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DIE RUNENSCHRIFT
DIE
RUNENSCHRIFT
VON
LUDV/.^V.*A^*WIMMER
VOM VERFASSER UMGEARBEITETE UND VERMEHRTE AUSGABE
MIT 3 TAFELN UND ABBILDUNGEN IM TEXTE
AUS DEM DANISCHEN ÜBERSETZT
Dr. f. HOLTHAUSEN
BERLIN
WEIDMANNSCHE BUCHHANDLUNG
1887
Driink von \V. Pormetier, Hrtrlin.
DEM ANDENKEN
RASMUS KRISTIAN RASK'S
UND
NIELS LUDVIG WESTERGAARDS
Jils man heule vor einem jähre in Deutschland den hundert-
jährigen geburtstag Jacob Grimms unter allgemeiner beteiligung feierte,
wurde auch aufs tieue und mit recht die erinnerung an den einen
der männer wachgerufen, mit deren namen ich dieses buch geziert
habe. R. K. Rask war es, der zu an fang des Jahrhunderts mit
Bopp und Grimm zusammen den grund legte, auf welchem die neuere
Sprachwissenschaft bis auf unsere tage herab weiter gebaut hat, und was
Grimms „Deutsche Grammatik" für das studium der südgermanischen
sprachen xcurde, das wurden die arbeiten seines gleichzeitigen und un-
gefähr gleichaltrigen dänischen genossen in nicht geringerem mafse für
das Studium der alten spräche des Nordens und der neueren nor-
dischen sprachen.
Wenn nun auf den 22. november 1887 der hundertjährige ge-
burtstag unseres berühmten landsmannes fällt, so werden wir hier in
Dänemark dieses tages sicherlich mit nicht geringerer teilnähme gedenken,
als man in Deutschland des 4. januars 1785 gedachte. Schwerlich
aber wird es mir vergönnt sein, zu jener zeit in deutscher spräche
das andenken des grofsen dänischen forschers zu feiern; ich habe daher
die gelegenheit, die sich jetzt bot, bemitzen wollen, um dem lehrer die
hddigung des schülers darzubringen. Eine solche erscheint so oft post
festum, dafs man es hoffentlich verzeihen wird, wenn die meinige dies-
mal etwas vor dem eigentlichen jubeltage kommt.
Mit Rasks namen habe ich den namen des mannes verbunden,
welcher mehr als irgend ein anderer der träger der Raskschen tra-
VIII
dilion wurde und sie dem jüngeren geschlechte überlieferte, und dem
auch ich persönlich zu besonderem danke verpflichtet bin. N. L.
Westergaard, der seit meiner ersten Studienzeit mein liebster lehrer
icar und den ich in den letzten jähren seines lebens kollegen und
freund nennen zu dürfen glücklich war, begleitete bis zuletzt meine
arbeiten über die alte spräche und schrift des Nordens mit unge-
schwächtem interesse.
Dem andenken dieser beiden männer, die einander nicht nur an
gelehrsamkeit und Scharfsinn, sondern auch in glühender Vaterlands-
liebe glichen, weihe ich dieses buch in der hoffnung, es möge in dem
geiste geschrieben sein, der sie selber beseelte.
Kopenhagen, den 4. januar 1886.
Jjudv, F, A, Wimnier,
Vorrede.
Den gnmdstock dieser abhandlung bildet eine reihe von vortragen,
die ich als anhang zu voilesungen über die geschichte der altnordischen
spräche im frühjahrssemester 1873 an der Kopenhagener Universität
über die runenschrift gehalten habe. Es war meine absieht, später diese
beiden Vorlesungen durchzuarbeiten und herauszugeben, was indessen
bis jetzt nur mit den Vorlesungen über die runenschrift geschehen ist.
Im sommer 1873 wurde das manuscript fertiggestellt , und der druck
wurde zu anfang des Jahres 1874 vollendet.
Gleichzeitig mit und unmittelbar nach dem druck des buches
wurden merkwürdigerweise an sehr verschiedenen stellen eine über-
raschend grofse anzahl denkmäler ans licht gezogen, die für die fragen,
welche ich in meiner abhandlung zu lösen versucht hatte, von der
gröfsten bedeutung waren. Auf ein paar dieser denkmäler konnte ich
noch in einigen nachtragen zu dem werke die aufmerksamkeit lenken
(die Fretlaubershermer spange und den norwegischen stein von Vatn);
aber eine noch gröfsere anzahl kam erst gleich nach dem erscheinen
meines buches ans tageslicht. Ich hebe hervor das speerblatt von Kovel
in Volhynien mit der unzweifelhaft gotischen inschrift, ein paar
rnnenspangen aus Deutschland , den lanzenschaft aus dem Kragehuler
moore auf Fühnen mit der längsten in Dänemark entdeckten inschrift
in älteren runen, verschiedene steine aus Schweden und Norwegen mit
denselben rnnen, darunter den merkwürdigen stein von Strand, der
nächst dem steine von Tune die längste noncegische inschrift in solchen
runen enthält.
Zugleich mit der heransgabe meiner abhandlung wnrden aufserdem
neue gesichtspunkte bezüglich des gemeingermanischen konsonanten-
systems geltend gemacht, woraus hervorging, dafs die späteren mutae
g, d, b ursprünglich spiranten, g., d, b, gewesen.
Ä VORREDE.
Auch änderten die archäologen allmählich ihre ansieht über das
alter der denkmäler, die durch die grofsen moorfunde in Schleswig und
auf Fnhnen zu tage gefördert waren, worunter sich einige inschriften
mit älteren runen befanden. Oft habe ich in Unterredungen mit meinem
verstorbenen freunde prof. C. Engelhardt, der sich durch die ausgra-
bung und beschreibung der Schleswig sehen und fühnischen moorfunde so
grofse Verdienste um die nordische altertumsforschung erworben hat,
behauptet, dafs seine Zeitbestimmungen für diese funde (Thorsbjærg
mitte des 3. Jahrhunderts und Kragehul ende des 5. jahrh. n. Chr.)
sich schwer mit den sprachlichen und paläographischen thatsachen in
einklang bringen liefsen, dafs die inschriften, die wir übereinstimmend
für die allerältesten ansahen (von Thorsbjærg, Strärup, Himlingöje)
runen- und sprachformen aufwiesen, die so gut loie vollständig mit
den nach seiner meinung ein paar hundert jähre jüngeren inschriften
von Kragehul und mit den zum gröfsten teile unzweifelhaft noch jün-
geren norwegischen und schwedischen Steininschriften übereinstimmten.
Ein solcher stillstand in der entwicklung im verlaufe von ein paar
hundert jähren oder mehr war mir ganz unerklärlich, gar nicht
davon zu reden, dafs zufolge der datierungen Engelhardts ein langer
Zeitraum bleiben würde, in dem nicht ein einziges runendenkmal im
Norden nachgewiesen werden könnte. Auch für die archäologen stellte
das Verhältnis zwischen den moorfunden sich indes bald in einem an-
dern lichte dar, und besonders Worsaae machte geltend, dafs sie für
wesentlich gleichaltrig zu halten seien, so dafs die ältesten in bedeu-
tend spätere zeit gesetzt werden müfsten, als man anfangs ange-
nommen hatte, wie er mir auch ohne bedenken einräumte, dafs man die
entslehung des goldenen hornes mit einer runden zahl am ehesten um
das jähr 500 anzusetzen habe. Während ich trotz der gröfsten
zweifei in „Runeskr. opr." 1874 im anschlnfs an die damals allgemein
angenommenen archäologischen beslimmungen die nordischen runendenk-
mäler mit der längeren runenreihe in die zeit zwischen 250—600
setzte, habe ich daher jetzt kein bedenken getragen, die ältesten etica
in das jähr 400 hinabzurücken.
Alle diese neuen thatsachen waren natürlich von der gröfsten bedeu-
tung auch für die frage nach dem Ursprung der runenschrift, und ich
hatte die freude, dafs sie in hohem grade die richtigkeit der ergebnisse
bestätigteti , zu denen ich gelangt war; aber selbstverständlich konnten
jetzt mehrere einzelheiten in einem andern lichte gesehen und klarer
und bestimmter dargestellt werden, als dies früher möglich war. In
VORREDE. XI
Vorlesungen und später in einem vortrage in der kgl. dänischen Akademie
der Wissenschaften am 25. februar 1881 teilte ich die wichtigsten von
den neuen ergebnissen mit, zu denen ich hierdurch geführt worden
war, und es war meine absieht, dieselben in eine deutsche hearbeitung
meines buches hineinzuarbeiten, icelche vorzunehmen ich gleich nach
seinem erscheinen zu m'ederholten malen aufgefordert worden war. Die
avsführung dieser arbeit wurde indessen aus verschiedenen gründen
von jähr zu jähr hinausgeschoben, vnd ist erst jetzt verwirklicht worden,
nachdem dr. F. Holthausen, angeregt durch prof. Sievers in Tübingen
und später durch prof. Hoffory in Berlin, sich erboten hatte, die
Übersetzung zu unternehmen. Die neuen ergebnisse, zu denen ich im
verlaufe der 12 jähre gekommen bin, welche zioischen der dänischen atis-
gabe und der gegenwärtigen bearbeitung liegen, und wovon ich bereits
zu beginn des Jahres 1884 einige hauptpunkte in dem briefe mitgeteilt
habe, den dr. Burg seiner verdienstlichen abhandlung über die älteren
nordischen runeninschriften beigefügt hat, auf welche ich im ganzen
genommen bezüglich des Standpunktes, den die deutung dieser inschriften
für den augenblick eireicht hat, verweisen kann, sind natürlich dem
buche in serner jetzigen gestalt einverleibt worden. Im laufe der letzten
10 jähre habe ich aufserdem während der Vorbereitungen zu einem
grofsen werke über die dänischen runendenkmäler gelegenheit gehabt,
alle dänischen (hierunler auch die schlesmgschen und schonischen) und
verschiedene der übrigen nordischen runeninschriften persönlich zu unter-
suchen. Die ausbeute von diesen Untersuchungen ist natürlich auch
der gegenwärtigen ausgäbe zu gute gekommen, insofern ich teils an ver-
schiedenen stellen den stoff habe ergänzen können, teils öfters das
malerial, welches früher zu meiner Verfügung stand, zu berichtigen in
der lage getcesen bin.
Obwohl meine ergebnisse sowohl bezüglich des Ursprungs der
runenschrift als auch bezüglich des gegenseitigen Verhältnisses der beiden
runenalphabete im ganzen Zustimmung von den kompetentesten seilen
und nicht am wenigsten bei deutschen gelehrten gefunden haben — ich
schulde K. Maurer, dem verstorbenen Müllenhoff, M. Rieger, E. Sie-
vers, F. Zarncke tind andern dank für ihre öffentlichen auslassungen
in diesem sinne — . ist doch nach dem erscheinen meiner abhandlung
von zwei seilen her eine abweichende auffassung von dem urspi^ung der
runenschrift geltend gemacht tcorden. In einer kleinen mitteilung auf
3 Seiten, die am 7. november 1873 in der Gesellschaft der Wissen-
schaften zu Christiania vorgetragen wurde, aber erst nach meiner ab-
XII VORREDE.
handlung erschien („Om Runeskriftens Oprindelse", Christ. 1S74), hat
nämlich S. Bugge dieselbe ansieht ausgesprochen, die er bereits früher
angedeutet hatte (siehe unten s. 174 anm. 1), nämlich dafs den grund-
stock der runenschrift zwar im wesentlichen das lateinische aiphabet
bilde, dafs sie jedoch stark durch die nordetruskische schrift beeinflufst
sei; ein nachweis hiervon im einzelnen ist aber nicht versucht. Dafs
Bugge diese meinung hat aussprechen können, wundert mich keineswegs.
Als ich zum ersten male inschriften mit „nordetruskischen" buchstaben
sah, überraschte mich die erstaunliche äufsere ähnlichkeit zwischen
dieser schrift und unserer ältesten runenschrift derma fsen, dafs ich es
im ersten augenblicke für ausgemacht hielt, dafs wir hier das wirkliche
Vorbild der runenschrift hätten; wenn ich daher seiner zeit mit einem
Vorurteil an die Untersuchung über den Ursprung der runenschrift ging,
so mufste es das sein, dafs die „nordetruskische" schrift bei der bildung
der runen eine rolle gespielt habe. Das ergebnis wurde indessen, dafs
alle ähnlichkeilen rein äufsere und zufällige waren, was ich in meinem
buche näher nachgewiesen habe. Ich glaube somit, dafs ich, lange be-
vor Bugges obengenannte mitteilnng über den Ursprung der runenschrift
mir bekannt geworden war, die gründe iciderlegt hatte, worauf sie ge-
stützt werden konnte. Auch mit einer andern abhandlung von Bugge
wurde ich kurz nach dem erscheinen meines buches bekannt, nämlich
dem ersten abschnitt (s. 1 — d6) der in der Antiqvarisk Tidskrift för
Sverige V, 1 gedruckten „Tolkning af runeindskriften på Rokstenen i
Östergötland" (der schlufs von s. 97 an erschien erst 1878). hh
trage kein bedenken, diese abhandlung als die bedeutendste runologische
arbeit zu bezeichnen, die in der neueren zeit erschienen ist, denn es
ist dem Verfasser durch eine seltene Vereinigung von gelehrsamkeit und
Scharfsinn geglückt, den gröfsten teil der vielen Schwierigkeiten zu
lösen, welche die inschrift darbot, was besonders deutlich bei verglei-
chting mit dem früheren verzweifelten versuche von Stephens (Old-Nor-
thern Rwiic Monuments I, s. 230 ff.) zu tage tritt. Bugge erhält in
dieser arbeit gelegenheit, auch bei mehreren von den fragen zti ver-
weilen, die ich in „Runeskr. opr." behandelt hatte, und es hat mich
natürlich gefreut, dafs wir hier wie öfters früher zu denselben ergeb-
nissen gelangt sind (so z. b. darin, der rune \ auf dem Röker steine
die bedeutung h zu geben, in den beweisen für die ursprüngliche reihen-
folge Y r im kürzeren futhark u. s. w.).
Während Bugges obengenannte auslassungen über den Ursprung
der runenschrift unabhängig von meinem buche erschienen waren, hat
VORREDE. XIII
dieses die gröfsere abhandhing von J. Taylor, welche den Ursprung
der rnnenschrift behandelt, „Greeks and Goths: a Study on the
Runes", London 1879, hervorgerufen. Einen icesentlichen anteil an
Taylors buche hatte der herausgeber des großen runenwerkes „The Old-
Northern Runic Monuments of. Scandinavia and England", lektor des
englischen an der Kopenhagener Universität, prof. G. Stephens, und
er sprach dann auch sofort nach dem erscheinen des buches seine unbe-
dingte Zustimmung zu den resultaten des Verfassers aus („Fædrelandet"
vom 24. juni 1879). Stephens' äufserimgen in dieser angelegenheit
veranlafsten mich, am selben orte („Fædrelandet" vom 3. juli 1879)
folgende bemerkungen über Taylors buch zu veröffentlichen: „ Der
Verfasser sucht sw zeigen, dafs die Goten im 6. Jahrhundert vor Chr.
ihr runenalphabet nach dem thrakisch - griechischen alphabete schufest,
und er bekämpft in folge dessen die auffassung, die ich geltend ge-
macht habe, dafs die runen vom lateinischen alphabete abstammen.
Hierbei hat er mir indessen ansichten zugeschrieben, die ich nicht nur
niemals ausgesprochen habe, sondern die im vollständigen loiderspruch
mit meinen äufserungen stehen. S. 20 f. fafst er nämlich das resultat
meiner Untersuchungen in folgende worte zusammen: „Dr. Wimmer
supposes that the Runes were obtained from the Romans, through the
Gauls, in the time of the early empire. In order to account for
certain Runes which plainly cannot be of Latin origin, he assumes that
his hypothetical Gaulish aiphabet contained letters dericed from the
Massilian Greeks, and others descended from the old North - Etruscan
aiphabet!" Solche ungereimte behanptungen habe ich natürlich niemals
aufgestellt. Nachdem ich im einzelnen, icie ich glaube, genügend nach-
gewiesen habe, dafs alle runen ohne ausnähme vom lateini-
schen alphabete abstammen („Runeskr. opr." s. 88 — 147), werfe
ich (s. 148) die frage auf, auf tcelchem wege das römische aiphabet,
das als grundlage für die rnnenschrift diente, den germanischen Völkern
bekannt geworden, und ich erkläre, dafs es gegenwärtig unmöglich sei,
eine nur irgendicie sichere antwort hierauf zu geben; dafs es aber als
eine möglichkeit hingestellt werden dürfe, dafs die Germanen
nicht direkt durch die Römer selbst, sondern durch die Gallier mit der
lateinischen schrift, nach welcher die runen gebildet wurden, bekanntschaft
gemacht haben. Über die schrift der Gallier habe ich bemerkt, dafs
die bewohner des eigentlichen Galliens zuerst das griechische und darauf
das lateinische aiphabet benutzteti, während die Gallier in Oberitalien zu-
erst sich ein aiphabet nach der „nordetruskischen" schrift schufen, jedoch
XIV VORREDE.
später gleichfalls das römische aiphabet annahmen. Das nach der nord-
etruskischen schrift gebildete gallische aiphabet habe ich s. 150 anm.
angeführt, gestützt auf die gallischen inschriften, welche ich an einer
andern stelle in meinem buche (s. 49 anm. 1) behandelt habe. Aus
all dem hat Taylor also herausgelesen, dafs ich zur erkiärung gewisser
rtmeti ein hypothetisches gallisches aiphabet habe bilden müssen, das
teils griechische, teils nordetruskische zeichen aufgenommen hätte!!
S. 28 ff. bespricht Taylor darauf, wie die einzebien runen nach
meiner meinung von den lateinischen buchstaben abgeleitet werden sollten.
Auch dieser abschnitt ist voll von Unrichtigkeiten und mifsverständnissen,
und alle meine beweise sind entweder weggelassen oder verdreht. Ich
will nur das allererste beispiel anführen (s. 28 ff.). Die erkiärung,
die ich von dem a-zeichen in der runenschrift gegeben haben soll,
ist, dafs man ohne genügenden grund das lateinische A aufgab und
an stelle dessen das etruskische a-zeichen aufnahm. Aber ich habe
gerade mit grofsem nachdrnck hervorgehoben, dafs die a-rune vom
lateinischen A abstamme, und nicht^ wie man durch eine oberflächliche
betrachlung anzunehmen verleitet werden könnte, in irgend einer Ver-
bindung mit dem nordetruskischen zeichen stehe („Runeskr. opr." s. 93
mit anm..-!, s. 95 und s. 150 anm.}. Von ähnlicher art sind die
übrigen „beweise", die Taylor gegen mich anführt, indem er mir an
vielen stellen eine vollständig unrichtige ansieht zuschreibt, die er
dann bekämpft. Alle diese fehler und mifsverständnisse zu berich-
tigen, darauf kann ich mich natürlich nicht einlassen; es würde ein
ganzes buch erfordern, dicker als T.s eigenes. Aber seine polemik ist,
wie man aus dem vorhergehenden gesehen haben wird, von einer so
eigentümlichen art, dafs ich eins von beiden voraussetzen mufs: ent-
weder hat der Verfasser einfach mein buch nicht selbst gelesen, sondern
hat dessen inhalt erst aus zweiter hand, und arg entstellt, erhalten; oder
er kann kein dänisch lesen und hat infolge dessen nichts von dem
inhalt des buches verstanden, welches zu kritisieren er sich berufen
gefühlt hat. Dies fmde ich auch durch die änfserungen des Verfassers
über Rask in der vorrede bestätigt; wofern er wirklich mein buch ge-
lesen und verstanden hätte, würde er darin (s. 15 f.) nämlich nicht nur
Rasks ansieht erwähnt gefunden haben, sondern auch die namen
anderer gelehrter, welche die ähnlichkeit zwischen den alten grie-
chischen buchstaben und den runen hervorgehoben haben.
Hiermit kann ich von herm Taylors buche abschied nehmen. Was
für und gegen seine auffassung vom Ursprünge der runen aus der
VORREDE. XV
griechischen schrift spricht, habe ich bereits genügend in meiner oft
genannten abhandlung entioickelt %tnd finde keine veranlassung, jetzt
näher auf diese frage einzugehen. T.s ganze darstellung ist, wie es
von dem Verfasser der „Etruscan Researches" zu ertcarlen stand, ganz
unmethodisch und verfehlt, und es thut deshalb weniger zur sache, dafs
er sich in den einzelheiten auf eine menge längst nachgewiesener fehler
bei Stephens stützt."^)
Das hier ausgesprochene urteil über Taylors buch halte ich weiter
aufrecht: es ist auf eine reihe kühner, teils unbewiesener und unbeweis-
barer, teils vollständig falscher hypothesen gebaut, auf eine grofse
Unwissenheit in dem rein thatsächlichen bezüglich der fragen, die be-
antwortung heischten, tihd endlich meiner arbeit gegen^er, die zum
gegenständ der kritik gemacht wird, auf die gröbsten Verdrehungen
und mifsverständnisse.^) Zu einer entgegnung im einzelnen auf diese
arbeit finde ich folglich nicht die geringste veranlassung. Der erste
abschnitt in meinem buche ist ja eine solche entgegnung, und Taylor
hat mir natürlich keine Ursache gegeben, eine zeüe von dem zu ändern,
was ich früher behauptet hatte.
Dafs ich einen ähnlichen standpunkt auch Stephens' eigenen ar-
beiten gegenüber einnehme, ist selbstverständlich. In allem, was die
runologie diesem manne verdankt, ist nämlich eine phantastische be-
geisterung für die sache gepaart mit dem erstaunlichsten mangel an
einsieht in die behandelten fragen und der vollständigsten Verachtung
^) Obenstehende bemerkiuigen wurden von folgender naehschrifl Itegleäel:
„\acMem diese bemerkungen an „Fædrelandet' abgeschickt waren, erhielt ich
die englische Zeitschrift Athenæum vom 28. Juni, in welcher ein einsichtiger
kritiker in einer klaren und überlegenen weise die „confusion" aufdeckt, die
durch T.s ganze abhandlung gehe, so dafs bei seiner „expedition to Thracé'
nicid das geringste herausgekommen sei. „In no case does he critieaUy reftde
any of the arguments of Dr. Wimmer, btd he condemns them all most cavalierlt/'',
sagt der recensent, nachdem er eine kurze, aber vollkommen korrekte darstel-
lung meiner beweise fiir die abstammung der runen aus dem lateinischen
alp habet gegeben hat." Herr Stephens, dessen äufserungen diese auslassung mei-
nerseits hervorgerufen hatten, hatte hierauf nichts zu antworten.
*) ^"1 gegensatze hierzu hebe ich hervor, dafs die resultate meiner Unter-
suchungen sich im ganzen korrekt wiedergegeben finden von 0. Montelius in
„Sveriges Historia fron äldsta tid tili våra dagar'' , I, Stockh. 1877, s. 212 ff.
und s. 3ö3 ff"-, C. Rosenberg, X ordboernes yi åndsliv fra Oldtiden til vore Dage, I,
Kbh. 1878, s. 53 tf., P. Hebke, Om Runerne i Morden, Kbh. 1879 und von
J. Rhys, Lectures on ffetsh Phdology, London 1679, s. 320 ff.
XVI VORREDE.
aller wissenschaftlichen methode. ') Dies hoffe ich genügend in meiner
kritik seines ersten bandes bewiesen zu haben („De ældste nordiske
runeindskrifter" in den Aarbeger f. nord. Oldkyndighed og Historie 1867,
s. 1 — 64, sowie „Prof. G. Stephens om de ældste nordiske runeindskrifter"*
ebenda 1868, s. 53 — 75), so dafs ich eine neue entgegnung auf alle
seine behawptungen im einzelnen für ganz überflüssig halten darf. In
Wirklichkeit ist mein ganzes buch ja aiich eine indirekte kritik über
Stephens; wenn ich recht habe, ist zugleich über alle deutungen u. s. w.
von Stephens der stab gebrochen, während man natürlich nicht den um-
gekehrten schlufs ziehen darf, dafs S. recht hätte, wenn ich unrecht
haben sollte.
Dies urteil gilt auch von der behandlung der altenglischen in-
schriften, ivo es der Verfasser doch mit seiner muttersprache zu thun
hat, und wo man infolge seiner Stellung ihm eine geioisse autorität
zutrauen könnte. Wo er sich indessen nicht, wie bei den gröfseren
inschriften, auf vorzügliche vorarbeiten stützen kann, sondern auf
eigene hand vorgehest mufs, ist er im stande unglaubliche sacken zu
leisten, so bei der behandlung des Brougher Steines aus Westmoreland,
ICO er auf 10 folioseiten eine griechische inschrift als altenglisch in
eitlem dialekt deutet, den er für die gelegenheit erfunden hat.
Es war ursprünglich meine absieht gewesen, in einer deutschen
bearbeitung den ganzen einleitenden abschnitt im 2. kap. des ersten
biiches über das phönicische und die alten südeuropäischen alphabete aus-
zulassen, da ich glaubte, von den hier früher dargestellteti resultaten als
sicheren thatsachen ausgehen zu können, die nicht aufs neue vorgetragen
zu werden brauchten. Leider zeigen indessen nicht nur bücher loie
Taylors „Greeks and Goths", sondern auch äufserungen von andern
') Als ein neuer eklatantei' beweis hierfür verdient erwähnt zu werden,
dafs er in dem 1884 erschienenen 3. bande der „Old~Northern Runic Monu-
ments" an stelle seiner früheren, ganz willkürlichen datierungen der in-
schriften oft ohne irgend welche begründung andere gesetzt hat, die weit mehr
mit den meinigen übereinstimmen; diemeinen waren natürlich auf meine deutun-
gen der inschriften und auf die daraus gezogenen sprachlichen und paläographi-
sc/ien ergebnisse gebaut. Stephe?is behält indessen seine eigenen deutungen bei und
nimmt nur meine datierungen auf!! (während so der stein von Istaby früher
um 300—400 gesetzt wurde, wird er jetzt bis 600 — 700 herabgerückt; der
Sölvesborger stein, der früher um 400 — 500 gesetzt wurde, stammt jetzt von
800—900 her u. s. w.J.
Einleitung*.
Yon den drei perioden, worin die altertumsforscher die zeit im Ran.
Norden vor der einführung des Christentums eingeteilt haben, dem ^"P^'
stein-, bronce- und eisenalter, unterscheidet sich bekanntlich das
letzte von den beiden anderen auch dadurch, dafs wir erst in ihm
spuren von buchstabenschrift treffen. Während die denkmäler
des stein- und broncealters nicht eine einzige Inschrift mit wirk-
lichen buchstaben aufweisen — denn die sogenannten „hällristningar"
(felsenritzungen) aus dem broncealter enthalten höchstens eine art
bilderschrift, zu deren richtiger deutung den Schlüssel zu finden
kaum jemals gelingen wird — , haben wir solche Inschriften aus jedem
der drei hauptabschnitte, in welche man das eisenalter ein-
geteilt hat. Erst für diese periode werden wir daher — insofern es
uns möglich ist ihre inschriften zu deuten — im stande sein
mit bestimmtheit zu sagen, welcher stamm oder welche stamme im
Norden gewohnt haben, während wir uns in bezug auf die einwohner
der beiden ersten perioden mit vermutungen begnügen müssen, die
höchst unsicher sind.
Mit den grofsen moorfunden, die in den letzten 20 bis 30 jähren
in Dänemark zu tage gekommen sind — den von C. Engelhardt
beschriebenen funden vom Thorsbjærger und Nydamer moore in Schles-
wig, vom Vier und Kragehuler moore auf Fühnen^) — , begann eine
neue aera für das studium des eisenalters im Norden, welches Engelhardt
1) Thorsbjerg Mosefund, Kbh. 1863. Nydam Mosefand, ib. 1865. (Diese
beiden englisch in: Deamark in the early iron age, illuslrated by recent disco-
veries in tJie peat mosses of Slesvig, London 1866). Kragehai Mosefuad,
Kbh. 1867. Vimose Fandet, ib. 1869.
WIMHER, Die nmensehnft. 1
2 EINLEITUNG.
in seinen verschiedenen archäologischen Untersuchungen beständig vom
jähre 250 bis ungefähr 1000 nach Chr. rechnete, wovon das ältere
eisenalter die zeit von 250 — 450, das mittlere die zeit von 450
bis ungef. 700 und das jüngere die zeit von ungef. 700 bis ungef.
1000 umfafste. Von den grofsen moorfunden setzte Engelhardt den
ältesten (den Thorsbjærger fund) in die mitte des 3. jahrhdts (also
den anfang der älteren eisenzeit selbst), den jüngsten (den Kragehuler
fund) ins 5. jahrhdt (den anfang der mittleren eisenzeit). Neuere
funde und forlgesetzte Untersuchungen haben indessen die altertums-
forscher dazu gebracht in den letzten jähren diese Zeitbestimmungen
etwas zu modificieren ^), so dafs der anfang der eisenzeit jetzt in das
erste Jahrhundert vor Chr. oder noch früher gesetzt werden mufs,
und innerhalb der älteren eisenzeit, die von ungef. 100 vor Chr.
bis zum schlufs des 5. Jahrhunderts nach Chr. gerechnet wird,
scheidet man wieder zwischen der vor römischen periode (ungef.
100 vor Chr. bis 100 nach Chr.), der römischen periode (ungef.
100 — 300 nach Chr.) und der völkervvanderungszeit (4. und 5.
Jahrhundert). Die mittlere eisenzeit oder die erste nachrömische
zeit umfafst das 6. und 7. jahrhdt (500 — 700) und die jüngere
eisenzeit oder die Wikingerzeit das 8. bis 10. jahrhdt (700 — 1000).
Von den grofsen moorfunden, die jetzt als wesentlich gleichzeitig
angesehen werden, gehören die ältesten (Thorsbjærger und Nydamer
moor) ohne zweifei dem Schlüsse der Völkerwanderungszeit (dem
5. jahrhdt), die jüngeren (Vier und Kragehuler moor) dem anfang
der mittleren eisenzeit (dem 6. jahrhdt) an. In dieselbe zeit wie
die moorfunde gehören auch die ältesten im Norden gefundenen
runeninschriften, von denen keine an alter diejenigen überragt, welche
aus dem Thorsbjærger moore hervorgezogen sind.
Es ist natürlich das charakteristische an den altertümern, was
die einteilung der eisenzeit in verschiedene perioden seitens der alter-
tumsforscher bestimmt hat. Für den Sprachforscher, der das hauptge-
wicht auf die sprach form legen mufs, die sich in den inschriften
findet, und auf die zeichen, die in den verschiedenen Zeiten nach-
gewiesen werden können, will sich an keinem punkte eine scharfe und
^) Vgl. .1. J. A. Worsaae, ,, Ruslands og det skandinaviske Nordens Bebyg-
gelse og ældste Kulturforhold" in den årb. f. nord. oldk. 1872, s. 309 ff.; derselbe
„Nordens Forhistorie," Kbh. 1881, s. 127 ff.; (Sophus Müller,) der abschnitt
„Jernalderen" in „Det Kgl. Museum for de nordiske Oldsager", Kbh. 1883 (auch
deutsch: „Führer durch das Kgl. Museum nordischer Alterthümer", ib. 1885).
EI^LEITÜNG. t>
bestimmte grenze zwischen einer älteren eisenzeit, einer mittleren
eisenzeit und einer jüngeren eisenzeit in dem sinne zeigen, worin die
archäologen diese namen fassen. Was schrift und spräche anbelangt,
tinden wir nämh'ch die ganze periode hindurch gleiche und all-
mähliche Übergänge von den älteren zu den jüngeren formen. Es
ist ja indessen auch für den Sprachforscher zweckmäfsig, gewisse
perioden in der entwicklung anzusetzen und durch bestimmte Jahres-
zahlen abzugrenzen.
Vom rein sprachlichen und paläographischen Standpunkte aus
würde ich dann am meisten geneigt sein die eisenzeit in zwei perioden
zu teilen, von denen die eine, welche ich die ältere eisenzeit
nennen würde, die zeit von ungef. 400 (dem auftreten der ältesten
inschriflen) bis ungef. 650, die andere, die jüngere eisenzeit, die
zeit von ungef. 800 bis ungef. 1000 urafafste. Zwischen diesen
beiden perioden liegt also ein Zeitraum von 150 jähren (650 — SOO),
der in sprachlicher hinsieht als mittlere eisenzeit angesehen
werden könnte. Leider sind nur äufserst wenige schriftliche denk-
mäler bisher ans tageslicht gekommen, die sich mit Sicherheit in diese
zeit setzen lassen; aber trotz ihrer geringen anzahl sind sie für uns
von der allergröfsten Wichtigkeit, da sie deutlich die ältere und jün-
gere eisenzeit verknüpfen und den Übergang von der spräche und
schrift der einen periode zu derjenigen der andern zeigen. Es ver-
steht sich von selbst, dafs diese Sachlage eine aufserordentliche
bedeutung hat, wenn wir auf die frage antwort geben sollen, ob es
derselbe stamm ist, oder ob es verschiedene sind, die vom anfang bis
zum Schlüsse der eisenzeit im Norden gewohnt haben.
Vergleichen wir nämhch die ältere eisenzeit unmittelbar mit der
jüngeren, ohne die Übergangsglieder gebührend in betracht zu ziehen,
so werden sich sowohl für den alter tums- wie für den Sprachforscher
ziemlich grofse Verschiedenheiten zeigen. Es könnte ja also möghch
sein, dafs in der jüngeren eisenzeit eine neue einwanderung nach
dem Norden erfolgt wäre, wodurch das gepräge der älteren plötzhch
verändert oder in wesentlichem grade modificiert worden wäre, und es
ist namentHch früher in der altertumsforschung ein beliebtes mittel s.
gewesen, welches aber auch in neuerer zeit eine nicht unbedeutende
rolle gespielt hat, die Verschiedenheiten in den verschiedenen Zeilen
mit hülfe von einwanderungstheorieen zu erklären. Es soll auch nicht
geleugnet werden, dafs es oft verlockend sein kann dieses mittel an-
zuwenden, da man sich dadurch in der regel ohne weiteres kopf-
1*
4 EINLEITUNG.
zerbrechen auf eine anscheinend leichte und natürliche weise aus
vielen Schwierigkeiten herauswindet. Findet man grofse Verschieden-
heiten, so kann man ja ein ganz verschiedenes volk das frühere ver-
drängen lassen; sind die Verschiedenheiten geringer, so kann man sich
ja mit einem stammverwandten volke begnügen. Wenn man uns
blofs ein wenig sichrere nachrichten darüber geben könnte, woher
diese neuen Völker gekommen sind, und was unter den während der
Völkerwanderungen entstandenen kämpfen aus den alten geworden
ist! Aber so lange man das nicht vermag, ist die einwanderungs-
theorie nur ein mittel, wodurch man den knoten zerhaut, den man
zu lösen nicht im stande ist, und es wird so oft angewandt, dafs
es uns leicht gegen alle die einwanderungen mistrauisch macht,
welche durch keine anderen beweise gestützt werden können, als den
drang ein neues volk vorzuführen, so oft man gröfsere kultur-
veränderungen entdeckt oder zu entdecken glaubt. Was insbeson-
dere den gegensatz zwischen dem älteren und jüngeren eisenalter im
Norden anbelangt, so könnte derselbe, wie mir scheint, auf eine
weit natürhchere und einfachere weise erklärt werden, als dadurch,
dafs man eine neue Völkerwanderung macht, von der man in Wirk-
lichkeit nicht das geringste weifs, obgleich es mir nicht unbekannt
ist, dafs Schriftsteller selbst in der neuesten zeit nicht blofs unter-
nommen haben zu zeigen, welche stamme bei dem übergange vem
älteren zum jüngeren eisenalter im Norden eingewandert sind,
sondern sogar genau den weg anzugeben, den jeder stamm gegangen
ist. Wie sinnreich dies alles auch ausgedacht sein mag, so ist es
doch nur dich tung, keine geschieh te. Dieser Völkerwanderungstheorie
stelle ich dreist die behauptung entgegen, dafs der gegensatz zwischen
den altertümern der älteren und jüngeren eisenzeit, selbst wenn
er noch weit gröfser wäre, als er in Wirklichkeit ist, doch keineswegs
s. 5. mit notwendigkeit eine neue einwanderung beweisen würde. Es ist
ja doch einleuchtend, dafs in dem Zeitraum von mindestens 800 jähren,
welcher zwischen dem beginn der älteren und der jüngeren eisenzeit
liegt, allmähliche Veränderungen in der kultur nicht nur vor sich
gegangen sein können, sondern mit Wahrscheinlichkeit vor sich ge-
gangen sind, so wie es selbstverständlich ist, dafs die spräche ums
jähr 800 anders gelautet haben mufs, als ums jähr 400. Hierzu
kommt, dafs neue kulturströmungen die frühere kultur vernichten
oder verändern können, so dafs sie fast unkenntlich wird. Aber ver-
mag das volk unter solchen Verhältnissen seine spräche zu bewahren.
EI2<(LEITUNG. O
SO hat es zugleich das sicherste zeichen seiner herkunft bewahrt; denn
wohl ist auch die spräche im laufe der zeit grofsen Veränderungen
unterworfen, aber diese Veränderungen geschehen immer nach be-
stimmten gesetzen. die der Sprachforscher aufzuspüren und nachzu-
weisen vermag. Wo wir daher, wie gerade in der eisenzeit, erhaltene
Sprachdenkmäler durch die verschiedenen perioden hindurch haben,
glaube ich, dafs man weit eher von der Sprachforschung als von der
altertumsforschung sichere antwort auf die ethnographischen fragen
erwarten darf, da es mir klar vor äugen steht, dafs das Verhältnis
zwischen der spräche in der älteren und jüngeren eisenzeit eine ganz
andere bedeutung für die beurteilung der Stammesverwandtschaft hat,
als die „schalenförmigen spangen" der Wikingerzeit und die andern
beweise, die man aus dem gegensatze zwischen den altertümem in
den beiden perioden hat herholen wollen*).
Die spräche der eisenzeit ist uns in den sogenannten runen-
inschriften überliefert, von welchen wir auf steinen (grabdenk-
mälern) und losen gegenständen in den nordischen ländern zwei
verschiedene arten finden; einer begegnen wir in den wohlbe-
kannten inschriften aus dem jüngeren eisenalter. Nach der zeit,
worin sie auftreten, sind wir daher berechtigt diese runen die jün-
geren zu nennen. Inschriften mit einem in mehreren beziehun-
gen verschiedenen alphabete, den ältesten runen, finden wir da-
gegen auf gegenständen aus dem schlufs der älteren eisenzeit und
aus der mittleren eisenzeit. Gemeinsam ist den inschriften in die-
sen beiden runengattungen, dafs sie selten viele worte enthalten, und
dafs ihr inhalt niemals — wenn wir ein paar der jüngeren inschriften
ausnehmen — uns irgend eine bemerkenswerte historische aufklärung s. 6.
gibt, indem sie uns meistens nur „den namen eines mannes, den
niemand kennt, und als seine wichtigste that, dafs er tot ist," er-
zählen. Trotz dieses dürftigen inhalts gehören die runeninschriften
jedoch zu den unschätzbarsten denkmälern für den sprach-, geschichts-
und altertumsforscber. Indem sie nämlich in einer spräche zu uns
reden, die Jahrhunderte vor unsern ältesten handschriften liegt, und
indem sie uns diese spräche auf verschiedenen entwicklungsstufen
zeigen, die im engsten inneren zusammenhange stehen, liefern sie
') Vgl. mit obenstehender entwickluog weiter noten im 1. kap. des 2. bnches
sowie meine auslassungen über das erste hervortreten der nordischen
Volksindividualität in den „Forhandlinger paa det andet aordiske Filolog-
mede 1S81", Krist. 1883, s. 240—245.
6 EINLEITUNG.
einen unumstöfslichen beweis dafür, dafs der Übergang von der spräche
des älteren eisenallers zu der des jüngeren im Norden selbst durch
einfache natürliche Veränderungen im laufe der zeit vor sich gegangen
sein mufs, und widerlegen damit zugleich alle theorieen von ein-
wanderungen neuer Völker beim übergange vom älteren zum jün-
geren eisenalter. — Die runen zeichen in den ältesten inschriften
bilden ihrerseits an sich, wie wir später nachweisen werden, eine that-
sache unter vielen andern, die dazu dient die kulturströmungen zu
zeigen, welche auf die bevölkerung des Nordens in den ersten Jahr-
hunderten nach Christi geburt am stärksten eingewirkt haben.
Alle nordischen runeninschriften aus dem eisenalter zerfallen
also in zwei grofse hauptgruppen, deren zeit mit hülfe ihrer sprach-
und runenformen folgendermafsen bestimmt werden kann:
I. DIE ÄLTESTE RUNENSPRACHE
(ca. 400 — 650) in den inschriften mit dem längeren aiphabet aus der
älteren und mittleren eisenzeit. Freilich sind nicht blofs die schrift-
zeichen, sondern auch die sprachformen in allen nordischen Inschriften
aus dieser periode in allem wesentlichen dieselben. Dafs wir keine gröfsern
Verschiedenheiten nachweisen können, liegt indessen, wie ich früher („Den
historiske sprogforskning og modersmålet", s. 52 = årb. f. nord.
oldk. 1868, s. 308) hervorgehoben habe, darin, dafs der sprach-
stofT, welcher zu unserer Verfügung steht, so gering ist, und es wüi'de
natürlich unrichtig sein, hieraus den schlufs zu ziehen, die spräche
habe sich während dieser ganzen zeit im Norden unverändert gehalten.
Dem wird aufserdem bestimmt durch die Inschriften widersprochen,
welche dem Schlüsse der periode angehören und ungefähr in das
jähr 650 gesetzt werden können, indem sie sowohl in den runen- wie
in den sprachformen einzelne Veränderungen aufweisen, die sich in der
zeit von ungef. 650 bis ungef. 800 weiter entwickeln. Diese bildet
den Übergang zu
II. DER JÜNGEREN RUNENSPRACHE
(ca. 800-1000) in den inschriften mit dem kürzeren alphabete aus
der jüngeren eisenzeit. Zu den ältesten denkmälern dieser gruppe
gehören namentlich die steine von Helnæs und Fl em løse auf
Fühnen, sowie die damit ungefähr gleichzeitigen seeländischen steine
SmLBITDNG. 7
von Kall er up (Höjetostrup) und Snoldelev. Alle diese steine, die
ungefähr dem jähre 800 (825) angehören müssen, zeigen nämlich
noch durch einzelne runenzeichen und sprachformen den anschlufs
an die ältesten Inschriften und den allmählichen Übergang zu der
grofsen menge der jüngeren, wo das aiphabet nach und nach eine
feste, von dem älteren ziemlich verschiedene gestalt angenommen hat,
wie wir es z. b. auf den beiden berühmten steinen von Jællinge
antreflen, die uns dadurch, dafs sie bestimmte historische personen
und begebenheiten erwähnen, hinsichtlich der Zeitbestimmung einen
einigermafsen sicheren anhaltspunkt geben, indem der kleinere (von
könig Gorm zum andenken an königin Tyra errichtet) etwa in das
jähr 930, der gröfsere (von könig Harald zum andenken an Gorm
und Tyra errichtet) ungefähr um 980 gesetzt werden mufs.
Eine vergleichung zwischen der älteren und jüngeren runen-
spräche zeigt, wie ich anderwärts, namentlich in betreff der sub-
stantiva, darzulegen versucht habe^), dafs die jüngere sich einfach
aus der älteren entwickelt hat, und dafs wir in mehreren fallen auf
den denkmälern selbst den allmählichen Übergang von den älteren zu
den jüngeren formen nachweisen können. Aber was von der spräche
selbst gilt, gilt auch von den zeichen, womit sie geschrieben ist;
das jüngere aiphabet hat sich nämlich nach und nach aus dem
älteren entwickelt, und auch hier können wir auf den denkmälern
selbst die allmählichen Übergänge verfolgen. Das im einzelnen darzu- s.
stellen, wird ein hauptgegenstand für diese abhandlung sein. Bevor
wir jedoch dazu Obergehen, das Verhältnis zwischen dem älteren und
jüngeren runenalphabete oder die entwicklung der runenschrift
im Norden zu behandeln , erhebt sich eine andere frage, welche wir
zunächst zu beantworten suchen wollen, nämlich die frage nach dem
Ursprung der runenschrift überhaupt.
1) Navueordenes böjaiog i ældre Dansk, Kbh. 1868. Den historiske sprog-
forskning og modersmålet, Kbh. 1868 (separatabdr. aus den årb. f. nord. oldk
1868).
ERSTES BUCH.
DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
Erstes biicli.
Der Ursprung der runenschrift.
I. kapitel.
Frühere ansichten über alter und Ursprung der runen.
Die frage nach dem alter und dem Ursprung der runen ist so
oft aufgeworfen und auf so viele verschiedene weisen beantwortet
worden, dafs man fast versucht sein könnte zu sagen, dafs alle mög-
lichen , denkbaren und undenkbaren ansichten zu worte gekommen
sind. Man hat auf der einen seite die runen so alt gemacht wie die
Sündflut, auf der andern seite jünger als die einführung des Christen-
tums im Norden ; man hat sie sich von den nordischen Völkern selbst
ohne das vorbild irgend eines fremden alphabetes erfunden gedacht,
und man hat sie von einer menge älterer und jüngerer alphabete ab-
zuleiten gesucht. Es ist eine sehr grofse literatur, die hier vorliegt;
aber die quahlät steht leider im umgekehrten Verhältnis zur quantität.
Angesehene schwedische gelehrte im 16. und 17. Jahrhundert
(Job. Magnus, Olaus Magnus, Olof Rudbeck u.a.) sahen be-
kanntlich verschiedene runensteine in Schweden als denkmäler aus
der zeit „vor (!) oder kurz nach der sündflut" an und hielten die
runen für eine erfindung der alten „Sveo-Gothen" ^). Noch beim über-
gange zum 18. jhdt nahm Job. Peringskiöld an, dafs die runen
durch Japhets söhn Magog von Asien nach Schweden gebracht seien,
dessen grabstein er unter den schwedischen runensteinen fand, wie s. 9.
er mit hülfe einer andern Inschrift (des Steines von Ärja) die ver-
^) Historia Joaonis IVIagni de omnibus Gothorain Sveonamqne regibus,
Romæ 1554, lib. 1, c. 7. — Historia de geotibos Septentrioüalibos, avtore Olao
iMagoo Gotho, Romæ 1555, lib. I, c. 36. — Olf Rudbeks Atlaod eller
Manheim etc. (anch mit lateinischem titel: Ola vi Rudbeckii Atlantica sive
Manheim etc.), (I) upsalæ (1679), c. 38 § 4.
12 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
bindiing der bewohner des Nordens mit Tyrus und Sodoma nach-
wies^). Selbst mitten im 18. jhdt finden diese phantastischen Vor-
stellungen einen eifrigen fürsprecher in Joh. Göransson, der 1750
Bautil herausgab, das noch in unsern tagen durch seine 1173 ab-
bildungen von runendenkmälern eines der wichtigsten werke für das
runenstudium ist. Allerdings betrachtet er es als zweifelhaft, ob mit
dem Sodoma auf dem Ärjaer steine das Sodoma gemeint sei, „welches
im jähre der weit 2100 zerstört wurde"; aber er setzt ohne bedenken
einige von den schwedischen runensteinen in das jähr 2000 vor Chr.
(vorrede zu Bautil § 3 u. no. 52 — 53, s. 15), und sein standpunkt
wird klar durch den titel auf dem buche bezeichnet, das er 1747
über den Ursprung der runen herausgab: „Is Ätlinga; Det är: De
Forna Goters, här uti Svea Rike, Bokstäfver Ok Salighets Lara, Två-
tusend Tvåhundrad år fore Christum, utspridde i all Land; Igenfunden
af Johan Göransson. Stockholm 1747." [d.h.: „Ls Atlinga; das ist:
die buchstaben und die seligkeitslehre der alten Goten hier im
Schwedenreiche, 2200 jähre vor Chr., ausgebreitet in allen ländern;
wiederaufgefunden von J. G . . . ."]. Nachdem er im allgemeinen
darüber gesprochen hat, wie die runen von „einem sehr weisen meister,
der jedoch das hebräische aiphabet åls vorbild gehabt hat", erfunden seien
(§3), und dafs die Griechen, Etrusker und Römer ihre buchstaben von den
16 nordischen runen bekommen hätten (§ 4), gibt er die zeit für
diese erfindung genauer an: „Die runen sind nicht von einem beiden,
sondern von einem frommen und von gottes heihgem offenbartem
Worte hocherleuchteten und weisen gottesmanne erfunden, der jedoch
notwendig hier zu lande dies sein teures meisterstück gemacht und
ungefähr im jähre der weit 2000 gelebt hat und zweifelsohne Gomer
gewesen ist" (§ 7).
Von älteren dänischen gelehrten istes eigentlich nur Ole Worm,
10. der die frage nach dem Ursprünge der runen zum gegenstände besonderer
Untersuchungen gemacht hat. In seinem bekannten werke: „RH^+Å
seu Danica Literatura antiquissima, vulgo Gothica dicta. Editio se-
cunda auctior & locupletior, Hafniæ 1651", fol. (1. ausgäbe 1636, 4 to)
stellt er die ansieht auf, dafs die runen vor der einwanderung nach
1) Vita Theoderici regis Ostrogothorum et Italiæ, autore Joh. Cochlæo.
Cum additamentis & annotationibus etc. opera Job. Peringskiöld, Stockhol-
miæ 1699, s. 355; 402 — 4. Vgl. E. J. Bioerner, Prodromus tractatnam de
geograpbia Scandioaviæ veteri, et historiis Gothicis etc., Stockb. (1726), s. 6
—10; s. 51.
I. KAP. FRÜHERE ANSICHTEN ÜBER ALTER UND URSPRUNG DER RUNEN. 13
Europa in Asien nach den hebräischen buchstaben gebildet worden
wären (s. 107), was er darauf im einzelnen zu beweisen sucht. Als
eine anerkannte Wahrheit, die keines beweises bedarf, stellt er folgen-
den satz an die spitze seiner Untersuchungen: „Ut gentes oranino
omnes ab Hebræis ortuni traxere, ita & lingvæ ac literæ, quæ anti-
quitatem ahquam præ se ferunt" (c. 21 anf., s. 109). Es ist nur
die allgemeine ansieht der zeit von dem ehrwürdigen alter der he-
bräischen spräche und schrift, die hier zu worte kommt. Er ist in-
dessen nicht blind dafür, dafs auch die griechischen und lateinischen
buchstaben ähnhchkeit mit den runen aufweisen ; aber er erklärt die
Übereinstimmung daraus, dafs alle diese alphabete aus derselben quelle
entsprungen seien (s. 111); dagegen leitet er nicht, wie Bredsdorff
behauptet hat („Om Runeskriftens Oprindelse" s. 6), die griechische
und lateinische schrift aus den runen ab, obgleich er freilich die runen
für weit älter als die griechischen buchstaben hält (s. 113).
Diese übertriebenen Vorstellungen von dem alter der runenschrift
erweckten jedoch frühzeitig bei mehr besonnenen und kritischen
forschem Widerspruch, und glückte es ihnen auch nicht, selbst eine
befriedigende antwort auf die frage zu geben, so haben sie auf jeden
fall das verdienst, die Untersuchung auf andere und sicherere bahnen
gebracht zu haben. Dafs die schwedischen runensteine nicht nur
keine erinnerungen an Magog oder an Tyrus und Sodoma enthielten,
diese „mera geographica et historica portenla", sondern dafs sie im
ganzen genommen sogar jünger als die einführung des Christentums
waren, bewies Olof Celsius, der das interesse für das runenstudium
von seinem vater Magnus Celsius geerbt hatte, dem es geglückt war
(1675), den Schlüssel zu der deutung der Heisinger runen zu finden
Denselben weg wie 0. Celsius in der beurteilung des alters der runen-
inschriften ging auch N. R. Bro c man und Schwedens grofser Sprach-
forscher Joh. Ihre^). Hinsichthch des Ursprunges der runenschrift s. 11.
^) 0. Celsius, MoDumeota quædam Sveo-Gothica suis temporibus reddita
(ia den Acta Literaria Sveciæ, edita Upsaliæ, 1726—34). Aufserdem gab er die
Schriften seines vaters über die Heisinger ronen heraas: Magni Celsii de runis
Helsingicis oratio habita, cum rectoratnm aeademicum deponeret anno 1675,
Upsaliæ 1707, Svo, und Oreades Helsingicæ redivivæ (I— II), Upsal. 1710, 8vo.
Hieran schlielst sich eine Streitschrift gegen Bioerner: Runæ Medelpadicæ ab
importuna crisi breviter vindicatae, auctore O(lao) C(elsio), Upsal. 1726, 4to. —
N. R. Brocman, Sagan om Ingwar VVidtfarne etc. och Undersökning om wäre
Runstenars Alder, Stockholm 1762, 4to. — J. Ihre, De Ranaram in Svecia anti-
14 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
war Iliie auf grund der eigentümlichen anordnung des alphabels am
meisten geneigt, es als eine erfindung der „scythischen" Völker, ehe
sie noch durch kriege oder auf friedlichem wege in nähere berührung
mit den übrigen europäischen Völkern gekommen wären , anzuselm
(Glossarium Suiogothicum I, Upsaliæ 1769 fol. unter dem buchstaben
A). Aufserdem nahm er an (De Runarum patria), dafs die runen-
schrift sich durch die sächsischen Völker bis nach dem Norden aus-
gebreitet hätte, indem er wie später W. Grimm (Über deutsche Runen
s. 149 ff.) besonderes gewicht auf die von Hrabanus Maurus erwähnten
„markomannischen" runen legte, die indessen nur eins der gewöhn-
lichen altenglischen runenalphabete in etwas entstellter form sind.
Vor ihre hatte E. Benzelius dagegen die runen von „den ältesten
griechischen oder ionischen buchstaben" abzuleiten gesucht^), eine
ansieht, die später eine bedeutende rolle gespielt hat.
Die von diesen männern vorgebrachten anschauungen gewannen
allmählich ziemlich allgemeinen eingang, und die nüchterneren meinun-
gen kamen auch schon in Dalins und später in Lagerbrings
12. schwedischer geschichte zu worte^). Mit Benzelius nimmt Dalin an,
dafs die runen von den griechischen buchstaben abslammen, und
dafs sie mit den ältesten einwohnern Skandinaviens nach dem Norden
gebracht sind; als ganz falsch weist er die ansieht ab, dafs sie nicht
älter als das Christentum, oder dafs sie von Wulfila erfunden seien,
der gerade im gegen teil seine buchstaben nicht nur mit hülfe der
griechischen und lateinischen, sondern auch mit hülfe der runen
bildete. Lagerbring will sich dagegen nicht anheischig machen, den
gelehrtenstreit über den Ursprung der runen zu entscheiden ; sondern
er sagt treffend: „Fragt man nun weiter, wer unsere nordischen Völker
schreiben gelehrt hat, so wäre es vielleicht nicht so ungereimt, wenn
man antwortete, dafs man das nicht weifs", und seine folgenden be-
merkungen zeigen, dafs er zwischen dem, was man hierüber wufsle
und nicht wufste, vortrefflich zu unterscheiden verstand.
Auch in unserm Jahrhundert ist der Ursprung der runenschrift
gegenständ für die Untersuchungen vieler gelehrten gewesen; aber die
quitatC; Upsaliæ 1769, 4to; De Runaruin patria et origine, Upsal, 1770, 4to.;
De Runarum io Svecia occasu I — II, Upsal. 1771 — 73, 4to.
1) Periculum Runicum quod . . . præside . . . Fabiano Törner . . . erudi-
torum examiui modesle submittit E r i c u s Benzelius, Upsaliæ 1724, 8vo (siehe
namentlich s. 28 ff.).
2) Olof Dalin, Svea Rikes Historia, I, Stockholm 1747, 4to, s. 231 ff. —
(Sven Bring,) Svea Rikes Historia, I, Stockholm 1769, 4to, s. 449 ff.
I. KAP. FRl'HERE ANSICHTEN ÜBER ALTER UND URSPRUNG DER RUNEN. 15
einigkeit erstreckt sich selten weiter als auf den allgemeinen salz,
der von den meisten älteren ebenfalls anerkannt wurde, dafs die
runen auf die eine oder die andere weise mit den alten sfld-
europäischen alphabeten oder der quelle, woraus diese entsprungen
sind, verwandt sein müssen. Wenn man dagegen diese Verwandt-
schaft genauer zu bestimmen versucht hat, so zeigt es sich, dafs die
meinungen nach sehr verschiedenen richtungen auseinander ge-
gangen sind, und bis in die neuesten Zeiten hinein haben die ver-
schiedensten auslebten Vertreter gefunden.
Nur ausnahmsweise trifft man bei den gelehrten des 19. Jahr-
hunderts die behauptung, dafs die runen nicht aus einem der be-
kannten alphabete hervorgegangen, sondern von den germanischen
Völkern ohne ein fremdes vorbild erfunden seien. So nimmt G.
Brynjulfsen an, dafs der ,,gotho-kaukasische stamm" die runen er-
funden habe, und dafs die buchslabenschrift der übrigen Völker all-
mähhch daraus entwickelt sei, da das runenalphabet das einfach- »• 1^.
sie und „folglich" das primitivste von allen wäre. Der um das
runenstudium höchst verdiente Job. G. Liljegren findet — wie
früher Ihre — , dafs sowohl die anordnung als auch die form der
runen dagegen spricht, sie von einem andern bekannten alphabete
abzuleiten; dagegen glaubt er, dafs die stablosen Heisinger runen
den gewöhnlichen runen zu grunde hegen, welche letzteren später
so geändert wurden, dafs sie sich der lateinischen schrift näherten.
In neuerer zeit haben auch Weingaertner und Dietrich die
ansieht ausgesprochen, dafs die runenschrift von an fang an ohne
fremdes Vorbild geschaffen sei^).
^) Gislias Brynjulfi fil., Periculnm Rnaologicnm, Havniæ 1823, !V 68
—69. — Joh. G. Liljegren, Run-Lära, Stockholm 1S32, s. 65—69; vgl, s.
35 — 39. Schon M. Celsius hatte übrigens die Heisinger ruaen Tdr die ältesten er-
klärt (Oreades Helsingicæ, s. 4S f.). — VV. Weingaertner, Die Aussprache
des Gothischen zur Zeit des Ulfilas, Leipzig 1858, s. 20: „Wir sehen die Runen
der germanischen Völker als ein den germanischen Dlikkten entsprechendes
direkt aus dem asiatischen Stammland mitgebrachtes EflpR an, welches ganz
analog den germanischen Sprachen selbst neben der klassischen Schrift sich
hinzieht, bis es mit ihr zunächst vorübergehend sich verbindet, dann aber mit
den übrigen Errungenschaften des Alterthnms den Völkern des Nordens ganz und
vollständig anheim fällt, um sich selbständig bei ihnen fortzuentwickeln. Jene
erste innige Verbindung der griechisch-römischen und germanischen Schrift ist
unsere Gotbische, als deren Erfinder Ulfilas also nur insofern angesehen werden
darf, als er griechische Lautbezeichnongen nach eigenem Gutdünken in die
/1
16 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
14. Während die hier genannten Schriftsteller also den grund der
ähnlichkeit zwischen den runen und den andern alten alphabeten
entweder darin suchen, dafs diese letzteren aus der runenschrift
hervorgegangen seien, oder darin, dafs diese sich erst später der
griechischen und lateinischen schrift genähert habe, erklären die
meisten andern die ähnlichkeit daraus, dafs das runenalphabet nach
einem älteren alphabete gebildet sei. Aber bei der bestimmun g
dieses alphabetes ist man sehr verschiedene wege gegangen.
Nicht wenige haben die runen unmittelbar aus den semiti-
schen buchstaben herleiten wollen. Es ist jedoch nicht mehr
wie im 17. und 18. Jahrhundert das hebräische, sondern zunächst
das phönicische oder ein noch älteres aiphabet, das man als das
grundalphabet betrachtet, woraus die runenschrift hervorgegangen sei.
Diese ansieht, die schon Sjöborg aussprach (1805), haben unter
neueren Schriftstellern U. W. Dieterich und Olde — jedoch auf
sehr verschiedene weise — ausführlicher zu begründen gesucht, so
wie Fr. Lenorraant an verschiedenen stellen dieselbe auffassung
angedeutet hat').
heimischen Schriftzüge meugte." Vgl. hiermit s. 17: „Meiner Ansicht nach
haben die Runen der Gothen in Folge der engen Verbindung des Volkes mit Rom
einerseits, mit Konstantinopel andererseits, sich schon lange vor Ulfilas dem
Charakter der griechisch-römischen Schrift genähert." — F. Dietrich, Ueber
die Aussprache des Gothischen während der Zeit seines Bestehens, Marburg
1862, s. 6: „Ferner ist jetzt [1862!] wenig bezweifelt, dafs die Runen nicht
aus den phönicisch -griechischen Zeichen entstanden, sondern bei den ger-
manischen Stämmen einheimisch gewesen sind, woraus ferner mit Wahrschein-
lichkeit abzunehmen ist, dals sie bei ihnen unabhängig, und wie alle graphischen
Zeichen anderer Völker aus einer Bilderschrift hervorgegangen sind. In der That
sprechen auch dafür die altnordischen Namen . . .".
^) N. H. Sjöborg, Litteræ Gothicæ, ab Asia oriundæ, ad Scandinavos ho-
spites deductæ, Londini Gothorum 1805, 4to: „Neque alphabetum Jonicum ut
matrem, Gothicum vero ut filiam, sed potius ambo, sorores filiasque germanas ab
antiquissimo Phænicum Ægyptiorumque alphabeto ortas existimamus" s. 7; vgl.
s. 13. — ü. W. Dieter ich, Enträthselung des Odinischen Tn^i'R.K durch
das semitische Alphabet, Stockholm und Leipzig 1864. — E. M. Olde, Om de
skandinaviska runornas omedelbara Ursprung från det äldsta feniciska alfabetet.
Lund 1871. — Fr. Lenormant in der Revue archeologique, vol. XVI (Paris
1867), s. 332. Sowohl seine andeutungen hier als auch seine darstellung von
dem gegenseitigen Verhältnis der verschiedenen runenalphabete im ersten bande
seines grofsen unvollendeten Werkes: „Essai sur la propagation de I'alphabet
phenicien dans l'ancien monde I, Paris 1872", tafel 3, no. 5 zeigen jedoch, dafs
man nicht viel von der behandlung der runenschrift erwarten durfte, die einem
I. KAP. FRÜHERE ANSICHTEN ÜBER ALTER UND URSPRUNG DER RUNEN. 17
Von allen alten alpliabelen hat jedoch keines so grofse aufmerk- s. 15.
samkeit auf sich gezogen wie das griechische. Bereits im vorigen
Jahrhundert wies, wie wir oben bemerkt haben, E. Benzelius auf
die merkwürdige ähnlichkeit zwischen den ältesten griechischen buch-
staben und den runen hin und nahm infolge derselben an, die runen-
schrift sei aus dem ältesten griechischen al|diabet hervorgegangen.
Die noch bis in die neuesten Zeiten wiederholte fabel von einem
ursprünglichen griechischen alphabete mit 16 buchstaben, das also
in der anzahl der zeichen auf eine merkwürdige weise mit den 16
nordischen runen zusammenfiel), trug sehr dazu bei, diese ansieht
zu bestärken, der sich später viele angeschlossen haben. Nach
Bredsdorffs äufserung (,,0m Runeskriftens Oprindelse" s. 9 anm.)
soll auch Rask sich hierfür ausgesprochen haben'), und Finn Mag-
nusen sagt gleichfalls („Runamo og Runerne" s. 8): „Auf jeden
fall ist es gewifs, dafs die runenbuchstaben in der form sich sehr
der ältesten griechischen schrift nähern, — und ich kann meines
teils nach den aufschlüssen, die man bisjetzt hat, nicht anders als
diese ansieht überhaupt für die wahrscheinlichste ansehen". Tn der an-
merkung auf derselben seite scheint er jedoch schon grofse bedenken
bekommen zu haben. Die griechische herkunft der runenschrift
wird auch von F. J, Lauth (Das germanische Runen - Fudark,
München 1857, s. 180; 185 f.) angenommen. Meistens hat man sich
indessen mit vagen und unbestimmten andeutungen begnügt, ohne
die ähnlichkeiten im einzelnen nachzuweisen. Wenn man dies ver-
suchte, zeigte es sich auch, dafs die vergleichung an vielen punkten
der folgenden bände vorbehalten war. — Mehr als ein rnriosum und zugleich
als stütze für meinen ausspruch, dafs alle möglichen, denkbaren nie undenkbaren
ansichten zu Worte gekommen sind, will ich anführen, daTs Dieterich in der hier
genannten schrift die 16 nordischen runen aus einem von ihm selbst gemachten
alten semitischen alphabete von 16 zeichen herleitet, so dafs i von äleph, li
von bifth, K von gtmel u. s. w. gebildet ist. Das ist unleugbar auch ein aus-
weg, um die schwierige frage nach der anordnung der runen im vergleich mit
den andern älteren alphabeten zu lösen. (Eine andeutung von etwas ähnlichem,
doch nur bezüglich der ersten drei runen, findet sich übrigens schon bei Bryn-
julfsen, Periculum Kunologicum, s. 93 anm.).
^) So noch P. G. Thorsen, De danske Ranemindesmærker i, Kbh. 1864,
s. 358 f.
-) Vgl. R. K. Rask, Undersøgelse om det gamle Nordiske eller Islandske
Sprogs Oprindelse, Kbh. ISIS, s. 301 (vgl. Samlede Afhandlinger 111, 1838,
s. 386 ff.).
WIMMER, Die ranenschrift. 2
18 EUSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
nicht Stich hielt. Anstatt die runen unmittelbar von den griechischen
IG. buchstahen herzuleiten, nahm man daher zu „einer gemeinsamen
quelle" für beide alphabete seine Zuflucht. Dies wird bereits in
einer anzeige von Bredsdorffs und Brynjulfsens Schriften über die
runen in der „Dansk Litteratur - Tidende for 1823" no. 46 — 47,
S. 726 [von P. E. Müller] angedeutet, und bestimmter wird dieser
gedanke von N. M. Petersen, „Danmarks Historie i Hedenold" HF
(1855) s. 263 ff. ausgesprochen: Auffallend sei besonders die Über-
einstimmung mit den ältesten griechischen buchstaben, jedoch wolle
er damit nicht behaupten, „dafs die ältesten nordischen runen
unmittelbar von den griechischen buchstaben entnommen sind, aber
sie zeigen, dafs beide Völker ihre schrift aus derselben älteren quelle
haben." Wahrscheinlich meint C. C. Rafn dasselbe, wenn er sagt:
„Ces caractéres [die 16 nordischen runen] que le mythe attribue ä Odin,
dérivent indubitablement de l'ancienne patrie asiatique des habitants
du Nord. Comme les anciens caractéres grecs proviennent égale-
ment, selon toute probabihté, de la mérae partie du monde, il est
tres curieux de remarquer la conformité que nous présentent les
deux alphabets" (Antiquités de l'Orient, monuments runographiques
interprétés par C. C. Rafn, Copenhague 1856, s. 44). Auch bei
G. Stephens rieselt noch die quelle, aus der sowohl die runen wie
die Übrigen alten alphabete ihren Ursprung haben: „A single glance
will show that all the Runes are sister staves, descended from a
söurce which also produced the alphabets of the Phænicians and
the Classical peoples . . . But this Phænician staverow supplies val-
uable connecting links towards understanding the Runic forms. We
thus see that the „Scandinavian Futhark" [die kürzere runenreihe]
is not younger than the „Old-Northern" [die längere reihe], but
a peculiar modification and compendium of the common Runic tra-
ditions . . . But we also see that the Scandinavian Y (M) is not
younger than the Old-Northern M (M), both forms being only varie-
ties of the Phænician and Palmyrene M" (!) (The Old-Northern Runic
monuments I, s. 94). Leider hat keiner der genannten schriftsteiler
versucht diese „gemeinsame quelle" näher nachzuweisen, aus der
sowohl die griechischen buchstaben wie die runen entsprungen sein
sollen; sie steht in einen mystischen schleier eingehüllt, den man
nicht zu lüften vermocht hat, und man hat sich deshalb mit nebel-
haften, unbestimmten andeutungen begnügen müssen.
Auch aus den alten italischen alphabeten hat man die runen
I. KAP. FRÜBERE ANSICHTEN ÜBER ALTER UND URSPRUNG DER RUNEN. 19
abzuleiten gesucht. K. Weinhold (Altnordisches Leben, Berlin 1856,
s. 407 ff.) denkt zunächst an das etruskische oder ein anderes italisches,
aber nicht-lateinisches, aiphabet. Doch wagt er nicht eine bestimmte
meinung auszusprechen, sondern fafst seine Untersuchungen in folgen-
des resultat zusammen: „Wir halten also an dem Satze fest, <lie Runen
sind AbkömmUnge des phönicisch-europfiischen Ålphal>etes. Auf
welchem Wege sie den Germanen zukamen, wagen wir nicht zu ent-
scheiden, doch scheint derselbe über Italien und die etrurischen Ge-
biete gegangen zu sein" (s. 412).
Entscheidend hat sich dagegen A. Kirch hoff für den Ursprung s. 17.
der runenschrift aus dem lateinischen alphabete der ersten Jahr-
hunderte nach Christi gehurt ausgesprochen, eine ansieht, die er
hinsichtlich der einzelnen zeichen in der vorrede zur zweiten aufläge
seines buches „Das gothische runenalphabet" , Berlin 1854, 8vo*) '
darzulegen gesucht hat.
Einen ziemUch alleinstehenden versuch hat endlich J. H. Breds-
dorff gemacht, die runenschrift von den Wulfilanischen buchstaben
abzuleiten^), während die meisten neueren darüber einig sind, dafs
^) Dagegen enthält die erste ausgäbe (Berlin 1S51, 4to) die Untersuchung über
den Ursprung der runenschrift nicht. — Ganz verschieden von KirchhoiTs mei-
nung ist natürlich die Vorstellung, die zuweilen bei älteren Schriftstellern zu
Worte gckomnien ist, dafs die runenschrift nichts anderes als eine verdrehnng
der lateinischen buchstaben des mittelalters sei (siehe z. B. Leibnitz, Collec-
tanea Elymologica in den Opera omnia VI, 2, Genevæ 176S, s. 197. Gleich-
falls spricht U. F. Kopp, Palæographia critica III, Mannhemii 1829, nachdem
er bemerkt hat, dafs kein rnnendenkmal älter sei als das zehnte Jahrhundert,
im vorbeigehen aus: „hoc autem loco monere sufficiat, illas quidem Runas ori-
ginem traxisse a corruptis Romanorum literis, qnas virorum doctornm plurimi
omnino ignorant, quasque e Britannia in Scandinaviam transvectas esse atique
verisimile sit" s. 236).
-) J. H. Bredsdorff, Om Runeskriftens Oprindelse, Kbh. 1S22, 4to, woran
sich schliefst: „Bemærkninger i Anledning af Recensionen [von P. E. Müller]
i Lilteraturtidenden [d.i. Damsk Litteratur-Tidende fur 1823] No. 46" (S seilen,
welche als beilage mit no. 51 der Litteratur-Tidende folgten), nebst: „Om For-
holdet mellem det skandinaviske Rune-Alphabet og det gothiske Alphabet, som
er anvendt i de neapolitanske Brevskaber" in der Tidsskrift for jVordi^jk Old-
kyndighed 11 (1829), s. 59—62. Vgl. ebenfalls die beiden kleinen abhandlungen:
„Om de saakaldte tydske Runer; eller Bemærkninger ved Hr. \V. C. Grimms
Skrift: „Über deutsche Runen"" in Molbechs Nordisk Tidsskrift for Historie,
Literatur og Konst II (Kbh. 182S), s. 394 — 103 und „Om GnldhornsruDernes
Oprindelse« in Barfods Brage og Idun III (Kbh. 1840), s. 502 — 16.
2*
20 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
umgekehrt das runenalpliabet in weiterer oder geringerer ausdchnung
dem alphabete Wulfilas zu grunde liegt.
Diese übersieht über die verschiedenen ansichten, die sich be-
s. 18. zügUcii des Ursprungs der runenschrift geltend gemacht haben, könnte
natürlich bedeutend vermehrt werden, und ich könnte eine nicht
kleine reihe namen von Schriftstellern hinzufügen, welche, anstatt sich
klar und bestimmt auszudrücken, es vorgezogen haben, so vage und
unbestimmte andeutungen zu geben, dafs es sehr schwer und oft ganz
unmöglich ist, ihre wirkliche meinung herauszufinden.
Was hier angeführt ist, wird indessen genügen, um zu zeigen,
dafs diese frage bis in die neuesten zeiten höchst verschiedene ant-
worten hervorgerufen hat. Die thatsache ist weniger wunderbar, als
es beim ersten anblick scheinen könnte, wenn wir bedenken, dafs ja
alle die alphabete, von denen man die runen herzuleiten gesucht hat,
auf eine gemeinsame quelle zurückweisen; da sie alle mehr oder
weniger das ursprüngliche gepräge bewahrt haben und in manchen
einzelnen zeichen genau übereinstimmen, so hat jede ansieht mit
leichtigkeit die eine oder andere stütze finden können. Aber man
hat bei diesen Untersuchungen aufser vielen fehlem im einzelnen den
hauptfehler begangen, alphabete von ganz verschiedenen zeiten mit
einander zu vergleichen. Namenilich hat man fast immer das allbe-
kannte kürzere nordische runenalphabet als ausgangspunkt bei der
vergleichung mit den älteren alphabeten benutzt, indem man auf der
falschen Voraussetzung fufste, dafs dieses aiphabet dem ursprüng-
lichen am nächsten stände, während es sich in Wirklichkeit als
eine jüngere, in den nordischen ländern erfolgte entwicklung eines
älteren runenalphabetes erweist, das einmal allen germanischen
Völkern gemeinsam war und uns auf unsern denkmälern aus dem
älteren eisenalter überliefert ist. Da wir später dazu kommen werden,
hierfür den beweis zu führen, so kann für uns keine rede davon sein,
das jüngere aiphabet mit andern alphabeten aufserhalb des Nordens
zu vergleichen; es findet seine notwendige Voraussetzung und er-
klärung in dem älteren, und die frage bleibt dann, mit welchem alpha-
bete das letztere verwandt ist. Nur wenn man diesen weg einschlägt,
wird die frage eine, wie ich hoffe, befriedigende lösung finden können.
Aber wir müssen bei der beurteilung der früheren versuche wohl im
äuge behalten, dafs erst die neueste zeit uns die mittel gegeben hat,
s. 19. die notwendig waren, um mit Sicherheit diesen weg zu betreten. Dafs
es den altertumsforschern glückte, allmählich eine grofse menge
I. KAP. FRÜHERE ANSICHTE.'*! ÜBER ALTER UND URSPRUNG DER RUNEN. 21
VOD deukmälerii mit den älteren runen sowohl im Norden als auch
aufserhalb desselben ans licht zu ziehen, und da(s die vergleichende
Sprachwissenschaft im stande war, die sprachform dieser inschriften
nachzuweisen, waren notwendige bedingungen, um mehr als schwan-
kende und unsichere antworten auf die frage nach dem alter und
der Verbreitung der runen sowie nach deren Verhältnis zu fremden
schriftzeichen geben zu können.
Da es nun eine thatsache ist, dafs die runenschrift erst in dem
sogenannten älteren eisenalter auftritt, müssen wir uns, um ihre ver-
wandten zu finden, natürlich vor allen dingen zu den alten süd-
europäischen alphabeten (dem griechischen, lateinischen, etrus-
kischen und den übrigen italischen) wenden, und die ähnhchkeit
zwischen ihnen und den runen wird sich dann auch sofort in vielen
punkten so augenfalhg zeigen, dafs die Verwandtschaft unzweifelhaft
wird. Aber damit ist es ja noch keineswegs ausgemacht, dafs die
runenschrift mit notwendigkeit von einem dieser alphabete abstammen
mufs, und also noch weniger, von welchem unter ihnen. Sie könnte
ja aus derselben quelle wie diese alphabete entsprungen
sein und sich darauf selbständig entwickelt haben; aber sie
kann auch aus einem einzigen derselben hervorgegangen
oder mit hülfe mehrerer zugleich gebildet sein.
Es ist ja einleuchtend, dafs man, um diese frage sicher beant-
worten zu können, zu allererst darüber im reinen sein mufs,
welches Verhältnis zwischen den alten südeuropäischen alphabeten
unter einander besteht, und man verwirrt die sache nur, wenn man,
wie es oft geschehen ist und noch häufig geschieht, ohne irgend-
welche methode planlos bald zeichen von dem einen, bald von
dem andern alphabete mit den runen vergleicht. Obwohl nämlich
die entwicklung der alten griechischen und itaUschen alphabete nach
den neuesten entdeckungen und Untersuchungen nicht blofs in den
hauptzügen , sondern auch in den meisten einzelheiten ziemlich klar
vorhegt, haben die forscher, die sich mit dem Ursprünge der runen-
schrift beschäftigt haben , nur ganz ausnahmsweise hiervon kenntnis s. 20.
genommen. Bei all den verwinten Vorstellungen, die sich infolge
dessen geltend gemacht haben, halte ich es für unmöglich, die Unter-
suchung auf den rechten weg zu bringen, wenn sie nicht noch einmal
so zu sagen ganz von vorn begonnen wird. Um also eine sichere
grundlage zu haben, worauf wir bei den folgenden Untersuchungen
über den Ursprung der runenschrift bauen können, müssen wir zunächst
22 EKSTES BUCH. DER UBSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
eine übersieht über die entwickhing und das gegenseitige verhilltnis
derjenigen alphabete geben, zu denen man mit mehr oder weniger
grund die runen hat in beziehung setzen wollen.
II. kapitel.
Das Verhältnis zwischen dem phönicischen und den
alten südeuropäischen alphabeten.
A. Das phönicische und die alten griechischen alphahete.
Dass die Griechen ihre buchstabenschrift von den Phöniciern
erhalten haben, berichtet schon Herodot (V, 58); und auch später
war dies die allgemeine ansieht bei den Griechen, obgleich wir lin-
den, dafs sich abweichende anschauungen frühzeitig geltend machten ^).
Um die phönicische herkunft der griechischen buchstaben nachzu-
weisen, brauchen wir jedoch keineswegs unsere Zuflucht zu der grie-
chischen Überlieferung zu nehmen, die in manchen punkten unrichtig
und verwirrt ist. Ein unumstöfslicher beweis für die abstammung des
griechischen alphabetes vom phönicischen läfst sich nämlich durch die
Übereinstimmung führen, die sich nicht nur zwischen den griechischen
und semitischen buchstabennamen^), sondern auch zwischen den
altgriechischen und phönicischen buchstabenformen findet,
s. 21. Das alte phönicische aiphabet bestand aus 22 buchstaben,
deren namen und reihenfolge im hebräischen bewahrt sind^). Die
^) Franz, Elementa epigraphices Græeæ, ßeroliui 1840, s. 12 tf.
2) Maa vergleiche hebräisch äleph, béih, f^imel, däleth, wäw, fieth, téth, jod,
kaph, lämed, qöph, täw mit griechisch al(fa, ßijra, yäfi/xa {yéfifjia), åélra, ßav,
1JT« (i^ra), d^rJTKy löjxu, y.annaj Xdußaa, xönnct, Tav.
•') Auch die alten hebräischen zeichen, die sich noch auf münzen aus der
Makkabäerzeit finden, stimmen fast ganz mit den phönicischen iiberein, sie wurden
aber frühzeitig von der sogen, „quadratschrift" verdrängt, während die Samari-
taner aus hafs gegen die Juden die alte schrift bewahrten. Von besonderem
interesse bezüglich der älteren form der hebräischen zeichen ist die in neuerer
zeit gefundene Siloahinschrift. (Vgl. die alphabettafeln bei G. Bickell, Grund-
rifs der hebr. Grammatik, Leipz. 1869 — 70 und bei Gesenius-Kautzsch,
Hebr. Gramm. 24. auf!., Leipz. 1885, s. 378. Über die Siloahinschr. vgl. ebenda
s. 9 f. und das facsimile aufs. 377). — Die älteste phönicische ausspräche der
22 buchstaben mufs gleichfalls mit der alten hebräischen ausspräche überein-
gestimmt haben, die im laufe der zeit verschiedene modificatiouen erfuhr, indem
II. KAP. A. DAS PHÖNICISCHE OND DIE ALTEN GRIECHISCHEN ALPHABETE. 23
form dieses alphabetes, die wir in den phönicischen inschriflen, na-
mentlich von Sidon, finden, hat sich indessen aus einem noch älteren
gemein-semitischen alphabete entwickelt, über das man erst in
der neueren zeit mit hülfe der bei Dibon (Dhibån) gefundenen merk-
würdigen inschrift auf einer steinsäule aus dem 9. jahrhdt vor Christi
geburt (c. 890), die dem moabitischen könige Mesa ihren Ursprung
verdankt^), sichere aufklärungen erhalten hat. Da der moabitische
stein, wenn wir von den keilinschriften absehen, ohne zweifei die
älteste von allen semitischen inschriften aufweist und auf jeden fall
das älteste bisher entdeckte denkmal mit wirklicher buchstabenschrift
ist, dessen zeit wir genauer zu bestimmen im stande sind, so wird
sein aiphabet in zukunft neben dem phönicischen den ausgangspunkt
für alle Untersuchungen über die entwicklung der buchstabenschrift
bilden. Was uns die inschrift von Dibon in dieser beziehung lehren
konnte, ist in der neuesten zeit durch die im anfang der siebziger
jähre auf der insel Cypern gefundenen 8 bruchstücke von zwei (drei?)
phönicischen inschriften aus derselben zeit und von demselben Inhalt
weiter bestätigt worden, die schwerlich viel jünger sein können, als
der stein Mesas und somit die ältesten Überreste von eigen thch phö-
nicischer spräche und schrift enthalten*).
oainentlieb 2> P» D ""'^ ji "1> 2 nebeo dem werte als verschlolslaute k, t, p
g, d, b auch die spiraotische ausspräche /, ^, y; y, S, ß bekamen; anfserdem
spaltete sich '2,', sin, io die beiden laate s (^, sin) and s ('^y, sin). Vgl. J.
Olshansen, Lehrb. der hebr. Sprache, Braunschw. 1S61, §6, §23, §30.
') Zoerst bekannt gemacht in : La stele de Mesa roi de Moab 896 av. J. C.
Lettre å M. le c'® de Vogiié par Ch. Clermo nt-Ganneau, Paris 1S70, 4to.
Eine nene und bessere abbildnng gab de Vogiié in der Revae archéologiqae,
vol. XXI, Paris 1S70, pl. VIII (darnach wiedergegeben bei Th. Nöldeke, Die
Inschrift des Königs Mesa von Moab, Kiel 1S70). Vgl. noch K. Schlottmann,
Die Siegessäule Mesa's, Halle ISTO und ders. in der ZDMG, Bd. XXIV (1S70)
s. 253 ff. 43S a. 645 ff., XXV, s. 463 ff; Nö Idekes artikel „Mesa" in Schenkels
Bibellex. Bd. IV; Himpel in der Tüb. theoL Qnartalschr. 1S7Ü, s. 5S4 ff.;
Diestel in den Jahrbb. f. deutsche Theol. 1871, s. 215 ff. Siehe auch den
artikel im „.\usland" 1S74, no. 48, s. 951 ff. — Der gröfste teil der bruch-
stücke ist jetzt im Louvre zu Paris.
-) Zuerst bekannt gemacht von E. Renan: iVotice sur buit fragments de
patéres de bronze, portant des inscriptions phénicienues tres ancienues im Jour-
nal des Savants aout 1S77, p. 484 — 494 mit tafel; spater behandelt im Corpus
Inscr. Semiticarum I, Parisiis 1881, p. 22 — 26 u. taf. IV (heliogravure von Du-
jardin). Es kann kaum ein zweifei darüber bestehen, dals die 6 stücke (A-F)
zusammen gehören, wogegen es nicht sicher auszumachen ist, ob G und H
reste von einer oder von zwei inschriften sind.
24 ERSTES ÜUCII. DElt UHS1>HÜNU DEIt IIUNENSCHKIFT.
Um eine voislelluiig von den semitischen buchslabenf'ornien
zu geben, die dem allgriechischen alphabete am nächsten zu grunde
liegen, stellen wir das aiphabet von dem moabitischen steine und von
8. 22. der alten phönicischen inschrift (gewifs aus dem 4. oder aus dem
Schlüsse des 5. jahrhdts vor Chr.) auf dem Sarkophage des sidonischeu
Königs Esmünazar^) neben einander auf. In der Sarkophaginschrift
kommt das ganze phönicische aiphabet vollständig vor, wohingegen
sich in dem teile, der von der moabitischen inschrift erhallen ist,
kein beispiel von dem buchstaben findet, welcher dem hebräischen
13 téth entspricht^); dieser buchstabe kommt dagegen ein einziges
mal auf einem der bruchstücke von Cypern in einer form vor, die
als gemeinsemitisch angesehen werden kann, weshalb ich denselben
in dem moabitischen alphabete eingeklammert hinzugefügt habe.
1) Entdeckt 1855 in der uähe von Saida (dem alten Sidou), jetzt im Lou vre
zu Paris. Genau abgebildet bei H. d'Albert de Luyucs, memoire sur le
s.ircophajfe et riuscription funéraire d'Esmunazar, roi de Sidon, Paris 1856, 4to.
Aufser der hauptinschrift in 22 zeilen auf der brust des köuigsbildes oben auf
dem deckel des sarkophages findet sich eine zweite inschrift in 6)^ zeilen , die
um den hals des köuigsbildes geht und im ganzen mit schöneren und regel-
mäfsigeren ziigen ausgebauen ist als die grofse inschrift, aber nur eine genaue
Wiederholung dieser letzteren bis zum 29. buchstaben in der 13. zeile bildet,
wo sie mitten in einem worte aufhört. Beide texte kontrollieren somit einander,
und wir können an 4 stellen die grofse inschrift mit hülfe der kleineren be-
richtigen, die nur einen fehler enthält, der sich nicht in der gröfseren findet.
Die abbildung bei de Luynes ist öfter in besser zugänglichen werken wieder-
gegeben, so bei S. Muuk im Journal asiatique, avril — mai 185ü; M. A. Levy,
Phönizische Studien, Erstes Heft, Breslau 1856, tab. I; K. Schlottmaun, Die
inschrift Eschmunazars Königs der Sidonier, geschichtlich und sprachlich erklärt,
Halle 1868, tab. I— H; P. Schröder, Die Phönizische Sprache, Halle 1869,
tab. I. Die neueste wiedergäbe der inschrift findet sich in dem Corpus Inscr.
Semit. I, p. 9 fl". mit taf. H und III (heliogravure von Dujardin).
■^) Auch in der Sarkophaginschrift findet sich J2 nur einmal, aber sehr grol's
und deutlich, nämlich als der vorletzte bucbstabe in der elften zeile. — Um so
viel wie möglich den charakter, den die buchstaben in den iuschriften selbst
haben, zu bewahren, sind auf der alphabeltafcl die moabitischen zeichen absicht-
lich feiner und die sidonischen fetter gemacht. Die hier dargestellten formen
können als grandtypen betrachtet werden, während unbedeutende und ganz un-
wesentliche modificationen, die einzelne buchstaben zuweilen aufweisen, natür-
lich nicht mit aufgenommen sind.
li. KAP. A. DAS PHÖNICiSCHE UNO DIE ALTEN GRIECHISCHEiN ALPHABETE. 25
niüabitisch:
sidonisch:
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1 1.
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äleph
+
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/-
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s. 23.
Wo die moabitiscben und sidouisclien buchslabenfornien von
einander abweichen, siebt das moabiliscbe alpbabet durcbgebends auf
der ursprünglicberen stufe ^), wie dies weiter aus den folgenden unter- s. 24.
^) Die stark abgerundete form, die einzeloe bachstabeo, oamentlicb lämed,
io der uiuabitischen ioschrift iiu gegensatz zu deu gewöbulicbeu pböuicischeo
2G ERSTES nUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
siichungen über die entwicklung des griecbischen alphabetes bervor-
geben wird. So weisen zajin, kaph, qöph, mém und sin formen auf,
die im gegensalze zum sidoniscben genau mit den ältesten griecbi-
scben übereinstimmen; die moabitiscben formen für mém und sin
linden sich genau in einer kleinen inscbrift von 4 buchslaben auf
einer gemme wieder, welche de Vogüe in der Revue arcbéologique,
vol. XVII (1868), tab. XIV, no. 1, herausgegeben bat, und die er
grade auf grund dieser buchstabenformen für älter als das 7., „ja
sogar als das 8. jhdt" anzusehen geneigt war (ibid. s. 433)^). Die
entdeckung der moabitischen inscbrift hat im ganzen die ansiebt
glänzend bewährt, welche graf Vogüe schon früher in bezug auf die
entwicklung der alten semitischen alpbabete geltend gemacht hatte ^).
Unter allen buchstabenformen in der moabitischen inscbrift heben
wir jedoch namentlich <\ {däleth) hervor, das mit dem griechischen
A (åéXTcc) übereinstimmt, während dieser buchstabe bereits in den
ältesten sidoniscben Inschriften eine Verlängerung erbalten hat, wo-
durch er mit dem zeichen für res zusammen fällt. Höchst merk-
würdig wegen der Übereinstimmung mit dem griecbischen ist auch
das moabitische zeichen für sämekh, worüber unten mehr.
Nachdem die vorstehenden bemerkungen über das Verhältnis zwi-
schen dem moabitischen und dem sidoniscben alpbabete in der ersten
ausgäbe dieses werkes 1874 gedruckt waren, ist die berechtigung, die
moabitiscben buchstabenformen in allem wesentlichen als die ältesten
ge meinsemitischen anzusehen, vollständig durch die obengenannten
acht altphönicischen inschriftbruchstücke von Cypern bestätigt
worden. Wir finden darauf nämlich das ganze phönicische aiphabet
mit ausnähme der zeichen für gimel, M und pe wieder. Hiervon
stimmen äkiph, béth, däleth (Z^), zajin (J), jöd, kaph, lämed (l),
formen aufweisen, darf jedoch eher für eiue eigentümlichkeit in dieser inschrift
als für ein zeichen von hohem alter angesehen werden.
^) Aufser mém und sin kommt lämed zweimal in der inschrift vor, und
die form desselben stimmt gleichfalls mit der moabitischen überein, ermangelt
aber der starken rundung. Dasselbe gilt von dem 4 mal vorkommenden lämed
auf den phöuicischen bruchstücken A und B von Cypern; eine etwas stärkere
rundung hat das zeichen dagegen auf dem bruchstück H, wo es sich zweimal
findet.
■^) Siehe namentlich seine abhandlung: „l'alphabet hébraique et I'alphabet
araméen" in der Revue arcbéologique, vol. XI (1865), s. 319—341 mit pl. VIII
— IX und als ein supplement hierzu : „intailles å legendes sémitiques" in der
Revue archéol., vol. XVII (1868), s. 432—50 mit pl. XIV— XVI.
II. KAP. A. DAS PBÖNICISCHE UND DIE ALTEN GRIECHISCHEN ALPHABETE. 27
mein, m'm, sämekh, ajin, säde, qöph, res und sin so gut wie voll-
ständig mit den entsprechenden moabilischen zeichen überein, und
dasselbe kann sicher von gimel, he und pe angenommen werden.
Ein wenig abweichend ist wäw, das nur ein einziges mal als erster
buchstabe auf dem bruchstück E vorkommt und etwas beschädigt
ist, aber die form ^ zu haben scheint, sowie Jiéth (^) und täw
(-j" "l" "Y). Gerade alle charakteristischen formen sind also mit dem
moabitischen aiphabet gemeinsam, und die zeichen für h'éth und täw
dürfen vielleicht eher als die moabitischen für gemeinsemitisch ange-
sehen werden.
Schon eine vergleichung zwischen den verschiedenen buchstaben-
formen, die in den alten griechischen Inschriften angewandt werden,
macht es wahrscheinhch, dafs alle 22 phönicischen buchstabeu
von anfang an im griechischen in der gestalt aufgenommen wurden, s. 25.
die sie im altsemitischen aiphabet hatten; dafs auch die semitische
reihenfolge und so weit wie möglich die semitischen namen bewahrt
blieben, zeigt das gewöhnliche griechische aiphabet. Doch hat der
vollständige beweis für die Verpflanzung aller phönicischen zeichen
in ihrer ursprünglichen anordnung auf griechischen boden erst mit
hülfe des altgriechischen alphabetes geführt werden können, das sich
auf der sogen, galassischen vase von Caere, einem kleinen ge-
fäfse von etruskischer arbeit findet, welches von general Galassi in
^inem etruskischen grabe bei Caere zusammen mit vasen mit etrus-
kischen inschriften entdeckt wurde und sich jetzt im gregorianischen
museum zu Rom befindet. Von diesem wichtigen denkmal, für das
wir auch später Verwendung haben werden, teilen wir auf s. 29
(fig. 1) eine abbildung mit^). Die Inschrift, die um den bauch der
vase läuft, ist ein etruskisches syllabar, das wir unten näher be-
sprechen werden. Vorläufig behandeln wir nur die inschrift auf dem
fufse, die das griechische aiphabet enthält, in welchem jedoch ein
wenig von dem A und das [i so gut wie ganz zerstört ist; durch
einsetzung des /* aus dem syllabar bekommen wir folgende buch-
*) Bekannt gemacht von R. Lepsins in den Annali dell' instituto di corri-
spoudenza archeologica, vol. VIII, Roma 1S36, tab. ß (vgl. s. 1S6 ff.). Darnach
bei Franz, Elementa epigr. Græcæ s. 22 (nicht ganz genau), und im Corpus
inscriptionum Græcarum, vol. IV, no. 8342 tab. VIII (vgl. ibid. s. 212—13).
Siehe gleichfalls A. Fabretti, Corpus inscriptionum Italicarnm, Aug. Tanri-
norum 1S67, no. 2403, s. CCVII und tab. XLIII (auf der tafel hat es unrichtig
no. 2405 bekommen); H. Roehl, Inscriptiones Græcæ antiqvissimæ, Berol. 18S2,
DO. 534.
28 ERSTES BÜCU. DEIl UUSPUUISG DEIl HUINEISSCHUIFT.
stabenreilie, in der die zeiclien, wie wir sogleich dartliuii werden, die
liier beigelugle bedeulung haben:
aßyasw^hxf^ixXfi v - o n {a) q a z v ^ (f) x
ASCD^F'XB© IKbn/AE© P vy P^fK + <fY
Ein äiniHches griechisches aiphabet, das jedoch nicht ganz voll-
Ständig ist, indem es mit o schliefst, hatte nian lange vorher (1690
oder 98) zwischen etruskischen Inschriften und in Verbindung mit
einem bruchstück eines etruskischen syjlabars auf der wand eines
etruskischen grabes bei Colle in der nähe von Siena gefunden (siehe
s. 29 lig. 2) ^). Wenn man ein paar abweichungen in den buch-
stabenformen ausnimmt, die gevvifs zum teil auf rechnung der ab-
schrift gesetzt werden können, stimmt es mit dem aiphabet von Caere
überein.
Die genauesten Untersuchungen über diese alphabete verdanken
wir Th. M omni sen, dem es zuerst gelang, den wert der einzel-
nen zweifelhaften zeichen zu bestimmen (Die unteritalischen Dialekte,
Leipzig 1850, s. 8 ff.).
Von den 25 buchstaben im aiphabet von Caere entsprechen die
ersten 21 der alten phönicischen reihe, aus welcher nur das zeichen
für qöph, xönncc (?) vor q fehlt. Dafs dieser buchstabe an dieser
stelle im griechischen grundalphabet vorhanden gewesen, ist ja indessen
klar, da er in den altgriechischen Inschriften aligemein ist und sich
selbst in dem gewöhnlichen griechischen alphabete als Zahlzeichen
erhalten hat; aber er hat im vergleich mit xänna immer eine sehr
eingeschränkte anvvendung gehabt, indem er namentlich vor o % mehr
sporadisch vor v und konsonanten gebraucht wurde.
Dagegen finden wir, was das merkwürdigste bei diesem aiphabet
und von der gröfsten Wichtigkeit für uns ist, vier zeichen für die
Zischlaute wie im phönicischen, nämlich nicht nur I (C) zwischen
w und h (tj) und ^ {a) zwischen q und t wie in dem gewöhnlichen
griechischen alphabete, sondern auch das zeichen ffi zwischen v und
1) Abgebildet bei ßeliori, Le piltuie antiche etc., Koma 1706 (lateinische
ausg. 1738), Appendice tav. XI; Thomæ Dempsteri de Etruria regali libri
Septem, Floreutiæ 1723 — 24, 11, tab. 92; (Lanzi,) S<iggio di liogiia etrusca,
Koma 1789, II, s. 512. Darnach bei Lepsius uud Franz 1. c. und im Corpus
iüscr. Gr., vol. III, no. 6183 (s. 874—75). Vgl. Fabretti no. 449—51, s. L
und tab. XXVIII; Roehl no. 535.
-) Daher auch in einer der am spätesten entdeckten iuschril'ten von Thera
(Roehl no. 449) in der Verbindung Ogj {.= x) ^'"'' ^*
II. KAP. A. DAS PHÖNICISCHE UND DIE ALTEN GRIECHISCHEN ALPHABETE. 29
6
>
m
O
I.
5
5
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s. 26.
Hai
/^lrt^^(^^
mu
Mpttn-Ti'i
Fig. 1 : Die galassisehe vase von Caere.
Fig. 2 : Alphabet und syUabar von Colle,
30 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
O (und dies wohlgemerkt in dem alpliabet von Caere wie in dem
von Colle) nebst ^ nach n. Diese beiden zeichen entsprechen
also dem phonicischen sämekh und säde; dafs das letztere in dem
aiphabet von Caere die ungewöhnliche form H anstatt M bekommen
hat, welche in den allerfdlesten griechischen inschriften allgemein
ist, und welche es wahrscheinlich in dem aiphabet von Colle gehabt
s. 28. hat , liegt daran , dafs M in dem ersteren alphahct das zeichen
für V ist, wie [jt, die form NM hat, entsprechend den sonst vor-
kommenden altgriechischen formen f^ (v) und 1^ (|u-), die beide in
der Inschrift von Colle gebraucht werden^).
Die 4 letzten buchstaben in dem aiphabet von Caere, die hinter
der alten phonicischen reihe hinzugefügt sind, werden gerade auf
grund hiervon allgemein als später erfundene spezifisch griechische
zeichen aufgefafst. Dies gilt jedoch nicht von dem zeichen für «,
das in Wirklichkeit, wie wir sogleich zeigen werden, aus einem der
alten phonicischen buchstaben hervorgegangen ist; dafs es älter ist,
als die drei folgenden zeichen, zeigt sich nicht blofs dadurch, dafs es
die erste stelle nach r hat, sondern geht namentlich daraus hervor,
dafs das zeichen für u in keinem einzigen griechischen alphabete fehlt,
wogegen die ältesten inschriften von Thera und Melos (taf. I,
no. 1) keine besonderen zeichen für ^, (f, % und ip kennen, sondern
xö", nh^ xh und nß gebrauchen. Gleichfalls fehlen dem alten aipha-
bet von Kreta, dessen formen jetzt mit vollkommener Sicherheit
mit hülfe der kürzlich entdeckten merkwürdigen inschrift von Gortyn^)
bestimmt werden können, besondere zeichen für §, cp, % und xp, die
hier durch xö", tt®), x^) und n<s ausgedrückt werden. Dagegen be-
kam man schon in der ältesten zeit ein eigenes zeichen für i}^ , da
1) Die form des v in dem aiphabet von Colle beruht natürlich auf einer
ungenauigkeit entweder in der inschrift selbst oder in der abschrift, da die
richtige y-form 2 mal in dem syllabarbruchstiick vorkommt. (Dals das zeichen
für C <lie form I statt -I hat, ist auch einfach ein fehler).
■^) Leggi antiche della citta di Gortyna in Greta scoperte dai D" F. Halbherr
ed E. Fabricius lette ed illustrate da D. Comparetti, Firenze 18S5. Vgl.
Das Recht von Gortyn herausgeg. und erläutert von F. Bücheier und E. Zitel-
mann im Rhein. Museum für Philologie XL, Ergänzungsheft 1885. (Zwei früher
bekannte bruchstücke der inschrift sind bei Roehl no. 475 — 476 aufgenommen).
Da die inschrift kaum weiter als in den schlufs des 5. jahrhdts zurückgesetzt
werden kann, so zeigt sie also, dafs man auf der abgelegenen insel einen .stand-
punkt festgehalten hat, der längst in den andern gegenden Griechenlands auf-
gegeben worden war.
^) B (H) wird überhaupt nicht in der inschrift gebraucht.
II. KAP. A. DAS PHÖNICISCHE UNO DIE ALTEN GRIECHISCHEN ALPHABETE. 31
die Phönicier nicht nur das gewöhnliche t {täte) hatten, welches für
T benutzt wurde, sondern auch ein eigentümliches hartes t (téih,
arabisches _b rå)^) besafsen, und dies für S- Verwendung fand.
Es ist somit sicher, dafs das älteste griechische aiphabet, dessen
grundtypus sich am allerklarsten in den uralten inschrifteii von Thera
findet, die 22 semitischen zeichen benutzt und höchstens ein neues
hinzugefügt hat; dafs auch die semitische buchstabenfolge bewahrt
blieb, zeigt die Übereinstimmung zwischen dem aiphabet von Caere
und dem gewöhnhchen griechischen aiphabet.
Trotz dieser grofsen ähnüchkeit mit dem phönicischen finden
wir jedoch in dem ältesten griechischen alphabete eine wesentliche
abweichung von dem semitischen grundalphabet, die zugleich so zu
sagen den letzten grofsen fortschritt in der entwicklung
der buchstabenschrift bezeichnet. Während nämlich das alt-
semitische aiphabet noch die spuren ursprünghcher Silbenschrift be-
wahrt, indem es nur zeichen für die konsonanten hat, so dafs
ein jedes konsonantzeichen sowohl den konsonanten als auch den s. 29.
vokal bezeichnet, der in Verbindung mit dem konsonanten eine
silbe bildet, haben die Griechen nach der aufnähme des phönicischen
alphabetes zeichen sowohl für die konsonanten wie für die
vokale. Dies ist namentlich mit hülfe der phönicischen guttu-
rale erreicht; von ihnen bezeichneten äleph und he den festen und
den gehauchten vokaleinsatz, das erstere dem hamze der Araber, dem
spiritus lenis der Griechen entsprechend — sonst in den europäischen
sprachen nicht bezeichnet — , während he ein sehr schwach gehauchtes
h wie das arabische he, das (fi*ühere) französische h in haut und dgl. war.
Einen sehr starken hauch bezeichneten dagegen h'elh und ajin, ent-
sprechend dem IT {ha) und ^ (am) der Araber, lauten, die sehr selten
in einer europäischen spräche gebildet werden^).
Zur bezeicbnung ihres starken hauches, des spiritm asper, wähl-
ten die Griechen das phönicische h'eth, welches in den ältesten
griechischen inschriften die form B, später H hat; aber schon in den
') Vgl. darüber E. Brücke, Grnadzüge der Physiologie und Systematik der
Sprachlante, 2. Aufl., Wien 1S76, s. 137 ff.
-) E. Brücke, Grondzüge der Physiologie aod Systematik der Sprachlaate,
Wien 1S56, s. 9—12, vgl. s. 94—102 = s. 9—15, s. 88, 137, 144—150 in der
2. aufl., Wien 1S76 und derse ibe: Über eine neue Methode der phonet. Trans-
scription, Wien 1863, s. 31 ff.; H. B. Rumpelt, Das natürl. System der Sprach-
laute, Halle 1S69, s. 102—7.
32 ERSTKS nUCH. DEK URSPnUNG DKR RUNENSCHHrFT.
älteslen inschriften von Thera kommt B zugleich in der bcdeulung
1] vor, iintl bekanntlich gab man später in dem ionischen alphabet
ganz auf, das h zu bezeichnen und benutzte H ausschhefslich in der
bedeulung ^^). Die drei andern phönicischen gutturale aleph, hé und
ajin nahmen die Griechen dagegen von anfang an als zeichen für die
vocale a, e und q auf, und zwar so, dafs sie sowohl die kurzen wie die
langen vokale bezeichneten. Wie wir aus den inschriften von Thera
sehen, wurde jedoch sehr frühzeitig in einzelnen gegenden der unter-
schied zwischen dem kurzen und langen e in der schrift ausgedrückt,
indem man dem zeichen für h die bedeutung ij gab, so dafs also
auch der vierte phönicische guttural bei den Griechen damit endete,
vokalzeichen zu werden. Später führte man auch einen unterschied
30. zwischen dem kurzem und langen o ein, indem man aus dem alten
o-zeichen ein neues für « bildete, das bei den loniern frühzeitig
in der form 52 auftritt. — Auch die vokale i und n drückten die
Griechen mit hülfe der phönicischen buchstaben aus. Für i ver-
wandte man das zeichen für den zunächst Hegenden phönicischen
laut, nämlich den halbvokal jöd, für den die Griechen in der ursprüng-
lichen bedeutung keine Verwendung hatten, da der laut j sehr früh
im griechischen verloren gegangen war. Anders stellte sich dagegen
das Verhältnis hinsichtlich des andern phönicischen halbvokals des icäw;
es lag nahe für die Griechen, diesen buchstaben zur bezeichnung des
vokals u zu benutzen, wie jöd für / gebraucht wurde; aber während
sich der laut j im griechischen bei der einführung der buchstaben-
schrift nicht mehr vorfand, war der laut w auf jeden fall bei den
meisten griechischen stammen noch in vollem gebrauch, und es ist
wohl kaum wahrscheinlich, dafs er irgendwo ganz verloren gewesen
ist, obwohl sich dieses nicht mit Sicherheit beweisen läfst, da er sich
niemals in den ältesten inschriften von Thera findet, wo gerade sehr
oft gelegenheit gewesen wäre, ihn zu bezeichnen^). In andern
der ältesten griechischen inschriften (z. b. von Korinth und Korkyra)
finden wir dagegen das zeichen F ^ für den halbvokal w und K Y
für den vokal m. Dieselbe form des w-zeichens (K^ Y) gebrauchen
*) Weit später führten die Griechen wieder nicht blofs eine bezeichnunjj
für den spiritus asper ein, sondern bildeten auch (allein von allen europäischen
Völkern) ein zeichen für den spiritus lenis.
^) Ich finde daher auch keinen grund, mit Roehl den dritten buchstaben
in der in mehreren beziehungen zweifelhaften inschrift no. 458 als ^ aufzu-
fassen.
IF, KAP. A. DAS PHÖNICISCHE UND DIE ALTEN GRIECHISCHEN ALPHABETE. 33
die inscliriften von Thera. Da dieses zeichen eine so grofse älinlich-
keit mit dem moabilischen wäw zeigt, wälirend das griechische tr-
zeichen eine mehr abweichende form hat, so hege ich keinen zweifei,
dafs wir gerade in dem ältesten griechischen zeichen für u das phöni-
cische tp-zeichen haben, dafs dagegen das griechische ?p-zeichen eine
modification hiervon ist. Phönicisches wätc hat sich also bei
den Griechen in zwei zeichen, Y für u nnd ^ für jc ge-
spalten. Entweder kann dies zugleich mit der aufnähme der
phönicischen buchstabenreihe geschehen sein, und der grund dafür,
dafs man das alte tcäjc-zeichen für m, aber das neue davon abge-
leitete zeichen für tc benutzte, kann dann eben darin liegen, dafs
auch das jöd-zeichen bei den Griechen sofort in der bedeutung des
vokals i aufgenommen wurde; oder man kann eine zeit lang das
dem phönicischen wäw entsprechende Y an der ursprünglichen stelle
sowohl mit der bedeutung w als auch u behalten haben; aber da s. 31.
man bald das bedürfnis fühlte, diese beiden laute zu bezeichnen,
bildete man aus Y die modificierte form ^ F, die man dann für w
anwandte und an der alten stelle bewahrte, während das alte zeichen
Y mit der bedeutung u an den schlufs des alphabetes hinter zav
gesetzt wurde, wo es sich sowohl auf der vase von Caere wie in
dem gewöhnlichen griechischen alphabete findet, wogegen ßav die-
selbe stelle wie das phönicische wäio hat. Als an eine analogie hierzu
will ich daran erinnern, dafs wir in dem ältesten altenglischen runen-
alphabet eine aus der alten a-rune (^) modificierte form {^) an der
stelle finden, die ursprünglich dem ^ zukam, während sich diese rune
selbst am Schlüsse des alphabets zwischen den neueren altenglischen
zeichen befindet ^).
1) Auch voD griechischen alphabeten können analogieen hierzu vielleicht
nachgewiesen werden. Während nämlich die lonier aus o die beiden zeichen
0 = 0 und n. = to bildeten, von denen o auf seinem alten platze stehen blieb,
während n ans ende des alphabetes gesetzt wurde, finden wir auf Faros und dem
von dorther kolonisierten Thasos dieselben beiden zeichen, aber mit der ent-
gegengesetzten bedeutung (n = o, o ^ w). Auch auf Melos hat sich o früh-
zeitig in die beiden formen o und c gespalten, von denen o w, C dagegen o be-
zeichnet. Aber wii- wissen nicht, wie diese zeichen im ajphubel geordnet worden
sind, und es ist natürlicherweise deswegen auch nicht gestattet, ohne weiteres
anzunehmen, dafs das alte O mit der bedeutung (o an den schlufs des alphabetes an
dieselbe stelle wie das ionische n gerückt wurden ist, während die neuen zeichen
n, C an dem alten platze standen. £s ist eine ebenso grofse Wahrscheinlichkeit
dafür vorhanden, dafs O seinen platz behalten hat, und dafs die neuen zeichen
entweder daneben gestellt wurden, oder an den schlufs des alphabetes rückten.
WXMMER, Die rnnenschrift. 3
34 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
Die letztere annähme, dafs der unterschied zwischen w und u
nicht gleichzeitig mit der aufnähme des phönicischen alphabetes,
sondern dafs Y uisprünglich das zeichen für beide laute gewesen,
kommt mir am wahrscheinlichsten vor, obgleich sie nicht bewiesen
werden kann. Ist diese annähme indessen richtig, so läfst es sich
nicht mit Sicherheit ausmachen, ob die Inschriften von Thera noch auf
dem Standpunkte stehen, wo Y sowohl lo wie u bezeichnete und
seinen platz hinter s hatte, oder ob es damals als zeichen für u seine
s. 32. stelle hinter t gehabt hat ^). Da indessen alle griechischen alphabete, so
weit wir sie kontrollieren können, übereinstimmend F (to) an sechster
stelle in der buchstabenreihe haben und Y (m) hinter r stellen, so
scheint dies in hohem grade für die annähme zu sprechen, dafs der
unterschied zwischen w und u älter sein mufs als die zeit, welcher
die Inschriften von Thera angehören. In jedem falle ist die Spal-
tung des «ü«jo-zeichens in Y {u) und 1 {w) die älteste abweichung,
welche die Griechen in die ursprüngliche phönicische reihe eingeführt
haben ^).
Anders verhält es sich dagegen mit den drei letzten zeichen,
die in dem aiphabet auf der galassischen vase hinter u erscheinen.
Dies sind nicht blofs neue eigentümlich griechische zeichen, die
später zu der alten reihe hinter u hinzugefügt worden und noch
nicht in den ältesten Inschriften von Thera und Melos oder in der
Inschrift von Gortyn vorkommen; sondern wir linden sie auch in
verschiedenen gegenden in verschiedener anordnung und be-
deutung angewandt, wodurch die alten griechischen alphabete
in zwei grofse gruppen zerfallen, wie A.Kirchhoff in seinen
gründhchen und scharfsinnigen „Studien zur Geschichte des griechi-
schen Alphabets" (2. Aufl. Berlin 1867; 3. umgearb. Aufl. mit einer
Karte 1877) nachgewiesen hat. In der ersten hauptgruppe, zu
der das aiphabet auf der vase gehört, und deren buchstabenfolge wir
^) Im letzteren falle könnte sich w natürlich sehr gut, selbst wenn es als
lautzeichen verschwunden wäre, an seinem alten platze als Zahlzeichen er-
halten haben.
■^) F. Lenormant hat in seinen Etudes sur l'origiDe et la formation de
l'alphabet grec (in der Revue archéol. 1867, vol. XVI, s. 273—78; 327—42;
423—39 mit pl. XXII; 1868, vol. XVII, s. 189—206; 279—292 mit pl. VI)
gleichfalls die ähnlichkeit zwischen phönic. wäio und griech. u gesehen (siehe
Revue archéol. 1867, s. 330); aber die wichtige frage nach dem Verhältnis
zwischen den griechischen zeichen für w und u erörtert er gar nicht. Auch in
andern bcziehuugen leidet die fleiisige arbeit an groiseu mangeln.
II. KAP. A. DAS PUÖMCISCUE UND DIE ALTEN GRIECHISCHEN ALPHABETE. 35
daraus kennen, folgt nach u: + +X, ®(p<t>, V4,Y mit der be-
deutung f, (f, /. Das ist das sogenannte „dorisclie" aiphabet, das
sich namentlich in inschriften von Euböa, ßöotien, Phokis, Lokris,
Achaia, Lakonieu, nebst den chalkidischen und achäischen kolonieen
in Italien lindet (taf, I, no. 2 — 7). In der zweiten hauptgruppe s. 33.
dagegen, wozu aufser dem gewöhnlichen griechischen (ionischen)
aiphabet auch die alten inschriften von Korinth und Korkyra, nebst
Argos gehören, haben diese drei zeichen eine andere anordnung und
bedeutung (taf. I, no. 8 — 11). Während nämlich auf der galassischen
vase und in den alphabeten, welche sich daran anschliefsen, die
zeichen für ^, y, x n^ch v folgen, hat das gewöhnliche griechische
aiphabet bekanntlich nach i' die zeichen für (f, %, ip, wohingegen ^
zwischen p und o steht. Das zeichen für (p ist dasselbe wie in der '
ersten gruppe, aber deren zeichen für | und x bezeichnen in der
zweiten gruppe x und ip, während wir. in der ersten kein besonderes
zeichen für die lautverbindung ip^) flnden (so wenig wie für w,
das ja auch frülizeitig im ionischen aiphabet hinler ip auftritt).
Der grund für die verschiedene anordnung und bedeutung, die
man so in verschiedenen gegenden den drei neuen zeichen hinter v
gab, steht in genauer Verbindung mit der art und weise, wie die
vier phönicischen Zischlaute, die man in das griechische grundalphabet
aufnahm , allmählich in den beiden hauptgruppen griechischer alpba-
bete benutzt wurden. Auf der galassischen vase fanden wir alle vier
zeichen an ihrem ursprünghchen platze im aiphabet; aber in Wirk-
lichkeit hatte man nur Verwendung für zwei: da das phönicische
2 (zajin) nämlich als bezeichnung für den griechischen laut ^^) auf-
genommen wurde, so brauchte man nur ein zeichen für den eigent-
lichen Zischlaut s. Dafs der s-Iaut in verschiedenen gegenden Grie-
chenlands eine etwas verschiedene ausspräche gehabt haben kann, ist
sehr wohl möglich; aber nach allem was vorliegt, deutet nichts dar-
auf hin, dafs man gleichzeitig in derselben gegend das bedürf-
nis gefühlt hat, eine verschiedene ausspräche des ziscldautes durch s. 34.
1) Aasnahmsweise hat jedoch das lokrische aiphabet nebea +, *P, V
für I, (f, jf auch ein neues zeichen )lv für i// gebildet.
'-) Der griechischen form liegt das moabitische zeichen nahe; dagegen ist
der alte griechische name C^« nach ^r«, &^a gebildet (phönicisches zaj'in
mufste notwendigerweise im griechischen, das den laut 7 nicht hatte, umgebildet
werden). Auf gleiche weise ist griechisches ixü (hebr. meni) nach vü (hebr.
nun) gebildet; vgl. Mommsen, Uuteritai. Dial. s. 5.
3*
36 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
verschiedene zeichen auszudrücken. Dagegen waren hei den Phöni-
ciern sämekh, säde und sm nicht blofs im zeichen, sondern auch im
laute verschieden : der gewöhnliche s-laut war sin, während säde einen
härteren s-laut ausdrückte (wie arabisches y« sin und (jo sad), die
sich zu einander wie täw zu téth (arab. ta und tu; vgl. vorn s. 31)
verhielten ^); eine dritte modißcation des Zischlautes, die wir nicht mit
Sicherheit bestimmen können, wurde endlich durch sämekh bezeichnet.
Wenn die Griechen nun in ihr aiphabet alle drei phönicischen zeichen
für den Zischlaut aufnahmen , obgleich sie nur eins als lautzeichen
benutzten, so mufs der grund ohne zweifei darin gesucht werden,
dafs die phönicische buchstabenreihe von anfang an den
Griechen nicht blofs als aiphabet, sondern auch als Zahlen-
reihe, mit derselben bedeutung wie bei den Phöniciern, diente; aus
diesem grunde wurden gleichfalls sowohl phönicisches kaph wie qöph
aufgenommen, trotzdem das eine dieser zeichen vom Standpunkte der
Griechen aus als lautzeichen überflüssig war. Von den drei phöni-
cischen zeichen sämekh, säde und sin, die so in die griechische buch-
staben- und Zahlenreihe übergingen, nahm man nur eins als zeichen
für den laut ö" auf. So weit es möghch ist, die entwicklung histo-
risch zu verfolgen, scheint sämekh niemals in dieser bedeutung ge-
braucht zu sein; es ist also nur seines zahlwertes wegen auf
seinem alten platze in der buchstabenreihe bewahrt. Dagegen sind säde
und sin beide zu verschiedenen zeiten als zeichen für das griechische
0" benutzt worden ; in den allerältesten inschriften wird regelmäfsig
das aus säde hervorgegangene M gebraucht; aber es wurde schon
früh überall von einem aus sin entstandenen zeichen verdrängt, das
zuerst in den formen ^ ^ (seltener ^ ^), später überall in der form
^ auftritt. Es war ohne zweifei ein rein praktischer grund, der
bewirkte, dafs säde allmählich von sin verdrängt wurde; bei der be-
nutzung des letzteren Zeichens setzte man sich nämlich nicht der
Verwechslung mit M, fiv, aus, das ja später allgemein gerade die
form annahm, welche früher für g eigentümlich gewesen war. Vor
dieser zeit mufs daher M mit der bedeutung a aus allen griechischen
alphabeten verschwunden gewesen sein, und es ist der einzige von
allen phönicischen buchstaben, den wir später weder im alphabete
noch in der Zahlenreihe auf der alten stelle finden.
g 35 Anders erging es dagegen dem 15. phönicischen buchstaben
1) Vgl. darüber E. Brücke, Gruodz. d. Phys. etc. 2. Aufl., s. 141 ff.
II. KAP. A. OAS PHÖMCISCUE UND DIE ALTEN GRIECHISCHEN ALPHABETE. 37
(sämekh). Wir finden ihn noch auf seinem allen platze in der form
EB in den alphabelen von Caere und Colle; aber da er in Wirklichkeit
ganz aus den inschriften verschwunden ist, die zu dieser gruppe ge-
hören, ja hier kaum jemals als buchstabe angewendet worden ist, so
hat er in jenen alphabeten nicht die bedeutung eines lautzeichens, son-
dern nur die eines Zahlzeichens. Auch in den alphabeten der zweiten
hauptgruppe wurde dieses zeichen lange auf seinem ursprünglichen
platze zwischen v und o allein wegen seines zahlwertes bewahrt;
aber später benutzte man es hier auch als wirkliches lautzeichen,
indem man ihm die bedeutung § und den daran geknüpften neuen
nanien |t gab.
Während sämekh somit niemals, soweit wir zurückblicken können,
im griechischen als zeichen für den s-laut gebraucht worden ist, zeigt
der umstand, dafs es später in seiner ursprünglichen form
und an seiner ursprünglichen stelle (aber allerdings mit
einer veränderten bedeutung als zeichen für eine lautverbind ung, von
welcher jedoch s den letzten bestandteil bildete) als wirklicher buchstabe
in die eine gruppe von alphabeten aufgenommen wurde, dafs es dort
von alter zeit her gestanden haben mufs, was ja auch zum überflufs
durch das aiphabet von Caere bestätigt wird, wo sämekh nicht als
lautzeichen angewandt worden sein kann, da wir hier gerade das
dieser gruppe von alphabeten eigentümliche neue zeichen für ? hinter
V Gnden. Dafs sämekh in das altgriechische aiphabet mit den übrigen
phönicischen buchstaben zusammen aufgenommen worden ist, kann
somit keinem zweifei unterworfen sein. Aufser dem bereits ange-
führten haben wir noch einen beweis hierfür, nämlich den griechi-
schen namen des s -lautes; dieser ist in dem gewöhnlichen griechi-
schen alphabete aiyfia, und schon Herodot (I, 139) führt an, dafs
aiyfict der ionische name für s war, dafs aber die Dorier diesen
buchstaben aäi> nannten (jcovto yQcififiaj ro z/cogtseg (xåy üdv xa-
léovai, "loopeg de oi-yfia). Von diesen namen geht aiyfia unzweifel-
haft auf das phönicische sämekh zurück, während aäv phönicisches sin
ist; der name des <; bei den loniern ist also von dem alten sämekh
hergenommen, während das zeichen selbst in der ältesten form
(M) vom phönicischen säde ausging, in der jüngeren (^ ^) vom phönici- s. 36.
sehen sin. Zwar sind Franz und Gesenius darin einig, dafs sowohl
der name aiyfia als auch das zeichen ^ vom phönicischen ^ sämekh,
und sowohl der name adf wie das zeichen M vom phönicischen
38 ERSTES UUCH. DER URSI'UUiNG DER RUNENSCHRIFT.
W , sin (hei ihnen sin) ausgehe'), und dasselbe wird nach Mommsens
und KirchholTs Untersuchungen von Lenoiniant (Revue archéol. 18G7,
s. 331 und tab. XXII) wiederholt; aber die moabi tische inschrill
zeigt, dafs die ursprüngHche form des sämekh $ war, und daraus
kann n u r griechisches I, $t, nicht E, (riyfia, entstanden sein; das nioa-
bilische sämefrÄ -zeichen lehrt uns zugleich, dafs die älteste gemein-
griechische form für dieses zeichen nicht mit Mommsen (Unterital.
Dial, s. 11; 331) und Kirchhoff (Studien^' s. 73, 123, 130 =^
s. 85, 124, 157) in dem zeichen Q der alphabete von Caere und
Colle gesellen werden darf, sondern in dem zeichen für 5t, $, das in
alten inschriften von Korkyra und Miletos vorkommt; hieraus ist
durch eine unbedeutende Veränderung I, das gewöhnliche zeichen für
5 in den inschriften der zweiten hauptgruppe, gebildet. Dagegen
müssen sowohl ffl wie argivisches W als seltnere modificationen des
ursprünglichen Zeichens aufgefafst werden^).
Es ist somit klar, dafs griechisches ^ als zeichen für aiyfia nicht
aus dem altsemitischen sämeM-zeichen hervorgegangen sein kann ; dieses
zeichen stimmt durchaus mit dem altgriechischen zeichen überein,
das sich an der entsprechenden stelle im alphabete findet, und das
später als zeichen für ? gebraucht wurde. Die frage ist somit nur, wie
das älteste griechische zeichen für den s-laut, M, und die zeichen,
die es später ablösten, ^ ^, sich zu den semitischen zeichen ver-
halten; denn dafs nicht blofs, wie wir angenommen haben, ^ ^,
sondern dafs auch, wie Gesenius, Franz und Lenormant meinen, M der
form nach aus phönicischem sin (w) hervorgegangen sein können,
läfst sich natürlich nicht leugnen. Aber die oben angenommene ent-
wicklung, in folge deren M von säde und / ^ von sin ausgehen, wird
s. 37. nicht nur durch das aiphabet auf der galassischen vase, sondern auch
durch die alten etruskischen alphabete, welche auf uns gekommen sind,
vollauf bestätigt; ihnen fehlt nämlich das zeichen an dem platze von
sämekh ; aber wo das alphabet auf der vase die dem phönicischen säde und
siH entsprechenden zeichen hat, finden wir grade in den etruskischen alpha-
beten an der ersten stelle ein zeichen, das dem griechischen M entspricht,
und an der andern die dem griechischen / ^ entsprechenden formen (ge-
*) Gesenius, Scripturse lioguæque Phoeniciæ moDuueDta, Lipsiæ 1837,
s. 66; Franz, Eleinenta epigr. Gr. s. 16.
-) Das argivische | ist nur das ursprüngliche zeichen, auf die seite gekehrt;
gerade das entgegengesetzte verüältnis tritt zwischen dem gewöhnlichen grie-
chischen ^ und luoabitischeui W zu tage.
If. KAP. A. DAS PUÖNICISCHE UND DIE ALTEN GRIECHISCHEN ALPHABETE. 39
iiaueres siehe unten). Wenn wir indessen in den alten griechischen
inschriften immer / als die ältere form antreffen, die erst später regel-
mäfsig durch ^ verdrängt wird, trotzdem das letztere zeichen dem
semitischen w sin am nächsten liegt, so ist es ja keineswegs ausge-
macht, dass / in Wirklichkeit älter ist als ^; im gegenteil müssen die
Griechen sogar, ehe ^ in den inschriften mit der bedeutung a auftritt,
notwendig eine andere form dieses Zeichens benutzt haben ; in den
allerältesten inschriften, die noch M für a gebrauchen, hat Iwra
nämlich oft die alte form ^; damals kann sin {aap) also nicht die-
selbe form gehabt haben, sondern muss entweder unverändert so ge-
blieben sein wie semitisches w, oder die form ^ ^ gehabt haben,
indem das semitische zeichen auf die seite gekehrt wurde (wie <f
äleph zu A A äX(fa wurde). In der zeit wo M als a verschwindet,,
wird auch das zeichen / für iwra von I verdrängt, und erst jetzt
kann also w oder ^ zu / mit der bedeutung a umgebildet worden
sein. Obgleich ^ in jüngeren inschriften auftritt als ^, ist es also in
Wirklichkeit eine ältere form als dieses.
Es scheint mir somit klar, dass wir uns bezüglich der Schicksale der
drei phönicischen Zischlaute im griechischen alphabete folgende ent-
wicklung denken müssen: zuerst nahm man alle drei zeichen $ sä-
mekh, aiyfia^ M säde (dessen griechischer name unbekannt ist) und
^ sin, adv, an ihrer ursprünglichen stelle auf; aiyfia und adv standen
eine zeit lang im alphabete, weil sie als Zahlzeichen bedeutung hatten,
obwohl sie nicht als buchstaben benutzt wurden, wohingegen säde
das gewöhnliche zeichen für den s -laut war. Noch während dieses
zeichen für s gebraucht wurde, nahm man indessen das alte aiyfia als
zeichen für ?') auf, wie die inschriften von Korinth und Korkyra zeigen;
aber der name aiyfia konnte natürlich nicht länger für dieses zeichen s. 38.
gebraucht werden, das vielmehr den neuen namen §1 bekam (gebildet
wie die namen (fl, ylj xjjt der ausschüefslich griechischen zeichen).
Dagegen wurde der name aiyfia auf das särfe-zeichen übertragen ; aber
da säde allmählich bei allen Griechen von oäp verdrängt wurde, be-
hielten nur die Dorier den ursprünglichen namen für dieses zeichen,
wählend die lonier wohl das neue zeichen aufnahmen, aber den alten
namen oiyfia bewahrten-). Ich meine also, dafs wir folgende drei
^) In ähnlicher weise hatte man ja schon von anfan^ an den vierten phö-
nicischen Zischlaut zaj'ni als zeichen für C angewandt.
-) Man uiuls sich wohl denken, dafs A^ aiyfxu und ^ ^ aäv eine zeit lang
durcheinander als zeichen für a gebraucht worden sind; das letzte zeichen siegte
allmählich, nahm aber den namen an, welcher ursprünglich dem r\ zukam.
40 ERSTES BUCH. DE« UKSl'UUiNU DEH UU^ENSCHUIFT.
entwicklungsslufen in der anweiuhing dieser zeichen in dem gewöhn-
lichen griechischen ulpliahele nachweisen können:
sämekh säde ^n
I. ($ Zahlzeichen) M (^ Zahlzeichen)
aiyfia ? ady
II. $1 M (^ Zahlzeichen)
^t ciy^icc adv
III. $1 - /^
§r oiyfia
Trotzdem die lonier also aap als buchstabennamen nicht zu-
sammen mit dem zeichen aufnahmen, verschwand dieser nanie doch
nicht ganz, wie es mit säde der fall war. Bei einer späteren Um-
änderung der Zahlenreihe wurde nämlich adp^) als zeichen für 900
zu allerletzt im alphabete hinter w eingesetzt, da aiyfia ja sowohl als
buchstabe wie als Zahlzeichen auf dem früheren platze des aap stand.
s. 39. Dagegen erhielten sich sowohl ßav als xonna in der Zahlenreihe auf
ihrem ursprünglichen platze, trolzdem sie als laulzeichen lange von
den loniern aufgegeben worden waren.
Die meisten alten griechischen alphabete. schliefsen sich der einen
oder der andern hier besprochenen hauptgruppe an, je nachdem sie
zur bezeichnung des ? entweder das alte zeichen für phönicisches sämekh
an der ursprünglichen stelle zwischen p und o benutzen, oder das neue
griechische zeichen + X anwenden, welches in den andern alpha-
beten die bedeutung x hat.
Nur einzelne alphabete stehen ganz oder zum teil aufserhalb der
beiden hauptgruppen; zur ersteren art gehören die alten Inschriften
von Thera und iMelos, welche, wie schon bemerkt, keine besonderen
zeichen für |, (f, -/^ ^ anwenden, sondern diese lautverbindungen
durch xa, nh, xh, na ausdrücken. Am nächsten schliefst sich diesen
das aiphabet von Kreta in der inschrifl von Gortyn an, das die ge-
nannten lautverbindungen durch xa, 7t, x, na ausdrückt^). Eine
^) Von seiuer form bekam es später deu nameu aafxnl, wie F dea uameo
Siyafifxa erhielt. Die spätere form des zahlzeicLeus aafxnl bin ich mit Mommsen
(Unterital. Dial. s. 14 anm.) geneigt, auf das alte s-zeichen M säde zurückzu-
fUhreu. So würden wir in Wirklichkeit in den griechischen Zahlzeichen noch
alle 22 phönicischeu buchstaben erhalten finden.
2) Dagegen kommen in jüngeren Inschriften von Melos (j) X (später auch J)
in der bedeutung if., x (I) vor. — In einer kleineu Inschrift von Kreta (Roehl
II. KAP. A. DAS PBÖNICISCUE U>D DIE ALTEM GBIECUISCHEN ALPHABETE. 41
besondere stelliiDg niDimt das attische alp habet ein (laf. I, no. 12),
indem es eigener zeichen für § und tp ermangelt, die durch x^ ""**
(fo bezeichnet werden; aber da es X + in der bedeutung x gebraucht,
schliefst es sich zunächst der zweiten hauptgruppe an*).
Wir sind hiermit die entwicklung der alten griechischen alphabete
durchgegangen; die besonderen Veränderungen, denen einzelne zeichen
in verschiedenen gegenden unterworfen gewesen sind, werden aus der
alphabettafel hervorgehn, ohne dafs wir weiter dabei zu verweilen
brauchen. Diese örlhchen eigentümlichkeiten verschwanden ja schnell,
als das ionische aiphabet Ol. 94, 2 (403 v. Chr.) in Athen und
ungefåhr gleichzeitig im übrigen Hellas angenommen und dadurch
zum allgemeinen griechischen aiphabet erhoben wurde.
Das grundalphabet, aus welchem alle griechischen alphabete her-
vorgegangen sind, hat also aus 23 zeichen bestanden, die genau mit
den 22 phönicischen übereinstimmen, nur mit der abweichung, dafs
phonicisches wäw bei den Griechen zeichen für u wurde, währenti
man für w eine neue, daraus abgeleitete form bildete, die man an
den platz des phönicischen icöic-zeichens stellte, wogegen u den 23. s. JO.
platz im alphabete bekam. Nach dem Zeugnisse der alten gi'iechischen
inschriflen mufs dieses griechische grundalphabet, in welchem die
Schrift wie im phönicischen von rechts nach links ging, am ehesten
folgendes aussehen gehabt haben:
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
AalA^=lIBe/Hl'(r)^'1$01t^q>1^tY
Die hier angegebenen formen, die alle in den ältesten Inschriften
nachgewiesen werden können (mit ausnähme von M, das stets die
form M hat, und von ^, welches erst etwas später als zeichen für den
s-laut auftritt), stimmen fast durchaus mit den altsemitischen zeichen
auf dem moabitischen steine überein. Die einzelnen abweichungen
können zum gröfsten teil als gleichzeitig mit der aufnähme des phö-
nicischen alphabetes betrachtet werden. Die hauptabweichung von
dem semitischen grundalphabet besteht darin, dafs ß^za die form
S für 5 angenommen hat; doch darf 9 gewifs als das gemeingriechi-
sche zeichen angesehen werden, und J^ in den Inschriften von Ko-
rinth und Korkvra als eine daraus abgeleitete offene form, die not-
no. 474), die auf jeden fall nicht viel jünger sein kann als die Inschrift von
Gortyn, kommt {gleichfalls ® = <^ vor.
') Mit dem attischen aiphabet stimmen auch die inschriften von Ægina
und iNasos überein.
42 ERSTES BUCH. ÜEH URSPHUNG ÜER RUNENSCHRIFT.
wendig wurde, weil e dort die form B angenommen hatte ^). Etwas
abweichend vom j)hönicischen ist auch das dem säde entsprechende
rdteste zeichen für den griechischen s-laut, M ; die ursprüngliche form
dieses Zeichens ist gewifs M gewesen, das also sehr verschieden von
fiv, ^, war, indem die beistrlche nicht nur nach verschiedenen seilen
gingen, sondern [jhv auch einen strich mehr hatte als säde. Sehr
früh wurde der rechte beistrich am säde jedoch ganz bis unten hin
verlängert, M, und fiv nahm regelmäfsig die form M (von rechts
nach links) oder M (von Hnks nach rechts) an, also dieselbe form,
die säde ursprünglich gehabt hatte. Diese formen für a und fi fin-
den sich z. b. in den ältesten Inschriften von Thera^). Da M in der
s. 41. bedeutung a verschwand, nahm fi auch diese form an. — Endlich
haben ein paar der griechischen zeichen eine kleine Umstellung (im ver-
gleich zu den phönicischen) erfahren ; dies gilt von äX(pa, und das-
selbe ist vielleicht mit dem zeichen der fall gewesen, das dem phö-
nicischen sin entspricht (vgl. oben s. 39). Dagegen ist es sehr
zweifelhaft, ob Idußda im ältesten griechischen alphabete die dem
phönicischen entsprechende form V gehabt oder den beistrich oben ange-
fügt bekommen hat (^); das am gewöhnlichsten vorkommende zeichen
ist h /^, später A, während V in Altika, Böotien und den chalkidischen
kolonieen in Italien gebraucht wird; ab^r da es auf Euböa gerade die
form ^ hat, so ist V in den kolonieen in Italien wohl als später wieder
aus ^ entstanden anzusehen. Hierüber wage ich mich jedoch nicht
bestimmt auszusprechen und habe daher in dem oben aufgestellten
griechischen grundalphabet beide formen angeführt, die vielleicht so-
gar die beislriche nach der entgegengesetzten seite gehabt haben
dürften (4, 1), wie wir dies in den inschriflen linden, die von rechts
nach links laufen. Sehr frühzeitig mufs nämlich X im griechischen
nach derselben seite gekehrt worden sein wie y, selbst wenn sie ur-
i) Dals die form ^ auf Thera io der ältesten zeit gebraucht wurde, scheint
sicher aus no. 466 bei Roehl geschlossen werden zu können, obgleich diese in-
schrift mehrere Schwierigkeiten darbietet. Dagegen kommt ß nicht in der ältesten
Inschrift von M elos vor; aber da ein paar jüngere inschriften (Roehl no. 414, 429)
>\ = ß neben ^ = y haben, so ist man berechtigt, diese eigentümlich melische
ß-iorm auch für die zeit der ältesten inschrift anzunehmen. Eine andere alte
abweichende /S-form, C ist charakteristisch für die inschriften von Faros,
Thasos, INaxos und Keos.
