausg.
3) Polier Myth. d. Indier I S. 171.
“♦) Schol. Villois. Hom. 11. d, 519. Aeschylus spielt im Prome¬
theus öfter darauf an, z. B. v. 920 ff., dieser kündet dem Zeus einen
Kämpen an, der ihn vom Thron stossen werde, ob er gleich trotzig
dem abgesandten Götterboten Hermes keinen Bescheid über die Person
des Thronräubeis noch irgend einen guten Rath crtheilt.
Sogar in Amerika weiss man unter allen Stämmen an den Ufern
323
ler Deukalion, einem Zeilgenossen Mosis'), sich begeben haben.
Ohne Zweifel hat sich die ältere hebräisch indische Sage nur an sei¬
nen Namen geknüpft. Dessgleichen Japhet oder lapetos, der Be-
völkerer Europas, ein Sohn Noahs nach der mosaischen Urkunde,
wurde mit Ueberspriogung der unbekannten nnd unwesentlichen Mit¬
telglieder bei den Griechen geradezu zum Vater des Prometheus ge¬
macht 2). Ja Prometheus galt als der Stammhalter der Uellenen für
den ersten Menschen überhaupt und Pandora für das erste Weib.
Nach einem Bruchstück des Euripides (nach Andern des Philemon)
soll er die Menschen aus Thon gemacht haben, was die alte Kunst
nachbildete. Er heisst darum Menschenbildner (avdguiTtoTtoiöq) j),
und was ein Volk von seinem Adam als dem sittlichen Stellvertreter
seines Samens im Verhältniss zu Gott dichten kann, finden wir auf
seine Person aufgetragen. Aeschylus (Prom. 14) nennt ihn zwar ei¬
nen Gott, dem das Sterben nicht beschieden sey (v. 753); allein
mehr darum, weil er eine verkörperte Idee, ein Träger religiöser
Wahrheiten ist, (in welcher Beziehung auch Herakles ein Gott war,
V. 1027) als dass er seine Menschheit leugnen wollte. Nach Aeschy¬
lus (Prom. 232 ff.) wollte Zeus das ganze Menschengeschlecht ver¬
tilgen, aber Prometheus widerstand ihm. Auf seinen Bath nemlich
haute sein Sohn Deukalion die Arche ‘^).
Die einfache Erklärung des Sündenfalls: der Mensch wollte klü¬
ger seyn als Gott und sein Gebot , trat aber eben damit aus dem ihm
des Obern Oronooko, dass ein Mann und ein Weib sich aus der Was-
serfluth auf ein hohes Gebirge Tamanaia gerettet, darauf an den Ufern
des Asiveru über das Haupt hinweg Früchte hinter sich geworfen habe,
woraus Männer und Weiber entstanden: Alex. v. Huinboldt u. Bonpland
Personal narrative of Iravels to the equinoctial regions of the new
continent Vol. IV.
*) Euseb. Ghron. P. II p. 103. Schon Platon (Tim. p. 22 A) er¬
wähnt der Fluth unter Deukalion u. Pyrrha.
2) Theog. 510.
3) S. die Nachweisungen bei Völcker Mytb. des lapet. Geschl.
S. 315 ff- Welcker äschyl. Trilog. S. 13 Note; wozu Tatian ttq.
n. 10 p. 252 gefügt werden kann.
''•) Apollodor I p. 19.
324
angewiesenen Pfade der Ordnung heraus , und war wahrliafl (höricht
und hoflährlig gegen Gotl , vertheilt sich in der griechischen Fabel¬
lehre unter die drei Personen Prometheus, Epiraetheus und
M e n ö t i u s ^). Der Pegritr des klügelnden und ausschweifenden Vor¬
witzes setzte sich in Prometheus, dessen Name schon darnach ge¬
modelt wurde, fest und hatte seinen geschichtlichen Beleg und Stütz¬
punkt in den Neuerungen und Verbesserungen, welche der Einwan¬
derer Prometheus im Gottesdienst und Leben einführte. Von ihm
kam die Sitte, die in Nierenfett eingewickelten Schenkelknochen der
Thiere anstatt der Holokauste zu verbrennen; was aber also gedeutet
wird, als hätte er damit die Weisheit des Zeus überlisten wollen.
Zu Mekone, dem allen Namen der alten Stadt Sicyon in Achaja,
opferte er einen grossen Ochsen, das Fleisch und das fette Einge¬
weide sammt dem Magen darüber that er in die Haut, die Knoehen
aber legte er schlau in Fett verhüllt bei Seite. Zeus merkte die List
und schmälte darüber; Prometheus aber hiess ihn lächelnd wählen,
welcher Theil ihm beliebe. Zornig griff der Gott nach dem weissen
Fett und ergrimmte, als er das weisse Gebein darunter gewahrte 2).
Nicht dieser gottesdienstliche Gebrauch an sich, sondern daran wird
überhaupt die Unart des Menschen, klüger seyn zu wollen als Gott
und sein Gebot, als die Grundsuppe der Sünden gerügt; gerade wie
sich Eva mit dem Gedanken kitzelte, sie werde seyn wie Gott und
klug werden, wenn sie von der verbotenen Frucht kostete 3). Der
Vorwitz der Metauira hinderte ja auch Demeter au ihrem Vorhaben,
den Menschen zur Heiligung und Ewigkeit zu führen, wie wir oben
gesehen haben. Weil nun der Mensch sich vermass , mit der Weis¬
heit des allmächtigen Kronion zu rechten , so entzog dieser dem
unglückseligen Menschen zur Strafe das Feuer Diese Entzie¬
hung ist wohl nicht blos eingeführt , um den nachfolgenden Feuerraub
vorzubereiten ; sondern gleichwie im Feuerraub das Feuer allegorisch
zu nehmen ist, so ist es auch hier als das heilige und lautere Ele¬
ment im Sinn eines Heraklitus, als das und als Sinnbild des
*) Vgl. Baur von Giessen die alltest, und die griechische Vorstel¬
lung vom Sündenfalle in den Studien und Kritiken 1848 H. II.
2) Theog. 534.
3) 1 Mos'. 3, 5 f.
Theog. 533.
3) Theog. 561.
325
Lebens im Geiste aufzufassen. Uesiod •) selbst erklärt das Feuer,
das Zeus den Sterblichen verbarg, für das zufriedene Leben in kind¬
licher Einfall, das den Menschen verloren ging. Mit jener Strafe
hat es demnach die Bewandtuiss , dass Gott den Menschen, der klü»
ger seyn wollte als sein Schöpfer und Herr, seinem ungenügsamen
und habsüchtigen Herzen, oder allgemeiner gefasst dem feuchten und
thierischen Wesen dahin gab. Diess war die natürliche Folge des
Falls als einer Entfremdung des Lebens aus Gott. Die gefallenen
Menschen haben sich eigentlich des Feuers selber beraubt, und es
ist so viel als wenn es heisst : der Baum des Lebens wurde ihnen
verwehrt 2). Oder: »Gott hat sie dahin gegeben in verkehrten Sinn,
zu thuu das nicht laugt“ 3). Dass es sowohl bei Prometheus als in
der Bibel als eine Eifersucht Gottes gegen die Menschen dargestellt
wird, ist blosse Einkleidung.
Nach dem Verbotenen aber hascht der Mensch gleichwohl, über¬
flügelt seine eigene Kraft und überschreitet mit ungemessenen Be¬
gierden alles Maass und Ziel, das Gott dem Menschen gesetzt hat;
d. h. in den Worten der Fabel: Prometheus entwand das Feuer in dem
Mark eines knotigen Stengels zum Aerger des erhabenen Donnerers ^).
Es war aber nicht das lautere himmlische Feuer, das Gott den Men¬
schen entzogen halte, sondern irdische Weisheit und menschliche
Fertigkeiten, das Feuer verwandelte sich in den Händen des Diebes,
und ist hier ein Sinnbild der Künste des Lebens, zu deren Vervoll¬
kommnung der Gebrauch desselben unentbehrlich ist. Nicht etwa
die Kultur, die Prometheus von Asien herüber zu den griechischen
Pelasgern brachte, auch nicht geradezu die mit der Kultur verbun¬
denen Folgen der üeppigkeit und Verweichlichung, sondern das Rau¬
ben des Feuers, das klügelnde Auffliegen nach schwindelnden Hö¬
hen, das Ausfahren nach dem Fernen und Weitlosen, das Leiden¬
schaftliche im Begehrungsvermögen ist sein Frevel. Durch den Vor¬
witz des Prometheus wurden die Menschen aus dem Zustande behag¬
licher Genügsamkeit aufgejagl, sagt Hesiod (Op. 48) selbst. Das Feuer
ist also wie ein Baum der Erkenntniss und der Erfahrung vorgeslellt,
von welchem Prometheus pflückte, wodurch er über die dem Men-
») lies. Op. 47 vgl. 42. 2) i Mos, 3, 22.
3) Röm. 1, 28. ') Theog. b64.
326
sehen geordnete Sphäre hinausschweifte. Genauer nennt ihn die mo¬
saische Urkunde Baum der Erkennlniss Gutes und Böses, und es
möchte scheinen, dass die griechische diesen Baum mit dem Baum
der Erkenntniss überhaupt, das Praktische mit dem Theoretischen,
verwechselt habe, und so der gemeinen Ansicht der Morgenländer
huldigte, als bestände die Glückseligkeit in dem dumpfen Zustande
der Unwissenheit, Bedürfnisslosigkeit und Unthätigkeit. Hält man
aber den Begriff des Rauhens als des Ausschweifenden fest, so ist
die Theogonie gerechtfertigt, und ihr Erklärungsversuch des Sünden¬
falls hat im Feuerraub ein unverkennbar praktisches Element. Auch
die biblische Urkunde liess den im Feuerraub versinnlichten Zug des
aus dem Geleise der Ordnung schweifenden Slrebens nicht unberührt;
denn Gott der Herr sprach V. 22: Adam ist geworden als unser
einer, und weiss, was gut und bös ist. Es stand zu besorgen, dass
er nun auch seine verwegene Hand nach dem Baume des Lebens
ausslreckte. Darum wurde er aus dem Garten Eden gejagt, dass er
das Feld bauete , davon er genommen war.
Verweilen wir einen Augenblick bei dem merkwürdigen Zusam¬
mentreffen der hebräischen und griechischen Urkunde, dass der Sün-
denfall der ersten Menschen durch klügelnden und ausschweifenden
Vorwitz vermittelt gedacht ist. Gehen wir einen Schritt weiter zu¬
rück und fragen nach der Ursache dieses Vorwitzes in der mensch¬
lichen Naluranlage, so können wir die Streitfrage der Wettweisen
nach dem Ursprung des Bösen am richtigsten lösen. Der negative
Entstehungsgrund des Bösen liegt in der Stufe des Daseyns, wornach
der Mensch weder der Nolhwendigkeit unterworfen, wie die Kreatur,
noch ihr gleich gesetzt ist, wie Gott, erliegt in seiner Willkür oder
in dem Grade von Selbstständigkeit, wodurch er sich aus eigener
Wahl von der Nolhwendigkeit absondern kann. Diese seine Natur
persönlich und ausser ihm dargestellt, ist eben der Baum der Er¬
kenntniss Gutes und Böses, an und für sich nicht böse, sondern von
Gott selbst in seinem Garten d. h. im Menschen gepflanzt und zur
Prüfung hingeslellt. Dieser Baum so ausgelegt enthält den Grund
der Möglichkeit der Sünde, es ist aber ein negativer und kein nöthi-
gender Grund; der Schöpfer halle das Verbot des Genusses der fal¬
schen Erkenntniss hinzugefügl. Doch der Baum stand da, die Mög¬
lichkeit war gegeben , und so konnte um der schwankenden Willkür
willen der Satan am Menschen Ursache suchen und Fuss bei ihm
327
fassen. Der wirkliche Fall wurde für die Nachkommen eine reelle
Möglichkeit des Bösen d. i. Erbsünde. Die erste Bewegung nun der
irren Willkür, gleichsam der Kindesschritt der Süude ist das Klü¬
geln und der Vorwitz, der alsbald aus dem Geleise der Ordnung
schweift. Im Stande kindlicher Unschuld waltet noch das Gesetz der
Nothwendigkeit vor, wie Schiller^) singt;
Da noch das grosse Gesetz , das oben im Sonnenlauf waltet.
Und verborgen im Ei reget den hüpfenden Punkt,
Noch der Nothwendigkeit stilles Gesetz, das stetige, gleiche.
Auch der menschlichen Brust freiere Wellen bewegt.
Dagegen sagt derselbe a. a. 0.:
Vermessene Willkür hat der getreuen Natur göttlichen Frieden
gestört.
Oder mit den* Worten Platons 2) : „Ungemessene Knechtschaft und
Freiheit ist beides ein grosses Uebel, die gemessene aber ein grosses
Gut.« Prometheus wird uns bei seinem ersten Auftreten in der
Theogonie v. 511 als dem Festen, Stetigen und Nothwendigen ent¬
gegengesetzt, als gewandt und durchtrieben (jrofx/Äo?, aioXöfirjtiq,
xoiY.ikSßovloq V. 521) geschildert; in seiner Willkür , die dem Gesetz
der Nothwendigkeit abgewandt war, regte sich zuerst die Süude und
machte ihn frei ausser und wider Gott; wofür ihn dieser in Fesseln legte.
Das Wesen der Sünde steht darin, dass der Mensch sein eigener Gott
seyn will. Prometheus ist als der seine Sphäre vergessende in dem Sinne
gedichtet, in welchem die sieben Weisen Griechenlands als die Ilaupt-
tugenden Selbstkenntniss und Mässigung in den beiden nach Delphi
gesandten Sprüchen »erkenne dich selbst® und »nicht zu viel« er¬
kannten 3), als wollten sie das Gegentheil von Prometheus aufstelleu.
Das Schrankenlose ist zugleich das Gesetzlose. »Gott ist uns , sagt
Platon (Lgg. IV p. 716 C), das Maass {fjLSt^ov) aller Dinge, der
Gott Wohlgefällige muss daher auch mässig {ocxpQUiv) seyn®, d. h»
in der weitesten Bedeutung, er muss das Maass des göttlichen Ge¬
setzes in sich selbst, in seinem Willen haben; wie aus dem Gegeu-
1) Im Genius T. IX Ab, I S. 222.
2) Plat. Epist. VIII p. 354 E.
3) Plat. Prolagor. p. 343 B.
328
salz erhellet: »der nicht mässig und Gott unähnlich ist, der ist auch
ungerecht.“
Aeschylus hat diesen Gegenstand in drei dramatischen Vor¬
stellungen bearbeitet: in einem Salyrspiel Prometheus der Feuerlrä-
ger (TivQxasvg, Ttv^cpögog) , und zwei Trauerspielen, der gefesselte
und der befreite Prometheus, von welchen der gefesselte auf uns
gekommen ist. Dieser rühmt sich freilich , ein Wohllliäter der Men¬
schen gewesen zu seyn, sie vom Verderben, worein der neue König
sie habe stürzen wollen, errettet, ihnen die Voraussicht ihres Schick¬
sals durch Vorspieglung eitler Hoflnungen benommen 2), das Feuer
und die Feuerkünsle verliehen zu haben (v. 235 ff.). »Alle Künste
haben die Menschen von Prometheus“ (v. 506). Namentlich werden
ihm V. 450 ff. die Baukunst, die Sternkunde, die Buchstabenschrift,
die Zahlen, die Reil- Fahr- Schiffs- Arznei- Wahrsagerkunsl, Deu¬
tung der Träume und des Vogelflugs , in Fett gewick^te Glieder an-
Pollux IX, 156, X, 64. Argument. Aeschyl. Persarum. Ohne
Grund unterscheidet Welcker in der äscbyl. Trilogie S. 7 den nvQcpo-
pog von dem Ttv^xaeiq , und macht aus jenem ein verloren gegangenes
Trauerspiel. Allein jiv^cpÖQog heisst eigentlich Feuerträger, wie Aeschyl.
