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Full text of "Die schöne litteratur Europa's in der neuesten zeit, dargestellt nach ihren bedeutendsten erscheinungen"

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SE————— — — —2— 
GERMAN LIBRARY. 


oF THE 


UNIVERSITY OF CALIFORNIA. 


Rereived.___-_____-__-_-_-----2-.....- 188 





Accessions No. Shelf No. 
& 
3 





Sr 





] 


Borlefungen 


über 
die ſchoͤne Eitteratur Europa’s 


in der neueften Zeit. 


Car, 6 poetes saints! l’art est lc son sublime, 
Simple, divers, profond, mysterieux, intime, 
Fugitif comme l’eau qu’un rien fait devier, 
Redit par un Echo dans toute creature, 


Que sous vos doigts puissans exhale la nature 


Cet immense clavier. — 
Victor Hugo. 





Die 


schöne Litteratur 
Europa’s 
in der neueften Zeit, 


dargeftellt nach ihren bedeutenpdften 
Erfcheinungen. 


Borlefungen 


gehalten vor einer gebildeten Verfammlung 


von 


Do». 8. B. Wolff, 


Brofeffor an der Univerfität zu Jena. 






— 
OF THE 


UN.VERSITY 
\ F ⸗ 


Ö 









Leipzig, 


" Srud um Berlag von Breitfopf und Härten, 





18392. 


. 


PN TIO 
\NG 


Seinem geliebten Oheim 


und väterlichen Freunde 


Herrn M. Wolff, 


widmet diefe Blätter 


in dankbarer Verehrung 


der Verfaffer. 


1 


14 u 
N A at 


— — — — — 


Vorrede. 





Die nachſtehenden Vorleſungen wurden zu Jena vor 
einer durch Bildung und Geſchmack ausgezeichneten 
gemiſchten Verſammlung von Maͤnnern und Frauen 
gehalten. Der Zweck derſelben war nicht ſowohl eine 
kritiſche Ueberſicht der neueſten ſchoͤnen Litteratur zu 
geben, als hauptſaͤchlich Verehrer der Poeſie aufmerk⸗ 
ſam auf die bedeutendſten Erſcheinungen zu machen, 
und ihre Wahl, da Beruf und anderweitige Hinder⸗ 
niſſe ihnen fein tieferes Eindringen in das Gefammt- 
gebiet verftatteten, gemwiffermaaßen zu leiten, damit fie 
bei erholender Secture vor Fehlgriffen in derfelben ge- 
jichert feyen. Freunde bes Verfaflers waren ber Mei- 
nung, daß biefe Vorträge in ihrer urfprünglichen Ge⸗ 
ftalt auch dem größeren gebildeten Publicum eine nicht 
unangenehme Unterhaltung darbieten fönnten, unb mun⸗ 
terten ihn zur Herausgabe. berfelben auf. — 

Der Verfafler erflärt daher ausdrücklich, daß das 
vorliegende Buch durchaus nicht für den Gelehrten 
vom Sach beftimme ift, weil es theils die Forderungen 
deffelben Feinesweges befriedigen würde, theils auf 
Bedürfniffe Rücdficht genommen werben mußte, über 
weiche diefer längft hinaus if. — Es foll die gebil- 
deren Freunde der Poefie auf eine leichte Weiſe mit 
dem Schönften oder Merfwürdigften, das die neueften 





VIII — 


Nationallitteraturen darbieten, bekannt machen, und ſie 
wo moͤglich vor irrigen oder einſeitigen Anſichten uͤber 
die ihnen ferner liegenden Theile bewahren, 

Die Wahl der den einzelnen Urtheilen und Be— 
richten zugefellten dichterifchen Proben wurde fehr be— 
dinge Durch den Umftand, daß der Verfaffer faft allein 
auf feine eigene Fleine Buͤcherſammlung befchranft war. 
Man wird es daher freundlich entfchuldigen, wenn man 
findet, daß bin und wieder fchönere Auszüge oder gluͤck— 
lichere Bearbeitungen mitgetheilt werden Eonnten, — 
Wo eigene Ueberfegungen gegeben wurden, ift jederzeit 
gewiffenhaft das Original hinzugefügt, obwohl beftimmt 
niche zum Vortheil des Veberfegers. — Bei fremden 
Uebertragungen, fobald diefe in derfelben Form waren, 
bat man es dagegen als überflüffig weggelaffen. — Ä 

In Hinficht auf Deurfchland wurde eine allgemeine 
Ueberſicht der Hauptrichfungen in ben verfchiedenen 
Gattungen für hinreichend gehalten, da die Mittel zur 
Kenntnig zu nahe lagen, und eine mehr in das Eins 
zelne gehende Entwidelung zu weit geführt haben würde. 

- Sn allem Mebrigen möge das Buch für fich felbft 
reden; ber Autor Fennt deſſen Mängel nur zu wohl und 
macht weiter Feine Anfprüche, als höchftens auf die An- 
erfennung, durchaus wohlwollend, ohne Nebenabfichten 
und ftets fo unpartheiiſch wie möglich ſeine Meinung 
ausgeſprochen zu haben. 

Jena, im April 1832. 


O. E. B. Wolff 








1. 


Andeutungen zu befferem Verftändniß ber 
folgenden VBorlefungen. 


— — — — 


Die Poeſie iſt das Erzeugniß ber Phantafie und des Gemuͤ⸗ 
thes in vereinter Kraft. Sie wird objectiv, wo die Erſtere, 
fubjectio, wo das Letztere vorwaltet. Dieſe beiden Gattungen 
zerfallen wieder in mehrere Unterabtheilungen, welche theils 
die Art und Weiſe der Darſtellung ſelbſt, theils die Form, 
in welche das Darzuſtellende gekleidet wird, bedingt. — Jede 
dieſer Unterabtheilungen hat ihre eigenen Geſetze, die entweder 
auf Grundwahrheiten der Lehre vom Schoͤnen, oder auf noth⸗ 
wendigen oder als nothwendig angenommenen Bedingungen 
der poetiſchen Formenlehre beruhen. — 


| Diefe Letztere, wie fie jetzt bei fat allen gebildeten Voͤl⸗ 
fern angenommen ift, zerfällt wieder in zwei Syſteme, welche 
jedoch vereint auf die poetifchen Formen angewandt werden 


a 








x 





fönnen, und bei den Deutfchen 3. B. auch im vollfien Um: 
fange angewandt werden, bei anderen Völfern aber nach der 
Eigenthümlichkeit ihrer Sprache und ihres Sinnes Modificatio⸗ 
nen erleiden. — Dad erftere Syftem (dad Syſtem der Grie: 
chen und Römer) umfaßt nur die Meflung des Verfes nach 
Langen und Kürzen, mit Ausfchluß des Neimed; das zweite 
(das Syſtem der neueren Poetif) enthalt außer jenen Gefeßen, 
infofern die Beichaffenheit der Sprache ihre Anwendung zulaft, 
noch die Geſetze über die Zahl der Sylben, aus welchen ber 
einzelne Vers befteht, über den Bau der Strophen und über 
den Reim und defien Beſchraͤnkung. 


Die Begriffe Flaffifche und romantifche Poeſie, 
welche ald einander entgegengeftellt erfcheinen , bezeichnen 
hauptfächlich die geiftige Auffaffungd= und Darftellungsweife 
des ganzen Gebietes der Poefie, Calfo ded ganzen Gebietes 
menfchlicher Unfchauungen, infofern fie fich zu idealifirter Dar⸗ 
ſtellung eignen), wie fich diefe vor und nach dem Chriften: 
thume bei den geiflig am Meiſten auögebildeten Nationen ges 
ftatteten. — Unter klaſſiſcher Poeſie verfteht man die Poefie 
der Griechen und jener Völker, welche fich nach ihnen bilde: 
ten, und die von ihnen angenommenen Gefeße für die Dicht: 
kunſt befolgten, unter romantifcher Dagegen, die Poefie der 
Neueren, welche vorzüglich in fpäterer Zeit zwar Manches 
von jener entlehnte, im Ganzen aber fich unabhängig, nach 
den eigenen Anſichten derer, welche dieſelbe cultisirten, aus— 
bildete. | 


Der Hauptunterfchied Beider beruht auf dem Einfluß der 
Religion und des gefelligen Lebens, deren Einwirkung wir zu 
deutlicherer Anſchauung tabellarifch. gleichfam einander gegen: 
überftellen. - | 














— ij mm 


I. Die Religion. 


Ward bei den Alten durch 
die Priefter als eine natürlis 
che, finnliche herangebilbet, und 
übte infofern Feinen hemmen 
den Einfluß, als fich die Poes 
fie derfelben in ihrem ganzen 
Umfange bemächtigen konnte, 


Dem Fatum der Alten 


War bei den Neueren eine 
geoffenbarte, geheimnißvolle, 
überfinnliche, und übte durch 
die ftrenge Orthodoxie der Kir⸗ 
che einen hemmenden Zwang 
auf die Dichter und Philoſo⸗ 
phen aus. 

Die Phantafie, da ihr das 
ganze Gebiet der Weligion 
nicht mehr offen ftand, fuchte 
fich theils durch chriftlichsats 
legorifche Behandlung der ans 
tifen Sagen, theils durch die 
Perfonificrung der Naturs 
fräfte, als Mittelmefen zwi⸗ 
fchen Gottheit und Menſch⸗ 
heit unter der Geflalt von 
Elfen, Teen, Gnomen ıc. 
ſchadlos zu halten. 


fteht in gewiſſer (jedoch fehr bes 
ſchraͤnkter und anderweits fehr 
verfchiedener) Hinfiht, das 
böfe Princip (der Zeus 
fel) der Neueren gegenüber. 


1. Das gefellige Leben. 


Dem Bürgerieben der Alten 
fieht das 


Nitterweien ber Neueren ge⸗ 


. genüber. — 


Dad Herrnweſen im Samilienverhältniß war bei Beiden 


vorhanden, 


1 





zu — 


Bei den Alten war Achtung, Bei den Neueren bildete fich 


aber Unterordnung des Wei⸗ eine misverftandene Ueberſchaͤz⸗ 


bes. — zung des weiblichen Gefchlech- 
tes, welche beſonders zur Zeit 
der Kreuzzuͤge fich als eine ſcharf 
auögefprochene Schwärmerei in 
der Liebe, von gleicher Macht, 
wie die Schwärmerei im Glau⸗ 
ben, durch das ganze damalige 
gebildete Europa verbreitete. — 
Dadurch befchäftigte fich die 
Poefie befonderd mit der feis 
neren Kenntniß des menſchli⸗ 
chen Herzens, welche fie be: 
fonders aus der Liebe zu ent: 
wickeln ſtrebte. — Dies aͤu⸗ 
ßerte ſpaͤter, vorzuͤglich im 
Drama, einen bedeutenden 
Einfluß auf die Entwickelung 
der individuellen Charactere 
und die Darſtellung der Lei⸗ 
denſchaften; die Wirkung 
deſſelben ging in neueſter Zeit 
auch hauptſaͤchlich auf den 
Roman uͤber. 
Banz fremd waren den Alten die bei den Neueren hin: 


zutretende Gelehrfamfeit, die weitere Ausbildung der Kritik, 
wie fie fich bei uns geflaltete, die Nachahmung und Umwan⸗ 


delung ihrer Meifterwerke in unſerem Sinne, und endlich in 


den poetifchen Formen, der Bau der Strophen und ber Keim 
mit den Gefeßen für feine Verſchraͤnkungen. — Die ben 








xIn 


Neueren eigenthümliche,, Jenen ebenfalls ganz fremde Scehn« 
ſucht, Kegt beſonders in unſeren Begriffen von überfinnlicher 
Liebe, und in den Geheimmiſſen des geoffenbarten Glaubens. 

Inſofern nun die Voͤlker des neueren Europa ſich zu je⸗ 
ner Zeit, als ihre Dichtkunſt nicht mehr bloß im Worte ſich 
fortbitdete, fondern von den Gebildeten und Gelehrten anges 
baut wurde, fireng den Regeln und Gefeßen ber antilen Poe⸗ 
fie unterwarfen, fowohl für die Form, fo weit, hinfichtlich des 
Versbaues, die Sprache diefe zuließ, als für die Gegenflände, 
welche fie behandelten, oder ihren eigenen Weg gingen und 
von den Vorfchriften der Alten nur dad annahmen, was ihrer 
nationalen Eigenthümlichkeit als gut oder nothwendig erfchien 
und zufagte, bildete das Gefammtgebiet ihrer Poefieen einen 
Gegenſatz, welcher in fpdterer Zeit mit dem Namen romans 
tifch und Elaffifch bezeichnet wurde; als gar in unferen 
Tagen Partheien fich erhoben, welche fireng diefe oder jene 
Auffaffungs = und Behandlungsweile der Dichtlunft gegen eins 
ander vertheidigten, belegten fich diefe felbft mit dem Namen 
Kiaffiter und Romantiker. 


Die Sranzofen ftehen hier ald die Haͤupter der Haffifchen 
Schule da, feit Ludwig XIV. beftimmt und entfchieden aus⸗ 
gefprochen, nach ihnen bildeten fich in neuerer Zeit, früher 
oder fpater, die Holländer, Rufen, Polen, Ungarn, Danen, 
Schweden, Spanier, Portugiefen und Staliener, diefe letzteren 
jedoch nur theilweife; Englander und Deutfche gingen ihren 
eigenen Weg, nur das von der Flaffiichen Poefie (der Alten) 
entlehnend, was ihnen theild nach allgemein gültigen Gejeßen 
ald nothwendig erfchien, theils ihrer Nationalität zufagte. — 

In neuefter Zeit haben fich in allen jenen Ländern, bie 
früher der Haffifchen Poefie allein zugethan waren, Partheien 
gebildet, welche die romantifche Dichtkunft einzuführen fire: 








XIV 


ben; das bewegte Leben und der ſeit der franzoͤſiſchen Revo⸗ 
lution zu maͤchtig hervortretende Kampf der Ideen, unterſtuͤtzt 
ſie auf allen Seiten, und ſie werden hoͤchſt wahrſcheinlich, ja 
gewiß den Sieg davon tragen, denn ein fluͤchtiger Blick ſchon 
auf die Geſchichte der ſchoͤnen Litteratur belehrt uns, wie ge⸗ 
rade da die ſtrengen Geſetze der Form ſich am Ausfuͤhrlichſten 
und bis in das Geringſte ausbildeten, wo der ſchaffende poeti- 
fche Geift des Volkes, durch innere oder Außere Umftände be⸗ 
druͤckt, zu erlahmen begann. — 


2. 


Verzeichniß von Huͤlfsmitteln, welche theils neben 
den Quellen bei den nachſtehenden Vorleſungen be- 
nuge wurden, theils zu weiterer Forfchung und 
Selbftbelehrung dienen koͤnnen. 


a) Für die Darftellung und Entwidelung des Begriffes 

Romantiſche und Klaſſiſche Poefie: 

Allgemeine Einleitung in die Gefchichte der neueren Poeſie 
und Beredfamleit, von Bouterwed, im erflen Bande 
©. 1. feiner Gefchichte der Poefie und Berebfamteit feit 
dem Ende des 13. Jahrhunderts. Göttingen 1801 u. fgde, 

Weber vie Flaffifche und romantifche Poefie von Ancillon, 
im zweiten Bande S. 81 — 235 und ©. 369 fgde. feines 
Werkes: „Zur Vermittelung der Extreme in den Mei- 
nungen.’ — 

W. Menzel, die deutfche Litteratur. Stuttgart 1828. 
Bd. I. ©. 54 fgde. — 

Dr. 8. Roſenkranz, Gefchichte der deutſchen Poefie im 
Mittelalter. Halle 1830. — S. s 68 S. 8. — 








xV 


b) Für die Kenntniß der Gefchichte der fchönen Litteratur 
unferer Zeit in den einzelnen Ländern. 

M.J.Chenier, Tableau historique de l’etat et des progrès 
de la litterature francaise depuis 1789. Paris 1816. 
Th. Campbell, Specimens of the Brit. poets, with bio- 

graphical and critical notices. London 1819. 

3. 3. Sacobfen, Briefe über die neueften engliichen Dich- 
ter. Altona 1820. 

Precis de P’histoire litteraire des Pays - Bas etc. par H. S. 
Lebrocquy. Gand 1827. 

Verhandeling van denHeer Willem de Clereq, ter beant- 
woording der vrage: welken invloed heeft vreemde 
Letterkunde etc. gehad op the Nederland’sche Taal 
en Letterkunde sints het begin der vijftiende Eeuw 
tot op onze dagen? Amsterdam 1825. 

J. Bowring Sketch of the Language and Litterature of 
HoHand. Amsterdam 1829. 

J. F.Willems, Verhandeling over de Nederduytsche Taal 
en Letterkunde, opzigtelyk de zuydelyke Provintien 
der Nederlande. Antwerpen 1819. 

R, Nyerup og C. L. Rabek Bidrag til den Danske Dig- 
terkonsts Historie. Kopenhagen 4800 fgde. — 

G. Stjernhelm Svea Litt. Histor. Stockholm 1819. 

Ueberſicht der ſchwediſchen Kitteratur im XIX. Jahrhundert, 
im Hermes (Lpz., Brodhaus) 1823 St. 1. ©. 237 fgde. 

Sartori, Weberficht der wiffenfchaftlichen Eultur u. f. w. 
des Öfterreichifchen Kaiferthums. Wien 1830. Bd. I. — 
Polen S. 42. — Ungarn ©. 103. 

F. Bentkowsky, historya literatury polskiey. War: 
fchau 1814. 

G. Münnich, Gefchichte der polnifchen Kitterat. 1823. 2 Bde. 








XVI 





F. Toy, Blumenleſe aus ungariſchen Dichtern u. ſ. w., 
mit einer einleitenden Geſchichte der ungariſchen Poeſie be⸗ 
gleitet. Peſth und Wien, 1828. 

J. Bowrings, Poetry of the Magyars, London 4850. 

Gretſch, Handbuch der ruffifchen Litteratur u. f. w. St. Per 
teröburg 4821. — | 

J. Bowring Specimens of the Russian poets. Lond. 1821. 

C. 5. v. d. Borg, Poetifche Erzeugniffe der Ruſſen. Dor⸗ 
yat und Riga 1820 u. 1823. — 

F. Denis Resume de Phistoire litteraire du Portugal. 
Paris 1826. 

Quintana, Poesias selectas castellanas desde el tiempo 
de Juan de Mena hasta nuestros dios. Madrid 41830. 

Maury, Espagne pottique. Paris 1826, 27. 

Sismondi, Litteratur des füdlichen Europa. Deutfch, mit 
Anmerkungen von 2. Hain. Leipzig 1816. 

Florilegio poetico moderne. Milano 4822. 

Franz Horn, Poefie und Beredſamkeit der Deutfchen. Ber: 
In 4822. 

Menzel's oben unter a) angeführtes Werk. 

Bouterwec’8 oben unter a) angeführtet Werl. 


Einzelne treffliche deutfche Abhandlungen und Auffaße 
über Gegenftände der National⸗Litteraturen neuefter Zeit finden 
fich befonders in dem Kitteraturblatt zum Morgenblatt (Tuͤ⸗ 
bingen, bei Cotta) und in den Blättern für litterarifche Un: 
terhaltung (Leipzig, bei Brodhaus), — 





Erſte Vorlefung, 





Sranfreid. 


Kurze Gefchichte der Sprache. — Blick auf die Geftaltung der ſchönen 
Literatur bis zu unferer Seit. — Die Romantiker. — Vietor Hugo. 
— Deſſen Leben. Seine Igrifchen Poeſieen. Odes et Ballades, — 
Les Orientales. — Proben. — 


Die lateiniſche Sprache drang in Gallien ein mit den Roͤmern, 
und gewann durch die Einfuͤhrung des Chriſtenthums groͤßeren 
Halt daſelbſt. Als die Franken nach den Roͤmern die Herr⸗ 
ſchaft errangen, nahmen ſie in kurzer Zeit Sprache und Sitten 
der Beſiegten an. Auf dieſe Weiſe folgte dem Celtiſchen, das 
die Gallier ſprachen, das Lateiniſche, das faſt zu gleicher Zeit 
Idiom der Kirche, des Staates, der Gelehrten und des Volkes 
wurde. Mit ihm vermiſchten ſich einige Truͤmmer des Fraͤnki⸗ 
ſchen und Celtiſchen, und es entſtand das Romaniſche daraus, 
die erſte Quelle des jetzt herrſchenden Franzoͤſiſch. — Die 
fruͤheſten Spuren deſſelben finden ſich unter Karl dem Großen, 
das erſte uns gebliebene authentiſche Denkmal iſt der Vertrag 
und Eidſchwur zwiſchen Karl dem Kahlen und Ludwig dem 
Deutſchen, gegen die Mitte des neunten Jahrhunderts, ungefaͤhr 
1 


— 2 — 


30 Jahre nach Karls des Großen Tode *). In den nörblichen 
Provinzen, dem Hauptſitze der frankifchen Macht, erlitt die 
Sprache noch mehr Veränderungen durch den Einfluß barbarifcher 
Mundarten,; man nannte fie dad Romanifch: Wallonifche, und 
unterſchied diefelbe im zwölften Jahrhundert von der im füd- 
lichen Frankreich üblichen durch die Benennung langue d’oil, 
wogegen man die leßtere langue d’oc nannte; bei Beiden 
gab das Wort, welches unfer Ja ausdrudt, den Namen her. — 

Die langue d’oil war noch durch feinen Dichter angebaut 
worden, als fich fchon Lange die Sprache von Oc durch die Trou⸗ 
badours diefer Gunft erfreut hatte. — Der beftändige Aufenthalt 
des Hofes, an Orten wo man die erftere fprach , trug jedoch 
wefentlich zu ihrer Verbreitung bei, und fie wußte fich durch 
gluͤckliche Umftände begünftigt auch bald Eingang in andere 
Länder Europa’ zu bahnen. In England drang fie mit Wilhelm 
dem Eroberer, in Sicilien mit den normannifchen Fürften, welche 
dies fchöne Eiland eroberten, in Conftantinopel mit den Balz 
duinen und Courtenays ein. Sie folgte Ber Kreuzzügen nach 


"ALS ein Beyfpiel der Veränderungen, weldje eine Sprache im Laufe 
der Jahrhunderte erleidet, möge hier der Eidfchwur im Original, 
mit einer wörtlichen Ueberjeßung in das jegt übliche Franzöſiſch 
folgen: 

Pro Deo amur, et pro christian poplo et nostro commun salva- 
ment, dist di en avant, in quant Deus savir ct podir me dunat, si 
salvara jeo cist meon fradre Karlo, et in adjudha, ct in cadhuna 
cosa, si cum om per dreit son fradre salvar dist, in o quid il mi 
altre si fazet, et ab Ludher nul plaid numquam priadrai, qui meon 
vol cist meon fradre Karle in damno sit. 





Pour Pamour de Dieu et pour le peuple chretien et notre commun 
aalut, de ce jour en avant, autant que Dieu m’en donne le savoir 
et le pouvoir, je defendrai mon frere Charles, ici present et je 
Y’aiderai en toute chose, ainsi qu’un homme, par droit et justice 
doit defendre son frere en tout ce qu’il ferait de la me&me maniere 
pour moi; et je ne ferai jamais avec Lothaire aucun accord qui, par 
ma volonte, porterait dommage & mon frere Charles que voici. — 


— 3 — 


dem Orient und wurde, gegen das Ende des zwoͤlften Jahr⸗ 
hunderts ſogar in Athen bekannt. — Trotz dem vervolllommnete 
ſie ſich aber nur langſam, denn ſie mußte mit der Barbarei 
der Zeit einen harten Kampf beſtehn. Der Adel ſchaͤtzte nur 
das Waffenhandwerk und verachtete die Wiſſenſchaften, ja 
die Herzoge und Barone erhielten oder ſchufen gar ſelbſt das 
Patois ihrer Provinzen als Zeichen ihrer Unabhaͤngigkeit, und 
die Sprache, aller Unterſtuͤtzung beraubt und nicht durch Ge⸗ 
meinſinn befoͤrdert, blieb ohne Geſetz und ohne Anſehn. — 
Dieſe Unannehmlichkeit erzeugte noch eine andere; die Schwierig⸗ 
keit, mit welcher die Bewohner der einzelnen Provinzen ſich 
einander verſtaͤndlich machten, zwang die Juriſten und Legiſten, 
ſich bey ihren Acten des Lateiniſchen zu bedienen, und bald 
ſetzte ſich die Mundart der alten Roͤmer in den Beſitz der 
Gerichtshoͤfe und Tribunaͤle, wie ſie es ſchon in dem der 
Kirche und der Univerſitaͤt war. — Auf dieſe Weiſe wurde ſie 
in kurzer Zeit unumſchraͤnkte Herrſcherin, denn ſie war das 
Organ der Theolo®, damals der erſten faſt einzigen Wiſſen⸗ 
ſchaft, und obwohl fchon feit dem zwölften Jahrhundert, eine 
große Anzahl Dichter und Reimer fich des Romanifchen bedient 
hatten, fo blieb die Xebtere doch immer nur dad Idiom des 
Volles, und ohne alle Macht im Staate wie in der MWiffens 
ſchaft. — Erft durch Stanz I. kam es wieder zu Ehren; er 
verbannte das Lateinifche aus den Gerichtshöfen, und jegt 
fingen auch die franzöfifchen Gelehrten an, fih um ihre Mut: 
terfprache zu befümmern, und für die Bildung derfelben Sorge 
zu tragen. Denn was früher in diefer Hinficht feit Karl V. 
am Hofe der franzöfifchen Könige (von 1364 — 1515) dafür 
gefchehen war, Fonnte nicht von großem Einfluße feyn, indem 
zu ſchwere Kriege dad Land zerrütteten. 

Um diefe Zeit bereitete fich eine, für ganz Europa 
entfcheivende Epoche vor. Die Entdedung Amerika's, die 
Erfindung der Buchdruderkunft, der Einfall der Türken in 
Eonftantinopel, Luther und die Reformation mit ihren unge _ 
heueren Folgen, gaben Allem einen neuen Impuls. — Aus 

. . 1 M 





— 4 — 


Italien theilte ſich dieſe Bewegung dem Reiche der Franzoſen 
mit. Der Feldzug Karls VII. hatte ſchon hoͤchſt vortheilhaft 
"Auf feine Unterthanen gewirkt, welche von den Italienern noch 
als Barbaren betrachtet wurden. Die Sprache der Erfteren 
entlieh vom Stalienifchen neue Wörter und Wendungen, wos 
bei fie jedoch ihre directen Conftructionen und die verfchiedenen 
Endungen beibehielt. — Unter Franz I. wurde die Verbindung 
mit Stalien noch enger. Zur felben Zeit verbreitete fich vie 
Reformation in Frankreich, und die Anhänger derfelben be: 
mühten fich, um den Kehren ded Calvin noch Teichteren und 
zugleich fefteren Eingang zu verfchaffen, die Nationalfprache 
mit Gewandtheit zu reden, mit Grazie und Reinheit zu fchreis 
ben. — Das von Calvin 1536, Franz I. dedicirte Werk, 
L’Institution de la Religion Chretienne, ift das erſte 
bedeutende Denkmal franzöfifcher Profa. — Sprache und Styl 
- waren damals noch fehr naiv, und Marot (ein befannter 
franzöfifcher Dichter, Kammerdiener Franz I., gefeiert zu feiner 
Zeit, geb. zu Cahord 1495 + 41545) ift bei Weitem nicht der 
naivſte Schriftfteller, obwohl er den Ruhm davon tragt. Er 
wußte die Sprache zu vervollfommmen und fie mit Leichtigkeit zu 
behandeln, doch fehlt es ihm an Adel und Kraft. Ronſard 
bemühte fich in feinen Poefien dieſe zu erfeßen, aber er ent- 
ſtellte fie, und feine Werke bedurften fchon für feine Zeitgenoffen 
eined Commentard. Weit mehr thaten Amyot durch feine 
Veberfeßungen der Alten, und Montaigne durch feine eigenen 
Arbeiten für diefelbe. Vorzüglich war ed ber Leßtere, welcher, 
indem er fich firengen Togifchen und grammatifchen Regen 
unterwarf, doch dabei Tebhafte und edle Wendungen, neue, 
wohlflingende und glücliche Ausdruͤcke und Wortbildungen eins 
führte. — Nach ihm begann man das Beduͤrfniß fefter Regeln 
tebhaft zu fühlen; die gewiegteften Schriftfteller wandten ihren 
ganzen Fleiß darauf; vorzüglich waren es Malherbe für 
die Poefie, Balzac und Descartes für die Profa, welche 
diefem Beſtreben einen gewaltigen Schwung gaben. — Die 
Umwaͤlzung, welche fie in der Sprache verauftalteten, war 











J 
— 5 — 


die letzte; eine bedeutende Aenderung hat ſich ſeitdem nicht 
wieder gezeigt; wenn auch der Geiſt der Litteratur wechſelte, 
der Character der Sprache blieb feſt und beſtehend. 

Spaͤter uͤbte die Academie einen faſt dictatoriſchen Ein⸗ 
fluß aus, und erſt in unſeren Tagen ſuchen die ſogenannten 
Romantiker, in directer Oppoſition mit ihr, veralteten und 
verbannten Worten durch neuen Gebrauch ein Buͤrgerrecht zu 
verſchaffen und auf dieſe Weiſe den Sprachſchatz zu bereichern, 
auch wurden durch die groͤßere Verbreitung der Wiſſenſchaften, 
viele vorzüglich aus dem Griechiſchen entlehnte, techniſche Aus⸗ 
druͤcke einheimiſch gemacht. — 

Gleichen Schritt mit der Sprache ging, wie ſich leicht 
denken laͤßt, auch die ſchoͤne Litteratur. Die romantiſche Poeſie 
ſtand waͤhrend des Mittelalters in Frankreich ebenfalls in hoͤch⸗ 
ſter Bluͤthe, nur daß fie ſich im nördlichen Theile vorzugsweiſe 
dem Epifchen bei den Trouveres, im füdlichen Theile dagegen 
dem Lyrifchen bei den Troubadourd, zumendete. Später wurde 
aus der Dichtlunftseine Reimkunſt, durch welche (wie bei 
und von ben Meifterfängern) Alles Mögliche in Verfe gebracht 
wurde. — Dann fanden einzelne Könige Wohlgefallen an ihr, 
und fie ward natürlich fehr bad zu dem Range einer Hofkunſt 
erhoben. — Erſt unter Ludwig XIV. bemachtigten fich wahrs 
haft große Geifter derfelben, aber die ftrengen Gefeße, welchen 
man fie unterwarf, hinderten ihre freie Ausbildung nach allen 
Seiten; man gab, wie das. immer mit Voͤlkern, bei welchen 
der Genius erlifcht,, der Fall ift, mehr auf die Form, als 
auf den Inhalt, und die Regel der Schule umfchloß fie überall 
wie eine fchwere beengende Zeffel. — Endlich fprengten die 
großen Ereiguiffe der Zeit auch hier die Bande, und ed ge= 
ftaltete fich eine Oppofition unter den Zeitgenofien und Mit: . 
lebenden, welche bereits fchon höchft Bedeutendes hervorbrachte 
und noch weit Bedeutendered verfpricht. — . 

Es ift, wie ich das ſchon bereits ausfprach, nicht der 
Zweck biefer Vorlefungen, Ihnen eine Gefchichte der verſchie⸗ 
denen Kitteraturen zu geben, ſondern Sie auf die vorzüglichiten 


— 6 — 


Erſcheinungen in der Poeſie der neueſten Zeit aufmerkſam zu 
machen, und Ihnen dieſe im moͤglichſt klarſten Lichte darzu⸗ 
ſtellen und voruͤber zu fuͤhren. — Ich muß daher eine Menge 
gefeierter Namen, die aber bereits der Vergangenheit angehoͤren, 
uͤbergehn, um deſto laͤnger bei Einzelnen verweilen zu koͤnnen, 
welche, wie ich feſt überzengt bin, Ihre ganze Aufmerkfamkeit 
feffeln werden. — 

Die Verbreitung der Philofophie in Frankreich, die großen 
Begebenheiten der letzten Zeit und die genauere Bekanntſchaft 
mit der Litteratur fremder Nationen, vorzüglich der Deutfchen 
und Engländer, führten doch allmählig die befferen Köpfe 
darauf hin, daß fie fich einer tyrannifchen Unterwerfung unter 
die Form, andgehend von einer deöpotifchen Gefellfchaft Ges 
Iehrten, der Academie, hingaben, welche fehr oft ſchnurſtracks 
‚der Natur zuwider war, und jede freiere Negung pedantiſch 
ängftlich unterdrückte. — Man fühlte das Bedürfniß, fich auch 
bier geiftig zu emancipiren, doch der Muth fehlte Iange Zeit, 
bi8 am Ende kecke, aber auf dad Herrlichite begabte jugendliche 
Gemüther es wagten, und von einem großen, ja dem größten 
heile der Nation mit Enthuſiasmus aufgenommen und ges 
feiert wurden, — Sie ftellten fich, Durch den Zuruf der Menge 
ermuntert, bald in offener Fehde der Academie und ihren An⸗ 
hängern entgegen, und - führten ven Krieg auf eine geniale 
Weiſe, nicht durch Streitfchriften, fondern durch Werke, — 
Getreue Auffeffung der Natur und pfychologifche Wahrheit, 
waren das, Höchfte, nach dem fie firebten. — Die Form be: 
trachteten fie nur als Nebenfache. Sie fragten nicht, ob der 
Stoff, den fie behandelten hoffähig, d. h. hier, der Academie 
wohlgefällig fei und von ihr genehmigt; fie fuchten die Poefte 
auf in der Hütte des Bettlerd, wie im Pallaft der Großen 
. und am Throne der Könige; die Dichtkunft war für fie nicht 
mehr eine Gefellfchaftädame, die fich mit Anftand und Etikette 
zu präfentiren weiß, fondern eine Priefterin des Allerheilig⸗ 
fien, eine Verkünderin des Wahren und Schönen, em freies, 
aber reich begabtes Kind der Natur. — 








— 7 — 


Es konnte nicht fehlen, daß ihre Gegner, die ſteifen 
Anhaͤnger der Form, als ſie den Thron wanken ſahen, auf 
dem ſie faſt zwei Jahrhunderte in behaglich vornehmer Ruhe 
geſeſſen, ein großes Geſchrei erhuben; ja ſie gingen ſogar ſo 
weit, eine Supplik an den Koͤnig zu richten und ihn zu bitten, 
dieſe neue Poeſie, welche ſie als einen Baſtard ausſchrieen, 
durch ein Edict zu verbannen *). — Doch war ihr Streben 
vergeblich, die Nation fchlug ſich auf die Seite der Neuerer 
und diefe drangen immer fiegreicher durch. — Um nun doch 
etwas zu thun, gaben fich die Herrn der alten Schule felbft 
den folgen Namen der Klaſſiker und belegten ihre jungen 
Feinde mit dem verächtlihen der Romantiker, welchen 
dieje aber, wie ehemald die Geufen den ihrigen, den Spaniern 
zum Hohn, ihnen zum Trotze mit Jubel aufnahmen und mit 
Sreude führten. — 

Ad das Haupt der Romantifer wird Victor Hugo ges 
nannt. — Er ift es, den ich Ihnen zuerft vorführe, und Sie 
werden, fobald fie ihn naher kennen, gewiß mit mir übers 
einftimmen, daͤß er ed vor Allen verdient. — Wenn je bie 
Götter den Sterblichen die himmlifchen Gaben der Phantafie 
in die Miege legten, wenn je der Genius mit fegnender Hand 
die Stirn: eined neugebornen Kindes weihte und feinem Blicke 
die Kraft verlieh, die innerften Falten der Seele zu durchichauen 
und in ihre geheimften Tiefen zu dringen, fo gefchah es ihm. — 
Ehe ich jedoch unternehme ihm ald Dichter zu ſchildern, möge 
zu beſſerem Verftändniß folgende Skizze feines Lebens und feiner 
Schickſale, welche ich theild franzöfifchen Blättern, theils 
feinen eigenen Aeußerungen entlehnte, vorangehn. 

Victor Hugo ward am 26. Februar 1802 zu Beſanqon 
geboren; fein Vater war Obrift in franzöfifchen Dienften, feine 
Mutter, eine durch feltene Gaben audgezeichnete Frau, bie 


) Baour-Lormian hatte Ddiefen unfinnigen Einfall, der jedoch, 
wie ſich Teiche denfen läßt, zu weiter nichts diente, als die fogenann: 
ten Klaffifer in den Augen der Nation noch Tächerlicher zu machen. 


— 8 — 


Tochter eines Kapercapitaͤns. — Kaum ſechs Wochen alt 
fuͤhrte ihn das Schickſal nach Elba, wohin ſeinen Vater der 
Beruf zog. — Er verweilte hier bis zum Jahre 1805, und 
kehrte dann mit ſeiner Mutter und ſeinem juͤngeren Bruder 
nach Paris zuruͤck. — Schon in demſelben Jahre warb ber 
wißbegierige Knabe in die Schule geſchickt, jedoch nur auf 
kurze Zeit, denn bereitd 4807 verließ die Feine Familie die 
Hauptſtadt Frankreichs wieder, um fich zu dem Vater, der 
ald Gouverneur der Provinz Avelino, einen Vertilgungsfrieg 
gegen die Banditen, vorzüglich gegen den berüchtigten ra Dias 
volo führte, zu begeben. Hier empfing die jugendlich = weiche 
Seele des Knaben zuerft durch den Anblick der hochromanti- 
ſchen Gegenden des füdlichen Italien, die Eindruͤcke des Erhas 
benen und Schauerlichen, denen wir ſpaͤter fo oft in feinen 
Werken begegnen, und die unbezweifelt von gewaltigem Eins 
fluß auf fein ganzes Leben waren. — Kine bleibende Stätte 
war der Samilie jedoch nicht vergoͤnnt, und die Mutter mußte 
41809, wo den Vater die nimmer ruhende Bellona unter Nas 
poleond Fahnen nach anderen. Ländern zog, mit den Söhmen 
wieder nach Paris zuruͤckkehren. — Jetzt begann eigentlidy die 
Erziehung des jungen Victor in abgefchloffener Eingezogenheit ; 
der Mutter feſte Strenge blieb nicht ohne fegendreiche Folgen, 
noch größeren Einfluß aber auf des Knaben Gefinnung hatte 
der Umftand, daß der von Napoleon verfolgte General La⸗ 
horie zwei Jahre im Haufe verborgen lebte, und ſich gern 
und anhaltend Mit dem vielverfprechenden Kinde befchäftigte; 
er Ind mit ihm den Tacitus und der Knabe fand großen Ge: 
ſchmack an der Lecture des gewaltigen Gefchichtjchreibers 
menfchlicher Greuel und Verderbtheit. — Lahorie verließ im 
Jahre 1811 die fichere Zufluchtftätte bei der Frau Hugo, um 
mit Mallet vereint zu ſterben, und von diefem Augenblicke 
datirt fich Victor Hugo's eifriger Royalismus und feine ent- 
ſchiedene Abneigung gegen dad Kaifertfum. — Aber ‘feine po: 
litifche Gefinnung war es nicht allein, die während diefer zwei 
Jahre eine beſtimmte Richtung erhielt, auch fein Gemüth em: 








— 9 
pfing einen dauernden Eindrud für fein ganzes Leben, denn 
fein Herz fchloß fich der Liebe auf zu einer holden Gefpielin 
feiner Kinderjahre, und er tft diefem Gefühle auch ats Mann 
vollfommen treu geblieben; dad Liebchen des lebhaften Kna⸗ 
ben blieb die Geliebte des Juͤnglings, nnd ward troß mans 

wichfachen Hinderniſſen endlich feine glüdliche Gattin. 
In Jahre 1814 rief der Vater die Familie zu fich nach 
Madrid nnd Hugo ward mit feinem Bruder in das adelige 
Inſtitut gethan. Diefer Umftand blieb ebenfalls nicht ohne 
bedeutende Wirkung auf feinen Charakter, denn in jener Ans 
ftalt galt es zuerft, feine Gefinnungen kraͤftig zu vertreten, 
was nicht immer gefahrlod blieb, da die Streitigkeiten der 
fpanifchen und franzöfifchen Zoͤglinge oft mit Meſſerſtichen, 
und felten überhaupt unbiutig endeten. Der Aufenthalt in 
Madrid war jedoch nicht von Tanger Dauer; der gewiegte 
Bater jah den Wechſel der kommenden Zeiten voraus und 
fandte die Seinen ſchon im folgeriden Jahre wieder nach Paris 
zuruͤck. Hier begannen die alte Eingezogenheit und die alten 
Studien unter der Leitung eines würdigen Gelehrten, Namens 
de Ia Riviere, von Neuem. — In diefe Zeit fallen auch 
die erften poetifchen Verſuche des genialen Knaben, doch drans 
gen ftörende Damonen in fein bewegtes, obwohl biäher forgens 
freies Leben. — Schon feit längerer Zeit hatten die Gefins 
nungen der Eitern ſich von einander abgewendet, und ed trat 
jetzt, befonderd während der Neftauration, und fpäter im Ders 
Taufe der hundert Tage, offenbarer Zwiefpalt, vielleicht durch 
den Einfluß politifcher Meinungsverfchiedenheit begünftigt, zwi⸗ 
ſchen ihnen ein, wodurch natürlich die Söhne, Beiden mit 
gleicher Xiebe anhangend, am Meiften litten, Im Folge die: 
fer haußlichen Zwiftigkeiten nahm der Water, der mittlerweile 
General geworben war, die beiden Knaben zu fih, und ließ 
fie zu ihrer ferneren Ausbildung dad College de Louis le 
Grand befuchen, Sie machten Beide auögezeichnete Fort: 
fchritte, vorzüglich Victor, der in feinen Mußeftunden an einem 
Trauerfpiele in Haffiichem Styl arbeitete, welches die Ruͤckkehr 


Ludwig XVIU. verherrlichen follte und den Titel Artamene 
führte. : Doch blieb diefe Tragödie, fo wie eine andere, mit 
welcher er ſich im Fahre 1817 beichäftigte, unvollendet liegen. 
— Zu derfelben Zeit wagte er ed, fich um die poetifche Preis 
aufgabe der Academie, welche die Vortheile der Studien fchil- 
dern follte, zu bewerben. — Er erhielt zwar den Preis nicht, 
vorzüglich aus dem Grunde, weil die Richter die beiden Schluß- 
verfe feines Gedichtes 
Ich, der ih Städt‘ und Höfe immer floh, | 
Sad funfzehn Jahre kaum den Lauf vollenden *). 

für eine poetifche Fiction hielten, auf die fie durchaus nicht 
Ruͤckſicht nehmen durften, erfreute fich aber ehrenvoller Be: 
Iobung und Erwähnung. Glüdlicher war er im Jahre 1819, 
wo er bei den Wettkämpfen vor der Academie des Jeux 
Floraux zwei Mal die Krone davon trug, durch ein Gedicht 
auf die Statue Heinrich IV. und ein andered auf die Jung⸗ 
frauen von Verdun *). Das Erftere ward fogar in einer 
Nacht vor dem Krankenbette feiner Mutter gefchrieben. Durch 
ein dritte Gedicht, Moise sur le Nil **), erwarb er fich im 
Jahre 1820 die Würde eined Maitre &s jeux floraux. Ue⸗ 
berhaupt waren die Jahre 1819 und 1820 die fruchtbarfte: 
Zeit für ihn, denn was nur dad arme Menfchenherz erregen 
und erfchüttern kann, bemächtigte fich während derfelben feines 
Inneren. Die Liebe zu der Genoffin der unfchuldigen Freuden 
feiner Kinderjahre hatte er treu bewahrt, und Erwiederung 
gleicher Gefühle bei ihr, die fein Alles war, gefunden, aber 
ſowohl feine, wie ihre Eitern wollten durchaus Feine nähere 
Verbindung geflatten, da es den jungen Leuten völlig an den 
Mitteln zu einer. anftändigen Subfiftenz fehlte, und die Lieben= 


*) Moi, qui toujours fuyant les cites et les cours 
De trois lustres à peine ai vu finir le cours. 
*+) ©. Odes par Victor Hugo. Paris, Ladvocat. 1827. 3 Bde in 
16. T. I. ©, 535. und ©, 25. 
se) Ebendaſ. T. I. ©. 137. 


