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DIE
' SlBBATHiRIER ih SIEBENBORGEM
Ihre Geschichte, Literatur und Dogmatik
Mit besonderer Berücksichtigung des Lebens und der Schriften
des Reichskanzlers
SIMON PEG H 1.
Ein Beitrag zur Religion s- und Kulturgeschichte der
jüngsten drei Jahrhunderte
von
Dr. SAMUEL K O H N.
Budapest, 1894
Verlag von Singer & Wolfner.
Leipzig,
Verlag von Franz Wagner.
ANOOVER-HARVARD THEOLOGICAL Ul
HARVARD DiVtNlTY SCHOQL
.63
KL.
VORWORT.
..... .... - • • ',
. Vorliegende Schrift ist weniger eine Uebersetzung als
eine^ stellenweise gekürzte, deutsche Bearbeitung meines
in ungarischer Sprache erschienenen Buches über die Sab-
batharier in Siebenbürgen : ccA szombatosok, törtenetük,
dogmatikajuk es irodalmuk, különös tekintettel Pechi Simon
fökahczellar eletere es munkaira» (Die Sabbatharier, ihre
Geschichte, Dogmatik und Literatur, mit besonderer Berück-
sichtigung des Lebens und der Schriften des Reichskanzlers
Simon Pechi) Budapest, 1889. 8^ Xvf und 377 S.'
Diese kleine, nur noch in einigen kümmerlichen Resten
fortvegetirende Secte hat eine in ihrer Eigenart merk-
würdige, aber bis jetzt vollständig unbeachtet gebliebene
Geschichte, die ich gewagt habe, als «Beitrag zur Reli-
gions- und Culturgeschichte der jüngsten drei Jahrhun-
derte» zu bezeichnen.
Die Quellen dieser Geschichte sind, mit geringen
Ausnahmen, in ungarischer Sprache geschrieben und nur
80 weit sie sich auf die Schicksale dieser Secte, ihre Ent-
stehung, ihr Aufblühen und ihren, durch lange und harte
Verfolgungen herbeigeführten, Verfall beziehen, zum Theil
durch den Druck zugänglich gemacht. Die allmälige Ent-
wicklung der Dogmatik, der religiösen Praxis und des
geistigen Lebens des Sabbatharierthums kann nur aus
durchweg unedirten Handschriften nachgewiesen werden.
IV
Bei dem Umstände, dass diese zumeist noch überhaupt
nicht, oft aber nur unvollständig, oder gar unrichtig be-
schrieben und bestimmt worden sind, konnten mehr oder
minder umfangreiche Excurse über einzelne sabbatharische
Schriftwerke nicht vermieden werden, obgleich sie, wie
ich gerne zugebe, die fortlaufende Darstellung der geschicht-
lichen Ereignisse mitunter störend unterbrechen.
So gilt, zum Beispiel, die erste in ungarischer Sprache
abgefasste poetische Uebertragung der Psalmen, die von
Nikolaus Bogäthi, für ein in echt unitarischem Geiste
geschriebenes Werk. Ein eingehendes Studium der betref-
fenden Handschriften überzeugte mich jedoch von .dem
sabbatharischen Ursprung derselben. Diese von der bisheri-
gen abweichende Ansicht musste selbstverständlich erst
begründet werden, bevor auf den Psalter Bogäthis, als auf
eine der ältesten Quellen der ursprünglichen sabbatha-
rischen Dogmatik verwiesen werden durfte. Diesem Zwecke
dient ein ganzes Capitel. Aehnlich verhält es sich mit der
genauen Bestimmmjg des Inhaltes und der Tendenz von
Simon Pechis Gebet- und Ritualienbuch
Dass ich es versucht habe, in der Geschichte des
Sabbatharierthums ein möglichst vollständiges Lebensbild
Simon Pechis, des begeisterten Apostels dieser Secte, zu
geben, bedarf wohl weniger der Entschuldigung. Das an
Wechselfällen reiche Leben eines Mannes, der als Staats-
man, Soldat und Religionsstifter, als Schriftsteller, Gelehrter
und Hebraist gleich bedeutend war, und als Reichskanzler
von Siebenbürgen sogar in die Ereignisse des dreissigjäh-
rigen Krieges eingegriffen hat, verdient eine eingehende
Darstellung, die hier um so mehr am Platze ist, als die
Schicksale und Lebensverhältnisse Pechis von entschei-
dendem Einflüsse auf seine refligiösen Anschauungen und
mittelbar auf die Fortbildung und Zukunft des Sabbatha-
rierthuitis waren.
Die hier behandelte Sectengeschichte dreht sich zumeist
um religiöse Fragen von weitgehender principieller Bedeutung,
deren Beurtheilung ich sorgfältig vermeide. Ich beschränke
mich darauf, die historischen Thatsachen möglichst objectiv
neben einander zu stellen und ihren Innern Zusammen-
hang und ihre Folgen nachzuweisen, wobei ich, namentlich
in der Darstellung religiöser Anschauungen und Polemiken,
nach Thunlichkeit die von mir benutzten Quellen reden lasse.
Im übrigen wage ich zu glauben, dass jeder unbe-
fangene Leser sich dem I rtheile anschliessen wird, welches
der jüngst verstorbene ungarische Reichstags-Abgeordnete
Blasius Orbän in seiner «Beschreibung des Szeklerlandes»
(A Szekelyföld leiräsa, I. S. 150) über die siebenbürgischen
Sabbatharier, seine engeren Landsleute, mit den folgenden
Worten niedergeschrieben hat : «Trotzdem ihr Leben ein
ununterbrochenes gesellschaftliches Martyrium ist, halten sie
unentwegt fest an dem von ihren Vätern ererbten (Mauben,
und nichts vermag sie in ihrer L'eberzeugung wankend zu
machen. Eine solche Festigkeit, eine solche
selbstlose Treue und L nerschütterlichkeit hat
Anspruch auf unsere Achtung, selbst dann,
'wenn wir die Sabbatharier als im Irrthum
befindlich betrachten.»
Budapest, im November 1893.
Der Verfasser,
I N H A LT.
Seite
Bibel, hebräische Sprache und Judenthum im Zeitalter der Reformation 1 — 9
Die allgemeinen Vorbedingungen zur Entstehung des Sabbatharierthums
in Siebenbürgen — — — — — — — — — — 10 — 16
Vorgeschichte des Sabbatharierthums in Siebenbürgen — — — 17 — 26
Entstehung des Sabbatharierthums — — — — — — — — 26 — 39
Andreas Eössi, der Begründer des Sabbatharierthums — — — — 39 — 45
Die älteste prosaische Literatur des Sabbatharierthums (1588—1623) 45 — 57
Die älteste poetische Literatur des Sabbatharierthums, (Das alte
Gesangbuch) — — — — -____ — — — — 57— 68
Die älteste poetische Literatur des Sabbatharierthums (Fortsetzung.
Lehrgedichte) — — — — — — — — — — — 68— 75
Die älteste poetische Literatur des Sabbatharierthums. (Schluss. Der
Psalter Nicolaus Bogathis) — — — — — — — — 75 — 85
Die ursprüngliche Glaubenslehre der Sabbatharier — — — — 85 — 98
Verbreitung und Schicksale des Sabbatharierthums in der ersten
Periode seiner Geschichte (1588—1623) — — — — — 98—105
Verbreitung und Schicksale des Sabbatharierthums in der ersten
Periode seiner Geschichte (1588—1623. Schluss) — — — 105—116
Die rehgiöse Praxis der ersten Sabbatharier (1588—1623) — — — 116—129
Simon Pechis Jugend und Reisen. Seine diplomatische Laufbahn und
Reicbskanzlerschaft — — — — — — — — — — 129—146
P6chis Sturz. Sein Verhältniss zum Sabbatharierthum während seiner
staatsmännischen Laufbahn — — — — — — — — 146 — 156
Pechis Gefangenschaft und Befreiung. Einwanderung türkischer Juden 156—163
P6chis geheime Thätigkeit im Dienste des Sabbatharierthums. Seine
üebersetzung und Erklärung der Psalmen — — — — — 163 — 171
Pechi als Apostel und Führer des Sabbatharierthums. Seine literarische
Thätigkeit — — — ^ — — — — — — — — 171—179
Pechis Gebet- und Ritualienbuch — — — — — — — — 1 79— 187
Die religiösen Anschauungen und Bräuche des unter P6chis Leitung
stehenden Sabbatharierthums (1624—1638) — — — — 187—197
Verbreitung und Schicksale der Sabbatharierthums während der
zweiten Periode seiner Geschichte — — — — — — 197 — 205
VIII
Fürst Georg Raköczi I. bereitet einen vernichtenden Schlag gegen das
Sabbatharierthum vor — — — — —— — — — 205—213
Der , Termin von De6s*. Verurtheilung P6chis und seiner Anhänger 213—222
Pechis Begnadigung und Tod. Seine Familie und seine Nachkommen.
Seine Bedeutung als Schriftsteller und Hebraist — — — 222—231
Schicksale der Sabbatharier während der letzten Periode ihrer
Geschichte (1688—1868) — — — — — — — — — 281—245
Das religiöse und das Geistesleben des Sabbatharierthums in der
Periode seines Niedergangs (1688—1868) — — — — — 246—256
Das religiöse und das Geistesleben des Sabbatharierthums in der
Periode seines Niedergangs (Schluss) — — — — — — 266—262
Die letzten Sabbatharier und ihre^Gemeinde in Bözöd-Ujfalü — — 262—269
Der üebertritt der Sabbatharier zum Judenthum — — — — — 269—280
Der üebertritt der Sabbatharier zum Judenthum (Schluss) — — 280—287
Die ,Proselyten-Gemeinde« in Bözöd-Ujfalü — — — — — — 287—296
Bibel, hebräische Sprache und Judenthum
im Zeitalter der Reformation.
Das in den folgenden Blättern gebotene Geschichtsbild ist
weder glänzend, noch gross ; es fordert die Beachtung nicht
heraus und hat sie bislang auch nicht gefunden. Und doch
fesselt es den Blick, sobald man es genauer betrachtet. Es ist
weiter nichts als ein Miniaturbild in engem, bescheidenem
Rahmen, aber es ist reich an characteristischen Zügen, und
die einzelnen Striche treten scharf und bestimmt hervor.
Die Farben haben Christenthum, Judenthum und Ungarthum
gleichmässig geliefert ; den Hintergrund bildet des Menschen-
geistes rastloses Ringen nach Wahrheit und Befriedigung, und
das Ganze ist, wenn in die richtige Beleuchtung gerückt, oft
von geradezu packender Wirkung.
Das Sabbatharierthum in Siebenbürgen hatte von Anfang
an ein rein magyarisches, richtiger : szekler Gepräge, welches
es auch bis zuletzt beibehalten hat. Nichts desto weniger bildet
seine Geschichte einen, vielleicht nicht unwesentlichen Beitrag
zur Religions- und Culturgeschichte nicht nur Ungarns, sondern
der jüngsten drei Jahrhunderte überhaupt. Ist sie doch, obwohl
örtlich an einige Theile des Szeklerlandes gebunden, ein Pro-
duct der grossen reformatorischen Bewegung des XVI. Jahr-
hunderts. Diese Bewegung hat die Thatsachen geschaffen,
welchen das Sabbatharierthum in Siebenbürgen seine Entstehung
und Fortbildung verdankt.
Die geschichtlichen Thatsachen, welche hierbei in Betracht
kommen, müssen zuerst festgestellt und in ihren Wirkungen
verfolgt werden, soll die überraschende, in ihrer Art vereinzelt
Dr. Kohn: Sabbatharier ^
stehende Erscheinung ihre Erklärung finden, dass in einem ent-
legenen Winkel Siebenbürgens, unter einem kernmagyarischen,
noch heute ziemlich isolirt lebenden Völkchen eine religiöse
Secte entstehen konnte, welche ihr Christenthum immer mehr
mit jüdischen Elementen versetzte und, nach einer dritthalb-
hundertjährigen schonungslosen Verfolgung, schliesslich im
Judenthume aufging.
Zu diesen Thatsachen gehört in erster Linie die stetig
wachsende Autorität und der immer intensiver
werdende Einfluss der Bibel im Zeitalter der
Reformation.
Es gibt kein Zeitalter, in welchem die Bibel in so weiten
Kreisen eine so unumschränkte Herrschaft über die Geister
und über das gesammte Leben geübt hat, wie in dem, welches
die Reformation vorbereitet und geschaffen hat.
Die Reformation hat, um ihre Berechtigug nachzuweisen,
der Autorität der bestehenden Kirche die Autorität der Bibel
entgegengestellt und dadurch die Kirche gezwungen, ebenfalls
auf die Bibel zurückzugreifen. Auf sie berufen sich aber auch
die im Schosse der Reformation entstandenen verschiedenen
Confessionen, bald um die eigenen Dogmen und Riten zu er-
klären und zu begründen, bald um die der übrigen Schwester-
religionen als Irrthümer hinzustellen. In den feindlichen Lagern
war die Bibel allüberall Fahne, Angriffswaffe und Schild zugleich.
Vordem musste »das Buch« in Sacristeien und Klöstern
gesucht werden; jetzt war es allerorten zu finden: in den
Königspalästen und Adelsschlössern, wie in Bürgerhäusern und
Bauernhütten, auf der Strasse und auf den Märkten, ja selbst
auf dem Schlachtfelde, wohin grimmige Krieger es im Tornister
mit sich trugen. Vordem haben nur Mönche und Geistliche die
Bibel gekannt, und auch die zumeist nur mangelhaft; jetzt war
sie auf aller Lippen, und das Volk, dem man das Lesen der-
selben oft sogar verboten hatte, führte jetzt ihre Worte im
Munde und redete in der Sprache der Bibel. Das heilige Buch
bestimmte und leitete die religösen Bewegungen; es beeinflusste
die Politik, die Poesie und die Wissenschaft und gab dem ge-
sellschaftlichen Leben eine neue Gestalt.
Im Zeitalter der Reformation herrschte die
Bibel, und zwar nicht so sehr das Neue, als das Alte
Testament.
Diese, für den ersten Blick überraschende, Thatsache fin-
det ihre Erklärung zunächst in den damaligen geschichtlichen
Ereignissen und in dem Geiste, den sie geschaffen und zum
Geist der Zeit gemacht haben.
Das XVI. Jahrhundert war das Jahrhundert des Religions-
kampfes. Ein solcher Kampf wird immer mit Heftigkeit und
Erbitterung geführt; er erzeugt einen Fanatismus, der in den
stärksten Brusttönen der Leidenschaft zu sprechen pllegt, mit
dem Pathos, der uns aus dem Alten Testamente so mächtig
entgegenklingt. Haben doch die meisten Bücher desselben von
ähnlichen Kämpfen des jüdischen Volkes zu berichten, weil bei
diesem die religiöse Idee mit der Staatsidee eng verschmolzen
w ar, und die Helden und Vorkämpfer der jüdischen Nation
gleichzeitig als die der jüdischen Religion erscheinen.
Aehnliche Verhältnisse hatten sich im Verlaufe der Kämpfe
herausgebildet, w^elche Begleiterinnen, oder Folgen der Refor-
mation waren. Die Kriege, die auf den Schlachtfeldern ausge-
fochten wurden, waren Religionskriege und politische zugleich;
die Sache des Glaubens war mit Machtfragen aufs innigste ver-
flochten. Wer im Dienste der Religion zum Schwerte griff,
kämpfte gleichzeitig auch für Staatsinteressen, oft für den heimi-
schen Herd und für sein und der Seinigen Leben. Um-
srekehrt hing von dem Ausgang einer Schlacht, die über
Kronen und Völkergeschicke entschied, nicht selten auch der
Sieg oder die Niederlage eines Dogmas, oder einer ganzen
('oniession ab. Darum stand dem Geiste und dem Fühlen dieser
Zeit das Alte Testament näher als das Neue, aus welchem die
Volksidee nahezu verdrängt erscheint. Diese wildbewegte, stür-
mische Zeit hat ihre eigenen kampfesfrohen Helden eher in
Josua und in den Richtern, in David und in den Makkabäern
zu erkennen vermocht, denn in Jesus und den Aposteln, welche
Verkünder einer Lehre sind, für die sie nicht mit Waffen strei-
ten, sondern dulden und leiden.
Dem Zeitalter der Reformation war aber gerade das er-
gebungsvolle Dulden fremd; es war nicht gewohnt zu leiden,
ohne Widerstand zu leisten. Es w^ar nicht seine Art, dem
Kampfe aus dem Wege zu gehen, es pflegte ihn vielmehr heraus-
zufordern und zu suchen, und wo es nicht anging, ihn mit
Eisen auszufechten, dort griff es zum Worte und zur Feder.
In allen Lagern ertönte Schlachtruf, erschollen Kriogslieder ;
die Sieger stimmten Triumphgesänge an und riefen den Nie-
dergeworfenen schonungslos ihr »Vae victis!« zu. Die Besiegten
1*
4
sngen Klagelieder und Busspsalmen, oder riefen den Fluch des
Himmels auf die Häupter ihrer Bedränger herab.
Alles das, oder ähnliches suchte man vergebens in den
Erzählungen und Sentenzen des Neuen- Testamentes, aber man
fand es in den Psalmen und in den Büchern der Propheten,
die auch aus einer Zeit wechselvoller Kämpfe zu uns reden,
der Kämpfe gegen die Innern und äussern Feinde Israels und
gegen Heidenthum und Götzendienst. Im Zeitalter der Refor-
mation beanspruchte aber jedes der feindlichen Lager, das Israel
der Bibel zu sein und für die allein wahre Gotteslehre zu strei-
ten. Jeder Andersgläubige galt für einen Heiden, jede von der
eigenen abweichende Art der Gottesverehrung für Götzendienst.
Was Wunder, dass diese streithafte Zeit zumeist die Sprache
des Alten Testamentes redete, in welcher sie den entsprechendsten
Ausdruck für ihre Stimmung, ihre Bestrebungen und Ideen fand.
Zu diesen allgemeinen Verhältnissen kamen noch einige
specielle Umstände.
In ihrem Kampfe gegen die bestehende Kirche erkannte
die Reformation gar bald in dem Alten Testamente die ihr
günstigste Position, die sie deshalb auch vorzugsweise ein-
zunehmen liebte. Den Büchern des Alten Bundes entlehnte sie
am häufigsten die Waffen, mit welchen sie ihre Berechtigung
vertheidigte, die alten Dogmen angriff und für die Richtigkeit
der neuen, die sie an deren Stelle setzte, in die Schranken trat.
Oft pflegte sie das Alte Testament einfach aus dem Grunde in
den Vordergrund zu stellen, weil die römische Kirche es gar
zu sehr in den Hintergrund gedrängt ha-tte.
Zu dem Alten Testamente musste ferner selbst dort zurück-
gegriffen werden, wo es sich, genau genommen, bloss um die rich-
tige Auffassung des Neuen handelte, welches den streitenden Par-
teien gleichmässig als die Ergänzung und Vollendung des Alten
galt. Sobald daher die Autorität angegriffen ward, mit welcher die
römische Kirche das Neue Testament bis dahin ausgelegt hatte,
musste zum Behufe der strittigen Erklärung desselben das Alte
herbeigezogen werden, von welchem jenes ausgegangen war.
Wollte die Kirche den ihr angebotenen Kampf aufnehmen und
ausfechten, so musste sie ihren Gegnern in die von ihnen ein-
genommene Stellung folgen und ihnen mit denselben Waffen
begegnen, mit welchen sie angegriffen wurde.
Endlich aber hatte die Reformation, schon aus dogmatischen
Rücksichten, die Kirchenlieder und Legenden, die sie vorfand
zurückweisen müssen, ohne ihren Gläubigen sofort Ersatz bieten
zu können. Sie hatte das Alte aufgegeben und noch niclits
Neues geschaffen, das sie an dessen Stelle hätte setzen können.
Was ihr in Folge dessen fehlte, fand sie reichlich, und noch
dazu als Product göttlicher Eingebung, in den Schriften des Alten
Testaments; sie griff danach und nahm es auf. Statt der über-
kommenen Kirchenlieder und Hymnen Hess sie die Psalmen
Davids singen, statt der Heiligenlegenden die Reden und Wun-
derthaten der Propheten lesen. So drang das Alte Testament
rasch in die Kirchen und Familienhäuser ein, aus welchen es
vordem nahezu ausgestossen war.
Mit dem Alten Testamente gelangte auch
dessen Sprache, das Hebräische, zu neuem An-
sehen und zu einer vordem nicht geahnten Be-
deutung.
Die Kirche hatte als kanonischen Bibeltext eine lateinische
Uebersetzung, die Vulgata, acceptirt, die von dem hebräischen
Urtexte nicht unwesentlich abweicht. Die Reformation wies diese
Uebersetzung zurück. Ihre Führer und Vorkämpfer griffen in
reHgiösen Disputationen und Streitschriften, die damals an der
Tagesordnung waren, regelmässig auf den hebräischen Urtext
zurück, den sie ia möglichst treuer Uebersetzung dem Volke in
die Hand zu geben suchten. Auf diesen Urtext musste sich jetzt
auch die Kirche berufen, wollte sie ihren Standpunkt wahren
und den gegen sie gerichteten Angriffen nachdrücklich begegnen.
Wie es Luther erst im reifen Mannesalter that, so begann
man jetzt allüberall die hebräische Sprache eifrig zu studiren.
Sie wurde ein wesentlicher Bestandtheil, in gewissem Sinne,
die Grundlage der neuen Theologie; ihre wissenschaftliche Be-
handlung fällt mit den ersten Regungen der Reformation zu-
sammen und ging von ihrem Lager aus.
In kirchlichen und gelehrten Kreisen, sowie auf den Uni-
versitäten, an welchen neue Lehrstühle dafür errichtet wurden,
war kein Lehrer so gesucht, wie der des Hebräischen. Wie
einst der Heilige Hieronymus, der Verfasser der Vulgata, um
sich das Verständniss der hebräischen Sprache zu erschliessen,
unter den Weisen des Talmud seine Lehrmeister suchte, so wen-
dete man sich jetzt von allen Seiten in derselben Absicht an
jüdische Gelehrte. Unter diesen Wissensdurstigen befanden sich
Kardinäle, Bischöfe und die Obern der verschiedenen Mönchs-
orden, aber auch Fürsten und Adelige, Theologen, Juristen und
Staatsmänner. Um die ältesten Auslegungen der Bibel kennen
zu lernen, begann die christliche Welt sich immer eingehen-
der mit dem Talmud und mit der Midrasch-Literatur, noch mehr
aber mit der jüdischen Geheimlehre, der Kabbala, Izu beschäftigen,
in welcher sie die Mysterien des Christerithums finden wollte*
Ueberall fahndete man auf hebräische Bibeln und auf
sonstige hebräische Bücher, und es ist bezeichnend, dass es
zumeist Christen waren, welche die ersten grössern hebräischen
Druckereien anlegten. Die erste vollständige Talmudausgabe
veranstaltete, von christlicher Seite aufgemuntert und gedrängt,
der Christ Daniel Bomberg, aus dessen Officin auch die be-
rühmte Biblia rabbinica magna hervorging, welche
innerhalb dreier Jahrzehnte in drei Ausgaben erschien. Für
wie unentbehrlich den damaligen gebildeten Kreisen die Kennt-
niss des Hebräischen galt, beweist wohl am besten die That-
sache, dass sich oft auch Frauen, wie z. B. Königin Christine
von Schweden, mit dem Studium derselben befassten, mitunter
sogar in hebräischer Sprache icorrespondirten,
Unter solchen Umständen trat in der, von mittelalterlichen
Anschauungen getränkten, öffentlichen Meinung a 1 1 m ä 1 i g
ein Umöchwung zu Guilsteti der viel geschmäht
ten J u de nein.
Wohl waren sie noch immei* unterdrückt und verfolgt,
und man war noch immei* geneigt, . das Schlimmste von ihnen
zu glauben: aber man begann mit einer gewissen Achtung, um
nicht zu sagen, Pietät, von dem Volke zu reden, dem man die
zu. neuem Ansehen gelangte Bibel verdankte, das den so wich-
tig gewordenen Urtiext und, w^enigstens in seinem synagogalen
und wissenschaftlichen Leben,, auch die heilige Sprache des-
selben getreulich gehütet und überliefert hat. Man gelangte dahin,
die Vergangenheit dieses Volkes , unbefangener zu betrachten
und zu beurtheilen, was nicht ohne günstige Wirkung auf seine
Gegenwart blieb,
Von allen Seiten wurde hervorgehoben, dass das jüdische
Volk, als das »auserwähltQ«, bis zur. Entstehung des Christen-
thums das einzige war, das den wahren Gott verkündet hat,
und dass das Christenthum selber von ihm ausgegangen ist
Der heftige Federkrieg, der zwischen den streitenden Parteien
entbrannte, förderte nicht selten literarische Erscheinungen zu
Tage, welche, wie z. B. Lutherö Schrift »Dass Jesu ein gebo^
rener Jude gewesen«, zunächst wohl nur den Zwecken der
Selbstvertheidig'ung oder des Angriffes dienten, aber deshalb
doch eine billigere und mildere Beurtheilung der Juden zur
Folge haben mussten. Die angesehenen, nicht selten den höchsten
Ständen angehörigen Christen, welche durch ihre hebräischen
Studien mit Juden, in der Regel mit den besten unter ihnen,
in Verbindung traten, pflegten von ihren jüdischen Lehrmeis*
tern mit Achtung und Anerkennung zu reden und dieses Ge-
fühl in grösserem, oder geringerem Maasse auf die gesammte
Judenheit zu übertragen. Und ihr Beispiel wirkte auf die Massen.
Bezeichnend für diesen Umschwung der Anschauungen
sind die nicht seltenen Beispiele von Uebertritten zum Juden-
thum, denen wir um diese Zeit begegnen. Die Convertiten, und
unter diesen befanden sich auch Geistliche und Mönche, w^aren
in der Regel eifrige Bibelleser und solche, die sich eingehend
mit dem Studium der jüdischen Literatur beschäftigt hatten.
Noch bezeichnender als diese, immerhin vereinzelten Fälle
sind die sogenannten Halbjuden (Semi-Judaei), oder J u-
d e n z e r (Judaizantes), die jetzt an den verschiedensten Orten
auftauchten. Diese Bezeichnung, die als Spott- und Schimpf-
name galt, wurde vielen wegen ihrer religiösen Theorie, oder
auch nur wegen der Richtung ihrer theologischen Studien bei-
gelegt. »Judenzer« waren alle, die das Evangelium auf Grund-
lage des Alten Testamentes, dieses selber aber im Sinne der
jüdischen Tradition und der jüdischen Exegeten, oder doch mit
Berücksichtigung derselben zu erklären pflegten. Als »Halb-
juden« vurden Jene verschrien, die sich in wissenschaftlichen
oder religiösen Fragen auf die einschlägige Literatur der Juden
beriefen, die Juden selber in Ehren hielten, oder gar gegen
Angriffe zu vertheidigen wagten. In diesem Sinne wurde Reuch-
lin, der die hebräische Sprachwissenschaft in den Kreis der
christlichen Studien eingeführt hatte und für den zum Schei-
terhaufen verurtheilten Talmud eingetreten war, als »Judenzer«
und »Halbjude« verspottet und geschmäht. Dasselbe wdderfuhr
Grotius, ja sogar Calvin \ und der 17. Artikel der Augsburger
Confession verdammte die Secte der Chiliasten wegen Verbrei-
tung jüdischer Ansichten. *
* S. Die polemische Schrift Galvinus Judaizaiisin den, Wittenberg,
1593 erschienenen Schriften des Aegidius Hunnius II. S. 635 flg. Die sonstigen
hier angegebenen Daten sind zumeist allgemein bekannt und finden sich, mit den
betreffenden Quellenangaben, in jeder ausführlicheren Geschichte der Juden, z. B.
bei -Graetz Bd. IX. u. X. Vgl. noch Schudt, Juedische Merkwürdigkeiten I.
B. 5., Kap. 16.
8
Es fanden sich aber auch Solche, die einen Schritt weiter
gingen und das ursprüngliche und wahre Christenthum wieder-
herzustellen vermeinten, indem sie jüdisch religiöse Bräuche
und Satzungen, welche das Alte Testament vorschreibt, das
Christenthum ursprünglich ebenfalls für bindend erachtet und
erst später verworfen hat, thatsächlich übernahmen und übten.
Solche Judenzer tauchten, wenn Zeit und Verhältnisse sie be-
günstigten, an den verschiedensten Orten und zu den verschie-
densten Zeiten als besondere Secten auf, die sich mehr oder
minder entschieden auf den Standpunkt stellten, welchen die
Ebioniten und sonstige Judenchristen in den ersten Jahrhun-
derten nach Christus eingenommen hatten. Sie alle gingen von
der Bibel aus, welche sie je nach ihrer Auffassung zu erklären
suchten. So sehr sie sich auch von einander unterschieden,
kennzeichnet doch alle das gemeinsame Bestreben, den Glau-
ben an Christus mit dem Glauben an die für alle Zeiten bin-
dende Gesetzeskraft des Alten Testamentes zu vereinigen, und
durch die Kirche abgeschaffte altjüdische Gesetze im Christen-
thume wieder zur Geltung zu bringen. Solche judaisirende Secten
entstanden namentlich im Schosse der Reformation, oder als
Folge derselben.
In Böhmen tauchten schon um das Jahr 1530 Sabba-
t h a r i e r auf, welche »die Sabbathruhe mit einer solchen ängst-
lichen Genauigkeit betrachteten, dass sie an diesem Tage nicht
einmal ein Splitterchen, das ihnen zufällig ins Auge gerathen
war, wieder entfernen mochten«.^ Solche Sabbatharier (S u b b o t-
n i k i), oder Judenzer traten bald darauf auch in Schlesien,
Polen und Russland auf; in letzterem, wo sie in der zweiten
Hälfte dieses Jahrhunderts häufig zum Judenthume übertraten,
haben sie sich bis heute erhalten. a Aehnlichen Secten begeg-
^ Dieser der Aussenwelt zumeist in die Angea springenden, strengen Be-
obachtung des jüdischen Sabbath verdanken die verschiedenen judaisirenden
Secten den Namen Sabbatharier, wohl zu unterscheiden von „Sabbatianer/
womit man die Anhänger des jüdischen Pseudoraessias Sabbatai Zewi zu bezeich-
nen pflegt.
3 g, Joseph L u g o s s y, Uj Magy. Muzeum . (Neues ung. Museum) Jahrg.
1850—1, ir. S. VI. Joseph B e n k ö, Transilvania, II. S. 241. Allgem. Zeitung d.
Judenthums, Jahrg. XXVIII. S. 393. Herman Sternberg, Gesch. d. Juden in
Polen (Leipz. 1878) S. 116 — 126 und Wilhelm He n c k e 1, Beilage z. Allgemeinen
Zeitung (München, früher Augsburg 1889. No. 323, S 2. Bezüglich der Judenzer
'Sabbatharier und Molokaner in Russland bringen die betreffenden Kapitel des 2.
Bandes von L er oy-Beaulieu : La Russie.
nen wir um 1545 unter den Quäkern in England.^ Mehrere
Führer und Prediger der von alttestamentarischem Geiste ge-
tränkten Puritaner haben den Ruhetag' ebenfalls vom Sonntag
auf den Samstag zurückverlegt, ja sogar die Forderung erhoben,
dass das Alte Testament als Staatsgesetz anerkannt werde.^
Die ebenfalls in England aufgetauchten Christen-Ju-
den, die im Jahre 1661 zum Theil nach Deutschland auswan-
derten und sich in der Nähe von Heidelberg niederliessen,
glaubten wohl an Jesus, den sie als Erlöser verehrten, dabei
aber feierten sie den Sabbath und beobachteten sie die alttesta-
mentarischen Speisegesetze, ja sogar den Ritus der Beschnei-
dung".* In Böhmen entstanden, wahrscheinlich aus den Ueber-
resten der unterdrückten Hussiten, die sogenannten Abraha-
m i t e n, die zuletzt, vor etwas mehr als hundert Jahren (um
1780) in der grausamsten Weise in die südlichen Grenzgebiete
Ungarns geschleppt und vereinzelt internirt wurden, wo sie,
aufs strengste überwacht, binnen Kurzem untei'gingen. Ihre
religiösen Ansichten und Uebungen waren derart jüdisch, dass
ihre Zeitgenossen sie mit Recht als Solche bezeichneten, «die
nicht einmal dem Namen nach verdienten, Christen genannt zu
werden».* Im Jahre 1750 gründete Johanna Southcote die Secte
der Englischen Sabbatharier, oder Neu-Israeliten
welche durch die Beobachtung jüdischer Riten das Wieder-
erscheinen des Erlösers herbeizuführen hoffte und noch 1831
Gläubige fand. Unter den englischen und amerikanischen Bap-
tisten finden sich noch heutigen Tages kleine Gemeinden,
welche neben dem Sonntag auch den Samstag als Ruhetag be-
gehen,*^ während die «Adventisten vom siebenten Tage», eine
rein sabbatharische Secte in Amerika, welche gegenwärtig nach
Tausenden zählen soll und eifrig bemüht ist, auch in Europa
Gläubige zu gewinnen, obwohl sie Christus als Heiland verehrt,
ausschliesslich den jüdischen Sabbath feiert.^
* S. die Quellen bei Schudt, a. a. 0. I. 638.
* Quellen bei Graatz, a. a. 0. I. 95.
8 Schudt, a. a. 0. I. 523. u. ausführlicher das. IV. 1. Gontinuation S. 313.
* Ueber die Dogmen und letzten Schicksale dieser wenig gekannten Secte
1. Geschichte der Abrahamiten, IsraeHten und Christen in Böhmen u. s. w. 1783
(s. 1.) des obenangefahrte Citat des S. 55.
* Herzog, Realencycl, s. v. Sabbatharier.
* Der 7. Jahrgang ihres deutschen Organes „Herold der Wahrheit und
prophetischer Erklärer** erscheint (monatlich zweimal) in Basel. Ihre vom Jahre
1844 datirende Geschichte haben sie in dem Tractate. -Die Adventisten vom
10
Die allgemeinen Vorbedingungen zur Entstehung
des Sabbatharjerthums in Siebenbürgen.
So lange man sich damit begnügte, das Sabbatharierthum
in Siebenbürgen als blosse Curiosität zu betrachten und seine
Existenz einfach zu constatiren, pflegte man es mit der einen
oder andern der obenerwähnten judaisirendcn Secten in Ver-
bindung zu bringen. Namentlich sollten es die polnischen, oder
russischen Sabbatharier gewesen sein, deren religiöse Ansich-
ten in das Nachbarland Siebenbürgen drangen und dort Ver-
breitung und Anhänger fanden.
Diese naheliegende und darum bis in die jüngste Zeit
festgehaltene Ansicht musste aber fallen gelassen werden, als
man vor ungefähr vier Jahrzehnten zum erstenmale einen Ein-
blick in die bis dahin unbeachtet gebliebene sabbatharische Li*
teratur gewann. Schon Joset Lugossy, der Erste, der eine sab-
batharische Handschrift wissenschaftlich untersuchte, sprach sich
in einem 1850 gehaltenen Vortrage dahin aus, er glaube, «dass die
Entstehung des Sabbatharierthums in Siebenbürgen eine spon-
tan e gewesen, und auch ohne äussere Einflüsse, bloss aus dem
Gedankengange des menschlichen Geistes zu erklären ist.»^
siebenten Tage** skizzirt; nach S. 18 das. sollen sie i. J. 1879 schon 14441,
i. J. 1889 bereits 28324 „Gemeindegheder" gezählt haben. Eine stattliche Anzahl
kleinerer und grösserer Propagandaschriften, die sich zumeist mit dem Sabbath
beschäftigen, haben sie in der „Internationalen Traktat-Gesellschaft" (Basel imd
Hamburg) erscheinen lassen. Erst nach Vollendung des vorliegenden Buches
erschien im Verlage derselben Gesellschaft das umfangreiche Werk Die Gesch.
des Sabbaths u. s. w. von J. N. A n d r e vv s nach deutschen Quellen bearbeitet
und erweitert v. L. R. Conradi (Basel u. Hamb. 1891, 598 S. gr. S% das mit
grossem Flefsse aber oft ungenügender Kritik alle Daten zusammenstellt, welche
sich auf Christen und christliche Secten beziehen; die von den ältesten Zeiten
bis zum heutigen Tage den Sonntag als Ruhetag verworfen und den Sabbath
beobachtet haben. Es enthält für die obenangeführten Secten (S. 421-^536)
zalilreiche Quellen, und auf S. 556 — 8 interessante Nachrichten über die Organi-
sation und Verbreitung der Adventisten, welche auch in Deutschland, wo „das
Werk" erst 1889 aufgenommen wurde „nun (1891) über 2Ö00 Glieder, etwa 20
Prediger und über 30 Kolporteure" zählen sollen.
^ Per in der Ung. Akademie d. Wissensch, gehaltene Vortrag erschien
u. d: T. „Egy szombatos enekes könyvröl (lieber ein Sabbatharisches Gesangbuch)
in dem von der Akademie herausgegebenen Uj Magyar Muzeum. (Neues üng.
Museum) 1860 — 1 S. CVI — CIXX. Die, trotz mannigfachen Irrthümern höchst
lehrreiche Arbeit hat das Verdienst, die Aufmerksamkeit, zunächst der ungaFischen
wissenschaftlichen Welt, auf die bis dahin kaum beachteten siebenbürgischen
Sabbatharier gelenkt zu .haben.
11
Diese Ansicht, die der verdienstvolle Forscher, ohne die
übrigen Erzeugnisse der sabbatharischen Litteratur zu kennen,
aus einer, dazu noch ziemlich mangelhaften Handschrift
schöpfte, hat sich als die richtige erwiesen. Das diesbezüglich
mittlerweile zu Tage geförderte, reichhaltige historische und
handschriftliche Material bekräftigt die Annahme, dass das
Sabbatharierthum in Siebenbürgen ein urwüch-
siges Product de sSzekler Volksgeistes ist. Es
findet seine ausreichende Erklärung in den durch die Refor-
mation geschaffenen allgemeinen Verhältnissen, welche seine
Entstehung vorbereiteten und ermöglichten, sowie in specifisch
siebenbürgischen und gewissen localen Verhältnissen, welche
sein Inslebentreten zur unmittelbaren Folge hatten, und seine
Verbreitung und Fortentwicklung begünstigten und bedingten,
Die Reformation hatte nämlich in Ungarn so rasch Ein-
gang gefunden, dass bereits der im J. 1523 zu Ofen abgehal-
tene Landtag Veranlassung hatte, sich mit der neuen Lehre
zu beschäftigen, indem er über die Anhänger Luthers die
Todesstrafe und Vermögensconfiscation verhängte. Nichtsdesto-
weniger hat die Reformation, zumeist in Folge der zerrütteten
politischen Verhältnisse, die nach der für Ungarn verhängniss-
vollen Schlacht von Mohäcs (1526) platzgriffen, auch hier feste
Wurzel gefasst ; namentlich in den nordöstlichen Landes-
heilen, noch mehr aber in dem mit Ungarn geographisch
und geschichtlich enge verbundenen Schwesterlande Sieben-
bürgen hat sie sich überraschend schnell verbreitet. Und da
ähnliche Ursachen, unter ähnlichen Verhältnissen, auch ähnliche
Erscheinungen hervorzurufen pflegen, sind die dem Judenthume
und den Juden günstigen Wirkungen der Reformation, die
wir als begleitende Erscheinungen und als Folgen derselben
kennen gelernt haben, auch hier zu Tage getreten.
Während vordem, nach den bezeichnenden Worten eines
ungarischen Dichters der Reformation, «die Bibel kaum genannt
wurde und das Breviarium Alles war», tönt uns aus der hierauf
folgenden Strophe das Losungsw^ort einer neuen Zeit entgegen:
Die heil'ge Bibel her ! Hört, was sie r?pricht !
Ansonst entgeht ihr Gottes Geissei nicht !
Nur sie zeigt Qottes Willen, lehrt, was Pflicht,
Was Gnade bringt, und was Strafgericht. ^)
1 Szkharosi (^pr, Skaroschi) in Regi Magy. Költok Tara (Bibliothek der
alten ung. Dichter) II. S. 225. *
12
Die Anhänger der Reformation begründeten ihren Aus-
tritt aus der bestehenden Kirche in der Regel damit, sie seien
«durch die gelehrten Erklärer der Heiligen Schrift» überzeugt
worden, «dass sie bis jetzt im Irrthum befangen und auf dem
falschen Wege menschlicher Erfindungen gegangen waren» ^
Die katholischen Dogmen und Riten pflegten sie Vorzugspreise
mit dem Argumente anzugreifen:
Siehe, Nichts davon steht in den heil'gen Schriften.*
Selbstverständlich musste nun die Kirche das Entgegenge-
setzte nachzuw eisen suchen. In den religiösen Disputationen und
Streitschriften, die damals auch in Ungarn und Siebenbürgen
an der Tagesordnung waren, entlehnte man auf beiden Seiten
die stärksten und am häufigsten hervorgesuchten Argumente
«den Propheten und dem Gesetzbuche Moses», wobei sich der
Streit nicht selten um die richtige Deutung eines hebräischen
Textw ortes drehte, welches jede Partei nach ihrer Auffassung er-
klären wollte. Auch die Kanzelreden gingen, bei ihrer vorwie-
gend polemischen Tendenz, zumeist von alttestamentarischen
Texten aus, und die Bibel wurde auch hier immermehr Ge-
meingut Aller, ein Volksbuch im eigentlichen Sinne des Wor-
tes. Aus den Zeiten vor der Reformation kennen wir blos
Bruchstücke einer ungarischen Bibel, die im besten Falle von
höchstens zwei verschiedenen Uebersetzungen herrühren. Seit
Luthers Auftreten erscheinen in rascher Aufeinanderfolge die
verschiedensten ungarischen Uebersetzungen, welche bald die
ganze Bibel, bald einzelne Theile derselben dem Volke zu-
gänglich machen,» und in den Kirchen sang man die Psalmen
Davids, welche bereits im J. 1548 in ungarischer Ueber-
setzung gedruckt wurden.
Binnen Kurzem ist die Sprache der Bibel auch hier auf
Aller Lippen, im Lager der Reformation auch hier zumeist die
des Alten Testamentes. Bald steht nahezu die gesammte un-
garische Poesie unter dem Einflüsse dieses Buches, dessen
Inhalt und Sprache wohl nirgends so genau die Schicksale und
das Fühlen eines Volkes wiedergab, wie in dem damaligen
1 AlexJus Jak ab, David Ferencz 6lete (Leben des Franz Davidis) S. 11.
» Szkharosi, a. a. O. IL S. 1. B.
3 Das chronologisch geordnete Verzeichniss der ungarischen Bibelüber-
setzungen s. bei M. B a 1 1 a g i, Nyelvtudomänyi Közlem6nyek (Sprachwissen-
schaftliche MitthÄlungen) III. S. 39—42.
13
Ungarn und Siebenbürgen. Da fand man immer neue Aehnlich-
keiten zwischen der eigenen Vergangenheit und der des alten
Israel, und das von den Osmanen niedergeworfene, durch Bür-
gerkrieg zerfleischte, von Türken und Tartaren blutig miss-
handelte, schwer gequälte Volk erblickte in zahlreichen Ereig-
nissen, von welchen die Bibel berichtet, getreue Spiegelbilder
seiner eigenen traurigen Erlebnisse.
Die ungarischen Dichter dieser Zeit sahen in dem aus
Egypten gezogenen jüdischen Volke ihr eigenes Volk, wie es
nach langer, mühevoller Wanderung endlich eine Heimath fin-
det, die es schwer erkämpfen und dann mit seinem Herzblut
gegen die Feinde vertheidigen muss, welche es von allen Sei-
ten hart bedrängen. In dem besiegton, ausgeplünderten und er-
barmungslos verwüsteten Judaea erblicken sie ihr eigenes, in
ähnlicher Weise heimgesuchtes Vaterland. Die ins babylonische
Exil geführten Juden erinnern sie an ihre eigenen Stammes-
genossen, die scharenweise in die Gefangenschaft, zumeist in die
Sclaverei geschleppt wurden, und in dem «Wehgeschsei der
Tochter Judas» hören sie das ihrer eigenen Frauen und Töchter.
Diese harte Zeit brauchte und forderte auch harte Männer, von
Religion durchglühte, für Glauben und Nation kämpfende
Streiter, gleich jenen, von welchen die Bücher des Alten Tes-
tamentes erzählen, wie sie die Philister und Ammoniter und
Moabiter schlagen, das heisst, in die Sprache dieser Zeit über-
setzt: die Türken, Tartaren, aber auch den christlichen Feind,
zumal wenn er anderen Glaubens, also «Heide» war.
Darum schöpft die Poesie der ungarischen Reformation
ihre Begeisterung vorzugsweise aus dem Alten Testamente,
dem sie zumeist auch ihre Stoffe entlehnt. Sie überträgt die
Psalmen, passt sie in mehr oder minder freien Umdichtungen
den damaligen Verhältnissen an, und singt sie in Freude und
in Leid als Aufmunterung zum Kampfe, als Siegeslied, als Trost
im Unterliegen. In den zahlreichen poetischen Bearbeitungen
der Klagelieder Jeremias und der Erzählung von den Leiden
Hiobs leiht sie dem Schmerze ihr^s hartgeprüften ungarischen
Volkes Worte. Sie verherrlicht «Gideon, den theuren und gottes-
fürchtigen Helden», der «die Söhne Israels aus den Fäusten der
Heiden befreite«, den «tapferen und heldenhaften Simson», Sa-
muel, Saul, David. Ihre Lieder besingen die Patriarchen, die
Propheten und Märtyrer des jüdischen Volkes. Sie versificirt
neben einzelnen Kapiteln und Erzählungen, oft ganze Bücher
14
des Alten Testaments, das sie nebenbei fast immer zu Zwecken
der religiösen Polemik benützt, welche sich in gebundener
Sprache am derbsten und ungebundensten zu äussern pflegte.^
Unter solchen Umständen begann man jetzt auch hier die
biblischen und hebräischen Studien mit Eifer zu pfleg-en,
namentlich unter den Anhängern der Reformation. Wissbegie-
rige Jünglinge, von den Städten, Adeligen und Fürsten aufge-
muntert und unterstützt, zogen aus Siebenbürgen und den dazu
gehörigen ungarischen Landestheilen nach Deutschland, Holland
und der Schweiz, deren Hochschulen ebensoviele Brennpunkte
der damaligen theologischen Wissenschaft bildeten, welche mit
der jüdisch-hebräischen aufs engste verbunden war.^ Bezeich-
nend hiefür ist die folgende, wenn auch einer etwas späteren
Zeit angehörige Thatsache. Johann Leusden, der berühmte Pro-
fessor des Hebräischen an der Universität zu Utrecht, hat die
dritte Ausgabe seines, zur Erklärung des hebräischen Bibel-
textes verfassten, Compendium biblicum «zumeist auf
Wunsch seiner ungarischen Schüler veranstaltet». Das Buch
selber ist dem siebenbürgischen Fürsten Apafi gewidmet, weil
«vorzugsweise aus seinem Lande zahlreiche Jünger nach
Utrecht kamen, um daselbst, von dem Fürsten reichlich unter-
stützt, fleissig das Studium des Griechischen und des Heb-
räischen zu pflegen.»*
Die ältesten Dichter der ungarischen Reformation waren
allesammt Jünger der Wittenberger Hochschule. Es kann daher
nicht überraschen, wenn sie in ihren von theologischem Geiste
durchtränkten Dichtungen sich nicht selten auf die eigentliche
Bedeutung eines hebräischen Wortes berufen und die biblische
1 Für die hier angeführten, übrigens allgemein bekannten Thatsachen s. die
Belege in Regi Magyar Költök Tara (Bibliothek der alten ung. Dichter Bd. II— IV
— Vgl. Albert K a r d o s, A XVI. szazad magyar lyrai költ^szete (Ung. Lyrik des
XVI. Jahrh.) S 5—7, 20—34 und 53 flg. und Magy.-Zsidö Szemle (Ung.-jüdische
Revue) II. S. 417 flg.
3 S. Wilhelm F ran kl, A hazai 6s külföldi iskoläzas a XVI. szäzadban
(In- und ausländischer Schulbesuch im XVI. Jahrb.) S. 196 flg ; vgl. W. Fraknöi,
Melanchthon es magyarorszägi barätai (Melanchthon und seine ungarländischen
Freunde) in der ung. historischen Zeitschrift Szazadok, 1874, S. 140 flg.
sowie Joseph Kemeny, Die Stiftungen des Auslandes für die dort studirende
Jugend Ungarns und Siebenbürgens bei Kurz, Magazin f. d, Gesch. u. s. w.
Siebenbürgens I. S. 80 flg.
s Vgl. J. Co 1 d z i h e r. im Egyetemes Phil. Közlöny (Allgera. phil. Anzeiger)
YII. S. 42.
15
Geschichte oft nicht nach der Darstellung der heiligen Schrift,
sondern nach der Auffassung der jüdischen Tradition, oder
Legende erzählen. Einer von ihnen, Johannes Sylvester (Erdösi),
hatte um das Jahr 1544 an der Hochschule zu Wien den Lehr-
stuhl des Hebräischen inne.
An den höheren protestantischen Lehranstalten in Sieben-
bürgen und den dazu gehörigen, oder angrenzenden ungari-
schen Landestheilen wurde überall auch hebräisch unterichtet.
Schüler und Lehrer wetteiferten im Studium der heiligen Sprache
der Bibel, in der sie oft eine von den Zeitgenossen hochge-
priesene Fertigkeit erlangten, mitunter auch schrieben, ja sogar
dichteten.^ Die Pastoren und Prediger zogen auch auf der
Kanzel gerne die Gelegenheit herbei, den authorchenden Andäch-
tigen durch ihre Kenntniss des Hebräischen zu imponiren, und
aufdem Titelblatte der damals erschienenen verschiedenen Bibel-
übersetzungen fehlt nur selten die Bemerkung: angefertigt «nach
dem treuesten Wortsinn des hebräischen Originaltextes», oder,
wie man es wohl auch noch ausdrücken pflegte, «nach der
Wahrheit der jüdischen Sprache».
Dieser neuen Richtung der theologischen Wissenschaft
folgend, begann auch die katholische Kirche das Studium des
Hebräischen zu pflegen. Der Lehrplan des Tyrnauer Jesuiten-
collegiums vom Jahre 1558 zählt unter den Lehrgegenständen
auch «Bibelexegese in Verbindung mit Hebräisch» auf. Unter
den Sprachen, welche an der 1581 eröffneten katholischen Hoch-
schule in Klausenburg vorgetragen wurden, steht das Hebräische
obenan. Von den vielen hierhergehörigen Thatsachen sei, als
besonders bezeichnend, nur noch die folgende hervorgehoben.
Nikolaus Oläh, der als Staatsmann und Gelehrter gleich
ausgezeichnete Secretär König Ludwig IL und der Königin
Maria, später Erzbischof zu Gran und Primas von Ungarn,
pflegte sich in wissenschaftlichen Fragen, welche das Alte Tes-
tament und speciell das Hebräische betrafen, an Johannes von
Campen zu wenden, der sich zumeist deshalb mit den einschlä-
gigen Stücken beschäftigte, um Luther und Melanchthon «aus
denselben Büchern zu widerlegen, aus welchen sie die Be-
weise für ihre Behauptungen schöpfen». Unter anderem ver-
* Ein von mir angelegtes Verzeichniss von Ungarn, die im XVI. und XVII.
Jahrh. in hebräischer Sprache schrieben, soll demnächst an einer anderen Stelle
veröifentlicht werden.
16
gelangte er von ihm. im Jahre 1532, eine treue Übersetzung
und Erklärung des Buches Daniel, und versicherte bei dieser
Gelegenl^eit, er habe seine, Campens, nach dem hebräischen
Urtexte angefertigte Uebersetzung des Predigers wiederholt
gelesen und mit älteren Uebersetzungen verglichen. Gleichzei-
tig forderte er ihn auf, «diese seine nützliche und heilsame
Beschäftigung auch weiterhin fortzusetzen». Durch diesen
Correspondenten stand der Fürstprimas von Ungarn sogar in
mittelbarem Verkehr mit dem in Italien lebenden jüdischen
Gelehrten Elijah Levita, der wegen seiner hebräischen Sprach-
kenntnisse in christlichen Gelehrtenkreisen ein vielgesuchter
Lehrer war, an den man sich in jüdischen Dingen von weit
und breit um Auskunft wendete.^
Mit der erhöhten Bedeutung, zu welcher die Bibel und
die Sprache der Bibel gelangte, begann auch in Ungarn allmälig
die tiefe Verachtung zu schwinden, mit welcher bis dahin auf
das Volk der Bibel herabgesehen wurde. Dies war, in Folge
äusserer Verhälnisse, die wir noch kennen lernen werden
namentlich in Siebenbürgen der Fall. Wie die im Folgenden
erzählten Thatsachen und Ereignisse beweisen, gab es in der
damaligen christlichen Welt, vielleicht mit Ausnahme Englands
kein zweites Land, in welchem das Judenthum und dessen Be-
kenner so viel Anerkennung, ja Verherrlichung gefunden hätten,
als in den von Szeklern bewohnten Theilen Siebenbürgens.
So waren auch hier die Vorbedingungen für die Ent-
stehung einer judaisirenden Bewegung gegeben. Es bedurfte
nur des Zusammentreffens gewisser Umstände, um sie hervor-
zurufen, und der Männer, sie in Fluss zu bringen und zu leiten.
Und an beiden hat es nicht gefehlt.
^ Bezüglich Oläh's s. Arnold I p o 1 y i, Oläh Miklös levelez6se (Mich. OlähV
Briefwechsel) Bd. XXV. d. Monum. Hungariae Historica, S, 192 — 4; bezüglich
aller übrigen obenangeführten Daten s. die Quellennachweise in meinem
,A Szombatosok" S. 10-13.
Vorgeschichte des Sabbatharierthums
in Siebenbürgen.
Die Reformation war mit überraschender Schnei liofkeit
bis nach Siebenbürgen vorGredrungen, wo sie leicht Eingang
und Verbreitung, aber auch die (Frenze fand, über welche hinaus
sie nicht mehr recht gelangen konnte. Siebenbürgen war und
blieb in südöstlicher Richtung die letzte P^tappe auf ihrem
Sieg-eszuge. Es war, als ob die das Land umgebenden (jebirgs-
züge dem weitern Vorwärtsstürmen dieser mächtigen Bewegung
einen Damm entgegensetzten, so dass ihre Wogen sich hier
stauten und um so höher gingen.
Nach der Katastrophe, welche mit der Schlacht bei Mohäcs
über Ungarn hereingebrochen war, hatten sich nämlich politi-
sche Verhältnisse herausgebildet, welche der Verbreitung der
Reformation in Siebenbürgen in hohem Maasse günstig waren.
König Ludwig II. war auf dem Schlachtfelde geblieben, und
um den erledigten ungarischen Thron, sowie um den Besitz
des zu Ungarn gehörigen Siebenbürgen entl)rannten schier end-
lose Kämpfe zwischen den Fürsten dieses Landes und dem
habsburgischen Kaiserhause. Letzteres galt als Vorkämpfer und
Hort des Katholicismus. Was Wunder, dass die siebenbürgi-
schen Fürsten sich mit der Reformation verbanden und sie
nach Möglichkeit begünstigten.
Die Lehre Luthers, die bereits im Jahre 1520 in Sieben-
bürgen Wurzel gefasst hatte, erlangte schon im Jahre 1558 die
gesetzliche Anerkennung, der Calvinismus im Jahre 1564, und
vier Jahre später, 1568, das unitarische Glaubensbekenntniss.
Seitdem gab es in Siebenbürgen vier gesetzlich anerkannte
Kirchen: die katholische, lutherische, calvinische oder, wie sie
Dr. Kolin: Sabbatharier. 2
18
in der Regel genannt wurde, reformirte und endlich die uni-
tarische.
Das verhältnissmässig kleine Ländchen war in dem da-
maligen Europa das gelobte Land der religiösen Duldung und
Glaubensfreiheit. Ueberall herrschte jener engherzige, unduldsame
Geist, der jede von der seinigen abweichende religiöse An-
schauung, oft mit den rohesten Machtmitteln, schonungslos be-
bekämpfte: nur in Siebenbürgen konnte Jeder unbehindet seiner
Ueberzeugung folgen. Hier durfte Jedermann offen und unge-
straft seine religiösen Bräuche üben und, was damals schier
unerhört w^ar, in Glaubenssachen offen und ungescheut das
freie Wort gebrauchen.
Der 7. Artikel des im Jahre 1557 von dem Landtage zu
Torda angenommenen Gesetzes bestimmte, «dass Jeder, nach
den alten, wie nach den neuen Riten, die Religion hal-
ten dürfe, die ihm zusagt, nachdem es Jedermann
freisteht, in Glaubenssachen Das zuthun, was
ihm gefällt». Ein Beschluss des 1568-er siebenbürgischen
Landtags lautet: «Die Praedikanten sollten aller Orten, jeder
nach seiner Auffassung, das Evangeliun predi-
gen und verkünden. Nimmt es die Gemeinde an, so ist
es gut; thut sie es aber nicht, soll man sie nicht mit Zwangs-
mitteln nöthigen wollen, sintemalen ihr Ge-
wissen dabei nicht beruhigt ist. Sie soll sich
vielmehr einen solchen Prediger halten dürfen,
dessen Lehre ihr gefällt».
Diese beiden Gesetzartikel^ enthalten eine in der dama-
ligen Welt geradezu beispiellosse Anerkennung der Gewissens-
und der Redefreiheit. Eine solche verkündete auch Johann
Siegmund, als er vom siebenbürgischen Fürstenthron herab
das Wort aussprach, er wolle «einin Ansehung der Reli-
gion freies Land» Im Verlaufe der öffentlichen Religionsdis-
putation zu Grosswardein (i. J. 1569) that derselbe Fürst den gros-
sen Ausspruch: «Die Religion ist ein Geschenk Gottes; das
Gewissen kann durch Zwang zu Nichts bestimmt
werden,» und in der Rede, mit welcher er diese Disputation
schloss, sagte er unter Anderem: «In unserem Reiche kann man
überall frei disputiren . . . Ja, wir wünschten, dass
S. dieselben bei Alexander S z i 1 a g y i, Erd61yi Orszaggyülesi Emlekek.
auch u. d. T. Monumenta Gomitialia Regni Transsylvaniae, Bd. II. S. 78 u. 343.
19
ZU diesem Behufe auch aus anderen Landern
LT e 1 e h r t e Männer h i e h e r kamen, damit aus dem
reinen (j o 1 1 e s \v o r t e die Wahrheit offenbar
werde.» Diese Aeusserungen/ welche den (ieist der dama-
liiren Zeit weit überflügelten, bilden Lichtpunkte in der ('ultur-
g-eschichte nicht nur Siebenbürgens, sondern der Menschheit
überhaupt.
Ein solches Land war der geeignete Boden für den um
die Mitte des XVI. Jahrhunderts in Italien aufkeimenden, viel
verfolgten Unitarismus, der dort, sowie in der Schweiz,
schon im Keime durch llenkershand erstickt wurde. Mehrere
seiner Begründer und eifrigsten Anhänger gelangten auf ihrer
Flucht nach Polen, wo sie bereits im Jahre 1858 unitarische
Gemeinden zu gründen vermochten. Von hier verbreitete sich
die neue Lehre nach dem benachbarten Siebenbürgen, dessen
Fürst, der obenerwähnte Johann Siegmund, als Sohn Isahellas
von Polen, häufig: vornehme und grelehrte Polen an seinem
Ilofe sah. Und der Unitarismus fand hier rasch Gläubige,
und in Franz Davidis seinen Vorkämpfer und Helden.
Franz Davidis war einer jener muthigen Männer,
die ihre Ueberzeugung einer ganzen Welt gegenüber vorthei-
dicren und festhalten, aber auch stark genug sind, diese Ueber-
zeugung wieder aufzugeben, sobald sie dieselbe als eine
irrthümliche erkannt und die Wahrheit, die sie suchen, wo anders
trefunden zu haben glauben.
Die Reformation traf Franz Davidis als katholischen
Priester. Im Jahre 1540 nahm er mitsammt dem grössten
Theile der Bürgerschaft Klausenburgs, seiner Vaterstadt, die
L(?hre Luthers an, die er von da ab, zunächst als Schulmeister,
t^päter als Pastor, wiederholt gegen die Angriffe der Refor-
inirten vertheidigt. Die diesbezüglichen Disputationen, nament-
lich die Argumente seines gelehrten Gegners Peter Melius,
machen ihn von neuem in seinem Glauben wankend, und er
tritt zur reformirten (calvinischen) Kirche über, deren Lehren
er jetzt mit Eifer zu begründen und zu verbreiten sucht.
Einige Jahre später trifft er mit Johannes Blandrata zusammen,
^ S. Die Gitate bei Alexius Jak ab, a. a. 0. S. 114 u. 142. Dieser, auf
umfassendes Quellenstudium beruhenden Monographie sind auch, insoferne
nicht ausdrückhch andere Quellen angegeben werden, die Daten für die hier
folgende Darstellung der Kämpfe der siebenbürgisch-unitariüchen Kirche und des
l-Yanz Davidis entlehnt.
20
der in Italien an der Wiege des Unitarismus gestanden, in
Polen einer der Führer der Unitarier war und seit 1503, als
Leibarzt Isabellas von Polen, am Hofe Johann Siegmunds lebte.
Und Franz Davidis, der Hofprediger des damals reformirten
Fürsten, befreundet sich immer mehr mit den religiösen An-
sichten, welche der fürstliche Leibarzt in vertrauten Gesprächen
vor ihm entwickelt. Zunächst versucht er die reformirte Kirche
in unitarischem Geiste weiter zu reformiren. Im Jahr > 1566
verkündet er bereits offen den neuen Glauben und begründet
die siebenbürgisch-unitarische Kirche, die, so lange er lebte,
vollständig unter seinem Einflüsse stand.
Der Unitarismus hatte in Siebenbürgen von Anfang an
einen harten Kampf zu bestehen, der jedoch, von einigen
Gewaltthätigkeiten abgesehen, fast ausschliesslich \ mit den
Waffen des Geistes, dafür aber um so heftiger und leiden-
schaftlicher geführt wurde. Die drei altern, bereits gesetzlich
anerkannten Gonfessionen, obwohl sie sich untereinander
unablässig befehdeten, wareii eins in dem Hasse, den sie dem
Eindringling entgegenbrachten, der sich auf einen von dem
ihrigen wesentlich verschiedenen religiösen Standpunkt stellte,
und nur noch auf ihre Kosten Verbreitung und Anhang finden
konnte. Dazu kamen die Streitigkeiten, welche bald nach
dem Entstehen der unitarischen Kirche in deren eigenen Mitte
ausbrachen. Ihr Glaubensbekenntniss war noch schwankend
und entbehrte noch der festen Ausprägung, und die endgiltige
Feststellung der einzelnen Glaubensartikel hatte erbitterte
Kämpfe zur Folge, welche den Gegensatz zwischen dem
Unitarismus und der übrigen Christenheit immer mehr zuspitz-
ten und verschärften.
Dieser Gegensatz offenbarte sich zumeist in der Auffas-
sung von dem Wesen Gottes und, im Zusammenhange damit,
von der wahren Natur Jesus.
Alle übrigen christlichen Kirchen erkannten, je nach ihrer
eigenartigen Auffassung, in der Dreifaltigkeitslehre den wahren
Ausdruck für das Wesen 'Gottes. Die neuentstandene Kirche
hingegen wies dieses Dogma auf das entschiedenste zurück
und betonte scharf die Einheit Gottes. In Folge dessen bekannte
sie sich in dem damals nahezu schon beendigten theologischen
Streite, welcher über die rein menschliche, oder rein göttliche,
oder menschliche und gleichzeitig göttliche Natur Jesus ent-
brannt war, zu der von den übrigen aus dem Schosse der
21
Reformation hervorgegangenen Kirchen verworfenen Ansicht,
welche Jesus eine rein menschliche Natur zuerkannte. Die
ältere unitarische Kirchen- und Gebetsliteratur demonstirte mit
dem ständigen Ausdruck: »Der Mensch Jesus Christus.«
So wurde die Lehre von der Einheit Gottes das kennzeich-
nende Merkmal der neuen Confession, deren Bekenner sich eben
(leshalb Einheitsgläubige, U n i t a r i e r, nannten, während ihre
Gegner sie als Antitrinitarier, d. h. Widersacher der
Dreifaltigkeitslehre, oder aber, um sie zu Ketzern zu stempeln,
als A rianer zu bezeichnen pflegten.
Franz Davidis hatte das unitarische Glaubensbekenntniss
mit Feuereifer aufgegriffen und auch den Fürsten und dessen
Räthe zur Annahme desselben bestimmt. Er blieb aber nicht
dort stehen, wo er es vorgefunden hatte, sondern ging bald
weiter als sein Lehrmeister Blandrata. Der allmälig in offene
Feindseligkeit ausartende Gegensatz zwischen beiden trat am
schärfsten in der Frage hervor : An wen soll, beziehentlich,
an wen darf das Gebet gerichtet werden?
Anfangs, auf den Synoden vom Jahre 1568 und 1569, hatte
Franz Davidis nur so viel behauptet, dass »der Heilige Geist
nicht Gott sei, und dass man ihn nicht anzubeten brauche^ weil
die Propheten und die Apostel diese Anbetung nirgends lehren.«
In einer 1571 ershienenen Schrift machte er bereits einen Un-
terschied zwischen der Verehrung und Anbetung Gottes und
der Jesus. Im Jahre 1578 stellte er endlich vier Thesen ȟber
die Nichtanbetung Christi« auf, welche es mit Entschiedenheit
aussprachen, dass »ausser Gott, dem Vater, Schöpfer des Himmels
und der Erde, Niemand angebetet werden soll,« und dass »das
an Jesus gerichtete Gebet ein falsches Gebet ist.«
Mit diesen und ähnlichen Sätzen durfte Franz Davidis in
Siebenbürgen lange Zeit frei und ungestraft Lehren verkünden
und weiter fortentwickeln, wegen welcher kurz vorher Servet
in Genf verbrannt, und Julius von Treviso und De Riego in
Venedig ersäuft worden war. Diese religiöse Duldung fand
aber mit dem im Jahre 1570 eingetretenen Tode Johann Sieg-
munds ein jähes Ende. Sein Nachfolger, Stephan Bathori, machte
die bisherige Lehr- und Redefreiheit bald verstummen. Ein in
den drei ersten Jahren seiner Regierung dreimal wiederholtes
Gesetz bestimmte, dass »Niemand sich unterfangen dürfe, religiöse
Neuerungen einzuführen,« und dass dem Fürsten das Recht
zustehe, »dergleichen Neuerer mit Gefängniss, Tod, oder einer
^
ihrer Gotteslaesterung entsprechenden anderen Strafe zu be-
strafen« 1
Diese Gesetze waren in erster Linie gegen die Unitarier
gerichtet, gegen welche der katholische Fürst einen tiefen, durch
die Empörung des Unitariers Caspar Bekes noch gesteigerten
Widerwillen empfand. Sie waren aber nur die Vorzeichen des
nahenden Gewitters, das erst im Jahre 1576 zum Ausbruch
kam, als an Stelle des zum König von Polen erwählten Stephan
Bathori, dessen jüngerer Bruder Christoph den Fürstenthron
von Siebenbürgen bestieg.
Grade um diese Zeit begann Franz Davidis die Lehre
von der Nichtanbetung Christi öffentlich zu verkünden, wobei
er dem entschiedenen Widerspruche Blandratas, sowie des
Faustus Socinus, einer anderen Autorität der unitarischen Kirche,
begegnete. Ein Theil der unitarischen Geistlichkeit schloss
sich ihnen an, und die als oberste Instanz angerufene unitarische
Kirche in Polen, die als Mutterkirche galt, verurtheilte eben-
falls die neuen Lehren Franz Davidis. Die von beiden Seiten
aufgestellten und mit leidenschaftlicher Heftigkeit verfochtenen
Thesen verschärften die Gegensätze immer mehr. Die Bekenner
der jungen Confession theilten sich in zwei feindliche Lager,
die sich, wie es in solchen Fällen gewöhnlich zu geschehen
pflegt, rücksichtslos bekämpften. Schliesslich riefen Blandrata
und seine Genossen die Staatsgewalt zu Hilfe. Sie erklärten.
dass die Nichtanbetung Christi der unitarischen Glaubenslehre
widerspreche und denuncirten Franz Davidis als «Neuerer.»
der die oben erwähnten Gesetze übertreten habe.
Die Anklage begegnete offenen Ohren. Christoph Bathori.
der Beschützer und Freund der Jesuiten, hatte gleich zu
Anfang seiner Regierung die Vernichtung Franz Davidis und
die gleichzeitige Unterdrückung der unitarischen Kirche ins Auge
gefasst. Die vorbereitenden Schritte waren längst geschehen.
Der Fürst hatte bereits in den Jahren 1576 und 1578 strenge
Landtagsbeschlüsse durchgesetzt gegen die «im Lande um sich
greifenden unerhörten, gotteslästerlichen Neuerungen.» Die
«Jnnovatoren» sollten dem Fürsten ausgeliefert werden, der
sie, nach eigenem Ermessen, mit den schwersten Strafen
belegen soll.
1 S z i 1 ä g y i, Monumenta Gomilialia Regni Transsylvaniae III. S.
528,534 u. 536.
23
Franz Davidis sollte bald den unerbittlichen Ernst dieses
Entschlusses fühlen. Der damals schwer kranke Mann wurde
unter strenger Bewachung nach Karlsburg gebracht und vor
seine Richter gestellt. Er wollte sich zu keinem Widerruf
verstehen, sondern vertrat muthig seine Ueberzeugung. Zu lebens-
länglichem Kerker verurtheilt, ward er nach der Festung Deva
geführt, wo der von körperlichen und seelischen Leiden
gebrochene Mann nicht lange darauf, am 15. November 1579,
im Kerker starb.
Die eingeschüchterte und durch neuerliche Drohungen in
Furcht gejagte unitarische Geistlichkeit stellte nun, auf Bland-
ratas eifriges Betreiben, »das neue Glaubensbekenntniss von
der Gottheit, Anbetung und Anrufung Jesus und von dem
Reiche Christi auf.« Die Kirche Franz Davidis, d. h. die alt-
unitarische Kirche in Siebenbürgen, war nicht mehr, oder
richtiger, hatte aufgehört eine öffentliche, vom Gesetze aner-
kannte Kirche zu sein.
Wie in allen religiösen Kämpfen dieser Zeit, fiel auch in
den hier geschilderten die Hauptrolle der Bibel zu. Namentlich
w^ar es der Unitarismus, der die Idee der Reformation am ent-
schiedensten und kühnsten fortgeführt hatte, der sich dieser
mächtigen Waffe der Reformation am nachdrücklichsten
bediente. Gelegentlich der häufigen, nicht selten mehrere Tage
hindurch fortgesetzten, öffentlichen Disputationen stellten die
Unitarier in der Regel im vorhinein die Bedingung, dass die
Wahrheit einer Behauptung einzig und allein aus den klaren
Worten der Bibel bewiesen werden müsse, weil w A 1 1 e s, w a s
ausser den Propheten und ausser Christus und
den Aposteln, andere Menschen geschrieben
haben, zu verwerfen sei.« Die gegnerischen Parteien
pflegten diese Bedingung nur zum Theil und nur mit Vorbehalten
anzunehmen; dafür mussten sie es sich gefallen lassen, dass
den meisten ihrer Behauptungen von Seiten der Unitarier ein-
fach die Frage entgegengestellt wurde: »Wo ist das in der
Heiligen Schrift zu lesen ?« Das erste und letzte Argument,
welches die Unitarier gegen eine von ihren Gegnern verfoch-
tene, von ihnen aber zurückgewiesene Lehre vorzubringen
pflegten, war : »Wir können sie in der Heiligen Schrift nicht
finden.«
Um den richtigen Sinn der Evangelien festzustellen,
beriefen sie sich in einemfort auf die Bücher Moses, oder auf
24
die Schriften der Propheten ; anderseits protestirten sie gegen
das Vorgehen ihrer Gegner, »aus dem Alten Testamente geschöpfte
Beweise durch das Neue Testament als richtig zu erhärten.«^
Die aus Ersterem angeführten Citate erkannten sie nur dann
für echt, wenn sie genau dem hebräischen Urtexte
entsprachen, nie ht aber irgend einer Ueberset-
zung entlehnt waren. Diese Anschauung wurzelte so
tief, dass noch Georg Enyedi, der ungefähr dreizehn Jahre
nach Davidis Tode (1592 — 7) das Oberhaupt der n e u e n unita-
rischen Kirche w ar, gegen alle Beweisführungen aus der Sep-
tuaginta, Vulgata, oder aus der Lutherischen Bibel protestirte,
»weil die gewöhnlichen Bibelübersetzungen, da sie sich von
dem jüdischen Originale allzuweit entfernen, von allen Gelehrten
verworfen werden,«^
Die ganz im biblischen Tone, zumeist polemisch gehal-
tenen unitarischen Kanzelreden stellten die Bücher Moses und
die Evangelien, die Worte der Propheten und die Aussprüche
Jesus als gleichwertig nebeneinander und wimmelten von
alttestamentarischen Citaten und Anspielungen. Dasselbe gilt
von den auf unitarischer Seite erschienenen Flugschriften,
welche mitsammt den Gegenschriften, einem Platzregen gleich,
ins Volk fielen, das sie begierig aufgriff und mit Heftigkeit für
oder wider Partei nahm.
Diese Kämpfe beschäftigten alle Gemüther. An den reli-
giösen Disputationen, die von den dazu bestimmten Sälen in
die Kirche, und von dort auf die Strasse getragen wurden,
betheiligte sich das gesammte Volk, vom Fürsten bis hinab
zum letzten Bürger. »In jenen Tagen, — so berichtet ein
Chronist, dessen Aufzeichnungen aus einer Zeit datiren, wo
die in Rede stehenden Ereignisse noch frisch in aller Erin-
nerung w^aren, — hättest Du in ganz Siebenbürgen aller Orten
beim gemeinen Volke viel unvernünftiges Disputiren und Zanken
gehört. In Dörfen und in Städten, beim Essen und beim Trin-
ken, des Morgens und des Abends, bei Tag und bei Nacht,
und von den Predigern auf der Kanzel hättest Du gar viel
1 Neben zahlreichen anderen Stellen bei Alexius J a k a b s. die liier
angeführten Citate Seite 107, 110, 113, 149 und 174 das.
2 S. dessen Buch Explicationes Locorutn Scripturae Veteris et Novi Tes-
tamenti ex quibus Tritinatis Dogma stabiliri solet, S. 128 der Klausenburg 1610
erschienenen ung. Uebersetzung von Mathias T h or oc z k a i, '
25
Lästerungen und masslose Streitereien gehört, wie die Anhän-
ger der beiden Religionen, der calvinischen und der arianischen
(d. h. unitarischen) mit einander disputirten.»^
Die im Bisherigen geschilderten Ereignisse und Verhält-
nisse in Siebenbürgen, speciell innerhalb der unitarischen Kirche,
bilden die Vorgeschichte des dortigen Sabbat ha-
rierthums. Sie haben den Boden vorbereitet und empfäng-
licht gemacht, auf welchem bald darauf eine judaisirende
christliche Secte entstehen und gedeihen sollte.
Was die eigentliche Geschichte des Sabbatharierthums
anbelangt, lassen sich in ihr Entwicklung, Blüthe und Verfall
klar und deutlich unterscheiden. Dem entsprechend zerfällt sie
in drei, ihrer Zeitdauer nach, höchst ungleiche Perioden.
Die erste Periode, in welcher sich das Sabbatha-
rierthum noch anfeinem ausgesprochen christ-
lichen Standpunkte befindet, erstreckt sich von 1588
bis 1623, das ist von der Entstehung der neuen Secte bis zur
Zeit, wo der gestürzte Reichskanzler Simon Pechi ihre Führung
übernahm.
Die zweite Periode, in welcher das Sabbatharier-
thum sich dem Judenthume immer mehr nähert,
währt von 1623 bis 1638, das ist von der Zeit, wo Simon Pechi
sich an die Spitze der Bewegung stellte, bis zum ))Gerichts-
termin« von Dees, der die Kraft der siebenbürgischen Ju-
denzer brach.
Die dritte Periode, in welcher sich das Sabbatha-
rierthum bereits thatsächlich auf den Boden des
Judenthums gestellt hat, umfasst den mehr als 200 Jahre
langen Zeitraum von 1638 bis 1869, das ist, von dem »Gerichts-
termin« zu Dees bis zu der Sabbatharier öffentlichem Ueber-
tritt zum Judenthum.
Inhalt und Bedeutung dieser verschiedenen Perioden stehen
in einem umgekehrten Verhältnisse zu ihrer Zeitdauer. In den
beiden ersten, zusammen blos 50 Jahre umlassenden Perioden ist
das Sabbatharierthum frisch und lebensstark; es entwickelt
und organisirt sich, breitet sich aus und entfaltet eine verhältniss-
* S. die Aufzeichnungen des Franz Nagy Szabö bei Mikö, Erdölyi Tör-
6neti Adatok (Geschichtliche Nachrichten von Siebenbürgen.) I. S. 29.
26
massig bedeutende literarische Thätigkeit. Die darauffolgenden
251 Jahre bilden eine lange Periode des allmäligen Verfalls
in welcher die hart verfolgte Secte, deren Bekenner sich immer
mehr vermindern, ihr religiöses Leben nur noch mit den Ele-
menten fristet, die sie im geheimen' aus dem Judenthume
aufnimmt.
Entstehung des Sabbathariertums.
Die durch Franz Davidis hervorgerufene religiöse Bewe-
gung war wohl gehemmt, aber nicht gänzlich unterdrückt
worden. Den kühnen Neuerer hatte man ins Gefängniss
geschleppt, aber seine Lehren konnte man nicht hinter Kerker-
mauern bannen. Sie wurzelten bereits tief in den Herzen der
Schüler und der zahlreichen Gläubigen, die sie von dem viel-
verehrten Meister angenommen hatten, und überlebten den
im düstern Burgverliess verstorbenen Mann, der sie verkündet
hatte.
Die unitarische Volksmenge, w^elche unter den rührendsten
Aeusserungen treuer Anhänglichkeit den Karren begleitet hatte,
der seinen Seelenhirten nach Karlsburg vor den Gerichtshof
brachte ; die unitarische Bürgerschaft, welch« alles aufgeboten
hatte, um durch Deputationen, Bittgesuche und Geschenke die
Freisprechung des Angeklagten zu erwirken ; die unitarischen
Adeligen, die noch in der Stunde der Urtheilsverkündigung
die p]rklärung abgaben, dass sie bei den von ihnen getheilten
Ansichten Franz Davidis beharren, und die Lehre von der
Nichtanbetung Christi beizubehalten wünschen ; die unitarischen
Geistlichen, die zum grossen Theile nur durch Einschüchte-
rungen und Drohungen dahin gebracht werden konnten, dass
sie das Verdammungsurtheil über Davidis und das bei dieser
Gelegenheit aufgestellte neue unitarischo Glaubensbekentniss
unterschrieben, zum Theil aber allen Drohungen trotzend, ihre
Unterschrift hartnäckig verweigert und lieber auf Amt und
Würden verzichtet hatten : alle diese konnten in Folge eines
Richterspruches unmöglich mit einemmale ihre religiösen Ueber-
zeugungen ändern und den Glauben aufgeben, welcher ihnen
mit hinreissender Beredsamkeit und in gierig aufgegriffenen
Schriften verkündet w^orden war, einen Glauben, der jetzt auch
27
seinen Märtyrer hatte, der für ihn in den Kerker und von dort in
den Tod gegamgen war.
Der eing-ekerkerte Franz Davidis lel)te noch, als sich der
auf den 21. Oktober 1579 einberufene Landtag bereits veran-
lasst sah, »die im Lande noch immer fortdauernden religiösen
Neuerungen, von welchen, trotz den wiederholt erlassenen
Verboten, Laien und Geistliche nicht aufhören im geheimen
fortzuflüstern«, wieder einmal aufs strengste zu verbieten.^
Die auf Grund des neuen Glaubensbekenntnisses consti-
tuirte unitarische Kirche hatte «die Laien und Geistlichen,»
welche sich noch immer zu den Ansichten Franz Davidis
bekannten, öffentlich und feierlich aus ihrem Schoosse aus-
geschlossen. Diese wieder konnten jene Unitarier nicht mehr
als Glaubensgenossen betrachten, die mit dem neuen Glaubens-
bekenntniss einen von dem ihrigen abweichenden, also nach
damaliger Anschauung, falschen Glauben angenommen hatten.
Die N e u-Unitarier waren in den Augen der den Lehren Franz
Davidis treu gebliebenen A It-Unitarier, gleich den Bekennern
aller übrigen christlichen Confessionen, im Irrwahn befangene
Ungläubig.\
Ein Lehrgedicht, das zu den ersten und ältesten Erzeug-
nissen der sabbatharischen Literatur gehört, sagt das auch
rund heraus : «Pabstthum, Lutherthum und Galvinismus, die
alle den dreieinigen Gott bekennen,
Die drei halten in dieser Welt voll Sünden
Gar viele fest in Dunkelheit, gleich Blinden ;
Erkenntniss Grottes können sie nicht finden,
Sie täuschen sich mit falschen, nichtigen Gründen.
Die Vierten, die wohl einen Gott verkünden,
Kann ich, denn diese drei, nicht besser finden ;
Sie glauben auch, was Menschen nur erfinden,
Und gehen einen Weg mit jenen Blinden. -^
Der Verfasser dieses, der Form und Sprache nach urwüch-
sigen Gedichtes ist Andreas Eössy, ein echter Alt-Unitarier,
in dem wir den Begründer des Sabbatharierthums kennen
1 SziUgyi a. a. 0. III. S. 143.
* Altes Sabbatharisches Gesangbuch, Nr. 107, („Der den
Weg zum Heile zeigende Gesang"), Strophe 7 — 8. Die Uebersetzung sucht das
nicht immer richtige Metrum und die Beimart dieser oft recht primitiven Gedichte
möglichst treu wiederzugeben.
28
lernen werden. Ihm steht demnach der von Blandrata und
seinen Genossen proclamirte, und nunmehr von Staatswegen als
richtig anerkannte neue, Unitarismus, als vierte Religion, auf
einer Linie mit den übrigen drei Religionen, welche schon
früher gesetzlich recipirt waren. Alle vier sind ihm gleich-
massig Menschenwerk und Unverstand ; denn, so fährt er fort :
Nicht kann die Wahrheit sein bei diesen Vieren,
Wo Irrthuin blos, und nichts von Heil zu spüren:
Ihr Glaube kann zur Seligkeit nicht führen —
Da ist vergebens alles Disputiren ! *■
Wo aber isf die Wahrheit denn?
Nach den Alt-Unitariern natürlich in dem Glauben, den
Franz Davidis lehrte.
Diesen, nunmehr von ihrer eigenen Kirche verdammten
und von Staatswegen verbotenen Glauben durften sie aber nicht
öffentlich bekennen. Wie es in dem oben (S. 27) erwähnten
Landtagsbeschluss bezeichnend heisst, wurde von ihm nur
mehr im »Geheimen« geflüstert. Religionen, die nur im Gehei-
men geübt und gelehrt werden können, pflegen aber nicht
lange auf ihrem ursp rünglich eingenommenen Standpunkte zu
verbleiben. Da sie keine feste Organisation und keine aner-
kannte, einheitliche Leitung besitzen, wird ihre Sache von
Einzelnen in die Hand genommen, die sich dazu berufen fühlen.
Diese gehen nach ihrer individuellen Auffassung vor, in welche
sie sich immer mehr versenken, und gerathen, da sie durch
keine feststehende Form gebunden sind und nicht unter der
Controle der Oeffentlichkeit stehen, allmälig von der breiten
Landstrasse auf abseits gelegene Pfade, welche sie von der
ursprünglich eingeschlagenen Richtung immer weiter abführen.
Religiöse Ueberzeugungen, die verfolgt und niedergetreten wer-
den, verfallen in der Regel in Extreme. Der Druck von aussen
erzeugt den Fanatismus, der den Weg, den man ihm verwehrt,
nur mit um so grösserer Hartnäckigkeit verfolgt, und am
krampfhaftesten festhält, was man ihm gewaltsam entreissen will.
Genau so lagen aber die Verhältnisse im Lager der Alt-
Unitarier, die wohl nur im geheimen, aber umso pietätsvoller
und eifriger den verbotenen Lehren ihres heimgegangenen
Meisters anhingen, und deshalb im Volksmunde auch »Davi-
disten« hiessen.
1 Das., das. Strophe 9.
29
Franz Davidis hatte in Sachen der Religion nur eine
Autorität anerkannt : die Bibel. Ihm galt, »Alles, was nicht aus
der Bibel zu beweisen i^t, als blosse menschliche Erfindung.«
Von diesem Satze ausgehend, bekämpfte er »die Dreifaltig-
keitslehre, welche die Patriarchen, .die Propheten und die
Apostel nicht kennen«, und wies er die Anbetung Christi zurück.
»Eine Gottes Verehrung, welche — so erklärte er noch vor
seinen Richtern — in dem Gottesworte nicht befohlen ist, kann
Gott nicht gefällig sein. Die Anbetung Christi ist aber in der
Heiligen Schrift nirgends befohlen, sie kann daher nicht gott-
gefällig sein.«^
Seine führerlos gebliebenen Getreuen sind aber hiebei
nicht stehen geblieben. Sie haben vielmehr den von Davidis
aufgestellten Satz weiter entwickelt und rücksichtslos die
Schlussfolgerungen gezogen, die sich ihnen aus ihm ergaben.
So verfolgten sie entschlossen die Richtung, w eiche ihr Meister
angedeutet hatte und in welcher er vielleicht selber weiter
vorwärts gegangen wäre, wenn sein Sturz und bald darauf der
Tod ihm nicht Halt geboten hätte. AUmälig gelangten sie dahin,
im Christenthume immer neue, von Franz Davidis unberührt
gelassene Dinge zu finden, die ihnen aus der Bibel uner-
weisbar schienen, manches Andere wieder zu vermissen, was
in der Bibel klar zu lesen war.
Hierher gehören in erster Linie jene Gebote und Anord-
nungen der fünf Bücher Moses, oder, wie man damals zu sagen
pflegte, des Gesetzes, welche die Kirche theils modificirt,
theils durch andere ersetzt, theils vollends aufgehoben hat.
Mit welchem Rechte, fragten sie, konnte das geschehen? Einige
von den Vorschriften des Gesetzes als bindend anerkennen,
andere ausser Kraft setzen w ollen, ist unmöglich, ist verboten ;
Dena wer die Biebel stück weis nur beachtet,
Und eine Auswahl als Gesetz betrachtet,
Betrügt sich selbst, von Irrwahn dicht umnachtet.'^
Das sabbatharische Psalmen- und Gesangbuch vom Jahre
1604,ist nicht ohne Ursache mit dem Vers aus dem Evangelium
Matthäi eingeleitet : »Ihr sollt nicht wähnen, dass ich gekom-
1 Alexius Jak ab, a. a. 0. S. 235 und die dieser Schrift beigegebenen
Egyhäztörteneti Eml6kek (Kirchengeschichthche Monumente) S. 47.
« S. Das Sabbaihar. Lehrgedicht „Von der Beobachtung des göttlichen
Gesetzes.* (No. 110 des Alten Sabbat h. Gesangbuches) 111. Theil, No. 25.
30
men bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen. Ich bin
nicht gekommen es aufzulösen, sondern zu erfüllen.« Dieses
Motto der ältesten uns bekannten sabbatharischen Handschrift^
war gleichzeitig die Rechtfertigung des Sabbatharierthums, das
sich auf diesen Ausspruch Jesus zu berufen pflegte, wenn es
die Bestimmungen des alten Testamentes innerhalb des Chris-
tenthums wieder zur Geltung zu bringen suchte.
Zu diesen Innern Gründen kamen noch äussere, aber nicht
minder wichtige Momente, welche die treugebliebenen Anhän-
ger des verstorbenen Reformators dahin führen mussten, die
Lehren ihres Meisters gerade in judaisirendcr Richtung weiter
zu entwickeln.
Als Franz Davidis seine These von der Nichtanbetung
Christi aufstellte, wurde sofort der Vorwurf laut, dass er »Ju-
denzer« sei. So schleuderte ihm Faustus Socinus die Anklage
entgegen, »dass er judaisire und, indem er Christus verleugne,
Moses in die Kirche einführen wolle.« Dasselbe wiederholte
Blandrata in Kronstadt, als Davidis dort vor seinen Richtern
stand,2 und als Ursache seiner Einkerkerung wird in einer
zeitgenossischen sächsischen Chronik mit dürren Worten ange-
geben, Davidis sei »Jude geworden.« ^
Diese Anklage war ungerecht. Franz Davidis war nichts
weniger als Judenzer. Die Einheit Gottes, unter den von ihm
verkündeten Lehren die einzige, welche wirklich jüdisch war,
ist keine ihm eigenthümliche ; sie bildete vielmehr von Anfang
an eine der Grundlagen der unitarischen Kirche und ist noch
heute eine solche. Seine These von der Nichtanbetung Christi
widersprach allerdings der Auffassung der übrigen christlichen
Welt, war aber, weil dem Judenthume vollständig ferne ste-
hend, deshalb noch lange keine jüdische. Von allem dem, was
die verschiedenen judaisirenden Secten kennzeichnet, ist bei
ihm keine Spur zu entdecken. Er hat nie den Versuch gemacht,
ein von der Kirche abgeschafftes mosaisches Gesetz wieder
zur Geltung zu bringen, oder einen jüdischen Brauch einzu-
führen ; er äusserte sich vielmehr stets wegwerfend über den
»an körperliche Dinge und an einen bestimmten Platz gebun-
^ Eigenthum der unitarischen Hochschule zu Klausenburg.
2 Diese und ähnliche Äusserungen über Davidis s. bei Alexius J a k a b
a. a. 0. S. 226 und 235.
3 Joseph T r a u s c h, Ghroncion Fuchslo-Lupino-OIlardinum I. S. 71 :
„Franciscus Davidis ex Sacramentario Arianus et ex Ariane Judaeus factus.*
31
denen« jüdischen Gottesdienst, und das Neue Testament stellte
er hoch über das Alte. »Wer, — so sagte er — den Unterschied
zwischen diesen beiden Büchern nicht begreift, Moses mit
Christus, das Gesetz mit dem ICvangelium verwechselt: der
verwechselt den Buchstaben mit dem Geiste, das Irdische mit
dem Himmlischen, macht aus Christen Juden, vergisst des
ewig-en Lebens und versteht die heiligen Schriften nicht.« ^
Wer so sprach, hat wahrhaftig nicht judaisirt. Aber seine
Feinde und Verfolger hatten ihn einmal als Judenzer hinge-
stellt, ja waren noch weiter gegangen. Um ihn zu stürzen und
seine Verurtheilung zu rechtfertigen, hatten sie seine Lehrsätze
entstellt, ja gefälscht, und ihm auch solche unterschoben, die
man aus seinen Thesen vielleicht folgern konnte, die er
selber aber nie aufgestellt hat, zum Theil sogar solche, die
aus seinen Thesen nicht einmal herauszuklügeln waren. Unter
den sechzehn Glaubensartikeln, die ihm, um ihn zu verderben,
angedichtet wurden, befanden sich auch die folgenden :
II. «Jesus, der Mann aus Nazereth .... war wohl Send-
bote Gottes, aber nicht Alles, was er sprach, ist
G Ott es wort.))
III. Seine und der Apostel Worte sind daher mit dem
von den Gesetzen Moses und den Schriften der übrigen Pro-
pheten gegebenem Maasse zu messen. Was diesen wider-
spricht ist zu verwerfen, oder so zu erklären,
dass es mit ihnen übereinstimmt, denn sie bilden
*
die alleinige Richtschnur für die Moral, das Leben und den
Gottesdienst.)) 2
Davidis protestirte vergebens gegen «alles das, was Andere
in seinem Namen herumtragen.)) Seine Verurtheilung erfolgte
zumeist auf Grund dieser ihm unterschobenen Glaubensartikel,
welche seine Gegner durch Sendschreiben in den weitesten
Kreisen verbreiteten.
Diese Anklagen und Verleumdungen verstummten auch
nach seinem Tode nicht. Man Hess es sich angelegen sein, im
Volke zu verbreiten, dass die Lehren Davidis «nothwendiger-
weise die Judaisirung des Christenthumes zur Folge haben
müssten.))3 Man sprengte aus, «Franz Davidis hätte, wäre er
^ Alexias Jakab, a a. 0. S. 192.
» A. a. 0. S. 230.
3 Stephan K a t o n a von G e 1 e j, Titkok Titka (Geheimniss der Geheim-
nisse) Karlsburg 1645, S. 270.
32
am Leben geblieben, seine Absicht, das Judenthum und
die Beschneidung einzuführen und das ganze
Neue Testament zu verwerfen, sicherlich zu verwirk-
lichen gesucht.))^ Musste da die nachträgliche Verwirklichung
dieser Absicht den Jüngern und Anhängern dieses Mannes
nicht als grosse und heilsame Sache erscheinen, werth, dass
sie unternommen werde, dass man für sie eintrete und Opfer
bringe ?
Das Andenken des »grossen Märtyrers«, wie ihn seine
Anhänger jetzt zu nennen pflegten, war nicht nur der grossen
Masse heilig; auch unter den leitenden Persönlichkeiten der
unitarischen Kirche fanden sich noch Männer, die den Muth
hatten, für die Sache des Verklärten einzutreten. Namentlich
war es die unitarische Geistlichkeit in Ungarn, die nicht unter
dem von Blandrata und dem Fürsten Christoph Bäthori geüb-
ten Drucke stand, die für den »verrathenen Franz Davidis« ent-
schieden, ja leidenschaftlich Partei ergriff. Paul Karädi, Bischof
der ungarländischen Unitarier, richtete an die Bewohner von
Klausenburg mehrfache Sendschreiben voll flammenden Unwil-
lens und beissender Ironie, in welchen er Alle aufs heftigste
angriff, die Davidis angeklagt und verurtheilt hatten. Briefe
ähnlichen Inhaltes schickte auch Benedict Ovari/ unitarischer
Prediger zu Simänd, nach Siebenbürgen. Aber auch unter den
gelehrten Unitariern in Siebenbürgen fanden sich Männer, wie
Jacob Paläologus und Johannes Sommer, welche die verur-
tbeilten Lehren Davidis aufs entschiedenste vertheidigten.^
Was Wunder, dass den noch immer zahlreichen An-
hängern und Verehrern dieses Mannes die Idee des judaisi-
renden Sabbatharierthums nahe gelegt, fast könnte man sagen
aufgedrängt wurde, so dass sie nur ausgesprochen zu werden
brauchte, um unter den Alt-Unitariern zahlreiche Anhänger zu
finden. Glaubten sie doch, oder richtiger : hatte man sie doch
glauben gemacht, dass ihr bisheriger Lehrer und Führer, der
Begründer und das vielverehrte Oberhaupt ihrer Kirche ein
^ Bericht des Jesuitenpaters Stephan Arator vom J. 1600 in dem
Archiv d. Vereins für Siebenbürg, Landeskunde, XIX. S. 595.
2 Die näheren Angaben und Quellen für obige Daten s. Alexander
S z e k e ly, ünitärius valläs tört^netei Erdölyben. (=Gesch. d. unitarisch. Religion
in Siebenbürgen) S. 66, sowie die vortreffliche, in dem Folgenden oft citirte,
unitarische Monalsschrift KeresztenyMagvetö (=der Christliche Säemann)
Jahrg. XX. S. 595.
33
Judenzer war, und dass die Glaubensartikel, weg-en welcher
er verurtheilt wurde, judaisirende gewesen seien. Weshalb
sollten sie nicht ebenfalls Judenzer werden ? Wenn es wahr
ist, — und es musste wahr sein, ist er doch auf Grund dieser
Anklage eingekerkert worden — dass Franz Davidis gelehrt
habe, »Alles, was mit dem Gesetze Moses in Widerspruch
steht, sei zu verwerfen, und dieses Gesetz bilde die alleinige
Richtschnur für die Moral, das Leben und den (lOttesdienst« :
weshalb sollten sie dieses Gesetz nicht zur Geltung zu bringen
suchen, weshalb es nicht ebenfalls befolgen ?
Es ist gewiss, dass unter den ersten Sabbathariern viele
vielleicht die meisten, nur deshalb dieser Secte beitraten, weil
sie das Sabbatharierthum für den echten Glauben Franz Davidis
hielten. Sie waren überzeugt. Jünger des »verrathonen, from-
men und gottesfürchtigen« Mannes, die unverfälschten, alten
Unitarier zu sein, die sich weder durch Gewalt, noch durch
Drohungen und Versprechungen, die Irrthümer der Neu-Uni-
tarier aufdrängen Hessen, sondern unentwegt die Lehren ihres
Meisters befolgten, seine Wahrheiten fortentwickeften und seine
Absichten und Pläne zu verwirklichen suchten.^ Im Volks-
munde hiessen sie anfangs auch, gleich den Alt-Unitariern, D a-
vidis t en.«
Die Entstehung des Sab bathar ierth um s in
Siebenbürgen ist somit unmittelbar auf die Vor-
gänge innerhalb der dortigen unitarischen Kir-
che zurückzuführen. Auswärtige Einflüsse haben hierbei
nicht mitgewirkt. Solche hätten sich zunächst und zumeist bei den
nicht-magyarischen Bewohnern Siebenbürgens geltend machen
müssen : bei den Sachsen, Rumänen, Polen, Rusnyaken und
sonstigen Slaven. Aber gerade unter diesen hat das Sabba-
tharierthum nie Wurzel zu fassen vermocht. Seine Bekenner
waren vielmehr zu allen Zeiten ausschliesslich Szekler,
und seine nicht unbedeutende Literatur ist eine durchweg
kernmagyarische, welche wohl zahlreiche hebräische, bezie-
hungsweise jüdische Elemente, aber sonst absolut nichts Frem-
des aufgenommen, oder verarl)eitet hat. Anderseits tauclit das
Sabbatharierthum, von welchem vorher keine Spur zu ent-
decken ist, erst nach der Unterdrückung der alten unitarischen
* Das alles setzt das Alte Sabbatharierbuch, über welches
wir weiterhin berichten, mit den schärfsten Worten klar auseinander, s.
Kereszt^ny Magvetö, XXL S. 143-5.
Dr. Kohn : Sabbatharier. 3
84
Kirche, fast unmittelbar nach dem Tode Franz Davidis aul
Die Begründer und die ersten Gläubiger dieser Secte sind
sammt und sonders eifrige Unitarier aus der Schule dieses
Reformators, und die Lehren, wegen welcher Davidis verur-
theilt wurde, darunter auch jene, die man ihr* unterschoben
hat, finden wir alle in der ältesten Dogmatik der Sabbatharier
wieder.
Mit diesen Thatsachen stimmen auch die ältesten Berichte
überein, die wir über die Entstehung des Sabbatharierthums
noch besitzen.
Franz Nagy Szabö, der zur Zeit des Auftauchens dieser
Secte, welcher sich auch seine Mutter, sein Bruder und sein
Schwager angeschlossen hatten, ungefähr sieben Jahre alt sein
mochte, stellt in seiner Chronik das Sabbatharierthum einfach
als eine Neuerung hin, welche sich nach dem Tode Davidis
im Schosse des Unitarismus herausgebildet hat, wo »bald
darauf aus der einen zwei Religionen wurden, und zwar die
unitarische und die sabbatharische Religion.«*
Stephan* Katona von Gelej, seit 1633 Superintendent der
Reformirten in Siebenbürgen, der ungefähr ein halbes Jahr-
hundert nach Entstehung des Sabbatharierthums schrieb, be-
richtet, Blandrata habe die Lehren Franz Davidis aus dem
Grunde bekämpft, weil er voraussah, »dass aus ihnen jede
Art von Gottlosigkeit und Judenzerei entstehen müsse,
wie es denn auch wirklich gescha h.« Nach dem
Tode dieses Mannes, »haben seine Anhänger, die ihn für einen
grossen Märtyrer hielten, sich in seine Anschauungen immer
mehr verbissen und gleichsam festgerannt. Viele unter ihnen,
die in der Sache noch weiter gingen, verfielen sogar
in Judenzerei. «2 Fürst Georg Räköczy I. endlich hat sich
womöglich noch deutlicher über die Sache ausgesprochen. Als
er im Jahre 1638 die grausame Verfolgung der Sabbatharier
anordnete, gab er die Weisung : Man forsche nach, »wer zu
den Sabbathariern gehört, die von der recipirten uni-
tarischen Religion zum Judaismus übertreten
sind.«5
Das S abbathariejrthum in Siebenbürgen war
zur Zeit seiner Entstehung weiter Nichts, als
1 Mikö, a. a. 0. I. S. 29.
3 Stephan Katona v. Gelej, a. a. 0. I. S. 17 der Vorrede.
» Szilägyi, Mon. Gomit. Transs. III. S. 143.
85
eine in den damaligen Verhältnissen begrün-
dete, extreme Auffassung des alt-unitar isc hen
Glaubensbekenntnisses, eine mit starrer Conse-
quenz einseitig fortgeführte Entwicklung der
Lehren, welche Fran z Davidis verkündet hatte.
Der Entstehung, Fortentwicklung und Verbreitung dieser
Secte kam noch ein besonderer Umstand zustatten.
Vor der Reformation waren die Juden in Ungarn und in
Siebenbürgen Gegenstand der tiefsten Verachtung. Sie waren
ausserhalb des Gesetzes stehende, von der Gesellschaft und
jedem ehrenhaften Erwerb ausgeschlossene, durch ihre Kleidung
gekennzeichnete, durch gewisse Abzeichen gebrandmarkte Men-
schen, mit welchen es für sündhaft galt, auch nur unter einem
Dachezuwohnen. Ihre Religion wurde allgemein für eine Art von
Gotteslästerung gehalten, und das war so ziemlich Alles, was
man von ihr wusste. Selbst in amtlichen Actenstücken wurden
»Viehe, wilde Thiere, Heiden und Juden« in eine Reihe gestellt.^
Unter solchen Verhältnissen wäre die F]ntstehung einer
judaisirenden Secte kaum möglich gewesen. Es ist einfach un-
denkbar, dass dazumal in Ungarn und Siebenbürgen Jemand
eine Lehre, oder eine religiöse Uebung angenommen hätte,
welche als jüdisch galt. Nach der Reformation und als Folge
derselben machte sich aber auch hier ein Umschwung zu
Gunsten der Juden geltend, nur dass zu den oben (S. 6) ange-
gebenen allgemeinen Ursachen hier noch eine spezielle dazukam.
Die ungarische Reformation begann erst nach der ver-
hängnissvollen Schlacht von Mohäcs (1526) sich in weitere
Kreise zu verbreiten; gerade damals hörte aber die alte unga-
rische Judenschaft mit einemmale zu existiren auf. Ein Theil
derselben wurde von den siegreischen Türken nach der Bal-
kan-Halbinsel geschleppt, die Uebrigen wurden gewaltsam ver-
trieben. Johann Szapolyai von Siebenbürgen und Ferdinand L,
die um die iftigarische Königskrone kämpften, waren nur in
einer Sache eines Sinnes : Jeder verjagte die Juden aus den
Landestheilen, die ihm unterworfen waren.^ Seitdem waren im
* Vgl. Kohn, A zsidök törl^nete Magyarorszägon (Geschichte der Juden
in Ungarn) I. S. 172-5 und 296 flg.
* Vgl. Paul Jäszay, A magyar nemzet napjai a mohäcsi v6sz utan
(Erlebnisse des ung. Volkes nach der Schlacht von Mohäcs) I. S. 24, 33, 9öy
^ 1 45 und 179 : F r a k n ö i, Magy. orszäggyülesi emlekek (Monumente der ung.
Landtage) I. S. 21 u. 29.
8*
36
Jahrhundert: der Reformation in ganz Ungarn nur längst der
österreichischen Grenze, und später in einigen von den Türken
besetzten Städten noch einige Juden zu finden.
. Mit dem Verschwinden der Juden verschwand auch die
vorzüglichste Ursache des Judenhasses : der Brodneid, und das
gegen sie gehegte Vorurtheil wurde allmälig schwächer, weil
es an deni Objecto fehlte, gegen das es sich hätte wenden
können. Das war namentlieh in Siebenbürgen der Fall, wo von
jeher keine Juden wohnten.^ Hier kannte man sie nur aus
der eifrig gelesenen Bibel und aus den in den Kirchen gesun-
genen Psalmen, also als das auserwählte Volk, das für den
wahren' Glauben kämpfte und litt, und so »den Christen ein
grosses Beispiel zur Nachahmung gab.cc^
Während sie früher von amtswegen und in den verschie-
denen «Stadtrechten» mit den gröblichsten Schimpfworten
belegt wurden, werden sie jetzt von Andreas Parkas und
Andreas Batizi (1530 — 1550) fast mit denselben Worten als
«Volk Gottes» besungen, «dem von Gott das Zehngebot gegeben
ward, das von dem Volk der Juden weiter ist verkündet wor-
den.« Ungarische, speciell siebenbürgische Dichter preisen
«der Juden kostbare Bücher,» welche «das Gesetz des leben-
digen Gottes sind,» und verherrlichen nicht nur die von der
Bibel erzählten Kriege der Juden, sondern auch die späteren
-Kämpfe, die sie «für das heilige Gesetz und für die Heilig-
haltung des Sabbath» gegen Syrer und Römer gefochten.
Sie brandmarken die Verfolger der Juden und des jüdischen
Glaubens als ruchlose Tyrannen, glorificiren die jüdischen Mär-
tyrer als Heilige und preisen wetteifernd jüdische Anschauungen
und Gesetze, welche vordem nicht anders als mit Spott und
Hohn behandelt worden waren.
Nicht weniger als drei ungarische Dichter des XVI.
Jahrhunderts besingen den Hohenpriester Eleasar und die fromme
Mutter mit den sieben Kindern, die, wie es auf dem Titelblatte
der einen Dichtung heisst, »das Gesetz und die Ueberlieferung
ihrer Väter beobachteten, kei n Seh w einef le isch essen
wollten, und deshalb von dem gar grausamen König Antiochus
^ Auf die im Jahre 1623 erfolgte erste Ansiedlung der Juden in Sieben-
bürgen kommen wir in Folgenden zu sprechen.
2 Diesen Gedanken sprechen mehrere siebenbürgische Dichter des Refor-
mationszeitalters aus, so Blasius S z, e k e 1 y in Regi Magyar Költök Tara U. S.
324, und der berühmte T i n ö d y, das. III. S. 225.
ä7
mit der Glorie des Märtyrörthums g-ekrönt wur-
d e n.« Vergebens ermahnt sie der tyrannische Heide »sie sollen
Schweinefleisch essen«, sie erwiedern :
Nicht nur nicht essen mag ich dies abscheulich' Thier,
Fem sei, dass ich's nur berühr' !
Die Befolgung dieses jüdischen Speisegesetzes konnte jetzt
nicht mehr als lächerliche, oder gar gottlose Sache gelten. Wer
es annahm, befolgte nur das Beispiel jener »Heiligen«, w^elche
die grausamsten Qualen erduldeten, aber das von Gott gegebene
Gesetz nicht übertraten, dafür aber auch als glorreiche Märtyrer
Eingingen in des grossen Herrgotts Himmelreich,
Jetzt nahm man mehr keinen Anstand, die Worte jüdisch
und ungarisch nebeneinandezustellen. Der ungarische Dich-
ter zog Parallelen zwischen den vor Kurzem noch so verach-
teten und vielgcschmähten Juden und zwischen seinem eigenem
Volke, und schreibt einen, in drei verschiedenen Bearbeitungen
vorhandenen Gesang »Von der jüdischen und der ungarischen
Nation.« Dieselbe Tendenz verfolgen auch die damaligen, zumeist
in Siebenbürgen entstandenen ungarischen Lehrgedichte und
sogenannten »Jeremiaden.« Die »im 5. Buche des heiligen Moses
niedergeschriebenen schrecklichen und verderblichen Flüche«
haben alle auch die ungarische Nation getroffen, oder bedrohen
sie noch ; sie theilte und theilt mit den Juden Sünde und
Strafe.^ Die hebräische; Sprache der Bibel wurde allgemein
als jüdische bezeichnet, und die zumeist von Geistlichen
vertretene Sprachwissenschaft stellte es, der damals herrschen-
den Anschauung folgend, als sicher hin, dass »die ungarische
Sprache mit keiner anderen Sprache verwandt ist, als bloss mit
der jüdischen.« 3 Ja, ein altes unitarisches Kirchenlied sagt es
sogar rund heraus, dass das jüdische Volk Gott angenehmer
sei, als das ungarische. Jones ist ihm »die von Gotteshand ge-
pflanzte Edelrebe ;« das aus den heidnischen Nachkommen
Japhets hervorgegangene ungarische Volk »nur das Pfropfreis
eines wilden Baumes.« ^
1 Für alle diese, übrigens jedem Kenner der ungarischen Literatur be-
kannten Angaben s. die Quellen in meinem ,A Szombatosok* S. 35 — 9.
* Stephan Katona v. Gelej in der Vorrede zu Magyar Grammati-
katska (Kleine Ung. Grammatik), welches Schriftchen seinem bereits erwähnten
Titkok Titka beigegeben ist.
» Kereszt6ny Magvetö VI. S. lll.
Bei solchen Anschauungen konnte man die Juden, nament-
lich wo 68 sich um Glaubenssachen handelte, nicht mehr so
geringschätzen, wie vordem. Stephan Katona von Gelej, der
bereits oben erwähnte Superintendent der Reformirten in Sie-
benbürgen, schrieb unter anderem eine geharnischte Streitschrift
gegen die Unitarier, in welcher er den Vorwurf erhebt, dass
deren Lehren »zum gottlosen Judaismus« führen, und sich mit
Härte über die Judenzer äussert, deren schonungslose Unter-
drückung er als ein gottgefälliges Werk preist. Nichtsdesto-
weniger verweist er in eben dieser Schrift regelmässig auf das
»jüdische Original« der Bibel und auf die eigentliche Bedeu-
tung einzelner »jüdischer Wörter« in demselben ; er citirt den
»Chaldäer Jonathan«, beruft sich wiederholt auf »Rabbi Moses
Nachmanides«, auf den »Juden Aben-Esra«, auf die Weisen des
Talmud, ja auf den Sohar, obwohl er alle diese jüdischen Auto-
ritäten offenbar blos aus Buxtorfs und Anderer Uebersetzungen
kennt.^ Georg Enyedi, das Oberhaupt der neuen unitarischen
Kirche, welche die Sabbatharier wegen Judenzerei ausgeschlos-
sen hatte, behauptet nichtsdestoweniger, dass »Christus und
die Apostel mit Moses nicht in Widerspruch stehen«, und
gegen die Behauptung, dass das hebräische Wort El oh im
in der Bibel auf eine Dreiheit Gottes hinweise, bemerkt er unter
anderem : »Es ist wahrhaftig eine verwunderliche Sache, dass
die Lateiner die Eigenthümlichkeiten der jüdischen Sprache
besser verstehen wollen als die Juden. Die Juden, obschon sie
von jeher die Schriften Moses (im Urtext) lesen, haben es sich
dennoch nie beikommen lassen, in diesem Worte eine Mehr-
heit des göttlichen Wesens zu finden. Jene aber haben in der
ihnen fremde Sprache, als Fremdlinge, das gefunden, was die
geborenen, wirklichen Juden dort nimmermehr zu finden ver-
mochten.« 2 Mit andern Worten : eine Erklärung der Bibel,
welche die Juden nie gekannt haben, welche vielmehr erst nach
Entstehung des Christenthums von Christen in Umlauf gesetzt
wurde, kann unmöglich die richtige sein.
Aus allem dem ergiebt sich, dass das Wort Jude, nament-
lich in Siebenbürgen und zumal unter den dortigen Unitariern,
den früheren abstossenden und verhassten Klang verloren hatte.
Juden und Ungläubige waren nicht mehr identische Be-
1 S. dessen Titkok Titka S. 22—28, 308, 499, 807 u. s. w.
a Georg Enyedi, a. a. 0. S. 6 und 13.
39
grifTe. Eine religiöse Anschauung oder Uebung konnte richtig
und gut christlich sein, obwohl, oder vielleicht gerade weil sie
eine jüdische war.
Neben den Nachrichten, welche über die angebliche Juden-
zerei Franz Davidis verbreitet wurden, machen es zumeist
diese, damals gang und gäben neuen Anschauungen über Juden
und Judenthum erklärlich, dass es so viele Christen gab, die vor
dem Vorwurfe des Judaisirens und vor der Annahme jüdischer
Riten nicht zurückschreckten. Jetzt erst konnte es geschehen,
dass sich Leute fanden, welche die Bezeichnung Sabbatha-
r i e r oder Judenzer nicht als Schimpfnamen, sondern als
einen von der ganzen übrigen Welt verkannten und falsch
gedeuteten Ehrennamen betrachteten, den sie mit Stolz trugen,
und von welchem sie mit dem gehobenen Bewusstsein und mit
der Begeisterung von Märtyrern sangen:
Wir freu'n uns dessen nur, — sie, freilich, können es nicht fassen —
Dass grad nach dem Gesetz, das Gott als Zeichen hat erlassen,
Die Juden daran zu erkennen,
Sie uns, als wenn's ein Schimpfwort war', stets pflegen zu benennen.
Wir weisen nimmermehr von uns des heil'gen Sabbaths Namen,
Wir bleiben Sabbat hari er, wenn auch in Satans Namen
Man uns verfolgt, und wir ertragen
Ergeben Leid und Grausamkeit, und freudig alle Plagen.^
So lag das Sabbatharierthum in gewissen unitarischen
Kreisen Siebenbürgens gleichsam in der Luft. Alle Vorbedin-
gung-en für sein Inslebentreten waren gegeben. Es bedurfte nur
noch eines Mannes, der die bereits vorhandene, aber noch
unklare und unausgesprochene Idee formulirte, verkündete
und in Thaten umsetzte. Und dieser Mann fand sich in
Andreas Eössi.
Andreas Eössi, der Begründer des Sabbatharier-
thums.
Nach den zeitgenössischen Aufzeichnungen des Sieben-
bürgers Franz Nagy Szabö, war Andreas Eössi, (spr. Oeschi)
der Begründer des Sabbatharierthums. »Endlich aber — so
berichtet er in der von ihm fortgesetzten Chronik des Sebastian
Borsos, — so weit ich mich zu erinnern vermag, um das Jahr
» Altes Sabbath. Gesangbuch Nr. 43, Str. 11 und 12.
40
1588, ist innerhalb der arianischen (d. h. unitarischen) Religion
abermals eine Neuerung entstanden, und sie spaltete sich in
zwei Theile. Denn in Szent-Erzsebet wohnte ein hochadeliger
Mann, dessen Name Andreas Eössi war. Dieser, sage ich, las
so lange die Bibel, bis er die sabbatharische Religion schön
aus ihr herausgefunden hatte, zu der er gar Viele bekehrte,
indem er der grossen, einfältigen Menge diesbezüglich klare
Stellen der heiligen Schrift zeigte.«^
Diese Aufzeichnung ist die einzige, welche über die Ent-
stehungszeit des Sabbatharierthums eine bestimmte Angabe
enthält. Das Jahr 1588 muss daher als Ausgangspunkt für die
Geschichte dieser Secte angenommen werden, und das umso-
mehr, als vor diesem Jahre noch keine Spur derselben nach-
zuweisen ist.
Andreas Eössi von Szent-Erzsebet war ein reicher Szekler
von hohem Adel, der in drei verschiedenen Stühlen^ des
Szeklerlandes je ein ganzes Dorf und ausserdem noch zahl-
reiche Güter und kleinere Liegenschaften besass.' Sein Stamm-
gut war Szent-Erzsebet (Sanct-Elisabeth), ein Dorf im Udvar-
helyer Stuhle, wo auch der Herrenhof war, den er bewohnte.
Als einer der ältesten Anhänger Franz Davidis, gehörte er zu
den Ersten, die mit dem Fürsten Siegmund Johann und
seinen Räthen im Jahre 1567 den unitarischen Glauben ange-
nommen hatten.^) Er war ein kränklicher, zuletzt gelähmter
Mann, nach seiner eigenen, in einem amtlichen Actenstücke
gemachten Aussage, »siech und unfähig sich zu bewegen.«
Seine Frau und seine sämmtlichen Kinder, drei Söhne, waren
ihm schon früh durch den Tod entrissen worden r^
Der schwergeprüfte, vereinsamte und gelähmt danieder-
liegende Mann suchte Trost und Erhebung in der Religion,
die einzige, ihm noch mögliche, Beschäftigung im Lesen der
Bibel, in deren Inhalt er sich immer tiefer versenkte. Er war
ein treuer Anhänger Franz Davidis geblieben und begann nun
die Lehren desselben mit dem Maasstabe zu messen, den die
1 Miko, a. a. 0. I. S. 29.
a Das Land der Sachsen und der Szekler in Siebenbürgen war nicht in
«
Comitate, sondern in „Stühle" eingetheilt.
8 Die genaue Aufzählung derselben s. in den beiden Actenstücken im
Kereszteny Magvetö, VI. S. 37 und 39.
* S. die Chronik des Sebastian Borsos bei Mikö, a. a. 0. I. S. 28.
ß Kereszteny Magvetö, VI. S. 35 und 37.
41
Heilige Schrift ihm bot. Und er gelangte zu dem Ergebniss,
dass diese verhöhnten, gewaltsam unterdrückten Lehren die
einzig wahren, aber noch immer nicht v o 1 1 k o mm e n wahren
seien. Er grübelte so lange, bis er in der Einsamkeit seines
schier verödeten Herrenhofes, auf seinem Siechbette das
Religionssystem »schön herausgefunden« hatte, durch welches
er die Lehren seines Meisters weiter zu entwickeln und zu
vervollkommnen vermeinte. Die Resultate seiner theologischen
Untersuchungen wurden bald seine tiefinnerste Ueberzeugung ;
er war durchdrungen von dem Glauben, dass er die Wahrheit,
die er suchte, auch gefunden habe. Sein »Gedicht, das den Weg
zum Heile lehrt«.
Das auf dem Krankenlager er gedichtet,
Wo viel Gebete er an Gott gerichtet, *
schloss er, nachdem er sein Glaubensbekentniss des weiteren
auseinandersetzte, mit den Worten :
Lob sei nun Gott in Himmelshöh'n gegeben,
Dass er gekrönt hat unser einsam Streben,
Uns im Verborg'nen Wahrheit gab. Im Leben
Mög' treu befolgt, zu Gott sie uns erheben !*
Und dieser Wahrheit weihte er von jetzt ab die ganze
Kraft eines, trotz seines körperlichen Siechthums, willensstar-
ken, fanatisch-gläubigen Menschen, und dazu noch seine nicht
unbedeutenden Reichthümer, die er ebenfalls in den Dienst der
religiösen Idee stellte, deren Verbreitung er sich zur Lebens-
aufgabe gemacht hatte.
Mit der Bibel in der Hand bemühte er sich zunächst seine
Umgebung und seine Verwandten zu seinem neuen Glauben
zu bekehren, sodann aber bot er Alles auf, demselben auch n
weiteren Kreisen Eingang und Verbreitung zu verschaffen.
Er fasste die Grundlehren desselben in klar formulirte Glau-
bensartikel zusammen, die er in verschiedenen Büchern und
Abhandlungen ausführlicher behandelte und begründete. Neben
heftigen Polemiken gegen alle übrigen Religionen, schrieb er
zahlreiche religiöse Dichtungen, namentlich umfangreiche Lehr-
gedichte, in welchen er sein Religionssystem genau auseinan-
dersetzte. Da er seine Schriften nicht der Presse übergeben
1 Das. XXI. S. 8.
« Altes Sabbath. Gesangbuch Nr. 107.
durfte, Hess er es sich angelegen sein, sie durch Abschreiber
yervielfilltigen za lassen. Auch die Werke Anderer, so sie mit
seinen Lehren äbereinstimmten, oder sie zu bestätigen schienen,
Uess er sorg<ig copiren, und verborgte seine Handschriften
bereitwilligst überall hin, wo man sie zu benutzen oder abzu-
schreiben wünschte.* Seine grösste und folgenreichste That
im Interesse seiner neuen Religion ws^r aber, dass er einen
Mann für sie erzog, der ihr durch sein Ansehen und durch
seine Geistesarbeit die feste Grundlage gab, auf welcher sie
drei Jahrhunderte überdauerte.
Nach dem Tode seiner Kinder adoptirte er Simon Pechi
(spr. Pehtschi), den früheren Lehrer und Erzieher derselben,
einen reichveranlagten jungen Mann, der später in der Geschichte
Siebenbürgens, noch mehr aber in der des Sabbatharierthums
eine hervorragende Rolle spielen sollte.^ Diesen Adoptivsohn,
der seine religiösen Ansichten theilte, und den er in seine Zu-
kunftspläne eingeweiht hatte, Hess er aber, kaum dass er ihn
gewonnen, eine langjährige Reise in ferne Länder antreten.
Die Absicht, die er damit verband, können wir mit ziemlicher
Sicherheit errathen, wenn wir voll Bewunderung das gründ-
liche hebräische Wissen und die umfassende Kenntniss der
rabbinischen Literatur sehen, die der heimkehrende Pechi mit
sich brachte. Eßssi hat ihn nicht deshalb adoptirt, weil er Er-
satz für seine verlorenen Kinder suchte, und den Abend seines
Lebens nicht vereinsamt auf dem Krankenlager zubringen wollte,
sondern w^eil er der durch ihn gegründeten Religion in dem
hochbegabten Jüngling einen Apostel erziehen wollte, der beru-
fen und befähigt war, sie zu organisiren, zu festigen und zu
verbreiten. Erst auf dem Sterbebette sah er seinen Adoptiv-.
söhn wieder, den er schon früher zum alleinigen Erben seiner
gesammten, sehr bedeutenden Besitzungen eingesetzt hatte.
