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THE LIBRARY
OF
THE UNIVERSITY
OF CALIFORNIA
ANT: ii..CrOLOGY
ALFRED L. KROEBER
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STUDIEN UND FORSCHUNGEN
zur Menschen- und Völkerkunde
unter wissenschaftlicher Leitung von QEORO BUSCHAN
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Die Schiffahrt
der Indianer
Von
Dr. Georg Friederici
Hauptmann a. D.
STUTTGART 1907
VERLAG VON STRECKER & SCHRÖDER
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Zur gefl. Beachtung.
Die Menschen- und Völkerkunde (Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte)
hat in den letzten Jahren erfreulicherweise grosse Fortschritte zu verzeichnen
gehabt. Eine Reihe Forschungsreisen in bisher wenig bekannte Gebiete hat
neue Beobachtungen und eine Fülle ethnographischen Materiales mit nach Hause
gebracht. Allenthalben angestellte Ausgrabungen haben zahlreiche Gegenstände
der Vorzeit ans Tageslicht gefördert und den Anstoss zur Erörterung neuer kultur-
geschichtlicher Probleme gegeben. Die somatische Anthropologie hat gleichfalls
viele wichtige Untersuchungen und Beobachtungen zur physischen Charakteristik
der Völker und Rassen, sowie des Einzelindividuums im Vergleich zum Tier zu
verzeichnen. All dies ungeheure Beobachtungsmaterial, das sich angehäuft hat,
harrt der Verarbeitung von einheitlichen und zusammenfassenden Gesichtspunkten
aus. Die bestehenden Fachzeitschriften dürften nicht imstande sein, die zu er-
wartenden Arbeiten zu bewältigen.
"Wir beabsichtigen daher, solche zusammenfassende Darstellungen aus der
Feder namhafter Autoren herauszugeben und für sie gleichsam eine Sammelstelle
zu schaffen. Dieselben sollen unter dem Titel
Studien und Forschungen zur Menschen-
und Völkerkunde
in zwanglosen Heften erscheinen, deren Leitung der Mitunterzeichnete, welcher
den Fachgenossen als Herausgeber des „Zentralblattes für Anthropologie" wohl-
bekannt sein dürfte, übernommen hat.
Diese Beiträge, die durchaus wissenschaftlich gehalten werden sollen, werden
monographische Darstellungen sein, die u. a. Beschreibung der physischen Eigen-
tümlichkeiten bestimmter Menschenvarietäten (sog. Rassen), den Ursprung der
Völker, Sitte und Lebensweise, sowie Kulturbesitz primitiver Völkerschaften,
Charakteristik und Verbreitung bestimmter Kulturkreise der Vorzeit und der
Gegenwart, zeitgemässe Fragen aus der allgemeinen Ethnologie, neue urge-
schichtliche Probleme, den Ursprung des Menschen und seine Stellung in der
!Natur u. a. m. behandeln sollen.
Diese Monographien sollen indessen kein Konkurrenzunternehmen zu den
schon bestehenden Fachzeitschriften bilden, sondern diese ergänzen. Abhandlungen
von grösserem Umfange pflegen die letzteren aus Platzmangel nur ungern aufzu-
nehmen, und ihren Abdruck oft genug aus dem gleichen Grunde zu verzögern.
Die „Studien und Forschungen" sollen diesem Uebelstande abhelfen. Um indessen
den Fachzeitschriften nicht entgegenzuarbeiten, werden sie nur Arbeiten von einem
Mindestumfang von 6 Druckbogen bringen. Als durchschnittlicher Umfang einer
Abhandlang sind 6 bis 8 Druckbogen in Aussicht genommen. Bei grösserem Um-
fange sind Doppelhefte vorgesehen. Jedes dieser Hefte soll ein in sich abgeschlossenes
Ganzes l)ildeu.
In Bearbeitung befinden sich: Dr. Lasch, Der Eid bei den Völkern; Dr. Kohl-
brugge. Die Psychologie der Javanen; derselbe, Die Abstammung des Menschen
(kritisch beleuchtet) ; Dozent Dr. Vierkandt, Die Grundlage der gesellschaftlichen
Ordnung bei den Naturvölkern; Dr. Hahne, Das Eolithen- Problem.
Es haben ferner Beiträge in Aussicht gestellt die Herren : Prof. Dr. Andree,
München, Dr. B. Ankermann, Berlin, Dr. Götze, Berlin, Hofrat Dr. Hagen,
Frankfurt a. M. , Prof. Dr. M. Hoemes, Wien, Hauptmann z. D. Hutter, z. Zt.
Südwestafrika, Prof Dr. Klaatsch, Breslau, Prof. Dr. Krämer, z. Zt. Karolinen-
Inseln, Prof. Dr. Friedr. S. Krauss, Wien, Prof. Dr. Matiegka, Prag, Hofrat
Dr. Schliz, Heilbronn a. N., Prof. Dr. Thilenius, Hamburg, u. a.
Die „Studien und Forschungen" können durch jede Buchhandlung oder
direkt vom Verlag bezogen werden.
Der wissenschaftliche Leiter: Die Verleger:
Dr. med. et phU. Georg Bnschan Strecker & Schröder
Stettin, Friedrich-Karl-Str. 7 Stuttgart, Johannesstr. IIa.
/ V'
Studien und Forschungen zur Menschen-
und Völkerkunde
unter wissenschaftlicher Leitung von Georg Buschan
1^==^^=^=== I ====================
Die Schiffahrt der Indianer
Von
Dr. Creorg Friederici
Hauptmann a.D.
Stuttgart
Verlag von Strecker & Schröder
1907
Alle Rechte, besonders das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten
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Anthropology
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Druck von Strecker & Schröder in Stuttgart
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ANTMROP.
LIBRARY
Herrn Romanns Conrad
in Stettin,
dem Freunde meines Yaters, in Erinnerung an manche
gemeinsame, den Knaben belehrende Bootfahrt
freundlichst gewidmet
888
Inhaltsübersicht,
Seite
Vorwort yn
Die Beanlagung des Indianers für die Schiffahrt 1
Die Schiffstypen 13
Die Balsa 16
Das Bull-Boot 26
Boote 28
Das Kanu 30
Die Dalca 43
Das Fell-Boot 45
Die Canoa 46
Die Piragua 63
Das Ruderg-eschirr 70
Das Segel 73
Anker, Ballast und anderes Schiffszubehör 79
Seemannsgeist 82
Das Boot im Frieden 87
Das Boot im Kriege 100
Das Boot in Freud und Leid 109
Verzeichnis der benutzten Quellen 111
Vorwort.
Im Rahmen einer Sammlung ethnologischer Abhandlungen hatte
sich meine Arbeit innerhalb der im voraus festgelegten Grenzen zu
halten. Daher musste darauf verzichtet werden, dem Buche einen
kostspieligen Atlas von Typen indianischer Fahrzeuge beizufügen, und
manche Abschnitte der Darlegung konnten nur recht kurz behandelt
werden. Aber ich habe mich bemüht, alle Punkte zu berühren, die
auf die primitive amerikanische Schiffahrt Bezug haben können, und
ich hoffe, dass auch dort die Tiefe der Untersuchung nicht vermisst
wird, wo der beschränkte Raum die volle Ausnutzung des vorbereiteten
Materials verbot.
Das Buch sollte schon seit mehreren Wochen im Druck sein, als
sich herausstellte, dass der grössere Teil der Anmerkungen verloren
gegangen war. Da mich besondere Umstände für jetzt und das
kommende Jahr verhindern, diesen Verlust, welcher die Arbeit von
Monaten darstellt, zu ersetzen, so musste das Buch ohne die ver-
schwundenen Anmerkungen gedruckt werden, wenn es überhaupt in
absehbarer Zeit erscheinen sollte.
So lasse ich denn diese Arbeit mit schwerem Herzen hinausgehen,
aber in der Hoffnung, das Verlorene später in einem anderen Zu-
sammenhang nachholen zu können.
Es ist eine eigene Luft, die am AVasser weht, ein Geist besonderer
Art, der über ihm schwebt; die Indianer Amerikas haben sich ihren
Einflüssen ebensowenig entzogen, wie unsere braven Matrosen. Diesen
Geist zu erfassen, ist für eine Landratte nicht immer leicht. Aber
am Wasser geboren und gross geworden glaube ich, dass er nicht
spurlos an mir vorübergegangen ist, und hoffe, dass auch ein Hauch
von ihm durch diese Arbeit weht.
Kiel, im Juli 1907.
Der Verfasser.
Die Beanlagiing des Indianers für die Schiffahrt.
Sobald ein junger Indianerknabe das Licht der Welt erblickt
hatte, begab sich die Mutter mit dem Neugeborenen an den nächsten
fliessenden Bach oder Süsswasser-See, um mit ihrem Kinde ein kaltes
Bad zu nehmen. Meistens tat sie dies still für sich allein, zuweilen
aber auch unter Mitwirkung von Freundinnen oder der Frauen des
Dorfes. So bei den Payaguäs des Chaco, wo sich die Weiber von
der Geburtshütte bis zum nahen Wasserlauf mit ausgebreiteter Be-
kleidung in zwei Reihen so aufstellten, dass die junge Mutter geschützt
vor dem Winde das kalte Bad erreichen und wieder verlassen konnte.
Dieses Bad nach der Niederkunft war in weiten Gebieten Amerikas
ein durch die Sitte verlangter un erlässlicher Akt. Er fand sich nicht
nur bei Stämmen, die dem Wasser nahe standen und gute Schiffer
waren, wie Tlinkits, Irokesen, Insel-Caraiben , bei Völkern des Isth-
mus, von Santa Marta, Venezuela und Guayana, bei den Tupi und
Anwohnern des Paraguay, sondern auch bei solchen, in deren Leben
und Wirken das Wasser nur eine geringe Rolle spielte. Die Apachen
und einige Stämme in Nord-Mexico, Tapuya- Völker in Brasilien und
die Bewohner der Hochflächen des Inkareiches waren nicht weniger
freudige Anhänger des kalten Bades als die vorher genannten. Auch
die meisten Stämme von Ober- und Nieder-Californien , sowie die
Choctaws im Osten des Mississippi haben es als Wasserfahrer nicht
weit gebracht und konnten auch z. T. nicht schwimmen, aber das
Bad war auch ihnen eine liebe Gewohnheit. Als Grund für dieses
Herkommen wird immer in erster Linie die Absicht genannt, das
Neugeborene vom ersten Tage seines Lebens an abzuhärten und gegen
die Einflüsse von Kälte und Wasser zu stählen. Die Richtigkeit
dieses Grundes wird durch den hygienischen Erfolg des Verfahrens und
durch die Tatsache bestätigt, dass man zuweilen bei kleinen Mädchen
von dem kalten Bade als weniger erforderlich Abstand nahm. Hier-
neben lief jedoch zweifellos in sehr vielen Fällen ein tieferer, häufig
vielleicht nur dunkel gefühlter Grund, der auf Aberglauben beruhte
Studien und Forschungen I, \
und das Bad des Neugeborenen als eine Art Weihe, als eine religiöse
Zeremonie verlangte. Diese Auffassung äusserte sich manchmal in
recht seltsamen Formen, so bei den Insel-Caraiben, wo alle erwach-
senen männlichen Mitbewohner der Geburtshütte sofort aufstehen und
ein Bad nehmen mussten, wenn die Entbindung bei Nacht eintrat;
Grund: „damit das Neugeborene beim Baden nicht friert."
Besonders bei den in der Kultur verfeinerten Völkern Amerikas,
bei den Inkaperuanern und Nahuas, trat das Religiöse und Zere-
monielle bei dem Vorgang deutlich zutage. Bei letzteren wurde das
entbundene Kind von der Hebeamme, einer Art Priesterin, sofort unter
vorgeschriebenen Gebetformeln gebadet, während ein festlicher Weihe-
akt, von den Missionaren wegen seiner Ähnlichkeit mit dem christ-
lichen Ritus gewöhnlich Taufe genannt, erst einige Tage später statt-
fand. Le Beau ist der einzige mir bekannte Gewährsmann, der von
Verwendung von angewärmtem Wasser bei dem Bade des Neuge-
borenen spricht; aber Le Beau beobachtete einmal in einer Zeit, als
viele Sitten schon verdorben waren, und ist zweitens keineswegs immer
zuverlässig.
Die Indianer werden uns vielfach als höchst schmutzig geschildert,
und in einem Sinne dieses Wortes waren sie es auch in der Tat: die
Art, wie sie ihre Mahlzeiten zu sich nahmen und ihr eigenes sowie
ihrer Nächsten Ungeziefer verzehrten, wie sie sich die Nase putzten,
wie sie nach dem Essen ihre fettigen Finger an den Haaren, den
Fusssohlen, am Gesäss oder noch anderen Körperteilen abwischten;
wie sie ihre Notdurft befriedigten und sich ungeniert übelriechend
gehen Hessen, war häufig höchst ekelerregend und beleidigend für ver-
feinerte Gesichts- und Geruchsnerven. Die braven Missionare, die
unter den Kindern der Wildnis lebten, haben häufig wehmütig über
ihre Leiden in dieser Hinsicht geklagt. Zudem waren ihre Hütten
fast immer schmutzig und voll von Ungeziefer, das sich natürlich auf
die Haare und Bekleidung der Bewohner übertrug. Im übrigen aber
hielt der Indianer für seine Person fast durchweg auf Reinlichkeit
durch Waschen, Baden und Kämmen. Je mehr er seinem ursprüng-
lichen Zustande näher war, d. h. je weniger er von der ihm häufig
mit Gewalt aufgezwungenen europäischen Bekleidung trug, desto besser
gelang ihm dies; denn diese Bekleidung war der Hauptsitz des Un-
geziefers. Zwar erschien auch der nackte Indianer dem flüchtigen
Beobachter als schmutzig: seine Haut war dick, rauh und sonnen-
verbrannt, zerkratzt und blutig durch die Dornen und scharfen Gräser
— 3 —
der Wildnis; je nachdem er in feucht-sumpfiger oder trocken-sandiger
Gegend lebte und jagte, sah er kotig oder bestaubt aus. Die bunte
Bemalung mit öliger Farbe, zugleich seine Zier und sein Schutz gegen
Witterung und Insektenstiche, sein Talisman gegen böse Geister, ver-
wischte sich schnell und trug in Verbindung mit dem Körperschweiss
dazu bei, dass Schlamm und Staub um so besser hafteten. Aber
dieser Schmutz war nur für wenige Stunden: der Knabe und das
Mädchen, die ihre Mutter sogleich nach der Geburt in kaltes Wasser
getaucht hatte, hörten von nun an bis zu ihrem Lebensende oder
schwerer Erkrankung nicht auf, täglich ein oder mehrere Male zu
baden. Über ganz Amerika findet sich diese Sitte ; weder Kälte noch
Schnee und Eis hinderten den Indianer an ihrer pünktlichen Befolgung;
höchstens dass er im Winter nur einmal täglich badete, was in den
wärmeren Jahreszeiten mehrmals geschah. Jeden Morgen nach dem
Aufstehen nahm der Caraibe ein kaltes Bad und im übrigen im Laufe
des Tages jedesmal dann ein weiteres, wenn es die Umstände ver-
langten, wenn er durch Meerwasser oder Regen benetzt worden war,
wenn er sich beschmutzt hatte oder nach anstrengender Arbeit, nach
Ballspielen oder Wettlaufen, erhitzt war. Alle Morgen zogen die
Weiber und Mädchen der Mandans auf den Badeplatz am Missouri
hinaus, um sich in den frischen Fluten zu tummeln, während eine
Postenkette bewaffneter Krieger von weitem für ihre Sicherheit wachte.
Dieselben Mandans benutzten eine Art Ton als Seife, nördliche Atha-
pasken verwendeten ein ähnliches Mittel, Tapuyas in Brasilien
scheuerten sich mit Sand ab, während sich bei den Tupi sogar die
Sitte des Mundspülens findet. Die eine Hälfte ihres Lebens, sagt
Petrus Martyr, bringen sie auf dem Lande zu, die andere im Wasser.
Wie dem Baden der Neugeborenen, so lag auch diesen täglichen
Waschungen bei Alt und Jung beiderlei Geschlechts über ganz Amerika
in sehr vielen Fällen ein religiöser Sinn zugrunde oder war dunkel
mit ihnen verknüpft. Bei den Stämmen der Nordwestküste war dies
besonders ausgeprägt, die Cherokees hatten einen durchgebildeten
Flusskult mit Baden als religiöse Zeremonie. Der Sprung ins kalte
Wasser unmittelbar aus dem Dampfbade oder nach anstrengender
schweisserzeugender Tätigkeit findet sich bei den meisten Stämmen
Amerikas. Als gänzlich wasserscheu werden nur sehr wenige Indianer-
stämme bezeichnet; die nördlichen Athapasken waren es in erheb-
lichem Umfange, obwohl sie fast immer Wasser zur Hand hatten.
Im ganzen aber neigten die Indianer als Rasse in so hohem Grade
zu Baden und Waschungen, dass Gumilla und Catlin hierin einen der
Gründe gefunden haben, um sie mit den verlorenen zehn Stämmen
Israels in Verbindung zu bringen. Sie unterschieden sich vorteilhaft
von vielen Weissen und Mischlingen des heutigen Amerika, denen
nicht durchweg eine grosse Wasserfreudigkeit nachgerühmt wird.
Völker, die gern und viel baden, werden naturgemäss auf gutes
Schwimmen hohen Wert legen. Von der ersten Fahrt des Columbus
an ist denn auch das Lob der erstaunlichen Schwimmfertigkeit der
Amerikaner eine in fast allen Reisebeschreibungen wiederkehrende
Erscheinung. Sie schwammen den Entdeckerschiffen entgegen und
begleiteten in ihrer Einfalt die Abfahrenden schwimmend weite Strecken
ins Meer hinaus • mit kleinen Kindern im Arm oder Pfeil und Bogen
im Mund schwammen sie ebenso sicher und ausdauernd, wie sie eine
gekenterte Canoa wieder flott machten oder Schiffbrüchige über weite
Wasserstrecken hin retteten. Immer wieder werden sie in den Be-
richten mit Fischen, Krokodilen, Delphinen, Amphibien und Enten
verglichen. „Die Wasserräuber des Tocantins," sagt P. Daniel,
„werden von den Portugiesen Canoeiros genannt ; man sollte sie besser
Taucher heissen." Als sich die Expedition de Soto in Florida einer
Ansiedlung näherte, sprang das ganze Dorf ins Wasser wie Ovids in
Frösche verwandelte lykische 'Bauern. Durch Schwimmen unter Wasser
entkamen sie fast immer den verfolgenden Booten der Europäer; mit
eisernen Ketten schwer gefesselt stürzten sie sich während eines un-
bewachten Augenblicks in die See, nicht um zu ertrinken, wie die ent-
täuschten Spanier und Portugiesen meinten, sondern um wieder unter
ihren Landsleuten aufzutauchen und rachedürstend Krieg gegen ihre
Peiniger zu entfachen. Selbst Völker, die es kaum zu den Anfängen
einer primitiven Schiffahrt gebracht haben, wie Tapuya in Süd- Amerika
und Schlangen-Indianer in den Eocky Mountains, waren vortreffliche
Schwimmer.
Es liegt nahe, dass angesichts so erstaunlicher Leistungen die
Berichterstatter hie und da geneigt waren zu übertreiben. Eine Strecke
von 3 km zu durchschwimmen, war ganz gewöhnlich, rund 10 km und
ein halber Tag im Wasser sind gut beglaubigt; aber „einen Tag und
eine Nacht zu schwimmen", wie es für die Tupi versichert wird, dürfte
selbst im warmen Wasser der Tropen ohne Hilfsmittel zum Ausruhen
kaum denkbar sein. Noch schlimmer steht es in dieser Hinsicht mit
dem Tauchen-, fast unglaubliche Beispiele für die Fähigkeit der In-
dianer, lange unter Wasser zu sein, sind von einwandfreien Zeugen
— 5 —
überliefert worden, andere aber richten sich selbst. So sollen nach
einem alten ungenauen Auszuge aus Soares de Souza die Tupinambä
3 bis 4 Stunden unter Wasser bleiben können ; der wackere Barlaeus
berichtet genau dasselbe.
Die spanische Perlen -Fischerei in Amerika hat die Taucher-
fertigkeit der Indianer gründlich ausgenutzt.
Merkwürdig selten sind brauchbare Angaben über die Technik
des Schwimmens-, nur für die New England-Indianer, die Stämme der
westlichen Prärien und Plains, für die Thompson-Indianer, die Zoreisch
in California und für die Anwohner des unteren Colorado, für Botokuden
in Brasilien, Küstenbewohner von Peru und Araukaner liegen mir
solche vor. Da diese alle in ganz gleicher oder sehr ähnlicher Weise
schwimmen und keine Ausnahme verzeichnet ist, so nehme ich an,
dass die Masse der übrigen Indianer dieselbe Technik hatte.
Hiernach schwammen die Eingeborenen Amerikas nicht nach
unserer Art durch gleichzeitiges Teilen der Arme und Druck nach
unten, sondern etwa in der Weise, wie es ein edler Wasserhund tut.
Sie warfen die Arme abwechselnd einzeln weit nach vorn und hoben
und schoben sich durch Druck nach unten und hinten, wobei sich die
gewandten Schwimmer jedesmal auf die betreffende Seite legten, um
lang ausholen zu können und die Widerstands- und Reibungsfläche
zu vermindern. Die Beine arbeiteten dabei durch Froschstösse gleich-
zeitig, oder aber einzeln nacheinander im Verhältnis zur Bewegung
der Arme. Diese Art wird ja auch bei uns durch gute Schwimmer
leicht gelernt und kann in Badeanstalten jederzeit beobachtet werden.
Merkwürdig ist die Angabe des vorzüglichen Gewährsmannes Sproat, die
im Gegensatz zu allen mir sonst bekannt gewordenen Berichten steht,
dass nämlich die Indianer der Gegenden um Vancouver zwar gut
schwammen, aber nicht so schnell und leicht wie Europäer, und dass
sie im Wasser schwerer arbeiteten. Weit verbreitet war offenbar die
Kunst des Wassertretens. In allen den Fällen, wo sie im Wasser
schwimmend und kämpfend von Bogen und Pfeil Gebrauch machten,
können sie sich auf keine andere Weise gehalten haben. Besonders
die Insel-Caraiben waren ganz gefährliche Wasserkämpfer; schon auf
Columbus' zweiter Reise trat dies zu Tage. Einzelheiten aus einem
Seegefecht, dem der Missionar du Tertre als Augenzeuge beiwohnte,
sind ganz besonders kennzeichnend für die seetüchtigen Eigenschaften
dieser Piraten. Als ein alter Häuptling einen Pistolenschuss in die
Seite und durch den ganzen Körper hindurch erhalten hatte, sprang
er mit Bogen und Pfeilen in die See und kämpfte von hier aus gegen
die Franzosen weiter: „So schwer dieser alte Häuptling auch ver-
wundet war, so wendete er sich doch sogleich gegen uns, indem er
sich wie ein Triton mit dem Oberkörper aus dem Wasser erhob; er
hatte zwei Pfeile auf die Sehne seines Bogens gelegt, schoss sie in
unser Boot hinein und verschwand in demselben Augenblick wieder
unter dem Wasser. Unverzagt wiederholte er fünfmal denselben An-
griff, bis ihm die Kräfte versagten, aber nicht der Mut; wir sahen
ihn untertauchen und für immer verschwinden". „Zu Beginn des
Gefechts," sagt P. du Tertre weiterhin, „sah ich einen kleinen In-
dianer im Wasser, der nicht mehr als zwei Jahre alt sein konnte; er
schwamm brav mit seinen kleinen Armen, aber es war unmöglich, ihn
zu retten". Dieses Gefecht fand auf hoher See bei der Insel St. Chri-
stopher statt. Ein grosser Teil der Besatzung einer genommenen Kriegs-
Piragua rettete sich schwimmend nach der Insel Redonda, wobei
einige bis zum Abend, andere sogar bis zum nächsten Morgen im
Wasser waren. Viele von ihnen waren verwundet, darunter ein altes
Weib mit je einem Lanzenstich im Hals und in der Brust; auch sie
entkam.
Die gleiche Unverzagtheit zeigten die Indianer im Kampf mit
den Tieren des Wassers. Nicht nur dass sie aus den eiskalten Tiefen
der Magalhäes-Strasse und der Nordwestküste Austern, Seeottern und
schwere Störe herausholten oder in den milderen Gewässern der
Aquinoktial- Gegenden nach Schildkröten tauchten und sich mit riesigen
Katzenfischen herumschlugen, sondern sie griffen den Alligator und
Walfisch mit der blanken Waffe in ihrem Element an. Die Cola-
pissa am unteren Mississippi gingen den Alligatoren mit langen Hart-
holz-Dolchen zu Leibe, die Indianer Floridas griffen in den flachen
Küstengewässern die damals noch zahlreichen Wale mit Speeren und
Harpunen an, und wenn man P. Daniel glauben will, dann griffen
Tapuya-Stämme, die er Iranambes und Barbados nennt, die Haifische
mit dem „Zarguncho" erfolgreich im Meere an.
Erwähnt sein mögen noch die Wasserspiele, mit denen Tupl die
nahenden Missionare zum Empfang begrüssten, sowie die Wasserpost,
die Alexander von Humboldt gesehen und beschrieben hat.
Als Nichtschwimmer werden genannt: die Choctaws, die atha-
paskischen Kutchin, die von jedem grösseren Wasserlauf durch die
feindlichen Azteken abgeschnittenen Tlaxcalteken , die im Inneren
wohnenden Stämme der Halbinsel Californien, der Tapuya-Stamm der
Aimores und die Yahgans der Magalhäes- Strasse. Bei letzteren
konnten nur die Männer nicht schwimmen, während die Frauen vor-
zügliche Taucher waren. „Wenn wir versuchen würden zu schwimmen,"
sagten allen Ernstes diese Herren der Schöpfung, „dann würden
wir zweifellos untergehen, denn wir haben nicht die fetten Brüste
unserer Frauen, welche ihnen als Schwimmblasen dienen." Prinz
AVied hat geglaubt, das Nichtschwimmen der Aimores bestreiten zu
müssen, weil nach seiner Ansicht ganz naturgemäss jedes primitive
Volk schwimmen wird, sobald es überhaupt nur Gelegenheit hat. Aber
einmal kann man doch einen so guten Gewährsmann wie Soares
de Souza nicht einfach beiseite schieben, und dann liefern die Choc-
taws, die Kutchin und die Yahgan-Männer von sehr verschiedenen
Stellen des Kontinents ganz ähnliche oder gleiche Fälle. Die Kutchin
waren vortreffliche Fischer und Bootleute, während allerdings die
Choctaws erst im 18. Jahrhundert nur zögernd zum erstenmal aufs
Wasser gegangen sein sollen. Aber an Gelegenheit fehlte es ihnen
wahrlich nicht ; sie wohnten in der Mitte und dem Süden des heutigen
Staates Mississippi und hatten dort Wasser genug. Eine Erklärung für
diese Ausnahmen zu geben ist mir nicht möglich, denn im allgemeinen ist
der Satz des Prinzen Wied offenbar richtig; die des Schwimmens un-
kundigen Binnenbewohner von Unter-Californien liefern einen guten Be-
weis dafür, denn sie werden in unmittelbaren Gegensatz zu den Küsten-
bewohnern gestellt, die ausgezeichnete Schwimmer und Taucher waren.
Um zu einer richtigen Einschätzung der Leistungen der Indianer
im feuchten Element zu gelangen, darf nicht vergessen werden, die
Natur ihrer Gewässer zu berücksichtigen, die in den tropischen und sub-
tropischen Gegenden Amerikas voll von schädlichen und gefährlichen
Tieren sind. Der Stachelrochen, dessen giftige Schwanzspitze von den
Indianern mit Vorliebe zur Armierung ihrer Pfeile benutzt wurde, lag
unsichtbar verborgen im Sande und versetzte jedem eine lebensgefähr-
liche Wunde, der ihn berührte. Seine Häufigkeit in manchen Gegenden
zwang die Indianer, beim Durchschreiten von Gewässern immer vorher
mit einem Stock zu sondieren.
Zitteraale und Zitterrochen, von den Spaniern und Portugiesen
unter den Namen tembladores und tremelgas zusammengefasst, teilten
elektrische Schläge aus, die einen Mann derart betäuben konnten, dass
er ertrank. Richard Schomburgk fing einen gymnotus electricus von
2,13 m Länge und 45 cm Stärke; er sprach seine Überzeugung aus,
dass sein Schlag den stärksten Ochsen töten würde.
— 8 —
"Weit mehr gefürchtet aber als diese waren verschiedene Piraya-
Arten, die blutdürstigsten Fische der Tropen. Die Spanier der Chaco-
und La Plata-Gegenden nannten sie palometa, am Orinoco und in be-
nachbarten Gegenden waren sie als guacaritos oder caribes bekannt.
Die Portugiesen nannten sie piranha oder thezoura. Die Aruaks
huma, die Caraiben pira'i; letzterer Name ist in den Guayanas der
geläufigste. Ihre haarscharfen und dauerhaften Gebisse verwendeten
viele Indianerstämme zur Verfertigung ihrer Palometa- oder Piranha-
Messer, die an Schneidefähigkeit Stahlmessern kaum nachstanden.
Die gefährlichsten der Pygocentrus-Arten waren so gefrässig und rück-
sichtslos, dass sie beim geringstem Blutgeruch im Wasser aus beträcht-
lichen Entfernungen von allen Seiten herbeischnellten und das erste
beste lebende Opfer überfielen und zerfleischten. Besonders vorstehende
Körperteile waren ihren Bissen ausgesetzt : Finger und Zehen wurden
glatt abgeschnappt, Männer entmannt, Weiber ihrer Brüste beraubt
und häufig Personen so zugerichtet, dass sie bald darauf starben.
Die Gefährlichkeit des AlHgator oder Caiman ist hie und da
bestritten worden, wenn auch nicht so häufig wie die des Jaguar,
der, wie wir später sehen werden, zwar nicht den Badenden, wohl
aber den Schiffern im primitiven Amerika gefährlich werden konnte.
In beiden Fällen hat diese verschiedene Abschätzung gleiche Gründe:
wurden Alligator und Jaguar stark verfolgt, war also ihre Zahl ver-
hältnismässig gering und Nahrung für sie reichlich vorhanden, dann
waren sie dem Menschen ungefährlich; im entgegengesetzten Falle
waren sie sehr zu fürchtende Feinde, ganz besonders der Alligator
im Wasser. Gewisse Cnidaria-Arten, Quallen mit Nesselorganen, von
den Franzosen ecume de mer genannt, waren für die Insel- Caraiben
höchst lästige Meeresbewohner. Die Haifische vervollständigen diese
Gruppe der Schädlinge des Wassers.
Untersuchungen oder Äusserungen darüber, ob die Indianer unter
der sogenannten Seekrankheit zu leiden hatten, fehlen so gut wie ganz.
Es scheint fast so, als wenn sie dieser weit verbreiteten menschlichen
Schwäche wenig unterworfen waren. Zwar wissen wir, dass viele der
Unglücklichen, die von Columbus und seinen Nachfolgern nach Spanien
entführt wurden, während der Reise starben, ebenso wie sie in diesem
Lande selbst und überall dort massenhaft hinsanken, wo sie fern der
Heimat, unter ungewohnten Verhältnissen und in Knechtschaft waren.
Aber, dass Seekrankheit hierzu mitgewirkt hätte, wird, so weit ich sehe
nirgends erwähnt. Sie begleiteten die Conquistadoren und später die
— 9 —
Flibustier als Piloten und Dolmetscher auf ihren stürmischen Fahrten,
und man sollte meinen, es doch einmal erwähnt zu finden, wenn die
Indianer dieser Schwäche unterworfen gewesen wären. Nur Sir
Joseph Banks, der vortreffliche Beobachter, sagt von den Onas auf
Feuerland, dass man zwar von irgend welcher Schiffahrt bei ihnen
nichts bemerken konnte, dass sie aber an Bord der englischen Schiffe
nicht von der Seekrankheit ergriffen wurden.
Aus dem Vorstehenden wird sich ergeben haben, dass die körper-
lich kräftigen und im Wasser forschen Indianer von Natur aus fast
durchweg zu Seeleuten sehr gut geeignet waren. Dazu kommt eine
Eigenschaft, deren Besitz von hoher Bedeutung für den Seemann ist
und die einen weit grösseren Wert in den Zeiten beginnender Schiff-
fahrt hatte als in unseren Tagen.
Die Fähigkeit des Indianers, sich in jedem Gelände zurecht zu
finden, alle jene Eigenschaften, die im englisch sprechenden Amerika
unter dem Worte „woodcraft" zusammengefasst werden, und die der
„Baqueano" von den roten Kindern der Wildnis geerbt oder über-
nommen hat, sind zu wohl bekannt, als dass sie hier einer weiteren
Erörterung bedürften. Wohl kein grösseres Buch über das primitive
Leben des Indianers, das nicht den einen oder anderen Beitrag zu
diesem Thema brächte. Greneral Dodge sagt, dass er nur einen ein-
zigen Fall kenne, w^o sich ein Indianer verirrt habe, und, fügt er hinzu,
in diesem Falle hat jene „verirrte" Rothaut wahrscheinlich eine grosse
Lügengeschichte erfunden und erzählt, um eine in der Zwischenzeit
versuchte, aber missglückte Räuberei zu verdecken. Der Indianer reiste
nach den Himmelsrichtungen, Grestirnen, Yegetations- und Landmarken,
gewöhnUch schnurgerade wie der Flug der Biene. „La Pampa", hat
Domingo Sarmiento gesagt, „es la imäjen del mar en la tierra", sie
ist „das Ebenbild des Meeres auf dem Lande", und gerade hier, auf
den Pampas, Savannen, Prärieen und Plains, zeigte sich die Orientie-
rungskunst des Indianers in der Vollendung. Die ersten Europäer,
die je die grossen Plains betraten, die Gefährten Coronados, fühlten
sich völlig verloren auf diesen endlosen Flächen; viele von ihnen ver-
irrten sich tatsächlich. Nicht einmal die Arriere-Garde vermochte dem
breitgetretenen Pfade des Haupttrupps zu folgen, da das kurze,
trockene Gras sich so schnell wieder aufrichtete. Man errichtete daher
Haufen von Bison-Knochen und Dung als Wegweiser, um den Zusammen-
hang nicht zu verlieren. Der Vergleich mit dem Meere findet sich in
fast allen Berichten: „una tierra llana como la mar", „estos llanos.
— 10 —
que son como quien anda por la mar". Die Indianer aber führten mit
der grössten Sicherheit und Leichtigkeit. Die Teyas hatten zudem
ein Verfahren, das einem primitiven Topographen Ehre machen würde.
Morgens beobachteten sie den Stand der Sonne und stellten die Marsch-
richtung für den Tag fest; in dieser Richtung schössen sie dann
drei Pfeile so ab, dass beim Vormarsch immer der dritte über die zwei
liegenden nach vorn hinausflog; so war eine gerade Linie gesichert.
Dies Verfahren wendeten sie offenbar nur dann an, wenn absolut keine
Landmarken im Gelände vorhanden waren. Die California-Indianer
besassen eine sehr genaue Kenntnis der Himmelsrichtungen und übten
sich hierin bei jeder Gelegenheit. Zurufe während des Spiels beim
Suchen des Balles: „Nach Osten!", „Etwas nördlich!", „nun 3 Schritte
nordwest!" und ähnliches waren gang und gäbe. Der Indianer,
der nicht nur im Gebiet seines eigenen Stammes, sondern auch in
Nachbarländern viel herumkam und häufig weite Reisen machte, hatte
eine wunderbare Fähigkeit, sich das ein einzigesmal Gesehene ein-
zuprägen und sich in seinem Kopfe ein zutreffendes Gesamtbild grosser
geographischer Räume zu machen. Zu der oft gerühmten Kenntnis
der Nahua-Kaufleute, welche Mittel-Amerika bis nach Honduras, Nica-
ragua und Costa Rica hinein kannten, bildet das geographische Wissen
der Algonquins am unteren St. Lawrence keine schlechte Parallele.
Die riesigen Gebiete der grossen kanadischen Seen waren ihnen geläufig,
sie kannten den südlichen Handelsweg, der über Oswego zur Chesa-
peake-Bai führte, und hatten eine dunkle Ahnung von einem grossen
Fluss des Westens. Die Existenz des Mississippi hinwiederum war
im Pueblo Pecos bekannt. Die Jugend erhielt Unterricht von den
Alten in praktischer Landeskunde, die sich keineswegs auf die lokale
Ortskenntnis beschränkte, und wenn einzelne Stämme über bestimmte
Grenzen nicht hinauskamen und sich einen engen geographischen
Horizont bewahrten, so hatte dies gewöhnlich besondere politische
oder verkehrsgeographische Gründe. Auch sind Angaben in dieser
Hinsicht nicht immer einwandfrei. Entlang der Westküste von Süd-
Amerika, etwa von den Islas de las Perlas nach Süden, vollzog
sich ein lebhafter Seehandel, besonders in Salz und Fischen. An-
dagoya erzählt, dass durch diesen Verkehr die Kaufleute auf der
Westseite von Darien eine geographische Kenntnis der ganzen West-
küste von Süd- Amerika bis etwa zur Breite von Cuzco hinab besassen.
Sollte man da nicht wirklich meinen, die beiden Halbkulturvölker der
Neuen Welt müssten eine, wenn auch vielleicht nur dunkle gegenseitige
— 11 —
Kenntnis von ihrer Existenz gehabt haben? Oder hat die nur schmale
und nicht hohe, aber wüste Gebirgskette, die zuerst Baiboa überschritt,
die Grenze ihres geographischen Wissens dargestellt?
Einen Niederschlag dieser Fähigkeit haben wir in den geographischen
Karten der Indianer ; eine sehr erhebliche Zahl von ihnen ist uns durch
Bild oder gute Beschreibung erhalten. Sie zeichneten in Sand oder
Asche, auf Rinde, Holz, Leder, Papier, mit dem Finger oder einem
Stock, mit Holzkohle oder Bärentalg. Die Nahua fertigten farbige
Karten an, die Inkaperuaner Reliefkarten aus Ton, kleinen Steinen
und Stöckchen. Meistens waren diese Karten Itinerare, in denen
besonders die Wasserwege, Flüsse und Seen mit ihren Trageplätzen
auftraten-, ganze und halbe Tagemärsche wurden eingetragen, Furten
oder Wasserplätze verzeichnet. Die Nahuas und Inkaperuaner hatten
auch Katasterkarten und bis ins einzelne gehende Stadtpläne.
Am bekanntesten sind wohl die Karten der Nahuas geworden;
Cortes, Bernal Diaz, Gomara, haben ganz besonders von ihnen erzählt.
Einige Exemplare kamen bald nach der Conquista nach Spanien, wo
sie Petrus Martyr sehen und prüfen konnte; er hat uns von ihnen
eine ebenso begeisterte Beschreibung hinterlassen wie später Barros
von seiner chinesischen Karte der Grossen Mauer. Das Kartenwesen
war weit verbreitet unter den Nahua-Yölkern ; bei den Tarascos in
Michuacän mussten die Patrouillen gegen den Feind über den Erfolg
ihrer Erkundung durch eine Art von Meldekarte mit Kartenskizze
berichten. Cortes ist mit Hilfe einheimischer Karten und seiner be-
rühmten aguja de marear durch Tabasco, Chiapas und Vera Paz bis
nach Honduras durchgedrungen, konnte unterwegs, auf den Grenzen
von Chiapas und Vera Paz, sein Karten-Material vervollständigen und
rückte so mit einem Heere durch ein weites, wüstes Gebiet, dessen
Bezwingung noch heutzutage einem einzelnen Forscher Ehre macht.
Die Chibchas sollen das Anfertigen von Karten nicht verstanden haben.
Unter den niedriger stehenden Stämmen scheinen in Nord- Amerika
die Algonquins die besten Kartenzeichner gewesen zu sein, unter ihnen
wieder die Montagnais, Micmacs und Chippeways; überhaupt sind die
meisten und achtbarsten kartographischen Leistungen da zu verzeichnen,
wo das meiste Wasser ist, bei den Irokesen, Algonquins und Sioux
von Virginia und den Carolinas, in den Ländern der Hudsons-Bai-
Compagnie und an der Nordwestküste. Aber auch die Prärieen, die
trockenen Plains und die Durststrecken von New Mexico und Arizona
sind nicht ohne Kartenzeichner: Dakota, Pawnee, Comanche, Pai-Ute
— 12 —
und Zuni mögen erwähnt sein. Alarcön, Champlain, Lawson, Mackenzie,
Petitot wurden durch gute Karten der Eingeborenen ganz wesentlich
bei ihren Entdeckungen gefördert. Indianer von New Hampshire
lieferten Champlain eine gute Karte der Massachusetts-Bai, Maine-
Indianer in den Tagen Gosnolds und Micmacs einer späteren Zeit ver-
standen es, die Küsten von New Foundland und Nova Scotia mit allen
ihren vielen Buchten zu zeichnen, während Sir John Franklin von
nördlichen Athapasken eine gute Küsten-Skizze erhielt. Genannt sein
mögen noch die „letter-maps", Rindenstücke mit Bilderschrift und
Kartenskizzen, die man als Wegweiser für Nachfolgende oder Stammes-
angehörige an leicht erkennbaren Orten zurückliess. In Ratsversamm-
lungen vor Kriegszügen oder gemeinsamen grossen Jagden wurden
häufig Karten herbeigebracht oder hergestellt, um an ihrer Hand An-
ordnungen zu treffen.
Aus Süd- Amerika sind die Nachrichten über Kartenzeichnen weit
weniger zahlreich, jedoch ist diese Tatsache wohl mehr einem Zufall als
minderer Beanlagung jener Eingeborenen gutzuschreiben; ihre Fähig-
keit in dieser Richtung mag weniger zutage getreten sein, ihre Kunst-
produkte mögen von den alten Berichterstattern weniger beobachtet,
gewürdigt und beschrieben worden sein. Jedenfalls wissen wir, dass
Tupi und Tapuya in Brasilien, sowie Tehuelchen in Patagonien recht
genaue Karten zu zeichnen verstanden.
Der gestirnte Himmel war den Indianern Amerikas bei ihren
Wanderungen, Reisen und Kriegszügen der beste Wegweiser, war ihre
Uhr. Die Natur des Polarsternes war den Stämmen der nördlichen
Halbkugel wohlbekannt. „Der Stern, welcher stillsteht", so nannten ihn
die Irokesen und die Völker des Missouri-Tales. Wie das südliche
Kreuz den Indianern Süd-Amerikas, ihren mischfarbenen und weissen
Erben als Uhr dient, hat wohl niemand schöner beschrieben als
Alexander von Humboldt, wenn er an die rührende Szene in Bernardin
de Saint-Pierre's „Paul etVirginie" erinnert und an die oft gehörten
Worte seiner Führer in den Wildnissen des Orinoco: „Mitternacht
ist vorüber, das Kreuz längt an sich zu neigen."