— .41 


den wurden frenge getrennt. Wictor fuchte Zerfireuung in den 
abfracteften wiffenfchaftlichen und pofitifchen Studien, doch 
die Liebe blieb Sieger, und ein Roman Han d’Islande, wels 
chen er in dieſer Abgefchiedenheit verfaßte, der aber erft 1823 
im Druck erfchien, war dazu beftimmt, als Liebesbote mit nur 
ihr verftändlichen Grüßen zu der Gefeierten zu dringen unb 
fie von der Unmwandelbarkeit feiner Gefinnungen- zu überzeugen. 
— Sm folgenden Jahre raubte ihm der Tod die treue Mut⸗ 
ter, welche einen fo entichiedenen Einfluß auf feine Bildung 
hatte; die Wiffenfchaften mußten wieder Troft verleihn; ex 
brachte, fich ihrem Dienfte wibmend, ein ganzes Jahr in firen« 
ger Abgefchloffenheit zu. Da warb ihm 1822, nachdem ber 
erſte Band feiner Gedichte erfchienen war, jeboch nicht durch 
diefe veranlaßt, eine Penfion von der Regierung und mit ihr 
die Mittel, fich auf immer mit der Geliebten zu verbinden, 
und eine fefte Stellung in der bürgerlichen Geſellſchaft einzu⸗ 
nehmen. ine raftlofe Thätigleit und die erfreulichften Forts 
fehritte bezeichnen von da an feine Laufbahn, 1822 erfchien 

der erfte Band feiner Oden; 1823 der Roman Han d’Islande; 
4824 eine zweite Sammlung Oben; 1826 der Roman Bug 
Jargal, und die dritte Folge feiner Gedichte; 1827 das Dras 
ma, Cromwell; "1828 les Orientales; 1829 le dernier 
Jour d’un Condamne; 1830 Hernanı; 1831 Notre Dame 
de Paris; Marion Delorme. — 

Victor Hugo ift eben fo ausgezeichnet als Menfch, wie 
als Dichter; tiefe Religiofitat, unerfchütterliche Redlichkeit und 
die firengfte Wahrheitöliebe zieren fein Haupt neben dem Lor⸗ 
beerfranze, mit der Föftlichften Buͤrgerkrone. Selbft auf feine 
politifchen Meinungen haben fie den größten Einfluß und 
wiewohl er durch die Ergebniffe der Zeit geleitet vom fireng- 
ſten Royalismus zum edlen Liberalismus überging, fo blieb 
immer doch die unbefledtefte Rechtichaffenheit feine Führerin. — 
Er fchildert fich in diefer Hinſicht ſelbſt auf folgende Weiſe in 
einem Gedichte, welches ald Einleitung zu einer neuen Samms 
Iung neuer Poefieen dienen foll, aljo: 





Wenn ich gefungen, Hör’ ich zu und fchaue; 

Im Schatten dem gefall'inen Kaifer Tempel bauend, 

Die Freiheit liebend ihrer Blüthen wegen 

Und ihrer Früchte; für fein Recht den Thron, 

Den König für fein Ungluͤck; endlich treu 

Dem Biute, das in meine Adern goflen, 

Mein Water, alter Krieger, meine Mutter, 

Die in dem Lande der Vendée geboren *). 
Auf dieſe Weife erreicht er, indem er und feine Werte dar. 
Bietet, Zwiefaches, daß man durch den Dichter den Menfchen, 
durch den Menſchen den Dichter Tieb gewinnt, denn Beide 
gehen Hand in Hand, und Keiner ift vorherrſchend. 

Um ſich ein vollkommenes Bid von ihm machen und 
daffelbe zu klarer Anfchauung geftalten zu Tonnen, ift es noth⸗ 
wendig, ihn genau auf feiner poetifchen Laufbahn zu verfolgen. 
Er hat fich in drei Gattungen verfucht, in der Inrifchen Poe⸗ 
fie, im Drama und im Nomen. — Die Hauptzüge feines 
poetiſchen Characters bleiben fich in diefen gleich. Eine tiefe, 
glühende, oft ungeregelte und uͤberſprudelnde Phantafie, die 
mitunter zu fehr am Bizarren Gefallen findet, und die einmal 
ergriffenen Bilder und Unfchauungen nicht wieder fahren läßt, 
bis fie diefelben nach allen Seiten hin dem Auge dargeftellt 
hat, ein ernſtes und eindringended Studium der Menfchenfeele 
md des Menfchenherzend, deren geheimfte und verborgenfte 
Falten er mitunter ſchonungslos aufdeckt; ein feharfauffaflendes 
Auge für die Licht, wie für die Schattenfeiten der Natur, und 
eine glänzende und gewandte Herrſchaft über die Sprache find 
die Gaben, deren er fich vorzugsweile erfreut und die ed ihm 
Veicht machten, ſchon ald Füngling fich auf eine fo hohe Stelle 





*) Apres avoir chante, j’ecoute et je contemple; 
A l’Empereur tombe dressant daus l’ombre un temple, 
Aimanf la libert€ pour ses fruits, pour ses fleurs, 
Le tröne pour son droit, le Roi pour scs malheurs; 
Fidèele enfin au sang, qu’ont verse dans ma veine 
Mon pere vieux Soldat, ma mère Vendeenne. 


— 3 — 


zu ſchwingen, troß der gewaltigen Oppofition, vie fich ihm 
aus allen Kraften entgegenftemmte, und welche nicht zu vers 
achtende Gegner in ihren Reihen zählte. Dagegen fehlt es 
ihm an jener Befonnenheit und Ruhe, die vorzüglich den voll 
enbeten Dichter characterifiren, und die freilich fehr oft erft 
die Frucht reifer Jahre find, denn nicht Allen legt die Muſe 
diefe Weihgefchente der wahren Kunft fegnend in die Wiege, 
wie fie ed Shakeſpear und Göthe gethan. Aus diefem Grunde 
gebricht es ihm auch an treffender Iprifcher Reflexion; er ſucht 
zwar im dunkeln Gefühle eines folchen Mangels diefelbe, die 
ich das moralifche Nefultat einer jeden wahren Kunftfchöpfung 
nennen möchte, durch kuͤhne Sprünge und treffende Bilder bei 
dem Leſer ſelbſt hervorzubringen, aber eben baburch weiß er 
nur anzuregen, nicht zu beruhigen, und fo: legt man am 
Schtuffe faft jeves feiner Werle mit dem Gefühle aus der 
Hand, daß ein gewiſſes belebendes Etwas fehle, wodurch erft 
eigentlich der vermittelnde Einklang, die harmonifche Ausglei⸗ 
Hung ans dem Werke in die Seele des Empfangenden hin⸗ 
übergetragen wird. Died rührt hauptfächlich wohl daher, daß 
er Teinen Stoff, welcher feine Phantafte aufregt und ihm als 
poetiſch erfcheint, verſchmaͤht, wäre berfelbe auch noch fo gräßs 
Ach oder wunderlih, ja ſelbſt im höchften Grade unwahr⸗ 
ſcheinlich und nur allenfalld denkbar und im Neiche der Ideen 
als möglich anzunehmen. Aus dieſem Beſtreben erzeugt fich 
dann fehr oft ein unwilltührliched Hafchen und Drangen nach 
Effect; ein Fehler, ben freilich feine Zeit und noch mehr feine 
Nation mit ihm trägt, und welcher vorzüglich aus den Kams 
pfen ber Partheien entfprang. — 

Seine Inrifchen Erzeugniffe find im zwei Sammlungen 
enthalten, in feinen Odes et Ballades, von denen bis jetzt 
drei Bände erfchienen, und in einer Reihe von Gedichten, wel 
che dem Morgenlande entlehnt find, und die den Titel „‚les 
Orientales‘“ führen. — Sp Vorzügliches die erfiere Samm⸗ 
Iung auch enthalt, fo leidet fie doch faft durchgängig: an einem 
wefentlichen Mangel, der aus jenem oben berührten Sehler 


— 14 — 


entſteht. — Es findet fih namlich faft nirgends ein be⸗ 
ſtimmt ausgefprochened Gefühl, das der Seele des Dichters 
eigenthuͤmlich gehört, und doch durch feine Wahrheit Allen als 
ein laͤngſt beſeſſenes Gemeingut ericheint, oder um mich des 
Ausdrucks der Schule zu bedienen, es fehlt durchaus an jener 
Igrifchen Subjectivität, welche fo viele von unfern deutſchen 
Dichtern in hohem Grade befigen. — Streng genommen koͤn⸗ 
nen jene Gedichte. nicht ald Oden gelten, indem fie fpwohl 
der Form, ald dem Weſen nach, ſehr oft von dem Character 
diefer Dichtungsart abweichen, doch fpricht ſich der Verfafler 
in der Vorrede felbit über diefen Umfiand aus, und wir find 
weiter nicht befugt, mit ihm darüber zu rechten, da er der 
Meinung ift, ed fiehe dem Dichter frei, die Kinder feiner 
Mufe, trotz Schule und Gebrauch, zu taufen, wie ed ihm 
eben gefällt *). — Am vorzüglichiten erfcheinen in diefer Samm- 
Iung die vaterländiichen Gedichte, beſonders diejenigen, welche 
nicht zu den Erftlingen feiner Muſe aus einer Zeit, wo er 
faft verblendet einem halb vermoderten Regentenſtamme huls 
digte, gehören. Es iſt fchwer zu enticheiden, welchem von 
diefen Gedichten der Preis zu ertheilen wäre, da Geſchmack 
und Neigung zu fehr das Urtheil befchranfen, doch möchte ich 
folgende vor. Allen heroorheben: La Vendee *); les Vierges 
de Verdun ?); la Liberte ?); la Mort de Mile de Som- 
breuil *); a mon Pere °). — Dieje Letztere enthalt unter 
Anderen eine jo erhabene und zugleich fo wahre Schilderung 
Napoleons, wie fie nicht Leicht ein anderer fo gefinnter Dichter 
hinzuftellen vermöchte. 

Neben den patriotifchen Oden nehmen die Gedichte an 
feine Geliebte wohl den nächften Rang ein; fie find mit einer 
in Herzblut getauchten Feder gefchrieben, doch leiden fie an 
einer Weberhäufung von Bildern, welche ihnen etwas Manie⸗ 


“, In den Vorreden zu den drei Bänden, an mehr als einer Stelle. 
2) Odes et Ballades I. &, 44. 231,925. 5) II, 36. +, 
83. s) II, 39: 











— 13 — 


rirted giebt, und die man leicht für gefucht und gezwungen 
halten könnte, draͤnge nicht die waͤrmſte Empfindung und ber 
Gluthenſtrom der heißeften Liebe unaufhaltfam hervor. — Der 
ruhige Fluß natürlicher Gefühle wird daher oft gehemmt und 
in einen reißenden Strom verwandelt, kurz, um fie mit wenigen 
Worten zu fehildern, es find Ergüffe der Igrifchen Muſe, die 
man im zwanzigften Jahre mit Entzüden, im vreißigften mit 
Vergnügen, im vierzigiten mit Kopfichütteln, aber doch nicht 
ohne Freude Tief. — Als die bedeutendften hebe ich vorzäglich 
Encore à Toı: U, 473. und Son Nom: II, 487. heraus, 
befonders enthält dad Erſtere einen Reichthum von inniger 
Liebe, und eine Welt von Gefühlen, die auch das kaͤlteſte 
Herz glüdlich machen müßten, wenn fie ed erfüllten. 

Die übrigen Oden find fehr verfchiedenen Inhaltes und 
natürlich auch verfchiedenen Werthes. Am Meiften ſtehen 
wohl diejenigen nach, in denen der Dichter fich der Beichauung 
und dem Nachdenken überläßt; feine ungeftüme Phantaſie laͤßt 
ihm, wie ich bereitö bemerkte, Teine Ruhe, fondern reißt ihn 
ſtets unwilltührlich fort, und er erobert wohl unfere Neigung 
im Sturm, vermag fie aber nicht immer fo zu fefleln, daß 
fie ihm nach demfelben zugethan bleibt. — Mehrere Gedichte 
diefer Sammlung find nichts als Schilderungen, glänzende 
Bilder, an denen der Reichthum der Farben und die gluͤcklich 
gewählte Beleuchtung entzüden, die daher einen angenehmen, 
aber nicht immer tiefen und bleibenden Eindruck zurüdlaffen. — 
Befondere Auszeichnung verdienen wohl am meiften: Le Syl- 
phe *); la Grand’ mere 2); le Paysage ?); la Fille d’O- 
taitı *); a M. de Chateaubriand 5); au Colonel G. A. 
Gustavson 6). 

Sch theile Ihnen die Jungfrau von Dtaheiti, unſtreitig 
die gelungenfte von Allen, als eine Probe ganz mit; die beis 
gegebene Ueberſetzung fteht, das fühle ich nur zu lebhaft, dem 


2) 7, 429. 2) II, 430. =) 11,475. +1, 477. 2) II, 17. 
s) IH, 38. 


— 16 — 


Original ſehr nach; doch ſoll ſie auch nur denjenigen, die des 
Franzoͤſiſchen nicht fo kundig find, gleichſam als Stellvertreter 


Die Jungfrau von Dtapeiti ®). 


Du willſt entfliehn. — D fprih! Vor meinen Blicken 
Führt Dich das wantelmäth’ge Segel fort; 
Heut' Nacht Hört! ich, mein Warten zu berüden, 
Die Schiffer ihre Zelte raſch zerflücken 

Und weinte bei der Sreude lauten Wort. 


Bon unfrer Sinfel fort? — SE auf der Deinen | 
Der Himmel ſchoͤner — kennt man Sram dort nicht? 
Ob dort die Brüder, flirdft du, Dich beweinen? 
Wird man den Rafen über Dir vereinen, 

Auf dem man feine Blume bricht? 


Gedenkſt Du noch des Tags? Die Winde hatten 
Zum erften Mal Dich zu uns hergeführt. 
Du riefeft mich in unfrer Wälder Schatten. — 
Ob auch die Augen nie gefehn Dich hatten, 
Sch kam, von Deinem Ruf gerührt. 


) La fille d’O-Taiti. 


»O! dis-moi, tu veux fair? et la voile inconstante 
» Va bientöt de ces bords t’enlever à mes yeux? 
» Cette nuit j’entendais, trompant ma douce attente, 
» Chanter les matelots qui repliaient leur tente: 

» Je pleurais & leurs cris joyeux! 


» Pourquoi quitter notre ile? En ton ile Etrangere, 
»Les cieux sont-ils plus beaux? a-t-on moins de douleurs? 
»Les tiens, quand fu mourras, pleureront-ils leur frere? 
» Couvriront-ils tes os du plane funcraire, 
»Dont on ne cueille pas les fleurs? 


Te souvient-il du jour oü les vents salutaires 
»T” amenerent vers nous pour la premiere fois? 
»Tu m’appelas de loin sous nos bois solitaires. 
- »Je ne t’avais point vu jusque alors sur nos terres, 
» Et pourfant je vins & ta voix. 











— 17 — 


O! damals war ich Ihön. — Doch Thränen ſchwaͤchen. — 
Bleib junger Fremdling bei mir, zieh nicht fort! 
Laß uns von Deiner lieben Mutter fprechen, 
Laß Deine Lieder unfer Schweigen brechen, 
Sie freuen mich, wie Deines Gottes Wort. 


Du fuͤllſt mein Seyn: — Dir hab’ ich mich ergeben. 
Warum entfliehn? — O bleib’ in unferm Land. 
Ich will mich fanft und gut zu ſeyn beftreben, 
Will Dir denfelden lieben Namen geben, 
Den man Dir gab, wo Deine Wiege ftand. 


Bin Sklavin Dir — wenn Du mid nicht vertrieben, 
Wenn nur Dein Bli voll Liebe fällt auf mich; 
Ich werde fhön, wenn Du bei uns geblieben. 
Du kannſt nur, wie die Schwalbe zeitlich lieben, 
Sch, wie ich lebe, lieb’ ih Dich. 


Ad) Du willft fheiden — Did) erwartet drüben 
Die fremde Jungfrau, ich habs wohl gewußt. — 


ẽ 


» Oh! j'étais belle alors; mais les pleurs m’ont fletrie. 

»Reste, ô jeune Etranger! ne me dis pas adieu! 

'% Jei, nous parlerons de ta mère cherie; 

» Tu sais que je me plais aux chants de ta patrie, 
»Comme aux louanges de ton Dieu! 


» Tu rempliras mes jours: & toi je m’abandonne. 
» Que t’ai-je fait pour fuir? Demeure sous nos cieuz. 
» Je guerirai tes maux, je serai douce et bonne, 
»Et je t’appellerai du nom que l’on te donne 
»Dans le pays de tes ayeux! 


» Je serai, si ta veux, ton esclave fidele, 

» Pourvu que ton regard brille A ınes yeux ravis; 

» Reste, ö jeune etranger! reste, et je serai belle; 

»Mais tu n’aimes, qu’un temps, comme notre birondelle, 
»Moi, je t'aime comme je vis | 


» Helas! tu veux partir. — Aux monts qui l ont vu naitre 
»Sans doute quelque vierge espere ton retour. " 
2 


. 


> 


_— 18 — 

D nimm mid) mit, ich kann vielleicht fie lieben, 

Will mich, o Herr, ‚in ihrem Dienfte üben, 
Menn ihre Liebe Deine Luft. 


Bon meinen Eltern fann ich nicht entfliehen, 

Vom Wald nicht, wo ich furchtlos zu Dir kam. 

Bon meinen Blumen fern kann id nicht blühen. 

Hier fterb’ ich einfam. — Laß mid) mit Dir ziehen, 
Dann tödtet mich doch neben Dir der Sram. 


Henn freundlich die Banane Dich empfangen, 
Henn Du mich je geliebt, verftoß mich nicht. 
Mol’ nicht zur Heimath ohne mic, gelangen 
Aus Furcht, daf meine Seele voll Verlangen 
Sic, ihre Bahn zu Dir durch Wolken bricht. 


Als fih im Morgenftrahl die Segel blähen, 
Stand ihre niedre ftille Hütte leer. 
Am Wald, am Strand hat man fie nicht gefehen, 
Die fühe Sungfrau mit dem bangen Flehen; 
Doch bei dem Fremdling war fie auch nicht mehr. 





»Eh bien! daigne avec toi m’emmener, 6 men maitre! 
»Je lui serai soumise, et l’aimerai peut-etre, 
»Si ta joie est dans son amour! 


» Loin de mes vieux parens, qu’un tendre orgueil enivre, 
»Du bois oü dans tes bras j’accourus sans eflroi, . 
» Loin des fleurs, des palmiers, je ne pourrai plus vivre. 
»Je mourrai seule iei. Va, laisse moi te suivre: 
» Je mourrai du moins pres de toi. 
» Sı ’humble bananier accueillit ta venne, 
‚ »Si tu m’aimas jamais, ne me repousse pas. 
» Ne t’en va pas sans moi dans ton ile inconnue, 
» De peur que ma jeunc äme, errante dans la nue, 
»N’aille seule suivre tes pas! « 


Quand le matin dora les voiles fugitives, 

Enyain on la chercha sous son döme leger; 

On ne la revit plus dans le bois, sur les rives. - 

Pourtant la douce Vierge, aux parolcs plaintives, 
N’etait pas avec V’Etranger! 








‚Die der Sammlung angehängten Balladen gehören eis 
gentlich zu derjelben Gattung, wie die Oden, und weichen 
befonderd nur darin von jenen ab, daß. Hugo fich in ihnen 
mitunter rhythmifch fchwere Aufgaben fcheint aufgelegt zu has 
ben, — Uebrigens erfreuen fie fich derfelben Schönheiten und 


leiden an denfelben Fehlern, wie die erfteren. — Die Herrs 


fchaft über die-fpröde franzoͤſiſche Sprache, die er in denfelben 
offenbart, ift bewundernswerth, doch artet fie zu oft in Spies 
Iereien aus, bie der gebildete und reine Gefchmad nicht gut 
heißen kann, auch laßt per Dichter bisweilen feiner Phantafie 
gar zu fehr die Zügel schießen. — Die beften find wohl la 
Fiancée du Timbalier *) und la Melee 2). 

Die zweite früher erwähnte Sammlung: les Orientales*) 
enthalt hauptfächlich Bilder aus dem Morgenlande, bei wels 
chen der Dichter die fich ihm darbietende Gelegenheit, den ganz 
zen Lurus feiner Einbildungsfraft zur Schauftellung zu brins 
gen, auf das Eifrigfie und Beharrlichfie benutzte. Es offens. 
bart fich in ihnen noch bedeutender, als in den vorhergehenden 
Oden, jene ihm eigenthümliche Kraft; fie find ſelbſt mit noch 
größerer Befonnenheit geichrieben, aber e8 fehlt ihnen troß dem 
Allen, doch eben der Zauber, der fich unbemerkt in dad Herz 
des Leſers zu fchleichen weiß und fich deffelben gänzlich be: 
mächtigt. Was früher nur Hinneigung zur Manier war, hat 
fich in ihnen zur Manier felbft ausgebildet, und gerade Dadurch 
vermag der Verfaſſer wohl zu ergreifen und zu betauben, 
aber nicht feftzuhalten und zu rühren. — Hier ein Beiſpiel 
für Viele. In dem zweiten Gedichte Canaris **) befchreibt er 
zuerft ein durch den Kampf zerftörtes Schiff auf das Aus: 
führlichfte mit großer Wahrheit, und fagt, wenn ein Fahrzeug 
in folchent Zuftande ift, wenn feine Segel zerfchoffen an den 


Y) Od. et Ball. II, 163. 2) II, 473. 
*) Wir hatten den Stuttgardter Abdrud (A831, 1. Bd. in 8.) zur 
Hand und citiren nad) dieſem. 
*+) S. 26. 
12* 








— 20 — 


Maſten ſchlaff herunterhaͤngen, Truͤmmer und Leichen auf dem 
Verdeck durcheinander liegen, wenn es ſich wie ein Rad um 
ſich ſelbſt dreht u. ſ. w. dann Ruhm dem Sieger, der ſeine 
Flagge nun wie auf der Zinne eines Thurms am Hauptmaſte 
aufzieht; dann, faͤhrt er fort, dann breiten die Voͤlker ſtolz 
ihre ſtrahlenden Landesfarben aus, und ihr unſinniger Hoch⸗ 
muth weidet ſich daran. — Malta zog bei ſolchen Gelegen⸗ 
heiten fein Kreuz auf, Venedig feinen Löwen u. f. w. und 
nun folgt, in Verſen, ein befchreibended Verzeichniß der Flag⸗ 
gen faft aller Voͤlker, welche Schiffe in die See ſenden, bis 
er endlich auf den früheren Gedanken zuruͤckkommt: Go lafien 
alle Mächte, wenn fie fiegen, ihre Banner von den eroberten 
Schiffen herabwehen, damit der DBeftegte ſchaamvoll an feiner 
. Stirn das Zeichen feiner Schmach trage — aber — ſchließt 
er endlich allerdings überrafchend — der gute Canaris, deſ⸗ 
fen Barke eine flammende Furche folgt, der pflanzt auf den 
Schiffen, die er erobert — die Feuersbrunſt auf. — Welche 
ermüdende Spielerei, und wie fehr zerftört fie nicht die Mir: 
fung des allerdings genialen Gedankens, der an ahnliche Wen- 
dungen Heine’s erinnert. Ware dad Gedicht um zwei Drit⸗ 
tel kürzer, fo wäre es allerdings fchön, denn ed wäre ein⸗ 
facher und die Idee trate dadurch um deſto fchlagender her- 
vor, fo aber wird der Lefer durch eine Menge überflüffiger 
Bilder hindurch gezerrt und fo-ermattet, daß der Schluß Feine 
große Einwirkung mehr haben kann, zumal, da fich wahrend 
des Leſens der Bechreibung fo vieler Flaggen der Gedanke 
aufdringt, was diefe denn eigentlich folle, die fich endlos weiter 
fpinnt, ohne nothwendig bedingt zu. feyn. — Aehnliche Spie- 
Iereien finden fich haufig und der Dichter ſcheint Gefallen 
daran zu finden; nicht bedenfend, daß ihn Das immer mehr 
von Natürlichkeit und Wahrheit entfernt und daß die Früchte 
eined folchen Strebens doch nur oratorifche, aber felten oder 
nie poetifche Schönheiten find. Der Mangel an Einfachheit 
tritt überhaupt als vorherrfchend in den Orientales hervor, 
was um fo mehr zu bedauern ift, da fich fo Großes durch fie 








— 1 — 


erreichen laͤßt, wenn ein fo glüdliches Talent, wie das Hus 
go's, fich ihrer zu bemächtigen weiß, zumal da es, je gluͤck⸗ 
licher es ift, deſto weniger der Zeit und ihrem Modeflitter hul⸗ 
digen follte. Hin und wieder, obwohl im Ganzen nur fpärs 
lich, erfcheint er denn auch wirklich einfach und alfo deſto 
tiebenswürdiger. 


Die meiften Orientales berühren das Intereſſe der Tage, 
in welchen fie gefchrieben wurden, befonder& den Kanıpf zwi⸗ 
fchen dem Kreuz und dem Halbmond. — Andere liefern nur 
einzelne Schilderumgen von morgenländifchen Scenen und Bes 
gebenheiten, wieder Andere enthalten Romanzenfloffe in ges 
wandter Bearbeitung und manche, wie 3. B. Lui, les Fan- 
tömes u. f. w. gehören eigentlich nicht in diefen Cyelus. — 
Aus der ganzen Sammlung tritt die Perfönlichleit Hugo’s uns 
mehr entgegen, ald aus feinen früheren poetifchen Verſuchen, 
jedoch wohl verfianden, nur aus der ganzen Sammlung, da 
die einzelnen fubjectiven Züge fo bin und wieder geflrent find, 
daß man erft im Stande iſt, fich ein ganzes Bild von ihm 
zu geſtalten, wenn man fich bis zum Schluffe burchgearbeitet 
hat. — Die vorzuͤglichſten find Clair de Lune”); Le ch&- 
teau fort 2); Marche turque?); les Adieux de P’hötesse 
arabe *); Bounaberdi °); Lui°) und vor Allen les Djinns 7), 
Mazeppa ®) und das Schlußgedicht Novembre ?). — Unter 
den Gedichten des Anhangs zeichnen fich befonders die Ode 
an die Bildſaͤule des Platzes Vendöme °), Fin?"), Pluie 
d’Ete #2) aus. — Die Balladen find unbedeutende, obwohl 
gewandte Spielereien mit Rhythmus und Reim. — 


Folgende Orientale ift, wenn auch nicht fehr bedeutend, 
doch originell und mag deshalb hier ein Plaͤtzchen finden. 


2) Orient. ©. 715 ®) 83; *)865 9) 1143 %)1745 9176; 
ya; °) 1765 2) 1825 30) 189; *7) 200; *2) 211. 


tied der Seeräuber *). 


Wir führten in der Knechtſchaft Bande 
Ein hundert Chriften, Sicher, fort, 
Und raubten für den Harem, dort 
Sin allen Klöftern, auf dem Strande. 
Ihr kecken Räuber, auf das Meer! 
Wir zogen von Feb nad) Catane 
Und waren auf der Capitane 
Wohl achtzig tuͤcht'ge Ruderer. 


Ein Kloſter dort — die Anker fallen 
Gar ſchnell, am Ufer dicht dabei, 
Und unſern Blicken zeigt ſich frei 
Ein Maͤdchen aus den frommen Hallen, 
Ganz ungeſtoͤrt ſchlief ſie am Meer, 
So ruhig unter der Platane. 
Wir waren auf der Capitane 
Wohl achtzig tücht'ge Ruderer. 





) Chansons des Pirates. 


Nous emmenions en esclavage 
Cent chretiens, pecheurs de corail ; 
Nous recrutions pour le serail, 
Dans tous les moutiers du rivage. — 
En mer, les hardis ecumeurs ! 
Nous allions de Fetz a Catane..... 
Dans la galere capitane 
Nous etions quatre - vingts rameurs. 


On signale un couvent & terre: 
Nous jetons l’ancre pres du bord: 
A nos yeux s’offre tout d’abord 
Une fille du monastere. 
Pres des flots, sourde & leurs rumeurs, 
Elle dormait, sous un platane..... 
Dans la galere capitane 
Nous etions quatre -vingts rameurs. 








— 23 — 


Mein ſchoͤnes Mädchen, Du mußt fchweigen, 
Du folgft ung jegt. — But ift der Wind, 
Du wecfelft nur das Klojter, Kind, 
Der Harem wird fid auch fo zeigen. 
Der Sultan liebt die Knospen fehr, 
Wir heilen Did) vom Chriſtenwahne. 
Mir waren auf der Kapitane 
Wohl achtzig tuͤcht'ge Ruderer. 


Nach der Kapelle will ſie fliehen — 
— Du wagſt es wirklich, Du, Satan! — 
— Wir wagen's, ſpricht der Capitan; — 
Sie weint, ſie flehet auf den Knieen. — 
Ob ſie auch ſchrie und laͤrmte ſehr, 

Wir trugen ſie in die Tartane. 
Wir waren auf der Capitane 
Wohl achtzig tuͤcht'ge Ruderer. 


Die Trauer hat ihr nichts genommen. 
Ihr Blick glich einem Talisman; 


La belle fille, il faut vous taire, 
Il faut nous suivre! il fait bon vent. 
Ce n’est que changer de couvent: 

Le harem vaut le monastöre. 

Sa Hautesse aime les primeurs, 
Nous vous ferons mahometane.... 
Dans la galere capitane 

Nous etions quatrc - vingts xameurs. 


Elle veut fuir vers sa chapelle. 
— Ösez vous bien, fils de Satan....? 
— Nous osons, dit le capitga. 
Elle pleure, supplie, appellc. 
Malgre sa plainte et ses clameurs, 
On l’emporta dans la tarfane. 
Dans la galere capitane 
Nous €tions quatre - vingt ramcurs 


Plus belle encore dans sa tristesse, 
Ses yeux einient deux talismans. 


Sie galt uns wohl taufend Toman, 
Es hat der Sultan fie bekommen. 

Ob fie auch weint‘ und klagte fehr, 
Aus Nonne ward fie zur Sultane, — 
Wir waren auf der Capitane 

Wohl achtzig tücht'ge Ruderer. 


Elle valait mille tomans; 

On la vendit à Sa Hautesse. 

Elle eut beau dire: Je me meurs! 

De nonne elle devint sultane..... 

Dans la galere capitane 

Nous &tions quatre - vingts rameurs. 











Zweite ®Borlefung. 





Bieter Hugo's dramarifche Werke. — Allgemeines Urtheil. — Crom⸗ 
well, Stisze dieſes Gedichtes. — Meinung über daſſelbe. — Her: 
nani. — Inhalt dieſes Trauerfpiele. — Mängel und’ Echön: 
heiten. — 


Weit bedeutender, ald die Inrifchen find Victor Hugo's dras 
matifche Werke, obwohl er hierin auch noch nicht das Hoͤchſte 
geliefert hat, denn ed geht ihm wie unferem Spindler; auf 
brei Seiten Tann er fich nicht rühren und hat nicht die Arme 
frei, ift daher umbeholfen oder unbedeutend, drei Bände find 
ihm aber eben recht, und der Raum ift für die Fülle der 
Ideen nicht zu groß. — Die Einfchränfungen des franzöfifchen 
Drama nach den durch die Zeit und den litteraͤriſchen Despos 
tismus fanctionirten ariftotelifchen Principien hat er fich na= 
türlich durchaus nicht gefallen laſſen und die Schranfen der - 
drei Einheiten auf alle Weife überfprungen oder durchbrochen, 
doch legt er fich trog dem hier an Meiften die Zügel an. — 
Bis jet hat er und mit drei Werken diefer Art befchenkt: 
Eromwell, Hernani und Marion de Lorme. Sie vers 
dienen alle drei im höchften Grade unſere Aufmerkſamkeit, 
denn fie find bei allem Excentriſchen doch uͤberreich an großen 
Schoͤnheiten. — 


— 10 — 

Victor Hugo kennt "die Bühne und kennt fie auch wieder 
nicht, das heißt, er weiß auf den Effect hinzuarbeiten, die 
Charactere pfychologiich tief zu entwideln und hinzuftellen, und 
die Situationen mit Geſchick zu erfinden, aber er verſteht 
nicht den Effect ald unbedingt nothwendig zu geflalten, nicht 
die "Charactere zu nuanciren und dadurch zu vervielfältigen, 
und hat nicht die Ruhe, welche erforderlich ift, um die Motive 
richtig zu ſtellen und anfchaulich‘ zu machen; kurz er weiß fein 
in allen feinen Theilen innig zufammenhängended Ganze, in 
welchem fich wie bei einer Kette Ring in Ring fügt, und 
Keiner überflüffig ift oder vermißt wird, bis zum Schlußringe, 
zu biden. — Er opfert die Wahrfcheinlichkeit und Nothwen⸗ 
digkeit gern poetifchen Ideen, aber nicht umgekehrt, dieje jenen 
auf, kurz er hat das große Geheimniß, daß fich, wie Göthe 
fagt, in der Befchranfung erft der Meifter zeige, noch nicht 
ergründet, obwohl er ed mitunter zu ahnen jcheint. me 
kurze Analyfe der bereitd genannten drei Dramen wird dieſe 
Bemerkungen in ein helleres Licht flellen. — 

Cromwell, ein größeres dramatifches Gedicht in fünf 
Abtheilungen, behandelt nicht den Zod Karla I. von England, 
fondern die Verfchwörung der Unhanger Karls II. gegen den 
Protector und deflen Streben nach der Krone Britanniens 
und die Wahl dieſes Stoffes zeige deutlich die Einwirkung der 
politifchen Ereigniffe und Studien auf den Dichter. In poe⸗ 
tifcher Vorahnung hat er hier manches Raͤthſel zu löfen ver- 
ſucht, welches die ſpaͤtere Zeit erſt der Wirklichkeit aufgab. 
Ob die Wahl dichterifch glüclich zu nennen fey, mögen Sie 
nach erlangter Kenntniß des Inhaltes ſelbſt entfcheiden. 

Der erfte Act, der den Nebentitel Les Conjures führt, 
fpielt in der Schenke zu den drei Kranichen, wo fich die An: 
hanger Karls II. und der Verfchwörung gegen Crommell ver: 
fammeln. Lord Broghill, in Englands oder vielmehr in des 
Protector Dienften, findet fich durch ein anonymes Billet ge- 
laden dort ein, und trifft einen alten Freund, Lord Ormond, 
. den er Anfangs nicht erkennt, als Rundkopf verkleidet daſelbſt 


“ 











‘ 
an. — Diefer theilt ihm, nachdem fie ſich verſtaͤndigt und 
begrüßt haben, den Plan der Verſchwoͤrung mit, entdeckt 
ihm, daß die übrigen Theilnehmer fich fogleich an demſelben 
Orte verfammeln würden, und fordert ihn auf, ber Ihrigen 
Einer zu werden, was VBroghill natürlich von fich weilt, indem 
er ihn auf die Gefahren und die große Wahrfcheinfichleit der 
Entdeckung aufmerffam macht; doch verfpricht er Alles Au 
verfchweigen. Ormond heißt ihn gehen und — er geht. Man 
hört jest draußen ein Lied fingen und Ormond macht die Bes 
merkung, dad muͤſſe entweder ein Narr oder Lord Rochefter 
fen. Diefer mitt auch gleich darauf ein, noch befchäftige 
mit dem Auffchreiben des Liedes, welches er fo eben gedichtet 
hat, und lieft dann dem Ormond wider defien Willen ein 
Quatrain vor, dad er an Francis, Cromwells jüngfte Tochter, 
in die er verliebt ift, richtete, worüber fich fein ernfter Gejells 
fchafter aus leicht begreiflichen Gründen fehr wundert und ihm 
Vorwürfe macht, daß er die Zeit, die er wichtigeren Angele⸗ 
genheiten widmen jollte, mit dergleichen unnügen Dingen vers 
geude. Mochefter entichuldigt ſich damit, daß der Cardinal 
Michelieu auch Verſe mache und ruft den Dichter Davenant 
zu feiner Unterftügung herbei. Davenant meint aber auch, 
er hätte jet um andere Sachen zu forgen und erzählt, daß 
er von Köln komme, wo er Karl I. des Nachts ohne Licht 
gefprochen, weil er dem Cromwell dad Ehrenwort habe geben 
müffen, den König nicht zu fehn. Er bringt Karls Befeht 
in feinem Hute verborgen mit, diefer enthält die Weifung für 
Kochefter, fich bei Cromwell einzufchleichen, ihm einen Schlafs 
trunk in feinen Wein zu mifchen und dadurch zu bewerkſtelli⸗ 
gen, daß der Protector lebendig von den Verſchwornen ents 
‚führt werde. — Davenant erzählt nun ferner, wie er Durch 
den blinden Milton, den er einen guten Secretär, aber fchlechs 
ten Poeten nennt, eine Kaplanftelle für Lord Nochefter bei 
Cromwell erhalten koͤnne, und diefer Letztere ift fehr damit zus 
frieden, weil er dadurch Francis zu fehn befommt, ber er fein 
an fie gerichteted Quatrain zuzuſtecken gebenft. Sie reden 


jest. noch über andere Maaßregeln hinfichtlich der Verſchwoͤ⸗ 
rung, doch unterbricht fie Rochefter beftändig mit feinem Qua= 
train, das er ihnen mit Gewalt vorlefen will, und zieht am 
Ende aufgebracht den Degen gegen Ormond. Sie werden, da 
fie eben zum Zweikampf fchreiten, durch das Eintreten Carr's, 
eines wüthenden Puritaners, oder wie fich diefe Secte zu nen⸗ 
nen pflegte, eined Heiligen unterbrochen. — Diefer meint, er 
komme zur Predigt und zu einem religiöfen Controverfe; er 
erzählt, daß er fieben Jahre gefangen gewefen und an diefem 
Morgen vom Kerkermeifter entlaffen. und nach den drei Kra⸗ 
nichen befchieden fen, wo Sfrael feine Stämme verfammie, 
um Cromwell zu vernichten. Als er fich nach dem Gegen: 
ftand der Eontroverfe erkundigt, lieſt ihm der tolle Rochefter 
fein Quatrain ald einen Tert vor und der Anhänger des taus 
fendjährigen Reichs bricht Darüber in den furchtbarften Zorn 
aus, der fich noch mehr vergrößert, ald er wahrnimmt, daß 
er mit Cavalieren zu thun habe. Würhend will er fort, da 
treten die übrigen Verfchworenen, unter denen Glaubensbrüder 
von ihm find, ein und bewegen ihn zum Bleiben. Alle Ver: 
buͤndeten verfammeln fich jetzt nach und nach, doch halten 
fich die Puritaner von den Cavalieren fern und drücen über: 
haupt zu verfchiedenen Malen ihren Abfchen gegen die Er⸗ 
fteren aus. — Die einzelnen Charactere, fo wie die Gefinnuns 
gen der beiden Partheien, welche fich jet zu demfelben Zwecke 
vereinigen, find obwohl ‚mit fo fcharfen und ſtarken Zügen, 
daß fie mitunter die Grenze des Komifchen faft berühren, doch 
vortrefflich gezeichnet. Das Complott wird nun völlig aus⸗ 
‚gebildet und Crommelld Tod einflimmig befchloffen, da ſetzt 
ein lautes Pochen an die Thür Alle in Schreden. Sie wäh: 
nen fich entdeckt, denn es ift Richard Cromwell, der Sohn 
des Protectors, welcher Einlaß begehrt; dieſer Elagt auch die 
Eavaliere feine Bekannten der Verrätherei an, — daß fie nam: 
tich ohne ihn ind MWirthshaus gegangen, um zu zechen. Er 
ſchimpft nun auf die Puritaner, welche anmwefend find, ohne 
daß er ed ahnt, und trinkt im Uebermuth gar auf Karls II. 








Gefundheit. Alle erfiaunen, da werden fie von Neuem durch 
Pochen geſtoͤrt. — Stimmen draußen verlangen im Namen 
des Parlamentes Einlaß; es ift aber nur ein Ausrufer, wels 
cher im Namen Crommwelld ein außerordentliches Faſten aufers- 
legt, wegen der Motion ded Alderman Pad, den Protector 
zum Könige zu ernennen. Demzufolge muß bie Taverne 
gefchloffen werden. Sämtliche Anwefende entfernen fich und 
Richard Erommell endigt mit folgenden Worten den erften Yet: 
— — Das iſt doch fehr verdrießlich 

Von einem Feſt ſo fortgejagt zu werden. 

Man ſieht, mein Herr Papa iſt nicht mehr jung; 

Muͤßt' ich drum faſten, moͤcht' ich keinen Thron *). 

Der zweite Act, les Espions genannt, fpielt im Saale 
zu Whitehall. Gefandte verfchievener Mächte find verfams 
melt, um Audienz zu haben; Cromwell hat fie aber bereits 
fchon zwei Stunden warten laſſen. Endlich erfcheint er von 
Whitelocke, dem Großfiegelbewahrer, Graf Carlisle, Ca⸗ 
pitän der Garden, und Stoupe, dem Staatdferretär der aus⸗ 
waͤrtigen Angelegenheiten begleitet. Er entwidelt in diefer 
Scene die feinen Künfte feiner Diplomatie; fie ift nicht ohne 
Mahrheit und Leben gefchildert, aber die Farben find hin und 
wieder zu grell aufgetragen. Die folgende Scene führt uns des 
Protectord Frau und Töchter vor. — Die befcheidene Gattin 
fuͤhlt fich nicht glücklich bei allem Prunk und aller Größe und 
bricht in Klagen aus; fie fehnt fich nach der Einfachheit ihres 
früheren Lebens zurüd und, von einer Tochter darin beftarkt, 
wird ihr von der Anderen wiberfprochen; Cromwelld Erhebung 
zum Könige von England ift der Gegenftand ihres Gefpräches, 
bis Thurloe mit Papieren, in Staatsangelegenheiten eins 
tritt. : Diefe Scene ift tief empfunden und wahr gezeichnet. 