Die Freude des Wiedersehens war seine letzte auf Erden.
Er starb, einige Stunden nach Pechi's Rückkehr, um die Mitte
des Jahres 1599.^^ Den ersten Sabbathariern galt er als höchste
Autorität. Sie verzeichneten sorgfältig seine Sitten und Ge-
bräuche, die sie zur Nachahmung empfahlen, und schrieben
i Mikö, a. a. 0. I. S. 30; Szilägyi a. a. 0. X. 166. Ueber Eössy's liie-
rarische Thätigkeit s. weiter.
* Ueber Pöchi's Adoption und seine Reisen s. das Nähere in seiner weiter
unten folgenden Biographie.
* S. das weiter unten über Pöchi's Reisen und seiner Rückkehr Gesagte.
43
kurz nach seinem Tode die Worte nieder : »Andreas Eössi
war ein frommer Mensch, so lange er auf Erden lebte, und
Gott hat ihn dafür gesegnet ; dem Frommen bleibt eine fromme
Erinnerung auch nach dem Tode.«^
Andreas E6ssi war kein geschulter Theologe und stand
auch nicht auf der Höhe der damaligen humanistischen Wis-
senschaften. Seine Lehrgedichte verrathcn nur selten classi-
sches Wissen, nirgends eine Spur hebräischer Sprachkenntniss.
Er bekennt es vielmehr offen, sogar mit einer gewissen Osten-
tation, dass er sich mit den diesbezüglichen Studien nicht
beschäftigt hat, ja dass er sie in Sachen der Religion für über-
flüssig und unnütz hält. »Man fragt mich«, so sagt er in einem
seiner Lehrgedichte,
Wo ich den Weg zum wahren Heil erfahren
Hahen will, da ich doch nicht in Padua
Siudirte, noch auch in Paris gewesen?
Als oh das wahre Heil darin bestünde,
Dass der Heiden viele Sprachen man erlernt, —
Dann in den Heiden-Büchern viel studirt,
Und leiert nach den Regeln der Rhetorik.*
'O'
Umso bewanderter ist er in der Kirchengeschichte, und
um so genauer kennt er das ganze Alte und Neue Testament.
Aus der Bibel, und nur aus ihr, hat er sein Glaubensbekcnnt-
niss geschöpft und er gibt wiederholt dem Gedanken Ausdruck :
Die Weisheit, die von Gott uns ward, genügt uns ;
Wir brauchen nicht der Menschen blöde Weisheit.»
Sein Religionssystem hat er unter anderem auch in einer
Reihe von Lehrgedichten niedergelegt; aber es fehlte ihm gänz-
lich an dichterischer Begabung. Er kannte, oder beobachtete
nicht einmal die Gesetze der damaligen ungarischen Metrik.
Seine Verse verrathen sich zumeist nur durch einen gewissen
Rythmus als solche, so wie dadurch, dass die einzelnen Zeilen
in der Regel dieselbe Anzahl von Silben enthalten. Den Reim
behandelt er nachlässig, zumeist lässt er ihn gänzlich ausser
' Acht. Seine Sprache ist überall die an archaistischen Wendun-
gen reiche, derbe und kernige szekler Volkssprache und ent-
* Altes Sabbatharierbuch a. a, 0. S. 7 — 8.
« Altes Sabbath. Gesangbuch Nr. 109, XII. Gesang, Str. 74—5.
'» Das. das. Str. 80.
44
behrt vollständig des Reizes und der Schönheiten der Poesie,
für welche er offenbar auch keinen Sinn hat. Aber man merkt
es seinen Gedichten an, dass ihr Verfasser genau wusste, was
er wollte und was er anstrebte. Sie drücken den Gedanken
in klarer, gemeinverständlicher Sprache mit durchsichtiger,
um nicht zu sagen, nackter Deutlichkeit aus, und entwickeln
denselben, unter steter Berufung auf die Bibel, mit der starren,
consequenten Logik eines scharfen Naturverstandes und immer
im Brustton der tiefsten Ueberzeugung. Diese Eigenthümlich-
keiten müssen in seinen prosaischen Schriften, die wir aber
nur in Auszügen besitzen, in noch schärferer Ausprägung her-
vorgetreten sein.
Eine solche Schreibweise konnte in Kreisen, welche durch
die oben geschilderten religiösen Bewegungen für Eossi's Ideen
und Bestrebungen empfänglich gemacht, seine Schriften gierig
lasen, ihres Eindruckes nicht verfehlen. Von ganz besonderer
Wirkung musste sie auf den einfachen szekler Bauern sein,
zu dem sie in seiner Sprach- und Denkweise redete. Und gerade
an die »grosse einfältige Menge«, deren Bekehrung er sich,
nach den Worten des oben (S. 40) angeführten Chronisten,
besonders angelegen sein liess, pflegt er sich auch in seinen
Gedichten mit |Vorliebe zu wenden. Zu den Lehren, die er
verkündet,
Bedarfs nicht viel des Disputifens, spitzfindigen Gezänkes;
Bauernv erstan d genüget, sie leicht und sicher zu begreifen.*
Es ist seine heilige, wiederholt ausgesprochene Ueber-
zeugung, dass seine Lehren von Jedermann verstanden und
als richtig anerkannt werden müssen, der sie unbefangenen Sin-
nes, vorurtheilslos prüft und sich dadurch, dass sie ihm neu und
überraschend erscheinen, nicht bestimmen lässt, sie kurzweg
abzuweisen. Drum richtet er an seine Leser wiederholt die
Mahnung :
Nur urtheir nicht geschwind, so du es hörest,
Und halt so lang' zurück mit der Entscheidung,
Bis du genau nicht prüfest : — dann erkennst Du,
Dass Alles, was ich lehr', von Gott, dem Herrn ist.*
1 Das. das. I. Gesang, 2. Theil, Str. 3.; vergl. das. XIII. Gesang, Str. 79.
Eössi's Katechismus der sabbath. Religion legt die Fragen und Antworten
einem Prediger und einem Bauern in den Mund ; s. Szi 1 ä g y i, Monumenta,
X. S. 167.
« Das. XII. Gesang, Str. 69—70 ; vergl. das. III. Str. 23-^4.
45
Aus diesen Zeilen spricht das volle Selbstbewusstsein des
Religionsstifters, der von der Wahrheit und dem endlichen
Siege seiner Lehre überzeugt und durchdrungen ist. In der
That schaarte sich auch um die Fahne, die der Einsiedler von
Szent-Erzsebet entrollt hatte, bald eine stattliche Anzahl von
gelehrigen Schülern und fanatischen Gläubigen, die wegen
ihrer Hinneigung zum Judenthum und der von ihnen geübten
jüdischen Bräuche Judenzer (Judaisantes, ungarisch: zsi-
d ö z 6 k), zumeist aber Sab bat ha rier, (ungarisch Szombato-
sok) genannt wurden, weil die Heilighaltung des jüdischen Ruhe-
tages, den sie mit grosser Strenge beobachteten, ihrer Umge-
bung zunächst und zumeist ins Auge fiel. Und diese Schaar
begeisteter Jünger, unter welchen einige ihren Meister an Wis-
sen und an dichterischer Begabung weit überragten, hat die
religiösen Theorien Eossi's rasch in Thaten umgesetzt und
unter anderem in überraschend kurzer Zeit eine beträchtliche
Literatur, und in ihr die Grundlage der neuen Religion ge-
schaffen.
Diese älteste sabbatharische Literatur bildet die vornehmste,
ja die einzige verlässliche Quelle für die Dogmatik und das
religiöse Leben des ursprünglichen Sabbatharierthums.
Sie soll daher, bevor wir auf die Glaubenslehre und die Ge-
schichte dieser Secte eingehen, in allgemeinen Umrissen kurz
dargestellt werden.
Die älteste prosaische Literatur des Sabbatha-
rierthums (1588—1623.)
Es gibt kaum eine zweite Literatur, die unter so eigen-
artigen ungünstigen Umständen entstanden ist, w^ie die sab-
batharische. Sie w^ar von Anfang an eine gesetzlich verbotene,
und ihre sämmtlichen Erzeugnisse waren, noch bevor sie er-
schienen, verpönt und blieben es bis auf die neueste Zeit, Die
Männer, die sie schufen, schrieben, von harter Strafe bedroht,
im Dienste einer verfolgten Sache, oft genug unter den kläg-
lichsten Verhältnissen, ähnlich jenen, von welchen es am
Schlüsse einer sabbatharischen Abhandlung heisst : »Ich kann
von wegen der Armuth nicht so ausführlich schreiben, wie es
vielleicht wünschenswerth wäre, denn seit einigen Tagen habe
ich keinen einzigen Heller mehr.«^ Auf Belohnung oder Aner-
1 Altes Sabbatharie rb uch, a. a. 0. S. 17.
46
kennung konnten sie nicht rechnen, nicht einmal auf einen
grössern Leserkreis. Sie schrieben im geheimen für Solche, die
ihre Schriften auch nur im geheimen lesen durften. Eine strenge
Censur verschloss ihnen die Presse, und die mit Mühe und
Noth angefertigten handschriftlichen Vervielfältigungen ihrer
Werke brachten, wenn entdeckt und dann mit Beschlag belegt,
dem Verfasser, dem Copisten, sowie dem Besitzer Vernnög'ens-
confiscation und schwere Kerkerhaft. Und diese kleine, im
Namen der Religion und im Namen des Gesetzes unterdrückte
und planmässig verfolgte Secte hat im Verborgenen, so zu
sagen, nächtlicher Weise und verstohlen, eine Literatur ge-
schaffen, welche selbt in der verstümmelten Gestalt, in ^wrelcher
wir sie noch besitzen, eine bedeutsame und achtunggebie-
tende ist.
Ein grosser Theil der sabbatharischen Handschriften ist
nämlich von Henkershand den Flammen überliefert worden ;
viele andere sind in ihren Verstecken zu Grunde gegangen,
oder anderweitig der Zeiten Raub geworden, und die wenigen,
welche der Vernichtung entgangen sind, liegen in mottenzer-
fressenen, mehr oder minder beschädigten, mitunter unvoll-
\ ständigen Exemplaren, unedirt und bislang kaum beachtet, in
den verschiedenen Bibliotheken und Archiven Ungarns und
Siebenbürgens. Aber auch diese wenigen Codices haben einen
gerechten Anspruch auf unsere Beachtung. In der ungarischen
Literatur, für welche sie schon in sprachlicher Beziehung- von
hohem W^erthe sind, füllen sie eine Lücke aus, welche ohne
sie noch heute offen stünde. Sie liefern aber auch einen nicht
unwesentlichen Beitrag zur Cultur- und Religionsgeschichte
des XVI. und XVII. Jahrhunderts, und manche unter ihnen sind,
zumal wenn man ihre Entstehungszeit berücksichtigt, w^as
Inhalt, Tendenz und wissenschaftliche Bedeutung anbetrifft,
einzig in ihrer Art.
So legen denn diese unansehnlichen Handschriften ein be-
redtes Zeugniss ab für die Tiefe und Kraft einer religiösen
Bewegung, welche unter den denkbar ungünstigsten Verhält-
nissen in kurzer Zeit eine verhältnissmässig grosse und bedeu-
tende Literatur hervorgebracht hat.
Die älteste sabbatharische Literatur (1858 — 1623), die hier
kurz skizzirt werden soll, zeigt in jeder Beziehung das scharfe
Gepräge der innern und äussern Verhältnisse, unter welchen
und der Zeit, in w^elcher sie entstanden ist. Sie ist von Anfang
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bis zu Ende jüdisch-christlich, ihre Richtung eine vorwiegend
practische. Sie sucht für die im Entstehen begriffene Secte
eine feste Grundlage zu schaffen, und ihr die Mittel zur Be-
friedigung ihrer religiösen Bedürfnisse an die Hand zu geben.
Den harten Kämpfen, aus welchen das Sabbatharierthum her-
vorgegangen, entspricht die trotzige, herausfordernde Sprache
seiner ältesten Literatur ; schrill und scharf tönt uns der
derbe, oft rohe Ton entgegen, welchen die damalige religiöse
Polemik im Angriff wie in der Vertheidigung anzuschlagen
liebte.
Diese durchweg rein magyarische Literatur ist mit der
neuen Secte entstanden und hat sich mit ihr zugleich entwickelt
Ein grosser Theil derselben muss schon im letzten Jahrzehnt des
XVL Jahrhunderts niedergeschrieben und verbreitet gewesen
sein. Das gilt namentlich von den Schriften des 1599 verstorbenen
Eössi. Confiscirte sabbatharische Bücher wurden bereits im
Jahre 1600 zu Marosväsarhely von Zigeunern am Pranger ver-
brannt.^
Die ältesten Erzeugnisse der sabbatharischen Literatur
sind unstreitig die kleinern und grössern Schriften gewesen,
welche dem ersten und dringendsten Bedürfnisse entsprechend,
das neue Glaubensbekenntniss auseinandersetzten, die einzel-
nen Glaubensartikel formulirten und begründeten, und kurze
Gebete für gewisse, am häuügsten wiederkehrende Gelegen-
heiten enthielten.
Diese älteste, naturgemäss prosaische Literatur ist uns
nur höchst mangelhaft bekannt. Was wir zur Zeit von ihr
wissen, verdanken wir, mit Ausnahme des »Festkalenders«,
einer einzigen, aber höchst werthvoUen Handschrift, welche
Eigenthum der unitarischen Hochschule zu Klausenburg, und
unter der allgemeinen, hier beibehaltenen Bezeichnung »Altes
Sabbatharierbuch« erst vor einigen Jahren genauer be-
schrieben worden ist.*
Die in Rede stehende Handschrift, ein Folioband von 60
Blättern, enthält eine Reihe der verschiedensten, das Sabba-
tharierthum betreffenden Aufzeichnungen, die in den Jahren
^ Mikö, a. a. 0. I. S. 30. Die Henker und Abdecker pflegten in der
Regel Zigeuner zu sein.
* S. die Artikel von Georg B o r o s im Kereszteny Magvetö XXI. S. 6—20
76—88 und 142—152.
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von 1600 bis 1628 nacheinander liiedergeschrieben ,\vurden,i
aber ihrem Inhalte nach zumeist einer noch früheren Zeit an-
gehören. Die ersten fünf Blätter sind kaum leserlich, die übrigen
stellenweise, namentlich an den Rändern, mehr oder miirder
stark beschädigt. Aus der Verschiedenheit des Papiers, der
Schrift, sowie der am Schlüsse der einzelnen Stücke angege-
benen Jahreszahlen ergibt sich, dass wir es hier mit einem
Sammelwerke zu thun haben, welches mehrere, zum mindesten
sechs, eifrige Sabbatharier alimälig angefertigt haben, indem sie
sie kleinere und grössere Notizen, Psalmen, Predigten und Ab-
handlungen niederschrieben, welche zum Theil blos Auszüge aus
grösseren Werken sind.^Die letzten Aufzeichnungen haben nur
noch auf den Innenseiten der Einbandtafeln und auf sonstigen
unbeschrieben gebliebenen Stellen der Handschrift Platz gefunden.
Das offenbar ohne einheitlichen Plan angelegte »Alte Sab-
batharierbuch« gewährt, in Folge der bunten Verschiedenheit
seines Inhaltes, einen ziemlich genauen Ueberblick über die
älteste prosaische Literatur der Sabbatharier.
Wir finden in demselben zunächst Glaubensartikel,
die als »Summe«, an einer andern Stelle als »Fundament der
Religion« bezeichnet werden.« Sie sind kurz, markig und
klar, wie wir sehen werden, das Werk Andreas Eössi's. Von
diesen Glaubenartikeln haben sich hier nur e 1 f erhalten, doch
hat es daran offenbar noch ungleich mehr gegeben.* Eine
weitere Ausführung desselben bildet der, offenbar ebenfalls von
Eössi herrührende Katechismus, von welchem sich aber
nur einige Bruchstücke erhalten haben, die auf der Innenseite
des Einbandes stehen.^
1 Der Codex enthält unter anderem mehrere Stücke aus Bogathi's versi-
ficirter Psalmenübersetzung, die, wie wir sehen werden, um das Jahr 1600 ent-
standen ist; die in demselben vorkommende späteste Jahreszahl ist 1628 (Boros,
a. a. 0. S. 147), ausserdem findet sich noch bei drei andern Autzeichnungen das
Datum 1617, beziehungsweise 1626 (das. S. 149 und 150.)
^ Letzteres ergibt sich aus der Fassung einzelner Abhandlungen, sowie
aus der Bemerkung des Schreibers, dass die von ihm besprochene Frage ,in
e nem andern Buche ausführlicher behandelt ist" (a. a. 0., das. S. 17.)
3 A. a. 0., S. 91. flg.
* Zwei vollständige Handschriften der „Summe der Religion* befanden
sich unter den i. J. 1638 in Klausenburg confiscirten sabbatharischen Büchern;
s. in der Liste derselben Nr. 20 und 21, bei Szil agyi. Monum. Gorait. Regni.
Tanss. X. S. 167.
5 Boros, das. S. 7. Ein vollständiges i. J. 1609 geschriebenes Exemplar
befand sich unter den in der vorhergehenden Anmerkung erwähnten confiscirten
Büchern (Nr. 22 das.); der Titel lautete ; „Kurzes Fragebüchlein über die
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Ebendaselbst, sowie auf dem ersten Blatte der Handschrift
steht je ein kurzes Gebet. Beide schliessen mit den Worten
Jesajah's (6, 3) ; »Heilig, heilig, heilig ist der Herr der Herr-
schaaren!« Das erste trägt die Ueberschritt : »Dankgebet vor
dem Speisen« ; als Verfasser ist Andreas Eossy angegeben, von
welchem sicherlich auch das andere herrührt, das allgemeinen
Inhalts ist.^
Neben diesen beiden echt sabbatharischen Gebeten enthält
der Codex auf sieben Seiten ein grösseres Bruchstück aus
einer ungarischen Uebersetzung des jüdischen
Gebetbuches, und zwar aus dem Morgengebet. Diese Ueber-
setzung2 ist von der vollständigen Uebersetzung des jüdischen
Gebetbuches, dessen sich die späteren Sabbatharier bedienten,
gänzlich verschieden.
Eine ähnliche practische Richtung verfolgen die Zusam-
menstellungen und Erklärungen der biblischen
Gesetze. Für die Sabbatharier, welche ihr gesammtes reli-
giöses Leben ausschliesslich nach der Bibel regelten, war es
von besonderer Wichtigkeit, die in derselben enthaltenen Ge-
setze von den geschichtlichen Erzählungen und poetischen
Stücken zu sondern. Drum haben sie schon frühzeitig wieder-
holt den Versuch gemacht, anfangs selbstständig, später jüdi-
schen Schriften ähnlichen Inhaltes folgend, die biblischen Gebote
und Verbote herauszusuchen, nebeneinanderzustellen und zu
erklären.
Unsere Handschrift enthält zwei derartige Abhandlungen.
Die erste hat die Ueberschrift: » V om Genüsse des Blutes,
der verbotenen F ett stü c k e, vom Essen des von
selbst verendeten (d. h. nichtgeschlachten) Thieres«
u. s. w\; und gibt eine Erklärung der verschiedenen biblischen
Speisegesetze.5 Die andere führt den Titel: »Die aus dem
göttlichen Gesetze herausgeschriebenen Gebote,
Darlegrung aller Theile der wahren Religion." Die Fragen und Antworten werden
einem Prediger und einem Bauern in den Mund gelegt: „Personae interlocuto-
res: Prediger und Bauer."
1 Das. S. 8 und 10.
2 Das. S. 14 flg. Ein vollständiges, 1609 geschriebenes Exemplar befand
sich ebenfalls unter den obenerwähnten confiscirten Büchern u. d. T. : „Aus
dem Hebräischen in3 Ungarische übersetzte heilige und götthche Gebete."
(Nr. 25 der Liste.)
3 Das. S. 14 und 150.
Dr. Kohn : Sabbatharier. 4
50
welche von allen, welcher Nation immer ange-
hörigen Menschen zu beobachten sind, so sie der
Seligkeit th eilhaft ig werden wollen.« Die 7 Folio-
seiten umfassende Abhandlung scheint unvollständig zu sein,
denn sie bricht bei dem 22. Kapitel des III. Buches Mose plötz-
lich ab.^ Bemerkenswerth ist, dass sie die Aufzählung der
biblischen Gebote erst mit dem 12. Capitel des II. Buches Moses
beginnt, offenbar beeinflusst von der jüdisch-traditionellen Auf-
fassung, dass die Bibel eigentlich mit diesem Capitel hätte
beginnen können, weil die Reihe der Gesetze erst hier beginnt,
der frühere Theil der Bibel aber bloss Erzählungen enthält.^
Mehreren prosaischen Schriften und Lehrgedichten ähnlichen
Inhaltes werden wir noch im Folgenden begegnen.
Selbstständigere Arbeiten sind die theologischen
Abhandlungen »lieber Gott«, »lieber Jesus«,» lieber
den heiligen G ei st« und »Von der Anbetung Gottes.«'
Der wesentliche Inhalt dieser, w^ahrscheinlich ebenfalls von
Eössi herrührenden, Schriften w ird in der weiter unten folgen-
den Darstellung der Dogmatik der ersten Sabbatharier seine
Steile finden.
Die dem Umfange und Inhalte nach bedeutendsten Stücke
des Alten Sabbatharierbuches sind unstreitig die in demselben
enthaltenen Streitschriften. Sie sind sammt und sonders
in dem damals beliebten derben Ton gehalten, und benutzen
nur selten einen grösseren wissenschaftlichen Apparat. Dafür
aber sind sie mit consequenter, starrer Logik, mitunter mit
einer Schärfe der kritischen Auffassung geschrieben, die sich
in theologischen Streitschriften aus dem Ende des XVI. und dem
Anfange des XVII. Jahrhunderts sonst w^ohl nirgends findet.
Hierher gehört zunächst »Die Lamentation der
heiligen Schrift über Jene, die sie verachten,
aus Frechheit, oder aus Weltliebe, oder aus
sonstigen auf die Schlechtigkeit der Menschen
zurückzuführenden Ursache n.«* Die mehr als 1 1 Seiten
umfassende Schrift führt uns die personificirte Bibel vor, die
1 Das. S. 149.
2 Die Quellen dieser Annahme sind bei Berliner, Raschii in Fenlat
Commentorius S. 364.
3 Das. S. 17—19.
* Das. S. 11 flg. Ein anderes Exemplar dieser Schrift, mit genau demselben
Titel befand sich unter den mehrfach erwähnten confiscirten Scliriften (Nr. 25 das.)
51
darüber Klage führt, dass sie von jeher missverstanden, falsch
ausgelegt und angefeindet wurde. »Seitdem die Schlange den
Menschen verführt hat, dass er an das Wort Gottes nicht
glaube, hat es viele Epikurs gegeben, sogar in dem auserwähl-
Volke den Zadok, der die Auferstehung leugnete und viele von mir
abwendig machte.« Die Bibel ist von Gott, ein Mensch hätte sie
nimmer schreiben können, »denn — so fährt sie fort — wo gäbe es
einen so klugen Menschen auf der Welt, der von mir nur 3 Kapitel
hätte verfassen können.« Hierauf widerlegt sie die verschie-
denen Einwendungen, welche gegen ihre Göttlichkeit vorge-
bracht werden ; sie müsse genau ihrem Wortsinne nach befolgt
werden, an ihr darf nicht gedeutelt, in sie Nichts hineingelegt,
von ihr Nichts hinw^eggenommen werden. Das aber haben einzig
und allein die Juden gethan, »nur dass sie bezüglich der Person
Christi Zweifel hegen«, indem sie die Stellen der Schrift, welche
von dem Erlöser- sprechen, nicht auf ihn beziehen.
Eine zweite Streitschrift, die aber ohne Titel und sonstige
Ueberschrift geblieben • ist, wendet sich »gegen J e n e, d i e
Jesus als Gott betrachten und zu ihm bete n.« ^
Sie sucht den Beweis zu führen, dass die Stellen im Neuen
Testamente, auf welche man sich diesbezüglich zu berufen
pflegt, ganz anders zu verstehen sind, und dass zahlreiche
andere Stellen der Heiligen Schrift gerade das Entgegengesetzte
bezeugen. Hierauf wendet sie sich gegen Jene, »die ihre Hoff-
nung auf Seligkeit nur in dem Tode Jesu Christi suchen, sinte-
mal ihr Geistesauge verklebt ist dadurch, dass Christi Tod
und die Vergiessung seines Blutes genüge, den Menschen Se-
ligkeit zu bringen, womit gar viele Menschen sich vertrösten.«
Die Abhandlung, deren polemische Schärfe sich zumeist gegen
Luther kehrt, ist, worauf wir noch zurückkommen, wahrschein-
lich ebenfalls Eössi's Werk.
Dem Inhalte wie der Auflassung nach ungleich wichtiger
und bedeutsamer ist die ebenfalls titellose Schrift, welche
den Nachweis zu liefern sucht, »dass das von Gott dem
Moses gegebene Gesetz seinem ganzen Umfange
nach beizubehalten ist, und dass die Sendung
Jesus' an demselben Nichts geändert hat.«^ Gegen
diese sabbatharische Auflassung — so führt sie aus — pflegt
1 Das. S. 20 und 78 flg.
» Das. S. 80 flg.
52
man unter anderm vorzubringen, dass Jesus und die Apostel
namentlich was die Heilighaltung des Sabbath anbetrifft, nach
dem Zeugnisse der Evangelien, wiederholt gegen das mosaische
Gesetz gehandelt haben. Aber schon die Propheten des Alten
Bundes haben mitunter Aehnliches gethan. Wenn man anders
nicht auf sie hören wollte, hat Gott ihnen gestattet, zum Zwecke
der Bekehrung der Ungläubigen, auch gegen das Gesetz zu
• handeln. Und so verhält es sich auch mit Jesus und seinen
Jüngern. Derartige, den äussern Verhältnissen Rechnung tra-
gende Ausnahmsfälle beweisen abör nichts.^
Nach dem Zeugnisse der Schrift war Moses der grösste
der Propheten. Deshalb kann sein Gesetz nie durch ein anderes
aufgehoben werden, »denn der Kleinere kann den Grösseren
nicht corrigiren.« Moses hat vor ganz Israel mit Gott ge-
sprochen, Jesus aber hat angesichts des ganzen Volkes nie
den Befohl von Gott bekommen, das Gesetz Mosis aufzulösen.«
Er hat vielmehr mit klaren Worten die Erhaltung und Erfüllung
dieses Gesetzes als Endzweck seiner Mission hingestellt. Die da
behaupten, dass seit dem Tode Jesus die Beobachtung des
alten Gesetzes unnütz, oder zur Seligkeit nicht genügend
sei, leben daher im Irrthume ; «Papst, Calvin, Luther — aller
dreier Religion ist eine schreckliche Abscheulichkeit.»
Die letzte These, welche diese geharnischte Streitschrift
verficht, lautet: «Die Schriften der Evangelien und
der Apostel enthalten ke ib neues Gesetz, wie es
die Schar der unwissenden und gottlossen Mönche und Pfaffen
bis zum heutigen Tage geträumt hat.» In der Begründung
dieser These werden Ansichten entwickelt, welche mitunter
geradezu überraschend wirken, wenn wir bedenken, dass sie
am Anfang des XVII. vielleicht gar schon gegen Ende des XVI.
Jahrhunderts niedergeschrieben wurden.
Die Evangelien, so wird unter anderm behauptet, ent-
i Dasselbe behauptet bekanntlich auch die jüdische Tradition mit Bezu^^
auf die Propheten, sowie auf die Lehrer des Talmud, wobei sie sich auf den
Propheten Elijah beruft, der, in Anbetracht der damaligen aussergewöhnlichen
Verhältnisse, auf dem Berge Garmel einen Altar errichtet und Opfer dargebracht
hat, was nach der Bibel (5. B. Mos. 12, 5—29) verboten war (s. Talm. Babli,
Jebamoth 90 b.) Der Verfasser dieser Streitschrift, der sich hier ebenfalls auf
das Beispiel Elijah's beruft, kannte und benutzte hier offenbar die jüdische
Anschauung über nur für bestimmte Verhältnisse geschaffene und daher nur
zeitweilig giltige religiöse Vorschriften. (Horoath schaah.)
53
halten kein neues Gesetz, weil sie Nichts enthalten, was nicht
bereits bei Moses und den Propheten zu lesen ist, und weil
sie sich oft nicht an alle Menschen, sondern nur an bestimmte
Gemeinden, oder an Einzelne wenden. Jesus selber und seine
Apostel haben nie aus den Evangelien gelehrt, diese nie erklärt
noch auch die Menschen zum Lesen derselben aufgefordert,
sondern nur zum Lesen und Befolgen des Alten Testaments
Ein grosser Theil der Evangelien beschäftigt sich mit dem.
Leben Jesu, oder mit den Aposteln ; das aber ist kein Gesetz.
Die Verfasser der Bücher des Alten Bundes haben nicht nach,
ihren eingenen Ansichten und nicht nach ihrem eigenen Urtheil,
sondern auf Eingebung und Befehl Gottes geschriel)en, also
weder mehr, noch weniger als der Heilige Geist sie schreiben
liess. Die Evangelien hingegen, soweit sie nicht einfach erzählen-
den Inhaltes sind, w^urden zum grossen Theile infolge irgend
eines zufälligen Umstandes, zur Erreichung irgend eines bestimm-
ten Zweckes, mitunter bloss deshalb geschrieben, weil in irgend
einer Gemeinde Parteistreitigkeiten, religiöse Zwistigkeiten^
oder Sünden um sich griffen. Sie sind daher, mit Ausnahme
der Offenbarung Johannis, welche allgemeine Enthüllungen
über die Zukunft enthält, nicht über göttliche Inspiration,
sondern infolge äusserer Verhältnisse entstanden. Sie wurden
geschrieben, wenn man ihre Abfassung für nützlich, oder
zweckentsprechend fand.
Der ungenannte Verfasser dieser sabbatharischen Streit-
schrift bleibt aber hierbei nicht stehen. Er weist auch darauf
hin, dass die Evangelien nicht von Jesus selber, ja nicht ein-
mal bei seinen Lebzeiten niedergeschrieben wurden ; nicht
Einer hat sie verfasst, sondern Viele, und zwar sind sie
zu verschiedenen Zeiten verfasst worden, und wir wissen nicht
wann und w o, ja nicht einmal mit Sicherheit von w e m.
Haben sie doch ihre heutigen Namen und Titel erst später
erhalten. Denn nach dem Zeugnisse der Kirchenväter und
einiger alter Uebersetzungen hatten die ersten Exemplare
höchstens die Ueberschrift «Nach Matthäus«, «Nach Marcus»
u. s. w.; Die Worte «Evangelium» und «Heilig» sind erst
Zusätze einer späteren Zeit. Und auf Grund dieser Argumente
erhebt er Zw^eifel gegen die Authentie der Evangelien, oder
doch ihres uns vorliegenden Textes.
Verwundert fragen wir uns, wieso es kommen konnte,
dass wir den vor mehr als dritthalbhundert Jahren schreibenden
54
Sabbatharier auf dem Standpunkte der Bibelkritik der Gegen-
wart finden, den er freilich blos dem Neuen, nirgends dem
Alten Testamente gegenüber einnimmt. Es ist nicht unmöglich.
dass er ältere jüdische Schutz- und Streitschriften benützt
hat, die sich in ihrer Polemik gegen das Christenthum ähnlicher
Argumente bedienten.- Der Ton und die Fassung des Ganzen,
sowie die damaligen Verhältnisse der Sabbatharier machen es
aber wahrscheinlicher, dass seine, dem Geiste und der wissen-
schaftlichen Richtung seiner Zeit weit vorausgeeilten, Ansichten
weniger das Resultat selbstbewusster kritischer Forschung,
als vielmehr, so zu sagen: instinctive Aeusserungen der Selbst-
vertheidigung und der tiefen Ueberzeugung von der Wahrheit
eines verfolgten neu n Glaubens sind.
Das Gegenstück zu dieser Streitschrift bildet die »Gegen
Jene, die von uns schreien oder sagen, dass wir
die heiligen Schriften der Apostel verleugnen.«^
Ihr Verfasser hält zwar unter sämmtlichen Schriften des Neuen
Testamentes ebenfalls blos die Offenbarung Johannis als von
Gott eingegeben; nichtsdestoweniger sagt er ven den Evange.
lien : »verflucht sei, wer sie nicht für wahr anerkennt«, ja er
stellt sie höher als die Bücher des Alten Testaments. Sie ent-
halten zwar kein Gesetz, am allerwenigsten ein neues, aber
ohne sie hätten die Heiden nimmermehr den wahren Gott
erkannt. Diese hätten, wäre das Neue Testament nicht gewe-
sen, nie das Alte angenommen, »weil sie glaubten, dass
es nur für die Juden gegeben sei, und sie nichts anginge.«
Die Schriften der Apostel haben den Christen dasselbe geleistet,
was der Talmud den Juden : Beide sind Erklärungen und
weitere Ausführungen des Gesetzes. »Wären die Evangelien
nicht, hätten wir keine ausreichende Kunde von der Hölle, den
Engeln, dem Teufel und den Arten des wahrhaft heiligen Le-
bens, weil Moses über das alles nur implicite geschrieben hat,
die Apostel aber explicite.« Aus den Evangelien erfährt der
Ungläubige Dinge, die er sonst nicht wissen könnte, es sei
denn, dass er Jude würde und aus dem Talmud erlernte, »was
Gotteswort ist und den Menschen heilig macht.« Endlich aber
werden die Menschen, so sie die Schriften der Apostel studi-
ren, besser und weiser, »so dasss sie sogar viele Juden über-
treffen können.« »Denn, worin die Juden blind sind, darin
1 Das. S. 85 flg.
55
sehen wir klarer«, und die Beobachtung- des Gesetzes ist un-
nütz ohne wahren Glauben. »Nachdem wir, — so schliesst der
ungenannte Verfasser, — alle diese Weisheit in den Schriften
der Apostel klärlich sehen : mögen die Schimpfereien doch ein
Ende nehmen, und man verbreite nicht, dass wir die Schriften
der Apostel verleugnen, oder A^erwerfen.«
Die letzte in dem Alten Sahbatharierbuch enthaltene
Streitschrift besteht aus zwei Theilen und führt den Titel :
» V on der von Gott stammenden Weisheit des
Propheten Moses und von der weltlichen W^eis-
heit des Aristoteles, sowie von der Menschen
mannigfachen Klügeleien, welche die welt-
lichen Grossen und Adeligen, wider den Pro-
pheten Moses und w i d e r d i e W i s s e n s c h a f t und
Auffassung der alten Propheten, jetzt für di(^
^wahre Wissenschaft ausgeben.«^
Der erste Theil widerlegt die Einwürfe und Angriffe,
welche man, der Philosophie des Aristoteles und andern »welt-
lichen Weisen« folgend, gegen das Gesetzbuch Mosis vorzu-
bringen pflegt. Der ebenfalls ungenannte Verfasser wendet
sich zumeist gegen die Vornehmen und Adeligen seiner Zeit,
welche sich mit ihrer Afterweisheit brüsten, sich über das
mosaische Gesetz hinwegsetzen, ja sogar zu behaupten wagen,
»dass es weder Gott, noch Teufel, noch Auferstehung gebe,
sondern Alles so war und so sein wird, wie Aristoteles gesagt
hat.« Er verw^irft die Lehre von der Erbsünde und von der
Praedestination und verficht die, der jüdischen entsprechende
Anschauung, dass Verdammniss und Seligkeit nicht von Gott
vorherbestimmt sondern der freien Wahl des Menschen überlas-
sen sei.2 Doch fügt er hinzu, dass diese freie Wahl den Men-
schen erst nach der Sintfluth gegeben wurden, und dass nur
Jene wahrhaft fromm seien, die in den Fusstapfen Jesus gehen.
Der zweite, »Von den d r e ier le i Secten der Pfaffen«
überschriebene Theil unterzieht, von den im ersten Theile
entwickelten allgemeinen Gesichtspunkten ausgehend, »Papisten,
Lutheraner und Unitarier« einer scharfen Kritik. Am heftigsten
greift er die Letzteren an, denen er nicht einmal den Namen
»Unitarier« geben mag, weil sie thatsächlich aufgehört hätten,
solche zu sein.
1 Das. S. 78 flg. und 142 flg.
» Vgl. Midr. T a n c h u m a und R a b b o t h z. 5. B. Mos. 11, 26.
56
Sodann erzählt er im Tone tiefster Entrüstung, »wie man
den frommen und gottesfürchtigen Franz Davidis verrathen
habe«, wer die Verräther und wer die Wackern gewesen seien,
die trotz allen Drohungen »an diesem grossen Verrathe« nicht
Theil genommen haben. Die durch Gewalt und Betrug zustande
gekommene Religion der Demetrianer ist ein arger Irrglaube;
wahr ist nur das, was Moses und die Propheten gelehrt, Jesus
und die Apostel bestätigt haben. Aus jeder Zeile dieser an
historischen Daten reichen Schrift ergibt sich, dass der Verfasser
sich und seine Prinzipiengenossen für die alten, echten
Unitarier hält.
Den bunten Inhalt des Alten Sabbatharierbuches^ vervoll-
ständigt eine Predigt, oder, wie die damals übliche lateinische
Bezeichnung lautete, Concio, als deren Abschreiber, vielleicht
Verfasser ein sonst unbekannter Johann Arkosi genannt ist.^ Inhalt
und Tendenz derselben ergeben sich klar aus folgenden W^orteij
der Einleitung: «Zunächst wollen wir betrachten, was der
Sabbath ist, und aus wie vielen Gründen der allein
regierende heilige Gott seinem heiligen Volke die Beobachtung
und Heiligung desselben befohlen hat. Sodann, wie vielerlei
Sabbathe wir im Gottesbuche finden; wie das heilige
Volk Gottes mit Bezug auf die Heilighaltung des
Sabbath gehandelt hat und vorgegangen ist, und
mit welchen Strafen Jene heimgesucht wurden,
die den Sabbath nicht geheiligt haben.» Bemerken swerth ist,
dass der Verfasser zweierlei Sabbathe unterscheidet: einen
äussern, der in der Ruhe des Körpers, und einen innern,
der in der Ruhe der Seele besteht.
Ausser den hier besprochenen Schriften, welche das Alte
Sabbatharierbuch uns vollständig, oder bruchstückweise erhalten
hat, kennen wir von der ältesten prosaischen Literatur der
Sabbatharier nur noch den Festkalender, auf den wir noch
zurückkommen. Einige andere, verloren gegangene, oder zur
Zeit noch nicht aufgefundene, hierher gehörige Schriften kennen
wir, freilich blos dem Titel nach, aus einem amtlichen Ver-
zeichnisse von Büchern und Handschriften, welche im Jahre
^ Dasselbe enthält, ausser den hier angegebenen prosaischen Schriften,
noch einige Psalmen von Bogäthi, sowie Stücke aus sabbatharischen Lehrgedichten,
iie weiter unten besprochen werden.
' B o r o s. a. a. 0. S. 146 flg.
57
1638 bei den Sabbathariern in Klausenburg confiscirt wurden.^
Unter diesen befinden sich, neben solchen Schriften, die wir
bereits aus dem Alten Sabbatharierbuche kennen, zahlreiche
Werke Franz Davidis, sowie zur Vcrtheidigung seiner Person
und seiner Lehren geschriebene Streitschriften und Apologien,
ausserdem aber mehrere Abhandlungen, die möglicherweise
ebenfalls ähnlichen Inhaltes, also alt-unitarisch sind, und
noch nicht zu den später entstandenen, sabbatharischen Schriften
gezählt werden können.^ Als unzweifelhaft sabbatharisch seien
hervorgehoben : eine Streitschrift gegen die Praedestina-
tionslehre;^ eine Abhandlung «von dem Unterschiede
zwischen dem Alten und dem Neuen Testamente und
von der nach der Heiligen Schrift dargelegten Beschaffenheit
Beider ;«* ferner »Des Gottes Abrahams, Isaaks und Jacobs
heilige Zehngebote und deren Erklärung«*^ und
endlich »Ob die alte Schöpfung ein Werk der Drei-
faltigkeit ist«, 6 offenbar eine Streitschrift gegen die von
den Vertretern der Dreifaltigkeitslehre damals mit Vorliebe
verfochtene Behauptung, dass E 1 o h i m, der, nach dem ersten
Verse der Bibel, Himmel und Erde erschaffen hat, auf eine
Mehrheit, speciell auf eine Dreiheit des göttlichen Wesens
hindeute."^
Die älteste poetische Literatur des Sabbatharier-
thums 1588-1623. (Das alte Gesangbuch.)
In einer ganz anderen Gestalt, als die im bisherigen bespro-
chene prosaische Literatur, erscheint uns die älteste poetische
1 S. Das Verzeichniss bei Sziläg)^, a. a. 0. X. S. 166 — 7.
« Solche zweifelhaft sabbatharische Schriften sind : „Gommentarius scriptus
in epistolam b. Pauli ad Hebraeos incerti authoris/ (No. 2 des Verzeichnisses);
,Von der Bekehrung** (No. 3 das.) ; „Isagoge in epistolas Pauli scriptus anonymus"
(No. 5 das.).
3 Das. No. 6 des Verzeichnisses. Zur Stellungnahme der Sabbatharier
gegen die Praedestinationslehre s. ob. S. 55.
* No. 26 das.
6 No. 33 das. Ein aus vier Theilen bestehendes sabbatharisches Lehrgedicht
ähnhchen Inhaltes (Altes Sabbath. Liederb. No. 110) werden wir im Folgenden
kennen lernen.
« No. 29 das.
' Unter anderem wurde behauptet, dass „E 1 auf hebräisch den Vater
bedeutet, Ho den Sohn und Va den Heiligen Geist" ; Alexius Jak ab,
a. a. 0. S. 85. Gegen diese und ähnliche Erklänmgen von E 1 o h i m hat bereits
Franz Davidis angekämpft; S. das. S. 107 u. 121.
58
Literatur der Sabbatharier. Die erstere kennen wir nur lücken-
haft und ungenau ; von der letzteren sind uns die meisten,
darunter die wichtigsten Erzeugnisse vollständig erhalten geblie-
ben. Die erstere gibt, wahrscheinlich nur infolge ihrer Lücken-
haftigkeit, bloss ein in allgemeinen Umrissen gehaltenes, unvoll-
ständiges Bild des Sabbatharierthums ; in der letzteren finden
wir die gesammte Dogmatik und alle Einzelheiten des reli-
giösen Lebens dieser merkwürdigen Secte klar und scharf
umschrieben. Die prosaische Literatur der Sabbatharier macht,
nach Allem, was wir von ihr besitzen und wissen, den Eindruck
des noch Unfertigen, im Werden begriffenen, und erlangt erst
in der nächsten Periode die Reife, w^elche ihr eine höhere,
speciell wissenschaftliche Bedeutung verleiht. Die poetische
Literatur hingegen tritt uns sofort in ihrer vollen Kraft und
Schönheit entgegen. Ihre Blüthezeit sind die Jahrzehnte der
Entstehung der neuen Secte ; dann aber, gerade zur Zeit, wo
das^ Sabbatharierthum sich hebt, beginnt sie zu sinken, und an
Umfang und Inhalt immer mehr zu verlieren. Die tiefe reli-
giöse Ueberzeugung und die flammende Begeisterung, welche
die neue Religion unter harten Kämpfen begründet haben,
griffen mit Macht in die klangvollsten Saiten der damaligen
ungarischen Lyra und schufen in ihren ersten Aeusserungen
eine religiöse Poesie, welche von frischer Begeisterung getra-
gen und von dem Feuer des ersten Kampfes durchglüht, neben
ihrem inneren Werthe auch eine allgemeine culturgeschicht-
liche Bedeutung hat.
Zu dieser ältesten poetischen Literatur gehören: 1. Hymnen
und sonstige Lieder religiösen Inhaltes, 2. Lehrge-
dichte und 3. die metrische Psalmenübersetzung
von Bogathi.
Wie überall im Lager der Reformation, so fiel auch in
dem von ihr ausgegangenen Sabbatharierthum dem Kirchen-
gesang eine bedeutsame Rolle zu. Religiöse Lieder bildeten
einen wesentlichen Bestandtheil des sabbatharischen Gottes-
dienstes. Die Gläubigen mit solchen Liedern zu versorgen,
musste daher eine der dringendsten Sorgen der Gründer der
neuen Secte sein.
Zwischen ihnen und dem Unitarismus des Franz Davidis
gab es so viele Berührungspunkte, dass sie zur Deckung des
ersten Bedürfnisses getrost nach dem alt-unitarischen Gesang-
59
buch^ greifen konnten. Sie fanden dort mit leichter Mühe
Lieder, die der Richtung und dem Inhalte nach ihrer AufTas
sung im wesentlichen entsprachen, die sie daher mit geringercL
oder grösseren Abänderungen ganz gut benutzen konnten.
Derlei Entlehnungen mussten sich aber naturgemäss auf
Gesänge allgemeinen Inhaltes beschränken, auf Dank- und
Tischlieder, Morgen- und Abendgesänge und aehnliche. Für die
von den Sabbathariern übernommenen jüdischen Festtage
aber gab es überhaupt keine ungarischen Gesänge, die sie
irgendwie hätten benützen können. Unter den zahlreichen uni-
tarischen Kirchengesängen konnten sie höchstens einige Sonn-
tagslieder finden, die sich mit Mühe und Noth zu Sabbathliedern
umgestalten Hessen. Für die übrigen jüdischen Feiertage ver-
sagte auch dieses Auskunftsmittel, zu welchem sie ohnehin
nur ungern griffen, und das sie fallen Hessen, sobald sie sein
entrathen konnten. ^ Die religiöse Poesie der Juden aber, aus
der sie später so reichlich schöpften, haben sie anfangs ganz
unbeachtet gelassen. Das Sabbatharierthum hat nämlich in der
ersten Periode seiner Geschichte das mosaische Gesetz wohl
angenommen, aber dem Judenthum, als solchem, stand es noch
ziemlich Iremd gegenüber. Auch mochte es unter seinen da-
maligen Bekennern nur wenige gegeben haben, welche die
nachbiblische, speciell synagogale Poesie der Juden kannten.
Dem Begründer und den Führern des Sabbatharierthums
miisste es daher von besonderer Wichtigkeit sein, sobald als
möglich in den Besitz von reHgiösen Gesängen zu gelangen,
welche ihren Anschauungen und Bedürfnissen genau ent-
sprechen. Sie und einige dichterisch veranlagte Mitglieder
ihrer jungen Gemeinde gingen unverweilt ans Werk und
schrieben Hymnen und anderweitige Dichtungen, welche bald
das gesammte religiöse Leben umfassten. Eine ordnende Hand,
vielleicht die Andreas Eössi's, stellte dieselben zusammen, und
1 S. über dasselbe Alexander Sz6kely, a. a. 0. S. 70 flg. und die lehr-
reiche Abhandlung von Johann Varf a Ivi-N agy in Kereszt6ny Magvetö VI.
S. 93 flg.
' Das älteste Exemplar des sabbatharischen Gesangbuches, v. J. 1604,
enthält Zwanzig dem unitarischen Gesangbuche entlehnte, mehr oder minder
stark umgearbeitete Stücke, in den beiden ungefähr 10 Jahre später geschrie-
beaen Exemplaren finden wir deren nur zehn, in noch spHtern nur mehr fünf,
und auch diese durch eine abermalige Ueberarbeitung derart umgestaltet, dass
das unitarische Original kaum mehr zu erkennen ist. S. die diesbezüglichen
näheren Angaben in meinem „A Szombatosok" S. 121 — 2.
60
die neue Religionsgenossenschaft war bereits um das Jahr
1600 im Besitze eines vollständigen Gesangbuches, das in den
nächsten zwei Jahrzehnten durch Nachträge der verschiedensten
Art vermehrt und ergänzt wurde.
So entstand das Alte Sabbat harische Gesangbuch,
worunter die verschiedenen, im ganzen und grossen überein-
stimmenden Sammlungen sabbatharischer Gesänge zu verste-
hen sind, welche aus der Zeit von der Entstehung dieser
Secte bis zum Schlüsse der ältesten Periode ihrer Geschichte
1585 — 1623) stammen, und sich von den späteren, im Folgenden
als Neues Sabbatharisches Gesangbuch bezeichneten, ähn-
lichen Sammlungen, sowohl dem Inhalte als auch der religiö-
sen Richtung nach, wesentlich unterscheiden.^
Dem Alten Sabbatharischen Gesangbuche haben günsti-
gere Sterne geleuchtet als allen übrigen Werken dieser unter-
drückten Literatur. Die Ungunst der Zeiten, vielleicht auch die
Menschenhand, welche die Scheiterhaufen für sabbatharische
Schriften errichtet hat, hat die Schöpfungen der religiösen
Poesie ungleich schonungsvoller behandelt, als die prosaischen
(Erzeugnisse der theologischen Wissenschaft und Polemik. Die
Letzteren sind zum Theil, wie es scheint, für immer verloren
gegangen, zum Theil nur noch in unvollständigen und beschä-
digten, oder in jungem, fehlerhaften Abschriften vorhanden.
Das Alte Sabbatharische Gesangbuch hingegen besitzen wir in
drei der Entstehungszeit derselben angehörigen, zumeist voll-
ständigen und gut erhaltenen Sammlungen, welche von den
ersten und eifrigsten Sabbathariern angelegt worden sind. Sie
stammen aus den Jahren 1604, beziehungsweise 1615 und 1617,
und haben von verschiedenen Händen Nachträge bis zum Jahre
1618, beziehungsweise 1626.2
Der ursprüngliche Plan, nach welchem das Alte Sabba-
tharische Gesangbuch angelegt wurde, ist aus diesen Samm-
lungen mit Sicherheit zu erkennen. Sie enthalten zunächst
i Die ungarischen Literarhistoriker, die in neuerer Zeit über die sabbatha-
rischen Gesänge geschrieben haben, kennen diese Unterscheidung nicht, sondern
haben die, verschiedenen Entwicklungsperioden angehörigen Gesangbücher, ohne
auf ihren Inhalt und ihre Tendenz genauer einzugehen, zusammengeworfen ; s.
mein „A szombatosok" S. 120.
2 Diese Jahreszahlen ergeben sich aus den Epigraphen, mit welchen die
Abschreiber einzelner Partieen oder Gesänge zu schliessen pflegen. Die nähere
Beschreibung dieser werthvoUen Codices s. das. S. 49 — 50.
61
eine Reihe von Sabbathliedern, sodann Gesänge für das Neu-
mondsfest und endlich für sämmtliche im Alten Testamente
vorgeschriebene Feste.
Diese, nur stellenweise von Liedern allgemeinen Inhalts
unterbrochenen Gesänge, ungefähr fünfundsiebzig an der
Zahl, bilden den ursprünglichen, allen Sammlungen gemein-
schaftlichen. Kern des Gesangbuches.^ Doch ist die Reihen-
folge der einzelnen Stücke nicht immer genau dieselbe, auch
fehlen in den spätem Sammlungen, wie bereits bemerkt, meh-
rere von den Unitariern übernommene Gesänge. Auf diese,
schon vor 1604 abgeschlossene Sammlung, folgen später ent-
standene Gesänge der verschiedensten Art, welche die Eigen-
thümer des Gesangbuches, oder für sie arbeitende Abschreiber,
mitunter sogar die Verfasser der betreffenden Stücke, allmälig
nachgetragen haben. Diese Nachträge sind darum nur selten
in allen Handschriften, sondern zumeist nur in der einen oder
anderen zu finden.
Das derart zustandegekommene Alte Sabbatharische Ge-
sangbuch enthält zusammen hundert zwei, für verschiedene
gottesdienstliche Gelegenheiten bestimmte Gesänge,^ darunter
nicht weniger als 44 für den Sabbath. Dazu kommen 5 Gesänge
für den Neumond, 1 1 für das Pessachfest, 6 für das Wochen-
fest, 6 für das Hüttenfest, 3 für das Neujahrsfest, 1 für das
Versöhnungsfest und 26 für verschiedene Gelegenheiten des
Alltagslebens.
Unter diesen hundertzwei Gesängen finden sich nur acht,
deren Verfasser aus dem Akrostichon ersichlich sind. Das Akros-
tichon zweier Sabbathlieder (Nr. 6 und 7 ^j, zeigt den Namen E n o k,
beziehungsweise Enok Alvinczi, das dreier anderer Sabbath-
lieder (Nr. 3, 17 und 18) den Namen Johannes Bökenyi, ein
^ Am Schlüsse dieses Theiles steht in der Regel das Wort ,,Finis",
danach ein Epigraph des Abschreibers ; die darauf folgenden Stücke sind von
verschiedenen Händen und, wie das öfters beigefügte Datum beweist, allmälig
hinzugefügt; s. das. S. 129, Anm. 2.
* Das in meinem „A Szombatosok" S. 51 — 59 gegebene Verzeichniss
der altsabbatharischen Gesänge zählt 110 Nummern. Daselbst sind nämlich am
Schlüsse auch die Todtengesänge und die Lehrgedichte aufgenommen, die aber
als selbstständige Liturgien, beziehungsweise Sammlungen, ursprünglich nicht zu
dem Alten Gesangbuch gehörten.
^ Die Nummern beziehen sich auf das in der vorhergehenden Anmerkung
erwähnte Verzeichniss. Dasselbe hat die Gesänge, je nach der Bestimmung, der
sie dienen, in Gruppen (SabbathUeder, Neumondsgesänge u, s. w.) zusammenge-
62
»Gesang für das Neumondsfest« (Nr. 48) ThomasPankotai,
endlich aber gibt das Akrostichon eines ebenfalls für das
Neumondsfest bestimmten Gesanges, (Nr. 46), sowie eines Pes-
sachliedes (Nr. 52) den Namen Simon Pechi.
Johannes B ö k e n y i ist wahrscheinlich identisch mit dem
um diese Zeit lebenden Philipp Johann Bökenyi, der auf eng-
lischen Universitäten studirt, und eine aus dem Englischen ins
Ungarische übersetzte Schrift unter dem Titel: Himmlische
Lampe herausgegeben hat.^ Tomas P a n k o t a i war ein uni-
tarischer Geistlicher, den das Alte Sabbatharierbuch als Kämpfer
für den alt-unitarischen Glauben verherrlicht. Er war einer
jener unerschrockenen Männer, welche die Lehre Franz Davidis
auch nach dem Tode desselben offen verkündeten, »weshalb
ihre frühern Glaubensgenossen — d. h. die Neu-Unitarier —
über sie in Wuth gerathend, ihnen das fernere Predigen nicht
erlaubten.«^ Bezüglich des sonst unbekannten Namens Enok
A 1 V i n c z i sei nur so viel bemerkt, dass er sicherlich keiner
»sabbatharisirenden F^rau« angehörte.^
Zahlreiche andere Gesänge enthalten ebenfalls Akrosticha,
welche aber nicht den Namen des Dichters, sondern ein Schlag-
wort, oder einen kurzen Satz geben, die für den Inhalt oder
für die Bestimmung des Stückes bezeichnend sind. Dieses Wort
oder dieser Satz steht mitunter vor Anfang des betreffenden
Gesanges, als »Argumentum« desselben angegeben. Solche
sind, zum Beispiel, die folgenden : »Gesang über die Bedeu-
tung des Sabbath« (Nr. 36) ; »Vorbereitung zum Sabbath« (Nr. 37i
oder einfach »Zur Vorbereitung« (Nr. 20) ; »Frommer Gesang
zum Neumondsfeste«" (Nr. 48) ; »Für das Pessachfest« (Nr. 58) ;
oder aber »Schütze, o Gott, die Beobachter des Gesetzes«
(Nr. 43); »Beobachte das Gesetz und Du wirst leben« (Nr. 66):
»Herr, Gott, befreie« (Nr. 42). Die Anfangsbuchstaben der Stro-
fasst, und bei jedem einzelnen Gesänge die betreffende Ueberscbrift, wie sie in
den Handscbriften angegeben ist, hinzugefügt, endlich aber die Stelle (Blatt und
Seite) bezeichnet, wo er in jeder der drei obenerwähnten alten Liedereammlungen
(Cod. I., IL und III.) zu finden ist.
1 S. Kereszteny Magvetö XXI. S. 145.
2 Altes Sabbatharierbuch, a. a. 0. S. 145.
8 Der ungarische Literarhistoriker T o 1 d y und nach ihm noch Alexius
Jak ab, die diesen Enok für eine Frau haUen (s. Kereszt. Magv. XV. S. 154),
haben in dieser, der Septuaginta nachgebildeten, Form den alt testamentarischen
Männernamen G h a n o c h nicht zu erkennen vermocht. Aus Enoch mussle
im Ungarischen, das kein „ch" kennt, Enok werden.
68
phen, welche dieses Argumentum bilden, sind fast immer
durch grössere, mehr oder minder verschnörkelte Schrift her-
vorgehoben.
Jeder Gesang hat als Ueberschrift die Angabe der Gele-
genheit, für welche er bestimmt ist, darauf folgt die Melodie,
nach welcher er zu singen ist, und endlich, wo ein solches
vohanden, das in dem Akrostichon enthaltene »Argumentum.«
Die Melodie ist nirgends durch Noten, sondern stets durch
die Anfangsworte irgend eines, damals allgemein bekannt^^n
Liedes bezeichnet. Offenbar gebrach es ihnen an Zeit, wahr-
scheinlich auch an Fachkundigen, um für ihr in p]ile angefer-
tigtes Gesangbuch entsprechende Melodien zu componiren. Sie
nahmen dieselben, wo sie sie fanden, wenn sie sich dem Texte
nur irgendwie anpassen Hessen. Alte, heute zum Theile längst
verschollene, ungarische Volkslieder wechseln mit alt-unitari-
schen und anderen Kirchenliedern. So heisst es z. B.: »Nach
der Melodie: Der gute Hunyadi«, oder: »Vor alten Zeiten war's
im edlen Persien«; dann wieder: »Nach der Melodie: Komm,
Christenvolk lasst uns gedenken«, oder: »Eine feste Burg«,
und es macht einen gar fremdartigen Eindruck, wenn wir bei
einem Pessachliede den Vermerk linden: »Nach der Melodie:
Viri venerabiles sacerdotes dei«, oder wenn bei einem Sabbath-
liede angegeben ist : »Nach der Melodie : Christus ist aufer-
standen.«^
Diese Gesänge sind die einzigen Erzeugnisse der sabba-
tharischen Literatur, welche, obwohl ebenfalls noch unedirt,
in den letzten Jahrzehnten von ungarischen Literarhistorikern
besprochen und, wenigstens ihrer Form und ihrem poetischen
Werthe nach, gewürdigt worden sind. Man hat auf ihre Wich-
tigkeit für die ungarische Sprachforschung hingewiesen, indem
man das kernige und urwüchsige, alterthümliche Ungarisch
hervorhob, in welchem sie geschrieben sind.^ Die wenigen
Sachverständigen, die sie bis jetzt gelesen haben, urtheilen
übereinstimmend im Tone der wärmsten Annerkennung über
ihre poetische Schönheit und Kraft. Bischof Lugossy erblickt
in ihnen »den sich erschliessenden Kelch jener Blüthe, zu
welcher die ungarische Literatur im XVII. Jahrhundert sich
1 S. die Melodien zu Nr. 36, 53, 38, 44, 58 und 11.
* S. die folgenden Anmerkungen, sowie meine diesbezügliche Abhand-
lung im Magyar Nyelvör (= Ung. Sprachwart) XVIJ. S. 567—573.
64
entfaltet hat.« Um jeden einzelnen dieser Gesänge, fahrt er fort,
»schwebt dieselbe Festesweihe, so zu sagen, das Lichtgewand
des Sabbath; es ist, als ob aus jedem der Glanz des zur Feier
des Hüttenfestes (?) angezündeten siebenarmigen Leuchters
strahlte und uns. die Augen blendete.«^ Nach Albert Kardos*
sind »die sabbatharischen Lieder die hervorragendsten Erzeug-
nisse der ungarischen Lyra des XVI. Jahrhunderts.« Aehnlich
äussert sich Zoltan Beöthy, während Alexander Nagy sein Ur-
theil dahin zusammenfasst, dass die religiöse Begeisterung der
Sabbatharier so herrliche Hymnen geschaffen habe, »wie sie in
unserer gesammten kirchlichen Literatur nur
in sehr geringer Anzahl zu finden sind.«^
Ihre vielgerühmte dichterische Schönheit erleidet aber
keinen geringen Abbruch durch die polemische Richtung, die
sie nicht selten verfolgen. Die Dichter des von allen Seiten
angefeindeten, bis aufs Blut verfolgten Sabbatharierthums lassen
sich inmitten ihrer religiösen Ergüsse leicht zu dogmatischen
Auseinandersetzungen und theologischen Streitigkeiten verleiten,
und in diesen zu harten Aeusserungen und schonungslosen
Urtheilen über Andersgläubige hinreissen, ein Vorgehen, das
übrigens dem Geiste und der Geschmacksrichtung der dama-
ligen Zeit vollständig entspricht.
In einem »Liede für den siebenten Tag des Pessach-
festes« wird z. B. zunächst der Auszug der Juden aus Egypten
und ihr wunderbarer Zug durch das Rothe Meer erzählt. Dieses
Ereigniss müsse noch heute durch Begehung des Festes gefeiert
werden, das die Bibel aus diesem Anlasse eingesetzt hat, denn
Die Feste, die nicht biblisch, all' mitsammen^
Das ist gewiss, von Italienern stammen ;
Wir haben, diese Wahrheit zu bezeugen.
Selbst in der Papststadt Roma einen Zeugen.
Fragt nur den Papst ! Er selber wird gestehen,
Dass seine Feste nicht von Gott ausgehen,
Sondern von Päpsten sind nur eingesetzet —
Der Juden Satzung er als göttlich schätzet ;
1 L u g o s s y, a. a. 0. S. GV. und GXVl.
2 Albert Kardos, A XVI, szdzad lyrai költeszete (Die ungarische Lyrik
des XVI. Jahrhunderts) S. 46.
3 S. Beöthy, Ung. Literaturgeschichte (IL Ausgabe) S. 49 und Alexander
Nagy, Szonibatos codexek (Sabbatharische Godices) ö. 33.
65
Die Bibel muss als göttlich er verkünden:
Doch seine Feste sind dort nicht zu finde n.
Er leugnet's nicht, dass Rom sie hat erdichtet,
Im Namen des Gottmenschen eingerichtet.
Der aber hielt, gewiss, so ist's gewesen,
INis Passah, wie wir's in der Bibel lesen ;
Das hat Papst Victor erst so umgeändert,
Das jüd'sche in ein neues Fest verändert.
Die kecke Aenderung ward ausgeführet
Zur Zeit als Gommodus in Rom regieret,
Im Jahre als, wenn man von Christus zählte,
Noch dreissig zu der Zahl zweihundert fehlte.^
Es ist klar, dass dergleichen Auseinandersetzungen und
Polemiken, welche den lyrischen Schwung und die andächtige
Stimmung unterbrechen, störend wirken und die dichterische
Schönheit dieser Gesänge in hohem Masse beeinträchtigen.
Der Geist des biblischen Judenthums, der diese Gesänge
durchweht, war unmöglich zu verkennen. Feiern sie doch von
der Bibel vorgeschriebene Feste, und zwar ganz nach der
jüdischen Auffassung der Bibel, die durch den Glauben an die
göttliche Sendung Jesus, wie er uns hier entgegentritt, nur
verstärkt und bekräftigt wird. Sie enthalten aber auch der
nachbiblischen Literatur der Juden, wie z. B. dem Tal-
mud und den verschiedenen Midraschwerken, entlehnte An-
schauungen und Angaben, die bis jetzt unbeachtet geblieben sind.
* A. S. G. B. (Hier und im Folgenden immer für Altes Sabbatharisches
Gesangbuch) Nr. 60, Str. 11 — 15. Ein anderes Passahlied erzählt den Ursprung
des Festes, betont, dass an demselbeü, nach der Bibel, nur Ungesäuertes gegessen
werden darf, und fährt dann fort :
Der Heide hörts, doch will er gar nichts davon wissen,
Denn Gottes Feste hat er weit von sich geschmissen;
Dem Bauch und Gaum zuliebe, — mehr auf Rom er schauet.
Als er dem Willen Gottes in der Bibel trauet. (Das. 58, 5.)
Die weihevolle Stimmung der Sabbathlieder wird wiederholt durch Aus-
fälle gegen Jene unterbrochen, welche den Sabbath eigenmächtig auf den Sonntag
verlegt haben, sowie gegen Jene, welche statt des biblischen Ruhetages, „den
Sonntag des Papstes Sylvester" feiern (das. 20, 1 — 3 und 36, 22.) AehnUch wird
in einem Neumondsliede „Die Welt" angeklagt, welche, anstatt die von der Bibel
vorgeschriebene Zeitrechnung zu befolgen, „dem Papste (d. h. dem gregorianischen
Kalender) nachlaufen." (Das. 49, 7.)
Dr. Kohn : Sabbatharier. 5
66
Ein Neujahrsgesang z. B. beginnt mit der Aufforderung,
dass wer das wahre Neujahr festlich begehen will, »es nach
dem Gesetze am ersten Tag des Monats T i s c h r i feiern soll.«
Dieser Tag wird aber in der Bibel bloss als »Tag der Erin-
nerung«, oder als »Tag des Posaunenschalls«, aber noch nicht
als N,eujahrstag bezeichnet, was erst nachbiblisch ist.
Ebensowenig kennt die Bibel den Monatsnamen Tischri.
In demselben Neujahrsgesang wird ferner hervorgehoben, dass
»an diesem Tage die grosse Welt erschaffen ward«, in einem
andern wieder ausgeführt, dass »Busse, Gebet und Wohlthä-
tigkeit das böse Verhängniss abwenden.« Das Eine, wüe das
Andere entspricht genau der jüdisch-traditionellen Auffassung,
und ist wahrscheinlich den jüdischen Neujahrsgebeten ent-
nommen.^
Die Passahlieder gehen von der Behauptung des Talmud
aus, dass in dem Monate, welcher Israel die Erlösung aus der
egyptischen Sclaverei gebracht hat, auch die zukünftige Erlö-
sung durch den Messias zu erwarten ist.^ Die Zeitdauer der egyp-
tischen Sclaverei, welche nach der Bibel (IL B. Mos. 12, 401
430 Jahre betrug, setzen sie, nach der von der jüdischen Tra-
dition aufgestellten Berechnung, auf 210 Jahre fest.^
Ein Gesang für das Hüttenfest erzählt, der Haggadah
folgend, und beinahe mit den Worten derselben, Gott habe dem
jüdischen Volke, während seiner Wüstenwanderung, »Die
Wolkensäule wegen Ahron gegeben, das Manna wegen
Moses, die Quelle wegen Mirjam ; sie verschwanden, als die
Dreie starben.«* Zwei für dasselbe Fest geschriebene Gesänge
erzählen, dass Israel auf seinem Zuge durch die Wüste stets
von einer Quelle begleitet war, die ihm überallhin folgte, und
sich, nach der Zahl seiner Stämme, in zwölf Arme theilte, »wie
es die Heilige Schrift erzählt.« Das wird aber nicht von der
Heiligen Schrift erzählt, wohl aber ist es eine alte jüdische
1 A. S. G, B. 75, 3—6 ; 73, 17—19. Zu der Angabe, dass das Neujahr
„mit dem Neumonde zugleich eintritt, und so ein Doppelfest ist." (Das. 73, 1)
vgl. Talm. Rosch-Haschana 8-a.
« S. das. No. 52 und 59 ; vgl. Talm. das. IIa.
» Das . 60, 2 ; vgl. Pirke di-R. Elieser Gap. 48 und Targ. Jonathan zum
n. B. Mos. 12, 40.
* Das. 73. 6 ; vgl. Midr. Tanchuma zum IL B. Mos. Abschn. 1.
67
Legende, die sich im Midrasch findet.^ Ein anderer, ebenfalls
für das Hüttenfest bestimmter Gesang wiederholt mit der For-
derung, dass an dem Feste »Jeder sich freue, aber auch Andere
erfreue« genau die Worte einer alten jüdischen Tradition.^
Die Verfasser dieser und ähnlicher Gesänge haben, gleich
den Uebersetzern der obenerwähnten hebräischen Gebete,
offenbar ausländische Universitäten besucht, wo sie die hebrä-
ische Sprache erlernt, und sich mit der rabbinischen Literatur
vertraut gemacht hatten. Darauf weist auch der gebildete Ge-
schmack und der geschulte Geist hin, der sich gerade in den
Gesängen offenbart, welche solche Entlehnungen aus der nach-
biblischen Literatur der Juden enthalten. Ihre Sprache ist eine
gewählte und edle, und sie zeichnen sich durch eine gefällige
Form, durch wohlklingende Reime und durch eine genaue
Beobachtung der Regeln der damaligen ungarischen Metrik aus.
Zahlreiche andere Gesänge hingegen verrathen durch ihre
bäuerisch derbe Sprache, durch nachlässige Behandlung des
Versmasses und Reimes, durch heftige, oft rohe polemische
Ausfälle und durch vollständige Unkenntniss der nachbiblischen
jüdischen Literatur, dass ihre Verfasser der volksthümlichen
Schule des Andreas Eössy angehören und, gleich diesem, Guts-
besitzer ohne höhere Bildung, oder gar biedere Handwerker
und schlichte Bauern waren. Manche gehören, ihrer Sprache
und ihrem Gedankengange nach zu urtheilen, offenbar Eössy
selber an.*
Eine Ei;gänzung dieses Gesangbuches bilden drei Grab-
gesänge, welche sich aber nur in einer Handschrift vor-
finden.* In dieser steht nämlich, nach der eigentlichen Lieder-
sammlung und nach den im Folgenden besprochenen Lehr-
gedichten, ein »Grabgesang, in welchem besungen wird, nach
welchem Ritus und unter w^elchen Klagen die von Gott gelieb-
ten Männer ihre Verstorbenen beweint und der Erde über-
geben haben.« Der »gelehrte, adelige, mit frommen Tugenden
* Das. 71, 3 und 72, 2; vgl. Midrasch Tanchuma, a. a. 0. das. und
Rabboth zum 5. B. Mos. Abschn. 19.
^ Das. 70, 8 ; vgl. M a'a s s e r-S ch e n i V. 12 und S i f r e zum 5. B.
Mos. 26, 14.
' Die im Folgenden besprochene Lehrgedichte Eössy's verrathen ebenfalls
eine vollständige Unkenntniss der späteren jüdischen Literatur.
* In IL ; in dem obenerwähnten Verzeichnisse stehen sie unter No, 103 — 5.
5*
68
reichgeschmückte, die heiligen Bräuche der Religion und die
Befehle des Donnerers aufs genaueste befolgende Mann«, der,
nach der lateinischen Ueberschrift, »diesen Gesang mitsammt
der Melodie jüngst verfasst und der Oeffentlichkeit übergeben
hat«, ist sicherlich Andreas Eössy.^ Zu diesem Gesänge, in
welchem häufig auf Jesus und die Apostel hingewiesen wird,
sind etwa zwei Jahrzehnte später, um das Jahr 1 20, noch zwei
andere hinzugekommen, welche ziemlich freie, aber poetisch
schöne Uebersetzungen jüdischer Grabgebete sind.^ Diese drei
Grabgesänge bilden das alte sabbatharische Rituale für Beer-
digungen, das offenbar in besonderen Handschriften cursirte,
und deshalb bloss in einem Exemplar des Alten Sabbatha-
rischen Gesangbuches, als Nachtrag, eine Stelle gefunden hat.
Die älteste poetische Literatur des Sabbatharier-
tliums.
(Fortsetzung. Lehrgedichte.)
Die der Form nach schwächsten, ihrem Inhalte nach wich-
tigsten Erzeugnisse der sabbatharischen Poesie sind die Lehr-
gedichte.
Unter ihnen nimmt, sowohl in Anbetracht des Umfanges
als auch des Inhaltes, die erste Stelle ein, das »Gesangbuch,
geschrieben zur Vernichtung der falschen Reli-
gionen und zur Darlegung aller Theile der wahren
* Die stellenweise comimpirte Ueberschrift lautet : ^Gantio funebralis
in qua canitur, quo ritu quare (1. quave) lamentatione uiri Deo dilecti sitos lamen-
tauerint terramque (!) commiserint mortuos, nuper una cum melodia a uiro
doctissimOj nobilissimo genere nato ac piarum uirtutum speciraine ornatissimo,
sacraque religionis accurate et firmissimo nee non mandatorum conantis
(1. tonantis) observantissimo in cantionem redacta ac publicae prouulgata.'^ Dass
hier statt conantis richtig tonantis zu lesen ist, beweist ein auf der
4. Seite dieser Handschrift befindliches lateinisches Distichon, in welchem für
Gott ebenfalls Ton ans steht (Jussa Tonantis.") Die dem Verfasser dieses
Gesanges beigelegte Gelehrsamkeit, adelige Geburt und strenge Frömmigkeit,
sowie die Sprache und die nachlässige Behandlung des Metrums und des Reimes
weisen entschieden auf Andreas Eössi hin.
* Nach dem ersten Grabgesange steht, als Epigraph des Copisten, der
Hexameter: »Finis adest operis, mercedem posco laboris;" hierauf folgen von
einer anderen Hand noch zwei im Jahre 1620 geschriebene Grabgesänge, welche
den Codex beschliessen. Der erste ist eine metrische Uebersetzung des Menuchah-
n e c h n a h-, der zweite des Hazur tom im-Gebetes.
69
Religion.« Es enthält auf 65 eng geschriebenen Quartseiten
fünfzehn Lehrgedichte, welche ein zusammenhängendes Gan-
zes bilden, und von einem Verfasser herrühren, der sich in
den späteren Gesängen wiederholt auf das »im Vorhergehenden «
Gesagte beruft, und das letzte Lehrgedicht mit den Worten
schliesst : »Damit beendige ich das Gesangbuch, das ich zur
Wegweisung verfasst und geschrieben habe.«^
Voran geht ein höchst lehrreiches Inhaltsverzeichniss, das
in wortgetreuer Uebersetzung folgendermassen lautet :
Diese Gesänge folgen in folgender Reihe aufeinander :
I. Dass Christus, mitsammt den Aposteln, dieselbe Religion hatten wie die
Phariäser, und die Heilige Schrift gleich ihnen ausgelegt hat. Auch bezüghch
der Einheit Gottes haben sie, übereingestimmt. (Besteht aus zwei Gesängen.)
II. Vom Neuen Testamente und mehreren andern Dingen.
III. Von der jüdischen Rehgion.
IV. Von der von Ewigkeit her freien Wahl (Selbstbestimmung) der
Menschen, und dass durch (blosse) Uebung des Gesetzes kein Mensch der
Seligkeit theilhaftig werden kann.
V. Von der Art und Weise, wie man gerecht und besser wird.
VI. Von der wahren Poenitenz und allen Arten derselben.
VII. Von der wahren Gottesverehrung.
VIII. Wie man in Wahrheit auf das Gotteswort hören soll.
IX. Von dem Gebete, dem Gesänge und dem Fasten.
X. Von der richtigen Art, Almosen zu geben.
XI. Von dem Gewissen.
XIL Von dem Tode Christi. Von der Juden jetzigem Zustande, dieweil
sie Jesum Christum nicht anerkennen. Ueber der jetzigen Zeiten Lauf. Woran
der wahre Lehrer zu erkennen ist,
XIII. Vom Abendmahl des Herrn und von der Taufe.
XIV. Von den Festen. Von dem verendeten Vieh und von den unreinen
Speisen.
XV. Von dem Versammlungsorte (zum Gottesdienste). Von der Beerdigung.
Vom Kalender. Von dem Träimien und dem Wahrsagen. ■*
Wie sich aus dieser Inhaltsangabe ergibt, ist dieses Gesang-
buch ein versificirter Katechismus, der die ursprüngliche Dog-
matik des Sabbatharierthums und ins Einzelne gehende Regeln
* Dieses „Gesangbuch" ist vollständig in Cod. II. des A. S. G. B. währeud
Cod. I. bloss die Ueberschrift, ohne das Inhaltsverzeichniss, und nur fünf Gesänge
enthält. In beiden Codd. steht dieses Gesangbuch am Schlüsse der für die
Feste und sonstige gottesdienstliche Gelegenheiten geschriebenen Gesänge, welche
das Alte Sabbath. Gesangbuch bilden, von welchen dieses Gesangbuch
wohl zu unterscheiden ist. Die 15 Lehrgedichte welche es bilden, sind in meinem
mehrfach erwähnten Verzeichniss unter No. 109 zusammengefasst.
70
für das religiöse Leben enthält. Aber dieser Katechismus will
nicht nur belehren, sondern auch widerlegen ; es ist ihm nicht
nur um die »Darlegung aller Theile der wahren Religion«,
sondern, wie es die Ueberschrift an erster Stelle betont, uro
die »Vernichtung der falschen Religionen« zu thun. Die ab-
weichenden religiösen Ansichten sollen sammt und sonders
als falsch nachgewiesen werden, Der Verfasser befolgte offenbar
den Grundsatz, dass die beste Art der Vertheidigung der Angrifl
ist. Er ging davon aus, dass er die Richtigkeit der von ihm
gelehrten religiösen Theorien und Bräuche am sichersten damit
begründet, dass er alle übrigen als Irrthümer nachweist. Seine
Religion muss die wahre sein, weil alle übrigen sich als falsch
erweisen. Seine Auseinandersetzungen sind daher überall von
einer, stellenweise langathmigen, Polemik begleitet, die immer
heftig, derb und rücksichtlos ist.
Richtung, Inhalt und Sprache dieser fünfzehn Lehrge-
dichte, weisen deutlich genug auf den ungenannten Verfasser
hin. Er erzählt nämlich wiederholt, dass er und seine Gesin-
nungsgenossen früher ebenfalls fem vom Heile waren und
»mit der übrigen Welt falschen Auffassungen gehuldigt haben;«
Gott, der Herr, aber »hat sie aus grossem Irrthum zur Wahr-
heit geführt« und sie befreit »vom Verderben und von dem
Fluche des Gesetzes.«^ Jetzt haben sie den Wog zum Heile
erkannt und betreten, »jetzt kann man sie nimmermehr betrü-
gen.« Ihre Religion ist neu, darum möge, wer zum ersten-
mal e von ihr hört,« nicht vorschnell über sie urtheilen, sondern
erst nach ruhiger, besonnener und vorurtheilsloser Prüfung.«*
Dieses Gesangbuch stammt demnach aus den ersten Jahren
des Sabbatharierthums.
Dazu kommt, dass es die ausgesprochene Tendenz verfolgt,
den Leser zu bekehren. Die in ihm enthaltenen Lehrgedichte
wollen nicht nur in dem neuen Glauben Unterweisung geben,
sondern demselben auch Anhänger zuführen. Deshalb wenden
sie sich nicht nur an die Sabbatharier, sondern auch an die
»Ungläubigen«, ja, an diese erst recht, und beginnen, oder
* Unter „Gesetz* sind die fünf Bücher Moses zu verstehen, tmd unter
dem Fluche desselben die Strafen, mit welchen das. ffl. 26, 14—43 und V.
16 — 65 den üebertretern des Gesetzes gedroht wird.
« Das. I.— 1. Theil 23-24 und 40—42; II. 21—2 ; HI. 24; IV. 9—10;
VU. 1 und 9 ; XI. 20 ; Xll. 52 und 68 u. s. w.
Tl
schliessen in der Regel mit einer Apostrophe an die »blinde
Welt«, oder an die »übermüthigen, ungläubigen Menschen«,
sie sollen doch die Wahrheit der hier aufgestellten Sätze
anerkennen.«^
! neigtest Du dein Ohr, so dass es höret !
Dann fändest Alles du gar schön bewähret,
Wie ich's gesagt und wie ich's hier gelehret,
SO ruft der Verfasser der Schaar der Ungläubigen zu,^ die,
wenn sie sich nur eingehend mit dem von ihm verkündeten
Glauben beschäftigen wollte, erkennen müsste :
Das alles das von Gott stammt, was ich lehre,
Dass ich in Allem eines Sinns mit Christus
Und mit den alten, wahren Christen bin.»
Aus diesen Zeilen spricht nicht mehr bloss der Lehrer,
oder der Missionär, der das Sabbatharierthum bekannt machen
und verbreiten will, sondern der von seiner göttlichen Sendung
durchdrungene Religionsstifter, der für die Wahrheit
seines Glaubens eintritt. Als solchen bezeichnet er sich auch,
indem er ausruft :
Begraben war die alte Christuslehre.
Den Weisen allen hast Du sie verborgen.
Uns aber offenbaret, den Geringen,
Den Kleinsten, Unbedeutendsten auf Erden,
Uns armem und verachtetem Gewürme.
Wohl war er, so fährt er fort, nie auf einer Universität
und hat weder Sprachen noch Rhetorik studirt, und deshalb
fra^ man auch »wo wir den wahren Weg zum Heile erkannt
und gelernt hätte n.« Er antwortet darauf, dass er das in
der »Sprache der Bauern« aus der Heiligen Schrift
gelernt habe, von Jesus und, nach der Lehre
Jesus, von den Juden.*
Dieser Mann, der sein Wissen nicht an Universitäten
erworben, sondern aus der Bibel geschöpft, dem Gott den
1 I., 1. Theil, 37 und 2. Th. 35; IL 12; V. 16; VI. 18; VÜI. 1; IX. 19;
XI. 1 ; Xn. 1, 54 und 69 ; XIÜ. 1 und 26 ; XV. 28 u. s. w.
> UI. 24.
3 xn. 70.
* xn. 73—77 ; vfel. ob. S. 43.
72
wahren Glauben offenbart hat, kann kein anderer, als der
Stifter des Sabbatharierthums sein. Der ungenannte Verfasser
der in diesem Gesangbuch enthaltenen fünfzehn Lehr-
gedichte ist Andreas E ö s s i.
Diese Annahme findet in folgendem Umstände ihre Bestä-
tigung.
Unter den übrigen sabbatharischen Lehrgedichten hat
eines, der »Gesang, der den Weg zum Heile lehrt«. sowohl im
Alten Sabbatharischen Gesangbuch als auch im Alten Sabba-
tharierbuch Aufnahme gefunden ; in ersterem wird der Ver-
fasser nicht genannt, in letzterem hingegen ausdrücklich
Andreas Eössi als solcher bezeichnet.^ In diesem unzweifelhaft
von Eössi's Feder stammenden Lehrgedichte begegnen wir
wiederholt gewissen bezeichnenden Ausdrücken und Rede-
wendungen, die sich auch in den fünfzehn Lehrgedichten des
Gesangbuchs auffallend häufig finden. Hier wie dort werden
die einzelnen Lehrsätze und Behauptungen fast regelmässig
mit den Worten »ich sage dir«, oder »wie ich sage« eingeleitet,
beziehungsweise geschlossen. Hier wie dort werden die
»Ungläubigen« apostrophirt, sie sollten sich »die Mühe nicht
verdriessen lassen, den Weg des Heils zu lernen,» denn
die neue Wahrheit werde vorzüglich aus dem Grunde nicht
erkannt, weil
In dieser Welt Gewohnheit nur regiert,
Als Glaube Jedem gilt, was längst ist eingeführt.*
Auch in diesem Lehrgedichte, das »Eössi auf dem Kran-
kenlager geschrieben«, betont der Verfasser, dass er »die w^ahre
Religion gefunden«, und der hier angeschlagene derbe Ton
ist genau derselbe, in welchem die fünfzehn Lehrgedichte
des Gesangbuchs gegen die Blind e,n und Irrenden, gegen
die Thörichten und Lügner polemisirt. Auch hier finden
wir die «Bauernsprache,» in welcher der Verfasser des Gesang-
buchs, nach seinem eigenen Geständnisse, zu reden pflegte^
und Metrum und Reim werden hier wie dort gleichgiltig und
nachlässig behandelt, oft gänzlich ausseracht gelassen. ^
Mit dem Gesangbuche und diesem Lehrgedichte stimmt
1 A. S. G. B. Nr. 107 ; vgl. ob. S. 41.
3 A. a. 0. das. Strophe 3—5; vgl. Nr. 109, I. 2. Theil St. 16.
8 S. die genaueren Nachweise in meinem „A Szombatosok" S. 135 flg.
78
in allen Stücken noch ein Lehrgedicht überein, das die IJeber-
schrift hat: »Gesang, der die Beobachtung des göttlichen
Gesetzes lehrt.« Das aus vier umfangreichen Stücken bestehende
Lehrgedicht stellt, von den Zehngeboten ausgehend, die wich-
tigsten religiösen' und ethischen Vorschriften der Bibel, als
»Summe des Gesetzes« zusammen.^
Alle diese, unbestreitbar von Andreas Eossi herrührenden
Lehrgedichte zeigen, dem Inhalte und Gedankengange, der
Ausdrucksweise, oft sogar dem Wortlaute nach, eine auffallende
Uebereinstimmung mit den verschiedenen Abhandlungen und
Streitschriften des Alten Sabbatharierbuchs. Die Aehnlichkeit
zw'ischen beiden ist eine derartig in die Augen springende,
dass sie schon bei einer flüchtigen Vergleichung erkannt
werden muss.
Der »Gesang der den Weg des Heiles zeigt«, welchen
auch das Alte Sabbatharierbuch aufgenommen hat und aus-
drücklich Eössi zuschreibt, entspricht seinem hauptsächlichen
Inhalte nach vollständig dem »Von den dreierlei Secten der
Pfaffen« überschriebenen zweiten Theile der oben (S. 55)
besprochenen Streitschrift. Es genüge der Hinweis, dass auch
dieser Gesang zunächst die Religion der »Papisten«, sodann
Jener, »welche die Lehre Luthers oder Calvins gewählt«, einer
scharfen Kritik unterzieht, endlich aber die Religion derer,
»die zwar einen Gott bekennen«, aber deshalb »doch nicht
besser sind als diese drei.« Den Letzteren wird der Name
ü nitarier, als ein nicht verdienter, auch hier nicht zuerkannt.
Wo möglich noch auffallender ist die oft wörtliche Ueber-
einstimmung zwischen den Lehrgedichten des »Gesangbuches»
und den im Alten Sabbatharierbuche aufgestellten Glaubens-
artikeln (s. ob. S. 48), sowie zwischen dem »Gesang der
die Beobachtung des Gesetzes lehrt« und zwischen der Abhand-
lung »Die aus dem göttlichen Gesetze herausgeschriebenen
Gebote« (ob. S. 49.)
Diese Uebereinstimmung^ ist kaum so zu erklären, dass
Eossi sowohl diese Lehrgedichte als auch die betreffenden
1 Dieses Lehrgedicht steht in meinem Verzeichnisse unter Nr. HO.
' Den genauem Nachweis für diese Uebereinstimmung s. in meinem
,A Szombatosok" 137 — 8; zahlreichen Beispielen, aus^welchen sich diese Ueber-
einstimmung klar ergibt, werden wir in der Darstellung der sabbatharischen
Dogmatik begegnen.
74
Stücke des Alten Sabbatharierbuches geschrieben habe. Da die
Letzteren, wenigstens zum Theile, bloss Auszüge aus andern,
ausführlicheren Werken sind (ob. S. 481: ist es ungleich wahr-
scheinlicher, dass Eössi ursprünglich mehrere grundlegende
prosaische Schriften über das Sabbatharierthum geschrieben
hat, deren hauptsächlicher Inhalt später von ihm in »Gesängen«
versificirt. von Andern aber einfach ausgezogen wurde. Sie
sind wahrscheinlich identisch mit jenen »unnützen Schreibereien«
Eössis, die bei Jenen, denen er sie zum Lesen, oder Abschreiben
geliehen, confiscirt, und im Jahre 1600 öffentlich verbrannt
wurden.^
Ausser den bisher besprochenen Lehrgedichten haben
sich noch zwei erhalten, die, was Reinheit der Sprache und
sorgfältige Behandlung des Metrums und des Reimes anbetrifft,
die Gesänge Eössis weit übertroffen. Das eine, mit der blossen
Ueberschrift »Cantio«, spendet den Gläubigen Trost und
Ermuthigung. Die wegen ihrer Religion hart Verfolgten werden
aufgefordert, lieber das Leben, als die Wahrheit zu lassen, denn
Heil dem Mann, der für die Wahrheit muthig
Leidet und den Kampf besteht.
Die wiederholten bittern Klagen über die Drangsale, die
sie des Glaubens wegen zu erdulden haben, so wie das Gebet
am Schlüsse: Gott möge nicht zugeben, dass sie »bei der
jetzigen Gelegenheit« von ihm abtrünnig gemacht werden,
sondern wolle »in den jetzigen Zeiten« den Glauben und
die Hoffnung in ihnen erhalten, lassen daraul schliessen, dass
dieses Lehrgedicht zu einer Zeit verfasst wurde, als die
Sabbatharier grausam verfolgt virurden.^
^ M i k ö, a. a. O. L S. 30. Nach dem bisherigen lässt sich die literarische
Thätigkeit Eössi's in Folgendem zusammenfassen : er schrieb kurze Gebete für
gewisse Gelegenheiten, mehrere Abhandlungen, oder grössere Schriften
über den Lehrinhalt des Sabbatharierthums und zur Vertheidigung desselben,
darunter Glaubensartikel und einen Katachismus, den ersten und
ältesten sabbatharischen Grabgesang, die 15 Lehrgedichte, welche das
, Gesangbuch zur Vernichtung der falschen Religionen** u. s. w. bilden, den
n Gesang, der die Beobachtung des göttlichen Gesetzes lehrt", den „Gesang, der
den Weg des Heiles lehrt", und endlich einige jener Lieder und Hymnen
des Alten Sabbatharischen Gesangbuches, welche seine oben (S. 43) gekenn-
zeichnete Schreib- und Ausdrucksweise zeigen.
* In meinem Verzeichnisse unter Nr. 106.
75
Das letzte Lehrgedicht hat die lateinische Ueberschrift:
Cantio pia et observatu digna ex maltorum
dictis Prophetarum, Christi et Apostolorum
conscripta pro monenda Dei ecclesia. Es sucht di^
wichtigsten Sätze der Religions- und Morallehre des Sabbatha-
rierthums aus dem Alten und Neuen Testamente, namentlich
aber aus den Worten Jesus und der Apostel, als wahr und
richtig zu erweisend
Alle diese Lehrgedichte sind, um sie zu popularisiren,
entweder schon von den Verfassern, oder von den Abschreibern,
mit der Angabe von bekannten Melodien versehen worden,
nach welchen sie gesungen werden können. Aus diesem Grunde
haben sie, obwohl sie ursprünglich sicherlich als selbstständige
Sammlungen circulirten, auch in manchen Handschriften des
Alten Sabbatharischen Gesangbuches eine Stelle gefunden.
Sie erscheinen hier, mehr oder minder vollständig, als Zusätze,
mit welchen das Alte Sabbatharische Gesangbuch zusammen
hundertvierundzwanzig Lieder und Gesänge umfasst.^
Die älteste poetische Litteratur der Sabbatharier.
(Schluss. Der Psalter Nicolaus ßogdthis.)
Das umfangreichste und formvollendeteste Werk der alten
sabbatharischen Literatur ist das »Psalteriu m« des N i-
colaus Fazakas Bogathi, oder, wie er sich nach der
damaligen Sitte, für die Eigennamen entsprechende griechische
Bezeichnungen zu gebrauchen, wohl auch zu nennen pflegte:
Nicolaus Pelides^ Bogathi. Sein P salter i um ist in der
ungarischen Literatur die erste vollständige poetische Ueber-
setzung der biblischen Psalmen, ein vielgerühmtes, aber noch
immer nicht herausgegebenes Werk.
»Habent sua fata libelli!« Das öfter besprochene, aber
noch immer nicht genügend gekannte Buch hat, sowohl w^as
1 Das. Nr. 108.
* Und zwar 102 Lieder und Hymnen, welche das eigentliche Gesangbuch
bilden, 3 Grabgesänge, die in ein besonderes Gesangbuch zusammengefassten 15
Lehrgedichte Eössis (in meinem Verzeichnisse unter Nr. 109 zusammen gefasst),
und endlich die oben besprochenen übrigen 4 Lehrgedichte.
* Das ungarische Fazakas bedeutet Töpfer, dem entsprechend ist der
Name Pelides, vom griechischen Pelös, Thonerde, Töpterthon, gemacht.
76
seine Tendenz als auch die Person seines Verfassers anbetrifft
bis auf die Gegenwart Anlass zu den sonderbarsten Irrthümern
und zu den verschiedensten und entgegengesetztesten ©ehaup-
''tungen gegeben. Es wurde bald dem einen, bald dem andern
der gegen Ende des XVI. Jahrhunderts lebenden Bogäthis,
bald gar Simon Pechi zugeschrieben. Lange galt es unbestritten
für das Werk eines Unitariers. Später wurde es, allerdings
bloss aus dem rein äusserlichen Grunde, dass man es zumeist
dem Alten Sabbatharischen Gesangsbuche beigebunden, mitunter
sogar von derselben Hand geschrieben findet;, eine Zeitlang für
ein sabbatharisches Buch ausgeben. Diese Annahme wurde
indessen bald fallen gelassen, und die Psalmen Bogäthis wurden
wieder bald als der reformirten, bald als der unitarischen Kirche
angehörig hingestellt. Die letzte, jüngst erschienene Besprechung
derselben, erklärt sie für ein echt unitarisches Werk und
weist die Möglichkeit, dass sie sabbatharischen Ursprungs
sein könnten, ohne weitere Begründung, aber mit um so
grösserer Entschiedenheit zurück.^
Es ist aber gewiss, dass Bogathi Sabbatharier gewesen
ist. Dafür sprechen zunächst alle glaubwürdigen Nachrichten,
die wir über sein Leben und seine sonstige literarische Thä-
tigkeit besitzen.2
Der auch als Liederdichter und theologischer Schriftsteller
vielgefeierte Bogathi war, wie er selber erzählt,' ursprünglich
unitarischer Geistlicher, einer jener treugebliebenen Anhänger
des gestürzten Franz Davidis, aus deren Reihen Andreas
Eössi und die ersten Bekenner des Sabbatharierthums hervor-
^ Albert K a r d o s, A XVJ. szäzad magyar lyrai költeszele (Ung. Lyrik des
XVI. Jahrhundert) S. 29 flg. Die verschiedenen Phasen der Bogäthi-Frage s. in
meinem A Szombatosok S. 140 — 1. Die Identität des Verfassers der Psalmen
mit dem Schriftsteller und Liederdichter Bogathi hat Alexius J a k a b festgestellt,
der aber den Verfasser und sein Werk als Zierden des ünitarierthums, bezieh-
ungsweise der unitarischen Literatur bezeichnet; s. dessen Artikelserie in
Kereszteny Magvetö XV. S. 1—14, 159 und 186 und 239—251.
2 S. w. das Capitel , Verbreitung xmd Schicksale des Sabbatharierthums
in der ersten Periode seiner Geschichte.*
3 In dem Widmungsbriefe einer Franz v. Balassi zugeeigneten Schrift
über die Offenbarung Johannes; s. denselben Kereszteny Magvetö XV. S. 6.
Die hier folgenden Angaben über Bogathi sind, so weit nicht andere Quellen
angegeben werden, diesem Briefe entlehnt.
77
gegangen sind. Auch das Alte Sabbatharierbuch^ rühmt die
unerschütterliche Festigkeit, mit welcher Bogäthi dem alt-
unitarischen Glaubensbekenntnisse anhing, und allen Drohungen
und Verfolgungen trotzend, dem neuen unitarischen Glaubens-
bekenntnisse, das die Anbetung Christi lehrte, den Consens
verweigerte. Diese Principientreue bezahlte er mit dem Verluste
seiner Predigerstelle in Gerend, von wo er flüchten musste.
Es gelang ihm, nach Ungarn zu entkommen, wo er bei dem
unitarischen Bischof Paul Karädi, demselben, den wir (ob S. 32)
als entschiedenen Parteigänger des verurtheilten Franz Davidis
kennen lernten, Schutz und Zuflucht fand.
Um seine Rückkehr nach Siebenbürgen zu ermöglichen,
unterschrieb er um 1581 das neue ünitarische Glaubens-
bekenntniss, worauf er nahezu fünf Jahre als geistlicher Berather
des Franz von Balässi, dem wir bald als einem der ersten und
eifrigsten Sabbatharier begegnen werden, in dessen Schlosse
zu Szent-Demeter verlebte. Dort schrieb er mehrere Abhand-
lungen über die Offenbarung Johannis, die er auch, ganz im
Sinne des Sabbatharierthums,^ vorzugsweise zum Ausgangs-
punkte seiner Predigten nahm. Bereits im Jahre 1585 bezeichnet
er seinen Consens zum neuen unitarischen Glaubensbekenntnisse
als einen »erzwungenen«, und in seinem bald darauf geschrie-
benen Commentar zu der Offenbarung Johannis ging er schon
so weit über den alt-unitarischen Standpunkt hinaus, dass er
selbst von seinem bisherigen Gönner Karadi aufs härteste
verurtheilt wurde.
Um diese Zeit, also in den ersten Jahren des Sabbatha-
rierthums, muss er demnach bereits ein entschiedener Anhänger
desselben gewesen sein. Eine seiner Schriften bezeichnet er
selber, als »zu Nutz und Frommen der Heiligen Gottes«,
d. h. der Sabbatharier,* verfasst. Gleich diesen, wollte auch er
dem Neuen Testamente diesen Namen nicht zuerkennen,* und
1 Kereszteny Magvetö XXI. S. 145.
* Die Offenbarung Johannis galt den Sabbathariern als die einzige, vom
Heiligen Geiste inspirirte Schrift des Neuen Testamentes s. ob. S. 53.
3 So nennen sich die Sabbatharier selber wiederholt in ihren religiösen
Gesängen; das A. S. G. B. ist, nach dem Titelblatte von Cod. IL, zur Erbauung
der Schaar Gottes" verfasst.
* In der obenerwähnten Widmung schreibt er unter anderra, er habe ein
Jahr lang gearbeitet ,an der Historie von Jesus Christus, die man das neue
78
eines seiner handschriftlich vorhandenen Bücher, das er seinem
obenerwähnten sabbatharischen Gönner zugeeignet hat, beginnt
mit der Widmung: »Dem wohledlen und tapfern Franz Balässi,
Oberrichter des Ud^varhelyer Stuhles, wünscht einen reichen
Antheil an dem neuen Jerusalem N. P. B.«^
Was aber das Sabbatharierthum Bogäthis am klarsten,
man darf wohl sagen: unwiderleglich beweist, ist seine poetische
Bearbeitung der Psalmen.
Bogäthi pflegt jeden Psalm damit zu beginnen, oder zu
schliessen, dass er angiebt, wer ihn geschrieben, und aus
welchem Anlasse, oder zu welchem Zwecke er geschrieben
wurde. Diese, für die Auffassung und Erklärung der einzelnen
Psalmen entscheidenden, Momente sind im Urtexte bekanntlich
nur selten angegeben. Der Leser ist vielmehr auf sein eigenes
Urtheil und auf die verschiedenen, zumeist widersprechenden
Ansichten der älteren Autoritäten angewiesen, und der wissen-
schaftlichen Kritik eröffnet sich hier ein weites Feld. Indem
Bogäthi diese Momente zu fixiren sucht, geht er regelmässige
von jüdischen Gesichtspunkten aus, indem er der jüdischen
Tradition, am häufigsten den altern jüdischen Exegeten folgt,
derenJAnsichten er, soweit dies in ungarischen Versen möglich
ist, mitunter sogar wörtlich wiedergiebt.
Nur auf diesem Wege konnte er zu den zahlreichen
Angaben in seinem »Psalterium« gelangen, für welche der
Urtext und die ältesten Uebersetzungen, wie die Septuaginta
und Vulgata, keinerlei Anhaltspunkt bieten, die sich aber in
dem zu den Psalmen geschriebenen Midrasoh Schocher-tob,
oder in den Psalmencommentaren Salomo Jiczchakis (Raschis),
Ibn-Esras, zumeist aber David Kimchis finden.
Diesen jüdischen Autoritäten folgt er nicht nur in
unwesentlichen, in religiöser Beziehung gleichgültigen Dingen,^
Testament nennt." Das Alte Sabbatharierbuch (a. a. 0. S. 82—3) und das
A. S. G. B. (Nr. 109, II. 3) behaupten übereinstimmend, die Evangelien enthalten
keinen neuen Bund, weil Gott den alten Bund nie aufgelöst habe, sondern bloss
die Geschichte Jesus und der Apostel ; die Bezeichnungen Altes und Neues Testament
seien von den römischen Geistlichen erfunden worden.
* N. P. ß. := Nicolaus Pelides Bogäthi (s. ob. S. 75); das ,Neue Jeru-
salem** gehört zu den weiter unten besprochenen chiliasti sehen Ansichten des
Sabbatharierthums.
* So sagt er z. B. vom 9. Psahn, David habe ihn gesungen, als er den
gewaltigen Goliath besiegte. Zu dieser Annahme, welche auf der jüdisch-traditionellen
79
sondern auch in solchen, die der christlichen Anschauung
direct widersprechen.
Der 2. Psalm, zum Beispiel, bezieht sich nach der
christlichen Auffassung, welcher alle altern christlichen Ueber-
setzer bis auf Bogäthi Ausdruck geben, auf Jesus, seine Feinde
und seinen endlichen Sieg. Nach Bogäthi, der sich diesbezüglich
in Uebereinstimmung mit Jiczchaki und Kimehi befindet, hat
David diesen Psalm an die benachbarten feindlichen Könige
gerichtet, die sich mit ihren Völkern wider ihn zusammen-
scharten.
Der 22. Psalm, bekanntlich eine der stärksten Säulen der
Christologie, ist nach Bogäthi, wie nach Kimehi, weiter nichts,
als das Gebet Davids, »als er auf der Flucht vor Saul viel
Leid erfahren.« Den von der Kirche auf das Reich Christi
bezogenen 72. Psalm hat, nach Bogäthi, der wieder aus Kimchis
Commentar zur Stelle geschöpft hat, »David kurz vor seinem
Tod geschrieben, als er seinen Sohn Salomo krönen Hess.«
Aehnlich fasst er alle übrigen Psalmen auf, in welchen die
christliche Auffassung eine Hinweisung auf Jesus erblickt.^
Er erklärt sie sammt und sonders aus der Geschichte Davids,
beziehungsweise des alten Israel, oder, wie es auf dem Titel-
blatte seines Psalters heisst, »im Sinne der Historien der dama-
ligen Zeiten.«
Lehrreicher als diese Angaben bezüglich der Entstehungs-
ursache und Tendenz der einzelnen Psalmen, ist die Wieder-
gabe des Textes desselben.
Bogäthis Psalmen sind nämlich weniger Untersetzungen,
als mehr oder minder freie Ueberarbeitungen. Nicht den Text,
Auslegung des hebräischen Wortes „laben* beruht, vgl, Kimehi z. St. Dass
David den 19. Psalm „vor seinem Tode" verfasst habe, ist ebenfalls Kimchis
Annahme. Aus derselben Quelle hat Bogäthi geschöpft, wenn er Ps. 82 und 83
dem König Josaphat zuschreibt, der ersteren an die Richter und Beamte gerichtet,
letzteren aber gebetet habe, als viele heidnische Völker ihn bekriegten. Die
Behauptung, dass David den 30. Psalm verfasst habe, als er den durch seine
Krankheit unterbrochenen Palastbau nach seiner Genesung glücklich vollendete,
ist I b n-E s r a z . St. entlehnt, dass den 92. Psalm „Adam am Sabbath sagte"
dem Midrasch S c h o c h e r-t o b. Vgl. noch über Ps. 10, 24, 142-5 und 148
Bogäthi mit Kimehi, stellenweise R a s c h i z. St.
1 Vgl. z. B. die Psalmen 8, 16, 22, 41, 45, 46, 72, 87 und 118 mit den
Commentaren Kimchis und Ibn-£sras, so wie mit dem Midrasch
S c h o c h e r-t b z. St.
80
sondern den Sinn des Originals sucht er wiederzugeben, und
zwar letzteren so, wie e r ihn auffasst. Dabei findet er in den
Psalmen Davids^ nicht selten viel spätere, mitunter ganz moderne
Begriffe, ja sogar Anspielungen auf seine, Bogäthis, Zeit.^
Das haben wohl auch Andere gethan. Während aber die
übrigen ungarischen Dichter, welche bis dahin einzelne Psal-
men poetisch bearbeitet hatten, in diesen das Leben und den
Tod Jesus, seine Lehren und seine Kirche verherrlicht fanden:^
bezieht Bogäthi absolut nichts auf Jesus und das Christenthum.
Das Wort »Christus« gebraucht er wohl häufig, aber er versteht
nirgends Jesus darunter. Christus ist bei ihm kein Eigen-
name, sondern einfach die wörtliche Uebersetzung des heb-
räischen »maschiach«,» also ein blosser Begriff: der »Gesalbte«
im allgemeinen. Die Könige David und Josaphat, ja alle wahr-
haft frommen Kinder des auserwählten Volkes sind ihm gleich-
massig »Christusse.« So lautet bei ihm, zum Beispiel, der
Schluss des 18. Psalmes :
Drob freu ich mich gar inniglich, und lieb Dich wahr und rein,
Dass David-Gristus Du versprachst, was tief sich prägt' mir ein:
Dass nach ihm Söhn' und Enkel einst Christusse werden sein.
Jerusalem ist bei ihm (Ps. 51, 20) »Die Stätte des Glaubens
und der Christusse«, und im 105. Psalm (V. 15) lässt er
an die Heiden, welche Israel unterdrücken, die Aufforderung
ergehen :
Meine Heiligen rühyt nicht an, ihr Henker, ihr!
Meine Christusse zumal, die lasset mir!^
Zu dem gänzlichen Mangel an christlichen Anschauungen
und Tendenzen kommt die ausgesprochen judaisirende Richtung,
der wir in den Psalmen Bogäthis überall begegnen. Diese zeigt
1 So mag z. B. der Frevler, der, nach Psalm 36, 2, „keine Gottesfurcht vor
Augen hat", wie Bogäthi sagt, „immerhin Altäre und Kapellen errichten, in
ferne Länder gleissnerisch wallfahrten; die Bibel lesen, Messen hören,
Andern noch so viel von Hölle und vom Kreuz erzählen« : er ist und bleibt
ein Frevler. Mehreren ähnlichen Beispielen werden wir im Folgenden begegnen.
2 Lehrreiche Beispiele sind in den älteren poetischen Bearbeitungen des
46. und 144. Psalms bei T o 1 d y, A magyar Költeszet Kezikönyve (Handbuch
der ung. Poesie) I. S. 171 und 173.
« Beziehungsweise des von der LXX. dafür gebrauchten Ghristos.
* Im demselben Sinne ist „Christus" noch Ps. 28, 51 und 89 gebraucht.
81
sich zunächst in der Wiedergabe des Urtextes öder richtiger
des Inhahes derselben, die schon aus dem einfachen Grunde
von jüdischen Anschauungen durchtränkt ist, weil sich Bogäthi,
wie wir gesehen, überall von der jüdischen Tradition, oder
von jüdischen Exegeten leiten lässt. Ungleich auffallender aber
ist der Umstand, dass er jede Gelegenheit benützt, ja, offenbar
sucht, um die Juden und das Judenthum zu verherrlichen.
Wie die oben besprochenen sabbatharischen Lieder und
Lehrgedichte, nennt auch er die Juden ein »heiliges«, oder
ein »heiliges und edles Volk«, oder einfach »die Heiligen«,^
die bei ihm, wo im Texte (Ps. 50, 7) bloss das Wort Israel
steht, von Gott angesprochen werden:
Mein Eigenthum, ihr, meine Heilij^^en, Kinder mein, ihr Juden !
Aus den Schlussworten des ßS. Psalms: »Gelobt sei Gott!«
wird bei ihm »Gelobt sei, der Herr der Juden;« den 3 — 6.
Vers des 87. Psalms aber übersetzt er gar folgendermassen:
So seh ich's, wenn hinaus ich blicke,
Und alle Völker überblicke :
Da kann mein Aug kein Volk erreichen,
Das dir, o Judenvolk, ich könnt vergleichen.
In Babel Einen, Zwei "sie wiesen,
Die man als Weise hoch gepriesen ;
In Zion Alle so man nennet,
Weil jeder Jude wahrhaft Gott erkennet.
Einst werden alle Völker Juden
Und kommen zu der Krön' der Juden ;*-'
Doch — so ward Salomo der Segen —
Stets bleibt der Jud' auf seines Glaubens Wegen.
Von allem dem, was diese Strophen enthalten, ist in dem
hebräischen Urtext nur wenig, von den die Juden verherr-
lichenden Zeilen kaum eine Spur zu finden. Kimchi liest
zwar Aehnliches aus ihm heraus, aber Bogäthi geht ungleich
weiter als er ; er ist jüdischer, als der berühmte jüdische
Comnientator.
Wiederholt und entschieden betont er den Grundsatz der
* Vgl. z. B. Ps. 13, 9; 76, 2; 106, 36; 111, 14 u. s. vr.
« So wörtlich im Ungaiischen ; d. h. sie unterwerfen sich dem jüdischen
Glauben.
Dr. Kohn : Sabbatbarier. 6
82
Sabbatharier, dass, wer zur Seligkeit gelangen will, nur Moses
und den Propheten, beziehungsweise der religiösen Praxis der
Juden zu folgen habe. »Nur bei den Juden ist der wahre Gott«
und »nur von den Juden kannst du wahren Glauben lernen«
heisst es in seinen Psalmen, wo im Urtext an der ersteren
Stelle nur das steht: »in Israel ist sein Name gross«, an der
letzteren aber überhaupt nichts zu finden ist, was seiner Ueber-
setzung entspräche. 1 Aehnlich verhält es sich mit dem, was wir
bei Bogäthi in der 9. Strophe des 19. Psalmes lesen: »Nur
Israel kennt die Gesetze Gottes, denn es allein hat sie gehört.«
Ebensowenig steht im hebräischen Texte auch nur ein Wort
von dem, was er in der Schlussstrophe des 18. Psalmes folgen-
dermassen ausdrückt :
Ich glaub', am Ende werden alle Völker einst noch Juden.
In den letzten fünf Strophen des 22. Psalms, in welchem
die Kirche eine Prophezeiung auf den Martertod und die
Auferstehung Jesus erblickt, setzt Bogäthi ausführlich aus-
einander, dass »einst viele Heiden sich zum jüdischen Glauben
bekehren«, und dass »ausser den Juden alle im Irrwahn
sich befinde n«, sodann aber fährt er fort :
Die Heiden nehmen alle unsern Glauben an,
Erziehn imjüd'schen Glauben ihre Kinder,
Die alle Juden werden, weil sie glauben,
Die Juden alle seien Gottes Kinder.
An einer andern, ebenso frei behandelten Stelle (Psalm
19, 10) hebt er scharf hervor, dass das von Gott gegebene
Gesetz für ewige Zeiten bindend bleibt, und dass »so wie
Gott bleibt unverändert, so bleib' auch sein Gesetz.«
In demselben Sinne gibt er den Vers (103, 7) »Seine Wege
that er Moses kund, den Söhnen Israels seine Thaten« fol-
gendermassen wieder :
So that er seine Wege Moses kund.
Den Juden offenbarte sich sein Mund,
Auf dass sein Leben jeder danach rieht' ;
Verwirft e r's — trifft ihn Gottes Strafgericht.
Diese, mehr oder minder gewaltsam in den Text hinein-
interpretirten Uebersetzungen drücken Gedanken und Behaup-
* Vgl. bei Bogäthi Ps.76, Str. 2 und 81, Str. 14 mit Ps. 76. 2 und 81, 10
83
tungen aus, denen wir auch im Alten Sabbatharischen Gesang-
buche, mitunter fast mit denselben Worten, begegnen-^ Sie
verfolgen deutlich den Zweck, die Sabbatharier, denen ihre
judaisirende Richtung als Verbrechen angerechnet wurde, zu
rechtfertigen.
Alle, die den Glauben der Juden nicht theilen, sind nach
Bogäthi, wie nach den Sabbathariern, — Heiden. So bestimmt
er, zum Beispiel, den Inhalt des 44. Psalms, am Schlüsse
derselben, mit folgenden Zeilen:
So klagte einstens das Volk Gottes, als es im Exil musst' leiden,
So klagt es jetzt noch, wo es leidet in dem Lande vieler Heiden
Dieweil's nur einen Gott bekennet, wider dieser Heiden Glauben.«
Aber, so übersetzt er den Vers »Zu Schanden werden
und zurückweichen alle Hasser Zions« (129,5):
Wer wieder Zion Böses brütet,
Wer Juden hasst und gegen Juden wuthet,
Wird seine Pläne scheitern sehen;
Dem, glaub* ich, wirds auch jetzt gar schlecht ergehen!»
Diese mehr als freie Uebersetzung will offenbar den, als
Judenzern, Verfolgten Trost bieten und sie zum Ausharren
ermuthigen. Anderseits aber hören wir den Nothschrei und
den Hilferuf der geächteten Sabbatharier, wenn Bogathi den
Schlussvers des 25. Psalms, »Gott erlöse Israel von allen
seinen Leiden«, folgendermassen wiedergibt:
Befrei' mich Herr, und mit mir all die Armen,
Die da und dort man quälet obn' Erbarmen,
Die Straf und Schmach erleiden wie die Sünder,
Nur weil auch sie sich nennen: Jakobs Kinder.
Endlich aber pflegt Bogathi, bei Angabe des Inhaltes und
der Tendenz der einzelnen Psalmen, nicht selten anzumerken,
bei welcher Gelegenheit der betreffende Psalm zu sagen sei,
* Bezeichnende Beispiele s. in den folgenden, die älteste Dogmatik der
Sabbatharier behandelnden Gapiteln.
' Auch Kimchi z. St. bezieht den Psalm „auf das gegenwärtige bittere
Exil", aber ohne von Heiden, oder Heidenglauben zu reden, was Bogäthi, mit
Bezug auf Nicht-Juden, respective Nicht-Sabbatharier, noch am Schlüsse des 12.
und 14. Psalms thut, sowie auch das. 68, 2.
» Aehnlich noch Bogäthi zu 68, 2 und am Schlüsse von 75 u. 130.
6»
84
wobei er immer dem recipirten jüdischen Brauche
folgt So bemerkt er, zum Beispiel, zum 32. Psalm, welchen
die Juden nach dem Händewaschen vor Tische beten: »An
seinem Tische spricht der Fromme ihn«; zum 92. Psalm:
»Der Jude sagt am Sabbath ihn«; zum 113. Psalm: »Das sagt
jedesmal am Neumond das Volk Gottes«, und zum ] 18. Psalm,
dass ihn der Jude, »am Hüttenfeste mit dem Feststrauss in
den Händen« sagt.^
Unter König ist der »König Messias« (Melech ham-
maschiach) zu verstehen. Das ist die einzige Stelle, an
welcher Bogathi in seinen Psalmen von Christus und den
Aposteln spricht, und auch hier thut er es nur, um das
Heilige Abendmal als einen alten jüdischen Passahbrauch hin-
zustellen, den auch Christus geübt habe. Ueber diese Auffassung,
welche ebenfalls sabbatharisch ist, s. das folgende Capitel.
Was Wunder, dass die Sahbatharier diesen Psalter, welcher
überall ihren Lehren und Anschauungen, ja ihrem Empfinden
Ausdruck gab, eifrig copirten und in ihrem religiösen Leben
häufig benützten. Die uns erhalten gebliebenen vier ältesten
Exemplare desselben, darunter ein noch bei Lebzeiten Bogathis
angefertigtes, sind sabbatharischen Ursprungs.^ Die im Alten
Sabbatharierbuche, zwischen den Gebetstücken und anderwertig
aufgenommenen Psalmen sind sämmtlich den Bogäthischen
entlehnt. Dasselbe gilt von dem 23. Psalm, der unter den
sabbatharischen Tischgebeten, die als besonderes Agenden-
büchlein circulirten, seinen Platz gefunden hat.^ Und Simon
Pechi schrieb im Jahre 1637, also zur Zeit, als er im Interesse
des Sabbatharierthums am eifrigsten thätig war, seiner schwer
1 Die betreffende (letzte) Strophe lautet vollständig:
Diesen Psalm die Juden sagten, wenn das Passahlamm sie assen,
Dann mit Christus die Apostel, als beim Abendmal sie sasseo;
Heute noch sagt ihn der Jude mit dem Feststrauss in den Händen,
Wenn am Hüttenfest er betet, Gott mög ihm den König senden.
3 Sie sind zum Theil in Szent-Erzs6bet, dem Stammsitze Eössis, zum
Theil in Kis-Solymos im Hause der Mätefi geschrieben, denen wir imter den
ersten und eifrigsten Sabbathariern begegnen werden. Am Schlüsse des dem
A. S. G. B., Cod. I. beigebundenen Exemplars steht ein lateinisches Epigraph
desGopisten, welches unter anderm den Hexameter enthält: „Autor, scriba libri
Vit am cum pace perennent."
3 Zwei dieser Agendenbüchlein sind in meinem Besitze. Dass der 23.
Psalm „bei Tische** zu sagen ist, bemerkt auch Bogathi.
85
kranken Tochter Judit, sie solle, wenn sie für ihre Genesung
hetet, die Psalnien 38 — 41 lesen, und zwar, fügt er hinzu,
»entweder in den Psalmen Bogathis, oder in meiner Ueber-
setzung.«^ Endlich aber beweist die Thatsache, dass dem Alten
Sabbatharischen Gesangbuche in der Regel die, zumeist auch
von derselben Hand geschriebenen, Psalmen Bogathis bei-
gebunden sind, 2 dass beim Gottesdienste der ersten Sabbatharier
beide gleichmässig im Gebrauche waren.
Als bezeichnend verdient noch hervorgehoben zu werden,
dass Bogäthi bei seiner Uebersetzung die, bekanntlich von
iuden angefertigte, Septtiaginta benützt, oder doch berück-
sichtigt hat. Nach den 150 Psalmen des hebräii^chen Textes
hat er nämlich noch einen 151. Psalm, der nur in der Septuaginta,
als sonst nirgends vorkommender Schlusspsalm, zu finden ist.
Unter den im Jahre 1638 confiscirten »ketzerischen und
jüdischen Büchern« der Sabbatharier befand sich auch eine,
wie das Titelblatt besagte, »nach dem glaubwürdigen hebräischen
Orig-inale« angefertigte metrische Hiob-Uebersetzung Bogathis.'
Ausserdem hat er noch die poetischen Stücke des Pentateuch^
sowie das ganze Hohelied Salomos metrisch bearbeitet. Er starb,
nachdem er nach langem Schwanken sich vom Sabbatharierthum
wieder abgewendet und das nfeue unitarische Glaubensbekenniss
angenommen hatte, als unitarischer Geistlicher, angeblich im
Jahre 1592.*
Die ursprüngliche Glaubenslehre der Sabbatharier.
Die in den vorhergehenden Abschnitten besprochenen
ältesten Schriftwerke der Sabbatharier geben ein scharf umris-
senes Bild des neuen Glaubens, wie er von Andreas Eössi und
seinen ersten Aposteln verkündigt wurde. Sie zeigen das
wenig gekannte und vielgeächmähte Sabbatharierthum in seiner
1 S. den Brief Pechi's in Kereszt.. Magvetö XV. S, 390.
8 Unter den 3 Godd. des A. S. G. B. haben zwei (I. u. III.) auch die
Psalmen Bogathis.
3 Monum. Gomit. R.-Transsylv. X. S. 165.
* Diese metrischen Uebersetzungen biblischer Stücke und Bücher sind,
gleich den epischen Gesängeir und sonstigen Liedern, sowie den prosaischen
Schriften Bogathis, noch sämmtlich unedirt Einzelne Stücke aus ihnen hat
Alexius J a k a b in seiner obenerwähnten Artikelserie veröffentlicht.
86
ursprünglichen Form als eine Religion, die im Christen-
t h u m e wurzelt, dabei an dem biblischen, aber hie und da
bereits von der rabbinischen Auffassung beeinflussten, Juden-
thume festhält und auch dem Chiliasmus huldigt, das heisst
dem Glauben, der das Wiedererscheinen Jesus und ein durch
ihn zu gründendes tausendjähriges Gottesreich erwartet.
Diese drei verschiedenartigen Elemente sind nach einem
eigenthümlichen, künstlich ausgedachten System zu einenn orga-
nischen Ganzen vereinigt, dessen Einzelheiten uns namentlich
in Eössis Lehrgedichten klar entgegentreten.
Die ursprüngliche Dogmatik des Sabbatharierthums geht
von dem jüdischen, beziehungsweise unitarischen Glaubens-
satze von der Einheit Gottes aus :
Das Erste, Höchste in dem wahren Glauben ist,
Dass Du B«kenner nur des einigen Gottes bisl,*^
oder, wie es in dem ersten der oben (S.48) erwähnten Glaubens-
artikel heisst : »Wir glauben von Gott, dass er seinem Wesen
und auch der Zahl nach Eins ist«
E6ssi und seine Gesinnungsgenoesen richten in dem derben
Tone der damaligen religiösen Polemik die leidenschafüichsten
und rücksichtslosesten Angriffe gegen die Dreitaltigkeitslehre.
Sie bezeichnen sie als eine Art von Polytheismus, welche erst
von den Synoden zu Alexandria und Nicaea erfunden, und
vornehmlich durch Athanasius verbreitet wurde, »der vom
Teufel besessen war.^ Darum sind sie zu dem alten, reinen
Glauben wieder zurückgekehrt und erkennen die Einheit Gottes
an, der »ohne Genossen Richter ist des Alls, und dessen unge-
theilt die Herrschaft ist im Himmel und auf Erden.« Nur ihn,
so singen sie, erkennen wir als Gott,
Nur er allein ist Schöpfer, kann eiiösen und befreien.
