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Full text of "Die sagengeschichtlichen Grundlagen der Ringdichtung Richard Wagners"

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ie sageBgeschichtlichen 
Grandlagen der Ring- 
dichtang Richard Wagners. 



\ Von 



Dr. Wolfgang Golther 

Professor an der Rostocker Hochschule. 





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Charlottenburg (-Berlin) 1902. 
Verlag der »Allgetn. Musik-Zeitung^ 

(Paul Lehsten). 







Alle Rechte, auch das der Uebersetzung, vorbehalten. 






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105877 



Einleitung. 




ie folgenden Betrachtungen Ober die 
sagengeschichtiichen Grundlagen des 
Ringes fassen in kürzesten Zügen die 
Ergebnisse oft wiederholter Unter- 
suchungen zusammen, zu denen meine 
Vorlesungen über Nibelungensage und Nibelungen- 
dichtung im Mittelalter und in der Neuzeit an der 
Mfinchener und Rostocker Hochschule und Vorträge 
über den Ring, dessen vollständige und nach dem 
Bayreuther Vorbild durchaus stilgerechte Aufführungen 
an der Rostocker Bühne 18Q8— 1902 ich mit zahlreichen 
erläuternden Vorbemerkungen und Besprechungen be- 
gleiten durfte, Veranlassung gaben. Der Aufforderung 
des Herrn Herausgebers der »Allgemeinen Musik- 
ZeitungCy meinem Tristanaufsatz (vgl. »A. M.-Ztg.< 
Jahrg. 2Q No. 16) eine ähnliche Arbeit über den Ring 
folgen zu lassen, komme ich hiermit nach, indem ich 
die einzelnen den Ring des Nibelungen betreffenden 
Untersuchungen, von denen nur wenig (vgl. z. B. »Bühne 
und Welt« I 577 ff.) bisher gedruckt wurde, zu einem 
Oesammtüberblick vereinige Ich gebe weder eine 
Geschichte der Nibelungensage noch der neueren 
Nibelungendichtung. Aber natüriich berührt sich meine 
Schrift mit solchen Büchern wie H. von Wolzogens 
Nibelungenmythus in Sage und Literatur 1876 oder 

1 



— 6 — 

besonders mit E. Meincks sagenwissenschaftlichen 
Grundlagen der Nibelungendichtung Richard Wagners 
18Q2, um aus der Ffille der hierauf bezuglichen, frei- 
lich nicht immer sehr kritischen und sachkundigen 
Arbeiten nur zwei Beispiele zu nennen. Auch des 
Dänen Ojellerup Buch über Richard Wagner in seinem 
Hauptwerke »Der Ring des Nibelungen«, deutsch von 
O, L. Jiriczek, Leipzig 1891 behandelt die Quellenfrage 
einsichtsvoll und sachverständig. Meine Absicht ist, 
in möglichster Kürze alles Wesentliche anzuführen, 
was im Ring quellenmäßig belegt werden kann. So 
weit der Wortlaut altnordischer Sagen und Lieder in 
längeren Absätzen zu geben ist, folge ich den schönsten 
Verdeutschungen, die wir haben, denen Uhlands und 
der Brüder Orimm. Nicht aber die Quelle an und für 
sich, sondern nur die Züge, die im Ring benutzt sind, 
kommen hier in Betracht. Ein solcher Vergleich rückt 
die dichterische Größe und Selbständigkeit 
Richard Wagners in helles Licht. Es liegt mir ebenso 
daran, zu zeigen, was Wagner nicht vorfand, sondern 
neu hinzufügte. Und das ist eigentlich das meiste 
und beste. Die gestaltende Wunderkraft des großen 
Dichters tritt im Ring wahrhaft leuchtend hervor. Die 
altgermanische Sage ist förmlich neu geboren worden 
und erfuhr in dieser Erneuerung die höchste Ver- 
klärung, die ihr je bisher zu Teil ward. Durch die im 
Folgenden gegebenen Nachweise wird die jedem Sach- 
kundigen ohnehin bekannte Thatsache von neuem vor- 
geführt, dass Wagner niemals irgend welche bestimmte 
mittelalterliche Vortage dramatisirte, wie etwa Uhland 
1817 in seinem Entwurf eines Nibelungendramas oder 
Hebbel in seinem für mein Gefühl ganz unglücklichen 



dreiteiligen Trauerspiel das Nibelungenlied, noch auch 
in roher äußerlicher Weise die gesammte nordische 
und deutsche Ueberlieferung durch einander warf und 
auf einander häufte, wie Jordan in seinem stillosen 
Nibelungenepos, das ich ebenso vom rein poetischen 
wie sagengeschichtlichen Standpunkt durchaus ver- 
werfe. Richard Wagner beherrscht vielmehr den ge- 
sammten Stoff in seiner ganzen Ausdehnung bis zur 
Gegenwart, ja sogar die darüber umgehenden wissen- 
schaftlichen Ansichten. Er zerlegt die Sage in ihre 
Grundbestandteile und führt daraus einen neuen selbst- 
ständigen Bau auf, worin Altes und Neues, Eigenes 
und Ueberliefertes zu einer unlöslichen künstlerischen 
Einheit verschmolz. Aus allen triebkräftigen Keimen, 
die irgendwo in den Quellen angesetzt hatten, sproßten 
im neuen Zusammenhang herrlichste Blüten. Dagegen 
ist mit staunenswertem Scharfblick jeder störende tote 
Zug erkannt und bei Seite, gelassen. 

Heinrich von Stein schrieb einmal .{Bayreuther 
Blätter 1889, S. 189): »In der Edda habe ich den 
Spuren der Fabel -Fügung nachgeforscht mit immer 
wachsendem Bewundern und Erstaunen. Es ist 
schließlich einfach und geradezu, als ob der Ring eine 
den Eddadichtern nicht mehr zugänglich gewesene 
Urschrift sei, deren teilweises Verständniß man dem- 
nach in ihren Liedern nur hie und da verspürte: so 
sehr scheint im Drama alles zu seiner Ureinheit zurück- 
geführt und neu geschaffen und belebt.« Ich empfinde 
genau so wie H. von Stein, wenn ich die Werke 
Wagners mit ihren Vorlagen vergleiche: im Drama 
ein organisches Gebilde, in den Quellen versprengte 
und verstreute Bruchstücke. Aber man hüte sich vor 

1* 



— 8 — 

dem Irrtum, als ob Wagner wirklich eine verlorene 
Sagenwelt, die hinter den Quellen lag, wieder ge- 
wonnen hätte. Das kann nur die darum heiß bemühte 
Wissenschaft. Der Künstler giebt uns eine völlig 
neue und eigene Schöpfung, deren Wert und Größe 
sich danach bemißt, ob sie hinter den Quellen zurück- 
bleibt oder sie übertrifft. 

Die Sage von Sigfrid und den Nibelungen zerfällt 
in zwei Teile, einen märchenhaften, mythischen und 
einen geschichtlichen. Den Inhalt der Sigfridsage, 
die fränkischen Ursprungs ist, bilden die Taten des 
jungen Helden, sein Verhältniß zu Brünhild und 
Orimhild und sein Tod. Inhalt der Nibelungensage 
ist »der Nibelunge Not«, d. h. der Untergang der 
burgundischen Könige durch die Hunnen. Dieser ge- 
schichtliche Teil gründet sich auf burgundische Lieder 
und wurde mit der fränkischen Sigfridsage zu einer 
Einheit verschmolzen, so daß er als ihre Fortsetzung 
erscheint. Sigfrid ist der Sohn Sigmunds des Wei- 
sungen, dem Wodan ein Siegschwert veriieh. Damit 
tritt noch als Vorgeschichte eine dritte Sage, eben 
die von Sigmund, zu den beiden eben angeführten 
hinzu. Von den fränkischen und burgundischen Ur- 
gesängen des V.— VI. Jahrhunderts ist nichts auf uns 
gelangt Aber die Sage wanderte nach Norden und 
Süden, knüpfte an die dort vorhandene heimische 
Ueberlieferung an und tritt uns mannigfach umgebildet 
in späteren Dichtungen entgegen. Wir besitzen nor- 
wegische Sigfridlieder aus dem X.— XI. Jahrhundert, 
süddeutsche Gedichte des XIII. Jahrhunderts und nord- 
deutsche (westfälische) Lieder aus derselben Zeit. 
Letztere sind aber nicht im Original, sondern nur nach 



— 9 — 

ihrem Inhalt bekannt in Gestalt der sogenannten 
Thidrekssaga, die um 1250 ein norwegischer Verfasser 
nach norddeutschen Liedern in norwegischer Prosa 
aufzeichnete. Die Wissenschaft ist bemüht, aus den 
beiden unabhängigen Hauptzweigen, dem nordischen 
und deutschen, die gemeinsame Grundlage wieder- 
herzustellen, also die burgundisch-fränkische Sage des 
V.— VI. Jahrhunderts, wodurch auch die beiderseitigen 
selbständigen Zusätze bestimmt werden. Die Auf- 
gabe ist schwierig und noch lange nicht gelöst Früher 
galten allgemein die norwegischen sogenannten Edda- 
lieder als die Träger der altertümlichsten und echtesten 
Ueberiieferung. Fast alles, worin sie die deutschen 
Quellen übertrafen, wurde der Ursage zugerechnet 
Selbständige nordische Neudichtung ward nur in 
geringem Umfang angenommen. Jetzt bekehrt man 
sich allmählich zur entgegengesetzten Ansicht Im 
Norden spielt die Götterwelt herein, Odin und die 
Walküren. Die Sigmundsage wurzelt völlig im Odins- 
glauben. Die Sigfridsage hebt sich namentlich durch 
die Walküre Brynhild auf demselben Hintergrunde ab. 
In Deutschland findet sich von alledem keine Spur, 
nicht weil diese Züge erioschen, sondern weil sie 
überhaupt nicht vorhanden waren. Die fränkische 
Sage scheint also im Norden einer tiefgreifenden Um- 
bildung dadurch unterzogen worden zu sein, daß sie 
sich wie die heimische nordische Heldensage über- 
haupt an den Odinglauben anlehnte. Götter- und 
Heldengeschick verflochten sich mit einander. 

Der heutige Dichter muß zu dieser ganzen um- 
fangreichen Ueberiieferung Stellung nehmen. Weder 
Kompilation noch sklavischer Anschluß an eine be- 



— 10 — 

sondere Vorlage ffihrt zum Ziel, nur geniale Intuition, 
Erfassen einer leitenden Idee, Herausheben aller trieb- 
kräftigen, poetisch wirkungsvollen Motive, die zu dieser 
Idee und unter einander in bedeutende, oft neue und 
vertiefte Beziehungen treten müssen. Vor dem Dichter- 
auge zerlegt sich die Ueberlieferung In ihre Bestand- 
teile, um von Orund aus neu aufgebaut zu werden. 
Nur so wird der schöpferische Oeist volle Freiheit 
sich wahren, treusten Anschluß an 's Wesentliche der 
Ueberlieferung mit eigenster Erfindung vereinigen. 

Und so erfaßte Richard Wagner die alte Sage. 
Seine Absicht war, nur den mythischen Teil, die 
Sigfridsage zu behandeln. Der geschichtliche Teil, 
die Sage vom Untergang der burgundischen Könige 
durch Etzel, blieb außer Ansatz. Damit trat Brunhild 
hervor, Kriemhild- Gudrun aber zurück. Schon Uhland 
(Schriften 1, 334) bemerkt: »Soll die Fabel irgend Ein- 
heit und Mittelpunkt haben, so muß notwendig das 
eine von den beiden Verhältnissen vorherrschend sein; 
so lange aber Brunhild mit ihrer mythischen Herriich- 
keit umkleidet ist, kann ihr der Vorrang nicht streitig 
bleiben.« Ebenso verfuhr Ibsen in seiner »Nordischen 
Heerfahrt« (1857), die meines Erachtens obwohl grundver- 
schieden doch neben Wagner als die einzige lebendige 
und poetische Neugestaltung der Sigfridsage zu rühmen 
ist. Aber alsbald laufen die Wege Wagners und Ibsens 
weit auseinander. Ibsen entfernt das mythische Element 
aus der Sage, um sie uns menschlich nahe zu bringen. 
Seine Aenderungen sind aber nicht einschneidend genug, 
um den Stoff der übematüriichen Züge völlig zu ent- 
äußern. Das Mythische erscheint mehr nur im Lichte 
nüchterner, verstandesmäßiger Auslegung und daher 



11 



verflacht. Die Hauptstärke der Dichtung Ibsens liegt 
darin, daß er den aus Deutschland in den Norden 
verpflanzten Stoff noch mehr der nordischen Um- 
gebung anpaßte, als es die alten Skalden gewagt 
hatten. Die Sigfridsage spielt ganz im Rahmen der 
isländischen Familiensage des 10. Jahrhunderts, Sigurd 
ward zum Wiking. Prächtig gelang die$e Verschmelzung, 
und der Kenner bewundert immer von neuem das 
Geschick Ibsens in der Nachahmung des alten Saga- 
stiles. Wagner aber betonte gerade das mythische 
Element, das in voller erhabener OröBe und Reinheit 
aus dem Stoffe herausgearbeitet wird, und suchte die 
Sage sammt ihren nordischen Zusätzen ins Gemein- 
Germanische und somit auch ins Deutsche zurück- 
zuführen. Das war zur Zeit, da Wagner dichtete, 
1846—52, der durch Lachmann, die Brüder Grimm, 
Wilhelm Müller u. a. begründete wissenschaftliche 
Standpunkt. Zweifeilos sind die nordischen mythischen 
Zusätze zur fränkischen Sage von großer dichterischer 
Schönheit. Was den nordischen Skalden nicht ganz 
glückte, die organische Verarbeitung der nordischen 
Mythen mit dem fränkischen Stoffe, der Göttersage mit 
der Heldensage, führte Wagner um so herrlicher durch. 
Für den Ring kommen als Quellen in Betracht 
das Nibelungenlied und das Lied vom hürnen Seyfrid, 
letzteres herausgegeben in v. d. Hagens Heldenbuch 
1825, übersetzt von Simrock im Deutschen Heldenbuch 
Bd. II1 1844; die nordische Volsungasaga und Thidreks- 
saga, übersetzt durch v. d. Hagen in den Nordischen 
Heldenromanen, Breslau 1814 — 28. Von den Helden- 
liedern der Edda gab es damals Verdeutschungen 
V. d. Hagens 1814, der Brüder Grimm 1815, Ettmüllers 



— 12 — 

1837; EttmQllers mit einer sagengeschichtlichen Ein- 
leitung versehene, in wunderlich altdeutscher Sprach- 
form verfaßte Uebertragung lag Wagner vor. Simrocks 
Edda erschien erei 1851. FQr mythologische Dinge 
benutzte Wagner J. Grimms Deutsche Mythologie, 
deren zweite Auflage 1844 erschien. Simrocks Mytho- 
logie kam erst 1853 heraus, Qbte also keinen Einfluß 
mehr auf die Ringdichtung. Von neueren Nibelungen- 
gedichten kannte Wagner Fouqu6s Sigurd 1808, Uhlands 
Lied von Siegfrieds Schwert 1812 und Simrocks Wieland 
1835. Noch in Dresden 1848 führte Wagner den 
Nibelungenmythus als Entwurf zu einem Drama und 
Siegfrieds Tod aus (vgl. den zweiten Band der ge- 
sammelten Schriften). In Zürich 1851—52 entstand 
die vollständige Ringdichtung. Das Siegfriedsdrama 
ward zum Wotansdrama, Motive der nordischen 
Göttersage, die 1848 noch fehlen, traten in den 
Vordergrund. Wagner beschäftigte sich offenbar in 
Zürich sehr eingehend mit nordischer Mythologie, 
während in Dresden seine Aufmerksamkeit vorwiegend 
der Heldensage galt. Simrocks Edda bot ihm aufs 
bequemste die Göttersagen, die im Rheingold und in 
den Wotanszenen vorkommen. Die Form, die Wagner 
den nordischen Eigennamen giebt, ist dieselbe wie die 
Simrocks. Die nordischen Götter galten damals und 
besonders Simrock als völlig gleich mit den deutschen. 
Daher wurden womöglich die deutschen Namens- 
formen, also Wotan, Froh, Donner, Alberich, Mime 
für Odin, Frey, Thorr, Andwari, Regln- eingesetzt 
Ein besonderer Vorzug Wagners vor allen andern 
Dichtem, die altgermanische Sagen erneuten, ist seine 
tadellos richtige Betonung der zweistämmigen Eigen- 



— 13 — 

natnen auf dem ersten Glied, also Walhall, Walküre, 
Sfeglinde, Brfinnhilde u. s. w. 

Zugleich erfreute sich Wagner sachkundigen philo- 
logischen Beirats. Schon 1841 in Paris hatte ein 
Philologe, Lehrs, ihm die wichtigsten Quellen zum 
Tannhäuser gewiesen, weshalb Wagner von der damals 
aufgestellten, wissenschaftlich unhaltbaren Annahme 
KenntniB hatte, Tannhäuser sei derselbe wie Heinrich 
von Ofterdingen. Ein philologischer Irrtum war von 
größter Bedeutung für den Dichter, der Tannhäuser 
und Ofterdingen auch wirklich zu einer unteilbaren, 
einheitlichen Gestalt verschmolz. Am Züricher Gym- 
nasium und an der Hochschule wirkte damals ein 
seltsamer Kauz, Ludwig Ettmüller, hochgelahrt in 
altgermanischen, insbesondere angelsächsichen und alt- 
nordischen Dingen. Ettmüller war fürs Altgermanische 
mit ganzer Seele begeistert und trug diese Liebe zum 
Altdeutschen sogar in seinem Aeußeren zur Schau. 
Er versuchte sich neben seinen teilweise verdienst- 
lichen, wenn schon unkritischen gelehrten Arbeiten 
auch im Dichten, hier aber mit entschiedenem Un- 
glück. Er war viel zu schwerfällig und unpoetisch, 
um seinen geliebten alten Quellen auch nur einigermaßen 
Genießbares nachzudichten. In den Vorbemerkungen 
zu den 15 Briefen Wagners (Rundschau XIII, 5, 261) 
berichtet Frau Wille auch von Ettmüller, mit dem der 
Meister anfangs über nordische Heldensagen sprach. 
Höchst wahrscheinlich hat Ettmüller auch das Ver- 
dienst, Wagner auf zwei wundervolle nordische Skalden- 
lieder aufmerksam gemacht zu haben, die bei der 
Todkündigung in der Walküre Verwendung fanden. 
Daß der Meister von Ettmüller und überhaupt vom 



— 14 — 

ganzen »Teufelsvolk der Professoren« keinerlei An- 
regung erfuhr, versteht sich von selber, aber zum ge- 
legentlichen Erfragen von wertvollen Quellen mochte 
Ettmüller wohl tauglich sein. Seltsam hat sich der 
wunderliche Oreis später am Ring versündigt. Er 
machte nämlich 1870 selber ein Drama in »fünf 
Handlungen <r, Sigufrid, eine unfreiwillige Parodie auf 
Siegfried und Götterdämmerung bezw. Siegfrieds Tod. 
Mit unglaublicher Naivetät schreibt Ettmüller Szene für 
Szene nach in einem schauderhaften Deutsch. Sein 
dramatischer Vers ist originell: er nimmt den sechs- 
füßigen Jambenvers (Trimeter) des antiken Dramas 
und staffirt ihn mit Stabreimen aus. In dieser unmög- 
lichen Redeweise nehmen sich die überaus zahlreichen 
wörtlichen Plagiate aus dem Ring ebenso hübsch aus 
wie beim unbewußten Philosophen E. v. Hartmann, 
als er die Tristandichtung für sein eigenes Trauerspiel 
ausplünderte. Natüriich »ergänzt« Ettmüllers Gelehr- 
samkeit auch den Meister auf Schritt und Tritt mit 
alleriei unnötigen Sachen, z. B. mit der unvermeidlichen 
Zankszene zwischen Brunhild und Grimhild. Dieser 
Sfgufrid ist aber nie gelesen oder aufgeführt worden. 
Wenige wissen überhaupt von seinem Dasein. 

Von der Quellenbenutzung Wagners dürfen wir 
uns aber keine falsche Vorstellung machen. Es handelt 
sich nicht wie beim Gelehrten um ein mühsames Zu- 
sammentragen von Einzelheiten. Der Dichter nimmt 
vielmehr wohl schon beim ersten Lesen bestimmte, 
unauslöschliche Eindrücke in sich auf, die lange 
schlummern können, bis sie plötzlich mit wundersamer 
Leuchtkraft oft in ganz neuem Zusammenhang wieder 
auftauchen, vom schöpferischen Genius gleichsam neu 



— 15 - 

geboren werden. So geschah es z. B. mit den Mädchen- 
blumen des Alexanderlieds (herausgeg. mit Uebersetzung 
von Weismann 1850), die im Parsifal auferstanden. So 
erbat sich Wagner im November 1851 von Uhlig aus 
Dresden nach Zürich v. d. Magens Wölsungasaga 
(vgl. Wagners Briefe an Uhlig S. 118). Er schreibt 
von der Dichtung der Walküre und wünscht aber- 
malige Durchsicht. »Jene Wölsungasaga möchte ich 
noch einmal haben; nicht um nach ihr zu bilden, (Du 
wirst leicht finden, wie sich mein Gedicht zu dieser 
Sage verhält), sondern um mich alles wieder genau 
zu erinnern, was ich an einzelnen Zügen schon einmal 
konzipirt hatte.« Als aber das Buch eintraf, konnte 
Wagner bei rascher Durchsicht der Sage nur ersehen, 
;»daB er sie allerdings gamicht mehr nötig gehabt 
hätte«. 

1844 forderte F. Th. Vischer in seinen kritischen 
Gängen II ein musikalisches Nibelungendrama: »Es 
muß mich alles trügen, oder es ist noch eine andre, 
eine neue Tonwelt zurück, welche sich erst öffnen soll. 
Die Musik soll noch ihren Schiller und Shakespeare 
bekommen. Der Deutsche soll noch seine eigene 
große Geschichte in mächtigen Tönen sich entgegen- 
wogen hören. Wir wollen eine heimische, eine eigene, 
eine nationale Welt von Empfindungstönen in der 
Musik. Die Musik fordert einfache Motive, einfache 
Handlung.« Hier ist also genau das verlangt, was 
Wagner schuf. Aber sobald Vischer von diesen treff- 
lichen allgemeinen Bemerkungen zu einem probeweisen 
Entwurf des Nibelungenliedes als Oper übergeht, setzt 
er sich zu seinen eignen Forderungen in grellen Wider- 
spruch. Mit Recht nennt Chamberiain (Richard Wagner, 



— 16 — 

kleine Ausgabe 1901, S. 391) diesen Entwurf ein wunder- 
liches Gemisch von richtiger Einsicht und künstlerischer 
Unfähigkeit. Vischers ganze Persönlichkeit ist eben, 
wie sein Verhältnis zu Goethes Faust beweist, ein 
wunderiiches Gemisch von Scharfsinn und Beschränkt- 
heit, von künstlerischem Anschauungsvermögen und 
philisterhaft lächeriichem Gelehrtendünkel. So war er 
natüriich auch unfähig, die Erscheinung Rieh. Wagners 
zu begreifen und die Ringdichtung, die ja unter seinen 
Augen in Zürich entstand, zu verstehen. Immerhin 
war Vischers Zeugniß hier zu erwähnen, zum Beweis, 
wie damals die besten Köpfe in lichten Augenblicken 
von tiefster Sehnsucht nach dem deutschen Drama 
erfüllt waren, das des Meisters dichterische Ge- 
staltungskraft in ungeahnter Größe und Schönheit ver- 
wirklichte. 