Im Norden wie im Süden waren die Plejaden vielleicht die be-
kannteste Sterngruppe ; in der Zeitrechnung und im Kult, in Sagen und
Überlieferungen spielten sie eine wichtige Rolle. Morgen und Abend-
stern, Grosser Bär, Kassiopeia, Perseus, Fuhrmann, Krone, Aldebarän
gehörten zu den bekanntesten Gestirnen und Sternbildern im Norden.
Die von den Irokesen „Lomme" genannte Konstellation scheint unsere
— 13 —
„Leier" zu sein. Die Sterne a bis d unseres „Grossen Bären" stellten
für die Irokesen einen Bären dar, welcher von den drei Jägern e, g, ?/
verfolgt wurde; der kleine Reiter aber über g stellte den Kochkessel
der drei Jäger vor, welchen dieser mittelste Mann für sich und seine
Genossen zu tragen hatte.
Die Pawnees der grossen Plains hatten einen ausgebildeten Stern-
kult; eine auf Bisonhaut gemalte Himmelskarte, die zu einem beim
Morgensternfeste verwendeten Zeremonial- Apparat gehörte, befindet
sich im Museum zu Chicago. Die Mayas kannten vielleicht sogar die
ümlaufszeiten einiger Planeten. Schon ein oberflächliches Studium
von Bretons vorzüglichem Caraiben-Lexikon zeigt, wie gute Beobachter
des gestirnten Himmels die Insel-Caraiben gewesen sein müssen; du
Tertre bestätigt diesen Eindruck. Ihre Vettern in Guayana, die
Galibi, scheinen ihnen in dieser Hinsicht nicht nachgestanden zu haben,
wie denn auch die Caraiben am Xingü und Nachbarstämme gute
Sternbeobachter waren. Die Tupinambä, sagt Yves d'Evreux, kennen
alle Sterne ; ähnlich scheint es sich bei den meisten Stämmen Süd-
Amerikas verhalten zu haben. Sie kannten die obengenannten Stern-
bilder, soweit sie ihnen sichtbar wurden, dazu Orion, Skorpion, Cen-
taur, Magalhanische Wolken. Die Milchstrasse war überall bekannt.
Die Scliiffstypen.
Für die Schiffahrt in ihren Uranfängen bietet die Völkerkunde
Amerikas eine gute Zahl von Beispielen. Hatten die Mojaves am
unteren Colorado kein Material zur Stelle, um ihr übliches Fahrzeug,
ein Binsen-Floss, herzustellen, dann warfen sie den ersten besten Ast
oder Baum ins Wasser, um mit seiner Hilfe ihre Personen und ihre
Habe über den Strom zu bringen. Ebenso machten es in augen-
blicklicher Ermangelung ihrer Boote die Indianer auf dem Isthmus
und die Maynas-Stämme am oberen Amazonas und an seinen Neben-
gewässern. Haben sie kein Boot oder Floss zur Verfügung, sagt
P. Daniel, so genügt ihnen jedes beliebige Stück Holz, um sich
mit Kind und Kegel einzuschiffen und den Amazonas mit Sicherheit
zu befahren, höchstens zuweilen von einem Alligator angegriffen. Ein
Bündel Blattstiele von der Buriti-Palme, das sie an ihrem Leibe be-
festigen, genügte den sogenannten Canoeiros des Tocantins, um mit
ihrer Hilfe in stärkster Strömung stundenlang auf dem Wasser zu
— 14 —
treiben. Man hat gesehen, wie diese Wassermenschen sich mit einem
Ast ins Wasser stürzten, einen dahertreibenden Baumstamm ergriffen
und auf ihm reitend, mit dem Knüppel als Pagaje, dieses Fahrzeug
mit ungeahnter Schnelligkeit über den reissenden Strom trieben.
Stämme der Mataco-Mataguayo- Gruppe besassen überhaupt kein anderes
Grefährt als ein solches improvisiertes; die Kräftigen und Gesunden
hingen sich daran, das Gepäck wurde hinaufgetan, kleine Kinder
sassen auf den Köpfen ihrer Mütter, Kranke und Schwache erhielten
Unterstützung, und so zog der ganze Stamm über die breitesten Flüsse.
In Manta, Peru, benutzten die Fischer einfache Balken beim Aus-
werfen ihrer Strand -Schleppnetze. Der mit Rindenzeug spärlich
bekleidete Yuracare-Indianer wirft einen leicht schwimmenden Balken
in den schäumenden Chimore und eilt auf diesem „caballito" unver-
zagt über die Fluten des Stroms. Die Moxos haben denselben Aus-
druck für „schwimmen mit Hilfe eines Stückes Holz oder einer
Kalabassa" und lür „fahren auf einem Floss" ; bei manchen anderen
Stämmen liegt sicherlich ein ähnliches Verhältnis vor.
Ehe an die Untersuchung der Schiffstypen herangegangen wird,
müssen noch einige allgemeine Bemerkungen über die zur Verfügung
stehenden Quellen vorausgeschickt werden. Es ist klar, dass angesichts
der zum Teil sehr schnellen und gründUchen Veränderungen, die der
Einbruch der Europäer unter den Indianern Amerikas hervorrief, den
ältesten Berichten der höchste Wert zukommt. Bessere Erkenntnis,
ein erweiterter Gesichtskreis, eine tiefere Weltanschauung spiegeln sich
in den Schriften späterer Zeiten wieder und stempeln sie zu höher-
stehenden kulturhistorischen und ethnographischen Arbeiten, aber es ver-
mag ihnen dies nicht den grossen Vorsprung zu ersetzen, den die
ältesten Nachrichten dadurch haben, dass sie die Völker Amerikas in
ihrer unverfälschten Ursprünglichkeit schildern. Für manche Probleme,
z. B. die Kenntnis des präkolumbischen Segels, sind sie allein be-
nutzbar.
Es ist natürlich, dass gleichaltrige Quellen für ethnologische
Untersuchungen nach verschiedenen Richtungen hin von ungleichem
Wert sein werden, je nach der Stellung und den besonderen Interessen
des Berichterstatters. Für eine Untersuchung über die Schiffahrt
stehen daher Angaben der Seeleute dem Wert nach in erster Linie,
aber die der Soldaten treten in unserem Falle kaum an Bedeutung
gegen sie zurück ; ohne sie würde die Geschichte der primitiven Schiff-
fahrt Amerikas die allergrössten Lücken aufweisen. Weit weniger
— 15 —
nutzbringend sind die Berichte der alten Geistlichen und Missionare ^ ;
die Schiffahrt interessierte sie offenbar wenig, sie widmeten sich Unter-
suchungsgebieten, die ihnen näher lagen. Vergeblich suchen wir bei
Roman Pane, Juan Diaz, Sahagün, Carvajal, um nur ein paar Namen
^ Ich sage dies, obwohl ich fürchten muss, wieder den Zorn meines Kritikers
im „Anthropos" (II, 340—341) herauszufordern. Ich muss gestehen, dass ich
derartige Angriffe von dieser Seite nicht erwartet hatte. Ich habe nicht nur mehr-
fach in meinen Schriften die hohen Verdienste der katholischen Missionare ganz
besonders hervorgehoben und sie gegen nicht gerechte Urteile verteidigt, („In-
dianer und Anglo-Amerikaner", S. 143—144 ; — „Globus", Bd. XC, No. 17), sondern
ich habe noch vor wenigen Monaten ganz dieselben oder geistesverwandte Namen
als Muster ethnographischer Forschung hingestellt („Globus", Bd. XC, No. 18),
die mir jetzt jener Herr im „Anthropos" zu meiner Belehrung vorführen zu müssen
glaubt. Wenn ich solche Feststellungen mache, dann erhalte ich in der katholischen
Presse einen öffentlichen Lobstrich, um den ich mich nicht bemüht habe (Kölnische
Volkszeitung), wenn ich aber derselben ehrlichen Überzeugung entsprechend Aus-
stellungen mache, daun fällt mich der Amerikanist des „Anthropos" au. Warum
tritt jener Kritiker nicht auch für die Offiziere und Soldaten ein, gegen die ich
doch dieselben Einwürfe gemacht habe, wie gegen die Geistlichen ? Hat die ältere
katholische Mission in Amerika — denn nur von den älteren Berichten war die
Rede — bessere Namen aufzuweisen, als Cortes, Diaz del Castillo, Oviedo, Cieza
de Leon, Cabeza de Vaca, Hans Stade, Soares de Souza und viele andere mehr?
Wenn ich gegen Männer dieser Art etwas sage, dann verliert der Amerikanist des
„Anthropos" kein Wort, wenn ich aber gegen katholische Missionare Einwendungen
erhebe, die gar kein Tadel sind, dann bin ich „ein Neuling in der Amerikanistik,
mit wunderbarer Spezialisten-Einseitigkeit". Verlangt jener Herr einen anderen
kritischen Massstab für die Geistlichen, als für die Offiziere, Beamten und Gelehrten ?
Das dürfte wenig im Sinne jener wundervollen Missionare sein, deren Arbeiten zu
den Zierden der ethnographischen Literatur gehören. Ist es ihm denn gar nicht
zum Bewusstsein gekommen, dass er durch die einleitenden Sätze seiner Kritik
einen geradezu klassischen Beweis für meine ihn so kränkende Behauptung bei-
bringt, dass die Geistlichen im allgemeinen keinen Sinn für kriegerische Dinge
haben? Was würde mein Kritiker wohl sagen, wenn ich die Besprechung einer
seiner Arbeiten mit dem Worte „von dem berühmten Fleisse, der einer besseren
Sache würdig gewesen wäre" beginnen würde, um dann mit einem gewissen Wohl-
wollen begütigend hinzuzufügen: „allerdings ist es schliesslich doch wieder erklärlich :
er ist nur im Nebenamt Ethnologe, im übrigen ist er katholischer Priester" ? Ganz
genau so behandelt er mich. Nicht ein Wort von dem, was ich gesagt habe, nehme
ich zurück, sei es zum Lobe, sei es zum Tadel. Gerade weil ich die Berichte der
alten Geistlichen kenne und für sie eingetreten bin, wo sich Gelegenheit bot, darf
ich mir solch ein Wort erlauben.
Im übrigen überlasse ich es vertrauensvoll den Fachgenossen, sich ein Urteil
darüber zu bilden, wer durch jene Besprechung im „Anthropos" als „N^ling in
der Amerikanistik kompromittiert" worden ist.
— 16 —
zu nennen, nach den Aufklärungen, die wir schmerzlich vermissen und
die zu geben sie in der Lage gewesen wären. Nur da, wo sie aus
den Aufzeichnungen und Erzählungen von Seeleuten schöpfen konnten,
wie Las Casas und Bernäldez, haben auch sie für unsere Untersuchung
das grösste Verdienst. Ganz anders gestaltet sich die Sachlage in
späteren Jahrhunderten : Die Soldaten sind aus der Reihe der für uns
wichtigen Quellen so gut wie verschwunden, die Seeleute wiederholen
vielfach nur, was ihre Vorgänger schon gesagt haben, aber die Mis-
sionare verbreiten eine Fülle neuer Kenntnisse, besonders durch ihre
linguistischen Arbeiten.
Die Balsa.
Amerika ist ein ausgezeichnetes Feld für das Studium der ver-
schiedenen Arten von Flössen-, in mannigfachen Formen und unter
wechselnden Namen sind sie dort verbreitet gewesen und zum grossen
Teil noch heute vorhanden.
Nach Kardinal Saraiva stammt das Wort „balsa" aus dem
Griechischen, nach Caldas Aulete aus dem Baskischen, nach Du Gange
aus dem Spanischen. Rafinesque hat es aus der Sprache von Haiti
und Cuba hergeleitet; Bachiller y Morales und Aristides Rojas machen
diese Auffassung zu der ihrigen. Aber alle drei sind keine Autoritäten
auf dem Gebiete der Sprachen-Etymologie. Aus dem Caraibischen
stammt das Wort sicherlich nicht.
Der Ausdruck „piperi" stammt nach Lery aus der Sprache der
Tupi; auf den französischen Antillen hat man ihn dann auf die kleinen
Fischer-Flösse der Caraiben übertragen, an denen er hängen geblieben
ist. Im portugiesischen Amerika ist „jangada" die geläufigste Form
für ein Floss, daneben auch balsa ; die französischen Kanadier nennen
es ein „cajot".
Eine Etymologie dieser Worte zu versuchen, oder bereits auf-
gestellte zu untersuchen, kann nicht Aufgabe dieser Arbeit sein. Ein
solches Unternehmen erfordert tiefe und weitumfassende linguistische
Kenntnisse und ist um so schwieriger, weil im Zeitalter der Ent-
deckungen von Anfang an Worte aus den Sprachschätzen des neu-
gefundenen Orients nach Amerika hinübergebracht wurden. Findet
man doch zuweilen das Wort „catamaräo", das noch heute von Ceylon
bis Formosa gang und gäbe ist, in alten amerikanischen Reisebeschrei-
bungen. Diese AVorte des Orients sind aber wiederum selbst nicht
einmal rein, denn arabische und malayische Spracheinflüsse haben sich
— 17 —
hier gekreuzt. Besonders bei Ausdrücken der Schiffer spräche liegt stets
ein solcher Verdacht vor.
Die am meisten verbreitete und überall verstandene Bezeichnung
für ein Floss jeder Art war über ganz Amerika das Wort balsa
(spr. Walssa). Die Spanier wendeten es nicht nur da an, wo Flösse bei
den Eingeborenen vorhanden waren, sondern auch dort, wo sie die
Entdecker bei Flussübergängen und ähnlichen Gelegenheiten improvi-
sierten, während die Indianer solche Fahrzeuge gar nicht besassen.
Von den verschiedenen Flussnamen mit dieser Zusammensetzung ist
der Rio de las Balsas in Mexico am bekanntesten; auch der Ama-
zonas hat zeit- und streckenweise diesen Namen geführt. Das Wort
Balsa soll daher auch in dieser Abhandlung die Bezeichnung für das
amerikanische Floss sein.
Die Balsas Amerikas waren nach Form, Material und Herstellung
sehr verschieden von einander; will man sie einteilen, so ergeben sich
die folgenden Gruppen, zwischen denen aber nicht immer eine reinliche
Scheidung besteht: Binsen-Balsas, Kalabassen-Balsas, Tierhaut-Balsas,
Balken-Balsas , Bambus-Balsas , und schliesslich eine Gruppe, deren
einzelne Unterarten sich teils an eine oder mehrere der vorgenannten
anlehnen, teils nicht wichtig und häufig genug sind, um eine besondere
Abteilung zu bilden; sie alle zeigen keine charakteristische Form,
sondern werden für den augenblicklichen Gebrauch aus dem Material
hergestellt, das gerade zur Hand ist, und werden daher vielleicht
Gelegenheits-Balsas genannt werden können.
Wohl die interessanteste dieser Gruppen stellen die Binsen-Balsas
dar, die über Amerika weit verbreitet waren und über die wir ver-
hältnismässig vorzügliche Nachrichten haben. Hätte Lafitau sie ge-
kannt, so hätte er sich nicht den Kopf darüber zu zerbrechen brauchen,
wie wohl in aller AVeit die ägyptischen Papyrusboote zu erklären seien;
denn ihnen ähneln diese Balsas in ganz auffälliger Weise. Das Binsen-
kästchen, in welchem Moses von der ägyptischen Königstocher gefunden
wurde, besass in der Neuen Welt sein Gegenstück. Die Binsen-
Balsas Amerikas sind in der Hauptsache in drei Punkten alle unterein-
ander gleich: zunächst finden sie sich nur an der Westseite des
Kontinents, zweitens bestehen sie alle aus demselben oder sehr ähn-
lichem Material und drittens sind sie alle nach demselben oder ganz
ähnlichem Prinzip erbaut.
Verfolgen wir ganz allgemein und in grossen Zügen ihr Vor-
kommen von Norden nach Süden, so ergibt sich folgendes: Während
Studien und Forschungen I. 2
— 18 —
sie bei den Thompson-Indianern in Britisch-Columbia und bei den
Klamath von Oregon und Nord-California zwar vorhanden waren,
aber nur eine untergeordnete Rolle spielten, stellten sie in grossen Teilen
des heutigen Staates California das einzige Fahrzeug dar und waren
selbst dort sporadisch vorhanden, wo leistungsfähige Boote die See
befuhren ; so am Santa Barbara- Kanal. In weiten Gebieten des Hinter-
landes, besonders am Tulare-See bei den Yokuts und am Clear Lake
bei den Porno, sowie bei Shoshone-Stämmen im westlichen Nevada
waren sie das einzige Gefährt. Das klassische Land der Binsen-Balsa
in Nord-Amerika ist aber die Halbinsel California mit näherer Um-
gebung. Hier finden wir sie zunächst an der Aussenseite bis hinunter
zur Gegend nördlich der Islas de los Cedros; die Einwohner dieser
Inseln befuhren die See mit dicken Balken-Balsas. Unmittelbar süd-
lich jedoch, an der Punta San Eugenio, beginnt wieder die Zone der
Binsen-Balsa, um sich etwa bis zur Bahla de la Magdalena hinab zu
erstrecken. Von hier nach Süden, um Kap San Lucas herum und
weiter nach Norden bis in die Gegend von Kap Santa Cruz haben
wir ein geschlossenes Gebiet der Balken-Balsa. Von hier aus jedoch
weiter nach Norden bis zur Mündung des Rio Colorado, diesen Fluss
hinauf im Gebiet der Yumas und Mojaves, dann wieder zurück die
ganze Ostküste des Golfs von Californien, die Insel Tiburön, die
Sonora-Küsten und südwärts bis nach Sinaloa hinein haben wir ein
riesiges Verbreitungsgebiet der Binsen-Balsa. In Corazones, Sinaloa,
sah Cabeza de Vaca Balsas, deren Charakter er jedoch nicht näher
angibt. Man kann wohl annehmen, dass es kunstlose Holzflösse waren ;
denn wären es Binsen-Balsas gewesen, so würde er solche seltsamen
Gefährte wohl näher beschrieben haben. Diese Auffassung wird durch
die Tatsache gestützt, dass im ganzen mittleren Mexico zwar Binsen-
Balsas vorhanden waren, aber nur ganz sporadisch.
In Süd- Amerika finden wir diese Art Fahrzeuge zunächst unmittel-
bar unter dem Äquator bei den Passaus, einem Fischervolke so wüst
und wild, dass sich der Inka Huayna Capac geweigert haben soll, es
seinem Reiche anzugliedern. An den Küsten von Peru und Chile
waren die Binsen-Balsas weitverbreitet, ohne dass sich aber genau sagen
Hesse, an welchen Stellen sie vorhanden waren und wo nicht. Es
wird sich dies besonders nach dem Vorhandensein des Baumaterials
gerichtet haben; auch hatte man an vielen Orten verschiedene Typen
von Balsas nebeneinander. Die Gegenden um Trujillo und das mittlere
Chile sind besonders bekannt geworden wegen ihrer zahlreichen und
— 19 —
charakteristischen Binsen-Balsas. Auf den Binnengewässern, besonders
auf den Seen, waren fast ausschliessHch nur sie im Gehrauch; die
Uros des Titicaca lebten auf ihnen, Pehuenchen befuhren mit ihnen
den Nahuelhuapi, und Guarpes die Laguua de Guanacache nördlich
Mendoza.
Am weitesten nach Osten vorgerückt sind die Binsen-Balsas der
Guajibos am Rio Meta, in der Gegend der Casanare-Mündung. Diese
hingen jedoch mit den übrigen offenbar nicht zusammen und scheinen sich
auch durch Material und Form nicht unwesentlich von ihnen unter-
schieden zu haben.
Das Prinzip der Herstellung dieser Balsas war, wie schon erwähnt,
im allgemeinen das gleiche. Das Baumaterial, Binsen, Schilf, Röhricht,
in California in der Hauptsache Tule, in Peru Tötora genaont, wurde
zu langen faschinen- oder walzenförmigen, nach den Enden aber spindel-
förmig in dünne Spitzen auslaufenden Körpern zusammengebunden.
In der Titicaca-Gegend war der Verlauf des einen Endes der Rolle
nicht gleich dem des anderen, sondern das für den Bug der Balsa
bestimmte lief flacher und spitzer zu, das hintere Ende war stumpfer ;
die einzelnen Rollen hatten hier also etwa die Form gewisser langer
Zigarren. Je nach der geplanten Grösse des Fahrzeugs wurden nun
zwei, drei oder mehr von diesen Rollen so nebeneinander gefügt, dass
sie etwa die Gestalt einer Gondel erhielten. Die kleinsten dieser
Balsas, die „caballitos" in Peru, bestehen aus ein bis drei Rollen, die
Fahrzeuge der Umwohner des Golfs von CaHfornia haben deren drei,
während für die grossen Totora-Balsas des Titicaca eine grössere An-
zahl verwendet wird. Waren es ihrer drei, dann bildete die mittelste
in gewisser Weise den Kiel, während die beiden anderen halb seit-
wärts und halb darüber so darangebunden wurden, dass sie die Planken
darstellten. Die Spitzen gingen als Bug und Heck ziemlich spitz nach
oben, und zwar je steiler, je mehr sich die durch Passagiere oder
Warenballen in der Mitte belastete Balsa in das Wasser hineinsenkte.
Auf dem Lande sah eine solche Balsa aus wie eine aufgehängte Hänge-
matte, auf dem Wasser wird sie häufig mit einem Schwan verglichen.
Sie ähnelte einem Boot, einer Gondel, und keinesfalls einem Floss; dieses
Wort würde einen ganz falschen Begriff von ihrer Form nahelegen.
Im einzelnen waren die Formen lokalen Einflüssen unterworfen:
diese hatten ein stumpfes Heck, anderen war auch der spitze Bug
gestutzt; einige glichen vollkommen einer Gondel, andere zeigten An-
näherung an Flossform. Die grossen Titicaca-Balsas, aus vielen Rollen
— 20 —
Tötora aufgebaut, waren 472 bis 6 m lang und 3 bis 37^ m breit, sie
konnten mehrere Güter-Ballen tragen und bildeten die Unterlage der
Schiffsbrücken. Die Seri-Balsas zeigten Längen von 3 bis 9 m, eine
Breite von rund 1,2 m und eine Tiefe von 7^ ni. Eine solche im
National-Museum zu Washington befindliche Binsen-Balsa wiegt trocken
113 kg, nass 126 kg; sie trägt eine Besatzung bis zu 4 Personen mit
einem Gesamtgewicht von 272 kg. Da das Fahrzeug biegsam ist und
im Wasser nachgibt, so ist, wie schon angedeutet, seine Figur je nach
der Schwere der Last verschieden. Wegen dieser Nachgiebigkeit sind
sie aber ausserordentlich seefähig. Fast ihr einziger Nachteil in
ihrer Art ist das Nasswerden von oben und bei schwerer Ladung
auch von unten. Die kleinsten Balsas dieser Art, die „caballitos" der
peruanischen Küsten, aus einer oder gewöhnlich 2 Rollen Tötora be-
Seri-Balsa: nach McGee.
stehend und so schmal, dass sie der sitzende Schiffer mit den Beinen
zum Rudern umfassen kann, tragen nur 1 bis 2 Personen, jedoch
können die grösseren auch unter ihnen, wenn sie aus 3 Rollen Tötora
bestehen , 2 bis 3 Ballen Güter tragen. Eine grössere Anzahl von
Binsen-Balsas zusammengekoppelt wird zum Viehtransport verw^endet.
Fortbewegt werden sie je nach ihrer Gestalt und Grösse, nach Art
und Tiefe der Gewässer und nach der Schwere der Ladung, mit den
Unterschenkeln als Ruderwerkzeuge, durch Doppel-Pagaje, Pagaje oder
Staken; sie konnten so schnell sein, dass „sie zu fliegen schienen".
Segeln ist bei allen Binsen-Balsas so gut wie ausgeschlossen, obwohl
d'Orbigny Binsensegel erwähnt. Ihre Entstehung verdanken sie der
Holzarmut ihrer Heimat; Kino und Gilg im Seri- Lande fanden es
unmöglich, auch nur das einfachste Fahrzeug zu bauen, um nach der
Halbinsel California überzusetzen. Aber ihre schon genannten guten
Eigenschaften, denen noch leichte Herstellungsart und Billigkeit beige-
— 21 —
fügt werden mögen, haben ihnen auch in Gegenden ein Dasein gewährleistet,
wo wohl vorgeschrittene Fahrzeuge hätten gebaut werden können. Die
Indianer befuhren mit ihnen furchtlos die See und gingen sogar hin
und wieder über den Golf von California.
Anschliessend an die Zone der Binsen-Balsas am unteren Colorado
und teilweise mit ihr zusammenfallend fand sich das Gebiet der
Binsen-Körbe bei denYumas, Pimas, Cocomaricopas. Die grösseren unter
ihnen, von den Spaniern Coritas genannt, wurden als Fahrzeuge benutzt,
die kleineren als eine Art Schwimmblase unter je einem Arm. Teils
waren sie wasserdicht geflochten, teils mit Lehm oder Pech beschmiert
und glichen so vollständig dem kleinen Binsenkörbchen, in welchem
die Tochter Pharaos den kleinen Moses fand. Weiter im Innern, bei
den Mojaves, Apaches, Pai-Utes, am Tulare-See, war das Charakte-
ristische der Formen meistens verwischt; „rohe Tröge" werden sie
genannt oder als Binsen-Balsas beschrieben, die lediglich ein ungestaltetes
Floss erkennen lassen.
Zum Übersetzen über Flüsse wurden vielfach sowohl im Inkareich
als auch in den Nahua-Gebieten Kalabassen-Balsas verwendet. Durch
ein Netz bei den Inkaperuanern, durch einen Bambusrahmen bei den
Nahuas wurden die grossen hohlen Schalen der Früchte des Kalabassen-
Baumes in der Weise dicht zusammengefügt, dass sie eine Plattform
von 1,25 bis 1,50 m oder auch mehr im Quadrat bildeten. Hierauf w^urde
in den meisten Fällen eine möglichst wasserdichte Schicht von Zweigen
oder Gräsern gelegt. Vorn befand sich eine Art Zuggeschirr, dessen
Stirnband ein schwimmender Indianer vor den Kopf nahm, während
andere Schwimmer das Gefährt von hinten schoben. So wurden
'Passagiere und Gepäck mehr oder weniger trocken selbst über schnell-
fliessende Wasserläufe gebracht.
Die Tierhaut-Balsa war auf langen Strecken der Westküste von
Süd- Amerika das gebräuchlichste Wasserfahrzeug, in der Provinz Are-
quipa, an den Atacama-Küsten, in den Meeresstrichen von Concepciön,
im südlichen Chile. Ein solches Gefährt besteht aus zwei abgezogenen
Seelöwenfellen, die wieder zusammengenäht, aufgeblasen und luftdicht
verschlossen werden. Schwimmend ist jede einzelne Haut einer Gondel
nicht unähnlich. Sie werden nun unter einem sehr spitzen Winkel
so aneinander gekoppelt, dass sie am Bug erheblich näher zusammen
sind als am Heck. Auf ihnen wird mittelst Stangen und Riemen eine
kleine Plattform hergestellt, auf welcher der Schiffer Platz nimmt, um
seine Balsa von hier aus mit einer Doppel-Pagaje fortzubringen. Sie
— 22 —
tonnen eine Länge von 2,75 m erreichen und 4 Personen mit Gepäck
tragen. Sie wogen ausgezeichnet auf dem Meere und sind sehr
sicher. Bei günstigem Winde können sie sogar ein kleines Segel benutzen,
sind dagegen bei widrigen Winden wegen ihrer Leichtigkeit schlecht zu
steuern. Berührung mit Felsen bringt ihnen Gefahr, weil diese die
Häute sehr schnell durchscheuern. An jeder Haut befindet sich ein
kleiner verschlossener Schlauch, der es dem Schiffer ermöglicht, Luft
nachzublasen, falls sein Gefährt zu undicht werden sollte.
Wie schon erwähnt, bildete das Südende der Halbinsel California
eine kleine Zone von Balken-Balsas, im Norden an beiden Küsten be-
grenzt von dem Gebiet der Binsen- Balsas. Die obengenannte Grenze
war nicht ganz scharf, wie dies ja selten der Fall sein wird; in Bahia
de la Paz kamen die beiden Arten der Balsas nebeneinander vor.
Diese südlichen Balken-Balsas der Halbinsel California waren aus
3, 5 oder 7 Balken eines leichten, Corcho genannten Holzes zusammen-
gefügt. Am Bug bestand Orgelpfeifen - Anordnung , der mittelste
Balken war der längste; das Heck war glatt abgeschnitten. Nach
der von Cortes gegebenen ältesten Beschreibung stand der mittelste
Balken jedoch auch nach hinten heraus. Eine Abbildung bei Shel-
vocke gibt ihnen eine völlig rechtwinklige Form; es fragt sich aber^
ob diese Zeichnung, wie so häufig in alten Beisebeschreibungen, nicht
der Phantasie des Künstlers entsprungen ist. Diese Balsas konnten
3 Mann tragen und gingen unverzagt 6 bis 8 km ins Meer hinaus zu
den ergiebigen Fischereigründen.
Die nördliche Balken-Balsa der Halbinsel California, die sich
auf den Archipel der Islas de los Cedros beschränkt zu haben scheint,
war etwas anders konstruiert. Zwei dicke, manchmal zwei Mann
starke, und etwa 5 m lange Ceder-Balken waren dicht nebeneinander
gebunden und gaben Platz für 4 bis 7 Mann, die mit ihnen furchtlos
das Meer befuhren. Näheres über sie wissen wir nicht, aber im
Reisebericht von Francisco de Ulloa werden sie ausnahmslos „canoas"
genannt, und Äusserungen lassen den Schluss zu, dass sie sich in den
Augen der Spanier vorteilhaft von den Binsen-Balsas der Umgegend
unterschieden haben.
Über die Holz-Balsas, welche die taraskischen Fischer auf ihren
Seen in Michuacän hatten, ist nichts Näheres bekannt. Die Piperis
der Insel- Caraiben glichen denen der Tupi von Brasilien; 3 bis 6
kurze Balken in Orgelpfeifen- Anordnung nebeneinander, Länge etwa
1,65 m, Breite 0,70 m; sie trugen nur einen Fischer. Wie die
— 23 —
gegebenen Zahlen erkennen lassen, war hier nicht an einer ungeraden
Anordnung festgehalten ; die Piperis konnten auch aus 4 und 6 Balken
bestehen. Als Material verwendete man zu ihnen in Brasilien das
leichte Holz des Peyba. Auch die grossen Flösse von Brasilien, die
Jangadas, waren teils aus einer geraden, teils aus einer ungeraden
Zahl von „paos de jangada", Jangada- Hölzern, zusammengesetzt.
Will man annehmen, dass die heute an den brasilianischen Küsten
üblichen Fahrzeuge unverändert aus der Zeit der Ureinwohner auf
uns gekommen sind, so waren diese grossen Flösse im allgemeinen
vorn und achtern rechtwinklig glatt abgeschnitten, die Jangadas von
Bahia und nördlich bestanden aus einer geraden Anzahl von Balken,
während die der Provinz Cearä meistens 5 paos de jangada besassen.
Es ist immer zu berücksichtigen, dass die heute in Brasilien gebauten
Jangadas sehr verfeinerte Abbilder der rohen Tupi-Fahrzeuge dar-
stellen. Die Chibchas der Hochebene von Bogota standen der Schiff-
fahrt im allgemeinen fern ; immerhin aber vermittelten Boote auf dem
Magdalena einen nicht unbedeutenden Warenverkehr nach den Märkten
der Chibchas, und auf ihren Seen verkehrten Balken -Balsas. Auf
einer solchen fuhr der so berühmt gewordene „Dorado" in die Mitte
des heiligen Sees^ um dort sein kostbares Opfer darzubringen.
Die Küstengewässer des Inkareiches und z. T. auch von Chile
wurden in erheblichem Umfange von Balken-Balsas befahren; sie waren
die seetüchtigsten Fahrzeuge der alten Peruaner, gingen unter Segel
und machten beträchtliche Handelsreisen. Aber auch im Inneren
verwandte man sie ; einzelne Inkas Hessen Baumaterial in das Binnenland
schaffen und bauten sich Lust- oder Prunk-Balsas auf den Seen. Als
Tupac Inka Yupanqui seinen berühmten Zug gegen die Moxos unter-
nahm, Hess er eine ganze Flottille erbauen und fuhr mit ihr einen
Nebenfluss des Madeira hinunter gegen die Chunchos oder Musos.
Für je 30 bis 50 Soldaten war eine Balsa vorgesehen, auf der sich
auch eine kleine Proviant-Hütte befand, um die Vorräte gegen Nässe
zu schützen. Die grossen Balsas der Küste, von denen man die besten
in den Gegenden von Payta, Manta, Gruayaquil sah, bestanden aus
einer ungeraden Zahl von Balken des leichten „palo de balsa", Balsa-
Holz, einer Malwenart. Fünf, sieben, neun, elf oder noch mehr un-
gleich lange Hölzer waren am Bug in Orgelpfeifen-Form so an-
geordnet, dass das längste sich in der Mitte befand; das Heck war
rechtwinklig abgeschnitten. Hierüber war eine zweite Holzlage als
Flur gelegt, an dessen Rande sich bei Passagier-Balsas wohl ein
— 24 —
niedriger Geländerumgang befand. Die grössten Fahrzeuge dieser Art
konnten 50 Mann und drei Pferde fassen. Die Segel-Balsas zur Inka-
zeit hatten in der Mitte zwei Masten, zwischen denen ein viereckiges
Baumwollensegel ausgespannt wurde. Zum Steuern besassen sie eine
rohe Art von Ruder, wahrscheinlich in der Form eines Steuer-Remens.
War kein Wind, so wurden sie durch Pagajen fortbewegt. Diese
Balsas waren sehr seetüchtig und leistungsfähig und daher bei den
Spaniern sehr beliebt. Nur hatten sie hin und wieder das Unan-
genehme für die Conquistadoren, dass die geknechteten Indianer die
günstige Gelegenheit einer gemeinsamen Seefahrt benutzten, um sich
ihrer Peiniger zu entledigen. Sie lösten heimlich die Stricke, welche
die einzelnen Teile des Fahrzeugs zusammenhielten, und brachten sich
als vorzügliche Schwimmer auf den losen Balken der plötzlich aus-
einander gebrochenen Balsa in Sicherheit, während die Spanier er-
tranken. Durch ein solches Manöver hatten schon in früherer Zeit
einmal die Inselbewohner von Punä den Soldaten des Inka ein nasses
Grab bereitet. Die Inkaherrscher besassen eine Balsa-Flotte auf dem
Meere.
Als die Inkas die Gebiete von Quito ihrem Beiche einverleibt
hatten, lernten sie Bambusen- Arten kennen, deren Röhren das heimische
palo de balsa an Brauchbarkeit für den Flossbau noch übertrafen.
Denn im tropischen Equador und im Cauca-Tal hatte man Bambus-
Balsas. Die Inkaherrscher Hessen nun Bambusröhren nach Süden
schaffen und für den Balsa-Bau auf die peruanischen Wasserläufe
verteilen. Auch in Brasilien gab es Bambus-Balsas oder wenigstens
Flösse, die aus bambusähnlichen Rohrgräsern hergestellt waren.
Diese letzteren gehören vielleicht schon in die weitere Gruppe der
Floss-Fahrzeuge , die ich unter dem Namen Gelegenheits-Balsas zu-
sammengefasst habe. Hierin befinden sich alle die, welche aus dem
gerade zur Hand liegenden nutzbaren Material für den unmittelbaren
Gebrauch, vornehmlich zum Kreuzen eines undurchfurtbaren Gewässers, in
kurzer Zeit zusammengefügt wurden, dann aber auch solche, die zwar
einen mehr dauerhaften Charakter zeigen, sich aber wegen nicht aus-
gesprochener Form oder wegen mangelhafter Beschreibung in keiner
der früheren Klassen gut unterbringen lassen. Häufig zeigen sie aber
Anklänge an eine von diesen, zuweilen scheinen sie eine Mischung
von mehreren zu sein. Die auf dem Isthmus neben den Canoas ge-
bräuchlichen Balsas aus 4 bis 6 Hölzern, auf denen eine zweite quer-
gelegte Lage als eine Art Flur befestigt wurde, waren im allgemeinen
— 25 —
offenbar von regelmässiger Form und könnten vielleicht mit demselben
Recht zur Klasse der Balken-Balsas gerechnet werden. Die rohen
Flösse aus Weiden und Binsen der Schlangen-Indianer und die ge-
flochtenen Weiden-Balsas auf dem Rio Apurimac in Peru erinnern an die
Binsen-Balsas und -Körbe am unteren Colorado, während Flösse aus
4 oder 5 Rohrstengel- oder Knüppelfaschinen kunstlos zusammen-
gefügt an das Bauprinzip der vollendeten Binsen-Balsas erinnern. Die
eigentlichen Gelegenheits-Balsas, roh aus Baumstämmen, Asten, Treib-
holz, Rohr, Binsen und ähnlichem zusammengebunden und -geflochten,
finden sich über ganz Amerika, von den Eskimos im Norden bis in
das südlichste Chile. Sie waren im Westen häufiger als im Osten,
aber sie fehlten ebensowenig in den Ländern um die Hudsons-Bai, wie
in den Oststaaten der heutigen Union oder im Innern Brasiliens.
AVir finden sie am unteren Mackenzie, in Alaska, am Thompson-Fluss
in Britisch -Columbia, bei den Shahap tischen Stämmen der Felsen-
gebirge und bei den Comanchen der Plains. In Mexico wurden sie
nicht weniger gebraucht wie in Guayana oder im Chaco. Auf den Ober-
läufen des Beni und Mamore, wie mancher anderer Nebenflüsse des oberen
Amazonas und Madeira waren sie häufig die einzigen Fahrzeuge und
hatten Formen, die ihnen den Charakter des Gelegentlichen und Vorüber-
gehenden nehmen und sie der Klasse der Balken-Balsas einfügen.
Der Vollständigkeit wegen muss noch eine letzte Art von Balsas
erwähnt werden, obwohl sie ganz oder wenigstens zum grössten Teil
eine Erfindung der Jesuiten ist: die Fahrzeuge nämlich, mit welchen
die Väter Jesu die Verbindung nach ihren Missionen am Paraguay
und Orinoco vermittelten. Zwei oder drei starke Bäume, teils Voll-
hölzer, teils als Einbäume ausgehöhlt, wurden mit je einem Schritt
Zwischenraum nebeneinander befestigt und über dem Ganzen eine
Plattform errichtet. Auf dieser wurde eine kleine Hütte mit Tür und
Fenstern, Tisch, Stühlen, Betten und einem Altar für die reisenden
Missionare erbaut. 24 Guarani-Pagajer und ein Steuermann bildeten
die Besatzung eines Fahrzeugs, welches sie so geräuschlos fortbewegen
mussten, dass ihre Passagiere auch nicht im geringsten gestört wurden.
Da die Hütten auch einigermassen gegen Sonnenstrahlen und Moskitos
schützten, so hatten es diese Männer wohl angenehm im Vergleich zu
ihren Ordensbrüdern in Kanada, in den Maynas-Missionen und unter
den Omaguas. P. Betschon erzählt, dass er mit einer Flotte von
17 solcher Priester-Balsas mit einer Gesamtbesatzung von 450 be-
waffneten Guaranis den Paraguay aufwärts gefahren sei.
— 26 —
Die Balsas sind in erster Linie das Ergebnis der völligen Baum-
losigkeit oder Baumarmut weiter Strecken Amerikas. Die reisenden
Naturforscher haben uns hierüber oft erzählt: „triste, affreux, dune
nudite repoussante", nennt Lesson die Küsten von Callao und Payta;
Poeppig spricht sich ähnlich aus. Aber wir finden Balsas auch in
Gegenden, wo die Bedingungen für den Bootbau günstig sind, wir treffen
sie Seite an Seite mit den verbesserten Typen der Schiffbaukunst an
und sehen stellenweise , dass sie seit der Entdeckung Amerikas an
Form und Verbreitung gewonnen haben. Die zahlreichen Jangadas,
die noch heute die Küsten und Ströme Brasiliens befahren, stellen
gegenüber den kleinen rohen Tupi-Piperis einen Fortschritt dar, und
in Peru, Bolivia und Chile hat keine der verschiedenen Balsa- Arten
merklich an Bedeutung verloren. Es kommt dies von den mancherlei
guten Eigenschaften dieser primitiven Wasserfahrzeuge her, die sie
für anspruchslose und abgehärtete Schiffer so wertvoll machen: ihre
Billigkeit, Seetüchtigkeit, Tragefähigkeit und Sicherheit als Segler.
Besonders für die Entwicklung der Segelschiffahrt ist die Rolle der
Balsa nicht zu unterschätzen. Denn was sind die Auslegerboote von
Hinter -Indien und Polynesien mehr als verbesserte Balken-Balsas ?
Unter diesem Gesichtspunkt sind selbst die vorhin erwähnten Jesuiten-
Balsas auf dem Paraguay als eine Art Zwischen - Typus zwischen
Balken-Balsa und Ausleger-Boot von ethnologischem Interesse.
Das Bull-Boot.
In der Bison-Region Nord-Amerikas und in Süd-Amerika dort,
wo das eingeführte europäische Rind zahlreich war, stellte das eigen-
tümliche Rundboot den üblichen Hilfs-Apparat bei Flussübergängen
dar. Bull-Boot war sein Name im Norden, Pelota heisst es im
lateinischen Amerika. Es ist ein schönes Beispiel für die Tatsache,
dass gleiche Natur- und Lebensbedingungen gleiche oder ähnliche
Sitten hervorzubringen geneigt sind. Das Bull-Boot Nord-Amerikas
erhielt in Süd-Amerika nach Einführung des Rindes sein genaues
Gegenstück in der Pelota, während beide schon Tausende von Jahren
vorher ihren Vorläufer in dem Rundschiff des Zweistromlandes Vorder-
asiens gehabt hatten.
Die Verbreitung des Bull -Boots in Nord -Amerika deckte sich
ursprünglich offenbar mit der des Bisons; es hat aber im Osten, wo
besseres Material für Wasserfahrzeuge zur Verfügung stand, niemals
— 27 —
auch nur annähernd die Wichtigkeit besessen, wie auf den baumlosen
Prärien des Westens. Wir wissen, dass die Cherokees sich seiner be-
dienten, auch wohl für kleinere Lasten Bärenfelle anstatt der Bison-
häute benutzen ; wir kennen seinen Gebrauch bei Stämmen der Salish-
Familie, bei Assiniboins, bei Poncas und verwandten Sioux-Yölkern
am unteren Missouri und Platte und besitzen die besten Beschrei-
bungen von den Bull -Booten der Mandans und Minnitarees. Sie
waren im allgemeinen alle kreisrund und bestanden aus einer Bison-
haut, die mit den Haaren nach innen über ein Gestell von starken
Weidenruten gezogen war. Eine Form sah aus, wie die heute
üblichen zusammenlegbaren Gummi-Badewannen, wenn man sich den
Rand etwa um die Hälfte erhöht denkt; eine andere glich einem auf-
gespannten, auf dem Wasser schwimmenden Regenschirm aus der Zeit
der Vorväter. Sie waren so leicht, dass sie bequem von einem Manne
auf der Schulter getragen werden konnten, waren aber ihrerseits fähig,
erhebliche Lasten aufzunehmen. Der jüngere Alexander Henry er-
zählt, dass ein Mandan-Bull-Boot drei Personen mit Waren im Ge-
wicht von 2 Zentnern über den Missouri trug und mit Leichtigkeit
noch einen weiteren Zentner hätte leisten können. Die Salish-Stämme
benutzten an Stelle von Bisonfellen ihre ledernen Zeltdecken, die über
einen schnell hergestellten Rahmen von Zweigen gespannt wurden.