Und Heiland ist nur er allein ;
Wer ausser ihm, wie immer man ihn nennt, je war und ist,
In seiner Hand nur Werkzeug ist.^
Ein solches Werkzeug Gottes, und zwar sein vornehmstes,
erkennen sie in Jesus, der grösser als Moses und sammtliche
* S. das Lehrgedicht Nr. HO des A. S, G. B,, I. Gesang, Str. 2.
* Das. Nr. 109, I. Gesang, 2. Theil; über Athanasius s. das. Str. 4»
» Das. Nr. 109, I., 3—6 und L, 2. Theil, 7 ; vgl das. 1, 10.
87
Propheten ist. Sie nennen ihn den »Heiligsten der Menschen«,
den »gekreuzigten Herrn«, »Oberhaupt« und »König der wahr-
haft Gläubigen«, den geliebten, oder den heiligen »Sohn Gottes.«
Aber sie betonen nachdrücklich seine rein menschliche Natur,
bezeichnen ihn in ihren Schriften und religiösen Gesängen,
nach dem Vorgange Franz Davidis, demonstrativ als den »Men-
schen Jesus Christus« und verwahren sich aufs entschiedenste
dagegen, dass das mit Bezug auf Jesus gebrauchte »Sohn
Gottes« irgendwo die Bedeutung haben könne, dass Jesus wirk-
lich Gottes Sohn sei. Er wird, so erklären sie, als solcher
bezeichnet, weil im Alten wie im Neuen Testamente wahrhaft
Fromme, »die nie geirrt und nie gesündigt haben, Söhne
Gottes genannt werden. ^ Ja er ist ihnen, dem Wortsinne
nach, nicht einmal der alleinige Christus ; als solcher gilt
ihnen jeder von der Vorsehung ausgezeichnete und begnadete
Mann, den die Schriften des Alten Testamentes als »Maschiach«
d. h. als »Gesalbten« bezeichnen, und sie sprechen daher von
D a V i d-C h r i s t u s, ja von C h r i s t u s s e n (s. ob. S. 80.)
Am häufigsten verherrlichen sie Jesus als den von den
Propheten verheissenen Erlöser, den Gott bestimmt hat, »jede
Verderbtheit und jegliches Gebrechen zu heilen.« Diese Mission
ist ihm aber nicht von Anbeginn an geworden, und es ist
nicht richtig zu glauben, dass er schon seit Erschaffung des
Menschengeschlechtes für dasselbe bei Gott Fürbitten einge-
legt und vermittelt habe. Ein solcher Vermittler war in alten
Zeiten Moses, in späteren Jesus, und zw ar ist's Letzterer erst
in seinem 30. Jahre geworden ; mit seinem Tode hat er aber
aufgehört es zu sein. Es ist irrig, ja schädlich, anzunehmen,
»dass sein Tod allen spätem Geschlechtern Erlösung und Selig-
keit gebracht hat.« Sein Martertod gehörte nicht zum Wesen
seiner Mission. Er hat gelitten und »wie ein guter Hirte sein
Leben hingegeben, um die Schafe gegen die Wölfe zu ver-
theidigen« ; das Opfer, das er damit brachte, »kam also nur
* Das, Nr. 109, IX., 7 und 16. Vgl. die scharfe Polemik gegen Jene, welche
die Stollen des Evangeliums, an welchen Jesus, der „Sohn Gottes" heisst,
«nach raenschlichen Gedanken erklärt . . . und wie Heiden und Weltkinder
beschlossen haben, dass Gott einen Gott-Sohn habe, und der Mensch einen
Mensdieasohn'^ (Alt. Sabbatharierb. a. a. O. S. 19.) üeber die Person und Bedeu-
tung Jesus vgl. noch das. Nr. 1, 11 ; Nr. 109, XU. 7. und die Glaubenssätze 11 — 13
im Alt. Sabbatharierb. a. a. 0. S. 10.
88
Jenen zu Gute, die als seine und der Apostel Zeitgenossen an
sein Evangelium glaubten.« ^
Bei dieser Auffassung ist es selbstverständlich, dass sie
die von Franz Davidis gelehrte Nichtanbetung Christi aufs
schärfste betonen. Beten dar! man, so hat Jesus selber es
gelehrt, nur zu Gott allein.^ Die w^ahre Verehrung Jesus besteht
darin, dass man seine Worte befolgt und das Beispiel nach-
ahmt, das er durch sein Leben gegeben hat. Wer das aber
thun will, muss genau das mosaische Gesetz befolgen.
Wohl ist Jesus grösser als Moses, und so ist auch das
Neue Testament »in jeder Beziehung köstlicherlund herrlicher
als das Alte, auch dadurch, dass das Alte Testament mit Tinte
geschrieben war auf Tafeln und «als Buch, das Neue hingegen
durch den Heiligen Geist in das Herz.<(8 Aber dss Neue Testa-
ment - ist deshalb noch kein neues Gesetz, auch keinerlei
Umgestaltung des alten (ob. S. 52.) Das Gesetz ist ein für
allemal in den 5 Büchern Moses niedergelegt und diese »sind
Gotteswort und nicht eine Schrift Moses. Den Bund hat nicht
Moses, sondern Gott durch ihn geschlossen; auf dem Berge
sprach nicht Moses, sondern Gott durch ihn.« Und dieses Gesetz
ist unveränderlich und für ewige Zeiten bestehend; demselben
darf Nichts hinzugefügt, von demselben Nichts hinweggenommen
werden. Die Evangelien haben demnach Nichts daran geändert,
und nicht das geringste Theilchen desselben ausser Kraft
gesetzt. Sie haben es vielmehr von neuem bekräftigt, auch
den Heiden zugänglich gemacht und, was die Hauptsache ist,
jenen Juden, die von ihm abgefallen waren, oder es miss-
verstanden und falsch gedeutet hatten, den Weg zur Bekehrung
und zur Seligkeit gezeigt. Jesus kam nicht, um das Gesetz
* Alt. Sabbatharierb. a. a. 0. S. 20 und 79 ; A. S. G. B. Nr. 1Ö9 XII.
besonders Str. 13 — 23 das.
^ Alt. Sabbatharierb. a. a. 0. S. 10 und ausführlicher in der diesbezüg-
lichen Streitschrift das. S. 20 und 78 flg. (s. ob S. 51), sowie in den Lehr-
gedichten, A. S. G. B. Nr. 108, Str. 5—13 und Nr. 110, IL 1 flg*
* S. den 14. Glaubensartikel, Alt. Sabbatharierb. a. a. O. S. 10 und fast
mit denselben Worten in den Lehrgedichten, A. S. G. B. Nr. 109, I, 2. Theil
Str. 1—4 und das. XII. 29. Unter dem in den älteren Schriften der Sabbatharier
hier und anderweitig erwähnten Heiligen Geist verstanden sie jenen Geist
(Inspiration), den Gott in seinen Heiligen, in Moses, den Propheten, Jesus und den
Aposteln erweckte, damit sie. ihn durch .ihre Lehren der Menschheit einflössen;
s. Alt. Sabbatharierb. a. a. 0. S. 19.
89
aufzuheben, sondern uni es zu erfüllen und für alle Zeiten
fest zu begründen, ja, seine echten Jünger »müssen es noch
genauer halten, als das Volk Moses im alten Bunde es zuvor
gehalten hat.« Und grade dieser Umstand beweist die Göttlich-
keit seiner Sendung:
Daraus ersieht man recht der Ghristuslehre
Wahrheit, dass das Gesetz nicht einzureissen,
Sondern aufzubauen und in allen Punkten
Wortwörtlich zu erfüllen, Er verheissen. ^
Denn, so lautet der 10. Glaubensartikel im Alten Sabbatha-
rierbuche, »Gott hat das Erkennungszeichen des wahren
Propheten darin gegeben, dass dieser das ganze Gesetz lehrt,
und jeden Artikel desselben in Kraft belässt.« Wenn Jesus
und die Apostel mitunter nichts desto weniger von dem
Gesetze Moses abgewichen sind, so haben sie damit nur der
damaligen heidnischen Welt ein vorübergehendes Zugeständniss
gemacht, weil diese zu schwach und nicht gewohnt war, des
Gesetzes Joch zu tragen (s. ob. S. 52.)
Jesus selber »war Jude der Abstammung und dem Glauben
nach; er hat das jüdische Gesetz gepredigt und die Menschen
unterwiesen, sich nach Moses und den Propheten zu richten.
Seine Apostel waren ebenfalls Juden, haben den jüdischen
Glauben gelehrt und auch selber gehalten.« ^ Die Juden, die
sich ihm anschlössen, blieben nach wie vor Juden, und die
Heiden, die sich zu ihm bekehrten, wurden gleichzeitig auch
Juden. Die Religion seiner Schüler, der Apostel und der
ersten Gläubigen, unterschied sich in Nichts von der jüdischen.^
Hatte er ihnen doch befohlen:
Was die Schriftgelehrten, so in Moses Stuhle sitzen, sagen,
Sollt ihr Alles üben und befolgen, so wie sie's auch lehren.
i A. S. G. B. Nr. 109, XH. 62 : vgl. das. L, 1. Theil, 13 und Nr. 110,
ni. 34 — 5. Der 15. Glaubensartikel des Alt. Sabbatharierbuches (a, a. 0. S. 110)
besagt: „Christus hat sich als Gottes wahrhaftigen Boten und als seinen heiligen
Messias dadurch erwiesen, dass er das Gesetz nicht aufgehoben, vielmehr jeden
Punkt desselben bekräftigt hat, dass man ihn erfüllen müsse. Auch die Apostel
leliren übereinstimmend, dass Jene, so das Gesetz ausüben, die Gerechten sind
vor Gott.«
2 A. S. G. B. Nr. ia9, III., 2—3 und 6, und .fast mit denselben Worten
Alt. Sabbatharierb. a. a. 0. S. 17—8.
» A. S. G. B. das. 8—13.
90
Nur die Heuchelei und Falschheit der Pharisäer hat Jesus
getadelt und gehasst, »aber in der Auslegung des Gesetzes
stimmte er mit ihnen überein, sogar bezüglich jener Bibel-
stellen, die von Christus handeln, nur dass sie (die Pharisäer)
nicht glauben, dass er der Person nach dieser Christus
sei.« Wfer daher ein wahrhaftiger Jünger Jesus und seiner
Apostel sein will, muss in allem das mosaische Gesetz befolgen,
so wie es die Juden thaten und noch thun, mit Ausnahme
des einen und einzigen Punktes, dass die Juden »in ihrer
Ruchlosigkeit und Verstocktheit es leugneten und leugnen,
dass Jesus der von den Propheten vorhergesagte Messias sei.^
Das aber ist thatsächlich nicht geschehen, und geschieht
auch heute noch nicht. Nicht lange nach Jesus Tode hat man
seine Lehre verdreht und gefälscht, das Gesetz Moses verändert,
und die bis dahin beobachtete, allein richtige jüdische Religiöns-
übung theils umgestaltet, theils aulgehoben. »Nach dem Tode
der Apostel ist bald, beinahe sofort, das lleidenthum zurück-
gekehrt.« Es wurden Synoden abgehalten, in welchen Irrthümer
und falsche Lehren als Glaubenssätze aufgestellt wurden, und
. . . . was sie da erfunden,
Haben spätere Geschlechter bis zum heutigen Tag behalten,
Ohn' zu fragen und zu forschen, ob es gut so, oder schlecht sei.
4
Aehnliche Irrlehren hat später das Papstthum verkündet,
»dessen gar viele unnütze Erfindungen man, nach Art der
Heiden, blind befolgt.« 2 Nicht viel besser ist das »Lutherthum,«
obwohl es viele Irrlehren der alten Kirche angegriffen und
aufgegeben hat, »denn wo gäbe es eine grössere Papisterei,
als wenn man Gott, dreifaltig* nennt« Noch ruchloser sind
die Neu-Unitarier, die nach ihrem damaligen Oberhaupte
ironisch Demetriaden genannt werden; »denn jene armen,
unwissenden Leute — d. h. die übrigen christlichen Confessionen
— handeln in ihrer Einfalt, diese aber mit Bewusstsein und
aus offenbarem Verrath.« Ihr Bischof Demetrius, derselbe der
das neue unitarische Glaubensbekenntniss aufgestellt hat,
»bekräftigt nämlich, dass Gott nur Eins sei ; auch sagt er, es
1 Das, Nr. 109, I., 1. Theil, 6—29 ; 2, Theil 18 ; ffl. 4—19 ; XH. 4—6 und
44—66 ; Alt. Sabbatharierb. S. 13.
« Das. Nr. 109, I., 2. Th., 16—17; XU. 71.
91
gibt kein Gesetz darüber, dass man Christus anbeten solle:
nichtsdestoweniger lehrt er, man könne es thun.«!
So sind denn alle bestehenden Kirchen von dem alten,
wahren Glauben abgewichen, ja, sie haben ihn gefälscht:
Anstatt des S a b b a t h s, sie den Sonntag halten,
Das Passah sie zu Ostern umgestalten ;
Zu Pfingsten machen kecklich sie das Fest des
Fünfzigsten Tages.
Das Neujahr und sein Fest thun kühn verwegen
Vom Herbste in den Winter sie verlegen ;
Sie halten keins von allen andern Festen —
So wie die Heiden."*
Der »abscheulichen Speisen« enthalten sie sich nicht;
»das Unreine erklären sie für rein;« sie begraben ihre Leichen
in den Kirchen, und verkünden dort zwischen unreinen Cada-
vern und verbotenen Bildern, oder wie die Sabbatharier rundweg
sagen: zwischen »Götzenbildern« das Wort Gottes. Aus den
kleinen Glöckchen am Saume des hohenpristerlichen Kleides
und aus der in den Psalmen erwähnten Zimbel haben sie
Glocken gemacht, »von welchen in den heiligen Schriften
nirgends die Rede.« Den gesammten Gottesdienst haben sie
eigenmächtig umgestaltet; wider Gottes klares Gesetz »der
Welt einen neuen Kalender an den Hals geworfen,« der nicht
wie es die Bibel vorschreibt, nach dem Neumonde rechnet,
wodurch sie »alle Fest- und Feiertage von ihrer Stelle gerückt
und umgedreht haben,« mit einem Worte: in Sachen der
Religion
Sie Alles aus den Angeln hoben, verkehrten und verdrehten.*
Das Gottesreich ist also noch immer nicht aufgerichtet;
noch immer herrscht Irrglaube und das alte Heidenthum, und
die messianische SenduagJesus hatte demnach keinen dauernden
Erfolg. Die Vorhersagoingen, weiche die Propheten an das
Erscheinen des Erlösers knüpften, sind nicht in Erfüllung
gegangen, was schon daraus hervorgeht, dass die Juden »noch
1 Alt. Sabbatharierb., a. a. 0. S. 142—3.
» Lehrgedichte, a. a. 0. Nr. 109, XIIL 2—3.
» Das. No. 109, I., 2. Theil, 30; XIU, 2—3 und 23—4; XIV. 9—20; XV.
i— 6 ; 10—12 und 20— 23w
92
immer im Exile sich befinden, in langer Knechtschaft, grossem
Leid(c, und dass »der Same Jacobs noch nicht im Besitze des
ihm verheissenen Reiches ist.«^
Wie ist diese Thatsache zu erklären ?
Das Sabbatharierthum hat diese, von seinem Standpunkte
schwer zu beantwortende Frage ursprünglich so zu lösen
versucht, dass es in sein Glaubensbekenntniss den Chiliasmus
einbezog, über w^elchen damals im Lager der Reformation
viel disputirt wurde, und über welchen auch Franz Davidis
angeblich ein Buch geschrieben haben soll.^ Nur haben die
Sabbatharier die Lehre von dem Erscheinen Christi und seinem
tausendjährigen Reiche auf Erden in dem Sinne gefasst und
weiter ausgebildet, dass sie in ihr den Ausgleich des Gegen-
satzes zwischen dem Judenthume und dem Christenthume
suchten und gefunden zu haben glaubten.
Nach ihnen ist »der Neue Bund nur theilweise zustande
gekommen.« Jesus hat nämlich während seines Erdenwallens
seine Mission nicht ganz erfüllen können. Die Hartnäckigkeit
der Juden, sowie die Schwäche und Unbeständigkeit der von
ihm und seinen Aposteln bekehrten Heiden haben sein Erlösungs-
werk behindert, so dass es nicht vollendet werden konnte.
Nur jene seiner Zeitgenossen, die ihn anerkannten und an ihn
glaubten, »sind durch seinen Tod erlöst worden, nicht aber
ihre Kinder und deren Nachkommen. Nur auf Jene bezog sich
der Neue Bund, »aber er wirkt nicht noch auf spätere
Geschlechter, um wie viel weniger auf die gegenwärtigen.«
Auch die Apostel schrieben nur für ihre Zeitgenossen; nach
ihrem Tode ist der Neue Bund suspendirt worden,
»und diese ganze Welt verblieb im alten Bunde.«»
Aber Gott wird, wenn die Zeit dafür gekommen, Jesus
von neuem zur Erde niedersenden
Auf dass er, was Gesetz und Gottes Wille,
Erneure und in Allem ganz erfülle,
Und Schmerz und Leiden von der Erde schaffe,
In Summa : eine neue Welt erschaffe.*
1 Das. IL 9—11 und A. S. G. B. 52, 7.
* Alexius J a k a b, a. a. 0. S. 178.
3 Lehrgedichte a. a. 0. S. Nr. 109, IL und ausführlicher das. Xu.; Alt
Sabbatharierb. a. a. 0. S. 20 und 79.
* Lehrgedichte Nr. 109. XU. 36—7 ; Alt. Sabbatharierb. a. a. 0. S. 146.
93
Dann schlag"! für Israel die Stunde der Befreiung, Jerusa-
lem wird neu erbaut, alle Menschen auf Erden leben so wie die
Engel im Himmel nach dem Willen Gottes, und
Jesus sitzt sodann auf Davids Thron in Jakobs heil'gem Hause,
Herrscht als König aller Gläub'gen glorreich in dem neuen Bunde,
In dem Himmelreich des Geistes auf dem ganzen Erdenrunde. ^
Bis dahin muss der wahrhaft Gläubige ein heiliges Leben
führei;i und, die Ankunft Jesus erwartend, sich für das Gottes-
reich würdig vorbereiten.
Worin besteht aber diese Vorbereitung ? Wie kann man
in Wahrheit ein heiliges Leben führen?
Man muss das Beispiel der Heiligen befolgen, andächtig
aus ganzem Herzen beten, Almosen geben, nüchtern und
massig leben, fasten, vor allem aber auf die Mahnung
Jesus hören,und das noch immer bindende Gesetz,
d. h die Lehre Mosis befolgen.
Das thut aber zur Zeit nur e i n Volk auf dem ganzen
Erdenrund: das Volk der Juden.
Ausser unter Juden sehen nirgends wir Gerechte,
Nirgends auch den Glauben, der zum Heile führen möchte ;
Wahren Glauben, echten.
Nur bei ihnen finden die Gerechten.^
Alle übrigen Völker haben das Gesetz von sich geworfen
und sind, wie es die Sabbatharier, in dem damals üblichen
Tone roher Unduldsamkeit, rund heraus sagten, ungläubig und
blind, thöricht und dumm, Heiden und Götzendiener. ^
Wohl wahr, die Juden haben Jesus nicht erkannt, und
darin haben sie schwer gefehlt; auch haben sie diesen Fehler
schwer büssen müssen: »aber deshalb darf man das Volk
Gottes, welches er als seinen Augapfel* bezeichnet hat, nicht
fälschlich »ungläubige Juden schelten.« Denn bei ihm hat sich
das alte, allein wahre Gesetz erhalten, »in welchem wir,
i Das. IL 14; vgl. A. S. G. B. 15, 5; 43, 16—19; 38, 5 und namentlich
das PessahUed das. 50.
» A. S. G. B. 43, 6 und Lehrgedichte No. 109. L, 2. Theil, 18
» So wiederholt in den Lehrgedichten ; vgl. A. S. G. B. 36, 10 ; 37, 8, 9
und 11; 41, 4; 43, 5 u.. s. w.
* Anspielung auf Zachar. 2. 12. .
94
selbst wenn wir keinerlei Schrift über Jesus
besässen, den Weg zur Seligkeit vollständig vorgezeichnet
fänden.« Dass sie aber Jesus tödten Hessen, war nur der
damaligen Juden Schuld, »denn nicht tragen Kinder die Schuld
der Väter,^ um wie viel weniger die noch späteren Geschlechter.« ^
Darum hat Gott die Juden auch in ihrer gegenwärtigen
Verbannung nicht verworfen. Dass dem so ist, beweist, neben
der diesbezüglichen göttlichen Verheissung,' unter anderem
auch der folgende bemerkenswerthe Umstand. Die Juden
nämlich helfen und unterstützen sich gegenseitig derart, dass
trotz ihrer armseligen Lage »auch nicht einer von ihnen an
die Thüre eines Andersgläubigen pocht.« Die christlichen
Völker hingegen — wie es die Sabbatharier in dem von Innern
und äussern Kriegen schwer heimgesuchten Siebenbürgen oft
genug erfahren mussten — wühlen und hetzen gegeneinander
und schädigen und zerfleischen sich gegenseitig.
Die Juden sind also noch immer Gottes auserwähltes
Volk; »es gibt unter dem Himmel keine Menschen, kein Volk
und keine Nation, die Gott, so wie die Juden, auserkoren
hätte.«* Ihnen gab er seine heilige Lehre; ihnen vertraute er
die Auslegung derselben an, und sie haben, auf Grund verläss-
licher Traditionen, das Gesetz auch richtig gedeutet und
angewendet:
Seit Moses haben die gesammten Heil'gen Bücher sie erklärt,
Wie die Propheten und die jüd'schen Weisen deutlich es gelehrt.^
Die Richtigkeit ihrer Erklärung hat auch Jesus anerkannt,
der »alle Lehren der im Stuhle Moses sitzenden Schriftgelehrten
gutgeheissen hat.«^
Dieses richtig ausgelegte Gesetz haben die Juden treulich
bewahrt, und sie üben es noch heute, »denn ihnen besteht
für ewig die göttliche Verheissung und der mit Abraham
geschlossene Bund,« Darum »kommt das Heil von den Juden ;^
i 5. B. Mos. 24, 16 ; 2. B. d. Kön. 14, 6.
2 Lehrgedichte a. a. 0. Nr, 109. XH. 45—56; vgl. das. I., 2. Theil 18—19.
3 3. B. Mos. 26, 44.
4 A, S. G. B. .64, 1 und 36, 10.
6 Lehrgedichte a. a. 0. 109. XIL 64; vgl. das. 110, IV. 16.
6 Das. 109. Xn. 64; vgL das. I., 2. Theil 31— 4-. lü. 2— 13 und 110, IV. 16.
' Nach dem Evang. Johann. 4, 22.
95
sie sind die Führer der Blinden.« In Sachen der Religion
muss man, mit Ausnahme des Glaubens an Jesus, sich in allem
nach ihnen richten:
Wer selig werden und das Heil will finden,
Der muss der Juden Glauben halten, und sonst nichts Andres.
Von den jetzigen Juden unterscheid' uns bloss
Das Eine, dass Jesus wir als Christus^ anerkennen.
Sonst aber suchen wir den Weg des Heils,
Dies Eine ausgenommen, mit ihnen in Gemeinschaft.
Der gute Heide muss, so wie's der Jud&
Thut, glauben, leben und übers ewige Heil auch denken.*
Das von den Führern der Sabbatharier ausgegebene
Losungswort lautete: »Lasst uns in Gemeinschaft
mit den Juden Gott v erehren!«' Sie und ihre Anhänger
sprechen es frei und offen aus, dass sie, was den Glauben
anbetrifft, sich als Juden fühlen, und in einer ihrer Sabbathhymnen
sangen sie:
Wir wählten Dein Gesetz, an dem in Treu' wir hangen,
Ins Lager Israels sind freudig wir gegangen.
Wohl schmäht man's viel und spricht
Voll Hohn, verachtungsvoll von ihm — uns kümmert's nicht.*
Sie selber sind zwar nicht Nachkommen des auserwählten
Volkes, aber — und das ist ein Gedanke, den sie nicht oft
und nicht nachdrücklich genug betonen können — Gott hat,
obwohl er das Gesetz nur den Juden gegeben, »zur Beobachtung
desselben mit grosser Liebe Juden und Heiden gleichmässig
aufgefordert.« Wer immer es annimmt und sich freiwillig ihm
unterwirft, »empfängt im Verein mit den Juden ewigen Lohn.«^
Gefällig ist vor Gott der Heide, der bekehrt
Sich anschliesst Seinem Bund, und übt, was dieser lehrt;
Und wer die Feste feiert, so wie es Gott begehrt,
Der ist ihm lieb und werth.«
^ D. H., als den Gesalbten, M a s c h i a c h ; s. ob. S. 82.
» Lehrgedichte, a. a. O. 109, III. 17—20; vgl. des. L, 2. Theil 31—4;
XII. 57—64; 110, IV. 16; A. S. G. B. 2, 2 und 60, 17, sowie ob. S. 90.
» A. S. G. B. 60, 17.
* Das. 48, 7.
» Das. 43, 8; vgl. das. 36, 1 und 5; 2 1 ; 23, 17 ; 41, 3—4; 58, 7 ; Lehr-
gedichte No. 110, IIL 24 u. s. w. :
• A. S. G. B. 51, 3.
96
Solche Bekehrte sind sie. Sie haben sich »vom Heiden-
thume losgesagt« und das jüdische Gesetz angenommen; so
sind auch sie ein heiliges Volk geworden, »Juden im Geiste.«^
Wir können Abraham nicht Vater nennen,
Noch auch als seinen Samen uns erkennen ;
Sind wir von Japhets Hause doch die Sprossen*
Und schnöder Heiden Kinder und Genossen.
' Doch wir erkannten unsres Volkes Blindheit,
Und wir durchschauten seine blöde Thorheit;
Drum seine Irrthümer wir nicht mehr mögen,
Nicht gehen fürder wir auf seinen Wegen.
Nur Dein, o Vater, wollen wir uns freuen,
Nur Dir, Allgüt'ger, Herz und Geist noch weihen,
Der Du als Heiden nahe uns Dir brachtest,
Zu Kindern uns des grossen Abrah'm machtest.^
Zum Schlüsse noch einige Worte über die Eschatologie
das alten Sabbatharierthums.
Die alte Behauptung, dass es unter den ersten Sabbathariern
»auch solche gegeben habe, die weder an die Auferstehung,
noch an Paradies und Hölle, weder an den Satan noch an
Engel, ja vielleicht nicht einmal an Gott glauben,« ist bereits
nach der ersten objectiven Untersuchung des Alten Sabbatha-
rischen Gesangbuches fallen gelassen und als »unbilliger
Angrift des Confessionalismus'« zurückgewiesen werden.*
Satan, Hölle und Paradies, letzteres mitunter unter der bei den
Juden üblichen, hebräischen Bezeichnung G a n-E den (Garten
Eden), sind Begriffe, die, wie in der gesammten Literatur dieser
Zeit, so auch in der sabbatharischen eine hervorragende Rolle
spielen, ß
1 Das. 72. 14.
^ Eine alte ungarische Tradition lässt die Magyaren von den Kindern des
biWtschen Japhet abstammen; s. darüber, mein „Heber Kütforrasok 6s adatok
Magyarorszäg törtenetehez" (Hebräische Quellen und Daten z. Gesch. v. Ungarn)
S. 4— 6.
3 A. S. G. B. 27, 8—10 : vgl. das. 36, 4 ; 37, 8 ; 41, 3 ; 54, 24; 56, 3-4. ;
60, 10; 62, 28; 71. 4—5 ; 93, 6 u. s. w.
* Die Anklage s. bei Stephan Katona v. Gelej a. a. 0., Vorrede u. S.
271, die Zurückweisung derselben bei Lugossy a. a. 0. S. CXXXVIII.
6 A. S. G. B. 17,9; 37,4; 43,3; Lehrgedichte, • 105, 4 (Gan-Eden) u. s.w.
Vgl. Altes Sabbatharierbuch a. a. 0. S. 12.
97
Die Sabbatharier glaubten nämlich au« tiefster Ueberzeugung
an die Unsterblichkeit der Seele und an die Vergeltung im
Jenseits. Ueber die Strafe, welche die Verdammten zu erleiden *
haben, sprechen sie sich nicht näher aus. Die Belohnung,
welche der Gerechten im Paradiese wartet, stellen sie als eine
rein geistige dar, als »ein Leben, welches der menschliche
Verstand nicht erfassen kann:«
Schrecken, Kummer, Sorge, Furcht und Schmerz und Mühe
Quälen, drücken dort nicht mehr ;
SeUg, wie die Engel, leben dort die Frommen
Ewig, strahlend, rein und hehr.*
Deshalb lehren sie auch, dass man »Fromme, wenn sie
sterben, nicht allzuviel beweinen, nicht über Gebühr beklagen
S0ll.((2
Eigenthümlich ist die Ansicht der ersten Sabbatharier
über die Auferstehung der Todten. Sie ist unter dem Einflüsse
des Chiliasmus entstanden, und lehrt zwei verschiedene
Auferstehungen.
Wenn Jesus wieder erscheint, um das tausendjährige
Gottesreich auf Erden aufzurichten, werden die Todten aufer-
stehen, aber nicht alle, sondern nur die Heiligen Gottes,
die treuen Hüter des Gesetzes. Diese werden »mit Abraham,
Isaak und Jakob zu neuem Leben erwachen«, und unter ihnen
auch die verstorbenen Sabbatharier. Das ist die erste, aber
nur theilweise Auferstehung, welche gleichzeitig mit dem
Wiederaufbau Jerusalems und mit der Befreiung Israels zu
erwarten ist. Nach Ablauf des Millenniums erfolgt die zweite,
allgemeine Auferstehung, welche das Weltgericht bringt.
Dann werden alle Todten auferstehen, die Guten wie die Bösen,
die Gläubigen wie die Ungläubigen: die Ersteren, um ewigen
Lohn zu empfangen, die Letzteren zur ewigen Verdammniss.*
» Das. 86, 6; vgl. das. 4, 12 ; 36, 6~6; 41, 7 u. 16 und Lehrgedichte
a. a. O., No. 109, V. 11—13 u. e. w.
• Das. 103, 21 ; vgl. Talm. Babl. M o e d-K a t o n 27-b.
» Das. 13, 3—5; 41, 16; 36, 6; 67, 19—20; 86, 3; vgl. Daniel 12, 2.
98
Verbreitung und Schicksale des Sabbafharier-
thums in der ersten Periode seiner Geschichte.
(1588-1623)
.[ Die in den Eingangscapiteln gekennzeichneten allgemeinen
Verhältnisse, speziell die Vorgänge innerhalb der siebenbürgisch-
unitarischen Kirche hatten die Gemüther für die Lehre Andreas
Eössi's empfänglich gemacht. Die durch ihn gestreuten Saaten
fielen auf fruchtbaren Boden und schössen schnell und üppig
auf. Die neue Religion des szekler Edelmannes fand, zumal
im Szeklerlande, zahlreiche Anhänger, die sich rasch vermehrten.
Alle Anstrengungen, welche die Kirche und die Staatsgewalt
zu ihrer Unterdrückung machte, blieben erfolglos, denn die un-
sicheren politischen Verhältnisse und inneren und äusseren Kriege
begünstigten das Emporkommen des Sabbatharierthums.
Die für religions- und staatsgefährlich erklärte Secte hatte
ungefähr sieben Jahre nach ihrer Entstehung bereits >eine
derartige Verbreitung gefunden, dass sie die Aufmerksamkeit
der Gesetzgebung auf sich . zog. Der für den 16. April des
Jahres 1595 nach Karlsburg einberufene I^andtag erliess zur
Unterdrückung derselben ein strenges.; GesejÄ,^ mit dessen
Ausführung Benedict Mindszenti, Oberkapitain des Udvarhelyer
Szeklerst^hles betraut wurde, der die Sabbathari^r eine Zeitlang
auch heftig verfolgte. Indessen machten politische Verwickliingen
dieser Verfolgung bald ein Ende ;2 doch ordnete der. wällachische
Wojwode Michael, als er den Fürstenstuhl Siebenbürgens vorüber-
gehend usurpirte, im Jahre 1600 von. neuem die Bestrafung
der Sectirer, unter anderem die Confiscirung ihrer Güter an.'
Einen ähnlichen Befehl erliess» im Jahre 1607.. Purst- Siegnmnd
Rdköczy.* Aber schon der, während der Regieipung Gabriel
Bathoris, im Jahre 1610 in Bistricz tagende Landtag fand ^eS; für;
nöthig, wieder Folgendes zu beschliessen: »Es gibt Viele
im Lande, welche... jüdischen G 1 a u b; e ni »und
jüdische Riten befolgend, gotteslästerlich r^den. .Darum
i ) -■
'* Monum. Gomitialia Regni Transsylvatiiae III. S. 348. '
* Josef K e m 6 n y und Stephan Koväcsv. Nagyajta, Erdölyorszäg
tört6neteinek tära (= Repertoir siebenbürgischer Geschichten) U. S. 3.
3 M i k ö, a. a. 0. I. S. 29.
* Monum. Gomit. V. S. 401.
99
beschlossen die StSnde^ dass Se. Fürstliche Hoheit die zu
dieser Religion sich Bekennenden vor den nächsten Landtag
citiren lasse, wo sie, wenn sie »ich nicht ad meliorem mentem
bekehren, nach dem Gesetze bestraft werden sollen. Interim
sollen die Geistlichen, die solche Lästerungen ausgespochen
haben, unter ehrenhafter Custodie gehalten werden.«^
Nichtsdestoweniger fand Fürst Bethlen bereits im Jahre
1618 sich bemüssigt, den in Klausenburg versammelten Ständen
einen »Gesetzentwurf gegen die Sabbatharier, oder Judenzer»
vorzulegen. Der Landtag wird aufgefordert, »die Autoren,
Promotoren und Fautoren dieser Secte ausfindig zu machen,«
und sie sowie ihre Anhänger rücksichtslos »an ihrer Person
und an ihren Gütern tu strafen.« Der Landtag fasste daraufhin
»für ewige Zeiten den unabänderlichen Beschluss,« dass die
Sabbatharier, welche sich bis zum nächsten Weihnachtsfeste
nicht zu einer der recipirten christlichen Religionen bekehrt
haben werden, in Anklagezustand versetzt und nach der vollen
Strenge des Gesetzes bestraft werden sollen.*
Die über die Anhänger der neuen Religion verhängten
harten Strafen wurden oft unbarmherzig vollzogen. Ihre Schriften
und Bücher wurden confiscirt und, wie es im Jahre 1600 in
Maros-Väsärhely geschah, auf dem Pranger verbrannt. ^ Ihre
Habe wurde eingezogen, sie selber wurden in den Kerker
geworfen und »mit Todtschlag und Geisselung« blutig verfolgt,
so dass viele den heimischen Herd verlassen und in den
Bergen eine Zuflucht suchen, noch andere sich ausser Landes
retteü . mussten.
Ueber die Einzelheiten dieser ältesten Verfolgungen, d. h.
jener, welche in, der ersten Periode der Geschichte d^s
Sabbatharierthums (1588 — 1623) stattfanden, wissen wir nur
wenig Genaues, Aberi die Verfolgungen müssen zeitweilig
äusserst heftig und grausam gewesen sein, nach den bittern
Klagen zu urtheilen, welche uns, als der Aufschrei glühenden
Schmßi^zes, .aus dfeu; sahbathari sehen Ljedern dieser Zeit
entgegenklingen.
In einem ihrer Sabbathlieder, zum • Beispiel, fteheri ^ie zu
Gott, dem »Hüter der auserwählten' Heiligen,« er möge auf
1 Das., VI. S. 170.
« Das. VII. S; 488. i
3 M i k ö, a. a. 0. I. S. 80.
! • • • . . /•/
109
ihre gerechten Klagen hören, nicht gestatten, dass des Satans
Tücke sie der Wahrheit abtrünnig mache, dass die schwache
Gottespflanze, die inmitten der Heiden Wurzel gefasst, wieder
aufifgerissen, ihre kleine Gemeinde, die den rechten Weg gefunden,
durch die Gewalt vernichtet werde. Sie werden verfolgt und
mit Füssen getreten, weil sie den Sabbath feiern; wenn Gott
sie nicht in seine Obhut nimmt, sind sie verloren.^ Und wie
ergreifend klingt nicht die Klage in einem andern ihrer
religiösen Gesänge:
Unsres Glaubens wegen müssen Vater, Matter
Wir Verlassen, müss'n aufgeben
Heifnatsland, der Väter Erbe, Weib und Kinder
Alles, Alles, selbst das Leben. * ..
< ' ' ' ■ ' '
Flüchtig müssen wir viel Elend und viel Jammer
Dulden und viel Schmach erleiden ;
i . ' V^ir ertragens gern, nur lass uns noch erschauen,
; ' Herr, des letzten Sabbaths* Freudea. . i
Kannst Du's dulden, sehn, wie man der Wahrheit wegen
Uns verfolgt und grausam richtet ?
Wie die Drachenbrut mit ihren gif t'gen Zähnen
Auf uns frisst und uns vernichtet ?
Weil fromm wir, gehorsam Dir als treue Kinder,
Trachtet man uns nach dem Leben ;
Dem Gesetz uns zu entreissen, hat man Schlägen
i Blut'gem Tod uns preisgegeben.^
Zur Strenge des Gesetzes gesellte sich der Hass und die
Verachtung der Gesellschaft. Die vier «ich gegenseitig bekäm-
pfenden Religionen waren einig in der Verurtheilüng des
»verfluchten, gottlosen, teuflischen Judaismus*,« dessen Anhänger
überall mit beissendem Spott, oder mit Flüchen empfangen
wurden.* Aber weder das Gesetz, noch die Gesellschaft ver-
mochten des Erstarken der neuen Secte zu verhindern.
Die zur Unterdrückung des Sabbatharierthums erlassenen
i A. S. G. B: 43, 1—9.
> »Letzter Sabbath/ die bei den Sabbathariem übliche Bezeichnung für
die Zeit des Messias, die einen, ununterbrochenen Sabbath bilden wird,
wahrscheinlich dem hebräischen „jom hchekullo schabbath" der Juden nachgebildet.
» A. S. G. B. 86, 2 und 5; vgl. das. 4, 2 ; 43, 1—9; 52. 11—12.
* Das. 43, 10-11.
101
strengen Gesetze blieben, wie deren häufige und rast3h auf-
einanderfolgende Wiederholung beweist, ohne dauernde Wir-
kung. Die Fürsten waren durch Zerwürfnisse und Parteiungen
im Lande, sowie durch auswärtige Kriege vollauf in Anspruch
genommen, die Behörden aber unterliessen es in den meisten
Fällen gegen die Sectirer vorzugehen. Entweder bemerkten
sie die äusserlich einer der anerkannten Kirchen angehörigen
Sabbatharier wircklich nicht, oder sie wollten sie nicht
bemerken, weil sie häufig in verwandtschaftlichen, oder freund-
schaftlichen Beziehungen zu ihnen standen, oder gar selber
Sabbatharier waren. Die hochgestellten Staatsbeamten und
einflussreichen Persönlichkeiten, die, wie wir sehen werden,
in verhältnissmässig grosser Anzahl geheime Anhänger der
neuen Religion waren, konnten wohl das Zustandekommen
der gegen ihre Glaubensgenossen gerichteten Gesetze nicht
verhindern, aber sie haben es vermocht, deren Durchführung
hintanzuhalten^ oder deren Strenge zu mildern.
Die zeitweilige Härte und Unterdrückung, unter welcher
die ersten Sabbatharier zu leiden hatten, steigorte nur, wie
dies in solchen Fällen gewöhnlich zu geschehen pflegt, den
religiösen Eifer der Verfolgten. Sie wurden Fanatiker, bereit,
für ihre Ueberzeugung zu dulden, und für ihren Glauben
freudig das Schlimmste zu ertragen. Die Spottnamen, mit
Avelchen man sie belegte, betrachteten sie als Ehrennamen;
beschimpfte man sie, so freuten sie sich dessen, und blickten
mitleidig auf »die Blinden und Thörichten,« welche in ihnen
Gott und sein Gesetz verlästern. Quälte und strafte man sie,
flehten sie zu dem Gotte Abrahams, Isaaks und Jakobs um
Kraft und Ausdauer, ermunterten und ermuthigten sich gegen-
seitig, weder der Gewalt, noch der Ueberredung zu weichen,
sondern die Leiden als gottgesandte Prüfungen mannhaft und
freudig zu ertragen, denn.
Der Goldschmied pflegt das edle Erz im Feuer
Zu läutern, zu erproben :
Uns prüft und läutert Gott durcji Wuth der Frevler.
Ihre Verfolger können ihnen nur vorübergehendes Leid zufügen,
aber die wahre, dauernde Seligkeit vermögen sie ihnen nicht
zu rauben, ja, diese wird ihnen umso gewisser, je mehr sie
ilQ2
leiden^ Drum vergiessen sie freudig ihr Blut; »mögen sieh Jene
.damit mästen.»^
Mitunter, wenn man gar zu grausam gegen sie verfuhr,
flehten sie den Fluch und die Strafe Gottes herab auf die
Häupter ihrer Verfolger :
Lasst zu Gott, dem Henn, uns beten,
Dass er schirm' sein Volk in N^then,
Unsrer Feinde Haupt zerschmettre,
Blitze auf sie niederwettre. •
In der Regel aber beteten sie für die Ungläubigen, die
sie verfolgen, auf dass sie sich bekehren und »es einsehen
mögen, dass sie so ferne vom Heile seien, wie wir es gewesen,
so lange wir ihren falschen Glauben theilten.«^ Fest und uner-
schütterlich war ihr Glaube, dass die Wahrheit schliesslich
siegen, und das Sabbatharierthum triumphiren werde, wenn
nicht früher, so doch gewiss dann, wenn Jesus wiederkommen
und sein tausendjähriges Reich errichten wird:
Dann kommt für unsem Frieden, unsre Freiheit,
Wir glaubens fest, die Stunde,
Wo Du vergiltst und zahlst mit hohem Lohne,
Für Leid und jede Wunde.
Und als Ersatz die heiPge Stadt, die reiche,
Uns neuerbaut wirst geben ;
Dann haben vor'ra Panduren und den Schergen
Wir nimmermehr zu beben.*
Dieser feste Glaube, der sich in allen ihren Liedern offen-
bart, war selbstverständlich ganz danach angethan, die Sabba-
tharier zu ermuthigen und zum Ausharren und freudigen
Dulden zu ermuntern. Das im Nachfolgenden erzählte Ereigniss
zeigt uns die eigenthümliche Gedankenwelt, in welche sie sich
vollständig eingelebt, man kann wohl sagen, eingesponnen hatten.
Als Siegmund Bäthori im Jahre 1597 gegen Sinan Pascha
ins Feld zog, hielten die Sabbatharier den Sieg des Letzteren
* Lehigedichte, a. a. 0. Nr. 106, 18—20; 108, 8—9; vgl. A. S. G. B. 1—12 :
4, 7-8- 29,. 8-9; 43, 3—11.
« A. S. G. B. 21, 1; vgl. das. noch 3—5.
3 Lehrgedichte, a. a. 0. Nr. 109, L, 1. Th. 41—2; vgl. das. XI, 26—7
und A. S, G. B. 29, 7—8.
* A. Sw G. B. 86, 3—4; vgl. das. 7—11; 8, 9; 36, 25; 43, 16— ISu.s. w
103
für gewiss, und zwar nicht aus politischen, noch weniger aus
strategischen Gründen, sondern sie waren »zu dieser Einöicht
gelangt«, weil man in ihrem Lande, in Siebenbürgen, »an drei
Götter glaubt«, was »länger nicht so fortgehen kann.« Der
eine Gott hat deshalb die ihn anbetenden Türken zur Geissei
bestimmt, um das ungläubige Siebenbürgen zu züchtigen. Von
dieser Ueberzeugung ausgehend, sahen sich die Sabbatharier
in Maros-Väsärhely genau in derselben Lage, in welcher sich,
nach dem 2. Capitel des Buches Josua, einst Rahab in Jericho
befand, welche zwischen Heiden lebend, vorhersah, dass die
an den einen Gott glaubenden Juden siegen werden. Da
beschlossen sie denn, dem Beispiele der Rahab zu folgen, von
dem herannahenden Feinde Gnade zu erbitten, und ihm ihre
Häuser durch gewisse Zeichen kenntlich zu machen, damit sie
von den plündernden Janitscharen verschont bleiben. Sie ver-
fassten und unterschrieben den folgenden Brief:
»Mächtiger Pascha !
»Der eine Gott segne mit allem Guten Dich und den
mächtigen, unbesiegbaren Kaiser, und die ganze Nation der
Muselmanen!
»Ferner : Wir, zu Maros-Väsärhely in Siebenbürgen woh-
nenden armen Menschen, die wir auch kein Schweinefleisch
essen, noch auch ein anderes, unreines Thier, und nur einen
Gott bekennen, nicht aber d r e i e, sind zu der Einsicht gelangt,
dass daö nicht länger so fortgehen kann, sondern dass der
eine Gott die Herrschaft ihnen wegnehmen, und die Ungarn
ausliefern werde dem mächtigen Kaiser und der türkischen
Nation.
»Darum flehen wir armen Menschen zu dem mächtigen
Pascha, dass er Barmherzigkeit übe an uns an dem Tage, an
welchem die Soldaten des mächtigen Kaisers unsere Stadt ein-
nehmen und plündern werden. Damit sie aber unsere Häuser
erkennen, geben wir ein solches Zeichen auf unsere Häuser,
dass die Soldaten des mächtigen Kaisers sie gar leichtiglich
werden erkennen können. Und die Truppen des mächtigen Kai-
sers sollen uns sodann kein Leid anthun, wofür der allmäch-
tige Gott den mächtigen und unbesiegbaren Kaiser und die
ganze Nation der Muselmanen mit Glück und allem Guten seg-
nen wird.
104
»Gegeben zu Maros-Väsärhely in Siebenbürgen - den 15.
Juli 1595.
»Wir, die armen, elenden Knechte, aber sehr g'uten
Freunde des mächtigen Pascha und der gasammten türkischen
Nation:
Thomas Borsos, m. p.
Gaspar Szabö, id. p.
Melchior Sza'bö, m. p.
Nikolaus Eötvös, nup.
Peter Eötvös, id. p.
»Die wir nur einen Gott bekennen, kein Schweinefleisch
essen, und mitsammt den übrigen Genossen die armen Sclaven
des mächtigen Pascha sind.«
Die Schreiber dieses Briefes, wie der Chronist, dem wir
diesen Bericht verdanken, erzählt: »Kürschner, Schneider,
Schmiede und ähnliche Handwerksleute,« dachten in ihrer
frommen Einfalt offenbar nicht im entferntesten daran, dass
ihr Vorgehen hart an Landesverrath streife. Rahab, welche
inmitten eines heidnischen Volkes lebend, Rettung fand, indem
sie sich des Schutzes und der Freundsehaft des siegreich
vordringenden Gottesvolkes versicherte, ist eine von der spä-
teren Tradition verherrlichte, biblische Gestalt.' Die Sabba-
tharier konnten, indem sie das Beispiel dieser Frau be-
folgten, ihrem festen Glauben nach, nichts Böses thun, son-
dern nur einen gottgefälligen Vorgang nachahmen. Das die
biblische Darstellung nachahmende, hie und da die Worte
Rahabs benutzende Schreiben,^ sandten sie nach Mako an einen
ihrer dortigen Glaubensgenossen, damit er es nach Temesvär
trage und Sinan Pascha übergebe. Der Bote wurde jedoch
aufgefangen, und der Brief dem Fürsten Bäthory überbracht,
der unter wilden Flüchen den Befehl ergehen Hess, die Sabbatha-
rier von Maros-Väsärhely einzukerkern. Ein Theil derselben
konnte noch rechtzeitig die Flucht ergreifen, die Uebrigen
brachte man gefesselt nach der Festung Görgeny. Als jedoch
der Fürst im Herbste als Sieger heimkehrte, kümmerte er sich
* Sie wurde eine fromme Proselytin, unter deren Nachkommen acht Pro-
pheten waren, darunter auch Jeremias und die Prophetin Hulda. Die diesbezüg-
lichen Angaben der jüdischen Tradition s. Jalkut Schim'oni zu Josua,
Nr. 327.
» V|^L mit dem Texte des Briefes Josua 2, 9—10, 12 und 18.
105
nicht weiter um sie und that, als ob er ihrer ganz vergessen
hätte. »Die Flüchtlinge, die sich verborgen hielten, kamen um
Weihnachten in ihre Häuser zurückgeschlichen, und es wider-
fuhr ihnen keinerlei Unbill ; die in Görgeny Inhaftirten Hess
man im nächsten Sommer nachhause, ohne sie weiter irgend-
wie zu bestrafen.^
Das Alles geschah in der zweiten Hälfte des Jahres 1595,
kaum drei Monate nach der oben (S. 98) erwähnten strengen
Verordnung, welche der Landtag gegen die Sabbatharier
erlassen hatte. So wenig kümmerten sich diese um die gegen
sie getroffenen gesetzlichen Bestimmungen, und so wenig
konnte, oder wollte man sie mitunter die Strenge des Gesetzes
fühlen lassen. Thomas Borsos, (spr. Borschosch), des Chronik-
schreibers und Maros-Väsärhelyer Bürgermeisters Sebastian
Borsos' Sohri, der das Oberhaupt der dortigen Sabbatharier
war, und ihren an Sinan Pascha gerichteten Brief an erster
Stelle unterschrieben hatte, erscheint bald nach dem hier
erzählten Ereignisse als Bevollmächtiger seiner Vaterstadt in
wichtigen Missionen, später sogar wiederholt als siebenbür-
gischer Gesandter in Konstantinopel.-
Verbreitung und Schicksale des Sabbatharier-
thums in der ersten Periode seiner Geschichte
(1588—1623.)
(Schluss.)
Bei der festen Ueberzeugung^ welche die Sabbatharier von
der Wahrheit ihrer Religion und dem endlichen Siege derselben
hegten, bei ihrer bis zum Fanatismus gesteigerten frommen
Begeisterung und bei der rührigen Thätigkeit, die sie, nament-
lich auf literarischem Gebiete, im Interesse ihres Glaubens
entfalteten, konnte es unter den ihnen günstigen äussern Ver-
hältnissen nicht fehlen, dass die gesetzlich verbotene und ver-
* Den ungarischen Text des oben mitgetheilten Briefes und die damit
zusammenhängenden Ereignisse s. Mikö, a. a. 0. I. S 30—33, Josef Kem6ny
und Stephan Koväcs v. Nagyajta, a. a. 0. II. S. 3. flg.
* K e m 6 n y und Koväcs a. a. 0. das. ; Mikö, a. a. 0. I. S. 95, und
Törtenelmi Tär (Repertorium für Geschichte, das Organ der üng. Historischen
Gesellschaft) Jahrg. 1881, S. 630.
t06
folgte Secte, trotz ihrer Fremdartigkeit und trotz den mannig.
fachen Entbehrungen, die sie den Gläubigen auferlegte, in den
ersten Jahrzehnten nach ihrem Entstehen immer mehr erstarkte
und Verbreitung fand. Wohl hat das Sabbatharierthum aus-
schliesslich nur im Szeklervolke, aus dem es hervorgegangen
war, Anhänger gefunden, aber diese konnten schon nach kur-
zer Zeit in einem ihrer Sabbathlieder singen:
Dank Dir, o Herr, der Du gewährt,
Dass unsre kleine Schaar
Stets wächst, und sich tagtäglich mehrt. ^
Bereits im Jahre 1600 galten die Sabbatharier als eine
besondere Glaubensgenossenschaft, welche ein aus diesem Jahre
stammender Bericht unter den verschiedenen Confessionen in
Siebenbürgen an zweiter Stelle nennt.^ Bischof Demetrius
Naprägy (spr. Napradj) berichtet im Jahre 1602 von den Be-
wohnern eines Szeklerstuhles, des Aranyszeker: »sie sind
verschiedener Religion: Katholiken, Calviner, Sabbatharier
und Arianer (d. h. Unitarier.) » Um dieselbe Zeit sendet Basta
(spr. Baschta), der Parteigänger und Vertrauensmann Kaiser
Rudolphs, an diesen einen Bericht über die Verhältnisse in
Siebenbürgen, in welchem es unter anderem heisst: »Vor allem
ist der arianische, sab bat hari sehe, oder jüdische
Glaube auszurotten.«*
Die überwiegende Anzahl der Sabbatharier ging natur-
gemäss aus den Unitariern hervor. Aber es schlössen sich ihnen
auch zahlreiche Reformirte (Calviner), wie z. B. in den Dör-
fern Betfalu und Rugonfalu*^, namentlich aber in der Stadt
Maros-Väsarhely, wo die Reformirten beinahe sämmtlich zum
Sabbatharierthum übertraten. <*
Die meisten Erfolge hatte die neue Religion in Dörfern
und in den kleineren Ortschaften des flachen Landes; hatte
sie sich doch ursprünglich zunächst an die Bauern gewendet
1 A. S. G. B. 11, 22.
^ Bericht des Jesuitenpater Stephan A r a t o r v. J. 1600, Archiv d. Vereins
für siebenbürg. Landeskunde, Jahrg. XIX. S. 594.
8 Monum. Gomit. Regni Transs. V. S. 165.
* A. a. 0. das. S. 145.
5 Kereszt. Magvetö XIX. S. 92 und 16.3.
« M i k ö, a. a. 0. I. S. 29.
107
(ob. S. 44). Am meisten verbreitet war sie im Udvarhelyer
und in dem benachbarten Maroser Szeklerstuhl, zumal in den
Wohnorten und Gütern, sowie in der Nachbarschaft Eössis
und seiner Verwandten. Szent-Erzsebet, Eössis Stammsitz,
Gross- und Klein-Solymos, Bözöd- und Bözöd-Ujfalu, Andräsfalva
und Ikland, wo Eössi, und nach ihm Pechi, überall begütert
war, ferner die in der Nähe dieser Orte gelegenen kleineren
und grössern Ortschaften Gross- und Klein-Ernye, Szent-Demeter
Erdo-Szent-György, Udvarhely, und ausserdem noch mehrere
Dörfer, deren Zahl die Ueberlieferung auf 32 ansetzt,^ bildeten
die ältesten Stammsitze des Sabbathariertums, wo es lange
Zeit, hie und da bis auf die Gegenwart, selbst mit den strengsten
Gewaltmassregeln nicht auszutilgen war.
Auch in der ungarischen Bürgerschaft der Städte
fand das Sabbatharierthum zahlreiche, eifrige Anhänger. So zu
Maros-Vasarhely, wo bereits im Jahre 1595 eine, zumeist aus
Handwerkern gebildete, sabbatjiarische Gemeinde bestand, zu
welcher, unter Andern, die Kinder und die Schwägerschaft
des Bürgermeisters, sowie Mitglieder der angesehensten Familien
der Stadt gehörten.^ Auch zu Klausenburg gab es zahlreiche
Judenzer, unter ihnen Johannes, des unitarischen Bischofs
Mathias Thoroezkai Sohn, der später Märtyrer des neuen
Glaubens wurde, ^ ebenso in den Städten Torda, Körispatak,
und Szekely-Keresztür.* Einzelne Sabbatharier waren auch
ausserhalb Siebenbürgens, in den angrenzenden ungarischen
Landestheilen, wie z. B. in Mako,** zu finden.
Die grosse Masse der neuen Secte bildeten Bauern und
Leibeigne; aber zu ihren Anhängern zählten, wie die von
Vielen geführten Beinamen »literatus« und »deäk« (Studiosus)
* Blasius r b ä n, A Sz6kelyföld leiräsa (Beschreibung des Szeklerlandes)
I. S. 147 ; den meisten der hier namentlich angeführten Ortschaften werden wir
im Folgenden noch öfter begegnen.
« Mikö, a. a. 0. LS. 29 und 31—2; Monum. Gomitialia X. S. 191—2;
vgl. ob. S.
« Monum. Comitial. X. S. 27 und 192 : über Thoroczköi s, weiter unten
in der Geschichte der zweiten Periode des Sabbatharierthums.
* Bezüglich der beiden zuletzt genannten Städte haben wir wohl nur ers
vom Jahre 1638 genauere Berichte, die aber darauf schliessen lassen, dass dort
schon früher Sabbatharier gelebt haben ; s. Kereszt. MagvetöIII. S. 261 ; IX. S. 247
und 257 flg; XVIL S. 222.
« Mikö, a. a. 0. I. S. 31.
108
beweisen, auch zahlreiche studirte Leute, darunter auch Geist-
liche, so wie einige bedeutende Gelehrte und Dichter dieser
Zeit, deren Namen wir aber nur zum kleinen Theile kennen
s. ob. S. 46). Diesen Männern, unter welchen Nicolaus Bogathi,
der Verfasser des sabbatharischen Psalters, der bedeutendste
war, verdankt des Sabbatharierthum seine kirchliche, oder, wie
man vielleicht mit mehr Recht sagen könnte: synagogale Poesie.
Ein grosser Theil des unter den Szeklern stark vertretenen
Kleinadels schloss sich ebenfalls den Sabbalheriern an, die
4
aber auch in den Kreisen des hohen Adels Gesinnungsgenossen
fanden. Diese hochadeligen Sabbatharier waren die eifrigsten
uud opferwilligsten Bekenner und Verbreiter der neuen Lehre.
Unter diesen ist in erster Linie zu erwähnen Eössis
Schwager Franz Orban v. Lengyelfalu, damals Notar des Udvar-
helyer Szeklerstuhles; ferner der ältere Franz Balässy v. Veezke,
Cäpitän der Szekler und bei den verschiedensten Gelegen-
heiten Gesandter des Fürsten Gabriel Bethlen.^ Dieser Balässy
war einer der ersten, die Eössis neue Religion angenommen
hatten, und er entwickelte im Interesse derselben einen solchen
Eifer, dass die szekler Volkssage ihn gar zum Stifter des Sab-
batharierthum s macht, und zur Strafe dafür vom Teufel
holen lässt.2 Nächst diesen ist die adelige Familie der Mätefi
zu nennen, welche zu Kis-Solymos ständige Abschreiber zum
Copiren sabbatharischer Schriften und Gesangbücher hielt.
Die wichtigsten und correctesten sabbatharischen Handschriften,
die wir besitzen, sind in ihrem Herrenhofe zu Kis-Solymos
angefertigt worden.* Zumeist aber waren es die mit Eössi und
Pechi verschwägerten Familien, in welchen die neue Lehre
die fanatischten und thatkräftigsten Anhänger fand. Zu diesen
1 Bezüglich des Ersteren s. Monum. Gomitial. X. S. 28; Johann Szalärdy.
Siralmas Magyar Krönika (Ung. Trauer-Chronik, Pest 1353) S. 135 und Kereszt.
Magvelö lir. S. 260; bezüglich des Letzteren Ladislaus K 6 Vary, Erdely Törle-
nelme (Geschichte von Siebenbürgen) IV. S. 220 undBlasius Orbän a. a. O.
I. S. 157.
» Orbän, a. a. 0. das.
' Cod. I. des A. S. G. B., der sogenannte Jancsö-Codex wurde in
Kis-Solymos, im Hause des Paul Mät6fi geschrieben; Cod. II. desselben eben-
daselbst für Basilius Mät6fi; P6chi's „Aus den heihgen Vätern ausgewählte Leh-
ren" ebendaselbst für* Johann Mätefi. In demselben Hause sind auch 2 Codd.
von Bogäthi's Psalmen copirt, was die Epigraphe, beziehungsweise Titelblätter
der betreffenden Handschriften ausdrücklich hervorheben.
109
Familien gehörten aber, wie wir sehen werden, die eisten und
glänzendsten des Landes, deren Namen zum Theil noch heute
zu den angesehensten in . Siebenbürgen zählen. Durch ihre
Vermittlung vermochte das Sabbatharierthum in die Kreise der
höchsten Staatsbeamten, ja bis in den Palast des Fürsten und
in dessen nächste Umgebung zu dringen.
Für den letzterwähnten Umstand ist die folgende That-
sache höchst bezeichnend. Den im J. 1625 zwischen dem
Fürsten Gabriel Bethlen und Mathias II. in Tirnau geschlossenen
Friedensvertrag haben im Namen des Erstem, neben Siegmund
Sarmasägi, unterschrieben: Simon Pechi, damals bereits Reichs-
kanzler von Siebenbürgen, der ältere P'ranz Balassy von Veczke,
der obenerwähnte eifrige Sabbatharier, und endlich Thomas
Borsos, der den an Sinan Pascha gerichteten, oben mitgethoil-
ten Brief der marosväsärhelyer Sabbatharier an erster Stelle
unterfertigt hatte. Unter den vier Generalbevollmächtigten
Bethlens waren daher nicht weniger als drei Sabbatharier.^
Das Sabbatharierthum hatte demnach in allen Schichten
des Szeklervolkes Wurzel gefasst, unter den Leibeignen, Bauern
und den im Solde des Fürsten stehenden Trabanten eben so,
wie in bürgerlichen und adeligen Kreisen. Es hatte in Dorfhütten
und Werkstätten, in Schulen und Palästen gleichstörmig Ein-
gang gefunden. Sein sieghaftes Vorwärtsschreiten erschien so
auffallend und wunderbar, dass man, um es zu erklären, zu
den abenteuerlichöten Annahmen griff, ja, dass sich die Sage
an dasselbe heftete.
Die Volkssage, welche Balässy, als den eigentlichen
Stifter des Sabbatharierthums, vom Teufel holen lässt, weiss
noch Folgendes von ihm zu erzählen. Balässy lebte längere
Zeit in Polen, wo er Diener eines steinreichen Juden war.
Dort lernte er die jüdischen Religionsbräuche kennen und
trat schliesslich zum Judenthume über, worauf sein Brodherr
ihn adoptirte und zum Erben seiner unermesslichen Schätze
machte. Mit diesen Schätzen kehrte er nach Siebenbürgen
heim, erwarb den Adel, und erbaute, oder kaufte die Schlösser
von Baläzsfalü und Szent-Demeter, in welchen er das Sabbatha-
rierthum anfanglich im geheimen übte, später aber öffentlich
lehrte. Seine angesehene Stellung, noch mehr aber seine
^ Kövary, a. a. 0. IV. I. S. 221.
HO
Schätze haben zum Autblühen der neuen Secte am meisten
beigetragen.^
Bezüglich Pechis, in dem wir den ersten Apostel und
eigentlichen Begründer des Sabbatharierthums kennen lernen
werden, geht die Szeklersage von dem Satze aus: »Cherchez
la femme!« Simon Pechi, so erzählt sie, kam nach dem Tode
seiner ersten Frau wiederholt nach Marosvdsärhely, wo er die
Tochter eines grosswardeiner Juden kennen und lieben lernte.
Die schöne Esther erwiederte seine Gefühle, weshalb ihr Vater,
um dem ihm anstössigen Verhältnisse ein Ende zu machen,
sie in Begleitung mehrerer Rabbiner nach Grosswardein zurück-
schickte. Pechi, hiervon in Kenntniss gesetzt, überfiel die
Reisegesellschaft auf offener Landstrasse, raubte das Mädchen,
brachte es auf seinen Herrnhof in Szent-Erzsebet, und liess
sich mit demselben trauen. Er hatte ursprünglich die Absicht,
seine jüdische Frau für das Ghristenthum zu gewinnen, aber
die Reize und Bitten der verführerisch schönen Esther brachten
es bald dahin, dass Pechi sich zum Judejithume bekehrte, und
durch reiche Geschenke auch seine Leibeigenen zur Annahme
des ludenthums bestimmte. Die jüdische Frau Pechis, die ihm
später auchi in sein angebliches Exil nach Konstantinopel
gefolgt sein soll, ist selbstverständlich ganz und gar ein Gebilde
der Phantasie. Der szekler Volksgeist, der diese Esther mit
den sympathischsten Zügen ausstattet, hat sie erdichtet, um
sich das Säbbatharierthum des. mächtigen Reichskanzlers
zurecht zu legen, und die hingebungsvolle Thätigkeit zu
erklären, die er im Dienste des Judaismus, dessen Märtyrer er
geworden, entwickelt hat? ,
Eine ander© szekler Ueberlieferung weiss es zu erklären,;
wieso das Dorf Bözödujfalü, in welchem von jeher die fana-
' * ■ . " ' t > . » ■' ' « % ' ■ ■■ *
* OrbMi a. a. 0. l S, 158. Paul Winkler, Pfarrer zu BözödujfaJu, der
nachmaligen letzten Zufluchtsstätte der Sabbail^aner, hs^t diese Sage, wie sie
ihm von einem MinöritenmöDche mitgetheiit ^rde/ini J'afaii'e 176% aife historische
Thäisache' in das dortige Pfartbucb eingetragen. S. die 'Aüszügte aus demselben
unter den Acten des SahbathJarier^Processes yom Ji i 1 8.68 im k < « ujjg. ^Landes-
archiV;e utiter den dorthin tibertragenen Acten de^, siebenbürgischen^Crubpr^iums.
Nr..j28479i/1868. ' . .♦ •' *
r >
, * Örhän, a. ä. 0. ;I. S. 146. Die anderweitigen Sagen von der schonen
Esther'und deF ausdauernden Tteue, die sie P6chi 'bewahrt haben's oll, sowie die
historischen Nachrichten über die Frauen P6chis, deren zweite ihn überlebte,
•s in den folgenden Gapiteln. • . ^ . l •
111
tischsten Judenzer zu finden waren, das sabbatharische Rom
und die letzte Zufluchtsstätte der vielverfolgten Sectirer gewor-
den ist. Pechi hat es dadurch für seine Religion gewonnen,
dass er zur Zeit einer Hungersnoth unter die verarmten Be-
wohner reichlich Getreide vertheilen liess.^
Bei alledem haben die Sabbatharier, obwohl ihre Zahl
und ihr Ansehen stetig wuchs, während dieses ganzen Zeit-
raums (1588 — 1621) noch keine selbstständigen Gemeinden
gebildet, auch hatten sie noch nirgends ihre besonderen Geist-
lichen. Nur in den Schlössern einzelner hochadeliger Sabba-
tharier waren sogenannte »Schlossgeistliche« zu finden, die
im Dienste der betreffenden Familie stehend, z. B. Bogäthi im
Schlosse des Franz Balässy in Szent-Demeterer und Michael
Szentmiklösi in Pechis Herrenhaus zu Szent-Erzsebet, sich der
Sache des Sabbatharierthums widmeten. In der Regel versahen
einzelne unterrichtetere, oder auch nur eifrigere Sabbatharier
die Agenden des Lehrers, Cantors und Predigers.^
Um so lebhafter fühlten die Führer der Sabbatharier das
Bedürfniss, die vereinzelten Gläubigen einander näher zu brin-
gen, und sich über die wichtigsten Angelegenheiten zu
verständigen. Die ersten Anläufe zur Schaffung einer Organi-
satioh wurden gemacht. Bereits um das Jahr 1606 »begannen
die Sabbatharier in Udvarhely (dem Hauptorte des gleich-
namigen Szeklerstuhles) Sitzungeli zu halten und Beschlüsse
zu fassen, was vordem nie geschehen war.« In Folge dessen
erliess Siegmund Räkoczy, der damals im Namen Bocskais die
Regentschaft führte, an sämmtliche Behörden dieses Szekler-*
Stuhles den strengen Befehl, »sie sollen es den Geistlichen
dieser Religion nicht gestatten, dass sie, wider den bisherigen
Usus, an dem genannten Orte,' oder auswärts Sitzuiigein abhal-
ten, oder BQsqhlüsse fassen.«»
Aber die Führer der Sabbatharier, welche der Erlass.
Räköczys fälschlich als dereji »Geistliche« bezeichnet, hieltenr
nichtsdestoweniger häufig geheime Versammlungen ab, um ihre.
[ • • • r • I
. . . J ,
* r b an, av a. O. S. 147.
^ So blieb es im gatizen und grossen auch noch in der zweiten Periode
des^ Sabbatharierthums. Ueber Bogathi s, oben Si 77 ; übel* Szentmiklösi, Joseph
Benkö, Transsylvania IL S. 243.
5^ Monum. Comitial. V. S. 401.
I •
religiöse Praxis zu regeln und für die zerstreut lebenden Gläu-
bigen möglichst gleichmässig zu gestalten.
Die Beschlüsse einer solchen Versammlung haben sich,
allerdings nur fragmentarisch, aber in ihrer ursprünglichen
Fassung erhalten. Die Sabbatharier feierten nämlich die jüdi-
schen Festtage nach Vorschrift der Bibel. Nun konnten aber
die Festeszeiten nicht nach der gewöhnlichen Zeitrechnung
festgesetzt werden, da der jüdische Kalender bekanntlich nach
dem Mondenjajire rechnet. Juden, nach welchen sie sich hätten
richten können, wohnten damals noch nicht unter ihnen, ein
jüdischer Kalender aber war in ganz Siebenbürgen nicht auf-
zufinden und galt für eine solche Seltenheit, dass Pechi einen
solchen noch im Jahre 1620 in Konstantinopel, durch Ver-
mittlung des dortigen siebenbürgischen Gesandten, um zwei
Dukaten ankaufen liess.^
Drum war es für sie eine hochwichtige Angelegenheit,
den jedesmaligen Beginn des Neumondes genau zu fixiren,
um von ihm ausgehend, den Tag zu bestimmen, an welchem
die jüdischen Festtage zu begehei;i seien. Sie stellten daher
gewisse Regeln fest, nach welchen die Gläubigen den Beg-inn
des • Neumonden, oder, wie sie nach der wörtlichen lieber-
Setzung des betreffenden hebräischen Wortes zu sagen pfleg-
ten, der »Erneuerung« 2 festzustellen haben.
»Auch mit Bezug auf die Zeiteintheilung und die Er-
neuerung — so beginnt das in Rede stehende Fragment —
haben wir Beschlüsse gefasst.« Diese Beschlüsse gehen davon
aus, dass der Tag, »nicht so wie bis jetzt, nach. der Uhr
der Christen, erst dann zu beginnen habe, wenn bereits
der grössere Theil desselben vei^strichen ist; »sondern er
beginnt mit dem Abend und endet mit dem Abend. Morgens
* In einem Briefe an Thomas Borsos, den schon wiederholt erwähnten
Sabbatharier aus Marosväsärhely, der im J. 1620 Gesandter in Konstantinopcl
war, schreibt Pechi u. a. : „Ew. Gnaden lasse mich auch nicht ohne einen
jüdischen Kalender; lassen Sie mir desselben je eher, noch bevor
Sie nachhause reisen, zukommen. Zum Ankauf derselben habe ich dem Joseph
zwei Dukaten geschickt." Tört. Tär 1881, S. 630. Dieser Joseph war ein bei der
Pforte einflussreicher Jude, dem die siebenbürgischen Gesandtschaften, so wie
den übrigen türkischen Grossen, im Namen des Fürsten Geschenke darzubringen
pflegten; s. ebendas. S. 622.
* Das ungarische u j s a g eutspricht dem hebr. Ghidduseh oder
C h i d d u s c h h a c h ö d e s c h.
\
m
um 6 Uhr ist die Hälfte des Tages verstrichen. Deshalb ist,
wenn die Erneuerung vor 6 Uhr Morgens stattfindet, das
Neumondsfest an demselben Tage ; wenn sie aber auch nur
eine Minute n^ch der 6-ten Morgenstunde eintritt, so ist das
Neumondsfest auf den nächsten Tag zu verschieben.«^
Dieser »Beschlüsse wurde, wie sich aus der Fassung
derselben ergibt, in irgend einer grösseren Versammlung an-
genommen.* Wir haben in ihm ein Fragment jenes grösseren
Elaborates zu erblicken, aut welchem der sabbatharische
Kalender beruht, der die jüdischen Festtage in einer aller-
dings sehr primitiven Weise nach der gewöhnlichen Zeitrech-
nung zu fixiren sucht.
Von der Richtigkeit dieses Kalenders, der am Anfang
oder am Schlüsse der meisten handschriftlichen sabbatharischen
Gebetbücher zu finden ist, waren die Sabbatliarier tief durch-
drungen. Hatten sie ihn doch, wie sie meinten, genau nach
der jüdischen Zeitrechnung festgestellt. Der christliche Kalender
hingegen, welchen »der Papst gemacht und der Welt an den
Hals geschmissen hat«, galt ihnen für ein Werk, »das wider
Gott ist und wider die Natur.« Er bezeichnet die Tage der
Woche nach den Göttern der alten Heiden, gibt die Feste
falsch an und »ist mit vielen Greueln bis zum Ueberfiiessen
voll«, so dass diesem Kalender
Jeder wahrhaft Fromme aus dem Weg muss gehen,
Nicht berühr' er ihn, nicht darf er auf ihn sehen; ^
Heidenwerk ist er und gottlose Erfindung.^
Trotz ihren Versammlungen und anderweitigen Organi-
sation s versuchen war das Glaubensbekenntniss der Sabbatharier
während der ganzen ersten Periode ihrer Geschichte noch
ziemlich schwankend. Mit Bezug auf die hauptsächlichen lei-
tenden Principien waren sie wohl alle eines Sinnes, aber
bezüglich der Einzelheiten, namentlich was die religiöse Praxis
betraf, w^aren sie noch zu keiner Uebereinstimmung gelangt.
1 S. das Fragmant in meinem „A Szombatosok" S. 83.
* Die im ungarischen Originale gebrauchten Ausdrücke : V e g e z t ü n k,
(Wir haben beschlossen) und tetszett (es hat uns gefallen), sind dieselben, mit
welchen die siebenbürgischen Landtagsbeschlüsse in der Regel eingeleitet wurden.
a A. S. G. B. 109. XV. 27—28.
8
114
Wie wir sehen werden, war selbst Pechi noch am Ende
dieser Periode nicht vollständig im klaren mit der Religion,
welcher er damals bereits seit zwei Jahrzehnten seine Fähig-
keiten und seine Kraft gewidmet hatte. Der nachmalige Fürst
Johann Kemöny berichtet über Franz Mifcö von Hidveg, seinen
und des Fürsten Gabriel Bethlen Verwandten: »Was seine
Religion anbetrifft, war er dem Namen nach Unitarier, in Wirk-
lichkeit gar keiner Religion angehörig. Von der Papisterei hat
er das Purgatorium und gewisse Ceremonien übernommen,
vom Judenthum den Sabbath, von dem einen Glauben Das, von
dem andern Jenes, auch glaubte er an die Zeiten des Mille-
nariums.«^ Das Feiern des Sabbath, so wie der Glaube an das
zukünftige tausendjährige Gottesreich verrathen deutlich genug,
dass dieser »gar keiner Religion angehörige« Mann, in Wirk-
lichkeit ein Sabbatharier, aber bezüglich gewisser Lehren und
Ceremonien noch im unklaren war. Das Sabbatharierthmn
dieses hochstehenden Mannes erklärt auch den Umstand, dass
Simon Pechi sein literarisches Erstlingswerk, die mit einem
Commentar versehene ungarische Uebersetzung eines talmu-
dischen Tractates,2 gerade ihm gewidmet hat.
So viel aber ist schon damals allen Sabbatharierij klar
geworden, dass sie durch die Principien ihres Glaubens, na-
. mentlich durch den Glauben, den sie sich über Jesus gebildet,
in einen grellen Gegensatz zu sämmtlichen christlichen Con-
fessionen gerathen waren, ja, dass sie mit dem Christenthum
eigentlich schon gebrochen hatten. Diese Erkenntniss war ihnen,
wie sich schon aus ihrem Beschlüsse bezüglich der »Uhr der
C h r i s t e n<f ergibt, ziemlich früh gekommen und hat sich,
wie wir aus dem Folgenden ersehen werden, bald zu einer
festen Ueberzeugung ausgebildet, zu welcher über kurz oder
lang selbst jene gelangen mussten, die etwa noch glauben
mochten, in den Fusstapfen Franz Davidis zu gehen. Sie konn-
ten sich der Thatsache nicht verschliessen, dass ihre religiöse
Theorie, noch mehr aber die von ihnen befolgte religiöse Praxis
im ganzen und grossen die der Juden sei. Unter solchen
Umständen musste es bald dazu kommen, dass das Christen-
* Johann K e m e n y, öneletiras. (Selbstbiographie) S. 65 der Ausg.
Ladislaus Szalays, Pest, 1856.
* S. weiter über Pechis Schrift. Aus den heiligen Vätern
ausgewählte Lehren.
115
thum eine Secte, die sich von ihm losgesagt halte, vollends
aus seiner Mitte ausschloss.
Fürst Gabriel Bethlen betraute nämlich mit der Durch-
führung der im Jahre 1618 gegen die Sabbatharier gefassten
Landtagsbeschlüsse (ob. S. 99) den Bischof der Reformirten
Johann Keserü Dajka. Der mit unbeschränkter Vollmacht aus-
gerüstete, energische und rücksichtslose Mann hatte es bald
herausgefunden, dass er die ihm gewordene Aufgabe unmög-
lich lösen könne, so lange die Sabbatharier sich nach aussen
für Unitarier ausgaben, und thatsächlich auch als solche galten.
Darum veranlasste er, dass der Bischof der Unitarier, Valentin
Radeczky für den 11. November 1618 eine Kirchenversamm-
lung nach Erdö-Szent-György einberief, vor welche er auch
die Sabbatharier citirte.
In dieser, unter der Pression des fürstlichen Commissärs
stehenden Versammlung erklärten die unitarischen Kirchen-
behörden, dass die Sabbatharier nicht zu ihnen gehören und
aus dem Verbände ihrer Kirche für immer ausgeschlossen
seien. Nur durch diesen Beschluss konnten sie dem Vorwurfe
entgehen, dass unter dem Schutze ihres Namens und unter
dem Deckmantel ihrer Religion die Judenzerei sich eingenistet
habe und immer mehr verbreite. Der glaubenseifrige Bischof
der Reformirten war aber entschlossen, die in seine Hand
gelegte Macht auch zum Frommen seiner eigenen Kirche zu
verwerthen. Er wusste es durchzusetzen, dass die reformirte
Geistlichkeit damit betraut wurde, die Sabbatharier wieder zum
Christenthum zerückzuführen. Die hierauf im Namen des Gesetzes
geübte, gew^altsame Bekehrung brachte in erster Reihe den
Sabbathariern eine endlose Reihe von Verfolgungen und Placke-
reien, schlug aber auch der unitarischen Kirche emplindliche
Wunden, indem viele ihrer Bekenner, unter dem Verwände,
dass sie es mit den Sabbathariern hielten, zur Annahme des
Calvinismus gezwungen wurden. Bloss in drei Kirchenbezirken
wurden nicht weniger als 62 unitarische Kirchengemeinden,
die gewiss nur zum Theil sabbatharisch waren, der reformirten
Kirche in die Arme getrieben.^
Die Sabbatharier w urden so, öffentlich und feierlich, auch
* Stephan K a i o n a v. G e 1 e j, Titkok titka (Geheimniss der Geheimnisse)
S. 22 der Vorrede ; Alexander S z 6 k e 1 y, a. a. 0. S. 132—3.
8*
•11,6
von jener. christlichen Gonfessipn ausgeschlossen, aus welcher
sie hervorgegangen waren, mit welcher sie noch immer die
ineisten Berührungspunkte hatten, und welcher sie bis dahin,
^um Theil in gutem Glauben, zum Theil der Gewalt weiche nd
^usserlich auch angehörten.. Was Wunder, dass die vom Ghris-
tenthume verleugneten und verstossenen Sabbatharier, trotz
ihrem Glauben an die Messianität Jesus, sich bereits in dieser
ersten Periode ihrer Geschichte, ihrem Glauben nach für
Juden hielten und ihre religiöse Praxis danach einrichteten.
Die religiöse Praxis der ersten Sabbatiiarier.
(1585-1623.)
Die oben (S. 85) gekennzeichnete Glaubenslehre der
Sabbatharier bildete selbstverständlich die Grundlage für das
religiöse Leben der ersten Sabbatharier. Sie betrachteten sich
als bekehrte Heiden, die von den Juden das ewig gültige
ißesetz, das Gott gegeben, übernommen hatten. Dieses Gesetz
»muös biei Tag und bei Nacht gründlich studirt und erforscht
werden, damit man es ohne Fehl und ohne Zuthat, seinem
ganzen Inhalte liach, zu erfüllen wisse. «^ Doch verstanden sie
darunter vorerst bloss das in den fünf Büchern Moses nieder-
gelegte Gesetz. Die in diesem enthaltenen Vorschriften erach-
teten sie, wenigstens in der Theorie, sammt' und sonders als
zu Recht bestehend, darunter auch jene, welche in dem reli-
giösen Leben der Juden bereits ausser Uebung gekommen
sind. So galt ihnen z. B. das mosaische Erbrecht, offenbar
bloss im Prinzipe, noch immer als bindendes Gesetz,^ ebenso
die Bestimmung, dass dem falschen Zeugen geschehe, »wie
er trachtete seinem Brüder zu thun.«^ Unter anderem lehrten
sie auch: »Wer einen todten Menschen oder einen Sarg berührt,
oder in ein Haus geht, wo eine Leiche ist, soll sieben Tage
unrein sein«, sodann aber »wasche er sich nach dem Gesetz.«
Die Kirchen seien also, da in ihnen Leichen beigesetzt werden,
schon wegen der »unreinen Gebeine« zu meiden.*
i A. S. G. B. 110. IV. 18—19.
» Das. das. III. 16.
3 Das. das. IV. 7 ; vgl. 5. B. Mos. 19, 19.
* Das. 109. XV 1-8 und 110. III. 6—6; vgl. 4. B. Mos. 19, 11. flg.
llt*
Jene religiösen Einrichtungen und Bräuche der Juden
hingegen, welche im »Gesetzhuch« nicht erwähnt sind, waren
ihnen noch alle fremd. So feierten sie z. B. bloss die vom
Pentateuch vorgeschriebenen Feiertage, verwarfen aber alle
übrigen Fest- und Fasttage der Juden.
Bei alledem haben sie das Gesetz, durch dessen Annahme
sie »Söhne Abrahams« geworden zu sein glaubten, in der
Praxis sicherlich nicht seinem ganzen Umfange nach, noch
weniger im Sinne der jüdischen Tradition geübt, obwohl sie
ihnen, wie wir gesehen (ob. S. 94), als die auch von Jesus
empfohlene richtige Auslegung der Lehre galt. Sie waren sich
dessen auch wohl bewusst, dass sie unter den Verhältnissen,
in 'Welchen sie lebten, das Gesetz nicht in allem und nicht
pünktlich^ üben konnten, und sie flehten in ihren gottesdienst-'
liehen Gesängen wiederholt :
Wenn wir Deia Gesetz nicht ganz erfüllen,
. Ganz nicht thun nach Deinem heiligen Willen
Oh verzeih, so beten wir, die Sünden ;
Unser Fehl mag Nachsicht bei Dir finden!
Nicht aus Verstocktheit und in frevlem Muthe handeln
sie also, sondern »als Kinder unwissender Heiden,« in welchen
noch »der heidnische Sauerteig« gährt.^
Die jüdischen Speisegesetze beobachteten sie, soweit sie
dieselben in der Bibel fanden, und enthielten sich der als
unrein bezeichneten, sowie der gefallenen und kranken Thiere,
namentlich aber des Genusses von Blut. Sie hoben es auch
scharf hervor, dass sie »kein Schweinefleisch essen,« und eines
ihrer Lehrgedichte enthält die Mahnung:
Auch hüth' dich wohl vor allen Speisen, die nicht rein,
Zuwider und ein Eckel sollen sie dir sein ;
Was das Gesetz bezeichnet als verhorne Speis'
Als Gräul^ das sag ich dir, für immer von dir weis'.*
1 Das. 27. 7 — 12. Die Beschneidnng haben sie ursprunglich offenbar nicht
geübt; die aus dieser ältesten Periode stammenden sabbathari sehen und nicht-
sabbatharischen Quellen erwähnen sie noch nirgends. Mehr als dieses Schweigen
beweist aber der oben (S. 103) angeführte Brief der Sabbalharier an Sinan
Pascha, in welchem sie die ihnen und den Türken gemeinsamen religiösen
Satzungen hervorheben, dabei aber die BöscliYieidung nicht erwähnen.
« Das. 110; IV. 3; vgl. 109; IV. 14 und oben S. 103.
118
Nichts desto weniger ist anzunehmen, dass sie auch die
hierher gehörigen Gesetze nicht ihrem ganzen Umfange nach,
und nicht immer befolgten; jene Sabbatharier, die am Hofe
des Fürsten zu verkehren pflegten, oder sonst dem öffentlichen
Leben angehörten, konnten es sicherlich nicht thun. Wie es
scheint, haben sie sich während dieser ganzen Periode damit
begnügt, einige der wichtigsten jüdischen Ceremonien zu üben,
und die in der Bibel vorgeschriebenen Feiertage, so weit sie
es vermochten, festlich zu begehen.
Zu diesen Feiertagen zählte vor allem der Sab bat h.
Dieser sich allwöchentlich wiederholende Feiertag beschäftigte
ihr religiöses Fühlen und Handeln naturgemäss am häufigsten,
ausserdem aber liess er den Gegensatz, der zwischen ihnen
und der gesammten Christenheit bestand, am öftesten und am
grellsten hervortreten. So kam es denn, dass ihre älteste religiöse
Poesie sich vorzugsweise mit diesem Tage beschäftigte, und
ihr Altes Gesangbuch unter 110 Hymnen und Lehrgedichten
nicht weniger als vierundzwanzig Sabbathlieder enthält,
und daher rührt auch ihr Name Sabbatharier, der die
ursprüngliche und bezeichnendere Benennung Judenzer
allmälig ganz verdrängt hat.
Sie feierten den »grossen Tag Gottes,« im Sinne der
Bibel, als den »an die Welterschaffung erinnernden heiligen
Tfi^,«^ ferner als Festtag, »den Gott zwischen sich und Israel
als Zeichen festgesetzt hat, «2 endlich als Ruhetag, den Gott
»zu Gunsten des armen Dienervolkes, der Sclaven und des
Viehes« schon »dem Adam und der Frau Eva als Gesetz gegeben,«
damit sie ihn »mit Kind und Kegel heilig halten.«»
Wie sie die Sabbathruhe begingen ? Welcher Arbeiten sie
sich enthielten, und welche sie für erlaubt erachteten ? Darüber
besitzen wir aus dieser Zeit keine näheren Berichte, Die
Verhältnisse aber brachten es naturgemäss mit sich, dass sie
die Sabbathruhe, welche in ihrer bisherigen Lebensweise
allwöchentlich eine tiefeingreifende Veränderung zur Folge
haben musste, noch nicht strenge beobachten konnten. Auch
haben sie die diesbezüglichen zahlreichen Vorschriften und
1 Das. 36, 24; 28, I. vgl. 1. B. Mos. 2, 3 und 2. B. 31, 17.
« Das. 18, 2.; vgl. 2. B. Mos. 31, 17.
» Das. 36, 13—14.
119
p
Bräuche der Juden wohl noch nicht näher gekannt. Dazu kam
dass sie Gefahr liefen, als Säbbatharier erkannt zu werden
wenn sie sich am Sabbath auffälliger Weise jeder Arbeit
enthielten. Ein solcher Selbstverrath hätte aber oft die traurigsten
Folgen für sie haben müssen. Darum sangen sie beim Ausgange
des Ruhetages:
Wenn wir den Sabbath ganz nach Deinem Willen,
Genau nach dem Gesetze zu erfüllen,
Im Stand nicht waren : so vergieb den Sündern,
Verzeih es gnädig allen Deinen Kindern ;*
Zum Sabbath rüsteten sie sich »mit fröhlichem Gesang,
mit Gebet und Reinigung»; sie badeten, oder wuschen sich
und gingen »in Hochzeitskleidern« dem Tage entgegen, dessen
Feier sie offenbar nach der bekannten jüdischen Auffassung,
als »seelische Hochzeit« begingen.^ Allsabbathlich hatten sie,
gleich den Juden, dreimal Gottesdienst, an welchem sich das
ganze Volk betheiligte, »seine Männer, seine Frauen und schönen
Jungfrauen und seiner Kinder Scharen.« Sie beteten beim
Sabbatheingang, oder, wie es in ihrem Gesangbuche manchmal
heisst, »zur Freitagszeit,« sodann am Morgen des Sabbath,
jedoch mit Ausschluss des bei den Juden üblichen »Mussaf«-
Gebetes, ferner verrichteten sie das »Nachmittagsgebet,« sowie
nach Sonnenuntergang das »Gebet am Sabbathausgang.«*
Mit jedem Gottesdienste war eine »Belehrung«, das
heisst eine Exhorte oder Predigt verbunden, vor und nach
welcher ein entsprechendes Lied gesungen wurde. Ihr^ Gebete
seheinen sie schon damals dem Gebetbuche der Juden entlehnt
zu haben, denn schon um diese Zeit cursirten unter ihnen
ungarische Uebersetzungen der wichtigeren jüdischen Gebet-
stücke. Ausserdem sangen sie auch Psalmen, offenbar die
Bogäthis.* Ob sie während des Morgens und des Nachmittags-
1 Das. 8, 1—2; vgl. 4, 4.
' Das. 44, 2 ; 28, 7 ; 15, 23—4 ; vgl. das bekannte synagogale Lied, dessen
Refrain (lecho-dodi) lautet: „Komm, mein Freund der Braut entgegen, lasst
den Sabbath uns empfangen.**
' Für jeden dieser Gottesdienste sind im A. S. G. B. besondere Gesänge
enthalten.
* Ergibt sich aus den Unterschriften der Gesänge ebendas. ; bezüglich der
üebersetzung jüdischer Gebetstücke und der Bogathischen Psalmen s. ob. S. 49
und S. 85.
120
Gottesdienstes schon damals einzelne Abschnitte aus den
Büchern Moses öffentlich verlasen, ist ungewiss.
Enthaltung von Arbeit und Gottesdienst bildeten aber
nieht die einzigen Momente der öabbathteier. Nach ihrer, im
ganzen und grossen mit der jüdischen übereinstimmenden Auf-
fassung, gehörte noch vieles Andere dazu, den Ruhetag würdig
zu begehen. Hören wir einige hierher gehörige Aeusserungen
ihrer Sabbathlieder. Der Mensch »heilige vor allem sich selber,
dann den Sabbath des Herrn«; an diesem Tage
Halt fern durch Wahrheit, was gemeines, schmutz'ges Streben,
Und Trotz und stolzer Hochrauth scheid' aus deinem Leben,
Verherrlichung und Lob sollst Gott allein du geben. *
Zur Feier des Sabbaths gehört auch
Forschen im Gesetze, Armen Speise geben,
Freud'ger Sinn, ein froh Gemüth, ein nüchtern Leben;*
ferner, dass der Mensch in sich gehe und besser, edler w^erde:
Bedenk, welch Sünden du begangen,
Was du die Woch hast angefangen,
Wie du dorn Irrthum angehangen.
Gefehlt in thörichtem Verlangen.*
Wie sich aus ihrem Alten Gesangbuche ergibt, haben die
Sabbatharier auch das Neumondfest andächtig begangen, »das
Gott eingesetzt hat zur Bestimmung der Zeiten, die es in
Monate theilt, in Wochen und in Tage.«®
Ferner feierten sie die drei jüdischen Hauptfeste: das Fest
der ungesäuerten Kuchen, das Wochen- und das Hüttenfest,
für deren jedes sie mehrere Lieder hatten, welche die Geschichte
und die Bedeutung des betreffenden Festes besingen. Namentlich
das erste dieser Feste, das sie, mit der magyarasirten hebräi-
schen Bezeichnung desselben, einfach Pesah zu nennen
pflegten, stand bei ihnen in grosser Verehrung. Sie assen
während desselben nur Ungesäuertes, »obwohl sie selber nicht
mit den Juden aus Egypten gezogen waren.« Den ersten und
i A. S. G. B. 41, 12. ; vgl. des. 10, 4.
« Das. 20, 7.
» Das. 19, 4.
* Das. 109. XV. 24.
121
siebenten Tag begingen sie als hohen Feiertag, die dazwischen'
liegenden Tage, die sie nach der wörtlichen Uebersetzung der
bei den Juden üblichen hebräischen Bezeichnung^ »Wochen-
tage des Pesah« nannten, als Halbfeiertage. Dieses Fest hatte
für sie, neben seiner biblischen Bedeutung, noch die einer
Erinnerung an die »zukünftige Erlösung,« welche Jesus bringen
wird, wenn er von neuem kommt, um das tausendjährige Gottes-
reich aufzurichten. An diese Erlösung, heisst es in einem ihrer
Passahlieder, denken sie gar oft, namentlich aber, wenn sie
die Befreiung der Juden feiern. Die Erinnerung an die wunder-
bare Erlösung Israels aus Egypten bestärkt sie in ihrem
Glauben an eine »noch köstlichere zukünftige Erlösung.«^
Das Neujahr feierten sie mit den Juden, im Herbste,
am ersten Tage des jüdischen Kalendermonates T i s c h r i.
Die Bibel, in welcher dieser Tag nur Tag der Erinnern n[g,
oder Posaunenfest genannt wird, bezeichnet ihn wohl
noch nicht als Neujahrtag; aber darum sangen die Sabbatharier
dennoch:
Wer in Wahrheit ein Neujahrsfest will seinem Gotte weih'n,
Dem soll's, wie die Schrift es vorschreibt, der erste Tischri sein.''^
Denn das. christliche Neujahr ist eine päpstliche Erfindung;
die Richtigkeit des jüdischen hingegen beweist die, bekanntlich
von der jüdischen Tradition behauptete Thatsache, das» die
Weltenschöpfung grade am 1. Tischri stattgefunden hat,* ferner
der jährliche Kreislauf der Natur, welche ihr Schaffen und
Wirken auf Feld und Flur im Herbste, um die Zeit des
jüdischen Neujahrfestes, abschliesst.^
Ausser diesen Festen begingen sieauchdenVer söhn ungstag,
und zwar, wie sich aus der bei ihnen damals üblichen Bezeich-
* G h o 1 h a-m o e d.
» A. S. G. B. 52; 59; 60, 5—18; 109, XIIJ. 1—8; vgl. die Ueberschriften
der verschiedenen Passah-Lieder das. — Unter dem 60, 16 das. erwähnten
»Pra es te rian-Volk/ welches das Passah-Fest noch feiert, ist offenbar das
Volk des Priester Johannes zu verstehen, womit die Falaschas in Abysei-
nien gemeint sind.
8 Das: 75, 1.
* Vgl. Das jüdische Neujahrsgebet : h a j j o m h a r a th o 1 am. ^ ' '■ i
6 A. S. G. B. 75, 1—5.
122
nung Kasteiungstag^ ergiebt, mit dem in der Bibel vor-
geschriebenen Fasten. Eines ihrer ältesten für diesen Tag
geschriebenen Lieder enthält unter anderem, die folgenden
Strophen, aus welchen die tiefste Zerknirschung uns ent-
gegentönt:
Sei gnädig, flehen wir, auf dass wir Labsal finden ;
Erbarm Dich, tödt uns nicht inmitten unsrer Sünden !
Bekehrte Heiden sind wir, wolP uns Gnade senden,
Ist sie doch endlos — lass sie auch zu uns sich wenden !
Es betet unsre SeeP. Voll bittrer Reu erscheinen
Zerknirscht vor Deinem heiligen Throne wir mit Weinen,
Und beten schluchzend um Vergebung unsrer Sünden.
Erhöre unser Flehen, lass uns Verzeihung linden !
War* Heiden, selbst wenn sie in Wahrheit sich bekehret?
Der Weg zu Deinem Heil für immer denn verwehret?
Verhiessest Du doch Solchen, die Dein Bund nicht heiligt,
Dass Deine Lieb' am Heiligthume sie betheiligt.«
Woir Deiner Gnaden Füll' auch diesen spenden.
Nur die Bekehrten schaue, die zu Dir sich wenden.
Nicht ihre Väter und nicht ihren Stamm! Du schufest
Auch sie ; sie werden fromm sein, kommen, so Du rufest.'
Alle diese jüdischen Feste aber feierten sie, wie sie bei
jeder Gelegenheit nachdrücklich betonen, schon deshalb, oder
vielleicht richtiger: zumeist deshalb, um damit die Lehre
und das Beispiel Jesus zu befolgen. Sie heiligten den Sabbath,
weil, wer das nicht thut, »nicht mit Christus des ewigen
Lebens theilhaftig wird.«* Sie feierten »das Passahfest Israels
^ In ihren spätem Liedern und Gebeten nennen sie es Kyppurnapja
d. h. Kippur-Tag, die wörtliche Uebersetzung des hebräischen Jom-kippurim
> Mit Bezug auf Jebajah 56, 6 — 7, auf welche Stelle sie sich wiederholt
berufen.
* A. S. 6. B. 76, 11 — 14. Es ist beachtenswerth, dass dieses Lied, das
einzige für diese Gelegenheit, nur in einer der drei Handschriften (in 11),
dort aber unter der Ueberscbrift „Lieder für den Kasteiungstag* steht Damit
schliesst der erste Theil dieser Handschrift. Es scheint, dass der Yersöhnungstag
erst spät, gegen Ende der ersten Periode, bei den Sabbathariem Eingang fand.
Das neue S. G. B. enthält schon zahlreiche, zum Theil sehr lange .Gesänge
für den Kippur-Tag.*
* Das. 25, 9; vgl. 15, 3.
128
nach dem Befehle unseres Christus,«^ und das Hüttenfest,
weil, wer es begeht, »auf Christus höri.«^
Derselbe jüdisch-christliche Geist ofl'enbart sich in den
drei Grabgesängen, deren gemeinsame Ueberschrift lautet :
»Ceremonien und Lamentationen, mit welchen die vor Gott
theuren Menschen die Todten beweinen und begraben.«
Der erste dieser GrabgesUnge :
Der Tod des Körpers, der Adams wejren gekommen über uns,
Bringt uns viel bittre Öchrneizen ;
Grevatter, Freunde, liebe Menschen, alle, die uns theuer sind,
Reisst er von unsern Herzen
hat eine entschieden christliche Färbung; er enthält zahlreiche
Anführungen aus dem Neuen Testamente und Berufungen auf
Jesus und die Apostel. Die beiden letzteren hingegen sind
freie poetische Bearbeitungen jüdischer Grabgebete.^ Diese
Lieder wurden während der Beerdigung von der ganzen Ge-
meinde gesungen.*
Den diesbezüglichen jüdischen Anschauungen entsprechend,
achteten sie mit besonderer Pietät auf die ungestörte Grabes-
ruhe der Verstorbenen. Eine Leiche durfte, ohne zwingende
Ursache, nicht exhumirt und in ein anderes Grab übertragen
werden, noch weniger durfte sie ausgegraben werden, um einer
anderen Platz zu machen. Das, sowie das »gräuliche Herum.
schmeissen mit Todtengebeinenw, galt ihnen als heidnischer
Brauch und schwere Sünde. Massengräber perhorrescirten sie;
jede Leiche, »auch eine kleine, musste ordnungsgemäss in einem
besonderen Grabe« bestattet werden.^
Christliche Bräuche und Ceremonien waren aus ihrem
religiösen Leben nahezu ausgeschlossen. Die christlichen Feier-
tage, die, ihrer Ansicht nach, nicht den von der Bibel vorge-
schriebenen entsprechen, sondern »Erfindungen der Päpste«
sind, Hessen sie gänzlich unbeachtet. Aus demselben Grunde
1 Das. 54, 26.
« Das. 68, 11.
* Der eine entspricht dem Menucha nechona, der andere dem
Ha-zur tomim be^nnenden judischen Gebete. S. die drei Gesänge das
103—105.
* Das. 109, XI. 18—20.
« Das. 109, XV. 13—15.
124
verboten sie auch das Läuten der Kirchenglocken.^ Das heilige
Abendmahl betrachteten sie nicht als eine von Jesus herrüh-
rende neue Einrichtung, sondern als einen alten jüdischen
Brauch, in dessen Sinne sie am Passah um den Messias
beteten. Drum nahmen sie es weder in der Bedeutung, noch
in der Gestalt, wie es in den Christenheit üblich, sondern am
Passah-Abend, und zwar in den von der Bibel vorgeschriebe-
nen ungesäuerten Kuchen, in dem »Brod des Messias«, zur
Erinnerung an den einmal bereits gekommenen und in Zukunft
von neuem erscheinenden Jesus.^
«
Mit grosser Entschiedenheit wiesen sie die Taufe zurück,
und. vertraten mit ausnehmender Heftigkeit die Ansicht,, dass
»die Vorbereitung und Reinigung durch das Baden« zwar
Von der Bibel vorgeschrieben und seit Johannes dem Täufer
auch an vielen bekehrten Sündern geübt worden ist,, dass aber
zur Vornahme dieser religiösen Handlung nur die vom heiligen
Geiste inspirirten Apostel berechtigt gewesen seien; dem gewöhn-
lichen Lehrer, der kein Apostel war, kam . sie auch zu jenen
Zeiten nicht zu.« Heutzutage aber hat die Taufe keinerlei Be-
deutung, oder Wirkung; »sie wird nur noch gedankenlos nach-
geäfft " Am heftigsten erklärten sie sich gegen die, selbst von
den Aposteln nie geübte Taufe der Kinder, welche bereits
Franz Davidis verworfen, aber die unitarische Kirche, nach ihm
neuerdings eingeführt hatte.^
Rein und edel war die Sittenlehre der ältesten Sabbatha-
rieri Die Gesichtspunkte, von welchen sie ausging, waren wohl
zumeist keine neuen, und ihre hauptsächlichen Grundsätze
waren längst Gemeingut des Juden- und des Christenthums.
Nichtsdestoweniger müssen wir den Männern unsre volle Achtung
zollen, welche diese Sittenlehre aufgestellt, noch mehr aber
der Glaubensgenossenschaft, welche sie gegen Ende des XVI.
Jahrhunderts angenommen, im Leben befolgt, oder auch nur
für bindend erklärt hat.
1 S. ob. S. 91.
« A. S. G. B. 109, Xm. 1—14.
* Das. 109, XIII. 15—25; s. den $. Glaubensartikel der gabj)alharier,
oben S. 48 ; vgl. Alexius J a k a b a. a. 0. S. 241.
;•• T
Gott gegenüber erkunnten sie als »oberstes Gehet kc
Gott stets aus voller Seele lieben,
Was Er befohlen, Alles üben,
Aus Liebe, freudigen Sinnes übenJ
Aufs strengste verurtheilten sie die Schein- und Werk-
heiligkeit. »Wer in Sünden betet — lehren sie, dem wird das
Gebet als Sünde angerechnet.« Beim Gottesdienste »sei Jeder-
mann mit dem Herzen anwesend.« Das Gotteswort, das bei
dieser Gelegenheit verkündet wird, »muss durch Thaten und
mit Liebe bekräftigt werden,« denn:
Gott mag nicht träge, heuchlerische Diener,
Noch säutnige und unlustige Diener.
Nur eifrige, gehorsam treue Kinder,
Die allein liebt Gott.«
Gottes geheiligter Name darf nicht nur bei einem falschen
Eide, sondern auch im Alltagsleben nicht ausgesprochen werden
um die Wahrheit irgend einer Behauptung zu bekräftigen, es
sei denn aus würdigen und wichtigen Gründen, namentlich vor
Gericht. 3
Die eigentliche Bestimmung des Menschen erblickten sie
in einem wahrhaft heiligen Leben, das heisst darin, dass der
Mensch immer ehrfurchtsvoll und freudig in GottesWegen wandle^
uud immer vollkommener zu werden strebe.* Dieweil er aber
»ein gar gebrechliches Thongefäss ist und zum Bösen hinneigt«,
muss er seine Leidenschaft beherrschen lernen « Er meide das
abscheuliche Laster der Sinnenlust, sei stets keusch und züchtig,
auch im Umgange mit seiner eigenen Frau, und hüte sich,
die Freuden dieser Erde masslos zu geniessen.^
Nach ihrer ernsten, zur Askese hinneigenden Auffassung
des Lebens, muss der wahrhaft Fromme »diese Welt verab-
scheuen, sie muss ihm wie ein Nichts sein.« Der Mensch
müsse zu entbehren, zu dulden und zu tragen wissen und
» Das. 110, III. 44; vgl. 5. ß. Mos. 6, 5 und 10, 12.
> Das. 109, VIII. 1—4 und IX. 9.
3 Das. 109, Vm. 1—4 und IX. 9.
* Das. 2, 8 ; vgl. das Alte S a b b a t h a r i e r b u c h a. a. 0. S. 9.
» Das. 10, 5,- 25, 6; 67, J3 ; 110, I. 8.
126
bereit sein, für seinen Glauben zu leiden.^ Das Erdenleben ist
ein bald entschwindender Schatten; erst im Jenseits erwachen
wir zum wahren Leben, dessen Seligkeit aber nur durch Ent-
sagung hienieden zu erwerben ist:
Kind Gottes, duld* und leide !
Dann wird Dir Himmelsfreude,
Dann wird Dir reicher Lohn
Vor Goltes Thron.»
Um die Irrthümer und Sünden des E rdenlebens abschüt-
teln zu können, wird Fasten und Kasteiung des Körpers
empfohlen, als sicherstes Mittel aber: Reue und Besserung.
Wer den Weg der Wahrheit betreten und auf ihm wandeln
will, der „muss mit der Poenitenz beginnen.« Ihre, mit der
jüdischen Tradition übereinstimmende, diesbezügliche Lehre
lautete: »Gott hat, die Schwäche der Menschen berücksich-
tigend, und vorhersehend, dass die Menschen in Folge ihrer
Naturanlagen und ihrer Neigungen in der Sünde untergehen
müssten, mit dem Menschen zugleich, als Heilmittel für ihn,
auch die Poenitenz erschaffen.« Nur der wird der Seligkeit
theilhaftig, der von seinen Sünden lässt, sie verabscheuen lernt
und nie wieder begeht. ^ .
Das Gebot der Nächstenliebe erklärten sie durch den
Satz: »Was dir gut ist, musst du auch Andern thun«, sowie
durch das bekannte: »Was du nicht willst, dass man dir thue,
thue auch deinem Nebenmenschen nicht.« Jene christliche
Auffassung hingegen, welche das biblische Gebot : »Liebe
deinen Nebenmenschen wie dich selbst«, auch auf den Feind
ausgedehnt wissen will, wiesen sie entschieden zurück, und
zwar mit der, bekanntlich auch von jüdischer ^Seite vor-
gebrachten Begründung, dass diese so weitgehende Auslegung
des Gesetzes Unmögliches fordert. Der Mensch kann seinen
Feind nicht lieben, wie sich selbst; ein Gesetz aber, das Unmög-
liches fordert, kann Gott nicht gegeben haben.* Drum glauben
sie, was die Feinde anbetrifft, nur so viel fordern zu können,
1 Das 41, 9; 106, 6.
a Das. 5, 8; vgl das. 9 und 11.
8 110, III. 22; 109, IV. 4—8 und das ganze Lehrgedicht „Von der Poeni-
tenz,« das. 109, VI. vgl. Talm. Babl. Pessachim 54-a.
Das. 110, III. 46—8.
127
dass man sie nicht hasse und ihnen keinen Groll nachtrage ;
dass man nicht Rache üben, sondern lieber Unrecht dulden
und Schaden erleiden, als Streit und Zank beginnen, oder gar
Böses mit Bösem vergelten soll. Man müsse vielmehr »aus
reinem, andächtigem Herzen beten für die, so uns verfolgen.»^
Echte Nächstenliebe muss sich in Thaten offenbaren.
Wohlthätigkeit ist die von den Sabbathariern am häufigsten
und am nachdrücklichsten gelehrte Tugend, auf welche sie
bei jeder Gelegenheit, oft wo wir es am allerwenigsten erwarten,
hinzuweisen pflegen. Ihre Sittenlehre empfiehlt und verherrlicht
die Wohlthätigkeit stets von neuem und stellt sie den Gläu-
bigen als eine der wichtigsten und heiligsten Pflichten hin.
»Wer helfen könnte und es verabsäumt«, begeht eine schwere
Sünde. Wer den Armen aus Geiz und Engherzigkeit nicht
hilft, ist ein Dieb, der »Gott und Menschen um das bestiehlt,
was er ihnen schuldig istw^Jeder Feiertag hat, unter anderem,
auch die Bestimmung, dass er zur Wohlthätigkeit mahne ;
es gibt kein Fest, das ohne Werke der Wohlthätigkeit begangen
werden könnte. Zur Feier des Sabbath gehört, »Armen Speisen
geben« (ob S. 120). An den drei hohen Festtagen soll Jeder —
und das drücken sie genau mit den Worten der jüdischen
Tradition aus — »sich selber freuen und auch Andere erfreuen,«'
und am Hüttenfeste sangen sie:
Heut' am Hültenfeste lasst uns, gleich den Juden,
Armen helfen, dass in Lumpen,
Unbekleidet, jetzt, wo schon der Winter nahet.
Keiner bleib* in unsrer Mitte.*
Aehnlichen eindringlichen Ermahnungen begegnen wir
auch in den Liedern, die sie an den übrigen Festtagen zu singen
pflegten.«^
Ihr versificirter Katechismus enthält ein besonderes Lehr-
gedicht »Ueber das Almosengeben und über die richtige Art
1 Das. 110, I. 6 und III. 42 ; 86, 9. vgl. Talm. Babl. BJa b a-K a m;a 93-a,
Sabbath 88-b, J o m a 23-a u. s. w. :
» Das. 110, II. 27—9; vgl. 109, X. 10.
» Das. 70, 8 ; vgl. M a*a s z e r-S c h e n i V. 12 und S z i f r e zum 5. B.
Mos. 26, 14.
* 71, 13.
« Das 67, 12 ; 65, 8 ; 73. 17 u. s. w.
A28
und Weis.e desselben.*«^ Das göttgefälligste Opfer ist Almosen,
das man wiHig und freundlich Jedem reicht, der darauf ange-
wiesen ist, dem guten wie dem bösen Menschen, »vor allem
jedoch dem Gottesfürchtigen.« Der Sünder kann nur dann
Verzeihung erhoffen, [wenn er seine Sünden bereuend, mit
Feinem Herzen reichliche Almosen spendet, »denn — so sangen
sie in einem ihrer Neujahrslieder mit den einem jüdischen
Neujahrsgebete entlehnten Worten — Reue, Gebet und Wohl-
thätigkeit wenden ab das böse Verhängniss.«^
Im Anschluss an das Gebot der Menschenliebe lehrten
sie, dass man auch die Thiere gut und schonungsvoll behan-
deln müsse. Liebe und Erbarmen haben sich auf alle Geschöpte
Gottes zu erstrecken, auch auf das unvernünftige Thier. Diese
Forderung kehrt in ihrer religiösen Literatur so häufig wieder,
und ihre Gesänge ermahnen so oft und so nachdrücklich, dass
der Mensch »Vieh und Geflügel nicht schonungslos behandeln,
sondern allen Thieren gegenüber voll Erbarmen seih soll:«'
dass diese auffallend häufige Wiederholung darauf schliessen
lässt, dass in ihrer Umgebung die Thierquälerei allgemein
verbreitet war. Auf ähnliche Erscheinungen in ihrer nächsten
Umgebung dürfte auch die Thatsache zurückzuführen sein,
dass das Alte Sabbatharische Gesangbuch so häuflg und so
nachdrücklich Nüchternheit und Massigkeit empfiehlt und
Trunksucht und Völlerei, als Todsünde, aufs härtesle ver-
urtheilt.*
Im Namen der Religion forderten die Sabbatharier die
pünktlichste Erfüllung aller Bürgerpflichten, Achtung vor dem
Fürsten und den Behörden, sowie vor den von diesen gegebenen
Gesetzen. Doch darf diese Pflicht, eben weil sie eine religiöse
ist, mit der Religion nicht collidiren; sie erlöscht, wo sie dem
Gewissen Zwang anthut und eine Uebertretung des göttlichen
Willens fordert. Die Sabbatharier dehnen nämlich das biblische
Gebot, welches die Eltern zu ehren vorschreibt, auch auf die
Verehrung der Lehrer aus, und knüpften ausserdem noch die
Mahnung an dasselbe:
1 109, X.
s 73 ^ 17—19 ; vgl. 109. X. 20—22.
8 109, VI. 15; vgl. das. X. 11; 110, II. 23 : 36, 12—15; 82, 4. u. s. w.
* 32, 4; 40, 4; 28, 7; 67, 13: 110, Hf. 23 u. s. w. :
129
Unsere Fürsten soll*n wir achten und verehren,
Richtern und Gesetzen Treue stets bewähren;
Auf ihr Wort, so will es Gott, hat man zu hören,
Wider Gott jedoch sie nimmermehr zu ehren.*
Durch diese Einschränkung wollten sie offenbar ihren
Standpunkt wahren und es rechtfertigen, dass sie eine Religion
bekennen, welche durch das Landesgesetz und durch fürst-
liche Erlässe \yiederholt für eine verbotene erklärt worden war.
Die im bisherigen geschilderten Innern und äussern Ver-
hältnisse der ersten Sabbatharier haben sich 35 Jahre hindurch
ziemlich unverändert erhalten. Da trat im Jahre 1621 ein poli-
tisches Ereigniss ein, welches in der Geschichte dieser Secte
einen Wendepunkt bezeichnet, und eine wohl naturgemässe,
aber rasche, ja, in gewissem Sinne plötzliche Fortentwicklung
des ursprünglichen Sabbatharierthums herbeiführte. Dieses
Ereigniss war der Sturz Simon Pechis, des mächtigen Reichs-
kanzlers von Siebenbürgen, der schon früher ein eifriger Sab-
batharier war, im Jahre 1623 aber, als er nach zweijähriger Gefan-
genschaft seine Freiheit^wiedererlangte, sich an die Spitze dieser
Secte stellte und ihr eine neue und entschiedene Richtung gab.
Simon Pechis Jugend und Reisen. Seine diploma-
tische Laufbahn und Reichskanzlerschaft.
Simon Pechi (spr. Pehtschi) ist eine jener geschichtlichen
Gestalten, deren Laufbahn wir bald mit Ueberraschung, bald
mit Bewunderung, bald mit Beileid, aber immer mit Inte-
resse verfolgen. Unsere Sympathien empfangen und beglei-
ten den reichbegabten Jüngling, der aus dem Dunkel einer
niedrigen Herkunft uns entgegentritt, muthig vorwärtsstrebt
und rasch hoch und immer höher steigt. Mit Befriedigung
sehen wir den mit seltener Gelehrsamkeit ausgerüsteten,
stattlichen Mann als den höchsten Würdenträger und, nach dem
Fürsten, mächtigsten Menschen seines Landes in der glänzen-
den Stellung, zu der er aus eigener Kraft sich emporgerungen
hat Dem schon ergrauenden Manne, der von der mühsam
erklommenen und lange behaupteten Höhe jäh und tief herab-
stürzt, können wir unser Mitgefühl nicht versagen, wenn wir
* Das* 110* L, 18—19.
Or. Kohn : Sabbatharier. 9
130
ihn mit schweren Ketten beladen im Kerker sehen, sodann
aber, wie er, kaum frei geworden, sein ganzes Wissen und
Können seiner religiösen Ueberzeugung weiht. Dieses Mitgefühl
steigert sich zum herzlichen Beileid, wenn wir den durch Alter
und Krankheit gebrochenen Greis zum zweitenmale, diesmal
als Märtyrer seines Glaubens, im Kerker erblicken, dessen
Pforten sich ihm abermals öffnen, worauf er nach einigen
Jahren der Entbehrung, unter ärmlichen Verhältnissen, aber
bei ungeschwächter Arbeitslust, sein wechselvolles Leben
beschliesst.
Dem Namen Pechis, der als Staatsman und als Heerführer
unter anderem auch im dreissigjährigen Kriege eine Rolle spielte,
und dem das Sabbatharierthum seinen dreihundertjährigen Fort-
bestand verdankt, begegnen wir wiederholt in der politischen
und in der Religionsgeschichte Siebenbürgens. Die eigenartige,
ihrem Umfange und ihrem wissenschaftlichen Werthe nach
gleich bedeutende Literatur, die er ganz allein geschaffen, ist
uns nahezu vollständig erhalten geblieben. Sein Andenken,
das die Pietät der Sabbatharier treu bewahrt und mit einem
kleinen Sagenkreise umgeben hat, lebt bis zum heutigen Tage
in den Bauernhäusern der Szekler, aber auch in den Palästen
hervorragender Adelsfamilien Ungarns und Siebenbürgens,
deren Stammvater er geworden ist. Sein an glänzenden und
an tragischen Ereignissen reiches Leben hat die Aufmerksam-
keit des Baron Siegmund Kemeny auf sich gezogen, der
einen der Helden seines historischen Romans »A rajongök«
(Die Schwärmer) aus ihm gemacht hat. Auch einen Biographen
hat er bereits gefunden. Ladislaus Köväry, der Verfasser der
»Geschichte von Siebenbürgen« hat die Schicksale Pechis in
einer Monographie in sympathischem Tone, eingehend und,
nach Massgabe der ihm zur Verfügung stehenden Quellen, im
ganzen richtig und übersichtlich dargestellt.^
Bei alledem kennen wir bis jetzt nur die äussern Lebens-
verhältnisse Pechis, und auch diese nur lückenhaft. Seine Stel-
lung in der religiösen Bewegung seiner Zeit, seine literarische
Thätigkeit und seine wissenschaftliche Bedeutung sind so gut
wie unbekannt geblieben. Was wir zur Zeit davon wissen,
beschränkt sich auf einige zerstreute Notizen und nicht bewie-
* Im Kereszteny Magvetö, VI. S. 34 flg. •
131
sene und geradezu falsche Voraussetzuugen und Behauptungen.
Diesbezüglich ist Klarheit und Sicherheit nur in den Schriften
zu finden, in welchen er die Resultate seiner Geistesarbeit
niedergelegt und sein Denken und Fühlen offenbart hat. Von
diesen sind aber, mit Ausnahme einiger Briefe, im ganzen blos
zwei Gedichte, und ein Capitel aus seiner Uebersetzung und
Erklärung des Pentateuch veröffentlicht worden.^ Von seinen
zahlreichen übrigen Werken sind zumeist nur dürftige und
oft unrichtige Inhaltsangaben, oder gar nur die blossen Titel
bekannt; mehrere andere sind gänzlich unbeachtet geblieben.
Die Abstammung und die Jugendjahre Simon Pechis sind
in dichtes Dunkel gehüllt. Wir kennen nicht einmal die Namen
seiner Eltern. Nach einer wenig verbürgten, kaum glaubwür-
digen Nachricht soll er der Sohn eines Kürschners in Fünf-
kirchen und ursprünglich selber ein Kürschnergeselle gewesen
sein.* Doch war er sicherlich kein geborener Siebenbürger.
Sein Urenkel Baron Alexius Orbän, der seine Kinderjahre im
Hause einer Tochter Pechis verlebte, die auch seine Mutter
erzogen hatte, berichtet in seinem vom 3. Mai 1740 datirten
Testamente, sein Urgrossvater sei »in jungen Jahren nach
Siebenbürgen eingew^andert.«^ Offenbar ist er aus Ungarn dahin
^ Das eine Gedicht ist, das. XV. S. 174 von A exius Jakab ver-
öffentlicht worden, das andere in'm einem „A szombatosok" S. 67 — 8; ein
Capitel aus Pechis Bibelübersetzung s. „Prot. Egyhäzi es Isk. Lapok" (Protestan-
tische Kirchen- und Schulzeitung) 1888, No. 12.
* Die betreffende, von Späteren vielfach nachgeschriebene Nachricht findet
>ich im «Öneletiras** (Selbstbiographie) des siebenbürgischen Fürsten Johann
Kemeny (in der Ausgabe von Szalay, Pest 1886, S, 11 und 407.) Kemeny,der,
bevor er den Fürstenstuhl bestieg, mit Pechis Erben langwierige Processe führte,
und auf diesen schlecht zu sprechen ist, wiederholt hier wahrscheinlich eine
allgemein verbreitete, weil naheliegende Annahme, welche P6chi, ' dessen
Herkunft unbekannt war, mit Pecs, d. i. Fünfkirchen, in Verbindung brachte.
Die Angabe, dass Pechi in Pest geboren, sowie die Annahme^ dass sein Vater
aus Böhmen eingewandert sei, beruht auf einem leicht nachweisbaren Irrthum.
S. mein. „A szombatosok*', S. 158.
> Einzelne auf Pechi bezughäbende Stellen aus dem Testamente des
Baron Alexius Elek hat sein Urenkel, der unlängst verstorbene ungarische
Landtagsdeputirte Blasius Orbän, a. a. 0. I, S. 153, sowie. Köväry
:i. a. 0. S. 35 — 6 veröffentlicht. Dem. Verfasser dieser Schrift hat eine ;vön
fachkundiger Hand angefertigte vollständige Abschrift dieses Testamentes vor
;relegen. Dass Pechi Siebenbürgen nicht als Geburtsland bezeichnen konnte'
j^cheint sich auch- aus seinem Briefe (bei Mikö, a. a. 0. III. 8.356) zuergebeiJ^
9*
Itt
gekommen, vielleicht mitsammt seiner ebenfalls in Sieben-
bürgen lebenden Schwester Anna, der nachmaligen Gattin des
Johann Simon v. Särd, der einzigen von allen seinen Familien-
angehörigen, die wir kennen. Sein Geburtsjahr ist annäJiernd
um 1460 anzusetzend
Seine Studien soll er an der unitarischen Hauptschule au
Klausenburg gemacht haben, 'an welcher er sich mit beson-
derer Vorliebe mit den orientalischen Sprachen beschäftigte *
Später wurde er unitarischer Schulmeister in Szent-Erzsebet,
wo ihn Eössi kennen lernte und mit der Erziehung seiner
Kinder, dreier Knaben, betraute. In dieser Stellung gewann er
bald das volle Vertrauen des verwitweten und an das Kran-
kenlager gefesselten Mannes, der ihm jetzt auch die Verwaltung
seiner Güter überliess. Inzwischen verstarben die drei Söhne
Eössis, und der kinderlos gewordene Mann schloss sich immer
enger dem tüchtigen und erprobten jungen Mann an, dessen
treue Anhänglichkeit er mit warmen Worten anerkannte.«
Was aber die Beiden noch fester mit einander verknüpfte,
war der von Eössi verkündete neue Glaube, der in Pechi einen
eifrigen und gelehrigen Jünger fand. Der fanatische und dabei
vorausblickende und seinem Ziele unentwegt zustrebende Reli-
gionsstifter sah in dem reichveranlagten, energischen Jüngling
ein providentielles Werkzeug zur Befestigung und Verbreitung
des Sabbatharierthums. Um ihn für diese Mission würdig vor
^ In seinem in der vorhergehenden Anm. erwähnten, v. 80. Juli 16il
datirten Briefe neunter sich einen «alten Mann;** er muss daher zur Zeit zum
mindesten 60 Jahre alt gewesen, demnach spätestens um 1560 geboren sein.