-) Auf der alphabettafel bei Kirchhoff (Studien etc.) ist die fiv-lorva in dem
ältesten aiphabet von Thera ungenau, indem der rechte strich ganz bis unten
hin verlängert ist.
II. KAP. B. ME ALTEN ITALISCBEN ALPHABETE. 43
spi'ünglich wie im pliönicischen verschieden gewandt gewesen sind ^).
Dadiircli wurde die fdinliclikeit zwischen den heiden zeichen oft sehr
grols, und das ;'-zeicheu in einer gegend hat häufig dieselhc form
wie das A-zeicheii in einer andern.
B. Die alten italischen alphabete.
Wenden wir uns nun nach Italien, so ist es einleuchtend, dafs
die alten italischen alphabete, wie auch römische schriftsteiler be-
richten-), aus dem griechischen, nicht unmittelbar aus dem phönici-
schen, hervorgegangen sind. Um das letztere anzunehmen, niüfste
man nämlich von der höchst unwahrscheinlichen Voraussetzung aus-
gehen, dafs die Griechen und die italischen Völker unabhängig von s. 42.
einander nicht nur in ihren Veränderungen der ursprünglichen zeichen
zu denselben ergebnissen gekommen sein sollten (man vergleiche z.b.
phönic. 9 mit griediisch-italischem SB u. s. w.), sondern auch durch
ein merkwürdiges zusammentreffen dieselben phönicischen zeichen zur
bezeichnung der vokale und Zischlaute gewählt hätten.
Der griechische Ursprung der italischen alphabete wird ganz
zweifellos, wenn wir sehen, dafs sie nicht blofs die aus dem
phönicischen entlehnten giiechischen buchstaben, sondern auch die
speciell griechischen zeichen haben, die später zur allen phönicischen
reihe hinzugefügt wurden. Und die anordnung und bedeulung, welche
diese zeichen in den alten italischen alphabeten haben, dient nicht
allein dazu ihre abstammung von einem griechischen alphabete zu
bestätigen, sondern zeigt zugleich, dafs das griechische aiphabet,
wovon alle italischen alphabete abstammen, nach u die zeichen für
^} Vj> X gehabt und also der ersten . hauptgruppe von griechischen
alphabeten angehört hat, die wir ja auch gerade in den chalkidischen
und achäischen kolonieen in Italien fanden.
Um die ursprüngliche buchstabenordnung in den alten italischen
alphabeten zu bestimmen, sind wir glücklicherweise nicht auf das ge-
wöhnliche lateinische aiphabet allein angewiesen; auch von dem etrus-
kischen aiphabet sind uns nämlich verschiedene darstellungen aus dem
^) Der unterschied zwi.scheQ ~| y und r A jl in den ältesten inschriften von
Melos (von links nach rechts) ist zu vereinzelt, um darauf zu bauen.
'-) Plinius iXatural. histor. (ed. Sillig) VH, 193, 210; Tacitus Ann. AI, 14.
(Mit den römischen Schriftstellern vgl. Dionysius Halicar n. Antiqq. Rom.
I, 33.)
44 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG ÜER RUNENSCHRIFT.
ullertuin überliefert. Aufsei* dem syllabar , das sich mit dem oben
behandeileti griechischen alphabeL von Caere (und Colie) vereinigt
tindet, haben wir ein vollständiges etruskisches aiphabet auf einem
Ihongeßfse, das 1845 bei Bomarzo (im distrikt Viterbo) ge-
funden wurde ^), und zwei andere gleichfalls vollständige alphabete auf
ein paar n olanischen schalen (jetzt im inuseo Borbonico in Neapel)^),
s. 43. Endlich hat Gamurrini in neuerer zeit in einem grabe in Clusium
drei etruskische, auf zwei tufsteinen eingeritzte alphabete entdeckt^).
Nach dem bisher vorliegenden material zerfallen alle
italischen alphabete in zwei haup tgruppen. Die erste
gruppe hat zu der ursprüngHchen griechischen reihe ein neues zeichen
$ 8 *"'■ ^6" laut /■ gefügt, da griechisches cp zu fern gelegen haben mufs,
um diesen laut auszudrücken. Aufserdem finden wir in den alpha-
belen aus dieser gruppe die beiden dem phönicischen säde und sin
entsprechenden formen des Zischlautes, die wir aus den alten griechi-
schen alphabeten kennen, aber kein zeichen an der stelle des sämekh.
Von den beiden gaumenlauten >l (kaph, xariTta) und ? {qöph, xÖTina)
ist nur der erste bekannt. Dies stimmt genau mit dem griechischen
alphabete auf der galassischen vase, welchem das xönjia fehlt, und
wo Q, wie wir oben gesehen haben, wohl an der stelle des sämekh
steht, aber keine bedeutung als laulzeichen gehabt haben kann. Da
nun dieses griechische aiphabet in Etrurien mit einem etruskischen
syllabar und etruskischen inschriften zusammen gefunden ist, so
haben wir hier ohne zweifei gerade das grundalp habet (in einer
etwas modificierten form) sowohl für das gewöhnliche etruskische wie
auch für die andern italischen alphabete dieser gruppe. Allen diesen
alphabelen gemeinsam und abweichend von dem griechischen auf
der vase ist auch, dafs sie nicht das griechische X (§) als laulzeichen*)
1) Bekauut gemacht von P. Secchi im Bulletino dell' iustituto dl corri-
spondeuza archeologica 1846, s. 7; Mommsen, Uuterital. Dial. tab. I, no. 13
(vgl. ibid. s. 3ü'.); G. Conestabile in der Revue archeoi. IV, 1S61, s. 446;
Fahre tti, Corpus inscr. Ital. no. 2436 a— c (s. CCIX und tab. XLIII).
-) C. R. Lepsius, loscriptiones Umbricæ et Oscæ quotquot adhuc repertæ
sunt omues, Lipsiæ 1841, tab. XXVI, no. 33 und 34; Mommsen, I. c. tah. I,
no. 14 und 15; Fahretti, I. c. no. 2766—67 (s. CGLI und tab. XLIX).
3) G. F. Gamurrini, Alfabeti etruschi di Chiusi in den Annali dell' instit.
di corrisp. archeoi. 1871, s. 156 ff. mit tab. L. Vgl. Mommsen in der Ephe-
meris epigraphica, corporis inscriptionum Latiuarum suppiementum, Fasciculus
tertius, 1872, s. 220—21.
*) Als zahlzeicbea gebraucht das etruskische dagegen X + in der
bedeutung 10.
ri. KAP. B. DIE ALTEN ITALISCHEN ALPHABETE. 45
gebrauchen, und dafs sie so gut wie ohne ausnähme von rechts nach
links geschrieben werden. Hierher gehören:
1) Das gewöhnliche etru skische aiphabet auf dem thon-
gefäfse von ßomarzo (taf. II, no. 2), womit die campanisch-etruskischen
alphabete, die sich auf zwei nolanischen schalen eingekratzt finden
(taf. II, no. 3 — 4), in allem wesenlUchen übereinstimmen, während s. 44.
die clusinischen (taf. II, no. 5) eine einzelne gröfsere abweichung auf-
weisen*).
Das aiphabet von Bomarzo hat 19 der griechischen buchstaben
von der galassischen vase bewahrt und hinter denselben $ hinzuge-
fügt; dagegen hat es die griechischen zeichen für o, ß, d und x auf-
gegeben. Das letztere findet sich jedoch noch ab und zu in den
ältesten etruskischen inschriften (taf. II, no. 6)^), wird aber später
durch D ersetzt, welches daher in dem ersten aiphabet vonNola so-
wohl an seiner eigenen stelle, wie an der von k vorkommt, während
die andern alphabete auf diesem platze kein zeichen besitzen, mit aus-
nähme der clusinischen, die gerade umgekehrt K, aber kein C haben'').
Im übrigen stimmt das erste der nolanischen alphabete in der an-
zahl und form der zeichen bis auf ein paar unwesentliche abweichungen
fast genau mit dem aiphabet von Bomarzo überein; das zeichen für
r ist zweimal geschrieben, aber die erste verunglückte form durch
einen kleinen strich oben wieder getilgt *). Das andere aiphabet ent- s. 45.
^) Keines der alphabete von Ciasiam ist noch vollständig; indessen ergänzen
sich die beiden alphabete anf dem einen stein gegenseitig, indem das eine von
a bis t und das andere von k bis zom schlnfs geht, wogegen sein anfang ganz
undeutlich geworden ist. Mit hülfe hiervon haben wir das aiphabet auf taf. 11
aufgestellt; nur ist dort die Veränderung vorgenommen, dafs u vor q gestellt
ist, während diese bnchstaben in der inschrift selbst in der umgekehrten reihen-
folge stehen (das erste aiphabet hat hinter p nur die drei zeichen fur (f, r, t) ;
in dem aiphabet auf dem andern steine ist die anordnnng dagegen zweifel-
haft, da die nach p folgenden bnchstaben fast verschwunden sind. Im gegensatz
zu den nolanischen alphabeten und dem aiphabet von Bomarzo laufen alle clu-
sinischen von links nach rechts; nur / wird in dem einen aiphabet durch ■\
(aber in den beiden andern durch V) ausgedrückt.
-) Vgl. Mommseo; Unterital. Dial. s. 18; G. Conestabile, Iscrizioni
etrusche e etrusco-latine, Firenze 1858, s. XCIV.
^) K findet sich in allen drei alphabeteo, ond den beiden, deren anfang be-
wahrt ist, fehlt C.
'*) Nach dem platze dieses Zeichens im aiphabet läge es unlängbar nahe,
es für 7 (xottttk) zu nehmen; da aber sowohl die form wie auch andere gründe,
die unten genauer entwickelt werden sollen, dieses höchst unwahrscheinlich
46 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG HER RUNENSCHRIFT.
hält dagegen mehrere ahweichungen, welche zum teil auf Unachtsam-
keit heruhen ; so fehlen die zeichen für h, r und t, und ein paar
buchstahen haben abweichende formen, die sonst nicht nachgewiesen
werden können^); aber doch ist dieses aiphabet von grofser Wichtig-
keit, um ein paar eigentümlichkeiten bei dem syllabar von Caere zu er-
klären, mit hülfe dessen wir ein fünftes etruskisches aiphabet auf-
stellen können (taf. II, no. 1), dessen buchstabenformen so gut wie
gänzlich mit den griechischen auf derselben vase übereinstimmen'^).
Es kann kaum einem zweifei unterliegen, dafs dieses syllabar mit
Mommsen und Kirchhoff in folgender Ordnung gelesen werden mufs:
Cl
ca
cu
ce
wi
wa
WH
we
zi
za
ZU
ze
hi
ha
hu
he
^i
O^a
^u
i^e
nii
ma
mu
me
ni
na
nu
ne
pi
pa
pu
pe
ri
ra
ru
re
si
sa
SU
se
ti
ta
tu
it)e
Xi
%a
XU
X«
9i
?a
9u
9e
Hier haben wir also 13 konsonanten, von denen jeder mit den
4 etruskischen vokalen verbunden ist; aber während diese letzteren
nicht in der reihenfolge stehen, die sie im aiphabet einnehmen (was
auch nicht in dem syllabarbruchstück von Colle der fall ist, das
s. 46. nur: ma mi me mu na n hat^)), folgen die vokale in der ge-
machen, so glaube ich mit Mommseii (Uuterital. Dial. s. 7), dafs es cia r ist,
welches wieder ausgelöscht wurde (vgl. den auf me folgenden teil eines n und
das erste pi im syllabar von Caere).
1) Das zeichen für u ist fast mit l gleich geworden, und i hat die form I
statt I (vgl. den umgekehrten fehler im aiphabet von Colle; siehe oben s. 30
anm. 1).
^) Dem ^ im griechischen alphiibete entspricht ^ im syllabar, und dessen r
ist nach der andern seite gewendet, ohne zweifei um es besser von p zu unter-
scheiden, das im syllabar unmittelbar vorhergeht.
3) Dafs die alte Zeichnung hinter dem zweiten n A O hat, beruht unzweifel-
haft auf einer unrichtigen wiedergäbe der Inschrift; O mufste im etruskischen
it bedeuten, das indessen im griechischen aiphabet die form © hat, während O
II. KAP. B. DIE ALTEN ITALISCHEIS ALPHABETE. 47
wohnlichen anordnung. Wir finden also übereinstimmend mit andeni
etruskischen alphabeten folgende buchstaben aus dem griechischen
aiphabet in dem alphabete des syllabars fortgelassen: den vokal o und
die konsonanten b, d, k; aber aufserdem fehlt l und der Zischlaut
zwischen p und r nebst (f, während wir hinter x das zeichen ?
finden, das in dem griechischen alphabete nicht vorkommt. Diese
auslassungen erklärt Mommsen (Unterital. Dial. s. 17) daraus, dafs
die Etrusker in der regel (p nur in griechischen Wörtern gebrauch-
ten, und dafs / sowie der Zischlaut zwischen p und r keine konso-
nanten, sondern halbvokale waren. Da der beweis dafür, dafs die beiden
letzteren buchstaben im etruskischen halbvokale waren, sich indessen
nur auf deren auslassung hier im alphabete stützt, so ist Mommsens
erklärung unbeweisbar und zugleich höchst unwahrscheinlich, wes-
wegen auch Kirchhoff annimmt, dafs beide zeichen nur durch reine
vergefslichkeit im syllabar ausgelassen sind. Dies wäre ja ebenso-
wohl hier wie in dem andern nolanischen alphabete möglich, wo wir
gleichfalls mehrere zeichen vergessen finden; aber ich nehme doch
nur in bezug auf l an, dafs es durch ein vergessen ausgelassen sei;
gerade wo die reihe mit m endet, ist ja etwas bei den zeichen ge-
stümpert, und es ist da leicht denkbar, dafs auch die reihe mit /,
die vorangehen sollte, vergessen worden ist. Dagegen kann ich be-
züglich der auslassung des einen s-lautes weder mit Mommsen noch
mit Kirchhofl" übereinstimmen ; sondern ich linde die erklärung zu dieser
auslassung in dem zweiten nolanischen aiphabet, wo gerade an der
stelle dieses s-lautes nicht dessen gevvöhnUches zeichen (M) sondern
I d. i. s steht, das somit an zwei stellen auftritt, wie D in dem
ersten nolanischen aiphabet. Das zeichen M für den Zischlaut ist im
etruskischen alphabete vorhanden gewesen und wird in den inschriften
gebraucht, aber der laut ist nicht von z (oder dem andern s-laut s. 47.
wie im umbrischen; siehe unten) verschieden gewesen, und daher ist
es absichtlich in dem syllabar ausgelassen*). Gleichfalls ist (f ausge-
lassen, weil es nicht einen eigentümlichen etruskischen laut bezeich-
dort das gewöhDÜche zeichen für o ist. An stelle von /\ O hat das syllabar
gewils ein undentliches >^| (in) gehabt, wonach der schlals verschwunden war.
^) Von den closinischen alphabeten läl'st das einzige, das am schlösse voll-
ständig ist, umgekehrt das ^-zeichen vor t aus, da man kaum den kleinen strich,
der sich auf der Zeichnung hinter r findet, als rest von ^ oder ^ aulTassen darf
(in dem ersten aiphabet fehlen beide «-zeichen, während das dritte wegen
undeutlichkeit keiue aufklärung gibt; vgl. oben s. 45 anm. 1).
48 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
nete, sondern nur in fremdwörtern gebraucht wurde, und auch hier
gibt uns das zweite nolanische aiphabet die erkhlrung, indem es an
stelle von (f ^ d. h. das zeichen für to hat, das also gleichfalls an
zwei stellen in diesem aiphabet auftritt. Es bleibt somit nur noch
die bedeutung des Zeichens ? in dem syllabar zu besprechen. In der
äufseren form stimmt es ganz mit dem griechischen xönna ühcrein;
aber da dieses zeichen im griechischen aiphabet vor q, nicht wie
hier im syllabar hinter % steht, da die ursprüngliche reihenfolge der
konsonanten sonst an keiner stelle im syllabar durchbrochen ist, und
da ? in dem griechischen aiphabet auf der vase fehlt, so kann ich
keineswegs Kirchhofl darin beistimmen, ihm dieselbe bedeutung
wie dem gewöhnlichen griechischen ? zuzuerteilen. Es ist unzweifel-
haft sowohl hier im syllabar wie in einzelnen der ältesten elruskischen
Inschriften, wo es ebenfalls nachgewiesen werden kann'), nur eine
andere form für das gewöhnhche etruskische $ 8» tlas neue zeichen
für den /"-laut, das ja gerade in den andern alphabeten gleichwie im
syllabar die letzte stelle hinter griechischem / einnimmt^). Vielleicht
48. ist dann das zeichen für xönna gerade in dem griechischen aiphabet
auf der vase ausgelassen, weil es in der äufseren form mit diesem
in der bedeutung ganz verschiedenen elruskischen zeichen zusammen
fallen würde; jedoch ist dies ja nur eine vermutung, deren richtig-
keit zu beweisen unmöglich ist. Aber gerade weil griechisches xönna
im etruskischen aufgegeben war, konnte das /"-zeichen (8) die form
? bekommen, wie ^ im aiphabet von ßomarzo und sonst allgemein
die form O erhalten hat, weil griechisches o im etruskischen aufge-
geben war.
Die folgenden alphabete dieser gruppe kennen wir nur aus In-
schriften, und ihre buchstabenordnung mufs deshalb mit hülfe der
hier behandeilen etruskischen alphabete (und des griechischen alpha-
betes auf der vase von Caere) bestimmt werden, nämlich:
') Mo mm sen, Unterital. Dial. s. 17 f.
2) A. Noel des Vergers, der übrigens gtaabt, dafs die etruskische scbrift
unmittelbar aus der phönicischen hervorgegangen ist, betrachtet wie Kirchboir
das in einzelnen der ältesten inscbriften vorkommende 9 «"Is zeichen für q
(L'Étrurie et les Étrusques, Paris 1862—64, Tome III fol. pl. XL). Es wiire
ja höchst merkwürdig — wenn nicht geradezu unmöglich (vgl. z. b. das falis-
kische unten) — , dal's das etruskische eine zeit lang beide zeichen >| und 9
für den gaumenlaut A; bewahrt und sie dann beide zugleich aufgegeben haben
sollte. Hierzu kommt, dafs beide zeichen in derselben inschrift zu finden sind,
und dafs 9 ^^ ^"ch vor andern vokalen als u gebraucht werden kann.
II. KAP. B. OIE ALTEN ITALISCHEN ALPHABETE. 49
2) Das nordetruskische aiphabet in einer anzahl Inschriften,
die nördlich von den Apenninen, namentlich in Oberitalien und dem
alten Rätien gefunden sind, und die Th. Mo mm sen zuerst gesam-
melt und sorgfältig untersucht hat*). Die Verwandtschaft zwischen
den alphabeten in diesen inschriften und dem gewöhnlichen etrus-
kischen aiphabet ist augenscheinlich; aber da die deutung der in-
schriften, welche offenbar verschiedenen sprachen angehören, be-
züglich der meisten als noch nicht einmal angefangen bezeichnet
werden kann-), so ist es nur mit hülfe der bekannten italischen s. 49.
(namentlich etruskischen) alphabete möglich, die bedeutung der ein-
zelnen zeichen zu bestimmen. Hieraus geht nun folgendes hervor:
die zeichen für b und d fehlen wie im gewöhnlichen etruskischen;
aber während dieses von den zeichen D ig) und >| (k) regelmäfsig
«las erstere wählte, hat das nordetruskische umgekehrt i> aufgegeben
und >) behalten^). Auch q fehlt, und für den Zischlaut Gnden sich
^) Die nordetrnskischea Alphabete aof lascbriften nad Miiazeo , von Th.
Moinmsen ia den Mittheilaogen der Aatiqaarischen Gesellschaft in Zürich, VII.
Band, Zürich 1S53, s. 199 ff. (mit 3 tafeln). Vgl. Fabretti, Corpus inscr. Ital.
s. III — VIII und tab. I— VI samt tab. LVIII und s. 2033 — 34, wo verschiedene neue
inschriften hinzugekommen sind, denen noch die 1S71 bei Trevisio im Veltlin
gefundene Inschrift beigefügt werden kann (Bulletino dell' instit. di corrispond.
archeol. 1S7I, s. 214 — 19; vgl. Anzeiger für Schweizerische Alterthumskunde,
Januar 1872, Zürich, s. 306 — 7 und tab. XXIV no. 8).
-) Nach dem erscheinen von Mommsens abhandlung ist es jedoch gegluckt mit
Sicherheit nachzuweisen, dafs mindestens einzelne der inschriften in dem „west-
etruskischen" aiphabet (von links nach rechts and mit bewahrung sowohl des
0 wie des u) gallische sind.
■*) Zwar behauptet W. Corssen mit vollkommener Sicherheit, dafs das nord-
etruskische gerade im gegensatze zum gewöhnlichen etruskischen alle drei „me-
diae" b, g, d bewahrt habe (siehe seinen artikel „Alphabet" in Paulys Real-
Encyclopädie I, 2. Aufl., Stuttgart 1864, s. 802 und „Über Aussprache, Vokalis-
mns und Betonung der lateinischen Sprache" I, 2. Ausg., Leipzig 1868, s. 2).
Diese behauptung ist jedoch ganz unbegründet, da sie sich nur auf die Inschrift
von Limone am Gardasee (Mommsen tab. II no. 17; Fabretti tab. I no. 13)
und vielleicht auf ein sehr unsicheres zeichen in einer andern Inschrift (Mommsen
tab. II no. 25, Fabretti tab. IV no. 33) stützen kann; aber von der Limoner
Inschrift, deren spräche unzweifelhaft gallisch ist, und deren aiphabet eine ganz
eigentümliche Stellung einnimmt, indem die drei ersten zeilen mit rein latei-
nischen buchstaben geschrieben sind, während die drei letzten eine mischung
von lateinischen und fremden zeichen enthalten, die sich nur zum teil in den
übrigen „nordetruskischen" inschriften wieder6nden, ist man natürlich keineswegs
berechtigt Schlüsse zu ziehen, die von dem nordetruskischen alphabete im allge-
meinen gelten. Im gegenteil zeigen die gallischen inschriften, die ausschliefslich
WIMMER, Die runenechrift. 4
50 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RI'ISENSOHRIFT.
beide zeichen M und ^. Die abweichungen vom gewöhnlichen elriis-
kischen bestehen wesentlich darin, dafs wir den vokal o zugleich mit
M bewahrt finden — in der regel (ausgenommen in den gallischen
inschriften) jedoch nur das eine dieser zeichen, indem man in ver-
8.50. schiedenen gegenden entweder o oder m aufgab - , und dafs das
neue etruskische zeichen $ ß ff"* A welches sonst eben filr diese
gruppe der itahschen alphabete charakteristisch ist, fehlt, auf jeden
fall in dieser form. Ich halte es nämlich für sehr zweifelhaft, ob
die zuweilen vorkommenden zeichen ?') T^) wirklich, wie Mommsen
und andere nach ihm meinen, ^ und nicht eher f bedeuten, wie
wir bezüglich des ? in dem syllabar auf der vase von Caere an-
nahmen. Das zeichen für z kommt in ein paar inschriften in der
form 4i /R vor, die natürlich aus ^j: entstanden ist, das sich in keiner
der bisher bekannten nordetruskischen inschriften nachweisen läfst.
„nordetruskische" schrift gebrauchen, dals die Gallier die etruskischeu zeichen
HlX sowohl in der bedeutung Je, p, t wie g; b, d aufnahmen. Dies ging schon
ans der zweisprachigen inschrift von Tod i (Mommsen in Hoefers Zeitschrift
für die Wissenschaft der Sprache I, 1846, s. 394 ff.; Fabretti tab. XXI no. 86;
W. Stokes in den Beiträgen zur vergl. Sprachforschung III, 1863, s. 65 ff., J.
Becker ibid. s. 170 f. und öfter.s) hei-vor und ist weiter durch die später gefundene
inschrift von Novaria (Fabretti tab. V no. 41 bis; G. Flechia, di un' iscrizione
celtica trovata nel JNovarese, Torino 1864; vgl. H. Ebel in den Beiträgen zur
vergl. Sprachforschung IV, 1865, s. 486—89) bestätigt worden. [Was Corssen später
in seinem grofsen w erke „Über die Sprache der Etrusker" I — II, Leipzig 1874 — 75
für das Verständnis der nordetruskischen inschriften geleistet, hat die vielen
schwierigen fragen der lösung nicht näher gebracht. Überhaupt betrachte ich
im gegensatze zu S. Bugge (Jenaer Literaturzeitung 1875, s. 287) den abschnitt
über nordetruskisch in Corssens erstem bande als einen der unglücklichsten in
dem im ganzen verfehlten buche.]
^) So mufs dieses zeichen, das 3 mal io der inschrift von Verona (Mommsen
tab. II DO. 19, Fabretti tab. II no. 14) vorkommt, wiedergegeben werden, nicht
mit Mommsen und Fabretti in ihren alphabettafeln als <p.
'^) Mommsen tab. 1 no. 12, Fabretti tab. VI no. 59. Dasselbe zeichen findet
sich gewils auch bei Mommsen tab. II no. 14, Fabretti tab. II no. 22, — Die-
jenigen, welche annehmen, dafs i im etruskischeu q bezeichne, werden wohl am
ehesten diese „nordetruskischen" zeichen ebenso auffassen. Aufserdem ist ja die
möglichkeit vorhanden, dafs mindestens x geradezu dem griechischen ip entspricht.
Jedenfalls liegt es am nächsten, diese bedeutung dem ^ in der inschrift von
Trient (Mommsen tab. I no. 11, Fabretti tab. I no. 12) zuzuerteilen, das von
Mommsen gleichfalls als 9^ aufgefafst wird. Auch kann ich dem T auf dem
helme aus Steiermark (Mommsen tab. I no. 12, Fabretti tab. VI no. 59) nicht
mit Mommsen die bedeutung ^ geben; es ist eher, wie in der inschrift von
Vadena (Fabretti tab. II bo. 24), eine andere form für i = ;|f.
II. KAP. B. DIE ALTEN ITALISCHEN ALPHABETE. 51
Dafs (las ausnahmsweise auftretende M eine andere form des Zisch-
lautes M wie in dem einen aiphabet von Nola ist, darf als sicher
angesehen werden. Auf taf. II, no. 7 habe ich nach den inschriften
das „nordetruskische'' aiphabet zusammengestellt und durch frage-
zeichen meine zweifei bezüglich der bedeutung einzelner zeichen zu
erkennen gegeben.
3) Das umbrische aiphabet auf den tafeln von Iguvium
und einzelnen andern denkmälern^) ermangelt wie das gewöhnliche «• 51.
etruskische des o und d; aber im gegensatz zu diesem hat das um-
brische von den zeichen 3 und H das 5 aufgegeben und H bewahrt,
wie die alphabete von Clusium und das „nordetruskische". Die grie-
chischen aspiraten (f und x fehlen ganz, und auch das zeichen für
i> kommt nur ein paar mal und in derselben bedeutung wie das
gewöhnliche / vor. Gleichfalls istMselten und steht gleichbedeutend
mit dem gewöhnlichen 2. Eine eigentümliche runde form, die jedoch
auch in etruskischen inschriften vorkommt, hat h angenommen, wo-
gegen A für m nifr auf der einen tafel gebraucht wird; es ist wohl
eine abgekürzte form des gewöhnlichen Zeichens. Endlich hat das um-
brische zwei neue zeichen hinzugefügt, nämhch S, um einen laut
zwischen r und s zu bezeichnen, der in lateinischer schrift durch rs
ausgedrückt wird, und d, um einen aus k hervorgegangenen „pala-
talen" laut (wie indisches f) wiederzugeben, in lateinischer schrift
durch s mit einem kleinen haken vorn (S) ausgedrückt. Von diesen
beiden zeichen, deren platz im alphabete natürlich zweifelhaft ist,
scheint das letzlere willkürlich erfunden zu sein, wogegen *1 die eine
der im etruskischen vorkommenden r-formen (0, S) ist, die hier ge-
braucht wird, um einen von dem gewöhnlichen r (Q) etwas ver-
schiedenen, aber damit verwandten laut zu bezeichnen (taf. II, no.8).
4) Das oskische aiphabet in den inschriften von Abella,
Agnone und mehreren andern ■') ermangelt des o wie das etruskische
und umbrische, hat aber alle drei „mediae" b, g, d bewahrt, — die
beiden ersten in den gewöhnlichen formen 8, ^ . während d die
eigentümliche gestalt ^ bekommen hat, welche dadurch veranlafst
^) C. R. Lepsias, Inscriptiones Umbricæ et Oscae, tab. I — XX, XXIX;
S. Th. Aufrecht n. A. Kirchhoff, Die ümbrischen Sprachdeükmäler, I — 11,
Berlio 1849—51; Fabretti, Corpus inser. lUl, s. IX ff. und tab. VI bis— XXI.
'-) Lepsias, loser. Umbr. et Oscæ, tab. XXI — XXVIII, XXX; M om ms en,
Unterital. Dial. tab. V— XII; Fabretti, Corpus ioscr. Ital. tab. XLVIII— LV,
wo einzelne später entdeckte inschrifles mitaufgeoommeD sind.
4*
52 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
wurde, dafs das ursprüngliche zeichen für r (9) wie im etruskischen
s. 52. und umhrischen die form 0 annahm, also mit der ursprünglichen
d-form zusammenfiel'). Dagegen sind sowohl v^ wie der Zischlaut M,
die beide auch nur ausnahmsweise im umhrischen vorkommen, auf-
gegeben. Endlich hat das oskische zwei neue vokalzeichen gebildet,
nämlich h, um einen zwischenlaut zwischen i und e zu bezeichnen,
und V, um o zu bezeichnen (anstatt des ursprünglichen, frühzeitig auf-
gegebenen Zeichens für diesen laut). Diese zeichen, die deutlich aus
I (i) und V (m) gebildet sind, haben wohl ihren platz im alphabele
hinter 8 gehabt (taf. ir, no. 9).
Zu der jetzt besprochenen gruppe von italischen alphabeten ge-
hört auch das sabellische in den beiden Inschriften von Crecchio
und Cupra maritima^); aber da es nicht vollständig bekannt ist, und
die bedeutung einzelner zeichen noch als zweifelhaft gelten mufs,
übergehen wir es hier.
Die zweite hauptgruppe von italischen alphabeten unter-
scheidet sich von der ersten dadurch, dafs sie kein neues zeichen
für f gebildet, sondern das griechische røoMJ-zeichen benutzt hat, um
s. 53. diesen laut auszudrücken, und infolge dessen wird u sowohl für den
vokal « wie für den halbvokal w gebraucht. Von den Zischlauten
findet sich nur die dem phönicischen stn entsprechende form, und
die griechischen aspiraten (^, (f, x) sind als lautzeichen aufgegeben^).
1) Ich kann nicht mit Mommsen (1. c. s. 25) nod Kirchhoff (Stadien a. s. w.
s. 119) die oskische </-form als ausreicheüden beweis dafür ansehen, dafs das
zeichen für d einmal im oskischen gefehlt habe, und dals später wieder zur be-
zeichnung dieses lautes die griechische r-form P benutzt worden sei. Obgleich
dies möglich ist, halte ich es doch für weit wahrscheinlicher, dafs d im oskischen
immer vorhanden gewesen ist, und dafs dessen c^-form sich selbständig aus
älterem Q entwickelt hat; dafs dieses auf jeden fall an der alten stelle im
alphabete (hinter g) gestanden, wie Mommsen selbst (1. c.) nachzuweisen
gesucht hat, zeigt ein bruchstück eines oskischen alphabetes auf einer wand in
Pompeji , das die vier ersten buchstaben (a, b, g; d) ganz deutlich und einen
teil des fünften enthält (siehe R. Garrucci, Graffiti de Pompéi, 2 de édit., Paris
1856, tab. I no. 1). — Wenn das oskische wirklich später das griechische P
r als bezeichnung für d aufgenommen hätte, könnten wir auch griechisches O
in der bedeutung o aufgenommen erwarten, was unleugbar viel näher zu liegen
scheint ; aber hier wurde eben ein ganz neues zeichen gebildet.
2) Mommsen, Unterital. Dial. tab. II und XVII; vgl. ibid. s. 329 ff.; Fa-
bretti tab. LIII no. 2848, tab. XLV no. 2682; Corssen in der Zeitschr. f.
vergl. Spiachf. X (1861), s. 1 ff.
3) Doch können sie alle drei als Zahlzeichen bei den Römern nachgewiesen
werden: O (sehr selten) = 100, © = 1000 and H'4, = 50 (Mommsen, Unter-
n. KAP. B. DIB ALTEN ITALISCHEN ALPHABETE. 53
Dagegen sind die beiden griechischen zeichen für den guttural fr, K
xänna und ? xönna, wie auch griechisches o (das sich jedoch auch
im „nordetruskischen" fand) und 5 bewahrt. An steile der in der
ersten gruppe gebrauchten form für r G (*1) flnden wir hier !\ R.
Durch die benutzung des ursprünglichen w-zeichens in der bedeutung
f und des u sowohl für m wie «c, durch die bewahrung von ? und
5 (ebenso zum teil o), und durch ihre r-form unterscheidet sich
diese italische alphabetgruppe von der ersten; durch die r-form und
durch die bewahrung von ? weicht sie gleichfalls von dem griechi-
schen aiphabet auf der galassischen vase ab: aber da wir hinter u
X-l" in der bedeutung x, entsprechend dem + (?) auf der vase,
finden, so ist es klar, dafs auch diese gruppe von italischen alpha-
beten von einem griechischen alphabete ausgeht, welches zu derselben
klasse gehört wie das der galassischen vase. Wenn wir daher in
diesem aiphabet uns nur ? an der ursprünglichen stelle denken, wird
es in allem wesentUchen als grundalphabet für alle italischen alpha-
bete sowohl der ersten wie der zweiten gruppe angesehen werden
können. Zu dieser letzteren gehören:
1) Das lateinische aiphabet hatte in der ältesten nachweis-
lichen gestalt 21 buchstaben mit dem zeichen für z (ohne zweifei in
der form It) an der ursprünglichen (siebenten) stelle. Schon in
den ältesten Inschriften, die in Ritschis Priscae Latinitatis monu-
menta epigraphica (Berol. 1S62) in schönen abbildungen herausge-
geben sind, ist indessen z aufgegeben '), und K k hat eine sehr einge-
schränkte an Wendung; um den Är-laut auszudrücken, wird regelmäfsig s. 54.
das ursprüngliche (/-zeichen (C) gebraucht, das lange sowohl g wie
Ic bezeichnete. Später bekam es ausschliefslich die bedeutung fr,
indem man für den ^-laut das neue zeichen G durch eine kleine
ital. Dial. s. 33 f.; F. Ritschi, Zur Geschichte des lateinischen Alphabets im
Rheinischen Haseum för Philologie, 24. Jahrgang, Frankfort am Main 1869, s.
12 f.).
') Dagegen kommt z in einem brnchstück von einer der saiischen hymnen
vor, das von Varro (De lingua Latina VII, 26) aufbewahrt ist. — Auch in den
ältesten lateinischen inschriften scheint auf den ersten blick s zweimal in den
formen COZA, (CO)ZAiN'O auf den alten lateinischen münzen bei Ritschi tab.
VII no. 40, a & b (vgl. ibid. s. 11 nnd Mommsen, Inscriptiones Latinæ anti-
quissimæ, Berol. 1863, s, 6) vorznliegen, was dann zugleich einen beweis dafdr
enthalten würde, dafs die form Z ziemlich früh aufgetreten wäre. Namentlich
aas diesem grunde bin ich jedoch am meisten geneigt, Z auf diesen münzen
nicht in der bedeutung z aufzufassen, sondern als eine kleine Veränderung von
^ d. i. S ivgl. Ritschi ibid. no. 41, a & b).
54 ERSTES BDCe. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
Veränderung von C bildele; dieses neue ^-zeichen, das sich schon
in den ältesten inschriflen zeigt, setzte man im aiphabet an der
Stelle ein, wo früher z gestanden hatte. Das ist das ältere la-
teinische aiphabet von 21 buchstaben, wovon Cicero und Quintilian
reden ^), und wovon wir mehrere darstellungen, mit dem griffel ge-
schrieben, auf wänden in Pompeji finden^); seine wichtigsten buch-
stabenformen sind nach den alten Inschriften auf taf. li, no. 11
wiedergegeben. — Später wurde dieses aiphabet um 2 buchstaben
vermehrt, indem man zum gebrauch in griechischen Wörtern schon
zu Ciceros zeit ziemlich allgemein griechisches Y, T und ^ in der
jüngeren form Z aufnahm. Obwohl diese beiden buchstaben von den
Römern immer als fremde angesehen und in wirklich lateinischen
Wörtern nicht gebraucht wurden^), gab man ihnen doch später eine
stelle am schlufs des alphabetes hinter x, und so kam das allgemein
bekannte lateinische aiphabet von 23 buchstaben zu stande, das uns
s. 55. in den Inschriften aus der kaiserzeit begegnet (taf. II, no. 12)*). Im
unterschied nicht blofs von allen alphabeten in der vorigen gruppe,
sondern auch von dem zweiten in dieser gruppe, geht die lateinische
Schrift, soweit wir sie zurückverfolgen können, ohne ausnähme von
links nach rechts.
2) Das faliskische alp habet in den von Garrucci entdeckten
inschriften in Civita Castellana (dem alten Falerii)^) stimmt in allem
wesentlichen mit dem älteren lateinischen aiphabet überein; jedoch
hat es sowohl K wie ? aufgegeben und bezeichnet den fr-laut (was
1) Cic. de nat. deor. II, 37. Quintil. In. Or. I, 4, 9." Vgl. Suetou.
Aug. 88.
2) Inscriptiones parietariæ Pompeianæ ed. C. Zan gem eis ter, Berol. 1S71
(Corpus Inscr. Lat. IV), no. 2514 — 2549 c enthalten die lateinischen alphabete und
brucbstücke davon, die auf den wänden in Pompeji gefunden sind. Die alpha-
bete, welche vollständig sind (no. 2514 — 18; tab. XL no. 3, 5, 9 — 11; vgl.
Ritschi, monum. epigr. tab. XVII no. 24), enden alle mit X und haben natür-
lich G an der siebenten stelle; E wird fast immer durch II und F zuweilen
durch |l bezeichnet.
3) Vgl. Cic. Orator If.O. Quintil. In. Or. XII, 10,27.
*) Die jüngere lateinische buchstabenreihe ist uns jn inschriften aus Vigna
Acquari (Bulletino dell' inst, di corr. archeol. 1862, s. 29) und aus Stein am
Anger, dem alten Savaria in Pannonien (Corp. Inscr. Lat. III, 2 s. 962) über-
liefert.
^) R. Garrucci, Scoperte falische laden Annali dell' instituto di corri-
spond. archeol. 1860, s. 211 — 81 mit taff. F, G, H; Mommsen in den Monats-
berichten der königL Preuls. Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1860,
Berlin 1861, s. 451—56.
II. KAP. B. DIE ÅLTE?( ITALISCHEN ALPHABETE. 55
auch im lateinischen die regel ist) durch ^C; dagegen hat es z (das
sich ebenfalls im lateinischen auf der ältesten stufe fand) in den
formen ^P bewahrt. Die letztere form, die nur eine Verkürzung
der ersteren ist, gleicht sehr der ursprünglichen jcäio-form, die im
lateinischen und faliskischen für f angewandt wird, und dieser buch-
stabe bekam daher im faliskischen die vom lateinischen abweichende
form T ^). Unsicher ist es, ob H, wie Detlefsen nachzuweisen gesucht s. 56.
hat*), zeichen für b ist, während p durch P ausgedrückt wird. In
jedem falle ist sowohl 1 wie P von anfang an zeichen für p, und
das alte 6-zeichen ist folgüch aufgegeben. Aber es ist möglich, dafs
man später von den beiden p- zeichen das eine in der bedeutung ft,
das andere in der bedeutung p benutzt hat. Selbst wenn es sich da-
mit richtig verhält, so ist es doch kaum wahrscheinlich, dalis 1 in
der bedeutung b an die zweite stelle im aiphabet gestellt worden
ist. Eine eigentümliche form sowohl im vergleich zum lateinischen
wie zu den andern italischen alphabeten bietet das fahskische a-zeichen
fi dar, das grofse ähnlichkeit mit dem r-zeichen hat, wovon es sich
jedoch dadurch unterscheidet, dafs beim letzteren die seitenstriche
niemals ganz bis an den senkrechten stab reichen (^). Faliskisches
') Dafss T eioe ambildang des wäuvzeicheas ist (um die Verwechslung mit
dem zeichen fiir s, -r , das durch verL'drzung r oder 4 wurde, zu vermeiden),
bezweifle ich nicht; es ist also ein ähnliches Verhältnis, wie wenn das oskische
Q </ in ° verändern mufste, um der Verwechslung mit dem aus • r entstan-
denen Q vorzubeugen. Dafs das faliskische s und das oskische r formen be-
kamen, die ursprünglich ganz andern buchstaben angehörten, welche daher not-
wendigerweise verändert werden mufsten, ist ein Vorgang, auf den wir jeden
augenblick stofsen, wenn wir die entwicklungsgeschichte der verschiedenen
alphabeie untersuchen (man vergleiche z. b. die korinthischen und korkyräischen
formen für ß und t). — Corssen nimmt dagegen an, dafs faliskisches ^ und
etruskisch-umbrisch-oskisches ^Q verschiedene entwicklungen einer älteren
grundform sind, die er im sabellischen Q] findet (Zeitschr. f. vgl. Sprachf. X
(1861), s. 28; Über .Aussprache etc. s. 2); aber weil diese formen einander allzu
fern liegen, und weil sich das griechische wäia im faliskischen als zeichen für w
nicht findet, sondern dieses, gerade wie das lateinische, u sowohl Tur den vokal
wie tur den halbvokal gebraucht, finde ich Gorsseos annähme sehr unglücklieh.
Wie er trotz dieser ansieht das lateinische und faliskische zusammen als eine
gruppe den andern italischen alphabeten gegenüberstellen kann, sehe ich nicht
ein. Auf die dem lateinischen und faliskischen gemeinsame r-form ist doch un-
möglich eine Urverwandtschaft zu gründen, wenn die abweichnngen sonst so
grofs sind, wie sie nach Corssens auffassung des y-zeichens werden müssen.
-) Alcune osservazioni suUe iscrizioni falische im Bulletino dell' inst, di
corr. archeol. 1861, s. 198—205.
56 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
ß{ entspringt offenbar aus der allen italischen a-form f], die im
elruskischen und umbrischen die gewöhnliche ist, nicht, wie Mommsen
meint, aus dem A der allen lateinischen inschriften, das selbst aus A
entstanden ist. Wie die inschriften der ersten hauplgruppe gehen
auch die faliskischen von rechts nach hnks; aber einzelne buchstaben
können willkürlich nach beiden selten gewendet werden (^taf.ll, no.lO).
III. kapitel.
Die runenschrift.
A. Ihre Verbreitung.
Nach dieser Übersicht über den Ursprung und die entwicklung
der alten südeuropäischen alphabete gehen wir zu unsrer eigentlichen
aufgäbe über, den Ursprung der runenschrift zu untersuchen.
s. 57. Es wird jedoch zweckmäfsig sein , dieser Untersuchung einige
bemerkungen über die Verbreitung der runenschrift voraus
zu senden.
Bekannthch kommen die runen namentlich in den skandinavi-
schen ländern und in England vor; aber sie sind doch keineswegs
auf diese Völker des germanischen stammes beschränkt gewesen.
Denn auch in den gegenden, wo Goten und Germanen auf dem fest-
lande wohnen oder früher wohnten, hat man einzelne denkmäler mit
der gattung von runen gefunden, die in den ältesten inschriften im
Norden (und in England) vorkommen.
Aufser sechs brakteaten mit runen, von denen einer ohne zweifei
um 1839 irgendwo in Norddeutschland gefunden ist (jetzt im mu-
seum zu Berlin, Stephens no. 29 = Atlas for nord. Oldk. no. 113)^),
einer 1850 oder 52 bei dem dorfe Wapno (zwischen Wongrowitz und
Exin) südlich der Netze in Posen^), die vier andern (von denen zwei
mit derselben Inschrift) 1859 bei Dannenberg in Hannover (Stephens
1) Uürichtig gibt Stepheüs (II, s. 541) Köslin in Pommern als die fund-
stätte dieses brakteaten an. Vgl. Vierzehnter Bericht der Schlesnig-Holsteiu-
Lauenburgischen Gesellschaft für die Sammlung und Erhaltung vaterländischer
Alterlhümer 1849, s. 13 f. und taf. no. '6; Müllenhoff in der Zeitschr. f. d. a.,
neue folge VI, s. 253.
2) Müllenhoff in der Zeitschr. f, d, a., neue folge VI, s. 254 ff.
III. KAP. A. DIE TERRREITUIXG DER RUNENSCHRIFT. 57
HO 7 — 9)*), sind aufserhalb des Nordens und Englands bisher fol-
gende denkmäler mit den alleren ninen aufgefunden:
1) Der Bukarester ring, ein grofser goldring, der 1837 zu-
sammen mit vielen andern goldsachen bei Pelrossa in der Walachei
gefunden wurde (seit 1838 im museum zu Bukarest)*);
2) das Roveler speerblatt. ein speerblalt von eisen, 1858
bei Kovel in Volhynien gefunden, aber erst viel später bekannt
gemacht; es gehört prof. A. Szumowski in Warschau');
3) das Muncheberger speerblatt, ein speerblalt von eisen,
1865 bei Slüncheberg in Brandenburg gefunden*);
4) der Körliner ring, ein goldener fingerring, gefunden
1839 bei Körlin in Pommern (jetzt im museum zu Berlin)*);
h Anfserdem ist eine goldmüaze. die auf der eineo seile eine barbarische
Dachbildung von Theodosius' nameo, auf der andern einige rnnen hat, bei Har-
lingen in Friesland gefunden (Atlas for nord. Oldk. no. 251, s. 8 = Stephens
no. 58), und eine silbermünze, gleichfalls mit rnnen anf der einen seite, in
Holland in der nähe von Utrecht (Stephens no. 70). Die erstere von diesen
münzen hat zweimal die specifiscb englische a-rnne |C (und einmal die A-rnne
|S(); auch auf der letzteren scheint die a-rune |(^ vorzukommen.
^) J. Arneth, Die antiken Gold- und Silber- Monumente des K. K. Mänz-
und Antiken-Cabinettes in Wien. Mit XLI Tafeln. Wien 1850 fol., s. 86 and
Beilage taf. VI, no. 2.
3) Wiadomos'ci archeologiczne III, Warszawa 1876, s. 49—61 mit taf. 1
(s. 55 — 57 enthalten meine bemerkungen über die inschrift); Congres inter-
national d' Anthropologie et d'Archéologie préhistoriques, Comte-Rendu da la 8°>e
Session h Budapest 1876, I (Budapest 1877), s. 457 — 60 (ein brief von mir an
prof J. Sawisza über die inschrift). Vgl. A. Kohn und C. Mehlis, Materialien
znr Vorgeschichte des Menschen im östlichen Europa nach polnischen und
russischen Quellen II, Jena 1S79, s. 1770*.; Revue archéol. jnillet-aodt 1884, s. 54 ff.
*) Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit. Neue Folge XIV, Nürnberg
1867, s. 33 — 41. — Bezüglich des von J. Undset im Oktober 1883 im museum
zu Torcello in Italien entdeckten speerblattes von bronze (Zeitschr. für Eth-
nologie, Berlin 1S83, mit taf. IX) habe ich bereits 1884 in einer mitteilung an
herrn L. Chodzkiewicz in Paris ausgesprochen: ,,.... Que linscription sur la
pointe de lance eo bronze de Torcello ait été fabriquée å une époque moderne
d'aprés celle de Muncheberg, je n'en saurais douter. Cela se conclut avec évidence
des fautes commises dans celle-Iå et qni seraient impossibles dans une inscription
authentique. Mais l'imitation — je n'ose dire la supercherie — parait d'ailleurs
étre faite avec beancoup de soin et beaucoup d'arl." Diese ansieht halte ich auch
nach den später erschienenen aufklärungen (Zeitschr. f. Ethnol. 1885) aufrecht.
^) Fiun Magnusen, „Kunamo og Runerne" in den Det kgl. danske Viden-
skabernes Selskabs histor. og philos. Afhandlinger VI (1841), s. 221—23; vgl.
s. 656; abgebildet tab. XIII, fig. 4a& b und darnach wiedergegeben bei Stephens.
Vgl. Vierzehnter Bericht der Schleswig- Holstein -Lauenbnrgischen Gesellschaft
58 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
5) die spange von Charnay, eine silberspange (fibula),
gefunden 1857 bei Charnay in der Bourgogne in einem begräb-
nisplatze aus der „nierovingischen" zeit (in II. Baudots altertümer-
sammlung zu Dijon) i);
s. 58. 6) die Norden dorfer spange a, eine silberspange, 1843 in
einem grabe bei Nordendorf in der nähe von Augsburg in Bayern
gefunden (im museum zu Augsburg) ^j;
7) die Nordendorfer «pange b, eine silberspange, wie die
vorige vor mehreren jähren in einem der gräber bei Nordendorf ge-
funden (im museum zu Augsburg)'');
etc. 1849, s. lOfl". und taf. no. 1; Zeitschr. f. d. a., oeue folge VI, s. 252 f.
Die fuodstätte ist Köilin (nicht, wie früher oft unrichtig angegeben, Köslin) in
Pommern. — Der ring hat fünf kanten mit zwei facetten in jeder; in einer der
facetten findet sich das mystische „hakeukreuz" oder „svastika" (^i), und in
einer andern die runen in zwei reihen, durch einen strich geschieden; zu unterst
stehen (] W, also dieselben runen, die wir in einer andern Ordnung auf einem
der pfeile aus dem Nydamer moore zusammengestellt finden, und worin ich ein
beispiel von dem magischen gebrauche der runen zu finden geglaubt habe („De
ældste nordiske runeindskrifter" s. 26—27, in den årb. f. nord. oldk. 1867);
oben über diesen drei runeu findet sich das zeichen J*, das ich für eine binde-
rune, zusammengesetzt aus ^ und |^, ansehe, wie wir auf einem andern der
pfeile aus dem JXydaraer moore J^, dasselbe zeichen wie auf dem Körliner ringe,
aber nach der entgegengesetzten seile, finden (vgl. „de ældste nord, runeindskr."
s. 46); es sind dieselben beiden runen, zu einem zeichen vereinigt, die wir auch
in der häufigen Verbindung ^^fi oder ni^ (1^1, ^Hl) finden; ^1 allein (ohne n,
also der binderune auf dem ringe und pfeile entsprechend) scheint auf einem
brakteaten vorzukommen, der nördlich von Hadersleben gefunden ist (Stephens
no. 21; Atlas no. 88; Thorsen, Runemindesmærker s. 329), obgleich man hin-
sichtlich der bedeutung des ersten Zeichens, das auch ein verunglücktes f] sein
könnte, einige zweifei hegen darf. Dafs gerade ^ regelmäfsig in diesen ma-
gischen Zusammenstellungen vorkommt, steht sicher in Verbindung mit dessen
namen dss, öss (in der sprachforra der ältesten nordischen Inschriften au sur).
Dafs alu (mit seinen varianten lau, lua — al, la) aus dem ein einziges mal
vorkommenden s alu (Stephens no. 20 =; Atlas no. 85) hervorgeht, glaube ich nicht.
(Vgl. Bugge in den ärb. f. nord. oldk. 1871, s. 182—185.)
1) H. Baudot, Memoire sur les sépultures des barbares de l'époque Mé-
rovingienne, découvertes en Bourgogne, et particuliérement ä Charnay. Dijon
& Paris 1860, pi. XIV, no. 1 und s. 49 ff.
2) Die runeninscbrift wurde erst mehr als 20 jähre später (1865) von dr.
L. Lindeuschmit in Mainz entdeckt, der die spange in „Die Alterthümer unserer
heidnischen Vorzeit" 11,2, Mainz 1866, 4to, taf. 6 no. 1 & 2 herausgegeben hat.
^) Auch diese Inschrift wurde erst längere zeit nachher von Lindenschmit
entdeckt und in „Die Alterthümer etc." III, 8 (1877), taf. 6 no. 2 herausgegeben.
Vgl. M. Rieger, „Eine neue Runenioschrift" (mit abbildung) im „Correspon-
å
MI. KAP. A. DIE VERBREITOG DER RUNENSCHRIFT. 59
8) die Hohenstadter spange, eine prachtvolle spange, ge-
funden in einem „alamanischen" grabe bei Hohenstadt in Worte m-
berg.(im museum zu Stuttgart)^);
9) die Osthofener spange, eine vergoldete bronzespange,
gefunden bei Oslhofen in Rheinhessen (im museum zu Mainz)^);
10) die Freilaubersheimer spange, eine silberspange,
gefunden 1873 in einem grabe bei Freilaubersheim in Rhein hes sen
(im museum zu Mainz) ^);
11) die Friedberger spange, eine silberspange, gefunden im
Winter 1885,86 in einem grabe bei Friedberg in der Wetterau,
provinz Ober h essen; gehört dem Gnder, herrn G. Dieffenbach in
Fried berg *) ;
12) die Emser spange, ein bruchstück {]^ von einer silber-
spange, gefunden 1878 bei Ems in Nassau; in Privatbesitz'*);
13) die spange von Engers, eine silberspange, gefunden
1885 in einem grabe bei Engers im kreise Neuwied des reg. -bez.
Koblenz in der Rheinprovinz (im museum zu Worms)^).
denzblatt des Gcsanimtvereins der deutschea Geschichts- and Alterthunisvereine"
(Darmstadt) No. 5 (Mai) 1S77.
1) Nach iM. Rieger iü der Zeitschr. f. d. Philologie V, s. 381 findet sich
hier eine inschrift mit runeo, die jedoch jetzt mit ausnähme von ein paar
zeichen vollständig unleserlich sind.
-) Herausgegeben von Lindeuschmit in „Die Alterthüraer etc." I, 1 (185S)
taf. 8 no. 4 & 5. Die runen wurden aber erst später entdeckt, und Liudenschmit
lieferte dann eine neue zeichnuug in vol. II, 2, taf. 6 no. 3 & 4. Leider ist die
inschrift an mehreren stellen sehr undeutlich und so verschieden bei Lindeu-
schmit und Stephens (II, p. 585) wiedergegeben, dals es kaum glücken wird, sie
zu denten.
3) Liudenschmit, „Die Alterthümer etc." III, 4 (1874) taf. 6 no. 1; M.
Rieger in der Zeitschr. f. d. Philologie V, s. 375 ff. mit taf. 1.
*) Siehe herrn Diefienbacbs mitteilung im „Korrespondenzblatt der VVest-
deutscheu Zeitschr. f. Gesch. u. Kunst", Jahrg. V, no. 4 (April) 18S6, s. 105 f.
Durch dr. F. Holthauseo habe ich von herrn Dieffenbach genaue wiedergaben der
sehr deutlichen inschrift erhalten, die ^nRD^NirM I)nru|)hild lautet (= ahd.
Drudhilt, Försteniann, .\ltdeutsches nameubuch I, sp. 350).
^) „Eine fränkische Gewandnadel mit Runeninscbrift, gefunden bei Eros" im
„Correspondenzblatt des Gesammtvereins der deutscheu Geschichts- und Alter-
tbumsvereine" (Darmstadt) INo. 5 (.Mai) 1S78 nebst einer mitteilung von M. Rieger
über die runeninscbrift.
•*) Siehe dr. Koehls mitteilung im „Korrespondenzblatt der Westdeutschen
Zeitschr. f. Gesch. u. Kunst", Jahrg. V, no. 2 (Febr.) 1886, s. 44 ff. Genaue
nachrichten über die spange und deren inschrift verdanke ich dr. F. Holthausen,
der im verein mit prof. Zangemeister in Heidelberg dieselbe persönlich in Worms
60 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
s. 59. Diese denkmäler, denen sich hoften dich allmählich mehr ähn-
liche anschliefsen werden^), um so mehr da die meisten in der
letzten zeit zu tage gekommen sind, und sowohl die Nordendorfer wie
die Osthofener spangen zeigen, dafs die runen sich lange nach der
enideckung der denkmäler haben verborgen hallen können, finden sich
mit ausnähme der später gefundenen spangen von Friedberg und Engers
abgebildet und besprochen in Stephens' werke ,,The Old-Norlhern Runic
monuments of Scandinavia and England" U, 1868, s. 565 — 603 und
s. 880 — 84 (das Möncheberger speerblatl) sowie in III, s. 97 f. (die
Charnayer spange nach meiner Zeichnung in ,, Runeskriften'* 1874),
s. lOOff". (die Freilaubersheimer spange), s. 158f. (die Norden-
dorfer spange b nach Lindenschmits Zeichnung), s. 266 ff", (das
speerblatt von Kovel), s. 274 (die Emser spange nach der Zeichnung
im Correspondenzblatt) , s. 485f. (das speerblatt von Torcello).
Stephens fafst die genannten denkmäler unter dem namen „Wan-
derers" zusammen, indem er von der Voraussetzung ausgeht, dafs
sie alle „altnordisch" seien und in alter zeit von den skandina-
vischen ländern nach den gegenden, wo sie gefunden sind, gebracht
(„gewandert") sein müfsten'^). Aber diese annähme wird vollständig
untersucht hat; von beiden p^eoannten herren habe ich gleichfalls sorgfältige
wiedergaben der inschrift erhalten. Diese besteht aus vier flüchtig eingeritzten,
aber vollkommen sicheren runen TMH^ (leuh), das ja auch indem leubwini
der Nordendorfer spange vorkommt, aber hier am wahrscheinlichsten subst. neutr.
(= ahd. Hup, as. Hof) ist.
1) Aufser auf den oben aufgezählten denkmäleru hat man auch mit grölserer
oder geringerer Wahrscheinlichkeit auf folgenden andern germanische runen zu
finden geglaubt: ein kleiner köpf von thon, dessen Fundstätte unbekannt ist (jetzt
in Berlin; siehe Vierzehnter Bericht der Schleswig-Holstein-Lauenburgischen Ge-
sellschaft etc. 1849, s. 14 f und taf. no. 4), ein kreuz von Nordendorf, eine
thonscheibe von Nassenbeuern und ein becher von Monsheim (siehe Dietrich in
der Zeitschr. f. d. a. XIV, 83 f, 85, 91, und vgl. Müllenhotf in der Zeitscbr.
f. d. a., neue folge VI, s. 252 B". und die anmerkung s. 254 f.). Ich halte jedoch
die zeichen auf keinem dieser denkmäler für wirklich echte alte runen.
^) Als eine art Zugeständnis gegenüber der ansieht, die ich bezüglich der
nationalität der denkmäler geltend gemacht hatte, hat Stephens jedoch in dem
1884 erschienenen 3. bande die drei denkmäler, die ich für gotische erklärt
hatte (die speerblätter von Kovel und Müucheberg, den Bukarester ring) unter
einer besonderen rubrik mit dem titel „The Gothic march" zusammengestellt
(dafs es dem Verfasser durch seine lesung dieser Inschriften geglückt ist, jede
spur von gotischen formen zu entfernen, bin ich ihm jedoch noch hinzuzufügen
schuldig). Aber andererseits hat er dann auch im selben bande mit der
^röfsten wjllkür und ohne einen schatten von beweis die denkmäler, die ich
III. KAP. A. DIE VERBREITUNG DER RUNENSCHRIFT.
61
Das speerblatt vod Müncbeberg
Das Speerblatt voq Rovel.
62 ERSTES BUCH. DKll (JUSPIUING DEIl HüiNENSCHRIFT.
durch die spräche der inschriften widerlegt, die sich üherall, wo sie
mit Sicherheit gedeutet werden kann, als dem gotischen und germa-
nischen stamme angehörend erweist'), indem wir entweder rein gotische
s- 60. oder germanische sprachformen finden.
Dies gilt vor allem von den Inschriften auf dem speerhlatt von
Kovel und auf der spange von Freilaubersheim. Bezüglich der ersteren
hatte ich bereits 1875 nach einer mir zugesandten mangelhaften
Photographie herrn prof. J. Sawisza in Warschau mitgeteilt, dafs die
Inschrift sicher einen gotischen mannsnamen enthielte (vgl. oben
s. 57 anm. 3). Genaue aufklärungen, die ich kurze zeit darauf über
die Inschrift empfing, setzten es aufser allen zweifei, dafs diese, wie
ich vermutet hatte, lautete: \[]I/1^1IT d, i. tilarids, indem T
und [] als variationen der gewöhnlichen runenformen T (t) und M
(d) ^) angesehen werden müssen , wie wir in nordischen inschriften
ausnahmsweise fl für das gewöhnliche M (e) finden. Tilarids ist
ein mannesname im nom. sgl. und in echt gotischer form (mit tila-
vgl. tils, gatils bei Wulfila), und das worl, welches 'tüchtiger reiter'
bedeutet, ist gleich gebildet mit dem mannsnamen woduridaR
('kühner, kecker reiter') auf dem norwegischen stein von Tune;
aber während -riduR die speciell nordische form des wortes ist,
wurde es bei den Goten -rUs^). Da die Inschrift auf dem speerblatt
für deutsche erklärt habe, teils nach England (die spangen von INordendorf, Ost-
hofen und Ems), teils nach Norwegen (die spangen von Charnay und Freilaubers-
heim) verlegt; dals die spräche, welche er durch seine lesung aus diesen In-
schriften herausbekommt, ebenso gut nordisch oder englisch oder »eichen
audern nameu man ihr geben will, genannt werden kann, wie deutsch, räume
ich natürlich ohne bedenken ein.
^) Vgl. Navneordenes böjning i ældre dansk s. 2 anm.
2) Dafs X, ^ lod ^ ursprünglich zeichen für die spiranten ß;, t und ä,
nicht, wie bisher allgemein angenommen wurde, für die mutæ g; b und d waren,
wird aus der folgenden Untersuchung hervorgehen ; ich umschreibe diese runen
daher mit £, i und ä:.
^) Siehe meine bemerkungen in den ,, Forhandlinger paa det andet nordiske
Filologmøde i Kristiania 1881", Krist. 1883, s. 244. — Die regelmäfsige
form bei Wulfila würde zwar -reips sein; aber das -rids der Inschrift zeigt nach
meiner meinung einen älteren standpunkt, indem gemeingerm. -rldaz (mit runen
R.IM^Y) i™ nord. -rtäüR, aber im got. -rlds, später -rlps, wurde. Die got.
Sprachüberreste haben ja noch in vielen fällen d (d. i. ä) statt p im auslaut
und vor dem s des nominativs bewahrt (so immer veitvods u. s. w.). Selbst
wenn man in diesen fallen die formen mit d {\/\) nicht als die älteren, sondern
nur als (ungenaue) Schreibung für p betrachten will, erklärt sich der gebrauch
lir. KAP. A. DIE VERBREITUNG DER RDiXENSCHRIFT. 63
von Kovel somit ausgeprägt gotisch ist, glaube ich, dafs dasselbe
mit dem höchsten grade von Wahrscheinlichkeit auch von der
inschrift auf dem speerblatt von Müncheberg gesagt werden kann,
das in andern beziehungen die gröfste äbnlichkeit mit dem speerblatt
von Kovel aufweist und wie dieses einen mannsnamen enthält. Denn
wohl kann das ^^+^n ran Da d.i. raniDa nom. sgl. masc. eines
an- Stammes, das sich zusammen mit dem „hakenkreuz" und
andern symbolischen zeichen auf dem Muncheberger speer flndet, auch
nach seiner sprachform nordisch sein (vgl. den namen H^R^
har Da d. i. har i Da auf dem kämm aus dem Vier moore, den wir
auf dem Skaänger stein von Södermanland ganz ausgeschrieben als
H^Rl^^ finden); aber einer solchen annähme wird bestimmt durch die
fundstätte widersprochen. Wir haben hier also einen fall, wo nordisch
und gotisch (möglicherweise auch deutsch) in dieser periode
zusammen fallen, und wo also nur die fundstätte entscheiden kann,
welcher sprachform die inschrift angehört. Dasselbe gilt von dem s. 56
genannten, ohne zweifei in Norddeutschland gefundenen brakteaten,
dessen inschrift ^^IX^ ich mit MüllenboiT und Bugge (årh, for.' nord.
oldk. 1871, s. 200) waiga lese und als einen mannsnamen auffasse,
der dem ahd. Waiko entspricht.
Dafs auch die inschrift des Bukarester ringes gotisch ist, wird
sowohl durch dessen fundorl wie durch dessen inschrift bewiesen, die
nach einem abgufs im altnord. museum in Kopenhagen und nach
der Zeichnung bei Stephens (vgl. auch Bevue archéol. XVII, 1868,
s. 52) sicher |;^utaniowi hailag gelesen werden mufs*). Wenn
auch die bedeutung von -niowi unsicher ist, glaube ich doch jetzt
wie früher, dafs g.u t a - den namen des Gotenvolkes enthält, und dafs
hailag der nom. sgl. neutr. Ton einem dem altnord. heilagr, ahd.
heilag entsprechenden adjectiv ist.
Während die drei genannten inschriften also mit Sicherheit oder
grofser Wahrscheinlichkeit auf die Goten zurückgeführt werden dür-
des d (^\ ja leicht aus analogie von den formeo, die d hatten (geo. uod dat.
Sgl. and der ganze plur.). — Das H des Koveler Speeres als eine Veränderung
von (j, ^, nicht von M, anfzafassen, wie mir dr. Holthaasen vorgeschlagen
hat, kann ich ans vielen gründen nicht billigen.
^) Meine frühere lesung und deatnng dieser inschrift („De ældste nordiske
runeindskrifter" s. 45 anm.), die sich aof die älteren zeirbnangen stStzte, sehe
ich jetzt also für anhaltbar an.
64 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG »ER RUNENSCHRIFT.
fen ^), zeigen die drei ersten sicheren worte in der inschrift auf der
Freilaubersheimer spange eine ausgejjrägt deutsche sprachform.
Die genannten worte lauten nämlich ^^^Ä: PR^Mt: Rn+F^:, boso
wraet runa^), wo es mir am natürlichsten scheint, runa als acc. plur.
aufzufassen, also: „Boso schrieb (die) runen". Dafs wir hier west-
germanische spräche haben, ist ja offenbar'') (alt sä eh s i seh
würde es lauten: Böso loret rmm, altfriesisch: Bösa wret runa, alt-
englisch: Bösa wrdt runa {rtme); althochdeutsch: Buoso (lo)mz
rüno {runa), wohingegen dieselben worte auf gotisch die form: Bösa
wrait rünös und auf nordisch in den ältesten inschriften Bösa
wrait rnnöH, in den jüngeren Bösi rait rünan haben würden). Der
dem boso der inschrift entsprechende mannsnanie kommt öfter sowohl
im germanischen wie im nordischen vor, wo er in den ältesten
inschriften bosa lauten müfste, während boso in der sprachform
dieser inschriften ein frauenname sein würde, wie auch das Ver-
hältnis im gotischen ist. Was über die sprachform in dieser in-
schrift gesagt ist, würde natürlich auch gelten, wenn wir mit M. Rieger
runa als singular auffassen (also collectiv in der bedeutung „die
runeninschrift" gebraucht); denn im nordischen würde diese form in
den ältesten inschriften run o lauten, was wir gerade auf dem nor-
wegischen Einanger steine finden, wo das wort gleichfalls, was also
Riegers auffassung stützen könnte, collectiv von der ganzen inschrift
gebraucht ist. Ausgeprägt germanische spräche, entgegengesetzt dem
gotischen und nordischen, treffen wir gleichfalls in dem wo dan und
leubwini der Nordendorfer spange (wod an würde got. wödans und
1) Auch den Körliner ring führe ich auf grund der fuadstätte am ehesten
auf die Goten zurück, obgleich dessen inschrift in bezug auf seine nationalität
keinen aufschlufs enthält. Nach den fundstätten (von süden nach norden) habe
ich die denkmüler oben s. 57 — 59 geordnet, so dafs die gotischen zuerst ange-
führt werden (no, 1 — 4) und demnächst die westgermanischen (no. 5 — 13).
■^) Die trennungszeichen hinter dem zweiten worte, besonders das unterste,
sind höchst unsicher. Lber den hinter runa folgenden teil der inschrift, die an
mehreren stellen sehr undeutlich ist, kann ich nur unsichere vermutungen auf-
stellen, die anzuführen hier nicht der rechte ort ist.
3) Dafs die sprachform in der inschrift der Freilaubersheimer spange nicht
blofs als deutsch (im gegensatz zu gotisch und nordisch), sondern sogar als
niederdeutsch (im gegensatz zu hochdeutsch) bestimmt werden kann,
wie ich 1874 in „Runeskr." s, 263 aussprach, halte ich auch jetzt für wahr-
scheinlich; ae in wraet fasse ich als eine tastende lautbezeichnung aus einer
zeit auf, wo der alte diphthong auf dem wege war, ein einfacher langer vokal
zu werden.
III. KAP. A. DIE VERBREITUNG DER RUNENSCHRIFT. 65
nordisch in den ältesten inschriften wödanaR (wödinaR^) lauten; vgl.
..den historiske sprogforskning og modersmålet" s. 48 = årh. f. nord.
oldk. 1868, s. 304; leub =: ahd. Uup, Hop, altsachs. Hof, altengl.
hof, got. liufs, altnord. Ijt'tfr; wini = ahd. as. wini, altengl. wine,
altnord. yinr), in dem leub der spange von Engers und dem frauen-
namen |)uruj)hild auf der Friedberger spange (vgl. s. 59, anm. 4 u. 6).
Die hier besprochenen und an so verschiedenen stellen aufserhalb
des Nordens, in gegenden, wo Goten und Germanen früher wohnten,
gefundenen runendenkmäler liefern somit durch ihre zeichen und spräche
einen vollgültigen und unwiderleglichen beweis dafür, dafs die
ganze germanische völkerklasse einmal ein gemeinsames
runenalp habet gehabt, das in allem wesentlichen mit dem-
jenigen übereingestimmt hat, das wir auf den ältesten denkmälern
im Norden finden. Da man nichts desto weniger in der neueren
zeit eifrig gesucht hat diese thatsache zu leugnen, so wollen wir einen
augenblick bei verschiedenen andern umständen verweilen, woraus
dasselbe zum überflufs hervorgeht.
Wenn verschiedene ältere und neuere Schriftsteller') Tacitus' s. 61.
bekannte äufserung über die Germanen: lüterarum secreta viri pariter
ac feminæ ignorant (Germ. c. 19) als beweis dafür gebraucht haben,
dafs sie zu seiner zeit die schrift nicht kannten, so beruht dies auf
einem misverstehen von Tacitus' worten, die man unrichtig über-
setzt bat: „männer und weiber sind in gleichem grade mit dem ge-
heimnis der buchstabenschrift unbekannt", eine deutung, welche vor-
aussetzen würde, dafs Tacitus das schreiben überhaupt als ein ge-
geheimnis betrachtete, selbst bei seinen eigenen landsleulen; oder,
da dies natürhch nicht der fall war, müfste „das geheimnis der
buchstabenschrift" dasselbe bezeichnen wie „die buchstabenschrift
im allgemeinen". So könnte sich vielleicht der eine oder der
andere moderne Schriftsteller ausdrücken; aber nach Tacitus' ganzer
ausdrucksweise kann lüterarum secreta bei ihm nicht dieselbe be-
deutung haben wie litterce; wollte er nichts anderes sagen, als
dafs die buchstabenschrift den Germanen unbekannt war, so hätte
er dies sicherlich ganz einfach durch die worte litteras ignorant oder
litterarum ignari ausgedrückt. Eine andere erklärung der stelle, wozu
litter arum secreta etwas besser passen würde, ist von W. Grimm^)
gegeben; er nimmt nämlich an, dafs Tacitus durch die werte viri
^) So auch Stephens, Old-Northera Rnoic raonuments s. 106.
^ Über deutsche Runen, Göttingen 1821, s. 30 ff.
WIHKEB, Die runenschrift. 5
66 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNEISSCHRIFT.
pariter ac feminæ „das volk" im allgemeinen, aber nicht zugleich die
priesler habe bezeichnen wollen, die nach Grimms meinung gerade
im besitze einer buchstabenschrift gewesen sind, welche also dem
gewöhnlichen volke gegenüber mit recht „geheim" genannt werden
konnte. Bei dieser erklärung brauchen wir uns jedoch niclit lange
aufzuhalten, da es ja einleuchtend ist, dafs kein Schriftsteller dar-
auf verfallen würde, „das volk mit ausschlufs der priester" durch
die Worte viri pariler ac feminæ auszudrücken, ohne mit einem
Worte zu erwähnen, dafs er jene ausnähme mache. Die stelle raufs
daher auf andere weise verstanden werden, und wie, wird klar,
wenn wir das ganze im Zusammenhang lesen. Tacitus spricht an der
genannten stelle über die heiligkeit der ehe und die keuschheit der
frauen bei den Germanen und sagt da (c. 19): Ergo sæpta pudicitia
s. 62. agunt, nuUis spectaculorum illecebris, nuUis conviv^orum irritationibus
corruptæ. Litlerarum secreta viri pariter ac feminæ ignorant. Pau-
cissima in tam numerosa gente adulteria, quorum pæna præsens et
maritis permissa Nemo enim illic vitia ridet, nee
corrumpere et corrumpi sæculum vocatur, d. h. „So leben da die
frauen mit wohlgeschützter keuschheit, ohne durch schlüpfrige Schau-
spiele oder durch aufregende gastmähler verdorben zu werden ......
Im Verhältnis zur gröfse des Volkes kommen dort sehr wenig ehe-
brüche vor, die eine sofortige strafe mit sich führen, deren Voll-
streckung den ehemännern überlassen ist" (dies wird darauf näher
geschildert); „denn dort lacht niemand über die laster, und man
nennt es nicht übereinstimmend mit dem Zeitgeist („guten ton") zu
verführen und sich verführen zu lassen." Dafs Tacitus in diesem
ganzen zusammenhange, wo er gerade die reinen sitten der Ger-
manen im gegensatze zu den römischen zuständen preisen will (plus-
que ibi boni mores valent quam ahbi bonae leges c. 19 schlufs),
eine bemerkung darüber einschieben sollte, dafs sie nicht schreiben
konnten, wäre ja völlig sinnlos. Es ist selbstverständüch, dafs litterarum
secreta parallel mit spectaculorum illecebræ („die schlüpfrigen, verführe-
rischen Schauspiele") und conviviorum irritationes („die aufregenden
gastmähler") steht und ein drittes, den Römern wohlbekanntes ver-
führungsmittel bezeichnet; es mufs daher, wie auch schon J. Lipsius
richtig gesehen hat, von „heimlichem briefwechsel, heimhchen liebes-
briefen, die männer und frauen einander sandten", verstanden werden.
Nur diese erklärung pafst sowohl zu dem Zusammenhang wie zu den
Worten litterarum secreta. Aber hiermit fällt dann auch der beweis.
III. KAP. A. DIE VERBREITUNG DER RUNENSCHRIFT. 67
den man aus Tacitus fär die unbekanntschaft der Germanen mit der
Schrift hat herholen wollen. Soll die stelle in bezug auf diese frage
etwas beweisen, so müfste es im gegenteil sein, dafs die Germanen
gerade die buchstabenschrift gekannt haben. Denn erst dadurch würde
ja der rühm, welchen Tacitus ihnen wegen nichlanwendung der buch-
stabenschrift zu heimlichem briefwechsel zuerkennt, völlig begründet
sein, wohingegen derselbe weniger zu bedeuten hätte, wenn sie gar
nicht hätten schreiben können. Aufserdem erwähnt ja Tacitus an
andern stellen als thatsachen, die ihn keineswegs verwundert haben, s. 63.
einen brief von dem berühmten Markomannenkönige Marobod (Ma-
roboduus) an Tiberius (Ann. II, 63) und von dem Chattenfürsten
Adgandester (Adgandestrius) an den römischen senat (Ann. 11,
88). Es kann wohl kein zweifei darüber bestehen, dafs diese briefe
lateinisch und mit lateinischen buchstaben geschrieben waren — von
Marobod wissen wir, dafs er sich längere zeit in Rom aufgehalten
hatte — , und es geht also hieraus hervor, dafs zum mindesten hoch-
stehende Germanen sich schriftlich in einer fremden spräche haben
ausdrücken können. Aber es liegt dann nahe anzunehmen, dafs sie
auch versucht haben, ihre eigene spräche mit den ihnen wohlbe-
kannten lateinischen schriftzeichen zu schreiben, wie es mit den
Galliern zu der zeit der fall war, und von hier aus war dann der
schritt zur bildung eines eignen alphabetes für ihre spräche (der runen)
nach den lateinischen buchstaben ebenso leicht als natürlich. Eine
positive aufklärung, die zu sicheren resultaten in dieser beziehung
führen kann, geben indessen weder Tacitus noch andere Schriftsteller
des altertums^). Aus der folgenden Untersuchung wird sich aufser-
M Germ. cap. 10 schildert Tacitas das looswerfen der Germanen auf folgende
weise: „Virgam frugiferæ arbori decisaiu in sorculos ampntant eosque noti*
quibnsdaui discretos super candidam vestem temere ac fortuito spargunt. Mox,
si publice consultetur [Halm für consuletur], sacerdos civitatis, sin privatim»
ipse pater familiæ, precatus deos cælnmque suspiciens, ter singulos tollit, sub-
latos secnndum impressam ante notam interpretatur". Dafs hier bei notæ,
nota impressa an runen gedacht sein sollte, würde ich für höchst unwahr-
scheinlich halten, selbst wenn die Germanen za der zeit wirklich die rnnen-
schrift gekannt hätten; es müfste viel eher von anderen „zeichen" oder „marken"
zu verstehen sein. Vgl. übrigens K. Mülle nhoff, Zur Runenlehre. Zwei Ab-
handlungen von R. V. Liliencron u. K. Müllenhoff, Halle 1852, s. 26 ff.; C. G. Ho-
me yer in dem Bericht über die Verhandlungen der königl. Prenfs. Akademie der
Wissenschaften zu Berlin 1853, s. 747 ff. In seinem gröfseren werke „Die Hans-
and Uofmarken", Berlin 1870, s. 8 erklärt Homeyer beiläufig, dafs notæ
5*
68 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
dem ergeben, dafs es nicht angenommen werden kann, dafs die Ger-
manen bereits zu Tacitus' zeit die runenschrift gekannt haben sollten.
Erst mehrere Jahrhunderte nach Tacitus legt ein Schriftsteller
beiläufig und ganz zufaUig ein ausdrückliches Zeugnis von dem
gebrauche der runenschrift bei den Germanen ab. Dies ist Ve-
nantius Fortunatus, der in Oberitalien geboren und in Ra-
venna erzogen war, sich aber später an vielen verschiedenen stellen in
64. Deutschland und Frankreich aufhielt, bis er am Schlüsse des sechsten
Jahrhunderts bischof zu Poitiers (episcopus Pictaviensis) wurde ^).
Unter Venantius' lateinischen gedichten findet sich auch ein bdef an
seinen (im übrigen unbekannten) freund Flavus, worin er diesen
auffordert, ihm entweder lateinisch oder in einer andern spräche zu
antworten; wenn er nicht lateinisch schreiben wolle, könne er ja
z. b. mit „barbarischen runen" auf holztafeln oder auf einem
glatten holzstabe schreiben. Dies wird folgendermafsen in den beiden
seit 0. Worms tagen ^) oft angeführten versen (Carminum lib. VII,
18, V. 19 f.) ausgedrückt:
an der aagefiihrten stelle bei Tacitus mit MülleDhoET von rnnen verstauden
werden könne.
1) Bezüglich dieses merkwürdigen mannes verweise ich auf die schöne
Schilderung bei A. Thierry, Récits des temps mérovingiens, II (Paris 1840),
s. 242 ff., sowie auf die lebensbeschreibungen vor den ausgaben seiner werke:
Venautii Honorii Clementiani Fortunati carminum, epistolarnm, expositionnm
libri XI etc. Omnia recens illustrata notis variis a Christopher o Browero,
Moguntiæ 1617; Venantii Honorii Clementiani Fortunati opera omnia quse extant
etc. notis et scholiis illustrata opera et studio Mich. Angeli Luchi, I — II,
Romæ 1786 — 87 (abgedruckt bei J. P. Migne, Patrologiæ cursus completus, tom.
LXXXVIII, Parisiis 1850); Venanti Honori Clementiani Fortunati presbyteri
Italici Opera poetica rec. et emend. Fridericus Leo, Berolini 1881 (Mon. Germ.
Hist. Auct. antiquiss. IV, 1). — Vgl. W. Wattenbach, Deutschlands geschichts-
quellen im mittelalter bis zur mitte des 13. jhdts 1, 5. aufl. Berlin 1885,
s. 87 ff., wo die weitere litteratur unter anm. 3 verzeichnet ist.
2) Es war Steph. Stephanius, der 1635 Ole Worm auf die stelle bei
Venantius aufmerksam machte. Stephanius schreibt die beiden verse mit Browers
bemerkung ab und fügt hinzu: „Quæ ego nunc omnia tuam in gratiam descri-
benda duxi, ut si a te antea non sint observata, locum fortasse inveniant in
eruditissimo Tractatu tuo de Litte ratura Runica" (siehe 01a i Wormii et
ad eum doctorum virorum epistolæ, Havniæ 1751,1, s. 162). Hierauf antwortet
0. Worm (ibid. s. 163): „Fortunatum me judicavero, tuum ubi videro Foriunatum
F^enantium. Auetor enim est mihi nunquam visns, sed tuæ [„dein brief"] ejus
mihi ingessere videndi cupiditatem, ut sine eo meas de Runis Meditationes
mancas ac mutilas plane esse arbitrer. Locus, quem mihi suggessisti, elegans
III. KAP. A. DIE VERBREITUNG DER RUNENSCHRIFT. 69
Barbara fraxineis pingatur runa tabellis,
quodque papyrus agit, virgula plana valet.
Wer leugnet , dafs die Germanen (im engeren sinne) überhaupt die s. 65.
runenschrift gekannt haben, müfste wohl annehmen, dafs Yenantius
durch einen zufall mit den nordischen (oder altenglischen) runen
bekannt geworden wäre, und dais der ausdruck „barbara runa"
sich darauf bezöge. Aber da diese „barbarischen runen" nach dem
zusammenhange eine schrift bezeichnen müssen, die nicht nur dem
Yenantius, sondern auch dem Flavus wohlbekannt ist, so scheint es
mir einleuchtend, dafs wir nicht an die fernUegenden nordischen
runen denken dürfen, sondern dafs barbara runa als die speciell
germanische („barbarische") schrift in gegensatz zur lateinischen ge-
stellt wird. Mit der runenschrift hatte Yenantius bei den verschiedenen
germanischen Völkern , unter denen er sich aufgehalten , bekannt-
schaft gemacht (ja, es ist sogar nicht unmöglich, dafs er sie schon bei
den Goten in Ravenna kennen gelernt haben könnte), und er gebraucht
barbara von runa in derselben bedeutung, wie wenn er anderwärts
(Carm. hb. IX, 1, v. 27 f.) in einem gedichte „ad Chilpericum regem" sagt:
Chilperice potens, si in terpres barbarus extet,
adjutor fortis, hoc quoque nomen ha bes.
In derselben weise stellt er die barbarische (d. i. germanische) harfe
der römischen lyra gegenüber , und die deutschen lieder werden
„barbara carmina" genannt (Carm. lib. YII, 8, v. 63 ff.):
Romanusque lyra, plaudal tibi barbarus harpa,
Græcus Achilliaca, chrotta Britanna canat.
Nos tibi versiculos, dent barbara carmina leudos;
sie Variante tropo laus sonet una viro*).
est, & meis cogitationibns io maltis faveos; ntioam ejus generis iovenires plus-
cnla". (Vgl. s. 165, wo Worm für das leihen des baches dankt). In der ersten
ausgäbe seiner Danica Literatura 1636, 4to, s. 7 (vgl. s. 9 & 22) erwähnte VVorm
die stelle bei Veoantins. Später ist sie oft von andern angeführt und behandelt
worden, am ausführlichsten von W. Grimm, Über deutsche Runen, s. 61 ff.
*) Vgl. Carm., Praefatio, wo er erwähnt, dafs er auf seiner reise unter
den barbarischen Völkern oft an ihren gelagen teilnahm, „nbi mihi tantnndem
valebat raacum gemere quod cantare apud qaos nihil disparat aut Stridor
anseris aut canor oloris, sola sæpe bombicans barbaros leudos harpa reli-
dens". Das wort leudus bei Venanlius ist das deutsche lied (ahd. Uod, leod);
harpa ist ahd. harpha, har Ja. Auch chrotta kommt im ahd. in der form roüa
(für hrotta), rota als ein saiteninslrumeut von keltischem Ursprung vor.
70 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
s. 66. Wenn wir nicht gewaltsame oder künstliche erklärungen auf die
hier angeführte stelle des Venantius anwenden wollen, zeigt sie uns
also, dafs die runen, die wir auf den spangen von Charnay,
Nord end orf u. s. w. finden, noch zu seiner zeit (am schlufs des
6. jahrhdts) von germanischen („barbarischen") Völkern — es liegt ja
am nächsten anzunehmen, dafs Venantius besonders an die Franken
denkt — , benutzt wurden, obgleich sie wohl stark auf dem wege
waren, vor der lateinischen schrift zu weichen. Aber Venantius' worte
geben uns aufserdem eine andere interessante aufklärung, da daraus
hervorgeht, dafs die runenschrift von den Deutschen auf holztafeln
oder holzstäbe eingeritzt wurde, die als briefe dienten.
Dies stimmt auffallend zu einem Zeugnisse aus dem Norden, nämlich
Saxos Worten (hb. III, s. 145 ed. P. E. Müller = s. 92 ed.
A. Holder): „Proficiscuntur cum eo bini Fengonis satellites, literas
ligno insculptas — nam id celebre quondara genus char-
tarum erat — secum gestantes", und es ist ja bekannt, dafs
„runenstäbe" {kefli, rünakefli) im Norden bis in sehr späte zeit hinab
benutzt wurden^). Auch der den verschiedenen germanischen Völkern
gemeinsame name für „buch" (ahd. buoh; alts. b6c\ altengl. böc,
plur. bec) altnord. bök, plur. bækr; got. böka Sgl. 'buchstabe', plur.
bökös 'buch, brief) ist höchst wahrscheinlich von anfang an dasselbe
wort wie „buche", das sich in den meisten sprachen erst spät, in
einzelnen gar nicht in zwei worte gespalten hat. Die ursprüngliche
bedeutung von „buch" ist daher wohl gerade ,, tafeln von buchen-
holz" gewesen, auf welche die runen, die stäbe (ahd. buohstab,
runstab\ alts. böcstaf; altengl. bocstæf, runstæf; altn. stafr, bökstafr, rüna-
stafr — vgl. got. stafs im plur. „kinderlehre", ffroix^ta) geschrieben,
geritzt wurden (ahd. rizan-, alts. und altengl. writan; altn. rita —
s. 67. vgl. got. vyrits 'strich', „tüpfel", xsqaia, wie ahd. ^is 'strich, buchstabe').
Dafs wir in der ältesten zeit dieselben benennungen für „buch",
„buchstabe", „schreiben" so verbreitet bei den verschiedenen
germanischen Völkern finden, ist ja auch ein moment, das für die
beantwortung der frage nach ihrer kenntnis der buchstabenschrift
bedeutung hat.
Dafs die Germanen am Schlüsse des 6. jahrhdts eine eigentüm-
Uche buchstabenschrift unter dem namen runen kannten, wissen wir
also aus dem Zeugnisse des Venantius, das ja durch die oben ge-
1) Vgl. Liljegren, Rnn-Lära, s. 181 ff.; P. E. Müller in der ausgäbe
vou Saxo II, s. 5 ff.; P. G. Thorsen, De danske Rnnemindesniærker, s. 250 ff.
III. KAP. A. DIE VERBREITD!<G DER RUNENSCHRIFT. 71
nannten speciell germanischen runendenkmäler (die spangen von
Charnay, Nordendorf u. s. w.) positiv bestätigt wird, unter denen die
ältesten aus archäologischen gründen gerade in die zeit, da
Venantius seine gedichte schrieb, gesetzt werden müssen. Dafs die
runenschrift indessen noch älter ist, wird durch die runendenk-
mäler bewiesen, die wir als speciell gotische bezeichnet haben (die
speerblätter von Kovel und Müncheberg samt dem Bukarester ringe),
und die sicher an das ende des 4. jahrhdts gesetzt werden dürfen,
also in dieselbe zeit, in welche auch die ältesten der im Norden ge-
fundenen runeninschriften (die inschriften aus dem Thorsbjærger
moore und einige andere) gehören. Aulser den genannten gotischen
runeninschriften haben wir noch einen andern wichtigen beweis da-
für, dafs die Goten im 4. jahrhdt die runenschrift gekannt haben.
In einer handschrift in Wien aas dem Schlüsse des 9. oder dem
anfang des 10. jahrhdts (cod. Salisb. no. 140), die auf den ersten 18
blättern Alcuini orthographia enthält, finden sich auf dem 20. blatte
zwei merkwürdige alphabete, nämlich auf der ersten seile in zwei
senkrechten reihen ein altengüsches runenalphabet mit hinzufügung
der namen und der bedeutung der runen (vgl. näheres unten), auf
der rückseite gleichfalls in zwei senkrechten reihen zwei gotische
alphabete, von denen das erstere sich der kursivschrift nähert, aber
die ursprüngliche gotische buchstabenordnung bewahrt, die sich mit
Sicherheit mit hülfe des zahlenwertes der buchstaben bestimmen
läfst, das andere dagegen ungefähr die aus den bibelhandschriften be-
kannten buchstabenformen, aber nach dem lateinischen alphabete
geordnet, hat. In einer dritten senkrechten reihe rechts vor dem
zweiten aiphabet sind endlich die namen der buchstaben hinzuge-
fügt*). Auf die ähnlichkeit zwischen diesen namen und den alten s. 6S.
runennamen (namentlich den altenglischen) hatte bereits W. Grimm
hingewiesen (Zur Literatur der Runen s. 9 f.), wozu J. Grimm ein-
zelne bemerkungen hinzugefügt hatte (ebenda s. 41 f.). Aber erst
20 jähre später glückte es P. A. Munch^) und A. Kirch-
^) Abgebildet bei VV. Grimm, Zur Literatur der Ruaeo. Nebst Mittheilnog
runischer Alphabete nod gothischer Fragmente ans Handschriften. (Aus dem
XLm. Bande der Wiener Jahrbücher der Literatur besonders abgedruckt.)
Wien 1S28, s. 10*. Vgl. auch H. F. Massmann in Hanpts Zeitschrift für
deutsches alterthum I (1841), s. 296 ff.
') In dem Bericht über die Verbandlungen der königL Preufs. Akademie
der Wissenschaften zu Berlin 1S48, s. 55 ff. (Samlede Afhandlinger I, Christi-
n
ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
hoff*), wie es scheint unabhängig von einander, aber im wesent-
hchen mit demselben resultat, die ursprünglichen formen der gotischen
buchstabennamen nachzuweisen. Einzelne zweifelhafte namen hat
später J. Zacher einer sorgfaltigen prüfung unterzogen-). Trotz-
dem mehrere einzelheiten gewifs bei erneuerter durchsieht noch be-
richtigt werden können, ist das hauptergebnis von Munchs und Kirch-
hoffs Untersuchungen die unzweifelhafte thatsache, dafs die gotischen
buchstaben eigene namen gehabt haben, die uns in einer etwas ver-
derbten gestalt im cod. Salisb. 140 überliefert sind, und dafs diese
namen auf das genaueste mit den alten altengHschen (und nor-
dischen) runennamen übereinstimmen. Aber hieraus müssen wir
dann mit notwendigkeit den schlufs ziehen, dafs die Goten vor
und zu Wulfilas zeit ein runenalphabet gehabt haben.
An stelle dieses alphabetes gab Wulfila seinen landsleuten ein neues,
das er nach den griechischen (und lateinischen) uncialbuchstaben
bildete ; aber er behielt die alten buchstabennamen, und wenn wir
die einzelnen zeichen in dem Wulfilanischen alphabete betrachten,
werden wir finden, dafs er auch zwei von den alten runenzeichen
unter die griechischen (und lateinischen) buchstaben aufgenommen
hat (siehe unten 'Anhang' I), ein verfahren, das wir ja auch in
s. 69. England (und Skandinavien) treffen, als das lateinische aiphabet dort
die alte runenschrift verdrängte*).
auia 1873, s. 416 f.), sowie in „Det gotiske Sprogs Formlære", Christiania 1848,
§ 18, s. 15—16.
^) Das gothiscbe ruueoalphabet, Berlin 1851, 4to. (Zweite aufl. 1854, 8vo).
^) Das gothiscbe alphabet Vulfilas und das runenalphabet, Leipzig 1855.
3) Venantius Fortunatus' Zeitgenosse, der fränkische geschichtsschreiber
Gregor von Tours, erzählt in seiner historia Francorum (V, 44) von könig
Chilperik: „Addit autem et litteras litteris nostris, id est w, sicut Graeci habent,
ae, the, uui, quarum caracteres hi sunt : w Ø, ae t//, the Z, uui ^. Et misit
epistulas in universis civitatibus regni sul, ut sie pueri docerentur, ae libri
antiquitus scripti, planati pomice rescriberentur". Dies verstehe ich so, dafs
Chilperik das von den Franken allgemein l>enutzte lateinische aiphabet um
vier neue buchstaben habe vermehren wollen, ein versuch, der jedoch keine
gröl'sere bedeutung erlangte, als der des kaisers Claudius, drei neue buchstaben
einzuführen. Leider sind die von Chilperik gebildeten zeichen in späteren hand-
schriften und ausgaben von Gregors werke sehr verderbt (vgl. die abbildungen
der zeichen in der ausgäbe von W. Arndt, Mon. Germ. Seriptt. rer. Mero-
ving. I, tab. 4 oben (Cod. Lugd.) und s. 237 anm. t.); dagegen scheint eine
vorzügliche alte handschrift von Cambrai (aus der mitte des 7. jahrhdts, vgl.
Ariiilt a. a. o. s. 24 f.) dem ursprünglichen sehr nahe zu stehen. Nach dieser
III. KAP. A. DIE VERBREITUNG DER RDNE?ISCBRIFT. 73
Die hier besprochenen thatsachen in Verbindung mit dem alter
der nordischen, gotischen und germanischen runendenkmäler machen
es daher im höchsten grade wahrscheinHch, dafs die ganze ger-
manische Völkerklasse in den ersten Jahrhunderten nach
Christi gehurt ein runenalphabet gehabt hat, welches aufs
genaueste mit dem ältesten nordischen übereinstimmte.
Bei den Goten und Germanen auf dem festlande hat die
runenschrift indessen nur wenige spuren zurückgelassen und ist früh-
zeitig ganz verschwunden. Während das Wulfilanische aiphabet bereits
im 4. jahrh. bei den Goten eingeführt wurde, finden wir in den s. 70.
ältesten deutschen Sprachüberresten (8. und 9. jahrh.) ausschliefslich
das lateinische aiphabet benutzt; aber es hatte ohne zweifei schon lange
vorher die alte runenschrift verdrängt, * die noch eine zeit lang so-
wohl bei den Goten wie bei den Germanen neben den neueren alpha-
beten gebraucht sein kann, aber doch bald vor diesen gewichen sein
mufs. Länger als die verwandten auf dem festlande hielten dagegen
die germanischen stamme, die nach England ausgewandert waren,
ihre alte schrift in ehren. Das runenalphabet wurde in England
durch einzelne neue zeichen für später entwickelte laute vermehrt,
und es wurde eine zeit lang mit dem lateinischen zusammen gebraucht,
sogar auf denselben denkmälern, wie uns namentlich das kreuz von
Ruthwell beweist. In den ältesten altenglischen handschriften (9. und
10. jahrh.) ist indessen das lateinische aiphabet alleinherrschend',
jedoch finden wir in einzelnen handschriften ab und zu runen ein-
gemischt, was im verein mit den vielen handschriftlichen runenal-
phabeten zeigt, dafs man noch in späten Zeiten die kenntnis von der
anordnung, den namen und der bedeutung der runen bewahrte.
haadschrift werden die zeichen foIgeDdermarsen io dem Nouvean traité de Di-
plomatique vol. II, Paris 1755, s. 62 (vgl. s. 50—65) wiedergegeben: QJ Q^ ^ff
<^, ^ t/ie, ^ uui. Ich glaube hiernach, dafs das erste zeichen (für das lange o)
geradezu die griechische uacialform von lo ist, oder vielleicht eher Q mit eioem
pankt darin, so dafs w eine erkläraog davon ist; und dafs die zeichen für æ
und th dnrch verschlingung der lateinischen nncialbuchstaben a und e, sowie t
und h, gebildet sind. In dem letzten zeichen (für uui d. i. w) finde ich dagegen
die alte u>-rnne (P) oder eine daraus gebildete form wieder, wo nur der haopt-
stab verkürzt ist (bekanntlich ging diese rune ja auch in die ,, angelsächsische"
Schrift über). Ist diese Vermutung richtig, so haben wir hierin eiaeo neuen
beweis daHir, dals die runenschrift zu Chilperiks zeit von den Frauken gekannt
war, wodurch Venautius' zengnis weiter bestätigt wird.
74 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
Trotzdem finden wir aucli in England nur eine verhältnismafsig
höchst unbedeutende anzahl runendenknifder bewahrt.
In den skandinavischen ländern waren die Verhältnisse
in allen beziehungen der alten runenschrift am günstigsten; hier er-
hielt sie sich so lange im allgemeinen gebrauch, dafs sie im laufe der
Zeiten mannigfaltige Veränderungen erleiden und an verschiedenen
stellen sich sehr verschieden entwickeln konnte. Auch scheint ihre
anwendung in inschriften auf steinen zur erinnerung an verstorbene
sich besonders im Norden entwickelt zu haben, wo sie eine bedeu-
tende rolle spielen sollte, während bisher kein einziger gedenkste.in
mit runen in den gegenden gefunden worden ist, wo Goten und
Germanen auf dem festlande wohnten, gleichwie in England der stein
von Kent (Stephens l, s. 367) ganz allein dasteht. Ohne zweifei ist
die sitte, den toten runensteine zu errichten, zuerst in Norwegen und
Schweden aufgekommen, da wir von Dänemark, wo doch die ältesten
runendenkmäler aus dem älteren eisenalter zu tage gekommen sind,
s. 71. keinen grabstein kennen, der in diese zeit gesetzt werden kann. Aber
später hat dieser gebrauch sich über den ganzen Norden erstreckt,
und in der ersten periode des jüngeren eisenalters scheint er be-
sonders allgemein in Dänemark und zumal auf den dänischen inseln
verbreitet gewesen zu sein. Jedoch sind der denkmäler gerade aus
dieser zeit allzu wenige, als dafs wir noch einen bestimmten
schlufs daraus ziehen dürften.
B. Das älteste gemeingermanische runenalphaiet.
Wir haben im vorhergehenden gezeigt, dafs die runenschrift ein-
mal dem ganzen germanischen Völkerstamme angehört hat; aber über
den Ursprung dieser schrift haben wir nicht die geringste aufklärung
in unsern quellen finden können. Um auf diese frage eine befrie-
digende antwort geben zu können, müssen wir natürlich zuerst da-
mit im reinen sein, wie das gemeingerraanische runenal-
phabet beschaffen gewesen ist, und hier würden wir sicher
noch lange in bezug auf eine menge einzelheiten im dunkeln getappt
haben, wenn uns nicht ein glücklicher zufall geholfen hätte, dieses rätsei
zu lösen. Dies ist in weit höherem grade, als wir hoffen durften,
geschehen, indem drei von den bisher bekannten denkmälern mit
den ältesten runen das alte runen alp habet als solches enthalten,
und von diesen drei alphabeten ist das eine im Norden, das zweite
inBurgund, das dritte in England gefunden. Wir haben auf
III. KAP. B. DAS ÄLTESTE GEMEINGERMANISCHE RUNBNALPHABET. 75
diese weise ein mit den übrigen denkmälern gleich-
zeitiges aiphabet von dreien der hauptstämme in unserer
sprachklasse.
Diese für unsere Untersuchung wichtigen denkmäler sind:
1) ein brakteat (d. h. eine dünne goldplatle, bractea, in form
einer münze, mit prägung auf der einen seite und mit einer Öse
versehen, um als schmuckgehänge benutzt werden zu können), ge-
funden 1774 bei Vadstena in Schweden, jetzt im museum zu
Stockholm. Der gröfste teil der Umschrift desselben besteht aus
einem runenalphabet in der ursprünglichen reihenfolge der runen
(tab. in, fig. 1, nach einem ausgezeichneten galvanoplastischen ab-
gufs im allnordischen museum zu Kopenhagen);
2) die oben (s. 58) genannte spange, die bei Charnay in der s. 72.
Bourgogne gefunden ist Die oberste zeile der inschrift enthält
den gröfsten teil des runenalphabetes in derselben anordnung wie
der brakteat von Vadstena (taf. III, fig. 2, nach einer Zeichnung,
die ich zugleich mit genauen erläuterungen über die einzelnen runen
dem französischen allertumsforscher E. Beauvois verdanke, der mir
die gefälUgkeit erwiesen hat, die inschritl in herrn Baudots
Sammlung in Dijon sorgfältig zu untersuchen und sich dadurch im
Stande gesehen hat, verschiedene wertvolle berichtigungen zu den frühe-
ren abbildungen zu liefern);
3) ein messer oder kleines schwer!, gefunden 1857 in der
Themse (jetzt im British Museum), mit einem altenglischen
runenalphabete, ebenfalls in der ursprünglichen anordnung (taf. III,
fig. 3, nach der Zeichnung bei Stephens I, s. 362 in halber gröfse,
mit dem original verglichen und darnach berichtigt von dem attaché
bei der dänischen gesandtschaft in London, C. C. A. Gösch).
Von diesen drei alphabeten müssen die beiden ersteren unge-
fähr gleichzeitig sein und können in das ende des 6. jahrhdts (um
600) n. Chr. gesetzt werden, wohingegen das aiphabet auf dem
Themsemesser, das auch die neueren zeichen für die besondern
altenghschen laute enthält, jünger ist und gewils dem ende des
8. jahrhdts (um 800) angehört. Die bedeutung, welche das alte
griechische aiphabet auf der vase von Caere und die alten etrus-
kischen alphabete von Bomarzo, Clusium und Nola für das Ver-
ständnis der entwicklungsgeschichte der griechischen und itahschen
alphabete haben, dieselbe haben die genannten runenalphabete für
die geschichte der runenschrift.
. 76 ERSTES BUCH. DER URSPRU>G DER RUNEINSCHRIFT.
Indem wir daher dazu übergehn, diese alphabete im einzelnen
näher zu besprechen, beginnen wir mit demjenigen, das nicht nur
am längsten bekannt und oft behandelt worden ist, sondern auch
in vielen beziehungen als das wichtigste angesehen werden mufs,
nämlich :
1) dem alphabete auf dem brakteaten von Vadstena.
Dieses aiphabet hat folgende gestalt:
Die runen stehen also umgekehrt und laufen von rechts nach
links. Sie sind folglich im stempel richtig eingeschnitten gewesen,
73. und wir müssen sie also umwenden um die formen zu erhalten, die
der Stempelschneider dargestellt hat (die richtig gewendeten formen
werden sich natürlich auf der rückseite des brakteaten zeigen).
Von grofser Wichtigkeit ist, wie wir später sehen werden, das
trennungszeichen (:) an den beiden stellen. Hinsichtlich der runen-
zeichen sind nur das vorletzte und der seitenstrich im 1 etwas un-
deuthch; aber es fehlt eine rune im aiphabet hinter St, die wir jedoch
mit Sicherheit aus den Inschriften und andern alphabeten ergänzen
können, nämlich M. Dafs sich diese rune nicht auf dem brakteaten
findet, wo man gemeint hat, dafs sie von der perle unter der Öse
verdeckt sein könnte, hat Klemming bei Stephens II, s. 536 erklärt.
Sie ist also einfach aus mangel an räum ausgelassen (vgl. weiter
unten), wie wir aus demselben grunde mehrere zeichen in dem
nächsten aiphabet, das wir besprechen werden, ausgelassen finden^).
1) Die acht runen, die sich auf dem brakteaten von Vadstena vor der alphabet-
reihe finden, lese ich mit ßugge (årb. f. nord. oldk. 1871, s. 203) luwatuwa,
was ich jedoch ebenso \\enig wie Bugge befriedigend zu erklären vermag. iVlan
könnte an zwei nameu (a/z-stämme mascul. gen.) oder an einen zusammenge-
setzten mannsnanien denken. Doch glaube ich am ehesten, dafs wenigstens die
vier ersten runen (luwa) keine bestimmte sprachliche bedeutung haben, und
ich halte es nicht lür zufällig, dafs wir in dieser Zusammenstellung dieselben
drei runen (lua) antreffen, deren vorkommen auf andern denkmälern wir oben
(s. 57 f. anm. 5) besprochen haben. Ich nehme daher auch an, dafs ein Zusammen-
hang zwischen dem luwa des brakteaten von Vadstena und dem lawn auf
einem brakteaten von Schonen (Stephens no. 19 = Atlas no. 84) besteht, worauf
dort ohne zweifei laukaR folgt, das ein mannsname sein kann (altn. laukr;
vgl. Bugge in den årb. f. nord. oldk. 1871, s. 200). — Während der brakteat
von Vadstena das ganze aiphabet mit ausnahmt- einer einzigen rune enthält,
finde ich mit C. J. Thomsen (annaler f. nord. oldk. 1855, s. 272) den aufang
III. KAP. B. DAS ÄLTESTE GEMEINGERMAMSCHE RUTiENALPUARET. 77
Die ursprüngliche form der runenreihe auf dem brakteaten von s. 74
Vadslena wird also, wenn wir die runen umwenden und M hinzu-
fügen, folgende:
12 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 IS 19 20 21 22 23 24
Mit dem .,futhark" des brakteaten von Vadslena stimmt voll-
ständig in der anordnung der runen und bis auf ein paar geringere
abweichungen auch in deren formen
2) das aiphabet auf der spange von Charnay.
Da mehrere von den runenzeichen auf dieser spange in den
früheren wiedergaben bei Baudot und Stephens mir zweifelhaft vor-
kamen, wandte ich mich in dieser angelegenheit an herrn E. Beauvois
mit der bitte, die inschrift zu untersuchen. Dieser bitte kam
er auch mit gröfster bereitwiUigkeit nach und sandte mir eine auf
den sorgfältigsten Untersuchungen beruhende Zeichnung der spange;
ehe diese Zeichnung endgültig ausgeführt wurde, sandte ich einen
probeabdruck davon an herrn Beauvois, damit er sich noch einmal
davon (fn|)) auf eiaem brakteateo von Schonen (Stephens no. 26, Atlas no. 103),
Znsammenhang hiermit hat vielleicht auch fun{) auf einem kleinen amulet (?)
von granit, das 1866 bei Valby in der nähe von Kopenhagen gefunden wurde
und früher in meinem besitz war, aber 1575 dem altnordischen museum in
Kopenhagen geschenkt wurde („de ældste nord. runeindskr." s. 23, anm. ];
Stephens II, s. S61). Dafs die runen fünf) auf diesem steine, von dem hier
eine abbilduog in natürlicher gröfse mitgeteilt wird, mit dem rnnenalphabet
in Verbindung ste-
hen köoneo, wird
durch einen stein
von Vermland be-
stätigt.aufdem sich
eben dieselben vier
runen zusammen
mit den ]6 zeichen
der jüngeren runenreihe in der später bekannten anordnung Buden (E. Fernow,
Beskrifning öfver Wermeland, Götheborg 1773, p. 128: Liljegren, Rnn-Urkunder
no. 2003). — Mit diesen darstellungen vom rnneaalphabete oder von teilen des-
selben verdienen nicht nur die verschiedenen darstelinngen des jüogeren runen-
alphabetes, die unten im 2. buche näher besprochen werden, sondern auch ein
in Schonen gefundener messingbrakteat aus dem mittelalter (12. jahrhdt?), dessen
Umschrift das lateinische aiphabet von .\ bis R enthält, womit es aas maugel
an räum endet (Atlas no. 37), verglichen zu werden.
78 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
von deren genauigkeit vergewissern könnte. Mit einer Zuvorkommen-
heit und einem interesse für die sache, wofür ich ihm nicht genug
danken kann, reiste er aus dem grunde nochmals nach Dijon, wo er
im verein mit herrn Baudot jedes einzelne zeichen auf der spange
einer erneuerten sorgfältigen Untersuchung mit der lupe unterwarf
und mit dem probedruck verglich. Diese neue Untersuchung bestätigte
unter anderm aufs schönste meine vermutung bezüglich der 16. rune
im aiphabet, worüber ich geäufsert hatte, dafs sie als „eine verunglückte
form für das gewöhnliche X, welches hier darzustellen offenbar die
absieht des runenritzers gewesen war", aufgefafst werden müfste;
es zeigte sich nämlich, dafs es nicht nur „die absieht" gewesen war,
diese runenform darzustellen, sondern dafs sie sich auch in Wirk-
lichkeit auf der spange befand. Nach diesen wiederholten Unter-
suchungen ist die abbildung der spange taf. III, lig. 2 ausgeführt,
und ich hoffe, dafs diese Zeichnung in bezug auf die runen das
original so genau wie möglich auch in solchen kleinigkeiten, wie dem
gegenseitigen längenverhältnis der Stäbe u. s. w. wiedergibt. Da ich
mich nicht im stande sehe, die eigentliche Inschrift zu deuten und
alle versuche, die man bisher deswegen gemacht hat, als gänzlich
verfehlt ansehen mufs, so werde ich, um wenigstens die diplomatische
grundlage zu sichern, folgende bemerkungen von herrn Beauvois in
bezug auf einzelne zeichen mitteilen, die früher entweder ungenau
wiedergegeben sind oder anlafs zum zweifei geben können :
In der zeile rechts hinter dem trennungszeichen (den drei
punkten) folgt zuerst ein n (nicht das von Stephens wiedergegebene
zeichen), demnächst ^ (beinahe wie die dritte rune im futhark; nur
der unterste nebenstrich geht ein wenig über den obersten hinaus,
aber beginnt nicht wie bei Stephens am fufse des hauptstriches).
Die dritte rune ist V (nicht Y wie bei Baudot und Stephens); in
der vierten ist der querstrich beinahe wagrecht, aber neigt sich doch
ein wenig nach rechts (mufs folglich + n sein). Nach der siebenten
rune folgt ein trennungszeichen, bestehend aus 4 punkten (nicht 5
wie bei Stephens); das letzte zeichen in dieser zeile ist unzweifel-
haft M, obgleich der senkrechte strich rechts nicht vollständig mit
dem übrigen zeichen verbunden ist, was ja auch, wie die Zeichnung
beweist, bei mehreren andern runen vorkommt, und sich aus der
art und weise der einritzung erklärt.
In der zeile links folgen auf das trennungszeichen (4 punkte)
kl, worüber Beauvois nicht blofs bemerkt, dafs sie nicht verbunden
III. KAP. B. DAS ÄLTESTE GEMEI.NGERMA.NISCHE RUiyENALPHABET. 79
sind, sondern ausdrücklich hinzufügt, dafs ,,es klar ist, dafs sie
nicht einen einfachen buchstaben bilden".
Es geht hieraus hervor, dafs die wiedergäbe der Inschrift in
doppelter gröfse, die sich s. 49 in Baudots werke befindet, bis auf
ein paar ausnahmen die einzelnen runenformen ganz richtig und weit
genauer darstellt, als die übrigen bisher veröffentlichten Zeichnungen.
Nach dem, was ich hier über die zeichen der inschrift angeführt
habe, kann kaum ein zweifei darüber bestehen, dafs diese gelesen
werden soll:
u{)fn{)ai ; iddan i kiano
In dem ersten worte mufs mindestens ein vokal ausgelassen sein,
und die bedeutung von k in dem letzten worte ist zweifelhaft (vgl.
unten). Es ist nicht wahrscheinlich, dafs die 3 kleinen runen aut
dem untersten teile der spange rechts und die zwei gröfseren mitten
auf der spange in näherer Verbindung mit der hauptinschrift stehen.
Ich fordere nun gelehrte studiengenossen auf, ihren Scharfsinn daran
zu üben, diese worte zu erklären; denn dafs wir hier wirkliche worte,
nicht eine willkürliche Zusammenstellung von runen ohne sprach-
liche bedeutung haben, scheint offenbar.
Die oberste inschriftzeile auf der spange enthält das runen-
alphabet in folgender form:
y/
hrn)<\pHtiH.|ui^nnpi
Die zeichen sind hier im vergröfserten mafsstabe in genauer
Übereinstimmung mit den formen, die sie in der inschrift
selbst haben, wiedergegeben (vgl. taf. III, fig. 2). Infolge der art, auf
welche die runen eingeritzt sind, stofsen die striche in vielen fällen
nicht völlig zusammen. Die beiden letzten runen (namentlich M,
wovon nur der eine senkrechte stab, sowie die unterste hälfte links
von dem einen querstrich und ein kleines stück des andern senk-
rechten Stabes zu sehen ist) sind durch abnutzung ziemlich undeutlich
geworden; jedoch kann kein zweifei über ihre form bestehen (das
fehlende ist oben durch punkte ausgefüllt). Die 16. rune, welche
dem X, / (s) auf dem brakteaten von Vadstena entspricht, hat auf
den früheren Zeichnungen eine sehr unregelmäfsige gestalt und ist
bedeutend kleiner als die zeichen, die sie umgeben; aber es hat sich,
wie oben bemerkt wurde, gezeigt, dafs hier in der inschrift ein
80 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNEISSCHRIFT.
ziemlich regel mäfsiges X sieht (nur mit etwas getrennten strichen,
wie sonst öfters). Die abweichung der 5. rune (r) von den allgemein
bekannten formen ist ja nur unbedeutend, und dasselbe mufs von
der dritten (/>) gesagt werden, die nur die nebenstriche ziemlich weit
oben an dem hauptstab erhalten hat, aber sich doch deutlich von
der achten rune (w) unterscheidet; eine glücklichere form des p finden
wir dagegen zwei mal in der zeile rechts, und r hat gleichfalls die
regelmäfsige form mitten auf dem untersten teile der spange. — Da
das aiphabet aus mangel an räum mit M abbricht, so fehlen folglich
die vier letzten runen; aber von diesen kommen in der übrigen In-
schrift aufserhalb des alphabetes die beiden letzten in den gewöhn-
lichen formen 5^ und M vor. Gleichfalls befindet sich in der zeile
5. 75. links die form + (= n), während das aiphabet + hat (ebenso wie die
zeile rechts, wo der querstrich jedoch beinahe wagrecht geworden ist).
Es kann nämlich kein zweifei darüber sein, dafs sowohl die vierte rune
in der zeile rechts als auch die dritte in der zeile links n bezeichnen, und
dasselbe gilt von der rune vor S( in der zeile links; dieses zeichen als eine
ungeschickte form der ^-rune (X) aufzufassen, dem widerspricht nämlich
bestimmt sowohl der senkrechte hauptstrich wie die gröfse des neben-
striches, besonders links, — Von den beiden grofsen runen, die für sich
allein mitten auf dem untersten teil der spange stehen, anscheinend ohne
Zusammenhang mit den übrigen, mufs die letztere nach Beauvois' Zeich-
nung notwendig als r, nicht als u, aufgefafst werden; dagegen hat die
erstere eine form, die sich nicht in der runenreihe oder in der übrigen
inschrift wiederfindet, sondern der fc-rune im jüngeren nordischen
alphabete gleicht. Wenn indessen Thorsen (De danske Runerain-
desm. s. 356) annimmt, dafs die beiden gröfseren runen auf der
spange wirklich dem kürzeren nordischen runenalphabet angehören
(also zeichen für k und r oder u sind) und gerade durch ihre gröfse
absichtlich als die wichtigsten im gegensatz zu der übrigen inschrift,
die das andere aiphabet benutzt, hervorgehoben seien, so beruht dies
auf einer auffassung von dem Verhältnis zwischen den beiden runen-
alphabeten, deren unhaltbarkeit ich im folgenden zu beweisen hoffe.
Da sich nämlich K, wie wir unten darthun werden, erst weit später
im Norden aus älteren < durch die mittelform y entwickelt hat,
kann das K der spange von Charnay selbstverständlich nicht das jüngere
nordische zeichen für k sein; sondern wenn diese rune hier die
bedeutung k hat, so mufs sie eine andere form an stelle von < des
alphabetes sein, die ganz unabhängig vom nordischen Kent-
III. KAP. B. DAS ALTESTE GEXEINGERMAMSCHE RDNE.NALPHABET. Sl
wickelt ist, und ich würde dann geneigt sein, auch die mir un-
verständliche rune in der zeile links gleich hinler dem trennungs-
zeichen ebenso aiifzufassen , indem man dadurch, dal^ man dem <
einen senkrechten stab gab, entweder K oder k bildete (zufällig
fiel also die erstere form mit der nordischen, die zweite mit der
altenglischen A--ruue zusammen). Doch ist dies nicht nur äufserst
zweifelhaft, sondern auch höchst unwahrscheinlich, gerade weil wir
im aiphabet selbst < in dieser bedeutung finden. Man könnte auch
darauf verfallen, in Keine vereinfachte form von V zu erbücken
(vgl. |:{ und H in altenglischen alphabeten); aber dieses finde ich
noch unwahrscheinlicher, da nicht blofs der futhark mit der ge-
wöhnlichen form V beginnt, sondern diese gleichfalls in der zeile
rechts steht; und selbst wenn man denken könnte, dafs K dieselbe be-
deutung wie V hätte, wird kaum jemand dasselbe von k annehmen.
Aber diese beiden zeichen (K und k) scheinen notwendig auf die-
selbe weise aufgefafst werden zu müssen. Da somit keine von den
im aiphabet vorkommenden runen zu diesen zeichen pafst, liegt es
natürhch nahe, an eine von den beiden im futhark fehlenden runen,
nämlich die zeichen für l und f? zu denken. Da nun sowohl Y wie
auch k im anfange eines Wortes stehen, können sie selbstverständUch
nicht das zeichen für td sein, und es bleibt somit nur l übrig. Ich halte
es daher auch für überwiegend wahrscheinlich, dafs k hier eine an-
dere form für das ursprüngliche T ist, und dafs K an dessen stelle
treten und neben k gebraucht werden konnte (gerade wie + mit +
wechselt u. s. w.). Dagegen finde ich durchaus keinen grund, k und
Y als neue zeichen für laute anzusehen, die sich im ursprüngUchen
futhark nicht bezeichnet fanden, und die also ihre stelle nach der
24. rune wie in den altenglischen alphabeten gehabt haben müfsten.
Das aiphabet der spange von Charnay hat somit folgende gestalt
gehabt, wenn wir die zeichen, die sich in der Inschrift auTserhalb des s. 76.
futharks finden, in parenthese setzen:
12 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 IT 18 19 20 21 82 23 24
rnKh»^f>(R)<XPN +(+) IH^WXxt^MM(kK?).. (5^M)
Nichts spricht dafür, dafs dieses aiphabet neue zeichen hinter der
ursprünglichen reihe hinzugefügt und also mehr als die 24 runen ent-
halten haben sollte, welche sich auch in dem nordischen futhark
finden. Ånders verhält sich die sache dagegen in dieser beziehung
mit dem
WLMMEB, Die ranenBchiift. 6
82 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNEISSCHRIFT.
3) aiphabet auf dem Themsemesser.
Um möglichst grofse Sicherheit bezüglich der form der runen-
zeichen in dieser Inschrift zu erreichen, wo besonders die 16. rune
(s), die auf Stephens' Zeichnung die form Y hat, mir höchst ver-
dächtig vorkam, wandte ich mich an herrn Gösch in London, der
mit grofser bereitwilligkeit die von mir übersandte vorläufige Zeich-
nung mit dem original im British Museum verglich und jeden
einzelnen buchstaben genau mit der lupe untersuchte. Herr Gösch
schreibt darüber: „Das betrelTende messer (richtiger ein kleines
Schwert) wird auf der etiquette folgendermafsen bezeichnet: 'Anglo-
Saxon scrammasax or sword-knife, inlaid with an Alphabet in
Anglo-Saxon runes, found in the Thames. Purchased 1857'. Der
direktor der altertumssammlung des museums, W. Franks, entdeckte
die Inschrift, die nicht sichtbar war, als das stück, kurz nachdem
es gefunden war, gekauft wurde. Die reinigung wurde von W. Franks
selbst vorgenommen ... Die schriftzeichen sind mit geflochtenem
metalldraht eingelegt, der jetzt eine gelbliche färbe angenommen hat,
wohl durch den firnifs veranlafst, womit das stück überzogen ist, um
es vor dem einflusse der luft zu schützen. Die buchstaben sind im
ganzen vollständig deutlich Was speciell no. 16 anbelangt, so
scheint sie mir ganz deutUch als ein l mit scharfen konturen und
ohne irgend welche spur von einem querstriche dazustehn. Es ist
wahr, dafs sich ein wenig rechts davon, unter T hin, ein sehr kleiner,
etwas hellerer fleck befindet, der als Überrest von einlegung und
folghch als Überrest von einem sonst verschwundenen querstriche ge-
deutet werden könnte ; aber er ist sehr undeutlich, und ähnliche zum
teil viel deutlichere gelbe flecken finden sich an mehreren stellen
zwischen den buchstaben, wo sie nicht so gedeutet werden können.
Jetzt steht dort ganz entschieden nicht P. Eine solche lesung
kann nur conjectur sein." Infolge dessen mufs die s-rune auf dem
Themsemesser also für eine vereinfachte form der gewöhnlichen
altenglischen s-rune H angesehen werden, von der nur der unterste
strich bewahrt ist (wie man umgekehrt im Norden zuweilen ' d. i.
den obersten strich von H, findet; diese und mehrere ähnliche Ver-
einfachungen werden im folgenden näher besprochen werden). Auf
der Zeichnung des Themsemessers tafel III, fig. 3 ist also l für
Stephens' Y eingesetzt.
Das ganze aiphabet hat folgende gestalt:
ni. KAP. B. DAS ALTESTE GEMEINGERMAMSCHE BUNEHALPHABET. 83
1 8 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 87 2«
Wir fioden hier einige abweichungen von den beiden oben be-
sprochenen aipbabeten sowohl in der anordnung wie in der anzahl s.
der runen ^), welche indessen, wie wir nachweisen können, nicht ur-
sprünglich vorhanden gewesen sind. Eine darstelluog des alten alt-
engUschen runenalphabetes ist uns nämlich nicht blofs auf dem Themse-
messer überliefert, sondern auch in mehreren handschriften aus
dem neunten bis elften Jahrhundert, die an verschiedenen stellen so-
wohl in England wie aufserhalb desselben gefunden sind, sich aber
alle ursprünglich dorther schreiben. Diese handschriftlichen alphabete,
welche nicht nur die runenzeichen, sondern auch deren namen und
bedeutung wiedergeben, folgen teils der ursprünglichen anordnung der
runen („futhork"), teils dem lateinischen aiphabet'). Die letzteren
sind natürlich alle jüngere Umstellungen der ersteren und erweitern
in keiner beziehung unsere kenntnis der runenschrift; dagegen sind
mehrere der alphabete in der alten futhorkordnung für uns von
gi'ofser Wichtigkeit bei der beurteilung des runenalphabetes auf dem
Themsemesser. Von diesen alphabeten geben wir deswegen s. 85
die beiden wieder, die aus mehreren gründen als die wichtigsten an-
gesehen werden können, nämlich:
1) das aiphabet, welches dem alten altenglischen runenliede
zu grunde hegt, das eine erklärung der runennamen enthält^), und
^) Die abweichenden raneaformen werden nach and nach im folgenden be-
sprochen werden.
-) Abgedruckt bei G. Hickes, Linguarom Vett. Septentrionalinm Thesaoros,
vol. I (Oxoniæ 1705), s. 135—36; vol. HI (1703), tab. VI (in der fnthork-ordnong),
ibid. tab. II (nach dem lateinischen alpbabet geordnet); W. Grimm, Über deutsche
Runen, Göttingen 1S21, tab. I — III, und Zur Literatur der Runen, Wien 1828
(aus den Wiener Jahrbüchern der Literatur yol. XLIII), s. 1 — 2, 23, 25; J. M.
Kern ble, On Anglo-Saxon Runes in der Archæologia, published by the society of
antiquaries of London, vol. XXVIII, London 1S40, pl. XV— XVI; G. Stephens,
The 01d-?{orthern Rnnic monuments, I, s. 100 — 103 (in der futhork-ordnung),
s. 104 — 114 (in der ordnuog des lateinischen alphabetes); vgl. nachtrage s. 829
— 832. Eine geordnete Übersicht über die zu der zeit bekannten „futhorke" und
alphabete lieferte Liliencron in Zur Runenlehre. Zwei Abhandlungen von
R. V. Liliencron und K. MüllenhoGT. Halle 1852 (ans der Allgemeinen Monats-
schrift frir Wissenschaft und Literatur), s. 8 ff.
3) Hickes, Thesaurus I, s. 135 (nach einer jetzt verlorenen handschrift).
Darnach ist das aiphabet wiedergegeben bei W'. Grimm, deutsche Runen
tab. III no. 1, Kemble pL XVI fig. 11, Stephens I, s. 100 oo. 5; das runen-
6*
84 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
s. 78. 2) das aiphabet in dem oben (s. 71) genannten cod. Salisb.
no. 140^).
In dem ersten dieser alphabete müssen die 4 letzten zeichen
indessen später hinzugefügt sein, da sie nicht im runeniiede genannt
werden, das mit dem verse über ear schliefst. Hinter dem zweiten
alphabete stehen zuletzt in der zweiten reihe die lateinischen vokale
mit nachfolgenden punkten, womit sie sich auch sonst zuweilen be-
zeichnet finden. Eine dritte reihe, die hier ausgelassen ist, enthält
die gotischen buchstaben bis m, wie man auf der Zeichnung bei W.
Grimm sehen kann.
In dem aiphabet des runenliedes entsprechen die ersten 24
zeichen genau dem nordischen alphabet auf dem brakteaten von Vad-
stena, wenn wir in diesem das fehlende M nach S( hinzufügen ;
gleichfalls stimmt die anordnung in diesen beiden alphabeten mit dem
teil des burgundischen alphabetes überein, der sich auf der spange
von Charnay befindet. Nach M haben die altenglischen alphabete und
das runenlied dagegen neue zeichen und namen für solche altenglische
laute hinzugefügt, die später entwickelt sind, oder wegen der Ver-
änderungen, die mit den runennamen vorgegangen waren, nicht
mehr durch die ursprünglichen zeichen ausgedrückt werden konnten :
das runenlied und sein aiphabet haben 5 neue zeichen (für a, æ, y,
io, ea), aber der cod. Salisb. 140 nur 4 (für a, æ, ea''), y). Vergleichen
wir nun das Themsemesser mit diesen alphabeten, so ist es klar,
dafs dessen ^ ^ A ^ gleichfalls die 4 zeichen für die altenglischen
s. 80. laute a, æ, y, ea vorstellen, und wir dürfen gewifs ihre anordnung
in diesem aiphabet als die ursprüngliche ansehen, da auch das runen-
lied und sein aiphabet y vor ea hat. Über den grund, warum
das zeichen ^, das im nordischen und burgundischen aiphabet
lied bei W. Grimm s. 217 ff., Kemble s. 339—45, Grein, Bibliothek der
angelsächs. Poesie II, s. 351—54 (= s 331—337 im I. bande der neuen be-
arbeitung von R. P. VVülcker, Kassel 1883), M. Rieger, Alt- und Angel-
sächisches Lesebuch nebst altfriesischen Stücken mit einem Wörterbuche, Giefsen
1861, s. 136 -3ü.
1) W. Grimm, Zur Literatur der Runen s. 1—2; darnach bei Kemble
pl. XV fig. 7, Stephens I, s. 102 no. 8.
2) So wird die bedeutung von '^ angegeben, während es unrichtig den
namen eor (für ear) bekommen hat. — Auch ein paar andere fehler in diesen
alphabeten sind so augenscheinlich, dafs jeder sie sofort wird berichtigen können:
die /9-rune hat im cod. Salisb. den namen lug statt ing, und im aiphabet des
runenliedes steht bei der m-rune der name an für man.
III. KAP. B. OAS ÄLTESTE GEMEINGERMANISCHE RUNENALPHABET. 85
IA l?F»li
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u :•:
s. 79.
1. Alphabet des alteaglischen rnnealiedes.
2. Alteogliscbes ranenalphabet im cod. Salisb. 140.
86 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
die vierte stelle hat, im altenglischen als bezeichnung für den neuen
laut «e gebraucht wurde, während die vierte rune hier die form ^
erhielt, werden wir später sprechen.
Dagegen zeigt eine vergleichung mit dem aiphabet auf dem brak-
teaten von Vadstena und dem runenliede, dafs die ursprüngliche reihen-
folge in dem aiphabet auf dem Themsemesser an einem einzigen punkte
gestört ist. Von den 24 ursprünglichen runen haben nämlich nur
die ersten 19 dieselbe anordnung wie in den beiden andern alphabeten
bewahrt; während der brakteat nach M
M r O 5^ [M] hat, und das runenlied gleichfalls
M t" ^ 8 ^5 finden wir auf dem Themsemesser
^ M r M t.
Da die bedeutung von ^, t, M klar zu sein scheint (p, l, m), mufs
H eine andere form für M und ^ eine andere für S( sein ^).
Sowohl das brakteatenalphabet, das runenlied wie die handschrift-
lichen altenglischen alphabete setzen es aufser allen zweifei, dafs wir
nicht die ursprüngliche anordnung dieser 5 runen auf dem Themse-
messer haben. Zwar finden wir in dem kürzeren nordischen
aiphabet gleichwie auf dem Themsemesser I, m an stelle von m, 1;
aber dafs diese Umsetzung weit später im Norden vorgenommen ist,
werden wir unten zeigen.
Nur an einem einzigen punkte könnte das Themsemesser viel-
leicht zu einem kleinen zweifei veranlassung geben; da es nämlich
das alte o-zeichen (altengl. æ, é) an der 24. stelle hat, und da wir
gleichfalls im cod. Salisb. 140 und in den andern alten altenglischen
alphabeten mit ausnähme desjenigen des runenliedes S( hinter M
s. 81. finden^), im übrigen aber dieselbe anordnung wie auf dem brakteaten
von Vadstena, so könnte man annehmen, dafs das im brakteatenalphabet
fehlende M eigentlich vor 5^ stehen sollte, und dafs es entweder
vergessen oder, da nur für eine rune platz da war, absichtlich
ausgelassen wäre, man also das letzte zeichen im aiphabet (5^)
^) Es verdient bemerkt zu werden, dafs wir in einem der handschriftlichen
alphabete (bei Stephens I, s. 103 no. 13) die beiden formen ^ und ^ neben ein-
ander, beide mit dem nameo edel, finden. — Ahnliche Veränderungen (Verein-
fachungen) wie bei ^ und ^ zeigt das Themsemesser auch in seinem + und i
im Verhältnis zu dem (|) A und V\ der andern alphabete.
2) Siehe Stephens I, s. 100 no. 4 (wo nach der /-rune f( in, hinc; H d,
dag; X oe, othl folgen, indem die zeichen für f9 und æ unrichtig vertauscht
sind); s. 102 no. 7 & 9; s. 103 no. 10, 13 & 15; s. 829 no. 61; s. »30
no. 62 bis.
III. KAP. B. DAS ALTESTE GEMEI.NGERMAMSCHE RÜNEiSALPHABET. 87
gesetzt, aber das vorletzte (M) aus raumraangel weggelassen hätte. Je-
doch finde ich dies unwahrscheinlich, und der beweis, welcher von dem
The mseni esser hergeholt werden könnte, wird natürlich in hohem grade
dadurch abgeschwächt, dafs die reihenfolge von allen fünf runen hinter
e hier gestört ist, so dafs auch d durch zwei runen von o (æ, é)
getrennt worden ist. Obgleich ich also die reihenfolge M 5^ in den
altengUschen alphabeten für eine spätere Umstellung halte'), die in
dem aiphabet des runenHedes nicht vorgenommen ist, weil das alte
gedieht, woran sich dieses aiphabet knüpfte, die ursprüngUche an-
ordnung bewahrt hatte, sehe ich mich freilich nicht im stande, einen
durchaus entscheidenden beweis dafür zu erbringen, dafs M und nicht
S( an der letzten stelle in dem ursprünglichen alphahete gestanden hat.
Die verhältnismäfsig jungen altenglischen runenin-
sch riften stehen hinsichtlich der formen und der bedeutung der
runen im ganzen genommen auf derselben stufe, \%ie die hand-
schriftlichen alphahete. Ein älterer standpunkt in der entwicklung der
runenschrift in England (ungef. um das jähr 600) wird jedoch durch
eine alte allenglische münze repräsentiert, die sich jetzt im British
Museum befindet (Stephens U, s. 879 und LXVIII f.). Diese münze,
die eine nachbildung von einem solidus des Honorius ist, hat auf der
reversseite eine runeninschrift, die nach ein paar vorzügUchen lack-
abdrücken, welche ich vom British Museum erhalten habe, unzweifelhaft :
zu lesen ist, was mit gewöhnücher altengl. Orthographie durch scå-
nomödu wiedergegeben werden mufs. Dafs die Inschrift eine alt-
englische ist, geht mit Sicherheit aus der speciel! altengl. rune K her-
vor. Die erste rune ^ weicht nur durch den kleinen strich unten
von der gemeingerm. s-rune X ab, welche im altengl. später (wie
im nordischen) die form H bekam; gleichfalls sehe ich die zweite
rune JL als eine mittelform zwischen gemeingerm. < und späterem
altengl. k an (die entwicklung in England war also <JLk, im Norden
dagegen < Y K). Endlich hat Ä in dieser inschrift noch seine ur-
sprüngliche bedeutung o, nicht æ wie sonst in den altengl. inschriften.
Mit dieser alten stufe in der schrift stimmt auch die sprachform
überein. Formell könnte scanomödu natürlich ein frauen-
^) Einen natürlichen grand für diese nmstellang finde ich darin, dafs man
das zeichen für æ, e in unmittelbare Verbindung mit der reihe von vokalen hat
setzen wollen, die im altenglischen alphahete zu dem orspränglichen futhark
hinzugefügt war.