Fortbewegt wurden diese Fahrzeuge auf verschiedene Weise: ein-
mal durch Schwimmer, indem ein Mann oder Weib vorne zog, andere
von hinten schoben. Einen ähnlichen Dienst leisteten die Pferde,
wobei der Schweif des Tieres oder die Lanze des Reiters als Verbindungs-
ghed dienten. Hatten die Insassen ohne Hilfe von aussen ihr Gefährt
fortzubringen, so geschah dies entweder durch eine breite Pagaje, mit
welcher ein kniendes Weib sich durch Druck nach ihrem Körper zu
im Wasser vorwärtszog oder -schaufelte, oder aber ein Mann trieb das
Bull-Boot mit einer 1^2 m langen Pagaje fort, wobei es sich bei
jedem Schlage beinahe einmal um seine Achse drehte. Natürlich
konnte es nicht ausbleiben, dass sie bei dieser Art von Schiffahrt
ganz erheblich abgetrieben wurden; bei dem breiten und schnell-
fliessenden Missouri machte dies 500 bis 1500 m aus, je nach der
Geschicklichkeit des Schiffers. Unmittelbar nach dem Gebrauch musste
das Bull-Boot zum Trocknen aus dem Wasser genommen werden, da
sonst das Leder sehr schnell litt. Halbblut -Indianer und weisse
Trapper benutzten häufig zwei Felle zum Bootbau; dann erhielt das
Gestell eine ovale Form. Um ihr Gepäck trocken über einen Fluss
28 —
zu schaffen, legten die Krähen-Indianer mehrere Bison-Felle überein-
ander, rafften den Rand mit einem Strick zusammen, etwa so wie
man es mit einem Tabakbeutel macht, und sicherten nötigenfalls die
Stabilität dieses Gefährts durch Steinballast. Auch dreieckige oder
viereckige Holzrahmen mit Büffelfell bespannt benutzten sie für diesen
Zweck.
Die Pelota Süd-Amerikas findet sich in der ganzen Pampa-
Gegend, in Uruguay, Bio Grande do Sul, Matto Grosso, in der Moxos-
Gegend und in den Llanos. Der Form nach ist sie rund, viereckig
oder dreieckig, je nach Anordnung der den Band stützenden Beifen
oder Stäbe. Ihre Fortbewegung erfolgte anscheinend fast immer von
aussen durch Pferde oder schwimmende Indianer, wobei der Schweif oder
ein mit den Zähnen gefasster Lasso die Verbindung vermittelten. Die
Gaucho- Weib er von Santiago del Estero genossen früher eines grossen
Bufes als gewandte Pelota-Schwimmerinnen.
Boote.
Ehe an die Untersuchung der primitiven amerikanischen Boote
herangegangen wird, müssen noch einige Bemerkungen sprachlicher
Art vorausgeschickt werden, denn in der Nomenklatur herrscht eine
sehr grosse Verwirrung. Worte wie die bekannten Canoa, Piragua,
Corial, Ubä, oder die weniger gebräuchlichen Bacassas, Culcha, Acalli,
Almadia, Igära, Igä und andere werden gewöhnlich gleichgültig und
wahllos oder widersprechend und falsch auf ganz verschiedene Arten
von Wasserfahrzeugen angewendet. Die Ausdrücke mehr lokaler Art
werden an ihrem Platz eine kurze Erwähnung finden, die Worte
allgemeinen Wertes jedoch verlangen eine Umgrenzung, bevor in die
Sache selbst hineingegangen wird. Columbus und nach ihm zuerst
Petrus Martyr wenden das Wort „canöa" gleichmässig auf die aus-
gehöhlten Baumboote von Caraiben und Aruaks der Grossen Antillen
an; Columbus vergleicht wiederholt die „canoas" der Insel-Caraiben mit
„Fustas" oder „Fustas pequenas", also mit grossen, langen Booten,
die schon einen kleinen Schiffstypus darstellen. Bafinesque glaubt
herausgefunden zu haben, dass das Wort „canöa" sowohl der
Sprache der Caraiben als auch der Tainos auf Haiti angehörte. Es
war zweifellos ein originaler Bestandteil der Caraiben-Sprache, in
deren verschiedenen Dialekten es sich unter den Formen canäoa,
canaoua, canagua und ähnlichen findet. Gehörte es auch dem
— 29 —
Sprachschatz der Insel-Aruaks an, dann war es sicherlich den
maritim überlegenen Caraiben entlehnt worden, ähnlich wie sich
ia auch bei uns in der Sprache des Seemanns eine grosse Zahl von
Ausdrücken aus dem Wortschatz von Völkern befindet, die in früheren
Zeiten eine führende Rolle auf dem Meere gespielt haben oder dies
noch heute tun. In keinem Aruak-Wörterverzeichnis ist mir ein Wort
aufgestossen , das auch nur entfernt dem „canoa" ähnelte. In der
caraibischen Weibersprache, die höchst wahrscheinlich einen Aruak-
Grrundstock besass, war der Ausdruck für Boot „oucouni" ; Rafinesque
will zwar auch hier das Wort „canoa" haben. Dies Caraiben- Wort
„canoa" verbreitete sich nun durch die Conquistadoren mit erstaunlicher
Schnelligkeit über ganz Amerika, wobei die Spanier als schlechte
Ethnologen den Ausdruck auf jede Art von Eingeborenen-Fahrzeugen
anwendeten, das einem Boot ähnlich sah, unbekümmert, ob es von
Holz, von Rinde oder gar von Binsen war. Indianer sprachen den
Eroberern nach, mit dem Erfolge, dass das Wort auch in den Sprach-
schatz von Völkern einrückte, die bisher gar keine oder eine andere
Bezeichnung für Boot gehabt hatten. Bei den Quechua z. B. und
Capote Utahs heisst Boot „canoa" ; selbst bei Feuerländern hat es
sich gefunden.
Das Wort „piragua" soll nach Rafinesque aus dem Dialekt der
Aruaks von Puerto Rico stammen ; dies erscheint aber ausgeschlossen,
weil gerade die Bewohner von Puerto Rico im Gegensatz zu ihren
Stammesgenossen von Haiti, Cuba und Jamaica ausdrücklich als Leute
bezeichnet werden, die keinerlei Seefahrzeuge besassen. Nach Oviedo
entstammt das Wort Piragua der Sprache der Caraiben. Es
bezeichnete nach der Auffassung der Spanier, soweit sie überhaupt
einen Unterschied machten, den höchsten Typus einer Canoa; Herrera
und Cobo stellen dies ausdrücklich fest.
Die beiden Worte canoa — franz. canot, engl, canoe, (spr. känü),
deutsch (aus dem Engl, übernommen) kann, — und piragua — franz.
pirogue od. piraugue, engl, pirogue, — werden nun unterschiedslos
und verwirrend auf ganz verschiedene Arten von primitiven Booten
angewendet. Die französischen Kanadier nannten im allgemeinen ein
Rindenboot canot und einen Einbaum pirogue, die Engländer unter-
schieden zuweilen zwischen dug-out und canoe, und die deutschen
Missionare bezeichnen einen indianischen Einbaum mit dem Wort
Weidling; Labat spricht viel von einer „bacassas", die Breton
absolut nicht kennt; ubä, casca, corial und acalli werden zur
— 30 —
Hilfe herangeholt, aber dies alles dient nur dazu, die Verwirrung zu
vermehren.
Im folgenden werden nun folgende Benennungen verwendet werden :
Canöa für jeden einfachen Einbaum. Piragua für Canoas mit Planken-
erhöhung, sei es, dass diese als ein „Bördli" vollständig um das Boot
zur Erhöhung des Freibords herumgeht, sei es, dass sie sich nur auf
Bug und Heck beschränkt. Kanu für jedes Rindenboot.
Wenn sie nötigenfalls einen erläuternden Zusatz erhalten, so
lassen sich alle primitiven amerikanischen Boote durch eines dieser
drei Worte klar bezeichnen. Einheimische Namen lokaler Typen finden
innerhalb der drei Gruppen besondere Erwähnung.
Nur ein Fahrzeug lässt sich nicht unterbringen und muss eine
Klasse für sich bilden: die südchilenische Dalca. Durch ihr Bau-
material nähert sie sich in ihren beiden Unterarten teils dem Kanu,
teils der Canoa, aber in ihrer Bauart steht sie in Amerika allein da.
Das Kanu.
Das Rinden-Kanu ist über ganz Amerika verbreitet, vom unteren
Mackenzie im Norden bis zum Kap Hoorn im Süden, und von den
Kinai und Kutchin im Westen Alaskas bis zu den Tupi der Küsten
von Pernambuco. Es gibt weite, nicht klar zu umgrenzende Strecken,
von denen man sagen kann, dass nur das Kanu in ihnen heimisch war,
und wieder andere ebensolche Gebiete, wo der Einbaum unumschränkt
herrschte. Aber in noch anderen Gegenden kamen beide Formen
nebeneinander vor und stellenweise gesellte sich als dritte im Bunde
die Balsa zu ihnen. Die Thompson-Indianer in Britisch-Columbia
besassen sechs Typen von Einbäumen, ein Kanu und zwei Typen von
Balsas. War geeignete Baumrinde vorhanden, hatte man es mit un-
ruhigen Gewässern zu tun und Trageplätze beim Reisen zu überwinden,
dann baute man Kanus; war das Wasser tief und ohne Stromhinder-
nisse, war geeignetes Bauholz vorhanden, dann stellte man Canoas
her. Dasselbe Volk hatte häufig am Unterlauf eines Flusses Ein-
bäume, auf dem Oberlauf Rinden-Kanus und Balsas. Die geologische
Formation und geographische Verbreitung der Pflanzen sind es in der
Hauptsache gewesen, die durch Stammesgebräuche und einen massigen
Handelsaustausch hier und da beeinflusst, die Verbreitung der ver-
schiedenen Arten von Wasserfahrzeugen über Amerika herbeigeführt
haben. Wollte man versuchen, diese Verteilung in eine geographische
— 31 —
Karte einzutragen, so müsste man schon eine solche von verhältnis-
mässig geringer Verjüngung wählen und würde dann finden, dass das
Ergebnis äusserst lückenhaft ist. Denn Khma und Berge verändern
auf kurzen Entfernungen jede Fahrzeugsgrenze und die für manche
Grebiete wohl möglichen genauen Eintragungen über die ganze Karte
auszudehnen, ist ausgeschlossen, da das Material hierzu fehlt. Es kommt
hinzu, dass man hier und dort hat feststellen können, wie ein Stamm
von einem Boot-Tjpus zum anderen übergegangen ist; teils Wasser-
stands-Veränderungen , teils Handel mit Baumaterial, teils andere
Gründe , die nicht einzusehen sind, haben ihn veranlasst, seine alther-
gebrachten Bootsformen aufzugeben und sich anderen zuzuwenden.
Die Algonquins des Nordens hatten nur Birken- Kanus, die von
New England Birken-Boote und Einbäume, die des Südostens und des
Südwestens besassen in der Hauptsache nur letztere. Von den Völkern
Birken-Kanu; nach Catlin.
der Huronen- und Irokesen-Familie verwendeten die Huronen Birken-
Kanus 5 die Irokesen Ulmen-Kanus und daneben Einbäume ; die
Cherokees vornehmlich nur letztere. Die Sioux des Westens verfertigten
Bull-Boote, die der oberen Mississippi-Gegend kleine Birken-Kanus,
während die Sioux des Ostens und des unteren Mississippi in Ein-
bäumen das Wasser befuhren. Die Caraiben der Antillen und der
Küsten von Guayana machten in Canoas und Piraguas die Meere
unsicher, die des Inneren verwendeten hauptsächlich Kanus. Diese
kurz herausgerissenen Stichproben kann man in ähnlicher AVeise auf
alle Völkerfamilien Amerikas ausdehnen, um fast überall ein ähnliches
Ergebnis zu erhalten. Ein ins Gewicht fallendes Hindernis für die
Verschiebung von Völker stammen ist der von ihnen besessene Schiffs-
typus nicht gewesen; in anderer Umgebung haben sie andere Formen
entwickelt. So lange als möglich gebrauchten sie das von ihren
Vätern übernommene Gefährt; ging es gar nicht mehr oder ging es
nur schlecht, dann zwangen ihnen die veränderten Verhältnisse im
Laufe einiger Zeit einen anderen Typus auf.
— 32 —
Das primitive Wasser-Fahrzeug Amerikas ist eine Funktion der
Natur, deren Wert nur vorübergehend oder unbedeutend durch
traditionelle oder kommerzielle Einflüsse Verschiebungen erfährt.
In Nord-Amerika wurden die Kanus aus der Rinde von Birken,
Ulmen, Hickory, Pechtanne (spruce) und Kiefer (pine) verfertigt. Die
Algonquins des heutigen Kanada mit Labrador, der New England-
Staaten und unmittelbar südlich der drei oberen grossen Seen, die
Beothuks auf New Foundland, die Sioux der oberen Mississippi-
Gegenden und die Athapasken der weiten Gebiete der Hudsons-Bai
und der grossen nordischen Seen gebrauchten fast ausschliesslich Birken-
Rinde. Aber schon im Norden und mehr noch im Nordwesten traten
Pechtannen- und Kiefern-Rinde in grossem Umfange an ihre Stelle,
um unter den Kalispels, Kutenais, unter allen den Stämmen, die unter
dem Namen Carriers zusammengefasst worden sind, das Feld allein
zu behaupten. Einbäume, die bei den Athapasken fast völlig fehlen,
treten bei den zuletzt genannten, in der ganzen Peace-River und
Fraser-Gegend in erheblicher Menge dazwischen, um am Thompson-
Fluss und Nachbarschaft Kanus und Balsas stark zurückzudrängen.
Am ganzen Lauf des Missouri ist keine einzige Birke zu finden; erst
an einigen Nebengewässern seines nördlichsten Bogens kommen sie wieder
vor. Da andere Bäume keinen Ersatz stellen, so behelfen sich von hier
nach Süden zu alle Stämme mit Bull-Booten und Balsas. Die Sioux des
oberen Mississippi hatten kleine Birken-Kanus, die Foxes besassen sonder-
barerweise bis etwa zum Ende des 17. Jahrhunderts überhaupt keine
Fahrzeuge, während die Illinois, Miamis und Verwandte in der Haupt-
sache wohl Einbäume verwendeten. Das ganze Gebiet der heutigen
Staaten Illinois, Indiana und Ohio scheint ein Mischgebiet gewesen
zu sein , denn während die breiten und tiefen Flüsse und die Wälder
voll prächtigen Bauholzes zum Gebrauch der Einbäume einluden, konnte
man doch an den Trageplätzen der Wasserscheiden die leichten Kanus
nicht entbehren. Da das Land südlich von Erie und Ontario keine
Birken besitzt, so sahen sich die Irokesen für ihren Kanubau auf die Rinde
der roten Ulme und des Bitternuss-Hickory angewiesen. Dazwischen
besassen sie auch Einbäume, besonders auf dem Mohawk und Hudson.
New England war ein Mischgebiet von Kanu und Einbaum, aber am
Kap Ann liess sich, wenigstens zu Champlain's Zeit, eine gewisse
Grenze feststellen : nördlich von diesem Punkte herrschte das Kanu vor,
südlich der Einbaum. Weiter nach Süden wurde das Rindenboot
immer seltener, um schon am unteren Hudson fast ganz zu verschwinden.
— 33 —
Den ganzen Südosten der Union beherrschte der Einbaum, aber das
Kanu fehlte stellenweise ebensowenig wie die Balsa.
Über die Herstellung der Kanus haben wir viele ausgezeichnete
Beschreibungen; am besten unterrichten Kohl und Hoffman über das
Birken-Kanu, Kalm über das Ulmen-Kanu. Die Herstellung war häufig
allein Sache der Männer, zuweilen wurde sie aber auch den Weibern zu
ihren übrigen Geschäften aufgebürdet, während wohl in den meisten Fällen
das Fahrzeug der gemeinsamen Tätigkeit von Mann und Weib ent-
sprang. Bei einem planmässigen Kanubau war die Arbeitsteilung in
der Eegel so, dass der Mann im Frühjahr die Einde, sowie das Holz
der weissen Ceder für die Spanten und Längsspanten besorgte und.
zuschnitt. Er errichtete eine Art von Helling und setzte das Boots-
gerippe zusammen , während das Weib inzwischen die Rindentafeln
mit gesplissten Wurzeln der Weisstanne zusammennähte. Die fertige
Ulraen-Kauu der Irokesen; nach Morgan.
Kanuhaut wurde dann in gemeinsamer Arbeit um das Gerippe gelegt
und befestigt. Dick aufgetragenes Kiefernharz spielte eine grosse
Rolle sowohl beim Bau als auch bei den Reparaturen , zu denen die
Beschädigungen der talerdicken Wände der Kanus nur zu häufig
Veranlassung geben. Bei den Ulmen-Kanus waren die Innhölzer von
Hickory- oder Eschen-Holz; bei beiden Arten wurde die Innenfläche
der Rinde zur Aussenseite der Kanuhaut gemacht. Der Kanubau ist
schwierig und verlangt viel Übung, aber im Notfalle konnte jedes
erwachsene Mitglied einer Indianerfamilie sich ein Fahrzeug bauen.
Kohl hat bedauert, dass die ältesten Berichterstatter in ihren
Beschreibungen nicht so genau sind , dass man erkennen könnte , in
wie weit sich die mit den rohen primitiven Werkzeugen hergestellten
Boote von denen unterscheiden, die später mit europäischem Hand-
werkszeug verfertigt worden sind. Ich glaube, sie unterschieden sich
gar nicht voneinander; denn einmal sind die Lobeserhebungen der
ältesten Reisenden genau so enthusiastisch über die wundervoll zierlich
Studien und Forschungen I. 3
— 34 —
und sauber gemachten Boote als die späterer Zeiten, und dann lehrt
uns die Völkerkunde mannigfach, dass Naturvölker mit ihren primitiven
Werkzeugen Dinge in einer Vollendung herzustellen vermögen, die
man bei uns von einem gelernten Arbeiter mit seinem vollkommenen
Material nicht ohne weiteres verlangen kann. Nie fehlende Zeit und
G-eduld verbunden mit andauernder Übung und den Erfahrungen von
Generationen ersetzen dem Sohne der Wildnis in erheblichem Masse
unsere verbesserten Instrumente.
Obwohl das Kanu auf den ersten Blick symmetrisch gebaut erscheint,
und von den ältesten Beobachtern ausdrücklich berichtet wird, dass
dies auch der Fall sei, so sind doch für den Indianer Bug und
Heck vorhanden. Schon Kohl hat dies bemerkt. In der Tat ist bei
den Algonquins des Nordens und Ostens die grössere Breite vorn am
Bug, wodurch das Kanu eine entfernt fischförmige Gestalt erhält.
Kutchin-Kanu ; ncah Jones.
Man hält diese Bauart für besonders geeignet, um Schnelligkeit und
leichte Beweglichkeit zu erzielen. Umgekehrt ist bei den nördlichen
Athapasken das Heck erheblich breiter als der Bug. Denn hier wird
gewöhnlich das Gepäck verstaut und ist im Notfalle auch noch Platz
für eine zweite Person. Der spitze Bug dieser kleinen Fahrzeuge ist
dagegen ganz mit Rinde zugedeckt, so dass sich diese Kanus der
Form der benachbarten Eskimo-Kajaks nähern. Die Boote der
Kutenais, Kalispeis und ihrer Nachbarschaft waren am Boden erheblich
länger als oben ; Bug und Heck liefen in eine scharfe Spitze aus, etwa
in der Form der alten Monitors oder in der Art des Bugs unserer
kleinen Kreuzer. Die Kanus der Kutchin mit ihren steilen Wänden
und flachem Boden erinnern stark an die Fahrzeuge der Tschuktschen.
Im Vergleich zu den eleganten Birken-Kanus sahen die Ulmen- und
Hickory-Boote der Irokesen unschön und plump aus; ihr Anblick
„beleidigte das Auge". Schwerfälliger und nicht so manövrierfähig
als die flinken Birken-Boote^ waren sie besonders dafür verantwortlich,
— So-
dass die Irokesen in Seegefechten gegen die Algonquins fast immer
den kürzeren zogen. Innerhalb dieser hervorgehobenen Gruppen waren
die Unterschiede in den Formen gross; so waren die Kanus der
i^benakis durchweg flach und niedrig, weil auf ihren schmalen und
reissenden Flüssen überhängende Bäume und Aste einen erhöhten
Bug nicht geduldet hätten. Hingegen besassen die Boote der Algon-
quins der grossen Seen, besonders die der Ottawas und Chippeways,
«inen hohen geschwungenen Bug und ein ebensolches Heck, um in den
Wogen der grossen Süsswasser-Seen bestehen zu können. Innerhalb
eines Stammes hatte man wieder verschiedene Formen je nach dem
Zweck, welchem die Boote dienten, und das Kanu eines jeden einzelnen
Mannes war ein wenig verschieden von denen aller anderen. Wie
Bogen und Pfeile des Indianers, so hatte auch sein Kanu etwas
Persönliches, Individuelles, an sich.
Die Grössenverhältnisse sind ausserordentlich verschieden. Im
Norden und Nordwesten waren die Boote nur klein: 372 — 4 m, und
272 — 4^/4 m werden als Längenzahlen angegeben. Mehr als zwei Personen
konnten sie im allgemeinen nicht tragen, wurden aber ihrerseits mit
Leichtigkeit von einem Manne über die Trageplätze geschafft. Auch
die Kanus der Mississippi-Sioux hatten nur geringe Abmessungen:
eine Flottille von 140 Fahrzeugen, die Hennepin sah, trug nur
250 Krieger. Aber für die Zwecke dieser Stämme waren sie leistungs-
fähig genug; nach einer erfolgreichen grossen Jagd war das ganze
Geschwader mit Bisonfleisch beladen. Oft haben Beobachter in
launigen Worten ihrem Erstaunen Ausdruck gegeben, was in einem
Kanu von 3 bis 4 m Länge alles darinsteckte und was beim Landen
alles herauskam: eine ganze Familie mit Hunden und Bagage, mit
Proviant und Handelswaren. Ganz andere Zahlen finden wir bei den
Algonquins des St, Lawrence-Beckens und bei den Irokesen. Ein
Ulmen-Kanu der letzteren war durchschnittlich 3 bis 4 m lang mit
Baum für 3 bis 9 Personen. Aber schon Champlain bemerkt, dass
die Kriegs-Kanus der Irokesen mit 10, 15 oder 18 Mann besetzt
waren, während wir aus späterer Zeit solche von 12 m Länge mit
30 Mann Besatzung kennen. An Handelswaren konnten sie etwa
1200 Pfund Felle und bis zu 200 Scheffel Getreide aufnehmen. Bei
Einnahme einer Stürzladung, z. B. von wildem Reis, bei Algonquins
und Sioux, musste übrigens mit der allergrössten Vorsicht verfahren
werden, da bei der geringsten Gewichtsverschiebung nach einer Seite
das Kanu nicht etwa bloss überhellte, sondern gleich umschlug.
3*
— 36 —
Für die Algonquins finden sich ganz ähnliche Längenzahlen, aber
ihre Boote waren gewöhnlich ein wenig breiter und daher leistungs-
fähiger für den Warentransport : 15 — 1600 Pfund und 3 Zentner sind
gewöhnliche Ladungen. Der besonders bei spanischen Chronisten
äusserst beliebte und anschauliche Vergleich, dass die Boote gerade
breit genug seien, um eine „pipa" zu tragen, also ein Fass mit 400 Liter
Wein, findet sich auch bei Champlain und Sagard. Die kleineren
Boote hatten gewöhnlich 3 bis 4 Mann , die Handels-Kanus 8 bis
10 Mann Besatzung* 14 bis 15, 18 bis 24 Personen sind mehrfach ge-
machte Angaben. Die Schnelligkeit des Aufbruchs und die Yerstauung
eines ganzen In dianer dorfs in 200 Kanus hat Champlain's ganz besonderes
Interesse erregt.
Die Fortbewegung erfolgte durch Pagajen, gegen starke Strömung
unter Beihilfe von Staken, bei günstigem Winde durch kleine Segel
Birken-Kanu (Hudsons-Bai-Länder); nach Turner.
in Form von ausgespannten Decken, Fellen oder gar eines aufgesteckten
Busches unterstützt. Reiste eine Familie für sich, so führte das Weib
gewöhnlich die Steuer-Pagaje. In ruhigem Wasser wurde sitzend
pagajet, in Stromschnellen kniend, gegen starke Strömung stehend.
Die den Eskimo angrenzenden Athapasken benutzten zuweilen eine
Doppel-Pagaje.
Fahrzeuge dieser Art hingen natürlich in ihrer Schnelligkeit und
ihren Tagesleistungen in hohem Grade von Wind und Wetter ab. Unter
gewöhnlichen Verhältnissen, bei ruhigem Wind und Wasser, legten
sie am Tage rund 60 km zurück, eine Entfernung, die sich bei
günstigem Winde, scharfer aber gleichmässiger Strömung, Fehlen von
Trageplätzen, auf 80 km mit Leichtigkeit erweiterte und die in besonderen
Fällen Zahlen von 110, ja 130 km erreicht haben soll. Ganz anders
wurde das Bild bei Fahrt gegen Strömung und Wind; oft konnten
die Kanus nur vermittelst Staken mühsam vorwärts gebracht werden,
und hier und da erzwangen Wind und Wasser einen zeitweisen Halt.
— 37 —
Auch auf das Meer gingen die Indianer mit ihnen hinaus; die
Abenakis machten Reisen bis zu 40 Seemeilen, verloren zwar nie die
Küste aus den Augen, durchfuhren aber furchtlos weite Buchten von
einem Kap zum anderen oder von Insel zu Insel. „Sie halten eine
unglaublich hohe See aus," sagt Josselyn, „und schwimmen auf den
Wogen wie ein Stück Kork" ; sicheres Auge , gestählte Nerven und
Übung von Kindheit an befähigten den Mann mit der Steuer-Pagaje
sein Schifflein durch alle Gefahren hindurchzubringen. Grlückte es
aber nicht, dann brachte ihnen meist ihre Schwimmfähigkeit Rettung :
„Fürchte nichts" , sagten sie oft bei gefährlichen Fahrten zu Roger
Williams, wenn der Gottesmann angesichts der tosenden See zu zagen
begann, „wenn wir kentern, bringen wir dich sicher ans Land!"
Bei Benutzung der Kanus war die grösste Vorsicht erforderlich;
ein ungeschickter Tritt verursachte Riss oder Loch in den dünnen
Wänden, eine falsche Bewegung Hess es umschlagen. Das Reisen in
ihnen war daher höchst unbequem, wie die Missionare uns so oft
erzählt haben. Aber der Indianer fühlte dies nicht oder vergass es
über den vielen Vorteilen seines Schiffleins : es war sein Brotverdiener
bei Jagd und Fischfang, sein „Schuh" auf der Reise, sein Schutzdach
gegen Wind und Regen im Nachtquartier, sein Schild beim Erstürmen
von Palisaden, der Stolz des Siegers bei der Regatta. Ein Birken-
Kanu hielt sechs Jahre aus, ein Ulmen-Kanu nur einen Sommer.
In den Anfängen der europäischen Kolonien wurde alle Schiffahrt
lediglich durch Indianer besorgt ; die Kolonisten kamen mit ihren euro-
päischen Booten in jenen Wildnissen mit ihren Stromschnellen und Trage-
plätzen nicht durch, und jahrelang hat es gedauert, ehe sie es lernten, sich
das Birken-Kanu in grösserem Umfange nutzbar zu machen, das einzige
brauchbare Fahrzeug in diesen Ländern. Die es nicht lernten, hatten
nicht selten den grössten Nachteil davon, mochten sie nun Kolonisten
sein oder Soldaten. Für den Verkehr im Norden wurden die Birken-
Kanus von der allergrössten Bedeutung; die Händler, namentlich die
„Voyageurs" der Pelz-Kompagnien , übernahmen sie von den Indianern,
weil sie nichts Besseres an ihre Stelle zu setzen wussten. Die gross-
artige Entwicklung und ungemein mannigfache Verflechtung der Fluss-
systeme und Seenverbindungen Kanadas, die viele hundert Meilen weit
in Wald, Prärie und Barren-Grounds hineinführen, wurden erst durch
das Rindenboot nutzbar. Das Kanu hat Kanada erschlossen.
Ein ganz einzigartiges Birken -Kanu verfertigten die Beothuks
auf New Foundland, die sich ja auch sonst als ein alleinstehender
38
Völkerrest darstellen. Ihre 4 bis 6 m langen und in der Mitte 1,20 bis
1,30 m breiten Kanus besassen keinen Boden, sondern zwei grosse
Rindenstücke von der Form einer durch Längshalbierung gewonnenen
.Ellipsenhälfte, wurden mit ihren runden Rändern über einen gleich-
geformten Stab, eine Art von Binnenkiel, so zusammengenäht, dass
die beiden Teile flach übereinander lagen. Der offengebliebene obere
Rand wurde dann durch zwei kleinere Kreissegmente so ausgeschnitten,
dass in der Mitte eine Spitze stehen blieb. Zwischen die beiden
4,27 m
Beothuk-Kanus ; nach Lloyd.
gegenüberstehenden Spitzen wurde ein Stab als Querversteifung eingefügt,
der sowohl die beiden Bootsränder auseinander hielt, als auch ver-
hinderte, dass sie sich zu weit öffneten. Je eine ähnliche, kleinere
Querversteifung befand sich in der Nähe von Bug und Heck. Um dem
Ganzen Festigkeit und Halt zu geben, wurden innen dünne Spanten
und Längsspanten in ähnlicher Weise angebracht wie bei den übrigen
Kanus. Es ist klar, dass dieses Gestell aufs AVasser gebracht, nicht
mit dem Kiel nach unten schwimmt, sondern sich flach auf die Seite
legt. Es erhielt daher den nötigen Steinballast; hierüber wurde Moo&
und Laub gelegt, und auf dieser Schicht knieten die Pagajer. Man
— 39 —
hat gesagt, dass die Streben abnehmbar gewesen seien, und dass das
Umnähen der Rinde um den Binnenkiel mit Hilfe von Leder scharnier-
artig ausgeführt war, so dass man das Kanu zum Transport einfach
zusammenklappen konnte. Lloyd hat dies wohl mit Recht bezweifelt.
Da die Fahrzeuge aber wie alle Kanus nach dem Gebrauch zur
Schonung aus dem Wasser genommen werden mussten, und sie sich
ihres grösseren Tiefgangs wegen bei flachem Strande dem Lande ver-
hältnismässig fernhalten mussten, so war oft an ßug und Heck je eine
wagerechte Stange befestigt, die der Träger zum Transport auf eine
Schulter nahm. Eine ebensolche Vorrichtung findet sich auch bei
Einbäumen am Hudson. Es ist klar, dass diese Fahrzeuge mit ihrem
verhältnismässig tief unter dem Wasserspiegel liegenden Steinballast
bedeutend zuverlässigere Segler waren als die leichten und flachen
Kanus der übrigen Indianer. Vielleicht verdanken sie darum auch
dem Streben, dies Ziel zu erreichen, ihre sonderbare, einzigartige Form.
Denn die Beothuks, gewöhnlich 4 bis 8 Köpfe Besatzung, darunter
immer ein Weib, gingen in ihnen unverzagt aufs Meer hinaus, 30 See-
meilen weit bis zur Insel Funks, auf der Suche nach dem grossen Alk
und nach Vogeleiern. Es erscheint somit nicht unwahrscheinlich, dass
die Beothuks zu segeln verstanden, bevor sich Cabot ihren Küsten
nahte; ein Zeugnis hierüber liegt aber nicht vor.
In Mittel- und Süd- Amerika war es genau wie im Norden: die
geographischen Verhältnisse diktierten in der Hauptsache die Art des
Schiffes. Während auf dem Isthmus Kanus nur selten gewesen zu
sein scheinen, spielten sie im Inneren Guayanas eine wichtige Rolle;
Accawais, Arecunas, Macusis, Waicas, Aruaks und Warraus hatten
überall da, wo flache, reissende Gewässer und Stromhindernisse waren,
Rinden-Boote. Das berüchtigte Räubervolk der Crichanas an den
Oberläufen von Paragua, Merevari, Orinoco und Ocamo machte in
Kanu-Flottillen seine Streifzüge. Gewöhnlich wurden diese Fahrzeuge
aus einem einzigen Stück der Hymenaea courbaril oder Copaifera
pubiflora hergestellt. Die natürliche Rundung der Rinde wurde sorg-
sam bewahrt; im Gegensatz zu dem Verfahren der Indianer Nord-
Amerikas blieb also die Aussenseite der Rinde auch die Aussenseite
des Kanus. Durch Ausschneiden von sektorenförmigen Stücken vorn
und hinten und durch Hochbiegen und Zusammennähen des gebliebenen
Holzes wurden Bug und Heck dieser kunstlosen Gefährte gewonnen.
Zuweilen wurde eine Art von Dollbord-Leiste als Stütze des oberen
Bootrandes zugefügt, während Borkenstücke, als eine Art Flach
40
auf den Boden des Fahrzeugs gelegt, Schiffer und Grepäck gegen
das Sodwasser schützten. Von den mannigfaltigen Namen, unter denen
das Kanu in Brasilien weit verbreitet war und noch ist, dürfte Ubä
der bekannteste geworden sein. Gronsalves da Ponseca, Richard Spruce
und von den Steinen bezeichnen unter Ubä ganz ausdrücklich einen
Einbaum, eine Canoa , während Yarnhagen, Eduardo de Faria und
Burton mit gleicher Bestimmtheit unter Ubä ein Binden-Boot, ein
Kanu, verstehen. Rodrigues Ferreira lässt das Wort für beide Typen
gelten. Man sieht: dieselbe Verwirrung wie mit „canoa" und „piragua" !
Auf die Worte „igä" und „igära" hat sie sich zum Teil fortgesetzt;
von diesen kann man aber mit ziemlicher Bestimmtheit sagen, dass
„igä" und „igära" in den Guarani- und Tupi-Sprachen den Wert für
„Boot" als Sammelbegriff darstellen, während z, B. ein Rindenboot
Kanu auf dem Amazonas ; nach Camara.
im Guarani „igäripe" heisst. Herkunft und Bedeutung des Wortes
„ubä" sind mir unbekannt.
Zur Zeit der Entdeckung Brasiliens befuhren die Tupi das Meer
mit Kanus, die bis zu 12 m lang waren und 30, ja 40 bis 50 Mann
Besatzung führten; man würde dies für unmöglich halten, wüsste man
nicht, welche ungeheuren Stämme die amerikanische Natur hervor-
zubringen vermag. Man sah Kriegs-Flotillen von 60 Fahrzeugen, die
zwar nur bei ruhiger See fuhren und sich nicht weit vom Lande ent-
fernten, die aber lange Küstenfahrten machten und Seeschlachten
lieferten. In ihrer Form gleichen die brasilianischen Kanus den für
Guayana beschriebenen. Um die enormen Rindenstücke für jene „halb-
zylindrischen Schläuche", wie sie Martins nennt, zu gewinnen, errichtete
man an den Bäumen hohe Gerüste, die Hans Stade bei den Tupi am
Meere genau so fand, wie Crevaux drei Jahrhunderte später im Hinter-
lande Guayanas. Nach dem Inneren Brasihens zu wurden diese Fahr-
zeuge kleiner und wechselten auch ein wenig in den Formen; am
Xingü fand sie von den Steinen bis zu 9 m lang, im allgemeinen aber
— 41 —
waren sie kleiner und hatten nur Platz für 4 Personen mit Gepäck.
Die am Xingü besassen einen spitzen Bug, aber breit abgeschnittenes,
durch leichtes halbbogenförmiges Einbiegen oder Einstülpen nach oben
gehobenes Heck. Die Kanus auf dem oberen Mamore, Chimore und
Beni waren vorn und hinten spitz. Bewegt wurden diese Boote in der
üblichen Weise durch Pagajen- seltsam ist die Erwähnung von Doppel-
Pagajen bei Lery, die, soweit ich sehe, allein dasteht, und vielleicht
auf einem Irrtum beruht. Segel können diese Schifflein nur unter
ganz besonders günstigen Verhältnissen vertragen; holen sie viel
Wasser über, dann gehen sie wegen der spezifischen Schwere der
Binde auf den Boden. Ihre Hauptvorteile sind ihre schnelle Ver-
fertigung, ihr geringer Tiefgang und ihre Tragbarkeit bei Stromschnellen
und Wasserfällen. Diese Eigenschaften bedingen ihre Verbreitung.
Ein gutes Beispiel liefert der Madeira: sein Unterlauf bis etwa zum
Aripoanä wurde mit Canoas befahren, von hier bis oberhalb der Fälle
hatten die Indianer nur Kanus, während oberhalb dieser wieder, auf
dem Guapore, dem unteren Mamore und allen Nebengewässern, sow^eit
sie kaskadenfrei waren, Canoas im Gebrauch waren. Aber scharf
sind solche Grenzen keineswegs. Die Muras und ähnliche Stromer
und Bäuber fuhren auf ihren Binden-Booten bis zum Amazonas hin-
unter, machten seine Gewässer unsicher und liefern einen v^eiteren
Beweis für die schon vorhin erwähnte Tatsache, dass der Typus der
Boote kein Hindernis für Völkerverschiebungen bildet.
Eine besondere Art von Fahrzeugen, die eine Zwischenstellung
zwischen Kanu und Canoa einnehmen, lieferten im Chaco länglich
fassförmige Bombaceen, die Samuha eriodendron und Chorisia insignis ;
von den Matacos „yuchän" genannt. Ein solches Gewächs wurde
gefällt, seiner Aste und Wurzeln beraubt und dann dem verbliebenen
Stamm von der Form eines langgezogenen Eies der Länge nach eine
Kalotte abgeschnitten. Der Inhalt von nicht viel grösserer Festigkeit
als Holundermark wurde mit Leichtigkeit entfernt; die zurückbleibende,
nach dem Austrocknen stark verhärtete Schale stellt ein Boot dar,
das einer langgestreckten Nussschale nicht unähnlich ist. Wie Soares
de Souza bezeugt, hat es auch an dem Küstensaum Brasiliens, in
Ilheos und am Bio Grande, dieser Art Kanus gegeben.
In der Magalhäes-Strasse, vom Ostausgang bis etwa zur Cördoba-
Halbinsel waren Kanus im Gebrauch, die durch Material und Form
nicht wenig an die Fahrzeuge der nördlichen Algonquins und Atha-
pasken erinnern. Von der Gegend der Desolation-Insel nach AVesten,
— 42 —
am Ausgang der Strasse, an der Westküste von Feuerland und in
den südchilenischen Fjorden bis nach Chiloe hin herrschte das Planken-
boot, die Dalca.
Unter den mannigfachen Nachrichten über das Kanu der Magal-
häes-Strasse sind vielleicht die besten die des spanischen Fregatten-
Leutnants Ciriano Cevallos der Expedition Cördoba. Loaysa scheint
1526 der einzige gewesen zu sein, der am Ostausgang bei den Pata-
goniern Rinden-Boote mit Walfisch-Spanten gesehen hat; denn diese
Stämme waren wohl, wie die Onas auf Feuerland, nie grosse Wasser-
fahrer, wurden verhältnismässig sehr bald Pferdebesitzer und haben
als Reitervolk nie wieder ein Boot betreten.
Ausser den Patagoniern werden die Ränder der Magalhäes-Strasse
und Feuerlands von drei der Sprache nach ganz verschiedenartigen
Völkern bewohnt. Auf der ganzen Osthälfte von Feuerland, von der
San Sebastian-Bai bis zur Le Maire-Strasse schweifen die Onas, männ-
liche Erscheinungen, gross, kräftig, flüchtig. Sie zerfallen in zwei sich
feindlich gegenüberstehende Gruppen, deren Grenze etwa eine vom
Kap Peilas nach Westen gezogene Linie angibt. Die Onas des Nordens
waren reine Guanako- Jäger und absolut wasserfremd; die Onas des
Südens sind Ichthyophagen, ohne dabei Schiffer zu sein. Von dem
Ostausgang des Beagle-Kanals nach Westen die ganze pacifische
Küste entlang bis nach Norden hinaus über den Westausgang der
Magalhäes-Strasse und an dieser selbst wohnten, oder vielmehr fuhren die
anderen beiden Völker, die Yaganes, Yahgans oder Yagones und Alacalufs,
unansehnliche Erscheinungen, hässlich, krummbeinig, schwerfällig auf
dem Lande. Abgesehen von den ganz verschiedenartigen Sprachen
sind sie sich zum Verwechseln ähnlich. Es sind ausgesprochene
Wasservölker. Man sieht: an der insellosen, schiffahrtfeindlichen Ost-
küste von Feuerland die wasserfremden Onas, die „Indios de ä pie" ;
an der insel- und fjordereichen pacifischen Küste die geborenen Wasser-
ratten, die „Indios de canoa". Wenige Tatsachen zeigen so schlagend
wie diese, in wie hohem Masse die primitive Schiffahrt eine Funktion
der Natur ist.
Das Gebiet der den Chonos nahestehenden Alacalufs reichte etwa
von der Südspitze von Santa Ines-Insel bis über den Westausgang
der Magalhäes-Strasse nach Norden hinaus, während die Länder und
Gewässer von genannter Insel nach Südosten bis zum Ostausgang des
Beagle-Kanals, bis zum Kap Hoorn und zur entfernten Ildefonso-
Gruppe den Yaganes zufielen. Den an den mittleren und mehr östlichen
— 43 —
Teilen der Magalhäes-Strasse beheimateten Banden der letzteren
gehörten in der Hauptsache die gleich zu erwähnenden Kanus zu,
während die später zu besprechenden Plankenboote vornehmlich bei
den Alacalufs beobachtet worden sind. Dies lässt aber keineswegs
den Schluss auf eine reinliche Trennung zwischen diesen beiden zu,
denn die Yaganes der pacifischen Aussenseite benutzten ebenfalls
Plankenboote, während Alacalufs im Innern sehr wahrscheinlich Kanus
hatten.