Was das von Wagner geschaffene Drama in seiner 
Ausdrucksform geschichtlich und künstlerisch bedeutet, 
haben Nietzsche und Chamberiain am besten gesagt. 
Die Größe Schillers und Beethovens vereinigt Wagner 
zur Erfüllung dessen, was beiden als höchstes Kunst- 
ziel vorschwebte. Wenn im Drama drei Dinge klar 
gestellt werden müssen, das erregende Gemütsmotiv, 
die Gebärde, das Wort, so bewältigt das gesprochene 
Drama nur die zwei letzten und macht beim Wichtigsten, 
beim Unaussprechlichen, Halt. Zweifellos ist aber das 
Seelische, Innerliche, das Wesentliche im Drama. Und 
gerade hier setzt Wagner, der Ton- und Wortdichter, 
ein, er baut in grunddeutscher Weise von innen nach 
außen im Besitze des eriösenden Ausdrucksmittels, 
nach dem die größten Wortdichter beim Drama ver- 
geblich rangen, der Musik, die in höchster und reinster 



— 17 — 

Vollendung die Seele der Handlung und der Handelnden 
unmittelbar zu gestalten vermag. Nietzsche schreibt: 
»Alle diese Wirkungen zwingen Den, dem ein solches 
Drama vorgeführt wird, zu einem ganz neuen Verstehen 
und Miterleben, gleich als ob seine Sinne auf ein Mal 
vergeistigter und sein Geist versinnlichter geworden 
wären, und als ob alles, was aus dem Menschen heraus 
will und nach ErkenntniB dürstet, sich jetzt in einem 
Jubel des Erkennens frei und selig befände.« Daß 
dieses deutsche Drama zugleich als Trilogie mit einem 
Vorspiel erschien, also so wie es die dramatische Kunst 
nur einmal zur Zeit der blühenden griechischen Kultur 
eriebte, daß es als Festspiel ein eignes Festspielhaus 
veriangte, daß es überhaupt die Gesetze seiner dar- 
stellerischen und bühnenmäßigen Verwirklichung ganz 
in sich selbst trug, ist nur die notwendige Folge seiner 
alles überragenden Größe und Ursprünglichkeit. 

Hier nur noch ein Wort zur Sprache und Vers- 
form des Ringes. Wagner hat mit sicherem Gefühl 
den ursprünglich aus dem Romanischen stammenden 
Endreimvers aufgegeben, da er in der melodisch- 
rhythmischen Vertonung kaum bemerkbar wird und 
mithin eine überflüssige, vielleicht sogar störende 
Zierat im Text des aus der Musik heraus gestalteten 
Dramas ist. Er schreibt hierzu: »Als ich den Siegfried 
entwarf, fühlte ich die Unmöglichkeit, diese Dichtung 
im modernen Verse auszuführen. Somit mußte ich 
auf eine andre Sprachmelodie sinnen; und doch hatte 
ich garnicht zu sinnen nötig, sondern nur mich zu 
entscheiden, denn an der urmythischen Quelle, wo 
ich den jugendlich schönen Siegfriedmenschen fand, traf 
ich auch ganz von selbst auf den sinnlich vollendeten 



— 18 — 

Sprachausdruck, in dem einzig dieser Mensch sich 
kundgeben konnte. Es war dies der, nach dem wirk- 
lichen Sprachaccente zur natürlichsten und lebendigsten 
Rhythmik sich fügende und zur unendlich mannich- 
faltigsten Kundgebung jederzeit leicht sich befähigende, 
stabgereimte Vers.« Ebenso wenig wie den End- 
reimvers konnte er aber die epische Stabreimzeile der 
altgermanischen Heldendichtung unverändert über- 
nehmen, denn sie ist fürs Epos geschaffen und dessen 
Bedürfnissen angepaßt. Damals wußte man auch noch 
recht wenig von ihrem Bau. Ettmüllers Verse sind 
noch sehr unvollkommen, Simrocks Edda dagegen 
bedeutet einen entschiedenen Fortschritt im Bau neu- 
deutscher Stabverse. Und diese beiden waren doch 
Wagners nächste Vorbilder. Jordan, der sich später 
so viel auf seine Kunst einbildet, macht fortgesetzt 
die gröbsten Schnitzer, sein Stabvers hat mit dem 
echten, altgermanischen Vorbild weniggemein. Wagner 
erkannte, daß der Stabreim durchaus dem Wesen der 
deutschen Sprachbetonung angemessen ist, die Haupt- 
wörter und Begriffe kräftig hervorhebt und Rhythmus 
und Melos im Satze bestimmt, mithin auch vorzüglich 
geeignet ist, den Sprachgesang zu stützen. Vor allem 
ist die freie Bewegung der unbetonten Silben, der 
Senkungen, im altdeutschen Vers ungemein vorteilhaft, 
indem dadurch Eintönigkeit ausgeschlossen bleibt und 
die Dichtung den wechselreichen Rhythmus der natür- 
lichen Rede vollauf wahrt. Schon ein. Blick in den 
Druck der Textdichtung lehrt, daß Wagner nicht die 
epische Langzeile, vielmehr die Kurzzeile zu Grunde 
legt. Wagner schafft sich einen durchaus neuen 
eigenartigen Vers, aber aus denselben Elementen, aus 



19 



denen sich die stabreimende Langzeile zusammensetzte. 
Diese bindet zwei je zweihebige Kurzzeilen durch 
Stäbe zur vierhebigen dadurch \t\ sich geschlossenen 
Langzeile zusammen. In der Edda finden sich auch 
dreihebige in sich selbst stabende Kurzzeilen neben 
der Langzeile. Wagner wendet zweihebige und drei- 
hebige Kurzzeilen, die sich schon im Druck deutlich 
von einander abheben, in freier Reihenfolge an. Die 
Stäbe läßt er ohne feste Regel von einer Kurzzeile 
zur andern laufen. Sie erfüllen durchaus den Zweck 
des altgermanischen Stabreims, den Hauptbegriff zu 
betonen. Die rhythmische Gliederung ist genau die- 
selbe, die Sievcrs in fünf Haupttypen für den alten 
Stabvers nachwies; sie ergiebt sich aus der Folge von 
Hebungen und Senkungen in der natürlichen Rede. 
Im allgemeinen entspricht eine Hebung mit oder ohne 
Senkungen einem sogen. Versfuß. Wir finden Versfüße 
von einer, zwei und drei Silben. Die Zwei-' und Drei- 
silbler können steigend oder fallend betont sein, auch 
eine Nebenhebung tragen. Es ist besonders reizvoll 
für den Kenner, zu beobachten, wie genau die Ge- 
sangsmelodie aus diesem Sprachrhythmus und Melos 
herauswächst. Die Kurzzeile paßt fürs Drama vorzüg- 
lich, die epische Langzeile wäre unbrauchbar gewesen. 
Es ist also ebenso einfältig, den Wagner'schen Vers 
mit der stabreimenden Langzeile zu vergleichen und 
aus der Verschiedenheit zu folgern, Wagners Verse 
seien falsch, als wollte man den Ring mit dem 
Nibelungenlied zusammen stellen und aus der Ver- 
schiedenheit gegen das Drama Vorwürfe erheben. 
Gerade in ihrer Eigenart beruht die Größe und Be- 
deutung der Neudichtung. 



— 20 — 

»Wollt ihr nach Regeln messen, 
was nicht nach eurer Regeln Lauf, 
der eignen Spur vergessen, 
sucht davon erst die Regeln auf!« 

Was die stilistische und poetische Seite der Sprache 
betrifft, so berufe ich mich für den philologischen 
Einzelbeweis auf die schöne und gründliche Unter- 
suchung von Hans V. Wolzogen über die Sprache in 
Richard Wagners Dichtungen, Leipzig 1878, wozu 
Meine k in seinem oben erwähnten Buche und in den 
Bayreuther Blättern noch mancherlei Nachträge gab. 
In der »Allgem. Musik -Zeitung« 1888, S. 283 ff. und 
im Wagnerbuch S. 431 behandelte Chamberlain in 
geistvoller Weise das eigenartige Zusammenwirken 
von Wort und Ton. Schließlich kann ich nur Nietz- 
sches Urteil über diese Sprache, die »sich aus einer 
rhetorischen Breite in die Geschlossenheit und Kraft 
einer Oefühlsrede zurückzog«, wiederholen: »Es geht 
eine Lust am Deutschen durch Wagners Dichtung, 
eine Herzlichkeit und Freimütigkeit im Verkehr mit 
ihm, wie so etwas, außer bei Goethe, bei keinem 
Deutschen sich nachfühlen läßt. Leiblichkeit des Aus^ 
drucks, verwegene Gedrängtheit, Gewalt und rhythmische 
Vielartigkeit, ein merkwürdiger Reichtum an starken 
und bedeutenden Wörtern, Vereinfachung der Satz- 
gliederung, eine fast einzige Erfindsamkeit in der 
Sprache des wogenden Gefühls und der Ahnung, 
eine mitunter ganz rein sprudelnde Volkstümlichkeit 
und Sprichwörtlichkeit — solche Eigenschaften würden 
aufzuzählen sein, und doch wäre dann immer noch 
die mächtigste und bewunderungswürdigste vergessen. 
Wer hinter einander zwei solche Dichtungen wie Tristan 



— 21 — 

und die Meistersinger liest, wird in Hinsicht auf 
die Wortsprache ein ähnh'ches Erstaunen und Zweifeln 
empfinden, wie in Hinsicht auf die Musik: wie es 
nämlich möglich war, über zwei Welten, so verschieden 
an Form, Farbe, Fügung, als an Seele, schöpferisch zu 
gebieten. Dies ist das Mächtigste an der Wagnerischen 
Begabung, etwas, das — allein dem großen Meister 
gelingen wird: für jedes Werk eine neue Sprache aus- 
zuprägen und der neuen Inneriichkeit auch einen neuen 
Leib, einen neuen Klang zu geben. Wo eine solche 
allerseltenste Macht sich äußert, wird der Tadel immer 
nur kleinlich und unfruchtbar bleiben, welcher sich auf 
einzelnes Uebermütige und Absonderiiche, oder auf 
die häufigeren Dunkelheiten des Ausdruckes und Um- 
schleierungen des Gedankens bezieht.« 



Das Rheingold. 




I^ie Betrachtung des Rhdngolds be- 
" ginne ich mit einem Vergleich des 
ersten Entwurfs (1848) und der 
L fertigen Dichtung, wdl daraus die 
fortschreitende anschaulich plastische 
Gestaltung des Stoffes und das Hervortreten eines 
leitenden Gedankens, einer den Stoff beherrschenden 
und bestimmenden Idee unmittelbar deutlich wird. 

»Dem Schooße der Nacht und des Todes entkeimte 
ein Geschlecht, welches in Nibelheim {Nebelheim), d. i. in 
unterirdischen düstem Klüften und Höhlen wohnt: sie 
helBen Nibelungen; in unsteter, rastloser Regsamkeit 
durchwühlen sie die Erde; sie glühen, läutern und 
schmieden die harten Metalle. Des klaren, edlen Rhein- 
goldes bemächtigte sich Alberich, entführte es den 
Tiefen der Wässer und schmiedete daraus mit großer, 
listiger Kunst einen Ring, der ihm die oberste Gewalt 
über sein ganzes Geschlecht, die Nibelungen, verschaffte: 
so wurde er ihr Herr, zwang sie, für ihn fortan allein zu 
arbeiten, und sammelte den unermeßlichen Nibelungen- 
hort, dessen wichtigstes Kleinod derTamhelm war, durch 
den jede Gestalt angenommen werden konnte, und 
den zu schmieden Alberich seinen eignen Bruder Mime 
gezwungen hatte. So ausgerüstet strebte Alberich nach 
der Herrschaft über die Welt und alles in ihr Enthaltene. 



— 26 " 

Das Geschlecht der Riesen, der trotzigen, gewaltigen, 
urgeschaffenen, wird in seinem wilden Behagen gestört: 
ihre ungeheure Kraft, ihr schlichter Mutterwitz reicht 
gegen Alberichs herrschsüchtige Verschlagenheit nicht 
mehr aus: sie sehen mit Sorge die Nibelungen wunder- 
bare Waffen schmieden, die in den Händen mensch- 
licher Helden einst den Riesen den Untergang bereiten 
sollen. — Diesen Zwiespalt benutzte das zur Allherr- 
schaft erwachsende Geschlecht der Götter. Wotan 
verträgt mit den Riesen, den Göttern die Burg zu 
bauen, von der aus sie sicher die Welt zu ordnen 
und zu beherrschen vermögen; nach vollendetem Bau 
fordern die Riesen als Lohn den Nibelungenhort. Der 
höchsten Klugheit der Götter gelingt es, Alberich zu 
fangen; er muß ihnen sein Leben mit dem Horte lösen; 
den einzigen Ring will er behalten: — die Götter, wohl 
wissend, daß in ihm das Geheimniß der Macht Alberichs 
beruhe, entreißen ihm auch den Ring: da verflucht 
Alberich ihn; er soll das Verderben Aller sein, die ihn 
besitzen. Wotan stellt den Hort den Riesen zu, den 
Ring will er behalten, damit seine Allherrschaft zu 
sichern: die Riesen ertrotzen ihn, und Wotan weicht 
auf den Rat der drei Schicksalsfrauen (Nomen), die 
ihn vor dem Untergange der Götter selbst warnen.« 

Schon im Entwurf bringt Wagner den Untergang 
der Götter mit dem Fluch des Zwerges in ursächlichen 
Zusammenhang und deutet damit auf die spätere Ver- 
knüpfung von Siegfrieds Tod und Götterdämmerung 
als den letzten und schwersten Folgen des verhäng- 
nißvollen Goldraubes hin. Die Quellen selber nehmen 
die Götter vom Fluch aus. Die von Wagner ange- 
nommene mythische Deutung der Nibelungen be- 



— 27 — 

gründete Lachmann 182Q in seiner Kritik der Sage 
von den Nibelungen: »Beachten wir, daß in der 
Mythologie des Nordens Niflheimr und Niflhel der 
kalte Teil der Erde und die Wohnung der Verstorbenen 
genannt wird, so wird man schweriich zweifeln: dies 
Geschlecht der Nibelungen ist ein übermenschliches 
aus dem kalten neblichten Totenreich, ihnen gehört 
der Schatz und sie bekommen ihn zurück.« 

Wagners eigene Erfindung ist die Rheingoldsage. | 
Wohl weiß die alte Sage davon, daß der Nibelungen- 
hort schließlich im Rhein versenkt wurde, und die 
nordischen Skalden geben daher dem Gold dichterische 
Namen wie Flamme der Flut, Strahl der Tiefe, Wogen- 
glanz u. s. w. Aber nirgends steht in den Quellen 
etwas davon, daß das Gold ursprünglich im Grunde 
des Rheins ruhte und von Alberich der Tiefe entführt 
wurde. Auch daß Alberich den Ring schmiedet, das i 
Gold zum Zweck seiner Machtgier ausmünzt, steht 
nirgends in den Quellen. Von Andwaris Ring heißt I 
es nur, daß er den Hort zu mehren vermochte, nichts 
vertäutet von der Herkunft des Ringes. Doch spricht 
Lachmann davon, daß das Gold einst den dunkeln 
Geistern, den Nibelungen, angehörte, aus der Tiefe 
des Wassers heraufgeführt wurde und zu den dunkeln 
Geistern in die Tiefe des Rheins zurückkehrte. Hier 
mögen die Anregungen zu der neuen Sage liegen, 
deren Schöpfer Wagner wurde, wenn er das Gold 
zum Unheil aus dem Rhein auftauchen und zur Sühne 
in den Rhein zurücksinken läßt. 

Für die Rheintöchter ziehe ich die Worte aus 
J.Grimms Mythologie S. 567 heran: »In unsrer Sprache 
sind die meisten Flußnamen weiblich, es werden also 



— 28 - 

auch weibliche FluBgeister gewaltet haben. Niemals 
ist in einheimischer Ueberlieferung von einem Dämon 
des Rheins die Rede. In des Rheines SchooB liegen 
Schätze und Oold.« Die Namen der Nixen: Woglinde, 
Wellgunde, Floßhilde hat Wagner trefflich aus ihrer 
Art gebildet Muster war ihm der für eine Nixe über- 
lieferte Name Wächilt, d. i. Woghilde. 

Im ersten Entwurf geht die Handlung nur zwischen 
Oöttem, Riesen und Zwergen vor. Mahnend erheben 
die Nornen ihre Stimme. Von einzelnen Gestalten 
finden wir nur Wotan und Alberich. O^enstand des 
Strebens ist der Hort mit dem Ring und Tamhelm, 
der oberste Macht verbürgt. Auf den Ring wird der 
Fluch gelegt. Die Vorgänge der Handlung haben sich 
noch zu keinen festen Bühnenbildern verdichtet 

1851 erfahren wir aus Briefen bereits einen großen 
Fortschritt Wagner schreibt an Liszt: »Alberich kommt 
aus der Erdtiefe zu den drei Töchtern des Rheines 
herauf; er verfolgt diese mit widerlicher Liebes Werbung: 
von der einen abgewiesen, wendet er sich an die andere; 
alle verschmähen, scherzend und neckend, den Kobold. 
Da beginnt das Rheingold zu erglänzen; es reizt 
Alberich, er fragt, wozu es wohl gut sei? Die Mädchen 
bedeuten, es diene ihnen zu Lust und Spiel; sein Glanz 
erhelle mit seligem Geschimmer die Tiefe der Flut; 
viele Wunder aber könne der mit ihm wirken, Macht 
und Gewalt, Reichtum und Herrschaft durch das Gold 
gewinnen, der es zu einem Ringe zu zwingen wisse: 
nur aber, wer der Liebe entsage, verstünde das! 
Damit nun aber keiner das Gold raube, seien sie als 
Hüterinnen bestellt: wer ihnen nahe, begehre gewiß 
nicht das Gold; wenigstens sähe auch Alberich nicht 



— 29 — 

danach aus, da er sich gar so verliebt gebahre. Sie 
lachen ihn von neuem aus. Da wird der Nibelung 
wütend: er schwört der Liebe ab, raubt das Oold und 
entführt es in die Tiefe.« Femer an Uhlig: »Der Fang 
Alberichs, die Zuteilung des Goldes an die zwei Riesen- 
brüder, die schnelle Erfüllung von Alberichs Fluch an 
diesen Beiden, von denen der eine sogleich den andern 
erschlägt, bildet den Gegenstand dieses Vorspiels.« 

Als ganz neues Motiv tritt jetzt die Liebesentsagung 
hinzu, »das gestaltende Motiv bis zu Si^rieds Tod j 
mit einer Fülle von Folgen«. Auf dem bleichen Metall 
haftet der Fluch der Lieblosigkeit, Gold tötet die Liebe. 
Mit dem Golde steigt die Machtgier ans Licht. Zugleich 
haben wir die plastisch geschaute Szene vom Raub des 
Rheingolds. 

Nach Vollendung des Dramas (1854) schreibt 
Wagner an Röckel: »Des näheren verdichtet sich 
die unheilstiftende Macht, das eigentliche Gift der 
Liebe in dem der Natur entwendeten und gemiß- 
brauchten Golde, dem Nibelungenringe: nicht eher 
ist der auf ihm haftende Fluch gelöst, als bis er der 
Natur wiedergegeben, das Gold in den Rhein zurück- 
versenkt ist. Auch dies lernt Wotan erst ganz am 
Schlüsse, am Ziele seiner tragischen Laufbahn erkennen; 
das, was Loge ihm im Anfang wiederholt und rührend 
vorhielt, übersah der Machtgierige am meisten.« 

Im vollendeten Drama folgt nun das zweite Bild: 
die Märe vom Burgbau. Freia, Licht und Liebe, wird 
von den Riesen verfangt und entführt. Hier treten 
die Göttergestalten, Wotan und Fricka, Donner und 
Froh und die beiden Riesen, Fasolt der gutmütige 
und Fafner der bösartige, gegen einander auf, mit 



— so- 
wenig Strichen und doch ganz sagenecht, klar und 
scharf gezeichnet; zwischen ihnen flammt und flackert 
Loge. Zwei Gipfel hat die Szene: den Liebeszauber 
bei Loges Erzählung von Weibes Wonne und Wert, 
und den Goldeszauber, dessen unheimlicher Macht 
selbst Wotan anheimfällt 

Das dritte Bild, die Märe von Alberichs Fang, zeigt 
uns Loges Neidspiel gegen Alberich, in Märchenformel 
gekleidet. Wie der gestiefelte Kater den Zauberer, der 
sich auf seinen Wunsch zuerst in einen Elefanten und 
dann in eine Maus verwandelt, überiistet, so bewegt 
Loge den Alberich zur Verwandlung in Riesenwurm 
und Kröte. Man beachte die großartigen Gegensätze: 
Wotans vornehm ruhige Zurückhaltung, Alberichs 
furchtbar drohende Gier, wie er sich den Ringzauber 
ausmalt, Loges Flammenspiel, das auch über diese 
Träume von Macht hinflackert. Die läuternde Flamme 
vermag ja Allem, der ganzen Welt ein Ziel zu setzen. In 
Alberichs Antlitz bricht zeitweise wie aus nächtiger Tiefe 
das Drohen der Vernichtung hervor, während auf den 
Zügen Loges der heitere Spott eines sein Ziel mit Sicher- 
heitverfolgenden überiegenen Verstandes sich kund giebt. 

Im vierten Bild erschauen wir Alberichs Fluch 
und seine Erfüllung an den Riesen, Freias Rückkauf. 
Eine düstre, schwüle Schuldstimmung ist durch Erdas 
Warnung in Wotans Seele gelegt. Der Gewitterzauber 
löst die Spannung, aus der Klärung blitzt das Schwert 
auf, das Sinnbild des Heldengedankens: Heldentum 
gegen Goldesmacht! So mündet das Vorspiel ins 
große dreiteilige Heldenspiel. 

Die Handlung im »Rheingold« gewährt einen Blick 
in Wagners Schaffen. Zwei in der »Edda« völlig 



— 31 — 

getrennte Sagen sind von Wagner zu einer Einheit 
verschmolzen worden, die vom Hort und Ring des 
Andwari und die vom Burgbau. 