* Mais, c’est fort ennuyeux 
D’üre ainsi pourchasse dans un festin joyenx! 
On voit bien que mylord mon pere n’est plus jeune 
Je ne voudrais pas, moi, d’un trönc au prix d’un jeüne. 


Die Frauen entfernen fich und der Protector klagt feinem 
Bertrauten, daß er fich nicht gluͤcklich fühle, denn fünf Koͤ⸗ 
nigreiche mehr würden nicht fo fchwer zu regieren feyn nach 
‚feiner Meinung, als fünf Frauen. — Sie gehen darauf zu 
Gefchäften über und Thurloẽ will ihn von dem Complotte 
unterrichten, er achtet aber nicht fo fehr darauf, ald auf den 
Bericht feined Spions an Karls Hofe über Davenantd bereits 
erwähnte Audienz, und befiehlt den Dichter zu ihm zu beſchel⸗ 
den. Thurloẽ fehließt feinen Rapport mit der Nachricht, daß 
feinem Gebieter noch an demfelben Tage die Krone werde vom 
Parlamente angetragen werden, und Cromwell bricht in fols 
gende charasteriftifche Worte aus: 


) Eromwell. 

So ift er endlich mein, der ferne Scepter, 
Mein Fuß erklomm des Berges Sipfel doch. 

Thurloe. 
Ihr herrſcht doch lange ſchon, Mylord. 

Cromwell. 

Nein, Nein! 

Die Herrſchaft hab’ ich, doch den Namen nicht. 
Du lächelft Thurloe. Unbekannt blieb Dir, 
Wie gierig Ehrgeiz unfre Herzen hoͤhlt, 
Wie er dem Schmerz, ber Mühe, der Gefahr 
Uns trogen macht, um eines Zweckes willen, 
Der kindiſch daͤucht. — Wie ift es doch fo hart, 





*) 


“ 


Cromwell. 
Ah je le tiens enfin ce sceptre insaisissable 
Mes pieds ont donc atteint le haut du mont de sable. 
Thurloe. 
Mais dès long temps, Mylord, vous regnez. 
Cromwell. 
Non, non, non, 
J’ai bien l’autorite, mais je n’ai pas le nom! 
Tu souris Thurloe. Tu ne suis pas quel’ vide 
Creuse au fond de nos coeurs J’ambition avide | 
Comme elle fait braver, douleur, travail, peril, 
Tout enfin pour un but qui semble pueril! 
Qu’il est dur de porter sa fortune incomplete ! 








Sein Schickſal unvollkommen zu ertragen. 

Bon Alters her umgiebt ein eig'ner Glanz, 

In welchem ſich der Himmel wieder fpiegelt, 

Die Könige. — Die Namen Majeftät 

Und König find geheimnißvolle Zaub’rer. — 

Dann — Herr der Welt feyn und doch König nicht, 

Die Sache haben, doch den Namen nicht, 

Die Macht befigen aber ohne Titel, 

Wie Armlih! Rang und Herrſchaft find nur Eins. — 

Du weißt nicht, Freund, wie es dem noͤthig ift, 

Der aus der Menge ftammt, das Ziel erreicht, 

Noch etwas Über feinem Haupt zu fühlen; 

Und wär esnur ein Wort, dies Wort ift Alles. — 
Diefe Yeußerung ift ald der Mittelpunct ded ganzen kuͤnſtlichen 
dramatifchen Gewebes, dad hier vor unfern Augen ausgebreitet 
wird, als die vorherrfchende Idee, um welche fich alle Handlung 
nur ald eine außere Bekleidung fehlingt, welche durch die innere 
Nothwendigkeit derfelben bedingt wird, zu betrachten. — Sie 
werden in ihrer Unterredung durch den Juden Ssirael= Ben- 
Manaffe, dem eine verborgene QTapetenthür heimlich den Ein: 
gang gewährt, unterbrochen. Der ifraelitifche Unterhandler 
bringt die Nachricht, daß ein mit Geld beladened Schiff unter 
fchmwebifcher Flagge für die Anhänger Karld des Zweiten im 
Hafen liege. Cromwell giebt ihm den Auftrag, es gefchickt 
zu confisciren und erfahrt ferner noch von Manaffe, daß Ri⸗ 
chard des Cavaliers Clifford Schulden bezahlt habe, achtet jes 


Puis je ne sais quel lustre, ou le ciel se reflete 
Environne les rois, depuis le tems anciens. 
Ces noms, Roi, Majeste, sont des magiciens! 

" D’ailleurs sans éêtre roi, du monde £tre l’arbitre ! 
La chose sans le mot! le pouveir sans le titre! 
Pauyvrete! va! l’empire et le rang ne font qu'’un. 
Tu ne sais pas, ami, comme il est importun 
Quand on sort de la foule et qu’on touche le faite 
De sentir quelque chose au dessus de sa tete! 

Ne serait ce qu’an mot, ce mot alors est tout. 


— 32 — 


doch nicht fonderlich darauf, obwohl Thurloe von Neuem viele 
Gelegenheit ergreift, ihn vor der Verſchwoͤrung zu warnen. 
Der Protector entfernt fich jet und es treten eine Menge 
Hofleute mit Petitionen auf. — Unter dieſen ift Carr. 
Thurloe benachrichtigt Cromwell davon; während feiner Ent⸗ 
fernung wollen die Uebrigen den firengen Eiferer, der ih⸗ 
nen im Wege ſeyn Eönnte, hinauswerfen. Da tritt Crommell 
dazu, entfernt Alle und bleibt mit Carr allein, der ihm die 
Verfehwörung entdedit, weil ihm die Cavaliere ein zu großer 
Greuel find, um fich mit ihnen zu verbinden. — Er nennt 
ihm aus diefem Grunde die Namen der Edelleute, welche in 
der Schenfe zu den drei Kranichen anweſend waren, verfchweigt 
aber die Namen feiner Glaubensgenoffen beharrlich, doch er= 
zählt er ihm Alles, was Richard am Morgen im Weinhaufe 
hat ausgehn laſſen. Thurloe tritt wieder ein und meldet die 
Ankunft des Sir Richard Willis, der fcheinbar Mitver⸗ 
ſchworner der Cavaliere, eigentlich aber heimlicher Spion im 
Solde des Protectord ift. — Cromwell entfernt fich und bie 
- Hofleute treten wieder ein. Sie halten Carr jetzt für einen 
Günftling und beftürmen ihn mit Bitten, fich ihrer Gefuche 
anzunehmen, doch macht fich diefer zornig Bahn und verläßt 
den Saal. — Auch die Hofleute werden jetzt entlaffen und 
Cromwell führt behutfan und vorfichtig den Sir Willis hinein, 
der ihm nun ebenfalld das Complott entdedt, jedoch im Ges 
genfage zu Carr nur die Rundkoͤpfe nennt und die Namen 
der Cavaliere verfchweigt. Wahrend fie noch miteinander re= 
den, tritt Rochefter unbemerkt auf, erkennt Willis und hält, 
durch ihre Gefprach irre geleitet, Beide für Mitverfchworne. 
— Um den Cromwell für feine vermeintliche Unvorfichtigfeit 
zu beftrafen und zu erſchrecken, verſteckt er fich, während die⸗ 
fer den Willis entlaͤßt, und belaufcht darauf deſſen Monolog, 
der ihn noch mehr in feinem Irrthume beſtaͤrkt. Endlich wirt 
er hervor und warnt den Protector, nicht fo laut zu reden an 
diefem Orte; da erfährt er denn zu feinem großen Schreden, 
daß er vor Erommell ſelbſt ftehe, überreicht nun feinen 





— 33 — 


Empfehlungöbrief und wird vom Protector über feine Glaus 
bensanfichten eraminirt, wobei er Unfinn ſchwatzt mit frecher 
Stirn, aber doch befteht. Sie find uneins über den Umftand, 
ob man fich das Haar fcheeren oder es lang tragen folle, und 
Eronmyell geht ab, um eine Bibel zu holen, die hier entfcheis 
den fol. — Während er fort ift, tritt Richard auf, erkennt 
troß der Vermummung den Lord ald Einen, den er in der 
Schenke zu den drei Kranichen gefehn, und giebt ihm Gelb, 
damit er ed nicht dem Water verrathe. Mittlerweile kehrt 
dieſer zuruͤck, erblickt Richard, befiehlt dem Lord fich zu ents 
fernen, und es erfolgt jeßt eine fehr heftige Scene zwiſchen 
Vater und Sohn, in welcher jener diefem alle feine Vergehen 
vorwirft und ihn dann verläßt voll Zorn und Ingrimm. — 
Richard iſt der Meinung, der fchelmifche Caplan babe ihn 
doch verrathen, und will diefen, ald er wieder in das Zimmer 
tritt, tödten; Graf Carlisle kommt jedoch im rechten Augens 
blide dazu, um den jungen Cromwell auf Befehl bes Pros 
tectord zu arretiren. Thurloe theilt Darauf dem Lord Nochefter 
mit, daß Eromwell ihn ald Caplan angenommen, unterrichtet 
ihn in feinen Pflichten und befiehlt dann dem ammefenden 
Graf Carlisle, die Haupter der Verfchwörung, welche am fols 
genden Tage ausbrechen fol, NRochefter und Ormond zu arres 
tiren. — Rochefter allein fchließt nun den Act mit der Be⸗ 
merfung, daß er Lord Ormond bereitd gewarnt habe. — 

Der britte Aufzug hat ebenfalld einen Separattitel, der 
die Hauptidee, welche fich durch denfelben fchlingt, naher an⸗ 
giebt. — Er heißt les Fous. Auch treten uns fchon in der 
erften Scene die vier Hofnarren des Protectord entgegen. — 
Die Scene ift ebenfalls in Whitehall. — Gene privilegirten 
Spaßmacher, Namens Trick, Giraff, Gramadoch und 
Elespuru halten giftiged Narrengeſchwaͤtz und fingen fehr 
unbedeutende, aber höchft Tünftlich gebaute Narrenlieder. — 
Ihre bitteren Sarcasmen verfchonen den Protector durchaus 
nicht, am Meiften geht es jedoch über den neuen Caplan her, 
den fie belaufcht haben, wie er die Soldaten, fo wie die Dame 

| 3 


Suggligoy, die Hofmeifterin von Cromwells jungfter Tochter, 
Francis, für feine Zwecke beftach. — Auch hat einer von ihnen 
das befannte bisher nur Unheil bringende Quatrain gefunden, 
doch befchließen fie, Cromwell von Allem dem nichts merken 
zu laffen, denn ihnen ift es gleich, ob er geflürzt wird ober 
nicht, da fein Nachfolger doch auch nicht ohne Narren Ieben 
kann. Sie ſchließen diefe Scene mit fehr beißenden Redens⸗ 
arten über den Protector, meinend fie feyen feine Spaßmacher, 
er aber ihr Narr und feine ganze Regierung fey von ihren 
Standpunkte and gefehen nur ein dummes Drama, das er 
fpiele, denn die Narren find die Herrn der Well. — Bir 
fiegen, ruft Trick: 
Wir fiegen Überall. 

Zur Luft der Narren ſchafft Satan Tyrannen; 

Lat, während unter dem Despoten zittert 

Die Welt, aus feinem Scepter unf're Pritfche 

Uns maden *). | 
Cromwell erfcheint darauf, von Milton (dem berühmten Dich: 
ter, den er aber als folchen gar nicht, fondern nur ald großen 
Theologen, achtet), Whitelode, Pierpoint, Thurloe, 
Nochefter und dem Danen Hannibal Sefthead beglei- 
tet. Der Protector tadelt Milton, und Rocheſter, aus der 
Rolle fallend, will den großen Dichter über Poefie belehren, 
indem er ihm raͤth fich den franzöfifchen Schafergefchmad ats 
Mufter dienen zn laffen. Der häufige Wechſel von Cromwells 
Laune feheint der Hauptgegenftand diefer Scene zu ſeyn, doch 
wird fie noch durch andere Nebendinge ausgefüllt. — Sp 
bringt 3. B. Einer der Narren Rocheſters Quatrain hervor 
und net ihn unbarmherzig damit, ja er will fogar, ald Ro⸗ 
chefter angeblich im heiligen Eifer ihm daffelbe entreißt, den 


4 
*) Partout nous triomphons 
Satan fait les .tyrans au plaisir des bouffons, 
Pendant que l'univers tremble sous le despote, 
Du sceptre de Cromwell faisons notre marotte. 





Verfaſſer nennen, wird aber durch Carlisle's Dazwiſchenkunft 
geftört, welcher dem Protector meldet, daB die Verfchwornen 
nirgend8 zu finden feyen und daß Lambert fich in fein Gartens 
haus zurücgezogen habe. — Die Ranters, eine religiöfe Secte, 
treten jeßt auf, um fich bei Erommell Rathes zu erholen, ob 
man diejenigen, welche Siboleth flatt Schibolerh fagen, 
verbrennen oder hängen folle. Cromwell überläßt dem Roche⸗ 
fter die Enticheidung, diefer ſchwatzt in's Gelag wieder Unfinn, 
fimmt aber für den Galgen und wird deshalb für fehr ges 
lehrt gehalten. Nachdem die Ranterd und auf Crommells 
Geheiß auch alle Uebrigen fich entfernt haben, erfcheint der 
geheime Rath und es erfolgt eine Berathfchlagung, ob der 
Protector die Königewärde annehmen folle oder nicht. Cinige 
flimmen dafür, Andere dagegen und der Held des Stüdes 
fendet fie fort, um Gott um Erleuchtung zu bitten. — Mils 
ton bleibt allein‘ bei ihm zurüd und macht ihm eindringliche 
Borftellungen, gegen die Annahme der Königswürde, er vers 
weift ihn aber zur Nuhe mit dem Beſcheide, das Volk wolle 
ed fo. — Francis, des Vaters Liebling tritt auf; fie ift der 
Meinung, Eromwell wolle Karl IL. zuruͤckrufen und in feine 
Rechte einfeen; fie verwünfcht in ihrer Unſchuld fogar die 
Mörder Karls I., das trifft fein Innerſtes und er verläßt fie 
mit Thraͤnen in den Augen, die fie feiner Liebe zu ihr beimißt. 
Als er fort ift, erfcheinen Lord Rochefter und Dame Guggli⸗ 
goy; ber Lord mil fogleich der fchönen Francis den Hof mas 
chen, aber die Gouvernante verlangt erft ihr Theil Huldigun: 
gen, ehe fie ihn mit der Jungfrau allein laßt, — Endlich 
entfernt fie fich und Nochefter wendet fich jegt mit feinen Be: 
werbungen an Francis; alle feine Bemühungen find jedoch 
vergeblich, ja fie wirft fogar das befannte Quatrain, das er 
ihr aufdringen will, mit Abfchen von ſich. — Er flürzt ihr 
nun zu Füßen, um ihr feine Liebe zu erflären, da tritt Crom⸗ 
well plöglich dazu und Francis, die Mitleid mit dem Unfinnis 
gen hat, erklärt, um ihn zu retten, er habe fie um die Hand 
der Dame Öuggligoy gebeten. Cromwell willigt auf der Stelle 
3% 


' 


_— 36 — 


ein und Nochefter muß fich fogleich mit ihr trauen laſſen. 
Francis bleibt allein zurüc‘, fie will von Neugier getrieben das 
Quatrain Iefen, da zeigt ſich's, daß der Lord fich in feiner 
Unbefonnenheit vergriffen, und ihr das Billet an Lord Ormond, 
welches das Nähere über die Verfchwörung enthält, überreicht, 
Jenem aber ftatt deffen dad Quatrain gefandt habe. Beſtuͤrzt 
eilt fie fort, um ihren Vater davon zu unterrichten. — Das 
venant, von Crommell vorgeladen, findet fich ein, gleich dar⸗ 
auf tritt der bereits vermaͤhlte Lord zu ihm; ſie unterhalten 
ſich uͤber die Verſchwoͤrung und glauben Alles ſicher, weil 
Willis die Beſorgung uͤbernommen; die Dame Guggligoy, welche 
ſich bei ihnen einfindet, wird von ihrem Neuvermaͤhlten alsbald 
ſchon ſehr ſchlecht behandelt und folgt ihm, da er entflieht. 
— In der naͤchſten Scene erklaͤrt der Protector dem Dave⸗ 
nant, daß er alle ſeine Umtriebe kenne, entreißt ihm den von 
Karl II. eigenhaͤndig geſchriebenen Entwurf zur Verſchwoͤrung, 
den jener im Hute verborgen traͤgt, entdeckt daraus, daß der 
neue Caplan kein anderer, als Rocheſter iſt, ſo wie er dadurch 
auch deſſen Plan erfaͤhrt, laͤßt daher den Davenant ſogleich 
einſperren und trifft Maaßregeln gegen die anderen Verſchwor⸗ 
nen. — Darauf erſcheint das Parlament nnd legt dem Pro⸗ 
tector mehrere Bills vor, die derfelbe genehmigt. — Auf den 
Antrag, ihm die Koͤnigswuͤrde und den Königätitel zu ertheilen, 
antwortet er zum großen Eıflaunen Aller, er wolle dad in 


 Meberlegung ziehn. — Das Parlament wird darauf entlaffen ; 


Cromwell mit Thurloe allein trifft noch die übrigen nöthigen 
Anftalten und laßt dann Rochefter kommen, den er zwingt, 
ben für ihm bereiteten Becher mit dem Schlafz und Abend: 
trunk zu leeren. — Nochefter muß höchft betreten gehorchen 
und tröftet fich in feinem Leichtfinn damit, daß ihn diefer Um 


fand doch von den Folgen der Vermählung mit Dame Gug- 


gligoy errette. — Kaum hat er übrigens den Trank genoffen, 
als er auch ſchon in einen tiefen Schlaf verfällt, worauf er 
in Cromwelld eigenes Bett gelegt wird, — Darauf kommt 


Manaſſe und bringt des. Protectors Antheil an dem Gelbe, 








das der ſchwediſchen Brigg abgenommen; dann wahrfagt er 
ihm aus den Sternen, er werde am folgenden Tage getöbtet, 
wenn er fich zum König ausrufen laſſe, und will ihn zuleßt 
aus Chriftenhaß noch überreden, den fchlafenden Rochefter zu 
töbten: anfangs ift Cromwell gewillt, ed zu thun, dann 
wirft er aber mit den Morten 

Heut’ iſt ein Tag des Faſtens. — D! Was thu’ ich, 

An einem Tage heil'ger Ruhe wollt‘ ich 

Gar einen Mord begehn; und borche ſelbſt 

Auf eines Zeichendeuters Reden ). — 
den Dolch weg und fendet den Manaffe fort. — Thurloe 
tritt ein und findet feinen Gebieter noch fehr aufgeregt. — 
Folgende Reden zwifchen Beiden fehließen den Act. 


Cromwell. 
Errette, Thurloe, von dem Juden mich, 
Mi vor mir ſelbſt. — 
Thurloe (unruhig). 
Was fehlt Euch? 
Cromwell ıfih fammelnb). | 
Nichts, mein Thurloe 
Ich liebe Did. — J 
Thurloe. 
Ihr ſagtet — — blickt verſtoͤrt — 


*) C'est jour de jeüne 
Que fais-je? un jour de veille et de repos divin 
Jallais commettre un meurtre et j’ecoute un devin. 


**) Cromwell à Thurloë. 
Saure moi de ce juif! sauve moi de moi même 
Thurloe! 
Thurloä (avec inquietude). 
Qu’avez vous Mylord? 
. Cremwell (composant son visage). 
Moi? Rien, je t’aime 
Thurloe. 
Thurloe. 
Vous disiez..... Vous aviez l'air troubic. 


, 





N 


Erommell. 
ie, fagt’ ich etwas?” 


Thurloe. 
Sa, Ihr redetet — — 


Cromwell (heftig). 
Von Nichts. — Schweig, folge mir! 


Thurloe. 
| Wie feyd Ihr bleich! 
D Sott. 
Cromwell (Hitter Jächelnd\, 
Es ift der Kerze Grabesſchein. 
Komm nur, ich brauche Dich. — 


(Thurloe folge dem Cromwell und verweilt im Vorübergehn bei 
dem Bette, auf welchem Nochefter liegt). 
Thurloe. | 
Seht, wie er fchläft. 


Trommwell. 
Sa, eines tiefen Schlaf’s, des Todes Nachbar. — 
Eie gehn ab. 


Cromwell. 
Ai-je dit quelque chose? 
Thurloe. 
| Oui, vous avcz parle.... 
Cromwell (brusquement). 
De rien! Tais - toi; suis- moi. 
Thurloe. 
Dieu, que vous etes päle! 
Dieu! 
Cromwell (souriant ameremmt). 
C’est de ee flambeau la lueur sepulcrale. 
Viens, j’ai besoin de toi. — 
(Thurlo& suit Cromwell et s’arröte en passant pres du lit de Rochester.) 
Thurloe. 
Voyez done comme il dort! 
Cromwell. 
Oui, d’un sommeil profond — et voisin de la mort. 
' (Ils sortent.) 





Der vierte Act ift La Sentinelle überfchrieben ; die Hand: 
Yung während deffelben geht im Park zu Whitehall, vor Eroms 
weils Wohnung, vor. — Der Protector hat die beftochenen 
Schildwachen abtöfen laffen, und fleht ald Soldat verkleidet, 
felbft Wache am Haupteingange. Die vier Narren, welche 
um die Verfehwörung wiffen, kommen Ieife und verſtecken fich, 
um den Erfolg zu fehn, im Gebüfch, ein langer Monolog 
Gronmmell’8 zeigt feinen inneren Geelenzuftand, er beneidet ſei⸗ 
nen Spaßmacher um die Seelenruhe, die derfelbe beſitzt. — 
Da fihlagt die verhängnißvolle Stunde; die verbündeten Gas 
valiere fommen und theilen fich Rochefterd Mißgriff mit dem 
Billete mit; dann begehren fie Einlaß von Eromwell, und 
diefer kennt unglüclicher Weife die Antwort auf ihre Loſung 
nicht. — Schon berathen fie, ob fie ihm tödten follen, Mur: 
ray hindert fie jedoch daran, laßt fich mit ihm in eine Unter: 
redung ein, und verräth ihm unbewußt die Parole. — Jetzt 
gewährt er den Verfchwornen den Zugang zum Pallaſt und 
bezeichnet ihnen auch das Zimmer, in welchem fie den Pros 
tector fchlafend finden. Sie eilen hinein und laffen Murray 
zuruͤck, um die angebliche Schildwache zu beobachten. Es er: 
folgt nun ein Gefprach zwifchen Beiden, in welchem der feile 
Höfling auseinander feßt, warum er den Protector, der ihm 
Gutes gethan, verläßt und fich zu den Stuarts halt. eine 
Gründe find: 

*) Sc, überlegt’ es — Einem Bauer dienen, 
Der wie ein Eorporal der Wache herrſcht! 
Solch einem Tölpel, der die Zähne zeigt, 
Wenn er, in falfher Huld, Dir lächeln will 
Und Did mit eingebognen Knieen grüßt. — 


N 


*) J’ai reilechi. Comment scervir un rustre indigne 
Regnant en caporal qui donne une tonsigne 
Lourdaud qui veut sourire et vous montre les dents, 
Et vous rend un salut les genoux en dedans? 


Cromwell. 
Ja, das begreif ich wohl. 
u Murray. 
Dann hört ich auch, 

Sein Fall fey nah. — 
Er eilt darauf fort, um mit Hand an Cromwell zu legen. — 
Gleich darauf tritt Manaffe mit einer Blendlaterne auf, um 
ebenfalls den Erfolg der Werfchwörung zu beobachten. — Er 
läßt ſich auch in ein Gefpräch mit der Schilöwache ein, foll 
diefer aus der Hand wahrfagen und ertennt nun zu feinem 
großen Schredlen an den Lineamenten, daß ed der Protector 
ſelbſt if. — Cromwell befiehlt ihm, fich ruhig zu verhalten 
und den Ausgang abzuwarten. Manaffe gehorcht, der Pros 
tector zieht jeßt den Geldbeutel heraus, den ihm Murray ges 
geben; ed ift derfelbe, den Richard dem Rochefter fchenfte und 
- welchen diefer den Werbündeten zufchidtee — Als Eromwell 
das Mappen feines Sohnes darauf erblidt, glaubt er ihn im 
Bunde mit den Verfchwornen, worin er um fo mehr beftärkt 
wird, da jetzt Richard ſelbſt auftritt. Er ift feinen Waͤchtern 
entwifcht und feherzt darüber; der Zorn feines Vaters fteigt 
immer mehr, fehon iſt diefer im Begriff, ihn mit eigner Hand 
niederzuftoßen,, ald glücklicher Weife die Cavaliere zuruͤckkom⸗ 
men mit dem fchlafenden Rochefter, den fie flatt des Pros 
tectord entführt haben und für diefen halten. Sie wollen ihn 
umbringen, da flürzt Richard hervor und fleht fie an, den 
Vater nicht zu ermorden; er fordert fie fogar zum Kampfe 
heraus und wirft fich auf den Schlafenden hin, um ihn mit 
feinem Körper zu decken. — Ueber dem Laͤrm erwacht Roche: 
ſter. Erflaunt erkennen ihn die Verſchwornen, weichen zuruͤck 
und fragen nach Cromwell; da tritt diefer vor, giebt das 
Signal, und Alle werden entwaffnet und in den Kerfer ge: 
bracht. Nachdem der Protector: feine Befehle gegeben, ruft. 





Cromwell. 
Je concois. 


Sir W. Murray. 
Puis, j’appris que sa chüte etait prete. 








er dem Thurloe Tebhaft zu: Fais sur I’heure appreter 
Westminster. — Je suis Roi‘) und entfernt fich dann mit 
ihm. Die vier Narren bleiben zurücd und berathfchlagen fich, 
wer von Allen der größte Narr ſey; Gramadoch meint, 
Erommell, das würde man am folgenden Tage bei der Kroͤ⸗ 
nung fehn, Trick behauptet aber, fie feyen es felbft, denn 
fie hatten die Zeit beffer zubringen können und fich mehr Ders 
gnügen machen, als fie über folchen Dingen fo unnuͤtz zu vers 
geuden, wie fie doch eben gethan. 

Les Ouvriers ift der Titel, den die fünfte und lebte 
Abtheilung führte. — Die Handlung geht im großen Saale 
zu Weltminfter vor und wird durch Arbeiter eröffnet, welche 
damit befchaftigt find, den Thron aufzufchlagen; fie unterhalten 
ſich während ihrer Vefchäftigung von der Zeit, wo fie Karls 
1. Blutgeruͤſt aufichlugen. Barebone, Cromwells Tapezier und 
Verbündeter ber verfchworenen Rundkoͤpfe kommt dazu, entläßt 
die Arbeiter und offenbart in einem Monologe feine Furcht, 
die Ausgaben für den koͤſtlichen Thronhimmel zu verlieren, 
‚wenn Cromwell wahrend der Seierlichleit ermordet wird. — 
Die verſchwornen Puritaner treten darauf ein und berathfchlas 
gen fich über die Ausführung ihres Plans; Barebone dußert . 
lebhafte Beſorgniß, daß dad zu vergießende Blut Erommells 
ihm die Föftlichen Stoffe verderbe, und frhlagt andere Todes⸗ 
arten vor, wird aber zur Ruhe vermwiefen und der Beſchluß 
der Verbündeten fallt dahin aus, daß der, als fehr feig ge⸗ 
fchilderte General Lambert, dem Protector, wenn er ihm bei 
der Feierlichfeit die Krone überreicht, zugleich den Dolch ins 
Herz ftoßen folle. — Barebone bittet noch einmal, die Fällt 
lichen Teppiche zu fchonen, da werden die habgierigen Vers 
fchwornen erft auf den Reichthum berfelden aufmerkfam und 
befchliegen, nach vollbrachter That den ‘Thronfeffel unter fich 
zu theilen. Als fich Alle entfernen wollen, halt Overton, 


*) Laß auf der Stelle Weftminfter in Bereitſchaft ſetzen. — Ich 
bin König. 


einer der Nundköpfe, den General Lambert zurud und droht 
ihm, ihn augenblilich zu. durchbohren, wenn er den Protector 
verfehle, darauf verläßt er ebenfalls den Saal und es bleiben 
nur Lambert und Barebone, die von der Eftrade verdedt, ein⸗ 
ander nicht bemerken, dort; Lambert entichließt fich gezwungen 
zur That und geht ab, ihm folgt Barebone, der verzweifelnd 
ausruft: 
Verräther — neidifch fend Ihr auf mein Gut! 
Wohl, Ungluͤck über Euch, und mich, und Alle *). 

Es folgt jeßt eine Scene zwifchen den vier Narren, die fich 
in ihre Loge begeben, um die Feierlichkeit anzufehn, dann tritt 
der blinde Milton auf, von einem Pagen begleitet, und nach 
ihm wird dad Volk eingelaffen; die vier Narren machen fort: 
während bittere Bemerkungen; Overton, ber unter ber 
Menge ift, fucht diefelbe aufzureizen. — Darauf erfcheint der 
Champion von England und fordert Jeden auf, der etwas 
gegen Crommelld Erhebung auf den Thron habe, mit ihm zu 
kaͤmpfen. — Milton thut Einfpruch, wird aber ald Blinder 
zurüdgewiefen. Nun hebt der Narr Gramadoch den hinge- 
worfenen Fehdehandſchuh auf und bietet fi) zum Kampfe an, 
feine Pritfche fatt des Schwertes fchwingend, aber der Cham⸗ 
pion läßt ihn feftnehmen und ruft dann Cromwell zum Könige 
aus. — Der Saal füllt fich immer mehr, Lady Cromwell, 
das Parlament und andere Dicafterien treten nach und nach 
auf. — Die Stoffen der Menge fpielen lebhaft dazwifchen. 
Endlich erfcheint Cromwell und die Feierlichfeit beginnt mit eis 
ner Anrede ded Parlaments, die er würdig beantwortet; es 
erfolgt darauf ein Gebet, dann wird er mit dem Purpur bes 
Heide. Milton warnt ihn öffentlich, wie einft Spurinna 
den Cafar. — Cromwell empfängt das Schwert, ald ihm 
aber Lambert die Krone anbietet, fchlägt er fie zu großem 
Erftaunen der Verfammelten aus und ed zeigt fich jeßt, daß 
ihm Barebone aus Geiz Alles verrathen habe. — Lambert 


*) Faux -freres! de mes biens vous êtes donc jaloux 
‘ Malheur & vous! Malheur à moi! Malheur à tous! 


— 43 — 
wird verbannt. — Die gefangenen Cavaliere treten auf und 
bitten den Tod durch das Schwerdt ſtatt am Galgen erleiden 
zu duͤrfen. Cromwell begnadigt ſie, weiß es aber ſo einzu⸗ 
richten, daß Rocheſter, der die Dame Guggligoy mitnehmen 
muß, und Murray, der zu Peitſchenſtrafe verurtheilt wird, 
von der Menge verhoͤhnt werden. — Manaſſe muß Barebo⸗ 
ne's Rechnung für den Thron aus eigenen Mitteln bezahlen. 
— Milton bittet um Gnade für Davenant, wird aber abges 
wiefen, weil Davenant Komödien fchreibt. Carr wird jetzt ges 
bracht, hält eine ange und heftige Rede gegen Crommell, und 
verlangt zuleßt in feinen Kerker zurüdgeführt zu werden. — 
Dann tritt Syndercombe vor und fchmäht den Protector, 
diefer bietet ihm die Bruft hin, doch als Syndercombe ihn 
tödten will, padt diefen die Menge, reißt ihn fort und vwoirft 
ihn in. die Themfe. Inter lauten Yeclamationen des Volkes 
fehließgt nun das Ganze mit folgenden Verfen : 
*) Dpverton (leife zu Milton). 

Ein Menfchenopfer für den Goͤtzen. — Alle 

Sind ihm ergeben, dies frivole Volk, 

Sp wie das Heer; vergebens troßt man ihm; 

Vergebens wagt man fi zum Kampf zu ftellen. 

Segt kann er Einen nad dem Andern ftärzen. 

Er flößet Liebe, floͤßet Schrecken ein, 

Er muß zufrieden fen. 

Cromwell (träumeriſch; bei Seite). 
Wann bin ich endlih König. — 


*) Overton (bas à Milton). 
Une victime humaine immolee & liidole! 
Tout est & lui, l’armee ct ce peuple frivole. 
Rien ne lui manque enfin! Il a ce qu'il lui faut. 
Nos efforts n’ont servi qu'à le placer plus haut. 
‘On Y’ose en vain braver; on l’ose cn vain combatire, 
il peut, l’un apres l’autre, & present nous abaltre; 
Il inspire l’amour, il inspire l’effroi; 
Il doit être content! 
Cromwell (rcveur & part). 


Quand donc scrai-je Roi. 


Aus dem hier mitgetheilten Gerippe, das zu befferem 
Verſtaͤndniß fo ausführlich feyn mußte, wie ed eben geworden 
ift, obwohl noch eine Menge Kleiner Nebenzüge übergangen 
wurden, laffen fich die großen Fehler des Stüdes deutlicher 
erkennen als feine Schönheiten. Man fieht, daß ed dem 
Dichter nicht genügte, die Hauptmomente dieſer Periode aus 
Cromwells Leben in den Rahmen eines dramatifchen Gemäldes 
zufammenzudrängen; er wollte mehr, er wollte und den Pros 
tector ganz geben, in feinen Verhältniffen zu fich ſelbſt, wie 
zu feiner Zeit und feinen Umgebungen; er fühlte, daß ed da= 
her nothwendig jey, gleich einem gefchieften und emfigen Ana⸗ 
tom, jede Fiber, von welcher nur irgend ein Muskel in dieſer 
kuͤnſtlichen Mafchine in Bewegung gefeßt wurde, herauszuheben 
und und deutlich vor die Augen zu bringen, und eben darin 
ift er unbeftreitbar viel zu weit gegangen. Er hat vor dem 
Streben nach Tünftlicher, genau in einander greifender Dars 
ftellung, den mächtigften und einfachflen Hebel, die Natürlichs 
feit überfehen oder nicht genug beachtet. — Die Welt, welche 
er vor unfern Augen entftehen laͤßt, hat allerdings große 
Aehnlichkeit mit der wirklichen; fie umfaßt Tugenden wie La= 
fier, Kraft und Schwäche, Leidenfchaften, Freude und Leid, 
aber trotz Allem dem ift und bleibt fie immer eine kuͤnſtliche, im 
Gehirn des Dichterd zufammengefeßt, und er wird und nie übers 
reden Tönnen, daß fie wirklich und wahr fey, da man alle 
Federn und Hebel, welche diefelbe in Bewegung bringen, zu 
deutlich fieht; ich möchte fagen, man hört im erften Acte 
ſchon die Räder Inarren, die erft im legten fpielen follen, kurz 
er ift nicht Here der Maffe geworden, denn fie war ihm zu 
mächtig. — Die Beweife für diefen Umftand finden fich. fehr 
teicht, man braucht nur die einzelnen Charactere dem firengen 
Maaßſtabe der Kritik zu unterwerfen und wird fehen, daß auch 
nicht einer von Allen confequent angelegt und durchgeführt ift, 
fondern daß Jeder an Uebertreibung leidet; eine richtige auf 
innere unumftößliche Gefege begründete Zeichnung findet fich 
nirgends, überall die grellften Farben, überall Decorationsma= 





— 45 — 


lerei, die von fern geſehn glauben macht, es ſey ein Gemälde 
nach den Regeln der Kunſt, in der Naͤhe aber allen Eindruck 
wieder aufhebt. Dazu kommt nun noch, daß kein Character 
von Allen aus Elementen zuſammengeſetzt iſt, welche unſere 
Theilnahme anregen und unſer Intereſſe wecken koͤnnen, indem 
ſie unſer Gefuͤhl, den unbeſtechlichſten Richter in ſolchen Din⸗ 
gen ergreifen; die Wenigen, durch die es haͤtte geſchehn koͤn⸗ 
nen, ſind entweder ſchlecht geſtellt und fluͤchtig behandelt, wie 
Francis und Richard, oder auch fo unwahrſcheinlich, wie Ros 
chefter in feiner Tollheit, daß alle Wirkung nothwendig verlos 
ren gehn muß. Die Haupturfache mag wohl darin zu fuchen 
feyn, daß der Dichter noch viel zu jung und folcher Aufgabe 
nicht gewachten ift; er kennt nur die Menfchen feiner Phans 
taſie, aber nicht die Menfchen des wirklichen Lebens und alle 
feine Gefchöpfe find daher Victor Hugo's, von Victor Hugo 
in folche Situationen bineingebracht und hineingedacht. — Wir 
dürfen jedoch nicht vergeflen, daß der Verfafler, als er den 
Cromwell fchrieb, fich in einem Alter befand, wo man bei 
voller Jugendkraft Alles für möglich halt, und werden dann 
diefe Irrthuͤmer, wenn gleich nicht entſchuldigen, doch Teicht 
erklaͤren und verzeihen koͤnnen. — 

Bewundernswuͤrdig iſt dagegen der Blick, mit dem er die 
Maſſe auffaßt und darſtellt; Alles lebt bei ihm und bewegt 
ſich in voller Kraft; der Verſtand kann nicht verarbeiten, was 
die Phantaſie hinwirft und dieſe iſt unerſchoͤpflich, ein dahin 
brauſender Fluß; Wellen werden von Wellen verdraͤngt und 
unaufhaltſam treibt die eine Woge raſch die andere vorwaͤrts 
unſeren Blicken voruͤber. Man kann ihm nie den Vorwurf 
machen, daß er ſich wiederhole, ſo oft er auch Ungereimtes 
bringt oder ſelber ſchwankt, wie er den Faden fortzuſpinnen 
habe, daß dieſer nicht reiße; ſeine Einbildungskraft iſt ſtets 
im Kreiſen, und Ruhe wird ihr nicht. — Daher ſind aber auch 
ſeine Reflexionen nicht immer natuͤrlich und aus den Umſtaͤnden 
ſelbſt entſpringend, ſondern ſehr oft kuͤnſtlich, durch ein unſiche⸗ 
res Gefuͤhl ihrer Nothwendigkeit herbeigezogen und demzufolge 


— 4 — 


ſelten durch die’Stelle, an welcher fie ſich befinden, ſchlagend 
und eindringlich. Daß die einzelnen Situationen mit vielen: 
Geſchick und großer Gemwandtheit angelegt find, wird Niemand 
laͤugnen wollen; wogegen aber auch Jeder eingeftehn muß, 
daß fehr Vieles ganz überflüffig und unnuͤtz iſt. Kurz, Cromwell 
ift ein geniales, aber verfehltes Product von Victor Hugo’s 
junger Mufe; wer wird den jungen Löwen tadeln wollen, 
wenn er feine Krafte an Gegenſtaͤnden, denen fie noch nicht 
gewachfen find, verfucht, es ift nun einmal ein Löwe. 

Hernanı ou L’honneur Castillan ift der Name des 
zweiten Drama's, mit welchem er oͤffentlich hervortrat und 
das am 25. Februar 1830 unter gewaltigen Kämpfen zuerft auf 
der Bühne zu Paris erfchien, und die Aufmerkſamkeit beider Par- 
theien, von denen die Romantiker e3 in den Himmel hoben, die 
Klaſſiker e8 als eine Uusgeburt des Tollhaufes verfchrieen, an⸗ 
regte. Es ift mehrere Mal in das Deutfche übertragen und auf- 
geführt worden, hat aber nirgends einen folchen Erfolg wie in 
Frankreich gehabt, ja in München erfuhr die Hermes’fche Bear⸗ 
beitung gar das ſeltſame Schickfal, förmlich ausgelacht zu werden, 
obwohl fie gewiß nicht zu den fchlechten gehörte. — Hier 
folgt in aller Kürze der Inhalt. 

Donna Sol de Silva, verlobt mit dem alten Don Ruy 
Gomez de Silva, ihrem Oheim, liebt den Banditenhaͤuptling 
Hernani, und giebt ihni, der ihr Gefuͤhl mit gleicher Leiden⸗ 
ſchaft erwiedert, ein Stelldichein waͤhrend der Abweſenheit des 
Herzogs Silva. — Dieſen Umſtand benutzt Don Carlos, Koͤ⸗ 
nig von Spanien, nachheriger Karl V. ebenfalls in Neigung 
zu der ſchoͤnen Donna Sol entbrannt, und als die Duenna 
Donna Joſefa den Geliebten ihrer Herrin erwartet, draͤngt er 
ſich ein und zwingt ſie, ihn in einem Schranke zu verbergen. 
Gleich nach ihm kommt Hernani; waͤhrend eines Geſpraͤches 
mit Donna Sol, in welchem er ihr ſeine ganze Lage ſchildert 
und ſie beredet, ſich in der folgenden Mitternacht von ihm 
entfuͤhren zu laſſen, hat ſich Karl verſteckt gehalten, doch 
wird ihm der Aufenthalt ploͤtzlich zu laͤſtig in dem engen 








\ Schranke, er giebt fich ebenfalls als Bewerber um die Gunft 
der Dame zu erkennen und beide Nebenbuhler ziehen die Degen 
gegen einander, ald unvermuthet Don Ruy Gomez zuruͤckkehrt 
und zwei Männer bei feiner Nichte findet, worüber er in den 
beftigften Zorn gerath. — Da giebt fih Don Carlos als Koͤ⸗ 
nig zu erfennen, erzählend er fey gefommen, um fich Nathes 
bei dem alten Freunde zu erholen, indem der Kaifer Mar ges 
ftorben, und fich Franz von Frankreich und ein Herzog von 
Sachfen um die deutfche Krone bewerben, er felbft aber ebens 
falls Abfichten auf diefe hege. — Der Herzog erweift ihm jetzt 
die ſchuldigen Ehren, und Carlos giebt den Hernani, der noch 
einmal mit Donna Sol Abrede getroffen hat wegen der Ents 
führung, für einen Cavalier feines Gefolged aus. — Dann 
entfernt er fich und Hernani bleibt zurück und gelobt, wie er 
es fchon früher geſchworen, blutige Rache an dem Könige zu 
nehmen, weil fein (Hernani’d) Vater, auf Befehl von Karls 
Dater, das Leben unter dem Henkersbeil endigte. 

Karl, der die Verabredung beider Liebenden belaufcht hat, 
giebt im folgenden Acte das Zeichen und lockt Donna Sol da⸗ 
mit auf die Straße, nachdem er vorher feinen Hofleuten Befehl 
ertheilte, den Hernani aufzuhalten, aber nicht zu tödten, bie 
ed ihm gelungen die Dame zu entführen. In der folgenden 
Scene erklärt fie dem Könige, daß fie ihn nicht liebe, fie entreißt 
ihm feinen Dolch und ruft Hernani. Diefer tritt zu ihnen; er 
hat durch feine Rauber Karld Gefolge entwaffnen laffen und for- 
dert Karl zum Zweikampf auf: der Monarch weigert fich aber 
und ruft dem Hernani zu, er folle ihn ermorden; Hernani zerbricht 
feinen Degen und Karl erklärt den Rauber für geächtet; geht 
jedoch mit deffen Mantel befleivet und dadurch geſchuͤtzt ab. 
Donna Sol fordert nun ihren Geliebten auf, mit ihr_ zu entfliehn, 
aber er will nicht, weil er geächtet ift. Unterdeffen wird Larım 
in der Stadt, man febt den Raͤubern nach und Hernani eilt fort, 
fich aus den Armen der Geliebten losreißend. 