Die Kanus der Magalhäes-Strasse sind aus Rindenstücken der antark-
tischen Birke in ähnlicher Weise zusammengenäht, wie die von Nord-
Amerika. Bug und Heck laufen spitz nach vorn und oben, sind aber nicht
schneckenförmig nach rückwärts gewunden wie bei jenen. Durch starke,
von Dollbord zu Dollbord quer hinübergebundene Stäbe wurden die
Kanuwände auseinander und in ihrer Lage erhalten. Sie erinnerten
einen Beobachter an die kleinen Boote, die bei uns Kinder aus Erbsen-
hülsen, gewöhnlich Schoten genannt, zu machen pflegen. Die Fahr-
zeuge waren von 372 bis 6 m lang, etwa 1 m breit, und hatten Platz
für 7 bis 8 Personen. Aber auch solche von mehr als 8 m Länge
mit Raum für 12 bis 15 Personen werden erwähnt. Linen hatten sie
ein sehr dichtes Gerippe von Spanten und Längsspanten, über dem ein
Brett als Flach lag. Auf diesem Flach befand sich stets eine Art
Herd aus Lehm oder Austernschalen aufgeführt, auf dem Tag und
Nacht ein Feuer brannte. Bewegt wurden diese Kanus durch Pagajen;
für günstige Witterungsverhältnisse war etwas Tau- und Segelwerk
vorhanden, bestehend aus einem Seehundsfell und Seilen aus gedrehten
Binsen. In einem Kanu, welches genau beobachtet wurde, pagajeten
die Frau und der älteste Knabe, während der Mann das Sodwasser
ausschöpfte und das Feuer unterhielt.
Die Dalca.
Auf die Kanus folgt das Planken-Boot, die Dalca, welche an der
Küste Chile's vom Chiloe-Archipel bis Kap Hoorn verbreitet war. Die
Dalca ist nachweisbar aus dem eben beschriebenen Kanu der Maga-
lhäes-Strasse entstanden. Wir haben einen Typus, von dem man nicht
weiss, ob er ein Kanu oder eine Dalca darstellt, der also offenbar die
Anfänge der letzteren vorführt. Dann haben wir Dalcas, deren Planken
aus zollstarker Rinde sind, und schliesslich solche, welche Holzbretter
als Planken haben. Diese letzteren stellen, vom schiffstechnischen
— 44 —
Standpunkt aus betrachtet, den am meisten vorgeschrittenen Typus
aller primitiven amerikanischen Wasserfahrzeuge dar. Sie waren aber
nicht annähernd so leistungsfähig, wie die später zu behandelnden
Piraguas, die auf einem anderen Wege diese Entwicklungsstufe vom
Boot des Naturmenschen zum Schiff der Kultur zurückgelegt haben.
Die Dalcas waren 4 bis 8 m lang, in der Mitte 1 bis 1,20 m
breit und 0,90 bis 1 m tief; sie boten Platz für 9 bis 12 Personen.
In ihrer Gestalt glichen sie den einfachen Fischerbooten und flachen
Kahnfähren, die man noch heute vielfach auf den Flüssen und Seen
Europas antrifft. Zum Bau wurden drei Stücke zollstarker Fichten-
oder Araucaria-Rinde oder ebensolche Bretter verwendet. Das Boden-
stück verjüngte sich von der Mitte aus in ganz leichten Bogenkrüm-
mungen nach den Enden zu, welche mit Hilfe von Feuer nach oben
gebogen wurden und Vor- und Achtersteven des Bootes darstellten.
Auf dieses Bodenstück wurden nahezu senkrecht die beiden anderen
Planken als Boots wände aufgesetzt; sie verjüngten sich ebenfalls nach
den Enden und mussten, um den Linien des Mittelstückes folgen zu
können, gleichfalls leicht gerundet sein. Am Bug und Heck trafen sich
die drei Planken, oder trafen sich wenigstens nahezu, je nachdem das
Bodenstück ganz spitz zulief oder eine geringe Breite behielt. Die
einzelnen Stücke waren mittelst zäher Pflanzen, die im Wasser schwer
faulten, zusammengenäht; die Löcher hierzu wurden vorher mit Hilfe
von Feuer gebohrt. Mit verschiedenen Pflanzenstoffen als Werg und
mit geschmolzenem Harz wurde gründlich kalfatert. Von innen Avurde
das Fahrzeug durch ein System von Spanten und Längsspanten ge-
stützt, die im Durchschnitt halbkreisförmig waren und mit ihrer flachen
Seite auf der Rinde dicht auflagen. Am oberen Bande lief eine Art
von Dollbord-Leiste, welche die Spantenköpfe zusammenhielt. Innen
war die Dalca mit einer Wegerung ausgefüttert, Binnenplanken aus
Borke, über die ausserdem am Boden noch ein Flach gelegt wurde,
in dem sich ein Loch für die Reinigung des Schiffssods befand. Auf
dieses Flach wurde in der Mitte eine 6 Zoll starke Lehmschicht gelegt,
die zugleich als Ballast diente und als Herd für das wenigstens im
Süden nie fehlende Feuer. Querhölzer als eine Art von Duchten ver-
vollständigten die innere Einrichtung der Dalca und zerlegten sie in
eine Anzahl von Abteilungen. Wie in diesen der Dienst geregelt
war, hat Weddell recht anschaulich beschrieben. Im vordersten Abteil
lag das Fischgerät, im zweiten sass das Weib mit der Schlag-Pagaje,
im dritten befand sich der Feuerherd; im vierten hockte ein Mann,
— 45 —
der durch das Loch im Flach das Sodwasser ausschöpfte, denn diese
Fahrzeuge machten andauernd viel Wasser. Im nächsten Raum sassen
die Männer, während sich im sechsten der Platz für das Weib mit
der Steuer-Pagaje befand. Am Heck endlich war der Platz für das
Hausgerät, Waffen und Zeug der Dalca, bestehend aus einem kleinen
Mast mit Raa, Seehundsfellsegel und Binsentauen. Diese Dalcas waren
so zierlich und sauber gebaut, dass sie Drake und seinen Seeräubern,
die wohl ein Urteil darüber hatten, nicht zum Gebrauch für Barbaren,
sondern als Lust-Gondeln für einen Fürsten erbaut zu sein schienen.
Die Indianer befuhren in ihnen mit einer Kühnheit die See, welche
die Bewunderung von Cördoba erregte, der aber trotzdem nicht ansteht,
diese vorgeschrittenen Bootbauer und unverzagten Seeleute als Menschen
der alleruntersten Stufe zu bezeichnen, als Geschöpfe, „die nicht weit
über dem Tier stehen".
Im Innern ist die Dalca bis zu den Pehuenchen am Nahuelhuapi
in das Reich der Balsa vorgedrungen, und auf ihrem Hauptgebiet an
der Küste ist sie stellenweise nicht unerheblich verbessert worden,
aber überall wohl erst in nachkolumbischer Zeit. So waren im Chiloe-
Archipel im 18. Jahrhundert aus den drei Planken fünf geworden,
und statt der Pagajen bediente man sich der Remen, nur unter Bei-
behalt der Steuer-Pagaje. An einer späteren Stelle, unter den Piraguas,
wird das Boot der Santa Barbara-Indianer beschrieben werden, welches
nach den ältesten, aber nicht sehr deutlichen Berichten der süd-
chilenischen Dalca sehr ähnlich zu sein scheint. Da es aber später
•als ein Fahrzeug nach Art der Nootka-Boote gekennzeichnet wird, so
fasse ich es als eine Art Piragua auf, wenn auch nicht ohne Be-
denken.
Beachtet man, dass gar nicht so lange vor der Entdeckung
Amerikas keine anderen Fahrzeuge als genähte arabische und indische
Dhaus und chinesische Dschunken die Meere von Süd- und Ostasien
befuhren, so wird man in der kleinen Dalca eine Erscheinung erblicken,
welche die primitive Schiffahrt Amerikas der vorgeschrittenen Alten
Welt ein wenig näher bringt.
Das Fell-Boot.
In den wenigen Fällen, wo wir Fell-Boote, Kajaks oder Umiaks,
im Besitz von Indianern finden, sind sie nachweisbar unmittelbar von
den Eskimos gekauft oder wenigstens nach Eskimo-Muster gebaut
— 46 —
worden. Dieser Satz ist im allgemeinen so richtig, dass, wo immer
in alten Berichten von Eingeborenen in Fell-Boten gesprochen wird,
deren ethnische Zugehörigkeit im übrigen zweifelhaft bleibt, man Be-
rechtigung zu der Annahme hat, dass es sich um Eskimos handelt.
Die athapaskischen Kinai in Alaska hatten z. Z. von Wrangell noch
ihre Birken -Kanus , befuhren aber ausserdem in Kajaks das Meer;
ihre Sprachgenossen, die Atuahs am Kupferfluss, bauten geräumige
ümiaks. In beiden Fällen waren diese Pell-Boote im Handel von
den Eskimos erworben oder ihnen abgesehen worden. Die sporadischen
Fell-Boote inmitten des Balsa-Gebiets von California waren durch die
Russen und ihre barbarische Gefolgschaft aus dem Norden mitgebracht
worden.
Die Micmacs auf New Foundland haben bis in die neueste Zeit
hinein für ihre Jagdzüge eine Art von Umiaks aus Renntierfellen her-
gestellt, die bis zu 5 m lang und 1,20 m breit waren, und 600 bis
700 Pfund Gewicht trugen. In ihrer alten Heimat auf dem Festlande
aber, weiter entfernt von den Eskimos, ist ein solches Fahrzeug nie
bemerkt worden.
Während der französisch-englischen Kolonialkriege wurden im
Norden zuweilen für Militär-Transporte Boote aus Elch-Fellen benutzt.
Die Canoa.
Wie bereits dargelegt, wird in dieser Abhandlung unter Canoa
der einfache amerikanische Einbaum ohne schiffste'chnische Verbesse-
rungen, ohne Kiel und ohne Plankenaufsatz, verstanden. Piragua
dagegen bezeichnet den vorgeschrittenen Typus. Das Wort „canoa"
stammt aus der Caraiben-Sprache , in der es ursprünglich das ver-
besserte Boot bezeichnete, welches wir jetzt Piragua nennen. Der
Ausdruck für den einfachen Einbaum war „coulialla" oder „couliala".
Dieses Verhältnis hat sich noch jetzt in Guayana erhalten, wo die
Piragua teils Canoe, teils Pirogue genannt wird, während der Lokal-
name für den Einbaum „kuljara", „couillara", „corjaal" oder „corial"
ist. Die ersten beiden Formen gehören dem Aruak-Sprachschatz an,
dem das Wort „canoa" völlig fremd ist. Die Verschiebung des Ak-
zents auf die letzte Silbe, die sprachlich immerhin auffällig ist, deutet
vielleicht Breton schon an, der einmal „couliala" betont. Bemerken
möchte ich noch, dass Solis im Gegensatz zu allen übrigen Quellen
zweimal ausdrücklich „canoa" betont; hierin ist er offenbar im Irrtum.
— 47 —
Andere häufig gebrauchte Bezeichnungen für canoa sind „culcha",
,,acalli" und „almadia" oder „almadl". Culcha ist auf dem Isthmus
heimisch, während acalli das Nahua-Wort für Kahn ist, dessen
Wurzel sich dort auch in anderen Ausdrücken der Seemannssprache,
wie Pagaje und Bootfahren wiederfindet. Almadia endlich gehört
dem portugiesischen Sprachschatz an, scheint aber dort ein Lehnwort
zu sein. Den portugiesischen Chronisten des Zeitalters der Ent-
deckungen ist es ganz geläufig; sie bezeichnen mit dem Wort
unterschiedslos kleine Eingeborenen-Fahrzeuge von jedem Typus,
ganz gleichgültig, ob sie nach Afrika, Asien oder Amerika hin-
gehören. Spanische und englische Seeleute haben dann dies Wort
übernommen.
Acalli, Almadia und auch wohl Culcha scheinen für die Con-
quistadoren stets den Begriff des „Kleinen" in sich getragen zu haben,
im Gegensatz zu Piragua, das die Vorstellung von einem grossen,
mächtigen Eingeborenen-Boot erweckte.
„Weidling" ist die von süddeutschen Missionaren des 17. und
18. Jahrhunderts häufig benutzte Bezeichnung für Canoa.
An der New England-Küste war die geographische Grenze zwischen
Kanu und Canoa etwa in der Gegend von Kap Ann, Nördlich dieses
Punktes, bei den Etschemins und Micmacs, hat Champlain auch nicht
einen einzigen Einbaum jemals bemerkt , während die Massachusetts-
Indianer beide Arten herstellten, wobei das Holz-Boot bereits in der
Mehrheit war. AVeiter nach Süden verschob sich das Verhältnis
immer mehr und mehr zugunsten des Einbaums; denn brauchbare
Birken -ßinde und schliesslich auch Ulmen- und Weisseichen -Rinde
wurden immer seltener, während die südliche Natur mächtigere Stämme
für Canoas vorzubringen vermochte. In Virginia finden sich daher
eigentlich nur noch Einbäume, und in den ganzen Südstaaten der
Union zu beiden Seiten des Mississippi hat die Expedition de Soto
auch nicht ein einziges Binden-Boot angetroffen. Dagegen fanden die
Spanier am Unterlauf des Mississippi bei Sioux- und Muskhogee-
Völkern die schönsten, grössten und zahlreichsten Canoas von ganz
Nord- Amerika , ausgenommen die Nordwestküste. Dass die Ein-
geborenen von „Tierra de Ayllön", den heutigen Carolinas, keinerlei
Boote besessen haben sollen, wie Petrus Martyr behauptet, beruht
sicherlich auf falscher Deutung. Bei Herrera khngt der Bericht
jedenfalls ganz anders, auch lässt unsere Kenntnis aus späterer Zeit
nicht die Auffassung zu, dass diese Indianer in irgendeiner Weise
— 48 —
wasserfremd gewesen seien. Im Gegenteil, wir werden sehen, dass
sie z. T. sehr unternehmungslustig waren.
Von Florida nach den Florida Keys und nach den Bahama-
Inseln bestand Handelsverbindung in vorkolumbischer Zeit, während
regelmässige Fahrten nach Cuba wohl erst dem 17. und 18. Jahr-
hundert angehören.
Nördhch dieses grossen Canoa-Gebiets, dem sich die Küstenländer
von Texas mit sehr rohen, aussen nicht einmal geglätteten und der
Borke entkleideten Einbäumen anschliessen, besassen in Ohio, Indiana
und Illinois die Algonquins beide Typen von Booten; je weiter nach
Westen dem Mississippi zu, desto mehr wuchs die Zahl der Einbäume.
Weiter im Norden besassen die Sauks und Foxes früher überhaupt
keinerlei Fahrzeuge, die Sioux nur kleine Kanus. Im 18. Jahrhundert
befuhren die Baubbanden der Sauks und Foxes in Birken-Booten die
Flüsse, während sie im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts in der
Hauptsache flache Einbäume hatten. Auch die Wisconsin- und Minne-
sota-Sioux, die früher Kanus hatten, besassen um diese Zeit Ein-
bäume. Man beachte diesen bemerkenswerten Wechsel, der sicherlich
eine Erklärung darin findet, dass bei an sich für Kanu und Canoa
etwa gleich günstigen Naturbedingungen der dauerhaftere Einbaum
das zerbrechliche Birken-Boot schlagen musste, sobald er mit Hilfe
europäischer Instrumente müheloser, schneller, eleganter und leichter
hergestellt werden konnte.
Dass auch in den Stammlanden, wenn man will, der Birken-
Kanus, an den kanadischen Seen, sporadisch Canoas vorkommen, be-
weist der Einbaum vom Oberen See im National-Museum zu Washington.
Vereinzelt kamen auch Canoas auf den Flüssen der westlichen Prärien
und Plains und auf dem Colorado vor, wie die Tatsache beweist,
dass man im Wortschatz dort ansässiger Stämme zuweilen ein ein-
heimisches Wort für Einbaum findet. Im allgemeinen aber behalfen
sich, wie bereits dargelegt, alle diese Indianer mit Bull-Booten und
Balsas und waren z. T. so wasserfremd, dass die fischessenden
Kiowas in dieser Eigenschaft eine Ausnahme unter allen ihren Nach-
barn gebildet haben sollen.
Die Art der Herstellung der Canoas war in allen Fällen nahezu
genau die gleiche. Konnte man sich eines entwurzelten oder an-
geschwemmten Stammes bedienen, so tat man es natürlich mit Vorliebe.
Im übrigen wurden die Stämme mit Hilfe von Feuer und Steinbeil gefällt.
Dass man Stämme ausgegraben hätte, wie dies die Einbaum-Bauer des
— 49 —
Aegeri-Sees taten, um das durch Zähigkeit und Haltbarkeit besonders
ausgezeichnete Bodenstück für das Boot mitzuverwenden , habe ich
nie gelesen. Das Feuer machte das Holz mürbe, bereitete es
für die stumpfe, primitive Axt vor; nasse Lappen oder Rinde
verhinderten, dass es zu weit nach oben um sich griff und Teile
des zukünftigen Bootes beschädigte. Feuerglühende Steine, heisses
Wasser und Steinbeil halfen den Einbaum bearbeiten und aushöhlen.
In New England verwendete man zum Bootbau Kiefern-, Eichen-
und Nussbäume, in New York, New Jersey, Delaware, Penn-
sylvania Weisstanne, zwei Ceder- Arten (Juniperus virginiana und
Cupressus thyoides), ferner eine Kastanien- Art , weisse Eiche und
Tulpenbaum. Die Ceder -Canoas hielten 20 Jahre aus, die aus
Eiche nur 4 bis 6 Jahre, die aus Tulpenbäumen hergestellten
vielleicht noch weniger. In den Südstaaten verwendete man im
allgemeinen Ceder -Arten, in Florida besonders Cupressus disticha.
Der Grösse nach waren sie natürlich ihrem Zweck entsprechend
sehr verschieden, von den kleinen Fischerbooten mit Platz für 3 bis
4 Personen bis zu 12, ja 15 m langen Kriegs-Canoas mit 40 bis
50 Mann Besatzung. Bossu spricht sogar von 60 Mann. 225 Scheffel
Getreide werden als die Last angegeben, welche eine grössere
Canoa auf dem Hudson zu tragen vermochte. Wie die Grössen,
so wechselten auch die Formen : in Virginia waren Bug und Heck
gleichmässig flach abgerundet , in Georgia ähnlich , nur war Bug
spitzer als Heck. Noch weiter im Süden, am Golf, zog man einen
spitzen Vorsteven vor, dagegen ein zumeist rechtwinklig abgeschnit-
tenes Heck. Auf alten holländischen Stichen aus dem ersten Drittel
des 17. Jahrhunderts mit Abbildungen von Nieuw- Amsterdam finden
sich Canoas der Hudson- Algonquins , deren Vor- und Achtersteven
zunächst unter einem Winkel von 45 ^ bis über den oberen Bootsrand
hinaus in die Höhe gehen; dann biegen sie nach vorn und hinten zur
wagerechten, also mit dem Wasserspiegel parallelen Richtung um und
endigen in je einem Knopf. Beauchamp, welcher einen solchen
Typus abbildet, hat die recht einleuchtende Vermutung ausgesprochen,
dass diese Ansätze dazu gedient haben könnten , das Boot zum
besseren Transport über die Trageplätze auf die Schultern der Träger
zu legen.
Sitze hatten diese Boote gewöhnlich nicht, um den Schwerpunkt
nicht zu weit nach oben zu verlegen; die Pagajer hockten auf dem
Boden.
Studien nnd Forschungen I. 4
— 50 —
Abgesehen von der pacifischen Küste hat man es in ganz Nord-
Amerika nicht zur Piragua gebracht; die „toldos", welche de Soto's
Begleiter auf einzelnen Canoas der Uferbewohner des Mississippi
bemerkten, waren weiter nichts als eine Art von Sonnensegel.
Die Nordwestküste von Nord -Amerika bildet ein ausgedehntes
Verbreitungsgebiet der Canoa, das sich vom St. Elias-Berge als Nord-
grenze bis etwa zum Kap Mendocino im Süden hinzog. Innerhalb
dieses grossen Raumes herrschten natürlich ganz erhebliche Unter-
schiede in Formen, Grrösse und Leistungsfähigkeit. Während z. B.
die Shahaptischen Stämme oberhalb der Dalles des Columbia-Flusses
sich mit höchst einfachen Einbäumen behalfen, besassen die Chinooks
an seinem Unterlauf allein fünf bis sechs elegante Sorten. Auch die
Modocs und andere Banden in der Bogue-Biver-Gegend hatten nur
^
^ r
Canoas der Thompson-Indianer; nach Teit.
rohe und plumpe Fahrzeuge, während die Klamath zwar nur einfache,
aber doch recht leistungsfähige Ceder-Canoas mit abgerundetem Bug
und Heck besassen. Die Athapasken von Nordwest - California am
Smith-Fluss sind mit einer 12 m langen und 272 m breiten Canoa in
der Nähe von Cap Mendocino angetroffen worden; sie konnte 24 Mann
oder 5 Tonnen Ladung tragen. Während die Thompson-Indianer in
Britisch-Columbia mit sechs verschiedenen Typen von Canoas eine Art
Seitenstück zu den Chinooks bilden, behalfen sich andere Stämme der
Fräser- und Peace-Biver- Gegend mit ganz primitiven Einbäumen.
Hier war, wie schon dargelegt wurde, ein Grenz- und Mischgebiet
von Canoa, Kanu und Balsa.
Solchen Gegensätzen in verhältnismässig begrenzten Bäumen steht
der grosse Unterschied zwischen den Fahrzeugen des Nordens und
des Südens gegenüber; die Canoas südlich des Columbia-Flusses
können sich mit den nördlichen kaum vergleichen lassen. Auch in
— 51 —
der nördlichen Gruppe findet ein Nachlassen der Qualität von Norden
nach Süden statt. Gute Bootbauer in ihrer Art waren die Makah
am Kap Flattery, die Wakash auf Vancouver und Umgegend, die
Tlinkit und ganz besonders die Haida*, sie haben vielleicht die
schönsten Fahrzeuge des ganzen primitiven Amerika geliefert.
Bei den Stämmen etwa vom Columbia bis nördlich zum St. Elias-
Berg kann man im allgemeinen drei Gruppen von Fahrzeugen unter-
scheiden, Jagd- und Fisch-Canoas, Familien-Canoas und Reise- oder
Kriegs-Canoas.
Die Jagd- und Fisch-Canoas, leicht tragbar, nur für 2 bis 3 Per-
sonen bestimmt, sind auf der ganzen Linie von gleichem oder sehr
ähnlichem Typus. Die Familien-Canoas, 772 bis 1072 m lang und
1,2 bis 1,8 m breit, haben Raum für 4 bis 15 Personen mit ihrem
ansehnlichen Hausrat und Reise-Proviant. Sie unterscheiden sich
meistens durch die Form von Bug und Heck nicht unwesentlich von-
einander.
Haida-Canoa; nach Wilkes.
Die Reise- und Kriegs-Canoas, bis zu 20 m lang und 272 m breit,
sind fast immer Piraguas, d. h. sie haben Planken-Aufsatz am Bug
und Heck oder zuweilen über den ganzen Bord hinweg. Auf sie wird
daher erst später eingegangen werden.
Im übrigen ist hier eine reinliche Trennung nicht zu machen ;
Übergänge zwischen den Familien-Canoas und den Piraguas waren
vorhanden. Erstere waren nämlich sehr häufig nicht in ihrer ganzen
Gestalt aus einem einzigen Stamm hergestellt, sondern herausragende
Vor- und Achtersteven, oder doch wenigstens ihre Topstücke, wurden
besonders geschnitten und dann dem Rumpf angefügt. Wurde nun
ein solcher Vorsteven oder Achtersteven so weit ausgedehnt, dass er
den Leuten im Bug und dem Mann am Ruder ein wenig Schutz
gegen feindliche Geschosse gewährte, so fragt es sich, ob ein solches
Boot noch eine Canoa oder schon eine Piragua ist. Auch die Repara-
turen, welche die Nordwest-Indianer au ihren Canoas vorzunehmen
verstanden, haben etwas von der Kunst des Piragua-Baues an sich;
schadhafte Stücke der Bootswand wurden herausgenommen und so
— 52 —
geschickt durch neue ersetzt, dass das Fahrzeug seine volle Leistungs-
fähigkeit behielt und der Schaden kaum zu sehen war.
Das beste Bauholz lieferte die gelbe Ceder (Chamaecyparis nut-
kaensis) der Königin Charlotte-Inseln und der Südgrenzen von Alaska.
Sonst wurde für kleinere und mittlere Boote die Sitka-Pichte (Picea
sitchensis), und für die grossen Canoas und Piraguas die rote oder
Riesen-Ceder (Thuja gigantea) benutzt. Wie überall, so waren auch
hier die Hilfsmittel zum Bau: Feuer, Steinbeil und Schaber zum
Fällen und Aushöhlen, heisses Wasser zum Aufweiten der mürbe
gemachten Schiffswände. Querhölzer halfen beim Auseinanderpressen
und erhielten die Wände bis zum Trocknen in ihrer neuen Lage.
Man verstand es in den zu fällenden Baum auf der Windseite ein
Loch so einzuschlagen, dass sich das dort angezündete Feuer langsam
nach innen hineinfrass, bis nach einigen Tagen der Stamm stürzte.
Die unteren Thompson -Indianer warfen in das mittelst glühender
Steine in der Canoa- Höhlung gekochte Wasser getrocknete Lachs-
köpfe. Während eines 24stündigen Kochens nahmen die Bootswände
das Ol der Lachsköpfe auf und wurden so schmiegsamer und weniger
geneigt zu platzen oder zu brechen.
Dicke Stöcke wurden in halber Bootshöhe als eine Art von
Duchten befestigt und dienten den Pagajern als Sitze. Der Ehren-
platz war hinten an der Steuer-Pagaje; er wurde gewöhnlich durch
ein Weib oder einen bejahrten Mann ausgefüllt. Die Verwendung
der Segel hat man erst von den Europäern gelernt.
Die Aussenwand wurde mit Hilfe von Feuer und ihrer Instru-
mente möglichst glatt gemacht und dann mit einer schwarzen Ölfarbe
überzogen; diese Farbe war in Verbindung mit dem Brand ein recht
wirksames Mittel gegen den Bohrwurm. Innen wurden die Boote mit
leuchtenden Farben, am liebsten mit Rot, bestrichen. Die Stevenköpfe
waren geschnitzt und verziert; ein Menschen- oder totemistischer Tier-
kopf bildete gewöhnlich das Topstück des Vorstevens. Ornamentale
Ausschmückung der Aussenwand durch Seehunds-, Benntier- oder Rot-
wildzähne war sehr beliebt. Ein Handel mit Canoas von Stamm zu
Stamm war sehr verbreitet; er hat besonders nach Ankunft der
Weissen zu grossen Verschiebungen geführt und hilft uns erklären,
wie sich so verschiedenartige Typen an demselben Orte finden kön-
nen. Denn die Indianer machten weite Kriegs- und Handelsfahrten,
zumal in ihren Piraguas; Fahrten von Sitka nach den Königin
Charlotte-Inseln und wiederum von hier nach Vancouver und den
— 53 —
Küstenplätzen am Puget Sund waren ihnen ganz geläufig. An den
Seiten der Canoas wurden in solchen Fällen häufig Schwimmblasen
befestigt, um bei Unfall auf hoher See ihre Schwimmfähigkeit zu er-
höhen.
In der Gegend etwa des Kap Mendocino begann das grosse
Balsa-Gebiet von California, das sich mit Ausnahme der Küsten und
Inseln des Santa Barbara-Kanals bis nach Sinaloa in Mexico hinab-
zog. Das mittlere und südliche Mexico, sowie das ganze Mittel-
Amerika bildeten ein grosses Verbreitungsgebiet der Canoa, obwohl,
wie gezeigt worden ist, die Balsa hier nicht fehlte, und auf dem Isth-
mus sporadisch Rinden-Boote vorkamen. Wie schon Nata, der Noah
Mexico's, der Sage zufolge mit seinem Weibe Nena in einem aus-
gehöhlten Zypressen-Stamm die Grosse Flut überstanden haben soll,
so war auch für seine Nachkommen auf allen Wasserstrassen zum
Reisen, zum Handel, zum Kriege die Canoa das wichtigste Gefährt.
In Mexico und im nördHchen Mittel-Amerika wurde gleich in den
ersten Jahren der Conquista. die Canoa am Rio Santander, in Pänuco,
bei den Tarascos auf der Laguna de Chapala, an der ganzen Vera
Cruz-Küste, in Tabasco, Campeche und Yucatän festgestellt. Als
Cortes nach Coatzacoalcos kam, waren 300 Canoas zu seinem Empfange
zugegen. Weiter im Inneren fand man sie am Rio Mescalapa in
— 54 —
Chiapas, in Guatemala auf der Laguna de Atitlän, in Vera Paz, bei
den Lacandones, auf der Laguna de Peten und am Grolf von Hon-
duras. Die damals bewohnten, später verödeten Roatan-Inseln unter-
hielten einen lebhaften Handelsverkehr nach dem gegenüberliegenden
Festland von Truxillo ; eine ganze Kriegs-Flotille der Roatan-Insulaner
wurde von Cortes beobachtet. Die berühmte Handels -Canoa von
Yucatän, die Columbus auf seiner vierten Reise an dieser selben Stelle
traf, war so „lang wie eine Graleere" , 272 m breit und trug eine
Mattenhütte für Passagiere und Waren. Auf dem See von Tezcuco
schwärmten die Acallis, „die schwimmenden Häuser", in unglaublichen
Massen umher ; 50 000 sollen es nach Herrera gewesen sein, und wenn
diese Ziffer auch stark übertrieben erscheint, so zwingt doch die nie-
drigste Angabe für die Zahl der täglich nach Mexico kommenden
Marktboote, nämlich 2000, zur Annahme einer sehr hohen Gesamt-
Maya-Boot; nach Stephens.
Ziffer. Die Schilderungen der Conquistadoren von der Unzahl der mit
Neugierigen besetzten Canoas, als sie zum erstenmal in Mexico ein-
zogen, von ihrer Rolle bei den Kämpfen zu Wasser und zu Lande,
so bei Cuitlahuac, und besonders die Darstellung ihrer verhängnis-
vollen Tätigkeit während der „Noche Triste" sind höchst wirkungs-
voll. In den Lustgärten der Azteka- Grossen fand man sie als
Vergnügungs-Gondeln. Später, als das Land durch die AVirren der
Conquista entvölkert und verödet war, als sich reissende Tiere in ge-
fährlicher Weise vermehrt hatten und scharf gemacht durch den
Genuss von Menschen- und Leichenfrass die Landwege unsicher
machten, da waren in vielen Gegenden Mexicos die Canoas tatsäch-
lich das einzigste Verkehrsmittel. Motolinia hat dies packend ge-
schildert und auch von ihren Seefahrten erzählt, die sie von Insel zu
Insel und an den Küsten entlang unternahmen. Je weiter man sich
vom Innern aus dem Meere nähert, desto grösser, sagt er, werden
die Canoas.
Weiter nach Süden in Mittel-Amerika finden wir die seetüchtigen
Mosquito-In dianer mit ihren bis zu 15 m lang werdenden Doris aus
— 55 —
Cederholz und den kleineren Pitpans aus Ceder oder Mahagoni. Dann
die wasserfreudigen Talamanca-Indianer, die Guaimles der Laguna de
Chiriqui, die schon Columbus mit einer stattlichen Flotille begrüssten,
die Küstenbewohner von Veragua und der Isthmus-Gegenden mit ihren
„Bongos" am Chagres. In Uraba gab es Canoas, die 50 bis 60 Mann
trugen. Die Fahrzeuge der Islas de las Perlas werden von den Conquista-
doren als die besten bezeichnet, die sie nach denen der Antillen gesehen
hätten; Bartolome Hurtado traf eine grosse Kriegs - Flottille dieser
räuberischen Inselbewohner. Zwischendurch fand man allerdings auch
hier und da weniger gute Schiffer; so scheinen die Indianer von
Cariarl, Punta de Castilla, auf der Grenze von Nicaragua und Costa
Nahua-Fahrzeuge ; nach Abbildungen in Codices.
Rica, z. Z. von Columbus gar keine oder doch nur wenige Fahrzeuge
besessen zu haben. Manche der grösseren und besseren dieser Fahr-
zeuge von Mexico und Mittel-Amerika waren sicherlich Piraguas, ob-
wohl es aus den Beschreibungen nur unklar zu entnehmen ist. Für
Mexico jedoch sind die Angaben ganz bestimmt: nicht nur die Con-
quistadoren unterschieden Piraguas und Canoas, sondern auch aus
den Abbildungen in den Codices ist dies unmittelbar zu entnehmen.
Zwar scheint ein sehr grosser Teil aller Nahua-Canoas sehr steilen
Vor- und Achtersteven besessen zu haben, aber es ist ausgeschlossen,
dass ein so hoher Bug und so steiles Heck, wie sie viele Fahrzeuge
in den Abbildungen zeigen, mit dem Rumpf zusammen aus einem
Baumstamm geschnitzt waren. Vielmehr war dies der „tablazön",
der Plankenaufsatz der Berichte, der im Kampfe den Kriegern am
Bug und Heck ein Schild gegen feindhche Wurfgeschosse war und
der das Fahrzeug zu einer Piragua stempelt.
— 56 —
Im übrigen waren auch die Canoas unter sich offenbar recht ver-
schieden; die Abbildungen lassen mindestens vier Typen erkennen:
1) ganz einfache flache Einbäume; 2) Canoas mit flachem Heck, aber
hochstehendem Vorsteven ; 3) solche mit mehr oder weniger ragendem
Bug und Heck, und 4) Canoas, deren Vorsteven durch einen grossen
geschnitzten Tierkopf ersetzt ist.
Als tüchtige Seefahrer besassen die Aruaks der G-rossen Antillen
und der Bahama-Inseln Canoas von allen Grössenverhältnissen, aber
sie waren offenbar nicht bis zur Piragua vorgeschritten. Die Be-
wohner von Puerto Rico sollen keinerlei Fahrzeuge besessen haben,
wenigstens befuhren sie nicht die See *, hingegen besassen die Indianer
von Jamaica die grössten und schönsten Canoas unter allen Insel-
Aruaks. Das Volk von Puerto Rico war durch die Caraiben völHg
vom Meere weggefegt worden und hatte nach Annahme von Bogen
und Pfeil eine leistungsfähige Landmacht ausgebildet. Jamaica
dagegen lag von dem Zentrum der Caraiben-Macht , Guadeloupe,
Dominica und Martinique, so weit entfernt, dass es den angegebenen
Entfernungszahlen zufolge gerade noch von den caraibischen Räuber-
Flottillen erreicht wurde. Dies genügte, wie ihre Haltung beim
Erscheinen der spanischen Schiffe zeigt, um ihnen einen trotzigen,
kriegerischen Geist zu erhalten, der ihnen das Übergewicht über die
durch die lange Entfernung erlahmte Stosskraft der Caraiben sicherte.
Im übrigen werden sie von Anfang an die seetüchtigsten aller Insel-
Aruaks gewesen sein; denn die, welche bei den Wanderungen am
weitesten von der Heimat vorgedrungen sind, werden auch die besten
Seeleute gewesen sein. Navasa ist vom Kap Tiburön aus zu sehen,
nicht aber Jamaica von Navasa oder von Cuba aus. Auf letzterer
Insel sassen die besten Seefahrer am Südost-Ende ; je weiter man auf
Cuba nach Westen kam, desto minderwertiger wurden die Canoas und
desto kleiner der geographische Horizont der Bewohner. Sie machten
eben keine Seereisen wie ihre Nachbarn im Osten der Insel und wie
die Lucayos, die eine gute Kenntnis der sie umgebenden Inselwelt und
der Küsten von Florida hatten.
Die aus Mahagoni oder Ceyba (die englischen Reisenden sagen
gewöhnlich Cotton-tree; es ist Ceiba pentandra) hergestellten Canoas
waren in allen Grössen vorhanden, von dem backtrogähnlichen Gefährt
für nur eine Person bis zu den Riesen-Kriegs-Canoas von Galeeren-
oder Fusta-Länge. Eine auf Jamaica von Columbus gemessene Canoa
hatte eine Länge von 29 m bei einer Breite von nur 2,5 m. 70 und
— 57 —
80 Pagajer in einem Boot sind ebenfalls vom Admiral bezeugt. Als
Breitenmass findet sich im übrigen mehrfach die beliebte „pipa", das
Weinfässchen, angegeben. Konrad Haebler hat in den trefflichen Vor-
bemerkungen zu der von ihm besorgten Ausgabe des deutschen Co-
lumbus-Briefes darauf hingewiesen, dass in diesem Text anstatt der
von Admiral zum Vergleich herangezogenen Fusta von 18 Eojerbänken
nur eine solche von 4 Bänken genannt wird, und dass die Zahl von
70 bis 80 Mann auf 20 bis 28 herabsinkt. Haebler erblickt in diesem
deutschen Columbus-Brief eine Übersetzung des verloren gegangenen
ursprünglichen katalonischen Textes, der besser war als die im Druck
bekannten spanischen und lateinischen Versionen. Einer seiner Beweis-
gründe sind auch diese niedrigen Zahlenangaben, welche die, wie er
meint, unglaubwürdigen Angaben der bekannten spanischen, lateinischen
und italienischen Texte korrigieren, weil „sie den wirklichen Verhält-
nissen annähernd" entsprechen. Aber das grosse Haida-Boot im
Museum zu Washington (No. 26 785) ist 18 m lang und 272 m breit;
Enciso berichtet, dass zu seiner Zeit am Congo Einbäume fuhren, die
150 Krieger fassten. Einige anderen Zahlenangaben werden noch bei
Besprechung der Piraguas gegeben werden. Dicht hintereinander in
einer Canoa hockende Pagajer gebrauchen viel weniger Platz als ßojer,
die auf festen Duchten sitzen und in festen Dollen arbeiten. Das
erwähnte Haida-Boot kann 100 Mann aufnehmen. Die eine Zahl
von 150 Mann, denen eine Canoa auf Cuba Platz gewährt haben soll,
ist möglicherweise übertrieben, im übrigen aber sehe ich aus ethnolo-
gischen Grründen nicht ein, warum man die bisher geläufigen Zahlen-
angaben des Admirals und der alten Chronisten über indianische
Riesen-Boote ablehnen sollte.
Auch manche Boote der Lucayos hatten 40 bis 45 Mann Be-
satzung. Die grosse Zahl der Canoas und die Schnelligkeit, mit der
sie bewegt wurden, werden von den Entdeckern mehrfach hervorgehoben.
Die grossen Fahrzeuge von Jamaica waren am Bug mit Schnitzereien
und Bemalung versehen.
Die Caraiben besassen drei oder, wenn man will, sogar vier
verschiedene Arten von Wasserfahrzeugen. Zunächst die schon be-
rührten Piperis, die kleinen Fischer-Balsas , dann die Piraguas, die
im Durchschnitt mit je 30 Pagajern besetzt waren und mit denen
sie in Flottillen von 10 und mehr ihre berüchtigten Raubzüge bis
auf 800 km und weiter unternahmen. Sie werden noch besonders
besprochen werden. Ihre Canoas kann man in zwei Klassen zerlegen;
— 58 —
einmal waren da die gewöhnlichen Familien- oder Gebrauchs-Boote^
die nie mehr als 6 m lang und 0,90 m bis 1,25 m breit waren.
Mit diesen Coulialas aus Ceyba- oder Mahagoni-Holz legten die
Caraiben bei ungünstigem Winde 48 bis 53 km täglich zurück. Dann
verfertigten sie noch eine ganz kleine Art von Canoas aus dem
Comäca-Holz, das wegen seiner weichen, leicht zu schneidenden Materie
von den Franzosen jener Zeit „Fourmage d'Hollande", holländischer
Käse, genannt wurde. Diese wenig leistungsfähigen Gefährte dienten
wohl nur der niedrigen Fischerei, zur Hilfe bei Flussübergängen und
für ähnliche Gebrauchszwecke einfacher Art.
Piraguas und Corials, und dazu, wie gezeigt worden ist, Kanus
waren die AVasserfahrzeuge in Guayana. Die zum Bau verwendeten
Holzarten waren verschieden ; Cederarten (Cedrela odorata ^ Icica
altissima) waren am beliebtesten. Feuer und Wasser waren die
üblichen Hilfsmittel bei der Herstellung. Die Arbeit wurde sehr
sorgsam ausgeführt und dauerte mehrere Monate. Dafür waren aber
auch die Indianerboote, vorzüglich die der Warraus, Salivas und
Otomaken, über ganz Guayana und Venezuela berühmt. Europäisches
Fabrikat war dreimal so teuer, ohne auch nur ein Drittel der Zeit
alle die Anforderungen auszuhalten ^ die Klima und Gelände fort-
während stellten, und denen jene wundervollen Fahrzeuge 10 Jahre
lang und länger erfolgreich trotzten. Auch die berühmten „Lan-
chas" oder Kanonier-Schaluppen der Insurgenten, die im Unabhängig-
keitskriege gegen Spanien eine so hervorragende Rolle spielten,
waren von den Warraus erbaut. Sie hatten eine Besatzung von 70 bis
80 Mann nebst zwei Dreipfündern ; einige sollen sogar für 100 Platz
gehabt haben. Dagegen ist die Behauptung der Warraus , dass sie
in früheren Zeiten Einbäume für 300 Mann gehabt hätten, zweifellos
grobe indianische Übertreibung. Die meisten Corials in Guayana
waren spitz am Bug und Heck; dies schwankte aber, auch das
runde oder glatt abgeschnittene Heck kommt vor. Sie erreichten
Grössen von 15 m Länge und 1,50 bis 2 m Breite und hatten Baum
für 50 Personen. Es ist aber nicht durchweg sicher, ob nicht ein
Teil dieser grossen Corials schon zur Klasse der Piraguas gerechnet
werden muss. Das erste von Europäern gesehene Boot dieser Gegend
war die Aruak-Canoa, welche Columbus zwischen Trinidad und Paria
traf; sie war gross, leicht, gut gebaut und trug in der Mitte eine
Hütte für Passagiere. Man bemerkte, dass, während die Fahrzeuge
dieser ganzen Gegend gut waren und bis zu 20 m lang wurden, weiter
— 59 —
im Westen, in Curiana, die dort „Gallitas" genannten Canoas rohere
Formen zeigten.^
Wie auf der ganzen Golf- Küste von Venezuela und Columbia, so
besassen aucb die Anwohner des Cauca und Magdalena Canoas, die
auf letzterem bis zu den Märkten der Chibchas hinaufgingen. Auf
den Mittel- und Oberläufen beider Flüsse machten ihnen jedoch schon
Balsas stark den Rang streitig, während auf dem Magdalena der
spanische Handel nach Santa Fe und später die reisenden Missionare
die einheimischen Formen der Canoas beeinflussten. Bevor aber die
Spanier die primitiven Verhältnisse umwarfen, fuhren nach dem
Zeugnis von Oviedo an den Küsten der Carthagena-Gegend Canoas, die
für 130 Mann Platz gewährten, und so breit waren, dass zu beiden
Seiten einer quergelegten „Pipa" noch Raum zum Vorbeigehen blieb. ^
Wie wir gesehen haben, war über das ganze Stromsystem des
Amazonas Balsa, Kanu und Canoa verbreitet; die umgebende Natur
bedingte die Art des Fahrzeuges und weiterhin auch seine Grösse.
Schon Pigafetta erwähnt Canoas von 30 bis 40 Mann Besatzung an den
Küsten Brasiliens; 20 bis 30 und 30 bis 40 Pagajer sind denn auch
ebenso häufige Zahlenangaben, wie Längenmasse von 10, 13, 15 m.