7 vor Theben 417 das Wort gebraucht und erklärt: der eine Fackel
in den Händen hat; und der Gegenstand des Feuerraubs ist nichts Tra¬
gisches, sondern eignet sich ganz zu einem Satyrspiel, woraus nach
Voss myth. Br. II S. 249 u. Schütz ad Aesch. Prom. vinct. v- 367 das
anonyme Bruchstück, welches Plutaruh angeführt hat, entlehnt scheint:
„o Bock, du wirst den Bart betrauern, es brennt, wer es anrührl.“
So sagte nemlich Prom. zu dem Satyr, welcher das zuerst erschienene
Feuer küssen wollte. Ich stimme daher dem Gasaubonus, Böckh Gr.
Trag. S. 28 u. Schlegel dram. Kunst I S. 163 bei, dass es gar keine
äschyl. Tragödie Prom. TtvgcpoQoq gab. Damit fällt aber die ganze
Hypothese einer äschyl. Trilogie Prometheus , und wir besitzen nur Eine
Trilogie von diesem Dichter: die Orestie, nemlich Agamemnon, die
Ghoephoren und Eumeniden.
-) Platon Gorg, p. 523 D hat diess anders gewendet, dass Zeus
dem Prometheus (mit Rücksicht auf die Wortableitung) aufgetragen habe,
es dahin zu ändern, dass die Menschen ihren Tod nicht mehr voraus
wissen.
329
zuzlinden (v. 496) , das lange Kreuzbein und die Zeichen der Opfer¬
flamme zu verstehen, die Metalle aufzufinden , zugeschriehen. Gleich¬
wie dem Socrates in den Wolken des Aristoplianes als dem Philoso¬
phen seines Jahrhunderts alle Thorheiten seiner Zunflgenosseu auf-
gebürdet werden, so ist es bei dem Polytechniker Prometheus das
schrankenlose Jagen und Streben in allen Zweigen des roenscblichen
Wissens und Begehrens, was ihm zur Schuld angerechnet wird.
Aeschylus (v. 62) nennt ihn einen Klügling {aocpiaTi^q) , den Reprä¬
sentanten der falschen Weisheit dieser Welt, die Gott nicht fürch¬
tet, und macht ihm (v. 82) zum Vorwurf, der Götter Gaben ent¬
wendet zu haben. Geflissentlich lässt der Dichter (v. 938) seinen
Helden trotzig auf Zeus schmähen, er ist ihm ein Gezüchtigter, der
gegen die Streiche ausschlägt und sich nicht demüthigt. So sagt der
Chor (v. 542): »Zeus nicht fürchtend, bist du den Sterblichen nach
eigenem Rathe allzu gewogen, o Prometheus.« Wenn dieser selbst
seine Strafe als eine Folge des Neides des jungen Herrschers Zeus
gegen die Menschen, deren Wohlthäter er gewesen sey, darstellt;
so entgegnet ihm der Chor der Okeaninen (v. 547 ff.); »sahst du
nicht die schwache traumähnliche Ohnmacht, worein der Menschen
blindes Geschlecht verstrickt ist? Niemals mögen ihre Anschläge
des Zeus Wohlordnung (uQ^ovLav) überschreiten. Das erkannte ich,
da ich dein unheilvolles Geschick ansah, Prometheus.“ Man irrt sich,
wenn man die gottlosen Reden des Prometheus gegen Zeus für des
Dichters wahre Meinung hält, als habe er in diesem einen ungerech¬
ten Tyrannen schildern und die Freiheitsliebe seiner Mitbürger näh¬
ren wollen *). Diese Ansicht hat ihren Grund in dem gänzlichen
Verkennen der Persönlichkeit des Dichters und der Bedeutung des
Prometheus als Lästerers. Welcker (S. 110 f.) versucht das Räthsel
durch das Verhältniss, in dem Aeschylus als Philosoph und als Ein¬
geweihter in die Mysterien zur Volksreligion stand, zu erklären;
allein er selbst weist S. 99 nach, wie sonst dieser Tragiker so gross
von Zeus immer rede: wie sollte er nun auf einmal im Prometheus
sich in Widerspruch nicht nur mit der Volksreligion, sondern auch
mit sich selbst setzen, und den Zeus der griechischen Gölterlchre
für eine eitle Dichtung hinstellen ? Er würde so das Göttliche nur
‘) Schütz excursus V ad Aeschylum u. Welcker äsch. Tril. S. 22.
330
profaniren , da er nichts Anderes und Besseres an des Zeus Stelle
setzt. Prometheus spricht z. B. v. 975: »offen gesagt, ich hasse alle
Göller, welche ungerecht Gutes mit Bösem mir vergelten.« Hätte
das Aeschylus selbst im Ernste gesagt, so wäre er vom Volk gestei¬
nigt, oder verklagt, vom Areopag diessmal nicht freigesprochen wor¬
den. Dagegen lässt der Dichter seinen gefesselten Helden durch
den Chor v. 928 tf. 1036 in seinem und des ganzen Volkes Sinn zu-
rechlweisen. Nicht viel besser ist die Ansicht eines Freundes von
Welcher, die dieser S. 92 ff. miltheilt, als sey Zeus im Prometheus
erst noch als ein werdender und in die neue Weltordnung sich erst zv>-
rechtfmdender, daher noch unvollkommener Gott dargeslellt. Weit
näher liegt der Gedanke, dass jeder Zuhörer des äschylischen Stücks
die Lästerungen in dem Munde des Prometheus als frevelhaft und
gottlos werde aufgenommen haben , und dass das auch die Meinung
des Dichters selbst gewesen sey, um so seine gerechte Bestrafung
zu begründen und die Aufmerksamkeit auf seinen vollkommenen Ge¬
gensatz, den Befreier Herakles, zum voraus hinzulenken. Dass Ae¬
schylus (v. 18) Themis zur Mutter des Prometheus macht ‘), hat
ohne Zweifel seinen Grund darin, um seine Leiden als eine Hand¬
lung der göttlichen Gerechtigkeit, nicht Grausamkeit, darzustellen.
Also schliesst das Trauerspiel, indem Prometheus in den Abgrund
stürzend, seine ehrwürdige Mutier und den Alles erleuchtenden
Aelher zu Zeugen auruft, wie widerrechtlich er leide (wg ey.Siy.a
Ttdaxoi). Im Sinne des Dichters aber enthalten diese Worte eine
feine Hinweisung auf die göttliche Gerechtigkeit, die ihr Strafgericht
an ihrem ungerathenen Sohne vollzieht, welcher seinen Aufruhr wi¬
der die herrschenden Götter büssen muss. Eine irreligiöse Ansicht
der Ausleger ist es, die sehr gegen die Frömmigkeit des heidnischen
Dichters abslicht, als wäre Prometheus das Ideal einer ungebeugten
*) Hes. Theog. 508 gibt ihm die Okeanine Klymene , Apollodor I,
2, 3 und Tzetzes ad Lycophron. Cassandr. 1283 die Asia zur Mutter,
letztere mit Bezug auf die Herkunft der griechischen Menschheit. Nach
Euphorion (bei Schol. Hom. II. 295) war Prometheus (im Gegensatz
zu Herakles, Zeus Sohn) ein Bastard der Here, die ihn mit einem der
Giganten Namens Eurymedon erzeugte; wesswegen Zeus den Letztem
in den Tartarus warf.
331
Slandhafligkeit in Ertragung der Leiden *). Schade, dass der be¬
freite Prometheus nicht erhallen worden ist! Wir würden in ihm
den Schlüssel zu manchem Räthsel finden. Hier wird Prometheus
ganz anders von seinem Feuerraub, von den zweideutigen Wohltha-
len, die er der Menschheit gebracht, und von seinen Leiden gespro¬
chen, und sein Gegenbild in Herakles als dem wahrhaften Wohl-
thäler der Menschen gefunden haben, dem wir nachfolgen sollen in
Kämpfen, Entsagung, Gehorsam gegen Gott und Feuerläuterung.
Hier war ihm auch Gelegenheit dargeboten, mystische Dinge auszu¬
sagen, die man sonst in den Eleusinien geheim hielt; wesshalb er
angeklagt worden war 2); nicht als ob in den Eleusinien die Fabel
des Prometheus Gegenstand gewesen wäre, aber derselbe religiöse
Inhalt, der hier in den Legenden der Demeter und Persephone dar¬
gestellt wurde, war auch in dem gelösten Prometheus nahe gelegt.
Sinnvoll lässt Aeschylus als Gegenbild des gefesselten Prome¬
theus in demselben Stücke die Io auftrelen, welche durch ihre Irr¬
sale die maasslose Leidenschaft und ihre Liebschaft mit Zeus büsste.
Wahnsinnig und unstät wird sie umhergelrieben, während Prometheus
für ähnliche Schuld an der Klippe fest angeuagell ist. Jedoch ist
auch in dem beiderseitigen Verschulden ein Gegensatz nicht zu ver¬
kennen, indem Prometheus eine ungemessene Hinneigung zu den
Menschen mehr als zu Gott hat, Io dagegen eine übertriebene Liebe
zu dem Obersten der Götter, mit Hintansetzung der den Menschen
gesetzten Schranke der Ziemlicbkeil. Der Abfall des Prometheus
wird durch Einbüssung der Freiheit, der Mysticismus der Io durch
Entziehung des Friedens gestraft. Dort war lauter Unruhe, daher
ist die Strafe Fesselung, hier ein verkehrtes Versenken in die Gott¬
heit, und die entsprechende Strafe ist Unruhe. Die Lehre ist: halte
') Aug. Wilh. Schlegel dramatische Kunst I S. 164: »Prometheus
hüsst seine Empörung gegen die weltregierende Macht, und diese Em¬
pörung besteht in nichts Änderm als der bezweckten Vervollkommnung
des Menschengeschlechts.«
2) Aristot. Eth. Nicom. III, 1, 17 das. der alte Commentator Aspa-
slus , p. 86 Zell. Doch hatte er auch ein Stück ol Kdßeipoc geschrie¬
ben (Schob Find. Pyth. IV, 303), das ihm die Anklage zugezogen ha¬
ben mochte.
332
Maass in allen Dingen. Der Chor ') maeht selbst diese Nutzanwen¬
dung, indem er den Ausspruch des Pittakus anführt: »Ja weise, ja
weise war, der zuerst in seinem Sinne trug und mit der Zunge aus¬
sprach: dass es weit besser sey, nach seinem Stande zu ehelichen,
dass ein Taglöhner sich weder in die üppigen Reichen noch in den
hohen Adel verlieben soll. — Wenn ich eine gleiche Ehe ohne Grauen
eingehe, bangt mir nicht, aber der hohem Götter unentfliehbares
Auge möge mich nicht anschauen.« — Indessen unbeschadet der pas¬
senden ethischen Anwendung, welche Aeschylus für seinen Zweck
von der Io macht, hat die Fabel von ihr eine eigeuthümliche und
von Prometheus unabhängige Bedeutung, die wir bei dieser Gelegen¬
heit in physicalischer und religionsgeschichtlicher Hinsicht angeben
wollen. Io gebiert von des Zeus Berührung befruchtet am Kanobus
an des Nils Mündung den schwarzen Epaphus, welcher das Land
des Nils erndtet ^). Die Griechen nennen Epaphus den Apis der
Aegyptier ^), und dieser ist ein Kalb, in welchem Gott von Zeit zu
Zeit (nemlich alle 25 Jahre) den Aegyptiern erscheint; den Anfang
dieser neuen Jahresperiode hegrüssen die Aegyptier als Jubiläum
festlich und mit Gastraählern. Dieses Kalb hat folgende Zeichen;
es ist schwarz, hal auf der Stirne ein weisses Viereck, auf dem
Rücken das Bild eines Adlers, an dem Schweif doppelte Haare und
auf der Zunge einen Käfer. Nach der Sage der Aegyptier fährt
ein Strahl vom Himmel in eine Kuh, welche nicht mehr fähig ist,
trächtig zu werden (die alte Zeit) , und so wird sie Mutter des
Apiskalbes. Io war nach Aeschylus eine argivische Jungfrau, Toch¬
ter des Inachus; die Argiver aber benannten den Mond mit dem
geheimnissvollen Namen Io 5) , und im Aegyptischen bedeutet noch
heute ioch Mond 6). Der in die lo-Kuh gefahrene Himmelsstrahl
wurde griechisch als eine Liebschaft mit Zeus ausgedeutet. Man
’) Aesch. Prom. 887 das. Schol.
2) Aesch. Prom. 850 f. 3) Ilerod. III, 27.
Herod. III, 28.
3) Suidas, Eustath. ad Dionys. Per. 92. Ghron. Pasch, p. 90.
Malelae Chronogr. p. 31.
Jablonsky voc. aegypt. T. I p. 99. De Rossi Etymol. Aegypt.
p. 75 sq.
333
dachte sich die Fruchtbarkeit der Erde bedingt durch den Mond, der
die besamenden Strahlen der Sonne in sich ziehe; des Mondes Frucht
ist nun Apis, die personificirte Fruchtbarkeit des Landes auf eine
bestimmte Periode, wornach man die Zeit eintheilte. Bei Aeschylus
(Prom. 588) ist Io ein Mädclien mit Kuhhörnern; am amykläischen
Thron war sie als Kuh neben Here abgebildet '). Wenn nun Here
aus Eifersucht den erdgebornen Rinderhirten Argos mit hundert Au¬
gen ihr zum Wächter gibt und sie dann von Land zu Land wahn¬
sinnig forltreibt, so glaubte Welcher 2) in dem Argos den Sternen¬
himmel und in den Irren der Io den unermüdlichen Kreislauf des
Mondes angedeutet. Wenn ich aber Argos als das Land des berühm¬
ten Heredienstes ins Auge fasse, während daselbst der lodienst ab¬
gekommen ist, so finde ich in dieser Fabel ursprünglich nichts als
die Geschichte der entstandenen Religionsstreitigkeiten zwischen dem
Dienst der selbst kuhäugigen Here und dem damit nicht verträg¬
lichen Io - oder Mondskullus. Der erdgeborne Argos bedeutet die
Anhänger der Here, welche die Mondsdiener eifersüchtig bewachten.
Die Folge dieses Kampfes war die Austreibung des altväterischen
Dienstes. Richtig verlegt daher Aeschylus die Irren der Io in die
Zeit, als die neue Götterdynastie, Zeus mit Here, den Olymp ein¬
genommen und die alten Religionen verdrängte. — Wenn sich die
Arkader TtpooeXtjpovg nannten 3) , als die schon vor dem Monde da
gewesen seyen, so wollen sie ohne Zweifel sagen, sie seyen älter
als die alte Zeit des Mondskullus. — Der hundertäugige Argos gab
zu der Fabel Veranlassung, dass Hermes ihn getödtet habe'*), um
*) Pausau. III, 19, 7.
2) Welcker äsch. Tril. S. 129. Eurip. Phoeniss. 1123. Macrob.
Sat. I, 19.
j) Heynii Opusc. academ. II p. 337 sq.
^IpyeccpüPTT^g nennen ihn schon Homer (II. ß', 103 das. Heyne,
h. in Mercur. 73 das. Ilgen) und Hesiod e^y. 77. Als eine spätere Zu-
Ihat ist es zu betrachten, wenn man weiter fabelte, Hermes sey aus
jenem Grunde nach Aegypten geflohen und habe die Aegypter Gesetze
und Buchstabenschrift gelehrt: Cic. N. D. III, 22 das, Davies. Daran
dachte gewiss nicht der erste Urheber des Beiwortes, womit er den
334
den alldurchdringenden Scharfblick Gottes anzuzeigen. — Die Wan¬
derungen der Io bedeuten, so wie die des Herakles, die weite Aus¬
breitung ihrer Verehrung.