Im nächften Aufzuge erfcheint Donna Sol im vollen Hoch: 
zeitsſchmuck, fie foll in der nachften Stunde mit ihrer Oheim 





— 48 — 


getraut werden. — Da tritt Hernani auf als Pilgrim verkleidet 
und fleht Don Ruy Gomez um gaftfreundliche Aufnahme an, 
welche diefer ihm auch gelobt, troß dem, daß er fich ihm in 
feiner wahren Geftalt zu erkennen giebt. — Hernani und Dons 
na Sol, allein, erklären fich von Neuem ihre Liebe und umars 
men fih. In diefer Stellung überrafcht fie Ruy ‚Gomez. 

Noch im Kampfe mit feinen Gefühlen erfährt er die Ankunft 

des Königs und verbirgt den Hernani. — Karl verlangt die 

Auslieferung des Banditen und nimmt, ald ber Herzog fich 

beharrlich weigert, Donna Sol ald Geißel mit fih. — Mit 

Hernani darauf allein fich findend, bietet er ihm den Zwei⸗ 

kampf an, den diefer aber ausfchlägt und fich ihm, als dem 

Tode durch feine Hand verfallen, darbietet. Silva erfahrt 

jest erft, daß Carlos ebenfalld die Donna Sol liebt; Hernani 

bittet, ihn ald Rächer zu gebrauchen und verfpricht, fich nach= 
her ruhig von ihm tödten zu laſſen. — Mit Folgendem ſchließt 
der Aufzug. 

*) Hernani, ihm ein Horn überreichend, dad er von feinem Gürtel löſt: 
Hoͤr', nimm dies Horn. — Was auch geſchehen moͤge, 
Wann Dir's gefaͤllt; gleichviel ſind wo und wann, 

Wenn Dir es in den Sinn kommt, daß es Zeit 
Zu meinem Tode ſey — ſtoß' in dies Horn 
Und ſorge weiter nicht — das iſt genug. 
Don Ruy Gomez, ihm die Hand reichend. 
Sieh Deine Hand. 
Es gefchieht. — Don Ruy zu den Ahnenbildern : 
She Alle dort, ſeyd Zeugen. 





*) ‚Heruani (lui prösentant le cor quil öte de sa ceinture) : 
Ecoute, prends ce cor. Quoiqu'il puisse advenir 
Quand tu voudras, seigneur; quel que soit le lieu, V’heure 
S’il te passe à l’esprit qu'il est temps que je meure, 
Viens, sonne de ce cor, et ne prends d’autre soin; 
Tout sera fait. 
Don Ruy Gomez (lui tendant la main). 
Ta main? 
. (Us se serrent la main: — Aux portraits) : 
Vous tous, seyez tEmoins. 





— 49 — 


Der vierte Aufzug ſpielt im Grabgewoͤlbe Karl's des Gros 
Ben zu Aachen. Karl ift wegen der Kaiſerwahl nach Aachen 
gereift und verbirgt fich jet hier, um die gegen ihn Verſchwo⸗ 
renen zu belaufchen. — Diefe erfcheinen, unter ihnen Hernani 
und Silva. Sie wählen Hernani, durch Abſtimmung, zu 
Karls Mörder. Silva befchwört ihn, ihm den Stoß in Karl’s 
Bruft zu überlaffen, ja er will ihm fogar das verhängnißvolle 
Horn dafür wiedergeben; Hernani willigt jedoch durchaus nicht 
ein. — Da werden plößlich drei Ranonenfchüffe, das Zeichen, 
daß Karl zum deutfchen Kaifer gewählt ift, gehört. — Karl 
erfcheint, die Verſchwornen hüllen fich in tiefes Dunkel, wer⸗ 
den aber von des Monarchen Gefolge, das von allen Seiten 
hereinbricht,, entwaffnet. — Mittlerweile kommen die Kurfürs 
fien, um Karl zu begrüßen. Diefer entläßt fie, befiehlt Donna 
Sol herbeizuführen, und darauf, nur die Herzoge und Grafen 
zu verhaften, alle Anderen aber zu entlafien. — Da giebt 
ſich Hernani ald Johann von Arragonien zu erkennen und 
Karl — ſchlaͤgt ihn zum Ritter und vermahlt ihn mit Donna 
Sol. — Alsdann befiehlt er, ihn allein zu laſſen, und endigt 
mit folgendem Monologe den vierten Aufzug: 

*) Don Carlos allein, fih vor dem Grabmal verneigend. 
Bift du mit mir zufrieden? 

Und legt’ ich gut den Königsjammer ab? — 

Ich war allein, vor einem Reich verloren 

Und eine Welt um mid) heult, brauſt, verſchwoͤrt fich. 

Dem Dänen Strafe, Lohn dem heiligen Vater, 

Venedig, Soliman, Luther und Franz, 

Und taufend Dolce, ſchon im Dunkeln blinkend, 


*) Den Carlos seul (s’inelinant devant le tombeau). 
‘ Es ta content de moi? 

Ai-je bien deponill& les miseres du roi. — 
Ah j’etais seul, perdu devant un empire; 
Tout un monde qui hurle et bouillonne ct conspire; 
Le Danois & punir, le Saint Pöre & payer; 
Venise, Soliman, Luther, Francois premier; 
Mille poignards jaloux, luisant.deja dans l’ombre; _ 





Fallſtricke, Klippen und unzaͤhl'ges Drohn. 
Und zwanzig Völker noch, von denen Eins 
Allein {hen zwanzig Königen Furcht erregt; 
Gedrängt und drängend Alles, auf ein Mal 

zu thun. — Da rief ih Dir: Womit beginn’ ich ? 

Und du erwiebderteft: Diein Sohn, mit Gnade. — 

Der fünfte Aufzug beginnt mit dem Schluffe der Hochzeits- 
feierlichfeiten Hernan’’s und der Donna Sol. Die Vermähl- 
ten kommen, glüdlich in ihrer Liebe. — Da ertönt plöglich 
das verhangnißvolle Horn. — Donna Sol entfernt fich auf 
furze Zeit, eine Maske tritt auf, es ift Silva, der Hernani 
an fein Gelübde erinnert. — Diefer wählt den Tod durch 
Gift. — Donna Sol Fehrt zurück, erkennt ihren Oheim, der 
unerbittlich bleibt. Sie entreißt dem Gatten die Phiole mit 
Gift und theilt fie mit ihm. Beide fterben in Liebe vereint und 
. Don Ruy erfticht fich mit den Worten, als er Sol fterben 
fieht: Morte.. Oh, je suis damne. 

Etwas Gefchraubteres, Unnatürlichered und Unwahrſchein⸗ 
licheres ald die Reden fammtlicher handelnder Perfonen wäh 
rend ded ganzen Stüces, bis auf wenige Ausnahmen, ift nicht 
leicht von einem Dichter erdacht worden, und man fühlt fich 
‚gar fehr geneigt, mit jenem franzöfifchen Kritiker anzunehmen, 
Victor Hugo habe bei diefem Drama verfuchen wollen, was 
er eigentlich feinen Landslenten bieten koͤnne und wie weit er 
gehen dürfe. — Es ift nicht zu Iaugnen, daß die Erfindung 
des Sujets in feinen Hauptzügen fehr glüdlich und dem fpa= 
nifchen Character angemeffen ift (dafür fprechen ähnliche ſpa⸗ 
nifche Dramen, wie 3.9. das bekannte urfprünglich von Lope 
de Vega gefchriebene, doch nur in fpaterer Bearbeitung auf 
uns gefommene Sancho Ortiz de las Roelas, (deutfch von 


Des pieges, des ecueils, des menaces sans nombre, 
Vingt peuples dont un seul ferait pcur & vingt rois, . 
Tout presse tout pressant, tout & faire à la fois. 

Je t'ai crie: »Par ou faut-il que je commence, « 

Et tu m’as repondu: Mon fıls, par la elemence. 











1 — — 


—2 


von der Malsburg und von Zedlitz: der Stern von 
Sevilla), doch wie hier der Dichter ihn auffaßte, paßt der 
Stoff mehr fuͤr eine Romanze oder Ballade, nicht aber fuͤr 
ein Drama, deſſen Aufgabe es iſt, das Leben in ſeinen klein⸗ 
ſten Zuͤgen, im vollen, wohl begruͤndeten Zuſammenhange mit 
ungeſchwaͤchter Wahrheit darzuſtellen! Die Charactere, die 
Hugo uns hier vorfuͤhrt, handeln wie die Kinder und re⸗ 
den wie die Narren; ſie haben gar wunderliche Einfaͤlle, 
und platzen in die wichtigſten Momente oft mit den kurioſeſten 
Spaͤßen hinein. Natuͤrlich und den Dingen angemeſſen be⸗ 
wegt ſich Niemand waͤhrend der ſaͤmmtlichen fuͤnf Aufzuͤge, 
und mag es ſich der Zuſchauer auch noch ſo eifrig angelegen 
ſeyn laſſen, ſich in den Ideenkreis des Verfaſſers hineinzuver⸗ 
ſetzen, es wird ihm doch immer zu Muthe ſeyn, als ſehe er 
Puppen ſpielen, die in einer ſonderbaren Parodie alle Leiden⸗ 
ſchaften menſchlicher Gemuͤther auf das Skurrilſte und Ueber⸗ 
triebenſte nachaͤffen und verſpotten. 

Und doch enthaͤlt der Hernani wahre und große Schoͤn⸗ 
heiten, in welchen ſich Victor Hugo's ganze Kraft und Lie⸗ 
benswuͤrdigkeit beurkunden. So ringt unter Andern die dritte 
Scene des fuͤnften Actes mit aͤhnlichen Arbeiten großer gefeierter 
Meiſter um die Palme, denn hier ſchoͤpfte Hugo aus ſeinem 
reichen Herzen, nicht blos aus ſeiner Phantaſie, die ihm ſehr 
oft Rauſchgold und Flitter ſtatt der echten, gediegenen, edeln 
Metalle darbietet. 


4* 





Dritte Vorlefung. 


Marion Delorme, von Vietor Hugo. Inhalt. — Beurtheilung. 
— Auszüge aus diefem Drama. — Victor Hugo's Nomane. Han 
d’Islande; Bug Jargal; Notre Dame de Paris; Le demier jour 
d'un condamme. — Alphonfe de Zamartyne. — Deſſen Leben. 
Sharacteriftit feiner Leiftungen. — Bruchftüde aus dem Gedichte: 

. Le poete mourant. Weber einige andere Gedichte diefes Verfaſſers. 


Marion Delorme ift das neueſte Drama Hugo's, fo wie 
überhaupt die neuefte Arbeit des Dichters, welche durch den 
Drud bekannt wurde. — Obwohl er daffelbe noch früher als 
Hernani vollendete, fo zögerte er doch aus edeln Motiven mit 
der Bekanntmachung. Naächft dem Romane Notre Dame 
halten wir Marion Delorme unbedingt für fein beftes 
Merk, obwohl nach den deutfchen Grundfaten feiner Sitte 
und flrengen Anftandes, das Thema, das er hier behandelt, 
oder vielmehr die Stellung und die Verhältniffe der Haupt⸗ 
perſon fchmwerlich auf unferer Bühne geduldet würden. In 
diefer Hinficht find allerdings die anderen Nationen und vor- 
auögeeilt, wenn fie nichts von derfelben ausſchließen, jondern 
das ganze Leben mit allen feinen Verhältniffen, mit feinen 
Licht⸗ wie mit feinen Schattenfeiten, ald ein Eigenthum des 
Theaters betrachten, da es ein unbeftrittenes Eigenthum des 


/ 


— 53 — 


Dichters iſt, und es ihm durchaus frei ſtehn muß, auf eine 
edle Weiſe, jeden Punkt, der ſich ihm darbietet, ergreifen und 
behandeln zu duͤrfen. Der wahre ſittliche Adel wird ihn vor 
Verirrungen bewahren, der wahre ſittliche Adel der Zuſchauer 
wird aber auch nicht mit ihm zuͤrnen, wenn er, vom Drange 
ſeines Genius getrieben, Flecken am geſelligen Körper auſdeckt 
und hinſtellt, die einmal da ſind, und die wir im gewoͤhnlichen 


Leben zu erwaͤhnen vermeiden, weil ſie uns in unſerem durch 


Eonvenienz und Ruͤckſichten beſchraͤnkten Thun, ſtoͤrend bes 
ruͤhren. — 

Die Heldin des Drama Marion Delorme iſt nämlich 
eine berüchtigte zu ihrer Zeit fehr gefeierte Courtifane. In der 
Mitte ihrer ſchimmernden Laufbahn wird fie von heftiger Liebe zu 
einem jungen, binfichtlich feiner bürgerlichen Stellung, höchft uns 
bedeutendem Manne entbrannt. — Sie folgt ihm nach Blois 
und lebt dort verborgen und unbelannt, ganz ihres Gluͤckes fich 
freuend, denn Didier erwiebert ihre Gluth, und halt fie für die 
Reinſte und Ebdelfte ihres Geſchlechtes. — In Blois befindet 
fich jedoch ein Regiment in Sarnifon, und einer der Offiziere, der 
Marquis von Saverny, der zu Marion’s Verehrern in Paris 
gehörte, hat fie an ihrem neuen Aufenthaltsorte ausfindig ges 
macht, und fich bei ihr Eingang zu verfchaffen gewußt, gerade, 
als fie Didier erwartet. — Mit vieler Mühe gelingt es ihr, ihn 
zum Fortgehn zu bewegen. — Er hat fich jedoch kaum entfernt, 
als der Geliebte eintritt. Es folgt eine Scene voll der heißeften 
und reinften Gefühle zwifchen ihnen, während welcher Didier bei 
Gelegenheit eined Buches, das der Marion Delerme dedicirt ifl, 
fich auf das Heftigfte in feiner Unwiffenheit über dieſe ausfpricht. — 
Sie werden durch Waffengeflirr auf der Straße unterbrochen; Sa⸗ 
verny ift von fechs Raubern angefallen und nahe daran ihnen zu 
unterliegen; Didier eilt ihm zu Hülfe, indem er vom Balcon herab 
auf die Straße fleigt. — Als er ihn befreit hat, nimmt er denfelben 
Weg zurüd, und der Marquis folgt ihm, durch das Fenſter in 
Marion’d Zimmer, um fich bei ihm zu bedanken; er erkennt Ma- 
rion und redet mit ihr, fie bittet ihn um Gottes Willen, zu vers 





I — 54 — 


ſchweigen, wer fie ift, da ſtoͤßt Divier die Lampe um und zieht ihn 
mit fich fort. Eine kurze Scene zwiichen Dame Rofe, einer 
Art von Duenna, und ihrer Gebieterin, in welcher diefe ge⸗ 
fieht, der junge Mann fey weder reich, noch galant, habe ihr 
nicht einmal die Hand gefüßt, und auf Roſe's Frage Alors, 
qu'en faites vous? träumerifch nachdenfend antwortet: Je 
Paime fchließt den Act, welcher wie in allen Hugo’fchen Stuͤ⸗ 
den einen Separattitel Le Rendezvous führt. — 

Der zweite Aufzug La Rencontre fpielt in einem Wirths⸗ 
hauſe. — Offiziere der Garnifon, fammtlich franzöfifche Edel 
Ieute, find dort verfammelt und vertreiben fich Die Langeweile 
auf ihre Weife, durch Gefchwag und Spiel. Es iſt die Zeit 
des Jahres 1638, in welchem die Duelle fehr überhand neh- 
men und Modeartikel find, Richelieu Frankreich und den ſchwa⸗ 
chen Ludwig XII. mit gleich flarrem Scepter beberrfcht, und 
Corneille eben bekannt geworden ift unter den Dichtern. Diefe 
Gegenflände geben den Stoff zur Unterhaltung ver jungen 
Leute her. — Ein ſchwarz gefleiveter ernfter Mann tritt ein, 
und jet fich fill an einem Tifchchen hin. — Es ift ®’ An- 
gely, der Hofnarr des Könige. — Ohne fich in das Treiben 
der Gefellfchaft zu mifchen, feßt er doch von Zeit zu Zeit ih⸗ 
ren vorlauten Bemerkungen, durch wohl. angebrachte Erinne⸗ 
rungen an unglüdliche Folgen ähnlicher Vorfälle, einen Dams 
pfer auf. — Der Pla vor dem Wirthshauſe wird ploͤtzlich 
vom Volke angefüllt, das einen koͤniglichen Ausrufer begleitet. 
Diefer verlieft ein Edict des Königs, kraft deſſen jeder den 
Zweikampf überlebende Duellant, ohne Gnade, dem Galgen 
verfällt. Er befefligt das Placat darauf an der Mauer und 
entfernt fich. — Während deſſen bricht die Nacht alkmählig 
herein. Saverny tritt in das Wirthshaus und erzählt, daß er 
feinen Lebensretter vergeblich gefucht habe. — Es wird eine 
Laterne über dem Placat angezündet. Didier, der Groll gegen 
Saverny hegt wegen feines Betragens bei Marion, febt fich 
unter ber Laterne neben einem Tiſchchen hin. Die anderen Of⸗ 
fiiere machen Saverny auf das Edict aufmerkfam und biefer 


verlangt in feinem Webermuthe von Didier, er folle es ihm 
vorlefen. — Es kommt zu Beleidigungen und zu einer Aus: 
forderung , und da Didier feinen Degen hat, leiht ihm LeAn⸗ 
gely den feinigen. — Das Duell geht vor fich, unter der 
Laterne felbft, die das Edict beleuchtet. — Marion kommt 
dazu und ruft, als fie Didier kaͤmpfen fieht, um ihn zu retten 
nach der Wache. — Diefe tritt auf; Saverny fallt auf den 
Rath feiner Freunde zur Erde und ftellt fich tobt. — Die 
Schaarwache nimmt den Didier gefangen mit ſich, die Edels 
leute tragen den vermeintlichen Leichnam fort. Marion bleibt 
mit P’Angely allein zuruͤck, fie erkennt ihr Unglüd und ruft 
aus: 

O Didier, unwuͤrdig bin ich, ſchlecht, 

Doch zeigen will ich Dir, was Gott vermag 


Durch eines Weibes Hand. — Ich folge dir. 
(Sie eilt fort). 


L'Angely. 

Gott weiß wohin. — 

(Er hebt ſeinen Degen auf, den Didier fallen ließ). 
Wer wuͤrde nun behaupten, 

Ich ſey der Narr an dieſem Ort allein. *) 

Auf dem Schloffe zu Nangis, bei dem Oheim des vers 
meintlich verfiorbenen Saverny, dem Marquis de Nangis 
fpielt der dritte Aufzug: La Comedie. — Der Marquis von 
Saverny iſt, um die Liſt vollkommen durchzuführen, verkieis 
det mit feinem Freunde und Kameraden Brichanteau gekom⸗ 
men, und hat feinem Verwandten, der ihn wie einen Sohn 


— — 
*) Oſmon Didier! je suis vile, indigne, infäme. 
Mais ce que Dieu peut faire avec des mains de femme \ 
Je te le montrerai. — Je te suis. — 
(Elle sort du cöte par oü est sorti Didier). 
VAngely jchließt Den Act mit folgenden Worten. — 


j Dieu sait oü. 
(Ramassant son &pee laissee Aterre par Didier). 
Ca qui dirait qu' ici c’est moı qui suis le fou. — 


— 56 — 


liebt, die Todednachricht und den Sarg mit feiner vorgeblichen 
Leiche gebracht. M. de Laffemas, der Lieutenant criminel 
des Cardinald, eine ſchmutzige, niedrige Seele, befindet fich 
ebenfalls dort und fucht auf feine Weife den tief betrübten 
alten Mann zu tröften; Brichantenu warnt prophetiich den 
Saverny, der ihn nicht Tennt, vor ihm, indem er ihn mit ei⸗ 
nem Raben vergleicht, den Leichengeruch anlockt. — Laffemas 
erzaͤhlt, Didier ſei gefangen und werde den Tod am Galgen 
erleiden. Mitlerweile kommt ein Diener, meldend, eine Schau⸗ 
ſpielertruppe ſei angekommen und bitte um ein Nachtquartier. 
Es wird eine Scheune dazu angewieſen. — Zugleich empfaͤngt 
Laffemas die Nachricht, daß Didier mit Marion entflohn ſey, 
verdrießlich eilt er ab, nachdem ſich Saverny und Brichanteau, 
denen dieſer Umſtand fremd blieb, ſchon fruͤher entfernt haben, 
um das Leichenbegaͤngniß zu beſorgen. — Die Schauſpieler⸗ 
truppe tritt auf, bei ihr befinden ſich Didier und Marion, die 
unterweges zu ihr geſtoßen ſind und die Rollen der Chimene 
und des Matamore uͤbernehmen. Eine leidenſchaftliche Scene 
zwiſchen Beiden, in welcher der Erſtere ſich noch ganz un⸗ 
bekannt mit Marion's früheren Verhaͤltniſſen zeigt, erfolgt 
jet; fie wird abgerufen um ihre Rolle zu probieren, ba 
erkennt fie Saverny, der gerade eintritt, und erzählt es in 
feiner Undefonnenheit und Unbefangenheit dem dazukommenden 
Laffemas. Diefer fchließt daraus, daß auch Didier unter den 
Schaufpielern ſeyn müfje und entfernt fich um feine Unftalten 
zu treffen. Didier erfährt jetzt, theild durch das Geſpraͤch 
zwifchen den Beiden, theild durch eine fernere Unterhaltung 
mit Saverny, wer feine von ihm wie eine Heilige geliebte Mas 
rie eigentlich fey, und eilt verzweifelnd ab. Saverny folgt 
ihm. Laffemas läßt nun die ganze Truppe vorfordern, und 
befiehlt jedem Einzelnen unter dem Vorwande, der Cardinal 
wolle fie ſaͤmmtlich engagiren, ihm ein Stuͤck aus feiner Rolle vor: 
zudellamiren. Sie thun es Alle, auch Marion, der Laffenıas 
galant und verliebt die Hand’ dafür Füßt, als aber die Reihe 
an Didier kommt, erklaͤrt diefer ohne Weiteres, er fey Didier. 








— 57 — 


Laffemas verlangt jetzt von dem hinzutretenden Marquis de 
Nangis Huͤlfe, um Didier feſtzunehmen, und aͤußert, wenn 
Saverny nicht todt waͤre, ſo wuͤrde er eher geneigt ſeyn — 
da laͤßt ihn dieſer nicht zu Ende reden, wirft ſeine Ver⸗ 
mummung ab und giebt ſich zu erkennen. Der alte Nangis iſt 
gluͤcküch darüber, Alle wähnen bie Sache beigelegt, ald ploͤtz⸗ 
tich Laffemas Beide arretirt, von dem Marquis de Nangis 
Unterſtuͤtzung verlangt, und als dieſer fich weigert, Nangis 
Leuten im Namen ded geheimen Tribunal’ den firengften 
Gehorfam befiehlt. — Die beiden Duellanten werden abges 
führt, Didier ſtoͤßt Marion kalt zuräc und ber Act fchließt 
mit folgendem Graufen erregenden Zuge: 
(Ein Diener eintretend, zum Marauis.) 

Des gnaͤd'gen Herrn Beſtattung ift bereit. 

Aus Ihrem Munde winfht man Tag und Stunde 

Zu wiflen. — 

Laffemas. 
Komm’ in einem Monat wieder. *) 


Der vierte Aufzug Le Roi fchildert den ſchwachen bigots 

ten von dem Kardinal Richelieu eifern beberrfchten Ludwig XIII. 
mit großer Wahrheit, in feinem eingezugenen Leben. Die beis 
den jungen Leute find zum Tode am Galgen verdammt. — 
Umfonft flehen der alte Nangis und Marion, die fich für Dis 
dier's Schwefter auögiebt, um Gnade für die Verurtheilten. — 
Endlich gelingt ed dem Hofnarren ’Angely, dem Könige die 
felbe zu entloden. Marion, die unbemerkt im Zimmer blieb 
während der Unterredung , flürzt ihm dankend zu Füßen; da 
fordert er fchwanfend feine Handfchrift wieder von ihr zuruͤck, 
fie weigert fich aber ftandhaft, er entläßt fie endlich und An⸗ 


*) (Un valet entrant, au vicux marquis.) 
De Moenseigneur Gaspard les obsöques sont pretes. 
Pour la cer&monic, on vient de votre voix 
‘ Savoir I’heure et le jour. — 
| Laffemas. 
Revenez dans un mois. 


gely fchließt diefen Act mit der bitteren und fartaftiichen Be⸗ 
merfung, als Ludwig bemerkt, der Kardinal werde wüthend 
darüber feyn: On peut bienune fois &tre roi par megarde.*) 

Der fünfte Aufzug, Le Gardinal überfchrieben, ſpielt 
im Hofe ded Thurmd von Beaugeney. — Urbeiter find be= 
ſchaͤftigt eine Breſche in der Mauer zu machen, für die große 
Sänfte des Cardinals, der der Hinrichtung zufehn will. — 
Sie entfernen fich und Laffemas tritt gleichzeitig mit Marion 
auf; fie zeigt den Befehl des Königs vor, der Kerkermeifter 
weigert ihr den Eintritt, Laffemas Dagegen wird auf ein vom 
Cardinal unterfchriebenes Papier zugelaffen, und Marion erz 
fährt jet von ihm zu ihrer außerfien Beſtuͤrzung, daß der. 
König die Begnadigung in der Nacht widerrufen habe. — 
Laffemas bietet ihr num die Rettung Didierd für einen ſchwe⸗ 
ren Preiß an, verzweifelnd willigt fie ein und folgt ihm. — 
Didier und Saverny werden darauf von Wachen begleitet in 
den Hof gelaffen, der Kerkermeifter kuͤndet dem Letzteren an, 
er wollte ihn, von feinem Oheim dazu erfauft, entfliehen laſſen, 
aber ohne Didier will Saverny die Rettung nicht, und dreht 
dem Kerfermeifter unwillig den Rüden. — Ein Rath des 
oberften Gerichtähofes kommt und lieft ihnen ihr Urtheil , das 
in Zod durch das Schwerdt verwandelt ift, vor, er theilt ihnen 
ferner mit, daß die Hinrichtung um neun Uhr deffelben Abends 
vor fich gehen folle. Sie hören Alles gelaffen an, und Di: 
dier will dem Marquis nachdem der Nath fort ift, Muth 
einreden, Saverny hat aber ruhig den Kopf auf den Tifch 
gelegt und ift darüber eingefchlafen. — Sekt tritt Marion 
auf; fie hat um jenen hohen Preis, Didierd Rettung von 
Laffemas erfauft; es bleibt ihnen nur noch eine Stunde Zeit 
zur Flucht; Didier weift fie aber kalt und fremd zuruͤck, 
und die" Friſt verftreicht nußlos. — Der Rath, der Henker 
und die Wache kommen; die beiden jungen Leute follen zum 
Tode geführt werden, da bricht Didiers ganze Liebe zu Marion 


*) Man Tann aus Irrthum wohl mal König feyn. 











—59 — 


mit gewaltiger Kraft hervor, er flärzt ihr zu Füßen und flieht 
fie um Verzeifung an. — Der Carbinal wird vorüber getras 
gen in feiner Sanfte, auf ben Handen kriecht Marion hin und 
jammert um Gnade, aber eine Stimme aus ber Sänfte ruft: 
feine Gnade! Beſinnungslos flürzt fie nieder, der Zug mit 
den Verurtheilten geht ab, und als das unglüdliche Weib 
wieder zu fich Eommt, kehrt die Sänfte des Cardinals zuruͤck 
und ihr Geliebter ift nicht mehr. 

Die bereitö bemerkten vorherrfchenden Fehler, welche auf 
Hugv’3 Cigenthümlichkeit fich gründen, treten auch in dieſem 
Drama hervor, doch bei Weiten nicht fo flörend als in feinen 
früheren Arbeiten, auch’ werden fie durch die großen glänzen: 
den Schönheiten, durch verftärkte Beſonnenheit, fo wie durch 
eine vortreffliche Auffaffung und Schilderung jener Zeit und 
ihrer Zriebfedern verdedt. Die Leidenfchaft iſt wahr und tief 
dargeftellt, und die Kenntniß des menfchlichen Herzens, welche 
der Dichter hier zeigt, wahrhaft bewunderndwürdig. — Zwar 
wiederholen fich in den Characteren feiner Hauptperfonen, dies 
felben Züge, die uns fchon im Erommell und im Hernani ent: 
gegen traten; der darand entfpringende Tadel wifft aber den 
Dichter im Allgemeinen, nicht dieſes Drama indbeionbere, 
deffen Werth noch dadurch erhöht wird, daß er den falfchen 
Prunk und den leeren Slitter des Wied zu verfchmähen ans 
fing, und fich bemühte, die Wirklichkeit in ihren Verhältniffen 
richtig hinzuftellen. Die Motive find aus innerer Nothwendig⸗ 
feit, nicht aus dem Maſchinenwerk der Phantafte hergeleitet 
und in Wirkung geſetzt, auch ift nirgends Weberflüffiges oder 
Unnüßes, als etwa im vierten Ucte, wo er den erlahmenden 
Gang der Handlung durch feine alte Manier zu verdecken fucht. 
— Sch glaube nicht zu viel zu fagen, wenn ich meinem indi- 
viduellen Gefühle folgend, Marion de Lorme ald eine der 
glänzendften und bedeutendflen Erfcheinungen neuefter Poeſie 
betrachte. Weber das vielleicht Einzelnen Anftößige des ganzen 
Thema's habe ich mich fehon oben ausgejprochen, und füge 
nur noch hinzu, daß es Fein Beweis von geiftiger Kraft ware, 


— Vf 


wenn man, in Heinlichen Ruͤckſichten befangen, die Freiheit des 
Dichters und fein gutes Recht, den firengen und beengenden 
Banden gefellichaftlicher Convenienz unterwerfen wollte. — 


Als Probe folge hier der Schluß des Ganzen. 
) Marion Delorme. 
Fünfter Aufzug Siebente Scene. 


Didier, Saverny. Marion. Der Rath. Die Henker. Boll. Soldaten u. ſ. w. 


Der Rath. 


Nun meine Kern, ich bin bereit. 


Marion (su Didier). 
Hab’ ih Dir nicht gefagt, der Henker käme? 
Didier (zum Rath). 
Bir find es auch. — 
Der Rath. 
Mer ift es, der den Namen 
Des Marquis von Saverny führt? 
(Didier zeigt ihm mit den Finger den ſchlafenden Gaverny). 
Der Kath (um Scharfrichter). 
Man wed ihn. 
Der Henker Gaverny fhüttelnd). 
ie feſt er ſchlaft. He! gnaͤd'ger Herr, wacht auf. 





Scene VII 


Les memes, le conseiller, le bourreau, peuple, soldats etc. 
Le conseiller. 
Messieurs, je suis pret. 
Marion (à Didier). 
Quand je te l’avais dit, que le bourreau viendrait. 
Didier (au conseiller). 
Nous sommes preis aussi. 
Le conseiller., 
Quel est eclui qu’on nomme 
Marquis de Saverny?. 
(Didier lui montre du doigt Saverny endormi. — Au bourrcau). 
Reveillez - le. 
Le bourrcau (lc secouant). 
Mais comme: 
H dort! — He! Monseigacur! 


[2 








— 6 
Saverny (fi die Augen reibend). 
Wie kann man meinen guten Schlaf mir -rauben. 
Didier. 

Man unterbrad ihn nur. 

SGaverny (Haid wach, fleht Marion und begrüßt fe), 
Sch träumte ſchoͤne Dame juft von Euch. 

Der Rath. 

Empfahle Ihe Eure Seele Eurem Sort? 


Didier. 
Ich that's. 
Der Kath ihm ein Pergament überreichend). 
So unterzeichnet diefe Schrift. 
(Saveruy nimmt es und lieſt). 
Es ift das Protokoll — wie wunderbar 
Iſt's doch, daß der Bericht von meinem Tode 
Don meiner eignen Hand wird unterzeichnet. 
(Er unterſchreibt und lieft e6 von Neuem. Zum Greffier.) 
Drei orthograph'ſche Fehler machten Sie. 
(Er nimmt die Feder und verbeflert die Fehler, dann zum Echarfeichter.) 
Du wecteft mich und lullſt mid) wieder ein. 


Saverny (sc frottant lex yeux). 
esse comment ont-ils pu 
M’öter mon bon sommeil? 
Didier. 
I n’est qu’interrompu. 
Saverny (& demi ereill€, apercevant Marion ‘et la saluant). 
Tiens! je r&vais de vous justement, belle dame! 
Le conseiller. 
Avez-vous bien à Dieu recommande votre ame? 
Didier. 
Oui, Monsier. 
Le conseiller (lui presentant un parchemin). 
Bien, veuillez me signer ce papier. 
Saverny (prenant le parchemin et le parcourant des yeux). 
Cest le procds-verbal, — ce sera singulier, 
Le recit de ma mort sign€ de mon paraphe. 
(fl signe et parcourt de nouveau le papier. Au greflier.) 
Monsieur, vous avez fait trois fautes d’orthographe. 
(I reprend la plume et les corrige. — Au bourreau.) 
Toi, qui m’as eveille, tu vas me rendormir. 


— 6— — 


Der Rath. 
Didier? 
(Didier tritt vor, er giebt ihm die Beder). 
Hier ihren Namen. 
Marion (fi die Augen verhüllend). 
Gott, wie gräßlic,. 
Didier (unterzeihnend). 
Nie unterzeichnet” ich mit größ’rer Luft. 
(Die Wachen bilden ein Spalier und ziehen Beide mit fort). 
Saverny (su Einem in der Menge). 
Sp macht doch Platz, das Kind kann ja nichts fehen. 
Didier (su Saverny). 
Um meinetwillen thuft Du diefen Gang, 
Umarme mid. — 
Marion (auf ihn zueilend). 
Und mid umarmft Du nicht? 
Didier, umarme mich. 
Didier (auf Saverny deuntend). 
Er iſt mein Freund. 


Le conseiller (à Didier). 
Didier? 
(Didier se presente. Il lui passe la plume). 
Votre nom la. 
Marion (se cachant les yeux). 
Dieu, cela fait fremir! 
Didier (signant). 
Jamais & rien signer je n’eus autant de joie! 
(Les gardes font la haie, et les entrainent tous deux.) 
Saverny (& quelqu’un de la foule). 
Monsieur, rangez-vous done pour que cet enfant voie. 
Didier (& Saverny). 
Mon frere! c’est pour moi, que vous faites ce pas, 
Embrassons nous! 


\ 


(Il embrasse Saverny). 
Marion (courant & lui). 
Et moi, vous ne m’embrassez pas! 
Didier, embrassez - moi! j 
Eidier (montrant Saverny). 
Cest mon ami, madame. 








Marion (die Hände zuſammenſchlagend). 
9 Sott, wie marterfi Du mich armes Weib, 
Das auf den Knieen, vor dem Könige 
Wie vor dem Richter, unaufhörlich lag 
Und fie um Gnade bat für Dich — ich flehe 
Did jegt um Gnade an für mid — für mich! 
(Didier ftürzt Feuchend auf Marion zu und bricht in Thränen aus). 
Nein! nein! mir bricht das Herz! es ift abſcheulich! 
Ich liebte fie zu fehr. — Es ift unmöglidy 
Sie fo zu laffen! — Es ift gar zu ſchwer 
Eisfalt zu bleiben, wenn das Herz uns brach. 
Komm, komm in meine Arme! 
(Er drügt fie convulſiviſch an fi). 
Ich muß fterben. 
Ic liebe Dih, und Dir es hier zu fagen 
Iſt jegt mein hoͤchſtes Gluͤck. 
Marion. 
O Didier. 
(Er umarmt fie ungeſtüm von Neuem). 
Didier, 
- Komm armes Weib! O faget mir, Ihr Alle 


Marion (joignant les mains). 
Oh! que vous m’accablez durement, faible femme, 
Qui, sans cesse aux genoux du juge, ou du roi 
Demande gräce & tous pour vous, à vous pour moi. 
Didier. (Tl se precipite vers Marion haletant et fondant en larmes). 
He bien non! non, mon coeur se brise! c’est horrible! 
Non, je ai trop aimee! il est bien impossible 
De la quitter ainsi! — Non, c’est trop malaise 
De garder un front dur quand le cocur est hrise. 
Viens ! oh viens dans mes bras! 
(I la serre convulsivement dans ses bras). 
Je vais mourir; je t'aime! 
Et le dire ici, c’est le bonheur supr&me ! 
Marion. 
Didier! .... 
(Il P’embrasse de nouveau avec emportement). 
Didier. 
Viens! pauyre femme! — Ah! dites-moi, vraiment 





— bi — 


Gaͤb's Einen unter Euch, der ſich geweigert, 

In ſolchem Augenblick fie zu umarmen, 

Die ſich Ihm immer, fih ihm ganz ergab? 

Ich hatte Unrecht. — Wollt Shr denn, Ihr Herrn 
Daß ohne Mitleid und Verzeihung ich 

Bor ihren Augen ſterbe? — Komm! komm her, 
Laß mih Dir fagen — Unter allen Frauen 

— Und jeder billigt das aus Grund der Seele, 
Mer bier zugegen ift — Die, die ich liebe 

Der meine Treue bleibt — bie ich verehre, 

Du bift es, Du! denn Du warft gut und fanft, 
Du liebteſt mich — Du wareft mir ergeben — 
Nun hoͤre mich — mein Leben ift zu Ende — 

Sc ſterbe — und der Tod zeigt Alles ung 

Sm rechten Lichte. — Haſt Du mich betrogen, 
Geſchah es nur aus übergroßer Liebe! — 

— Und Deinen Fall, Haft Du ihn nicht gebäßt? — 
Vielleicht Hat Deine Mutter Did) vergeflen, 

Wie mich die meine. — Armes Kind, ganz jung 
Hat Deine Unfchuld man vielleicht verkauft. — 


Est-il un seul de vous qui dans un tel moment 

Refusät d’embrasser la pauvre infortunee . 

Qui s’est à Iui sans cesse et tout-äa-fait donnee?. 

J’avais tort! j’avais tort! — Messieurs voulez-vous done 
Que je meure à ses yeux sans pitie, sans pardon? 

— Oh! viens, que je te dise! — Entre toutes les femmes 
Et ceux qui sont ici m’approuwent dans leurs ames, 

Celle que j’aime, celle & qui reste ma foi, 

Celle que je venere enfin, c’est encor toi! — 

Car tu fus bonne, douce, aimante, devouee! — 
Ecoute-moi: — ma vie est deja denouce, 

Je vais mourir, la mort fait tout voir au vrai jour. 

Va, si tu m’as trompe, c’est par excès d’amour! 

— Et ta chüte d’ailleurs, l’as tu pas expiee? 

Ta möre et ton berceau t’a peut- &trc oubliee 

Comme moi. — Pauyre enfant! toute jeune ils auront 
Vendu ton innocence! ... Ah! relöve ton front! 





— 65 — 


Blick auf getroſt. — Und Ihr, Ihr Alle hoͤrt — 
In ſolchen Stunden ſchwindet uns die Erde 
Gleich einem Schatten und der Mund ſpricht wahr. 
In dieſem Augenblick! — hoch vom Schafott — 
Es giebt nichts Hoͤheres, wenn der Unſchuldige 
Dort ſtirbt. — Marie — Du Engel aus dem Himmel, 
Den nur die Erbe hat befleckt. — O Du 
Du, meine Bielgeliebte, meine Gattin 
Marie! Höre mih! Am Namen Gottes, 
Zu dem der Tod mid, Bringt, verzeih ich Dir. — 
Marion (unter beißen Thraͤuen). 
Allmächtiger ! 
Didier. 
Jetzt kommt an Dich die Reihe. 
(Er Eniet vor ihre nieder.) 
Verzeihe Du mir. 
Marion. 
Didier ! 
Didier (no immer nieend). 
| Vergieb mir, 
Denn ih war ſchlecht. — Gott trifft Dich und beträßt Did) 


— Ecoutez tous: — à l’'heure oü je suis, cette terre 
S’efface comme une ombre, et la bouche est sinctre! 
He bien! en ce moment, — du haut de l’echafaud, 
Quand l’innocence y meurt, il n’est rien de plus haut! — 
Marie, ange du ciel que In terre a fletrie, 
Mon amour, mon é pouse, — ecoute-moi, Marie, — 
Au nom du Dieu vers qui la mort va m’entrainant, 
Je te pardonne! . 
Marie (etoufiee de larmes). 
O ciel! 
Didier. 
A ton tour maintenant. 
(Il s’agenouille devant elle.) 
Pardonne - moi! ‘ 
Marion. 
Didier! 
Didier (toujours à genoux). 
Pardonne-moi, te dis-je! 
C’est moi, qui fus mechant. Dieu te frappe et tafllige 
5 


— 66 — 


Durch mich und Du beweinſt noch meinen Tod, 
Daß ich Dich elend machte — o das giebt 
Mir ſchwere Neue. — Ad, laß mir fie nicht 
Marie — laß’ mir fie nicht — verzeihe mir! 
Marion. 
Ad! 
Didier. 
Lege Deine Hand auf meine Stirn 
Und fprich ein Wort, ich bitte Dich darum. 
Doc) ift Dein Herz zu voll, kannſt Du nicht reden — 
Sieb mir ein Zeichen. — Ich bedarf des Troſtes, 
Sch muß jest ſterben. — 


(Marion legt ibm die Hände auf die Stirn, Er fleht auf, umarınt fie ine 
nig und fagt mit einem Lächeln himmliſcher Freude zu den Anderu.) 


Vorwärts meine Herrn. 
Marion (kürzt fi) wild zwifchen ihn und die Soldaten) ˖ 
Nein, Wahnfinn ift es, wenn man glaubt, es fey 
So leicht, ihn zu ermorden. — Man vergißt, 
Daß ich zugegen. Schonet uns, hr Herrn! 
Wie fol ih mit Euch reden? Auf den Knieen? 
Hier kniee ih! Wenn noch in Eurer Seele 





Par moi. Tu daigneras encor pleurer ma mort. 
Avoir fait ton malheur, va, c’est un grand remord. 
Ne me laisse pas, pardonne-moi, Marie! 


| Marion. . 
Ah! .... ' 


Didier. 
Dis un mot, tes mains sur mon front, je fen prie. 
Ou si ton ‚coeur cst plein, si tu ne peux parler, 
‚ Fais- moi signe .... je meurs, il faut me consoler! 
(Marion lui impose les mains sur le front. Il se relöve et l’embrasse 
Etroitement, avec un sourire de joie celeste.) 
Adieu! — Marchons, Messieurs ! 
Marion. (Elle se jette Egaree entre ui et les soldats.) 
Non, c’est une folie ! 
Si P’on croit t’egorger aisement, on oublic, 
Que je suis la! — Messieurs, Messieurs, &pargnez - nous! 
Voyons, comment faut-il, qu’on vous parle? à genoux? 
M’y voilä. Maintenant, si vous avez dans l’ame 





Sid etwas regt, das eines Weibes Stimme 
Erzittern macht, wenn Gott Euch nicht verfluchte, 
Sp tödtet mir ihn nit. 
(Su den Zuſchauern.) 