88 ERSTES nUCH. DER URSPRUNG DER RUNEISSCHRIFT.
name sein (= alid. -möda in Adalmöda etc.; vgl. Förslemann, Alld.
Namenbuch, Personenn. sp. 933), der nom. Sgl. eines ö-stammes,
dessen endung nach langer silbe noch nicht wie bei dr (gegenüber
giefu) abgefallen wäre. Aber da ich einen frauennamen an dieser
stelle für äufserst unwahrscheinlich halte, so hege ich keinen zweifei
darüber, dafs scanomödu ein mannsname und nom. sgl. eines
a-stammes (= altengl. -möd; vgl. Heremöd im Beöwulf) ist, wo sich
der Stammauslaut noch als u erhalten hat (entweder geradezu durch
Übergang von a zu u, oder vielleicht eher durch analogie der u- und
der weiblichen ö-stämme).
Die vergleichung zwischen dem nordischen, burgundischen und
den altenglischen runenalphabeten zeigt nun, dafs das ursprüng-
liche gemeingermanische aiphabet 24 zeichen enthalten
hat in der anordnung, wie wir sie auf dem brakteaten
von Vadstena finden, und wahrscheinlich mit dem darauf
fehlenden M hinter S^.
Die bedeutung der einzelnen zeichen in der runenreihe auf
dem brakteaten von Vadstena (der spange von Charnay und dem
Themsemesser) ist zum gröfsten teile klar, teils durch vergleichung
mit den handschriftlichen altenglischen alphabeten, wo die bedeutung
und die namen der runen hinzugefügt sind, teils und ^vornehmlich
durch die bedeutung, welche die zeichen in den aus der älteren und
mittleren eisenzeit überlieferten inschriften selbst aufweisen. Indessen
82. enthält der „futhark" auf dem brakteaten ein paar runen, die wir auf
den denkmälern, deren inschriften zu deuten geglückt ist, nicht nach-
weisen können (dafs die brakteateninschriften zum gröfsten teile uner-
klärbar sind, liegt in verschiedenen besonderen Verhältnissen begründet).
Aus den nordischen runeninschriften können wir nämlich
folgendes aiphabet und folgende hauptformen der runen aufstellen,
die wir nach der alten reihenfolge auf dem brakteaten (und in den
andern alphabeten) ordnen:
1234567 8
1. r n t^|> F: KR < X PP :
f
U
{>
a
r
k
§
W
9
10
11
12
13
14
15
16
HH
+ +
1
"
••
••
Y(>k)
n
h
n
i
R
s
17
18
19
20
21
22
23
24
t
^B
M
MH
r
^'O'
S^
MDO
t
b
e
m
1
D
0
(t
Hl.
KAP. C. VBRHÄLTN. Zu D. ALTEN ALPHABET. ABSTAMMUNG V. LAT. ALPH. 89
Mehrere andere unwesentlichere modificationen in diesen formen
werden später angeführt werden. (Dafs X, ^, M ursprünghch spi-
ranten bezeichneten, und nicht, wie bisher allgemein angenommen,
mutæ, wird unten näher nachgewiesen werden.)
Von den zeichen, welche im futhark auf dem brakteaten vor-
kommen, fehlen somit in unsern inschriften die drei, die auf dem
brakteaten die form ^, 't-, ^ haben, und deren bedeulung in den
altenglischen alphabeten alsj, eo (I), p angegeben wird. Wir werden
unten diese zeichen und den grund dafür, dafs sie sich nicht in den
inschriften finden, des näheren besprechen. Hier bemerken wir nur,
dafs der platz dieser drei runen neben einander in den alphabeten
nicht in der geringsten Verbindung mit dem umstände sieht, dafs sie
sich nicht in unsern inschriften nachweisen lassen.
C. Das Verhältnis der runenschrift zu den übrigen alten alphabeten.
Ihre abstammung vom lateinischen aiphabet.
Betrachten wir nun die runenzeichen und ihre be-
deutung, so wird die Übereinstimmung mit den alten
südeuropäischen alphabeten sofort an vielen punkten
in die äugen fallen. Es ist wohl kaum jemand, der es für
zufällig halten wird, dafs die runen R, <, H, I, ^, ^ so gut wie
gänzlich den lateinischen und zum teil den griechischen buchstaben s. S3.
mit derselben bedeutung entsprechen. Aber auf der andern seite
scheinen allerdings einzelne runenzeichen nicht die geringste ähnlichkeit
mit irgend einem andern bekannten alphabete aufzuweisen. Können
wir da die runenschrift von einem oder von mehreren der südeuro-
päischen alphabete ableiten, oder weist sie nicht eher, wie man oft
behauptet hat, auf eine mit diesen alphabeten gemeinsame quelle
zuiück? Diese frage ist in wirküchkeit sehr leicht zu beantworten,
da die vielbesprochene „gemeinsame quelle" keineswegs so unbe-
kannt ist, wie man anzunehmen scheint. Nach dem, was im vorher-
gehenden nachgewiesen ist, wissen wir, dafs das griechische aiphabet
vom phönicischen entlehnt ist, und dafs die italischen alphabete
wiederum vom griechischen ausgehen. Stellte die sache sich nun so,
dals wir das griechische aiphabet erst aus einer so späten zeit
kannten, dafs es in vielen punkten als von seinem phönicischen vor-
bilde abgewichen und selbständig entwickelt angesehen werden
90 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
müfste, und wäre dasselbe mit dem phönicischen alphabete der fall,
so liefse sich ganz gewifs ein ursprüngliches semitisches grundal-
phabet denken, woraus sowohl das phönicische, das griechische wie
das runenalphabet (aufser vielen andern) hervorgegangen sein könnten,
worauf sie sich im laufe der zeit, jedes auf seine weise, entwickelt
hätten, bis sie zu der form gekommep wären, worin wir sie kennen.
Das grundalphabet könnte dagegen verloren sein, und es bliebe die
aufgäbe der Wissenschaft, mit der gröfstmöglichen genauigkeit auf
dieses aiphabet zurückzuschliefsen und es mit hülfe aller jüngeren
abgeleiteten formen zu rekonstruieren. Das Verhältnis könnte also ein
gleiches sein wie z. b. zwischen dem altenglischen und dem jüngeren
nordischen runenalphabete, die beide aus einer gemeinschaftlichen
quelle abgeleitet sein müssen, von der sie sich später auf sehr ver-
schiedene weise entfernt haben. Ein solcher gedanke mufs, jedenfalls
dunkel, denen vorgeschwebt haben, die das griechische und das
runenalphabet aus einer gemeinsamen, unbekannten quelle ableiten.
Aber dieser ganze gedanke beruht auf durchaus unrichtigen Vorstellungen
von der entwicklungsgeschichte des griechischen alphabeles. Wir
kennen dieses aiphabet nämlich nicht nur in vielen jüngeren abge-
leiteten formen, sondern wir finden es auch (namentlich in den In-
schriften von Thera) in einer gestalt vor, die so altertümhch ist, dafs
s. 84. sie fast in allen beziehungen für das griechische grundalphabet gelten
kann, und wir finden gleichfalls das altsemitische aiphabet (auf der
moabitischen säule) in einer form, worin es als das grundalphabet
sowohl für das griechische wie für die übrigen alten semitischen
alphabete in allem wesentlichen betrachtet werden kann. Wir vermögen
mit hülfe der buchstabenformen in den alten semitischen, griechischen
und italischen Inschriften fast mit mathematischer genauigkeit ein
phönicisches, griechisches und italisches grundalphabet zu konstruieren
und die weitere entwicklung dieser alphabete nachzuweisen.
Aber hiermit ist es nun zugleich mit notwendigkeit gegeben,
wo die quelle gesucht werden mufs, woraus man sich sowohl das
griechische, oder im ganzen genommen die alten südeuropäischen
alphabete, als auch die runenschrift hervorgegangen gedacht hat. Ist
die runenschrift nämlich nicht unmittelbar mit diesen alphabeten '
verwandt, sondern aus einer älteren gemeinsamen quelle entsprungen,
so kann diese quelle nur das phönicische, oder richtiger
das altsemitische aiphabet sein, dessen älteste gestalt
wir auf der moabitischen säule finden
III. KAP. C. VERHÄLTN. ZU D. ALTEN ALPHABET. ABSTAHNU>G V. LAT. ALPH. 91
Selbst der flüchtigste blick überzeugt uns indessen davon, dafs
die runenschrift keine unmittelbare berührung mit diesem alpha-
bete haben kann, sondern gerade auf die südeuropäischen alphabete
hinweist; man vergleiche aufser mehreren andern formen, die wir unten
näher besprechen werden, z. b. :
moab.-sidon.:
6
59
3
r
1<\
griechisch:
ß
B
h, ri
Q
PP
6
h
i
r
etruskisch:
-
B
9a
oskisch-umbr.
faliskisch:
lateinisch:
B
B O
B H
H
1
a
R
runen:
^
H
1
K
Man wird vielleicht einwenden, dafs das ruoen-H ebenso gut un- s. 85.
mittelbar aus dem semitischen ÄV^Ä-zeichen wie aus dem griechisch-
lateinischen H entwickelt sein kann, besonders da die form H auf der
spange von Charnay und in den altenglischen alphabelen genau mit
dem moabitischen zeichen übereinstimmt; aber da die nordischen In-
schriften ohne ausnähme H H haben, da H sich gleichfalls auf dem
Bukarester ringe Ondet, und da die bedeutung h eher auf griechisch-
lateinisches, als auf semitisches Kelh zurückweist, so raufs die ähn-
lichkeit zwischen moabitischem W und dem burgundischen und alt-
englischen h-zeichen als ganz zufällig angesehen werden; die älteste
runenform für h müssen wir am ehesten im nordischen H H und in
dem H des Bukarester ringes suchen. Was man mit einem scheine
von recht gegen die zurückführung des runen-H auf griechisch-
lateinisches H anstatt auf altsemitisches |!J einwenden könnte, kann
hingegen nicht bezüglich der formen ^ 1 R angeführt werden. Man
darf es gewifs nicht blofs als höchst unwahrscheinlich, sondern als
durchaus unglaublich bezeichnen, daüs die runenschrift und die
griechisch-lateinische schrift unabhängig von einander die ursprüng-
lichen (semitischen) formen dieser drei zeichen verändert haben und
doch zuletzt zu demselben resultat gekommen sein sollten. Hierzu
kommt noch weiter, dafs dieselbe merkwürdige Übereinstimmung
zwischen diesen alphabeten sich auch bezügUch der wähl eines von
den semitischen Zischlauten zum ausdruck des s-lautes geltend ge-
92 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
macht hatte. Gleichwie die griechischen alphabete niemals das zeichen
für sämekh in dieser bedeutung benutzt zu haben scheinen, sondern
eine zeit lang zwischen den zeichen für säde und sin schwankten,
von denen endlich das letztere alleinherrschend wurde (^ C) und aus-
schliefslich im lateinischen alphabete gebraucht wird {[€\ / S), so
finden wir auch in der runenschrift nur dieses zeichen für s (^ und
verschiedene Veränderungen hiervon wie im griechischen und latei-
nischen). Ich nehme nicht an, dafs jemand im ernste behaupten
wird, dafs nicht nur die runen ^ I 1^ unabhängig von den grie-
chisch-lateinischen buchstaben durch ein merkwürdiges zusammen-
treffen dieselben formen wie diese angenommen, sondern dafs auch
alle diese alphabete von den drei (oder richtiger vier) semitischen
Zischlauten durch einen zufall denselben zur bezeichnung ihres
s-lautes gewählt und auf dieselbe weise umgebildet haben. Wer
dessenungeachtet an dem unmittelbaren semitischen Ursprünge der
86. runenschrift festhalten will, ist auf jeden fall genötigt, eine spätere Um-
bildung von einem teil der runenzeichen vorauszusetzen, wodurch sie die-
selbe form wie die griechischen und lateinischen buchstaben angenommen.
Diese ansieht ist nun auch von verschiedenen gelehrten vorgebracht
worden, welche uns jedoch noch den beweis für deren richtigkeit
schuldig sind; und dieser beweis würde ja am leichtesten durch den
nachweis eines denkmals mit der ursprünglichen, vom griechischen
und lateinischen unbeeinflufsten runenschrift geführt werden können.
Aber eine solche seh rift ist niemals dagewesen; es ist nämlich
keineswegs ausreichend für die, welche dieser ansieht huldigen, die
an und für sich mögliche, aber wenig glaubliche behauptung aufzu-
stellen, dafs die mit dem griechischen und lateinischen u. s. w. über-
einstimmenden runen erst später diese gestalt angenommen haben.
Selbst wenn wir dies einräumen könnten, so hat man unglücklicher-
weise noch die allermerkwürdigste Übereinstimmung zwischen der
runenschrift und den südeuropäischen alphabeten vergessen, wodurch
sie sich alle von dem altsemitischen unterscheiden. Von den se-
mitischen gutturalen müfste nämhch die runenschrift das Kélh
zur bezeichnung von h, aber aleph, he und ajin zur bezeich-
nung der vokale a, e und o (^, M, ^), gerade wie das
älteste griechische und deshalb auch die italischen
alphabete gewählt haben. Sie müfste gleichfalls in Überein-
stimmung mit dem griechischen u. s. w. den halbvokal jöd zur
bezeichnung des vokals i (I) gewählt haben, obgleich wir in der
hl. KAP. C. VERBALT?«. ZU D. ALTEN ALPHABET. ABSTAMMUNG V. LAT. ALPH. 93
runenschi'ifl gerade im gegensatze zum griechischen u. s. w. zeichen
sowohl für j als auch für i linden. Endlich müfste der semitische
halbrokal wäw, der nach dem, was wir oben gezeigt haben, sich
im griechischen in die beiden zeichen F w und Y » spaltete, die
sich im etruskischen , umbrischen und oskischen in derselben be-
deutung wiederOnden, aber im lateinischen F f und V u, w wurden,
auch in der runenschrift in den beiden formen r f und n n auf-
treten !
Also: 1) die vier altsemitischen gutturale und die beiden
halb vokale jöd und wäw genau in derselben weise wie in den
südeuropäischen alphabeten, mit einer von der ursprünglichen se-
mitischen wesentlich verschiedenen bedeutung angewandt : 2) der
s-Iaut durch dasselbe zeichen wie im griechischen u. s. w. ausge-
drückt, obgleich man drei (oder vier) zur auswahl hatte; 3) eine
menge runenformen genau mit den griechischen und lateinischen
zeichen übereinstimmend, welche dieselbe bedeutung haben, aber s. 87.
gänzlich von den semitischen abweichend — alles dieses mufs man
wohl ha uptp unkte nennen, worin die runenschrift sowohl in
der form wie in der bedeutung der zeichen vom phönicischen (alt-
semitischen) alphabete abweicht, aber mit den südeuropäischen über-
einstimmt.
Ich füge hinzu: überall, wo die ähnlichkeit zwischen der runen-
schrift und andern alphabeten hervortritt, ist es die griechisch-
itahsche schrift, welche vergleichungspunkte darbietet; wo sich
keine ähnlichkeit mit der griechisch-italischen zeigt, ist
auch keine spur davon mit der semitischen vorhanden.
Hiermit hoffe ich denn ein für allemal vollständig die ansieht
derer zurückgewiesen zu haben, welche die runenschrift unmittelbar
vom phönicischen oder altsemitischen alphabete haben herleiten
wollen, und damit zugleich die meinung derjenigen, die sie zu einer
mit den südeuropäischen alphabeten „gemeinsamen quelle" haben hin-
führen wollen; denn in Wirklichkeit kann die letztere ansieht keine
andere bedeutung haben als die erstere, trotzdem dieses kaum einem
einzigen von den forschem, welche sie ausgesprochen haben, klar
gewesen sein dürfte.
Wenn wir also genötigt werden, jeden gedanken an die unmittel-
bare Verwandtschaft der runenschrift mit dem altsemitischen alphabete
aufzugeben, dagegen aber die auffallende ähnlichkeit mit der griechisch-
italischen schrift nicht abweisen können, so folgt daraus natürlich
94 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
zugleicti, dafs die runenschrift weder mit den germanischen Völkern
— oder speciell mit den bewohnern des Nordens, was man ja auch
hat behaupten wollen — aus ihrer ursprünglichen heimat in Asien
mitgebracht sein, noch dafs sie sich (so Dietrichs und vieler anderer
meinung) auf eine eigentümliche weise aus einer ursprünglichen
bilderschrift entwickelt haben kann. Im letzteren falle müfste man
nämlich wieder, um die auffallende ähnUchkeit zwischen einzelnen
runen und den entsprechenden griechischen und lateinischen zeichen zu
erklären, zu der ausrede seine Zuflucht nehmen, dafs die ursprüng-
liche bilderschrift später nach dem griechischen und lateinischen um-
gebildet worden wäre. Ich werde nicht hierbei verweilen, da diese
ganze Vorstellung von der entwicklung der runen aus einer bilder-
schrift auf die wildesten phantasien gebaut ist, worüber eine be-
merkung hinzuzufügen wir später gelegenheit erhalten werden.
Um den Ursprung der runenschrift zu finden, müssen
wir uns also zu den alten südeuropäischen alphabeten
wenden, und hier scheinen schon ein paar der oben (s. 91) be-
sprochenen runenformen, nämlich K und H mit der bedeutung h,
besonders auf das lateinische aiphabet hinzuweisen, trotzdem sie
natürlich keinen sicheren beweis abgeben, da R und H (jedoch
meistens mit der bedeutung ij) auch in verschiedenen griechischen
alphabeten vorkommen. Dafs wir indessen das vorbild für die
runen weder in einem griechischen alphabele, noch in
einem der alten nicht-lateinischen alphabete Italiens
suchen können, sondern zu dem ausschliefslich latei-
nischen gehen müssen, zeigt die bedeutung und zum teil
die form verschiedener anderer runenzeichen.
Den stärksten und, wie ich mit Kirchhoff^) glaube, an und für
sich durchaus entscheidenden beweis für die abstammung der runen-
schrift vom lateinischen alphabete liefert das erste zeichen in der
runenreihe, nämlich T mit der bedeutung f. Man hat diese
rune oft mit griechischem F {ßccVj diyafifia), latein. F, verglichen,
und es kann kein zweifei darüber sein, dafs es dasselbe zeichen ist,
was wir des weiteren unten beweisen werden; aber nur das runen-
alphabet und das lateinische aiphabet gebraucht dieses
zeichen mit der eigentümlichen bedeutung f. Dagegen hat
F im griechischen die bedeutung des halbvokals w, und dieselbe be-
1) Das gothische ranenalphabet, 2. auf!., s. 4 ff.
III. KAP. C. VERHÄLT^. ZV D. ALTES ALPHABET. ABSTAMMUNG V. LAT. ALPH. 95
deutung ist an die entsprechenden zeichen in den italischen alphabeten
(etruskisch, umbrisch, oskisch) geknüpft, ausgenommen gerade das
lateinische^), welches statt dessen V (ti) sowohl für den vokal u wie
für den halbvokal ir gebraucht, während die übrigen italischen alpha-
bete, welche F (zum teil in etwas modificierter gestalt) nur in der s. 89.
ursprünglichen bedeutung w haben, für den laut f das neue zeichen
$ 8 bildeten.
Zu der Übereinstimmung, die wir in form und bedeutung
zwischen der rune T und lateinischem F finden, kommt ferner das
runenzeichen < mit der bedeutung k dem lateinischen < C)
entsprechend, während das griechische und oskische das ent-
sprechende zeichen in der urspünglichen bedeutung g anwenden, und
das umbrische diesen buchstaben gänzUch aufgegeben hat, indem >j hier
sowohl k wie g bezeichnet. Allerdings gebraucht das etruskische auch
in der regel D in der bedeutung k (und ohne zweifei zugleich g);
aber in der nordetruskischen schrift ist ^ durchaus unbekannt, und
nur >| wird wie im umbrischen gebraucht. Aufserdem steht das
etruskische aiphabet in andern wesentlichen punkten zu
fern, als dafs vom Ursprung der runenschrift aus dem-
selben die rede sein könnte, was gleichfalls hinsichtlich
des umbrischen und oskischen gilt'). Während wir nämhch
in diesen alphabeten für h und r die formen G O, ^ Q finden, hat
das lateinische die den runen entsprechenden zeichen. Weit wich-
I) Es gibt jedoch éia italisches aiphabet, das in dieser hinsieht mit dem
lateinischen übereinstimmt, nämlich das faliskische; aber da f dort die
eigentümliche form ^ angenommen hat, weil p das zeichen für s geworden
war (vgl. s. 55 mit anm. 1), und da dem faliskischeo aiphabet aafserdem das
zeichen ß (^) gänzlich fehlt, welches sich in der ranenscbrift in der lateinischen
form findet, so kann es keinen einflafs auf die bildung der runenschrift gehabt
haben, was ja auch ans historischen gründen höchst unwahrscheinlich sein würde.
-) Dafs < in der runenschrift dnrchgehends kleiner als die andern bnch-
staben ist, mnfs als ganz unwesentlich angesehen werden und hat wohl nur
seinen gruod darin, dafs die kürzere form für leichter und einfacher gehalten
wurde; etwas ähnliches begegnet uns aufserdem bei ein paar andern runen-
zeichen, und es hat ja auch eine analogie in der o -form der älteren alphabete,
die ganz allgemein kleiner ist als die der andern bnchstaben.
^) Dasselbe ist der fall mit dem zu dieser grnppe gehörigen sabellischen
alphabete, das dieselbe (/-form wie das oskische gebraucht nnd wie dieses das o
durch ein aus u gebildetes zeichen ausdrückt; für r und für den zischlant
finden sich die aus dem etruskischen bekannten formen, und h ist w, während
die eigentümlichen zeichen Q] und ^ / auszudrücken scheinen.
96
ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
90,
tiger ist jedoch folgendes: dem etruskischen fehlen sowohl im süden
als auch im norden die ursprünglichen zeichen für b und d; das
umhrische und das oskische haben dagegen 9, aber d mangelt eben-
falls im umbrischen und hat im oskischen die eigentümliche form
J|. Nur das lateinische hat beide zeichen in denselben formen, die
wir in dem ^ und V (mit der bedeutung p) der runenschrift wieder
erkennen, worüber unten mehr; diese letztere rune läfst sich dagegen
nicht vom griechischen ^ (® O) herleiten, das auch im etruskischen
bewahrt ist.
Die besondere Verwandtschaft der runenschrift mit
dem lateinischen alphabe te wird nun deutlich durch folgende
Zusammenstellungen hervortreten :
griechisch:
BH
r
PR
b
B
d
AD
9
rc
w
F
etruskisch:
h
B
Sa
-
-
Kg
:>
w
w
f
umbrisch:
O
Q
9
-
-
^
$ 8
oskisch:
B
a
9
n
9
>
w
nordetr.:
M
a
-
-
-
T
f
faliskisch:
BH
^
Q
1c, 9
f
t
lateinisch:
H
R
B
D
fr (5)
C
f
F
runen:
H
R
^
P
k
<
f
Es kann noch hinzu gefügt werden, dafs sowohl das lateinische
wie die runen nur die aus dem ursprünglichen sin entstandene s-form
(/ S) kennen, während die alten griechischen, das etruskische und
umhrische aiphabet auch das dem ursprünglichen särfe entsprechende
M haben. Gleichfalls haben das allgemeine etruskische, das urabrische
und oskische das griechisch-lateinische o-zeichen O aufgegeben, das
in der runenschrift zu ^ wurde.
Schon ein paar der hier genannten runenzeichen, namentlich V,
zeigen jedoch eine abvveichung von den entsprechenden lateinischen
zeichen, was auf den ersten blick vielleicht sonderbar erscheinen
kann, sich aber nichts desto weniger als in genauer Übereinstimmung
III. KAP. C. VERHÄLTW. ZD D. ALTEN ALPHABET, ABSTAMMUNG ▼. LAT. ALPH. 97
mit dem ganzen wesen der runenschrift stehend erweist. Wir
müssen deswegen einen augenblick bei der Ursache dieser ab-
weichungen verweilen, weil sie uns den Schlüssel zur erklärung der
formen gibt, die viele runenzeichen angenommen haben.
Nach dem übereinstimmenden zeugnis von Venantius Fortunatus
und Saxo, das wir früher (s. 68 f. und 70) angeführt haben, das auch
durch viele andere thatsachen aus einer späteren zeit erhärtet wird, s. 91.
können wir nicht daran zweifeln, dafs die runen von anfang an
namentlich zum einritzen auf dünne holztafeln — celebre quondam
genus chartarum, wie Saxo sagt — benutzt wurden ^). Aber es ist
selbstverständlich, dafs die form der schrift zum teil von dem ma-
terial bedingt wird, worauf man sie anwendet. Zur einritzung in
holz sind namentlich senkrechte linien zweckmäfsig^ wogegen die
wagerechten leicht undeutlich werden; auch die runden formen lassen
sich sehr schwer darstellen. Es liegt deswegen nahe, in einer schrift,
deren hauptbestimmung es war, auf holz angewandt zu werden, so
weil wie möglich überall gerade linien zu wählen, die eine
senkrechte oder schräge richtung hatten. Und dieses princip
hat die runenschrift in ihrer ursprünglichen gestalt in seiner ganzen
strenge durchgeführt^); hierauf deutet auch die alte benennung der s. 92.
^) Wegen der bescbaffeoheit des materials waren diese holztafeln natür-
licherweise leicht der Zerstörung aasgesetzt, and kein solches deokmal ist auf
die gegenwart gekommen. Einzelne Inschriften aaf holz mit älteren rnnen
sind jedoch aus unsern mooren hervorgezogen, so die runenpfeile aus dem
?iydamer moor, der hobel aas dem Vier moor, der lanzenschaft and ein paar andere
kleinigkeiten ans dem Kragehaler moor. Ein raneostal» ist bei Frøslev in der
nähe von Flensburg gefunden (Thorsen, De danske Runemindesm. I, s. 233 und 243 ff.,
wo jedoch weder die abbildaog noch die erläuterungen der einzelnen zeichen
correct sind. Das original, das unzweifelhaft ein brnchstäck ist, dessen schlufs
fehlt, befindet sich jetzt im museum zu Kiel, wo ich es untersucht habe; die
drei letzten runen scheinen sicher als f I Y gelesen werden zu müssen , und
hiernach ein treonungszeichen, was darauf hindeutet, dafs wir ein denkmal mit
älteren rnnen vor ans haben). Zwei holzstäbe mit ranen (ungefähr aas dem jähre
1200), die früher in der kirchthüre zu Vinje in Telemarken gesessen hatten
(Antiqvariske Annaler I, 1S12, Ufel IV, fig. 1—2 und s. 247 ff.; S. ß ugge in
den Forhandlinger i Videnskabs-Selskabet i Christiania for 1S64, s. 216 f.),
wurden 1867 von dem altnordischen museum in Kopenhagen an das museum in
Kristiania abgegeben.
-) Bereits Bredsdorff hat mit grofser schärfe diese eigentämlichkeit bei
der runenschrift hervorgehoben. Indem er Worms ansieht über die abstammung
der runen von den hebräischen buchstaben bekämpft, fährt er fort (Om Rune-
skriftens Oprind, s. 8): „Dagegen kano der Übergang von dem griechischen und
WIMMEEl, Die rimenselirift. 7
98 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT,
runenzeichen: „Stäbe", und dasselbe geht deutlich aus den In-
schriften auf holz und metall aus der älteren eisenzeit hervor, die
zum grofsen teile älter sein müssen als die in Norwegen und
Schweden gefundenen inschriften auf stein. Trotzdem das metall
nämlich sehr gut wagerechte linien nicht nur gestattete, sondern
ganz besonders dafür geeignet sein niufste, linden wir sie auch hier
s. 93. nur als ausnähme angewandt^); sonst sind die wagerechten
lateinischen aipbabete zum runenalphabet leicht aus der in älteren zeiten im
Norden üblichen Schreibweise erklärt werden. Wohl sind nämlich die meisten
jetzt vorhandenen denkniäler mit runenschrift von stein, aber es ist bekannt,
dafs es die gewöhnliche Schreibweise war, die runeu in längliche bretter oder stäbe
einzuschneiden. Jeder, der diese art und weise einzuschneiden versucht hat,
w ird gefunden haben, 1) dals horizontale striche schwer anzubringen sind, weil sie
mit den holzadern parallel geben, und deshalb teils nicht recht kenntlich werden,
teils nicht ausgeführt werden können, ohne dafs ein ganzer splitter von dem
holze abgeht, weswegen man sie gerne vermeidet und schräge striche an ihrer
stelle gebraucht; 2) dals senkrechte linien am allerleichtesten zu machen sind;
3) dafs auch krumme linien schwierig sind, und dafs man deshalb gern ge-
brochene gerade an deren stelle wählt; 4) dafs die arbeit etwas beschwerlich
ist, weswegen man leicht geneigt sein kann, einen strich statt zweier zu
schreiben". Ich habe hier um so mehr diese äufserungen des scharfsinnigen
dänischen gelehrten hervorziehen wollen, als seine abhandlung wegen des un-
glücklichen Versuches, die runen von dem VVulfilanischeu alphabete abzuleiten
von den meisten gewifs als wertlos angesehen wird. Dies ist so wenig der fall,
dafs ich gerade im gegenteil zu behaupten wage, dafs nur die mangelhafte kennt-
nis, die man noch zu jener zeit von der ältesten gestalt der runenschrift hatte,
ihn in der hauptsache fehl greifen liels. Sonst wäre er mehr als irgend ein
anderer im stande gewesen, klarheit in diese frage zu bringen. Es ist eine
pflicht, dies dem manne gegenüber hervorzuheben, welcher zum ersten male mit
glück die Inschrift des goldenen hornes zu deuten und ihre spräche zu be-
stimmen suchte (siehe „de ældste nord, runeindskrifter" in den årbøger f. nord.
oldk. 1867, s. 34f. ; s. 57 f) und dadurch einen sicheren grund für spätere
forschungen legte.
Auch Kirchhoff hat, gewifs ohne Bredsdortt's hier genannte abhandlung zu
kennen, auf dieselben charakteristischen eigenheiten bei der runenschrift auf-
merksam gemacht (Das gothische runenalphabet, 2. auf]., s. 3).
1) T" und n für ^ (<) und ^ (rt) auf dem speerblatt von Kovel, (~j für
f*1 (e) auf der zwinge aus dem Thorsbjærger moor und (ohne zweifei in der-
selben bedeutung, kaum als [) u) auf dem Sträruper diadem (siehe „den histor.
sprogforskn. og modersmålet" s. 42 — 43 auui. = årh. f. nord, oldk. 1868,
s, 298—99 anm.), R als binderune für [~| M (<"") gleichfalls auf der zwinge
aus dem Thorsbjærger moor. Endlich hat auch die j -rune auf dem Themse-
messer die ungewöhnliche form -f- mit wagerechtem strich und die A-rune auf
dem ßukarester ringe einen geraden querslrich (H) anstatt der schrägen (^H, H).
III.
KAP. C. VERHÄLTPC. ZD D. ALTEN ALPHABET. ABSTAMMüItG V. LAT. ALPH. 99
Striche von den ältesten bis auf die jüngsten zeiten aus
der runenschrift verbannt gewesen.
Dafs man auch anstatt der runden ursprünglicli gebrochene gerade
linien anwandte, geht gleichfalls deulhch aus den alten inschriften
auf holz und nietall hervor, wo wir meistens ^ {p); R (r); P (w);
/X' ^ I i*)5 ^ (ß); M {m); M {d) mit den scharfen kanten finden,
während diese zeichen später in den Steininschriften in der regel
eine stärkere oder geringere rundung annehmen ; t>: R; P; ? und S (der
Bergaer stein), \ (der Tanumer stein), \ und ] (der Krogstader stein);
B; M; M. Dieselbe beobachtung kann bei noch mehreren runenformen
(m, », o) gemacht werden.
Der umstand, dafs man in der runenschrift ursprünglich die
wagerechten und runden linien vermied, erklärt nicht nur vollständig
die abweichungen, die sich zwischen einzelnen runenzeichen und den
entsprechenden lateinischen buchstabenformen finden, sondern zeigt
zugleich, dafs wir das vorbild für die runenschrift nicht
in den älteren kantigen lateinischen buchstaben zu
suchen brauchen, sondern dafs die späteren abgerun-
deten lateinischen formen dasselbe ergebnis liefern
mufsten: die runenzeichen für k und s, < und ^, entsprechen nicht
allein genau den altlateinischen formen < und /, sondern mufsten auch
mit notwendigkeit aus den jüngeren lateinischen C und S hervorgehen.
Ebenfalls läge die a-rune ^ der altlateinischen form A nahe : man hätte
den hauptstab senkrecht gemacht; aber auch das jüngere A mufste
in der runenschrift die form ^ annehmen^). Eine notwendige folge
hiervon war es, dafs lateinisches F in der runenschrift JT wurde,
indem die seitenstriche ein wenig heruntergerückt wurden, damit
Auch in den nordischen steinioscbriften können die schrägen nebeostriche be-
sonders in H H (^) on<l "t "f (") sich zuweilen der vsagerechten Stellung
nähern, was jedoch als eine reine Zufälligkeit angesehen werden moTs (so |/|
und beide 4'~rQnen auf dem stein von Tanum ond noch mehr die beiden ^-
runen anf dem steine von Strand, während die dritte die form m hat, wie die
beiden •f'i'onen einen schrägen strich haben j.
^) Es ist dagegen rein zufällig, wenn a in der nordetraskisehen (and
der daraus entlehnten gallischen) schrift zuweilen grofse ähnlichkeit mit der
a-rune bekommen bat; denn nordetruskisches (gallisches) ^ (in der bedeutung
a) ist nur eine variation der a-form /^, wo die nebenstriche nicht ganz her-
unter geführt sind ; im übrigen ist nordetruskisches y^ gewifs nur eine jüngere
offene form des anch vorkommenden A und zeigt eine dem lateinischen parallele
entwicklung, wo wir gleichfalls in der ältesten zeit y\ und (das daraus ent-
standene) ^ finden.
7»
100 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
dieses zeichen nicht mit F^ (a) zusammenfalle. Eine form f war un-
brauchbar, da die runenschrift auch den grundsatz durchgeführt hat
s. 94. niemals die beistriche sich über den senkrechten stab
erheben oder unter denselben gehen zu lassen.
Nach diesen bemerkungen gehen wir dazu über im einzelnen
die entwicklung der runen aus der lateinischen schrift nachzuweisen.
Der Übersichtlichkeit halber beginnen wir damit die lateinischen
buchstaben und die daraus entstandenen runen nebeneinander zu
stellen. Da wir im vorhergehenden gesehen haben, dafs die runen-
schrift in folge ihrer natur sowohl von den älteren eckigen wie von
den jüngeren abgerundeten lateinischen formen hergeleitet werden
kann, so verzeichnen wir sie beide:
Lateinisch:
a A A A A A A
b ^ B
k (S) < C C
d >D
e <<^$E\\
f ^ /- F 1«
g OG
h H
I, j II
k KK
1 PkL
m (AA^ W) M A\
n /VV^N
o OO
p rp P
q ?QQQ
r RR P R
s (^ 5) ; X S
t OT
«, w \| V
X X
[y] Y
[z] z .
s 95. Von den 24 runen haben wir somit für 16 entsprechende
zeichen im lateinischen alphabete finden zu können geglaubt. Übrig
Urnen:
^B
k <
b V \>
M
r
HH
i 1
>
MM
+ +
5^
RR
t
III. KAP. C. VERHÄLTN. ZU D. ALTEN ALPHABET. ABSTAMMUNG V. LAT. ALPH. 101
bleiben also 8 runen von den inschriften und dem aiphabet auf dem
brakleaten, die wir vorläufig nicht mit irgend einem lateinischen
buchstaben zusammenzustellen gewagt haben, nämlich: X g, P P w,
(f j, 't altengl. eo, t, ^ ;», Y (A) r, ♦ ^^ », M DG d.
Sehen wir die 16 zusammengestellten lateinischen buchstaben
und runen ein wenig näher an, so finden wir auf den ersten blick
eine deutliche Übereinstimmung zwischen
Lateinisch: Runen:
b ^ B ^B
k < C <
h H HH
■ I i
r 1^ R RR
Dafs ebenfalls die a-rune ^ aus A, A hervorgegangen ist, und dafs
in folge hiervon F die form T bekam, haben wir schon besprochen.
Auch beim T mufste die wagerechte linie gebrochen werden, so
dafs wir die form T erhalten (es ist also kein grund dafür vorhan-
den, an eine mittelform zwischen lateinischem 'f und Y zu denken, die
auch beide in der runenschrift unbrauchbar waren, weil sich der
querstrich über den hauptstab erhebt). Bei diesen runen liegt wie
beim h der unterschied von den lateinischen buchstaben also nur
darin, dafs man die wagerechten Hnien vermied. Das T des Koveler
Speeres und das H des Bukarester ringes als die ursprünglichen formen
anzusehen, würde dagegen ganz unstatthaft sein; das H anstatt H des
letzteren halte ich für eine reine Zufälligkeit, die natürlich auch,
wenn das material es zuläfst, bei ^, T, + vorkommen kann, und wo-
von selbst die nordischen Steininschriften beispiele darbieten (siehe
s. 98 f. anm. 1); dagegen hat der Bukarester ring selbst neben H
nicht nur ^, T und +, sondern auch die ursprüngliche ^-form T.
Wenn der speer von Kovel statt dessen T gebraucht, so ist dies wie
das [] für M derselben inschrift in der eigentümlichen art und weise
begründet, wie die inschrift hier sowohl als auf dem Speere von Münche-
berg und auf dem Themsemesser mit metalldraht in das eisen ein-
gelegt ist (mehrere Vereinfachungen der runen auf dem Themse-
messer erklären sich gerade am besten hieraus). Dafs das M der
spange von Charnay wie das altengl. N (auf dem Themsemesser,
in den inschriften und in der regel in den handschriftlichen alpha-
beten) jüngere (zierüchere) formen für H sind, kann ja keinem
102 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
zweifei unterworfen sein; aber die Übereinstimmung zwischen den
A-formen auf den spangen von Charnay und Friedberg (nach Stephens'
Zeichnung auch auf der Osthofener spange) und in den altengl.
inschriften scheint zu beweisen, dafs die Westgermanen früh-
zeitig das ursprüngliche H zu M verändert haben. Auch
bei der s-rune treffen wir frühzeitig verschiedene Veränderungen
von ^ (oder nach der- entgegengesetzten seite X); dafs diese
forna nämlich die ursprüngliche gemeingermanische ist, zeigen der
Speer von Kovel, die spange von Charnay, die Freilaubersheimer
spange, das goldene horn und der gröfste teil der übrigen inschriften
aus dem Norden; aus dieser form geht natürlich auch das alt-
engl. und das spätere nordische h (H) hervor. Wenn wir daher auf
dem Thorsbjærger schildbuckel und dem lanzenschaft von Kragehul
^, auf der spange von Himlingöje ^, auf der spange von Vimose f
finden, so ist es klar, dafs wir in all diesen fallen rein willkür-
liche abweichungen von der ursprünglichen form haben; aber diese
änderungen lagen ja gerade bei dieser rune verführerisch nahe.
Das lateinische e-zeichen ^E war schwerer zum gebrauch für
die runenschrift umzubilden. Dadurch, dafs man den wagerechten
linien eine schräge Stellung gab, hätte man eine form ^ oder ø
erhalten können; aber da der beistrich, wie wir bei V und T sahen,
sich niemals unter oder über den bauptstab ziehen durfte, so wurde
E umgedreht und an stelle der in der runenschrift unanwendbaren
form rn wurde M gebildet. Obgleich ich somit glaube, dafs die ru-
nenschrift ganz natürlich E in M verändern mufste, kann freilich
nicht geleugnet werden, dafs die form beider zeichen dadurch sehr
verschieden geworden ist, und ich könnte daher geneigt sein,
die rune M nicht von E, sondern von der eigentümlich la-
s. 96. teinischen e-form II abzuleiten. Dies letzere zeichen, das sich auch
(als entlehnung aus dem lateinischen) in den faliskischen inschriften
vorfindet, ist sehr früh bei den Römern in gebrauch gekommen und
mufs bis in sehr späte zeit hinein allgemein benutzt worden sein,
wie z. b. die wandinschriften von Pompeji zeigen ; alle die von Zange-
meister angeführten alphabete und alphabetbruchstücke haben, mit
ausnähme zweier, 11 als zeichen für e (vgl. oben s. 54 anm. 2).
Auch auf den wachstafeln (aus dem zweiten und dritten jahrluU nach
Chr.), die in bergwerken in Siebenbürgen^) gefunden sind, wird
1) Jo. F. MafsmauD, Libellus aurarius sive tabulæ ceratæ et antiquissimæ
et anicæ Romanæ in fodina auraiia apud Abrudbaoyam, oppidulam Traossylva-
III. KAP. C. VERHÄLT?!. ZU D. ALTEN ALPHABET. ABSTAMMDNG V. LAT. ALPH. 103
ausschliefslich dieses zeichen gebraucht. Wenn die beiden senkrech-
ten striche in der riinenschrift zu einem zeichen verbunden werden
sollten, lag die form M ja am nächsten. Dafs diese form die ge-
meingermanische ist, geht aus der Übereinstimmung zwischen den
germanischen, altengl. und nordischen inschriften hervor. Das in
ein paar der allerältesten nordischen inschriften vereinzelt vorkom-
mende n (s. 98 anm. 1) verdankt seine form ausschliefsUch dem
material (metall), worauf diese inschriften angebracht sind, und kann
keineswegs als die ältere ursprünglichere form angesehen werden, da
sie ganz gegen das in der runenschrift durchgeführte princip ver-
stofsen würde. Ich kann daher auch nicht mit Bugge (To ny-
fundne norske Rune-Indskrifter fra den ældre Jærnalder, Krist 1872,
s. 24) darin übereinstimmen, die form der e-rune in der ValsQorder
inscbrift als zeichen von „hohem alter" zu betrachten, weil sie dem
oben genannten D ,ani meisten zu gleichen scheint". Die ziemlich
plumpe und unbehülfliche form, die nicht nur M, sondern die runen
im ganzen genommen in dieser inscbrift haben, sehe ich keineswegs
als zeichen von alter an, sondern erkläre ich ganz einfach aus den
sehr schwierigen Verhältnissen, unter denen der runenritzer sicher-
lich hat arbeiten müssen, als er die inscbrift auf der klippe an-
brachte.
Sei es nun, dafs die M-rune vom lateinischen E oder von II
abstammt, so fiel sie zusammen mit dem lateinischen ni-zeichen
MM, das in folge dessen notwendig zum gebrauch für die runen-
schrift ein wenig geändert werden mufste und die form M annahm.
Das Verhältnis hier ist also ein ähnliches wie zwischen lateinischem A A,
F und den runen ^, V. Hinsichtlich der runenzeichen M e. Mm
gegenüber lateinischem E He, M 7» kann man sich auch an das
Verhältnis zwischen den gewöhnlichen altgriechischen formen B ß,
F* und den allen korinthisch-korkyräischen S ß-> ^ ^^ sowie an ähn-
liche analogieen von andern alten südeuropäischen alphabeten erinnern,
wo ein buchstabe durch eine laune diejenige form bekommen hat,
die ursprünglich einem ganz andern zeichen zukommt, und dieses in
nnin, auper repertæ, Lipsiæ (1841), 4to; Detlefs en, über zwei neu entdeckte
römische Liknoden auf Wachstafeln in den Sitzungsberichten der philosophisch-
historischen Classe der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, XXIIL Band,
Wien 1S57, s. 601 — 635, und ( ber ein neues Fragment einer römischen Wachs-
nrknnde aus Siebenbürgen, ibid. s. 636—650 (vgl. XXVH. Band, 1858, s. S9-
108); Corpus Inscr. Lat. III, 2 (1873), s. 921 ff.
104
ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
folge dessen auch eine von seiner früheren mehr oder weniger abwei-
s. 97. chende gestalt annehmen mufste ^). Dafs wir in M das gemeingerma-
nische zeichen für die wi-rune haben, zeigen die inschriften sowohl wie
die alten runenalphabete, und irgend eine alte abweichung von dieser
form läfst sich nicht nachweisen. Wenn ich früher in Übereinstimmung
mit der allgemeinen auffassung das R auf der Thorsbjærger zwinge
als eine zierlichere form von M angesehen habe, die gleichwie fl an
derselben stelle dem material, worauf die Inschrift angebracht war,
ihren Ursprung verdankte, so halte ich nämlich jetzt diese auffassung
für unrichtig. Bereits Burg hatte (Die älteren nord. runeninschrif-
ten, s. 24 f.) ausgesprochen, dafs R mehr enthalten könne als das
blofse m (M), und später hat mir dr. Holthausen schriftlich die Ver-
mutung mitgeteilt," dafs R binderune für e m sein und diese zeile also
niwaDe mariR gelesen werden könnte, wo er mit Hoffory niwaDe
als locativ ohne präposition („in Niwang") auffafste, wenn man nicht
vorzöge, ni als fehler für in anzusehen (vgl. owl- für wol- in der
zeile auf der andern seile), ni als Schreibfehler für in zu halten
wage ich nicht; aber dagegen bin ich nicht länger im zweifei darüber,
dafs R wirklich binderune für em ist. Dafs die zwei Zeilen der in-
schrift, die jede auf einer seite der zwinge angebracht sind , gleich-
zeitig und von derselben person geritzt sind, wird kaum jemand in
zweifei ziehn, der wie ich gelegenheit gehabt hat, das original (jetzt
im museum zu Kiel) selbst zu untersuchen; dafs die runen in beiden
1) Das zeichen ^ in dem griechischen aiphabet auf der vase von Caere
anstatt des gewöhnlichen ^ ist, wie wir oben (s. 30) bemerkt haben, gleich-
falls dadurch hervorgerufen, dafs v die form bekommen hatte, die sonst für den
Zischlaut üblich war; vgl. ebenso s. 55 anm. 1.
III. KAP. C. VERHÄLTX. ZU D. ALTEN ALPHABET. ABSTÄMMLING V. LAT. ALPH. 105
Zeilen ganz denselben charakler haben, geht auch aus der beistehen-
den sorgfältigen abbildung hervor. Ich glaube jetzt wie früher, dafs
beide Zeilen zusammengehören und das ganze folgendermafsen gelesen
und verbunden werden mufs: owl j)u{)ewaR niwaDe mariß d.i. Wol-
InipewüR Niwatde-märtR, was in gewöhnlicher altnordischer sprachform
lauten würde: Ullpér (i) Nivange m^rr\ dafs die präposition ausgelas-
sen ist, und dafs beide worte mit einer binderune zusammengeschrie-
ben sind, könnte vielleicht daraus erklärt werden, dafs sie zu einem
begriff („der in Niwang berühmte" ^ „Niwangs rühm", „der held
von Niwang") zusammengeschmolzen waren.
Zwei lateinische buchstaben wurden in der runenschrift umge-
dreht, nämlich die zeichen für I und u, P L und \J V> welche daher
die formen T und K annahmen. Es ist gewifs kein zweifei darüber
möghch, dafs nur die rücksicht auf die bequemlichkeit diese Veränderung
veranlafst hat, da man offenbar viel leichter und genauer T und K wird
einritzen können, wo der nebenstrich von der spitze des hauptstabes
ausgeht, als V und V, die geradezu den lateinischen formen ent-
sprechen würden. Wenn wir, namentlich in den wandinschriften von
Pompeji, nicht selten k für H finden, so ist dies ja eine änderung
von ganz derselben art, wie sie die runenschrift durchgeführt hat.
Wenn k, K, wie ich oben vermutet habe, auf der spange von
Charnay zeichen für l sind, so sehe ich sie als spätere abweichun-
gen von T an; dafs dieses nämlich die ursprüngliche form für die
rune gewesen ist, geht aus der Übereinstimmung zwischen allen an-
dern denkmälern (gotischen, deutschen, englischen pnd nordischen)
hervor. — In der w-rune hat der rechte seitenstrich kaum von anfang
an die krümmung gehabt, die später gewöhnlich wurde (R); man be-
trachte z. beisp. die formen auf dem Bukarester ringe, der zwinge
aus dem Thorsbjærger und dem liobel aus dem Vier moore, die der
ursprünglichen am nächsten zu liegen scheinen. Aber die w-rune
hat gewifs früher als irgend eine andere eine abgerundete form (viel-
leicht durch eine mittelform H) angenommen.
Dafs auch die runenzeichen für n und o eine von den latei- «• 98.
nischen buchstaben etwas abweichende gestalt bekamen, lag daran,
dafs sie sonst leicht der Verwechslung mit zwei andern runenzeichen
ausgesetzt gewesen wären. — Lat. ^ ^ N konnte in die runenschrift
in der form NM aufgenommen werden; aber da dieses zeichen
leicht mit der Ä-rune H H ^) zusammengefallen wäre, so gab man ihm
^) Gerade diese form hat n gewöhnlich im etruskischea uad oskischeo.
106 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
die einfachere form + +, indem die beiden senkrechten stäbe im N zu
einem vereinigt und der querstrich mitten hindurch gezogen wurde.
Das Verhältnis zwischen + + ist dasselbe wie zwischen H H ; beide
formen werden in den ältesten inschriften durcheinander gebraucht
und wechseln sogar in derselben inschrift '). Eine von + abgeleitete
jüngere form h, wo der nebenstrich nur auf der rechten seite des
hauptstriches angebracht ist, scheint nach den Zeichnungen sicher auf
der Nordendorfer spange b vorzukommen, läfst sich aber sonst kaum
in den inschriften mit der längeren runenreihe nachweisen, trotzdem
es leicht, wenn der strich links verhältnismäfsig kurz ist, das aus-
sehen derselben bekommen kann (dies ist vermutlich z. b. mit der
kleinen n-rune in dem worte runa auf der Freilaubersheimer spange
der fall, die auf der Zeichnung bei Stephens die form Y hat, vvährend
1) Das goldene horn hat z. b. zuerst einmal H und dt-mnächst zweimal H, der
stein von Varnum (Järsberg) zweimal H> einmal H- Während n, das nur ein-
mal auf dem goldenen horne vorkommt, dort die form ^ hat, gleichwie auf der
lanze von Kragehul und auf den steinen von Stcnstad und Beiland, gebraucht
die zwinge vom Thorsbjærger moore und der hobel aus dem Vier moore *f, das
sich gleichfalls auf dem Varnumer und Orstader steine und dreimal auf dem
Reidstader steine findet. Im ganzen scheint "f als die gewöhnlichste form an-
gesehen werden zu müssen, wenn die inschrift, wie in den genannten fällen, von
links nach rechts geht; dagegen finden wir im allgemeinen <{" in den Inschriften,
die von rechts nach links gehen (Möjebro zweimal, Krogfetad, Tanum zweimal,
Einang, Strand zweimal, Tomstad, Torvik b). Doch läfst sich eine bestimmte
regel keineswegs aufstellen; denn auf dem steine von Berga steht "f von rechts
nach links, und der Tuner stein hat auf der ersten seite "f von rechts nach
links und gleichfalls auf der zweiten seite in der zeile 2 und 3, aber in der
eisten zeile <^ von links nach rechts. Auch auf der Charnayer spange finden
sich beide formen; die Freilaubersheimer spange hat ^ (zweimal), aber der
Bukarester ring, der Muncheberger speer (von rechts nach links), die Norden-
dorfer spange und die altenglischen inschriften "f. Ich halte H ""d "f- für die
ursprünglichen formen und nehme an, dafs H ""d ^' »nlstanden sind, als die
Schrift auch die richtung von rechts nach links bekam; seit der zeit wurden
beide zeichen oft durcheinander gebraucht, ohne rücksicht auf die richtung der
Schrift. — Dieselbe Willkür finden wir im gebrauche der ormen ^ ^ der Ä-rune
mit ihren abänderungen. Dafs ^ die ursprüngliche ans lat. S entstandene form
ist, und dafs ^ erst in inschriften, die von rechts nach links laufen, gebraucht
wurde, halte ich für sicher, und dies wird durch den Koveler speer und die
Freilaubersheimer spange bestätigt; im Norden werden ^ ^ und deren neben-
formen dagegen vermischt und sogar in derselben inschrift schwankend ge-
braucht (siehe z. b. die steine von Tune, Krogstad und Björketorp), wie später in
den inschriften der kürzeren reihe V\ und |4 auf demselben denkmal gefunden
werden können.
III. KAP. C. VERHÄLTN. ZU D. ALTEN ALPHABET. ABSTAMMUNG V. LAT. ALPH. 107
ein grofses und deutliches + in der zweiten zeile vorkommt; es ist
daher wahrscheinlich, dafs auch in dem ersten n der nebenstrich auf
dem original durch den hauptstrich hindurch läuft; aber es besteht
möglicherweise dasselbe Verhältnis zwischen der gröfse der teile, welche
auf der Hnken und auf der rechten seite des hauptstriches liegen, wie
z. b. auf dem goldenen horn, wo der nebenstrich rechts ungefähr doppelt
so grofs wie der zur linken ist; vgl. ebenfalls die letzte n-rune in
der zeile links auf der spange von Charnay). Sollte nicht auch l'
auf der Nordendorfer spange b eine abgekürzte form von + sein?
(in diesem falle würden also beide formen der w-rune in dieser
inschrift vorkommen, wie z. b. auf der spange von Charnay und
anderwärts). Dafs Y hier nicht die bedeutung l haben kann, wie
ich bezüglich des sehr ähnlichen Zeichens auf der spange von Charnay
vermutet habe, geht nämlich mit Sicherheit daraus hervor, dafs die
/-rune in der inschrift in der gewöhnlichen form T vorkommt.
Wie lateinisches < C in der runenschrift zu < wurde, das kleiner
war als die übrigen runenzeichen, so sollten wir lat. O O zu o um-
gewandelt erwarten; aber da dieses oder ein sehr ähnliches zeichen
in der runenschrift die bedeutung td hatte, wie wir sogleich sehen
werden, so mufste die o-rune eine form annehmen, die ein wenig
vom lateinischen abwich, und dieses erreichte man dadurch, dafs s. 99.
man den beiden untersten strichen eine kleine Verlängerung gab, so
dafs sie sich einander schneiden mufsten; so entstand ^, das als
die gemeingermaniscbe form für o angesehen werden mufs, was aus
den gotischen und deutschen inschriflen auf dem Bukarester ringe,
den spangen von Charnay, Nordendorf, Osthofen und Freilaubersheim,
sowie den altengl. und nordischen inschriften hervorgeht. Eine etwas
modificierte form, die sich sonst nicht in einer inschrift nachweisen
läfst. ist ^ in dem aiphabet auf dem Themsemesser (siehe oben s. 86).
Die bisher betrachteten 15 runen stimmten in der bedeutung
ganz zu den entsprechenden lateinischen zeichen. Dieses gilt dagegen
nicht ven der 16. der runen, die wir nichts desto weniger von anfang
an mit den lateinischen buchstaben zusammengestellt haben, weil
ihre form hinsichtlich ihres Ursprungs keinen zweifei übrig läfst,
nämlich k Diese rune dient bekanntlich sowohl im altern wie im
Jüngern runenalphabet zur bezeichnung für den unserer sprach-
familie charakteristischen laut J), der im lateinischen fehlt, dessen
aiphabet daher kein zeichen darbot, welches diesen laut geradezu wieder-
gab. Hätte man dagegen das griechische oder etruskische aiphabet
108 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
dem runenalphabet zu grunde gelegt, so halle nnan vielleicht zur
bezeichnung für p das zeichen für S- wählen können ^). Es ist in-
dessen der form nach klar, dafs die rune p nur eine etwas modiG-
cierle gestalt des lateinischen rf-zeichens t> D ist, indem die neben-
striche ein wenig kleiner geworden, so dafs l> insoweit genau dem
latein. D auf dieselbe weise wie < dem latein. C entspricht.
Dieses anscheinend merkwürdige verhalten, dafs man in der
runenschrift das lateinische D in der bedeutung p, nicht in der-
selben bedeutung aufnahm, die das zeichen im lateinischen halte, fin-
det seine erklärung in der beschaflenheit des gemeingermanischen
konsonantensystems. Bis vor wenigen Jahren nahm man bekanntlich
allgemein an, dafs die gemeingermanische spräche keine der altnord.
Spirantenreihe {g., d, t) entsprechenden laute hatte, selbst wenn man,
wie ich es immer gemeint und seit vielen jähren in meinen Vorle-
sungen über gotische und altnordische Sprachgeschichte dargestellt
habe, davon ausging, dafs gotisch ^, d, 6imin- und auslaute
spiranten waren. Die spiranten galten als in den einzelsprachen aus
den entsprechenden mutae entstanden, so dafs wir hier parallele
entwicklungen innerhalb der germanischen sprachen bekamen, nicht
den gemeingermanischen standpunkt, der gerade durch die aus den
„aspiraten" entwickelten mutae g, d, b bezeichnet wurde. Neuere
Untersuchungen haben ja indessen das unrichtige in dieser früheren
annähme evident nachgewiesen, so dafs wir jetzt in das gemeinger-
manische lautsystem anstatt der muten-reihe g, d, b gerade die spi-
ranten g, d, b einsetzen müssen. Diese neuere auffassung
stimmt nun vortrefflich sowohl zu dem älteren wie zu
dem jüngeren runenalphabete, und ihre richligkeit erhält gerade
hierdurch eine weitere bestätigung.
Wenn g und d in den germanischen sprachen zu der zeit spi-
ranten waren, als das runenalphabet gebildet wurde, konnte man
diese laute kaum durch die lateinischen zeichen für g und d, die eher
unsern jetzigen mutae entsprachen, ausdrücken. Wären die laute im
lateinischen und germanischen dagegen dieselben gewesen, so wäre es
mindestens sehr auffallend, dafs man lat. D zur bezeichnung für den
ganz verschiedenen, im lateinischen unbekannten laut p gewählt, aber
') In wiefern man dies gethan haben würde, ist jedoch änfserst zweifelhaft,
da Wulfila in seinem aiphabet ß durch griechisches tp ausdrückte, während
griech. 9^ als zeichen für die lautverbinduiig hw benutzt wurde (vgl. s. 114).
•III
KAP. C. VERHÄLT^. Zu D. ALTEN ALPHABET. ABSTAMM tn«G V. LAT. ALPH. 1 09
für das dem lat. und german. gemeinsame d ein neues zeichen ge-
bildet hätte. Ganz anders dagegen stellt sich die sache, wenn das
germanische den d-hüt gar nicht hatte, aber sowohl p wie d, die
beide von lat d weit ablagen und zwei zeichen im runenalphabet er-
forderten. Es lag dann eben so nahe, lat. D zur bezeichnung für p
wie für d zu wählen, und das hat das runenalphabet ja auch gethan,
da es aufser allem zweifei steht, dals ^ formell das lateinische
D ist
Um den laut d auszudrücken, fehlte es also an einem vorbilde
im lateinischen aiphabet, und man mu£ste ein neues mittel finden,
um diesen laut in der runenschrift zu bezeichnen. Dieses erreichte
man dadurch, dafs man zwei p gegen einander stellte und
daraus das zeichen M bildete, wo die ursprünghche lateinische
rf-form noch deuthcher als in ^ bewahrt ist, weil man bei M sich
leichter der Verwechselung mit M »t aussetzte. Die gemeingermani-
sche form der ^-rune ist nämlich M wie in den nordischen inschrif-
ten, auf der Charnayer, Nordendorfer und Friedberger spange u. s. w.;
dasselbe zeichen wird auch öfter in den altengUschen inschriften (z. b.
auf Franks schrein) gebraucht, während die handschriflüchen alpha-
bete das jüngere H haben, das gleichfalls in den inschriften (so auf
dem kreuze von Ruthwell) gewöhnlich ist. Diese form konnte wie
gesagt leicht mit M m verwechselt werden, und wir finden daher
auch in ein paar der alten altengUschen alphabete den wert von s. lOU.
M als m, d und von M ab rf, w angegeben (siehe z. b. das aipha-
bet des runenhedes oben s. 85) ^). Ganz alleinstehend ist die auf
dem Koveler speere gebrauchte d-torm Q und sicher wie das T
statt T derselben Inschrift durch technische gründe hervorgerufen
(vgl. s. 101); D für M stimmt ja vollkommen zu fl für M in zwei
nordischen melallinschriften (s. 103).
') VVeoD ich oben (s. 86) sagte, dafs die bedentuag der ranea K, T, M
auf dem Themsemesser klar za sein „scheint", so geschah dies, weil also wirk-
lich die müglichkeit da ist, dals ^ zeichen für et sein kaoo. In diesem falle
würde also auch das aiphabet aaf dem Themsemesser die in den handschrift-
lichen alteng;lischen alphabeten gewöhnliche reihenfolge ä, æ haben, und sein W
möfste folglich zeichen für m sein , so dafs nur X an einen anrichtigeo platz
(vor m anstatt hinter l) gestellt wäre. Dieses habe ich hier erwähnen wollen,
obwohl ich es für höchst anwahrscheiolich halte. — In in Schriften ans den
skandinavischen ländero läfst sich die form H für ^ erst in einer zeit nach-
weisen, wo das längere aiphabet längst vor dem kürzeren als der allgemein ge-
bräachlichen schrift gewichen war, nämlich anter den ranen der längeren reihe,
die auf dem Köker steine vorkommen.
Lal
teinisch
a
A A
f
F
t
i T
e
E, II
m
IVV A\
1
1. L
II
\J V
n
N N
o
O O
d
l> D
110" , ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
Aufser den oben (s. 101) genannten 6 lateinischen buchstaben
und runen, die so gut wie gänzlich in form und bedeutung über-
einstimmten, haben wir also ferner Übereinstimmung zwischen folgen-
den lateinischen buchstaben und runen nachgewiesen :
Runen:
r
t
M
r
Kn
+ +
{[) J> t>; davon wieder gebildet:
d M Da (M)
Hiermit sind also 17 von den runen, die in unsern inschriften und
in dem aiphabet auf dem brakteaten vorkommen, aus dem lateini-
schen alphabete erklärt.
Es ist indessen selbstverständlich, dafs mehrere von diesen ru-
s. 101. nenzeichen sich ebenso gut aus dem griechischen oder den andern alten
italischen, nicht-lateinischen alphabeten würden erklären lassen, und
man könnte daher annehmen, dafs die runenschrift durch entlehnung
von mehreren alphabeten gebildet wäre. Dafs so etwas an und für
sich keineswegs unmöglich ist, zeigt ja das Wulfilanische aiphabet zum
überflufs. Aber unter den hier behandelten 17 runenzeichen
ist nicht ein einziges, das gröfsere ähnlichkeit mit einem
andern italischen alphabete als mit dem lateinischen zeigt,
und nur ein einziges, das eher auf das griechische als auf
das lateinische hinzuweisen scheinen könnte. Dieses eine
zeichen ist die /-rune T; während nämlich alle italischen alphabete
l mit 4 l' L bezeichnen, finden wir diese form nur ausnahmsweise
in den alten griechischen alphabelen (Atlika, Böotien, die chalkidi-
schen kolonieen in Itahen); in der regel geht dagegen im griechischen
der beistrich im l von oben aus (^ A A) wie im runenalphabet.
Man könnte daher vielleicht glauben, in der rune f* einen beweis für
die ansieht zu finden, dafs das runenalphabet besonders mit einem
III. KAP. C. VERHALTW. ZO D. ALTEN ALPHABET. ABSTAMMUNG V. LAT. ALPH. 111
griechischen alphabete verwandt sei; aber dieser beweis ist aus
mehreren gründen durchaus ungenügend. Das runenalphabet hat
nämlich nicht blofs T für/, sondern auch H für m; dies letztere zei-
chen hat indessen nicht nur im lateinischen, sondern auch in allen
griechischen alphabeten die umgekehrte Stellung. Konnte nun grie-
chisch-lateinisches V umgewendet und zu H gemacht werden, so
mufste ebenfalls P L zu T werden können, und es mufs geradezu,
wie wir oben angedeutet haben, als consequent angesehen werden,
dafs das runenalphabet sowohl lateinisches l wie u umgedreht hat.
Aufserdem zeigen die alten griechischen alphabete selbst, dafs es auf
vollständiger willkür beruht hat , ob man für i T oder l ge-
wählt hat; während nämlich das alte aiphabet auf Euböa A T ge-
braucht, hat das daraus entstandene chalkidische aiphabet in Italien
stets die form k Nach den alten semitischen formen müfste man
am ehesten annehmen, dafs l die ursprüngliche griechische form
wäre; aber es würde, wie ich oben (s. 42) hervorgehoben habe, nicht
möglich sein, dem einen gegenbeweis zu liefern, der sich auf die
ältesten griechischen inschrilten stützend behaupten wollte, dafe schon
das griechische grundalphabet das phönicische lämed umgewendet und
es zu I* gemacht hätte (auf dieselbe weise wie das altsemische -^ s. 102.
äleph und w shi im griechischen nur in den umgedrehten formen
A und ^ nachgewiesen werden können).
Das Verhältnis zwischen den /-zeichen im griechischen, lateini-
schen und in den runen gibt daher durchaus keinen beweis dafür
ab, dafs dieses runenzeichen nicht vom lateinischen ausgegangen ist.
Und was die übrigen 16 runen angeht, die wir oben mit den latei-
nischen buchstaben zusammengestellt haben, so werden sie nur von
einem nicht-lateinischen alphabete abgeleitet werden können, wo
dessen zeichen mit den lateinischen zusammenfallen; aber
überall, wo sich ein charakteristischer unterschied in form
oder bedeutung zwischen dem lateinischen und den an-
dern alphabeten findet, weisen die runenzeichen aus-
schliefslich auf das lateinische hin ^). Daraus sind wir be-
^) Um iieioe einwendung unbeaotwortet sleheo zu lassen, will ich noch
darauf aufmerksam machen, dafs, während niemand, so weit ich neifs, das Ver-
hältnis zwischen den /-zeichen besonders hervorgehoben hat, obgleich es doch
eine gewisse bedeutung zu haben scheinen könnte, man dagegen ein auFser-
ordentlicbes gewicht auf die ruoe f( gelegt hat, die man nicht wie oben vom
latein. Q, sondern vom griech. ß abgeleitet bat. Ich leugne nicht, dafs sie
von diesem zeichen ausgeben könnte, obwohl ich es für höchst merkwürdig an-
112 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
rechtigt, den schluss zu ziehen, dafs sie auch in den fällen aus dem
lateinischen entstanden sein müssen, wo dieses mit den andern alpha-
belen zusammenfällt, sofern nicht die sieben noch unerklärten
runenzeichen uns anderswohin weisen.
Von den sieben runen, deren Ursprung wir noch nicht unter-
sucht haben, kommen vier, nämhch X g, PPio, Y (Å) ä und
V ^ rø , ganz allgemein in unsern inschriften vor, wogegen die drei
andern zwar in allen alten alphabeten auftreten, aber in den in-
schriften nur sehr selten oder gar nicht als zeichen für wirkliche
s. 103. buchstaben nachgewiesen werden können. Diese drei runen haben
auf dem brakteaten von Vadstena die formen ^, 1' und B; aber die
erste und die letzte treten, wie wir sogleich sehen werden, an andern
stellen in einer sehr abweichenden gestalt auf. Was die bedeutung
anbelangt, so ist sie nur bezüglich dieser beiden unzweifelhaft: ^
nimmt dieselbe stelle ein wie die altengl. gfeV-rune; der spätere alt-
nord. name ist dr, aber die gemeingermanische form dieses Wortes
war jera, welches in der spräche der ältesten nordischen inschriften
jära gelautet haben muls. Die bedeutung der rune im gemeinger-
manischen und im ältesten nordischen alphabete war daher (wie im alt-
englischen) j. Über ihre spätere Veränderung im nordischen sowohl im
namen (und der damit folgenden bedeutung) als auch in der äufseren
form wollen wir später ausführhcher reden. — • l* hat in den altenglischen
alphabeten den namen eoh oder ih. Dies könnte zu der vermutung
führen, dafs die rune ursprünglich das zeichen für langes i oder für
den diphthongen gewesen sei, dessen gemeingermanische form eu war,
und der später in den verschiedenen sprachen verschiedene formen
annahm: got. tu, altengl. eö, iö, altnordisch-isländisch jü, je u. s. w.
sehen würde, dafs man darauf verfallen wäre o durch f2 auszudrücken, wenn
uian für e E wählte. Aber hierzu kommt, dafs dasjenige griechische ai-
phabet, von dem in einem solchen falle allein bei der ableitung der runen-
schrift die rede sein könnte, nämlich das ionische, unglücklicherweise H
in der bedeutung t] gebraucht, des p (^) ermangelt und y und p in den formen
r und P hat, während die eigentümliche form und bedeutung von
lateinischem H ^j F /» C ^ und |^ r sich gerade genau in den ent-
sprechenden runen wiederfindet. — In seinem neuesten werke „Die
Kultur Schwedens in vorchristlicher Zeit", Berlin 1885, s. 114 schliefst 0.
Montelius sich wie in früheren arbeiten meiner annähme an, „dafs die Runen
durch eine Veränderung der römischen Buchstaben entstanden sind"; aber er
leitet nichtsdestoweniger die rune f^ vom griech. ß ab, ohne den Widerspruch
zu bemerken, in welchen er hierdurch gerät.
IH. KÄP. C. VERHÄLTxN. ZU D. ALTEN ALPHABET. ABSTAMMDMG Y. LAT. ALPH. 113
Eine praktische anwendung als lautzeichen hat diese rune indessen in
unsern inschriften nicht gefunden; dagegen hat sie sich lange im ai-
phabet gehalten, und da sie endlich auch hier aufgegeben wurde, so
ist es möglich, dafs ihr name auf eine andere rune übertragen wor-
den ist. Über alle diese Verhältnisse werden wir unten des näheren
zu sprechen gelegenheit finden. — ^ auf dem brakteaten entspricht
der altenglischen j)-rune (peord), und ihre bedeutung im gemein-
germanischen und ältesten nordischen alphabete mufs gleichfalls p
gewesen sein.
Es sind also die runenzeichen für die gutturale g_ und ta, den
labial p, die halbvokale w und j sowie für das nordische p. und das
altenglische eo {i), die wir noch betrachten müssen.
1. Die rune X ^.
Wir haben oben gesehen, dafs die runenschrift das latei-
nische C in der form < und mit derselben bedeutung wie im latei-
nischen aufnahm, und wir haben gerade hierin einen der beweise für
die abstammung der runen vom lateinischen aiphabet gefunden. Ur-
sprünglich hat das lateinische aiphabet natürlich wie das griechische
C in der bedeutung g gebraucht und k durch K ausgedrückt; aber s. 104.
bereits in den ältesten lateinischen inschriften wird C nicht nur in
der bedeutung g, sondern auch als die gewöhnliche bezeichnung für
k verwandt, während das alte K auf einzelne worte, und Q auf eine
einzige Verbindung beschränkt war. Da man später wieder das be-
dürfnis fühlte, den g- und Ä-laut durch zwei zeichen zu unterschei-
den, so bildete man von dem alten C ein neues zeichen C (auch in
den formen 6, G) für den p-laut. Dieses zeichen, das man in der
buchstabenreihe zwischen F und H an den platz setzte, wo früher s
(I) gestanden hatte, kann zwar frühzeitig nachgewiesen werden, da
es dreimal auf dem Sarkophage des L. Cornelius Scipio Barbatus
(cos. 298 V. Chr.) vorkommt^) und später allgemein wird (z. b. in
dem senatuscons. de Bacchan. 186 v. Chr.); aber lange nachdem ein
eigenes zeichen für g gebildet worden war, fuhr man dennoch fort,
C sowohl in der bedeutung k wie g zu gebrauchen (vgl. Ritschi,
Priscæ Lat mon. s. 111). Da die runenschrift für den fr-laut das
^) Trotz Corssens einwendangen (Über Aassprache etc. II-, s. 93 anm.) kann
ich die iaschrift auf dem Sarkophage des Barbatas nicht für älter ansehen, als
die, welche sich auf dem seines sohnes L. Cornelios Scipio (cos. 259 v. Chr.)
befindet.
WISIMEB, Die rnnenachrift. 8
114 ERSTES BUCH. DER URSPRUISG DER RUNENSCHRIFT.
am gewöhnlichsten gebrauchte lateinische fr-zeichen C aufgenommen
hatte, waren K und Q, die denselben laut ausdrückten, für den, der
das runenalphabet schuf, eigentlich überflüssige zeichen; aber selbst-
verständlich konnten diese zeichen in einer von der lateinischen ver-
schiedenen bedeutung aufgenommen werden. Dafs man indessen als
zeichen für den «;[-laut weder eines der lateinischen fc-zeichen noch
das lateinische ^f-zeichen wählte, zeigt die form der ^-rune auf den
ersten blick. Daraus zu schliefsen, dafs das runenalphabet aus dem
lateinischen alphabete gebildet sei, bevor dieses das zeichen G für g
eingeführt hätte, würde jedoch übereilt sein. Das Verhältnis zwi-
schen lat. g und germ. g war ja nämhch ganz dasselbe, wie zwi-
schen lat. d und germ. d; in beiden föUen lagen also die lateinischen
und germanischen laute weit auseinander, und so wenig wie man
lat. D wählte, um den germ. spiranten d auszudrücken, eben so
wenig konnte lat. G als zeichen für den spiranten g gebraucht wer-
den. Fragen wir nun nach dem Ursprung des runenzeichens X,
so gibt es verschiedene möglichkeiten. Formell fällt diese rune
s. 105, ja ganz mit lat. X x zusammen; aber hier liegt der lat. laut so
fern, dafs man am ehesten einen zufall in der ähnlichkeit erblicken
darf, obgleich die möglichkeit gewifs vorhanden ist, dafs das runen-
alphabet zur bezeichnung für g gerade lat. X gewählt haben kann,
weil dieses eine lautverbindung ausdrückte, wofür man kein eigenes
zeichen brauchte. Es würde das auf jeden fall nicht merkwürdiger sein
als das Verhältnis, das wir im Wulfilanischen alphabete finden, wo
griechisches ip zur bezeichnung für den laut p benutzt ist, während
griech. ^ die lautverbindung hio ^) ausdrückt (natürlich weil ein unter-
schied zwischen dem laute des griech. ^ und dem des got. p be-
standen hat, also aus einem ähnlichen grunde, wie griech. y in den
italischen alphabeten nicht zur bezeichnung des /"-lautes verwendet
wurde).
Wenn ich trotzdem am meisten geneigt bin, die ähnhchkeit zwi-
schen der g-rune und dem lat. x als zufällig zu betrachten (gerade wie
die zwischen lat. M m und der rune M e und zum teil die zwischen
lat. F f und der rune ^ a), so liegt das daran, dafs ich in der rune
X ein zeichen sehe , welches aus < k auf dieselbe weise gebildet ist,
wie M aus ^ gebildet wurde. Gleichwie man nämlich die (!-rune
dadurch bildete, dafs man zwei j!> gegen einander kehrte, so hat man
1) Vgl. unten 'Anhang' I.
in. KAP. c. VERHALTS. ZD D. ALTEN ALPHABET. ABSTAMMUNG V. LAT. ALPH. 115
höchst wahrscheinlich die |)[-rune durch zusammenrücken zweier
einander zugewendeter < gebildet, und der parallelismus wird
vollständig, wenn wir darauf achten, dafs sowohl D wie auch C in ^^ und
< verkleinert, aber in M und X in ihrer ursprünglichen gröfse bewahrt
wurden. Dafs die so entstandene rune mit lat X zusammenfiel, war
dann nicht merkwürdiger, als dafs die g-rune mit lat. m zusammenfiel.
Hiermit will ich jedoch nicht behaupten, dafs lat. X nicht das muster
für die bildung des runenzeichens X abgegeben haben könne.
Ich finde dies im gegenteil höchst wahrscheinlich; es lag ja nämlich
sowohl wegen der form wie wegen der bedeutung nahe zu glauben,
dass lat. X wirklich aus C hervorgegangen wäre, und gerade das
Vorbild, das man so im lat. alpbabete zu finden glaubte, kann ja
veranlassung zur bildung der X-rune gegeben haben. Dafs diese
letztere wirklich durch Zusammenstellung zweier < gebildet ist, finde
ich nicht nur in der analogie mit dem runenzeichen für å, sondern
auch in der art und weise bestätigt, auf welche man zum gebrauch
für das runenalphabet ein zeichen für den dritten guttural gebildet
hat, welchen das lateinische sowohl wie die andern alten alpbabete s. 106.
nicht durch ein besonderes zeichen auszudrücken für notwendig be-
funden hat, nämlich den nasal der gulturalreihe, ».
2. Die rune O ♦ '^
rø.
Bei der bildung des Zeichens für diesen laut legte man wie beim
g[-zeichen < zu grunde, indem man auf eine weise, die der bei X
angewandten entgegengesetzt ist, zwei < zu der figur O zusammen-
rückte. Diese form finden wir (jedoch etwas undeutlich) auf dem
brakteaten von Vadstena und gleichfalls (ganz deutlich) dreimal auf
dem brakteaten no. 17 bei Stephens (= Atlas no. 80): aber im übri-
gen ist das geschlossene zeichen für » selten, und die formen,
welche in unsern ältesten Inschriften gebraucht werden, namentlich
^ ^, zeigen noch deutlicher als O den Ursprung aus den beiden <•
Leider fehlt diese rune im futhark der spange von Charnay und in
den deutschen inschriften; aber dafs die offene form die ursprüng-
liche gemeingermanische ist, kann gleichwohl mit ziemlicher Sicherheit
aus der Übereinstimmung zwischen ^ ^ in den inschriften aus den
mooren von Thorsbjærg und Yi u. s. w., ^ auf dem goldenen horn
u. s. w. samt dem ff des Muncheberger Speeres gefolgert werden,
und das geschlossene O auf dem brakteaten von Vadstena ist ohne
8*
116 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
zweifei allein der rücksicht auf den räum zuzuschreiben ^). Die form
des runenzeichens für t9 (^) scheint zugleich einen grund dafür zu
enthalten, dafs die o-rune die form ^ an stelle von O bekam, das
besser mit lat. O übereinstimmen würde.
Man hat zuweilen auf das runenzeichen für rø besonderes ge-
wicht gelegt und es als beweis für die abstammung der runen vom
griechischen benutzen wollen. Aber die bildung dieses Zeichens
enthält gerade einen beweis gegen direkte Verwandtschaft mit dem
griechischen; denn im griechischen bezeichnete man bekanntlich den
gutturalen nasal vor g und k durch y (und dies nahm Wulfila später
in sein aiphabet auf); dagegen bildete man kein besonderes zeichen
für diesen laut. Wenn also das runenalphabet, um f9 auszudrücken,
aus seinem < fr ein ganz neues zeichen mit einer eigenen
stelle im alp habet zwischen den andern buchstaben gebildet hat,
so unterscheidet es sich dadurch sowohl vom griechischen wie von
den alten italischen alphabeten, und die ähnlichkeit, die man mit griecb.
YY = tag hat finden wollen, ist nur rein oberflächlich und scheinbar.
s. 107. 3. Die rune ^ W K 2>-
In der labialreihe hatte das lateinische je ein zeichen für b
und p, und zwei zeichen finden sich gleichfalls in den alten runeu-
alphabelen auf dem brakteaten, der spange von Charnay, dem Them-
semesser und in den handschriftlichen altengl. alphabeten ; aber wäh-
rend das ^-zeichen öfter in den inschriften vorkommt, kann -p —
natürlich zufällig — in keiner der bisher bekannten ältesten nordi-
schen inschriften nachgewiesen werden, und in der gemeingermani-
schen spräche hatte dieser laut ja auch eine sehr beschränkte an-
wendung. In den alten alphabeten finden wir folgende zwei zeichen
für p und S:
der brakteat von Vadstena:
die spange von Charnay:
das Themsemesser:
handschr. altengl. alphab.:
V
d
^
ß
N
^
K
^
IX
« ^
B^
h
1) Jüngere änderungen zeigen sich in U (Stenstad), j^ (Krogstad; von
rechts nach links) und altengl. X^ das letztere zwei gegeneinandergekebrte ^ ^
die in einander geschoben sind, während sie bei X -g! nur zusamineogerückt
wurden.
III. KAP. C. VERHÄLT«. ZD D. ALTEN ALPHABET. ABSTAHMÜ?(G V. LAT. ALPH. 117
Das zeichen für 5 ist somit überall dasselbe und stimmt zu dem
^ B der inschriften und dem lat. ^ B. In der labialreihe ist das Ver-
hältnis also verschieden von dem, das wir in der dental- und guttural-
reihe angetroffen haben, was uns auch nicht wundem kann, da
lat. b sicherUch in der ausspräche nicht so stark vom germ. d ent-
fernt war, wie g und d von g. und ä, und es kann ja nach der
form des Zeichens kein zweifei darüber obwalten, dafs die runenschrift
geradezu das lat. B in der bedeutung 5 aufgenommen hat. — Dagegen
tritt p in mehreren formen auf, die nicht auf den ersten blick auf lat.
P P zurückgeführt werden können. Die formen der d- und p-rune
auf dem brakteaten könnten vielleicht zu der annähme verleiten, dafs
man ursprünglich nur ein zeichen für beide laute benutzt hätte,
nämhch lat. B; dafs p auf dem brakteaten die eckige form hat, wäh-
rend d abgerundet ist, wie dafs der hauptstab im letzteren ein wenig
über und besonSers unter die nebenstriche reicht, scheint, wenn es
nicht auf einem reinen zufall beruht , zu zeigen , dafs man ver-
sucht hat, einen künsthchen unterschied zwischen diesen beiden
zeichen zu machen; aber einen solchen unterschied hat die schrift
in Wirklichkeit durchaus nicht anerkannt; denn wir finden für 5 so-
wohl die eckige wie die runde form in den alten inschriften, und die
letztere mufs wegen des grundprincips der runenschrift die jüngere
sein. Die annähme, dafs das ursprüngUche runenalphabet nur ein
zeichen für 8 und p gekannt habe, wird überhaupt dadurch vollständig
widerlegt, dafs alle alten alphabete an der 14 ten stelle inder reihe
die p-rune und an der 18 ten die 5-rune haben. Das ursprüng-
liche aiphabet mufs deshalb auch zwei zeichen für diese
beiden laute gehabt haben. Aber wie ist dann das runenzeichen
für p entstanden? Es schiene ja nahe gelegen zu haben, ein- s. 108.
fach das lateinische P aufzunehmen und es in derselben bedeutung
zum gebrauch für die runenschrift umzuformen. Da indessen die
rune ^, die die bedeutung u> hat, formell ganz mit dem lat. P zu-
sammenfällt, so mufste man als zeichen für p entweder das lat. P
auf andere weise umbilden (vgl. das Verhältnis zwischen lat. fAm und
den runen M e und M m), oder ein neues mittel ausfindig machen,
um diesen laut auszudrücken. Welchen von diesen auswegen man
gewählt hat, kann etwas zweifelhaft erscheinen. Da mir die verschie-
denen formen der j)-rune von lat. P so weit abzuUegen schienen, dafs
ich nicht wagte, sie daraus abzuleiten, so hatte ich mir früher fol-
gende möglichkeit gedacht. Wie das runenalphabet in der gut-
118 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
tural- und dentalreihe die aus dem latein. C und D hervor-
gegangenen formen zur bildung neuer zeichen für ver-
wandte laute benutzte, indem man aus < zeichen für ^ und rø,
aus ^ ein zeichen für d bildete, dadurch dafs man zwei gegen einander
gekehrte < und ^ zusammenrückte (X, ^; M), so könnte man
nach demselben princip auch in der labialreihe ein zei-
chen für p geschaffen haben, indem man zwei gegen einan-
der gekehrte ^ zusammenrückte. Dadurch würde dann ein
zeichen W entstehen, welches zwar nicht nachgewiesen werden kann,
aus dem aber alle p-zekhen in den alten alphabeten hervorgegangen
sein könnten. Da nämlich das ursprüngliche zeichen ziemHch ver-
wickelt und schwierig war, so wurde es später auf verschiedene
weise vereinfacht: dadurch, dafs man die hälfte wieder fortwarf, ent-
stand ^ auf dem brakteaten, wodurch das p- und ^-zeichen im Nor-
den zusammenfielen ; dagegen hat das \4 der spange von Charnay den
mittleren teil und die schrägen striche oben und das altengl. K den
mittleren teil und den rechten senkrechten strich fortgevvorfen ^).
Diese auffassung, bei der ich, obwohl zweifelnd, in „Runeskr."
1874, s. 108 stehen geblieben war, und die auch später von anderer
Seite Zustimmung gefunden hat, kommt mir jedoch jetzt selbst allzu
künstlich und daher unwahrscheinlich vor. Das U der spange von
Charnay und das altenglische K lassen sich ja sehr gut auf lat. P
zurückführen, das zum gebrauch für die runenschrift nicht nur
die form P, sondern auch 1^ annehmen konnte; eine mehr sym-
metrische und zierliche form dachte man ohne zweifei durch Ver-
dopplung der nebenstriche zu erzielen, wodurch altengl. K entstand
(vgl. X auf der spange von Charnay, N ebenda und N auf der
Friedberger spange und im altengl.). Dafs das ursprüngliche T eben
so gut die nebenstriche am fufse wie oben haben konnte (also U
neben K) stimmt dazu, dafs wir + H neben + H finden, und be-
sonders zu dem k und K der spange von Charnay in der bedeutung
l, wenn meine oben ausgesprochene vermutung über diese zeichen
richtig ist, sowie zu dem Å und A der nordischen inschriften neben
Y und Y. Dafs das aiphabet auf der spange von Charnay dem U
wieder einen senkrechten strich rechts zugefügt hat, halte ich für eine
eigentümlichkeit bei diesem alphabete, die an dessen N für H und
^) Die verschiedeneu formen iu den handschriftlichen alten^lischeu alpha-
beten lassen sich alle uiit leichtigkeit auf U zurückführen.
-U. KAP. C. VERHÄLT.N. ZO D. ALTEN ALPHABET. ABSTAMMCrSG V. LAT. ALPH. 119
besonders au X für Y erinnert, und wodurch man auf einem andern
wege als im allenglischen K eine mehr symmetrische form er-
reichte ^). Ich hege daher jetzt keinen zweifei darüber, d a f s die p-
rune geradezu aus lat. P hervorgegangen ist. Leider kennen
wir weder von den gotischen, deutschen noch nordischen inschriften her
die form der p-rune, abgesehen von den alphabeten auf der spange von
Chamay und dem brakteaten. Wenn sie indessen, wie ich annehme,
aus lat. P gebildet ist, so ist es klar, dafs nur die burgundische und
die altenghschen runenformen sich darauf zurückführen lassen. Da-
gegen zeigt das brakteatenalphabet, dafs das p-zeichen im Norden sehr
früh durch das ü-zeichen ersetzt ist, welches daher in dem aiphabet
auf dem brakteaten nicht nur an seiner eigenen stelle, sondern auch
da auftritt, wo früher p gestanden hatte, gerade wie in dem einen
elruskischeu aiphabet von Nola D sowohl auf seinem eigenen platze s. 109.
wie auf dem des alten H steht.
4. Die rune P P w.
Wir wenden uns hiernach zu den runenzeichen für die halbrokale
w und j. Das zeichen, welches in dem griechischen und den alten
itahschen nichtlateinischen alphabeten zur bezeichnung für den tc-
laut gebraucht wurde, wandte das lateinische und nach diesem das
runenalphabet in der bedeutung f an, wie wir oben gesehen haben.
Zur bezeichnung für den halbvokal «c bildete das lateinische aiphabet
kein neues zeichen, sondern behalf sich mit dem vokal V, wie es
durch I sowohl den vokal t als auch den halbvokal j ausdrückte.
Das runenalphabet nahm dagegen lat. V und I nur zur bezeichnung
der vokale u und i auf, wogegen es für die halbvokale w und j ganz
andere zeichen gebraucht.
Das zeichen für den halbvokal to ist in den alten runenalpha-
beten sowohl wie in den inschriften ohne ausnähme P P. Diese
rune stimmt in der form genau mit dem latein. |)-zeichen überein,
das, wie wir eben gesehen haben, gerade aus diesem gruude im runen-
alphabet als zeichen für p auf andere weise umgebildet wurde. Die
ähnüchkeit zwischen dem runenzeichen P und dem lateinischen P muls
^) Eine vollständige analogie zu dem ^ statt (^ der spange voa Charnay
bieteo die griechischeu zeichen f/^ und ^ für f/ (v) und ^^ (u) in dem aipha-
bet auf der galassischeu vase.
120 ERSTES BUCU. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
daher eben so zufällig sein wie die zwischen lat. M m F /" und den
runen M e ^ a, und wie zum teil die zwischen lat. X x und der rune
X g.j obgleich das lateinische zeichen im letzteren falle wohl gerade eine
mitwirkende Ursache dazu war, dafs die ^-rune diese form erhielt. Da-
gegen würde es ja mehr als merkwürdig sein, wenn die runenschrift,
wo sie sowohl w wie p ausdrücken wollte, lat. P zur bezeichnung für
diese beiden laute benutzt hätte, und das obendrein in der weise, dafs
das rø-zeichen formell vollkommen mit lat. P gleich wurde, während das
|)-zeichen eine mehr abweichende form erhielt. Aufserdem hat die
runenschrift in keinem andern falle aus demselben lateinischen
buchstaben zeichen für zwei oder mehr verschiedene laute
gebildet (X und ^ sind ja neue zeichen, die erst aus der <-rune zum
110. besondern gebrauch für die runenschrift gebildet sind). Ich wage also
nicht in den hier genannten fällen die ähnlichkeit zwischen den latei-
nischen buchstaben und den runen als zeichen von Verwandtschaft an-
zusehen, da ich als hauptgrundsatz für die ableitung zweier alpha-
bete von einander die forderung aufstelle, dafs die zeichen einander
sowohl in form wie bedeutung entsprechen müssen, wofern man
nicht, wo dies in der einen oder andern richtung nicht der fall ist,
ganz evident die gründe der abvveichungen nachweisen kann. Sonst
wird man leicht zu den willkürlichsten und unbegreiflichsten Zu-
sammenstellungen verleitet. Folglich mufs ich die behauptung zu-
rückweisen, dafs die rune ^ w von lat. P p ausgehe, und den ge-
danken, den ich früher („Runeskr." s. 110) mit grofsem zweifei der
näheren erwägung anheimgestellt habe, dafs ^ entweder aus der ^-
oder der H-rune gebildet sein könnte, gebe ich jetzt auch vollständig
auf. Es gibt nämlich einen lateinischen buchstaben, aus dem die ic-
rune nach meiner meinung nicht nur zufolge seiner form, sondern
auch seiner bedeutung abgeleitet werden kann, also aller Wahrschein-
lichkeit nach wirklich entstanden ist, nämlich lat. Q.
Dieser buchstabe wird ja in Verbindung mit V mit dem laute
ausgesprochen, der auf jeden fall auf das nächste dem germanischen
w entsprach, und es lag daher nahe, den buchstaben Q selbst, der
sonst in der runenschrift keine Verwendung finden konnte, mit der
bedeutung w aufzunehmen. Dafs dies wirklich geschehen ist, wird
in hohem grade durch die form der w-rune wahrscheinlich gemacht ;
sollte Q nämlich zum gebrauch für die runenschrift umgebildet
werden, so ist es klar, dass P so nahe wie möglich lag, wenn man
nicht eine form wählen wollte, die mit S(. zusammenfiel.
III.
KAP. C. VERHALTEN. ZU D. ALTEi> ALPHABET. ABSTAMMUNG V. LAT. ALPH. 121
5. Die rune ^ H ^ j-
Während das runenzeichen für w in den alphabeten und in-
schriften immer dasselbe ist, finden wir für den andern halbvokal, j,
eine verschiedene form in den verschiedenen alphabeten, nämlich:
auf dem brakteaten von Vadstena: ^
auf der spange von Charnay: H
auf dem Themsemesser: +
in handschr. altengl. alphab.: ^ ^^
Die anzahl dieser formen kann mit hülfe der inschriften noch ver- s. lU.
mehrt werden. Zwar können wir in keiner der bisher bekannten
ältesten inschriften im Norden mit vollkommener Sicherheit das alte
j-zeichen mit der bedeulung y nachweisen; aber dafs dies — wie bei
p — auf einem reinen zufalle beruht, der sich aus dem geringen
sprachstoft" erklärt, den man in diesen inschriften findet, ist daraus
klar, dafs dieses zeichen weit später, aber allerdings mit ver-
änderter bedeutung, eins der allerhäufigsten ist. Da nämlich der ur-
sprüngliche name der rune jära in folge nordischer lautgesetze zu är
wurde, konnte sie selbstverständlich nicht länger als zeichen für j
gebraucht werden, sondern mufste die bedeutung a annehmen. Hier-
für hatte das ursprüngliche runenalphabet indessen die rune ^, und
da man nicht zwei zeichen für den a-laut brauchte, so kam die alte
y«rfl-rune ohne zweifei zu irgend einer zeit aufser gebrauch; aber sie
hielt sich im alphabete, und da später das ^ seinen namen (ur-
sprünglich und in der sprachform der ältesten nordischen inschriften
^+^nY ans uz, ansuR) so veränderte, dafs das reine a im anlaut wegen
des folgenden nasals etwas verdunkelt wurde, so verdrängte die dr-
rune allmählich das ^ als bezeichnung für das reine a, während ^ das
zeichen für einen dunkleren laut wurde. Am frühesten kann die alte
jara-rune mit der bedeutung a auf dem steine von Istaby nachge-
wiesen werden, wo R dagegen zur bezeichnung eines schwa-lautes
(svarabhaktisches a) dient ^). Ob die jiTra-rune diesen namen und
die damit verbundene bedeutung _/ noch zur zeit des brakteatalphabetes
gehabt, oder ob sie bereits den namen ära und die bedeutung a an-
genommen habe, ist für den augenblick unmöglich mit Sicherheit zu
entscheiden; denn sie scheint zwar auf dem Skodborger brakteaten
^) Siehe „De ældste oord. runeindskr." (årb. f. nord. oldk. 1S67), s. 39, 51,
56; Navneordenes böjuing i æ'.dre dansk, s. 41 tf.; Bugge in der Tidskr. for
Phiiologi og Pædagogik Vil, s. 314 tf.
122 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
(Stephens no. 67; Thorsen I, s. 329), wo sie dreimal die form fJ^) und
einmal umgekehrt ^ hat, j bedeuten zu müssen, da sie an allen vier
112. stellen unmittelbar vor ^ steht; aber ein sicherer schlufs läfst sich
keineswegs hieraus ziehen, da es nicht ausgemacht ist, ob dieser brak-
teat mit seinem dreimal wiederholten unerklärten auja-alawin und
darauffolgenden jalawid wirkliche worte hat ausdrücken sollen oder
nur eine willkürliche Zusammenstellung von runen enthält'^); auf
jeden fall ist es unmöglich für uns, jetzt die bedeutung dieser
Inschrift ausfindig zu machen, und daher können wir sie auch
nicht als beweis bezüglich des wertes ihrer jära-rune gebrauchen.
Indem wir es also auch unentschieden lassen müssen, ob die
jära-rune auf dem brakteaten von Vadstena j oder a bedeutet,
finden wir sie wie gesagt auf dem Istabyer steine (ungef. 650) in der
bedeutung a, aber mit der ungewöhnlichen form H. Auf andern
der Blekinger steine mit älteren runen sowohl wie in einigen der
ältesten inschriften mit dem kürzeren aiphabet hat sie endlich die
form if, die früh zu + vereinfacht wurde, welches die gewöhnhche
a-form in unsern inschriften aus der jüngeren eisenzeit ist. Diese
ganze entwicklung werden wir unten des näheren zu besprechen ge-
legenheit finden.
Der Übersichtlichkeit halber stellen wir hier die verschiedenen
formen zusammen, unter denen die alte yöra-rune auftritt, einerlei
ob sie die ältere bedeutung j, oder die neuere nordische a hat:
die spange von Charnay: H U)
der stein von Istaby: h (a)
der brakteat von Vadstena: ^ {j oder a?)
altenglisch: +4*^(j')
jünger nordisch: )jc ^ (a).
^) Diese form eastpricht gaaz der des brakteaten von Vadstena, da die
runen auch auf dem brakteaten von Skudborg umgekehrt stehen. Ich kann da-
her nicht der uieinung Bugges beipflichteu (årb. f. nord. oldk. 1878, s. 69), dals
das zeichen auf dem Skodborger brakteaten eine form der i/?^-rune sei, da das
charakteristische für diese rune im gegensatz zur Jära-rune gerade als regel die
offene form ist. Die spauge von Fonnås, deren tng-ruae Bugge veranlal'st hat,
sich für die bedeutung ing- auf dem brakteaten auszusprechen, gebraucht ja auch
gerade die form J, die ich für die kori-ekteste halte; denn dafs die striche au
den beiden andern stellen unten zusammenlaufen (pl), betrachte ich als einen
reinen zufall, hervoi-gerufen durch Unachtsamkeit von selten des runenritzers.
2) Wie in andern inschriften, wo die runen wahrscheinlich magische be-
deutung haben, spielt die a-rune auch auf dem Skodborger brakteaten eine
III. KAP. C. VERHÄLTN. ZV D. ALTEN ALPHABET. ABSTAMMUNG V. LAT. ALPH. 123
Von den allenglischen formen kommt die erste nur auf dem Themse-
messer vor; die ähnlichkeit, welche die ger-rune hier mit dem
späteren nordischen + bekommen hat, ist nur scheinbar und ganz
zufallig; nordisches + ist nämlich eine jüngere vereinfachte form
des älteren )|(: und das altengl. + auf dem Themsemesser ist ohne
zweifei eine dieser inschrift eigentümliche modification von ähnhcher s. 113.
art wie ihr i für H, H für M, ^ für S^, womit ich jedoch nicht be-
haupten will, dafs das + des Themsemessers unmittelbar aus <|) •^
hervorgegangen.
Bei einer betrachtung dieser verschiedenen formen der j-rune
zeigen die abweichungen unter denselben sich beim ersten anblick so
grofs, dafs es schwierig erscheinen kann, die gemeingermanische form
dieser rune nachzuweisen. Was indessen sofort in die äugen fällt, ist,
dafs die beiden denkmäler, die räumlich am weitesten von einander ge-
trennt sind, die spange von Charnay und der stein von Istaby, zeichen
darbieten, die völlig identisch genannt werden müssen, da H und H
ja nur in derselben weise von einander abweichen, wie z. b. die beiden
formen der s-rune \ und ^ u. s. w. Dafs diese ähnlichkeit zufällig sein
könn te, entstanden durch parallele entwicklung, darf natürlich nicht
ohne weiteres geleugnet werden; aber es müTste doch sicherUch in
hohem grade merkwürdig genannt werden, dafs man in so weit von
einander Hegenden gegenden unabhängig von einander auf zwei so
charakteristische formen gekommen sein sollte. Weit eher müfste man
daher zu dem Schlüsse geführt werden, dafs die übereinstim-
mende burgundische und nordische runenform auch die
ursprüngliche war, und dafs sich die andern formen allmählich
daraus entwickelt haben. Dafs dies in Wirklichkeit der fall ist,
scheint mir mit Sicherheit aus der merkwürdigen inschrift auf dem
lanzenschaft aus dem Kragehuler moore hervorzugehn, den C. Engel-
hardt so glücklich war im sommer 1877 hervorzuziehen, und wovon
ich hier eine Zeichnung mitteile, die ihrer zeit für eine beabsichtigte
abhandlung von Engelhardt und mir über die späteren funde im Kra-
gehuler moore ausgeführt wurde (dieselbe abbildung ist bei Stephens
III, s. 133 wiedergegeben). Bei der aufnähme wurde der morsche
holzschaft an mehreren stellen in stücke zerbrochen, so dafs die in-
schrift, wie dies aus der Zeichnung hervorgehl, aus 5 bruchslücken
besieht; von diesen passen jedoch die zwei gröfslen genau zusammen
wichtige roile, und wir fiudea ebenso die u- uud /-ruue wieder (vgl. oben s. 57 f.
aam. 5 und s. 76 auin. ]).
124
ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
ihn lii I
pifcp!
1.^ V
iPTTiü]
Der lanzenschaft aus dem Kragehuler moore.
III. KAP. C. VERBÄLTN. ZU D. ALTEN ALPHABET. ABSTAMMOG V. LAT. ALPH. 125
und schliefsen sich sicher an einander (von der ^-rune befindet sich
der hauptslrich auf dem ersten stück, die spitze des oberen neben-
striches auf dem andern stück, wogegen der untere nebenstrich
durch den bruch ganz verschwunden ist, was aus der im übrigen
sehr genauen Zeichnung nicht genügend hervorgeht); das dritte stück
fand sich später und pafste zufolge der mitteihmg, die Engelhardt
mir sofort nach der entdeckung sandte, nicht genau an das zweite,
und deswegen hielt er es für „zweifelhaft, ob sie ohne lücke zusam-
mengehörten". Dafs sie nicht unmittelbar mit einander verbunden
werden können, halte ich für sicher auf grund der sprachformen,
die dadurch entstehen würden. Ebenso wenig glaube ich, dafs das
vierte stück sich unmittelbar an das dritte schUefst; dagegen passen
das vierte und fünfte genau zusammen. Leider fehlt das stück, wor-
auf der schlufs der inschrift angebracht gewesen ist (von der letz-
ten rune sieht man nur gerade im bruch einen hauptstrich, der kei-
nen nebenstrich zur linken gehabt hat). Die ganze inschrift umschreibe
ich demnach folgenderraafsen mit lateinischen buchstaben, indem ich
die binderunen mit einem bogen darüber bezeichne und die stellen,
wo ich die inschrift für unvollständig halte, mit punkten angebe:
ek erilaR asugisalas muha haite g^ag.agaginugahe . . .
liha . . . hagalawiHubig . . .^)
^) Die überraschende ähnlichkeit, Vielehe die inschrift sowohl im iohalt wie
in der form der ranen mit der inschrift auf der schlänge (dem amalet?) ans
dem Lindholmer moore in Schonen aufweist, wird natürlich auf den ersten blick
jedem auifalleo. Merkwürdig genug stimmt einer von den gegenständen, die
1751 — 52 aus dem Kragehuler moore hervorgezogen wurden, aber später ver-
schwunden sind, nach S. Abildgaards beschreibung so genau mit der Lindholmer
schlänge (vgl. Engelhardt, Kragehul Mosefund, s. 9 und s. 26), dafs man ver-
sucht sein könnte, diese letztere gerade für das im Kragehuler moore ge-
fundene denkmal anzusehen. Gegen diese annähme spricht jedoch die bestimmte
mitteilung, die der frühere eigentümer der Lindholmer schlänge, der berühmte
archäologe S. JNilsson in Lund, F. Magnusen gegeben hat, der zufolge die
Lindholmer schlänge 1S40 in einem zu dem herrenhofe Lindholm in Schonen ge-
hörenden torfmoore gefunden ist (,,Runamo", s. 649 f. und das register s. n.
Lindholm). Wenn diese mitteilung richtig ist, müssen wir also annehmen,
dafs zwei fast gleiche rnnendenkmäler aus dem fuhnischen und dem schoaischen
moore hervorgezogen sind, was ja an und für sich auch nicht unmöglich ge-
nannt werden kann; man braucht sich blois an die auffallende Übereinstimmung
zwischen den speerblättern von Müncheberg und Kovel zu erinnern. Mit den
runenformen auf dem lanzenschaft und der schlänge stimmen gleichfalls die
126 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
Es kann natürlicli kein zweifei darüber bestehen, dafs das in dieser
Inschrift zweimal vorkommende H die alte yära-rune in der von
dem Istabyer steine her bekannten form ist, selbst wenn die be-
deutung der rune sich wegen der mangelhaften inschrift nicht mit
vollkommener Sicherheit feststellen läfst; der umstand, dafs sie an
beiden stellen zwischen zwei vokalen steht, macht es jedoch höchst
wahrscheinlich, dafs die bedeutung j sein mufs; namentlich an der
letzten stelle Hegt es nahe, hagala als accusativ von einem bekannten
dem allnord. hagall entsprechenden worte aufzufassen und das fol-
gende wort wiju zu lesen. Da ich glaube, dafs die runen hagala zu
einem worte zusammengehören, und da ich nicht annehme, dafs das
dritte und vierte bruchslück sich unmittelbar an einander schliefsen, so
halte ich es für unzulässig, H^ am Schlüsse des dritten bruchslückes
mit H im anfang des vierten zu dem worte jah zu verbinden, wie
verlockend eine solche lesung auch bei dem gedanken an das iah
des Steines von Varnum sein könnte (natürlich kann aber sehr gut auf
dem zwischen ^ und H fehlenden stücke gerade ein H gestanden ha-
ben, das mit dem vorhergehenden HF^ verbunden werden sollte).
Die vollständig übereinstimmende form, die die alte jära-rune so-
mit auf der spange von Charnay, der lanze von Kragelml und dem stein
von Istaby zeigt, mufs a priori zu der annähme führen, dafs wir auf
diesen denkmälern gerade die älteste ursprüngliche form dieser rune
finden, und diese annähme wird vollständig durch den lateinischen
buchstaben bestätigt, aus dem die y-rune hervorgegangen ist, da H
geradezu aus lat. G gebildet ist. Lateinisches G wurde, wie
früher erwähnt, wegen der ganz verschiedenen ausspräche nicht als
zeichen für die germanische spirans ^ gebraucht. Dagegen müssen
lat. g und germanisches j in vielen fallen zu der zeit , als das
runenalphabet gebildet wurde, nahezu im laute zusammengefallen sein,
wenn wir, wofür alles spricht, diese nicht weiter zurück verschieben
als frühestens bis zum jähre 200 nach Chr. Sollte nun lat. Q zum
gebrauch für die runensclirift umgebildet werden, so lag kaum ein
zeichen näher als das H der lanze von Kragehul und des Steines von
Istaby und (umgekehrt) das H der spange von Charnay. Hieraus
müssen sich dann die andern formen im Norden und in England allmäh-
lich entwickelt haben, und die ursprüngliche form mufs notwendiger-
ranen überein, die sich anf dem kleinen bruchstück eines messerheftes (?) ans
dem Kragehuler moore befinden; ich finde auch auf dem messerhefte mehrere
der auf der Lindholmer schlänge vorkommenden magischen runen wieder.
III. KAP. C. VERHALTS. ZU D. ALTEN ALPHABET. ABSTAMJfUNG V. LAT. ALPH. 127
weise in beiden gegenden verändert sein, ehe die alte s-rune (^ \) so-
wohl im Norden wie auch in England die form H annehmen konnte,
also gerade die gestalt, welche ursprünglich der yära-rune zukam.
Eine frühzeitige Veränderung des H finde ich in dem ^ des
brakteaten von Vadstena, das wohl gerade entstanden ist, um die Ver-
wechselung mit der s-rune / zu vermeiden. Gleichfalls fasse ich das
zeichen \i auf der spange von Fonnås als eine Veränderung des H auf,
und hier dann ohne zweifei in der späteren bedeutung a, nicht mit
Bugge (årb. for nord. oldk. 1S78, s. 70) als eine form von K das ja
von den ältesten bis auf die neuesten zeiten seine ursprüngliche form
bewahrt hat. Habe ich indessen in dieser vermutung recht, so liegt
es verführerisch nahe, die sehr ähnliche geschlossene form K die auf
dem steine von Rök zwischen den runen der längeren reihe und in
einem jetzt verschwundenen norwegischen runenkalender (Worm, Fasti
Danici, 2. ausg., Hafniæ 1643, p. 92 und darnach bei Stephens II,
p. 867) vorkommt, in derselben bedeutung aufzufassen, in welchem
falle das H des Steines von Rök natürlich die jüngere form der s-rune
sein mufs, während der kalender die ältere form \ bewahrt hat. Dafs
dies mehr als eine blofse vermutung ist, scheint mir aus dem umstände
hervorzugehen, dafs die ersten 5 runen der längeren reihe auf dem
Roker steine (HWPM) uns in diesem falle ein wohlbekanntes wort
geben (sagwm = sag^nm, indem die alte jc-rune hier wie auf dem see-
ländischen steine von Frerslev in der bedeutung u gebraucht ist; vgl.
Burg s. 47, wo jedoch anstatt S ein P zu lesen ist). Indessen fanden
die formen ^, Jj, JJ der j- (a-)rune, die wohl zur einritzung in holz
und metall dienlich sein konnten, aber in Steininschriften sehr be-
schwerlich waren, niemals allgemeine Verbreitung, sondern wurden früh-
zeitig von dem zweckmäfsigeren zeichen 5(c verdrängt, das vielleicht
eher aus }:] \i als unmittelbar aus H abzuleiten ist. Welche mittel-
form oder mittelformen zwischen altengl. <J) ^ und dem ursprünglichen
h liegen, kann mit hülfe der verhältnismäfsig jungen englischen runen-
denkmäler nicht aufgeklärt werden (das + des Themsemessers kann
natürlich direkt von H abgeleitet werden).
Dafs das j-zeichen in der runenschrift unmittelbar s. 114.
von lat. G ausgeht, enthält natürlich einen entscheiden-
den beweis dafür, dafs es das lateinische aiphabet in seiner
jüngeren gestalt ist, das bei der bildung der runenschrift
zu grunde gelegt wurde.
Die hier vorgetragene auffassung wird auch in hohem grade durch
128 ERSTES BUCH. DEU URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
die betrachtung des andern alten alphabetes gestützt, das wir bei
einem der germanischen Völker, den Goten, finden, wo die runenschrift
bereits gegen die mitte des 4. jahrhdts von dem alphabete Wulfilas ab-
gelöst wurde. Während die runenschrift von den lateinischen kapitalbuch-
staben ausgeht, ist das Wulfilanische aiphabet wesentlich den grie-
chischen uncialbuchstaben nachgebildet, doch so, dafs auch einzelne
lateinische buchstaben für laute, die sich im griechischen nicht fanden,
die aber die Römer mit den Goten gemeinsam hatten {/", j), benutzt
sind; dafs auch zwei runen in das Wulfilanische aiphabet übergegangen,
und dafs die alten runennamen bewahrt sind, ist in Verbindung mit
den andern oben (s. 71 f.) hervorgehobenen umständen ein wichtiger
beweis dafür, dafs die runenschrift bei den Goten älter ist als W^ulfilas
aiphabet.
Als zeichen für b und g finden wir nun gerade im Wulfilanischen
alphabete griech. ß und y, und dieselbe herkunft mufs daher von got.
(/angenommen werden, obschon es nach seiner form sowohl von griech.
å wie von latein. d abgeleitet werden kann; aber da die ausspräche
des griechischen ß, y, å damals im wesentlichen mit derjenigen der
germanischen spiranten 5, g, å zusammenfiel, so müssen die Goten
sicher noch zu Wulfilas zeit diese ausspräche nicht nur im in- und
auslaut, sondern auch im anlaut bewahrt haben. Hätten die Goten
mutæ gehabt, so müfsten wir weit eher lat. 6, gf, å zu finden erwarten.
Wäre das runenalphabet aus dem griechischen alphabete gebildet,
oder hätte es nur einzelne griechische buchstaben unter die lateinischen
aufgenommen — wie Wulfila lateinische unter die griechischen auf-
nahm — , so können wir kaum bezweifeln, dafs wir besonders in
diesem punkte (bei der bildung der zeichen für die spiranten g, <f) den
griechischen einflufs spüren würden, was ja indes durchaus nicht der
fall ist.
Um den halbvokal y auszudrücken, mufste W'ulfila . dagegen das
griechische aiphabet verlassen und das lateinische G-zeichen auf-
nehmen, mit welchem got. y in vielen fällen in der ausspräche auf das
nächste übereinstimmte. Ganz dasselbe Verhältnis hat sich auch in der
runenschrift geltend gemacht, die wegen der verschiedenen ausspräche
lat. G nicht für ihr g verwenden konnte, dasselbe dagegen als zeichen
für ihr j aufnahm.
6. Die rune Y (A) %\ r.
Von den 24 zeichen des alten runenalphabetes sind somit nur
noch Y und \ übrig.
in. KAP. c. VERHÄLTN. Zu D. ALTEN ALPHABET. ABSTAMMUNG V. LAT. ALPH. 129
Die erstere dieser runen hat im futhark auf dem brakteaten, dem
Themsemesser und im allgemeinen in den handschriftlichen altengl.
alphabeten die form Y. In unsern inschriften aus dem älteren eisen-
alter gehört sie zu den am häuGgsten vorkommenden zeichen, und sie
hat hier wie in den alphabeten fast ausschliefslich die form Y mit
den beistrichen oben. Ausnahmsweise finden wir jedoch auf dem
lanzenschafte aus dem Kragehuler moore die runen aR als binderune
X, in demselben namen zusammengeschrieben und also in ganz derselben
bedeutung wie Y^ (von rechts nach links) auf der Lindholmer
schlänge, und von den andern inschriften mit dem längeren alphabete
gebraucht der stein von Varnum (Järsbei^) nur einmal Y (in dem
Worte Rn+5^Y), aber dreimal in derselben bedeutung A, jedoch nur
in Verbindung mit ^, darunter das eine mal als binderune wie in der
Kragehuler inschrift. Eis geht hieraus hervor, dafs A, welches später
allgemein wurde und in der jüngeren eisenzeit alleinherrscht, bereits s. 115.
frühzeitig als eine gleichbedeutende nebenform zu Y gebraucht worden
ist. Da indessen die inschriften von Kragehul und Varnum, die nicht
zu den ältesten nordischen inschriften mit der längeren reihe ge-
hören, die einzigen bisher bekannten beispiele für Å bieten, während
alle andern inschriften mit den zeichen dieser reihe (auch die der brak-
teaten) wie die altenglischen alphabete durchgehends Y haben, so
müssen wir natürlich die letztere form als die älteste und ursprüng-
liche ansehen und A. als eine jüngere speciel! nordische Veränderung,
die, wie dies sowohl aus der Kragehuler wie aus der Varnumer in-
schrift hervorgeht, von anfang an in der in den nordischen inschriften
besonders häufigen Verbindung ^Y entstanden ist, wenn diese beiden
runen an einem hauplstriche zusammengeschrieben wurden. Da nämlich
im älteren alphabete unmöglich Verwechslung zwischen einem andern
zeichen und Y entstehen konnte, sei es dafs dieses die beistriche oben
oder unten hatte, so konnte man, wie ich früher hervorgehoben habe
(„De ældste nord. runeindskr.", s. 40—41), Y und Å durcheinander ge-
brauchen. Ein ganz entsprechender Wechsel in der Stellung der neben-
striche kann übrigens auch bei einem andern runenzeichen nachge-
wiesen werden: die älteste form der Ar-rune < begann man bereits
frühzeitig so zu verändern, dafs < umgedreht und mit einem senk-
rechten striche versehen wurde; aber während der stein von Varnum
und einzelne andere etwas jüngere inschriften k durch V Y mit den
beistrichen oben ausdrücken (woraus sich das jüngere K entwickelt hat),
WIM HER, Die rnnenschrift. 9
130 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
finden wir in den inschriften von Kragehul und Lindholm A. Es
ist ja einleuchtend, dafs Y sich zu Å verhält wie Y zu A'). Neben
dem älteren Y und dem daraus veränderten jüngeren A kommt in-
dessen ein einziges mal eine dritte form dieser rune vor, nämlich A
im futhark der spange von Charnay. Man könnte vielleicht geneigt
sein, diese form als den ursprünglichen grundtypus zu betrachten,
woraus sowohl nordisches Y wie A durch vereinfaehung hätte her-
vorgehen können , indem man entweder nur die oberen oder die
unteren beistriche behielt. Aber da wir im Norden niemals eine
spur von X finden, und da die ältesten nordischen inschriften so-
wohl wie die altenglischen alphabete wie gesagt nur Y kennen ^),
s. 116. so halte ich es für höchst unwahrscheinhch, dafs wir in dem ganz
alleinstehenden X auf der spange von Charnay die gemeingermanische
form dieser rune haben sollten. Ich halte es im gegenteil für sicher,
dafs nicht blofs Å eine spätere nordische Veränderung von Y ist,
sondern dafs auch auf der spange von Charnay X eine spätere (zier-
lichere) form für Y ist, wie wir an derselben stelle und in England
N und M für H, W und IX für K (U) finden.
Die bedeutung der Y-rune geht klar aus den nordischen in-
schriften hervor, wo sie namentlich im wortausJaut als bezeichnung
für den aus stimmhaftem s {z) entstandenen r-laut vorkommt, der
^) Wenu meine oben (s. 81) dargelegte Vermutung über die bedeutung der
zeichen J^ "n"! K auf der spange von Charnay richtig ist, so würden wir hier
ein ganz ähnliches Verhältnis auf einem deutschen denkmal linden.
■^) Zwar hat ein altenglischcs aiphabet von St. Gallen (VV. Grimm, Über
deutsche Runen, tab. II no. 3; Stephens s. 102 no. 7) die form X» ^^^ i'''' früher
(„De ældste nord. runeindskr.", s. 32) mit jfi auf der spange von Charnay ver-
glichen habe; aber ich bin jetzt überzeugt, dafs diese beiden formen nicht in
der geringsten Verbindung mit einander stehen. Da nämlich alle altenglischeo
alphabete den namen und die bedeutung dieser rune mifsverslanden haben, die
sie in der regel mit x wiedergeben, so veränderte das genannte aiphabet auch
das zeichen Y ^^ X) das somit das aussehen eines durchstrichenen lateinischen
X bekam. Dafs diese erklärung richtig ist, wird in hohem grade durch ein
anderes altenglisches aiphabet, gleichfalls aus St. Gallen, bestätigt (Grimm
tab. II no. 1 & 2; Stephens s. 103 no. 10, s. 107 no. 21), wo wir anstatt
Y geradezu das lateinische X ™it <^fci namen elux und dem werte x finden.
Da X sonst das gewöhnliche zeichen für die j^^-rune war, so bat diese in diesem
alphabete eine etwas veränderte form bekommen; umgekehrt hat dagegen das
zuerst erwähnte aiphabet richtig X als g, und da es folglich nicht dasselbe
zeichen auch in der bedeutung x brauchen konnte, so hat es der diesem
entsprechenden rune die form )|^ gegebea.
III. KAP. C. VERHXlTN. zu D. ALTEN ALPHABET. ABSTAMMUNG V. LAT. ALPH. 131
gotischem s (z) entspricht, wogegen der ursprfinghchem (gemeinger-
manischem) r entsprechende r-laut durch R R ausgedrückt wird.
Diese beiden r-laute, von denen ich den ersten mit r, den zweiten
mit r bezeichne, wurden im Norden nicht blofs während des ganzen
älteren eisenalters, sondern auch in den ältesten inschriften aus dem
jüngeren eisenalter genau unterschieden^). Die eigentümlich nordische
bedeutung von Y (Å) ist also unzweifelhaft; aber in inschriften aufser-
halb des Nordens hat diese rune bisher nicht mit wirklicher buch-
stabenbedeutung nachgewiesen werden können. Da wir sie indessen«, in
als 15. zeichen im runenalphabet zwischen p und s nicht blofs auf
dem nordischen brakteaten von Vadstena, sondern auch aufderbur-
gundischen spange von Charnay und dem altengUschen Themsemesser
sowohl wie in den handschriftlichen altenglischen alphabeten finden,
so ist es klar, dafs wir in Y keine rune haben, die speciell im
Norden erfunden ist, um den eigen lümlichen nordischen ß-laut aus-
zudrücken. Y mufs bereits im ältesten gemeingermanischen
runenalphabet den 15. platz in der reihe eingenommen
haben, und es ist zugleich klar, dafs es damals nicht die bedeutung r
wie im nordischen gehabt haben kann, sondern das dem nordischen r
zu grunde liegende stimmhafte s (2) bezeichnet haben mufs, welches
in der gemeingermanischen spräche eine weit gröfsere rolle gespielt
hat, als man nach den Überresten der gotischen spräche vermuten
sollte, die wir aus Wulfilas bibelübersetzung kennen, wo s, das diesen
laut bezeichnet, fast ausschliefslich im inlaute vorkommt; aber bereits
Holtzmann hat den richtigen Zusammenhang gesehen, wenn er (Alt-
deutsche Gramm, s. 43 f.) meint, dafs namentlich jedes gotische
flexions-s im auslaut aus z entstanden sei. Auf jeden fall haben
die germanischen Völker, als das runenalphabet gebildet
wurde, den unterschied zwischen dem stimmlosen und
dem stimmhaften s-laute so stark gefühlt, dafs sie zur
bezeichnung dafür die beiden zeichen ^ und Y bildeten,
die ganz genau dieselben laute wie Wulfilas s und 3 ausgedrückt ha-
ben. Im nordischen, wo älteres z als ß bewahrt wurde, fuhr man
also fort, Y in dieser bedeutung zu benutzen. Dagegen warfen die
1) Siehe iin ganzen genommen „De ældste nord. runeindskr." ^årb. f. nord.
oldk. 1867), s. 29 ff.; „Professor G. Stephens om de ældste nordiske rane-
indskrifter", s. 9 ff. (= årh. f. nord. oldk. 1S6S, s. 61 ff). Vgl. meine „alt-
nordische grammatik'', Halle 1871, s. 9 anm.; „fornnordisk formlära", Lund 1S74,
§ 5, 7) anm., s. 11.
9*
132 ERSTES BUCH. DFR URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
westgermanischen sprachen bekannllich frühzeitig den dem got.
s (s), nord. r entsprechenden laut in der flexion ah, und sie hahen
daher auch früh aufgehört, die rune Y als buchstaben zu benutzen.
Gleichwohl blieb sie auf ihrem allen platze in den alphabeten stehen;
aber da man in der praxis keine Verwendung dafür hatte, so vergafs
man nach und nach ihren ursprünglichen namen nebst der bedeutung.
Daher schreiben sich die vielen entstellungen in den handschriftlichen
altenglischen runenalphabeten, die ihm die namen eolhx, ilcs, üix, elux
und die bedeutungen x, il, l et x geben. In dem oben (s. 83)
s. 118. genannten altengUschen runenliede bei Hickes, wo jeder vers mit
dem namen der rune, die erklärt werden soll, beginnt, heifst es
von Y:
■^ Vp eolhx seccard hæf|) oftust on fenne
wo seccard schon von W. Grimm richtig in secg eard verbessert ist,
so dafs die ganze zeile lautet:
eolhx secg eard hæfj) oftust on fenne ^).
In eolhx sollen wir also den namen der rune und zugleich ihre
bedeutung finden; aber eolhx ist in Wirklichkeit nichts, obgleich Grein
(Glossar I, s. 257) es als genitiv von eolh auffafst. Diese erklärung
ist natürlich zu verwerfen, da der genitiv eol{h)es lauten würde. Dage-
gen können wir auf einem andern wege zu der form eolhx gelangen :
in der Zusammensetzung mit secg würde eolh nämlich das worl
eolhsecg bilden, wo hs für x gelten könnte; wenn eolhxsecg geschrie-
ben wird, ist x in Wirklichkeit überflüssig, da es nur eine Wiederho-
lung des vorhergehenden h und des folgenden s ist. Die bedeutung
der rune (x) findet sich also in der mitte des wortes : eolhsecg =
eolxecg (eolhxsecg) und entspricht dem werte, der ihm in dem an
das runenlied geknüpften alphabete beigelegt wird. Aber selbstver-
ständlich beruhen die angaben in den altenglischen alphabeten auf
späteren misverständnissen. Da Y» wie wir gesehen haben,
ursprünglich das zeichen für stimmhaftes s (z), später im nordischen
R, war, und dieser laut niemals im wortanfang vorkommt, so müssen
wir für diese rune wie für rø einen namen haben, wo sich die bedeu-
tung der rune im auslaut findet, während die übrigen runennamen
1) Etwas gewaltsamer ist Kembles besserung:
eolhx secg eardad oftust on feone.
III. KAP. C. VERHÄLTN. ZU D. ALTEN ALPHABET. ABSTAMMUNG V. LAT. ALPH. 133
umgekehrt mit dem buchstaben anfangen, den die rune ausdrückt.
Nun entspricht indes der altengliscbe name eolhx, der nur durch
misverständnis aus eolh entstanden ist, gerade dem allnordischen elgr,
das in der ältesten runensprache ohne zweifei *algiR (^t^XIY) ge- s. 119.
lautet haben würde ^), wo wir also die bedeutung von Y (ur-
sprünglich 2, nord. r) im worten.de als merkmal des nominativs
finden. Im altenglischen ging dieses wort dagegen in eolh über und
verlor also gerade den laut, welcher die bedeutung der rune angab;
da die rune folglich als ein müfsiges zeichen im alphabete stand, und
man ihre ursprüngliche bedeutung vergessen hatte, so, scheint es,
gab man ihr willkürlich den wert x„ weil das alte runenalphabet
kein zeichen für diesen buchstaben hatte; um aber für die bedeutung
X zu passen, mufste auch der name eolh verändert werden, und dies
wurde durch Zusammensetzung mit dem worte secg erreicht, indem
h am Schlüsse des ersten gliedes in Verbindung mit s im anfange
des zweiten gliedes x vorstellen konnte, und um diesen buch-
staben deutlicher zu bezeichnen, veränderte man in der schrift eolhsecg
in eolhxsecg und liefs endlich das sinnlose eolhx selbst mit abwer-
fung von secg als namen der rune gelten.
Da der ursprüngliche name der rune Y>k im laufe dieser Unter-
suchungen für uns von grofser Wichtigkeit werden wird, so habe ich
hier diese entwicklung darlegen müssen, die ich übrigens in allem
wesentlichen bereits in den årbøger for nord. oldk. 1867 („de ældste
nord. runeindskr."), s. 32 — 34 anm. vorgebracht habe.
Nachdem wn* so die ursprüngliche bedeutung der rune Y
sowie deren namen nachgewiesen haben, bleibt noch übrig zu unter-
suchen, woher das runen zeichen stammt. Einen buchstaben mit ganz
entsprechender bedeutung finden wir ja im lateinischen alphabete
nicht; aber da lateinisches s für ^ s benutzt war, mufste man für
den andern zischlaut entweder ein zeichen unabhängig vom lateinischen
bilden, oder z wählen, wie Wulfila in sein aiphabet diesen buch-
s laben zur bezeichnung für got. z aufnahm, das gerade den ursprüng-
1) Da Cæsar (de hello Gall. VI, 27) das wort alces und Paasanias (V, 12, 1 ;
IX, 21,3) iUxi] gebraucht, da ferner das e in altn. elgr i-unilaut von a sein mufs,
weil das wort entweder y«- oder «-stamm ist, so dürfen wir die ohen genannte
grundform (in got. gestalt *algeis oder *algs) annehmen, wohingegen ags. eolh
und mhd. eich ein urgerm. *elhaz voraussetzen, womit jenes im Verhältnis des
ablauts und des grammatischen wechseis steht. Eine dritte form, einen n-
stamm, hat das hochdeutsche in ahd. elaho, elho, mhd. elhe.
134 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
liehen laut der Y-rune repräsentiert. Da nun Z zum gebrauch für die
s. 120. runenschrift am natürlichsten entweder zu l» (vgl. T aus T) oder,
indem die querstriche von der mitte des stabes ausgingen, zu Y >k
(vgl. V aus F) umgebildet werden mufste, so zweitle ich nicht daran,
dafs wir in Y wirklich eine aus lat. Z entstandene rune
haben.
7. Die rune 1^4" (?).
Dafs man für die s-rune nicht die form \ wählte, die unleug-
bar dem Z näher zu liegen scheint, findet eine natürliche erklärung
darin, dafs das zeichen \ oder vT zur darstellung derjenigen rune ge-
braucht wurde, die in allen alten alphabeten die 13te stelle einnimmt.
Dagegen finden wir diese rune nicht als laut zeichen in den go-
tischen und nordischen inschriften, und wo sie in deutschen Inschrif-
ten nachgewiesen werden kann (auf der Nordendorfer spange a '),
der Freilaubersheimer spange, rechts unten auf der spange von Char-
nay), ist ihre bedeutung ganz unsicher. Auch sehe ich mich nicht
im Stande, ihre bedeutung in der allenglischen inschrift auf dem steine
von Thornhill (Stephens ill, s. 211) zu bestimmen, und in den
gröfseren bekannten altengl, runeninschriften tritt 4* nur ein einziges
mal auf dem kreuze von Ruthwell in dem worte ^t'MM'M'TIX auf,
wo es also am ehesten die bedeutung h zu haben scheint {almehttig),
das will sagen die des letzten buchstabens in dem namen, womit die
rune in den handschriftlichen altengl. alphabeten bezeichnet wird: eoh,
ih; gerade dieser name hat natürlich zu dem eigentümhchen gebrauch
der rune auf dem kreuze von Ruthwell veranlassung gegeben, der
jedoch nicht der ursprüngliche sein kann. Dagegen könnte der name
eoh, ih zu der annähme verleiten, dafs die rune ursprünglich das
zeichen für den gemeingermanischen diphthongen eu oder für langes
i gewesen sei. Das erstere kommt mir jedoch nicht nur höchst
zweifelhatt, sondern auch unwahrscheinlich vor, da ich niefit einsehe,
was den, der die runenschrift bildete, bewogen haben sollte, ein eige-
nes zeichen für die lautgruppe eu einzuführen, wenn die beiden an-
dern diplilhonge iai, au) durch Zusammenstellung der beiden vokal-
zeichen (M, hfl) ausgedrückt wurden. Dafs man dasselbe mittel auch
dazu benutzt hat, den diphlhong eu auszudrücken, geht aufserdem
') Möglicherweise ist J* auf der iNordendorfer spange gar nicht als laut-
zeichen, sondern als eine art trennungszeichen gebraucht.
III,
KAP. C. VERBXlTN. Zu D. ALTEN ALPHABET. ABSTAMMUNG V. LAT. ALPH. 135
mit Sicherheit aus dem rMH^PI+l leubwini der Nordendorfer spange
(vgl. s. 64) und dem TMH^ leub der spange von Engers (vgl. s. 65)
hervor. Dafs man auch im Norden diesen diphthong nicht durch
ein einzelnes zeichen ausgedrückt hat, werden wir später gelegenheit
finden nachzuweisen.
Eher könnte man sich daher mit dem Wulfilanischen alphabete
vor äugen denken, dafs man in der runenschrift von anfang an I als
zeichen für i gebraucht und 't oder ^T als zeichen für 1 gebildet hätte.
Da indessen die vier andern vokalzeichen in der runenschrift (^ M 5^ h)
sowohl für die kurzen wie für die langen laute gebraucht werden,
so finde ich es unwahrscheinUch, dafs man für t das bedürfnis nach
zwei zeichen gefühlt haben sollte. Aufserdem gebrauchen die runen-
inschriften nachweislich I sowohl in der bedeutung i wie t (vgl. got.
tilarids auf dem Koveler Speere mit woduridaR auf dem steine
von Tune, as ugisalas = altnord. Äsgisls auf der Ki'agehuler lanze).
Da ich mir auch schwer einen andern laut denken kann, den
das gemeingermanische runenalphabet durch dieses zeichen auszu-
drücken sich veranlafst gesehen haben sollte*), so stellt es sich für
mich als eine mögüchkeit dar, die mir einen nicht geringen grad
von Wahrscheinlichkeit zu haben scheint, dafs 1» von anfang an
gar nicht als lautzeichen gebraucht worden ist, sondern aus
einem andern grunde gebildet wurde, um das runenalphabet zu ver-
vollständigen, so dafs jedes der drei „geschlechter" seine acht zeichen
erhalten konnte (Wulfila nahm ja bekanntlich in sein aiphabet die
^) Die gemeiDgeruianisehe spräche hatte ja sowohl im anlaut wie im in-
laat Spiranten (ß, g_, å), doch sicherlich mit einer einzigen ausnähme, nämlich
wo ein nasal (19, n, m) vorherging; hier fanden sich wahrscheinlich bereits zu
der zeit, da das runenalphabet geschallen wurde, muta? (fdg, nd, mb); nun zeigen
die Inschriften, dafs die ruue V nicht blols das zeichen für ^, sondern auch
für den nasal in Verbindung mit der folgenden muta (tdg) war, und diese
letztere bedeutung hat sie überall in den bis jetzt bekannten Inschriften, die
kein beispiel für f9k darbieten. Consequeut mufsten 'f (//) und ^ (m) also
auch zeichen sowohl für den nasal wie für diesen in Verbindung mit der muta
(nd, mb) sein, worüber wir im folgenden des näheren zu sprechen haben werden.
Der gedanke, dafs die runenschrift ein eigenes zeichen zum ausdrock der lant-
verbiudung nd erfunden haben, und dafs dieses die ursprüngliche bedeutung von
\ sein könnte, würde also durch die Verwendung des v nicht gestützt werden
und scheint mir auch an und für sich ganz unwahrscheinlich. Ich habe jedoch
hierauf aufmerksam machen wollen, weil es überhaupt schwer Fällt, sich einen
laut oder eine lautverbindung zu denken , die die runenschrift durch ihr \
auszudrücken bedürfnis hätte Tühlen können.
136 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
griechischen episema koppa und sampi als Zahlzeichen, aber nicht
als lautzeiclien, auf). Da die rune ja indessen einen bestimmten na-
men wie die übrigen runen gehabt haben niufs, so kann sie natürlich
später ab und zu sehr wohl als lautzeichen in der bedeutung ge-
braucht worden sein, die ihr name angab.
Ist diese vermutung richtig, so würde ich geneigt sein, in der
rune \ ^ eine Umänderung des lat. Y zu sehen, das ja sonst im
gemeingermanischen alphabete keine Verwendung finden würde, wo ein
entsprechender laut fehlte. Latein. Y konnte nach dem grundsatze
der runenschrift, dafs die nebenstriche sich niemals über den hauptstab
erheben, die form T annehmen; da lat. T indessen gerade in dieser
weise umgebildet war, so lagen die formen \ oder «T, wo der eine
arm des Y an die spitze, der andere an den fufs des hauptstabes ge-
fügt wurde, ja nahe.
Hinsichthch der 8 runen, die wir von anfang an bei der ver-
gleichung mit dem lateinischen alphabete (s. 100 f.) aufserhalb der be-
trachtung liefsen, nämlich X ^, Y w, ^ j, 'V ?, ^ p, Y ä, ^ rø, M (f ,
haben unsere Untersuchungen also zu dem ergebnis geführt, dafs als
die ursprünglichen gemeingermanischen formen der /- und ^j-rune
H und K anstatt des ^ und ^ des brakteaten von Vadstena ange-
nommen werden müssen, und dafs die offene form der fa-rune ur-
sprünglicher ist als die geschlossene des brakteaten, wogegen sich
die ursprünglichen formen in den übrigen fallen auf dem brakteaten
finden (dafs er auch für das fehlende ^ die form M haben würde,
kann natürlich als sicher angenommen werden). Von den ge-
nannten 8 runen gehen vier, nämhch Hji, l^ p, ^ w und Y s (ä),
aus lateinischem G, P, Q und Z hervor; dagegen sind X^, ^ ;»
und M d zum besonderen gebrauch für die runenschrift durch Ver-
doppelung der <- und Krune gebildet, doch so, dafs lat. X ohne
zweifei das Vorbild für X abgegeben hat, während ein solches Vorbild
für die beiden andern zeichen nicht nachgewiesen werden kann. Nur
bezüglich des Ursprungs der rune 'V wage ich keine bestimmte an-
sieht auszusprechen; aber ich halte es für möglich, dafs sie von lat.
Y ausgeht.