Als Breitenmass hat Cardim wieder die berühmte „pipa". Aber Texeira
berichtet, dass einige seiner Canoas Platz für 100 Mann hatten, und
Burton fuhr auf einem Einbaum, der ausser der Besatzung 128 Zentner
Ladung trug ; dies war aber noch nicht einmal einer von den grössten.
Simäo de Vasconcellos endlich gibt Zahlen, hinter die man ein Frage-
zeichen setzen möchte, wenn nicht die Glaubwürdigkeit dieses Jesuiten-
Paters bekannt wäre, und wenn die Völkerkunde nicht andere Beispiele
zum Vergleich böte. In seinem Leben Anchieta's erzählt er, dass die
' Navarrete: I, 401; — Vespucci: p. 14, 26, 27; — Martyr: „Dec. Tres",
I, 88; — Oviedo y Valdes: I, 343, 345; II, 380 II, 881 II; — Munoz: p. 294; —
Raleigh : „Invention of Ships", p. 8 ; — Ralegh : „Discovery", p. 49 - 51, note ; p. 52 ;
— Purchas: XVI, 311—812; — Grillet et Bechamel: p. 215, et note; — Biet: p. 55;
— Gumilla: II, 131, 134-136; — Gilij : I, 62—64; — Duro: p. 139, 140, 142; —
Barrere: p. 28, pL; 131 — 133; — Rieh. Schomburgk: I, 144—145; — Robert
H. Schomburgk: p. 308, 343; — Quandt: „Nachricht von Suriname", p. 231; —
Hilhouse : „Memoir", p. 328 ; — Brett : p. 32, 166—167 ; — Bernau : p. 16, 34—35 ;
— Kappler: p. 228—224, 232—238; — Crevaux: p. 44—45, 597, 604-607; — im
Thum: p. 295; —van Coli: „Gegevens", p. 456, 485, 486, 487; „Toegift" : p. 470,
471; — Kottenkamp: p. 208, 210, 215.
2 „Doc. Inedit. Arch. Ind.", II, 294; — Herrera: VII, 1941; VIII, 81 II; -
Stöcklein: VIII, 38; (num. 209); — de Brettes: p. 96; — Oviedo y Valdes: I, 343 IL
— 60 —
Tamoyos von Säo Vicente eine Flotte ausrüsteten, deren grösste Kriegs-
Canoas Raum für 150 Pagajer boten, die alle zugleich Kämpfer waren.
Sie benutzten ihre auf den Bordrand aufgjestützten Pagajen als Auf-
legegestelle oder Zielpfähle beim Bogenschiessen und verwendeten sie
andererseits als Parierstöcke gegen die feindlichen Geschosse. Den
Gegensatz zu diesen Riesen-Fahrzeugen bilden die ganz kleinen Ein-
bäume auf den Oberläufen der Flüsse des Amazonas-Gebiets, besonders
in der Nachbarschaft von Stromhindernissen. Zog man hier nicht
Balsas oder Kanus vor, so waren die Canoas so klein, dass sie bei
einer Länge von 2 m oder etwas mehr nur für eine oder höchstens
zwei Personen Platz gewährten und mit Leichtigkeit über die Trage-
plätze zu schaffen waren.
Zum Bau verwendete man Ceder- Arten (Cedrela odorata; Ce-
drela brasiliensis ; Icica altissima), Mahagoni (Swietenea mahagoni) und
die weniger dauerhafte Bombax ceiba. Den Omaguas schwemmte der
Ucayali die schönsten entwurzelten Cederstämme bis auf die Hellinge
ihrer halbversunkenen Inseln im Amazonas. In weiten Gebieten
Brasiliens hatten die Canoas spitzen Vor- und Achtersteven, in anderen
Teilen des Amazonas-Beckens, so auf dem Huallaga, Ucayali und in
der Nachbarschaft, war der Bug spitz, während das breite, rechtwinklig
abgeschnittene Heck eine kleine Sitz- oder Stehfläche für den Mann
mit der Steuer-Pagaje lieferte. Eine ganz besonders rohe Form von
Canoas verfertigten die Purupurus auf dem Rio Purus: mit flachem
Boden, senkrechten Wänden und von viereckiger Form glichen sie läng-
lichen schwimmenden Kisten. Bei Tupi-Stämmen und hier und da
anderswo findet sich zuweilen ornamentale Bemalung ; das abgeschnittene
Haupt der heiligen Rosa von Bararoä zierte als Topstück den Vor-
steven einer Raub-Canoa vom Rio Negro. Fortbewegt wurden die
Boote durch Pagajen; die Moxos auf dem Mamore und Guapore,
sowie die Omaguas hatten je einen Steuermann mit Pagaje für Back-
bord und Steuerbord.
Im oberen Amazonas-Gebiet war jeglicher Verkehr auf die Wasser-
strassen beschränkt; der Expedition Orellana fiel dies sofort auf.
Merkwürdig wenig Angaben über indianische Fahrzeuge finden wir in
den Berichten über den Ursüa- Aguirre-Zug ; erst am Rio Negro traf
man die ersten grossen Canoas. Bis zur Piragua haben es die Indianer
Brasiliens und des ganzen Amazonas-Beckens offenbar nicht gebracht;
alle die verschiedenen Sorten von Fahrzeugen, die heute unter den
mannigfaltigsten einheimischen Namen auf den Strömen und Flüssen
— 61 —
schwimmen und die Camara so hübsch behandelt hat, sind europäische
Verbesserungen indianischer Typen und gehören nicht in diese Ab-
handlung. Die Aymores und verwandte Tapuya sollen ebensowenig
irgendeine Art von Wasserfahrzeugen besessen haben, wie Bororö und
IVrakü, obwohl sich im Sprachschatz der beiden letzteren einheimische
Worte für „Boot" finden.^
Die im Chaco und in Süd-Brasilien aus weichmarkigen Bombaceen
angefertigten Boote, die ein Mittelding zwischen Kanu und Canoa dar-
stellen, sind bereits erwähnt worden, ebenso wie die Rundboote der
Pampas. Das Schicksal der Canoa bei manchen Stämmen dieser
Gegenden zeigt an einem neuen Beispiel, in wie hohem Grade die
Schiffahrt der Indianer von der Natur beeinflusst worden ist. Als die
Europäer zuerst die Chaco-Gegenden betraten, waren die Abiponer ein
ausgesprochenes Wasservolk, welches mehr Canoas besass, als andere
Völker. In welchem Umfange sie nach Einführung der Pferde ein
reines Reitervolk geworden sind, welches lediglich die kümmerliche
Pelota kannte, das wissen wir aus Dobrizhoffer's trefflicher Mono-
graphie. Ganz genau so steht es mit den Charrüa und sittenverwandten
Nachbarn. Während sie zur Zeit der Entdeckung mit 17 bis 20 m
langen und 0,85 bis 1 m breiten Canoas geschickt und schnell das
Meer befuhren, waren sie später als Reitervolk so wasserfremd geworden,
dass Azara und Burmeister trotz Schmidels ausdrücklicher Angabe
die Teilnahme der Charrüa beim Angriff der vier verbündeten Nationen
^ Pigafetta, m „Firsfc Voyage round the World", p. 44; — Soares de Souza:
p. 206, 207 ; — Magalhäes de Gandavo in „Revista Trimensal", XXI, 417 ; — Vas-
concellos: „Vida de Anchieta", p. 68; — Cardira: „Narrativa", p. 81, 90, 94:
Carvajal: p. LXXIV-LXXV; p. 69—70, 88, 92; — Vicente do Salvador: p. 12
Simon : I, 287 ; — „Doc. Inedit. Arch. Indias", IV, 241 ; — Texeira : XIII, 440—441
Richshoffer: „Diario", p. 121; — Ribeiro de Sampaio: p. 107; — Spix und Martius:
III, 1076, 1255; — Martius: „Ethnographie", p. 194—195; — Wied: „BrasUien",
I, 85; II, 43; — Bates: p. 44, 100, 265; — Burton in „Captivily of Hans Stade",
p. XX; — „Exped. into the Valley of the Amazons", p. 179—180; — von den Steinen:
„Reise", p. 233, 241, 241— 242; — Derselbe: „Naturvölker", p. 433, 483; — Camara:
p. 77 ff. — Coudreau: „Tocantins", p. 212, 217, 277; — Koch-Grünberg, im „An-
thropos", I, 879, 905, Anm. 4; — Manuel Rodriguez: p. 116; — „Noticias Auten-
ticas", XXVI, 422, 425; XXIX, 238; XXX, 215; XXXIII, 45; — Laureano de Santa
Cruz: p. 274, 275 ff., 296; — Gonsalves da Fonseca: p. 35—88, 88, 91, 102, 103,
107 ; — Veigl : p. 81—86 ; — Poeppig: ]I, 281—282 ; — Smyth and Lowe : p. 152-153,
plate; — Cardüs: p. 292; — Crevaux: p. 93, 95, 129, 132, 152, 153, 155, 156, 172,
185, 317; — Ordinaire: p. 282; — Marcoy : I, 461, 512, 595, 621, et note 2; 627,
630, 635, 663—664; II, 153, 236, 257, 306, 312; — Cappa: I, 5-6.
— 62 —
auf Buenos Aires bezweifelt haben, weil sie nicht im Besitz von Canoas
gewesen seien, um über den La Plata zu setzen. Orbigny führt eine
ganze Reihe von Stämmen auf, Charrüa, Chiquitos, Patagonier, Tobas,
Mataguayos, Samucos, Siriones, die, wie er jedesmal ausdrücklich
wiederholt, „niemals" ein Boot gebaut oder benutzt hätten. Abgesehen
davon, dass sich in einigen Fällen das Unrichtige dieser Behauptung
unmittelbar nachweisen lässt, legt eine vergleichende Überlegung die
Annahme nahe, dass sie wahrscheinlich durchweg falsch ist. Man geht
nicht fehl, wenn man behauptet, dass ein erheblicher Teil der Stämme,
die nach Einführung von Pferd und Rind mit Bola und Lasso auf der
Pampa und im Chaco umherstreiften und keine andere Nahrung zu
sich nehmen wollten als Fleisch, in früherer Zeit mit Canoas den
Fischen nachgingen. Denn auf diesen weiten Ebenen gab es nicht
die Bisonherden von Millionen von Köpfen, denen im Norden die
Teyas und Querechos mit Kind und Kegel und ihren kleinen Hunde-
schlitten nachzogen und die ihnen reichlich Nahrung boten. Die Pampa
und der südliche Chaco können nur ganz dünn bevölkert gewesen sein,
denn wie die nördlichen Onas auf Feuerland können sie dort nur von
Guanacos gelebt haben, die nur eine ganz ausserordentlich dünne Be-
völkerung ernähren können.
Die grossen Flottillen, welche die spanischen Entdecker auf dem
Plata, Paranä und Paraguay antrafen, bestanden aus Einbäumen aller
Grrössen, vom kleinen 3 m langen Fischerboot bis zur Kriegs-Canoa
von 24 m Länge. Je weiter man die Flüsse aufwärts ging, desto
kleiner wurden nach dem mehrfach erörterten Gesetz die Fahrzeuge ;
während man auf dem unteren Paranä und Paraguay noch Canoas
von 9 bis 10 m Länge antraf, besassen die räuberischen Payaguäs
nördlich von Asunciön nur noch solche von höchstens 6 bis 7 m Länge.
Mit diesen an Bug und Heck spitzen Canoas sollen sie, wenn es bei
ihren Kriegszügen darauf ankam, 38 bis 40 km in einer Stunde zurück-
gelegt haben. Dies behauptet wenigstens ganz ausdrücklich Azara;
wäre es denkbar, dass ein Pferd solange aushielte, so würde es
zwanzig Minuten mehr gebrauchen, um diese Strecke von 40 km im
Exerziergalopp zurückzulegen. Im Quellgebiet des Paraguay, in der
Gegend des heutigen Cuyabä, traf Cabeza de Vaca auf die Guaxarapos,
ein richtiges Wasservolk, das nach Süden einen schwunghaften Boot-
Handel mit den Payaguäs betrieb. Vier Monate des Jahres, zur Zeit der
Hochwasser, lebten sie in ihren Canoas, in denen ein Feuerherd aus
Lehm errichtet war; so zogen die Familien umher, jagten das Wild,
— 63 —
das auf den erhöhten, trocken gebhebenen Stellen zusammengetrieben
war, und sammelten beim Fallen des Wassers die Fische, welche in
Masse auf dem Trockenen zurückblieben. ^
Um die Zahl der Mischgebiete um ein letztes zu vermehren, muss
noch Peru und Chile genannt werden, wo Einbäume vereinzelt vor-
kamen. Die Yuncas, die Küstenstämme des Inkareiches, besassen
stellenweise Canoas. Drake traf einen Indianer mit Einbaum in der
Gegend des Rio Limari, Coquimbo, und Pineda y Bascuilän wurde als
Gefangener der Araukaner vermittelst einer Canoa in der Nähe von
La Imperial über einen Fluss gesetzt.
Das Hauptverbreitungsgebiet dieser Canoas in Chile scheint aber
die Küstengegend von Concepciön gewesen zu sein ; im Gegensatz zur
Dalca hiess ein solches Boot Huampu. Die Inselbewohner von Santa
Maria und Mocha bedienten sich ihrer unverzagt zu längeren See-
fahrten, obwohl sie sehr wenig leistungsfähige Fahrzeuge waren. ^
Die Piragua.
Über die Piragua ist schon einiges gesagt worden. Nach
Rafinesque stammt das Wort aus dem Dialekt der Aruaks von Puerto
Rico, nach Oviedo aus der Sprache der Insel-Caraiben , nach Cobo
von Tierra Firme, hier Guayana und Venezuela, also auch wohl aus
der Caraiben-Sprache. Rojas hat gefragt, ob das Wort nicht vielleicht
der Tupi-Sprache entnommen sei und mit dem Tupi- und Guarani-
Wort pirä, Fisch, zusammenhänge. Zusammensetzungen und auch Orts-
bezeichnungen, wie Piräquä und Piracunän erinnern allerdings stark
an unser Wort. Die Tatsache, dass die Tupi und Guarani den Typus
der Piragua gar nicht gekannt haben, würde schliesslich angesichts
der Willkür, mit der einheimische Namen auf indianische Fahrzeuge
angewendet worden sind, belanglos sein. Wie bereits dargelegt^ wird
nach dem Vorgange der Spanier unter Piragua jedes primitive ameri-
kanische Boot bezeichnet, dessen Bordwände durch Aufsetzen von
^ Schmidel: p. 32, 34, 38, 41 ; — Cabeza de Vaca: „Naufragios y Comentarios" I,
278, 279, 280—281; — Gomes Jardim, in „Revista Trimensal", XIII, 353-355; —
Lopes de Souza, in „ßevista Trimensal", XXIV, 48; — Azara: II, 57, 144—145; —
d'Orbigny: p. 102, 172, 223, 226, 232, 238, 251, 256, 264, 285, 290, 294, 295, 298,
302, 304, 306, 308, 310, 333, 341, 348; — Boggiani: „Caduvei", p. 5. —
2 Fletcher: „Drake", p. 100; — Cobo: IV, 216; — Pineda y Bascufiän: p. 87; —
Rosales: I, 173, 174; — Medina: „Aborijenes", p. 191—192; — Valdivia: „Arte";
sub „varco", „nauio"; — Havestadt: I, 507, Ziff. 557.
— 64 —
Planken ganz oder doch wenigstens zum Teil eine Erhöhung erhalten
haben. Das Fahrzeug war also kein reiner Einbaum mehr, vielmehr
war der Einbaum zu einem erweiterten Kiel herabgedrückt und hatte
sich mit der aufgesetzten Planke in die Schiffswand zu teilen. Wurde
dann im Laufe der Entwicklung die Zahl der Planken verdoppelt oder
verdreifacht, wurde dementsprechend der Einbaum immer kleiner
und kielartiger , so nähern wir uns dem Boot des modernen
Schiffszimmermanns. So erklärt die Piragua die Entstehung unserer
Boote aus dem Einbaum unserer Vorfahren, ebenso wie die
Dalca der Schlüssel für die Entwicklung des Plankenboots aus dem
Kanu ist.
In Amerika gab es fünf Verbreitungsgebiete der Piragua, die
Nordwestküste, die Santa Barbara-Inseln, Mexico, die Kleinen Antillen
und Gruayana. Von ihnen hängen die Kleinen Antillen und Guayana
zweifellos zusammen, bei der Nordwestküste und dem Santa Barbara-
Bezirk glaube ich an einen ehemaligen Zusammenhang zuversichtlich,
während Mexico mit seinen weniger charakteristischen Piraguas allein
dasteht. Denn ehemalige Beziehungen von Nahuas zu Nordwest-India-
nern sind zunächst noch nicht bewiesen.
Wo sonst noch Piraguas gefunden worden sind, auf dem Isthmus
und zur spanischen Zeit in Peru, da sind sie offenbar Entlehnungen
oder Übertragungen.^
Die Piraguas der Nordwest-Indianer hatten in der Regel nur
Plankenerhöhung an Bug und Heck; nur in seltenen Fällen scheint
sie um das ganze Boot herumgelaufen zu sein. Sie war bis zu 1 m
hoch und besass am Bug zuweilen Schiessscharten. Über die Grösse
der Fahrzeuge ist schon einiges gesagt worden : Meares sah bei Nutka
eine Kriegs-Flottille von 10 Piraguas mit je 30 Mann Besatzung,
solche mit 40 bis 50 Mann werden oft genannt, und Gouverneur
Simpson mass bei den Heiltsuk eine Piragua, die 18,3 m lang, 2 m
breit, 1,35 m tief war und für 100 Mann Raum bot. Diese grossen
und dabei eleganten und leistungsfähigen Fahrzeuge sind oft beschrieben
und gerühmt worden ; man sagt, dass sie das Modell für die s. Z. ge-
feierten Klipperschiffe der Union abgegeben hätten.^
1 Martius: „Wörtersammlung", p. 3191, 521; — Cobo : IV, 217; — Montoya:
„Tesoro", p. 297; — Eojas: p. 121; — v. Tschudi: „Peru", I, 295.
2 La Perouse: II, 206; — Vancouver: II, 84, 85; - Marchand: I, 258—260,
366-367; — Lütke: 1,212; - Simpson: „Narrative", I, 204:
Races", I, 106, 166, 216; — Niblack: p. 295.
— 65 —
Zu beiden Seiten des Santa Barbara-Kanals, auf den Inseln und
dem Festlande bis etwa zur Punta Concepciön im Norden, wohnten
die 1853 ausgestorbenen Santa Barbara-Indianer. Die ersten Nach-
richten über sie stammen von den spanischen Expeditionen Cabrillo
und Vizcaino. Diese Indianer besassen Piraguas von 6,7 bis 8,4 m
Länge und 1,25 m Breite, welche bis zu 20 Personen aufuehmen
konnten. In den kleinen Fischerbooten pflegten sich 2 Mann zu be-
finden und ein Knabe zum Ausschöpfen des Sodwassers. Nach Gal-
vano stiess die Expedition Cabrillo auf Fahrzeuge, deren Beschreibung
stark an die grossen Kriegs-Piraguas der Haidas erinnert. Da aber
Ferrelo, Cabrillos Nachfolger im Kommando der Expedition, nicht
weit nach Norden über Kap Mendocino hinaus vorgedrungen ist, so
müssten entweder Fahrzeuge der Nordwest-Indianer bis in diese Gegend
gelangt sein, oder aber, was wahrscheinlicher ist, die Nachricht ist
stark übertrieben, und es handelt sich um die Piraguas der Santa
Barbara-Insulaner, deren bisher in Amerika nie gesehene, verhältnis-
mässig hochstehende Schiffsbau-Technik die Spanier immerhin über-
rascht hatte. Dass diese Insulaner nach Norden erheblich über ihre
Heimatsgrenzen hinausfuhren, kann man bei Vancouver lesen, der eine
Santa Barbara-Piragua unter 35^ 42' nördlicher Breite und 239° 6'
westlicher Länge antraf. Dieser vortreffliche Seemann war höchst
erstaunt, inmitten des californischen Binsen-Balsa-Gebiets so voll-
kommene Fahrzeuge zu finden, die, wie er angibt, „much after the
Nootka fashion" gebaut waren. Es muss gesagt werden, dass der
Charakter der Santa Barbara-Fahrzeuge nicht ganz klar ist; hätten
wir allein die Berichte der alten spanischen Chronisten, so müsste man
sie für Dalcas ansprechen. Der bei La Pateiia gefundene Bootrest
ist leider so wenig eingehend beschrieben worden, dass er nichts zur
Lösung der Frage beiträgt. Die Bemerkung des tüchtigen Beobachters
Vancouver ist für mich ausschlaggebend gewesen , die Santa Barbara-
Boote als Nootka-ähnliche Piraguas zu erklären. Sie werden es nur
insoweit gewesen sein, als das minderwertige Holzmaterial ihrer Heimat
es gestattete, und mögen den hierdurch notwendig gewordenen Modi-
fikationen einige Dalca-Ähnlichkeit verdankt haben. Beachtensw^ert ist,
dass diese Plankenboote durch 3 m lange Doppel-Pagajen fortbewegt
wurden.
Die Santa Barbara-Stämme standen ethnisch und sprachlich in
ihrer Umgebung völlig isoliert da; sobald man über die Punta Con-
cepciön nach Norden hinaus ging, gelangte man in das Gebiet ganz
Studien und Forschungen I. 5
n/
— 66 —
anders gearteter, armseliger Balsa-Schiffer ; im Süden war es genau
so, obwohl sich hier die Grenze weniger gut feststellen lässt. Dr. Eisen
meint, dass nur vier Wörter aus dem Sprachschatz dieser ausgestorbenen
Indianer auf uns gekommen seien; ihre Untersuchung hat zu keinem
Ergebnis hinsichtlich ihrer Zugehörigkeit geführt. Aber es sind ausser
diesen vier noch 23 andere Worte vorhanden, die bei Buschmann zu
finden sind und zu einer Untersuchung herausfordern. Vielleicht kommt
ein Sprachforscher auf die richtige Fährte, wenn ich darauf hinweise,
dass ein guter Teil der wenigen uns bekannt gewordenen Sitten der
Barbara- Stämme auffällig an die Nordwest-Indianer erinnert. Ich sage
dies, obwohl ich mir bewusst bin, dass Völker unter ähnlichen Lebens-
bedingungen, wie es diese beiden Seevölker waren, eine erhebliche
Zahl übereinstimmender Sitten entwickeln werden. Die im Folgenden
aufgeführten ethnologischen Momente aus dem Kulturkreis der Santa
Barbara-Stämme fehlten, soweit bekannt, ihren unmittelbaren Nach-
barn, werden aber jeden Kenner der Nordwest-Indianer sofort an
diese erinnern.
Sie besassen Planken-Boote und jagten Seehunde und ähnliche
Tiere mit Harpunen, deren selbstlösliche Spitze durch eine lange
Schnur an dem Schaft befestigt war. Sie bauten grosse Hütten
(grandes cabanas) und errichteten auf dem Dorfplatz viele dicke masten-
ähnliche Pfähle, die reichlich bemalt waren (tienen muchos maderos
incados, como masteles, y muy espesos, tienen muchas pinturas en los
mismos palos). Grosse Raben waren ihre heiligen Vögel. Sie waren
von einem derartigen Handels- und Schachergeist beseelt, dass sie
„Die Chinesen Californiens" genannt wurden. Sie stahlen wie die
Spartiaten, während ihre roheren Nachbarn ausdrücklich von diesem
Laster freigesprochen werden. Sie waren sehr kriegerisch ; immer war
ein Dorf mit dem anderen, oder eine Insel mit dem Nachbar-Eiland
in Fehde, ohne dass doch deswegen ein reger Handel im Archipel
und nach dem Festlande aufhörte. Die Köpfe der Kriegsgefangenen
wurden von älteren Männern, vielleicht Schamanen, abgeschnitten, um
zu Trophäen verarbeitet zu werden, während die überlebenden Kriegs-
gefangenen zu Sklaven gemacht wurden. Eine Empfangs-Zeremonie,
die von der Expedition Vizcamo genau in derselben Form beobachtet
wurde, wie später von Vancouver, fand sich unter genau denselben
Formen bei den Nordwest-Indianern, wie wir durch Cook, Meares und
Vancouver wissen. Waren die Piraguas oder Canoas auf eine be-
stimmte Entfernung an das zu begrüssende Schiff herangekommen,
— 67 —
so hielten sie an und sammelten sich, um dann unter feierlichem
Ohorgesang und unter Schlaghalten der Pagajen dreimal um das
Fahrzeug herumzufahren. Nach Vollendung der dritten Rundfahrt
kamen sie heran, legten an und gingen nun furchtlos an Bord, um
zuweilen auf Deck noch einen dreimaligen Rundgang zu machen.
AVährend im Santa Barbara-Gebiet zu Vizcaino's Zeiten das übliche
Friedenszeichen darin bestand, dass man Erde mit den Händen in
die Luft warf, „echar tierra en alto con las manos", kündeten die
Nordwest-Indianer ihre friedlichen Gesinnungen dadurch an, dass sie
eine weisse Adlerfeder in die Luft bliesen. Es sind dies natürlich
nur Ausserlichkeiten , aber man beachte, dass sie einen erheblichen
Teil der ganz wenigen Sitten ausmachen, die uns überhaupt über die
Barbara-Indianer überliefert sind. Es erscheint mir sehr wohl möglich,
dass die Santa Barbara-Indianer ein südlicher Ausläufer der Nord-
west-Stämme waren, deren leistungsfähige Schiffahrt sie in zurück-
liegenden Zeiten hierher geführt hatte. ^
Bei den Azteken scheinen nur die grösseren Kriegs-Canoas zu
Piraguas ausgebaut gewesen zu sein. Sie hatten, wie es die Spanier
nannten, „tablazön" , Plankenaufsatz an Bug und Heck zum Schutz
der Besatzung gegen feindliche AVurfgeschosse. Die Abbildungen in
den Codices bestätigen diese Angaben; denn wenn diese Zeichnungen
auch viel Schematisches und Konventionelles an sich haben, so bringen
sie doch das Charakteristische der Formen besonders gut zum Aus-
druck und machen auf den ersten Blick klar, dass Canoas mit so
ungewöhnlich steilem Bug und Heck nicht mit dem Körper des Fahr-
zeuges zusammen aus einem Baumstamm herausgearbeitet gewesen sein
können. Die grössten Azteken-Piraguas auf dem See von Mexico
fassten bis zu 60 Pagajer und führten für vornehme Passagiere in der
Mitte eine kleine Hütte oder ein Sonnensegel. ^
Die Piraguas der Insel-Caraiben und verschiedener Stämme in
Guayana waren die vollkommensten und leistungsfähigsten Fahrzeuge
1 Torquemada: I, 712-713, 714II, 719 II, 720 II; — „Doc. Inedit. Arch. Indias",
XIV, 177, 182; — Galvano: p. 230-231; - Fages: p. 170, 171, 314; - Venegas:
II, 441; — Vancouver: I, 263, 305; II, 246-247, 281, 385, 393, 445, 450; III, 227,
234, 291; — Cook: II, 20; - Meares, in Forster: „Geschichte" I, 104, 105; —
Paloii: VII, 361; - Buschmann: p. 540—541; — Eisen: p. 15, 16, 20-21, 24; —
Boscana: p. 308-309; — Bancroft: „Native Races", I, 408—409.
2 Diaz del Castillo: I, 105; II, 126, 127; — „Lienzo de Tlaxcalla", läm: 18,
18a; — Torquemada: I, 4601; — Herrera: II, 205 IL —
5*
— 68 —
des primitiven Amerika. In der Theorie mag schiffstechnisch die Dalca
den höheren Typus darstellen, in der Praxis erreichte sie nicht annähernd
die Leistungsfähigkeit der Piragua. Die Herstellung geschah in der
Weise, dass von dem ausgehöhlten Stamm die beiden Enden durch
senkrechte Schnitte völlig entfernt wurden, so dass das im Werden
begriffene Boot hinten und vorn offen war und nur aus dem Kiel und
zwei parallelen senkrechten Seitenwänden bestand. In diesem Zustande
wurden nun diese beiden Wände mit Hilfe von Feuer und Wasser möglichst
weit auseinander getrieben und erhielten ihrer ganzen Länge nach einen
aufgenähten Plankenaufsatz von 40 bis 45 cm Höhe. Auf diese Weise
wurde eine obere Breite der Boote von 2,25 bis 3,25 m erreicht.
Die etwa dreieckigen Offnungen vorn und hinten wurden nun durch
Querbretter geschlossen, die gewöhnlich den oberen Bootrand ein wenig
überragten. Die Piraguas wurden gründlich kalfatert und innen in
Abständen von 60 zu 60 cm mit Querhölzern als Duchten für die
Pagajer versehen. Die Piraguas der Insel-Caraiben waren 13 bis
19 m lang und trugen Besatzungen von 50 bis 60 Mann.^
Grenau dieselben Piraguas oder auch Boote mit Plankenerhöhung
nur am Bug und Heck finden sich bei den Caraiben und Aruaks von
Guayana und stellenweise längs der Küste von Venezuela und Columbia
bis nach Santa Marta und Cartagena. Die Caraiben sind vornehmlich
die Erbauer der vollkommenen Piraguas, während die Aruaks diese
offenbare Caraiben-Erfindung von ihnen nur teilweise entlehnt haben
und sich in der Hauptsache mit Canoas oder mit nur am Bug und
Heck erhöhten Piraguas begnügten. Die Beplankung bestand aus
20 — 30 cm hohen Brettern aus Palmholz oder aus dem weichen Holz
der Cecropia peltata, aus der Verwandtschaft der Maulbeerbäume.
Stellenweise wurden diese Arbeiten gänzlich ohne Kalfaterung fertig-
gestellt , ohne hierdurch , wie Gumilla erklärt , an Brauchbarkeit den
übrigen nachzustehen.^
Die Übersicht über die primitiven Wasserfahrzeuge Amerikas ist
hiermit beendet. Es ist gezeigt worden, wie sie in der Hauptsache
1 Herrera: I, 196 II; - Breton: „Car.-Frang.", p. 551, 821, 881, 108, 113 II,
1141, 115-116,12311, 1261, 1341, 144, 156II, 158II, 1641,164—165, 1681, 1711,
185 II, 2191, 249 II, 251—252, 256, 2681, 4041, 4061, 443 II, 449-450, 458 II; —
du Tertre: II, 397-399; — de la Borde: p. 26; — Rochefort: p. 452—453.
2 Gombervüle: „Dissertation", p. 26; — Grillet et Bechamel, p. 221, et note; —
Barröre: p. 28, pl.; p. 133-134; — Gumilla: II, 131-133; — Gilij : I, 64-65; -
Hartsinck: I, 22; — Brett: p. 32; — Kappler: p. 232; — imThurn: p. 293-295.
— 69 —
«ine Funktion der den Indianer umgebenden IN'atur waren. Zwar finden
wir hin und wieder Erscheinungen, die hierdurch nicht zu erklären sind,
und die man geneigt ist, ethnologischen Wanderungen oder Entlehnungen
zuzuschreiben. So das Vorkommen des sonderbaren „piperi" unter den
Insel-Caraiben, das man gern mit den Tupi in Verbindung bringen möchte,
mit denen ja auch sonst die Caraiben in ihren Sitten so manches Ge-
meinsame haben. Aber im allgemeinen trifft der obengenannte Satz zu *,
man hat seine Richtigkeit in historischen Zeiten prüfen können.
Auch die europäischen Kolonisten haben sich diesen Einflüssen
nicht entziehen können. Jahrhundertelang, stellenweise noch heute,
haben die einheimischen Fahrzeuge die besseren europäischen Boote
und Schiffe nicht aufkommen lassen. Nach dem Fall von Mexico
kamen Cortes' berühmte Brigantinen, der Stolz der Spanier, ausser
Verwendung, weil sie für die Praxis in jenen flachen Gewässern
unbrauchbar waren, der die Canoas der Indianer am besten ent-
sprachen. Die vorher genannten Jesuiten-Boote auf La Plata und
Magdalena, sowie im Norden die „Ark" der anglo-amerikanischen
Hinterwäldler, die uns aus Cooper's „Deerslayer" geläufig ist, stellen
Versuche der Weissen dar, sich an Naturverhältnisse anzupassen, denen
die üblichen europäischen Schiffstypen nicht gewachsen waren. Erst
mit der Ausrodung der Wälder, mit der Urbarmachung des Bodens und
einer gewissen Regulierung der Flüsse, ganz besonders aber erst nach
Erfindung der Dampfschiffe hat das Indianerboot im Innern Amerikas
den europäischen Fahrzeugen weichen müssen. Es ist ein Vorgang,
der noch nicht beendet ist. Dort aber, wo die europäischen Schiffe
ihre Überlegenheit ungehindert zeigen konnten, und wo auch bisher die
indianische Schiffahrt ihre beste Entwicklung genommen hatte, auf dem
freien Meere, lagen die Dinge ganz anders. Hier ist durchweg innerhalb
weniger Jahrzehnte nach dem ersten Erscheinen der Europäer in den
betreffenden Gegenden die Eingeborenen-Schiffahrt in der Hauptsache
vom Meere verschwunden. Denn gerade die Küsten waren in erster Linie
dem Eindringen der europäischen Zivihsation zugänglich, die, wie immer,
wo eine höhere Kultur unvermittelt auf eine erheblich niedrigere platzt,
den Indianer auf eine schnell absteigende Bahn brachte. Die in-
dianische Kultur Amerikas war zur Zeit der Entdeckung im Auf-
steigen begriffen; von da an ging es mit ihr rapide bergab.^
^ Acosta: I, 241; — Cooper: „Guide in the Wüderness", p. 13; — School-
craft: „Personal Memoirs", p. 19—20; — Cooper: „The Deerslayer", p. 38.
— 70 —
Das Eudergeschirr.
Die sprachlichen Formen für das kurze Streichruder der Natur-
völker sind mannigfach, Pagaje, Pagalle, Pagaie, Paddle. In der
äusseren Form herrschte in Amerika grosse Übereinstimmung, in
Eiuzelheiten und Kleinigkeiten jedoch unterschieden sie sich von Stamm
zu Stamm ebenso regelmässig, wie etwa Bogen, Pfeile und Boote.
Gemeinsam war allen ein gewisses allgemeines Äussere, das den
Spaniern den Vergleich mit einer „pala de horno" oder „cucharön",
Backschaufel oder grossem Vorlegelöffel, nahe legte. Gemeinsam war
ihnen auch die Form des Schaftes, der fast regelmässig in einen
Krückengriff, in selteneren Fällen in eine Kugel auslief. Blatt und
Schaft teilten sich gewöhnlich zu gleichen Teilen in die Gesamtlänge
der im allgemeinen kurzen Pagajen; war dies nicht der Fall, dann
war häufiger der Schaft länger als umgekehrt. Vielfach lief das Blatt
in eine scharfe, lanzenartige Spitze aus und gestattete den Gebrauch
der Pagaje als nicht ungefährliche Waffe; die Nordwestküste, die
Maynas-Länder, Chaco und Magalhäes-Strasse bieten hierfür treffliche
Beispiele.^
Das Pagajen geschieht in der Weise, dass der Mann mit dem
Antlitz voraus mit der einen Hand den Krückengriff von oben erfasst,
mit der anderen den Schaft in der Nähe des oberen Blattendes ergreift.
Beim Eintauchen schiebt die erste Hand nach vorn, während die andere
nach dem Leibe zu zieht. Die Wirkung ist genau die, welche unser
Streichen erzielt. Die Vorzüge des Pagajens vor dem Rojen und
Streichen sind die, dass die Pagajer im Boot viel enger sitzen können
als die Rojer und dass das unvermeidliche Geräusch fortfällt, welches
durch die Reibung zwischen Remen und Dollen bei jedem Schlag
erzeugt wird. Für die indianische Kriegführung waren beide Punkte
^ Über die Herkunft des Wortes Pagaje habe ich in den amerikanischen Quellen
nichts gefunden; die irokesischen Worte gagaSe und gagaSet können nur das
Interesse einer zufälligen Übereinstimmung beanspruchen; nach Veth stammt das
Wort pagaai entweder direkt aus dem Malayischen ab oder ist wenigstens mit dem
malayischen Wort pengajoeh, Pagaje, verwandt. — Bruyas : „Eadices", p. 44;
— Veth: p. 294—295; — Breton: „Car.-Frang.", p. 396 II; — Purchas: XVI, 52—53;
— Gilij: I, 65-66; — Marcoy: I, 579, 617; — Teit: p. 256; - Schmeltz: p. 61
u. Tafel IV, 1 a — c; — Habel: p. IV, No. 9; - Prado, in „Revista Trimensal", I, 32.
— Hier und im folgenden kann immer nur ein kleiner Teil der Belegstellen ange-
geben werden, weil viele von ihnen schon in früheren Angaben enthalten sind, und die
geringere Wichtigkeit der übrigen den hierdurch beanspruchten Eaum nicht recht-
fertigen würde.
— Ti-
voli höchster Wichtigkeit. Die Flibustier erkannten dies sehr wohl
und griffen, obwohl sie sämtlich gelernte Rojer waren, bei ihren
Raubzügen zur Pagaje. Das Pagajen geschah gewöhnlich im Rhythmus:
der Mann oder die beiden Leute im Bug gaben Schlag an und stimmten
den Gesang an. Die Chiribichi von Paria hatten mit dieser Aufgabe
den Steuermann betraut, der wie der Keleustes der Alten den Takt
angab. Auf diese Weise gestattete es den Indianern ihre enorme
Ausdauer 12 Stunden mit geringen Ruhepausen ununterbrochen zu
arbeiten. Smyth, ein englischer See-Offizier, gibt eine anschauliche
Beschreibung von dem Pagajen der Majnas-Völker : ihr Schlag war
regelmässig und während der ersten ^/4 Stunden langsam ; dann wurde
er allmählich schneller, bis er nach Verlauf von V/2 Stunden so schnell
war, wie die Pagajen nur bewegt werden konnten; das Kanu schien
durch das Wasser zu fliegen. Nach einer Weile stimmten die beiden
Schlagmänner im Bug einen Gesang an, worauf die Mannschaft sofort
länger und ruhiger durchzog und in den Chorgesang einstimmte. Die
beiden Leute im Bug wechselten darauf ihre Plätze, um auf diese
Weise die arbeitenden Arme abzulösen ; sobald sie ihre Tätigkeit wieder
aufgenommen hatten, tat das nächste Paar das gleiche, und so fort,
bis die ganze Mannschaft die Bootsseiten vertauscht hatte, ohne dass
das Fahrzeug hierbei im geringsten an Fahrtgeschwindigkeit verloren
hätte. Nach Verlauf von 4 bis 5 Stunden Arbeit machten sie für
eine Stunde Pause; sie Hessen das Fahrzeug treiben und tranken
Masata, von dem sich stets ein volles Gefäss im Vorschiff befindet.
Diese Beschreibung ist typisch für das ganze Amerika. P. Joäo
Daniel gibt eine eindrucksvolle Schilderung von der Technik der Tapuya
am unteren Amazonas. Das Pagajen war ihnen eine Art von Spiel
oder Tanz; völhge Gleichmässigkeit herrschte, eine einzige Kraft schien
alle zu beseelen.
Berühmt geworden in der Geschichte der Entdeckungen sind jene
wundervollen Jamaica-Pagajer, die Diego Mendez und Bartolome Fiesco
bei jener verzweifelten Fahrt vom Ostende von Jamaica über Navasa
nach Kap Tiburön brachten. Sie waren die Retter des grossen Columbus.
Castellanos hat ihrer in seinen Elegien nicht vergessen.
In der Bilderschrift der Indianer des Nordens wurde die Zahl der In-
sassen eines Kanus durch die betreffende Anzahl von Pagajen angezeigt.^
1 „Vita di Cristoforo Colorabo" : p. 350—353; — Las Casas: „Historia", III,
158—161; — Herrera: I, 151; — Martyr: „Dec. Octo", p. 575; — Breton: „Car.-
— 72 —
Über die Doppel-Pagaje ist schon an den betreffenden Stellen
das Nötige gesagt worden. Sie war einheimisch in den beiden grossen
Balsa-Zonen an den Westküsten von Nord- und Süd- Amerika; bei
den Kutenais Alaskas war sie von den Eskimo entlehnt. Ein gut
erhaltenes Stück der merkwürdigen Doppel-Pagajen der Santa Barbara-
Indianer befindet sich als Bestandteil einer Sammlung von der Van-
couver-Expedition im Britischen Museum.^
Neben den Pagajen wurden von den Indianern vielfach Staken
verwendet; wir finden sie ebenso in Canada, auf den Antillen und
dem Isthmus, wie in Guayana, am Magdalena und in den Maynas-
Ländern. Er ersetzte einmal die Pagaje in ganz flachen oder sehr
reissenden Gewässern bei der Bergfahrt, oder er fand nebenher Ver-
wendung in der Hand des Lukaus im Bug des Bootes, um das gebrechliche
Fahrzeug nicht durch Auflaufen beschädigen zu lassen. Wurde die
Strömung so stark, dass auch der Staken nicht mehr wirkte, dann trat
ein Strick an seine Stelle, und das Treideln begann.^
Der Bemen ist dem primitiven Amerika vollkommen fremd gewesen ;
wo er bei den Indianern erwähnt wird, sei es in früher, sei es in
späterer Zeit, war er unmittelbar von den Europäern entlehnt."^
Zum Steuern der Boote bedienten sich die Indianer einer Pagaje,
die hin und wieder länger war als die gewöhnlichen; die Omaguas,
die Moxos auf Mamore und Guapore und möglicherweise noch andere
Stämme dieser Gegenden verwendeten, wie bereits erwähnt, zwei
Steuer-Pagajen. Das europäische Buder war in Amerika gänzlich
unbekannt; wo es später vorkommt, ist es entlehnt. Waren Weiber
im Boot, so führte sehr häufig eine alte Frau die Steuer-Pagaje. Bei
den Tlinkit war dies eine feststehende Sitte; bei allen ihren Kriegs-Unter-
nehmungen wurden die grossen Piraguas von einem alten Weibe gesteuert
und kommandiert. Ihre Autorität scheint bei solchen Gelegenheiten
nahezu absolut gewesen zu sein; Meares erlebte es, dass eine solche
FranQ.", p. 61, 291, 37 II, 42 II, 56, 365—366, 367—368, 382 II, 441 1; — Hennepin:
„Description", p. 219; - Cobo: I\^, 216-217; — „Lettres Edif." IV, 228; - Labat:
II, 11-13; — Jewitt: p. 128, 170, 202; — Smyth and Lowe: p. 273—274; -
Brett : p. 32—33 ; — Kappler : p. 234 ; — Castellanos : „Elegias" p. 42 II, 43 II ; —
Daniel, in „Revista Trimensal" IIT, 43 ; — „Doc. Hist. St. N. Y.", I, 7, 8—9, plate.
1 Dalton: „Notes", p. 231, and plate XV, fig. 9.
2 Breton: „Car.-Frang." p. 46, 55 II, 1451, 146 II, 1471, 265 II; — du Tertre:
II, 395, pl.; — Skinner: p. 283.