§. 56.
Epimetheus. Menötius.
Das Umherschweifen der Willkür und das Klügeln wider Got¬
tes Gebot ist thö richte Vermessenheit, welcher Begriff sich
unter die zwei Brüder des Prometheus vertheilt. Epimetheus ist
der Thörichle (^a/xaQzivooq ^^, öxfjcpöog , welcher ein Uebel für ein
Gut erwählte, und seinem sinnlichen Gelüsten folgend sich von Pan¬
dora, dem schönen Uebel, bezaubern liess, gleichwie Persephone
von den vergänglichen Blumen. Diess wird als eine tiefere Stufe
des Sündenfalls in der Theogonie bezeichnet und in die nächste Ver¬
bindung mit dem Feuerraub gebracht. Um dieses Raubes willen nem-
lich liess Zeus zur Strafe die Pandora entstehen, und durch die
Götter mit allen Reizen und Gaben, wie ihr Name besagt, ausstat¬
ten und dem Menschen zubringen 3). Sie ist die Stellvertreterin ihres
ganzen Geschlechts; denn es heisst Theog. 589 : von ihr sey das
weibliche Geschlecht, ein Unheil der Männer, den Brutbieneu zu
vergleichen, die fremde Arbeit verprassen. Wenn also zuvor dem
gefallenen Menschen zur ersten Strafe das Feuer entzogen und er
seiner irdischen Klugheit überlassen wurde, so'verfiel er weiter, als
er nach dem Feuer haschen wollte, in Thorheit, Wollust und Weich¬
lichkeit, die Folgen seines ungemessenen Strebens, seiner ausschwei¬
fenden Leidenschaft. Von Epimetheus stammet her der personificirte
Schein oder Ausflucht (^ügdcpaacg) , welche die Menschen, die
ihr trauen, betrügt und beschädiget '»). Vom Schein liess sich Epi¬
metheus selbst hintergehen. Dieser weitere Fall ist zugleich als
Strafe für den vorigen dargestellt, indem es heisst: Zeus bereitet
Gott bloss verherrlichen wollte. Jenem Mährchen lag griechische Ei¬
telkeit zu Grunde.
1) Theog. 511. 2) pind. pyth. V, 36.
’) Theog. 569. Op. 56. 'i) Find. Pyth. V, 35.
I
335
Unheil den Menschen durch die Erschaffung der Pandora, und über¬
gab sie, da sie sich nicht mehr von seinem Geiste strafen liessen,
dem Fleisch. Die Sinnlichkeit spielt also auch in dieser Fabel
vom Sundenfall eine bedeutende Rolle, wie in der hebräischen i) :
»Das Weib schauete an, dass von dem Baum gut zu essen wäre
und lieblich anzusehen, und dass es ein lustiger Baum wäre, weil
er klug machte; und nahm von seiner Frucht und ass und gab ihrem
Manne auch davon und er ass.« Die Theogonie hat die Stufenord¬
nung richtig beobachlet , indem sie den Vorwitz und den Feuerraub
als die ünmässigkeit im Denken, Wollen und Begehren, gleichsam
die Verwirrung der theoretischen und praktischen Vernunft , des Ko¬
pfes und Herzens, vorausschickt und den Hang zur Sinnlichkeit, die
Knechtschaft der Fleischeslust nachfolgen lässt. Denn die Naturtriebe
sind schon aus dem Geleise der Ordnung, der Verstand ist erblindet,
und die innere Harmonie ist entwichen, wenn die Sinnlichkeit die
Oberhand gewinnt, wenn man sich von der blossen Lust seines Ge-
fühlsverraögens kann betäuben und überwältigen lassen. Jener von
Gott entfremdete Verstand aber ist ja in dem Vorwitz des Prome¬
theus und jene innere Disharmonie in seinem Feuerraub vorgestellt
und der Sinnenlust des Bruders Epimetheus vorangeschickt: gerade
wie das habsüchtige Sammeln von Reichthum (welches mit in dem
Feuerraub begriöen ist) der Genusssucht, üeppigkeit und Schwelge¬
rei voranszugehen pflegt.
Menötius, der dritte Bruder, ist der Vermessene und Ueber-
müthige {v:t£Q-Kvöag , vßpiartjt; 3)). Auch diess ist ein wesentliches
Merkmal der Sünde; denn alles Böse ist ein Widerstreben wider
Gottes Gebot, ein Aufruhr in seinem Reiche und Mangel an schul¬
diger Demuth. Hochmuth war es , dass Prometheus beim Opfer mit
Gott rechtete, Hochmuth verleitete ihn, seine Sphäre zu überflügeln
und das Feuer zu rauben: Hochmuth bereitete dem Fall der Eva
den Weg, der Hochmuth, in einen Stand der ungebundenen Freiheit
gleich Gott und des verbotenen Wissens zu kommen.
Dieser Geschwisterverein, unter den sich die Idee vom Sünden-
fall vertheilt, weist das Böse in den drei Ilauptseelenvermögen nach:
») 1 Mos. 3,6. 2) Theog. 510.
Theog. 514.
Promellieus im Vorslellungs- Menöfius im ßegehrungs- und Epime-
Iheus ifu Gefiihlsvermögen. Gleicher Weise deckt der Dichter ’) das
ßöse in diesen seinen drei Schlupfwinkeln auf, und stimmt, ohne
sicli wohl dessen bewusst zu seyu, mit der griechischen Fabellehre
vollkommen überein;
Freiheit ruft die Vernunft (Prometh.), Freiheit die wilde Be¬
gierde (Menötius) ;
Von der heiligen Natur ringen sie lüstern sich los (Epimeth.).
§. 57.
Was sind die traurigen Folgen des Sündenfalls und
des Bösen überhaupt?
Der Mensch büsst Freiheit, Leben und Ehre ein. Pro¬
metheus, welcher wider Zeus anstrebend klug und frei seyn wollte,
verlor die wahre Freiheit, die nur auf Gottes Wegen wohnt, und
ward ein Beispiel von der Knechtschaft der Sünde. Mit Ketten fes¬
selte ihn Zeus an eine Säule, und an seiner Leber als dem Silz der
Leidenschaften 2) sass der Adler, Zeus gehorsamer Vogel, und frass
die immer wieder wachsende um ihres eigenmächtigen Strebens wil¬
len 3). Aeschylus bildete diese Sage weiter aus: Prometheus ist in
Scythien am schwarzen Meer an einer Felswand gekettet (v. 2),
aber, um seinen Trotz zu bestrafen, hat Zeus mit dem Blitzstrahl
diese zertrümmert, und den Leib des Prometheus darunter begraben ;
nach langer Zeit kam er wieder an das Tageslicht und ein Adler
zerhackte ihm das Fleisch und die Leber (v. 1016 ff.) *)• — Epi-
*) Schillers Spaziergang Wke. T. IX S. 167. Vgl. Plat. Lgg. X
p. 906 A: „uns verdirbt Unrecht und Uebermuth mit Unverstand; uns
erhält Recht und Mässigung mit Verstand.«
2) Valckenar. ad Hippolyt. 1070. ' 3) Theog. 521.
'•) Apollodor 1, 7, 1, Apollon. Rh. II, 1049, Pausan. V, 11, 2
u. A. nennen den Kaukasus als die Scene der Fesselung. Welcker
äschyl. Trilog. S. 33 f. sucht gegen Stanley und Schütz S. 9 f. zu er¬
weisen, dass die Scene des Gefesselten bei Aeschylus nicht das euro¬
päische Scythien zwischen dem Ister und Tanais seyn müsse, sondern
337
melhens, welcher das Leben mit dem sciiönen Weibe in Wollust
zu geniessen wähnle, belrog sich in Selbstläuschung um das wahre
Leben und des Lebens Freude. „Denn zuvor leblen die Menschen-
geschlechler sonder Uebel und Harm und Aller gebärende Krankhei¬
ten. Pandora aber öffnete eine Büchse und verbreitete unzählige
Uebel unter die Menschen, wovon das Festland und das Meer ange-
füllt ist. Krankheiten wandeln bei Tag und bei Nacht leise unter
den Menschen umher. Nur die Hoffnung blieb in der Büchse zu¬
rück; denn sie schloss zuvor den Deckel« *). Es ist also ein hoff¬
nungsloser Zustand, indem die Uehel auf Erden umherwandern, die
Hoffnung des Besserwerdens aber nicht mit aus der Büchse heraus¬
gekommen ist. Es war somit ein missliches Scheinglück, wornach
Epimelheus, dem zu spät die Augen aufgingen, haschte. — Der
frevle Menötius, welcher in der Widerspenstigkeit gegen die Göt¬
ter seine Ehre suchte, wurde erniedrigt und durch Zeus Blitzstrahl
in des Erebus Tiefe geschleudert ^). — So ist die Sünde eine betrü¬
gerische Thorheit und ihr Glück ein leerer Schein , indem ihr immer
das Widerspiel von dem, wornach sie trachtet, widerfährt: anstatt
der Freiheit Knechtschaft, anstatt des Lebens und der Freude üe-
auch der Kaukasus seyn könne ; was aber sehr unwahrscheinlich ist.
Sonst hätte der Dichter im Anfang nicht unterlassen den Ort genauer
zu bezeichnen, und er hätte V. 719 den Kaukasus nicht von dem Ort
der Scene unterschieden. Wenn W'elcker unwahrscheinlich findet, was
Schütz vermuthet, dass der gefesselte Prometheus an einem Orte in
Europa und der befreite am Kaukasus spiele, so ist zu bemerken, dass
es ganz und. gar nicht ausgemacht ist, ob Aeschylus die Scene des Be¬
freiten an den Kaukasus versetze ; denn Accius, der sonst den Aeschy¬
lus nachahmte, konnte hei Cic. Tuscul. II, 10 sehr wohl den Schau¬
platz nach der Sage der Neuern verändern.
1) lies. Op. 90. Unrichtig scheint mir Buttmann im Mythologus
I S. 57 die Fabel zu deuten, wenn er sagt: »nur die Hoffnung ward
noch festgehalten ; diese allein hat seitdem der Mensch noch in seiner
Gewalt, während alle Uebel ihn, wie und wann sie wollen, besuchen.®
Allein wa? in der Büchse (oder dem Fass) verschlossen ist, hat der
Mensch nicht in seiner Gewalt.
2) Theog. 514.
2-2
338
bei, Zerrüttung des Körpers, Aller und Tod, anstall der Ehre
Schande und tiefe Erniedrigung, so dass die gefallene Menschheit
dem Menötius gleich im Verhältniss zu Goll steht , wie der finstere
Erebus zum lichten Himmel. Die Sünde ist der Leute Verderben,
und ein V'^ergelter wallet oben im Himmel, der an allem gottlosen
Wesen Missfallen hat. „Dreimal zehntausend unsterbliche Aufseher
des Zeus wandeln in Dunkel gehüllel allenthalben auf Erden und
wachen über das Recht und die lasterhaften Werke. Zeus Tochter,
die Gerechtigkeit, eine ehrwürdige Jungfrau, erscheint, sobald
jemand sie verletzt, vor dem Vater Kronion und klagt der Menschen
ungerechten Sinn an, dass auch das V'’olk für die Sünden der Kö¬
nige büsset« ^).
Die strafenden Eumeniden sind in Zeus Dienste. Aeschylus
Eum. 354 ff. : „wir eilen den Zeus solcher Sorgen zu entledigen,
durch unser Amt dieses Geschäft zu vollziehen, dass es nicht in sein
Gericht falle. Denn Zeus hält dieses blutbefleckte hassenswerlhe
Geschlecht von seinem Gerichlsaale ab « Sophokles (Ajax 816 ff.)
macht die schnellfüssigen vergeltenden Erinyen namhaft, immerdar
Jungfrauen, die alle Leiden unter den Sterblichen sehen, die ehr¬
würdigen. Unter diesem ihrem eigenthümlichen Namen der Ehrwür¬
digen wurden sie in Athen verehrt 2).
Von der Allgemeinheit der Sünde redet ein unbekannter
Dichter 3) : »Auch ein trefflicher Mann ist einmal böse und ein an¬
dermal wieder gut." Simonides ^) : »Ich will nicht die Zeit mit einer
unerfüllbaren Hoffnung verderben und das Unmögliche suchen, einen
untadeihaflen Mann unter allen, die wir der weilbewohnlen Erde
Frucht brechen: sollte ich ihn finden, so will ichs euch verkünden."
Platon (Theätel p. 176 A): „Nothwendiger Weise umgibt das Böse
die sterbliche Natur und den irdischen Zustand: darum muss man
von hinnen dorthin (zu Gott) schleunigst fliehen.« Platon (Apolog.
p. 23 A) : »Die menschliche Weisheit ist wenig oder nichts nütze."
Socrates behauptet daselbst, nirgends einen weisen Menschen finden
zu können, er selbst, vom Orakel für den Weisesten erklärt, sey
Hes. Op. 252. 2\ Wunder zu Sophocl. 1. c.
3) Bei Platon Prolagor. p. 344 D u. Xenoph. Memorab. I, 2, 20.
'•) Bei Platon Protagor. p. 345 C.
339
es bloss darum, weil er die Erkennlniss habe, nichl weise zu seyn
Seines Lebens Endzweck und Goltes Gebot an ihn sey , diejenigen,
die sicli weise zu seyn dünken und es nicht sind, auszuforschen und
ihres Frrthunis zu überführen (p. 33 C). Von der Strafe der Sün¬
den spricht Platon (Theätel. p. 176 D), dass sie nicht sowohl in
Leibesslrafen und Tod bestehe, sondern es seyen im Wesen der
Dinge zwei Urbilder niedergelegt, ein göttliches und überaus seliges
und ein ungöttliches und überaus unseliges: dem letzten nun nähere
sich der Gottlose immer mehr, ohne es in seiner Thorbeit zu mer¬
ken, und wenn er zur Rechenschaft gezogen werde, so verwickle er
sich in seinen Reden, und könne sich so wenig alsein Kind zurecht
helfen. Die Strafe der Sünde liegt demnach in ihr selbst; indem sie
die Entfernung von dem heiligen Gott ist, entfernt sie sich zugleich
von dem allein seligen und fällt der ünseligkeit anheim. Wie die
Seligkeit in Gott, so hat die Unseligkeit in dem Gegensatz Gottes
sein Urbild. Platon nennt diesen Gegensatz zwar nicht Teufel, aber
seine l.ehre von dem naQckdeiyfxa adsov y.al ddhutraxov fällt offen¬
bar mit der vom Teufel zusammen, und noch weiter stimmt damit
seine Lehre überein, dass der böse Mensch dem ungöttlichen Urbild
immer mehr verähnlicht werde und dadurch an seiner Verdammniss
Theil nehme.
In starken Ausdrücken seufzen die Erleuchteten unter den Hei¬
den über den Nothstand und das Elend unsers Geschlechts. »Es
gibt nichts Unglückseligeres unter allen Geschöpfen, die auf Erden
athmen und kriechen, als der Mensch“, spricht Kronion bei Homer
(II. XVII, 446), und der vielerfahreue Odysseus bei demselben (Od.
XVIH, 130); „Nichts Armseligeres nähret die Erde, als den Men¬
schen, unter allen Geschöpfen, die auf Erden athmen und kriechen.
Denn er schmeichelt sich immer, frei von Plage in Zukunft zu seyn;
wann aber die seligen Götter Wehe verhängen, so erträgt er auch
das mit bekümmertem Herzen und je nachdem der Tag beschaffen
ist, den der Vater der Menschen und Götter herbeiführt, darnach
richtet er seinen Sinn“ Die alten Theologen, die man bald Orphi¬
ker bald Pythagoreer nannte, lehrten, die Seele sey zur Strafe im
Leibe wie in einem Gefängnisse oder Grabe '). Diese orphische
') Plat. Cratyl. p. 400 C. Phaedon 62. Hock Kreta HI S. 215 f.