121. Selbst wenn man jetzt zweifei an der richtigkeit der einen oder
der andern meiner Zusammenstellungen erheben, und selbst wenn man
nicht meiner erklärung des Ursprungs der für die runenschrift eigen-
tümlichen zeichen X, ^ , M beitreten will, von denen auf jeden fall
Itl. KAP. C. VERHÄLTN. Zu D. ALTEN ALPHABET. ABSTAMMÜ?<G V. LAT. ALPH. 137
nur das erste ein direktes vorbild in der lateinischen schrift haben
kann, so wird dies natürlich nicht im mindesten unser hauptergebnis
erschüttern können, dafs das runenalphabet von einem grie-
chisch-italischen alphabete abstammt, und dafs dieses
aiphabet nur das speciell lateinische gewesen sein kann.
Jedes beliebige andere aiphabet als das lateinische würde uns nämlich
bezüglich der zweifelhaften zeichen ebenso wenig aufklärung wie die-
ses geben, und wo kein zweifei möglich ist, kann die erklärung
nur in einem nicht-lateinischen alphabete gesucht wer-
den, wenn dieses mit dem lateinischen übereinstimmt,
und nur in dem specifisch lateinischen, wenn dieses von
den andern abweicht. Ebenso wenig wie man deshalb die ab-
stammung des griechischen alphabetes vom phönicischen leugnen kann,
weil es unmöglich ist. mit Sicherheit den Ursprung einzelner von den
speciell griechischen zeichen nachzuweisen, ebenso wenig ist man be-
rechtigt, den Ursprung der runenschrift aus dem lateinischen alphabete
zu leugnen, weil wir die herkunft einzelner, oder nach meiner meinung
vielmehr nur eines einzigen der für die runenschrift eigentümlichen
zeichen nicht sicher anzugeben vermögen.
Aber wir sind ja sogar der lösung der frage noch näher gekommen,
als blofs bis zu dem resultat, dafs die runenschrift vom lateinischen
alphabete abstammt. Da nämlich die j-rune von lat. Q und die s-
(ä-) rune von lat. Z ausgeht, so ist ja damit zugleich bewiesen, dafs
dasjenige aiphabet, welches der runenschrift zu grunde
liegt, das jüngere lateinische ist, das nicht nur das neue
zeichen G hinter F gestellt hatte, sondern auch die später
aufgenommenen griechischen zeichen Y und Z benutzte.
Von den 23 buchstaben, die sich in diesem alphabete befanden, hatte s. 122
K eine sehr beschränkte anwendung und war für das runenalphabet
ganz überflüssig, da es denselben laut wie das gewöhnliche C aus-
drückte. Auch X und Y waren überflüssig für dieses, da sie zeichen
waren, für welche die runenschrift keine Verwendung hatte, insofern
X eine laut Verbindung ausdrückte, und y in der gemeinger-
manischen spräche noch unbekannt war. Von den übrigen 20 buch-
staben wurden 17 mit derselben bedeutung wie im latei-
nischen aiphabet und in einer form aufgenommen, die nur
nach einem bestimmten princip geändert war, wo die
eigentümliche bestimmung der runenschrift zur einritzung
in holz es notwendig machte, nämlich:
13S
ERSTES BUCH. DER
URSPRUNG Dl
A
F:
B
^
C
<
E,
II M
F
r
H
1
H
1
1
L
i
r
M
M
N
+
O
^
P
1^
R
R
S
^
T
t
V
n
z
Y
Auch die 3 andern buchstaben, die sich im lateinischen alpha-
bete fanden, nämlich D, G und Q, wurden alle in den mit dem
Charakter der runenschrift übereinstimmenden formen ^, H und P
aufgenommen, aber inder abweichenden bedeutung />, y und to,
wovon der grund bezüglich jedes einzelnen Zeichens im voraufgehenden
angegeben ist. Von den drei noch übrigbleibenden, vom Standpunkte
der runenschrift aus ganz überflüssigen buchstaben K, X und Y hat
X unzweifelhaft veranlassung dazu gegeben, dafs das runenzeichen
für g, gerade die form X bekam ^) , und es ist möglich , dafs Y der
ij Dafs die rune X vielleicht mit lat, X verwandt sein könnte, hat bereits
Müllenhoif (Zur Runenlehre, s. 59 anin. 1) geäulsert; jedoch spricht er sich
darüber mit grofser behutsamkeit aus. Weniger vorsichtig wird diese frage von
einem gelehrten in der Tidskrift for Pbilologi og Pædagogik V, s. 298 be-
handelt. Indem er nämlich Kirchhoffs ansieht über die abstammung der runen-
schrift vom latein. alphabete aufnimmt — zwar wird Kirchhoff nicht genannt ;
aber wer sonst mit den „andern" gemeint ist, die dies nachgewiesen haben
sollen, ist mir unbekannt — , fügt er die behauptung hinzu, dafs die runenzeichen
für w, g' und y lateinisches P, X und Q seien; diese stützt sich auf die falsche
Voraussetzung, dafs dem ursprünglichen runenalphabete das zeichen für p fehlte,
und auf die merkwürdige aufklärung, dafs lat. G „wie bekannt jünger" sei.
Dafs G im lat. aiphabet jünger ist als X und Q, ist gewils „bekannt"; aber
ich sehe nicht ein, welchen nutzen diese aufklärung schafft, wenn nicht zugleich
nachgewiesen wird, dafs G jünger ist als dasjenige lateinische aiphabet, aus *
dem die runenschrift hervorgegangen ist.
III. KAP, C. VERHÄLTN. ZU D. ALTEN ALPHABET. ABSTAMMONG V. LAT. ALPH. 139
rune «T 'V zu grunde liegt. In diesem falle würde also K der
einzige lateinische buchstabe sein, der bei der bildung
der runenschrift keine Verwendung fand; aber es war ja
auch das einzige zeichen, das bei den Römern selbst als eine ruine
aus älteren Zeiten dastand, beschränkt auf den gebrauch in einigen
einzelnen fällen.
Das älteste gemeingermanische runenalphabet, das s. 123.
uns in der ursprünglichen buchstabenfolge und bis auf
ein paar ausnahmen mit der ursprünglichen gestalt der
runen namentlich auf dem brakteaten von Vadstena und
der spange von Charnay überliefert ist, hat also aus 24
zeichen bestanden, die zum gröfsten teil nach den latei-
nischen kapitalbucbstaben in der form gebildet sind,
welche sie im Jüngern lateinischen alphabeteaus der
ersten kaiserzeit hatten. Dieses runenalphabet mufs am ehesten
folgendes aussehen gehabt haben:
1 2 3 4 3 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24
f ujiarkgw hnij-p zs tb emlDo d
Ein älteres stadium in der entwicklung der runen-
schrift anzunehmen, wo dieses aiphabet eine einfachere form gehabt
hätte, was namentlich M. Rieger in den interessanten bemerkungen,
die er in seiner recension der dänischen ausgäbe meines buches in
der Z. für d. Philol. VI, 1875, s. 333 if. als eine möglichkeit hinge-
slelll hat, liegt nach meiner meinung dui*chaus kein grund vor. Dem
widersprechen bestimmt alle vorliegenden thalsachen, dadurch dafs so-
wohl die gotischen, deutschen, englischen und nordischen runendenk-
mäler als auch der Wiener cod. Salisb. 140 auf das hier dargestellte
aiphabet von 24 zeichen hinweisen. So lange mau daher nicht im
Stande ist, mit hülfe von runendenkmälern oder andern thatsachen das
Vorhandensein eines älteren alphabetes nachzuweisen, aus dem das ge-
meingermanische mit den 24 zeichen sich entwickelt hat, bleibt die
annähme eines solchen alphabetes nur eine hypothese, die sich nicht
nur nicht beweisen läfst, sondern mir sogar im höchsten grade
unwahrscheinlich dünkt, und zwar nicht am wenigsten aus dem grunde,
weil sie mir ganz überflüssig vorkommt, um die entstehung des
wirklich vorliegenden gemeingermanischen runenalphabetes zu erklären.
Da die gründe, die Rieger seinerzeit veranlafsten , den hier be-
kämpften gedanken voi-zubringen, jetzt in allem wesentlichen durch die
140 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
neuen erklärungen weggefallen sind, die ich im vorhergehenden über
das Verhältnis einzelner runenzeichen zu den lateinischen buchstaben
habe geben können, so hofle ich, dafs er an seinem fdteren alpha-
bete mit den 18 zeichen nicht länger festhalten, sondern mir ein-
räumen wird, dafs die übrigen 6 zeichen ein ebenso ehrwürdiges
alter haben wie jene 18.
D. Verschiedenheiten zwischen der nmenschrift und den übrigen alten
alphabeten.
Selbst wenn wir nun, wie ich hoffe, ganz unwiderleglich den
Ursprung der einzelnen runenzeichen aus den lateinischen buchstaben
nachgewiesen haben, so tritt uns doch bei der betrachtung des runen-
alphabetes, das wir als das gemeingermanische aufgestellt haben, ein
merkwürdiges factum entgegen, eine auffallende abweichung vom
lateinischen alphabete, nämlich die ganz verschiedene buch-
stabenordnung. Die Übereinstimmung zwischen den alphabeten
s. 124. auf der spange von Charnay und dem brakteaten von Vadstena
sowie den altenglischen alphabeten, welche die später gebildeten
zeichen hinter der älteren ursprünglichen reihe hinzugefügt haben,
beweisen unwiderleglich, dafs bereits das älteste gemeingermanische
runenalphabet seine zeichen auf dieselbe weise geordnet hat, und die
trennungszeichen , welche sich auf dem brakteaten von Vadstena
nach der achten und sechzehnten rune finden, machen es bei ver-
gleichung mit dem jüngeren nordischen alphabete ebenso höchst
wahrscheinlich, dafs die 24 alten runenzeichen auch von an fang
an in 3 abteilungen eingeteilt gewesen sind. Nichts von
diesem stimmt mit dem lateinischen überein. Und hierzu kommen
weiter noch die abweichenden buchstabennamen. Während die
lateinischen buchstabennamen so weit wie möglich durch den eigenen
laut der buchstaben ausgedrückt werden (was die konsonanten anlangt,
also in Verbindung mit einem vorhergehenden oder nachfolgenden vokal),
so sind die runennamen wirkliche worte der spräche, die, so weit
dies möglich ist (also mit ausnähme der namen für z und fa), mit
dem buchstaben beginnen, den die rune ausdrückt. Dafs auch diese
vom lateinischen verschiedenen namen den runen von
anfang an zugehört haben, zeigt die Übereinstimmung zwischen
den gotischen buchstabennamen, den altenglischen und späteren
nordischen runennamen, durch deren hülfe es uns möglich werden
III. KAP, D. VERSCHIEDENHEITEN ZW. D. RUNENSCHRIFT ü. D. ALTEN ALPH. 141
wird auch die namen der runen in der gemeingermanischen und
ältesten nordischen form zu bestimmen.
Damit diese Verschiedenheiten zwischen dem runen-
alpliabet und dem lateinischen aiphabet hinsichtlich der
reihenfolge und benennung der buchstaben jedoch in
irgend welcher beziehung das ergebnis unserer Unter-
suchungen erschüttern könnten, müfste man auf jeden fall
ein anderes älteres aiphabet nachweisen, welches besser
als das lateinische den grund dieser abweichungen zu er-
klären vermöchte; aber ein solches aiphabet findet sich
nicht; denn dieselben abweichungen sind ja auch vorhanden, wenn
wir das runenalphabet mit dem phönicischen oder griechischen oder
andern verwandten alphabeten vergleichen. Die eigentümliche an-
ordnung des runenalphabetes und die besondern namen der runen,
die auf jeden fall echt germanisch und also aus der spräche
desjenigen germanischen stammes entnommen sind, bei dem die
runenschrift zuerst geschaffen wurde, helfen uns daher in keiner
beziehung auf die spur, wenn wir nach dem Ursprung der zeichen
fragen, erschüttern aber selbstverständlich auch nicht im mindesten s. 125.
das resultat, zu dem wir auf andern wegen gekommen sind. Gerade
im gegenteil scheint die Selbständigkeit, die der erfinder der runen-
schrift in so vielen beziehungen dem lateinischen vorbilde gegenüber
an den tag gelegt hat, auf eine spätere zeit hinzuweisen und so
selbst unsere weitere annähme zu bestärken, dafs es das jüngere
lateinische aiphabet von 23 zeichen sei, welches die grundlage für die
runenschrift bildete. Dafs man auf einem älteren standpunkt eher zu
einer ganz sklavischen nachahmung seines Vorbildes versucht sein
konnte, zeigt die art, in welcher das älteste griechische aiphabet sich
dem phönicischen anschlofs, indem es alle phönicischen zeichen samt
ihrer reihenfolge und ihren namen aufnahm ; gleichfalls nahmen die
italischen alphabete die griechischen zeichen in der ursprünglichen
reihenfolge auf, aber nicht — wenn wir aus dem uns bekannten
lateinischen alphabete schliefsen dürfen — die griechischen namen.
Das runenalphabet endlich nahm die lateinischen zeichen
auf, aber weder deren anordnung noch deren namen und
bildete aufserdem ein paar neue zeichen ohne vorbild in
der lateinischen schrift.
Die genannten abweichungen vom lateinischen alphabete könnten
nun zwar, wie MüUenhoff hervorgehoben hat (Z. f. d. a., neue folge
142 ERSTES RUCH. DER ÜRSPRUNß DER RUNENSCHRIFT.
VI, 1875, s. 250 f.), daraus erklärt werden, dafs derjenige, welcher
zuerst das runenalphabet schuf, die lateinischen buchstaben gar nicht
nach abcedarien, sondern aus zusammenhängenden texten gelernt hätte.
Die möglichkeit einer solchen annähme darf natürlich nicht ge-
leugnet werden; aber es kommt mir doch in hohem grade wahr-
scheinlich vor, dafs der mann, der mit der lateinischen schrift so
vertraut war, wie der erfinder der runenschrift es gewesen ist, die
buchstabenfolge dieser schrift gekannt hat und also auch, wenn ihn
nicht besondere gründe bewogen hätten davon abzuweichen, dieselbe
in seinem eignen alphabete hätte befolgen können, gleichwie Wulfila
in seinem alphabete die reihenfolge der griechischen buchstaben bei-
behielt. Ich hege daher auch keinen zweifei darüber, dafs wir
hier gerade eine mit bewustsein vorgenommene abweichung
vom lateinischen alphabete haben. Welche gründe den alten
runenmeister bewogen haben, die lateinische buchstabenfolge aufzugeben
und gerade die zu wählen, welche wir in dem ältesten runenalphabet
finden, und ferner, warum er die 24 runen in 3 ableilungen ordnete
und den runenzeichen die namen gab, die wir vorfinden, können wir
jetzt natürlich nicht bis ins einzelne entscheiden. Vieles deutet jedoch
darauf hin, dafs die runenschrift von anfang an nicht blofs als
buchstabenschrift, sondern auch und vielleicht wesent-
lich zu msTgischem gebrauche gedient hat; besonders lehrreich
sind ja in dieser beziehung die vielen unzweifelhaft magischen In-
schriften mit älteren runen, die noch erhalten sind, und auf die ich
bereits in der abhandlung: „De ældste nordiske runeindskrifter" (årh.
f. nord. oldk. 1867) s. 26 f. (vgl. oben s. 57 f. anm. 5 und 122 anm. 2)
aufmerksam gemacht habe. Dieser gebrauch setzt indessen mit not-
wendigkeit voraus, dafs jede rune ihren bezeichnenden namen hatte,
erklärt es, wenn ein einziges runenzeichen ('l') von anfang an vielleicht
gar nicht als lautzeichen gebraucht worden, und hier liegt ohne zweifei
auch der grund dafür, dafs die 24 runenzeichen in einer von der latei-
nischen buchstabenordnung verschiedenen reihenfolge in 3 abteilungen
mit je 8 zeichen eingeteilt wurden.
Weiter als zu dieser ganz allgemeinen einsieht können wir,
glaube ich, nicht gelangen. Jedesfails verlocken die versuche, die
bisher gemacht worden sind, diese fragen im einzelnen zu lösen, nicht
dazu, neue beitrage in dieser richtung zu liefern. Namentlich hat
man bezüghch der runennamen oft die ansieht aufgestellt, dafs sie
mit besonderer rücksicht auf die form der zeichen gewählt seien,
III. KAP. E. RICHTUNG D. RUNENSCHRIFT; TRENNUNGSZEICHEN U. S. W. 143
und viele ältere und neuere gelehrte haben sogar diese zeichen und
namen als beweis für die entwicklung der runen aus einer ursprüng-
lichen uralten bilderschrift gebraucht; hier ist ja ein weites feld für
die Phantasie: „T, Tyr, ist der gott, der seine bände schützend und
segnend über die erde ausbreitet; Y, madr, ist der mann, der betend
seine bände erhebt; T, fé, ist der stierkopf mit den hörnern" u. s. w.,
u. s. w. (Brynjulfsen, Pericul. Runolog. §36; Dietrich an der oben
s. 15 f. anm. genannten stelle). Zwar ist, wie wir gesehen haben, s. 126.
das ursprüngliche zeichen für die nordische madr-rune nicht Y,
sondern M, wogegen Y im ältesten aiphabet das zeichen für r war
und einen namen hatte, der später im altnordischen die form elgr
bekam; aber es wird ja gewifs nicht schwer fallen, die früheren er-
klärungen der runennamen mit bezug hierauf zu ändern. Derjenige,
der früher in Y (madr) ,, einen mann" sah, „der seine bände zum
gebet erhebt", kann wohl auch in M (mannn) „einen mann" finden,
„der auf der erde hinschreitet", oder dergl., und Y (elgR) könnte
ja ausgezeichnet „das elentier mit den zacken" anstatt „des betenden
mannes" vorstellen. Aber ich verlasse diese müfsigen phantasien mit
dem geständnis, dafs ich mich nicht im stande sehe, den grund für
den namen jedes einzelnen runenzeichens anzugeben, und ich glaube,
dafs diese frage immer als ein rätsei vor uns stehen wird, wenn nicht
einmal im laufe der zeit ein unvorhergesehener glücksfall uns den
Schlüssel zu ihrer lösung geben sollte^).
E. Die richtung der runenschrift; trennnngszeichen; hinderunen;
einfasmngslinien.
1. Die r ichtun g der schrift.
Ehe wir unsere Untersuchungen über den Ursprung der runen-
schrift schliefsen, müssen wir noch einige bemerkungen besonders
über die richtung der schrift und über die trennnngszeichen
hinzufügen.
^) Es hat mich gefreut, lange nachdem dies niedergeschrieben war, eine
äufserung von W. Grimm über den hieroglyphischen Charakter der runenschrift
zu finden, die ich ganz zu der meinigen machen kann. In einer anzeige von Bryn-
julfsens buche über die runen sagt er (Götting. gel. Anz. 1824, s. 1024): „Ree.
glaubt weder an hieroglyphische Entstehung der Runen, noch von allen hier ge-
gebenen Erklärungen ein Wort; er wül'zte kaum etwas, das man auf diese Art
nicht in den paar Strichen finden könnte".
144 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
Es kann als unzweifelhaft angesehen werden, dafs die Griechen
bei der aufnähme des phönicischen alphabetes zugleich die ursprüng-
liche richlung der schrift von rechts nach links bewahrten. Schon
in den allerältesten griechischen inschriften treffen wir jedoch
daneben entweder die richlung von links nach rechts') oder eine
s. 127. Vermischung beider weisen, so dafs man gewöhnlich von links nach
rechts begann, darauf aber die zweite zeile in der entgegengesetzten
richtung von rechts nach links laufen liefs (ßovarQOffrjdov)^).
Eine eigentümliche art von bustrophedon in Schlangenwindungen,
wo die Zeilen nicht blols in entgegengesetzter richtung laufen, sondern
wo auch die buchstaben in beiden reihen umgekehrt gegen einander
stehen, kommt ab und zu, wenn auch sehr selten, in griechischen
inschriften vor''). Frühzeitig wurde jedoch bekanntlich die richtung
von links nach rechts alleinherrschend.
Von den alten italischen alphabeten gebraucht nur das latei-
nische ohne ausnähme die richtung von links nach rechts, wäh-
^) Z. b. in iiiehreien der inschriften von Thera, in der ungefähr gleich-
zeitigen Inschrift von Mel o s (Corp. Inscr. Græc. no. 3, Franz, Elem. epigr.
Gr. no. 21, Roehl, Inscr. Gr. ant. no. 412) und in andern der ältesten inschriften.
2) Beispielshalber mögen angeführt sein: die sigäische Inschrift (C. 1. G.
no. 8, Franz no. 32, Roehl no. 492), drei inschriften aus Milet (C. T. Newton,
History of discoveries at Halicarnassus, Cnidus and Branchidæ II p. 777 &
tab. XC VI 66, Roehl no. 483; Newton II p. 583 und 781 & tab. XCVII 67
und 68, Roehl no. 484; C. I. G. no. 39, Franz no. 45, Roehl no. 486), zwei
inschriften aus Attika (Kirchhoff, Corp. Inscr. Attic. I no. 463; C. I. G.
no. 22, Franz no. 43, A. R. Rangabé, Antiquités Helléniques no. 7, Ph. Le
Bas, Voyage archéologique en Gréce et en Asie luineure, Inscriptions pi. V
no. 4, C. I. A. I no. 465), aus Korkyra (Le Bas pi. VI no. 1, Roehl no. 343)
und sonst wo. — Rechts beginnt die grol'se in zwölf kolumnen aulserordent-
lich sorgfältig und elegant eingehauene Inschrift von Gortyn (siehe oben s. 30
anm. 2) und mehrere Inschriften aus Didyma (Roehl no. 487, 488, 489). Rechts
und mit der untersten zeile beginnt die Inschrift von Krissa (C. I. G. no. 1,
Le Bas pl. XII no. 3, Roehl no. 314) und eine Inschrift aus Samos (C. Curtius
im Rhein. Museum f. Philologie XXIX, 1, 1874, s. 160 no. 3, Roehl no. 383).
— Zu Solons zeit war bekanntlich die Schreibweise ßovarQotprjt^ov herrschend
in Athen.
3) So in einer Inschrift von Korkyra (C. I. G. no. 20, Franz no. 31,
Roehl no. 340), aus Athen (Rangobe no. 6, Le Bas pl. II no. 3, C. L A.
no. 467), aus Sparta (Rangabé no. 316, Le Bas pl. II no. 1, Roehl no. 54), eine
zu Olympia gefundene Inschrift (Kirchhoff in der Archäolog. Zeitung XXXVII,
1879, p. 153, Roehl no. 370). — Eine mischung des gewöhnlichen und des in
Schlangenwindungen gehenden ßovaTQoqtjaov findet sich in einer inschrift aus
Naxos (Fraenkel in der Archäolog. Zeitung XXXVII, p. 85, Roehl no. 407).
III. KAP. E. RICHTUNG D. RUNENSCHRIFT; TRENNUNGSZEICHEN ü. S. W. 145
rend die etniskischen, umbrischen und oskischen sowie die
sonst mit dem lateinischen nahe verwandten faliskischen Inschriften
regelmäfsig von rechts nach links gehen. Dagegen treffen wir nur
ganz ausnahmsweise die Schreibweise ßov(fTQO(f^a6p in ein paar der
nordetruskischen inschriften und in einzelnen aus dem eigentlichen
Etrurien M. Beispiele für das bustrophedon in Schlangenwindungen,
die so deutlich in den sabelli sehen inschriften von Crecchio und
Cupra (vgl. s. 52) hervortreten, sind sonst sehr schwer nachzu- s. 128.
weisen, obgleich etwas ähnliches wenn auch nur selten im etruskischen
vorkomriit*).
Die runeninschriflen beobachten bezüglich der richtung der
schritt kein festes princip. Wir finden sie sowohl von links nach
rechts wie von rechts nach links geschrieben, sowohl in
gewöhnlichem wie in schlangenförmigem bustrophedon.
Dies stimmt gewifs nicht mit dem lateinischen überein, wo die schrift
seit den ältesten Zeiten ohne ausnähme von links nach rechts geht; und
es kann auch nicht von den Galliern entlehnt sein, wenn, was wir
unten des näheren besprechen werden, das lateinische aiphabet durch
sie zu den germanischen Völkern gekommen ist; wenigstens wenden alle
bisher bekannten gallischen inschriften mit dem griechischen und
lateinischen alphabete nur die richtung von links nach rechts an,
und dasselbe mufs in den galHschen inschriften mit dem nordetrus-
kischen aiphabet als regel angesehen werden, obgleich dieses sonst
wie das gewöhnliche etruskische am häufigsten die umgekehrte rich-
tung gehabt hat.
Es beruht aber im ganzen genommen auf einem vollständigen
mifsverständnis, den grund für die willkür, welche die runenin-
schriflen in dieser beziehung aufweisen, bei einem andern volke
suchen zu wollen. Sie ist nämlich etwas, das sich im laufe der zeit
ganz natürlich ohne ein fremdes vorbiid von selbst entwickeln kann.
Wir dürfen wohl von der Voraussetzung ausgehen, dafs der, welcher
zuerst das runenalphabet erfand, auch der schrift eine bestimmte
richtung gab. Aber welchen stichhaltigen grund könnte man dafür
anführen, dafs die, welche das runenalphabet benutzten, nicht ebenso
^) G. Conestabile, Iscrizioni etrusche e etrusco-Iatine, s. XGI f. und tav.
IV no, 15, tav. XIII no. 54, tav. XVIII no. 73.
2) Siehe z. B. bei Conestabile tav. I no. 1 nnd tav. XLVI no. 161. Die-
selbe Schreibweise findet sich gewii's auch in einer der nordetruskischen in-
schriften (Momnisen tab, II no. 14, Fabrelti tab. II no. 22),
WIMMER, Die ranenschrift. 10
146 ERSTES BUCH. DEH UKSPKÜiNG DEIl RUNENSCHRIFT.
gut wie die alten Griechen darauf verfallen konnten, die ursprüng-
liche richtung der schrift umzuwenden? Und es wird wohl kaum
jemand behaupten wollen, dafs es für die Griechen natürlich gewesen
sei, die richtung der semitischen schrift zu verändern'), aber unnatür-
s. 129. lieh für unsere vorfahren dasselbe mit der lateinischen zu thun.
Wenn niemand daran anstofs nimmt, dafs die uralten griechischen
inschriften von Thera wie unsere runeninschriften zugleich sowohl
von links nach rechts, von rechts nach links als auch ßovaiQo-
(prjööv geschrieben sind, wenn wir — weil es eine unwiderleg-
liche Ihatsache ist — ohne bedenken einräumen , dafs die Griechen
ohne ein fremdes Vorbild die ursprüngliche richtung der schrift haben
verändern können, sie überhaupt lange als etwas ganz unwesentliches
betrachtet haben, was sollte uns da hindern, dasselbe von unsern vor-
fahren anzunehmen, um so mehr, als es sich nachweisen läfst, dafs
es zum teil rein äufserliche gründe sind, rücksicht auf platz und
deutlichkeit u. s. w., die ursprünglich anlafs zu dieser scheinbaren
Willkür gegeben haben?
Bezüglich der runeninschriften ist es jedoch von Wichtigkeit zu
beachten, dafs die richtung von rechts nach links und ßov-
aiQOifridöv keineswegs wie bei den griechischen ein zeichen
von hohem alter der inschriften ist. Im gegenteil scheint
vieles dafür zu sprechen, dafs dies später entstandene Veränderungen
sind, und dafs die ursprüngliche richtung gerade die von
links nach rechts gewesen ist, wie in den römischen und
gallischen inschriften. Diese finden wir nämlich nicht nur regel-
mäfsig aufserhalb des Nordens (auf dem Bukarester ringe, den
spangen von Charnay, Nordendorf a und b, Osthofen, Freilaubersheim,
Friedberg und Engers, sowie in den altenglischen inschriften, während
nur der name auf den speerblättern von Müncheberg und Kovel und die
runen auf dem Körliner ringe von rechts nach links laufen), sondern
auch in den meisten nordischen inschriften, die zu den allerältesten ge-
rechnet werden müssen: der zwinge von Thorsbjaerg, dem
diadem vonStrårup, der spange von Himlingöje,
dem kamme aus dem Vier moore, dem lanzenschaft
aus dem Kragéhuler moore, dem goldenen horn,
deren inschriften nur aus einer einzigen zeile bestehen. Hierzu müssen
^) Auch einzelDe sehr alte etruskische inschriften gehen Regen die regel
von links nach rechts (man vergleiche ebenfalls die alphabete von Clusinin
und das syllabar von Caere).
III. KAP. E. RICHTUNG D. RUNEiNSCHBIFT ; TRENNUNGSZEICHEN ü. S. W.
147
natürlich auch solche inschriflen gerechnet werden, in denen zwei
Zeilen gegen einander gewendet sind, die aber jede für sich von links
nach rechts gehen, z. b. auf der spange von Ems und der aus
dem Vier moore, von welch letzterer wir hier eine abbildung
in natürlicher gröfse mitteilen:
s. 130.
Die spange aus dem \ ier moore.
Es ist offenbar, dafs der runenritzer, nachdem er die eine zeile ein-
geritzt hatte, die spange umgekehrt und darauf die zweite zeile geritzt
hat^). Dasselbe gilt von den inschriften auf der oberen fläche und
1) Die Inschrift, welche vod C. Engelhardt 1868 entdeckt nod im selben
jähre in dem ,, Gnide illustre du mnsée des antiqnités dn Nord å Copenhagne",
s. 24 (vgl. Vimose Fundet, 1869, s. 20) in der oben wiedergegebenen, unter meiner
kontrolle ausgeführten Zeichnung herausgegeben wurde, ist im ganzen sehr deat-
lich nod scheint nur die lesung:
laasauw'ina
ns elcpee
zu gestatten. Die bedeutnng hiervon ist mir indessen unverständlich, nod ich
kann daher auch nicht ausmachen, welche zeile als die erste zu betrachten ist. Ich
wage weder zwei namen noch eine Zusammensetzung aadagasu-laasauwina
anzunehmen. Am wahrscheinlichsten dünkt es mir, dafs die ganze Inschrift (viel-
leicht mit ausnähme vob wina, das ein name sein könnte, entsprechend dem
altnord. Fingt) runen ohne wirkliche sprachliche bedeutung enthält, und es ver-
dient dann hervorgehoben zu werden, dafs nicht blofs ^ hier eine grofse rolle
spielt, sondern dafs wir auch ^ und H wie anderwärts wiederfinden (vgl. die be-
merkung über die inschrift auf dem brakteateo von Vadsteoa oben s. 76, anm. 1).
10*
148 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
s. 131. auf der seile des hobeis aus dem Vier moore, die sich aufser-
deni von verschiedenen personen herzuschreiben scheinen. Daneben
mufs es als eine ausnähme angesehen werden, wenn die im übrigen
unverständhche inschrifl auf dem Thorsbjærger schildbuckel
von rechts nach Unks zu laufen scheint M.
1) „Professor G. Stephens om de ældste nordiske runeindskrifter", s. 16 — 17
(=r årb. f. nord. oldk. Ib68, s. ü8 f.). Zu dem von mir dort bemerkten kann
ich jetzt folgendes hinzufügen:
Das original, welches früher der Sammlung von ultertümern in Flensburg
angehörte, befindet sich jetzt im museum zu Kiel, wo ich es 1879 zu unter-
suchen gelcfteiiheit halte. Die fein eingeritzte Inschrift hat ungerähr folgende
form HYX^I^; *'^'" oberste nebenstrich in ^ ist ein wenig undeutlich; in der
vorletzten rune ist der nebenstrich links feiner und befindet sich weiter oben
an dem hauptstabe, als der zur rechten, und in der lezten rune läuft der quer-
strich ein kleines stück über beide hauptstabe hinaus. Über die bedeutung der
einzelnen zeichen kann jedoch kaum ein zweifei bestehn, und ich halte die
lesung HYX^ 1^ für sicher. Von diesen runen deutet nur ^ darauf hin, dafs
die Inschrift von rechts nach links geht, da die 5 andern dieselbe form haben
könnten, einerlei ob die richtung von rechts nach links oder umgekehrt war,
obgleich die form der «-rune, die am nächsten mit derjenigen übereinstimmt,
die wir auf dem lanzenschaft von Kragehul finden, sonst am ehesten für das
letztere sprechen würde. Ich habe mir daher die möglichkeit gedacht, dafs die
fünf runen HYX^I wirklich von links nach rechts gelesen werden sollen und
die eigentliche Inschrift enthalten (natürlich so, dats die worte nicht ganz
ausgeschrieben sind), und dafs der runenritzer hiernach dus magische ^ ge-
setzt hat, gerade deshalb nach der entgegengesetzten seite gewendet, um diese
rune deutlicher als aufserhalb der eigentlichen Inschrift stehend zu bezeichnen.
Wie es sich hiermit auch verhalten mag — und es wird kaum jemals aufgeklärt
werden können — , so hege ich keinen zweifei darüber, dafs wir bier eine
wirkliche runeninschrift haben. Einen solchen zweifei hege ich dagegen jetzt
wie früher bezüglich der Inschrift auf einem römischen broncegefäfs, gefunden hei
Valløby in der nähe von Køge (herausgeg. von C. Engelhardt in der be-
scbreibung des Vallobyer fundes, årb. f. nord. oldk. 1873, s. 303 — 305). Die
Inschrift, die sehr leicht aufsen auf den boden des gefäfses eingeiitzt ist, läuft
von links nach rechts und scheint fünf buchsiaben enthalten zu haben, von
denen jedoch der letzte mit ausnähme eines teiles von dem untersten striche
zerstört ist; die vier ersten buchstaben mül'sten, wenn sie runen wären, am
ehesten wiis gelesen werden, und da der letzte zu ^ ergänzt werden könnte,
würden wir ein wort wiisa (vgl. altnord. vist) bekommen; aus mehreren
gi'ünden glaube ich jedoch nicht, dafs wir diese zeichen als runen aulfassen
dürfen (es sind eher lateinische buchstaben PIIS., kaum RIIS.); auch Engelhardt
ist am meisten geneigt, hier lateinische buchstabeu zu finden. Dafs die Inschrift
auf einer kleinen broncefigur von Frohov in Norwegen (Stepbeus 1, s. 2.50) nicht
aus runen besteht, obgleich sie ein ^ enthält, sehe ich mit Rygh und Bugge
(årb. f. nord. oldk. 1871, s. 176 anm.) für sicher an; jedoch wage ich nicht die
zeichen „uordetruskische" zu nennen.
III. KAP. E. RICHTUNG D. RIKSE> SCHRIFT ; TRENNDKGSZEICHEN Ü. S. W. 149
Dafs die richtung der schrifl indessen früh, wenn auch nicht gleich
von anfang an, als ganz gleichgültig betrachtet wurde, geht deutlich aus
einer vergleichung zwischen den gleichzeitigen gotischen inschriften
auf dem Bukarester ringe (von links nach rechts) und auf den speer-
blältern von Müncheberg und Kovel (von rechts nach links), sowie
zwischen den beiden gleichzeitigen und in so vielen beziehungen iden-
tischen nordischen inschriften auf der lanze von Kragehul (von links
nach rechts) und der schlänge von Lindholm (von rechts nach links)
hervor. Dasselbe Verhältnis flnden wir in den inschriften auf den nor- »• 132.
wegisclien und schwedischen steinen, die alle für jünger als die dänischen
inschriften aus dem Thorsbjærger moore, von Strärup und Himhngöje
zu halten sind. Von links nach rechts laufen die inschriften in
3 Zeilen auf den steinen von Reidstad und Orstad, und dasselbe gilt
zum teil (vgl. unten) von der inschrift in zwei Zeilen auf dem Varnumer
steine, samt den inschriften in einer zeile auf den steinen von Skärkind,
Skaäng, Bö, Taneni, Bratsberg, Belland, Stenstad, auf der
felswand bei Yeblungsnæs, sowie den längeren inschriften auf den
Blekinger steinen (Björketorp, Stentofte, Istaby). Aber unge-
fähr ebenso oft hnden wir die umgekehrte richtung von rechts nach
links; die längste von den bisher bekannten inschriften. welche diese
richtung hat, ist der 1882 entdeckte merkwürdige Strander stein aus
Ryfylke in Norwegen, von welchem auf der nächsten seite eine abbildung
mitgeteilt wird *). Dieselbe richtung haben die beiden Zeilen auf den
steinen von Berga, Krogstad und M ö j e b r o und die ein-
zelne zeile auf den steinen von Einang, Tomstad, Tanum,
Vånga, den beiden steinen von Torvik, sowie auf der felswand
^) Die inschrift lautet:
hadnlaikas
ek ha|;asta[l]daR
hiaaiwido maga ininino
il. h. „Hadniaik (der name des toten). Ich Ha^ustaid begrub meiuea söhn (in
diesem hiigel/'. Hiosichtlich der dritten rune in der zweiten zeile vermute
ich, dals der luoenritzer die absiebt hatte, zuerst H ^° hauen; aber als er J*
gehauen hatte, zeigte es sich, dals diese ruue zu nahe an das vorhergehende >
koiiimeu oder allzu schmal »erden würde; er änderte dann das beabsichtigte
H iö H) uiufste aber natürlich den ersten qnerstrich steben lassen. Auch im
anfaog der nächsten zeile schlag er ohne zweifei, wie Bugge annimmt, |^^H
statt l^'JH ein und berichtigte dann den fehler, indem er an das H <Jen kleinen
strich für die /-rune fiigte; aber die beiden a-runen mufste er natürlich stehen
lassen. Die etwas nachlässige uud unbeholfene art, in der die ganze inschrift
aasgeführt ist, erklärt genügend die genannten beiden fehler
150 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
Der steiu von Stiaad.
III.
KAP. E. RICHTUNG D. RUNENSCHRIFT; TRENNUNGSZEICHEN U. S. W. 151
am Valsfjord. Der Vollständigkeit halber füge ich noch hinzu,
dafs die inschrift auf der Etelhemer spange von links nach rechts
läuft, was gleichfalls von der einen zeile auf der spange von Fonnås
gilt, während die drei andern die umgekehrte richtung haben — also
beide Schreibweisen in ein und derselben inschrift! Von
den drei wesentlich gleichartigen magischen Inschriften auf den
steinen von Förde, Kinnevad und Elgesem geht endlich die erste
von links nach rechts, die beiden letzten von rechts nach links ^).
Es wird aus der hier mitgeteilten Übersicht hervorgehen, dafs es für
vollständig gleichgültig angesehen worden ist, welche richtung man
der Schrift gab; beide arten sind gleichzeitig und ungefähr gleich
häufig im gebrauch gewesen. Neben der nach meiner ansieht
ursprünglichen richtung von links nach rechts hat man also früh
auch von rechts nach links zu schreiben begonnen, was um so natür-
Ucher war, als über die hälfte der runenzeiclien in beiden fällen
dieselbe form behalten konnte, namentlich X ^, HA, + «, 1/, H j,
1^?, Yä, ^ s, t f, M e, M w, ♦ rø, 5^ 0, M (f (häufig auch A w)-
Da es gleichgültig war, ob man H, H, X, / u. s. w. oder H, H, "^5
\ u. s. w. schrieb, so lag es ja nahe, dieselbe freiheit auch bei den
andern zeichen anzuwenden und ^, <1, 'l u. s. w. für ebenso berechtigt
wie V , ^, ^ anzusehn. Infolge dessen gelangte man ganz nalürliih dazu,
die richtung der einzelnen zeichen und folglich auch die der ganzen
inschrift als gleichgültig zu betrachten. Um zu diesem resultat zu
kommen, brauchten die bewohiier des Nordens wahrlich ebensowenig
wie die Griechen ein fremdes Vorbild.
War man indessen erst zu der ansieht gekommen , dafs die s. 133.
richtung der schrift gleichgültig sei, so konnte hieraus wieder sehr
leicht folgen, dafs man darauf verfiel, beide weisen zu vereinigen,
und so gelangte man zu dem gewöhnlichen bustrophedon. Jedoch
findet sich dies sehr selten in den Inschriften mit den ältesten
runen vor und ist zweifelsohne erst in gebrauch gekommen, nach-
dem die schrift neben der älteren richtung längst auch die richtung
von rechts nach links angenommen hatte. Es gibt eigentlich nur
ein denkmal aus dem älteren eisenalter, dessen inschrift ßovfjrgo-
(frjöov läuft ; dafür ist aber dieses denkmal äufserst lehrreich in
dieser beziehung, da es eine längere inschrift auf beiden Seiten
1) Alle die hier genaonten Inschriften finden sich jetzt abgebildet bei
Stephens I — III mit Verweisung auf die werke, wo sie sonst abgebildet und
behandelt sind. Dies letztere kann man noch besser bei Burg sehen.
152 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
hat, nämlich der slem von Tune, von dem ich hier eine neue Zeich-
nung, gegründet auf meine eigenen untersucliungen der inschrift im
sommer 1881 und auf eine reihe vorzüglicher abdrücke, milleiie.
Diese Zeichnung, bei der grofse Sorgfalt auf genaue wiedergäbe der
einzelnen runenformen verwandt ist, bestätigt nicht nur vollständig
die berichtigungen, die Bugge seiner zeit zu der Zeichnung bei Ste-
phens mitgeteilt hat, sondern zeigt auch, dafs in wirkhchkeit an
keiner einzigen stelle irgendwelcher zweifei über die lesung bestehen
kann.
Die eine seite des Steines enthält in zwei Zeilen folgende inschrift:
d. i. ek vviwaR after woduri | de
witada-halaiban : worahto [: runoR]^)
Wir haben also hier die gewöhnliche bustrophedonform, wo die erste
zeile von links nach rechts läuft und die zweite sich darauf in der
entgegengesetzten richtung dreht, wodurch man ja erreichte, dafs
134. die buchstaben, die zusammengehörten, auch so nahe wie möglich
bei einander zu stehen kamen.
Auf der andern seite des Steines, wo die inschrift aus drei Zeilen
135. besteht, haben dagegen nur die zwei ersten die gewöhnliche bustro-
phedonform, während die dritte mit der zweiten eine schlangen-
windung bildet, ganz wie in der s. 144 am schlufs der 3. anm. an-
geführten griechischen inschrift von Naxos, indem die runeu in diesen
beiden Zeilen umgekehrt gegen einander stehen, also:
.?. • ' I
^) „Ich Wiwait machte die ruüen nach dem genossen (kriegsgefdhrten)
Wodurid". Vgl. „de ældste nord. runeindskrifter" (årb. f. nord. oldk. 1867),
s. 37f., s. 51 H".; Navneordenes böjning i ældre dansk, s. 41 ff.; Bugge in der
filol. tidskr. VII, s. 225 BF. Dafs die inschrift nur die lesung witada erlaubt,
hat ßugge hier ausgesprochen, was vollständig mit meiner Untersuchung und
meinen abdrücken übereinstimmt.
III. KAP. E. RICHTÜ.XG D. RUNENSCHRIFT; TRENNUNGSZEICHEN U. S. W. 153
Der stein von Taue.
154 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
d. i. arbiDa siDosten arbiDano
})uiDOR dohtriR cTalidun
[afte]R woduride: staina:^)
^) Der obere punkt nach staina läuft mit dem ende von dem oberen
beistrieh der a-ruiie zusammen, von dem er jedoch sicher geschieden werden
kann. — Bugge (filol. tidskr. VII, 229 ff".) liest und deutet die inschrift
fol^endermalsen: arbinga slngosteR arbingan ol)lingoR (statt o|)uingOB)
dohtrin dalidnn (afte)R vsodaride staina, d. h.: „die ältesten erben der
erben, Odlingas töchter, setzten (?) nach VVodurid den stein". Bugge will je-
doch nur den anfang seiner deutong (bis dohlrin) als einen unsichern versuch
angesehen wissen und läfst dalidun unerklärt. Später (filol. tiilskr. VIII,
191 — 92) erklärt er dalidun = dallid im von *dalljan, „schön ausstatten",
behält l)uingoR und verbindet in der erslen zeile arbiogano l)uingoR;
er übersetzt dann: „die ältesten von den erben, Thuingas töchter", aber läfst
das erste arbinga unerklärt (filol. tidskr. VIII, 194). — In meiner abhandlung
über „de ældste nord. runeindskr." s. 60 und in „Navneordenes böjn.*' s. 41 ff.
hatte ich nur eine deutung des Schlusses der inschrift versucht: dohtrin
daedun (oder dalidun?) (aftii)R woduride staina, „töchter errichteten
(oder teilten?) nach VVodurid den stein". Dagegen hatte ich in einem briefe
an meinen verstorbenen freund K. Lyngby, worin ich, ehe Bugges oben-
genannte abhandlung in der filol. lidskr. erschien, ihm eine zusammenhängende
darstellung der resultate gegeben hatte, zu denen ich damals in der deutung
di-r ältesten runeninscbriften gekommen war, meine meinung über die deutung
der ganzen inschrift aufgestellt. Nachdem ich darauf aufmerksam gemacht
hatte, dafs ich bezüglich meiner früheien deutungen in den årh. f. nord. oldk.
1867 zweifei über das witai gahalaiban auf der einen seite des Steines von
Tune hege, wo vielleicht eher „witada-h alaiban als ein zusammengesetztes
wort mit bewahrung des auslautes in witada-" zu lesen sein dürfte, und
dafs auf der andern seite sowohl daedun wie dalidnn gelesen werden könnte,
sowie dafs eine ähnliche Zweideutigkeit in der ersten zeile auf dieser seite vor-
handen sei, indem sowohl -Hr als auch -cR vor arbingano gelesen werden
könnte (selbst hatte ich damals nie gelegenheit gehabt, die inschrift zu unter-
suchen), kam ich nach einer längeren entwicklung, die ich hier übergehe, zu dem
re-suitate, dafs die wortc
arbingasingosteRarbingano])uingoRdohtriR
Wodurids „enkel" oder „söhn und eukelinuen" bedeuten müfsten, indem ich, je
nachdem wir den stamm arbinga- oder arbingan- hätten, zu lesen vorschlug:
entweder: arbinga singostCR (arbingas ingostcR) arbinga no{)uingoR
dohtriR, „der erben (des erben) 'söhne' [und] der erben . . . (ein
adjectiv) töchter" . . .
oder: arbinga singostli r arbingano |)uingoR (arbingan ol)uingOR)
dohtriR, „der erbe SingostÜR [und] von den erbinnen Thaingas
(oder der erbe Oduingas) töchter" . . .
III. KAP. E. RICBTÜNG D. RUNENSCHRIFT: TRENNUNGSZEICHEN ü. S. W. 155
Der stein von Tune gibt uns somit das älteste beispiel von s. 136.
beiden arten der bustrophedonschrift , von welcher die zuerst be-
sprochene art auch in einigen der ältesten griechischen und in ein- s. 137.
Hinsichtlich des verbnms daedun oder dalidun hinter dohtria fand ich
in beiden fällen eine Schwierigkeit, da ich fur daedun ein da dun und für
dalidun ein dailidun erwartete. Wenn daedun staina gelesen würde, so
fafste ich diesen ausdruck im Verhältnis zu worahto runoR ebenso auf, wie
z. b. auf den steinen von Helnæs und Glavendrnp sali stain im Verhältnis zu
fa|)i, raist runaa. Jedoch war ich am meisten geneigt, dalidun (statt
dailidun durch eine mischuug der a- und /-klasse) zu lesen und bemerkte hin-
sichtlich der bedeutung des wertes folgendes: „Ich erkläre es so: 'die kindes-
kinder' teilten den stein nach Wodurid, das will sagen: der stein wurde nach
Wodurid errichtet (,,\ViwaR machte die runen nach Wodurid" — die erste
Seite); aber später teilten Wodurids erben wieder den stein nach ihm — sie
kamen in dasselbe grab, und ihre namen wurden auf demselben steine einge-
bauen. Eine bestätigung für die richtigkeit dieser meinung finde ich aufserdem
in der form der runenzeichen in beiden Inschriften, die deutlich zeigt, dafs sie
ans verschiedener zeit stammen; die kürzeste, schönste und älteste Inschrift wurde
von VViwaß gehauen, während der stein noch an der erde lag und für den, der
die runen einschlug, leicht zu handhaben war; dagegen wurde die andere In-
schrift, welche zum gedächtnis an Wodurids „erben" diente, später eingehaueo,
nachdem der stein aufgerichtet war; es war deshalb schwerer für deu runen-
ritzer, die arbeit schön zu machen, und das zeigen die ruoenzüge auch deutlich
genug. Ehe ich diese erklärung der Inschrift auf dem steine von Tuue ver-
lasse, will ich noch einer einwendung entgegentreten, die dagegen erhoben
werden könnte: man könnte sagen, es sei ohne beispiel, dafs ein stein erst
über Wodurid errichtet wäre, und dafs später seine „erben an demselben
steine nach ihm teilhaber wurden". Wenn wir aus dem schliefsen, was noch
heutigen tages oft mit leichensteioen geschieht, die über einer bestimmten
person gesetzt werden, aber so, dafs man für einen oder mehrere namen
der familie platz frei läfst, so würde die einwendung ohne bedeutung sein, da
dasselbe natürlich auch in alter zeit geschehen seiu könnte. Aber ich glaube
aufserdem ein paar ältere runensteine nachweisen zu können, die zum ge-
dächtnis zweier errichtet sind: auf dem stein von Berga steht nach meiner
vermutung der name saligastiR; aber aufserdem enthält der stein noch das
wort fino, das ich als nom. sgl. f. (^lul)ro, bariso) auffasse. Auch der
stein von Krogstad zeigt uns vielleicht dasselbe Verhältnis; ich lese hier das
eine wort als stain an (konnte es nicht leicht einem runenritzer einfallen \
anstatt^ einzubauen? auf der andern seite schlug er 4* nach der entgegenge-
setzten Seite gekehrt ein), was ich nicht als das ,, appellativ" „stein", sondern
als nomen proprium, den manusnamen „Stein", auffasse (wenn es „appellativ"
wäre, müfste nämlich ein genitiv vorangehen; aber das wort auf der andern
seite eudigt auf -ingi, nicht auf -ingan); und der name auf der andern seite
kann dann der name eines andern maunes (vaters, bruders) sein; jedoch ist es
nach der endung -ingi (jüngere form für -Inga) vielleicht wahrscheinlicher,
156 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
zelnen etruskischen inschriften vorkommt, während die andere arl
bei den Griechen und mit ausnalime der beiden „sabellischen" in-
s. 138. schrillen auch in Italien sein* selten ist. Zwar nimmt Mommsen bei
der behandlung der sabellischen inschrillen (Unlerilal. Dial. s. 2211.,
s. 32911.) an, dafs ihre bustrophedonform so aufserordentlich alt sei,
s. 139. dafs auch die gewöhnliche aus dem griechischen bekannte form davon
ausgegangen sein mufs, und er findet hier Überreste einer uralten
ihn als „patronymikon" zu stainaR aufzufassen. — Wir haben auf diesen deiik-
uiälern :
1) teils einen (oder zwei) einzelne namen im nominativ; dies findet sich
aufser auf den steinen von Kerga, K rogstad und Bratsberg auch auf
einzelnen losen gegenständen aus Dänemark;
2) teils den namen im genitiv mit hinzufügung des Wortes „stein"; dies
findet sich auf dem steine von Stenstad: igingoo halaB („Igingas stein")
und hat wohl auch auf dem steine von Beiland gestanden, wo jetzt nur
der genitiv erhalten ist, wofern nicht das Y; womit der uame nicht
beginnen kann, und das sich nur auf der einen Zeichnung bei Stephens
findet, der letzte buchstabe z. b. von (^TM'I'^)Y (staina)B sein sollte,
worauf dann der genitiv eines männlichen aw-stammes folgte. Auf die-
selbe weise bin ich endlich geneigt das l)rawingan haitinaR was des
Steines von Tanum mit auslassung von „stein" zu erklären, das auf dem
jetzt abgehauenen stücke des steioes gestanden hat (jedoch könnte ein
anderer vielleicht eher annehmen, dafs z. b. das wort sunuR hier den
genitiv l)rawiogan regiert hätte);
3) teils längere und vollständigere inschriften.
Alles dieses hat seine eutsprechung in den jüngeren runen:
1) der stein von Haverslund;
2) die steine von Kallerup und Snoldelev;
3) die masse der jüngeren runeninschriften."
Der schlufs des briefes enthält eine kleine Übersicht über die flexion der
substantiva in der ältesten runensprache (wovon ein teil später in die årb. f.
nord. oldk. 1868, s. 305 — 6 = „den historiske sprogforsku. og modersm."
s. 49—50 aufgenommen ist) und endlich meine deutung des Sölvesborger
Steines (Navneordenes böjn., s. 74 anm. 2).
Obgleich ich jetzt verschiedene dinge anders auffasse und die hier mitgeteilte
erklärung von dalidun nur als einen flüchtigen einfall betrachte, so habe ich
doch die gelegenheit benutzen wollen, diese bemerkungen mitzuteilen, da es von
interesse sein kann, zwei von einander unabhängige deutungen des Steines von
Tune und anderer inschriften mit den älteren ruuen zu sehen, wo noch einzelne
Worte als zweifelhaft angesehen w erden müssen. Es wird zugleich hieraus her-
vorgehen, dafs ich in mehreren beziehungen meine meiuung über die ältesten
runeninschriften weit abgerundeter und ausführlicher in dem genannten briefe
als in meiner kurze zeit darauf erschienenen und ebenfalls von Bugges dea-
lungen unabhängigen abhaudlung über die flexion der substantiva dargelegt habe.
III. KAP. E. RICHTUNG D. ROENSCHRIFT ; TRENNUNGSZEICHEN U. S. W. 157
ilaliscben Schreibweise und einen beweis dafür, dafs die griechiscbe
scbrift als buslrophedon nach Etrurien kam und in dieser form
eine zeit lang von Etruskern, Unibrern und Sabellern gebraucht
wurde. Ich halte indessen alle diese Schlüsse für sehr übereilt, und
ich glaube, dafs sein Scharfsinn Momrasen hier vollständig auf den
Irrweg geleitet hat, um so mehr, als er selbst trotz der grofsen be-
wunderung für die altertümliche Schreibweise in den sabellischen In-
schriften mit recht hervorgehoben hat , dafs weder ihr aiphabet
noch die sprachformen gerade auf einen besonders alten standpunkt
deuten.
Das bustrophedon in Schlangenwindungen ist nämlich an und
für sich so natürlich, dafs man sich nur darüber wundern mufs,
dasselbe nicht öfter in alten Inschriften angewandt zu finden; denn
in Wirklichkeit ist ja jede inschrift, die um einen runden, ovalen oder
eckigen gegenständ (eine münze u. s. w.) läuft, ein solches buslro-
phedon, das also von selbst wegen der form des gegenstän-
des entsteht, der die inschrift tragen solP). Auch in der
oben (s. 147) abgebildeten inschrift auf der Vimoser spange sowohl wie
in andern ähnlichen Inschriften (der Emser spange, dem hobel aus dem
Vier moore, der schlänge von Lindholm) stehen die beiden zeilen
eigentlich in demselben Verhältnis zu einander, obgleich es hier offenbar
nicht vom runenritzer beabsichtigt worden ist, von der gewöhnlichen
richtung abzuweichen^). Wenn es im ganzen als gleichgültig betrachtet
wurde, ob man die schrift von links nach rechts oder umgekehrt gehen
liefs, und man gleichwohl in einer inschrift recht deutlich bezeichnen
wollte, wo die eine zeile sich an die andere schlofs, so wurde dies ja
am leichtesten gerade dadurch erreicht, dafs man einen buchstaben so
') Vgl. z. b. die alten griechischeo inschrifteo von jVaxos (Fraenkel iu
der .\rchäoi. Zeitg. XXXVII, 1S79, p. 84, Roehi no. 4ü8), von Thera (Roehl
no. 449 und 466), von Olympia (Kirchhoff in der Archäol. Zeitg. XXWIF,
p. 161, Roebl no. 512ai u. s. w. Aach in der s. 144 anm. 3 genannten in-
schrift aas Olympia hat die foim des Steines offenbar Veranlassung za dem
bustrophedon in scblaogenwindaagen gegeben.
■-) In der inschrift auf der 3f ord endor fer spange finden wir in derselben
linie absichtlich den mannesnamen, der ohne eigentliche Verbindung mit der
übrigen inschrift steht, nach der entgegengesetzten seile geschrieben, was voll-
kommen mit der weise stimmt, auf welche in einer von den ioschriften von
Thera (bei Boeckh, Franz und Rangabé no. 1, Le Bas pl. II no. 4, Roehl
no. 451) die namen KlfayoQug und IléQaiévg geschrieben sind. Der grand war
in beiden fällen derselbe, nämlich das streben nach deutlicbkeit.
158 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
s. NO. ZU sagen zu beiden Zeilen gehören liefs. Hierdurch entsteht dann die
schlangenförmige schrift in den sabellischen inschriften, die uns im
Norden zuerst auf dem stein von Tune begegnet, aber später mehr und
mehr allgemein wurde und sich auf einigen der ältesten steine aus dem
Jüngern eisenalter findet, z. b. den steinen von Helnæs, Flemlese
und Glavendrup, wo jedoch der unterschied von dem Tuner steine
besteht, dafs die einzelnen Zeilen durch einen strich geschieden sind,
auf dem die runen stehen. Der nächste schritt war, dafs man an
stelle der einfachen striche die steine mit den eigentümlichen und
kunstvollen seh langen wind ungen schmückte, die später eine
grofse rolle spielen sollten, und in denen so aufserordentlich viele
von den jüngeren runen inschriften namentlich in Schweden einge-
ritzt wurden.
Dafs die bustrophedonform in den runeninschriften im Norden
selbst entwickelt ist, wo sie anfangs nur einer steinhauerlaune, die
wohl durch das streben nach gröfserer deutlichkeil hervorgerufen
wurde, ihr dasein verdankt, ergibt sich daraus, dafs sie anderwärts
so aufserordentlich selten vorkommt, und dafs sie bei uns erst auf
einem steine erscheint, der aus mehreren gründen keineswegs zu den
ältesten denkmälern gerechnet werden darf^).
^) Anf dem stein von Varnum (Järsberg), der, wie auch Bugge in seiner
scharfsinnigen deutung dieser inschrift (filol. tidskr. VII, s. 237 ff.; vgl. VIII,
s. 196 f.) hervorgehoben hat, in mehreren beziehangcn an den Tuner stein er-
innert und ungefähr derselben zeit wie dieser angehören inufs, läuft die inschrift,
wie oben (s. 149) bemerkt, in zwei zeilen von links nach rechts; nur das letzte
wort ist sowohl aus rücksiebt anf platz wie auf deutlichkeit bu-
strophedon geschrieben, so dafs es zugleich um die unterste zeile läuft, mit der
die inschrift beginnt:
IXh-V^Y
d. i.: runoR waritu („wir beide schrieben die runen"); runoB ist das letzte
regelmäfsig geschriebene wort in der obersten (letzten) zeile, und vor "t* in
dem Worte waritu steht der letzte buchstabe in der untersten (ersten) zeile.
In den inschriften mit der längeren runenreihe finden sich sichere beispiele für
die bustrophedonform bisher nur auf dem Tuner steine und in diesem einen
wort auf dem Varnumer stein , und der letztere zeigt gerade deutlich, dafs es
rein zufällig ist, dafs diese form gewählt wurde.
III. KAP. E. RICHTPNG D. RUNENSCHRIFT ; TRENMÜ.iiGSZEICHEN Ü. S. W. 159
Der enlwicklungsgang, den wir auf den denkmälern verfolgen s. IJ I.
können, ist also der, dafs die ursprüngliche richtung der
runenschrift von links nach rechts war, wie die der lateini-
schen Schrift; aber früh hat man ihr daneben auch die
richtung von rechts nach links gegeben. Durch eine Ver-
einigung dieser beiden formen entstand später das ge-
wöhnliche bustrophedon. und gleichzeitig damit zeigen
sich auch die ersten spuren der schlangenförm ig ge-
wundenen Schrift. Alle diese formen hielten sich in der folgen-
den zeit lange neben einander, indem es ausschliefslich auf dem ge-
schmack und der kunslfertigkeit des runenrilzers beruhte, welche form
er wählen wollte.
Ich habe etwas bei diesem ganzen entwicklungsgange verweilen
müssen, da man natürlich auch die richtung der schrift von rechts
nach links und ßovarQocffjöop als beweis für die unmittelbare ab-
stammung der runen vom phönicischen oder einem alten griechischen
oder italischen, nicht-lateinischen alphabete benutzt hat; dafs sie auch
die richtung von links nach rechts hatte, und dafs sich dies gerade in
den allerällesten inschriften als regel zeigt, hat man entweder übersehen
oder nicht für der aufmerksamkeit wert erachtet, indem man von der
ganz falschen Voraussetzung ausgegangen ist, dafs es wohl einer schrift,
die ursprünglich von rechts nach links ging, gestattet werden könnte,
später die entgegengesetzte richtung anzunehmen, dafs aber die umge-
kehrte Veränderung undenkbar sei. Von dem ersteren hatte man ja ein
sicheres beispiel im griechischen, und daraus zog man dann den un-
richtigen schlufs, dafs dasselbe auch mit der runenschrift geschehen
sein müfste. Dafs beides der natur der sache nach gleich berechtigt und
gleich wahrscheinlich war, dafür hat man kein äuge gehabt.
In der art, wie die Inschriften auf den runensteinen angebracht
wurden, finden wir in einer andern beziehung einen bestimmten
unterschied zwischen den inschriften mit den runen der längeren und
der kürzeren reihe. In diesen letzteren ist es nämlich eine feste regel,
dafs die inschrift unten auf dem steine beginnt und dann
an demselben hinaufläuft. Das umgekehrte, dafs die inschrift
oben an dem steine anfängt und dann hinab läuft, oder dafs sie
horizontal an dem steine angebracht wird, mufs als besonders seltene,
ganz alleinstehende ausnahmen angesehen werden (eine solche aus-
nähme bildet z. b. der grölsere stein von Jællinge, dessen inschrift
160 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
Iiorizontal angebracht ist, natürlich mit rücksicht auf die ganze form
des Steines und die verschiedenen verschlingungen und bihllichen
darstellungen, die sich aufser der inschrift darauf findenl. In den
inschriflen mit der längeren runenreihe herrscht dagegen grofse Will-
kür in dieser beziehung. Denn es befolgen wohl einzelne die jüngere
regel, die inschrift von unten nach oben laufen zu lassen (die steine
vonTanum, Tomstad, Strand, Torvik a, Stentofte, die fels-
wand am Valsfjord); aber wir finden doch öfter die umgekehrte
rieh tung von oben nach unten (die steine von Skaäng, Vånga,
Krogstad, Varnum, Einang, Bö, Stenstad, Torvik b, Istaby).
Eine Vermischung beider arten zeigt der stein von Tune, auf dessen
erster seile die inschrift an der spitze beginnt, während die auf der
zweiten seile umgekehrt von unten anfangt. Auch horizontale linien
kommen öfter vor (die steine von Möjebro, Orstad, R ei d s lad,
Björkelorp, die felswand bei Veblungsnæs), und auf dem steine
von Berga steht der eine name horizontal, während der andere von
oben nach unten läuft, wozu man kaum etwas entsprechendes in einer
einzigen aus der grofsen menge von inschriflen der jüngeren eisenzeit
wird nachweisen können.
In der regel wird die form des Steines natürlich mit vollkommener
Sicherheit zeigen, was als dessen oberer und was als dessen unterer
teil angesehen werden soll, und wo dies — besonders bei bruch-
stücken — zweifelhaft sein kann, wird die hier dargestellte regel uns
die frage entscheiden helfen. Dafs man nicht früher auf diese regel
aufmerksam gewesen ist, hat indessen veranlassung dazu gegeben, dafs
verschiedene runendenkmäler an ihrem gegenwärtigen platze eine un-
richtige Stellung erhalten haben, indem sie entweder auf die seile
gewendet oder auf den köpf gestellt sind. Auch bei Thorsen treffen
wir diesen fehler öflers in seinem buche „De danske Runemindes-
mærker" II, 1 : auf die seile gestellt sind z. b. no. 9 (bruchslück
o
des Steines von Horne), no. 30 (bruchslück eines Steines von Arhus),
no. 64 (bruchslück des Steines von Hammel), no. 67 (der kleinere stein
von Skærn), no. 72 (bruchslück des Steines von Vårst), und auf dem
köpfe stehen no. 32 (bruchslück eines Steines von Arhus), no. 35
(der Ferslever stein), no. 36 (der Flejsborger stein; hier zeigt jedoch
die form des Steines deutlich das richtige), no. 80 (der stein von
Bröndeslev), no. 86 (der Hanninger stein). Über den Tågeruper stein,
der auf der abbildung H, 1 zwischen no. 27 und no. 28 richtig gestellt
ist, bemerkt Thorsen ausdrücklich II, 2, s. 268, dafs er so zu stellen
III. KAP. E. RICHTÜ.NG D. RÜ.>'E.>SCHRrFT ; TRE»iL'>GSZEICHEN U. S. W. 161
sei, dafs er auf die seile zu stehen käme, und denselben fehler begeht
er s. 269 bezüglich des Steines von Brejninge. Dies sind jedoch nur
kleinigkeiten im vergleich zu den vielen und grofsen fehlem, die sich
in andern beziehungen in dieser arbeit finden, nicht am wenigsten in
der wiedergäbe der inschriften selbst.
2. Trennungszeichen.
Dieselbe willkür, die uns in den älteren alphabeten in beziehung
auf die richtung der schrift begegnet, treffen wir auch in der an- s. 142.
Wendung der tre nnungsz eichen.
Dafs man bereits in sehr alter zeit zur erreichung eines höheren
grades von deulhchkeit die grenze zwischen den einzelnen Wörtern
mit hülfe von trenn ungszeichen festzusetzen gesucht hat, zeigt die
moabitische inschrift, welche regelmäfsig die einzelnen worte durch
einen punkt scheidet ^). Aufserdem aber bietet diese inschrift die
bisher alleinstehende eigentümlichkeit, dafs sie auch ein anderes
zeichen, nämlich einen senkrechten strich, benutzt, um die einzelnen
Sätze zu unterscheiden. Ebenso sind in der oben (s. 22 anm. 3)
erwähnten althebräischen Siloahinschrift (ca. 700 vor Chr.) alle
Worte durch einen punkt von einander getrennt. In den bruchstücken
der phönicischen inschriften von Cypern finden sich dagegen keine
trennungszeichen ; sie kommen auch in der grofsen sidonischen in-
schrift auf dem Sarkophage E^münazars nicht vor und werden über-
haupt nur ganz ausnahmsweise in den phönicischen inschriften an-
gewandt.
Auch bei den Griechen kommen trennungszeichen zwischen
den einzelnen worten selten und meistens nur in sehr alten inschriften
vor. Die ältesten inschriften von Thera und Melos gebrauchen in der
regel keine trennungszeichen. Ausnahmsweise dient jedoch ein
senkrechter strich als trennungszeichen in einer inschrift von Thera
(Roehl no. 449)*), von Lyt los (Roehl no. 478) und Axos (Roehl
no. 480). Ein einzelner punkt wird angewandt auf der broncetafel
von Petilia (C. I. G. no. 4, Franz no. 23, Roehl no. 544) und in
1) Die altpersischea keiliuschrifteD aus der Achämeuidenzeit wenden be-
kanntlich regelmäfsig einen kleinen schrägliegenden keil als trennangszeicheo
zwischen den einzelnen worten an.
2) Durch die art und weise, auf welche die namen Kleicyöons und ütQuuvg
in einer der inschriften von Thera geschrieben werden (siehe s. 157 anm. 2),
wird natürlich dasselbe erreicht, wie darch den gebrauch von trennaugszeichen.
WIMMER, Die rauenschrift. 11
162 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
einer inschrift von Syrakus (Roehl no. 509), und etwas häufiger
finden wir 2 oder 3 punkte auf dieselbe weise gebraucht^). Später
wird der gebrauch der trennungszeichen ganz aufgegeben, und wenn
wir in griechischen inschriften aus der römischen kaiserzeit wieder
s. 143. einzelne beispiele von anwendung eines einzelnen punktes finden können''),
so ist dies ohne zvveifel von den Römern entlehnt.
Eine weit gewöhnlichere anwendung haben dagegen die trennungs-
zeichen bei den italischen Völkern gefunden, wo es als ausnähme
angesehen werden mufs, wenn sie nicht gebraucht werden (so in
einzelnen etruskischen inschriften). Im übrigen finden wir dieselben
trennungszeichen wie bei den Griechen; sehr selten kommen jedoch
drei punkte vor, z. b. ab und zu in etruskischen inschriften sowie
in den sabellischen von Crecchio und Cupra und mit zwei punkten
abwechselnd auf der broncetafel von Velletri (Mommsen, Unterital.
Dial. tab. XIV). Zwei punkte sind dagegen sehr gewöhnlich im etrus-
kischen und werden durchgehends auf den iguvinischen tafeln mit
umbrischer schrift gebraucht. Sonst müssen auch die beiden punkte
als seltene ausnahmen angesehen werden (so in einzelnen der falis-
kischen inschriften und in den oskischen bei Mommsen tab. VIII,
no. 1, 10 und 14). Der einzelne punkt, der bei den Griechen so
selten ist, kommt sehr oft in Italien vor, so in vielen etruskischen
inschriften, in mehreren der faliskischen, fast ohne ausnähme in den
^) Zwei punkte fiuden sich z. b. in dem vertrag S^wischcQ Elis und
Heræa (C. I. G. nu. 11, Franz no. 24, Roehl no. llU), in einer andern gleich-
zeitigen eleischen iuschrift (Roehl no. 111) und in einzelnen alten attischen
inschriften (z. b. C. I. A. no. 4, 472). Drei punkte werden in der gröfseren
lokrischen inschrift aus Galaxidi (W. Fischer im Rhein. Mus. XXVI, s. 39 IT.,
Roehl no. 321) und in mehreren der alten attischen inschriften (z. b. C. I. G.
no. 22, 139, 147 = C. I. A. 465, 170, 188; ebenso C. I. A. no. 477, 482 und
öfters) gebi-aucht. Auch kommen zuweilen in derselben inschrift abwechselnd
zwei oder drei punkte vor, so in der sigäischen inschrift, inder kleineren
lokrischen iuschi-ift aus Galaxidi (Rangabé no. 356 b pl. XIII, J. L. üssing
in der Oversigt over det kgl. danske Videnskabernes Selskabs Forhand-
linger 1857, s. 21 f., Roehl no. 322) und in einer alten attischen inschrift
(C. I. A. no. 2). Ein beispiel für einen und drei punkte in derselben
inschrift bietet eine kleine insclirift von Dodona (Carapanos, Dodone et ses
rnines, Paris 1878, p. 47 & tab. XXVI, 2, Roehl no. 5). In einer andern kleinen
inschrift von Dodona (Carapanos p. 40 & tab. XXIII, 2, Roehl no. 502) kommen
sowohl zwei, drei wie vier punkte vor (die ersteren je einmal, das letzte
zweimal).
2) J. L. Ussing in „Det kgl. danske Videnskabernes Selskabs Skrifter". V.
Række. Historisk og philos. Afdel. 11^ s. 9.
III. KAP. E. RICHTÜJiG D, RUNENSCHRIFT; TRE.MNUNGSZEICHEN U. S. W, 163
oskiscben, und er ist bei den Römern scbon in den älleslen bekann-
ten inschriften regel geworden^).
In den runeninschriften herrscht von den ältesten zelten an
grofse Willkür in dein gebrauch und der form der trennungszeichen.
Meistens werden sie in den inschriften der längeren reihe
gar nicht angewendet. Wo die inschrift nur einen einzigen
namen enthält (der speer von Mnncheberg und Kovel, das diadem von
Strårup, die spange von Himlingöje, die steine von Vånga und Brals-
berg), war natürlich keine veranlassung vorhanden, ein trennungs- ». 1J4.
zeichen zu gebrauchen; dies gilt gleichfalls, wo jedes wort in der
inschrift in einer besonderen zeile steht (der stein von Orstad, die
erste und dritte zeile auf dem steine von Reidstad, der stein von
Krogstad); aber sie kommen auch nicht auf dem Bukarester ringe,
den spangen von Nordendorf ^), Osthofen und Etelhem, dem Thors-
bjærger Scheidebeschlag, dem lanzenschaft von Kragehul, den steinen
von Tanum, Einang, Strand, Bö, Stenslad, Torvik b, in den felsen-
inschriften bei Veblungsnæs und dem Valsfjord oder in den gröfseren
blekingschen inschriften (Björketorp, Stentofte, Istaby) vor. Nur auf ganz
vereinzelten denkmälern ist der gebrauch von trennungszeichen etwas
consequent durchgeführt: das goldene horn bezeichnet viermal den
unterschied zwischen den einzelnen Worten durch 4 punkte^), der
brakteat von Yadstena hat nach den ersten 8 runen einen ein-
zelnen punkt und darauf zweimal 2 punkte nach jeder der folgen-
den 8 runen*); der hobel von Vi mose gebraucht auf der oberen
^) Aach in den hercoIanensiscbeD papyrosrollen findet sich wie in
den inschriften ein pankt hinter den einzelnen werten (siehe das lateinische
gedieht über die schlacht bei Actium in Herculanensium Voluiniuuui quæ saper-
snnt Tom. II, Neapoli 1809). Dagegen gebrauchen die wachstafeln von
Siebenbürgen nur ganz ausnahmsweise trennungszeichen, nämlich ab und zu
einen punkt am Schlüsse eines satzes (Mafsmann, Libellus aurarius, § 154).
^) Auf dem Bukarester ringe ist jedoch ein deutlicher abstand zwischen den
Worten gutaniowi und hailag, wodurch also dasselbe erreicht wird, wie
durch ein trennungszeichen. Dasselbe hat die Nordendorfer spange a auf eine
andere weise erreicht, indem der name leubwini, der in derselben zeile steht
wie das letzte wort der hauptioschrift, von dieser deutlich geschieden wird,
indem er nach der entgegengesetzten seile geritzt ist (vgl. oben s. 157 anm. 2).
^) Dafs nicht ebenso zwischen ek hlewagastia ein trennungszeichen an-
gebracht ist, liegt sicher, wie Burg (Die älteren uord. rnneninschr., s. 20
anm. 2) meint, darin begründet, dafs ek hier proklitisch steht.
*) Hier waren die trennungszeichen oder ein anderes mittel natürlich durch-
aus notwendig, um die drei gescblechter im aiphabet zu bezeichnen.
U*
164 ERSTES BUCH. DEU URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
fläche deutlich einmal 4 punkte, während die inschrift auf der seile
sowohl 2 als auch 3 punkte zu hahen scheint. Ebenfalls hat die Frei-
laubersheimer spange drei- oder viermal 2 punkte (längliche
kleine striche) als trennungszeichen zwischen den einzelnen Worten, und
auf der spange von C h arnay finden sich vor der eigentlichen in-
schrift in der zeile rechts 3 punkte, um diese zeile deutlich von dem
alphabete zu scheiden; später gebraucht diese inschrift dagegen zweimal
4 punkte^), aber kein trennungszeichen nach dem letzten buchstaben.
Unter den Steininschriften hat der stein von Tomstad, der wahr-
scheinlich nur zwei worte enthalten hat, 3 punkte zwischen diesen,
und die zweite zeile des Steines von Reidstad 2 punkte zwischen
ik wakraR und unnam^).
Dafs man indessen den gebrauch von trennungszeichen zwischen
den einzelnen Worten für ganz überflüssig gehalten hat, geht deutlich
aus der rein sporadischen anwendung hervor, die sie in einzelnen
Inschriften gefunden haben. Der stein von Tune gebraucht so
in jeder seiner längeren Inschriften nur zweimal 2 punkte und in der
inschrift von 3 zeilen doch nur vor und hinter dem letzten worte*);
auch der stein von Varnum hat nur einmal 3 punkte, aber sonst
kein trennungszeichen. Öfters kommt ein trennungszeichen am ende
der inschrift vor, — und nicht, oder nur ganz ausnahmsweise, zugleich
zwischen den einzelnen Worten derselben. Auch dies zeigt deutlich, dafs
man diese zeichen eher als eine reine Verzierung aufgefafst hat. Ich habe
bereits angeführt, dafs das eine trennungszeichen auf der zweiten
s. 145. Seite des Steines von Tune sich hinter der inschrift befindet. Die
Lindholmer schlänge hat 3 punkte am Schlüsse beider in-
^) Auf der Zeichnung bei Stephens besteht das zweite trennungszeichen aus
fÜDf punkten in einer sonst nicht vorlioniineaden form; dies ist indessen nach
ßeauvois' erklärung (siehe oben s. 78) unrichtig. Es kann kein zweitel darüber
sein, dafs der runenritzer hier wie in der zeile links vier punkte hat setzen
wollen; aber sie haben in der zeile rechts eine etwas unregelmälsigere form
bekommen. Die punkte auf der spauge von Charnay sind wie auf der Frei-
laubersheimer spange eigentlich längliche stricheichen, die natürlich durch ein-
ritzung mit der feinen uadel im metall entstehen mul'sten.
2) Dafs kein trennungszeichen zwischen ik und wakran gebraucht wird,
stimmt zu dem goldenen horn.
3) Die inschrift von zwei zeilen hat nur das trennungszeichen vor und
hinter dem vorletzten worte; ob auch zwei punkte hinter dem letzten worte
gestanden haben , könneu wir nicht entscheiden , da nur der oberste teil von
der ersten rune in diesem worte übrig geblieben ist; auch der unterste punkt
vor diesem worte ist jetzt fort.
III. KAP. E. RICHTUNG D. RUNENSCHRIFT; TRENNUNGSZEICHEN U. S. W, 165
schriflzeilen und sonst nur 2 punkte vor dem magischen (11^. welches
das letzte wort in der einen zeileist^). Auch auf dem braktealen
von Tjörkö bezeichnen die 3 punkte ohne zweifei den schlufs der
inschiift, und im übrigen gebraucht sie nur 2 punkte vor dem
vorletzten worte^) (mit rücksicht auf den engen räum sind die punkte
hier horizontal hinter einander gestellt, nicht wie sonst über einander).
Ein einzelner punkt findet sich am Schlüsse der inschrift des Steines
von S kå an g und Skärkind und gleichfalls hinter dem worte sali-
gastiß (aber nicht nach fino) auf dem steine von Berga.
Wir haben hiermit über den gebrauch der trennungszeichen
rechenschaft abgelegt, die in form von punkten in den ältesten runen-
inschriften vorkommen; aber es liegt natürlich die möglichkeit vor,
dafs in der einen oder andern von den undeutlichen inschriften ur-
sprünglich ein trennungszeichen dagewesen ist, das jetzt nicht mit
Sicherheit unterschieden werden kann; dafs die punkte in der inschrift
auf der seite des hobeis von Vimose schwach und etwas unsicher
sind, haben wir bereits hervorgehoben ; auch auf dem steine von Tune
sind beide punkte nur recht klar an der einen stelle, und auf
dem steine von Berga fehlen sowohl der punkt wie der linke neben-
slrich in der letzten rune noch auf Stephens' Zeichnung I, 177 (vgl.
„Prof. G. Stephens om de ældste nordiske runeindskrifter", s. 13 =
ärb. f. nord. oldk. 1868, s. 65). Umgekehrt können natürh'che Un-
ebenheiten im steine fälschlich als trennungszeichen aufgefafst sein;
dies ist so z. b. der fall mit dem striche, der sich bei Stephens (aber
nicht auf der älteren Zeichnung bei Finn 3Iagnusen) vor der inschrift
auf dem Stenstader steine findet, und eine menge beispiele von ähn-
lichen fehlem könnten von den inschriften mit der kürzeren runen-
reihe angeführt werden (vgl. unten im 'Anhang' VI).
Aufser den hier genannten am gewöhnlichsten gebrauchten formen
der trennungszeichen (punkten in verschiedener anzahl) glaube ich,
dafs einzelne seltener vorkommende zeichen in einigen inschriften
ebenso aufgefafst werden müssen. Hierhin rechne ich ^ auf dem
steine von Möjebro, das auch durch seine geringere gröfse zeigt,
dafs es kaum als wirkliche rune genommen werden darf; das
^) Ich habe mir gedacht, dafs dasselbe in der inschrift auf dem schild-
bnckel von Thorsbjærg beabsichtigt sein könnte, indem man ^ umgekehrt im
Verhältnis zu der eigentlichen inschrift stellte (vgl. s. 14S anm. 1).
-) Die punkte in dieser inschrift sind gewifs nur gebraucht um den räum
auszufüllen.
166 ERSTKS ItUCll. DEK UltSl'UUNG DKIl KU^ÉNSCHRIFT.
kleine kieiiz zwischen den beiden punkten scheint nur als eine zier-
lichere form anstatt eines dritten punktes gewählt zu sein '). Gleich-
falls bin ich geneigt, nicht nur das letzte zeichen 1 auf dem stein
von Skaäng als trennungszeichen aufzufassen, trotzdem noch ein
punkt darauf folgt, sondern auch das zeichen )j< mitten in der in-
schrift hinter harina. Wir haben hier offenbar denselben namen wie
auf dem kämm von Vimose, und durch ein zeichen, das damals kaum
als laulzeichen im gebrauch war, sich aber doch im futhark befand
und später zeichen fär die a-rune wurde ^), hat man gewifs diesen
namen deutlich von dem folgenden leugan scheiden wollen, dessen
Ursprung ich indessen nicht sicher erklären kann. Dafs das zeichen hinter
Y auf jeden fall nicht die bedeutung einer rune hat, sondern nur zur Ver-
zierung am Schlüsse der inschrift gebraucht ist, unterliegt keinem zweifei.
Dafs auch >|c wirklich als trennungszeichen gebraucht ist, scheint
mir durch die sehr ähnliche inschrift auf dem einen steine von
Torvik bestätigt zu werden, welche lautet:
A
i<>\ømv
d. i. ladawariüau (das letzte Y zerstört, da die spitze des Steines
wegen der Spaltung fehlt; siehe B. E. Bendixen in der „Aarsberetning
^) Das zeicheü auf dem stein von Möjebro erinnert an das auf Jüngern
runensteinen oft vorkommende trennungszeichen X, das z. b. auf dem slein von
Hedeby und anderwärts abwechselnd mit zwei punkten gebraucht wird. Diese
ähnlichkeit halte ich jedoch für ganz zufällig. — Wenn das in rede stehende
zeichen auf dem stein von Möjebro dieselbe gröl'se gehabt hätte wie die übrigen
runen, würde ich es am ehesten als eine zierlichere form der X^i'une aufgefafst
haben, was ja nahe Hegt, und dies ist auch früher mein gedanke gewesen, indem
ich annahm, dafs die oberste zeile mit ^ anstatt mit | schlösse („Prof,
G. Stephens om de ældste nord. runeindskrifter", s. 20 = årb. f. nord. oldk. 1868,
s. 72). Ich glaubte damals, dafs die ganze inschrift als frawaradan ana hahai
Slawin aR gelesen werden müfste und altnord. Fraråder å hå (dat. sgl. fem.)
slegi'in entspräche (vgl. auch Burg s. 107, anm. 2). In folge später empfangener
anfklärungeu über die Inschrift kann die letzte rune in der obersten zeile jedoch
nur I gelesen werden, was in Verbindung mit der form der vermuteten ^-rune
mich zu der oben dargelegten auffassung brachte.
2) Es besteht natürlich auch die möglichkeit, dafs )j< auf dem steine von
Skaäng nur durch einen reineu zufall dieselbe form bekommen hat, welche die
alte yä/'ö-rune später annahm.
III. KAP. E. RICHTUNG D. RUNENSCHRIFT; TRENNUNGSZEICHEN U. S. W. 167
fra Foreningen til norske Fortidsmindesmerkers Bevaring for 1880",
Krist. 1881, s. 66 ; vgl. s. 254). Dafs das zeichen, welches über S^
steht, und eine auffallende ähnlicbkeit mit der M-rune hat, als eine art
Irennungszeichen zwischen lada und wariDaR gebraucht ist, bezweifle
ich nicht; warioaR scheint sicher = altnord. v^ringr zu sein, und
lada^) lese ich landa \må fasse es als einen mannsnamen = altnord.
Landi. Ob das -T, das auf der Nordendorf er spange a am Schlüsse
der hauptinschrift zwischen dieser und dem nach der entgegenge-
setzten Seite geritzten leubwini steht, in gleicher weise als Irennungs-
zeichen aufgefafst werden soll, wage ich nicht zu entscheiden.
Das schwanken, das sich so im gebrauch der trennungszeichen
zu erkennen gibt, und die vielen verschiedenen formen, worin sie s, 146.
auftreten, zeigen deutlich, dafs es auf der laune des runenrilzers be-
ruht hat, wie weit er sie überhaupt hat benutzen wollen, und dafs
es ausschliefslich sache seines eigenen geschmackes war, welche
form er wählen wollte. Irgend ein fremdes Vorbild wird man
hier schwer nachweisen können; aber da die runenschrift aus dem
lateinischen alphabete entstanden ist, so ist es ja das natürlichste
auch anzunehmen, dafs die grofse abwechslung, welche die runen-
inschriften bezüglich der trennungszeichen aufweisen, doch im grunde
von dem einzelnen punkte ausgeht, der bei den Römern regel ge-
worden war ; aber eine der gröfse der runenzeichen entsprechende
zierlichere form fand man bald in 2, 3 oder 4 punkten (stricheichen),
oder auf andere weise-), und bis in späte zeit hinab Wieb dieses
1) Die wiedergäbe lafja bei Burg s. 134 mufs auf einem schreib- oder lese-
fehler beraheo.
2) Wollte mao das vorbild für die trennungszeichea der runeninscbriften in
den zwei oder drei punkten bei den Griechen und Etraskern suchen — ohne sich
darum zu bekümmern , dafs wir auch dort einen punkt treffen — , so miilste
man auf alle fälle einräumen , dafs der runenritzer auf eigene band sowohl die
drei punkte in vier als auch die zwei in einen verändert haben kann, eine an-
nähme, die mir eben so kühn wie die meinige vorkommt, der zufolge er nach
seinem eignen geschmack den einzelnen punkt behandelt haben kann, wie er es
für gut befand. Wie täuschend die ähnlichkeiten sich zuweilen ganz unab-
hängig von einander entwickeln können, dafür haben wir ein beispiel ia dem "|'
des Steines von Skaäng als trennungszeichen hinter der letzten rune. Auf
dem moabitischen steine, wo der punkt zur trennung der Wörter und der senk-
rechte slric^h zur Scheidung der sätze dient, können zuweilen beide zu dem
zeichen |. vereinigt werden. Hier haben wir zwar, da die Inschrift von rechts nach
links läuft, den punkt vor dem striche, während das umgekehrte auf dem
steine von Skaäng der fall ist, dessen inschrift von links nach rechts geht.
168 ERSTES BUCH. DER ÜUSPRÜNC. HER RUNENSCHRIFT.
schwanken bestehen. Von den ältesten Inschriften aus dem jüngeren
eisenalter haben einige gar keine trenn ungszeichen (die steine von
Helnæs, Flemlnse), während der stein von Kallerup einen einzigen
punkt und der stein von Snoldelev (fünfmal) einen kleinen strich hat,
der auch beständig auf den steinen von Glavendrup und Tryggevælde
147, u. s. w. gebraucht wird; 3 punkte finden sich auf dem steine von
Norrenærå; der stein von Læborg hat dreimal 3 und zweimal
2 punkte, der kleinere stein von Jællinge überall 2 punkte, der
gröfsere sowohl 2 wie einen, und in den inschriften aus der letzten
hälfte des 10. jhdts kommen ja bekanntlich der einfache oder nament-
lich 2 punkte aufserordentlich häufig vor.
3. Binderunen.
Der gebrauch, zwei runen an einem und demselben hauptstriche
zu einer sogenannten „binderune" zu vereinigen, kommt bekanntlich
ab und zu in den inschriften mit der kürzeren runenreihe vor, wo
er jedoch in älterer zeit als eine äufserst seltene ausnähme anzusehen
ist, die erst weit später eine allgemeinere anwendung findet ^). Da-
gegen treffen wir öfters binderunen in den inschriften mit der längeren
runenreihe. Dafs keine solche in den gotischen und deutschen in-
schriften vorkommt, mufs am ehesten als ein zufall betrachtet
werden; im Norden treten sie nämlich bereits in einer der aller-
ältesten inschriften, auf der Thorsbjærger zwinge, auf, wo fl und M
in dem zeichen R verschlungen sind, obgleich fl hier der letzte
buchstabe in dem einen und M der erste buchstabe im nächsten worte
ist (beide worte verschmolzen jedoch wahrscheinlich zu einem begriffe;
vgl. s. 105). Die neigung, binderunen zu gebrauchen, geht aus der art
und weise hervor, wie das wort erilaR in verschiedenen inschriften
geschrieben wird: MXIT^ Kragehuler lanze, M^if^^A Varnumer stein,
aber auch ohne binderunen Y^1l/lM Lindholmer schlänge. Der
lanzenschaft aus dem Kragehuler moore und der stein von Varnum
zeichnen sich im ganzen genommen durch einen starken gebrauch
von binderunen ans, die übrigens vielleicht namentlich in magischen
inschriften eine rolle gespielt haben (vgl. oben s. 57 f. anm. 5).
Die ähnlichkeit ist indessen ja schlagend, und ich überlasse diesen beitrag den-
jenigen, welche noch an der abstaminung der runenschrift vom semitischen
aipbabet festhalten.
') Sehr selten kommt der fall vor, dafs derselbe hauptstrich mehr als zwei
runen trägt. Ein schönes muster von solchen anf einem stabe verbundenen riinen
{„samstavsriiner") weist der schleswigsche Hedebyer stein auf.
III. KAP. E. RICHTUNG D. RUNENSCHRIFT; TRENNUNGSZEICHEN U. S. W. 169
4. Einfassungslinien. Bildliche darstelliingen.
Von dem gebrauche, die runeninschriften zwischen ein fassungs-
linien anzubringen, der ja in den inschriften mit der kürzeren
runenreihe regel wurde, obgleich sich ab und zu bis in späte zeit
hinab ausnahmen davon finden, treffen wir bereits, jedoch selten, die
ersten spuren in den inschriften der längeren reihe. Meistens stehen
die runen in diesen inschriften jedoch frei, was ohne ausnähme von
den ältesten unter ihnen gilt: den Speeren von Müncheberg und Kovel,
dem Bukarester ringe, dem schildbuckel und der zwinge von Thors-
bjærg, dem diadem von Slrarup, der spange von Himlingöje, den in-
schriften aus dem Vier und Kragehuler moore. Dasselbe ist der fall
mit den deutschen inschriften auf den spangen von Nordendorf, Frei-
laubersheim. Friedberg, Ems und Engers. Dagegen ist ein doppelter
strich unter den runen auf dem obersten teile der spange von Charnay
angebracht, aber keiner über denselben, während die drei kleineren
runen auf dem untersten teile der spange einen einfachen strich sowohl
am fufse wie an der spitze haben, und nur die beiden gröfseren runen
mitten auf dem untersten teile der spange ganz frei stehen. Die
spange von Osthofen hat einen doppelten strich unter den runen
und einen einfachen an deren spitze. Mit ausnähme der brakteaten-
inschriften, die öfters, aber keineswegs durchgehends, zwischen ein-
rahmungsstrichen angebracht sind, werden diese selten in den gleich-
zeitigen nordischen inschriften angewandt: auf der spange von Fonnås
werden die runen in der einen zeile von einer Umrahmung einge-
schlossen, während die in den 3 anderen zeilen frei stehen. Die in-
schrift der spange von Etelhem hat gleichfalls eine linie sowohl an
der spitze wie am fufse der runen, und aufserdem hinter der in-
scbrift das zeichen h, das entweder als Verbindungslinie zwischen den
rahmenstrichen oder als ein trennungszeichen am Schlüsse der inschrift
aufgefafst werden kann, das in diesem falle an das 1 des Steines
von Skaäng erinnert (siehe oben s. 166). Auch für die s t e i n i n -
Schriften mit den älteren runen gilt als regel, dafs die runen frei
stehen. Ausnahmen hiervon bietet jedoch der stein von S ten stad,
wo die runen auf einem strich stehen, was gleichfalls mit den beiden
Zeilen auf dem steine von Möjebro der fall ist. Ein ganzer rahmen
scheint die magische inschrift auf dem stein von Kinne vad ein-
geschlossen zu haben, und die inschrift auf dem stein von Tanem
ist möglicherweise von einem gleichen umgeben gewesen, der ziemlich
genau mit demjenigen auf der Etelhemer spange übereinstimmt. Nach
170 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
ein paar vorzügliclien abdrücken von dem steine in seinem gegen-
wärtigen zustande hat die stark verwischte und bisher ungedeutete
inschrift folgendes aussehen:
Der oberste teil der beiden ersten runen mit den beistrichen kann
jetzt nur sehr schwach verfolgt werden; aber die übrig gebhebenen
spuren in Verbindung mit der älteren Zeichnung (L. D, Klüwer,
Norske Mindesmærker, Christiania 1823, taf. 29 fig. b) stellen es aufser
allen zweifel, dafs hier MF^ steht. Eine kleine Vertiefung an der
dritten rune etwas über der mitte ist durch abschälung hervorgerufen
und kann nicht als Überrest des nebenstriches in einem + aufgefafst
werden. Da die erste rune die form M hat, mufs die sechste trotz
der ovalen form der nebenstriche, die derselben grofse ähnlichkeit
mit der rune T in der kürzeren reihe verleiht, eine form des ge-
wöhnlichen Y R sein. Ich hatte in bezug hierauf vor vielen jähren
vermutet, dafs die inschrift ursprünglich
MMPPY maiwaR
gelautet haben könnte, ein wohlbekannter mannsname = dem späteren
altnord. Mar. Da die 4. und 5. rune indessen auf Klüwers Zeichnung
als deutliches I^r wiedergegeben werden, und da die übrig gebliebenen
spuren dieser runen eher für diese lesung als für Pf^ sprechen, so
scheint die inschrift MF^IRrY mairlR wiedergegeben werden zu
müssen, worin ich am meisten geneigt bin, verkürzte Schreibung (wie
auf der Etelhemer spange) eines mannesnamens zu sehen. Wie die
inschrift indessen auch gedeutet werden soll, so glaube ich sieher, dafs
das zeichen hinter 4', dafs bei Klüwer die form p hat, ebenso auf-^
gefafst werden mufs, wie das 1* der Etelhemer spange.
Diese schwachen anlaufe sind das einzige, das den Übergang zu
dem späteren gebrauche zeigt, wo die einrahmungsstriche regel
wurden. Besonders geht es klar aus der inschrift des Steines von
Möjebro hervor, deren beide Zeilen jede für sich auf einem einzigen
rahmenstriche stehen, wie leicht der Übergang hiervon zu der an-
bringung der runen zwischen einfassungsünien sein würde, die bei-
den Zeilen gemeinsam sind, wodurch man eine form erhalten
würde, die ganz derjenigen entspräche, die sich auf dem steine von
III. KAP. F. WO E.>TSTAND DIE RINENSCURIFT ? 171
Kai 1er up findet Einen vollständigen rahmen wie auf den steinen von
Kinnevad und Tanem hat dagegen der stein von Snoldelev. Im
allgemeinen zeigt sich jedoch in den ältesten Inschriften des jüngeren
eisenalters in diesem punkte noch die anknüpfung an die inschriflen
mit den älteren runen, dafs in der ersten und letzten zeile an der
spitze und am fufse den runen der einfassungsstrich fehlt, während
die übrigen Zeilen zwischen den gemeinsamen einfassungsstrichen an-
gebracht sind (siehe z. b. die steine von Helnæs, Flemlose, Glaven-
drup und Tryggevælde).
Auch zu bildlichen darstellungen, die auf vielen runen-
denkmälern aus der jüngeren eisenzeit eine so grofse rolle spielen,
finden sich die ersten ansätze auf denkmälern mit älteren runen.
Wenn ich von den merkwürdigen künstlerischen darstellungen auf
dem goldenen horne absehe sowie von den brakteaten, deren darstel-
lungen ja von anfang an den Vorbildern ihre entstehung verdanken,
die man auf fremden (südländischen) münzen fand, so spielen jedoch
bildliche darstellungen auf den älteren runendenkmälern eine höchst
untergeordnete rolle.
Von diesen haben nämlich nur die beiden upländischen steine von
Krogstad und Möjebro ein paar einfache darstellungen, der erstere
die eines mannes mit aufgehobenen bänden, der zweite die eines mannes
zu pferde. Gewifs lassen sich ähnliche derartige umrisse auch auf
einzelnen runensteinen aus der jüngeren eisenzeit nachweisen; aber
die „bilder" der steine von Krogstad und Möjebro führen doch
meine gedanken weit eher zu den felsenritzungen („hällristningar")
der broncezeit als zu den oft mit grofser kunstfertigkeit und
tüchtigkeit ausgeführten bildlichen darstellungen , die auf vielen
runensteinen aus der jüngeren eisenzeit vorkommen; denn selbst
wenn dem gröfseren steine von Jællinge der erste rang in dieser be-
ziehung eingeräumt werden mufs, so hat er doch viele seitenstücke
besonders auf schonischen und schwedischen steinen.
F. Wo etitstand die runenschriftt
Ich glaube, dafs wir im vorhergehenden alles dasjenige dargestellt
haben, was die runenschrift selbst uns über ihren Ursprung wird
lehren können, und wir haben nirgends etwas gefunden, das gegen
das resultal sprechen könnte, zu dem wir durch unsere betrachtung
der form und bedeutung der einzelnen zeichen kamen, dafs diese
172 ERSTES DUCH, HER URSPRUNG »ER RUNENSCHRIFT.
Schrift aus dem lateinischen alphabete entstanden sein müsse. Wir
haben sogar geglaubt, annährend die zeit für die bildung des runen-
alphabetes feststellen zu können, insofern ein paar zeichen beweisen,
dafs es das jüngere lateinische aiphabet sein mufs, das ihm als Vorbild
gedient hat. Zu dieser Zeitbestimmung werden wir auch mit Wahr-
scheinlichkeit auf einem andern wege geführt. Wir haben bereits früher
hervorgehoben, dafs die runenschrift erst in der älteren eisenzeit auf-
tritt, und wir sind nach den bisher vorliegenden thatsachen nicht be-
rechtigt, irgend eine Inschrift mit den ältesten runen weiter als bis ins
vierte jahrhdt nach Chr. zurückzusetzen. Aber den archäologischen
Untersuchungen zufolge macht sich gerade zu dieser zeit der römische
einflufs in seiner vollen stärke geltend. Es liegt deswegen nahe, a priori
anzunehmen, dafs der Ursprung der runenschrift, die auf den ersten
blick eine unzweifelhafte Verwandtschaft mit den alten südeuropäischen
alphabeten (dem griechischen, etruskischen, lateinischen) zeigt, zu-
nächst im lateinischen gesucht werden mufs. Der etruskische einflufs
müfste nämlich älter, und der griechische jünger sein, während um-
gekehrt diejenigen griechischen buchstaben, aus denen man sich
allein die runen entstanden denken könnte, einer früheren periode
angehören würden, nämlich unserm broncealter. Wenn daher die
runenschrift, wie wir im vorhergehenden gezeigt haben, sich nur
aus dem lateinischen alphabete herleiten läfst, so ist dies in voll-
kommener Übereinstimmung mit archäologischen und historischen
s. 148. thatsachen, und die zeit für das erste auftreten dieser schrift gibt
eine neue und gewichtige stütze für unsere annähme, dafs sie von
dem jüngeren lateinischen aiphabet von 23 buchstaben ausgegangen
sein mufs. Hieraus folgt dann zugleich, dafs das auftreten der runen-
schrift in der älteren eisenzeit an und für sich durchaus keinen
beweis liefert, der die hypothese von einer neuen stammeseinwande-
rung in den Norden in dieser periode stützen kann. Die runenschrift
ist nur ein einzelnes moment in dem römischen einflufs, der
in jener zeit sichtbar wird, und sie ist so früh zu uns gekommen,
wie es im ganzen genommen denkbar war. Soll eine neue ein Wan-
derung staltgefunden haben, so mufs dies also durch andere gründe
bewiesen werden.
Es gibt jedoch noch eine frage, die ohne zweifei aufgeworfen
werden wird, auf die aber zur zeit eine nur irgendwie sichere ant-
wort zu geben unmöglich ist, und bezüglich deren ich mich des-
wegen auf einzelne andeutungen beschränken werde. Auf welchem
III. KAP. F. WO ENTSTAND DIE RUNENSCHRIFT? 173
wege wurde das römische aiphabet, das der riinenschrift als grund-
lage diente, den germanischen Völkern bekannt?
Nach Cäsars eroberung von Gallien kamen bekanntlich auch die
Germanen in nähere Verbindung mit den Römern, mit denen sie in
der folgezeit in mannichfache friedliche und kriegerische berührungen
gerieten. Da also die direkte Verbindung zwischen den Römern
und Germanen im älteren eisenalter so bedeutend war, so kann
auch die runenschrift leicht als bei einem germanischen stamme ent-
standen gedacht werden, der in näherer Verbindung mit den Römern
stand ^). Jedoch läfst sich dies nicht beweisen, und es ist auch
nicht notwendig, dafs die schrift zu den germanischen Völkern direkt
von den Römern gekommen sei. Aufser den Römern gab es näm-
lich ein anderes volk, mit dem germanische stamme zu dieser zeit
und früher in lebhaftem verkehr standen, und durch deren land ohne
zweifei einer der hauptwege für die ausbreitung der römischen kultur
nach dem Norden gegangen ist, nämlich die Gallier"). Sichere
kunde von der schrift der Gallier haben wir zuerst durch die in s. 149.
neuerer zeit entdeckten altgallischen inschriften erhalten^). Überein-
stimmend mit dem Zeugnis der alten schriftsteiler gebrauchen die
ältesten von diesen inschriften das griechische aiphabet (in seiner
jüngeren gewöhnlichen gestalt), das sich natürlich von Massilia aus
über Südgallien verbreitet hat*). Durch Cäsars eroberung ging in-
^) Ich werde nur oebeü den vielen andern thatsachea auf Taeitus' äulserung
über die Hermunduren (Genn. c. 41) hinweiseo.
■^) Vgl. J. J. A. VVorsaae, Om Slesvigs eller Sunderjyllands Oldtids-
minder, Kbh. 1865, s. 47 & 57.
^) J. Becker, Die inschriftlichen Überreste der keltischen spräche in Kuhns
und Schleiehers Beitragen zur vergl, Sprachforschung III (1803), s. 162 — 215,
326—59, 405—43; IV (1865), s. 129—70. A. Pietet, Nouvel essai sur les
inscriptions Ganloises in der Revue archéol. 1867, XV, s. 276 — 89, 313 — 29,
385—402; XVI, s. 1—20, 123—40.
*) Vgl. Strabo IV, 1, 5 (p. 181 edit. Casaub.). Cæsar B. G. \, 29: In
castris Helvetiorum tabulæ repertæ sunt li tteris Græcis confectæ et ad
Cæsareui relatæ, quibus in tabulis nominatim ratio confecta erat, qui numerus
domo exisset eorum, qui arma ferre posseut, et item separatim pueri, senes
mulieresque, also ,, listen, mit griechischen buchstaben (aber natürlich in galli-
scher spräche) geschrieben, die ein Verzeichnis über diejenigen enthielten,
welche von hause fortgezogen waren"; ibid. VI, 14 (von den Druiden): neqne
fas esse existimant ea litteris mandare, quum in reliqnis fere rebus, publicis
privatisque ratiouibos Græcis litteris ntantur, „sie halten es für unerlaubt,
ihre lehre niederzuschreiben, obwohl sie sonst in der regel, wie z. b. in
öffentlichen und privaten rechenschaften, griechische buchstaben gebrauchen". Dafs
diese kenutnis indessen zu Cäsars zeit nicht bei allen Galliern verbreitet
174 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
dessen hierin eine Veränderung vor; die beiiannlschaft mil dem
lateinischen alphabele wurde nun allgemein, und in den allgal-
lischen inschriflen aus der ersten kaiserzeil finden wir die griechi-
150. sehen buchslaben mil den laleinischen kapitalbuchslaben verlauscht, die
später wiederum von der uncial- und kursivschrift verdrängt werden.
Während so die bewohner des eigentlichen Galliens zuerst das
griechische und demnächst das lateinische alphabel gebrauchten,
scheinen die gallischen Völker in Oberitahen am frühesten die „nord-
e tru s kis che" schrifl ihrem alphabete zu grunde gelegt, aber später
gleichfalls das römische alphabel angenommen zu haben.
Auf grund des näheren Verkehrs, der an vielen stellen zwischen
Galliern und Germanen stattgefunden hat, müssen wir daher als eine
möglichkeit hinstellen, dafs die lateinische schrifl gerade gleichzeitig
mit ihrem siegreichen vordringen bei den gallischen Völkern auch den
germanischen stammen bekannt geworden ist, und dafs das runen -
alphabel aus den lateinischen kapitalbuchstaben ent-
standen sein kann, mit denen germanische Völker in der
ersten römischen kaiserzeil bei den Galliern bekann t-
schaft machten. Dagegen finde ich in den runenzeichen selbst
nichts, welches darauf hindeuten könnte, dafs auch die von den
Gaüiern.vor dem lateinischen alphabel benutzte griechische und nord-
etruskische schrift bei der bildung des runenalphabeles eine rolle ge-
spielt haben kann^). Aber es verdient hervorgehoben zu werden,
war, scheint aus V, 48 hervorzugehen, wo Cäsar da\on spricht, dafs er wäh-
rend seines aufenthaltes bei den JNerviern einen brief au Cicero absandte,
der mit griechischen buchstaben (und wahrscheinlich, obgleich dies nicht ge-
radezu in den Worten „hancGræcis conscriptam litteris uiittit" liegt, griechisch)
geschrieben war, damit er nicht, wenn er vom feinde aufgefangen würde, seine
pläue verraten sollte. Dafs die fern wohnenden, uucivilisierten Nervier (II, 4) im
gegensatze zu andern gallischen stammen die griechische schrift nicht kannten, pafst
eben sehr gut zu der Schilderung, die Cäsar anderwärts (II, 15) von ihnen gibt.
^) Da indessen mein gelehrter, um das runenstudium hochverdienter freund
S. Bugge in seiner abhaodluug über die runeninschriften auf goldbraitteateo
beiläufig angedeutet bat, dafs die nordetruskische schrift mit der runen-
schriit in veibinduug stehen konnte (årb. f. nord. oldk. 1871, s. 176; mé-
moires de la société royale des antiquaires du INord 187], s. 363), eine an-
sieht, an der er in seinen bemcrkungeu „Oni Runeskriftens Oprindelse" (Christ.
1874) festgehalten hat, so werde ich hier zur näheren vergleichung mit dem
„Dordetruskischen" aiphabet, das ich auf taf. II no. 7 zusammengestellt habe,
die form dieses alphabetes anführen, welche die Gallier benutzten:
abgdetDzh^ikl m n o p s r s t u
15---^--. -iKi.(/yv)rorMD/xv
III. KAP. F. WO ENTSTAND DIE RUNENSCHRIFT? 175
dafs während die Gallier allmählich das griechische, nordetruskische s. 151.
und lateinische aiphabet so gut wie unverändert aufnahmen, das runen-
alphabet weit selbständiger seinem lateinischen vorbilde gegenüber steht.
Es ist somit eine möglichkeit vorhanden, dafs die germanischen
Völker ihre kenntnis der lateinischen buchstaben, wonach die runen-
schrift gebildet wurde, nicht direkt von den Römern, sondern indirekt
durch die GaUier, und besonders die gallischen stamme in
Oberitalien erhallen haben. Dafs die runen dagegen auf einem
westUchen wege, über das eigentliche Gallien, zu den Germanen ge-
kommen sein sollten, dünkt mir wenig wahrscheinlich, da es mir
der thatsache zu widerstreiten scheint, dafs wir auch die runen-
schrift im Osten bei den Goten vor dem Wultilanischen alphal)ele
finden, und gerade die speciell gotischen inschriflen müssen nach
allem, was vorliegt, zu den ältesten von allen bisher bekannten runen-
denkmälern gerechnet werden, und wesenthch gleichzeitig mit ihnen
sind die ältesten im Norden entdeckten denkmäler, während die
specifisch deutschen bedeutend jünger sind. Wie es sich
nun auch bezüglich der gegend, wo die runenschrift entstanden ist, ver-
Vou w ichtigkeit bei der vergleichuDg mit der runeaschrift ist es , dafs die or-
spräoglicheo zeichen Tiir b, g, d febleo und diese lante darch p, k, t aosgedrückt
werden (vgl. oben s. 49f. anin. 3). Das einzige zeichen, das an die runenschrift
erinnert, ist ^ mit der bedeutung Q; aber dafs dieser buchstabe hier diese form
bekommen hat, die sonst im etruskiseben w bezeichnet, liegt darin, dafs die Gallier
V sowohl für u wie Tür w gebranchten; da also kein mifsverständnis möglich war,
bekam A gleich den übrigen buchstaben eine aufrechte Stellung. Da indessen
die buchslabeu, die vom lateinischen abweichen, den runen weit ferner liegen
als diese (namentlich r und t), und da die in die runenschrift aufge-
nommenen lateinischen B C D F Z H hier ganz fehlen, so glaube
ich, wird man ciuräumeo, dals dus von deu Galliern benutzte nordetruskische
alpbabet nicht die entfernteste berübrung mit der runenschrift haben kann, und
dals die ähnlichkeit zwischen der a-rune und dem gallisch-etrnskischen a, wie
ich oben (s. 99 aom. 1) bemerkte, als ganz zafållig anzusehen ist. — Dagegen
ist es möglich, dafs einzelne eigentümliche zeichen, die sich auf einigen brak*
teaten mit runen zusammen finden, und deren bedeutung anzugeben uns unmög-
lich ist, nicht blofs äufsere ähnlichkeit, sondern auch einen wirklichen Zu-
sammenhang mit entsprechenden zeichen in Inschriften von Oberitalien und auf
den goldgetafseu, die im Banal gefunden sind, haben, wie Bugge vermutet hat
(årb. f. nord. oldk. 187], s. 175 f.). Aber diese mischung von runen und fremden
scfariftzeichen auf einzelnen brakteaten gehört dann einer späteren zeit an und
steht mit der ursprünglichen entwicklung der runenschrift nicht in Verbindung.
(Bezüglich der veruiuteteu Verwandtschaft zwischen den runen und der „nord-
etruskischen" schrift verweise ich im übrigen auch auf die bemerkungen, die ich
in der vorrede über diesen punkt gegeben habe.)
176 ERSTES BUCH. DER URSPRUNG DER RUNENSCHRIFT.
hallen möge, so hoffe ich, dafs so viel als ergebnis der vorhergehenden
Untersuchungen hingestellt werden darf: das runenalphabet ist
nach dem lateinischen alphabete frühestens am ende des
zweiten oder zu anfang des dritten Jahrhunderts nach Chr.
bei einem der südlich wohnenden germanischen stamme
(natürlich an einer einzigen stelle und — können wir wohl getrost
hinzufügen — von einem einzigen manne) gebildet, und es hat
sich von dort aus allmählich zu den andern nahverwandten
Stämmen verbreitet.
Wir haben hiermit den ersten teil unserer aufgäbe vollendet.
Wir haben nachgewiesen, dafs das einzige alte aiphabet, von welchem
die runen unmittelbar abstammen können, das lateinische ist; und
dafs es das jüngere lateinische aiphabet sein mufs, wird sowohl durch
einzelne runenzeichen, wie durch die zeit bewiesen, der die ältesten
runeninschriften angehören. Der gebrauch der schrift bei den
germanischen Völkern — mögen sie dieselbe nun un-
mittelbar von den Römern, oder mittelbar durch die
Gallier erhalten haben — steht somit in Verbindung mit
dem mächtigen einflusse, den die Römer in der ersten
kaiserzeit auf die barbaren ausübten, und ihr auftreten
im Norden im älteren eisenalter kann folglich nicht als
beweis für das eindringen eines neuen stammes zu dieser
s. 152. zeit gebraucht werden. Die runenschrift allein kann uns somit
nicht helfen, die schwierige, noch ungelöste frage nach dem Verhältnis
zwischen den bewohnern des Nordens in dem bronce- und denen im
eisenalter zu beantworten; dagegen beweist sie das ganze eisenalter
hindurch nicht blofs durch ihre spräche, sondern auch durch ihre
äufsere form mehr als alle andern thatsachen, dafs das volk, welches in
dem älteren eisenalter zuerst die runenschrift in den
nordischen ländern zu benutzen anfing, dasselbe ist, das
uns die inschriften aus dem jüngeren eisenalter hinter-
lassen hat. Hiermit werden wir uns im zweiten teile unserer Unter-
suchungen beschäftigen, in welchem ich einen genügenden beweis dafür
zu liefern hoffe, dafs die schrift, die uns auf den nordischen
denkmälern aus dem jüngeren eisenalter begegnet, durch
eine stufenweise entwicklung aus derjenigen hervorge-
gangen ist, die in dem älteren eisenalter gebraucht wurde.
ZWEITES BUCH.
DIE ENTWICKLUNG DER RUNENSCHRIFT
IM NORDEN.
WIMJIER die ranensehrifU |2
Zweites buch.
Die entwicklung der runenschrift im Norden.
I. kapitel.
Die jüngere, kürzere (nordisclie) nmenreilie.
Das ninenalphabet, mit welchem wir uns bisher beschäftigt und
dessen Ursprung wir nachzuweisen gesucht haben, wurde also von
den bewohnern der nordischen lander am Schlüsse des alleren und
in dem mittleren eisenaller gebraucht, Dafs es indessen keine speciell
nordische schrift war, sondern dafs es auch von andern stammen
der germanischen- völkerfamilie gebraucht wurde, ist im vorher-
gehenden dargelegt worden.
Anders stellt sich die sache dagegen, wenn wir die schrift-
lichen denkmäler im Norden aus dem jüngeren eisenalter be-
trachten; wir finden da ein aiphabet, das nicht blofs in manchen be-
ziehungen von demjenigen abweicht, das früher in gebrauch war, sondern
das auch als speciell nordisch im strengsien sinne angesehen
werden mufs. Wo denkmäler mit dieser schrift aufserhalb der skan-
dinavischen lander nachgewiesen werden können, da bezeugt die
spräche immer, da£s sie von Nordleuten herrühren, die auf ihren
Zügen nach fremden ländern gekommen.
Das runenalphabet. welches im Norden im jüngeren eisenalter
benutzt wurde, hat in seiner am meisten bekannten gestalt, so
wie wir es auf der gröfseren menge unserer runensteine finden,
16 zeichen, die wir mit angäbe ihrer namen und .ihrer bedeutung
hier folgen lassen:
12*
50
ZWEITES
BUCH.
DIE ENTWICKLUNG DER
1.
r\
2
n U
3
fJ
(=1) n (0
fé
nr
pnrs, porn
öss
2.
^ h
8
+ 11
9
i i
10
+ a
180
S. 153. 12 3 4 6
R r V k
reid kann
n
H s
hagall, hagl naud iss dr sdl
12 13 14 15 IG
3. t t ^ b r 1 Y m A R (y)
?t/r bjarkan Iggr madr yr
Diese zeichen wurden in 3 abteilungen („æltir", „gesclilechler")
geteilt: Frøys ætt, die 6 ersten runen enthaltend, Hagais ætt
die 5 folgenden, und Tys ætt die 5 letzten.
Das hier angeführte aiphabet ist durch die Überlieferung bis in späte
zeit hinein bewahrt «orden. Wir kennen seine zeichen (niii einzelnen
Veränderungen und mit einer veränderten anordnung an einer einzigen
stelle), deren namen und bedeutung durch das alte norwegische
runen gedieht, welches 0. Worm 1636 in seiner „Danica Litera-
tura antiquissima", s. 105 ff. (2 ausg. 1651, s. 95 ff.) mitteilte, wo-
nach es von W. Grimra, Über deutsche Runen, 1821, s. 246 ff. wie-
dergegeben wurde. Das original ging bei der feuersbrunst von Kopen-
hagen im j. 1728 zu grunde; aber es ist dr. Kr. Kålund geglückt,
ein paar alte abschriften des gedichtes aufzuspüren, wonach er es in
einer verbesserten gestalt (in den „Småstykker, udgivne af samfund til
udgivelse af gammel nordisk litteratur', Kbh. 1884, s. 1 — 16) her-
ausgegeben hat. Das gedieht ist ohne zweifei in den schlufs des 12.
oder den anfang des 13. jahrhdts zu setzen. Mit diesem runengedichte
eng verwandt, aber in einzelnen wesentlichen punkten doch von ihm ab-
weichend, ist eine isländische runenreimerei, die in jüngeren
handschriften und in Jon Olafssons handschriftlicher Runologia
erhalten ist, und die Kålund an derselben stelle s, 16 — 21 mitgeteilt
hat (vgl. 'Anhang' II). Aufserdem sind verschiedene darstellungen des
jüngeren runenalphabetes auf steinen, glocken und andern gegenständen
aus den nordischen ländern überliefert. Liljegren führt mehrere
solche an (Run-Lära s. 172 f. ; Run-Urkunder no. 2001 ff., aufserdem ein-
zelne andere, z. b. no. 1982 = Stephens s. 104 no. 15, c; no. 1986,
1995), wozu noch ferner aus Dänemark der futhork auf dem tauf-
stein in der kirche zu, Bårse (in der nähe von Præsto) gefügt
werden kann, welcher hinter den 16 runen drei zeichen zugefügt hat,
die allgemein in kalendern gebraucht wurden, um in Verbindung mit
I. KAP. DIE JÜNGERE, KÜRZERE (.NORDISCHE) RUNENREIHE. 181
den 16 runen die 19 goldenen zahlen auszudrücken (Annaler f. nord.
Oldk. og Hist. 1846, s. 283 ff. mit taf. II). Auch auf zwei dänischen
o
runensteinen in Astrup (bei Varde) und in Monsted (bei
Viborg) findet sich die runenreihe; aber aus mangel an platz läfst
der erste die drei letzten, der zweite die letzte rune im alphabete
aus (abgebildet bei Thorsen, De danske Runeraindesmærker I, s. 317
und II, 1 no. 14; II, 1 no. 60)'). Diese und mehrere andere dar-
stellungen der kürzeren runenreihe werden wir unten näher zu be-
sprechen gelegenheit finden.
Vergleichen wir nun das hier dargestellte runenalphabet aus dem
jüngeren eisenalter mit demjenigen, das in dem älteren gebraucht
wurde , so ist sofort eine wichtige thatsache klar und unwider-
sprechlich, nämlich dafs beide alphabete mit notwendigkeit
auf eine gemeinsame quelle zurückweisen. Die beweise hier-
für sind folgende:
1) Von den 16 runen im kürzeren alphabete finden sich 9, nämlich s. 154.
rni>R + !tBr
auch in dem längeren ganz in derselben form und mit der-
selben bedeutung wie im kürzeren wieder. Auch die ähnlichkeit
zwischen dem ^ q (o), H s des kürzeren und dem ^ a, ^ s des längeren
ist augenfällig;
2) die runennamen in dem kürzeren alphabete stimmen
genau mit denen überein, die wir mit hülfe der altenglischen und
gotischen namen für die entsprechenden zeichen des längeren alpha-
betes feststellen können;
3) das kürzere alpbabet wird in 3 abteilungen („geschlechter")
eingeteilt, die mit Y f, if h und T( beginnen; dafs dieselbe ein-
teilung in dem längeren alphabete benutzt worden ist, geht aus
dem futhark auf dem brakteaten von Vadstena hervor, der zwei
punkte (:) als trennungszeichen vor H h und T t hat.
Jeder einzelne dieser gründe ist an und für sich ausreichend,
um zu zeigen, dafs die beiden alphabete nicht nur nicht unabhängig
von einander entwickelt sind, sondern sogar in der engsten Verbin-
dung untereinander stehen. Hiermit ist ja indessen noch nicht aus-
1) Fälschlich nimmt Thorsea (I, s. 315 a. II, 2, s. 35) an, dafs die 3 letztea
rnnen io der .\stroper reihe deshalb fehlen, weil ein stück vom steine abge-
schlagen sei; wie auf dem Monsteder steine sind jedoch auch auf dem Astroper
steine alle runen erhalten, was allerdings aach ans Thorsens zeichnoog nicht
hervorgeht.
182 ZWEITES BUCH. KIE Ei^TW ICKLIJMJ DKll UUiNENSOHIUFT IM INORDE.M.
gemacht, welches Verhältnis zwischen ihnen im einzelnen ob-
waltet. Die frage, welche wir beantworten müssen, ist, ob das eine
von diesen alphabeten unmittelbar aus dem andern her-
vorgegangen, oder ob sie beide aus einer älteren gemein-
samen quelle abgeleitet sind.
In den vorhergehenden Untersuchungen kamen wir zu dem
resultate, dafs ein für alle germanischen Völker gemeinsames runen-
alphabet von 24 zeichen mit hülfe des lateinischen gebildet wurde,
und dafs es eben dieses aiphabet ist, welches auf den ältesten
schriftlichen denkmälern im Norden gebraucht wird. Eine notwen-
dige folge hiervon wird natürlich sein, dafs das kürzere speciell nor-
dische aiphabet, das wir auf den jüngeren denkmälern finden, und
das auf dieselbe quelle wie das längere gemeingermanische zurückweist,
nur von diesem abgeleitet werden kann. Wäre nämlich umgekehrt das
längere aiphabet aus dem kürzeren hervorgegangen — was wohl als die
bis 1874 allgemeine ansieht bezeichnet werden mufs, in welchem
jähre ich in der dänischen ausgäbe dieses buches die entgegengesetzte
auffassung zu beweisen suchte — , oder wären beide alphabete,
wie man auch behauptet hat, unabhängig von einander aus einem
gemeinschafthchen grundalphabete entwickelt'), so müfste unser
s 155. früheres resultat in einem wesentlichen punkte modificlert werden.
An stelle eines grundalphabetes von 24 zeichen müfste man sich dann
weit eher ein vom lateinischen ausgegangenes gemeinger-
manisches aiphabet denken, das in der anzahl der zeich en
mit dem kürzeren nordischen übereinstimmte. Ein solches
aiphabet läfst sich zwar nichtnachweisen; aber wir brauchten nur einzelne
^) Müllen hoff sagt hierüber (Z, f. d. a. , neue f. VI, s. 250): „Wiininer
ist in seiner abhandluug über den Ursprung und die entwicklung der runen-
schrift im JNorden zu zwei ergebnissen gelangt, von denen das eine, die ab-
stainmuQg der runea von dem lateinischeu aiphabet, mit der wol schon lauge
feststehenden Überzeugung aller vorurteilslos in diesen dingen denkenden über-
eintrifft, das andere dagegen, die herleitung des nordischen alphabefs von 16
zeichen aus dem älteren von 24, mit einer ansieht in Widerspruch tritt, die
bisher wol den meisten ungefähr wie Kirchhoff (zs. 10, 206) die Sicherheit
eines rcchenexempels zu haben schien, ich glaube, auch der beweis, den
hr Wimmer hierfür mit hilfe der inschriften führt, wird sich uicht anfechten
lafsen und leicht durch neue funde noch weitere bestätigung erhalten". Da-
gegen versuchte Zarncke (Lit. Centralblatt 7. Novbr. 1874) noch die ältere
auffassung aufrecht zu erhalten. Vgl. auch M. Riegers oben (s. 139 f.) er-
wähnte äufseruugen in der Z. f. d. Ph. VI.
I. KAP. DIE JÜNGERE, KÜRZERE (>'0RDISCHE) RUNENREIHE. 183
runenformen in dem kürzeren nordischen alpliahet auf einen alleren
Standpunkt zurückzuführen, der im längeren alphabet bewahrt sein
müfsle (dessen < k, H Ä u. s. w. gegenüber dem K, 5|c u. s. w.
des kürzeren) und den runen öss und dr ihre ursprüngliche bedeu-
tung a und j wiederzugeben , um sofort ein aiphabet zu erhalten,
welches sowohl dem kürzeren nordischen als auch dem längeren auf
dem brakteaten von Vadstena u. s. w. zu grunde liegen könnte. Das
ursprüngUche runenalphabet hätte sich dann frühzeitig in zwei
gespalten, von denen das eine, das in der anzahl der zeichen dem
grundalphabet entspräche, und insoweit demselben am nächsten
stände, von den eigentlichen skandinavischen Völkern bewahrt worden
wäre, bei denen wir es im jüngeren eisenalter in vollem gebrauch
linden, während die gotischen und deutschen Völker später das
grundalphabet durch hinzufügung neuer zeichen weiter entwickelt
hätten, so dafs es die form erhalten, die wir von dem Vadslenaer
brakteaten, der spange von Charnay u. s. w. kennen ; auf einem
noch späteren standpunkt wäre dieses (gotisch-deutsche) aiphabet dann
in England weiter ausgebildet worden ^). Ein solcher gedanke ist an
^) Ober das Verhältnis zwischen den versebiedenen runenalphabeten spricht
sich \V. Griuim folgenderniafsen aus: ,,Wir haben die drei Runenalphabcle,
das nordische, deafsche und angelsächsische verglichen und ihre Verwandtschaft
gefunden. Es entsteht jetzt weiter die schwierige Frage: wie wir uns die
Entstehung dieses Verhältnisses und die Abhängigkeit des einen von dem an-
dern vorstellen müssen? Wir gehen von dem Grundsatz aus, dasz das ein-
fachste Alphabet das älteste sey ; dem geniäsz sind wir genöthigt, den sechszeha
alten Runen, and zwar nach ihrer eigenthümlichen, alten Ordnung, deren Ursache,
so viel ich wcisz, noch nicht entdeckt ist, den Vorrang zu geben" (über
deuts^che Runen, s. 124), und er kommt dann zu dem resultat, „dasz die sechs-
zehn altnordischen Runen Grundlage der deutschen und angel-
sächsischen sind" (s. 128). Gegen diese ganze betrachtuog, der sich später
viele angeschlossen haben, auf jeden fall im wesentlichen, hat jedoch bereits
B red sd or ff einspruch erhoben : „Das ärmste aiphabet braucht nicht gerade das
älteste zu sein. Es ist wohl denkbar, dafs unsere vorfahren einige buchsfaben
fortgeworfeu haben können, teils weil sie für unnötig gehalten wurden, teils
weil sie schwer nachzumachen waren, teils weil man sich vielleicht nur unvoll-
ständig mit dem älteren aiphabet bekannt gemacht hatte. So warfen die
Griechen einige von den buchstaben der Fhönicier, und die Römer einige von
denen der Griechen fort, und die Engländer haben æ, p und d abgeschaflt"
(„Om de saakaldte tydske Raner" in Molbechs Nordisk Tidsskrift for Historie,
Literatur og Konst, II, 1828, s. 397). An derselben stelle (s. 398) spricht er
sich über das Verhältnis zwischen dem kürzeren nordischen runenalphabet und
dem altenglischen folgendermafscn aus: „Ich vermute, dafs diese beiden arten
184 ZWEITES BUCH. DIE ENTWICKLUNG DEU RUNENSCHRIFT IM NORDEN.
s. 156. und für sich natürlich, und er war vollkommen berechtigt, so lange
man von der Voraussetzung ausging, dafs die sprachform auf den
denkmälern mit dem längeren aiphabet in Skandinavien (dem gol-
s. 157. denen horn u. s. w.) nicht dem nordischen sprachstamme angehöre,
sondern entweder gotisch oder deutsch sei. Anders stellt sich
die Sache dagegen, nachdem in der neuesten zeit nachgewiesen ist,
dafs die spräche in diesen Inschriften nordisch ist, und dafs das
• längere runenalphabet nicht blofs von Goten und Deutschen benutzt
wurde, sondern auch die einzige gebräuchliche schrift in Skan-
dinavien war, ehe das kürzere aiphabet bei uns auftrat. Wenn man
zugleich mit mir in der auffassung einig ist, die ich an verschiedenen
stellen zu erhärten gesucht habe und — wie ich hoffe — zur evidenz
beweisen werde, dafs die spräche in den nordischen Inschriften mit
dem längeren alphabete nur ein älteres stadium der spräche ist, die
wir in den Inschriften des jüngeren eisenalters mit dem kürzeren alpha-
von raneo unabhängig von einander sind, aber aus einer gemeinsamen quelle
stammen, und ich gebe deshalb die ansieht auf, die ich in der schrift über den
Ursprung der runenscbrift s. 19 betreffs der normannischen (markomannischen)
runen geäul'sert habe". Diese vollständig richtige auffassung von dem ver-
wandtschaftsverhältnis zwischen den beiden alphabeten ist später auch von an-
dern vorgetragen worden; so äulsert Liliencron (Zur Runenlehre s. 16):
„Die herkömmliche Annahme, das erweiterte goth.-ags. Alphabet habe seine
directe Quelle in dem eugeien nord., ist wohl nicht haltbar . . . Der Einfluss
beider Alphabete auf einander war ein wechselseitiger, beiden aber liegt ein
gemeinschaftliches üralphabet zu Grunde". Auch Kirchhoff betrachtet den salz
als bewiesen, ,,dass das angelsächsische und nordische aiphabet sich unabhängig
von einander auf einer gemeinschaftlichen grundlage entwickelt haben, das eine
nicht aus dem anderen abzuleiten ist" (Das goth. runenalphabet, 2te aull., s. 2).
Es war natürlich, dafs diese gelehrten zu dem resultate kamen, dafs das kürzere
nordische aiphabet dem gemeinsamen grundalphabete („uralphabete") am nächsten
stände, und Kirchhoff meint daher auch, „dass, wenu wir im altskandinuvischeu
alphabete die j//'-rune streichen und den zeichen i und 12 [d. h. der öss- und
ar-rune] ihre ursprünglichen bedeutungen a und J wiedergeben, wir die aiizahl
der laute erhalten, die in dem uralphabete bezeichnet waren. Diesem uralpha-
bete steht allerdings das skandinavische am nächsten; dass aber aus ihm, etwa
in einer noch älteren gestalt, die übrigen alphabete abgeleitet sein sollten, oder
mit anderem worte das skandinavische aiphabet selbst als jenes üralphabet zu
betrachten sei, dys ist eine annähme, zu der Unkenntnis und auch wohl misver-
standener patriotismus hat ehemahls verleiten können, die aber dnrch gar nichts
zu erweisen steht und als für immer widerlegt betrachtet werden kann, wenn
wahr ist, was ich an einem andern orte über das Verhältnis jenes ältesten runen-
alphabetes zu dem lateinischen bemerkt habe" („Zur Würdigung der franzö-
sischen runen" in Haupts zeitschr. für deutsches alterthum, X, 1856, s. 202).
I. KAP. DIE JÜNGERE, KÜRZERE (.NORDISCHE) RONENREIHE. 185
bele finden, so wird die frage über das Verhältnis zwischen den beiden
alphabelen natürlich damit zugleich entschieden sein: in dem älteren
längeren aiphabet müssen wir dann notwendig die quelle für das
kürzere jüngere suchen.
Dals unsere runeninschriflen aus dem älteren und jüngeren eisen-
alter die spräche desselben nordischen volksstammes aus
verschiedenen zeiten enthalten, wie ich behaupte, bat indessen
nicht blofs Gislason bestimmt geleugnet, indem er das resultat
seiner Untersuchungen über die spräche in den ältesten inschriften
in folgende worte zusammenfafst: „Sieht man von den einzelheiten ab
und betrachtet man das idiom in der hier behandelten abteilung der
älteren inschriften im ganzen, so scheint es weder auf den ,.germa-
nischen" noch auf den „skandinavischen stamm" zurückgeführt werden s. 158.
zu können, sondern ein mitlelding mit einer stark hervortretenden
„germanischen" und einer vielleicht noch stärker hervortretenden
„skandinavischen" seite zu sein. Es hat einer Völkerschaft angehört,
die im ströme der zeit untergegangen, von einer eindringenden völker-
woge überschwemmt worden ist — ,, einem naheverwandten sprofs
aus gotischer wurzel"" (årb. f. nord. oldk. 1869, s. 145). Auch
Bugge, mit dem ich sonst vollständig, sowohl in der auffas-
sung der spräche der ältesten inschriften im ganzen wie in den
meisten einzelheiten übereinzustimmen das vergnügen habe — eine
Übereinstimmung, der in diesen fragen eine um so gröfsere bedeu-
tung beizumessen ist, als wir in den allermeisten fallen ganz unab-
hängig von einander zu denselben resultaten gekommen sind — , hat
sich, jedenfalls früher, mit einem gewissen vorbehält über diese sache
aussprechen zu müssen geglaubt, indem er äufserte: „ich habe nicht
sagen wollen, dafs einzig und allein ein Zeitunterschied zwischen
der spräche in den inschriften aus der älteren eisenzeit und der
spi'ache in den gewöhnlichen skandinavischen runeninschriften bestehe.
Archäologen haben mir im gegenleil den glauben beigebracht, dafs
der anfang der jüngeren eisenzeit in Verbindung damit stehe, dafs ein
neues nordisches element eindringt" (Tidskr. for Philologi og Pædag.
VII, s. 356; vgl. årb. f. nord. oldk. 1871, s. 214 f.) i).
1) Spätere auslassaugeo Bugges getien jedoch in einer andern richtang und
fallen im weseutlii-hea mit der von mir vertreteoea aoscbauuug zusammen; man
sehe z. b. seine iiuiserungen bei der zweiten nordischen philoiogenversammlung
1S81 in den „Forhandlinger paa det andet nord. Filologmøde", Krist. 1S83,
s. 218 f. und meine beuierknngen dazu an derselben stelle s. 240 £F. Noch be-
stimmter formuliert Bugge seine autTassung in den årb. f. nord. oldk. 1884,
186 ZWEITES BUCH. DIE ENTWICKLUNG DEU RUMENSCHRIFT IM NORDEN.
Wenn die Sprachforscher somit auf die wichtige frage nach der
slammesverwandtschaft zwischen den bewohnern des Nordens in der
älteren und jüngeren eisenzeit verschiedene antworten haben geben
■können, so brauchen wir uns niclit darüber zu wundern, dafs auch
historiker und altertumsforscher zu entgegengesetzten resultaten ge-
kommen sind. Sowohl nach Gislasons wie nach Bugges oben ge-
nannter auffassung steht der weg für die möglichkeit offen, dafs ein
neuer stamm beim beginn des jüngeren eisenallers das kürzere runen-
alphabet nach dem Norden gebracht, und dafs sich dieses also un-
abhängig von der schrift entwickelt haben kann, die in dem älteren
eisenalter gebraucht wurde. Diese ansieht ist denn auch in neuerer
zeit zu Worte gekommen, und man hat mit grofser bestimmtheit die
behauptung. aufgestellt, das kürzere runenalphabet könne unmöglich
aus dem längeren hervorgegangen sein, da kein volk darauf verfallen
würde, zeichen für laute fortzuwerfen, die es früher ausgedrückt hätte,
und später wieder neue zeichen für diese laute zu bilden (vgl. z. b.
das < k und X g des längeren alphabetes, die im kürzeren beide
• durch- K ausgedrückt werden, während man später wieder einen unter-
s. 159. schied zwischen K k und Y g einführte). Das Verhältnis zwischen
den runenalphabeten in der älteren und jüngeren eisenzeit hat man
daher zusammen mit archäologischen ergebnissen als stütze für
die ansieht benutzt, dafs ein neues volk beim übergange . aus der
älteren zur'jüngeren eisenzeit in den Norden eingewandert sein müsse ^).
s. 93 ff., wo der gedanke an eiae ciowanderung in der jüngeren eisenzeit ganz
aufgegeben ist: „Jedoch gehören die iin Norden gefundenen inschriften mit den
runen der längeren reihe demselben volksstamme an, der hier in der historischen
zeit gewohnt bat; und die spräche, die -iin Norden in der letzten heidnischen
zeit geredet wurde, hat sich aus der sprachform entwickelt, die jene inschriften
uns kennen lehren" (s. 95). Aber diese aulfassung gebietet nach meiner Über-
zeugung mit notwendigkeit, die Vorstellung von einer Wesensverschiedenheit zwi-
schen der spräche in der jüngeren eisenzeit (der Wikingerzeit) und der un-
mittelbar vorhergehenden periode aufzugeben, einen gedanken, den Bugge beständig
festhält und der nach meiner meinung nur darauf beruht, dafs er die sprachform
auf deukmälern von sehr verschiedener zeit vergleicht, ohne die übergangsglieder
gehörig in betracht zu ziehen. — Wenn ich oben ältere äufserungcn Bugges
hervorgezogen habe, obgleich sie gegen die auffassung streiten, die er jetzt hegt,
so liegt das daran, dafs man gerade diesen früheren äufserungcn so greise
bedfcutung beigelegt und sie als stütze fiir die eiuwanderungstheorieeii gebraucht
hat, die ich immer aufs stärkste bekämpft habe. ^^
M Siehe namentlich Hans 0. H. Hildebrand, Svenska folket under hedna
tiden, Stockh. 1866; 2. uppl. 1872, s. 53 und öfters (vgl. s IX anm.). Der
Verfasser stützt sich gerade auf Gislasons und Bugg^ aulorität.