Die Sage vom Hort berichtet: »Die Oötter 
Odin, Hönir und Loki kommen auf ihrer Wanderung 
durch die Welt zu einem Wasserfalle, worin der Zwerg 
Andwari in Gestalt eines Hechts sich Speise zu fangen 
pflegt. Otr, Hreidmars Sohn, hat eben dort, als Fisch- 
otter verwandelt, einen Lachs gefangen und verzehrt 
ihn blinzelnd. Loki wirft Otr mit einem Steine tot, 
und sie ziehen ihm den Balg ab. Abends suchen sie 
Herberge bei Hreidmar und zeigen ihm den Fang. 
Hreidmar und seine Söhne, Fafnir und Regln, greifen 
die Oötter und legen ihnen auf, zur Buße für Otr 
und für Lösung ihrer Häupter den Balg mit Oold zu 
füllen und auch außen mit Oold zu bedecken. Die 
Oötter senden Loki aus, das Oold herzuschaffen. 
Loki fängt im Wasserfalle mit dem erborgten Netz 
der Meergöttin Ran den Zwerg Andwari, und dieser 
muß zur Lösung all sein Oold geben. Einen Ring 
noch hält er zurück, aber auch den nimmt ihm 
Loki. Da spricht der Zwerg einen Fluch über 
das Oold aus, Verderben solle es jedem Besitzer 
bringen. Die Oötter leisten nun die Buße, und als 
noch ein Barthaar der Otter hervorragt, bedeckt es 
Odin, als Hreidmar verlangt, auch dies solle verhüllt 
werden, mit dem Ringe. Loki verkündet Hreidmar 
und seinen Söhnen Verderben. Fafnir und Regin ver- 
langen von Hreidmar Anteil an der Buße, er weigert 
es; dafür durchbohrt Fafnir den schlafenden Vater mit 
dem Schwerte, nimmt alles Oold und versagt Regin 
jeden Anteil. Auf Onitaheide liegt er und hütet den 



— 32 — 

Hort in Oestalt eines Lindwurms, mit dem Schreckens- 
helm bedeckt, vor dem alles Lebende zittert Regin 
aber sinnt auf Rache.« 

Wagner setzt im Rheingold fQr die nordischen 
Namen die deutschen ein, also Wotan für Odin, 
Alberich für Andwari, Mime für Regin. Loki heißt 
mit andrem Namen auch Logi, d. i. Lohe, also die 
persönlich gedachte Flamme. 

Die Sage vom Burgbau erzählt: »Einst kam 
ein Werkmeister zu den Oöttem und erbot sich, ihnen 
in drei Halbjahren eine Burg zu bauen. Er verlangte 
als Lohn Freyja zu erhalten, dazu Sonne und 
Mond. Die Götter aber sprachen, er solle dieses 
Lohnes verlustig sein, wenn am ersten Sommertage 
irgend ein Teil der Burg nicht vollkommen fertig wäre; 
auch dOrte ihm Niemand bei der Arbeit behülflich sein. 
Er verlangte jedoch, daß ihm der Beistand seines Rosses 
Swadilfari verstattet werde, und auf Lokis Vorschlag 
wurde dies bewilligt. Er begann nun die Burg zu 
bauen und fährte bei Nacht auf seinem Rosse Steine 
herbei, so daß es den Oöttem ein Wunder schien, 
welche Bergmassen er herbeischaffte. Das Roß that 
doppelt so viel Arbeit wie der Werkmeister. Die 
Burg ward stark und bereits so hoch, daß man kaum 
hinaufsehen konnte, und drei Tage waren nur noch 
übrig bis zu dem Zeitpunkte, an dem das Bauwerk 
fertig sein sollte. Da gingen die Oötter zu Rat und 
einer fragte den andern, wer den Rat erteilt habe, 
Freyja nach Riesenheim zu verheiraten und die Luft 
zu verderben, da der Himmel dunkel werden würde, 
wenn Sonne und Mond fortgenommen und den Riesen 
ausgeliefert wären. Sie wurden darüber einig, daß 



— 33 — 

Loki es gewesen sei, der dazu geraten habe, und sie 
sagten ihm nun, er werde eines schlimmen Todes 
sterben, wenn er nicht Rat dafür schaffe, daß dem 
Werkmeister sein Lohn vorenthalten werde. Sie drangen 
heftig auf ihn ein, und da er in Furcht, geriet, schwur 
er einen Eid, daß er es dahin bringen wolle, daß der 
Riese leer ausginge, es koste, was es wolle. Listig 
machte er dem Baumeister sein hfilfreiches Roß ab- 
spenstig und da stockte die Arbeit. Als der Werk- 
meister sah, daß er den Bau zur gesetzten Frist 
nimmer fertig stellen konnte, geriet er in Riesenzom, 
und als die Götter das sahen, wurden die geschworenen 
Eide nicht länger beachtet, sie riefen Thor an, der als- 
bald erschien, den Hammer schwang und so den Lohn 
fQr die Arbeit zahlte, daß er den Riesen tot schlug und 
zur Hölle sandte.« 

Endlich kommt noch die Sage in Betracht, wie 
Loki Idun mit ihren goldenen Aepfeln an die 
Riesen verhandelte, aber von den in ihrer Lebenskraft 
bedrohten Oöttem gezwungen wird, sie wieder zurück 
zu holen. 

Alle diese Sagen haben gemeinsam den Grund- 
gedanken, daß die Götter durch Lokis Schuld von 
den Riesen geschädigt und aus dieser Veriegenheit 
durch Lokis List wieder befreit werden. Wagners 
Freia, die Pflegerin der Aepfel, vereinigt Freyja und 
Idun: mit Recht, denn wir haben hier nur zwei ver- 
schiedene Namen einer und derselben Göttin. In 
Freia wird die Liebes- und Lebenskraft des Götter- 
stammes persönlich. Wagner erkennt und benutzt 
den Sinn der nordischen Mythen, daß die feindseligen 
Riesen eben mit Freias Raub den Bestand der Götter- 



— 34 — 

weit gefährden. Loge, der freilich Ober den Loki der 
»Edda« eben so sehr hinauswuchs, wie etwa Goethes 
Mephisto über den des Faustbuches, nimmt sagenecht 
die Zwitterstellung zwischen Göttern und Riesen ein. 
Die Hort- und Burgsage vereinigt Wagner dadurch, 
daß der Hort nicht mehr als Mordbuße gezahlt wird, 
vielmehr als Entschädigung statt Freia, deren blühende 
Gestalt den Blicken der Riesen durch den gehäuften 
Hort verdeckt werden soll. So vereinigen sich beide 
Sagen zu einer einzigen, die zugleich den Ideengang 
veranschaulicht: Liebe giebt Wotan aus Herrsch- 
sucht daran, Liebe kauft Wolan um verfluchtes 
Gold zurück. Wohl kehrt Freia in den Kreis der 
Götter zurück; aber der Fluch der bösen Thaten wirkt 
fort, das Gold ist in die Welt gekommen. Da entspringt 
in Wotans bangender Seele ein neuer Gedanke: 
Walhall grüßt er mit dem Schwert, Heldentum 
gegen Goldesmacht! Der freie furchtlose Held soll 
wirken, was dem Gotte verwehrt ist, den Liebesfluch 
lösen. So mündet das Vorspiel »Rheingold« in's 
Wälsungendrama Wotan weist sein Erbe an die 
Helden. Von solchem Gedankengang wußten Wagners 
Vorlagen nur Einzelnes, nichts Einheitliches und Zu- 
sammenhängendes. Hier also treten die Sagen unter 
ganz neue Ideen. 

\ Neu im »Rheingold« kam Er da hinzu. Diese 
neugeschaffene Gestalt ist einerseits die in der »Edda« 
genannte Jord, die Erdgöttin, andererseits die Seherin 
der Wöluspa, die in einem großartigen Eddalied Odin 
der Götter Ende weissagt. An wirkungsvollster Stelle 
wußte Wagner diese Gestalt einzufügen. Neu sind 
femer die Rheintöchter. Ihr Ursprung liegt im 



I 



— 35 — 

Nibelungenlied, in den Wasserfrauen, die Hagen der 
Nibelungen Not vorhersagen. Wagner übertrug die 
Szene zunächst auf Siegfried (3. Aufzug »Oötter- 
dämmerung«). Aber welch' ungeahnten Hintergrund 
erhielt diese Szene, wenn Wagner die Wasserfrauen 
zu denselben Rheintöchtem machte, denen Alberich 
das Oold einst geraubt, deren ruhrende Klagen am 
Schlüsse des »Rheingolds« aus traulich treuer Tiefe 
heraufdringen und Siegfrieds Rheinfahrt (Vorspiel zum 
1. Aufzug »Götterdämmerung*) begleiten! ^'^ 

Die Götter im »Rheingold«, oft nur mit wenigen 
Strichen aber völlig quellentreu*) gezeichnet, schreiten 
gleichsam durch mythologische Urzeugung unmittelbar 
aus der Natur hen^or. Das Bayreuther Festspiel von 1896 
machte diesen Vorgang durch die überaus malerische 
Wirkung einfacher Grundfarben in den Gewändern und 
ohne jede vordringliche Absicht unmittelbar anschau- 
lich. Ein Blick in die Quellen belehrt, wie genau die 
Schilderung im »Rheingold« der alten Ueberiieferung 
entspricht. Wotan ist der mächtigste unter den 
Göttern, alle anderen sind ihm unterthan. Wotan ist 
gedacht in der Gestalt des germanischen Heerkönigs, 
blühend in Schönheit und Kraft, geistgewaltig und 
ratklug. Seine Faust umspannt den mächtigen Speer, 
in dessen Schaft Vertragsrunen eingeschnitten sind. 
Schön und schrecklich ist der einäugige Gott anzu- 
schauen. Wenn er zum Kampfe ausfährt, reitet er 
unter dem goldenen Adlerhelm und in goldener Brünne. 

*) Für die einzelnen Götter und Geister, aus deren Art 
Wagner stets das Wesentliche ungemein plastisch herausgreift, 
verweise ich auf mein Handbuch der germanischen Mythologie, 
Leipzig 1895. 



— 36 — 

Aber er kehrt auch als Oreis in grauem Oewand und 
weitem blauem Mantel, mit dem Schlapphut bedeckt, 
unter den Menschen ein. Die drei Wotanfigurinen in 
Rheingold, Walküre und Siegfried, wie sie überaus 
feinsinnig im Bayreuther Festspiel 1806 festgestellt 
wurden, geben* aufs anschaulichste alle Erscheinungs- 
formen des Gottes, wie die Germanen als Herrscher, 
Heerffirst und einsamen Wanderer ihn sich dachten, 
wieder. Donner, mit nordischem Namen Thorr, ist 
eine Heldengestalt im wallenden Rotbart. Seine Waffe 
ist der Hammer, der im Blitzschlag krachend nieder- 
fähri Seine Hauptaufgabe ist, Riesen und Trolle 
niederzuschmettern und durch die Bekämpfung der in 
den Elementen verderblich wütenden Naturgewalten 
den Bestand der Welt zu schützen. Genau so erscheint 
er auch im Rheingold, wie er gegen die Riesen mit 
erhobenem Hammer losgeht und im Gewitter den 
Himmel hell fegt. Froh, Freias Bruder, waltet über 
Frieden, Fruchtbarkeit und Sonnenschein. Nur wenig 
tritt er im Rheingold hervor und doch durcliiaus seiner 
Art gemäß, wenn er nach dem Gewitter der leuchtenden 
Regenbogenbrücke über das Thal hinweg zu der im 
Abendstrahl erglänzenden Burg die Bahn weist Die 
germanischen Göttinnen erscheinen in drei Typen: 
Fricka verkörpert die sorgende Hausfrau, Freia das 
leichte, lichte, liebende Mädchen, Erda die große ernste 
Lebensmutter, aus deren Schooß alles aufsprießt, zu 
der alles zurücksinkt Leben und Tod sind ihr unterthan. 
Darum erhebt sie aus tiefem Wissen ihre mahnende 
Stimme. Fricka ist die strenge Hüterin der Ehe, Freia 
entflammt die Herzen zur Liebe, Erda ist die weise 
Seherin. 



— 37 — 

Zwischen Göttern und Naturgeistem inmitten steht 
Loge, der Feuergeist. In den nordischen Sagen ist 
Loge das leise Verderben, das rastlos unter den Göttern 
umherschleicht. Dieses sein stille zehrendes Wirken 
wird als List und Trug, als boshafter Rat dargestellt, 
wodurch er die von ihm getäuschten Götter in Schaden 
und Unfall fuhrt. Wagner steigert Loges Wesen, das 
er einheitlich und völlig aus der Feuematur des Gottes 
zu ungemeiner geistiger Bedeutung entwickelt Loge 
schweift geschmeidig zwischen den andern durch, 
gleich der Flamme, die den Stoff streift, den sie ver^ 
zehren will. Loge ist beweglich, sorglos, spöttisch, 
überlegen. Er ist aber auch das böse Gewissen der 
ganzen in Glanz und Pracht vor uns stehenden Götter- 
welt Sein Flammenspiel wirft plötzlich grelle Lichter 
auf die Umgebung; blitzartig mit starken Schlagschatten 
werden die Gegenstände erhellt Aus dem unsicheren 
Flackerlicht steigt auf Augenblicke eine Stichflamme 
auf, zwei verborgene Seiten von Loges Wesen an- 
deutend, die läuternde, so zu sagen moralische, und 
die vernichtende Kraft des Feuers. So ist Loge allein 
im Stande, dreimal rflhrend und mit Wärme Wotan 
vor Unrecht zu warnen und ihm das Recht zu weisen. 
Und sein dämonischer Vernichtungstrieb bricht ebenso 
stellenweise, besonders am Schlüsse, unversehens hervor, 
um sofort wieder von der Oberfläche zu verschwinden. 
Loge ist die allerwichtigste Gestalt im Rheingold, über- 
haupt eine der genialsten dichterischen Schöpfungen. 
Dem Darsteller ist hier eine außerordentlich hohe und 
dankbare Aufgabe gestellt 

Von Elementargeistern begegnen neben Loges 
Feuerwesen Riesen, Zwerge, Nixen. Unter den Riesen 

3 



— 38 — 

stellt sich die Volkssage ungeschlachte, große, unbändig 
wilde und starke Gesellen vor. Sie sind gutmütig und 
treu und lassen sich daher leicht überlisten; aber auch 
bösartige und gewaltthätige Riesen begegnen oft. Der 
gute Fasolt und der böse Fafner zeigen vortrefflich 
diese beiden Seiten der Riesenart. Die nordische Sage 
kennt nur einen Riesenbaumeister, den Wagner nach 
dem Hüter des Hortes Fafner nennt Den Namen 
Fasolt fand Wagner in völlig anderem Zusammenhang 
in J. Orimms Mythologie. Er führte ihn ein, um den 
erwähnten Gegensatz guter und böser Riesenart zu 
schildern. Auch die Zwerge sind zweideutig, bald 
gutmütig und einfältig, bald tückisch und boshaft 
Dasselbe Widerspiel wie bei den Riesen Fasolt und 
Fafner begegnet bei den Zwergen Mime und Alberich. 
Mime erscheint im Rheingold noch harmlos und täppisch. 
Erst Alberichs Zwang und die Goldgier verwandeln ihn 
zum hinterlistigen Schleicher und Schädling, wie er im 
»Siegfried« auftritt Alberich als Nibelungenherrscher 
mit der Geißel und dem Tamhelm ist dem Nibelungen- 
lied entnommen, wodurch der in der Edda nur wenig 
hervortretende Andwari eine scharf ausgeprägte Persön- 
lichkeit erhielt Seine Verwandtschaft mit Mime hat 
Wagner erfunden. Daß der Tamhelm nicht bloß un- 
sichtbar, sondern auch verwandlungsfähig macht,^ist 
(L\iJ,. ::r' Lachmanns Vermutung, die sich auf Sigurds und 

Gunnars Gestaltentausch beim Ritt durch die Waber- 
lohe gründet 

Die Rheintöchter sind die Wasserminnen der 
Volkssage, deren berückender Schönheit viele Männer 
zu ihrem Verderben verfallen. In anmutigem Wellenspiel 
tauchen sie auf und nfeder. Sie sind so beweglich 



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— 3Q — 

und fließend wie das Wasser, gefährlich und harmlos 
zugleich. Die Elemente sind jenseits von Out und 
Böse. So ist auch die Tiefe traulich und treu im 
Vergleich zu den wilden und thörigen Leidenschaften 
der Oötter und Menschen. Feuer und Wasser sind 
Gegensätze und doch im Volksglauben auch verwandt 
Gemeinsam ist beiden Elementen die Beweglichkeit 
und das zwiespältige, bald freundliche, bald feindliche 
Verhältnis zum Menschen, gemeinsam haben beide die 
reinigende, läuternde Kraft. So fühlt sich Loge zu den 
Rheintöchtern insgeheim hingezogen. Und wenn er am 
Schlüsse zu den Nixen niederschaut und dann wieder 
den Blick zu den Göttern erhebt, deren trugvolle Pracht 
dereinst in seinen Flammen vergehen wird, da sehen 
wir bereits die beiden Elemente zum geheimen Bund 
vereinigt, die nach dem Glauben der Nordleute am 
jüngsten Tag die Welt in Feuer und Fluten vernichten, 
aber aus den Wogen auch zu neuem, besserem Dasein 
erheben werden. 

So erscheint uns das Rheingold im Ganzen und 
Einzelnen als eine wundervolle, «auch im kleinsten Zug 
anschauliche künstlerische Verklärung und Vertiefung 
altgermanischer Göttersage. 

Natüriich bedarf ein solches Werk auch fein- 
sinnigster szenischer Darstellung, damit die vom 
Dichter so unvergleichlich lebensvoll geschauten Bilder 
und Vorgänge deutlich vor unsem Augen erscheinen. 
Eine verständnislose Inszenirung bringt das Rheingold 
von vornherein um den besten Teil seiner Wirkung. 

Die großartigen, stimmungsvollen Szenenbilder 
beruhen durchaus auf Wagners eigenster Erfindung. 
Einen sommeriangen Tag erieben wir im Rheingold. 

3* 



— 40 — 

Die ersten Sonnenstrahlen fallen durch den grünen 
Wogenschwall zur Tiefe und wecken des Rheingolds 
lichten Schein, und droben beleuchtet der hervor- 
brechende Tag mit wachsendem Olanze die blinkenden 
Zinnen der Burg. Mit Freia schwindet Licht und Leben. 
Fahle Nebel, Wolkendämpfe verschleiern den Mittags- 
himmel. Solange Wotan und Loge zu Nibelheims 
nächtlicher Tiefe fahren, verdüstert sich der Himmel 
immer mehr, gen Abend schwebt schwüles Oedünst 
in der Luft Das bleiche Oewölk sammelt Donner zu 
blitzendem Wetter, das den Himmel hell fegt. Nach 
dem Gewitter zieht sich mit blendendem Leuchten der 
Regenbogen übers Thal zur Burg, die jetzt endlich 
wieder entwölkt und von der Abendsonne beschienen 
in hellstem Olanze erstrahlt 

Richard Wagner hat aus der Verschmelzung ver- 
schiedener alter Sagen in der eigenartigen Form seines 
deutschen Dramas eine auf die tief erregenden Gegen- 
sätze von Oold und Liebe begründete tragische Hand- 
lung gewonnen, in der wir die volle Deutlichkeit der 
Idee und die plastische Anschaulichkeit der äußeren 
Vorgänge bewundem. Selbst die größten Dichter 
sind beim «Betonen und Hervorheben der Idee ins 
Allegorische und Abstrakte verfallen, bei Wagner aber 
steigert sich mit der Idee zugleich die Gestaltungskraft 
Er ist, wie Chamberlain einmal treffend sagt, das 
mächtigste plastische Genie, das je unter den deutschen 
Künstlern erstand, er hat aus tiefstem Schauen einzig 
wirkungsvoll gestaltet 



Die Walküre. 




Jus zwd Sagen fQgt sich die «WallcQrec, 
aus der Sigmundsage bezw. der Vol- 
I sungasaga und aus der Brtlnnhildsage. 
In den nordischen Quellen besteht 
Icein Zusammenhang dieser beiden 
Geschichten. Die Volsungasaga eizähh von Sigurds 
Ahnen. Von Odin, dem Ahnherrn des Geschlechts, 
stammte König Volsung, der mit sdner Gattin, einer 
Walküre, zehn Söhne, darunter Sigmund, und dne 
Tochter, Signy, hatte. König Volsung Heß eine stattliche 
Halle bauen; mitten drin stand ein mächtiger Baum, 
dessen Zweige über das Dach hinausragten und es über- 
schatteten, während der Stamm im Orund der Halle 
wurzelte. Als Signy, gegen ihre Neigung, dem König 
Siggeir vermählt wurde und die Gäste abends an den 
Feuern umhersaßen, trat ein Mann in die Halle, der 
von Aussehen allen unbekannt war. Er war groß, 
alt und einäugig, von geflecktem Mantel umwallt, der 
breite Hut hing ihm tief ins Antlitz. In der Hand 
trug er ein blankes Schwert, das er bis ans Heft in 
den Baumstamm stieß. Alle scheuten sich, ihn zu 
begrüßen; er aber sprach: >Wer dies Schwert aus 
dem Stamme zieht, der soll es von mir zur Gabe haben; 
er wird selbst erproben, daß er nie ein besseres 
Schwert führte«. Hierauf ging der Greis aus der 



— 44 — 

Halle und Niemand wußte, wer er war oder wohin 
er ging. Die Männer standen nun auf und beeiferten 
sich, das Schwert herauszuziehen, aber keinem rflckte 
das Eisen von der Stelle. Zuletzt trat Sigmund hinzu 
und zog das Schwert aus dem Stamm, so leicht, als 
wäre es los vor ihm gelegen. Siggeir, sein Schwager, 
wollte es ihm dreifach mit Oold aufwägen. Sigmund 
aber sagte: »du konntest es nicht minder nehmen als 
ich, wenn es dir zu tragen ziemtec. Daraus erwuchsen 
bald darauf Zwietracht und Verrat unter den Ver- 
wandten; König Volsung fiel in blutiger Schlacht gegen 
seinen Eidam Siggeir, seine Söhne wurden umgebracht 
Nur Sigmund wurde von Signy gerettet Sigmund 
und Signy sannen auf flache. Sigmund hauste ver- 
borgen im Walde draußen, einsam und unerkannt 
Als Signy ihre beiden Söhne von Siggeir zum ge- 
planten Rachewerk untüchtig erkannt hatte, da sah sie 
ein, daß nur ein echtester Volsung, der von Vater- 
und Mutterseite Volsungenblut hatte, als Rachehelfer 
tauge. Verkleidet ging sie zu Sigmund hinaus und 
empfing von ihm, der die Schwester nicht erkannte, 
den starken Sinfjotle, den sie hernach zu Sigmund 
hinaussandte, damit er ihn im Heldentum erziehe. 
Sigmund und Sinfjotle führten lange das Leben des 
friedlosen Aechters, der wie ein Wolf im wilden Walde 
gehen mußte. Die Sage stellt das so dar, als wären 
Sigmund und Sinfjotle eine Zeit lang in Werwölfe 
verwandelt gewesen. Endlich machten sie sich zur 
Rache an Siggeir auf. Sie bargen sich, günstiger Ge- 
legenheit harrend, im Vorhause der Königshalle, wurden 
aber ergriffen und lebendig begraben. Signy warf 
ihnen das Odinschwert in die steinerne Grabkammer. 



— 45 — 

Damit zersägten sie die Felsen und machten sich frei. 
Zur Nacht legten sie Feuer an die Königshalle und 
wehrten den Leuten den Ausgang. So kam Siggeir 
in den Flammen um. Signy blieb, zur Sühne ihrer 
Schuld, beim Gatten, den sie nie geliebt und dessen 
Untergang sie selbst herbeigeführt hatte, im brennenden 
Hause und fand so den Tod. 