Böckh’s Philol. n. 2.3.
a40
Lebensansiclil finden wir in der Volkssille der Trausen, eines llira-
cisclien Volksslammes, ausgeprägl, welche nach der Erzählung Ile-
rodols (V, 4) die Neugebornen wegen der mancherlei Uebel des
Erdenlehens zu bejammern, die Verslorhenen dagegen, die ihnen
entronnen und der Seligkeit llieilhaftig geworden sind, fröhlich zu
beerdigen pflegten. Pindar singt (Pylh. VIII, 1H5): „Die Menschen
sind Erscheinungen des Tages, eines Schattens Traum.« Auf ähn¬
liche Weise nennt Sophokles (Ajax 126) die Menschen Schattenbil¬
der. Derselbe (Oed. Tyr. 1155 ff.): »Wehe Menschengeschlechter,
ich achte euch gleich als nicht lebendig. Denn welcher Mann bringt
es weiter in der Glückseligkeit, als dass ers scheine und hernach
wieder falle?« Daher der alle Ausspruch Solons , keinen Menschen
vor seinem Tode glücklich zu preisen '), welcher von den Tragi¬
kern 2) öfter wiederholt worden ist. Sophokles (Oed. Col. 1225 ff.):
„Nicht geboren zu seyn, ist besser als Alles, was man sagen kann;
ist man aber ans Licht gekommen, so ist das zweite Beste, so schnell
als möglich dorthin, woher man gekommen, zurückzukehren“ ^).
Euripides ev TtoXvidü) „wer weiss, ob das Leben nicht ist ein
Gestorben seyn und das Gestorben seyn ein Lehen?« Der Philosoph
Empedokles (ed. Sturz p. 448) verglich das Herabkommen der See¬
len in den Körper mit einer Verbannung, und nannte die Erde ein
Jammerlhal (dzsQ.rea xmqov , dzrjq XzL^iiäva) ^).
Dieses Klaglied tönt durch alle Zeiten hindurch , mischt sich auch
in Freudengelage, und verbindet sich sinnvoll mit dem Wehklagen
über den Tod der Naturgöller. Sappho besang zugleich den Adonis
und den Oetolinus {Olxöhvoq^ Trauerlinus), wie sie nach dem Vor¬
gang des allen Dichters Pamphos den Linus nannte®). Schon
hieraus lässt sich auf den ähnlichen Inhalt der hvoadiai und der ddoa-
vidia schliessen ; sogar setzte man jenen wie diesen «?' vor, woher
*) Herod. 1 , 32.
2) Sophocl. Oed. Tyr. 1494 ff. das. Wunder.
3) Eben so Theognis v. 425 ff. vgl. Cic. Tuscul. 1 , 48 ib. Davis.
■*) Bei Plat. Gorg. p. 494 E ib. Heindorf. p. 155 sq. u. bei Schol.
Eurip. Hippolyt. 190. Vgl. Baur Mylbol. II S. 382.
^) Hierocles in aiir carm. Pylh. p. 186,
®) Paus. IX, 29, 3.
341
aihvog überliaupt kläglich heisst '), Es war ein uraltes Klaglied,
an dessen Anfang und Ende mau den Linus anrief, im Munde aller
Barden und so beliebt, dass man es auch (vielleicht ohne Rücksicht
auf den wehmüthigen Inhalt von dem Tode desselben) als Volkslied
bei Gastmahlen und Tänzen vortrug 2). Clerikus leitet den Namen
Linus von dem phönicischen Worte -pV (Geheul, woher auch canli-
lena zu kommen scheint) ab. Demnach würde der älteste Lieder¬
dichter Linus (angeblich Lehrer des Thamyris und Orpheus) von
dem Liede, dessen erster Sänger er war, benannt worden seyn.
Der Mytholog Dionysius ^) berichtet von diesem Schöpfer der pelas-
gischen Bildung, er habe nicht nur die Tonkunst erfunden, sondern
auch die von Kadmus gebrachte phönicische Buchstabenschrift zuerst
der griechischen Sprache angepasst, und die Thaten des ersten Dio¬
nysos (Adonis) und die übrigen Mythologien in die sogenannte pe-
lasgische Schrift verfasst und hinterlassen. Wenn Schriftforscher
nachweisen , dass das phönicische Alphabet unter mancherlei Wand¬
lungen zu allen übrigen Völkern übergegangen ist, so sagt uns He-
rodot (II, 79), dass dasselbe Lied, welches die Griechen Linos heis¬
sen, in Phönicien, Cypern und anderwärts gesungen werde, in Ae¬
gypten sey es von jeher einheimisch, Linos werde auf ägyptisch
Maneros genannt , dieser soll der einzige Sohn des ersten Königs
von Aegypten gewesen, in früher Jugend gestorben und durch dieses
erste und einzige Klaglied geehrt worden seyn. Diese Verbreitung
durch alle Lande wäre undenkbar, wenn Linos - Maneros nichts als
ein schöner Königssohn wäre ohne höhere Bedeutung. Wir müssten
uns mit Herodot über diese Uebereinstimmung der Linosklage bei so
vielen Völkern des Alterthums verwundern, wenn sie nicht eine
*) Hesych. v. al'XiPog. Euslalh. ad 11. XXI p. 1’236. Eur. Orest.
1380.
2) Hesiod. fragm. p. 430 sq. Eurip. bei Athen. XIV p. 619 C.
Pollux I, 1, 38.
5) Bei Diodor. S. L. III, 66. Böckh setzt diesen Dionysius in die
alexandriniscbe Periode, Welcker über den Linos (kleine Scbr. S. 43)
in Cicero’s Zeit herab, um seinen Bericht zu verdächtigen; wiewohl
auch Tacitus Ann. XI , 14 u. Suidas v. Atvog von der Einführung der
Buchstabenschrift durch den Thebaner Linus wissen.
342
allgemeine über die Hinfälligkeit der Menschenkinder wäre, ähnlich
der Todesklage über Osiris, Adonis, Dionysos, Atlis und über den
Raub der Persephone. Nach griechischer Fabellehre halle der Jah-
resgotl Apollon selbst den Linus, seinen eigenen Sohn, im Grimm
gelödlel '), nach Andern 2) wurde er von den Schäferhunden zerris¬
sen. Die Hunde erinnern uns an die auslrocknende Hitze in den
Huudstagen; wesswegen man in Argos nach dem Berichte des Pau-
sanias (H, 19, \) ihn und die Klage über sein vorbildliches Hinster-
ben mit den in den Hundstagen sterbenden kleinen Kindern in Ver¬
bindung brachte, und an dem Feste Kynophontis eine Menge Hunde
ötTentlich lodt schlug. Es ist merkwürdig, dass man in Theben,
von wo durch die Vermittlung des Kadmus die Linusklage verrnuth-
lich ausgegangen ist, zwei Gräber für den Linus hattet), d. h. eines
für den allegorischen und eines für den wirklichen. Dem Letztem
scheint es zu gelten, wenn ihn Hesiod (fragm. p. 430) der Urania
lieblichen Sohn nennt, oder wenn ihm Andere Terpsichore oder
Psamathe zur Mutier oder Kalliope und Oeagrus zu Ellern ge¬
ben, und Apollodor (I, 3, 2. H, 4, 9) ihn durch Herakles mit der
Cither umgebracht werden lässt.
Zur Erläuterung dient die ähnlich lautende und Gleiches bedeu¬
tende Fabel von Akläon, der gleichfalls zu Theben von seinen
Jagdhunden zerfleischt worden seyn soll 2). Sein Vater Arisläus
verliess hierauf Theben und begab sich nach der Insel Keos Hier
*) Philochorus bei Schol. Venet. Horn. II. a' , 570. In Byblos sagte
man , Maneros sey im Schrecken vor dem grimmigen Anblick der Isis
gestorben, Plut. de Is. p. 357. Die Griechen gaben als Ursache des
Todes einen Wettstreit Apollons mit Linus in der Tonkunst an.
2) Schol. Yen. Hom. a. a. O. Konon 19.
Paus. IX, 29, 3. Nach Diog. L. prooem. 4 starh Linus von
Apollou getroffen in Euböa und hatte daseihst sein Grab.
'») Suidas s. v. u. Eustath. ad 11. X p. 8l7.
ä) Paus. I, 43, 7. Konon c. 19.
•’) Apollodor. I, 3, 2.
2) Akusilaus fragm. p. 220 Stesichor. bei Paus. IX, 2, 3. Vgl.
Creuzer Symb. 111 S. 155 ff.
8) Sallust bei Serv. ad V. Georg. 1, 14. Fragm. p. 858 ed. Cortii
343
aber beobachtele man alljährlich den Aufgang des Hundssternes (zu
Anfang der Huudslage des Morgens gegen Ostern), um daraus die
Gesundheit oder Ungesundheil der Zukunft abzunehmen *); und auf
den keischeu Münzen sieht man noch den bärtigen Kopf des Arisläus
und einen grossen Stern entweder allein oder zur deutlichem Be¬
zeichnung mit dem Vordertheil eines Hundes. Akläons Tod war
daher ohne Zweifel ein vorbildliches Sterben in der versengenden
Jahreszeit in den Hundstagen, die so manchem Kinde das Leben ko¬
stet, deren Einfluss man durch Bittgang und Suhnfesl abzu wenden
suchte. In dieser Ideenverbindung geschah es , dass Arisläus auf
Keos dem ikmäischen (regnenden) Zeus einen Altar errichtete; ja
die Keier haben ihn selbst als Feuchtigkeit sendenden Zeus vergöt¬
tert. Daher gab man ihm Hekate (die glückliche Constellalion)
zur Tochter 2), und den Apollon zum Vater 3). Der Letztere
war in Arkadien in alterthümlichem Sinne beibehalteu als Natur-
Sonnen- und Herdengolt, wie der pelasgische Hermes. Um ihn von
dem homerischen Apollon zu unterscheiden, gab man dem arkadi¬
schen den Silen zum Vater 5), und brachte den Aktäon mit Personen
aus dem bacchischen Kreise in Verbindung, als hätte er seine Muhme
Seinele ehelichen wollen, wesswegen er den Zorn der Artemis reizte.
Aklüon wurde in dem böotischen Orchomenus noch zu Pausanias
(IX, 38, 4) Zeit jährlich mit Heroenopfern verehrt , und um sich sei¬
nes Schutzes zu versichern, wurde sein ehernes Bild au einen Felsen
angefessell. K. 0. Müller (Orchomenos S. 348 und Dorier Bd. I
S. 281) sieht in Aristäus und seinem Sohne Aktäon eine alle Gott¬
heit der Urbewiffiner Griechenlands; allein in diesem Falle müsste ihn
Hesiod als solche aulTühren, welcher dagegen (Th. 976) den Arisläus
einen Mann von buschigem Haupthaar und seine Gattin Aulonoe
nennt. Ich halle ihn für einen Astrologen und Verbreiter des älte¬
sten Apollonkultus , der von Keos mit Dädalus nach Sardinien ge-
') Heraclides Pontic. bei Cic. de Divin. I, 57.
Pherecydes XXXII p. 147 Sturz.
3) Pindar. Pyth. IX, 116.
"•) Cic. N. D. III, 23 p. 615 Creuz.
Clem. Prolr. p. 8. Auch auf IVIünzen kommen Silen u. Apollon
in Verbindung vor, Winckelmann Monum. ant. ined. I, 33.
344
wandert seyn soll und von da nach Kyrene in Libyen. Pindar
(a- a. O.) gibt ihm Kyrene als die personificirle Geliebte Apollons
zur Mutter und beschreibt deutlich die Apotheose dieses Einwande¬
rers, wie ihm schon als Kinde Nektar und Ambrosia in die Lippen
geträufelt worden, und er nun bald Zeus, bald Apollon, Begleiter
der Schafe, Jäger und Hirte (No/uiog), bald aber (mit seinem Eigen¬
namen) Arisläos genannt werde. Seine Gleichsetzung mit Zeus und
Apollon hat keinen andern Sinn, als wenn Lykophron (11-23) Zeus
Agamemnon oder Klemens von Alex. (Protr. p. 32) Zeus Asklepios
sagt, wenn man eine Iphigenia Artemis 2) , einen Zeus Trophonios,
Hermes Trophonios, Apollon Karneios verehrte (§. 95). Eine Folge
der Uebertragung göttlicher Attribute auf den Diener und Priester
war es, dass man den Arisläus als Schutzgeist der Herden anrief 3),
Umgekehrt konnte, was dem Aktäon widerfuhr, dem Gotte selbst, in
dessen Dienste er litt, zugeschrieben werden, und es ist nicht so
widersinnig, als Otfr. Müller (Dor. S. 283) meint, dass man in Delphi
ein Grabmal Apollons zeigte, auf welches Pythagoras eine elegische
Inschrift schrieb: Apollon, des Silenos Sohn, sey von Python um¬
gebracht und an dem Dreifuss begraben worden ^). Er deutele hier¬
mit auf die ursprüngliche Einerleiheit des Apollon und Dionysos und
ihrer Leidensgeschichte hin (s. §. 59). Es spricht ein Philosoph,
der sich über die Vielgötterei erhebt und des Dionysos Grab in
Delphi dem des Apollon gleich setzt. Unbeschadet der ursprüng¬
lichen Thalsachen legt er ihnen religiöse Ideen unter: Apollon wird
offenbar Nalurgolt, Python so viel als Typhon (Baby im Aegypti-
schen), der seine Kraft verdunkelt, die Dienstbai%eit bei Adraelus
wird physisch genommen, ja der Gott stirbt, verjüngt sich wieder
und holt sich seinen Siegeslorbeer, den er auch seinen Kampfgenos¬
sen in den pylhischen Spielen verleiht ^).
') Sallust a. a. 0. 2) Hesych. s. v.
5) Virgil. Georg. 1, 14.
'•) Porphyr, vit. Pylhag. 16 p. 18. Vgl. oben S. 172.
In demselben Ideengange scheint der philosophische Aeschylus
bei Macrob. I, 18 von einem Aiaoshg ^AnoXkoov zu reden. Die Rhodier
hielten zu des Chrysostomus Zeit (Orat. 31 p. 570) den Apollon, Helios
und Dionysos für einen und denselben Gott.
345
Die allgemeine Klage wegen frühen Hinscheidens drehte sich
in Sparta um den Jüngling Ilyacinth, löste sich aber in Freude
und Hoffnung mit Rücksicht auf den unvergänglichen Apollon auf
(§. 80). In Oithynieu klagte man um den im Wasser verunglückten
jugendlichen Hylas, den man um Soramerrnilte an den Quellen be¬
weinte; er wurde hernach in die Geschichte des in Todesnolh hel¬
fenden Hortes Herakles verflochten. In Phrygien war Lytierses,
Sohn des Midas, in derselben Jahreszeit Gegenstand des Klagliedes
der Schnitter, von welchem mau fabelte, er habe seinen Schnittern
des Abends die Köpfe abgeschnitten. Aber auch hier war Herakles
der Heiland, der den Unhold tödtete und seinen Leichnam in den
Mäander warf ^). Als der die schädlichen Einflüsse im hohen Som¬
mer abwendet, hiess Herakles in Erythrä /.Toscrövo?, d. i. welcher
den der Traubenblüthe schädlichen Wurm tödtet 2). Ganz allgemein
nannte man ihn und als welchen wir ihn sofort
zu betrachten haben.
Die Lehre von der Erlösung'.
§. 58.
Gott ist barmherzig; Herakles ein Erlöser.