^ Purchas: XIX, 420; — „Apöndice ä la Relaciön del Viage al Magallaues",
p. 60j — Sapper: „Beiträge", p. 40; — Breton: „Car. FranQ." p. 4441—11. (?).
— 73 —
Amazone mit Pagajen-Schlägen und Messerstichen die Disziplin aufrecht
erhielt, ohne dass auch nur einer der vielen in den Booten anwesenden
Männer etwas dagegen einwendete oder dem in so roher Weise
gezüchtigten Geschlechtsgenossen zu Hilfe eilte. Yancouver lernte
einen „alten Drachen" („a most excessive scold") von ähnlichem
Temperament kennen. Die immer wiederholte Geschichte von der
„Sklaverei der indianischen Frau" ist überhaupt eine Legende; mit
einem Schlagwort ist die Frage nicht zu beantworten. Es gab ebenso
viele Unterschiede in der Stellung der Squaw, als es Schattierungen
und Nuancen zwischen der sozialen Position einer Pariserin und
des Haremweibes am Bosporus gibt. Soviel nur scheint sicher, dass
mit dem Sinken der Indianerkultur nach dem Einbruch der Europäer
auch die Stellung der Squaw gesunken ist; die indianischen „Königinnen"
und „Cacicas" der Zeit der Entdeckungen werden immer seltener.
Das Weib mit der Steuer-Pagaje aber ist ein Symbol für die Stellung
der Frau in vielen primitiven indianischen Gemeinwesen.^
Das Segel.
Segel sind in den Zeiten nach der Entdeckung Amerikas früher
oder später und in der einen oder anderen Form über den ganzen
Kontinent hin von den Indianern verwendet worden. Hierüber zu
sprechen, gehört nicht in den Rahmen dieser Abhandlung. Untersucht
muss nur werden, wo der Nutzen des Segels vor der Zeit der Conquista
bekannt war oder wenigstens, wo die Wahrscheinlichkeit vorliegt, dass
man die Kraft des AVindes für die Schiffahrt auszunutzen versuchte.
Schon Baiboa erhielt auf dem Isthmus von dem Sohne des Häupt-
lings Comogre die Nachricht, dass auf der grossen Südsee Fahrzeuge
mit Segeln führen. Die Richtigkeit dieser Erzählung ist nicht zu
bezweifeln; denn einmal besassen infolge von Handelsbeziehungen die
Bewohner der Westseite des Isthmus einige geographische Kenntnis
von der Westküste Süd- Amerikas, und dann konnte sich Baiboa bei
dieser Unterhaltung dreier Spanier als Dolmetscher bedienen, die
18 Monate unter den Indianern gelebt hatten. Die Miss Verständnisse,
die den Spaniern ihr Optimismus aus den Gesten und unverstandenen
' Vancouver: II, 337, 342—343, 358—362; III, 252; — Meares, in Förster:
„Geschichte", I, 258—259; — Jewitt: p. 241; — Purchas: XIX, 422; — Breton:
„Car.-Frang.", p. 1571, 285 II; — Labat: II, 11— 12; — van Berkel: p. 106; —
Gumüla: I, 323; — Quandt: „Sprache", p. 21; — Bougainville : I, 292; — Weddell:
p. 156, 163, 191 ; — Wilkes : I, 126.
- 74 —
Sätzen der Eingeborenen hervorzuzaubern pflegte, waren also in diesem
Falle kaum zu fürchten. Und in der Tat, 13 Jahre später traf Bar-
tolome Ruiz etwa auf der Höhe von Kap San Lorenzo die erste
peruanische Balken-Balsa unter Segel. Es war ein viereckiges, zwischen
zwei nebeneinander stehende Masten gespanntes baumwollenes Segel.
In späteren Zeiten werden auch dreieckige Rutensegel, gewöhnlich
lateinische genannt, in diesen Gegenden erwähnt. Die Peruaner haben
später erzählt, dass sie die Kunst des Segeins von Viracocha gelernt
hätten, der auf einer Segel-Balsa über das Meer zu ihnen gekommen
sei. Diese Überlieferung muss natürlich unseren Blick sofort auf die
Polynesier richten, deren Ausleger-Boote ja im Prinzip auch weiter
nichts sind, als verbesserte Balsas, und deren östlichste Niederlassung
auf der Oster-Insel schliesslich nicht viel weiter von den peruanischen
Küsten entfernt ist, als von ihren nächsten westlichen Nachbarn , den
Paumotu- und Marquesas-Inseln. Aber die Nachricht ist zu sagenhaft
und leer, um weitere Rückschlüsse zu gestatten.
Binsen- und Tierhaut-Balsas vertrugen nur unter ganz ausnahms-
weise günstigen Bedingungen ein kleines Baumwollen-, Fell- oder
Mattensegel. ^
Molina sagt, dass als Don Garcia de Mendoza die Ufer des Golfes
von Ancud erreichte, die Insulaner des Chiloe-Archipels mit Ruder-
und Segelbooten ihre Gewässer befahren hätten. Ercilla aber, der als
einer der ersten Spanier auf einer Dalca fuhr, und der offenbar eine
grosse Freude an diesen flinken Fahrzeugen gehabt hatte, würde wohl
das in ein Gedicht so schön hineinpassende Segel erwähnt haben,
wenn es vorhanden gewesen wäre. Ebensowenig sagt Göngora Marmo-
lejo etwas von Segelbooten des Chiloe-Archipels. Auch der Vergleich
des Wortschatzes bei Valdivia und Havestadt lehrt , dass die mannig-
faltigen Ausdrücke für Segeln und was damit zusammenhängt bei dem
um 170 Jahre älteren Valdivia noch nicht vorhanden sind.^
Während das präkolumbische Segel bei den Inkaperuanern nicht
bezweifelt werden kann, darf das caraibische Segelboot nicht ohne
Einwände passieren. Es ist sicher, dass die Insel- Aruaks den Gebrauch
^ Navarrete: III, 432; — Martyr: „Dec. Tres", p. 151 ; — Las Casas: „Historia",
IV, 79; — Zärate, in „Vedia", II, 4661; — Sarmiento de Garaboa: „Geschichte",
p. CX; p. 90; — Garcüaso de la Vega: „Prim. Parte", p. 95; — Oviedo y Valdes :
IV, 121 — 122; — Gutierrez de Santa Clara: III, 527—528; — Benzoni: p. 388; —
Cobo: IV, 216, 219, 221; — Prescott: „Peru", p. 117.
2 Rosales: I, 172 ff.; — Molina: „Saggio", p. 168, 189—190.
— To-
des Segels nicht kannten ; Columbus stellt dies ausdrücklich fest. Sie
sollen auch das lebhafteste Erstaunen beim Anblick der spanischen
Segel gezeigt haben, und dies würde beweisen, dass sie auch bei ihren
Xachbarn und Erzfeinden, den Caraiben, eine solche Einrichtung nie
gesehen hatten. Aber hier kann man es als sehr fraglich bezeichnen,
ob die Spanier bei ihrer Unkenntnis der Eingeborenen-Sprache die
Gefühlsäusserungen der Insulaner richtig ausgelegt haben: waren sie
erstaunt über den Anblick von Segeln an sich oder über die bisher
nie gesehene Grrösse von Masten, Tau- und Segelwerk?
Mag dies unentschieden bleiben, so ist hingegen sicher, dass alle
ältesten Berichterstatter, der Admiral, sein Sohn Fernando, Petrus
Martjr, Dr. Chanca, Bernäldez, Las Casas, auch nicht das geringste
von einem caraibischen Segel erwähnen. Erst Oviedo, Castellanos,
Herrera sprechen davon, und die Franzosen einer viel späteren Zeit,
Breton, du Tertre, Rochefort und Labat, verbreiten sich eingehend
darüber. Peschel nimmt ohne Diskussion als sicher an, dass die
vorkolumbischen Caraiben das Segel kannten, während er es für uner-
wiesen hält, dass dies bei den Mayas von Yucatän der Fall war.
Ich kann mich dieser Auffassung nicht anschliessen. Ich habe auch
das Gefühl, dass die Caraiben das Segel vor 1492 kannten, aber be-
wiesen ist es nicht, und die Wahrscheinlichkeit ist hier eine weit geringere
als bei den Mayas, wo man es als bewiesen betrachten kann. Man
sollte doch meinen, dass der Entdecker Amerikas, ein Seemann, der
stets mit Vorliebe von den Fahrzeugen der Eingeborenen als Fachmann
spricht, der auf seinen letzten drei Reisen andauernd auf der Suche
nach Kulturfortschritt und höherer Intelligenz unter den vermeintlichen
Völkern Indiens ist, und der nie versäumt, die kleinsten Anzeichen
in dieser Richtung sorgfältig zu registrieren, — man sollte doch meinen,
dass er ein Segel erwähnt hätte. Sein Sohn Fernando müsste davon
gehört haben oder es selbst gesehen haben, seinem Freunde, dem Cura,
würde er davon erzählt haben, und Las Casas hätte Angaben darüber
in seinen Papieren gefunden. Auch Petrus Martyr mit seinem un-
verkennbaren Interesse für die Schiffahrt der Eingeborenen hätte sicher
nicht das Segel der Caraiben zu erwähnen vergessen, wenn ihm einer
der Entdecker davon erzählt hätte. 22 Jahre lang hatten die spanischen
Karavelen das Antillen-Meer und den Golf befahren, als Oviedo in
die Neue AVeit kam und nun als erster von den Segel-Piraguas der
Insel-Caraiben und der Bewohner der Lande um Cartagena erzählt.
Auch letztere mögen, wie die Motilones von Santa Mar ta, Caraiben
— 76 —
gewesen sein. Diese Tatsachen sprechen dafür, dass die Caraiben die
Segelschiffahrt vor 1492 nicht gekannt haben und sie erst nach dem
Vorbilde der Spanier annahmen. Wenn ich trotzdem glauben möchte,
dass die Caraiben schon ein wenig vorkolumbisches Segeln trieben, so
geschieht dies, weil erfahrungsmässig immer eine längere Reihe von
Jahren verstreicht, ehe ein Naturvolk eine fremde Erfindung derartig
aufgenommen und verdaut hat, dass es sie mit Nutzen verwenden
kann. 22 Jahre für die Insel-Caraiben und besonders 11 Jahre für
die Anwohner des Golfes von Darien erscheinen aber etwas wenig,
um eine so vollkommene Segelschiffahrt zu entwickeln wie sie Oviedo
beschreibt, zumal die Caraiben keinen freundschaftlichen Verkehr mit
den Spaniern hatten. Ein weiteres Moment liefert die Sprache der
Insel-Caraiben , eine echte Seemannssprache ; es ist das Holländisch
von Amerika. Mehr als 300 Worte, Satz- Verbindungen, Übertragungen
aus der Sprache der See aufs Land gibt Breton an, von denen sich
wiederum 150 unmittelbar auf die Fahrzeuge beziehen; 26 von letzteren
betreffen das Segeln. Alle diese sind einheimische Worte, nicht etwa
aus dem Spanischen oder Französischen entlehnt. Eine solche Sprach-
entwicklung in dieser Richtung setzt sicherlich eine sehr lange
Bekanntschaft mit der Segel Schiffahrt voraus. Ein Beweis aber für
das vorkolumbische Caraiben-Segel ist nicht erbracht.
Die Segel der Caraiben waren nur klein, auf den grossen
Kriegs -Piraguas hatten sie gewöhnlich deren zwei; sie waren aus
Baumwollenzeug genäht, später aus Leinwand, die sie von den
Franzosen erhandelten. Aus ihrer Segelfertigkeit mag nur ein Trick
erwähnt werden, weil sie durch ihn in gewisser Weise den Ausleger
der Polynesier ersetzten. Wenn der Wind so scharf wehte, dass
er den europäischen Schiffen gefährlich wurde, dann fuhren sie unver-
zagt mit fliegenden Schoten, und nur die Mannschaft auf der Leeseite
hielt als Gegendruck sämtliche Pagajen in einer bestimmten Weise
im Wasser. Die Piragua schoss dann dahin, „als wäre sie ein Arm-
brustbolzen ".^
^ Navarrete: I, 334; — Martyr: „Dec. Tres", p. 65—66; — Castellanos: „Ele-
gias", p. 23 II, estrofa 5; — Oviedo y Valdes : I, 1711; — Herrera: I, 731; —
Mufioz: p. 268 -269; — Breton: „Car.-Frang.", p. 3 1, 201, 30, 48—49, 51 II, 53 II, 76 II,
801, 107, 122, 125 II, 128 II, 162-163, 170 II, 194, 2191, 270—271, 281 II, 3311,
3641, 3871, 4071, 428 II, 437 II, 455 II, 467 II; — du Tertre: II, 385, 398; -
Peschel: „Zeitalter d. Entd.", p. 155; — Peschel: „Völkerkunde", p. 199 u. Anm. 3;
p. 205, 206 u. Anm. 2; — Oviedo y Valdes: I, 343—344.
— 77 —
Bei den Mayas, von denen man nach Peschels Ansicht nicht mit
Sicherheit behaupten kann, dass sie die Segelkraft verwendeten, liegen
die Verhältnisse folgendermassen. Es sind vier verschiedene Fälle zu
untersuchen: erstens die 10 oder 5 grossen Maya-Canoas, welche die
Expedition Cördoba 1517 bei Catoche antraf; zweitens die Canoas,
welche man während Grijalbas Fahrt täglich den Verkehr zwischen dem
Festland von Yucatän und den vorliegenden Inseln vermitteln sah;
drittens Gerönimo de Aguilar's Canoa und zuletzt die Handels-Canoa im
Golfo Dulce, jetzt Golfo Amatique, Guatemala. Das Handels-Boot,
welches Columbus während seiner vierten E>eise bei den Roatan-Inseln
antraf, scheidet von vornherein aus, denn niemand hat behauptet, dass
es gesegelt wäre.
Die 10 oder 5 grossen Canoas der Cördoba-Fahrt gingen nach
Diaz del Castillo unter „Ruder und Segel", nach Herrera nur unter
„Ruder" ; Cogolludo hat die Ansicht des ersteren zu der seinigen ge-
macht. Die Canoas der Grijalba-Expedition segelten, wie Oviedo aus-
drückhch angibt; keine Stimme erhebt sich dagegen. Gerönimo de
Aguilar kam nach Cortes und Gomara herangesegelt; Bernal Diaz
und der Augenzeuge Andres de Tapia sagen nichts davon. Die
Handels-Canoa im Golfo Dulce endlich ging nach Bernal Diaz unter
„Ruder und Segel". Andere äussern sich nicht über diesen Fall.
Was spätere Schriftsteller, von Villagutierre angefangen, für oder wider
gesagt haben, ohne Quellen anzugeben und vielleicht auch benutzt
zu haben, kann füglich übergangen werden.
Bei einer kritischen Betrachtung der vier Fälle ergibt sich zu-
nächst, dass Aguilar mit seiner Canoa als belanglos ausscheiden kann;
denn selbst wenn wir uns für Cortes und Gomara entscheiden wollten,
so bliebe immer noch der Einwurf, dass Aguilar, der als Schiffbrüchiger
aus Darien einige Jahre unter den Indianern gelebt hatte, sie die
Verwendung des Segels gelehrt hätte. In den übrigen Fällen muss
sich die Kritik zugunsten des Segels entscheiden, denn der überall
genau und treu befundene Augenzeuge in zwei Fällen, Bernal Diaz,
hat zweifellos mehr Gewicht als der Geschichtsschreiber Herrera.
Oviedo aber, der, soweit ich sehe, Peschels einziger Beleg für seine
Behauptung von der Caraiben-Segelschiffahrt ist, kann doch bei den
Mayas nicht einfach ausser acht gelassen werden. Das Segel der
Mayas ist also in drei Fällen bewiesen.
Die Azteken waren nicht nur z. Z. des Cortes-Zuges ohne Kennt-
nis des Segels, sondern sie liefern auch ein Beispiel für die vorhin
_ 78 —
erwähnte Unfähigkeit der Naturvölker, sich eine fremde Erfindung in
kurzer Zeit nutzbar zu machen. Bald nach seinem ersten Einrücken
in Mexico liess Cortes Brigantinen bauen und führte Motecuhzoma
und seine Grossen bei frischer Brise auf dem See spazieren. Mit
gewaltigem Erstaunen bemerkten die Azteken, wie sie über dem Wasser-
spiegel mühelos dahinflogen, und sahen, wie die Begleit-Canoas weit
zurückblieben. Sie hatten Wirkung und Vorzüge des Segels praktisch
erfahren. Nicht im geringsten haben sie aber später versucht oder
ist es ihnen wenigstens gelungen, sich diese Kräfte dienstbar zu machen.
Obwohl sie sich nach den gemachten Erfahrungen sagen mussten, dass
solche Segelschiffe für ihre Lagunenstadt und ihre Herrschaft auf dem
See die gefährlichsten Gregner sein würden, haben sie es doch offenbar
nicht erreicht, sich in dem Zeitraum zwischen Noche triste und Wieder-
erscheinen der Spanier die Kunst des Segeins anzueignen. Was für
einen Nutzen hätten ihnen allein durch Zufuhr von Lebensmitteln
blokadebrechende Segler bringen können! Als dann Mexicos letzter
Tag gekommen war, soll Gruatemoc nach Torquemadas Angabe ver-
sucht haben, auf einer grossen Piragua mit Zuhilfenahme eines Segels
zu entkommen. Alle anderen Berichte sagen nichts von einem Segel.
Hat aber Torquemada recht, was immerhin nicht unwahrscheinlich ist,
so muss der Versuch höchst ungeschickt gemacht worden sein. Denn
Garcia de Holguin holte das Boot mit seiner schnellsegelnden Bri-
gantine mühelos ein und nahm den Kriegschef der Azteken mit seinen
Grossen gefangen.^
Roger Williams erzählt, dass die Massachusetts-Indianer bei ihren
Fahrten auf See zur Ausnutzung des Windes Felle an kleinen Masten
aufzuspannen pflegten, ohne dass sie von den Europäern diesen Gebrauch
eines primitiven Segels gelernt hätten. Es ist dies sehr wohl möglich;
wissen wir doch auch aus anderen Gegenden, freilich zu erheblich späterer
Zeit, dass Indianer ihre mit den Händen gehaltenen Blankets oder
einen im Boot aufgepflanzten blätterreichen Busch als eine Art von
Segel benutzten. Über die Beothuks ist schon gesprochen und gesagt
worden, dass die höchst sonderbare Bauart ihrer Kanus durch den
Gebrauch des Segels hervorgerufen worden sein mag. Aber irgendein
Beweis für das vorkolumbische Segel in Kanada oder in den New
' Diaz del Castillo: I, 11, 78, 81, 321—322; II, 306; — Tapia: p. 556; —
Cortes: p. 12; — Gomara: „Mexico", p. 20a; — Martyr: „Dec. Octo", p. 291, 295; —
Oviedo y Valdes: I, 5331; — Herrera: II, 47 II; — Cogolludo: p. 41; — Torquemada:
I, 570 II; — Ortega: p. 56.
— 79 —
England-Staaten liegt nicht vor. Cabot, Verrazano, Cartier, Lescarbot,
Champlain; Hudson erwähnen nichts davon. Als Roger Williams
seine New England-Indianer ohne europäische Anleitung, wie er meint,
segeln sah, wurden diese Küsten schon seit mehr als 100 Jahren von
Kabeljau-Fischern, Sklaven- Jägern , Entdeckern und Abenteurern be-
sucht. Die Indianer hatten nicht nur oft genug Gelegenheit gehabt,
europäische Segler zu sehen, sondern sie hatten sich auch hier und
da gewaltsam in den Besitz von Segel-Pinassen setzen können. Auch
die Missionare trugen früh das ihrige dazu bei, den Indianer mit dem
Segel bekannt zu machen. Um sich bei ihren Kanu-Fahrten mit den
Eingeborenen von der ihnen höchst beschwerlichen Arbeit des Paga-
jens loszukaufen, pflegten sie der Besatzung ein grosses Stück Zeug
mit dem Bemerken zu schenken, „que cette volle est l'auiron des
Peres". Dieses Jesuiten-Segel wird für manchen ungeschulten Sohn
der Wildnis ein praktischer Lehrkursus in Navigation gewesen sein.^
Von den Tupi und Guarani wissen wir, dass sie sehr früh gewandte
Segler waren • ihre Sprachen enthalten eine gute Anzahl von Ausdrücken
betreffend Segelwerk und Schiffsmanöver, aber kein Zeugnis ist dafür vor-
handen, dass ihre Kenntnis des Segels über das Jahr 1500 zurückgeht.^
Kurz zusammengefasst ist im vorstehenden folgendes nachzu-
weisen versucht worden:
Den Gebrauch des Segels vor der Zeit der Entdeckung Amerikas
kannten zweifellos die Inkaperuaner, kaum zu bestreiten ist er bei den
Mayas. Es ist wahrscheinlich, dass auch die Caraiben diese Kenntnis
besassen-, nachgewiesen ist sie aber nicht, und Zweifel haben ihre Be-
rechtigung. Unter allen übrigen Stämmen Amerikas mag hier und
dort das Prinzip des Segels dunkel erkannt und die Kraft des Windes
in ganz primitiver Form ausgenutzt worden sein, nachgewiesen aber
ist das vorkolumbische Segel bei ihnen nicht.
Anker, Ballast und anderes Schiffsznbeliör.
Als Anker benutzten die Inkaperuaner grosse längliche Steine
von der Form der Schleifsteine, die früher die Barbiere zum Schleifen
^ Roger Wilhams: „Key", p. 223; — Gabriel Archer: p. 73; — Brereton:
p. 85—86; — Purchas: XVIII, 304; — Strachey: p. 155; —Lloyd: „On the Beo-
thucs", p. 28, 36; — Patterson: p. 136—187; — Catlin: II, 214, and pl. 294; —
Kappler: p. 233; — „Rel. d. Jesuites", 1636, p. 70—71.
2 Soares de Souza: p. 321; — Montoya: „Tesoro", p. 173—174; — Vascon-
cellos: „Vida de Anchieta", p. 68; — Martins: „Ethnogr.", p. 195.
— 80 —
ihrer Messer zu verwenden pflegten. Die Insel-Caraiben sowie Tupi
und Guarani der Küsten des südlichen BrasiHens umflochten schwere
rundliche Steine mit dicken Ruten, so dass „sie in Käfigen zu stecken
schienen" , während andere , z. B. die Seri, dicke Steine ganz einfach
an einem Tau festbanden. Es sind die Senksteine oder Senchilsteine
unserer Vorfahren. Die Indianer auf den Flüssen verwendeten ent-
weder ebensolche Ankersteine, wie sie z. B. am Delaware, Susque-
hannah, in Illinois und Massachusetts gefunden worden sind, oder sie
hatten überhaupt keine Anker, sondern steckten, wenn sie ankern
mussten, ihre Staken oder in späterer Zeit Masten in das Flussbett
und banden ihr Kanu daran. ^
Über die Schöpfgefässe ist schon gelegentlich gesprochen worden;
da die Boote gewöhnlich viel Wasser machten, so fehlten sie selten.
In den tropischen und subtropischen Ländern machte man sie aus
den halben Schalen der Früchte des Kalabassen-Baumes, in kälteren
Strichen wurde Birkenrinde mit Vorliebe zur Herstellung von Oss-
fässern verwendet. Bei den Insel-Caraiben hatte der Kapitän das
Geschäft des Sodreinigens mitzu versehen.^
Abgesehen von den Beothuks, deren Fahrzeuge darauf zugeschnitten
waren, nahmen die Indianer selten Ballast ein; etwas unfreiwilligen
AVasserballast in Gestalt des Sodwassers hatte man fast immer. Schiffs-
proviant und Körbe zum Verstauen von Geräten waren gewöhnlich am
Heck des Bootes untergebracht, Trinkgefässe meistens im Bug.^
Das Feuer ist die Kleidung des primitiven Indianers. Wir finden
daher nicht nur in kälteren Breiten, wo es natürlich erscheint, also an
der Magalhäes-Strasse und bei den Nordwest-Indianern, sondern auch
in Virginia, Florida, Brasilien die Sitte, einen Feuerherd von Lehm,
Steinen oder Austerschalen im Boot herzurichten. Aber auch der
Zubereitung der Nahrung diente dieser Herd, den man sogar auf den
Binsen-Balsas der Colorado-Indianer sehen konnte. Das Feuer half
die Austern und Muscheln öffnen, es röstete sie und kochte sie. Die
Theorie von der leichtverdaulichen, keinerlei Zubereitung erfordernden
* Oviedo y Valdes: IV, 121—122; — Breton: „Car.-Frang.", p. 381, 129 II, 2851,
446 II; — V. Ihering: „Anthrop.", p. 38; — Stöcklein: II, 79 (num. 53); — Kappler:
p. 234; — Rau: „Prehistoric Fishing", p. 192—197.
2 „Vita dl Cristoforo Colombo", p. 78; — Cobo: IV, 216, 218; — Breton:
„Car.-Frang.", p. 31 II, 121II, 168II, 1701, 449II; — Hennepin: „Description",
p. 262; — Rau: „Preh. Fishing", p. 190— 191; — CaÜinrll, 113, and pl. 210 V2, fig. f.
^ Breton: „Car.-Frang.", p. 264 II, 267 II, 276—277, 440, 456 II; — Martins:
„Ethnographie", p. 195; — Weddell: p. 320.
— 81 —
Nahrung des Strandes, welche hier und da bei den Versuchen eine Rolle
spielt, dem Problem über das Emporkommen und die Verbreitung des
primitiven, noch hilflosen Menschengeschlechts beizukommen, dürfte
in ihrer Allgemeinheit kaum richtig sein. Wir wissen durch die Zeug-
nisse von Roger Williams, Strachey, Vancouver, Thevet, du Plessis,
Labat, Bougainville und Wilkes, dass Indianer New Englands, Virginias,
der Nordwestküste, Brasiliens und der Magalhäes-Strasse ihre Austern
und Clams vor dem Verzehren rösteten, räucherten oder kochten,
während sie keinen Anstand nahmen, Fische, besonders Walfischfleisch,
roh zu verzehren. Nach Mortillet hat der prähistorische Mensch der
Seine seine Austern ebenfalls vor dem Essen geröstet. Holmes hat
aus den Küchenabfällen der virginischen Küsten den gleichen Nach-
weis geführt.^
Das von dem Eigentümer gewöhnlich in der Einsamkeit des
Waldes und der Berge angefertigte Boot wurde durch gemeinsame
Arbeit des ganzen Dorfes mit Hilfe von Walzen und Hebestangen an
das Wasser geschafft und von Stapel gelassen. Man war sehr lustig
bei solchen Gelegenheiten und trank gründlich auf Kosten des Boot-
besitzers zum Wohle des neuen Fahrzeuges, aber man war auch pein-
lich bemüht, alle die üblichen abergläubischen Formen innezuhalten
und alles Unglück Verheissende zu vermeiden. Wenn z. B. bei den
Insel-Caraiben im Moment des Stapellaufes einem der Beteiligten in-
folge der Kraftanstrengung beim Hineinschieben des Fahrzeuges ein
Unglück passierte, so erachtete man in diesem Falle einen solchen
Wind von achtern als keine günstige Brise und war überzeugt, dass
das Boot lecken oder Wasser übernehmen werde. ^
Der Indianer ging mit seinem Boot ausserordentlich sorgfältig
um; es war sein Augapfel, sein Stolz und seine Freude. Wie ein
lebendes Wesen wurde es gepflegt und vor den schädlichen Witterungs-
einflüssen möglichst geschützt. Gleich auf seiner ersten Reise fand
Columbus Bootshäuser bei den Aruaks der Grossen Antillen-, bei
' Cardim: „Narrativa", p. 36; — Mota Padilla: p. 1581; — Herrera: III, 2621
— Hariot (de Ery): tab. XIII; — Laudonniere: p. 140; — Strachey: p. 127
— Vancouver: I, 262; II, 246; — Thevet: „Singularitez", p. 148; — Marcel
„Fuegiens", p. 9, 10, 10—11, note 11; — Weddell: p. 162—163, 163; — Wükes
I, 127; — Roger Williams : „Key", p. 224; — Bougainville : II, 293 ; - Möllhausen
„Reisen", I, 254—255; — Mortillet: p. 46; — Holmes in „Amer. Anthrop." N. S.
IX, 122.
2 Veigl: p. 84—85; — Breton: „Car.-Frang.", p. 193—194, 331 II, 3631,4011,
4791; — de la Borde: p. 26.
Studien und Forscliungen I, Q
— 82 —
manchen anderen Stämmen waren sie in der einen oder anderen Form
ebenfalls vorhanden. Wo man konnte, zog man die Fahrzeuge zum
Trocknen ans Land, besonders die Birken-Kanus und Binsen-Balsas.
Andererseits wurden südamerikanische Kanus, deren dickere und
sprödere Rindenwände infolge Hitzewirkung sehr leicht rissig wurden,
zu ihrer besseren Erhaltung nach dem Gebrauch im Wasser versenkt.
Da die Einde schwer ist, versinkt ein solches Boot mit Wasser gefüllt
von selbst; unter Umständen hilft einiger Ballast nach. Die Horden
am mittleren Madeira, die Muras, die Canoeiros des Tocantins wandten
diese Versenkung auch an, um ihre Kanus den verfolgenden Feinden
zu entziehen und um zu vermeiden, dass der Anblick schwimmender
oder auf's Land gezogener Boote den Zugang zu ihrem Dorfe ver-
riet. Das Flottmachen solcher absichtlich versenkter oder durch
einen Unfall gekenterter Boote geschah mit der grössten Schnelligkeit
und Leichtigkeit.^
Seemaiiiisgeist.
über die seemännischen Eigenschaften der Indianer ist im Laufe
der Untersuchung schon manches gesagt worden. Der Lucayo-Indianer
und der Aruak von Haiti, die beide einsam auf ihrer Nussschale un-
verzagt mitten im Meere treibend von Columbus gefunden wurden,
sowie jener andere unglückliche Lucayo, der auf der Flucht aus der
Sklaverei in Espanola schon fast seine Heimat wieder erreicht hatte
und von Ayllön aufgefischt wurde, sind typisch für die vorkolumbischen
Seefahrten der Indianer im Antillenmeer. Sie scheinen eine recht
genaue geographische Kenntnis des ganzen Archipels gehabt zu haben.
Die Fahrten der Beothuks nach dem weitausliegenden „Funks" sind
schon erwähnt worden, die Algonquins von Neu-Braunschweig und der
St. Lawrence-Mündung machten Reisen von 140 bis 170 km an der
Labrador-Küste entlang. Die Indianer der Florida Keys sollen nach
Escalante Kenntnis der Bermudas gehabt haben, was sehr zweifelhaft
ist. Zur Zeit der Entdeckung waren sie jedenfalls unbewohnt; der
erste Indianer, der sie betrat, war ein Sklave, wahrscheinlich Caraibe
oder Kriegsgefangener der Caraiben, den 1616 das Schiff „Edwin"
' Navarrete: I, 222, 225; — Marcliand: I, 331 ; — Cobo : IV, 219; — Squier:
„Peru", p. 109 ; — La Hontan : I, 40 ; — van Berkel : p. 106 ; — Gass : p. 274 ; —
Gonsalves da Fonseca : p. 29 ; — Daniel, in „Eevista Trimensal", III, 283—284 ; —
Spix u. Martins: IH, 1072; — Martins: „Ethn.", p. 262; — im Thurn: p. 296; —
Stedman: I, 400.
— 83 —
von den Virginischen Inseln brachte. Die Sewee in Süd-Carolina
fassten gegen Ende des 17. Jahrhunderts den verwegenen Plan einer
Handelsexpedition nach England, um unter Vermeidung des ihnen so
nachteiligen Zwischenhandels ihre Pelze direkt im Lande der Weissen
abzusetzen. Sie erbauten eine zahlreiche Flotille grosser Canoas, ver-
stauten in ihnen ihre sämtlichen Felle und bemannt mit fast allen see-
tüchtigen Männern des ganzen Stammes stachen sie eines schönen
Tages gen England in See. Aber kaum war das Land ausser Sicht,
als ein Sturm sie überfiel, dem die meisten Boote mit Besatzung zum
Opfer fielen, während ein freundlicher Engländer die Überlebenden auf-
fischte und sie — als Sklaven nach Westindien verkaufte. Dies ist
wohl das grösste Seeunternehmen, das in historischer Zeit von Indianern
geplant und begonnen worden ist, das aber den Schein des Grossartigen
verliert, wenn wir beachten, dass die Sew^ee keine Ahnung davon
hatten, wo England liegt; sie dachten es sich viel näher. Die Xord-
west-Indianer, die Aruaks von Guayana, von den Franzosen „Les
Loups de Mer" genannt, die Tupi gehörten neben den Caraiben zu
den tüchtigsten Seefahrern Amerikas. Die Mosquitos haben den
Flibustiern gute Dienste geleistet. Aber auch Stämme, die in ihrer
Gesamtheit als wasserfern gelten, waren nicht ohne Tugenden auf der
See. P. Joäo Daniel spendet den Tapuya-Piloten des unteren Ama-
zonas hohes Lob; kein portugiesisches Schifi' befuhr die See und die
Flussmündungen dieser Gegenden, ohne einen solchen Piloten an Bord
zu haben. Sie waren erfahrene, zuverlässige Seeleute, die lieber ihr
Leben aufs Spiel setzten, als dass sie ein ihnen anvertrautes Schifi* im
Unglück im Stich Hessen.
Berühmt in den Überlieferungen der Peruaner ist die Südsee-Fahrt
von Tupac Inca Yupanqui. Eine grosse Balsa-Flottille mit 20000 Mann
Besatzung soll ihn zu den fernen Inseln Auachumbi und Nifiachumbi
geführt haben. Neun bis zwölf Monate soll der Inka abwesend ge-
wesen sein und eine interessante Beute heimgebracht haben, aus der
besonders Gefangene von schwarzer Hautfarbe bemerkenswert sind.
Sarmiento de Gamboa glaubt, dass er Südsee-Inseln erreicht habe,
Jimenez de la Espada denkt an die Galäpagos. Das erstere ist aus-
geschlossen, das zweite sehr unwahrscheinlich, obwohl die Meeres-
strömung für die Ausreise dorthin günstig ist. Es ist in erster Linie
die Ernährungsfrage, deren nicht zu erklärende Lösung von vornherein
gegen derartige überlieferte Fahrten misstrauisch machen muss. Wie
will Tupac Inka seine 20000 Mann neun Monate lang verpfiegt haben?
6*
— 84 —
Selbst die Schildkröten der Galäpagos reichen da in kurzer Zeit nicht
mehr aus. Kleine, seetüchtige Boote befahren den Ozean ebenso sicher
wie grosse Schiffe, wenn das Wetter nicht allzu ungünstig ist, aber die Un-
möglichkeit, viel Proviant mitzuführen, schliesst lange Reisen mit grösserer
Besatzung für sie aus. Die Südsee-Fahrt Tupac Inka Yupanqui's ist
zu legendenhaft, um einen reellen Kern herausschälen zu können.
Sämtliche landferne Inseln Amerikas wurden von den Entdeckern
unbewohnt betroffen , selbst Gorgona an der Küste Columbias scheint
immer öde gewesen zu sein. Es muss jedoch bemerkt werden, dass
mit Ausnahme der Bermudas alle fernliegenden Inseln Amerikas so
wenig natürliche Anziehungskraft besitzen, dass sie noch heutzutage
ganz spärlich oder gar nicht bevölkert sind.^
Soll die Schiffahrt der Indianer richtig gewürdigt werden, so darf
ein Blick auf die Natur ihrer Meere nicht vergessen werden. Das
Antillen-Meer ist im allgemeinen ruhig und ist zweifellos höchst förder-
lich gewesen für den Verkehr zwischen den meistens in Sehweite von-
einander entfernt liegenden Inseln. Die Besiedlung sämtlicher Inseln
war eine Folge davon. Andererseits haben die starken Strömungen,
die heftigen und plötzlichen Stürme, die berüchtigten Hurikane, —
furacanes, furacani, furicanes, uricanes; jurican, juracan, huracän; aus
dem Dialekt von Haiti und in die Sprache der Insel-Caraiben über-
gegangen, — des Golfs von Mexico und des Caraiben- Meeres
sicherlich dazu beigetragen, der indianischen Schiffahrt eine w^eitere
Entwicklung zu versagen. Selbst vor der kleinsten Reise, von Insel
zu Insel, wurden immer eingehend die Wetteraussichten studiert, da
man stets fürchten musste, von einem alles vernichtenden Hurican
plötzlich überfallen zu werden. Grössere Reisen zu unternehmen, bei
denen man auf längere Zeit das Land aus den Augen verlor, wagte
man nicht. Stürme von solcher Heftigkeit und Häufigkeit kennt die
Schule der europäischen primitiven Schiffahrt, das Mittelmeer, nicht.
^ Navarrete: I, 180, 191, 231, 241, 275; — „Vita di Crist. Colombo^', p. 110,
140, 237 ; — Las Casas : „Historia", I, 305 ; — Neussel : p. 10, 11 ; — Mmloz : p. 92,
93, 104, 110, 182; — Barcia: „Ensayo", Dec. I, p. 51; — Rogers: „Beschreibung",
p. 260 ; — „Col. Doc. Inedit. Arch. Indias" V, 534 ; — Lawson : p. 4—5 ; — Mooney :
„Siouan Tribes", p. 78—79; — Barrere: p. 166; — Vicente do Salvador: p. 39; —
Daniel, in „Revista Trimensal", III, 42—43 ; — Sarmiento de Gamboa : „Geschichte",
p. CX— CXI; p. 91 ; — „Tres Relaciones", p. XXIII— XXIV; — Jimenez de la Espada:
„Las Islas de los Galäpagos", p. 371—376; — Cieza de Leon, in Yedia: II, 3571; —
Vespucci: p. 42, 43; — Torquemada: 1,704—705; — „Historye of the Bermudaes",
p. 84; — Restrepo: p. 26.
— 85 —
Viele spanische Schiffe fielen diesen Natur dementen zum Opfer.
Der beste und gebildetste Seemann seiner Zeit, Christoph Columbus,
beschreibt besonders in den Briefen über seine dritte und vierte Reise
in ergreifender Weise seinen Kampf mit den Gewalten des Himmels und
der Gewässer. Dazu kam der Teredo, auch Broma genannt, der die
Schiffsplanken durchbohrte, Haifisch und Schwertfisch, welche die Ge-
fahren des Meeres in den Augen beginnender Seefahrer entschieden
erhöhen mussten. Auch im Grossen Ozean waren Strömung und Winde
einem Verkehr zwischen Isthmus und peruanischer Küste wenig günstig,
so dass alles in allem die Naturverhältnisse Amerikas primitiven Schiffs-
verbindungen nicht förderlich waren. Dadurch aber allein, dass die
am weitesten vorgeschrittenen Völker der neuen Welt, die Mayas,
Nahuas und Inkaperuaner zum gegenseitigen Austausch ihrer Kultur-
güter kamen, hätte die Entwicklung Amerikas in ein schnelleres Tempo
gebracht werden können.
Wie sehr selbst die Spanier unter diesen Verhältnissen zu
leiden hatten, mögen zwei Beispiele zeigen: noch 30 oder 40 Jahre
nach der Entdeckung Amerikas ging die Segelroute von Santo
Domingo auf Haiti nach der damals wichtigen Perleninsel Margarita
nicht quer über das Caraibische Meer, sondern die Schiffe fuhren
an Puerto Rico, Santa Cruz und dem ganzen Inselbögen der Kleinen
Antillen entlang, bis sie ihren Bestimmungsort erreiAten. Im Grossen
Ozean war noch lange Jahre nach der Besiedlung Chile's die
Verbindung zwischen Callao und Valparaiso oder Concepciön eine
Küstenfahrt, zu der man für Aus- und Heimreise mindestens ein
Jahr gebrauchte. Erst Juan Fernändez, der amerikanische Hippalos,
schlug kühn den Weg quer über das Meer ein und machte eine
Reise in 30 Tagen, die früher ein halbes Jahr in Anspruch genommen
hatte. ^
^ „Vita di Cr. Colombo", p. 217, 309-310, 332—334; — „Select Letters",
p. 198; — Martyr: „Dec. Tres", p. 54, 247, 293; - Mimoz: p. 245, 298; - Oviedo
y Valdes: 1, 167—168; IV, 580—585, 600; — Benzoni: p. 39; — Breton: „Car.-Frang.",
p. 153-154, 1621, 186, 305-307, 3911, 424II; — du Tertre: I, 496—497; II,
71—74; IV, 305-308; —Rochefort: p. 243—248, 526 II; — Martins: „Wörters."
p. 317 1 ; — Gonzalez de Mendoza : p. 220 ; — Cabega de Vaca : „Relacion", p. 6 — 9 ;
— Garcüaso de laVega: „Prim. Parte", p. 811; — „Noticias Autenticas", XXIX, 222;
— „Lettres Edif.", V, 166; — Soares de Souza: p. 37, 50, e passim; — „Col. Doc.
Ined. Arch. Indias", I, 336, 339; X, 57—65; — Amunätegui: p. 9—10; — Xerez:
p. 26; — Hawkins: p. 201—204; — Mota Padilla: p. 158 II; — Motolinia: p. 200;
— Gumilla: II, 243—244.
— 86 —
Das Hindernis für die Entwicklung der amerikanischen Fluss-
scliiffahrt waren nicht Winde und Strömungen, sondern wie wir bereits
gesehen haben, Wasserfälle und Stromschnellen, die dichten Urwälder
mit stürzenden, Wildströme mit treibenden Bäumen, „snags" und
„sawyers", und schliesslich Alligator und Jaguar, die dem primitiven
Schiffer nicht selten verhängnisvoll wurden. Wir haben gesehen, wie
diese Hindernisse derartig waren, dass sie den europäischen Kolonisten
zwangen, seine heimatlichen Boote als unbrauchbar aufzugeben, und
ihn veranlassten, sich jahrhundertelang lediglich der indianischen Fahr-
zeuge zu bedienen/
Die Indianer, welche in solchen natürlichen Hindernissen weiter
nichts als die böswilligen Grewalten übler Geister erblickten, hatten
alle möglichen abergläubischen Zeremonien, Anbetung, Opfer, um diese
geheimen Kräfte zu beschwichtigen. An der ganzen peruanischen
Küste wurde die See verehrt, die Azteken opferten jährlich einen
Knaben und ein Mädchen, die Chippeways versuchten die tosenden
Gewässer der Grossen Seen durch ein Hundeopfer zu beschwichtigen,
die Algonquins in Virginia spendeten Tabak. ^
Wie alt die amerikanische Schiffahrt ist, kann man bei den
Indianern ebensowenig sagen, als bei allen anderen Völkern, von deren
Urgeschichte man nichts weiss. Die Überlieferungen und Legenden,
in denen das Fahrzeug eine Rolle spielt, beweisen weniger das hohe
Alter des Bootes als die Tatsache, dass es ihrem Herzen nahe stand.