In dieser Geschichte herrscht eine Wildheit, die 
auf das höchste Alter deutet Sie stammt wo! aus 
der heidnischen Urzeit der Franken. Ihre Tragik liegt 
darin, dass die sittlichen Ideale der Germanen sich 
furchtbar verwirren, daß höchste Treue nur durch 
Untreue geübt werden kann. Uhland wies nach, daß 
der Grundgedanke germanischer Heldensage die Treue 
ist. Alles Gute entspringt aus Treue, alles Böse aus 
Untreue. Gerade bei den Franken zeigt sich Treue 
und Untreue in seltsamem Widerspiel. Diese Gegen- 
sätze durchziehen Leben und Dichtung des Volkes. 
Rein und schuldlos bleibt nur der, der in Gesinnung 
und Tat stets an der Treue festhält, wie etwa der 
gotische Dietrich; aber in Schuld verstrickt und dem 
Verderben geweiht ist, wer, sei es auch aus bester 
Gesinnung, zu untreuen Handlungen greift Sigmund 
und Signy sind treu dem Heiligsten, der Sippe. 
Ungern scheidet das Weib aus dem Band der Sippe; 
in Siggeirs feindlicher Gewalt fühlt sie sich noch 
immer den Volsungen verpflichtet; und die erste Pflicht 
ist Blutrache. Signy entsendet zuerst ihre Söhne, 
die sie von Siggeir hat, zu Sigmund, aber sie erweisen 
sich zu schwach zum Rachewerk. Da keimt in Signys 
Brust der Gedanke, daß der echteste Volsung^ dem 
von Vater- und Mutterseite nur reines Volsungenblut 



— 46 — 

in den Adern fließe, auch der stärkste Held sein, daß 
in ihm gleichsam der Rachegedanke lebendig werden 
müsse. Die Volsungen (vgl. gotisch walis, auserwählt, 
echt) heißen die Echten und Sinfjotle ist auch seiner 
Art nach der echteste Sproß. Doch der Sippe Rettung 
und Rache geschah durch den Bruch der unverletz- 
lichen Sippenbande; denn die Oeschwisterehe gilt der 
Sage als Verbrechen. Zudem brach Signy ihre Ehe 
mit Siggeir. Aber noch ragt die urzeitliche Auffassung 
herein, daß Bruder und Schwester die reinste Sippe 
erzeugen. So bestreiten sich zwei im Grunde große 
und edle, aber unversöhnliche Gedanken gegenseitig. 
Die Sippe fordert den blutechten Sprößling, der allein 
zur Rache fähig ist, und sie verflucht ihn, weil sein 
Ursprung die Sippe schändet. Sigmund und Signy 
halten ihrem Geschlecht furchtbare Treue und sie 
zerstören mit untreuester Tat der Sippe Ehre und 
heilige Satzungen. 

In der Walküre treten Sieglinde und Siegfried für 
Signy und Sinfjotle ein. Hunding übernimmt die Rolle 
des Siggeir. Hunding hat seinen Namen von einem 
in der Volsungasaga später genannten Feind Sigmunds. 
In Hundings Hause erscheint Siegmund als Wehwalt 
der Wölfing, als der friedlose, wehbelastete Wald- 
gänger. Der Neidinge Schaar hat ihm Haus und Sippe 
vernichtet Freudlos ist sein Leben und Unheil lastet 
immer auf ihm. Auch Hunding kündet ihm Fehde. 
Waffenlos fiel er in Feindes Haus. Da traf ihn der 
Blick des Weibes, in heiligster Minne höchster Not 
verbinden sich Schwester und Bruder, dem Waffe und 
Weib bestimmt. Durch Wotans Fügung finden sich 
die Geschwister; der Gott führt sie zusammen und 



— 47 — 

entzündet ihre Liebe, den ersten warmen Sonnenblick, 
der in ihr dunkles Dasein fällt Nicht eigene bewußte 
Absicht, wie in der alten Sage, sondern Schicksals- 
schluß und Sehnsucht nach Liebe vereinen Siegmund 
und Sieglinde. Das Gefühl des Sippebruchs kommt 
ihnen nirgends zum Bewußtsein, obwol sie als Ge- 
schwister sich erkennen. Nur den Ehebruch ersieht 
und fürchtet Sieglinde, als sie vor Hunding ins Oebirg 
fliehen. Der alte Entwurf hielt sich in diesem Punkte 
an die Sage: »Im Geschlecht der Wälsungen soll der 
freie Held geboren werden: eine unfruchtbar gebliebene 
Ehe dieses Geschlechts befruchtete Wotan durch einen 
Apfel Holdas, den er das Ehepaar geniessen ließ: ein 
Zwillingspaar, Siegmund und Sieglinde (Bruder und 
Schwester) entspringen der Ehe. Siegmund nimmt 
ein Weib, Sieglinde vermählt sich einem Manne 
(Hunding); ihre beiden Ehen bleiben aber unfruchtbar. 
Um einen echten Wälsung zu erzeugen, begatten sich 
nun Bruder und Schwester selbst. Hunding, Sieglindes 
Gemahl, erfährt das Verbrechen, verstößt sein Weib 
und überfällt Siegmund mit Streit.« In der Walküre 
ist Wotan als Wälse der Vater der Zwillinge, er steht 
ihnen also viel näher, als in der Volsungasaga und 
im Entwurf, wo er Ahnherr des Geschlechts ist Aber 
im Drama vollführen sie nur unbewußt, aus freier 
Liebe, seinen Willen. 

Der Streit um den Sippebruch kommt daher auch 
nicht unter den dieses Frevels unbewußt handelnden 
Menschen, sondern zwischen Wotan und Fricka zum 
Austrag. In des Gottes Hand steht die von ihm 
entsprungene Sippe; er muß ihre Helden schützen 
und ihre Rache fördern. Die Wahrung und Kräftigung 



— 48 -- 

der blutechtesten Sippe trotzt allen anderen Rück- 
sichten. Wie ein wilder Gedanke aus der Urzeit ragt 
Wotans Wunsch hertin, die Blutsverwandten unter 
sich zur Gewinnung der reinsten Art zu verbinden. 
Aber Fricka waltet der Ehe. Die Geschichte der 
Menschheit lehrt, daß mit der Festigung der Ehe eine 
neue sittliche Ordnung aufkam. Sippe und Ehe ge- 
raten oft feindlich an einander. Man denke nur an 
Kriemhild in deutscher Sage, die, um ^igfrid zu rächen, 
ihr eigen Geschlecht verdirbt, während umgekehrt 
Gudrun im Norden den Tod ihrer Brüder an Atli, 
ihrem Gatten, rächt. Daß Fricka, der Ehe Hüterin, 
Wotan den Frevel an Sippe und Ehe vorhält, hat 
einen tiefen Sinn. Der Ehe eignet gleiche Heiligkeit 
wie der Sippe, eine neue Weltanschauung verlangt 
ihr Recht gegen die wilden zügellosen Einbrüche der 
Vergangenheit Das Zwillingspaar beging schwerste 
Untat an Sippe und Ehe und verfällt damit dem 
Tode. Das ist freiester Liebe furchtbarstes Leid. Treu 
ihrer Art handeln Siegmund und Sieglinde untreu an 
allem andern. Dieselben Motive, wie in der Urquelle, 
bestimmen den Gang der Ereignisse bei Wagner, nur 
muß man zum vollen Verständniß Wotan-Siegmund 
und Fricka-Sieglinde zusammen nehmen, in der Wal- 
küre eine Handlung mit unbewußtem Verhängniß, 
in der Sage aus festem Entschluß mit bewußter Schuld 
und Sühne. Was Signy denkt und ausspricht, lenkt 
in der Walküre das Schicksal, die Gottheit; der gött- 
liche Wille wirkt in den Menschen nur als dunkler 
Trieb. Und das ist wahrer, natüriicher. Viel schöner 
und herrlicher dünkt uns die aufblühende Liebe, die 
vor jähem Gewittersturm hinsinkt, als die erwägende, 



j 



~ 49 — 

den Bruder täuschende und dann zur Sühne sterbende 
Signy. 

Für Wotan bedeutet das Gespräch mit Fricka^ 
wo zwei unversöhnliche Weltanschauungen, die der 
zügellosen Freiheit und der gesetzlichen Gebundenheit, 
schroff einander entgegentreten, noch etwas besonderes. 
Am Schlüsse des Rheingolds hatte er mit großer 
Gebärde ein Schwert gegen das von der Abendsonne 
bestrahlte Walhall erhoben: 

So grüß ich die Burg, 
sicher vor Bang und Oraun! 

Das freie stolze Heldentum, das zu schaffen, zu 
wahren und zu stärken Wotan in diesem Augenblick 
beschließt, wird mit dem Sinnbild des Schwertes der 
fluchfertigen knechtenden Goldesmacht gegenüber 
gestellt In der Walküre vollzieht sich der erste Teil 
des tragischen Heldenspiels. Wotan hat den Wäl- 
sungenstamm, das Zwillingspaar gezeugt. Im wilden 
Leiden soll Siegmund zu ureigner Stärke erwachsen: 

Not tut ein Held, 
der, ledig göttlichen Schutzes, 
sich löse von Oöttergesetz! 

Ein von den Göttern selbst unabhängiger, freier 
Helden Wille, der im Menschen erstehen soll, kann 
allein den im Ring verkörperten Fluch lösen. Wotan 
hat den Helden ins Leben gerufen und den Walküren 
das Amt zugewiesen, in Streit und Sturm das Helden- 
tum zu schaffen. Fricka aber bringt Wotan zum Be- 
wußtsein, daß Siegmund nicht der ersehnte freie 
Held ist* 

wie das neidliche Schwert!« 



— 50 — 

Vor dieser schmerzlichen Erkenntniß bricht der 
Oott in ohnmächtigem Orimm zusammen; er sieht, 
daß Siegmund sein Geschöpf ist, daß er, der Oott, 
einen Freien nicht wollen kann: 

»Denn selbst muß der Freie sich schaffen!« 

Von Odin wird in den nordischen Sagen oft 
erzählt, daß er Segen und Sieg von den Helden, die 
er einst damit begabte, am Ende ihrer Laufbahn wieder 
zurücknahm. Der Ounstling des Oottes muß eben 
doch den Waltod sterben, schon um nach Walhall 
einzugehen. Von Sigmund wird erzählt, daß er sich 
im Alter mit Hjordis vermählte. Ein verschmähter 
Freier der Hjordis, ein Sohn König Hundings, überzog 
Sigmunds Land mit Heeresmacht. Es kam zur Schlacht 
Sigmund schlug breite Oassen durchs Heer der Feinde. 
Da trat ihm ein einäugiger Oreis mit breitem Hut und 
blauem Mantel in den Weg und schwang ihm einen 
Speer entgegen. Sigmund hieb mit seinem Schwert 
auf den Speer, da sprang das Schwert entzwei. Damit 
war Sigmunds OlOck gewichen, er fiel mit dem größten 
Teil seines Heeres. Hjordis kam Nachts aufs Walfeld, 
fand dort den schwer wunden Helden und fragte, ob 
er noch zu heilen sei. Sigmund sagte: »Odin will 
nicht, daß ich das Schwert länger schwinge; du aber 
wahre die Seh Wertstücke wohl; du trägst einen Knaben, 
der wird das neugeschmiedete schwingen und manch 
Heldenwerk damit vollbringen, und sein Name wird 
erhaben sein, so lang die Welt steht.« Mit dem 
Tagesgrauen starb Sigmund. Hjordis aber gebar bald 
darauf einen Knaben von solcher Oestalt und Schöne, 
daß alle einstimmig sagten, das Kind werde ein Held 



— 51 — 

ohne Gleichen werden. Der Knabe mit den scharfen 
Augen wurde Sigurd genannt. 

Im Volsungenstamm vererbt sich ein besonderes 
Mal im Auge, nach dem Sigurds Enkel, Ragnars Sohn, 
Sigurd Schlangenauge heißt. Seine Mutter verkündet: 
»Das Kind, das ich unter meinem Herzen trage, wird 
ein Knabe sein und an ihm wird man das Zeichen 
finden, daß es scheint, als ob eine Schlange um sein 
Auge liege.« Und es wird gesungen: 

»Man sieht an keinem Knaben, 
als einzig nur an Sigurd, 
im Augensteine mitten 
die Schlang in Ringen liegen, 
drum soll vom Augenwurme 
der Sohn das Beiwort haben.c 

Darum sagt Hunding von Siegmund: 

Wie gleicht er dem Weibe! 

Der gleißende Wurm 

glänzt auch ihm aus dem Auge. 

Die BrQnnhildsage aber berichtet: Als Brünnhild 
aus dem Zauberschlafe erwachte, erzählte sie Sigurd, 
daß zwei Könige mit einander gekämpft hätten: der 
eine hieß Hjalmgunnar und war ein gewaltiger Krieger, 
obwohl er schon recht bejahrt war, und Odin hatte 
ihm Sieg versprochen; der andre aber hieß Agnar, 
den niemand schirmen und schützen wollte. Brünn- 
hild fällte den Hjalmgunnar, aber Odin stach sie dafür 
mit dem Schlafdom und bestimmte, daß sie niemals 
wieder in der Schlacht Sieg erkämpfen, sondern sich 
vermählen solle. »Ich aber erwiderte ihm, daß ich 
meinerseits ein Gelübde ablege, daß ich keinem Manne 
mich verloben werde, der sich fürchten könne.« Da 






— 52 ^ 

umzog Odin die Schlafende mit einem Zaun von 
Schilden und ließ außen herum Feuer auflodern und 
beschied nur dem Furchtlosen, das Feuer zu durch- 
dringen und den Schlafzauber zu lösen. 

Auf diesen wenigen Worten der alten Sage baut 
sich BrQnnhilds Verhältniß zu Siegmund und Wotan 
im zweiten und dritten Aufzug der Walküre auf. 

»Tod kündend 

trat ich vor ihn. 

Ich vernahm des Helden 

heilige Not 

Meinem Ohr erscholl, 

mein Aug erschaute, 
was tief im Busen das Herz 
zu heiligem Beben mir traf. 

Scheu und staunend 

stand ich in Scham: 

ihm nur zu dienen 

könnt ich noch denken: 

Sieg oder Tod 

mit Siegmund zu teilen — 

dies nur erkannt ich 

zu kiesen als Los! 

Im gewaltgen Sturm des Mitleidens ist das Wotans- 
kind zum liebenden Menschenweib gewandelt, wie es 
so herrlich dieTodkündung im zweiten Aufzug schildert: 
sie liebt Siegmund, weil er in höchster Not veriassen 
ist, weil kein Wesen ihn schirmen und schützen 
wollte. Und Wotan, da sie seinem Gebot getrotzt, 
straft die Maid: 

»Nicht send ich dich mehr aus Walhall 
nicht weis ich dir mehr 
Helden zu Wal, 



- 53 - 

nicht führst du mehr Sieger 
in meinen Sal. 
Die magdliche Blume 
verblüht der Maid; 
ein Oatte gewinnt 
ihre weibliche Ounst: 
dem herrischen Manne 
gehorcht sie fortan, 
am Herde sitzt sie und spinnt, 

aller Spottenden Ziel und Spiel. 

« 

Aber als Wotans Orimm sich sänftigt, als die 
Tochter In höchster Angst zu ihm fleht, des eignen 
Werts nicht zu vergessen: 

»Nicht wertlos sei er, 
der mich gewinnt 



Auf dein Gebot 

entbrenne ein Feuer; 

den Fels umglühe 

lodernde Oluth: 

es leck ihre Zunge, 

es fresse ihr Zahn 
den Zagen, der frech es wagte, 
dem freislichen Felsen zu nahn !c — 

da weckt Wotan ein Feuer aus dem Gestein, daß 
es den Zagen mit zehrendem Schrecken scheuche, 
daß nur der furchtloseste Held die Braut sich freie. 
Die tiefe Gefühlswelt, die gewaltigen Seelensturme, 
die hinter den schlichten Worten der alten Quelle 
liegen, hat die Walküre in wahrhaft ergreifender Weise 
uns vorgeführt. Darin bewährt sich der Dichter, dass 
er in die Tiefe der Seelenstimmung blickt. Rein mensch- 
liche Gefühle werden hier angeregt. Das Wunderbare 
liegt darin, daß die wenigen Worte, die wir als den 

4 



— 54 — 

Keim der Walkflre betrachten müssen, andrerseits 
wieder genau als das Ergebniss des ganzen Dramas 
erscheinen, als hätte der Dichter nur längst Verlorenes 
wieder gefunden. 

Die Volsungasaga und BrOnnhildsage hat Wagner 
dadurch vereinigt, daß Sigmund und Siggeir, Agnar 
und Hjalmgunnar in Siegmund und Hunding ver- 
schmolzen sind. Sieglinde und Siegfried treten für 
Signy und Sinfjotle ein. Nun entscheidet Brünnhild 
in der Fehde zwischen Siegmund und Hunding g^en 
Wotans Gebot. Auf die einfachste Weise ist engste 
Verbindung hergestellt, im neuen Rahmen gewinnen 
beide Stoffe an Bedeutung und Vertiefung. Wie farb- 
los sind für uns die Namen Hjalmgunnar und Agnar, 
deren Geschichte ja auch spurios verioren ging, wie 
lebendig Siegmund und Hunding! 

Einen äußeren Grund, Walkuren im Kampfe über 
Siegmund walten zu lassen, gaben die Worte der 
Volsungasaga kurz vor dem Fall des Helden: »Manche 
Speere und Pfeile flogen da durch die Luft, aber so 
schützten ihn seine Schutzgöttinnen (spädfsir), daß er 
nicht verwundet ward.€ Als Cklin selbst auftritt, ist 
die Macht dieser Wesen gebrochen. Im ersten Lied 
von Helgi, Si^[munds Sohne, heißt es, als der Held 
im Kampfsturm steht, daß die Walküre Si^rnm zu 
seinem Schutz hernieder kam: 

Da kam vom Himmel 

die Helmbewehrte, 

Speere sausten, 

und scfadtzte den Fürstoi. 

Laut rief ^^[run, 

des Luftritts kund^sr: 

HeU sollst du, Fürst, 



— 55 — 

dich beider erfreun, 

des Siegs und der Lande; 

zum Schluß kommt der Streit 

Die Volsungasaga giebt diese Stelle mit den 
Worten: »da sahen sie eine große Schar von Schild- 
mägden gleichwie in Flammen: das war Siegrun.« So 
erscheint Brünnhilde im Lichtglanz über Siegmund 
schwebend und ihn mit dem Schilde deckend. Ueber 
einem anderen Helgi schwebt die Walküre Kara in 
Schwangestalt. 

Wie die Haupthandlung in großartiger Einfachheit 
aus den Orundmotiven der Ueberlieferung heraus ge- 
staltet ist, so ist auch die äußere Einkleidung völlig 
stilgerecht. Aus der Erzählung Siegmunds im ersten 
Aufzug von Reckenfahrt, Fehde und Brand, vom Wolfs- 
leben des Aechters, wobei er mit seinem Vater Wälse 
den bedeutungsvollen Namen einer berühmten germani- 
schen Heldensippe, der Wölfinge, annimmt, spricht die 
ganze Wildheit des germanischen Urwaldlebens. Zwar 
haben wir in Deutschland selbst kein^ so alten Denk- 
mäler, um einen Einblick in solche Zustände daraus zu 
gewinnen, aber die isländischen Familiengeschichten 
berichten ausführiich ähnliche Dinge, freilich aus späterer 
Zeit, dem IX. und X. Jahrhundert, aber noch in vollster 
Herbe ungebrochener heidnischer Gesinnung. Grimmig- 
ste Fehde, Mordbrand und Tod$chlag aus Blutrache, 
furchtbare Gewaltthat erfüllte jene Urzeiten. 

Wotan, die Walküren, Walhall sind aufs anschau- 
lichste nach den nordischen Quellen geschildert. Wotan 
erscheint im goldenen Adlerhelm und in goldener 
Brünne, mit dem roten Kriegsmantel angethan. Er 
weist die Walküre zum Kampf, dem Wälsung Sieg 

4* 



— 56 — 

zu kiesen. Den Walküren ist das Amt gesetzt, die 
tapferen Männer zum Krieg aufzureizen, damit kühner 
Kämpfer Scharen in Walhall sich sammeln. Denn 
zum letzten Kampfe will der Oott wohlgerfistet sein, 
um einst an der Spitze vieler Helden aus Walhall dem 
Feind entgegenreiten zu können. Wenn Oewittersturm 
aufbraust, wenn Wotan sein heiliges Roß reitet, dann 
ist er der wilde Jäger, der Brünnhilde hetzt, dann zeigt 
sich des Gottes Wesen als des Stürmers und Führers 
des wilden Heeres. Der sturmumbrauste Walkürenfelsen, 
an dem Wolkenzüge vorüberjagen, macht den mythi- 
schen Ursprung des Sturmgottes prächtig anschaulich. 
Im zweiten Aufzug ist die Todkündung- einem 
norwegischen Skaldenlied um 900 nachgebildet: Odin 
sandte Walküren aus, Könige zu kiesen, die nach 
Walhall zur Oastung bei Odin fahren sollten. Sie 
fanden Hakon, den König unter dem Kampfbanner. 
Nun wird die blutige Schlacht, Odins und der Wal- 
küren Wetter, geschildert. Da sassen die totwunden 
Helden, denen die Fahrt nach Walhall bestimmt war, 
mit schartigen Schilden und zerschossenen Brünnen. 
Nicht froh gemut war die Schar. Da sprach die 
Walküre auf den Oerschaft gestützt: »Nun wächst der 
Götter Glück, weil die Waltenden Hakon mit einem 
großen Heere zu sich heim entboten.« Der König 
hörte, was die Walküren redeten, die herriichen von 
Rosses Rücken. Sinnend erschienen sie, in Helmen 
waren sie, Schilde hielten sie vor sich. »Warum, o 
Walküre, teiltest du so die Schlacht? Wir waren doch 
wert, Sieg von den Göttern zu erhalten.« »Wir walteten, 
daß du das Feld behieltest, aber deine Feinde flohen. 
Nun reiten wir zum grünen Heim der Götter, Odin 



— 57 — 

zu sagen, daß der König Hakon zu Oast kommt.« 
Odin aber hieß seine Helden aufstehen und dem 
tapfern König zur Begrüßung entgegen gehen. — 
So tritt auch BrQnnhild mit Schild und Speer, ans Roß 
gelehnt, Siegmund ernst und schön gegenüber. Zu 
Watvater fuhrt sie ihn; dort empfängt ihn gefallener 
Helden hehre Schaar mit hochheiligem Oruß: 

Wunschmädchen 
walten dort hehr: 
Wotans Tochter 
reicht dir traulich den Trank. 