Dasselbe ergibt sich aus dem amtlichen Actenstücke bei Szilägyi, a. a. 0.
X. S. 213, das i. J. 1638 von P6chis Greisenalter spricht, sowie aus dem
Umstände, dass er i. J. 1581 die weiter unten besprochene Studienreise antrat,
nadidem er bereits einige Jahre im Hause Eössis als Erzieher gelebt hatte.
Er musste demnach i. J. 1681 mindestens 20 — 21 Jahre alt, also um 1660
geboren sein. Damit stimmt die Angabe in der Selbstbiographie des Fürsten
Johann Kemöny (a. a. 0. S. 11) überein, dass der um 1643 verstorbene Pechi
„in einem sehr hohen Lebensalter verschied«! ist;** er muss demnach 83 — 86
Jahre alt geworden sein. In meinem ,A Szombatosok* (S. 160) habe ich sein
Geburtsjahr und Unrecht auf 1666 — 1670 angesetzt.
* So, ohne Quellenangabe, bei Alexander S z ö k e 1 y, Unit. vallÄs tOrttoete
(Gesch. d. Unitarism. in Siebenb.) S. 183.
* S. das Actenstück, durch welches er Pöchi adoptirte und ziun Erben
AseiiMs gesammtmi Besitzes erklärte, bei Köviry, a. a. O. S. 87, un,mit eini|;en
bw«ichHDgen nun zweitenmale edirt,in TOrt^n. Tär, 1887, S. 809. d
ISS
zubereiten, setzte er Alles daran, ihm eine unabhängige und
möglichst einflussreiche Stellung zu verschaffen. Pechi sollte
Wissens- und Erfahrungsschätze sammeln, zu Reichthum,
Ansehen und Würde gelangen, um dann das alles in den Dienst
des Sabbatharierthums zu stellen.
Durch den Einfluss Eossis gelangte er zunächst an den
siebenbürgischen Fürstenhof, an welchem er eine Zeit lang
treue und erspriessliche Dienste leistete, welche Fürst Sieg-
mnnd Bäthory später rühmend anerkannte.* Sodann aber trat
er, von Eossi mit reichlichen Geldmitteln, vom Fürsten mit
Pässen und Empfehlungsbriefen versehen, eine längere Reise
an, wie sie damals als Bildungsmittel für Kinder vornehmer
Häuser allgemein üblich war. Doch hat eine solche Reise
sicherlich nur selten so lange gedauert und in so ferne Länder
geführt, wie die Pechis.
Pechi hat über seine Reise ein Tagebuch geführt.« In die-
sem Diarium — so schreibt Baron Orbän in seinem oben-
erwähnten Testamente — habe ich gelesen, dass Simon Pechi,
nach seiner Abreise von Siebenbürgen, ein Jahr in der Walachei
an der Seite des Woiwoden verlebte; von dort ging er nach
Konstantinopel, wo er sich über anderthalb Jahre beim Gross-
vesir aufhielt. Sodann setzte er übers Meer, ging Afrika ent-
lang und verweilte acht Jahre in Karthago. ^ Von dort kam er
wieder nach Europa herüber und verweilte lange in Rom und
in Neapel. Von Neapel ging er zum König von Spanien, von
dort zu dem König von Portugal, von dort nach Frankreich
und kehrte sodann nach Siebenbürgen zurück. Auf diesen Reisen
hat er, nach seinen unterwegs niedergeschriebenen Aufzeich-
nungen, achtzehn Jahre augebracht.«
Dieses Diarium, das er, nach dem Berichte seines Urenkels,
»auch in ein Buch zusammengefasst hat«, ist Letzterem wäh-
rend der Räkoczischen Wirren mit vielen andern werthvollen
Schriften von österreichischen Soldaten geraubt worden und
seitdem nicht wieder zum Vorsehein gekommen, Pechi selber
bezeichnete diese Reise an einer Stelle in seinem handschrift-
lichen Psalmen-Commentar blos als eine »lange« und erzählt
> S. die Actenstficke bei Kdväry a. a. 0. S. 40 und bei Joseph
Kem6ny, Diplomatanum VII, 177.
'WahrseheiDlicb ist Tunis gemeint; die acht Jahre dflrften sieh auf alle
seine Reisen in AMka beziehen.
.134
ian einer ;anäfern Stelle daselbst, er sei bei Coroyra während
eines Sturmes vom Schiffe ins Meer gefallen und wunderbar
gerettet worden.^ Ausserdem bierichtet er gelegentlich nur noch
so viel, er habe in Konstantinopel gesehen, wie die Türken
die Haarstoppeln ihrer glattrasirten Schädel mit brennenden
Kohlen wegsengten. ^ Sonst findet sich in seinen sämmtlichen
Schriften, soweit sie uns erhalten geblieben sind, auch nicht
der geringste Hinweiß auf diese lange und für ihn bedeutungs-
volle Reise.' Wie wir gesehen, hat er in den von ihm besuchten
Ländern überall mit den höchsten Staatsbeamten verkehrt und
auch am Hofe Zutritt gefunden, und so reichlich Gelegenheit
gehabt, die diplomatische Erfahrung und Gewandtheit zu erwer-
ben, der er später seine Erfolge zu verdanken hatte. Dass er
diese Reise auch zu einem eingehenden Studium der hebräischen
Sprache und rabbinischen Literatur benützt hat, beweisen seine
hinterlassenen Schriften. Er muss, offenbar in der Türkei, Afrika
und Italien, den Unterricht gelehrter sephardischer Juden
genossen haben.*
Während Pechi noch auf Reisen, war, entschloss sich
Eössi, im Vorgefühle des herannahenden Todes, ihn zu adop-
tiren. N.achdem er hiezu die Genehmigung des Fürsten Siegmund
Bäthori erwirkt hatte, Hess er am 10. Mai 1598. die Urkunde
ausfertigen,: durch welche er Simon Pechi, der ihm in Treue
und Liebe gedient, »dessen vollkommene Frömmigkeit, Huma-
nität und edle Sitten er kennt, und von dem er weiss, daBB er
ein für den Dienst des Fürsten und des Vaterlandes geeigneter
und brauchbarer Mann sei, als seinen Sohn und Erben aner-
kannte, ganz so als ob er ihn selber gezeugt hätte.« Auch sollte
Pechi, was er aber thatsächlich nie gethan, von diesem Tage
an den Namen seines Adoptivvaters führen und Simon Eössi
heissen ö
* S. die betreffenden Stellen in seinem Gpmmentar zu Ps. 107 V. 27 u. 31
* In seiner Uebersetzung des S e m a k zu dem Verbote 3. B. Mos. 19, 27.
* Die achtzehnjährige Dauer seiner Reis^ habe ich in meinem „A szomba-
tosok* (S. 161, Anm, 2) mit Unröcht angezweifelt, sie stimmt vielmehr niit den
übrigen .uns bekannten Daten, aus Pechi's Leben vollständig überein ; s.ob,S. 132.
* Die Art und Weise, wie er das Hebräische transscribirt, sowie die von
ihm benutzten imd bearbeiteten Werke der rabbinis;chen Literatur weisen auf
sephardische Juden hin, die seine Lehrmeister gewesen sind.
i ^ S. die Urkunde;! bei Kö v äry, a. a. 0. S. 37—8 u. in Tört6nelmi Tär,
1887, S. 809.
185
Im März des nächsten Jahres (1599) war Pechi wieder in
Siebenbürgen, wo er sich zunächst beim Fürsten Bäthori mel-
dete, der damals eben abdicirt hatte und im BegrifYe stand,
das Land zu verlassen. »Gern wäre er — so heisst es in
den mehrfach erwähnten testamentarischen Aufzeichnungen
seines Urenkels — sofort zu seinem Adoptivvater Andreas Eossii
geeilt, aber der Fürst, der seine Reiseerlebnisse hören wollte,
hielt ihn zurück. Drum sandte er einen Boten, durch welchen
er Andreas Eössi von seiner Ankunft verständigte. Dieser schrieb
zurück, er möge sich mit der Nachhausekunft beeilen, denn er
sei krank; auch den Fürsten bat er flehentlich, Pechi zu ent-
lassen. Da stellte ihm der Fürst eine Carosse zur Verfügung,
in welcher er nach Szent-Erzsebet reiste. Als er aber dort
angekommen war, lebte Andreas Eossi nur noch drei Stunden,
dann starb er, und Simon Pechi gelangte in den Besitz seiner
sämmtlichen Güter.« 2
Der sterbende Eössi konnte mit berechtigter Freude auf
seinen heimgekehrten Adoptivsohn blicken, der die in ihn
gesetzten Erwartungen vollauf verwirklichte. Der Fürst Johann
Kemeny, der als jüngerer Zeitgenosse Pechis, diesen sicherlich
persönlich gekannt hat, und sich oft hart genug über ihn äussert,
nennt ihn einen »klugen, feingebildeten« Mann, der »sich in
allem als vornehmer Herr zu benehmen wusste, und sowohl
in Kriegs-, als in Landesangelegenheiten und Amtshandlungen,
sowie in politischen Unterhandlungen erfahren, und sehr gelehrt
war sowohl in der Theologie, als auch in den übrigen Wissen-
schaften, in der lateinichen, griechischen, jüdischen (hebräischen)
und chaldäischen Sprache.» » Die gründliche Kenntniss dieser
Sprachen ergibt sich aus seinen hinterlassenen Schriften. Ausser-
dem hat er sicherlich auch walachisch, türkisch, italienisch,
spanisch, französisch und deutsch, und wahrscheinlich auch
polnisch verstanden, so dass die in seiner Familie lebende
^ Orbän schreibt consequent falsch : Thomas Eössi ; den zur Zeit der
Abfassung seines Testamentes siebzigjährigen Greis scheint, was Namen anbe-
trifft, das Gedftchtniss mitunter im Stiche gelassen zu haben.
> Die nächsten Blutsverwandten Eössis fochten das Erbrecht Pechis an,
er schloss aber mit ihnen einen billigen Vergleich, der ihm den grössten Theil
der Besitzthümer Eössis sicherte; s. die testamentarischen Aufzeichnungen
seines mehrfach erwähnten. Urenkels.
* Johann K e m 6 n y, a. a. 0. S. 9 und 407.
186
Tradition, er habe, »die ungarische daaiigereohnet, zwölf
(nach einer anderen Lehrart gar siebzehn) Sprachen verstaii-
den,^ ganz glaubwürdig erscheint.
Der arme Schulmeister, der als vielgereister und viel-
erfahrener Mann von seltener Bildung und weltmännischer
Gewandtheit heimgekehrt war, wurde auch bald darauf einer
der reichsten Grossgrundbesitzer des Landes, der in drei Conü-
taten begütert war-* Die Fürsorge Eössis hatte ihm den Weg
geebnet, der zu Ansehen und zum Ruhme führen konnte:
er betrat ihn unverweilt und schritt rasch vorwärts auf dem-
selben.
Gegen Ende des Jahres 1601 begegnen wir ihm bereits
als dem Secretair des Fürsten Bäthori,» der im nächstfolgenden
Jahre der Herrschaft entsagte und zunächst nach Polen ging,
wohin ihm Pechi folgte.* Im Jahre 1604 treffen wir ihn bereits
wieder in Siebenbürgen als Secretair und Vertrauensmann
Stephan Bocskais, in dessen Diensten er einen hervorragenden
Antheil an den damaligen Innern Kämpfen nahm.^ Der im Jahre
1606 zur Herrschaft gelangte Bocskai würdigte mit warmen
Worten die treuen Dienste Pechis, überhäufte ihn mit Gunst-
bezeugungen und behielt ihn bis an sein Lebensende als gehei-
^Walachisch, türki'sch, italiänisch und französisch
dürfte er während seines, zum Theil mehrjährigen Aufenthaltes in den betref
fenden Ländern erlernt haben. Dae» er deutsch sprach, ergibt sich aas
seinen häufigen Unterhaudiungen und aus seinem intimen Verkehre mit dautsebe»-
namentlich österreichischen Gesandten und Diplomaten. Da Siebenbürgen damals
mit Polen in engen Beziehungen stand, P^chi i. J. 1602 den Fürsten Siegmund
Bäthori nach Polen begleitete und eine Zeit lang dort mit ihm lebte, ausserdem
einmal auch Gesandter am polnischen Hofe war (s. Köväry, a. a. O. S. 38
und Torten. Tär, 1681, S. 145), ist anzunehmen, dass ev aoeb des Polnischen
mächtig var, was mit den obenerwähnte Lateinischen, Griechisehe%
Hebräischen uod Chaldäis eben, mit Hiozurecbxttmg des Ungarischen
die zwölf Sprachen gäbe, welche Pöchi nach den Aufzeichnungen seines
Urenkels gesprochen haben soll. In dem betreffenden Passus des Testamentes
liest K6vary „zwdlf^ (uagarisch: tiae&k^t), die von fiur i»MitMiSto Abschrift
Tormas „siebzeha** <UBg.: tizenhöt) S^acheft.
s Die AufzähhiBg der Qfttor, ^e er von Uaei feeriMt koitle, s. in 4tm
Acteostttcken bei Kö var j, a. a. 0. 8. 37 «ad M uad TM. T4r, 1887, S. 809.
* S. die in der vorhergehettäan Annerkuag angefiliirtea ActeastAel».
« K 6 Vary, a. a. Q. S. 88; vfi ok Ann. 1.
i S. den Brief Pechis vom 26. März l«Oft in Mpmm €enut, V. 8. 3M;
vgl. das. S. 884—5.
187
men Secretair in seiner nächsten Umgebung.* Als Bocskai um
die Mitte des Jahres 1606 in Kaschau schwer erkrankte, war
Pechi stets an seiner Seite, Sicherlich geschah es auf sein
Betreiben, dass eine ansehnliche Deputation nach Krakau
geschickt wurde, um den dortigen berühmten jüdischen Arst
Eleazar, den er während seines Aufenthaltes in Polen kennen
gelernt haben mochte, an das Krankenlager des Fürsten zu
berufen. Eleazar folgte der Aufforderung, konnte aber den
Kranken, den man allgemein für vergiftet hielt, nicht mehr
retten.* Unter den von dem Fürsten ernannten drei Voll-
streckern seines Testamentes, war auch Simon P^chi sein »ver-
trauter, geheimer Secretair«, dem er zwei Güter und einen
Herrenhof vermachte.« Während seiner Krankheit hatte Pechi,
als Bevollmächtigter und Stellvertreter des Fürsten, die Regie-
rungsgeschäfle geführt.*
Siegmund Räköczi, dem Nachfolger des am 29. Dezember
1606 verstorbenen Bocskai, muss Pechi ebenfalls dankenswerthe
Dienste geleistet haben, denn Rakoczi übertrug ihm durch eine
Schenkungsurkunde einen ansehnlichen Grundbesitz. Als der
alte und unfähige Räköczi nach kaum fünfzehnmonatlicher Re-
gierung dem Throne entsagte, war es in erster Linie Pechi,
der die Unterhandlungen zwischen dem zurücktretenden und
dem neu zu wählenden Fürsten leitete und zum Abschlüsse
brachte.* In Anerkennung der ihm bei dieser Gelegnnheit ge-
leisteten treuen und erspriesslichen Dienste, bestätigte Gabriel
Bäthori kurz nach seiner Thronbesteigung Pechi in dem Be-
sitze der ihm von Räköczi verliehenen Güter.«
Um dieselbe Zeit, im Jahre 1608 verehelichte sich der
damals ungefähr achtundvierzigjährige Pechi mit Judith, der
fünfzehnjährigen, frühverwaisten Tochter des Wolfgang Komis
^ P6efatf Brief 6a», S. 384, 897; K^väry a. a. 0. S. ^•-<4d und TM.
T4r, 1887 S. 810,
* Stephan Yeezpröroi, Sa«cinta medicorum Hongiiriae et Transüfr.
Biographia (Wien 1787> IV. S. 121.
* Karl 6. R u m y, Monumenta Hunf . E. S. 839.
^ S. das Testament Bocskaie a. a, 0. das. Sw 815—338 ; vgl. die Briefe
P^diis vom 22. Juni bis zum 8. Dezember 1806 bei Mikö, a. a. O. fV. S.
342-849.
» Köväry, Erd61y Tört6nelme, IV. S. 191 und die dort citirteB Quellen.
•Kövdry, in Kereszt. Magvelö VI. S. 41.
von Homorod-Süent-Päl.^ Durch diese trat er in. verwandt
s<5baftliöhe Beziehungen zu den vornehmsten Familien des
Landes, unter andern zu einem gewesenen und zu einem zu-
künftigen Fürsten von Siebenbürgen: zu Moses Szekely und,
in einem entternteren Grade, zu dem später so mächtigen Gabriel
ßethlen.2
Die Verbindung mit den hochangesehenen Komis ge-
reichte ihm zunächst nur zum Nachtheile. Der grausame Bathori
Hess nämlich im Jahre 1610 unter anderen Adeligen auch meh-
rere Kornis theils hinrichten, theils des Landes verweisen,
wodurch zwischen dem Fürsten und der Schwägerschaft Pechi's
ein feindseliges Verhältniss entstand. Letzterer, den der Fürst
um dieselbe Zeit ^um Abschlüsse der Friedenspräliminarien
nach Wien geschickt hatte, musste grade jetzt ünverrichteter
Dinge zurückkehren; er fiel in Ungnade und lebte ungefähr
drei Jahre lang in vollständiger Zurückgezogenheit.^
Als Gabriel Bethleri im October 1613 an der Stelle des
ermordeten Bdthori zum Fürsten von Siebenbürgen erwählt
wurde, begann für Pechi der glänzendste und an Erfolgen
reichste Abschnitt seines Lebens.
Unter der Regierung Bethlens gelangte die Familie Kornis,
die mit ihm verschwägert war und seine Partei ergriffen hatte,
neuerdings zu Ansehen, ja zu grösserem Einfluss denn je zuvor,
und mit der Familie seiner Frau stieg auch Pechi empor. Dazu
kam, dass Bethlen als Jüngling, in der Schule des kampfge-
wohnten Moses Szekely, dessen Liebling und getreuer Partisane
er war, die Kunst der Kriegsführung erlernt hatte.* Szekelys
noch; lebende Witwe war aber eine ältere Schwester von Judith
^ Sie' starbt wie sich aus der an ihrer Bahre gehaltenen Leichenrede ei^ibt,
nach dreizehnjähriger Ehe im ApriI1621 im 28, Lebensjahre; s. Rade-
cius Valentin, Funebris landatio ill. feminae Judithae Eornissianae, sp
magnif. Dni. Simonis P6chi . . conjugis, Cllaudiop. 1621, 4o,iS. 6, 8 und 17.
* Eine ältere Schwester seiner Frau, Anna, war die Witwe des Fürsten
Moses Sz6kely; durch die Stiefmutter . seiner Frau, Christine Bethleu, war er
auch mit der nachmaligen Fürstenfamilie-Bethlcjn verschwägert.; s. seinen Brief
«Dlustrissimo Domini. . ..Stephanoi Bethlen de Mär . , .Domino Affini* bei
Mik6, a. a, 0. III. S. 357. lieber die Famili« Komis s. Szäzadok, 1889,
S. 534—5; K^öväry, Erd61y nevezetesebb csalädjai (= Die namhafteren Familien
von Siebenbürgen) S. 160, sowie Baron Orbans obenerwähntes Testament.
» Monum. Comit. VI. S. 41.
* Szäzadok, 1869. S. 653. . . . >
139
Kornis, also Pechisi Schwäg-erih. Der unterrichtete und fein ge-
bildete Fürst, der den welterfahrenen, gelehrten und als Diplo-
maten bereits, bewährten Mann auch persönlich liebgewonnen
haben mochte, ernannte gleich am Anfange seiner Regierung
Pechi zum Mitgliede des Staatsraths und gleichzeitig zum
Kanzler des Reiches.^ Der ehemalige Schulmeister von Szent-
Erzsebet wurde jetzt, wie es in einer zeitgenössischen Auf-
zeichnung heisst,. »im Reiche des Fürsten der mächtigste
Mann,«2 und das in der Glanzperiode der Geschichte Sieben-
bürgens.
In den schier endlosen Streitigkeiten und Wirren zwischen
Kaiser Mathias und Bethlen, war es fast immer Pechi, der
als Bevollmächtigter des Letzteren die Friedens- und anderwei-
tigen diplomatischen Unterhandlungen leitete, beziehungsweise
abschloss, so 1614 in Klausenburg, ^ 1615 in Wien uud Steinaman-
ger*, 1617 abermals in Wien und Steinamanger^ und 1619 in
Nagy-Kdroly.® Bei allen diesen Gelegenheiten glückte es ihm,
derartige Erfolge zu erzielen, dass ihm Bethlen, unter dem
Ausdrucke der höchsten Anerkennung, im Jahre 1615 das
Schloss und Gut von Baläzsfalva, und 1617, wie es scheint, als
Neujahrsgeschenk neun Dörfer übertrug.*^
Mittlerweile war der dreissigjährige Krieg ausgebrochen,
Kaiser Mathias gestorben und der Kampf zwischen Ferdinand IL
und den Ständen, die Friedrich V. von der Pfalz, das Haupt
der protestantischen Union, zum König von Böhmen erwählten,
hatte begonnen. Der unternehmende Bethlen konnte aus confes-
* In dieser Eigenschaft begegnen wir Pechi bereits im Januar 1614 ;
s. Alexander Szilagyi, Bethlen Gabor kiadailan politikai levelei (Gabriel
Bethleos unedirte politische Briefe) S. 10.
* Kemeny^ Selbstbiographie S. 407.
3 Monuro. Gomit. VI. S« 493.
* Das. yn. S. 256 und 260 flg.jiMichael Hatvani, Brüsseli Okmänytar
(Brüssler Urkundenbuch) rV., S. 115— 123,, wo Sl. 116 st. Pethey richtig Pechy
zu lesen ist.
* Monum. Comit, VII; S. 431 und 444; Vgl. den Brief »Bethlens an seine
Wiener Vertrauensmänner und B^nquiers Antonius Aalerbott und Joannes Leinert
^n meinem ,A szombalQsok" S. 169—170."
* Monum. Com. VII. S. .496—501 und Hatvani (Pseudonym für
H r V ä t h, Verfasser der bekannte^ Geschichte von U[ngarn) a. a. 0. V. S. 182.
» K ö V ä r y in Kereszt-Magvetö VI. S. 41 und. 42 und JErdöly Törtönelme
ly, Si 819) beide Slcbenkvulgsurkunde.n sijid von\ Japus^r des betreffenden Jahres
datirt. •• .'.;.•;•■•.
140
sionellen und politischen Rücksichten kein müssiger Zuschauer
der Ereignisse bleiben, die sich auf dem Kriegsschauplätze
abspielten. Indem er die Bache der Reformation unterslüate,
rechnete er darauf, seine Herrschaft in Ungarn weiter anMiu-
dehnen.
Währenddem er die Vorbereitungen zum Kriege traf und
während des ganzen Kriegszuges, auf welchem die sieben-
bürgisch-ungarischen Truppen im Jahre 1619 siegreich bis
Schönbrunn vordrangen, war Pöchi, rastlos thätig, ununter-
brochen an seiner Seite.^ Als Bethlen Anfangs 1620 nach Krakau
abreiste, Hess er Pechi zum Abschlüsse eines Waffenstillstandes
in Pressburg zurück. Während der, diesbezüglichen Unter-
handlungen stand Pechi in lebhaftem Verkehr mit den böh-
mischen Ständen,* sowie mit Ferdinand selber, der seine in
unterthänigem, aber entschiedenem Tone gehaltenen Briefe
mit aufTallender Herablassung und Freundlichkeit beantwortete,
da er die Entscheidung der obscbwebenden wichtigen Ange-
legenheiten in den Händen des mächtigen Reichskanzlers ruhen
sah.i^) Deshalb bot er diesem, was damals keineswegs unge-
wöhnlich war, ein reiches Geschenk, wie es heisst, Silbergeräthe
im Werthe von 40.000 Thalern an. Pechi setzte Bethlen von
diesem Anerbieten sofort in Kenntniss, und der Fürst ermäch-
tigte ihn auch zur Annahme des Geschenkes, das er übrig'ens
tbatsächlich nie erhalten hat.^
Am 5. Feber wurde der Waffenstillstand zu Presaburg
geschlossen, am 2. März war Pechi bereits in Kaschau, wo er
die Abgesandten der böhmischen Stände empfing, welche die
Rückgängigmachung des Waffenstillstandes forderten. Er schlug
ihr Begehren ab und stellte die Sache in einem an die Wiener
Commission gerichteten Briefe so dar, als ob er damit die In-
teressen Ferdinands hätte fördern wollen. Indessen ist es ge-
wiss, dass er nur im Sinne Bethlens vorgegangen war, der um
diese Zeit den Frieden wünschte.^
1 Szilagfi, Betblen 64bot' kiadaüan politikai levele, S. 188, 161, 164,
19» und 176 ; Törttoelmi T&r 1879, S. 340-^1.
* 6 i n d e 1 y, Gesch. d. dreissigjähr. Irieges n. S. 355.
» Hatvani, a. a. 0. IV. S. 199—268.
^ Johann Kemöny, a. a. O. S. 409, und Pöchis Brief an Bethl^ms
Bruder bei Mikö, a. a. 6. m. S. 858.
^ Gindely, a. a. O. ü. S. 857 — 9. Gindely ist geneigt, aus dem an die
Wiener Commissäre gerichteten Briefe Pechis zu folgern, dass er von Ferd inM id
141
Nachdem er die Verhandlungen zweier Landtage geleitet*,
empfing er gegen Ende Juli desselben Jahres in Kremnitz die
zum Abschluss eines Friedenvertrages abgesandten Commis-
säre Ferdinands, wobei er die Unterhandlungen, im Auftrag,
Bethlens derart führte, dass sie resultatlos blieben.^ Bethlen hatte
sich nämlich neuerdings zum Kriege gegen Ferdinand ent-
schlossen und Pechi Anfangs December an die Spitze eines
Heeres gestellt,* mit welchem er, unter anderem, Hainburg bela-
gert zu haben scheint, denn die Erfolglosigkeit dieses Unter-
nehmens wurde später ihm zur Last gelegt.*
In der zweiten Hälfte October unterhandelte er mit den tran-
zösischen Gesandten, die mit dem Herzog von Angoubejne nach
Pressburg gekommen waren, um den Frieden zu vermitteln.^
Gegen Ende dieses Monates treffen wir ihn mit einem Heere
von 3000, nach einer anderen Angabe von 5000 Mann auf dem
Marsche nach Böhmen, um dem hartbedrängten Friedrich von
der Pfalz Hilfstruppen zuzuführen. Am 2. November war er
bereits über Znaim hinausgekommen. Dort erwarteten ihn böh-
mische Commissäre, um ihn nach Tabor zu führen, wo er sich
mit dem Fürsten von Anhalt hätte vereinigen sollen. Diese
führten ihn aber so ungeschickt, dass er »unter unsäglichen
Schwierigkeiten durch dichte Wälder und durch Gegenden
ziehen musste, durch welche entweder gar keine Strassen oder
nur schmale Wege führten.« Unterwegs begegnete er anderen
Commissären, die ihm die Weisung gaben, direct nach Prag zu
marschiren. Pechi gehorchte, Hess aber bereits von Wlasim
aus die böhmischen Generale wissen, seine Truppen seien derart
erschöpft, dass er nicht schnell genug vorwärts kommen könne.
Währenddem er (am 8. November) diese Meldung schrieb,
wurde bereits die Schlacht bei Prag geschlagen. Am Abend
desselben Tages in Schwarz-Kosteletz angelangt, erhielt er
bald darauf die Nachricht von der gänzlichen Niederlage Fried-
bestochen worden sei, doch hebt Oindely an einem andern Orte (das. 11. S.
selber hervor, dass Bethlen es gewesen, der um diese Zeit den Frieden wünschte.
' Monum. Gomtt. VIL S. 546; Tört. Tar 1885, S. 626 und 1881. S. 631.
« Gindely, a. a. O., ffl. S. 166—7.
' S. d«n Brief Bethlens an Pechi (certi exercitu« generali) in Tört. Tar,
1885, S. 659.
* Johann K e m e n y, a. a, 0. S. 9. ,
* Gindely a. a. 0., UI. S. 282 flg.
142
richs. Es gelang ihm, die unter Führung Siegmund Kornis' schon
früher nach Böhmen geschickten Hülfstruppen Bethlens, die
an der unglücklichen Schlacht theilgenommen und nach der-
selben ihr Heil in der Flucht gesucht hatten, an sich zu ziehen,
und mitsammt seinem eigenen Heere mit nur geringen Verlus-
ten glücklich zurückzuführen.^
Zwischen Bethlen und dem siegreichen Ferdinand wurden
jetzt am 1. Feber 1621 die Friedensverhandlungen in Hainburg
eröffnet, bei welchen Pechi, dem schon bei den langwierigen
Verhandlungen die wichtigste Rolle zugefallen war, als Ver-
trauensmann und Stellvertreter des Fürsten thätig war. Die
übrigen siebenbürgisch-ungarischen Commissäre, unter ihnen
auch der Palatin Forgäch (spr. Forgätsch) erhielten ihre In-
structionen durch seine Vermittlung. Wenn Bethlen über den
Stand der Dinge sichere Auskunft wünschte, oder wichtige
Mittheilungen zu machen hatte, Hess er in der Regel seinen
Kanzler nach Steinamanger oder Pressburg kommen, um per-
sönlich mit ihm zu conferiren.^ Nur von ihm erwartete er eine
günstige Erledigung der obschwebenden Fragen, ja Pechi schien
ihm in dieser wichtigen Angelegenheit geradezu unentbehrlich
zu sein. »Bei den Hainburger Unterhandlungen — so schrieb
Bethlen seinem Vertrauten Emerich Thurzö — benehmen sich
unsere Commissäre recht wacker, ja geradezu heldenhaft, na-
mentlich der Kanzler. Dem aber ist am 19. Januar die
Frau gestorben, und ich weiss nicht, was thun ; denn schreibe
ich es ihm, wird es um seinen Verstand, seine List und seine
Entwürfe geschehen sein, und unsererseits wäre die
ganze Unterhandlung arg gefährdet; schreibe ich es
ihm nicht, so wird sein Schmerz noch um so grösser sein.
Bis jetzt habe ich es ihm verschwiegen.« ^
Am Wiener Hofe war man nicht minder von der Bedeu-
tung und dem Einflüsse Pechis durchdrungen. Ferdinand II.
sandte seinen Hainburger Commissären unter Anderm auch die
geheime Instruction: sie, sollen mit Bethlen und mit Pechi
* Ueber die hier angegebenen Einzelheiten, dieser missglückten Expedition
s. Kerne n y, a. a. 0. S 10 ; Z a v o d s z k y, bei K a t o n a, Historia critica XXX.
a 639; Torten. Tär, 1885. S. 667 und Gindely, a. a. 0. ÜI. S, 351—2
2 S. die Briefe bei S z i 1 ä g y i, a. a. 0. S. 247, 262, 264, 277 n. s. w.
und Tort. Tär 1878, S. 119. ...
3 S z i 1 ä g y i, das. S. 282. .
14^'
ein SeparatübeTeinkommen zu treffen . suchen, damit sie mit
den ungarischen Ständen und Magnaten um so leichter fertig
werden; ferner: sie sollen Pechi durch Geschenke zu ge-
winnen suchen, »ausserdem kann ihmnachdemTode
des kränklichen Bethlen der Besitz Siebenbüt'-
gensinAussicht gestellt werdend '
Was die Commissäre Ferdinands in Folge dieser Instruc-
tion unternommen haben, ist ungewiss; sicher ist, dass es
ihnen, auch wenn sie es versucht haben sollten, nicht geglückt
war, Pechi zu' bestechen. Dafür spricht der weitere Verlauf
der langweiligen Hainburger Unterhandlungen, den wir aus
ungarischen Quellen und aus den Gesandtschaftsberichten der
verschiedenen bei der Sache interessirten Mächte ziemlich genau
kennen.
Die von vornherein nicht ernst gemeinten Unterhand-
lungen nahmen einen derartig schleppenden und ungünstigen
Verlauf, dass Bethlen bereits am 10. Feber seine Comissäre
zurückberief. Der Palatin Forgäch, den Ferdinand bereits ifür
sich gewonnen hatte, wusste sie aber zu überreden, dass sie
vor der Hand noch blieben und Pechi zum Fürsten schickten,
um ihn zur Fortsetzung der Unterhandlungen zu bestimmen,
was Pechi auch durchsetzte. Als er bald darauf bezüglich der
wichtigsten Friedensbedingungen bereits ein Uebereinkommen
erzielt hatte^ erhielt Bethlen von seinem Gesandten in Konstan-
tinopel die Nachricht, dass der Grossvesier bereit sei, ihn mit
einem starken Heere zu unterstützen, dafür aber den Abbruch
der Friedensunterhandlungen fordere. Bethlen eilte sofort nach
Pressburg,' wo er mit Pechi zusammentraf und ihm die Weisung
ertheilte, dass die Friedensbedingungen wohl formulirt werden
könnten, ihre Annah'lne oder Verwerfung aber einem dem-
nächst einzuberufenden Landtage vorzubehalten sei. Pechi
fertigte im Sinne dieser Instruction noch an demselben Tage
einen Eilboten an Forgäch ab, und reiste sofort nach Hain-
burg zurück. Aber der Palatin, der wie Bethlen später schrieb,
sich schon längst mit den kaiserlichen Comissären verstän-
digt hatte, »begann die Zähne zu zeigen;« er verweigerte
^ lieber diese, in ihren Folgen für P6chi verhäiignissvolle Thatsache s.
die ungarischen Quellen iDei Michael Hortäth, Geschichte von Ungarn V. S.
238—9, die ausländischen Nachrichten hei Gindely a. a. 0. III. S. 238.
den Gehorsam, und ging bald darauf mit seinen -Imgarischen
Collegreii Apponyi nach Wien, wo sie in Ferdinands Dienste
traten*^ lieber ihre Intriguen und ihr verdächtiges Gebaren
hatte Pechi schon früher, über ihren offenen Abfall so wie
er ihn erfahren, sowohl an Bethlen als an Thurxö Bericht
erstattet.^ Er selber hat während des ganzen Verlaufes dieser
langwierigen Unterhandlungen, nach den übereinstimmenden
Berichten der kaiserlichen Commissäre und der französichen
und sächsischen Gesandten die Interessen Bethlens bis ans
Ende mit Hingebung und Energie vertreten, und noch in der
letzten Stunde alles aufgeboten, um die Unterhandlungen hinzu-
ziehen und so Zeit zu gewinnen. ^
Bethlen hatte demnach alle Ursache seinem Kanzler nach
wie vor vollstes Vertrauen zu bewahren. In den zahlreichen
vertraulichen Briefen, die er während der Hainburger Unter-
handlungen und nach dem Abbruche desselben schrieb, spricht
er wiederholt mit den schärfsten Ausdrücken über die Treu-
losigkeit Forgächs, Apponyis und der übrigen Commissäre, über
Pechi hingegen äussert er nirgends ein Wort des Tadels oder
des Misstrauens. Das Verhältniss zwischen dem Fürsten und
seinem Kanzler ist vielmehr auch nach diesem diplomatischen
Misserfolg ganz das alte geblieben. Pechi hatte noch immer
das volle Bewusstsein seines weitgehenden Einflusses, und die
Intimen Bethlens erblickten in ihm, nach wie vor, den Mann,
der die Situation beherrscht.
Die Hainburger Unterhandlungen wurden am 9. April
abgebrochen: am 26. April schreibt Pechi von Kremnitz aus
an Emerich Thurzö, er werde alles aufbieten, dass die Unter-
handlungen mit Ferdinand wieder aufgenonmen und Frieden
geschlossen werde ; zu diesem Zwecke wolle er nach Wien
reisen.* Und Thurzö, den Bethlen um diese Zeit als seinen
1 M i k ti, a. a. O. IL S. B84— 6 nnd P e c h i s Brief, Tört. Tär 1879, S. 281.
» Mik6, a. a. O. das. u&d UI. S. S64; Tört. Tar 1S78, S. 188 und 1879,
S. Ml.
* Die diesbezügl. Daten und Quellen s. bei Gindely a. a. O. IV. S.
223, 225, 229, 231, 236—7 und 240—2.
* Michael Horväth, Geschichte v. Ungarn, V. S.-245, sucht in dieser
Widaer Reise P^his die Ursach« seines bald darauf erfolgten Sturzes. Wie sich
aber aus dem Folgenden ergibt, bat diese Reise, die Pechi auf Bethlens aus*
di'ücklichen Befahl hätte antreten sollen, überhaupt nicht stattgefunden»
145
»lieben Bruder« und »theuren Gevatter«^ anspricht, antwortet
Pechi am 2. Mai in der ergebensten und unterthänigsten
Weise, indem er ihn auffordert, »er wolle Alles daran setzen
die Friedensunterhandlungen wieder in Gang zu bringen,« und
ihn bittet, »er möge so gütig sein, ihn mit Rath und That zu
unterstützen, wie es ein Vater seinem Sohne, ein Arzt seinem
Patienten, ein Beichtvater seinem Beichtkinde gegenüber thut.«^
Die Stellung des Kanzlers, dem der Liebling und Ver-
trauensmann des Fürsten in diesem Tone schreibt, konnte um
diese Zeit noch keine erschütterte gewesen sein. Und Pechi
besass thatsächlich noch immer Bethlens vollstes Vertrauen.
Anfangs Mai reiste er nach Szent-Erzsebet, um seine
Kinder, die mittlerweile die Mutter verloren hatten, wiederzu-
sehen und für die Versorgung und Erziehung der »kleinen
Waisen« das Nöthige zu veranlassen.' Am 16. dieses Monates
war er aber schon wieder in Kaschau an der Seite Bethlens,
dessen Briefe und Erlässe er wie vordem gegenzeichnete*,
und letzterer meldet Thurzö noch am 25-ten, er habe behufs
Wiederaufnahme der Unterhandlungen Pechi nach Wien schicken
wollen, und dieser »habe sich bereits zur Reise angeschickt,«
doch seien mittlerweile über die Stimmung am Wiener Hofe
derartige ungünstige Berichte eingelaufen, dass er »zu solchen
unehrenhaften und ungewissen Unterhandlungen den Kanzler
nicht entsenden mochte. «ö Einige Tage später, Ende Mai,
oder Anfangs Juni, wird Pechi, der Urlaub genommen hatte,
um seine Kinder neuerdings zu besuchen, unterwegs in
Grosswardein verhaftet. Von dort wird er im Auftrage
Bethlens am 8. Juni nach Klausenburg, bald darauf in die
Festung von Szamosujvar gebracht, deren Commandant ihn in
schwere Ketten legen und einkerkern Hess. Sein treuer Diener
Stephan Göti t heilte sein trauriges Loos.® *
^ Szilägyi, Bethlen kiadatlan polit. levelei, S. 270.
> Mikö, a. a. 0. II. S. 380 und 383.
» S. Pechi s Brief, Tört. Tär. 1878, S. 134.
* Mikö, a. a. 0. I. S. 276.
» SziUgyi, a. a. 0., S. 308.
« Der Chronist Sebastian B o r s o s erzählt, Pechi sei schon im April
in Haft genomnaen worden. Dass hier ein Irrthum vorliegt, ergibt sich aus den
oben angeführten ^ Daten aus dem Monat Mai, soyvie aus der anderweitigen
Angabe Borsos' (s. beide Angaben bei Mikö, a. a. 0, I. S. 232),. man habe
Dr. Kohn : Sabbatharier. 10
146
Pechis Sturz. Sein Verhältniss zum Sabbatharier-
thum während seiner staatsmännischen Laufbahn.
Die Ursachen von Pechis plötzlichem Sturze sind in tiefes
Dunkel gehüllt.- Die zeitgenössischen Quellen berichten bloss
die nackte Thatsache, ohne sie zu begründen, oder ingendwie
zu erklären. Pechi selber wusste nach zehnwöchentlicher Gefan-
genschaft noch immer nicht, wessen man ihn eigentlich beschul-
dige, sondern rieth in dem Briefe, den er von . seinem Kerker
aus an den Bruder des Fürsten richtete, hin und her, welche
Anklagen die »falschen Verläumder« gegen ihn vorgebracht
haben könnten. ^
Wenn es wahr ist, dass er der Erfinder des damals übli-
chen, »honesta custodia« genannten, Vorgehens war, nach
welchem der Fürst vornehme Adelige, die ihm verdächtig
schienen, ohne vorhergehende Untersuchung und ohne richter-
liches Urtheil, einzukerkern pflegte r^ dann hat sich die von ihm
geschmiedete Waffe gegen ihn selber gekehrt. Eine gerichtliche
Procedur ist nie gegen ihn eingeleitet, ja er ist während seiner
mehrjährigen strengen Halt nicht einmal verhört worden^ Unter
solchen Umständen wissen wir auch nichts Näheres über jene
»gewisse schwere, manifeste und bewiesene Verbrechen,« wegeo
welcher, wie es in der zu seinen Gunsten später ausgestellten
Bürgschaftsurkunde heisst, der Fürst »ihn arretiren und gefan-
gen halten Hess.*
Der nachmalige Fürst Johann Kemeny weiss in seiner, unge-
fähr 40 Jahre später geschriebenen, Selbstbiographie für den
Sturz Pechis drei Ursachen anzuführen, die er indessen selber
als blosse » Vermuthungen« hinstellt : die erfolglose Berennung
Hainburgs im Jahre 1620, Pechis langsamen Marsch durch
P6chi „in der Pfingstwoche" gefangen genommen, diese fiel aber im J. 1621 in
die Zeit vom 30. Mai bis 5. Juni. Ueber Pechis Verhaftung und Einkerkerung
s. Zävodszky bei Katona. Hisloria Critica XXX. S. 686 ; Johann Kemeny,
a. a. 0. S. 10 und 408—9 ; M i k 6, a. a. 0., UI. S. 352.
1 M i k ö, a. a. 0., UI. S. 352—3.
« Johann Kemeny, a. a. O. S. 4Ö8.
* K e m e n y, a. a. Ö., das. u. die Aufzeichnung Johann Bethlens», in
Kereszt. Magvetö XIX. S. 352 und 855.
* Monum. Gomit. Transs. VlIL, S. 244.
147
Böhmen, der sein Fernbleiben von der Prager Schlacht zur
Folge hatte, endlich aber das Geschenk im Werthe von 40.000.
Thalern, welches er \vahrend der Pressburger Unterhandlungen
von Ferdinand erhalten haben sollte.^ Diese »Vermuthungen«^,
sind aber offenbar unrichtig. Die von Kemeny angeführten
Thatsachen konnten, wie sich aus der obigen Darstellung
desselben ergibt, Pechi unmöglich als Verbrechen angerechnet
werden Seine Feinde und Neider mögen immerhin den Ver-
such gemacht haben, ihn auf Grund derselben beim Fürsten
anzuschwärzen, dass sie es aber ohne Erfolg thaten, beweist
der Umstand, dass Bethlen ihm noch nach der Schlacht bei
Prag das vollste Vertrauen schenkte und ihn zur Leitung der
so wichtigen Hainburger Friedensverhandlungen entsandte.
Deshalb pflegt man gerade in diesen erfolglosen Unterhand-
lungen die Ursache seines plötzlichen Sturzes zu suchen,"
und es scheint, dass man sie auch zur Zeit seiner überraschenden
Gefangennehmung in diesem Umstände gesucht und zu finden
i^^emeint hat.^ Aber Pechi ist, wie wir gesehen, nach dem am
9. April erfolgten Abbruch dieser Unterhandlungen, noch zwei
Monate hindurch in seiner hohen Stellung, zumeist an der
Seite des Fürsten. v<3rblieben, ohne dass sein Ansehen und sein
Einfluss den mindesten Abbruch erlitten hätten.
Die wahre Ursache seiner plötzlichen Verhaftung muss
offenbar wo anders gesucht werden
Kemeny fährt, nachdem er seine drei »Vermuthungen«
über die Ursachen vom Sturze Pechis auseinandergesetzt, fol-
gendermassen fort: »Er (Pechi) war ein Mann von überaus
2;rosser Selbstüberschätzung, der den Fürsten selber contem-
nirte, und, als ob dieser ohne ihn zu nichts fähig wäre. Alles
sich zuschrieb, so dass der »virtuose« Fürst ihn nicht dulden
konnte.« Aehnlich äussert er sich an einer anderen Stelle
seiner »Selbstbiographie.« Pechi, so sagt er, »wurde, die Gnade
des Fürsten missbrauchend, derart aufgeblasen, dass er bereits
den Fürsten zu contemniren anfing und jeden Erfolg dessel-
ben sich zuschrieb; aber der Fürst, ein virtuoser Mann, dul-
dete keinen R i v a 1 e n, sondern liess ihn gefangen nehmen-«*
1 Kemeny, a. a 0., S. 9—10 und 409.
» Szilagyi, Tört. Tär 1878 S. 119; Gindely, a. a. 0. IV. S. 242.
3 Z ä V od s z k y bei Katona a. a. 0. XXX. S. 686.
* Kemeny, a. a. 0., S. 10 und 408.
10-
148
Der fürstliche Selbstbiograph äussert sich zwar bei jeder Gele-
genheit mit sichtlicher Gehässigkeit über den mächtigen Reichs-
kanzler, der »nur ein Kürschnergeselle, sicli vom Bauernstande
hoch emporgeschwungen hat.« Die Anklage aber, die er hier
gegen ihn vorbringt, ist sicherlich nicht ganz unbegründet
gewesen. Menschen, die aus einer niedrigen Lebensstellung
hoch emporgestiegen sind, werden leicht hochmüthig und über-
schätzen sich. Und so ists offenbar auch Pechi ergangen.
Seine Briefe beweisen, dass er kein geringes Selbst-
bewusstsein besass, seine dem Fürsten und dem Lande geleis-
teten Dienste gar hoch zu veranschlagen, und die erreichten
Erfolge gerne sich zuzuschreiben pflegte.^ Selbst dem Fürsten
gegenüber scheint er sich herausfördernd und rücksichtslos
benommen zu haben. In seinem obenerwähnten im Kerker
geschriebenen Briefe, in welchem er die Ursache seiner plötz-
lichen Ungnade zu errathen sucht, erwähnt er unter Anderm,
dass er vielleicht durch seine »eckige Natur, oder durch
irgendwelche derbe Schrift« den Fürsten beleidigt haben
mag, »oder ich habe — so fährt er fort — als ein dem Fürsten
lange Zeit hindurch vertrauter Diener, in Folge meiner
Kühnheit excedirt, was ich in gutem Eifer und in guter
Absicht that, nach dem Satze: Jurgia amantium dulciora sunt
magis quam oscula blandentium.«^
Bethlen hat dieses Benehmen seines Kanzlers ertragen,
so lange er einen verwendbaren treuen Diener in ihn sah,
aber er konnte es nicht länger dulden, sobald er einen R i v a-
len in ihm erblickte. Ferdinand hatte, wie oben (S. 143) erzählt
worden ist, während der Hainburger Friedensunterhandlungen
seinen Commissären unter anderem den Auftrag gegeben, sie
sollen mit Bethlen und mit Pechi ein Sonderabkommen zu
treffen, Pechi durch Geschenke zu gewinnen suchen »und
ihm überdies, nach dem Tode des kränklichen
Bethlen den Besitz Siebenbürgens in Aussicht
stellen.«
* »Nächst Gott, so schreibt er 1615, nach dem Friedensschlüsse von
Steinamanger dem siebenbürgischen Gesandten in Konstantinopel, habe ich
durch meine viele, grosse Arbeit und Mühe, meinem armen Vaterlande
die weggenommenen Landestheile nebst Huszt und Eövär wieder zurückgewonnen/
Tört. Tär 1881, S. 591 ; vgl. seine Briefe das. 1878, S. 119—186.
« M i k ö, a. a. 0. UI. S. 355.
149
Diese Weisung konnte eine Zeit lang geheim bleiben^
später aber musste sie in irgend einer Weise zur Kenntniss
Bethlens gelangt sein. Die mit Forgäch von Bethlen abgefal-
lenen, Pechi feindlich gesinnten ungarischen Commissäre müssen
in Wien wohin sie nach Abbruch der Unterhandlungen, als
offene Parteigänger Ferdinands gegangen waren (ob. S. 144) die
Sache erfahren und sodann, wahrscheinlich in einem für Pechi
recht ungünstigen Lichte dargestellt, nach Ungarn berichtet
haben, von wo sie bald zu Bethlen drang.
Bethlen konnte kaum, daran zweifeln, dass Ferdinands
Commissäre thatsächlich im Sinne der ihnen gewordonen In-
struction vorgegangen waren. Die »eckige Natur«, die selbst-
bewusste Derbheit und der Widerspruchsgeist seines Kanzlers
erschienen ihm miteinemmal in einem ganz andern Lichte, die
jüngsten Misserfolge desselben als selbstverschuldet. Die Schlappe
von Hainburg, die Verspätung vor der Schlacht bei Prag und
die Erfolglosigkeit der Hainburger Unterhandlungen, von
Pechis Feinden schon früher als Zeichen des Einverständnisses
mit Ferdinand gedeutet, galten jetzt als sidtiere Beweise der
Treulosigkeit eines Mannes, in dessen Interesse es lag, die
Pläne seines Souverains zu durchkreuzen. Und der durch Szecsis
und Forgächs Verrath und durch den Abfall zahlreicher Mag-
naten und vertrauter Freunde misstrauisch gewordene und
erbitterte Fürst Hess den Kanzler, der gestern noch sein volles
Vertrauen genoss, urplötzlich einkerkern, weil er jetzt einen
Mann in ihm erblickte, der auf seinen Tod wartet, um sich in
den erledigten Fürstenstuhl zu setzen.
Diese Annahme erklärt . den auffallenden Umstand, dass
Bethlen noch am 25. Mai Pechi zur Wiederaufnahme der
Friedensunterhandlungen nach Wien schicken wollte, einige
Tage später aber sein Verhaftsbefehl gegen Pechi bereits voi?
Kaschau nach Grosswardein gelangt war. Offenbar hat er un-
mittelbar nach dem 25. Mai die Nachricht von den Pechi be-
treffenden, geheimen Instructionen Ferdinands erhalten, wahr-
scheinlich mit Uebertreibungen und Entstellungen, die für
Pechi belastend waren. In dieser Annahme findet auch die
noch auffallendere Thatsache ihre Erklärung, dass gegen den
jahrelang eingekerkerten Mann niemals ein gerichtliches Ver-
fahren eingeleitet wurde. Bethlen, der keine Beweise in Händen
160
hatte, konnte gegen Pechi keine bestimmte Anklage formuliren.^
Seine Eifersucht auf den ihm zu mächtig gewordenen
Kanzler und seinen Verdacht, dass dieser auf den Fürsten-
thron speculire, konnte er vor einem Gerichtshofe umsoweniger
geltend machen, als er sich diesbezüglich bloss auf Nachrichten
hätte berufen können, die von Wien, und zwar von offenkun-
digen Verräthern ausgegangen waren.
Pechi hat, so lange er im Dienste des Staates eine öffent-
liche Stellung einnahm, sein Privatinteresse allerdings nie aus
dem Auge verloren. Die Kunst, Vermögen zu sammeln und
Besitzthümer zu erwerben, hat er offenbar vorzüglich verstanden.
Das beweisen die wiederholten grossen Schenkungen, die er
von den verschiedenen Fürsten für sich zu erwirken wusste,
dafür spricht die, von ihm gehässiger Seite herrührende und
darum sicherlich nicht wörtlich zu nehmende Anklage, er habe
vielen Witwen, Waisen und Adeligen ihre Besitzthümer ge-
waltsam weggenommen. 2 Es ist ferner möglich, dass seine un-
gewöhnlichen Erfolge und Errungenschaften ihn eigenwillig
und hochmüthig gemacht haben. Ein Verräther ist er aber
sicherlich nicht gewesen, und'dass er, neben seinen practischen
Zwecken, auch ideale Ziele verfolgte und fähig w^ar, für seine
Ueberzeugungen die schwersten Opfer zu bringen, beweist
sein Verhältniss zum Sabbatharierthum, dessen eigentlicher
Begründer und — Märtyrer er wurde.
Pechi hat die religiösen Anschauungen Eössis aus vollster
Ueberzeugung getheilt, und es darf als sicher angenommen
werden, dass seine Adoption unter der selbstverständlichen,
oder ausdrüeklich festgestellten Bedingung geschah, dass er
im Interesse der Religion, deren Verbreitung die Lebensaufgabe
Eössis bildete, sein bestes Können einsetze. Aber es ist gewiss,
dass Pechi diese Bedingungen nicht erfüllt, oder doch nicht in
dem Masse, wie er es später gethan, erfüllt haben würde, w^enn
sein jäher Sturz seiner glänzenden diplomatischen Laufbahn
nicht für immer ein Ende gemacht hätte.
Der Staatsecretair und spätere Reichskanzler Pechi konnte
sich der Sache des Sabbatharierthums nur nebenbei und nur
im geheimen widmen. Der in diplomatischen und anderweiti-
1 Gindely, a. a. 0. IV. S. 242.
3 Kerne ny. a. a. 0. S. 11 und Kereszt. Magvetö XIX. S. 355.
151
gen Missionen fast immer auf Reisen befindliche, von den ver-
schiedenartigsten wichtigen Staatsgeschäften schier erdrückte
Mann konnte nicht gleichzeitig auch ein eifriger Apostel der
neuen Lehre sein, und was er in ihrem Interesse gelegentlich
doch thun konnte, musste im verborgenen geschehen. Der erste
Beamte des Staates konnte unmöglich offen als Anhänger der
von Staatswegen verbotenen Religion auftreten. Und so durfte
and konnte er auch nicht verhindern, dass gegen das Sabatha-
rierthum wiederholt die strengsten Gesetze erlassen wurden.
Die Thathsache, dass diese Gesetze nicht durchgeführt, und die
öfteren heftigen Verfolgungen der Judenzer jedesmal binnem
kurzem wieder aufhörten, ist aber sicherlich seinem geheimen
Einflüsse zuzuschreiben.
Vor der Oeffentlichkeit, namentlich im amtlichen Verkehre,
musste er sich als Unitarier und als guter Christ gehaben,^
obwohl er nach dem Berichte eines jüngeren Zeitgenossen,
bereits als Bethlens »Reichskanzler und Factotum . . . ein
Haupt Jude, nicht nur Unitarier, sondern auch ein dem
jüdischen Irrthum ergebener Mann war.« 2 Die
Richtigkeit dieser Angabe folgt schon aus dem Verhältnisse
Pechis zu Eössi. Wenn der fanatische Stifter des Sabbatharier-
thunns, dem jede andere Religion als Unglaube galt, die Adop-
tion Pechis unter anderm auch mit dessen »vollkommener
Religiosität« begründet,' hat er darunter sicherlich nichts anderes
verstanden als die Anerkennung und Uebung der von ihm
gelehrten Religion.
Auch die Intimität zwischen*^ Pechi und dem alten eifrigen
Sabbatharier Franz Balässy, der seine an ersteren gerichteten
Briefe an »Seinen Sohn, den Kanzler Simon Pechi« zu adres-
siren pflegte,* ist wohl kaum anders, als durch die Gleichar-
tigkeit ihrer religiösen Anschauungen und Bestrebungen zu
erklären.
* S. z. B. Monum. Gomit. Transsylv. VII. S. 366, sowie P6chis Briefe
Tört. Tär. 1881. S. 598—9 und 628.
* Keine ny, a. a. S. 9 und 408; vgl. Monuih. Comit. X. S. 14,
K 6 V ä r y (Gesch. v. Siebenbürgen V. S. 29 und Kereszt. Magvetö HI. S. 258.
VI., S. 46.) behauptet mit Unrecht, Pechi sei erst nach seinem Sturze Sabbatharier
geworden.
« Kereszt. Magvetö VI. S. 37 ; Tört. Tär 1887, S. 809.
* P6chi hinwiederum nennt Balassy seinen Vater, s. deren Briefwechsel
Tört. Tär 1881 S. 604—6; vgl. ob. S. 108.
162
Die sabbatharischen Lieder, die er schon vor seinem
Sturze" als Reichskanzler geschrieben, beweisen übrigens klar
und unwiderleglich, dass er schon während seiner politischen
Thätigkeit ein überzeugungstreuer Sabbatharier gewesen. Es
ist wahrscheinlich, dass er während dieser Zeit mehrere sab-
batharische Lieder geschrieben; mit Sicherheit kennen wir
jedoch nur zwei, deren Akrostichon seinen Namen zeigt.
Aber grade diese, zwischen 1604 und 1615 verfassten Ge-
sänge sind nicht etwa allgemeinen religiösen Inhaltes, noch
auch Ueberarbeitungen, oder Nachahmungen irgendwelcher
Kirchenlieder, sondern entschieden judaisirende Lieder, welche
für jüdische Feiertage bestimmt sind: das eine für den Neu-
mond s t a g, das andere für das Passahfest. Ersteres ist
die poetische Bearbeitung eines jüdischen Gebetstückes,^ letz-
teres, welches am Erlösungsfeste Israels das Wiedererscheinen
Jesus und die Aufrichtung des tausendjährigen Gottesreiches
herbeifleht, enthält in gedrängter Kürze die Grundzüge der alten
sabbatharischen Glaubenslehre.^ Es steht in einem noch vorhan-
denen, 1604 begonnenen Exemplare des Alten Sabbatharischen
Gesangbuches, wo es Pechi eigenhändig nachgetragen hat.'
Die Gedankenwelt, in welcher sich Pechi schon während
seiner Kanzlerschaft bewegte, wird durch eine bezeichnende
Thatsache in eine scharfe und interessante Beleuchtung gerückt.
Dass er in seinen aus dieser Zeit stammenden Briefen und
amtlichen Actenstücken Redewendungen, ja ganze Sätze aus der
Bibel anzuführen pflegt, war dazumal eine alltägliche, ja Mode-
sache, die weiter nichts zu besagen hat. Uin so vielsagender ist
der von Pechi verfasste Armeebefehl, den er mit des Fürsten
Unterschrift und seiner Gegenzeichnung im Jahre 1616 erlassen
hat.* Derselbe enthält strenge Verhaltungsmassregeln für Frie-
dens- und Kriegszeiten und beginnt folgendermassen:
»Es ist ein Spruch der alten Weisen und auch
die Erfahrung beweist es, dass ein ohne gerechten Grund
^ A. S. G. B. No. 46 (veröfFentlicht von Alexius Jakab in Kereszt. Mag\'et(>
X. V. S. 174J, eine freie poetische Bearbeitung des jüdischen Neumondgebetes
„Ascher bemaamöro bara schechakim.'*
« Das. No. 52.
8 Alexius Jakab^ Kereszt. Magvetö XV. S. 174; die beiden Codd., in
welchen sich diese Gesänge finden, stammen aus den Jahren 1604 — 1615.
* S. denselnen Tört. Tär, 1885, S. 438—442.
168
geführter Streit, welchen die Menschen blos aus Eigennutz oder
Ueberhebung beginnen, niemals zum Guten führen kann; einem
solchen Streit hingegen, den man seiner Sicherheit wegen und zur
Erhaltung seiner Wohlfahrt beginnen nxuss, verleiht Gott, als
einer gerechten Sache, seinen Beistand und führt ihn auch zu
einem guten Ende.«
Die hier erwähnten »alten Weisen« sind die Weisen
des Talmud, die Pechi, nach Art der Juden, in der Regel
so, oder einfach »die Weisen« zu benennen pflegt. Der hier
citirte Spruch ist nämlich die Umschreibung eines Spruches
aus dem talmudischen Tractat Pirke Aboth (Sprüche der
Väter 5, 17), welchen Pechi, mitsammt einem älteren rabbinischen
Commentar zu demselben, damals bereits ins Ungarische über-
setzt hatte, und zwar, wie es auf dem Titelblatte des noch
erhaltenen Exemplars heisst: »Zum Frommen und zur Erbauung
der das göttliche Gebot liebenden Brüder,« das heisst : der
Sabbatharier.i
Dieser Armeebefehl, der sich mit dem Ausspruche eines
Weisen des Talmud an das Heer wendet, dürfte einzig in
seiner Art sein. Unter allen Umständen ist er bezeichnend
für den Einfluss, welchen die nachbiblisch-jüdische Literatur
bereits zu jener Zeit auf Pechi übte, als er noch Reichskanzler
von Siebenbürgen war.
So lange er dieses hohe Amt bekleidete, war der viel-
beschäftigte, öfters kränkelnde Mann, der den Mittag seines
Lebens bereits längst überschritten hatte, von wichtigen, zumeist
aufregenden und aufreibenden Staatsgeschäften und Missionen
aller Art derart in Anspruch genommen, dass er unter der
^ Der vollständige Titel lautet in deutscher Uebersetzung : »Aus-
gewählte Lehren der heiligen Väter mitsammt einem Gommentare
dazu aus dem Jüdischen ins Ungarische übersetzt von Simon Pechi zum Frommen '
und zur Erbauung der das göttliche Gebot liebenden Brüder." Das betreffende
Exemplar ist eine von Johann Beth, dem Gopisten Pechis, im J. 1629 angefertigte
Abschrift. Das Buch selber ist aber, wie sich aus dem Epigraph ergibt, „Anno
mundi 5381, also schon um 1620 vollendet worden. Ich kenne die Handschrift
nur aus Beschreibung im Kereszt. Magvetö X. 45—9. Nach den das. mitgetheilten
duftigen Auszügen ist es mir nicht gelungen, den von Pechi mitübersetzten
Commentar genauer zu bestimmen. Kriza, dem wir die Beschreibung verdanken,
ahnt gar nicht, dass die von ihm so sehr gerühmten , kernigen Sentenzen" die
talmudischen , Sprüche der Väter" sind.
164
Bürde derselben oft zusammenzubrechen drohte.^ Bei alledem
aber wusste er noch Zeit zu gewinnen, religiöse Gesänge zu
verfassen und abzuschreiben, sich mit der rabbinischen Lite-
ratur und mit theologischen Zeit- und Streitfragen zu beschäf-
tigen, einen talmudischen Tractat nebst einem dazu gehörigen
rabbinischen Commentar zu übersetzen und sich mit sonstigen,
mehr oder minder wichtigen Angelegenheiten zu befassen, die
mit der Sache des Sabbatharierthums zusammenhingen. Im
letzten Jahre seiner Kanzlerschaft, welches während seiner
staatsmännischen Thätigkeit unstreitig das bewegteste war, wo
die grossen, weltgeschichtlichen Ereignisse des dreissigjährigen
Krieges auch Ungarn und Siebenbürgen in ihre Kreise gezogen
hatten und ihn, als Feldherrn und Diplomaten, so vielfach und
so angestrengt beschäftigten, unterhielt er einen theologischen
Briefwechsel, und setzte er alles daran, auf privatem Wege und
durch diplomatische Verbindungen in den Besitz eines jüdi-
schen Kalenders und eines als ketzerisch verbote-
nen Buches zu gelangen.
Den jüdischen Kalender Hess er in Konstantinopel durch
einen dortigen Juden, Namens Joseph ankaufen, der bei der
Pforte eine einflussreiche Persönlichkeit gewesen sein muss,
da ihm die siebenbürgischen Gesandten, gleich den Paschas
und den übrigen türkischen Würdenträgern, im Namen des
Fürsten Geschenke zu überreichen pflegten. 2 Den um zwei
Dukaten angekauften Kalender erwartete er voll Ungeduld. Als
er ihn bis zum 4. März 1620 noch nicht erhalten hatte, ersuchte
er den siebenbürgischen Gesandten bei der Pforte, Thomas
Borsos, den wir oben (S. 105) als Sabbatharier kennen gelernt,
auf das dringenste um die »möglichst rasche« Zusendung des-
selben.3 Es lag ihm offenbar daran, sich bezüglich des ge-
nauen Datums des herannahenden Passahfestes zu infor-
miren, um dasselbe zur rechten Zeit feiern zu können.*
Um dieselbe Zeit unterhielt er einen wissenschaftlichen
Briefwechsel mit dem deutschen Theologen Johannes Avitus,
1 S. P6chis Brief, Tört. Tär. 1881. S. 598.
» Tört Tar, 1881. S. 622.
« Das. S. 630.
* P6cbi urgirte die Zusendung des jüdischen Kalenders am 4. März ; der
Beginn des Passahfestes, in der Regel in die Zeit von Ende März bis gegen
Mitte April fallend, war im J. 1621 am 4. April.
155
dem er seine religiösen Ansichten eingehend auseinander-
setzte.^ Unter anderem bat er ihn wiederholt um die Zusen-
dung des Buches »Fundamenta relijionis christianae« von
Martin Seidel, der als Ketzer verschrieen war. Das Buch wurde
1616 in Nürnberg öffentlich verbrannt, und die Verbreitung
desselben bei strenger Strafe verboten. Darum wagte es Avitus
lange nicht, die Bitte Pechis zu erfüllen. Doch dieser bestürmte
ihn neuerdings um die Zusendung der verbotenen ketzerischen
Schrift, und zwar in einem Briefe, welchen er dem nach Witten-
berg reisenden jungen Szegedi mitgab, dem wir später als Ver-
fasser sabbatharischer Gesänge begegnen werden.
Als Pechi diesen Brief absandte, stand er bereits knapp
vor seinem Sturze, denn das Antwortschreiben des Avitus ist
vom 26. Juli 1621 datirt, um welche Zeit Pechi bereits fast
zwei Monate im Kerker war. Avitus, der von der Gefangen-
nehmung des mächtigen Kanzlers noch keine Ahnung hatte,
schickte ihm durch Szegedi das verbotene Buch, und zw^ar,
damit man es nicht leicht erkenne, ohne Titelblatt und in losen,
scheinbar unzusammenhängenden Blättern, die Pechi später
wieder zusammenstellen sollte. Brief und Buch fielen den
Behörden in die Hände, und wurden sechzehn Jahre später,
als Pechi wegen seines Sabbatharierthumes der Process ge-
macht wurde, als Beweise seiner Schuld geltend gemacht.^
Martin Seidel galt für einen »Halbjuden«, sein von Pechi
so eifrig gesuchtes Buch war, gleich dem Sabbatharierthum, das
Product einer extremen Richtung innerhalb des Unitarierthumes.
Er behauptete, das Neue Testament sei gänzlich zu verwerfen,
weil es zu dem Alten, so wie zu den Lehren der Propheten
in Widerspruch steht. Der nicht als himmlischer, sondern
als irdischer König zu fassende Erlöser sei, so wie das Land
Kanaan, nur den Juden verheissen, sein Erscheinen aber
hintahgehalten worden, weil die Juden dem Bunde mit
Gott und dem Gesetze nicht treu geblieben sind. Für
NichtJuden haben heutzutage nur noch die Zehngebote
bindende Kraft. Sein Buch stimmt demnach in seinen Grund-
^ Die betreffenden Briefe sind verloren gegangen, die Thatsache folgt
aus dem Briefwechsel, so weit er erhalten geblieben ist.
* lieber den Briefwechsel zwischen Pechi und Avitus, sowie über das
Buch Seidels s. den lehrreichen Artikel von Joseph Kemöny bei Kurz,
Magazin f. Gesch., Literat, u. s. w. Siebenbürgens, IL S. 416 — 429.
156
Zügen mit dem Sabbatharierthum überein ; andererseits aber
weicht es in einigen wichtigen Punkten wieder von demselben
ab. Wenn Pöchi nichts^ desto weniger versichert, dass er in
Seidels Schrift seine eigenen religiösen Anschauungen nieder-
gelegt findet: hat er entweder den Inhalt dieses Buches nicht
genau, etwa nach Hören-Sagen gekannt, oder er war mit seinen
religiösen Ueberzeugungen damals noch nicht vollständig ins
Klare gekommen.
Das Letztere ist das Wahrscheinlichere.. Pechi hatte vor
seinem Sturze offenbar noch kein festgefügtes Religionssystem,
sondern schwankte noch zwischen dem unitarischen Glauben,
dem er äusserlich angehörte, dem judaisirenden Sabbatharier-
thum, das Eössi gelehrt hat, und der ausgesprochen jüdischen
Richtung, die wir ihn später mit Entschiedenheit verfolgen sehen.
Pechis Gefangenschaft und Befreiung. Einwan-
derung türkischer Juden. .
Der gestürzte Reichskanzler wurde in seinem Kerker zu
Szamos-Ujvar mit Härte, ja mit Grausamkeit behandelt. Er
durfte Niemanden, nicht einmal seine kleinen, mutterlosen
Kinder sehen. Jeder schriftliche Verkehr war ihm aufs strengste
untersagt. Seine in schwere Ketten geschmiedeten Füsse waren
nach kaum zweimonatlicher Haft bereits überaus angeschwollen.«
Seine Güter hatte der Fürst »ohne Richterspruch confiscirt«
und an Verwandte und Freunde verschenkt.^
Pechis Schwiegermutter, die greise Christina Bethlen und
sein Schwager Franz Kornis boten zwar sofort nach seiner
Gefangennahme alles auf, um seine Befreiung zu erlangen. Sie
gewannen den ihnen verwandten Stephan Bethlen, der damals
in Abwesenheit des Fürsten, seines Bruders, Gouverneur von
Siebenbürgen war, dass er dem Fürsten im Interesse Pechis
schrieb und ihnen eine Audienz bei ihm erwirkte, in der sie
ihn anflehten, Pechi zu begnadigen. Vergebens! Gabriel Bethlen
blieb unerbittlich, und Pechi wurde auch fernehin in »elendig-
licher und in jammervoller Haft« gehalten.
* Letzteres berichtet Johann Bethlen, Kereszt. Magvetö XIX. S. 363,
vgl. das. S. 355, femer Johann Kem6ny, a. a. 0. S. 10 und 408; die
vorhergehenden Angaben folgen aus Pechis weiter unten besprochenen Brief.
157
Damit er dem Gouverneur schreiben könne, wurden ihm
auf dessen Befehl ausnahmsweise die nöthigen Schreibrequisiten
zur Verfügung gestellt. In diesem, geradezu ergreifenden Briefe
beklagt er sich bitterlich darüber, dass er nicht einmal die
Ursache seiner Einkerkerung kennt, nicht weiss, wessen man
ihn eigentlich bezichtigt. Sodann bespricht er der Reihe nach
alle Anklagen und Verläumdungen, die man möglicherweise
gegen ihn vorgebracht haben könnte, um sie einzeln zu wider-
legen und im Bewusstsein seiner Unschuld entschieden zurück-
zuweisen. Schliesslich fleht er Johann Bethlen, als seinen
Gönner und Verwandten an, er möge doch erwirken, dass
man ihm, wenn auch unter den härtesten Bedingungen, die
Freiheit wiedergebe.^
Auch dieser Brief hatte keinen, oder nur den Erfolg, dass
er den Kerker wechselte. Man brachte ihn von Szamos-Ujvär
nach der Feste Kövär,^ wo er noch über drei Jahre gefangen
gehalten wurde. Endlich gelang es seinen Freunden durchzu-
setzen, dass die Stände des Landes seine Begnadigung erbaten,
und gleichzeitig volle Bürgschaft für ihn übernahmen. Sollte
Pechi die ihm vom Fürsten gestellten Bedingungen nicht
getreulich einhalten, verpflichteten sie sich, ihn entweder an
Bethlen auszuliefern oder, falls sie das nicht können sollten,
ein Strafgeld von hunderttausend Gulden zu erlegen. Das be-
treuende, am 22. November 1624 ausgestellte Document wurde
von den Vertretern der Städte und fast vom ganzen hohen
Adel des Landes unterzeichnet. Nachdem Pechi einen ähnli-
chen »Revers« ausgestellt halte, wurde er nach zweieinhalb-
jähriger Kerkerhaft »unter gewissen Conditionen« wieder in
Freiheit gesetzt. Von seinen confiscirten Gütern wurde ihm
nur Szent-Erzsebet zurückgegeben, und er mussie eidlich
geloben, seinen dortigen Herrensitz nie mehr zu verlassen. ^
* S. den interessanten Brief bei Mikö, a. a. 0. III. S. 350—7; vgl.
Johann Kem6ny, a. a. 0., S. 10 u. 408 und Kereszt. Magvetö XIX. S. 553.
* Kern 6 ny, a. a. 0., S. 9 und 98.
* Monum. Gomit. Trans. VIII. S, 242. Vgl. K e m e n y, a. a. 0. S. 10 und
408. Gindely a. a, 0. IV. S. 242 lässt Pechi bis an sein Lebensende eingeker-
kert sein. Eben so unrichtig ist die Angabe von Georg Boros (Magy. prot. egyh.
es isk. figyelö ^ Ung. Protestant. Beobachter f. Kirche und Schule), duss Pechi
»von 1621—1630 im Kerker war.« P6chis Haft währte vom Anfang Juni 1621
bis Ende November 1624.
158
Der schon vordem von tiefer Religiosität durchdrungene
Mann, der die Nichtigkeit der irdischen Grösse so schmerzlich
an sich selber erfahren musste, hat während seiner langen
strengen Gefangenschaft nur in der Religion Trost und Erhe-
bung suchen können. »Ich verbringe — so schrieb er aus
seinem Kerker an Stephan Bethlen — meine Tage mit vielem
Weinen und Seufzen, mit Beten zu Gott und dazwischen mit
dem Lesen von Schriften.« Was für Schriften das gewesen,
ergibt sich aus der biblischen Färbung und alttestamentarischen
Sprache des betreffenden Briefes. Obwohl er — so fährt er
fort — »als gar sündhafter Wurm vor dem Allmächtigen, seine
Leiden nicht mit denen der Heiligen vergleichen darf, w^ohl
wissend, dass wegen seiner Fehler und Mängel seine tagtäg-
lich begangenen Sünden vor Gott so zahlreich seien, wie der
Sand am Meere:« wagt er es dennoch, sein Unglück mit
dem Hiobs zu vergleichen, ja sein Leid als das grössere hinzu-
stellen. Denn »zu dem heiligen Hiob konnten wenigstens dessen
Freunde kommen, ihn zu trösten, von mir werden auch diese
ferngehalten. Meine Kinder hat Gott wohl erhalten, dafür aber
zu meinem ewigen Schmerz, deren Mutter von mir genommen.
Und was noch mehr ist: den heiligen Hiob hat man an seiner
Ehre und an seinem Namen nicht geschändet, mir widerfahrt
auch das in schrecklicher Weise, und das ist auch ein Tod,
ja jammervoller als der Tod. Habe und Gut verlieren, heisst
ungleich weniger; nackt sind wir zur Welt gekommen, so
gehen wir auch von ihr. Gott hat es gegeben, er hat's auch
genommen — sein heiliger Name sei gepriesen immerdar.« ^
Wäre er strafbar — heisst es weiter — - würde er seine
Schuld bekennen, »denn wer seine Schuld bekennt, dem verzeihen
sowohl die Menschen als auch Gott.«* Er ist sich aber dessen
bewusst, dass er sich gegen den Fürsten und das Land mit
nichts vergangen habe, »denn — so schreibt er — es ist meine
religiöse Ueberzeugung, dass, wer sich gegen seinen Fürsten
und seine Vorgesetzten vergeht, sich auch gegen Gott vergeht.
Es ist das eine zur ewigen Verdammniss führende Sache, von
ihr fühle ich mich — der Name meines Gottes sei gelobt
dafür ! — rein vor meinem Gewissen.« Er hat sich stets an
1 Vgl Hiob 1, 21.
» Vgl. Sprüche Salomos 28, 13.
159
die Vorschrift Moses gehalten: »Du sollst Gott nicht lästern, und
nicht fluchen dem Fürsten deines Volkes.«^ Gott möge richten
zwischen ihm und zwischen seinen Anklägern! »Das Ende, das
dem Ananias und dem Saphira wegen des geraubten Geldes
ward,* und die Strafe, welche Gehasi, den Diener des Elisäus,
ob der dem Syrer Naamen abverlangten Schätze traf, komme
auch über mich, wenn ich schuldig bin; bin ich aber unschul-
dig, so komme sie über meine falschen Ankläger. Und wie
Achitophel, Absalon, oder Judas Ischariot, von wegen ihres
Verrathes geendet, so mögen auch mich, wenn ich mich eines
solchen schuldig gemacht, die Strafgerichte des Herrn treffen;
bin ich aber unschuldig, so möge dieses Gottesurtheil über
Jene kommen, die mich fälschlich anklagen.« Hierauf geht er
zu den Hainburger Friedensunterhandlungen über, erzählt den
Verrath des Palatins und der übrigen Commissäre und fährt
sodann folgendermassen fort: »Die Söhne Israels hatten, um
das Land Kanaan auszukundschaften, zwölf ihrer Vornehmsten
entsendet. Von diesen wurden zehn treulos und abtrünnig;
ihrer zwei, Josua und Kaleb, blieben treu, und der Segen Gottes
wurde ihnen, sie theilten nicht die Strafe der Verräther. Auch
ich kann mich mit gutem Gewissen vor Gott dessen rühmen:
Nie und nimmer habe ich ihre verrätherischen Absichten
getheilt!«
Dieser Brief zeigt, dass das Denken und Fühlen des
Gefangenen ganz unter dem Einflüsse der Bibel stand, und
dass die »Schriften«, die Pechi im Kerker las, die heiligen
Schriften, namentlich die des Alten Testamentes waren.
So mag er in der Einsamkeit seiner langen Gefangen-
schaft viel über die religiösen Fragen gegrübelt haben, welche
ihn schon in den Tagen seines Glückes, wie sich aus seinem
Briefwechsel mit Avitus ergibt, auch unmittelbar vor seinem
Sturze stark beschäftigt hatten. Dass er bezüglich dieser Fragen
in seinem Kerker zu endgiltigen Resultaten und theilweise
neuen Anschauungen und lieber Zeugungen gelangte, ist gewiss.
So wie er seine Freiheit wieder erlangte, sehen wir ihn ohne
Zaudern und ohne Schwanken auf dem Wege vorwärts schrei-
1 n. B. Mos. 22, 27.
* Acta Apostolor. 5, 1. flg. Für das Folgende vgl. B. D. Kon. II. 5, das.
I. 15 und IV. B. Mos. Gap. 13.
160
ten, auf dem er früher jiur zagend und unsicheren Schrittes
ging. Von jetzt ab verfolgt er unentwegt die von E6ssi ange-
gebene judaisirende Richtung, und führt diese so entschieden
weiter, dass er sich vom Christenthume immer weiter entfernt
und dem Judenthume immer mehr annähert.
Der gestürzte Reichskanzler reisst das Sabbatharierthum
mit sich auf die neue Bahn, die er nunmehr betritt, und wird
so der eigentliche Begründer des Sabbatharierthums. Eossi
hatte es verbreitet, war dessen Wikleff und Hussz, ohne gleich
letzterem als Blutzeuge zu enden: Pechi war der Luther und
Melanchthon des Sabbatharierthums, aber auch der Märtyrer
desselben
Während Pechi noch im Kerker sass, hatte der im Octo-
ber 1622 in Bistritz abgehaltene Landtag neuerdings ein stren-
ges Gesetz »gegen die dem Judaismus verstockt anhängenden
Menschen« erlassen und deren Verfolgung angeordnet.^ Bald
darauf war aber der Krieg zwischen Bethlen und Ferdinand
von neuem ausgebrochen, und der Fürst war von den grossen
politischen Plänen, die ihn beschäftigten, vollauf in Anspruch
genommen. Der Landtagsbeschluss blieb unausgeführt Von da
ab, bis zu dem am 15. November 1629 erfolgten Tode Gabriel
Bethlens, wurde nicht einmal der Versuch gemacht, gegen die
geächteten Judenzer einzuschreiten.
Auch unter Georg Räköczi, dem Nachfolger Bethlens,
blieben die Sabbatharier noch fünf Jahre hindurch vollständig un-
behelligt. Raköczi hatte am Anfange seiner Regierung alle Hände
voll zu thun, seinen Fürsten thron gegen innere und äussere Feinde
zu vertheidigen, und seine Stellung zu sichern und zu befes-
tigen. So kam es, dass er die Judenzer, die er später mit so
grausamer Härte zu unterdrücken suchte, bis zum Jahre 1635
gar nicht zu beachten schien.
Zu diesen, dem Sabbatharierthum günstigen, äussern Ver-
hältnissen kam ein Ereigniss, das zwar noch während Pechis
Gefangenschaft stattfand, aber wahrscheinlich schon von ihm
vorbereitet war.
Bethlen hatte nämlich, »um das durch viele Kriege und
die Einbrüche fremder Völker ausgesogene und verwüstete Land
durch die Einwanderung verschiedener Völker zu restauriren«,
1 Monum. Gomit. VJU. S. 108.
161
erst den aus Mähreh vertriebenen Anabaptisten Zuflucht gewährt,
und bald darauf auch den bis dahin von Siebenbürfren ausGre-
schlossenen Juden sein Land eröffnet. Den letzteren ertheilte
er »über Intervention des jüdischen Arztes in Konstantinopel,
des hochgeborenen Abraham Sasa«, am 18. Juni 1623 gewisse
Privilegien, welche durch den Landtag, sowie durch die spä-
teren Fürsten wiederholt bestätigt wurden.^ Den einwandernden
Juden wurde der Schutz des Fürsten, freier Handel mit der
Türkei und freie Religionsübung zugesichert, letztere auch
den zur Taufe gezwungenen Scheinchristen oder Ma rannen,
die »aus Spanien oder aus anderen Orten einwandern und
wünschen sollten, nach ihrem Glauben zu leben.« ^
Die auf Grund dieses Privilegienbriefes einw^andernden
türkischen Juden, die sich zumeist in Klausenburg niederliessen,
waren sogenannte S e p h a r d i m, d. h. solche, die den spanischen
Ritus befolgten, zum grossen Theile Nachkommen der 1492
aus Spanien vertriebenen Juden, die in der Türkei gastfreund-
liche Aufnahme gefunden hatten, und jetzt in Siebenbürgen
eine neue Heimath suchten. Dieser Umstand sollte dem Sabba-
tharierthum in nicht geringem Masse zu Gute kommen.
Die Sephardim repräsentirten nämlich, in gewissem
Sinne, eine Art jüdischer Aristokratie. Im Besitze alter und ruhm-
* S. Die Actenstücke in Monum. Gomit. VIII. S. 143 und 371. D. Henrique
de Gastro, Auswahl v. Grabsteinen auf d. niederl. — portugies. — Israel. —
Begräbniss zu Ouderkerk a. d. Amstel, Leyden, 1883. S. 83 hat die Grabschrift
«Clarissimi viri Abraham Gomes de Sossa.* Dieser im J. 1667 als Leibarzt
des Prinzen Ferdinand, Stalthalters der Niederlande in Amsterdam verstorbene
Abraham Sossa dürfte mit dem obenerwähnten Arzte, dem „hochgeborenen
Abraham Sassa" identisch sein, der später nach Amsterdam ausgewandert sein
mag, was bei den häufigen und engen Relationen zwischen den dortigen und
den Konstantinopler Sephardim gar nicht unwahrscheinlich ist.
* Nach dem 5. Punkte des Privilegienbriefes, der den einwandernden
Juden freie Religionsübung zusichert, folgt als 6. Punkt: „Si qui Judaeorum in
ditionibus Ghristianis degentium ex Hispaniis, aut aliis e locis in regnum
nostrum commigrare iUorumque professionem imbibere voluerint,
liberum id securumque eisdem facturum pollicemur." Diese wiederholte
Zusicherung der freien Religionsübung kann sich, namentlich in dieser Fassung,
nur auf Marannen beziehen, die etwa einwandern sollten. Diese, zumeist aus
Spanien stammenden Scheinchristen durfte damals, mit Ausnahme Hollands und
der Türkei, bei schwerer Strafe, nirgends offen zum Judenthum zurückkehren.
Das der Grund, weshalb ihnen besonders zugesichert wird, dass sie „die Reli-
gion der Juden frei und in Sicherheit" werden befolgen dürfen.
Dr Kobn: Sabbatharier. H
162
voller Traditionen, konnten sie sich auf eine grössere und g'län
zendere Verganganheit berufen als die übrigen, namentlich die
aschkenasischen, d. h. den deutschen Ritus befolgen-
den Juden, die sie zudem noch an allgemeiner Bildung, aber
auch an jüdisch religiösem Wissen überragten. Und sie w^aren
stolz darauf. Ihr sicheres, selbstbewusstes Auftreten, die alt-
spanische Grandezza, die sie sich zu bewahren wussten, ihre
vornehmen Umgangsformen und ihre gewähltere Tracht zeich-
neten sie vortheilhaft von den meisten ihrer übrigen Glaubens-
genossen aus. Ihre gesellschaftliche Stellung war, namentlich
in der Türkei, eine verhältnissmässig günstige. Es gab unter
ihnen Kaufleute, die an der Spitze grossangelegter Handels-
unternehmungen standen, hohe Staatsbeamte und sonstige bei
der Pforte einflussreiche Männer, endlich aber in hoher Achtung
stehende Aerzte, denen selbst der Sultan und seine Paschas
Gesundheit und Leben anzuvertrauen pflegten.
Nach Siebenbürgen waren sie nur unter der von Bethlen
angenommenen Bedingung gekommen, dass sie nicht zum
Tragen eines wie immer gearteten Judenabzeichens verhalten
werden dürfen, sondern überallhin in der »Tracht der Christen«
gehen können.^ »Ihr Arzt«, denn sie hatten einen solchen
mitgebracht, erhielt die Vergünstigung, im ganzen Lande
unbehelligt reisen und seine Kunst ausüben zu dürfen.^ Jener
»Judendoctor Riberius", von dem sich Bethlen in seiner letzten
Krankheit behandeln liess,^ dürfte kauni ein anderer, als der
in Rede stehende Arzt der eingewanderten Juden sein. Ausser
diesem Riberius begegnen wir, als Zeitgenossen Pechis, noch
drei anderen jüdischen Aerzten am Hofe der siebenbürgischen
Fürsten.*
* Des Privilegienbriefes 7. Punkt.
« Das. 11. Punkt.
* Johann K e m e n y, Selbstbiographie S. 138. Riberius scheint die
Latinisirung von Riberio, vielleicht von Ribeira zu sein.
* Diese jüdischenj Aerzte sind : Der zum Fürsten Bocskai berufene
Eleasar (s. ob. S. 137); der gelehrte Leon (Arje-Jehuda) Siaa, mit dem
ürkischen Namen N a s r e d-d i n T a b i b den Georg Räköczi I. um 1639 aus
Konstantinopel berief, der später, als Leibarzt dieses Fürsten, zum Christenthume
übertrat (s. Ka y s e rl i n g, Revue des etudes juives VIR. S. 85), und endlich der
jüdische Leibarzt Sinan Paschas, den der wallachische Wojwode Michael gefangen
nahm und, obwohl er 45000 Theler als Lösegeld anbot, um 1601 dem Fürsten
Sigmund Bäthori „als Geschenk zuschickte." Bezüglich des Letzteren, dessen
Namen wir nicht kennen, s. Schwarzfeld, Annuar pentru Israeliti K. S. 82-
163
Solche Juden, die noch dazu vom Fürsten selber ins
Land gerufen wurden, »um es zu restauriren«, musslen mit
?anz andern Augen angesehen Averden, als ihre seit Jahr-
hunderten schwer bedrückten und vielverachteten Glaubens-
Sfenossen in den verschiedenen Nachbarländern. Der biedere
Szekler, namentlich der Bauer, der jetzt wahrscheinlich zum
erstenmale einen Juden sah, konnte es durchaus nicht für
beschämend halten »Judenzer« genannt zu werden. Der ein-
gewanderte türkisch-jüdische Kaufmann, oder der an das
Krankenbett des Fürsten berufene »Judendoctor« stand gesell-
schaftlich und geistig hoch über ihm. Was Wunder, dass er
bereitwillig seinen Lehrmeister in ihm erkannte, zumal, Wv nn
ihm der Jude, wie es von Seiten des Sabbatharierthums geschah,
als solcher hingestellt wurde.
Unter solchen Umständen haben die eingewanderten tür-
kischen Juden einen entscheidenden Einfluss auf das religiöse
und geistige Leben des Sabbatharierthums geübt. Von ihnen über-
nahm es den spanisch-jüdischen (sephardischen) Ritus, welchen
es bis ans Ende festgehalten hat; von ihnen das Schriftthum,
das von jetzt ab den Ausgangspunkt seines eigenen bildete.
Die siebenbürgischen Judenzer hatten es nicht mehr nöthig,
sich einen jüdischen Kalender mit vieler Mühe und grossen
Kosten aus Konstantinopel bringen zu lassen. Sie brauchten
5ich jetzt blos an ihre neuen jüdischen Nachbarn zu wenden,
im mit Leichtigkeit zu den wichtigsten jüdischen Schrift-
verken zu gelangen. Wie wir sehen werden, haben sie diese
rute Gelegenheit auch eifrig und mit Erfolg benützt.
Pechis geheime Thätigkeit im Dienste des
Sabbatharierthums. Seine Uebersetzung und
Erklärung der Psalmen.
m
Die erste, gleichsam vorbereitende Periode in der Geschichte
es Sabbatharierthums schliesst, indem sich die Kerkerthüren
ffnen, hinter welchen Pechi dreieinhalb Jahre geschmachtet
atte, und es beginnt die zweite, ihrer Zeitdauer nach kürzeste,
irem Inhalte und ihren Folgen nach wichtigste Periode dieser
leschichte, die fast ausschliesslich von dem ferneren Leben
nd Wirken dieses Mannes ausgefüllt wird. Neben seiner her-
11*
164
vorragenden, in ihrer Eigenart grossen Gestalt, verschwinden
alle übrigen, die im Sabbatharierthum dieser Zeit noch eine
Rolle spielen. Die neue Religion hat ihre kurze Blüthezeit
einzig und allein ihm zu verdanken; er allein schafft die feste
Grundlage, auf welcher sie, allen Unterdrückungen und Ver-
folgungen trotzend, sich noch zweieinhalb Jahrhunderte und, in
einigen kümmerlichen Ueberresten, sogar bis zum heutigen Tage
erhalten konnte.
Pechi hat, sowie er seine Freiheit wiedererlangte, die
Sache des Sabbatharierthums mit Eifer aufgegriffen. In seinem
Dorfe internirt und von der Welt abgeschlossen, weihte er
ihr seine von politischen Geschäften nicht mehr in Anspruch
genommene Zeit, und stellte seine frei gewordene Kraft fast
ausschliesslich in den Dienst seiner religiösen Bestrebungen.
Doch musste er zunächst noch mit einer gewissen Behutsamkeit
vorgehen; er durfte es noch nicht wagen, öffentlich als Apostel
des Sabbatharierthums aufzutreten.
Zu dieser vorsichtigen Zurückhaltung bestimmten ihn
wichtige Umstände und Rücksichten. Der vordem reiche Mann
lebte in beschränkten, fast ärmlichen Verhältnissen. Seine ver-
storbene Frau hatte ihm sechs, vielleicht noch mehr Kinder
zurückgelassen, von welchen, als er aus der Gefangenschaft
nachhause kam, das älteste fünfzehn, das jüngste kaum vier
Jahre alt sein mochte.^ Zu ihrer Erhaltung, Erziehung und Ver-
sorgung besass er weiter nichts, als das Erträgniss des Szent-
Erzsebeter Besitzes, und auch das hatte er der Gnade Bethlens
zu verdanken. Dieser hegte aber noch immer bittern Groll
gegen seinen einstigen Kanzler. Wohl erwies er den Kindern
desselben gerade jetzt manche Gnade; Pechis zweite Tochter,
Elisabeth, ernannte er sogar zum dienstthuenden HofTräulein
* Pechi heirathete i. J. 1608, seine Frau, Judith, starb am 19. Januar
1621 (ob. S. 142), u. z. im Wochenbette. Das acht Tage vor ihrem Tode gebo-
rene Kind blieb am Leben, war daher im November 1624, als Pechi seine
Freiheit erlangte, noch nicht ganz vier Jahre alt; s. Radecz, Funebris laudatio
u. s. w. S. 19 und 23. Judith hinterliess zum mindesten zwei Söhne, denn
der an ihrer Bahre gehaltene Nachruf (Radecz, a. a. 0. S. 22) hebt ,dain
extinctae matris teneras hasce Alias, dum parvos ipsius filios" hervor. Einer
derselben erhielt, nach dem testamentarischen Berichte Orbäns, in seinem 18.
Lebensjahre von einem scheu gewordenen Pferde einen tödtlichen Hufschlag.
Ausserdem kennen wir noch vier ältere Tochter Pechis, von welcher später
die Rede sein wird.
165
der Fürstin, und bedachte sie nachmals in seinem Testamente
mit einem beträchtlichen Legate.^ Das geschah aber oflenbar
nur aus Rücksicht auf die angesehene Familie der Kornis,
der diese Kinder mütterlicherseits entstammten, namentlich
über Verwendung der Stiefgrossmutter derselben, der auch
ihm verwandten Christina Bethlen. Gegen Pechi selber blieb
er unerbittlich. Der misstrauische Fürst hatte seinem einstma-
ligen^ Günstling nie verzeihen können, und dieser hatte gegrün-
dete Ursache nichts zu thun, was den Unversöhnlichen, dessen
Grimm er schon einmal schwer fühlen musste, von neuem
hätte reizen können.
So hat sich denn Pechi bis zum Tode Bethlens, also noch
fünf Jahre lang, wohlweislich gehütet, öffentlich als Judenzer
aufzutreten. Er beschränkte sich darauf, die Sache des Sabba-
tharierthums möglichst geräuschlos, dafür al)er um so eifriger
und hingebender zu fördern.
Eine seiner ersten Sorgen war die Anlegung einer jüdi-
schen Bibliothek. Einen Theil derselben mag er noch in den
Tagen seines Glückes angeschafft haben ;2 seine meisten heb-
räischen Bücher erwarb er aber erst jetzt, zum Theil vielleicht
nur leihweise, von den mittlerweile eingewanderten türkischen
Juden. Diese für die damaligen Verhältnisse ungewöhnlich reich-
haltige Bibliothek umfasste, wie sich aus den von Pechi benutz-
ten und angeführten Büchern ergibt, neben Bibeln und den ver-
schiedenen Bibelübersetzungen, die meisten namhafteren Erzeug
nisse der Talmud- und Midrasch-, sowie der späteren rabbinischen
Literatur. Sie ist, als Pechi später wegen Judenzerei der Pro-
zess gemacht wurde, zum grossen Theil confiscirt worden; der
Rest wurde seinen Erben von plündernden Soldaten geraubt.^
* Joseph Koncz, Bethlen Gabor fejedelera vegrendelete (Das Testament
(1. Fürsten G. Bethlen) S. 77. Ausserdem erhielt Elisabeth und ihr jüngerer
Bruder drei von den confiscirten Gütern ihres Vaters (Koncz das.) Später verlobte
sie Bethlen mit Gabriel Mindszenti, einem seiner Getreuen, mit welchem sie
nach Bethlens Tode, von dessen Witwe Katharine von Brandenburg, im Fürsten-
palaste standesgemäss vermalt wurde. Die zu ihrer Hochzeit im Namen der
Fürstin Witwe ausgegebene . Einladung s. bei Alexander Szilagyi, Sz6kely-
egryleti kepes naptar (Illustrirt,er Kalender des Szekler-Vereins) II. Jahrg. (1883^ S. 80.
■ Es sei nur an den jüdischen Kalender erinnert, den P6chi aus KonstRn-
linopel, so wie an das Buch des Avitus, das er aus Wittenberg kommen liess,
K ob. S. 154 flg.
•Unter den gelegentlich derDe6ser Gerichtsverhandlung confiscirten sabbatha-
lischen Büchern befanden sich unzweifelhaft auch die P6chis ; das noch vorhan-
166
Mit den nöthigen wissenschaftlichen Behelfen reichlich
versehen, ging nun Pechi unverweilt ans Werk und begann
ganz allein, jene eigenartige, ihrem Inhalte und Umfange nach
gleich bedeutende Literatur zu schaffen, welcher das Sabbatha-
rierthum in Siebenbürgen sein Aufblühen, seine einheitliche
Liturgie und die Bedingungen seines mehrhundertjährigen
Bestandes verdankte. In der Zeit zwischen seiner Befreiuncr
aus dem Kerker und dem Tode Bethlens (Ende 1624 bis
November 1629) entstand, unter anderem, Pechis in wissen-
schaftlicher Beziehung bedeutendstes Werk : die Ueber-
setzung und Erklärung der Psalmen.«^
Von diesen Psalmen, die während der Blüthezeit des
Sabbatharierthums in zahlreichen Abschriften cursirten und
während der häuslichen Andacht, sowie als Erbauungsbuch, viel
gelesen wurden,^ hat sich nur ein einziges vollständiges Exem-
plar erhalten, das aber zum grösseren Theile von Pechis
eigener Hand geschrieben ist, welche auch die übrigen Theile
sorgfältig corrigirt hat.^ Einzelne Psalmen, die das sabbatha-
dene Verzeichniss seiner damals mit Beschlag belegten beweglichen Güter
s. Tört. Tär 1887. S. 713) dürfte wahrscheinlich auch die Liste seiner Bücher
enthalten. Ein Theil seiner Bibliothek, darunter auch sein oben (S. 133) erwähnte^
Tagebuch, gelangte später in den Besitz seines Urenkels, des Baron Alexiu?
Orbän, dem diese , kostbaren Bücher," nach seinen mehrfach erwähnten testa-
mentarischen Aufzeichnungen, „zur Zeit der Räköczy-Revolution von dem General
Graven aus der Kirche von György-Szent-Miklös geraubt wurden."
^ Aus dem weiter unten mitgetheilten Titelblatt ergibt sich, dass mit der
Abschrift des betreffenden Exemplars am 23. September 1629 begonnen
wurde. Pechis Psalmen waren also damals bereits vollendet. Anderseits dankt
P6chi in einer Anmerkung zu Psalm 107, 31 „dem Gotte Jacobs, der — so sagt
er — mich aus meinem Gefängnis s, aus meiner dreieinhalb-
jährigen Kerkerhaft befreit hat." Daraus folgt, dass P6chi erst nach
seiner Befreiung, also nach dem Novemb. 1624, seine Psalmen schrieb, die
demnach zwischen 1625 und 1629 entstanden sind. Dass noch mehrere andere
Schriften Pechis, deren Entstehungszeit sich nicht feststellen lässt, zwischen
1624 und 1629 verfasst worden sind, ist gewiss. Die zahlreichen, zum Theil sehr
umfangreichen Werke, die wir ausser den Psalmen von P6chi besitzen, können
unmöglich alle erst nach 1629 geschrieben worden sind.
* In einem Trostschreiben, das Pechi an seine schwer erkrankte Tochter
richtet, ermahnt er sie, Gott um Hilfe anzuflehen und aus seiner Psalmenäber-
setzung die vier Psalmen 38—41 zu lesen ; s. den Brief, Protest. Egyh. es Ist,
Lap 1880. S. 269.
* Die in der Bibliothek des unitarischen Obergymnasiums zu Szekely-
Keresztür befindliche Handschrift ist mir in entgegenkommendster Weise zur
167
rische Gebetbuch aufgenommen hat, finden sich in jedem
Exemplare desselben.
Die Uebersetzung hat sich die möglichst treue Wieder-
gabe des hebräischen Textes zur Aufgabe gestellt, verräth aber
dabei ein feines Gefühl für die Schönheiten desselben, auf
welche in den Anmerkungen nicht selten aufmerksam gemacht
wird.^ In dem kernigen Szekler Magyarisch vom Anfang des
XVII. Jahrhunderts findet sie in der Regel den entsprechenden
Ausdruck für den Geist und den Gedankengang der Psalmeir,
am trefiendsten an jenen Stellen, in welchen Siegesjubel oder
Verzweiflung laut wird, oder Drohungen und Verwünschungen
grollen. Pechi hat bei den leidenschaftlichen Ausbrüchen des
Psalmendichters, die sich gegen Ammon, Moab, Babel und die
übrigen Heiden kehren, welche Israel bedrängen und zer-
fleischen, offenbar an die »Ungläubigen« gedacht, welche das
Sabbatharierthum unterdrücken und verfolgen, und ihm selber
so bitter wehe gethan haben. Den weichen, innigen Ton der
Andacht, des Dankes und der Seelenfreude vermag er weniger
zu treffen.
Ungleich interessanter und wichtiger als die Uebersetzung
sind die oft umfangreichen Anmerkungen, welche sie, in klei-
nerer Schrift, in der Regel gleich einem Rahmen umgeben.
Diese Anmerkungen suchen vor allem festzustellen, wann ,
durch wen und aus welchem Anlasse die einzelnen Psalmen
geschrieben wurden, was ihr Inhalt ist und welche Tendenz
Benützung überlassen worden. Der erste, grössere Theil derselb en zeigt Pechis
aus zahb'eichen Briefen und sonstigen Schriften wohlbekannte, characte ristische
Schrift und in den Anmerkungen, die oft hebräische Worte und Sätze enthalten,
mit schneller und sicherer Hand geschriebene hebräische Quadratbuchstaben.
Das Titelblatt, des gleich dem letzten Theile der Handschrift von dem Gopisten
Pechis, Johannes Beth herrührt, lautet vollständig :
«Psalterium cum explicationibus vocum non cujlibet obviarum ex Hebraica
Veritate Hungarice translatum per Magnif. D. Simonem Pechium"
.Initium describendi sumpsi cum Anni praesentis Millesimi vc. (= videlicet)
sexcentesimi vigesimi noni secundum numerationem Ghristianorum Mensis
Septembr. 23. die, sequenti sei. (= scilicet) die sol. post Jejuniam Godolia"
(bekanntlich ein Fasttag, der unmittelbar auf des jüd. Neujahrsfest folgt.)
„Laus Deo semper et ubique
et dicat ois (= omnis) populus Amen."
Am Schlüsse der Handschrift: ,S. P. Translator" darunter „Finivit J. B."
(d. h. Joannes Beth.)
* S. z. B. die Anm. zum Anfange der Psalmen 104 und 145.
168
sie verfolgen. Sodann erklären sie die grammatischen For-
men des hebräischen Urtextes, weisen auf sachliche und
sprachliche Schwierigkeiten hin und versuchen deren Lösung.
Sie rechtfertigen die Treue der Uebersetzung und die Rich-
tigkeit der Auffassung, die in ihr zum Ausdruck gelangt; sie
polemisiren, ertheilen gute Rathschläge und moralische Lehren,
ermahnen und tadeln, und das alles in der Sprache tiefinniger
Gläubigkeit und unerschütterlicher Ueberzeugung.
Diese Anmerkungen, die eine Fülle linguistischer, cultur-
und religionsgeschichtlicher Notizen enthalten, zeigen den
bedeutenden wissenschaftlichen Apparat, mit welchem Pechi
gearbeitet hat. Er beruft sich in ihnen auf die Bücher des
Alten und des Neiien Testamentes, auf die alten chaldäischen
Bibelübersetzungen (Targumim), auf die Vulgata und auf Jose-
phus, auf Sebastian Münster, dessen Psalmencommentar er
mitunter benutzt,^ am häufigsten aber auf die nachbiblische
jüdische Literatur. Aus dem Talmud, den er häufig citirt,
übersetzt er mitunter umfangreiche Stücke, die er, nach jüdi-
schem Brauche, einfach mit den Worten, »es sagen«, oder »es
erklären die Weisen«^ einzuleiten pflegt, in der Regel ohne die
Quelle genauer anzugeben. Aehnlich benützt er die verschie-
denen Midrasch-Werke, namentlich den zu den Psalmen geschrie-
benen Midrasch S chochar-tob;' fast auf jede Seite beruft er
sich wiederholt auf jüdische Bibelerklärer, auf Hai Gaon, Rabbi
Salomo Jizchaki (Raschi), Ibn-Jachja,^ am häufigsten aber auf
den »weisen Kimchi«,^ dessen Psalmencommentar, den er nicht
selten wörtlich wiedergiebt, für ihn in der Regel massgebend
ist. Zu den Namen dieser jüdischen Autoritäten pflegt er nach
dem bekannten jüdischen Brauche hinzuzufügen: »Friede über
ihn«, oder »Friede ruhe auf ihm!« •
Pechi entwickelte in diesem Buche auf dem gesammten
Gebiete der jüdisch-theologischen Literatur eine Belesenheit
und Sachkenntniss, die selbst einem damals lebenden gelehrten
* Am Schlüsse der Anm. zu Ps. 119, 1Ö6: „Munsteri opere implevi;»
vgl. noch die Anm. zu 27, 17.
^ Nur ausnahmsweise nennt er sie die ^jüdischen Weisen.*
3 Den Schochar-tob pflegt er, ohne ihn als Quelle zu bezeichnen,
^als die Erklärung der Weisen* auch an solchen Stellen zu citiren, wo kein
einziger jüdischer Gommentator ihn anführt; ein Beweis, dass Pöehi speciell,
diesen Midrasch selbstständig benützt hat.
169
Rabbiner zur Ehre gereichen würde. Andererseits aber zeigt
er, eben weil er vollständig unter dem Einflüsse der jüdischen
Literatur steht, in seiner Auffassung und Erklärung der
Psalmen eine bemerkenswerthe Unselbstständigkeit. .In der
Regel acceptirt er die Ansicht irgend eines älteren jüdischen
Bibelexegeten, oder er führt mehrere solcher Ansichten an,
die er mit einander in Einklang zu bringen sucht; nicht selten
bezeichnet er die eine oder die andere als die »wahrschein-
lichere«, oder »geradere« und daher am annehmbarsten schei-
nende. Eine selbstständige Meinung äussert er nur in einigen
seltenen Fällen, wo er eine Psalmenstelle auf (irund der damals
gang und gäben naturwissenschaftlichen oder astronomischen
Anschauungen zu erklären sucht J
Wie seinem altern Zeitgenossen Hogäthi (ob. S. 80) ist
Christus auch ihm kein Eigennamen, sondern einfach di;^
recipirte Uebersetzung des hebräischen m a s c h i a c h, also
»der Gesalbte« im allgemeinen. In diesem Sinne ist ihm aucli
König David »Christus« und »Messias«, so wie Jeder, auf den
er, den jüdischen Exegeten folgend, das Textwort »ma-
schiach bezieht.^ Nur auf Jesus will er dieses Wort nicht
angewendet wissen.
Die Psalmen, welche die Kirche auf Jesus bezieht, erkliirt
er sammt und sonders im Sinne der Juden, als auf König-
David, auf das Volk Israel, oder auf dessen einstigen Erlöser
sich beziehend. Mit besonderer Aufmerksamkeit behandelt er
jene Stellen, in welchen die Kirche Ilinweisungen auf Jesus
Martertod und seine Göttlichkeit erblickt. Ohne sich je in eine
directc Polemik einzulassen, sucht er alle diese Stellen so zu
erklären, dass sie mit der christlichen Auffassung nichts gemein
haben, ja dieser geradezu widersprechen.^ Bloss hie und da
w^agt er es, einige christliche Bräuche mehr oder minder offen
anzugreifen.*
» Vgl. besonder die Anmerkungen zu Ps. 104.
* S. z. B. die erste und letzte Anm. zu Ph. 2.
» S. z. B. die Anmerkungen zu Ps. 2 und 22 ; vgl. die Anm. zu P?.
8, 16, 41, 45, 46, 72 u. s. w.
* So Ps. 122, 4, wo er bemerkt, dass die Juden im Tempel zu Jerusalem
, nicht dem Priester, überhaupt keinem Menschen, sondern nur dem einen Gott
gebeichtet haben; ferner Ps. 95, 6: Jn der Bibel lesen wir von dem Erheben
und Ausbreiten der Hände (während des Gebetes), aber von dem Falten der
165
«
der Fürstin, und bedachte sie nachmals in seinem Testamente
mit einem beträchtlichen Legate.^ Das geschah aber offenbar
nur aus Rücksicht auf die angesehene Familie der Komis,
der diese Kinder mütterlicherseits entstammten, namentlich
über Verwendung der Stiefgrossmutter derselben, der auch
ihm verwandten Christina Bethlen. Gegen Pechi selber blieb
er unerbittlich. Der misstrauische F'ürst hatte seinem einstma-
ligen^ Günstling nie verzeihen können, und dieser hatte gegrün-
dete Ursache nichts zu thun, was den Unversöhnlichen, dessen
Grimm er schon einmal schwer fühlen musste, von neuem
hätte reizen können.
So hat sich denn Pechi bis zum Tode Bethlens, also noch
fünf Jahre lang, wohlweislich gehütet, öffentlich als Judenzer
aufzutreten. Er beschränkte sich darauf, die Sache des Sabba-
tharierthums möglichst geräuschlos, dafür al)er um so eifriger
und hingebender zu fördern.
Eine seiner ersten Sorgen war die Anlegung einer jüdi-
schen Bibliothek. Einen Theil derselben mag er noch in den
Tagen seines Glückes angeschafft haben ;2 seine meisten heb-
räischen Bücher erwarb er aber erst jetzt, zum Theil vielleicht
nur leihweise, von den mittlerweile eingewanderten türkischen
»Juden. Diese für die damaligen Verhältnisse ungewöhnlich reich-
haltige Bibliothek umfasste, wie sich aus den von Pechi benutz-
ten und angeführten Büchern ergibt, neben Bibeln und den ver-
^'chiedenen Bibelübersetzungen, die meisten namhafteren Erzeug
nisse der Talmud- und Midrasch-, sowie der späteren rabbinischen
Literatur. Sie ist, als Pechi später wegen Judenzerei der Pro-
zess gemacht wurde, zum grossen Theil confiscirt worden; der
Rest wurde seinen Erben von plündernden Soldaten geraubt.^
* Joseph Koncz, Bethlen Gabor fejedelera vegrendelete (Das Testament
<i. Fürsten G. Bethlen) S. 77. Ausserdem erhielt Elisabeth und ihr jüngerer
Bruder drei von den confiscirten Gütern ihres Vaters (Koncz das.) Später verlobte
sie Bethlen mit Gabriel Mindszenti, einem seiner Getreuen, mit welchem sie
nach Bethlens Tode, von dessen Witwe Katharine von Brandenburg, im Fürsten-
palaste standesgemäss vermalt wurde. Die zu ihrer Hochzeit im Namen der
Fürstin Witwe ausgegebene . Einladung s. bei Alexander Szilägyi, Sz6kely-
egyleti kepes naptär (Illustrirter Kalender des Szekler-Vereins) II. Jahrg." (1883; S. 80.
* Es sei nur an den jüdischen Kalender erinnert, den Pechi aus Konstan-
tinopel, so wie an das Buch des Avitus, das er aus Wittenberg kommen liess,
i-. ob. S. 154 flg.
* Unter den gelegentlich derDeeser Gerichtsverhandlung confiscirten sabbatlia-
lij'chen Büchern befanden sich unzweifelhaft auch die Pechis ; das noch vorhan-
166
Mit den nöthigen wissenschaftlichen Behelfen reichlich
versehen, ging nun Pechi unverweilt ans Werk und begann
ganz allein, jene eigenartige, ihrem Inhalte und Umfange nach
gleich bedeutende Literatur zu schaffen, welcher das Sabbatha-
rierthum in Siebenbürgen sein Aufblühen, seine einheitliche
Liturgie und die Bedingungen seines mehrhundertjährigen
Bestandes verdankte. In der Zeit zwischen seiner Befreiung
aus dem Kerker und dem Tode Bethlens (Ende 1624 bis
November 1629) entstand, unter anderem, Pechis in wissen-
schaftlicher Beziehung bedeutendstes Werk: die Ueber-
setzung und Erklärung der Psalmen.«^
Von diesen Psalmen, die während der Blüthezeit des
Sabbatharierthums in zahlreichen Abschriften cursirten und
während der häuslichen Andacht, sowie als Erbauungsbuch, viel
gelesen wurden,^ hat sich nur ein einziges vollständiges Exem-
plar erhalten, das aber zum grösseren Theile von Pechis
eigener Hand geschrieben ist, welche auch die übrigen Theile
sorgfältig corrigirt hat.» Einzelne Psalmen, die das sabbatha-
dene Verzeichniss seiner damals mit Beschlag belegten beweglichen Güter
s. Tört. Tär 1887. S. 713) dürfte wahrscheinlich auch die Liste seiner Bücher
enthalten. Ein Theil seiner Bibliothek, darunter auch sein oben (S. 133) erwähnte?
Tagebuch, gelangte später in den Besitz seines Urenkels, des Baron Alexiu<
Orban, dem diese „kostbaren Bücher," nach seinen mehrfach erwähnten testa-
mentarischen Aufzeichnungen, ,zur Zeit der Bäköczy-Revolution von dem General
Graven aus der Kirche von György-Szent-Miklös geraubt wurden."
^ Aus dem weiter unten mitgetheilten Titelblatt ergibt sich, dass mit der
Abschrift des betreffenden Exemplars am 23. September 1629 begonnen
wurde. Pechis Psalmen waren also damals bereits vollendet. Anderseits dankt
P6chi in einer Anmerkung zu Psalm 107, 31 „dem Gotte Jacobs, der — so sagt
er — mich aus meinem Gefängnis s, aus meiner dreieinhalb-
jährigen Kerkerhaft befreit hat." Daraus folgt, dass P6chi erst nach
seiner Befreiung, also nach dem Novemb. 1624, seine Psalmen schrieb, die
demnach zwischen 1625 und 1629 entstanden sind. Dass noch mehrere andere
Schriften Pechis, deren Entstehungszeit sich nicht feststellen lässt, zwischen
1624 und 1629 verfasst worden sind, ist gewiss. Die zahlreichen, zum Theil sehr
umfangreichen Werke, die wir ausser den Psalmen von P6chi besitzen, können
unmöglich alle erst nach 1629 geschrieben worden sind.
* In einem Trostschreiben, das Pe^hi an seine schwer erkrankte Tochter
richtet, ermahnt er sie, Gott um Hilfe anzuflehen und aus seiner Psalmenüber-
setzung die vier Psahnen 38—41 zu lesen ; s. den Brief, Protest. Egyh. 6s Isk.
Lap 1880. S. 269.
8 Die in der Bibliothek des unitarischen Obergymnasiums zu Szekely-
Keresztür befindliche Handschrift ist mir in entgegenkommendster Weise zur
167
fische Gebetbuch aufgenommen hat, finden sich in jedem
Exemplare desselben.
Die Uebersetzung hat sich die möglichst treue Wieder-
gabe des hebräischen Textes zur Aufgabe gestellt, verräth aber
dabei ein feines Gefühl für die Schönheiten desselben, auf
welche in den Anmerkungen nicht selten aufmerksam gemacht
wird.^ In dem kernigen Szekler Magyarisch vom Anfang des
XVII. Jahrhunderts findet sie in der Regel den entsprechenden
Ausdruck für den Geist und den Gedankengang der Psalmeir,
am treffendsten an jenen Stellen, in welchen Siegesjubel oder
Verzweiflung laut wird, oder Drohungen und Verwünschungen
grollen. Pechi hat bei den leidenschaftlichen Ausbrüchen des
Psalmendichters, die sich gegen Ammon, Moab, Babel und die
übrigen Heiden kehren, welche Israel bedrängen und zer-
fleischen, offenbar an die »Ungläubigen« gedacht, welche das
Sabbatharierthum unterdrücken und verfolgen, und ihm selber
so bitter wehe gethan haben. Den weichen, innigen Ton der
Andacht, des Dankes und der Seelenfreude vermag er weniger
zu treffen.
Ungleich interessanter und wichtiger als die Uebersetzung
sind die oft umfangreichen Anmerkungen, welche sie, in klei-
nerer Schrift, in der Regel gleich einem Rahmen umgeben.
Diese Anmerkungen suchen vor allem festzustellen, wann ,
durch wen und aus welchem Anlasse die einzelnen Psalmen
geschrieben wurden, was ihr Inhalt ist und welche Tendenz
Benützung überlassen worden. Der erste, grössere Theil derselb en zeigt Pechis
aus zahlreichen Briefen und sonstigen Schriften wohlbekannte, characte ristische
Schrift und in den Anmerkungen, die oft hebräische Worte und Sätze enthalten,
mit schneller und sicherer Hand geschriebene hebräische Quadratbuchstaben.
Das Titelblatt, des gleich dem letzten Theile der Handschrift von dem Gopisten
P6chis, Johannes Beth herrührt, lautet vollständig :
«Psalterium cum explicationibus vocum non cujlibet obviarum ex Hebraica
Veritate Hungarice translatum per Magnif. D. Simonem Pechium"
,Initium describendi sumpsi cum Anni praesentis Millesimi vc. (= videlicet)
sexcentesimi vigesimi noni secundum numerationem Ghristianorum Mensis
Septembr. 23. die, sequenti sei. (= scilicet) die sol. post Jejuniam Godolia"
(bekanntlich ein Fasttag, der unmittelbar auf des jüd. Neujahrsfest folgt.)
„Laus Deo semper et ubique
et dicat ois (= omnis) populus Amen."
Am Schlüsse der Handschrift: ,S. P. Translator" darunter „Finivit J. B."
(d. h. Joannes Beth.)
* S. z. B. die Anm. zum Anfange der Psalmen 104 und 145.
168
sie verfolgen. Sodann erklären sie die grammatischen For-
men des hebräischen Urtextes, weisen auf sachliche und
sprachliche Schwierigkeiten hin und versuchen deren Lösung.
Sie rechtfertigen die Treue der Uebersetzung und die Rich-
tigkeit der Auflassung, die in ihr zum Ausdruck gelangt; sie
polemisiren, ertheilen gute Rathschläge und moralische Lehren,
ermahnen und tadeln, und das alles in der Sprache tiefinniger
Gläubigkeit und unerschütterlicher Ueberzeugung.
Diese Anmerkungen, die eine Fülle linguistischer, cultur-
und religionsgeschichtlicher Notizen enthalten, zeigen den
bedeutenden wissenschaftlichen Apparat, mit welchem Pechi
gearbeitet hat. Er beruft sich in ihnen auf die Bücher des
Alten und des Neuen Testamentes, auf die alten chaldäischen
Bibelübersetzungen (Targumim), auf die Vulgata und auf Jose-
phus, auf Sebastian Münster, dessen Psalmencommentar er
mitunter benutzt,^ am häufigsten aber auf die nachbiblische
jüdische Literatur. Aus dem Talmud, den er häufig citirt,
übersetzt er mitunter umfangreiche Stücke, die er, nach jüdi-
schem Brauche, einfach mit den Worten, »es sagen«, oder »es
erklären die Weisen«^ einzuleiten pflegt, in der Regel ohne die
Quelle genauer anzugeben. Aehnlich benützt er die verschie-
denen Midrasch- Werke, namentlich den zu den Psalmen geschrie-
benen Midrasch Schochar-tob;^ fast auf jede Seite beruft er
sich wiederholt auf jüdische Bibelerklärer, auf Hai Gaon, Rabbi
Salomo Jizchaki (Raschi), Ibn-Jachja,^ am häufigsten aber auf
den »weisen Kimchi«,^ dessen Psalmencommentar, den er nicht
selten wörtlich wiedergiebt, für ihn in der Regel massgebend
ist. Zu den Namen dieser jüdischen Autoritäten pflegt er nach
dem bekannten jüdischen Brauche hinzuzufügen: »Friede über
ihn«, oder »Friede ruhe auf ihm!«
Pechi entwickelte in diesem Buche auf dem gesammten
Gebiete der jüdisch-theologischen Literatur eine Belesenheit
und Sachkenntniss, die selbst einem damals lebenden gelehrten
* Am Schlüsse der Anm. zu Ps. 119, 166: »Munsteri opere implevi;'
vgl. noch die Anm. zu 27, 17.
2 Nur ausnahmsweise nennt er sie die ^jüdischen Weisen."
3 Den Schochar-tob pflegt er, ohne ihn als Quelle zu bezeichnen,
,,als die Erklärung der Weisen* auch an solchen Stellen zu citiren, wo kein
einziger jüdischer Gommentator ihn anfuhrt; ein Beweis, dass P6«hi speciell,
diesen Midrasch selbstständig benützt hat.
169
Rabbiner zur Ehre gereichen würde. Andererseits aber zeigt
er, eben weil er vollständig unter dem Einflüsse der jüdischen
Literatur steht, in seiner Auffassung und Erklärung der
Psalmen eine bemerkenswerthe UnSelbstständigkeit. .In der
Regel acceptirt er die Ansicht irgend eines älteren jüdischen
Bibelexegeten, oder er führt mehrere solcher Ansichten an,
die er mit einander in Einklang zu bringen sucht; nicht selten
bezeichnet er die eine oder die andere als die »wahrschein-
lichere«, oder »geradere« und daher am annehmbarsten schei-
nende. Eine selbstständige Meinung äussert er nur in einigen
seltenen Fällen, wo er eine Psalmenstelle auf (Irund der damals
gang und gäben naturwissenschaftlichen oder astronomischen
Anschauungen zu erklären sucht. ^
Wie seinem altern Zeitgenossen Bogathi (ob. S. 80) ist
Christus auch ihm kein Eigennamen, sondern einfach di;^
recipirte Uebersetzung des hebräischen maschiach, also
»der Gesalbte« im allgemeinen. In diesem Sinne ist ihm aucli
König David »Christus« und »Messias«, so wie Jeder, auf den
er, den jüdischen Exegeten folgend, das Textwort »m a -
schiach bezieht.^ Nur auf Jesus will er dieses Wort nicht
angewendet wissen.