Ihr aber, Ihr, 
‚Wenn heute Abend Ihr zu Haufe kehrt, 
Heim zu den Euren, wird's Euch nicht an Muͤttern, 
Euch nicht an Töchtern fehlen, die Euch fagen: 
Gott, welche Miffethat! — Ihr konntet's Bindern 
Und habt es nicht getban. — Ich muß Dir folgen, 
Mein Didier, fie werden Dich nicht tödten, 
Wenn es ihr Wile, daß ich leben ſoll. 

Didier. 
Nein, laß mich ſterben. — Siehſt Du, das iſt beſſer, 
Gar tief iſt, meine Wunde, Vielgeliebte, 
Und fie vernarbt zu ſchwer. — Biel beſſer iſt's, 
Ich ſterbe. — Nur wenn je — ſieh, wie ich weine — 
Ein And'rer ſich Dir naht, der gluͤcklicher 
Und ſchoͤner iſt — dann denk' an Deinen Freund, 
Den armen Freund, der tief im Grabe ruht. 


Quelque chose qui tremble à la voix d'une femme, 
Si Dieu ne vous a pas maudits et frappes, 
Ne me le tuez pas! — 
(Aux spectateurs.) 

Et vous Mecssieurs, et vous, 
Lorsque vous rentrerez ce soir dans vos familles, 
Vous ne manquerez pas de mères et de filles 
(Jui vous diront: — Mon Dieu! c’est un bien grand forfait! 
Vous pouviez l’empächer, vous ne l’avez pas fait! 
— Didier! on doit savoir, qu'il faut que je vous suive. 
Ils ne vous tueront pas s’ils veulent, que je vive! 

Didier. 
Non, laisse-moi mourir. Cela vaut mieux, vois- ta? 
Ma blessure est profonde, amie! elle aurait eu 
Trop de peine & guerir. Il vaut mieux, que je meure. 
Seulement si jamais — vois-tu comme je pleure? — 
Un autre vient vers toi plus heurcux ou plus beau! 
Songe à ton pauvre ami couche dans le tombeau ! 


5* 


— 68 — 


Marion. 
Nein, nein, Du lebſt fuͤr mich, ſind Alle denn 
Hier unerbittlich? — Nein, Du bleibſt am Leben. 
Didier. Zu 
D rede nichts Unmoͤgliches. — Vielmehr | 
Gewoͤhne Deine Augen, meine Gruft 
Zu fehn. — Umarme mid. — Siehft Du — Geftorden, 
Liebft Du mich inniger, gewähreft mir 
In Deinem Angedenten heilge Stätte... 
Doch bei Dir eben — mit gequälter Seele, 
Ich, der ich immer Dich allein geliebt, 
Stets bei Dir — kannſt Du’s ohne Schaudern denken? 
Ich brächte Dich zum Weinen, machte mir 
Gedanken über längft gefheh'ne Dinge, 
Die ich nicht äußerte — es würde ſeyn, 
Als ſpionirt' ich, zweifelte, umd Mitte. — 
Ungluͤcklich wuͤrdeſt Du. — D'rum laß mic flerben. 
Der Rath (su Marion). 
Der Cardinal kommt hier fogleicy vorbei, 
Es iſt noch Zeit, um Gnade zu erflehn. 





Marion. 
Non! ta vivras pour moi, sont-ils donc inflexibles? 
Tu vivras! 

Didier. 

Ne dis pas des choses impossibles; 
A ma tombe plutöt accoutume tes yeux. 
Embrasse-moi. Vois-tu? mort, tu m’aimeras mieux. 
J’aurai dans ta memoire une place sacree; 
Mais vivre pres de toi, vivre l’ame ulceree, . 
O ciel! Moi qui n’aurais jamais aime que toi, 
Tous les jours, peux-tu bien y 'songer sans effroi? 
Je te ferais pleurer, j’aurais milles pensees 
Que je ne dirais pas, sur les choses passees, 
J’aurai l’air d’epier, de douter, de souffrir, 
Tu serais malheureuse! — Oh! laisse -moi mourir: 
Le conseiller (A Marion). 

N faut dans un moment que le cardinal passe, 
11 scra tems encor de demander leur grace. 








— 69 


Marlon. 
Der Cardinal. — Ya wohl — der Eardinal 
Wird kommen. — Ihr follt fehn. — Er wird mich Hören. 
Mein Didier, gieb Acht, was ich ihm fage. 
Wie kannt Du glauben — es ift wirklich thoͤricht, 
Daß diefer gute Eardinal, ein Greis, ein Ehrift, 
Dir nicht verzeihe. — Du verzeihft ja mir. 
(Es ſchlägt Neun. Didier giebt Auen ein Beihen zu ſchweigen. Marion 


horcht ſchaudernd auf die Schläge. Als es ausgeſchtagen hat, 
flüge fi Didier auf Saverny.) 


Saverny (sum Bor). 
Ihr Alle, die Ihr kamt, um uns zu fehn 
Auf diefem Gange, wenn von uns man redet, 
Bezeugt, daß ohne zu erbleichen wir, 
Wir Beide, diefe Glocke ſchlagen hörten, 


Die uns die Ewigkeit gefchlagen bat. 
(Ein Kanonenfhuß wird am Thor gelöf. Der ſchwarze Borfang, der bie 
xzüde in der Mauer bededte, fällt. Die riefenhafte Sänfte des Earbinats 
erfcheint, von vier und zwanzig Barden getragen, und von dreißig andern, 
welche Gadeln und Hellebarben Halten, umgeben. Dis Sänfte ift ſcharlach⸗ 





Marion. 

Le cardinal! c’est vrai. Le cardinal vicndra. 
_ viendra. Vous verrez, Messieurs, qu’il m’entendra. 

Mon Didier, tu vas voir ce que je vais lui dire 

Ah! comment peux-tu croire, enfin c’est un delire, 

Que ce bon cardinal, un vieillard, un chretien, 

Ne te pardonne pas? — Tu me pardonnes bien! 
(Neuf heures sonnent. — Didier fait signe à tous de sc taire. Marion 

ecoute avec terreur. — Les neuf coups sonnes, Didier s’appuie 
sur Saverny). 
Saverny (au peuple). 

Vous qui venez ici pour nous voir au passage 

Si Pon parle de nous, rendez-nous temoignage, 

Que tous deux sans pälir nous avons Ecoute 

Cette heure qui pour nous sonnait l’eternite. 
(Le canon eclate ala porte du donjon. Levoile noir qui cachait la breche 
du mur tombe. Parait la litiere gigantesque du cardinal, portee par vingt- 
quatre gardes - a pied, entouree par trente autres gardes portant des 
hellebardes et des torches. Elle est ecarlate et armorice aux armes de la 


\ 


rot6und mit dem Wappen des Haufe NRichelien geziert; die Vorhänge in 
derfelden find augesogen. — Sie wird langjam in den Hintergrund 
getragen. Unruhe in der Menge.) 


Marion (cſhhleppt fih auf den Händen His an die Gänfte, 
und ringe die Arme.) 


Im Namen Eures Chriftus, Eures Stammes 
Fleh' ich für fie um Gnade. — 
Eine Stimme aus der Sänfte. 
Keine Gnade! 


(Marion finktt zu Boden. Die Sänfte zieht vorüber. — Das Gefolge der 
beiden Verurtheilten feßt fi) in Bewegung und verläßt die Bühne. — 
Die Menge folgt mit großem Geräufd).) 


Marion (alein. Sie richtet fid) halb auf und fhleppt fi), um ſich 
blickend, auf den Händen fort.) 


Was ſprach er, was? — Wo find fie? Didier! 

Nichts mehr — nichts hier — das Volt! — War es ein Traum ? 
Ergriff mich Wahnfinn denn? 

(Das Volk ſtroͤmt zurück. — Die Sänfte zeigt fi) wieder im Hintergrunde, 


auf der Seite, wo fie verihwand. — Marion fteht auf und flößt 
einen entjeßlihen Schrei aus.) — 


Er kehrt! 


\ 


maison de Richelieu. Les rideaux de la litiere sont fermes. Elle traverse 
lentement le fond du theätre. Rumeur dans la foule.) 

Marion (se trainant surles mains jusqu’ à la litiere etse tordant les bras.) 

Au nom de votre Christ, au nom de votre race, 

Gräce! gräce pour eux, Monseigneur! 

Une voix sortant de la litiere. 
Pas de gräce! | 

(Marion tombe sur le pave. — La litiere passe et le cortöge des deux 


condamnes se met en marche et sort à sa suite. —- La foule se precipite 
sur leurs pas à grand brauit). 
Marion 


(seule.' Elle se relöve à demi et se traine sur les mains en 
regardant autour d’elle). 
Qua- t-il dit? — Ou sont-ils? — Didier! Didier ! Plus rien. 
Personne ici! .... Ce peuple! .... Etait-ce un reve? ou bien 
Est-ce que je suis folle? 
(Rentre le peuple en desordre. — La litiere reparait au fond du theätre 
par le eöte oü elle a disparu. — Marion seleve etpousse un cri terrible.)‘ 
I revient! 





— N — 


Die Wachen (das Bott abwehrend). 
Platz, Plag. 
Mari on (aufrecht, mit fliegendem Haar auf die Säufte deutend.) 
Seht Hin! dort zieht der rothe Mann vorüber. 
(Sie finft zu Boden.) j 





In Victor Hugo's Romanen zeigen fich dielelben Fehler 
und Schwächen, dieſelben Schönheiten und Eigenthümlichkeis 
ten, fo wie diefelben Fortfchritte von der ungemeffenen über: 
fprudelnden Fuͤlle, bis zur bewußteren Herrfchaft über die 
Phantafie und zur größeren Ruhe des fehaffenden Genie’s, wie 
in feinen dramatifchen Werfen, und es bedarf nicht mehr ei- 
ner ſo in das Einzelne gehenden Zerglicderung berfelben zur 
Characterifirung des Dichterö, wie wir fie den Dramen zu 
heil werden ließen, indem die Grundzüge in allen feinen 
Werfen biefelben find; zumal da wir fchon über die Gebühr 
bei ihm verweilten und es Zeit wird, fich jeinen anderen, nicht 
minder begabten Gefährten auf der poetifchen Laufbahn, zu: 
zuwenden, — Um fie jedoch ganz mit Stillſchweigen zu übers . 
gehn, find fie zu bedeutend, und ich muß mir daher Ihre 
Aufmerkſamkeit für diefelben noch eine kurze Weile erbitten. — 

Drei diefer Romane find unter dem berrfchenden Einfluß 
der Mopelitteratur und vorzüglich der Hinneigung zur Erzaͤh⸗ 
ung auf hiftorifchem Hmtergrunde entfländen, und Tünnen bie 
Spuren fremder Einwirtung durchaus nicht verläugnen. — 
Sie heißen Han d’Islande, Bug Jargal und Notre Dame 
de Paris. — Han d’Islande, in Norwegen fpielend, ift 
die erfte Arbeit des Berfaffers, als Liebesgruß für die von 
ihm gerrennte Freundin beftimmt. — Die Verfolgung des in 
Ungnade gefallerien und eingelerkerten Grafen von Griffenfeld, 


Les gardes (ecartant le peuple). 
Place! Place! 
Marion (debout ‚ echevelee et montrant la liliere au peuple.) 
Regardez tous! voila Thomme rouge qui passe! 
| (Elle tombe sur le pave.) _ 


durch eine mächtige Gegenparthei am Hofe, die unabläffig 
ihre Machinationen auf feinen ganzlichen Untergang richtet; 
die Liebe eined edeln Juͤnglings, des Sohnes vom Vicekoͤnige 
von Norwegen zu der Tochter des Unglüdlichen, fo wie die 
endliche Befreiung und Begnadigung bdeffelben und die Verei⸗ 
nigung der beiden Liebenden, machen den Hauptinhalt aus; 
Dazwifchen verweben fich die Greuel und Scheuglichleiten eines 
islandifchen, die Menfchen gleich dutzendweiſe umbringenden, 
Raͤubers, der efelhafteften Mißgeburt der Phantafie, wider- 
‚ wärtig in den Fleinften Bewegungen unb unfinnig in feinem 
ganzen Thun, — Was es ferner noch an Schandthaten und 
menfchlichen Erbarmlichkeiten giebt, hat Hugo hier zufammen- 
gehäuft, und es koſtet die größte Mühe fich burchzuarbeiten; 
gleich einem armen Seekranken, dem die unangenehmfien Ge- 
fühle beftändig erneuert werden, ift dem Lefer zu Muthe, und 
mit wahrem Subel ruft er, wie jener, aus voller Bruft, Land! 
wenn er endlich das lang erjehnte Wort Fin erblickt. — 
Zwar bricht mitunter in gewaltiger Kraft der Strahl ber Liebe 
hindurch, aber feine Einwirkung ift nie von langer Dauer, 
denn Wollen mit den erſtickendſten Dünften gefüllt verdun- 
keln ihn immer wieder. — Alle Mafchinerie, die dazu dienen 
Tann und die Haare zu Berge zu treiben, die Nerven zu er= 
fehüttern, und bis zum ‚Zerreißen zu fpannen, hat der Dichter 
in Bewegung gefeßt; wir müffen mit ihm im Spladgeft, (dem 
Orte in Drontheim, wo die verunglücten oder ermordeten 
Reifenden zur Schau auögeftellt werden) in der efelhaften 
Wohnung des Provinzialhenkers, und in der Höhle des fcheußs 
lichen, warmes Menfchenblut aus Schädeln trinfenden Raͤu⸗ 
berö verweilen, und mit einem kurzen Befuche an dieſen ſtin⸗ 
kenden Orten ift es zu unferem Jammer nicht einmal abge⸗ 
than. Werden wir darauf zur Abwechfelung in anftändigere 
Gemächer geführt, fo praäfentirt fich uns überall bis auf we⸗ 
nige Ausnahmen, Abfchaum der Menichheit und alle mögli= 
chen Laſter und Sünden, auf die verfchiedenften Haͤupter ges 
haͤuft, Meineid, Verrath, Ehebruch, Feigheit, und wie dieſe 





Katovamonen nur heißen mögen, ziehen vor unferen geaͤrger⸗ 
ten Blicken vorüber. — Obendrein find, und das ift das 
Schlimmfte, die Schiiverungen felten wahr, fondern meift 
Fünftlich und gemacht, und wo fie einmal wahr find, bis 
zum Zerplatzen übertrieben. Trotz Allem dem liegen aber bie 
Keime zu Hugo’d fpateren Leiftungen fchon in diefem Merk, 
nur find fie entſetzlich verwilbert aufgewachlen. — Es ift die 
Frucht einer Periode, in welcher die Seele des Dichters im 
wildeften Gährungsproceffe fich befand, und der große, faft 
wie ein Fluch treffende Tadel darüber, fpricht fich in den wes 
nigen Worten aus: Weberreiche Fülle ohne die mindefte Ans 
muth, die rohefte Kraft, ohne alle Serbftherrfchaft, und Mans 
gel an aller Erfennmiß wahrer Würde und Schönheit. — 
Wahrhaft gelungen iſt dagegen die Schilderung ber Tochter 
Griffenfelds, Eihel, und nicht zu verkennen ber reiche Quell, 
aus welchen Hugo feine Begeifterung fchöpfte. — 

Bug Jargal gehört eigentlich mehr der Gattung der Nos 
vellen an; diefe Erzählung ift ein Xheil einer Sammlung, 
welche den Namen Contes sous la Tente führen follte, die 
der Berfaffer aber nicht vollendete. Sie fpielt in Domingo 
während des Negeraufftandes, und enthält die Schickſale eis 
ned franzöfifchen Offiziers, des Erzaͤhlers der ganzen Begeben: 
beit, und eines edelmüthigen Negerftlaven, der fich aus Liebe 
opfert. — Abgeſehen davon, daß biefer Letztere etwas zu 
reich von dem Dichter bedacht ward, gehört dad Ganze über: 
haupt zu den befferen franzöfifchen Hiftorifchen Novellen. Die 
Schilderungen find gluͤcklich, treu und lebendig, die Charactere 
gut gehalten, und der Faden, obwohl hin und wieder an Ue⸗ 
bertreibung ftreifend, confequent durchgeführt. — Hugo's Ei⸗ 
genthümlichkeiten treten und jedoch auch hier auf jeder Seite, 
mit allen ihren Schwächen wie in allem ihrem Glanz, ent: 
gegen. — 

In dem neneflen Roman Notre Dame de Paris hat 
unfer Dichter feine ganze Kraft niedergelegt. — ‚Das Wort 
Avoyım gab die Idee, das Treiben in Paris unter der Re: 


gierung Ludwigs XI., fo wie das unglüdliche Schickſal einer 
jungen lieblichen Zigeunerin, die von einem Geiftlichen, der fie 
fiebt, deſſen Gefühle fie aber nicht erwiedert, und von dem 
fie daher vernichtet wird, den Stoff her. — Eine fehr be- 
wegte Welt, voll.der ſeltſamſten Perfonen, die aber alle mehr 
oder weniger einen hiftoriichen Stuͤtzpunkt haben, zieht in dies 
ſem Roman vor unferen Blicken vorüber, doch hat der Dich- 
ter die meiften Charactere fo anzulegen gewußt, daß fie unfer 
Intereſſe fpannen und unfer Gefühl zu Zeiten mächtig in An⸗ 
fpruch nehmen. Einzelne Situationen find ausgezeichnet fchön, 
und zeigen, wie faft immer bei Hugo, eine tiefe Kenntniß des 
menfchlichen Herzens. Eben fo ift die Menge, in ihrer auf- 
und abmogenden Fluth, fehr gut Dargeftellt. Der Styl ift je: 
doch durchgängig nicht fo. glänzend und Leicht, wie in feinen 
anderen Werfen; und eine große Menge veralteter Wörter 
und Redensarten, die oft zum Weberfluß eingeflochten wur⸗ 
dem, machen die Lecture diefes Romans für den Ausländer 
beſonders, aber auch wohl für Franzofen ſelbſt, die die 
Sprache früherer Jahrhunderte nicht Tennen, zu einer muͤh⸗ 
famen Aufgabe. 9) — 


*) Wir entlehnen den Inhalt von Notre Dame aus einer vortreff: 
lichen Beurtheilung dieſes Nomans in den Blättern für litteräri- 
fhe Unterhaltung, Jahrg. 1831. No. 212. — 

Eine Novelle des Cervantes; „Die Zigeunerin” mag die erfte 
dee zu dem Romane „Notre Dame ““ gegeben haben. Ein jun: 
ges Mädchen, in feiner Kindheit von Zigeunern geraubt und zum 
Schluſſe von feiner Mutter gefunden, ift die Heldin beider Ge: 
ſchichten. In der einen, wie in der andern, hat das Mädchen, 
ungeachtet feines Gewerbes als herumziehende Tänzerin, und un: 
geachtet Der fchlechten Gefellichaft, in welcher es gezwungen ift zu 
leben, allen Verführungen der Männer und feiner eigenen Schön: 
heit widerftanden. Aber hier hört. auch jede Vergleihung auf, 
und nichts ift unähnlicher, als das Colorit der beiden Dichter 
und die Abenteuer der beiden Zigeunerinnen. Jene des Gervan: 
tes ift die Tochter eines edeln Coregidord von Murcia; die Victor 


S. 








Le dernier Jour d’un Condamne ift ein ganz wun⸗ 
derliches Werk, und eher die Löfung einer pfuchologifchen Aufs 


Hugo's, von einem unbekannten Water erzeugt, hat zur Mutter 
eine jener Unglüdlichen, Die, zu der tiefften Stufe ber Schande 
herabgeſunken, Leinen andern Troft auf Exden finden, als in 
dem Kinde, welches die lebte Frucht ihrer Werirrungen ift. Die 
Freude, welche fie darüber empfindet Mutter zu fein, die zärt: 
Uhften Bemühungen, mis denen fie ihr Kind überhäuft, ihre 
Verzweiflung, als es ihr geraubt ift, bilden in der naiven Erzäh⸗ 
lung einer Nachbarin ein eben fo wahres als reizendes unb anz 
jiehendes Gemälde. Die unglüdliche Mutter hat fich freiwillig 
in einen Kerfer eingefchloffen, der für die Neue beſtimmt und 
auf der Place de Greve gelegen ift. Hier ſchmachtet fie ſechbzehn 
Fahre lang, erwartet ihr Brod von dee Mildthätigkeit dee Vor⸗ 
übergehenden, und flucht allen Zigeunern und Zigeunerinnen, 
welche fie ficht, und befonderd der jungen Kübfchen Tänzerin, de: 
ren Alter ihr das Kind zurüdruft, das man ihre entriffen hat. 
Esmeralda, fo Heißt das Mädchen, Hat fhon mehr als eine Lei: 
denfchaft erregt. Die mattefte und am wenigften feurige ift jene 
eines armen Poeten, genannt Pierre Gringoire, den fie Beirather, 
um aus ihm einen Ehemann ad honores zu machen; ihre einzige 
Abſicht ift, Durch Diefen Schritt fein Leben zu retten, Gringoire 
ift nehmlich rined Abends in den Straßen von Paris verirrt, den 
Spitzbuben und Bertlern in die Hände gefallen, welche die Cour 
des miracles bewohnen, und hat nur unter der Bedingung Gnade 
vor ihnen finden können, daß er fih in Diefer Sefellichaft durch 
eine vierjährige Heirath naturalifirt; Esmeralda opfert fih für 
ihn auf. Aber vollkommen den Kopf verrüdt hat die fhöne Zi⸗ 
geunerin dem gelehrten Frollo, Archidiaconus von Notre: Dame, 
der um dad Mädchen feine Hermetifchen Speculationen und feine 
Forfhungen nad; dem Stein der Weifen vergißt. Der gelehrte 
Mann giebt dem Glöckner Quaſimodo, einer Art von Ungeheuer, 
das eben fo ausgezeichnet durch feine phyſiſche Kraft als durch 
feine Mißgeftalt ift, den Auftrag das ſchöne Kind zu entführen, 
Quaſimodo Hat fi des Mädchens in der That bereitd bemäch⸗ 
tigt und durchwandert, mit diefer angenehmen Laſt beladen, des 
Nachts mit großen Schritten die Straßen von Paris, als ber 
Hauptmann der Schaarwache, der fchöne Phöbus de Chäteaupers, 
die Zigeunerin befreit. Diefer Zufall veranlaßt eine- gegenfeitige 


- 


6 — 
gabe, ats ein Roman zu nennen. — Der Dichter fucht 
darin die Empfindungen eined zum Schafott Verdammten, 








Liebe, die aber von Seiten de Mädchens tiefite Leidenfchaft ift, 
während fie bei dem Officier leichte finnlihe Erregung bleibt. 
Der arme Quaſimodo wird indeffen zur Strafe flir feine Entflih- 
rung verurteilt, an den Pranger geftellt und ausgepeiticht zu 
werben. Während er erfchöpft durch Schmerz und Wurh mit 
großem. Gefchrei einen Tropfen Waſſer verlangt, fieht man mit: 
ten aus der Menge, die fi an diefem Schaufpiele ergötzt, Die 
Zigeunerin ſich Iosreißen, um dem Leidenden zu trinfen zu geben. 
Aber die Liebe ift bei ihr nicht weniger Ted, als das Mitleid; 
immer noch von ihrem, Phöbus eingenommen, willigt fie eim 
ihm ein Nendezvous an einem jener Dexter zu geben, deren Na⸗ 
men die Delicatefje unferee Sprache nicht mehr duldet. Da, in 
dem Augenblide, wo fie im Begriff. ift, ihrem Geliebten Alles 
zujugeftehn, flürzt der eiferfüchtige Frollo, den der Officier felbft 
in das Haus eingeführt Hat, fi auf den Nebenbuhler, erdolcht 
ihn und verſchwindet. Die Gerechtigkeit erfcheint, verhaftet das 
Mädchen und ſtellt dafjelbe als Mörbderin und Zauberin vor Ge: 
richt. Umfonft betheuert Esmeralda ihre Unfchuld; die Tortur 
entreißt ihr Seftändniffe, die fie nicht mehr zurüdnehmen kann; 
fie wird verurtheilt, öffentliche Kirchenbuße vor der Notre: Dame 
zu thun und den Tod durch den Strang zu erleiden. In den 
ſchrecklichſten Kerler geworfen, in welchem fie, von nllen Leiden 
des Körpers und der Seele verzehrt, langſam Hinftirbt, fieht fie 
einen Priefter zu fich herabſteigen. Es ift Srollo, der ihr das Le: 
ben anbieter, unter der Bedingung, daß fie mit einander fliehen 
und ihre 2008 vereinigen. Die Zigeunerin weift Diefes Anerbieten 
mit Abſcheu zurüd; der Tag ihrer Hinrichtung naht; ſchon Hat 
- fie Die Kirchenbuße gethan, und man will fie zu der Greve ab: 
führen, ald der Glöckner Auafimodo, der nicht weniger in fie 
verliebt ift als der Archidiaconus, fie den Henfern entreißt, in 
Die Kathedrale der Notre: Dame, ein damals geheiligtes Afyl, 
entführt und in einer Zelle feines Glodenthurmes verbirgt. Das 
Mädchen fieht feinen Wetter nur mit Schreien; aber die Leiden: 
ſchaft, die den Priefter verderbt hat, bringt auf Quaſimodo die 
entgegengefeßte Wirkung hervor; nicht zufrieden, das Weſen ge: 
rettet zu haben, welches er Tiebt, ſchätzt er daſſelbe au, und 
umgiebt es mit Bemühungen der zarteften Sorgfalt, für die er 











von dem Augenblicke feiner Verurtheilmg bis zu feiner Sins 
richtung zu fchilbern, indem er und eine Art von Tagebuch 
deffelben giebt. — Die Kritit geräth dabei in nicht geringe 
Verlegenheit, denn ed gehört eine Erfahrung dazu, um über 
die Nichtigkeit und Treue der Darftellung ein Urtheil zu fäls 
len, welche unter taufend Lefern Taum Einer haben wird; denn 
wer Tann fagen, wie er in folchen ernfien Momenten fich ges 
berven werde, wenn er fie nicht erlebt hat. — Das ganze 
Unternehmen erfcheint mir aber als ein Misgriff und ein Abs 
weg, den die Dichtkunft durchaus flreben follte zu vermeiden. 
Das liegt indefien in der Zeit, und ba läßt fich denn freis 
lich weiter nichts ſagen; folche moraliichen Schnupfen find 
eben fo wohl aufteddend wie die phyſiſchen. — Abfichtlich hat 
Hugo obendrein vermieden, die frühere Lebendgefchichte des 
BVerurtheilten"und fein Verbrechen zu erzählen, und dadurch 
einen großen Fehler begangen, indem der Lefer nicht im Stande 
iſt, fich ein klares Bid von jenem zu machen; ein Umſtand, 
der dem Intereſſe des Ganzen wefeutlich fchadet, indem jeder 


noch nicht einmal einen Blick zum Lohne erhält. Er ift zu häß⸗ 
lich. Inzwiſchen fommen die Bettler, Diebe umd übrigen Bes 

- wohner der Gour des miracles und belagern die Kathedrale, um 
ihre Tiebe Gefährtin zu befreien. Der ſtarke Quaſimodo beftcht 
eine förmliche Berennung; auf der anderen Eeite fallen die Hä⸗ 
fher über Die Belngerer her. Die Nacht macht den Kampf noch 
furchtbarer. Während deffelben entführen Gringoire und Frollo 
Die Zigeunerin noch einmal und bringen fie auf das rechte Seine 
ufer. Hier weißt fie nochmald alle Unerbietungen bed Archidiaco⸗ 
nus zurüd, der fie Hierauf der Wuth der Büßenden überliefert. 
Bald entdect dieſe aber an ihrer Gefangenen ein Zeichen, woran 

-fie fie als ihre Tochter erfennt. Trunken vor Freude, aber zu: 
gleich vol Schreden, verbirgt fie das geliebte Kind in ihrer Selle, 
Umfonft! Der Prevoſt Teiftan kommt mit feinen Gehülfen; Die 
‚ungfüdliche Zigeunerin wird erfannt; man enteeißs fie ihrer Mut: 
ter und der Roman findet feine Loſung auf dem Greͤveplatze und 
dem Anger von Montfaucon. — . 


fefte Eindruck aufgehoben wird und nur eine ſchwankende Un- 
gewißheit über das Ganze entftehen Tann. — Sehr ergoͤtz⸗ 
fich ift die humoriflifche dramatifirte Vorrede zu dieſem Buͤch⸗ 
lein. — 

Sch glaube Keinem von Beiden Eintrag zu thım, wenn 
ich auf den wilden und flürmifchen Victor Hugo einen ber 
ruhigften und befonnenften Dichter, bei dem die Reflection 
faft immer allein vorherrfcht, der aber darum nicht minder 
begabt ift, als Gegenfat folgen laſſe. Es ift died AL: 
phonſe de Lamartine. — Gein Leben bietet, bis 
auf einen Umſtand, nur wenig Bemerfenswerthed dar. Er 
warb im Sahr 1790 zu Macon geboren, genoß eine wiſſen⸗ 
fchaftliche Bildung im College de Bellay und wurde 1820 
sum franzöfifchen Gefandtfchaftsfecretair in Neapel ernannt. — 
Hier verweilte er bis im Frühjahre 1822, wo er den engli- 
fchen Hof in gleicher Anftellung befuchte, welche er noch bes 
Heidete, als Chateaubriand zum dortigen Gefandten erwählt 
wurde. Diefer nahm eben Feine große Notiz von ihm, 
und der junge Dichter gab bald nachher den Staatsdienft auf, 
und 309 fich in die Einfamfeit feines alten Familienfchloffes 
Pierrepoint zurüd, wo er die meifte Zeit zubrachte. In 
diefem Sahre (1831) fol er von Neuem in die diplomatifche 
Laufbahn getreten feyn, wenigflend deutet der heftige Angriff 
Barthelemy’s darauf hin, den wir fpäter berühren wer⸗ 
den. — Sein erfted Wert Les Meditations Poätiques er- 
schien Anfangs anonym im Frühling des Jahres 1820, und 
fand eine fo glänzende Aufnahme, daß des Dichters Name, 
troß feiner Verborgenheit, fich fchnell verbreitete, — Er 
fühlte Teinen Beruf, ihn länger zu verbergen, und die zweite 
Auflage führte bereitd denfelben auf dem Titel, Neben ber 
Bewunderung feiner Zeitgenoffen ward ihm noch ein reicher 
Lohn: der reiche Lohn der Kiebe. Eine junge geiftreiche Eng- 
Iänderin, von geringem, aber. unabhängigem Vermögen, faßte 
aus den Gedichten, ohne deren Verfafler perfünlich zu kennen, 
eine heftige Neigung zu ihm und verhehlte ihm dies Gefühl 





nicht. — Sie fahen fi) fpäter in Chambery und bald 
vereinigte Hymen's Band die beiden gleich geftimmten Seelen. 


De Lamartines Werke find größtentheild Iyrifche Poe⸗ 
fieen und in zwei Sammlungen, Meditations poetiques und 
Harmonies poetiques et religieuses enthalten; an diefe 
ſchließen fich zwei größere Gedichte, La Mort de Socrate 
und Le dernier Chant de Childe Harold, von denen das 
Erftere fehr fragmentarifch ift, an. — Eine tiefe Religiöfität 
ift der Hauptcharacterzug der Mufe diefes Dichters ; fie miſcht 
fich mit den waͤrmſten Empfindungen der Liebe und crhebt da⸗ 
durch die Leidenfchaft des menfchlichen Herzend auf eine Höhe, 
auf welcher ihr noch von faft Feinem begeifterten Erdenfohne 
ihre Stelle angewiefen wurde. Ein Strom von Gefühlen 
offenbart fich in allen ihren Ergießungen, aber er brauft nicht 
wild fchaumend dahin, fondern fchlängelt. fich ruhig wie ein 
Bach durch blühende Wiefen fort. Dazu gefellt fich eine 
Sehnfucht nach dem Höheren, ein Streben nach dem Uner- 
forfchlichen, das den einzelnen Gedichten einen ganz eigenthuͤm⸗ 
lichen Reiz durch ein gewiſſes Schwanken der Anfchauungen, 
die fich in des Dichter Seele bilden, verleiht. Wo daher 
der Flug der Phantafie nicht alle beengenden Hüllen abftreift 
und die Gedanken und Bilder in die Regionen des klarſten 
Lichtes hinüber trägt, legt fich verfchleiernd eine Färbung 
dunkler Art, ein Erzeugniß der Melancholie, aus Einfamkeit 
und Wehmuth gewebt, um diefelben. — Diefe Eigenthuͤm⸗ 
lichkeiten werden durch die wohlklingendſte Sprache, durch den 
gewandteften Versbau, durch glüdliche, oft faft zu kuͤhne 
Bier, unterftüßt, und die ideale Welt des Dichterd muß 
alle Herzen für fich gewinnen, denn fie erobert nicht im 
. Sturm, fondern feffelt und verlodt durch ihre einfchmeicheln- 
den Geftalten. 


Und. doch find faſt alle diefe Empfindungen nicht eigent- 
lich“ wahr, das heißt nicht aus innerfter Nothwendigkeit in 
der Seele des Dichters erzeugt und geboren, nicht entipruns 


‚ gen und der Welt gegeben, weil fie vom Drange ded Herzens 
getrieben, fich Luft machen und ausſtroͤmen mußten in Die 
Weite, fondern größtentheild nur gemacht. Wohl Negen 
die Keime dazu in feiner, wie in jeder Seele, aber fie neh= 
men fie nicht ganz, nicht allein und vor Allem ein; er ruft 
diefe Gefühle nur Hervor, um fie in fchöne Bilder wie im 
fchöne Gemwänder zu Heiden und der gerührten und andächtig 
horchenden Menge vorzuführen; dieſe Wehmuth und Sehn⸗ 
ſucht, die er fihildert, find nur in feinen Worten, nicht in 
feinem Leben; es find Kinder einzelner Stunden und nach Ge= 
fallen heraufbefchwor’ner Stimmungen, nicht eined ungetheils _ 
ten Strebend, nicht ganzer Jahre, ganzer Lebensperioden. 
Atphonfe de Lamartine ift eined der begabteften Talente neue⸗ 
fier Zeit, das fih an bedeutenden vorzüglich englifchen 
Dichtern heraufgebildet hat, und feine Studien geſchickt zu 
verbergen weiß, indem es feinen Copieen die Außenfeite von 
Driginalen,, wenigftend für die unwiſſende Menge, mitzuthei= 
Ien verfteht. — Einen ficheren Beweis für das bisher Ges 
fagte liefern in diefer Hinficht faft alle feine Gedichte; fie find 
zu lang. Wären fie Ergüffe einer wahren, tief gefühlten Em⸗ 
pfindung und aus dem Drange innerfier Nothwendigkeit ent: 
fprungen, fo wären fie auch zu rechter Zeit geendet, dann 
namlich, wenn fich des Dichters Seele ausgeſchuͤttet hätte; 
fo aber, da fie nur Schilderungen folcher Momente find, weiß 
er nie den Schluß zu finden, weil er nie fühlt, wo eine 
forche Empfindung wirklich beginnt und wo fie endet. — Sm 
Gefühl dieſes Mangeld fucht er die dadurch entſtehenden Lüf: 
fen mit Reflectionen oder Bildern zu füllen, die er dann mit= 
unter fo lange fortfpinnt, bis fich aus ihnen ein neues Gefühl 
ſelbſt, oder wenigftend eine neue Seite der Empfindung ent= 
widelt, welche er nun wieder auffaßt und fortführt. — Das 
ber fehlt denn feinen meiften Gedichten entweder die Einheit, 
oder fie leiden an Wiederholungen, und faft Keines ift als ein 
vollfommenes Ganze zu betrachten, obwohl Alle, mehr oder 
minder, große Schönheiten enthalten. — 





Ich habe mit diefem anfcheinend hart Hingenden Urtheife 
dem Character des Dichterd weder Tugend noch Gemüth abs 
fprechen, fondern nur bemerken wollen, daß die Kinder feiner 
Seele nicht Kinder feined Herzens find, und muß dies, um 
mich vor falfchem Verſtaͤndniß zu bewahren, ausdruͤcklich ers 
Hören. Barthlldmy, ein junger reichbegabter, aber in den 
Erxtremen bed Liberalismus verfunkener Dichter wirft ihm das 
auf eine ſchonungsloſe Weile, in einem übrigens fchön ges 
fehriebenen Gedichte vor, und geht noch weiter, indem er ihn 
befchuldigt,, feine poetifchen Aeußerungen feyen Lügen, und er 
wiffe das reale Leben des Alltags ſehr wohl von dem idealen 
Leben der Poefie zu trennen, und die Leßtere geſchickt als 
Werkzeug zu gebrauchen, um feine irbifchen Zwecke zu erreis 
chen. Der fchwerfte Vorwurf aber, den er ihm macht, ift 
der, daß er in den Julikaͤmpfen gar nichts für die Zreiheit ges 
than habe. — Lamartyne hat fich in einer poetifchen Ants 
wort Träftig gewehrt, doch nicht eigentlich vertheidigt, indem 
er wiederum den Barthelemy angegriffen, dem er Haß und 
Neid vorwirft; eine Befchuldigung, welche dieſer in einer Ants 
wort, ber Ieten in diefem Duel poätique, wie es die frans 
zöfifchen Sournaliften hochtrabend nennen, auf eine höchft würs 
dige Weife widerlegt. Saͤmmtliche Gedichte, vorzüglich aber 
Barthellmy’s Replik, verdienen, ihres inneren Werthes wegen, 
ein längeres Leben, als es gewöhnlich folchen Kindern des Aus 
genblicks vom Schickſal gegdnnt wird. — 

As das anfprechendfte von allen Igrifchen Gedichten Als 
phonſe de Lamartyne's ift mir immer fein fterbender Dichter 
(Le poete mourant) erfchienen, und ich kann mir nicht das 
Vergnügen verfagen, Einiges daraus mitzutheilen. Er fchils 
dert hier die Empfindungen eines reichbegabten Juͤnglings, deſ⸗ 
fen Leben in der Blüthe endet. Worzüglich ſchoͤn ift die Ein- 
leitung in den erften fieben Strophen, dann aber folgen, wie 
in allen feinen Poefieen, Reflexionen und Bilder, welche theils 
nicht ganz paſſen, theils zu Fünftlich herbeigezogen find, und 
im Ganzen nur das fehon Gefagte wiederholen, — Darauf 

.6 





“geht er zu feinem Beruf ald Dichter über, Lieben, Beten, 
- Dichten, das find die drei Aufgaben feines Dafeynd, und 
endlich theilt er feinen Freunden feinen letzten Willen mit. — 
Das ift der Inhalt des um die Hälfte zu Iangen und daher 
immer, troß allen fchönen und gelungenen Einzelnheiten, den 
“wahren Eindruck verfehlenden Gedichtes, denn nur das wahre, 
wirflich empfundene Gefühl fpricht zum Herzen, jede Maske 
aber, und wäre fie noch fo vortrefflich gemacht, laͤßt kalt, 
- weil wir nie wiffen, was fich hinter ihr verbirgt, und daher 
fein fefted Zutrauen faſſen. Folgendes enthalten bie bereits 
erwähnten Einleitungs » Stangen. 


Der fterbende Dichter. °) 


Noch voll, zerbricht der Becher meines Lebens; 
Seufzer und Küffe hemmen es vergebens, 
Mit jedem Odemzug entflieht mein Seyn; 
Die Glocke giebt von mir die Trauerfunde, 
Des Todes Fittig fchlägt die legte Stunde, 
Soll ich fie Seufzern, oder Liedern weihn? 


Nein Lieder — da die Hand der Saiten fich bemeiftert, 
Da mic der Tod noch, wie den Schwan, begeiftert, 
Am Ufer fremder Welt, mit Wonneklang. 


*) Le Poe&te Mourant. 


La coupe de mes jouxs s’est brisee encor pleine 
Ma vie hors de mon sein s’enfuit à chaque halcine; 
Ni baisers, ni soupirs, ne peuvent l’arreter, 

Et V’aile de la mort, sur Y’airain qui me pleure, 
En sous entrecoupds frappe ma dernitre heure; 


Chantons puisque mes doigts sont encor sur la lyre, 
Chantons, puisque la mort comme au cygne, m’inspire 
Aux bords d’un autre monde un eri melodieux. 


’ 








— 83 — 


Zum Zeichen hat's der Senius gegeben, 
Wenn Lieb’ und Einklang nur der Seele Streben, 
So fey ihr Lebewohl ein Hochgeſang. 


Die Lyra tönt, fällt fie zerbrechend nieder, 
Die Lampe, eh’ fie ftirbt, erholt ſich wieder 
Und flammt noch heller auf, eh fie entfeelt. 
Am Himmel fieht der Schwan bie legte Stunde, 
Der Menſch allein nimmt vom Vergang’'nen Kunde 
Und weinend feine Tage zählt. 


Sie folgen nach einander diefe Tage, 
Verdienen fie denn wirklich unfte Klage? 
Die naͤchſte Stunde gleichet der, die war. 
Die zweite raubt uns, was bie erſte bringet, 
Muͤh', Ruhe, Schmerz, durch die ein Traum fich fchlinget, 
Es kommt die Nacht, nachdem der Tag fo war. 


Wohl mag der weinen, der mit wunden Händen 
Sid) klammert an die Zeit, wie Epheu an den Wänden, 
Und defien Hoffnung mit der Zukunft finkt. 


C'est un presage heureux donne par mon genie; 
Sı notre ame n’est rien qu’ amour et qu’harmonie 
Qu’un chant divin soit ses adieux! 


La Iyre en se brisant jette un son plus sublime. 
La lampe qui s’eteint tout & coup se ranime, 
Et d’un eclat plus pur brille avant d’expirer; 
Le cygne voit le ciel à son heure demiere; 
L’homme seul, reportant ses regards en arriete 
Compte ses jours pour les pleurer. 


Qu’est ce dane que des jours pour, valoir qu'on les pleure? 
Un soleil, un soleil; une heure, et puis une heure; 
L’heure qui vient ressemble & celle qui s’enfuit; 
Ce qu’une nous apporte, une autre nous l’enleve: 
Travail, repos, douleur; et quelguefois un röre, 
Voila le jour; puis vient la nait. 
A qu'il pleure, celmi qui, ses imaihs achatnees 
S’attachant comme un lierre aux debris des anndes, 
Voit avec l’avenir s’ecrouler son espoir! 


6* 


* 


— 81 — 


Ich aber, der hier Wurzel nicht gefchlagen, 
Ich fcheide leicht, wie Halme, fortgetragen 
Vom Abendwind, der fie in Kreifen fchwingt. 


Der Dichter gleicht den Vögeln fremder Zonen, 
Die nicht in Neſtern am Geſtade wohnen, 
Die nicht der Baum auf feinen Zweigen Hält, 
Sie wiegen leicht fich auf dem Strom der Wogen, 
Sind fiegend in die Ferne fortgezogen, 
Und ihrer Stimme Klang kennt nur die Welt. 


Nie führte fremde Hand auf reicher Saite 
Ihm feine Hand, die junge ungeweihte; 
Der Menſch lehrt nicht, was einflößt fremde Macht; 
Der Bad) lernt nicht in's Thal hinab zu fließen, 
Der Adler nicht frei durch die Luft zu fchießen, 
Die Biene nicht, wie fie den Honig macht. 