Hier haben wir die beiden Seiten des Walküren- 
amtes: sie thun in Walhall Dienst, reichen den Helden 
Trank und haben das Tischgerät und die Bierkrüge 
in ihrer Obhut Odin sendet sie aber auch in die 
Schlacht, dort wählen sie die Männer aus, die dem 
Tode erliegen sollen und verleihen den Sieg. Zu der 
Erscheinung der Walkuren im dritten Aufzug bieten 
sich folgende Züge der Quellen: Die Walküren reiten 
auf ihren Rossen durch die Luft. Meist erscheinen 
sie geschart, zu drei, sechs, neun, zwölf. Mit Helm 
und Schild, in fester Brünne, mit funkensprühenden 
Speeren, von leuchtenden Blitzen umspielt reiten sie 
im Gewölk. Die Walküren sind von leuchtender, 
lichthaariger Schönheit. Daß aber die Walküren die 
Erschlagenen selber nach Walhall geleiten oder auf 
ihren Rossen deren Leiber hinauftragen, ist nirgends 
angedeutet. Aber Grimm schreibt ungenau in der 
Mythologie S. 800: »Odin entsendet die Valkyrjen, 
alle im Kampf gefallnen Helden zu empfangen und in 
seinen Himmel zu geleiten.« Von den Walküren- 
namen ist nur Siegrune bezeugt; die übrigen hat 



— 58 - 

Wagner selbst eingesetzt und trefflich aus den 
kriegerischen Frauennamen der Germanen ausgewählt, 
insbesondere paßt der Name Waltraute vorzüglich für 
eine Walküre. Schwertleite (mhd. swertleite = Schwert- 
umgürtung, Wehrhaftmachung) und Roßweiße (die 
Schimmelreiterin) sind frei erfundene Namen. 

Das Roß Grane gehört der Ueberiieferung an, 
aber steht dort in anderem Zusammenhang. Nach 
der Volsungasaga stammt es von Odins Roß Sleipner. 
Odin selber schenkt es dem Sigurd, damit er darauf 
durch die Waberiohe reite. Wagner verwies Grane 
unter die Walkürenpferde. Mit ihrer Waffenrüstung, 
mit Speer und Schild, Helm, Brünne und Mantel ver- 
schenkt Brünnhilde im Vorspiel zur Götterdämmerung 
auch Grane an Siegfried. Auch in der Thidrekssaga 
Kap. 168 schenkt Brünnhild dem Sigurd den Hengst 
Grane. 

Wenn auch Stoff und Einkleidung durchaus auf 
der Ueberiieferung beruhen, so sind doch die einzelnen 
Bühnenbilder und Vorgänge fast völlig neu erfunden. 
Der Schauplatz des ersten und dritten Aufzugs, der 
Saalbau um den Eschenstamm und der Gipfel des 
Felsens, auf dem Brünnhild in Schlaf gesenkt wird, 
sind in den Vorlagen zwar angedeutet, der des zweiten 
Aufzugs hat kein Vorbild. Was im ersten Aufzug 
geschieht, ist neu erfunden. Nur in Sieglindes Er- 
zählung vom Greis im grauen Gewand spielt die 
Volsungasaga herein. 

Wotans Gespräch mit Fricka ist in der Edda bei 
andrem Anlaß einigermaßen angedeutet, wenn z. B. 
Odin und Frigg über ihre Günstlinge sich streiten; auch 
Wodan und Frea sind in der bekannten Stammsage der 



— 59 — 

Langobarden uneinig; Frea setzt schlieBlich listig ihren 
Willen durch ; vom Inhalt des Gesprächs steht aber gar 
nichts in den Quellen. DaB Fricka ein Widdergespann 
fährt, ist durch J. Orimms Mythologie S. 304 veranlaßt, wo 
ungenau dem Thorr ein Widdergespann zugeschrieben 
ist Thorr fährt in Wirklichkeit mit Böcken, Freyja 
mit Katzen. Den Wagen selbst hat Fricka von Freyja 
übernommen, die ja beide oft mit einander verwechselt 
wurden und Eigenschaften an einander abgaben. 
Ebensowenig hat Wotans Gespräch mit Brflnnhild und 
die Wälsungenszene eine Vortage. Die Todkflndung 
und der Schluß des zweiten Aufzugs sind quellen- 
mäßig angedeutet; die plastische Ausführung ist 
Wagners volles Eigentum. Die Walkürenszene im 
dritten Aufzug, das Gespräch zwischen Sieglinde und 
Brünnhilde, die ganze wundervolle Stimmung der 
Wotanszene, Abschied' und Feuerzauber^ gehören dem 
Drama zu eigen, davon steht nichts in den Vorlagen. 
Die Verkündigung Siegfrieds ist Brünnhild zugewiesen, 
in der Volsungasaga spricht sie Sigmund aus. Wagner 
dachte wohl dabei ans Lied von Helgi dem Sohne 
Hjorwards, wo die Walküre Swawa den bisher 
stummen Helden grüßt, ihm Namen und Siegschwert 
schenkt. Wie viel schöner ist die Namendeutung: 

»Siegfried erfreu sich des Siegs fc 

gegenüber der in Siegfrieds Tod, wo die -von den 
Philologen zwar lange behauptete, aber etymologisch 
und sachlich gleich falsche Auslegung 

»Durch Sieg bringt Friede ein Heide 

von der dritten Nom verkündet wird. Die ganze 
Stimmung im dritten Aufzug, »ein furchtbarer Sturm 



— 60 — 

der Elemente und der Herzen, der sich allmäiig bis 
zum Wunderschlaf Brflnnhilds besänftigt«, ist nur im 
Drama geschaffen. 

So finden wir im Ganzen und Einzelnen freieste, 
eigenste dichterische Neuschöpfung, und doch sind 
alle Züge der Ueberlieferung aüfs feinste verwertet. 
Es ist eine Neugestaltung aus den Orundmotiven der 
Sage. 

Ueber den Ideengang schrieb Wagner 1851: 
»denke dir die wunderbar unheilvolle Liebe Sieg- 
munds und Sieglindes; Wotan in seinem tiefgeheimniB- 
vollen Verhältnis zu dieser Liebe; dann in seiner Ent- 
zweiung mit Fricka, in seiner wütenden Selbstbezwing- 
ung, als er, der Sitte zu lieb, Siegmunds Tod verhängt; 
endlich die herrliche Walküre, Brünnhilde, wie sie — 
Wotans innersten Gedanken erratend — dem Gotte 
trotzt und von ihm bestraft wird: denke dir dies in 
meinem Sinne, mit dem ungeheui;en Reichtum von 
Momenten, in ein bündiges Drama zusammen gefaßt, 
so ist eine Tragödie von erschütterndster Wirkung 
geschaffen, die zugleich alles das zu einem bestimmten 
sinnlichen Eindrucke vorführt, was mein Publikum in 
sich aufgenommen haben muß, um den »jungen Sieg- 
fried« und »Siegfrieds Tod«, nach ihrer weitesten Be- 
deutung, leicht zu verstehen.« 



Siegfried 





jrie Handlung im Si^ried ist im Gegen- 
satz zur reich bewegten Walküre von 
klassischer Einfachheit, voll idyllischer 
Stimmung und Märchenzauber. Sie ist 
dabei ganz und gar anschaulich, daß 
im Bühnenbilde selbst alle Vorgänge unserem Auge sich 
darstellen. Dabei ist sie wiederum völlig quellentreu, 
indem alle wirksamen Züge der alten Sagen aufge- 
nommen sind, nur daß sie in den Quellen oft nur 
angedeutet und weit verstreut, im Si^ried aber zu 
unlöslicher Einheit verknüpft und zu ungeahnter Be- 
deutung gestdgert sind. Hauptquellen sind Edda- 
gedichte, das Lied vom hürnen Seyfrid, Märchen; alles 
ist lebendig erschaut und tief empfunden. 

Der erste Aufzug zeigt Mimes Höhle, in der der 
junge Held heranwächst Siegfried, vom unbändigen 
Drang nach Fahrten und Thaten erfüllt, schmiedet sich 
selbst sein Schwert aus den Trümmern des Wotan- 
schwertes, das dereinst in Siegmunds Hand am Speer 
des Gottes zersprungen war. Die Handlung gipfelt 
im Schmieden des Schwertes, währenddem Mime seine 
Ränke schmiedet und ein Trug^etränk braut; im 
prächtigen Gegensatz stehen sich da lichtfrohes Helden- 
tum und lichtscheue Hinterlist, Wälsung und Nibelung, 
gegenüber. Siegfried ist der freie Held, der ganz auf 



— 64 — 

sich selbst steht und auch seine Waffe aus eigener 
Kraft gewann. Siegmund hatte das Siegschwert ge- 
funden, das eines Gottes Gunst ihm beschied; Siegfried 
steht auch darin auf sich selbst. Nur sein eigner 
Mut, kein Götterrat treibt ihn auf den Heldenweg. 
Uhland hatte in dem Gedichte »Siegfrieds Schwert« den 
der alten Ueberiieferung fremden Gedanken hinge- 
worfen, daß Siegfried selbst sich sein Schwert schmiedet. 
Wagner verarbeitete diesen Gedanken in den Zu- 
sammenhang der Sage. Im Entwurf hieB es noch, Sieg- 
fried schmiede das Schwert unter Mimes Anleitung. 
Im Drama ist dem Niblung keine Mitwirkung mehr 
vergönnt. Die selbstgeschaffene Waffe ist ein Sinn- 
bild freiester Heldenschaft. Die Schilderung des un- 
bändigen Knaben ist dem Seyfridlied entnommen: 

der knab was so mutvallig, 

dazu starck und auch groß. 

er wolt nie keynem menschen 
seyn tag sein underthon, 

im stund seyn synn und mute, 

das er nur züg darvon. 

das eysen schlug er entzweye, 

den ampoB in die erdt, 

wenn man in darumb straffet, 

so nam er auff keyn leer; 

er schlug den knechi und meysier 

und trib sie wider und für; 

nun dacht der meysier offte, 

wie er seyn ledig wfir. 

Der Bär, den Siegfried am Bastseile hereinführt, 
stammt aus der 26. Aventiure des Nibelungenlieds, 
wo Siegfried einen gefangenen Bären unter die Küchen- 
knechte losläßt. Manch' übermütige Rede Siegfrieds 
findet sich schon im Vorspiel zu Fouqu^s Sigurd an- 



— 65 — 

gedeutet. Auch dort beginnt der Akt mit einem Selbst- 
gespräch Reigens (d. i. Mime), das durch Sigurds 
Hereinstürmen unterbrochen wird. So z. B. folgendes: 

Reigen 

(ein Schwert bringend). 

Nimm hin! Nur wen'gen Recken wird's so gut, 
mit Reigens Waffen In den Streit zu ziehn. 

S i g u r d. 

Laß proben denn, was Reigens Waffe kann, 

hier an dem Eckstein woll'n wirs gleich versuchen. 

Reigen. 
Du wirst doch nicht! 

S I g u r d. 
Sollt Ichs an weichem Sand? 

(Er haut gegen den Eckstein. Die Klinge zerspringt.) 

Sieh den vermaledeiten Binsenstock! 

Reigen. 
Das? Binsenstock? 

S I g u r d. 

Ja, hälts denn besser vor? 
Seht mir den Prahler, seht den trägen Werkmann! 
Willst du nicht tüchtig schmieden? So thu Ichs, 
und zwar auf deinen Kopf an Amboß statt, 
dazu noch ist des Schwertes Trümmer gut. 

Sieglindes Schicksal bei Siegfrieds Geburt und 
Siegfrieds Aufnahme bei Mime ist der nordischen Thid- 
rekssaga Kap. 159—64 entnommen: auch dort stirbt 
Siegfrieds Mutter bei seiner Geburt im wilden Wald, 
der Knabe wird von einer Hindin gesäugt und später 
von Mime gefunden, aufgenommen und erzogen. Er 
weiß natürlich nichts von Vater und Mutter. So heißts 
auch im Seyfridlied 47: 



— 66 — 

Nun was der Held Seyfride 
gewesen seyne Jar, 
das er umb vatier und muier 
nicht west als umb ein har; 
er ward vi! ferr versendet 
inn eynen finstem than, 
darinn zoch jn ein meyster, 
biß er ward zu eym man. 

Aus der Volsungasaga Ist die Schwertprobe ent- 
nommen: »Sigurd hieb in den Amboß und zerklob 
ihn bis auf den Fuß hinab, und das Schwert barst 
weder noch zersprang es. Danach trieb Mime ihn 
an, den Fafner zu töten.« 

Besonders schön ist in germanischer Heldensage 
die Beseelung der Waffen, die dadurch eigene poetische 
Persönlichkeit erhielten. Der Held nennt sein Schwert 
mit Namen und spricht zu Ihm wie zu einem in Not 
versuchten, trauten Freund. So taufte Siegmund den 
Notung. Das Schwert, das in der Edda Gram, im 
Nibelungenlied Balmung heißt, empfing im Drama einen 
neuen, bedeutungsvollen und durchsichtigen Namen. 
Wenn ein Schwert zersprang, so starb es. Bei Fouqu6 
redet Sigurd den Gram an: 

»aus kränken Trümmern neu erstandnes Licht«, 

bei Simrock im Wieland erschlägt Siegfried den Mime 
mit den Worten: 

»darum so weih Ichs ein, 
Schachern und Verrätern ein ergrimmter Feind zu sein«. 

Das alles zieht Wagner in die schlagkräftigen 
Worte zusammen: 

»Todt lagst du « 

in Trümmern dort, 
jetzt leuchtest du trotzig und hehr. 



— 67 — 

Zeige den Schäehern 
nun deinen Schein, 
schlage den Falschen, 
fälle den Schelm!« 

Der zweite Aufzug führt uns ins tiefe Dunkel 
des germanischen Urwaldes, zur Höhle des den Hort 
hütenden Riesenwurms. Siegfried erschlägt den Wurm 
mit dem Schwert und wird durch den OenuB des 
Wurmblutes der Vogelrede kundig. Das Vöglein 
weist ihn zum Niblungenhort, lehrt ihn Mimes Tücke 
verstehen und sich seiner Hinteriist durch rächenden 
Schwertstreich entziehen, und zeigt ihm endlich den 
Weg zum feuerumlohten Berg, auf dem Brflnnhilde 
schläft Siegfrieds sagenberuhmte Heldenthat, Fafners 
Besi^[ung und Hortgewinn, sind der Hauptinhalt Zu 
Grunde liegt das Fafneriied der Edda: Siegfried und 
Mime (in der Edda Regln genannt) gingen hinaus auf 
die Heide und fanden die Spur des Lindwurmes, wo- 
rauf er zum Wasser zu kriechen pflegte. Da machte 
Siegfried eine große Grube in diesen Weg und stellte 
sich hinein; der Lindwurm, als er vom Goldlager sich 
erhob, blies Gift aus, so daß es dem Siegfried oben 
aufs Haupt sprühte. Als er aber Ober die Grube hin- 
kroch, da stieß Siegfried ihm das Schwert ins Herz, 
und Fafner schüttelte sich und schlug um sich mit 
Haupt und Schwanz. Siegfried trat aus der Grube 
herauf und einer erblickte den andern. Fafner sprach : 
>Wer trieb dich, wie ließest du dich treiben, mir das 
Leben zu nehmen; klaräugiger Gesell, du hattest einen 
harten Vater, früh schon war dir gewaltiges Schicksal 
beschieden.« Siegfried antwortete: »Mein Herz hat 
mich getrieben, meine Arme haben's vollbracht, und 



— 68 — 

dieses mein scharfes Schwert; wer feig ist als Jüng- 
ling, wird nimmer kühn als Mann.« Fafner sprach: 
»Einen Rath geb ich dir, Siegfried, schlag ihn nicht in 
den Wind: reite heim von hinnen, das klingernde Geld, 
das feuerrothe Gold, die Ringe werden dein Tod sein!« 
Siegfried antwortete: »Gerathen ist mir, aber ich will 
reiten zum Gold auf der Heide, und du, Fafner, liege 
da in Todeszfigen, bis dich die Hölle hat«. Fafner 
sprach: »Mime verrieth mich, er wird auch dich ver- 
rathen und unser beider Tod werden; wohl sehe ich, 
Fafner muB sein Leben lassen: diesmal warst du der 
stärkste!« Mime war fortgegangen, dieweil Siegfried 
den Fafner erschlug, und kam jetzt zurück, als dieser 
eben das Blut vom Schwerte strich. Da sprach er: 
»Heil dir, Siegfried! dein ist der Sieg! Fafner ist todt! 
kein kühnerer Held, sag ich, geht über die Erde.« 

Da trat Mime zu Fafner, und mit seinem Schwerte 
schnitt er ihm das Herz aus und trank das Blut, das 
aus der Wunde floB; dann sprach er zu Siegfried: 
»Ich will schlafen gehen, Siegfried, sitz mir derweil 
da und halte den Spieß mit Fafners Herz ans Feuer.« 
Hierauf nahm Siegfried Fafner' s Herz und briet es am 
Spieß. Und als er dachte, daß es gar wäre und der 
Saft herausschäumte, wollte er mit seinem Finger 
prüfen, ob es genug gebraten hätte. Er verbrennte 
sich aber den Finger und that ihn in den Mund, um 
sich vom Brand zu kühlen. Aber sobald ihm Fafners 
Herzblut auf die Zunge kam, verstand er der Vögel 
Sprache und hörte, was sie auf den Aesten zwitscherten. 
Ein Vogel sang: »Hier sitzt nun Siegfried blutbespritzt 
und brät Fafners Herz am Feuer; wie klug thäte der 
edle Held, wenn er selber das triefende äße!« Der 



— 69 — 

zweite Vogel sang: »Dort liegt Mime, sinnend, wie 
er den arglosen Helden verderbe.« Der dritte Vogel 
sang: »Hauptes kürzer sollt' er ihn machen, den grau- 
harigen Schwätzer, und ihn hinunter in die Hölle 
schicken; dann gehört ihm all' das Gold und der 
Schatz, der unter Fafner lag.« Da hieb er dem Mime 
das Haupt ab und aB Fafners Herz und trank beider 
Blut. Nun hörte er wiederum singen: »Wohlauf, Sieg- 
fried, hol dir das rote Gold, unköniglich ist's, lange 
zu sorgen. Oben auf dem Berg, da schläft eine Schild- 
Jungfrau, und drüber spielen die bäumeverzehrenden 
Flammen; ehemals stach Odin einen Schlaf-Dorn in 
ihres Hauptes Schleier, als sie Männer in der Schlacht 
dem Tode weihen wollte. Schauen wirst du sie, 
o Held, die behelmte, die zu Roß aus dem Kampfe 
zieht; kein Königssohn vermag ihren Schlaf zu brechen, 
außer dir: so habens die Nornen beschlossen.« 

Neben dem Eddalied hat auch Fouqu^s Sigurd, 
besonders beim Gespräch zwischen Siegfried und 
Mime, einzelne Wendungen und Gedanken hergegeben. 

Die Waldstimmung hat zuerst Simrock im Wieland 
in diesen Teil der Erzählung hineingetragen: 

Noch stand die Sonne niedrig, 
da fuhr zum grilnen Wald 
Siegfried der junge; 
wie fröhlich ward er bald, 
als er im lichten Scheine 
' die Baume grfinen sah: 

vor Freuden wollt er springen: 
nicht wuBt er, wie ihm geschah. 

Er begann ein Lied zu singen: 
nach sangs der Widerhall. 
Da schuf ein lustig Ringen 



— 70 — 

der gtarken Stimme Schall. 
Bald freut ihn mehr zu laugchen 
des Bachleins munterm Gang, 
bald wie ein wonnig Rauschen 
durch alle Lauber sich schwang. 

Von abertausend Stimmen 
der Wald erffillet war, 
von BIfithen summten Immen 
zu Blüthen immerdar; 
bald Adlersflügelschläge, 
bald kleiner Vögel Lied, 
bald Reh im Laube raschelnd, 
bald Wasservögel im Ried. 

Wie leuchtend durch die Orüne 
die Morgensonne schien, 
Siegfried der kühne 
sprang wie ein Thor dahin. 
Er hatte nie die Wunder 
der Wildniß gekannt, 
bald an dem Orte stand er, 
dahin ihn Mime gesandt. 

Siegfried setzt sich endlich, die heißen Oh'eder 
kohlend, unter die grüne Linde. Was ihm hier die 
Dichtung Neues bot, hat Wagner aber erst noch eriebt, 
ehe ers zum Waldweben gestaltete. In einem Oe- 
burtstagsbrief an seine Mutter schrieb er 1846: »Mein 
gutes Mütterchen, mag viel Wunderiiches zwischen 
uns getreten sein, wie schnell verwischt sich das alles! 
Wenn ich aus dem Qualm der Stadt hinaustrete in ein 
schönes belaubtes Thal, mich auf das Moos strecke, 
dem schlanken Wuchs der Bäume zuschaue, einem 
lieben Waldvogel lausche, bis mir im traulichsten 
Behagen eine gern ungetrocknete Thräne entrinnt, — 
so ist es mir, wenn ich durch allen Wust von Wunder- 



— 71 — 

lichkeiten hindurch meine Hand nach dir ausstrecke, 
um dir zuzurufen: Gott erhalte dich, du gute alte 
Mutter, und nimmt er dich uns einst, so mach ers 
recht mild und sanft!« 

Im dritten Aufzug erschauen wir die Erweckung 
der Walküre. Siegfried durchdringt den Flammenwall 
hinauf zur sonnigen Höhe, er küßt die schlafende 
Brünnhilde zum Leben wach. Hier liegt ein Briinn- 
hildlied der Edda zu Grunde: »Siegfried sah auf einem 
Berge ein helles Licht, gleich als wäre Feuer ausge- 
brochen, das zum Himmel hinauf lohete; als er aber 
hinzukam, stand da eine Schildburg und oben darauf 
eine Fahne. Siegfried ging hinein und sah einen 
Mann liegen und schlafen in völliger Rüstung. Er 
nahm ihm den Helm vom Haupt, und da sah er, daß 
es ein Weib war; die Brünne lag ihr aber so fest an, 
als war sie angewachsen. Da schlitzte er sie auf mit 
seinem Schwerte vom Haupt herab und aufwärts über 
beiden Armen und zog sie ab; davon erwachte das 
Weib. Nun setzte sie sich auf, erblickte den Helden 
und sprach: »Was hat meine Brünne zerschnitten? 
wie bin ich geweckt aus meinem Schlaf? Wer hat die 
helle Rüstung mir abgezogen?« Er antwortete: »Sieg- 
munds Sohn hats gethan, Siegfrieds Schwert zerschnitt 
deine Brünne.« Sie sprach: »lange schlief ich, lang 
war ich eingeschlafen, lang sind der Menschen Leiden. 
Mit Runen hats Odin gestiftet, daß ich meine 
schlummernden Augen nicht aufschlagen konnte.« 
Siegfried setzte sich nieder, sie aber nahm ein Hörn 
voll Met und reichte ihm den Gedächtnißtrank: »Heil 
dir Tag! Heil euch. Söhne des Tags! Heil dir Nacht! 
Heil dir, Tochter der Nacht! Mit milden Augen 

5* 



— 72 — 

schauet auf uns, verleihet uns Verbundenen Sieg! 
Heil euch, Götter! Heil euch, Göttinnen! Heil dir, 
segenbringende Erde! Rede und Weisheit verleihet 
uns beiden und heilende Hände lebelang!« 

Hierauf folgt die für die Walküre bereits ausge- 
hobene Stelle über Brünnhilds Schicksale vor dem 
Zauberschlaf. Wodurch Siegfried BrQnnhildes Schlaf 
brach, wird in der Sage nicht angegeben. Im Dom- 
röschen geschiehts, wie überhaupt die Erlösung im 
Märchen, durch den KuB, und so heißt es schon bei 
Simrock im Wittich: 

ida mußte sie erwecken mit einem Kusse Siegfried«. 