Immerhin bezeugen die Flutsagen, dass das Boot in irgendeiner Form
seit weit zurückliegenden Zeiten ein Kulturgut der Indianer gewesen
ist. Bei Algonquins, besonders Delawaren, Ottawas, Sauks und Foxes,
bei Irokesen, Cherokees, Nordwest-Indianern, vornehmlich Twana,
Lummi, Makah; ferner bei den Insel-Caraiben, in Darien, bei den
Makusi und Aruaks von Guayana, bei den Omaguas und Küsten-Tupi
und schliesslich bei den Aruaks von Cuba rettet ein Boot die Über-
lebenden aus der vernichtenden Flut. Die Sage der zuletzt Genannten
ist allerdings höchst verdächtig; sie erinnert stark an die Arche Noali
und lässt Erzählungen der Missionare als Grundlage vermuten, wenn
^ „Relaciones Geogräficas", I, 14; — Figueroa: p. 219—220; — Veigl: p. 269,
551; — Baucke: p. 93; — Rengger: „Reise", p. 234—235; — Rengger: „Naturg.",
p. 167, 168; — Crevaux: p. 458—460, 463—467; — Chaffanjon : p. 40.
2 Alex. Henry: p. 108, 127, 178—179; - Hariot: fol. C 3a; — „Ritos An-
tiguos", p. 350; - Garcilaso de la Vega: „Prim. Parte", p. 131, 192, 208 II, 209 II,
311 II.
— 87 —
es auch ein so früher Berichterstatter wie Las Casas ist, der sie uns
erhalten hat.^
Einen gewissen Beweis für eine sehr lange und intensive Be-
schäftigung mit der Schiffahrt liefern Körper-Deformationen, die als
Kennzeichen ganzer Yölkergruppen auftreten. Wie den Stämmen am
unteren Colorado und in den Küstenniederungen des Orinoco- und
Amazonas-Mündungsgebietes infolge des beständigen Wattenlaufens im
Laufe der Generationen eine Art Spreitz- oder „Entenfuss" heran-
gezüchtet worden war, so besassen die Nordwest-Indianer, die Pajaguäs
sowie die Yaganes und Alacalufs der Magalhäes-Strasse degenerierende
Beine infolge des ewigen Sitzens im engen Kanu. Ihre unteren Extremi-
täten waren nicht gerade durchweg schw^ach, aber sie waren derartig
missgeformt und reduziert, wie sie nur andauernder Nichtgebrauch
durch Generationen hindurch mit daraus folgender Verkümmerung
und entsprechender Vererbung hervorbringen kann. Ihre kurzen
Beine erschienen angeschwollen und besonders an den Knöcheln
stark entstellt; sie machten einen skorbutartigen Eindruck und
waren so krumm, dass die Fusssohlen teilweise nach innen verdreht
Das Boot im Frieden.
Im Rahmen dieser Abhandlung ist es nur möglich, die Fischerei
und die Wasserjagd der Indianer Amerikas kurz zu streifen. Eine
eingehende Untersuchung würde bei der Masse des vorhandenen
Materials einen Band füllen.
^ Schoolcraft : „Hiawatha", p. 223—227 ; — Couto de Magalhäes : p. 168—169 ; —
„Lettres Edif." V, 313; — M'Lean : „Twenty-Five Years", I, 192; - Schoolcraft:
„Iroquois", p. 359; — Briuton: „Lenäpe", p. 180—181; — McLean: „Indians",
p. 186 ; — Andree : „Flutsagen", p. 80 ; — Swan : „Cape Flattery", p. 57 ; — Eells :
p. 70—72; — Navarrete: III, 402, 438; — Las Casas: III, 477; — de la Borde:
p. 7; — Kichard Schomburgk: II, 319—320; — Brett: p. 399; — Federraann und
Stade: p. 184; — Marcoy: II, 388.
2 Möllhausen: „Wanderungen", p. 380—381; — MöUhausen: ,,Reisen", I, 123; —
Ealegh: „Guiana", p. 51, note; — Hühouse: „Memoir", p. 333, note; — A. v. Hum-
boldt: „Reise", II, 9; — van Coli: p. 609—610; — Cook: II, 34-35; — La Perouse:
II, 280; — Meares, in Forster: „Geschichte", I, 214; — Lewis and Clark: (Phila-
delphia 1814) I, 428; II, 57, 115, 130; — Sproat: p. 23, note; - Macfie: p. 428; —
Wilkes: I, 122; IV, 297; — Rengger: „Säugeth.", p. 4; — Marcel: „Fuegiens", p. 9,
note; — „Apendice ä la Rel. del Viage al Magallanes", p. 27; — Forster: „Be-
merkungen", p. 225 ; — Weddell : p. 191 ; — Segers : p. 82.
— 88 —
Es dürfte nicht zu bezweifeln sein, dass die ganz primitiven Arten
des Fischfanges, Sammeln von Austern, Muscheln und herangetriebenen
Fischen, Aufsuchen der auf Watten oder überschwemmt gewesenen
Ländern zurückgebliebenen, Fangen mit der Hand, Verfolgen im
Wasser mit Waffe, Korb oder Handnetz, Vergiften des Wassers, ge-
meinsames AVass ertreib en gegen eingedeichte Fischfallen, Körbe, Reusen
oder Netze, schon vor dem Besitz von Wasserfahrzeugen ausgeübt
worden sind. Einige andere Methoden, wie Pfeil-, Speer- und Angel-
Fischerei mögen erst vervollkommnet worden sein, nachdem der Indianer
gelernt hatte, mit Balsa oder Boot das Wasser zu befahren, während
das Fackel-, Harpunen- und Bemorra-Fischen wohl erst von diesen
Zeiten her datiert. Alle diese genannten Arten des Fischfanges finden
sich in Amerika, meistens mehrere von ihnen gleichzeitig nebeneinander.
Man kann wohl sagen, dass kein grösserer Baum der beiden Konti-
nente ohne einen der wichtigeren Fischereibetriebe gefunden worden ist.
Für sehr viele Völker lieferte das Wasser die Hauptnahrung. Alle
Fischerei fand auf den Wasserläufen, Landseen und an den Küsten
statt; Hochsee-Fischerei konnte nicht entstehen, da die Küsten-
Fischerei den Bedarf bereits vollkommen deckte.
Das Wehr- und Beusen-Fischen, Speer-Fischen und Fischstechen
bei Fackellicht war sehr verbreitet; besonders gute Nachrichten über
diese Fischerei haben wir aus dem Norden, aus dem Grebiet der Grossen
Seen und von den Ostländern der heutigen Union von Maine bis
Florida. Harpunen-Fischerei war bei den Nordwest- und Santa Barbara-
Indianern, im südlichen Chile und an der Magalhfies-Strasse gut ver-
treten.
Fast ganz Süd-Amerika war ein riesiges Verbreitungsgebiet der
verschiedenartigen Methoden, durch Vergiften des AVassers oder durch
vergiftete Köder Fische zu erlangen. Aber auch in Mittel-Amerika,
in Mexico, bei den Insel-Caraiben, in den heutigen Südstaaten der
Union, bei den Pimas und in California fanden Fischvergiftungen statt.
Das Gebiet des Pfeilfischens deckt sich mit dem des Fischvergiftens im
allgemeinen; nur treten die Oststaaten, sowie etwa Ohio, Indiana und
Illinois hinzu, wennschon in diesen Gegenden das Pfeilfischen wohl nur
gelegentlich und sporadisch ausgeübt wurde. Die Omaguas und die
Völker der Maynas-Länder schössen die Fischpfeile mit ihren Wurf-
brettern ab. Auch das Netzfischen war weit verbreitet; in einzelnen
Gegenden fehlte es, in anderen ist es zu Unrecht bestritten worden ; es
wurde ebenso von Tupi-Völkern ausgeübt wie von Aruaks auf den Grossen
— 89 —
Antillen und Lucayos auf den Bahamas. Die Angel ist vielleicht die
jüngste der gegen die Geschöpfe des Wassers verwendeten Fangapparate,
aber die archäologischen Funde und die Quellen sagen uns, dass sie fast
über ganz Amerika bekannt war. Sie fand sich, nur um in grossen
Zügen die wichtigsten Gebiete zu nennen, im ganzen Osten Kanadas
und der Union, etwa von den Dakotas und Arkansas bis an den
Atlantischen Ocean. Noch neuerdings sind von Moore interessante
Funde in Florida gemacht worden, das bisher frei zu sein schien.
Die Angel wurde ferner verwendet an der Nordwest-Küste, in Cali-
fornia, Mexico mit Yucatän, Mittel- Amerika, auf Grossen und Kleinen
Antillen und den Bahamas. Sie war in Guayana ebenso zu Hause
wie am Guaviare und im Cauca-Tal, bei den Maynas- Völkern und
in erhebhchen Teilen Brasiliens. In Peru und im Chaco fehlte sie
nicht. Schon im ersten Indianer-Vokabularium, das wir besitzen, in
dem von Pigafetta, befindet sich das einheimische Wort für Angel-
haken. Die Insel-Caraiben hatten besondere Ausdrücke für die eigenen
und für die nach europäischem Muster gemachten Haken. Dem
Material nach waren sie aus Kaktus-Stacheln, Holz, Knochen, Muschel-
schale, Stein, Kupfer oder Gold. Sehr beachtenswert sind die
geraden, zweispitzigen Angeldorne, mit Befestigungsrille für die Schnur
in der Mitte. Da wo sie vorkommen, entscheiden sie in zweifelhaften
Fällen mit Sicherheit zugunsten der präkolumbischen Angel. Sie sind
z. B. in Oregon, California, Wyoming, Tennessee und im oberen
Amazonas-Gebiet zu Hause gewesen.
Die letzte der wichtigsten Fangarten ist das Fischen der Aruaks
von Südwest-Cuba mit der Remorra oder dem Reverso, das ja auch
in anderen Gebieten der Erde vorkommt und ein hübsches Gegenstück
zum Fischen der Chinesen mit dem Kormorant bildet.^
Der Walfisch-Fang ist schon mehr Wasserjagd als Fischfang; ihn
betrieb man vornehmlich an der Nordwest-Küste, bei den Santa Barbara-
Indianern und an der südchilenischen Küste. Aber auch in Florida
wurde den damals dort häufigen Waltieren eifrig nachgestellt. In den
kalten Gewässern sind Seehund und Seeotter die wichtigsten jagdbaren
Tiere, in den Tropen Seekuh oder Manati, AVasserschwein oder
Capibara und die verschiedenen Schildkröten- Arten. Elch und Renn-
tier im Norden, Pekari und Tapir in den warmen Gegenden gaben
^ Moore : „Central Fla.", p. 412, 446 — 447 ; in seinen übrigen wertvollen
PabUkationen finden sich ebenfalls Angaben ; — „Noticias Autenticas", XXVII, 62 ; —
Figueroa: p. 208; — Magellan's Voyage: p. 48.
— 90 —
nicht selten Gelegenheit zu einer aufregenden AVasserjagd. Die „Chaco"
genannten Balsa- Jagden auf dem Titicaca galten besonders den Wasser-
vögeln.
Der Ertrag an Fischfang und Wasserjagd bildete bei vielen
Völkern ein wesentliches, bei nicht wenigen das wichtigste Moment
ihrer Ökonomie. Diese Ökonomie wird meistens sehr geringschätzig
behandelt; wer sie kennen lernen will, muss sich an die spanischen
und portugiesischen Berichte der Zeit der Conquista halten. Sie
werden ihm die Auffassungen wesentlich korrigieren, welche die Be-
schreibungen aus neueren Zeiten erzeugen müssen. Denn wie der
Biber verwildert und sorglos wird, wenn man seine Kreise stört, so
auch der Naturmensch. Das Verfahren, Fische durch Dörren und
Räuchern so zu konservieren, dass sie längere Zeit, in kälteren Gegenden
ein ganzes Jahr, vorhielten, kannte man in ganz Amerika. Sie, wie
auch präservierte Austern und Schildkröten-Eier, Fischmehl, Kaviar,
Fischlaich, Tran und Fischöl dienten nicht nur dem eigenen Ge-
brauch, sondern recht häufig auch als Handelsartikel. Auch als
Düngemittel erscheinen Fischköpfe in Peru und New England in der
Ökonomie der Eingeborenen.
Besondere Erwähnung verlangt der sogenannte wilde Beis, weil
hier das Boot dem Indianer unseren Erntewagen vertrat. Stämme,
die den wilden Reis sammelten und zum Teil sogar kultivierten, waren
in Nord- Amerika die Odjibways, Menöminies, Sauks und Foxes, Potta-
wättomies, Maskoutins, Kickapoos, Ottawas, Huronen, Winnebagoes,
Dakotas und Assiniboins; in Brasilien zahlreiche Stämme von Matto
Grosso. Für das Säen, erste Behandlung des wilden Reises, für Binden,
Ernten und Einbringen ist das Kanu unentbehrlich.^
In der indianischen Rasse steckt ein nicht zu verkennender aus-
gesprochener Handelsgeist, der sich in Geschäften und Unternehmungen
mannigfacher Art äusserte. Mehr als in späteren Jahrhunderten war
der amerikanische vorkolumbische Handel ein Wasserhandel. Den
Geist erkannte schon Columbus in den feilschenden Lucayos und
Aruaks von Jamaica, während die Insel-Caraiben im Gegensatz zu
ihren Verwandten in Guayana, besonders den Accawais, nur auf See-
raub und kriegerische Unternehmungen bedacht waren und erst im
17. Jahrhundert z. Z. der französischen Kolonisation anfingen ein
^ Martin : „Relations", II, 245—247 ; — Lafitau : III, 87 : — Keating : II, 156 ; —
Stinckney, in „Amer. Anthrop.", IX, 115—121; — Jenks: p. 1038—1064; — Caraara:
p. 72-73.
— 91 —
Avenig Handelsgeist zu entwickeln. Unter den Nahua-Stämmen, be-
sonders bei den Azteken, deren politische Anfänge auf den Handel
mit den Erzeugnissen ihres Sees begründet waren, stellten die Kaufleute
einen hochgeachteten, gebildeten und äusserst nützlichen Stand dar,
deren gewandteste und unternehmungslustigste Vertreter in Tlaltelulco
und Cholula zu finden waren. Die Bewohner von Urabä waren als
tüchtige Händler bekannt, in den oberen Amazonas-Gebieten fanden
Ursüa und Aguirre überall reges Handelsinteresse vor, und im Cauca-
Tal sass das Handelsvolk der Hevejicos, deren Sprache in einem
Umkreise von 200 bis 250 km gesprochen und verstanden wurde.
Der primitive amerikanische Handel, dessen Beschreibungen in den
alten Berichten uns lebhaft an das noch heute in Ostasien beobachtete
Handels- und Markttreiben erinnern, hatte manche Eigentümlichkeiten,
von denen in diesem Rahmen nur einige wenige erwähnt werden können.
Das Handelsgeschäft ging stets leise vor sich, soviel auch geschachert
und gefeilscht wurde. In Kriegszeiten hatten die Weiber stellenweise
freies Geleit, damit der Handel nicht einschlief. Bei den Huronen
hatten einige Clans ein erbliches Handelsmonopol in gewissen Branchen,
dessen Übertretung durch Unbefugte rücksichtslos wie Diebstahl be-
straft wurde. Die Montagnais erhoben im Interesse ihres Handels
auf den von ihnen kontrollierten Flüssen einen regulären Schiffahrts-
zoll. In einzelnen Gegenden, wie in New England und Guayana, hatte
sich in der heimischen Industrie insofern eine Arbeitsteilung ausgebildet,
als gewisse Kunstfertigkeiten in bestimmten Landesteilen allein aus-
gebildet waren und so Veranlassung zu Austausch und Fernhandel
wurden.^
Merkwürdigerweise ist behauptet worden, dass im Inkareich Handel
unbekannt gewesen sei, dass eine in der Vollendung durchgeführte
geschlossene Hauswirtschaft eine solche Einrichtung auch völlig über-
flüssig gemacht habe. Schon die Handels-Balsa, die Bartolome Ruiz
am Kap San Lorenzo traf, müsste das Gegenteil beweisen, wüssten
wir nicht ausserdem durch Blas Valera, Andagoya, Las Casas, Oviedo,
' „Vita di Cr. Colombo", p. 81—82, 95—96, 336, 338, 345; — Breton: „Car.-
FranQ", p. 2911; — du Tertre: II, 383-384, 385—386, 393; — Munoz: p. 133-134;
— Sahagün: II, 335 ff., III, 39 ff.; — Torquemada: II, 537, 585—587; — Oviedo
y Valdes: II, 407 II; — „Col. Doc. Inedit. Arch. Ind." III, 404; — Herrera: II, 172;
III, 61II; V, 321; — Tezozomoc: p. 231 ; — CabeQa de Vaca : „Relacion", p. 102; —
„Relat. des Jesuit." 1636, p. 120 II; 1637, p. 86 II, 991; — Lafitau: IV, 54-55; —
Vancouver : I, 305, and passim ; — Barröre : p. 30, 105—110, 175 ; — Robert H. Schom-
burgk: p. 208—209; — im Thurn: p. 271—273; — Simon: I, 279.
— 92 —
dass im Inkareich Handel mit Lamas und ihrer Wolle, roher oder
gefärbter, mit wollenen und baumwollenen Fabrikaten, mit Töpferwaren,
Erzeugnissen des Gewerbefleisses von Kunstschmieden, mit Kartoffeln,
Mais, Coca und wahrscheinlich auch Salz und Guano stattfand.^
Die Handelswege der Indianer, die sich meistens mit den Kriegs-
pfaden und Ausfallwegen deckten, waren von verschiedener Art. Im
Osten von Nord- Amerika lagen die meisten und wichtigsten Siedelungen
an den Oberläufen der kleineren Oewässer, weil sie hier entfernt von
den grossen Wasserwegen am sichersten waren und zugleich am besten
gegen Überschwemmungen und treibende Bäume geschützt waren.
Hierdurch und durch die Tatsache, dass sich vielfach die Richtung
der Wasserläufe mit den Hauptverkehrsrichtungen nicht deckte, kam
es, dass die Verbindungs- und kürzeren Handelswege häufig nach Art
unseres Thüringer Rennstieges auf den Höhen, auf den Wasserscheiden
liefen. „Old Connecticut Path" von Boston nach Albany, der „Iroquois
Trail" quer durch das Land der Irokesen, „Nemacolin's Path"
zwischen Potomac und Ohio sind Beispiele hierfür. Die durchgehenden
Handelswege jedoch und Ausfallstore für weitreichende Kriegsexpe-
ditionen waren in der Hauptsache auf dem Wasser. Der älteste Weg
dieser Art, von Ober-Kanada über Oswego^ durchs Land der Irokesen,
den Susquehannah abwärts bis zur Cheasapeake-Bai war schon zur
Zeit von Pedro Menendez bekannt. Im trockenen Westen von Nord-
Amerika und in Mexico waren die Handelsstrassen im Innern fast
durchweg Landwege, während in Süd-Amerika, abgesehen vom schmalen
trockenen Westen und vom Süden, die Handelswege fast ausschliess-
lich auf dem Wasser lagen. Die Waren, welche über See an eine
Küste gelangten, kamen teils auf Wasserwegen, teils auf Landpfaden
ins Innere. Für die ungemeine Ausbreitung des primitiven Handels
über Amerika haben uns die Gräber manche Beweise geliefert, während
wir aus historischen Zeiten wissen, dass Entfernungen für den Indianer
keine Rolle spielten. Muscheln vom Golf von Mexico sind bei den Huronen
im Norden gefunden worden, Catlinit-Pfeifen aus dem roten Pfeifen-
steinbruch bei St. Peter, Minnesota, bei den Irokesen und Algonquins
des Ostens. Die Huronen fuhren alljährlich, von ihren Häuptlingen
nach einem geordneten System zu dieser weiten Reise bestimmt,
zum Handeln nach Quebec, während den Sioux und Crees der
* Navarrete: III, 430—432; — Garcüaso de la Vega: „Prim. Parte", p. 220
bis 221 ; — Las Casas : „Antiguas Gentes", p. 49 ; — „Relaciones Geogräf." II, 62,
63, 196; — Oviedo y Valdes: IV, 121—122; — Prescott: „Peru", p. 117, note.
— 93 —
AVeg keineswegs zu weit erschien, um in Oswego ihre Geschäfte
zu machen.
Die wichtigsten Punkte der grossen AVasser-Durchgangswege sind
die Trageplätze. Wir haben gesehen, wie sie Material, Form und
Grösse der primitiven Boote Amerikas bestimmt haben. Im englisch-
sprechenden Nord-Amerika unterschied man zwischen „Portage" oder
„Carrying Place" und „Discharge". Bei erster em, dem eigentlichen
Trageplatz, wurde das Kanu entladen und Boot und Güter dann
hinübergeschafft, während man bei einer „Discharge" das Fahrzeug
nur erleichterte und ohne Ladung oder mit einem Teil durch die Kas-
kaden oder Stromschnellen treidelte. In leichteren Fällen schoss man
auch durch die schäumende Flut hinunter, was in Nord -Amerika
immer lautlos, nach Poeppig's Erfahrungen in Süd- Amerika mit grossem
Geschrei vor sich ging. Zum Tragen der Kanus brauchte man im
Norden 1 bis 4 Mann, in Süd-Amerika wurden vielfach Rollen oder
Walzen benutzt.
Die Trageplätze, von denen natürlich die wichtigsten die sind,
welche zwei Flusssysteme über eine schmale Wasserscheide hin ver-
binden, waren nach Charakter und Länge sehr verschieden und wechselten
auch in sich nach dem Stande des Wassers. Bei Hochwasser konnte
es unter Fortfall des Trageplatzes zu einer Bifurkation kommen, während
man andererseits sehr erhebliche Strecken mit Boot und Ladung
zurücklegen musste. So waren der Trageplatz bei Fort Stanwix, heute
Rome, der den Mohawk mit dem Oneida-See verbindet, 4,8 bis 8 km
lang, der, welcher über Mahoning und West Brauch of the Susque-
hannah den Ohio mit der Chesapeake-Bai verband, 12,8 km; der
Trageplatz zwischen Hudson und Wood Creek, also zwischen New
York und Montreal, war 16 bis 19 km lang, während die Landver-
bindung zwischen Ucayali und Madre de Dios sogar 22 km betrug.
Es ist nicht möglich, hier auch nur flüchtig auf die wundervollen
Wasserverbindungen der beiden Amerikas einzugehen oder auch nur
die wichtigsten Trageplätze zu nennen. Wer am St. Lawrence bei
Anticosti in Nord- Amerika einfuhr, konnte auf verschiedenen Wegen
in der Hudsons-Bai, an der Mündung des Mackenzie, bei New York,
Baltimore oder New Orleans mit seinem Kanu wieder hinausfahren,
und wer an der Orinoco-Mündung die Flusssysteme Süd-Amerikas
betrat, konnte sie bei Parä oder Montevideo wieder verlassen.^
1 Champlain: I, 85—86, 622—629; — Shea: p. 335; — Sagard: „Histoire",
I, 246; — „Doc. Col. Hist. St. N. Y.", III, 706; V, 729; VI, 837; VII, 543; VIII, 121,
— 94 —
Besonders die Eingeborenen Süd- Amerikas östlich der Cordilleren
haben ihre Wasser Verbindungen gründlich ausgenutzt. Landhandel ist
vielfach ausgeschlossen und hat auch da, wo er möglich war, nur eine
vergleichsweise geringe Bedeutung gehabt. Als Orellana als Erster
den Amazonas hinunterfuhr, bemerkte er, dass aller Handel und
Wandel auf dem Wasser stattfand ; Cabeza de Yaca machte dieselbe Be-
obachtung auf dem Paraguay und seinen Verbindungen bis nach Brasilien
hinein. Ein wichtiger Handelsweg ging vom Orinoco über den Guaviare
und Nebengewässer des Japurä in das Grebiet des oberen Putumayo und
Napo ; Rio Negro und Bio Branco verbinden Venezuela und Guayana
mit dem Amazonas-Becken. Auf diesen zuletzt genannten drei Wasser-
wegen fand in späteren Jahrhunderten ein lebhafter Sklavenhandel
statt. ^
Während der indianische Handel auf den herrlichen Wasser-
verbindungen im Innern der beiden Kontinente trotz der europäischen
Kolonisation im allgemeinen keineswegs abnahm, sondern stellenweise
offenbar an Bedeutung gewann, nahm er eine ganz andere Entwicklung
auf der See. Auch hier waren die Canoas, Piraguas und Balsas
von ganz erheblichem Belang für den Güterverkehr gewesen, aber der
eingeborene Handel verschwand von den Meeren wenige Jahrzehnte,
nachdem die europäischen Schiffe begonnen hatten, die betreffenden
Verkehrsstätten in grösserer Zahl zu besuchen. Von dem Handel der
Insel-Aruaks, die ihre heimatlichen Gewässer so gut kannten, von den
Unternehmungen ihrer Stammesverwandten in Paria und im Orinoco-
and note; IX, 77; — Thomas: „Catalogue", maps; — Kane: „Wanderings", p. 8,
note; p. 443, pl.; — Pouchot: II, 293; III, 129 ff.; 155 ff.; 165 ff. ; — Le Beau :
I, 152—154; — Hind: I, 2; — Poeppig: II, 283—284; - Baucke: p. 90; — Gookin:
p. 153; — Chaumonot: p. 51; — Lafitau: III, 197— 200; — Mackenzie: II, 251; —
Catlin : II, pl. 239 ; — Winsor : „Mississippi Basin", p. 22—32, 260—261 ; — Benton :
„Wabash Trade Route", p. 10, 11 ; — „Lettres Edif.", IV, 83, 447; — „Globus",
Bd. LXXI, p. 36 ; - Stöcklein : II, 52 (num. 48.) ; II, 71 (num. 51.) ; IV, 45 (num. 90.) ; —
„Noticias Autenticas", XXVI, 257—258, 263, 269; XXX, 195, 209, 219, 383—84;
XXXII, 132; XXXIII, 54; — Gonsalves da Fonseca: p. 53, 56, 58, 59, 60, 63, 66—69,
72; — Ribeiro de Sampaio: p. 90—91, 98, 101, 110—112; — Grillet et Bechamel:
p. 217—218; — A. v. Humboldt: „Reise", IV, 23—24; V, 13; — R. H. Schomburgk:
p. 207, 214—215, 410, 424, 471—472; — Richard Schomburgk : 1,155; 11,296-299,
372—373, 392—393, 399—401, 429—430, 473; — Marcoy: I, 464, 465, 529—530,
549; II, 138-141; — Crevaux: p. 129-131, 132, 155; — im Thum: pl. III.
1 Duro: „Rios de Venezuela", XXVIII, p. 159—160; — Brett: p. 479, note; —
Carvajal: p. 180; — Manuel Rodriguez: p. 116; — Cabeza de Vaca: „Naufr. y Comen-
tarios", I, 279—281; — Pefia: p. 484.
— 95 —
Mündungsgebiet, die uns Oviedo so anschaulich beschrieben hat, von dem
regen Geschäftsleben an den Küsten von Darien und Cartagena hört man
in späteren Zeiten gar nichts mehr. Die ganze Ostküste von Mittel-
Amerika, von Darien bis zu den Roatan-Inseln, wo es Columbus be-
obachtetC; und von dort um Yucatän herum bis Coatzacoalcos, wo es
Cördoba, Grrijalba und Cortes mit ihren Begleitern feststellen konnten,
war der Schauplatz eines lebhaften und regelmässigen Küstenhandels
mit Ausgangspunkt in Yucatän. Hier bei den Mayas gab es Rast-
und Grotteshäuser für reisende Kaufleute und eine Kompanie, die ihre
Boote an G-eschäftsleute vercharterte. Der Transit- Verkehr von dem
Festlande nach den vorliegenden kleinen Inseln war sehr lebhaft. Die
mittelamerikanischen Rohstoffe und Erzeugnisse der Industrie, die auf
dem Markt von Mexico feilgeboten wurden, legten einen erheblichen
Teil ihres Weges auf dem Wasser zurück. Dagegen ist ein Handels-
verkehr über die Yucatän-Strasse hinüber nach Cuba nicht nach-
gewiesen.
Man hat gesagt, dass das angeblich von Columbus und Las Casas
auf Cuba gefundene Wachs nur auf dem Wege des Handels von dem
honigreichen Yucatän nach der Insel gelangt sein könne. Tatsächlich
gab es auf Cuba und Haiti keine gelbes Wachs erzeugende ein-
heimische Bienen, aber der von Las Casas gefundene Gegenstand
war wahrscheinlich ein in Cuba Alcyodinido genanntes algenartiges
Meergewächs, das einer Honigwabe sehr ähnlich sieht; von dem an-
geblichen AVachs des Admirals aber, welches er als wertvolle Gabe
den Katholischen Königen mitbringen wollte, hört man späterhin gar
nichts mehr. Wahrscheinlich war er auch in einer Täuschung be-
fangen gewesen.
Im Stillen Ozean war der Güterverkehr im Chiloe-Archipel, ferner
von Mocha und Santa Maria nach der chilenischen Küste und von den
Santa Barbara-Inseln nach dem gegenüberliegenden Festlande nicht
unbedeutend, trat aber an Umfang und Intensität merklich gegen das
rege Handelstreiben zurück, welches an der Nordwestküste Amerikas
herrschte. Reisen von Hunderten von Kilometern unternahmen diese
unverzagten Seefahrer und führten ihre Waren bis tief in die Buchten,
Kanäle und Fjorde der Küste hinein, während auf dem Yukon zeit-
weise ganze Flottillen von Handelsbooten fuhren, um ihre Güter nach
den Märkten im Innern zu bringen.^
' „Vita di Cr. Colombo", p. 291—293, 293—294, 304, 305—306; — Bernäldez:
p. 274; — Munoz: p. 102; - Las Casas: I, 353—354; III, 112, 114—117; lY, 34; -
— 96 —
Auf das Marktwesen Amerikas und die so interessanten Waren-
listen, über die wir durchweg ausgezeichnet durch die damals mehr
als merkantil gesinnten Spanier unterrichtet sind, kann nur hingewiesen
werden. Es ist beachtenswert, dass nahezu alle wichtigen Märkte am
Wasser lagen: in Mexico, wo sie täglich von Tausenden von Canoas
besucht wurden, in Urabä, im Cauca-Tal, bei den Chibchas und den
Guaycurü. Federmann fand stellenweise die Ortschaften wasserfern,
aber die Märkte lagen an den Flüssen. Unter den Handelswaren
scheint mir das Salz die interessanteste zu sein; sicherlich war es
stellenweise die wichtigste. Es gab zahlreiche Völker in Amerika, die
nie ein Körnchen Salz anrührten, während es für andere eine heiss-
begehrte Ware war. Die Onondagas gingen um ihre später so bekannt
gewordenen Salzquellen im grossen Bogen herum, weil sie meinten,
ein böser Geist sässe darin und mache das Wasser bitter; nicht weit
entfernt jedoch von ihnen nutzten die Shawnees die Licks des oberen
Ohio-Beckens aus. Die Tlaxcalteken betrachteten es als eine der
schwersten Folgen ihres permanenten Kriegszustandes mit den Azteken,
dass sie von jeglicher Salzzufuhr abgeschnitten waren. Viele dem Golf
von Mexico anwohnende Stämme ersetzten das fehlende Salz durch
scharfe, pfefferartige Gewürze, andere wieder, besonders in Guayana
und im Amazonas-Becken, gewannen „vegetabilisches Salz" durch Ver-
brennen von Pflanzen. In Yucatän und an der Mosquito-Küste
machte man Salz durch Eindampfen des Meerwassers, die Bewohner
der Cartagena- Küsten beuteten die Insel Zamba aus, während die
Steinsalzlager der Maynas-Länder einen ausserordentlichen Zuspruch
hatten. Die Salzpfannen am Black River, die Le Page du Pratz
erwähnt und die wohl Caddo- Stämmen zugehörten, sind offenbar die-
selben, über die uns die Expedition de Soto Andeutungen macht.
De Soto und Orellana, die als Erste grössere Teile von Nord- und
Süd-Amerika durchquerten, stiessen auf die Spuren des Salzhandels.
Das Salz im primitiven Amerika mit allen den Einzelheiten, die uns
über seine Gewinnung oder Vernachlässigung, seine Verwendung und
Juan Diaz: p. 293; — Cortes : p. 399, 421; — Diaz del Castillo: I, 33, 72, 73;
II, 306; — Oviedo y Valdes: II, 266—268; III, 1401, 245; — Gomara: „Mexico",
p. 250a, 257, 262, 265a; — Milla: p. LIX; — Sapper: „Handelsbeziehungen",
p. 594—598; — Torquemada: I, 712 II, 713, — „Col. Doc. Inedit. Arch. Indias",
VIII, 555; — Vancouver: II, 325; — Wrangell: p. 63—65, 115; — Whymper:
p. 199; — Krause: „Tlinkit", p. 184—187; — Niblack: p. 337, 338; — Macfie:
p. 430; — Rosales: I, 173; — Gongora Marmolejo : p. 84—85.
— 97 —
seinen Handel gegeben sind, bildet ein beachtenswertes Kapitel aus
der Geschichte der Menschheit.
Es ist wohl denkbar, dass der ganz primitive, hilflose Mensch
hier und da in Wasserwohnungen seine Zuflucht suchte, bevor er im
Besitz einer Balsa oder eines Bootes war ; Nestwohnungen und Pfahl-
bauten können aber erst zu einer gewissen Entwicklung gekommen
sein, nachdem es der Mensch gelernt hatte, die Verbindung zwischen
seiner Wohnung und dem festen Lande durch irgendeine Art von
Fahrzeug herzustellen. Die schönsten Wasserbauten Amerikas sahen
die Spanier auf den Seen des Tals von Mexico; der Eindruck, den
ihr erster Anblick auf die Conquistadoren machte, ist uns wirkungs-
voll beschrieben. Da lagen, leuchtend unter den Strahlen der Tropen-
sonne mitten im AYasser oder an den Rändern halb hineingebaut, das
Salzmacher-Pueblo Iztapalapan, Mexicalcinco, Niciaca, Mizquic, von
den Spaniern Venezuela genannt, Ocholopozco, heute Churubusco,
Xaltocän, Xuchimilco, Cuyuacän und die Herrin Aller, Teuochtitlän,
das alte Mexico. Um einen festen Inselkern streckte es sich nach
allen Seiten in den See hinaus, eine Wasserstadt wie Venedig. Die
Strassen in diesen Stadtteilen waren Kanäle, an den Häuserreihen
entlang führten ganz schmale Fusssteige, Zugbrücken verbanden Haus
mit Haus. Manche Häuser und Häuserkomplexe lagen vollständig
von dem Kern der Ansiedlung getrennt. Die kleinen gondelartigen
Canoas mit hohem Bug und Heck waren die Hauptverkehrsvermittler
und trugen dazu bei, den Spaniern dieses Ebenbild von Venedig voll-
ständig zu machen. Die Chinampas, die schwimmenden Gärten der
Azteken, treten zu diesem Bilde hinzu, das trotz eines ständigen Sinkens
des Wasserspiegels von 1524 an und trotz grossartiger Erdarbeiten
der Spanier doch noch nach Jahrhunderten ab und zu den späteren
Generationen wieder hervorgezaubert wurde, wenn Mexico infolge un-
gewöhnlicher Hochwasser jahrelang überschw^emmt war. So wie das
alte Mexico war, stellte es den militärisch stärksten Platz im ganzen
Amerika dar, an den vielleicht nur die Quiche-Feste Atitlän in
Guatemala heranreichte.
Überschwemmungen waren auch der Grund für die Nestwohnungen
mit teilweisem Lehmflur in Sinaloa und für die Wasserwohnungen
der Huaxteken am Rio Chila, Pänuco, die nur vermittelst Canoas er-
reichbar waren. ^
' Cortes: p. 83-84, 186; — Diaz del Castülo: I, 226, 265, 266 y nota; p. 267,
268, 290, 299, 310, 362, 419, 421, 478, 485, 488, 490; II, 12, 42, 51, 58, 73, 75, 79,
Studien und Forschungen I. 7
— 98 —
Reguläre Nestwohnungen traf auch Columbus in Yeragua an
und Baiboa in Urabä, während Cortes auf seinem Marsch nach Hon-
duras in dem kleinen Maya-Kazikat Mazatlän, nördlich der Lacandones,
auf eine Wasser-Festung stiess.^
Auf der Lagune von Maracaibo fanden Hojeda und Vespucci
zuerst die Pfahldörfer der Onotos und Guiriquiris, die Kapitän Pina
Luduena um 1600 Aliles nennt, und deren Nachkommen oder wenig-
stens Sittenverwandte, die Goajiros, noch heute teilweise in Pfahlbauten
wohnen. An der Orinoco-Mündung sassen zur Zeit der Conquista und
auch noch später zweifellos Warraus, die in Pfahlbauten und Nest-
wohnungen lebten, während im 19. Jahrhundert auch im Innern unter
den Oyampis am Oyapok Pfahlbauten angetroffen wurden."^
In Florida bemerkten schon die Spanier der Expedition de Soto,
dass die Eingeborenen der Überschwemmungen wegen ihre meist an
Flüssen und Seen gelegenen Dörfer auf hohen Mounds zu erbauen
pflegten oder doch wenigstens die Hütten ihrer Häuptlinge und Vor-
nehmen, etAva 10 bis 20 Gebäude. Im 19. Jahrhundert haben die in
das Südende der Halbinsel zurückgedrängten Seminolen das Problem
in der Weise gelöst, dass sie zum grössten Teil in Pfahlbauten, soge-
nannte „Shacks", gezogen sind.^
Periodische Überschwemmungen und auch wohl unsichere Ver-
hältnisse hatten die Küstenbewohner der kolumbischen Küste etwa
zwischen den Inseln Gorgona und Gallo in Nestwohnungen getrieben,
während im Innern, an den Grenzen des Inkareichs, der in seinem
108, 125, 126, 151, 158; — Kamusio: fol. 257, E— F; fol. 258; — Zuazo, in „Col.
Doc. Hist. de Mex.", I, 366 ; — Motolinia : p. 187 ; — Martyr : „Dec. Octo", p. 363—364 ;
Torquemada : I, 450; — Orozco y Berra: „Historia", Atlas mit Plan von Mexico;
Alegre: I, 231—232; — A. v. Humboldt: „Essai", II, 185-188, 203, 205, 207
Tezozomoc: p. 230, 232; — Acosta: „Historia", I, 240—241.
' „Vita di Cr. Colombo", p. 312; — Herrera: I, 238—239; III, 2261;
Enciso: fol. LXIX.
2 Navarrete: III, 7, 225—226; — Simon: I, 37; — Vespucci: p. 13—14:
Enciso: fol. LXIIIa; — Oviedo y Valdes : II, 300—301; — Herrera: IV, 1011
Ealegh: „Discovery", p. 50; — Purchas: XVI, 408; — Gomberville: p. 25—26;
Barrere: p. 147—150; — Gumilla: I, 162—164; - Duro: XXVIIL 173; — Richard
Schomburgk: I, 162—163; — Appun: II, 541, Abb; — Coudreau, im „Globus" LXI,
308, 309; — Crevaux: p. 29, 61, 158; — s. auch Goering's Zeichnung eines Pfahl-
dorfes der Goajiros auf der Lagune von Maracaibo bei Gronau: „Amerika", II, 199.
^ „La Florida delinca": p. 69 — 70; — Brinton: „Floridian Peninsula", p. 166,
172, 174—175, 175, note; — MacCauley: p. 500, and pl. ; — Coe: p. 245-246,
and pl.
— 99 —
Baum- oder Pfahldorf im Yaguarcocha-See sitzende Kazike von Cayambe
vom Inka Huayna Capac erst bezwungen werden konnte, nachdem er
für sein Belagerungsheer ein Flottille von Binsen-Balsas hatte bauen
lassen.^
Im Amazonas-Stromgebiet waren früher nach P. Joäo Daniel
Pfahlbauten sehr häufig; die ersten hatte schon Aguirre in der Rio
Negro-Gegend gefunden und noch heute werden sie ab und zu ange-
troffen. Die inselbewohnenden Omaguas und Yurimaguas, die jährlich
von März bis Juni vollständig unter Wasser gesetzt waren, aber aus
Furcht vor ihren Feinden, den Caumares, Peras, Ticunas und Mayo-
runas, nicht auf das Festland hinüberzugehen wagten, hatten daher
auch eine Art von Pfahlbauhütten, in deren oberen Stockwerken sie
diese nasse Zeit des Jahres verlebten. Unten hatten sie ihre Yuca-
und Mandioca-Vorräte sorgsam vergraben, während sie oben ihren
Mais hatten, der ihnen als Zukost diente zu den reichlich durch den
täglichen Fang eingebrachten Fischen und Schildkröten.^
Die befestigten, an Bergabhängen angelegten Pfahlbau-Ansied-
lungen der Tlinkit verdankten nicht dem Wasser, sondern den Ein-
fällen der Seeräuber ihre Entstehung.^
Auf Balken-Balsas aufgebaute schwimmende Wohnungen traf man
zuweilen auf dem Amazonas an, die von Cabeza de Vaca auf dem
oberen Paraguay zur Hochwasserzeit beobachteten Wohn-Canoas sind
schon erwähnt worden; die interessantesten Wasserwohner Amerikas
sind aber vielleicht die Urus auf dem Titicaca. Sie schweiften in der
Hauptsache im Desaguadero-Gebiet auf ihren Binsen-Balsas umher,
die sie nach Belieben an Uferfelsen dort festbanden, wo sie gerade über-
nachten wollten. Ein sporadischer und spärlicher Anbau von bitteren
Kartoffeln und Oka lieferte ihnen eine geringe Ergänzung ihrer Fisch-
nahrung.*
1 Navarrete: III, 445; — Cieza de Leon, in Vedia: II, 3571, 3781; —
Montesinos: p. 163-166; — Gutierrez de Santa Clara: III, 515.
2 Simon : 1 , 289 ; — „Noticias Autenticas", XXX, 197, 207—208 ; — Texeira :
XIII, 425—426; —Stöcklein: II, 68, (nura. 51.); — Daniel, in „Revista Trimensal",
II, 349; — Marcoy: II, 402, 405; — „Globus", XCI, p. 227 II; — Coudreau: „Tocan-
tins-Araguaya" p. 167.
3 Vancouver: III, 289—290; — „Globus" Bd. LXXI, S. 300, Abb.
* Sarmiento de Gamboa: „Geschichte", p. CXIII; — Baiboa: p. 143; — Herrera :
V, 73II; — Acosta: „Historia", I, 133—134; — Squier: p. 309—310; — Markham-
Balliviän: p. 78.
7*
— 100 —
In dieser Gegeod befanden sich auch die Balsa-Brücken der
Inkas, die einzigen permanenten Schiffsbrücken, welche das vorkolum-
bische Amerika gekannt hat. Für den vorübergehenden Gebrauch
durch seine Truppen Hess Inka Huayna Capac eine Brücke von Bal-
ken-Balsas über den oberen Maraiion schlagen.
Das Boot im Kriege.