Die Psalmen, welche die Kirche auf Jesus l)ozioht, erkUirt
er sammt und sonders im Sinne der Juden, als auf König
David, auf das Volk Israel, oder auf dessen einstigen Erlöser
sich beziehend. Mit besonderer Aufmerksamkeit behandelt er
jene Stellen, in welchen die Kirche Hinweisungen auf Jesus
Martertod und seine Göttlichkeit erblickt. Ohne sich je in eine
directo Polemik einzulassen, sucht er alle diese Stellen so zu
erklären, dass sie mit der christlichen Auffassung nichts gemein
haben, ja dieser geradezu widersprechen.^ Bloss hie und da
wagrt er es, einige christliche Bräuche mehr oder minder offen
anzugreifen.*
1 Vgl. besonder die Anmerkungen zu Ps. 104.
« S. z. B. die erste und letzte Anm. zu Ps. 2.
3 S. z. B. die Anmerkungen zu Ps. 2 und 22 ; vgl. die Anm. zu P:?.
8, 16, 41, 45, 46, 72 u. s. w.
* So Ps. 122, 4, wo er bemerkt, dass die Juden im Tempel zu Jerusalem
, nicht dem Priester, überhaupt keinem Menschen, sondern nur dem einen Gott
gebeichtet haben; ferner Ps. 95, 6: Jn der Bibel lesen wir von dem Erheben
und Ausbreiten der Hände (während des Gebetes), aber von dem Falten der
160
ten, auf dem er früher jiur zagend und unsicheren Schrittes
ging. Von jetzt ab verfolgt er unentwegt die von Eössi ange-
gebene judaisirende Richtung, und führt diese so entschieden
weiter, dass er sich vom Christenthume immer weiter entfernt
und dem Judenthume immer mehr annähert.
Der gestürzte Reichskanzler reisst das Sabbatharierthum
mit sich auf die neue Bahn, die er nunmehr betritt, und wird
so der eigentliche Begründer des Sabbatharierthums. Eössi
hatte es verbreitet, war dessen Wikleff und Hussz, ohne gleich
letzterem als Blutzeuge zu enden: Pechi war der Luther und
Melanchthon des Sabbatharierthums, aber auch der Märtyrer
desselben
Während Pechi noch im Kerker sass, hatte der im Octo-
ber 1622 in Bistritz abgehaltene Landtag neuerdings ein stren-
ges Gesetz »gegen die dem Judaismus verstockt anhängenden
Menschen« erlassen und deren Verfolgung angeordnet.^ Bald
darauf war aber der Krieg zwischen Bethlen und Ferdinand
von neuem ausgebrochen, und der Fürst war von den grossen
politischen Plänen, die ihn beschäftigten, vollauf in Anspruch
genommen. Der Landtagsbeschluss blieb unausgeführt. Von da
ab, bis zu dem am 15. November 1629 erfolgten Tode Gabriel
Bethlens, wurde nicht einmal der Versuch gemacht, gegen die
geächteten Judenzer einzuschreiten.
Auch unter Georg Rdköczi, dem Nachfolger Bethlens,
blieben die Sabbatharier noch fünf Jahre hindurch vollständig un-
behelligt. Räköczi hatte am Anfange seiner Regierung alle Hände
voll zu thun, seinen Fürsten thron gegen innere und äussere Feinde
zu vertheidigen, und seine Stellung zu sichern und zu befes-
tigen. So kam es, dass er die Judenzer, die- er später mit so
grausamer Härte zu unterdrücken suchte, bis zum Jahre 1635
gar nicht zu beachten schien.
Zu diesen, dem Sabbatharierthum günstigen, äussern Ver-
hältnissen kam ein Ereigniss, das zwar noch während Pechis
Gefangenschaft stattfand, aber wahrscheinlich schon von ihm
vorbereitet war.
Bethlen hatte nämlich, »um das durch viele Kriege und
die Einbrüche fremder Völker ausgesogene und verwüstete Land
durch die Einwanderung verschiedener Völker zu restauriren«,
1 Monum. Gomit. VJII. S. 108.
161
erst den aus Mähren vertriebenen Anabaptisten Zuflucht gewährt,
und bald darauf auch den bis dahin von Siebenbürgen ausge-
schlossenen Juden sein Land eröffnet. Den letzteren ertheilte
er »über Intervention des jüdischen Arztes in Konstantinopel,
des hochgeborenen Abraham Sasa«, am 18. Juni 1623 gewisse
Privilegien, welche durch den Landtag, sowie durch die spä-
teren Fürsten wiederholt bestätigt wurden. ^ Den einwandernden
Juden wurde der Schutz des Fürsten, freier Handel mit der
Türkei und freie Religionsübung zugesichert, letztere auch
den zur Taufe gezwungenen Scheinchristen oder Ma rannen,
die »aus Spanien oder aus anderen Orten einwandern und
wünschen sollten, nach ihrem Glauben zu leben. «^
Die auf Grund dieses Privilegienbriefes einwandernden
türkischen Juden, die sich zumeist in Klausenburg niederliessen,
waren sogenannte S e p h a r d i m, d. h. solche, die den spanischen
Ritus befolgten, zum grossen Theile Nachkommen der 1492
aus Spanien vertriebenen Juden, die in der Türkei gastfreund-
liche Aufnahme gefunden hatten, und jetzt in Siebenbürgen
eine neue Heimath suchten. Dieser Umstand sollte dem Sabba-
tharierthum in nicht geringem Masse zu Gute kommen.
Die Sephardim repräsentirten nämlich, in gewissem
Sinne, eine Art jüdischer Aristokratie. Im Besitze alter und ruhm-
* S. Die Actenstücke in Monum. Goniit. VIII. S. 143 und 371. D. Henrique
de Gastro, Auswahl v. Grabsteinen auf d. niederl. — portugies. — Israel. —
Begräbniss zu Ouderkerk a. d. Amstel, Leyden, 1883. S. 83 hat die Grabschrift
.Clarissimi viri Abraham Gomes de Sossa." Dieser im J. 1667 als Leibarzt
des Prinzen Ferdinand, Statthalters der Niederlande in Amsterdam verstorbene
Abraham Sossa dürfte mit dem obenerwähnten Arzte, dem „hochgeborenen
Abraham Sassa* identisch sein, der später nach Amsterdam ausgewandert sein
mag, was bei den häufigen und engen Relationen zwischen den dortigen und
den Konstantinopler Sephardim gar nicht unwahrscheinlich ist.
• Nach dem 6. Punkte des Privilegienbriefes, der den einwandernden
Juden freie Rehgionsübung zusichert, folgt als 6. Punkt: „Si qui Judaeorum in
diüonibus Ghristianis degentium ex H i s p a n i i s, aut aliis e locis in regnum
nostrum commigrare illorumque professionem imbibere voluerint,
liberum id securumque eisdem facturum poUicemur." Diese wiederholte
Zusicherung der freien Religionsübung kann sich, namentlich in dieser Fassung,
nur auf Marannen beziehen, die etwa einwandern sollten. Diese, zumeist aus
Spanien stammenden Scheinchristen durfte damals, mit Ausnahme Hollands und
der Türkei, bei schwerer Strafe, nirgends offen zum Judenthum zurückkehren,
bas der Grund, weshalb ihnen besonders zugesichert wird, dass sie ,die Reli-
Ijion der Juden frei und in Sicherheit" werden befolgen dürfen.
Dr Kohn: Sabbatharier. ^^
1
162
voller Traditionen, konnten sie sich auf eine grössere und glän
zendere Verganganheit berufen als die übrigen, namentlich die
aschkenasischen, d. h. den deutschen Ritus befolgen-
den Juden, die sie zudem noch an allgemeiner Bildung, aber
auch an jüdisch religiösem Wissen überragten. Und sie waren
stolz darauf. Ihr sicheres, selbstbewusstes Auftreten, die alt-
spanische Grandezza, die sie sich zu bewahren wussten, ihre
vornehmen Umgangsformen und ihre gewähltere Tracht zeich-
neten sie vortheilhaft von den meisten ihrer übrigen Glaubens-
genossen aus. Ihre gesellschaftliche Stellung war, namentlich
in der Türkei, eine verhältnissmässig günstige. Es gab unter
ihnen Kaufleute, die an der Spitze grossangelegter Handels-
unternehmungen standen, hohe Staatsbeamte und sonstige bei
der Pforte einflussreiche Männer, endlich aber in hoher Achtung
stehende Aerzte, denen selbst der Sultan und seine Paschas
Gesundheit und Leben anzuvertrauen pflegten.
Nach Siebenbürgen waren sie nur unter der von Bethlen
angenommenen Bedingung gekommen, dass sie nicht zum
Tragen eines wie immer gearteten Judenabzeichens verhalten
werden dürfen, sondern überallhin in der »Tracht der Christen«
gehen können.^ »Ihr Arzt«, denn sie hatten einen solchen
mitgebracht, erhielt die Vergünstigung, im ganzen Lande
unbehelligt reisen und seine Kunst ausüben zu dürfen.^ Jener
»Judendoctor Riberius", von dem sich Bethlen in seiner letzten
Krankheit behandeln Hess, 3 dürfte kaun\ ein anderer, als der
in Rede stehende Arzt der eingewanderten Juden sein. Ausser
diesem Riberius begegnen wir, als Zeitgenossen Pechis, noch
drei anderen jüdischen Aerzten am Hofe der siebenbürgischen
Fürsten.*
^ Des Privilegienbriefes 7. Puntt.
« Das. 11. Punkt.
« Johann K e m e n y, Selbstbiographie S. 138. Riberius scheint die
Latinisirung von Riberio, vielleicht von Ribeira zu sein.
* Diese jüdischenj Aerzte sind: Der zum Fürsten Bocskai berufene
Eleasar (s. ob. S. 137); der gelehrte Leon (Arje-Jehuda) Siaa, mit dem
ürkischen Namen N a s r e d-d i n T a b i b den Georg Räköczi I. um 1639 aus
Konstantinopel berief, der später, als Leibarzt dieses Fürsten, zum Ghristenthume
übertrat (s. Kay serling, Revue des etudes juives VIR. S. 85), und endlich der
jüdische Leibarzt Sinan Paschas, den der wallachische Wojwode Michael gefangen
nahm und, obwohl er 45000 Theler als Lösegeld anbot, um 1601 dem Fürsten
Sigmund Bäthori »als Geschenk zuschickte.* Bezüglich des Letzteren, dessen
Namen wir nicht kennen, s. Schwarzfeld, Annuar pentru Israeliti ES. S. 82-
163
Solche Juden, die noch dazu vom Fürsten selber ins
Land gerufen wurden, »um es zu restauriren«, mussten mit
^anz andern Augen angesehen werden, als ihre seit Jahr-
hunderten schwer bedrückten und vielverachteten Glaubens-
genossen in den verschiedenen Nachbarländern. Der biedere
Szekler, namentlich der Bauer, der jetzt wahrscheinlich zum
erstenmale einen Juden sah, konnte es durchaus nicht für
beschämend halten »Judenzer« genannt zu werden. Der ein-
srewanderte türkisch-jüdische Kaufmann, oder der an das
Krankenbett des Fürsten berufene »Judendoctor« stand gesell-
schaftlich und geistig hoch über ihm. Was Wunder, dass er
bereitwillig seinen Lehrmeister in ihm erkannte, zumal, wonn
ihm der Jude, wie es von Seiten des Sabbatharierthums geschah,
als solcher hingestellt wurde.
Unter solchen Umständen haben die eingewanderten tür-
kischen Juden einen entscheidenden Einfluss auf das religiöse
und geistige Leben des Sabbatharierthums geübt. Von ihnen über-
nahm es den spanisch-jüdischen (sephardischen) Ritus, welchen
es bis ans Ende festgehalten hat; von ihnen das Schriftthum,
(las von jetzt ab den Ausgangspunkt seines eigenen bildete.
Die siebenbürgischen Judenzer hatten es nicht mehr nöthig,
sich einen jüdischen Kalender mit vieler Mühe und grossen
Kosten aus Konstantinopel bringen zu lassen. Sie brauchten
sich jetzt blos an ihre neuen jüdischen Nachbarn zu wenden,
um mit Leichtigkeit zu den wichtigsten jüdischen Schrift-
werken zu gelangen. Wie wir sehen werden, haben sie diese
gute Gelegenheit auch eifrig und mit Erfolg benützt.
Pechis geheime Thätigkeit im Dienste des
Sabbatharierthums. Seine Uebersetzung und
Erklärung der Psalmen.
V
Die erste, gleichsam vorbereitende Periode in der Geschichte
des Sabbatharierthums schliesst, indem sich die Kerkerthüren
öffnen, hinter welchen Pechi dreieinhalb Jahre geschmachtet
hatte, und es beginnt die zweite, ihrer Zeitdauer nach kürzeste,
ihrem Inhalte und ihren Folgen nach wichtigste Periode dieser
^ieschichte, die fast ausschliesslich von dem ferneren Leben
und Wirken dieses Mannes ausgefüllt wird. Neben seiner her-
11*
164
vorragenden, in ihrer Eigenart grossen Gestalt, verschwinden
alle übrigen, die im Sabbatharierthum dieser Zeit noch eine
Rolle spielen. Die neue Religion hat ihre kurze Blüthezeit
einzig und allein ihm zu verdanken; er allein schafft die feste
Grundlage, auf welcher sie, allen Unterdrückungen und Ver-
folgungen trotzend, sich noch zweieinhalb Jahrhunderte und, in
einigen kümmerlichen Ueberresten, sogar bis zum heutigen Tage
erhalten konnte.
Pechi hat, sowie er seine Freiheit wiedererlangte, die
Sache des Sabbatharierthums mit Eifer aufgegriffen. In seinem
Dorfe internirt und von der Welt abgeschlossen, weihte er
ihr seine von politischen Geschäften nicht mehr in Anspruch
genommene Zeit, und stellte seine frei gewordene Kraft fast
ausschliesslich in den Dienst seiner religiösen Bestrebungen.
Doch musste er zunächst noch mit einer gewissen Behutsamkeit
vorgehen; er durfte es noch nicht wagen, öffentlich als Apostel
des Sabbatharierthums aufzutreten.
Zu dieser vorsichtigen Zurückhaltung bestimmten ihn
wichtige Umstände und Rücksichten. Der vordem reiche Mann
lebte in beschränkten, fast ärmlichen Verhältnissen. Seine ver-
storbene Frau hatte ihm sechs, vielleicht noch mehr Kinder
zurückgelassen, von welchen, als er aus der Gefangenschaft
nachhause kam, das älteste fünfzehn, das jüngste kaum vier
Jahre alt sein mochte.^ Zu ihrer Erhaltung, Erziehung und Ver-
sorgung besass er weiter nichts, als das Erträgniss des Szent-
Erzsebeter Besitzes, und auch das hatte er der Gnade Bethlens
zu verdanken. Dieser hegte aber noch immer bittern Groll
gegen seinen einstigen Kanzler. Wohl erwies er den Kindern
desselben gerade jetzt manche Gnade; Pechis zweite Tochter,
Elisabeth, ernannte er sogar zum dienstthuenden Hoffräulein
1 Pechi heirathete i. J. 1608, seine Frau, Judith, starb am 19. Januar
1621 (ob. S. 142), u. z. im Wochenbette. Das acht Tage vor ihrem Tode gebo-
rene Kind blieb am Leben, war daher im November 1624, als Pechi seine
Freiheit erlangte, noch nicht ganz vier Jahre alt; s. Radecz, Funebris laudatio
u. s. w. S. 19 und 23. Judith hinterliess zum mindesten zwei Söhne, denn
der an ihrer Bahre gehaltene Nachruf (Radecz, a. a. O. S. 22) hebt ,duni
extinctae matris teneras hasce filias, dum parvos ipsius filios* hervor. Einer
derselben erhielt, nach dem testamentarischen Berichte Orbäns, in seinem 18.
Lebensjahre von einem scheu gewordenen Pferde einen tödtlichen Hufschlag.
Ausserdem kennen wir noch vier ältere Tochter Pechis, von welcher später
die Rede sein wird.
165
■
der Fürstin, und bedachte sie nachmals in seinem Testamente
mit einem beträchtlichen Legate.^ Das geschah aber oflenbar
nur aus Rücksicht auf die angesehene Familie der Kornis,
der diese Kinder mütterlicherseits entstammten, namentlich
über Verwendung der Stiefgrossmutter derselben, der auch
ihm verwandten Christina Bethlen. Gegen Pechi selber blieb
er unerbittlich. Der misstrauische Fürst hatte seinem einstma-
ligen^ Günstling nie verzeihen können, und dieser hatte gegrün-
dete Ursache nichts zu thun, was den Unversöhnlichen, dessen
Grimm er schon einmal schwer fühlen musste, von neuem
hätte reizen können.
So hat sich denn Pechi bis zum Tode Bethlens, also noch
fünf Jahre lang, wohlweislich gehütet, öffentlich als Judenzer
aufzutreten. Er beschränkte sich darauf, die Sache des Sabba-
tharierthums möglichst geräuschlos, dafür al)er um so eifriger
und hingebender zu fördern.
Eine seiner ersten Sorgen war die Anlegung einer jüdi-
schen Bibliothek. Einen Theil derselben mag er noch in den
Tagen seines Glückes angeschafft haben ;2 seine meisten heb-
räischen Bücher erwarb er aber erst jetzt, zum Theil vielleicht
nur leihweise, von den mittlerweile eingewanderten türkischen
Juden. Diese für die damaligen Verhältnisse ungewöhnlich reich-
haltige Bibliothek umfasste. wie sich aus den von Pechi benutz-
ten und angeführten Büchern ergibt, neben Bibeln und den ver-
K^chiedenen Bibelübersetzungen, die meisten namhafteren p]rzeug
nisse der Talmud- und Midrasch-, sowie der späteren rabbinischen
Literatur. Sie ist, als Pechi später wegen Judenzerei der Pro-
zess gemacht wurde, zum grossen Theil confiscirt worden; der
Rest wurde seinen Erben von plündernden Soldaten geraubt.*
* Joseph K o n c z, Bethlen Gabor fejedelem vegrendelete (Das Testament
d. Fürsten G. Bethlen) S. 77. Ausserdem erhielt Elisabeth und ihr jüngerer
Bruder drei von den confiscirten Gütern ihres Vaters (Koncz das.) Später verlobte
sie Bethlen mit Gabriel Mindszenti, einem seiner Getreuen, mit welchem sie
nach Bethlens Tode, von dessen Witwe Katharine von Brandenburg, im Fürsten-
palaste standesgemäss vermalt wurde. Die zu ihrer Hochzeit im Namen der
Fürstin Witwe ausgegebene . Einladung s. bei Alexander S z i 1 a g y i, Sz6kely-
egyleti kepes naptär (lUustrirter Kalender des Szekler-Vereins) II. Jahrg. (1883^ S. 80.
« Es sei nur an den jüdischen Kalender erinnert, den Pechi aus Konstan-
tinopel, so wie an das Buch des Avitus, das er aus Wittenberg kommen liess,
K ob. S. 154 flg.
* Unter den gelegentlich derDe6ser Gerichtsverhandlung confiscirten sabbatlia-
lischen Büchern befanden sich unzweifelhaft auch die Pechis ; das noch vorhan-
166
Mit den nöthigen wissenschaftlichen Behelfen reichlich
versehen, ging nun Pechi unverweilt ans Werk und begann
ganz allein, jene eigenartige, ihrem Inhalte und Umfange nach
gleich bedeutende Literatur zu schaffen, welcher das Sabbatha-
rierthum in Siebenbürgen sein Aufblühen, seine einheitliche
Liturgie und die Bedingungen seines mehrhundertjährigen
Bestandes verdankte. In der Zeit zwischen seiner Befreiuncf
aus dem Kerker und dem Tode Bethlens (Ende 1624 bis
November 1629) entstand, unter anderem, Pechis in wissen-
schaftlicher Beziehung bedeutendstes Werk : die U e b e r-
setzung und Erklärung der Psalm en.«i
Von diesen Psalmen, die während der Blüthezeit des
Sabbatharierthums in zahlreichen Abschriften cursirten und
während der häuslichen Andacht, sowie als Erbauungsbuch, viel
gelesen wurden,^ hat sich nur ein einziges vollständiges Exem-
plar erhalten, das aber zum grösseren Theile von Pechis
eigener Hand geschrieben ist, welche auch die übrigen Theile
sorgfältig corrigirt hat.^ Einzelne Psalmen, die das sabbatha-
dene Verzeichniss seiner damals mit Beschlag belegten beweglichen Gütei
s. Tört. Tär 1887. S. 713) dürfte wahrscheinlich auch die Liste seiner Bücher
enthalten. Ein Theil seiner Bibliothek, darunter auch sein oben (S. 133) erwähnte?^
Tagebuch, gelangte später in den Besitz seines Urenkels, des Baron Alexius
Orbän, dem diese «kostbaren Bücher/ nach seinen mehrfach erwähnten testa-
mentarischen Aufzeichnungen, «zur Zeit der Räköczy-Revolution von dem General
Graven aus der Kirche von György-Szent-Miklös geraubt wurden."
^ Aus dem weiter unten mitgetheilten Titelblatt ergibt sich, dass mit der
Abschrift des betreffenden Exemplars am 23. September 1629 begonnen
wurde. Pechis Psalmen waren also damals bereits vollendet. Anderseits dankt
Pechi in einer Anmerkung zu Psalm 107, 31 „dem Gotte Jacobs, der — so sagt
er — mich aus meinem Gefängnis s, aus meiner dreieinhalb-
jährigen Kerkerhaft befreit hat." Daraus folgt, dass Pechi erst nach
seiner Befreiung, also nach dem Novemb. 1624, seine Psalmen schrieb, die
demnach zwischen 1625 und 1629 entstanden sind. Dass noch mehrere andere
Schriften Pöchis, deren Entstehungszeit sich nicht feststellen lässt, zwischen
1624 und 1629 verfasst worden sind, ist gewiss. Die zahlreichen, zum Theil sehr
umfangreichen Werke, die wir ausser den Psalmen von P6chi besitzen, können
unmöglich alle erst nach 1629 geschrieben worden sind.
* In einem Trostschreiben, das Pechi an seine schwer erkrankte Tochter
richtet, ermahnt er sie, Gott um Hilfe anzuflehen und aus seiner Psalmenüber-
setzung die vier Psalmen 38—41 zu lesen ; s. den Brief, Protest. Egyh. es Isk.
Lap 1880. S. 269.
3 Die in der Bibliothek des unitarischen Obergymnasiums zu Szekely-
Keresztür befindliche Handschrift ist mir in entgegenkommendster Weise zur
167
rische Gebetbuch aufgenommen hat, finden sich in jedem
Exemplare desselben.
Die Uebersetzung hat sich die möglichst treue Wieder-
gabe des hebräischen Textes zur Aufgabe gesteUt, verräth aber
dabei ein feines Gefühl für die Schönheiten desselben, auf
welche in den Anmerkungen nicht selten aufmerksam gemacht
wird.^ In dem kernigen Szekler Magyarisch vom Anfang des
XVII. Jahrhunderts findet sie in der Regel den entsprechenden
Ausdruck für den Geist und den Gedankengang der Psalmen,
am treßendsten an jenen Stellen, in welchen Siegesjubel oder
Verzweiflung laut wird, oder Drohungen und Verwünschungen
grollen. Pechi hat bei den leidenschaftlichen Ausbrüchen des
Psalmendichters, die sich gegen Ammon, Moab, Babel und die
übrigen Heiden kehren, welche Israel bedrängen und zer-
fleischen, offenbar an die »Ungläubigen« gedacht, welche das
Sabbatharierthum unterdrücken und verfolgen, und ihm selber
so bitter wehe gethan haben. Den weichen, innigen Ton der
Andacht, des Dankes und der Seelenfreude vermag er weniger
zu treffen.
Ungleich interessanter und wichtiger als die Uebersetzung
sind die oft umfangreichen Anmerkungen, welche sie, in klei-
nerer Schrift, in der Regel gleich einem Rahmen umgeben.
Diese Anmerkungen suchen vor allem festzust(»llen, wann,
durch wen und aus welchem Anlasse die einzelnen Psalmen
geschrieben wurden, was ihr Inhalt ist und welche Tendenz
Benützung überlassen worden. Der erste, grössere Theil derselb en zeij^t Peclii.s
aus zahb'eichen Briefen und sonstigen Schriften wohlbekannte, cliuiacteristische
Schrift und in den Anmerkungen, die oft hebräische Worte und S.Uze enthalten,
mit schneller und sicherer Hand geschriebene hebräische Quadratbuchstaben.
Das Titelblatt, des gleich dem letzten Theile der Handschrift von dem Copisten
Ptehis, Johannes Beth herrührt, lautet vollständig :
„Psalterium cum ezplicaüonibus vocum non cujiibet obviarum ex Hebraica
Veritate Hungarice translatum per Magnif. D. Simonem Pechium"
,Initium describendi sumpsi cum Anni praesentis Millesimi vc. (= videlicetj
sexcentesimi vigesimi noni secundum numerationem Christianorum Mensis
Septembr. 23. die, sequenti sei. (= sei licet) die sol. post Jejuniam Godolia**
(bekanntlich ein Fasttag, der unmittelbar auf des jüd. Neujahrsfest folgt.)
.Laos Deo semper et ubique
et dicat eis {= omnis) populus Amen.*"
Am Sdilusse der Handschrift: ,S.P. Translator' darunter .Finivit J. B.*
((L b. loannes Beth.)
*■ S. z. B. die Anm. zum Anfange der Psalmen 104 und 145.
168
sie verfolgen. Sodann erklären sie die grammatischen For-
men des hebräischen Urtextes, weisen auf sachliche und
sprachliche Schwierigkeiten hin und versuchen deren Lösung.
Sie rechtfertigen die Treue der Uebersetzung und die Rich-
tigkeit der Auflassung, die in ihr zum Ausdruck gelangt; sie
polemisiren, ertheilen gute Rathschläge und moralische Lehren,
ermahnen und tadeln, und das alles in der Sprache tiefinniger
Gläubigkeit und unerschütterlicher Ueberzeugung.
Diese Anmerkungen, die eine Fülle linguistischer, cultur-
und religionsgeschichtlicher Notizen enthalten, zeigen den
bedeutenden wissenschaftlichen Apparat, mit welchem Pechi
gearbeitet hat. Er beruft sich in ihnen auf die Bücher des
Alten und des Neuen Testamentes, auf die alten chaldäischen
Bibelübersetzungen (Targumim), auf die Vulgata und auf Jose-
phus, auf Sebastian Münster, dessen Psalmencommentar er
mitunter benutzt,^ am häufigsten aber auf die nachbiblische
jüdische Literatur. Aus dem Talmud, den er häufig citirt,
übersetzt er mitunter umfangreiche Stücke, die er, nach jüdi-
schem Brauche, einfach mit den Worten, »es sagen«, oder »es
erklären die Weisen« ^ einzuleiten pflegt, in der Regel ohne die
Quelle genauer anzugeben. Aehnlich benützt er die verschie-
denen Midrasch-Werke, namentlich den zu den Psalmen geschrie-
benen Midrasch Schochar-tob;* fast auf jede Seite beruft er
sich wiederholt auf jüdische Bibelerklärer, auf Hai Gaon, Rabbi
Salomo Jizchaki (Raschi), Ibn-Jachja,i am häufigsten aber auf
den »weisen Kimchi«,^ dessen Psalmencommentar, den er nicht
selten w(')rtlich wiedergiebt, für ihn in der Regel massgebend
ist. Zu den Namen dieser jüdischen Autoritäten pflegt er nach
dem bekannten jüdischen Brauche hinzuzufügen: »Friede über
ihn«, oder »Friede ruhe auf ihm!« •
Pechi entwickelte in diesem Buche auf dem gesammten
Gebiete der jüdisch-theologischen Literatur eine Belesenheit
und Sachkenntniss, die selbst einem damals lebenden gelehrten
1 Am Schlüsse der Anrn. zu Ps. 119, 166: „Munsteri opere implevi;*
vgl. noch die Anm. zu 27, 17.
2 Nur ausnahmsweise nennt er sie die Jüdischen Weisen.*
3 Den Schochar-tob pflegt er, ohne ihn als Quelle zu bezeichnen,
„als die Erklärung der Weisen" auch an solchen Stellen zu citiren, wo kein
einziger jüdischer Gommentator ihn anführt; ein Beweis, dass P6ehi speciell,
diesen Midrasch selbstständig benützt hat.
169
Rabbiner zur Ehre gereichen würde. Andererseits aber zeigt
er, eben weil er vollständig unter dem Einflüsse der jüdischen
Literatur steht, in seiner Auffassung und Erklärung der
Psalmen eine bemerkenswerthe Unselbstständigkeit. .In der
Regel acceptirt er die Ansicht irgend eines älteren jüdischen
Bibelexegeten, oder er führt mehrere solcher Ansichten an,
die er mit einander in Einklang zu bringen sucht; nicht selten
bezeichnet er die eine oder die andere als die »wahrschein-
lichere«, oder »geradere« und daher am annehmbarsten schei-
nende. Eine selbstständige Meinung äussert er nur in einigen
seltenen Fällen, wo er eine Psalmenstolle auf (irund der damals
gang und gäben naturwissenschaftlichen oder astronomischen
Anschauungen zu erklären sucht.^
Wie seinem altern Zeitgenossen Bogäthi (ob. S. 80) ist
Christus auch ihm kein Eigennamen, sondern einfach di;^
recipirte Uebersetzung des hebräischen m a s c h i a c h, also
»der Gesalbte« im allgemeinen. In diesem Sinne ist ihm auch
König David »Christus« und »Messias«, so wie Jeder, auf den
er, den jüdischen Exegeten folgend, das Texlwort »ma-
schiach bezieht.^ Nur auf Jesus will er dieses Wort nicht
angewendet wissen.
Die Psalmen, welche die Kirche auf Jesus bezieht, erklärt
er sammt und sonders im Sinne der Juden, als auf König
David, auf das Volk Israel, oder auf dessen einstigen Erlöser
sich beziehend. Mit besonderer Aufmerksamkeit behandelt er
jene Stellen, in welchen die Kirche Hinweisungen auf Jesus
Martertod und seine Göttlichkeit erblickt. Ohne sich je in eine
directo Polemik einzulassen, sucht er alle diese Stellen so zu
erklären, dass sie mit der christlichen Auffassung nichts gemein
haben, ja dieser geradezu widersprechen.^ Bloss hie und da
wagt er es, einige christliche Bräuche mehr oder minder offen
anzugreifen.*
1 Vgl. besonder die Anmerkungen zu Ps. 104.
* S. z. B. die erste und letzte Anm. zu Ps. 2.
3 S. z. B. die Anmerkungen zu Ps. 2 und 22 ; vgl. die Anm. zu P.-.
8, 16, 41, 45, 46, 72 u. s. w.
* So Ps. 122, 4, wo er bemerkt, dass die Juden im Tempel zu Jerusalem
, nicht dem Priester, überhaupt keinem Menschen, sondern nur dem einen Gott
gebeichtet haben; ferner Ps. 95, 6: Jn der Bibel lesen wir von dem Erheben
und Ausbreiten der Hände (während des Gebetes), aber von dem Falten der
170
Im Gegensatz hiezu sucht und benutzt er jede Gelegen-
heit, die Juden und ihre Religion zu glorificiren^ und jüdisch"
religiöse Anschauungen und Bräuche zu lehren und zu empfehlen.
So theilt er z. B. die Psalmen in sieben Theile, von welchen
»nach üblichem Brauche« — bekanntlich ist es ein jüdischer —
je einer an jedem Tage der Woche zu lesen ist.* Zum 81
Psalm bemerkt er, dass derselbe »für das Neujahr ist, welches
am Neumond des Tischri beginnt und auch Fest des Posau-
nenschalls und der Erinnerung ist. Im Anschlüsse
daran bespricht er weitläufig die Bedeutung des jüdischen
Neujahrsfestes und behauptet schliesslich, dass »das Neujahr
nach dem Gange Mer Natur und nach der Veränderung und
Constellation der Sterne und Planeten an diesem Tage beginnt,«
an welchem auch für das nächste Jahr die Geschicke der
Länder, Völker und Menschen festgestellt werden.* In einer
Anmerkung zum 10. Vers des 145. Psalms empfiehlt er aufs
eindringlichste die verschiedenen jüdischen Benedictionen beim
Genüsse von Speisen, Getränken, Früchten und Wohlgerüchen «
Zu Psalm 137 Vers 4 bespricht er die »Psalmen des Tagesn
und bezeichnet,f'genau dem jüdischen Brauche folgend, welche
Psalmen »man noch heute am Schlüsse des Gebetes sagt, jeden
an seinem bestimmten Tage in der Woche.« Bei Psalmen, welche
an jüdischen Fast- und Festtagen gebetet werden, pflegt er diesen
Umstand regelmässig zu vermerken,* so wie er auch, und zwar
dem sephardischen Ritus folgend, vom 121. Psalm hervorhebt
dass derselbe Leuten, die eine Reise antreten, zum sechs-
maligen ^ Hersagen »besonders recommandiret wird.«
Die Psalmen Pechis sind ein durch und durch jüdisches
Buch, das zur Verbreitung jüdischen Geistes unter den Sabba-
thariern sicherlich viel beigetragen hat.
Während Pechi der Sache des Sabbatharierthums mit
Hände, wie sie es jetzt zu thun pflegen, indem sie beide Handflächen aneinander
legen, steht nirgends etwas in der Schrift; ich weiss nicht, woher sie das
genommen haben.**
^ Mehrere solcher Stellen s. weiter unten.
* S. die Anm. am Schlüsse des 29. Psalms.
» Der gesammte Inhalt dieser Anm. findet sich bereits in einem ä llere
sabbatharischen Neujahrsgesange, der daher wohlP^chi zugeschrieben werden darf.
* S. die Anm. zu Ps. 81, 102, 113—119, 137.
* In der H. S. heisst er irthümlich ; siebenmal (hetszer statt hatszor)
171
der Feder diente, war er gleichzeitig bemüht, ihr Gläubige
zu gewinnen, beziehungsweise zu erziehen, ohne dabei die
Vorsicht, die er damals noch beobachten musste, aus dem Auge
zu verlieren. Seinen minorennen Kindern wusste er die Lehren
des Sabbatharierthums so tief einzuprägen, dass sie, mit Aus-
nahme seiner am Fürstenhofe aufgewachsenen und seinem
Einflüsse entrückten Tochter Elisabeth (ob. S. 164), alle über-
zeugungstreue Anhänger und später Märtyrer dieser Secte
wurden. In demselben Sinne wirkte er auch im Kreise seiner
weiteren Familie und seiner nächsten Umgebung. Die eifrigsten
Anhänger der neuen Lehre, die einige Jahre später als Juden-
zer verurtheilt wurden, sind aus der Kc^ihe seiner Schwäger-
schaft, seiner Freunde und stuner Nachbarn hervorgegangen.
Diese geräuschlose TluUii'keit P(''cliis sclioint "gänzlich
unbemerkt geblieben zu sein. Nichts verrieth, dass der in
seinem Dorfe internirte Mann nur auf ^ünst liefere Verhältnisse
wartete, um die Fahne des Sabbalhariorlhums oiTen zu ent-
rollen. Dieselbe vorsichtige Zur(ickhaUinii>' beobachteten auch
seine Gesinnungsgenossen. Von der Ik^lVeiunG: Pechis bis zum
Tode Bethlens haben die zeitgenössischen Quellen von Pechi
und den Judenzern absolut nichts zu berichten. Es war, als ob
das Sabbatharierthum zu existiren aufgehört hätte.
Pechi als Apostel und Führer des Sabbatharier-
thums. Seine literarische Thätigkeit.
Die von Pechi und seinem Anhange beobachtete vorsich-
tige Zurückhaltung währte bis zum Tode Gabriel Bethlens.
Mit dem Ableben des Gefürchteten wagte sich das eingeschüch-
terte Sabbatharierthum sofort wieder ans Tageslicht.
Zwischen dem am 15. November 1629 erfolgten Tode
Bethlens und der Erwählung Georg Räköczi I. lagen kaum
dreizehn Monate, und letzterer wurde gleich bei seinem Regie-
rungsantritt mit bitteren Klagen über die offenkundige Verbrei-
tung des Sabbatharierthums bestürmt. Die geistlichen und
weltlichen Vertreter der damals herrschenden calvinischen
Kirche überreichten ihm eine Beschwerdeschrift, in welche r
es unter anderem heisst : »Zu unserem grossen Herzleide hören
wir tagtäglich von der neuerlichen Propagirungder
172
sabatharischen Secte, und sehen wie diese, gleich einem
Krebsschaden, den ganzen udvarhelyer Stuhl inficirt. Ihr vor-
züglichster Promotor und Fautor ist Herr Simon
Pechi, welcher, wider verschiedene Artikel des Landesge-
setzes, diese schädliche Secte nicht nur selber propagirt,
sondern auch durch Andere für sie Propaganda
machen lässt.^
Zu diesem plötzlichen entschiedenen Auftreten wurde
Pechi durch den, ihm und der Sache des Sabbatharierthums
gleich günstigen, Umschwung der Verhältnisse ermuthig^, der
mit dem Tode Bethlens eingetreten war.
Währenddem sich nämlich Katharina von Brandenburg,
die Witwe des Verstorbenen, und Johann Bethlen, dessen Bruder,
die Herrschaft gegenseitig streitig machten, hatte eine mäch-
tige Partei Georg Raköczi zum Fürsten ausersehen. Jede der
drei streitenden Parteien war eifrig bemüht, ihrer Sache Freunde
und Anhänger, unter andern auch Pechi zu gewinnen.
Denn I^echi war noch immer eine hochangesehene Per-
sönlichkeit, dem Range nach einer der ersten unter den Grossen
des Landes. Seit seiner Kanzlerschaft war er, mit nur noch
sieben andern, im Besitze des höchsten Adelstitels, den damals
nur die Landesstände, und zwar mittels eines besonderen
Gesetzartikels, verleihen konnten. Und dieser Titel, dessen ihn
selbst die Ungnade Bethlens nicht zu berauben vermochte,
stellte ihn noch immer hoch über die ersten Würdenträger
des Staates.2 Dazu kam, dsss er mit den angesehensten Fami-
lien des Landes verschwägert war, und zahlreiche eifrige
Anhänger besass. Darum suchte jeder der Thronbewerber Pechi
und seinen Anhang für sich zu gewinnen, ja Katharina von
Brandenburg verheirathete sogar eine seiner Töchter auf ihre
1 S. das Actenstück Kereszt. Magvetö XVII. S. 107.
* Ueber die damalige Bedeutung des Titels ,Nagysägos*, (wörtlich -
Ew. Grösse, Magnificenz), seine Seltenheit und die Art und Weise seiner Ver:
leihung s. K ö v ä r y, Erd61y nevezetesebb csalädai (Die vornehmeren Familien
Siebenbürgens) S. 268 und Monum. Comit. X. 15. Diesen Titel behielt Pechi,
auch nachdem er in Ungnade gefallen, bei, da eine gerichtUche Procedur,
welche ihn dessen verlustig hätte machen können, gegen ihn nie eingeleitet
wurde. Die im Folgenden erwähnte Einladung, welche die Fürstin Witwe zum
Ho chzeits feste seiner Tochter ergehen liess, nennt die Braut »Tochter Sr.
fagnificenz (Nagysägos) Simon Pechi." Vgl. Kereszt. Magvetö XVIII. S.41.
178
Kosten, und Hess die Einladungen zu der im Fürstenpalast
abgehaltenen Hochzeit in ihren eigenen Namen ergehen.^
Unter solchen Umständen konnte von keiner Seite daran
gedacht werden, die drückenden Bedingungen, unter welchen
Pechi seine Begnadigung erlangt hatte, auch fernerhin aufrecht
zu erhalten. Der fünf Jahre lang in Szent-Erzsebet internirt
gewesene Mann erlangte sofort nach dem Tode Bethlens seine
volle Freiheit wieder, »und begann — wie eine zeitgenössische
Quelle berichtet — neuerdings obenauf zu kommen «2
Unter den nach dem Ableben des Fürsten in Karlsburg
versammelten Ständen wurde die stürmische Forderung laut,
dassdievon Bethlen, ohne vorhergehenden Richterspruch, eigen-
mächtig confiscirten Güterden früheren Besitzern ziirückgeiroben
werden. Pechi machte sich diese Stimmung zunutze, indem
er seine Rechte auf die Besitzthümer, die Bethlen ihm wegge-
nommen und theils verschenkt, theils verkauft hatte, in ener-
gischster Weise geltend machte. Er strengte eine ganze Reihe
von zumeist langwierigen und harnäckig geführten Processen
an, oder Hess sich, wo er Entgegenkommen fand, in Unterhand-
lungen ein, die in der Regel zu einem für ihn günstigen Aus-
gleich führten. So musste sich zum Beispiel Peter l)ethlen, der
Neffe des verstorbenen Fürsten und Sohn des Thronpräten-
denten Johann Bethlen, dazu verstehen, ihm drei grössere Güter
und mehrere Grundstücke zurückzuerstatten, eine namhalte
Summe baren Geldes zu bezahlen, ausserdem aber noch eine
Urkunde auszustellen, durch welche er, für den Fall dass er
kinderlos sterben sollte, Pechi noch andere werthvolle Besitzun-
gen zusicherte.^ Aehnliche wenn auch geringere Erfolge hatte
er auch anderweitig,* endlich aber erhob er auch Ansprüche auf
niehrere von seiner verstorbenen Frau hinterlassene Besitz-
thümer, was ebenfalls Veranlassung zu einem langwierigen
Processe gab. Pechi war nämlich sofort nach Wiedererlangung
seiner Freiheit eine zweite Ehe eingegangen, und zwar mit
Katharina Barabasi, über deren Abstammung und Familie
« Vgl. ob. S. 165. Anm. 1.
' Johann Kem6ny, Selbstbiographie S. 403 und 409.
1 Kereszt. Magvetö XIX. S. 853 und 355; vgl. Kövary, das. VI. S. 45.
* Joseph Kem6ny, Notitia bist, diplom. I. S. 240 und Kövary a. a
0., das.
174
nichts näheres bekannt ist.^ Ein Schwager seiner er.sten Frau
focht nunmehr das Testament derselben an, auf welches Pechi
seine Ansprüche gründete.^
Die zahlreichen Processe, die Pechi zu führen und, bei
den verschiedenartigen Ausgleichen, die er eingegangen war,
noch zu erwarten hatte, erklären wohl den Umstand, dass er
seine älteste Tochter, Susanna, mit Franz Gäl v. Kenos ver-
heiratete, »einem hinkenden, einseitig gewachsenen Manne, dem
Simon Pechi nur deshalb seine Tochter gab, weil er ein berühm-
ter Advocat und sehr grosser Jurist gewesen ist.«^ In diesem
Schwiegersohn hat er auch thathsächlich einen eifrigen und
rechtskundigen Berather und Vertreter gefunden, der später
auch der Anwalt der hervorragenderen Sabbatharier war, die
ihres Glaubens wegen vor den Schranken des Gerichtes zu
erscheinen hatten.
Der neuerdings zu einem namhaften Vermögen gelangte
Pechi war wieder ein angesehener Mann geworden, der zu
den Grossen des Landes zählte. Die Rücksichten und Besorg-
nisse, welche so lange Gabriel Bethlen lebte, seine Thatkraft
lähmten, waren geschwunden. Er hatte wieder eine ansehnliche
Stellung errungen, in welcher er der Sache des Sabbatharier-
hums, neben seinen Fähigkeiten und seinem Eifer, auch Geld,
Verbindungen und Einfluss widmen konnte ; aber es gab für
ihn mehr keine grosse politischen Ziele, oder staatsmännische
Rücksichten, die ihn von seinen religiösen Bestrebungen abge-
lenkt hätten. Ein öffentliches Amt hat er nie mehr bekleidet. Die
kleinlichen Sorgen des Haushaltes hatte seme zweite Frau ihm
abgenommen; die Wahrung seiner materiellen Interessen konnte
er den verlässlichen Händen seines rechtskundigen Schwieger-
sohnes überlassen. Er fühlte sich frei und sicher, ledig der
* P6chis erste Frau starb kurz vor seiner Gefangennahme, Margit, seine
Tochter aus zweiter Ehe, wurde am 23. März 1639 ,sehr jung" verheirathet
(Szalardi, a. a. .S. 136), er musste daher sofort nach seiner Entlassung aus
dem Kerker, Novemb. 1624, zum zweitenmal geheiratet haben.
2 Kereszt. Magvetö XXIII. ö. 172.
* Die testamentarische Aufzeichnung des Baron Orbän, der wir diese
Notiz verdanken, nennt ihn irthümlich P6ter, der Name des Sohnes ist mit dem
des Vaters verwechselt. Der berühmte Jurist, der Pechis Schwiegersohn wurde,
hiess Franz, dessen Vater Peter Gal v. Kenos. S. Köväry, Erdely nevezetesebb
csaladjai, S. 92.
175
Sorgen des Alltagslebens, und ging mit dem Aufgebote seiner
ganzen Kraft an das Werk, das von jetzt ab die alleinige Auf-
gabe seines Lebens bildet. Er begann das Sabbatharierthum
in der ausgesprochen jüdischen Richtung weiter fortzuführen,
die er seit seiner Enthaftung eingeschlagen hatte, nur dass er es
jetzt offen, so zu sagen, vor den Augen des ganzen Landes that.
Bald nach dem Ableben Bethlens finden wir ihn in Klau-
senburg bei den mittlerweile eingewanderten türkischen Juden.
Bei ihnen suchte und fand er offenbar die Unterweisungen und
Belehrungen, welchen er seine eingehende Kenntniss der jüdi-
schen religiösen Praxis, namentlich des sephardischen Ritus
verdankte. Dass er von ihnen hebräische Bücher, wahrschein-
lich kaufweise, erhielt, berichtet er selber.^
Seinen Herrenhof zu Szent-Erzsebet gestaltete er zu einem
vollständig jüdischen Hause um. Am Sabbath, den er selber
strenge beobachtete, Hess er auch sein Gesinde ruhen. Die jüdi-
schen Festtage feierte er genau nach den entsprechenden Vor-
schriften, das Passahfest mit den üblichen ungesäuerten Broden.
Die in der Bibel als unrein bezeichneten Thiere durften nicht
in seine Küche kommen, und seinen Tisch regelte er nach
den mosaischen Speisegesetzen. Alle diese jüdischrreligiösen
Uebungen machte er auch seinen Hausgenossen zur Pflicht.^ Um
seine Kinder in sabbatharischem Geiste zu erziehen, wahrschein-
lich auch zur Leitung des sabbatharischen Gottesdienstes, hielt
er, nach der in den damaligen Adelsschlössern üblichen Sitte,
in seinem Herrenhofe einen Hausgeistlichen und stellte als
solchen Michael Szentmiklösi, einen theologisch gebildeten,
eifrigen Sabbatharier an,' was darauf schliessen lässt, dass er
in seinem Herrenhofe einen sabbatharischen Betsaal, etwa nach
Art der Schlosskapellen, eingerichtet hat.
Wie in seinem Hause, ging er auch in seinem Wohnorte
Szent-Erzsebet vor, dessen Liegenschaften zum grössten Theile
ihm gehörten. Er entfernte den unitarischen Geistlichen, sowie
den unitarischen Schulmeister des Ortes, und setzte Sabbatha-
rier an deren Stelle, was er umso leichter durchzuführen ver-
mochte, als die meisten dortigen Unitarier es nur dem Namen
* S. Pechis Vorwort zu seiner weiter unten besprochenen Uebersetzung
^'on Chajuns Mille d'o v o l h.
* S. die Zeugenaussagen gegen Pechi, Monum. Gomit. X. S. 185 — 9.
» B e n k ö, Transsilvania IT. S. 242—3.
176
nach, thatsächlich aber Sabbatharier waren. In einem, »aus
Steinen gebauten,« also bessern Hause am Ende des Dorfes
richtete er eine Synagoge ein, in welcher er allsabbatlich
Gottesdienst abhalten und die betreffenden Abschnitte aus dem
Pentateuch verlesen liess.^ Ausserdem errichtete er daselbst
auch eine Schule, in welcher er, um sie zu einer echten,
selbstverständlich sabbatharischen Missionsschule zu machen
i)Alle, die da kamen, welcher Religion immer sie angehören
mochten, gleichmässig unterrichten liess.«^
In der damals unitarischeri, gegenwärtig reformirten Kirche
zu Szent-Erzsebet wurde noch vor wenigen Jahrzehnten eine
kleine, gewölbte Nische gezeigt, in welcher Simon Pechi und
die übrigen Judenzer ein auf Pergament geschriebenes Exemplar
der fünf Bücher Moses, also eine Thora-RoUe, aufbewahrt haben
sollen.8 Diese Tradition erscheint umso glaubwürdiger, als
ähnliche Nischen zum Aufbewahren der Thora-Rollen bekannt-
lich auch in den Synagogen üblich sind, und die Sabbatharier,
wo sie unter den Unitariern, zu welchen sie äusserlich gehör-
ten, die Mehrheit bildeten, die unitarischen Kirchen auch ander-
weitig mit Beschlag belegten. So geschah es zum Beispiel in
Bözöd-Ujfalu, das unter dem Patronate Pechis stand,* ferner in
Kis-Solymos, dem Stammsitze der eifrigen Sabbatharierfamilie
Mätefi.ö Dasselbe dürfte auch in Szent-Erzsebet, wo Pechi
ständig wohnte und den weitgehendsten Einfluss übte, der
Fall gewesen sein. Die dortigen Sabbatharier scheinen, seitdem
Pechi offen für ihre Sache eingetreten war, ihren Gottesdienst
in der unitarischen Kirche des Ortes abgehalten zu haben.
Mehr und nachhaltiger als durch sein Beispiel und seine
Bekehrungsthätigkeit hat Pechi die Sache des Sabbatharierthums
durch seine Feder gefördert Seine fruchtbare schriftstellerische
Thätigkeit war ausschliesslich der Verbreitung, Fortbildung
und Organisirung des Glaubens gewidmet, den er von Eössi
übernommen hatte. Literarische oder wissenschaftliche Zwecke
* Monum. Gorait. das.
* üeber diese von Pechi errichtete Schule s.) Kereszt. Magvetö XVII. S. 107
und Monum. Gomit. X. S. 188.
3 Jos. Kemeny bei Kurz,^ Magaz. f. Gesch. u. s. w. Siebenbürgens
II. S. 423.
* Kereszt. Magvetö XVI. S. 323; vgl. das. XVIII. S. 41.
6 Das. XVII. S. 109.
177
lagen ihm fern. Durfte er es doch ohnehin nicht wairen, seine
Werke dem Druck zu übergeben. Im besten Falle konnten
sie in dem kleinen Kreise seiner (lläubiürc^n handschriftlich
circuliren. Und nur für diesen engen Kreis hat er sie auch
geschrieben, wie er wiederholt hervorhebt, ausschliesslich »zum
Nutzen und zur Erbauung der das Gesetz Gottes liel)en(len
Brüder,« oder »zum Nutzen der studirenden Brüder.« ^
Während seiner langen diplomatischen Laufbahn und in
der Zeit von seinem Sturze bis zum Tode Gabriel Bethlens
hatte Pechi, neben seinem Reisetagebuche und einigen reli-
giösen Gesängen, nur zwei grössere Werke geschrieben: die
Ausgewählten Lehren der heiligen Väter und
seine Uebersetzung und Erklärung der P s a 1 m e n.^ Jetzt, wo er
offen als Apostel des Sabbatharierthums auftrat, begann der
nahezu siebzigjährige Mann eine schriftstellerische Thätiirkeit
zu entfalten, welche durch ihren Umfang und durch die glück-
liche Lösung schwieriger Aufgaben gleichmässig imponirt.
Wohl haben die für ihn und seine Sache verhängnissvollen
Ereignisse des Jahres 1636 dieser Thätigkeit ein jähes Ende
bereitet: aber der Greis hatte, als er die Feder niederlegen
musste, also binnen knappen acht Jahren, eine statt liclu^ Reihe
von Schriften vollendet, welchen sich noch heute nur wenige an
die Seite stellen lassen, die damals aber einzig in ihrer Art
waren. Sie sind allerdings zumeist blosse Uebersetzungen,
beziehungsweise Ueberarbeitungen hebräischer Schriftwerke,
aber sie umfassen fast alle Gebiete der jüdischen Literatur
und verfolgen ausschliesslich den Zweck, jüdischen Geist und
jüdische religiöse Uebung auf ungarischen, oder genauer: auf
den Boden des Sabbatharierthums zu verpflanzen.
Pechi verfasste zunächst eine Anzahl neuer sabbatharischer
fiesänge, die zum Theil Uebersetzungen jüdisch-liturgischer
^"^tücke, oder nach dem Muster derselben geschrieben sind. Von
alttestamentarischen, talmudischen und midraschischen Citaten
und Auffassungen durchsetzt, enthalten sie mehr keine Spur
von den christlichen Anschauungen, welchen wir in den älte-
ren sabbatharischen Gesängen noch so häufig begegnen. Ihrem
Geiste und Inhalte, wie ihrer Bestimmung nach, können sie
> S. das. Vorwort zu Pechis Au?gewählLe Lehren der heiligen Väter
sowie zu seiner Uebersetzung von Chajun's „Mille-d'ovoth.*
* S. ob. S. 153 u. 166 flg.
Or Kohn : Sabbalharier. 12
178
füglich als in ungarischer Sprache geschriebene
synagogale Gesänge bezeichnet werden. Sie bilden den
hauptsächlichen Inhalt des bis auf die Gegenwart benutzten
Neuen Sabbatharischen Gesangbuches, auf welches wir noch
zurückkommen.
Mit Joseph Chajuns Mille d'a b o t h übersetzte Pechi (um
1630) zum zweitenmale den, die altjüdische Moral und Sittenlehre
enthaltenden, talmudischen Tractat Aboth, indem er seinen
Gläubigen gleichzeitig einen zweiten und ausführlicheren rabbi-
nischen Commentar zu demselben zugänglich machte. Der
talmudische Text ist möglichst wörtlich, Chajuns Commentar,
um ihn dem Verständnisse seiner Szekler näher zu bringen,
freier übersetzt und durch eingeschobene Erklärungen, hie
und da durch grössere Stellen aus anderen Werken der
rabbinischen Literatur, namhaft erweitert.^ Schriften ähnlichen
Inhaltes, die Pechi bald darauf (um 1632) verfasste. sind: die
Uebersetzung der vier Abschnitte von Israel ben Joseph
Alnaquas, die Moral- und Sittenlehre behandelnden Menorath
h a - m a o r, welche Elijah de-Vidas am Schlüsse seines Reschith-
chochma bringt,^ die vollständige Uebersetzung von Ibn-Gabirols
Mibhchar ha-Peninim und von Ascher ben-Jechiels Han-
hag a h oder Orchoth-Chajim, sowie Uebersetzungen bezie-
hungsweise Auszüge aus den verschiedensten Midrasch-Werken.
Diesen Schriften, die vorwiegend ethischen Inhaltes sind,
reihen sich andere an, in welchen Pechi die, zumeist mit klaren
Worten ausgesprochene Absicht verfolgt, die jüdisch-reli-
giöse Praxis zu lehren und zur Annahme zu
empfehlen.
1 Das Werk ist vollständig erhalten. Der betreifende Codex, Eigenthum
der unitarischen Hochschule zu Klausenburg, bildet einen stattlichen Folioband
von 250 Blättern (500 Seiten), der zum weitaus grössten Theil von Pechis eigener
Hand geschrieben ist, welche auch die von einem Abschreiber herrührenden
Partien, namentlich an den mit hebräischer Quadratschrift geschriebenen Stellen,
sorgfältig corrigirt hat. Das Datum 1630 ist in dem Vorworte Pechis angegeben,
der daselbst erzählt, er habe das Buch Chajuns „i. J. der Welt 5390" in Klausen-
burg, offenbar bei den dort angesiedelten türkischen Juden, gefunden.
2 Ueber Alnaquas Menorath h a-m aor s. Schächter, Frankel-
Gesetz'sche Moriatsschr. 1885 S. 114 Flg. Die betreffenden 4 Abschnitte sind
auch separat erschienen (unter d. T. Menorath zahabh kullah), aber
P6chi bemerkt ausdrücklich, dass er sie aus dem Res chi th-khachraah
übersetzt habe.
179
Hierher gehörte, neben Auszügen aus den jüdischen Ritual-
codices Tur und Schulchan-Aruch, die ungarische Leber-
setzung und Erläuterung von Rabbi Ismaels »Dreizehn Regeln
zur Erklärung der Heiligen Schrift« nach dem 8ifra; sodann
eine, der Auf&ssung der Sabbatharier anbequemte, bald stark
gekürzte, bald' namhaft erweiterte Bearbeitung des Sefer
Mizwoth -Gadol (S'mag) des Mose ben^Jacob aus Coucy,
welches bekanntlich die 365 Verbote und 248 Gebote der Bibel
nach der Auffassung des Talmud behandelt.^ Dieser Schrift
sehliesst sich, der Tendenz nach, die Uebersetzung und Erklä«-
rung des Petanteuch an, die in Sidras, Pechi nennt sie »Sabbath-
lectionen«, eingetheilt- den massoratischen Text möglichst wort-
getreu wiedergibt, und in umfangreichen Anmerkungen, auf
Grund der chaldäischen Uebe^6etz^lngen, der einschlägigen
Talmud- und Mid rasch stellen und der spätem jüdischen
Bibelexageten erklärt.»
Nachdem er diese grossangelegte Arbeit noch vor dem
Jahre 1634 vollendet, vielleicht gar in der Mitte abgebrochen
hatte', ging Pechi an das grösste, für die Zukunft des Sabba-
rharierthums bedeutsamste Werk seines Lebens, an die Ab-
fassung seines Gebet- und Ritualienbuches, welches
hier eingehender besprochen werden soll.
Pechis Gebet- und Ritualienbuch.
Mit dem sicherlich nach 1629, wahrscheinlich aber erst
nach 1634 begonnenen und vor 1638 abgeschlossenen* Gebet-
1 Das noch vorhandene Bruchstück der betreffenden Handschrift (47 Bl.)
beginnt mit der Mitte des 37. Verbotes und schhe>st mit dem 124.
* lieber alle diese üebersetzungen Pechis sowie über die betreffenden
Handschriften s. mein ,A szombatosok*^ S. 274 — 85.
» Die betreffende Handschrift, ebenfalls ein Bruchstück, enthält die Ueber-
setzung und Erklärung vom I. B. Mos. 5, 14 bis 2. B. Mos. 13. Die Abschrift
des 1. Buches wurde nach dem Epigraph am Schlüsse desselben am 28. Sept.
1634 vollendet.
* Das Gebet für den Fürsten bezeichnet in den ältesten Exemplaren,
darunter auch in einem von P6chi selber geschriebenen, den regierenden Fürsten
mit R. G. F., d. h. Rak6czi Qyörgy Fejedelem (Fürst Räköczi Georg), der Ende
1630 den Fürstenstubl bestieg. Von Ende 1629 bis 1634 hat Pechi eine ganze
Heihe anderer Schriften verfasst (die Üebersetzungen des Semag, Menorath
ha-inaor und des Pentateuch, s. ob.), er kann also erst nach 1634 an die
19*
180
und Ritualienbuch wollte Pechi dem Sabbatharierthum,
dessen Liturgie und rituellen Bräuche bis dahin nicht genau
umschrieben waren, eine feststehende, das gesammte religiöse
Leben endgiltig regelnde Norm geben. Der alte, öfter von
Krankheit heimgesuchte Mann hielt die je frühere Vollendung
dieses Werkes für so dringend, dass er zunächst nur die wich-
tigsten und unentbehrlichsten Partien desselben schrieb und
es erst später, durch Hinzufügung der vorläufig weggelas-
senen Stücke, allmälig erweiterte.
Zunächst übersetzte er nach dem von seinen Lehrmeis-
tern, den türkischen Juden, angenommenen sephardischen
Siddur, d. h. nach dem türkischen Gebetbuche nach spa-
nischem Ritus, sämmtliche für Wochen-, Sabbath-, Neumonds-
und Festtage vorgeschriebene Gebete. Die Festgebete, von
welchen der Siddur blos das eigentliche Pflichtgebet (Tefillai
übernommen hat, ergänzte er durch die dem sephardischen
Festrituale (Machasor) entnommenen wichtigsten Stücke, die
er, insoferne sie synagogale Gesänge sind, in der Regel
metrisch übersetzte. Hierauf Hess er die für die Bussetage
bestimmten »Selic hoth«, oder Gebete um Sündenvergebung
folgen, mit welchen der ursprüngliche Theil seines Gebetbuches
abschliesst, den er selber als »das Gerippe der das ganze
Jahr hindurch zu verrichtenden Gebete« bezeichnet.
In dieser Form übergab er das Buch seinen Gläubigen,
die es sofort eifrig copirten und benutzten, obA^^ohl es noch
zahlreiche Lücken aufwies, auf welche Pechi selber aufmerk-
sam macht, mit dem Versprechen, er wolle, »so Gott ihm Kraft
und Gesundheit dazu gibt, auch an die Uebersetzung der noch
fehlenden Gebete gehen.« Dieses Versprechen hat er auch
eingelöst. Er ergänzte das nur provisorisch abgeschlossene
Buch durch die Uebersetzung der meisten bisher weggelas-
senen Stücke aus dem Siddur, beziehungsweise Machasor der
Sephardim, sowie durch die Aufnahme ganzer, für gewisse
Gelegenheiten bestimmter Agenden, die strenge genommen
nicht mehr zum eigentlichen Gebetbuche gehören, zum Theil
Abfassung des Gebet- und Ritualienbuches gegangen sein, das er, wie wir sehen
werden, so rasch als möglich vollenden wollte, also sicherlich nicht gleichzeitig
mit anderen früheren Werken schrieb. Zur Zeit der Katastrophe, die ihn im
J. 16-^>8 ereilte, war das Buch bereits vollendet, nach derselben bat er überhaupt
nichts mehr geschrieben.
181
sogar, wie Pechi bemerkt, nur «für die im (Hauben Eifrigeren«
verfasst sind.^ Auch diese Nachträge, die Pechi in rascher Auf-
einanderfolge, offenbar stückweise erscheinen liess, wurden
von den Gläubigen eifrig aufgegriffen und, mehr oder minder
vollständig, dem eigentlichen Gebetbuche angefügt. 2
Alle diese Gebete sind mit Einleitungen, l)eziehungs\\ eise
Anmerkungen der verschiedensten Art versehen, welche als
»Belehrungen« bezeichnet sind. Am ausführlichsten sind die den
Festgebeten vorausgeschickten »Heiehrungen«, die in knap})er,
leichtverständlicher Form zunächst die Zeit bestimmen, wann
(las betreffende Fest zu feiern ist, sodann über die Enstehunirs-
Ursache und die Bedeutung des Festes sich verbreiten, endlich
aber die Gebetordnung und sämmtliche im Tempel und im Hause
zu beobachtende Ceremonien feststellen, und alles das genau
nach den diesbezüglichen rabbinischen Hestimmungen, deren
minutiösesten Vorschriften volle Heachtung finden. ^
Aehnliche, mehr oder minder eingehende Anweisungen
finden sich zwar fast in jeder Ausgabe des jüdischen Gebet-
buches, und es ist möglich, ja wahrscheinlich, dass Pechi solche
auch benutzt hat. Doch hat er sie sicherlich nicht einfach
übersetzt, da er sie, wie wir sehen werden, den Verhältnissen
und dem Auffassungsvermögen seiner- Sabbatharier angepasst
hat. Viele seiner »Belehrungen« sind offenbar selbstständige
Bearbeitungen der jüdischen Ritualcodices, denn sie beschrän-
' Solche Nachträge sind : die beim Genüsse von Speisen und Getränken,
sowie bei den verschiedensten Anlässen und VerrichtuDgen vorgeschriebenen
Segensprüche, die Selichoth zu den Fasttagen, die den sogenannten
Maaraadoth entlehnten doppelten Gebete für die einzelnen Tage der Woche,
das Kether-Malchuth des Gabirol, das Gebet beim Antritt einer Reise,
Oebete auf und an dem Sterbelager, nach einem schweren Traume u. s. w.
* Diese Entstehungsweise des sabbatharischen Gebetbuches erklärt den
Umstand, dass nur der ursprüngliche, erste Theil desselben in allen Exemplaren
gleich ist, die Nachträge hingegen in den verschiedenen Handschriften oft
verschiedenartig geordnet, mitunter nicht vollständig zu finden sind.
3 So heisst es z. B. „Das muss stehend gesagt werden*^ ; „Das pflegt man
dreimal zu sagen*; „Hier darf der Betende nichts Anderes dazwischen sprechen";
.Arn Sabbath sagt man auch das Folgende" ; „Bis hierher pflegt man sitzend
zu beten ; hier folgt die 'A m i d a h, welche man aufrechtstehend, die Füsse
nebeneinander setzend und die Hände in einander legend, täglich dreimal sagt' ;
.Das sage man sitzend, indem man den Kopf senkt und das Gesicht bedeckt*;
»Das muss sitzend, mit einer klagenden Melodie gesagt werden" ; „Das darf nicht
gesagt werden, ohne dass zehn Beter beisammen sind/
182
ke n sich nicht auf die Gebete und auf sonstige gottesdienst-
liche Verrichtungen, sondern- umfassen auch solche Momente
des Privatlebens^ deren Besprechung wir in jüdischen Gebet-
büchern vergebens suchen würden.
So steht, um ein bezeichnendes Beispiel beizubringen,
unter den bei verschiedenen Gelegenheiten zu verrichtenden
Segensprüchen auch Folgendes:
,W er Vieh, Wild, oder einen Vogel schlachtet (spreche) :
„Geloht seist Du u. s. w. der Du uns geheiligt hast durch Dein heiliges
Gesetz und uns befohlen hast das Schlachten der Thiere."
, Belehrung. Diesbezüglich finde ich in Israel viele und überaus
wichtige Beobachtungen und Lehren. Zumeist aber ist es nothwendig, darauf zu
achtel, dass die Thiere nicht todtgeschlagen und nicht schmählich missbandelt
werden. Sie dürfen nicht anders getödtet werden, als mit einem sehr scharfen
genügend grossen, nicht zu kleinen Messer, an dem man vor dem Schlachten
mit den Fingernägeln auf — und abwärts fährt, um zu untersuchen, ob die
Schneide keine Scharte hat ; denn sonst zerreist man das Thier, und es gilt als
zerissen.* Auch soll man an der Stelle, wo der Einschnitt geschieht, die
Federn der Vögel, so wie die Haare, oder die Wolle der übrigen Thiere ein
klein wenig entfernen, weil dann das scharfe Messer dort gut hindurchgeht. Hierauf
lasse man das Blut ausfliessen und warte ab, bis es gehörig abgeflossen ist;
sodann lasse man aus den Fleischstücken, wenn man sie zum Backen, oder
Kochen bereitet, durch zerkleinertes Salz das Blut herausziehen. Vor dem
Schlachten spreche man den' oben angegebenen Segenspruch. Wenn man das
Blut zudeckt, spreche man:**
„Gelobt seist Du u. s. w., der Du uns geheiligt hast durch Deine heiligen
Gebote und uns befohlen hast, das Blut der Thiere zu bedecken."
. Wie sich aus dieser »Belehrung« und zahlreichen ähn-
lichen^ ergibt, hat sich Pechi möglichst strenge an die Vor-
1 Die wörtliche Uebersetzung des hebräisdien tVefah;
• in der zum Passahfeste gehörigen weitläufigen Belehrung hässt es z. ß
diass schon vor dem Abend des 14. Nissan „alles Gesäuerte aus den Häusern
ttitfemt 'Wird ; sollte aber irgengwo noch Gesäuertes zuröekgeblieben sein,
entferne man es durch Ausfegen indem man es mit einer Wachskerze
aufsucht und spricht* u. s. w. Die Anweisungen über die Art und Weise des
Zählens des m e r entsprechen genau sämmtlichenhierhergehörigen rabbimischen
-Vwschfiften. In der, der Liturgie des Versöhnungstigas vorangehenden, aus-
f(liirli>eiven „Belehrung", wird es 'den Gläubigen zur Pflicht gemacht, sich am
Vorabende dieses heiligen Tages mit ^Wea Feinded auszusöhnen, Alle, die man
-etwa beleidigt ^haben könnte, um Verzeihung zu bitten, vor Gott ein reueraüthiges
BekennJtniss 'f^einer Sünden abzulegen, ein Reinigungsbad zu nehmen, sodann
a!ber solle mtin, da^ Niemand sündenfrei ist, „sich in der Schule freiwillig
riiederlegenündmit einer Geis sei vierzig Streiche weni-
ge r einen geben lassen, aber nirht mehr, und dabei halblaut sprechen ....
derjei iye aber der ihn schlä^^t, spreche** u. s. w.
188
Schriften der jüdisch-rabbinischen Lehre gehalten. Ebenso genau
war er in der Wiedergabe der hebräischen Gebete, die er selbst
dort getreulich übersetzt, wo er in dem Texte einen Fehler
vermuthet.^ Bei alledem war er aber selbstständig genug, dem
speciellen Standpunkte des Sabbatharierthams und den eigen-
artigen Verhältnissen seiner Bekenner vollauf Rechnung zu
tragen.
In den Gebeten^der Juden befinden sich zahlreiche Stellen,
an welchen die Beter, als Abkömmlinge der biblischen Patri-
archen, sich an den Gott ihrer Väter Abraham, Isaak und
Jakob wenden, oder auf den Bund sich berufen, den Gott mit
ihren Vätern geschlossen hat, oder aber auf die wunder-
bare Vergangenheit, die geschichtliche Mission und die Zukunft
ihres Volkes, Israels, hinweisen. Die jüdisch-religiöse Praxis,
die sich diesbezüglich auf die Autorität Maimunis berufen
kann, lässt die zum Judenthume Uebertretenen, ohne Rücksicht
auf ihre Abstammung, alle diese Gebete ohneweiteres ver-
richten, »weil Abraham, der der Welt den Glauben an den
wahren Gott verkündete, als Vater der gesammten Menschheit
zu betrachten ist.«^ Aber Pechi hat an diesen specifisoh jüdischen
Stellen Anstoss genommen. Pflegte er doch mit seinen Gläu-
bigen allsabbathlich das Lied zu singen, in dem es heisst:
Wir — nicht Abraham war unser Vater
Und nicht sind seinem Samen wir entsprossen —
Wir entstammen Jafeths Hause, sind nur
Von blinden Heiden Kinder und Genosse n.^
Die Sabbatharier hatten die lebhafte, man darf wohl sagen,
schmerzliche Empfindung, dass Gott das Gesetz und das
gelobte Land nicht ihren Vätern gegeben; dass die auf das
Haus und auf die Kinder Israels bezughabenden Verheis-
sungen sich nicht auf sie beziehen; dass sie nicht »Kinder
■^ Zu der Stelle in Gabirols Kether-Malchuth, nach welcher der
Planet Mercm* binnen 10 Tagen seine Umdrehung vollendet, schreibt
Pechi folgende Anmerkung : „Binnen zehn Tagen — so finde ich es bei dem
Autor, den ich übersetze ; ich bezweifle es wohl, aber ich kann es nicht
umändern.*
• Maimuni, Mischnah-Comment. zu Bikkurim I. 4; vgl. dessen Jad,
Hüchoth-Bikkurira HI. 4.
a A. S. G. B. 27, 8 ; vgl. ob. S. 96.
184
des Bundes« seien, den Gott mit seinem auserwählten Volk
geschlossen hat, sondern, wie sie es in ihren religiösen Gesän-
gen wiederholt hetonen, diesem Bunde nur beigetreten,
als Fremde in das Lager Israels gekommen sind.^ Pechi hat
daher zahlreiche Stellen der jüdischen Liturgie derart um-
gestaltet, dass seine Szekler Sabbatharier, obwohl sie keine
geborenen Juden, sondern, wie sie sich selber zu nennen
pflegten, nur »Juden dem Geiste nach« waren, an denselben
keinen Anstoss nehmen konnten.
Ausdrücke, die ein Gebet als ein ausschliesslich auf
Juden sich beziehendes erscheinen lassen, pflegt er zu ver-
allgemeinern, oder zu umschreiben, oder gar einfach weg-
zulassen. In dem Satze z. B., »Gelobt sei der Ewige, der die
Sabbathruhe gegeben seinem Volke Israel«,^ hat er das Wort
»Israel« ausfallen lassen; dafür aber in den Benedictionen :
»Gelobt . . . der Du Israel gürtest mit Kraft« und »der Du
Israel krönest mit Herrlichkeit«, zu Israel hinzugefügt »und
Alle, die an Dich glauben.« Für »das Haus Israel«, oder
»sein Volk Israel«, hat er an zahlreichen anderen Stellen »die
Getreuen«, oder »seine Frommen« gesetzt. Die Stelle: »Wir sind
Dein Volk, Kinder Deines Bundes, Kinder Deines
Lieblings Abraham« gibt er folgendermassen wieder: Wir aber
sind Dein V ol k, das Dein heiliges Gesetz beobachtet,
Deine Getreuen, die wir an uns bewahren Deinen heiligen
Bund und Dein Z eichen,^ Söhne und Töchter im Geiste
von Abraham, Deinem Liebling und Freunde;« die hierauf fol-
genden Sätze, in welchen die Betenden als »Nachkommen
Isaaks« und »Gemeinde Jakobs« bezeichnet werden, fehlen ganz.
Aus dem stereotypen »Unser Gott und Gott unserer
Väter« wird bei Pechi »Unser Gott und Gott der alten
heiligen Väter«,* und an den zahlreichen Stellen, wo die
1 S. ob. S.96, 120, 122 u. s. w.
^ Die hier folgenden Gilate sind allgemein bekannten Gebetstücken entlehnt,
selbstverständlich nach dem von Pechi übersetzten sephardischen Siddur.
3 Das hebräische berith, das Pechi hier „Bund und Zeichen" über-
setzt, ist nach dem spätem Sprachgebrauche, der vom I. B. Mos. 17, 11 ausgeht
die übliche Bezeichnung für das Bundeszeichen der Beschneidung.
Dieses Zeichen bewahren sie an sich; ein Theil der Sabbatharier übte
nämlich damals schon die Beschneidung ; vgl. das nächstfolgende Capitel.
* Oder: „unser Gott und Gott aller Gerechten." Hierher gehört wahr-
scheinlich auch die Stelle in dem Segenspruche nach der Haftarah: »der Du
Zion erfreust durch seine Kinder," die P6chi übersetzt: durch seinen
Wiederaufbau;" er las, offenbar absichtlich, „bebinjonah* für „bebonebab.'
185
jüdischen Beter auf die Vergangenheit ihres Volkes sich beziehen,
setzt er statt der ersten Person, die dritte,^ oder nimmt zu
Umschreibungen, oder gar zu weitgehenden Textänderungen
seine Zuflucht. So lautet bei ihm der Satz: ))S0 wie Du uns
auserwählt hast unter den Völkern der Länder« folgender-
massen: »so wie Du uns durch die wahre Erkenn t-
niss Deines Wesens und durch die Beobachtung'
Deines heiligen Gesetzes auserwählt hast unter den
vielen im Irrthum wandelnden Völkern dieser
W e 1 1.«
Noch bezeichnender für die Art und Weise, wie Pechi
seinen specifisch sabbatharischen Standpunkt zu wahren pflegt,
ist seine Uebersetzung von »Gelobt seisst Du . . ., der uns
auserwählt hat unter den Völkern und uns seine Lehre ge-
geben hat.« Diese kurze Benediction gibt Pechi folgendermas-
sen wieder:
»Gelobt seist Du . . ., der Du uns befreit hast aus
der Finsterniss des Irrthum s, aus dem Glauben
an mehrere und fremde Götter ausserDir, und uns
gegeben hast die wahre Erkenntniss Deiner gött-
lichen Allmacht in ihrer Einheit und Einzigkeit,
wie sie keinen Genossen hat, Niemandem ähnlich
und mit Nichts zu vergleichen ist, und uns zu
Deiner, von jeder menschlichen Einrichtung und
Erfindung freien -Verehrung gezeigt hast den
gesegneten, heiligen und herrliichen Weg Deiner
Lehre und Deiner Gebote, um Deine göttliche
Gnade zu suchen, gelobt seist Du u. s. w.«
Bei den vorzugsweise practischen Zwecken, die Pechi
mit seinem Gebet- und Ritualienbuche verfolgte, war er stets
darauf bedacht, von den Gläubigen nicht zu viel, oder gar
Unmögliches zu fordern.
Wo ihm die jüdische Liturgie zu weitschweifig, oder dem
Fühlen und dem Verständnisse der Sabbatharier zu fernliegend
erschien, dort nahm er in der Regel die weitgehendsten Kür-
zungen vor. So bemerkt er in der Einleitung zu den Gebeten
* ,Aus Egypten hast Du u n s erlöst, aus dem Hause der Sklaverei uns
befreit" — dafür bei Pechi: „Aus Egypten hast Du Dein Volk erlöst .
Mud es befreit."
186
»zum K i p p u r — oder Versöhnungstage«, dass er »jetzt
nicht die Absicht haben könne, sämmtliche Gebete zu über-
setzen, sondern nur so viel, als im allgemeinen möglich
und zur. Zeit passend und nothwendigist für die
Gläubigen, d i e s i c h zur Beobachtug des Gesetzes
bekehrt hab.en, od^r noch bekeh ren werden.« Diese
ßemork^ng ist ihm so wichtig, dass er sie am Schlüsse des
»Morgengebetes ,zum Versöhnungstage« noch einmal mit den
folgenden, ungleich klareren Worten wiederholt:
„Es gäbe für den Kippur-Tag noch zwanzigmal so viel schöne
und köstliche Sachen, die zur Heiligung desselben geschrieben worden sind.
Der einer späteren Zeit Angehörige, der deren üebersetzung sucht, fälle nicht
das Urtheil, dass ich dieselben nicht gesehen hät^e. Denn, die üebersetzung
aller dieser Stücke passt, unter den gegenwärtigen Verhältnissen,
nicht für die unserer Nation angehörigen Beobachter des
Gesetzes, welchen vielleicht schon das hier Uebersetzte
zuviel sein dürfte.**
Aus demselben Grunde hat er die der Bibel oder dem
Talmud entlehnten, mitunter umfangreichen Stellen fortgelassen,
welche sich auf den altjüdischen Opfercultus beziehen.^ Reli-
giöse Uebungen, welche an gewisse Aeusserlichkeiten geknüpft
sind, zu welchen sich die Sabbatharier die nöthigen Behelfe
nur schwer, oder gar nicht hätten beschaffen können, hat er
gänzlich unberücksichtigt gelassen. So fehlen bei ihm sämmt-
liche Benedictionen, die sich auf den Gebetmantel (Talith),
die Gebetriemen (T e f i 1 1 i n), die Schaufäden (Z i z i t h), die
Neujahrsposaune (S c h o f a r) und den Feststrauss (L u 1 a b hl
beziehen. Ebenso wenig hat er das Rituale bei Beschneidungen
aufgenommen. Offenbar wollte er diesen Ritus, welchen die
eifrigeren Sabbatharier zu üben pflegten, den Sabbathariern nicht
zur Pflicht machen, vielleicht aus Vorsicht, weil er zu Zeiten
der Verfolgung die Gläubigen leicht verrathen konnte, vielleicht
auch, weil es an den nöthigen erfahrenen Operateuren fehlte.
Auffallender ist das Fehlen des jüdischen Trauungsrituales, das
bei seiner scharf ausgeprägten specifisch jüdischen Fassung^
^ Auf dieselbe Ursache dürfte auch der Wegfall des M u s s a p h-Gebete^
zurückzuführen zu sein. Die alleinige Ausnahme bildet die M u s s a p h-T e f i 1 lab
des ^eigahres, deren hauptsächlichen Inhalt Citate aus der Bibel bilden; aber
auch sie ist als zum Morgengebete gehörig bezeichnet.
* «Nach dem Gesetze Moses und Israels" und «der heiliget sein Volk
srael durch G h u p p a h und Kidduschin.**
187
von .NichtJuden allerdings nicht leicht hätte benutzt werden
können.
Benierkenswerth ist, dQ,s& er kurze, der Bibel entlehnte
Sätze, .welche wichtige. Glaubenslehren enthalten, auch mit dem,
natürlich transscribirten, hebräischen Texte zu geben pflegt.^
In der Ueibersetzung ,des alphabetischem Psalms 119* gibt er
die einzelnen Buchstaben des l;iebräischen Alphabets in heb-
räischer Quadratschrift, was die späteren, des Hebräischen
unkundigen Abschreiber in der Regel höchst ungeschikt nach-
zumalen versuchen.
Pechi hat den Zweck, den er bei Abfassung dieser schwie-
rigen und umfengreichen^ Schrift verfolgte, vollständig erreicht;
mit ihr hat er dem Sabbatharierthum eine gleichförmige, fest-
stehende Liturgie und einen, das gesammte gottesdienstliche
und Privatleben umfassenden, Ritualcodex gegeben. Sein Gebet-
und Ritualienbuch ist bis zum heutigen Tage, also durch volle
dreieinhalb Jährhunderte, das pietätsvoll gehütete, heilige Buch
der Sabbatharier geblieben.
Die religiösen Anschauungen und Bräuche des
unter Pechis Leitung stehenden Sabbatharier-
thums. (1624-1638.)
Seitdem der ehemalige Reichskanzler die Fahne des Sab-
batharierthums entrollt hatte, wurde er von Freunden und von
Widersachern als Führer desselben anerkannt. Und er war es
auch in der That. Wie sehr er sich als das kirchliche Ober-
haupt dieser Secte fühlte, beweist unter anderem die Thatsache,
dass er, wenn dem Lande, oder dem Sabbatharierthum Gefahren
drohten, Fasttage anordnete, für welche er besondere Gebete
1 ^Solche Verse sind: nSchmang (so die Transseription nach der Aus-
sprache der Sephardim) Jiszrael** 5. B. M. 6, 4; ,Adonaj bu ha-Elohim'*
I. Kön. 18, 39.
' Ps; 119 wird nach dem sephardischen Ritus am SabbaÜi-Nachmittag
gesagt.
» Die verschiedenen Exemplare umfassen, obwohl Pechi jede Wiederholung
vermeidet, imd auf bereits übersetzte Gebetstücke, wenn sie noch einmal vor-
kommen, immer nur verweist, in der Regel zwischen 5 und 600 eng geschriebene
Oetavseiten.
188
verfasste, die er an die Gemeinden seiner Getreuen verschickte.^
Von Szent-Erzsebet, seinem Wohnorte, gingen die Missionäre
aus, welche in seinem Auftrage, zum Theil wohl auch in seinem
Solde, das Sabbatharierthum verkündeten,^ von dort die Losungs-
worte und Weisungen, welche den Anhängern desselben im
ganzen Lande zur Richtschnur dienten. Und die neue Secte
erblühte und erstarkte unter Pechis Führung, indem sie mit
raschen Schritten unaufhaltsam in der Richtung vorwärts ging,
die er ihr vorzeichnete.
Vor Pechis öffentlichem Auftreten war das Sabbatharier-
thum noch im Werden begriffen und bestrebt, die Grundlagen,
auf welchen es sich erheben sollte, zu schaffen, zu festigen
und zu vertheidigen: jetzt erscheint es als organisirte Secte,
welche don Boden, auf dem sie steht, bereits für fest und
sicher genug hält, um ihr religiöses Leben auf ihm auf- und
auszubauen. Vordem war das Streben des Sabbatharierthums
hauptsächlich darauf gerichtet, dass es die herrschenden reli-
giösen Ansichten als irrige, und die eigene Glaubenslehre als
die richtige erweise; das ist ihm jetzt ein überwundener Stand-
punkt. Es polemisirt nur mehr selten gegen die übrigen Reli-
gionen, noch seltener sucht es die Richtigkeit des eigenen
Glaubens zu erhärten. Das Sabbatharierthum ist der
allein wahre Glaube — das gilt ihm bereits als fest-
stehende Thatsache, die mehr keines Beweises bedarf. Die Frage,
deren Lösung es beschäftigt, ist nur mehr die: was folgt
aus den Wahrheiten dieses Glaubens !
Indem Pechi diese Frage im Namen des Sabbatharierthums
beantwortete, zog er aus den von Andreas E6ssi aufgestellten
Thesen mit rücksichtsloser Kühnheit die letzten Gonsequenzen.
Das Sabbatharierthum, das bis dahin zumeist nur religiöse
Theorie gewesen, ward nun zur religiösen That. Allgemein
gehaltene Lehren wurden in bestimmte Formen gegossen und
in genau umschriebene religiöse Handlungen umgesetzt, und
die kleine Gemeinde der Sabbatharier näherte sich, von Pechi
mit fortgerissen, mit mächtigen Schritten dem Judenthume,
zu dessen Grundlehren sie sich schon vordem bekannt hatte.
In der Schule Eössis war das christliche Bewusstsein
noch so stark, dass sie das Neue Testament über das Alte
1 Auf zwei solche „Bittgebete" kommen wir noch im Folgenden zurück.
» Vgl. die Beschwerdeschrift des reformirten Status ob. S. 172.
1H9
stellte, und die fortdauernde Gültigkeit des mosaischen Gesetzes
vornehmlich damit zu begründen suchte, dass es auch von
Jesus und seinen Aposteln beobachtet und gelehrt worden sei
(ob. S. 89 u. 122). In dem Sabbatharierthume Pechis ist das Neue
Testament bereits ganz in den Hintergrund gedrängt; nur das
Alte gilt ihm als Heilige Schrift, und diese, oder einfach: das
Gesetz ist ihm die alleinige Quelle des wahren Glaubens.
Es hat den Versuch, das Christenthum mit dem Juden-
thume auszugleichen, aufgegeben, aus dem einfachen Grunde,
weil es das Christenthum selber aufgegeben hatte.
Die Heilige Schrift muss als Gottes unabänderliches Wort,
ihrem ganzen Umfange nach unbedingt und blindlings befolgt
und selbst dann als Wahrheit angenommen werden, wenn
die Wissenschaft, oder die Erfahrung gegen sie zu beweisen
scheinen. Was sie sagt, muss wahr sein. »Wahre Wissen-
schaft und richtiges Denken findet sich nirgends, es sei denn
in dem göttlichen Gesetze; ausserhalb desselben klügeln wollen,
ist Thorheit, . . . Irrthum 'Alles, was ohne und w i d e r das
Gesetz geredet wird.«^
Neben dieser allein massgebenden Heiligen Schrift
schrumpfen die Evangelien, welche vordem in der Do^-matik
des Sabbatharierthums eine so hervorragende Bedeutung hatten,
zu einem blossen wissenschaftlichen Behelf zusammen. Auf die
Glaubenslehre, oder auf die religiöse Praxis wird ihnen mehr
keinerlei Einfiuss eingeräumt. Ihre nur mehr selten und immer
nur gelegentlich angeführten Angaben werden, so sie dem
massoretischen Texte des Alten Testamentes widersprechen,
rundweg als unrichtig bezeichnet, und Pechi beruft sich, um
die wahre Bedeutung einer Psalmenstelle festzustellen, wader
den Evangelisten Marcus auf — Rabbi David Kimchi.^
1 Pechi zu Ps. 119, 66 und 113. Zu das. 104, 3 bemerkt er: „Dass über
den Himmeln Wasser seien, gibt die Wissenschaft nicht zu ; aber die Heilige
Schrift, Genes. 1 und Psalm 148, beweiset klar, dass die Feste des Himmels
die obern Wasser von den untern absondert, und dasselbe beweiset
auch diese Stelle." Das. zu 104, 26 erzählt er, genau nach den jüdischen
Quellen, die Legende vom Leviathan und fügt sodann hinzu : „Damit man das
Alles nicht für eine Fabel halte, rühmt sich Gott selber, bei Hiob,
mit der wunderbaren Beschaffenheit und mit der Beschreibung der Grösse
desselben (d. j. das Leviathan,) S. das. Gap. 40 in fine et 41 in integro."
* S. z. B. die Bemerkung Pechis zu Ps. 22, 2 und 17, die Leseart der
Vulgata „foderunt" sowie das «lamma sabakthani" „stehe nicht im jüdischen
Texte* wobei er sich zur richtigen Erklärung dieser Stellen auf Kimchi beruft.
190
Ein sabbatharisches Passahlied, das Pechi während seiner
Kanzlerschaft schrieb, verherrlicht noch »den heiligen Jesus,
Mariens Sohn«, den die' allen Sabbatharier, wenn auch nur
ini figürlichen Sinne, noch als »Sohn Gottes« zu bezeichnen
pflegten.^ Jetzt ist von allemdem keine Spür mehr zu entdecken.
Die von Pechi und seinen jüngeren Zeitgenossen verfassten
n e u ä n sabbatharischen Gesänge erwähnen nirgends mehr den
Nanien Jesus. Dafür werden die älteren Gesänge einer genauen
Durchsicht unterzogen. Die zahlreichen auf Jesus, die Apostel
oder die Evangelien sich beziehenden Stellen werden ent-
weder in jüdischem Sinne überarbeitet, oder einfach gestrichen,
christianisirende Gesänge, wie z. B. P6chis obenerwähntes
Passahlied, gänzlich bei Seite gelegt. ^ An den wenigen Stellen
in anderweitigen sabbatharischen Schriften, die sich noch auf
Jesus berufen, geschieht dies nur um die Berechtigung gewis-
ser jüdischer Auffassungen und Bräuche nachzuweisen, die
Jesus, der genau nach dem Gesetze Moses lebte, sicherlich
genau gekannt und richtig geübt hat*
Bei solchen Anschauungen konnte der mit dem ursprüng-
lichen Sabbatharierthum organisch verbundene Chiliasmus
mehr keinen Platz in der Dogmatik des durch Pechi verkün-
deten Sabbatharierthums finden. Diesem war Jesus überhaupt
nicht mehr der »grosse Messias;« es konnte daher auch den
Glauben nicht aufrechterhalten, dass Jesus, der in Folge der
Sündhaftigkeit seiner Zeitgenossen seine messianische Sendung
nicht erfüllen konnte, neuerdings erscheinen werde, um sein
unterbrochenes Werk zu vollenden und das tausendjährige
Gottesreich zu errichten (ob. S. 92). Der Erlöser, auf den die
Sabbatharier Pechis harren, ist der Messias der Juden, und was
sie von ihm erwarten, ist die Erfüllung der Hoffnungen Israels.
Sie beten mit den Juden, dass der Sohn Davids kommen
möge »bald in ihren Tagen.« Er wird, so glauben sie, »dem
1 Vgl. ob. S. 87.
> Auf diese, zum Theil gewaltsame, Gorrecturen und Hinweglassungen
kommen wir bei Besprechung des Neuen Sabbatharischen Gesangbuches zurück.
8 Vgl. die Anmerkungen P6chis zu den Psalmen, welche die Kirche auf
Jesus bezieht, (ob. S. 169). In der „Belehrung", die P6chi bezüglich der religiösen
Bräuche während des Festmahles am Passah-Abend gibt, beruft er sich eben-
falls auf Jesus, um zu beweisen, dass dieses Passahmahl (S e d e r) das richtige
Heilige Abendmahl sei. Doch ist dieser Theil der Belehrung in den späteren
Handschriften bereits weggelassen.
191
^esammten Israel bringen Befreiung aus seiner jetzigen Scla-
verei und den grossen Tag, wo seine Knechtschaft in Freude
und Ansehen sich wandelt. Ob es auch von dieser ganzen
Welt verachtet und verfolgt wird: der Herr erhebt es wun-
derbar, und dann bewundern es die Könige und Völker alle.«*
Jerusalem »wird seine alte Schönheit verliehen, die ihm ver-
heissene Herrlichkeit.« In dem Gottesreiche, das dann anbricht,
»bekehren sich alle Heiden zu dem einen Gotte; alle Götzen
und Götzendiener verschwinden: es bleibt nur ein wahrer
Glaube und eine wahre Religion, das ist die wahre Erliennt-
niss des einzigen Gottes durch seinen wahren Messias.
So dass sodann das jüdische Volk nach dem ihm gegebenen
Gesetze, die heidnischen Nationen aber nach den dem N o a h
gegebenen sieben Geboten in Heiligkeit, Wahrheit
und Reinheit Gott dienen werden.«-
Diese sieben Gebote, die Pechi, dem Sabbatharierthum
zuliebe, in mehreren Punkten eigenmächtig ungeändert hat,'
sind seit Noah für alle »ausserhalb des Judenthums stehende
Völker« bindend, und für diese auch genügend. Den Juden
aber ist, »um sie zu grösserer Heiligkeit und Reinheit zu
erheben, ein besonderes Gesetz gegeben worden, dieweil sie
von Gott besonders auserkoren sind, zu sein ein heiliges Volk,
ein Priestereich, ja sein geheimer Schatz.«*
1 S. Pechi zu Ps. 118, 10 und 22.
* Das. zu 107, 1. ; vgl. das. zu 104, 1 ; 23, 31 und 41, 46, sowie das
Neue Sabbath. Gesangb. 36, 1—8.
* Bei ihm lautet das 1. Gebot: „Er glaube nur an einen Gott und nur
ihn bete er an und verehre er,** ferner das 3. „Er heilige den Sabbath
als Bund und Zeichen der Weltenschöpfung. " Diese beiden Gebote kennt wedej-
die jüdische Tradition (s. Synhedrin 56-a und Toszifta, Abodah-Sarah IX) noch
das Evangelium (s. Math. 19, 18 — 19 und Acta Apost. 15, 20 und 29,) auf welch
letzteres P6chi sich offenbar bezieht wenn er nach Aufzählung dieser sieben
Gebote bemerkt : „Es scheint, dass auch die Apostel unter der Gesetzesbeobarh-
tung der vom Heidenthum Bekehrten Aehnliches verständen haben." Nachdem
Pechi die beiden Gardinalpunkte des Sabbatharierthums, die Einheit Gottes
Tind die Sabbathruhe, unter die sieben noachidischen Gebote aufgenommen
bat, musste er, um die Siebehzahl nicht zu überschreiten, zu dem Auskunftsmittel
greifen, das Gebot der Gerechtigkeitsliebe mit dem der Nächstenliebe zu ver-
schmelzen, das Verbot der Gotteslästerung aber gänzlich wegzulassen.
* Pechi zu Ps. 117, 1; vgl. 2. B. M. 4 und 5 und 5. B. M. 2, 6 :
Interessant ist der Gegensatz in einem Neujahrsliede, in welchem der Monat,
192
Bei den Juden, welche die Vorsehung noch heute in
wunderbarer Weise beschützt,^ »ist die wahre Erkenntniss
Gottes;« sie befolgen das Gesetz seinem ganzen Umfange
nach und nach seiner einzig richtigen Auslegung.^
Schon das ältere Sabbatharierthum hat den Satz aufge-
stellt: »die Heilige Schrift ist durchweg so zu verstehen, wie
die im Stuhle Mosis sitzenden Schriftgelehrten sie erklärt
haben« (ob. S. 94). Doch hat es sich mehr mit der Theorie
als mit der Anwendung dieses Satzes beschäftigt; Pechis
Sabbatharierthum hat ihm practische Geltung verschafft.
Mit den Worten: »Es sagen die Weisen,« oder »die
Weisen erklären das folgendermassen« beruft er sich auf jene
Autorität in Glaubenssachen, nach welcher jede religiöse Frage,
ohne weitere Prüfung, mit Sicherheit zu entscheiden ist-
in den Schrifterklärungen der jüdischen Weisen erblickt er
die einzig richtige Bibelexegese, in deren Ethik die höchste
Sittenlehre, in deren Entscheidungen die Richtschnur für das
gesammte religiöse Leben. Daher bezeichnen auch die Process-
acten des über Pechi und seine Anhänger am Ende dieser
Periode (1638) abgehaltenen Ketzergerichtes die angeklagten
Sabbatharier nicht mehr als »Judais ir en de,« sondern direct
als Juden, und das Sabbatharierthum selber nicht, wie vordem,
als »J uden z er ei,« sondern rundweg als »jüdische Reli-
g ion,«3
Die von Pechi verkündete Lehre war thatsächlich ein
energischer, wenn auch immer innerhalb der Grenzen des
Möglichen und Erreichbaren bleibender Versuch, die letzten
mit welchem das Neujahr beginnt, bezeichnet wird als j,Monat Tischri in der
Sprache der Heiligen, — in unserer Sprache: (Tctober/ Neue?
S. G. B. 25, 28.
* Zu Ps. 44, 17 bemerkt P6chi : „Wenig fehlte, dass die Heiden sie
(die Juden) nicht alle vernichtet haben. Gott beschützte sie in wunderbarer
Weise ; so hat es auch die Geschichte Alberts, des Kaisers von Oesterreicli
bewiesen, wie Gott gestritten hat, die Juden zu beschützen.* — Albert 11. hatte
nämlich ein den Juden höchst feindliches Gesetz erlassen, starb aber bald
darauf; vgl. Graetz, Gesch. d. Juden Vm. S. 190.
« Neues S. G. B. 27, 38; 25, 28; 41, 12; Pechi zu Ps. 22, 1 und 4:
41, 1 ; 104, 1 ; 118, 10 und 22 u. s. w.
* Ihr Glaube ist „Judaica professio," und sie werden beschuldigt ,Judaicam
professionem exercere;* so wiederholt in den beireffenden Actenstücken, Monum
Gomit. R. Transs. X. S. 182—3 und 188—9.
193
Fäden, welche das Sabbatharierthum noch mit dem Christen-
thume verbanden, .zu zerschneiden und in ersterem die jüdische
Liturgie und die jüdischen Bräuche zur alleinigren (leltun^ zu
bringen. Und diese Lehre ist von den Sabl)athariern, die seine
Zeitgenossen waren, auch angenommen und genau hefolct
worden.
Von christlichen Bräuchen qder gottesdienstlichen Handlun-
gen ist mehr keine Spur bei ihnen zu entdecken, es sei denn, dass
manche unter ihnen gelegentlich noch das an sich confessions-
lose »Vaterunser« beteten, wie es scheint zumeist dann, wenn
es dem Einen oder dem Andern darum zu thun war, sein
Christenthum in einer für ihn am wenigsten anstössigen Form
vor Zeugen zu bethätigen.^ An ihren Kindern Hessen sie die
Taufe nicht vollziehen, und wenn die^^ wider ihren. Willen
dennoch geschah, so betrachteten sie es als ein Unglück für
sich und für das Kind. Das Heilige Abendmal nahmen sie
nicht, die Beichte legten sie nicht ab; wenn Familien- oder
anderweitige Rücksichten sie nicht bestimmten, vermieden sie
es sogar, die Kirche zu betreten. Die christlichen Feiertage
beobachteten sie nicht, obwohl einzelne, bald aus Vorsicht, bald
ihrem christlichen Gesinde zu Liebe, des Sonntags nicht
arbeiten Hessen. Selbst das Beten mit gefalteten Händen unter-
liessen sie, weil sie es als christliche Sitte betrachteten.^
Um so strenger beobachteten sie die jüdisch-religiösen
Bräuche und Vorschriften.
Pechis Lehren sind ihrem ganzen Umfange nach sicherlich
nicht sofort befolgt worden. Es ist nicht anzunehmen, dass
alle Sabbatharier schon damals sämmtliche Gebete und Cere-
monien verrichtet haben, die in seinem Gebet- und Ritualien-
buch vorgeschrieben sind. Dazu war ihnen die Sache, und
das hat ja Pechi selber gefühlt, (ob. S. 186), viel zu neu und
viel zu fremdartig. Im ganzen und grossen aber haben sie,
wie sich aus beeideten Zeugenaussagen, gerichtlichen Urtheilen
und anderwärtigen zeitgenössischen Quellen ergibt, sofort die
entschieden jüdische Richtung eingeschlagen, die er ihnen
' In solchen Fällen soll es auch Pechi gethan haben; s. die Zeugen-
aussagen, Mon. Gomit. X. S. 186—7.
* S. die Quellen in meinem „A Szombatosok" S. 300 flg. vgl. ob. S. 169,
und weiter unten über die Frau des Franz Konjis.
Dr. Kohn : Sabbatharier. 13
194
vorgezeichnet hat, und die wichtigsten, vielleicht die meisten
seiner Vorschriften gewissenhaft geübt.
Schon die älteren Sabbatharier haben sich, wenigstens
zum Theil, des Genusses der »unreinen Thiere« enthalten;
jetzt war die strenge Beobachtung der jüdischen Speisegesetze
das sicherste allgemeine Kennzeichen derselben. Als ihnen
der Process gemacht wurde, lautete die erste Frage, welche
man den Ortsbehörden, beziehungsweise den Zeugen vorzu-
legen pflegte: »Kennt ihr diejenigen, die Schweinefleisch,
Krebse, Aale, schuppenlose Steinbutten und Gründlinge nicht
essen?« Aber auch die als rein geltenden Thiere durft;en nur
dann gegessen werden, »wenn sie keine schwere Krankheit,
oder sonstige verbotene Zeichen an sich trugen« und nicht mit
einem scharfen, sch^enlosen Messer geschlachtet wurden.
Selbst schwer Kranke konnten nur »durch Ueberredung der
Doctoren« bestimmt werden, verbotene Speisen zu geniessen;
kleine Kinder, die es aus Genäschigkeit thaten, und etwa
einen Krebsfuss, oder ein Stückchen Speck assen, wurden
hart bestraft. Manche unter ihnen mochten, im Sinne der
diesbezüglichen rabbinischen Vorschriften, nicht einmal die
Küchengeräthe benützen, in welchen verbotene Speisen zube-
reitet wurden, sondern hielten für ihr nichtsabbatharisches
Gesinde »besondere Töpfe zum Kochen.« Schweine wurden
nicht einmal im Hause geduldet.^
Die bei den Juden üblichen Händewaschungen beobach-
teten sie unter den üblichen Benedictionen;^ vor und nach dem
Genüsse der Speisen verrichteten sie die entsprechenden Ge-
bete.* Bei besonderen Veranlassungen, speciell j^wenn einer
einen bösen Traum gehabt«, gelobten sie einen freiwilligen
Fasttag, den sie ganz nach dem betreffenden jüdischen Branche
zu begehen pflegten. Die Sterbenden legten das jüdische Sünden-
^ Die zeitgenössischen, ausschliesslich ungarischen Quellen s. in meinem
«A Szombatosok" H. 301 flg.
* In P6cbis Gebet- und Ritaalienbucb beisst es nach dem dbUchen
Segenspruch beim Händewaschen : , Sollte er kein Wasser haben, so reibe er
sich mit einem trockenen Tuche ab und spreche : Gelobt seist du* u. s. w., eine
Vorschrifly die kaum in einem jüdischen Grebetbuche, wohl aber im Schulchan-
Aruch, Orach-Ghajim 4, 23 zu finden ist.
* Vor dem Tischgebete, «wenn drei Männer beisammen sind,* auch die
übliche Aufforderung zum Verrichten des Gebetes (M es um an).
19.J
bekenntniss, oder, wie sie zu sagen pfleßrten, die »jüdiselie
Beichte« ab. Ihre Todten begruben sie unter den üblichen
jüdischen Grabgebeten, und beobachteten vor und nach der
Beerdigung alle bei den damaligen sephardischen Juden üblichen
Sitten und Trauergebräuche. ^
Die Beschneidung ist von Pechi, obwohl er sie als »hei-
liges Hundeszeichen« anerkannte, nicht stricte gefordert worden.
Nichtsdestoweniger gab es Einzelne, welche diese, den älteren
Sabbathariern noch gänzlich unbekannte Ceremonie vollzogen,
an deren Folgen manche angeblich auch gestorben sein sollen.'
Die Ehe scheinen sie nicht nach jüdischem Ritus geschlos-
sen, beziehungsweise aufgelöst zu haben; das jüdische Trauungs-
rituale hat nicht einmal in Pechis Gebet- und Ritualienbuch
eine Stelle gefunden. Es fehlte ihnen offenbar an Sachverstan-
digen, welche befähigt waren, die Trauungsceremonie vorzu-
nehmen, oder den rituellen Ehevertrag (Kethuba), beziehungs-
weise Scheidebrief (Get) zu schreiben. Entscheidend mag wohl
der Umstand gewesen sein, dass nach jüdischem Ritus vor-
genommene Eheschliessungen und Ehescheidungen keine gesetz-
liche Anerkennung gefunden hätten. So kam es, dass sie sich
in solchen Fällen an den Geistlichen einer der recipirten Reli-
gionen wenden mussten.
Ihre Gebete waren die der türkischen sephardischen
Juden in Pechis oben gekennzeichneter ungarischer Uebersetzung.
An Wochentagen verrichteten sie dieselben zu Hause, an
Sabbath- und Festtagen versammelten sie sich in ihrem Syna-
gogen, oder im Hause eines ihrer Genossen und hielten,
wenn sie zum mindesten »zu zehn« (M inj an) waren, einen
gemeinsamen Gottesdienst ab^ wobei sie die entsprechenden
Abschnitte aus der Bibel und den Propheten, natürlich eben-
falls in ungarischer Uebersetzung, verlasen. Diese Vorleöungen,
sowie die daran geknüpften Belehrungen hielt, wo sie keinen
^ Die Sterbe- und Grabgebete finden sich am Schluss«", Boüinier am
Anfange des Gebet- und Rituaiienbuchs. Unter den Vorschrifien, die Pecfai fCa
Sterbefälle giebt, lautet der 5. Punkt: ^^Sobald ein Menseh gestorben ist,
schüttet man sofort alles Wasser aus, welches in dem betreffenden
H^use, oder in den benachbarten Häusern zu finden ist, denn man sagt, dass
<^er Tode sengel seine Waffe, mit welcher er den Menschen
Umgebracht hat, in diesem Wasser abwasche.*
* Die Quellen s. in meinem ,A Szombatosok* S. 802 ; vgl. ob. S. 117 u. 186.
13*
ne
eigenen Geistlichen hatten, das angesehenste Mitglied der
Gemeinde, der auch das bei den Juden übliche Gebet für den
Fürsten sprach.
Den Sabbath beobachteten sie mit äusserster Strenge,
wenn auch manche ihr Gesinde am Ruhetage arbeiten Hessen .
Die Glaubens strengen »gingen am Samstag nicht einmal ins
Dorf hinaus«, sondern hielten sich in ihren Häusern. Die Frauen
»zogen solche weisse Kleider an, die sie an Wochentagen nicht
trugen«; das Anzünden der Sabbathlichter war ihre specielle
Pflicht. Die Speisen für den Sabbath wurden schon am Freitag
zubereitet; was ihr Gesinde, oder ihre Feldarbeiter für ihren
eigenen Gebrauch am Sabbath kochten, galt ihnen als verbotene
Speise. Das Feuer auf dem Herde und im Ofen wurde schon
Freitag nachmittags ausgelöscht, und erst am Sabbathausgang
wieder angezündet.
Neben der Sabbathruhe war es* namentlich die strenge
Beobachtung des Passah, was die Sabbatharier als solche zu
verrathen pflegte. In den Sabbatharierprocessen am Schlüsse
dieser Periode wird gegen die Angeklagten regelmässig als
stärkster Schuldbeweis die Zeugenaussage geltend gemacht, sie
hätten »das Fest der ungesäuerten Kuchen beobachtet«, oder
»während des Festes nur ungesäuertes Brod genossen.«
Auch die übrigen jüdischen Feste feierten sie in ähnlicher
Weise, wobei sie die betreffenden Bräuche und Ceremonien,
soweit es die Verhältnisse gestatteten,^ aufs gewissenhafteste
beobachteten, und die vorgeschriebenen Festgebete in feierlicher
Versammlung verrichteten. ^ Zu diesen Gebeten kamen noch
religiöse Lieder, in erster Linie die oben (S. 177) gekennzeich-
neten neuen sabbatharischen Gesänge, sodann auch solche
ältere, welche mit den streng jüdischen Tendenzen des neueren
Sabbatharierthums nicht in Widersprüchen standen.»
Dass die damaligen Sabbatharier, die in sechs verschie-
denen Schriften Pechis* eingehend behandelte jüdische Sitten-
1 Den Feststrauss am Hüttenfeste z. B. scheinen sie nicht gekannt zu
haben; die Beschaffung des Gederapfels (E thro g) sowie der Palmen- und
Myrtenzweige dürfte ihnen kaum möglich 'gewesen sein.
» Für alle diese Angaben s. die zeitgenössischen Quellen, zumeist protocol-
larischaufgenommeneZeugenaussagen, in meinem^A Szombatosok* S. 802—6.
. » Vgl. weiter unten das über das Neue Sabbathar. Gesang-
buch Gesagte.
* S. ob. S. 178.
197
lehre gekannt und, wenigstens in der Theorie, auch angenom-
men haben, unterliegt wohl keinem Zweifel. In wie weit sie
dieselbe auch bethätigten, lässt sich, bei dem Fehlen aller dies-
bezügliche Nachrichten, nicht mehr feststellen.
Verbreitung und Schicksale des Sabbatharierthums
während der zweiten Periode seiner Geschichte
(1624—1638.)
Seitdem sich Pechi an die Spitze des Sabl)atharierthums
gestellt hatte, war Szent-Erzsebet das sabbatharische Jerusalem
geworden, wo Pechis Herrenhof der Tempel, und Pechis Arbeits-
zimmer das Allerheiligste des Tempels war. Von dort ging-
die »Judenzerei« aus, welche zwei zeitgenössische Quellen
gleichmässig als »Krebsschaden« bezeichnen, der rasch und
unaufhaltsam um sich greift.^
Rings um das kleine Szeklerdorf entstanden, oder, so weit
sie schon vorhanden waren, erstarkten und erblühten die
meisten und grössten sabbatharischen Gemeinden. Der Udvar-
helyer Szeklerstuhl, in welchem Szent-Erzsebet lag, war kaum
anderthalb Jahre nach Pechis öffentlichem Auftreten bereits
»ganz von der Judenzerei inficirt.« Dasselbe war in dem an-
grenzenden Maroser Stuhl der Fall, namentlich in der Stadt
Marosväsarhely, wo die schon vordem in ansehnlicher Zahl
vorhandenen Sabbatharier sich beträchtlich vermehrten.^
Auch Klausenburg war, um den Ausdruck eines zeit-
genössischen Chronisten zu gebrauchen, »eines der Fundamente
des Sabbatharierthums« geworden. ^ Letzteres hatte überall
Eingang gefunden, wo Szekler wohnten und in Siebenbürgen
das ungarische Wort erscholl. In diesem Sinne hat Stephan
Katona v. Gelej, der glaubenseifrige Superintendent der sieben-
bürgischen Reformirten, wohl nicht zu viel behauptet, wenn er,
kurz nach der Verfolgung der Sabbatharier im J. 1638, mit
Bezug auf die Verbreitung derselben, die Worte niederschrieb:
» S. ob. S. 172 und Stephan Katona v. Gelej, Titkok titka S. 271.
a S. ob. S. 103 u. 107 ; vgl. Kereszt. Magvetö XVIII. S. 43.
3 Szalärdi, Siralmas Kronika (= Trauerchronik) S. 133 ; vgl. Monuni.
Gomit X. S. 26.
lOS
•>Es ist offenkundig, dass die Judenzerei das Land beinahe
überschwemmt hat.»'
Unter denen, die das Sabbatharierthum aufgriffen, befan-
den sich Leibeigne und freie Bauern, Bürger, sogenannte Tra-
banten, die das damalige Heer bildeten, Comitats- und Staats-
beamte, zahlreiche Mitglieder des unter den Szeklern stark
verbreiteten Kleinadels, nicht weniger vom höhern szekler
Adel, vor allem aber unverhältnissmässig viele Frauen, die
sich ja an allen religiösen Bewegungen in hervorragender
Weise zu betheiligen pflegen. Sie waren die eifrigsten Anhän-
ger und standhaftesten Märtyrer der verpönten Lehre, zumal
jene, die allein stehend, ihrer religiösen Ueberzeugung unbe-
hindert folgen konnten. Daher die auffallend grosse Anzahl
von Witwen, die sich in den Listen derer findet, die als
Judenzer angeklagt, oder verurtheilt wurden.^ Aber auch ver-
heiratete Frauen haben, oft wider den Willen ihrer Gatten, ja ihren
Männern Trotz bietend, ihre Küche und ihren Haushalt jüdisch
eingerichtet, und alles daran gesetzt, ihre Kinder zu Sabba-
thariern zu erziehen.
Ein interessantes nnd lehrreiches Beispiel ist das folgende:
Franz Komis, Oberrichter des Udvarhelyer Stuhls, war
Pechis Schwager, der Bruder seiner ersten Frau. Ihn selber
vermochte Pechi nicht für seine religiösen Ansichten zu
gewinnen; um so besser gelang ihm dies bei dessen Frau,
Judith, einer geborenen Bornemissza v. Käpolna, die eine glau-
benseifrige Sabbatharierin wurde. So oft sie ein Kind gebar,
setzte sie der Taufe desselben den hartnäckigsten Widerstand
entgegen, so dass ihr Gatte das Kind jedesmal förmlich stehlen
musste, um es hinter ihrem Rücken taufen zu lassen. Darüber
»kränkte sie sich sehr und zürnte darob« und beklagte sich
bitterlich, dass ihr Mann das Kind taufen und damit, wie sie
sich auszudrücken pflegte, »misshandeln« liess. Die wider ihren
Willen erfolgte Taufe ihrer Kinder suchte sie durch eine streng
sabbatharische Erziehung derselben wett zu machen. Nach
den übereinstimmenden Aussagen mehrerer beeideter Zeugen
hielt sie ihre Tochter Barbara »in erschrecklich strenger Dis-
1 Titkok-Titka S. 271.
* S. weiter über den Gerichtstermin zu De6s ; vgl. die Zeugenaussagen,
Kereszt, Magvetö XVIII. S. 43 flg.
199
ciplin bezüglich des Genusses von Schweinefleisch, Krebsen
und schuppenlosen Fischen«, und als sie einmal »in der Tasche
derselben den Fuss eines Krebses fand, prügelte sie sie tüch-
tig durch.« Als sie das bereits erwachsene Mädchen einst heftig
tadelte, dass es »sich nur an die Schriften der Apostel, nicht
aber an Moses und die Propheten halte«, sagte sie unter anderm:
»Erinnerst du dich Bärbchen, mit wie schweren Prügeln ich
dich zurückgehalten habe, eine Calvinerin zu werden V«
Und die fanatische Frau hat gerade bei dieser Tochter
ihr Ziel vollständig erreicht. Barbara hat später, als CJattin des
Peter Paczolay von Szentbenedek, ebenfalls wider den Willen
ihres Gatten, als eifrige Sabbatharierin gelebt. Wohl Hess sie
ihre Leibeigenen am Sabbath arbeiten, auch pflegte sie ihren
Gatten in die unitarische Kirche zu begleiten: bei alledem
aber »beobachtete sie die judaisirende Religion.« Sie erklärte
die Taufe für unnütz, feierte den Sabbath, genoss durch das
mosaische Ceremonialgesetz verbotene Speisen nicht, und ass
am Osterfeste ungesäuerte Kuchen.«^ Im Jahre 1638 ist auch
sie als Judenzerin verurtheilt worden.
Bezeichnend für die Verbreitung und Bedeutung des
damaligen Sabbatharierthums ist die grosse Anzahl Märtyrer,
welchen wir in dem Verfolgungsjahre 1638 begegnen werden.
Die Sabbatharier Hessen scharenweise die ihnen gewährte
letzte Frist verstreichen, ohne sich, wenn auch nur zum Sehern,
einer der recipirten Landeskirchen anzuschliessen. Sie warteten
vielmehr ruhig ab, bis man sie vor Gericht stellte, und ertru-
gen sodann mit Ergebung die über sie verhängten harten
Strafen. Bloss im Verlaufe des »Deeser Gerichtstermins«
wurden nahezu tausend Sabbatharier verurtheilt; zu diesen
kamen noch die Vielen, die der Vorladung nicht Folge leisteten
und über welche erst später abgeurtheilt wurde. Aber schon
damals wurden sie zu Hunderten in Ketten geschlagen und in
die verschiedenen Festungen des Landes geschleppt. Und das
waren bloss die Männer, denn die, allem Anscheine nach
in noch grösserer Anzahl verurtheilten Frauen wurden nur
mit dem Verluste ihrer Habe bestraft.^ Nun aber lehrt die
Geschichte der Religionsverfolgungen, dass auf einen Mär-
1 S. die Zeugenaussagen Tört. T4r, Jahrg. 1884, S. 546—557.
* S. weiter unten über den Gerichtstermin zu Dees.
200.
• tyrer immer und überall hundert, ja tausen!d Solcher zu
kommen pflegen, die in der Stunde der Entscheidung nicht
stark genug sind, für ihre Ueberzeugung zu dulden und zu
leiden. Die Zahl der damaligen Sabbatharier kann demnach,
ohne Uebertreibung, auf fünfzehn bis zwanzig Tausend
angesetzt werden.
Und alle diese waren tief durchdrungen von der Rich-
tigkeit und Heiligkeit ihres Glaubens, und im Innersten über-
zeugt, dass sie durch Annahme und Uebung des mosaischen
Gesetzes und der rabbinischen Tradition Bekenner der allßin
wahren Religion geworden sind.
Vordem, so sangen sie am Versöhnungstage, haben sie
in Unreinheit gelebt, in den Netzen Satans schmachtend. Aber
Gott hat sie, wie einstens Israel, aus der Finsterniss erlöst
und »mit grosser Gnade erwählt unter den Kindern dieser
Welt, auf dass sie zu ihrer Schar nicht mehr gehören.«
Sie haben sich losgesagt »von der Blindheit ihrer Vorfahren«,
von dem ererbten »Götzendienst« und haben gebrochen mit
den Traditionen ihrer Ahnen.^ Sie waren sich dessen wohl
bewusst, dass sie nicht zu »dem Gott ihrer Väter« beten
(ob. S.l 83), und wiederholten es deshalb mit immer andern
Worten, dass sie mit Bezug auf den Glauben keine Väter
haben, sondern sich als Waisen fühlen:
Was unsere Väter einstens angenommen,
Und wir als Erb' von ihnen überkommen —
Wir weisen's von uns, gehn nicht ihre Wege.
wolle Herr der vaterlosen Armen,
Der Waisen Dich erbarmen !*
Ihre irdischen Väter verlassend, haben sie ihren himm-
lischen Vater gefunden, dessen Willen sie nunmehr in Gemein-
schaft mit den Juden erfüllen, und dessen wahre Verehrung
wie bei jenen, so auch in ihrem kleinen Lager ist. Ihre sämmt-
lichen religiösen Gesänge aus dieser Zeit schliessen mit über-
strömendem" Danke dafür, dass Gott sie, die »wilden Setz-
linge« auf seinen alten heiligen Baum gepfropft und seiner
i Neues Sabb. G. B. 31, 6—7 ; 41, 23 ; 30, 8 u. s. w.
2 Das. 41, 74; vgl 41, 19 u. 43, 6.
201
Wahrheit und der richtigen Uebung seines Gesetzes theilhaftig
gemacht hat.^
Dass das Sabbatharierthum seit dem Tode des Fürsten
Gabriel Bethlen derart erstarken und solche Fortschritte machen
konnte, hatte es, neben Pechis eifriger Propaganda, der Gunst
der damaligen politischen Verhältnisse zu verdanken.
Georg Räköczi L, der in den ersten Jahren seiner Regie-
rung vollauf zu thun hatte, seinen von verschiedenen Seiten
bedrohten Fürstenstuhl zu sichern und zu festigen, durfte
unnöthigerweise keine Schwierigkeiten heraufbeschwören.
Er brauchte Freunde und Parteigänger, und musste Alles
vermeiden, was ihm neue Widersacher schaffen konnte. Nun
stand aber Pechi den Bethlens, welche die meisten seiner con-
fiscirten Güter besassen, feindlich gegenüber (ob. S. 173), was
ihm in den Augen Räköczis, der in Johann Bethlen, dem
Bruder des verstorbenen Fürsten, einen gefährlichen Gegner
sah, zur nicht geringen Empfehlung gereichte. Dazu kam, dass
der schon früher mit den mächtigsten Familien des Landes
verschwägerte Pechi durch die Verheiratung seiner fünf Töchter
zu ebenso vielen angesehenen Familien in neue verwandt-
schaftliche Beziehungen getreten war.^ Räkoczi hatte demnach
alle Ursache, den wieder zu Reichthum, Ansehen und Einfluss
gelangten und von einer Schaar fanatischer Anhänger umgebe-
nen Mann zunächst noch rücksichtsvoll zu behandeln, gegebe-
nen Falls sogar seine guten Dienste in Anspruch zu nehmen.
Pechi, der die Stelle eines Regierungsrathes bekleidet zu haben
scheint,^ hatte beim Hofe freien Zutritt, und stand noch unmit-
telbar vor seiner im Jahre 1638 erfolgten Verurtheilung in
persönlichem Verkehr mit dem Fürsten.*
Raköczi wurde, wie wir oben (S. 172) gesehen, bald nach
seinem Regierungsantritte von der herrschenden reformirten
Kirche mit bittern Klagen über das einem Krebsschaden gleich
um sich fressende Sabbatharierthum und dessen Führer Pechi
1 Das. 28, 1; 30,9; 29, 22; 41,20; 27,42; 31, 26. Diese Dank-
sagungen fehlen nur in jenen Gesängen, welche poetische Bearbeitungen
jüdischer Gebelstücke sind.