Besonders schön wirkt im Drama Wotans Ab- 
V schiedskuß, der die Gottheit von der Walküre nahm 
und Schlaf in ihr Auge drückte, und Siegfrieds Liebes- 
kuß, der die schlummernde Maid zum Leben erweckte. 

Aus der kurzen Andeutung, daß Brünnhild nur 
dem furchtlosen Helden gehören will, gewinnt Wagner 
die Märchenstimmung für seinen Siegfried, der aus- 
^ zieht, um das Fürchten zu lernen. Wenn auch die 
Worte des Eddaliedes anklingen, so ist doch ihre Aus- 
führung im Drama, das glanzvolle Aufschlagen der 
Augen, der stumme, feieriiche Gruß an Erde, Luft 
und Himmel, der Heilruf an die Sonne noch viel 
größer und <edler, und die Entfaltung von Brünnhilds 
Liebe aus jungfräulicher Scheu bis zum Jubelsturm 
der wilden Walküre suchen wir vergeblich in der 
Edda. Sonnenlicht fluthet mit entzückend heiterer 
Stimmung durch den jungen Siegfried. Der schwert- 
}rohe Held stürmt vorwärts und aufwärts zu Sieg und 
Liebeseriösung. Im stürmisch hellen Liebesjubel endigt 



- 73 ~ 

der dritte Aufzug. Erst im Vorspiel zur Götter- 
dämmerung werfen nächtlich webende Nornen ihr 
Gewebe auf dies sonnige Glück, dem düstres Todes- 
los droht. 

Also Schwert, Kampf mit dem Lindwurm und 
Hortgewinn, Erweckung der Walküre — mit diesen 
kurzen Worten ist die Handlung der drei Aufzüge und 
drei Eddalieder, die ihnen zu Grunde liegen, angegeben. 

Die Gestalten der Dichtung sind klar geschaut 
und geschaffen. In Siegfried reift der Knabe, dessen 
toller, oft derber Uebermut gegen Mime, Fafner, 
ja selbst gegen den Wanderer ausbricht, dessen 
träumerisches Sehnen im Waldweben sich offenbart, 
zum heldenhaften Jüngling. Was ihm aus Vogelsang 
und Blätterrauschen entgegentönte, das unnennbare 
Liebessehnen, erfüllt sich, als er in heiliger Verzückung 
vor dem Weibe steht. Zur Stimmung der Erweckung 
sagt Nietzsche: »im Ring finde ich die lauterste Musik, 
die ich kenne, dort wo Brünnhild von Siegfried er- 
weckt wird; hier reicht der Maßstab hinauf bis zu 
einer Höhe und Heiligkeit der Stimmung, daß wir an 
das Glühen der Eis- und Schneegipfel in den Alpen 
denken müssen: so rein, einsam, schwer zugänglich, 
trieblos, von leuchtender Liebe umflossen, erhebt sich 
hier die Natur; Wolken und Gewitter, ja selbst das 
Erhabene, sind unter ihr«. Wagner sagt: »im Siegfried 
hab ich den mir begreiflichen vollkommensten Menschen 
darzustellen gesucht, dessen höchstes Bewußtsein 
immer nur im gegenwärtigsten Leben und Handeln 
sich kundgiebt«. Also freies, furchtloses Sich-Ausleben 
der Persönlichkeit, die gegen alle gewaltsamen und 
fremdartigen Eindrücke sich behauptet. 



— 74 — 

Brfinnhild wandelt sich aus der Walhalltochter 
nach tief innerlichem Seelenkampf zum fraglos, sturmisch 
liebenden Menschenweib. Hatte die fühllose Maid 
vor Siegmund zum ersten Mal inniges Mitleid erlebt, 
so bewährt sich jetzt vor Siegfried an ihr das volle 
Liebeswunder. Liebe lohnt mit Leid. Doch das er- 
fährt Brfinnhild erst in der Götterdämmerung. So 
wundervoll verstand Wagner jeden Schatten aus dem 
Siegfried, in dem nur Licht und Liebe aufflammen, 
fem zu halten. Auch daher die eigenartige Stellung 
des Siegfried gegenüber den anderen Dramen des 
Rings, die noch mehr aus Weh als aus Wonnen ge- 
webt sind. 

Wie herriich sinnbildlich wirkt in diesem Sinne 
die Lichtstimmung im dritten Aufzug: aus der Sturm- 
nacht der Erdaszene, durch Mond- und Morgen- 
dämmer, durch die Flammenwolken der Morgenröte 
dringt der Lichtheld zur seligen Oede auf sonniger 
Höh, zum heitren blauen Tageshimmel, der mit gött- 
lichem Glänze über Siegfrieds und Brünnhilds Liebe 
aufleuchtet. 

Dem Gegenspiel der Wälsungen, den Nibelungen 
Alberich und Mime, ist im Siegfried eine große und 
wichtige Rolle zugewiesen. Ganz besonders tritt Mime 
hervor, der seltsame Heldenerzieher mit dem be- 
quemen Grundsatz: 

Glauben sollst du mir, 
was ich dir sage! 

Seine Ränke suchen den heranwachsenden Recken 
zu umstricken und zu fesseln, den Heldengeist in die 



- 75 — 

Fesseln einer eigensüchtigen Erziehung zu schlagen. 
Doch Siegfried ringt sich frei, er bricht und sprengt 
die Bande. In den Quellen ist das alles nur schwach 
angedeutet. Sehr hübsch ist der bekannte Märchenzug 
verwandt, daß der böse Kobold kurz vor seinem Ende 
sein Verwunderungssprüchlein thut: 

»Nun ward ich so alt 
wie Höhl' und Wald, 
und hab nicht so was gesehn!« 

Wie Siegfried durch den Genuß des Wurmblutes 
hellhörig wird, daß er nicht nur die Vogelsprache ver- 
steht, sondern Mimes Gedanken aus seinen Worten 
errat, ist neu erfunden. In der Edda offenbart ihm 
der Vogelruf Mimes Trug und fordert ihn auf, den 
Ränkeschmied zu tödten, was der Held auch kurzweg 
thut. Im Drama mahnt das Vöglein nur, scharf auf 
des Schelmen Heuchlergered zu hören. Alles weitere 
thut Siegfried selbständig. 

Die ganze, furchtbare Macht- und Goldgier der 
Nibelungen kommt im Zwergenzank zwischen Mime 
und Alberich zum Ausbruch. Weder hierfür noch für 
das Gespräch zwischen Alberich und Wotan finden 
sich in den Vortagen bestimmte Vorbilder. Doch wird 
wohl die Erzählung des Nibelungenliedes von den 
beiden Söhnen Nibelungs, die sich vor dem hohlen 
Berge um den Hort streiten und Siegfried zum Schieds- 
richter anrufen, Anregung zum Zwergenzank gegeben 
haben. Schon im ersten Entwurf hat Wagner Alberich 
und Mime als Brüder und Niblungen aufgefaßt, wovon 
die Vorlagen nichts wissen. In der Edda sind Regln 



— 76 — 

(d. I. Mime) und Fafner Brüder und Andwarl steht 
ganz abseits. Die Niblungenmächte kämpfen im ganzen 
Ring gegen Götter und Helden. Wenn sie auch nicht 
siegen, so bewirkt doch dieser Kampf zwischen Licht 
und Finstemiß den tragischen Untergang der Wälsun- 
gen. Aber im Siegfried erliegen die Niblungen ganz 
und gar. Aus dieser sieghaften Orundstimmung heraus 
breitet sich auch über Gestalten wie Mime und Alberich 
ein gewisser Humor, d. h. sie scheinen uns Siegfried 
gegenüber so ungefährlich, wie etwa Beckmessers 
Gemeinheit machtlos ist gegen Hans Sachs. Im Sieg- 
fried siegt wie in den Meistersingern das Licht. Wir 
sehen alles mit Siegfrieds oder Wotans Auge. 

Ernst und erhaben schreitet eine Gestalt durch 
das Drama, der Wanderer, ein Greis im grauen Ge- 
wand, mit tiefem Hut, der das eine Auge deckt, von 
blauem Mantel umwallt. Wir sahen in der Walküre 
Wotan am Werk, Helden zu schaffen. Aber nur im 
Grunde unfreie Geschöpfe, die auf des Gottes Geheiß 
streiten, waren so zu erzielen. Siegmund ward nur 
stark durch Wotans Gunst, Siegfried erwuchs sich 
selbst, fremd dem Gott, frei seiner Gunst. Mit dem 
: Abschied von Brünnhild schied Wotan vom eignen 
I Wirken und Handeln. Wagner schreibt: »Wotan ist 
nach dem Abschied von Brünnhild in Wahrheit nur noch 
ein abgeschiedener Geist: seiner höchsten Absicht nach 
kann er nur noch gewähren lassen, es gehen lassen, 
wie es geht, nirgends aber mehr bestimmt eingreifen; 
deswegen ist er nun auch Wanderer geworden«. 

»Zu schauen kam ich, 
nicht zu schaffen: 
wer wehrte mir Wandrers Fahrt?« 



— 77 — 

In Siegmunds Geschick hatte Wotan eingegriffen, 
auf Siegfrieds Thaten schaut der Wanderer mit inniger 
Teilnahme, doch ohne sie zu lenken: 

»Wen ich liebe, 

laß ich für sich gewähren!« 

Dreimal, In jedem Aufzug einmal, tritt der Wanderer 
auf, zuerst im Gespräch mit Mime, dann mit Alberich 
vor Fafners Höhle, endlich mit Erda und Siegfried vor 
dem Brünnhildstein. lieber den Wandrerszenen, deren 
äußere Einkleidung nordischen Odinsliedem entstammt, 
deren Gehalt aber Wagners volles Eigentum ist, liegt 
tief ernste, teilweise groß* erhabene Stimmung. Die 
Wissenswette mit Mime, wo nochmals die Haupt- 
motive des Rings von den Nibelungen, Riesen, Göttern 
und Wälsungen an uns vorüberziehen, ist dem Lied 
von Wafthrudnir nachgeahmt, wo Odin mit einem 
weisen Riesen eine solche Wette, deren Einsatz der 
Kopf der Wettenden ist, eingeht und siegreich besteht. 
Herzergreifend Ist die Stelle, da der Wandrer des Ge- 
schlechtes denkt: 

»dem Wotan schlimm sich zeigte, 
' und das doch das liebste ihm lebt«. 

Wörtlich klingen z. B. folgende Verse im Sieg- 
fried nach: 

Odin: 
Heil dir, Wafthnidnir! 
In die Halle kam ich 
dich selber zu sehen. 
Zuerst will ich wissen, 
ob du weise bist 
und ob alles Wissen dir eigen. 



- 78 - 

Wafthrudnir: 
Wer ist der Mann, 
der in meinem Saal 
das Wort an mich wendet? 
Aus kommst du nimmer 
aus unsem Hallen, 
so ich dich nicht den Klügern erkenne. 

Odin: 
Wandrer heiß ich, 
die Wege ging idi 
durstig zu deinem Saal. 
Bin weit gewandert, 
des Wirts benötigt 
und deines Empfanges bedürftig. 

Wafthrudnir: 
Was stehst du und sprichst 
an der Schwelle, Wandrer? 
Nimm dir Sitz im Saale. 
So wird erkannt 
wer kundiger sei, 
der Oast oder der graue Redner. 

Zuerst fragt nun der Riese den Oast und fordert 
ihn dann auf, näher zu treten. 

Wafthrudnir: 
Klug bist du, Oast: 
geh zu den Bänken 
und laB uns sitzend sprechen. 
Das Haupt zur Wette hier 
steh in der Halle, 
Wandrer, um weise Worte. 

Odin: 
Viel erfuhr ich, 
viel versucht ich,^ 
befrug der Wesen viel. 



— 79 — 

Nun folgen Odins Fragen, auf deren letzte der 
Riese keinen Bescheid weiß und mit Schrecken er- 
kennt, daß der Oott im Wandrer sich barg. 

Das Gespräch mit Alberich hat in den Quellen 
kein Vorbild. Die Erda-Szene beruht auf dem Wandrer- 
lied der Edda, das anhebt, wie Odin der Wala den 
Leichenzauber singt: 

bis widerwillig 
das Weib sich erhob 
und Laute entströmten 
den Lippen der Todten. 

Die Wala spricht: 

Wer ist der Mann, 
mir unbekannt, 
der schwere Wege 
zu schreiten mich nötigt? 
Mich beschneite der Schnee, 
mich schlug der Regen, 
mich beträufelte der Tau, 
todt war ich lange. 

Odin spricht: 

der Wandrer bin ich, 
Waltams Sohn. 

Und dann fragt er, für wen in der Todtenwelt 
die Stätte bereitet ist und erfährt, daß Baldr, den schlimme 
ahnungsvolle Träume schreckten, fallen wird. Am Ende 
erkennt die Wala, wen sie vor sich hat und ruft ihm zu : 

Nicht Wandrer bist du, 
wie ich wähnte zuvor, 
Odin bist du, 
der alte Schöpfer. 

Odin: 
Kein weises Weib, 
noch Wahrsagerin l>ist du. 



— 80 — 

Man vergleiche hiermit Wotans Wecklied und 
JErdas Auftauchen, »sie erscheint wie von Reif bedeckt; 
Haar und Gewand werfen einen gh'tzemden Schimmer 
von sich«, und die letzten Wechselreden: 

du bist nicht, 

was du dich wähnst! 

Urmütter -Weisheit 

geht zu Ende: 

dein Wissen verweht 

vor meinem Willen! 

Aber ganz neue Gedanken hat die Szene bei 
Wagner erhalten. Der Wandrer ruft die Wala aus 
langem Schlafe auf, um ihr, der unweisen, deren 
Weisheit keinen Rat mehr weiß, die erlösende Kunde 
ins Ohr zu singen: 

»Um der Oötter Ende 
grämt mich die Angst nicht, 
seit mein Wunsch es will!« 

Wagner schreibt hierzu: »Wotan schwingt sich 
bis zu der tragischen Höhe auf, seinen Untergang zu 
wollen. Dies ist alles, was wir aus der Geschichte der 
Menschheit zu lernen haben : das Notwendige zu wollen 
und selbst zu vollbringen. Das Schöpfungswerk dieses 
höchsten selbstvemichtenden Willens ist der endlich 
gewonnene, furchtlose, liebende Mensch: Siegfried.« 

,Dem wonnigsten Wälsung 
weis' ich mein Erbe nun zu!' 
,Dem ewig Jungen 
weicht in Wonne der Oott!' 

Ein musikalisches Motiv ohne Gleichen verkörpert 
den Gedanken Wotans, sein Erbe Siegfried zu über- 



— 81 — 

weisen. Das Motiv wird von nun an ein Hauptthema 
im Ring und bedeutet ebenso Wotans heldenhafte 
Entsagung wie Si^rieds und Brünnhiids Liebe. Das 
Alte vergeht, das Neue steigt mächtig auf. Nirgends 
sonst im Ring ist der flutende Orchesterstrom so ent- 
faltet wie in dieser einzigen Szene. Zwischen den 
Weckruf und die machtvollen Gesänge Wotans hinein 
klingen die geheimnißvoll dämmernden Akkorde der 
Wala. Die Gegensätze starrer Ruhe und hochgehender 
Bewegung in den Gesängen der Wala und des 
Wandrers wirken sehr eindrucksvoll. Wie aus einer 
anderen Welt, die tief unter dem wilden Erdentreiben 
schlummert, bewegungslos und unerbittlich klingen 
die ernsten Weisen der Wala. Wotan aber, im Be- 
wußtsein des durch Entsagung gewonnenen Sieges, 
singt göttlich reine Verklärung in die Weisen des 
Ringes, die in dieser Szene in stolzem Glänze, befreit 
von lastender Schwere, austönen. 

Aber noch ein schwerer Kampf steht Wotan 
bevor. Im einzigen Zusammentreffen mit Siegfried, 
unmittelbar nachdem der Wandrer die Ursorge hinab 
gesenkt, bäumen sich nach kurzer väterlicher Freude 
an Siegfrieds Knabenflbermut Lebenswille und Götter- 
stolz noch einmal empor. Er mag die Stätte nicht 
kampflos aufgeben. In schnell entflammter Leiden- 
schaft geht er sogar auf einen Sieg aus, der ihn nur 
elend machen könnte. Noch einmal, wie in der Walküre 
Walvater dem Siegmund, so hält nun der Wandrer 
Siegfried den Speer entgegen. Diesmal aber zerhaut 
das Schwert des freien Helden den Runenspeer des 
Gottes, und Wotan entschwindet. Wie ein letzter 
langer Blick ruht in der nächsten Szene das tiefrfihrende 



— 82 — 

Abschfedsmotiv aus der Walküre über der schlafenden 
Brünnhild. 

»Da brach sich sein Blick, 
er gedachte Brünnhilde dein!« 

Damit ist Wotan vom letzten Weltenglück gelöst 
Der Wandrer kehrt heim nach Walhall, des Speeres 
Splitter fest in der Faust, nimmt stumm und ernst 
den Hochsitz ein und schaut auf des rollenden Schick- 
sals Vollendung. 

Die Begegnung Siegfrieds und Wotans vor dem 
Brünnhildstein hat in den Quellen, die Odin und Sigurd 
mehrmals zusammentreffen lassen, kein unmittelbares 
Vorbild. Wohl aber findet sich in anderen Helden- 
liedern, in dem von Skimir und Fjolswid und in vielen 
Märchen und Sagen, ein Kampfgespräch zwischen 
dem Hüter der verwunschenen Jungfrau und dem Er- 
löser. In den erwähnten beiden Liedern, die denselben 
Mythus wie Brünnhild und Domröschen behandeln, 
sind Waberlohe und Wächter typisch. So ward auch 
hier mit richtigem Gefühl die Sage vortrefflich ergänzt 
und bereichert. Wagners eigene tiefsymbolische Er- 
findung ist der zerhauene Speer, ein ergreifender Gegen- 
satz zum Schluß des 2. Aufzugs der Walküre, wo das 
Schwert am Speer zersprungen war. 

Endlich ist das Verhältniß Wotans zu Brünnhild 
von Wagner tiefer und innerlicher erfaßt als in den 
Quellen. In deutschen Sagen verlautet nichts über die 
Abkunft Brünnhilds, in der Edda ist sie Budlis Tochter 
und Atlis Schwester, im Drama Wotans und Erdas 
Kind. Erda-Wala ist aus zwei Gestalten zusammen- 
gewachsen, die in den Quellen ganz getrennt sind. 
Erda ist die nordische Jord, die Erdgöttin, von der 



^ 83 — 

aber keine Sage besteht. Wala ist jene Seherin, die 
Odin wegen Baldrs Träumen um die Zukunft befragt 
und der das große Lied, die Volospä, die Kunde der 
Wala in den Mund gelegt ist. Wie kommt nun Wagner 
zu dieser Neuerung? Er knüpft alle Walküren inniger 
an Wotan, indem er sie aus Wunschtöchtern d. h. 
Adoptivtöchtern, wie die nordischen Sagen berichten, 
zu wirklichen Töchtern Walvaters macht. Daß Erda 
Brünnhilds Mutter ward, ergab sich aus der Deutung, 
die dem Mythus von der Erweckung gegeben ward. 
Der Lichtgott weckt die Erde aus den Fesseln winter- 
licher Todesstarre. Wie Siegfried als Ebenbild des 
Sonnengottes, Froh oder Baldr, erschien, so seine 
Braut als Ebenbild und Tochter der Erde. So er- 
gaben sich zwanglos schöne und sinnige Beziehungen. 
Den Schauplatz der Handlung hat Wagner ziem- 
lich selbstständig erfunden. Von Mimes Waldhöhle, 
wie sie der erste Aufzug so genau und anschaulich 
schildert, steht nichts in den Quellen. Wohl aber 
gaben Zwergschmiedesagen, wie sie zahlreich vor- 
kommen, allgemeine Züge dazu her. Den Kampf mit 
Fafner veriegt Wagner, Simrocks Vorgang und dem 
Seyfridslied folgend, in den tiefen Wald. Siegfrieds 
Rast unter der schattigen Linde ist ganz im Sinne 
deutscher Sage. Die nordischen Quellen lassen den 
Kampf auf der Heide vor sich gehen. Zum dritten 
Aufzug war das Bild der Walküre zu wiederholen, 
aber doch dadurch, daß die Handlung vom Fuße des 
Felsenberges durch die Flammen zur sonnigen Höhe 
aufsteigt, wieder ganz neu geschaut. Auf die im Ein- 
zelnen so trefflich ausgeführte Schmiedeszene, zu der 
der Entwurf von Wieland dem Schmied gründliche 



— 84 — 

Vorarbeit war, brauch ich nur hinzuweisen, um die 
unvergleichliche Plastik aller szenischen Vorgänge im 
Wagnerschen Drama vor Augen zu führen. 

Nächst den Meistersingern ist Siegfried das sonnig- 
ste, nächst dem Tristan an äußerer Handlung das ein- 
fachste, mit beiden zusammen aber auch das am 
meisten und tiefsten musikalische Werk. Wie ein 
Idyll, ein deutsches Waldmärchen, steht der Siegfried 
zwischen dem Sturm der Walküre und der erschüttern- 
den Tragik der Götterdämmerung. 



Götterdämmerung. 




i/ie Götterdämmerung muß mit dem 
Entwurf des Nibelungen myttius von 
1848 und mit Siegfrieds Tod ver- 
glichen werden, ehe wir auf die 
Sagengrundlagen eingehen können. 
Wagner schreibt: »Siegfrieds Tod war nur der erste 
Versuch gewesen, einen wichtigsten Moment des 
Nibelungenmythus zur dramatischen Darstellung zu 
bringen; unwillküriich hatte Ich mich bemühen müssen, 
in diesem Drama eine FQIIe großer Beziehungen an- 
zudeuten, um den gegebenen Moment nach seinem 
stärksten Inhalt begreifen zu lassen. Diese Andeutungen 
konnten natürlich at)er nur in epischer Form dem 
Drama eingefügt sein«. Die erzählenden Teile ver- 
langten also nach selbständiger Gestaltung und sie 
wurden zunächst zum jungen Siegfried, zur Walküre, 
zum Raub des Rheingolds. Siegfrieds Tod und 
Götterdämmerung haben denselben Umfang, dieselbe 
Szenenfolge, ja großen Teils denselben Wortlaut; und 
doch ist eine ungeheure Verwandlung vor sich 
gegangen, Siegfrieds Tod in völlig neue Beleuchtung 
gerückt. Die Ausschaltung der erzählenden Teile hat 
die davon betroffenen Szenen frei gemacht, um mit 
ganz neuem Inhalt erfüllt zu werden. Zugleich erfuhr 
der ausgeschiedene Stoff bei seiner Verwandlung zu 
selbständigen Dramen besonders in Walküre und 



— 88 — 

Rheingold jene tiefgreifenden Aenderungen, die wir 
als selbständige Zuthaten Wagners hervorzuheben 
hatten. Die von Wagner gemeinten epischen Teile 
sind aber die Nornenszene, Brunnhild und die Wal- 
küren, für die in der Oötterdämmcrung Waltraute 
eintrat, Alberich und Hagen, Siegfrieds Erzählung 
vor dem Tode, der Schluß des Dramas. Was in 
diesen Stücken schön und anschaulich war, ging 
nicht verloren. Die feierliche Todtenklage um Sieg- 
fried mit den Wechselgesängen der Frauen und 
Mannen finden wir im Parsifal bei Titurels Leichen- 
feier wieder. 