Homer (11. IX, 497) singt: „die Götter sind nachgiebig, und las¬
sen sich durch Weihrauch, Gebet, Trankopfer und Fett beugen, so
jemand Übertritt und sündigt.« Zeus hat daher die Beinamen fiaiXi-
Xioq, iy.arijoioq , au>xijQ und Hav^aQioq, und die Götter heissen die
erlösenden (Ivoioi^, welche besänftigt den Frevler freilassen ’). Die
*) Alben. X p. 415 B. Suid. in Avtii^a. Schob Theocr. Id. X, 41.
2) Strab. XIII p. 613.
Müller Dorier Bd. I S. 455. Alciphron. ep. 47. Lucian. Gail, 2.
'-*) Od. XIII, 213. Arislotel. de mundo VII, 6.
5) Plat, Polit. II p. 366 A.
Ui Heu {Altai) sind des grossen Zeus Töchter, die dem Verderben
nachhiuken und den Schaden wieder gut zu machen tracliten ') »
d. h. die Notl» lehrt beten. Hierin sind aber die Götter auch den
Menschen Vorbilder der Versöhnlichkeit, und die Bitten übergeben
den unerbittlichen Menschen dem Verderben.
Vorbild der Bekehrung zu Gott und Wegweiser zu des Olympus
seliger Höhe ist Herakles. Er tödtete den quälenden Adler mit
Willen des höchsten Zeus, und befreite den Prometheus von seinen
Schmerzen: aus Rücksicht gegen diesen seinen Sohn ward nunmehr
Zeus versöhnt 2), Wir finden in des Herakles Leben und Leiden den
Schlüssel zum Verstäudniss des gefesselten Prometheus und des gan¬
zen Versöhnungswerks.
Auf die geschichtliche Person des griechischen Herakles wurden
ausländische Ideen aufgetrageu und mit seiner Geschichte verwebt,
und so konnte er mit Prometheus und mit der Lehre von der Wie¬
derherstellung des gefallenen Menschengeschlechts verflochten wer¬
den. In Aegypten und Phönicien nämlich wurde er nicht als Heros,
sondern als Gott von Alters her verehrt, in Aegypten als einer von
den zwölf Göttern, und seine ausländische Verehrung reicht zufolge
der Nachforschungen Herodots (11, 43 f.) viel weiter hinauf als das
Zeilaller des thehauischen Herakles, des Sohnes des Amphilryon und
der Alkmene, ist; sein Tempel zu Tyrus war nach der Aussage je¬
ner Priester so alt als die Stadt seihst, und der zu Thasus wurde
von den Phöuicieru, welche die Europa suchten, erbaut. Die Grie¬
chen selbst bezeichueten die Verknüpfung des ägyptischen und ihres
eigenen Herakles durch die Fabel, er sey einst nach Aegypten ge¬
kommen, die Eingebornen hätten ihn bekränzt und dem Zeus opfern
wollen; als er aber zum Altar gebracht worden sey, so habe er Ge¬
walt gebraucht und sie Alle umgebracht 2). Bei dieser Aehnlichkeit
mit einem auswärtigen Gottesdienst aber darf man die gescbichtliche
Person des thebanischeu Herakles darum nicht leugnen, sondern der¬
selbe wurde nur zum Träger religiöser, zum Theil ausländischer
Ideen gemacht und vergöttert.
Er war gleichsam der zweite Adam des Lebens, dem ersten und
i) 11. IX, 5ü2 fl'.
3) Ilerod. II, 45.
2) Theog. 521.
347
sündigen Promelheus entgegengesetzt. Er war Zeus eigener Sohn,
den er mit Alkinene erzeugte *); »damit er Göttern und Menschen
einen Erlöser vom üebel schaffete“ 2), Er konnte diess nur durch
göttliche Kraft und zugleich als Menschensohu ; er entspricht der
christlichen Idee eines Gotlmenschen. Seine Freiheit und Ehre
suchte er ira Gehorsam gegen des Vaters Gebot, sein Leben und
seine Freude hatte er in Mühe und Kämpfen: Unsterblichkeit war
sein Lohn. Wer in seinen Schranken läuft und gleich ihm Gott¬
seligkeit, Tugend und Entsagung übet, ist errettet von den prome-
theischeu Fesseln und wahrhaft frei, fällt nicht mit Menötius in des
Erebus Nacht, sondern hat einen versöhnten Vater im Olymp, ist
nicht lebendig todt in entkräftender Genusssucht, wie Epimetheus,
sondern übt und stählt seine Kraft in männlichen Thateu und zügelt
sein Fleisch durch tüchtige Arbeit. In allen Stücken ist Herakles
das vollkommene Widerspiel von jener Dreiheit sündiger Ahnherren
und ein Vorbild zur Nacheiferung der heilsbegierigeu Meuscheu. Er
machte sich für die Ausbreitung und den Sieg der hellenischen Ke-
ligion über die pelasgische verdient. Die olympischen und nemei-
scheu Kampfspiele, die zuvor nur Heroen geweiht waren, heiligte
er seinem V^ater Zeus. Er war dabei , als die Götter auf der Ebene
von Phlegra mit den Giganten kämpften, und schoss sie mit seinen
Pfeilen nieder ^). Als yiyaptocpövoq erscheint er schon auf dem
Throne des amykläischen Apollon und auf allen Vasengemälden.
Als Verehrer der Götter steht Herakles auch so dem Prometheus
als ihrem trotzigen Verächter entgegen, nicht als hätte ein Wohlthä-
ter den andern grossen Freund des Menschengeschlechts befreit, wie
Welcher S. 45 vermeint. Der Adler, der die Leber des Prometheus
frass, war nach Pherecydes 5) ein Sohn der Echidna und des Typhon,
und stellte seine verdiente Höllenpein vor. Herakles erschoss ihn,
und stellte den unsterblichen Chiron, den er verwundet hatte , dem
Zeus als Stellvertreter dar, dass dieser stürbe und Prometheus an¬
statt seiner unslefbtich würde ^). Daher lässt Aeschylus (Prom. 1027)
1) Theog. 943. Od. XI , 620. 2) Hes. Schild 28 f.
3) Piud. Nem. I, 100. Paus. 111, 18, 7.
Bei Schob Apollon. 11, 1252.
.4pollodor. 11, 5, 4. 11. Die Lesart ist zu verbessern dviiöohq
348
den Hermes weissagen , was er in seinem befreiten Prometheus wei¬
ter wird ausgeführt liahen : »Prometheus wird nicht erlöst, bis der¬
einst ein Gott als Stellvertreter (dLddoxoq) seiner Leiden erscheine
und in den finstern Hades gehen wolle.« Also der Gerechte, ja ein
Gott stirbt für den Sünder zu seiner Erlösung. — Der Sarkophag
Panfili * *), der eine merkwürdige Vermischung christlicher und heid¬
nischer Vorstellungen enthält, dient zur Bestätigung unserer Ansicht.
Wir sehen zuerst den Sündenfall dargestellt in Adam und Eva un¬
ter dem Baume (beide noch nackt), sodann die Folgen der Sünde
in drei Cyklopen, welche die Fesseln des Prometheus schmieden,
hernach die Fortpflanzung des Menschengeschlechts in zwei Bildern:
einmal durch den Kuss des Eros und der Psyche, zweitens durch
Prometheus, der Menschen bildet, welche Athene belebt. Der fer¬
tige Mensch steht neben der Athene Nachteule. Hierauf ist das To¬
desschicksal als der Sünden Sold abgebildet durch einen geflügelten
Genius, der seine umgekehrte Fackel, woran die Seele als ein
Schmetterling aufsleigt, auf einen Leichnam stützt; eine stehende
und eine sitzende Möre als das unerbittliche Verhängniss umgeben
den Todten. Die bekleidete Psyche mit Schmetlerlingsflügeln hält
Hermes in der Kechten, sie zu ihrer Bestimmung zu führen. Die
Erlösung der sündigen Menschheit endlich wird auf griechische und
christliche Weise versinnlicht: Herakles schiessl mit seinem Pfeile
den Adler, der des gefesselten Prometheus Leber nagt, und dicht
hinter dem rettenden Gotte erhöht Moses die Heilsschlange in pro¬
phetischem Hinblick auf Christum, der Alles erfüllt (Joh. 3, 14).
Der allgemeinen Bedeutung des Bildes wegen ist die ganze Welt
sowohl als Kugel (bei Athene) als auch nach ihren vier Theilen vor-
geslellt; das Wasser durch einen bärtigen Mann mit dem Ruder auf
einem Seelhier reitend, die Sonne auf dem Viergespann, dem Phos-
phoros vorangehl, der Mond mit dem Zweigespann, und die Erde
dh Ji'i ÜQOftfjdEa röv , oder mit Heyne p. 148 dviidövToq 6i Ju Uqo-
^irjßEO. ’JlqayXioq röv.
*) Bei Creuzer Symb. IV H. II T. VIII n. 21 mit seiner Erklärung
S. 455 IT. lieber die Vermischung christlicher und heidnischer Bild¬
nerei seit dem dritten und vierten Jahrhundert hat sich Bötliger in der
Kunstmythologie II S. 38l verbreitet.
349
unten in liegender Stellung mit dem reichen Füllhorn i). Die Dar¬
stellung des deraiurgischen Menschenbildens, der Sonne, des Mondes
•und des Hermes enthält zugleich eine priesterliche Hinweisung auf
die eleusische Mysterienfeier, wo der Hierophant den Demiurgen,
der Daduch die Sonne, der Epihomius den Mond und der Hieroke-
ryx den Hermes, wenigstens nach einem späteren Zeugniss, vorge¬
stellt haben soll (§. 89). Nach dieser Ausdeutung stehen sämmt-
liche Gruppen des heidenchristlichen Denkmals in einem abgerunde¬
ten Zusammenhang, um am Grabe die gewisse Hofl'nung des ewigen
Lebens auszudrücken.
Am Scheidewege beim Eintritt ins Jünglingsalter, sagt der Sophist
Prodikus in seiner Schrift über den Herakles ^), da der Mensch sich
für seinen künftigen Lebensweg zu entscheiden pflegt, wurde auch
er von dem Glück, das im Sinnengenuss besieht, versucht. Zwei
weibliche Gestalten erschienen ihm; das Glück (eidaifjoria) bot ihm
alle Sinnenfreuden und Lebensgenuss, die Tugend bekennt ihm die
von den Göttern gestiftete Ordnung der Dinge, dass sie nichts wahr¬
haft Gutes ohne Mühe und Sorge verleihen, auch sie gewähre Glück¬
seligkeit, aber auf jenem dornenvollen* Pfade, wogegen jenes Glück
des Wohllebens zugleich die leibhafte Schlechtigkeit sey. Prodikus
würdigte in dieser Dichtung den wahren Geist der herakleischen
Kämpfe. »Nach Vollendung der .4rbeiten habe ich unsterbliche Tu¬
gend verlangt« , lässt ihn Sophokles am Ende seines Philokletes vom
Himmel herab reden (V\ 1414).
Entsagen und kämpfen sühnet den Fall. »Wer über¬
windet, dem will ich zu essen geben von dem Holz des Lebens, das
im Paradies Gottes ist« Zum Kampf und zur Arbeit stiess Gott
den gefallenen Adam in die Welt hinaus ‘): »Verflucht sey der Acker
um deinetwillen, mit Kummer sollst du dich darauf nähren dein Le-
*) Weniger richtig ist wohl die Deutung Grenzers a. a. 0. S. 459
Note nach dein Vorgang von K. O. Müller, dass man die Elemente
vorstellen w'ollte, woraus Prometheus die Menschen bildete,* denn Sonne
und Mond würden nicht passen, und das Menschenbilden ist nicht die
Hauptsache des Ganzen, sondern Sünde, Tod und Erlösung.
2) Bei Xenoph. Memorab. II, 1, 21.
3) OtT. Joh. 2, 7. '•) 1 Mos. 3, 17.
350
bcnlang. Dornen und Disteln soll er dir tragen, und sollst das Kraut
auf dem Felde essen: im Sclnveiss deines Angesichts sollst du dein
Brod essen « So sühnte auch in Indien Birmah durch mancherlei .
Büssungen seinen Fall und erstarkte allmälig wieder am Geist. Als
ein irrender und tüchtiger Ritter kommt Herakles und spricht: »mein
Vater Amphitryon muss viel gesündigt haben : er büssle selber da¬
für, und mir hat die Gottheit {öaifxuiv^ schwere Kämpfe aufgetra¬
gen« ^). Nur oben im Olymp, wo kein Gegensatz der Nolhwendigkeit
und Freiheit stattfindet, fliesst das Leben spiegelrein und kampflos;
hienieden aber fimlen sich Behaglichkeit und Tugend nicht mehr
beisammen.
Zwischen Sinnenglück und Seelenfrieden
Bleibt dem Menschen nur die bange Wahl.
Auf der Stirn des hohen üraniden
Leuchtet ihr vermählter Strahl 2).
Der Vater Zeus bat dem Herakles selbst die Nothwendigkeit der
Kcämpfe auferlegt 3), sein Oheim Eurystbeus aber war der V^ollzieher
durch beslimmle Aufträge, wozu er sich eines Boten von Mykene
Namens Kopreus bediente ^). Pythia verhiess, er werde nach ihrer
Vollendung unsterblich seyn 3). Den Kampf des Herakles unter dem
Schutze der Athene mit Cyknus und dessen Vater Ares im Haine
Apollons beschreibt Hesiod (Schild 57 ff.) ausführlich. Er endete
mit dem Tode seines Gegners und mit der Verwundung des Ares.
Den dreiköpfigen Geryoneus tödtete er sammt seinem Hirten Eu-
rytion und Hunde Orthos auf Erythia , welches man für das alte
Cadix hält, und trieb die Rinder in seine Heimath Tiryns ®). Eben
so erlegte er die lernäische Hyder, welche Here ihm zürnend auf¬
wachsen liess, nach dem Rath der Athene und mit Hülfe seines
Waffengefährten lolaus ^). Here sandte ferner den nemeischen L ö-
wen, welcher nach vielen Verwüstungen von Herakles bezwungen
1) Hes. Schild 80, 94. 2) Schiller T. IX Ah. I S. 141.
3) Pindar. Ol. III, 51 dvdyxa naxqöß^v.
11. ö, 639. r', 133. 5) Apollodor II, 5.
6) Theog. 289.
7) Theog. 316. Sopbocl. Trach. 1074.
351
wurde ')• So viele von seinen Thalen erwähnt Hesiod gelegentlich,
und deren umständliche Erzählung gehört nicht in die Religions¬
lehre 2). Wie hei Hesiod , so erscheint auch hei Homer 3) Here als
eine ihm feindselige Gottheit, da sie die Herrschaft des Eurystheus
über die Argiver, welche Zeus dem Herakles zugedacht halte, be¬
günstigte, und als dieser Ilium zerstört halle, ihn durch aufgeregte
Winde nach Kos trieb. Die Ursache dieser Fehde liegt wahrschein¬
lich in der Einwanderung der Herakliden in das Stammland der Here,
nach Argos; so dass die Feindschaft der altvaterischen Religion ge¬
gen die Herakliden und gegen den durch sie verbreiteten Apollo¬
dienst auf ihren Erzvater übertragen wurde. Sogar die ihm zuge¬
schriebene Zerstörung Iliums und das Verschlagen nach Kos scheint
mir nichts als ein mythischer Anachronismus zu seyn von der Ge¬
schichte, dass nach der Zerstörung von Troja durch die Griechen
Dorier unter Anführung heraklidischer Fürsten aus dem Peloponnes
nach Kos, Rhodos, Knidos und Halikarnas auswanderten — Ei¬
nem späteren Zeitalter ist die Festsetzung der Arbeiten des Hera¬
kles auf zwölf zuzuschreiben 5) , da man ihn zugleich als Sonnengott
vergötterte und auf die zwölf Zeichen des Thierkreises Rücksicht
nahm®). Apollodor (H, 5) und Hygin (fah. XXX) nennen als seine
zwölf Hauptarbeiten ausser den drei von Hesiod zuletzt genannten
folgende: der Fang des Ebers auf dem Rerge Erymanthus in Arka-
1) Theog. 327, Soph. Trach. i072
2) Vgl. Wunder ad Sophocl, Vol. II sect. 3 p. 13 sqq,
3j II. XIV, 250. XVIII, 119. XIX, 119 Paus. IX, 1 1 , 2 sah als Ver-
sinnlichung der letzten hom, Stelle auf einem alten Bildwerke in Theben
Zauberinnen, welche Here geschickt hatte, die Geburt des Herakles zu
verhindern. Auch die Niederkunft der Leto erschwerte Here aus den¬
selben Gründen. Aus der Eifersucht gegen den apoll. Kultus machte
die Fabel eiue eheliche Eifersucht.