* lieber die Familienverhältnisse P6chis s. weiter.
« S. die i. J. 1633 im Namen des Regierungsrathes an den türkischen
Feldherrn gerichtete Antwort P6chis, Monum. Comit. X. S. 244.
* S. die Briefe P6chis aus d. J. 1637, Kereszt. Magvelö XVIII. S. 170.
202
bestürmt. »Deshalb — so schliesst die betreffende Beschwerde-
schrift — bitten wir ergebenst, Ew\ Hoheit wolle in Ihrer
Weisheit, im Vereine mit Ihren Käthen, Mittel und Wege
finden, die Weiterverbreitung dieser schädlichen Secte zu ver-
hindern, wofür der Herr Ew. Hoheit segnen und in der Regie-
rung befestigen wird.«
Rdköczi hat diese Beschwerdeschrift wohl mit dem eigen-
händigen Vermerk versehen: »In der Sache muss serio requi-
riret werden;« thatsächlich ist aber nicht einmal das geschehen.
Pechi und sein Anhang blieben vollständig unbehelligt, trotz-
dem sich kaum zwei Jahre später ein Ereigniss abspielte, das
ganz danach angethan war, den Sabbathariern den Hass und
die Rachsucht des ohnehin misstrauischen und gewaltthätigen
Fürsten zuzuziehen.
Moses Szekely, der Sohn des im Jahre 1603 gefallenen
gleichnamigen siebenbürgischen Fürsten, Oberrichter des Udvar-
helyer Szeklerstuhles, gin^ nämlich im Jahre 1633 mit mehre-
ren Gesinnungsgenossen heimlich aus dem Lande und schloss
sich dem Türken an, welchen er die Ueberlassung einiger
siebenbürgischer Landestheile versprach, falls es ihm mit Hilfe
der Pforte gelingen sollte, Räkoczi zu stürzen und dessen
Fürstenstuhl einzunehmen. Mit den wenigen Truppen, die er
vom Pascha in Temesvär erhielt, und einer kleinen Schar von
Szeklern, die sich ihm angeschlossen hatte, versuchte er bald
darauf in Siebenbürgen einzufallen, ward aber geschlagen, worauf
er nach Konstantinopel flüchtete, wo er über Betreiben des
Gesandten Räköczis eingekerkert wurde.
Nun war aber die Mutter dieses Szekely eine Schwester
von Pechis erster Frau (ob. S. 138). Der Verdacht, dass dieser an
dem Unternehmen seines Neffen betheiligt war, lag umso näher,
als auch ein zweiter Neffe Pechis, Franz Petki, sich den Auf-
ständischen angeschlossen hatte, und die ersten, die mit Moses
Szekely das Land verlassen hatten, um sich den Türken anzu-
schliessen, zumeist Sabbatharier, sämmtlich aus dem Udvar-
helyer Stuhle, also aus Pechis nächster Nachbarschaft waren.
Räkoczi glaubte auch zu wissen, dass die Sabbatharier im
ganzen Lande mit Szekely einen geheimen schriftlichen Ver-
kehr unterhielten und ihm Nachrichten und Hilfsgelder zu-
kommen Hessen.
Alle diese Umstände sprechen dafür, dass Moses Szekely
203
gleich den meisten übrigen Verwandten Pochis, selber Sal)ba-
tharier war. und dass die Sabbatharier sein Unternehmen,
wenn auch nicht gerade veranlasst, so doch eifrig gefördert
haben. Sie standen damals auf dem Gipfel ihrer, freilich nie-
mals grossen Macht, ihr Selbstbewusstsein war mit der Zahl
ihrer Anhänger gestiegen, und sie scheinen sich mit weit-
gehenden Plänen getragen zu haben. Sie erwarteten offenbar,
dass ein Fürst, der ihre religiösen Anschauungen theilte, wenn
er durch ihre Hilfe zur Herrschaft gelangt, ihnen und ihrer
Secte das goldene Zeitalter bringen werde.*
Räköczi war zwar, wie er seinen Vertrauten gegenüber
äusserte, im Innersten überzeugt, dass die Sabbatharier, na-
mentlich Pechi, 'den Aufstand Szekelys unterstützten; nichts-
destoweniger Hess er sie auch nach Niederwerfung des Auf-
standes vollständig unbehelligt. Er konnte und wollte ihnen
ihre Treulosigkeit nicht nachweisen. Auch war Pechi loyal,
oder vorsichtig genug, im Verlaufe der Unterhandlungen, die
während des Aufstandes mit den Türken geführt wurden,
im Namen des Regierungsrathes entschieden für Räkoczi ein-
zutreten.3
Die Ruhe und Sicherheit, deren sich die Sabbatharier
erfreuten, wurde auch durch die strengen Beschlüsse nicht
gestört, w^elche der Landtag zwei Jahre später (1635) gegen sie
fasste. Die zur Unterdrückung des Sabbatharierthums geschaf-
fenen älteren Gesetze w^urden wohl neuerdings, jetzt zum
sechstenmale bekräftigt, weil die versammelten Stände die
Wahrnehmung machten, »in welchem Masse die im Lande
befindlichen judaisirenden Menschen sich vermehren.« Es wurde
beschlossen, dass Alle, die sich bis zu Weihnachten des kom-
menden (1636-er) Jahres nicht feierlich vom Sabbatharierthum
lossagen und öffentlich zu einer der recipirten christlichen
Kirchen übertreten, mit dem Tode und mit Vermögenseinzie-
hung bestraft werden. ^
Aber dieser Termin verstrich, und die Sabbatharier blieben
gänzlich unbehelligt. Mittlerweile waren nämlich zwischen
1 Diese Annahme erklärt den sonst unverständlichen, durch die Jamalige
polilische Lage durchaus nicht motivirten Ausbruch und das schmähliche Ende
der Empörung Sz6kelys ; s. über dieselbe K e m 6 n y, Selbstbiographie S. 259 ;
Szalardi, a. a. 0. S. 45 u. Monum. Gomit. Tr^nss. IX. 163 u. X. S. 16.
» Monum. Gomit. X. S. 244.
8 Das. IX. S. 415.
204
Räköczi und Stephan Bethlen ernste Misshelligkeiten ausge-
brochen, die zuletzt zum Kriege führten.
Bethlen, der sich mit dem Pascha von Ofen verbündet
hatte, griff mit einem aus ungarischen und türkischen Truppen
bestehenden Heere die zu Siebenbürgen gehörigen ungarischen
Landestheile an. Die siebenbürgischen Stände, unter welchen
»aus Furcht vor den Türken eine grosse Beunruhigung herrschte«
bezeigten nur wenig Eifer für die Sache Rakoczis, vi^ährend
Pechi, schon infolge des feindseligen Verhältnisses, in welchem
er zu Bethlen stand, den bedrängten Fürsten nach Kräften
unterstützte. Seinem Beispiele folgten selbstverständlich alle
Sabbatharier, die beim Ausbruch des Krieges einen allgemeinen
Bet- und Bussetag abgehalten zu haben scheinen. Das von
Pechi verfasste »Gebet wider Waffen gefahr«, welches von der
schmerzlichen Klage ausgeht, »dass im Vereine mit einer
fremden Nation, unser eigenes Volk aufgebrochen ist und
unser Land und unsere Güter verwüstet«, ist nämlich wahr-
scheinlich aus diesem Anlasse geschriebei;.^ Die fastenden
Sabbatharier flehten »zu dem Herrn der Heerschaaren, dem
allmächtigen und unbesiegbaren König, der auf den Cherubim
thront«, er möge das Land »vor den gefährlichen Verwüstun-
gen und den Waffen der grimmigen Völker beschützen« und
die Feinde »vernichten und zu Schanden werden lassen.«
Franz Parkas, einer der Schwiegersöhne Pechis, erschien
noch vor Ausbruch des Krieges als Vertrauensmann und Ge-
sandter Rakoczis wiederholt im Lager Bethlens, um mit diesem
zu unterhandeln. Pechi selber hat nach Beendigung des Krieges
sowohl den mit den Türken abgeschlossenen Friedensvertrag,
als auch das mit Bethlen getroffene Uebereinkommen im Namen
des Fürsten mitunterschrieben.^
Am Anfange des Jahres 1637 sah sich Räköczi endlich
als Herrn der Situation und stark genug, gegen Pechi und die
Sabbatharier, mit deren Hilfe er soeben gesiegt hatte, mit aller
Strenge aufzutreten. Er beschloss, die ihm günstige Situation
zu benützen, und gegen die Sectirer und ihr Oberhaupt einen
entscheidenden, wenn möglich vernichtenden Streich zu führen.
* Das betreffende Gebet ist in den meisten Handschriften von P6chis
Gebet- und Ritualienbuch zu finden.
8 Tört. Tar 1884, S. 309 flg. ; üj Magy. Muzeum (= Neues Ung. Museum;
1856. S. 245—6 ; Monum. Comit. IX. S. 580.
205
Georg Räköczi I. bereitet einen vernichtenden
Schlag gegen das Sabbatharierthum vor.
Auf den Entschluss Georg Raköczis I., gegen das Sabba-
tharierthum auf das rücksichtsloseste vorzugehen, haben (iründe
der verschiedensten Art bestimmend eingewirkt.
Die Sabbatharier bekannten sich zu einer Religion, deren
l'ebung von der höchsten gesetzgebenden Körperschaft Siol)en-
bürgens, dem Landtage, wiederholt aufs strengste verboten
und mit den härtesten Strafen belegt worden war Das Sabl)atha-
rierthum, das damals bereits ein halbes Jahrhundert bestand,
war thatsächlich eine ebensolange fortgesetzte Ilerausforderunir
und Verhöhnung des bestehenden Gesetzes. Rdkoezi konnte
sich daher mit Recht darauf berufen, dass er mit der Unter-
drückung desselben nur eine Regentenpflicht erfülle, und mit
der Züchtigung der Sectirer das beleidigte Gesetz an Jenen
räche, die es umgingen und verletzten.
Er konnte sich ferner auf sein christliches Gefühl berufen,
wenn er es nicht dulden mochte, dass eine aus dem Christ en-
thum hervorgegangene, aber zu demselben in directem Wider-
spruche stehende neue Religion in seinem Lande feste \\iirzel
fasse. Eine solche Religion war aber das Sabbatharierthum,
zumal seitdem es unter Pechis Führung die letzten Fäden,
welche es noch mit dem Christenthum verbanden, gelöst und
sich dem Judenthume so weit genähert hatte, dass seine
Bekenner geradezu »der Uebung der jüdischen Religion«
beschuldigt werden konnten (ob. S. 192). Der Uebertritt zum
Judenthume galt aber, im Sinne der Traditionen und der
Politik des damaligen -christlichen Staates, als schweres Ver-
brechen, das überall mit grösster Strenge geahndet wurde.
Dazu kam,' dass die durch ihre bisherige Straflosigkeit,
durch Pechis offene Parteinahme und durch die rasche Ver-
breitung ihrer Secte übermüthig gewordenen Sabbatharier
immer herausfordernder aufzutreten begannen. Sie begnügten
sich nicht damit, dass sie ihre jüdischen Bräuche öffentlich
üben, Synagogen einrichten, hier und dort sogar christliche
Kirchen für sich in Anspruch nehmen durften, sondern glaubten
die Zeit bereits gekommen, dem Hohne und der Beschimpfung»
mit welchen man sie überhäufte, mit denselben Waffen zu
206
begegnen. Sie schwiegen nicht mehr, wenn man sie lächerlich
machte, oder verlästerte ; namentlich die den untern Volks-
schichten angehörigen Sabbatharier pflegten auf die plumpen
Angriffe ihrer, auf derselben niedrigen Bildungsstufe stehenden
Umgebung nicht selten in der rücksichtslosesten Weise mit
rohen und beleidigenden Worten zu erwidern.
Solche Worte waren damals allerdings nichts Unge-
wöhnliches, sondern der allgemein übliche Ausdruck des
derben Tones, in welchem theologische Streitfragen, selbst in
gebildeten und gelehrten Kreisen behandelt wurden. So nennt
z. B. der damalige Hofprediger Parkas Katona v. Gelej, nach-
mals Bischof der siebenhürgisch-calvinischen Kirche, in einer
Räköczi I. gewidmeten theologischen Schrift die Unitarier
bald »N u 1 1 i t a r i e r, d. h. Menschen ohne Gott,« bald Heiden,
Ketzer, Narren, oder Blödsinnige. Georg Enyedi, den gelehrten
Bischof der Unitarier, bezeichnet er ebendaselbst als »Glied
des Teufels«, als »durch das Feuer der Hölle zu reinigende
unreine Seele«, und die unitarische Religion als »verdammten
Irrthum«, »pestilenzialische Ketzerei« und als »verfluchte,
ansteckende, aussätzige Saat.« Und dabei versichert er in dem
Vorworte: »Ich habe es nicht versucht, die Unitarier durch
harte, unerträgliche, rachsüchtige Worte absichtlich zu belei-
digen.«^
Bei alledem ist es unläugbar, dass das christliche Bewusst-
sein sich tief verletzt fühlen musste, wenn über kirchliche
Bräuche wegwerfend gesprochen und über Jesus Aeusserungen
laut wurden, wie z. B.: »Meinetwegen, mag auch Christus
mir nicht helfen, hat er sich doch selber nicht helfen können!«
Solche und ähnliche Aeusserungen Hessen sich aber die Sab-
batharier, und mehr noch die von ihnen zu unterscheidenden
und in gewissem Sinne dennoch zu ihnen gehörigen sogenannten
»Gotteslästerer,« wie es scheint, nicht sehen zu Schulden
kommen. 2
Um diese Zeit hatten nämlich, in Folge nationaler und
persönlicher Eifersüchteleien und Streitigkeitidi^ die im Schosse
der unitarischen Kirche ausgebrochen waren^ die gewaltsam
1 S. Titkok titka, Vorwort aH den Leser vl das. S. 202—3, 272-5
1072 u. s. w.
« Keresztöny Magvetö XVm. S. 44; Moaum. Comit. X. S. 28
207
unterdrückten Lehren des unitarischen Reformators und Mär-
tyrers Franz Davidis neuerdings zahlreiche Anhänger gefun-
den. Es kam so weit, dass die sächsischen und polnischen^
Lnitarier Siebenbürgens gegen ihre ungarischen, beziehungs-
weise szekler Glaubensbrüder öffentlich die Anklage erhoben,
dass sie »die Anbetung Christi und den Glauben an ihn ent-
weder vollständig verbieten, oder gar verlästern.«* Von
Räköczi zur Formulirung ihres Glaubensbekenntnisses auf-
gefordert, gaben sie erst nach langem Zaudern und nachdem
sie drei Synoden abgehalten hatten, die Erklärung ab, dass
sie den Glaubenssatz anerkennen, welcher die Anbetung
Christi lehrt.
Der obenerwähnte reformirte Bischof Katona v. Gelej
mag, als geschworener Feind der Unitarier, in seinen Anklagen
gegen dieselben zu weit gegangen sein: im Ganzen und Gros-
sen waren sie sicherlich begründet. Was er zum Theil selber
gesehen und erfahren haben will, stimmt mit den im Jahre
1638 vor dem Gerichtshof in Dees gemachten Zeugenaussagen
im wesentlichen überein. Unter den damaligen szekler Uni-
tariern haben viele über Jesus und über christliche Dogmen
und Bräuche ebenso rohe, ja noch verletzendere Aeusserungen
fallen lassen, als die Sabbatharier.^
Diese im Lager der ungarischen Unitarier entstandene
religiöse Bewegung lief mit der damaligen raschen Verbreitung
des Sabbatharierthums parallel; die erstere hat der letztern
unbestreitbar namhaften Vorschub geleistet. Ausserdem haben
sich die szekler Sabbatharier, so oft sie im Namen des Ge-
setzes verfolgt wurden, regelmässig hinter die ungarischen
Sabbatharier versteckt, aus deren Mitte sie hervorgegangen
waren, zu welchen sie äusserlich noch immer gehörten, und
mit welchen sie, abgesehen von ihren jüdischen Bräuchen und
^ Unter den sächsischen Unitariern sind selhstverständlich die siebenbüiger
Sichsen za verstehen; die unifcarische Kirche im benachbarten Polen galt als
Mutt^kirche, welcher der Streit der siebenbOrgischen Unitaricr zur Entscheidung
▼oq^elegt wurde. Uebrigens gab es auch SiebenbOrger polnischer Nationalitftt,
welche Unitarier waren.
* Monnni. Comit. X. S. 17—8.
s Ueber diese, mit dem Sabbatharierthum gleichzeitig unt^drückte Bewe-
gung unter den siebenbürgischen, speciell ungarischen Unitariern s. die Quellen
in meinem ,A Szombatosok'* S. 215—6.
208
Gebeten, in dogmatischer Beziehung die meisten Berührungs-
punkte hatten.^
In dieser Sachlage musste Räköczi einen fernem Grund
zur unerbittlichen Unterdrückung des Sabbatharierthums er-
blicken. Er wollte, offenbar auf Betreiben seines fanatischen
Hofpredigers Katona v. Gelej, die gute Gelegenheit benützen,
gleichzeitig auch die Unitarier zu schwächen und zu schädigen
— selbstverständlich zu Gunsten seiner eigenen Kirche, der
calvinischen, die damals in Siebenbürgen die herrschende war.
Wie fest er bei seinem Vorgehen gegen die Sabbatharier auch
dieses Ziel im Auge behielt, wird sich aus den weiter unten
erzählten Ereignissen ergeben.
Dazu kamen noch ernste Rücksichten politischer Natur.
Es IS bereits oben (S. 203) erzählt worden, dass Räköczi den
vielleicht nicht ganz unbegründeten Verdacht hegte, dass Pechi
und die Sabbatharier die Ränke des mit den Türken verbün-
deten Thronprätendanten Szekely im geheimen unterstützten.
Sein Verdacht wurde durch seine Gesandten in Konstantinopel
genährt und wach erhalten. Einer derselben schrieb ihm noch
am 14. September 1635, also zwei Jahre nach Vereitlung des
Szekely'schen Putsches: »In Siebenbürgen glimmen noch Kohlen
von dem Szekely'schen Brande; es müsste mit Wunder-
dingen 5iugehn, wenn namentlich Simon Pechi
nicht dabeibetheiligt wäre.w^ Der in Konstantinopel
eingekerkerte Moses Szekely konnte in den Händen der Tür-
ken gelegentlich noch als gefährliche Waffe gegen Räköczi
benützt werden, dem noch im März 1636 ein Eilbote die
* Als Räköczi die szekler Unilarier aufforderte, ihr Glaubensbekehnlniss
vorzulegen, beschlossen sie in der i. J. 1637 zu Torda abgehaltenen Synode,
dieser. AuffordÄrung mit der Ueberreichung des zur Widerlegung der Trinitäts-
lehre geschriebenen Buches ihres einstigen Bischofs Georg Enyedi zu entsprechen,
desselben Enyedi, der als „Halbjude " verschrien war. Dieses Buch (Explicationes
Locorum Scripturae Veteris et Novi Testamenti, ex quibus Trinitatis dogma
stabiliri solet S. a. e. 1.) enthält aber u. a. den Passus : „Es ist eine gewisse
Sache, dass Christus und die Apostel mit Moses nicht im Widerspruche stehen/
Dieselbe Ansicht verficht noch in dem Vorworte seiner 16.19 erschienenen
ungarischen Uebersetzung dieses Buches der damalige unitarische Bischof
Matthäus Toroczköi, dessen Sohn später, während der De6ser Gerichtsverhand-
lungen, gesteinigt wurde. S. das folg. Kap. Vgl. Kurz, Magaz. f. Gesch. u. Literat.
Siebenbürgens H. S. 426.
» Monum. Corait. Transs. IX. S. 193 u. X. S. 16.
209
alarmirende Nachricht brachte, in Belgrad sei das Gerücht
verbreitet, däss Szekely aus der Haft entlassen wurde und dem-
nächst dorthin kommen werde.^ Der beunruhigte Fürst glaubte
demnach in Pechi und den Sabbathariern geheime Verbündete
eines noch immer zu fürchtenden Feindes zu treffen. Durch
ihre Vernichtung sollten die »noch glimmenden Kohlen des
Szekely'schen Brandes« vollends ausgelöscht werden.
Zu allen diesen Gründen gesellte sich noch Räkoczis
unersättliche, erbarmungslose Habgier, die sich ihrer Opfer
am liebsten unter gesetzlichen Vorwänden und Formen zu
bemächtigen suchte.
Zeitgenössisohe Berichte der verschiedensten Art wissen
gleichmässig davon zu erzählen, dass der Fürst denjenigen,
deren Güter ihm in die Augen stachen, unter irgend einem
Vorwande einen Process anzuhängen pflegte, ki w^elchem er
sie zum Verluste ihres Vermögens verurtheilen Hess, das er
sodann für sich mit Beschlag belegte. Das rückt ihm ein zeitg-
nössisches Spottgedicht mit den schärfsten und beissendsten
Worten vor;^ der nachmalige Fürst Johann Kemeny wieder-
holt es in ruhigem Tone und mit der Bemerkung »ich schreibe
die Wahrheit cum reverentia,«» aber mit derselben Bestimmt-
heit, und zahlreiche schreiende Thatsachen bestätigen diese
Anklage, deren Wahrheit die richtende Geschichte anerkannt
hat.* Neben religiösen und politischen Gründen war es sicher-
lich auch Habgier, was Räköczi zur Verfolgung der Sabbatharier
bestimmt hat. Die in den Sabbatharierprocessen erllossenon
Urtheile lauteten bald auf Kerker-, bald auf Todesstrafe, dazu
aber immer auf Confiscirung des Vermögens. Wir
werden sehen, dass sie dem Fürsten thatsächlich ein bedeu-
tendes Vermögen eingebracht haben. Die Freiheits- und Todes-
strafen' sind nämlich fast immer erlassen, die confiscirten
Güter aber n i e zurückgegeben worden.
Der immer vorsichtige Raköczi bereitete den Streich,
den er aus allen diesen Gründen gegen das Sabbatharierthum
zu führen gedachte, auf das sorgfältigste vor.
* Joseph Kemeny, Notitia bist. — diplom. II. S. 264.
» Veröffentlicht von Koloman Thaly, Tört. Tär, 1881. S. 408.
3 Selbstbiographie S. 236—7.
* Köväry, Gesch. v. Siebenbürgen V. S. 29 flg.; Horväth, Gesch. v.
Unj:am V. S. 390.
Dp. Kohn ; Sabbatharier. 14
210
Zunächst Hess er, noch im Jahre 1637, an David Beke,
den ungarischen Bischof der Unitarier, den strengen Befehl
ergehen, er solle sein Glaubenbekenntniss klar formuliren und
dem am 23. April des nächsten Jahres zusammentretenden Land-
tage vorlegen. Räköczi sah voraus, der Bischof werde nur solche
Glaubensartikel einzureichen wagen, welche die Gottheit und
Anbetung Jesus anerkennen.
Damit verfolgte und erreichte er einen doppelten Zweck.
Er konnte die Unitarier, die sich gegen dieses Glaubensbe-
kenntniss vergangen hatten, als Gotteslästerer zur Verantwor-
tung ziehen ; anderseits verschloss er damit die Hinterthüre,
durch welche sich die Sabbatharier bis jetzt noch jedesmal zu
retten wussten: sie konnten sich nicht mehr hinter die Unita-
rier verstecken. Die Unitarier, in deren Mitte heftige Streitig-
keiten ausgeljFOchen waren, sahen sich selber von Räköczi
bedroht, und wiesen jetzt die Sabbatharier, welchen sie vor-
dem bereitwillig ihre Reihen geöffnet hatten, demonstrativ
zurück. Die Sabbatharier aber mussten, wenn auch nur zum
Schein, einer der vom Staate anerkannten vier Religionen
angehören. Sie bekannten sich bis jetzt nach aussen hin als
Unitarier; wurde ihnen dieser Name, der ihnen als Schild
diente, genommen, standen sie der Strenge des Gesetzes, das
sie verfolgte, schutzlos gegenüber.
Der scharfsichtige Pechi erfasste sofort den vollen Ernst
der Lage. Er kannte Räköczi und sah vorher, dass das heran-
nahende Gewitter zumeist ihn und seine Habe bedrohe. Er
übertrug daher seine sämmtlichen unbeweglichen Güter an
seine vier Schwiegersöhne, von welchen er sich aber einen
Revers ausstellen Hess, der ihm das Recht sicherte, diese
Güter nach Gutdünken zu verwalten.^
Räköczi, der langsam, aber sicher vorzugehen liebte,
Hess aber auch auf dem am 23. April 1638 in Karlsburg
eröffneten Landtage noch keine entscheidenden Schritte gegen
die Sabbatharier unternehmen. Die versammelten Stände
beschränkten sich darauf, eine grössere Comission zu entsenden,
in welche jede der vier recipirten Religionen siebzehn Mit-
* Diese Vorsichtsmassregel erwies sich in der Folge als nutzlos ; Peclii?
Güter wurden dennoch confiscirt. Er, oder einer seiner' Schwiegersöhne hat
seinem Aerger später dadurch Luft gemacht, dass er auf die Aussenseite lle^
noch vorhandenen Reverses die Worte setzte : „Gut für den Hund.*
an
glieder zu wählen hatte. Diese Commission sollte am 1. Juli in
Dees zusammentreten, sich dort als Gerichtshof constituiren,
und zunächst über das den ungarischen Unitariern abgefor-
derte Glaubensbekenntniss aburtheilen.
Auf diesen »Deeser Termin« sollte der »Director des
Fürsten«, dessen Stellung ungefähr der eines modernen Staats-
anwaltes entsprach, auch sämmtliche Sabbatharier vorladen,
welche bis zu dem von dem 1635-er Landtag festgesetzten
Zeitpunkt zu keiner der gesetzlich anerkannten Religionen
übertreten waren (ob.S.203). Mittlerweile sollte er die Angeklag-
ten verhören, Zeugen vernehmen und alles derart vorbereiten,
dass »die Sache in Dees finaliter erledigt werde.«^
Die exmittirte Commission versammelte sich bald nach
dem Schlüsse des Landtages zu Dees und leitete die ent-
sprechenden vorbereitenden Schritte ein. Unter anderem ver-
ordnete sie die, auch sofort in Angriff genommene, Gon-
fiscirung der sabbatharischen, sowie jener unitarischen Schrif-
ten, die ebenfalls als ketzerisch galten.^ Gleichzeitig wurde im
ganzen Szeklerlande mit der Eruirung und protocollarischen
Vernehmung der Angeklagten und Zeugen begonnen. Jene,
gegen welche belastende Aussagen gemacht wurden, erliielten
den strengen Befehl am 1. Juli vor der Gerichtscommission in
Dees zu erscheinen. »Es waren ihrer mehrere hundert, wenn
nicht gar tausend«, unter ihnen Pechi, seine Töchter und viele
seiner Hausgenossen und Verw^andten.
Die Sabbatharier ergriff Furcht und Entsetzen. Viele
unter ihnen, welche die ihnen vor drei Jahren gestellte Frist
verstreichen Hessen, ohne ihre Irrthümer öflentlich abzuschwö-
ren und sich einer der christlichen Confessionen anzuschliessen,
beeilten sich jetzt, ihr Versäumniss nachträglich gut zu machen.
Pechi blieb unerschütterlich. Er machte nicht einmal den
Versuch, durch eine derartige Verleugnung seiner Ueberzeu-
gungen, die Gefahr zu beschwören, welche ihn und sein Haus
an\ meisten bedrohte. In frommer Ergebung sah er den Ereig-
nissen entgegen, die ihre dunklen Schatten vorauswarfen, und
Wickte voll Vertrauen zu Gott empor, auf den er auch die
* Monum. Comit. X. S. 136.
^ Das Verzeichn'ss der am 23. Mai in Klausenburg confiscirten sabbatha-
'i^chen Bücher ist noch vorhanden, s. a. a. 0. das. S. 165 — 6.
14*
212
Augen und Herzeii seitier Getreuen zu richten suchte. Et vei-
fasste ein iVahrhaft ergreifetldes Gebet, in Welchem ef utn Hilfe
und Errettung fleht, und verechickte es an die Sabbatharier.
Aus diesem Gebete tönt uns die Stimme des unei*schutterlichen
Glaubens entgegen, dei* von döt Heiligkeit seinei* Sache und
der Ruchlosigkeit seiner Gegner tief durchdrungen Ist. Aus
jeder einzelnen Zeile spricht die diesem Glauben entspringfende
fanatische Begeisterung.
Das »Bittgebet wider Verfolgung« verherrlicht zunächst
die »einzige Einheit«, welche die Betenden erkannt haben, und
fährt sodann fort:
„Von einem andern, freknden Gölte hftben wir uns losgesagt und nur Dir,
Alleinseiender, angeschlossen. Du hast uns weggerufen von der Freundschaft
dieser Welt, und wir haben uns Dir zugewendet ; Du hast uns den menschlichen
Erfindungen entfremdet, imd wir haben uns Deinem Bunde genähert. Diese Welt,
dieweil wir von ihr abgefallen, ist mit hartem Grimme und grossem Hasse
aufgestanden wider uns. Weil wir die ihrem Gehirn entsprungenen Irrthümer
nicht mit ihnen verehren, rüsten sie sich, dem Satan gleich, wider uns, und
weil wir dein aus deiner Schatzkammer uns Unwürdigen geschenktes, köstliches,
heiliges Gesetz nicht im Vereiae mit ihnen in den Koth treten wollen, bedräuen
sie uns.*
»Siehe, o Herr ! Deinetwegen sind wir, wie Lämmer zur Schlachtbank
bestimmt; unsere Verfolger haben ihren Rachen aufgesperrt wider uns, gleich
dem brüllenden, reissenden Löwen. Sie, die Deine Heiligthümer hassen imd
verlästern, haben einen Tag festgesetzt wider uns,^ an wel-
chem sie unsere geringe Habe unter sich v ertheil en, uns
aus unseren Häusern vertreiben u^ d mit unsern kleinen
Kindern in fremde Länder jagen wollen.*
jjErhabener, der Du erhaben bist Ober Alles ! Erbarme Dich der Viel-
betrübten, die gequält von vielen Treibern und Drängern sind. — Zieh uns
empor aus den tiefen Abgründen um Deiner grossen Barmherzigkeit willen,
denn Gott der Barmherzigkeit ist Dein Name. Thue es an uns um
Deines grossen Namens willen, und erbarme dich Deiner kleinen Herde. —
Thue es um Deiner Gerechtigkeit, thue es um Deines heiligen Bundes willen!
Thue es um willen der unschuldigen Kleinen an der Mutter brüst ! Thue es um jener
Schwachen, Einfaltigen Willen, die erst jüngst zur Erkenntniss
Deiner Wahrheit gelangt, und noch zu schwach sind, Prü-
fungen zu ertragen; Thue es um Deinet,- wenn nicht um unseretwiUen, und
befreie uns !*
, Unser Gott und der heiligen Väter Gott, befreie uns um Deines Namens
willen. In unserer Bedrängniss flehen wir zu Dir. — Befreie uns und merke
heute auf unser Flehen, denn nur Du bist unsere Herrlichkeit. Erhöre uns,
* Gemeint ist der 1. Juni, der zur Eröffnung des „Deeser Termins*
bestimmte Tag, für welchen die Sabbatharier vor den dortigen Gerichtshof
citirt waren.
213
unser Vatpr, erhöbe uns I Erhöre uus, iWßer Erlöser^ erhöre uns ! — Unsere
Hasser mögen es sehen und erröthen, unsere Feinde beschämt werden. Mögen
sie es erkennen, dass Du Heiliger, unser Gott, uns geholfen und getröstet hast.
Lass unser Schreien Eingang bei Dir finden und erhöre unsere Gebete. — Denn
nur Du bist der I^ilige, dfff da erhOfet das Gebet jegliohen Mundes. Gebenedeit
seist Du, AllmAcbtiger, Erbörer der Geb«^ !"
Diesem Gßbet/ in welchem mehrere Stücke aus den jüdi-
schen Bugii^gebeton nufgenomn^en sind, wurde von den ge-
ängstigten S^bbfttbariern entweder täglich, oder an bestinamten,
aus dieseni Anlasse festgesetzten Fasttagen mit »traurigen
Melodien« verrichtet.
Sie haben vergebens gebetet. Gott hat sie nicht erhört.
Der „Termin von Pees." Verurthellung Pechis und
seiner Anhänger.
Der »Deeser Termin« wurde, wie vorher festgesetzt, pünkt-
lich am 1. Juli (1638) eröffnet. Die kleine Stadt vermochte die
Menschenmenge, die zu demselben zusammenströmte, kaum
zu fassen. Der Fürst war persönlich erschienen; in seiner
Begleitung befanden sich seine Räthe, die Richter der fürst-
lichen Tafel, mehrere Obergespäne und sonstige hohe Beamte.
Die Stände, welche der Landtag nach Dees delegirt hatte,
waren vollzählig versammelt. Mit dem Bischöfe und den Ver-
tretern der angeklagten ungarischen Unitarier kamen, als An-*
kläger, die Wortführer der sächsischen .und polnischen Uni-
tarier, endlich aber erschienen zu hunderten die zu diesem
»Termin« citirten Gotteslästerer und Sabbatharier, Männer und
Frauen, Leibeigene, Bauern und Adelige.
Die vom Landtage exmittirte Commission beschäftigte
sieh, über R&köczis Antrag, zunächst mit der Ordnung der
Wirren und Streitigkeiten innerhalb der unitarischen Kirche.
Die dtesbexüglichen Verhandlungen, welche in der reförmirten
Kirche stattfanden, führten, nach Anhörung der Parteien und
* Das Bittgebet vvid^r VerfolgUWg fli^det sicji in (Jen meisten
Exemplare» von P6cbis Gebet- u, Rituaü^abußh, in der Regel nach der Ueber-
setzung der sephardiscben Bussgebete (Seliaboth), von welchen es« wie
sich aus den. hier mitgetheilten SteUep ergibt, niehrere Stücke aufgenoninieii
und den damaligen Verhältnissen der Sabbs^tb^fie? angep^st hat.
2 14
nach langen und heftigen Debatten, am 7. Juli zu der söge-;
nannten »Complanation von De6s.« Im Sinne derselben erkann-
ten die ungarischen Unitarier, gleich ihren sächsischen und
polnischen Glaubensbrüdern, das unitarische Glaubensbenntniss
vom Jahre 1579 von neuem an und gelobten demgemäss, in
Zukunft Christus göttlich zu verehren und anzubeten, und die
Taufe ihrer Kinder im Namen der Heiligen Dreifaltigkeif
vorzunehmen. Geistliche, welche von diesem Bekenntnisse
abweichende Lehren verbreiten, sollten strenge bestraft, Bücher
und Schriften aller Art, welche ihm widersprechen, bis zu
einem gewissen Termin abgeliefert und vernichtet werden.
Ueber die uRitarische Religion sollte ohne Genehmigung des
Fürsten nichts mehr gedruckt werden dürfen. Alle Beleidigungen
und Ausschreitungeny . die mittlen bisherigen Parteikämpfen
innerhalb des Unitari^rthums -^ui^ammenhängen, sollten straflos
bleiben ; »aber die J u d e n z e r und die Lästerer der Gott-
heit und Herrlichkeit Chr^pti sollen von dieser Amnestie jetzt
' ■ . ' , ' ' ' •«
und späterhin in perpetvium e^clu(Jiret sein.«^
Die vom Landtage exmittirto gemischte Comission hatte
mit dem Zustandekommen dieser .»Complanation« ihre Aufgabe
gelöst. An ihre Stelle, trat eine Gerichtscommission, welche
ihre Sitzungen im Curialgebäude abhielt. Die Richter, Notare
und Obergespäne, welche sie bildeten, waren vonRaköczi
selber ernanntword e n. Das Präsidium führte, iiv
•Vertretung des Fürsten, Michael Toldalagi, Capitän der beiden
S^eklerstühle Maros und üdvarhely, welchen die meisten
Angeklagten angehörten. : Als öffentlicher Ankläger fungirte
der »fürstliche Director,« beziehungsweise dessen Stellvertreter.
Zur Vertheidigung der Angeklagten waren zahlreiche Ad vo-
caten erschienen. • . . . ,
' .'I.'-,' ■/.. . "i^* *-
Vor den Schranken die$er ßerichtecomlnissiön erschienen
die Juden zier und die' Go.tties lästerer, ^yelche Öie
»Complanation« von d^r allgemdnen Amnestie ausgeschlossen
hatte. ;
* Ueber die „Complanation von De^a'^ s. Monuni. Comit. X. S. 17—26 u.
S. 167—180; Gabriel Hallers Tagebuch in Erd. Tört. Adatok (= Siebenbürg.
Historische Daten) IV. S. 48 — 60; Alexius Jak ab in seiner Anm. zu Segesvixfs
Chronik, a. a. 0. das. S. 215—7 und Alexander Szdkely, UnitAria Talläs
törtön. (= Gesch. d. umtarisch. Religion) S. 137—9^
21&
Die Deeser Processacten* halten cli(»se l)ei(lon Kategorien
von Angeklagten consequent auseinander. Es konnte nämlich
jemand thatsächlich Juden zt, d. h. jüdisch-religiöse Bräuche
geübt haben, ohne je ein verletzendes, oder un(»hrerbietige8
Wort über Jesus zu sprechen. Ist doch ein solches in Pechis
sämmtlichen Schriften, die Jesus nur als Autorität für die
richtige Uebung jüdischer Religionsgebräuche anführen
(ob. S. 190), nirgends zu finden. Anderseits konnte jemand, der
sich von den Sabbathariern vollständig fern gehalten und nie
judenzt hat, sondern ein guter Unitarier aus der Schule Franz
Davidis ^war, dennoch als »Lästerer der wahren Gottheit und
Herrlichkeit Jesus« angeklagt werden, wenn er des Dogma
von der Göttlichkeit und Anbetung Christi zurückweisend,
sich zu wegwerfenden Aeusserungen über Jesus hinreissen
Hess. So werden Pechi, seine Kinder, Verwandten und sabbatha-
rischen Freunde sowohl in der Anklageschrift, als auch in
den Zeugen verhören und Urtheilspublicationen immer blos der
Judenzerei, aber nie der Gotteslästerung bezichtigt. Andere,
die sich geringschätzig und beleidigend über Jesus geäussert
hatten, Avurden wieder blos als Gotteslästerer, aber nicht als
Sabbatharier verurtheilt.
Diese Unterscheidung hat aber nur die Deeser Gerichts-
commission gemacht. In den anderweitigen zeitgenössischen
Quellen erscheinen Judenzer und Gotteslästerer, die
oft miteinander verwechselt werden, zumeist als identische
Begriffe. RÄköczi selber schreibt kurz vor dem Deeser Termine,
dass man die Judenzer und jene Unitarier, welche Christus nicht
anbeten wollten, »jetzt über einen und denselben Rahmen
spannen werde.« ^ Wo daher die Processacten fehlen, ist es
zumeist unmöglich, genau festzustellen, ob jemand als Sabba-
tharier, oder als Gotteslästerer angeklagt, beziehungsweise
verurtheilt wurde.
Die Gerichtscommission entfaltete eine wahrhaft fieber-
hafte Thätigkeit. Die gesetzlichen Formen wurden beobachtet :
» S. dieselben Monam. Comit. X. S. 174—202 u. S. 208—216. Der gelehrte
Herausgeber, Alexander Szilagyi, gibt in der zu diesem Bande geschriebenen
Einleitung (S. 14—29) eine zusammenfassende, wenn auch nicht vollständige
und in manchen Einzelheiten nicht immer richtige Darstellung der Vorgänge
in Dees.
« Kereszt, Magvetö IX. S. 155.
116
der öffentliche Ankläger brachte die Anklagepunkte vor ; die
Angeklagten, die einzeln vernommen wurden, konnten sich
der Reihe nach entweder persönlich vertheidige», oder durch
ihre Anwälte vertreten lassen. Nichtsdestoweniger wurden
die nach vielen Hunderten zählenden Processe binnen sieben,
höchstens neun Tagen erledigt.^
Das Gesetz war klar, das Vorgehen möglichst einfach,
für den Urtheilssprueh alles vorbereitet. Diejenigen, welche
durch die schon früher aufgenommenen Zeugenaussagen, oder
durch ihr schon früher abgelegtes Geständniss überwiesen
werden konnten, dass sie am Sabbath und an jüdischen Feier-
tagen keine Arbeit verrichteten, am Passah ungesäuertes Brod
assen, sich des Genusses der Thiere enthielten, welche das
mosaische Gesetz für unrein erklärt, oder dass sie ihre Kinder
nicht taufen Hessen, das heilige Abendmahl nicht nahmen, die
Kirche mieden, oder über ein Dogma des Christenthums sich
wegwerfend geäussert hatten, »wurden sammt und sonders zum
Verluste ihres Lehens und ihrer Habe verurtheilt«, ohne dass
sie an ein höheres Forum hätten appelliren können.^
Dasselbe Schicksal traf auch jene Sabbatharier, welche
die ihnen bis zu Weihnachten des Jahres 1635 gewährte Frist
verstreichen Hessen, ohne sich zu einer der christlichen Landes-
religionen zu bekehren, aber diese Unterlassung noch kurz
vor dem Deeser Termin nachgeholt hatten (ob. S. 211). Ihre Hoff-
nung, straflos auszugehen, wenn sie als Bekehrte vor dem
Gerichtshofe erscheinen, erwies sich als trügerisch. Gleich jenen,
die sich noch vor den Schranken des Gerichtshofes als Sabba-
tharier bekannten, wurden auch sie zum Tode und zum Ver-
luste ihres Vermögens verurtheilt.
Die Todestrafe wurde jedoch nur in einem einzigen Falle
wirklich vollzogen, in der Regel aber in Kerkerhaft umge-
wandelt. Den Frauen wurde auch die Freiheitsstrafe nach-
gesehen. Dieselbe Milde Hess man auch gegen jEahlreiche den
unteren Ständen angehörige Männer walten, wenn sie das
* Die Deeser Gerichtscommission, die am 8. Juli zusammengetreten war
schloss am 17, Juli ihre Wirksamkeit; aber Räköczy traf bereits am 16
JuU Anordnungen bezüglich der verurtheilten Sabbatharier, die in der Festung
Fogaras eingekerkert waren. S. H a 1 1 e r, a. a. 0., S. 50.
> Die Zulassung der Appellation galt als Ausnahme; s. Monum. Comit.
X. S. 191.
217
ßabbatbarierthum abschworen, sich von neuem taufen liessen,
und durch einen feierlichen Eid und eine schriftliche Erklä-
rung" verpflichteten, dem Christenthum unverbrüchlich treu zu
bleiben.^ Die C on fi sei rung des V^ermögens wurde
jedoch in keinem Falle erlassen, sondern an Frauen
und minorennen Kindern mit derselben schonungslosen Härte
vollzog-en, wie an jungen Männern und Greisen. Die g e-
sammte bewegliche und unbewegliche Habe der
Verurtheilten wurde zu Gunsten des Fürsten
mit Beschlag beleg t.^
»Die Verurtheilten — so schreibt ein zeitgenössischer
Chronist — wurden, nachdem ihnen die Sentenz gesprochen
war, in eine vor dem Kammeramte befindliche alte, leerste-
hende Kirche gesperrt, bis ihrer so viele wurden, dass sie z u
hunderten und anderthalb hunderten unter guter
Bedeckung in die verschiedenen Festungen verschickt wurden,
so dass man in Grosswardein, Szekelyhid, Jeno, Deva, Fogaras,
Szamosujvär und Kövär kaum im Stande war, genug
Ketten für sie zu 'schmieden. Ueberall wurde ihnen,
iusolange sie nicht zu einer besseren Einsicht gelangten, bei
den vielen Bauten tagsüber Arbeit genug auferlegt.« ^
Am härtesten wurden die Gotteslästerer bestraft.
Die aussergewöhnlichen, mitunter grausamen Urtheile, welche
sie trafen, wurden am letzten Sitzungstage, den 17. Juli gefällt.
»An dem Tage — so lautet der Bericht eines Zeitgenossen
— erhielt zunächst ein alter Senator, namens Csipär, der gele-
gentlich etwas wider die Würde Christi gesprochen hatte,
neben dem Pranger auf der Erde liegend, von den städtischen
Sqbergen sechzig Stockstreiche laut Urtheil des Landesgerichtes.«
Ungleich schlimmer erging es dem Klausenburger Goldschmied
Jobann Toroczkai, einem Sohne des gelehrten, damals schon
verstorbenen Bischofs der ungarischen Unitarier, Mathias Tho-
roczkai, der von Jesus gesagt haben sollte: »Wenn er auf die
Erde käme, würde ich ihn in den Weingarten schicken, zu
arbeiten.« Der arme Fanatiker wurde, offenbar unter Berufung
auf das mosaische Gesetz: »Und wer den Namen des Ewigen
lästert, soll getödtet werden; steinigen soll ihn die ganze
1 Einen solchen Revers s. Kereszt. Magvetö XVII. S, 223.
* Vgl. besonders Monum. Comit. X. S, 189 u. 93.
» S E a 1 a r d i, Trauerchronik S. 134 ; vgl. H a 1 1 e r, Tageb. S. 50.
218
Gemeinde«, als Gotteslästerer zur Steinigung verurtheilt und
noch am selben Tage »von fünf Z igeunern mit Steinen
todtgeschlage n«, worauf »seine Frau aus der Stadt hinäus-
gepeitscht wurde.«^ Diese schreckliche Hinrichtung erfreute
sich des besonderen Beifalls des damaligen Hofpredigers
Stephan Katona v. Gelej, der in einer umfangreichen theolo-
gischen Schrift, die er später, als Oberhaupt der calvinischen
Kirche in Siebenbürgen, erscheinen liess, dieses »gerechte Ur-
theil« rühmt und den Fürsten lobpreist, weil es in seinem
Namen gesprochen und vollzogen wurde.^
Während die Gerichtscommission diese Massenprocesse
erledigte, verhandelten verschiedene engere RichtercoUegien die
Processe einzelner vornehmer Angeklagten, namentlich solcher^
über welche, da sie nicht erschienen waren, in contumaciam
abgeürtheilt werden musste. Es waren das zumeist solche
Fälle, bei welchen es sich gleichzeitig um die Beschlagnahme
ausgedehnter Besitzungen, oder eines grossen beweglichen Gutes
liandelte, Weshalb Räköczy, der stets die Form zu wahren
liebte, es für gut befand, gerade diese Processe nicht kurzer
Hand unter der grossen Masse der übrigen, sondern einzeln
und nach einer eingehenderen und, wenigstens scheinbar,
ernsteren Verhandlung erledigen zu lassen. ^
Unter denen, deren Angelegenheit einer solchen Special-
commission zugewiesen wurde, befand sich Stephan Borsos, ein
angesehener Bürger von Marosväsärhely, offenbar ein Nach-
komme der gleichnamigen dortigen Familie, deren Mitglieder
zu den ersten und fanatischsten Sabbathariern zählten. Mit
ihm war auch seine Frau angeklagt, aber gleich ihm nicht
erschienen. Sie wurden als überwiesene Judenzer zum »Ver-
luste ihres Hauptes und ihrer Habe« verurtheilt.* Ihre confis-
cirten liegenden Güter schenkte Räkoczi dem Vice-Capitän
der blauen Hoftrabanten, wie es in der betreffenden Urkunde
1 Segesväry, Chronik, S. 216— 7; Szalärdi, a. a. 0. S. 136.; Monum.
Comit. X. S. 203 u. Katona, Titkok titka, in der Zueignungsschrift und Vorrede.
2 Katona, a. a. 0. das. — Das , gerechte Gesetz,* auf welches er sich
l^ezüglich der Strafe der Steinigung beruft, kann kaum ein anderes sein, als
das ohenangefQhrte mosaische Gesetz (3. B. Mos. 24, 16).
' In den im Folgenden erwähnten Processen begegnen wir verschiedenen
RichtercoUegien; vgl. Monum. Comit. X. S. 182 u. 195.
* A. a. 0. das. S. 19t; über die Familie Borsos s. ob. S. 104 u. 107.
219
heisst, »als Belohnung seiner treuen Dienste und gegen
Bezahlung von tausend Imperialt ha le rn.«^
Eine andere Gruppe der Angeklagten hildeten drei Mit-
glieder der Familie Szabo, der Student^ Daniel Väsarhelyi,
Johann Kallai und Katharina Beke, sämmtlich aus Klausonburg.
In ihrer Vertretung erschien Pechis Schwiegersohn, der damals
vielberühmte Rechtsanwalt Franz von Kenos, der das Schwer-
gewicht seiner Vertheidigung darauf legte, seine dienten hätten
von dem Gesetze, welches die Judenzerei untersagte, keine
Kenntniss gehabt, weil es von dem unitarischen Superintendenten
nicht publicirt wurde; es mögo'ihnen daher eine Frist gewährt
werden, innerhalb welcher sie sich zu einer der staatlich aner-
kannten christlichen Confessionen zu bekehren hätten. Die
Richter folgerten aus dieser Vertheidigung, dass die Ange-
klagten nicht nur Sabbatharier waren, sondern noch immer
seien, und sprachen über alle das übliche strenge Urtheil
aus.* Dasselbe Schicksal ereilte Sofie Kendelfv, die Witwe des
einstigen fürstlichen Rathes und Gesandten in Konstantinopel,
Paul V. Keresztessy.*
In dem gegen die Frau des Peter Paczolai v. Szentbenedek
angestrengten Processe währte das Zeugenverhör volle drei
Tage. Die Angeklagte, eine Nichte Pechis, die Tochter des
Oberrichters Franz Komis, jvar durch ihre fanatische Mutter,
wider den Willen ihres Vaters, als Sabbatharierin erzogen
worden (ob. S. 199). Kürz vor dem De6ser Termine Hess sie
sich neuerdings als Unitarierin taufen, aber die eingeschüch-
terte unitarische Synode gab ihr Gutachten dahin ab, dass
die Neugetaufte noch immer als Sabbatharierin zu betrachten
sei, und die ebenfalls vKxn Pechis Schwiegersohn Kenosi ver-
theidigte, hochangesehene, Frau wurde zum Verluste ihrer
gesammten Habe verurtheilt, und ausserdem noch zur Bezahlung
von 66 Gulden »als Lösegeld für ihren Kopf.«^
* S. den Kalender des Öz6kler Vereines v. J. 1883, S. 76 — 7.
* Student (deäk) hiessen nicht nur Sludirende, sondern auch solche,
die studirt hatten.
* Monum. Gomit. das. S. 191-r-5.
* Das. S. 196—9.
» Das Urtheil s. das. S. 203—212, die Zeugenaussagen Törtön. Tär,
1884. S. 546 — 557. Das Lösegeld von 66 Gulden konnte, da die gesammte Habe
der Verurtheilten confiscirt wurde, selbstverständlich nur von Verwandten, oder
Freunden aufgebracht werden.
220
Bei Pechi waren bereits am 30. Mai zwei Secretäre der
fürstlichen Hofkanzlei erschienen, die ihm den Befehl über-
brachten, am 1. Juli persönlich vor dem Gerichtshof in Dees
zu erscheinen; jede Stellvertretung sei ausg^sohlossen, der
Gerichtshof werde auch im Falle seines Nichterscheinens über
ihn aburtheilen. Der hochbetagte Mann, der grade dami^ls schv^^er
leidend war, nahm die Vorladung mit den Worten entgegen-
»Den Befehl seiner Hoheit habe ich verstanden. Ich bin aber in
der Gefangenschaft Gottes (d. h ans Krankenlager gefesselt),
und mein Leben ist in des Allerhöchsten H^nd; ich weiss nichts
was bis [dahin geschehen kann, kann also auph nichts sicher
versprechen.« Er hat auch der Vorladung thatsfiohlich k^in^
Folge geleistet und, im Sinne des ihm gewordenen Befehles,
auch keinen Vertreter dahin gesendet.
Der öffentliche Ankläger exmittirte hierauf zwei Secretäre
der Hofkanzlei nach Szent-Erzsebet, damit sie in der Strafan-
gelegenheit Pechis an dessen Wohnorte die nöthigen Zeugen-
verhöre vornehmen.
Am 7. Juli wurden 33 Zeugen, darunter der Ortsrichter
und die Dienerschaft Pechis, protocoUarisch vernommen. Ihre,
mit mehr oder minder bezeichnenden Einzelheiten belegten
Aussagen stimmten darin überein, »dass Se. Exoellenz, Herr
Simon P6chi die sabbatharische^ Religfon bekennt, für die
übrigen Sabbatharier am Ende des Dorfes in einem aus Steinen
gebauten Hause eine Synagoge hält, in welcher man ihnen
allsabathlich vorliest;«^ ferner »dass er den Sabbath feiert, wenn
er auch seine Leibeigene nicht zur Sonntagsarbeit verhält,«
dass er »Schweinefleisch und die übrigen Speisen, welche die
mosaischen Ceremonialgesetze verbieten, nicht geniesst und
am Osterfeste ungesäuerte Kuchen isst.«
»Uebereinstimmend sagen sie aus — so schliesst das
mit den Zeugen aufgenommene, unifahgreiche ProtoooU —
dass sie vordem einen einer anderen Religion angehörigen
Geistlichen im Dörfe gehalten hätten, aber der gegenwär-
tige ist ein Sabbatharier, und sie können, wider den
Willen Pechis, keinen andern an diese Stelle bringen. Die Schul-
meister haben sie, je nachdem sie einen guten bekommen konnten,
^ Aus dem P^ptateuch nämlich; es ist die V^rleßung de§ J9weUigeB
Wochenabschnittes gemeint.
221
altematim gehalten, sowohl sabbatharische als auch unitarische:
der gegenwärtige ist aber ein Sabl)athar ier.«
Mittlerweile war beim Gerichtshöfe ein Schreiben Pekhis
angelangt) in welchem er sein Fernbleiben mit seiner, von
Zeugen bestätigten, schweren Erkrankung rechtfertigte.' Der
Gerichtshof bestimmte ihm daraufhin den 13. Juli als neuen
Termin, an welchem er entweder persönlich in Dees zu er-
scheinen, oder sich durch einen bevollmächtigten Vertheidiger
vertreten zu lassen habe.
Aber auch dieser Tag verstrich, ohne dass Pechi, oder
sein Bevollmächtigter in Dees erschienen wäre. Der Gerichtshof
erklärte ihn, auf Grund der in der Anklageschrift angeführten,
durch Zeugen erhärteten Thatsachen, des Verbrechens der
Judenzerei schuldig und verurtheilte ihn, »um diesen verdam-
menswerthen Irrthum zu unterdrücken, dessen Veranlasser und
Förderer auszurotten, und Andern ein warnendes Beispiel zu
geben, zum Verluste seines Kopfes und seiner Habe.«^ Der kranke
Greis \vurde nach der Festung Kövär gebracht und dort eingeker-
kert; seine sämmtlichen, noch immer zahlreichen Besitzungen
wurden zu Gunsten der fürstlichen Schatzkammer confiscirt und
zur kleineren Hälfte der Fürstin als Schenkung übertragen.'^
Unmittelbar darauf wurde auch Pechis Töchtern, die mit
Ausnahme der am Fürstenhofe erzogenen und von dort aus
verheiratheten Elisabeth, ebenfalls des Sabbatharierthums ange-
klagt waren, der Process gemacht. Sie wurden zur Confiscirung
ihres gesammten Vermögens verurtheilt. Pechis fünfte Tochter,
die aus seiner zweiten Ehe stammende Margarethe, wurde
begnadigt, offenbar deshalb, weil das damals höchstens drei-
zehnjährige Mädchen* ohnehin kein eigenes Vermögen besass.
Doch musste sie die schriftliche Erklärung abgeben, dass sie
auf die confiscirten Güter ihres Vaters niemals Anspruch er-
heben, und diese Verzichtleistung durch eine neuerliche Urkunde
1 Tört. Tär. 1887. S. 712. Sein Testament hatte er bereits i. J. 1835
abgefasst, a. a. 0., das. Bezüglich seiner Krankheit s. seine Briefe, Kereszt.
Magvetö XVIII. S. 169 flg.
* S. die Processacten in Monum. Comit. X. S.* 182 — 190. *
» Kövary, Erdely Törtenelme V. S. 30.; vgl. Kereszt. Magveto XIX. S.
353 u. 355, u. Tört. Tär 1887 S. 712 flg.
* P6chis zweite Ehe konnte erst nachdem ihn Gabriel Bethlen aus dem
Kerker entlassen hatte, also frühestens nach dem 22. November 1624 geschlossen
worden sein.
222
bekräftigen werde, »wenn Gott ihr einstens Glück gibt, und
sie unter die Haube kommt.« ^ An ihren drei verheirateten
Schwestern aber wurde das Urtheil mit grausamer Rücksichts-
losigkeit vollstreckt; der einen, »die gerade im Wochenbette
lag, wurde gelegentlich der Beschlagnahme ihrer Habe das
Unterbette unter dem Leibe weggezogen. «^
Mit Pechi wurde auch dessen Hofgeistlicher Michael Szent-
miklösi verurtheilt und in Fogaras eingekerkert, ^ ferner Franz
Orbän, Obernotar des Udvarhelyer Szeklerstuhles, ein Schwa-
ger EiSssis, der in die Festung Szamosujvär abgeführt w urde.*
Der hochbetagte, ebenfalls verurtheilte Franz Maroti, der seiner
Zeit an dem Putschversuche Moses Szekelys betheiligt war,
und deshalb nicht vor dem Gerichtshof zu erscheinen wagte,
entzog sich der Verfolgung durch die Flucht.^
Für jene Sabbatharier, deren Angelegenheit in Dees nicht
ausgetragen werden konnte, wurde ein neuer »Termin« ange-
setzt. Im Verlaufe der drei Monate später, anfangs November
1638, in Bistritz abgehaltenen Gerichtsverhandlungen wurde
über sämmtliche Angeklagte das bereits stereotyp gewordene
Urtheil: »Verlust des Kopfes und der Habe« ausgesprochen. ^^
•
Pechls Begnadigung und Tod. Seine Familie und
seine Naciikommen. Seine Bedeutung als Schrift-
steller und Hebraist.
Den verurtheilten und in strenger Kerkerhaft gehaltenen
Sabbathariern blieb nur ein Ausweg, die Freiheit wieder zu
erlangen: sie mussten sich neuerdings taufen und in eine der
recipirten Kirchen aufnehmen lassen, gleichzeitig aber ein
Document unterfertigen, in welchem sie sich an Eidesstatt ver-
pflichteten, dem neuen Glauben unverbrüchlich treu zu bleiben.
Die Meisten, die bisher äusserlich den Unitarismus bekann-
ten, gaben der oft gewaltthätigen Pression, die diesbezüglich
auf sie geübt wurde, nach und traten zur calvinischen Kirche
1 Monum, Comit. X. S. 212.
2 Kereszt. Magvetö XIX. S. 355.
3 B e n k ü, Transsylvania II. S. 243.
* Szalärdi, a. a. 0. S. 135.
6 Monum. Comit. X. S. 203 ; Tört. Tär 1887. S. 712.
« Monum. das. S. 208—212 ; Tort. Tär 1884, S. 546—557.
223
Über, welcher auch Raköczi angehörte. Auf dioöem Wege
konnten sie ihre Begnadigung am sichersten erwarten, mit-
unter sogar die Rückerstattung eines Theiles ihrer confiscirten
Hab.e. Paul Medgyesi, der Hofprediger Räköczis, hat an einem
Tage, dem 24. September 1638, fün f un d f ün z ig solcher
Sabbatharier getauft. ^
Auch die Führer und Vornehmsten unter den Sabbatha-
riern griffen zu dem einzigen Rettungsmittel, das ihnen noch
geblieben war: nach kürzerem, oder längerem Schwanken
traten sie der Reihe nach »zur helvetisch-evangelischen
wahren Religion über, ob von Herzen? — weiss nur Gott.«
Nachdem sie aber, so schliesst der diesbezügliche Bericht des
zeitgenössischen Chronisten,^ »ihren Uebertritt auch schriftlich
mit einem Eide bekräftigt hatten, zeigten sie sich bis zu
ihrem Tode so, als ob sie ihr wirklich angehört hätten.«
Zu diesen neubekehrten Calvinern gehörte bald auch
Pechis ganze Familie, so wie dessen sabbatharischer Hofprediger
Michael Szentmiklösi, der später als caivinischer Geistlicher
Carriere machte.^ Ihrem Beispiele folgte später auch Franz v.
Orbdn, und zuletzt Pechi selber. F]rsterer wurde vollständig
begnadigt; Raköczy Hess ihm seine Güter zurückerstatten und
ernannte ihn zu seinem Hofmeister.* Pechi, der mit seiner
Unterwerfung am längsten zögerte, erfuhr eine ungleich härtere
Behandlung.
Trotzdem die anfangs November (1638) in Bistritz erschie-
Jienen Stände, unter welchen sich zahlreiche Verwandte und
Freunde Pechis befanden, ihren ganzen Einfluss zu seinen
Gunsten einsetzten, erwirkten sie doch erst nach längeren
Unterhandlungen seine Bednadigung, welche Raköczy nur
unter den folgenden Bedingungen zugestand.
Pechi tritt zur calvinischen Kirche über und gelobt, »in
der Wahrheit, die ihn Gott in seinen alten Tagen, wenn auch
wider seinen Willen, erkennen Hess, standhaft, vollkommen
und ohne Heuchelei zu verbleiben«, gegen Raköczy nicht zu
*conspiriren, und Siebenbürgen nie zu verlassen. Ausserdem
1 Szalardi, a. a. 0. S. 133—4; Monum. Com. Transs. X, S. 208— i212 :
aCereszt. Magvetö XVI. S. 323.
' Szalardi, a. a. 0. S. 135.
3 Monum. Comit. X. S. 182—212; Benkö, a. a. 0. IL S. 243.
* Szalardi a. a. 0. S. 195.
224
stellt er eine Urkunde aus, in welcher er für sich und für
seine Nachkommen allen Ansprüchen auf seine confiscirten
Güter für immer entsagt. ,Er und seine Frau erlegen tausend
Thaler, wofür ihnen der Fürst den Herrenhof zu Szent-Erzsebet
und einige Grundstücke, mit zusammen 70 Leibeignen, zur
lebenslänglichen Nutzniessung überlässt. Nach ihrem Tode
fällt das Haus mitsammt den Grundstücken wieder an Räköczi
zurück, der dann ihren Erben die deponirten tausend Thaler
zurückerstattet. Für die genaue Einhaltung dieser Bedingungen
bürgen jene Adeligen und Stände, die zu Gunsten Pechis bei
Räköczi intervenirt hatten; im Falle er wortbrüchig wird, »komme
eo facto der Tod auf sein Haupt.u Sollten aber die Bürg'en
nicht in der Lage sein, ihn stellig zu machen, haben sie dem
Fürsten 10000 Gulden aus ihrem Eigenen zu bezahlen.
Diese Haftungsurkunde^ wurde in Bistritzam 11. November
von einundzwanzig Bürgen unterschrieben, unter welchen sich
Gabriel Mindszenti, Pechis Schwiegersohn, Peter Orban, ein
Neffe Andreas Eössis, Stephan Apafi, der Schwager des Fürsten,
und mehrere der glänzendsten Namen des Landes befanden.
Aber Pechi war lange nicht zur Annahme der ihm gestellten
Bedingungen zu bestimmen. Erst im Feber 1639 unterschrieb
er, dem Drängen und Zureden seiner Freunde und Angehörigen
nachgebend, den zwischen seinen Bürgen und dem Fürsten
zustande gekommenen Vertragt und trat zur calvinischen Kirche
über, worauf er am 21. Mai seine Begnadigung erhielt, und
nach ungefähr achtmonatlicher strenger Haft aus dem Kerker
entlassen wurde. ^
Von da ab lebte er, wenn auch noch immer zu den
Grossen des Landes zählend,* unter ärmlichen Verhältnissen und
nahezu vereinsamt auf seinem Herrenhofe zu Szent-Erzsebet.
Seine schriftstellerische Thätigkeit war ihm gründlich verleidet;
^ S. die Urkunde Monum. Gomit. X. S. 213—6 und, mit einigen Abwei-
chungen, Kereszt. Magvetö XVIII. S. 309—311. Der vorsichtige Räköczy liess sich
von den 21 Bürgen Pechis, die ihm eventuell 10000 Gulden zu zahlen hatten,
zusammen zv^rölftaus end Gulden unterschreiben.
* S. die Urkunde im Nemzeti Tarsalkodö (Nationaler Gesellschafter) 1835.
S. 273; vgl. Torten. Tar. 1887, S. 586 u. Kereszt. Magvetö XIX. S. 353.
3 Kereszt. Magvetö III. S. 255 ; vgl. da«. XVII. S. 217.
* Unter den Magnaten, die zu den Feieilichkeiten am Schlüsse des 1640-er
Landtages nach Karlsburg beordert wurden, begegnen wir auch Simon Pechi;
s. Acta Gomit. X. S. 295.
225
sie war stets ausschliesslich der Sache des Sabbatharier-
thums gewidmet, und da er diese aufgeben musste, stellte
er auch jene eini^ Aber seine Geisteskraft und Arbeitslust
veriiessen ihn bis an sein Lebensende nicht. Er blieb nach
wie vor der Berather seiner ferne von ihm lebenden Kinder,
denen er, namentlich in Processangelegenheiten, mit seiner
Erfahrung zur Seite stand, und der hochbetagte, kränkliche
Mann beschäftigte sich bis kurz vor seinem Tode eifrig mit
Feldarbeiten aller Art. Noch während der Ernte des Jahres
1641 befand er sich auf einem fern von seinem Wohnort
gelegenen Gütchen, von wo aus er seinen Kindern schrieb,
er könne sie nicht besuchen, weil er empfindlichen Schaden
erlitte, so er sich jetzt, wenn auch nur für eine Stunde, ent-
fernen würde.2 Erstarb um 1643 »in sehr hohem Greisenalter«,
zum mindesten im dreiundachzigsten Lebensjahre.* Der Tod
dürfte ihn auf einem seiner Landgüter ereilt haben. In Szent-
Erzsebet ist sein Grab, trotz eifrigem Suchen, nicht aufzufinden
gewesen, und wir kennen die Stätte nicht, an der er nach einem
langen und wechselvollen Leben die letzte Ruhestätte fand.*
Auch sein Herrenhof ist psurlos untergegangen; der Platz, auf
dem er stand, ist jetzt die Wohnstätte der Zigeuner und führt
im Volksmunde den bezeichnenden Namen «die Einöde.« ^
* Die mehrfach wiederholte Angabe von Peter Bod (Athenas S. 223),
Pechi habe, nachdem er Galviner geworden, die Bibel aus dem Hebräischen
ins Ungarische übersetzt, und sei inmitten dieser Arbeit gestorben, ist bereits
von K o n c z (Erd61yi FigyelÖ, 1880. No. 8) widerlegt worden.
« S. P6chis Briefe im Kereszt. Magvetö XVm. S. 172—3.
* Köväry (Kereszt. Magvetö VI. S. 47) setzt sein Todesjahr irrthümlich
auf 1640 an. Unter Pechis bis jetzt veröffentlichten Briefen ist der letzte vorn
25. August 1641 ; Herr Prof. K o n c z hat aber, wie er mir schriftlich mitzuth eilen
die Güte hatte, einen vom October 1642 gesehen. Wenn wir sein Todesjahr auf
1643 ansetzen ist der . spätestens um 1560 geborene Pechi zum mindestens 83
Jahre alt geworden ; vgl. (ob. S. 132). Nach Johann K e m e n y (Selbstbiographie
S. 11) ist er „in sehr hohem Greisenalter gestorben."
* Orbän (Sz6kelyföld, I. S. 146, vgl. das. S. 154) lässt ihn in Szent-
Erz86bet sterben; aber die Quelle, auf die er sich diesbezüglich beruft (Johann
Kemeny, a. a. 0. S. 108 — 9), weiss nichts davon. Graf Joseph Kem6ny hat
in Szent-Erzs^bet, das sein Eigenthum war, P6chis Grab vergebens gesucht ;
s. Kurz. Magaz. f. Gesch. Literat, u. s. w. Siebenbürgens II. S. 423. Da Pechi
in seinen letzten Lebensjahren wiederholt auf seinen Landgütern, z. B. in Särd,
zu weilen pflegte (s. die QueUen, ob. Anm. 2), ist es nicht unmöijlich, dass er
ausserhalb Szent-Erzs§bet's starb und beerdigt ^vurde ;
6 Kurz, a. a. 0. II. S. 423; Orbän, a. a. 0. I. S. 154.
Dr. Kohn : Sabbatharier. 15
226
Unter den Sabbathariern aber, die nichts davon wissen
mochten, dass ihr vielbewunderter Held und Apostel als Cal-
viner gestorben sei, lebt noch heute die sagenhafte Tradition,
Pechi sei, nachdem er seine Freiheit wiedererlangte, niit einer
Schar seiner Anhänger nach der Moldau, und von dort nach
Konstantinopel geflüchtet, wohin ihm auch seine Frau und
seine Kinder gefolgt sind. Dort haben sie unbehelligt als Sab-
batharier gelebt, und Pechi, welcher als Director der türkischen
Staatsdruckerei starb, habe an seine in Siebenbürgen zurück-
gebliebenen Getreuen wiederholt Sendschreiben gerichtet, in
welchen er sie eindringlich ermahnte, im Sabbatharierthum
getreulich auszuharrend
Pechi hat schon bei Lebzeiten eine verheiratete Tochter^
und zum mindesten zwei Söhne verloren, von wechen einer
als achtzehnjähriger Jüngling durch den Hufschlag eines Pferdes
get.ödtet wurde. 8 Seine zweite Frau und vier verheiratete
Töchter überlebten ihn. Unter diesen wurde Christine die
Stammutter der Baron Orbän'schen Familie, deren letzter
Sprössling, der als ungarischer Schriftsteller und als eine der
originellsten Gestalten des ungarischen Landtages bekannte
Blasius Orbän war, der im J. 1890 starb. Eine andere Tochter
Pechis, Elisabeth, schloss als Witwe des Obergespans Gabriel
Mindszenti eine zweite Ehe mit Peter Haller, einem der Ahn-
herrn der gräflichen Familie Haller von Hallerkö (Haller-
stein.)*
Margit, Pechis einzige Tochter aus zweiter Ehe wurde in
noch sehr jugendlichem Alter von dem Fürsten Räkoczi mit
Franz Gyulai verheiratet, der später zu den höchsten
Aemtern und Würden des Landes gelangte. Sie wurden die
Begründer der gräflichen Familie der Gyulai, deren Nach-
1 Orbän, das. I. S. 147.
* Judith, die im Sept. 1641 verstorbene Frau des Stephan Angyalos v.
Kisegrestö. S. M i k ö, a. a. 0. IV. S. 72 ; über ihre Krankheit vgl. Kereszl.
Magvetö XVIII. S. 173.
3 Letzteren Umstand berichtet Pechis Urenkel, Baron Orbän Elek, in
seinem mehrfach erwähnten Testamente. Pechi hatte abei*, als seine erste Frau
starb, zum mindesten zwei Söhne. S. ob. S. 164.
* Seine älteste Tochter, Susanna, die ihn ebenfalls überlebte, war zweimal
verheiratet, starb aber kinderlos. Seine Schwester Anna wurde die Stammutter
der noch heute in Siebenbürgen blühenden adeligen Familie Sim6n.
gc
' kommen sich in den letzten zwei Jahrhunderten mehrfach als
hochgestellte Officiere und als Commandirende der öster-
reichischen Armee ausgezeichnet haben. Sie blüht noch in
einem kroatischen und in einem ungarischen Zweige fort,
welch letzterem, mütterlicherseits, die siebenbürgische Grafen -
familie Kuun entstammt.^
Es erübrigen nur noch einige Worte über Pechis Bedeu-
tung als Schriftsteller und Hebraist.
Pechi war ein Meister der Feder; er schrieb viel und
vielerlei und arbeitete mit einer staunenswerthen Leichtigkeit
und Raschheit. Er unterhielt einen ausgedehnten, zum grossen
Theil noch erhaltenen, privaten und amtlichen Briefwecliscl,
' dessen reichhaltiges historisches Material schon mannigfach,
namentlich von Gindely, in seiner Geschichte des dreissigjäh-
rigen Krieges, benutzt worden ist. Neben diesen, in den ver-
schiedenen Archiven von Siebenbürgen und Ungarn, sowie in
denen von Wien, Brüssel, München, Dresden, Berlin und Paris
befindlichen, zumeist noch unedirten Briefen^, schrieb und ver-
fasste er, oft gleichzeitig, Nuntien und Gesetzentwürfe und
anderweitige Vorlagen für die Landtage, Instructionen lür
Beamte und Gesandte, Armeebefehle, politische Denkschriften,
Gebete, religiöse Gesänge und Uebersetzungen und Erklärun-
gen der verschiedensten Werke der biblischen und nachbib-
lischen jüdischen Literatur. Seine »Ausgewählte Belehrungen
aus den Heiligen Vätern«, schrieb er während der bewegtesten
Zeit seiner Kanzlerschaft, mitten im Waffenlärm und einer
aufreibenden diplomatischen Thätigkeit.^ In den knappen vier-
^ üeber die Kinder Pechis s. K ö v ä r y, Kereszt. Magveiö VI. S. 48,
sowie dessen Erdely nevezetesebb csalädjai (= Die bedeutenderen Familien
Siebenbürgens) s. v. Pechi, Orban, Gyulai u. Küun, sowie die ergänzenden
Angaben in meinem ,A Szombatosok" S. 315—6.
« Seine- in Brüssel befindlichen Briefe dürften ziemlich vollständig im
4. Th. von H a t V a n i s Brüsseli Okmauytär zu finden sein. Zahlreiche in den
Mgarischen und siebenbürgischen Archiven niedergelegte Briefe Pechis sind von
Hikö, a. a. 0. Bd. III. u. IV., von Szilägyi, Bethlen Gabor kiadailan poli-
tikai levelei (= Gabriel Bethlens unedirte politische Briefe), im Kereszt. Magvetö
BJ. XVllL, namentlich ab'er im Tört. Tär. (s. die Jahrgg. v. 1878—81, 1884—5,
1887 u. a.) edirt. Seine in den oben erwähnten ausländischen Archiven auf-
tjewahrten Briefe werden von Gindely, a. a. 0. Bd. II— IV. häufig als Quelle
angeführt.
3 S. ob. S. 153.
15*
228
zehn Jahren, die zwischen s,einer Befreiw»g aus dem Kerker
im J. 1624 und der Katastrophe lagen, die ihn im J. 1638
ereilte, hat er die Psalmen und einen grossen Theil des Pen-
tateuch übersetzt und commentirt, sein Gebet- und Ritualien-
buch geschrieben, und ausserdem noch acht, zum Theil um-
fangreiche Werke verschiedenen Inhaltes und ungefähr neun-
undzwanzig religiöse Lieder verfasst. Daneben führte er schier
endlose Processe und verstand es, neuerdings ein bedeuten-
des Vermögen zu erwerben, wobei er sich mit den klein-
lichsten häuslichen und wirthschaftlichen Angelegenheiten
befasste.
Sein Stil ist klar und durchsichtig, dabei aber wortreich,
stellenweise sogar weitschweifig. Er liebt es, die Epitheta zu
häufen, und Begriffe, welche er nachdrücklich hervorzuhe-
ben wünscht, durch zwei, drei, ja noch mehr gleichwertige
Worte auszudrücken. Diese Eigenthümlichkeit, welche nach
der Geschmacksrichtung der damaligen Zeit zu den Schönhei-
ten eines eleganten und gebildeten Stils gehörte, gereicht
namentlich seinen Uebersetzungen zu nicht geringem Nach-
theile. Pechi kann, oder richtiger: will die gedrängte Sprache
seiner hebräischen Texte nicht getreulich wiedergeben. Die
alleinige Ausnahme bildet seine Uebersetzung des Pentateuch,
die sich möglichst genau an den Urtext hält. Dieser gilt ihm
als Gotteswort, dem »nichts hinzugefügt, und von dem nichts
hinweggenommen werden darf.«
Geradezu bewunderungswürdig ist aber die Geschicklich-
keit, mit welcher er die, den Magyaren damals noch gänzlich
unbekannten, Erzeugnisse der rabbinischen Literatur auf
ungarischen Boden zu verpflanzen wusste.
Es ist nicht leicht, diese dem modernen Bewusstsein
fremdartigen Literaturerzeugnisse in eine moderne, nament-
lich nicht-semitische Sprache zu übersetzen. Pechi hat diese
schwierige Aufgabe, der sich nur wenige Auserwählte gewach-
sen zeigen, vollständig gelöst, obwohl ihm, als dem Ersten,
der sich an eine ungarische Uebersetzung rabbinischer Schrift-
werke wagte, keinerlei einschlägigen Vorarbeiten vorlagen, und
er für die eigenartigen Begriffe dieser Literatur erst eine
ungarische Terminologie schaffen musste. Durch diese, noch
mehr aber durch sein archaistisches, und eben darum urwüch-
siges Magyarisch, bilden seine Schriften eine reichhaltige
229
Fundgrube werthvoller, aber noch nicht gehobener ungarischer
Sprachschätze.*
In seinen Uebersetzungen, beziehungsweise Bearbeitungen
rabbinischer Schriftwerke zeigt sich Pechi als einer der gründ-
lichsten Kenner des jüdisch religiösen Lebens und der heb-
räischen, namentlich der neuhebräischen Sprache und Lite-
ratur. Die einschlägigen Wissenschaften wurden damals in
christlichen Kreisen, kirchlichen wie gelehrten, eifrig und mit
Erfolg betrieben. So haben sich, um nur ein Beispiel anzu-
führen, die beiden Buxtorf, Pechis Zeitgenossen, keine geringen
Verdienste um dieselben erworben. Pechis diesbezügliche,
ausschliesslich auf religiöse Zwecke gerichtete, und darum
einseitig"e Thätigkeit ist mit dem Sabbatharierthum, dem sie
gewidmet war, in Vergessenheit gerathen und für die Wissen
Schaft unfruchtbar geblieben. Aber sie weist ihm darum doch
den ersten Platz an unter den Hebraisten seiner Zeit, und
sichert ihm eine hervorragende Stelle unter den Hebraisten
aller Zeiten. Zumal unter NichtJuden hat es wohl noch keinen
gegeben, der die neuhebräische Sprache so vollständig be-
herrschte, in der rabbinischen Literatur eine so vielseitige
und umfassende Belesenheit, und für den Geist und die Aus-
drucksweise derselben ein so richtiges Verständniss besessen
hätte, wie er.
Thatsächlich hat noch kein christlicher Gelehrter aus
fast allen Zweigen der altern und spätem jüdischen Literatur
so viele und so verschiedenartige Schriftwerke übersetzt und
bearbeitet, wie Pechi, der seinen Szeklern, unter anderem, auch
solche rabbinische Schriften zugänglich gemacht hat, deren
Uebersetzung anderweitig nicht einmal noch versucht worden
ist. Von Joseph Chajuns Mille de-Aboth, von Mose ben-
Jakobs Semag, Israel ben-Joseph Alnaquas oben (S. 178),
erwähnten vier Schriften, sowie von Ascher ben-Jechiels
Hanhaga existirt bis zum heutigen Tage keine andere
Uebersetzung als Pechis ungarische. Die Uebersetzung
der gesammten jüdischen Liturgie und die knappe, dabei
erschöpfende und richtige Darstellung der gottesdienstliohen
Bräuche, sowie des Ceremonialgesetzes der Juden, die er in
* Auf diesen Umstand habe ich, unter Beibringung zahlreicher Beispiele,
in einem ungarischen Pachblatte hingewiesen; s. Magyar Nyelvdr (Ung. Sprach-
wart) XVIL S. 567—573.
^30
seinem »Gebet- und Ritualienbuch« geliefert hat, bilden eine
geradezu imponirende Leistung, wie sie keine andere Literatur
aus der Feder eines Mannes aufzuweisen hat.
Den wissenschaftlichen Wert und die Bedeutung dieser
Arbeiten vermögen nur Fachmänner voll zu würdigen, die die
Schwierigkeiten kennen, welche die mit fremden Elementen
stark durchsetzte Sprache der neuhebräischen Literatur, ihre
oft künstlich, ja gewaltsam gebildeten Wortformen und Rede-
wendungen, die Fremdartigkeit der von ihr behandelten
Materien und die Eigenartigkeit ihrer Denk- und Ausdrucks-
weise dem Uebersetzer entgegenstellen. Dazu kommen die
zahlreichen Abbreviaturen, welche mit wenigen Buchstaben
oft ganze Sätze bezeichnen, und der mit Vorliebe gebrauchte
Musivstil, welcher der umfangreichen und vielgestaltigen alt-
und neuhebräischen Literatur zahllose, aus dem Zusammen-
hange gerissene Einzelheiten entlehnt, auf welche oft nur
anspiel'ungsw^eise, von ferne hingedeutet wird.
Wohl hat auch Pechi diese Schwierigkeiten nicht immer
glücklich besiegt. Auch in seinen Schriften finden sich Irrthü-
mer, falsche Auflassungen und unrichtige Auflösungen von
Abbreviaturen: aber sie sind verhältnissmässig selten, ungleich
seltener als bei dem altern Buxtorf und den übrigen als Heb-
raisten vielgerühmten Zeitgenossen Pechis.^ Sie sprechen
weniger gegen Pechis Sprach- und Sachkenntniss, als für die
Selbstständigkeit seiner Arbeiten, bei welchen er sich offenbar
nicht der Unterw^eisung, oder der Beihilfe jüdischer Lehrer
bediente, wie es bei den damaligen christlichen Hebraisten
gang und gäbe war. Solche Fehler und Irrthümer finden sich
übrigens nur in jenen seiner Schriften, welche sich mit der
späteren rabbinischen Literatur beschäftigen, in der sich
die obenerwähnten Schwierigkeiten ganz besonders fühlbar
machen. Den Pentateuch und die Psalmen, aber, auch den
talmudischen Tractat Aboth und die jüdischen. Wochentags-
und Festgebete, deren Sprache dem Althebräischen nahekommt,
hat er, mit seltenen Ausnahmen, überall richtig übersetzt und
commentirt.
^ Auf solche Irrthümer und Fehler Pechis hahe ich in meinem, A Szom-
batosok* S. 290 — 1 hingewiesen; bezüglich Buxtorfs s. meine Besprechung
einer neuen Ausgabe seines Lexicon chald. in Frankeis Monatsschr. 1866 S. 192
tlg. u. S. 233 flg.
231
Pechis Schriften sind noch sammt und sonders unedirt.
Die ungarische Akademie der Wissenschaften bereitet gegen-
wärtig die Herausgabe seiner Psalmen vor, welchen seine übrigen
Werke voraussichtlich bald folgen werden. Dann wird sein
einst glanzvoller Name wieder ehrenvoll genannt werden und
fortleben in der Geschichte der jüdischen Wissenschaft und
der ungarischen Literatur.
Schicksale und Leiden der Sabbatharier während
der letzten Periode ihrer Geschichte (1638—1863.)
Fürst Räkoczi I. hatte dem Sabbatharierthum durch die
Massenverurtheilung in Dees und Bistritz eine schwere, schier
tödtliche Wunde geschlagen. Die Häupter und vornehmsten
Bekenner dieser Secte waren theils eingekerkert, theils an den
Bettelstab gebracht und zur Verleugnung ihres Glaubens ge-
zwungen ; die führerlos gebliebene Menge war eingeschüchtert
und sah rathlos und zagend den kommenden Dingen entgegen.
Und Raköczi Hess den erschreckten Judenzern keine Zeit, sich
zu sammeln und von dem Streiche zu erholen, mit dem er sie
getroffen hatte. Er ernannte eine eigene Commission, welche
die Ortschaften, in welchen das Sabbatharierthum Wurzel ge-
fasst hatte, der Reihe nach bereisen und die noch vorfindlichen
Sectirer zur Annahme des Christenthums, wenn möglich des
calvinischen Bekenntnisses bestimmen sollte. Den Widerstre-
benden sollte unverzüglich und schonungslos der Process ge-
macht werden.
Die Commission ging eifrig ans Werk und erzielte selbst-
verständlich durchschlagende Erfolge. In Szent-Erzsebet, dem
Stammsitze der Sabbatharier, traten im Feber 1639 sämmtliche
Sabbatharier, bis auf sechzehn, zur calvinischen Kirche über,
wobei an einem Tage, dem 14. dieses Monates, nicht weniger
als achtzehn die Taufe erhielten. Aehnliches hatte die Com-
mission ausNagy-Solymos zu berichten, wo nur sieben »Judenzer«
übrig blieben, und aus Hidegküt, wo die Sectirerei gänzlich
ausgerottet wurde. In Kis-Solymos wurden nur mehr zwei
Sabbatharier gefunden, alle übrigen, und ihre Zahl war hier
238
eine sehr bedeutende, hatten bereits, wenigstens äusserlich,
den Calvinischen Glauben angenomjx^n. In Bözöd, Bözöd-
Ujfalü und Erdö-Szentgyörgy »haben aioh alle, die Judenzer
waren, bekehrt.« An jedem Tage wurden neue Masseutaufen
erzielt, und das ging so fort bis zum 4. März.^
Alle diese Neubekehrten musaten eine Erklärung aus-
stellen, durch welche sie sich eidlich ver|)flic'hteten, ihrem
neuen Glauben treu zu bleiben, christliche Prediger und
Schulmeister anzustellen, diejenigen aber, die sie verleiten
wollten, eine andere Religion anzunehmen, sofort dem Fürsten
anzuzeigen. »Das Alles zu halten und zu erfüllen — so schliesst
die in Rede stehende Erklärung — helfe uns der wahrhaftige,
ewige Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat, und der
Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs genannt wird,
und so gebe er uns das Heil unserer Seele.« Man glaubte
offenbar, dass die Sabbatharier, die zu dem Gotte Abrahams,
Isaaks und Jakobs zu beten pflegten, diese, an den damals
üblichen Judeneid erinnernde Eidesformel, für bindender erachten
werden als jeden andern Eid.^
Die aus den Reihen der Unitarier hervorgegangenen Sab- .
batharier bekannten sich, da sie einer der recipirten christ-
lichen Religionen angehören mussten, äusserlich fast ausnahms-
los zum Unitarismus. Der eifrig calvinisch gesinnte Raköczi
benutzte diesen Umstand, um mit den Sabbathariern auch zahl-
reiche Unitarier der »wahren orthodoxen Kirche« zuzuführen.
Viele der letzteren wurden, oft ohne jeden Grund, als der
Judenzerei verdächtig, in Untersuchung gezogen und theils
durch Drohungen und rohe Gewalt, theils durch Ueberredung
und dadurch, dass ihnen Befreiung vom Militärdienst zuge-
sichert wurde, zur Annahme der calvinischen Lehre veranlasst.
Durch diese Massenübertritte der Sabbatharier und ünitarier
erhielten die Calviner an vielen Orten, wo sie den Unitariern
gegenüber bislang die Minderheit bildeten, plötzlich die Majo-
rität. Dieser Umstand bot Räköczi den erwünschten Vorwand,
1 Kereszt. Magvetö XVJ. S. 217—223.
2 Das. XVII. S. 223—4. Vgl. den Amtseid des zum türkischen Dolmetsch
ernannten Juden, Török-Magy. Okm&nytär (= Türkisch, ung. Dlplomatarium)
VIT. s, «a
283
die Kirchen und Schulen der betreffenden Orte den Unitariern
zu entreissen, und den Calvinern zu überantworten.^
Die Kraft der siebenbürgischen Unitarier, welchen, wie
wir gesehen, auch das freie Wort entzogen wurde, war ge-
brochen, das Sabbatharierthum allem Anscheine nach vollends
vernichtet. Der calvinische Bischof Stephan Katona v. Gelej,
der eben damals an seiner i. J. 1645 erschienenen, umfangreichen
Streitschrift »Geheimniss der Geheimnisse« arbeitete, fleht in
derselben (S. 271) den Segen des Himmels auf Räkoczi I. herab,
der »die Pest der Judenzerei, welche nahezu das ganze Land
ergriffen hatte, in ihrer Weiterverbreitung hinderte, ja sie derart
ausrottete, dass man von denSabbathariern nun-
mehr im ganzen Lande nichts mehr weiss, es sei
denn, dass sie sich im geheimen noch irgendwo
verborgen halten.«
Und das war thatsächlich der Fall. Katonas Streit-
schrift war noch unter der Presse, als die Sabbatharier sich aus
ihrer kaum fünfjährigen Verborgenheit wieder an die Oeffent-
lichkeit wagten. Katona seibor hebt hervor, dass diejenigen,
die im vorgerückten Alter die Taufe angenommen hatten, es
zumeist nur gezwungen thaten, »sodann aber ihren Spott damit
trieben.« Es war ein offenes Geheimniss, dass die Sectirer
»wider ihren Willen« und »nur der Gewalt weichend« zur
calvinischen Kirche übertraten, im Herzen aber noch immer
dem Sabbatharierthum anhingen und dessen Bräuche ini ver-
borgenen übten. 2 Sie warteten nur auf eine günstige Gelegen-
heit, das Joch der ihnen aufgezwungenen Religion abzuschütteln.
Und diese Gelegenheit glaubten sie schon im J. 1644 gekom-
men, als der Fürst, infolge kriegerischer Verwicklungen mit
Ferdinand HL, mit dem Heere ausserhalb Siebenbürgens weilte.
Aber der junge Räkoczi, der während der Abwesenheit seines
Vaters die Regierung führte, trat sofort mit Entschiedenheit
gegen sie auf Er ernannte eine Commission, der er den Auftrag
ertheilte, »die Judenzer, die dem Vernehmen nach sich wieder
zu vermehren anfangen«, im ganzen Szeklerlande auszuforschen,
1 Kereszt. Magvelö XIII. S. 362—6 ; XIV. S. 35 ; XVI, S* 328 ; XVII. S:
108 u. 217.
' Monunn. Gomit. X, S. 214 ; Johann K e m 6 n y, SelbsÜHographie S. 409 ;
Szalärdi, a. a. 0. S. 135.
234
da »viele, welche diese Secte bereits verlassen hatten, wieder
zu ihr zurückkehren.« 1
Die Commission, über deren Wirksamkeit wir nichts
Näheres wissen, scheint mit Erfolg vorgegangen zu sein, denn
in den nächsten acht Jahren ist von den Sabbathariern nichts
zu hören. Aber nach dem Tode des Fürsten, dessen unerbitt-
liche Strenge sie schmerzlich erfahren hatten, wurden sie
immer kühner und begannen neuerdings offen aulzutreten.
Fürst Räköczi IL verhängte in einer am 19. September 1652
erlassenen Verordnung die härtesten Strafen über sie.^ Die um
diese Zeit zusammengestellte siebenbürgische Gesetzessamm-
lung (Approbatae constitutiones) erneuerte die alte Bestimmung,
welche über die Judenzer »Verlust der Habe und des Kopfesa
als Strafe verhängt.»
Die fernere Geschichte des Sabbatharierthums ist eine
lange, ununterbrochene Kette der Unterdrückungen und Ver-
folgungen. Die kleine Secte duldete und litt mit der Begeis-
terung religiöser Schwärmerei. Ihre Anhänger wurden mit dem
Tode bedroht und mit den härtesten Strafen belegt; ihre Habe
wurde confiscirt, sie selber jagte man aus den von ihren
Vätern ererbten Häusern und Hütten, nicht selten sogar aus
ihrem Vaterlande, das sie als Bettler in geheimer Flucht ver-
lassen mussten. Ihre vornehmeren und reicheren Gesinnungs-
genossen, die mehr als die Uebrigen zu verlieren hatten, fielen
allmälig von ihnen ab; nur die Acrmern und niedriger Ste-
henden, zumeist Bauern und Leibeigene, harrten aus, aber diese
klammerten sich mit krampfhafter Hartnäckigkeit an ihre reli-
giöse Ueberzeugung. Zu Zeiten, wenn sie verfolgt, oder mit beson-
derer Strenge beaufsichtigt wurden, übten sie ihre religiösen
Bräuche im geheimen, mitunter in W^äldern und in Felsen-
schluchten. So oft aber die Behörden ein weniger wachsames
Auge auf sie hatten, oder wichtige politische Ereignisse die
Aufmerksamkeit von ihnen ablenkten, wurden sie sorgloser
und veriethen sich. Mitunter warfen sie sogar völlig die Maske
ab, und bekannten sich offen als Sabbatharier. Hierauf folgten
über kurz oder lang neue Untersuchungen und unerbittliche
^ Kereszt. Magvetö XI. S. 68.
» Das. III. S. 260.
* Approbatae Constitutiones Regni Transsyk. Pars I. Tit. 4 ; vgl. das. I.
Tit. 1. Art. 4.
235
Strafen von Seite des Staates oder der Geistlichkeit, und aber-
maliges Versteckenspielen von Seiten der Sabbatharier. Und
das wiederholte sich in grösseren und kleineren Intervallen
durch mehr als zwei Jahrhunderte.
Seit der Sabbatharierver folgung im J. 1652 waren zehn
Jahre verstrichen. Mit dem stolzen Heere, das Raköczi II. nach
Polen führte, war die Blüthe des siebenbürgischen Adels ver-
nichtet w^orden; Bürgerkriege und plündernde türkische Horden
überzogen das unglückliche Land mit Schrecken und Ver-
nichtung. Inmitten dieser allgemeinen Verwirrung, wo die ver-
schiedenen Landeskirchen nicht einmal die üblichen Synoden
abhalten konnten, blieben die Sabbatharier unbeachtet und,
trotzdem sie wieder öffentlich hervortraten, eine Zeit lang unbe-
helligt. Erst im J. 1662 fand Fürst Apafi Zeit und Gelegenheit,
sich wieder mit ihnen zu beschäftigen und Commissäre aus-
zusenden, welche sie wieder zum Christenthum zurückführen
sollten. Aber die kühn gewordenen Sabbatharier fertigten die
fürstlichen Commissäre mit den Worten ab: »Seine Hoheit hat
jetzt andere Sorgen, als sich um die Religion zu kümmern.«
Vergebens wurden sie ermahnt, des Gelöbnisses eingedenk zu
sein, dass sie in Dees und Bistritz in Wort und Schrift unter
Eid abgelegt hatten. Seit dem Jahre 1638 war eine neue sab-
batharische Generation herangewachsen, und diese erklärte
rund heraus: »Wir haben nichts beschworen, weder hier, noch
dort. Wenn unsere Väter geschworen haben, sind wir nicht
verpflichtet, es zu halten, sobald wir das nicht wollen, wozu
sie sich verpflichtet haben.« An vielen Orten leisteten sie der
Vorladung der Gommission überhaupt keine Folge. Zu Bözöd
»sprach der sabbatharische Geistliche der Bauerngemeinde ge-
waltiglich zu: derartige Admonitionen seien schon vordem öfter
dg^ewesen, aber es sei nichts dabei herausgekommen, und so
werde es .auch diesmal sein.« Nur zu Szent-Erzsebet Hessen
sich einige herbei, ihren Rücktritt zur calvinischen Kirche zu
versprechen.^
Krieg und innere Wirren Hessen es aber zumeist noch
zu keinem ernsten Einschreiten gegen sie kommen. Ungescheut
und eifriger denn je übten sie ihre religiösen Bräuche und
sagten sie sich scharenweise von der calvinischen, beziehungs-
' S. den Bericht Kereszt. Magyetö XVII. S.; 224—6.
Sd6
weise unitarischen Kirche los, der sie äusserlich angehören
mussten. Sie mieden die Kirchen, die sie bisher zum Scheine
zu besuchen pflegten, arbeiteten an den Sonntagen, hielten
sich strenge an die jüdischen Speisegesetze und waren kühn
genug, ihren Glauben und ihre Bräuche öffentlich zu verthei-
digen, wobei es nicht selten zu heftigen Auseinandersetzungen
mit andersdenkenden Nachbarn kam. Erst im J. 1670 entsen-
dete Apafi neuerdings eine Regierungscommission, welche die
Szeklerstühle bereisen, an jedem Orte eine Liste sämmtlicher
Sabbatharier anlegen und, um deren Process vorzubereiten,
das nöthige Beweismaterial gegen sie sammeln sollte Aus
den vor der Commission gemachten, noch vorhandenen Zeugen-
aussagen ergab sich, dass die Secte, welche man vernichtet
zu habten glaubte, noch zahlreiche fanatische Anhänger besass
und in den letzten Jahren neuerdings eine grosse Verbreitung
gefunden hatte. In Nagy-Solymos und in Körös-Patak hat je
ein Zeuge 23, beziehungsweise 46 Personen als Sabbatharier
namhaft gemacht. Neben Bauern und Leibeigenen befand sich
eine stattliche Anzahl von Kleinadeligen und Studenten unter
ihnen; am stärksten waren aber die »rothen Trabanten« ver-
treten, welche den Kern des damaligen stehenden Heeres in
Siebenbürgen bildete.^
Ueber die weiteren Massregeln, die Apafi hierauf gegen
die Sabbatharier ergriff, besitzen wir keinerlei Nachrichten;
doch scheint er mit unerbittlicher Strenge gegen sie vorge-
gangen und die sabbatharische Bewegung für eine geraume
Zeit wenn auch nicht unterdrückt, so doch eingedämmt zu
haben. Denn vom J. 1670 bis zum J. 1717 hören wir nichts
von Judenzern in Siebenbürgen; sie schienen ausgestorben,
zu sein. Nichtsdestoweniger ist es gewiss, dass sie am
Anfang des XVIII. Jahrhunderts neuerdings auftauchten. Doch
blieben sie. Dank dem freiem Geiste und den Wirren,
welche den damals ausgebrochenen »Kurutzen«-Krieg beglei-
teten, eine Zeit lang unbemerkt, zum mindesten unbehelligt.
Als aber Siebenbürgen vollständig unter oesterreichische
Herrschaft geriet, und die katholische Kirche im ganzen Lande
zu immer grösserer Macht gelangte, begann für die Sabba-
tharier eine neue, lange Periode grausamer V^folgungeft.
^ S. den amtlichen Beiicht, Kweszt. Magvet6 IX. & 147 fig.
237
Im Verlauf derBelben treten die calvinischen Geistlichen all-
mälig" in den Hintergrund; an ihrer Stelle wird der katholische
Clerus der am meisten gefürchtete Feind der geängstigten
Sectirer. In der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts begegnen
wir zum erstenmale katholischen Sabbathariern, das heisst
solchen, die dem auf sie geübten Zwange weichend, allerdings
zumeist nur dem Scheine nach, zur katholischen Kirche über-
treten. Vordem pflegten sie sich, unter ähnlichen Verhältnissen,
regelmässig entweder den Unitariern, oder den Calvinern an-
schliessen.
Die schier endlose Reihe der Verfolgungen, welche die
neue, sagen war: oesterreichische Periode den Sabbathariern
brachte, eröffnete die vom Jahre 1717, in welchem Jahre das
siebenbürgische »Gubernium« neuerdings strenge Massregeln
gegen die Sectirer beschloss. Dieselben bedurften jedoch der
Bestätigung des Wiener Hofes, so dass mit ihrer Durchführung
erst i. J. 1722 begonnen werden konnte.^ Die Sabbatharier
wurden im ganzen Lande conscribirt und in Anklagezustand
versetzt. Es waren ihrer im Ganzen nur mehr 108, die als
Judenzer überführt werden konnten, darunter 37 Männer und
71 Frauen; in dem Oertchen Iklöd fanden sich bloss noch
weibliche Sabbatharier, zehn Frauen und ein Mädchen. 2
Dass sich unter den Angeklagten so unverhältniss-
mässig viele Frauen befanden, ist neben dem Umstände, dass
sie sich an der sabbatharischen Bewegung von jeher lebhaft
betheiligt hatten (ob. S. 198), offenbar darauf zurückzuführen,
dass die Gerichte die Schuldbeweise am leichtesten und
sichersten, also auch am häufigsten, in der — Küche zu suchen
pflegten. Wo am Sabbath nicht gekocht, statt des Schweine-
fettes Gänseschmalz benutzt wurde und, im Sinne der mosai-
schen Gesetzgebung, unreine Thiere aus der Küche verbannt
waren, dort war »Judenzerei.« Diese Delicto konnten aber
^ ,Sabbatistarum causa anno adhuc 717 inchoata in tabulaque
regia decisa, sed ab altioribus necdum raüßGata;*^ s. das Actenstück im Landes-
arcbiv zu Ofen, Arch. d. siebenb. Guberniums, sub A. 1724, No. 504.
' Nach den Processacten wurden gefunden : „In Bözöd-Ujfalü : 27 Männer,
24 verheiratete Frauen, 7 Witwen, 4 Mädchen ; in Bözöd : 1 Ehepaar ; in Ernye :
9 Männer, 19 Frauen, 5 Mädchen ; in Iklöd 10 Frauen, ein Mädchen." Die Zahl
der nicht überwiesenen Sabbatharier ist offenbar eine noch viel grössere gewesen.
S. das Actenstück im Landesarch. zu Ofen, das. sub A.1722 No. 253.
238
• ■ • ■ • - ' - -
naturgemäss in der Regel nur den Frauen nachgewiesen werden,
während die Männer, wenn sie sich aufs Läugnen verlegten, so
leicht nicht überführt werden konnten, im geheimen Sabba-
tharier zu sein.
Das Vermögen der 108 Angeklagten wurde aufgenommen
und bald darauf mit Beschlag belegt,^ das weitere gerichtliche
Vorgehen jedoch »wegen anderweitiger öffentlicher Angelegen-
heiten« vorläufig eingestellt. Erst am 24. März 1724 forderte
das Gubernium die Landesstände auf, den Process der Sabba-
tharier endgiltig zu erledigen, »damit die fluchtwürdige Ketzerei,
wenn sie noch länger geduldet würde, den Zorn Gottes nicht
zur Strafe herausfordere.^« Infolge dessen erging am 22. Mai
an die Behörden der Szeklerstühlo Udvarhely und Maros der
Befehl, von den Sabbathariern, »nachdem sowohl sie selber,
als auch ihre Habe unter guter Caution befindlich sind«, nur
vier oder fünf vor Gericht zu stellen, diesen den Process zu
machen, und das über sie gefällte Urtheil ohne Aufschub an
allen Sabbathariern zu vollstrecken. ^
Im Sinne dieses Befehles w^urden im darauffolgenden Jahre
{Ende März und Anfang April 1725) sämmtliche Angeklagte
»zum Verluste ihres Vermögens« verurtheilt. Das Urtheil
wurde sofort vollstreckt, und die confiscirten Liegenschaften
der Sabbatharier in den drei kleinen Ortschaften Bözöd, Nagy-
Ernye und Iklöd für 10.000 Gulden zu Gunsten des Aerars
verkauft.* Die an den Bettelstab gekommenen Sabbatharier
wanderten zum Theil nach der Türkei aus, die übrigen haben,
nach der Aufzeichnung des Pfarrbuches zu Bözöd-Ujfalu, »dem
Zwange weichend, die römisch-katholische Religion angenommen,
sind aber deshalb doch Sabbatharier geblieben.«^ Sie. wurden
unter die strenge Aufsicht ihrer Pfarrer gestellt, die es aber
nicht zu hindern vermochten, dass sie nach wie vor ihre
1 Landesarchiv zu Ofen sub A. 1722. No. 304.
3 Das. sub. A. 1724, No. 504 u. 505.
3 Das. sub. A. 1724, No. 187 u. 51.
* S. den Process zwischen den Käufern u. den Nachkommen der ver-
urlheilten Sabbatharier, das. sub. A. 1797, No. 825 ; vgl. r b a n, a. a.
0. I. S. 147.
6 S. Acta Parochiae B.-Ujfalvens. Ofner Landesarchiv, das. sub. A. 1868,
No. 28479. Das umfangreiche Actenstück enthält die Gopie sämmtlicher auf die
Sabbatharier bezughabender Stellen diss Pfarrbuches von BözÖd-Ujfalu mit den
Bemerkungen des Gopisten, Garonicus Emerich B e t e g h.
239
jüdischen Bräuche übten. Im Jahre 1729 wurden die Jesuiten
mit ihrer Bekehrung und Ueberwachung betraut.* Gleichzeitig
fahndete man auf die in den übrigen Gegenden des Landes
zerstreut wohnenden Sabbatharier, [deren Habe, wie z. B. die
des Tordaer Bürgers Johann Pal, schonungslos confiscirt
wurde. 2
Den so hart verfolgten Sabbathariern blieb als letztes
Rettungsmittel nur noch die Auswanderung, und sie suchten
ihre Besitzthümer um jeden Preis zu Geld zu machen. Das Gu-
bernium, welches in Erfahrung gebracht hatte, »dass es noch
immer solche gebe, die der verdammten Religion der Sabba-
tharier angehören, und jetzt ihre Güter zu verschleppen suchen,«
erliess am 19. September 1744 eine strenge Verordnung, »dass
kein Mensch diese Güter von ihnen ankaufe, ansonsten sie (die
Käufer) casu contrario ohne Geld und ohne Güter bleiben, nachdem
ihnen der königliche Fiscus diese Güter simpliciter wegnehmen
wird.« 3
In Vollführung dieser Verordnung w^urde im nächstfol-
genden Jahre (1745) eine Liste der an die Scholle gebundenen
Unglücklichen angefertigt, und öffentlich kundgemacht, dass
die Betreffenden ihre Güter nicht verkaufen dürfen. Sie mussten
ihren Besitz behalten, damit er ihnen strafweise weggenommen
werden könne, falls sie der Jude^nzerei. oder auch nur der
Vernachlässigung der kirchlichen Bräuche überführt werden
sollten.*
Zu diesem Behufe wurden sie aufs schärfste überwacht.
In Bözöd-Ujfalu, dem damaligen Hauptsitze der Sabbatarier,
achtete der katholische Pfarrer strenge darauf, ob sie an Sonn-
und Feiertagen die Kirche besuchen und sich am Gottesdienste
gebührend betheiligen? Ob mit Ausnahme des einen Familien-
mitgliedes, das zur Bewachung des Hauses zurückbleiben durfte,
die ganze Familie in der Kirche erschienen war? Ob sie
keine geheimen Zusammenkünfte halten^? Ob sie ihre schwer
Kranken mit den Sterbesacramenten versehen lassen ? Ob sie
^ Acta Paroch. B.-Ujfalvens. das.; vgl. 1 1 1 i a, Orlus et progressus variarum
in Dacia gentium S. 161.
a Kereszt. Magvetö III. S. 161.
3 Ofner Landesarchiv, Arch. d. siebenb. Guberniams sub. A. 1744,
No. Ö73.
* Acta Paroch. B.-Ujfalvens., das.
aiQ
die Särge und die Gräber nicht nach jüdischem Brauche anfer-
tigen, und ob Me ihre Kinder pünktlich in die katholische
Schule schicken? Wer sich; in der einen oder anderen Beziehung
etwas zu Schulden kommen Hess, wurde sofort hart bestraft,
in der Regel durch die Confiscirung seiner Güter.^
Die Lage der Sabbatharier war jetzt eine schier uner-
trägliche geworden; es blieb ihnen kein anderes Rettung-s-
mittel als die Flucht. Namentlich die Jüngeren und Kräftigeren
unter ihnen schlichen sich bei Nacht und Nebel fort, und suchten
auf unwegsamen Gebirgspfaden die benachbarte walachische
Grenze zu erreichen, um in der Türkei die Ruhe und den
Frieden zu suchen, die ihnen zuhause versagt waren. Die meis-
ten Hessen sich in Adrianopel nieder, wo sie zum Judenthume
übertraten, irgend ein Handwerk erlernten, und in Verhältnissen
lebten, die, so bescheiden sie auch waren, den armen szekler
Bauern als wahrhaft glänzende erschienen.
Einer von ihnen, Joseph Koväcs, »der als Jude Ben-
Abraham heisst«, schrieb noch im J. 1778 seinen in Bözöd-Ujfalu
zurückgebliebenen greisen Eltern. Der in mehrfacher Beziehung
interessante Brief zählt die vor Jahrzehnten ausgewanderten
Szekler, die in Adrianopel als »Ger-Juden« leben,^ namentlich
auf; es sind ihrer im Ganzen sechzehn, »die Uebrigen«, so
heisst es, »sind schon alle gestorben.« Mich selbör, so fährt der
Schreiber, nachdem er über seine Familienverhältnisse berichtet
hat, fort »mich selber achten alle Menschen, selbst die Gross-
rabbiner; auch die Arbeit schadet mir nicht. Ich betreibe das
Buchbinderhandwerk und lebe gut; wie schönes weisses Linnen
ist das Weissbrod, das ich esse, und den besten rothen Wein
trinke ich, so oft ich Lust dazu habe . . . Euch, meine gelieb-
ten jüngeren Brüder, bitte ich, den theueren Vater und die
theuere Mutter nicht zu kränken. Solltet Ihr den Vorsatz haben,
hierherzukommen, so lasset Eure theueren Eltern nicht dort;
ich möchte sie wahrhaftig gar so gerne sehen !«8
* Das. die Aufzeichnungen der Pfarrer Georg Lukäcs u. Paul
V i n k 1 e r ; vgl. die Eingabe des Dechanlen Emericli Betegh, Ofner Landesarcb.
das. sab. A. 1868, No. 28479.
* G e r, die bei den Juden übliche hebräische Bezeichnung für P r o s e 1 y t.
3 Der Brief, den die Familie Koväcs fast ein Jahrhundert als Reliquie
bewahrte, gelangte durch Vermittlung des Verfassers dieser Schrift, der ihn
später auch veröffentlichte, (Magy. Zsidö Szemle 11. S. 74— S) in den Besitz des
ungarischen Nationalmuseums zu Budapest.
241
Solche Briefe und Nachrichten mussten bei den in Sieben-
bürgen zurückgebliebenen Sabbathariern selbstverständlich den
lebhaften Wunsdh rege machen, das gelobte Land aufzusuchen,
in welchem ihre Brüder nicht verfolgt, sondern von allen Men-
schen geachtet, in Ruhe und Sicherheit nach ihren religiösen
Ueberzeugungen leben konnten. Die fluchtartige Auswanderung
nach der Türkei wurde immer häufiger und währte bis tief
in die erste Hälfte des XIX. Jahrhunderts.
Die Häuser und Felder, welche die Flüchtlinge, da sie sie
nicht verkaufen durften, einfach zurücklassen mussten, fielen
dem Fiscus anheim, der sie um das Jahr 1747 der Pfarre von
Bözöd-Ujfalu schenkte. Der damalige Pfarrer, Anton Bertalan,
überwies diese Liegenschaften den nächsten Verwandten der
Flüchtlinge »in Anhoffnung ihrer Bekehrung«, unter der Bedin-
gung jedoch, dass die Schenkung jederzeit sofort rückgängig
zu machen sei, wenn die Betreffenden sich nicht als gute
Katholiken bewähren.^
Aber die Sabbatharier Hessen sich durch diese Schenkungen
ebenso wenig bestechen, als sie sich in ihren Ueberzeugungen
durch die strengen Massregeln wankend machen Hessen, welche
die Kaiserin Maria Theresia bald darauf gegen sie ergriff. Auf
Betreiben des siebenbürgischen Clerus entsendete sie i. J. 1750
eine Schar von Ordensgeistlichen, welchen Soldaten und Pan-
duren beigegeben waren, zur gewaltsamen Bekehrung der
Sabbatharier. In jedes sabbatharische Haus wurde je ein Mönch
einquartirt, der die betreffende Familie in Glaubenssachen
unterweisen und gleichzeitig strengstens überwachen sollte.^
Unter dem Drucke solcher Gewaltmassregeln lichteten sich
wohl die Reihen der Sabbatharier immer mehr, aber die aus
den Jahren 1753 und 1764 stammenden Aufzeichnungen des
Pfarrbuches zu Bözöd-Ujfalü enthalten noch immer die bittersten
Klagen über die Hartnäckigkeit der Sectirer. Es sei nicht mög-
lich, die Sabbatharier genügend zu überwachen; sie üben, so
heisst es da, die christlichen Bräuche nur nachlässig und nur
wenn sie dazu gezwungen werden; mit um so grösserem Eifer
aber hängen sie an den jüdischen Riten, zu deren Beobachtung
sie geheime Versammlungen abzuhalten pflegen. ^ Das alles
* Acta Paroch. B.-Ujfalvens. das. ; Blasius O r b ä n a. a. 0. I. S. 187.
* r b a n, a. a. 0., das.
' S. die Aufzeichnungen der Pfarrer Lukacs und Vinkler, Acta Paroch., das.
Dr Kolm : Sabbatharier. 16
242
wusste man nicht nur im Pfarrhause, sondern im ganzen
Szeklerstuhle von Udvarhely; ja man kannte jeden einzelnen
Sabbatharier genau. Diese gingen aber so vopsichtig zu Werke
und wussten die Uebung ihrer religiösen Bräuche so geschickt
zu verbergen/ dass man sie der Judenzerei nicht überführen
konnte. So lebten sie wohl unter scharfer Controle, sonst aber
bis 1781, ungestraft.
In diesem Jahre erschien das Toleranzedict Josephs IL,
welches das gegenseitige Verhältniss der vier in Siebenbürgen
recipirten Religionen wohl in freisinniger Weise regelte, aber
eben dadurch das Sabbatharierthum neuerdings aus der Reihe
der vom Staate anerkannten Religionen, ausschloss. G(^en
solche durch das Toleranzedict nicht anerkamite Confessionen
pflegte aber Joseph IL recht unduldsam, ja sogar hart ^u ver-
fahren, ^ und so wurden gerade nach dem Erlasse dieses Edictes
die Processe gegen die Sabbatharier mit aller Streike wieder
aufgenommen. Um den über sie verhängten harten Strafen
zu entgehen, entwichen viele, mit Hinterlassung ihrer ge-
sammten Habe, nach der Türkei und gelangten schliesslich
nach Konstantinopel, wo sie sich niederliessen und, wie sie
nachhause schrieben, »neben der türkischen Druckerei in* einer
besonderen Gasse« wohnten, und ihre Gebete in ihrer Mutter-
sprache verrichteten.» Wahrscheinlich sind auch diese, -gleich
ihren nach Adrianopel geflüchteten Glaubensgenossen, Juden
geworden und in der jüdischen Gemeinde aufgegangen.
Im Jahre 1817 wurden abei^mals mehrere Sabbatharier,
die man bei der Uebung jüdischer Bräuche ertappte, verurtheilt
und ihrer Liegenschaften beraubt. In erbittertem Trotze ver-
richteten sie hierauf einen ganzeti Sonntag hindurch öffentlich
die schwersten Feldarbeiten, luden des Nachts ihre werth-
voUeren Habseligkeiten auf Karren und flüchteten ebenfalls
nach der Türkei.
* lieber des diesbezügliche Vorgehen der Sabbatharier s. das folgende
Capitel.
3 Ein bezeichnendes Beispiel hierfür ist sem an Grausamkeit grenzendes
Vorgehen gegen die Abrahamiten oder Deisten in Böhmen; s. die Quellen
ob. S. 9 Anm. 4.
3 Orbän, a. a. 0. I. S. 147. Diesen brieflichen Nachrichten verdankt
wahrscheinlich die oben angeführte Sage ihre Entstehung, P6chi sei nach
Konstantinopel geflüchtet und dort Director einer türkischen Druckerei.
243
Im Jahre 1827 war Alexander Czinczeri, der katholische
Geistliche zu Bözöd-Ujfalu, ihr unerbittlicher Verfolger, von
dem sie noch heute als von einem herzlosen Menschen zu
erzählen wissen, den Gott für seine Grausamkeiten gestraft hat.
Er zwang sie am Sabbath zu arbeiten. Des Sonntags gingen
seine Emissäre von Haus zu Haus und schleppten sie gewalt-
sam in die Kirche, wo sie während des Gottesdienstes ununter-
brochen das Kreuzeszeichen machen mussten. Ueber die Wider-
spenstigen wurde die übliche Strafe verhängt; drei Familien
wurden von Haus und Hof vertrieben. Auch diese flüchteten
nach der Türkei. Andere entschuldigten sich vor dem Gerichts-
höfe damit, ihre Felder seien wiederholt gerade am Sabbath
durch Hagel vernichtet worden; um diese Gottesstrafe von
sich abzuwenden, hätten sie das Gelöbbniss gethan, am Sabbath
zu ruhen; im übrigen seien sie keine Judenzer. Einige Mit-
glieder des Gerichtshofes luden mehrere der Angeklagten zu
Tische, um zu beobachten, wie sie sich zu den nach dem
mosaischen Gesetze verbotenen Speisen verhalten. Die Sabba-
tharier setzten aber der List List entgegen und schickten
Nichtsabbatharier, welche sich für die Geladenen ausgaben.
Bei dieser Gelegenheit sollen sie die Erlaubniss, den Sabbath
im Sinne ihres Gelöbnisses feiern zu dürfen, erbeten und
angeblich auch erhalten haben.
Da die Sabhatharier immer nur unter einander zu heiraten
pflegten, erliess jetzt Bischof Nicolaus Kovacs das Verbot, Braut-
paare, deren Familien der Judenzerei verdächtig waren, zu
trauen. Die Sabbatharier antworteten auf diese harte Maasregel
mit einer neuerlichen Auswanderung nach der Türkei. Die
übrigen traten zumeist zur calvinischen Kirche über, der sie
selbstverrständlich eben so äusserlich und nur zum Scheine
angehörten, als früher der katholischen.^
Im Jahre 1829 wurden in Bözöd-Ujfalu 39, in Ernye 8
Personen als Sabbatharier in Anklagezustand versetzt, doch
konnte ihnen, nach langwierigen Untersuchungen und Verhand-
lungen, nur so viel nachgewiesen werden, dass sie an Sonn-
und Feiertagen Arbeiten verrichtet hatten. Der Uebung jüdi-
scher Bräuche konnten sie nicht überführt werden, so dass sie
1 A. a. 0. das. S. 147 — 8. Bezüglich Gzinczeris s. noch Egyenlöseg, VI.
No. 9, ferner im nächsten Gapitel den sagenhaften sabbatharischen Bericht
über ihn.
16*
244
im August 1833 wegen Mangel an Beweisen freigesprochei
werden mussten. Der öffentliche Ankläger appellirte, abe:
Kaiser Franz IL bestätigte am 13. Feber 1834 das freispre
chende Urtheil mit dem Bemerken, die Angeklagten seien zui
Beobachtung der christlichen Feiertage zu verhalten und dies
bezüglich unter Aufsicht der Geistlichkeit zu stellen.^
Der nachmalige Cardinal Ludwig Haynald suchte, als ei
i. J. 1851 Bischof von Siebenbürgen wurde, die] Sabbathariei
durch Freundlichkeit und Ueberredung für die katholische
Kirche zu gewinnen. Er beschenkte sie mit schönen metallenen
Crucifixen, ging dann selbst nach Bözöd-Ujfalu und predigte
vor ihnen, um sie^durch die Macht des Wortes zu bekehren.
Die Sabbatharier blieben kalt; seine Bekehrungsreden konnten
ihnen nur das Geständniss abringen: »Wie schön er reden
kann! Schade, dass er kein Sabbatharier ist!«^ Im übrigen
musste auch Haynald zu strengen Mitteln gegen sie greifen.
Ein Sabbatharier, Namens Paul Koväcs, hatte nämlich seine
Tochter, die im geheimen Jüdin geworden war, einem Juden
zur Frau gegeben. Haynald, dem das angezeigt wurde, zwang
die Frau, ihren jüdischen Gatten zu verlassen und mitsammt
ihrem mittlerweile geborenen und als Jude erzogenen Sohne
ins Vaterhaus zurückzukehren.«
So war es auch Haynald nicht gelungen, die Sabbatharier
in der Schoss des Christenthums zurückzuführen; sie setzten
der Ueberredung denselben Widerstand entgegen, wie vordem
der Gewalt. Man kannte und überwachte sie genau. Die Pfarrer
von Bözöd-Ujfalu pflegten für ihre Amtsnachfolger förmliche
Instructionen zu hinterlassen, in welchen sie die Merkmale
angaben, an welchen die Judenzer zu erkennen, und die Art
und Weise, wie sie am besten zu überwachen seien.* Aber die
Sabbatharier waren so vorsichtig und verschlagen, und wussten
ihre religiösen Uebungen in so geheimnissvolles Dunkel zu
hüllen, dass es fast nie gelang, sie auf frischer That zu
ertappen. Erst i. J. 1867 warfen sie die Maske ab und bekannten
sich offen als Judenzer. Damit begann die vor der Öffentlich-
1 Ofner Landesarchiv, das. s. A. 1833, No. 4125 u. A. 1834 No. 2011
* Acta Paroch. Bözöd-Üjfalvens., a. a. 0. das., u. Blasius Orban a. a.
I. S. 148.
3 Acta Paroch. das.
* S. die verschiedenen Aufzeichnungen das.
245
keit sich abspielende Bewegung, welche die letzten Reste der
Sabbatharier, mit einigen wenigen Ausnahmen, dem Judenthum
zuführte.
Bevor wir jedoch die Geschichte dieser Bewegung erzählen,
wollen wir das religiöse und das Geistesleben der Sabbatharier
kennen lernen, wie es sich uns während dar 230 Jahre dar-
stellt, die zwischen demJDeeser Gerichtstermin und dem J. 1867
lagen. •
Das religiöse und das Geistesleben des Sabbatha-
rierthunns in der Periode seines Niederganges.
1638—1868.
Dem religiösen und Geistesleben des Sabbatharierthums
während der letzten Periode seiner Geschichte hat die 230-jährige
schonungslose Verfolgung, welche es erlitten, ihr trauriges
Gepräge aufgedrückt.