So wie die Glocke Hoch vom Dome flinget, 
Und wecfelsweife Schmerz und Freude bringet, 
Bald Leben kuͤndend, bald auch Untergang ; 





Pour moi qui n’aj point pris racine sur la terre, - 
Je m’en vais sans effort comme l’herbe legere 
Qu’enleve le souflle da soir. 


“ Le poete est semblable aux oiseaux de passage, 
Qui ne bätissent point leur nid sur le rivage; 

Qui ne se posent pas sur les rameaux des bois; 
Nonchalamment berces sur le courant de l’onde, 

Ils passent, en chantant, loin des bords; ct le monde 
Ne connait rien d’eux quc leur yoix. 


Jamais aucune main sur la corde sonore 
Ne guida dans ses jeux ma main novice encore. 
L’homme n’enseigne pas ce qu’ inspire le eiel! 
Le ruisscan n’apprend pas à couler dans sa penfe, 
L’aigle à fendre les airs d’une aile independante, 
L’abeille à composer son miel. 


L’airain retentissant dans sa haute demeure, 
Sous le. marteau sacre tour à tour chante et pleure, 
Pour celebrer I’hymen, la naissance ou la mort; 








War ich; wie Erz geläutert fonder Fehle, 
Und jede Leidenfchaft, traf fie die Seele, 
Entlodt ihr einen wunderbaren Klang. 


Sehr ſchoͤn und zart ift auch folgende Stelle, 


*) Doch warum ſangſt Du? — Frage Philomele, 


Warum alnächtlich fle Ihr Lied vermähle 

Mit fanftem Rauſchen der kryſtall nen Fluth; 

Ich ſang, ihr Freunde, wie wir Odem ziehen, 
Ich ſang, ſo wie der Wind brauſt im Entfliehen, 
Ich ſang, wie es der Vogel thut. 


Nur Lieben, Beten, Singen war mein Leben, 
Von allen Guͤtern die uns hier gegeben 
Beklag' ich keins im letzten Augenblick, 
Als das Gebet nur das ſich aufwaͤrts ſchwinget, 
Begeiſterung die in die Himmel dringet, 


Und reicher Liebe ſtill verſchwieg'nes Gluͤck. 


J’etois comme ce bronze épuré par la flamme, 
Et chaque passion, en frappant sur mon ame, 
En tirait un sublime accord. 


Mais pourquoi chantais tu? Demande & Philomèle 
Pourquoi, durant les nuits, sa douce voix se mele 


. Au doux bruit des ruisseaux sous l’ombrage roulant? 


Je chantais, mes amis, comme l'homme respire 
Comme l’oiscau gemit, comme le vent soupire, 
Comme l’eau murmure en coulant, 


Aimer, prier, chanter, voilä toute ma vie. 
Mortels, de tout ces biens qu’ ici-bas I’homme envie, 
A Vheure des adieux je ne regrette rien; 
Rien que l’ardent soupir qui vers le ciel s’elance; 
L’extase de la lyre, ou l’amoureux silence 
D’un cocur presse contre le mien. 


— 8 — 


Und endlich der Schluß: 

*). Bald — — doch des Todes Hand berührt die Laute 
Drüdend und ſchwer — es fendet die Vertraute 
Serbrechend einen Ton noch, dumpf und bang. — 

Sie ſchweigt. — Ergreift nun Sreunde, Eure Saiten 

Laßt meine Seele jest hinäbergleiten 

Auf Eurer Hochgefänge heil’gem Klang. 

Neben diefem verdienen befondere Auszeichnung Le Golfe de 

Baya; Le Crucifix; Elegie; Les Preludes; ; Adieux à la 

Poesie; L’Enthousiasme. — 

Die beiven fo fehr von den Franzofen gefeierten Gedichte: 
L’homme : a Lord Byron und Buonaparte , enthalten ſehr 
viel Gemeinpläge in das fehimmernde Gewand hochtönender 
Phrafen gekleidet, oder mit glänzenden Bildern audgeziert und 
es mangelt ihnen durchaus an einer großartigen Weltanficht. 
Die beiden epifchen Gedichte La Mort de Socrate und 

Le dernier Ghant de Childe Harold, (Byron's Ende feiernd,) 
find nicht ohme reiche Schönheit, aber nüchterne Reflection 
muß auch hier zu oft die Luͤcken füllen. 


*) Bientöt! ... Mais de la mort la main lourde et muetto 
Vient de toucher la corde; elle se brise et jette 
Un son plaintif et spurd dans le vague des airs. 
Mon luth glac& se tait.... Amis, prenez le vötre 
Et que mon ame encore passe d'um monde & l’autre 
Au bruit de vas sacr&s concerfs, 





Vierte Vorlefung, 


Mery und Bartheleıny. — Napolton en Egypte. — Ihre an: 
deren Leiſtungen. — Pierre Jean de Beranger. — We 
ber die Chansons. — Leben Beranger’s. — Der Echneider und 
die Fer. — Characteriftif der Leiftungen dieſes Dichters. — 
Einige feiner Lieder. — 


Zwei junge Dichter, von denen der Letztere Ihnen bereits 
bei Gelegenheit des Streites mit de Lamartyne genannt 
wurde, moͤgen nun folgen, da ſie als eine ſeltene Erſcheinung 
zweier eng verbruͤderter Seelen, welche ſich ſo innig in einan⸗ 
der hinein lebten, daß ihre gemeinſchaftlichen Arbeiten nur das 
Werk eines Geiſtes zu ſeyn ſcheinen, noch neben dieſen ein 
bleibendes Intereſſe erregen. — Nur einmal findet ſich in 
der Geſchichte der Nationallitteraturen ein aͤhnliches Beiſpiel 
bei den beiden engliſchen Dramatikern, Beaumont und 
Fletcher, Zeitgenoſſen Shakeſpear's, welche bis zu dem 
Augenblicke wo der Tod ſie trennte, Alles was ſie ſchrieben 
gemeinſchaftlich verfaßten. Das iſt nun freilich nicht der Fall 
bei dieſen franzoͤſiſchen geiſtigen Zwillingen, welche auch ein⸗ 
zeln Mehreres herausgaben, wie z. B. der Eine, Mery 
eine Art pſychologiſchen Roman's Le Bonnet vert, Bars 


ſprochenen 
Gedicht in 
von Guſtav 
t und Tüs 
inter Buona⸗ 
eigentlich zu 








Das Saar auf der gebankenvollen Stirn 

Getheilt, fällt laͤſſig nieder von den Schlaͤfen, 

Sein Blick ein Blitz der aus den Wolken bricht, 

Durchfurcht der Herzen heimliche Gedanken; 

Zu wachen fcheint er an der Kraft Gefühl 

Und zukunftſchwanger tft fein mächtig Haupt. 

Aufrecht, gekreuzten Arm’s den Blid am Strand 
- Beginnt der Held zu fprechen und das Heer 

Behorcht in Schweigen fein prophetifch Wort, 

D’rein menge dee Sturm ben beifern Wogenhall. 


Die Erpofition des Gedichtes iſt geſchickt in Napoleons 
Proclamation verwebt. Unmittelbar an diefe fhließt fich die 
Ausfchiffung des Heerd, und die Aufzählung der einzelnen 
Zührer, von denen Einige fehr wacker portraitirt find, vors 
züglih Murat. Es beginnen dann die Vorbereitungen zur 
Einnahme von Alexandrien von Seiten der Sranzofen, fo wie 
die der Vertheidigung von Seiten der Bekenner Mahomets, 
unter welchen fich ihr Feldherr Koraim böchft lebendig bewegt. 
— Hartnaͤckiger Kampf findet Statt, endlich gelingt es die 
Stadt durch Sturm zu erobern, wobei Menou und Kieber 
verwundet werden, boch Laßt fich das Heer der Franzofen 
keine Raft, nach kurzem Bivouac bricht die Avantgarde unter 
Defair’5 Befehl nach Cairo auf und das Heer folgt ihr. 


| Der zweite Gefang Mourad Bey beginnt mit der Bes 
fhreibung des Würgengeld El Modhy; mach dem eigenen 


— — — 


Sur son front soucieux ses cheveux partagés 
Tombent negligemment sur la tempe allonges; 
Son regard, comme un feu qui jaillit dans la nue, 
Sillonne au fond des coeurs la pensee inconnue; 
De Viinstinct de sa force il semble se grandir 

Et sa tete puissante est pleine d’avenir. 

Debout les bras croises, l’oeil fixe sur la rive 

Le heros va parler, et l’armee attentive 

Se fait pour recueillir ces prophetiques mots 

Que mele la tempete au son rauque des flots. 








Ausfpruche der Dichter iſt diefer nur eine Perfonification der 
Barbarei und ded Fanatismus, welche gegen die Civilifation 
anfampfen. *) Er entflieht aus Alerandrien und fchlägt den 
Meg nach Eairo ein. — Auf der Dafe Helle wohnt Mous 
rad Bey in feinem Palaft, in üppigen Freuden Iebend; eine 
ausführliche Beſchreibung fehildert dies Alles mit glänzenden 
Zügen. — Unerwartet fommt El⸗Modhi zu Mourad, und 
veranlaßt ihn feine Mameluden zu fammeln-und den Franzo- 
fen entgegen zu ziehn, welche fih am Nil gelagert haben, 
und zu derfelben Zeit in tiefer Trauer die Nachricht von der 
Niederlage bei Abulir erfahren. 

Eine gelungene Schilderung der Ebenen von Cairo beim 
Morgenroth eröffnet den dritten Gefang: Les Pyramides. 
Die franzöfifche Armee kommt vor den Pyramiden bei Ghize 
an, und wird von Buonaparte angeredet. Mourad Bey zieht 
ihr von den Höhen von Embabeh herab entgegen mit feinen 
Kriegern, die er in begeifterter Nede zum Kampfe ermuthigt. 
— Der Streit beginnt mit Angriffen der Neiterei auf die fran- 
zöfifchen Carre's, die Schlacht ſchwankt, endlich wird Mourad 
befiegt und entflieht in die Wuͤſte. Ein franzöfifcher Krieger 
pflanzt das dreifarbige Banner auf Cheops Riefengrabe auf. — 
Ausgezeichnet ift die eingeflochtene Epifode von Selim in die: 
ſem Gefange. 

Cairo ift der Zitel und das Hauptthema der folgenden 
Ahtheilung, die mit der Befchreibung eines nächtlichen Bis 
vouac's der franzöfifchen Armee in der Wüfte beginnt. Die 
Befchäftigungen der Krieger werden dargeftellt, eine Schilde: 
rung der agnptifchen Monumente, welche fie durchforfchen, ift 
damit verbunden. — Der Morgen bricht an, durch eine 


*») Eine ausführlihe Nachricht über EI Modhi haben die Verfaffer 
in einer Anmerkung angehängt. Es war derfelbe ein Fanatiker, 
der fich für einen vom Himmel gefandten Engel ausgab und ein 
Heer um fi) verfammelte, das Wunder der Tapferkeit verrichtete; 
endlich aber von Zanuffe gefchlagen, fiel er im Kampfe. 





Proclamation Buonaparte's an Das Heer eingeweiht. — Die 
Armee zieht in Cairo ein; ihr Triumphzug wird ausführlich 
befchrieben und durch eine genaue Aufzählung ber einzelnen 
Corps erläutert. — Un das Heer fchließen fich die franzöfis 
fchen Gelehrten, welche daffelbe begleiten, und fich jest in 
Napoleon's Gefolge befinden. Ein glänzendes Feft feiert den 
Einzug, Am andern Morgen bricht das Heer nach Sy: 
rien auf, 

Der fünfte Geſang „die Wuͤſte“ iſt wohl der gelungens 
fie von Allen; die große Dede mit ihren Wundern und ihren 
Schreden iſt vortrefflich dargeftellt. — Das Heer überwins 
det fie und kommt glüdtich in Syrien an. — Defair ift bis 
nach Hochägypten vorgebrungen und hat dort ben berühmten 
Thierkreis von Denderah entdedt. 


Eine Erinnerung an'die Kreuzzüge beginnt den fechften 
Gefang; ihr folgt die Beichreibung des Marfches der Franzo⸗ 
fen bis nach Ptolemais, das Achmet, der dem Lefer höchft 
lebendig vorgeführt wird, befehligt. Die Belagerungsarbeiten 
beginnen; der Sturm folgt. ine Befchreibung der Stadt 
und die Schilderung einer Gewitternacht fehlingen fich dazwi⸗ 
fchen ein, — Dann erfolgt ein nächtlicher Sturmangriff, bei 
dem Murat tollkuͤhn Wunder der Tapferkeit verrichtet. — Der 
Kampf wird, nachdem die Wälle erftiegen find, innerhalb der 
Ningmauern fortgeſetzt. — Die Engländer landen und fallen 
den Sranzofen in den Rüden. Ein Bote kommt im franzöfis 
fchen -Zager an und meldet, daß ein neues feindliches Heer 
im Anzuge ſey; Kleber wird mit zweitaufend Mann abgefandt 
es aufzuhalten. — Die Erfcheinung EI Modh'i's fchließt deu 
Gefang. 

Die ruhmreiche Schlacht am Berge Thabar eröffnet die 
folgende Abtheilung, La Peste. Kleber wird von Buonaparte 
befreit, die Moslemim gefchlagen retten fich durch die Flucht. 
— Das Heer Tehrt nach Prolemais zurud und feßt die Be: 
lagerung fort; die Peſt zeigt ſich in demſelben und wüthet 


4 
D 


fchredüich; eine ausführliche Beichreibung ift ihr gewidmet; 
Buonaparte erfcheint im Peſtlazareth beruͤhrt ſelbſt die Kran⸗ 
ken und ermuthigt ſie. 

Eine Darſtellung des Lagers bei Abukir macht den An: 
fang des achten und legten Geſanges. — Die Schlacht be⸗ 
ginnt. El Modhi fällt. Die Franken fiegen. Napoleon Tehrt 
nach Frankreich zuruͤckk. Ein fchöner, Napoleons fernere 
Schickſale berührender Epilog ſchließt dad Ganze. 


Diefer magere Auszug wäre ſchon im Stande, die gro: 
Ben Fehler des Gebichtes zu zeigen, wenn man auch weiter 
nichts von ihm kennte. — Es ermangelt an Ruhe und Ein- 
heit; Alles raufcht worüber wie ein Sturm, und alle Hand- 
Yung Töft fich in Befchreibungen auf. — Das Ganze erfcheint 
als ein poetifcher Commentar zu einer Reihe hiftorifcher Bil⸗ 
der, und der Eindrud wird um fo mehr verfehlt, ald die Ver: 
foffer die dadurch entſtehenden Luͤcken mit glänzenden, doch 
foft nirgends nothmwendigen Schilderungen zu verbedien fuchen. 
— Obendrein find die Farben faft überall zu ſtark aufgetras 
gen und man vermißt durchgängig die dichterifche Beſonnen⸗ 
heit. — Die Dichter haben ferner nicht verfianden, ihren 
Helden in Bewegung zu feen; er erfcheint nur yparadirend, 
nicht aber wirklich belebt in feinem ganzen Thum. Einzelne 
Gemaͤlde find fehr fchön, reich ausgeftattet und Iebhaft ges 
zeichnet, aber troß Allem dem ift dad Ganze, im rechten 
Lichte betrachtet, immer nur Decorationdmalerei, und mehr Fleiß 
auf die Staffage ald auf den eigentlichen Gegenſtand gewens 
det. So wenig ed Einem einfallen Tann, die Zorderungen‘ 
an daffelbe zu machen, die man an ein epifches Gedicht ma⸗ 
chen darf, eben fo wenig kann man auch diefem Gedichte den 
Rang eined Kunſtwerkes zugeftehn, man müßte denn Tape⸗ 
ten mit Schlachten darauf und Schlachtengemälde großer 
Meifter auf diefelbe Stufe bringen wollen. 


Möge folgendes Bruchſtuͤck den Beweis fuͤr das eben 
Geſagte liefern. 


— 93 — 
Achter Geſang. 


Abukir. 


Ein ſtuͤrmiſch Lager, wie aus Meeresgrund 
Geſtiegen, bat Abukirs oͤdes Ufer 
Belebt, die Zelte von dem Bosporus 
Begruͤßt Aegypten, ihrer Farben Schmuck 
Miſcht ſich in's Morgenroth; betrachtet man 
Die Zeltumhaͤnge, wo ſich Seid' und Silber 
In Streifen reiht und wo der Morgenwind 
Sich wie in Segeln blaͤht, und ſiehet man 
Mit Fahnen, gold'nen Monden, flatternden 
Roßſchweiſen, Waffen dieſe friſchen Zelte 
Bekroͤnt — man meint von fern am Strand 
Entrolle ſich ein Sfpahan’fher Teppich. 
Geaͤngſtet hat des Großſultanes Macht 
Dem edlen Muſtapha dieß Heer vertraut; 
Der Thor hat ſcheidend ſeinem Herrn gelobt, 
Mit Feindeskoͤpfen fein Serall zu ſchmuͤcken! 


Chant huitième. 
Aboukir. 


Un camp tamultmeux, sorti du scin des mers, 
A peuple d’Abonkir les rivages deserts; - 
L’Egypte a salue les tentes da Bosphore: 

Leur parure se mtle aux oouleurs de l’aurore; 
Accs rideaux zChres d’argent et de satin, 

Enflös comme une voile au souflle du matin, 

A ces frais pavillons couronnes de hannieres, 
D’armes, de croissans d’or, de flottantes crinieres, 
On croirait voir de loin un tapis d’Ispahan - 
Deronl& sur le sable aux bords de P’Ocean. 

Du Sultan de Stamboul la puissance alarınde, 

Au noble Mustapha confia cette armee; 
L’imprudent, & son maitre, en partant, a promis 
De parer le Serail de têtes d’ennemis! 





— 94 


Die lange Kette für Befiegte ſchleppt 

Man feierlich durch's Lager Tag für Tag, 
Den Eiſenkaͤfich, der aus Abukir 

Den Kebir nach den Sieben Thuͤrmen bringt! 


Zum troßigen Osman, am felben Strand 
Sefellen ſich mit einem wilden Schrei 
Aweitaufend Mameluden, ſchwache Schaar, 
Den Shizes Siegern durch bie Flucht entronnen; 
Mourads Bey führt fie! noch im Unglück fchlau 
Folgt er dem Kamm der Inbfchen Bergeskette, 
Er täufhte Defair’s Wachſamkeit, und weit 
Umfchweifend, aufgetaucht aus der Gefahr 
Der Wüfte, diefe Nacht erfi, kommt er an, 
Der folge Bundesgenoffe Muftapha’s. 

Kairo wieder zu erfaflen veckt 

Mit legter Kraftanftrengung er den Arm; 
Der oft gefchlag'ne trogige Circaſſe 

Prahlt mit den Trümmern feiner alten Pracht 
Und zeigt mit Stolz vor Stambuls Neulingen 
Das narbenfchöne Löwenangeficht. 


Chaque jour, dans son camp pompeusement trainee, 
On voit la longue chaine aux Yaincus destinde, 

Et la cage de fer qui, da champ d’Aboukir 

Au chäteau de Sept- Tours, doit transporter Kebir! 


A ces fiers Osmanlis sur ce meme rivage 
Se joignent, en poussant une tlameur sauvage, 
Deux mille Mamelucks, escadron epuise 
Que deroba la fuite aux vainqueurs de Ghize; 
Mourad-Bey les conduit; ruse dans sa defaite, 
De la chaine Lybigue il a auivi la crete, 
Il a trompe Desaix; et par un long circuit, 
Au perils du desert echappe cette nuit, - 
Du Pacha de Stamboul ce noble auxiliaire, 
Dans un dernier eflort veut ressaisir le Caire. 
Le fier Circassien, de tant des chocs froisse, 
Etale les lambeaux de son luxe passe, 
Et montre avec orgueil aux Ottomans novices 
Sa face de lion, belle de cicatrices. 








— 095 


GSerufen auf die Eb'nen Abukirs 

Eilt Frankreich diefem blut'gen Straus entgegen; 
Bon Fayum, von Kairo, von Suez, 

Dem fehmalen Damme jenes Doppelmeers, 
Bom fchollenreichen Delta nahen ſich 

Die freud’gen Bataillone ſchaarenweis. 


Wer find die Kämpfer, die man kaum bemerkt, 
Den Strand entlang auf ſtaub'ger Fläche ziehend ? 
Das Heer erfennet ihre helle Stimme! \ 
Zweimal erwecket aus der Wuͤſte Schlund, 

Der Peft, der ſyriſchen Tyrannin, Sieger, 
Erſcheinen fie bei Alerandrien 

Zum Kampf; es führt fie, unter mildern Himmel, 
Ein edler Trieb zum großen Sammelplag ! 
„Hier habt ihr eure Brüder wieder,’ fpricht 
Ihr Führer, „Freunde! nicht mehr feindlicy iſt 
‚Ans fortan das Geſchick. Zermalmet jet 
„In diefem legten Kampf, den ich verfprochen, 
Dies Volt von Feinden unter Einem Streich. 





La France, defice aux plaines d’Aboukir, 
A ce sanglant duel se häte d’accourir; 

Du Caire, du Fayoum, de V’etroite fronliere 
Odà Suez a deux mers oppose sa barricre, 
Du Delta nourricier au fertiles sillons, 
Arrivent & la fois nos joyeux bataillons. 


Quels sont ces combattans qu’on Apergoit à peine, 
Marchant le long des flots, sur la poudreuse ar&ne? 
L’armee a reconnu leur €clatante voixı 
Des gouffres du desert ressuseites deux fois, 

Et vainqueurs du fleau tyran de la Syrie 

Is viennent pour combattre aux champs d’Alexandrie : 
On dirait qu’aujourd’hui, sous un climat plus doux, 
Un noble instinet les guide à ce grand rendez - vous. 
»Amis,« leur dit le chef, »je vous rends à vos freres; 
»Dös ce jour, les destins, ne nous sont plus contraires; 
»Dans ce dernier combat que je vous ai promis, | 
»Ecrasez d’un seul coup ce pcuple d’ennemis; 


— 96 — 


„Hier ſind ſie, Krieger! Frankreich's Staatsbeſchluß 
„Geht heut! aus meinem Mund; er heißet Sieg!” 


Sprady’s und mit rafchen Blicken hat er ſchon 
Vom Lager Abukir's den Wall gemeflen ; 
Errathen hat er, was gedacht kaum warb, 

Die Schlacht beurtheilt, welche ſich bereitet: 
Den Raum umfchließt fein ungeheures Ne; 
Die Stunde fegt er feft, wo in den Waſſern 
Das Aftatenheer verfinken wird. 

So Fündiget Hoch auf dem Seherthurm 

Der Sottbefeelte, der am Himmelszelt 

Sin der Unendlichkeit Seftirne fucht, 

So Seraphinenfingern ausgegleitet, 

Die fefte Stund’ an, wo die fhweifenden 
Weltkugeln, and’rer Weltenlauf nicht irrend, 
Auf unfern Himmel fallen und die Nacht, 
Wo fie den Kreifen ihrer Bahn getreu, 

Sich in den Abgrund vor den Blicken flüchten. 








»Ils sont tous devant vous, soldats; le Directoire, 
»Par ma houche, aujourd’hui, déerète la victoire. « 


Il a dit, et dejä ses rapides regards 
Ont du camp d’Aboukir mesure les remparts ; 
Devinant leur pensee aussitot que concue, 
Du combat qui s’apprete il a juge Tissue: 
Dans la plaine il étend ses immenses reseaux, 
Et semble marquer FPheure oü dans les vastes eaux 
Tombera, sans retour, l’armee asialique. 
Tel, sur le haut sommet de sa tour prophetique 
L’homme inspire qui suit dans la voüte sans fin 
Les astres Echappes au doigt du seraphin, 
Annonce V’heure fixe oü, sans heurter les mondes, 
Tombent sur notre ciel ces sphöres vagabondes, 1 
Et la nuit oü, bornant leurs cercles revolus, 
Elles percent labime oü Foeil ne les suit plus. 











2 


— 97 — 


Da tönt ein Schrei von Abukir, des Meer's 
Eintön’ge Ruhe hat die Donnerſchanze 
Seftört und ans des Lagers Doppeled, 
Vom Bey vertheidigt, Hallen bie Kanonen, 
Die ihm der Engelländer angefeilfcht: 
Mit einem Turban Rauch's umringt ihr Haupt 
Hoch auf dem Kap bie Warte Mahomet's. 
Auf diefes Zeichen, zahllos, wie die Voͤgel, 
Die bei Gewittern überziehn die Fluth, 
Ziehn afritan'fcher. Zone Stämm’ heran, 
Des häßlihen El⸗Modhi Teitten folgend; 
Der Wüfte Kinder hat geweckt fein Ruf: 
Den gelben Beduin aus bittern Seen, 
Den Mauren vom Sennahr; den Abyffinen, 
Der ſchwarzer Stiere Fleiſch, fo lange fie 
Noch brüllen, roh verfchlingt; den Araber, 
Der an die Zinnen eines Thurms das Haus 
Von Scilf, gleich einem Geierneſte hängt; 
Die Völker alle vom unwirthlichen 
Tacafüss Ufer unterm Krebsgeſtirn, 


Un cri part d’Aboukir; la redoute qui tonne 
A trouble de la mer le repos monotone; 
Aux deux angles du camp par Mourad defendus, 
Resonnent les canons que l’Anglais a vendus, 
D’un turban de fumde environne sa t£te. 
A ce signal, pareil en nombre à ces oiseaux 
Qui dans un jour d’orage obscurcissent les eaux, 
Arrivent les tribus de la zone africaine ; 
Le hideux El-Modhi sur ces pas les entraine; 
Sa voix a reveill& ces enfans des deserts: 
L’olivätre Bedouin sorti de lacs amers, 
Le Maure du Sennahr, l’Abissin qui devore 
La chair des noirs taureaux qui mugissent encore, 
L’Arabe qui suspend aux crencaux d’une tour 
Sa hutte de roseaux, comme un nid de vaufour, 
Tous les peuples, depuis les rives du Tacase, 
Bords inhospitaliers que le Cancer embrase, 

7 








— 08 


Bis wo der Nil zum legten Mal den Schall 

Der ſchaͤumenden Eascade murren Hört. 

Bor unfern Schaaren halten dieſe Horben, 

Und ihre Pfeile plöglich abgefandt, 

Wie eine dunkle Wolf! am Horizont, 

Sie tragen zu dem Feinde Tod und Gift. 

Doch Bonaparte giebt ein Zeichen raſch, 

Und blitzſchnell fliegen jene Kanoniere, 

Auf Eifenflägeln rollet ihr Geſchuͤtz, 

Und die Kartätfche fährt aus eh’rnem Rachen, 

Und gräbt ſich furchend in die Horden ein. 

Dann fliegt Kanone, Wagen, Roß und Mann 

Dahin, davon und auf der Stelle, wo 

Die Flammenſchanze grollte, trifft der Feind 

Nichts weiter an als einen dicken Rauch. 

Und in die Ferne fchwingt ſich, donnert wieder, 

Und fliege davon. ber reif'ge Kanonier. 
Den flüchtigen Donnern folgt El⸗Modhi nach, 

Ermuthigt feine bange Voͤlkerſchaar: 


Jusqu’aux lieux oü le Nil, pour la derniöre fois, 
De la blanche cascade entend mugir la voix. 
Devant nos bataillons ces hordes rapprochees 
S’arrötent; tout-A-coup leurs fläches decochees 
Comme un nuage obscur levö sur l’horizon, 
Portent à Kennemi la mort et le poison. 
Autour des xangs francais le noir essaim bourdonne > 
Tout-A-coup, au signal que Bonaparte denne, 
Volent ces artilleurs qui, prompts comme l’eclair 
Font rouler le canon sur ses ailes de fer; 
De leur bouche d’airain la mitraille vomie 
Creuse de longs sillans dans la horde ennemie; 
A Vinstant le canon, l’ars&nal qui.le suit, 
L’artilleur cavalier, tout 8’echappe, tout fuit; 
Sur sa ligne oà gronda la redoute enflammee, 
L’ennemi n’atteint plus qu’une Epaisse fumee, 
Et vers un but lointain reprenant son esser, 
Le canon voyageur tonne et s’envole eucor. 
EI-Modhi, ranimant ‚ses timides peuplades, 
S’ecrie, en poursuivant les tonnerzeg nomades : 





— 9 — 


„Ruhmwuͤrd'ge Diener himmliſcher Beſchluͤſſe! 
„Kommt her, der Wuͤſte Kinder, Araber 
„Und Abyſſinen, ſehet wie das Blei 

„Von meiner Bruſt abſpringt, mein Hauch verföfcht 
„Das Feuer und mein Blick vertilgt; ich ſtreue 
„Den Sand mit meinen Haͤnden aus, es fällt 
„Bor ihm die Chriftenkugel in dem Flug!’ 

Er ſpricht's und alsbald ſchleudert Uferfand 
Dem $einde zu der grimmige Tentaur, 

Den göttlichen Propheten ruft er an, 

Und ſtuͤrzt fih auf die Pfade des Geſchuͤtzes, 
Des Engeld Worte heult mit Ehrfurcht nach 
Der dumme Knaͤu'l ber Stämme von Sennahr. 
O Schreden! plöglicd trifft und wirft ein Blitz 
Den Gottesboten Bin, den Taumelnden. .... 
Und in ber Wolke jammert lang’ ein Schrei; 
Sie fliehn: — ba flürzt ein unbelanntes Weib, 
Koran s Sibplie, die mit ſchwarzen Ferfen 

Die Rippen eines wilden Renners fpornt, 


» Glorieux instrumens des c£iestes desseins, 
» Venez, fils da dösert, Arabes, Ahissins, 

» Voyez comme le plomb bondit sur ma peitrine! 
» Mon souflle &teint le fen, mon regard extermine; 
» Repandu de mes mains, le sable que je tiens 

» Ahattra dans leur vol les boulets des chretiens. « 
N dit; en m&me tems le centaure sauvage 

Lance vers l’ennemi le sable du rivage, 

Et du divin Prophäte invoquant le saint nom, 
S’&lance sur ia ligne o& gronde le canon; 

Des tribus de Semmahr la stepide phalange 
Hurlait avec respect les paroles de l’Ange. 

O terreur! teut & coup le celeste envoy& 

Bondit dans un delair et tombe foudroyE...- 

Un long cri d’epouvante dciate dans la nue; 
Tout fuit: en ee moment une femme inconnue, 
Sibylle du Coran, qui de son noir talon 
Excite les fans nus d’an sauvage &talon, 


7. 


— 100 — 


Sich auf El⸗Modh's Leiche fliegend hin, 

Die welke Bruſt pocht ihr von hoͤll ſcher Liebe, 
Die trockene Hand, fo nur in Gräbern wuͤhlt, 
Knuͤpft den zerriß'nen Leihnam an die Maͤhne; 
Das Roß, entfegt ob feiner graufen Laſt, 

Die ſchnoͤde Hülle trägt’s der Wüfte zu, 
Woher fie ſtammt und noch erzählt man heute, 
Des Damon’s Leihe ruh in Ammon's Sand! 


Und zwifhen Raub und Fluthen Rauch's hindurch 
Sah'n flieh'n ein Heer die Türken in dem Lager; 
Nicht ahnen fie, daß in die Wuͤſte heim, 

Die fie gefpieen, ihre Freunde ehren! 

Vor ihrem Auge, dem geblendeten 

Entflieh'n die Chriſten, diefe zu verfolgen 

Macht Muſtapha, der fprudelnde, fich auf; 
Umfonft ruft Mourad: „Welcher Irrthum, Kerr! 
„Vor uns ift Kebirt nur El⸗Modhi flieht!‘ 
Gelenkt von ihrem gornverführten Baflen ' 

Stärzt in die Eb'ne Spahi, Sjanitfchar ; 


Vers le corps d’El- Modhi role et se precipite; 
D’un infernal amour sen sein ride palpite, 

Sa main seche, exercee & fouiller les tombeaux, 

Lie aux crins du coursier le cadavre en lambeaux, 
L’etalen, effray& du fardeau qui le souille, 

Porte au desert natal cette informe depouille, 

Et Fon dit, de nos jours, que le corps da demon . 
Repose enseveli sous les sables d’Ammon. 


A travers. la poussiere et les floß de fumde 
Les Osmanlis du camp ont vu fuir une armee; 
Ils ne soupconnent pas que leurs läches amis 
Regagnent les deserts qui les avait vomis. 
A leurs yeux fascines, les chretiens sont en fuite; 
Le bouillant Mustapha s’elance a leur poursuite; 
Mourad lui crie en vain: »Quelle erreur te seduit ? 
» Kebir est devant nous; c’est ElI-Modhi qui fuit. « 
Guides par leur Pacha que son orgneil entrafne, 
Janissaires, Spahis, se jettent dans la plaine; . 











101 — 


Bol Opium's und trunken vom Gefchrei 
Verlaſſen fie des Lagers feften Schuß, 

Nach Blut und gräßlicher Ermordung bürftend 
Gehn Köpfe fie zu mähn für Stambul's Schloß. 


Und Bonaparte fchreit: „Wir fällen fie! 
„Hau' ein, Murat! ſchon unfer iſt die Schlacht. 
„Zeig' Deinen Arm, Aegyptens Schrecken, ihnen! 
„Zermalme bis an’s Meer fie auf der Flucht!“ — 
„„Ja,““ ſpricht der Held, im Sattel reckt er ſich, 
„„Schau'n ſollſt Du, 05 mein Arm entfchlummert if! 
„„Mein Saͤbel, mein Dragoner bürgt: ich werde 
„„Sie ſchlagen! ſchoͤn'res Feſt gabft nie Du mir! 
Er ſpricht's, und nad der Türken wilder Fluch 
Zieht er mit fich die wüthenden Dragoner, 
Die Niefenbande, deren Todeskunſt 
Das Schwert ſtoͤßt wagerecht, wie einen Dolch. 
Indeß der Beind, von Ihrem Anblid irre, 
Den Schup des fernen Lagers wieder fucht, 





Tous, gorges d’opium, enivres de leurs cris, 

De leur camp pretecteur 'ont quittt los ahris; 
Tout, alteres de sang et d’horribles conquftes, 
Pour les tours da Strail vont meissonner les tites. 


Bonaparte s’ecrie: »Ils tombent sous nos coups! 
»Prends 1a eharge, Murat, la bataille est à nous; 
» Vas leur montrer ce bras que l’Egypte redoufe; 
»Et jusque dans la mer ecrase leur deroute.« — 
»» Qui, «« zepond le heros, sur la selle grandi, 

»» Tu vas voir si deja mon bras s’est engourdi; 
»»Ce sabre et mes dragons t’assurent leur defaite; 
»» Jamais tu ne m’oflris une si belle fetel«« 

D dit, et vers les Turcs a flots precipiles; 

Il entraine avec lui ses dragons indomptes; 
Escadron de geants, dont l’adresse fatale 

Pousse comme un paignard l’epee horizontale. 

“ Tandis qu’& leur aspect, les ennemis troubles 
Regagnent de leur camp les abris recules, 








Praͤgt Kleber feinen Muth dem Fußvolk ein, 
Umringet jenes ſchmale Borgebirge: 
Sie geh'n, halbvorgebeugt, mit ftarrem Blick 
Voran, dem Feinde zeigt ihr erftes Glied 
Das dreigefpigte Frankenbajonett, 
Noch warmer Flinte blutigen Gehälfen; - 
Die Türken plöglich in den Lanzenfreis 
Sedrängt, begegnen Murat auf den Wällen 
Mit dem Dragoner, Kleber mit dem Schwert; 
Der Weg zur Wuͤſte fchließt fich den Beſiegten, 
Das Meer nur zeigt fein großes, träg’rifches 
Afyl, nad welchem die Verzweiflung rennt, 
In das die Furcht fi ſenkt. Noc kurze Zeit 
Schwimmt auf den Wogen diefer große Reſt, 
Bis der gefhmwinde Kanonier den Mord 
Vollendet, und bis über Allah's Kindern 
Das Meer, der jammervolle Zufluchtsport, 
Sn ftillen Wellen rein zufammenfließt. 

D ſtolzes Frankreich, jub’le! töne, Marſch! 
Dein Held, wie Götter leidenfchaftenlog, 
Erfcheint auf dem barbarenfreien Geld, 


Kleber aux fantassins imprimant son amdace, 
De l’&troit promontnire emprisonne l'espace : 
Tous s’avancent, l’oeil fixe, inclines & demi, 
Et sur le premier rang montrent & l’ennemi 
Cette lance francaise am fer triangulaire, 
Du fusil tiede encor sanglante auzilinire ; 
Reserres tout-A-coup dans ce cerele de dards, 
Les Turcs &pouvantis trouvent sur lcurs remparts 
Murat et ses dragons, Kläber et son &pee: 
La route du desert aux vaincus est coup6e: 
La mer leur reste, asile immense, mais trompeur, 
Oü court le desespoir, oü s’engloutit la peu; 
Quelque tems sur les flots ce grand debris surnage, 
Mais l’agile artilleur consomme le camage, 
Et des enfans d’Allah refuge desastreux | 
L’Ocean calne et pur se referme sur eux. 

Noble France, bondis d’orgueil! sonnez fanfares! 
Sur ce ehamp de comhat d&peupl& de harbares, 











103 — 


Don Kriegern und von Feldheren ſchmuck umringt; 
Bon Abukir, von Thabor, von Kairo 
Beflattern Fahnen den Soldatenhut; 

Murat, zulegt .erfchienen aus der Schlacht, 
Wirft Muſtapha gefangen ihm zu Fuͤßen. 

Held Kleber drängt / ſich durch die Menge durch, 
Stuͤrzt liebend in des Nebenbuhlers Arm 
Und ſpricht ihn preſſend an das edle Herz: 
„Des Oſten Loos hat Abukir entſchieden: 
„Es beuge heut' ſich jeder Stolz vor Dir: 
„O General! groß biſt Du, wie die Welt!“ 


Die Nacht, vermengend Meeresſtrand und Fluth, 
Laͤd't ein zum Schlaf die Sieger Abukir's, 

Der Bospors Zelte Herren find bie Krieger, 

Sie ſtrecken auf den Sand fih, wo das Blut 
Noch raufcht. Wer weiß es, ob nicht morgen fie 
Den Ruhm bereuen biefes heut'gen Tag's! 


S’avance, tel qu’un dien, l’impassihle heros, 

Paré de ses soldats et de ses generaux; 

Les drapeaux d’Aboukir, du Thabor et du Caire, . 
Couronnent en flottant son chapcau militaire. 
Murat, de la bataille arrive le dernier, 

A jett sur ses pas Mustapha prisonnier; 

L’heroique Kleber, pergant ia fonle immense, 

Vers son rival de gloire avec amour s’&lance, 

Et sur son nehble ooeur le presse, en s’tcriant: 

» Aboukir a fix le sort de l’Orient: 

» Qu’aujourd’bui devant vous tout orgueil se confonde : 
» Vous &tes a mes yenx aussi grand que le monde. « 


Mais la nuit, cenfondaut le rivage et les flots 
Aux vainqueurs d’Aboukir conseille le repos; 
Les soldats , possesseurs des tentes du Bosphore, 
S’etendent sur l’axtne, oü le sang fume encore, 
Demain, sur ces deserts quand le jour aura lui, 
Pent- €tre ils pleurerent leur gloire d’aujourd’hui ! 


— 104 — 


Es Hat ein Schiff aus Alerandrien 

Den Krieger diefe Nacht noch aufgenommen; 
Das Vaterland verlangt ihn, auf der See 
Schon wogt er, fürchtet, ach! die Sonne moͤchte 
Der alten Kameraden Schaar zu bald 
Erwecken. Alfo fcheut ein Vater, den 

Die ferne Reife ruft zur Abfchiedsftunde, 
Muthlos der füßen Kinder Lebewohl, 

Und wartet bis der Schlaf ihr Auge feflelt. 
Des Vaters Auge, Icheidend von dem Strand, 
Ward heimlich überrafcht von einer Thräne; 
Doc) lindert fi) fein Kummer; gläclic find 
Die Krieger, Klebern läßt er ja zuruͤck, 


Das zweite größere Gedicht der beiden Freunde L’Insur- 
rection, ift ebenfalld in der Intention Iobenswerther als in 
der Ausführung. — Es find Declamationen im Raufche der 
Degeifterung und des gewichtigen Augenblickes "vorgetragen, 

— Un eigentlicher Handlung fehlt es ebenfalls gänzlich, denn 
was dafuͤr gelten folte, befteht doch nur wieder in Schilde: 
rungen. und in Anfpielungen auf wirkliche Begebenheiten. — 
Neue Gedanken oder alte Wahrheiten neu ausgefprochen find 
fehr jelten ,wir finden nur die Sprache der Iiberalen parifer 
Blätter jener Tage, in Reime gebracht. Ohne Schönheiten, 
obwohl diefelben‘ mehr rhetorifcher Art find, ift jedoch auch 


Cette nuit un vaissean sorti d'Alexandrie, 

A recu le guerrier qu’implore sa patrie; 

Il vogue sur les flots et craint que le soleil 
De ses vieux compagnons ne häte le reveil; 
Tel un pere entraine dans un lointain voyage, 
A Theure du depart qui glace le courage, 

De ses enfans cheris redoutant les adieux, 
Attend que le sommeil ait pese sur leurs 'yeux. 
Le pere de l’armee, en quittant cette rive, 

A surpris dans ses yeux unc larme fartive, 
Mais il porte en son ame un regret moins amer! 
Ses soldats sont heureux, il lcur laisse Kleber. 





— 105 





diefed Gedicht nicht, und man kann den Gegenfaß der erfien 
Abtheilung zur zweiten, in der Anlage wie in der Ausführung 
wirklich genial nennen. 