K. O. Müller Dorier I S. 103.
5) Theocrit. Id. XXIV, 80. Apollon. Rh. Argon. I, 1318. Diodor.
IV, 29. 31. Vgl. Zoega Bassiril. 2 p 46. u. Ouwaroff Exam. er. d. 1. f.
d’Herc. Macrob. I, 20.
®) Porphyr, bei Euseb. Pr. Kv. HI, 11.
352
dien '), der Fang der Hirschkuh auf dem Berge Mänalus in Arka¬
dien, die Verjagung der furclilbaren Vögel an dem Flusse Slympha-
lus in derselben Landscliafl, die Reinigung des Stalls des elischen
Königs Augias vermittelst der Dämmung des Flusses Alpheus, wel¬
cher hineingeleitet den Unrath hinwegschwemmte 2) , der Fang des
Stieres des Minos in Kreta, die Erlegung des thracischen Tyrannen
Dioraedes und der Raub seiner Rosse, welchen Diomedes die Frem¬
den vorzuwerfen pflegte und denen er nunmehr selbst vorgeworfen
wurde 3), die Erbeutung des Wehrgehängs der Amazone Hippolyte,
das Pflücken der goldenen Aepfel der Hesperiden in Libyen ^), und
endlich die Entführung des Cerberus aus dem Hades *). Ein römi¬
sches Relief^) stellt den Herakles und Omphale mitten in den Bil¬
dern von seinen zwölf Arbeiten als in den Zeichen des Thierkreises
stehend dar. ln dieser Gedankenreihe wollte man durch die gefa¬
belte Dienstbarkeit des Heroen unter eine Frau ohne Zweifel den
Zustand der Erniedrigung des Sonnengottes bezeichnen. Von seinem
Gang zu den Hesperiden (d. i. Jahreszeiten) haben wir oben S. 130 Cf.
gehandelt 8). Auf die Uebertragung des Sonnenamtes scheint die
spätere Fabel sich zu beziehen, dass er dem delphischen .Apollon
*) Sophocl. Trachin. 1077. Herat. Miles. Vogel p. 34. 36.
2) Find. Ol. X , 34. Eurip. Alcest. 501 (T.
Soph. Trachin. 1079. Panyasis in der Heraklea bei Schob ad
Germanici Aratea Phaenom. u. Euripides Hercul. 394 ff. erzählen schon,
dass Herakles den Drachen erlegt habe, der die goldenen Aepfel be¬
wachte.
5) Horn. Od. XI, 623. Pindar. bei Schob Ilom. 11. cp', 194. Soph.
Ti ach. 1077 ff.
Grenzers Bilderb. T. 36 n. 3.
7) Pherecydes bei Schob Od. XXI, 23. Sophocl. Trachin. 252.
Apollodor. I, 9, 19. II, 6, 3.
8) Wir tragen hier nach , dass die Hesperiden bei Apollodor H,
5, 11 heissen: Al'ylTj , 'E^vdsia , '^Earia (ab '^EoTtepca), "Agidovaa , bei
Apollon. IV, •, 'Eansgrj , "EQv^rjig, Al'yXij , bei Hygin fab. z. Anfg.:
Aegle, Ilesperie, Aerica (verdorbene Lesart, Muncker schlägt vor: Ery-
thia), bei Lutat. ad Slat. Theb. 11, 28: Aegle, Arethusa, Ilesperie,
bei Fulgentius: Aegle, Ilesperie, Medusa, Arethusa.
353
den Dreifuss geraubt habe; was ein Gegenstand alter Kunst ge¬
worden, wovon wir noch mehrere Ueberbleibsel besitzen i). Die
ältere Fabel von gleicher Bedeutung scheint es zu seyn, dass man
den Herakles die Rinder des Geryoneus rauben Hess ; denn von die¬
sen wird bestimmt ausgesagt 2), dass sie der Sonne angehörten; wo¬
durch unsere Erklärung von Chrysaor S. 78 eine Stütze gewinnt.
Vielleicht ist auch die Zahl der 360 Kampfgenossen von Kleonä be¬
deutsam, welche dem Herakles im Kriege gegen die Molioniden hal¬
fen und ihr Leben Hessen ; wofür er sie in den neraeischen Spielen
ehrtet}. Diese, anfänglich eine Leichenfeier für den Archemorus,
wurden von Herakles zu Ehren des Zeus neu eingerichtet, nur
Kriegsleute durften früher hier turnen, und die Kleonäer waren die
Vorsteher ^). Ist Herakles der unermüdliche Kämpfer im ganzen
Jahreslauf, so ist ein jeder der 30 mal 12 Tage sein Mitgenosse und
seiner Ehre Theilnehmer. — Weil das alle römische Jahr vor Numa
nur 10 Monate gehabt haben soll ^), so suchte man dieses Schwan¬
ken zwischen zehn und zwölf durch die Fabel auszudrücken, dass
zuerst zehn Arbeiten genügten, Eurystheus aber zwei davon nicht
gelten Hess, und daher die zwei letzten später aufgetragen habe 6).
Wie er selbst ein streitender Held war, so verordnete er dem
Zeus zu Ehren die olympischen Kampfspiele in EHs am
Grabhügel des Pelops^) alle vier Jahre, um die Sommersonnen-
K. O. Müller (Dorier Bd. I S. 432) versteht unter dem Drei-
fussraub eine Verpflanzung des Apollodiensles nach andern Orten durch
Vermittlung des Herakles oder der Herakliden ; er vervrischt aber so
das Charakteristische der Fabel, nemlich das Rauben, und macht ein
Weitertragen und Befördern daraus. Nach Apollodor II, 6, 2 hat He¬
rakles mit Apollon um den Dreifuss gekämpft, und hat ein eigenes
Orakel gegründet, Zeus aber Frieden gestiftet. Ein ehernes Bildwerk
in Delphi stellte diesen Auftritt dar: Paus. X, 13.
2) Apollodor. I, 6, 4. 3) Aelian. V. H. IV, 5.
'*) Schol. Find. Nem. Anfg.
3) Scaliger de emendat. tempor. p. 172 hält diese Meinung des
Varro u. des Ovid. Fast. v. 64 für albern.
Apollodor. H , 5 , 11.
Pindar. 01. X , 30.
23
354
wende im Vollmond zu hallen, als deren Stifter ihn Archilochus in
einem eigenen Gedichte pries. Sie waren die grössten und am mei¬
sten besuchten unter den vier panhelleuischen Spielen, welche Pin-
dar mit ihren Siegern verherrlichte. Herolde verkündeten sie im
ganzen Peloponnes, wührend ihrer Feier sollte allda Waffenruhe
seyn, und nach der Uebereinkunfl der Griechen galt das Gebiet der
Eleer für heiliges und vor Verwüstungen gesichertes Land '). Der
Dichter Aristoteles 2) (nicht der Slagirite) führt zwölf berühmte
Kampfspiele der Griechen auf, er fängt mit den eleusinischen an, setzt
die kleinern Panalhenäen in die zweite, die olympischen in die sie¬
bente und die pylhischen in die letzte Stelle. Wir haben schon oben
gesehen: Demeter setzte zugleich mit den Orgien Leibesübungen für
die eleusinische Jugend ein, um ein lebenskräftiges Geschlecht zu
bilden, als Nothbehelf für den missglückten Versuch, alle Schlacken
des verderbten Fleisches im Läulerungsfeuer abzulhun. Wenn die
Göttin hoch oben mit dem Feuer begann, und sich darnach mit
Kampfspielen begnügte, so fing dagegen Herakles unten als Kämpfer
und Stifter von Kampfspielen an und endete oben mit dem Feuer
welches die übrig gebliebenen Schlacken seines Leibes verzehrte.
Diese Uebereinslimmung beweist den gleichen Sinn dieser Fabel und
die Richtigkeit unserer Auffassung derselben. Es war ein religiöses
Turnen, nicht bloss ein körperliches. Man dachte sich eigene Göt¬
ter als Vorsteher der Wettspiele, ’dsol äyuivLoi genannt. Als solche
hatten in Argos einen gemeinsamen Altar Zeus, Apollon, Poseidon
und Hermes 3). In dem Charakter dieser Gottheiten liegt ja die Be¬
weglichkeit, und dem Zeus waren die olympischen , dem Apollon die
pylhischen, dem Poseidon die islhmischen Spiele geweiht. Wettkämpfe
waren mit Götter- und besonders Heroenfesten verbunden. Olympia
dem Zeus heilig hielt man zu Athen ^), zu Megara, wo mau die Na¬
men der Sieger in Stein grub ^) , in Smyrna, Alexandria und in
‘) K. 0. Müller Dorier I S. 139.
2) Bei Schol. ms. Arislid. Panalh. p. 189 des Jebbischen Textes. Das
erste Kampfspiel war nach Arislid. Eleusin. p, 417 Ddf. das zu Eleusis.
3) Aeschyl. Suppt. 192.
') Schol. Pind. Pylh. IX. Nein. II. Hesych. s. v.
Schol. Sophocl. u. Schol. Pind. 01.
Inschrift bei Meurs. Graecia feriata col. 830.
Maeedonien '). In Allien feierte man ausserdem Wettspiele an den
Panathenäen, die Heraklea, Eleusinia , Panhellenia 2) , [ferner zur
Ehre der Erde, die ihren Tempel auf der Burg hatte ^); in Aegina
die Delphinia dem Apollon zu Ehren vielleicht auch Hydrophoria
genannt ^); in Lacedämon die avQi^iata, worin der Preiss in einer
aus F’elt und Honig bereiteten Esswaare {ov()iJ,aia) bestand^); in
Argos die Sthenia^); die Tegeaten in Arkadien die ^Aksaia von der
Athene Alea benannt, nahe bei ihrem Tempel, die "Äkuyria eben¬
daselbst zum Andenken der Gefangennehraung vieler Lacedämonier s) ;
zu Platää in ßöotien die Eleutheria in Waffenrüstung dem Zeus Eleu¬
therius vor seinem Altar, zu Ehren der daselbst in der Schlacht ge¬
gen den Mardonius gefallenen Griechen 5), alle fünf Jahre noch zu
den Zeilen des Pausanias (Boeoticis) am 16. Mämaklerion (welchen
Monat die Böotier Alalkomenios hiessen: November); zu Larissa
ein Wettspiel der Jünglinge, woran Perseus Antheil nahm 'O); am
Berg Oeta ein Wettlauf, von Amphissus zu Ehren seiner Mutter
Dryope und der Nymphen, denen er einen Tempel erbaute, veran¬
staltet *'); in Kreta eine Leibesübung xaXaidixrjq genannt von dem
unter dem Beinamen xaXaioq dort verehrten Zeus *2); Jn Thesprotia
ein Wettspiel Namens ßÜQaxQov
Mehrere Gattungen von r.,eibesübungen werden schon von Ho-
’) Schol. Thucyd. I, 126.
2) Schol. Find. Ol. VlI. Philostr. Herod. Soph. II. Meurs. Gr. fer.
col. 835.
3) Find. Pylh. IX, wo der Schol. den Didymus anführt.
Schol. Find. Ol. VIII. Pylh. VII.
Die Aegineler hielten in dem Monat Delphinios den Wettkampf
Apollons Hydrophoria genannt: Schol. Find. Nem. V, 81. Wahrschein¬
lich war ein Todlenopfer für die in der Wasserflulh ümgekommenen
damit verbunden, wie an den Hydrophoria zu Athen.
Hesych. s. v. Hesych. v. adsvia.
8) Pausan. Arcad. Schol. Find. Ol. VII.
Eustath. ad II. /?’. Strabo IX. Schol. Antholog. Epigr. Gr. II, 1.
Fliitarch. in Aristide.
10) Schol. Apollon. IV. i‘) Antonin. Liber. Melam. XXXH.
12) Hesych. v. xaXaioq. lO) Hesych. s. v.
356
mer bei Gelegenheit der Leichenspiele des Patroklus und von Hesiod
namhaft gemacht: der F’auslkampf (^Tivy/taxia) ^ das Ringen {na-
XaiayLoavvrj)’^^ , wobei man den Gegner durch Ziehen oder Aufheben
zu Boden warf; beide Uehungen wurden auch mit einander verbun¬
den re v.aX kXxrjböv ^ was man nayv.g6.xLOv hiess); der Welt¬
lauf zu Fuss 5 der Zweikampf mit dem Speere ^) , das
Discuswerfen (adXo?) und das Bogenschiessen {xo^bvilv') 7). Bei
den Phäakern waren fünferlei Weltkämpfe üblich : Wetllauf, Ringen,
Hüpfen (aX^a) , Discuswerfen (je weiter, desto besser) und Faust¬
kampf ^)- Von dem Wettlauf führt Hesiod noch zwei andere Arten
auf, nemlich den zu Pferde-), welches Spiel man vsXrjxi d. i. mit
dem Wettpferde nannte, und das Wagenrennen ’®) mit Pferden oder
Mauleseln, welches man ag^axi., redginnoiq ^ innoig, antjvrj t') nannte.
Der allgemeine Ausdruck für Welllauf, sey es zu Fuss, zu Pferde
oder zu Wagen, ist ögojuog ^2) oder uneigentlich noöcoveia in dem
Verse des Simonides in der Anthologie, wo folgende fünferlei Kampf¬
spiele Vorkommen: aX/.ia (mit den Gewichten in den Händen sprin¬
gen), noÖLovsirjv y diavbv, avovxa, naXt^v. Diess war das sogenannte
nivxadXov i3). Die Kampfpreisse waren blosser Ehrenlohn; denn rit¬
terliche Tugend und Würdigkeit kann nur durch Ehre belohnt und
ausgezeichnet werden, und jede andere Triebfeder zum Rilterlhura
wäre seiner Natur fremd und unwürdig. Ein Kranz von Oelzweigen
war der Preiss der olympischen Sieger ^^) , von Lorbeer der pylhi-
’) II. XXIII, 653. 2) II. 1. c. 701. 3) lies. Schild 302.
It. 1. c. 740. Daher das ehrende Beiwort homerischer Helden
nobaq iovvq, noödgvTjg,
S) II. !. c. 803. 6) II. V. 826. 7) n. y. 850.
8) Od. y, 103 IT. 9) Hes. Schild 286.
^0) Hes. 1. c. 305. n) Find. Ol. VI.
*2) Arisloph. Nuh. 25. 28.
*3) Schot. Apollon. IV bemerkt , dass es zu Zeiten des Perseus
noch nicht üblich war, wiewohl eine jede Kampfart für sich be¬
sonders.
‘'•) Find. Ol. HI. Etymol. M. v. vöxivoq. Hermann gottesd. Alterth.
S. 254 Not. 25.
357
scheut), von Eppich (^aehpop') der nemeischen^) uud von Fichleu-
zweigen oder (zu andern Zeilen) von Eppich der isüiniischen,'’).