Die gewaltsam unterdrückte, ihrer Führer beraubte, immer
mehr zusammenschmelzende und nur mehr heimlich fort-
bestehende Secte war kaum im Stande, sich ihre älteren lite-
rarischen Erzeugnisse zu bewahren und zu erhallen; neue zu
schaffen, oder ihre Sache mit der Feder zu fördern und zu
vertheidigen, war für sie ein Ding der Unmöglichkeit. Selbst
die Abschreiber, welche ihre älteren Schriftwerke vervielfältigten,
sind nicht mehr die geschulten Copisten von ehedem, sondern
Bauern und Handwerker, deren ungelenke Schrift es deutlich
verräth, dass ihre Hände besser mit dem Pfluge und Hand-
werkzeuge, als mit der Feder umzugehen wissen. Die von ihnen
gelieferten Abschriften sind um so mangelhafter, je jüngeren
Datums sie sind; die aus der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts
bereits von einer trostlosen Unbehilflichkeit.
Die älteren sabbatharischen Handschriften präsentiren sich
als stattliche Folianten oder Quartbände aus gleichmässigem,
starkem Papier, die von geübter, sicherer Hand geschrieben
und, wie deutlich erkennbar, durch die Werkstätte des Buch-
binders gegangen sind. Die aus der Zeit nach 1638 stammen-
den Handschriften sind ausschliesslich Octav-, oder gar Sedez-
bände, weil solche leichter zu verbergen, und zu den geheimen
gottesdienstlichen Versammlungen bequemer und sicherer mitzu-
2i'3
nehmen Wären, endlich' aber weil ftir dieses kleine Format das
nöthige Papier am bill%sten und' am unanffäHigsten zu beschaffen
war. Das Papier dieser Handschriften besteht nämlich in der
Regel aus Stücken von verschiedener Grösse, Farbe und Qua-
lität, die ungeschickt zusammengenäht und in höchst primi-
tiver Art gebunden sind, mitunter in Einbandtafeln, die von
andern Büchern genommen wurden.^ Die Abschreiber, oder
Besitzer haben es offenbar nicht gewagt, sich an einen Buch
binder zu wenden. Die plumpe, schwerfällige Schrift und die
durchweg fehlerhafte Orthographie verrathen die Unwissenheit
der Copisten, und können als voUgiltige Beweise für die auch
anderweitig bezeugte Thatsache gelten, dass in dieser langen
Periode allmäligen Verfalls nur noch Bauern Anhänger des
Sabbatharierthums waren. Dabei sind diese Handschriften aus-
schliesslich Gebet- und Ritualien-, sowie Gesangbücher, deren
die Sabbatharier bei ihren gottesdienstlichen Verrichtungen
nicht entrathen konnten. Alle übrigen Erzeugnisse ihrer altern
Literatur blieben unbeachtet, und verschwanden allmälig aus
den Häusern, zuletzt sogar aus dem Gedächtnisse der Sabba-
lharier.2
Seit der Katastrophe zu Dees i. J. 1638 ist keine einzige
neue sabbatharisehe Schrift, nicht einmal ein neues sabbatha-
risches Lied entstanden. Die gesammte Geistesthätigkeit der
im Dunklen fortvegetirenden Secte äusserte sich in der theil-
weisen Erhaltung ihrer altern Literaturerzeugnisse, sowie in
den weiter tinten besprochenen Correcturen, die an ihrem
Gesangbuche vorgenommen wurden. Einige kleine Verse und
einige Volkssagen sind Alles, was sie im Verlaufe dieser 230
Jahre zu schaffen im Stande war.
Die in Rede stehenden Verse sind in der Regel am
Anfange oder am Schlüsse der Gebet- und' Gesangbücher zu
finden, und zumeist des Werk des Abschreibers, oder des
^ Ein in meinem Besitze befindliches, um 1843 geschriebenes sabbatha-
riscbes Gebet- u. Rilualienbuch in 8-** steckt in einem scljadhaflen, aber starken
Ledereinband, dessen Rücken die eingedruckte Titelau ftchrift hat: „Pichler,
Jag CÄöoüicura, Pars I.«* Zu mehreren aus der jüngsten Zeit (1850—1860)
stammenden sabbatharischen Gebet^ und Liederbüchern sind, offenbiu: in irgend
einem Papierladen gekaufte, Geschäfts- oder Notizbücher benutzt worden.
» Die einzige Ausnahme bildet die 1708 angefertigte Abschrift der oben
S. 179, Anm. 1) erwähnten Schrift Pechis.
247
Besitzers der betreffenden Handschrift. Nur eines von ihnen
hat Mreitere Verbreitung gefunden. Es scheint in der ersten
Hälfte des XVII. Jahrhunderts entstanden zu sein, und findet
sich seitdem fast in jeder sabbatharischen Handschrift, ja sogar
am Anfange sabbatharischer Briefe.^ Es lautet in wörtlicher
Uebersetzung:
Ruhm und Ehre sei dem Herrn der Herren,
Abrahams, Isaaks uod Jakobs Könige,
Der oberster Richter ist der ptnzen Well.
Er gebe Befreiung den Nachkommen Israels !
Diesen vier, im Ungarischen mit einem und demselben
Reime endigenden Zeilen sind seit dem Anfang dieses Jahr-
hunderts in der Regel noch die Worte
In Gemeinschaft mit uns
oder einfach:
Und auch uns
hinzugefügt.
Neben diesem Verslein^ ist noch ein anderes zu erwäh-
nen, welches sich zwar in keiner sabbatharischen Handschrift
findet, aber, nach einem vertrauenswürdigen Berichte, um die
Mitte dieses Jahrhunderts bei den Sabbathariern von Bözöd-
Ujfalü gang und gäbe war. Von dem Glauben ausgehend, dass
der sehnlich erwartete Erlöser unter Donner und Blitz erschei-
nen werde, pflegten sie während eines Gewitters die Thüren
und Fenster zu öffnen und folgende, im ungarischen Originale
volksthümlich gereimte, Strophe abzusingen:
Mach auf, o Herr, mach auf uns
Deiner Gnade Thore,
Schicke uqs, o schick uns
Den verheiss'nen Messias. ^
Einen lehrreichen Beitrag zur Entstehung der Volkssagen
bieten die unter den Sabbathariern dieser Zeit entstandenen
Sagen.
* So z. ß. in dem oben (S. 240), erwähnten Briefe.
2 llehiQi-e andere, die a)>er keine allgemeine Verbreitung gefunden
haben, 3. in meinem „A Szombatosok" S. 331.
2 Orbän a. a. O. I. S. 148 und Vasärnapi Ujsäg (= Sonntagszeitung)
1873 S. 68; beide haben die handschrifüichen Aufzeichnungen des verlässhchen
Alexander r m ö s i benutzt, der lange unter den Sabbathariern gelebt hat.
248
Die unterdrückte Secte bedurfte des Trostes für ihre jam-
mervolle Lage und der Hoflfnung für ihre Zukunft, und da die
Wirklichkeit ihr weder das Eine noch das Andere bot, suchte
sie beides im Reiche der Phantasie. Zu den derart entstandenen
Sagen gehört in erster Linie die oben (S. 226) erwähnte, welche
von Pechi, den die späteren Sabbatharier als den eigentlichen
und alleinigen Gründer ihrer Secte betrachten, zu erzählen
weiss, dass er der von ihm verkündeten Religion nie untreu
geworden, sondern nach Konstantinopel geflüchtet sei, wo er
an der Spitze einer sabbatharischen Gemeinde stehend, seine
Lehren weiter verkündet und die daheimgebliebenen Gläubigen
zum Ausharren in der Wahrheit ermuntert habe. Diese Sage
knüpft offenbar an die Thatsache an, dass Sabbatharier nach
der Türkei ausgewandert sind, anderseits aber ist sie sicherlich
nicht ohne Einfluss auf die öftere Wiederholung dieser Aus-
wanderung geblieben. 2
Eine ähnliche Tendenz verfolgt auch jene Sage, welche
Pechi eine Jüdin zur Frau giebt, die ihm mitsammt ihren
Kindern nach der Türkei gefolgt sein soll (ob. S. 226). Die Sabba-
tharier, die um diese Zeit bereits nur unter sich heirateten,
mochten von Pechis beiden christlichen Frauen und von seinen
christlichen Kindern nichts wissen. Gleichzeitig sollte aber
auch darauf hingewiesen werden, dass eine wahrhafte Sabba-
tharierin dem Gatten auch in die Fremde folgt, um ihrer Re-
ligion ungehindert leben zu können.
Ein ganzer kleiner Sagenkreis verfolgt die Tendenz, nach-
zuweisen, dass die Vorsehung diejenigen bestraft, welche den
Fluch der verfolgten Sabbatharier auf sich laden, namentlich
aber jene, welche sie zur Entweihung der Sabbathruhe zwingen.
Die furchtbare Niederlage, welche Georg Räköczi IL auf
seinem Kriegszug gegen Polen erlitten, war die Gottesstrafe
für das grausame Vorgehen der beiden Räköczi gegen Pechi
und die übrigen Sabbatharier. An dem Pfarrer Alexander Czin-
czeri, der die Sabbatharier unmenschlich verfolgte und unter
anderem zur Arbeit am Sabbath zwang (ob. S. 243), ging deren
Fluch, »er soll nicht sterben können, bis ihn die Würmer nicht
verzehren« buchstäblich in Erfüllung. Er wurde, als er eben
eine heftige Rede gegen die Sabbatharier hielt, auf der Kanzel
2 S. ob. S. 242. Antn. 2.
249
vom Schlage gerührt und musste noch lange leiden. In seinen
Qualen berief er den Rabbiner der Sabbatharier zu sich, um
dessen Verzeihung zu erlangen; aber die Sabbatharier wollten
den Fluch nicht zurücknehmen, und er musste an einer ekel-
haften Krankheit sterben.^
An dieselbe Persönlichkeit und an dieselben Verhältnisse
knüpft noch einer anderen Sage an, welche ein zum Juden-
ihume bekehrter Sabbatharier mit folgenden Worten erzählt:*
Auch das geschah mit den Sabbathariern. Es war in den Zeiten der noch
lebenden Greise, da war hier (in Bözöd-Ujfalü) ein katholischer Geistlicher, der
über die Sabbalharier derart herfiel, dass er sie des Sabbaths hinausjagte,
Heu für ihn zu machen. Es war vollständig klares, warmes Wetter ; aber schon
nach einigen Stunden stieg eine Wolke auf, und erhob sich ein derartiger Slurm,
dass das verwehte Heu die ganze Gemarkung bedeckte, und ihm (dem Geistlichen)
das viele Heu verloren ging. Dabei entstand aber ein Platzregen und ein solches
Gewitter, dass ein Mann aus einem Nachbardorfe derart vom Blitze getroffen
ward, dass er sofort starb. Als sie das grosse Unglück sahen, rief ein chrisUicher
Herr mit lauter Stimme: „Geht nach Hause, ihr Sabbatharier, sonst gehen wir
noch alle zu Grunde !" — Seitdem zwang man die Sabbatharier nicht mehr,
am Sabbath zu arbeiten.
Echter szekler Volkshumor spricht aus der folgenden
JSage, die ganz gut als lustige Anekdote gelten kann.
Paul Miklösi, Polizeicommissär des bözöder Bezirkes,
war ebenfalls ein grausamer Verfolger der Sabbatharier, die
er grade am Samstag zu öffentlichen Arbeiten, wie zum
Anlegen und Ausbessern der Fahrstrassen verhielt und dabei
»Kälber« zu schimpfen pflegte. Daraufhin sprachen sie über
ihn den Fluch aus: er möge ein Kalb gebären! Der
dem Trünke ergebene Mann kommt eines Abends nach mannig-
fachen Abenteuern mit einem tüchtigen Rausche nachhause,
und wird von der Frau zu Bette gebracht. Da träumt er,
fler Fluch der Sabbatharier sei in Erfüllung gegangen und er
habe ein Kalb geboren. Er erwacht, den Angstschweiss auf
der Stirn, und fühlt, dass etwas ihm die Fussohle leckt ; er
schaut hin und sieht zu seinem Entsetzen, dass dieses Etwas
ein — neugeborenes Kälbchen ist. Seine Kuh hatte nämlich,
während er schlief, ein Junges geworfen, welches seine Frau,
des kalten Wetters wegen, in die Stube brachte. Der noch
immer beduselte Miklösi glaubt nun steif und fest, er habe
* Orban, a. a. 0. I. S. 149; vgl Egyenlös6g, 1887, No. 9.
» „Dan Abraham, vormals Moses Koväcs* in einem an den Verfasser
gerichteten Briefe, de dato Bözöd-Ujfalü, 1. März 1875.
260
das Kalb geboren; er trägt es hinaus und wirft es, um die
Sache zu vertuschen, in den offenen Brunnen. Frühmorgem
wird das Kalb vermisst, und unter Lärmen und Schreien ver
gebens gesucht. Da nimmt der Unglückliche seine Frau geheim
nissvöll beiseite und flüstert ihr zu: »Weib, der Fluch dei
Siabbatharier hat mich ereilt: ich habe nachts ein Kalb geboren
und es, um meine Schande zu verbergen, in den Brunnen ge-
worfen.« Seine zungenfertige Frau schalt ihn tüchtig aus,
rfie Leute des Dorfes aber neckten und höhnten ihn derart
mit dem Kalbe, welches er geboren, dass er sein Amt niederlegen
musste, die Gesellschaft der Menschen mied, und den Rest
seiner Tage einsam und freudlos verlebte.^
Zum Schlüsse sei hier noch die in mehrfacher Beziehung
interessante Volkssage angeführt, welche der i. J. 1808 nach
Bözöd-Ujfalu exmittirte Dechant Emerich Betegh aus dem
Munde eines dortigen Sabbathariers hat. Nach seinem amt-
lichen Bericht lautet sie wie folgt :2
Im ersten Viertel dieses Jahrhunderts machten sich drei Sz^fer aiu?
BözöJ-Ujfalü auf den Weg, um nach dem Scythenlande zu gehen, damit sie
daselbst die Wohnsitze unserer Ahnen» aufsuchen; der Ueb erlief erung nach,
soll der eine Michael Loväsz, der andere Franz Csukor gewesen sein, den
Namen des Dritten habe ich nicht nennen gehört. Sie reisten gen Osten, irrten
neun Jahre umher, durchzogen Asien, und waren sogar in dem Heiligen Lande.
Endlich trafen sie auf das Land unserer Ahnen, wo sie einen Mann sahen, der
mit Feldarbeiten beschäftigt war. Sie begannen ein Gespräch mit iliua, und er
hörte staunend, das^ die Fremden, mit einigen Abweichungen, in seiner eigenen
Sprt'whe mit ihm reden. Er frug, wer sie wären, worauf sie ihm zu wissen
thaten, dass sie Nachkommen der Hunnen Attilas seien, und gegen Westen in
dem Siebenbürgen genannten Theile des Ungarlandes wohnen. Darob freute
sich der Vetter aus dem Osten ; nur war er sehr verwundert, dass ihre Rasse
s6 klein geworden sei. Dabei sagen mir Leute, die den Michael Lovasz und
den Franz Csukor persönlich gekannt haben, dass sie hochgewachsene
Männer waren ; aber der Vetter im Osten war so gross wie ein Riese. Er trug
den Sz6klern auf, sie mögen ins Dorf gehen, seine Frau aufsuchen und ihr.
unter Vorzeigung eines Erkennungszeichens, in seinem Namen sagen, sie solle
ein junges Huhn schlachten und ein grosses Festmahl vorbereiten, denn er werde
nach Beendigung seiner Arbeit binnen kurzem naehhausekommea. Die drei
Sa6kler zogeq dem Dorfe zu und überlegten unterwegs, wie sie drei, sowie der
Hausherr wid seine Familie, mit einem jungen Huhn ein grosses Festmahl
* Ausführlicher bei Orbän, a. a. 0. das.
3 Beilage zu den Acta Paroch. Bdzödujfalv., a. a. 0., das.
» Selbstverständlich sind die Ahnen der Sz^kler, beziehungsweise Ungarn
gemeint
251
sollien hallen können, und sie kamen Oberein, der Fruu zu sagen, ihr Mann
trage ihr auf, zwei junge Hühner zu schlachten, und ihn mit einem t^utuu
Festmahle zu erwarten« denn er werde bald nachliausekonimen. Die Frau schenkte
iler Botschaft Glauben, obwohl sie sich gar sehr verwunderte, dass ihr Mann
den Auftrag gab, zwei junge Huhner zu schlachten. Sie beginnt den ihr gewor-
denen Auflr:;g zu vollfuhren, und bringt eine grosse Mulde voll mit Fleisch ins
Zimmer, worüber die Szekl'or gewaltiglich erstaunten. Mittlerweile ian^t il- r
Hausherr an, geht in die Stube und sieht verwundert das viele Fleisch. Er frä^'t
die Frau, was das viele Fleisch bedeute ? Habe er doch durch diese Vettern
sagen lassen, dass sie nur ein junges Huhn scljlachton solle? Darauf erwiedcrle
die Frau, jene hätten ihr von zweien j:( sprochon. Der Hausherr, obwohl
hierüber sehr aufgebracht, unterdrückte seinen Zorn, und trieb die Frau an,
sie möge schnell ein gutes Mahl bereiten. Als des Essen fertig? war, bewirtete er
seine Gaste mit orientalischer Gastfreundlichkeit. Am Schlüsse der Tafel aber
sprach er folgendermassen zu seiner Gästen: „Meine Freunde, was ihr gegessen
und getrunken habt, thut m'r nicht leid, denn ich habe es von Herzen gegeben ;
aber leid thut es mir, dass im Westen solche Stammverwandte von uns wohnen,
die nicht die Walirheit reden. In diesem Lande frilt Lü^'cn für die grösste
Sonde; wer bei einer Lüge ertappt wird, für den ist hier kein Platz. Drum
brecht auf und verschwindet aus diesem Lande, denn wenn das Volk des Landes
erfahren würde, dass ihr gelogen habt, würde es euch schlecht ergehen." Wie
er gesprochen, so geschah es. Sie machten sich auf den Rückweg, und lanj:ten
nach neun Jahren wieder in der Heimat an. Hier lebten sie noch lange, und o?
gibt in unserer Gemeinde Leute, die sie gekannt haben.
Dieser Sage liegt, wie schon der Dechant Betegh bemerkt,
offenbar die Thatsache zugrunde, dass Michael Loväsz, Franz
Csukor und noch ein dritter Szekler wirklich nach dem Osten
reisten und dort nach ihren Ahnen suchten. Nur reisten sie
nicht hin, die im Scythenlande zurückgebliebenen Ungarn, son-
dern die nach der Türkei ausgew^anderten Sabbat harier zu
suchen.
Die Familien der Loväsz und Csukor sind nämlich alte
Sabbatharierfamilien, deren Angehörigen wir unter den im J.
1638 in Dees verurtheilten, sowie unter den 1868 und 1869
zum Judenthum übertretenen Sabbathariern widerholt begegnen.
Auch unter den um die Mitte des vorigen Jahrhunderts nach
der Türkei ausgewanderten Sabbathariern befanden sich Mit-
glieder dieser beiden Familien. Die als Reliquien aufbewahrten
Briefe derselben, welche aus der neuen Heimat so viel Erfreu-
liches zu berichten hatten, mögen die biederen drei Szekler
bestimmt haben, die Nachkommen dieser Auswanderer aufzu-
suchen.^ Es scheint, dass sie dieselben vergebens gesucht, und
* lieber den Brief dieser Auswanderer s. oh. S. 240. Die Frau des Brief-
schreibers war die ebenfalls nach Adrianopel ausgewanderte Sarah G s u k o r
242
wusste man nicht nur im Pfarrhause, sondern im ganzen
Szeklerstuhle von Udvarhely; ja man kannte jeden einzelnen
Sabbatharier genau. Diese gingen aber so vo»sichtig zu Werke
und wussten die Uebung ihrer religiösen Bräuche so geschickt
zu verbergen/ dass man sie der Judenzerei nicht überführen
konnte. So lebten sie wohl unter scharfer Controle, sonst aber
bis 1781, ungestraft.
In diesem Jahre erschien das Toleranzedict Josephs II.,
welches das gegenseitige Verhältniss der vier in Siebenbürgen
recipirten Religionen wohl in freisinniger Weise regelte, aber
eben dadurch das Sabbatharierthum neuerdings aus der Reihe
der vom Staate anerkannten Religionen, ausschloss. G^en
solche durch das Toleranzedict nicht anerkannte Confessionen
pflegte aber Joseph II. recht unduldsam, ja sogar hart zu ver-
fahren,2 und so wurden gerade nach dem Erlasse dieses Edictes
die Processe gegen die Sabbatharier mit aller Strenge wieder
aufgenommen. Um den über sie verhängten harten Strafen
zu entgehen, entwichen viele, mit Hinterlassung ihrer ge-
sammten Habe, nach der Türkei und gelangten schliesslich
nach Konstantinopel, wo sie sich niederliessen und, wie sie
nachhause schrieben, »neben der türkischen Druckerei in einer
besonderen Gasse« wohnten, und ihre Gebete in ihrer Mutter-
sprache verrichteten.* Wahrscheinlich sind auch diese, gleich
ihren nach Adrianopel geflüchteten Glaubensgenossen, Juden
geworden und in der jüdischen Gemeinde aufgegangen.
Im Jahre 1817 wurden abefmals mehrere Sabbatharier,
die man bei der Uebung jüdischer Bräuche ertappte, verurtheilt
und ihrer Liegenschaften beraubt. In erbittertem Trotze ver-
richteten sie hierauf einen ganzen Sonntag hindurch öffentlich
die schwersten Feldarbeiten, luden des Nachts ihre werth-
voUeren Habseligkeiten auf Karren und flü<5hteten ebenfalls
nach der Türkei.
* Ueber des diesbezügliche Vorgehen der Sabbalbari^r s. das folgende
Capitel.
^ Ein bezeichnendes Beispiel hierfür ist sein an Grausamkeit grenzendes
Vorgehen gegen die Abrahamiten oder Deisten in Böhmen; s. die Quellen
ob. S. 9 Anm. 4.
* r b a n, a. a. 0. I. S. 147. Diesen brieflichen Nachrichten verdankt
wahrscheinlich die oben angeführte Sage ihre Entstehung, P6chi sei nach
Konstantinopel geflüchtet und dort Director einer türkischen Druckerei.
243
Im Jahre 1827 war Alexander Czinczeri, der katholische
Geistliche zu Bözöd-Ujfalu, ihr unerbittlicher Verfolger, von
dem sie noch heute als von einem herzlosen Menschen zu
erzählen wissen, den Gott für seine Grausamkeiten gestraft hat.
Er zwang" sie am Sabbath zu arbeiten. Des Sonntags gingen
seine Emissäre von Haus zu Haus und schleppten sie gewalt-
sam in die Kirche, wo sie während des Gottesdienstes ununter-
brochen das Kreuzeszeichen machen mussten. Ueber die Wider-
spenstigen wurde die übliche Strafe verhängt; drei Familien
wurden von Haus und Hof vertrieben. Auch diese flüchteten
nach der Türkei. Andere entschuldigten sich vor dem Gerichts-
hofe damit, ihre Felder seien wiederholt gerade am Sabbath
durch Hagel vernichtet worden; um diese Gottesstrafe von
sich abzuwenden, hätten sie das Gelöbbniss gethan, am Sabbath
zu ruhen; im übrigen seien sie keine Judenzer. Einige Mit-
glieder des Gerichtshofes luden mehrere der Angeklagten zu
Tische, um zu beobachten, wie sie sich zu den nach dem
mosaischen Gesetze verbotenen Speisen verhalten. Die Sabba-
tharier setzten aber der List List entgegen und schickten
Nichtsabbatharier, welche sich für die Geladenen ausgaben.
Bei dieser Gelegenheit sollen sie die Erlaubniss, den Sabbath
im Sinne ihres Gelöbnisses feiern zu dürfen, erbeten und
angeblich auch erhalten haben.
Da die Sabhatharier immer nur unter einander zu heiraten
pflegten, erliess jetzt Bischof Nicolaus Koväcs das Verbot, Braut-
paare, deren Familien der Judenzerei verdächtig waren, zu
trauen. Die.Sabbatharier antworteten auf diese harte Maasregel
mit einer neuerlichen Auswanderung nach der Türkei. Die
übrigen traten zumeist zur calvinischen Kirche über, der sie
selbstverständlich eben so äusserlich und nur zum Scheine
angehörten, als früher der katholischen.^
Im Jahre 1829 wurden in Bözöd-Ujfalu 39, in Ernye 8
Personen als Sabbatharier in Anklagezustand versetzt, doch
konnte ihnen, nach langwierigen Untersuchungen und Verhand-
lungen, nur so viel nachgewiesen werden, dass sie an Sonn-
und Feiertagen Arbeiten verrichtet hatten. Der Uebung jüdi-
scher Bräuche konnten sie nicht überführt werden, so dass sie
1 A. a. 0. das. S. 147—8. Bezüglich Gzinczeris s. noch Egyenlös6g, VI.
No. 9, ferner im nächsten Gapitel den sagenhaften sabbatharischen Bericht
über ihn.
16*
242
wusste man nicht nur im Pfarrhause, sondern im ganzen
Szeklerstuhle von Udvarhely; ja man kannte jeden einzelnen
Sabbatharier genau. Diese gingen aber so votsichtig zu Werke
und wussten die Uebung ihrer religiösen Bräuche so geschickt
zu verbergen,^ dass man sie der Judenzerei nicht überführen
konnte. So lebten sie wohl unter scharfer Controle, sonst aber
bis 1781, ungestraft.
In diesem Jahre erschien das Toleranzedict Josephs II.,
welches das gegenseitige Verhältniss der vier in Siebenbürgen
recipirten Religionen wohl in freisinniger Weise regelte, aber
eben dadurch das Sabbatharierthum neuerdings aus der Reihe
der vom Staate anerkannten Religionen, ausschloss. G(^en
solche durch das Toleranzedict nicht anerkaimte Confessionen
pflegte aber Joseph II. recht unduldsam, ja sogar hart ^u ver-
fahren,2 und so wurden gerade nach dem Erlasse dieses Edictes
die Processe gegen die Sabbatharier mit aller Strenge wieder
aufgenommen. Um den über sie verhängten harten Strafen
zu entgehen, entwichen viele, mit Hinterlassung ihrer ge-
sammten Habe, nach der Türkei und gelangten schliesslich
nach Konstantinopel, wo sie sich niederliessen und, wie sie
nachhause schrieben, »neben der türkischen Druckerei in einer
besonderen Gasse« wohnten, und ihre Gebete in ihrer Mutter-
sprache verrichteten.» Wahrscheinlich sind auch diese, -gleich
ihren nach Adrianopel geflüchteten Glaubensgenossen, Juden
geworden und in der jüdischen Gemeinde aufgegangen.
Im Jahre 1817 wurden abermals mehrere Sabbatharier,
die man bei der Uebung jüdischer Bräuche ertappte, verurtheilt
und ihrer Liegenschaften beraubt. In erbittertem Trotze ver-
richteten sie hierauf einen ganzeti Sonntag hindurch öffentlich
die schwersten Feldarbeiten, luden des Nachts ihre werth-
voUeren Habseligkeiten auf Karren und flüchteten ebenfalls
nach der Türkei.
* lieber des diesbezügliche Vorgehen der Sabbatharier s. das folgende
Capitel.
^ Ein bezeichnendes Beispiel hierfür ist sein an Grausamkeit grenzendes
Vorgehen gegen die Abrahamiten oder Deisten in Böhmen; s. die Quellen
ob. S. 9 Anm. 4.
3 Orban, a. a. O. I, S. 147. Diesen brieflichen Nachrichten verdankt
wahrscheinlich die oben angeführte Sage ihre Entstehung, P6chi sei nach
Konstantinopel geflüchtet und dort Director einer türkischen Druck ereL
245
keit sich abspielende Bewegung, welche die letzten Reste der
Sabbatharier, mit einigen wenigen Ausnahmen, dem Judenthum
zuführte.
Bevor wir jedoch die Geschichte dieser Bewegung erzählen,
wollen wir das religiöse und das Geistesleben der Sabbatharier
kennen lernen, wie es sich uns während dar 230 Jahre dar-
stellt, die zwischen demJDeeser Gerichtstermin und dem J. 1867
lagen. •
Das religiöse und das Geistesleben des Sabbatha-
rierthums in der Periode seines Niederganges.
1638—1868.
Dem religiösen und Geistesleben des Sabbatharierthums
während der letzten Periode seiner Geschichte hat die 230-jährige
schonungslose Verfolgung, welche es erlitten, ihr trauriges
Gepräge aufgedrückt.
Die gewaltsam unterdrückte, ihrer Führer beraubte, immer
mehr zusammenschmelzende und nur mehr heimlich forl-
bestehende Secte war kaum im Stande, sich ihre älteren lite-
rarischen Erzeugnisse zu bewahren und zu erhallen; neue zu
schaffen, oder ihre Sache mit der Feder zu fördern und zu
vertheidigen, war für sie ein Ding der Unmöglichkeit. Selbst
die Abschreiber, welche ihre älteren Schriftwerke vervielfältigten,
sind nicht mehr die geschulten Copisten von ehedem, sondern
Bauern und Handwerker, deren ungelenke Schrift es deutlich
verräth, dass ihre Hände besser mit dem Pfluge und Hand-
werkzeuge, als mit der Feder umzugehen wissen. Die von ihnen
gelieferten Abschriften sind um so mangelhafter, je jüngeren
Datums sie sind; die aus der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts
bereits von einer trostlosen Unbehilflichkeit.
Die älteren sabbatharischen Handschriften präsentiren sich
^Is stattliche Folianten oder Quartbände aus gleichmässigem,
starkem Papier, die von geübter, sicherer Hand geschrieben
rnid, wie deutlich erkennbar, durch die Werkstätte des Buch-
binders gegangen sind. Die aus der Zeit nach 1638 stammen-
den Handschriften sind ausschliesslich Octav-, oder gar Sedez-
bände, weil solche leichter zu verbergen, und zu den geheimen
gottesdienstlichen Versammlungen bequemer und sicherer mitzu-
2^3
nehmen Wären, endlich' aber weil für dieses kleine Format das
iVöthige Papier am billigsten und am' unanffälligsten zu beschaffen
war. Das Papier dieser Handschriften besteht nämlich in der
Regel aus Stücken von verschiedener Grösse, Farbe und Qua-
lität, die ungeschickt zusammengenäht und' in höchst primi-
tiver Art gebunden sind, mitunter in Einbandtafelti, di^ von
andern Büchern genommen wurden.^ Di^ Abschreiber, oder
Besitzer haben es offenbar nicht gewagt, sich an einen Buch
binder zu wenden. Die plumpe, schwerfällige Schrift und die
durchweg fehlerhafte Orthographie verrathen die Unwissenheit
der Copisten, und können als vollgiltige Beweise für die auch
anderweitig bezeugte Thatsache gelten, dass in dieser langen
Periode allmäligen Verfalls nur noch Bauern Anhänger des
Sabbatharierthums waren. Dabei sind diese Handschriften aus-
schliesslich Gebet- und Ritualien-, sowie Gesangbücher, deren
die Sabbatharier bei ihren gottesdienstlichen Verrichtungen
nicht entrathen konnten. Alle übrigen Erzeugnisse ihrer altern
Literatur blieben unbeachtet, und verschwanden allmälig aus
den Häusern, zuletzt sogar aus dem Gedächtnisse der Sabba-
tharier. 2
Seit der Katastrophe zu Dees i. J. 1638 ist keine einzige
neue sabbatharisehe Schrift, nicht einmal ein neues sabbatha-
risches Lied entstanden. Die gesammte Geistesthätigkeit der
im Dunklen fortvegetirenden Secte äusserte sich in der theil-
weisen Erhaltung ihrer altern Literaturerzeugnisse, sowie in
den weiter unten besprochenen Correcturen, die an ihrem
Gesangbuche vorgenommen wurden. Einige kleine Verse und
einige Volkssagen sind Alles, was sie im Verlaufe dieser 230
Jahre zu schaffen im Stande war.
Die in Rede stehenden Verse sind in der Regel am
Anfange oder am Schlüsse der Gebet- und» Gesangbücher zu
finden, und zumeist des Werk des Abschreibers, oder des
^ Ein in meinem Besitze befindliches, um 1843 geschiiebenes sabbatha-
risches Gebet- u. Ritualienbuch in 8-^ steckt in einem scljadhaflen, aber starkei;
Ledeföinband, dessen Rücken die eingedruckte Titelau ftchrift hat: „Pichler,
Jaö Gfttioaicura, Pars L* Zu mehreren aus der jüngste» Zeit (1850—1860)
stammenden sabbatharischen Gebet^ und Liederbüchern sind, offenbar in irgend
einem Papierladen gekaufte, Geschäfts- oder Notizbücher benutzt worden.
» Die einzige Ausnahme bildet die 1708 angefertigte Abschrift der oben
S. 179, Anm. 1) erwähnten Schrift Pechis.
247
Besitzers der betrefYenden Handschrift. Nur eines von ilinc^n
hat breitere Verbreitung gefunden. Es scheint in der ersten
HäHte des XVIL Jahrhunderts entstanden zu sein, und findet
sieh seitdem fast in jeder sabbatharischen Handschrift, ja sogar
am Anfange sabbatharischer Briefe.^ Es lautet in wörtlicher
Uebersetzung:
Ruhm und Ehre sei dem Herrn der Herren,
Abrahams, Isaaks und Jakobs Könige,
Der oberster Richter ist der pranzen Welt.
Er gebe Befreiung den Nachkommen Israel
s!
Diesen vier, im Ungarischen mit einem und demselben
Reime endigenden Zeilen sind seit dem Anfang dieses Jalir-
hunderts in der Regel noch die Worte
In Gemeinschaft mit uns
oder einfach:
Und auch uns
hinzugefügt.
Neben diesem Verslein^ ist noch ein anderes zu erwäh-
nen, welches sich zwar in keiner sabbatharischen Handschrift
findet, aber, nach einem vertrauenswürdigen Berichte, um die
Mitte dieses Jahrhunderts bei den Sabbathariern von Bözöd-
Ujfalü gang und gäbe w^ar. Von dem Glauben ausgehend, dass
der sehnlich erwartete Erlöser unter Donner und Blitz erschei-
nen werde, pflegten sie während eines Gewitters die Thüren
und Fenster zu öffnen und folgende, im ungarischen Originale
volksthümlich gereimte, Strophe abzusingen:
Mach auf, o Herr, mach auf uns
Deiner Gnade Thore,
Schicke uqs, o schick uns
Den verbeiss'nen Messias.»
Einen lehrreichen Beitrag zur Entstehung der Volkssagen
bieten die unter den Babbathariern dieser Zeit entstandenen
Sagen.
^ So z. B. in dem oben (S. 240), erwähnten Briefe.
2 llehr^re andere, die aber keine allgenieine Verbreitung gefunden
haben, g. in meinem ,A Szombatosok" S. 331.
* Orban a. a. 0. I. S. 148 und Vasärnapi Ujsäg (= Sonntagszeitung)
1873 S. 68; beide haben die handschriftUchen Aufzeichnungen des verlässhchen
Alexander r m ö s i benützt, der lange unter den Sabbathariern gelebt hat.
248
Die unterdrückte Seote bedurfte des Trostes für ihre jam-
mervolle Lage und der Hoffnung für ihre Zukunft, und da die
Wirkliclikeit ihr weder das Eine noch das Andere bot, suchte
sie beides im Reiche der Phantasie. Zu den derart entstandenen
Sagen gehört in erster Linie die oben (S. 226) erwähnte, welche
von Pechi, den die späteren Sabbatharier als den eigentlichen
und alleinigen Gründer ihrer Secte betrachten, zu erzählen
weiss, dass er der von ihm verkündeten Religion nie untreu
geworden, sondern nach Konstantinopel geflüchtet sei, wo er
an der Spitze einer sabbatharischen Gemeinde stehend, seine
Lehren weiter verkündet und die daheimgebliebenen Gläubigen
zum Ausharren in der Wahrheit ermuntert habe. Diese Sage
knüpft offenbar an die Thatsache an, dass Sabbatharier nach
der Türkei ausgewandert sind, anderseits aber ist sie sicherlich
nicht ohne Einfluss aut die öftere Wiederholung dieser Aus-
wanderung geblieben. 2
Eine ähnliche Tendenz verfolgt auch jene Sage, welche
Pechi eine Jüdin zur Frau giebt, die ihm mitsammt ihren
Kindern nach der Türkei gefolgt sein soll (ob. S. 226). Die Sabba-
tharier, die um diese Zeit bereits nur unter sich heirateten,
mochten von Pechis beiden christlichen Frauen und von seinen
christlichen Kindern nichts wissen. Gleichzeitig sollte aber
auch darauf hingewiesen werden, dass eine wahrhafte Sabba-
tharierin dem Gatten auch in die Fremde folgt, um ihrer Re-
ligion ungehindert leben zu können.
Ein ganzer kleiner Sagenkreis verfolgt die Tendenz, nach-
zuweisen, dass die Vorsehung diejenigen bestraft, welche den
Fluch der verfolgten Sabbatharier auf sich laden, namentlich
aber jene, welche sie zur Entweihung der Sabbathruhe zwingen.
Die furchtbare Niederlage, welche Georg Raköczi II. auf
seinem Kriegszug gegen Polen erlitten, war die Gottesstrafe
für das grausame Vorgehen der beiden Raköczi gegen Pechi
und die übrigen Sabbatharier. An dem Pfarrer Alexander Czin-
czeri, der die Sabbatharier unmenschlich verfolgte und unter
anderem zur Arbeit am Sabbath zwang (ob. S. 243), ging deren
Fluch, »er soll nicht sterben können, bis ihn die Würmer nicht
verzehren« buchstäblich in Erfüllung. Er wurde, als er eben
eine heftige Rede gegen die Sabbatharier hielt, auf der Kanzel
2 S. ob. S. 242. Anm. 2.
J
249
vom Schlage gerührt und musste noch lange leiden. In seinen
Qualen berief er den Rabbiner der Sabbatharier zu sich, um
dessen Verzeihung zu erlangen; aber die Sabbatharier wollten
den Fluch nicht zurücknehmen, und er musste an einer ekel-
haften Krankheit sterben.^
An dieselbe Persönlichkeit und an dieselben Verhältnisse
knüpft noch einer anderen Sage an, welche ein zum Juden-
thume bekehrter Sabbatharier mit folgenden Worten erzählt:^
Auch das geschah mit den Sabbat hariern. Es war in den Zeiten der noch
lebenden Greise, da war hier (in Bözöd-Ujfalü) ein katholischer Geistlicher, der
über die Sabbatharier derart herfiel, dass er sie des Sabbaths hinausjagte,
Heu für ihn zu machen. Es war vollständig klares, warmes Wetter ; aber schon
nach einigen Stunden stieg eine Wolke auf, und erhob sich ein derartiger Slurm,
dass das verwehte Heu die ganze Gemarkung bedeckte, und ihm (dem Geistlichen)
das viele Heu verloren ging. Dabei entstand aber ein Platzregen und ein solches
Gewitter, dass ein Mann aus einem Naclibardorfe derart vom Blitze getroffen
ward, dass er sofort starb. Als sie das grosse Unglück sahen, rief ein christlicher
Herr mit lauter Stimme: „Geht nach Hause, ihr Sabbatharier, sonst gehen wir
Doch alle zu Grunde !" — Seitdem zwang man die Sabbatharier nicht mehr,
am Sabbath zu arbeiten.
Echter szekler Volkshumor spricht aus der folgenden
Sage, die ganz gut als lustige Anekdote gelten kann.
Paul Miklösi, Polizeicommissär des bözöder Bezirkes,
war ebenfalls ein grausamer Verfolger der Sabbatharier, die
er grade am Samstag zu öffentlichen Arbeiten, wie zum
Anlegen und Ausbessern der Fahrstrassen verhielt und dabei
»Kälber« zu schimpfen pflegte. Daraufhin sprachen sie über
ihn den Fluch aus: er möge ein Kalb gebären! Der
dem Trünke ergebene Mann kommt eines Abends nach mannig-
fachen Abenteuern mit einem tüchtigen Rausche nachhause,
und wird von der Frau zu Bette gebracht. Da träumt er,
der Fluch der Sabbatharier sei in Erfüllung gegangen und er
habe ein Kalb geboren. Er erwacht, den Angstschweiss auf
der Stirn, und fühlt, dass etwas ihm die Fussohle leckt ; er
schaut hin und sieht zu seinem Entsetzen, dass dieses Etw^as
ein — neugeborenes Kälbchen ist. Seine Kuh hatte nämlich,
während er schlief, ein Junges geworfen, welches seine Frau,
Aes kalten Wetters wegen, in die Stube brachte. Der noch
immer beduselte Miklösi glaubt nun steif und fest, er habe
1 Orban, a. a. 0. I. S. 149; vgl. Egyenlös6g, 1887, No. 9.
« „Dan Abraham, vormals Moses Kovacs« in einem an den Verfasser
?erichteten Briefe, de dato Bözöd-Ujfalü, 1. März 1875.
2Ö0
das Kalb geboren; er trägt es hinaus und wirft es, um die
Sache zu vertuschen, in den offenen Brunnen. Frühmorgens
wird das Kalb vermisst, und unter Lärmen und Schreien ver
gebens gesucht. Da nimmt der Unglückliche seine Frau geheim-
nissvöU beiseite und flüstert ihr zu: »Weib, der Fluch der
Sabbatharier hat mich ereilt: ich habe nachts ein Kalb geboren
und es, um meine Schande zu verbergen, in den Brunnen ge-
worfen.« Seine zungenfertige Frau schalt ihn tüchtig aus,
die Leute des Dorfes aber neckten und höhnten ihn derart
mit dem Kalbe, welches er geboren, dass er sein Amt niederlegen
musste, die Gesellschaft der Menschen mied, und den Rest
seiner Tage ein^aam und freudlos verlebte.^
Zum Schlüsse sei hier noch die in mehrfacher Beziehung
interessante Volkssage angeführt, welche der i. J. 1808 nach
Bözöd-Ujfalu exmittirte Dechant Emerich Betegh aus dem
Munde eines dortigen Sabbathariers hat. Nach seinem amt-
lichen Bericht lautet sie wie folgt :2
Im ersten Viertel dieses Jahrhunderts machten sich drei Szekfer aus
DozöJ>Ujfalü auf den Weg, um nach dem Scythenlandc zu gehen, damit sie
daselbst die Wohnsitze unserer Ahnen^ aufsuchen; der Ueberlieferung nach,
soll der eine Michael Loväsz, der andere Franz Csukor gewesen sein, den
Namen des Dritten habe ich nicht nennen gehört. Sie reisten gen Osten, irrten
neun Jahre umher, durchzogen Asien, und waren sogar in dem Heiligen Lande.
Endlich trafen sie auf das Land unserer Ahnen, wo sie einen Mann sahen, der
mit Feldarbeiten beschäftigt war. Sie begannen ein Gespräch mit iliua, und er
hörte staunend, das^ die Fremden, mit einigen Abweichungen, in seiner eigenen
Sprache mit ihm reden. Er frug, wer sie wären, worauf sie ihm zu wissen
thaten, dass sie Nachkommen der Hunnen Attilas seien, und gegen W^esten in
dem Siebenbürgen genannten Theile des Ungarlandes wohnen. Darob freute
sich der Vetter aus dem Osten ; nur war er sehr verwundert, dass ihre Rasse
so klein geworden sei. Dabei sagen mir Leute, die den Michael Lovasz und
den Franz Csukor persönlich gekannt haben, dass sie hochgewachsene
MSnner wai*en ; aber der Vetter im Osten war so gross wie ein Riese. Er trug
den Sz6klern auf, sie mögen ins Dorf gehen, seine Frau aufsuchen und ihi.
unter Vorzeigung eines Erkennungszeichens, in seinem Namen sagen, sie soll-?
ein junges Huhn schlachten und ein grosses Festmahl vorbereiten, denn er werde
nach Beendigung seiner Arbeit binnen kurzem nachhausekommea. Die drei
Sa6kler zogen dem Dorfe zu und überlegten unterwegs, wie sie drei, sowie der
Hausherr und seine Familie, mit einem jungen Huhn ein grosses Festmahl
* Ausführlicher bei Orbän, a. a. 0. das.
* Beilage zu den Acta Paroch. Bdzödujfalv., a. a. 0., das.
^ Selbstverständlich sind die Ahnen der Szekler, beziehungsweise Ungarn
gemeint.
251
sollten haltcu können, und sie kamen überein, der Frau zu sagen, ihr Mann
trage ihr auf, zwei junge Hühner zu schlachten, und ihn mit einem gutcu
Festmahle zu erwarten, denn er werde bald nacbliausekomnien. Die Frau schenkte
der Botschaft Glauben, obwohl sie sich gar sehr verwunderte, dass ihr Mann
den Auftrag gab, zwei junge Hühner zu schlachten. Sie beginnt den ihr gewor-
denen Auftrag zu vollführen, und bringt eine grosse Mulde voU mit Fleisch ins
Zimmer, worüber die Szekl'or gewaltiglicli erstaunten. Mittlerweile langt d>M*
Hauslien* an, geht in die Stube und sieht verwundert das viele Fleisch. Er frä^'t
die Frau, was das viele Fleisch bedeute ? Habe er doch durch diese Vettern
sagen lassen, dass sie nur ein junges Huhn schlachten solle ? Darauf erwiederte
die Frau, jene hätten ihr von zweien gesprochen. Der Hausherr, obwohl
hierüber sehr aufgebracht, unterdrückte seinen Zorn, und trieb die Frau an.
sie möge schnell ein gutes Mahl bereiten. Als des Essen fertig war, bewirtete er
seine Gäste mit orientalischer Gastfreundlichkeit. Am Schlüsse der Tafel al)er
sprach er folgendermassen zu seiner Gästen : „Meine Freunde, was ihr gegessen
und getrunken habt, thut m r nicht leid, denn ich habe es von Herzen gegeben ;
aber leid thut es mir, dass im Westen solche Stammverwandte von uns wohnen,
die nicht die Wahrheit reden. In diesem Lande gilt Lügen für die grösste
Sande ; wer bei einer Lüge ertappt wird, für den ist hier kein Platz. Drum
brecht auf und verschwindet aus diesem Lande, denn wenn das Volk des Landes
erfahren würde, dass ihr gelogen habt, würde es euch schlecht ergehen." Wie
er gesprochen, so geschah es. Sie machten sich auf den Rückweg, und langten
nach neun Jahren wieder in der Heimat an. Hier lebten sie noch lange, und e?
gibt in unserer Gemeinde Leute, die sie gekannt haben.
Dieser Sage liegt, wie schon der Dechant Betegh bemerkt,
offenbar die Thatsache zugrunde, dass Michael Loväsz, Franz
Csukor und noch ein dritter Szekler wirklich nach dem Osten
reisten und dort nach ihren Ahnen suchten. Nur reisten sie
nicht hin, die im Scythenlande zurückgebliebenen Ungarn, son-
dern die nach der Türkei ausgewanderten Sabbatharier zu
suchen.
Die Familien der Loväsz und Csukor sind nämlich alte
Sabbatharierfamilien, deren Angehörigen wir unter den im J.
1638 in Dees verurtheilten, sowie unter den 1868 und 1869
zum Judenthum übertretenen Sabbatharierri widerholt begegnen.
Auch unter den um die Mitte des vorigen Jahrhunderts nach
der Türkei ausgewanderten Sabbathariern befanden sich Mit-
glieder dieser beiden Familien. Die als Reliquien aufbewahrten
Briefe derselben, welche aus der neuen Heimat so viel Erfreu-
liches zu berichten hatten, mögen die biederen drei Szekler
bestimmt haben, die Nachkommen dieser Auswanderer aufzu-
suchen.^ Es scheint, dass sie dieselben vergebens gesucht, und
* lieber den Brief dieser Auswanderer s. ob. S. 240. Die Frau des Brief-
schreibers war die ebenfalls nach Adrianopel ausgewanderte Sarah G s u k o r
244
im August 1833 wegen Mangel an Beweisen freigesproche:
werden mussten. Der öCFentliche Ankläger appellirte, abe
Kaiser Franz IL bestätigte am 13. Feber 1834 das freisprc
chende Urtheil mit dem Bemerken, die Angeklagten seien zu
Beobachtung der christlichen Feiertage zu verhalten und dies
bezüglich unter Aufsicht der Geistlichkeit zu stellen.^
Der nachmalige Cardinal Ludwig Haynald suchte, als e
i. J. 1851 Bischof von Siebenbürgen wurde, die] Sabbathariei
durch Freundlichkeit und Ueberredung für die katholische
Kirche zu gewinnen. Er beschenkte sie mit schönen metallener
Crucifixen, ging dann selbst nach Bözöd-Ujfalu und predigte
vor ihnen, um sie^durch die Macht des Wortes zu bekehren.
Die Sabbatharier blieben kalt; seine Bekehrungsreden konnten
ihnen nur das Geständniss abringen: »Wie schön er reden
kann! Schade, dass er kein Sabbatharier ist!«^ Im übrigen
musste auch Haynald zu strengen Mitteln gegen sie greifen.
Ein Sabbatharier, Namens Paul Koväcs, hatte nämlich seine
Tochter, die im geheimen Jüdin geworden war, einem Juden
zur Frau gegeben. Haynald, dem das angezeigt wurde, zwang
die Frau, ihren jüdischen Gatten zu verlassen und mitsammt
ilirem mittlerweile geborenen und als Jude erzogenen Sohne
ins Vaterhaus zurückzukehren.*
So war es auch Haynald nicht gelungen, die Sabbatharier
in der Schoss des Christenthums zurückzuführen; sie setzten
der Ueberredung denselben Widerstand entgegen, wie vordem
der Gewalt. Man kannte und überwachte sie genau. Die Pfarrer
von Bözöd-Ujfalu pflegten für ihre Amtsnachfolger förmliche
.Instructionen zu hinterlassen, in welchen sie die Merkmale
angaben, an welchen die Judenzer zu erkennen, und die Art
und Weise, wie sie am besten zu überwachen seien.* Aber die
Sabbatharier waren so vorsichtig und verschlagen, und wussten
ihre religiösen Uebungen in so geheimnissvolles Dunkel zu
hüllen, dass es fast nie gelang, sie auf frischer That zu
ertappen. Erst i. J. 1867 warfen sie die Maske ab und bekannten
sich offen als Judenzer. Damit begann die vor der Öffentlich-
1 Ofner Landesarchiv, das. s. A. 1833, No. 4125 u. A. 1834 No. 2011
* Acta Paroch. Bözöd-Ujfalvens., a. a. 0. das., u. Blasius Orbän a. a.
I. S. 148.
* Acta Paroch. das.
* S. die verschiedenen Aufzeichnungen das.
245
keit sich abspielende Bewegung, welch« die letzten Reste der
Sabbatharier, mit einigen wenigen Ausnahmen, dem Judenthum
zuführte.
Bevor wir jedoch die Geschichte dieser Bewegung erzählen,
wollen wir das religiöse und das Geistesleben der Sabbatharier
kennen lernen, wie es sich uns während dar 230 Jahre dar-
stellt, die zwischen dem^Deeser Gerichtstermin und dem J. 1867
lagen. •
Das religiöse und das Geistesleben des Sabbatha-
rierthunris in der Periode seines Niederganges.
1638—1868.
Dem religiösen und Geistesleben des Sabbatharierthums
während der letzten Periode seiner Geschichte hat die 230-jährige
schonungslose Verfolgung, welche es erlitten, ihr trauriges
Gepräge aufgedrückt.
Die gewaltsam unterdrückte, ihrer Führer beraubte, immer
mehr zusammenschmelzende und nur mehr heimlich forl-
\i^stehende Secte war kaum im Stande, sich ihre älteren lite-
rarischen Erzeugnisse zu bewahren und zu erhalten; neue zu
schaffen, oder ihre Sache mit der Feder zu fördern und zu
vertheidigen, war für sie ein Ding der Unmöglichkeit. Selbst
die Abschreiber, welche ihre älteren Schriftwerke vervielfältigten,
sind nicht mehr die geschulten Copisten von ehedem, sondern
Bauern und Handwerker, deren ungelenke Schrift es deutlich
verräth, dass ihre Hände besser mit dem Pfluge und Hand-
werkzeuge, als mit der Feder umzugehen wissen. Die von ihnen
gelieferten Abschriften sind um so mangelhafter, je jüngeren
Datums sie sind; die aus der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts
bereits von einer trostlosen Unbehilflichkeit.
Die älteren sabbatharischen Handschriften präsentiren sich
als stattliche Folianten oder Quartbände aus gleichmässigem,
starkem Papier, die von geübter, sicherer Hand geschrieben
und, wie deutlich erkennbar, durch die Werkstätte des Buch-
binders gegangen sind. Die aus der Zeit nach 1638 stammen-
den Handschriften sind ausschliesslich Octav-, oder gar Sedez-
bände, weil solche leichter zu verbergen, und zu den geheimen
gottesdienstlichen Versammlungen bequemer und sicherer mitzu-
242
wusste man nicht nur im Pfarrhause, sondern im ganzen
Szeklerstuhle von Udvarhely; ja man kannte jeden einzelnen
Sabbatharier genau. Diese gingen aber so vo»eiohtig zu Werke
und wussten die Uebung ihrer religiösen Bräuche so geschickt
zu verbergen,! dass man sie der Judenzerei nicht überführen
konnte. So lebten sie wohl unter scharfer Controle, sonst aber
bis 1781, ungestraft.
In diesem Jahre erschien das Toleranzedict Josephs II.,
welches das gegenseitige Verhältniss der vier in Siebenbürgen
recipirten Religionen wohl in freisinniger Weise regelte, aber
eben dadurch das Sabbatharierthum neuerdings aus der Reihe
der vom Staate anerkannten Religionen, ausschloss. Gegen
solche durch das Toleranzedict nicht anerkannte Confessionen
pflegte aber Joseph IL recht unduldsam, ja sogar hart zu ver-
fahren,^ und so wurden gerade nach dem Erlasse dieses Edictes
die Processe gegen die Sabbatharier mit aller Strenge wieder
aufgenommen. Um den über sie verhängten harten Strafen
zu entgehen, entwichen viele, mit Hinterlassung ihrer ge-
sammten Habe, nach der Türkei und gelangten schliesslich
nach Konstantinopel, wo sie sich niederliessen und, wie sie
nachhause schrieben, »neben der türkischen Druckerei in* einer
besonderen Gasse« wohnten, und ihre Gebete in ihrer Mutter-
sprache verrichteten.» Wahrscheinlich sind auch diese, gleich
ihren nach Adrianopel geflüchteten Glaubensgenossen, Juden
geworden und in der jüdischen Gemeinde aufgegangen.
Im Jahre 1817 wurden abei^mals mehrere Sabbatharier,
die man bei der Uebung jüdischer Bräuche ertappte, verurtheilt
und ihrer Liegenschaften beraubt. In erbittertem Trotze ver-
richteten sie hierauf einen ganzeti Sonntag hindurch öffentlich
die schwersten Feldarbeiten, luden des Nachts ihre werth-
voUeren Habseligkeiten auf Karren und flüchteten ebenfalls
nach der Türkei.
* Ueber des diesbezti gliche Vorgehen der Sabbatharier s. das folgende
Capilel.
* Ein bezeichnendes Beispiel hierfür ist sein an Grausamkeit grenzendes
Vorgehen gegen die Abrahamiten oder Deisten in Böhmen; s. die Quellen
ob. S. 9 Anm. 4.
8 Orban, a. a. 0. I. S. 147. Diesen brieflichen Nachrichten verdankt
wahrscheinlich die oben angeführte Sage ihre Entstehung, P6chi sei nach
Konstantinopel geflüchtet und dort Director einer türkischen Druckerei.
243
Im Jahre 1827 war Alexander Czinczeri, der katholische
Geistliche zu Bözöd-Ujfalu, ihr unerbittlicher Verfolger, von
dem sie noch heute als von einem herzlosen Menschen zu
erzählen wissen, den Gott für seine Grausamkeiten gestraft hat.
Er zwang sie am Sabbath zu arbeiten. Des Sonntags gingen
seine Emissäre von Haus zu Haus und schleppten sie gewalt-
sam in die Kirche, wo sie während des Gottesdienstes ununter-
brochen das Kreuzeszeichen machen mussten. lieber die Wider-
spensligen wurde die übliche Strafe verhängt; drei Familien
wurden von Haus und Hof vertrieben. Auch diese flüchteten
nach der Türkei. Andere entschuldigten sich vor dem Gerichts-
hofe damit, ihre Felder seien wiederholt gerade am Sabbath
durch Hagel vernichtet worden; um diese Gottesstrafe von
sich abzuwenden, hätten sie das Gelöbbniss gethan, am Sabbath
zu ruhen; im übrigen seien sie keine Judenzer. Einige Mit-
glieder des Gerichtshofes luden mehrere der Angeklagten zu
Tische, um zu beobachten, wie sie sich zu den nach dem
mosaischen Gesetze verbotenen Speisen verhalten. Die Sabba-
tharier setzten aber der List List entgegen und schickten
Nichtsabbatharier, welche sich für die Geladenen ausgaben.
Bei dieser Gelegenheit sollen sie die Erlaubniss, den Sabbath
im Sinne ihres Gelöbnisses feiern zu dürfen, erbeten und
angeblich auch erhalten haben.
Da die Sabbatharier immer nur unter einander zu heiraten
pflegten, erliess jetzt Bischof Nicolaus Koväcs das Verbot, Braut-
paare, deren Familien der Judenzerei verdächtig waren, zu
trauen. Die Sabbatharier antworteten auf diese harte Maasregel
mit einer neuerlichen Auswanderung nach der Türkei. Die
übrigen traten zumeist zur calvinischen Kirche über, der sie
selbstverständlich eben so äusserlich und nur zum Scheine
angehörten, als früher der katholischen.^
Im Jahre 1829 wurden in Bözöd-Ujfalu 39, in Ernye 8
Personen als Sabbatharier in Anklagezustand versetzt, doch
konnte ihnen, nach langwierigen Untersuchungen und Verhand-
lungen, nur so viel nachgewiesen werden, dass sie an Sonn-
und Feiertagen Arbeiten verrichtet hatten. Der Uebung jüdi-
scher Bräuche konnten sie nicht überführt werden, so dass sie
* A. a. 0. das. S. 147—8. Bezüglich Gzinczeris s. noch Egyenlös6g, VI.
No. 9, ferner im nächsten Gapitel den sagenhaften sabbatharischen Bericht
über ihn.
16*
244
im August 1833 wegen Mangel an Beweisen freigesprochen
werden mussten. Der öffentliche Ankläger appellirte, aber
Kaiser Franz IL bestätigte am 13. Feber 1834 das freispre-
chende Urtheil mit dem Bemerken, die Angeklagten seien zur
Beobachtung der christlichen Feiertage zu verhalten und dies-
bezüglich unter Aufsicht der Geistlichkeit zu stellen.^
Der nachmalige Cardinal Ludwig Haynald suchte, als er
i. J. 1851 Bischof von Siebenbürgen wurde, die] Sabbatharier
durch Freundlichkeit und Ueberredung für die katholische
Kirche zu gewinnen. Er beschenkte sie mit schönen metallenen
Crucifixen, ging dann selbst nach Bözöd-Ujfalu und predigte
vor ihnen, um sier.durch die Macht des Wortes zu bekehren.
Die Sabbatharier blieben kalt; seine Bekehrungsreden konnten
ihnen nur das Geständniss abringen: »Wie schön er reden
kann! Schade, dass er kein Sabbatharier ist!«^ Im übrigen
musste auch Haynald zu strengen Mitteln gegen sie greifen.
Ein Sabbatharier, Namens Paul Koväcs, hatte nämlich seine
Tochter, die im geheimen Jüdin geworden war, einem Juden
zur Frau gegeben. Haynald, dem das angezeigt wurde, zwang
die Frau, ihren jüdischen Gatten zu verlassen und mitsammt
ihrem mittlerweile geborenen und als Jude erzogenen Sohne
ins Vaterhaus zurückzukehren.'
So war es auch Haynald nicht gelungen, die Sabbatharier
in der Schoss des Christenthums zurückzuführen; sie setzten
der Ueberredung denselben Widerstand entgegen, wie vordem
der Gewalt. Man kannte und überwachte sie genau. Die Pfarrer
von Bözöd-Ujfalu pflegten für ihre Amtsnachfolger förmliche
.Instructionen zu hinterlassen, in welchen sie die Merkmale
angaben, an welchen die Judenzer zu erkennen, und die Art
und Weise, wie sie am besten zu überwachen seien.* Aber die
Sabbatharier waren so vorsichtig und verschlagen, und wussten
ihre religiösen Uebungen in so geheimnissvolles Dunkel zu
hüllen, dass es fast nie gelang, sie auf frischer That zu
ertappen. Erst i. J. 1867 warfen sie die Maske ab und bekannten
sich offen als Judenzer. Damit begann die vor der Öffentlich-
1 Ofner Landesarchiv, das. s. A. 1833, No. 4125 u. A. 1834 No. 2011
» Acta Paroch. Bözöd-Üjfalvens., a. a. 0. das., u. Blasius Orbän a. a.
I. S. 148.
* Acta Paroch. das.
* S. die verschiedenen Aufzeichnungen das.
245
keit sich abspielende Bewegung, welche die letzten Reste der
Sabbatharier, mit einigen wenigen Ausnahmen, dem Judenthum
zuführte.
Bevor wir jedoch die Geschichte dieser Bewegung erzählen,
wollen wir das religiöse und das Geistesleben der Sabbatharier
kennen lernen, wie es sich uns während dar 230 Jahre dar-
stellt, die zwischen dem^Deeser Gerichtstermin und dem J. 1867
lagen. •
Das religiöse und das Geistesleben des Sabbatha-
rierthums in der Periode seines Niederganges.
1638—1868.
Dem religiösen und Geistesleben des Sabbatharierthums
während der letzten Periode seiner Geschichte hat die 230-jährige
schonungslose Verfolgung, welche es erlitten, ihr trauriges
Gepräge aufgedrückt.
Die gewaltsam unterdrückte, ihrer Führer beraubte, immer
mehr zusammenschmelzende und nur mehr heimlich fort-
bestehende Secte war kaum im Stande, sich ihre älteren lite-
rarischen Erzeugnisse zu bewahren und zu erhallen; neue zu
schaffen, oder ihre Sache mit der Feder zu fördern und zu
vertheidigen, war für sie ein Ding der Unmöglichkeit. Selbst
die Abschreiber, welche ihre älteren Schriftwerke vervielfältigten,
sind nicht mehr die geschulten Copisten von ehedem, sondern
Bauern und Handwerker, deren ungelenke Schrift es deutlich
verräth, dass ihre Hände besser mit dem Pfluge und Hand-
werkzeuge, als mit der Feder umzugehen wissen. Die von ihnen
gelieferten Abschriften sind um so mangelhafter, je jüngeren
Datums sie sind; (Jie aus der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts
bereits von einer trostlosen Unbehilflichkeit.
Die älteren sabbatharischen Handschriften präsentiren sich
als stattliche Folianten oder Quartbände aus gleichmässigem,
starkem Papier, die von geübter, sicherer Hand geschrieben
und, wie deutlich erkennbar, durch die Werkstätte des Buch-
binders gegangen sind. Die aus der Zeit nach 1638 stammen-
den Handschriften sind ausschliesslich Octav-, oder gar Sedez-
bände, weil solche leichter zu verbergen, und zu den geheimen
gottesdienstlichen Versammlungen bequemer und sicherer mitzu-
nehmen wären, endlich' aber weil ftir dieses kleine Format das
nöthige Papier am billigsten und' am* unanflalligsten zu beschaffen
war. Das Papier dieser Handschriften besteht nämlich in der
Regel aus Stücken von verschiedener Grösse, Farbe und- Qua-
lität, die ungeschickt zusammengenäht und in höchst primi-
tiver Art gebunden sind, mitunter in Einbandtafelti, die von
andern Küchern genommen wurden.^ Die Abschreiber, oder
Besitzer haben es offenbar nicht gewagt, sich an einen Buch
binder zu wenden. Die plumpe, schwerfällige Schrift und die
durchweg fehlerhafte Orthographie verrathen die Unwissenheit
der Copi'sten, und können als vollgiltige Beweise für die auch
anderweitig bezeugte Thatsache gelten, dass in dieser langen
Periode allmäligen Verfalls nur noch Bauern Anhänger des
Sabbatharierthums waren. Dabei sind diese Handschriften aus-
schliesslich Gebet- und Ritualien-, sowie Gesangbücher, deren
die Sabbatharier bei ihren gottesdienstlichen Verrichtungen
nicht entrathen konnten. Alle übrigen Erzeugnisse ihrer altern
Literatur blieben unbeachtet, und verschwanden allmälig aus
den Häusern, zuletzt sogar aus dem Gedächtnisse der Sabba-
tharier. ^
Seit der Katastrophe zu Dees i. J. 1638 ist keine einzige
neue sabbatharische Schrift, nicht einmal ein neues sabbatha-
risches Lied entstanden. Die gesammte Geistesthätigkeit der
im Dunklen fortvegetirenden Secte äusserte sich in der theil-
weisen Erhaltung ihrer altern Literaturerzeugnisse, sowie in
den weiter unten besprochenen Correcturen, die an ihrem
Gesangbuche vorgenommen wurden. Einige kleine Verse und
einige Volkssagen sind Alles, was sie im Verlaufe dieser 230
Jahre zu schaffen im Stande war.
Die in Rede stehenden Verse sind in der Regel am
Anfange oder am Schlüsse der Gebet- und^ Gesangbücher zu
finden, und zumeist des Werk des Abschreibers, oder des
1 Ein in meinem Besitze befindliches, um 1843 geschriebenes sabbatha-
risches Gebet- u. Ritualienbuch in 8-*^ steckt in einem schadhaften, aber starkem
Lederöinband, dessen Rücken die eingedruckte Titelau ftchrift hat: ^Pichler,
Jas Gatioiiicum, Pars 1/ Zu mehreren aus der jüngsten Zeit (1850—1860)
staidmenden sabbatharischen Gebet^ und Liederbüchern sind, offenbar in irgend
einem Papierladen gekaufte, Geschäfts- oder Notizbücher benutzt worden.
* Die einzige Ausnahme bildet die 1708 angefertigte Abschrift der oben
S. 179, Anm. 1) erwähnten Schrift Pechis.
247
Besitzers der betreffenden Handschrift. Nur eines von ilinen
hat weitere Verbreitung gefunden. Es scheint in der ersten
Hälfte des XVII. Jahrhunderts entstanden zu sein, und findet
sich seitdem fast in jeder sabbatharischen Handschrift, ja sogar
am Anfange sabbatharischer Briefe.^ Es lautet in wörtlicher
Ueb ersetz ung:
Ruhm und Ehre sei dem Herrn der Herren,
Abrahams, Isaaks und Jakobs Könige,
Der oberster Richter ist der granzen Welt.
Er gebe Befreiung den Nachkommen Israels !
Diesen vier, im Ungarischen mit einem und demselben
Reime endigenden Zeilen sind seit dem Anfang dieses Jahr-
hunderts in der Regel noch die Worte
In Gemeinschaft mit uns
oder einfach:
Und auch uns
hinzugefügt.
Neben diesem Verslein^ ist noch ein anderes zu erwäh-
nen, welches sich zwar in keiner sabbatharischen Handschrift
findet, aber, nach einem vertrauenswürdigen Berichte, um die
Mitte dieses Jahrhunderts bei den Sabbathariern von Bözöd-
Ujfalü gang und gäbe w^ar. Von dem Glauben ausgehend, dass
der sehnlich erwartete Erlöser unter Donner und Blitz erschei-
nen werde, pflegten sie während eines Gewitters die Thüren
und Fenster zu öffnen und folgende, im ungarischen Originale
volksthümlich gereimte, Strophe abzusingen:
Mach auf, o Herr, mach auf uns
Deiner Gnade Thore,
Schicke uns, o schick uns
Den verheißs'nen Messias. ^
Einen lehrreichen Beitrag zur Entstehung der Volkssagen
bieten die unter den Sabbathariern dieser Zeit entstandenen
Sagen.
^ So z. ß. in dem oben (S. 240), erwähnten Briefe.
2 Vehr^ve andere, die aber keine allgemeine Verbreitung gefunden
haben, s. in meinem ,A Szorabatosok" S. 331.
8 Orbän a. a. 0. I. S. 148 und Vasärnapi Ujsag (= Sonntagszeitung)
1873 S. 68; beide haben die handschriftlichen Aufzeichnungen des verlässlichen
Alexander r m ö s i benützt, der lange unter den Sabbathariern gelebt hat.
248
Die unterdrückte Secte bedurfte des Trostes für ihre jam-
mervolle Lage und der Hoffnung für ihre Zukunft, und da die
Wirkliclikeit ihr weder das Eine noch das Andere bot, suchte
sie beides im Reiche der Phantasie. Zu den derart entstandenen
Sagen gehört in erster Linie die oben (S. 226) erwähnte, welche
von Pechi, den die späteren Sabbatharier als den eigentlichen
und alleinigen Gründer ihrer Secte betrachten, zu erzählen
weiss, dass er der von ihm verkündeten Religion nie untreu
geworden, sondern nach Konstantinopel geflüchtet sei, wo er
an der Spitze einer sabbatharischen Gemeinde stehend, seine
Lehren weiter verkündet und die daheimgebliebenen Gläubigen
zum Ausharren in der Wahrheit ermuntert habe. Diese Sage
knüpft offenbar an die Thatsache an, dass Sabbatharier nach
der Türkei ausgewandert sind, anderseits aber ist sie sicherlich
nicht ohne Einfluss aui die öftere Wiederholung dieser Aus-
wanderung geblieben. 2
Eine ähnliche Tendenz verfolgt auch jene Sage, welche
Pechi eine Jüdin zur Frau giebt, die ihm mitsammt ihren
Kindern nach der Türkei gefolgt sein soll (ob. S. 226). Die Sabba-
tharier, die um diese Zeit bereits nur unter sich heirateten,
mochten von Pechis beiden christlichen Frauen und von seinen
christlichen Kindern nichts wissen. Gleichzeitig sollte aber
auch darauf hingewiesen werden, dass eine wahrhafte Sabba-
tharierin dem Gatten auch in die Fremde folgt, um ihrer Re-
ligion ungehindert leben zu können.
Ein ganzer kleiner Sagenkreis verfolgt die Tendenz, nach-
zuweisen, dass die Vorsehung diejenigen bestraft, welche den
Fluch der verfolgten Sabbatharier auf sich laden, namentlich
aber jene, welche sie zur Entweihung der Sabbathruhe zwingen.
Die furchtbare Niederlage, welche Georg Räköczi II. auf
seinem Kriegszug gegen Polen erlitten, war die Gottesstrate
für das grausame Vorgehen der beiden Räköczi gegen Pechi
und die übrigen Sabbatharier. An dem Pfarrer Alexander Czin-
czeri, der die Sabbatharier unmenschlich verfolgte und unter
anderem zur Arbeit am Sabbath zwang (ob. S. 243), ging deren
Fluch, »er soll nicht sterben können, bis ihn die Würmer nicht
verzehren« buchstäblich in Erfüllung. Er wurde, als er eben
eine heftige Rede gegen die Sabbatharier hielt, auf der Kanzel
3 S. ob. S. 242. Anm. 2.
249
vom Schlage gerührt und musste noch lange leiden. In seinen
Qualen berief er den Rabbiner der Sabbatharier zu sich, um
dessen Verzeihung zu erlangen; aber die Sabbatharier wollten
den Fluch nicht zurücknehmen, und er musste an einer ekel-
haften Krankheit sterben.^
An dieselbe Persönlichkeit und an dieselben Verhältnisse
knüpft noch einer anderen Sage an, welche ein zum Juden-
thume bekehrter Sabbatharier mit folgenden Worten erzählt:^
Auch das geschah mit den Sabbathariern. Es war in den Zeiten der noch
lebenden Greise, da war hier (in Bözöd-Ujfalü) ein katholischer Geistlicher, der
über die Sabbatharier derart herfiel, dass er sie des Sabbaths hinausjagte,
Heu für ihn zu machen. Es war vollständig klares, warmes Wetter ; aber schon
nach einigen Stunden stieg eine Wolke auf, und erhob sich ein derartiger Slurm,
dass das verwehte Heu die ganze Gemarkung bedeckte, und ihm (dem Geistlichen)
das viele Heu verloren ging. Dabei entstand aber ein Platzregen und ein solches
Gewitter, dass ein Mann aus einem Nachbardorfe derart vom Blitze getroffen
ward, dass er sofort starb. Als sie das grosse Unglück sahen, rief ein christlicher
Herr mit lauter Stimme: „Geht nach Hause, ihr Sabbatharier, sonst gehen wir
noch alle zu Grunde !** — Seitdem zwang man die Sabbatharier nicht mehr,
am Sabbath zu arbeiten.
Echter szekler Volkshumor spricht aus der folgenden
Sage, die ganz gut als lustige Anekdote gelten kann.
Paul Miklösi, Polizeicommissär des bözöder Bezirkes,
war ebenfalls ein grausamer Verfolger der Sabbatharier, die
er grade am Samstag zu öffentlichen Arbeiten, wie zum
Anlegen und Ausbessern der Fahrstrassen verhielt und dabei
»Kälber« zu schimpfen pflegte. Daraufhin sprachen sie über
ihn den Fluch aus: er möge ein Kalb gebären! Der
dem Trünke ergebene Mann kommt eines Abends nach mannig-
fachen Abenteuern mit einem tüchtigen Rausche nachhause,
und wird von der Frau zu Bette gebracht. Da träumt er,
der Fluch der Sabbatharier sei in Erfüllung gegangen und er
habe ein Kalb geboren. Er erwacht, den Angstschweiss auf
der Stirn, und fühlt, dass etwas ihm die Fussohle leckt ; er
schaut hin und sieht zu seinem Entsetzen, dass dieses Etwas
ein — neugeborenes Kälbchen ist. Seine Kuh hatte nämlich,
während er schlief, ein Junges geworfen, welches seine Frau,
des kalten Wetters wegen, in die Stube brachte. Der noch
immer beduselte Miklösi glaubt nun steif und fest, er habe
1 Orban, a. a. 0. I. S. 149; vgl, Egyenlös6g, 1887, No. 9.
8 „Dan Abraham, vormals Moses Koväcs« m einem an den Verfasser
gerichteten Briefe, de dato Bözöd-Ujfalü, 1. März 1875.
250
das Kalb geboren; er trägt es hinaus und wirft es, um die
Sache zu vertuschen, in den offenen Brunnen. Frühmorgens
wird dteis Kalb vermisst, und unter Lärmen und Schreien ver-
gebens gesucht. Da nimmt der Unglückliche seine Frau geheinn-
nissvöll beiseite und flüstert ihr zu: »Weib, der Fluch der
Sabbatharier hat mich ereilt: ich habe nachts ein Kalb geboren
und es, um meine Schande zu verbergen, in den Brunnen ge-
worfen.« Seine zungenfertige Frau schalt ihn tüchtig aus,
die Leute des Dorfes aber neckten und höhnten ihn derart
mit dem Kalbe, welches er geboren, dass er sein Amt niederlegen
lÄUSste, die Gesellschaft der Menschen mied, und den Rest
seiner Tage einsam und freudlos verlebte.^
Zum Schlüsse sei hier noch die in mehrfacher Beziehung
interessante Volkssage angeführt, welche der i. J. 1808 nach
Bözöd-Ujfalu exmittirte Dechant Emerich Betegh aus dem
Munde eines dortigen Sabbathariers hat. Nach seinem amt-
lichen Bericht lautet sie wie folgt:^
Im ersten Viertel dieses Jahrhunderts machten sich drei Szökler aus
BOzöd'Ujfalü auf den Weg, um nach dem Scythenlandc zu gehen, damit sie
daselbst die Wohnsitze unserer Ahnen^ aufsuchen; der Ueh erlief eruDg nach,
soll der eine Michael Loväsz, der andere Franz Csukor gewesen sein, den
Namen des Dritten habe ich nicht nennen j^^ehört. Sie reisten gen Osten, irrten
neun Jahre umher, durchzogen Asien, und waren sogar in dem Heiligen Lande.
Endlich trafen sie auf das Land unserer Ahnen, wo sie einen Mann sahen, der
mit Feldarbeiten beschäftigt war. Sie begannen ein Gespräch mit ilim, und er
hörte staunend, dass die Fremden, mit einigen Abweichungen, in seiner eigeaen
Spr^iche mit ihm reden. Er frug, wer sie wären, worauf sie ihm zu wissen
thaten, dass sie Nachkommen der Hunnen Attilas seien, und gegen Westen in
dem Siebenbürgen genannten Theile des Ungarlandes wohnen. Darob freute
sich der Vetter aus dem Osten ; nur war er sehr verwundert, dass ihre Rasse
so klein geworden sei. Dabei sagen mir Leute, die den Michael Lovasz und
den Franz Csukor persönlich gekannt haben, dass sie hochgewachsene
Mönner waren; aber der Vetter im Osten war so gross wie ein Riese. Er trug
den Sz6klern auf, sie mögen ins Dorf gehen, seine Frau aufsuchen und ihr.
unter Vorzeigung eines Erkennungszeichens, in seinem Namen sagen, sie solle
ein junges Huhn schlachten und ein grosses Festmahl vorbereiten, denn er werde
nach Beendigung seiner Arbeit binnen kurzem nachhausekommeB. Die doci
Sanier zogen dem Dorfe zu und überlegten unterwegs, wie sie drei, sowie der
Hausherr und seine Familie, mit einem jungen Huhn ein grosses Festmahl
* Ausführlicher bei Orbän, a. a. 0. das.
^ Beilage zu den Acta Paroch. Bözödujfalv., a. a. 0., das.
' Selbstverständlich sind die Ahnen der Sz^kler, beziehungsweise Ungarn
gemeint
251
solllcn halten können, und sie kamen überein, dier Frau zu sagen, ihr Mann
tnnre ihr auf, zwei junge Hühner zu schlachten, und ihn mit einem guten
Festmahle zu erwarten, denn er werde bald nachhausekommen. Die Frau schenkte
der BotsQhaft Glauben, obwohl sie sich gar sehr verwunderte, dass ihr Mann
den Auftrag gab, zwei junge Hühner zu schlachten. Sie beginnt den ihr gewor-
denen Auftr.'ig zu vollführen, und bringt eine grosse Mulde voH mit Fleisch ins
Zimmer, worüber die Szekl'er gewaltiglicU erstaunten. Mittlerweile langt d<M*
Hausiien* aai, geht in die Stube und sieht verwundert das viele Fleisch. Er frä^jt
die Frau, was das viele Fleisch bedeute ? Habe er doch durch diese Vettern
sagen lassen, dass sie nur ein junges Huhn schlachten solle ? Darauf erwiederte
die Frau, jene hätten ihr von zweien gesprochen. Der Hausherr, obwohl
hierüber sehr aufgebracht, unterdrückte seinen Zorn, und trieb die Frau an,
sie raögfr schnell ein gutes Mahl bereiten. Als des Essen fertig war, bewirtete er
seine Gäste mit orientalischer Gastfreundlichkeit. Am Schlüsse der Tafel aber
sprach er folgendermassen zu seiner Gästen : „Meine Freunde, was ihr gegessen
und getrunken habt, thut m r nicht leid, denn ich habe es von Herzen gegeben ;
aber leid thut es mir, dass im Westen solche Stammverwandte von uns wohnen,
die nicht die Wahrheit reden. In diesem Lande gilt Lügen für die grösste
Sünde ; wer bei einer Lüge ertappt wird, für den ist hier kein Platz. Drum
biecht auf und verschwindet aus diesem Lande, denn wenn das Volk des Landes
erfahren würde, dass ihr gelogen habt, würde es euch schlecht ergehen.** Wie
er gesprochen, so geschah es. Sie machten sich auf den Rückweg, und langten
nach neun Jahren wieder in der Heimat an. Hier lebten sie noch lange, und es
gibt in unserer Gemeinde Leute, die sie gekannt haben.
Dieser Sage liegt, wie schon der Dechant Betegh bemerkt,
ojffenbar die Thatsache zugrunde, dass Michael Loväsz, Franz
Csukor und noch ein dritter Szekler wirklich nach dem Osten
reisten und dort nach ihren Ahnen suchten. Nur reisten sie
nicht hin, die im Scythenlande zurückgebliebenen Ungarn, son-
dern die nach der Türkei ausgewanderten Sabbatharier zu
suchen.
Die Familien der Loväsz und Csukor sind nämlich alte
*
Sabbatharierfamilien, deren Angehörigen wir unter den im J.
1638 in Dees verurtheilten, sowie unter den 1868 und 1869
zum Judenthum übertretenen Sabbatharierri widerholt begegnen.
Auch unter den um die Mitte des vorigen Jahrhunderts nach
der Türkei ausgewanderten Sabbathariern befanden sich Mit-
glieder dieser beiden Familien. Die als Reliquien aufbewahrten
Briefe derselben, w^elche aus der neuen Heimat so viel Erfreu-
liches zu berichten hatten, mögen die biederen drei Szekler
bestimmt haben, die Nachkommen dieser Auswanderer aufzu-
suchen.^ Es scheint, dass sie dieselben vergebens gesucht, und
1 Ueber den Brief dieser Auswanderer s. ob. S. 240. Die Frau des Brief-
schreibers war die ebenfalls nach Adrianopel ausgewanderte Sarah G s u k o r
252
ihre Spuren, vielleicht auf Grund ungenauer Angaben, oder
blosser Gerüchte, bis nach Palästina verfolgt haben. In ihren
Hoffnungen getäuscht, kehrten sie nach Siebenbürgen zurück,
wo sie ihre mehrjährigen Irrfahrten durch die oben erzählte
Sage zu erklären suchten.
Wie das Geistesleben der Sabbatharier, so zeigt auch
ihr religiöses Leben in dieser langen Periode die unverkenn-
baren Spuren der harten Verfolgungen, die sie erlitten. Je
gewaltthätiger man gegen sie verfuhr, und je länger man sie
unterdrückte, desto hartnäckiger hielten sie an den Ueber-
zeugungen fest, welche man ihnen rauben wollte, desto theuerer
wurde ihnen der Glaube, für den sie duldeten und litten, und
desto mehr entfremdeten sich der Religion, in deren Namen
sie verfolgt wurden.
Am bezeichnendsten hiefür ist ihre stetig wachsende
Entfremdung vom Christenthum, welche sie allmälig dahin
führte, Alles zurückzuweisen und zu verläugnen, was sie nur
im entferntesten an die Religion erinnern konnte, von der sie
ursprünglich ausgegangen waren.
In den ersten Jahrzehnten nach dem Deeser Gerichtstermin
nahmen die meisten Sabbatharier noch keinen Anstand, den
Namen Jesus gelegentlich auszusprechen. Nur thaten sie es
nicht im Sinne der christlichen Auffassung^ sondern nahmen
das Wort, nach dem Vorgange Bogäthis und Pechis (ob. S. 80
und 169) als allgemeine Bezeichnung für den Begriff »Messias«,
ohne dabei an die Person Jesus zu denken. Wo dies dennoch
der Fall war, geschah es entweder in gewissen landläufigen
Redensarten und Ausrufungen, oder gar zur Unterstützung
sabbatharjscher Ansichten, wie z. B. von Seiten jener Frau,
die nach einem Hagelschlage ihren Nachbarn zurief: »Christus
gibt der Gemarkung keinen Segen, weil ihr den Sabbath
nicht feiert.«- Sie erklärten offen, »Christus war ebenfalls
und unter den Auswanderern, die 1778 noch am Leben waren, nennt der Brief
auch eine Susanna Loväsz. Ueber die i. J. 1868 — 9 zum Judenthume über-
tretenen Sabbatharier s. weiter unten.
^ In den Sabbatharierprocessen vom Jahre 1670 sagten die Zeugen gegen
Georg Kelemen aus Körispatak aus : „er unterichte verschiedene Leute im
Alten Testamente, damit sie im Sinne desselben an Christus glauben, nicht aber
im Sinne des Neuen Testamentes." Eereszt. Magvetö IX. S. 259.
« A. a. 0. das. S. 250.
253
ein solcher Mensch, wie wer immer unter uns.«^ In noch rück-
sichtsloserer, mitunter geradezu roher Weise äusserten sie sich,
wenn ihnen, der Wein die Zunge löste, oder wenn sie sich im
Eifer religiöser Disputationen von ihrer Heftigkeit hinreissen
Hessen. 2 Unter allen Umständen abergingen sie Allem und Jedem
sorgfältig aus dem Wege, was nur im entferntesten an die Anbe-
tung Christus' erinnerte. Manche unter ihnen wollten bereits
damals (1670) den Namen Jesus nicht einmal mehr aussprechen.^
Bei solchen Anschauungen konnte sich das alte sabbatha-
rische Gesangbuch, das noch von dem Glauben an Jesus aus-
ging, unmöglich im Gebrauch behaupten, wenigstens nicht in
seiner ursprünglichen Gestalt. Die Lage der kleinen sabbatha-
rischen Gemeinden, die nur noch im geheimen ein kümmer-
liches Dasein fristeten, war aber viel zu trostlos, als dass sie
ein einheitliches neues Gesangbuch hätten schaffen können;
besassen sie doch keine Organisation und, seit Pechis Tode,
auch keinen Führer mehr. Da nahmen denn einzelne Gemein-
den, wie es scheint sogar einzelne Familienkreise, die Sache
in die Hand und stellten, unter mehr oder minder starker
Benützung des alten Gesangbuchs, neue religiöse Lieder-
sammlungen zusammen, welche das Neue Sabbatharische Ge-
sangbuch bilden. Dasselbe liegt in zahlreichen, in der Zeit
von 1638 — 1868 entstandenen Handschriften vor, die nur in den
Hauptstücken übereinstimmen, dabei aber, trotz allen namhaften
Abweichungen, unverkennbar dieselben Tendenz verrathen.^
* Diese Aesserung haben, genau mit derselben Worten, verschiedene
Angeklagte an verschiedenen Orten gelhan ; s. die Zeugenaussagen a. a. 0., das
S. 250 u. 255.
* Georg Nagybüni — so sagte ein i. J. 1670 vernommener Zeuge aus —
.behauptete gelegentlich einer Disputation, die ich mit ihm hatte,
David sei grösser als Christus.** Thomas Borbely aus Keresztür sprach während
des Trinkens folgendes : „Umsonst, denn wahrhaftig, ich glaube au
keinen gehenkten Gott, und bete ihn auch nicht an." A. a. 0. das. S.
250 u. 247.
3 Während eines starken Gewitters rief Einer aus : „Herr Jesus verlass
mich nicht;* hierauf erwiederte der in Kis-Solymos wohnhafte Studiosus Johann
vom Sz6kler Kleinadel : „Was sprichst du ! Auch du rufst den Kleineren
(offenbar: den Sohn Gottes) zu Hilfe !** S. die Zeugenaussagen, a. a. O. S. 248.
* Ueber diese Handschriften s. meine A Szombatosok S. 253 flg. Zahl-
reiche andere, mehr oder minder vollständige Liedersammlungen sind den meisten,
aus dieser Zeit stammenden Exemplaren von P6chis Gebet- und Ritualienbuch
beigegeben.
254
Zunächst sind sämmtliche Stücke des Alten Sabbathacischen
Gesangbuches einer genauen Durchsicht unterzogen und die-
jenigen, welche christliche Elemente enthalten, theils durch
einfache Weglassung der betreffenden Strophen, Zeilen, oder
Worte, theils durch Umarbeitung, den Anschauungen der dama-
ligen Sabbatharier angepasst.
Diese Correcturen sind mitunter dem Inhalte, dem
Metrum und dem Reime des Liedes recht geschickt angepasst,
mitunter wieder so plump, dass sie sofort zu erkennen sind.
Ein Sabbathlied des Alten Gesangbuches enthält, zum
Beispiel, unter anderem die Zeilen:
In grosser Freud' erwarten wir des Herrn grossen Tag,
Des Herrn Jesus herrlichen und glorwürdigen Tag;*
in den verschiedenen Exemplaren des Neuen Gesangbuchs steht
statt der Worte »des Herrn Jesus« bald: Unseres Herrn,
bald: des Messias, bald: Gottes. Die 5 Strophe desselben
Liedes beginnt:
Dann werden Deine heil'ge Stadt wir schaun in Wirklichkeit,
Das AntHtz Deines heil'gen Sohns in seiner Herrlichkeit ;
statt »Deines heiligen Sohnes« haben einige Exemplare des
Neuen Gesangbuchs: Deiner Heiligen, andere: des Messias,
in den übrigen ist die ganze Strophe weggeblieben.
Aus einem alten Passahliede ist die Zeile
Jesus Christ, sein heiliger Sohii mög' auch uns erlösen
in einigen neuen Gesangbüchern durch die Zeile
Deine heil'ge Majestät mög' uns gnädig schützen
ersetzt; in den meisten fehlt des ganze Lied.
Ein, ursprünglich den Alt-Unitariern entlehntes, Morgen-
lied beginnt in dem Alten Gesangbuche:
Lasst Dank uns geben Gott dem Herrn,
Dem Vater Jesu Christi.
1 Zu den hier folgenden Citaten aus dem Alten und dem Neuen Sabbath.
Oesangb. s. die betreffenden Stellen und Codices a. a. 0. S. 338 — 340, wo
noch auf zahlreiche ähnliche Beispiele hingewiesen ^vird.
265
Diese 2. Zeile lautet in manchen Exemplaren des Neuen
Gesangbuches:
Dem einen Gölte Abrahams, —
in andern ist diese Zeile einfach weggelassen; die übrigen
haben das ganze Lied nicht aufgenommen.
Aehnliche gewaltsame Aenderungen werden selbst an
solchen Stellen vorgenommen, welche an sich belanglose
Anspielungen auf die Evangelien enthalten. So heisst es z. B.
in einem alten Sabbathliede:
Selig, wer dem Beispiele der weisen Jungfrau'n folgt ;
da aber diese Zeile auf Mathäus 25,1 — 12 Bezug nimmt, ist sie
in einem Exemplare des Neuen Gesangbuchs in
Selig, wer dem Beispiele der Weisen folgt
umgeändert, sowie das in diesem Liede öfter vorkommende
Chris^tus jedesmal in Abraham. In allen übrigen Exem-
plaren fehlt das ganze, stark christlich gefärbte Lied.
Die von christlichen Anschauungen ausgehenden Stücke
des Alten Gesangbuches, deren ausgesprochen christliche
Färbung durch ähnliche Correcturen, oder durch Streichung
einiger Zeilen nicht zu verwischen war, sind überall gänzlich
Wöggelassen, selbst jene, die von Andreas Eössi, dem Stifter
des Sabbatharierthums herrühren, oder das Akrostichon »Simon
Pechi« zeigen. Aus diesem Grunde fehlen von den 1 10 Liedern
aus welchen das Alte Gesangbuch besteht, in sämmtlichen
Exempliaren des Neuen nicht weniger als zweiundzwanzig.
An ihre Stelle sind 45 andere, ausgesprochen jüdische Gesänge
getreten, zumeist Uebertragungen poetischer Stücke aus der
jüdischen Liturgie und freie Bearbeitungen jüdischer Ueber-
lieferungen und Legenden, oder einzelner Capitel der Heiligen
Schrift. Sie rühren zunieist von Pechi her, der sie nach seinem
Sturze als Reichskanzler schrieb, als er eine immer entschie-
dener judaisirende Richtung einzuschlagen begann. Unter den
ungefähr 15 Liedern, die nicht aus seiner Feder geflossen
sind, zeigen einige die Akrosticha: Johannes Sändor, Johannes
Bökeny, Petrus Magyari, Georg Sinka und Gerghli (Georg),
die Namen sonst fast, oder ganz unbekannter Männer, die
Gesinnungsgenossen und Mitarbeiter Pechis waren.'
Das religiöse und das Geisterleben des Sabba-
tharierthums in der Periode seines Niedergangs.
1638-1868.
(SchluES.)
Das Neue Gesangbuch, welches die christlichen Elemente
des Alten von sich weist und durch jüdische ersetzt, ist
bezeichnend für das religiöse Leben des Sabbatharierthums
dieser Periode. Es entfernt sich immer weiter vom Christen-
thum, um sich in demselben Verhältnisse dem Judenthume
anzunähern, und schliesslich in ihm aufzugehen.
Das Gebet- und Ritualienbuch Pechis fehlte in keinem
sabbatharischen Hause. Aus ihm wurden die jüdischen Gebete,
die täglichen, sowie die Festgebete, nach dem sephardischen
Ritus, und wie die zerlesenen, stark abgegriffenen Blätter der
noch vorhandenen Exemplare beweisen, pünktlich und mit Eifer
verrichtet. Die in ihm vorgeschriebenen jüdisch-religiösen Cere-
monien und Bräuche wurden gewissenhaft geübt. Aus den Verhö-
ren und Zeugenaussagen vom Jahre 1670 ergibt sich, dass Pechis
Lichren und Vorschriften schon 25 Jahre nach seinem Tode
illen Sabbathariern bereits als unverbrüchliche religiöse Norm
jalten; namentlich die jüdischen Speisegesetze wurden allge-
nein und mit grösster Strenge beobachtet. An Stelle des ver-
abscheuten Borstenviehs wurden Gänse gezüchtet und gemästet,
jnd es galt als untrügliches Kennzeichen eines sabbatharischen
Hauses, dass sie dort Gänseschmalz statt des Schweinefettes halten
und gemessen.« 8
Eben so allgemein war die Beobachtung der jüdischen
Festtage, die genau nach den von Pechi angegebenen Vor-
gchriften mit den üblichen jüdischen Gebeten und Bräuchen
»efeiert wurden. Sie begnügten sich lieber mit trockenem
Brode, oder hungerten gar, und erlitten eher nahmhafte Ver-
■ lieber das Neue Sabbath. Geäangbucb s. AusführltchereE in memem
A Szombalosok S. S60— 264. Zu den das. aufgezählten 43 Liedern kommen noch
2, die ich in einer später erworbenen Handschrift fand ; s. das. S. 339, Anm. 1.
< S. die Zeugenaussagen des Kereszt, MagvetÖ XI. S. 346—269.
257
luste. an Habe und Gut, als dass sie die Sabbathruhe durch
Kochen oder anderweitige Arbeiten entweiht hätten.^
Am fanatischsten waren die Frauen, welche, nach der
aus dem Jahre 1753 stammenden Aufzeichnung des Pfarrbuches
von Bözöd-Ujfalu, »ihrer Secte ungleich fester anhangen und
halsstarriger sind als die Männer.« Sie bildeten den Kern und
das erhaltende Element des Sabbatharierthums. In nicht seltenen
Fällen pflegten bei dem sabbatharischen Gottesdienste, mit Aus-
nahme des Mannes, der ihn leitete, bloss Frauen anwesend zu
sein.2 Eine derselben erklärte öffentlich: »Und stünde auch der
Fürst mit dem Richtsch werte neben meinem Haupte, würde
ich doch kein Schweinefleisch essen;« eine zweite »konnte
nicht einmal den Geruch des Schweinefleisches vertragen.«
Noch eine andere »pflegte sich, um den Sabbath desto unge^^
störter feiern zu können, Freitag abends sterbenskrank zu
stellen, aber am Sonntag wieder kerngesund zu sein. »Viele
Sabbatharierinnen gingen am Sabbath nicht einmal auf die Strasse,
sondern verbrachten, offenbar in wörtlicher Auslegung einer
Bibelstelle,8 den ganzen Ruhetag im Hause. Andere befolgten
den Brauch frommer Jüdinnen und »legten am Sabbath solche
weisse Kleider an, die sie an sonstigen Tagen nicht trugen.«*
Jüdischen Reisenden, die sich in ihre entlegenen Dörfer ver-
irrten, liefen sie entgegen, nöthigten sie ins Haus und über-
häuften sie mit Ehren und Aufmerksamkeiten, während sie
christliche Gäste, von welchen sie leicht verrathen werden
konnten, nur ungern bei sich sahen.^
Geradezu staunenswerth ist die Macht, mit welcher diese
verbotene und verfolgte Religion die Gemüther ihrer Anhänger
beherrschte. Aus den Häusern, in welchen das Sabbatharier-
thum einmal Wurzel gefasst hatte, war es so leicht nicht
wieder auszurotten. Den Familien Koväcs, Csukor, Sükös, Nagy,
Loväsz, Acs, Gäl, Sipos u. s. w., deren Mitglieder und Nach-
1 Beispiele s. a. a. 0. S. 247 und 258.
a Das. S. 254.
«2 B. M. 16, 29: ,, Bleibet, ein Jeder an seinem Orte; Niemand gehe von
seinem Platze am siebenten Tage weg.' Samaritaner und Karäer haben diese
Bibelstelle bekanntlich ebenfalls wörtlich aufgefasst.
* Kereszt. Magvetö IX. S. 247, 250 und 252—4.
. * Acta Paroch. a. a. 0. Aufzeichnungen des Pfarrers Georg Lukäcs . vom
Jahre 1753.
Dr. Kohn : Sabbatharier. 17
S68
kommen seit dem Massenprocess zu Dees durch zwei Jahr-
hunderte in den Reihen der angeklagten, veruH;heilten, od^t
ausgewanderten Sabbatharier zu finden stad, begegnet! ^vir
noch am Ende dieser Periode untei" den zum Jud^äthume
übertretenen Sabbathariern. Jener alte Sabbatharier, der seiti
Kind »noch in seinem Testamente ei'ilnahnte: Meine geliebte
Tochter, lasse dein Lebenlang nicht von dieser schönen Röli-
gion,«^ hat offenbar nur das gethan, was sie, Wie die That-
Sachen beweisen, ihren Kindern gegenüber gewöhnlich beobach-
teten. »Mein Vater war Judenzer, auch ich Will ein solcher
sein«, das war der gewichtigste und in der Regel letzte
Grund, den sie selbst ihren Richtern gegeiitibör als Ursache
ihrer Sectirerei anzugeben pflegten.^
Das aus dem öfTentlichen Leben verdrängte Sabbatha-
rierthum musste sich aufs Haus beschränken, und gewann
dadurch eine immer grössere Herrschaft über das Familien-
leben. Der Gottesdienst, den sie aus Furcht vor Entdeckung
nur selten gemeinsam, oder in grösseren Versammlungen zu
begehen wagten, wurde in der Regel zuhause abgehalten.
Ihre Kinder, die sie in die christliche Schule nicht schicken
mochten, unterrichteten sie zuhause im Lesen und Schreiben,
welche Kenntnisse, bei der allgemeinen eifrigen Benutzung
ihrer handschriftlichen Gebet- und Gesangbücher, als uner-
lässlich galten, und deshalb bei den Sabbathariern, im Gegen-
satz zu der übrigen Dorfbevölkerung, allgemiein zu finden
waren.» So war das sabbatharische Haus z^ugleich auch Tempel
und Schule. Um es in dieser Eigenschaft zu ethalten, und vor
fremden Einflüssen sicher zu stellen, pflegten die Sabbatharier
bereits am Anfange dic^ser Periode am liebsten untereinander
zu heiraten, ein Vorgang, der später allgettieifie Regel tvurde.*
In den seltenen Fällen, wo ein Sabbatharier dennoch eine
1 Kereszt. Magvetö IX. S. 254.
* Das. S. 249.
« Acta Paroch. Bözödi^gfalv., Aufzeichnung des Pfarrers Paul YinUer das.
Vgl. Orbän, a. a. O. I. S. 148.
*• S. die Zeugenaussagen aus dem J. 1&70: j^Die vi^r Brftder Aes haeben
sämrotlich aus Judenzerhäusern Frauen genommen*, und dasse&e von den Fami-
lien Haraagläbi und G41, Kereszt. Magvetö, a. a. 0. S. 256 und 266. Vgl. das
folgende Gapitel.
.59
Christin zur Frau nahm, musste diese vorher schwören, den
Glauben und die religiösen Bräuche des Hauses geheim zu
halten. Konnte sie sich mit der strengen, abgeschlossenen
Lebensweise und mit der jüdisch-rituellen Haushaltung nicht
befreunden, wurde sie entlassen, nachdem sie zuvor einen Eid
abgelegt hatte, ihren Mann nicht als Sabbatharier zu verrathen.
Dieser Eid beschwor unter den fürchterlichsten Flüchen die
Rache des Himmels auf das Haupt der Treulosen herab, die
ihn brechen sollte. Nach den Aufzeichnungen eines gründlichen
Kenners der sabbatharischen Verhältnisse, soll es auch »that-
sächlich nie vorgekommen sein, dass eine solche Renegatin
über die Angelegenheiten der Sabbatharier auch nur ein Wort
gesprochen hätte.« ^
Diese Vorsichtsmassregel ist eine von den vielen, zu
welchen die Sabbatharier greifen mussten, um die Uebung
ihrer Religion vor den Augen der Aufpasser und Angeber zu
verbergen, die sie von allen Seiten umgaben. Die schweren
Verfolgungen, die sie ihres Glaubens wegen erlitten, nöthigten
sie zur Geheimhaltung desselben, und zwangen sie zur List
und Heuchelei.
Noch um die Mitte des XVII. Jahrhunderts pflegten sie
sich allsabbathlich in Häusern, oder gar in Gärten zum gemein-
samen Gottesdienst zu versammeln ;2 zwei Jahrzehnte später
(um 1670) erkannte man sie bereits daran, dass sie »des Sabbaths
nicht arbeiten; sondern sich verbergen und verstecken
und den Sabbath feiern.«'^ Später richteten sie in ihren Häusern
abgesperrte, oder durch Vorhänge verdeckte, kleine Kammern
ein, in welchen sie Familiengottesdienst hielten und ihre Gebet-
und Gesangbücher in Verstecken aufbewahrten.* An den hohen
jüdischen Feiertagen pflegten sie sich in Wäldern, Gräben,
oder in Gebirgen zum gemeinsamen Gebete zusammenzufinden.
Die betreffenden Plät-ze, mit welchen sie zu jedem Feste wech-
selten, wussten sie sorgfältig auszuwählen und so vorsichtig
1 r b a D, a. a. Ö. I. S. 149. Der Verfasser benutzt hier (vgl. das. S. 146)
die schriftlichen AufzeicbDungen Alexander Ormössis» der lange unter den
Sabbathariern gelebt hat.
» Kereszt. Magvetö tX. S. 254 und 257; XIII. S. 362—866 1.
8 Das. IX. S. 247.
* ö r i) ä n, a. a. Ö. I. S. 146 undi 148.
17*
260
aufzusuchen, dass sie nie auf der That ertappt werden konnten.^
Wurden sie aber unter Eid verhört, oder zur Zeugenaussage
verhalten, schwiegen sie hartnäckig und erlegten lieber die
über - sie verhängten Geldstrafen, als dass sie einander, oder
ihre gemeinsame Sache verrathen hätten.^
Noch um die Mitte des XVII. Jahrhundertes hatten die
Sabbatharier, wo sie in grösserer Anzahl vorhanden waren,
ihren ständigen Geistlichen und Lehrer ;» späterhin übernehmen
die eifrigeren und unterrichteteren unter ihnen diese Aemter,
die sie für längere oder kürzere Zeit, oder nur bei gewissen
Gelegenheiten versahen.* Diese leiteten die Festgottesdienste,
lehrten den Pentateuch und vollzogen die rituelle Schlachtung
der zum Genüsse bestimmten Thiere. Währenddem sie dieses
Amt versahen, mussten sie die jüdische Vorschrift, welche das
Rasiren verbietet, beobachten. Aus diesem Grunde wechselten
sie diese Functionäre in möglichst kurzen Zwischenräumen,
angeblich alle sechs Wochen, »damit man sie an den langen,
unrasirten Barten nicht erkenne, und die Christen nicht darauf
kommen können, wer der Geistliche und Schächter der Sabba-
tharier ist.«*^
Um die Uebung jüdischer Riten zu bemänteln, und sich
von den ihnen aufgezwungenen christlichen Ceremonien zu
befreien, mussten sie zu allerlei Listen, zum Betrug und zur
Lüge greifen. So gaben sie vor, Hasen- oder Schweinefleisch
nur deshalb nicht zu essen, »weil ihre Natur es nicht
verträgt.« Wurden sie von Christen zu Tisch gebeten, so
lehnten sie die Einladung ab, oder blieben unter den ver-
schiedensten Vorwänden weg; wo sie nicht persönlich ge-
^ Das. I. S. 148. In dem oben (S. 249) erwähnten, an mich gerichteten
Briefe des zum Judenthurae übertretenen Moses Koväcs heisst es u. a.: ,Wenn
Roscheschöne und J a n k i p u r (volksthümlich ausgesprochene hebräische
Hezeichnungen für das Neujahr und das Versöhnungsfest) herannahte, suchten
sie (die Sabbatharier) vorher im Walde den grössten wilden und finstern
Graben aus, gingen hin, zündeten Kerzen an und feierten das Fest unter
grosser Angst."
* Acta Paroch., Aufzeichnungen des Pfarrers Georg Lukacs vom J. 1753.
« Kereszt. Magvetö XlII. S. 365—6 und XVII. S. 225.
* Das. IX. S. 254 und 259.
* Acta Paroch., Bericht des Emerich Betegh ; vgl. Orbän, a. a. O. J. S.
148 und Vasdrnapi Ujsäg (Sonntagszeitung) 1878, S. 168.
261
kannt waren, jschickten. sie Andere hin, di« sich für sie
ausgaben.^
Am Anfange der hier behandelten Periode (nach 1638)
wichen sie den christlichen Kirchen noch offen aus, und es
gab viele unter ibnen, die unter keinen Umständen dahin
gingen. 2 Seitdem sie unter die Aufsicht der Geistlichkeit ge-
stellt wurden, und ihr Wegbleiben von der Kirche als Schuld-
beweis betrachten wurde, liess sich an Sonn- und Feiertagen
jedes Haus durch ein oder zwei Mitglieder vertreten, die, nach
der Aufzeichnung des Pfarrers von Bözöd-Ujfalu, »aus Furcht«
abwechselnd in die Kirche gingen, wo sie sich gleichgiltig,
mitunter sogar unanständig betrugen. Die Predigt hörten sie
mit zu Boden gesenkten Blicken und finsteren aufgeregten
Mienen an, namentlich wenn von christlichen Dogmen, oder
von Jesus die Rede war. Sobald aber über ein mosaisches
Gesetz gesprochen, oder ein Vers aus dem Alten Testamente
citirt wurde, wandten sie sich wie electrisirt dem Redner zu,
und lauschten mit gespannter Aufmerksamkeit und flammenden
Gesichtern den Worten des Geistlichen. Wenn sie das Heilige
Abendmahl nehmen mussten, behielten sie die Hostie im Munde
und versuchten sie später in unauffälliger Weise wieder zu
entfernen. Kreuze und Rosenkränze trugen sie nur in der
Kirche, weil sie es mussten, in ihren Häusern benutzten sie
dieselben nie. Wenn man ihnen Crucifixe oder Heiligenbilder
schenkte, die sie nicht zurückzuweisen wagten, nahmen sie
dieselben an, aber nur um sich ihrer baldmöglichst zu entledigen
Den Sterbenden Hessen sie nie die letzte Oelung reichen,
sondern schickten erst nachdem der Todesfall bereits einge-
treten war um den Geistlichen, dem sie sodann sagten, der
Kranke sei mittlerweile verschieden. Nach Verrichtung der
Sterbe- und Grabgebete beerdigten sie die Leiche wenn möglich
ohne Geistlichen, oft des Nachts im geheimen. Mitunter sollen
sie dem Geistlichen einen leeren, oder mit Steinen gefüllten,
verschlossenen Sarg zur Beerdigung übergeben haben, indem
sie vorgaben, der Sargdeckel hätte vernagelt werden müssen,
weil die Leiche einen unerträglichen Geruch verbreitet.^ Sie
1 Acta Paroch., Aufzeichnung des Georg Lukacs ; vgl. ob. S.
s S. die Zeugenverhöre Kereszt Magvetö IX. S. 246 flg.
3 Dass sie das, wie der Dechant Betegh berichtet, regelmässig gethan
haben sollen, klingt höchst unwahrscheinlich.
261
vermieden es, den christlichen Gottesacker zu betreten, and
l)etheiligten sich überhaupt nur dann an einer christiichen
Cer'emonie, »wenn sie Strafe fürchteten, et
Unter solchen Un\ständen ist es nicht überraschend, dags
der Pfarrer von Bö^od-Ujfelu, Anton Bertalan, nachdem er
hervorhebt, dass er von den zur katholischen kirche übertre-
tenen Sabbathariern kaum zwei für wahre KathoHken halte,
i. J. 1747 in das dortige Pfeirrbuch, anter anderm, auch Fol-
gendes eintrug: »Wenn eine au%enöthigte Tugend keine Tugend
ist, kann ich die Taufe Vieler nicht billigen; denn Viele haben
gestanden, dass sie nur aus Furcht die Taufe angenommen
haben.«*
Die letzten Sabbatharter und ihre Gemeinde in
Bözöd-Ujfalu.
Infolge der ununtert>rQchenen Verfplgungen und häufigen
Auswanderungen begannen d\e Reihen dßr Sabbatharier sich
immer mehr zu lichten ; ihre meistep Gemeinden lösten sich
allmö^lig auf. In der zweiten Hälfte dos XVII. Jahrhunderts
waren sie noch in mindestens elf sz6kler Städten und Dörfern
zahlreich vertreten ;2 ein Jahrhundert später warßn sie nur noch
i ,Si coacta virtus nulla virtus : ego multorun» baptismum nee approbo
mulli enim fassi sunt, quod [timore perculsi suscepeiint." Acta Paroch. —
Die obigen Angaben sind ciiese^ Aufzeicbnungen, so wie dem weiter unten er-
wähnten Berichte des Dechanten ^ßmeriph Betegh, ferner dem mehrfach ange-
führten Buche r b ä n s und endlich der Artikelserie im 1873-er Jahrg. der
Vasärnapi Ujsäg entlehnt. Es verdient hervorgehoben zu werden, dass die Acta
Paroch., so hart sie sich auch über die Sabbatharier zu äussern pflegen, sich
von jeder Uebertreibung, oder gar Erdichtung fem halten, und fär die Schil-
derung zeitgenössischer Zustände vollkommen verlässlich sind. Von dem
Berichte Beteghs lässt sich nicht dasselbe behaupten. Betegh lebte nicht ständig
unter den Sabbathariern, sondern hielt sich nur einige Tage, zum Zwecke der
BerichterstattuDg, in Bözöd-Ujfalu auf ui^d schrieb, wie er selber erzählt, nach
den ihm dort gemachten Mittbeüungen, die sich mitunter als unverlässlich . er-
weisen. Die beiden an letzter Stell« angeführten Quellen sind, was das religiöse
Leben der Sabbatharier anbetrifft, nur mit Vorsicht zu benutzen.
> In Sz6kely-Keresztür, Köröspatak und in den Dörfern Nagy- und Kis-
Solymos, Szent-Erzs^bet, Uj-Szekely, Szent-Demeter, Ernye, Ikland, Bözöd und
Bözöd-Ujfalü ; ergibt sich aus Kereszt. Magvetö IX. S. 846—259 und XDI.
36-2—866. 1.
ia Bözöd-Ujfalü und in Ernye in grösserer Anzahl vorhanden,
Wi die Mitte des gegenwärtigen Jahrhunderts gab es nur noch
eine sabbatharische Gemeinde, die su Bözöd-Ujfalü.
Böaöd-Ujfalü, ein Dörfchen im Szeklerstuhle Udvarhely,
m^ht fern von der ruma^nischea Grenze, liegt in einem von
steilen Bergen uipgebeaen, schwer zugänglichen, romantischen
Tbale> Eine Eisenbahn ist in der ganzen Umgebung nicht vor-
handen, und da es sogar an einer ordentlichen Landstrasse
fehlt, verkehrt nicht einmal der Postwagen nach dem Dorfe.
Bpiefe und andere Poatsendungen müssen eine Stunde Weges
naoh Erd6-Szt.-GyöFgy getragen, beziehungsweise von dort
abgeholt \siferdea. Ein Wirfcshaus, oder eine Herberge gibt es
noch heute nicht im Dorfe, denn Reisende, die sich eines
gemieteten Bauernwagens bedienen müssen, pflegen nur selten
dorthin verschlagen a^u werden. Die Bevölkerung ist arm
u»d besteht, neben Holaschlägern und Steinhauern, zumeist
aua Ackerbauern, welchen der steinige und wenig fruchtbare
Boden die mühevolle Arbeit nur kärglich lohnt. Bei gerin-
gerem Verdienste sind auch die Bedürfnisse gering, und die
Ansprüche an das Leben die denkbar bescheidensten.
Unter den ungefähr 700 Einwohnern des Dorfes sind nicht
weniger als sechs Confessionen vertreten: die katholische,
calvinische, unitarische, griechisch-uniirte und nicht-uniirte und
endlich die sabb^harische. Zu diese» kamen um 1865 noch
einige Jude«., usd si^t tS&S die %uiia Judenthume übertretenen
Sabbatharier. Uncfc^alle diese lebten und leben im besten Ein-
vernehmk^D^ friedlich nebeneinander; denn in Religionssachen
gibt e» kaum; ^n toleranteres Volk aJjs die Szekler. Ueberdies
sind die unter ärmlichen Verhältnissen lebenden Menschen auf
(Ues00i. v<i^nidef ü^brig^n Welt abgeschltDssenen, kleinen Stückchen
Erde mehr denn and^^swo auf einander angewiesen.
Noch in d^n sechziger Jahren kam nur eine Zeitung in
(ks I>ouf, Ujnd diese auf gemeinsame. Kosten gehaltene »Zeitung
des Dorfea<^ pflegte, der Richter oder Notar dem aufhorchenden
Volke öffentlich vorzulesen. Anderweitige Nachrichten von den
^ Ueber die geographische Lage und die gegenwärtigen Verhältnisse des
Dorfes s. Vasämapi Ujsdg 1873. S. 167 ; Siebenbürg. Volkskalender für d J.
me, S, 61.; Szäzadok 1876. a 288; Orbdn a. a. O. I. S. 150; Adolf Dux,
i^s Ungarn, S. 270' flg. ; Magyar Zsidö Szemle U, S. 654— 66a und das IV. &
88^98 ; £gyentös^ 1887. Nr. 9 und Jewish Chronicle 1889. Nr. 1044.
264
Vorgängen in der grossen Welt gelangten nur selten dahin.
Derartige isolirt lebende, einfache Menschen pflegen in allen
Dingen conservativ zu sein; sie bewahren getreulich ihre Pro-
vincialismen, ihre Volkstracht und ihre althergebrachten Ge-
wohnheiten, und beharren unentwegt bei den religiösen An-
schauungen und Bräuchen, die sie einmal angenommen haben.
Dieses abseits vom Weltgetriebe liegende, zwischen Bergen
verborgene Dorf war demnach durch die Natur, wie durch die
örtlichen Verhältnisse so recht danach angethan, den schwachen
Ueberresten einer nur noch im Geheimen fortvegetirenden,
verfolgten Secte eine letzte Zufluchtsstätte zu gewähren. Zur
Blütezeit des Sabbatharierthums stand es unter dem Patronate
des dort begüterten Simon P6chi;^ seitdem war es eine der
stärksten und ältesten Burgen dieser Secte, und schliesslich
der Sitz ihrer letzten und einzigen gemeinde. Nur in dem
benachbarten Nagy-Ernye lebten noch einige sabbatharische
Familien, die gleich den wenigen in der Umgebung zerstreut
lebenden, übrigen Sabbathariern zur Feier der hohen jüdischen
Festtage nach Bözöd-Ujfalü zu kommen pflegten. Die Ereignisse,
welche das letzte Capitel in der Geschichte des Sabbatharier-
thums bilden, haben sich alle hier abgespielt.
Um 1865 befanden sich in Bözöd-Ujfalü noch ungefähr
vierzig sabbatharische Familien mit zusammen 170 bis 180
Seelen,^ die demnach den vollen vierten Theil der gesammten,
und den Kern der magyarischen Bevölkerung* ausmachten, und
da sie alle lesen und schreiben konnten, in gewissem Sinne
auch die Intelligenz des Dorfes bildeten. Im allgemeinen galten
sie als fleissige, nüchterne und redliche Menschen,* die man
als solche achtete, wenn man sie auch ihres Glaubens wegen
verlachte. Sogar der Dorfrichter war ein notorischer Sabbatharier.
Das Verhältniss zwischen ihnen und der übrigen Dorf-
bevölkerung war das friedlichste und beste, wenn auch durchaus
kein inniges. Andersgläubigen gegenüber waren sie noch immer
zurückhaltend und misstrauisch, wie sie es von ihren Vätern
1 Kereszt. Magvetö XVIII. S. 41.
s S. das flg. Capitel.
» Ein Theil der Dorfbevölkerung besteht aus Walachen (Rumänen), von
welchen sich aber kein einziger den Sabbathariern angeschlossen hat
* r b ä n, a. a. 0. I. S. 146 hebt diesen Umstand nachdrücklich hervor.
265
Überkommen hatten, die Jahrhunderte lang vor Angel)erei zu
zittern hatten. Wohl wurden sie seit dem Sturze des Absolu-
tismus und der Wiederherstellung der freisinnigen ungarischen
Verfassung ihres Glaubens wegen nicht mehr verfolgt, aber
das alte Gesetz, welches diesen Glauben mit den strengsten
Strafen verfolgte, bestand noch immer in Kraft. Die schonungs-
volle Nachsicht, deren sie sich zu erfreuen hatten, konnte über
kurz oder lang wieder der schonungslosesten Verfolgung weichen^
und die traurigen Erfahrungen der Vergangenheit mahnten sie
dringend zur Vorsicht. Uebermüthige und ausgelassene Sabba-
tharierkinder, die vor ihren Spielgefährten mit Crucifixen,
Rosenkränzen und Heiligenbildern ihren Spott trieben, ver-
riethen wohl hie und da den Geist, in dem sie zuhause erzogen
wurden :i aber die Erwachsenen unterdrückten jede Aousserung
und verbargen sorgfältig jede religiöse Uebung, aus welcher
man über kurz oder lang eine verhängnissvolle Anklage gegen
sie schmieden konnte. Darum sahen sie Christen noch immer
nicht gerne in ihren Häusern. Dazu kamen noch mehrere reli-
giöse Bräuche und Vorschriften, die sie ängstlich beobachteten.
So benutzten sie unter keinen Umständen von Christen gebrauch-
tes Küchengeräth, weil es zur Anfertigung oder Aufbewahrung
solcher Speisen diente, die ihnen als verboten galten; noch
weniger mochten sie ihr eigenes Küchengeräth den Christen
zum Gebrauche leihen, oder aus einer Schüssel mit ihnen essen.
Desshalb erschienen sie nie bei den Hochzeits- oder Leichen-
mahlen ihrer Nachbarn. Ehen mit Nicht-Sabbathariern ' galten
für verpönt: »ein sabbatharisches Mädchen heiratete nie einen
Christen, ein sabbatharischer Mann nahm nie eine Christin zum
Weibe, es sei denn, dass sie vorher Sabbatharierin wurde.»»
Den Juden gegenüber beobachteten sie genau das ent-
gegengesetzte Verhalten. In der Umgebung von Bözöd-Ujfalü
hatten sich nämlich mittlerweile einige Juden niedergelassen,
in dem benachbarten Erdö-Szt -György war sogar eine kleine
jüdische Gemeinde entstanden, und seitdem pflegten sich hie
und da auch jüdische Reisende, oder wandernde Gesellen im
Dorfe blicken zu lassen. So oft das geschah, suchten die Sabba-
tharier den betreffenden Juden auf und waren glücklich, wenn
^ Acta Paroch., Bericht des Dechanten Betegh.
« r b ä n, a. a. 0. I. S. 149.
8#6
0t i^mft dpmgenden BinlÄdiWff felgeTid, vo^ ifep^r QastfreuiKi-
ßßkf^ Göbrauoh n^obte.^ Ih^^e dur(?h SeliöBh^it weitbefühmten
T&^btef^ Wltrea gßvfk/^ bereit, ^i^ QfMmikB^ ^^o^ Jinien z^u werden,
wran sioH solche fanden^ die t^ heivaten mochten.
Di^ benn^bbarten Juden epwiedeBli^p nämlich keinesweg's
da0 freuBdUahen Gefühle, welche die ^bb^thapier ihnen ent-
§P«90nb7aphteQ. Wohl waren ^ie l^et^terei^ was religiöse An-
SPhl^UUngen und Bräuche anbetrifft, nahezu Juden geworden,
ßib^v es gab doch noch mehrere, im Sinne des Ji^denthumes
wißhtlge religiöse Vorschriften, welche sie entweder gar nicht,
od» nur unvollständig erfüllten. So übten sie z. B. die rituelle
Beschneidung, welche vordem bei ihnen gebräuchlich war, sie
a^er auch ihren Anklägern und Verfolgern ausliefern konnte,
dMf^als schon seit vielen Pecennien nicht mehr.^ Und waiB die
Hauptsache way: weder sie noch ihre Eltern waren ja förmliph
in ÖBn Verband des Judenthums aufgenommen worden. Infolge
dessen galten sie den rigorosen Anschauungen huldigenden
orthodoxen Juden — und die Juden dieser Gegend sind noch
heute solche — vollständig als Andersgläubige. Ja noch mehr,
sie wurden von den Juden verspottet und Fledermäuse
genannt, das heisst, Geschöpfe, die weder Vögel noch Mäuse,
weder Christen noch Juden sind.* Kein Jude ass mit ihnen aus
einer Schüssel. Eine Jüdin wurde nie die Frau eines Sabba-
th«riers, und nur unter den von andern Gegenden dorthin
verschlagenen, in Glaubenssachen weniger strengen Juden
fanden sich einige, die ausnahmsweise eine Sabbatharierin
* Acta Paroch. Aufzeichnungen des PfaiTers Georg Lukäcs; Orbän
a. a. 0. I. S. 160.
» Kin sz^ler Sprichwort lautet: „Schön, wie die Weiber von Bözöd.]