Barthelemy hat ſich fpäter der politifchen Satyre zuges 
wendet, in einer eigenen poetifchen Zeitfchrift, Nemesis; vie 
Geißel, welche er hier fchwingt, ift derb und trifft fcharf, aber 
fie wird zu haufig von perfönlichen Ruͤckſichten und einem ges 
wiffen Haß, fo wie einer Verfolgungsfucht, die den Hyper⸗ 
liberalen unferer Tage eigenthümlich find, erhoben, und 
verfehlt daher oft ihre Wirkung, — Ein früheres Gedicht 
von ihm, Le fils de Phomme, auf Napoleon’ Sohn, 
blieb zu feiner Zeit nicht ohne Einfluß, war aber nicht bedeu⸗ 
tend genug, um fich eines mehr als ephemeren Lebens zu 
erfreuen. — 

Die Reihe der durch den Patriotismus befeelten und von 
ihm, wie von einer neuen Mufe angefeuerten und begeifterten 
Dichter, zu welchen die eben angeführten jungen Männer ges 
hören, ward fchon früher in Srankreich durch ein Talent bes 
gonnen, das auf der ganzen weiten Erde bisher noch feines 
GSteichen fuchte, und welches troß allen politifchen Stürmen, 
die bisher Frankreich's Horizont mit düfteren Wollen bedeck⸗ 
ten, gleich einem hellen fchönen Sterne, ruhig feine Bahn 
wandelte, und fich fein angeftammtes Licht in ungetrübter 
Klarheit zu erhalten wußte. Es ift Pierre Sean de Ber 
ranger, von dem ich rede, ein Mann, der in feiner Beſchei⸗ 
denheit nicht einmal Anfpruch auf den Titel eines Dichters 
macht, fondern, da er biäher weiter nichts als Liederchen ges 
liefert hat, fich mit der hergebrachten Benennung eined Chan: 
fonnierd begnügt; und doch ift er von größerem Einfluß auf 
feine Nation gemwefen, als irgend einer feiner genialften Zeit: 
genoffen, denn er hat dad Geheimniß ergründet, alle Her⸗ 
zen und alle Stände zu gewinnen... Er redet überall nur. die 
Stimme der Natur, und findet um deflo leichteren Eingang, 
den er fich durch feine vielen glänzenden und liebenswuͤrdigen 
Eigenfchaften feft zu bewahren weiß. — 





106 — 


Das Genre der Chanfons, es fey mir erlaubt, diefe Des, 
nennung beizubehalten, da fie mehr umfaßt ald das für un⸗ 
ſere Sinnesart gleichbedeutende deutſche Lied, war in Frank⸗ 
reich ſeit uralten Zeiten von dem hoͤchſten Einfluß auf Leben 
und Geſinnung des Volks, und es wird dem Auslaͤnder ſchwer, 
ſich einen richtigen Begriff davon zu machen, wenn er es nur 
mit dem Maaßſtabe ſeiner Erfahrungen mißt. Denn was be⸗ 
deuten Lieder bei uns, und waͤren ſie noch ſo ſchoͤn, wenn ſie 
ohne muſikaliſche Begleitung in die Welt geſchickt werden, oder 
der Zufall ihnen nicht eine gluͤckliche und gefaͤllige Melodie an⸗ 
gepaßt hat, die faſt allein das Mittel zu ihrer Verbreitung 
wird? — Sie werden nur das Eigenthum einiger wenigen Ge⸗ 
bildeten, finden vielleicht in den Herzen zarter Maͤdchen und 
Frauen, deren innerſte Empfindungen ſie einhuͤllen, ein ſtilles 
beſcheidenes Plaͤtzchen, oder genießen im beſten Falle das große 
Gluͤck, von geſchmackloſen Sammlern aufgeputzt, zugeſtutzt, 
lyriſchen Anthologieen einverleibt und Schulknaben in die Hände 
gegeben zu werden, die ihre gute Zeit, welche ſie viel beſſer 
mit Herumlaufen und Jungenſtreichen ausfuͤllen koͤnnten, dar⸗ 
an ſetzen muͤſſen, ihr hartes Gedaͤchtniß damit voll zu ſtopfen. 
Aber ein Gemeingut der Maſſe werden ſie nicht, wenn eben 
nicht, wie ich ſchon bemerkte, eine gluͤckliche Melodie ihnen 
die Bahn bricht, und den armen Waiſen ein Eintagsleben ver⸗ 
leiht, bis die naͤchſte Oper mit ihrem Spectakel und ihren 
Motiven ſie unbarmherzig verdraͤngt und ſie in die kalte Nacht 
des Vergeſſens ſchleudert, aus der vielleicht einmal ein em⸗ 
pfindſamer Cantor, der ſich Stoffe zu feinen regelrechten aber 
gottverlaffenen Eompofitionen ſucht, oder eine liebefieche Naͤ⸗ 
berin, die gern fchwärmen möchte und nicht fo viel baare Ge⸗ 
fühle im eigenen Vermögen befigt, oder auch ein überfpann- 
ter Tertianer, der fich deutich patriotifch geberdet, weil bie 
Iateinifche Grammatik fo fchwierig ift, fich zur Herzſtaͤrkung 
und dem pebantifchen Conrector zum Trotz, momentan fie her 
auf befchwört, — Eben deöhalb wirken fie denn auch wenig, 
obwohl es auch und nicht an Beweiſen für ihre Kraft fehlt, 





— 107 70 — 


venn wir an die Zeiten des Befreiungskrieges zuruͤck denken, 
wo Großes dureh fie, wenn auch nicht gefchafft, doch befoͤr⸗ 
dert wurde. — In Frankreich ift das ganz anders; eine ges 
wiſſe Bildung, nicht des Geiftes, aber wohl des Herzens oder 
vielmehr der Gefinnungen ift durch alle Stände verbreitet und 
wird durch eine lebhaftere Auffaffungskraft und einen leichter 
zu befeelenden Enthufiasmus für Gegenftände von allgemein 
menfchlichent Inteveffe ausnehmend begünftigt. — Die Chan⸗ 
fen ift daher eine mächtige Waffe in den Händen des ganzen 
Volles, um fo mächtiger, als fie fich fo leicht taufendfältig 
verbreitet. Man hat fich dort auch beftändig derfelben bedient, 
md fie war von jeher eine Art Schutzwehr gegen alle Unter⸗ 
druͤckung, die mit der fortichreitenden Intelligenz an innerer 
Kraft md Stärke gewann, und von fait allen Unterdruͤckern 
gleich ſehr gefürchtet wurde; nur eine durch moralifche Schlech⸗ 
tigkeit fo ausgepichte und wafferdicht gewordene Natur wie Mas 
zarin Tonnte fie verachten, wenigftens fo thun, benn wer weiß, 
ob feine Antwort, auf Die Einflüfterung eines Hoͤflings, daß 
die Parifer Spottfieder auf ihn fängen: Ils cantaront, mais 
ils pagarent, auch in feinem Kerzen ein folches Echo ber 
Gtleichgültigkeit fand. — Sehr witzig wurde fchon zu den 
Zeiten des abfcheulichften Despotismus in Frankreich, in den 
Tagen der Lettres de Cachet und der Generalpächter die 
franzöfifche Regierung characteriirt als une monarchie ab- 
solue, temperee par des chansons. — 

Man darf fich aber nicht einbilden, daß die Chanfon, da 
fie fo fehr Gemeingut iſt, auch eine fo leicht zu Löfende Auf⸗ 
gabe fey; fie ringe In diefer Hinficht mit dem Sonnett der 
Stalfener, von dem biefe ſelbſt geftehen, daß fie unter viele 
leicht einer Million und mehr kaum fünf volllommene befien, 
um den Preis, und es gehört vielleicht noch ‚mehr Gefchid 
dazu, ald zu diefem Problem der höheren Poetik. — Il faut, 
fagt Voltaire darüber, avoir dans Pesprit de la finesse 
et du sentiment, avoir de l’harmonte dans la töte, ne 
point trop s’elever, ne.peint trop s’abaisser, et savoir 








— 4108 O0 — 


n’etre.pas trop. long. — Man muß geſtehn, daß das eben 
nicht unbedeutende Bebingungen find, und daß eben ſo viel 
angebornes Talent, ald erworbene Bildung dazu gehört, fie 
zu erfuͤllen. 

. Vor allen feinen Vorgängern und Nebenbuhlern auf die: 
fem Felde, erfreut fich Beranger der eben bemerkten Eigen- 
fchaften wohl am Meiften, .obgleich auch er nicht felten die 
bier vorgefchriebenen Schranken überfchritt, wenn ihn fein Ges 
nius auf raſchem Flug in höhere Sphären trug, was nicht 
felten der Fall iſt; doch wer kann deshalb mit ihm zürnen, 
da echte Begeiſterung die Fundgrube ift, aus der er fchöpft, 
und feine wahre Befcheidenheit nicht einmal zugeben will, daß 
er etwas Andered ald Chanfons liefere. — Beranger, fagt 
B. Eonftant von ihm, fait des odes sublimes quand il 
ne croit faire que des chansons. — Er ward im Jahre 
47780 geboren, doch hören wir ihn felbft reden, um ihn von 
vorn herein lieb zu gewinnen: 


Der Schneider und die Fee. *) 


Lieb, meinen Freunden, an meinem Geburtötage, den 
19. Auguſt 1822, gefungen. 


Hier in Paris vol Gold und Elend, leider 
Im Sabre Sichzehnhundertachtzig, da, 
Hört, was beim Aeltervater, einem Schneider 
Mit mir, dem Neugeborenen gefhah.: 


) Le Tailleur et la Fee. 


Chanson chantée à mes amis, le jour anniversaire de ma naissance, 
49. Aöut 4822. 
dir: d’Ageline (de Wilhem.) 
Dans ce Paris plein d’or et de misere, 
En l’an du Christ mil sept cent quatre vingt, 
Chez un tailleur, mon pauvre et vienx grand-pere 
Moi, nouveau nd, sachez ce qui m’adrint. 





— 109 


Bon Sängerruhm Hört man nichts prophezeihen, 
Bei meiner Wiege, die nicht eben fchön. 
Doch als der Großpapa kam auf mein Schreien, 
Hat er im Arm mich einer Fee gefehn, 

Und dieſe Zee mit luſt ger Lieder Scherz, 
Beruhigte des Kindes erſten Schmerz. 


Der gute Greis forfcht forgfam: — welche Gabe 
Schenkt feinem Schiefal Deine Sympathie? 
Und fie erwiedert: unter meinem Stabe 
Sieh’ ihn als Kellner, Druder und Commis, 
Ein Blitzſtrahl wird die Weiffagung bewähren, 
Bon ihm getroffen finkt er fterbend hin, 
Allein belebt von Gottes mildem Sinn 
Erſteht er, wird ſich künftig fingend wehren; 
Und diefe Fee u. f. w. 


Die Freuden, die die Jugend froh umhuͤllen, 
Erwedt fein Saitenfpiel, in Duntelbeit, 


Rien ne predit la gloire d’un Orphee 

A mon berceau, qui n’etait pas de fleurs. 
Mais mon grand-pere accouraut à mes pleurs, 
. Me trouve un jour dans les bras d’une fee. 
Et cette fee, avec de. gais refrains, 

Calmait le cri de mes premiers chagrins. 


Le bon vieillard lui dit, Phme inquiete: 
»A cet enfant quel destin est promis?« 
Elle repond: »Vois-le sous ma bagnette, 
Garcon d’auberge, imprimenr et commis. 
Un coup de foudre ajoute & mes presages, 
Ton fils atteint va perir consume; 

Dieu le regarde, et l’oiseau ranime 
Vole en chantant braver d’autres orages. 
Et puis la fee etc. 


»Tous les plaisire, sylphes de la jeunesse, 
Eveilleront sa lyre au sein des nuils. 





— 110 — — 


Des Armen Dach wird er mit Luſt erfuͤllen, 
Vor Langeweile ſchuͤtzt er Ueppigkeit. — 

Doch was ſind das fuͤr Leiden, die ihn trafen? 
Freiheit und Ehre leiden Untergang, 

Und wie ein armer Fiſcher kommt er bang, 
Und meldet ihren Schiffbruch an im Hafen. 
Allein die Fee mit froher Lieder Scherz, 
Beſchwichtigt bald des Kindes erſten Schmerz. 


Wie, meine Tochter, rief der alte Schneider, 
Gebar mir einen Verſemacher nur? 
Viel beſſer flickt bei Tag und Nacht er Kleider, 
Als Lieder bald verſchollen, ohne Spur. — 
Seh’, ſprach die Fee, gieb Dich zu Ruhe wieder, 
Es. haben größ're Geifter wen’ger Gluͤck; 
Erheitern wird er des Verbannten Blick 
Und Frankreich freuen feine leichten Lieder. 
Und jene Fee u. f. w. 


Truͤb' war ich geftern, finfter meine Lieben, 
Als wiederum ich meine Fee gewahrt, 





An toit du pauyre il repand l’allögresse, 
A Vopulence il sauve des ennuis. 

Mais quel spectacle attriste son langage? 
Tout s’engloutit, et gloire et liberte. 
Comme un pecheur qui rentre epouvante 
D vient au port raconter leur naufrage. « 
Et puis la fee etc. 


Le vieux tailleur s’ecrie: »Et quoi, ma fille 
Ne m’a donne qu’un faiseur de chansons! 
Mieux jour et nuit vaudrait tenir V’aiguille, 
Que faible echo, mourir en de vains sons.« 
Va, dit la fee, & tort tu t’en alarmes, 

De grands talents ont de moins beaux succes. 
Ses chants legers seront chers aux Francais, 
Et du proscrit adouciront les larmes. 

Et puis la fee etc. 

Amis, hier, j’etais faible et morose, 
L’aimable fee apparait a mes yeux, 





=— 11 — 


Die von der Wiege an mir hold geblichen, 

Sie ſprach zu mir: Du ſiehſt Dich ſchon bejahrt. — 

Wie in der Wuͤſte oft ein Bid ericheinet, 

Erinnerung ſich oftmals blicken läßt; 

Die Freunde fammeln fih zu Deinem Zeft, 

Mit ihnen leb' in Jugendluſt vereinet; 

Und dieſe Fee, durch froher Lieder Scherz, 

Befchwichtigt bald des Kindes erften Schmerz. 

Zu den bier gegebenen Notizen, daß er zu Paris am 

19. Auguſt 1780 geboren, daß fein Großvater ein Schneider, 
er ſelbſt Aufwärter in einem, wahrfcheinlich feiner Mutter zus 
gehörenden Wirthshauſe geweſen, von einem Blitzſchlag in feis 
ner Jugend getroffen, dann Buchdruderlehrling und endlich 
Commis geworden, find nur wenige Züge hinzuzufügen, um 
fein befcheidened und einfaches Leben zu fchifdern. Die erften 
Bücher, welche er geleien, waren nach feiner eigenen Aus⸗ 
fage, die Bibel und eine Weberfegung des Homer, fie machs 
ten die ganze Bibliothet des Wirthshauſes aus, und es läßt 
ſich denfen, wie mächtig der Einfluß biefer Lecture auf ein fo 
poetifches Gemüth gewefen feyn muß. In der Druckerwerk⸗ 
flatt machte er fernere Studien, d. h. er Iernte die Regeln 
feiner Mutterfprache und ihres Versbaues kennen — weiter 
feheint fich jedoch feine Sprachkunde nicht, auszudehnen, auch 
erfreut er fich nicht eben großer Beleſenheit; defto tiefer find 
aber feine Studien des menfchlichen Lebens und Herzens; 
hier zeigt er eine Kenntniß, in welcher ihm nur Wenige gleich 
fommen. 


Ses doigts distraits effeuillaient une rose, 
Elle me dit: »Tu te vois dejäa vicux. 

: Tel qu’ aux deserts parfois brille un mirage, 
Aux coeurs vieillis s’offre un doux souvenir, 
Pour te feter tes amis vont s’unir; 

Longtemps pres d’eux revis dans un autre äge.« 
Et puis la fee, avec de gais refrains, 
Calmait le cri de mes premiers chagrins. 


— 112 — 


Als Commid in einem Bureau öffentlicher Verwaltung 
fand er Muffe, einige jener Chanfond zu verfaffen, die ſeitdem 
fo berühmt wurden. Er hatte die Gewohnheit, fie feinen 
Freunden vorzufingen, und diefe wußten die hübfchen Couplets 
rafch zu verbreiten. Vorzüglich waren ed zwei Xieder le Se- 
nateur und le Roı d’Yvetot, welche den Dichter bald zu 
einem Liebling feiner Nation machten; ja Napoleon ſelbſt fol 
über dad Letztere, das einen fehr kecken aber witigen Angriff 
auf ihm enthielt, herzlich gelacht haben. Lucian Buonaparte’s 
Aufmerkſamkeit wurde ebenfalls dadurch gewedt, er nahm fich 
wohlwollend des jungen talentvollen Sängerd an, der feine 
Güte dankbar erwiederte, und als Lucian fich in die felbft ges 
wählte Verbannung zurücdzog, feine Gefühle, durch eine, ei⸗ 
ner Sammlung von Schäfergedichten vorgefeßte ‚Widmung, 
Öffentlich  auszufprechen wünfchtee — Die Cenſur vereitelte 
died Vorhaben, und die Idyllen find bis auf den heutigen 
Tag ungedruct geblieben. — Als Napoleon geftürzt wurde, 
fchwieg Beranger; er fah den Kaifer eben fo ruhig während 
der hundert Tage wiederkehren, und ſchlug den Antrag zu eis 
ner Senforftelle, der feinem freien Sinne ein Greuel war, auf 
dad Entfchiedenfte ad. — Im Jahre 1815, zur Zeit als bie 
Allürten in Paris waren, ließ er fich bewegen, eine Eleine 
Sammlung feiner Chanfons herauszugeben. — Der Beifall, 
den fie fanden, war ungeheuer und ermunterte ihn zu neuen 
Verſuchen. Die politifchen MWetterfahnen, fo wie die jefuiti- 
fehen Umtriebe, welche fich damals in Frankreich zeigten, reiz- 
ten feine Satyre, und bald ward die Geißel, die er fchwang, 
die fchlimmfle von Allen für die Freunde der Finfterniß, denn 
jede einzelne Senne derjelben traf aufs Blut. Die Regierung 
wurde argwöhnifch und nahm ihm feine Anftellung; das aber 
vergrößerte feinen Litterärifchen Ruhm um das Zehnfache, denn 
er ward jeßt als Märtyrer und fen Schickſal ald Angelegen= 
heit der Nation betrachtet. Diele Befreundete fammelten fich 
um ihn, und von einer neuen Auflage feiner Gedichte, die ein 
Anhang vermehrte, gingen im Nu zehntaufend Exemplare reis 





113 .—— 


Bend ab. — Das Gouvernement befchloß, den Verfaſſer zu 
verfolgen und das Werk zu unterbrücen, doch bei der Con⸗ 
fiöcation des Ießteren fanden fich nur noch vier unverlauft 
gebliebene Eremplare von der ganzen Auflage vor. De Bes 
ranger wurde jeßt vor Gericht gefordert und wegen vier Arten 
von Vergehen angeklagt: Unfittlichkeit, Schmähung ber 
Religion, Beleidigung der Majeftät und Aufreizung zur Empoͤ⸗ 
rung. — Ganz Frankreich blickte mit Antheil auf den Pro⸗ 
ceß. Vierzehn Lieder *) follten die Anklage unterſtuͤtzen. — 
Die auögezeichnetften Talente nahmen fich feiner Vertheidigung 
an; bie erfte und dritte Befchuldigung wurden vom Gerichtss 
hofe für grundlos, die zweite und vierte für begründet erklärt, 
durch eine Majorität der Jury von fieben ‚Stimmen gegen 
fünf; die Richter aber betrachteten die vierte Beſchuldigung 
für nicht firafbar nach dem Eriminalcoder, und fo wurde der 
Dichter nur wegen der zweiten, d’avoir commis le delit 
d’outrage à la morale publique et religieuse, zu dreimos 
natlichem Gefängniß und einer Geldbuße von 500 Franken 
verurtheilt. 

Beranger’d Triumph war jeßt vollfommen; er erbulbete 
die Gefängnißftrafe und ſchlug alle Unterftügungen feiner 
Sreunde aus Liebe zur Unabhängigkeit aus. — Seit diefer 
Zeit verlebt er feine übrigen Tage in Ruhe, mäßig fich mit 
einer Heinen Leibrente, welche ihm feine Lieder einbrachten, 
begnügend. — Auch in der neueften Epoche hat er alle Ans 
ftellungen abgelehnt und weiter nichts werben wollen, als 
Mitglied des Comite für Polen. 

Ein franzöfifcher Kritiker druͤckt fich folgender Maaßen 
mit großer Wahrheit über Beranger aus: „Jedes echte Ges 


*) Es waren: La Bacchante; Ma Grand-Möre; Margot; Deo gra- 
tas d’un Epicureen; La descente aux Enfers; Les Capucins; 
Les Chantres de Paroisse; Les Missionnaires; Le Bon Dieu; La 

- Mort du Roi Christophe; Le Prince de Nayarre; La Cocarde 
blanche; V’Enrhume ; le vieux drapeau. 


8 





fuͤhl, "jede großmäthige Gefinnung, Wohlwollen, Duldung, 
Achtung vor den Gefegen, wahre Gottesfurcht, zeigen ſich 
eben fo offenbar in feinen Liedern, als fie tiefe Wurzel in ſei⸗ 
nem Herzen ſchlugen; aber Vaterlandsliebe ift diejenige Lei⸗ 
denfchaft, die ihn am glühendften erfüllt, am maͤchtigſten be⸗ 
herrſcht.“ — Ich ſtimme mit ganzer Seele in dieſes Lob 
ein, und mit mir thun es gewiß viele Taufende. — Doch 
fen es mir geftattet, des gefeierten Dichters Eigenthümlichteit 
noch etwas naher zu beftimmen und ausführlicher zu entwickeln. 
Lebendigkeit des Ausdrucks, verbunden mit Fuͤlle und 
Staͤrke der Gedanken, find die Hauptzuͤge von Beranger’s 
Liedern. — Er verſteht es, ſeine bedeutendſten Ideen durch 
die uͤberraſchendſte Biegſamkeit der Sprache verſchoͤnert darzu⸗ 
ſtellen, und ſich ſtets, mag er ſcherzen oder zuͤrnen, wuͤrdig 
und dem Gegenſtande ganz angemeſſen auszudruͤcken. — Was 
feine Satyre noch ſchaͤrfer und treffender macht, iſt der Um: 
fand, daß überall die Behaglichkeit des Verfaſſers heraus: 
gudt, eine Eigenthümlichkeit, durch die er fich alle Herzen 
gewinnt, weil er überall verftändlich redet und mit Jedem in 
feinem Idiom zu fprechen weiß. — Obendrein ift Fein Wort 
überflüffig bei ihm, und hinter manchem anfcheinend unbedeu⸗ 
tenden, ſteckt bei näherer Betrachtung der Schalk weit mehr 
ald man anfänglich glaubte. — Seine Bilder find ſtets ma⸗ 
erifch, feine Wendungen treffend und genau, Furz ed ift eine 
Liebenswuͤrdigkeit durch fein ganzes Weſen verbreitet, wie fich 
deren nur wenige Menfchen erfreuen, und man muß ihm, ob- 
gleich er mitunter wohl, im kecken Uebermuth der Mufe, die 
Schranken ded Anftandes und der feinen Sitte überfchreitet, 
lieb gewinnen, man mag wollen oder nicht. Sein rechtlicher 
Wandel, feine fireng bemwahrte Unabhängigkeit und feine unbe⸗ 
ftechliche Redlichkeit, haben ihm, abgefehen von den glüclichen 
Leiftungen feines reichen Talent's fchon von vorm herein 
die höchfte Achtung erworben. — 
Wie indeffen unter dem Monde Alles feine Schattenfeite 
hat, fo bieten auch feine Lieder manchen Grund zu ſtrengem 





— 15 — 


Tadel dar. — Seine Diction ift mitunter nicht frei von 
Nachlaͤſſigkeiten, und er wird fogar oft trivial, wo er naiv 
ſeyn will, fo daß Mercier's Ausfpruch über einen ausge⸗ 
zeichneten Redner des Convent’d nicht ohne Grund auch auf 
ihn angewendet werden kann: Em voulant ätre populaire, 
il est quelquefois populacier. Weit mehr Rüge. verdient 
jedoch feine Frivolität, die wirklich fehr oft, wie in einem 
Champagnerraufche überfprudelt, und Grundfäte des Epiku⸗ 
säismus zur Schau trägt, welche jedem feineren Gemüthe zu⸗ 
wider ſeyn muͤſſen. Zwar ift ed oft nur eine Maske, die 
der Schalk vorbindet, um befto eindringlicher die Wahrheit zu 
verkuͤnden; da eine folche Larve aber nicht überall unum⸗ 
gänglich nothwendig ift, fo Laßt fie fich keinesweges vertheis 
digen, zumal eine geheime Luſt am Schlüpfrigen doch mit: 
unter zu nackt und dadurch um fo mehr verleßend hervortritt. 

Es ift fchwer zu fagen, welchen von feinen Liedern der 
Preis zukommt, denn jedes ift originell und wenn auch nicht 
durchgängig, doch in Einzelnheiten des Dichterd würdig. Geht 
man auf dad Gefühl, das fie eingab, fo verdienen die pa⸗ 
triotifchen Xieder unbedingt die Krone, und unter diefen vor⸗ 
züglich: Le vieux drapeau; Ma derniere chanson peut- 
&tre; La Cocarde blanche; Le Retour dans la Patrie; 
Les Enfans de la France; Le eing Mai, und wenn «8 
wirffich von ihm ift, Sonvenirs d’un Militaire. — Hoͤchſt 
anziehend find ferner die Lieber, in welchen er feine ganze Ges 
müthlichkeit zeigt, wie 3. B. das bereits mitgetheilte Le Taal- 
leur et la Fee, fo wie ferner Qu’ elle est jolie! Le Dieu 
des bonnes gens; La bonne Vieille, aber troß dem ein- 
zelnen Aufzählen,, Zönnte ich doch am Ende "dad ganze Ins 
haltöverzeichniß ausgezogen haben, und fo fchließe ich denn 
diefen Abfchnitt über Beranger, indem ich Sie nur noch auf 
feine neueften Lieder, welche ihm die Xheilnahme an dem 
Schickſal der Polen eingab, aufmerkſam mache, von denen 
die Chanſon „Poniatowsky“ unübertreffliche ‚Schönheiten 
enthält, und Ihnen folgende drei: Chanſons mittheile. 

8* 





— 1160 — 
Wie reizend ift fiel *) 


O großer Gott, wie reizend iſt fie, 

Sie, die ich ewig lieben muß; 

Die füge Schwermuth ihrer Augen 
Bringt Träume ftets von Gluͤck und Kuß. 
Mit feinem fchönften Lebenshauche 
Beſeelte fie der Himmel noch, 

D großer Gott, wie reizend ift fie, 

Und ich, wie häßlic bin ich doch! 


O großer Gott, wie reizend ift fie, 
Sie, die Faum zwanzig Sommer alt; 
Die Lippen eben aufgeblühet, 

Das Haar, das blond hernieder wat: 
Durch taufend Gaben noch verſchoͤnet, 
Kennt ſie kaum ihren Liebreiz noch, 

O großer Gott, wie reizend iſt ſie, 
Und ich, wie haͤßlich bin ich doch! 


) Qu’elle est jolie! 


Air: 

‚Grands dieux! combien elle est jolie, 
Celle que j’aimerai toujours! 

Dans leur douce melancolic 

Ses yeux font rever aux amours. 

Du plus beau souflle de la vie 

A V’animer le ciel se plait. 

Grands dieux! combien elle est jolie! 
Et moi, je suis, je suis si laid! 


Grands dieux! combien elle est jolie! 
Elle compte au plus vingt printemps. 
Sa bouche est fraiche epanouie; 

Ses cheveux sont blonds et flottans. 
Par mille talens embellie, 

Seule elle ignore ce quelle est. 
Grands dieux! efc. 





— 17 — 


O großer Gott, wie reizend iſt fie 
Und liebt mic) dennody wahr und warm. 
Wie fange trug ich Neid im Kerzen, 
Weil ih an allem Schönen arm, 
Eh' fie das Leben mir verherrlicht, 

Floh immer mich die Liebe noch, 
D großer Gott, wie reizend iſt fie, 

Und ich, wie häßlich Bin ich doch. 


O großer Gott, wie reizend iſt fie, 

Da nichts mir ihre Treue raubt; 

Der Kranz, den fie für mich gewunden, 
Schmuͤckt mein ſchon früh ergrautes Haupt. 
Ahr Schleier, die ihr fie verhüllet, 
O ſinket! gänzlich ſieg ih noch; 
D großer Sort, wie veigend if fie, 
Und ich Hin, ach! fo haͤßlich dach. 


Grands dienx! combien elle est jolie! 
Et cependant j'en suis aimf. 

Jai dü long-temps porter envie 

Aux traits dont le sexe est charıne. 
Avant quelle enchantät ma vie, 
Devant moi l’amour s’envolait. 
Grands dieux! etc. 


Grands dieux! combien elle est jolie? 

Et pour moi ses feux sont constans. 

La guirlande qu’elle a cueillie 

Ceint mon front chauve avant trente ans. 
Voiles qui parez mon amie, 

Tombez: mon triomphe est complet. 
Grands dieux! combien elle est jolie! - 
Et moi, je suis, je suis si laid! 


m. 


— 118 — 
Mein Beruf.) 


Auf diefen Ball gefchleubert, 
Haͤßlich, voll Leid und bloß, 
Erſtickte mid) die Menge, 

Nur weil ich juft nicht groß. 
In tief betrübten Worten 
Ting ich zu lagen an; 

Der liebe Gott ſprach: Singe, 
Singe, Du Heiner Mann. 


Voruͤberrollend fprigt mich 

Des Reichthum's Fuhrwerk voll; 
Verlangt, daß Teine Laune 

Ich ruhig tragen fol. 

Vor ihrem Uebermuthe 

Uns nichts bewahren Tann. 

Der liebe Gott fpricht: 

Singe, mein Eleiner Mann. 


‘) Ma Vocation. 


dir: Attendez - moi sous Torme. 
Jete sur cette boule, 

Laid, chetif et souffrant ; 

Etouffe dans la foule, 

Faute d’ötre assez grand; 

Une plainte touchante 

De ma bouche sortit; 

Le bon Dieu me dit: Chante, 
Chante, pauvre petit! 


Le char de l’opulence. 
M’eclabousse en passant ; 
‚J’eprouve linsolence 

Du riche et du puissant; 

De leur morgue tranchante 
Rien ne vous garantit. 

Le bon Dieu me dit: Chante, 
Chante, pauvre petit! 


—— 119 — 


Bor ungewiſſem Leben 

War Furcht mir angeflammt; 
Nun fehlepp’ ich an der Kette 
Von ganz befheid'nem Amt. 
Will Freiheit mich begeiftern, 
Dringt Hunger wild heran. 
Der liebe Gott fpricht: Singe, 
Singe, mein Heiner Mann. 


In meinem Mangel brachte 
Die Liebe fühen Lohn, 
Allein auch mit der Jugend 
Iſt fie gar bald entfloh'n. 
Bei ruͤhrend Holden Zügen 
Quaͤlt ſich mein Herz und dann — 
Der liebe Sott fpriht: Singe, 
Singe, mein kleiner Mann. 


Geſang ift doch hienieden 
Mein einziger Beruf; 


D’une vie incertaine 

Ayant eu de l’effroi, 

Je rampe sous la chaine, 

Du plus modique cmploi. 

La liberte m’enchante; 

Mais j’ai grand appett. 

Le bon Dieu me dit: Chante, 
Chante, pauvre petit! 


L’Amour, dans ma detresse, 
Daigna me consoler; 

Mais avec la jeunesse 

Je le vois s’envoler. 

Pres de beaute touchante 
Mon coeur en vain päfit.. 
Le bon Dieu me dit: Chante, 
Chante, pauyre pefit! 


Chanter, ou je m’abuse 
Est ma täche ici-bas. 








—— 120 
Mid) muͤſſen Alle lieben, 
Denen ich Freude fhuf. — 
Am trauten Freundeskreife, 
Spricht reiner Wein mid an: 
Der liebe Gott fagt: Singe, 
Singe, mein Kleiner Mann. 


An meine Freunde, die Minifter geworben. *) 


Mein, meine Freunde, nein, ich will nichts werden, 
Verfireuet Ehren, Titel, anderswo, 

Gott ſchuf mich für: die Höfe nicht auf Erden, 

Mich, der ich ſtets der Kön’ge Lockung floh..— 

Was brauch’ ich denn? ein ſchmuckes ſchlankes Liebchen, 
Des Schwagens Luft zur Würze des Gerichts, 

Als Gott mich ſchuf, da ſprach er zu dem Buͤbchen, 
Die Wiege fegnend: Soͤhnchen, werde Nichts, 





Toux ceux qu’ainsi j’amuse 
Ne m’aimeront- ils pas? 
Quand un cercle m’enchante, 
Quand le vin divertit, 

Le bon Dieu me dit: Chaute, 
Chante, pauvre petit! 


) A mes amis devenus ministres. 


Non, mes amis, non je ne veux rien £tre; 
Semez ailleurs places, titres et croix. 

Non, pour les cours Dieu ne m’a pas fait naitre: 
Oiseau craintif, je fuis la glu des rois. 

Que me faut-il? maitresse & fine taille, 

Petit repas et joyeux entretien. 

De mon berceau pres de benir la paille, 

En me creant, Dieu m’a dit: Ne sois rien. 





— 121 


Ein glänzend Loos, mir wär’ es ungelegen, 

Denn von verlor'ner Zeit leb ih in Ruh’ 

Und ward mir unverhofft ein Bishen Segen, 
Sprach ich ganz leife: das kommt mir nicht zu. 
Denn welcher arme Handwerksmann hienieden 
Wär’, gegen mich, nicht größeren Gewichts. 

Sin meinem Schnappfad wühl ich d'rum in Frieden, 
Denn Sott, als mich er fhuf, ſprach: Werde nichts. 


Zum Himmel trug empor mid einft Entzuͤcken, 
Und als mein Auge auf die Erde irrt, 

Wie haben fich derzeit vor meinen Blicken 

Die ftreng gefchiebnen Stände doch verwirrt. 

Sch Höre Lärm. Iſt's Lärm des Heldenthumes? 
Ein Name tönt — doch ich verftehe Nichts; 

Ihr Sroßen friehend auf der Bahn des Nuhmes, 
As Sort mi ſchuf, da Iprach er: Werde Nichte. 


Doc wiſſet Ihr, des Königreichs Piloten, 
Ich ehre Hoch den tugendhaften Mann, 





‚ Un sort brillant serait chose importune 
Pour moi, rimeur, qui vis de tems perdu. 
M’est-il tomb& des miettes de fortune, 
Tout bas je dis: ee pain ne m’est pas dü. 
Quel Artisan, pauvre, helas! quoi qu'il fasse, 
N’a plus que moi, droit à ee pen de bien? 
Sans trop rougir fouillons dans ma besace. 
En me creant, Dieu m’a dit: Ne sois rien. 


Au ciel, un jour, une extase profonde 
Vient me ravir, et je regarde en bas: 

De la mon ocil confond dans notre monde 
Rois et sujets, generaux et soldats; 

' Un bruit m’arrive: est-ce un bruit de victoire? 
On crie un nom; je ne P’entends pas bien. 
Grands dont la bas je vois ramper la gloire, 
En me creant, Dieu m’a dit: Ne sois rien. 


Sachez pourtant, pilotes du royaume, 
Combien j’admire un homme de vertu, 





— 122 — 


Der, wie auc rings die wilden Stürme drohten, , 
Sich Eräftig nimmt des Steuerruders an. 

Gluͤck auf die Reife! ruf! ich fern am Lande, 

Und ein Gebet, mein Mund voll Ruͤhrung fpricht's: 
Allein im Sonnenſchein fchlaf' ih am Strande, 
Denn Gott, als er mich ſchuf, ſprach: Werde nichts. 


Ihr werdet ohne Zweifel ſchoͤn begraben, 

Sm Strafe wartet mein die Gruft bei Seit’, 

Ich werde keinen Leichenzug einft haben, 

Euch giebt ein Volk in tiefem Sram Geleit. — 
Man eilt umfonft hin, wo Euer Stern gefallen, 
Und wo wir fchlummern, thut dann weiter nichtg, 
Ein Grab, das iſt der Unterfchied von Allen, 

Als Sott mich fehuf, da ſprach er: Werde Nichts 


Erlaubt, daß ich mich ftill von binnen führe, 
Begruͤßen mußt! ich Eure Groͤße doch. — 


Qui regrettant son hötel ou son chaume, 

Monte au vaisseau par tous les vents battu; 

De loin, ma voix lui crie: heureux voyage! 

Priant de coeur pour tout grand citoyen; 

Mais au soleil je m’endors sur la plage. 

En me creant, Dieu m’a dit:. Ne sois rien. 
J ⸗ 

Votre tombeau sera pompeux sans doute; 

J’aurais, sous l’herbe, une fosse à l’ecart: 

Un peuple en dcuil vous fait cortege en route; 

Du pauvre, moi, j’attends le corbillard. 

Envain l’on court oü votre etoile tombe: 

Qu’ importe alors votre gite ou le mien? 

La difference est toujours une tombe. 

En me ereant, Dieu m’a dit: Ne sois rien. 


De ce palais souffrez donc que je sorte: 
A vos grandeurs je devais un salat. 





— 123 


Lebt wohl, Ihr Freunde, ich ließ an der Thuͤre 

Die Holzpantoffeln und die Laute noch. — 

Sin dem Pallafte mit Euch eingelaffen, 

Wird Euch die Freiheit Stäge voll Gewichts. 

Sch finge Ihre Wohlthat auf den Saffen: 

Denn Sott, als mid, er ſchuf, fprach: Werde nichts. 





Amis, adieu. Nai derriere ia porte 

Laisse tantöt mes sabots et men luth. 

Sous ces lambris avec vous accourue 

La liberte s’offre & vous pour soulien; 

Je vais chanter ses bienfaits dans la rue; 
En me creant, Dieu m’a dit: Ne sois rien. 





Fuͤnfte Vorlefung. 


Defaugierd — Deffen Leben. — Characteriftit feiner lyriſchen 
Porfieen., — Zwei Lieder von ihm. — Caſimir Dela: 
vigne — Sein Leben; feine Eigenfchaften als Dichter. — 
Fragment eined Gedichte auf Napvleon’s Einfall in Spanien. — 
Die Meffeniennes. — Seine dramatifchen Leiftungen. — Die 
Echule der Greiſe. — Scene daraus. — Madame Desbor: 
des Valmore. Einige Gedichte derfelben. Kurze Andeu: 
tungen über Merrimede, die Herzogin von Duras, Bal: 
zae, Paul de Kod, Paul Lacroir, Alerander Du: 
mad. — Schluß der Darftellung der neueften franzöfifchen 
Litteratur. 


— 


Neben Beranger wird von den Franzoſen noch Defaugiers 
als ihr vorzüglichfter Liederdichter genannt, doch halt der Letz⸗ 
tere, fo viel Tiebenswärdige Eigenfchaften ihn auch auszeich⸗ 
nen, den Vergleich mit dem Erfteren nicht aus. Seine Lie⸗ 
der find Teicht und gefällig, wigig und glüdlich, aber fie ſtrei⸗ 
fen nur auf der Oberfläche hin und ergegen ohne zu ergreifen. 
An Liebendwürdigkeit und Redlichkeit gab ihr Verfaffer feinem 
genialen Genoffen auf diefer Laufbahn übrigens wenig nach. — 
Marc Antoine : Madelaine Defaugiers, fo lautet 
fein ganzer Name, wurde den 17. November 4772 zu Free 
jus in der Provence geboren, kam, noch Kind, nach Paris 


— 1268 — 


and empfing feine erſte wiſſenſchaftliche Bildung im College 
Mazarin, wo der berühmte Geoffroy fein Lehrer war. Er 
wurde für den Dienft der Kirche beſtimmt, dnberte aber feis 
nen Entfchluß und verfaßte im fiebenzehnten Jahre feines Al: 
ters ein einactiged Lufifpiel in Verfen, das mit vielem Erfolg 
auf dem ‘Theater des Jeunes- Artistes bargeftellt wurde. — 
Die erften Ausbruͤche der Revolution in Frankreich machten 
einen fo trüben Eindrud auf feine jugendliche Seele, daß er 
fein Vaterland verließ und einer feiner Schweſtern, welche eis 
nen Pflanzer auf St. Domingo geheirathet hatte, folgte. Hier 
erwarteten ihn aber eben fo graßliche Scenen als diejenige 
waren, denen er in Frankreich hatte aus dem Wege gehen 
wollen. — Der furchtbare Aufftand der Neger rief alle Weis 
Ben zu. den Waffen; Defaugierd focht in ihren Neihen, wurde 
gefangen und follte erfchoffen werden; doch retteten feine Ju⸗ 
gend und fein freundliches Wefen ihm das Leben. Er ward 
in einen Kerker geworfen, aus dem er glüdlich entfloh, — 
Nach mehrtägigem gefahrvollem Umberirren nahm ihn ein eng- 
fifches Schiff, dad nach Amerifa beftimmt war, auf, aber 
noch am Bord deſſelben befiel ihn eine furchtbare Krankheit, 
die alle Symptome des gelben Fieberd hatte. — Nadt und 
hülflos wurde er am Ufer von New⸗Vork ausgeſetzt; eine mit 
leidige Frau nahm fich feiner an umd verpflegte ihn bis zu 
feiner völligen Genefung, wo er ald Muſiklehrer nach Phila⸗ 
deiphia ging, und endlich 1797 nach Frankreich zurückkehrte. — 
Hier widmete er fich ganz den Mufen; feine Lieder wurden 
mit Beifall aufgenommen, wozu fein liebendwürdiger Characs 
ter nicht wenig beitrug. Er ward im Jahr 1815 Director 
des Vaudenille- Theaters, und ftarb am 9, Auguft 1825, von 
Allen, die ihn Tannten, innig bedauert, in Holge einer ſchmerz⸗ 
haften Operation. — 

Eine Sammlung feiner Lieder und Bedichte hat bie 1827 
die fechfte Auflage erlebt. (Chansons et Poesies diverses de 
M. A. Desangiers. Paris, 1827. — 4 Bde. 80.). — Die 
heiterfte Anficht des Lebens, glänzender Wis, feine Satyre 








— 1% — 


und eine außerft gewandte und angenehme Diction, find die 
Haupteharacterzüge feiner Leiſtungen und offenbaren überall 
die große Liebensmwürdigkeit feines Weſens. — Ihn mit Be⸗ 
ranger zu vergleichen, wäre thöricht, denn Beide haben von 
Haufe aus einen ganz anderen Weg eingeichlagen, aber da, 
wo fie fih auf ihrer Bahn begegnen und eine Strede neben 
einander wandeln, wäre es ſchwer zu entfcheiden, welchen von 
Beiden der Vorzug gebührt. Das fchönfte Denkmal hat ihm 
Charles Nodier gefeßt, indem er feinen Aufſatz über ihn 
(in der Quotidienne) mit folgenden Worten fehließt: Le 
monument de Desaugiers ce sont ses ouvrages. Sinous 
Ini en elevons un jour un autre, je proposerai d’y tra- 
cer eette courte 'inscription: 4- Desaugiers, qui n’eut 
pas d’ennemis. — 

Seine glüclichiten Xieder find: Verse encor; Ma vie 
epicur&enne; la Maniere de vivre cent ans; Ma Fortune 
est faite; Quand on est mort c’est pour long tems; Vi- 
vent les Grisettes; Paris à einq heures du matin; Les 
Passans, und vorzüglich die Iaunigen und originellen Berichte 
des Cadet Buteux. — Bom Raum und von der Zeit be= 
ichranft, erlaube ich mir nur folgende mitzutheilen. 


Die neue Welt.) 


An Laftern reich iſt unfre Erbe, 

Um diefe ausgemerzt zu fehn, 
Schafft eine neue Welt mein Werde, 
Sie Eoftet nur der Tage zehn. 


-*) Le nouveau monde. 


En vices notre globe abonde, ° 
Moi, pour en terminer le cours, 

Je viens de faire un nonveau monde 
(ui ne m’a coütd que dix jours. - 





— 127° 


Ich weiß, daß aus Fanfaronade, 
Die alte fieben Tage braucht; 
Benutzte da man die Decade, 
Sie hätte wahrlich mehr getaugt. 