I. KAP. DIE JÜNGERE, KÜRZERE (NORUISCUE) RUNENKEIHE. IST
Bei dieser annähme erspart man sich unleugbar auf eine leichte
weise jede mögliche Schwierigkeit in bezug auf die erklärung der ent-
wicklung des kürzeren alphabetes; es wird von dem neuen volke
eingeführt und verdrängt das längere, das die früheren bewohner ge-
braucht hatten. Wenn man von der Voraussetzung ausgeht, dafs das
längere aiphabet das jüngere- und volikommnere sein müsse, so bleibt
es jedoch ein rätsei, dafs die Völker, die früher dieses aiphabet
benutzten, es mit dem kürzeren und unvollkommneren des neuen
Stammes verlauscht haben, und nicht umgekehrt. Aber ich werde
nicht bei diesem Widerspruch verweilen, da ich fürchte, dafs alle
sprachlichen uud archäologischen — nicht zu reden von historischen
— Ihatsachen, worauf man diese Völkerwanderung gebaut hat, gleich
schwach und unhaltbar sind.
Es ist zum mindesten eine höchst übereilte behauptung, dafs
eine spräche nicht auf einem älteren Standpunkte laute, die später
durch ein einziges zeichen ausgedrückt werden, auf eine genauere und
volikommnere weise unterscheiden könne. Analogieen von der schrift
anderer Völker zeigen im gegenleil, dafs das runenalphabet,' das
z. b. k und g durch ein einziges zeichen ausdrückt, sehr gut aus
einem älteren aiphabet hervorgegangen sein kann, welches zwei
zeichen für diese laute gebrauchte. Das älteste. römische aiphabet
benutzte natürlich übereinstimmend mit dem griechischen vorbilde
c für g und K für k; später wurde K nur ganz ausnahmsweise
angewandt, während C sowohl. für g wie für k gebraucht wurde;
endlich erhielt C nur die bedeutung fr, und man bildete hieraus
ein neues zeichen G für g. Dies stimmt vollständig mit dem Ver-
hältnis in der runenschrift überein, wo wir am frühesten < = fr,
X = ^^), demnächst K (aus älterem <, Y) = 51 und fr, endlich
]^ = fr und das daraus gebildete Y = g finden. Auf ähnliche
weise gebraucht das umbrische, wenn es mit seinem eigenen aiphabet
geschrieben wird, nur die ursprünglichen zeichen für fr und t als be-
zeichnung sowohl für fr, t als auch für 3, d, während es mit s. 160.
lateinischer schrift alle vier laute verschieden ausdrückt; dafs auch das
umbrische aiphabet selbst ursprünglich vier zeichen für diese laute gehabt
hat, kann kaum einem zweifei unterworfen sein. Aber wir brauchen uns
nicht einmal zu der scl)<irt fremder Völker zu wenden, um analogieen
^) Ich lege hier absichtlich den zeichen in dem runenalphabete die be-
deutung bei, welche die gelehrten, deren ansieht ich bekämpfe, ihnen in Über-
einstimmung mit dem bisher aligemein angenommenen zaerteilt habeu.
188 ZWEITES BUCH. DIE ENTWICKLUNG DEU RUNENSCHUIFT IM NORDEiN.
ZU dem zu linden, was wir in der runenschrifl antreffen. Es ist ja
eine bekannte saclie, dafs die ältesten dänischen — so gut wie die
schwedischen — handschritten die niutæ d und g von den spiranten,
die durch tk (dh) und gk bezeichnet werden, unterscheiden, und dafs
sie gleichfalls v und w auf verschiedene weise bezeichnen; aber wie-
wohl sich alle 6 laute noch im dänischen finden — während das
schwedische ziemlich spät die spiranten # und g, samt w verloren
hat — , drücken wir sie jetzt nur durch die drei zeichen d, g und
V aus. Wenn man also im jähre 1300 für die genannten sechs laute
sechs verschiedene zeichen hatte, aber einige Jahrhunderte später sich
mit drei zeichen begnügte, so mufs man wohl einräumen, dafs es
nicht angeht, es a priori unmöglich oder unwahrscheinlich zu nennen,
dafs auch das runenalphabet früher sowohl für k, t, als auch für
g, d zeichen haben, sich aber später mit zwei zeichen für diese vier
laute behelfen konnte. Die sprachlichen — oder richtiger paläo-
graphischen — gründe, die man gegen die ableilung des kürzeren
runenalphabeles aus dem längeren angeführt hat, können folglich nicht
als Stichhallig gelten.
Dafs auch die archäologischen ihatsachen, worauf man hinge-
wiesen hat, nicht im stande sind die tlieorie von der einwanderung eines
neuen stammes zu stützen, hat, wie ich glaube, Worsaae mit schla-
genden gründen in seinen Untersuchungen über „Ruslands og det
skandinaviske Nordens Bebyggelse og ældste Kulturforhold" be-
wiesen. Gegen die annähme, dafs es speciell Rufsland sein sollte,
durch welches der neue stamm nach dem Norden gekommen wäre,
bemerkt Worsaae: ,,Die alterlümer in Rufsland können, wie wir
bisher gesehen haben, keine irgendwie feste stütze für die an-
nähme abgeben, dafs die skandinavischen Völker oder auch nur ein
einzelner skandinavischer stamm von osten her durch Rufsland in
den Norden eingewandert sein sollte. Nur eine östliche völkerbe-
wegung nach dem Norden aus dem nördlichen Asien ist deutlich an
s. 161. dem vorrücken der finnischen und lappischen Völker über Nordrufs-
land und Finnland nach dem nördlichsten Schweden und Norwegen
zu spüren. Wenn alle früheren germanischen stamme auf einem
südlichen und südöstlichen wege in den Norden hineingekommen
sind, würde es eine merkwürdige erscheinung sein, wenn wirk-
lich einzelne zweige dieser Völker mehrere Jahrhunderte später
beim beginn des jüngsten eisenalters (gegen das jähr 700) nach dem
nördlicheren Schweden und Norwegen auf einem östlichen wege ein-
I. KAP. DIE JÜNGERE, KÜRZERE (nORDI^CHe) BUNENREIBE. 189
gewandert wären, nachdem bereits Slaven, Liven, Letten, Kuren und
Finnen längst bis zu den küstenländern der Ostsee hin vorgedrungen
waren. Auf jeden fall müfste dann bestimmt nachgewiesen werden
können, dafs sich in diesen gegenden ältere Überreste eines solchefi
skandinavischen Volkes und von mindestens den Voraussetzungen
für die eigentümliche kulturrichtung befanden, welche dieses später
in dem jüngsten eisenalter in Schweden und Norwegen entwickelte.
Namentlich würde es von besonderem interesse und von besonderer
bedeutung sein, wenn es glücken könnte, in irgend einem teile von
Rufsland und aus einer so frühen zeit wie ungefähr dem jähre 700
spuren der jüngeren skandinavischen runenschrift nachzuweisen, die,
wie man gemeint hat, nicht aus der älteren entwickelt, sondern
gerade das kennzeichen für ein in den Norden neu eingewandertes
Volk sein sollte. Es ist jedoch bekannt, dafs noch in ganz Rufsland
nicht die mindeste spur von runenschrift entdeckt ist, weder aus
einer älteren noch aus einer jüngeren periode des eisenallers" (årb.
for nord. oldk. 1872, s. 417—18).
Dafs ein neuer stamm gleich beim beginn der historischen
zeit nach dem Norden eingewandert sein und eine neue schrift und
eine neue kultur mitgebracht haben sollte, die gleichsam mit einem
schlage die ältere verdrängte, müfste durch gewichtige gründe ge-
stützt werden; aber die geschichte schweigt darüber, die altertümer
zeugen dagegen, spräche und schrift widerlegen es und
machen sowohl die einwanderungstheorie als auch die
Vorstellung von dem höheren alter und der gröfseren
ursprünglichkeit des kürzeren runenalphabetes dem
längeren gegenüber zu nichte^).
^) Nachdem die obeDstehenden bemerkoogea in ihrer däoischea gestalt schon
gedruckt waren, erhielt ich J. E. Sars, „Udsigt over den norske Historie'' I,
Christ. 1873, worin die beweise Tdr eine Völkerwanderung nach dem forden
gegen den anfang des jüngeren eiseoalters einer gründlichen kritik unterworfen
werden (siehe namentlich s. 63 ff.). Es freut mich, dafs der Verfasser dieser
scharfsinnigen und, selbst wo ich mich mit ihm uneinig erklären mufs, in hohem
grade anregenden Untersuchungen, bezüglich der völkerwanderungstheorie zu
demselben resultate gekommen ist wie ich. „Es scheint uns also das wahr-
scheinlichste, dafs sowohl das ältere wie das jüngere eisenalter demselben stamme
angehören und von den im laufe der zeit und nach dem gange der ent-
wicklung wechselnden sitten oder gebrauchen derselben Völker zengnis ablegen"
(s. 66).
190 ZWEITES BUCH. DIE ENTWICKLUNG DEH RUNENSCHRIFT IM NORDEN.
Wie nämlich die spräche in den inschriften mit dem kürzeren
alphabete nur ein jüngeres stadium derjenigen spräche ist, die wir in
den inschriften mit dem längeren aiphabet finden — was nicht
s. 162. näher in der vorliegenden abhandlung entwickelt werden soll — , so
ist das kürzere alphabel von 16 zeichen selbst nur eine
jüngere entwicklung des längeren von 24 zeichen, eine
entwicklung, die nicht plötzlich und auf ein mal, sondern
längere zeit hindurch vorbereitet, vor sich gegangen ist, wie die
runendenkmäler selbst uns zeigen, und wie wir mit hülfe
derselben im folgenden näher nachweisen werden^).
*) Auch Lauth (Das germanische Runea-Fudark, 1857, s. 177 ff.) leitet
das kürzere nordische runenalphabet aus dem längeren ab; aber im einzelnen
leiden seine beweise hierfür allerdings an grofsen fehlem. — Dals das kürzere
runenalphabet „ohne zweifei im wesentlichen in folge einer durchgreifenden Ver-
einfachung der längeren reihe entstanden" ist, hat F. Dyrlund in „Kort Udsigt
over det philologisk-historiske Samfunds Virksomhed i Aaret 1857—1858", s. 39
ausgesprochen. Es ist mir jedoch nicht bekannt, wie sich mein geehrter freund
diese entwicklung gedacht hat. Etwas weiter ausgeführt ist derselbe gedanke
von einem gelehrten in der ,, Tidskrift for Philologi og Pædagogik" V (1864),
s. 299. Von dem was hier angeführt wird, kann ich jedoch nur dem auch von
Lauth und andern hervorgehobenen Verhältnisse zwischen den beiden a-zeichen
im kürzeren alphabete gegenüber der a- und j-rune des längeren einige beweis-
kraft zuschreiben. Hinsichtlich des übrigen, das zum teil auf unrichtige Voraus-
setzungen gestützt wird — z. b. dafs jt niit der bedeutung a eine Umänderung
von ^ sei (was auch Bredsdorff annahm, „Om Guldhornsrunernes Oprindelse" in
Barfods Brage og Iduu, III, 1840, s. 508), und dals Y ^^ •^^^ längeren reibe eine
nebenform zu ^ sei — , habe ich eine wesentlich verschiedene auffassung. —
Dafs das kürzere aiphabet durch eine stufenweise entwicklung
aus dem längeren hervorgegangen sei, das Verhältnis zwischen
den abweichenden runeuforuien und der verschiedenen anzahl
von zeichen sowie die gründe für die verschiedene anordnung von
einzelnen zeichen in beiden alphabeten hat noch niemand nachzuweisen
gesucht. Aber ohne einen solchen nachweis ist das Verhältnis zwischen den
beiden a-zeicben im kürzeren alphabele und den entsprechenden zeichen im
längereu natürlich keineswegs au und für sich ausreichend, um die unmittel-
bare abstammung des kürzeren von dem längeren zu beweisen. Deswegen ist
auch Kirchhoff, trotzdem er zuerst den Zusammenhang zwischen der 6ss- und
är-rune im nordischen aiphabet und dem a und j des längeren klar dargelegt
hat, der meinung, dafs das kürzere nordische aiphabet dem gemeinsamen gruud-
alphabete am nächsten liege, während er keineswegs, wie in der genannten ab-
handlung in der filol. tidskr. (s. 297 anm.) gesagt wird, ,,die grölsere reihe von
der kleineren ableitet", sondern ganz im gegenteil eine solche Vorstellung als
vollständig anrichtig abweist (siehe seine oben angeführte äufserung s. 184
in der anmerkung). — Ganz unklar ist Stephens' auffassung des Verhältnisses
II. KAP. VERH^LTN. ZWISCHEN D. KÜRZEREN U. LANGEREN RUNENREIHE. 191
II. kapitel. s. 163.
Das Verhältnis zwischen der kürzeren und längeren
runenreihe.
Indem wir also dazu übergehn , das Verhältnis zwischen
den beiden runenalphabelen im einzelnen darzustellen, beginnen
wir — um sofort die äbnlichkeiten und Verschiedenheiten so
deutlich wie mögUch hervortreten zu lassen — damit, das aipha-
bet von dem Vadstenaer brakteaten (s. 77) und den ältesten in-
schriften (s. 88) mit dem gewöhnlichen kürzeren nordischen alpha-
bete (s. 180) zusammen zu stellen:
I. rnf^|sR<Xf>:H + l^1.^Y^:t^MMr^^M
II. rnt>l=RK--:)|c + i+-- H:t^-rY Å
Die laute, die durch die verschiedenen zeichen in den beiden
reihen ausgedrückt werden, sind folgende:
I.
Läng
ere
reihe:
F: aä^)
M ee^) St oö
Diphthonge: ^1 ai ^fl au
l i i Hmm
(Mn eu) in iu^)
< k
') H Ä X ^ 1
♦ rø*)
i ^ y w)
t t
') ^ p^ d ^ s
YN
R^)
+ n
Vi Rr«)
^ p'')
') Y f t h
M m
Y u>
Doppelkonsonanten werden durch einfaches zeichen aus-
gedrückt.
1) Das lange gemeingermanische (und gotische) é ist im nor-
dischen bereits in den ältesten inschriften zu ä geworden (vgl. märtR ^
altnord. m^rr auf der Thorsbjærger zwinge). Dagegen findet sich
hier c (aus älterem gemeingerman. ai) in verschiedenen endungen.
2) Die älteste gemeingermanische gestalt dieses diphthongen Mh
eu läfst sich nicht mit Sicherheit in den nordischen inschriften nach-
weisen, die frühzeitig das jüngere IH tu angewandt zu haben scheinen
(vgl. unten s. 210 f.).
zwischen den beiden ranenalphabeten, wie dies ans seinen s. IS eitierten ans-
lassuggen hervorgeht. Auch P. G. Thorsen, der die kürzere reibe als die
nrsprüngliche ansah, hat nur vage und unbestiminte andeutungen von dem Ver-
hältnis zwischen beiden reihen gegeben („De danske Rnnewindesmærker" I,
Kbh. 1SG4, s. 323 If. an verschiedenen' stellen).
192 ZWEITES BUCH. DIE ENTWICKLUNG DER RUNENSCHRIFT IM NORDEN.
3) Sprachgeschichlliche gründe maclien es jedoch liöchst wahr-
scheinlich, dafs hereits die gemeingermanisclie spräche die muten-
reihe g, d, b hinter den nasalen fa, n, m gehabt hat. Indessen geben
die ältesten inschriften keine sichern aufschlösse darüber, wie die
muten in den beiden zuletzt genannten fällen (nrf, mb) ausgedrückt
sind, was wir unten näher besprechen werden.
4) In den inschriften, wo diese rune gebraucht wird, ist sie
das zeichen für den nasal mit folgender muta, also f9g.
5) Dafs die älteste form dieser rune H ist, und dafs sie früh-
zeitig wegen der Veränderung des namens die bedeutung a für älteres j
erhalten hat, ist oben (s. 121 ff.) nachgewiesen.
6) Dafs sowohl Y wie R dental sind, hat J. HofFory nach-
gewiesen (Arkiv f. nord. Filologi I, 1882, s. 41 f.); er bestimmt
das erstere als alveolar, das zweite als gin gi val.
7) Das ursprüngliche Ü-zeichen ist im Norden frühzeitig auch als
zeichen für p gebraucht worden.
IL Kürzere reihe:
t^ nasaliertes a (å, æ) + a (a, æ) Diphthonge: +1 æi +n au {øy)
\ i, e n u, 0 [y, ø) IH m
Zeichen sowohl für kurze wie für lange laute.
Y k g {79g)\if h Y g.
t t d (nd) \^ p d
^ p b (mb) \Y f V
H s A. Ä
(+ rø)
+ n
9Y m
Vi Kr
I j
n 10
Doppelkonsonanten werden durch einfaches zeichen aus-
gedrückt.
(Vgl. in beziehung auf einzelheiten sowie betreffs der vokale
und konsonanten genaueres unten 'Anhang' VI.)
Die vergleichung zwischen beiden reihen zeigt also:
1) dafs ein paar zeichen in beiden alphabeten eine verschiedene
bedeutung haben, indem die rune, welche in der kürzeren reihe
den namen 6ss hat und gewöhnlich mit o wiedergegeben wird,
aber in älterer zeit die bedeutung q (nasaliertes a) hat, dem a-zeichen ^
der längeren entspricht, während die a-rune + der kürzeren reihe
auf derselben stelle steht wie die j-rune der längeren;
2) dafs einige zeichen in beiden alphabeten eine abweichende
form haben, näniHch die
K )j( + W Y A des kürzeren, entsprechend den
< H ^ / M Y des längeren.
ir. KAP. VERHALT.N. ZWISCHEN D. KÜRZEREN U, LÄNGEREN RUNENREIUE. 193
Auch 1^ weicht in der regel ein wenig von ^ ab;
3) dafis acht von den zeichen, die sich in dem längeren
alphabete vorfinden, im kürzeren fehlen, nämlich
X P t ^(p) M ^/ ^ M;
4) dafs ein paar zeichen in der kürzeren reihe eine andere
stelle haben als die gleichwertigen zeichen in der
längeren, insofern die TY der küi-zeren den MP der längereu in
umgekehrter aufeinanderfolge entsprechen, und Å in der kürzereu
reihe auf einem ganz andern platze steht als Y in der längeren.
Das sind Verschiedenheiten, die auf den ersten blick viel-
leicht so zahlreich und so grofs scheinen, dafs man darüber die
ähnlichkeiten fast vergessen könnte. Aber wir müssen wohl
daran denken, dafs sich das erste der hier dargestellten s. 164.
alphabete aufdenkmälern findet, die der zeit von ungefähr
400 bis ungefähr 600 augehören, das andere auf runen-
steinen ungefähr vom jähre 1000, und dafs wir noch nicht
die dazwischenliegende entwicklung in betracht ge-
zogen haben. Ziehen wir sie in betracht, so werden sich die
scheinbar grofsen Verschiedenheiten in einem andern hebte zeigen,
und ich hoffe, dafs es mir auf diesem wege glücken soll, die gründe
für diese oben aufgezählten Ungleichheiten nachzuweisen und zugleich
den beweis dafür zu liefern, dafs die kürzere reihe sich all-
mählich aus der längern entwickelt hat.
Die 4 hauptpunkte, unter denen wir die Verschiedenheiten
zwischen den beiden runenreihen zusammenstellten, behandeln wir in
der oben angegebenen Ordnung und beginnen unsere Untersuchungen
daher mit der besprechung einer eigenlümlichkeit des kürzeren
alphabetes, die ihre erklärung nur in dem längeren findet und also
zugleich zeigt, dafs das kürzere, was diesen punkt betrifft, aus dem
längeren hervorgegangen sein kann, aber nicht umgekehrt.
1. Das Verhältnis zwischen der ansuR- und öss- sowie
zwischen der jära- und är-rune.
Trotzdem das kürzere aiphabet im ganzen genommen eine sehr
eingeschränkte und mangelhafte lautbezeichnung hat, finden wir doch
hinsichthch eines einzigen lautes eine merkwürdige ausnähme hier-
von: es kommen zwei zeichen für den a-laut vor, nämhch die
runen h und +. Von diesen hat zwar die erstere den namen öss
und die andere den namen dr, so dafs wir erwarten sollten, dafs
WIMMEK, Die raneDschrifc. J3
194 ZWEITES BUCH. DIE ENTWICKLUNG DER RUNENSCHRIFT IM NORDEN.
jene das zeichen für o, diese das für a wäre. Aber das ist keines-
>vegs der fall, wenn wir die runendenkmäler selbst betrachten, die
vielmehr in der regel den o-laut durch H (n) ausdrücken, während fs
ebensowohl wie + zeichen für den a-laut ist; ja diese beiden
zeichen können sogar abwechselnd auf demselben steine in dem-
selben werte gebraucht werden. Als beweis hierfür werde ich
vorläufig nur folgende formen von dem Glavendruper steine (ungefähr
ums jähr 900) anführen: )|<t^+H hc^ns = altnord. hatis , f^+l^+
^njjn = altnord. annan; ^^+m i)^nsi und l^-f+HI |»ansi, jedes
einmal, = J!)an»s/ (in der allnorweg.-isländ. Schriftsprache penna).
Was ist nun der grund dafür, dafs das kürzere aiphabet diese
s. 165. beiden zeichen für den a-laut besitzt, und dafs das erstere zeichen
den namen öss bekommen hat, obgleich es a, nicht o, ausdrückt?
Diese beiden fragen stehen in enger Verbindung mit einander,
und die antwort darauf findet sich in den Veränderungen, welchen
die nordische spräche und folglich auch die ursprüngUchen runen-
namen im laufe der zeit unterworfen gewesen sind. In der dar-
stellung derselben kann ich mich fast überall Kirchhoff (Das goth.
runenalphabet, 2. aufl., s. 43 ff.) und Bugge (filol. tidskr. VII,
s. 315 ff.) anschliefsen.
Wo die kürzere reihe ihre cfr-rune hat, da finden wir in der
längeren das zeichen, welches im altenglischen den namen ger führt,
got. jer, ahd. jdr (gemeingermanisch jera, in der sprachform der
ältesten nordischen inschriften jära). Ursprünglich war also die
rune das zeichen für j; aber im nordischen schwand j frühzeitig im
anlaut: jära wurde ära, dr, und damit veränderte sich die
bedeutung des Zeichens von j zu a.
W^o das kürzere nordische aiphabet dagegen seine dss-rune hat,
besitzt das altenglische aiphabet gleichfalls eine rune, die 6s genannt
wird; aber nur der name, nicht das zeichen stimmt mit dem
nordischen überein ; während das nordische aiphabet das zeichen ^ ge-
braucht, später im allgemeinen K hat das altenglische 6s die form l'^, wo-
gegen das dem nordischen öss entsprechende zeichen F^ im altenglischen
futhork als die 26. rune zwischen den speciell altenglischen zeichen auf-
tritt, die später zu der ursprünglichen reihe hinzugefügt worden. Auch F^
hat indessen im altenglischen nicht die bedeutung a, vielmehr die be-
deutung æ und den namen æsc. Alles dieses bat seinen grund in späteren
lautveränderungen innerhalb der altenglischen spräche. In dem ge-
II. KAP. VERHÄLT.N. ZWISCHEN D. KÜRZEREN V. LÄNGEREN RUNE?IREIUE. 195
roeingermanischen und ällesten nordischen fuiliark nimml das zeichen
^ mit der bedeulung a die vierle stelle ein: der ursprüngliche und
älteste nordische name für diese rune war ansuz, ansuR. Danach
altenglischen lautgesetzen ursprüngliches «1*5 zu 6s wird , so mufsle
auch der runenname ansuz die form ös annehmen (vgl. gös
'gans' u. s. w.). Anstalt nun die alte ff-rune ^ mit dem ver-
änderten namen 6s und der bedeulung 0 die ursprüngliche 'stelle im
fulhork behalten zu lassen, bildete man aus ^ das neue zeichen f^,
das mil dem namen 6s und der daran haftenden bedeulung 0 aufs. 106.
den früheren platz des ^ gestellt wurde. Für den o-laut behielt
man dagegen das alte zeichen ^; aber es bekam den neuen namen
asc (vgl. ahd. ask, allnord. askr) und wurde ans ende der runenreihe
gestellt. Auch das worl asc veränderte indessen später im altengl.
seinen a-laut, nämlich in ce, und in folge dessen wurde ^ mit dem
namen æsc das zeichen für cp, während man für den a-laul ein neues
zeichen ^ (eine miltelform zwischen ^ und f^) bildete, dem man den
namen de gab (eine speciell altengl. form, wo d aus einem älteren diph-
thongen entstanden ist; vgl. ahd. eih, allnord. etk 'eiche'). Die beiden
runen ^ de und ^ æsc stellte man dann mit der bedeulung a und æ
vornan unter den speciell altengl. runen, während ^ 6s mit der be-
deulung 0 den platz und den namen behielt, die ursprünglich dem ^
zukamen. So mufs man sich die entwicklung im altengl. denken, wo
sich also ^ allmählich in drei runenformen zur bezeichnung der laute
a, (P, 0 gespalten hat.
Auch im Norden mufsle der alle name ansun verschiedene Ver-
änderungen erleiden, wodurch sein ursprünghches a allmählich ver-
dunkelt wurde. Der entwicklungsgang ist hier ungefähr folgender ge-
wesen: an in ansuR ging in ein langes nasales a über, so dafs ansuR
zu ^suR wurde ^), und dies nasale a wurde später wegen des folgenden
u durch die lautveränderung, die wir M-umlaul zu nennen pflegen,
weiter verdunkelt, so dafs eine form entstand, die ungeßhr äsuR ge-
lautet haben mufs: da später der thematische vokal schwand, ging
daraus die form åss und weiterhin durch aufgeben der nasalierung
') Es liegt uahe, aus der schreibnng asugisalas = altnord. '.-isgisls auf
dem lanzenschaft aus dem Kragelinler moore zu vermuten, dafs die ausspräche
mit \- statt an- schon zu der zeit dieser inschrift eingetreten gewesen; aber ^
kann hier natürlich auch an- gelesen \«^rden , da eine verliürzte scbreibang ^
für ^"^ im namen der rune selbst ganz mit dem öfter voriLommenden <^ = \s)
für 1^ übereinstimmen würde.
13*
196 ZWEITES nuCH. DIE ENTWICKLl'NG DER RUNENSCHRIFT IM NORDEN.
ass hervor, eine ausspräche, die in den ältesten altnord. hand-
schriften durch 9s s oder æss bezeichnet wird. In der regel ver-
schwand dieses ^, der w-umlaut von rf, später, indem d wieder in
alle formen eindrang; aber in einzelnen worten hielt sich umgekehrt
9 durch alle formen und fiel dann mit 6 zusammen (vgl. ndtt und
iiött, amhdlt und ambolt, spann und spönn, dl und 61 a. s. w.) ^), So
s. 167. konnte die form qss, die regelmäfsig aus ansua entwickelt ist,
später also sowohl in dss wie in öss übergehn , und der runenname
öss kann folglich, wie Bugge meint, im Norden selbst aus dem
älteren qss entstanden sein. Ich habe jedoch einiges bedenken, dies
anzunehmen. Da nämlich qss als name für einen heidnischen gott
später nicht in öss, sondern in dss überging, so müfste man ja an-
nehmen, dafs das alte qss sich in die beiden worte dss in der be-
deutung 'heidnischer gott' und öss als name für die rune gespalten
hätte; als grund hierfür könnte man vielleicht anführen, dafs g (ö)
leichter in dem runennamen siegen konnte, der wohl gewöhnHch im
nominativ (und accusativ) sgl., seltener im genitiv gebraucht wurde, aus
welchem d später wieder eindringen konnte, während von qss 'heid-
nischer gott' wohl gerade der genitiv plur. dsa häufig vorkam; da
der runenname öss somit formell von dss verschieden geworden, so
hätte man auch allmählich die ursprüngliche bedeutung dieses wortes
vergessen und es als identisch mit altnord. öss 'flufsmündung', nicht
als eine nebenform zu dss, aufgefafst. Obgleich alles dieses denkbar
ist, finde ich es doch nicht sehr wahrscheinlich und bin deshalb am
meisten geneigt, den Ursprung des runennamens öss anderwärts zu
suchen. Da die alte dss-rune nämlich erst sehr spät mit der be-
deutung o auftritt, zu einer zeit, wo auch andere Veränderungen in
der kürzeren runenreihe vorgenommen sind, so halte ich es für das
wahrscheinlichste, dafs die bedeutung 0 und der damit sich ergebende
name öss unter einflufs des altenglischen runenalphabetes auf die dss-
rune übertragen ist, das ja seine ds-rune an der stelle hatte, wo die
nordische «ss-rune stand. Im altengl. mufs der runenname 6s früh-
zeitig unverständlich geworden sein, da das alte runenlied denselben
in der bedeutung „mund" zu nehmen scheint (indem es ihn mit lat.
OS in Verbindung setzt!); es lag somit für die Nordleute nahe, das
^) Vgl. meiae „altnord. gramm." und „foraaord. forml." § 11, c; § 33, B,
anin. 3; § 48, anin. 2; § 51, b, aniii. 2; § 58, b, anm.; § 70 und öfter. — Siehe
auch Noreeii, altisl. und altnorweg. gramm. § 71, 2; § 74, 2; § 79; § lOü;
§ 146; § 148, 6; § 269, 5; § 287 ff.; § 304 ff.; § 309, 1 und öfter.
II. KAP. VERUÄLTN. ZWISCHEN' D. KÜRZEREN V. LÄ.NGEREN RUNE.NREIHE. 197
altengl. ös mit ihrem öss 'flufsmünduiig' zu identifizieren. Ich finde
es deshalb wahrscheinlicher, dafs man im Norden geradezu den alt-
engl. nanien aufgenommen habe, als dafs man aus qss die beiden formen
dss Cgotl') und öss (als runennamen) erhalten und darauf die be-
deutung des letzteren wortes mifsverstanden haben sollte. In der hier
ausgesprochenen vermutung werde ich auch dadurch bestärkt, dals s. 168.
das altengl. runenalphabet an andern punkten in einer späteren zeit offen-
bar auf das nordische eingewirkt hat: der alte nordische name für
die rune V war {jurs {pw's rist ek per Skirnismäl 36; vgl. thuris im
„abecedarium Nordmannicum*', pors in einem fulhork bei Hickes III,
tab. VI no. 7 = Stephens 1, s. 103 no. 14); aber später wurde der
name pm's, der in einer älteren form auch dem gemeingermanischen
futhark angehört haben mufs, im Norden mit porn verlauscht, das
zweifelsohne aus dem altengl. alphabete entlehnt ist, wo dieser name früh-
zeitig den älteren verdrängt hatte; mit dem runenzeichen ging be-
kannlUch auch der name porn in das lateinische aiphabet über und
lebt noch auf Island, obgleich schon der Verfasser der ältesten ortho-
graphischen abhandlung in der Snorra-Edda die benennung pé dafür
einzuführen suchte (Su. Edda II, 38). Dafs auch yr als name für die
rune Å wahrscheinlich aus dem altengl. entlehnt ist, werde ich unten
näher besprechen^).
Ob man indessen den namen öss als geradezu aus dem ältesten
nordischen runennamen an sur hervorgegangen oder als aus dem alt-
engl. entlehnt betrachtet, so hat dies nalürhch durchaus keinen ein-
flufs auf die darstellung, die wir von den Veränderungen gegeben
') Es verdieat hervorgehoben zn werden, dafs das norwegische runeogedicht
die naineo öss (in der bedeutang 'flufsmünduog') und rjr hat, aber dagegen das
alte ßurs. Diese drei uamen finden sich auch in der isländischen runen-
reimerei; aber merkwürdig genug fal'st sie öss nicht als 'flulsuiündang', sondern
gerade in der ältesten ursprünglichen bedeutang 'as' (von Odin: Oss er aldin-
gautr I ok åsgards jöfurr | ok valhallar visi), und die lateinische Übersetzung, die
in der einen handschrift dem runennamen beigefügt wird, ist Jupiter. Sollte
sich hierin das bewufstsein von der alten magischen bedeutung dieser rune zeigen,
die ich oben öfter gelegenheit gehabt habe hervorzuheben (vgl. s. 57 f. anm. 5j,
das sich auf Island bis in späte zeiten erhalten hätte, gerade an Odin ge-
knüpft als 'den as' xar' i^o^tjv in diesem falle, den gott der runen? Dals eine
solche tiadition sich lange auf Island erhalten haben kann, beneist indessen
nichts bezüglich der andern nordischen lander; und thatsächlich zeigt ja das
norwegische runeogedicht, dafs die spätere auffassung von öss auf eine zeit
zurückgeführt werden kann, die weit derjenigen voraus liegt, wo die isländische
rnneareimerei entstanden ist.
198 ZWEITES BUCH. UIK E>T\VICKLU.>G »ER KU1NE."SSCHRIFT IM NORDEN.
haben, welche im Norden mit den nanien jära und aiisuu und in-
folge dessen mit der bedeulung der entsprechenden runen vorgehen
mufslen. Es ist ja klar, dafs die alte jära -rune später dazu
übergehen mufste, das gewöhnliche zeichen für a zu werden,
während die alle ans ur- rune namentlich benutzt werden konnte, wo
man einen von dem folgenden nasal beeinflufsten a-laut bezeichnen
wollte, und dieser entwicklungsgang wird vollständig von den in-
schnften bestätigt. Ehe wir jedoch dazu übergehen, dies genauer
zu betrachten, wollen wir sehen, wie die alten zeichen für a und/
sich im laufe der zeit verändert haben.
Das älteste und ursprünglichste zeichen für die ansuR-rune ist
^. Es mufs hierneben als selten und zum grofsen teile als rein zu-
fällig betrachtet werden, wenn der obere nebenstrich in den Inschriften
mit dem längeren alphabete nicht von der spitze ausgeht, wie z. b.
auf der Etelhemer spange, wo namentlich das erste f^ wie das vor-
169. hergehende T und das folgende ^ die nebenstriche etwas weiter unten
bekommen hat; dasselbe gilt von dem zweiten ^ auf dem oben (s. 63)
genannten brakteaten aus Norddeutschland. Auch auf dem Kinne-
vader steine, dessen inschrift von Bugge in den årh. f. nord. oldk.
1871, s. 221 angeführt wird, kommt A (von rechts nach links) vor.
Als eine reine ausnähme, die nur durch rücksicht auf den platz her-
vorgerufen ist, mufs es dagegen betrachtet werden, wenn der stein
von Varnum, der sonst regelmäfsig ^ gebraucht, ein einziges mal A
mit den beistrichen nach der entgegengesetzten seite in dem worte
l:H iah (== got. jah 'und') hat; da nämlich I und ^ nicht zu einer
binderune verschlungen werden konnten, so war es notwendig, ah
wie hier auszudrücken, obgleich das eigentlich im längern aiphabet ha
(von rechts nach links) bedeuten mufste (für ha gebraucht derselbe
stein die binderune hf). Im kürzeren alphabete hat die ass-rune
wesentlich dieselbe form wie die ansua-vune im längeren; in der
regel sind es jedoch nur die ältesten Inschriften mit dem kürzeren
alphabete, welche ^ mit dem von der spitze des hauptstabes aus-
gehenden nebenstriche gebrauchen , so die steine von Snoldelev und
Helnæs, und es mufs als ein zufall angesehen werden, wenn wir
o
dieselbe form in dem futhork auf dem steine von Astrup linden, wo
auch der nebenstrich in p fast bis zur spitze reicht. Frühzeitig
wurde nämlich im kürzeren aiphabet F^ von t^ verdrängt (als eine
Übergangsform zwischen dem älteren ^ und dem jüngeren 1^ kann
die form auf dem steine von Nörrenaera, der zu unsern ältesten
II. KAP. VERBÄLTN. ZWISCHEN D. KÜRZEREM U. LÄNGEREM RLNE.XREIHE. 199
riinensteinen gehört, angesehen werden). Erst später treten auch
die formen A und + auf.
Während die dss-rune sich also seit den ältesten Zeiten wesent-
lich unverändert erhalten hat, verhält es sich mil der jära-rune
anders. Wir haben schon oben (s. 121 ff.) darauf aufmerksam ge-
macht, dafs diese rune unter vielen verschiedenen formen auftritt, die
alle auf das H der Kragehuler lanze und des Istabyer Steines zurück-
geffdirl werden müssen, während sowohl das ^ des brakteaten von
Vadstena, das {3 der spange von Fonnäs wie das jjc auf den bleking-
schen steinen von Björketorp, Stentofte und Gommor jüngere ent- s. 170.
Wicklungen sind ^). Von den inschriften mit dem kürzeren aiphabet
kennen nur ein paar der allerältesten dänischen noch die form )jc
für a („de ældste nord. runeindskr." s. 62); sehr früh wurde >|{
nämlich durch fortwerfen des einen querstriches weiter vereinfacht
und erhielt die form +, die das gewöhnliche zeichen für a in den
inschriften mit der küraeren runenreihe ist. Aber )|c und + sind
eine zeit lang neben einander sogar in derselben gegend*) und auf
denselben denkmälern im gebrauch gewesen, wie dies aus den ältesten
dänischen steinen hervorgeht. Während der stein von Kallerup (Höje-
tostrup) und der gleichzeitige schonische stein von Orja nur )jc und
der von Helnæs nur + gebraucht, drückt der stein von Snoldelev den
fl-laut zuerst zweimal durch )|c aus, gebraucht darauf aber fünfmal +;
wären die inschriften der steine von Kallerup und Örja länger,
so könnten wir daher auch erwarten, auf denselben + mit )|c zu-
sammen zu finden. Dafs es auf jeden fall zufällig ist, dafs der stein
^) Iq der beurleilnng der steine von Björketorp und Stentofte als
denkmäler ans jüngerer zeit, die künstlich die schriftzeichen und zam teil die
spracbformen einer älteren zeit nachahmen, schliefse ich mich im ganzen voll-
ständig der von Bagge vorgebrachten aaflassung an. Wie weit der ver-
schwundene stein von Gommor derselben kategorie angehört hat, oder ge-
radezu eins der originalen denkmäler gewesen ist, welche der Björketorper und
Stentofter stein nachgeahmt haben, läfst sich natürlich nicht entscheiden. Da-
gegen finde ich auch auf dem steine von Fstaby eine künstliche nach-
ahmnng der spräche und der zeichen einer älteren zeit, nicht einen zuverlässigen
ausdruck für eine zu einer gewissen zeit wirklich herrschende sprachform. In-
dem ich hoffe, bei einer andern gelegenheit auf diese frage zurückzukommen,
verweise ich vorläufig auf meine bemerkungen hierüber bei Borg s. 156 ff.
Selbst bei dieser aulTassung geben die genannten Blekinger steine uns doch wert-
volle aufklärungen über die entwicklung der schrift und spräche im IVorden.
-) Mit unrecht scheint Bugge dies in zweifei zu ziehen (filol. tidskr.
VIII, 164).
200 ZWEITES BUCH. DIE E^T^VICKLUNG DER RL'NEMSCHUIFT IM NORDEN.
von Helnæs nur + gebraucht, geht daraus hervor, dafs der stein von
Flemlose, dessen Inschrift, wie ich unten zeigen werde, von dem-
selben manne eingehauen sein mufs wie die des sleines von Helnæs
s. 171. und zwar später als diese, >jc abwechselnd mit + in denselben fällen
gebraucht, wo der stein von Helnæs + hat.
Wir sehen also, dafs die alte ja ra- rune mit der bedeutung a
und folglich mit dem namen ära, dr nach und nach in den formen
H, )|c, + auftritt. Das besondere zeichen für j war damit verloren,
wogegen man zwei zeichen für den a-laut bekommen hatte.
Man könnte sich nun mit Bugge (filol. tidskr. VH, 243) denken, dafs
von diesen beiden zeichen ära dazu benutzt wurde, um das lange a
auszudrücken, während ansuR für die bezeichnung des kurzen
a bewahrt blieb. Jedoch läfst sich diese Vermutung nicht be-
weisen , und ich finde es unwahrscheinlich , dafs man den kurzen
und langen a-laut durch zwei zeichen unterschieden haben sollte,
da man einen solchen unterschied bei den andern vokalen nicht
machte, und da P in den ältesten inschriften sowohl das lange wie
das kurze a bezeichnet. Ich glaube deshalb am ehesten, dafs die
alte j ära -rune, nachdem sie zu ära geworden war, eine zeit lang
als lautzeichen aufser gebrauch gekommen ist^), wenn man sie nicht
zuweilen mit F zusammen und in derselben bedeutung verwandt
hat, was ja möglich, aber nicht zu beweisen ist**). Dagegen erhielt
sie sich auf ihrem alten platze im aiphabet, und erst als der a-laut
in ansuR allmähUch durch das folgende n nasahert wurde, nahm
man die ära -rune als zeichen für den rein oralen a-laut auf,
während ^ das zeichen für einen davon verschiedenen a-laut wurde.
Dies ist der grund dafür, dafs beide zeichen auf dem steine von Istaby
in verschiedener bedeutung gebraucht werden (s. oben s. 121), und auf
^) Auf ähnliche weise denke ich mir, dafs die alt engl. üV-rune erst als
lautzeichen in gebrauch gekommen ist, als die ursprüngliche o-ruue 5^ deu
namen ædel und die bedeutung æ aunahm, und wir müssen hierin wohl gerade
den grund dafür suchen, dafs die o^-rune das neue zeichen ^ bekommen hat,
während das alte ^ mit dem neuen namen asc sich als zeichen für a (später ce,
æsc) erhielt.
2) Auf dem stein von Stentofte kommt ^ nur ein einziges mal und in der-
selben bedeutung wie jk vor (nämlich in H^ in der zweiten zeile, das in der
ersten zeile H>j< geschrieben wird); sonst tritt nur 4; als zeichen für a sowohl
auf dem steine von ßjörketorp wie auf dem steine von Stentofte auf; auf dem
steine von Istaby bezeichuet 1^ a, aber ^ einen schwa-laut (svarabhaktisches a).
II. KAP. VERHÄLT.N. ZWISCHEN D. KÜRZEREN O. LÄrSGEREN RUNE>REIUE. 201
den ällesten runensteinen mit dem kürzeren alphabele isl (5Jc) + gerade-
zu das zeichen für das gewöhnliche a, während ^ f^ regelmäfsig ge-
braucht wird, wo früher ein a mit darauffolgendem n gestanden
hatte, das später in nasales a, q, übergegangen war, eine ausspräche,
die wir noch zu der zeit voraussetzen müssen, der diese steine au- s. 172.
gehören. Deshalb hat der stein von Snoldelev neben :;jc + für a einmal
F^, ausgesprochen q, aus älterem an = altnord. d, und derselbe unter-
schied wird auf den steinen von Örja, Helnæs und Flemlose be-
obachtet. Auch später wird häufig ^ in der dem altnord. ä ent-
, _ o
sprechenden präpositicn wie in t>h (der grofse stein von Arhus, der
stein von Hedeby u. s. w.) = altn. pä geschrieben. Aus demselben
grunde finden wir gleichfalls f^ in der grofsen menge mit f^H- zu-
sammengesetzter namen, die auf den runensteinen vorkommen, so in
N^lnR+ (der eine Hälleslader stein), t=:HrRlt>I< (der stein von
Vedelspang) und vielen andern = altn. Asbjgrn, Asfredr, wo ds- ja
gerade aus dem alten ansu- enstanden ist und nasaliert ausge-
sprochen sein mul5, ehe es die form äs- bekam. Eine erinnerung
an älteres nasaliertes a haben wir vielleicht auch, wenn der infinitiv
der verba auf ^ ausgeht, so auf dem einen Hallestader steine, der
dreimal f^ gebraucht, nämlich in dem namen t^HK+HTI^ asgautr,
in der präposition F^ <i und in dem infinitiv HT+Tf^ stand^. Der
gebrauch von ^ ist jedoch nicht auf die hier genannten fälle be-
schränkt, wo es ein aus an entstandenes nasales a ausgedrückt hat;
sondern es kommt aufserdem ganz allgemein anstatt des rein oralen
a vor einem wirklich vorhandenen nasal (n, m) vor, z. b. in den
oben (s. 194) genannten beispielen von dem Glavendruper steine ;
gleichfalls wird m^nr (== mannr) aui dem gröfseren Skærner steine
geschrieben (aber matr auf dem schleswigschen steine von Hedeby
= mandr, siehe „Navneordenes böjn. i ældre dansk", s. 85 f.),
kl am u Ian (der stein von Tryggevælde, gewils glqmulan ausge-
sprochen). Bei in der schrift, aber nicht in der ausspräche aus-
gelassenem nasal wird P [^ in HTPTÅ, Hl'f^'^'^ stätR d. i.
stændR auf dem Örjaer und Flemloser steine gebraucht, und der
Tryggevælder stein hat sogar >h'^+TRl {)^i batri in der bedeu-
tung pceim hoelri. Dals a vor dem nasal gerade so besonders regel-
mäfsig durch die dss- rune f^ ausgedrückt wü'd, während man es
sonst durch die dr-rune + bezeichnet, scheint es aufser allen zweifei
zu setzen, dafs a hier eine zeit lang nasaliert gewesen wie in den fällen.
202 ZWEITES BUCH. DIE ENTWICKLUNG I)ER RUNENSCHRIFT IM .NORDEN.
WO n früher verschwunden war '). Da der unterschied , der
zwischen F ^ 9 und >j< + « wirklich vorhanden gewesen war,
alhiiählich verschwand, so wurden auch beide zeichen vermischt ge-
braucht; dafs man noch bis in sehr späte zeit hinein K t>f!, f^H-
s. 173.^ allnord. d, pd, As- schrieb, beweist daher auch nicht, dafs der
nasalklang noch in diesen fällen gehört wurde, sondern ist nur die
alte Schreibweise, die sich unverändert erhalten hat, lange nachdem
ihre ursprüngliche bedeutung vergessen war. Das Verhältnis zwischen
den beiden a-runen P ^ 9 und + a ist dann dasselbe wie zwischen
den beiden r-runen Å r und R r, die gleichfalls ursprünglich sowohl
im laut wie im zeichen verschieden waren, aber später zusammenge-
worfen wurden, als die laute zusammengefallen waren; und wie man
es zuletzt ganz aufgab A für r zu gebrauchen, so siegte auch \ über
K Erst später treten sowohl >k wie 1^ {A) wieder, aber mit den neuen
bedeutungen y und 0, auf.
2. Das Verhältnis zwischen den verschiedenen runen-
formen in der kürzeren und längeren reihe.
In den Veränderungen, denen die runen ansuR und jära im
Norden sowohl in den na men und der damit verbundenen bedeutung,
als auch in der form unterworfen gewesen sind, sahen wir einen
' allmählichen und langsamen Übergang von dem P a und H (^, )|c)
y, a der längeren reihe zu dem P f= 9 und (>|() + a der kürzeren.
Dieser Übergang steht zugleich in enger Verbindung mit
den Veränderungen, welche andere der älteren zeichen
nach und nach erlitten.
So lange die är-rune wie auf dem Istabyer steine die form H
hatte, mufste die s-rune notwendigerweise noch die ältere form / "^
bewahren, und ich halte es, wie oben (s. 127) hervorgehoben wurde,
für wahrscheinlich, dafs das ^ des brakteaten von Vadstena gerade
aus h gebildet ist, um der Verwechslung mit / vorzubeugen. Aber
in jedem falle sind die älteren formen H, ^ frühzeitig durch )jc
verdrängt, das eine zeit lang die herrschende form für die fl-rune im
ganzen Norden war, und nicht lange darnach, dafs die a-rune
^) Die nasale ausspräche von vokalen vor nasallauten wird bezüglich Islands
durch die Beispiele erhärtet, welche der Verfasser der ältesten grammatischen
abhandluDg in der Snorra-Edda anführt. — Vgl. zu dieser ganzen auseinander-
setzung den aufsatz Nor een s „De nordiska språkens nasalerade vokaler" im
Arkiv f. nord. Fil. III iChrist. 1885), s. 1 ff., bes. s. 24 ff.
If. KAP. VERUÄLTM. ZWISCHEN D. KÜRZEREN U. LÄNGEREN RÜNENREIUE. 203
diese form angenommen halle, isl das alle ^\ zu HH
geworden, indem diese rune eine senkrechte Stellung bekam wie
die übrigen zeichen. Während die steine von Björketorp und
Stentofte noch / \ für s neben >jc haben, gebraucht der stein von
Kallerup zweimal jjc = a und dreimal H = s, und dieselben beiden
zeichen ßnden sich auf dem gleichzeitigen stein von Örja und dem
etwas älteren Sölvesborger steine , den wir sogleich näher be-
sprechen werden. Ungefähr um das jähr 700, können wir
daher sagen, ist H das gewöhnliche zeichen für s
geworden, und es ist als ganz zußllig anzusehen, wenn wir
nachher, sogar bis in späte zeit, wieder ab und zu einer form be-
gegnen können, die an das zeichen des ältesten alphabetes erinnert, so
o
in dem fulliork auf dem steine von Åstrup, der \ gebraucht.
Indessen hielt sich auch )(c nicht als zeichen für die dr-rune; s. 174.
neben jjc tritt früh die daraus vereinfachte form + auf, wie wir
oben erwähnt haben. Aus dem dort angeführten geht zugleich
hervor, dafs + nicht plötzlich 5|( verdrängt hat, sondern dafs beide
formen sich längere zeit nebeneinander gehalten haben. Die form,
welche die rfr-rune zuletzt in der kürzeren reihe annahm (+), hatte in
der längeren eine ganz andere bedeutung, + war dort eine neben-
f o r m von + n. Von diesen beiden formen, die in der ältesten
zeit durcheinander gebraucht wurden wie HH (s. oben s. 106),
war für n später ausschliefslich + in gebrauch. Der stein von
Istaby hat jedoch noch + =: n, und auf den steinen von Björketorp
und Stentofte, wo die dr-rune durch )|c ausgedrückt wird, wird
sowohl + wie + mit der bedeutung h gebraucht. Da •I' indessen als
n e b e u f o r m von )jc a auf den ältesten steinen mit dem küi"zeren
alphabete auftritt und gleichfalls auf dem steine von Räfsal ge-
braucht wird, der ungefähr mit dem Sölvesborger gleichzeitig sein
mufs (vgl. unten), so mufs die eine der alten u-formen ++ um das
jähr 700 aufgegeben sein; von dieser zeit an wurde nur + in
der bedeutung n gebraucht, und die är-rune ))e konnte
also in + übergehn.
Erst zwischen den jähren 800 — 900 wurde + jedoch
als zeichen für die dr-rune alleinherrschend, und nicht
lange darauf nahm das alte Ä-zeichen HH die form jjc
an, die früher der dr-rune angehört hatte. Der stein von kallerup
hat daher H = Ä, )jc = a, der Snoldelever stein H ^ A, )jc und + = a;
der Helnæser stein hat H=A, +=a; aber dafs )|c noch damals
204 ZWEITES BUCH. DIE E.NT WICKLUNG DEll HUNEISSCURIFT IM NORDEN.
und in dieser gegend für a im gebrauch war, zeigt der Fiemloser
stein, wie wir oben bemerkt haben. Ungefähr vom jähre 900
au finden wir dagegen ausschliefslich + = a und )|c =h (der
stein von Giavendrup u. s. w.).
Dafs man H H in >|c veränderte, als dieses zeichen nicht mehr
für einen andern laut gebraucht wurde, lag daran, dafs man eine
einfachere form mit einem einzigen stabe wie bei den übrigen runen-
zeichen suchte, und da man weder + noch + gebrauchen konnte, die
zeichen für a und n waren, so mufste die form ::|< am nächsten
liegen.
Ungefähr gleichzeitig mit dem übergange von
H H zu )|c und aus demselben grunde geht auch eine Veränderung
s. 175. mit einem andern der alten runenzeichen vor, nämlich mit der m-rune
M M. So lange )jc (zusammen mit +) noch das zeichen für a und
H H das für h ist, finden wir auch das w-zeichen in der ältesten form;
so braucht der stein von Sölvesborg M, und um das jähr 800
(825) läfst sich dieses zeichen zum letzten male auf dem steine
von Helnæs nachweisen. Aber zwischen den jähren 800 — 900
nahm es eine form an, in der die beiden stäbe zu einem
vereinigt wurden, nämlich ^ ^, das oft auf den älteren dänischen
steinen (auf dem Tryggevælder steine von Seeland, dem Norrenæråer
und Rönninger steine von Fühnen, den Jællinger steinen und vielen
andern der jütischen steine) vorkommt. Dieses zeichen für die m-
rune hielt sich namentlich in JüLland, während es an andern stellen
früher von der daraus hervorgegangenen einfacheren form Y ver-
drängt wurde, die als das gewöhnliche zeichen für die m-rune in der
kürzeren reihe angesehen werden mufs. Ausnahmsweise kommt
sowohl die geschlossene wie die offene w-forni (t und Y) auf
demselben d e n k ni a 1 vor (so auf dem schonischen steine
von Valleberga). Da die Inschriften auf den runensteinen aus der
jüngeren eisenzeit in der regel von einfassungslinien eingeschlossen
sind, so kann es sogar ab und zu schwer fallen zu entscheiden,
ob wir die form T oder ^ haben. Der über der rune angebrachte
einfassungsstrich (*P) gibt ja gerade eine einfache und natürliche
erklärung dafüi", dafs aus t sich allmählich Y entwickelt hat^),
^) Der schonische steiu von Krageholm hat in Wirklichkeit in seinen vielen
7/i-ruuen noch überall die form xj ^^^'' diese Inschrift stellt uns zugleich
handgreiflich vor äugen, wie ^ natürlich ans x hervorgehen konnte und mul'ste.
ir. KAP. VERHÄLT.N. ZWISCHEN D. KÜRZEREN U. LÄNGEREN RUNENREIHE. 205
und daTs die jüngste 7n-form, Y, bereits so früh auftreten kann wie
auf dem steine von Snoldelev (vgl. unten) i).
Im längeren aiphabet war Y dagegen das zeichen für den aus
dem stimmhaften s (s) entstandenen r-laut /?. Mit derselben be-
deulung wie das gewöhnliche Y tritt jedoch bereits in den inschriften
mit der längeren reihe die form Å auf (s. oben s. 129 f.), die später
die alleinherrschaft erringt. Während der stein von Istaby noch
ausschliefslich Y hat, das gleichfalls auf dem stein von Björketorp
gebraucht wird, kennt der stein von Stentofte nur das jüngere >k
(„de ældste nord. runeindskr." s. 58), das gleichfalls immer in den
inschriften mit dem kürzeren alphabete vorkommt. Wir dürfen
hieraus schhefsen, dafs die form Å das Y ungefähr in der-
selben zeit verdrängt hat, wo das «-zeichen + das + ver-
drängte. In folge hiervon konnte die /«-rune M also in
Y verändert werden^), und der umstand, dafs der stein von
Helnæs noch M gebraucht, während andere der älteren steine mit
dem kürzeren alphabete ^ ^ haben, schliefst die möglichkeit nicht
aus, dafs auch Y sehr früh als eine nebenform zu den andern zeichen
im gebrauch gewesen sein kann, wie wir gleichzeitig 5Jc und + (ja sogar
frühzeitig als lokale eigenlümlichkeit ^, z. b. auf dem Kälfvestener steine s. 176.
von Östergütland, ßautil no. 904 = Stephens s. 724) für die dr-rune
gebraucht finden. Dafs Y frühzeitig neben den andern /«-formen
aufgetreten, würde ausgemacht sein, wenn es sich beweisen liefse,
dafs der stein von Snoldelev diese form gebraucht hat; die ganze in-
schrift ist deutlich, leider mit ausnähme von m, welches am Schlüsse
des letzten wortes H+PH+nKn* salhauku[m] d.i. Salhtiugum ge-
standen hat-, doch scheinen die spuren, die sich von dem linken bei-
striche der letzten rune noch auf dem steine finden, nur ein Y zu
erlauben, weder M M noch ^ ^. Wenn dies richtig ist, so würden
wir hierin zugleich einen beweis dafür haben, dafs M etwas eher
zu (^)Y geworden wäre als H die form jjc angenommen
hätte.
^) Eine sehr selten vorkommende /«-form, die nie allgemeine Verbreitung
erhielt, ist f, das auf den beiden steinen von Hälleslad aus Schonen und auf
einem runensteinbruchstück von Arhus vorkommt. Siud die poukte hier an-
gebracht um einen klaren und augenfälligen unterschied zwischen Y "' """^
yJv R hervorzubringen?
-) Vgl. „De ældste nord. runeindskr.", s. 40; „Prof. G. Stephens om de ældste
nord. runeindskrifter", s. 9 (= årb. for nord. otdk. 1868, s. 61).
206 ZWEITES BUCH. DIE ENTWICKLUNG DER RUNENSCHRIFT IM NORDEN.
Aiifser den bisher besprochenen zeichen weicht auch die A'-nme
K der kürzeren reihe von dem < der längeren ab. Bereits in den
inschriften mit dem längeren alphabele ist indessen das alte < zuweilen
etwas verändert worden, indem man ihm einen senkrechten slab gab,
wodurch es in form und gröfse besser mit den übrigen runenzeichen
in Übereinstimmung kam. Die inschriften auf der Kragehuler lanze und
auf der schlänge aus dem Lindholmer moore drücken fr durch A
aus, und das umgekehrte zeichen V kommt auf dem Varnumer steine
vor; von den Blekinger steinen gebraucht der von Björketorp gleich-
falls Y, welches ohne zweifei sich auch auf dem Stentofter steine
findet. Durch eine unbedeutende änderung geht hieraus das zeichen
K hervor, indem der beistrich zur linken und der senkrechte
Stab eine hnie bilden. Diese form der fr-rune ist in dem kürzeren
alphabete von den ältesten bekannten inschriften (den steinen von Kalle-
rup. Snoldelev, Helnæs, Flemlose) an die herrschende, und es mufs
als zufällig angesehen werden, wenn später zuweilen wieder eine form
gefunden werden kann, die an das ältere Y erinnert^). Den Über-
gang von dem aus < entstandenen Y zu dem jüngeren
K halte ich für gleichzeitig mit dem übergange von /
zu h.
177. Folgende punkte in der enlwicklung beim übergange von dem
längeren zum kürzeren alphabete haben wir also vorläufig nachge-
wiesen :
^ = a wird F! ^ = .1 (schwa-laut auf dem steine von Istaby),
g. (nasaliertes a);
H (^) ursprüngl. ^j wird das zeichen für a und nimmt später
die formen >|c, + an;
^ X = s wird h H, nachdem H in der bedeutung a von 5|<
verdrängt war;
+ 'f' = n; von diesen formen wurde + alleinherrschend, ehe >|c
a die form + annahm ;
H H = Ä wird >|(, nachdem dieses zeichen in der bedeutung a
vor + gewichen war;
M M = m wird ^ 9, Y ; dieser Übergang scheint ein wenig
älter als der Übergang von H H in >|c zu sein;
ij In dem Worte skar|)a auf dem Danevirke-steine ist die A-rune auf
Thorsens zeichuung (De danske Uunemindesmærker I, s. 93) ungenau; die
rune hat in diesem worte wesentlich dieselbe form wie an den andern stellen,
wo sie in dieser Inschrift vorkommt.
II. KAP. VERHÄLT^. ZWISCHEN D. KÜRZEREN U. LÄNGEREN RUNENREIHE. 207
Y >k = ß ; von diesen formen war Å alleinherrscliend ge-
worden, ehe M die form Y annahm;
< := A* wird Y und dieses wieder K.
Diese Veränderungen sind, wie wir gesehen hahen, keineswegs
gleichzeitig vor sich gegangen ; ich denke mir ungefähr folgende enl-
wicklung, die zum gröfsten teil mit hülfe der runendenkmäler seihst
nacligewiesen werden kann:
I. ungef. 400 bis ungef. 600 (625), der gröfste teil der
inschriflen mit dem längeren alphabete:
ru>^ [^ <AY : HH ++ I h^ YÅ ^X : T ^ M r
f n p a^) r k h n i y(«)^) r s t t m l
II. ungef. 650, die schrlft, die auf den Blekinger steinen von
Istaby, ßjörketorp und Stentofte nachgeahmt wird:
r n !> P K Y : HH ++ I H)|c YÅ /X : t ^ M r
(o)^*) a b
III. ungef. 800 (825), die ältesten inschriften mit der kürzeren
runenreihe (die steine von Kallerup, Snoldelev, Helnæs,
Flemløse und Örja):
r n !> P? K Y : HH + I :|c+ Å hH = t ^ M(tY) r
rV. etwa 900 bis etwa 1000 (die steine von Glavendrup,
Tryggevælde, Jællinge u. s. w.):
r n 1^ (p)t: RK:)((+i+ >kHH•t^tY^
Der Übergang von den älteren zu den jüngeren formen ist also s, 178.
allmählich und im ganzen ziemhch langsam geschehen, und die
entwicklung darf auch nicht als gleich schnell in den verschiedenen
gegenden des Nordens vorgegangen gedacht werden. Wir haben ja
sogar )|( und + auf demselben steine wechseln sehen, und es ist
') Vor einem nasal ist der laut vielleicht in dieser periode bereits nasaliert.
^) In der bedeutung j kommt 1^ ohne zweifei aaf dem lanzenschaft ans
dem Kragehaler moore vor. Gegen den schlufs der periode bat die rnne sicher
die bedeutung a bekommen und wird kaum als laatzeichen gebraacht (der stein
von Varnum drückt J in dem worte jah 'und' durch | aus).
'^) Nnr ein einziges mal auf dem steine von Stentofte hat diese rune die
bedeutung a wie in der vorigen periode; auf dem steine von Istaby ist sie das
zeichen für einen schwa-lant {a). Als zeichen für das reine a gebrauchen
der stein von Istaby 1^, die steine von ßjörketorp and Stentofte mit der ge-
nannten ausnähme •jjc.
208 ZWEITES BUCH. DIK ENTWICKLUNG DER RUNENSCHRIFT IM NORDEN.
sehr wohl ntiögUch, dafs + das einzige gehräuchUche zeichen in einer
gegend gewesen sein kann, während man in einer andern noch das
ältere >|c benutzte; auch von den übrigen zeichen können ältere und
jüngere formen längere zeit hindurch neben einander gegolten
haben und die älteren an einer stelle früher als an einer andern auf-
gegeben worden sein. Aufserdem haben sich in gewissen gegenden
sehr früh örtliche eigentümlichkeiten entwickelt, indem die
ursprünglichen runenzeichen dort auf eine weise verändert wor-
den, die von der gewöhnlichen abweicht. Alle diese formen
lassen sich indessen mit leichtigkeit auf die allgemein bekannten
zurückführen, so die auf dem s. 205 genannten steine von Kälfvesten,
der seiner spräche nach nicht viel jünger sein kann als die älteren
dänischen (etwa 900), aber K == H hat, h=:+, 'i = 't',i= A,
indem nur der unterste teil des senkrechten stabes, ' = H, indem nur
der oberste stab übrig blieb, 1 = T, ^ = ^ ; auch die h- und m-
rune haben in dem futhark, der auf diesem steine gebraucht wird,
ohne zweifei formen gehabt, die von den gewöhnlichen abweichen^),
so dafs nur T, >, R, K, I, t* (die sich alle 6 auf dem steine finden)
und wohl f^ (das nicht vorkommt) mit den sonst zu der zeit all-
gemein gebrauchten zeichen übereingestimmt haben. Auf diese ört-
lichen eigentümhchkeilen, wovon mehrere weit später wieder auf-
treten und eine allgemeinere ausbreitung bekommen, nehme ich
hier keine rücksicht, da sie nur eine weitere entwicklung (in der
regel Vereinfachung) der allgemein bekannten formen sind. Eine dar-
stellung hiervon im einzelnen mufs gegenständ einer besonderen ab-
handlung werden (vgl. unten 'Anhang' III).
s. 179. 3. Das Verhältnis zwischen den 24 zeichen der längeren
reihe zu den 16 der kürzeren.
Wir haben bisher nur die abweichenden runenformen be-
handelt, die in beiden alphabeten mit derselben bedeutung oder mit
einer bedeutung vorkommen, die auf grund der Wandlungen, denen
die spräche selbst unterworfen gewesen , verändert worden ist,
1) Ich schlielse dies aus dem Röker steine, dessen aiphabet in hohem grade dem
hier besprochenen gleicht (nur die dr~ und 6-rune haben die umgewendeten
formen p und k), und wo h und m durch f und -f" ausgedrückt werden
(wenn die ^er-rune -f- des Themsemessers von den gewöhnlichen altengl.
formen (KA ausgeht, so würde sie sich zu diesen verhalten, gerade wie sich
das m des Steines von Rök zu ^^ verhält).
II. KAP. VERHÄLTN. ZWISCHEN D. KÜRZEREN ü. LÄNGEREN RUNENREIHE. 209
und wir haben nachgewiesen , dafs die formen des kürzeren alpha-
beles überall auf die des längeren zurückweisen, sowie dafs die enl-
wicklung allinähiich vor sich gegangen ist. Die differenz zwischen
den beiden alphabeten, über die wir demnächst rechenschaft geben
werden, ist die verschiedene anzahl der zeichen, die in beiden
gebraucht werden, nämlich 24 in der längeren reihe gegenüber 16
in der kürzeren. Auch hier haben wir eine entwicklung
vor uns, die nicht plötzlich, sondern lange zeit sachte
fortschreitend, vor sich gegangen ist.
Von den 24 zeichen, die ursprünglich dem längeren alphabete
angehörten, sind ein paar im Norden sehr früh aufgegeben. Dies
gilt von dem |)-zeichen, das sich auf dem brakteaten von Vadstena
in der form ^ findet, also dieselbe gestalt bekommen hat wie
das zeichen für 5, obgleich auf dem brakteaten vielleicht ein
künstlicher unterschied zwischen den beiden zeichen versucht ist
(siehe oben s. 117 und 119). In den bisher bekannten Inschriften
aus der älteren eisenzeit kommt zufällig kein wort mit dem f -laute
vor; aber wir dürfen annehmen, dafs dieser laut durch ^B ausgedrückt
worden ist, ausgenommen vielleicht in den allerältesten inschriflen.
Ich finde nämlich keinen grund dafür, mit Bugge (ärb. f. nord.
oldk. 1878, s. 66 f.) das ^ und ^ der spange von Founås als zwei
verschiedene zeichen aufzufassen, von denen das erslere p, das andere
b bezeichnen sollte. Ich glaube, dafs wir in beiden fällen die Ö-rune
haben, da entsprechende formen dieser rune häufig neben ein-
ander sowohl in inschriften mit den zeichen der längeren wie der
kürzeren reihe vorkommen. Während der stein von Björkelorp B
gebraucht, hat der stein von Stentofte §, und von den beiden spangen
von Nordendorf hat die eine ^ wie die Freilaubersheiner spange
(die letztere in dem namen boso, also sicher mit der bedeutung t oder
6), die andere ^ wie die spange von Engers (die erstere in dem
namen leubwini, die zweilein leub, also auch sicher mit der be-
deutung d oder 6). Dieses letztere zeichen stimmt aufs nächste mit
der form auf der spange von Fonnås überein, der Bugge die bedeu-
tung p zuerteilt, und dasselbe gilt von ^ (von rechts nach links) auf
der schlänge von Lindholm und auf dem messerheft (?) von Kragehul,
das ich also auch als 6-rune auffasse. Wenn Bugge das erste wort
auf dem Björketorper steine uftarabasba, wie ich glaube, richtig als
ü{)arfa-spä „Verwünschung" gedeutet hat, so scheint die Schreib-
weise sba einen direkten beweis dafür abzugeben, dafs die form der
"WIILMEB, Die runenschrift, 14.
210 ZWEITES BUCH. DIE ENTWICKLUNG DER RUNENSCHRIFT IM NORDEN.
längeren reihe, die auf dem Björketorper steine nachgeahmt ist, p
durch B ausgedrückt hat, wie wir so wie so erwarten müssen.
Sehr frühzeitig ist auch die 13. rune in den alten fulharken, i-T,
als lautzeichen aufgegeben worden, wenn sie überhaupt von anfang
an zeichen für einen bestimmten laut gewesen ist. Wie ich oben
(s. 112 f. und 134 fr.) nachgewiesen habe, ist die ursprüngliche bedeu-
tung dieser rune nämlich ungewifs, und es scheint mir sogar am wahr-
scheinlichsten, dafs sie im ursprünglichen runenalphabetegar kein laut-
zeichen gewesen ist. Auf jeden fall kann sie hier kaum, wie man nach
ihrem allengl. namen vermutet hat, zeichen für den gemeingerm.
diphlhongen en oder für l gewesen sein. Dafür, dafs der letzlere laut
in den ältesten runeninschriften durch dasselbe zeichen wie t ausge-
drückt wird, habe ich oben beispiele angeführt, und ich habe gleich-
falls hervorgehoben, dafs die deutschen insciiriflen auf den spangen von
Nordendorf und Engers den diphthong en durch Zusammenstellung
der beiden runen MH ausdrücken. Im Norden hat dieser diphthong
ohne zweifei frühzeitig die form in angenommen; ein sicheres beispiel
für das ältere MPl läfst sich in unsern inschriften nicht nachweisen^).
Dagegen kommt das jüngere IPl auf dem Reids tader steine in dem
Worte iujiingaR vor. Dafs nur so gelesen werden kann (und nicht
IHM+Xf^Y iud(i)ngaR, wie ich früher mit bezugnahme auf Bugges
äufserungen vermulet halte), davon bin ich durch Untersuchung der
inschrift überzeugt worden, und das ist auch aus meinem abdruck er-
sichtlich, nach welchem ich hier die inschrift wiedergebe, da die Zeich-
nung bei Stephens an mehreren fehlem leidet:
^) Das leugar des Steines von Skaäiig ist nämlich etymologisch unsicher;
sollte CS ein von leug_an {■= altnord. Ijüga) abgeleiteter a-stüniin sein, der
ganz dem altnord. Ijüg^r entsprechen würde? In diesem falle bütteu wir hier
ein ursprüngliches eu durch Mfl ausgedrückt wie auf den spangen von Nordeu-
dorf und Engers.
II. KAP. VERHÄLTN. ZWISCHEN D. KÜRZEREN V. LÄNGEREN RCNENREIHE. 211
Nur in der letzten rune in der zweiten zeile (dem verhältnis-
mäfsig schmalen M) sind die nebenstriche etwas undeutlich, aber doch
vollkommen sicher. Die punkte in dieser zeile stehen nahe dem
zweiten worte; im anfang der zeile ist < gewifs unabsichtlich so
nahe an das vorhergehende I herangekommen, dafs es damit ganz
zusammenläuft. Es besteht kein zweifei darüber, dafs die inschrift,
wie auch Bugge gelesen hat, wiedergegeben werden mufs:
iuJ)ingaR
ik wakraR: unnam
wraita
iu|)ingaR fasse ich mit Bugge als den namen des mannes, zu dessen s. ISO.
andenken der stein gesetzt ist (eine bestätigung der richtigkeit dieser
auffassung bietet der stein von Strand, der ebenfalls mit dem namen
des toten beginnt und darauf sagt, wer den grabhügel über ihm auf-
warf). Die älteste nordische form dieses namens würde ohne zweifei
Eupif9gaR lauten (vgl. Juthimgi, ^lovO-ovyyot, ahd. Eodunc)^). Dafs der
gemeingerm. diphthong eu also frühzeitig im Norden durch IPl ausge-
drückt worden ist, geht aus dem namen auf dem Reidstader steine
hervor^); dagegen läfst sich nicht mit Sicherheit entscheiden, ob die
ausspräche eu oder tu gewesen ist, da wir in dieser inschrift auch
ik für ek Gnden, und sie also in diesem falle unzweifelhaft die l-rune
anstatt des älteren M als zeichen für e gebraucht hat.
^) Sehr zweifelhaft ist dagegen die von Bugge angeDomineue verwantschaft
mit altDord. Joä 'kiud'. Dieselbe würzet wie io Jod haben wir ja iu aitoord. audr
'reichtum; Schicksal", audiim 'vom Schicksal bestimmt, gegeben', eigentlich
ptcp. prät. von einem sonst verlorenen starken verbum (altnord. gram. § 132,
anm. 1). Das Präteritum dazu würde *jåd heifsen, was indessen nur zufällig die-
selbe form wie das substantiv Jod 'kind' bekommen hätte, da das präteritum yo^
einem got. * aiaufi entsprechen würde, während das nomen yötf got. * jm^, stamm
iuda-, wäre. Gotisch audags u. s. w. zeigt, dafs die hierher gehörenden worte
ursprünglich d, nicht p, hatten; nach vokalen und r fiel ursprüngliches d und
urspr. ]j im in- ond auslant bekanntlich später im altnord. in d zusammen (alt-
nord. gram. § 5, 2, anm. 3; fornnord. forml. § 5, 2, anm. 1). Aber da wir in
den ioschriften mit dem längeren alpliabete noch d {\l\) und p (^) unterschieden
finden, so kommt es mir mehr als zweifelhaft vor, ob iuI)ingaB auf dieselbe
Wurzel wie Jod zurückgeführt werden kann.
-) Dagegen bin ich mit Burg (s. 35f.) darin einverstanden, dafs der name
rinPir^ niuwila, der auf einem brakt eaten vorkommt, wovon 1S70 drei
exemplare bei Næsbjærg in der nähe von \arde in Jütland gefunden wurden,
kaum ein aus urnord. eu entstandenes iu enthalten kann.
212 ZWEITES BUCH. DIE ENTWICKLUNG DER RUNENSCHRIFT IM NORDEN.
Ob nun die rune \ 4* ursprünglich das zeiclien für einen be-
stimmten laut gewesen, oder, was ich für das wahrscheinHchste halle,
s. 181. aus andern gründen in den fulhark eingesetzt ist, so kann sie im
Norden nicht als lautzeichen nachgewiesen werden, was natürlich
nicht im Widerspruch damit steht, dafs sie lange ihren alten platz im
futhark (wie auf dem brakteaten von Vadstena) behalten hat und
ohne zweifei als magisches zeichen gebraucht worden ist. Dafs sie
keine bedeutung als lautzeichen hatte, geht auch daraus hervor, dafs der
stein von Krogstad \ und ••T (jedes einmal) in der bedeutung (,
also als eine andere form der T-rune, hat^). Wenn wir daher auf
einzelnen brakteaten "t 4" linden können, und das oben (s. 77 in der
anm.) genannte amulet (?) gleichfalls am schlufs der ersten zeile \
hat, so kommt es mir am wahrscheinlichsten vor, dafs diese zeichen
eine magische bedeutung haben.
Das oben besprochene iuI)ingaR auf dem Reidstader steine zeigt
durch sein +X eine abweichung von der Schreibweise der älteren
zeit, indem es die alte m^-rune nicht durch eins der besonderen zeichen
für diese rune ausdrückt, die ja zu den am häufigsten vorkommen-
den in den Inschriften mit älteren runen gehören, sondern durch
Zusammenstellung der beiden runen +X. Wir dürfen daraus allein
natürlich nicht schliefsen, dafs das alle m^-zeichen zu der zeit dieser
Inschrift ganz aufgegeben war; aber dies wird doch wahrscheinlich,
wenn wir bedenken, dafs die ohne zvveifel gleichzeitige Inschrift auf dem
Torviker steine b (vgl. unten in der anm. 1) statt der m^-rune <X'I'
d. i. ngk (von rechts nach links) schreibt^), wo ngk also dieselbe be-
') „Navneordenes liöjuing; i ældre dausk", s. 46 (vgl. oben s, 155 in der au-
mcrkung); Bugge in der filol. tidskr. VIII, s. 169, — Die fünii der <-ruue
auf dem Krogstader steine ist so alleinstehend, dul's ich eher geneigt bin sie
einer laune des runenritzers zur last zu legen, als datin eine lokale eigen-
tüinlii-hkeit zu erblicken. Selbst in dem letzleren falle kann ich jedoch keines-
wegs mit Bugge (årh. f. nord. oldk. 1878, s. 67) darin übereinstimmen, das
^ der spange von Fonuäs für eine mittelform zwischen 'X und dem \^ des
Krogstader steiues zu erklaren; den kleinen strich, der bei der i-rune der
spange von Founäs vom ful'se des hauptstabes ausgeht, halte ich für ganz zuliillig
und nichtsbedeutend gleichwie den etwas kleineren strich bei y\, in derselben
inscluift (ähnliche strichelcheu kommen öfters aul" dem 1883 entdeckten Tor-
viker steine b (Stephens III, s. 457) vor, wo sie oUVnbar als Verzierung an-
gewandt sind).
■^) Die form < in einer Inschrift von rechts nach links dentet auch auf
eiue jüngere zeit.
II. KAP. \TRHÄLTN. ZWISCHEN D. KÜRZEREM U. LÄNGEREN RUNENREIHE. 213
deutung wie ng auf dem Reidslader steine und wie das ^ "^ der älteren
inschriften hat.
Endlich zeigt die Schreibweise K d. i. ik') auf dem Reidstader
steine statt M< (MA, MV), das sonst in den inschriften mit der
längeren runenreihe (vgl. das goldene horn, den Kragehuler lanzenschaft,
die schlänge von Lindholm, die steine von Tune, Strand und Varnum, die
felswand am Valsfjord) gebraucht wird, dafs man auf jeden fall in
einzelnen gegenden I zur bezeichnung des (kurzen) e zu verwenden
begonnen hatte, woraus jedoch natürlich nicht folgt, dafs das alte M
zu der betreffenden zeit ganz aufgegeben war.
Was uns der Reidslader stein bezügUch der e-rune M lehrt,
geht noch klarer hinsichtlich der alten o-rune 5^ aus der in-
schrift auf dem brakteaten von Tjörkö hervor, wovon hier eine
abbildung folgt:
Übereinstimmend mit Bugge lese ich die inschrift:
wurte runoR an w(a)lhakurne . . heldaR kunimudiu . . .*)
indem ich das erste T in wll für einen, wahrscheinlich durch einen
mangel im stempel hervorgerufenen, fehler für ^ halte.
In gewöhnlicher altnordischer sprachform würde diese inschrift
lauten:
orti rünar d Valkomi Hjaldr Kynmundi.
Das kurze o ist hier also durch H ausgedrückt in wurte (vgl.
worahto auf dem stein von Tune) und -kurne (vgl. horna auf dem
goldnen horn», während S^ als zeichen für das lange o in runoR be-
wahrt ist. Im gegensatz zu dem ik des Reidstader Steines drückt diese
inschrift dagegen e durch M aus (heldaR; auch in wurte halte ich e
^) Die art and weise, auf welche die beiden roneD hier zasammeDgeriickt
sind, hat gleichfalls ein seitenstück auf dem Torviker steine b in der zn-
sauiiueaschreibung von (f und | z» Id • dals dies l>i bezeichnen mufs und nicht
eine form der ^-rnne sein kann, zeigt die regelmäfsige form dieser rane später
in der inschrift.
'^) Vgl. bezüglich der trennungszeichen s. 165.
214 ZWEITES BUCH. DIE ENTWICKLUNG DER RUNENSCHRIFT IM NORDEN.
für kurz, während es mir zweifelhaft ist, oh e in kurne zu dieser zeit
verkürzt worden ist, oder noch seine ursprünghche huige hewahrt hat).
Ein anderes mit dem hrakteaten von Tjörkö gleichzeitiges hei-
spiel von dem gebrauche des Pl für ^ ö in einer endung finde ich in
der inschrift auf dem steine von Orstad. Nach persönlicher Unter-
suchung und einem abdruck der inschrift gebe ich diese folgender-
mafsen wieder:
Das übertrage ich:
hi wigaR
s a r a 1 u
. . wina .
Die lesung der beiden ersten Zeilen halte ich für vollkommen
sicher (ein paar kleine verliefungen im steine hinter der zweiten
rune der ersten zeile können nach meiner ansieht nicht als neben-
striche einer ^-rune aufgefafst werden , die auch allzu nahe an
das folgende w herankommen würde); dagegen wage ich nicht zu
entscheiden, welche beiden (kaum drei) runen vor dem sicheren
wina in der dritten zeile stehen, und welche rune darauf folgt ^). In
hiwigaR — saralu linde ich einen manns- und frauennamen (vgl.
saligastia — fino auf dem steine von ßerga), und das letztere halte
^) Der grofse abstand zwischen dem zeilenpaar, das an der spitze des Steines
angebracht ist, und der dritten zeile, die sich an dessen ful'se befindet, zeigt,
dai's keine unmittelbare Verbindung zwischen dieser zeile und den beiden
obersten besteht.
II. KAP. VERHÄLTN. ZWISCHEN D. KÜHZEREN U. LÄNGEREN RUNENREIHE. 215
ich für einen fem. ö-stamm, der einem späteren altnoid. Sqrl (oder
SgriW^) entsprechen würde ^). Während die älteren Inschriften in diesem
falle S^ haben (vgl run o auf dem steine von Einang), finden wir also
hier das jüngere H, sei es dafs dasselbe hier wie auf dem brakteaten
von Tjörkö die bedeutung ö hat, oder wirkhch eine jüngere aus-
spräche mit u bezeichnet. Dafs 5^ dagegen als zeichen für ö noch
lange nach der zeit auftritt, in welche der brakteat von Tjörkö und
der stein von Orstad zu setzen sind, davon werden wir unten ein
beispiel sehen.
Die Schlüsse, die sich aus den hier behandelten, sämtlich um
das jähr 600 (625) zu setzenden denkmälern (dem stein von Reid-
stad, dem stein von Torvik b, dem stein von Orstad, dem brakteaten
von Tjörkö) bezügUch der zeichen ziehen lassen, die sich nicht in
der kürzeren runenreihe wiederfinden, sind also folgende: Bereits
lange vor der zeit, der diese denkmäler angehören, ist ohne zweifei
die rune 'X' als lautzeichen aufgegeben, wenn sie jemals als solches
in gebrauch gewesen ist. Gleichfalls ist das besondere zeichen für p
aufgegeben ; es wird durch das zeichen für b mitvertreten. Die
steine von Reidstad und Torvik zeigen uns weiter, dafs die alte
ing-rüne durch Zusammenstellung der zeichen für n und #, oder für
«, g und k ausgedrückt werden konnte, und das besondere zeichen
für diese rune darf somit gewifs als aufgegeben betrachtet werden.
Dafs ferner e durch die l-rune und o durch die H-rune ausgedrückt
werden konnte, geht aus dem steine von Reidstad, dem brakteaten
von Tjörkö und dem Orstader steine hervor. Dies bereitet die
1) Aalälslich einer äufserung meines freundes V. Thomsen in seiner dis-
putation über ,,den gotiske sprogklasses indflydelse på den finske" (s. 94 anui. 1)
hatte ich gelegenheit, 1869 diese erklärung uiiindlich aufzustellen. Später hat
auch Bugge saralu gelesen und es als frauennauien aufgefafst; aber er glaubte,
dafs es ein an-stimm und n ungenaue bezeichnung für o sei (årb. for nord.
oldk. 1S71, s 209). Im gegensatze dazu mul's ich als das wahrscheinlichste
festhalten, dafs wir einen ö-stumm haben, und als eine möglichkeit, dal's \) sogar
die wirkliche ausspräche bezeichnet (vgl. „Navneordenes böju. i. ældre dansk",
s. 68 anui.). Wenn Bugge in der „Aarsberetning fra Foreningen til norske
Fortidsmindesmerkers Bevaring for 1874" (Krist. 1875), s. 177 seine frühere
deutung aufgegeben und die ansieht ausgesprochen hat, dafs saralu kein wort,
sondern eine unerklärbare magische formel sei, so kann ich dieser auGTassung
nicht beitreten, obgleich ich, so lange icli nicht das ganze deukmal deuten kann,
mich mit Burg einverstanden erklären inul's, wenn er sie folgendermafsen
charakterisiert: „diese auffassung ist selbstverständlich unwiderlegbar, leider aber
auch nicht zu beweisen" (s. 117).
216 ZWEITES nUCH. DIE ENTWICKLUNG DEIl RUNENSCHRIFT IM NORDEN.
vollständige aufgäbe von M und 5^, d.h. deren durch-
gängige ersetzung durch I und H, vor. Wenn hierzu noch
kommt, dafs auch von der alten j'-rune angenommen werden mufs, dafs
sie vor der zeit dieser denkmäler ihren namen in ära verändert habe, so
dafs j nicht länger ein eigenes zeichen hatte, sondern durch die iss-
rune I ausgedrückt wurde, wie wir auf dem Varnumer steine jah (= got.
jah 'und') iah geschrieben finden — , so glaube ich, dafs die
augenblicklich vorliegenden thatsachen in hohem grade die richligkeit
des resultates bestätigen, das ich bereits 1874 feststellen zu können
vermeinte, nämlich, dafs der standpunkt in der entwicklung
der run ensch rift, der durch den Reidstader stein und
die übrigen gleichzeitigen denkmäler bezeichnet wird,
nur 20 von den zeichen benutzt hat, die sich in dem ur-
sprünglichen runenalphabe te befanden, und aufserdem
den Übergang zu der aufgebung zweier andern gebildet
hat, da \ sowie die f- und wahrscheinlich die m^'-rune als gänz-
lich aufgegeben angesehen werden können, wogegen die alle j'-rune
mit der bedeutung a nur vorläufig als überflüssig betrachtet
wurde, so lange ^ noch das gewöhnHche zeichen für a war; etwas
später änderte sich dieses Verhältnis, indem gerade die är(a)-rune
aufs neue, als zeichen für das gewöhnliche a, in gebnuicli kam,
während ^ eine modificierte bedeutung erhielt, wie wir oben nach-
gewiesen haben. Die runen M und S(. waren noch gebräuchlich,
konnten jedoch, auf jeden fall als zeichen für e und ö, durch I und [\
ersetzt werden. In der alten reihenfolge geordnet sind die zu dieser
zeit gebrauchten lautzeichen also gewesen:
rn l>F5R<YXf> : HH ++1 [Ho]--Y>k A = t^MiMr-5^iM
1 1 ni
übrig sind somit noch 5 zeichen von denjenigen der längeren
s. 182. reihe, die sich nicht in der kürzeren finden, nämlich M e, ^ o, X^,
M (f , V w. Aus mangel an denkmälern können wir leider nicht mit
Sicherheit nachweisen, wie früh jedes einzelne von diesen zeichen
aufgegeben worden ist. Dagegen können wir engere zeitgrenzen
festsetzen, innerhalb deren es geschehen sein mufs, und wir können
zugleich nachweisen, dafs die aufgäbe nicht plötzlich geschehen ist,
sondern erst nachdem längere zeit schwanken zwischen der älteren
und jüngeren bezeichnungsweise geherrscht hatte. Auf zweien der
blekingschen steine, welche die schrift und zum teil die spräche
einer älteren zeit nachgeahmt haben (den steinen von Björketorp und
II. KAP, VERHÄLTN. ZWISCHEN D. KÜRZEREN U. LÄNGEREN RUNENREIHE. 217
Stentofte), kommen sie noch alle fünf wie auf den soeben be-
handelten denknifdern von Reidslad, Orslad, Torvik und Tjörkö vor, und
derselbe standpunkt darf mit Sicherheit bezüglich des Steines von Istaby
angenommen werden, obgleich dieser zufällig nur M und P hat. Der
unterschied zwischen diesen blekingschen steinen und den etwas
älteren denkmälern von Reidstad u. s. w. liegt also in paläo-
graphischer beziehung darin, dafs die letzteren für die a-rune nur
das ältere zeichen ^ kennen, während die ersteren regelmäfsig die
är-riine gebrauchen (der stein von Istaby in der ältesten form H,
die andern in der form >(<); dagegen kommt ^ auf dem Björketorper
steine gar nicht vor, auf dem steine von Stentofte nur ein einziges
mal in derselben bedeutung wie >|c, aber auf dem steine von Istaby
durchgehends neben H, jedoch mit einer verschiedenen bedeutung, in-
dem H das reine a ausdrückt, ^ dagegen einen schwa-laut (svara-
bhaktisches a). Dieser jüngere standpunkt in der schrift stimmt auch
mit den sprachformen (aufgeben des stammauslautenden a im nom. sgl.
der masc. a-stämme, im acc. sgl. der schwa-laut auf dem steine
von Istaby, acc. plur. fem. runaR an derselben stelle für älteres
runoR) überein. Mit rücksicht auf den Reidstader stein u. s. w., den
ich in den anfang des 7. jhdts setze, glaube ich daher mit gutem grunde
die schrift und die spräche, welche auf den blekingschen steinen
nachgeahmt wird, wo wir zum letzten male noch alle die fünf alten
nmen M^XMP in vollem gebrauch finden, in die mitte des 7. jhdts
setzen zu können. Auf den ältesten dänischen steinen mit der kürzeren
reihe (anfang des 9. jhdts) sind diese 5 zeichen dagegen ganz auf-
gegeben und durch inKTh ersetzt; diese Veränderung ist also
zwischen etwa 650 und etwa 800 (825) eingetreten. Mit hülfe
der wenigen denkmäler, die in den Zeitraum zwischen den blekingschen
steinen und den ältesten dänischen gesetzt werden müssen, können
wir jedoch der lösung der frage noch näher kommen, und es wird
sich herausstellen, dafs die genannten -5 zeichen zu verschiedener
zeit aufgegeben sind. Dies werden wir im folgenden näher nachweisen,
indem wir dazu übergehen, die sprachgeschichllichen gründe zu unter-
suchen, die veranlafst haben können, dafs die älteren zeichen allmählich
verschwanden.
Schon auf dem Reidstader steine sahen wir, dafs I für M in dem
Worte ék gebraucht war. Dafs dieser gebrauch jedoch noch weit
davon entfernt war, durchgeführt zu sein, zeigt der Torviker stein
b und der brakteat von Tjörkö, die regelmäfsig das alte M so-
218 ZWEITES BUCH. DIE ENTWICKLUNG DER HUISENSCHIUFT IM INORKEN.
wohl für iirsprüngliclies é wie für filleres e verwenden. Dies letzlere
kommt ja in den ältesten nordischen Inschriften in verschiedenen
flexionsendungen vor, wo es hekanntlich später verkürzt wurde, und
ich halte es für höchst wahrscheinlich, dafs e eine ausspräche ange-
nommen hat, die dem i nahe lag, und dafs man daher natürlich da-
zu geführt wurde, diesen laut durch I anstatt des älteren M auszu-
drücken, wie es bei dem ik des Reidstader steiiißs der fall war^).
Hierdurch war für den späteren gebrauch der weg gebahnt, wo I
überall M verdrängte.
s. 183. Es war indessen auch ein anderer umstand, der notwendig dazu
führen mufste, dafs M allmählich als zeichen für e aufgegeben wurde,
nämlich die Veränderungen, welche im laufe der zeit mit dem runen-
namen vorgingen. Der altenglische name für diese rune ist eh (eoh)
„pferd", ein aus den andern sprachen unserer sprachfamiüe bekanntes
wort: got. *aihws'in aihwaiundi, alls. ehu in ehuscalc. Der ursprüngliche
gemeingerman. stamm ist ehwa-, der ganz mit lat. equKs (gr. innoq,
älter Xxüoc., skr. ä^vas u. s. w.) übereinstimmt. In der spracliform
der ältesten nordischen inschriflen niufs dieses wort notwendig MHP^Y
ehwaR gelautet haben, das später zu dem in altnordischen gedichteu
vorkommenden jör wurde (ursprünglich a-stamm, später mit einzelnen
spuren von Übergang zu den e-stämmen; altnord. gram. §38, anm. 1).
Wann e in dem ursprünglichen ehwaR sich so verändert hat, dafs
das runenzeichen nicht länger in der bedeulung e benutzt werden
konnte, wage ich jedoch nicht zu entscheiden, aber ich halte es für
höchst wahrscheinlich , dafs urnordisch ehwaR schon zur zeit des
Reidstader Steines eine form angenommen hat, in der é verdunkelt
wurde, so dafs es nahe liegen mufste, I zur bezeichnung für diesen
laut anzuwenden. Lange bevor dies geschah, war I ja auch das
zeichen für j geworden, da der runenname jära die form ära ange-
nommen hatte.
Ein gleicher grund, Veränderung des runennamens, läfst sich
nicht dafür nachweisen, dafs S^ als zeichen für o aufgegeben werden
mufste; aber wir treffen doch auch hier Verhältnisse, die eine leichte
1) Dagegen kanu ich mich nicht Bugges lesung mwstuiioi auf dem Krogsfader
steine und seiner auffassung dieser form als dat. sgl. mit | für M anschlieiseu.
Von der letzten rune ist nur die spitze sichtbar und dahinter eine gröfsere ab-
schälung, die nach meiner meiuung sowohl diese rune wie die darauf folgende
vernichtet hat; ich nehme an, dafs die Inschrift auf dieser seite des steiues
ursprünglich rawstuiioan gelautet hat.
II. KAP. VERHÄLTN. ZWISCHEN D. KÜRZEREN U. LÄNGEREN RLNENREIHE. 219
und natürliclie erkläiiing davon geben, dafs H allmählich an die stelle
von S( trat, das ja in den ältesten inschritten das einzige sowohl für
ö wie für ö gebrauchte zeichen ist. Während der entwicklung der
spräche nahm ö indessen in vielen fallen eine ausspräche an, die sich
dem u näherte oder geradezu damit zusammenfiel; dies gilt sowohl
von den flexionsendungen wie von der Wurzelsilbe: urnord. -o im
noni. und acc. der fem. ö-stämme (run o auf dem steine von Einang)
wurde später -n, das umlaut bewirkte und dann abfiel (vgl. urnord.
*^f6o = altnord. gjgf); ein beispiel von -m für älteres -o in den in-
schriflen mit den runen der längeren reihe habe ich oben in dem
sar all! des Orstader Steines zu finden geglaubt. Auch in der Wurzel-
silbe konnte w an die stelle eines älteren o treten: altnord. ulfr (isl.
ülfr) setzt ein älteres *wolfaR voraus^), das wir auch auf dem steine
von Stentofte finden (wolafR), wogegen der stein von Istaby wulAfR
hat; obgleich dies letztere anscheinend ein jüngeres sprachstadium
bezeichnet, so sind wir doch nicht berechtigt, aus der Schreibweise
mit n auf dem steine von Istaby zu schliefsen, dafs der laut wirk-
lich « gewesen ist, da H auch das zeichen für das ältere o sein
kann '). Das schwanken, das somit, zum teil infolge der Veränderung
der spräche, allmählich im gebrauche von 5^ und n eintrat, endete
zuletzt ganz natürlich damit, dafs man das beschwerlichere zeichen S(
aufgab und überall n gebrauchte, wozu die analogie von I und M
natürlich auch beigetragen haben kann; aber in beiden fällen gab es
eine längere Übergangsperiode, wo beide zeichen noch durcheinander
gebraucht werden konnten, und wo man, wie es scheint, zuerst I und
n als zeichen für é und ö einführte, aber M und St in der bedeutung
é und ö behielt (vgl. den stein von Reidstad und den brakteaten von
Tjörkö).
Wir gehen nunmehr zu den beiden runen X und M über, die s. 184.
in demselben Zeitraum wie M und S(,' und ohne zweifei eher als diese,
aufgegeben sind, wogegen P sich länger hielt.
') Vgl. Noreen, altisl. gramm. § 172.
*) Umgekehrt gebraucht der stein von Stentofte f^ uioht blofs in wolafn,
sondern auch in ronoR, entsprechend dem ruiiaR des Steines von Björketorp
und Istaby. Da die älteste nordische form rüiioR , später rünaR war, nnd
dieses wort niemals ein o in der wurzel gehabt hat, so ist die Schreibweise
roDOB offenbar durch einen nnglScklichen versuch, eine ältere Schreibweise
nachzuahmen, bervorgerufeu; die beobachtung, dafs ^ früher in vielen fallen
gebraucht wurde, wo man später [\ schrieb (so in wolafn), wurde unrichtig
auf die form runoR übertragen.
220 ZWEITES BUCH. DIE ENTWICKLUNG DER RUNENSCHIUFT IM NORDEN.
So lange man von der Voraussetzung ausging, dafs X und M in
dem ursprünglichen runenalpliabete zeichen für muten, g und d, wären,
mufste es als eine etwas unerklärliche thatsache dastehen, dafs man
später die zeichen für diese laute aufgab und sie durch die zeichen
für k und t [Y und T) ersetzte; denn selbst wenn aus andern älteren
alphabeten entsprechende Vorgänge nachgewiesen werden können
(vgl. oben s. 187 f.), so enthält dies doch keine völlig befriedigende
erklärung der gründe, dafs gerade diese zeichen in der runenschrift
aufgegeben wurden. Wenn man nämlich zu der zeit, da diese zeichen
aufgegeben wurden , mit absieht die runenschrift durch ausstofsung
einiger der älteren zeichen hätte vereinfachen wollen, so hätte es
unleugbar, vom standpunkt der gegenwart aus, weit näher gelegen,
z. b. mit der einen von den beiden a-runen, oder mit der einen von
den beiden r-runen, oder mit der alten ip-rune zu beginnen, die that-
sächlich doch erst lange nach X und M aufgegeben wurden. Ganz anders
stellt sich die sache dagegen, wenn X und M im ursprünglichen
runenalphabete nicht zeichen für mutæ, sondern, wie oben nachge-
wiesen, für die spiranten g_ und <f waren. Wir erhalten dann eine
einfache und natürliche erklärung des Verhältnisses zwischen dem
älteren und jüngeren futhark auch in diesem punkte, und die er-
klärung bleibt dieselbe, die wir auch in andern fällen gefunden haben,
nämlich die durch die Veränderung der spräche hervorge-
rufenen Veränderungen in den runennamen. In der ältesten
{urnordischen) spräche hatten die runen X und M die namen g,eio und
dagüR. Später gingen die spiranten im anlaut in stimmhafte mutæ
über, wie in altn. gjqf, dagr , während sie im in- und auslaut be-
wahrt wurden. Wo die spräche früher nur zwei laute hatte — wenn
wir uns vorläufig an die guttural- und dentalreihe halten — , erhielt
sie jetzt also vier, und die zeichen des älteren alphabetes waren folglich
zu einer genauen iautbezeichnung unzureichend. Man hätte nun den
ausweg wählen können, die neuen mutæ auch als zeichen für die
spiranten zu behalten, wie dies ja im jetzigen dänischen der fall ist
{dag, god). Aber der unterschied zwischen den beiden lauten mufs so
stark gefühlt worden sein, dafs man zum mindesten in der dentalreihe
es für notwendig gehalten hat, sie durch zwei verschiedene laute aus-
zudrücken, wie dies auch später im Norden der fall war, wenn is-
ländisch und altnorwegisch d und # (p), altschwedisch und altdänisch
d und th (p, dh) unterschieden. Als zeichen für den spiranten d
lag es natürlich viel näher p åls d zu gebrauchen, und diese be-
II. KAP. VERHÄLTX. ZWISCHEN D. KÜRZEREN U. LANGEREN RÜNENREIHE. 221
Zeichnung wurde daher in die runenschrift eingeführt, wo sie sich
bis in die spätesten zeiteu hielt, da selbst die punktierten runen nur
ganz ausnahmsweise einen unterschied zwischen t> (== p) und ^ (== d)
machen.
Dagegen hätte man natürlich die alte äägaR -rune nach dem über-
gange ihres namens in dagfi als zeichen für den rf-laut behalten können,
und es ist wohl auch sowohl möglich wie wahrscheinhch, dafs dies
Verhältnis zu irgend einer zeit bestanden hat; aber man hat es auf
jeden fall bald aufgegeben, da die laute t und d einander so nahe
lagen, dafs sie ebenso gut durch ein zeichen ausgedrückt werden
konnten, wie p und (f. Man hatte hierfür die wähl zwischen T und
M, und es war dann natürlich, dafs man das letztere beschwerlichere
zeichen aufgab und das erstere wählte.
Auf etwas andere weise mufste man sich in der guttural- und
labialreihe helfen. In der ersteren wurde die muta g durch die
t-rune ausgedrückt, wie d in der denlalreihe durch t; aber als
zeichen für (j[ im in- und auslaut wählte man nicht h, was dem Ver-
hältnis in der dentalreibe am nächsten entsprochen haben würde, und
was das jüngste runenalphabet (die punktierten runen) auch wirkhch
durchgeführt hat, sondern man liefs hier die /r-rune auch für die
spirans gellen, nachdem das alte X, wie es scheint, eine zeit lang
als zeichen sowohl für g wie für g gebraucht worden war.
In der labialreihe endhch war, wie oben (s. 209 f.) nachge-
wiesen, das zeichen für 6 sehr früh auch in der bedeutung p ge-
braucht worden. Hier hatte man also kein anderes mittel als das, die
alte ß-rune zur bezeichnung sowohl für 6 wie für p beizubehalten.
Um die spirans im in- und auslaut auszudrücken, wählte man da-
gegen anstatt des alten B (vgl. ubaR und harabanaR auf dem
steine von Varnum) die /"-rune, was mit dem Verhältnis in der denlal-
reihe übereinstimmt. Dies wurde jedoch gewifs ziemlich spät durcli-
gelührt; denn bis in junge zeiten — ohne zweifei noch in den älteren
inschriften mit der kürzeren runenreihe (um 900) — scheint mau
genau zwischen ursprünglichem Ö und ursprgl. / durch B und T
unterschieden zu haben; und selbst nachdem beide laute zusammen-
gefallen, und r das regelmäfsige zeichen in beiden fällen geworden
war, finden wir noch in gewissen gegenden eine erinnerung an die
ältere Schreibweise, indem jüngere inschriften sporadisch B für T,
nicht blofs ursprüngüchem d sondern auch ursprgl. f entsprechend, ge-
brauchen.
222 ZWEITES BUCH. DIE ENTWICKLUNG DER RUNENSCHIWFT IM NOUÜEN.
So denke ich mir also, in den hauplzügen, dafs die entwick-
lung in laul und zeichen von dem alleren zu dem jüngeren runen-
alphabete bezüglich der spiranten und niutæ vor sich gegangen sein
mufs, und wir sind somit von den lauten und den zeichen, die ich
s. 191 taf. I dargestellt habe, zu denjenigen gelangt, welche sich s. 192
auf taf. II finden.
Leider ist es nicht möglich, auf den denkmälern selbst die ent-
wicklung im einzelnen zu verfolgen, da uns nur eine so geringe an-
zahl denkmäler aus der zeit bewahrt ist, in der diese Verände-
rungen vor sich gegangen sind, und die einzelnen, die aus andern
gründen in diese periode gesetzt werden können, wegen der sehr
kurz gefafsten Inschriften über die hier behandelten fragen keinen
aufschlufs geben. Was die zur zeit bekannten inschriften aufklären,
ist folgendes:
Auf dem steine von Strand (s. oben s. 149 f.) wird hadulaikau
(alln. ^Hgdleikr, ahd. Hadaleih) geschrieben, wogegen drei Blekinger
steine haj)u- gebrauchen (ha|)uwulAfR Istaby, haJjuwolafR Sten-
tofte, ha{)uwolafa acc. Gommor; siehe „de ældste nordiske rune-
indskrifter" s. 53 t., „Navneordenes böjning i ældre dansk" s. 46),
das nach ahd, hadu- (hada-), altengl. headu-, head'o- als die allere,
ursprüngliche form angenommen werden mufs. Wenn der stein von
Strand also M stall 1^ gebraucht, so sehe ich hierin eine begonnene
Vermischung der beiden in den ältesten inschriften genau unter-
schiedenen zeichen ^ und M und wohl auch der laute, die sie ur-
sprünglich bezeichneten. Im späteren nordischen fielen ja beide laute
(p und #) zusammen und wurden, wie oben bemerkt, durch 1^ aus-
gedrückt. Diese erklärung des hadu- auf dem steine von Strand,
die ich bei Burg s. 156 vorgebracht habe, halle ich auch jetzt für
wahrscheinlicher, als die von Bugge in den årb. f. nord. oldk. 1884,
s. 86 f.
Einen befriedigenden grund dafür, dafs die alte mg^-rune v auf
dem Reidstader steine durch Zusammenstellung der beiden runen +X
n§ und auf dem Torviker steine b sogar der drei runen <X'I' ngk
ausgedrückt wird, finde ich in der annähme, dafs der name der rune X
zu der zeit dieser inschriften nicht mehr mit der spirans, sondern
mit der muta begann. Ich denke mir, dafs X noch zur zeit dieser
inschriften zeichen sowohl für die spirans wie für die muta war;
aber welchen ausweg man später wählen würde, scheint mir in der
inschrift des Torviker Steines angedeutet, wo X {g) mit < {k) zur
II. KAP. VERHÄLTN. ZWISCHEN D. KÜRZEREN U. LÄNGEREN RÜNENREIHE. 223
bezeichnung der mula zusammengestellt ist. oder wo X+ ng vielleicht
eher zeichen für fd und < für die folgende muta ist. Dieser brauch
wurde ja gerade später in den Inschriften mit der kürzeren reihe
durchgeführt, wo die Ä-rune (Y) das regelmäfsige zeichen auch für
Tdg {W = it9g) wurde.
In den hier genannten Schreibweisen auf den steinen von Strand,
Reidstad und Torvik finde ich also erinnerungen an die Übergangszeit,
da durch Veränderung der spräche und damit zugleich der runennamen
Verwirrung im gebrauch der alten zeichen eingetreten war.
In der dentalreihe war M ursprünglich als zeichen für die
spirans <f gebildet, wie X und ^ in der guttural- und labialreihe g.
und t bezeichneten. Neben den spiranten hatte die gemeingerm.
spräche jedoch ohne zweifei in einem einzigen falle, nämlich wenn
ein nasal unmittelbar vorherging, die mutæ g, d, b. wie ich oben (s. 192)
hervorgehoben habe. Die ältesten runeninschriften /eigen uns, dafs
g in dieser Verbindung gar nicht in der schritt ausgedrückt worden
ist, indem die m^-rune nicht blofs als zeichen für «?, sondern auch
für fag gebraucht wurde (beispiele für fdk bieten diese inschriften
nicht, aber dafs hier V< geschrieben worden wäre, kann kaum einem
zweifei unterliegen). Dagegen stellt sich die sache schwieriger be-
züglich d und b in den Verbindungen nd und mb. Analog der
Schreibung ^^ = tag könnten wir auch in der guttural- und labial-
reihe + + (h) und M (m) als zeichen für den nasal in Verbindung mit
der folgenden muta (nd, mb) gebraucht erwarten , also gerade ent-
gegengesetzt dem verfahren der inschriften mit der kürzeren reihe,
wo K, T, ^ sowohl zeichen für die einzelnen mutæ, wie für diese in
Verbindung mit dem vorhergehenden nasal sind. Dafs + in den
ältesten inschriften wirklich zeichen für nd wie V für tag gewesen
ist, könnte durch die Schreibung unnam auf dem Reidslader steine
bestätigt werden, worin Bugge gewifs mit recht und-nam gefunden
hat; aber wenn er aus der Schreibung iin- schliefst, dafs d auch
wirklich in der ausspräche weggelassen gewesen ist, so kann ich ihm
nicht beipflichten. Dagegen würde un- in der bedeutung und- ja
gerade die korrekte Schreibweise sein, wenn 7id in den ältesten in-
schriften in anologie zu fdg ausgedrückt worden wäre. Der stein von
Reidstad allein gibt jedoch keinen genügenden beweis dafür, dafs dies der
fall gewesen, da ja auch die möglichkeiten vorhanden sind, dafs die
runenschrift anfangs nd durch das zeichen für die spirans (M), oder
wie in der kürzeren runenreihe durch T ausgedrückt haben könnte, in
224 ZWEITES BUCH. DIE ENTWICKLUNG DEIl RUNENSCHRIFT IM NORDEN.
beiden fällen mit oder ohne vorhergehendes + n (das wort landa
könnte inun sich also entweder 1*^+^ — was zudem un-nani des
Reidstader Steines stimmen würde — oder ^^+MF^, TF^M^ oder TF^+tF^,
Tf^tF^ — entsprechend dem rf:(+)t, r+(-+)t der jüngeren inschriften
— geschrieben denken). Dafs wirklich das ursprüngliche spiranten-
zeichen M, sogar mit auslassung des Zeichens für den nasal, zur be-
zeichnung von nasal und mula (nd) gebraucht worden ist, geht sicher
aus dem kunimudiu des brakteaten von Tjörkö hervor, das natür-
lich kwiimundiu, dat. Sgl. von kimimunduR, zu lesen ist, und die-
selbe Schreibweise würden wir in lada auf dem Torviker steine a
haben, wenn meine deutung dieser inschrift (s. 166 f.) richtig ist. In
diesen beiden inschriften, von denen die des brakteaten von Tjörkö
zu den jüngeren unter den inschriften der längeren reihe gehört, und
die des Torviker Steines kaum für viel älter angesehen werden kann,
könnte der gebrauch von M = nd jedoch dadurch hervorgerufen
sein, dafs sich M zur zeit dieser inschriften im anlaut zur muta ent-
wickelt hatte {Sagaii war dagan geworden); denn dafs die echte
spirans nicht blofs als zeichen für die muta, sondern selbst für diese
in Verbindung mit dem nasal gebraucht wurde, müfste auf jeden fall
eine eigentümliche bezeichnungsweise genannt werden. Da wir von
den ältesten inschriften keine beispiele für die Verbindung nd haben,
läfst sich indessen nichts sicheres in bezug auf diesen punkt fest-
stellen. Nach dem was vorliegt, kommt es mir am wahrscheinlichsten
vor, dafs man in der ältesten zeit "f = nd gebraucht hat, und dafs
eine erinnerung hieran noch auf dem Reidstader steine bewahrt ist,
dafs man aber später, nachdem M muta geworden war, dieses auch in
der bedeutung nd, wie auf (dem steine von Torvik und) dem brakteaten
von Tjörkö, gebraucht haben kann. — Für die gemeingerm. Verbindung
ücf, die im Norden wie im germanischen überhaupt früh, gewifs noch
vor dem Übergang von d zu d im anlaut, Id wurde, gebrauchen die
inschriften regelmäfsig TM (hagustaldaR Valsfjord = hagustadaR
Strand^), heldaR Tjörkö; vgl. das j) urujihild der Fried berger spange
und I^M auf dem kreuze von Ruth well in MM F^^PMM he vvalde
'he would' u. s. w.).
^) Die Schreibweise hagustadan = -s/aWaii {Xaxim -staldaR) neben -stål-
et an (\gl. in den jüngeren inschriften haratr = Uaraldr auf dem steine von
Søndervissiug neben haraltr auf dem Jæliinger steine) stimmt ja genau zum
kunimuduR = -rnunduR des brakteaten vou Tjörkö (vgl, das spätere 't" = «rf
neben +1^); aber die Schreibung M, T für |^M, \"X i^' so alleinstehend, dafs
sie sicü nur als durch ungeuauigkeit hervorgerui'eu betrachte.
Tl. KAP. VERHÄLT.N. Z\VISCHE>- D. KÜRZEREN L'. LÄNGERE.N RL>E>REIHE. 225
In der Verbindung Id, vielleicht auch in der Verbindung nd,
scheint M also als zeichen für die mula gebraucht zu sein, noch bevor
sie im anlaut in die niuta überging. Als dies geschali. ist M ohne
z^veifel eine zeit lang sowohl für (/ wie für d zeichen geweseu : aber
der unterschied zwischen beiden lauten mufs bald so stark ge-
fühlt worden sein, dafs man ein neues mittel suchte sie zu unter-
scheiden. Dies erreichte man, indem man T i/i als zeichen iür die
mula (/ und l> [p) als zeichen für die spirans d wählte, so dafs das
alte M also überflüssig wurde, wie ich oben entwickelt habe.
Dafs diese darstellung mehr ist als eine theorie, und dafs das
alte M als zeichen für '/ frühzeitig von T abgelöst wurde, geht zm-
evidenz aus einem interessanten norwegischen deukmal aus der Über-
gangszeit, nämlich dem im sommer 1S74 von J. Undset entdeckten
steine von Vatn, hervor. Nach einer mir zugesandten Photographie
hatte ich bereits 1S74 in den nachtragen zu meiner abhandlung über
die runenschrift die vermutung ausgesprochen, dafs die Inschrift das
wort RH5^5l<r"t/k rhoaltR d. i. Hröaldn enthielte, und die richtigkeit
dieser vermutung wurde kurze zeit nacii dem erscheinen meiner ab-
handlung auf das erfreulichste durch die vortretTlichen abdrücke und
übrigen genauen aufklärungen über die Inschrift, die icli vom adjunk-
ten K. Rygh in Drontheim und herrn Undset erhielt, sowie durch
die mitteilungen des letzteren in ..Det kgl. norske Videnskabers
Selskabs Skrifter", Throndhjem 1S75, s. 24 11". (= Separatabdruck
s. S ff.) bestätigt. Wegen ihrer Wichtigkeit gebe ich die Inschrift
umstehend nach dem mir seiner zeit zugesandten material wieder.
Die art und weise, wie das Hröaldn der Inschrift ausgedrückt
ist, ist in vielen punkten interessant: während der stein von
Vatn nämlich RH^jjcTTÅ schreibt, drückt einer der allerältesten
unter den dänischen runensteinen, der Snoldelevt-r stein, der unten
im 'Anhang" VI wiedergegeben wird, den genitiv desselben namens
durch RnH+rtH aus. Statt des alten M. das in den Inschriften
mit der längeren reihe, wie oben nachgewiesen ist. ja auch in der
Verbindung Id gebraucht wird, hat die Inschrift von Vatn also in
Übereinstimmung mit den Inschriften der kürzeren reihe T. Wir
können nicht im zweifei darüber sein, dafs T hier das zeichen für
die mula d ist, und es darf wohl als berechtigt gelten, hieraus den
schlufs zu ziehn , dafs derjenige , der die Inschrift des Steines von
Vatn ritzte, auch im anlaut T in der bedeutung d und im in- und
auslaut ^ in der bedeutung d gebrauclit hätte, dafs also das alte
WIJIMER, Die runenschrift. 15
226 ZWRITES BUCH. OFE ENTWICKLUNG DER RUNENSCHRIFT IM NORDEN.
zeichen M damals aufgegeben war. Aber die inschrift von Vatn
zeigt uns zugleich, dafs das alte S(, auC jeden fall als zeichen für
das lange o, noch nicht von H verdrängt war, wie auf dem stein von
Snoldelev. Dafs wir auf dem stein von Vatn aucli )|C als zeichen für
Der stein vou Vato.
a finden, ist nur, was wir erwarten mufslen (dafs der Snoldelever
stein in dem entsprechenden worle + gebraucht, ist zuffdlig, da er
in andern worten >jc hat). Dafs die entwickhing der runenschrift auf
li. KAP. VEr.HÄLT.N. ZWISCHEN H. KÜRZEREN L. LÄNGEREN KU.NE.N'REIHE. 227
eine merkwürdige weise im allgemeinen über den ganzen Norden
hin den gleichen schritt eingehalten hat — eine ansieht, die mir
immer fest gestanden hat, und wovon ich daher auch in meiner ganzen
abhandlung sowohl in ihrer filieren dänischen wie in ihrer jetzigen
gestall ausgegangen bin — , wird aufs klarste durch die inschrift von
Valn besläligl, selbst wenn die entwicklung, was sich ja von selbst
versieht, und was ich auch ausdrücklich hervorgehoben habe (s. 207 f.),
in einigen gegenden bezüglich dieses oder jenes punkles schneller ge-
gangen als in andern.
Mehr inschriften aus derselben zeit, als der stein von Vatn, der
nach meiner ansieht ums jähr 700 (725) gesetzt werden mufs, und
aus der zunächst vorhergehenden zeit werden uns natürlich helfen,
mit noch gi'öfserer schärfe die hier behandelten fragen nach der zeit
des aufgebens der allen runenzeichen M, 5^ und X, M zu beantworten.
Aber bereits das jetzt vorliegende material ist ausreichend, um die
allmähliche entwicklung auch auf diesen punkten und dadurch den
Übergang zu dem gebrauche der späteren zeit zu zeigen. ISach dem
oben entwickelten zweifle ich nicht daran, dafs X wenigstens ebenso
früh wie M aufgegeben und von «) Y (auf dem stein von Vatn
vielleicht bereits in der form Y) verdrängt ist, andrerseits halle ich
es für höchst wahrscheinlich, dafs St als zeichen für ö sich etwas
länger in gebrauch gehalten hat als M. Verglichen mit dem futbark
auf dem Reidstader steine u. s. w. (s. 216), würde derjenige des
Steines von Vatn also folgende form haben:
rnt>|iKY(K)-P:HH + l)|Cfl-->kAH):t^-Mr-5^i -
n/
Dafs von den für die längere reihe eigentümlichen zeichen nicht
nur St, sondern auch ^ sich noch in diesem futbark fand, kann
nämlich durchaus keinem zweifei unterworfen sein, seit es sich
mit Sicherheit nachweisen läfst, da£s von allen älteren zeichen, die
im kürzeren alphabete aufgegeben sind, die w-rune P sich am längsten
gehalten hat. Diese für die entwicklung der runenschrift wichtige
thalsache geht daraus hervor, dafs wir in ein paar inschriften, die
sich sonst in zeichen und sprachforraen eng an die ältesten denk-
mäler mit der küraeren reihe anschliefsen (stein von Helnæs u. s. w.),
noch P als zeichen für lo finden, nämlich auf dem Sölvesborger
steine aus Bleking und dem Räfsaler steine aus Bohuslän. Der
erste von diesen steinen hat nach der Zeichnung bei Stepheus (I, s.l93)
15*
228 ZWEITES BUCH. DIE ENTWICKLUNG DEK RUNENSCHRIFT IM NORDEN.
die im ganzen zu der älteren Zeichnung bei Worsaae (Bleliingske
Mindesmærker fra Hedenold, Kbli. 1846, tal". XIII, tig. 2) stimmt,
foluende inschrifl :
s. 185. Stephens, der behauptete, dafs die inschrift vollständig erhalten
sei, las :
ÆSMUTS RIUSII.
RUTI W[rai]TI.
das er übersetzt:
Æsmut's hnise [barrow, stone-mound).
Ruti wrote (carved these runes).
Da ich natürlich eine solche sprachform nicht anerkennen konnte,
so vermutete ich („Navneordenes böjn. i ældre dansk", s. 74 anm. 2),
dafs auf dem steine gestanden habe:
,\^-_j,.
so dafs die ganze inschrift, von welcher also nur ein teil erhalten
wäre, ungefähr gelautet haben müfste:
ruti rai[t (oder raist) runaR aft(iR)]
qsmut sunu sin.
Bugge, der meine deutung in der filol. tidskr. VII, s. 349ff. aufnahm,
schlofs sich im ganzen derselben an, fand es aber doch bedenk-
lich, die inschrift als ein bruchstück anzusehen und vermutete,
gestützt auf die Zeichnung bei Stephens, dafs anstatt meines RjjclT
rait möglicherweise P)|(R)j<IT warait gestanden haben könnte^).
Eine Untersuchung des Steines, die Bugge später anzustellen gelegen-
heit hatte, und deren ergebnisse er in der filol. tidskr. VIII, s. 201 ff.
mitgeteilt hat, bestätigte sowohl meine vermutung, dafs die inschrift
') Rleiae berichtigung zu R)k|(T) stützte sich nicht blofs darauf, dafs die
dritte ruue sowohl bei Stephens wie bei Worsaae ein deutliches | war, son-
deru auch uud nauieutlich auf die form der ersten ruiie bei Worsaae.
II. KAP. VERHÄLTN. ZWISCHEN D. KÜRZEREN ü. LÄNGEREN RÜNE.NREIHE. 229
nur ein bruchstück sei, als auch die meisten meiner berichtigungen :
es stand dort sunusin statt Stephens' ...s riusii, und in der
zweiten zeile hatte ich gleichfalls richtig die sechste rune ^ (t bei Ste-
phens!) zu 5|( ergänzt ^). Nur die fünfte rune in dieser zeile war wirk- s. 1S6.
lieh P, nicht R, und da die siebente rune nur j oder vielleicht \>,
nicht R, sein konnte, so konnte die Inschrift an dieser stelle weder das
wort R))clT rait, wie ich angenommen, noch P5|cR)jclT warait, wie
Bugge vermutet hatte, enthalten haben. Die spuren der letzten rune
vor qsmut machten es nach Bugges meinung wahrscheinhch , dafs
das vorhergehende wort die form aft, nicht aftiR, gehabt, so dafs
die ganze inschrift also gelesen werden mufste :
Rnti . P^\ (oder p) . .. (5fcrt)^Hhnthn+nHi+
Wie die hinter ruti folgenden runen wai oder waj) ergänzt
werden sollten, war zweifelhaft (Bugge vermutete, dafs es ein patro-
nymikon, z. b. „Vades söhn", sein könnte); aber die gesammt-
bedeatung der inschrift war ja klar {„Ruti .... [ritzte die runen
oder errichtete den stein] nach Asmnnd seinem söhne'''). Durch eine
erneute Untersuchung der inschrift im sommer 1876 kam Bugge
jedoch zu dem ergebnis, dafs das erste wort HRT I , nicht RHTI ge-
lesen (Vitterhets Historie och Antiqvitets Akademiens Månadsblad 1877,
s. 534), und der anfang der inschrift also ergänzt werden müfste:
urti wa[|)i aft]. Ob nun Bugges frühere oder zweite lesung sich
schliefslich als die richtige erweist, was ich für den augenblick unent-
schieden lassen mufs, da ich noch keine gelegenheit gehabt habe
diese inschrift selbst zu untersuchen, das hat glücklicherweise keine be-
deutung für den gebrauch, welchen ich hier von dem denkmal machen
will. Die inschrift üefert nämlich auf jeden fall einen sicheren be-
weis dafür, dafs P noch zu einer zeit gebraucht wurde, wo wir sonst
im ganzen das aiphabet finden, welches wir oben (s. 207) als für das
jähr 800 (825) eigentümlich aufgestellt haben. Namentlich zeigt
^smut = Äsmund, dafs das besondere zeichen für d aufgegeben
war und nicht nur d, sondern auch nd, wie später allgemein, durch
T ausgedrückt wurde. Wenn die inschrift ruti hat, so wage ich nicht
^) Bagge glaubt, dafs auch das wort §smut eher mit )k als mit ^ begoanea
hat; es läfst sich iadessea nach Bugges äulserungeo keineswegs mit Sicherheit
entscheideo, uud ich finde es höchst unwahrscheinlich, da a in ds- zur zeit des
Sölvesborger Steines unzweifelhaft mit deutlichem nasalklang ausgesprochen
worden ist, eine ausspräche, die ja gerade ia tu- noch weit später durch ^ be-
zeichnet wurde (s. oben s. 201 f.).
230
ZWEITES BUCH, DIE E.N TWICKLUXi ItEU HUISENSCHKIFT IM NUKDEN.
ZU eiilscheiden, wie dieser name ausgesprochen worden ist, da ich
jelzl Burgs bedenken teile, es mit ahd. Rnozo zusammenzustellen;
aber selbst wenn man von H also hier niciit sagen kann, dafs es als
zeichen für den ö-laut stehe, so dürfen wir doch sicher annehmen,
dafs I als e ausgesprochen worden ist, und wenn urti (= altnord.
orli) die richtige lesung ist, so würden wir nicht blofs ein I mit
der bedeulung e, sondern auch H in der bedeutung ö haben.
Zwar wäre, wenn wir nur auf die sprach formen rücksicht nehmen,
die möglichkeit vorhanden, dafs auch S( noch als zeichen für ö be-
wahrt sein könnte, und dafs die inschrift somit auf derselben stufe
wie der stein von Vatn stehn und derselben zeit angehören könnte,
wie dieser. Aber dem wird auf das bestimmteste von dem ganzen
Charakter der inschrift widersprochen , der in Verbindung mit ihren
runenformen und selbst dem Irennungszeichen nach ruti (urti) es
aufser allen zweifei setzt, dafs sie den ältesten dänischen steinen (von
Kallerup u. s. w.) näher gerückt werden mufs; nur die P-rune
macht sie älter als diese, und ich glaube daher das riclitige zu
treffen, wenn ich sie jetzt wie früher chronologisch zwischen diese
und den stein von Vatn einordne.
Zusammen mit runen- und sprachformen, die sonst für die In-
schriften mit der kürzeren reihe eigentümlich sind, finden wir gleich-
falls die P-rune auf dem Räfsaler steine, dessen inschrift bereits
187. von Bugge in der filol. tidskr. VIII, s. 163 ff. mitgeteilt und gedeutet
ist. Nach einem gipsabgufs im allnordischen museum zu Kopen-
hagen hat diese inschrift folgendes aussehen:
Der unterste teil besonders der letzten runen ist etwas beschädigt,
namentlich hat die allerletzte rune die beistriclie unten verloren;
aber die älteren Zeichnungen lassen erkennen, dafs dort /k gestanden
hat. Bugge liest die inschrift:
hariwiilfs stainaR
„Herwolfs steine"-.
II. KAP. VERUÄLTN. ZWISCHEI« D. KÜRZEltE.N U. LÄNGEREN RÜNENREiUE. 231
Über hariwulfs, das zuerst von Bugge richtig gelesen ist, kann kein
zweifei herrschen. Das zweite wort wird von Liljegren stinaR wieder-
gegeben (Run-Urkunder no. 2033), von Bugge stainaR, und ich
glaube mit Bugge, dafs dort stainaR gestanden hat, wodurch wir
eine von älteren und jüngeren steinen her wohlbekannte formel be-
kommen (einen namen im genitiv, regiert von dem worle „stein", hier
im plur. „steine"; vgl. „Navneordenes böjn. i ældre dansk", s. 46 anm.),
obgleich einiges bedenken dagegen erhoben werden kann, die zweite
rune als T zu nehmen; von dem linken beistriche linde ich nämlich
keine deutliche spur, und der rechte beislrich biegt gegen den hauptstab
derartig ein, dafs die rune als ein P aufgefafst werden kann, wo der
unterste teil des beistriches undeutlich ist ^). Wir würden dann
hariwulls swainaR s. 188.
„Hencolfs knechte''
erhallen, und der stein müfste wohl für ein denkmal angesehen werden,
das lierwolf über seinen mannen errichtet hätte.
Ob wir das zweite wort stainaR lesen, was ich für richtig halte,
oder swainaR, hat indessen glückhcherweise keinen einflufs auf die
beantwortung der frage, welche hier die hauptsache ist. Wie der Hel-
næser braucht der Häfsaler stein die alle A-rune H zusammen mit der
jüngeren form der dr-rune +; aber er hat aufserdem P in dem nameii
hariwulfR, der somit zu dem hariwulAfR des Steines von Islaby
und dem hariwolafu des Steines von Stentofte stimmt, während der
Haverslunder stein aus Schleswig (Thorsen I , s. 5) die jüngere form
liairulfR d. i. HæniIfR aufweist. Durch sein P 4n wulfK steht der
Räfsaler stein auf einem älteren Standpunkte als die ältesten däni-
schen steine, wo tc vor «fortgefallen ist (I^HnnrrA rhuulfR auf
dem Helnæser steine, l^nnrP^Å ruulfR auf dem Fiemloser, d. i.
') Jedoch würde die ioim dei- »r-iuuc an dieser stelle nicht gauz mit dem
zeichen in hariwulfs überciDstiniinoD, wo der nebenstrich nicht gleich von
der Spitze des hauptsiabes ausgeht, so dals P bier grolse äbulichkeit mit p
bekommt, besonders da auch ein teil des bauptstabes unten abgeschlagen ist.
Wie in der iv-vuae erhebt sich der hauptstab in der dritten rune (R) etwas
über den uebenstab. — Da hinter der *-runc im zweiten worle gerade platz genug
für den linken beistrich eines ^ ist, so zweifle ich nicht daran, dals dieses zeichen
wirklich auf dem steine in einer ziemlich abgerundeten form, ungefähr wie in
der ersten zeile auf dem Fiemloser steine, gestaudea hat, mit welchem der
Räfsaler auch eine auffallende Übereinstimmung durch die verschiedene gröfse
der runenzeichen aufweist. Eine ^form mit ungewöhnlich abgerundeten bei-
strichen würde auch gut zu der form stimmen, die die »-rune beide male hat.
232 ZWEITES BUCH, DIE ENTWICKLUNG DER RUNENSCHRIFT IM NORDEN.
Hröulfn), und wo es sonst durch die w-rune ausgedrückt wird
(suij)ks = Swid'ings der stein von Kallerup, kunualts = Gunn-
loalds der stein von Snoldelev, uas = was der stein von Flemlose
u. s. w.). Die form der s-rune auf dem steine von Räfsal fafst Bugge
als eine Übergangsform zwischen dem älteren / "^ und dem jüngeren
WH; die abweichung von dem gewöhnlichen jüngeren zeichen kommt
mir jedoch so gering vor, dafs ich sie nur als rein zufällig zu be-
trachten wage, um so mehr, als nicht blofs die ältesten dänischen steine,
sondern auch der Sölvesborger stein durchgehends H (H) gebrauchen.
s. 189. Sowohl durch die bewahrung der P-rune wie durch die erhal-
tung des lo-lautes vor u in wulfR^) weisen der Sölvesborger und Räf-
saler stein über die ältesten bekannten Inschriften mit der kürzeren
runenreihe vom anfang des 9. jhdts hinaus; aber da sie im übrigen
in runen- und sprachformen sowie im ganzen Charakter der Inschriften
sich nahe an diese steine anschliefsen, so nehme ich an, dafs sie un-
gefähr ums jähr 750 (775) gesetzt werden müssen. Für diese zeit
können wir also folgende runenreihe aufstellen, wenn wir die vom
längeren futhark bekannte reihenfolge beibehalten (vgl. s. 227):
Wie wir erwarten konnten, stimmen die runenformen genau mit
denen überein, die um das jähr 800 (825) gebraucht wurden (siehe
s. 207, wo die reihen III & IV, aber natürlich nicht I & II, vollständig
sind). Die einzige sichere abweichung, die sich zwischen beiden
reihen nachweisen läfst, ist also die bewahrung von P im futhark
der hier besprochenen steine^).
^) Hals w gleichzeitig in andern analogen fallen geschwunden war (vgl.
fornnord. fornil. §24, C, c), würde aus dem urti des Sölvesborger Steines her-
vorgehen, wenn dies die richtige lesung ist (vgl. worahto auf dein stein von
Tune mit bewahrung sowohl des w wie des h, wurte auf dem brakteaten von
Tjörkö mit bewahrung von tv, aber ausstolsung von h).
") Wenn dagegen die P-rune auf dem Röker steine zwischen den runen
der längeren reihe und auf dem seeländischeu Frerslever steine in einer Inschrift
mit der küizeren reihe in der bedeutungw gebraucht ist (s. oben s. 127), so stammt
dies in beiden fallen ohne zweifel aus einer zeit her, wo diese rune iu Wirklichkeit
längst durch H ersetzt war, während man jedoch noch die erinnerung daran
bewahrte, dafs sie früher iu fällen benutzt war, wo fl sie später abgelöst
halte. Dies wird dadurch bestätigt, dafs man auf den genannten beiden steinen
nach meiner meinung durch ein mifsverständuis gerade der rune eine bedeutung
zuerteilt hat, die sie niiht hatte, so lange sie wirklich in gebrauch war.
IL KAP. verhält:«, zwischen D. KDRZERE.N ü. längeren RUNENREIHE. 233
Wir haben hiermit die entwicklung vom längeren zum kürzeren
alphabele mit rücksicht auf die verschiedene anzahl der zeichen in
beiden verfolgt, so weit sie sich mit hülfe der denkraäler selbst nach-
weisen läfst, und obwohl einzelne fragen sicherlich mit der zeit noch
bestimmter mit hülfe neuer funde gelöst werden dürften, so liegt doch
jetzt schon ein genügendes material vor, um im einzelnen den beweis
für die behauptung zu führen, die ich zu anfang aufstellte, dafs wir
auch hier eine entwicklung haben, die allmählich längere Zeiten hin-
durch vor sich gegangen ist, nicht eine zu einer bestimmten
zeit mit bewufster absieht vorgenommene vereinfach ung.
An und für sich liefse sich natürlich wohl denken, dafs man, um das
runenalphabet für die benutzung zu Inschriften einfacher und bequemer
zu machen, auf einmal mehrere der älteren schwierigen zeichen
aufgegeben und. sie durch die am nächsten liegenden ersetzt hätte,
und selbst wenn wir nur das längere aiphabet in der form auf dem
brakteaten von Vadslena und das kürzere in der gewöhnlichsten oben
(s. 191) angeführten form kannten, würde man keineswegs berechtigt
sein, a priori die behauptung aufzustellen, dafs das letztere aiphabet
nicht aus dem ersteren hervorgegangen sein könnte, obgleich eine un- s. I9ü.
befangene betrachtung wohl zunächst zu der von Kirchhoff und an-
dern aufgestellten ansieht führen müfste, dafs beide von einem ge-
meinschaftlichen grundalphabele ausgegangen seien. Aber nach allem
was vorliegt, nach dem ganzen entwicklungsgang, der auf den denk-
mälern verfolgt werden kann, wird die sache ganz unumstöfslich klar,
indem wir nicht nur nachweisen können, dafs die jüngeren runen-
f ormen die älteren, denen sie in der bedeutung entsprechen, zu
ihrer notwendigen Voraussetzung haben, sondern auch, dafs die acht
zeichen des älteren alphabetes, die sich nicht in dem jüngeren wieder-
finden, erst ganz allmählich vollständig aufgegeben wurden, sicherlich
nachdem sie längere zeit mit den zeichen promiscue benutzt worden
waren, die später ganz an ihre stelle traten. Chronologisch
scheint die entwicklung die folgende gewesen zu sein:
Frühzeitig hat man die rune 't •!" als lautzeichen, wenn sie
überhaupt im anfang als ein solches gebraucht worden ist, und
das besondere zeichen für p aufgegeben, indem die 5-rune auch zur
bezeichuung für p angewendet wurde; demnächst folgte ^, das
man in einer Übergangsperiode durch +X oder sogar +X< aus-
drückte, was zugleich zeigt, dafs X und < noch in gebrauch waren,
nachdem ^ aufgegeben war. Später, als die spiranten g_ und d
234 ZWEITES BIJCII. DIE ENTWICKLUNG ÜEU HUNENSCHRIFT IM NORDEN.
im aiilaul zu den imUeii g uiitl (/ geworden waren, wurden X und M
durch Y und T verdrängt, wie man für die laute p, b sehr lange
nur das eine zeichen ^ gekannt hatte. Ungefähr gleichzeitig
hiermit wurden M durch I und ^ als zeichen für ö durch R er-
setzt, während es sich noch einige zeit als zeichen für ö erhielt, bis
es auch hier durch n verdrängt wurde, das endlich gleichfalls
an die stelle von P trat.