» Orban, a. a. 0. I. S, HS und 149 und Vasarnapi Ujsäg 1873 S. 202
bebauptei), wie sich aus dem folgenden Qs^pitel ergabt, mit Unrecht das Entgegen-
gesetzte. Beschnittene Sabbatharier gab es nur bis gegen Ende des XVIF. Jahr-
hunderts und dann wieder i. J. 1868, als sie anfingen zum Judenthurae zu über-
tieten. Unter allen sabbathaidschen Knaben, Männern und Greisen, die damals
inkien wurden, war kein emsiger bereits besohnitten.
^ r b a Q, s^. a. 0. S, 150. Betegh, in seinem melu'fach erwS^nten Berichte
er?,ähjt zweimal, 4ass die Sabbatharier von den Juden »bunte Hunde* (halb
Juden, halb Christen) genannt werden, und fügt hinzu: »ein der Juden würdiges
Wort;* thatsächlich hat es aber der unitarische Pfarrer von Bözöd-Ujfolu auf
die dortigen Sabbatharier angewendet. S. Duz, Aus Ungarn S. 274 u. Szäzadok ,
1876, S. 220.
267
heirateten, aber erst nachdem sie zum Judenthume über-
treten war.^
Bei alledem haben die benachbarten Juden- einen unver-
kennbaren Einfluss auf das religiöse Leben der letzten Sabba-
tharieF geübt. Diese sahen nämlich in religiösen Angelegen-
heiten in den Juden ihre Lehrmeister, welchen sie bestrebt
waren, das Eine oder das Andere abzulauschen. Zu diesem
Zwecke suchten sie ihre Kinder in den Häusern der benach-
barten Juden von Erdö-Szent-György als Dienstboten, wenn
auch ohne Bezahlung, unterzubringen.* Dieser Umstand erklärt
die Thatsache, dass bei den Sabbathariern seit ungefähr dem
Jahre 1850 auch solche jüdische, speciell kabbalistische Bräuche
und Anschauungen Eingang fanden, die ihnen vordem fremd
gewesen sind.
Wenn sie eine Ehe schlössen, Hessen sie die Trauung
zunächst durch den Geistlichen jener Kirche vornehmen, der
sie äusserlich angehörten, sodann aber Hessen sie das Braut-
paar durch ihren zeitweiligen »Rabbiner« unter dem Trauhim
mel und genau nach jüdischem Ritus von neuem trauen. Der
jungen Frau wurden nach orthodox-jüdischem Brauche sofort
die Haare abgeschnitten; von da ab durfte sie öffentlich nicht
anders, als mit bedecktem Haupte, in der Regel mit einem bis
zur Stirne reichenden Kopftuch erscheinen. Neben ihre Leichen
stellten sie eine brennende Kerze, oder Lampe und ein Gefass
mit Wasser hin.* Ausserdem hatten sie den jüdischen Volks-
glauben übernommen, nach welchem einige Tage nach der
Beerdigung am betreffenden Grabe ein Engel erscheint, dem
der Todte alle Sünden und Verirrungen seines Lebens auf-
zählen muss. Je nach der Anzahl und Grösse derselben wird
^ Orbän, a. a. 0. das. Vgl. ob. S. 244 und das im folgenden Gapitel
über Salomon Wolfinger Gesagte.
• Egyenluseg, VI. Jahrg. Nr. 9, S. 4. Die dort enthaltenen Angaben sind
nur mit Bezug auf die hier besprochenen zeitgenössischen Verhältnisse der
letzten Sabbatbarier verlässlich.
* Unter den im Berichte des Dechant«n Betegh (s. ob. S. 262 Anm. 1)
angegebenen «abergläubischen, brahrainischen (?) Bräuchen", mit welchen die
Sabbatbarier ihre Todten betrauern, dürften nur die hier angeführten jüdischen
wirklich in üebung gewesen sein : davon, dass sie „auf ihre Gräber Speise und
Trank zu geben pflegten*, wissen die übrigen Quellen nichts zu erzählen, es
wäre auch schwer abzusehen, woher die Sabbatbarier diesen Brauch genommen
haben sollten.
268
er sodann von dem Engel — die Juden nennen in Duma —
mit feurigen Ruthen gezüchtigt, seine Seele geht aber erst
nach kürzerem, oder längerem qualvollem Umherirren in die
Ewigkeit ein. Ferner glaubten sie an böse Geister und fasteten
häufig, um sich gegen deren Verfolgungen zu schützen; auch
die üblen Folgen böser Träume suchten sie durch Fasten und
durch die für diesen Zweck bestimmten jüdischen Gebete und
Formeln abzuwenden.^ Sie kannten die jüdische Legende vom
Sambation, dem sagenhaften Flusse, der die Grenze des
Reiches der exilirten zehn jüdischen Stämme schützt, die ganze
Woche über Steine auswirft, am Sabbath aber ruht. Sogar die
Märchen und Lügen, welche über den Wunderrabbi von Sada-
gora cursirten, wurden von ihnen begierig aufgegriffen.
Die Betstuben in ihren Häusern (ob. 259) wurden jetzt,
nach Art der Synagogen, derart eingerichtet, dass sie gen Osten
lagen. Dort zündeten sie Freitag abends die Sabbathlichter an,
und dort sollen sie auch, nach einem übrigens kaum verläss-
lichen Berichte, ihre Gebete, in Nachahmung des bekannten
jüdischen Brauches, bereits im Gebetmantel und mit Gebet-
riemen verrichtet haben. Die zum Genüsse bestimmten Thiere
Hessen sie nur durch ihren jeweiligen »Rabbiner« schlachten,
der dafür nach jedem Stücke ein kleine Taxe erhob; von Juden
geschlachtete Thiere, oder von jüdischen Metzgern feilgebotenes
Fleisch assen sie ohne weiteres.^ Als bezeichnend sei noch der
Umstand hervorgehoben, dass ein um 1850 — 1860 entstandenes
Exemplar des sabbatharischen Gesangbuchs auf der letzten
Seite des Heftes beginnt. Der Copist hat die ungarischen Lieder
derart abgeschrieben, dass er die einzelnen Blätter, wie es bei
hebräischen Büchern üblich ist, von rechts nach links
aufeinander folgen lässt.'
^ Die betreffenden Gebete und Formeln finden sich in zahlreichen Exem-
plaren das Gebet- und Ritualienbuches als offenbar sehr späte Nachträge.
> Ueber das religiöse Leben im letzten Decennium des Sabbatharierthums
vgl. r b a n, a. a. 0. I. S. 146 u. 148—150 ; Vasarnapi Ujsäg 1873. S. 167—8
u. 202 flg. ; Egyenlös^g VI. Jahrg. No. 9 ; femer den Bericht des Dechanten
B e t e gh ; den des katholischen Pfarrers von Bözöd-Ujfalü| Joseph Sehest
V. 22. Novemb. 1868 im Landesarchiv zu Ofen, Abtheilung des Gultus- u. Unter-
richtsministeriums ad 28. Z. 979 — 1868, sowie den Bericht des Oberrichters von
Udvarhelyszök, das. Z. 2419—1869.
' Das betreffende Exemplar befindet sich unter. den Handschriften des
Ung. Nationalmuseums zu Budapest.
269
Bei solchen religiösen Anschauungen und Bräuchen ist
es nicht überraschend, dass ein durch Bozöd-Ujfalü reisender
»Volkslehrer mosaischer Religion« in einem älteren sabbatha-
rischen Gebet- und Ritualienbuche, sicherlich zur nicht geringen
Befriedigung des Besitzers, in ungarischer Sprache folgendes
vermerkte: »Die der szekler Nation angehörigen
Bekenner der mosaischen Religion hatte ich das
Glück zu besuchen am 11. Tammus d. J. 5623, das ist am 28-
Juni 1863.«^
Die damaligen Sabbatharier waren bereits thatsächlich
nur noch einen Schritt vom Judenthume entfernt, und dieser
letzte Schritt, der formelle Uebertritt zum Judenthum, sollte
kaum fünf Jahre später geschehen. Sie warteten schon lange
auf die günstige Gelegenheit dazu; sie ergriffen sie, sobald sie
sie gekommen wähnten.
Der Uebertritt der Sabbatharier zum Judenthum.
Am 22. December 1867 sprach der ungarische Landtage
am darauffolgenden Tage das ungarische Oberhaus die Eman-
cipation der Juden aus. Dieses Ereigniss wurde von den
Sabbathariern als Vorbote der Erlösung begrüsst. Kaum war
die grosse Neuigkeit zu ihnen gedrungen, dass, wie einer von
ihnen sich später, gelegentlich seiner gerichtlichen Vernehmung^
ausdrückte, »der Jude in einen Rang mit dem Ungarn erhoben
wurde, und der Landtag gestattet hat, dass der Jude gleich
jedem Andern seinem Gotte frei dienen darf:» als die Sabba-
tharier, die sich schon längst als Juden fühlten, ihrer Freude
um so lärmendem Ausdruck gaben, je länger sie ihre innersten
Gefühle hatten verbergen müssen. Die Bözöd-Ujfaluer begingen
ein dreitägiges Freudenfest und zogen nach dem benachbarten
Erdö-Szent-György, wo sie die erfolgte Gleichberechtigung der
Juden vor der Synagoge mit öffentlichen Aufzügen und Tänzen
feierten.2 Sodann aber ersuchten mehrere von ihnen den in
1 Darunter ebenfalls ungarisch: „Julius (Schermer) Gsernyei, Volkslehrer
mosaischer Religion.* Das betreffende Exemplar ist Eigenthum der Bibliothek
der Landesrabbinersehule zu Budapest.
* S. den Bericht des Dechanten B e t e g h, sowie den des bischöflichea
Vertreters Johann Raduly v. 27. Juni 1868 im Landesarchiv zu Ofen Gultus-
u. Unterr. Minist. Z. 12802—868.
270
ihrer Mitte fnhfwidftiR Juden Salomon Woifinger, er möchte sie
hebräisch Lesen und Bfeptea lehren: Wolflnger erfüllte ihre
Bitte, und seine Schüler, ger eifte ^, zumeist schon ergraute
Männer, lauschten in den langen WintdratlQülden mit g-efspantiter
Aufmerksamkeit den Worten ihres jungeli Leders, deseeii
gesammtes jüdisch-theologisches Wissen sich auf cbe^ Lesen
des Hebräischen und auf die gewöhnlichen Kenntnisse des
jüdischen Alltagslebens beschränkte.^
Dieser Wolfinger war in Zenta, in Südungam, geboren,
und als wandernder Seifensiedergeselle nach Bözöd-Ujfalu ge-
kommen. Dort heiratete er im Jahre 1864 die Tochter des
wohlhabenden Sabbathariers Samuel Paul Koväcs, die im ge-
heimen Jüdin geworden und, wie oben (S. 244) erzählt wurde,
von dem damaligen Bischof Hajnald gezwungen ward, ihren
jüdischen Gatten, einen gewissen Jacob Rosner in Heviz, zu
verlassen, und mit ihrem Kind ins Elternhaus zurückkehren.
Die von ihrem Gatten gewaltsam Getrennte nahm von dem-
selben den rituellen Scheidebrief entgegen und wurde sodann
die Gattin WolGngers, der sich i. J. 1865 als Seifensieder in
Maros-Ludas niederliess. Als seine dortige Werkstätte nieder-
brannte, kehrte er nach Bözöd-Ujfalu zurück, wo er mit Hilfe
seines Schwiegervaters einen Kaufladen eröffnete und in den
Ereignissen, welche den Uebertritt der Sabbatharier begleiteten,
eine nicht geringe Rolle spielte.
Ein noch freudigeres Aufsehen, als die gEmancipation der
Juden erregte im Lager der Sabbatharier der bald darauf dem
Landtage unterbreitete Gesetzentwurf zur Regelung der con-
fessionellen Verhältnisse. Die betrefiende Nachricht wurde
ihnen von dem Dorfnotar Alexander Koväcs, der selber Sabba-
tharier war, mitgetheilt; er hatte sie dem »Zeitungsblattea ent-
nommen, welches auf Kosten der Dorfgemeinde gehalten wurde,
und sie so dargestellt, als ob der Gesetzentwurf bereits sanc-
* Nach dctei Berichte von Raduly hfttte er sich vob |edem seiner
Schüler fünf Gulden zahlen lassen, was Wolfinger, den ich zweimal persönlich
sprach, entschieden in Abrede stellt Derselbe — er wohnt -gegenwärtig in
Homorod-Szent-Pal (Siebenbürgen) — hat mir erst mündlich, später auch sishrift-
lich die Geschichte des Uebertrittes der Sabbatharier dargestellt, scmie die Rolle,
die er selber dabei spielte. Seine Angaben berichUgen, beziehungsweise ergänzen
die anderweitigen, zumeist von Mäanern der Xirche herrührenden, amtlichen
Berichte.
971
tionirtes Gesetz wäre. Die Sabbatharier griffen die grosse
Neuig-keit begierig auf und glaubten fest, »d^ss jetzt Jeder, dör
achtzehn Jahre alt geworden ist, zu welcher Religion immcir
übertreten könne,« selbstverständlich auch zu der der emän-
cipirten Juden. In diesem Glauben bestärkte sie auch Wol-
finger, der aus einem jüdisch-confessionellen Blatte Aehnliches
hinausgelesen hatte, ferner ein jüdischer »Schreiber« aus Dics6-
Szent-Märton, namens Geiger, der um diese Zeit durch Bözöd-
Ujfalu reiste, und auf die Frage der Sabbatharier, ob der
Uebertritt zum Judenthume jetzt wirklich gestattet sei, mit
einem entschiedenen Ja antwortete.^
Unter den Sabbathariern begann jetzt edne mächtige,
wie sich später zeigte, unaufhaltsame Bewegung, deren End-
ziel der öffentliche Uebertitt zum Judenthume war.
Auch bei dieser Gelegenheit zeichneten sich die Frauen
durch ihren fanatischen Eifer aus. Sie waren die ersten, die
den Muth hatten, an die Verwirklichung des geplanten Reli-
gionswechsels zu gehen. Einzelne Sabbatharierinnen gaben näm-
lich bereits am Anfang des Jahres 1868 vor dem Pfarrer von
Bözöd-Ujfalu die Erklärung ab, dass sie aus der katholischen
Kirche austreten und Jüdinnen werden wollen, was sie sich
von den Zeugen," die sie bei Abgabe dieser Erklärung mit-
nahmen, schriftlich bestätigen Hessen. 2 Bald darauf stellten sich
zwei alte Sabbatharier, der 67-jährige Paul Stephan Koväcs in
Bözöd-Ujfalu und der 66-jährige Moses Koväcs in Ernye, wo
damals noch 6 sabbatharische Familien lebten, an die Spitze
der bis dahin planlos verlaufenden Bewegung. Diese beiden
wandten sich gegen Ende April 1868 an Wolfinger und ersuch-
ten ihn, er möge ihnen dazu verhelfen, dass sie und ihre
Familienangehörigen in den Verband des Judenthumes auf-
genommen werden.
Das Resultat ihrer gemeinschaftlichen Berathungen war
der Beschluss, in dieser Angelegenheit eine Eingabe an das
ungarische Cultusministerium zu machen. Wolfinger, der sich
die Fähigkeit zur Abfassung eines solchen nicht zutraute, Hess
* S. den Bericht B e t e g h s, sowie den des Gubfemimns vöö S^henbürgen
V, 4. März 1869 im Ofner Landesarchiv Z. 2469—1869.
« S. Magyar-Zsidö Szemle II. S. 551; die Originale raöfapertst ähnfichör
Zeugnisse sind in meinem Besitze.
272
dieselbe von dem obenerwähnten »Schreiber« namens Geiger,
einer sonst ganz •unbekannten, aber den Sabbathariern offenbar
als Autorität geltenden Persönlichkeit, in deutscher Sprache
anfertigen. In dieser Eingabe setzten sie auseinander, sie seien
die Nachkommen Jener, die bereits seit 380 Jahren,^ bald im
geheimen, bald öffentlich jüdische Bräuche und Ceremonien
üben, jetzt aber »mitsammt^ihren Hausleuten mit Leib und Seele
Juden geworden sind.« Sodann beriefen sie sich auf den Erlass
des siebenbürgischen Guberniums vom 26. April 1834, der, wie
wir oben (S. 244) gesehen, das weitere Verfahren gegen die
angeklagten Sabbatharier wegen Mangel an Beweisen sistirt
hatte, durch den sie, ihrer Darstellung nach, bereits als Juden
anerkannt worden seien. Hierauf sich berufend, »flehen sie, die
hohe Regierung möge sie in der Reihe der übrigen Juden als
Juden anerkennen.« Das ziemlich ungeschickt und dazu noch
fehlerhaft geschriebene Gesuch wurde von neunzehn Sabba-
thariern, darunter nicht weniger als vierzehn Koväcs, unter-
schrieben und am 1. Mai nach Ofen, dem damaligen Sitze der
ungarischen Regierung, abgeschickt.'-^
Die Bittsteller waren jedoch viel zu ungeduldig, die Er-
ledigung dieses Gesuches abzuwarten; vielleicht wollten sie
auch vollendete Thatsachen schaffen, genug, sie gingen sofort
daran, ihren Uebertritt zu verwirklichen. Schon am 2. Mai, also
einen Tag nach Absendung des Gesuches, erschienen die oben-
erwähnten beiden alten Koväcs vor dem Pfarrer Joseph Sebesi
und meldeten ihm ihren Austritt aus der katholischen Kirche
mit dem Bemerken an, dass sie Juden werden wollen. Dieselbe
Erklärung wiederholten sie noch zweimal, worüber sie sich
von den zu diesem Behufe mitgenommene Zeugen eine schrift-
liche Bestätigung ausstellen Hessen,» sodann aber ersuchten
sie Wolfinger um seine Vermittlung bei dem Rabbiner von
* EiDe, wahrscheinlich durch Unwissenheit unterstützte pia frans, die das
Sabbat harierthum um ein Jahrhundert älter, und dadurch ehrwürdiger machen
sollte. Die um 1588 entstandene Secte bestand damals (1868) erst zweihundert-
achtzig Jahre.
> Ung. Landesarchiv in dem Fascikel Nr. 12660—1868. Dass die Eingabe nach
Wolfingers Angaben von dem oben genannten Geiger abgefasst wurde, hat mir
Ersterer berichtet.
* Die betreffenden Schriftstücke sind in meinem Besitze.
273
Erdö-Szent-György, bei dem sie ihren Uebertritt zum Juden-
thum bewerksteUigen wollten.
»Ich habe nicht geglaubt — schreibt Wolfinger — dass
sie sich mit solcher Hingebung der schweren Operation und
der darauf folgenden Krankheit aussetzen werden. Ich setzte
ihnen die Schwierigkeiten ihres Vorhabens auseinander, aber
sie verharrten fest bei ihrem ernsten Entschlüsse. Sie beriefen
den Schächter von Erdö-Szt.-György, der dort auch die rituellen
Beschneidungen vorzunehmen pflegte, nach Bözöd-Üjfalu, wo er
am 31. Mai an beiden die schmerzhafte Operation vollzog.
Drei Wochen später waren sie vollständig geheilt. Paul Stephan
Koväcs erhielt den Proselytennamen Abraham, Moses Koväcs
den Namen Abraham Isaak «^
Das Beispiel wirkte. Von da ab erschienen die Sabba-
tharier, von ihren Zeugen begleitet, in immer grösserer Anzahl
vor dem katholischen, beziehungsweise calvinischen Geistlichen
des Dorfes, um ihren Austritt aus der Kirche, der sie auch
bisher nur äusserlich angehört hatten, und ihren Uebertritt
zum Juden thum anzumelden. 2
Die Aufsehen erregenden Vorgänge in Bözöd-Ujfalu konn-
ten nicht verfehlen, die Aufmerksamkeit der kirchlichen Be-
hörden auf sich zu lenken und deren Eingreifen herauszufor-
dern. Am schnellsten und entschiedensten ging die am besten
organisirte Kirche des Landes, die katholische vor. Auf An-
ordnung des bischöflichen Amtes der siebenbürgischen Katho-
liken erschien bereits am 15. Juni eine Commission in Bözöd-
Ujfalu, welche gegen den dortigen Pfarrer Joseph Sebesi, »unter
dessen Leitung die Sache der katholischen Kirche daselbst
nicht nur nicht gedeiht, sondern binnen kurzem unterzugehen
droht«, eine Untersuchung einleitete. Dieselbe erstreckte sich
^ Wolfingers brieflicher Bericht an mich, bestätigt durch das Original
der in meinem Besitze befindlichen Beschneidungsliste des als Operateur fungi-
renden Schächter^'. Dass Letzlerem, der gleichzeitig Pächter der Fleischbank in
Erdö-Szt.-György war, j,die dortigen Christen und Juden das Recht der weiteren
Fleischausschrotung entzogen, weil er sein Schlachtmesser zur
Beschneidung der Sabbatharier von Bözöd-Ujfalu benutzt hatte", ist eine
der in Beteghs Berichten häufig vorkommenden Märchen, die man ihn
während seines kurzen Aufenthaltes in Bözöd-Ujfalu glauben gemacht hatte ;
vgl. ob S. 262 Anm. 1.
* Die betreffenden, von den mitgenommenen Zeugen unterfertigten Schrift-
slücke sind ebenfalls in meinem Besitze.
Dr Kobn : Sabbatharier. 18
274
auch auf die Angelegenheit der Sabbatharier, die damals bereits
»ohne jede Geheimthuerei, öffentlich erklärten, dass sie mo-
saischer Religion seien und sämmtlich Juden werden wollen.« *
Auf Grund der einlangenden Berichte erstattete Bischof Fogarasy
am 27. Juni an das siebenbürgische Gubernium eine amtliche
Anzeige über die Vorgänge in Bözöd-Ujfalu, und forderte mit
Entschiedenheit die Bestrafung der gesetzwidrigen Ausschrei-
tungen und der dem Christenthum widerfahrenen Belei-
digungen.2
Mittlerweile hatte das Cultus- und Unterrichtsministerium
(am 12. Juni) das Bittgesuch der Sabbatharier dem siebenbür-
gischen Gubernium zugestellt mit dem Auftrage, es möge die
auf die Rechtsverhältnisse der Sabbatharier Bezug habenden
älteren und neueren Urkunden und sonstigen Schriftstücke
beschaffen und einsenden, und gleichzeitig »einen erschöpfenden
Bericht erstatten über die gegenwärtige Seelenanzahl und die
Aufenthaltsorte dieser angeblichen Confession, über ihre sitt-
lichen Zustände, ihr Verhältniss zu den andern Confessionen,
und über ihre gesammten Verhältnisse im allgemeinen.«*
Das Gubernium ging mit grossem Fleisse daran, in den
verschiedenen Archiven des Landes nach den geforderten Docu-
menten zu forschen, forderte aber erst am 30. November den
Oberstuhlrichter des UdvarhelyerSzeklerstuhlesauf, dienöthigen
Erhebungen über die dermaligen Verhältnisse der Sabbatharier
zu machen.*
Während über die Vergangenheit und Gegenwart der
Sabbatharier Nachforschungen angestellt wurden, waren diese
in der einmal eingeschlagenen Richtung mit Entschiedenheit
weiter vorwärts gegangen. Bis zum 30. November hatten sich
bereits 37 sabbatharische Männer in den Bund Abrahams auf-
nehmen lassen, an einem Tage, dem 15. November, nicht
weniger als elf.ß Die Zahl der zum Judenthum übergetretenen
^ Vgl. den Bericht des bischöflichen Verwesers Jobann R a d u 1 y v. S7. Juni
1869, Z. 1911 im Ung. Landesarchiv, Cultus- und Ünterr.-Minist. Nr. 12802—1869
und den Bericht Beteghs. a. a. 0. das.
• üng. Landesarchiv, das. ad Z. 28779—1866, das betreffende Actenstück
trägt die Z. 3817—1868.
3 Das. Z. 6750 ad 12560—368.
« Das. ad 12560—368.
* Nach dem obenerwähnten Beschneidungsregister.
276
Frauen und Mädchen dürfte kaum eine geringere gewesen sein.^
Säihmtliche Proselyten nahmen den Namen Abraham an,
welchem sie zur Unterscheidung noch einen zweiten hinzu-
fügten, so dass der erste Proselyt Abraham Isaalj hiess, der
zweite Abraham Jakob, der dritte Abraham Rüben, und so
weiter nach der Reihenfolge der biblischen Patriarchen. Die
Frauen erhielten gelegentlich ihres Uebertrittes theils biblische,
theils anderweitige jüdische Namen.2
Der Massenübertritt der Sabbatharier zum Judenthumc
überraschte und verblüffte und galt, namentlich in den Kreisen
der katholischen Kirche, als eine räthselhafte Erscheinung. Da
man die mehr als dritthalbhundertjährige Geschichte dieser
Secte und die allmälige Entwicklung ihrer religiösen Ansichten
nicht kannte, vermochte man sich die Ereignisse in Bözöd-
Ujfalu nur durch eine im geheimen betriebene Agitation zu
erklären. Man glaubte und verbreitete, dass die ganze Bewegung
von den Juden hervorgerufen und unterhalten werde, welche
den Sabbathariern den Uebertritt zum Judenthum mit klin-
gender Münze bezahlen.
Joseph Csatö, Erzdechant des Udvarhely-Szekler Bezirks,
forderte den schon mehrfach genannten Pfarrer von Bözöd-Ujfalu,
Joseph Sebesi, anfangs November zur Berichterstattung über
den Stand der sabbatharischen Angelegenheit auf. Der Pfarrer
bestätigt in seiner Antwort vom 22. November, dass der grösste
Theil der Sabbatharier bereits zum Judenthum übertreten sei,
woran neben der Emancipation der Juden hauptsächlich die
Ueberredungskünste und listigen Vorspiegelungen Wolfingers
Schuld seien. Er zählt neunundzwanzig Sabbatharier, 9 Männer,
6 Frauen und 14 Kinder, darunter sechzehn der Familie Kovacs
Angehörige auf, die sich vordem als Katholiken bekannten,
jetzt aber erklärt haben, dass sie »nicht zweien Herren
dienen wollen«« und deshalb »zu dem von ihnen im geheimen
von Herzen verehrten Judenthum zu übertreten wünschen.«
Ferner berichtet er, dass die Beschneidung »an vielen, namenl-
1 S. die Berichte von Sebesi und B e t e g h, verglichen mit dem Be-
schneidungsregister.
' Bezüglich der Namen s. den Bericht von Betegh und das Beschnei-
dungsregister.
» D. h. im Herzen Juden, äusserlich Katholiken sein wollen.
17*
276
lieh an den Jünglingen, mit Gewalt vorgenommen wird, inden
man sie ans Bett bindet, oder in demselben festhält,« und füg
hinzu: »auch das wird erzählt, dass diejenigen, die siel
freiwillig der Beschneidung unterziehen, 50 Gulden als Beloh
nung bekommen.« Sein in mehrfacher Beziehung auf falsclie]
Informationen^ beruhender Bericht schliesst mit der Klage, dasj
die Behörden, trotzdem sie von allem dem Kenntniss haben
gegen die Vorgänge, die auf der »verfluchten Erde diesej
Sodom und Gomorrha« stattgefunden, durchaus nicht eing-e
schritten sind.^
Mittlerweile hatte aber der Erzdechant, ohne erst den
Bericht des Pfarrers abzuwarten, bereits am 20 Novenibei
den Dechanten des Udvarhelyer Bezirks, Emerich Betegh, nach
BÖzöd-Ujfalu entsendet, damit er die Angelegenheit der Sabba-
tharier in möglichst geräuschloser Weise untersuche. Beteg-h
erschien am 26. November in Bözöd-üjfalu, Hess die vordem
katholisch gewesenen Sabbatharier vorrufen, und unterzog sie
einzeln einem eingehenden Verhöre. Aus dem mit ihnen auf-
genommenen Protokolle mögen einige interessante und für die
Entstehung und den weiteren Verlauf dieser Uebertrittsbewe-
gung, sowie für die naive Auffassung der Proselyten lehrreiche
Einzelheiten hier eine Stelle finden.
Das von dem Dechanten abgefasste Protokoll' beginnt
folgendermassen :
1. Es erschien der wohlhabendste Sabbatharier, so zu sagen ihr Haupt,
Samuel Paul Koväcs, 68 Jahre alt, in seiner eigenen und seines Bruders Daniel
Vertretung. Freundlich befragt, ob es wahr sei, was wir über sie hören und
sogar in den Zeitungen lesen, dass sie nämUch Juden geworden seien, antwortete
er aufrichtig und mit der grössten OflFenheiL: ,Ja, es ist wahrl War es doch,
so sagte er, auch früher schon bekannt, dass sie im geheimen die Religion
1 Zu diesen gehört, ausser der gewaltsamen Beschneidung und der
Bezahlung von 50 Gulden für die freiwillige, auch die Angabe, dass der Rabbiner
von Erdö-Szt.-György, die in christlicher Ehe lebenden Proselyten, erst scheide
und, nachdem er ihre Ehe aufgelöst hat, von neuem traue. Es existirt
kein jüdisches Gesetz, welches in dem vorUegenden Falle die verbergende Auf-
lösung der Ehe fordern würde.
' S. den Bericht v. 22. Novcmb., Z. 28 im Ung. Landesarchiv. Das. Nr.
28979- 1868.
» S. das seinem Berichte beigelegte Protokoll im Ung. Landesarchiv das
in dem Fascikel ad Nr. 23979—1868.
277
Moses beobachten, weshalb sie und ihre Väter viel gequält worden sind, so sehr,
dass ein Theil ihrer Verwandten im vorigen Jahrhunderte gezwungen war, zum
Wanderstab zu greifen und nach der Türkei zu flüchten. Jetzt aber, nachdem,
Gott sei Dank dafür, der Jude in einen Rang mit den Ungarn erhoben wurde,
sind wir alle gleich geworden, und der Landtag bat gestattet, dass der Jude,
gleich jedem Andern, seinem Gölte frei dienen darf, und dass Jeder, der sein
ahtzehntes Lebensjahr erreicht hat, zu welcher Religion immer übertreten kann.".
Hierauf sagte ich: Gevatter Samuel! Die Emancipation der Juden und die ihnen
gewährte freie Uebung ihrer eigenen Religion ist etwas ganz anderes als die
Irlaubniss, aus der einen staatlich anerkannten christlichen Religion zu der
andern zu übertreten ; aber darüber, dass ein Christ Jude werden könne, gibt
es kein Gesetz. Hierauf erwiederte er, ihnen sei in der Zeitung die Nachricht
zugekommen, dass der üebertritt frei sei, und sollte es nöthig sein, werden sie
es auch zeigen. Hierauf sagte ich ihm, der Gultusminister habe dem Landtag
einen Gesetzentwurf bezügUch des freien Uebertrittes von der einen christüchen
Confession zu der anderen vorgelegt, in demselben ist aber keine Rede von der
Gestaltung des üebertrilts zum Judenlhum : endlich aber ist auch dieser Gesetz-
entwurf noch nicht bestätigt worden. Er erwiederte, ihr Üebertritt ist gesetzlich
und es gebe nichts auf Erden, was sie zurückhalten könnte,
das Jüdenthum zu bekennen; in demselben lebten, sprach
er, unsere Ahnen, auch wir entfernen uns nicht von ihm.
Schliesshch frug ich ihn, wie er auf seine alten Tage dahin kommen konnte,
>ich beschneiden zu lassen? Ob ihm denn sein Christenthum nicht leid thäte?
Ob er sich denn nicht schäme, seine ruhmvolle szekler Nationalität mit der
überall verachteten, an manchen Orten* sogar gehassten und noch immer ver-
folgten jüdischen Nationalität zu vertauschen ? Auf die er=te Frage erwiederte
er; er lasse sich nicht nur mit Freuden beschneiden, son-
dern wäre auch gerne bereit sich die Kehle abschneiden
zulassen, um in das gelobte Land zu gelangen. Auf die zweite :
^f halte es nicht nur für keine Schande, sondern es ist
seine F reude und sein Ruhm, dass er zu den Nachkommen
'Abrahams gehört, denn aus ihrer Nation wird der Messias hervorgehen;
-ie seien auch bereits die wohlhabendste und einfluss-
feichste Nation, deshalb habe sie der ungarische Landlag auch anerkannt,
Soda nn aber können einst nur si e und sonst keinAnderer
D das gelobte Land gelangen. „Und nachde*n — so fuhr er fort —
(iis Sprichwort sagt: .Ob ich trinke, oder nicht, man von mir als von einem
^^tmnkenen spricht', und man uns bereits damals mit dem Schimpfwort Juden
belegte, als wir unsere ReUgion noch im geheimen übten: wollen wir jetzt
(^ffenund freudig unseren Glauben b ek^nnen. damit wir mit
Hecht den Namen Jude führen. Wir hatten und haben, Gottlob, ein schönes
jüdisches Gebetbuch in ungarischer Sprache, nach demselben verrichten wir
unsere religiösen Obligenheiten.^ Ich bin zwar noch nicht beschnitten ; wenn ich
aber lebe, werde ich binnen kurzem meinen Herzenswunsch
* P^his Gebete mid Rilualienbuch enthält auch ilie Anweisungen zur
Übung der jüdisch-religiösen Bräuche; s. ob. S. 181 flg:
278
erfüllt haben; ich bin auch bereits zweimal vor dem ehrwürdigen Herrn
erschienen und bereit, wenn nöthig, es jetzt noch ein drittesmal zu thun.**
Anmerkung. Nachdem ich die traurige Ueberzeugung von den m u-
tbigen, offenen Aeusserungen des Samuel Paul Koväcs gewonnen
hatte, frug ich ihn, ob jemand sie hiezu verleitet, ihnen Versprechungen oder
Geschenke gemacht hat ? Er antwortete : Nein ! Hierauf entliess ich ihn mit der
Ermahnung, dass er das Christenthum und den glorreichen ungarischen und
sz6kler Namen durch seinen unbesonnenen Schritt nicht beflecken möge — «ed
jam serum est ! . . .*
Als Zweiter erschien Paul Nagy, 24 Jahre alt, vordem katholisch, ein
Kernszekler. Er ist vor drei Wochen durch den Schächter von Szent-György,
wie er sägt, auf sein eigenes Verlangen beschnitten worden und, seiner Angabe
nach, bereils wieder geheilt. Auf meine Frage, wer ihn zur Religion Moses
verleitet habe ? erwiederte er:Niemand; er habe nichts bekommen
und erwarte auch nichts dafür, denn er ist aus innerster
Ueberzeugung zu der jüdischen Religion übertreten. Gele-
gentlich der Beschneidung hat er den Namen Abraham Josef angenommen.
Aehnlich äusserten sich alle übrigen. »Der Stimme meines
Gewissens folgend — so schliesst die Aussage des zuletzt
vernommenen Sabbathariers — habe ich mich beschneiden
lassen und den Namen Abraham Daniel angenommen. Uns hat
Niemand zu diesem Schritte verleitet, weder mit Worten noch
mit Versprechungen, noch auch mit Geld; wir sind unserem
eigenen Antriebe gefolgt.«
Der Dechant Betegh kannte die Vergangenheit der Sabba-
tharier bloss aus den lückenhaften Aufzeichnungen des Pfarr-
buches von Bözöd-Ujfalu, die ihren Uebertritt begleitenden
Vorgänge nur aus der Darstellung des dortigen Pfarrers Sebesi.*
Neben seinem verletzten religiösen Gefühle durfte es zumeist
diesem Umstände zuzuschreiben sein, dass er in den vor ihm
abgelegten, wie er selber sagt, »muthigen und offenen« Erklä-
rungen keine ausreichende Antwort auf ♦die von ihm aufge-
worfene Frage fand: »Was hat diese edlen, echt szekler Fa-
* Nämlich, noch ein dritlesmal vor dem Pftirrer zu erscheinen und seinen
Austritt ans der katholischen Kirche zu erklären.
* Diese Anmerkung erzählt sodann, dass dieser Kovacs und sein Bruder
Daniel „in der Regel die' Functionen des Geistlichen und Schächters versehen
haben*', und setzf auseinander, woirah der „sabbatharische Rabbiner^** als solcher,
zu erkennen sei. Vgl. ob. S. 260.
* Der Bericht Beteghs gibt im ganzen und grossen den Sebesis wieder,
nur ist er ausführlicher und hat als Beilage die mit den verhörten Sabbathariern
aufgenommenen Protokolle.'
279
milien in diesem Jahre dahin gebracht, dass sie zur jüdischen
Nation und Religion übertraten? »Er sucht deshalb die Ursache
dieser, wie er mit Recht hervorhebt, »unerhörten Sache«, neben
den Verlockungen Wolfingers und den listigen Praktiken des
alten Koväcs, in erster Linie darin, dass »der weltberühmte
Banquier, der Jude Rothschild, die Sabbatharier, wie es
scheint, unterstützt und in jüngster Zeit durch Geschenke
und Versprechungen, die er ihnen durch die Juden machen
Hess, sogar dazu bestimmt hat, dass sie Juden werden sollen.«
Die ungarischen Juden waren aber während dieser ganzen
Zeit (1868 und 1869) von ihren eigenen Angelegenheiten, dem
durch Eötvös einberufenen jüdischen Landescongress und den
erbitterten Parteikämpfen, die diesem vorangingen und folgten,
derart in Anspruch genommen, dass sie von der gleichzeitigen
sabbatharischen Bewegung thatsächlichlich nicht einmal Notiz
genommen haben. ^ Von den übrigen Juden erhielten die deutschen,
und zwar ein Jahr nach dem Uebertritt der Sabbatharier, durch
die Protestantische Kirchenzeitung die erste Nach-
richt von den Vorgängen, die sich an der äussersten Grenze
von Siebenbürgen abspielten^.
Bischof Fogarasy aber betrachtete sämmtliche in dem
Berichte Beteghs enthaltene Angaben als fesstehende That-
sachen, auf die er sich in seiner an den königlichen Commissär
von Siebenbürgen gerichteten Eingabe vom 19. December
beruft. Auf Grund dieser Angaben forderte er in energischem
* Der Verfassjer dieses Buches, damals bereits Rabbiner und Prediger
der jüdischen Grossgenieinde der ungarischen Hauptstadt, erhielt die erste Kunde
von dem Uebertritt der Sabbatharier erst durch den ein Jahr später in Frank-
furt a. M. geschriebeuen Artikel Geigers. S. die folg, Anm.
» Geiger, (Jüdische Zeitschrift Jahrg. 1869. S. 227) beklagt sich da-
raber, dass er von der, den Uebertritt zum Judenthum bezweckenden Bev/egung
der Sabbatharier erst durch einen Artikel der P r o t e s t. K i r c h e n z e i t u n g,
den er für seine jüdischen Leser abdruckt, Kenntniss erhalten habe. Sod mn
fordert er die österreichisch-ungarischen Leser seines Blattes auf, ihn; genaue
Nachrichten über die, ihnen räumlich näher liegenden Ereignisse in Siebenbür-
bfirgen zukommen zu lassen. Nichtsdestoweniger fand sich bis zum Jahre 187 i
kein Jude, der die Angelegenheit der Sabbatharier seiner Aufmerksamkeit ge-
würdigt hätte. Leopold Low, der damats in Kiss, Zsidö Evköny v, (Jüd. Jahrbuch)
S. 99 flg. einen sie betreffenden Artikel schrieb, wusste von ihnen und ihrem
Gebetbuche nur so viel, als er aus zwei in der ung. Akademie der Wissenschaften
von Christen gehaltenen Vorträgen erfahren konnte.
280
Tone ein strenges Verbat gegen die Judenzerei, und die Ein-
stellung, beziehungsweise Nichtanerkennung des Uebertritts
zum Judenthum. Wolfinger sollte aus Bözöd-Ujfalu gejagt, die
übrigen Proselytenmacher ausfindig gemacht und ebenfalls aus-
gewiesen werden. Die Behörden, welche bisher eine unver-
zeihliche Gleichgiltigkeit an den Tag legten, müssten dieser,
der Christenheit uud dem SzeUerthum gleichmässig zur Schande
gereichenden Bewegung endlich einmal ein^ Ende machen.^
Infolge dieser Eingabe erliess der königliehe Commissär,
Graf Emanuel Pechy, eine neuerliche Verordnung an den Ober-
stuhlrichter des Udvarhelyer Stuhles mit dem Auftrage, bezüg-
lich sämmtlicher vom Bischof vorgebrachter Beschwerdepunkte
eine strenge Untersuchung einzuleiten. Ausserdem ward ihm
zur Pflicht gemacht, das Nöthige zu veranlassen, »dass das in
Bözöd-Ujfalu und vielleicht auch in andern benachbarten Ge-
meinden begonnene Aergerniss erregende Vorgehen, insolange
die Legislative keine principielle Entscheidung trifft, sofort
eingestellt werde.« Diese Verordnung notificirte der könig-
liche Commissär sowohl dem Bischof Fogarasy, als auch dem
ungarischen Cultusministerium.^
Der Uebertritt der Sabbatharier zum Judenthum.
(Schluss.)
Der Oberstuhlrichter Johann Daniel entsendete, sofort
nachdem er den Befehl des königlichen Commissärs erhalten,
einen Untersuchungsrichter in Begleitung zweier Notare nach
Bözöd-Ujfalu. Dort unterzogen sie die Sabbatharier einzeln
einem strengen Verhöre, um zu eruiren, wer sie zum Ueber-
tritt verleitet hat, und ob es wahr sei, dass sie sich ihren
Uebertritt bezahlen Hessen? Sie wiederholten ihre früheren,
vor dem Dechanten Betegh abgegebenen Aussagen und erklärten
einstimmig: sie haben von Niemandem Geld bekommen; Nie-
mand habe sie verleitet, sondern sie seien Einzig und allein
ihrem Gewissen und ihrer Ueberzeugung gefolgt, als sie Juden
geworden sind. Zuletzt wurde auch Wolfinger vernommen. Das
mit ihm aufgenommene Protokoll musste dreimal umgeändert
i S. die sub Z. 8817—1868 ausgestelile Eingabe im Ung. Landesarchiv,
das. ad Nr. 28979-868.
• Ung. Landesarchiv, a. a. O. das.
281
werden, bis er sich dazu verstand, es zu unterschreiben, worauf
er in Haft genommen und nach Szekely-Udvarhely gebracht
wurde, w^eil, nach der Meinung des Pfarrers, »mit den Sabba-
thariern, so lange er bei ihnen ist, durchaus nichts anzufangen
sei.« In Udvarhely wurde er zwölf Tage lang gefangen gehalten
und sodann, ohne jede gerichtliche Verhandlung, wieder frei*
gelassen, worauf er nach Bözöd-Ujfalu zurückkehrte.
Nachdem sämmtliche Verhörsprotokolle aufgenommen uiid
unterzeichnet waren, erklärte der Untersuchungsrichter, dfer
Uebertritt zum Judenthum sei gesetzlich verboten, daher wenn
auch bereits erfolgt, als null und nichtig zu betrachten. Etwaige
neue Uebertritte würden strengstens geahndet werden.^
Aber das Eingreifen der Comitatsbehördo blieb vollständig
erfolg-los. Die ins Rollen gekommene Bewegung war durch
Verbote und Drohungen nicht mehr aufzuhalten, sie wuchs
vielmehr stetig und schöpfte neue Kraft aus der Einmengung
der Behörden, welche den Fanatismus der Sabbatharier nur
steig'erte. Unmittelbar nach der Entfernung des Untersuchungs-
richters und seiner Notare erschienen neuerdings mehrere
Sabbatharier in Begleitung ihrer Zeugen vor dem Pfarrer Sebesi,
sow^ie vor dem calvinischen Geistlichen Georg Sändor und
machten die Anzeige, es sei »ihr fester Entschluss, den jüdi-
schen Glauben anzunehmen.« 2 Viele andere, die ihren Austritt
aus der katholischen, beziehungsweise calvinischen Kirche schon
früher angezeigt hatten und sich bereits öffentlich als Juden
l>ekannten, aber ihren Uebertritt zum Judenthum noch nicht
l3ew^erkstelligt hatten, beeilten sich jetzt, es zu thun und that-
sächlich Juden zu werden. Sie wollten um jeden Preis vollen-
dete Thatsachen schaffen. Tag für Tag meldeten sich mehrere,
am 29. December sieben Männer, darunter einige Greise, welche
die Aufnahmsceremonie ah sich vollziehen liessen; die Liste
der Proiselyten wurde immer umfangreicher.'
* S. den Bericht des Oberstuhlrichters an den königl. Commissär, Ung.
Landesarchiv E. K. B. (Erdifelyi Kirälyi Biztos =t Siebcnbürgisch-königliches
Commissariat) Nr. 2419—1869. Mit Bezug auf Wolfinger s. das. Nr. 3772; einige
sein Verhör und seine Detenirung betreffende Einzelheilen hat er mir mündlich
und schriftlich milgetheilt.
* Die von den betreffenden Zeugen ausgestellten Documente, von welchen
eines imMagy. Zsidö Szemle (11. S. 151) veröffentlicht ist, sind in meinem Besitze.
« S. das oben erwähnte Beschneidungsregister.
288
Während die Sabbatharier auf dem einmal betretenen
Wege entschlossen un-d rücksichtslos vorwärts gingen, sahen
die Behörden der weiteren Entwickelung der Dinge ungefähr
drpi Monate lang uhthätig zu. Der Oberstuhlrichter, der den
Ucbertritt der Sabbatharier für ungiltig und strafbar erklären
Hess, hatte sich damit des ihm gewordenen Auftrages entledig-t,
und wartete auf neue Befehle von Seiten des Commissärs, der
seinerseits auf Instructionen von Ofen wartete. Im Cultus- und
Unterrichtsministerium zu Ofen wartete man wieder ungedul-
dig auf den bereits im Juni des vorhergehenden Jahres einver-
langten, actenmässig belegten, ausführlichen Bericht über die
Vergangenheit und Gegenwart des Sabbatharierthums. Dieser
Bericht war nämlich noch dem siebenbürgischen Gubernium
abgefordert worden (ob. S. 274), das auch die Vorarbeiten be-
gonnen hatte^ aber mittlerweile, als eine noch vom absolutisti-
schen Regime herrührende, nicht-constitutionelle Einrichtung,
aufgehoben und provisorisch durch ein königlich ungarisches
Commissariat ersetzt wurde Der zum königlichen Commissär
ernannte Graf Emanuel Pechy war aber während dieses Uebcr-
gangstadiums so sehr mit den allgemeinen Angelegenheiten des
mit Ungarn wiedervereinigten Landes beschäftigt, dass er die
für den Bericht erforderlichen umfassenden Vorarbeiten nicht
sofort in Angriff nehmen und auch später nicht energisch fort-
führen konnte. Baron Josef Eötvös, der erste Cultus- und Un-
terrichtsminister des wiedererstandenen Ungarn, wollte aber
vor Eintreffen dieses Berichtes keine endgiltige Entscheidung
treffen, durch welche nothwendiger Weise das noch zu Recht
bestehende Gesetz, oder aber die Religions- und Gewissens-
freiheit verletzt werden musste: ersteres, wenn er den Ueber-
tritt der Sabbatharier zum Judenthum anerkannte, letztere,
weiin er die Sabbatharier zwang, im Christenthume zu ver-
bleiben. Eötvös, der das Gesetz und die Gewissensfreiheit gleich
hoch und heilig hielt, stand somit vor einer heiklen und schwie-
rigen Frage, an deren Lösung er nicht früher gehen wollte, als
bis die gewünschten genauen Informationen aus Siebenbürgen
eingetroffen waren. Aber diese blieben noch immer aus; die
Bewegung unter den Sabbathariern nahm ihren Fortgang; die
Ereignisse drängten, und er sah sich schliesslich gezwungen,
in dex, immer brennender werdenden Frage Stellung zu nehmen.
Der edle, warhaft freisinnige Mann, musste sich näm-
283
lieh durch den amtlichen Bericht des Grafen Pechi, er habe den
Uebertritt zum Judenthume strenge verboten und, wo
er bereits erfolgt war, für null und nichtig erklärt,
nicht wenig beunruhigt fühlen. Dazu mag noch die Befürch-
tung gekommen sein, die siebenbürgischen Behörden werden
infolge dieses Verbotes zwangsweise gegen die Sabba-
tharier vorgehen, wovon Eötvös, der jede gewaltthätige Einmi-
schung in Sachen der Religion verurtheilte, nichts wissen
mochte. Drum erliess er am 12. Mai 1869 an den Grafen Pechy
eine Verordnung, in welcher er erklärte, dass der Uebertritt
zum Judenthum im Sinne des Gesetzes wohl noch immer ver-
boten sei, »aber anderseits dürfe auch nicht übersehen werden,
dass in religiösen Fragen die Anwendung von
Zwangsmassregeln mit den Interessen sowohl
der Religion als auch des Staates in Wider-
spruch steht.« Infolge dessen — so fährt er fort — fordere
ich Ew. Excellenz auf, es den mit dieser Angelegenheit be-
trauten Executionsbehörden zur Pflicht zu machen, die Betref-
fenden darüber aufzuklären, dass im Sinne der bestehenden
Gesetze der Uebertritt zum Judenthume noch nicht gestattet
ist; sollte aber diese Aufklärung nicht den gewünschten Erfolg
haben, sollen sie factisch keinerlei Zwangsmass-
regel anwenden, dieselben zum Christenthume
zurückzuführe n.«^
Dieser Erlass bezeichnete die Richtung, welche zu ver-
folgen Eötvös entschlossen war. Das hier verkündete Princip
musste die obschwebende Frage endgiltig zu Gunsten der
Sabbatharier entscheiden. Doch wurde dieser Erlass zunächst
nicht sonderlich glücklich interpretirt, und noch weniger glück-
lich ausgeführt.
Der Oberstuhlrichter von Udvarhelyszek exmittirte näm-
lich, sofort nach dem Empfange dieses Erlasses, eine aus geist-
lichen und weltlichen Mitgliedern zusammengesetzte Commission
nach Bözöd-Ujfalu. Dort angelangt, berief sie sämmtliche Sabba-
tharier vor das Gemeindehaus des Dorfes, wo sie die ganze
Schar derselbeh in Gegenwart einer grosser Zuschauermenge
» S. den sub. Z. 1818 erflossenen Erlass im Ung. Landesarchiv E. K. K.
(Erd6:yi Kirälyi Kormänybiztos, Siebenbürgisch-Königl. Gommissär)Nr.701— 869?
vgl. Blagy. Zsidö Szemle I. S. 351.
284
»öffentlich belehrte, auf die zu erwartenden schädlichen Folgen
ihres Vorgehens aufmerksam machte und hierüber ein Protokoll
aufnahm, dass sie von den Betreffenden unterschreiben liess.cc
So Wurde die von Eötvös angeordnete »Auflilärung« der Sabba-
tharier, nach dem amtlichen Berichte des Grafen Pechy, »mit
grosser Ostentation und in amtlicher Form« vorgenommen, ein
Vorgehen, das Pechy selber »weder tactvoll, noch zweckmässig'«
fand.i Es war aber noch mehr geschehen, wovon der königliche
Commissär keine amtliche Kenntniss erhalten zu haben scheint.
Man hat die zusammengerufenen Sabbatharier nicht nur »be-
lehrt,« sondern auch bedroht, gegen die vormals katholischen
Sabbatharier sogar mit der Anwendung von Gewaltsmassregeln
begonnen.
Hierauf richtete Wolfinger, »als Bevollmächtigter der zum
jüdischen Glauben übergetretenen 105 Sabbatharier von Bözöd-
Ujfalu« ein Bittgesuch an das Ministerium, »dass man sie durch
die Behörden nicht zwingen lassen möge, zur katholischen
Religion zurückzukehren.« Eötvös, dem das Gesuch durch Ver
mittlung des damaligen Altofner Rabbiners Marcus Hirsch
zugekommen war, überschickte dasselbe an den Grafen Pechy
mit dem Auftrage, er möge den Behörden des Udvarhelyer
Stuhles die Weisung ^ zukommen lassen, dass sie sich genau
an die in dieser Angelegenheit erflossene frühere ministe
rielle Verordnung zu halten haben, »in deren Sinne es nicht
gestattet ist, zum Zwecke der Wiederbekehrung der Sabba-
tharier zur Anwendung von Zwangsmassregeln zu greifen.«
Gleichzeitig urgirte er abermals, jetzt schon zum drittenmale^
den bereits seit einem Jahre vergeblich erwarteten, mit den
betreffenden Actenstücken belegten Bericht über die Geschichte,
die Rechtsverhältnisse und die gegenwärtigen Zustände der
Sabbatharier. 2
Graf Pechy, nebenbei gesagt, kein Nachkomme und auch
kein Verwandter Simon Pechis, Hess, sofort die -entsprechenden
Instructionen ergehen, und forderte den Oberstuhlrichter von
Udvarhely auf, sein Vorgehen gegen die Sabbatharier zu recht-
fertigen. Dieser . antwortete sofort. Die durch ihn exmittirten
*■ S. den vom 7. Juli datirten Bericht im. Un^. Landesarchiv, £. K. B. Nr.
2149-869.
* S. den Minis terialerlass a. ». 0., das. Nr. 12455.
285
Commissäre, die er deshalb zur Rechenschaft gezogen, stellten
es in Abrede, dass sie die Sabbatharier mit Drohungen ge-
schreckt haben; davon, dass ihnen, oder dem Wolfinger etwas
zu Leide geschehen, hat er keine Kenntniss. Letzterer wurde
zwar eingekerkert, das geschah aber wegen anderweitiger
Ausschreitungen, die mit den Bekehrungen zum Judenthume nicht
in Zusammenhang stehen. ^
Bald darauf traf auch der so oft urgirte Bericht des
siebenbürgischen königlichen Commissariates in Ofen ein. Es
hatte voller acht Monate bedurft, bis das nöthige Material be-
schafft und das umfangreiche Schriftstück am 4. März (1869)
vollendet werden konnte. Infolge des oben angedeuteten Sys-
tem- und Personenwechsels in der Verwaltung Siebenbürgens
blieb es aber noch mehrere Monate in Klausenburg liegen,
bis es endlich im August expedirt^ wurde. Der Bericht
kam spät, aber mit «inem um so umfangreicheren und reich-
haltigeren Actenmaterial; nicht weniger als 42 Actenstücko
älteren und jüngeren Datums waren ihm beigelegt und dazu
noch der XVII. Band des Liber Regius, der unter anderm
die Documente aus der Zeit Rdköczi I. enthält, die sich auf
Simon Pechi, sowie im allgemeinen auf die damaligen Sabba-
tharier beziehen.
Der erschöpfende Bericht bespricht zunächst mit aner-
kennenswerther Objectivität den Glauben und die religiösen
Bräuche des Sabbatharierthums und gibt sodann in allgemeinen,
im ganzen und grossen richtigen Umrissen die äussere Geschichte
derselben von Simon Pechi ab. Er weiset nach, dass die aller-
höchsten EntSchliessungen vom Jahre 1834, auf welche sich
die Sabbalharier, als auf die gesetzliche Anerkennung ihrer
Secte berufen (ob. S. 272), nicht nur keine solche Anerkennung
enthalten, sondern vielmehr die gegen diese Secte erlassenen
früheren gesetzlichen Verbote von neuem bestätigen. Von den,
zusammen 173 Seelen zählenden, 39 sabbatharischen Familien
ivaren gegen Ende vorigen (1868) Jahres bereits 11 römisch-
katholische Familien mit 44 Seelen, 12 calvinische mit 43 Seelen,
^ S. den vom 23. August dalirten Bericht des Grafen Fecijy a. a. 0. das.
Nr. 2961— 869.
* S. das am 4. März 1869, sub Z. 2419 erflosseno Actenstück a. a. O.
das. Nr. 28879 ; die dazu gehörigen Beilagen bilden das Fascikel : Ad 28879—1869.
286
5 unitarische mit 24 Seelen zum jüdischen Glauben übertreten.
Unter den Frauen, die sich dem Abschneiden des Haupthaares
und dem üblichen Tauchbade unterzogen, »ist eine, die in
schwangerem Zustand war, infolge der Erkältung gestorben und
durch den jüdischen Rabbiner beerdigt worden,«
»Man kann nicht läugnen — fährt der Bericht des
königlichen Commissärs fort — da'sssiedas aus voller
Ueberzeugung thaten und noch gegenwärtig-
thun. Ferner muss auch das zugegeben werden, dass die
Gewissensfreiheit, inso ferne es sich hier nicht
um den Uebertritt vom Ghristenthum zum Hei-
de nthum handelt, heute bereits mehr Anspruch
auf Anerkennung hat, als zur Zeit, wo die gegen
die Sabbatharier gerichteten Gesetze gegeben
wurden.« Trotz alledem beantragt er, das Ministerium möge,
im Sinne dieser noch nicht aufgehobenen Gesetze, die bereits
erfolgten Uebertritte zum Judenthum für null
und nichtig erklären und die übergetretenen
Sabbatharier gebührend bestrafen. Gegen Wolfinger,
gegen den Rabbiner und den Schächter von Erdö-Szent-György,
sowie gegen den Schreiber Geiger aus Dicsö-Szentmärton
(s. ob. S. 271) sei, als gegen Verführer, beziehungs-
weise Mitschuldige, dieCriminaluntersuchung
einzuleiten.
Eötvös zögerte nicht lange mit der Antwort. Nach Durch-
sicht der dem Berichte beigelegten Documente musste er zu
der Ueberzeugung gelangen, dass das gegen Ende des XVI.
Jahrhunderts gegebene Gesetz, welches über die Sabbatharier
den Verlust des Lebens und des Vermögens verhängte, in der
zweiten Hälfte des XIX. Jahrhunderts schon aus dem Grunde
nicht mehr angewendet werden könne, weil die Erfahrungen
der dazwischen liegenden Jahrhunderte die Zwecklosigkeit, ja
Schädlichkeit eines Gesetzes bewiesen, das nur Druck und
Verfolgung, Auswanderung und religiöse Heuchelei zur Folge
hatte, aber nicht im Stande war, die Sectirerei zu unterdrü-
cken. Anderseits schöpfte er aus den ihm unterbreiteten ge-
schichtlichen Quellen und amtlichen Daten und Berichten die
Ueberzeugung, dass das, was in Bözöd-Ujfalu geschah, nicht
Ausfluss einer durch geheime Hände künstlich hervorgeru-
fenen, neuen Bewegung, sondern der naturgemässo Abschluss
287
eines vielhundertjährigen geschichtlichen Processes war. Was
aber die erfolgten Uebertritte zum Judenthum anbetraf, war
für ihn die Aeusserung in dem Berichte Pechys mass- und aus-
seh lagg-ebend, dass sie »unläugbar aus Ueberzeugung«
erfolgten.
Angesichts dieser Thatsachen schwankte Eötvös keinen
Aug-enblick, das Princip der Religionsfreiheit, deren überzeugter
Verfechter er war, auch in der Sache der Sabbatbarier zur
Geltung zu bringen.
Am 2. September 1869 richtete er an den königlichen
Commissär für Siebenbürgen einen Ministerialerlass, in welchem
er den^ das Vorgehen des Oberstuhlrichters von Udvarhely
rechtfertigenden Bericht wohl zur Kenntniss nimmt, gleichzei-
tig aber den Commissär auffordert, er möge den gennanten
Oberstuhlrichter dahin instruiren, »dass die behördlichen
Organe jeden ferneren Versuch, die zurjüdi-
sc h e n Religion übergetretenen Sabbatbarier zu
rückzubekehren, zu unterlassen und den gegen-
wärtigen Zustand unverändert aufrecht zu er-
halten haben.^(
Die liberale Strömung, welche damals in Ungarn herrschte,
war so mächtig, dass von keiner Seite der Versuch gemacht
wurde, den Minister zurZurückziehung oder Einschränkung seines
Erlasses zu bestimmen, oder die Durchführung desselben zu
verhindern. Der Uebertritt der Sabbatharianer zur Religion
des Judenthums war eine vollendete Thatsache, gegen welche
nicht einmal Einsprache erhoben wurde. Ein winziges Bruch-
theilchen des Christenthums war zu der uralten Quelle zurück-
gekehrt, aus welcher es vor achtzenhundert Jahren hervorge-
gangen war.
Die „Proselyten-Gemeinde" in Bözöd-Ujfalü.
Sobald die Sabbatbarier ihren Uebertritt anerkannt und
sich in der freien Uebung der jüdischen Religion gesichert
wussten, constituirten sie sich als »Israelitische Proselyten-
Gemeinde von Bözöd-Ujfalu »eine Bezeichnung, die sie bis zum
* A. a. 0. das. E. K. B. Nr. 3272.
288
heutigen Tage beibehalten haben,^ obwohl gegenwärtig bereits
einige Familien von geborenen Juden zu ihnen gehören.
Die zusammen 136 Seelen zählende neue Gemeinde ging
sofort eifrig ans Werk, sich als solche zu organisiren. Sie
stellte einen approbirten Schächter an, der gleichzeitig die
Agenden des Vorbeters zu versehen hatte. Zum Notar und
Matrikelführer wurde einer der Ihrigen, der alte Abraham Dan
Kovdcs gewählt, den seine Wohlhabenheit und Intelligenz für
dieses Amt empfahlen. Mit dem hebräischen und dem Reli-
gionsunterrichte, der den Erwachsenen und den Kindern in
besonderen L^hrstunden ertheilt wurde, wurde zunächst Sala-
mon Wolfinger betraut, der gleichzeitig das Ehrenannt des
»Tempelvorstehers« versah,^ aber bald darauf das Dorf verliess-
Ein provisorischer Betsaal, sowie ein für Schulzwecke be-
stimmtes Zimmer wurde sofort, und binnen kurzer Zeit, bereits
i. J. 1870, auch ein rituelles Tauchbad eingerichtet und ein
eigener ' Gottesacker angelegt. Gleichzeitig nahm die kleine
Gemeinde den Bau einer Synagoge in Angriff, welche i. J. 1874,
nach nicht geringen Kämpfen, glücklich vollendet wurde.
Das bescheidene, aber nicht ungefällige Bethaus ist eine
im szekler Geschmacke gebaute und eingerichtete orthodoxe
Synagoge. Das Mauerwerk ist aus Stein, die Fagade aus ge-
achnitztem Holzwerk. Der innere Raum enthält 67 Betstühle
für Männer, die mit einem dichten und hohen Gitter umgebene
Frauengallerie 40 Sitze. Die Estrade, auf welcher die Vorlesung
der Thora geschieht, das sogenannte »Almemor« steht in der
Mitte des Tempels; in der Bundeslade sind drei Thorarollen
aufbewahrt. An den Bänken und Sitzplätzen sind die Tulpen-
und sonstigen Blumenmalereien angebracht, mit welchen die
Szekler ihre Kästen und Möbel zu verzieren pflegen, die Wände
mit den im Udvarhelyer Szeklerstuhle üblichen Holzschnitze-
reien geschmückt.
^ Das Geineindesiegel hat die ungarische Umschrift ; ,,A b.-ujfalvi Izraelit.i
Hitközsög pecs6tje * (Siegel der isr. Religionsgemeinde in B.-Ujfalü). Das hier
fehlende, aber in ihrem amtlichen Verkehre stets gebrauchte Wort „proselita"
(Proselyte n-Gem.) ist in der innerhalb der ungarischen Umschrift enthaltenen
hebräischen InschriR wiedergegeben : K'hal g e r i m u. s. w.
* Der Inhaber dieses Ehrenamtes wurde und wird von den aus^schliesslich
ungarisch sprechenden Proselyten stets mit dem üblichen neuhebräischen Worte
als „Gabbai" bezeichnet.
289
Diese Bauten und Einrichtungen, deren Kosten nur zum
kleineren Theile durch die milden Gaben gedeckt wurden
welche zwei zu diesem Zwecke ausgesandte Proselyten in
einigen grösseren jüdischen Gemeinden Ungarns sammelten
erschöpften die Kräfte der kleinen Gemeinde. Ihre Mitglieder
waren, mit geringen Ausnahmen, unbemittelt, ja sogar arm,
zumeist Ackerbauer, die von dem Erträgnisse ihres kleinen
Bauerrgütchens, oder der Feldarbeiten, die sie für andere ver-
richteten, nur kümmerlich leben konnten. Zu den christlichen
Feiertagen, an welchen sie nicht öffentlich arbeiten durften
kamen die jüdischen Sabbath- und Festtage, an welchen sie
nicht arbeiten wollten, so dass sie wöchentlich mindestens
zwei Tage feiern mussten, was ihnen selbstverständlich zu
nicht geringem Schaden gereichte. Ihre neuen Glaubensgenossen
kümmerten sich, bei der traditionellen Gleic]^giltigkeit, welche
die Juden den Proselyten und der Proselytenmacherei gegen-
über zu beobachten pflegen, nur blutwenig um sie. Die wenigen
Juden in ihrer Nachbarschaft lebten selber in ärmlichen Ver-
hältnissen; die grosse ungarische Judenheit aber schien von
der neuen Gemeinde, die unter so eigenartigen Verhältnissen
in ihrer Mitte entstanden war, kaum Notiz nehmen zu wollen.
Im Auslande blieb sie lange gänzlich unbeachtet, und die auf
ihre eigene Kraft angewiesenen Proselyten vermochten die
nöthigsten Institutionen einer jüdischen Gemeinde nur schwer
und mangelhaft zu erhalten.
Ihr einziger bezahlter Beamter war der Vorbeter und
Schächter, der, seitdem Wolfinger das Dorf verlassen, auch die
^^telle des Lehrers vertrat und gleichzeitig auch als Rabbinats-
verweser fungirte, da er der einzige war, an den man sich in
religiösen Angelegenheiten um Rath und Aufklärung wenden
konnte. Dieses vielseitige, wichtige Amt konnten sie aber nur
mit einem Jahresgehalt von 100 bis 120 Gulden dotiren, eine
selbst für ein szekler Dorf geringfügige Bezahlung, für welche
sie selbstverständlich keine entsprechende, brauchbare Persön-
lichkeit gewinnen konnten. Sie mussten sich damit begnügen,
einen polnischen Juden anzustellen, der das rituelle Schlachten
als Handw^erk erlernt hatte, und bei seiner gänzlichen Unbil-
dung nur wenig geeignet war, einen günstigen Einfluss auf
ihr religiöses und ihr Geistesleben zu üben.
Ihren Gottesdienst verrichteten sie anfangs in ungarischer
Dr Kohn : Sabbatharier. 1 d
290
Sprache, und zwar so, dass der Vorbeter die Gebete hebräisch
recitirte, die Gemeinde aber die entsprechende Uebersetzuni^
aus ihren alten handschriftlichen sabbatharischen Gebetbüchern
las. Die in diesen fehlenden Gebetstücke, wie z. B. das »Mussaf « -
Gebet, ergänzten sie nach dem ersten besten, mit einer unga-
rischen Uebersetzung versehenen jüdischen Gebetbuches Ihr
Schächter-Cantor aus Galizien, der kein Ungarisch verstand
und zudem der Ansicht huldigte, dass jüdische Gebete nur in
der »heiligen Sprache« verrichtet werden dürfen, brachte es
jedoch in kurzer Zeit dahin, dass auch die Gemeinde ihre
Andacht in hebräischer Sprache verrichtete. Freilich konnten
die meisten die ihnen unverständlichen Gebetstücke anfangs
nur mit schwerer Mühe, manche gar nicht lesen, ein Uebel-
stand, dem sie dadurch abzuhelfen suchten, dass sie die hebräi-
schen Texte der wichtigsten jüdischen Gebete mit ungarischen
Buchstaben transscribirten.^
Bei ihren eigenartigen, schwierigen Verhältnissen hätten
sie dringender als jede andere Dorfgemeinde eines intelligen-
ten, theologisch gebildeten und berufseifrigen Lehrers bedurft,
der mit ihnen in ihrer Muttersprache hätte verkehren können.
Aber an die Anstellung eines solchen war vorerst nicht zu denken.
Mussten sie doch zeitweilig sogar des Schächters entrathen, der
ihnen den Lehrer ersetzen sollte. Leute, die in kleinen Gemein-
den dieses Amt zu versehen pflegen, sind in der Regel an ein
Wanderleben gewöhnt und bleiben selten lange auf einem
Platze,» und es findet sich nicht immer sofort ein anderer, der
auf eine solche armselig dotirte Stelle reflectirt. Die Gemeinde
hatte oft monatelang keinen Schächter und keinen Vorbeter,
und da blieben die Kinder ohne Unterricht, sie alle — ohne
Fleisch. Letzteres musste dann aus dem benachbarten Erdo-
Szent-György bezogen werden. So oft in solchen Fällen der
wohlbeladene Karren des dortigen jüdischen Fleischers anlangte.
* Derartige Ergänzungen finden sich in fast allen damals in Gebrauch
gewesenen Gebetbüchern der Proselyten.
' Solchen, nach der polnisch-judischen Aussprache des Hebräischen ge-
machten Transscriptionen begegnen wir in mehreren Gebet- sowie in manchen
Gesangbüchern der ersten Proselyten.
« Von 1876 bis 1885 hat die Gemeinde den Schächter, beziehuogs eise
Vorbeter und Lehrer nicht weniger als. neunmal gewechselt.
291
wurde im Dorfe ausgerufen, dass »das Koscher-Fleisch ge-
kommen ist«, und die Frauen beeilten sich, ihre Vorrathskam-
mern wieder mit dem mitunter lange entbehrten Nahrungs-
mittel zu versehen. Mit den im jüdisch-religiösen Leben, na-
mentlich in einem jüdischen Haushalte so häufigen rituellen
Fragen mussten sie sich in jedem einzelnen F'alle an den Rab-
:>iner, oder wie sie ihn zu tituliren pflegten, den »jüdischen
I)ischof(( von Erdö-Szent-György wenden.
Unter solchen traurigen materiellen und geistigen Ver-
hältnissen konnte die neue Gemeinde unmöglich gedeihen.
Der Rabbiner und Prediger von Bukarest, Dr. Moritz Beck,
'!er i. J. 1855 gelegentlich einer Badereise einen Abstecher nach
Büzöd-Ujfalu machte, fand zu seiner peinlichen Ueberraschung,
[lass sich »die Proselytengemeinde in dem denkbar traurigsten
Zustande befindet.« Das Tempelgebäude war vernachlässigt
und schadhaft; die meisten Mitglieder der Gemeinde, die den
'jottesdienst w^ohl eifrig besuchten, konnten die hebräischen
'iebete noch immer nicht geläufig lesen, geschweige denn ver-
stehen. Das rituelle Tauchbad war eingestürzt und konnte
^^^'ht benutzt werden, weil die zur Wiederherstellung dessel-
l>en erforderlichen 25 Gulden nicht zu beschaffen waren. Der
^trnachlässigte Gottesacker hatte keinerlei Einfriedung, und
^^'»r nicht einmal durch eine Dornenhecke, oder einen Graben
^^•n den benachbarten Feldern geschieden. Einen Lehrer hat-
^^n sie nicht, weil sie ihn nicht bezahlen konnten, und da im
I^orfe eine Schule überhaupt nicht vorhanden war, w^uchsen
^lö zweiundzwanzig schulpflichtigen Kinder der Gemeinde
^ine religiöse Unterweisung und ohne jeden anderen Unter-
'^At heran. Als Schächter, Vorbeter und Rabbinatsverweser
^ungirte ein ungebildeter polnischer Jude, der der Landesspra-
^^^ nicht mächtig war, aber auch im Hebräischen und in den
Geologischen Fachwissenschaften nicht recht Bescheid wusste.
Zwei Proselyten-Familien Ovaren bereits wieder zum Christen-
''^ume zurückgekehrt, die übrigen zum Gespötte der Nach-
wn geworden, die mit Schadenfreude auf die jämmerlichen
^^^hältnisse der zum Judenthume übertretenen Szekler hin-
^viesen.
Der bukarester Rabbiner, ein geborener Ungar, veröffent-
'^^'hte in einer ungarisch-jüdischen Monatsschrift einen ausführ-
'' hen Bericht über die traurigen Erfahrungen, die er in
19*
292
Bözöd-Ujfalu gemacht. Der warm geschriebene Artikel^ blieb
nicht wirkungslos. Die*Redaction der betreffenten Monatsschrift
knüpfte einen Aufruf an denselben, worauf neben Bibeln, Gebet-
und Schulbüchen allmällig ungefähr 1100 Gulden zu Gunsten
der hilfsbedürftigen Gemeinde einliefen. Die »Landeskanzlei
der Juden Ungarns und Siebenbürgens« erwirkte, dass das
Matrikelamt für sämmtliche Juden des udvarhelyer Bezirks
nach Bözöd-Ujfalu verlegt wurde.^ Der Cultusminister Trefort,
an welchen die Gemeinde sich bittlich gewendet hatte, Hess ihr
»zur Erhaltung ihrer Cultuseinrichtungen« für das Jahr 1886
eine Staatssubvention von 100 Gulden anweisen.» Zu demsel-
ben Zwecke erhielt sie bald darauf dieselbe Summe von der
»Pester israelitischen Religionsgemeinde« in Budapest; endlich
aber stellte ihr die »Alliance israelite universelle« über Inter-
vention einiger ihrer ungarischen Mitglieder, 500 francs für
Unterrichts- und Schulzwecke zur Verfügung.
Mit Hilfe dieser verhältnissmässig spärlichen Unterstü-
tzungen vermochte die arme Gemeinde ihre dem Verfalle ent-
gegengehenden wichtigsten Institutionen und, was die Haupt-
sache war, ihr Schulwesen zu reorganisiren und in besten
. Stand zu setzen. Ihre Bedürfnisse waren bescheiden und mit
geringen Mitteln zu decken; denn in Bözöd-Ujfalu ist nur das
Geld theuer, alles Andere billig zu beschaffen.
Statt der bisherigen 120 Gulden wurden 400 Gulden als
jährliche Bezahlung festgesetzt »für einen solchen Religions-
lehrer, der gleichzitig das Schächteramt versehen könnte und
in dem jüdischen Religionsgesetze so bewandert wäre, dass er
den altern Gemeindemitgliedern die im religiösen Leben
auftauchenden Fragen als Fachmann, und zwar in ungarischer
Sprache beantworten, den Kindern aber einen möglichst er-
schöpfenden Unterricht in allen Lehrgegenständen der Religion
ertheilen könnte.« Für die Restaurirungskosten der Syna-
goge und für den Wiederaufbau ^des rituellen Tauchbades
^ S. denselben Magy. Zsidö Szemle II. S. 254 flg.
* S. den Brief der genannten Kanzlei vom 26. November 1885 Z. 10193 :
vgl. Magy. Zsidö Szemle II. S. 707.
« S. das Gesuch des stellvertretenden Gemeindevorstehers Mendel Koväc^
vom 1. Feber 1886, das Rescript des Cultusministers Trefort vom 10. Mai d.
Jahres Z. 11131, sowie den Brief der Isr. Landeskanzlei vom 23. Mai Z. 107^6.
Die beglaubigten Abschriften dieser Actenstücke befinden sich in meinem Besitze
293
wurden 180 Gulden angewiesen. Bei alledem waren die gesamm-
ten Ausgaben für das Jahr 1886 bloss mit 696 (iulden und
5 Kreuzern veranschlagt, welchen jedoch nur 360 Gulden, darunter
140 Gulden »Cultussteuern,« als Bedeckung gegenüberstanden.^
Die fehlenden 336 Gulden wurden aus dem von der Redaction
des »Magyar Zsido Szemle« gesammelten und von ihr
verwalteten Hilfsfond gedeckt, aus welchem der Gemeinde noch
für fernere drei Jahre eine ähnliche Subvention gereicht werden
konnte. Seit 1890 lässt ihr die »Wiener Allianz« jährlich 300
Gulden zur Bezahlung ihres Religionslehrers zukommen.
Seit dieser Zeit haben sich die Verhältnisse der Gemeinde
langsam, aber stetig gebessert. Die Synagoge wurde gründlich
restaurirt, der Gottesacker vergrössert und eingefriedet, und
ein Grundstück erworben, auf welchem ein neues rituelles
* Der am 27. Deceraber 1885 angenomroene Voranschlag für 1886 lautet,
nach der in meinem Besitze befindlichen Abschrift, in wörthcher üfebersetzung
folgendermassen :
Bedarf. Bedeckung.
/. Cullus. I. CuUus,
Gulden Gulden
1. Bezahlung des Religionsleh- 1. Cultussteuern 150
rers und Schächters . . . 400 2. Tempelspenden .... 50
2. Tempeldiener 20 3. Rituelles Tauchbad ... 40
3. Feuerversicherung für den
Tempel 10 ^^' Schule.
4. Bedarf für Restaurirung des 4. Schulgelder 120_
Tempels 30 Zusammen: 360
5. Staatssteuer für den Tempel 4*5
6. Für Untersttitzungen an hie-
sige u. durchreisende Arme 10
7. Für Drucksorten .... 2
8. Aussergew. Ausgaben . . 20
9. Zur Wiederherstellung der
Mik we (des rituellen Tauch-
bades) 150
10. Beleuchtung des Tempels . 20
//. Schule.
11. Mietzins für die SchuUoca-
lität und für die Lehrer-
wohnung 20
12. Für Reinigung und Behei-
zung der Sch üUocalität . . 10 Fehlbetrag . - _^ _- » » ■ 336-5
Zusammen ; 696*5 Zusammen: 696*5
294
Badehaus, ein entsprechendes Schulgebäude und die Amts
Wohnung des Lehrers errichtet wurde. Auch auf dem Gebiete
des Jugendunterrichtes ist ein erfreulicher Fortschritt zu ver
zeichnen. Im Schuljahre 1885—6 wurde nämlich in Bözöd-Ujfalt
eine auf Staatskosten errichtete Volksschule eröffnet, und mil
der Leitung derselben ein von der Dorfgemeinde gewählter
Schulstuhl betraut, der den damaligen Notar der Proselyten-
Gemeinde, Abraham Dan Koväcs zum »Schulstuhlökonomen«
ernannte. Seitdem besuchen die Kinder der jüdischen Gemeinde
mit der übrigen Dorfjugend die neue Volksschule, an welcher
sie des Sabbaths nur eine Unterrichtsstunde haben, damit sie
sich mit den Erwachsenen an dem öffentlichen Gottesdienste
betheiligen können. Vom Schreiben und Zeichnen sind sie auch
in dieser Stunde dispensirt.
Die Gemeinde, welche gegenwärtig 39 Familien, darunter
32 rein sabbatharische zählt, bildet eine erträglich gut orga-
nisirte jüdisch-orthodoxe Gemeinde. Ihr Vorsteher ist Oscher
Koväcs; in ihrer Repräsentanz befindet sich nur ein geborener
Jude, der Cassier der Gemeinde, Salomon Teichmann, alle üb-
rigen sind ehemalige Sabbatharier und, mit einer einzigen Aus-
nahme, sämmtlich Koväcs's.^ Als Religionslehrer, der gleich-
zeitig die Agenden des Vorbeters, Schächters und Notars ver-
sieht, wirkt seit 1889 der pädagogisch gebildete Lehrer Isaak
Hirsch, der die Landessprache vollkommen beherrscht und
sich allgemeiner Achtung erfreut. Der Rabbiner der Nachbar-
gemeinde Erdö-Szent-György und einige intelligente und eifrige
Mitglieder derselben unterstützen die Proselytengemeinde,
welche sie in wichtigeren Angelegenheiten ihren Sitzungen bei-
zuziehen pflegt, mit ihrem Rathe und ihrer Erfahrung.^
Die Synagoge, welche sie mit dem, ihren früheren pol-
nischen Schächtern abgelernten Worte »Schil« (Schul) zu nennen
pflegen, ist an Sabbath- und Festtagen mit Andächtigen dicht
• » • •
* Nach dem mit yorliegenden Aclenstücke wird die Vertretung der Ge-
meinde (i. J. 1889) ausser von dem obengenannten Öscher Koväcs (Präses) und
Salomon Teichmann (Gassier) noch von den folgenden gebildet : Mendel Koväcs,
Herman Koväcs, Ghajem Koväcs, Samli Gsukor, Sewilin (Sebulun) Koväcs und
Lazar Koväcs.
* Unter diesen verdanke ich Herrn Med. Dr. Leo B e r g e r und dem Reli-
gionslehrer Leopold Abraham manchen interessanten Beitrag bezüglich der i
Lebens- und Gemeindeverhältnisse der Proselvten.
295
gefüllt; auch die Frauen gehören zu den regelmässigen Be-
suchern des öffentlichen Gottesdienstes. An Wochentagen, mit
Ausnahme des Neumonds- und solcher Tage, an welchen ein
jemeindemitglied »Jahrzeit« hat, d. h. die Wiederkehr des
^Sterbetages seines Vaters oder seiner Mutter mit den ü])lichen
'iebeten begeht, bleibt die Synagoge geschlossen. Denn der
zrösste Theil der Gemeinde besteht aus Arbeitern, zumeist
Ackerbauern, die schon bei Tagesanbruch an die Arbeit gehen
und erst am späten Abend von den Feldern und Wiesen heim-
kehren. Den Gottesdienst verrichten sie streng nach jüdisch-
•^rthodoxem Brauche, wobei sie sich bereits ausnahmslos des
gewöhnlichen jüdischen Gebetbuches bedienen, in welchem
sich die meisten bereits gut zurechtzufinden weissen.
Ihre Sprache, Tracht und Lebensweise ist genau die der
ü/jrigen szekler Bauern, nur dass die Männer nach orthodoxem
Brauche nie barhaupt erscheinen und des Sommers, wenn sie
den grauen, kurzen Szeklerrock ablegen und in ihren engan-
passenden Beinkleidern, oft barfuss, in Hemdärmeln durch die
Strassen gehen, über dem Hemde des Arba-Kanfoth ge-
nannte rituelle Kleidungsstück tragen, an dessen vier Enden
die Schaufäde frei herunterhängen.^ In derselben Tracht arbeiten
sie auf den Feldern, oder im Walde. Mehrere von ihnen tra-
g:en nach Art der polnischen Juden mehr oder minder lange
'Schläfelocken. Die verheirateten Frauen bedecken das in der
Regel abgeschnittene Haar sorgfältig mit einem Kopftuche.
Ihre materielle Lage ist noch immer eine recht traurige.
Die meisten beschäftigen sich mit dem in dieser gebirgigen
Gegend nur spärlich lohnenden Ackerbau. Ihre ohnehin
kleinen, ererbten Bauerngüter sind infolge der Vermehruno:
der Familienmitglieder derartig aufgetheilt und zerstückelt,
dass sie zur Erhaltung der Familie nicht mehr ausreichen.
Manche, die Lastthiere besitzen, nähren sich kümmerlich durch
Holzzuführen, noch andere dadurch, dass sie, nach Bestellung
ihres Ackers, als Taglöhner 20 — 30 Kreuzer täglich verdienen.
Die Jüngern müssen eine Zeitlang anderwärts Beschäftigung
suchen. Die 16 — 17-jährigeji Burschen gehen in irgend eine
benachbarte Stadt, zumeist nach Karlsburg, wo sie bei Juden
als Kutscher oder Ackerknechte Dienste suchen, während die
1 S. IV. B. Mos. 15, 37—38.
296
Mädchen sich als Mägde verdingen. In jüngster Zeit sind einigi
Knaben zu jüdischen Handwerkern in Maros-Väsärhely unc
anderwärts in die Lehre gegangen. Ein junger Proselyte be
sucht seit mehreren Jahren die orthodoxe Rabbinerschule (Je
sohiwah) zu Pressburg.
Ausser in Bözöd-Ujfälu leben noch in einigen siebenbür
gischen Ortschaften, ja sogar in Ungarn, einzelne zum Juden
thum übergetretene SabbatharieF, die aber überall in der betref
fenden jüdischen Ortsgemeinde aufgegangen sind. Sie stamm er
alle entweder aus Bözöd-Ujfalu, oder aus Nagy-Ernye, an welcli
letzterem Orte gegenwärtig zwar mehr kein Sabbatharier zu fin-
den ist, aber die Ruinen ihres einstigen Bethauses noch immei
gezeigt werden. 1
In Bözöd-Ujfalu selber leben, neben der nunmehrigen Pro
selytengemeinde, noch 5 sabbatharische Familien mit zusammen
siebzehn Seelen, 9 Männer und 8 Frauen, die nicht' Juden ge-
worden, sondern ihrem alten Glauben, so wie er von Pechi
gelehrt wurde, treu geblieben sind. Zu diesen gehört d^rTBö*^
richter Josef Sallös, dessen älterer Bruder die Functionen ihres
Rabbiners versieht. Wenn sie nicht in der Lage sind, für eigen%
Rechnung ein Stück Vieh durch ihren Rabbiner schlachten zu
lassen, versorgen sie ihre Küche aus der jüdischen, niemals
aus einer christlichen Fleischbank. Den Sabbat und die übri-
gen jüdischen Gesetze begehen sie auf das gewissenhafteste;
ihre Gebete verrichten sie noch heute aus dem handschriftli-
chen Gebet- und Ritualienbuche Simon Pechis von welchem
in jedem ihrer Häuser zum mindesten ein Exemplar zu fin-
den ist. Mit Christen gehen sie keine Ehe ein; die Juden mögen
sich mit ihnen nicht verschwägern: und so dürften die letzten
Bekenner des nunmehr über dreihundert Jahre bestehenden
Sabbatharierthums in Siebenbürgen in nicht ferner Zeit vol-
lends verschwunden sein.
I
i Diese Notiz verdanke ich der Güte des Herrn Dr. Moritz Turnovsky in
Maros-Väsärhely. Ueber die ausserhalb 3öEöd-üjfalüs lebenden einstigen Sabba-
tharier s. Egyenlöseg, VI., Nr. 9.
2SB
heutigen Tage beibehalten haben, ^ obwohl gegenwärtig bereits
einige Familien von geborenen Juden zu ihnen gehören. "^
Die zusammen 136 Seelen zählende neue Gemeinde ging:
sofort eifrig ans Werk, sich als solche zu organisiren. Sie
stellte einen approbirten Schächter an, der gleichzeitig die j
Agenden des Vorbeters zu versehen hatte. Zum Notar und
Matrikelführer wurde einer der Ihrigen, der alte Abraham Dan '
Koväcs gewählt, den seine Wohlhabenheit und Intelligenz für '
dieses Amt empfahlen. Mit dem hebräischen und dem Reli-
gionsunterrichte, der den Erwachsenen und den Kindern in
besonderen Lohrstunden ertheilt wurde, wurde zunächst Sala-
mon Wolfinger betraut, der gleichzeitig das Ehrenamt des
»Tempelvorstehers« versah,^ aber bald darauf das Dorf verliess-
Ein provisorischer Betsaal, sowie ein für Schulzwecke be-
stimmtes Zimmer wurde sofort, und binnen kurzer Zeit, bereits
i. J. 1870, auch ein rituelles Tauchbad eingerichtet und ein
eigener ' Gottesacker angelegt. Gleichzeitig nahm die kleine
Gemeinde den Bau einer Synagoge in Angriff, welche i. J. 1874,
nach nicht geringen Kämpfen, glücklich vollendet wurde.
Das bescheidene, aber nicht ungefällige Bethaus ist eine
im szekler Geschmacke gebaute und eingerichtete orthodoxe
Synagoge. Das Mauerwerk ist aus Stein, die Fagade aus ge-
schnitztem Holzwerk. Der innere Raum enthält 67 Betstühle
für Männer, die mit einem dichten und hohen Gitter umgebene
Frauengallerie 40 Sitze. Die Estrade, auf welcher die Vorlesung
der Thora geschieht, das sogenannte »Almemor« steht in der
Mitte des Tempels; in der Bundeslade sind drei Thorarollen
aufbewahrt. An den Bänken und Sitzplätzen sind die Tulpen-
und sonstigen Blumenmalereien angebracht, mit welchen die
Szekler ihre Kästen und Möbel zu verzieren pflegen, die Wände
mit den im Udvarhelyer Szeklerstuhle üblichen Holzschnitze-
reien geschmückt.
^ Das Geiiieindesiegel hat die ungarische Umschrift ; „A b.-ujfalvi Izraelila
Hitközs6g pecselje* (Siegel der isr. Religionsgemeinde in B.-Uj'falü). Das hier
fehlende, aber in ihrem amtlichen Verkehre stets gebrauchte Wort „proselita"
(Proselyte n-6em.) ist in der innerhalb der ungarischen Umschrift enthaltenen
hebräischen Inschrift wiedergegeben : K'hal g e r i m u. s. w.
• Der Inhaber dieses Ehrenamtes wurde und wird von den auj^schliesslich
ungarisch sprechenden Proselyten stets mit dem üblichen neuhebräischen Worte
als „Gabbai'' bozeiclmet.
289
Diese Bauten und f]inrichtungen, deren Kosten nur zum
kleineren Theile durch die milden Gaben gedeckt wurden
welche zwei zu diesem Zwecke ausgesandte Proselyten in
nnigen grösseren jüdischen Gemeinden Ungarns sammelten
erschöpften die Kräfte der kleinen Gemeinde. Ihre Mitglieder
waren, mit geringen Ausnahmen, unbemittelt, ja sogar arm,
zumeist Ackerbauer, die von dem Erträgnisse ihres kleinen
Bauerngütchens, oder der Feldarbeiten, die sie für andere ver-
richteten, nur kümmerlich leben konnten. Zu den christlichen
Feiertagen, an welchen sie nicht öffentlich arbeiten durften
kamen die jüdischen Sabbath- und Festtage, an welchen sie
nicht arbeiten wollten, so dass sie wöchentlich mindestens
zwei Tage feiern mussten, was ihnen selbstverständlich zu
nicht geringem Schaden gereichte. Ihre neuen Glaubensgenossen
kümmerten sich, bei der traditionellen Gleicjjigiltigkeit, welche
die Juden den Proselyten und der Proselytenmacherei gegen-
über zu beobachten pflegen, nur blutwenig um sie. Die wenigen
.luden in ihrer Nachbarschaft lebten selber in ärmlichen Ver-
hältnissen; die grosse ungarische Judenheit aber schien von
der neuen Gemeinde, die unter so eigenartigen Verhältnissen
in ihrer Mitte entstanden war, kaum Notiz nehmen zu wollen.
Im Auslande blieb sie lange gänzlich unbeachtet, und die auf
ihre eigene Kraft angewiesenen Proselyten vermochten die
nöthigsten Institutionen einer jüdischen Gemeinde nur schwer
und mangelhaft zu erhalten.
Ihr einziger bezahlter Beamter war der Vorbeter und
^^chächter, der, seitdem Wolfinger das Dorf verlassen, auch die
Stelle des Lehrers vertrat und gleichzeitig auch als Rabbinats-
verweser fungirte, da er der einzige war, an den man sich in
religiösen Angelegenheiten um Rath und Aufklärung wenden
konnte. Dieses vielseitige, wichtige Amt konnten sie aber nur
mit einem Jahresgehalt von 100 bis 120 Gulden dotiren, eine
selbst für ein szekler Dorf geringfügige Bezahlung, für welche
sie selbstverständlich keine entsprechende, brauchbare Persön-
lichkeit gewinnen konnten. Sie mussten sich damit begnügen,
einen polnischen Juden anzustellen, der das rituelle Schlachten
als Handwerk erlernt hatte, und bei seiner gänzlichen Unbil-
dung nur wenig geeignet war, einen günstigen Einfluss auf
ihr religiöses und ihr Geistesleben zu üben.
Ihren Gottesdienst verrichteten sie anfangs in ungarischer
Dr Kohn : Sabbaiharier. 19
290
Sprache, und zwar so, dass der Vorbeter die Gebete hebräiscla
recitirte, die Gemeinde aber die entsprechende Uebersetzung-
aus ihren alten handschriftlichen sabbatharischen Gebetbüchern
las. Die in diesen fehlenden Gebetstücke, wie z. B. das »Mussaf« -
Gebet, ergänzten sie nach dem ersten besten, mit einer unga-
rischen Uebersetzung versehenen jüdischen Gebetbuches Ihr
Schächter-Cantor aus Galizien, der kein Ungarisch verstand
und zudem der Ansicht huldigte, dass jüdische Gebete nur in
der »heiligen Sprache« verrichtet werden dürfen, brachte es
jedoch in kurzer Zeit dahin, dass auch die Gemeinde ihre
Andacht in hebräischer Sprache verrichtete. Freilich konnten
die meisten die ihnen unverständlichen Gebetstücke anfangs
nur mit schwerer Mühe, manche gar nicht lesen, ein Uebel-
stand, dem sie dadurch abzuhelfen suchten, dass sie die hebräi-
schen Texte der wichtigsten jüdischen Gebete mit ungarischen
Buchstaben transscribirten.^
Bei ihren eigenartigen, schwierigen Verhältnissen hätten
sie dringender als jede andere Dorfgemeinde eines intelligen-
ten, theologisch gebildeten und berufseifrigen Lehrers bedurft,
der mit ihnen in ihrer Muttersprache hätte verkehren können.
Aber an die Anstellung eines solchen war vorerst nicht zu denken.
Mussten sie doch zeitweilig sogar des Schächters entrathen, der
ihnen den Lehrer ersetzen sollte. Leute, die in kleinen Gemein-
den dieses Amt zu versehen pflegen, sind in der Regel an ein
Wanderleben gewöhnt und bleiben selten lange auf einem
Platze,^ und es findet sich nicht immer sofort ein anderer, der
auf eine solche armselig dotirte Stelle reflectirt. Die Gemeinde
hatte oft monatelang keinen Schächter und keinen Vorbeter,
und da blieben die Kinder ohne Unterricht, sie alle — ohne
Fleisch. Letzteres musste dann aus dem benachbarten Erdö-
Szent-György bezogen werden. So oft in solchen Fällen der
wohlbeladene Karren des dortigen jüdischen Fleischers anlangte.
* Derartige Ergänzungen finden sich in fast allen damals in Gebrauch
gewesenen Gebetbüchern der Proselyten.
' Solchen, nach der polnisch-jüdischen Aussprache des Hebräischen ge-
machten Trans Scriptionen begegnen wir in mehreren Gebet- sowie in manchen
Gesangbüchern der ersten Proselyten.
» Von 1876 bis 1885 hat die Gemeinde den Schächter, beziehungs eise
Vorbeter und Lehrer nicht weniger als. neunmal gewechselt.
291
wurde im Dorfe ausgerufen, dass »das Koscher- Fleisch ge-
kommen ist«, und die Frauen beeilten sich, ihre Vorrathskam-
mern wieder mit dem mitunter lange entbehrten Nahrungs-
nnittel zu versehen. Mit den im jüdisch-religiösen Leben, na-
mentlich in einem jüdischen Haushalte so häufigen rituellen
Fragen mussten sie sich in jedem einzelnen Falle an den Rab-
biner, oder wie sie ihn zu tituliren pflegten, den »jüdischen
Rischof« von Erdo-Szent-György wenden.
Unter solchen traurigen materiellen und geistigen Ver-
hältnissen konnte die neue Gemeinde unmöglich gedeihen.
Der Rabbiner und Prediger von Bukarest, Dr. Moritz Beck,
der i. J. 1855 gelegentlich einer Badereise einen Abstecher nach
Bözöd-Ujfalu machte, fand zu seiner peinlichen Ueberraschung,
dass sich »die Proselytengemeinde in dem denkbar traurigsten
Zustande befindet.« Das Tempelgebäude war vernachlässigt
und schadhaft; die meisten Mitglieder der Gemeinde, die den
Gottesdienst wohl eifrig besuchten, konnten die hebräischen
Gebete noch immer nicht geläufig lesen, geschweige denn ver-
stehen. Das rituelle Tauchbad war eingestürzt und konnte
nicht benutzt werden, weil die zur Wiederherstellung dessel-
l)en erforderlichen 25 Gulden nicht zu beschaffen waren. Der
vernachlässigte Gottesacker hatte keinerlei Einfriedung, und
war nicht einmal durch eine Dornenhecke, oder einen Graben
von den benachbarten Feldern geschieden. Einen Lehrer hat-
ten sie nicht, weil sie ihn nicht bezahlen konnten, und da im
Dorfe eine Schule überhaupt nicht vorhanden war, wuchsen
die zweiundzwanzig schulpflichtigen Kinder der Gemeinde
ohne religiöse Unterweisung und ohne jeden anderen Unter-
richt heran. Als Schächter, Vorbeter und Rabbinatsverweser
fungirte ein ungebildeter polnischer Jude, der der Landesspra-
che nicht mächtig war, aber auch im Hebräischen und in den
theologischen Fachwissenschaften nicht recht Bescheid wusste.
Zwei Proselyten-Familien ^tvaren bereits wieder zum Christen-
thume zurückgekehrt, die übrigen zum Gespötte der Nach-
harn geworden, die mit Schadenfreude auf die jämmerlichen
Verhältnisse der zum Judenthume übertretenen Szekler hin-
wiesen.
Der bukarester Rabbiner, ein geborener Ungar, veröffent-
lichte in einer ungarisch-jüdischen Monatsschrift einen ausführ-
lichen Bericht über die traurigen Erfahrungen, die er in
19*
288
heutigen Tage beibehalten haben, ^ obwohl gegenwärtig bereits
einige Familien von geborenen Juden zu ihnen gehören.
Die zusammen 136 Seelen zählende neue Gemeinde ging
sofort eifrig ans Werk, sich als solche zu organisiren. Sie
stellte einen approbirten Schächter an, der gleichzeitig die
Agenden des Vorbeters zu versehen hatte. Zum Notar und
Matrikelführer wurde einer der Ihrigen, der alte Abraham Dan
Koväcs gewählt, den seine Wohlhabenheit und Intelligenz für
dieses Amt empfahlen. Mit dem hebräischen und dem Reli-
gionsunterrichte, der den Erwachsenen und den Kindern in
besonderen Lohrstunden ertheilt wurde, wurde zunächst Sala-
mon Wolfmger betraut, der gleichzeitig das Ehrenamt des
»Tempelvorstehers« versah,^ aber bald darauf das Dorf verliess-
Ein provisorischer Betsaal, sowie ein für Schulzwecke be-
stimmtes Zimmer wurde sofort, und binnen kurzer Zeit, bereits
i. J. 1870, auch ein rituelles Tauchbad eingerichtet und ein
eigener ' Gottesacker angelegt. Gleichzeitig nahm die kleine
Gemeinde den Bau einer Synagoge in Angriff, welche i. J. 1874,
nach nicht geringen Kämpfen, glücklich vollendet wurde.
Das bescheidene, aber nicht ungefällige Bethaus ist eine
im szekler Geschmacke gebaute und eingerichtete orthodoxe
Synagoge. Das Mauerwerk ist aus Stein, die Fagade aus ge-
schnitztem Holzwerk. Der innere Raum enthält 67 Betstühle
für Männer, die mit einem dichten und hohen Gitter umgebene
Frauengallerie 40 Sitze. Die Estrade, auf welcher die Vorlesung
der Thora geschieht, das sogenannte »Almemor« steht in der
Mitte des Tempels; in der Bundeslade sind drei Thorarollen
aufbewahrt. An den Bänken und Sitzplätzen sind die Tulpen-
und sonstigen Blumenmalereien angebracht, mit welchen die
Szekler ihre Kästen und Möbel zu verzieren pflegen, die Wände
mit den im Udvarhelyer Szeklerstuhle üblichen Holzschnitze-
reien geschmückt.
^ Das Geiueindesiegd hat die ungarische Umschrift ; ,,A b.-ujfalvi Izraelila
Hitközsög pecs6lje^ (Siegel der isr. Religionsgemeinde in B.-Ujfalü). Das hier
fehlende, aber in ihrem amtlichen Verkehre stets gebrauchte Wort ,,proselita'*
(Proselyte n-6em.) ist in der innerhalb der ungarischen Umschrift enthaltenen
hebräischen Inschrift wiedergegeben : K'hal g e r i m u. s. w.
• Der Inhaber dieses Ehrenamtes wurde und wird von den ausjschliesslicli
ungarisch sprechenden Proselyten stets mit dem üblichen neuhebröischen Worte
als „Gabbai" bezeichnet.
289
Diese Bauten und Einrichtungen, deren Kosten nur zum
klei neren Theile durch die milden Gaben gedeckt wurden
welche zwei zu diesem Zwecke ausgesandte Proselyten in
einigen grösseren jüdischen Gemeinden Ungarns sammelten
erschöpften die Kräfte der kleinen Gemeinde. Ihre Mitglieder
waren, mit geringen Ausnahmen, unbemittelt, ja sogar arm,
zunieist Ackerbauer, die von dem Erträgnisse ihres kleinen
Hauerngütchens, oder der Feldarbeiten, die sie für andere ver-
richteten, nur kümmerlich leben konnten. Zu den christlichen
Feiertagen, an welchen sie nicht öffentlich arbeiten durften
kannen die jüdischen Sabbath- und Festtage, an welchen sie
nicht arbeiten wollten, so dass sie wöchentlich mindestens
zw^ei Tage feiern mussten, was ihnen selbstverständlich zu
nicht geringem Schaden gereichte. Ihre neuen Glaubensgenossen
kümmerten sich, bei der traditionellen Gleic|j[giltigkeit, welche
die Juden den Proselyten und der Proselytenmacherei gegen-
über zu beobachten pflegen, nur blutwenig um sie. Die wenigen
Juden in ihrer Nachbarschaft lebten selber in ärmlichen Ver-
hältnissen; die grosse ungarische Judenheit aber schien von
der neuen Gemeinde, die unter so eigenartigen Verhältnissen
in ihrer Mitte entstanden war, kaum Notiz nehmen zu wollen.
Im Auslande blieb sie lange gänzlich unbeachtet, und die auf
ihre eigene Kraft angewiesenen Proselyten vermochten die
nöthigsten Institutionen einer jüdischen Gemeinde nur schwer
und mangelhaft zu erhalten.
Ihr einziger bezahlter Beamter war der Vorbeter und
Schächter, der, seitdem Wolfinger das Dorf verlassen, auch die
Stelle des Lehrers vertrat und gleichzeitig auch als Rabbinats-
verweser fungirte, da er der einzige war, an den man sich in
religiösen Angelegenheiten um Rath und Aufklärung wenden
konnte. Dieses vielseitige, wichtige Amt konnten sie aber nur
mit einem Jahresgehalt von 100 bis 120 Gulden dotiren, eine
selbst für ein szekler Dorf geringfügige Bezahlung, für welche
sie selbstverständlich keine entsprechende, brauchbare Persön-
lichkeit gewinnen konnten. Sie mussten sich damit begnügen,
einen polnischen Juden anzustellen, der das rituelle Schlachten
als Handwerk erlernt hatte, und bei seiner gänzlichen Unbil-
dung nur wenig geeignet war, einen günstigen Einfluss auf
ihr religiöses und ihr Geistesleben zu üben.
Ihren Gottesdienst verrichteten sie anfangs in ungarischer
Dr Kohn : Sabbatharier. ^ 9
l
290
Sprache, und zwar so, dass der Vorbeter die Gebete hebräiscli
recitirte, die Gemeinde aber die entsprechende Uebersetzuing-
aus ihren alten handschriftlichen sabbatharischen Gebetbüchern
las. Die in diesen fehlenden Gebetstücke, wie z. B. das »Musssif « -
Gebet, ergänzten sie nach dem ersten besten, mit einer unga-
rischen Uebersetzung versehenen jüdischen Gebetbuches Ilir
Schächter-Cantor aus Galizien, der kein Ungarisch verstand
und zudem der Ansicht huldigte, dass jüdische Gebete nur in
der »heiligen Sprache« verrichtet werden dürfen, brachte es
jedoch in kurzer Zeit dahin, dass auch die Gemeinde ihre
Andacht in hebräischer Sprache verrichtete. Freilich konnten
die meisten die ihnen unverständlichen Gebetstücke anfang-s
nur mit schwerer Mühe, manche gar nicht lesen, ein Uebel-
stand, dem sie dadurch abzuhelfen suchten, dass sie die hebräi-
schen Texte der wichtigsten jüdischen Gebete mit ungarischen
Buchstaben transscribirten.^
Bei ihren eigenartigen, schwierigen Verhältnissen hätten
sie dringender als jede andere Dorfgemeinde eines intelligen-
ten, theologisch gebildeten und berufseifrigen Lehrers bedurft,
der mit ihnen in ihrer Muttersprache hätte verkehren können.
Aber an die Anstellung eines solchen war vorerst nicht zu denken .
Mussten sie doch zeitweilig sogar des Schächters entrathen, der
ihnen den Lehrer ersetzen sollte. Leute, die in kleinen Gemein-
den dieses Amt zu versehen pflegen, sind in der Regel an ein
Wanderleben gewöhnt und bleiben selten lange auf einem
Platze,^ und es findet sich nicht immer sofort ein anderer, der
auf eine solche armselig dotirte Stelle reflectirt. Die Gemeinde
hatte oft monatelang keinen Schächter und keinen Vorbeter,
und da blieben die Kinder ohne Unterricht, sie alle — ohne
Fleisch. Letzteres musste dann aus dem benachbarten Erdö-
Szent-György bezogen werden. So oft in solchen Fällen der
wohlbeladene Karren des dortigen jüdischen Fleischers anlangte,
^ Derartige Ergänzungen finden sich in fast allen damals in Gebrauch
gewesenen Gebetbüchern der Proselyten. :
' Solchen, nach der polnisch-jüdischen Aussprache des Hebräischen ge- I
machten Transscriptionen begegnen wir in mehreren Gebet- sowie in manchen ^
Gesangbüchern der ersten Proselyten. :
» Von 1876 bis 1885 hat die Gemeinde den Schächter, beziehungs eise
Vorbeter und Lehrer nicht weniger als. neunmal gewechselt.
291
wurde im Dorfe ausgerufen, dass »das Koscher-Fleisch ge-
kommen ist«, und die Frauen beeilten sich, ihre Vorrathskam-
mern wieder mit dem mitunter lange entbehrten Nahrungs-
mittel zu versehen. Mit den im jüdisch-religiösen Leben, na-
mentlich in einem jüdischen Haushalte so häufigen rituellen
Fragen mussten sie sich in jedem einzelnen Falle an den Rab-
biner, oder wie sie ihn zu tituliren pflegten, den »jüdischen
Hischof« von Erdö-8zent-György wenden.
Unter solchen traurigen materiellen und geistigen Ver-
hältnissen konnte die neue Gemeinde unmöglich gedeihen.
Der Rabbiner und Prediger von Bukarest, Dr. Moritz Beck,
der i. J. 1855 gelegentlich einer Badereise einen Abstecher nach
Bözöd-Ujfalu machte, fand zu seiner peinlichen Ueberraschung,
dass sich »die Proselytengemeinde in dem denkbar traurigsten
Zustande befindet.« Das Tempelgebäude war vernachlässigt
und schadhaft; die meisten Mitglieder der Gemeinde, die den
Gottesdienst wohl eifrig besuchten, konnten die hebräischen
Gebete noch immer nicht geläufig lesen, geschweige denn ver-
stehen. Das rituelle Tauchbad war eingestürzt und konnte
nicht benutzt werden, weil die zur Wiederherstellung dessel-
ben erforderlichen 25 Gulden nicht zu beschaffen waren. Der
vernachlässigte Gottesacker hatte keinerlei Einfriedung, und
war nicht einmal durch eine Dornenhecke, oder einen Graben
von den benachbarten Feldern geschieden. Einen Lehrer hat-
ten sie nicht, weil sie ihn nicht bezahlen konnten, und da im
Dorfe eine Schule überhaupt nicht vorhanden war, wuchsen
die zweiundzwanzig schulpflichtigen Kinder der Gemeinde
olme religiöse Unterweisung und ohne jeden anderen Unter-
richt heran. Als Schächter, Vorbeter und Rabbinatsverweser
l'ungirte ein ungebildeter polnischer Jude, der der Landesspra-
che nicht mächtig war, aber auch im Hebräischen und in den
theologischen Fachwissenschaften nicht recht Bescheid wusste.
Zwei Proselyten-Familien •varen bereits wieder zum Christen-
thume zurückgekehrt, die übrigen zum Gespötte der Nach-
l)arn geworden, die mit Schadenfreude auf die jämmerlichen
\'erhältnisse der zum Judenthume übertretenen Szekler hin-
wiesen.
Der bukarester Rabbiner, ein geborener Ungar, veröffent-
lichte in einer ungarisch-jüdischen Monatsschrift einen ausführ-
lichen Bericht über die traurigen. Erfahrungen, die er in
19*
292
Bözöd-Ujfalu gemacht. Der warm geschriebene Artikel^ blieb^^S
nicht wirkungslos. Die^Redaction der betreffenten Monatsschrift ^-'^
knüpfte einen Aufruf an denselben, worauf neben Bibeln, Gebet-^^r
und Schulbüchen allmällig ungefähr 1100 Gulden zu Gunsten lid
der hilfsbedürftigen Gemeinde einliefen. Die »Landeskanzlei ^^
der Juden Ungarns und Siebenbürgens« erwirkte, dass das la
Matrikelamt für sämmtliche Juden des udvarhelyer Bezirks iif
nach Bözöd-Ujfalu verlegt wurde.^ Der Cultusminister Trefort, 'm
an welchen die Gemeinde sich bittlich gewendet hatte, Hess ihr >.
»zur Erhaltung ihrer Cultuseinrichtungen« für das Jahr 1886 ta
eine Staatssubvention von 100 Gulden anweisen. » Zu demsel- St
ben Zwecke erhielt sie bald darauf dieselbe Summe von der vj
»Pester israelitischen Religionsgemeinde« in Budapest; endlich . r
aber stellte ihr die »Alliance israelite universelle« über Inter- i
vention einiger ihrer ungarischen Mitglieder, 500 francs für
Unterrichts- und Schulzwecke zur Verfügung.
Mit Hilfe dieser verhältnissmässig spärlichen Unterstü-
tzungen vermochte die arme Gemeinde ihre dem Verfalle ent-
gegengehenden wichtigsten Institutionen und, was die Haupt-
sache war, ihr Schulwesen zu reorganisiren und in besten
Stand zu setzen. Ihre Bedürfnisse waren bescheiden und mit
geringen Mitteln zu decken; denn in Bözöd-Ujfalu ist nur das
Geld theuer, alles Andere billig zu beschaffen.
Statt der bisherigen 120 Gulden wurden 400 Gulden als
jährliche Bezahlung festgesetzt »für einen solchen Religions-
lehrer, der gleichzitig das Schächteramt versehen könnte und
in dem jüdischen Religionsgesetze so bewandert wäre, dass er
den altern Gemeindemitgliedern die im religiösen Leben
auftauchenden Fragen als Fachmann, und zwar in ungarischer
Sprache beantworten, den Kindern aber einen möglichst er-
schöpfenden Unterricht in allen Lehrgegenständen der Religion
ertheilen könnte.« Für die Restaurirungskosten der Syna-
goge und für den Wiederaufbau ^des rituellen Tauchbades
1 S. denselben Ma;y. Zsidö Szemle II. S. 254 flg.
* S. den Brief der genannten Kanzlei vom 26. November 1885 Z. 10193 ;
vgl. Magy. Zsidö Szemle II. S. 707.
» S. das Gesuch des stellvertretenden Gemeindevorstehers Mendel Kovä es
vom 1. Feber 1886, das Rescript des Gultusministers Trefort vom 10. Mai d.
Jahres Z. 11131, sowie den Brief der Isr. Landeskanzlei vom 28. Mai Z. 10726.
Die beglaubigten Abschriften dieser Actenstücke befinden sich in meinem Besitze
293
vurdon 180 Gulden angewiesen. Bei alledem waren die gesamm-
ten Ausgaben für das Jahr 1886 bloss mit 696 (iulden und
5 Kreuzern veranschlagt, welchen jedoch nur 360 Gulden, darunter
140 Gulden »Cultussteuern,« als Bedeckung gegenüberstanden.^
Die fehlenden 336 Gulden wurden aus dem von der Redaction
des »Magyar Zsidö Szemle« gesammelten und von ihr
verwalteten Hilfsfond gedeckt, aus welchem der Gemeinde noch
für fernere drei Jahre eine ähnliche Subvention gereicht werden
konnte- Seit 1890 lässt ihr die »Wiener Allianz« jährlich 300
Gulden zur Bezahlung ihres Religionslehrers zukommen.
Seit dieser Zeit haben sich die Verhältnisse der Gemeinde
langsam, aber stetig gebessert. Die Synagoge wurde gründlich
restaurirt, der Gottesacker vergrössert und eingefriedet, und
ein Grundstück erworben, auf welchem ein neues rituelles
* Der am 27. Deceraber 1885 angenomroene Voranschlag für 1886 lautet,
nach der in meinem Besitze befindlichen Abschrift, in wörthcher üöberselzung
folgendermassen :
Bedarf. Bedeckung.
J. Cullus. I. Cultus,
Gulden Giihicn
1. Bezahlung des Rehgionsleh- 1. Cultussteuern 150
rers und Schächters . . . 400 2. Tempelspenden .... 50
2. Tempeldiener 20 3. Rituelles Tauchbad ... 40
3. Feuerversicherung für den
Tempel 10 I^- Schule.
4. Bedarf für Restaurirung des 4. Schulgelder 120_
Tempels 30 Zusammen : 360
5. Staatssteuer für den Tempel 4*5
6. Für Unterstützungen an hie-
sige u. durchreisende Arme 10
7. Für Drucksorten .... 2
8. Aussergew. Ausgaben . . 20
9. Zur Wiederherstellung der
Mikwe (des rituellen Tauch-
bades) 150
10. Beleuchtung des Tempels . 20
//. Schule,
11. Mietzins für die Schulioc a-
lität und für die Lehrer-
wohnung 20
12. Für Reinigung und Behei-
zung der Sch üllocalität . . 10 Fehlbetrag . . ^ ■ > ■ • 336-5
Zusammen: 696-5 Zusammen: 696*5
294
Badehaus, ein entsprechendes Schulgebäude und die Amts- j
Wohnung des Lehrers errichtet wurde. Auch auf dem Gebiete ;
des Jugendunterrichtes ist ein erfreulicher Fortschritt zu ver- ^
zeichnen. Im Schuljahre 1885—6 wurde nämlich in Bözöd-Ujfalu ^
eine auf Staatskosten errichtete Volksschule eröffnet, und mit ,
der Leitung derselben ein von der Dorfgemeinde gewählter .
Schulstuhl betraut, der den damaligen Notar der Proselyten« :
Gemeinde, Abraham Dan Koväcs zum »Schulstuhlökonomen«
ernannte. Seitdem besuchen die Kinder der jüdischen Gemeinde , ^
mit der übrigen Dorfjugend die neue Volksschule, an welcher ,
sie des Sabbaths nur eine Unterrichtsstunde haben, damit sie .
sich mit den Erwachsenen an dem öffentlichen Gottesdienste
betheiligen können. Vom Schreiben und Zeichnen sind sie auch ,
in dieser Stunde dispensirt.
Die Gemeinde, welche gegenwärtig 39 Familien, darunter
32 rein sabbatharische zählt, bildet eine erträglich gut orga-
nisirte jüdisch-orthodoxe Gemeinde. Ihr Vorsteher ist Oscher
Koväcs; in ihrer Repräsentanz befindet sich nur ein geborener
Jude, der Cassier der Gemeinde, Salomon Teichmann, alle üb-
rigen sind ehemalige Sabbatharier und, mit einer einzigen Aus-
nahme, sämmtlich Koväcs's> Als Religionslehrer, der gleich-
zeitig die Agenden des Vorbeters, Schächters und Notars ver-
sieht, wirkt seit 1889 der pädagogisch gebildete Lehrer Isaak
Hirsch, der die Landessprache vollkommen beherrscht und
sich allgemeiner Achtung erfreut. Der Rabbiner der Nachbar-
gemeinde Erdö-Szent-György und einige intelligente und eifrige
Mitglieder derselben unterstützen die Proselytengemeinde,
welche sie in wichtigeren Angelegenheiten ihren Sitzungen bei-
zuziehen pflegt, mit ihrem Rathe und ihrer Erfahrung.^
Die Synagoge, welche sie mit dem, ihren früheren pol-
nischen Schächtern abgelernten Worte »Schil« (Schul) zu nennen
pflegen, ist an Sabbath- und Festtagen mit Andächtigen dicht
^ Nach dem mit vorliegenden Aclenstücke wird die Vertretung der Ge-
meinde (i. J. 1889) ausser von dem obengenannten Oscher Koväcs (Präses) und
Salomon Teichmann (Gassier) noch von den folgenden gebildet: Mendel Koväcs,
Herman Koväcs, Ghajem Koväcs, Samli Gsukor, Sewilin (Sebulun) Koväcs und
Lazar Koväcs.
2 Unter diesen verdanke ich Herrn Med. Dr. Leo B e r g e r und dem Reli-
gionslehrer Leopold Abraham manchen interessanten Beitrag bezüglich der
Lebens- und Gemeindeverhältnisse der Proselvten.
295
jefüllt; auch die Frauen gehören zu den regelmässigen Be-
wuchern des ülTent liehen Gottesdienstes. An Wochentag-en. mit
Ausnahme des Neumonds- und solcher Tage, an welchen ein
iemeindemitglied »Jahrzeit« hat, d. h. die Wiederkehr des
"Sterbetages seines Vaters oder seiner Mutter mit den ül)lichen
iebeten begeht, bleibt die Synagoge gesclilossen. DcMin der
.Tösste Theil der Gemeinde besteht aus Arbeitern, zumeist
Ackerbauern, die schon bei Tagesanbruch an die Ar])ei( gehen
lind erst am späten Abend von den Feldern und Wiesen heim-
it'hren. Den Gottesdienst verrichten sie streng nach jüdisch-
'rthodoxem Brauche, wobei sie sich bereits ausnahmslos des
^gewöhnlichen jüdischen Gebetbuches bedienen, in welchem
ijicb die meisten bereits gut zurechtzufinden wissen.
Ihre Sprache, Tracht und Lebensweise ist genau die der
i/irigen szekler Bauern, nur dass die Männer nach orthodoxem
Brauche nie barhaupt erscheinen und des Sommers, wenn sie
den grauen, kurzen Szeklerrock ablegen und in ihren engan-
passenden Beinkleidern, oft barfuss, in Ilemdärmeln durch die
Strassen gehen, über dem Hemde des Arba-Kanfoth ge-
nannte rituelle Kleidungsstück tragen, an dessen vier Enden
die Schaufäde frei herunterhängen. ^ In derselben Tracht arbeiten
sie auf den Feldern, oder im Walde. Mehrere von ihnen tra-
fen nach Art der polnischen Juden mehr oder minder lange
Schläfelocken. Die verheirateten Frauen bedecken das in der
Regel abgeschnittene Haar sorgfältig mit einem Kopftuche.
Ihre materielle Lage ist noch immer eine recht traurige.
Die meisten beschäftigen sich mit dem in dieser gebirgigen
Gegend nur spärlich lohnenden Ackerbau. Ihre ohnehin
kleinen, ererbten Bauerngüter sind infolge der Vermehruno:
der Familienmitglieder derartig aufgetheilt und zerstückelt,
dass sie zur Erhaltung der Familie nicht mehr ausreichen.
Manche, die Lastthiere besitzen, nähren sich kümmerlich durch
Vlolzzuführen, noch andere dadurch, dass sie, nach Bestellung
ihres Ackers, als Taglöhner 20 — 30 Kreuzer täglich verdienen.
Die Jüngern müssen eine Zeitlang anderwärts Beschäftigung
suchen. Die 16 — 17-jährigeji Burschen gehen in irgend eine
benachbarte Stadt, zumeist nach Karlsburg, wo sie bei Juden
als Kutscher oder Ackerknechte Dienste suchen, während die
1 S. IV. B. Mos. 15, 37—38.
296
Mädchen sich als Mägde verdingen. In jüngster Zeit sind einige
Knaben zu jüdischen Handwerkern in Maros-Väsärhely und
anderwärts in die Lehre gegangen. Ein junger Proselyte be-
sucht seit mehreren Jahren die orthodoxe Rabbinerschule (Je-
sohiwah) zu Pressburg.
Ausser in Bözöd-Ujfälu leben noch in einigen siebenbür-
gischen Ortschaften, ja sogar in Ungarn, einzelne zum Juden-
thum übergetretene Sabbatharier, die aber überall in der betref-
fenden jüdischen Ortsgemeinde aufgegangen sind. Sie stammen
alle entweder aus Bözöd-Ujfalu, oder aus Nagy-Ernye, an welch
letzterem Orte gegenwärtig zwar mehr kein Sabbatharier zu fin-
den ist, aber die Ruinen ihres einstigen Bethauses noch immer
gezeigt werden.^
In Bözöd-Ujfalu selber leben, neben der nunmehrigen Pro-
selytengemeinde, noch 5 sabbatharische Familien mit zusammen
siebzehn Seelen, 9 Männer und 8 Frauen, die nicht* Juden ge-
worden, sondern ihrem alten Glauben, so wie er von Pechi
gelehrt wurde, treu geblieben sind. Zu diesen gehört dj^r"DOl^
richter Josef Sallos, dessen älterer Bruder die Functionim ihres
Rabbiners versieht. Wenn sie nicht in der Lage sind, für eigcnV
Rechnung ein Stück Vieh durch ihren Rabbiner schlachten zu
lassen, versorgen sie ihre Küche aus der jüdischen, niemals
aus einer christlichen Fleischbank. Den Sabbat und die übri-
gen jüdischen Gesetze begehen sie auf das gewissenhafteste;
ihre Gebete verrichten sie noch heute aus dem handschriftli-
chen Gebet- und Ritualienbuche Simon Pechis von welchem
in jedem ihrer Häuser zum mindesten ein Exemplar zu fin-
den ist. Mit Christen gehen sie keine Ehe ein; die Juden mögen
sich mit ihnen nicht verschwägern: und so dürften die letzten
Bekenner des nunmehr über dreihundert Jahre bestehenden
Sabbatharierthums in Siebenbürgen in nicht ferner Zeit vol-
lends verschwunden sein.
1 Diese Notiz verdanke ich der Güte des Herrn Dr. Moritz Turnovsky in
Maros-Vasarhely. Ueber die ausserhalb .Bözöd-Ujfalüs lebenden einstigen Sabba-
tharier s. Egyenlöseg, VI., Nr. 9.
\\\
ufls^snr
3 2044 048 295 471