(Der Scheithaufen ist bereits in Brand gesteckt; das Ross ist Brunnhilde zuge- 
führt: Sie fasst es beim Zaum, küsst es und raunt ihm mit leiser Stimme in's Ohr:) 

Brünnhilde. 

Freue dich, Qrane: 
bald sind wir frei! 

(Auf ihr Oeheiss tragen die Mannen Siegfrieds Leiche in feierlichem Zuge auf 

den Holzstoss : Brfinnhilde folgt ihr zunächst mit dem Rosse, das sie am Zaume 

geleitet; hinter der Leiche besteigt sie dann mit ihm den Scheithaufen.) 

Die Frauen. 

(Zur Seite stehend, während die Mannen Siegfrieds Leiche erheben und 

dann im Umzüge geleiten.) 

Wer ist der Held, den ihr erhebt, 
wo führt ihr ihn feierlich hin? 

Die Mannen. 

Siegfried, den Held, erheben wir, 
führen zum Feuer ihn hin. 

Die Frauen. 

Fiel er im Streit? Starb er im Haus? 
Geht er nach Hcllja's Hof? 



-- 89 — 

Die Mannen. 

Der ihn erschlug, besiegte ihn nicht, 
nach Walhall wandert der Held. 

Die Frauen. 

Wer folgt ihm nach, daß nicht auf die Ferse 
Walhall's Thüre ihm fällt? 

Die Mannen. 

Ihm folgt sein Weib in den Weihebrand, 
ihm folgt sein riistiges Roß. 

Die Mannen und Frauen zusammen. 

(Nachdem die letzteren sich dem Zuge angeschlossen.) 

Wotan! Wotan! Waltender Oott! 
Wotan, weihe den Brand! 
brenne Held und Braut, 
brenne das treue Roß: 
daß wundenheil und rein, 
Allvater's freie Genossen, 
Walhall froh sie begrüßen 
zu ewiger Wonne vereint! 

Hier sind die Strophen des sogenannten kurzen 
Sigürdliedes benützt, wo Brünnhild die Todtenfeier be- 
stimmt und mit Bezug auf die reiche Zurüstung sagt: 

So fällt dem Fürsten 
nicht auf die Ferse 
die Pforte des Sals, 
die ringgeschmückte, 
wenn auf dem Fuße folgt 
mein Leichengefolge. 
Aermlich wird 
unsere Fahrt nicht sein. 

Die Uebereinstimmung mit den Wechselgesängen 
der Gralsritter ist wörtlich, auch der Rhythmus ist 
sehr ähnlich. 



— 90 — 

In der Oötterdätntnerung blickt Brfinnhild hinauf 
zu den Wolken und raunt zu Wotan erlösende Kunde: 

»Ruhe, ruhe, du Oott!« 

In Siegfrieds Tod spricht sie: 

»Nur Einer herrsche: 
Allvater! Herrlicher du! 
Freue dich des freiesten Helden! 
Siegfried fuhr ich dir zu: 
biet ihm minnlichen Qruß, 
dem Bürgen ewiger Macht!« 

Nachdem die Flammen über den Opfern zusammen- 
geschlagen, »leuchtet plötzlich aus der Olut ein blendend 
heller Glanz auf: auf düsterem Wolkensaume, gleich- 
sam dem Dampfe des erstickten Holzfeuers, erhebt 
sich der Olanz, in welchem man Brünnhild erblickt, 
wie sie, behelmt und in strahlendem Waffenschmucke, 
auf leuchtendem Rosse, als Walküre, Siegfried an der 
Hand durch die Lüfte geleitet«. Also wie in den 
nordischen Skaldenliedern möge Odin sich freuen, daß 
mit Siegfrieds Erscheinen der Heldenschar in Walhall 
Zuwachs wird. Aber der Ring ist ein Wotansdrama 
geworden. Durch Wotans Auge erschauen wir jetzt 
alle und insbesondere die letzten Vorgänge des tragi- 
schen Heldenspiels. »Ein Geschlecht nach dem andern 
zieht an dem Gott vorbei; immer wieder keimt eine 
neue Hoffnung auf in seinem Herzen, und zwar immer 
edler, immer selbstloser. Hatte er in grimmer Ver- 
zweiflung bei Siegmunds Tod auf die Weltherrschaft 
verzichtet, so tritt er voll Wonne vor dem aufblühenden 
Siegfried freiwillig zurück. Aber je größer Wotan 
wird, je geläuterter sein Herz, je erhabner sein Denken, 



— 91 — 

um so unerbittlicher lastet der Fluch auf ihm. Sieg- 
fried selber zerhaut Wotans Speer, den Haft der Welt, 
den Bürgen seiner Macht, und die erweckte Brünn- 
hilde vergißt, die erlösende Weltenthat zu wirken, den 
Ring von Siegfrieds Finger zu nehmen und ihn den 
Rheintöchtem zurückzugeben; sie gedenkt des Vaters 
und seiner Not nicht, glühende Liebe hat alle ihre 
Sinne erfaßt: 

»Himmlisches Wissen 
stürmt mir dahin, 
Jauchzen der Liebe 
jagt es davon!« 

Und jetzt — seiner letzten Macht, seines letzten 
Hoffens beraubt — 

»auf hehrem Sitze 
stumm und ernst« 

schaut der Oott dem unaufhaltsam dahinrasenden 
Schicksal zu, welches das Hehrste und Höchste, was 
seinem Gedanken entblühte — Siegfried und Brünn- 
hilde — durch namenlose Leiden in grausames Ver- 
derben und in den Tod hinabstürzt. Was der Oott 
hier erschaut, ist jene Hauptkatastrophe, die Wagner 
in seinem ersten Entwurf Siegfrieds Tod betitelt 
hatte, welche er aber jetzt, da sie nunmehr die Schluß- 
katastrophe der Tragödie in Wotans Herzen bedeutet, 
Götterdämmerung nannte. Wotan betritt hier nicht 
mehr die Bühne: die Nomen aber sagen uns von ihm, 
und Waltraute erscheint als seine Botin; vor allem die 
Musik, nunmehr durch die vorangehenden Dramen so 
innig mit Wotans Gestalt, aus der alle Hauptthemen 
hervorgehen, verwoben, die Musik hat hier eine Ge- 
walt, verbunden mit einer incisiven Bestimmtheit er- 



- 92 — 

reicht, wie sonst in keinem Werice der Welt und läßl 
uns empfinden, als erschauten wir alle diese Vorgänge 
durch Wotans Auge«. So schreibt Chamberlain in 
seinem Buche fiber Richard Wagner, und im »Drama 
Richard Wagners« 18Q2 ist noch genauer und ein- 
leuchtender der Ring als ein Wotansdrama erwiesen. 
Hiervon steht nun in den Vorlagen gar nichts, so 
wenig wie in Siegfrieds Tod. Wohl setzt der Oötter- 
glaube der Nordgermanen den Untergang der Götter 
und Walhallgenossen in einer letzten Schlacht gegen 
die elementaren Mächte des Verderbens, die Riesen 
und Dämonen der Hölle, den Weltbrand und das Auf- 
tauchen einer neuen Welt ans Ende der Tage, wohl 
denkt der Wotan der Walküre noch ebenso wie Brünn- 
hilde in Siegfrieds Tod: 

»daß stark zum Streit 
uns fände der Feind, 
hieß ich euch Helden mir schaffen« — 

aber mit Siegmunds Fall und dem Abschied von 
Brunnhild ist der ursprünglich und sagenmäßig äußer- 
lich gedachte Kampf ein völlig innerlicher geworden. 
Der letzte Kampf Wotans war der mit Siegfried, wo 
der Speer in Trümmer ging. Mit Wotans Traum von 
ewiger Macht hatte das Rheingold angehoben. Schon 
im ersten Entwurf schrieb Wagner: »Wotan selbst 
kann das Unrecht nicht tilgen, ohne ein neues Unrecht 
zu begehen: nur ein, von den Göttern selbst unab- 
hängiger, freier Wille, der alle Schuld auf sich selbst 
zu laden und zu büßen im Stande ist, kann den 
Zauber lösen, und in dem Menschen ersehen die 
Götter die Fähigkeit zu solchem freien Willen. In 
den Menschen suchen sie also ihre Göttlichkeit zu 



— 93 -^ 

übertragen, um seine Kraft so hoch zu heben, daß 
er, zum Bewußtsein dieser Kraft gelangend, des gött- 
lichen Schutzes selbst sich entschlägt, um nach eignem 
freien Willen zu thun, was sein Sinn ihm eingiebt. 
In dieser hohen Bestimmung, Tilger ihrer eignen 
Schuld zu sein, erziehen nun die Götter den Menschen, 
und ihre Absicht würde erreicht sein, wenn sie in 
dieser Menschenschöpfung sich selbst vernichteten, 
nämlich in der Freiheit des menschlichen Bewußtseins 
ihres unmittelbaren Einflusses sich selbst begeben 
müßten«. Wenn die Mannen den todten Siegfried auf 
seinem Schild durch die mondhelle Nacht dahinführen, 
da wird auch Wotans Heldengedanke zu Grab ge- 
tragen. Wie ein Hauch vergeht der Götter Geschlecht 
nach Siegfrieds Tod. Die altgermanische Heldenwelt 
ist dahin, eine neue Welt muß aufkommen, um die 
Fragen neu und anders zu lösen. Wotan im Ring 
erhebt sich zur Höhe einer Weltanschauung, die das 
Notwendige, und sei es auch der Untergang, will. 
Diese Götterdämmerung ist ein moderner Gedanke, 
zu dem die nordischen Skalden des 10. Jahrhunderts 
unmöglich aufsteigen konnten. Ein Vergleich mit den 
Quellen lehrt also folgendes: Odin weiß sein Ende 
voraus, er reitet stolz und gefaßt mit seinen Helden 
aus Walhall dem sicheren Tod entgegen. Wotan will 
sein Ende, er weist sein Erbe an Siegfried, und als 
der furchtlos freieste Held auch dem Fluche fiel, da giebt 
er sich selbst, seine Träume, Walhall den vernichtenden 
und läuternden Flammen Preis. Den Weltbrand wandelt 
Wagner zum Brand von Walhall, worin altgermanischer 
Götter- und Heldenglaube sich verkörpert hatte. Den 
Ausblick auf eine andere Welt eröffnet im letzten 



— 94 — 

Motiv die Musik. Was die nordischen Gedichte in 
breiter Ausführung darbieten, ist also nur zart ange- 
deutet. Von der großen Schlacht, die in der Edda 
dem Weltbrand vorangeht, konnte Wagner natürlich 
nichts mehr übernehmen, sobald Wotan dem eignen 
Wirken entsagt hatte. Femer ist Wagner darin ganz 
selbständig, daß er den Untergang der Götter mit dem 
Tode Siegfrieds unmittelbar verknüpft. Siegfrieds Tod 
ist damit überpersönlich, symbolisch geworden, der 
letzte Akt einer ungeheuren Schicksalstragödie. 

Eine Anregung hierzu mag die von Lachmann be- 
hauptete Herkunft Siegfrieds aus Baldr gegeben haben. 
Baldrs Tod ist allerdings der Anfang vom Ende. Mit 
seinem Fall wendet sich nach nordischer Mythologie 
das Glück der Götter und unaufhaltsam naht sich das 
Verderben. So schwindet mit Siegfried in der Götter- 
dämmerung das Licht, und die Nacht dämmert heran. 
Daß Wagner Siegfried in diesem mythischen Lichte 
sah, beweisen seine Worte (Schriften 2, 171 ff.): »die 
fränkische Stammsage zeigt uns in ihrer fernsten Er- 
kennbarkeit den individualisirten Licht- oder Sonnen- 
gott, wie er das Ungethüm der chaotischen Urnacht 
besiegt und eriegt: dies ist die ursprüngliche Be- 
deutung von Siegfrieds Drachenkampf, einem Kampfe, 
wie ihn Apollon gegen den Drachen Python stritt. 
Als das Licht die Finstemiß besiegte, als Siegfried den 
Nibelungendrachen erschlug, gewann er als gute Beute 
auch den vom Drachen bewachten Nibelungenhort: die 
Erde mit all ihrer Herriichkeit selbst, die wir beim An- 
bruch des Tages, beim frohen Leuchten der Sonne als 
unser Eigenthum erkennen und genießen, nachdem die 
Nacht verjagt, die ihre düstem Drachenflügel über die 



— 95 — 

reichen Schätze der Welt gespenstig grauenhaft aus- 
gebreitet hielt. Der Besitz des Hortes ist aber auch 
der Orund seines Todes: denn ihn wieder zu ge- 
winnen strebt der Erbe des Drachen, — dieser er- 
legt ihn tfickisch, wie die Nacht den Tag, und zieht 
ihn zu sich in das finstere Reich des Todes. Wie der 
Tag endlich doch der Nacht erliegt, wie der Sommer 
endlich doch dem Winter wieder weichen muß, ist 
auch Siegfried endlich wieder erlegt worden; der Oott 
ward also Mensch, und als dahingeschiedener Mensch 
erfüllt er unser Oemüt mit neuer gesteigerter Teilnahme.« 

Zwei Gelehrte, die Lachmann bekämpft, Mone 
(Einleitung in das Nibelungenlied 1818) und v. d. Hagen 
(die Nibelungen 181Q) nahmen Sigfrid für gleichbe- 
deutend mit Baidur und ebenso der Nibelunge Not 
für gleichbedeutend mit Ragnarök, dem Weltbrand der 
nordischen Mythologie, der Götterdämmerung. Mone 
schreibt einmal: »Baldurs Ermordung war de*r Anfang 
des Weltendes, daher denn in der Heldensage auf die 
Ermordung Siegfrieds der Nibelungen Not folgt«. So 
gab also auch hier eine wissenschaftliche Ansicht den 
äußeren Anstoß, in Siegfrieds Tod den Anfang der 
Götterdämmerung zu erblicken. 

Hier ist noch ein Blick auf die Vorstellungen zu 
werfen, die im Ring eigenartig über Wotans Welt- 
herrschaft bestehen. Wir finden sie hauptsächlich im 
Gespräch des Wandrers mit Mime und Alberich, in 
den Reden der Nornen und Waltrautes und in Brünn- 
hilds letzten Worten. Wagner ist hier sehr selbst- 
ständig und hat nur wenige Züge der alten Ueber- 
lieferung zu Sinnbildern seiner eignen Auffassung ver- 
dichtet. Das Weltbild erscheint in dreifacher Stufe, 



— 96 — 

Nibelheim, Riesenheim, Walhall: Unterwelt, Erde, Ober- 
welt. Wotans Faust führt einen Speer, in dessen 
Schaft Vertragsrunen eingeritzt sind, dem alle Welten 
gehorchen. Einst entschnitt ihn Wotan der Welt- 
esche weihlichstem Aste. Die Weltesche, in deren 
Schatten der Nornenquell rauscht, ist der Sage gemäß 
ein Sinnbild des Weltganzen. Für einen Trunk aus 
dem Weisheitsbom gab Wotan sein eines Auge. Die 
etwas dunklen Beziehungen dieses Augenopfers zur 
Werbung um Fricka und zum Ursprung Siegfrieds 
muß ich hier, um Weitläufigkeiten zu meiden, beiseit 
lassen. 

Aber die Welt ward alt und herbstlich, die Blätter 
fielen falb, der Weltbaum verdorrte, der Quell ver- 
siegte: lauter Anzeichen des nahen Endes. 

Siegfrieds Schwert zerhieb den Speer und damit 
Wotans Macht. Wotan kehrte heim, Walhalls Edle 
wies er zum Forst, die Weltesche zu fällen. Des 
Stammes Scheite sind um den Saal geschichtet, Götter 
und Helden um Wotan geschaart. Seine Raben sendet 
er auf Reise um letzte Kunde. Sie bringen die Bot- 
schaft von Siegfrieds Tod und Brünnhilds Ende. Und 
nun lodert Walhall auf. 

Quellenmäßig ist hier nur Wotans Speer, dem 
aber in der Edda nicht die geringste symbolische Be- 
deutung eignet, der auch nicht aus der Weltesche 
geschnitten ist, ferner die Esche selbst mit dem Nornen- 
quell und Odins verpfändetes Auge. Alles andre ist 
neu gedichtet. Großartig scheint mir vornehmlich der 
symbolische Runenspeer, der Haft der Welt, in dem 
das Geschick von Wotans Machtbereich und Macht- 
dauer sich verkörpert. Ein inzwischen als unecht er- 



_ 97 — 

kanntes Eddalied, Hrafnagaldr d. i. Rabenzauber, das 
ein Isländer im 17. Jahrhundert dichtete, das aber von 
Uhland für echt gehalten und sinnig gedeutet und auch 
von Simrock als echt aufgenommen wurde, hat wohl 
Wagner beeinflußt. Idun, das frische Orün, ist von 
der Esche in nächtige Thäler gesunken. Im Laubfall 
ahnen die Götter ihr Ende. So sendet Odin seinen 
Raben aus und harrt sorgend seiner Ruckkehr. Hier 
waltet dieselbe Stimmung, jenes herbstliche Nieder- 
schauern, das im musikalischen Motiv der Götter- 
dämmerung so sprechenden Ausdruck fand. Hierzu 
paßt auch mehr der Nordlichtschein, der in der 
Dichtung das Verhauchen und Verwehen der Götter 
andeutete. Die Ausfuhrung der Partitur zeigt uns da- 
gegen den Walhallbrand. Nun wird uns auch Wotan 
klar: so lang er den Speer umspannte, konnte er nur 
kampflich fallen, wie Odin in der Edda. Aber nach- 
dem Siegfried den Speer zerhauen, war die Macht ge- 
brochen. Wotan kann nur noch verlöschen, in den 
Todesflammen des Leichenbrandes einer innerlich be- 
reits todten, erstorbenen Welt vergehen. 

Das Gespräch Brünnhilds mit den Walküren, die 
an ihrem Felsen vorüber ziehen und das Schicksal der 
Schwester, d. h. die hernach in der Walküre be- 
handelten Vorgänge, von ihr erfragen, hat sich in zwei 
herrliche dichterische Bilder verwandelt. Der Anfang 
des dritten Aufzugs der Walküre ist einerseits daraus 
hervorgegangen. Schon in Siegfrieds Tod waren acht 
Walküren in strahlender Waffenrüstung, auf weißen 
Rossen sitzend, im Glanz über schwarzem Wolken- 
saum mit stürmischem Geräusch vorübergezogen und 
hatten dabei auf das spätere Rittmotiv gesungen: 



— 98 - 

»Nach Sfiden wir ziehen, Siege zu zeugen, 
kämpfenden Heeren zu kiesen das Loos, 
für Helden zu fechten, Helden zu fällen, 
nach Walhall zu führen erschlagene Sieger!« 

Andererseits trat Waltraute für die Walküren ein, 
die einzige, die neben Brfinnhilde besondere, persön- 
lich ausgeprägte Zfige trägt. Ihre ergreifend schöne 
Erzählung von Walhalls Not reiht das ursprüngliche 
Drama von Siegfrieds Tod in den Zusammenhang des 
Ringes, des Wotandramas, ein. Die Waltrautenszene 
kann wundervoll gestaltet werden und ist ein Prüfstein 
für eine wirklich stilgerechte Darstellung der Götter- 
dämmerung. Schon die ernste Figurine mit strengen, 
geschlossenen Zügen muß einen ganz bestimmten 
Eindruck hervorrufen. Waltraute verkörpert den Typus 
der ernsten, dem Walfeld vertrauten Schlachtmaid, auf 
ihr ruht, im Gegensatz zu Brünnhild, dem leidenschaft- 
lich liebenden Weib, der Zug herbster Jungfräulichkeit. 

»Wie kannst du's fassen, 
fühllose Maid!« 

Die Walküre ist unfähig Liebe zu fühlen. So 
fühllos war ja einst auch Brünnhild vor Siegmund 
getreten, um im Sturm des Mitgefühls aus der Wal- 
maid zum liebenden Menschenweib sich zu wandeln. 
Aber Waltraute bleibt Walküre, Menschenleid bewegt 
ihr Herz nicht, nur Götternot. Sie steht einzig treu 
zu Wotan. Ihre eigene Vergangenheit tritt Brfinnhilde 
in Waltraute entgegen. Brünnhild ist Waltrautes Denken 
und Fühlen entrückt und darum weist sie die Schwester 
von sich. Für Waltraute bieten die Quellen natüriich 
nicht die geringste Andeutung. Und doch ist diese 



— 99 — 

Gestalt, abgesehen von der ihr zugewiesenen hoch- 
wichtigen Rolle im Zusammenhang des Ganzen, eine 
wunderbare Ergänzung zum Walkürenbild, das erst 
mit Brünnhilde und Waltraute, die sich von der Schaar 
ihrer Schwestern so eindrucksvoll abheben, in allen 
seinen Färbungen vollständig wird. 

Die Nomenszene endet in der ersten Fassung 
mit den Worten: 

»Schließet das Seil, wahret es wohl! 
Was wir spannen, bindet die Welt«. 

Die Nomen umfassen sich und entschweben 
dem Felsen. Erst in der Götterdämmemng erhält die 
Szene ihre düstre, ahnungsschwere Stimmung mit 
dem reißenden Seil: 

»Zu End' ewiges Wissen!« 

Das Gespräch zwischen Alberich und Hagen war 
mit sehr viel Epischem belastet, wodurch die wesent- 
liche Bedeutung dieses nächtlichen Alptraumes stark 
abgeschwächt ward. Siegfrieds Erzählung enthielt 
noch, der Edda gemäß, die Rachefahrt, die der Held 
gegen Hundings Söhne thut. Die letzten Reden Brünn- 
hildes gewinnen natürlich erst in der Götterdämmemng 
ihren tiefen, tragischen Sinn. 

In den Teilen, die unverändert übernommen 
wurden, ist die Sprache viel kraftvoller, kürzer, an- 
schaulicher geworden. Man zweifelt keinen Augen- 
blick, welcher Wendung der Vorzug gebührt. Diese 
sprachlichen Fortschritte zeigt übrigens ebenso ein Ver- 
gleich der Fassung von 1853 mit der von 1863 (vgl. 
Gesammelte Schriften 6, 37 ff.; Bayreuther Blätter IQ, 



— 100 - 

1806 S. 205 ff.). Ja, der aufmerksame Beobachter wird 
noch im Text der Partitur gar manche Verbesserungen 
gegenüber der endgiltigen Gestalt der Dichtung ent- 
decken (vgl. Bayreuther Blätter 1897, 20, 156 ff.). 

Wir haben bisher die Entwickelung betrachtet, die 
sich in der Grundidee und auch teilweise in der Ein- 
kleidung ffir die Umwandlung von Siegfrieds Tod zur 
Götterdämmerung ergab. Fast alles war Wagners Er- 
findung. Die Quellen haben nur in dem beiden 
Fassungen gemeinsamen Teile Bedeutung, da die Fort- 
bildung natürlich frei und ohne erneute Berücksichti- 
gung der Vorlagen sich vollzog. 