Diese ganze entwicklung ist um das jähr 800 abge-
schlossen; aber sie ist im laufe von mehreren hundert jähren vor
sich gegangen, und selbst ganz correspondierende phasen derselben sind
keineswegs auch immer gleichzeitig, wie wir deutlich aus dem Verhältnis
zwischen den runen I und H sehen; die erstere ist an die stelle des I i,
h j, M e der längeren reihe, die zweite ebenso an die stelle von n n,
^ w, S( 0 getreten ; aber I war mehrere hundert jähre eher das zeichen
i'üv j geworden, bevor H zeichen für «o wurde, und während das alte
lo-zeichen ganz aufgegeben wurde, als R an dessen stelle trat, erhielt
sich die alle jära-rune mit dem namen dr und der bedeutung a bis in
die spätesten Zeilen.
Dafs die für die längere reihe charakteristischen acht runen nach dem
jähre 800 in der gewöhnlich gehrauchten schrift nicht mehr als laut-
zeichen auftreten, berechtigt uns jedoch nicht zu dem Schlüsse, dafs
sie von da an auch ganz vergessen waren. Ich halle es im gegenteil,
wie ich an andern stellen angedeutet habe, für höchst wahrscheinlich,
dafs sie ihren platz im futhark behalten haben, lange nachdem sie als
eigentliche lautzeichen aufgegeben waren, und dafs sie — oder einzelne
von ihnen — ebenfalls lange nachher als magische zeichen im
gebrauch gewesen sein^ können. Dafs sowohl -die der längeren reihe
eigenlümliclien runenzeichen wie ihre bedeutung noch in später zeit
bekannt gewesen sein müssen, Jahrhunderte nachdem die kürzere reihe
in ausschliefslichen gebrauch gekommen war, geht ja unter anderm mit
Sicherheit aus den inschriflen auf dem Roker steine (mitte des
10. jhdls) und auf den in dieser abhandlung so oft angeführten Ble-
kinger steinen hervor, die künstlich die schrift der älteren zeit nach-
geahmt haben. Ja, lange nach der zeit des Röker Steines finden wir
runen aus der längeren reihe in dem oben (s. 127) genannten norwe-
gischen runenkalender. Besonders runen kun dig zu sein, war ja
eine eigenschaft, worauf man im Norden grofsen wert legte (vgl. unten
s. 239 f.), und dies erklärt dann ausreichend nicht nur, dafs man die
kenntnis von der schrift der älteren zeit zu bewahren suchte, sondern
II. KAP. VERHÄLTN. ZWISCHEN D. KÜRZEREN U. LÄNGEREN RUNENREIHE. 235
auch, (lafs man sich versucht fühlen konnte, dieselbe sogar nachzu-
ahmen, um auf diese weise seine gelehrsamkeit an den tag zu legen.
4. Das Verhältnis zwischen den MT und Y(>k) der längeren
und den TY und X. der kürzeren reihe.
Es braucht nur noch über eine abweichung zwischen der längeren
und der kürzeren runenreihe rechenschaft gegeben zu werden, nämlich
ül)er die verschiedene reihenfolge, die ein paar runen-
zeichen in beiden einnehmen, indem die längere reihe M T ent-
sprechend dem r Y der kürzeren hat, gleichwie das Y (Å) der längeren s. 191.
sich an einer ganz andern stelle findet, als das entsprechende zeichen
der kürzeren.
Was die erste dieser Umstellungen anlangt, so ist das Verhältnis
sehr einfach. Wir können nämlich mit sicheiheit nachweisen, dafs die
anordnung MT in der längeren reihe die ursprüngliche ist, welche erst
sehr spät zu TYin der kürzeren abgeändert worden ist. Dafs der
kürzere fulhark in seiner bekanntesten gestalt auch ursprünglich m
vor l gestellt hat, zeigen verschiedene darsteUungen dieses fulharks,
die bis auf die gegenwart erhallen sind. Die älteste derselben findet
sich in einer handschrift von St. Gallen aus dem 9. jhdt (cod.
Sangaliens, no, 878), die auf s. 321 einen altenglischen futhork (mit
dem namen ANGÜLlSCUiM) und darauf die nordische runenreihe unter
dem namen ABECEDARIUM N0RD(MANNICL3I) enthält.
Diese letztere hat folgende gestall*):
*) W. Grimm, Über deutsche Ruuea, s. 138ff. und tab. II nach einer Zeich-
nung von Ilde fons von Arx; Zur Literatur der Runen, s. 26 — 28 (vgl. s. 42)
mit einer neuen Zeichnung des nordischen fiithnrks von von Arx, nachdem
vieles durch anwendung eines reagens deutlicher hervorgetreten war. Später
(1830) sah H. F. MaTsmann die handschrift und teilte seine lesung im „An-
zeiger flir Kunde de; deutschen Mittelalters" 1832, s. 32 mit. Endlich hat auch
H. HuttCMier ein facsiinile davon in „Denkuiahle des Mittelalters" I, St. Galleu
1844, taf. 1 gegeben. Die umstebcudc wiedergäbe Iidit sich genau an die zweite
Zeichnung von von Arx; nur die letzte der altejiglischen runen, die unter feu
foniian steht, ist als ^ nach Mafsmanns lesung wiedergegeben (von Arx hat P
Haltenier "1^^ was gewifs das ursprüngliche ist); gleichfalls ist das zeichen über
der nordischen maär-rnnc mit (Mafsmann und) Hattemer als M, '^- '• <lie altengl.
7»aÄ-ruue, wiedergegeben, während dieses zeichen ganz auf von Arx' erster
Zeichnung fehlte und auf der zweiten nur eine diagonale hatte. — Das an die
runen geknüpfte gedieht ist am besten bebandelt von Müllen hoff in Denk-
mäler deutscher Poesie und Prosa, herausgeg. von K. MüUenhoff u. W. Scherer,
Berlin 1864, s. 10 & s. 271—73 (2. ausg. 1873, s. j2 & s. 2S3— 85) sowie in
236 ZWEITES BUCH. DIE ENTWICKLUNG DEH HUNENSCHRIFT IM NÜKÜEN.
^B tCF r/^fiiVM NO KD
1/ N >' p/
' »»» E t)nxaYen.jLma7i.j LagaTAe^eo/rro/ A yr^aLlttliabe
rm eil
s. 192. Hier linden wir also nicht nur die reihenfolge ml wie im längeren
fulhark, sondern auch die form ^ für das gewöhnliche Y; es ist klar,
dafs die w-form hier dem von unsern runensteinen her bekannten
^ entspricht, das früh das M verdrängte, wie wir oben nachge-
wiesen haben, und ich zweifle nicht daran, dafs die m-riine auch in
der handschrift ursprünglich die form ^ mit ganz durchgezogenem
Stab gehabt hat, dafs dieser aber später oben so undeuthch geworden
ist, dafs er nicht mehr zu sehen ist (in der tyr-i'\ine ist gleichfalls
der Unke strich jetzt fort, und das altengl. m-zeichen über dem nor-
dischen kam auch erst mit hülfe von reagens zum Vorschein). Der
futhark, welcher in der handschrift von St. Gallen aufbewahrt ist,
stimmt somit zu demjenigen, der auf dem Tryggevælder steine u. s. w.
benutzt ist (vgl. s. 207).
Eine gewichtige einwendung läfst sich jedoch dagegen erheben,
die anordnung m l in dieser handschrift als ursprünglich zu be-
trachten, indem man behaupten könnte, diese Umstellung sei unter
einflufs des altenglischen futhorks vorgenommen. Es ist daher ein
glück, d«fs wir uns nicht allein auf die sangaUische handschrift zu
stützen brauchen, um nachzuweisen, dafs m in der kürzeren nor-
dischen reihe ursprüngüch vor l gestanden hat.
Dieselbe Ordnung hat man auch in einem futhork finden wollen,
s. 193. der zwischen andern runeninschriften auf den wänden in der grab-
kammer eingeritzt ist, die 1861 von Farrer auf dem hügel Maes-
howe bei Stenness (d. i. Steinsnes) auf den Orkneys geöffnet wurde,
einer besondereu abhauJluug „Über das abecedariuin Nordinaoaicum" in Haupts
zeitschr. f. deutsches alterthum XIV (Neue folge II), 1869, s. 123—33, der ich
uiich iu allem weseutlicheu auschlielsen kann.
II. KAP. VERHALTN, ZWISCHEN D. KURZEREN ü. LANGEREN RÜNENREIHE.
237
und der hier in halber gröfse nach einem abgufs im allnordischen
museum zu Kopenhagen Aviedergegehen wird'):
'«'Um.':
Da die 13 ersten runen in den allgemein bekannten jüngsten
formen in der gewöhnlichen Ordnung aufeinander folgen, so haben
sowohl Rafn, wie Stephens und Munch die 3 letzten als zeichen für
m, l, y aufgelafst^); man müfste dann annehmen, dafs yk, das sonst
in den Maeshower Inschriften das zeichen für y ist, hier an stelle von
Y gebraucht wäre, während die r/r-rune die form h hätte. An der
richtigkeit hiervon wird jedoch starker zweifei gehegt werden können ;
denn auf Farrers Zeichnung fehlt der punkt (der kleine strich) in
dem letzten R ganz, und obgleich der abgufs eine kleine Unebenheit
hat, die so aufgefafst werden kann, bin ich nach wiederholter
Untersuchung weit mehr geneigt, dieselbe als zufällig anzusehn. Wenn
hierzu noch kommt, dafs von den beiden vorhergehenden zeichen
das vermeintliche l den beistrich so weit unten an dem hauptstabe
hat, dafs es natürlich als n aufgefafst werden mufs, und dafs m die
ganz alleinstehende form mit den beistrichen am fufse des haupt-
stabes hat, so liegt es nach meiner meinung weit näher, die 3 letzten s. 194.
runen in der bedeutung zu nehmen, worin sie sonst in diesen in-
schriften vorkommen, nämlich als y, 7i, u. Der futhork ist also
unvollständig,' wie das öfters der fall ist, indem die zeichen für m
und l fehlen, während die letzte rune Å (y) dasteht, und die
^) Vgl. Janics Farrer, Notice of runic iuscriptions discovered duriog re-
cent excavalions in the Orkneys. Printed for private circulation 1S62. Plate
VII no. 5; Stephens II, s. 758 (vgl. I, s. 101); P.A. Munch im Illustreret
Nyhedsblad, Christiania 1861, no. 49, 8. Decbr. (= Samlede Afhandlinger IV,
Christ. 1876, s. 525).
^) Diesen schliefst sich auch Bugge in „Tolkning af Runeindskriften paa
Rökstenen", s. 73 an.
238
ZWEITES BUCH. »IE ENTWICKLUNG DEn RUNENSCHUIFT IM NüHDEN.
beiden darauffolgenden runen (nu) müssen dann am ehesten als eine
abkürzung (des namens des runenritzers?) aufgefafst werden^). Dieser
futbork gibt also keinen aufschlufs über die reihenfolge von m und l.
Die frage läfst sieb dagegen auf anderem wege mit vollkomme-
ner sicberbeit vermillelst der Maeshower inscbriflen lösen. Die
„zweig-" oder „astrunen", die in ein paar dieser inschriften vor-
kommen, setzen nämlich folgende anordnung des futhorks voraus:
12 3 4 5 6
1. r n M R K
1 2 S t 5
2. )|< h Ml
12 3 4 5
3. 1 ^ Y r /k
wo dann wie sonst häufig die „geschlechler" in verschiedene Ordnung
gestellt werden konnten, so dafs z. b. Froys geschlecht (no. 1)
und Tys ge schlecht (no. 3) den platz tauschten (vgl. Liljegren,
Hun-Lära s. 52). Hiernach finden wir leicht die bedeutung der
zweigrunen in der Maeshower Inschrift bei Farrcr pl. VIII no. 8,
Stephens I, s. 237:
WW/
m/i
Aus der anzahl der zweige ist es klar, dafs die zur rechten die
stelle der rune im geschlecht, die zur linken das geschlecht selbst
angeben. Da das fünfte zeichen die 6. rune im 3. geschlecht aus-
drücken soll, und nur Froys geschlecht nach der gewöhnlichen ein-
teilung 6 runen bat (die beiden andern jedoch 5), so können wir
hieraus sofort mit Wahrscheinlichkeit schliefsen, dafs Tys ge-
schlecht als no. 1 und Froys als no. 3 gezählt wird. Wir erhalten
folglich :
^) Ich habe mir auch gedacht, dafs nu die aiifangsbuchstaben des adjekti-
vuins iiurun = H07vjrt« 'nordisch, norwegisch' wären, in welch letzterer bedeu-
tung es sich gerade auf dem dänischen steine von Egå findet („ISavneordenes
böjning in ældre dansk" § 21, s. 50); der ausdruck hier würde dann ganz der
bezeichnung ,,Abecedarium INordmanDicum" im cod. Sangall. entsprechen. Gegen
diese aulfassuug kann jedoch der einwand erhoben werden, dafs nurun nach
der in den Inschriften von Maeshowe gebrauchten Schreibweise wahrscheinlich ^,
nicht n haben würde. ,
II. KAP. VERHÄLT«. ZWISCHEN D. KURZEREN V. LÄNGEREN RUNENREIHE.
239
4. rune im 2. geschlecht = a
5. rune im 3. (1.) geschlechl = r
4, rune im 1. (3.) geschlechl = l
3. rune im 2. geschlecht = /
6. rune im 3. (l.) geschlecht = k
5. rune im 3. (I.) geschlecht = r
also arlikr. Die erste rune (a) hat indessen noch einen querslrich
an dem hauplslahe; in dem alphabele, das der runeinilzer benutzte,
war die alte är-riine (+) nämlich in die beiden formen H mit der
bedeutung a und + mil der bedeutung æ gespalten. Durch den
querslrich ist also deutlich zu erkennen gegeben, dafs es die
form der 4. rune im 2. gescidechte war, welche die bedeutung æ
halle, die hier ausgedrückt worden sollte. Folglich mufs das wort
ærlikr d. i. Æiiingr (= dem gewöhnlichen allnord. Erliugr) ge-
lesen werden, der name dos runenrilzers. S<?1mu Stephens hal diese
runen auf dieseli»e weise gedeutet; nur liest er unrichtig aærlikr,
indem er die erste rune als zeichen für ace slalt Inj" æ allein au-
sicht.
Nach demselben princip werden auch die zweigrunen in der
Maeshower inscluift bei Faner pl. X no. 18, Stepheus I, s. 238, ge-
deulel, die ich hier mitnehme, da wir sogleich anlafs bekommen
werden, den futhork gerade dieser inschrifl zu besprechen:
195.
w w.
'I/Wå
f J f f f
A å A
A
p i s a r r n n a r
also j)isar runar (,.diese runen"), wie auch Stephens gelesen hat.
Dagegen hat, soweit ich weifs, niemand bemerkt, dafs der runen-
ritzer in dieser inschrifl zugleich ein ganz deutliches zeugiiis darüber
abgelegt hat, welche stelle m in dem von ihm benutzlen futhork hatte.
Nach den vvorlen |)isar runar mit den zweigrunen folgt nämlich in
gewöhnlichen runen: rist sa mafir er runstr er fyrir uæstan
haf; während die übrigen runen nichts eigentümUches bieten, ist w
in ma})r durch f und h in haf durch i^ bezeichnet. Stephens
nennt die in- und A-form „ornamental'-; aber dies gilt auf jeden
fall nur von h, wo die querstriche verdoppelt sind; dagegen ist die s. 196.
angeführte form der m-rune gerade absichthch gebraucht, da der
runenrilzer dadurch zugleich m als dritte rune im ersten (d. h. drillen)
240 ZWEITES BUCH. DIE ENTWICKLUNG DER RUNENSCHRIFT IM NORDEN.
geschlechte bezeichnen wollte; es ist nämlich eine „zweigrune" von
derselben art, wie in dem worte ftisar, und der runenritzer hat
uns dadurch zugleich den schlüssel gegeben, um diese runen zu
lesen; es ist offenbar, dafs er mit seiner fertigkeit im runenritzen hat
spielen wollen, was ja auch gut dazu stimmt, dafs er sich selbst
„den runenkundigsten" nennt.
Es geht also hieraus hervor, dafs der fulhork der Maeshower
inschriflen die reihenfolge ml hatte. Dieselbe anordnung linden wir
gleichfalls auf dem oben (s. 181) genannten steine in der Monsteder
kirche, und es kann kein zweifei darüber bestehn, dafs der ebenda
genannte stein von Astrup, dessen futhork wegen der runenformen
für etwas älter als der des Monsteder Steines gehalten werden mufs,
dieselbe reihenfolge gehabt hat. Erst im 12. jlidt finden wir die spätere
anordnung auf dem taufstein in Bårse. In Schweden treffen wir die
ursprüngliche reihenfolge auf einem stein von Upland (Baulil no. 331,
Liljegren no. 2006, Upplands Fornminnesförenings Tidskrift I, 1871,
s. 76). Merkwürdiger ist es, dafs die reihenfolge m l auch nicht blofs
in dem norwegischen runengedicht, sondern sogar in der spät nieder-
geschriebenen isländischen runenreimerei bewahrt ist; ja selbst in ein
paar jüngeren handschriftlichen fulhorken (Hickes, Thesaurus III,
tab. VI no. 5 und 7; Stephens I, s. 103 no. 12 und 14), von denen
der eine hinter der yr-rane Y g und der andere eine gröfsere reihe
neuerer runen hinzugefügt, nimmt m noch seinen alten platz vor l ein.
Wir dürfen hieraus schUefsen, dafs die anordnung m l erst sehr
spät (kaum vor dem Schlüsse des 11. oder eher vielleicht erst gegen die
mitte des 12. jhdts) von der jüngeren l m verdrängt worden ist, und
dafs die Überlieferung doch die alte anordnung noch viel später hat
festhalten können. Dafs die Umstellung unter einflufs des lateinischen
alpha betes geschehen ist, welches zu der zeit stark dazu beitrug, dafs
die alte runenschrift auch in andern beziehungen wesentliche Ver-
änderungen erfuhr, kann kaum einem zweifei unterworfen sein. Mög-
licherweise hat das lateinische aiphabet auch die Umstellung von m l
hervorgerufen, die sich wahrscheinlich auf dem Themsemesser tindet
(siehe oben s. 86 und s. 109 anm. 1); aber das ist auf jeden fall
klar, dafs die anordnung auf dem Themsemesser nicht in der geringsten
Verbindung mit der weit später vorgenommenen umordnung im nor-
dischen futhork steht, und während die reihenfolge Im in den alteng-
lischen alphabeten als eine alleinstehende ausnähme auf dem Themse-
messer auftritt, wurde sie in dem jüngsten nordischen futhork regel.
II. KAP. VERHÄLTN. ZWISCHEN D. KÜRZEREN ü. LÄNGEREN RUNENREiHE. 241
Weit schwieriger ist es, die letzte frage zu beantworleo, die uns
entgegentritt, welches Verhältnis zwischen dem Y (Å) r der längeren
reihe und dem >k r (y) der kürzeren statt lindet. Wir finden
hier nämlich nicht nur eine verschiedene anordnung in beiden
reihen, indem die längere Y im zweiten geschlecht zwischen p und s s. 197.
hat, während das Å der kürzeren zuletzt im dritten geschlecht steht;
sondern es besteht zugleich die abweichung zwischen beiden reihen,
dafs das Å der kürzeren den namen yr führt, während ich oben
nachgewiesen habe, dafs das Y der längeren einen dem altnord.
elgr entsprechenden namen gehabt hat. In der erklärung dieser Ver-
hältnisse müssen wir uns wesentlich an vermutungen halten, und
ich bin daher nicht sicher, dafs es mir geglückt ist das richtige
zu treffen oder alle die zweifei zu entfernen, die erhoben werden
können. Als einen lösungsversuch, von dessen richtigkeit ich gleich-
wohl jetzt mehr überzeugt bin als im jähre 1874, teile ich die folgenden
bemerkungen mit, in der hoffnung, dafs es einem andern gelingen
werde sie entweder zu bestätigen, oder etwas besseres an ihre stelle
zu setzen.
Die sichere grundlage, von der wir in jedem falle ausgehen
müssen, ist die bedeutung von yk in den inschriften mit dem kürzeren
alphabete. Dafs >k in den ältesten dieser inschriften das zeichen für
einen von R verschiedenen r-laut ist, welcher ursprünglichem z
(gotischem s, z) entsprach, habe ich in „de ældste nord. runeindskr."
(årh. f. nord. oldk. 1867), s. 31 f. (vgl. oben s. 130 ff.) nachgewiesen.
Diese bedeutung von Å entspricht somit ganz der bedeutung von Y
(A) im längeren alphabete, und es ist daher unzweifelhaft, dafs das
Ås. des kürzeren geradezu die eine (jüngere) von den formen ist,
welche das längere aiphabet zum ausdruck des lautes r gebrauchte.
Da in späterer zeit die beiden r- laute zusammenfielen, so finden
sich auch die zeichen Å und I^ durcheinander, und zuletzt wird nur
R für den r-laut gebraucht, während >k die bedeutung y bekommt
(so in der runenhandschrift des schonischen gesetzes von ungef. 1300
oder ein wenig früher BÅ = by). Es liegt nahe, den grund zu diesem
übergange von der bedeutung r zu j^ in dem runennamenj^ selbst
zu suchen. Ursprünglich ist dieser name für das sogenannte
„schlufs-Ä" gebraucht worden, er endete also auf die rune, welche
er bezeichnete; aber da man später ein besonderes zeichen für
diesen r-laut zum unterschiede von R nicht brauchte, so bekam A
die bedeutung y, indem man wie bei den andern runennamen
WIMHER, Die ranensehrift. Jg
242 ZWEITES BUCH. DIE ENTWICKLUNG DER RUNENSCHRIFT IM NORDEN.
den wert dieses Zeichens in dem laute suchte, womit der naine
anfing.
Diese Vorgänge scheinen an und für sich überaus natürlich
s. 198. und einfach, aber sie geben uns keine erklär ung für die verschiedene
anordnung und die Verschiedenheit der nainen in den beiden reihen.
Was zunächst die anordnung betrifft, so müssen wir darauf
achten, dafs alle darstellungen der kürzeren reihe ohne ausnähme
die yr-rune an der letzten stelle und kein dem Y der längeren reihe
entsprechendes zeichen vor s haben. Dies gilt von der handschrifl
von St. Gallen, den eben besprochenen fulhorken von Maeshowe
u. s. w. , wo die alte reilienfolge m l noch bewahrt war. Eben-
falls zeigen die zweigrunen in der Maeshower inschrift no. 18
(s. 239), dafs s den fünften platz im zweiten geschlechte gehabt, und
dafs Å folglich im dritten zuletzt gestanden hat. Die Umstellung
von A inufs daher vorgenommen sein, lange bevor l vor m gestellt
wurde, und sie mufs einen ganz andern grund haben, da gerade das
lateinische aiphabet hier dazu hätte auffordern können, n vor s zu
behalten. Der grund für diese Umsetzung scheint jedoch nicht so
schwer nachweisbar. Da nämlich acht von den älteren runenzeichen
allmählich aufgegeben waren, so würden wir mit bewahrung der alten
anordnung folgende reihe etwa um das jähr 800 (der stein von Helnæs
u. s. w.) erhallen:
Hier waren also 6 runen in jedem der beiden ersten geschlechler,
aber nur 4 im dritten. Um gröfsere harmonie zwischen der anzahl
der zeichen in den 3 geschlechtern zu wege zu bringen, versetzte
man dann Å aus dem zweiten geschlecht an das ende des dritten.
Da natürhch P'HT ihren ursprünglichen platz als erste rune in jedem
geschlechte behalten mufsten, so halte man nur die wähl zwischen
einer der fünf andern runen in den beiden ersten geschlechtern,
und dafs man gerade Å wählte, lag ohne zweifei daran, dafs diese
rune sich von allen andern dadurch unterschied, dafs ihre bedeutung
im ende ihres namens enthalten war. Dafs sie in der kürzeren
reihe gerade denselben platz erhielt, welchen die andere rune, deren
wert gleichfalls im Schlüsse (auslaute) des namens stand, nämlich die
ing-rane V, in der längeren reihe gehabt, mufs als ganz zufällig
angesehen werden, da die Umsetzung von >k sicher erst lange nach-
dem die m^-rune aufgegeben war, geschehen ist.
II. KAP. VERHÄLTiN. ZWISCHEN D. KÜRZEREN U. LÄNGEREN RDNENREIHE. 243
Es bleibt also nur noch übrig das Verhältnis zwischen d en n amen s. 199.
yr in der kürzeren und elgR (*algiR) in der längeren reihe zu be-
trachten. Durch eine scharfsinnige auseinandersetzung hat Müllen-
hoff (Zur Runenlehre s. 60 f.) nachzuweisen gesucht, dafs der
nordische runenname yr mit ahd. tuTa, nhd. eihe und mit dem alt-
engl. runennamen eöh (ih) = eöw (iic) identisch sei^). Wäre diese
erklärung richtig, so würde daraus ja mit notwendigkeit folgen, dafs
allnord. yr, das in der kürzeren reihe der name für Å. ist, in der
längeren dem der altengl. eö/»-rune entsprechenden zeichen "V 4*
angehört haben müfste, und ich sähe dann keinen andern ausweg
dieses Verhältnis zu erklären, als die annähme, dafs die rune \, die,
wie wir oben nachgewiesen haben, im Norden nicht als laulzeichen
auftritt, hier ihren namen an die rune A. abgegeben hat, die des-
halb in der jüngeren reihe yr statt elgr heifst; der neue wie
der alte war ja ein name, in welchem der lautwert der rune (ß)
am wortende als kennzeichen für den norainativ stand. Obwohl
eine solche namenüberlragung von einem zeichen auf ein anderes
nicht an und für sich unmöglich genannt werden kann (man
denke z. b. an die Verhältnisse bei griech. aiyfta), so ist sie
doch wenig wahrscheinlich, und ich würde in diesem falle nicht
im Stande sein, einen irgend wie vernünftigen grund dafür an-
zugeben. Trotzdem daher MüllenhotTs Zusammenstellung von alt-
nord. yr und altengl. eöh sprachlich unanfechtbar ist, erweckt sie doch
so grofse bedenken, dafs ich die ähnlichkeit zwischen dem alteog-
lischeu und dem nordischen runennamen nur für zutällig ansehen
kann und in folge dessen auch die annähme verwerfen mufs, dafs s. 2uo.
') Altuortl. yr y^eht voa ciaer grundform aus, die in der ältesten ruuen-
sprache |P^Y Iwaa lauten, und etyiuologisch ganz dem griecbischen iös (aus
*is6s) 'pt'eil' eutsprerben würde, das also nicht mehr als ein wort da stände,
das nnr im griechischen uad arischen nachgewiesen wäre (J. Schmidt, Die Ver-
wantscbaftsverhättnisse der lodogerm. Sprachen, s. 61). MülleohotT weist
an der oben genannten stelle auf die ähnlichkeit zwischen yr und iös hin,
scheint sie jedoch für zufällig zu halten, trotzdem er mit rücksicht auf die ver-
schiedene bedeutuDg der worte mit recht das Verhältnis zwischen lat. arcut
^bogen' und den entsprechenden worteu in der germanischen sprachfamilie her-
vorbebt, die die bedeutong 'pfeil' haben: got. *arhwa-, arhwazna, altuord.
or, geil, orvar (würde in der ältesten runensprache *arhw6 lauten), altengl.
earh, arewe (eng. arrow). — Es beruht natürlich auf einem misverständnisse,
wenn Munch glaubt, dafs der runenname yr 'bogen' ursprünglich or 'pfeif ge-
lautet haben könne (Forn -.Svenskans och Forn-iSorskans Språkbyggnad s. 123).
16*
244 ZWEITES BUCH. DIE ENTWICKLUNG DER RUNENSCHRIFT IM NORDEN.
^ ursprünglich der nordische name fur die rune \ war, der später,
ungewifs aus welchem grunde, auf Å übertragen worden.
Als erklärung dafür, dafs das ijr im jüngsten nordischen futhork
elgr als namen für die rune Å verdrängt hat, sehe ich nur eine
möghchkeit, nämlich die annähme, dafs die Nordleute erst in sehr
später zeit den namen yr aus dem altenglischen runen-
alphabete aufgenommen haben. Hier hatte man früh aus der
alten «-rune ein neues zeichen für y gebildet, welches hinter die
ursprüngliche reihe gestellt wurde und den namen yr halte. Die
form des nordischen Å elgr führte leicht zu der annähme, dafs es
wie altengl. yr eine Umbildung von H sei, und als man Å auf den
letzten platz im futhark gestellt hatte, wurde die scheinbare Über-
einstimmung mit dem altenglischen zeichen noch gröfser, was mit
sich brachte, dafs auch der altengl. name auf die nordische rune
übertragen wurde; dies konnte um so leichter geschehen, als man im
altengl. namen yr das nordische wort yr zu finden glaubte. Wir haben
hier dann denselben Vorgang, wie wenn altengl. 6s später das nordische
åss verdrängt und mit altnord. 6ss identificiert wird. Zwar scheint
der futhark in der handschrift von St. Gallen zu beweisen, dafs ^r
im Norden frühzeitig als name für Å gebraucht worden; aber ich
kann dem Zeugnis dieser handschrift bezüghch dieser frage kein
grofses gewicht beimessen , da einwirkung von dem altengUschen
alphabete gerade hier so nahe lag, dafs ich kein bedenken hege
s. 201. anzunehmen, der name yr im cod. Sangall. sei durch ein mifsver-
ständnis, unter einflufs der yr-rune des altenglischen alphabetes, in
das nordische gekommen, welche man natürlich mit dem nordischen
zeichen identificierte. Dessen wirklicher name war damals
und weit später nach meiner meinung elgR, und elga wurde
erst dann von yr verdrängt, als man das bedürfnis nach
einem eigenen zeichen für den i/-laut fühlte.
Zu dieser annähme bin ich durch einen ziemlich seltenen ge-
brauch des Zeichens Å auf dänischen und schwedischen runensteinen
geführt worden, der nach meiner meinung bisher nicht richtig er-
klärt ist.
Der gröfsere Søndervissinger stein, der ohne zweifei von
Harald blauzahns gemahlin Tofa zur erinnerung an ihre mutter er-
richtet ist und dem ende des 10. Jahrhunderts angehört, hat in
4 Zeilen folgende inschrift:
II. KAP. VERHALTN. ZWISCHEN D. KÜRZEREN U. LÄNGEREN RDNENREIHE. 245
tufa I lÅt < kaurua • kubl
mistiuis • tuti/k ■ uft ■ muj)ur
sina ' harats < hius ■ ku{)a • kurms
kuna suna>k
die ungefähr gelautet haben mufs: Töfa Ut gerwa (yårwd) kumbl,
Misttwis dötttR , øf( mödur sina, Haralds hins gada Gorms siniüR kona,
d. h. „Tofa, Mistiwis tochter, Haralds des guten Gormssohns weih, liefs
das denkmal machen nach ihrer mutter".
Geraäfs der ursprünglichen Unterscheidung zwischen År und 1^ r
steht Å richtig in dem genitiv simaR und 1^ richtig in dem accusaliv
mu[)ur d. i. möditr; auch in dem nominaliv tutiR d. i. dötlt'ji
ist Å frühzeitig durch analogie aus andern formen an stelle von R
getreten (vgl. 'Anhang' IV). Daneben treffen wir indessen hier auf
dem Sondervissinger steine A. in dem worte lAt mit einer
ganz andern bedeulung; dafs wir in dieser form das Präteritum
des verbums lata haben, das sonst auf den runensteinen unzählige
male MT lit ge.schrieben wird, ist natürlich über jeden zweifei er-
haben; es handelt sich also nur um die ausspräche dieser form.
Thorsen („Den sondervissingske Runesten" s. 15 — 16) nimmt an,
dafs TAT løt gelautet habe, und findet in dem gebrauch des /k.
mit der bedeutung ø ein sehr altes beispiel für den später allge-
meinen gebrauch dieses Zeichens als vokal, weshalb er es nicht
nur mit Å auf dem Hobroer steine, den wir sogleich näher be- s. 202.
sprechen werden, sondern auch mit dem År+I^ des Vejerslever
Steines und mit Å in der Gesingholmer Inschrift zusammenstellt. Im
gegensatz zu Thorsen glaube ich indessen, dafs das >k der beiden
letzten Inschriften mit der gewöhnlichen jüngeren bedeutung y (das
Ar+R des Vejerslever Steines lese ich yfaer = yvær im jütischen
gesetze) nicht in der geringsten Verbindung mit A auf den steinen
von Sondervissing und Hobro steht. Dafs der y-laut später in vielen
fällen in ø überging, erklärte ja keinesfalls, wie so das spätere «/-zeichen
schon auf dem Sondervissinger steine mit der bedeutung o gebraucht
wäre, und die Schreibweise (kaurua,) uft, wo gerade der >9-laut
wie sonst regelmäfsig in den runeninschriften durch (au oder) « aus-
gedrückt wird, macht es höchst unwahrscheinlich, dafs man für e
in let eine neue, sonst unbekannte, bezeichnung für diesen laut ge-
wählt haben sollte. Da aufserdem sprachgeschichtliche gründe da-
gegen sprechen, die form løt für so alt zu halten, so zweifle ich nicht
246 ZWEITES BUCH. DIE ENTWICKLUNG DER RUNENSCHRIFT IM NORDEN.
daran, dafs die Schreibweise T/kT liier dieselbe ausspräche wie das
gewöhnliche TlT, nämlich Ut (= isl. Ut) oder ^céf bezeichnet'),
s. 203. Obgleich >k auf den runensteinen selten als zeichen für den
e- oder æ-laut vorkommt, isl der Sjandervissinger stein jedoch nicht
alleinstehend. Dasselbe Verhältnis begegnet uns wenn möglich noch
deutlicher auf einem andern jütischen steine, nämlich dem von
Hobro, den ich umstehend nach einer Zeichnung von prof. Kornerup
im archiv des altnordischen museums zu Kopenhagen mit einigen
berichtigungen, die sich auf meine eigene Untersuchung des Steines
gründen, wiedergebe. Die Inschrift lautet:
: {)uri>k : risj)i : stin : {)qasi^) : aufti : karl :
hin : ku|)f[a : fÅlaka : sin : harjia : ku|)<ian : trÅk :
d. h. PöriR ræispi (oder réspi) stæin (oder sten) pannsi øfti Karl hinn
göda félaga sinn, harda gödan dræng, „Thorir errichtete diesen stein
nach Karl dem guten, seinem kameraden, einem sehr tüchtigen manne".
Hier steht Å. also wie auf dem Søndervissinger steine einmal
mit seiner gewöhnlichen bedeutung in MriR und zugleich als zeichen
•) Wenn Thorsen meint, dafs das jetzige dänische lod „sich aus der pro-
vinzialeigentiiuilichkeit entwickelt hat, welche f'/kT uns erkennen lälst", so
kann ich diese auffassung nicht teilen. Von den ältesten dänischen Sprachdenk-
mälern hat die runenhaudschrift des schouischen gesetzes zweimal løt (V, 17),
während die Hadorfsche handschrlft an beiden stellen lot schreibt; diese letztere
form wird auch in den seeländischen gesetzen gebraucht, wogegen das jütische
gesetz einmal let und einmal læt hat. im altschwedischen ist die regelmaisige
form læt (im Gutalag Ut, wo t wie in andern fällen Island, e entspricht), aber
lot selten. Das Verhältnis zwischen den formen læt, let, lut im altschwedischen
und altdänischen ist sicher dieses, dai's læt die älteste ist, und dafs lot erst
später dadurch aufkam, dals das wort in die ablautsreihe a — 6 übergeführt
wurde (in analogie mit /ara u. s. w. flectiert wurde, wie z. b. in dem jetzigen
gotländischen dialekte rada im präteritura 7'od heilst, während die Gutasaga
reß, riap hat). Dagegen h;it sich løt am ehesten aus læt durch Übergang von æ
in e entwickelt. — Da altnord. lét wie bekannt aus einer älteren form mit
reduplicatioussilbe entstanden ist, könnte man, wenn das X>. des T/kT ^"^ ^^^
Søndervissinger steine als zeichen für den e- oder æ-laut alleinstehend wäre, ver-
sucht sein dieses wort lat zu lesen, wo J^ also seine urspiüiigliche bedeutung
hätte, nnd der vokal ausgelassen wäre; in l[æ]i't gehörte das / somit der redupli-
cationssilbe, und r mülste durch dissimilatiun aus dem / der wurzel hervorge-
gangen sein (vgl. altengl. leorl, prät. von lætan, got. lailot). Aus mehreren
gründen halte ich jedoch diese erklärung für unrichtig.
*) Die inschrift hat [s^+HI (nicht fj'l'+HI wie auf Kornerups Zeichnung),
wo ^'f wi^ i" ku{)2ia v.aå kujj^aii gebraucht ist.
II. KAP. VERHÄLT.N. ZWISCHEN D. KÜRZEREN U. LÄNGEREN RDNENREIHE.
24-
für é ((p) und æ in den worten félagi (fælagi) und dræfiga, die beide
sonst regelraäfsig Tl T+Kl und TRIKÅ geschrieben werden.
Noch öfter kommt A mit der bedeulung e, æ in Schweden
vor. Aus der liarde Ase in Ves t ergo t land führt Liljegren 10
steine an (Run-Urkunder no. 1367 — 76), von denen wenigstens vier
>k als zeichen für e, æ gebrauchen in den worten t'/kKi* = pegn (no.
1370), tItkK = dræng (no. 1371. t372\ ÅrtlÅ = af/i/j,no. 1370,
Der steiu vou Hobro, Jiitlaod.
1376), also ganz in derselben bedeutung wie I in 1*1 Ki", Ir TfÅ auf
no. 1369 gebraucht ist und ♦ in I TTI auf no. 1372, wo wir also sowohl
\ wie auch A in der bedeulung e (æ) flnden^). Der letztgenannte stein s. 204.
*) Dagegen ist es höchst nowahrscheiolich, dafs J^ auch in IP'Tyk auf
00. 1375 und in \Y X. auf no- 13T1 e (ifte, ife: vgl. efti auf no. 137"2) oder
eR UftcR, ifcR) bezeichnet, so dafs X. sowohl zeichen für e wie für iJ wäre;
248
ZWEITES BUCH. DIE ENTWICKLUNG DER RUNENSCHRIFT IM NORDEN.
(no. 1372) scheint in naher beziehung zu dem eben besprochenen
dänischen steine von Hobio zu stehen, mit dessen hülfe er mit
Der stein aus dem kirclispiel Äs, Äse härad, Vestergötland.
Sicherheit wird ergänzt werden können, weshalb ich ihn hier nach
der Zeichnung im Bautil (no. 951) wiedergebe. Die inschrift,
yjv iiiuls io den geoanntea werten in seiner gewöhnlichen bedeutung R ge-
noiumen werden (iftR, iffi ist eine nicht selten vorkoiuiceade Schreibweise).
II. KAP. VERHÄLTN. ZWISCHEN D. KÜRZEREN U. LÄNGEREN RUNENREIUE. 249
in deren schlufs die spitzen der runen abgeschlagen sind, mufs ge-
lesen werden:
jjuri : risj)! : st[i]n : J)4nsi : efti : karl :
sin : f >k . . . . : h[a]r])a : ku|)^n : trAk :
Zwischen sin und h[a]r{)a liest Liljegren, was auch die Zeichnung s. 205.
im Bautil zunächst anzeigt, Fr: i'ant, das also frænd\a) bedeuten
müfste; aber es hat dort offenbar VXX\Y\ {^^ félaga) wie auf dem
Hobroer steine gestanden^). Da dieser stein aus Vestergötland vons. 206.
und nach einem manne mit demselben namen wie der stein von
Hobro errichtet ist, da beide Inschriften ungefähr gleichlautend sind,
und beide A. in derselben bedeutung gebrauchen, so liegt es trotz
des Unterschiedes, der sich in der Orthographie einzelner worte findet,
nahe, anzunehmen, dafs derselbe Thorir seinem kameraden Karl ein
denkmal sowohl in Jütland wie in Vestergötland errichtet hat.
Neben MT, das uns unzählige male auf schwedischen runen-
sleinen begegnet, kommt hier auch einigemal die Schreibweise T/kT,
plur. TÅTH vor, wie auf dem Sendervissinger steine, so auf no. 288,
612, 625 bei Liljegren.
Eine befriedigende erklärung der thatsache, dafs die rune
yk, während sie noch in vollem gebrauch als zeichen für
das „schlufs-Ä" war, und lange bevor sie mit der jüngeren
bedeutung y auftritt, zugleich als bezeichnung für den
*) Die richtigkeit dieser vermataog ist inzwischen durch K. Torin in „Wester-
götlands Ruoioskrifter, Andra samlingen", Lund 1S77, s. 19 bestätigt worden.
Ans der übrigens sehr undeutlichen Zeichnung des steiiies bei Torin (no. 42)
scheint hervorzugehen, dafs sich hinter P'/Iv keine punkte finden; in der fol-
genden rune {X'\ ist der ganze nebenstrich weggeschlagen, aber in der vierten
{^\ ist noch der unterste teil zu sehen, was mit Bautil übereinstimmt;
der fünften rune {Y^ fehlt der ganze nebenstrich (Bautil hat Y^ ohne zweifei
unrichtig statt l')^ der auch in der sechsten (k"^ nicht zu sehen ist, während
Bautil noch den untersten teil hat. Von den folgenden beiden punkten ist
der unterste erhalten wie in Bautil, und in der rune vor |^ ist der unterste teil
von beiden nebenstrichen, der in Bautil fehlt, und der zeigt, dafs hier jt ge-
standen hat, noch deutlich; dem 'f in 'fl^yk.K f^Wt die spitze wie in Bautil. —
Von den andern bei Liljegren angeFührten steinen aus dieser barde finden sich
aufserdem no. 1369—70 und 1375 — 76 bei Torin als no. 44 — 45 und 40 — 41
wieder und bezeugen Bautils und Liljegreus lesuog bezüglich der oben ange-
führten formen. Auf einem neuen bruchstück bei Torin (s. 18), das wahrschein-
lich einen teil von Liljegrens no. 1376 ausmacht, wird aufserdem fj^kKi"
wie auf no. 1370 geschrieben.
250 ZWEITES BUCH. DIE ENTWICKLUNG DER RUNENSCHRIFT IM NORDEN.
e- und æ-laut angewandt werden kann, linde ich darin, dafs
sie noch zu der zeit den allen namen elgn gehabt hat; am ende
der Worte fuhr sie fort mit der ursprünglichen bedeutung r
gebraucht zu werden; aber man konnte auch wie bei den andern
runenzeichen ihre bedeutung in dem buchstaben suchen, womit der
name begann, und sie konnte somit zugleich für e und æ ange-
wandt werden. Dieser letztere gebrauch drang jedoch niemals recht
durch und mufs am ehesten als eine individuelle eigentümlichkeit
einzelner runenritzer aufgefafst werden. Zur bezeichnung der laute
e und æ fand man nämlich ein neues mittel mit hülfe der punktierten-
runen, und /k eJgn wurde allmählich sowohl als zeichen für das
„schluss-Ä" (jedoch erst lange nachdem es lautlich mit R zusammen-
gefallen war) wie für e, æ aufgegeben. Als A später wieder
in die runenschrift aufgenommen wurde, hatte es die neue
bedeutung y und den neuen namen yr. Wie ein punktiertes
I (f) zeichen für e wurde, so bildete man das punktierte H (R) als
zeichen für y; aber auch das alte Å wurde später als eine ver-
änderte form von H aufgefafst und bekam daher dieselbe bedeu-
tung wie R. Den namen für diese rune entlehnte man von der
altenglischen ?/-rune, die weit früher von H gebildet war und in der
s. 207. form ziemlich genau mit dem nordischen Å R übereinstimmte, wes-
halb bereits im „abecedarium Nordmannicum" der name yr auf yk
übertragen ist.
Ich nehme deshalb an, dafs man gleichzeitig altengl. ös und yr,
die mit nord. öss und yr identificiert wurden, als namen für die
runen aufgenommen hat, welche auf der jüngsten entwicklungs-
stufe der runenschrift zeichen für o und y wurden^). Wo früher
1} Legt inao stärkeres gewicht auf den nainea yr im abeced. Nordm.,
als ich für berechtigt halten kann, so darf man nicht die möglichkeit über-
sehen, dal's der name yr längere zeit neben dem alten elgR bestanden haben
kann, ehe er dieses ganz verdrängte, und dals der runenritzer, welcher J^ so-
wohl für R wie für e, æ gebrauchte, dadurch gerade zu erkennen gegeben hat,
dafs er an dem alten namen festhielt. So wurde ohne zweifei das alte purs
erst sehr spät von porn als namen der rune |j verdrängt. — Da die iaschriften
von Maeshowe /^ in der bedeutung y gebrauchen, so ist es klar, dafs der
name auch yr gewesen ist; aber es liegt nicht der geringste grund vor, mit
Stephens (I, s. 101) den unter diesen inscbriften vorkommenden, oben (s. 236ff.)
besprochenen furthork in das 9. jhdt zu setzen; er ist sicher weit ins 11. hinab zu
rücken, wahrscheinlich sogar bis in die mitte des 12.jhdts, in welche zeit diese
inschriften im ganzen genommen gesetzt werden müssen.
II. KAP. VERHÄLT^. ZWISCHEN D. KÜRZEREN ü. LÄNGEREN RUNENREIUE. 251
die dss- und elgR-rune gestanden hatten, dahin stellte man jetzt die
öss- und ^r-rune, und der fulhork behielt somit die frühere anzahl
zeichen und ihre alle anordnung, während die übrigen neuen punktierten
runen nicht in die ältere reihe eingeordnet wurden.
Das resultat der vorhergehenden Untersuchungen ist also, dafs
die kürzere runenreihe von 16 zeichen unmittelbar aus
der längeren von 24 zeichen hervorgegangen ist. Die Ver-
änderungen, welche während dieser entwicklung mit dem längeren
futhark vorgegangen sind, lassen sich in folgende punkte zusammen-
fassen :
1) Die alten runennamen jära und ansuR wurden allmählich
so verändert, dafs die entsprechenden runen zeichen für das rein
orale a und für einen von dem nasal beeinflufsten a-laut wurden;
2) verschiedene der älteren zeichen wurden allmählich von
neueren (in der regel einfacheren) formen verdrängt, wobei die älteren
und jüngeren zeichen längere zeit neben einander stehen konnten
(5|c und + = a), gleichwie wir an mehreren punkten Übergangs- s. 208.
formen während der entwicklung von der längereu zur kürzeren
r«ihe nachweisen können (<YK = Ä-, M"^ Y = m u. s. w.);
3) 8 der älteren zeichen wurden allmählich aufgegeben, ein paar
sehr früh (V't, das vielleicht von anfang an gar kein lautzeichen
war, und die p-rune) , die andern später und, wie es scheint, in fol-
gender reihenfolge: ^; X, M, M; ^; P. Von den alten zeichen,
die sich nicht in der kürzeren reihe wiederfinden, erhielt sich Pw
am längsten;
4) die alte anordnung wurde an zwei punkten verändert.
Erst sehr spät wurde / vor m gestellt. Weit früher wurde Å. r
aus dem zweiten geschlecht an den schlufs des dritten versetzt,
um gröfsere harmonie zwischen der anzahl der zeichen in den drei
gesell lech tern zu wege zu bringen. Als A nicht mehr als zeichen für
das „schlufs-ß" gebraucht wurde, gab man dieser rune die neue
bedeutung y, indem man sie als eine Veränderung von H und als
identisch mit der altengl. j/r-rune auffafste, deren namen sie an-
nahm, während sie früher in der bedeutung h den namen elgR wie
in der längeren reihe gehabt hatte, weshalb sie zuweilen auch mit
der bedeutung e oder ob auftreten kann.
252 ZWEITES BUCH. DIE ENTWICKLUNG DER RUNENSCHRIFT IM NORDEN.
III. kapitel.
Die „punktierten" runen. Das jüngste runenalphabet.
Das runenalphabet von 16 zeichen, dessen entstehung wir eben
betrachtet haben, und welches auf unseren runensteinen aus der
jüngeren eisenzeit (von der mitte des 9. bis zum anfange des
11. jhdts) das gewöhnlicheist, drückt ja nur sehr unvollkommen die
verschiedenen laute aus, namentlich die vielen vokale, die sich all-
mählich durch um laut und andere lautveränderungen in der spräche
entwickelt hatten.
Dieser mangelhaften lautbezeichnung suchte man später abzu-
helfen, indem man aus einzelnen der 16 runen neue durch hinzu-
fügung eines punktes oder eines kleinen Striches bildete. Dadurch
entstanden die sogenannten punktierten runen, die sich bereits am
ende des 10. und am anfang fles 11. jhdts zu zeigen beginnen,
aber keineswegs mit einem schlage consequent auftreten. Wie der
s. 209. Übergang vom längeren zum kürzeren alphabete einen ausgedehnten Zeit-
raum in anspruch genommen, so ist auch die enlwicklung vom gewöhn-
lichen futhark des jüngeren eisenalters zu den punktierten runen sehr
langsam vor sich gegangen, und wenn wir früher auf demselben denk-
mal das alte und das neue ())( und +) neben einander finden konnten,
so treffen wir hier dasselbe Verhältnis wieder. Auf dem runenstein,
der 1857 auf der Bustruper feldmark dicht südlich vom Danevirke
gefunden wurde, und der könig Sven gabelbarts namen trägt (dem
Danevirker steine), kommen die punktierten runen ♦ und Y jede ein
einziges mal vor, nämlich \ in dem worte HtHTR uestr d. i. westr
und Y in >rlTl'ir+') himj)iga d. i. hæimpega oder hémpega.
Sonst wird I nicht blofs dem ursprünglichen diphthongen +1 ai {æi)
entsprechend, der zu dieser zeit sich dem einfachen laute é genähert
haben mufs (also in suin, stin, him-, hifta-), sondern auch in
-J)iga = -pega gebraucht, während die ältere bezeichnung l-P (1^)
für e in ias d. i. es, i^n d. i. en vorkommt; gleichfalls steht K in
Kn+nK/k kunukR nach dem älteren gebrauch sowohl als zeichen
für k wie für g (tdg).
Weit häufiger werden die beiden genannten punktierten runen
auf dem einen Schleswiger steine von Vedelspang, dem Hedebyer steine,
*) Der punkt in dem K ist früher übersehen worden (auch auf der Zeichnung
bei Thorsen, De danske Ruueuiiudesuiærker I, s. 93).
III. KAP. DIE PÜXKTIERTEN RÜ>E>'. DAS JÜNGSTE ROSENALFBABET. 253
angewandt, der ungeßhr derselben zeit (um das jähr 1000) wie der
Danevirker stein angehört. Wie dieser gebraucht der Hedebyer stein
jedoch t e und Y g (sowohl als muta wie als spirans) durcheinander mit
I und K. Wir finden so* in ITtl/k eftiR, tWTyk (geschrieben mit
„einstabsrunen") tregR d. i. drcmgR und im nom. plur. TWKI+>k
trekiaR d. i. drcmgjaR, ja sogar in IRIK erik (= dem altnord.
Eirik), welches zu beweisen scheint, dafs der diphthong auf jeden
fall in diesem worte zum einfachen vokal geworden war. Dagegen sieht
I nicht blofs in den andern fällen, wo das allnurdische ei hat (ris|)i,
slin, bim-, suins, während der alle diphthong sogar ganz aus-
geschrieben wird in hai[)abu = altnord. Heidabö, auf dem Danevirker
steine hi|)abu geschrieben), sondern auch in filaga = félaga,
-^\gi = -pegi, während ias, ian {= es, en) wie auf dem Danevirker
steine e durch ia ausdrücken. Auf gleiche weise wechseln V und
K auf diesem steine; während man Y in hini{)igi und filaga ge-
braucht findet, wird das wort drængR nur an der einen stelle mit
Y (tregR), aber an der andern mit K (trekiaR) geschrieben, so
wie gödr durch ku{)r ausgedrückt wird.
Ähnliche Verhältnisse begegnen uns auch ab und zu auf andern
gleichzeitigen steinen; der grofse stein von Ärhus hat z. b. zweimal \
(in eftiR und felaka) und einmal Y (in augutr); aber in der regel
werden die punktierten runen (♦ und Y) noch nicht in den inschriften
vom Schlüsse des 10. jhdts (dem gröfseren steine von Jællinge u. s. w.)
gebraucht, oder treten nur ganz sporadisch auf (so haben der grofse
Hällestader und der Sjöruper stein von Schonen jeder einmal Y).
Etwas später als ♦ und Y tritt auch R als zeichen für y auf, s. 210.
aus n auf dieselbe weise wie ♦ und Y aus I und K gebildet. Wäh-
rend sowohl der Danevirker wie der Hedebyer stein noch H in der
bedeutung y gebrauchen (-bu = -by, sturimatr mit einstabs-
runen auf dem Hedebyer steine = s/yrimandr), kommt B zusammen
mit ♦ und Y auf dem stein von Sjælle aus Jätland vor, der ungefähr
mit dem Hedebyer steine gleichzeitig sein mufs. Öfter treten alle drei
punktierten runen in etwas jüngeren inschriften (ungefähr um die
mitte des 11. jhdts) aus Schweden und Bornholm auf, und diese
Vermehrung der 16 zeichen der kürzeren runenreihe wurde längere
zeit hindurch für ausreichend gehalten. Dafs die punktierten runen
nicht in den alten futhark eingereiht oder in denselben hinter den
älteren zeichen aufgenommen wurden, zeigen die wiedergaben dessell)en,
die uns auf steinen und andern denkmälern überliefert sind, sowie
254 ZWEITES BUCH. DIE ENTWICKLUNG DER RUNENSCHRIFT IM NORDEN.
auch das alte norwegische runengediclil und die isländische runen-
reimerei. Nur die beiden oben (s, 240) genannten handschriftlichen
futhorke fügen hinter der alten reihe der erste Y , aber keine der
andern jüngeren runen, der zweite mehrere jüngere zeichen hinzu,
L-Wdi
Der alphabetsteiii von Osterniaiiæ sogn, ßornholui.
die er jedoch gerade als nicht zu der ursprünglichen reihe gehörend
bezeichnet, indem er dieselben durch drei punkte von dieser unter-
scheidet; und während den 16 alten runen die namen beigefügt
werden, setzt er den neuen nur die buchslabeii bei, welche ihre
III. KAP, DIE PCNKTIERTEN RUJCEN. DAS JD.NGSTE RUNENALPHABET. 255
bedeutung angeben. Dafs die punktierten runen dagegen unter die
alleren aufgenommen wurden, wenn der futhork nach dem latei-
nischen alphabete geordnet wurde, mufste man ja erwarten.
Eine alte darstellung hiervon tindet sich auf einem kleinen sandstein,
der zu beginn des Jahres 1882 in Østermariæ sogn auf Bornholm
ausgepflügt wurde und jetzt im altnordischen museum zu Kopen-
hagen bewahrt wird. Dieses in seiner art alleinstehende denkmal ist
umstehend in natürlicher gröfse wiedergegeben ').
Von den neueren punktierten runen sind also nur i (e) und
V ig) in dieses aiphabet aufgenommen, und von besonderem interesse
ist es, dafs wir für r R und Å neben einander finden; dies stimmt
mit dem merkwürdigen handschriflhchen alphabete bei Hickes Ilf,
tab. II no. 6 {= Stephens I, s. 108—9 no. 31) überein, wo die
runen gleichfalls nach dem lateinischen alphabete geordnet sind,
jedoch nur die 16 alten runen platz gefunden haben, was in Ver-
bindung mit den runenformen daraufhindeutet, dafs die quelle dieses
alphabetes sehr alt sein niufs. Wie der kleine strich am Schlüsse
des Bornholmer alphabetes ergänzt werden soll, läfsl sich nicht sicher
ausmachen, da der stein hier in stücke gebrochen ist; wir würden
ja an dieser stelle am ehesten R als zeichen für y erwarten; aber
von einem beistrich findet sich keine spur, und die form des Striches
widerspricht bestimmt einer solchen annähme. Ich glaube deshalb,
dafs das aiphabet mit H geendet hat, und dafs der strich nur eine
art trennungszeichen ist, um den räum am Schlüsse des alphabetes
auszufüllen.
Durch die bildung der punktierten runen macht sich ein ganz
neues princip geltend, und ihr auftreten bildet das dritte stadium
in der entwicklung der nordischen runenschrift.
Das bedürfnis nach einer vollständigeren lautbezeichnung, welches
zuerst die punktierten runen hervorrief, konnte jedoch auf die länge
keineswegs durch diese allein befriedigt werden. Allmählich spalteten
^) Wie aus dieser abbilduDg hervorgeht, leidet Stephens' wiedergäbe III,
s. 442 ao verschiedenen wesentlichen fehlem. Der sehr deutliche punkt in f, der
ziemlich nahe an dem beistriche steht, ist übersehen; die form der A-rune ist
unglücklich; in R ist der unterste nebenstrich, der in J^^ hineinläuft, übersehen,
und Stepbens fal'st die rone als lateinisches P auf! Den kleinen strich hinter H
sieht Stephens fiir einen rest von lat. X 3o! — Der kleine alphabetstein von Jüt-
land, den Stephens für echt hält und dessen runen er an derselben stelle v^ieder-
gibt, ist nach meiner ansieht ein plumper betrug aus der neuesten zeit.
h
A
n
0
+
*
æ
0
256 ZWEITES BUCH. DIE ENTWICKLUNG DER RUNENSCHRIFT IM flORDEN.
sich daher mehr und mehr von den alten zeichen in verschiedene
formen, die alle besondere laule bezeichneten, und das alte runenalphabet
wurde zuletzt so dem lateinischen alphabete angepafst, dafs es ein
zeichen für jeden der lateinischen buchstaben bekam. Dies ist die
letzte stufe in der entwlcklung der runenschrift, welche hiermit
abgeschlossen ist. Dies geschah zu einer zeit, wo man das lateinische
aiphabet neben dem runenalphabet benutzte, ohne jedoch das letztere
aufgeben zu wollen. Man bildete dann mit hülfe der alten runen-
zeichen ein aiphabet, das gerade so gut wie die lateinischen buch-
slaben die laute der muttersprache wiedergeben konnte. Dieses
aiphabet finden wir z. b. in der runenhandschrift des schonischen
gesetzes (ums jähr 1300), wo es folgende form hat:
^ B - 1 t r K )fc I Kr
a b c d e f, V g h, g. i, j k l
Bu. B-Rll1t> n-Å
p q r s t p,d ti,w X y
Für c und q, die in den ältesten nordischen handschriften mit latei-
nischen buchstaben häufig gebraucht werden, hat die runenhandschrift
dasselbe zeichen wie für k (K), und x wird durch H^H d. i. ^s (ghs)
ausgedrückt.
Anderwärts treffen wir aufserdem verschiedene andere formen,
z. b.:
n«/ ^ d f V {w) h c, z *s
Das Verhältnis zwischen den älteren und den neuen zeichen ist
ja an allen punkten deutlich. Teils sind einzelne zeichen weiler ver-
einfacht worden : + a, + w, T f gingen in i, b, 1 über, wie H s nicht
s. 211. selten zu * verkürzt wurde — dafs diese formen bereits frühzeitig
sporadisch auftreten können, haben wir oben (s. 208) gelegenheit
gehabt zu bemerken; der Schleswiger runenstein von Vedelspang, der
keine punktierten runen kennt, hat neben den gewöhnlichen älteren
formen T t und H s beständig i a und h n (vgl. 'Anhang' III). Teils
haben sich viele der älteren zeichen in zwei gespalten, nämlich:
'l'a = Ha, + æ V k =Y k, Y g
(t: ^ = ^ 0, * ^) t t = 1 f, 1 rf
\ i = 1 i, \ e B b = B 6, B oder B p
n u = n M, R (A) y h s = h s, V z oder
H c, z, * s
ni. KåP*. DIB PUNKTIERTEN RUNEN. DAS JÜNGSTE RUNENALPHABET. 257
ond aulserdem zuweilen
Das so erweiterte runenalphabet stand lange zeit neben dem
lateinischen, und so zähe hielt das volk an seiner alten schrift fest,
dafs sie nicht einmal als vollständig aufgegeben angesehen werden
kann, als die gelehrten im 16. Jahrhundert sie zum gegenstände ihrer
Untersuchungen zu machen begannen.
Wie dies weit früher bei den südgermanischen Völkern geschehen
war, wurden endlich auch in Skandinavien die runen von der latei-
nischen schrift verdrängt. Es war also in Wirklichkeit das zweite
mal, dafs die Nordbewohner das lateinische aiphabet annahmen. Die
fichrift, welche sie in den ersten Jahrhunderten nach Chr. zusammen
mit den übrigen germanischen Völkern gebrauchten, war geradezu
aus den lateinischen buchstaben gebildet, und Jahrhunderte hindurch
hatten sich die runenschrift und das lateinische aiphabet unabhängig
von einander entwickelt. Zu anfang des mittelalters wurde das
lateinische alphabel in einer neuen gestalt im Norden bekannt und
führte von nun an einen langwierigen kämpf mit der alten runen-
schrift, die unter seinem einflusse wesentlich verändert wurde, während
sich die einwirkung der runenschrift auf das lateinische aiphabet in
der hauptsache darauf beschränkte, dafs letzleres eine einzige rune, t>,
aufnahm, die aber in Dänemark und Schweden frühzeitig wieder auf-
gegeben wurde '). Jedoch Ireflen wir auch in bezug auf die lautbe- «• 2J2.
Zeichnung in den ältesten dänischen und schwedischen handschriften
einzelne deutliche spuren der runenschrifl*).
^) Das „aogelsächsische" aiphabet nahm bekanntlieh nicht hlofs die rnne p^
sondern aoch P u> auf. Wenn dies letztere zeichen auch in Skandinavien als
zeichen für w vorkommt — so in einigen der ältesten isländischen und nor-
wegischen handschriften und sonst zuweilen — , ist es hierher von England
herübergebracht, aber nicht wie fi aus unserm eigenen rnnenalphabete aufge-
nommen, welches, wie wir oben nachgewiesen haben, das «v-zeichen vor dem
jähre SOO aufgegeben hatte.
-) Ich denke besonders an den ab und zu vorkommenden gebrauch von h
(statt des gcwühnlichen gk) zur bezeichnuog des lautes ^, welcher im jüngsten
runenalphabet regelmäfsig durch -jjc, ausgedrückt wird. Nicht selten wird h auf
diese weise in der den anfang von Valdemars seeländischem gesetze enthaltenden
Arnamagn. handschrift no. 24 4to verwendet (siehe den photolithographischen
abdmck, Kbh. 1S69, und „Valdemars sællandske Lov, udg. ved P. G. Thorsen",
Kbh. 1S52). Wenn sich in Thorsens ausgäbe nach derselben handschrift totær
WIMMER, Die rnnensehrift, 17
258
ZWEITES BUCH. DIE ENTWICKLUNG DER RUNENSCHRIFT IM NORDEN.
Stellen wir nun die drei haupt formen der runenschrifl im
Norden, das ältere, jüngere und jüngste aiphabet, zusammen, so
sind die zeichen auf folgende weise nach den lauten, die bezeichnet
werden, zu ordnen (siehe oben s. 191 f. und vgl. meine „allnordische
grammatik" und „fornnordisk formlära" § 2, § 4—5):
L<k
Hh y. g.
tt
> p \/\d
^P
Vf ^t
^ s Y [s] ß
+ n
M m
Vi Kr
1 (I) j
^ a, M e, I i, ^0, n « (kurze und lange).
Diphthonge werden durch Zusammenstellung der vokale, doppel-
konsonanten durch einfaches zeichen ausgedrückt.
.Yk g (f9g)
5|i h
t t (l(nd)
M
^ p b (mb)
^f
Å R
(+^)
+ n
t Ym
tl k
ly
n w
|5 nasaliertes a (ö, æ), + a («, æ), I i, e, h n, o {y, o) aufser
mehreren andern bedeutungen für die einzelnen vokalzeichen und
die daraus gebildeten zusammengesetzten zeichen (vgl. 'Anhang' VI).
III. Y k V g
t f 1 d
B p B 6
H* s k z
i
fl,
V p (P>) d
+ æ, I ?, t e, n w, n A y, ^ 0, + 0
\ n
Y m
tl R
[\ w
(T, 1 § 1), tothær (I, 1 § 12 im schl.) findet, hat er an der ersten stelle das
wohlbekannte verschlungene zeichen für do, an der andern das deutliche do
unrichtig als to gelesen; auch die ruoenscbrift hätte ja zu dieser zeit d nicht
durch t, sondern durch 'punktiertes' t (d. i. d) ausgedrückt, wie es in der runen-
handschrift des schouiscben gesetzes der fall ist.
Anhanff.
I.
Das "Wulfllanische alphabet.
(Za 8. 71 f., 114, 128.)
An verschiedenen stellen haben wir in dieser abhandlung gelegen-
heil gehabt, bei den Ihatsachen zu verweilen, die beweisen, dafs die
Goten wie aucli die übrigen germanischen Völker die runenschrift ge-
kannt und gebraucht haben; aber frühzeitig, gegen das ende des
4. Jahrhunderts, hat auf jeden fall ein grofser teil der Goten diese
Schrift mit einem neuen alphabete vertauscht, das uns in den gotischen
Sprachdenkmälern überliefert ist. Als „erfmder" dieses alphahetes
bezeichnen kirchenhistoriker (Philostorgios, Sokrates) Wulfila ^), ein
ausdruck, der indessen cum grano sahs zu verstehen ist. Wie sich
Wulfllas Schrift zu der alten runenschrift und zu den in seiner
zeit allgemein bekannten und gebrauchten alphabeten anderer Völker
verhält, wie es also in Wirklichkeit mit WuKilas „erfindung der
gotischen buchslaben" steht, wird klar aus einer näheren betrachtung
der buchslabenformen hervorgehen, die uns in den gotischen hand-
schriflen, besonders im codex argenteus, überliefert sind. Dafs diese
handschrift nämlich die buchstaben in allem wesentlichen in der
von Wulfila selbst gebi-auchten gestalt wiedergibt, darf sowohl aus
ihrem alter (wahrscheinlich ende des 5. jhdls) wie aus ihrer ganz
prachtvollen ausstattung und sorgfältigen herslellung geschlossen werden
und wird auch dadurch bestätigt, dafs sich dieselben buchstabenformen
so gut wie unverändert in den übrigen gotischen pergamenthand-
^) G. Waitz, Über das Leben and die Lehre des U161a, HaanoCer 1840,
4to, s. 51.
17*
260
ANHANG.
Schriften (codices Ambrosiani in Mailand, codex Valicanus in Rom,
codex Carolinus in Wolfenbüttel) wiederfinden, während die beiden
Kaufbriefe auf papyrus von Neapel und Arezzo (der letztere jetzt ver-
loren) etwas abweichende, mehr kursive formen haben (vgl, die
Schrifttafel in Gabelentz und Loebes Grammatik der Golh. Sprache).
Jeden, der mit kennlnis der griecliiscben und lateinischen paläo-
graphie unbefangen die gotischen buchstaben betrachtet oder den
blick auf eine seite in einer der gotischen handschriften richtet^),
wird sofort die erstaunliche Übereinstimmung zwischen Wulfilas schrift
und der griechischen (und lateinischen) uncialschrift von 400—600
frappieren^), und eine nähere Untersuchung der Wulfilanischen
buchstaben im einzelnen wird es auch aufser allen zweifei
setzen, dafs Wulfila seine schrift durch eine sinnreiche an-
wendung der griechischen und einzelner lateinischer
uncialbuchstaben mit aufnähme von ein paar runen ge-
bildet hat.
Dieses Verhältnis, das bereits Gabelentz und Loche (Goth. Gram.
s. 12 (T.) und später Kirchhoff (Das gothische runenalphabet) in der
hauptsache richtig dargestellt hatten, haben spätere Untersuchungen
wieder in mehreren beziehungen unklar gemacht. Ich will deshalb
hier so kurz wie möglich näher zu begründen suchen, was ich an
verschiedenen stellen in der vorhergehenden abhandlung teils über
das Wulfilanische aiphabet im allgemeinen, teils über einzelne von
dessen zeichen ausgesprochen habe.
Die gotische buchstaben folge läfst sich mit Sicherheit aus
dem zahlenwerte der buchstaben bestimmen, der genau mit dem
griechischen gebrauche zusammenfällt. Hiernach stellen wir unten
^) Ein recht zuverlässiges bild von einer seite (fol. 5 r.) im cod. arg. gibt
das faksimile, das A. Uppströms ausgäbe (Upsaliæ 1854) begleitet; jedoch ist der
ton der purpurfarbe des pergaments nicht ganz glücklich. Die seite der
haodschrift, welche sich auf taf. 118 in der von „The Palæographical Society"
herausgegebenen vorzüglichen Sammlung „Facsimiles of Manuscripts and In-
scriptions. Ed. by E. A. Bond and E. M. Thompson, I, London 1873—83"
findet, stellt natürlich die einzelnen buchstabenformen etc. genau dar; aber die-
selben treten nicht klar hervor, und die abbildung gibt nur eine schwache Vor-
stellung von der äulseren erscheinung der prachtvollen handschrift.
^) Diese autfalleude ähnlichkeit zeigt sich sogar in solchen von rein kalli-
graphischen gründen herrührenden kleinigkeitcn wie der häufigen auslassung der
kleinen feineren verbindungsstriche in den buchstaben, so dafs die linien nicht
ganz zusammenhängen (bei J, r, s u. s. w.).
I. DAS WULFILANISCHE ALPBABET. 261
S. 264 in der reihe I die gotischen buchslaben in den aus dem cod.
arg. bekannten formen auf, indem wir auf die rechte seile die latei-
nischen buchstaben stellen, mit denen die gotischen im allgemeinen
in den ausgaben umschrieben werden, und auf der linken zur ver-
gleichung die griechischen buchstaben hinzufügen, die denselben
zahlenwert wie die gotischen haben. Nur das letzte zeichen (für
900) kommt nicht im cod. arg. oder in den andern wirklich gotischen
handschriften vor, sondern ist der Wiener handschrift cod. Salisb.
no. 140 (vgl. s. 71) entnommen.
Es geht aus der Zusammenstellung hervor, dafs Wulfila 27 zeichen
gebraucht wie die griechische buchstabenreihe, wenn sie zu Zahl-
zeichen benutzt wird, und dafs die gotische anordnung genau der
griechischen entspricht. Die abweichungen beider reihen von einander
beruhen zum gröfsten teil auf dem unterschied zwischen der griechi-
schen und gotischen spräche; sie zeigen sich, wenn wir vorläufig die
verschiedenen buchstaben formen aufserhalb der betrachtung lassen,
an folgenden punkten:
1) wo das griechische sein episemon j: ßav, diya[t,[M)t (später
C ötiyfuc) aufweist, hat Wulfila das zeichen für q, d. i. die laut-
verbindung kw, eingesetzt. Dagegen werden die beiden andern
griechischen episema xönna und aäv {(Saiinl) an ihrer stelle und
in der form beibehalten, die wir auch aus dem griechischen
kennen^);
2) für griech. jy, ^, (f setzt Wulfila zeichen für Ä, j, / ein;
3) für griech. o setzt er sein u ein;
4) für griech. xp setzt er das zeichen für w, d. i. die lautver-
bindung Aw, ein;
5) griech. v gibt o, d. i. den halb vokal tu, wieder (wird aber in
griechischen Wörtern zugleich mit der bedeutung y gebraucht).
Wulfila hat also das griechische Vorbild nur verlassen^
wo er es wegen der iautverhältnisse der gotischen spräche
für notwendig hielt. Es war natürlich nötig, im gotischen zeichen
für die im griechischen fehlenden laute Ä, j und f zu haben, wo-
gegen die griechischen zeichen für die lautverbindungen 5 und xff
ganz überflüssig waren. Jedoch hat Wulfila selbst einzelzeichen für
die lautverbindungen kw und hxo geschaffen. Diese häufigen laut-
1) W. Grimm, Zar Literatur der Ranen, Wien 1828, s. ], 15, 28; vgl.
V. Gardthaasen, Griechische Palaeographie, Leipz. I8T9, s. 167, 266.
262 ANHANG.
Verbindungen scheint VVuUila als einfache laute aufgelafst zu haben ') ;
in allen andern fällen wendet er nämlich zur bezeichnung des halb-
vokals w griech. v an, das indessen in griechischen Wörtern auch
mit der bedeutung y steht. Einen dem griechischen entsprechenden
unterschied zwischen « und rj, o und« hielt WuKila für überflüssig;
sein e (d. i. e) setzte er an die stelle des griech. «, sein o (d. i. 5)
umgekehrt an die des griech, w, und bekam somit platz für h und
M, wo das griechische ^ und o hatte. Für ti benutzt er nämlich ein
einfaches zeichen, nicht, wie das griechische, ov. Dagegen hat er in
ein paar andern fällen gerade mit dem griechischen als vorbild einzel-
laule durch Zusammenstellung von zwei zeichen ausgedrückt, indem
er l durch ei und æ durch ai bezeichnete^). Auch die Verwendung
von g für den gutturalen nasal fd {aggilus = äyysXog) ist vollständig
griechisch (vgl. s. 116).
Dafs das griechische aiphabet somit die eigentliche grundlage für
das Wulfilanische bildet, ist über jeden zweifei erhaben. Wo ihn
das griechische aiphabet im stich liefs, lag es für Wulfila nahe, zu
dem andern alten südeuropäischen alphabel seine zuÜucht zu nehmen,
mit dem er ebenso vertraut wie mit dem griechischen war, nämlich
zu dem lateinischen.
Von den oben genannten abweichungen vom griechischen weisen
uns die drei wichtigsten auch sofort aufs lateinische hin, nämlich die
zeichen für h, j und f. Während die beiden ersteren von diesen lauten
1) Bekanntlich halt J. Hoffory mit Zustimmung von Collitz (Zcilschr.
f. d. Phil. XII, 480 If.) q und w für einfache laute, den ersteren für einen labiali-
sierten A-laut {k mit «f-stellung der lippen), den zweiten für ein labinlisiertes
h {k mit {{-Stellung der lippen). Dies hat Braune (Gotische grammatik, 2. aufl.,
Halle 1882) angenommen und hat zugleich nach Collitz' vorschlage als Um-
schreibung für den letzteren laut das zeichen fv eingeführt. Obgleich ich —
vielleicht allzu ängstlich — es für richtig angesehen habe, in meiner abhandlung
der landläufigen aulTassung dieser laute zu folgen und sie auf die gewöhnliche
art zu umschreiben , so muls ich mich doch unbedingt der genannten neueren
aulfassung anschliefsen, die nicht nur verschiedene sprachliche Schwierigkeiten
in befriedigender weise löst, sondern auch eine vorzügliche erklärung der
gründe für die bildung der VVulfilanischen zeichen gibt; gleichfalls halte ich
das zeichen fv für eine sehr glückliche Umschreibung des ø die sicher allmäh-
lich allgemein eingang finden wird (als Umschreibung Tür v "lülste dann eher
w als V gebraucht werden). — Vgl. hierzu jetzt noch den aufsatz Braunes
„Zur transscription des gotischen alphabets" in P. Br. Beitr. XU, 216 IF.
2) Vgl. z. b. die Schreibung im cod. Sinaiticus Matth. X, 18: xkI inl
fjyffioias Se xal ßaailTg (= -XfTs) ax9^aea&at {== -G&f) (Vfxfv f/Jov.
I. DAS WCLFILANISCHE ALPHABET. 263
im griechischen ja ganz fehlten, und WulQIa daher in diesem alphabele
kein zeichen finden konnte, das auch nur annäliernd diese laute aus-
drückte, hätte er sicher als zeichen für / griech. </) wählen können;
er hat auch sein f auf den platz gestellt, den das griechische (p ein-
nimmt, und in griechischen Wörtern drückt er (f durch f aus; aber
wenn er zur bezeichnung dieses lautes nicht das griechische, sondern
das lateinische zeichen wählte, so war der grund natürlich der, dafs
die ausspräche des griechischen (p und des gotischen f wesentlich
verschieden war. Dafs er auch in andern punkten, aber stets aus
besondern gründen, das griechische aiphabet verliefs und das
lateinische benutzte, werden wir unten bei der besprechung der
einzelnen buchstaben sehen. Hier mache ich nur noch darauf auf-
merksam, dafs während die zeichen für i und æ nach griechischem
vorbilde ei und ai geschrieben werden, Wulfila in analogie mit dem
letzteren zeichen, aber nach lateinischem Vorbild, au als zeichen
für å gebildet hat.
Eine betrachtung der einzelnen Wulfilanischen buchstaben-
formen wird die hier geltend gemachte aufTassung vollständig be-
stätigen, dafs das griechische aiphabet in allem wesentlichen die
grundlage bildet, dafs aber das lateinische in einigen punkten statt
desselben hat benutzt werden müssen. Wie weit auch das alte runen-
alphabet einigen einflufs gehabt hat, wird gleichfalls aus dem folgenden
hervorgehen.
Um mit Sicherheit eine derartige Untersuchung vornehmen zu
können, stellen wir mit den Wulfilanischen buchstaben die grie-
chischen und lateinischen uncialbuchstaben zusammen, die der-
selben zeit angehören (ungef. 400 — 600, in welcher periode diese
buchstaben in allem wesentlichen in denselben formen auftreten).
Die griechischen buchstaben, die in der reihe II aufgeführt werden,
sind dem codex Sinaiticus (geschrieben gegen das j. 400)^) ent-
nommen; eine einzige, mit der gotischen besonders übereinstimmende
form des d ist aus einer jüngeren handschrift gewonnen und neben
die form im cod. Sin. gestellt (vgl. Gardthausen, Gr. Palaeogr. taf. 1);
gleichfalls ist das zeichen T für 900 aus Jüngern handschriften ent-
lehnt (siehe oben s. 261 anm. 1). Die lateinischen buchstaben in
^) Codex Friderico-Angustanus sive fragmenta Veteris Testamenli e codice
Graeco omoiuui qui ia Europa supersunt facile antiqaissimo ed. C. Tisch en-
dorf, Lips. 1846, und Bibliorum codex Sioaiticus Petropolitaaus ed. C. Tischeo-
dorf, 1— IV, Petropoli 1S62.
264 ANHANG.
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1. DAS WULFILANISCHE ALPHABET. 265
der reihe III sind der von Mommsen herausgegebenen Zeilzer oster-
tafel (geschrieben in der mitte des 5. jhdts) entnommen'). Alle
zeichen des alphabetes mit ausnähme von z kommen auf der seite
vor, die photolithographisch auf taf. 1 bei Mommsen wiedergegeben
ist; das in alten lateinischen handschriften sehr selten erscheinende
z^) stammt anderswoher. Formen für /", die der gotischen näher
liegen, kommen in andern alten handschriften, z. b. in der be-
kannten handschrift des Gaius^), vor, deren /"-form deshalb neben
diejenige der oslertafel gestellt ist. Während ich die ursprüngliche
buchslabenordnung im griechischen aiphabet bewahrt habe, ist
sie im lateinischen dadurch gebrochen, dafs ich die den gotischen
buchstaben entsprechenden zeichen n, /", g (2, y, x) an den stellen
eingesetzt habe, wohin sie im gotischen aiphabet gehören. Endlich
enthält reihe IV das gemeingermanische runenalphabet, so dafs jede
rune dem gotischen buchstaben gegenüber gestellt ist, der denselben
laut wie diese ausdrückt.
Eine vergleichung zwischen diesen buchstabenformen zeigt, dafs
einige dem gotischen, griechischen und lateinischen ge-
meinsam sind, nämlich:
eziRUTyx
Von diesen zeichen entspricht lat. o? indessen nur formell dem
griech. und got. X, das bei Wulfila nur in griechischen fremdwörtern,
besonders in dem worte Xristns, gebraucht wird; es ist folglich das
griechische zeichen, das von Wulfila aufgenommen ist. Dasselbe gilt
von den im lateinischen sehr selten gebrauchten zeichen z und R;
dafs Wulfila hier die griechischen zeichen aufgenommen hat, geht be-
züglich des ersteren auch aus dessen platze hervor, der mit dem der
griechischen, nicht der lateinischen buchstabenreihe, übereinstimmt.
Ganz dasselbe ist der fall mit Wulfilas y. Die genannten 4 zeichen,
die im griechischen und lateinischen dieselbe form haben, sind so-
*) Zeitzer Ostertafel vom Jahre 447. Herausgegeb. vod Th. Mommsen
in den AbhandlnngeQ der kgl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1862,
Berlin 1S63, s. 539 ET. Exempla codicum Lalinorum litteris maiuscalis scrip-
torum. Edd. C. Zangemeister et Guil. Wattenbach, Heidelb. 1876 (Sapple-
mentum 1879), tab. XXIII.
-) W. W atten b ach, Anleitung zur lateinischen Palaeographie. Vierte,
verb. Anfl , Leipz. 1886, s. 65.
^) Gaii institvtionvni commentarii qvattvor codicis Veronensis denvo collati
apographvm confecit et ed. G vil, Stvdenivnd, Lips. 1874.
266 ANHANG.
mit sicher aus dem griechischen aiphabet genommen. Wieweit dagegen
die zeichen 61 HT als griechische oder lateinische bezeicimet werden
Süllen, beruht darauf, ob wir im stande sind, des einzelnen näher
nachzuweisen, welche rolle diese beiden alphabate im ganzen genommen
bei der bildung des gotischen gespielt haben. Und was von diesen
vier dem griechischen und lateim'schen gemeinsamen zeichen gilt,
mufs auch auf die zeichen für a, b und d anwendung finden, die
gleichfalls formell sowohl vom griechischen wie vom lateinischen
abgeleitet werden können, obgleich von unseren griech. a und ß zu
sagen ist, dafs sie den gotischen formen etwas näher liegen als
unsere latein. a und b, was in noch höherem grade mit den ent-
sprechenden zeichen anderer handschriflen der fall ist^).
Entschieden griechisch sind dagegen
rAMnH90 t 900.
Ebenso unzweifelhaft ist es, dass das lateinische alp habet
das Vorbild für
h q )^ s j;
abgegeben hat. Dafs die zeichen für h, j\ f aus dem lateinischen
alphabete genommen wurden, lag natürlich daran, dafs das grie-
chische keine zeichen für h und j darbot, und dafs das lateinisclie
f dem gotischen laute viel näher stand, als das griechische qi. Wenn
Wulfila auch sein r und s vom lateinischen nahm und nicht griech.
P und C wählte, die ja eben so gut für seine schrift pafsten,
so mufs der haupigrund ohne zweifei darin gesucht werden, dafs er
absichtlich diese beiden griechischen zeichen vermied, weil zwei
lateinische buchstaben mit einer ganz verschiedenen be-
deutung (p, c) formell mit ihnen zusammenfielen. Indem
er die lateinischen formen für rund s aufnahm, erreichte
Wulfila somit, dafs sein aiphabet kein zeichen bekam.
1) Während die griechischen uucialhandschrifteu die alte i-form festhallen,
gebrauchen die lateinischen auch b) das bereits frühzeitig im lateinischen nach-
gewiesen werden kann (Wattenbach, Anleitung z, lat. Pal. ^, s. 45). In der be-
kannten bibelhandschrift ,, codex Bezæ" in Cambridge aus dem 6.jhdt, wo der
griechische und lateinische text einander gegenüberstehen , hat der griechische
beständig _ß, der lateinische |jj für d gebraucht der griechische text gleich-
falls das alte \. , aber der lateinische Q (siehe Codex Theodori Bezæ Canta-
brigiensis evangelia et apostolorum acta complectens quadratis literis Græco-
Latinus. Ed. Th. Kipling, I — 11 fol., Cantabrigiæ 1793; neuere ausgäbe durch
F, H. Sc riven er, Cambridge 1864; vgl. taf. 14 (griechisch) und 15 (lateinisch)
iD Palæogr. Society's Facsimiles I).
I. DAS WÜLFILANISCHE ALPHABET. 267
das im griechischen und lateinischen verschiedene bedeu-
tung hatte. Dies ist nach meiner meinung das bestimmende für
Wultila gewesen, obgleich ich natürlich einräume, dafs man mit
KirchholT (Das goth. runenalph.* s. 55 f.) auch den grund für die
aufnähme dieser beiden lateinischen buchslaben darin suchen könnte,
dafs die lateinischen buchstaben den entsprechenden runen weit
näher lagen, als die griechischen, wozu ich dann den weiteren
grund fügen würde, dafs Wultila durch aufnähme von griech. P
und C zwei buchstaben erhalten haben würde, die formell mit zwei
runen von ganz anderer bedeutung (^ w, < k) zusammenfielen. Wenn
ich indessen dem von Kirchhoff angeführten grunde kein so grofses
gewicht beilegen kann, so beruht dies darauf, dafs Wultila sich
in andern fallen nicht nach dem hierin ausgesprochenen grundsatze
gerichtet hat: er nahm griechisches, nicht lateinisches m auf, trotz-
dem das erstere mit dem runenzeichen füi* e zusammenfiel; er trug
kein bedenken, griech. tp als p zu gebrauchen (vgl unten) und
griech. x aufzunehmen, obgleich diese zeichen formell mit den runen
Y und X zusammenfielen, wie sein episemon für 900 dieselbe form
wie die T-rune hat.
Übrig bleiben also nur noch folgende Wulfilanische zeichen:
uq t\f p II u 0w Qo
von denen die vier ersten weder in form noch bedeutung mit den
griechischen zeichen übereinstimmen, deren stelle sie in der buch-
stabenreihe einnehmen, während das letzte wohl in der bedeutung
dem griechischen o) entspricht, dessen platz es auch einnimmt,
in der form dagegen ebenfalls sehr abweichend von ihm erscheint.
Diese zeichen müssen wir etwas näher betrachten.
11 wird von Wulfila als zeichen für die lautverbindung kw
gebraucht und liegt also in der bedeutung dem lateinischen q nahe,
das offenbar zur bezeichnung für diese lautgruppe hätte gebraucht
werden können; aber dafs das Wulfilanische zeichen vom lateinischen
*1 ausgegangen sei, mufs wegen seiner form geleugnet werden. Da-
gegen fällt das zeichen formell ganz mit lateinischem n zusammen,
das ja sowohl in der bedeutung « wie auch w gebraucht und
also von Wulfila entweder als zeichen für den halbvokal tr oder für
den vokal u hätte aufgenommen werden können; für den ersteren
benutzte er indessen griechisches i', für den letzteren ein anderes
zeichen, und u wandte er dann zur bezeichnung einer lautverbin-
dung an, worin w den letzten bestandteil bildete. Auch dieses
268 ANHANG.
zeichen sehe ich also für aus dem lateinischen entlehnt an, und dafs
es wirklich das lateinische u ist, welches diese Verwendung gefunden
hat, scheint mir in hohem grade dadurch bestätigt zu werden, dafs
dieser lateinische buchstabe nicht gebraucht wird, um das gotische
M wiederzugeben. Dafs das näher liegende lateinische q nicht an-
gewandt wurde, konnte ja auch darin begründet sein, dafs das dem
lateinischen q entsprechende zeichen sich in Wirklichkeit an einer
andern stelle in der gotischen buchstabenreihe findet, nämlich als
episemon für 90. Weshalb nun Wulfila nicht einfach das griechische
episemon xonna oder eher das diesem entsprechende lateinische q
als zeichen für sein kw gebrauchte, was wir von unserm Standpunkt
aus vielleicht natürlich gefunden haben würden — als zeichen für
sein h und f setzte er ja doch latein. h und f an der stelle von fj
und (f ein — , ist natürlich schwer mit Sicherheit zu sagen; aber da
Wulfila im ganzen genommen so grofse einsieht bei der Schaffung
seines alphabetes bewiesen hat, so zweifle ich nicht daran, dafs er
auch hier genügende gründe für seine wähl gehabt.
Da latein. u also als zeichen für kw und griech. v für w ge-
braucht war, bot weder das griechische noch das lateinische aiphabet
mehr ein passendes zeichen für den M-laut dar. Hier verliefs^Wulfila
daher seine gewöhnlichen Vorbilder und nahm seine Zuflucht zu der
alten runenschrift, deren n er aufnahm und an der stelle einsetzte,
wo griech. o stand. Dafs das m- zeichen sowohl seiner form als
auch seiner bedeutung nach von der M-rune ausgeht, halte ich für
unzweifelhaft, und der gedanke, dafs es das lateinische kursive
n sein könnte, das in dieser bedeutung aufgenommen wäre (Gabelentz
und Loebe, Gotb. Gram. § 1 und 12), während also das (griechische)
uncial-n seine ursprüngliche bedeutung behielt, kommt mir in dem
grade unwahrscheinlich vor, dafs ich ihn keiner Widerlegung würdige.
f\) hat bei Wulfila die bedeutung p und nimmt dieselbe stelle
wie griech. ^ ein. Dafs das griechische zeichen nicht für diesen
laut benutzt wurde, kann etwas auffallend erscheinen, da die aus-
spräche des griechischen d^ sich kaum besonders von der des goti-
schen p entfernt haben kann. Dafs jedoch ein bestimmter unter-
schied dagewesen sein mufs, der vielleicht auch Wulfila gröfser vor-
gekommen ist, als er in Wirklichkeit war, dafür scheint mir gerade
das Wulfilanische aiphabet einen sicheren beweis zu liefern; dafs
Wulfila für diese unterschiede ein ohr gehabt hat, geht auch daraus
hervor, dafs er griech. (f als zeichen für f verwarf. Formell fällt
I. DAS WÜLFILANISCHE ALPHABET. 269
got. p indessen mit einem ganz andern griechischen zeichen zu-
sammen, nämlich mit ip; und umgekehrt finden wir an der stelle, wo
das griechische ip hat, im gotischen ein zeichen (für die lautver-
bindung hw), das formell mit griech. ^ übereinstimmt. Es besteht
für mich nun gar kein zweifei darüber, dafs Wulfila, was bereits
Gabelentz nnd Loebe (Golh. Gram. § 11 und 12) gesehen haben,
und was auch Kirchhoff (Das golh. runenalphabet' s. 58) einräumt,
sowohl gi'iech. d- wie griech. \p in sein aiphabet aufgenommen, aber
ihre platze vertauscht hat, so dafs ip (für das ja in der griechischen
bedeulung keine Verwendung war) als zeichen für /> benutzt wurde,
während & als zeichen für tr (d. i. hw) eintrat. Der wesentlichste grund
hierfür war, so viel ich sehen kann, dafs Wulfila den unterschied kon-
statieren wollte, der in der ausspräche zwischen griech. 3 und got.
p statt hatte.
Es bleibt noch das gotische o-zeichen Q übrig. Dieses zeichen
nimmt ja die dem griech. « entsprechende stelle ein, und man hat
daher auch behauptet, dafs got. ö geradezu von diesem griechischen
buchstaben ausgegangen sei (Gabelentz u. Loebe 1. c. § 12; Kirch-
hoff 1. c. s. 53 f., s. 56); aber die formen des griechischen und
gotischen buchstabens liegen einander zu fern, als dafs dies ange-
nommen werden kann; denn got. Q darf natürlich nicht, wie man
bestandig gethan hat, mit griech. ß zusammengestellt werden, wovon
man es sich allerdings ausgegangen denken könnte, sondern wie
alle übrigen gotischen buchstaben mit dem griechischen
uncial- (u, wovon es sich ja so sehr entfernt, dafs die Identität für
unmöglich angesehen werden mufs. Als eine regel, wovon schlechter-
dings keine ausnähme gemacht wird, gilt nämlich, dafs Wulfila sein
aiphabet durch aufnähme griechischer und lateinischer buchstaben
gebildet hat, ohne etwas in deren form zu ändern. Wenn
daher griech. ^ bei ihm die form 0 mit punkt statt strich hat, so
zweifle ich nicht daran, dafs diese form zu seiner zeit allgemein ge-
wesen ist, was sicher gleichfalls von seinem a und d gilt (die ein-
zigen fälle, wo unbedeutende abweichungen zwischen Wulfilas
buchstaben und den aus handschriften allgemein bekannten grie-
chischen formen nachgewiesen werden können)^). Da das runen-
') Bei a ist die aus zwei feineren strichen gebildete rundung zd einem
einzigen dickeren striche znsanimengeschmolzen, wodurch dieser bachstabe grofse
ähnlichkeit mit / bekommt; im allgemeinen wird jedoch die regel beobachtet,
dafs der nebenstrich im / nicht über den hanptstab hinaus verlängert wird,
270 ANHANG.
alpliabel nun gerade die form 5^ für o hat, so bin ich nicht im
zweifei darüber, dafs Wulfila hier wie beim M-zeichen das griechische
(und lateinische) aiphabet verlassen und die alte heimische schrifl
benutzt hat, die gerade betreffs dieser beiden zeichen insofern vorzüglich
zu seiner eigenen pafste, als sie beide besonders bequem zu schreiben
waren. Diese letztere rücksicht, glaube ich, ist auch die einzige aus-
schlaggebende für Wulfila gewesen, die rune als zeichen für sein o
zu wählen und weder griech. (i) noch, was man in analogie mit 6
hatte erwarten können, griech. O; das erstere zeichen war bei
weitem nicht so bequem wie Q, und durch O hätte er ein zeichen
bekommen, das allzu sehr dem 0 glich.
Von den zeichen im Wulfilanischen aiphabet gehen also von
den runen aus
na,
von dem lateinischen alphabete
u^ h qy 1^ s )^,
während der ganze resl dem griechischen alphabete angehört,
nämlich
j\BrcL6Z(J)/>iKAiiNn (H)Ty X0w(t).
Das ergebnis dieser Untersuchung ist also, dafs Wulfila als
grundlage für seine schrift das griechische uncialalphabet
benutzte; aber wo dies nicht für seinen zweck genügend
war, wandte er sich zum lateinischen, und nur für zwei
buchstaben nahm er zeichen aus der runenschrift auf.
Dafs dies das wirkliche Verhältnis ist, und dafs Wulfila nicht,
wie namentlich J. Zacher^) und nach ihm A. Raszmann^) haben
behaupten wollen, das runenalphahet als grundlage für seine schrift
gebrauchte und die runen zur ähnlichkeit mit den griechischen (und
lateinischen) bMchstaben umbildete, geht mit unläugbarer Sicher-
heit aus der vollständigen Übereinstimmung der gotischen buch-
staben mit den griechischen (und lateinischen) hervor, wogegen die
abweichungen von der runenschrift auf so gut wie allen punkten
sehr bedeutend sind, und wird durch die übrigen Übereinstimmungen
während er im a sehr häufig ein gutes stück darunter geht. Auch im cod. Sio.
köonen a uod A einander sehr ähnlich werden.
^) Das gothische aiphabet Vulfiias und das runenalphahet, Leipz.' 1855,
s. 53 ff.
2) Der artikel „Gothische Sprache und Literatur" in Ersch u. Grubers
Encyklopädie, I. Sect., 75. Tbeii, Leipz. 1862, s. 301 f.
I. DAS WÜLFILANISCHE ALPHABET. 271
zwischen der gotischen und griechisch-lateinischen schrift im gegen-
satz zur runenschrift (der anordn ung und dem zahlenvverle der buch-
staben ; 6i als zeichen für l ; j\i und jvn als zeichen für æ und « ;
rr = griech. yy) bestätigt. Got. j\BrA.6 u. s. w. für eine Um-
bildung der runen ^^XMM u. s. w. mit annäherung an die grie-
chische schrift und nicht für eine direkte aufnähme der entsprechen-
den griechischen buchstaben anzusehen, kommt mir in dem mafse
künstlich und aller Wahrscheinlichkeit zuwiderlaufend vor, dafs es
kaum einer ernstlichen Widerlegung bedarf.
Dafs Wulfilas schrift, trotzdem sie sich in den buchstaben-
formen, ihrer anordnung u. s. w. so stark von der alten runen-
schrift entfernte, schnell allgemeinen eingang fand und die runen ver-
drängte, lag natürlich zu allererst an ihrer zweckmäfsigkeit, da sie
sich weit mehr zum gebrauch auf pergament eignete, als die speciell
zur einritzung in holz, metall u. s. w. gebildete runenschrift.
Aufserdem brach Wulfila ja keineswegs vollständig
mit der alten schrift; seine Verehrung für dieselbe zeigt sich
besonders an zwei punkten, nämlich durch die aufnähme der runen-
zeichen für u und o und namentHch durch die bewahrung der
alten runennamen (vgl. s. 71 f.), die man für so festgewachsen im
bewufstsein des volkes halten mufs, dafs es schwer war, sie auszu-
rotten. Über diese namen bleibt noch übrig einige bemerkungen
hinzuzufügen.
Trotz der entstellungen in der Wiener handschrift ist die Über-
einstimmung zwischen den gotischen buchstabennamen und den alt-
englischen und nordischen runennamen hinsichtlich der weit über-
wiegenden anzahl so deutlich, dafs, wie Munch und Kirchhoff nach-
gewiesen haben, kein zweifei darüber sein kann, dafs Wulfila direkt
die alten germanischen runennamen in gotischer form auf
seine buchstaben übertragen hat. Dies gilt von den namen der
buchslaben b (weder Munchs bairika noch KirchhofTs bairka trelfen
jedoch das richtige; die handschrift hat bercna, und dafs n ursprüng-
lich mit zum worte gehört hat, zeigt nordisch bjarkan), g, d, h, i, k
(hier ist die gotische form zweifelhaft), l, m, n, j, u, p, r, s, t, «?, f
und 0. Dafs wir auch in dem eyz der handschrift als namen für e
den alten germanischen runennamen ehioaz (MHf^F^Y) in der got.
form aihios wiederfinden, ist Munchs Scharfsinn nicht entgangen, und
dies Verhältnis ist um so interessanter, als es zeigt, dafs Wulfila
kein bedenken getragen hat, den alten namen beizubehalten, ob-
272 ANHANG.
gleich (lieser nach seiner Schreibung nicht so wie in der
runenschrift mit dem huchstaben begann, dessen laut
er ausdrücken sollte; ganz dasselbe Verhältnis treffen wir ja in-
dessen auch bei eis als namen für i. In ein paar ffdlen scheint Wul-
fila jedoch die alten runennamen verlassen und neue namen für
seine buchstaben gebildet zu haben: a und p haben in der hand-
schrift die namen aza und thylh, worin man nur mit der grüfslen
Willkür die dem altnord. dss und purs (sicher die ältesten namen
der runen ^ und ^) entsprechenden gotischen worte wird wieder-
finden können. In aza kann ich weder mit Munch ein gotisches
asks (erschlossen aus dem speciell altenglischen runennamen æsc,
der ja indessen weit jünger als Wulfila ist), noch mit Kirchhoff ein
ans sehen; eher glaube ich, dafs aza ein fehler für got. aha 'sinn,
verstand' ist (2 und h konnten leicht verwechselt werden; vgl.
Wattenbach, Anleitung zur lat.' Palaeogr. *, s. 65 f.), und in thyth
bin ich mehr geneigt mit Munch (Det got. Sprogs Formlære s. 15)
got. piuda zu finden, als mit Kirchhoff got. piup. Wenn Wulfila
die runennamen bei diesen beiden buchstaben mit andern vertauscht
hat, so suche ich den grund dafür in dem umstände, dafs gerade
diese beiden runennamen, die ohne zweifei eine ganz besondere rolle
als magische zeichen spielten, nach seiner meinung allzu starke er-
innerungen an das heidentum enthielten. Für z konnte Wulfila den
namen der rune Y nicht behalten, da Y in diesem namen gerade
nominativszeichen war; aber hier war z ja im gotischen zu s ge-
worden, wie die gotischen sprachüberr<'sle und besonders das tila-
rids des Koveler Speeres zeigen. In dem ezec der handschrit't
würde man auch schwerlich den nordischen runennamen elgn wieder-
finden können. Das merkwürdige, bisher nicht befriedigend erklärte
ezec halte ich für einen fehler anstatt ezet, eine lesung, die das fak-
simile bei Grimm mir sogar zu gestatten scheint; aber auf jeden
fall ist es ja eine bekannte sache, dafs c und t in handschriften aus
dieser zeit oft verwechselt werden, und ein sicheres beispiel hierfür
bietet unsere handschrift selbst in dem namen noicz für noilz d. i.
got. naups (indem t wie öfter für th steht). In ezet könnte man
dann versucht sein, einen aus dem griechischen Cij^a gebildeten
namen zu finden, wo z wie in den echten gotischen Worten in den
inlaut kam. Da indessen alle übrigen buchstahennamen echt
gotisch sind, so kommt mir eine solche annähme wenig wahr-
scheinlich vor, und ich zweifle nicht daran, dafs sich in (ezec,)
I. DAS WOLFILANISCHE ALPHABET. 273
ezet ein wirklich gotisches wort (asett) verbirgt. Für die beiden
neugebildeten zeichen für q(kw) und w (ämj) hat WulGla selbst-
verständlich auch neue namen bilden müssen, die mit q und tø
begannen; aber wie die dem quetra und uuaer der handschrift
entsprechenden gotischen worte gelautet haben können, dabei werde
ich nicht länger verweilen, da uns hier jeder sichere Stützpunkt
fehlt, und die phantasie daher eine allzu grofse rolle zu spielen ha-
ben würde; ich bemerke nur, dafs die lautähnlichkeit zwischen
quetra und dem altengl. runennamen cweord, aus der man ihre
Identität hat folgern wollen, natürlich auf einem reinen zufalle beruht,
da der zuletzt genannte speciell altengl. name ja einer verhältnis-
mäfsig sehr späten zeit angehört.
Es bleibt also nur noch der buchstabe X übrige). Dieser
speciell griechische buchstabe wird nur in den bei WulGla auf-
genommenen griechischen Wörtern gebraucht und kommt auch hier
selten vor, indem er mit A* wechselt, wenn man den namen Xristus
ausnimmt, dem zu liebe er wohl überhaupt aufgenommen ist. Man
könnte deswegen vermuten, dafs mindestens dieser buchstabe seinen
griechischen namen bewahrt hätte; aber hier tritt uns das merk-
würdige entgegen, dafs die Wiener handschrift ihm den namen
enguz zuerteilt, einen namen, der auf den ersten blick ganz unge-
reimt erscheint, da der buchstabe, den der name bezeichnen soll,
ja nirgends darin enthalten ist. Wie schon Kirchhoff (Das goth, runen-
alphabet' s. 60 f.) hervorgehoben hat, scheint dieses Verhältnis jedoch
nicht schwer zu erklären. Das Wulfilanische aiphabet enthält zeichen
für alle dieselben laute, die das gemeingermanische runenalphabet
durch 22 von seinen zeichen ausdrückte, und die namen dieser
22 runen wurden mit den oben genannten ausnahmen auf die
Wulfdanischen buchstaben übertragen. Im runenalphabet befanden
sich indessen noch die beiden zeichen l» und ^, wozu Wulfila nichts
entsprechendes hat. Die ursprüngliche bedeulung des ersten dieser
zeichen ist, wie wir oben entwickelt haben, ganz unsicher, weshalb
ich. vermutet habe, dafs es vielleicht im runenalphabet als eine art
1) Ob die beiden griechischcD episema xonna und aar {aa/int) in Wolfilas
aipbabete ihre griechischen namea behalten, oder dieselben mit gotischen ver-
tauscht, oder — was wohl das wahrscheinlichste ist — ihren platz in der
Zahlenreihe als naineolose zeichen eingenommen haben, die nur in der schrift
gebraucht wurden, anstatt die betrefifendeo zahlen mit deren namen zu schreiben,
läTst sich natürlich nicht entscheiden.
WIUUER, Die inneDscfarift. |g
274 ANHANG. I. DAS WÜLFILANISCHE ALPHABET,
episemon eingesetzt sein kann (wie Wulfila die griechischen episema
^ und '5 als zahlen-, nicht als lautzeichen aufnahm), ohne dafs wir
jetzt den grund dafür entdecken können. Diese vermutung konnte
durch das Wulfilanische alphahet bestätigt werden, wo wir keine
spur von einem diesem zeichen entsprechenden buchstaben oder
namen finden. Anders war es mit der rune ^, die ja im alten
runenalphabet die bedeutung fd hatte; da Wulfila indessen die
griechische bezeichnung r aufnahm, so finden wir selbstverständlich
in seinem aiphabet kein zeichen, das denselben lautwert wie die ing-
rune hat; aber war das zeichen für diesen laut somit auch auf-
gegeben, so wurde doch der alte name bewahrt. Denn dafs enguz
als name für X gerade den namen der m^-rune enthält, kann ja
keinem zweifei unterworfen sein. Um den alten namen zu bewahren,
ist er also an den einzigen ganz fremden, niemals in gotischen
Worten vorkommenden buchstaben im Wulfilanischen aiphabet geknüpft;
dies konnte um so eher geschehen, als griech. x j* leicht den ein-
druck machen konnte, gerade wie die rune v durch Zusammen-
stellung von zwei < gebildet zu sein. Kaum an irgend einem andern
punkte zeigt sich deutlicher als hier Wulfilas fähigkeit, das ein-
heimische mit dem fremden auf eine solche art zu verbinden, dafs
das letztere ohne Schwierigkeit bei seinen landsleuten eingang finden
konnte.
n.
Das altnorwe^sche runengedicht und die isländische
ninenreimerei.
(Zn seite 180.)
Das s. 180 erwähnte altnorwegische runengedicht befand
sich nach O. Worm in einer alten gesetzeshandschrift in der Univer-
sitätsbibliothek zu Kopenhagen („Danica Literatura antiquissima"
1636, s. 105; 2. ausg. 1651, s. 95). Diese handschrift, wonach
Worm das gedieht herausgab (abgedruckt bei W. Grimm, Über
deutsche Runen, s. 246 ff. und mit einer menge höchst willkürlicher
berichtigungen im Corpus poeticum Boreale, II, Oxford 1883, s. 369 f.),
ging bei dem brande der bibliothek 1728 zu grunde. Glücklicher-
weise sind indessen zwei so gut wie vollständig übereinstimmende
sorgfältige abschriften des gedichtes erhalten. Die eine (A) von Arne
Magnussons band (wahrscheinlich zwischen 1686—89 genommen)
befindet sich in der Kopenhagener Universitätsbibliothek; hiernach hat
P. A. Munch das gedieht in der „Kortfattet Fremstilling af den ældste
Nordiske Runeskrift'', Christ. 1848, s. 7 f. herausgegeben, aber unglück-
licherweise „mit berichtigter Orthographie" und mit einer unrichtigen
Umstellung an einer einzigen stelle. Die andere abschrift (B), die sich
in der kgl. bibliothek zu Stockholm befindet, rührt von JönEggerts-
son her und ist (wahrscheinlich zwischen 1680—89) unabhängig von
der Arne Magnussons genommen. Von diesen abschriften scheint ß
genau alle orthographischen eigen tümlichkeiten der handschrift bewahrt
zu haben, wogegen Ä zuweilen in kleinigkeiten abweicht (besonders
hat sie durchgehends v für m, wo es nicht vokal ist, ausgenommen
in ucesta 5a). Auf grundlage der genannten abschriften hat Kr. Ka-
lund eine neue ausgäbe des gedichtes geliefert in den „Småstykker,
udgivne af samfund Ul udgivelse af gammel nordisk literatur", Kbh.
18*
276 ANHANG.
1884, s. 1—16, wozu in den „Småstykker etc." Kbli. 1885, s. 100 ff,
verschiedene nachtrage von S. Bugge, F. Jonsson und Björn Olsen
hinzugefügt sind. Betreffs der metrischen eigentümlichkeiten verweise
ich besonders auf Bugges bemerkungen s. 103 — 5. Verschiedene
bemerkungen, die ich später von F. Jonsson erhalten habe, werden
im folgenden unter seinem namen angeführt.
Das gedieht, das ohne zweifei dem Schlüsse des 12. oder dem
anfang des 13. jhdts angehört, ist, wie die spräche (die allitteration)
zeigt, von einem Norweger verfafst. Es besteht aus zweizeiligen
sowohl durch allitteration wie durch endreim verbundenen versen
mit 6 Silben in jeder zeile, in der regel von folgendem typus:
(vgl. Sievers in Paul und Braunes Beitr. X, s. 527). Nur vers 15
ermangelt des endreims und gebraucht statt dessen binnenreim. Jede
verszeile bildet in der regel einen satz für sich (eine ausnähme macht
nur V. 4 und v. 15).
Mit benutzung des genannten materials gebe ich das gedieht mit
altnorwegischer Orthographie, welche die handschrift zum gröfslen teile
bewahrt hat, wieder (vgl. besonders „Gammel norsk Homiliebog", herausg.
von C. R. Unger, Christ. 1864, und E. Sievers, Tübinger Bruchstücke
der älteren Frostuthingslög, Tübingen 1886). Die runennamen im
anfang jedes verses werden in der handschrift durch die entsprechenden
runen bezeichnet; die in klammern beigefügten namen rühren also
von mir her.
1.
r (fé) vældr frænda roge;
fødesk ulfr i sköge.
2.
n (i'ir) er af illu jarne;
opt loypr ræinn å hjarne.
1. Gut verursacht streit der verwandten; der wolf lebt im walde.
2. Schlacke kommt von schlechtem eisen; oft läuft das renntier
auf hartgefrorenem schnee.
1 a. frjénda] freiida Aß bezeichnet vielleicht eine mehr geschlossene avs-
sprache des voknls vor nd fvgi. æinendr 12aJ.
2 a. ISach Jon Olafssons Zeugnisse (angeführt von h'älimd s. 7 f.J wurde ür
im. südlichen Island in der bedeutung „schlacken, schmiedeabfall'^ gebraucht;
II. D. ALT.-SORWEGISCHE RUNENGEDICHT Ü. D. ISLÄNDISCHE RUMENREIMEREI. 277
3.
|> (|)urs) vældr kvenna kvillu;
kålr værdr får af illu.
4.
A (oss) er flestra færda
fgr, en skalpr er sværda.
5.
R (ræid) kvætta rossom væsta;
Reginu slo sværdet bæzta.
3. 'Turs' verursacht fraueiikuinmer (-krankheit); froh werden
wenige vom übel (nur seilen macht uuglück jemanden froh).
4. Fluüsraündung ist der meisten reisen weg, aber die scheide
ist der der Schwerter.
5. Reiten, sagt man, ist für rosse das schlimmste; Regin
schmiedete das beste schwert.
vgl. ürt jaro, „schlechtes , unreines eisen^', patlr af Gull-Asu-pordi (Sex sögu-
pwttir, herausgeg. von J. porkelsson, Rkiik ISöö, s. 77 J und die bemerkung zu
der isländ. runenreinierei v. 16b. — er af] metrische auflosung.
3 a. kvillu ] IVeder A noch B haben mehr als den ersten buchttaben von
diesem worte, das ja indessen mit Sicherheit vermittelst des reinies ergänzt
werden kann. Bezüglich der bedeulung vgl. isl. kvilli m. krankheit, übel, kvilla
verbum „klagen^' in nonvegischen dialektal. Ich nehme hier das wort in der-
selben bedeutiing wie das Jetzt gebräuchliche kvilli ^= dem gewöhnlichen meio
im alt nordischen J, indem ich im gegensatze zu Bugge |)urs nicht als „riese^^,
sondern als bezeichnung pir den magischen runenstab auffasse (vgl. die isl.
reimereij. Dieser rief gerade, auf ein dünnes brett f'spj'ald'J oder ähnlich
eingeritzt und z. b. unter das kopfkissen eines weibes gelegt, krankheit hervor;
vgl. Skirnismal v. 36: [)urs rist ek jiér und Egils saga c. 75. — b. værdr A,
uærda ß. Das allnurwegische homilienbuch schreibt gleichfalls værda {aber vcra).
4 a. ^ . . . færda ] ^ er læid {unter pungicrt) f. f. A, ^ er l^id f. f. B. —
b. fqr .... sværda ] en skalper er sværda A, eo skalper suærda B. In einer
handschriftlichen Sammlung von Edda-excerpten etc. von 1680 (AM 73b 4toJ, wo
auch das runengedicht nach ff orm angeführt wird, lautet der vers folgender-
viafsen: os er flestra ferda för eon skalpur sverda, toas ich für das richtige
halte, indem fqr als lange silbe gebraucht ist (vgl. Sievers in Paul und Braunes
Beitr. f^lll, s. 54 f.). Statt fqr sehlagen B. Olsen und Bugge færill vor (metrische
auflösungj.
5 a. kva?da] metrische auflosung. — rossom] hier und in ero 15 b gebraucht
die handschrift o in den endungen, aber sonst u, was ich beibehalten habe (vgl.
278 ANHANG.
6.
K (kaun) er barna bylvan;
bol gerver mann f^lvan.
7.
5|c (hagall) er kaltiastr korna;
Kristr sköp haeimenn forna.
8.
V (naud) gerer næppa koste;
noktan kælr i froste.
9.
I (is) kgllum brü bræida;
blindan f)arf at læida.
6. Geschwör ist der kinder verderben ; Unglück macht den mann
bleich.
7. Hagel ist das kälteste korn; Christus schuf die uralte weit.
8. Not macht bedrängte lage; den nackten frierts im froste.
9. Eis nennen wir die breite brücke; den bUnden mufs man
führen.
das aUnorweg, homilienbuchj. — b. ßegiaa ] reghio A ß, metrische auflösung. —
slo ] Bugge; A ß haben nur den ersten buchstaben, skop Munch, saud (vgl. Ox-
forder wö'rterb. sjoda 2) B. Olsen.
6a. y.... bqlvau] B. Olsen (vgl. den isländischen runenreim kaan er
barna böl); Y er bæggia bariia AB. — b. mann] B. Olsen (vgl. bql gjørir mik
fqlvan Landndmabök s. 152^ J; naan AB. Bugge schlägt vor:
kaun er bæggja barna
bol; gjørver nå {oder uån) fqlvan.
d. i. „geschwiir ist Unglück für beide kinder (= kinder beiderlei geschlechts, so-
wohl knaben wie mädchenj; der tote wird bleich^'. Diese erklärung von bæggja
barna halle ich indessen für unmöglich.
7a. hagall] metrische auflösung. Dafs der runenname hier bagall, nicht
hagl ist, zeigt das adjektiv kaldastr. — b. hæimenn forna] vgl. in forna fold
Hymiskvida v. 24.
8a. gerer] metrische auflösung oder gerr gelesen (dagegen wird görver
in 6 b gebraucht). Auch das altnorweg. homilienbuch schreibt gewöhnlich gera
mit e, nicht mit æ.
9 a. brü ] bræ A B. IForm und alle folgenden (Munch, h'ålund, BuggeJ
verbessern in bi ü und verstehen bru bræida als „die breite brücke". Diese auf-
fassung kommt mir jedoch zweifelhaft vor ; sollte sich der ausdruck hier nicht
auf die sage beziehen, die aus der Fglsunga saga c. 1 bekannt ist: Breda
fqnn kalla hverja fqon, er uiikil er?
II. D. ALT^ORWEGISCHE BD^ENGEDICHT D. D. ISLÄ?IDISCHE RUMENREIMEREI. 279
10.
i (år) er gumna gode;
gel ek at ^rr var Frode.
11.
0 (sol) er landa Ijome;
liiti ek helgum dorne.
12.
1 (T^r) er æinendr åsa;
opt værdr smidr at blåsa.
13.
^ (bjarkan) er laufgrenslr lima;
Loki bar flærdar tiiua.
10. (Gutes) jähr ist der niäoner glück (ein segen für die menschen);
ich sage, dafs Frode freigebig war.
11. Sonne ist der lande licht; ich beuge mich vor dem heiligen.
12. Ty ist einhändig unter den asen; oft hat der schmied zu
blasen.
13. Birkenzweig ist das laubgrünste reis; Loke brachte falsch-
heits-glück.
10a. gamoa] gufoa AB, eine Schreibweise, die nach Bugge dafür spricht,
dafs der Schreiber aus dem vcestÜchen Norwegen getcesen ist. — b. get ek]
lies getk.
IIb. lati ek] lies lulik. — helgnm ] die zusammengezogenen formen dieses
Wortes werden im altnorweg. homilienbuche regelmäfsig mit æ geschrieben wie
hæilagr u. s. w.
12a. æioendr] = æinbæadr fvgl. afrcDdr a. ähnl. „Fornnordisk forml".
Lund 1874, § 24, C, e, anm., s.33); æ hat vor od eine mehr geschlossene
ausspräche bekommen (vgl. die bemerkung zu frænda laj.
13a. bjarkan er]... an er metrische aufhisung oder bjarkan'r gelesen.
bjarkao seheint hier und in der isl. runenreimerei nach dem zusammenhange einen
„belaubten birkenzweig, birkenreis" zu bedeuten fverscliieden von bjqrk ^birke'J.
Das wort ist netdr. in der dritten grammatischen abhandlung in der Snorra
Edda fB. Olsens ausg. s. 47 J, und es ist kein grund dazu vorhanden ^ es hier
als mase. aufzufassen ; das adjectiv richtet sich im geschlecht nach lima fvon
liini). — b. Loki ] metrische auflösung. Die handschrift gebraucht hier i in
der endung wegen des k (vgl. aaki, hauki, niikil v. 14, regbio 5b, aber roge,
skoghe r. 1; auch lüü IIb beruht wohl auf dem folgenden (e)k); sonst ist e
280 ANHANG.
14.
Y (mattr) er moldar auki;
mikil er graeip ä liauki.
15.
r (iQgr) er, er fællr ör tjalle
foss; en guU ero nosser.
16.
Å (^r) er vetrgronstr vida;
vant er, er brennr, at svida.
14. Mann ist Vermehrung des staubes; grofs ist die klaue am
habicht.
15. Wasser ist das, wo (wenn) ein Wasserfall vom berge stürzt;
aber gold sind kleinode.
16. Eibe ist der wintergrünste bäum; es pflegt zu sengen, wo
(wenn) es brennt.
in den endtingen durchgeführt, mit ausnähme von lialli loa und gerir 8a, vjo
ich e eingesetzt halte {das letztere nach analogie von gor ver 6 b; dafs A
hier -ir für ß's -er schreibt, ist offenbar ein fehler loie dessen loke 13b
für ß's lüki). Der sinn ist: Loke brachte durch seine falschhcit un glück mit
sich (tiini wie z. b. |)okki sowohl in guter wie in übler bedeutung gebrauchlj.
14. Dieser und der folgende vers sind nicht nur von IVorm, sondern auch
von Munck umgestellt. — b. luikil] metrische auflosung,
15a. Iqgr er (lies iQgr'r), er] F. Jonsson, IF immer; f* er [)at er AB. In
Übereinstimmung mit Bugge hält Jonsson foss für das subjekt im satte {„Wasser-
fall ist das wasser, das vom berge niederstürzf-^J, wogegen ich auf grund der
Wortstellung und der analogie mit allen andern versen Iqgr als subjekt fasse:
„das ist ivasser, wo foder wenn) ein Wasserfall von einem berge herabstürzt" ;
vgl. 16b. — b. ero] metrische auflosung oder ro (ro) gelesen. — ^4nsfatt der
sonst gebrauchten efidreime hat dieser vers binnenreim fhalbreim in der ersten,
ganzreim in der zweiten zeilej.
16b. vant er {lies vanl'r), er] fVimmei' wie in 15a; vaiit (uaiit ß) er l)ar
er A ß. — Der reim vida oo svida deutet darauf hin, dafs der vokal im
ersten Worte auf dem wege war, lang zu wei'den, was nach Bugge ein beweis
dafür sein würde, dafs der Verfasser aus dem /Festlande war fvgl. die bemerkung
zu 10 aj.
II. D. ALTNORWEGISCHE RC.NENGEDICHT U. D. ISLÄ.NDISCHE ROE^REIMEREI. 281
In vielen punklen so nahe verwandt mit dem norwegfschen
runen ''edichl, dafs die einwirkung desselben unverkennbar ist, aber
in andern beziehungen sehr abweichend davon sind einige islän-
dische runenreimereien, die in verschiedenen handschriften in
der Arnamagnæanischen Sammlung in der universilälsbibliothek zu
Kopenhagen aufbewahrt sind, nämlich AM 6S7 d 4'°, pergament-
handschrift aus dem ende des 15. jhdls, AM 461 12'"°, pergament-
handschrift aus dem 16. jhdt, AM 749 4'», papierhandschrift aus
dem 17. jhdt. Zwei in allem wesentlichen übereinstimmende formen
dieser reimereien werden aufserdem von Jon Olafs son dem älteren
aus Grunnavik in seiner handschriftlichen „Runologia" (AM 413 fol. ;
früher Addit. 8 fol.), die nach dem tilelblatte ursprünglich 1732 ver-
fafst war, aber 1752 aufs neue vom Verfasser abgeschrieben und um
einige nachtrage vermehrt wurde, milgeteilt.
AM 687 gibt wie die handschrift des norwegischen runen-
gedichtes die runen durch deren zeichen wieder, läfst aber die namen
aus (diese finden sich jedoch anderwärts in der handschrift; siehe
unten), wogegen AM 461 die namen, aber nicht die zeichen, hat;
beide handschriften bewahren die ursprüngliche reihenfolge der runen.
AM 749 hat sowohl die namen wie die zeichen, ordnet aber die runen
nach der lateinischen buchstabenfolge und fügt die späteren („punk-
tierten") runen hinzu. Dasselbe ist der fall mit J. Olafssons erstem texte
(s. 130 — 35), wogegen der zweite (s. 140 f.) der ursprünglichen an-
ordnung (jedoch mit lögr vor madr) folgt und nur die 16 alten runen
aufnimmt. Beide texte haben sowohl die runenzeichen (der letztere
in form von „zweigrunen"), wie deren namen. Eigentümlich für 687
ist, dafs sie nach den Umschreibungen für jede rune eine lateinische
Übersetzung von deren namen und eine nordische fürstenbenennung
mit dem anfangsbuchstaben des namens der betreffenden rune hinzu-
fügt. Aufserdem enthält diese handschrift auf der den runenreimereien
gegenüberstehenden seite (der dritten) ein jedem einzelneu runen-
namen entsprechendes lateinisches wort mit begründung der anwen-
dung dieses Wortes. Diese lateinischen wiedergaben stimmen jedoch
nur ausnahmsweise zu der Übersetzung, die in der runenreimerei nach
den Umschreibungen beigefügt wird; aber wir finden hier alle runen-
nameu (mit ausnähme von madr, das weggelassen wird) in der ur-
sprünglichen reihenfolge und können sie also hieraus in die reimerei
einsetzen.
282 ANHANG.
Die genannten reimereien, die Kålund zusammen mit dem runen-
gedicht in den „Småstykker" etc. s. 16— 21 (vgl. s. 102 f. und 111—13)
veröffentlicht hat, gebe ich hier mit gewöhnlicher isländischer Ortho-
graphie auf grundlage der ältesten aufzeichnung in AM 687 wieder,
wo sie die ersten 16 Zeilen auf s. 2 einnehmen, so dafs jede rune
ihre eigene zeile hat. Die handschrift ist indessen an mehreren
stellen sehr undeutlich oder sogar ganz unleserlich und mufs also
mit hülfe der übrigen texte ergänzt werden , deren abweichende les-
arten im übrigen nur angeführt werden, wo sie einige bedeutung
haben. Zugleich teile ich, besonders mit rücksicht auf die runen-
namen, die eben genannte, bisher nicht herausgegebene, lateinische
Übersetzung auf s. 3 in 687 mit.
Jeder vers in der runenreimerei besteht aus 3 kurzen Zeilen,
die jede für sich eine Umschreibung ('kenning') des runennamens ent-
halten. Die beiden ersten Zeilen werden durch Stabreim untereinander
verbunden, wogegen die dritte ihre eigenen Stabreime hat.
1.
r (fé) er frænda rög
ok flædar vi li
ok grafseids gata.
aurum. fylkir.
2.
n (ür) er sk^ja gråtr
ok skara jjverrir
ok hirdis hatr.
umbre. visi.
1. Gut ('gold') ist der verwandten streit und des meeres feuer
und des „grabfisches" (der schlänge) weg.
2. Staubregen (Svasser') ist der wölken weinen und der eisränder
auflöser und (gegenständ für) des hirten hafs.
Ib. flædar v.] fyrda ganian („dei" männer freude'-'-) 461, 749, JOb, Fofois
bani JOa. — c. grafseids] grafl)vengs 4ffi ; grafseidr = grafvitnir, grafl)veDgr
(Lex. poet.J.
2 b. abweichend von Bugge fasse ich mit F. Jonsson skara als gen. plur.
von skqr f., der rand einer eisßäche (vgl. skari m., „criista glacialis, eis-
rinde" Bj. HaldorsonJ. Fgl. die Umschreibung isa aldrtregi von der sonne 11c.
— Die lateinische Übersetzung uiubre ist natiirlich ein mi/'sverständnis für
imber (iinbres).
II. D. ALTNORWEGISCHE RÜNENGEDICHT U. D. ISLÄNDISCHE RÜNENREIMEREI. 283
3.
p (l)Urs) er kvenna kvöl
ok kletta bui
ok vardrünar verr.
saturnus. {)engill.
4.
A (öss) er aldingautr
ok äsgards jöfurr
ok valliallar visi.
Jupiter, oddvili.
5.
R (reid) er sitjandi sæla
ok snüdig ferd
ok jors erfidi.
iler. ræsir.
6.
K (kaun) er barna böl
ok bardagi
ok holdfiia hüs.
flagella. konungr.
3. 'Turs' ist der weiber quäl (plage) und der klippen bewohner
und der riesin mann.
4. 'Os' („der as", Odin) ist der alte schöpfer und Äsgards könig
und Walhalls fürst.
5. Reiten ist behagliches sitzen und hurtige reise und anstrengung
des pferdes.
6. Geschwür ist der kinder Unglück und Züchtigung und das
haus (die wohnungl toten fleisches.
3. a verstehe ich {)urs von dem manischen runenstabe wie im runengedicht,
loogegen es b und c in der bedeuUing „riese" gebraucht wird. — b. biii] 749,
JO, ibüi 461, unleserlich in 687. — c. vardrünar v. ] 74Ü, JO, sidförull seggr
461; 687 scheint vor',riiaav' sicher ein l]zut haben, aber die vorhergehenden buch-
staben sind buchst undeutlich (baul- d. i. böl-?).
4 a. aldingautr vgl. Fegtamshv. v. 2 und 13.
5 a. sitjandi titela] eigentlich „sitzender glücklicher zustandi^ d.i. die behag-
lichkeit, die man fühlt, indem man auf dem rücken des pferdes sitzt. — c. jors]
für jös der alten spräche.
6 b. bardagi] ^57, 461, 749, JO a, nehme ich in der bedeutung „Züchtigung ^
284 ANHANG.
7.
)(( (hagall) er kaldakorn
ok krapadrifa
ok suaka so lt.
grando. hildingr.
8.
b (naud) er I>^jar [»rä
ok J)ungr kostr
ok våssamlig verk.
opera, niflungr.
9.
I (iss) er arbörkr
ok unnar {jak
ok feigra manna får.
glacies. jöfurr.
7. Hagel ist kaltes korn und Schneegestöber und der schlangen
krankheit (Vernichtung).
8. Not ('knechlschaft') ist kummer der magd und harter stand
und mühselige arbeit.
9. Eis ist flufsrinde und dach (decke) der woge und gefahr für
<lie männer, deren todesstunde nahe ist.
bestrafung'^ (es wird vielleicht an solche fälle gedacht wie z. b. Job, der mit
beulen geschlagen tvurdej. Für bardagi hat JOb bardaga för, was Håltind in
den texl aufgenommen hat (natürlich um eine zweigliedrige Umschreibung zu
erhalten^ was ich jedoch nicht für notwendig haltej; dies verstehe ich nicht mit
Bugge als „eine stelle, wo sich plage (schmerzj regt''' (also för nom. sing,
fem.), sondern als „spuren, male der Züchtigung-" (för neutr. plur. von far,
spur, mal von etwas; mit dem plu ral i-^/. våssanilig verk ^c, ülfs leifar i26/ —
flagelia] von diesem, ivorte ist nur flag deutlich, das Bugge zu „nag[inoüa], eine
weniger richtige form für phlcgmonc", ergänzt; aber die handschrift hat ohne
Zweifel flagella, das die Übersetzung von bardagi ist wie in den lateinischen
Übersetzungen auf der folgenden seite in der handschrift.
8 a. iM'ä] /uCT" am ehesten in der bedeutung „wgritudo animi, mceror, sc/iioer-
mut, trübsinn"- (Bj. HaldorsonJ. — b, l)ungr kostr] 749, JO, jjvera erfidi 461,
unleserlich in 687. — Die lateinische Übersetzung opera gibt nur das wort verk
wieder.
9 a. arbörkr] 461, 740, JO, unleserlich in 687. — b. uunar l)ak] 461, 749,
JOb, uuuar unleserlich, l)ak sehr undeutlich in 687, unnar l)ekja JO a. — c. f.
.lu. får] feigs får JOa, feigs inanns forad 461, feigs forad 749, JOb; vgl.
II. n. ALTNORWEGISCHE ROENGEDICBT ü. D. ISLÄNDISCHE RLNENREIMEREI. 2S5
10.
i (är) er gunina gödi
ok gotl sumar
ok algroinn akr.
anniis. allvaldr.
11.
^ (sol) er skyja skjold r
ok skinandi rüdull
ok isa aldilregi.
rota. siklingr.
12.
1 (Tyr) er einhendr åss
ok Ulfs leifar
ok hofa hilmir.
mårs. tiggi.
10. (Gutes) jähr ist der männer glück und guter sommer und
vollreifer acker.
11. Sonne ist der wölken schild und scheinender slrahlenglanz
und der eismassen morder (Zerstörer).
12. Ty ist der einhändige as und des wolfes Überbleibsel und
der tempel könig.
alt er feigs forad Fdfnismdl v. 11. Mit dieser Umschreibung des eises vgl.
Målshåttakvædi v. 25: sjaldan hittisk feigs »qk frorin.
10 b. gott s. ] 749, JO a, gott sehr undeutlich, snmar unleserlich in 687,
glatt s. JOb, die buchstaben vor tt verlöscht in 461. — c. algroinn a. ] 749,
JO, ok vel flest Jiat er vill 461; 687 hat data {undeutlichj dreyri, „nässe der
thäler*^ d. i. fliisse, also år als nom. plur. von 'a. 'flufs, ström' aufgefafst.
1 1 a. skyja skjöldr inufs als umschrtkbung für die sonne „den runden
himmelskö'rper" bezeichnen, also dasselbe bild wie hvél Wad' von der „sonnen-
scheibe" gebraucht (749 und JO haben gerade anstatt der Umschreibung isa
aldrtregi 11c hverfandi hvél), dem die lateinische Übersetzung rota entspricht.
Die Umschreibung skyja skjöldr beruht eigentlich auf eüier begriffscerwir-
rung und ist vielleicht durch mifsverständnis von Grhnnismdl v. 38 hervor-
gerufen.
12. In 687 sind die runen ^ und ^ mit den zugehörigen erklärungen ver-
tauscht. — b. Ulfs leifar] „des icolfes (des FenriswolfesJ iiberbleibsel'^, weil er
nur Tys eine band frafs, aber den rest übrig liefs; die umschreibimg ist sehr
gesucht, kommt aber auch in späteren rhnur vor. — c. bofa b. ] Diese Um-
schreibung ist eigentlich fehlerhaft von Odin auf Ty übertragen.
286 ANHANG.
13.
^ (bjarkan) er laufgat lim
ok lilit Ire
ok ungsamligr vittr.
abies. biullungr.
14.
Y (niadr) er manns gaman
ok moldar auki
ok skipa skreytir.
bomo. mildingr.
15.
r (lögr) er vellanda valn
ok vidr ketill
ok glömmiinga grund,
lacus. lofdungr.
16.
X (;fr) er bendr bogi
ok brolgjarnt jarn
ok fifu färbauli.
arcus. yiiglingr.
13. Birkenreis ist ein laubreicber zweig und ein kleiner bäum
und ein jugendücbes holz.
14. Mann ist des mannes freude und des staubes Vermehrung
und der schiffe schmucker.
15. Nässe ist hervorquellendes wasser und weiter (grofser) kessel
und der fische land.
16. 'Yr' ist gespannter bogen und sprödes eisen und des
pfeiles riese.
13c. ungsamligr] soll wohl bedeuten „das ivegen der grünen blätter ein
jugendliches (frisches) aussehen hat"; Bugge schlägt wgsamWgr „prächtig" vor.
14 a = Hdvamäl v. 47 b.
15a. vellaada vatn] 687 f jedoch vatn unsicher); alle übrigen tcvle (461,
749, JOJ haben vellandi vimr (d. i. vimur), „hervorquellende fluf^ das dem
„vom berge niederstürzenden toasserfall" des nmcn gedicktes (vimur = foss) ent-
spricht und daher vielleicht das ursprüngliche ist. — b. vidr ketill] Ich nehme
an, dafs hier auf die heifsen quellen auf Island mit ihren eviporspringenden
Wassersäulen angespielt wird, deren name (liverr) ja gerade ursprünglich in der
bcdeutung ,,kes.'iel"' vorkommt.
10, Auch die isländischen (sehr jungen) runeninschviften gebrauchen in
II. D. ALTNORWEGISCHE RÜNENGEDICHT Ü. D. ISLÄNDISCHE RUNBNREIMEREI. 287
der regel J als zeichen für y; in der ältesten dieser Inschriften (der kirch-
thiire von f''alßjafstairj scheint dagegen R die bedeutung o zu haben färb. f.
nord. oldk. 1882, s. 93 f.). — AM 461 läPst diesen stab und seine Umschreibungen
ganzaus, die Ja hier auf die beide?i ganz verschiedenen bedeutungen „bogen" und
„schlechtes eisefi^^ bezug haben ("vgl. die uinschreibttngen . fiir år in 687 ; siehe
die bernerkung zu 10 cj . — a. bendrbogi] JO a, tvibendr b. JO b (in 749 ist tni
über bendr geschrieben), unleserlich in 687. — b. brotgjarnt jarn] obrotgjarnt
j. Kalund, indem er das etwas undeutliche zeichen in 687 vor brotpjarot als o
liest; aber es ist das gewöhnliche abkürzungszeichen fiir ok ("Bugges vorschlug
brotgjarot für obrotgjarnt, das auch der reim stützt, wird hierdurch bestätigt J.
yr in derselben bedeutung wie hier („sprödes eisen") findet sich auch in der
Zusammensetzung kaidyr Merlinus spå (vgl. kaldor „ferrum fragile" Bj. Haldor-
sonj und steht offenbar in Verbindung viit ür „schlacken", ürt jara (siehe
das runengedichl v. 2). Statt brolg. jarn hat 749 bardaga gangr („des kampfes
riese"), JO b bardaga gagn („des kampfes geräth"). — c. fifu f.] JO b „des p feiles
riete" , Umschreibung fiir „den bogen", der den pfeil abschiefst, fenja fleygir
(„des p feiles aussender") 749; 687 hat einen leeren platz fiir diese Umschreibung.