Das Ende des heldenraülhigen Herakles war ein freiwilliger
Flammenlod auf einem Scheiterhaufen auf dem Berge Oela. Die
Allen geben als Ursache einen schmerzhaften Haulausschlag an,
wovon er durch den Feuertod Befreiung gesucht habe. Allein eine
ägyptisch - phönicische Anschauungsweise scheint jener Fabel zu
Grunde zu liegen. Denn die Karthager haben jährlich dem Melkarlh
(Herakles) zu Ehren einen Scheiterhaufen angezündel, aus dem mau
einen Adler (Phönix) aufsteigeu liess ^) , um damit anzudeulen, die
alle Periode sey abgeschlossen und eine neue beginne ; gleichwie man
der Athene an den Panalhenäen ein Gewebe auf die Burg brachte.
Auf griechischem Boden, wo Herakles mehr eine sittliche Bedeutung
halte, wurde jener Tod im Sinne des Feuerkindes Demophon ethisch
gedeutet, es war ein Läuterungsfeuer, welches, was sterblich au ihm
, war, verzehrte®); es war die Vollendung des Opfers, das im Ge¬
horsam mit Vollführung der aufgelragenen Arbeiten begann. »Von
göttlichem Feuer erglänzend auf Oela’s Höhen, nahet er zu allen
Göttern“, sagt Sophocles (Philocl. 71 1). Seine Himmelfahrt erinnert
an die eines Henoch uud Elia. Mit seiner Apotheose ist auch die
Erzählung zu vergleichen, dass Thetis ihren neugeborueu Achil¬
leus bei Nacht im Feuer barg, damit es das Sterbliche au ihm ver¬
zehre, uud ihn am Tage mit Ambrosia salbte. Als der Vater Peleus
aufschrie, liess sie das Kind im Stich uud flüchtete sich zu den Ne¬
reiden; hierauf zog ihn Chiron mit dem Mark von Löwen , wil¬
den Schweinen und Bären auf ^). — Des Herakles Schallen (ci'öwXov)
ist zwar, so wie der anderer Helden, in der Unterwelt, er selbst
aber im Kreis der unsterblichen Götter in festlicher Freude und hat
») Paus. X, 7, 4. 2) Schol. Find. p. 5. 425.
3) Plut. qu. symp. V, 3. Schol. Nicandr. alex. 601. Weitere Nach¬
weisungen über diesen Gegenstand gibt Hermann gottesdienstl. Alterth.
S. 138 ff.
Sophocl. Trachin. 1173 ff. Ovid. Metara. IX.
Grenzer Symb. II S. 451.
®) Theocrit. Id. XXIV, 81. Lucian. llerraotim. §. 7.
0 Apollodor. III, 13, 6. Apollon. IV, 866.
J58
die reizende Hebe *). Diese als die leibhafte Unsterblichkeit und
ewige Jugend wird ihm, welcher durch den Tod zum ewigen Leben
vor Gott hindurchgedrungen ist, als Gattin beigegeben, jedoch nur
»nach Vollendung der säuern Kämpfe®, wie llesiod (Theog. 951) be¬
deutend hinzusetzt. Derselbe legt seine olympische Ehe richtig in
den Worten aus V. 95i f. : »selig er, der ein grosses Werk zu Stande
gebracht, und nun harmlos und nie alternd unter den Unsterblichen
allezeit weilet.® Heil und Sieg, 'AXs^cdQrjq und Ai'ixTjrog, sind die
allegorischen Söhne, die er nach späterer Dichtung mit Hebe er¬
zeugte 2). Wenn Menötius in den Erebus hinabgeworfen wurde, so
ist Herakles dagegen des Todes Ueberwinder; diessist die Krone seiner
Heldenkraft und zugleich sein Lohn. Das will Homer (11. V, 395) mit
den Worten sagen: „Herakles traf und verwundete den gewaltigen
Hades unter den Todten mit seinem Pfeil.® ln mehr eigentlicher
Sprache sagen es Euripides (Alcesl. 8öl. 1050) u. A. 3), er habe mit
dem Tode (Oavarog) gekämpft und die verstorbene Alceste ihm ab¬
gerungen. Man fabelte daher , er habe den Cerberus heraufgeholt ^).
Er wurde nicht allein als Heros, sondern auch als olympischer Gott
verehrt, worin Athen voranging 5), und Herodot (H, 44) bemerkt
ausdrücklich solche zweierlei Herakleen unter den Griechen. Vom
himmlischen Wohnsitz lässt ihn Sophocles (Phil. 1408) herabkommen,
dem Philoktetes des Zeus Kathschluss zu verkünden. Herakles zeigt
demnach die Möglichkeit, aus dem Zustand des Verderbens erlöst,
in das rechte V’^erhältniss zu Gott zurückzukehren und so endlich
die Höhe des Olympus zu erklimmen, wofern man nach seinem Vor¬
bilde dem mächtigen Schutz der Götter in frommer Hingebung ver¬
traut und in den Schranken heldenmüthiger Tugend läuft.
§. 59.
Die Mysterien in ihrer sittlichen liedeutung.
Herakles soll der erste Ausländer gewesen seyn , der in den
*) Od. XI, 601. Iloni. h. in Heiacl.
2) Apollodor. II, 7, 7.
’) S. Heyne zu Hom. II. V, 395.
II. (?'. Strabo VlII p. 363. Apoliodor. II, 5 linde.
Diodor. IV, 39.
359
Eleusinieo eingeweiht wurde. Nach unserer obigen Ausdeutung ent¬
sprach dieses vollkommen seiner Idee und dem Sinne der Mysterien.
Vor Ausführung des Cerberus hielt er es für dienlich ein Myste zu
werden •), was unter der Leitung desMusäos, eines Sohnes des Or¬
pheus , oder nach Andern 2) vermittelst des Eumolpus in Eleusis ge¬
schehen seyn soll. Wie Herakles der Erlöser, so hatte auch der
gefesselte Prometheus unverkennbar eine mystische Ileziehung. Me-
nodotos der Sander erzählt in den samischen Alterthümern ^) , Zeus
habe dem Prometheus nach seiner Befreiung zum Gedächtniss an
die Fessel einen Zweig von Weiden (Xvyog, agnus castus) auf das
Haupt gelegt, und dabei führt Athenäus (p. 674 ü) den befreiten
Prometheus des Aeschylus an, »dass wir zu Ehren des Prometheus
den Kranz als Gegenbild {avriTiocva) von jenes Fessel auf das Haupt
setzen.« Wie Prometheus als der Menschen Stellvertreter litt, so
sollte hinwieder die Bekränzung, die auch auf allen Bildwerken vor¬
kommt, eine Communion seiner Bande seyn, um die o()iq)Qoavvr],
die Fesselung der Zügellosigkeit, sinnbildlich zu lehren. Nach sei¬
nem Vorbilde bekränzen sich namentlich die Karer und Samier mit
Keuschlamm. Auch Ringe von Stein und Eisen, die an den Felsen
und die Ketten erinnern sollten, trug man zu seinem Gedächtniss ^).
Die Lehre von der Wiedergeburt des Menschen verknüpfte
sich aufs natürlichste sowohl mit den Gottheiten von Samothrace und
Eleusis als auch mit der Fabel von Dionysos, dem zu Ehren mau
anderwärts Mysterien feierte. Wir haben uns über die erstem §. 31
ausgesprochen, und verweisen hier nur auf ein marmornes Basrelief
aus dem Peloponnes^), welches die beiden Gaben, die wir der De¬
meter verdanken, sinnig gegenüber stellt: links steht der Ueberlluss
als eine weibliche Gestalt mit dem Namen ET&IINIA, über ihr steht
an einem Baume eine weibliche Figur mit aufgeschürztem Gewände,
wahrscheinlich Hekate, rechts sitzet die Weihe TEAETH als eine ein¬
fach gekleidete Frau auf einem Armsessel, an dessen Lehne
*) Diodor. IV, 24. 2) Apollodor. II, 5, 12.
2) Bei Athenäus XV p. 672 E.
•) Ilygiti. Poet. Astron. II, 15.
’) Bei Creuzer Symb. IV II. II T. VIII n. 19. In der Erklärung
erinnert er an die bekannte Stelle des Isokrates ira Panegyr.
J160
EIllKTHSIS (Besitz dazu, d. h. ausser den zeitlichen Gütern) ge¬
schrieben steht, und an dessen unterm Theil eine geflügelte Sphinx
als Sinnbild des Gelieimnissvollen angebracht ist. Andererseits ha¬
ben die bacchischen Mysterien, die man nicht mit den öirent-
lichen Dionysosfesten verwechseln darf, bedeutsame Winke. Mao
zeigte darin Sinnbilder, die an des Gottes Leidensgeschichte erinnerten.
Beim Spiel nemlich überraschten den jugendlichen Gott die tücki¬
schen Titanen, er blickte in den Spiegel (sinnliche Selbstbeschauung),
er belustigte sich mit dem Ball (Well), mit dem Würfel (Zufall),
mit dem Kreisel und Kegeln (Beweglichkeit), mit Hesperidenäpfeln
(Jahreszeiten) und mit Wolle *); so wie Bersephone als eitle Blu¬
menleserin, nach den betäubenden Narcissen haschend 2), die Beute
des grausen Galten wurde. Die eiteln Spiele bringen Tod und Ver¬
derben. Pallas, die göttliche Weisheit, allein rettet davon, sie
trägt das schlagende Herz des ermordeten Gottes zum Vater Zeus.
Er wird ein neugebornes Kind Jacchus. Hygin (fab. 155. 167) un¬
terscheidet den von den Titanen zerrissenen Liber als einen Sohn
der Proserpina von dem Neugebornen als einem Sohne der Semele
(s. S. 238). Als Herr der Natur bedeutet Jacchus die Wiedergeburt
derselben, aber als Menschenvater und Weihegott stellt er ohne
Zweifel der Menschen Gemeinschaft mit den Göttern und ihre Wie¬
dergeburt in Folge der freiwilligen Nachahmung des durch Nothwen-
digkeit gebotenen Absterbens und Erneuerns der Natur vor. Wenn
sonst Dionysos das Amt des alten pelasgischen Hermes übernahm, so
war er doch von dieser Seite betrachtet rein und enthaltsam, und
zur Bezeichnung des Gegensatzes scheint es geschehen zu seyn, dass
man auf der Akropolis zu Athen dem ungeweihten (djum^rog) Hermes
ein Heiligthum errichtete 3). Dionysos als Feuergeborner war schon
von Geburt an rein und geweiht, und dieses Feuer in Uebereinstim-
mung mit dem Feuerkind Deinophon wurde ohne Zweifel auch bei
ihm auf seine Peinigung gedeutet. Eben dahin zielt die Fabel , die
') Clem. Piolr. p. 15. 30 und daraus Arnob. L. V, 19. Firmicus
de errore prof. relig. : ein Bruder von zwei Brüdern uingebracbt.
Nonnus Dionys. VI, 173. Etym. M. v. ZayQsvg und JeXcpui. Tzelz.
ad Lycopbr. 208.
2) Paus. IX , 31 , 0.
llesych. dem. Prolr.
361
Kinder der Erde hätten die Glieder des zerfleischten Dionysos in
einem Kessel gekocht, Demeter aber sie wieder zusammengefügt*).
Hieran knüpfte sich leicht die Warnung vor den einschmeichelnden
Titanen, damit man nicht in des Orkus ewige Nacht falle, ln des
Dionysos Tod ersieht man den traurigen Sold der Ausschweifungen.
Wie seine Scham (der Phallus) in der mystischen Kiste verborgen
liegt, so seyd keusch und entsaget dem Fleische. Der Archigallus
entmannte sich , seinen Gott Attis nachahmend und auferlegte sich
Enthaltsamkeit , wovon die ßeschneidung hei den Aegyptern, Aethio-
piern, Kolchiern , Phöniziern und Hebräern das Zeichen war 2),
Aber auch dem Dionysos haben die Titanen zum Vorbild für die Ge¬
weihten die Schamtheile ausgeschnitten. Dadurch wurde der Frevel
des Kronos wieder gut gemacht, und die Entmannung des Dionysos,
Osiris und Attis steht im umgekehrten Verhältniss zur Entmannung
des Uranus. Als der Himmel seines Männlichen beraubt worden, so
wurde das Fleisch und die fort und fort Fleisch zeugende Kraft,
Aphrodite, geboren. Werden aber die zeugenden Götter des Flei¬
sches entmannt, so wird der Himmel mit dem Menschen versöhnt,
die Erinnyen, die aus dem uranischen Samen entsprangen, werden
beschwichtigt und die Sinnenwelt richtet sich geheiligt aufwärts , vom
Geiste beherrscht und getragen. Das ist die Beschneidung des Her¬
zens; darum obgleich in der Vorhaut, windet purpurne Binden um
eure Lenden. Daher hatte man in den bacchischen Weihen dreierlei
Reinigungen: durch Wasser, F’euer und Luft, um die Läuterung der
Seele von der Erde anzudeulen 3).
Wegen der gebotenen geheimnissvollen Zurückhaltung können
*) Diodor. III, 61. Clem. Prolr. p. 15.
2) Herod. II, 104. Wenn Winer in seinem Reallexicon die Be-
scbneidung auf die edlem Kasten Aegyptens, besonders die Priester¬
kaste, einschränken möchte, so war dieses vielleicht später der Fall,
scheint mir aber dem lichtvollen Berichte Ilerodols zu widersprechen
(vgl. §. 92). Abraham hatte sich diese Ceremonie ohne Zweifel auf
seiner Wanderung in Aegypten angeeignet und seinen Nachkommen
überliefert.
3) Serv. ad Virg. Ecl. II, 389. ad Aen. VI, 741. Creuzer Symb. IV
S. 92.
wir die Fabel von dem Zerreissen des Dionysos durch die Tilanen
nur bei spätem Scliriflstellern erwarten. Auf die ursprüngliche llei-
inath dieses Gottesdienstes verweist uns eine Stelle Herodotsj, die
auch in anderer Uücksicht beachlenswerth ist. Er erwähnt die ägyp¬
tische Sitte, nicht in wollenen, sondern leinenen Kleidern in die
Tempel zu gehen, und eben so wenig sich mit Wolle begraben zu
lassen; das stimme mit dem Orphischen und Bacchischen überein,
was mau aber so nenne, sey Aegyptisches und Pythagoreisches;
denn die Theilnehmer dieser Orgien dürfe man nicht in wollenen
Kleidern beerdigen , worüber es eine heilige Sage gebe. Hiermit
setzt er nach seiner Ansicht das sogenannte Orphische und Bacchi-
sche dem Aegyptischen und Pythagoreischen gleich, und gibt mit
kritischer Besonnenheit zu verstehen, das Orphische im Munde des
Volkes sey dem spätem Pythagoras und seiner ägyptischen Quelle,
woraus er schöpfte, zuzuschreiben, und die Pythagoreer hätten sich
für Orphiker ausgegeben, um sich ein Ansehen zu geben; wie sie
denn auch dem Orpheus Schriften unterschoben •). In Aegypten nun
wird nach alter Fabellehre Osiris von seinem Bruder Typhon und
dessen Genossen erschlagen, zerfleischt und begraben, ein Beherr¬
scher des Todtenreichs , und hatte seine Mysterienfeier. Der Zusam¬
menhang ist unverkennbar und gewiss nicht zufällig, noch von Hero-
dot ersonnen; wenn auch zugleich Kreta und Phrygieu eine Brücke
des ägyptischen Gottesdienstes für Griechenland gewesen sind (§.90).