Die See-Kriegsgeschichte der Indianer^ ihre Räubereien und Wan-
derungen können nur in wenigen Sätzen berührt werden ; einige inter-
essante Punkte sollen jedoch eine etwas eingehendere Beleuchtung
finden. Die Nordwest-Indianer, von Peschel „die Normannen der
Neuen Welt" genannt, lebten, solange sie den Europäern bekannt
sind und beobachtet werden konnten, ganz besonders in der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts, in fortwährenden Seekriegen unterein-
ander. Im oberen Mississippi-Becken waren die Dakotas, besonders
die Santees und Sissetons, und dann die Sauks und Foxes wegen ihrer
Flussräubereien berüchtigt, während weiter unterhalb die stolzen Flot-
tillen der Arkansas und mehr südlichen Uferstämme die berühmten
tagelangen Flussgefechte gegen Moscoso lieferten. Schon vorher war
Narväez ausserhalb des Mississippi-Deltas von einer Canoa-Flottille
angegriffen worden. Im Nordosten sind die Micmacs durch ihre
Wanderung nach New Foundland hinüber bekannt geworden. Die
Rolle der Azteken-Canoas und -Piraguas während der Belagerung von
Mexico, ihre Ausfälle, Yerproviantierung der Stadt durch Lebensmittel
aus der Umgegend und durch Wasser aus Xuchimilco, ihre mutige
Unterstützung der Landtruppen, ihr schnelles Sammeln durch Rauch-
signal und plötzlicher Angriff auf die Brigantinen, denen sie einmal
eine empfindliche Schlappe beibrachten, ist eines der interessantesten
Kapitel aus der Geschichte der indianischen Marine. Wären die
spanischen Brigantinen nicht gewesen, „der Schlüssel des ganzen
Krieges", wie sich Cortes ausdrückte, so hätte die von ihrer Kriegs-
Flottille verteidigte Hauptstadt der Azteken-Herrschaft nimmer ge-
nommen werden können. Die Maya-Flottillen von Campeche und
Tabasco haben den spanischen Entdeckern stets eine kühne Front
gezeigt.
Die Huaxteken, welche zufolge Sahagün ihre neue Heimat bei
Pänuco durch eine Seewanderung erreichten, vernichteten eine Flottille
Garay's. Ebenso wissen wir, dass die Chuchures von Nombre de Dios
— 101 —
auf dem Isthmus, da wo heute die angeblich Chibcha-verwandten Cuna
sitzen, ihr Land durch Abänderung zu Wasser von Honduras her erreicht
haben. Auf der Westseite. des Isthmus kennen wir in den Bewohnern
der Perlen-Inseln und weiter südlich in den Indianern von Birü ganz
gefährliche Seeräuber. Die von Petrus Martjr gegebene Beschreibung
des Caraiben- Angriffs auf Alonso Nifio in der Gegend von Paria hat für
de Foe das Vorbild für seine Seeschlacht im „Robinson Crusoe" ge-
liefert. Als Orellana den Amazonas hinunterfuhr, hatte er ähnliche
Flussgefechte gegen die Insel- und Uferbewohner des Stromes zu be-
stehen, wie fast zur gleichen Zeit Moscoso auf dem Mississippi; auch
Aguirre kam nicht ohne Kämpfe durch. Die ganzen Maynas-Völker
waren gefährlichere Gegner auf dem Wasser als auf dem Lande, die
Gayes, Cocamas, Chipeos und die Gualpajos auf dem Bio Tigre waren
ganz besonders erfolgreiche Flussräuber. Markham hat die Omaguas
die „Phönizier", Jimenez de la Espada die „Piraten" des Amazonas
genannt; Varnhagen erblickt in den Tupi die „Jasons" der brasilia-
nischen Mythologie, die „Phönizier" der Geschichte und die „Nor-
mannen" des Barbaren-Zeitalters Brasiliens. Wenn diese sich immer
wiederholenden Benennungen auch nicht durchweg geschmackvoll und
zutreffend sind, so kennzeichnen sie doch recht gut den maritimen
Geist, der in vielen Indianervölkern steckte.
Die später von den Mundrucü aufgeriebenen Muras, die Toräs und
sogenannten Canoeiros machten jahrelang den Amazonas und seine Neben-
ffüsse unsicher, die Torazes besonders den Madeira. Die Crichanas
waren die Pest der Grenzlande zwischen Venezuela und Brasilien,
während der Manäo-Häuptling Ajuricäba den Rio Negro mit seiner
Canoa-Flottille beherrschte und seine Ufer durch Sklaven- und Raub-
züge in Schrecken setzte. Die Payaguäs, „die Flusspiraten des Para-
guay", waren nicht weniger das Entsetzen der Missionen als die
Mamelukken, die sich zuweilen blutige Köpfe gegen die Guarani-
Flottillen holten •, unter ihrem Kaziken Quati vernichteten die Payaguäs
eine portugiesische Silberflotte.
Wie die Tupi Brasiliens, deren Wanderung unter Viraratu von
den Küsten des Atlantischen Ozeans bis nach Moyobamba am Huallaga
hinauf das Erstaunen der Spanier erregte, und deren Kriegsflotten von
mehr als 60 Kanus nicht selten europäische Seeschiffe zum Opfer
fielen, die tüchtigsten Fluss- und See-Indianer Süd- Amerikas waren,
so haben wir in den mittleren Teilen Amerikas die Caraiben als das
führende Seevolk, während im Norden die Irokesen mehr wie jede
— 102 —
andere Nation der Neuen Welt die wundervollen Inland- Wasserver-
bindungen für ihre Eroberungszüge ausgenützt haben.
Die Caraiben-Eroberung war noch ganz jung, als Columbus an
jenem denkwürdigen 12. Oktober im amerikanischen Mittelmeer eintraf.
Noch hatten die Callinago die Erinnerung an jenen Häuptling von
kleiner Gestalt aber grossem Mut, der wenig ass und noch weniger
trank, und der sie in jenen heroischen Zeiten ihres Volkes aus ihrer
Heimat im Lande der Galibi hinaus auf das Meer führte, von Insel
zu Insel, von Sieg zu Sieg. Noch zeigten sie als Trophäen aus jener
Glanzzeit die nackten Schädel der ausgerotteten Aruaks, noch fanden
sich in Höhlen von Martinique die Götter der Besiegten, die Schemen
aus Baumwolle, welche die Caraiben aus abergläubischer Furcht nicht
anzutasten gewagt hatten, und welche die Europäer nun hervorholten
und „noch so schön fanden, als wären sie erst kürzlich gemacht
worden". Auch die Verschiedenheit in Männer- und Weibersprache
ist nach dem ausdrücklichen Zeugnis der Caraiben auf diese nicht
weit zurückliegende Eroberung der Kleinen Antillen zurückzuführen:
die männliche Bevölkerung hatten sie vernichtet, die Weiber in ihren
Haushalt aufgenommen. Die Verbindung mit ihrer Heimat im Norden
Süd- Amerikas hatten sie nie verloren; nützliche Pflanzen, Krebse, eine
Hühner- und eine fuchsähnliche Hundeart hatten sie vom Festlande
eingeführt, Ebenholz, Angelrutenholz, den beliebten Caracoli-Schmuck
und Amazonen-Steine besorgten sie sich in regelmässigem Handel eben-
daher. In diese alte Heimat in Guayana und am Orinoco sind sie
dann auch in den beiden folgenden Jahrhunderten infolge des Druckes
der kolonisierenden Europäer wieder zurückgewandert.
Ein Kriegszug wurde von den Caraiben nicht ohne abergläubische
Zeremonien und eingehende Vorbereitungen angetreten. Proviant,
Hängematten und geflochtene Matten für das Nachtquartier wurden
von den Frauen besorgt und in den Piraguas in Körben verstaut.
Als Köchin und zum Kämmen und Bemalen der Mannschaft befand
sich in jedem Boot ein Weib. Es war dies offenbar keine Sklavin,
sondern eine Caraibin, kenntlich an den Binden unter den Knieen
und an den Knöcheln, zwischen denen die Waden hervorquollen,
kugelrund und prall, „wie zwei holländische Käse". Die Bemalung
mit Bucü war sehr wichtig, denn sie schützte den Matrosen gegen
die Angriffe der beissenden Salzkruste des Meerwassers. Dies war
im übrigen der einzige Schutz und, abgesehen von einem kleinen
Schamtuch, die einzige Bekleidung der Caraiben ; denn Schilde besassen
— 103 —
sie im Gegensatz zu Aruak-Stämmen nicht. Ein Staken, ein Muschel-
horn zum Signalisieren und zuweilen auch ein Sprachrohr gehörten
zu einem jeden Boot, und wenn dann alles nach Vorschrift und Her-
kommen erledigt war, dann schoss die Piragua unter Gleichschlag der
Pagajen beim Auslaufen wie ein Pfeil aus der Flussmündung hervor,
hinaus auf die Balänna, aufs weite Meer. Rauchsignale verkündeten
den geängstigten Insel- Aruaks ihr Kommen, der schreckliche Name
„Caribe" ging von Insel zu Insel. Raubzüge von 280 — 300 km waren
etwas ganz gewöhnliches, aber bis zu 1800 km sollen sie sie nach
Petrus Martyr ausgedehnt haben , was sie von Montserrat nach Ja-
maica gebracht haben würde. Die Marine von Puerto Rico hatten sie
vom Meere weggefegt, und zum mindesten abenteuernde Caraiben-Häupt-
linge mit Gefolgschaft hatten sich bereits auf Haiti eingenistet. Noch
am Ende des 16. Jahrhunderts besassen sie soviel Stosskraft, dass
sie noch gegen Puerto Rico mit Angriffen vorgingen, die in Castel-
lanos einen Sänger gefunden haben. Spanier, Engländer und Fran-
zosen hatten schwer unter diesen Strand- und Seeräubern zu leiden.
Damit sind ihre Erfolge aber auch in grossen Zügen aufgeführt. Nach
Florida sind sie nicht vorgedrungen und in Mittel-Amerika sind sie
nicht nachgewiesen worden. Der sogenannte caraibische Einfluss auf
die Kunst in Florida muss den Aruaks gutgeschrieben werden, wäh-
rend die caraibischen Spuren in Mittel- Amerika auf die sogenannten
schwarzen oder St. Vincent-Caraiben zurückzuführen sind, deren un-
freiwillige Übersiedelung in diese Gegend wir ganz genau kennen. Es
muss dies gesagt werden im Gegensatz zu Bollaert, Oberst Church
und ihrer Gefolgschaft. Orozco j Berra will Caraiben in Tabasco
und Guatemala gefunden haben. Nach Church spielen die Caraiben
im amerikanischen Mittelmeer etwa die Rolle , die eine veraltete Auf-
fassung den Phöniziern im europäischen Mittelmeer so lange zuge-
schrieben hat. Überall sollen diese „AYikkinger des Westens" ge-
wesen sein. Auf Süd-Cuba, an den Küsten von Yucatän, Honduras,
Nicaragua, Costa Rica, Chiriqui und durchweg am Isthmus von Pa-
nama sollen Spuren ihrer Anwesenheit zu finden sein ; in allen Ländern
um das Caraiben-Meer und den Golf von Mexico herum, die mit ein-
lauffreien Flussmündungen versehen sind, sollen sie verkehrt haben.
Worauf Oberst Church diese Behauptungen stützt, ist nicht zu er-
kennen. Am schönsten kann man aus dem berüchtigten „Auto de
Figueroa" ersehen, was alles die Spanier für Caraiben erklärten: die
Stämme, welche ungefähr so lebten, wie die echten Caraiben und im
— 104 —
Geruch standen, Kannibalen zu sein, waren „Caribes" und wurden
verdammt *, nach Sprach- oder Stammeszugehörigkeit fragte kein Mensch.
Abgesehen von den „schwarzen" Caraiben ist, soweit ich sehe, kein
ethnisch dem Caraiben-Stamme zugehöriges Volk westlich der Moti-
lones von Santa Marta festgestellt worden.^
Wie wir gesehen haben, waren ihre unglücklichen Gegner, die
Insel- Aruaks, von Hause aus keineswegs zu verachtende Seeleute. Aber
zu dem Alp der auf ihnen lastenden Caraiben- Gefahr kam jetzt der
Druck der rücksichtslos und brutal ausbeutenden Europäer und hat
sie vollständig demoralisiert. Willenlos starben sie dahin, und was
der Tod übrig liess, suchte sich, wenn möglich, durch Auswanderung
zu retten. So floh ein Teil von Haiti nach Curagao, andere entkamen
um 1510 und früher nach Guba. Zwischen den Bahama-Inseln und
dem benachbarten Florida hatte immer einige Verbindung bestanden;
jetzt, um 1520, wanderte eine ganze Kolonie Aruaks von Cuba nach
der nordamerikanischen Halbinsel aus und fand gute Aufnahme unter
den Calusa. Die Aruaks also sind es, welche die Brücke von Süd-
nach Nord-Amerika geschlagen haben, nicht die Caraiben.^
Schon 1535 hatte Cartier in Hochelaga Andeutungen über die
Irokesen erhalten, zu einer Zeit, als wohl ihr Bund in der uns be-
kannten Form noch nicht befestigt war. Dann traf Captain Smith
an der oberen Chesapeake-Bai die vielumstrittenen Massawömekes,
die wohl dem Irokesen-Bunde nahe standen und Streifzüge den Susque-
hannah hinunter zu machen pflegten. Zwei Jahre später hatte dann
Champlain bei Ticonderoga sein berühmtes Gefecht mit einer nach
Norden ausfallenden Bande dieser grimmigen Krieger. In jedem der
beiden Fälle befanden sich die Irokesen in ihren Ulmen-Kriegs-Kanus;
beide sind typisch. Denn die Irokesen nutzten die glückliche geo-
graphische Lage ihrer Heimat nach jeder Richtung hin militärisch aus.
Unter Benutzung eines oder höchstens zweier Trageplätze erreichten
sie im Süden und Osten mit leichter Mühe den Ohio, also den Mississippi,
ferner den Potomac, Susquehannah und Hudson ; im Norden und Westen
den unteren St. Lawrence, die grossen Seen und die obere Mississippi-
Gegend. Weitere Flussverbindungen brachten sie nach Maine, New
^ Bollaert: „Antiquarian Kes." p. 4 — 5, 33; — Church: „Costa Rica", p. 80—81 ;
— Orozco y Berra: „Geografia", p. 165.
2 Las Casas: III, 464, 474; — Martyr: „Dec. Octo", p. 466, 499; — Gomara,
in „Vedia", I, 178 II; — Herrera: I, 249—250; — „Col. Doc. Inedit. Arch. Indias",
V, 536—537.
— 105 —
Brunswick, in die Gegenden des St. John-Sees, zu den Zuflüssen der
Hudsons-Bai und bis nach Labrador hinein. Keine einzige dieser weit-
verzweigten Verbindungen ist von den Irokesen unbenutzt geblieben.
Nachdem in der Nähe den Neutrais, den Eries und Susquehan-
nocks ein Ende gemacht war, wandten sie sich gegen die Catawbas,
wobei sie längs der Einfallsstrasse den Manahoac-Bund vernichteten
und die Stammsitze der Saponi und Tutelo entvölkerten. Die Cherokees
blieben ebensowenig verschont als die Chickasaws im Südwesten. Die
Mosopelea am Mississippi, unterhalb der Ohio-Mündung, wurden fast
vernichtet. Nördlich von ihnen bekamen die Illinois und Foxes die
schwere Hand der Irokesen zu fühlen, deren Streifbanden die Küsten
des Michigan-Sees terrorisierten und über Sault Sainte-Marie bis in
den Oberen See vordrangen. Das eine Wort „Mohawk" machte die
Hudson- und New England -Indianer erzittern, verbreitete seine
Schrecken bis zu den Abenakis in Maine und eilte den kommenden
Räubern voraus bis zu den Atticamegues am St. John und bis nach
Labrador hinein. Pater Buteux hatte dies für unmöglich erklärt. Un-
bekümmert um die Franzosen fuhren Irokesen-Kanus an Quebec vorbei,
um 30 km unterhalb der Stadt zu morden und zu plündern. Nahezu
sämtliche dieser Ausfälle wurden auf dem Wasser unternommen, die
meisten stromabwärts. Flink aber lautlos glitten die Ulmen-Kanus
dahin, anfangs bei Tage, später, in der Nähe des Feindes, bei Nacht.
Auf den Seen hielt man sich in der Nähe der Ufer, um weniger leicht
gesehen zu werden und um bei einem Zusammentreffen mit dem Gegner
sofort landen zu können. Denn eine Wasserschlacht vermieden die
Irokesen in dem Gefühl ihrer Unterlegenheit gegenüber den leichten
Birken-Kanus ihrer Feinde. Vorzeichen wurden genau beachtet, die
Natur auf das peinlichste geprüft: jedes Geräusch, jede Bewegung,
jede Erscheinung auf diesen wundervollen nordischen Seen, doppelt
schön in ihrer Einsamkeit, sprach seine eigene Sprache für den Mann
der Wildnis: der Vogelflug, das Zwitschern der Chicadee im Busch, der
zitternde Schrei der Lomme. Das Nachtlager wurde gewöhnlich durch
Palissaden verschanzt. Kurz vor dem Ziel wurde gelandet, die Kanus
versteckte man, um dann zu Fuss zum Angriff', zum Überfall zu eilen.
Denn der Irokese kämpfte und siegte zu Fuss, um dann zu Boot noch
schneller zu verschwinden, als er gekommen war.
Die Beispiele von Wasserkämpfen zwischen Indianern und Euro-
päern sind zahllos in der Geschichte Amerikas; auch als Verbündete
der Weissen oder in ihrem Dienst haben die Indianer nicht ohne Buhm
— 106 —
gefochten. Es kann hierauf nicht näher eingegangen werden. Da aber
einmal gesagt worden ist, es seien keine Seegefechte in Amerika bekannt,
in denen nicht Europäer mitgewirkt hätten, so verlangt dieser Punkt
noch eine kurze Widerlegung. Bei den Nordwest-Indianern weiss die
Geschichte von grossen Kämpfen und Seeschlachten zu erzählen, bei denen
lediglich Indianer gegen Indianer wirkten, die Überlieferung spricht noch
von weit grösseren. Zu Champlain's Zeiten schlugen die Montagnais
eine kleine Irokesen-Flottille, 1637 hatten Algonquins, 1672 Susque-
hannocks ähnliche Erfolge auf dem Wasser gegen dieselben Gegner
za verzeichnen. Di^ Penobscots hatten eine sehr deutliche Überliefe-
rung von einem Wassersiege ihrer Väter über eingebrochene Mohawks,
während ein vereinigtes Geschwader von Ottawas, Huronen und Sauks
eine Irokesen-Flottille auf dem Erie-See vernichtete. Es muss bemerkt
werden, dass die in jedem Falle geschlagenen Irokesen auch jedes
Mal erheblich in der Minderzahl waren. Chippeways vernichteten eine
Flottille von Sauks und Foxes auf dem Oberen See, während zur Zeit
der ersten spanischen Mission an der südlichen Georgia-Küste eine
Seeschlacht zwischen Indianern stattfand, in welcher die eine Partei nach
Barcia die Yämassee waren, und in der auf jeder Seite 40 und mehr
Canoas fochten. Seeschlachten zwischen Caraiben und Festland-
Aruaks, in denen auf jeder Seite etwa 30 Canoas oder Piraguas mit
je 30 bis 40 Mann beteiligt waren, sind uns bekannt. Zahlreich sind
die Beispiele von Indianer-Seeschlachten an den Küsten Brasiliens.
Die Tupinambäs, Tupinakins, Tamoyos und Caites sind die Haupt-
beteiligten. Auch während des Ursüa-Aguirre-Zuges konnte eine Aktion
auf dem Wasser zwischen den Uferbewohnern des Amazonas beobachtet
werden. Während der Belagerung von Mexico durch Cortes hatten es
die Canoas und Piraguas der Azteken nicht nur mit den spanischen
Brigantinen zu tun, sondern sich auch gegen die Flottillen der ab-
gefallenen See-Pueblos ihrer Haut zu wehren. Pachacuti Inka Yupanqui
hatte in schweren Balsa- Schlachten gegen die Guacabilicas oder
Huancavilcas der Ecuador -Küste zu kämpfen. Die von Montesinos
dem Inka Yiracocha zugeschriebenen Seekämpfe gegen die Chonos und
Inselbewohner von Punä sind wohl ebenfalls auf Rechnung von
Pachacuti Inka zu setzen und mögen dieselben oder verwandte Ereig-
nisse im Auge haben. Tupac Inka Yupanqui's Balsa-Kämpfe gegen
die Chunchos oder Musus im oberen Beni- oder Mamore-Becken sind
ebenso wie Huayna Capac's Gefechte gegen die in ihren Wasserbauten
verschanzten Cayambes nördlich von Quito in anderem Zusammenhang
— 107 —
bereits berührt worden. Das Verhalten indianischer Flottillen beim
Zusammentreffen mit Columbus, Nino, Hojeda, Cördoba, Grijalba,
Narvaez, Moscoso und Orellana, um nur einige zu nennen, zeigt auf
das deutlichste, dass die Eingeborenen Amerikas an Seeschlachten
gewohnt waren, bevor die Europäer zu ihnen kamen. ^
Entsprechend dem Charakter des Indianers und der in den Land-
kriegen von ihm geübten Praxis waren die Hauptnummern der india-
nischen See-Taktik — von Strategie kann nur selten die Rede sein —
der Versuch, den Gegner unbemerkt zu überfallen^ ihn in einen Hinter-
halt zu locken oder ihn doch wenigstens in einer für ihn ungünstigen
Lage zu bekämpfen. Abgeschlagene, quer über die Anmarschstrasse
geworfene Bäume, angeschlagene Stämme, die man im richtigen Augen-
blick auf die feindlichen Fahrzeuge fallen zu lassen versuchte, waren
sehr beliebte Mittel. Man war daher auch vorsichtig beim Vormarsch
in solchen Gregenden: Patrouillen an den Uferrändern oder Auf-
klärungs-Boote gingen der Flottille voraus. Der geordnete Anmarsch
und ganz besonders der würdevolle Rückzug indianischer Kriegs-
Flottillen sind von den Europäern oft bewundert worden. Die Schlacht-
schiffe des Altertums, die durch ihre Gestalt, durch das Verhältnis
von Länge zu Breite und noch sonst in manchen Dingen erheblichen
Anklang an die Boote der Naturvölker zeigen, hatten in der Haupt-
sache eine Gefechts-Taktik von dreierlei Art. Erstens versuchten sie
zu rammen, indem das Schiff durch Remenkraft wie ein Wurfspiess
auf den Gegner geschleudert wurde. Zweitens suchten sie dem Feinde
durch einen Schrägstoss auf einer Seite die Remen abzustreifen und
ihn so manövrier um ähig zu machen, und drittens strebten sie darnach,
wie die Römer zuerst bei Mylae, durch Entern aus einer Seeschlacht
einen Landkampf zu machen. Die erste Art war für die zerbrech-
lichen indianischen Kanus ausgeschlossen, für die Canoas von mindestens
^ Morton: „Inquiry", p. 22; — Eells, in „Amer. Antiquarian", IX, 100—101; —
Champlain: I, 120; — „Rel. d. Jesuit.", 1637, p. 84—85; 1672, p. 241; — La
Potherie: II, 353—355;— Thoreau: p. 299 ; — Schoolcraft : „Information", II, 142,
plate; — Eastman: „Chicora", p. 97—98, and plate; — Torquemada: III, 353 II
bis 3541; — Barcia: „Ensayo", Dec. IX, p. 17in— 1721; Dec. XVIII, p. 287II;
— „Col. Doc. Inedit. Arch. Indias" XX, 223: — Diaz del Castillo: 11, 104; — Vülagu-
tierre Soto-Mayor: p. 176—177; — Federmann und Stade: p. 150—152; — Soares
de Souza: p. 38, 307, 308, 346; — Varnhagen: „Historia", I, 49; — Simon: I, 258
bis 259; — „Eevista Trimensal" : I, 192; — Sarraiento de Gamboa: „Geschichte",
p. 90; — Garcilaso de la Vega: „Primera Parte", p. 240—241; — Montesinos: p. 147
bis 149, 163—166.
— 108 —
sehr zweifelhaftem Wert, da man bei der mangelhaften Kenntnis der
Metallbearbeitung dem Vorsteven nur schwer die erforderliche Wider-
stands- und Durchschlagskraft zu geben vermochte. Immerhin ist in
den Kämpfen der Nordwest-Indianer zuweilen durch Rammen gewirkt
worden. Die zweite Art der antiken Schlachtentaktik fällt von selbst
fort, da die Indianer keine Remen kannten. Das Entern wurde in
den indianischen Gefechten vielfach angestrebt und hat wohl immer da
den Ausschlag gegeben, wo eine Flottille vollkommen vernichtet wurde.
Ein charakteristisches und wohl das letzte grosse Beispiel indianischer
Enter-Energie, die sich bezeichnenderweise in der Hauptsache bei
Nacht betätigte, haben die berühmten Guarani-Bogabantes im Kriege
der Triple-Allianz gegen Paraguay geliefert. In der Hauptsache aber
hatten die Indianer die Taktik, welche vom klassischen Altertum bereits
als minderwertig aufgegeben worden war, und die erst nach Erfindung
und Vervollkommnung der Feuerwaffen wieder zu ihrem Recht ge-
kommen ist, nämlich sich aus der Ferne gegenseitig zu beschiessen.
Um sich gegen dieses Beschiessen zu decken, wurden, wie dargelegt,
durch Erhöhung von Bug und Heck aus den Canoas Piraguas ge-
macht. Zuweilen hatte dieser Plankenaufsatz Schiessscharten, während
einige Stämme, wie Massawömekes und Nachbarn, ihre leichten
geflochtenen Schilde am Bug und Heck als eine Schutzwehr auf-
pflanzten. Denn hier war der Platz für die Krieger, während die
Pagajer in der Mitte von der Seite aus zumeist ungedeckt waren.
Daher manövrierte man denn auch so, dass immer möglichst nur der
erhöhte Bug oder das Heck dem schiessenden Feinde zugekehrt war.
Wurde dies geschickt gemacht, dann war von der Besatzung nichts
weiter zu sehen als die arbeitenden Hände der Pagajer. Lagen sich
Breitseite und Breitseite gegenüber, dann drückte man durch ent-
sprechende Gewichtsverteilung die dem Gegner zugekehrte Bordseite
so hoch, dass sie Deckung gegen Sicht gewährte. Dies war bei den
leicht kenternden Fahrzeugen gar nicht so einfach. Kamen schwere
Schüsse europäischer Artillerie, dann konnte man es erleben, dass die
ganze Bemannung platt auf den Schiffsboden fiel, um sich wieder mit
Triumph-Geheul zu erheben, wenn niemand getroffen war. Ein besonderer
Trick bei vorbereiteten Schlachten war im Norden das Schleudern von
Feldsteinen, um die dünnen Birken-Kanus leck zu werfen, während
man es als eine schon etwas verfeinerte Taktik bezeichnen muss, wenn
in Guayana so manövriert wurde, dass die Pfeile immer mit dem
Winde flogen. Scheingefechte und Manöver waren unter den Indianern
— 109 —
nicht selten, können aber nichts an der Tatsache ändern, dass die
See-Taktik der Eingeborenen Amerikas auf einer recht niedrigen Stufe
stand. ^
Das Boot in Freud und Leid.
Gefässe von bootförmiger Gestalt zum Zerreiben von Mais und
Mandioka finden sich mehrfach in Amerika, ohne dass hier ein Zu-
sammenhang irgendeiner Art mit den Booten der Indianer vorläge.
Dagegen bestehen offenbar vielfach enge Beziehungen zwischen Trink-
gefäss und Canoa. In den ländlichen Teilen von Cuba heissen noch
heute ganz allgemein die länglichen Brunnentröge canoas, während in
Guayana und in der Orinoco-Gegend die langen bootähnlichen, für
grosse Festlichkeiten bestimmten Trinkgefässe gleichfalls canauas oder
canoas genannt werden. Ja man ging noch weiter und benutzte eine
wirkliche Canoa als Weinbehälter, wenn das für diesen Zweck be-
stimmte Gefäss für die Zahl und den Durst der Festgenossen zu klein
erschien. Joest hat am Poika ein solches Trinkboot gemessen und ge-
funden, dass es mehr als 2000 Liter fasste. Auch die Mosquito-Indianer
benutzten Canoas als Behälter für ihren Ananas- Wein. Ganz derselbe
Zusammenhang besteht im Chaco ; auch hier dient die Iriartea ventri-
cosa gleichzeitig zum Bau von Booten und Weinfässern und, wenn
letztere ihren Zweck nicht genügend erfüllen, dann tritt ein Boot an
ihre Stelle. Die Spanier haben daher auch diesen Baum „palo bo-
rracho". Sauf bäum, getauft. Die Nordwest-Indianer benutzten ihre
Canoas als Behälter bei der Bereitung von Fischöl, die Maynas- Völker
pressen in den ihrigen das Ol aus den Schildkröteneiern. ^
Wie bei Freude und Festlichkeiten, so stand auch beim Tode dem
Indianer sein Boot nahe. An der ganzen Nordwestküste war die Sitte
» „Vita di Cr. Colombo", p. 327—328; — Vancouver: III, 276; — ßoss Cox:
I, 294; — Franchöre: p. 194; — Swanton: „Haida Texts", p. 366, 386, 387; —
Fidalgo d'Elvas: p. 72, 73; — Smith (Arber): p. 425; — Sahagim: „Conquista",
p. 41; — van Coli: p. 456; — Cardim: „Narrativa", p. 81, 91; — „Revista Tri-
mensal", VI, 309; — „Noticias Autenticas"^ XXXI, 47; — Stöcklein: II, 52 (num.
48); — „Lettres Edifiantes" : V, 160-161.*
2 Krause: „Tlinkit", p. 177—178, u. Abb.; — Bachiller y Morales: p. 362 II;
— Dampier: I, 10; — Gumüla: I, 166; — ßalegh: „Discovery", p. 65, note; p. 102
bis 103, note; — Eobert H. Schomburgk: p. 110; — van Coli: p. 485; — Joest:
p. 92; — Crevaux: p. 521; — Chaffanjon: p. 97, 99; — „Noticias Autenticas",
XXVI, 428; XXVII, 60; XXVIII, 400; — Marcoy: I, 660— 661; — Arenales: p. 116;
— Pelleschi: „Matacos", XVIII, 213.
— 110 —
weit verbreitet, den Verstorbenen in einer Canoa beizusetzen. Aber
hier, wo er sich am häufigsten findet, und an den anderen noch zu
nennenden Stellen beschränkte sich dieser Gebrauch wohl in der
Hauptsache auf Häuptlinge und Grossleute. Auch bei den nordischen
Germanen wurden ja nur die Seekönige, wurden Harald Hildetand und
Sigurd Ring in ihren Drachen verbrannt. Auch griff man wohl ge-
legentlich zu einem Boot als Sarg, wenn man auf Reisen war, anderes
Material für einen widerstandsfähigen Totenschutz nicht zur Hand
hatte und wegen Witterung oder grösserer Entfernung das Kanu nicht
als Leichenwagen benutzen konnte, um die Gebeine des Verstorbenen
in seine Heimat zurückzuführen. Das sporadische Vorkommen von
Boot-Bestattung bei Missisaugas und Menöminis mag auf diesen Um-
stand zurückzuführen sein. Sonst fand sich diese Begräbnisart bei den
Santa Barbara-Indianern, an der Mosquito-Küste, wo man einen Pitpan
in zwei Hälften schnitt, um Sarg-Boden und -Deckel zu haben, bei
den Aruaks von Guayana, bei den Chuntaquiros am Quillabamba, bei
manchen Maynas-Völkern, Cocamas und Omaguas. Bei den Völkern
am Südende Amerikas ist eine dunkle Sehnsucht nach der See, eine
Erinnerung an Zeiten, wo man am Meeresstrande lebte, und ein Glaube,
dass die Geschiedenen dorthin wieder zurückkehren w^ürden, weit ver-
breitet. Man glaubte, dass der Geist des Verstorbenen eine weite
Reise über die See zu den Gefilden der Seligen anzutreten habe, und
hoffte, ihn zu unterstützen, wenn man ihn in einer Canoa begrub oder
wenigstens der Seeküste nahe brachte. Die gänzlich wasserfremd ge-
wordenen Patagonier versuchten daher ihre Toten an den Meeresstrand
zu bringen. Araukanier und Cuncos begruben die ihrigen in Canoas,
mit dem Gesicht nach der See gerichtet, alles in diesem Glauben an
die Schiffahrt der Seele. ^
' Vancouver: I, 255, 256; II, 54, 59, 61; III, 242, 290; — La Perouse: II, 200
bis 207; — Gass: p. 204; — Gibbs: p. 200—205; — Wükes: IV, 325; — Sproat:
p. 259; — Wheeler: „Report", VII, p. 38—39, 124; — Bancroft: „Native Races",
I, 205, 206, 220, 247, 288, 744; — Yarrow: p. 112—113, 171—174; — Herrera:
II, 681; IV, 19 II; — „Bericht etc. über Theile d. Mosquitolandes", p. 148; — „The
Nautical Magazine", I, 572; — „Rel. d. Jesuites", 1687, p. 1641; — Hoffman:
„Menoraini", p. 239; — Richard Schomburgk: II, 458; — Bernau: p. 58; — Veigl:
p. 802—303: — Smyth and Lowe: p. 241; — Simson: p. 24; — Marcoy: I, 621
et note; — Darwin: p. 169—170; — Domeyko: p. 58; — Rengger: „Reise", p. 141;
— Miers: II, 467—468; — Phüippi: „Cunco-Indianer", S. 179; — Margry: VI,
15—16.
Verzeichnis der benutzten Quellen.
Amerika im allgemeinen.
Acosta: ,.Historia Natural y Moral de las Indias". 2 Bde. (Madrid 1894.)
Beuzoni: „Novae Novi Orbis Historiae" in Urbani Calvetonis „Historia Indiae Occi-
dentalis" (1586 [Genevae] Eust. Vignon.)
Castellanos: „Elegias de Varones ilustres de Indias" terc. edic. (Madrid 1874.)
„Coleccion de Documentos Ineditos Kelativos al Descabrimiento, Conquista y Coloni-
zacion de las Posesiones Espanolas en America y Occeania", vols, I — IV, IX, X,
XIV, XX. (Madrid 1864—1873.)
„The Journal of Christopher Columbus (During bis First Voyage, 1492 — 93), and
Documents relating to the Voyages of John Cabot and Gaspar Corte Eeal".
(London 1893, Hakluyt Soc.)
„Vita di Cristoforo Colombo, Descritta da Ferdinande, Suo Figlio, e tradotta da
Alfonso Ulloa". (Londra 1867.)
„Voyages de Fran^ois Coreal aux Indes Occidentales" trad. 2 vols. (Paris 1722.)
Fernandez d'Enciso : „Suma de geographia q trata de todas las partidas y prouincias
del mundo: en especial de las indias". segunda edic. emendada. (Seuilla 1530.)
Fletcber: „The World Encompassed by Sir Francis Drake". (London 1854, Hakl. Soc.)
Galvano : „The Discoveries of the New World". (London 1862, Hakl. Soc.)
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„Corr. Bl. Gesellsch. Anthrop." Jahrg. XXXIII u. XXXIV. (München 1903 u. 1904.)
Weule: „Das Meer und die Naturvölker", in „Ratzel-Gedenkschrift", p. 411—462.
(Leipzig 1904.)
Wertvolle ethnographische und geographische Werke aus dem
Verlage von STRECKER & SCHRÖDER in STUTTGART:
Grupp, Dr. Georg, Der deutsche Volks- und Stammes-
cliarakter im Lichte der Vergangenheit Reise- und
Kulturbilder.
Geheftet M. 2.70, geb. M. 3.70.
Günther, Prof. Dr. S., Geographische Studien.
Inhalt : Akustisch-Geographisclie Probleme : I. Der tönende Sand , II. Musikalische
Naturklänge , III. Abrupte Knalle. Das antarktische Problem und die deutsche
Südpolarexpedition. Ein kulturhistorischer Beitrag zur Erdbebenlehre. Eduard
Richter. Ferdinand v. Richthofen.
Geheftet M. 4.—.
Harpf, Dr. Adolf, Morgen- und Abendland. Vergleichende
Kultur- und Reisestudien.
Geheftet M. 4.—, geb. M. 5.—.
Krämer, Prof. Dr. Augustin, Hawaii, Ostmlkroneslen und
Samoa. Meine zweite Südseereise (1897—1899) zum
Studium der Atolle und ihrer Bewohner.
Geheftet M. 10.—, geb. M. 12.—.
„Das vorliegende Buch ist ein Reisewerk schönster Art, prächtig ausgestattet mit
Skizzen und Abbildungen; voll anschaulicher, launiger Schilderungen, eng ver-
flochten mit den wichtigsten Beobachtungen und Forschungsergebnissen; es ist eine
Popularisierung ernster exakter Wissenschaft und auf vielseitiger Erfahrung be-
gründeter kolonialwirtschaftlicher Betrachtungen." Petermanns Mitteilungen.
Paul Güssf eldt, Julius Falkensteln und Eduard Pechuel-
Loesche, Die Lo*angO-Expedltlon. Ausgesandt von
der Deutschen Gesellschaft zur Erforschung Äquatorial-
Afrikas 1873 — 1876. Ein Reise werk in drei Abteilungen
1. Abteilung von Dr. Paul Güssfeld (1979)
2. Abteilung von Dr. J. Falkenstein (1879)
3. Abteilung I. Hälfte von Dr. Ed. Pechuel-Loesche (1882)
Preis der ersten drei Bände M. 30.—, früher M. 42. — .
3. Abteilung II. Hälfte von Prof. Dr. Ed. Pechuel-Loesche (1907)
Geheftet M. 24.—.
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen oder direkt vom Verlage
Strecker & Schröder In Stuttgart.
Wertvolle ethnographische und geographische Werke aus dem
Yerlage von STRECKER & SCHRÖDER in STUTTGART :
Parkinson, R. Dreissig Jahre in der Südsee. Land und
Leute, Sitten und Gebräuche im Bismarckarchipel und
auf den deutschen Salomoinseln. Herausgegeben von Dr,
B. Ankermann, Direktorial-Assistent am Königl. Museum
für Völkerkunde zu Berlin.
Geheftet M. 14. — , geb. M. 16. — , auch in 28 Lieferungen
ä 50 Pfg.
„Es handelt sich hier in der Tat um ein literarisches Ereignis ersten Ranges auf
dem Gebiete der Ethnographie." Globus.
„R. Parkinson ist ein Veteran in unserem Kolouialgebiet in der Südsee — ".
— „Prächtige Lichtbildaufnahmen unterstützen die Schilderung des Bandes. Die
Lebendigkeit und Anschaulichkeit des Vortrages lässt erkennen, dass ein intimer
Kenner des Landes spricht." Norddeutsche AUgemeine Zeitung, Berlin.
„Es verdient übrigens hervorgehoben zu werden, dass der Verfasser ängstlich
bemüht ist, nicht das als sein Werk hinzustellen, was andere Forscher vor ihm
schon geleistet haben." New- Yorker Staatszeitung.
Pechiiel-Loesehe 5 Professor Dr. Ed., Volkskunde von
LoangO. Separatausgabe von „Die Loango-Expedition"
3. Abteilung, IL Hälfte.
Geheftet M. 24.—, halbfrz. geb. M. 27.—.
SieverSj Professor Dr. Wilhelm, Südamerika und die
deutsclien Interessen. Eine geographisch -politische
Betrachtung.
Geheftet M. 2.—.
„Der rühmlichst bekannte rührige Giessener Hochschullehrer bietet in dem vor-
liegenden Buche dem Geographen wie dem Politiker eine schätzenswerte Gabe.
Auf knappem Räume werden dem Leser die Grundziige der politischen und wirt-
schaftlichen Entfaltung Südamerikas und der Anteil der deutschen Interessen daran
vorgeführt". — „Es sei daher — — — — jedem Geographen hiermit bestens
empfohlen". Geographischer Anzeiger.
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen oder direkt vom Yerlage
Strecker & Schröder in Stuttgart.
Von demselben Verfasser, Hauptmann Dr. F r i e d e r i c i , erschienen :
=z==z=z Im Verlage von z===i=======z===zz:l
Friedrich Vleweg & Sohn, Braunschweig:
Indianer und Anglo- Amerikaner
Ein geschichtlicher Überblick
1900. 8°, 147 Seiten. Preis M. 2.—
Aus den Urteilen der Presse:
„. . . The work is a distinct contribution to American history."
The American Historical Review
„. . . The anthor shows close familiarity with the literature of the subject,
and every Statement is substantiated by authoritative reference."
The American Anthropologist
„El autor de este Ubro es un militar, pero no de los ,de misa y oUa' como
los que por acä suelen usarse, sino culto y trabajador de veras. Con dicho libro
presta , una muy aceptable contribuciön ä la vez ä la etnologia y ä la historia."
La Espana Moderna
Femer:
Skalpieren und ähnliche Kriegs-
gebräuche in Amerika
1906. 8^, 172 Seiten und eine farbige Karte
Preis M. 5.—
Aus den Urteilen der Presse:
„Der verdienstvolle Verfasser der ,Berittenen Infanterie in China', der
Hauptmann a. D. Friederici, liefert in seiner Doktordissertation einen ausser-
ordentlich gelehrten, von geradezu erstaunlicher Belesenheit zeugenden Beitrag
für die Entstehung und Erklärung einer der seltsamsten und grausamsten mensch-
lichen Sitten, des Skalpierens." Berliner Tageblatt
„Ein gelehrter deutscher Beitrag zur Kolonisationsgeschichte Amerikas".
New Yorker Staatszeitnng
„This is one of the most important ethnologic monographs that has ap-
peared in a long time." The American Historical Review
„In this dissertation upon scalping and kindred war customs, we have for
the first time a scholarly monograph upon one of the most characteristic practices
of OUr IndianS " The Nation
Von demselben Verfasser, Hauptmann Dr. Friederici, erschienen ;
Im Verlage von
Dietrich Reimer (Ernst Vohsen), Berlin:
Berittene Infanterie in China
nnd andere Feldzugseriunerungen
1904. 8°, 355 Seiten. Mit 70 Abbildungen und einer Karte
Preis geb. M. 6. —
Aus den Urteilen der Presse:
„Es würde ein Irrtum sein, sich durch den Haupttitel des vorliegenden
Buches verleiten zu lassen, demselben nur ein militärisches Interesse zuschreiben
zu wollen, dasselbe enthält vielmehr auch eine Fülle sonstiger anregender und
wertvoller Mitteilungen, die dadurch noch gewinnen, dass der Verfasser in der
Chinaliteratur, der alten wie der neuen, sehr belesen und bewandert ist . . ."
Petermanns Mitteilungen
«■■
,Durch sein Buch hat Hauptmann Friederici nicht nur seiner braven
Berittenen Kompagnie ein wohlverdientes, bleibendes Denkmal errichtet, sondern
auch ein in militärischer und manch anderer Beziehung sehr beachtenswertes
Werk geschaffen." Streffleurs österreichische miUtärische Zeitschrift
„This work deals with the writer's experiences as captain of a Company
of German mounted infantry in China during the Boxer uprising in 1900/01,
and is altogether one of the mort interesting and instructive books on China
that have appeared in a long time." The American Anthropologist
Im Verlage von
Slmmel & Co., Leipzig:
Der Tränengruss der Indianer
1907. 8°, 22 Seiten. Preis M. 1.—
■ü
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