Die lateinischen Übersetzungen der runennamen, welche die
letzten 9 Zeilen auf s. 3 in AM 687 einnehmen, lauten mit aufgelösten
abkürzungen und mit gewöhnlicher isländischer Orthographie folgender-
mafsen (das völlig unleserliche schliefse ich in klammern ein):
Aurum guU, guU er fé, fé er rünastafr. Ymber^ skür, ski'ir
er ür, ür er rünastafr. || Fantasroa er skrimsl, skrimsl er |)u(rs)',
|)(urs)* er rünastafr. Flu men straumr, straumr er öss, || öss er
rünastafr. Iter vegr, vegr® för, [för]* (e)r reid, reid er rünastafr.
Wulnus^ sår, sår || er kann, kaun er rünastafr. (Niv)es er snjör,
snjör er hagl, hagall er rünastafr. Flagella || er bardagi, bardagi er
naud, naud er rünastafr. (Fr)ig(us)® er frost, frost er iss, iss er
rünastafr. || Estas er sumar, sumar er år, år er rünastafr. Ignis
er eldr, eldr er söl, s öl er rünastafr. || Jupiter er Pörr, Pörr er åss,
åss er Tyr, Tyr er rünastafr. Flos er blom, blom er vidr, vidr ||
^) Ymber (in der handschriß jb^ undeutlichj d. i. imber (vgl. nmbre in
der runenreimerei v. 2).
*) jjnrs oder |mss? Bie zwei (drei) letzten buchstaben an beiden stellen fast
völlig unleserlich.
') Die zwei ersten buchstaben undeutlich.
*) Das zweite för ist in der handschriß weggelassen.
*) woln' in der handschrift (doch n und das abkürzungszeichen für us
undeutlich).
•) Das ganze wort sehr undeutlich (die zwei ersten buchstaben und das
abkürzutigszeiehen für us fast völlig unleserlich).
288 ANHANG. II. D. ALTiNORW. RUNCNGED. U. D. ISLAND. RUNENREIMEREF.
er hjarkan, bjarkan er riinaslafr. Palus er gorinr\ gormr er
sjör, sjör er lögr, || lögr er rünastafr. Arcus er bogi, bogi er ^r,
jr er n'inaslafr.
Vollständig übereinstimmend sind also nur die Übersetzungen
von fé, (ür,) reid und yr; flag eil a, das in der reimerei kaun
übersetzt, steht hier als Übersetzung von naud (der gemeinschaftliche
begriff ist bardagi); gleichfalls findet sich Jupiter an verschiedenen
stellen, in der reimerei als Übersetzung von öss, aber hier als Über-
setzung von Tyr, wogegen öss durch flumen wiedergegeben wird,
also die gewöhnliche jüngere bedeutung, die sich auch in dem runen-
gedicht findet. Dies ist der wesentlichste und zugleich der interessan-
teste unterschied zwischen beiden reihen, wogegen keine veranlassung
vorliegt, hier näher bei den übrigen abweichungen zu verweilen.
^) Bie zwei ersten buchstaben undeutlich.
III.
örtliche ab weichungen im gewöhnlichen nordischen
futhark.
(Za Seite 208.)
Dafs sich neben der form der runenschrift, die über den ganzen
Norden hin allgemein üblich war, frühzeitig örtliche ei gen -
lümlichkeiten entwickelten, haben wir s. 208 bei der besprechung
der auf den beiden östergötländischen runensteinen von Kälfveslen
und Rök gebrauchten runenformen kurz berührt.
Als hauptvertreler dieser form der runenschrift, die um die
mitte des 10. jhdts besonders in Östergötland verbreitet gewesen
zu sein scheint, steht die grofse merkwürdige inschrift auf dem
Röker steine da, deren futhark folgende gestalt hat:
rhht^DURK HiH T11KT rr,
f lo fi ci r k/ h/n/i/a/s t^ h my V R/
Diese formen sind offenbar durch consequente Vereinfachung der-
jenigen zu Stande gekommen, die sonst gegen das jähr 900 herr-
schend geworden waren (siehe s. 207) : h n, \ a und 1 t haben
einfach die hälfte des nebenstrichs fortgeworfen; die ältere form T
kommt noch zweimal auf dem Röker steine in dem worte st^nta
in der ersten zeile vor, während das erste wort in der inschrift
(afl) 1 hat, das auch durchweg in dem übrigen teile der inschrift
gebraucht wird. Oft geht der nebenstrich bei dieser rune wie bei ii,
r und l vom hauptstabe ein wenig unterhalb von dessen spitze aus
(bei j> reicht der nebenslrich umgekehrt häufig bis zur spitze und
zum fufse des hauptstriches). Auch die 6 - rune |? ist aus ^ ^ (auf
ähnhche weise wie h P 1 aus + + T) durch abwerfen der hälfte der
nebenstriche entstanden. Die zeichen für h und »i (♦ und i") sind
WIM SLEB, Die runenschrift. 19
290 ANHANG.
natürlich aus 5J( und *P ^ entstanden und die zeichen für s und n
aus H und A , indem beziehungsweise nur der oberste, resp. der
unterste teil von diesen runen beibehalten wurde. Ganz mit den ge-
wöhnlichen formen übereinstimmend sind dagegen die zeichen für
/, <f, k, i und im wesenthchen auch die für u, p, r, l.
Der auf dem Kälfvestener steine gebrauchte fulhark unter-
scheidet sich von dem des Röker Steines dadurch, dafs die a- und
6-rune die nebenstriche auf der linken seile des hauptstabes haben
(i und ^), aber man darf, wie ich oben s. 208 bemerkte, annehmen,
dafs er im übrigen, ausgenommen vielleicht das zeichen für die
w-rune, mit dem Röker übereingestimmt habe. Derselbe futhark
wie auf dem steine von Kälfvesten, aber mit der gewöhnlichen
jüngeren m-form Y wird nämlich in einer kleinen gruppe nor-
wegischer runeninschriften (namentlich von Jæderen) und in dem
gröfsten teile der Inschriften auf der insel Man (aus der zweiten
hälfte des ll.jhdts)^) gebraucht. Dieser futhark hat folgende form:
fupqrkhnias t b m l r
Nur R fehlt, da r (R) es mitvertritt, während der stein von Kälfvesten
wie der von Rök i hat.
In genauester Übereinstimmung mit dem futhark des Röker
Steines steht ein runenalphabet, das wir in der schwedischen provinz
Helsingland finden, wo es jedoch nur von einem einzigen denkmal
her bekannt ist, nämlich einem eisernen ringe, welcher früher an
der rüstkam merthür der um 1840 niedergerissenen kirche von Forsa
im nördlichen Helsingland angebracht war. Auf diesem ringe ist
eine längere runeninschrift vermittelst eines meifsels oder schrot-
eisens eingehauen, und die kleinen dreikantigen nebenstriche an einem
teile der runen sind mit einem kleinen keilförmigen stempel hervor-
gebracht, der in der regel nicht ganz bis an den hauptstab heran
gesetzt ist^). Dieser futhark hat folgende form:
1) P. A. Munch iii den Annaler for nord. Oldk. og Historie 1850, s. 273 ff.
(Samlede Afhandlinger III, Christ. 1875, s. 181 ff.) und in den Chronica reguni
Manniæ et insularum, Christ. 1860, Preface s. XX ff. (mit tafel); J. G. Cumming,
The Runic remains of the isle of Man, London 1857.
^) S. Bugge, Rune-Indskriften paa Ringen i Forsa Kirke i Nordre Helsing-
land, Christ. 1877, 4*«, womit zu vergleichen ist Harald Hjärne, Runinskriften
på Forsaringen in der Nordisk Tidskrift for Filologi. Ny Række V, 3 (1880),
s. 177 tf.
HI. ÖRTLICHE ABWEICHUNGEN IM GEWÖHNLICHEN NORDISCHEN FUTHARK. 291
r.KKt>nKKr IHM rnr,
f -' Ti/ p c^^ r k h/n/i/a/s t/ b m/t IL
Die abweichungen von den runen des Röker Steines erklären sich
leicht aus der art und weise, wie die inschrift eingebauen ist (die
beiden formen des /> und r sind z. b. dadurch entstanden, dafs das
eine mal zwei, das andere mal drei schlage beim einhauen der neben-
striche gelhan sind). Wenn man hiervon absieht, so stimmen die
runen des Forsaer ringes vollständig mit denen des Röker Steines
überein, mit alleiniger ausnähme der f-rune, die den nebenstrich auf
der rechten seite des hauptstabes hat und die form X zeigt (natür-
lich zum unterschiede von der Z-rune), während wir in Übereinstim-
mung mit dem Röker steine eher '\ erwarteten. Dafs aber die runen
des ringes von Forsa in denen des Steines von Rök ihre Voraussetzung
haben, kann ja gar keinem zweifei unterliegen. Da die inschrift
kaum älter sein kann, als aus der zweiten hälfte des 12. jhdts, so
ist es natürlich zweifelhaft, ob m in diesem futhark noch seinen
ursprünglichen platz vor l bewahrt hatte.
Durch eine abermalige Vereinfachung der runenformen des ringes
von Forsa kommen wir zu der letzten und extremsten von den
örtlichen Veränderungen des alten runenalphabetes. Diese form treffen
wir gleichfalls im nördUchen He Isingland, wo sie aus fünf stein-
inschriften bekannt ist, von denen vier noch erhalten sind. Nach
dem orte hat man diese runen „die Heisinger" genannt, oder sonst
kurzweg „die stablosen", nach dem am meisten charakteristischen
merkmale an ihnen, dem nämlich, dafs in der regel der hauptstab fort-
gelassen und nur der nebenstrich oder ein teil desselben beibehalten
ist. Dieser futhark hat folgende form:
T ^ ' ( ^"^^
i~> — ^
^ uy f> r h hyTvi/eus V h V m/ W
Die dss-rune scheint gefehlt zu haben, da die dr-rune auch in
den fallen angewandt wird, wo die öss-rune auf dem Röker steine
und dem ringe von Forsa gebraucht worden wäre. Da sie sich in
dieser letzteren inschrift findet, die mit den inschriften in stablosen
runen gleichaltrig ist, so ist sie vielleicht absichtlich bei diesen aus-
gelassen, um die Symmetrie im futhark zu wahren, welche, wie Rugge
hervorgehoben hat (Rune-Indskriften paa Ringen i Forsa Kirke s. 39),
kaum zufällig ist, die Symmetrie, welche darin zu tage tritt, dafe sich
19*
292 ANHANG.
auf beiden seilen der ?-rune die übrigen zu je 7 gruppieren. Die
Symmetrie scheint auch zu fordern, dafs l seine stelle vor m gehabt
hat. Die rune, welche früher als h gelesen wurde, ist nach Bugges
erklärung (a. a. o.) zeichen für k, wogegen die h - rune zufällig in
den inscb'riften nicht vorkommt; "ihre form ist folglich zweifelhaft.
Sie kann nicht durch 2 punkte mitten zwischen den einfassungsllnien
(in ähnlicher weise wie die zeichen für m und r) ausgedrückt worden
sein, da die inschriften als trennungszeichen 2 oder 3 punkte ge-
brauchen; dagegen halte ich es für wahrscheinlich, dafs das Ä-zeichen
die form eines kleinen wagerechten Striches mitten zwischen den
einfassungsllnien gehabt hat (— ). Wenn die ciss-rune einmal in
diesem futhark vorhanden gewesen ist, so hat sie ohne zweifei die
form A. gehabt (vgl. das zeichen für b).
Das Verhältnis zwischen den slablosen Heisinger runen und den
runen auf dem Röker steine und dem ringe von Forsa ist also fol-
gendes: die beiden einzigen runen, die unverändert bewahrt wurden,
sind die zeichen für i und s. Durch fortwerfen des hauptstabes ent-
standen die zeichen für u, n, a, t und l (und nach meiner vermutung
das für das nicht vorkommende h). Der hauptstab und der oberste
teil des nebenstriches sind bei r fortgeworfen, der hauptstab und der
oberste nebenstrich bei b (und wahrscheinlich bei g,, wenn es auf einer
früheren stufe vorhanden gewesen ist). Nur der mittlere teil des
beistriches ist bewahrt in dem J!>- zeichen • aus |> (mit ßugge diese
rune von dem |) des Forsaer ringes abzuleiten wage ich nicht, da ich
diese form auf dem ringe für zufällig ansehe, hervorgerufen durch
die art und weise, in der die Inschrift eingeiiauen ist). Durch stärkere
Veränderungen sind die zeichen für m und r in zwei punkte aufge-
löst (analog dem zeichen für r erwarteten wir übrigens eher, dafs
das s-zeichen die form erhalten hätte, welche m ausdrückt), und bei
f und k ist der hauptstab halbiert und die beistriche sind zu dem
kleinen knöpfe an der spitze und am fufse dieser runen zusammen-
geschmolzen.
Ungefähr gleichzeitig damit, dafs die runenschrift die gestalt an-
nahm, die lange zeit die allgemein herrschende im ganzen Norden
blieb, und deren letzter zug mit dem übergange der alten runenformen
H und M für h und m in )jc und T (Y) gegen die mitte des 9. jhdts
vollendet war, so dafs jede rune jetzt einen einzigen geraden
haup tstab hatte (nur H bildet eine kleine abweichung von dieser
III. ÖRTLICHE ABWEICBÜNGEN IM GEWÖHNLICHEN NORDISCHEN FÜTHARK. 293
regel), hat sich also, wie das aus dem Kälfvestener und Röker steine
und andern mit ihnen wesentlich identischen schwedischen inschriften
hervorgeht, eine tendenz gellend gemacht, dieses runenalp habet
noch weiter zu vereinfachen. Dafs dieser versuch einen nicht
geringen anklang gefunden hat, kann mit Sicherheit daraus geschlossen
werden, dafs sich spuren von ihm nicht nur in Schweden etwa von
der mitte des 1 0. (die steine von Kälfvesten und Rök) bis gegen das
ende des 12. jhdts (der ring von Forsa, die stablosen Heisinger runen),
sondern auch über Norwegen bis zur in sei Man hin nachweisen lassen.
In Dänemark scheint diese tendenz niemals in weitem umfange
boden gefafst zu haben; aber einzelne äufserungen derselben sind
trotzdem auch hier zu spüren. Ich rechne dahin den gebrauch der
runen i und Y für + und + auf dem mit den steinen von Kälfvesten
und Röt ungefähr gleichaltrigen schleswigschen steine von Vedel-
spang (P. G. Thorsen, De danske Runemindesmærker I, s. 43)^),
gleichwie die n- und r- und zum teil die wt-form desselben mir
ebendahin zu weisen scheinen (dagegen haben s, t, h die gewöhn-
lichen formen H, T, B, was gleichfalls von den nicht vorkommenden
h und R angenommen werden kann). Noch gröfsere Übereinstimmung
mit jener gruppe schwedischer steine, zu der der Röker und Kälfvestener
stein gehören, bietet der kleinere Gunderuper stein von Jütland
(Thorsen II, 1 no. 54, wo jedoch weder der ganze Charakter der In-
schrift noch die eiiizelheiten genau wiedergegeben sind, wie auch die
beschreibung des Steines und die Zeitbestimmung II, 2, s. 151 f. ganz
unrichtig ist). Die Inschrift, die
austain*) ; sati ; stain*) ; f)5nsi : abt i ^sulb > fa|)ur i sin i
lautet und ohne zweifei in die zweite hälfte des 10. jhdts gesetzt
werden mufs, gebraucht durchgehends i, h, "für a, n, s. Diese runen
sowohl wie die ganze form der inschrift und der gebrauch von b für
das gewöhnliche /"in ijsulb (auch in abt)^) verraten eine beziehung
^) Eine genaue wiedergäbe der eiazelnea raaeafornieo, worauf es ja hier
besonders ankoninit, findet mau jedoch nicht auf der Zeichnung bei Thorsen, die
aufserdem den grofsen fehler sutriku für siktriku enthält.
^) Thorsens Zeichnung und text haben unrichtig au s tan und der text un-
richtig s tin.
3) Während der ursprüngliche unterschied zwischen y und b (t) im in- und
auslaut auf dem Röker und auf dem damit nahe verwandten Kärnborfr steine
von Södermanland (Bugge, Tolkning af Runeindskriften paa Rokstenen, s. 114 f.)
sowie auf den dänischen steinen von Tryggevælde und dem kleineren stein von
294 ANHANG. III. ÖRTLICHE ABWEICHUNGEN IM GEW. NORD. FUTHARK.
ZU den oben besprochenen schwedischen inschriften und den damit
verwandten inschriften von Man, die nicht zufällig sein kann, und
die den übrigen gleichzeitigen dänischen inschriften so fremd ist, dafs
ich aus diesen gründen den Gunderuper stein gar nicht für dänisch
im eigentlichen sinne ansehe (vgl. die bemerkungen oben s. 249 über
den stein von Hobro).
Selbst wenn die hier besprochenen Vereinfachungen des alten
runenalphabetes eine weniger hervortretende rolle in der eigentlichen
runensteinperiode (mitte des 9. bis mitte des 11. jhdts) mit aus-
nähme gewisser gegenden gespielt haben, so dringen doch einzelne
derselben in einer späteren zeit siegreich durch. Wenn in jüngeren
inschriften aus dem ganzen Norden "i, h und zum teil 1 und * an
die stelle von +, +, T, H treten, so hege ich keinen zweifei darüber,
dafs diese formen ihre Voraussetzung in der entwicklung haben, die
sich sporadisch auf weit älteren denkmälern nachweisen läfst.
Bække beobachtet wird (siehe unten 'Anhang' VI), ist auf dem Gunderuper
steine b auf formen übertragen, die ursprünglich y hatten (ulb = ulf; abt
bezeichnet wohl am ehesten die ausspräche æpt für æft), was mit dem gebrauch
in den inschriften von Man übereinstimmt, die gleichfalls z. b. ulb haben, wozu
sich aber sonst kein seitenstück auf dänischen runensteinen findet.
IV.
Das Verhältnis zwischen den runen Kr und Aä^).
(Zn Seite 130 ff., 241 ff.)
Wie oben (s. 130 flf., s. 241 ff.) nachgewiesen , waren die runen
reid und ^ (älter elgR) im Norden ursprünglich zeichen für zwei
verschiedene r-laule, von denen der erste einem ursprünglichen (ge-
meingerm.) r entspricht, der zweite einem ursprünglichen (gemein-
gerra.) s (das im got. meist zu s geworden ist). Diese regel wird
nicht nur in den Inschriften mit den älteren runen befolgt, sondern
macht sich auch bis in späte zeit hinein in den Inschriften mit
den jüngeren runen geltend. Wenn wir indessen in diesen be-
reits so früh wie auf dem steine von Tryggevælde u. s. w. formen
wie Tåknhiltr ^^ Ragnhildr, h alr i = bætri mit R für A, und um-
gekehrt sustiR = systiR finden, während die alte regel sonst beob-
achtet wird (vgl. die in den årb. f. nord. oldk. 1867, s. 31 und
die hier weiter unten s. 332 angeführten beispiele), so kann ich die
erklärung, die ich an der erstgenannten stelle von diesem Verhältnis
gegeben habe, und die auch Bugge in seiner deutung des Röker
Steines (s. 9) vorgebracht hat, dafs nämlich die zeichen K und A ver-
mischt wurden, weil man die beiden r-laute nicht mehr scharf unter-
schied, für nichts anderes als für einen notbehelf ansehen. Bereits
in „Runeskr. opr." 1874, s. 255 hatte ich daher auch hervorgehoben,
dafs von den beiden r-zeichen, obwohl sie früh vermischt zu werden
anfingen, doch deswegen nicht gesagt werden dürfte, dafs sie
lautlich zusammengefallen seien. Meine seitdem vorgenommenen
1) Siehe meine „Sproglige iagttagelser fra eu rnnologisk. rejse i Skåoe i
somnierea 1S76" io „Kort udsigt over det filologisk-historiske sainfuods virk-
somhed i årene 1876 — 7S", Kbh. 1878, s. 16 — 19 (separatabzug s. 5 — 8).
296 ANHANG.
Untersuchungen unserer runendenkmäler und das dadurch herbeige-
schaffte zuverlässige inschriftenmaterial haben mich davon überzeugt,
dafs ich 1874 recht hatte, und ich glaube nun auch im stande
zu sein, die gründe für die scheinbare Vermischung der beiden zeichen
nachzuweisen. Es sind ohne zweifei dieselben gründe, die an vielen
andern punkten die gröfsten Veränderungen während der entwicklung
der sprachen hervorgerufen haben, nämlich zum teil analogien, zum
teil die anziehung oder abstofsung, welche die verschiedenen laute
auf einander üben (also ein lautphysiologischer grund). Jeder
von diesen Wirkungen gehört bezüglich der hier behandelten frage
ihre besondere periode in der spräche an:
In der älteren runensprache wird der unterschied zwischen
r (= ursprgl. r) und r (aus ursprgl. z) genau beobachtet (siehe die
aufzählung der bis zu jener zeit bekannten formen mit Y, Å in
den årb. f. nord. oldk. 1868, s. 71 ff. = „Professor G". Stephens om
de ældste nordiske runeindskrifter", s. 19 fF.). Eine abweichung von
der regel bildet jedoch die präposition aften 'nach' in der einen
Inschrift auf dem stein von Tune, während die andere das ursprüng-
lichere after hat; gleichfalls findet sich r für r in der präposition
ubaR 'über' auf dem stein von Varnum, und hierher rechne ich auch
das wort JiaR auf dem Einanger steine, dessen inschrift: dagan f)aR
runo faihido lautet, wo ich nicht mit Bugge J)aR runo = altnord.
p^r rünar fasse, sondern runo als acc. sgl. mit collectiver bedeu-
tung („die runeninsclmft") und {)aR als adverb = got. und altnord.
par („Ich Tag ritzte die runeninsclirift da") ansehe ^).
Da sich r in der älteren runensprache ja namentlich im aus-
laut in einer grofsen menge von fällen fand, so konnte es durch
analogie auch auf einzelne präposit ionen und adverbia
übertragen werden, die ursprünglich auf r-laut ausgingen; dadurch
entstanden formen wie aftcR, ubaR, {)aR, die später in der regel
R bewahrten. Gleichwie der stein von Istaby, der sich den älteren
runeninschriften anschliefst, afAtR (d. i. aftAR) hat, so tritt dieses
wort in seinen vielen verschiedenen formen auf unseren jüngeren runen-
sleinen immer mit ß am ende auf (aftiR, iftiR, uftiR u. s. w.).
Möglicherweise haben auch die verwandtschaftsnamen, die in
der altnord. Schriftsprache -ir im nom., -ur in den übrigeji formen
1) Auch im anfang der Röker iiischrift (aft uamuj) stc^nta ruuan l)an)
ist {)an wohl am ehesleu als adverb zu fassen.
IV. DAS VERHÄLTMS ZWISCHEN DEN RUNEN R T UND >k H. 297
des Sgl. aufweisen, schon in der älteren runensprache -r im nom.
zu -Ä, analog den vielen andern nominativen auf -«, verändert. Auf
jeden fall ist es in den jüngeren inschriften regel, dafs der nom.
stets -iR hat (faI)iR, bru{)iR u. s. w.), während die andern casus
ebenso reg^Imäfs^ig -ur haben (fa|)ur, bru|)ur u. s. w.).
Mit den hier genannten ausnahmen, wo -r durch analogie das -r
verdrängen konnte, wird die ursprüngliche regel nicht blofs in den
inschriften mit den älteren runen befolgt; sondern auch die ältesten
inschriften tnit jüngeren runen (die gruppe von steinen; die ich in
den anfang des 9. jhdts setze; siehe unten s. 335 ff.) beobachten
noch die ältere regel, obwohl deren spräche in andern beziehungen
wesentliche Veränderungen erlitten hat, namentlich durch ausstofsung
von vokalen und konsonanten (die älteren nominative dagOR, gasttR,
daudan wurden zu dag,R, gæstR, dåudR u. s. w., das prät. fai-
hido zu fdda u. s. w.). Erst in der gruppe von inschriften, die
ungefähr dem jähre 900 angehört (unten s. 356 ff.), finden
wir die ältere rege) für den gebrauch von R und X durch-
gehends an einem einzigen punkte durchbrochen; während
wir nämlich das alte A nach gutturalen und labialen lauten sowie
nach vokalen bewahrt sehen, ist es nach dentalen (T = ^ d. nd,
\> = p, d, + = «) regelmäfsig in R übergegangen. Dieser Über-
gang findet sich fast ohne ausnähme in aljen dänischen runenin-
schriften vom jähre 900 bis etwas nach dem jähre 1000 (dem Zeitpunkte,
um den sich die grofse menge unserer runensteine gruppiert) und ist
selbstverständlich durch einen lautphysiologischen grund hervorgerufen,
den nämlich, dafs der alveolare r-laut Å. r, dessen Verwandtschaft
mit i sich unter anderm auch darin zeigt, dafs er im nordischen
i-umlaut hervorruft, natürlich in Verbindung mit den gutturallauten
bewahrt wurde, während die dentalen eher den dem normal -euro-
päischen Zungenspitzen -r entsprechenden gingivalen r-laut R. r ver-
langten. Dafs auch die labialen an Å ä festhielten, beruht wohl
darauf, dafs der alveolare r-laut mehr vorn, der gingivale weiter
hinten articuliert wurde (siehe Hoffory im Arkiv f. nord. Filologi 1,
s. 41 ff.). Durch die hier dargestellte regel erklärt sich also die
Schreibung raknbiltr und batri auf dem stein von Tryggevælde neben
faiR und futiR, haraltr auf dem gröfseren stein von Jællinge neben
kunukR und s^r, augutr und tu|)r auf dem grofsen stein von
Ärhus neben asIakR, kunuIfR, ruIfR und kunukaR, u. s. w.
u. s. w. Die einzige ausnähme, die ich von dieser regel auf den
298 ANHANG.
dänischen runensteinen gefunden habe , ist s u n r auf dem Krage-
holmer steine (Schonen), während der stein von Skærn r nach n in
mj^nr d. i. mannr hat (auf dem Hedebyer stein matr d. i. mandr
geschrieben). Bezüglich der form sunR ist indessen zu bemerken,
dafs dieses wort auf der einen seile als w-stamm den auslaut länger
als die a- und /-stamme bewahrt und auf der andern seile sich früh
durch abwerfen des r im nom. der neueren spräche genähert hat; das
alte sunuR und das neuere sun zusammen können eine Schreibung
sunR für sunr hervorgerufen haben, wo r (r) vielleicht in der aus-
spräche gar nicht vorhanden gewesen ist (sun im nom. fmdel sich
auf mehreren unserer runensteine).
Der Vollständigkeit halber mufs noch hinzugefügt werden, dafs
das R (Å) des nominalivs mindestens vom jähre 900 an in Ver-
bindung mit einem zum stamme des wortes gehörigen r (K) in rr,
geschrieben R, übergeht: kunar= Gunnarr, \>uy = Pörr, ^sur =
altnord. Qzurr, u. s. w. Dasselbe ist gewiss auch in noch alleren in-
schriften der fall gewesen.
Die hier besprochene regel für den gebrauch von R und Å ge-
währt uns ein neues, nicht unwichtiges mittel, das alter der runen-
denkmäler zu bestimmen, da wir schliefsen dürfen, dafs die in-
schriften, die noch Å hinter einem denlal in Übereinstim-
mung mit der ursprünglichen regel bewahrt haben, spätestens
der periode zwischen 800 — 900 angehören müssen. So
finden wir nach der älteren regel st§tR d. i. stqndR auf dem
steine von Flemlose und auf dem gleichaltrigen steine von Örja
(Schonen), wie der ungefähr 100 jähre ältere stein von Vatn (Nor-
wegen) rhoaltR d. i. HröaldR hat (vgl. oben s. 225 f.). Wenn ich
in „Runeskr. opr." 1874, s. 169 (vgl. unten s. 356 ff.) den stein von
Norrenærå zu unsern ältesten runensteinen gerechnet habe, so wird
diese annähme also auch durch die Schreibung [)urmutR d. i.
Pörmundr bestätigt', umgekehrt zeigt dieselbe regel, dafs z. b. der
stein von Glemminge in Schonen, der jünger als der stein von Tryg-
gevælde und ungefähr gleichaltrig mit dem steine von Skærn sein
mufs, altnord. brjötr durch briulr, und nicht durch briulR aus-
gedrückt haben würde, wie Stephens fälschlich in seine Zeichnung
(II, s. 702) nach berichtigung von P. G. Thorsen aufgenommen hat
(die Inschrift hat briuti).
Ich halle es für eine sichere thatsache, welche die vorhergehende
abhandlung hoffentlich aufser allen zweifei gestellt hat, dafs sowohl
IV. DAS VERHÄLTNIS ZWISCHEN DEN BÜKEN R T UND A R. 299
spräche wie schrifl in allem wesentlichen bei ihrer enlwicklung gleichen
schritt über den ganzen Norden hin von der älteren eisenzeit bis gegen
das jähr 1000 innegehalten haben. Es ist daher interessant zu beob-
achten, dafs das Verhältnis, das eben für Dänemark bezüglich der
runen K und Å nachgewiesen ist, auch von Schweden gilt. Jedoch
werde ich hier um so weniger bei diesem punkte verweilen, als die
Zeichnungen, die bisher von schwedischen runensteinen veröffentlicht
sind, zum gröfsten teil bezüglich der genauen wiedergäbe der ein-
zelnen zeichen viel zu wünschen übrig lassen, so dafs sie für diese
art von Untersuchungen kein genügend zuverlässiges niaterial bieten.
Da die grofse masse von schwedischen runensteinen indessen im
ganzen genommen jünger ist als die dänischen , so ist es natürlich,
dafs wir in Schweden häuflg die regel durchbrochen finden, die in
Dänemark um das jähr 1000 genau befolgt wird; dies gilt somit von
der grofsen anzahl schwedischer steine, die mit ziemlicher Sicherheit
in die zeit etwas vor oder nach der mitte des 11. jhdts gesetzt
werden können; ich denke besonders an die gruppe von steinen, die
über männern errichtet sind, die mit Ingoar (f 1041) ostwärts zogen,
und an die beiden gruppen, die sich von den bekannten runenritzern
Ybber (ubiR) und Bah (bali) herschreiben.
V.
Chronologische Übersicht der ältesten nordischen
runendenkmäler.
Ich habe an vielen stellen in der varhergehenden abhandlung
versuchen müssen, das altersverhältnis zwischen den verschiedenen
runeninschriften mit der längeren und kürzeren runenreihe fest-
zustellen. Es wird daher zweckmäfsig sein, eine gesamtübersicht
dieser inschriflen in chronologischer anordnung mitzuteilen. Dafs
diese Zeitbestimmungen nur annäherungsweise das richtige treffen
können, ist indessen selbstverständlich, da kein runendenkmal durch
eine bestimmte Jahreszahl die zeit angibt, der es angehört. Es sind
andere Verhältnisse (sprachliche, paläographische, archäologische gründe),
die uns bei der Zeitbestimmung leiten müssen; aber wenn sie alle
gehörig in betracht gezogen werden, glaube ich doch, dafs es gelingen
wird, einigermafsen das richtige zu treffen.
Was zu allererst bedacht werden mufs, ist natürlich, dafs für die
allmähliche entwicklung räum bleibt, die mit spräche und
Schrift , vorgegangen ist, und dafs die grenzen, innerhalb derer wir
uns bewegen wollen, weder zu enge noch zu weit gezogen werden.
Wohl kann die entwicklung, wie ich selbst nachdrücklich hervorgehoben
habe, an einem orte schneller als an einem andern erfolgt sein; aber M
im ganzen und grofsen hat die entwicklung doch — das betone ich
nochmals — über den ganzen Norden hin gleichen schritt gehalten.
Es gibt natürhch inschriften, deren sprach- und runenformen nicht
an und für sich ausreichend sind, um ihnen einen bestimmten platz
in der reihe anzuweisen. Das.. . . an : waruR des Steines von Tom-
stad z. b. konnte ohne zweifei keine andere als eben diese form haben,
sei derselbe nun gleichaltrig mit der zwinge aus dem Thorsbjærger
moore oder mit dem Reidstader steine; wenn ich annehme, dafs er der
V. CHRONOLOGISCHE ÜBERSICHT DER ÄLTESTEN NORD. RCNENDENKMÄLER. 301
zeit des letzteren weit nälier steht als der der ersteren, so liegt das daran,
dafs er zu einer gruppe norwegischer runendenkmäler gehört, von denen
man weifs oder mit Sicherheit annehmen kann, dafs sie ursprünglich im
innern von grabhügeln errichtet wurden (die steine von Stenstad,
Bratsberg, Tanem, Orstad und Elgesem — der letztere mit der magi-
schen inschrift (]^^ — sind aus gräbern hervorgezogen, und dasselbe ist
bezüglich der steine von Beiland, Tomstad, Reidstad anzunehmen), und
die nicht zu den ältesten norwegischen Inschriften mit der längeren
runenreihe gerechnet werden können. Aber die nähere bestimmung des
gegenseitigen altersverhältnisses zwischen denselben beruht natürlich,
wo uns nicht sprachliche oder paläographische gründe leiten können,
auf einer Schätzung nach dem ganzen Charakter der denk-
mälerund Inschriften, der ja überhaupt bei der feststellung
des alters solcher denkmäler keine geringe rolle spielen darf. Um
ein begründetes gutachten aussprechen zu können, das weit ver-
schieden ist von losen vermutungen, dazu ist selbstverständlich er-
forderlich , dafs man in steter beschäftigung mit den denkmälern
durch autopsie den blick für die eigentümlichkeilen der verschiedenen
Zeiten und der verschiedenen gegenden geschärft hat,, so dafs man
überall während der vergleichung das ganze vorliegende material in
mente hat und infolge dessen zugleich im stande ist, sowohl das ganze
wie alle einzelheiten in gebührende betrachtung zu ziehen.
Dafs auch die archäologischen resul täte für den Sprach-
forscher bei der bestimmung des gegenseitigen altersverhältnisses der
runeninschriften von grofser bedeutung sind, versteht sich von selbst;
aber diese ergebnisse sind bekanntlich leider noch höchst unzulänglich,
wenn es sich um die festselzung bestimmter Jahreszahlen für
die einzelnen funde handelt. Für den Sprachforscher können die
bestimmungen der archäologie daher nur als kontrole der resultate
dienen, zu denen er auf anderm wege (durch sprachHche und paläo-
graphische beobachtungen) gelangen mufste, und wo Sprachforschung
und archäologie mit einander in streit geraten, kann sich die erstere
nicht vor der letzteren beugen, wofern diese nicht im stande ist, durch
gewichtige gründe zu überzeugen.
Einen sicheren chronologischen anhält zur bestimmung
des alters der runendenkmäler erhalten wir ja erst sehr spät in der
jüngeren eisenzeit in den wenigen wirklich historischen denk-
mälern (den steinen von Jællinge, dem Danevirke-steine). Diese
geben den ausgangspunkt ab, von dem aus wir bei der datierung
302 ANHANG.
der älteren denkmäler zuriickschliefsen müssen, und zwar so, dafs, wenn
man das ganze überschaut, eine passende zeit für die entwicklung
übrig bleibt. Eben diese zeit würde nach meiner Überzeugung allzulang
werden, wenn wir mit Engelhardt und andern die inschrift auf der
Thorsbjærger zwinge in das j. 250 und die Inschriften aus dem
Kragelmler moore in das j. 500 setzen wollten. Dafs diese in
Schriften durch einen Zeitraum von 250 jähren geschieden sein sollten,
würde auf unlösbare sprachliche und paläographische Schwierigkeiten
stofsen; diese verschwinden dagegen, wenn wir den Thorsbjærger
fund höchstens 100 jähre vor den Kragehuler setzen.
Was als hauplbeweis für die annähme des hohen allers der
moorfunde gedient hat, ist bekanntlich das aller der in ihnen
enthaltenen münzen, indem man davon ausgegangen ist, dafs die
funde im ganzen nicht viel jünger sein könnten als die jüngsten der
in ihnen vorkommenden münzen. Obgleich es auf den ersten blick
so scheinen mag, als ob dies argument eine grofse bedeutung besäfse,
so mufs es doch Verwunderung erregen, dafs man noch beständig
fortfahren kann, demselben eine solche beizulegen, nachdem längst
bewiesen ist, ein wie geringes gewicht demselben in Wirklichkeit zu-
kommt. Es ist ja nämlich eine thatsache, die sich aus einer menge
von funden sowohl innerhalb wie aufserhalb des Nordens ergibt, dafs
münzen bisweilen aufserordentlich lange in umlauf gewesen sind, und
dafs besonders die guten römischen denare aus den beiden
ersten Jahrhunderten noch Jahrhunderte lang verwahrt
wurden. Dagegen kommen die münzen aus dem 3. und
4. jhdt im ganzen Norden sehr selten vor, indem die münz-
tünde mit Commodus beinahe aufhören und erst von Honorius
ab wieder allgemein werden, mag dies nun darauf beruhen, dafs in
dem langen Zeitraum, wo die münzenreihe fast abgebrochen ist, Stö-
rungen früherer Verbindungen zwischen Norden und Süden einge-
treten sind, oder — was mir am wahrscheinlichsten vorkommt —
davon herrühren, dafs die barbaren ungern die schlechte münze an-
nahmen, die von Septimius Severus ab geprägt wurde. Wenn die
archäologen die münzen in den moorfunden zur altersbestimmung
der letzteren benutzen, so kann das ergebnis daher leicht falsch
werden, und dies ist nach meiner Überzeugung thatsächlich geschehen,
insofern man die ältesten dieser funde in die mitte des 3. jhdts setzte.
Die Sprachforschung mufs sich hier entschieden auf die seile derjenigen
archäologen stellen, die aus andern, rein archäologischen, gründen die
V. CHRONOLOGISCHE ÜBERSICHT DER ÄLTESTEN NORD. RÜNENDENKMÄLER. 303
moorfunde als wesentlich gleichaltrig ansehen. Dadurch werden
die ältesten derselben bedeutend in der zeit herabgerückt, denn
man kann den Thorsbjærger fund nach meiner meinung aller-
früheslens in das jähr 400 setzen.
Diese bemerkungen mufste ich vorausschicken, um besonders die
erste von den zahlen zu begründen, die ich in der folgenden chrono-
logischen Übersicht benutzt habe, wo natürlich so weit wie mög-
lich runde zahlen gewählt sind. Die in klammern hinzugefügte zahl gibt
die grenze an, innerhalb welcher man sich, wie ich glaube, bewegen
darf, so doch, dafs die zahl, die in der klammer steht, nach meiner
meinung der Wahrheit am nächsten liegt. Innerhalb der einzelnen
zeitgrenzen sind die denkmäler chronologisch nach ihrem gegenseitigen
altersverhältnis geordnet, so dafs z, b. die inschriflen Ton Vimose
mit einer runden zahl nahe um das jähr 500, der brakteat von
Vadstena nahe um das jähr 600 gesetzt sein sollen. Durch ein
komma unterscheide ich denkmäler, die als wesentlich gleichzeitig
angesehen werden können, wogegen ich semikolon und punkt setze,
wo ich einen etwas gröfseren zeitabstand annehme. Dafs vieles hier-
bei auf ungefährer Schätzung beruhen mufs, habe ich bereits hervor-
gehoben, und ich habe daher der vorsieht halber auch die periode
500 — 600 nicht in Unterabteilungen geschieden, obgleich ich glaube,
daJGs man ohne wesentlichen mifsgriff deren erste hälfte (500 — 550)
von den Vimoser Inschriften bis zum steine von Berga rechnen
könnte, ihre zweite (550 — 600) vom steine von Yånga bis zu dem
brakteaten von Vadstena.
e. 400 — 500. Die inschriften vom Thorsbjærger und Nydamer
moore; das diadem von Strårup, die spange von Himlingöje.
c. 500 — 600, Die inschriften von Vimose; das goldene horn,
die inschriften aus dem Kragehuler moore, die schlänge von
Lindholm; der stein von Einang, die inschrift vom Vals-
fjord, der stein von Tune, der stein von Strand, der stein
von V am um, der stein von Tanum, der stein von Berga,
Der stein von Vånga, der stein von Skärkind, der stein
von Skaäng, der stein von Torvik a, der stein von Bö,
der stein von Tom stad, der stein von Stenstad, der stein
von Belland, der stein von Bratsberg, die inschrift von
Veblungsnæs; der stein von Krogs tad, der stein von
Möjebro.
304 ANHANG.
Der stein von Tanem, die spange von Etelhem, der
brakteat von Vadstena^).
c. 600(625) — 675. Der stein von Heidstad, der stein von Or-
stad, der stein von Torvik b, der brakteat von Tjörkö^).
Die Schrift, die auf den steinen von Istaby, Björketorp
und Stentofte nachgeahmt wird (stein von Gom mor).
Die spange von Fonnås und die zeichen der längeren
reihe, die auf dem Röker steine und in dem norwegischen
runen kalender (s, 127) nachgeahmt werden.
c. 700 (72.5). Der stein von Vatn.
c. 750 (77.5). Der stein von Sölvesborg, der stein von Räfsal.
c. 800 (825). Der stein von Örja, der stein von Kallerup, der
stein von Snoldelev,- der stein von Helnæs, der stein von
Flemlose^).
c. 850 (87.5). Der Rirkeboer stein von den Færeern; der Vald-
byer stein aus Norwegen, der stein von Norrenærå^).
c. !)00. Der stein von Glavendrup, der stein von Trygge-
vælde.
c. 930. Der kleinere stein von Jæ Hinge.
c. 980. Der gröfsere stein von Jællinge.
c. 1000. Der stein von Danevirke.
Wenn man dieses Verzeichnis näher ansieht, in das ich mit aus-
nähme der brakteatinschriften alle bis jetzt bekannten nordischen
runendenkmäler aufgenommen habe, die sich nach meiner meinung
mit Sicherheit in die zeit zwischen 400 und 900 setzen lassen, wäh-
rend ich vom jähre 900 bis zum jähre 1000 nur einzelne charakte-
ristische beispiele angeführt habe, so wird die ungleiche Verteilung
über die verschiedenen nordischen lander in den verschiedenen Zeiten
sowohl wie die ungleiche Verteilung innerhalb der verschiedenen pe-
rioden, von denen einige so gut wie gar keine runendenkmäler auf-
weisen, natürlich sofort in die äugen springen und möglicherweise,
aber mit unrecht, zweifei an der richtigkeit der chronologischen be-
stimmungen wecken. Die genannten Verhältnisse sind nämlich teils
^) Die brakteatinschriften gehören der letzten hälfte des 6. jhdts und
dem 7. jhdte (c. 550 — 700) an. In diese periode und am ehesten in den scblufs
derselben setze ich auch die magischen inschriften auf den steinen von Kinne-
vad, Elgesem und Förde.
^) Über verschiedene andere dänische steine, die ohne zweifei gleichfalls
dem 9. jhdt angehören, siehe unten 'Anhang' VI (s. 353 tf.).
V. CHRONOLOGISCHE ÜBEBSICHT DER ÄLTESTEN NORD. RGNENDENKMÄLER. 305*
in dem ganzen gange der entwicklung begründet, teils in dem ge-
brauche, der sich zu verschiedenen zeiten in den verschiedenen nor-
dischen ländern bezügUch der Verwendung von runensteinen geltend
gemacht hat. Hieraus erklärt sich, dafs die ältesten runendenk-
mäler zwischen dem jähre 400 und dem anfang des 6. jhdts aus-
schliefshch Dänemark angehören, dafs die runensteine im 6. und
im anfange des 7. jhdts nur in Norwegen und Schweden vorkommen,
und dafs wir in dem übrigen teile des 7. jhdts und bis zum beginn
des 9. jhdts gleichfalls nur Norwegen und Schweden vertreten finden,
und selbst da nur mit einer höchst unbedeutenden anzahl von In-
schriften.
Dafs die runendenkmäler am frühesten in. Dänemark auftreten,
ist ja eine natürliche folge davon, dafs die runenschrift von süden
her eingedrungen ist, und dafs sie also einige zeit gebraucht hat,
ehe sie auch Schweden und Norwegen erreichte. Dafs dagegen aus-
schliefslich die letztgenannten lander denkmäler von ungefähr 525
bis zum anfange des 9. jhdts aufweisen, liegt daran, dafs von Däne-
mark kein einziger runens tein mit älteren runen bekannt ist; dafs
die runenschrift jedoch auch in dem genannten Zeiträume in Däne-
mark nicht unbekannt gewesen ist, raufs ja als selbstverständlich
angesehen werden und geht auch mit Sicherheit aus den brakteal-
inschriften hervor. Dagegen mufs die sitte, runensteine zum
andenken an verstorbene zu errichten, nach den vorliegenden
thatsachen zu urteilen sich erst in Norwegen und Schweden ent-
wickelt haben, und da man annehmen darf, dafs es einige zeit ge-
dauert hat , ehe diese sitte aufgekommen ist, so ist es ja auch natür-
lich, dafs die Steininschriften von Norwegen und Schweden im ganzen
genommen jünger sind als verschiedene dänische Inschriften auf losen
gegenständen.
Diese Verhältnisse sind also genügend in dem ganzen gange der
entwicklung begründet und werden kaum Verwunderung erregen.
Merkwürdiger könnte es dagegen scheinen, dafs in Norwegen und
Schweden die periode von ungefähr 525 (der stein von Einang
u. s. w.) bis ungefähr 650 (die blekingschen steine von Istaby u. s. w.)
eine so auffallend grofse anzahl von denkmälern im vergleich zu
der folgenden zeit aufweist, und man, wenn die runensteine vom
anfang des 9. jhdts an wieder in gröfserer anzahl auftreten, nicht
mehr Norwegen und Schweden, sondern fast ausschliefslich Däne-
mark vertreten findet.
WIMMEB, Die runeoschrift. 20
•306
ANHANG.
Diese auf den ersten blick merkwürdige erscheinung steht in-
dessen in engster Verbindung mit einem eigentümlichen gebrauche,
der lange weiter fortlebte, als man vom anfange des 6. jhdts an die
runen auf denksteinen über verstorbenen zu verwenden begann, mit
dem gebrauche der inschriftlosen denksteine. Solche inschrift-
losen denksteine — bautasteine — wurden in den nordischen
ländern bekanntlich schon in der broncezeit errichtet, und mei-
stens hatten sie wohl ihre stelle auf oder neben den grabhügeln;
aber wir kennen auch beispiele davon, dafs sie in die gräber hin-
ein gestellt und ab und zu mit symbolischen (religiösen) zeichen ver-
sehen worden sind^). Die ganze eisenzeit hindurch spielt die silte,
bautasteine ohne inschriften zur erinnerung an die toten zu errichten,
eine gi'ofse rolle. Als die runenschrift im Norden bekannt wurde,
konnte es ja nahe zu liegen scheinen, dieselbe auf den denksteinen
zu benutzen, und das ist dann auch frühzeitig in Norwegen und
Schweden geschehen, während dieser brauch erst viel später in Däne-
mark aufgekommen zu sein scheint. Diese runen sie ine wurden
natürlich namentlich auf oder neben den gräbern errichtet (der stein
von Einang in Norwegen ist der einzige, der noch auf seinem hügel
steht^)); aber daneben hat man dann auch häufig den runen-
^) Siehe im ganzen genouimeo C. Engelhardt in den årh. f. nord. oidk.
1876, s. J28lf.
2) In bezug auf R. Heinzeis frage wegen der inschrift auf dem Einanger
steine im Anzeiger f. d. alterthum n. d. litteratur XII, s. 44 f.: ,, steht die eigent-
liche inschrift des Einangsteines auf der unaufgedecicteu seite, oder auf einem
anderen stein, oder sind die erhaltenen Worte eine gute rdlschung?" bemerke ich,
dafs der stein, wie oben gesagt, der einzige von allen bisher bekannten runensteinen
mit älteren runen ist, der noch an seinem ursprünglichen platze auf dem grabhügel
steht; dafs er also ein denkstein über dem verstorbenen ist, kann keinem zweifei
unterliegen, und von einer „fälschung" kann nach dem ganzen charakter der
inschrift keine rede sein (wer wäre auch in neuerer zeit oder überhaupt zu
einer zeit, wo die längere runenreihe und deren spräche nicht mehr bekannt
war, im stande gewesen, eine in allen beziehungen so „gute" fälschung vor-
zunehmen?). Aber die inschrift bietet gewifs vom modernen standpunkt
aus das merkwürdige, dafs sie den namen des toten nicht nennt, zu dessen
andenken der stein errichtet ist, sondern nur den namen dessen, der die
inschrift ritzte („Ich Tag schrieb die runen hier"). Man könnte sich nun, da
die inschrift sehr verwittert und undeutlich ist, denken, dafs der name des
toten in einer zeile über der erhaltenen inschrift (vgl. z. b. den stein von Strand)
oder auf der entgegengeselzteu seite des Steines gestanden hätte (da der stein
auf dem grabhügel steht, so ist er ja leicht auf allen selten zu untersuchen,
und es mufs auf einem mifsverständnis beruhen, wenn Heinzel von „der unauf-
?. CHRO?(OLOGISCHE ÜBERSICHT DER ÄLTESTEN NORD. RINTISDE-NKMÄLER. 307
Stein in das grab hinein gestellt, wie es mit den älteren bauta-
steinen zuweilen der fall ist. Selbstverständlich waren die steine, welche
diese bestimmuug hatten, in der regel kleiner als die steine, die auf
dem grabe errichtet wurden, und die inschriften in der regel sehr kurz
gefafst (der name des toten, oder „N. N.'s stein, grab" u. ähnl., oder
eine magische inscbrift, .von der man annahm, sie könne über die
ruhe des toten oder den frieden des grabes wachen). Wie ich oben
hervorgehoben habe, sind besonders aus Norwegen eine verhältnis-
mäfsig grolle anzahl solcher steine mit älteren runen bekannt, die in
den gräbern angebracht gewesen sind, und sie scheinen hier sogar
allmählich die runensleine auf den gräbern ganz verdrängt zu haben,
an deren stelle man wieder die inschrifllosen bautasteine wählte.
Während wir nämhch in Norwegen in dem langen Zeitraum von un-
gefähr 625 bis tief in die christliche zeit hinein keinen einzigen
runenstein kennen, der auf dem grabe errichtet gewesen, treffen wir
in dieser zeit noch einzelne spuren der sitle, solche steine in die
gräber hinein zu stellen: der stein von Vatn aus dem anfang des
8. jhdts ist aus einem grabhügel hervorgezogen, und dasselbe ist
der fall mit dem steine von Valdby, der nicht nur der älteste von
allen bisher bekannten norwegischen steinen mit der kürzeren runen-
reihe, sondern auch der einzige ist, welcher der heidnischen zeit an-
gehört, und nach meiner meinung in die mitte (die zweite hälfte)
des 9. jhdts gesetzt werden mufs.
gedeckten seile" spricht); aber da Bagge keine spar von rnnen anfserhalb der
erhaltenen inschrift hat entdecken können, deren sämtliche ranen trotz ihrer
nndeatlichkeit doch vollkommen sicher sind, so kommt mir eine solche annähme
im höchsten grade unwahrscheinlich vor (etwas weniger kühn dürfte dagegen
die vermotang sein, die Burg s. 136 andeutet, dafs vor dem ersten ^ ein jetzt
ganz verschwundenes >(^ gestanden haben könne). Dafs der name des toten
dagegen auf einem andern, jetzt verschwundenen steine gestanden haben kann,
der ursprünglich neben dem erhaltenen seine stelle hatte, ist natürlich möglich,
läfst sich aber selbstverständlich nicht beweisen, und die Verhältnisse, unter
denen der stein mitten auf dem hngel angebracht war, sprechen entschieden
dagegen. Ich halte es auch nicht Tür notwendig, dafs die denksteine ans
jener zeit den namen des toten enthalten haben; wenn ein inschrift loser
bautastein, auf oder neben dem hügel errichtet, in der regel für ausreichend
angesehen wurde, um an den verstorbenen zu erinnern, indem jeder in der
gegend wulste, wer in dem hügel ruhte und über wem der stein errichtet war,
so brauchte der runenstein auch nicht den namen des toten zu nennen, so
konnte man sich völlig damit begnügen, den namen des verwandten oder freundes
zu melden, der gewünscht hatte zu seinem andenken runen zu ritzen.
20*
308 ^ ANHANG.
Auch was Schweden anbetrifft, so deutet die form und die grüfse
einzelner steine mit den älteren runen darauf hin, dafs sie inner-
halb der grtlber angebracht gewesen, obgleich positive nachrichten
darüber fehlen (die steine von Vfmga, Skärkind und Kinnevad — der
letztere mit einer magischen inschrift, die ofl'enbar mit der inschrift
auf dem norwegischen steine von Elgesem nahe verwandt ist).
Dafs derselbe gebrauch ebenso, jedenfalls in einer etwas spä-
teren periode, in Dänemark bekannt gewesen ist, geht mit Sicher-
heit daraus hervor, dafs sich unter unsern ältesten runendenkmäiern
einzelne finden, von denen man weifs oder wegen ihrer form und
gröfse mit hoher Wahrscheinlichkeit schliefsen darf, dafs sie im in-
nern von grabhügein angebracht gewesen sind (vgl. unten s. 358 f.).
Nach den bis jetzt vorliegenden that.«aclien mufs die erwähnte
sitte, runensteine innerhalb der gräber aufzustellen, als zuerst in Nor-
wegen entstanden angesehen werden, wo sie im 6. jhdt besonders ver-
breitet gewesen zu sein scheint, in derselben zeit, wo man runensteine
auf den gräbern errichtete, und wo sie auch das 7., 8. und 9. jhdt hin-
durch verfolgt werden kann , in welcher periode man dagegen all-
mählich ganz damit aufgehört- hat, runensteine auf den gräbern zu
errichten. Von Norwegen hat der brauch sich frühzeitig nach Schweden
hin verbreitet, ist aber erst später nach Dänemark gekommen, wo
wir ihn nicht vor dem anfang des 9. jhdts antreffen.
Es ist also aussieht vorhanden, dafs man rings umher im Norden
bei Untersuchung der gräber aus dem eisenalter einzelne runensteine
hervorzuziehen im stande sein wird, und besonders von Norwegen darf
man hoffen, dafs dort auf diese weise noch verschiedene runendenk-
mäler sowohl aus der mittleren wie der jüngeren eisenzeit zu tage
kommen werden. Dafs man jedoch keine grofse ausbeute erwarten
darf, zeigen die vielen gräber des eisenalters, die besonders in neuerer
zeit systematisch untersucht sind , ohne dafs runensteine darin ge-
funden wurden. Es ist daher kaum zu irgend einer zeit irgendwo
im Norden eine allgemeine sitte gewesen, runensteine in den grä-
bern anzubringen.
Dasselbe gilt auch für einen längeren Zeitraum von der sitte,
runensteine auf den gräbern zu errichten. In Norwegen scheint
dieser brauch bereits im 7. jhdt fast ganz erloschen zu sein, und auch
im übrigen Norden kann derselbe von der mitte des 7. bis zum an-
fang des 9. jhdts keine bedeutende rolle gespielt haben. Die ein-
zigen Vertreter, die wir im laufe dieser mindestens 150 jähre für
V. CHKO>OLOGISCHE ÜBERSICHT I»ER XlTESTE> NORD. RU>ENDEKKMÄLER. 309
derartige deiikraäler aus dem ganzen Norden haben, sind nämlich der
Sölvesborger stein von Bleking und der Räisaler stein von Bohusläu.
Diese beiden erhaltenen- denkmäler machen es ja indessen — ich
Avill nicht sagen höchst wahrscheinlich, sondern sicher, dafs andere
ähnliche, jetzt verschwundene, da gewesen, und sie sind auf jeden
fall ausreichend, um zu zeigen, dafs die sitte, runensteine zu setzen,
die wir zum ersten male im 6. jlidt antreffen, wohl einen langen Zeil-
raum hindurch selten gepflegt, aber doch niemals ganz aufgegeben
worden ist; sie wird dann auch später zu neuem lel)en erweckt und
erhält eine Verbreitung wie nie zuvor. Aber während sie ursprünglich
in Norwegen und Schweden entstanden war, geht sie in ihrer neuen
form wesentlich von Dänemark aus. Hier erscheinen nämlich zu an-
fang des 9. jhdts die ältesten bekannten steine mit der kürzeren runen-
reihe, und hier stofsen wir gerade gleichzeitig auf die beiden früheren,
von Norwegen und Schweden her bekannten gebrauche, runensteine
in die gräber hinein zu stellen, wie auch dieselben auf und neben
diesen zu errichten. Beide brauche scheinen sich im 9, jhdt neben-
einander zu erhalten; aber vom jähre 900 an hat der letztere voll-
ständig über den ersteren gesiegt; von nun ab errichtet man nur die
runensteine, die oft als grofse und prachtvolle denkmäler mit längeren
Inschriften auftreten (die steine von Glavendrup, Tryggevælde u. s. w.),
auf und neben den gräbern, nicht selten in Verbindung mit inschrift-
losen bautasteinen. Dies wird das 10. und die erste hälfte des
11. jhdts hindurch fortgesetzt, wo die eigentliche runensteinperiode
für Dänemark authört. In Schweden lallt sie etwas später, in das
ganze 11. jhdt; aber sie wird hier in einzelnen gegenden (besonders
auf Gotland) bis tief ins mittelalter fortgeführt. Nach Dänemark und
Schweden folgt endlich Norwegen.
Es zeigt sich also in dieser" ganzen entwicklung, die ich hier in
ihren hauptzügen zu schildtrn gesucht habe, ein merkwürdiger kreis-
lauf: die runensteine treten zun> ersten male in Norwegen im
anfang des 6. jhdts auf und werden sowohl auf wie in den grabhügeln
angebracht; nach dem verlauf von 100 jähren hat der letztere brauch
hier ohne zweifei den ersteren verdrängt; aber auch die runensteine
in den gräbern kommen von jetzt an nur sparsam vor. Ungefähr gleich-
zeitig mit ihrem auftreten in Norwegen zeigen sich beide brauche
auch in Schweden, wo sie jedoch beide einen langen Zeitraum hindurch
nur selten angewandt sind und deshalb hier sehr wenige denkn)äler
hinterlassen haben. Erst um das jähr 800 erreichen beide brauche
310 ANHANG.
Dänemark, wo sie sich schnell entwickeln und starke Verbreitung
gewinnen; nach dem verlauf eines Jahrhunderts wird die sille, die
steine in die gräber zu stellen, indessen ganz von dem brauche ver-
drängt, sie auf oder neben den gräbern zu errichten, und diese
letztere weise verbreitet sich so von Dänemark wieder über Schweden,
gelangt aber erst spät nach der stelle zurück, von wo sie ursprüng-
lich ihren ausgang genommen hatte, Norwegen.
Dieser entwicklungsgang erklärt also die höchst ungleiche Ver-
teilung der runensteine innerhalb der einzelnen nordischen lander
in den verschiedenen zeiten und deren sparsames auftreten während
längerer Zeiträume, und was wir hier mit hülfe der thatsachen, die
von den denkmälern selbst abgeleitet werden können, für Norwegen,
Schweden und Dänemark festgestellt haben, gewinnt aucll auf andere
weise seine bestätigung. Wir finden hierin nämlich eine genügende er-
klärung dafür, dafs von Norwegens alter kolonie Island nicht ein ein-
ziger runenstein bekannt ist, der in die heidnische zeit zurückgeführt
werden kann, die runensteine auf Island vielmehr erst spät im miltel-
alter in form von leichensteinen mit dem jüngsten runenalphabete
auftreten. Wohl nimmt Björn M. Olsen an, dafs runensteine auch
in der heidenzeit auf Island errichtet worden seien, und er sucht
den grund dafür, dafs kein solches denkmal mehr übrig geblieben
ist, darin, dafs sie frühzeitig zu grunde gegangen sein können, weil
die isländischen steinarten leicht dem verwittern ausgesetzt sind
(„Runerne i den oldislandske literatur", Kbh. 1883, s. 5 f.). Aber
der wahre grund liegt einfach darin, dafs keine derartigen steine
auf Island vorhanden gewesen sind, weil die norwegischen aus-
wanderer aus ihrer heimat nicht die sitte mitbrachten, runensteine
zur erinnerung an verstorbene zu errichten. Hätten sie diesen brauch
gekannt, so würden wir sicherlich in Norwegen denkmäler davon
erhalten finden; denn selbst wenn die isländischen steine leicht ver-
wittern, so gilt dies nicht von den klippen und granitblöcken Nor-
wegens, auf denen uns gerade eine nicht geringe anzahl von In-
schriften mit der ältesten runenreihe bewahrt sind. Aber dafs man
später, als Island angesiedelt wurde, weder in Norviegen noch auf
Island diesen brauch befolgt hat, geht nicht blofs daraus hervor, dafs
die denkmäler fehlen, sondern wird nach meiner meinung wenn möglich
mit noch gröfserer Sicherheit durch die negativen Zeugnisse der ge-
schichlsquellen bewiesen, insofern weder die isländischen sagas noch
Snorre in seiner norwegischen geschichte ein einziges derartiges denk-
V. CHRONOLOGISCHE ÜBERSICHT DER ÄLTESTEN NORD. RUNENDENKMÄLER. 311
mal erwähnen, die sie unzweifelhaft oft genannt haben würden, wenn
dergleichen bekannt gewesen wären — welche quelle für Snorre würde
nicht ein geschichtliches denkmal wie z. b. die Jællinger steine ge-
wesen sein ! Wenn Snorre -in der saga von Häkon dem guten mit-
teilt, wie Håkon nach der schlacht auf Rastarkalf den Egil prächtig
im schiff begraben und einen hügel über ihm und den andern ge-
fallenen männern aufschütten liefs, so fügt er ausdrückhch nicht nur
hinzu, dafs man die genannten hügel noch sehe {sér pd hauga enn
fyrir stinnan Fr^darberg), sondern auch: „hdvt'r bautasteinar standa
kjd haugi Egils nllserks"' (Heimskringla, udg. af C. R. ünger, Christ.
1868, s. 102; Wimmer, Oldnordisk læsebog ^, s. 40 unten). Es waren
also die hohen inschriftlosen bautasteine, nicht runensteine, die
hier zur erinnerung an die toten errichtet wurden. Dafs sich kein
stein mit runeninschrift auf oder neben Egils grabhügel befunden
hat, sind wir aus Snorres schweigen zu schliefsen berechtigt, und dafs
auch auf Island keine runensteine zur erinnerung an die mächtigen
häuptlinge errichtet wurden, dürfen wir eben so sicher aus dem
schweigen der sagas erschliefsen. Ob man dagegen einen runenstein
z. b. mit Egils namen in seinen grabhügel hinein gestellt hat,
läfst sich natürlich nicht entscheiden, und die möglichkeit hiervon
darf also nicht a priori geleugnet werden, obgleich ich es allerdings
für wahrscheinlich halle, dafs dieser gebrauch zur zeit Håkons des
guten aufgehört hat. Dagegen könnte man, da der stein von Valdby
der zweiten hälfte des 9. jhdts angehört, vermuten, dafs die sitte
noch bekannt war, als die ersten Norweger nach Island auswanderten,
und die möglichkeit ist also nicht ausgeschlossen, dafs auf Island
ein runenstein aus der heidnischen zeit entdeckt werden könnte, wenn
die gräber aus der zeit methodisch untersucht würden. Für das Vor-
handensein einer solchen möglichkeit könnte auch der umstand
sprechen, dafs ein derartiges runendenkmal wirklich in der zweiten
von den alten kolonien Norwegens, auf den Færoern, zu tage ge-
kommen ist. Hier fand man zu Kirkebø auf Strome 1833 einen
kleinen runenstein, der jetzt im altnordischen museum zu Kopen-
hagen aufbewahrt wird. Die ganze form und die kleinheit des Steines
macht es unzweifelhaft, dafs derselbe in einem grabhügel angebracht
gewesen ist. Von der Inschrift, die mit mehreren wesentlichen feh-
lem und ganz unrichtigen deutungen in der „Nordisk Tidskrift for
Oldkyndighed" H, Kbh. 1833, s. 309 f. und bei Stephens II, s. 728ff.
(vgl. III, s. 466 f.) wiedergegeben ist, fehlt der anfang (der unterste
312 ANHANG.
teil des Steines). Die inschrift ist in einer einzigen zeile von rechts
nach links zwischen zwei einfassungsslrichen eingehauen, und die
feinen runenformen erinnern etwas an die des sleines von Snoldelev.
Während der erhaltene teil des anfangs &u verschiedenen zweifeln ver-
anlassung geben kann, ist es sicher, dafs die beiden letzten worte
nur ^n^lHAIT^fl uftiR hrucj d. i. øftiR Hrög, gelesen werden
können. Glücklicherweise helfen diese worte uns zugleich das aller
des denkmals ziemlich genau zu bestimmen. Die erhaltung der
alten Ä-rune H zeigt nämlich nach dem oben (s. 203 ff.) entwickelten,
dafs die inschrift älter sein mufs als das jähr 900, und hierzu stimmt
auch gut die bewahrung des A, des nasalierlen a, im accusativ des
M-stammes Hröi; dfenn wohl finden wir bereits auf den ältesten däni-
schen steinen in diesem falle das reine a mit aufgegebener nasalie-
rung (hurnbura auf dem Ralleruper, ala u. s. w. auf dem Glaven-
druper steine); aber dafs die nasalität früher vorhanden gewesen ist
(entsprechend der endung -an in den Inschriften mit den ältesten
runen), kann ja keinem zweifei unterliegen. Jch schliefse aus der
vergleichung zwischen dem Kirkeboer und dem Kalleruper steine,
dafs die nasalierung im genannten falle in Dänemark früher als in
Norwegen und auf den Færoern aufgegeben ist; denn dafs die fær-
eische inschrift etwas jünger ist als die des Kalleruper Steines,
scheint mir ihr ganzer Charakter (auch die rune A, nicht ^) zu be-
weisen ; ich würde am meisten geneigt sein, dieselbe in die mitte
des 9. jhdts zu setzen, also gleichaltrig mit dem steine von Nörre-
nærå oder ein wenig älter als diesen. Dafs der stein norwegisch sei,
finde ich. auch keinen grund zu bezweifeln, obgleich sich natürlich kein
unmittelbarer beweis dafür führen läfst, dafs er sich nicht von däni-
schen Wikingern herschreiben könnte; aber hiergegen scheinen mir
nicht blofs die geschichtlichen Verhältnisse, sondern auch die Ver-
schiedenheiten gegen die ungefähr gleichzeitigen dänischen steine (q, in
Hröq, uftiR für aft oder uft) zu sprechen. Die sitte, runensteine
in die grabhügel zu stellen, die wir in Norwegen ungefähr vom jähre
550 an (der stein von Tomstad u. s. w.) bis in die zweite hälfte des
9. jhdts (der stein von Valdby) verfolgen können, hat somit durch
diesen færeiscben stein ein neues zeugnis von sich für die mitte
des 9. jhdts abgelegt und also zugleich die möglichkeit der ent-
deckung ähnlicher denkmäler auf Island aus dem ende des Jahr-
hunderts bewiesen.
Während die runensclirift selbst, wie wir oben gesehen haben,
V. CHRONOLOGISCBE ÜBERSICHT DER ÄLTESTEN NORD. RUNENDENKMÄLER. 313
bei ihrer entwicklung in allem wesentlichen über den ganzen
Norden hin gleichen schritt gehalten hat, ist das Verhältnis also ein
ganz anderes, wenn wir über ihre anwendung zu inschriften auf den
runensteinen sprechen. Hier sind die nordischen lander jedes
seinen eigenen weg gegangen, und- die eigentliche runensteinperiode
gehört in jedem einer andern zeit an, gleichwie sich in diesem
punkte innerhalb eines jeden landes in hohem grade provinzielle
eigentümlichkeiten geltend machen. Während z. b. die alte dänische
provinz Schonen sich im ganzen genommen dem übrigen Dänemark
anschliefst, nimmt Bornholm eine besondere Stellung ein, da die
vielen runensteine auf dieser insel gerade der periode angehören, wo
man im übrigen Dänemark auf dem wege war, diesen gebrauch auf-
zugeben, kein einziges bornbolmisches runendenkmal dagegen in das
10. jhdt gesetzt werden kann.
VI. i
Die ältesten dänisclien runendenkmäler mit der
kürzeren runenreihe. J
s. 213. Da ich in der Untersuchung über die entwicklung der runen-
schrift im Norden an vielen stellen veranlassung gehabt habe, auf die
ältesten dänischen steine aus der jüngeren eisenzeit hinzuweisen, so
wird es zweckmäfsig sein, diese denkmäler hier zusammenzustellen
und ihre inschriften zu deuten.
Wenn wir die oben (s. 227 ff.) besprochenen steine von Sölves-
borg in Bleking und von Räfsal in Bohuslän ausnehmen, die nicht
geradezu den inschriften mit der kürzeren runenreihe beigezählt
werden können , da sie noch eine einzige rune bewahrt haben , die
sonst dem längeren alphabete eigentümlich ist^), so sind die ältesten
bisher bekannten inschriften mit dem kürzeren nordischen futhark
auf den dänischen inseln und in Schonen zum Vorschein gekommen.
Sowohl in sprachlicher wie in paläographischer beziehung sind diese
inschriften von grofser Wichtigkeit, da sie den Zusammenhang in der
entwicklung von der älteren zur jüngeren eisenzeit zeigen. Ich be-
handle daher zuerst die wenigen steine (im ganzen fünf, zwei von
Seeland, zwei von FOhnen, einen von Schonen), die noch einzelne
runenformen haben, welche sich in der längeren reihe wiederfinden,
aber später in der kürzeren aufgegeben wurden, und knüpfe daran
die deutung von einigen der merkwürdigsten dänischen inschriften,
die der zeit nach zunächst auf diese folgen, in denen aber der Über-
gang zu den allgemein bekannten jüngeren runenformen durch-
geführt ist.
*) Bezüglich des seeländischen steioes voa Frerslev, bei dem dasselbe der
fall ist, begnüge ich wich mit ciueui hiuweis auf die bemerkuageu obeu s. 232,
aom. 2.
VI. DIE ÄLTESTEN DAN. RÜNENDE.NKMÄLER MIT D. KÜRZEREN RUNENREIHE. 315
Da die lautbezeichnung, wie wir früher hervorgehoben haben,
in den inschriflen mit der kürzeren runenreihe sehr mangelhaft ist,
so liegt die hauptschwierigkeit bei der deutung dieser inschriflen s. 214.
darin, genau den laut zu bestimmen, der in jedem einzelnen falle
namentlich durch die 3 (4) vokalzeichen + (^j a ig), I t, H u
ausgedrückt wird. Nur die genaueste kenntnis der ganzen nordischen
Sprachgeschichte wird uns in den stand setzen, zweifei zu lösen,
die an vielen punkten entstehen, und in nicht wenigen fallen ist es
noch unmöglich, zu vollkommen sicheren ergebnissen zu gelangen.
Teils um die bedeutung näher zu begründen, die ich oben (s. 192;
vgl. s. 258) den zeichen in der kürzeren runenreihe zuerteill habe,
und teils um im folgenden weitläufige Untersuchungen über die aus-
spräche der einzelnen formen zu vermeiden, schicke ich der eigent-
lichen deutung der inschriflen eine kurze Übersicht über die ver-
schiedenen laute voraus, die durch die einzelnen zeichen in den in-
schriflen von ungef. 800 bis ungef. zum jähre 1000 ausgedrückt
werden, so viel wie möglich durch beispiele von dänischen steinen
erläutert, die ich alle persönlich unlersuchl habe, und bei denen
ich daher für die Zuverlässigkeit der angeführten formen einstehen
kann.
A. Vokale.
Um die vielen verschiedenen, sowohl kurzen wie langen vokale
auszudrücken, die sich allmählich in der gemeinnordischen spräche
entwickelt hatten, mufsten sich die runenritzer mit den 4 zeichen
+ a, ^ ff, I ?, n M behelfen, von denen I und H frühzeitig auch für e
und 0 gebraucht worden waren. Alle übrigen laute mufsten also
entweder durch die ursprünglichen zeichen für die laute, aus denen
sie sich entwickelt hatten, oder durch zusammengesetzte zeichen aus-
gedrückt werden. In folge dessen treten die 4 vokalzeichen in der
runenschrift mit folgenden bedeutungen auf:
§ 1. + 1) = a, d: laumarkaR gen. (Jællinge) = Da/jwarA-a«,
har|)a (Hedeby) = Aar<fa; ala (Glavendrup) = i/a, uabn (Sjörup,
Schonen) = wdpn.
Aber + wurde aufserdem noch das zeichen für die laule, die
aus o, d durch umlaut entstanden waren, also:
316
AISHANG.
2) = æ, é (t-umlaut von a, d, in den ältesten allnord. Hand-
schriften ^, i oder æ, æ): nafni opt. präs. {krs) ^ næfni, balri
(Tryggevælde), bastr (Kragehoim, Schonen) = bætri, bæstr (kaum
batri, bastr; vgl. § 6, a, 2); bajii neutr. pi. (Gunderup) = bædi. Gleich-
falls haben karjji (Tryggevælde und viele andere inschriften), karjm
(Glavendrup) ohne zweifel den laut æ gehabt (gærdi, gærdn == altnord.
g^rdi, g^rdu), nicht o wie in altnord. gerdi, gordu (vgl. unten 4).
Wir müssen annehmen, dafs in den ältesten runeninschriften
der t-umlaut noch, nicht eingetreten ist (-gastis auf dem goldenen
horn und dem stein von Berga = altnord. -g^str, marin Thorsbjærg
= altnord. mirr)\ aber da das i der endungen in denselben fällen
wie in der späteren spräche bereits in den ältesten inschriften mit der
kürzeren runenreihe geschwunden ist, so dürfen wir annehmen, dafs
die vokalfärbung, die mit t-umlaut bezeichnet wird, zwischen 600 — 700
angefangen hat sich geltend zu machen.
3) = å (m- Umlaut von o, in den ältesten altnord. handschriften q
oder æ; neuisländisch ö): fa|)ur (Glavendrup) = /"arMr (allnord. fgdur),
hakua (oft auf schwedischen steinen) = Ä%^M)a. Dafs dieser umlaut
s. 215. gemeinnordisch ist, halle ich nämlich für unzweifelhaft, ebenso dafs
er ursprünglich wesentlich dieselbe ausbreilung im schwedisch -dänischen
wie in der gewöhnlichen allnordischen Schriftsprache gehabt hat; aber
frühzeitig ist er durch ausgleichung in den meisten fällen im schwedischen
und dänischen wieder verschwunden, wo jedoch viele formen noch von
seinem früheren Vorhandensein zeugen (siehe Lyngby in der Tidskrift
for Philologi og Pædagogik II, Kbh. 1861, s. 297 ff.). Dafs + auf
den runensteinen in den fällen, wo auch das neuschvvedische und
neudänische den umlaut bewahrt haben {hugga, hugge u. s. w. = altnord.
hpggva) als «, nicht als a, ausgesprochen worden ist, versteht sich von
selbst. Dagegen ist die frage schwieriger zu entscheiden in den fällen,
wo die neueren sprachen a haben (r+J>IA, T+tTlR = allnorå. fadir,
fgdnr u. s. w.). Einen sicheren beweis dafür, dafs der umlaut noch
ums jähr 1000 in solchen formen auch in Schweden und Dänemark
vorhanden gewesen ist, liefert indessen die Schreibung -iTl (H) auf
den runensteinen (§ 6, c, 3; vgl. § 5, 5 und § 6, d, 3), die selbstver-
ständlich zeichen für « (altnord. p) ist, indem man zum ausdruck des
aus a durch M-umlaut entstandenen vokals entweder a (w) allein oder
ein aus a und u zusammengesetztes zeichen gebrauchen konnte (vgl.
+1 und I als zeichen für den «-umlaut von a, § 6, a, 2 und § 4, 3).
VI. ntÉ ÄLTESTEN DAN. RÜNENDENKMÄLER MIT D. KÜRZEREN RUNENREIHE. 317
Es geht aus den unten unter +n (§ 6, c, 3) angeführten beispielen
hervor, dafs man jedenfalls im östlichen Dänemark (Schonen) gegen
das jähr 1000 noch fadin, fådtir, satti, sattu unterschied, und dafs
man in Jülland gleichfalls z. b. die form Danmark hatte; aber wenn
wir dieses wort tanmaurk acc. (der gröfsere stein von Jællinge), tan-
markaR gen. (der kleinere stein von JæUinge), tanmarku dat. (der
Skivumer stein von Jülland, welcher der ersten hälfle des 10. jhdts
angehört) geschrieben finden , so halte ich es für das wahrschein-
lichste, dafs der umlaut nur im nom. und acc. bewahrt, dagegen
aber im dat. fortgefallen ist, wo u erhalten blieb. Dies stimmt ja
nämlich ganz zu dem aus den altnorwegischen handschriften
bekannten Verhältnis, wo der «-umlaut gerade in den formen er-
halten ist, wo u abgeworfen war, aber durch die unumgelauleten
formen verdrängt wurde, wo u vorhanden war {land, pl. Ignd, landum;
mgrk, dat. markn, markum u.s. w.). . Dieselbe enlwicklung ist ^ann
in Dänemark und Schweden vor sich gegangen, und diese neuere
entwicklung hat sich, wie sonst öfters, eher in Jütland als auf den
dänischen inseln , in Schonen und Schweden gellend gemacht.
Während ich also annehme, dafs die flexion des wortes Danmark
am ende des 10. jhdts in Jülland Danmark, -markoR, -marku ge-
wesen ist, zeigen die gleichzeitigen schonischen formen fädnr, sattu,
dafs man hier die ältere form -marku auch noch im dat. gehabt hat.
In beziehung hierauf würde ich also z. b. die form bar|)usk, prät.
med. von beer jask, auf dem grofsen Arhuser steine (gegen 1000)
durch baräiisk wiedergeben, während wir auf gleichzeitigen schonischen
und vielleicht auch seeländischen denkmälern noch eine ausspräche
hårdusk (= altnord. bgrdt(sk) annehmen dürfen. Auf jeden fall hege
ich keinen zweifei darüber, dafs der ii- umlaut auf den ungefähr
100 jähre älteren fühnischen und seeländischen steinen von Glaven-
drup. Tryggevælde u. s. w. vollständig durchgeführt gewesen ist, deren
fa{)ur u. s. w. also fadur (fgdur) u. s. w. gelesen werden mufs.
Dafs der w-umlaut im Norden jünger ist als der /-umlaut, kann
kaum einem zweifei unterliegen (von den Inschriften mit älteren runen
hat der stein von Strand den acc. m agu = altnord. mgg, hadu-
laikaR = Hgdleikr), aber viel jünger als dieser kann er hinwiederum
nicht sein. Ich nehme an, dafs er sich zwischen 700 — 800 vollständig
entwickelt habe. Diese auffassung mufs ich auf das entschiedenste
gegenüber einer ansieht behaupten, die besonders in der neuesten
zeit mit grofser bestimmtheit aufgestellt worden ist, und derzufolge
318 ANHANG.
der (norwegisch-)isländisclie M-uinlaut erst zu ende des 11. jhdts
begonnen haben sollte (siehe Kormaks saga, herausgegeben von
Th. Mübius, Halle 1886, s. 101). Diese ansieht steht in unlös-
barem Widerspruch nicht nur mit den sprachgeschichtlichen that-
sachen, die aus den neueren nordischen sprachen und aus den
runeninschriften gezogen werden können, sondern auch mit dem
factum, dafs der w-umlaut, wenn er erst im 11. jhdt eingetreten
wäre, zu einer zeit aufgekommen sein müfste, wo die wirkende Ur-
sache dazu (m in den endungen) in mancherlei fällen längst ge-
schwunden war. Es sind die häufigen skaldenreime, wo a auf q reimt,
die ausgezeichnete isländische Sprachforscher veranlafst haben, diese
ganz unhaltbare behauptung aufzustellen. Die genannten skaldenreime
halte ich für eine durch die not erzwungene poetische licenz, und
dies Verhältnis wird ja auch sehr verständlich und erklärlich, wenn
wir daran denken, dafs q in Wirklichkeit nicht so sehr weit von a
ab lag, wogegen das Verhältnis natürlich ein ganz anderes wird, wenn
wir an stelle des altnord. p das neuisländische ö setzen (daraus er-
klärt sich auch die auffassung der Isländer).
Dafs auch der lange å-laut, der M-umlaut von d (in den ältesten
altnord. handschriften 9 oder ab) im schwedisch- dänischen vorhanden
gewesen ist, geht mit Sicherheit aus einzelnen Worten hervor, in denen
er auch hier in den neueren sprachen nachgewiesen werden kann
(schwed. sjöy snjö, dän. sø, sne und ähnlichen aus älterem sio, snio
= altnord. sjgr, snjgr\ dän. él 'riemen', altschwedisch-dän. e^i=: alt-
nord. gl, neuisl. öl\ schwed.-dän. hun = altnord. hgn; altschwed.-dän.
ambut = altnord. ambgtt). Möglicherweise ist der umlaut d — a jedoch
im schwedischen und dänischen früher durch ausgleichung verdrängt
als der umlaut des kurzen a. Dies würde zu dem Verhältnis im alt-
nordischen stimmen, wo sich dieser umlaut ja nur in den ältesten
handschriften tindet, während d später so gut wie in allen fällen wieder
g verdrängte (vgl. oben s. 196). Wenn also der Hedebyer stein satu,
plur. prät. von sitja = altnord. sgtu {sdtu) hat, so nehme ich an, dafs
diese form hier sdtu (in analogie mit Danmarku) ausgesprochen worden
ist, bezweifle aber nicht, dafs die ausspräche auf älteren denkmälern, und
vielleicht noch damals im östlichen Dänemark und Schweden s'åtu war.
4) Natürlich könnte «f »"ch zeichen für 0 sein in den fallen, wo dies durch
«- (t»-)umlaut aus »entstanden ist (fornuord. forml. § 13; vgl. meine „Sinåbidrag
VI. DIE ÄLTESTEN DAN. RUNEISDENKMÄF-ER MIT D. KÜRZEREN RÜNENREIHE. 319
til nordisk sproghistorie" in „Det philologisk-historiske Samfands Mindeskrift",
Kbh. 1879, s. 177 ff.); aber dieser uinlaut hat nur sporadisch Schweden und
Dänemark berührt, wo er jedoch gewifs in einer form wie gørwa vorhanden
gewesen ist, in welchem speciellen falle der ^-laut in unseren runeninschriften
durch «ITI ausgedrückt wird (vgl. § 6, c, 3 & 4).
Die hier genannten bedeulungen von + sind also in der sprach-
geschichtlichen entwicklung begründet. Dagegen sollte der e-laut
eigentlich durch I ausgedrückt werden, was auch gewöhnlich der fall
ist; aber da + das regelmäfsige zeichen für æ war, und dieser laut
dem e nahe liegt, so finden wir auch frühzeitig + gebraucht
5) = e (é): uar{)i (Glavendrup, Tryggevælde) = tcercf/', opt. präs.
von uar{)a (Ars) = werda, uar acc. (Tryggevælde) = wer 'ehemann',
maj) (Mejlby) =: med, him|)aki (Hällestad c) ^ -pegt, an (Sjörup)
= en 'aber'; saR dat. (Hällestad a) = séR. — Diese häuQge Schreibung
mit a für i in diesen formen (vgl. § 4, 2) bereits in so alten In-
schriften wie der des Glavendruper Steines u. s. w. scheint mir an-
zudeuten, dafs der laut in diesen fällen näher dem æ ais dem e gelegen
habe (frühzeitig haben diese worte jedenfalls æ bekommen, das regel-
raäfsig in unsern ältesten handschriften gebraucht wird).
6) Da die alten diphthonge in einfache laute überzugehen anfingen, kann
«p zuweilen für das gewöhnliche | gefunden werden, entsprechend dem diphthongen
«j*! : ras|)i (Skovlænge) = raist)i, ris|)i, ras|)i stan (auf schwedischen
steinen) = raist>i stain, ris|)i stin d. i. ræisf)i siæin oder réspi sten
(vgl. § 7), aki (Sjörup) = aigi (Hällestad a) d. i. æigi oder égi 'nicht',
t)aR (Skårby, Schonen) = l>aiR, ^iB, t)aRa (Greosten) = |>aiRa, |)iua. Da-
gegen bezeichnet |^4'H^I 3°^ ^^^ Rimsoer steine rais^)!, indem H zeichen für
i s ist, während s allein durch Pf ausgedrückt wird.
§2. f= drückt dieselben laute aus wie + mit folgendem
nasal (siehe oben s. 201 f. und vgl. § 3);
1) = ^, q: hqn (Skivum), hqns (Glavendrup) = A^nn, hqns\
{} (Snoldelev u. s. w.), ^i\ (Arhus u. s. w.)= q, pq, ^sa (Sjörring,
Tulstorp) = ^sa, qni (Mejlby) = 4«», fjmuta (bruchstück von Arhus)
= ^mtmda.
2) = q, £§: stqtR (Flemlose, Ör'ia) = stqndR, Iqki (Ars) =
3) = g, S: klqmulan (Tryggevælde) =glqmulan\ ^s- in naraen s. 216.
= qs- in den ältesten Inschriften; später auch qs-, ds-, ds- und mit
320 AISHANG.
Verkürzung des vokals ås-, as-, æs^: '^sbiåni, j{sbiårn; Åsbiorn, Åsbiorn;
Asbtorn, Asbiom, Æsbiorn (£s-)').
Das woi't f^H wurde ursprünglich flecliert: nona. qss, gen. qsan.
Durch analogie bekam auch der nom. später die form qss, die wie-
derum durch aufgeben der nasaliläl zu dss wurde. Die mit f^H- (aus
^hn-) zusammengesetzten namen lauteten ursprünglich \s-; aber da
das unzusammengesetzte 'qss zü qss, dss wurde, so konnte die form
ohne w-umlaut auch das qs- im ersten gliede der namen verdrängen,
wo gewifs nicht selten die umgelaulete und nichtumgelautele form
nebeneinander standen^).
4) Mit der bedeutaag o kommt ^ dagegen erst io jüngeren Inschriften
vor; ich glaube daher auch nicht, dals der name fr§[)a auf dem in vielen be-
ziehungen dunklen Tirsleder steine als Frßäa aufgefulst werden darf.
§ 3. 1) Ziemlich früh (in der 2. hälfle des 10. jhdts) be-
ginnen die zeichen + und ^ vermischt zu werden, so dafs
wir ^ für + in dessen verschiedenen bedeutungen finden können,
ohne dafs ein nasal darauf folgt oder früher darauf gefolgt ist: har|)<j
(Asferg) für das häufige ha r {ja = Äar^Za; ;jft (Vedelspang), «jftin
(Skovlænge) für das ganz gewöhnliche aft, aftiR = cp/if, æftiR\ S{|r
dat. (Jællinge) für saR (Hällestad a) = seß; <juk (Köpinge, Schonen)
zweimal für das gewöhnliche auk. Umgekehrt findet sich zu ende
des 10. jhdts + für t^ in asbiarn (Fosie, Schonen), askil (Hälle-
stad a; aber f}skau tr, tjsbiurn auf den beiden andern gleichzeitigen
steinen von Hällestad), askulr (Rrageholm), aslakR (Arhus), asur
o •
(Gardstanga, Ravnkilde; aber qsur Ars, Strö a, Valkärra).
2) Wie die oben s. 194, s. 201 und s. 319 angeführten beispiele
zeigen, mufs a in älterer zeit nasaliert gewesen sein, nicht blofs wo
der nasal geschwunden und das vorhergehende a gedehnt war, son-
dern auch wo ein nasal unmittelbar auf a folgte. Jedoch ist
hier sehr früh schwanken im gebrauch von 1^ und + eingetreten. In
den ältesten inschriften ist die regel jedoch sicherlich genau durch-
geführt gewesen, obgleich sie nur die form s t q t r = s^tfnd« dar-
^) Ich nehme nicht an, dafs die dänisch-schwedischen formen auf Æs-(Es-)
in Æsbiorn {Esbiorn, Esbern), Æskill {Eskel) u. s. w. unter einflufs der formen
von gss (dss) entstanden sind, die t-umlaut hatten (dat. sgl. ^si, nom. pl fsir).
^) Wenn wir später häufig sowohl ^s- wie 0*- iu diesen nauieu treilen, so
könnte das erstere von der nichtumgelauteten, das letztere von der umgelauteten
form ausgehen; aber ich nehme doch am ehesten an, dafs Os- (in Os/red, Os-
got u. s. w.) durch einwirkung der altenglischen namen eingedrungen ist.
VI. DIE ÄLTESTEN DAN. RÜNENDENKMÄLER MIT D. KÜRZEREN RÜNENREIBE. 321
bieten; aber auch die jüngeren inschriflen aus der ersten hälfte des
10. jhdts haben viele erinner ungen an das ältere Verhältnis bewahrt,
obgleich es hier bereits erschüttert ist: so hat der stein von Glaven-
drup {)tjnsi (einmal), hfins, Jjnfin, aber auch |)ansi (einmal),
hai])uiar])an, der stein von Tryggevælde schreibt Jjfjnsi (dreimal),
kl^mulan mit ^ in der ersten, aber ^ in der letzten silbe, sowie
man, hi|)an. Wenn diese inschrift |)tji batri in der bedeutung
pCBim bcetri hat, so bezeichnet ^ unzweifelhaft, dafs der nasal vor b
ausgelassen ist, aber kaum, dafs der diphthong æi nasaliert gewesen;
denn das wort stain wird (zweimal) mit der dr-rune geschrieben
wie auf dem Glavendruper steine, was auch ohne ausnähme in den
noch älteren inschriflen (Kallerup, Snoldelev, Helnæs, FlemLöse) so-
wie auf der grofsen masse jüngerer steine der fall ist (so hat der
gröfsereGunderuper stein stain wie|}aim neben |)cjnsi). Einzelne denk-
mäler aus der ersten hälfte des 10. jhdts verwenden noch consequent
^ vor nasal: so hat der stein von Skivum h^n uas Icjntm^n^
baistr i t<|nmarku = hqnn was Iqndmqnna bæstr i Dqnmarku; der
stein von Ars hat [)c{nsi, stfjnta und l^ki = Ic^igi. Aber im übrigen
ßndet sich in der grofsen menge von inschriften aus dem 10. jhdt
in diesem falle grofses schwanken im gebrauche von ^ und +, so dafs
+ allmählich das weit überwiegende wird: |)cinsi kommt jedoch
häufig neben ftansi vor, st^nta (Ajrs), aber stat^ (Hällestad),
manr (Skæm), aber matr (Hedeby) = mandr, man acc. (Sjælle,
wie auch Tryggevælde), mana gen. plur. (Krageholm) = »ja/ina,
uhimsk^n acc. Sgl. masc. (Sondervissing b), aber ku{)an sehr ge-
wöhnlich = ^dJa«, kauruan (Sæddinge) = ^önca«, tu[)an (Virring)
= dätidan. Mit + wird gleichfalls han (Sæddinge, Krageholm, Hedeby
und öfter), hans (Krageholm), tanmarkaR, tanmaurk, tani
(Jællinge), la t (Ravnkilde] ^ /anrf, hantaR (Hunestad) ^ Äan«?aÄ,
an (Sjörup) = en geschrieben; gleichfalls vor m: bram (Krageholm)
= Bram, kamal (Valkärra) = Gamal. Dies scheint zu beweisen, dafs
die nasalierung der vokale im laufe des 10. jhdts in Dänemark
geschwunden ist, wo ein nasal folgte, und es mufs daher als un-
richtige anwendung von ^ für + angesehen werden, wenn wir z. b.
icjn (Danevirke) für das gewöhliche ian (an, in) = e», qumula
(Sjörring) = Oymunda finden.
3) Wo ein kurzes a ursprünglich und noch in der ältesten
runensprache vor einem nasal gestanden hatte, der in alter zeit fort-
"WIHMER, Die runenschrift. 21
322 ANHANG.
gefallen war (früher als die allerältesten inschrifleii mit der kürzeren
runenreihe), mufs a ohne zweifei ursprünglich nasaliert gewesen sein
(also im acc. plur. masc. der o-stämme, in vielen formen der n-stämme,
im inf. und in der 3. pers. plur. präs. der verba). Eine erinnerung
an den einstigen nasalvokal in diesen fällen habe ich auch auf
dem færoischen stein von Kirkebo nachweisen zu können geglaubt
(siehe oben s. 312). Aber in Dänemark und wahrscheinHch auch in
Schweden war die nasalität bereits im anfang des 9. jhdts verloren,
wie dies aus unsern ältesten runensteinen hervorgeht, die hier stets
die rfr-rune brauchen; hurnbura gen. sgl. (Kallerup), ala gen.
Sgl. (Glavendrup), ala kuj)a acc. sgl. (Glavendrup) , aha acc. sgl.
(Gunderup), tuka dal. sgl. (Gunderup), rita inf. (Glavendrup, Trygge-
vælde), stfjnta, uarjja inf. (Ars), kaurua (Sondervissing, Jællinge)
= gerwa, lika 3. pers. plur. präs. (Gunderup) = liga (altnord. liggja)
u. s. w. Beispiele für den acc. plur. von männlichen a-stämmen
kommen erst in jüngeren Inschriften aus der zweiten hälfte des
10. jhdts vor: stina (Gårdstånga c). Neben der grofsen masse von
beispielen für die är-rune in den genannten formen gerade aus
unsern ältesten Inschriften finden wir ganz ausnahmsweise und erst
in jüngeren inschriften ^ in filagfj acc. sgl. (Sjörup), stinq acc.
plur. auf ein paar schonischen steinen, siucj acc. plur. auf ein paar
jütischen steinen und auf dem schonischen stein von Lundagård,
kristuci acc. plur. (der gröfsere stein von Jællinge), stat<) inf. (Hälle-
stad b). Dafs wir in diesen fällen nicht den alten nasalvokal bewahrt
vor uns haben, geht jedoch deuthch aus der grofsen menge analoger for-
men mit der «r-rune nicht nur auf weit älteren und auf gleichzeitigen
steinen, sondern auch auf eben denselben denkmälern hervor, die aus-
nahmsweise ^ gebrauchen: der Ulstruper stein hat im acc. plur.
skibara s in cj =sÄ:?|9ara sina, der stein von Vinge bruj)r sinf} tua
= hrøår sina twd, der stein von Lundagård neben stinq und sin^
im acc. plur. b a |) a und k u |) a = bdda, göäa. Dafs auch der vor-
hergehende nasal das folgende kurze a nicht nasaliert hat, wie
man aus den beispielen sinq, stinfi, kristnq vermuten könnte,
wozu noch ferner das, letzte f= in m c} n cj gen. plur. (Skivum) und
hribnq nom. sgl. (Bække) gefügt werden kann, geht aus den aufser-
ordentlich zahlreichen fällen hervor, wo von den ältesten Zeiten an +
hinter + geschrieben wird (stainaR Räfsal, sunari Snoldelev und öfter,
truknaj)u Helnæs, kuna Glavendrup, Sondervissing, runaR Glaven-
drup, sina acc. sgl. fem. der kleinere stein von Jællinge, Læborg,
VI. DIE ÄLTESTEN DÄ>. RDNEJIDENKMALER MIT D. KÜRZEREM RÜNENREIHE. 323
Gunderup und mehrere); ebenso mak (Gunderup) = wdgf u. s. w.
u. s. \v. In den angeführten formen mit ^ sehe ich daher nur eine
Vermischung von f^ und +; aber wenn f^ besonders hinter + auftritt,
so ist es doch hier ohne zweifei absichtUch aus kalligraphischen
gründen gebraucht, um das zusammentreffen von ++ zu vermeiden.
4) Noch einen beweis für die vollständige Vermischung der öss-
und dr-rune zu ende des 10. jhdts liefert die zuweilen vorkommende
Zusammenstellung beider zeichen um den a-laut auszudrücken: f^+KI
tjaki (Bjersjö, Schonen) = Akt. Besonders charakteristisch in dieser
beziehung ist der stein von Hobro (s. oben s. 246 f.), der dreimal ^+
in |)fjasi, kuj);ia, kul)tian schreibt (aber + allein regelmäfsig in
felaka, har{)a sowohl wie in karl).
§ 4. I 1) = I, i: lantir|)i (Egå) = landhiråi (altnord. Äfr^ir,
„Navneordenes bojning i ældre dansk" §21), hin (Oddum) ^hinn;
{)riR (Bække) = />riij, sin, sina, acc. sgl, mase. und fem. (Jællinge)
= sinn, üna.
2) = e, é: uirf)i (Glemminge, Schonen) = loerrfi, is pron. rel.
(Flemløse und öfter) = «s, uir acc. (Sjörring) = «?er, mi^) (Strö b)
= med, him})iki (Hallestad b und öfter) = -/)c^t, in (Glavendrup)
= en, l)ign (Randers) =])e^»; filaga acc. (Hedeby) = /e/a<jfO, fiaR
gen. (Gunderup) = féaR.
Das unbetonte I in der letzten silbe eines wortes, das nicht einem
ursprünglichen i entspricht, ist gewifs auch zeichen für den laut e, s. 217.
nicht für t, gewesen ; jedoch behalte ich in diesem falle überall t bei,
auch wenn ich die worle nach ihrer ausspräche wiedergebe.
Gleichwie + anstatt I gebraucht werden konnte, um den e-laut
auszudrücken, so kann umgekehrt I
3) = æ, æ sein: hribucj (Bække) = Hrcetna (altnord. Hr^fna, fem.
zu Hrafn), liki (Rygbjærg) = længi, trikR, trik (allgemein) =
drængR, dræng\ ift, iftiR (allgemein) = æ/if, æfttR-, nistiR nom. plur.
mase. (Hälleslad a) = næstiR, frinta acc. (Egå) = frænda (in diesem
Worte hal die Schreibung mit I = æ jedoch historischen grund).
i) jNatiirlich würde | auch zeichen für y, y in den wenigen fallen sein, wo
dieses ans i, i entstanden ist (fornnord. forml. § 11, d); aber dieser Übergang hat
Dänemark und Schweden nur sporadisch berührt und wird also sehr schwer ia
runeninschriften aacbgewiesen werden können; jedoch ist das siktrikn des
Steines von Vedelspang ohne zweifei Sigtryggw (nicht -triggw) zu lesen, vgl.
schwed.-däa. trygg.
21*
324 ANHANG.
5) Frühzeitig beginnt I auch anstatt +1 als zeichen für den
diphthongen æi gebraucht zu werden: ris[)i stin (Skærn und
öfter) = ræispi stæin. Diese Schreibung bezeichnet wohl gerade in
den älteren inschriften den beginnenden, in den jüngeren den voll-
ständigen Übergang des diphthongen zum einfachen langen laute («);
vgl. § 7.
6) Aufser den hier genannten vokalen bezeichnet I auch den
halbvokal j; aber die meisten von den Verbindungen, die später j
erhielten (ja, jü u. s. w.) haben zur zeit der runensteine ohne zweifei
noch i {ia, iü u. s. w.) gehabt. Dagegen ist I sicher zeichen für den
halbvokal in formen wie trekian nom. pl. (Hedeby) = drcmgjan
(„Navneordene böjn. i ældre dansk" s. 55).
§5. n 1) = w, li: sunu acc. sgl. (Helnæs; Navneordenes böjn.
s. 74), kunulf acc. (Tryggevælde) = Gwimilf; nu (Tygge vælde)
= nu, runaR (Glaven dr up) = runa/j.
Das unbetonte u in endungen hat vielleicht dem o näher als
dem M gestanden; ich gebe es jedoch überall durch u wieder (in ana-
logie mit i in den endungen; vgl. § 4, 2 schlufs).
2) = 0, o: kurmR (Jællinge) = GormR\ |)ur (Glavendrup) =
P&rr, bru{)ur (Rönninge) = brödur.
3) = y,^: suniR (Glavendrup) = sj/»««; bu (Danevirke, Hedeby)
4) = e, é: uft (Sondervissing), uftiR (Danevirke) = «/"/, eftiR
(nebenform zu æft, æftiR, geschrieben aft, aftiR, ift, iftiR, eftiR,
aift, aiftiR); bruf)r acc. plur. (Jætsmark) = 6r^5r, nuruna (Egå)
= norréna, futiR (Tryggevælde) = /"etidm.
5) Aufserdem kann [\ zuweilen statt + oder +n (§ 6> t'» 3) als zeichen für
den å-Iaut gebraucht werden, der ja dem o nahe liegt: hukua (Strö und oft
auf schwedischen steinea) = håggiva. In den älteren inschriften kommt [\ jedoch
s. 218. kaum in dieser bedeutung vor, und es ist daher wahrscheinlich, dafs das ältere
å in formen wie hukua in das daraus entstandene jüngere o, u übergegangen
ist (vgl. in mit der bedeutung iå oder io § 6, d, 3).
6) Frühzeitig beginnt n auch an stelle von ^n als zeichen für
die diphthonge AM und üy gebraucht zu werden: I)usi (der kleinere
stein von JæUinge = J)ausi auf dem gröfseren), tujjan acc. sgl. masc.
{yirr'mg) = dåudan; frustin (= älterem fraustain d. i. Freystæinn)
Bautil no. 841. Diese Schreibung verrät wohl in der regel gleichwie
VI. DIE ÄLTESTEN DAN. RUNENDENKMÄLER MIT D. KÜRZEREN RÜNENREIHE. 325
I für +1 (§ 4, 5), dafs der diphthong in einen einfachen langen laut
(é) übergegangen ist. Man mufs jedoch am ehesten annehmen, dafs
auf dem kleineren stein von JæUinge der diphthong noch bewahrt ist
wie in |)ausi auf dem gröfseren Gunderuper und auf dem Skivumer
steine, wogegen J)ausi auf dem gröfseren stein von Jællinge viel-
leicht umgekehrt den lautwert pési hat.
7) Endlich ist H auch zeichen für den halb vokal to: uas (Flem-
lese) = icas, s u i n (Danevirke) = Swm'nn (Sicénn). Bewahrt als auslaut
in fällen, wo es im altnord. abgeworfen ist, findet es sich in sik-
Iriku (Vedelspang) = Sigtryggw; auf dieselbeweise lese ich das karuR
des Röker Steines als gårwR {== altnord. gprr), entsprechend dem
acc. kauruan (Sæddinge) = ^«ncaw (altnord. ggrvan).
% 6. Die diphthonge werden ursprünglich durch Zusammen-
stellung der zeichen für die einzelnen laute (+1, +11, IH) ausgedrückt;
aber wie ein einziges zeichen (I, R) frühzeitig anstatt des zusammen-
gesetzten (+1, +0) gebraucht werden kann, um den diphthongen
auszudrücken (vgl. § 4, 5, § 5, 6), so kann umgekehrt ein zusammen-
gesetztes zeichen (+1, 1+, +n) zuweilen angewandt werden, um die
einfachen laute auszudrücken, denen ein eigenes zeichen fehlt. Der
laut å (M-umlaut von ä) wird regelmäfsig durch dasselbe zeichen wie a
ausgedrückt, aber ab und zu auch durch Zusammenstellung von a und
w; die laute æ und e werden in der regel durch dasselbe zeichen wie
0 und i ausgedrückt, aber mitunter auch durch Zusammenstellung
von a und t. Wir finden daher:
a. +1 1) = dem diphthongen ai (wohl CBt ausgesprochen, in den
ältesten altnord. handschriften ^i oder æi, auch wie später ei): raist
(Gla vendrup) = rcpjs^ altnord. rejsf, prät. von rista, st ain (Kaller up)
=^stæinn {steinn), raist)i stain (Gunderup), i |)aim hauki (Gunderup).
2) = æ (i-umlaut von a): hairulfR (Haverslund) = Aærwi/A,
baistr (Skivum) = bæstr^), aift (Skivum), aifÜR (Gardstanga b
und öfter) ^ ce/y, æftiR, ailti (Glavendrup, Tryggevælde) = æZft".
3) Selten ist +1 auch zeichen für e: |)aikn (Gunderup) = /»e^n.
^) Die bezeichnang ai beweist, dafs diese form sehr frülizeitig æ statt des
in den älstesten altnord. handschriften häufig vorkommenden a (baztr) bekommen
hat; da æ im komparativ früher als im superlativ eingetreten ist (vgl. mein
oldnord. læsebog' XXVI), so ist das batri des Tryggevælder Steines eher
bætri als batri ausgesprochen worden.
326
ANHANG.
b. 1+ \) = ia: biarnaR gen. (Skærn), biarki dat. (Hällestad)
= biargi.
2) = m (M-umlaut von ia): -biarn nom. und acc. (Fosie und
oft auf schwedischen steinen) = -biårn^).
3) = e: las pron. rel. (Jællinge und öfter) = es, i an (Sæddinge;
auf dem Danevirke-steine i^n) = m, [)iakn (Glavendrup und öfters)
= pegn, nuruiak (Jællinge) = Norweg.
4) Sehr selten = æ: iaft (Sendervissing h) = æft.
8.219. c. +n 1) = dem diphthongen au (wohl au ausgesprochen, in
den ältesten altnorweg. handschriften qu oder æu, in den altisl. au):
hauk (Tryggevælde und öfter) == håug {haug), j^skautr (Hälle-
stad b) = j^sgåutr {Asganlr).
2) = dem diphthongen ey (isl. ey, «-umlaut von au): austain
(Tågerup, Gunderup h) = Øystætnn {Eysteinn), fraustain (auf schwe-
dischen steinen, Liljegren no. 835, 842; vgl. fraystain mit punk-
tiertem M auf dem stein von Sjælle) = Freystæinn (Freysteinn).
3) = å (dem «-umlaut von a, gleichwie der «-umlaut durch
+1 bezeichnet werden kann). Ziemlich selten kommt +n in dieser
bedeutung an stelle des gewöhnlichen + vor; aber gerade die bezeich-
nung +n enthält einen vollgültigen beweis unter vielen andern
dafür, dafs der M-umlaut gemeinnordisch gewesen ist (vgl. § 1, 3
und Navneord, böjn. § 13): haukua (auf schwedischen steinen, Lilje-
gren no. 662, 1091) = haggwa, biaurn (der kleinere Skærner stein)
= biårn; in diesen fällen ist der umlaut auch im neuschwedischen
und neudänischen bewahrt; aber wir finden auch tanmaurk acc.
(Jællinge) = Danmark, fau|)ur acc. (Gleraminge, Schonen; die
schwedischen steine bei Liljegren no. 258, 967) = fådur, s a u t u , prät.
plur. von sætja, entsprechend dem Sgl. sati = satti, såttu (die scho-
nischen steine von Hunestad und Skårby)^). Gleichfalls bezeichnet
kauruan acc. Sgl. masc. (Sæddinge)^) ohne zweifei die ausspräche
') Jedoch kann biaru auch die ausspräche biarn, eine durch aoalogie nach
dem gen. biarnaR entstandene nebenform zu biårn, wiedergeben.
■-) Die formen satti, såtlu sind älter als die allnorwegisch-isländischen setti,
settu. Siehe meine „Småbidrag til nordisk sproghistorie" in „Det philologisk-
historiske Samfunds Mindeskrift", Kbh. 1879, s. 183 f. (separatabzug s. 10 f.).
') In der Verbindung l)urui kat kauruan stain ()ansi, d. i. Jyyrwi
gat gårwan stadn pannsi. Da ich prof. Stephens gegenüber geleugnet hatte, dafs
VI. DIE ÄLTESTEN DAN. RÜNENDE>KMÄLER MIT D. KÜRZEBEN RDNENREIBE. 327
ganoan (:=: altnord. ggrvan), und in analogie hiermit könnte auch
kaurua inf. (Jællinge, Sondervissing) gänca und nicht das dem alt-
nord. entsprechende gerwa ausdrücken, obgleich das letztere mir am
wahrscheinlichsten vorkommt, da der u- («7-)umlaut von æ zu «
in diesem falle auch Dänemark und Schweden umfafst zu haben
scheint ^).
4)=:^. Man mufs annehmen, dafs +n diesen laut in kaurua
inf. ausdrückt, das eher gerwa als gårwa gelautet hat (siehe 3 schlufs),
sowie in auft (Glavendrup), auftiR (Fuglie, Schonen) = uft, uftiR s. 220.
(nebenform zu aft, aftiR; vgl. § 5, 4).
5) Aufserdem kommt +n (f^H) sporadisch in ein paar fällen
vor, wo wir das einfache + oder H erwarteten: u[)inkaur nom. und
acc. (Skivum, Skærn) für -kar = Oåmhdrr, -kar; hiau (Læborg)
für hiu (§ 6, d, 2), prät. von haggica = hiö (vgl. hio jüt. gesetz 3, 34,
altnord. Ajo), |)iau{)u dat. (Tirsted) für |)iu{)u (Simbris, Schonen)
sich der iofinitiv auf -an auf jüngeren rnaensteioen fände („De ældste nord.
runeindskr." s. 14^, so führte er in seiner antwort 7 vermeintliche beispiele
für diese formen an, und nahm den stein von Sæddinge in sein werk auf,
weil er in kaurnan ,,an example, neither doubtful nor deniable nor to be
escaped by any linguistic snbterfuge wbatsoever, of the infinitive in -an
in heathen Scandinavia" fand (s. 782). Diese starken worte scheinen auf Ryd-
qvist eindrack gemacht zu haben, der Stephens' erklärnng von kaurnan als
infinitiv ohne Widerspruch bestehen läfst, während er die nnhaltbarkeit der
andern sechs beispiele nachweist (Svenska språkets Lagar, IV, s. 426 — 27).
Auch Thorsen nimmt dieses wort auf dem Sæddinger steine als Infinitiv, aber
er scheint kaarua lesen zu wollen (,,De danske Runem." I, s. 49); die Inschrift
hat jedoch deutlich kauruan, und geta verbunden mit dem particip. prät. ist
ja nicht blofs aus dem altnordischen, sondern auch ans dem alt- and neo-
dänisehen wohlbekannt.
^) Da die sehr häufig vorkommende präteritalform in den runen Inschriften
4* (f 1, 2) oder | (häufig auf schwedischen steinen) hat, nicht ^J\ oder W so
darf man hieraus schliefsen , dafs der K>-nmlaut von æ in dieser form in
Dänemark und Schweden nicht vorhanden gewesen ist, dals sie also gærii,
nicht gørii ausgesprochen wurde. Im inf. könnte man sich eine form gårwa
unter einflufs des häufig vorkommenden adjectivs gårr (gårwR) entstanden
denken, das statt des ptcp. prät. gebraucht wurde; aber da tr, wie die rnnen-
inschriften und die ältesten altnord. Sprachdenkmäler zeigen, sich im inf. (und
präs.) noch lange gebalten, nachdem es bereits im prät. ausgefallen war
(fornnord. forml. § 143, 2), so kommt es mir am wahrscheinlichsten vor, dals
die runische form kaurua gørwa bezeichnet, so dafs die flexion gewesen wäre:
inf. gørwa, prät. gceräi, (ptcp. prät.) gårr (gårwR).
328 ANHANG,
= piüäu (allnorw.-isl. pjödu), nicjut (Norrenærå) für niui = niiit,
imper. von iiiuta (altnorw.-isl. njöt), |)nurui (der gröfsere stein von
Jællinge, nicht {liurui, wie man früher las) für das gewöhnliche
[)urui (der kleinere stein von Jællinge und öfter) = Pyrwi. In
-kaur und hiau bezeichnet +n wohl einen laut, der von d und ö ein
wenig verschieden gewesen ist, sich etwas dem a genähert hat. Wenn
-kaur ursprünglich ein M-stamm war, so würde a u ja als hezeich-
nung des dem altnord. ^ entsprechenden umgelauteten vokals voll-
kommen berechtigt sein (§ 6, c, 3), und altnord. -karr müfste dann ein
späterer übertritt in die o-klasse sein (wie z. b. grr, drr, fornnord.
forml. § 51 b, anm. 1). In hiau könnte au natürlich ganz gut als be-
zeichnung für das lange o aufgefafst werden ; aber da dieser laut auf
älteren steinen sonst durch n ausgedrückt wird, so bin ich am meisten
geneigt au als zeichen für einen von o etwas verschiedenen mehr
offenen laut aufzufassen. In J)iau{)u, nifjut ist der laut kaum ein
reines m gewesen, sondern am ehesten ein mittellaut nach ia hin,
und der gebrauch von t= für + in nitjut ist wohl auch gerade ein
beweis dafür, dafs der runenritzer eine unklare auffassung von diesem
laute hatte; denn von wirklicher nasalierung kann in diesem falle
ja keine rede sein, und der stein von Norrenærå gehört einer zeit
an, wo man 1^ q und + a noch genau unterschied. In {jcjurui statt
des sonst öfter vorkommenden |)urui ist i\u eine ungewöhnliche
bezeichnung für den laut y, da +n auf dem gröfseren stein von
Jællinge ohne zweifei zeichen für den «^-laut sowohl in kaurua (=
gerwa) wie in {)ausi {= pési) ist, so lag es ja nahe, dieselbe be-
zeichnung auch für den y-laut zu gebrauchen (dafs hier l^n, aber in
den beiden andern fällen +n geschrieben wird, beruht darauf, dafs 1^
und + im ganzen auf diesem steine vermischt sind, wie s^r für sbr
zeigt).
d. In l) = ni (altnorwegisch-isl. yw, jd) ^) : {)iuj)u (Simbris, siehe
oben c, 5), ubbriuti conj. präs. (Glemminge, Schonen) = nppbriiiti
(altnorw.-isl. uppbrjöti).
2) = iö, 10 (sehr seltene Verbindung im schwedisch-dänischen;
') Ob man nicht in den fällen, wo das altnorw. -isländische j6 bekam, auch
im schwed. -dänischen wenigstens in gewissen gegenden eine zeit lang eine von
iü etwas verschiedene ausspräche gehabt hat, kann jedoch zweifelhaft sein.
Hierfür könnte unter anderm auch die in § 6, c, 5 besprochene Schreibung an
(qu) für u in |>iau[)u, ni^ut sprechen.
VI. DIE ÄLTESTEN DAN. RUNENDENKMÄLER MIT D. KÜRZEREN RUNENREIHE. 329
altisl. jö, jo): hiu (Liljegren no. 70), hiuk (oft auf schwedischen
steinen) = Ä/o, hiogg (vgl. altschwed. hio, hiog, hiegg, Rydqvist 1, 171
und vgl. hiau § 6, c, 5).
3) = tå oder später (§ 5, 5) io (entsprechend dem altnord. jq, isl.
jö, M-umlaut von/a): -biurn (Hune in Jütland, Sjörup, Hällestad und
Strö in Schonen und öher) = -biam oder -hiorn, miuk (Rygbjærg)
= miåk oder 7mok, altnord. mjqk (siehe „Store Rygbjaerg-stenen" in
den årh. f. nord. oldk. 1875, s. 201, 207 == separatabz. s. 14, 20).
§ 7. Während die ältesten inschriften regelmäfsig die alten
diphthonge æt und au, ey durch +1 und +n ausdrücken, finden
wir sie später (namentlich vom ende des 10. jhdts an, mehr spora-
disch auch früher) meistens mit einfachen zeichen geschrieben, I
(selten +) für +1 und n für +n, so auf dem Danevirker und Hede- s. 221.
byer steine mit einer einzigen ausnähme durchgehends I = +1 (siehe
oben s. 252 f.), aber dagegen iau'j^T = dåndr auf beiden. Dieser
starke gebrauch des I für +1 und namentlich des punktierten I (♦)
in erik (= älterem Æirik) auf dem einen steine zeigt, dafs die
alten diphthonge in Dänemark nicht mehr rein bewahrt gewesen sind ;
aber der Übergang von diphthongen zu einfachen lauten ist natür-
lich ebenso wenig wie andere durchgreifende Übergänge in der spräche
plötzlich vor sich gegangen. Es mufs eine periode gegeben haben,
wo man noch zwischen einfachem laut und diphthongen schwankte,
und gerade diese Übergangsperiode finden wir ohne zweifei durch die
genannten Schleswiger steine und viele andere vertreten. In Däne-
mark, wo der Übergang von den alten diphthongen zu einfachen
langen lauten {æi zu é, åu und ey zu e) früher als in Schweden be-
gann, ist er ohne zweifei vollständig in der ersten hälfte des 11. jhdts
durchgeführt.
§ 8. Wie die in § Iff. angeführten beispiele beweisen, wird die
quantität der vokale in der schrift nicht bezeichnet: +r+ ala
= Ala und alla u. s. w. Nur ganz ausnahmsweise kommt Zusammen-
stellung von zwei vokalzeichen zur bezeichnung eines langen vokals
vor: t*++HI |)aasi (Tryggevælde) = ^dsi.
§ 9. Nicht selten werden vokale in den runeninschriften ent-
weder aus rücksicht auf den räum oder durch Unachtsamkeit weg-
gelassen: hr|)a (Langå, Randers) = harj)a, hns (Egå) = hans,
stn (Vejlby) = stin, ris{) (Mejlby, Grensten), rij) (Höriiing) = ris|)i
330 ANHANG.
U.dgl. Ein merkwürdiges beispiel von absichtlicher auslassung
sowohl von vokalen wie von konsonanten gibt der eine von den
Bækker steinen, dessen inschrift in zwei zeilen lautet:
hribn^ : ktubi : kriukubj)si
aft : uibrukm{)usin
was ich erganze hribn;^ k(a)t u(r)bi(t oder n) kriu(t)kub(l)
{)(u)si aft uibruk m(u)|)u(r) sin(a), d.i. Hrædna gat orpit {oåev
orpm) griüiknmbl pånsi (pest) æft Wiborg mödur sina, „Hræfna er-
richtete dieses denkmal (diesen högel mit steinkreis) nach ihrer
mutter Wiborg"^).
§ 10. Umgekehrt wird nicht selten ein vokal, besonders ein sva-
rabhaktisches M oder «, eingeschoben: turutin (Skæm) = dröl tin,
buru|)ur (GylUng) = ftrdffwr, f)igin (Langå) für {)ign (Randers) =
pegn, SciskiriJ)r {Skæm) = S asg ær dr, simi|)r (Liljegren no. 897)
= smidr (derselbe stein hat auch boro|)ur = brödur). In den
ältesten nordischen runeninschriften ist bekanntlich svarabhaktisches
a gewöhnlich, und auf dem steine von Istaby wird es sogar durch ein
von dem gewöhnlichen a verschiedenes zeichen ausgedrückt: woråhto
(Tune) = got. wavrhta, altnord. orta, halaiban (Tune) = got. igä)-
hlaiban, harabanaR (Varnum) = altnord. Hrafn, WArait, wulAfn
(Istaby) ::= got. wrait, wulfs, altnord. reit, nlfr , u. s. w. (Siehe „De
ældste nord. runeindskrifter" s. 56 f., „Navneordenes böjn. i ældre
dansk" s. 47).
§ 11. Umsetzung von vokalen kommt zuweilen vor: bur|)ur
(Kolind) =brul) ur, biruti (Skærn) = briuti.
B. Konsonanten.
Hier sind die Verhältnisse weit einfacher als bei den vokalen,
und nur selten können wir über die bedeutung der konsonanten-
zeichen der runenschrift im zweifei sein:
§12. a. Y 1) = fc: kunukR (Jællinge) = frowwn^'Ä, skai[)
(Tryggevælde) :=: skæid.
») Siehe „Deo såkaldte Jællingekredses runestene" in „Opnscula philologica
ad I. N. Madvigiuia", Haun. 1876, s. 212 If. (separatabz. s. 20 ff.).
VI. DIE ÄLTESTEN DAN. RUNEISDENKMÄLER MIT D. KÜRZEREN RÜNENREIHE. 331
2) = g (muta): kurmR (Jællinge) = Gorm/j, kul)r (Hedeby) s. 222.
= gödr; siktriku (Vedelspaiig) = Sigtryggw, hakua (schwedische
sieine) =håggxDa.
O
3) =^ (spirans): uiki (Glavendrup) = wijit, felaka acc. (Ärhus)
= félaga (auf dem Hedebyer steine ßaga mit punktiertem Y ge-
schrieben, das sowohl für die muta wie für die spirans gebraucht
wird).
Erst später wird spirantisches §■ durch dasselbe zeichen wie h, jj(, aus-
gedrückt.
b. T 1) = t: suti (Glavendrup) = Söti, stain (Kallerup)
= stæinn.
2) = d: taut)r (Danevirke, Hedeby) = dåuår, lanmaurk (Jæl-
Ymge) = Danmark, haraltr (JæUinge) = fiaroWr.
Dagegen wird T nicht statt ^ in der bedeutung d gebraucht;
folglich ist{)urmutR [Norrenærå) = PörmundR (nicht PörmödR), malr
(Hedeby) = wanrfr (nicht madr), mitr (Lundagård) ^ m(»W(?r (vgl.
„Navneordenes böjn. i ældre dansk" s. 85 f.). Der name fatuR auf dem
verschwundenen Arrilder steine von Schleswig kann daher nicht
Fadir bezeichnen, wie Thorsen meint („De danske Runemindesm."
I, 238), wogegen auch u [und r] sprechen. Es ist am ehesten ein
M- (oder ioa-)stamm mit bewahrtem Stammauslaut im nom. sgl.
c. ^ * 1) = p: k n u b u (Vedelspang) = gnüpu, u a b n (Sjörup)
= loäpn.
2) = b: but (Jællinge) = bot.
3) = 5 (spirans). Im nordischen fiel dieser laut später (kaum
vor dem 10. jhdt) mit f zusammen, und in den runeninschriften ist
r daher in der regel zeichen sowohl für ursprüngUches f wie für
ursprüngliches 6. Jedoch findet sich 5 (B) noch von f (P^) unter-
schieden in nairbis (Tryggevælde) = iVærSjs neben ulf, aft und in
hribnc} (Bække) = Hræbna (vgl. harabanaR Varnum) neben aft.
(Ausnahmsweise kommt b auf worte übertragen vor, die ursprünglich
f hatten; siehe § 13, b, 2 schlufs).
§ 13. a. 1^ 1) = j> (im anlaut sowie hinter k, p, s und in ein-
zelnen andern fällen; siehe J. Hoffory in der Nordisk Tidskr. f. Fi-
lologi. Ny Række HI, s. 293 f. und in der Ztschr. f. d. altert. Neue
332 ANHANG.
f. X, S. 375 ff.): |)ur (Glavendrup) = /'drr, raisj)i, risjii (gewöhnlich)
= rceispi, réspi.
2) = d (sonst im Inlaut): fa{)i (uelnæs) = facti, tau[)r (Dane-
virke, Eedehy )== dändr, harjia (Hedeby) = ftarda.
Zweifelhaft ist es, ob ^ im anlaut der pronoraina und adverbien,
die in den neueren nordischen sprachen d bekommen haben, p oder
d bezeichnet: J)ansi = /»an»se oder dannsi"!
b. r 1) = /■ (im anlaut und vor t sowie vielleicht vor k und s) :
fa{)ur (Glavendrup) = fådur, aft (Flemlose u. s. w.) = æft; ulf s?
2) = V (sonst im inlaut): ulfu (Helnæs). Übereinstimmend mit
den altnord., den altschwedischen und altdänischen handschriften
gebe ich auch diesen laut mit f wieder.
Zuweilen findet sich B in formen, die ursprünglich f hatten,
als erinnerung aus der zeit, wo b und f noch im in- und auslaut
223. unterschieden wurden: cisulb, abt (der kleinere Gunderuper stein;
siehe oben s. 293 f. und vgl. § 12, c, 3).
§ 14. I^ = r, Å = Ä werden ursprünglich etymologisch
unterschieden, wie oben (s. 130 f. und 241 f.) nachgewiesen. Bei-
spiele: kurmR kunuka (der kleinere stein von JæUinge) = GorniR
konungR, hairulfa (Haverslund) = Hærnlfii, kaißulf acc. (Kärnbo,
Södermanland) = Gæinulf, sunaa und J)ulaR gen. Sgl. (Snoldelev),
runaR (Glavendrup) = riiwa/j, uaRU plur. prät. (Gärdstanga b) =
wdRU (i«aÄM?), J)aiRa gen. pl. (öüers) = pceiRa; — bru{)ur gen.
{Helnæs,) = brödur , faj)ur acc. (Glavendrup) = /affwr. Mit einem
vorhergehenden r verschmilzt die nominativendung n zu rr, ge-
schrieben R: J)ur (Glavendrup, Virring) := Z>drr (dagegen Å = ä/j:
quaiR Helnæs, QskaiR bruchstück von Arhus, biarngaiR Simbris).
§ 15. Frühzeitig beginnt jedoch die ursprüngliche
regel für den gebrauch von R und A zu schwanken:
Die älteste abweichung besteht darin, dafs Å durch anal o gie R
in einzelnen präpositionen und nominativen verdrängen kann, wo es
bereits früh alleinherrschend gewerden ist: aftiR u. s. w., fa|)iR
(Strö), bru{)iR (Dybeck), tutiR (Skærn), s ustia (Tryggevælde) =/«<!««,
brödiR, döttiR, systiR neben den häufig vorkommenden accusativformen
fa![)ur, muj)ur, bruj)ur.
Vor dem jähre 900 wird umgekehrt Å durch K verdrängt, wenn ein
dental vorhergeht: haraltr kunukR (der gröisere stein von JæUinge)
VI. DIE ÄLTESTEIV ülü. RUiNENDENKMÄLER MIT D. KÜRZERE^ RCMENREIHE. 333
= Haraldr konunga statt HaraldR, batri (Tryggevælde) = ftcelri für
bætRt.
Mit ausnähme dieser fälle , die oben s 296 ff. ausführlicher
besprochen sind, finden wir erst in der 2. hälfte des 11. jhdts
häufig die alte regel für den gebrauch von 1^ und Å durchbrochen,
und es endet ja damit, daJfe das erstere zeichen ganz das letztere
verdrängt; aber in einzelnen gegenden hielt man noch tief bis
ins 13. jhdt hinein an dem alten unterschiede zwischen R, Å so
genau fest, dafs man annehmen mufs, dafs die beiden laute auch
deutlich unterschieden werden konnten (dies ist z. b. der fall in
der langen Inschrift auf dem gotiändischen taufslein m Åkirkeby auf
Bornholm aus der 2. hälfle des 13. jhdts; vgl. meine „Småbidrag til
nord. sproghistorie" in „Det philol.-histor. Sarafunds Mindeskrift",
Kbh. 1879, s. 193 ff. = separatabz. s. 20 ff.).
Ganz vereinzelt treffen wir in runeninschriften beide zeichen
R und >k ähnlich der § 3, 4 besprochenen Zusammenstellung der
öss- und ar-rune neben einander gesetzt: T+l^nRyk acc. auf einem
steine von Upland (Bautil no. 238, Liljegren no. 599, R. Dybeck
Sverikes Runurkunder fol., II, no. 165). Besonders hervortretend ist
dieser gebrauch auf einem andern steine aus derselben gegend wie
der oben genannte (Dybeck ibid. no. 170), wo RA dreimal zusammen-
gestellt ist, nämlich in fturkarR, fa[)urR, bru|)urR (für älteres
J)urka(i)R, fa|)ur, bru|)ur), während R und Å regelmäfsig in
-kautr, {)ur- und iftiR gebraucht werden.
Über y|v in der bedentnog e, æ siehe oben s. 244 ff.
§ 16. Über ^ Ä, + n (/a), Y w, H s und T Z ist nichts be-
sonderes zu bemerken, da diese zeichen nur ihre eigenen laute aus-
drücken.
§ 17. Konsonantenverdopplung wird in der schrift nicht
bezeichnet; wie das einfache vokalzeichen sowohl die kurzen wie die
langen vokale ausdrückt, so drückt das einfache konsonantenzeichen
sowohl die einfachen wie die doppelten konsonanten aus: stain
nom. (Kallerup u. s. w.) und stain acc. (Helnæs u. s. w.) = sfæin»
und stcein, sati und suti (Glavendrup) = sofft' und Söti, futiR
(Tryggevælde) = /«rff//ij, ala acc. Sgl. fem. (JæUinge) und ala acc.
Sgl. masc. (Glavendrup) = alla und Ala. — Zuweilen wird ein-
faches konsonantzeichen auch in solchen fällen geschrieben, wo ein
334 AISHANG.
wort mit einem konsonanten schliefst und das folgende mit dem-
selben laute beginnt: kunualtstain (Snoldelev) = kunualts stain;
aber gewöhnlich ulfs sati (Tryggevælde), stain nuRa (Helnæs).
Dafs sowohl die länge der vokale wie die der konsonanten un-
bezeichnet gelassen wird , kann natürlich oft veranlassung zur Zwei-
deutigkeit geben: nie}! ala skibara auf dem bornholmischen steine
in Ny Larsker, das man in der bedeulung med alla skipara genom-
men hat, mufs med Ala skipara erklärt werden; der name mani
kann sowohl Mdni wie Manni gelesen werden u. s. w.
§ 18. a. Vor K, T, ^ wird der nasal so häufig weggelassen,
dafs diese Schreibweise in den älteren Inschriften als regel zu be-
trachten ist:
y = tdg: kunukR {Jæuinge) = konungR, trutnik (Læborg)
= dröttning, kiku (Hällestad a) = gingu.
T = wd: cjsmut (Sölvesborg), ku^umut (Helnæs) = -mund,
{)urmutR (Norrenærå) = PörmundR (vgl. § 12, b, 2), buta acc.
(Glemminge) = hönda; aber auch ganz ausgeschrieben kuj)muntr
{iskiyum) = Gudmundr, bunta (Krageholm) = feönrfa. Ausnahms-
weise wird lanmitr auf dem stein von Lundagard für das ge-
wöhnliche lat- (l^t-) oder lant- (Iqnt-) geschrieben; man kann
kaum annehmen , dafs d bereits zu der zeit (ums jähr 1000) in
der ausspräche verschwunden gewesen, obgleich wir im schonischen
gesetz öfter bei der Zusammensetzung lan- für land- in den ältesten
handschriften finden,
s. 224. $ = m6: kubl (Norrenærå, Glavendrup, Jællinge, der gröfsere
stein von Sondervissing und öfter) = kumbl (wie auf dem kleineren
stein von Sondervissing und dem von Vedelspang geschrieben wird).
Der gebrauch von 1^, nicht +, vor K, T, ^ kann gerade dazu
dienen, die auslassung des nasals erkennen zu lassen: l^ki (Ars)
= længi, sti^tr {Fiemhse) = stændR', auf gleiche weise würde das
wort lamb durch Icjb ausgedrückt werden (vgl. s. 201).
b. Mehr sporadisch werden andere konsonanten fortgelassen,
namentlich R: ka{)u (Bække a) für karj)u = gcerdu, bianaR
(Grensten) = hiarnaR, ri[) (Hörning) ^ risj)i (vgl. § 9). Diese und
ähnliche auslassungen können ihren grund teils in rücksicht auf
den räum, teils in nachlässiger Schreibung haben, können aber
auch auf wirklicher ausspräche beruhen {biannaR für biamaRf). —
Besonders hebe ich hervor, dafs T sich zuweilen vor s fortgelassen
VI. DIE ÄLTESTEN DAN. RUNENDENKMÄLER MIT D. KÜRZEREN RUNENREIHE, 335
findet, das also in diesem falle in derselben bedeulnng wie das alt-
nordische und zum teil das altschvvedische und altdänische s steht
(vgl. J. Hoffory im Arkiv for nord. Filologi II, s. 79 ff. = „Altnord.
Consonantstudien", Göttingen 1884, s. 69 ff.) : nskaus (Rönninge)
= tjskauts, .\sg(hils, harals (Skærn b) = haralts, Haralds
{Haraltst) — dagegen ganz ausgeschrieben ruhalts, kunualts auf
dem steine von Snoldelev (siehe unten). Vor s ist t wohl auch, wie
man annehmen mufs, ausgelassen in baistr (Skivum), bastr
(Krageholm) = altnord. hazlr, h^ztr.
Nach dieser Übersicht über die verschiedene bedeutung der runen-
zeichen wenden wir uns zur deutung der kleinen gruppe von däni-
schen runensteinen, welche die ältesten denkmäler im Norden mit
der kürzeren runenreihe enthalten '). Ihre zeit mufs, wie früher be-
merkt, als der anfang des 9. jhdts bestimmt werden.
1. Der stein von Kallenip (Höjetostrup).
Gefunden um 1826 im kirchspiel Höjetostrup (harde Smörum,
amt Kopenhagen), eine meile östlich von Roskilde auf einem felde s. 225.
zu Kallerup in der nähe von Höjetostrup; 1851 auf seinem gegen-
wärtigen platze an der landstrafse dicht beim Hedehus-kruge errichtet.
Er ist 190 cent. hoch, wovon 140 über der erde, 110 cent. breit,
63 cent. dick; die runen sind 22 bis 24 cent. hoch und alle sehr deut-
lich. Ein trennungszeichen (ein einfacher punkt) findet sich nur hinter
dem Worte stain; ein paar natürliche Vertiefungen im steine hinter
der letzten rune (H) sind früher unrichtig als 2 punkte aufgefafst.
Eine gröfsere regelmäfsige Vertiefung an der spitze der ersten rune
^) Diese und die übrigen steine, die im folgenden gedeutet werden, sind
unter meiner leitung von professor J. Magnus Petersen mit gewohntem
geschick gezeichnet und chemitypiert. Ich habe sie selbst zu verschiedenen
Zeiten alle genau untersucht, und in mehreren punkten weichen meine abbildungen
daher von den Zeichnungen bei Thorsen und Stephens ab. Mit ausnähme der
hier wiedergegebenen Zeichnungen der steine von JNörrenaera und Röaninge, die
für das von mir vorbereitete werk über die dänischen runendenkmäler aus-
geführt sind, werden die übrigen hier mitgeteilten denkmäler in genanntem
werke in bedeutend gröfserem mafsstabe erscheinen , als das format hier ge-
stattet hat.
336
ANHA>G.
in der zweiten zeile ist eine von den bekannten schalenförmigen ver-
liefungen, die für älter als die iuschrift angesehen werden müssen.
å
Der stein von Kallerup (Höjetostrup).
Die Inschrift, welche die alten formen H und )|( für die h- und
o-rune gebraucht, lautet:
hurnbura
stain • suit)ks
hurnbura d. i. Hornhora, genitiv des mannsnamens Hornbori,
abhängig von dem folgenden stain. Vgl. den zwergnamen Hornbori
VI. DIE ÄLTESTEN DAN. RUNENDENKMÄLER MIT D. KÜRZEREN RUNENREIHE. 337
VQluspa 13 (womit Bugge altengl. hornbora 'horn träger, comiger' ver-
gleicht)^); auch als name eines hofes in Norwegen kommt Hornbori
vor (P. A. Munch, „Norge i Middelalderen" s. 87 oben).
In suijjks ist der vokal i zwischen p und k (vgl. oben s. 63)
sowie der nasal vor k weggelassen. Das wort raufs also swidings
gelesen werden, was ich mit Bugge (filol. tidskr. VII, 220) als
„Svides söhn oder nachkomme" verstehe, während man es früher
als ein adjectivum, abgeleitet von svidr = sviimr (also „des weisen"),
auffafste; aber der Übergang von nn zu p (4) ist von einem folgen-
den r bedingt (fornnord. forml. § 21, c; § 108, a, anm.). Ob i in
der Wurzelsilbe von SmdnigR kurz oder lang gewesen, wage ich nicht
zu entscheiden.
In ihrer alt dänischen sprachform mufs die Inschrift also
wiedergegeben werden ;
Hornbora stceinn Swidings.
d. h. „Hornbores stein, des sohnes Svides".