Die heilige Sage, die Ilerodot leise berührt, ist wahrscheinlich die¬
selbe, die wir vorhin aus Clemens von Alexandrien anfübrten, dass
Dionysos überfallen worden sey, während er sich unter Anderm mit
Wolle beschäftigte; wobei dahin gestellt bleibt, ob man nicht aus
andern Gründen die wollenen Kleider für unrein erachtete und erst
hintendrein jenen ^öyog erdichtete, um das Verbot mit einem
Heiligenschein zu umgeben und so zu empfehlen. Dem Urtheil He-
rodots stehen andere Zeugnisse zur Seite. Wenn Heraklitus (fragm.
70 p. 52't) den Hades Dionysos und Aeschylus die Artemis eine Toch¬
ter der Demeter 2) nannte, so zeigen sie ihre ägyptische Gelehrsam¬
keit ; denn die Griechen nannten den Osiris Dionysos, die Isis De-
') Diog. T. VllI , 8. Clem, Strom. I p. 333.
2) llerod. 11. 150. Paus. Arcatl. 37, 3.
ineler, und die Kinder des Osiris und der Isis waren ürus und ßu-
bastis (Apollon und Arleniis). Wenn Arislophanes (Frösche 1032)
sagt: Orpheus hat uns die Weihen (reXfrct^), und vom Tödlen die
Hände abzuhallen gelehrt, so hören wir den gewöhnlichen Sprach¬
gebrauch orphisch und das damit in Zusammenhang gebrachte Ver¬
bot Ihierischer Kost. Unter diesen Weihen werden wir hauptsäch¬
lich die bacchischen , auch Melroa und Sabazia genannt, zu verste¬
hen haben, von deren Gebräuchen wir unten reden werden. Euri-
pides (Hippolyt. 949) bestätigt es, indem er seinen Theseus auf des
Orpheus Dionysosdien st, die leblose Nahrung und die alten
Mährchenbücher losziehen lässt. Es ist indessen kein Widerspruch,
dass man dem Orpheus und Pythagoras, welche der apollinischen
Religion ergeben waren, ja für Apollons Söhne gehalten wurden '),
bacchische Weihen zuschrieb, und eben so wenig hat man hierbei
der Ausgleichung wegen an verschiedetie Zeilen zu denken. Es war
ja nicht die ausgelassene bacchische Profanreligion, der sie huldigten,
sondern die Geheimlehre, die den Tod des Gottes und alles Flei¬
sches andächtig betrachtete, die sein Grab neben dem reinen Apol¬
lon aufzeigle, und so durch uachahmendes Abslerben und Läuterung
eine Versöhnung beider Götter anslreble. Wir haben .')7 nach¬
gewiesen, dass diese Versöhnung sogar eine Gleichselzung geworden
ist. Ein charakteristisches Zeugniss von dem Verschmelzen bacchi-
scher und phrygischer Mysterien und von orphisch pythagoreischer
Reinigkeit auf der Insel Kreta gibt uns ein ßruchslück aus den Kre¬
tern des Euripides 2) , wo der Chor der Priester des idäischen Zeus
zu Minos spricht: „Ich führe ein lauteres Leben, seit ich des idäi¬
schen Zeus und des nächtlichen Zagreus Geweiheier bin, seil ich die
Mahlzeiten der rohen Fleischeskost vollbracht und der Mutter vom
Berge die Fackeln trage, seit ich feierlich geweiht der Kurelen Bac-
chos heisse. Angethan mit glänzend weissem Gewände, fliehe ich
der Sterblichen Geburt und berühre nicht den Sarg, abgewandt von
jeglicher Kost, die Leben hauchte.« Wir haben zu unterscheiden,
was öffentlich am Tage und was als ein Mysterium hei Nacht ge¬
schah, sowohl nach einer Stelle des Demosthenes (s. §. 90), als
') Jambl. v. Pylhag. 10, 177. Porphyr, v. Pylhag. 28.
2) Bei Porphyr, de abstiii. IV, 19 p. .305.
364
uacb Catullus, welcher (Eleg- 65) ein Bacchanal also beschreibt:
Die Bacchanten rufen laut Evoe das Haupt schüttelnd, einige schwin¬
gen die Thyrsusslähe, andere raffen Stücke von einem zerrissenen jun¬
gen Stiere zu sich , andere schlingen sich windende Schlangen in die
Haare, andere feiern mit den Kisten die verborgenen
Orgien, welche die Ungeweihten vergebens zu hören begehren,
andere schlagen Trommeln und Cymbeln oder blasen die Hörner,
Was die mystischen Kisten in sich verschlossen, lehrt uns Klemens
von Alexandria (Protrept. p, 19), nemlich eine Menge Arten von
Gebackenem, dessen vcrsciiiedene Gestalt wir nicht mehr zu unter¬
scheiden wissen, vielleicht von allen Arten von Getreide, um die
Gaben der Demeter zu ehren, als arjaa(ial, nv^ajuldsg , xokvnai i),
itÖTiava 7to'kv6}j,q)a\a, cpdoig. Es lässt sich vermuthen, dass die Ge¬
stalt des männlichen und weiblichen Gliedes und andere Gliedmassen
des erschlagenen Dionysos nachgebildet wurden, wie in den Thes-
mophorieu Honigkuchen von Sesam in der Gestalt des weiblichen
Gliedes genannt werden (s. §. 74). Kerner waren in der Kiste nach
Klemens Salzkörner (als die Würze aller Nahrung) , eine Schlange,
dem Dionysos Bassarus gewidmet (au die Erzeugung des Lebensgot¬
tes erinnernd), Herzen (vermuthlich zum Gedächtniss an das nach
der Erschlagung allein noch lebendige Herz des Dionysos), Epheu
(als Sinnbild des immergrünen Lebens), Ferulastäbe (deren die Bac¬
chanten sich bedienten), Granatäpfel und Mohnköpfe (beide als Be¬
hälter von vielen Samen) 2), Da waren also die Symbole der Natur¬
gesetze, gleichwie in der Bundeslade der Hebräer die Tafeln des
Sittengesetzes.
') ToXvjtac heisst auch gekrempelte Wolle, eine Nachahmung des
Spielzeugs des Dionysos, als er von den Titanen ertappt wurde, wor¬
unter auch Wolle sich befand.
2) Phurnutus N, D. will durch die Mohnköpfe die Erde, Berge
und Thäler angedeulet hnden ; besser ist, was er dann sagt: per semi-
na innumerabilia terrae foecundam generationem intellige. — Mohn
kommt auch unter den Attributen der Demeter vor: Spanhem. ad Cal-
lim. h. in Apoll, v. HO. in Cer. v. 44. Mitscherl, ad Hom. h. in Cer,
13. Creuzers Bilderb. T. 37, — Granatäpfel vertheilt man jetzt noch
bei ilochzeiten in Griechenland : Dodwell Reisen II S. 76.
365
Eine ähnliche Sage wie vom Zerfleischen und Kochen des Dio¬
nysos haften die Peloponneser von ihrem Stammherrn Pelops. Sein
Vater Tantalus opferte ihn den Göttern, lud sie zu sich ein und setzte
ihn zu essen vor. Sie aber verschmähten das Menschenfleisch; nur
Demeter, die gerade ihre Tochter suchte, ass ein Schulterblatt da¬
von. D. i. der Mensch verfällt zum Theil der Mutter Erde; sie ihre
hingesunkene Tochter suchend, nimmt auch die Menschen in ihren
Schooss. Die Göller liessen aber die übrigen Glieder in einem Kes¬
sel kochen und die Schulter durch eine elfenbeinerne ersetzen, und
machten den Pelops wieder lebendig. Klotho nahm den neuen Men¬
schen aus dem Kessel heraus ^). Seinem Vergehen scheinen Kinder¬
opfer des Tanlalus und die Sille der rohen Vorzeit, Menschenfleisch
zu speisen 2) , zu Grunde zu liegen. Tydeus z. B. im thebanischen
Kriege von dem Thebaner Melanippus verwundet und daroh erzürnt,
bat den Amphiaraus, denselben zu tödten und seinen Kopf ihm zu
bringen. Als dieses geseheheu war, so vergriff er sich daran und
ass davon 3). Die Ergänzung aber und die Wiederbelebung des Pe¬
lops mag mehrere Bedeutungen haben: das Fortleben desselben in
seinen Kindern, in denen er immer wieder auferstebt, während ein
Theil von ihm (d. i. die Individuen) in die Erde fällt und stirbt;
aber zugleich ist er das Vorbild eines geweihten, Gott geopferten
Menschen, der frei von Roheit ist. Nach Andern ass Thetis von
Pelops, das hiesse ebenso viel als; das feuchte und irdische Element
macht immer Anspruch auf den Menschen ungeachtet aller Weihe.
Wie hier Demeter und ein Gott geopferter Mensch im Verbäll-
niss stehen, so wurde zu Korinth ein Trauerfest der Here, ’H^aia
genannt, mit der Ermordung der Kinder der Medea in Verbindung
gebracht, welche die Mutier selbst in dem Tempel der Burggüllin
Here allda begrub. Die Bedeutung dieses Festes wird in den Wor-
*) Find. Ol. I , 40 ff. ib. Schob Lycophr. 152 f. ib. Schob
2) Orphische Verse bei Sexlus Erapiricus adv. Mathem. II, 31.
IX, 15.
3) Eurip. bei Scbol. Find. Nera. X, 12. Apollodor. III, 6, 8.
Eustalb. p. 1273. 2. Auch die Söhne Lycaons sollen dem Zeus Men¬
schenfleisch aufgetischt haben, und ihr Vater in einen Wolf verwan¬
delt worden seyn : Hygin. fah. 17(5.
366
ten *) ausgedrückl : »Wir werden dem Lande des Sisyphos liinfort
ein ehrwürdiges Fest und Weilien (ralij') anslait jenes godlosen Mor¬
des einrichten.“ Indem man diesen Kindern ein Todlenopfer brachte,
was sich zufolge eines Orakels bis nacli Argos verbreitete, so wollte
man zunächst die Manen der Kinder sühnen. Die Verknüpfung aber
eines Kinderfestes mit Here und mit Weihen lässt vermulhen, dass
jene Kinder der Here geopfert worden sind. In den Weihen wurde
aber die wahre Bedeutung der Menschenopfer fesigehalten und fort¬
gepflanzt, und zwar in Beziehung auf eine bestimmte Gottheit, der
sich der Mensch weihen soll. Uebrigens soll nicht Medea, sondern
die Korinther selbst die Kinder getödtet und erst Euripides in seiner
Tragödie auf Anstehen der Korinther die Mutter zur Kindesraörderin
gemacht haben 2).
S- 60.
B ü c k b I i c k.
Blicken wir nach der Betrachtung der griechischen Götter und
des Verhällo'^'es der Menschen zu ihnen auf ihre Gesammtzahl zu¬
rück, so wird uns gemeldet, dass Pisistratus Archon, Enkel des
gleichnamigen Tyrannen, zwölf Göttern auf dem Marktplatze zu
Athen einen Altar errichtet habe 3), und hinter der Stoa waren ihre
Bildnisse gemalt. Platon (Phädr. p. 247 A) gibt gleichfalls ihre An¬
zahl auf zwölf an, dass sie in eilf Reihen, den Zeus an der Spitze»
in der jedem angewiesenen Ordnung als Häupter und Anführer einer
himmlischen Schaar aufziehen. Denn Hestia als die zwölfte bleibe
allein im Göllerhaus zurück , was der Natur ihres Wesens und häus¬
lichen Sinnes entspricht. Welches sind nun die eilf andern Götter
als Hauptideen des griechischen Himmels und als Regenten unsers
') Eurip. Med. 1.369 das. Schob
2) .4cliau, V. H. V, 21. Paus. Corinth. p. 43.
') Thucyd. VI, 54. Aristoph. Aves 95 das. Beck. Ennius bei Apii-
lej de Deo Socrat. p. 225. Hermann die goltesdienstl. Alterth. d. Gr.
S. 36. Als den 131en Gott schlug Demades den Alexander in der Volks¬
versammlung von Athen vor, wurde aber wegen Gottlosigkeit bestraft:
Aelian. V. H. V, 12.
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Lebens? Abgesehen von Dionysos als einem jüngern Gott und von
Hades als der andern Hälfle unsers Lebens in der Unlerwell, be¬
zeichnen wir als solche in Uebereiuslimmung mit Ennius: 1) Zeus
als Weltregent und Menschen vater mit seinen Gattinnen Metis,
Themis, Mnemosyne und Lelo, mit seinen Kindern, den Ho¬
ren, Mören, Chariten, Herakles und den mit menschlichen
Müttern erzeugten Dios kuren. ‘2) Here als Himmelskönigin mit
Hebe und Ilithyia. 3) Apollon und 4) Artemis, die unzer¬
trennlichen Zwillinge, als die grossen Lichter und V^orsteher der
Wissenschaft und der hohem Künste mit den Musen und As-
>
klepios. 5) Athene mit den Künsten und Gewerben des Le¬
bens. 6) Heph ästos als der Gott des Feuers und der Hand¬
werke mit Feuer. 7) Ares der Kriegsgolt. 8) Hermes als der Göt-
lerbote und Mittler. 9) Aphrodite mit Eros als das Vermögen
der Fortpflanzung. 10) Demeter mit der Tochter Persephone
und dem Sohne Pluto s als die Erde und deren Fruchtharkeit. 11)
Poseidon als das Wasser. Es sind sechs Götter männlichen und
sechs weiblichen Geschlechts, die im ehelichen oder geschwisterlichen
Verhältniss zusammen stehen.
Himmel, Erde und Meer ist der Schauplatz der göttlichen Thä-
tigkeit (Zeus , Demeter, Poseidon), lieber der Bewegung aller Dinge
und dem Kreisen -der Welten steht unveränderlich die ewige Ord¬
nung (Hestia). Gott ist der allerhöchste Geist , allweise (Metis), all¬
wissend (Mnemosyne), gerecht (Themis), wahrhaftig (Leto) und se¬
lig (Chariten). Durch göttliche Kraft wird die Fruchtbarkeit erhal¬
ten und besamen sich die Pflanzen (Demeter und Persephone), Men¬
schen und Thiere pflanzen sich fort (Aphrodite, Dionysos und Her¬
mes). Gott ist Vater der Menschen (Zeus und Here mit Ilithyia)
und ihr Erlöser, wenn sie den Tod der grossen Götter verkündigen,
von dem vergänglichen und sündigen Wesen aufwärts blicken, käm¬
pfen und sich reinigen (Weihen der Demeter und des Dionysos, He¬
rakles). (iott leitet alle Veränderungen in der Natur (Horen) und
in der Geschichte (Mören), ist der Urheber wie der Wellharmonie,
so der Wissenschaft und Kunst (Apollon, Artemis, Musen, Askle¬
pios) , Meister in allen Gewerben (Athene , Hephäslos) , im Acker¬
bau (Demeter) und im Handel (Hermes), Vorsteher der Jagd (Ar¬
temis) und des Kriegs (Athene und Ares). Dazu stehen Gott alle
Mittel und Wege zu Gebote (Hermes).
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Die Namen der überirdischen Mächte stehen an der Feste des
Himmels gesclirieben und leuchten so in das Erdenthal hernieder,
und zwar die Namen der Götter Apollon und Artemis in Sonne und
Mond, Kronos, Zeus, Hermes, Ares und Aphrodite, jeder in einem
Planeten '). Die Heroenwelt spiegelt sich in dem verschwimmenden
Heer der entfernteren Fixsterne als der Erinnerungszeichen und Bil¬
der der grossen Thaten der V'^orzeit.
*) Jene fünf Planeten nannten die Griechen auch nach der Sille
der Aegypter 'I>aivcov, fpasScov, I^riXßwp, Ilv^öetg und f^bnacpoQoq.
Cic. N. D. II, 29. Jo. Lydus de diebus.
Ende des ersten Theiles.
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Die Religion der Hellenen : aus den
Princeton Theological Seminary-Speer Library
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