Gerade da, wo die nordische und deutsche epische 
Ueberlieferung am reichsten floss, wo alle neueren 
Nibelungendichter ihre ergiebigste Fundgrube haben, 
hat Wagner nur sehr wenig entnommen. Nur die 
aligemeinsten Umrisse der Erzählung sind benützt, auf 
nordischer Grundlage, aber mit Verwertung zahlreicher 
deutscher Züge. Nicht allein durch diese Mischung 
deutscher und nordischer Ueberlieferung, sondern 
durch die völlige Neugestaltung im Ganzen und Ein- 
zelnen ist Siegfrieds Tod noch mehr als die übrigen 
Dramen Wagners volles Eigentum. Die Volsungasaga 
berichtet in den Abschnitten, die für die Handlung der 
Götterdämmerung in Betracht kommen, folgendes: von 
dem Walkürenfelsen fährt Sigurd auf neue Thaten aus 
und kommt zu Ojuki, einem König am Rhein. Des 
Königs Söhne, Gunnar und Högni, schließen Blut- 
brüderschaft mit Sigurd und er zieht mit auf ihre Heer- 
fahrten. Die Königin Grimhild, ihre Mutter, will den 
Helden für immer an die Gjukunge fesseln, und reicht 
ihm den zauberhaften Vergessenheitstrank, nach dessen 



— 101 — 

Oenuss ihm die Erinnerung an seine Braut schwindet; 
er heiratet nun die herriiche Tochter Ojukis, Gudrun. 

Ounnar will um die Walküre Brflnnhild werben, 
und Sigurd reitet mit ihm. Brünnhilds Burg ist von 
Feuer umwallt und den allein will sie haben, der durch 
die Flamme reitet. Ounnar spornt sein Ross, doch es 
stutzt vor dem Feuer. Er bittet Sigurd, ihm den Orani 
zu leihen, aber auch dieser will nicht vorwärts. Da 
tauscht Sigurd mit Ounnar die Oestalt, Orani erkennt 
die Sporen seines Herrn; das Schwert in der Hand 
sprengt Sigurd durch die Flammen. Die Erde bebt, 
das Feuer waHt zum Himmel, dann erlischt es. 

In Ounnars Oestalt steht der Held, auf sein 
Schwert gestützt, vor Brünnhild, die gewappnet dasitzt 
Zweifelmütig schwankt sie auf ihrem Sitze wie ein 
Schwan auf den Wogen. Doch er mahnt sie, daß sie 
dem zu folgen gelobt, der das Feuer durchschreiten 
würde. Drei Nächte bleibt er und teilt ihr Lager, aber 
sein Schwert liegt zwischen beiden. Sie wechseln die 
Ringe und bald wird Ounnars Hochzeit mit Brünn- 
hild gefeiert. 

Einst gehen Brünnhild und Oudrun zum Rhein, 
ihre Haare zu waschen. Brünnhild tritt höher hinauf 
am Strome, sich rühmend, daß ihr Mann der bessere 
sei. Zank erhebt sich zwischen den Frauen über den 
Wert der Thaten ihrer Männer. Da sagt Oudrun, 
daß Sigurd es war, der durch das Feuer ritt, bei 
Brünnhild weilte, und ihren Ring empfing. Sie zeigt 
das Kleinod, Brünnhild aber wird todesblaß und geht 
schweigend heim. Kein Schlaf befällt sie, sie sinnt 
auf Unheil: Sigurds Tod verlangt sie von Ounnar, 
oder sie will nicht länger mit ihm leben. Högni widerrät. 

7 



— 102 — 

Zuletzt wird Outhorm, der Stiefbruder, der an 
der Blutbrüderschaft mit Sigurd nicht teilgenommen 
hatte, zum Morde gereizt. Schlange und Wolfsfleisch 
wird ihm zu essen gegeben, daß er grimmig werde. 
Er geht hinein zu Sigurd, morgens, als dieser im 
Bette ruht; doch als Sigurd mit seinen scharfen 
Augen ihn anblickt, entweicht er; so zum andern 
Mal; das drittemal aber ist Sigurd eingeschlafen, da 
durchsticht ihn Outhorm mit dem Schwerte. Sigurd 
erwacht und wirft dem Mörder das Schwert nach, 
das den Fliehenden in der Thfire so trifft, daß Haupt 
und Hände vorwärts, die Ffiße aber in die Kammer 
zurückfallen. Gudrun, die an Sigurd's Seite schlief, 
erwacht, in seinem Blute schwimmend. Einen Seufzer 
stößt sie aus, Sigurd sein Leben. Angstvoll schlägt 
sie die Hände zusammen, dass die Rosse im Stall 
sich regen und das Geflügel auf dem Hofe kreischt 
Da lacht Brünnhiid einmal von ganzem Herzen, als 
Gudrun's Schreien bis zu ihrem Bette schallt. 

Brünnhiid aber will nicht länger leben, umsonst 
legt Gunnar seine Hände um ihren Hals. Sie sticht 
sich das Schwert ins Herz und bittet noch sterbend, 
mit Sigurd auf hochragendem Scheiterhaufen verbrannt 
zu werden, dem Geliebten zur Seite und das Schwert 
zwischen ihnen, wie vormals. 

Hier springen grosse Verschiedenheiten sofort in 
die Augen. Für den ganzen zweiten Aufzug mit 
seiner unvergleichlichen dramatischen Spannung und 
Schlagkraft boten die Vorlagen rein nichts. Was in 
der Volsungasaga und im Nibelungenlied auf mehrere 
zeitlich getrennte Vorgänge sich verteilt, hat Wagner 
zu einem wuchtigen Augenblick verdichtet. Den be- 



— 103 — 

rühmten Zank der Königinnen, der den Trug offen- 
bart, hat er aus zwei Gründen fibergangen. Dazu 
hätte Outrun viel mehr herausgearbeitet werden 
müssen, als es die Anlage des Dramas verstattete, und 
schließlich wiederholt sich ein Meister nicht: die 
Zankszene spielt sich bereits im »Lohengrin« zwischen 
Ortrud und Elsa ab. Nach deutscher Sage bleibt 
Hagen Siegfrieds Mörder, und Siegfried wird draussen 
im Walde erschlagen. Hagen ist, wie die auf nieder- 
deutschen Berichten ruhende Thidrekssaga meldet, ein 
Albensohn. Diesen Zug fuhrt Wagner noch kräftiger 
aus, indem er ihn zu Alberichs Sohn macht Zwischen 
Wotan und Alberich erhob sich der Streit, zwischen 
Siegfried und Hagen wird er ausgetragen. Siegfried 
der Wälsung und Hagen der Nibelung stehen sich 
schon äußeriich als die größten Gegensätze wie Tag 
und Nacht gegenüber. »Wie die Wfinsche und 
Hoffnungen der Götter auf Siegfried beruhen, setzt 
Alberich seine Hoffnung der Wiedergewinnung des 
Ringes auf den von ihm erzeugten Helden Hagen. 
Hagen soll Siegfrieds Verderben herbeifuhren, um 
diesem in seinem Untergange den Ring abzugewinnen.« 
So gewinnt die Feindschaft zwischen Hagen und 
Siegfried einen tiefen Hintergrund, wovon die Sage 
nichts ahnte. Die beiden sind geborene Feinde. 
Hagen ist ein teuflisches Zerrbild des götterent- 
sprossenen Helden. 

Hagen, dessen Aussehen auch das Nibelungen- 
lied 1672 als schrecklich schildert, ist ohne Liebe 
erzeugt, ein Mordgeist, von dem ein Hauch der Kälte 
und des Todes ausgeht. Die Thidrekssaga stellt 
Gunnar und Hagen mit folgender Schilderung ein- 



— 104 — 

ander entgegen: »König Ounnar hatte lichtes Haar, 
ein breites Anth'tz, einen lichten und hellen Bart, war 
breitschultrig, hell von Farbe und hehr von ganzem 
Wüchse, adlig von Aussehen. Hagen, sein Bruder 
hatte schwarzes und langes Haar, ein langes Gesicht, 
eine lange und starke Nase, lange Brauen, einen 
dunkein Bart und war überhaupt dunkelfarbig; er 
hatte ein hartes und grimmiges Antlitz.« 

Wenn die Mannen einmal im Scherz auf Hagens 

Namen singen: 

»der Hagedom 

sticht nun nicht mehr« — 

SO denkt Wagner dabei an das Lied von Waltharius, 
wo Hagen der Domige (spinosus) genannt wird. (vgl. 
auch die Stelle: o palüire, virens folüs, ut pungere 
possis = o Hagedom, voll grüner Blätter, wie stichst du!). 

Zwischen dem Liebesjubel im Siegfried und dem 
lichten Tagesglanz, von dem umleuchtet Siegfried und 
Brünnhild in der Oötterdämmemng noch einmal vor 
uns treten, wirkt das nächtige Nomen weben, das den 
düsteren Orundton des letzten Dramas angibt, höchst 
eigenartig. Wie ein Nachtschatten fällt dunkle Schick- 
salsahnung auf helles Oiück. 

Wie die Nomen mit goldenem Seil weben und 
spinnen, wird im ersten Helgiiied geschildert. Nach 
Helgis Geburt kommen zur Nacht Nomen, die sein 
Schicksal bestimmten. Sie schnürten scharf die 
Schicksalsfäden, goldene Fäden fügten sie weit, sie 
mitten festigend unterm Mondessai. Westlich und 
östlich bargen sie die Enden, einen Faden warf nord- 
wärts eine Norn, ewig zu halten hieß sie dies Band. 



105 



Aber ebenso neu wie Wotans zerspellter Speer ist 
das zerrissene Nomenseii im Drama, zwei gewaltige 
Vorzeichen des unaufhaltsamen Endes. 

Im Morgendämmer entschwinden die grauen 
Weiber unsrem Bh'ck, vom letzten strahlenden Sonnen- 
aufgang gescheucht. Aeußeren Anstoß zur Nornen- 
szene gab Fouqu6, bei dem die drei Nomen vor der 
Felsenburg Brunnhilds, ehe Sigurd die Schlafende 
weckt, und am Ende des Dramas ober dem Rauch 
des Holzstoßes erscheinen und ziemlich nichtssagende 
Lieder singen. Siegfrieds Abschied von Brfinnhild, 
seine Rheinfahrt, die der Rheintöchter Klage um den 
Raub des Ooldes begleitet, sind eigene Zusätze 
Wagners. 

Aber Brünnhilds Worte: 

»was Götter mich wiesen, 
gab ich dir: 
heih'ger Runen 
reichen Hort« 

entstammen dem Liede von der Erweckung der 
Walküre, die Sigurd mit Runenlehre für alle Lebens- 
lagen begabt. Die in deutschen Quellen berichtete 
Unverwundbarkeit Siegfrieds verwandelt Wagner in 
einen Wundsegen, mit dem Brünnhild den Geliebten 
gegen jede Wehr feite. Nur am Rücken des niemals 
fliehenden Recken sparte sie den Segen und dort trifft 
ihn Magens Speer. 

Für die Vorgänge in der Oibichungenhalle sind 
die nordischen Berichte mit Einmischung deutscher 
Züge benutzt. Daß Siegfried trotzig auftritt und 
Günther sein Land abkämpfen will, aber sich dann 



1. 



— 106 — 

durch ehrenvolle Aufnahme besänftigen läßt, steht in 
der 3. Aventiure des Nibelungenliedes. Großartig 
wirkt die Oegenuberstellung des lichten Wälsungen 
und finsteren Nibelungen, wie Siegfried die Halle be- 
tritt. Gleich hier grollt dumpf und ahnungsvoll der 
Fluch. Die Worte: 

wohl hüte mir Orane! 
Du hieltest nie 
von edlerer Zucht 
am Zaume ein Roß! — • 

sind verdichtet aus denen Sigurds bei Fouqu^: 

»ist wer dabei, 
der mir mein treues Roß zur Wartung abnimmt? 
behandelts höflich, sonsten wird es bös, 
denn edler Gattung ist's, heischt feine Zucht« 

Für den Blutbund Siegfrieds und Günthers, der 
nicht nach nordischem Brauch eingegangen wird, wo- 
nach die beiden Freunde ihr Blut in eine Grube rinnen 
lassen, dass es sich mit Erde mische, sind die An- 
gaben in J. Grimms Rechtsaltertümem, Seite 1Q3, über 
das symbolische Bluttrinken, in der Mischung des 
Blutes mit Wein, benutzt. 

Hagens Wacht ist der 30. Aventiure des Nibelungen- 
liedes entnommen, wo Hagen mit Volker den Saal 
der Burgunden gegen die Hunnen bewacht Die 
Szene ist aber durch Wagner in völlig neuen Zu- 
sammenhang gerückt Dass Siegfried Brünnhilden 
den Reif abringt, stammt aus der 10. Aventiure des 
Liedes, während der Schauplatz auf dem feuerum- 
waberten Felsengipfel nordischer Ueberiieferung ge- 



— 107 — 

mäss ist, wie Sigurd in Ounnars Gestalt um Brunn- 
hiid freit. Im zweiten Aufzug ist Handlung und 
Schauplatz fast ganz neu erfunden, aus den Quellen 
lassen sich nur wenige vereinzelte Züge nennen. Im 
Nibelungenlied erbietet sich Siegfried nach dem Zank 
der Frauen zum Reinigungseid im Ring der Burgunden 
(Lachmann Strophe 801/3), Hagen geht zu Brunnhild 
(Strophe 806/7), woran der Mordrat gegen Siegfried 
unmittelbar anknüpft (Strophe 808/1 Q); nur ungern ent- 
schließt sich Günther zu Siegfrieds Tod. Das Ge- 
heimnis von Siegfrieds verwundbarer Stelle erfragt 
Hagen von Kriemhild (Strophe 83Q/48). Dass Brunn- 
hild zu Siegfrieds Tod anreizt, berichten Edda und 
Volsungasaga. Das ist alles, was Wagner vorfand. 
Dass Brunnhild selbst an Siegfrieds Hand den ver- 
hängnisvollen Ring erkennt und nicht nur durch 
Kriemhild-Gutrun davon hört, dass sie mit eigenen 
Augen den Trug alsbald durchschaut, ist von mächtigster 
dramatischer Wirkung und entlastet die Bühne von 
dem umständlichen Ränkespiel, das die Handlung der 
meisten Nibelungendramen so schleppend macht und 
im musikalischen Drama ganz undenkbar wäre. 

Voller Stimmungszauber waltet im dritten Aufzug, 
gegen dessen dichterische Größe die besten Stellen 
der alten Voriagen nur wie leise Vorahnung sich aus- 
nehmen. Schon der Blick ins Wald- und Felsenthal 
am Rhein mit den Nixen ist von wundersamer Schön- 
heit. Im Rheingold habe ich bereits auf die Quelle, 
das Nibelungenlied Stf. 1673— 168Q verwiesen und 
hervorgehoben, welch tiefe Bedeutung diese Szene 
im Zusammenhang des Ringes gewann. Auf der 
Rheinfahrt zu Gibich's Hof war Siegfried der Nixen- 



k 



— 108 - 

klage taub geblieben, jetzt vor dem Tode geistersichtig 
geworden, erblickt er die Rheintöchter leibhaftig und 
versteht ihre Worte. Den symbolischen Wurf Sieg- 
frieds mit der Erdscholle entnahm Wagner J. Grimm's 
Mythologie S. 609: »noch unsere Landsknechte des 
16. Jahrhunderts warfen, in die Schlacht gehend, eine 
Erdscholle zum Zeichen aller Lossagung vom Leben.« 
DaB Siegfried auf der Waldjagd in der Nähe des 
Rheins erschlagen wurde, erzählt die 16. Aventiure des 
Nibelungenlieds. Man rühmt dem Verfasser des 
Liedes mit Recht nach, daß er den Helden noch ein- 
mal vor seinem Tode im vollen Glänze seines soig:los- 
sonnigen Wesens geschildert habe, um seinen Fall 
noch tragischer wirken zu lassen. Noch viel herrlicher 
leuchtet Siegfrieds Qberfrohe Art im dritten Aufzug 
auf im Gespräch mit den Nixen und in der Märe aus 
seinen jungen Tagen. Wenn nun die Motivwelt des 
»Siegfried« da noch einmal emporsteigt und in den 
feieriichen Klängen der Erweckung der Walküre endigt, 
mit denen der sterbende Held, von dessen Geist im 
Augenblick des Todes alle Nacht gewichen, der fernen 
ßrünnhild, der heiligen Braut, einen letzten Gruß ent- 
bietet, wenn dann die gewaltigste Hetdenklage eriSnt, 
während die Mannen den toten Siegfried über die 
Höhe zu Gibichs Hof tragen, und endlich aufsteigende 
Nebel den Zug verschleiern, so nehmen sich diesen 
unvet^leichlich großen Bildern gegenüber die paar 
Andeutungen der Vorlagen sehr dürftig aus. Herrlich 
ist die Lichtstimmung: im strahlenden Sonnenaufgang 
war Siegfried im Vorspiel zuerst vor uns erschienen, 
in Dämmerung, Abendrot und Nacht verging er, ein 
echter Sonnenheld. 



— 109 — 

Die Volsungasaga berichtet, daß die Kraft des 
Vergessenheitstrankes allmähh'ch nachließ und Siegfried 
die Erinnerung zurückkehrte. Im Nibelungenlied 
(922— Q29) stößt Hagen seinen Speer Siegfried in den 
Rücken; Siegfried schmettert mit dem Schilde Hagen 
nieder und bricht dann zusammen. Die Spielanweisung 
in der Götterdämmerung nimmt hierauf Bezug. Im 
Nibelungenlied weilen die letzten Gedanken des 
sterbenden Helden bei Kriemhild, in der Edda spricht 
Sigurd noch liebevoll zu Gudrun. Diese weiche 
Stimmung erhebt sich im Drama zum Heilgruss an 
Brünnhild. Im Nibelungenlied wird der Tote auf 
seinen Schild gelegt (940) und bei Nacht über den 
Rhein geführt (943). 

Das Nibelungenlied hebt mit dem bangen Traum 
Kriemhilds an, in dem sie ihr Schicksal voraussieht. 
Vor Siegfrieds Tod wiederholen sich die Träume. 
Ebenso erzählt die nordische Sage. Ueberhaupt bilden 
warnende Träume, die künftige Ereignisse voraus- 
spiegeln, ein beliebtes, oft angewandtes Kunstmittel 
im germanischen Heldengedicht. Aber fürs Drama 
haben sich diese Vorahnungen mit Recht zu den 
Worten Gutrun's verkürzt: 

schlimme Träume 
störten mir den Schlaf. 

Für die letzten Vorgänge in der Oibichungenhalle, 
Hagens Kampf mit Günther, Hagens Forderung nach 
dem Ring, das Erscheinen der Rheintöchter, Hagens 
Tod und den Walhallbrand bestehen keine Vorbilder, 
höchstens der allgemeine Zug, daß Hagen im Nibelungen- 
lied nach Siegfrieds Tod den Hort an sich bringt und 



-~ 110 — 

im Rhein versenkt. Nach dem Nibelungenh'ed 941 soll 
die Kunde verbreitet werden, daß Räuber Siegfried im 
Wald erschlugen. Erst viel später (1728) im Hunnen- 
land gesteht Hagen seine Schuld: 

Er sprach: ,waz sol des mere? der rede ist nu genuoc. 

ich binz et aber Hagene, der Slfriden sluoc, 

den helt ze sinen banden. wie s£r er des engalt, 

daz die vrouwe Kriembilt die scboenen Brfinbilde schalt!' 

Daraus stammen Hagens Worte: 

Ja denn! Ich hab' ihn erschlagen, 
ich — Hagen — 
schlug ihn zu todt! 

Daß der tote Siegfried die Hand erhebt, als Hagen 
Leichenraub begehen will, ist der Volkssage entlehnt, 
wo Tote einen Ring oder dergleichen sich nicht 
nehmen lassen. Das Nibelungenlied erzählt das Wunder 
des Bahrgerichts, daß des toten Siegfried Wunden 
wieder bluten, als Hagen herantritt. 

Die Scheltrede zwischen BrQnnhild und Outrun, 
und Brünnhilds letzte große Rede, sowie der Leichen- 
brand mit Siegfried sind sagenecht. Die mehr ge- 
messene Fassung in Siegfrieds Tod steht den Quellen 
näher als die leidenschaftlichere der Götterdämmerung. 
Die langen Reden, die Brünnhild in der Edda und 
Volsungasaga hält, haben aber mit der Fassung im 
Drama nur zwei Dinge gemein, daß Brflnnhild auf 
ihre Liebe zu Siegfried zurückblickt und den gemein- 
samen Leichenbrand befiehlt. Nirgends findet sich 
der große Zug, wie BrQnnhild Outrun von der Bahre 
des toten Helden zurückweist. Hier wirkt bereits der 
Tristan, den Wagner in der Bearbeitung von Hermann 



111 



Kurz (1844 und 1847) kennen lernte. Dort weist die 
blonde Isolde, die übers Meer zum sterbenden Tristan 
geeilt war, die weiBhändige Isolde, die ihm angetraut 
war, vom Bett des toten Geliebten: 

THt Weißhand saß bei Ihm mit Klagen. 

Da riß sich die blonde Isolde tos, 

Gewaltig stand sie, hoch und groß 

Wie eine Todesgöttin, dort. 

Lautlos trieb sie den Schemen fort, 

Den hohlen, der zu seiner Hülle 

Ihr Namen, Liebe, Lebensfülle, 

Ja alles, alles ihr gestohlen. 

Was nichts dem Schemen war, dem hohlen! 

Ihr gnügte ein stummer Wink der Hand, 

Vor dem die andere nicht bestand. 

Die Arme überliefs mit Graus, 

Sie schlich sich still und scheu hinaus. 

Sie konnte im eignen Herzen lesen, 

Daß sie das Kebsweih war gewesen. 

Nun trat die blonde Königin 

Zu ihrem todten Freunde hin. 

Sie sah ihm zärtlich ins Angesicht, 

Erwies ihm fromta die letzte Pflicht 

Und schloß die beiden Augen zu. 

Woran ihr Trost und ihre Ruh 

In lieben und leiden Jahren 

So ling gelQ:en waren. 

Handlung und Schauplatz im Ring schreiten von 
der mythisch -heroischen Landschaft des Rheingold 
zum germanischen Urwald mit den Fehden der 
Walkfire und den Märchenthaten des Si^ried und 
endlich zum Slammeskdnigtum der Oibichungen vor- 
wärts. Eine Art Entwicklungsgeschichte aus den Ur- 
zeiten bis in die historischen Anfänge der germani- 
schen Stämme stellt sich uns dar, sobald die Aufgabe 



- 112 — 

so feinffihlig erfaßt und gelöst wird, wie es im Bay- 
reuther Festspiel geschah. 

Wagner rühmt an Shakespeare die Kraft der An- 
schaulichkeit: >Was hat der Mann gesehen!« Im 
selben MaaBe ist diese Oabe des Schauens dem 
deutschen Meister verliehen, vor dessen Seele jene 
wunderbar klaren und scharfen Bilder germanischer 
Götter- und Heldensage aufstiegen, aus denen sein 
unvergleichliches Heldenschauspiel zum stolzen Bau 
sich fügte 




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