Nicht blofs durch die runenzeichen H h und 5JC a, sondern auch durch
die formel, die in der Inschrift gebraucht wird, schhefst sich der
stein von Kallerup nahe an die Inschriften mit der längeren 'runen-
reihe an; während diese nämlich sehr oft nur einen namen im
genitiv, regiert von dem worte „stein", enthalten zu haben scheinen,
einen Wortlaut, dem wir auch auf dem Räfsaler steine (s. 230f.) be- s. 226.
gegneten, so ist diese formel unter der grofsen menge inschriften
mit der kürzeren reihe nur von dem Kalleruper und dem Snolde-
lever steine bekannt, die sie jedoch beide ein wenig erweitert haben,
indem sie auch den namen des vaters hinzufügen (vgl. „Navneordenes
böjn. i ældre dansk" s. 46 anm. und s. 74 anm. 1).
2. Der stein von Snoldelev. s. 227.
Gefunden 1768 im kirchspiel Snoldelev (hårde Tune, amt Kopen-
hagen), eine meile südlich von der stelle, wo der Kalleruper stein
gefunden wurde ; 1812 nach Kopenhagen übergeführt, wo er jetzt in s. 228.
der runenhalle des altnordischen museums aufgestellt ist. Er ist
137 cent. lang, bis 73 cent. breit und bis 40 cent. dick; die sehr deut-
lichen runen sind zwischen 12,5 und 4,5 cent. hoch.
') Die verszählang weist hier und im folgenden auf Bngges ausgäbe hin.
WIMMEB, Die rnnenschrift. 22
338
ANHANG.
Die Inschrift, welche H für h und sowohl >(( wie + für a ge-
hraucht, ist vollständig mit ausnähme der letzten rune in der zweiten
zeile (hinter H), wovon nur ein teil des linken nebenstriches übrig
Der steiu voq Suoldelev.
geblieben ist. N. M, Petersen hat sie richtig als m ergänzt, und die
übrig gebliebenen sjjuren scheinen sicher zu zeigen, dafs sie die form
Y gehabt hat (siehe oben s. 205). Wir lesen also:
VI. DIE ÄLTESTEN DÄ>. RUISENDENKMÄLER MIT D. KÜRZEREN RDNENREIHE. 339
kun I ualtstain i sunaR "
ruhalts i |)ulaR i ^salhauku[m]
Es ist offenbar, dafs wir hier dieselbe Verbindung wie auf dem
Kalleruper steine baben, einen namen im genitiv abhängig von dem
Worte stain und dahinter sunaR als apposition zu dem namen.
Aber kun u alt ermangelt des genitivzeichens, weil das folgende wort,
womit es ohne trennungszeichen zusammengeschrieben ist, mit s an-
längt (§ 17), das hier bei der starken häufung von konsonanten
leicht undeutlich werden oder in der ausspräche ganz fortfallen konnte;
wir müssen also kunualts stain lesen.
kunualts ist = Gunnwalds; das trennungszeichen, das hinter
kun steht, ist wohl ein beweis dafür, dafs man Gunn-waldR deuthch
als einen zusammengesetzten namen aufgefafst hat (vgl. hiermit die
Schreibung baijiaxbu, hi|)a:bu = Hmdaby {Hédaby) auf dem Hede-
byer und Danevirker steine, ub:salum dat. pl. = Uppsahim {-salumf)
auf dem einen Hallestader steine). Der name Gunnwaldr ist nicht ge-
wöhnlich in der altnordischen literatur; er kommt jedoch in der Land-
nämabök (Isl. sog. I, s. 72) und in norwegischen Urkunden vor (siehe
das namenregister zum Diplomatarium Norvegicum I).
ruhalts ist ungenaue Schreibung für hrualts d. i. Hröalds,
gen. von dem auch in der altnord. literatur bekannten namen HröaldR.
Derselbe name kommt auf dem stein von Vatn vor, geschrieben
RH5^>j(rT>k (siehe oben s. 225 f.). Mit diesem rhoaltR und mit dem
ruhalts des Steines von Snoldelev kann die Schreibung rhuulfR
(Helnæs) für hruulfR = flrdM?/'Ä und rhafnuka (Læborg) für hräfn-
uka = Hrafminga verglichen werden, während andere steine, die
nicht nur mit diesen gleichzeitig, sondern sogar mit gröfster Wahr-
scheinlichkeit als von denselben personen herrührend anzusehen sind,
das h ganz auslassen: ruulf acc. (Flemlose), rafnuka (Bække a).
Man hat also eine Schwierigkeit darin gefunden, die lautverbindung
hr auszudrücken, oder h ist vielleicht schon auf dem wege gewesen
in Dänemark zu schwinden (eine mittelstufe zwischen dem ursprüng-
lichen hr und dem späteren r, die möglicherweise gerade durch die
schwankende Schreibung auf den genannten steinen bezeichnet wird,
könnte das stimmlose r gebildet haben, das ja gerade im neuisländ.
hr geschrieben wird; vgl. Hoffory in der Zeitsclir. f. vergl. sprachf.
XXm, s. 533 f.).
|)ulaR ist gen. von I)u1r, das aus den Eddagedichten in der s. 229.
22*
340
ANHANG.
bedeutung 'retlner, weiser' bekannt ist; davon das verbum pylja
'reden, hersagen':
Vafjjr. 9: pd skal freista,
hvdrr fleira viti,
gestr eda inn gamli pulr
„wer mehr weifs, der fremde oder der alte 'redner'";
Håv. 111: mal er at pylja
pular stöli d
„werte sind zu sprechen auf dem rednerstuhl";
Håv. 134: at hdrum pul
hl^pu aldregi
„über den greisen redner lache du niemals";
Fäfn. 34: hpfäi skemra Uli kann
inn hdra pul
fara til heljar hédan
„um einen köpf kürzer lasse er den greisen redner (hier fast =
'Zauberer') von hinnen zu Hei fahren".
Håv. 142 hat auch fimbulpulr, 'der grofse redner (weise)' ; vgl.
unten den Helnæser stein unter dem worte fajii.
Es ist möglich, dafs unter {juIr auf dem Snoldelever steine ein
geistliclier 'redner' („priester") gemeint ist; aber wir vermögen den
begriff des Wortes nicbt näher festzustellen, das auch an den aus
den Eddagedichten angeführten stellen sehr unbestimmt ist.
Ein anderer zweifei, der ebenfalls immer unlösbar sein wird, ist
der, ob |)ulaR hier in apposition zu kunualt(s) oder zu ruhalts
steht. Das erstere ist natürlich das wahrscheinlichste, da man den,
zu dessen gedächtnis das denkmal errichtet wurde, eher durch angäbe
seiner eigenen Stellung als der seines vaters näher bezeichnet erwartet;
aber entscheidend ist dies nicht.
cj, Präposition = altnord. d; hier als nasaliertes d ausgesprochen,
salhaukum, dat. pl. von salhaukaR d. i. SalhåugaR , ein name,
den wir noch in der landstadt Sallen) im kirchspiel Snoldelev wiederfinden.
Auf altdänisch lautet die inschrift also:
s. 230. Gunnwalds stæinn, sunaR Hröalds,
pulttR 4 Salhåugum.
Die gewöhnliche altnordische^) Schriftsprache würde dagegen
haben:
^) Ich behalte hier die gewöhnliche beneonung „altnordisch" für die alt-
norwegisch-isländische literatursprache, obwohl sie an und für sich weniger
VI. DIE ÄLTESTEN DA>-. RUNENDENKMÄLER MIT D. KÜRZEREN ROENREIHE. 341
Gitnnvalds stetnn, sonar Hröalds,
pular d Salhaugum.
d. h. „Gunwalds stein, des sohnes Roalds, 'redner' auf (in) Saltiaugen
(Salløv)".
Die Übersetzung ist absichtlich ebenso unbestimmt gemacht wie
die Inschrift.
Aüfser der inschrift trägt der Snoldelever stein einige symbo-
lische zeichen und figuren : es sind nämlich auf der linken seite der in-
schrift, in derselben tiefe und mit denselben feinen linien wie diese,
drei hörner eingehauen, die in einander greifen, und darüber ein wenig
weiter nach links ein „hakenkreuz". Die bedeutung dieser figuren
ist unsicher; dafs es aber wie der Thorshammer auf dem Læborger
steine und wie die kreuze auf vielen runensteinen aus der christ-
lichen zeit heilige, religiöse Symbole gewesen, kann kaum bezweifelt
werden. Sie müssen sicher symbole für den gott gewesen sein, in
dessen dienste der „redner" gestanden hat. und man mufs dann wohl
am ersten an Odin denken, da ja Thors eigentümliches merkmal der
hammer war, und da auch das wort pulR selbst, wie oben hervorgeho-
ben, auf Odin hinweist.
3. Der stein von Helnæs.
Gefunden am 18. märz 1860 auf der kleinen fühnischen halb-
insel Helnæs (barde Bäg, amt Odense), südhch von Assens. Der
stein wurde leider gespalten, aber die meisten stücke später wieder-
gefunden und zusammengefügt, so dafs die inschrift mit ausnähme
der letzten runen in der dritten zeile vollständig ist. Kurze zeit nach-
dem der stein entdeckt war, wurde er von könig Friedrich VII. unter-
gläcklich ist, und es Damentlich hier wird, wo „altnordisch" in gegeasatz zn
dem „altdänisch" der runeninschriften von nngefahr 800 bis etwa zum jähre 1000
gestellt wird, das mit gröfserem rechte selber geradezu altnordisch genannt wer-
den könnte, da die gemeinnordische spräche erst gegen das jähr 1000 in höherem
grade die Verschiedenheiten zu entwickeln beginnt, welche zur spaltung in schwe-
disch-dänisch und norwegisch-isländisch führten. Da indessen die sprachform in
den ältesten isländischen (und norwegischen) handschriften in allem wesent-
lichen dieselbe ist wie die der spräche in den runeninschriften von 800 — 1000
und gleichfalls genau mit der spräche der Eddagedichte und der norwegiscH-
isländischeu skalden übereinstimmt, so kann die benennuog „altnordisch" mit
einem gewissen rechte von der in diesen handschriften überlieferten form des
altDorwegisch-isländischen gebraucht werden.
342 ANHANG.
sucht, der ihn später dem altnord. museum in Kopenhagen schenkte,
wo er jetzt aufgestellt ist. Er jst 210 cent. hoch, bis 100 cent.
breit, 60 cent. dick; die runen sind 10,5 bis 13 cent. hoch.
Die inschrift, welche die alten runenformen H = Ä und M = m
(aber überall + = a) gebraucht, entbehrt im gegensatz zum Kalle-
s. 231. ruper und Snoldelever steine jedes trennungszeichens; aber die tren-
nüng der worte bietet trotzdem keine Schwierigkeit, ausgenommen am
Schlüsse der unvollständigen dritten zeile. Die beiden ersten Zeilen
laufen in schlangenwindungs-bustrophedon, die beiden letzten regel-
mäfsig von links nach rechts. Wir lesen:
rhuulfR sati stain nuRa
ku|)i aft kuj)umut bru{)ur
sunu sin truknaj)u ...
nualR fa{)i
rhuulfR d.i. hruulfR, wie wir beim Snoldelever steine bemerk-
ten, ist ein mannsname, zusammengesetzt aus ulfR 'wolf und hru =
altnord. hrö- für hröä- (von hröär 'rühm'), das öfters als erstes glied
in Personennamen gebraucht wird: Hrödmarr, Hröägeirr, Hrödny, wäh-
rend es in Hröaldr, Hrömundr sehr früh zu hrö- geworden ist. Die
form hier hat also HröulfR (für ürödulfR) entsprechend dem später ge-
wöhnlichen Hrölfr gelautet.
sati d. i. satti = altnord. setti. Im gegensatz zum altnorwegisch-
isländischen bewahrte das altschwedisch-dänische die nichtumgelautete
form (satti, plur. såttu; siehe § 6, c, 3).
nuRa wird durch seine Verbindung mit dem folgenden ku|)i,
altnord. godi, verständlich, das auf Island den geistlichen und welt-
lichen hardenvorsteher (in Norwegen hersir) bezeichnete. Auf Island
kommt der titel godi zuweilen in Verbindung mit dem namen des
s. 234. gottes vor, den der träger besonders verehrte (Freys godi), aber öfter
mit dem namen der gegend oder ihrer bewohner, deren „gode" er war
{Tungu godi, „gode zu Tunga", Ljösvetninga godi u. s. w.). Dem ent-
sprechend mufs nuRa auch hier am ehesten als genitiv eines Orts-
namens nuRifi oder nuRaR aufgefafst werden, der auch in Schweden
(Norir == Nora in Upland, Rydqvist II, 28P) und Norwegen (^Nörar,
Munch, Norge i Middelalderen s. 102^^^) vorkommt; aber es kann
natürlich auch name der bewohner sein („Norer"; vgl. Morir und
ähnl.). Thorsen (De danske Runemindesm. s. 337 f. anm.) fafst es
dagegen als personennamen auf und setzt es in Verbindung mit dem
VI. DIE ÄLTESTEN DAN. RUNENDENKMÄLER MIT D. KÜRZEREN I!L>E>REIHE. 343
s. 232.
Der stein von Helnæs.
344 ANHANG.
zwergnamen Nori (iVön?) Vpluspä 11, der auch sonst als personen-
iiame gebraucht wird. Es ist möghch, dafs dieser name mit dem
Worte auf dem steine von Helnæs verwandt ist; aber es liegt kein
grund vor, das letztere als personennamen („Nores gode") aufzufassen
und daraus solche Schlüsse zu ziehen, wie Thorsen gethan hat.
Die Verbindung nuRa kul)i findet sich auch auf dem Flemloser
steine, wo nuRa wie hier mit Å geschrieben wird, was" also auf
eine form mit ursprünglichem 2 deutet. Mit nuRa kuj)i stimmt das
saulua ku[)i des Glavendruper Steines (siehe diesen) überein.
aft= „efter" 'nach'; das altnordische hat im allgemeinen eptir
(eftir), aber älter auch ept [eft). Nach der verschiedenen Schreibung
des Wortes auf den runensteinen ist es ohne zweifei hier æft (auf
andern steinen eft) ausgesprochen worden (vgl. den Glavendruper
stein unter auft).
kul)umut = altnord. Gudmund; ob das letzte «in ku{)u- Schwä-
chung des ursprünglichen a im stamme, was ich wegen des alters der
inschrift für wahrscheinlich halte, oder ein eingeschobener hülfslaut ist,
der ja in den runeninschriften öfters vorkommt, läfst sich nicht mit
Sicherheit entscheiden. Zweifelhaft ist es auch, ob u in kuj)- und in
ku{)i 0 oder m bezeichnet; ich halte das erstere für das wahrscheinlichste.
bruj)ur gen. == bröäur.
sunu ist ein alter accusativ sgl. (für das später gewöhnliche
sun) mit bewahrtem Stammauslaut, der sich am längsten in den
M-stämmen erhielt (Navneord, böjn. i ældre dansk § 38; Den histor.
sprogforskn. og modersmålet s. 26 ff. und öfter); dagegen fehlt der
auslaut auf dem Helnæser steine in stain,ku|)umut, sin (=sinn).
s. 235. truknal)u steht unzweifelhaft auf dem steine, obgleich der
unterste teil der beiden letzten runen (J>n) mit dem abgeschlagenen
stücke des Steines verschwunden ist. Hinter n sieht man noch
deuthch die spitze von zwei geraden strichen, so nahe bei einander,
dafs sie am ehesten ein H von derselben form wie in rhuulfR ge-
bildet zu haben scheinen. Rafn und nach ihm Stephens haben
truknaj)u han (H++) gelesen und truknaj)u als „eine ältere form
anstatt trukna{)i" erklärt; da man indessen weder in alter noch in
■neuer zeit druknadu für -i gesagt hat, so müfste R , wenn diese lesung
richtig wäre, natürlich ein fehler für I sein, was wir in dieser in-
schrift anzunehmen nicht berechtigt sind (die s ati = satti und faj)i
=z fddi hat). Thorsen liest dagegen trug nafju, das er auf islän-
disch durch dreng nddu wiedergibt (De danske Runemindesm. I,
VI, DIE ÄLTESTEN DAN. RÜNENDENKMÄLER MIT D. KÜRZEREN RUNENREIHE. 345
s. 337 anm.); aber die bedeutung hiervon ist mir ganz unverständ-
lich, und dreng könnte selbstverständlich hier nicht mit n geschrie-
ben werden. Die bisher gegebenen erklärungen sind also zu ver-
werfen, und mit Sicherheit lälst sich diese zeile natürlich nicht er-
gänzen. Ich habe mir gedacht, dafs dort mit einem ausdruck, der
von andern runensteinen her bekannt ist, haÜR uti, „die männer
(er und sein gefolge) ertranken draufsen (auf dem meere)" gestanden
haben kann.
^uaiR d. i. J^wætRR (bezüghch des rh siehe § 14) ist ein sehr
seltener name, der sich jedoch in der „Gutasaga" c. 2 in der form
Atoair {awair strahain af alfha socn) wiederfindet. Der name ist
ohne zweifei identisch mit dem ahd. Anagér, welches das Å erklärt,
da r in ger, altnord. geirr, aus urspr. z entstanden ist (daher auch in
den runeninschriften regelmäfsig kaiR- = gæiR- und -kaifi nom.
und acc. ^^ -gcetRR, -gæin); ^uaiR geht wohl am ehesten von einer
grundform anagicaiRaR aus (vgl. ßugge und Noreen im Ärkiv f. nord.
Filol. II, s. 224, III, s. 29 anm. 1). Die entsprechende altnord. form
würde wohl Aveirr lauten.
fa[)i = altnord. fdäi von fä, das gerade von „runenstaben" in
den Hävamäl v. 142 gebraucht wird:
rünar munt pii fmna
ok rddna stafi,
mjgk störa stafi,
mjpk stinna stafi,
er fdäi fimhilpulr
ok geräu ginnregin
ok reist Hroptr rggna
„runen sollst du finden und gedeutete ('erratene') släbe, sehr grofse
Stäbe, sehr starke stäbe, die der grofse redner (weise) 'malte', und
die hohen mächte verfertigten, und gott Odin ritzte". Gleichfalls
heifst es Hävamäl v. 157:
sva ek rist
ok i rümim fdk
„so ritze ich und male ich in runen."
Auch auf den runensteinen kommt das wort, wennschon selten, s. 236.
sowohl alleinstehend wie in Verbindung mit „runen" und „stein"
vor: fa|)i fa{)iR aft faiki^n sunu (der Röker stein; Navneord,
böjn. i ældre dansk s. 75); faj)i runaR J)isaR, faj)i stain J)ina
(auf steinen aus Helsingland, Liljegren no. 1065, 1067, 1071). In
346 ANHANG.
derselben bedeutung wie faj)i haben die runensteine auch marka{)i
(„zeichnete") allein oder in Verbindung mit runan und stain (vgl.
Rafn in der Antiquar. Tidsskr. 1858—60, s. 187).
Im spateren altnordischen wird fd als a-stamm flectiert (forn-
nord. forml. § 152); dafs es aber ursprünglich ja-stamm gewesen
(entsprechend dem ahd. féhen, féhian), zeigt das prät. faihido
(„ich ritzte") auf dem Einanger steine mit den älteren runen (siehe
ßugge, To nyfundne norske Rune-Indskrifter fra den ældre Jærnalder,
s. 18 ff.). Die älteste flexion ist also faihjan, faihiäo gewesen; später
fæja, fdäa und endlich fd, fdäa (vgl. fornnord. forml. § 148 mit
anm. 2 und das Verhältnis zwischen altnord. strd, strdda und got.
straujan, strawida; siehe jetzt auch Burg s. 136). Ob der infinitiv zur
zeit des Helnæser Steines fæja oder fd gelautet hat, ist ungewifs (vgl.
jedoch unten beim Flemloser steine).
Die ganze Inschrift lautet also:
HröulfR satti stæin, NÖRa-goäi, æft
Goäumund bröäur-sunu sinn; druknadu h[aliR üti].
j^wceiRR fddi.
Das gewöhnliche altnordische würde dagegen haben:
Hrölfr setti stein, Nöra-godi, eptir (ept)
Gudmund hrödur-son sinn; druknadu h[alir üti].
*Aveirr fddi.
d. h. „Rolf Noregode setzte (diesen) stein nach Gudmund, seinem
bruderssohne; [er und seine mannen] ertranken [auf dem meere].
Aweir schmückte (den stein oder ritzte die runen)".
Die Wortstellung im anfang der inschrift („Rolf setzte den stein,
Noregode" statt „Rolf Noregode setzte den stein") ist auch von an-
dern runensteinen her bekannt (vgl. z, b. dem gröfseren Skærner
stein, dem Sondervissinger stein oben s. 245; der Hedebyer stein be-
s. 237. ginnt |)urlf risjii stin Jiqnsi himj)igi suins eftiR erik filaga
sin. Dagegen hat z. b. der Tryggevælder stein die gewöhnliche Wort-
stellung).
Während wir also auf dem Helnæser steine noch H und M in den
alten formen haben, ist + überall das zeichen für a, wogegen der
Kalleruper stein >|c und der Snoldelever beide formen gebraucht. Dafs
es jedoch zufällig ist, dafs sich nur + auf dem Helnæser steine
findet, und dafs >|< gewifs nicht blofs noch in dieser gegend, sondern
sogar von demselben runenritzer gebraucht wurde, dessen name auf
dem Helnæser steine steht, zeigt
VI. DIE ALTESTEN DAN. RüNENDENKMÄLER MIT D. KÜRZEREN RUNENREIHE. 347
4. Der stein von Flemløse.
Aus der gegend von Assens, wie der Helnæser stein; jetzt zu
Jægerspris, wohin könig Friedrich VII. ihn versetzen liefs. Vor vielen
Jahren ist der stein gespalten worden, wodurch ungefähr die hälfte
verloren gegangen ist; aber er war ganz zu Worms zeit, der ihn
mit verschiedenen Veränderungen in der inschrift wiedergegeben hat,
worüber er jedoch zum teil rechenschaft ablegt (Danicorum monumen-
torum libri VI, 1643 fol., s. 246 f.). Der stein befand sich damals
auf dem Flemloser kirchhof, wohin er von einem hügel in der nähe
übergeführt war. Aufser Worms abbildung findet sich eine Zeichnung
des Steines von prof. N. Haven (t 1777) im archiv des altnordischen
museums zu Kopenhagen und zusammen damit eine dritte (etwas ältere)
Zeichnung von Wichmand, pfarrer zu Flemløse, wo jedoch nur die drei
ersten zeilen abgebildet sind, da die vierte wahrscheinlich von der erde
verborgen wurde; Worm und Haven haben auch die vierte reihe.
Das erhaltene stück des Steines, welches glücklicherweise den
gröfsten teil der inschrift enthält, ist 184 cent. hoch, bis zu 53 cent.
breit und 63 cent. dick.
Wenn wir dasjenige-, welches mit hülfe der alten Zeichnungen,
namentlich der von Haven, ergänzt werden kann, in klammern setzen,
so hat die inschrift ursprünglich gelautet:
A+Knt>IHnnHn[+IA +rtlÅ]
Die drei ersten zeilen sind sicher auf grund des Steines und der s. 238.
Zeichnungen und müssen gelesen werden:
aft ruulf stfjtR
(st)ain sasi is uas nu-
Ra ku|)i satu su(niR aftiR)
Mehrere von diesen formen kennen wir vom Helnæser steine:
aft präp. mit dem acc. wie auf dem Helnæser steine, aber dort
mit +, hier mit jjc geschrieben.
ruulf d. i. Röulf für Hröitlf (auf dem Helnæser steine im nom.
rhuulfR geschrieben).
stqtR ist die 3. pers. sgl. ind. präs. von standa; t drückt nd
aus, und die auslassung des nasals ist gerade durch ^ bezeichnet;
dafs der umlaut in dieser form für den Flemljaser stein vorauszu-
348
ANHANG.
s. 233.
Der stein von Flemløse.
VI. DIE ÄLTESTEN DAN. RONENDE>KMÄLER MIT D. KÜRZEREN RUNENREIHE. 349
setzen ist, und dafs wir also stqndR, nicht stqndii, lesen müssen,
halte ich für unzweifelhaft. Die endung >k ä in der 3. pers. ist
wichtig in sprachgeschichtlicher beziehung, da sie zeigt, dafs das ur-
sprüngliche d oder p (got. standtp) frühzeitig im nordischen aufgegeben
ist und durch das aus z entwickelte r der 2. pers. ersetzt wurde.
sasi, die ursprüngliche form des pronomen demonstr, (zu-
sammengesetzt aus sa und dem unflectierbaren -si], wofür später
pessi eintrat. Ob a damals in sa, sasi lang gewesen, ist vielleicht
zweifelhaft.
is d. i. es, pron. rel. = altnord. es, jünger er (altdänisch cpr
neben dem jüngeren thcer).
uas d. i. toas, prater, von wesa (jünger toera) ^ altnord. vas,
jünger var. In den formen von tcesa und in den andern fällen, wo
r erst spät durch analogie s verdrängt hat, war dieses natürhch von
dem stimmhaften s (2) in flexionsendungen u. s. w. verschieden, das
bereits in den ältesten inschriften zu r geworden ist. Neben uas
finden wir in runeninschriften ungefähr vom jähre 1000 auch häufig
uaR in analogie mit dem plur. uaRU.
nuRa-ku|)i siehe den Helnæser stein.
satu am ehesten = sa^/u (siehe den Helnæser stein).
suniR nom. pl. d.i. sj//hä = altnord. synir.
aftiR= altnord. eptir (eftir), dän. efter, die längere form, während
wir im anfang der Inschrift æft haben; aber dort ist es mit dem
accusativ verbunden, während das regierte wort {fåd^lr sinn oder
kann) hier ausgelassen ist, weswegen vielleicht gerade die längere s. 239.
form absichtlich gewählt wurde. An der lesung dürfen wir wegen
der Übereinstimmung zwischen allen drei alten abbildungen nicht
zweifeln, obgleich jetzt nur satu s und der gröfste teil von u sich
auf dem steipe findet, während das folgende abgeschlagen ist Trotz-
dem R in æftiR nicht aus älterem s entstanden ist, hat es in dieser
und ein paar ähnlichen formen bereits in den inschriften mit den
älteren runen das r verdrängt (siehe 'Anhang' IV).
Aufser der hier gegebenen deutung der letzten worte gibt es
indes eine andere möglichkeit, die ich zwar nicht wahrscheinhch finde,
die wir aber doch besprechen müssen, da sie sprachlich ebenso richtig
wäre wie diejenige, welche wir oben vorgebracht haben. Wenn wir
nämlich satu als prät. von sitja, nicht von sæt ja, fassen, und also
satu lesen, so müTsten die worte satu syntR cpfltR bedeuten: „die söhne
blieben zurück, safsen einsam und verlassen" (vgl. altnord. süja eptir).
350
ANHANG.
Der jetzt behandelte teil der inscbrift hat also gelautet:
Æft Hröiilf std^ndn stæinn sdsi, es was
NÖRü-godi; sättu [satu] synia ceftiR.
In gewöhnlicher altnordischer sprachform:
Eptir (ept) Hrölf stendr steinn pesst, er (es) var (vas)
Nöra-godi; settu [sgtu] synir eptir.
d. h. „Nach Rolf sieht dieser stein, der Noregode war; es setzten
(ihn) seine söhne nach (ihm) [oder: es blieben seine söhne (einsam
trauernd) zurück]".
Wir finden auf diesem steine )j< viermal und + dreimal in den
hier gedeuteten Zeilen und wie auf dem Snoldelever steine >|c am anfang
und + am schlufs der Inschrift, was jedoch für einen reinen zufall
zu halten ist. Es sieht fast so aus, als ob sich die runeiiritzer am
schlufs die arbeil durch anwendung der einfacheren form ein wenig
halten erleichtern wollen. In der vierten zeile auf dem Flemloser
steine begegnen wir jedoch wieder beiden zeichen.
Durch den gebrauch des >j( weicht diese Inschrift also von der
s. 240. des Helnæser Steines ab; aber im übrigen zeigt sich doch eine er-
staunliche ähnlichkeit zwischen beiden in Inhalt wie in äufserer form.
Beide Inschriften sprechen von einem NÖRagodi mit demselben namen,
der freihch auf dem Helnæser steine rhuulfa und hier ruulfR
ohne h geschrieben wird, was aber nicht merkwürdiger ist, als dafs
Hrafnunga Töfi („Tofe vom' Rafnungengeschlechte") auf dem Læ-
borger steine rhafn ukatufi, aber auf dem Bækker steine rafnuka:
tufi geschrieben wird. Der Helnæser stein wurde von dem Nore-
. goden „Hröulf" nach seinem brudersohn errichtet, der Flemloser
stein steht nach dem Noregoden „Röulf". Wenn hierzu noch kommt,
dafs beide steine nach runen- und sprachformen notwendig derselben
zeit (dem anfang des 9. jhdts) angehöuen müssen, und dafs sie in
derselben gegend gefunden sind, so liegt der schlufs nahe, dafs es
auch derselbe mann ist, den wir auf beiden erwähnt finden. In diesem
falle ist also der Flemloser stein „nach Rolf" etwas jünger als der Hel-
næser stein, welcher von ihm errichtet wurde. Diese vermutung wird
auch durch die ganz übereinstimmende äufsere form beider Inschriften
bestätigt: drei reihen ohne trennungszeichen, die sich auf dieselbe
weise gegen einander wenden, und endlich eine vierte zeile, die auf
beiden steinen den namen des runenritzers enthalten haben mufs.
Leider fehlt diese zeile jetzt auf dem Flemloser steine, und gerade
VI. DIE ÄLTESTEN DAN. RUKENDENKMÄLER MIT D. KÜRZEREN RUNENREIHE. 351
hier stimmen Worms und Havens Zeichnungen nicht mit einander
überein. Worm hat nämlich:
ohne eine bemerkiing darüber, dafs er berichtigungen in dieser zeile
vorgenommen habe. Dagegen hat Havens Zeichnung:
und er bemerkt ausdrücklich, dafs nicht P'-t'+l^lÅ wie bei Worm auf
dem steine stände. Es ist klar, dafs wir das letzte Å auf Worms
Zeichnung seiner eigenen oder seines Zeichners berichtigung verdanken,
da er den stein von den söhnen nach ihrem ,, vater Fuhir" errichtet
sein lassen wollte.
Was nun Havens Zeichnung anbelangt, so stimmt sie aller-
dings, wo wir sie kontrollieren können, mit dem steine überein, aber
doch so, dafs die runenformen keineswegs genau nachgebildet sind,
und die einzelnen zeichen stehen auch keineswegs so unter einander, s. 241.
wie auf dem steine selbst. Während -f'P'TIÅ am ende der dritten
zeile bei Worm sich dicht an das vorhergehende wort anschliefst,
ist es bei Haven davon geschieden, ebenso wie bei ihm die beiden
Worte in der letzten zeile getrennt, bei Worm aber zusammenge-
schrieben sind. Wer hier recht hat, läfst sich nicht entscheiden;
wir würden natürlich alle worte zusammengeschrieben erwarten; aber
Havens Zeichnung macht den eindruck, dafs ein aller bruch im steine
die trennung veranlafst haben könnte. Da Haven ausdrücklich her-
vorhebt, dafs die vierte zeile viel undeutlicher sei als die andern, so
dürfen wir nicht für ausgemacht halten, dafs es ihm geglückt ist,
diese zeile genau wiederzugeben; hiergegen zeugt aufs bestimmteste
die ganz alleinstehende form, welche die letzte rune auf seiner Zeich-
nung hat; Stephens nimmt sie als J:, das „aus mangel an räum" statt
^ gebraucht -sein sollte, und er Hest faa|)o, worin er „eine ältere
form für faaj)i" findet (vgl. trukna{)u auf dem Helnæser steine).
Diese erklärung ist natürlich zu verwerfen, teils weil die 3. pers. sgl.
niemals fajju, fa{)o für fapi gelautet hat, teils weil f^ zur zeit des
Flemloser Steines nicht als zeichen für o (w) gebraucht werden
konnte, sondern das „nasalierte a" ausdrückte, das hier ebenfalls
unrichtig sein würde. Es geht deshalb nicht an, das ungewöhnliche
zeichen bei Haven als eine form der dss-rune zu nehmen, besonders '
da auch die regelmäfsige form ^^ in der ersten zeile steht, und für
dieses zeichen würde auch nach Havens Zeichnung sehr gut am
schlufs der vierten zeile platz gewesen sein. Entweder hat Haven
352 ANHANG.
daher zufällige ritzen im steine für nebenstriche der rune gehalten,
so dafs dort in Wirklichkeit nur I gestanden hat, wie bei Worm,
oder der stein hat ein >j( gehabt, wo die beistriche links vielleicht
sehr undeutlich waren. Im ersteren falle würden wir faaj)i, 3. pers.
Sgl. prät. wie auf dem Helnæser steine erhalten, im andern faa{)a,
1. pers. Sgl. prät., das gerade in den Inschriften mit der längeren
runenreihe oft gebraucht wird, wo später die 3. pers. allgemein wurde
(vgl. namentlich das dagaR faihido = altnord. Dagr fdda des
Einanger Steines, „(Ich) Tag ritzte die runen"). Hier tritt nun eine
neue ähnhchkeit zwischen den steinen von Helnæs und F'lemløse her-
242. vor, indem beide denselben selten vorkommenden ausdruck von dem
runenritzer gebrauchen, der aus Dänemark nur von diesen beiden
steinen her bekannt ist. Dafs der Helnæser stein T+J*! hat, während
das wort hier V^^\>\ (r+'ff'jjc?) mit doppeltem ^ geschrieben wird,
ist natürlich nur ein orthographischer unterschied; aber es ist doch
möglich, dafs das faa|)i (faajia) des Flemloser Steines zu erkennen
gibt, dafs ein schwaches a auf das d folgte (fdadi), wodurch die form
zugleich einen beweis dafür abgeben würde, dafs das wort damals in
die o-klasse übergeführt war (vgl. unter dem Helnæser steine s. 346).
Nach allen hier hervorgehobenen ähnlichkeiten zwischen den
beiden steinen trage ich auch kein bedenken, den letzten schritt zu
thun und zu behaupten, dafs der gelinde gesagt höchst sonderbare
name l^n>jclÅ (fuain) des runenritzers eine falsche wiedergäbe an
stelle von f^njjcIA j|uaiR ist, also demselben nameh, der auf dem
Helnæser steine F^R+IÅ mit + geschrieben wird. Diese annähme
kommt mir so wahrscheinlich vor, dafs ich nicht den geringsten
zweifei an ihrer richtigkeit hege.
Die steine von Helnæs und Flemløse sind also von demselben
manne geritzt, und der Flemløser stein mufs seinem Inhalt zufolge
etwas jünger als der Helnæser sein; aber nichts desto weniger hat
der runenritzer auf dem älteren steine durchgehends das jüngere
zeichen + für a gebraucht, während er auf dem jüngeren steine +
abwechselnd mit dem älteren >|« verwendet.
5. Der stein von Örja.
Das letzte von den denkmälern, die wegen der runenformen u. s.w.
ganz unzweifelhaft derselben gruppe wie die jetzt behandelten 4 see-
ländischen und fühnischen steine angehören, ist der schonische stein
von Örja, der vor mehreren jähren beim umbau der kirche von Orja
VI. DIE ÄLTESTEN DAN. RUNENDENKMÄLER MIT D. KÜRZEREN RUNENREIHE. 353
(bei Landskrona) gefunden wurde. Er wurde von da nach Lund
gebracht, in dessen neuem museum er jetzt einen platz erhalten hat;
ehe er noch hierhin übergeführt war, hatte ich gelegenheit, ihn zum
ersten male unter freiem himmel auf meiner runologischen reise in
Schonen 1876 zu untersuchen; später habe ich denselben öfter aufs
neue besichtigt. Die erste mitteilung über den stein verdanken wir
N. G. Bruzelius in den „Samlingar tili Skånes historia, fornkunskap
och beskrifning" (IV), Lund 1871, s. 151, wo" er sich jedoch in ein
paar Zeilen darauf beschränkt, denselben für so beschädigt zu er-
klären, dafs er nicht im stande sei, ein einziges wort zu lesen. Der
stein bat die neigung, sich in dünnen lagen abzuschälen, und ein
grofser teil der inschrift ist dadurch ganz verschwunden und das
erhaltene mehr oder weniger beschädigt. Indem ich mich bezügUch
desjenigen teiles der inschrift, der zu verschiedenen zweifeln ver-
anlassung geben kann, damit begnügen mufs auf die darstellung
hinzuweisen, die in meinem runenwerke erscheinen wird, bemerke
ich hier blofs, dafs die beiden ersten worte unzweifelhaft
d. i. stc|tR aft lauten, also ganz derselbe ausdruck, wie auf dem
stein von Flemlose, und beide worte auf dieselbe weise wie dort ge-
schrieben, speciell auch aft mit jjc, was ja für die altersbestimmung
der inschrift entscheidend ist. Die einzige abweichung ist das
trennungszeichen (3 punkte), während die beiden gleichzeitigen
fühnischen steine kein solches gebrauchen und von den beiden
seeländischen der eine einen einzigen punkt anwendet, der andere
einen kleinen strich ; aber 3 punkte finden sich gerade auch auf dem
stein von Norrenærå, den wir gleich hierauf behandeln.
Obgleich die hier behandelten 5 steine samt dem oben (s. 311 f.)
besprochenen färeischen stein von Kirkebo alle bisher bekannten
denkmäler in Skandinavien sind, auf denen wir ein paar der älteren
runenformen zwischen den zeichen der kürzeren reihe finden, so ist
doch damit nicht gesagt, dafs kein anderer von unseren runensteinen
derselben zeit wie diese angehören könne. Da der Snoldelever stein
wahrscheinlich Y für m gebraucht hat, und da der Helnæser stein
überall, der Snoldelever und Flemsloser zum teil a durch + aus-
drücken, so wird also nur >|( mit der bedeutung h für das alte HH
einen sicheren bew eis dafür abgeben , dafs eine inschrift jünger ist s. 243.
als die hier genannten. Wo das Ä-zeichen fehlt, müssen uns die
WIMMER, Die ruDenschrift. 23
354 ANHANG.
spräche und andere merkmale bei der Zeitbestimmung leiten. Ich
halle es somit für höchst wahrscheinlich, dafs der stein von Vold-
tofte (Ved tofte), der wie die steine von Helnæs und Flemlose
aus der gegend von Assens stammt (jetzt zusammen mit dem stein
von Flemløse zu Jægerspris), mit diesen gleichzeitig und ein denk-
mal für denselben HröulfR {RöhI/r) ist, der auf den beiden andern
steinen genannt wird. Ganz unrichtig, mangelhaft und irreführend
sind nämlich die mitteilungen, die Stephens (I, s. 333 f.) über diesen
stein und seine inschrift gibt. Längs der einen kante des Steines
stehen folgende runen:
Die drittletzte rune ist sicher H, dessen form noch deuthch ver-
folgt werden kann, obgleich die spitze und der mittlere teil abge-
blättert sind; die vorletzte rune ist ein sicheres I ohne spur von
nebenstrichen; die rauheit des Steines hat Stephens getäuscht, so
dafs er ein T zu finden geglaubt hat. Ein wichtiger umstand, den
weder Stephens noch andere erwähnt haben, ist, dafs der stein ge-
spalten worden ist (die grofsen Sprenglöcher zeigen sich sehr deutlich),
so dafs derselbe gar wohl ursprünglich doppelt so breit als jetzt ge-
wesen sein kann (auch die rückseite ist abgespalten, so dafs der stein
jetzt verhältnismäfsig sehr dünn ist). Die form des Steines läfst
keinen zweifei darüber, dafs er so aufgerichtet gewesen ist, dafs die
jetzt erhaltene inschrift von oben nach unten lief; aber daraus folgt
wiederum sicher (siehe oben s. 159 f.), dafs sich auf der andern, jetzt
abgespaltenen kante eine zweite inschrift befunden hat, welche die
entgegengesetzte richtung (von unten nach oben) hatte, und dafs der
anfang der inschrift eben dort gestanden hat. Ich vermute daher,
dafs der name ' des toten links auf dem fehlenden teile des Steines
zu lesen war, und dafs die rechts gegenüber erhaltenen runen ruulfR-
sis ergänzt werden müssen ruuIfR s[at]i s[tain]^), absichtlich
so geschrieben, um nicht diese zeile länger als die andere zu machen,
die den namen des toten enthielt (wenn es derselbe k u [) u m u t r war
wie auf dem steine von Helnæs, so könnte dies wort ja gerade einen
räum ausfüllen, der den erhaltenen runen entsprach). Auf die gleich-
*) Ich halte also weiter an der Vermutung über die bedeutung dieser runen
fest, die ich schon in „De ældste nord. runeindskrifter" (årb. f. nord. oldk. 1867),
s. 62 und in „Professor G. Stephens om de ældste nord. runeindskrifter" s. 14
(== årb. f. nord. oldk. 1868, s. 66) aufgestellt habe, lange bevor ich gelegenheit
gehabt hatte, dieses denkmal selbst zu untersuchen.
VI. DIE ÄLTESTEN DAN. RUNEISDEMKMÄLER HIT D. KÜRZEREN RCNENREIHE. 355
zeiligkeit des Steines von Voldtofte mit denen von Helnæs und Flem-
lese deuten bestimmt dessen runenformen, um nicht von dem namen
ruulfR und dessen Schreibweise zu sprechen. Habeich recht darin,
ruulfR sati stain zu lesen, so ist es ja auch gerade dieselbe formel,
womit der stein von Helnæs beginnt.
Auch aus Jütland glaube ich ein oder ein paar gleichzeitige
denkmäler anführen zu können. In der kirche zu Hammel (in
der grafschaft Frijsenborg) befindet sich ein bruchstück eines runen-
steines, bezüglich dessen Thorsen sich ähnhche unzuverlässigkeiten hat
zu schulden kommen lassen, wie Stephens sich bezüglich des Steines
von Voldtofte. In „De danske Runemindesmærker" 11,^2, s. 173 teilt
Thorsen nämlich mit, dafs „der stein als stufe im eingang zu einer
früheren watfenkammer liegt", und dafs man von der schrift jetzt nur
„ulfs s tin sieht, indem die fortsetzung in die raauer hineingeht", so-
wie „dafs das für t gebrauchte zeichen nicht der alten buchstabenreihe
angehört" (wie dies aus seiner Zeichnung II, 1, no. 64 hervorgeht, liest
er nämlich 1^)). Alle diese bemerkungen sind indessen vollständig
unrichtig: Bei meiner Untersuchung des Steines im jähre 1877 zeigte
sich nämlich, dafs er nicht als stufe im eingange einer früheren
Waffenkammer lag, sondern als sockelstein in der kirche benutzt war.
Zu diesem behufe ist er seiner zeit gespalten worden, so dafs nur
6 runen von der inscbrilt übrig gebUeben sind, ohne dafs irgend etwas
durch die mauer verdeckt ist. Zugleich ist der stein auch etwas
abgeputzt und geglättet worden, so dafs die runen ziemlich aus-
geschabt sind, ohne dafs die lesung jedoch an irgend einer stelle
zweifelhaft sein kann. Dort steht nämlich
mit T, nicht 1, wie Thorsen angibt.
Da sich keine spur von runen auf dem nicht ganz kleinen stücke
des Steines vor ulfs und ebenso wenig über oder unter dem erhal-
tenen teile der inschriftzeile findet, so mufs die Inschrift mit diesem
Worte begonnen haben, und sowohl der ganze Charakter der runen,
das kleine längliche trennungszeichen, wie die in der Inschrift ge-
brauchte formel machen es mir mehr als wahrscheinhch, dafs wir
hier ein denkmal haben, das genau mit dem Kalleruper und Snolde-
lever steine übereinstimmt. Ich vermute daher, dafs die Inschrift
') Dafs diese form sich nicht in der alten bnchstabenreihe finde, ist ja
übrigens ganz irrig (siehe oben 'Anhang' III).
23*
356 ANHANG.
ulfs I stain gelautet hat (mit + oder >j< als zeichen für die a-rune),
wonach möglicherweise noch wie auf den beiden genannten wesentlich
gleichzeitigen steinen eine angäbe darüber gefolgt ist, wessen nach-
komme ulfR war. Wir haben hier einen eklatanten beweis dafür,
wie notwendig autopsie ist, um das alter eines denkmals wie dieses
zu bestimmen; denn die runen ulfs st können aus rein sprachlichen
gründen natürlich ebenso gut dem 8. oder dem 9. wie dem 12., ja
sogar dem 19. jhdt angehören!
EndHch nehme ich an, dafs auch der Schleswiger stein von A r r ild,
wenn meine oben (§ 12, b, 2 schlufs) ausgesprochene vermutung richtig
ist, am nächsten derselben zeit wie die jetzt behandelten denkmäler
angehören mufs (vgl. auch unten s. 359).
Während wir mit hülfe der runen- und sprachformen u. s. w.
die zeit dieser steine ungefähr als den anfang des 9. jhdts bestimmen
können, so wird eine andere gröfsere gruppe von runensteinen, die
gleichfalls deutHch aus der heidnischen zeit stammen und chronologisch
den hier besprochenen zunächst folgen, um 900 etwa gesetzt werden
können. Die alten runenformen M, >|<, H H sind jetzt ganz vor ^ ^
(Y), +, >|c gewichen, und auch in andern beziehungen zeigen sich
verschiedene spuren einer jüngeren entwicklungsphase (Å wird hinter
dental mit K vertauscht; der acc. sgl. sunu wird von sun verdrängt).
Als beispiele von den denkmälern aus dieser zeit wollen wir "drei
steine behandeln, die in enger Verbindung mit einander zu stehen
scheinen, und wovon zwei durch die gröfse und den Inhalt der in-
schriften zu den merkwürdigsten runendenkmälern in ganz Skandi-
navien gehören, nämlich der fühnische stein von Glavendrup und
der seeländische stein von Tryggevælde. Nahe verwandt mit ihnen
ist der fühnische stein von Rönninge.
In die zeit zwischen diesen drei denkmälern und den eben be-
handelten, also ungefähr ums jähr 8*50 (87 5) ist ein denkmal
aus Fühnen zu setzen, das ich daher zunächst besprechen will, nämlich
6. Der stein von Norrenærå.
Gefunden 1684 auf dem kirchhofe von Norrenærå (harde Skam,
amt Odense), östhch von Bogense, und jetzt im innern der kirche
eingemauert. Der ziemlich unansehnliche eiförmige stein ist 110 cent.
lang und bis zu 60 cent. breit; aber die runen, die den stein in
seiner ganzen breite ausfüllen, sind sowohl an und für sich als auch
VI. DIE ÄLTESTEN DAN. RUISENOENKMÄLER MIT D. KÜRZEREN RÜNENREIHE. 357
Der stein vou iNorreoærå.
358 ANHANG.
im Verhältnis zu dem umfange des Steines ungewöhnlich grofs, die
längste ist ungefähr 29 cent. hoch; gegen die spitze hin nimmt die
gröfse aus rücksicht auf die form des Steines ah, welche gleichfalls
die ungewöhnliche gestalt der letzten rune (H) in der inschrift ver-
anlafst hat. Eine gröfsere ahschälung hat besonders die beiden ersten
runen beschädigt; aber ihre ganze form kann noch sicher verfolgt
werden. Ein natürliches loch im steine vor dem ersten |5 ist bei
Thorsen (De danske Runemindesm. I, s. 265) unrichtig als ein ge-
hauener punkt aufgefafst; als trennungszeichen werden in der zweiten
zeile 3 längliche punkte gebraucht.
Die inschrift lautet:
{)urmutR
nicjut : kubls
JiurmutR d. i. PörmnndR {§ 12, b, 2). Wegen X siehe 'An-
hang' IV, s. 298; auf gleiche weise hat der norwegische stein von
Valdby (s. 307), den ich für gleichzeitig mit dem stein von Norrenærå
halte, A als nominativzeichen hinter p bewahrt.
nicjut kann trotz der ungewöhnlichen Schreibung mit f^H
(§ 6, c, 5) nicht anders denn als imperativ des verbums niiita (niata'^)
i= isl. njöta aufgefafst werden ; hier wie im altnord. mit dem gen.
verbunden: 'gutes von etwas geniefsen'.
kubls d. i. kumbls bezeichnet hier am ehesten „den grabhügel".
Über die form und bedeutung des Wortes vgl. unten s. 365.
Die altdänische form der inschrift ist also gewesen:
PörmundR
niüt (niat^) kumbls!
Das gewöhnliche altnordische würde haben:
Pormundr
nj6t(tu) kum(b)ls!
d. h. „Thormund, geniefse des hügels! ruhe friedlich im grabhügel!"
Der ganze Charakter der inschrift (runenformen u. s. w.) bewogen
mich bereits vor vielen jähren diesen stein für etwas älter als den
Glavendruper u. s. w. anzusehen. Diese vermutung ist später durch
meine beobachtung über das Verhältnis zwischen Å und R nach dentalen
('Anhang' IV) bestätigt worden, und sie wird noch durch einen andern
umstand weiter erhärtet. Die gröfse und form des Steines sowohl
wie der Inhalt der inschrift machen es in hohem grade wahrscheinlich,
dafs derselbe, wie die oben (s. 301, 306 ff.) besprochene, besonders
aus Norwegen bekannte reihe von denkmälern aus der mittleren
VI. DIE ÄLTESTEN DAN. RÜNENDENKMÄLER MIT D. KÜRZEREN RDNENREIHE. 359
und dem beginn der jüngeren eisenzeit, in den grabliügel hinein
gestellt worden ist. Die umstände, unter denen der Snold elever
stein gefunden wurde, sprechen in hohem mafse dafür, dafs dasselbe
mit diesem der fall gewesen, und seine form erinnert ja auch sehr
an die des Steines von Nörrenserä. Auch der kleine unansehnliche
stein von Arrild hat unzweifelhaft im innern des grabhügels ge-
standen. Dieser umstand stützt somit noch weiter meine ansieht
über das alter der genannten denkmäler.
7. Der stein von Glavendrup.
Dies sehr ansehnliche denkmal mit der längsten runeninschrift,
die aus Dänemark bekannt ist, wurde auf einem felde in der land-
stadt Glavendrup im kirchspiel Skamby (barde Skam. amt Odense)
zwischen Odense und Bogense gefunden. Obwohl man in der gegend
lange gewufst hatte, dafs der stein eine Inschrift trug, lag er doch
14 jähre lang unbeachtet, bis er im sommer 1806 von Vedel Simonsen
hervorgezogen, man darf wohl sagen entdeckt wurde. Jetzt ist er
Staatseigentum und seit 1864 wieder auf dem hügel errichtet, wo er s. 246.
vermuthch ursprünghch gestanden hat. Seine ganze länge beträgt
283 cent., wovon ungefähr ein drittel in der erde gestanden hat (jetzt
ragen 173 cent. über die erde empor): die gröfste breite ist 157 cent.,
die kante mit der inschrift 55 cent. dick; die höhe der runen isl,sehr
verschieden (die gröfsten haben ungefähr 36 cent., die kleinsten ungefähr
10 cent.). Die abbildung gibt den stein seiner ganzen form nach wieder.
Die inschrift, die auf die beiden breiten selten des Steines und
die kante zwischen beiden verteilt ist, steht im ganzen sehr klar
und deutlich da. Fast alle worte werden von einander durch das
von andern älteren steinen (dem stein von Snoldelev u. s. w.)
her bekannte trennungszeichen i geschieden, das dagegen nicht am
anfang oder schlufs der Zeilen gebraucht wird. Unter den 206 runen
der inschrift kommen alle zeichen aus dem damals gebräuchlichen
runenalphabet vor, mit ausnähme der m-rune, die ohne zweifei die
form ^^ wie auf den steinen von Norrenærå, Tryggevælde, Rön-
ninge u. s. w. gehabt haben würde.
An zwei stellen findet sich ein leerer räum ohne runen, näm-
lich nach dem worte nl+ in der letzten zeile auf der Vorderseite
und nach It'-I' in der schlufszeile auf der kante (trennungszeichen
fehlen daher hinter diesen beiden worten). Wegen alter bräche und
360
ANHANG.
S. 244.
I.
Der stein von Glavendrup.
VI. DIE ÄLTESTEN DAN. RÜNENDENKMÄLER MIT D. KÜRZEREN RÜNENREIBE. 361
II. s. 245.
362 ANHANG.
löcher im stein liat der rurienritzer absiclillicli an diesen stellen den
platz offen gelassen, so dafs die ganze inschrift vollständig ist.
Die inschrift beginnt mit dem werte raknhiltr in der 2. zeile
von rechts auf der Vorderseite, und dieses wort zeichnet sich durch
die gröfse der runen sowohl wie durch den abstand zwischen den
einzelnen zeichen aus, ohne zweifei weil der name auf diese weise
hervorgehoben werden sollte. Die inschrift läuft darauf bustrophedon,
so dafs die 3. zeile von rechts auf die zweite folgt, und darauf
die vierte. Die erste zeile rechts, womit die inschrift auf dieser seite
endet, geht in derselben richlung wie die zweite und vierte. In der
schlufszeile hat der runenritzer aus mangel an räum das letzte wort
l'H'K+ teilen müssen, so dafs die beiden letzten runen umgekehrt
über die 3 ersten gestellt wurden; er hat vielleicht nicht von anfang
an berechnet, dafs er nach nl+ einen platz frei lassen wollte;
aber der grofse rifs im steine, der über die spitze der drei runen HH'
läuft und sich darauf bedeutend erweitert, hat im verein mit den
vielen löchern und Unebenheiten hinter diesem worte ihn bewogen,
dies stück des Steines unbenutzt zu lassen. Die erste sichere rune
hinter nl+ ist das +, das sich gerade unter dem I von raknhiltr be-
findet; obgleich sowohl dieses + wie die darauf folgenden \P schwach
hervortreten, so können sie doch keine veranlassung zu irgend welchem
zweifei geben, und der folgende teil der inschrift ist sehr gut er-
halten. Durch eine neue Untersuchung derselben, die ich im
sommer 1879 im laufe zweier tage unter den allergunstigsten Ver-
hältnissen vornahm, so dafs alle zweifei in bezug auf einzelheiten
hinsichtlich der lesung befriedigend gelöst werden konnten, entdeckte
ich indessen, dafs sich auch vor + deutliche spuren eines stabes mit
nebenstrichen in der mitte fanden, die zeigten, dafs hier ein )|c stand
(auch auf meinen abdrücken verfolge ich mit Sicherheit die ganze form
der rune). Hier steht also hai{)-, nicht aij)-, wie ich in „Rune-
skriften" 1874 las. Aber ich bin noch vollständig davon über-
zeugt, dafs zwischen uia und hai|>- niemals ein runenstab ein-
gehauen gewesen ist.
Die inschrift auf der rückseite beginnt mit der zeile, welche
am weitesten links steht, und läuft darauf bustrophedon mit ausnähme
der letzten (6.) zeile, die einen neuen, selbständigen satz enthält,
s. 247. Die inschrift auf der kante, die mit der zeile rechts beginnt und
dann bustrophedon läuft, gibt keinen anlafs zum zvveifel ; aber die 2
Zeilen haben wegen alter risse und Unebenheiten im stein, welche
TI. DIE ÄLTESTEN DAN. RCNENDENK HALER MIT D. KÜRZEREN RI7NENREIHE. 363
die Inschrift soweit als möglich umgeht, eine ziemlich unregelmäfsige
form erhalten, und ein gröfserer spalt und Unebenheiten in der letzten
zeile hinter dem worte i|)a haben hier wie auf der Vorderseite ver-
anlassung zu einer leeren stelle gegeben.
Die ganze inschrift lautet:
I. raknhil tr i sa-
li I stain J)cinsi i auft
ala I saulua ku{)a
uia hai|)uiarf)an {)iakn
U. ala I suniR i kar{)u
kubl I I)ausi i aft fal)ur
sin I auk i hc)ns i kuna • auft
uar I sin i in i suti i raist i run-
aR I |)asi I aft i trutin i sin
|)ur I uiki i {)asi ■ runaR
III. at I rita ■ sa i uar{)i > is i stain {)ansi
ailti I i{)a aft i c|nc)n i traki
Wir besprechen nur die formen, die wir früher zu behandeln
keine gelegenheit gehabt haben:
raknhiltr d. i. Ragnhüdr, ein gewöhnlicher altnordischer frauen-
name. Über die endung -r siehe 'Anhang' IV.
))^nsi, acc. sgl. masc. zu sasi (Flemlose), unten jjansi ge-
schrieben, in beiden fällen = parmsi (altnord. pentia). Für f)^nsi,
{)ansi, das auf unsern runensteinen sehr gewöhnlich ist, findet sich
später |)insi, [lainsi, das eine jüngere ausspräche, pennsi oder pcpnnsi,
bezeichnet. Zweifelhaft ist, ob p im anlaut dieses wortes p oder d
ausdrückt.
auft, präp. 'nach', das später einmal auft und dreimal aft wie
auf dem Helnæser steine und anderwärts geschrieben wird. Die Schrei-
bung auft drückt wie uft øft, eine häufige nebenform zu æft, aus,
welches letzlere aft, wie hier, oder ift, aif t geschrieben wird (§ 5, 4).
ala acc. sgl. von dem auch im altnord. bekannten namen 'Ab'.
saulua ku{)a entspricht dem nuRa kul)i auf den steinen von s. 248.
Helnæs und Flemlese, und in saulua müssen wir daher den namen
von dem distrikt des goden oder von dessen bewohnern suchen.
Einen diesem entsprechenden Ortsnamen finden wir auch in Norwegen,
wo das heutige Selten im .sprengel von Orland, ^ meile von
Agdenes, das altnord. Sglvi ist (Heimskringla ed. Unger s. 76^®—":
Eirikr komingr for um velrinn nordr ä Méri ok tak veizlu i Sglva
364
ANHANG.
fyrir innan Agdanes = cod. Fris. s. 59 ^^ i Solva). Ich nehme also
saulua hier als gen. Sgl. des Ortsnamens oder als gen. pl. des namens
der bewohner („gode in Salve" oder „gode der Sålver"), aber vk^eder mit
Rafn (Antiquités de TOrient s.194) als namen von Ales hofe, noch mit
Thorsen als personennamen (so dafs Ale „Sålves gode", untergeordneter
amimann, wäre). Die Schreibung saulua bezeichnet den w-umlaut
von a wie zuweilen sonst auf den runensteinen (§ 6, c, 3).
Von den hierauf folgenden worten in der vierten zeile uia hai|i-
uiar[)an [)iakn ist nur {)iakn von andern Inschriften her bekannt
= altnord. pegn, 'ein freigeborner mann' (über die etymologie siehe
„Den histor. sprogforskning og modersmålet" s. 21 = årb. for. nord.
oldk. 1868, s. 277), auf den runensteinen J)ikn, |)akn, fjiakn, {)aikn
geschrieben, welche formen alle die ausspräche pegn {pægn) aus-
drücken. Das wort war eine ehrenbezeichnung für einen mann (vgl.
das davon gebildete pegnskapr), und wie es hier von dem ,, goden"
Ale gebraucht wird, so finden wir es in der altisl. literatur z. b. von
Gudmundr Höla-bischof gebraucht (Gudmundar drapa von Arni Jonsson,
abl 1371—79, v. 13; ßiskupa sögur II, s. 205). Das von l3iaku
regierte uia fasse ich als gen. pl. neutr., entsprechend dem altnord. via,
alldän. icéa oder wia, von wé oder wi (altnord. vé) 'tempel'; wéa pegn ist
dann dasselbe wie norvveg.-isl. hofgodi 'tempelpriester'. Dagegen wage
ich nicht uia in der bedeutung 'der götter', d. h. als gen. eines plur.
masc. weaR oder wian zu nehmen (véar 'götter' in der Ilymiskvida
s. 249. v. 39 beruht ohne zweifei auf Verderbnis), und noch weniger wage ich
es als gen. sgl. entsprechend dem altnord. Véa von dem götternamen
Vé für * Véi (fornnord. formlära § 65 am Schlüsse) aufzufassen.
haif)uiarl)an ist natürlich adjectivum im acc. sgl. masc. zu
pegn\ während die frühere lesung aij)uiar|)an uns ein unbekanntes
wort gab, haben wir jetzt ein wort bekommen, dessen bedeutung klar
ist, und das sowohl im altschvvedischen wie im altdänischen nach-
gewiesen werden kann: haij)uiarf)r d. i. hæidwerdr auf dem Glaven-
druper steine stimmt vollständig mit dem haipverpr 'ruhmvoll' des
Gutalag igripr hinn ohaipverpi 'der unrühmliche, schändliche griff'
23, 4 = eyn vnerlich grif in der alten deutschen Übersetzung) und
dem hepiiarpcer des schonischen gesetzes {hepiiarpe man 'ein ange-
sehener, vornehmer mann' 5, 28^)) überein, indem a hier wie in andern
') In Anders Sunesens alter lateinischer paraphrase des schouischen gesetzes
wird das wort folgendermafsen erklärt: „(vir) diues et præpotens, cui non esset
VI. DIE ÄLTESTEN DAN. RÜNENDENKMÄLER MIT D. KÜRZEREN RUNENREIHE. 365
ähnlichen fällen {uara =vera, uarpa = verda u. s. w.) einem altnord.
e entspricht. Dagegen hat das isländische heidvirdr, durcli Vermischung
mit virdr, ptcp. prät. von virda. Auf dem Glavendruper steine steht
das wort in seiner ursprünglichen bedeutung 'ehrwürdig' : 'der tempel
ehrwürdiger degen' d. h. 'der hochgeehrte (hochangesehene, "hoch-
ehrwürdige") tempel Vorsteher'.
kar{)u = gærdu, kaum gerdu (§ 1, 2).
kubl ist, wie das folgende J)ausi zeigt, acc. pl. neutr. Das
wort kommt öfters in dieser Verbindung auf unsern runensteinen vor,
im allgemeinen wie hier mit auslassung des nasals geschrieben,
seltener kumbl. Das altnorwegisch-isl. braucht selten kumbl (kuml)
neutr. — und sowohl im Sgl. wie im plur. — in der bedeutung
'grabhügel'. In den runeninschriften hat das wort oft eine etwas
weitere bedeutung, so dafs es das ganze denkmal bezeichnet (nament-
lich hügel und stein zusammen); wo es wie hier stain und runaR
gegenübergestellt wird, denkt man natürlich zunächst an den „hügel",
und diese bedeutung hat es gleichfalls auf dem steine von Norrenærå,
wo es im sgl. steht, wie ab und zu in andern runeninschriften.
|)ausi, die älteste form im neutr. plur. zu sasi (altnord. ^«sst).
In einer so alten Inschrift wie der des Glavendruper Steines, mufs
man sicher annehmen, dafs das wort noch den alten diphthongen
bewahrt hat; dagegen ist es zweifelhaft, ob das |>usi des kleineren
Steines von Jællinge påusi oder pest bezeichnet, eine ausspräche, die
auf jeden fall für das f)ausi, |)usi jüngerer inschriften wahrschein-
lich ist; denn auf dem vor einigen jähren entdeckten heidnischen
Virringer steine von Jütland (zweite hälfte des 10. jhdts) wird J)isis. 250.
geschrieben, das am ehesten pési gelautet hat (vgl. pæsæ æræ logh im
schonischen kirchengesetze c. 5 runenhandschr., pæse die hadorfsche
handschr., thcessi AM. 37 4to; pæse mal æræ al til ens rættæ mælt
schonisches gesetz 5, 3 in der hadorfschen handschr., thisi AM. 41
4 to, runenhandschr. fehlt). Das |)ausi, |)usi, J)isi der runensteine
kann daher pési, pcési bezeichnen (vgl. auf t, uft, iU = eft, æft).
fa|)ur hier ohne zweifel fådur mit w-umlaut (altnord. fgdur).
tatom resistere ant propter generis claritatem aut offieij digoitateni, qaalem
hettcarthe man io lingua patria oominamns". Dieselbe bedentang bat das wort
ia „Vederlagsretten" (Knuds des grofsen gefolgsrecht), das in jüngerer schoniscber
sprachform erhalten ist: konung oc andra hithxDorthe men, ther hirdh skulde
hawa.
366 AISHANG.
auk = altnortl. oÄ:, aber älter auk, enlsprechend der form, die
auf den runensteinen die gewöhnliche ist.
htjns mit f^ wie in |)c\nsi oben, qn.in wegen des folgenden
n (§ 3, 2).
kuna = altnord. kona, hier mit o- oder mit w-laut? das letztere
allgemein im altdänischen (auch in altnord. handschriften vereinzelt mit
M geschrieben).
uar wie auf dem Tryggevælder steine ^ altnord. ver; hier wer
oder wær ausgesprochen, acc. von werr {wærr) 'mann, ehemann'. Im
altnord. ist das wort wesentlich dichterisch.
in = en, 'aber'.
suti = dem altnord. namen Söti.
ra ist = altnord. rejsf, prät. von rista.
[)asi, alter acc. pl. fem. zu sasi, wie wir hier {jcjnsi, f)ansi im
acc. Sgl. masc. und J)ausi im acc. pl. neutr. haben. Die fem. form
[)asi steht also für ursprüngliches |)aRsi d. i. pdRsi oder pænsi, wenn
der fi-umlaut gemeinnordisch gewesen ist, wofür das altschwedische
zu sprechen scheint; in |)asi ist r dem folgenden s assimiliert,
und die ausspräche ist ohne zweifei pässi oder pæssi (altnord. pessar)
gewesen.
tru tin = altnord. dröttin 'herr', und ebenso hier.
{)ur d. i. Pörr, der gott, der angerufen wird. (Mit unrecht
glaubt Thorsen, De danske Runemindesm. I, s. 68 anm., dafs u der
ursprüngliche vokal in dem worte ist, der auf den runensteinen be-
wahrt sei.)
uiki = altnord. vigi und ebenso hier, opt. präs. von wigja.
Die anrufung des heidnischen gottes auf dem Glavendruper
steine hat nun ein seitenstück in dem oben genannten Virringer
251. steine bekommen, dessen inschrift mit den worten J)ur uiki l)isi
kumi d. i. Pörr wigi pæsi kumbl, ,,Thor weihe dieses denkmal!"
schliefst.
Die beiden letzten Zeilen (die inschrift auf der kante des Steines)
sprechen eine strafe aus, die denjenigen treffen soll, der das denkmal
zerstört. Da alle worte hier leicht verständlich sind mit ausnähme
der beiden ersten, so versparen wir uns diese beiden bis zuletzt.
sa uarj)i d. i. sd werdi oder wcerdi (das altdänische hat noch
vereinzelt wærthæ zusammen mit dem jüngeren warthæ, worthæ).
ailti d. i. ælti = altnord. elti, opt. präs. von elta, 'fortjagen,
verfolgen; drücken, pressen, kneten' (in der letzten bedeutung noch
VI. DIE ÄLTESTEN DAN. RUNEN DENKMÄLER HIT D. KÜRZEREN RUNENREIHE. 367
im dänischen ælte bewahrt; aber im altdänischen auch 'treiben,
jagen', z. b. im schonischen gesetz 11, 7: æltCBr man ræf i graf mæp
hundum; Valdemars Seeland, geselz 2, 27: tha ma mannæn horkuncen
æJtæ burt fran sich und so noch bis in späte zeit). Hier ist die be-
deutung am ehesten ganz im allgemeinen 'gewalt übt gegen', 'gewalt
anthut', kaum 'wälzt'.
ij)a = altnord. eäa 'oder'.
qnc}n = annan (also bereits hier ohne r wie im altnord. ; forn-
nord. forml. § 24, C, a).
traki = dragi; '(ihn) nach einem andern verschleppt' wird durch
die Inschrift auf dem Tryggevælder steine aufgeklärt, der mit folgen-
den Worten schliefst: sa uar|)i at rita is ailti stain {)qnsi ij)a
hi|)an traki, wo hi|)an = Äe^fan 'von hier fort' ('ihn von hier, von
dem platze, auf dem er steht, fortschleppt'); ebenso auf dem Glaven-
druper steine: 'ihn (von seinem platze) fortschleppt, (um ihn) nach
einem andern (zu errichten)'. Es geht also hiöraus hervor, dafs
ältere runensteine zuweilen von ihrem ursprünglichen platze fort-
genommen und aufs neue benutzt wurden. Ein sicheres beispiel
hierfür bietet der Skaänger stein von Södermanland , wo sich in der
mitte eine Inschrift mit älteren runen aus dem 6. jhdt, aber um
diese herum eine Schlangenwindung mit neuerer inschrift aus dem
11. jhdt befindet. In der regel wurde jedoch wohl die ältere inschrift
weggehauen, wenn man den stein aufs neue in gebrauch nahm.
Es bleibt dann nur noch der ausdruck at rita übrig, der in
derselben Verbindung wie hier auf dem Tryggevælder steine vorkommt,
wo er ebenfalls rita geschrieben wird (eine kleine natürliche Ver-
tiefung auf dem Glavendruper steine hoch oben auf der linken seite
der l-rune ist von Stephens unrichtig als eingehauener nebenstrich
aufgefafst; er hest daher 1, das er für „eine alte form" der a-rune
ansieht; aber diese rune wird ja auf dem Glavendruper steine ohne
ausnähme + geschrieben). Dagegen hat das wort die form rata an s. 252.
der dritten stelle, wo es sich in den runeninschriften nachweisen
läfst, nämlich auf dem Gleraminger steine in Schonen, der mit den
Worten scWiefst: uirj)i at rata huas üb briuti^) d. i. tcerdi at
^) Dafs die inschrift huas ab briati und nicht, wie man früher gelesen,
huks nb briutR, hat, habe ich in meinen „Sproglige iagttagelser fra en
rnnologisk rejse i Skåne i sommeren 1S76" in „Kort udsigt over det filol.-hist.
samfunds virksomhed i årene 1876 — 7S" s. 14 £f. (separatabz. s. 3 GT.) nachgewiesen.
368 ANHANG.
? hiods uppbriüti (allisl. verdi at ? hverr er [es) uppbrjöti). Es
könnte dem sinne nacli ansprechend sein, wie man vorgeschlagen hat,
rita, rata als verbum = altnord. rata 'wandern' (got. wratön) aufzu-
fassen, also: 'er soll wandern, friedlos umherziehen' (ungefähr das-
selbe, was durch den ausdruck vargr, vargr i véum bezeichnet wird).
Andere (N. M.Petersen in „Danmarks Historie i Hedenold" HP, 366
= HP, 275, Jonsson und Vigfusson in ihren Wörterbüchern) haben-
rita, rata als ein von at regiertes subst. gefafst und es mit dem
im isländischen gebräuchlichen rati 'eine sinnlose person', eine 'person,
die umhergeht und sich töricht beträgt', in Verbindung gebracht, so dafs
der ausdruck hier bedeuten würde: 'er werde mit Wahnsinn geschlagen,
streife wahnsinnig umher'. Gegen diese beiden erklärungen spricht in-
dessen die Schreibung rita neben rata, die zusammen auf eine form mit
e- oder æ-laut zurückweisen. Das einzige bekannte wort, an das man
auch gedacht hat und das hier passen kann, ist altnord. rétta 'wieder
in Ordnung bringen', so dafs loeräi at rétta bedeuten müfste: 'er
bringe ihn wieder an seine stelle', 'mache den schaden wieder gut'
(vgl. altnord. rétta rön 'das geraubte zurück erstatten' und ähnliche
ausdrücke.) Obgleich ich allerdings in diesen formein einen stär-
keren ausdruck erwartete, so glaube ich doch aus sprachlichen
gründen, dafs rita (rata) nur in der letztgenannten bedeutung ge-
nommen werden kann, was auch durch den vierten runenstein be-
s. 253. stätigt wird, auf welchem wir eine andere formel finden, welche die-
selbe bedeutung wie das in rede stehende uar{)i (uir{)i) at rita
(rata) hat, nämlich den Skærner stein von Jütland. Hier schliefst
die inschrift nämlich mit den worten si|)i sa mjjnr is {)usi kubl
üb biruti d. i. ? sd niannr es pesi kumbl uppbriüti, wo ebenfalls alles
klar ist, mit ausnähme eben des Wortes sij)i, auf das es hier an-
kommt. Es kann natürlich nicht, wie Stephens meint, = altnord.
sinnt (von sinna 'wandern') sein, so dafs sijii als sinj)i gelesen
werden müfste; denn der Übergang von np zu nn im nordischen
(fornnord. forml. § 22, B, b) ist weit älter als die zeit des Skærner
Steines (vgl. tjntjn = annan auf dem Glavendruper steine und die
mit kun- d. i. Gunn- zusammengesetzten namen auf den runen-
steinen). Auch läfst die bedeutung nicht ohne die gröfste willkür
zu, es (wie Rafn und Thorsen) mit altnord. sida [seida] 'zauberei,
hexerei treiben' in Verbindung zu setzen. Dagegen gestattet sowohl
die Schreibweise wie die bedeutung, si{)a = altnord. sida 'schick
auf etwas setzen' (von sidr) zu fassen; mit der bedeutung 'wieder in
VI. DIE ÄLTESTEN DAN. RUNENDENKMALER MIT D. KÜRZEREN RÜNENREFBE. 369
Ordnung bringen' würde dieses worl also ganz dem rétta (rætta) der
andern inschriften entsprechen.
In ihrer altdänischen sprachform mufs die ganze Inschrift
also wiedergegeben werden*):
Ragnkildr satti stæin pannsi eft 'Ala Salwa-
goda, icéa hæidwerdan pegn.
'Ala syniR gærdu kumbl päusi ceft fådur sinn
åuk hans lco7ia eft wer sinn; en Söti reeist rünoR pdssi
(péssi?) ceft dröttin sinn.
I*örr toigi pdssi (pæssi?) rünaRl
At rétta sd werdi, es stæin pannsi ælti eda æft
annan dragil
Das gewöhnliche altnordische würde haben:
Ragnhildr setti stein penna ept(ir) 'Ala Sgha-goda, véa
heidvirdan pegn.
Ala synir gerdu kum(h}l pessi ept(ir) fgdur sinn ok hans
koua ept(ir) ver sinn; en Söti reist riinar pessar ept(ir) dröttin
sinn.
Pörr vigi pessar rünar!
At rétta sd verdi, er (es) stein penna elti eda ept(ir)
annan dragil
d.h. „Ragnhild setzte diesen stein nach Ale Sålvegode, der tempel g, 254.
ehrwürdigem Wächter (dem hochehrwürdigen tempelpriester).
Ales söhne machten diesen hügel (dieses grabdenkmal) nach
ihrem vater und sein weih nach ihrem gatten; aber Sote ritzte diese
runen nach seinem herrn.
Thor weihe diese runen!
Der soll es wieder in Ordnung bringen (den schaden ersetzen),
wer gegen diesen stein gewalt verübt (ihn beschädigt) oder (um ihn)
nach einem andern (zu errichten) fortschleppt!"
8. Der stein von Tryggevælde.
Soll ursprünglich auf oder bei einem hügel in Lille Tårnby im
kirchspiel Hårlev (harde Bjæverskov, amt Præstø) gestanden haben,
von wo er 1566 nach dem burghof von Tryggevælde versetzt wurde;
*) Da die nasalieraog vor dem nasal ja zweifelhaft ist (vgl. {)^nsi und {jaosi
u. s. w.), so deute ich sie nicht an; die nasalierte und die nnnasalierte form
haben wohl zu jener zeit neben einander gestanden (wie z. b. eß neben cefi).
WIMMER, Die rnnenschrift. 24
370
ANHANG.
256.
Der steiu vou Tryggevælde. I,
VL DIE ÄLTESTEN DAN. RUNENDENKMÄLER MIT D. KÜRZEREN RUIrøNREIHE. 371
8. 257.
Der stein von Tryggevælde, ü.
24*
372 ANHANG.
später wurde er wieder von hier nach Vallø und endlich 1810 nach
Kopenhagen ühergeführt, wo er bis 1867 auf dem Trinitatis-kirchhofe
stand, in welchem jähre er dann in der runenhalle des altnor-
dischen museums aufgestellt wurde, wo das imponierende denkmal
hoch über alle andern runensteine hervorragt. Der stein ist nämlich
304 cent. hoch und bis 127 cent. breit. Die dicke beträgt am fufse
55 cent., nimmt aber gegen die spitze hin bedeutend ab; die gröfsten
runen sind 25 cent. hoch. Von dem untersten teile des Steines, der
ursprünglich in der erde gestanden hat, ist ein stück auf der um-
stehenden abbildung weggelassen.
Die lange Inschrift füllt in 5 zeilen die ganze Vorderseite des
Steines, und aufserdem befindet sich eine einzelne zeile auf jeder der
beiden Seitenflächen zwischen der vorder- und rückseite. Alle in-
schriftzeilen laufen von links nach rechts (nicht wie auf dem Glaven-
druper steine bustrophedon). Seitdem ich in „Runeskr. opr." 1874
eine deutung der Inschrift mitteilte, habe ich sie oft aufs neue unter-
sucht und vollständige abdrücke derselben genommen, wodurch ich
auch bezüglich einiger stellen, die mir früher zweifelhaft waren, zur
Sicherheit gelangt bin. Die Inschrift steht im ganzen genommen
klar und bestimmt da, obgleich die runen mit den feinen, nicht
tiefgehauenen hnien, die übrigens in ihrem ganzen Charakter in hohem
grade an die des Glavendruper Steines erinnern, nicht stark auf dem
ziemlich unebenen steine hervortreten. Fünf gröfsere löcher, die in
späterer zeit (ungewifs wann) durch den stein gebohrt sind, haben
einzelne von den runen beschädigt, ohne jedoch auch nur eine ein-
zige vollständig unkenntlich zu machen. Wie auf dem Glavendruper
steine werden die meisten worte durch ein kleines feines, längliches
trennungszeichen geschieden, das freilich an mehreren stellen ziem-
lich undeutlich ist; ausnahmsweise wird es auch am seh luf s der 3.
(1.) zeile gebraucht. Das zeichen für die m-rune, die auf dem Glaven-
druper steine nicht vorkommt, findet sich zweimal in wenig von ein-
ander abweichenden formen.
Die ältere künstlerisch ausgeführte Zeichnung der Inschrift (bei
Stephens II, s. 807) leidet an verschiedenen mangeln in der wiedergäbe
einzelner runenformen und besonders der einfassungslinien. Aufser-
dem hat Stephens das letzte wort in der am weitesten nach links
stehenden zeile auf der Vorderseite unrichtig t'^'+Hl gelesen (so auch
Thorsen, De danske Runemindesm. I, s. 151); Nyerup hatte früher
l>+)|<hl (beide nebenstriche des >|< als sehr undeuthch punktiert)
VI. DIE ÄLTESTEN DAN. RDNENDENKMÄLER HIT D. KÜRZEREN RUNENREIHE. 373
gelesen, und Rafn t>'HHI. Der stein hat indessen f>++HI, was auch
Bugge (filol. tidskr. IX, 114 anm.) vermutet; auf dem steine selbst
tritt das zweifelhafte + in glücklicher beleuchtnng deutlich hervor,
und auf meinen letzten abdrücken steht es auch ganz klar. Das grofse s. 255.
loch, das am anfang der beiden ersten Zeilen rechts in den stein ge-
bohrt ist, hat den obersten teil der beiden ersten runen in der am .
weitesten rechts stehenden zeile fortgenommen; aber nach der dritten
steht ganz deutlich ein trennungszeichen und darauf ++11^^111; das vor-
hergehende wort kann nur Hn+ gelesen werden, was auch Stephens
gesehen hat; von H ist nur der gröfste teil des untersten stabes übrig
geblieben, H ist deutlich, obgleich die spitze fort ist, und die letzte
rune ist + mit einem ziemlich schwachen querstriche. In der dritten
und vierten zeile hat Rafn Y statt Y in den werten raknhiltr,
kunulf, kl^mulan gelesen; aber es sind nur einige von den un-
zähhgen kleinen Unebenheiten im steine, die in diesen worten sowohl
wie in kar[)i in der zweiten zeile von links eine gewisse ähnlichkeit
mit gehauenen punkten haben mögen; dafs die iuschrift überall K,
niemals Y hat, ist über jeden zweifei erhaben.
Wenn wir die inschriftzeilen von links nach rechts in derselben
anordnung wie auf dem steine wiedergeben, so bekommen wir:
I. auk I skai]) i |)aasi
{)()nsi I auk i karf)! i hauk i f)()nsi auft
raknhiltr i sustiR i ulfs ■ sali i stain ■
kunulf I uar sin i klc^mulan i man
sun I nairbis ■ fain i uar{ia i nu futiR i ^<|i i batri
II. sa I uar|)i i at i rita i is i ailti stain |)c)nsi
if)a I hi{)an traki
Wir können nicht über das wort im zweifei sein, womit die in-
schrift anfängt. Es ist dasselbe wie auf dem Glavendruper steine,
und es ist hier wie auf jenem dadurch hervorgehoben, dafs die
runen ansehnlicher sind und in weiterem abstand von einander
stehen, als in der übrigen inschrift, nämlich raknhiltr im anfang
der dritten zeile = Ragnhildr. Sie wird hier sustiR ulfs d. i. systtR
Ulfs genannt, wogegen keine derartige nähere bezeichnung auf dem
Glavendruper steine hinzugefügt ist.
Die folgenden worte kennen wir von den früher behandelten in- s. 258.
Schriften her. Nach sali stain kann nur die zeile oben folgen:
„setzte diesen stein und machte diesen hügel nach". Hierauf mufs
also ein name im acc. folgen, regiert von auft d. i. eft wie auf dem
374 ANHANG.
Glavendruper steine, und dieser findet sich in der vierten zeile, näm-
lich kunulf uar sin d. i. Gtinmilf wer sinn, die beiden letzten worle
wie auf dem Glavendruper steine. Gunnulf ist hier gewifs die aus-
spräche gewesen = isl. Gunnölf (vgl. Pörölfr u. s. w.).
kl^mulan ist adj. im acc. Sgl. masc, und dieses in Verbindung
mit dem folgenden man = mann steht also in apposition zu kunulf.
Die bedeutung von kltjmulan ist nicht ganz sicher, da ein völlig ent-
sprechendes wort anderswoher nicht nachgewiesen werden kann ; aber
ableitungen von derselben wurzel sind in den nordischen sprachen kei-
neswegs selten: das isl. hat glam neutr. 'geräusch, lärm' (besonders von
einem klirrenden geräusch), und das verbum glama 'schwätzen' findet
sich Hävam. v. 31; gleichfalls wird glammadr oåer glgm mudr als bei-
name in der Landnämabök gebraucht {Grimr g. = 'der redende', 'laut-
sprechende'?), und wir haben ja auch im dänischen das subst. ^-^am (be-
sonders hundeglam 'hundegebell', glamhul 'schalloch im glockenturm')
und das verbum glamme 'bellen'. In schwedischen mundarten ist
glama gewöhnlich, und im dalischen kommt gleichfalls ein adj. gla-
mun 'redend' vor (siehe Rietz; Rydqvist IV, 183; vgl. sumäglam 'ge-
spräch, Unterredung' bei Näsman, Historiola linguæ Dalekarlicæ,
Upsaliæ 1733, s. 68). Da das wort hier natürlich als eine ehrende
bezeichnung aufzufassen ist, so mufs die bedeutung wohl am ehesten,
wie man auch früher angenommen hat, ' wohlredend ', 'beredt' sein.
Es ist wahrscheinlich, dafs u das vorhergehende a (geschrieben t^ vor
dem nasal, wie dreimal in |)cinsi) umgelautet hat, so dafs das wort
glqmulan, glåmulan lautete.
Hiernach müssen dann als eine neue apposition die worte sun
nairbis in der 5. zeile folgen; sun ist die jüngere form des acc. Sgl.,
s. 259. wofür der Helnæser stein noch das alte sunu hat. nairbis ist
gen. von nairbiR, d. i. NærtiR mit ai = ce (§ 6, a, 2). Das wort, das
gewifs mit ahd. Nerbo (Förstemann, Personennamen sp. 955) ver-
wandt ist, hat also das ursprüngUche t bewahrt, das noch von altem
f unterschieden wird (kunulf), während diese beiden laute später
im altnord. in f (d. i. v) zusammenfielen; vgl. § 12, c, 3.
fain d. \. fdiR = altnord. fdir, nom. pl. masc. 'wenige'.
uar{)a nu^ werda {wærda) nü .
fuÜR d. i. féddiR.
l)qi (so deutlich auf dem steine); darnach batri d. i. hætri (mit
R statt k wegen des vorhergehenden t). Vor 6æfn erwarten wir
einen dativ als zweites vergleichungsglied, und jifji mufs auch pæim
VI. DIE ÄLTESTEN DAN. RUNE.NDENKMÄLER MIT D. KÜRZEREN RÜNE>REIHE. 375
gelesen werden ; in der regel wird nämlich m vor 6 weggelassen (vgl.
kubi für kumbl), und dieselbe Schreibung ist hier angewandt, ob-
gleich^ ein neues wort beginnt. Es ist also ein ähnliches Verhältnis,
wie wenn der Snoldelever stein kunualtstain für kunualts stain
hat, indem die regel für die konsonantenverdopplung in der runen-
schrift hier auf den fall ausgedehnt ist, wo das eine wort mit dem-
selben konsonanten schliefst, mit welchem das folgende anfängt. In
dem j)c}i für pæim des Tryggevælder Steines ist die auslassung des
nasals vor b gerade durch die Schreibung f= für + bezeichnet (§3,' 2).
Der ganze Zusammenhang zeigt, dafs an dieser lesung kein zweifei
sein kann, und Stephens' deutung von {)cji (bei ihm |)æi!) als nom.
pl. masc. = altnord. peir („that {)æi is here nom. pl. masc, =
exactly as the English they, the, no one will deny"!! s. 810), gibt
nur einen beweis unter unzähligen andern dafür, wie es mit seiner
kennlnis der spräche dieser Inschriften bestellt ist.
Wir haben indessen für die drei worte in der obersten zeile
auf der Vorderseite noch keine Verwendung gefunden. Dafs sie eine
weitere bezeichnung für einen teil des errichteten denkmals enthalten,
darüber kann kein zweifei bestehen. Früher setzte man daher diese
zeile hinter klqmulan man ein und verband sie unmittelbar mit
der fünften zeile, wo man umhuirbis (-huairbis) oder uthuirbis s. 260.
(-huairbis) mit, der bedeutung umhverfis 'ringsum' oder üthverfis
'aufsen herum' vermutete; aber Rask sagt ausdrücklich, dafs die
buchstaben auf dem steine diese vermutung nicht zu bestärken
scheinen, und dies ist richtig, da dort, wie oben erwähnt, nur sun
n air bis gelesen werden kann. Die frage bleibt also, wohin die
Worte auk skaij) {)aasi gehören; dafs sie, wie auch Rask gesehen
hat, ein neues object zu sati und kar|) i enthalten müssen, ist klar,
obgleich die bedeutung von skai[> nur annähernd ermittelt werden
kann : aber auch hier hat Rasks Scharfsinn ohne zweifei auf die
richtige spur geleitet, wenn er vermutet, dafs es 'Steinsetzung' be-
deuten kann, und es mit altnord. skidgardr vergleicht. Die wurzel in
skid und skcBid ist nämlich dieselbe, und dasselbe wort skæid finden wir
in altnord. skeid fem, 'schiff wieder (auch in dän. ske 'löffel', das ety-
mologisch dasselbe wort ist) ^). Bei skceid müssen wir dann mit Rask
^) Maach, der dorcti eine konjektur, die der ttiatbestand nicht erlaubt,
skaip J)atsi mit folgender erklärung: „skeid, hier steinsetzung (eig. sta-
dium, circusy gelesen hat, und Rafn, der skail)1)aisi liest, das er „diese
bahnen" („les chemins battos") übersetzt, müssen dagegen beide skaij) als
376
ANHANG.
zunächst an eine 'steinset^ung die den hügel umgab' denken, die
auch ohne zweifei gerade wegen ihrer ähnlichkeit mit einem schiffe
so genannt wurde ('schiffssetzung', 'Umsetzung von steinen in form
eines schiffes', wie N M. Petersen richtig gesehen hat, „Danmarks
Historie i Hedenold" HI \ 366 = HI \ 275). Ich bin geneigt zu
glauben, dafs eine reihe granitblöcke, die jetzt umgeworfen dicht bei
der stelle liegen, wo der Glavendruper stein errichtet ist, Überreste
von einer solchen skæid sind, die in Verbindung mit dem hügel und
dem runenstein das denkmal für Ale Sålvegode gebildet hat. Wohl
wird das wort skaiji nicht auf dem Glavendruper steine genannt,
aber dessen kubl kann sowohl den hauk wie die skaij) des Trygge-
vælder Steines umfassen,
s. 261. Dem skaij) entspricht J)aasi, acc. Sgl. fem. zu sasi, ausge-
sprochen pdsi (das lange a ist also ausnahmsweise durch doppeltes a
bezeichnet, womit die Schreibung faaj)i oder faal)a auf dem stein
von Flemlese verglichen werden kann). Ob die worte auk skai})
{)aasi ihre stelle unmittelbar hinter stain Jtijnsi oder hinter hauk
J)qnsi haben sollen, ist natürlich zweifelhaft und läfst sich nicht
mit Sicherheit entscheiden; dafs sie aber an einer dieser stellen ein-
gesetzt werden müssen, steht aufser allem zweifei. Wenn ich sie
an der letzteren stelle einsetze, so geschieht dies, um zu erkennen zu
geben, dafs diese worte den teil des denkmals nennen, der zuletzt
ausgeführt wurde ^). Denn dafs diese worte in eine zeile für sich
und aufserhalb der übrigen inschrift gestellt sind, könnte freilich
daraus erklärt werden, dafs der runenritzer durch ein vergessen die-
selben an ihrer richtigen stelle übersprungen und sie deshalb später
in einer zeile darüber hinzugefügt hätte. Weit vk^ahrscheinlicher kommt
mir jedoch eine andere möglichkeit vor, nämlich die, dafs die auslassung
von anfang an absichtlich gewesen, indem die besprochene skaij)
erst nach dem hügel und dem runensteine errichtet worden ist, und
identisch mit altnord. skeid neutr. 'lauf, laufbaha' aufgefafst habeo (siehe P. A.
Munch, Kortfattet Fremstilling af den ældste Nordiske Runeskrift, s. 37; Forn-
Svenskans och Forn-lNorskans Språkbyggnad, s. 138; C. C. Rafn, Antiquités de
l'Orient, s. 188 f.).
^) Die worte sati und kar[)i helfen uns nicht zu entscheiden, wo skail)
am ehesten eingesetzt werden mufs, da es ungewifs ist, ob man sætja skæid
(ähnlich wie sætJa stæin) oder gønva skæid (gleich wie gørwa håug, kumbl)
gesagt hat; aber diese Verbindungen waten keineswegs feste, da man nicht blofs
andere ausdrücke daneben (ræisa stæin, werpa håug), sondern sogar sætJa und
gønva durcheioander gebrauchen konnte (siehe z. b. den stein von Sæddiiige
oben s. 326 aom. 3).
VI. DIE ÄLTESTEN DAN. RUNENDENKMÄLER MIT D. KÜRZEREN RUNENREIHE. 377
dafs in folge dessen die darauf bezüglichen worte in der inschrift erst
später hinzugefügt sind. Die zeile mit den werten auk skaij) |)aasi
hat ganz denselben Charakter wie die übrige inschrift, und es ist kein
grund vorhanden, daran zu zweifeln, dafs sie sich von demselben
runenritzer herschreibt wie diese; aber dafs sie später von dem
runenritzer hinzugefügt ist, nachdem die 4 übrigen zeilen eingehauen
waren, geht mit ebenso grofser Sicherheit aus dem früher nicht be-
achteten umstände hervor, dafs die runen in der zweiten zeile von
links keinen einfassungsstrich an der spitze haben, weil sie ursprüng-
lich die erste zeile zu bilden bestimmt waren; die später hinzuge-
fügte zeile erhielt dagegen einen einfassungsstrich am fufse der runen,
der indessen die spitzen der runen in der zeile darunter nicht be-
rührt und sich nicht weiter als bis zum ende der später hinzuge-
fügten zeile erstreckt (dies ist auf der Zeichnung bei Stephens gar
nicht beachtet, wo der strich unter der ersten zeile links dieser und
der zweiten zeile gemeinsam und aufserdem unrichtig ganz über die
zweite zeile hinaus verlängert ist).
Die beiden zeilen auf den Seitenflächen haben wir bereits unter
dem Glavendruper steine zu behandeln gelegenheit gehabt.
Die ganze inschrift gebe ich also folgendermafsen auf altdänisch
wieder :
Ragnhildr, systiR Ulfs, satti stætn pannst auk
gærdi hang pannst auk skceid pdst oft Gunnulf, wer
sinn, glåmulan mann, siin Nærbis.
FäiR werda nü foddia pæim bætri.
Sd werdi at rétta, es celti stæin pannst eda hedan
dragi!
In gewöhnlicher allnordischer sprachform würde dies lauten:
Ragnhildr, systir Ulfs, setti stein penna ok gerdi haug
pemia ok * skeid pessa ept(ir) Gunnölf, ver sinn, *glpmulan
mann, son * Nerfis.
Fair verda nü féddir peim betri.
Sd verdi at rétta, er (es) elti stein penna eda hédan dragi!
d. h. „Ragnhild, die Schwester Ulfs, setzte diesen stein und machte
diesen hügel und diese Steinsetzung nach Gunnolf, ihrem gatten, dem
wohlredenden manne, dem söhne Nærfes.
Wenige werden jetzt geboren (die) besser als er.
378 ANHANG.
Der soll es wieder in Ordnung bringen (den schaden ersetzen),
wer gegen diesen stein gewalt verübt (ihn beschädigt) oder ihn von
hinnen fortschleppt!"
Durch den ganzen Charakter der inschrift (die feinen schlanken
runenformen u. s. w.) erinnert der stein von Tryggevælde in so hohem
grade an die inschrift auf dem ungefähr gleichzeitigen Glavendruper
steine, dafs man versucht sein könnte, beide auf denselben runen-
ritzer zurückzuführen, was auch andere gründe wahrscheinlich machen.
262. Der inhalt beider inscbriften scheint nämlich, was bereits Rask her-
vorgehoben hat, dafür zu sprechen, dafs es dieselbe Ragnhild ist, die
sowohl den Glavendruper als auch den Tryggevælder stein errichtet
hat. Sie ist in diesem falle zweimal verheiratet gewesen und hat
jedem ihrer vornehmeii, hochangesehenen männer ein prachtvolles
denkmal gesetzt. Ich finde nicht, dafs eine stichhaltige einwendung
gegen diese vermutung erhoben werden kann. Der Zeitunterschied
zwischen beiden Inschriften kann auf keinen fall bedeutend sein; aber
ich würde ohne bedenken den Tryggevælder stein für den jüngeren
erklären.
Auf dem Glavendruper sowohl wie auf dem Tryggevælder steine
hat man in den schlufsvvorten der inscbriften verse finden wollen:
Glavendrup: Tryggevælde:
Pörr wigi pdssi rmuR! Fdin werda nü
At rétta sd werdi, féddiR pæim bætri.
es stæin parmsi ælti Sd werdi at réfta,
eda æft annan dragil es ælti stæin pannsi.
Dafs wir hier wirklich eine mit bevvufstsein beabsichtigte vers-
form haben sollten, halte ich jedenfalls bezüglich des Tryggevælder
Steines für ganz unwahrscheinlich. Die vollständig prosaische Wort-
stellung und besonders das unmittelbar auf pannsi folgende eda
hedan dragi, das aufserhalb des verses stehen würde, scheinen mir
entschieden gegen diese annähme zu sprechen. Aber auch in der
rhythmischen form auf dem Glavendruper steine bin ich am meisten
geneigt einen reinen zufall zu finden.
0. Der stein von Rönninge.
o
Refand sich zu Worms zeit in Rönninge (harde Asum, amt
Odense) zwischen Nyborg und Kærteminde; war später lange ver-
schwunden, bis er 1853 im fundament eines hauses in Kærteminde
VI. DIE ÄLTESTEN DAN. RÜNENDENKMÄLF.R MIT D. Kl RZEREN RÜNENREIBE. 379
DMcUr
AIP f-c
^od.
Der stein voo Rönoinse.
380 ANHANG.
wiedergefunden wurde, wo er jelzl aufserhalb der kirche aufgestellt
ist. Der ziemlich unansehnliche stein') ist 115 cent. hoch und hat
• 55 cent. in seiner gröfsten breite. Von den runen haben die höchsten
13 cent., die kleinste (zuletzt in der dritten zeile, wo die runen im
ganzen in rücksicht auf den platz sehr klein sind) nur 4 cent.
Obwohl eine menge natürlicher ritzen im steine sind, die über
die inschrift laufen, ist diese doch im ganzen genommen sehr deut-
lich und gibt nirgends veranlassung zum zweifei; die worte werden
durch den von den oben besprochenen steinen her bekannten kleinen
strich geschieden. Die inschrift, die in der zeile links beginnt und
bustrophedon läuft, lautet:
suti 1 sati I stain i {)ansi • aft
ailaifibruj)ur > sin i sun i {jskaus
rauf) um i skialta
Alle Worte in der ersten zeile (auch den namen suti) kennen
wir vom Glavendruper und Tryggevælder steine her.
ailaif mufs eine ausspräche æilæif bezeichnen, das also im
letzten gliede von dem wohlbekannten altisl. Eilifr abweicht.
sun kann grammatisch sowohl nom., apposition zu suti, als
auch acc, appos. zu ailaif, sein. Das alter des Steines spricht jedoch
eher für das letztere, da der nom. gewifs damals die form sunR
hatte (vgl. oben s. 298). Dafs man auch von selten des inhalts eher
eine weitere nachricht über æilæifR als über Söti erwarten würde, ist
dagegen bezüglich dieser frage nicht entscheidend (vgl. z. b. die in-
schrift auf dem jütischen steine von Kolind: tusti ris{)i stin j)cjnsi
ift tufa is uar{) tu|)r ustr bur|)ur (für bruj)ur) sin smij)r
<isui{)aR = Tosti ræispi (réspi) stæin (sten) pannsi æft To fa, es ward
dåudr (dødr) cmstr (éstr), brodur sinn, smidr \swidaR, wo smidr ja
apposition zu Tosti ist, „Toste, Asveds schmied, errichtete diesen
stein nach seinem bruder Tofe, der ostwärts starb").
d^&kdiMS, = ^sgåuts (§18, b).
raul)um skialta gen. von rauj) umskialti d. i. råudumskialdi
'rotschild', 'mit dem roten Schilde'. Das wort ist ganz auf dieselbe
weise gebildet wie das altnord. fggrumskitmi, 'schönhaut', 'der mit der
schönen haut', ein beiname des Porgautr (siehe Formanna sögur XI,
1) Wenn Thorsen (De danske Ruueinindesm. II, 2, s. 250) ihn „einen ansehn-
lichen stein von 3 eilen höhe" nennt, mufs er hier wie öfters fufs und eile ver-
wechselt haben.
VI. DIE ÄLTESTEN DAN. RUNENDENKHÄLER MIT D. KÜRZEREN RUNENREIHE. 381
302: hann var manna fridastr, kann kalhdi Haraldr konungr Sigurd-
arson fggrumskinna), tvenmimhrüni 'doppelbraue', 'mit den doppelten
augenbrauen' (?), beiname des landnämsmannes Oldfr (Landnåma
in den tsl. sögur I, 306; Flöamanna saga c. 18 in den Fornsögur
von G. Vigfüsson und Th. Möbius s. 137). Diese beinamen gehen
natürlich von den Verbindungen med raudum skildi, med fggrum
skinni, med tvennum brmum aus, und haben hiervon die dativform be-
wahrt. Auf ähnliche weise ist der dativ mit weglassung der präposition
in dem beinamen Fitjumskeggi 'von Fitjar' eingetreten (Landnåma in
den Isl. sog. I, 60), ausgehend von der gewöhnlichen Verbindung d
Filjum. Wenn ich oben s. 105 über die inschrifl auf der Thors-
bjærger zwinge ausgesprochen habe, dafs niwaDe-mariß mögUcher-
weise zu einem begriff zusammengeschmolzen sei, so habe ich gerade
formen wie das spätere Fitjumskeggi u. ähnl. vor äugen gehabt. —
Hat der beiname räudumskialdi bezug auf seinen kriegerischen sinn?
„der rote schild" war ja gerade kriegszeichen (vgl. Helgakvida Hund-
ingsbana I, v. 33:
slgng tipp vid rd
raudum skildi).
In alt dänisch er sprachform hat die Inschrift also gelautet;
Söti satti stæin pannsi æft Æilæif
' brödur sinn, sun \sgauts räudumskialda.
Das gewöhnhche altnordische würde haben:
Söti setti stein penna ept(ir) * Eileif
brödur sinn, son Äsgauts * raudumskjalda.
d. h. „Sote setzte diesen stein nach seinem bruder
Eileif, einem söhne von Asgaut rotschild".
Dafs der stein von Rönninge nach den runen- und sprachformen
derselben zeit angehört wie der Glavendruper und Tryggevælder stein,
steht aufser allem zweifei. Aber der Charakter in allen drei In-
schriften zeigt aufserdem eine so auffallende Übereinstimmung, dafs
man allein aus diesem grunde versucht sein könnte, sie auf den-
selben runenritzer zurückzuführen. Ob der Sote des Glavendruper
und Rönninger Steines dieselbe person ist , wird natürUch niemals
mit Sicherheit entschieden werden können, ebensowenig wie die
gleiche frage betreffs der Ragnhild des Glavendruper und Tryggevælder
Steines oder des Rolf des Helnæser, Flemløser und Voldtofter Steines;
aber ein hoher grad von wahrscheinhchkeit spricht doch dafür,
in allen diesen fällen dieselben personen zu sehen. Was speciell
382
ANHANG.
das Verhältnis zwischen dem stein von Rönninge und dem Glavenr
druper betrifft, so mufs hervorgehoben werden, dafs der name Sote
verhältnismäfsig selten vorkommt; da beide denkmäler nun, wie ge-
sagt, gleichzeitig und aus derselben gegend sind und aufserdem in
dem ganzen Charakter der inschriften so genau übereinstimmen, so
scheint es mir berechtigt zu schliefsen, dafs Sote, der die runen auf
dem Glavendruper steine zum andenken an seinen herrn ritzte, der-
selbe ist, der die Inschrift von Rönninge zum andenken seines bruders
errichtet (und zugleich geritzt) hat. Aber ich bin, wie oben hervor-
gehoben, geneigt zu glauben, dafs auch die inschrift des Steines von
Tryggevælde sich von ihm herschreibt; es ist dann wahrscheinlich,
dafs er nach dem tode von Ale Sålvegode bei Ragnhilds zweitem
manne Gunnulf in dienste getreten ist und bei dessen tode die runen
auf dessen denkstein wie auf dem seines früheren herrn geritzt hat.
Wie es sich nun hiermit auch verhalten mag, so sind es mächtige
geschlechter, von deren dasein auf den dänischen inseln vor beinahe
1000 Jahren die stolzen grabdenkmäler zeugen , welche die gattin
errichtete und der treue diener ritzte, von deren leben und wirk^
samkeit aber die runen uns leider allzu wenig erzählen.
Sohlufsbemerkungen.
Der schwierige druck, die vielen typen, die geschnitten und ge-
gossen werden mufsten, haben im verein mit andern umständen das
erscheinen verzögert, so dafs mehr als ein jähr zwischen dem tage,
wo ich die widmung des buches schrieb, und jetzt verflossen ist,
da die korrektur des letzten bogens vor mir liegt. Was in dieser
zeit über die eine oder andere von den fragen erschienen ist, die
hier behandelt werden, habe ich nur ganz ausnahmsweise berück-
sichtigen können. Die runenschrift selbst anbelangend sind jedoch,
so viel ich weifs, nur ein paar kleine aufsätze von E. Brate in
„Vitterhets Historie och Antiqvitets Akademiens Månadsblad" 1886,
s. 1 ff. und s. 49 ff. veröffentlicht, worin er unter anderm die schwie-
rigen fragen wegen der runen "t eoh und Y eolhx behandelt. Ich
sehe mich jedoch nicht durch herrn Brätes bemerkungen, worin er
natürlich von den ansichten ausgeht, die ich in Runeskr. opr. 1874
vorgebracht, aber längst und also auch in der vorliegenden abband-
SCBLCSSBEMERKCNGEN. 383
hing bezüglich des X vollständig aufgegeben habe, veranlasst irgend
welche änderung in dem oben gesagten vorzunehmen, und ich halte
seine neuen erklärungen der genannten runen für sehr verunglückt
und wenig methodisch (wenn er z. b. als stütze für eine unhalt-
bare theorie über die rune \ auf den ausweg verfällt zu erklären,
der brakteat von Vadstena sei nicht nordisch, weil sich die genannte
rune in dessen fulhark findet! Dasselbe mufs dann wohl von den
andern brakteaten und dem kleinen amulet(?) von Valby gelten,
die gleichfalls dieses zeichen haben). Mehrere nach meiner ansieht
übereilte schlufsfolgerungen sind dadurch zustande gekommen, dafs
der Verfasser sein material nicht mit gehöriger kritik benutzt, oder
sogar auf ganz unrichtige wiedergaben der Inschriften gebaut hat
(dafs die «-rune H in der bedeutung der t-rune I auf einem so
alten denkmal wie dem stein von Vedelspang stehen könne, wird
s. 64 durch dessen sutriku bewiesen, das jedoch, wie ich oben
s. 293 anm. 1 nachgewiesen habe, unrichtige lesung für siktriku ist).
Eine gewisse Verwunderung hat es bei mir hervorgerufen, s. 56 f.
folgende äufserung zu finden: „Wimmer scheint überhaupt nicht die
mögUchkeit zu erkennen, dafs sieb zwei- namen für dieselbe rune
nebeneinander haben finden können" (es ist die rede von den beiden
namen, welche die rune Å nach meiner ansieht gehabt hat, elgR und
yr) und die daran geknüpfte belehrung zu lesen, dafs dies keineswegs
unmöglich sei, da die namen äss und 6ss, purs und ßorn doch neben-
einander gestanden hätten. Dafs der Verfasser hier indessen keine
beobachtung vorgebracht hat, die mir ganz neu ist, davon wird er
sich beim nachlesen von Runeskr. opr. s. 207 anm. (= hier oben
s. 250 anm. und vgl. s. 197 anm.) überzeugen können.
Was ich im übrigen nachträglich zu bemerken veranlassung finde
ist folgendes:
S. 75 und s. 82 f. Da die benennung Themsemesse r durch den
usus gewissermafsen sanctioniert ist, so habe ich dieselbe überall ge-
braucht, obgleich, wie bereits Gösch hervorgehoben hat (s. 82), der aus-
druck Themseschwert richtiger sein würde. Es ist nämlieh, was mir
auch dr. Holthausen mitteilt, nicht ein messer, sondern „ein kurzes, so-
genanntes 'fränkisches' schwert, einschneidig und mit langer spitze".
Was das aiphabet auf diesem denkmal anbelangt, so hatte schon
bibliothekar dr. Kr. Kål und, den ich ersucht hatte, während eines
aufenthaltes in London im sommer 1884 dasselbe zu untersuchen,
besonders bezügUch des kleinen von herrn Gösch (s. 82) erwähnten
384 SCHLUSSBEMERKÜNGEN.
„fleckes" zwischen I und T mir mitgeteilt, dafs dieser kaum zu-
fällig sein könne, dafs derselbe aber nicht mit dem vorhergehenden I
verbunden sei, und dafs herrn Gosch's mitteilung über diese rune
also in soweit richtig war. Dr. F. Holthausen, der später im
sommer 1886 gelegenheit hatte, die inschrift zu untersuchen, be-
stätigte ausdrücklich dr. Kalunds auffassung und sandte mir eine
sorgfältige wiedergäbe dieses teiles der inschrift. Als antwort hierauf
äufserte ich, dafs der strich nach meiner ansieht ein trennungs-
zeichen wie auf dem brakteaten von Vadstena sein müsse, und bat
daher zugleich dr. H., zu untersuchen, ob sich nicht spuren eines
ähnhchen trennungszeichens auch vor N (und vielleicht vor F^, womit
die neuen, ausschliefsHch altenglischen runen beginnen) fänden. Das
ergebnis einer neuen Untersuchung der inschrift, die dr. H. mit dem
vergröfserungsglase vornahm, und von der er mir sofort mitteilung
machte, war, dafs dort deutlich TN und l^ stand, eine lesung, die
auch durch einen der beamten des museums bestätigt wurde. Später
nahm der direktor der altertümersammlung, Mr. Franks, selbst an der
Untersuchung teil und bestätigte gleichfalls die richtigkeit von dr. H.s
lesung, was die kleinen striche zwischen P und N und zwischen I
und T anbetraf; dagegen hielt er den punkt am fufse des P nicht
für sicher, wofür mir auch der einfache strich zwischen s und t
zu sprechen scheint. Wie es sich indessen hiermit auch verhalten
mag, so besteht kein zweifei darüber, dafs auch auf dem Themse-
messer die drei alten „geschlechter" im futhark deutlich unterschieden
werden, und dasselbe liefert somit einen direkten beweis dafür, dafs
diese einteilung, wie ich in meiner abhandlung vorausgesetzt habe,
dem gemeingermanischen runenalphabet angehört hat, nicht speciell
im Norden entstanden ist.
Einige durch meine lesung der s-rune auf dem Themsemesser
in Runeskr. opr. 1874 hervorgerufene bemerkungen von Stephens
(III, s. 159 f.) sind natürlich nicht zuverlässiger als seine übrigen
auseinandersetzungen bei ähnlicher gelegenheit, und ich habe mich
daher nicht'veranlasst gesehen, in den vorhergehenden Untersuchungen
über das aiphabet des Themsemessers denselben irgend welche bedeu-
tung beizulegen oder überhaupt darauf rücksicht zu nehmen. Dafs
ich hieran recht gethan habe, zeigen ja die jetzt vorliegenden that-
sachen.
S. 125 z. 12 V. 0. Hinter dem worte „schliefst" füge man hin-
zu: und ich halte es also für unrichtig, dafs sie auf dem original im
SCHLUSSBEMERKUMGEN. 385
altnordischen museum in Kopenhagen (und darnach auf der um-
stehenden Zeichnung) zusammengefügt worden sind.
S 127. Lange nachdem dies niedergeschrieben war, tinde ich
in „Svensk Literaturhistoria af H. Schuck", 1. haftet, Stockh. 1885,
s. 28, dafs S. ßugge in einer neuen nicht veröflenllichten und mir
leider unbekannten deutung der älteren runen auf dem Röker steine
jetzt gleichfalls dessen- 1^ in der bedeutung a fafst und wie ich das
erste wort sagwm liest. Ob Bugge nun auch dem }] der Fonnaser
spange, das für mich den ausgangspunkt für die neue erklärung des
Zeichens auf dem Röker steine bildete, dieselbe bedeutung zuerteilt,
ist mir dagegen unbekannt.
S. 132 oben. Um misverständnissen vorzubeugen hebe ich her-
vor, dafs die westgermanischen sprachen, obgleich sie in mancherlei
lallen frühzeitig das gemeingerm. -s abwarfen, doch bekanntlich in
einer reihe von formen ein aus s entstandenes r aufweisen: ahd. as.
mer = got. mais, ahd. rör = got. raus, ahd. er = got. is, ahd. ar, ur
= got. US, und im inlaul ist z überall als r bewahrt: ahd. as. toärun
= got. tcestm, ahd. öra, aengl. edre = got. ausö, gleichfalls in der
got. Verbindung zd: ahd. hört, as. aengl. hord == got. huzd u. s. w.
Während die beiden etymologisch verschiedenen r-laute im Norden
bis in sehr späte zeit unterschieden wurden, scheinen sie im west-
germanischen sehr früh lautlich zusammengefallen und beide durch
die rune R ausgedrückt zu sein. Auf jeden fall konnte die rune Y
mir ihrem ursprünglichen, dem nordischen elg/i entsprechenden namen
im westgermanischen natürlich nicht als zeichen für das aus z ent-
standene r gebraucht werden, nachdem z (r) als nominativendung
abgefallen war.
S. 211. In dem ursprünglichen Eupifdgaz war eu vielleicht
schon in gemeingerm. zeit wegen des folgenden i zu iu geworden;
jedenfalls aber im nordischen zur zeit des Reidstader Steines,
dessen iu also genau die damalige ausspräche bezeichnet und
keinen beweis dafür abgibt, wie urspr. eu in andern tällen be-
handelt wurde.
S. 213. Eine neue Untersuchung des brakteaten von Tjörkö im
Stockholmer museum, die ich im sommer 1886 anzustellen gelegen-
heit hatte, überzeugte mich, dafs derselbe in Wirklichkeit das ver-
mutete ^r, nicht ^^, hat, wenn gleich der eine nebenstrich des ^ sehr
schwach hervortritt, was ohne zweifei bereits im stempel der fall ge-
wesen ist.
WIMMER, Die runeuschrift, 25
386 SCHLUSSBEMERKUNGEN.
S. 230 f. Eine neue abbildung des Räfsaler Steines nach dem
original mit genauen angaben über jede einzelne rune, die vollständig
bestätigen, was ich über die Inschrift ausgesprochen habe, findet sich
in „Bohusläns runinskrifler. Af S. Boije" s. 5 ff . mit tafel (separat-
abdruck aus „Bidrag tili Göteborgs och Bohusläns hisloria", 9. haftet).
S. 292. Das wi- zeichen der Heisinger runen geht natürlich von
der m-form T des Röker Steines aus, indem der hauptslab wie ge-
wöhnlich fortgelassen und der nebenstrich in zwei punkte aufgelöst ist.
S. 339 f. u. 345 f. Über die ausdrücke puU, få, marka vgl.
jetzt Müllenhoff, Altertumskunde V, s. 288 ff.
Ich füge nur noch hinzu, dafs ich in meiner abhandlung ab-
sichtlich beide namen ftithark und futhork vom runenalphabet ge-
braucht habe. Den ersteren wende ich nämlich in den fällen an,
wo die vierte rune die bedeutung a oder q hat, den letzteren, wo
sie in der bedeutung o steht.
So weit die fertigen bogen mir bis jetzt im reindruck vorliegen,
habe ich, abgesehen von einzelnen Inkonsequenzen in der Schreibung,
die der leser entschuldigen möge, folgende d ruckfehler entdeckt:
s. 4 z. 3 v. u. vernichten 1. verwischen
s. 23 z. 22 V. u. p 1. p;
s. 62 z. 3 V. u. veitvods 1. weitxcods
s. 64 z. 17 V. u. hinler ^,spange" fehlt: a
s. 92 z. 6 V. u. ajin 1. djin
s. 106 z. 9 V. u. ormen 1. formen
s. 107 z. 4 f. V. u. 1. zur bezeichnung des für unsere sprach-
familie charakteristischen lautes p
s. 109 z. 6 V. o. hinter „das" fehlt: erstere
s. 134 z. 20 V. 0. (5^ 1. P^
s. 135 z. 1 V. o. ^ 1. ^
s. 144 z. 21 V. u. XC VI 1 XCVII
s. 180 z. 11 V. u. Olafssons 1. Olafssons
s. 223 z. 18 V. u. guttural- 1. dental-
s. 224 z. 1 V. u. sie sich 1. ich sie
s. 268 z. 13 V. u. 1 1. 11
s. 230 z. 1 V. 0. Äsbirou 1. Asbiron
Kopenhagen, im februar 1887.
Eegister*).
a-rune ^. Urspning 92. 99. 101.
Der ursprüngliche name ansuz
\Niirde im altengl. 6$^ und ^ spal-
tete sich hier allmähligh in die
drei runen ^ o F^ a 1^ cp 33. 194 f.
200 anm. 1. Im Norden wurde
der name ansuz, ansuR zu qsuR,
qss, qss, dss, und ^, später ^,
zeichen für svarabhaktisches a
(auf dem steine von Istaby),
später allgemein für nasaliertes a
195 f. 198 f. 200 f. Als die na-
salierung aufgegeben wurde, mit
+a vermischt 202. Erst spät wird
^, ^ mit dem aus dem altengl. 6s
herrührenden namen öss zeichen
für 0 193 f. 196 f.
a-rune + s. j-rune.
æ-rune im altengl. s. a-rune K
Spätere im Norden + 256.
Arhuser stein 253.
Arrilder stein 356. 359.
o
Aser steine 247 ff.
Astrunen s. Zweigrunen.
Astruper stein 181. 203.
b-rune ^. Ursprung 96. 101. Im
Norden frühzeitig auch zeichen
für p (vgl. p-rune). Als t im
anlaut in b überging, wurde das
alte zeichen ^ sowohl für die
muta b wie fur die spirans b
(im in- und auslaute) gebraucht.
Später ging d im auslaute in v
über, und als zeichen dafür wurde
die f-rune verwendet 221. Die
formen J5, i\ 208.
Barser taufstein 180 f.
Bautasteine 306. 311.
Bellander stein 149. 156 anm.
303.
Bergaer stein 149. 155 anm.
160. 165. 303.
Bilderschrift der felsenritzungen
aus dem broncealter 1. 171.
Björketorper stein 149. 160.
163. 199 anm. 1. 200 anm. 2.
203. 209 f. 217. 219 anm. 1. 304.
Blekinger steine mit alteren
runen s. Björketorp, Gonunor,
Istaby, Stentofte.
Böer stein 149. 160. 163. 303.
Brakteat aus Norddeutsch-
land 56. 63.' (vgl. Dannenberg,
Wapno).
*) Hierin sind alle inschriften mit den älteren runen und von den
jüngeren nordischen inschriften mit der kürzeren runenreihe diejenigen
aufgenommen, welche dazu verwertet sind die entwicklung der runenschrift
nachzuweisen, dagegen nicht die grofse anzabi derer, die nur beispielsweise
aus sprachgeschichtlichen gründen angeführt worden.
25*
388
REGISTER.
Brakteaten, nordische 76 f.
anm. 88. 304 anm. (vgl. Skodborg,
Tjörkö, Vadstena, Varde).
Bratsberger stein 149. 156 anm.
163. 303.
Buchstabenschrift. Erstes auf-
treten im Norden 1.
Bukarester ring 57. 63. 146.
163. 169.
c-rune H 256.
Charnayer spange 58. 75. 77 ff.
134. 146. 164. 169.
"Chilperiks buchstaben 72 f.
anm. 3.
d-rune M. Ursprung 108 f. Jün-
gere formen 109. 123. Als muta
gebraucht in der Verbindung nd'>
135 anm. 1. 223 f., in der Ver-
bindung Id 224. Als d im an-
laut zu d wurde, wählte man als
zeichen für die muta d. T, für
die Spirans å V 220 f. 222. t> 256.
Dalbyer diadem s. Strårup.
Danevirker stein 206 anm. 1.
252. 304.
Dannenberger brakteaten 56.
e-rune M. Ursprung 92. 102 f.
Die form f] 103. Später durch
, I ausgedrückt 213. 215 f. 217 f.
♦ 252 ff.
Einanger stein 64. 149. 160.
163. 296. 303. 306.
Einwanderungen neuer Völker
nach dem Norden im jüngeren
eisenalter fanden nicht statt 3 ff.
185 ff.
Ei sen alter im Norden. Perioden
Iff.
Elgesemer stein 151. 301. 304
anm.
Emser spange 59. 147. 169.
Engerser spange 59 f. 65. 135.
146. 169. 209. -
Etelhemer spange 151. 163. 169.
304.
f - r u n e r. Ursprung 93 . 94 f. 96 f.
99 f. 101. Bedeutung / und v
vgl. b -rune. (f v 256.)
Felsenritzungen s. Bilderschrift.
Flemleser stein 6. 158. 168. 171.
231 anm. 1. 304. 347 ff.
Fonnaser spange 122 anm. 1.
151. 169. 209. 212 anm. 1. 304.
Förder stein 151. 304 anm.
Forsaer ring 290 f.
Frederiksberger amulet(?) s.
Valby.-
Freilaubersheimer spange 59.
62. 64. 134. 146. 164. 209.
Frerslever stein 127. 232 anm. 2.
314 anm.
Friedberger spange 59. 65. 146.
169. 224.
Frøhover broncefigur 148
anm. 1.
Frøslever runenstab 97 anm. 1.
g-rune X. Ursprung 113 ff. 138
anm. 1. Als ^ im anlaut in g
überging, wurde X eine zeit lang
für beide laute verwendet, später
aber von der k-rune verdrängt
221. 222 f. V 252 ff.
Gallehus s. Goldenes horn.
Gallische schrift 173 ff.
Gesingholmer Inschrift 245.
Glavendruper stein 150. 168.
171. 304. 359 ff.
Glemminger stein 298.
Goldenes horn 146. 163. 171.303.
Gommorer stein 199 anm. 1.
222. 304.
Gregor von Tours 72 f. anm. 3.
Gunderuper stein, der kleinere,
293 f.
h-rune H H- Ursprung 91. 94. 101.
REGISTER.
389
Die formen H H 106 anm. 1.
Jüngere westgerm. form Kl 101 f.
Im Norden wii'd HH zwischen
800—900 zu ^ 203 f. Später
auch zeichen für g. 256. Die
form ♦ 208 anm. 290.
Hagb^er stein s. Möjebro.
Hallestader stein 253.
Hammeler stein 355 f.
Haverslunder stein 156 anm.
231.
Hedebyer stein 168 anm. 1. 252 f.
Heisinger runen 13. 15. 291 f.
386. (vgl. Forsaer ring).
Helnæser stein 6. 158. 168. 171.
304. 341 ff.
Himlingöjer spange 146. 163.
169. 303.
Hobroer stein 246 f. 323.
Hohenstadter spange 59.
Höjetostruper stein s. Kallerup.
i-rune I. Ursprung 91 f. 101.
ih- (eoh-)rune "t 4^. Bedeutung
und Ursprung 134 ff. 142. 210.
212. 273 f.
Istabyer stein 121. 149. 160.
163. 199 anm. 1. 200 anm. 2. 203.
217. 222. 304.
j-rune H. Formen und Ursprung
121 ff. Der ursprüngliche name
J&ra wird im Norden Jäi^a, ära,
år, und die rune (H, später ^,
}J, >|c und endlich zwischen
800 — 900 das aus diesem letzten
entstandene +) kam eine zeit lang
als lautzeichen aufser gebrauch,
als ^ das allgemeine a-zeichen
war, wurde aber später das regel-
mäfsige zeichen für a, während
. ^ das nasalierte a ausdrückte
(vgl. a-rune ^) 194. 198. 199 ff.
203. Der laut y durch I aus-
gedrückt 216. 234. Die form i
208. 256. 294.
Jædersche runeninschriften
290.
Jællinger stein, der gröfsere 7.
159 f. 168. 171. .304.
Jællinger stein, der kleinere 7.
168. 304.
Järsberger stein s. Vamum.
k-rune <. Ursprung 95. 99. 101.
Wird altengl. k 81. 87, im Nor-
den AY, später Y 80 f. 206.
Kälfvestener stein 205. 208.
290.
Kalleruper stein 7. 156 anm.
168. 171. 203. 304. 335 ff.
Kinnevader stein 151. 169.
304 anm.
Kirkeboer stein 304. 311 f. 322.
353.
Körliner ring 57 f. 64 anm, 1.
146.
Koveler speerblatt 57. 61 ff.
135. 146. 163. 169. 272.
Kragehuler lanzenschaft 123 ff.
135. 146. 149. 163. 168 f. 195
anm. 1. 303,
Kragehuler messerheft (?)
125 f. anm. 1. 209. 303.
Krogstader stein 149, 155 anm.
160. 163. 171. 212 und anm. 1,
218 anm. 1. 303.
1-rune r. Ursprung 105. 110 f.
Jüngere formen k Y auf der
Chamayer spange 81. 105. Stand
ursprünglich hinter der m-rune
(s. diese).
Læborger stein 168.
Lindholmer schlänge 125 anm.
1. 149. 164 f. 168, 209, .303.
m-rune M. Ursprung 103 f. Im
390
REGISTER.
Norden wird M zwischen
800—900 zu ^ Y 204 f. Die
seltene form *f 205 anm. 1.
t 208 anm. 289 f. Die m-rune
stand ursprünglich vor der 1-rune
und wurde erst sehr spät Muter
diese gestellt 235 ff.
Maeshower runeninschriften
236 ff.
Magische runeninschriften
57 f. anm. 5. 122 anm. 2. 125 f.
anm. 1. 142. 168. 212. 234.
Mansche runeninschriften
290.
Markomannische runen 14.
Möjehroer stein 149. 160. 165.
169 f. 171. 303.
Mønsteder stein 181.
Moorfunde, dänische, aus dem
eisenalter 1 ff . 302 f.
Muncheberger speerblatt 57.
61. 63. 146. 163. 169.
n-rune + +. Ursprung 105 f. Die
formen + + 106 anm. 1. Jüngere
formen \- Y (?) 106 f. Seit c. 700
im Norden nur + 203, h 208.
294.
Næsbjærg s. Varde.
Nordendorfer spange a58. 64f.
134 anm. 135. 146. 157 anm.
163. 167. 169. 209.
Nordendorfer spangeb 58. 146.
163. 209.
Norrenæråer stein 168. 198 f.
298. 304. 356 ff.
Nydamer runenpfeile 57 f. anm.
5. 303.
D-rune ^. Formen und Ursprung
115 ff. Bedeutung 155 anm. 1.
223. Statt ♦ wird +X, +X<
geschrieben, später Ki+K) 212 f.
0 -rune 5^. Ursprung 92. 96. 107.
Ulf. anm. 1. Die form ^ des
Themsemessers 107. 123. Im
altengl. frühzeitig zeichen für æ
200 anm. 1. Im Norden später
durch n ausgedrückt 213 ff. 218 f.
Im jüngsten runenalphabet ^
zeichen für o 256 (vgl. a-rune ^).
0-rune im altengl. s. o-rune.
Spätere im Norden ^ 256.
Örjaer stein 203. 304. 352 f.
Orstader stein 149. 160. 163.
2141 304.
Osthofener spange 59. 146.
163. 169.
p-rune T. Formen und Ursprung
1 1 6 f. Im Norden frühzeitig von
^ verdrängt 113. 209 f. B und
B 256.
Punktierte runen 252 ff.
r-rune R. Ursprung 91. 94. 101.
Verhältnis zwischen R und YÅ
130 ff. 241. 295 ff 385.
R-rune Y/k. Form, bedeutung,
name 128 ff. Ursprung 133 f.
Seit c. 700 nur die form A 205,
bisweilen i 208. 289 ff. Platz und
name im kürzeren futhark im
Verhältnis . zu denen des längeren
futharks 241 ff. 251. ■
Räfsaler stein 230 ff. 304 309.
386.
Reidstader stein 149. 160. 163 f.
210 ff. 223. 304.
Röker stein 127. 208 anm. 1.
232 anm. 2. 234. 289 f. 296 anm.
304. 385.
Röhninger stein 378 ff.
Runenalphabete mit älteren
runen auf alten denkmälern 74 ff.
Handschriftliche altenglische 71.
REGISTER.
391
83ff. 130 anm. 2. Mit jüngeren
runen auf alten denkmälern 181 f.
236 ff. 240. 254 f. Handschriftliche
nordische 235 f. (aus St. Gallen).
240. 255.
Runengedicht, altenglisches 83
und anra. 3. 132. Altdeutsches
235 f. anm. 1." Altnonvegisches
180. 197 anm. 1. 240. 275 ff.
Isländische runenreimereien 180.
197 anra. 1. 240. 281 ff.
Runengeschlechter (^ttir) 135.
140. 142. 180. 238. .384.
Runenhandschrift des schoni-
schen gesetzes 256.
Runeninschriften. Verbreitung
56 ff. Alter im Norden 2. 5 ff.
21. 300ff. Aufserhalb des Nordens
65 ff. Die altenglischen 87.
Runenkalender, norwegischer
127. 234. .304.
Runenmünze, aus Friesland 57
anra. 1. Aus Holland 57 anm. 1.
Aus England 87 f.
Runennamen 71 f. 140 f. 142 f.
180 f. 271 ff. 276 ff.
Runenreimerei, isländische s.
Runengedicht.
Runenstäbe 70. 97 anra. 1.
Runensteine nur im Norden 74.
Alter und Verbreitung in den
verschiedenen nordischen länderu
74. 305 ff. Auf Island keine aus
der heidenzeit 310 ff. Im Innern
von grabhügeln errichtet 301.
307 ff. .358 f.
Runenähnliche zeichen in ver-
schiedenen inschriften 60 anm. 1.
148 anm. 1.
Ruthweiler kreuz 73. 134. 224.
s-rune ^\. Ursprung 92. 99.
101. Die formen ^ X 106 anm. 1.
Jüngere formen 102. 123. Das I
des Themsemessers 82 384. Im
altengl. frühzeitig H 87. Im Nor-
den ebenso H f«! 203. Die form
I* 82. 208. 256. 294.
Saxo Gramraaticus 70.
Sjöruper stein 253.
Skäänger stein6.3.149. 160.165f.
167 f. anm. 2. 169. 210 anm. 1.
303. 367.
Skärkinder stein 149. 165.
303.
Skodborger brakteat 121 f.
Snoldelever stein 7. 156 anm.
168. 171. 304. 337 ff. 359.
Sölvesborger stein 156 anm.
203. 227 ff. 232 anm. 1. 304. 309.
Sondervissinger stein 244 ff.
Stablose runen s. Heisinger
runen.
Stenstader stein 149. 156 anm.
160. 163. 165. 169. 203. .303.
Stentofter stein 149. 160. 163.
199 anra. 1. 200 anm. 2. 209.
217. 219 anm. 1. 222. 304.
Strander stein 149 f. 160. 163.
222. 224. 303.
Straruper diadem 146. 163.
169. 303.
t-rune T. Ursprung 101. Die
form T des Koveler Speeres 98
anm. 1. 101. 109. Die form 1
208. 256. 294.
Tacitüs 65 ff.
Tanemer stein 149. 169 f. 304.
Tanumer stein 149. 156 anm.
160. 163. 303.
Therasemesser (-schwert) 75.
82 ff. 123. 208 anm. 1. 240 383f.
Thornhiller stein 134.
Thorsbjærger schildbuckel
148. 165 anm. 1. 169. 303.
392
REGlSTIiK.
Thorsbjærgcr zwinge 104 f.
146. 163. 168 f. 303. 381.
Tjörköer brakteat 165. 213 f.
224. 232 anm. 1. 304. 385.
Tomstader stein 149. 160. 164.
300. 303.
Torcelloer speerblatt 57 anm. 4.
Torviker stein a 149. 160. 166 f.
224. 303.
Torviker stein b 149. 160. 163.
212 und anm. 1.. 213 anm. 1.
222 f. 304.
Tryggevælder stein 168. 171.
304. 369 if.
Tuner stein 62. 135. 152ff. 160.
164 f. 303.
|)-rune K Ursprung 96. 109.
Name 197. 272.
u-rune PI. Ursprung 93. 105. 111.
v-rune s. b- und f-rune. F 256.
w-rune P. Ursprung 119 f. Ums
jähr 800 im Norden von der u-
rune n verdrängt 227 ff.
Vadstenaer brakteat 75. 761".
122. 163. 304.
Valbyer amulet (?) 76 f. anm. 1.
212.
Valdbyer stein 304. 307. 358.
Valløbyer broncegefäfs 148
anm. 1.
Valsfjorder inschrift 151. 160.
163. 224. 303.
Vangaer stein 149. 160. 163. 303.
Wapnoer brakteat 56.
Varder brakteat 211 anm. 1.
Varnumer stein 149. 158 anm. 1.
160. 164. 168. 216. 221. 303.
Vatner stein 225 ff. 304. 307.
Veblungsnæser inschrift 149.
160. 163. 3Ö3.
Vedelspanger stein 256. 293.
Vedtofter stein s. Voldtofte.
Vejerslever stein 245.
Venantius Fortunatus 68 ff.
Vimose-hobel 148. 163f. 165.
169. 303.
Vimose-kamm 63. 146. 166.
169. 303.
Vimose - spange 147. 169. 303.
Voldtofter stein 354 f.
Wulfilanisches aiphabet 71 f.
108 anm. 1. 114. 128. 259 ff.
y-rune 241 ff. (vgl. R-rune).
250 f. 253.
z-rune s. R-rune. ^ 256.
Zweigrunen 238 ff.
TAFELN.
Bemerkung zu den alphabettafeln.
Durch - wird angedeutet, daCs der belrelfende buchstabe in den inschriften,
nach denen die alphabete zusammengestellt sind, nicht als lautzeichen in gebrauch
gewesen ist; durch •• , dals er zufallig in den inschriften nicht vorkommt, aber
s. 270. unzweifelhaft üblich war; durch ?, dafs er nicht nachgewiesen werden kann,
und dals es unsicher ist, ob er vorhanden gewesen.
Im übrigen werden die griechischen buchstaben überall (ausgenommen in
dem „griechischen grundalphabet") in den formen aufgeführt, die angewandt
werden, wenn die schiift von links nach rechts geht. Da die inschriften
von Thera sowohl wie mehrere andere von den ältesten inschriften auch von
rechls nach links laufen, so kommen natürlich auch formen vor, die sich nach
der entgegengesetzten seite wenden (also z. b. in der reibe no. 1 "^ ^ u. s. w.
= f ^ ^ u. s. w.). Von den verschiedenen formen in no. 1 für ß, y, ', /n ist
die letzte besonders melisch ("] scheint ein rest aus der zeit zu sein, wo die
Schrift von rechts nach links ging). In no. 3 gehört die form \^ für A be-
sonders Böotien an. Die in no. 6 fehlenden zeichen für s und f kommen in
inschriften auf vasen , die dasselbe aiphabet gebrauchen, in den formen C und
I vor. im ionischen aiphabet (no. 8) gehören die zuerst angeführten formen
einer älteren stufe an, die letzten ungefähr dem jähre 450, und dies ionische
aiphabet stimmt somit fast gänzlich mit demjenigen überein, das 50 jähre später
gemeingriechisch wurde. In dem aiphabet von Argos (no. 11) gehört ^
= a nur den ältesten inschriften an, während die jüngeren ^ und demnächst
^ haben; natürlich tritt ^ in der bedeutung /x erst zu der zeit auf, wo es
nicht mehr die bedeutung a hatte. Dieselbe bemerkung gilt auch von andern
reihen, wo dasselbe zeichen zuweilen mit verschiedener bedeutung vorkommt;
das beruht selbstverständlich auf einem Zeitunterschiede. Wenn wir z. b. in
no.7 I '^ y, aber auch = t finden, so ist es klar, dafs | in der bedeutung y
mit den älteren formen von i gleichzeitig gewesen ist; bevor i die ge-
stalt I annahm, muls auch y seine form verändert haben, wenn wir gleich zu-
fällig nicht nachweisen können, worin die Veränderung bestanden hat.
Im altsemitischen aiphabet oben auf der tafel ist für teth die form ein-
gesetzt, die sich auf den bruchstücken von Cypern findet und als die gewöhn-
liche altsemitische anzusehen ist; auch die zeichen für zajin, /ieth, lämed und
täw gehören diesen inschriften an. Dafs das wäw-zeicben sowohl auf seinen
ursprünglichen platz wie auch ans ende des alphabetes gestellt ist, soll be-
zeichnen, dals sowohl griechisches ^ wie v von ihm ausgeht.
> Auf der zweiten tafel, wo die alten italischen alphabete wiedergegeben
werden, findet sich zu oberst ein „altgriechisches aiphabet in Italien", welches
aus den formen der alten inschriften zusammengestellt ist (vgl. taf. I, no. 2 und
no. 6 — 7), und aus welchem sich alle italischen alphabete erklären lassen. In
den reihen 6, 8 und 11 sind ein paar selten vorkommende zeichen in klammern
gesetzt.
Was sonst der erklärung bedürfen könnte, wird sie im texte gefunden haben.
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Tafel III.
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Der brakteat von Vadstena.
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