Das Runde laß ich wahrlich gelten, 

Weil es fo viele Reize beut, 

Allein in Hinſicht auf die Welten, 

Kann ich nicht fagen, daß mich's freut. 
Solch' Stuͤrzen darf Euch gar nicht kraͤnken, 
Wie Ihr es alle Tage ſeht; 

Man muß ſich's als gewoͤhnlich denken, 

In einem Ort, der ſtets ſich dreht. 


Ich will, die Sonnenſtrahlen ſollen 
Talente nur und Tugenden 
Beſcheinen und der Donner rollen 
Nur fuͤr die wirklich Schaͤndlichen. — 
Laͤßt vom Verbrechen ſich umgarnen 
Ein Ungluͤckskind, am Abgrundsrand, 


Je sais que,: par fanfaronnade, 
En sept jours le nötre fut fait: 
Que n’y mettait on la decade, 
DL eüt été meilleur qu’ il n'est. 


J’aime beaucoup les formes rondes; 
Elles nous offrent tant d’appas! 
Mais je pense qu’en fait de mondes, 
Cette rondeur ne convient pas: 

Ne nous etonnons pas des chütes 
Qu’ ici-bas on voit tous les jours; 
DL faut bien s’attendre aux culbutes 
Dans un lieu qui tourne toujours. 


Je veux que le soleil n’eclaire 

Que les talens et les vertus; 

Je ne fais gronder le tonnerre 

Que sur les hommes corrompus; 

Et si dans la fange du crime 
Le malheureux veut se plonger, 





118 — 


So foll ein Blitzſtrahl fhnell es warnen, 
Daß es nah’ dem Verderben ftand. 


Was uns nothwendig ift von Thieren, 
Berforge mir die Menfchheit dann, 
Die andern werd’ ich erftirpiren, 

Da man fie doch nicht brauchen kann. 
Inſecten ſchaden jeden Falles, 

Doch könnt ich wahrlid nimmer ruhn, 
Wollt’ ic in meingm Eifer Alles, 
Was kriecht, fort von der Erde thum. 


Der Wuch'rer fol mehr Seele fchauen, 
Der Leichtfinn mehr Verſtand zumal; 
Nicht fo viel Mundwerk wird den Frauen 
Die Nafe länger dem Gemahl. 

Nicht fo viel Stirn dem, was empiriſch, 
Der Neugier wen’ger Ohr gewiß, 

Nicht fo viel Sal dem, der fatyrifch, 
Dem Neide weniger Gebiß, 





Un eclair au bord de V’abime 
Viendra l’avertir du danger. 


De tout animal necessaire 

Je veux que l’'homme prenne soin, 
Et je debarrasse la terre 

De ceux dont il n’a pas besein. 

Les insectes ne font que nuire, 

Mais j’aurais trop & m’occuper 

Si j’entreprenais de detruire 

Tous les @tres qu’on voit ramper. 


Je donne & l’usurier plus d’äme, 

Et plus de tete & l’etourdi; 

Un peu moins de langue & la femme, 
Un peu plus de nez au mari; 

Moins de front à nos empiriques, 
Moins d’oreilles aux curieux, 

Moins de fiel aux gens satyriques 

Et moins de dents aux envieux, 


— 129 — 


Hab' ich ſo Himmel nun und Erde 
Bewegt mit frohem, heiter'm Sinn, 
Bringt doch die Freude mir mein Werde, 

Daß ich der ew'ge Vater bin. 

Ich fuͤrchte nicht, man werde ſchelten. — 
Fragt Ihr, warum? — Ey ſicherlich, 
Da ich der Vater bin der Welten, 

Hab' ich die ganze Welt fuͤr mich. 


Meine Sufefhlöffer. 9 


Damit mir recht behaglich fey, 

Wuͤnſch' ic mir taufend Thaler Renten, 
Zwei Freunde, (s ift mein Hund dabei) 
Die fie mit mir verzehren könnten. — 
Mit meinem Gut verbände ſich 

Das einer Frau — ich bin fein Prahler, 
D’rum, lieber Gott, erhöre mid 

Und gieb mir jährlid taufend Thaler, 


Pour faire un leger badinage 
Si j’ai remue terre et ciel, 

. J'ai da moins le rare avantage 
De m’£tre fait père eternel; 
Je ne crains pas que l’on me fronde; 
Et voulez - vous saveir pourquoi? 
C'est qu’ etant le pere du monde 
J’aurai tout le monde pour moi. 


*) Mes chateaux en Espagne. 
de voudrais pour mon entretien, 
N’avoir que mille &cus de rente! 
Deux amis, y compris mon chien, 
M’sideraient à manger mon bien 
Que confoudrait avec le mien 
Une douce et jeune parente.. 

. Dieux, pour qu’il ne me mangtie rien 
Donnez - moi mille €cus de rente. 


— 130. — 


Zweitauſend Thaler würden mir 

Nun freilich wohl noch lieber werden, 
Wie waͤr', mit dreißig Jahren hier, 
Das eine große Luft auf Erden. 

Ein Kellerchen mit gutem Wein 
Erfreute Alle, die mid fennten; 
Soll, guter Sott, ich glücklich feyn, 
Sieh mir zweitaufend Thaler Renten. 


Allein man fagt, der junge Slett 

Hat jährlich gar zehntaufend Gulden, 
Fährt in dem fchönften Cabriolet, 

Da kann man wahrlich ſich gedulden. 

Er fingt und tanzt-und trinkt und liebt, 
Und freut ſich — nun das ift erklaͤrlich. — 
Gewiß, der liebe Gott, er giebt 

Mir auch zehntaufend Gulden jährlich. 


Wenn zwanzigtaufend Gulden mein, 
Viel beſſer würd’ mir's doch gefallen; 





J’aimerais pourtant beaucoup mieux 
Avoir deux mille ecus de rente. 

Dans un boudoir delicieux 

Jusqu’a trente ans, quel train joyeux! 
Petite cave de vin vieux 

Me rajeunirait à soixante.... 

Oui, je le sens, pour Etre heureux 
D faut deux mille ecus de rente. 


‘ Mais on dit quc le jeune Armand 
A dix mille livres de rente; 
Dans un cabriolet charmant 
Il se promene mollement; 
Chantant, dansant, buvant, aimant, 
Il charme ainsi sa vie errante.... 
Bornons nous donc decidement 
A dix mille livres de rentec. 


C’est pourtant un bien bel avoir 
Que vingt mille livres de rente; 





131 


Denn id mag gern mit Freunden ſeyn; 
Es wär’ das fchönfte Loos von Allen. 
Die ganze Stadt erfreut ich fehr, 

Mit lauter auserlef'nen Gaben. 

Dreißig bat der dicht an, daher 

Muß ic) doch zwanzigtauſend haben. 


Zwei Mal zehntaufend Thaler zählt 
Mondor, der ganz allein, nicht minder. — 
Im Frühling ſchon bin ic) vermaͤhlt, 

Zehn Jahr — dann hab’ ich dreizehn Kinder, 
Nur ſechzehn Jahr Hat meine Frau, 

Für die die Herrchen noch entbrennten; 
Darum verlang id) ganz genau 

Auch zwanzigtaufend Thaler Renten. 


Doc daß man recht erlangt fein Süd, 
Braucht man wohl hunderttaufend Gulden, 
Dann ſteigt man fchnell im Augenblick, 
Und fürchtet nirgends zu verfchulden. 





Ce lot comblersit mon espoir; 
J’aime beaucoup & recevoir, 

Et tout Paris viendrait me voir : 
D’ailleurs mon voisin en a trente..... 
Or, le moins que je puisse avoir 
C'est vingt mille livres de reute. 


Mais pourquoi Mondor, sans parens, 
A-t-il vingt mille ecus de rente? 

Je me mariersi ce printems; 

Dans dix ans, j’aurai treize enfans, 
Car ma femme n’a que seize ans, 

Et ma femme est, ma foi, charmante. 
A mon tour, enfin, je pretends 

Avoir vingt mille ecus de rente. 


Mais rien n’est tel pour vous lancer _ 
Que cent mille livres de rente. 
Comme cela vous fait percer | 

Vous &tes certain de passer 





— 132 — 


Dann wird man witzig und gelehrt, 
Erſcheinet groß und nirgends ſpaͤrlich, 
D'rum hat das Leben mir.nur Werth, 
Mit Hunderttaufend Gulden jährlich. 


Doch die ſelbſt reihen noch nicht. hin, 
In Thaler möcht‘ ich fie verwandeln, 
Wie würd’ ic dann mit frohem Sinn 
An Euch, Ahr lieben Freunde, handeln. 
Stets off'ne Tafel, guter Wein, 

Und immer ic für Euch Bezahler; 

D denkt, wie herrlich muͤßt' es feyn, 
Jaͤhrlich nur hunderttauſend Thaler. 


% 


Es ift eine merkwürdige Erfcheinung, daß neben diefen 
beiden zuleßt erwähnten, auögezeichneten Geiftern, Fein Dich: 
ter in der neueften Zeit fich bei den Franzoſen fo populair zu 
machen wußte, ald Cafimir Delavigne, der von beiden Par- 
theien in ber Kitteratur gleich fehr geſchaͤtzt, fich immer den 
firengen Regeln der Schule unterwarf, und jenen Aufwand 
der Productisität der Phantafie, welchen unſere überrheinis 


Pour mieux Ecrire et mieux penser 

Que tous les savans qu’on nous vante.... 
Je ne puis donc pas me passer 

De cent mille livres de rente. 


A present me voilä jaloux 
D’avoir cent mille ecus de rente: 
Si je les avais, entre nous, 

Ce scrait pour vous loger tous, 
Et tenir au milieu de vous 

Table splendide et permanente.... 
Jugez donc s’il me serait doux 
D’avoir cent mille ecus de rente. 


— 133 — 


fchen Nachbaren jet von poesifchen Werken fordern, vorzuͤg⸗ 
Tich in feinen dDramatifchen Werfen, felten, faft nie zu beftrcis 
ten weiß. — Und doch Löft fich Died anfcheinende Raͤthſel 
mit wenigen Worten: Caſimir Delavigne befigt das gewands 
tefte und gefälligfte Talent, ed Allen recht zu machen, wie 
Fein Dichter vor ihm. Er fehafft faft nirgends, er ſchildert 
nur, was er beobachtet hat, aber er beobachtet genau und 
ſchildert in einer bluͤhenden und glanzenden, felten ergreifenden, 
doch immer paffenden und gefügigen Sprache, und fo weiß 
er, felbft oberflächlich, die oberflächliche Menge leicht für fich 
einzunehmen, indem er ſtets nur den Spiegel vom Meere des 
Lebens nit feinen aͤußeren Erfcheinungen, nie aber deffen in⸗ 
nerfie Tiefe, mit ihrem Reichthum und ihren Ungeheuern aufs 
faßt und darftellt. Eine kurze Entwidelung feined Lebens und 
feiner Leiftungen wird diefe Anficht deutlicher machen. 


Cafimir Delavigne erblidte das Kicht der Welt zu Havre 
de Grace im Jahre 1793. Er machte feine Studien zu Pas 
ris und zeichnete fich fehon früh aus durch eine Dithyrambe 
auf die Geburt des Königs von Rom. Als er fpater in die 
Melt trat, befang er die Unglüdsfülle, welche fein Vaterland 
trafen, in eigenthümlichen Elegieen, Messeniennes genannt, 
die von der Menge mit großem Beifall aufgenommen wurden 
und ihm den Ruf eines Volksdichters erwarben. Ein 1819 
auf dem Second Theätre francais aufgeführtes Trauerſpiel 
(les Vepres Sieiliennes) befeftigte feinen Ruf; diefem Stüde 
folgte in Sahresfrift ein gelungenes Luftfpiel: Les Comediens. 
Dann erfchien 1821 ein neued Zrauerfpiel Le Paria und ends 
ich 1823 feine befte Komödie L’ecole des vieillards, vie 
auch auf deutfchen Bühnen mit Beifall gefehen wurde. — 
Sein neuefted Trauerfpiel Marino Faliero hat dagegen nicht 
fo großes Glüct gemacht. — Neue Messeniennes und an- 
dere Gedichte, welche er dazwiſchen der Deffentlichkeit über: 
gab, wurden gern und viel gelefen. — Als er während die⸗ 
fer Befchäftigungen feine Anftellung im Staatödienfte um feis 


— 134 — 


ner politifchen Gefinnungen willen verloren hatte, ernannte 
ihn der damalige Herzog von Orleans zu feinem Bibliothekar. 
— Später wurde er einflimmig, ein feltener Fall, zum Mit 
gliede der Akademie erwaͤhlt. — In den neueften Begeben- 
heiten verftummte feine Mufe nicht. — 


Die Hauptzüge feines poetifchen Characterd find außerors 
dentliche Biegfamkeit des Talent's, große Gewandtheit der 
Sprache, glüclicher Wechſel der Bilder, Correctheit und Ele⸗ 
ganz. Seine blühende, doch ſtets das rechte Maaß haftende 
Dietion fehmeichelt fich durch ihre Anmuth und Fülle Leicht 
bei dem Lefer ein. — Dagegen leiden faft alle feine Werke 
an folgenden großen Mängeln; es fehlt ihm namlich an Tiefe 
der Empfindung, an Pracifion der Gedanken, und fehr oft, 
aus übergroßem Streben nach Eleganz, an innerer Kraft; 
kurz er hat mehr Talent ald Genie. — 


Seine Meffeniennes find voll von vortrefflichen Gefinnun: 
gen und vorzüglich] verfificirt, aber man vermißt hier Kürze 
und Energie, und fie reißen nie den Lefer mit fich fort; feine 
Feder ift ſtets zu fein gefchnitten, bemerkt ein englifcher Kri⸗ 
tifer fehr pafiend von ihm. Sie find daher, wie auch feine 
übrigen Gedichte, reicher an vhetorifcher als an poetifcher 
Schönheit. — Nicht alle Meffeniennes behandeln Frankreich, 
mehrere, vorzüglich die fpäteren, berühren die Intereffen ber 
Zeit in anderen Ländern. Die gefühloolifte möchte wohl die 
Elegie auf das Leichenbegängniß des General Foy feyn, aber 
man hört auch hier wie überall, den declamirenden Franzofen 
zu fehr heraus. — Sch Iaffe eine’ Probe feiner Art und 
Weiſe folgen. | 


— 1353 — 


\ 


Fragment 
eines Gedichtes auf den Einfall Napoleon's in Spanien. *) 


Seht diefen Kranken, dem in Fiebergluthen, 
Im trüben Schlummer, zeigt ein wäfter Traum 
Den Doldy auf ihn gezuͤckt, die Arme ſtrecken, 
Um feine Mörder Eräftig zu ergreifen, 
Auffpringend von dem heißen Lagerbett: 

So fhättelt Spanien in legten Stunden 
Den Schlummer flarrer Agonie von ſich, 
Und riß fi los aus feinem Grunde, 
Um zu zertreten fremde Zwingherrſchaft. 


Der Eid, es ift der Eid, def finft'rer Schatten 
Sein Maufoleum furengt, 
Schmerz auf der Stirn, und in ber Hand das Schwerdt, 
Erfcheinet er vor Zorn und Schande zitternd, 
Wie an dem Tag, da er den Grafen fluchend 


)Fragment 
sur 


Vinvasion de !’Espagne par Napoldon, en 4810. 


.u 8 oo 6 


Dans le morne sommeil d’une fiövre accablante, 
S’il reve qu’un poignard se löve sur son sein, 
Voyez ce moribond, fort de son é pouvante, 
Päle et les bras tendus pour saisir l’assassin, 
-  S’elancer frissonnant de sa couche brülante : 
" Ainsi la faible Espagne, à scs derniers momens, 

Scoouant le sommeil d’une lente agonie, 

Pour ecraser la tyrannie 

S’arracha de ses fondemens. 


Le Cid! voila le Cid, dont l’ombre desolee, 
Brisant son "mausolee, 
Parait, le glaive en main, la douleur sur le front: 
Il £remit, le heros, de colöre et de honte, 
Comme au jour ou, cherchant le comte, 


6% 





— 137 — 


Don Urgel's Mauern bis zu dem Alhambra, 
Erwachten die erflarrten Stämme plöglich. 
Euch wird die Kugel der Guerilla's treffen, 
Der Mörder wird end; mit dem Dolch verfolgen, 
Hoch auf dem Gipfel von Afturien’s Bergen 
Wie in den tiefen Schlünden der Sierra. 


Die Tage find nicht mehr, wo Euch bie Künfte 
zum Führer wählten, in die Wüften folgten 
Den Schritten des Sultan’s Gerecht, Soldarm’s, *) 
Sie find nicht mehr des Ruhm's, der Freiheit Tage, 
Die Ihr für immer heiligtet, als Frankreich 
Die dürren Furchen tränkte mit dem Blut, 
Mit dem einft Kellermann den Sieg benetzte. 





*) Beinamen, welche die Uraber den Generalen Defaiz nnd 
Kleber gaben. 


»Des montagnes d’Urgel aux murs de P’Alhamhra, 
»Pelage a röveill& nos tribus assoupies. 
»Da guerillas fuyant le plomb vous atteindra, 
»Son stylet dans la main le meurtre vous suirra 
»Sur la crete des Asturies, 
»Dans les gorges de la Sierra.... 


»Ils ne sont plus les jours oh, vous prenant pour guides, 
»Les arts, d’un heroigue emor, 
»Suivaient en comhatiant dans des deserts arides 
»Les pas de sultan Juste et de sultan Bras d’Or. *) 
»Ils ne sont plus ces jours de libertö, de gleire, 
»Jours sauvears, ct par vous à jamais Comsacres, 
»‚Oü la France abreuyait ses sillons alteres 
‚Du sang dont Kellermann arrosait sa victoire, 


ME GE > 


*) Surnoms donnes par les Arabes à Desaix et à Kleber. 





— 138: 


Beklagenswerthe Trümmer großer TIhaten, 
In unferem Sand verliert Ihr jest das Leste 
Was Euch die Kugel ließ. — Zuräd ihr Banner, 
Doch nein zum Angriff fchmettert die Drommete, 
Und Ihr gehorht — Sieger von Valmy, weint, 
D weint ber Pyramiden Sieger Ihr. — 

Unter feinen dramatifchen Arbeiten erfcheint die Schule 
der Greife wohl als die gelungenfte. — Folgendes ift ihr 
Inhalt. Danville, ein fechözigiähriger Mann, kommt nach . 
zweimonatlicher Abwefenheit wieder in Paris an; er findet feine 
junge Frau und deren Großmutter in das elegantefte großftäd- 
tifche Treiben verflochten. Ein Duc d'Elmar, der Neffe 
eined Staatöminifterd, macht der jungen Gemahlin auf das 
Angelegentlichfte den Hof. — Danville, unzufrieden mit dem 
ganzen Mefen, eiferfüchtig auf den Herzog, jedoch feiner Frau 
zartlich ergeben, fucht Einhalt zu thun, und erlaubt ihr, nach- 
dem er fich Iange geftraubt hat, aus Schwäche, den Ball 
bei dem Minifter, der an demfelben Abende Statt finden fol, 
zu befuchen. Jetzt will fie ihm an Großmuth nicht nachftehn, 
und befchließt, zu Haufe zu bleiben. — Danville entzüdt 
darüber geht fort, um einige nöthige Gefchäfte zu beforgen, 
und freut fich fehon im Voraus darauf, bei feiner Ruͤckkehr 
mit ihr und feinem alten Freunde Bonnard zu Abend zu efs 
fen. — Während feiner Abwefenheit laͤßt fich Madame Dans 
ville aber von ihrer Großmutter und dem Herzoge überreden, 
und fährt auf den Ball, nachdem fie vorher ihrem Gatten 
ein Billet gefchrieben, worin fie ihm ihren veränderten Ent: 


»Infortunes debris de tant d’exploits passes, 
»Vous allez perdre dans nos sables 
»Les derniers lambeaux venerables 

»Que le boulet vous a laisses. 

»Arriere, etendards intrepides .... 

»Mais non, la charge sonne et vous obeirez. 
»O vainqueurs de Valmy, pleurez! 

»Pleurez, vainqueurs des Pyramides!« 


— 139 — 


ſchluß anzeigt, Danville, zuruͤckgekehrt, voll Eiferfucht dar⸗ 
uͤber, zieht ſich raſch an und folgt ihr auf den Ball, zu dem 
er ebenfalls geladen iſt; umſonſt ſucht er aber dort ſeine wan⸗ 
kelmuͤthige Gattin, die unzufrieden mit ihrem Betragen ſchon 
ſehr bald das Feſt verlaſſen hat und zu Hauſe ihren Gatten 
erwartet. — Da hört ſi ie ploͤtzlich einen Wagen vorfahren, 
eilt an die Thür, in der Hoffnung er fen es und — der Her⸗ 
309 ſteht vor ihr. — Dieſer benußt die Gelegenheit, übers 
reicht ihr zuerft dad Decret über die von ihrem Manne nachs 
gefuchte und demfelben zugetheilte Anftellung, und läßt bare 
auf eine feurige Liebeserklaͤrung folgen. Erzuͤrnt weilt fie 
ihn verächtlich ab, doch erſchreckt über Danville's Ankunft 
verbirgt fie ihn in einem Cabinet, und geht ihrem Gatten an⸗ 
fheinend ruhig entgegen. Diefer aber, der beftimmt weiß, 
daß der Herzog bei ihr war, befragt fie mit Strenge, und 
ihre dadurch entftehende Verwirrung zeigte ihm deutlich, daß 
der Herzog irgendwo verftedt feyn muß. — Er zieht fich in 
fein Zimmer zuruͤck, fie eilt, fich allein befindend, fort, mit 
dem Gedanken, der Herzog könne nun entwilchen, da tritt 
ihr Gemahl plößlich wieder ein und befiehlt dem Herzog, her⸗ 
vorzufommen. Es erfolgt zwilchen den beiden Männern ein 
Mortwechfel und dann eine Herausforderung für den nach 
- ften Tag, der auch zu der beftimmten Stunde Folge geleiftet 
wird. — Der Herzog entwaffnet Danville bei dem Zwei⸗ 
kampfe, und diefer kehrt verbrießlich nach Haufe, wo ihn die 
Gluͤckwuͤnſche feines Freundes und der Großmutter faft wahn⸗ 
finnig machen. — Da tritt feine Gattin ein und befchwich- 
tigt ihm plößlich durch ihre Neue und die Beweiſe ihrer Ans 
ſchuld. — Das Stud endigt nun mit dem Borlefen eines 
Briefes, in welchem fie des Herzogs Anerbieten zuruͤckweiſt 
und mit ihrer Bitte, augenblicklich Paris zu verlaffen, im 
die ihr Gatte mit Freuden einwilligt. 

Wahrſcheinlich trug die gelungene Darftellung diefer Ko= 
mödie, welche in den Annalen der Bühne dadurch unvergeplich 
bleiben wird, daß in ihr Talma zuerft eine Luftfpielörolle uͤber⸗ 


— 14409 7 — 


nahm, zu dem großen Erfolge,. deren fie fich erfreute, bei. Die 
Erfindung ift eigentlich nur fparlich, und der Plan nichts wer 
niger als originell, denn zwei englifche Luſtſpiele, von denen 
das Erftere wenigftend Delavigne nicht fremd war, The school 
for scandal und the country girl haben diefelben Grundzüge. 
— Auch find die Charactere nicht mit voller Wahrheit gefchil: 
vert, fo daß der Zufchauer überzeugt fein koͤnnte, die geaͤußer⸗ 
ten Gefinnungen, vorzüglich gegen den Schluß hin, ſeyen echt, 
und die Moral des Stüdes bleibt zweifelhaft, denn Danvilled 
Gattin fühlt Feine wirkliche Liebe, ift nicht von Leidenfchaft ers 
griffen und die Srage, wie fte fich in folchem Falle benehmen 
würde, ift. noch immer zu löfen. — Das ganze Stüc erfcheint 
demzufolge ald ein Spiegel der Oberfläche des vornehmen Les 
bens und Treibens, und das Intereſſe kann alfo nicht groß 
feyn, da die Tiefen und Untiefen deſſelben hier nicht erforfcht 
und dargeftellt werden. — Der Dialog ift dagegen durchgängig 
fließend und witzig; die Verſe find vortrefflich und die Situa⸗ 
tionen mit Gluͤck angelegt. Uebrigens ift ed nach den ftrengften 
Regeln der Klaffieität wie alle dramatifchen Werke €. Delavigs 
ne’d gefchrieben. — Folgende Scene enthält fehr feine Züge. — 


Erfter Aufzug, zweite Scene. °) 
Danville. Bonnard. Valentin. 
Danville. 

Was haſt Du Valentin? — So finſter? 
Valentin. 
Herr, 
Ich muß Sie ſprechen. (zu Bonnard.) Ihr ergeb'ner Diener. 





*) Act. I. Scene 2. 


Les Prec&dens, Valentin. 


Danville. 
Qu’est-ce donc, Valentin? quel air sombre! 
Valentin. 
Mon maitre, 
J’aurais à vous parler .... (a Bonnard.) Monsieur, j’ai l’honneur d’etre. 


— 141 — 


Danville. 
Der brave Seemann iſt's, mein alter Diener, 
In ſeinem Alter dient man — zum Vergnuͤgen — 
Und ich verlange wenig nur von ihm, 
Mich freuet feine Offenherzigkeit .... 
Was willſt Du? 
Bonnard. 


Deine Güte, Freund, bedarf 
Nicht der Entichuldigung, fpricht doch mit mir 
Auch ohne Rückhalt meine alte Sonne; 
Sie haben Beide ihre Zeit gefüllt. — 
Ein braver Burfche, hat nach langem Dienft, 
Den feine Runzeln attefliten, wie 
Ein alter Krieger, Invalidenrecht. 


Danpville. 
Nun denn, was giebt's? 
Valentin. 
Ich hab's Euch laͤngſt geſagt, 
Daß eines Tags — 
Danville. 


Verwuͤnſcht, das alte Lied. 





Danville. 
C'est ce brave marin, mon ancien serviteur; 
Tu sens biens qu'à son äge il sert .... en amateur; 
J’exige peu de lui, sa franchise m’amuse; ....- 
eux-tu? 
wur Bonnard. | 
Ta bonte n’a pas besoin d’excuse, 
Ma gouvernante & moi me parle sans facon. 
‘ Tous deux ont fait leur tems: un honnete garcon, 
Apres un long service attestE pär ses rides, 
A, comme un. vieux soldat, des droits aux invalides. _ 
Danville., 
Qui tamene? voyons! 
Valentin. 
Je vous l’avais bien dit 
Qu’un jour .... 
Danville. 
De ce refrain le bousreau m’etourdit. 


— 142 — 


Valentin. 
Vor Eurer Ankunft gingen Dinge vor. 

Bonnard. 
Danville, Adieu. 

Danville. 

Nicht doch. — 
Bonnard. 
| Nimm Did in Acht, 

Du giebft Di bloß. — 

Danville. 

Was kann er denn erzählen? — 

Erfläre Dich, berichte was Du weißt. 


Balentin. | 
Nun wohl, zu jung für mic, ift die Madame. 
Danville. 
Bah! | | 
Valentin. 


Gegen meinen Willen, Herr, verzeiht, 
Ritt als Eonrrier ich, weil Ihr es befahle, 
Vor ihrem Wagen ber; man lernt jur See 


| Valentin. 
Avant votre arrivee il s’est passe des choses .... 
Bonnard. 
Adieu, Danville. 
Danville. 
Eh! non. 
Bonnard. 
Prends garde, tu texposes .... 
Danville. 
Que peut-il raconter? va donc, explique -toi: 
Achère. | 
Valentin. 
Eh bien! madame est trop jeune pour moi. 
Danville. 
Oui dä! 
Valentin. 
Contre mon gr&, monsieur, ne vous deplaise, 
Par votre ordre en courrier j’ai proc&de sa chaise. 





— 143 — 


Nicht eben reiten, und fo gut wie's ging, 
Auf einem duͤrren Kiepper mich behelfend, 
War ich, weiß Gott, in einer guten Schule 
Zu lernen, wie den Hals man bricht; Madam 
Lacht' obend’rein bei jedem Seitenfprung, 
als wollt fie närrifch werden, über mid. 
Danville. 
Waͤr'ſt Du geſtuͤrzt, ſie haͤtte Dich beklagt; 
Gewiß. 
Valentin. 
Ein großer Vortheil, wenn ich mir 
Den Tod davon geholt. — Doch einmal hier 
Hab' ich ganz and're Dinge noch zu thun. 
Mich, der ich auf dem Kaperſchiff ergraute, 
Will man, nachdem mit Treſſen ich geſchmuͤckt, 
Zum guten Tone der Lakay'n dreſſiren. 
Das Exercitium iſt wen'ger ſchwer. — 
Gerade, Bruſt heraus, Kopf in die Hoͤh', 
Thu' dies, thu' das! Wie ungeſchickt, wie dumm! 
Und was weiß ich. — Es iſt ein Hoͤllendienſt, 
Ich werde mager drob — und moͤchte lieber 
Von Neuem wieder auf dem Meere kreuzen. 


On n’apprend pas sur mer & monter à cheval. 
Sur une rosse etiquc, assis tant bien que mal, 
.Pour me rompre les os j’etais à bonne Ecole. 
Madame à chaque bond riait comme une folle. 
Danville. 
En te voyant par törre, elle t’eüt plaint beaucoup; 
J’en suis sür. 
Valentin. 
Beau proßit, si j’etais mort du coup! 
Mais une fois ici, j’eus bien d’autres aflaires : 
Vieilli dans la marine & bord de vos corsaires, 
Sous ces galons d’argent qu’on me fit endosser, 
Au bon ton des laquais on voulut me dresser. 
L’exercice est moins dur: tiens-toi; leve la tete; 
Fais ceci, fais cela; maladroit! qu'il est bete! 
Que sais-je? ... j’en maigris: c’est un metier d’enfer, 
Et j’aurais mieux aime dix campagnes sur mer. 








| Bonnard. 
Der arme Menſch. — 
Valentin. 
' Und wegen ihrer Kutfche 
Ward ich gekraͤnkt. — 
Bonnard, | 
Wie, feit der Hochzeit geht man 
Nicht mehr zu Fuß? 
Danville. 
Er traͤumt. 
Valentin. 
Nein, ganz und gar nicht. 
Es ſchafft Madame ſich einen Wagen an 
Und fand fuͤr gut, damit als Seemann ich 
Die Laufbahn ende, hinten auf dem Tritt 
Mid anzubringen, wo. ich aufrecht ſteh'n muß. 


Danville 
Welch’ Leid! 

Bonnard, 
Ce patuvre Valentin! 

Valentin. 


Et pour votre carosse ; 
On m’a fait un aflront. 
Bonnard. 
Comment! depuis la uoee 
Nous n'allons plus à pied! 
Danville. 
. DB rerve. 


Valentin. 
Pas du tout; 
Madame a pris voiture, et trouvait de son goüt, 
Pour me faire en'marin terminer ma carriere, 
De me loger debout sur le gaillard d’arriere. 
Danville. 
Le grand mal! 


— 15 — 


Valentin, 
Da id; den Abfchen nicht beswang, 
So macht' fie mi — 
Danville. 
Wozu? 
Valentin. 
Zu ihrem Laͤufer. 
Bonnard. 
Zum Laͤufer! 
Valentin. 
Flink war ich mit funfzehn Jahren, 
Doc; Läufer werden, wenn bie Beine fehlen! 
Und dies Paris, man muß fich d’rin verlieren, 
Mas ganze Havre, drückt es ſich ein Bischen, 
Hat ficherlih in einem Viertel Platz. 
Und ich, ich laufe d’rin; fo wie das Thor 
Sic, Öffnet, ſchnell, hin in's Palais royal, 
Dann zum Marais, von dort zum Louvre raſch, 
Dom erften Stockwerk Bis dicht unter'm Dach. 
Erft geftern bracht’. ich Unterſtuͤtzung ..... 


Valentin. 
Ne pouvant vaincre ma juste horreur, 
Ne m’a-t-elle pas fait? ... 
Dauville. 
Eh! quoi donc? 
Valentin. 
Son coureur. 
Bonnard. 


‚Son coureur! 


Valentin. 

A quinze ang j’etais des plus ingambes; 
Mais devenir coureur quand on n’a plus de jambes! 
Ce Paris! on s’y perd: le Hävre tout entier, 
En se pressant un peu, fiendrait dans un quartier: 
Et je cours! mais je cours! .... Ds que la porte s’onvre, 
Vite au Palais-Royal, du Marais vite au Louvre, 
Du premier sous les toits! ... Et pas plus tard qu’hier 
J’ai porte des secours ..... 


10. 





— 16 — 


Danville. 
Wie? 
Dich macht's nicht ſtolz, Dich ſolchem Dienſt zu weih'n? 
Valentin. 


Fuͤnf Stockwerk hoch verſteigt ſich nicht mein Stolz. 
Zu Hauſe kaum, hab' ich die Serviette 
Auch ſchon zur Hand. — Diner's, — am andern Tage 
Zehrt man noch d’ran; die muͤſſen ſchrecklich koſten. 
Bonnard. | 
"Ey, Teufel! Du pikirſt Dich, befter Freund, 
Miewohl Du nicht daheim, prachtvolle Fefte 
Zu geben. 
Danville. 
Er iſt nicht bei Troſt, gewiß. 
Valentin. 
Ich weiß ſehr wohl, was ich erzaͤhle, Herr. 
Sie geben jeden Mondtag ein Diner; 
Am Tage vorher große Zubereitung. 
Adien denn Sonntag, mir der liebſte Tag, 
Und eben der wird gänzlich mir geftrichen. 


—— 


Daınville. 
He quoi! tu n’es pas fier 
De consacrer tes pas à de pareils messages? 
Valentin. 
Je ne suis jamais fier de monter ring &tages. 
Puis à peine au logis, j’ai la serviette en main; 
Des diners! ... On en a pour jusqu’au lendemain, 
Ils doivent coüter cher! 
Bonnard. 
Ah! diable! tu te piqnes 
De donner, quoique absent, des festins magnifiques? 
' Danville. 
D a perdu le sens. 
Valentin. 
Je sais ce que je dis: 
Vous donnez & diner, monsieur, tous les lundis; 
La veille grands apprets; adieu notre dimanche! 
Le jour que je prefere est celui qu’on retranche. 


— 147 — 


| Danville. 
Faulpelz! 
Valentin (u Bonnard). 
Sie willen — 
Bonnard 
Du bift Sold werth, ja, 


Doch fchweig’ ! 
chweig Valentin. 


Ich hab’ es wohl geſagt. 
Danville. 


Valentin. 
Daß wenn die Heirath kommt durch eine Thuͤr, 
Vor meinem Tod, hinaus ich muß, zur andern. 


Schon wieder. 


Danville. 

Nun wohl, fo geh'. 
Bonnard. 

Sacht'! — 
Valentin. 
Ja, ich will auch geh'n. 
Danville. 
Paresseux! ..... 


Valentin (& Bonnard). 
Vons savez .... 
. Bonnard. 
Tu vaux ton pesant d’or, 
Je le sais, mais tais-toi. 
Valentin. 
de l’ai bien dit .... 


Danville. 
Encor! 


Valentin. 
Que, si le mariage entre par une porte, 
Par l’autre, avant ma mort, il faudra que je sorte. 
Danville. 
He bien! va-t-cn! 
Bonnard (& Damville). 
Tout doux! 
Valentin. 
Oui, je veux m’en aller. 


10* 


_— 143 — 


Bonnard (su Valentin). 
Nicht doch. — Ihr muͤſſet nur capituliren; 
Es fchweigt der Valentin, und Du erlaudft, 
Daß er hinfort nur Dich allein bedient. 
Danville. 
So mag er bleiben. — 
Valentin. 
Ja, ſo kann's auch geh'n. 
Danville (su Bonnard). 
Ich brauch' ihn nur ein Wenig zu beklagen, 
So nimmt ſich meine Frau auch ſeiner an. 
Valentin. 
Ja, daß ſie gut iſt, geb' ich zu. 
Danville. 
Vortrefflich, 
Vollkommen. — Nun Du wirft fie ſeh'n. — Sie naht. — 
Nun fag’ mir, Bonnard, wie gefällt fie Dir, 
Haͤltſt Du fie nicht für huͤbſch? — 
Bonnard, 


Sehr huͤbſch, ja wohl. 


Bonnard (& Valentin). 
Non pas; voyons, ensemble il faut capituler: 
Valentin se taira, mais consens qu’il demeure, 
Pour ne servir que toi. 
Danville. 
Qu’il reste. 
Valentin. 
A la bonne heure. 
Danville, (& Bonnard.) 
Je n’ai qu’ & dire un mot et qu’ à le plaindre un peu 
Ma femme en sa faveur comme toi prendra feu. 
Valentin. 
Je conviens qu’elle cst bonne. 
Danville. 
Excellente ! accomplie ! 
Elle vient, tu vas voir .... La trouves-tu jolie, 
Hein! Bonnard? 
Bonnard. 
Bien, tres-bien ! 





— 19 — 


Die bisher genannten Dichter koͤnnen fo ziemlich als die 
Reprafentanten der Poefie im jeßigen Frankreich betrachtet 
werben, indem eben fie vom größten Einfluß auf die Geftals 
tung der franzöfifchen Nationallitteratur find. — Es ſey mir 
nur noch geftattet, Sie auf einige andere Talente aufmerkſam 
zu machen, welche unbedingt einen Platz nach jenen unmittels 
‚bar, wenn nicht gar neben ihnen, verdienen. — Sch Tann 
nicht entfcheidend darüber urtheilen, ba eine folche Rangord⸗ 
nung zu fehr Sache des Geſchmacks und Gefühls iſt. — 

Von allen Dichterinnen, welche Frankreich bisher in gro⸗ 
Ber Menge hervorbrachte, feheint mir Teine fo von echtem Ges 
nius befeelt zu feyn, ald Madame Desbordes⸗Valmore. 
Alle ihre Mitfchweitern find mehr oder weniger angelernte Poes 
ten, wie 3. B. Delphine Gay, Madame Amable Taftu, 
Madame Hortenfe de Ceré-Barbé, Madame Ina Mar: 
quife de Serandiere, und wie diefe fehönen Seelen Alle hei⸗ 
Ben mögen; jene aber ift wirklich Dichterin aus Beduͤrfniß des 
Herzend, aus NReichthum der Seele. — Ueber ihr Leben’ und 
ihre Schickſale etwas Näheres zu erfahren, ift mir troß allem 
Bemühen nicht gelungen; ich weiß nur, daß fie zwei Bünde 
Erzählungen unter dem Titel: Les Soirees des Antilles, in 
welchen das Inrifche Element zu fehr vorherrfcht, und zwei 
Sammlungen Gedichte, vorzüglich Elegieen herausgegeben, und 
daß ihr Name einen guten Klang hat in ihrem Vaterlande. — 
Sie lebt, wenn ich nicht irre, in Lyon, hielt fich wenigftens 
längere Zeit dort auf, — Ihre Iprifchen Poefieen verdienen 
weit mehr gekannt zu werden, als fie ed, im Auslande vors 
züglich, find. — Zwar erfcheint fie in den meiften ald eine 
Art Sappho, was, ehe man fie näher Tennt, Fein gutes Vor⸗ 
urtheil für fie erzeugt, denn die Luft zum Gähnen wandelt 
Einen fehr oft unwilltührlich an, wenn von Liebesflagen vers 
laſſener Schönen, die fich Durch den Drud der Deffentlichkeit 
Preis geben, die Rede ift, aber die Tiefe ihrer Empfinduns 
gen, die Wärme ihres Gefühld und die Wahrheit, die fich 
in Beiden offenbart, erwerben ihr fehr bald unfere Neigung. 


— 150 — 


Ihre Gedichte find faft alle ſubjectiv gehalten, d. h. fie ſchil⸗ 
dert nur die Pulsfchläge ihred eigenen Herzens, doch diefe von 
fo vielen Seiten angeregt, daß fie immer nem erfcheint. Ihre 
Sprache ift gluͤhend und tief wie ihre Leidenfchaft, und Das 
äußere Gewand des Verfes, das fie ihren Gedanten umhaͤngt, 
ein wahrer Schmuck, reich an Edelſteinen, die in allen Far: 
ben fpielen. — Im Ganzen hat fie mehr einen nordifchen 
- Character; Sehnfucht, Liebe und Melancholie find die Faden, 
die fich zum Gewebe verfchlingen, aber fie fühlt, denkt und 
liebt fo echt, daß es eine Freude ift, ihr zuzuhören, und Daß 
man nie mübe wird, obgleich fie uns faft beftändig nur von 
demfelben Gegenftande, ihrem Liebeögram, unterhält. — Fols 
gende Probe aus ihren Gedichten wird das hier gefällte Urtheil 
bei Ihnen beftätigen. 


Erinnerung.‘ 


Als eines Abends plöglich er erblaßte, 
Als feine Stimme unverhofft verſtummte 
Im Halbgefproch'nen Wort, als feine Augen 
So brennend heiß, mich ſchwer verwundeten 
Mit Leiden, die ihm eigen, wie id wähnte — 
Als feine Züge, von der Gluth durchflammt, 
Die nimmermehr erlifcht, ſich lebend prägten 
In meiner Seele tiefften,, tiefften Grund, 
Da liebt! er nicht, ich liebte, ich allein. 





) Souvenir. 


Quand il pälit un soir et que sa voix tremblante 
S’eteignit tont A coup dans un mot commenge; 
Quand ses yenx soulevant leur paupiere brülante, 

Me blessörent d’un mal dont je le crus blesse; 
Quand ses traits plus touchants eclaires d’une flamme, 
Qui ne s’eteint jamais, 
S’imprimerent vivants dans le fond de mon äme, 
I n’aimait pas, j’aimais! 








— 151 — 


Häatt’ er’s gewußt. *) 

Haͤtt' er gewußt, wie tief er mic, verwundet, 
Ihr heißen Thränen, hätt! er euch geſeh'n, 
D hätte nur dies Herz, von ihm erfüllet, 
Die Macht behalten, ihm es zu gefteh'n. 
Unmoͤglich hätt" er fo ſich ändern können; 
Getaͤuſchte Hoffnung bracht’ ihm keine Luft: 
So reiche Liebe muͤßt' ihn doch befiegen, 
Haͤtt' er's gewußt. 


Haͤtt' er's gewußt, was man erwarten duͤrfe, 
Von einer Seele, rein, warm, nie verſteckt, 
Die meine fordert' er, es zu erfahren, 

Und Liebe kennt' er, wie er ſie geweckt. 
Wohl kuͤnden ihm es die geſenkten Blicke, 
Hat er es nicht durch meine Schaam gewußt; 
Werth war ein fol’ Geheimniß feiner Seele, 
Haͤtt er's gewußt. 


) S’il P’avait sul 
S’il avait sa quelle Ame il a blessee, 

Larmes da coeur, s’il avait pu vous voir, 
Ah! si ce coeur, trop pleia de sa pensee, 
De Vexprimer eüt gardö le pouvoir, 
Changer ainsi n’eut pas été possible; 
Fier de nourrir l’espoir qu'il a degu, 
A tant d’amour il eüt et6 sensible, 

S’il Pavait su. 


S’l avait su tout ce qu’on peut attendre, 
D’une äme simple, ardente et sans detour, 
Il eüt voulu la mienne pour l’entendre 
Comme il l’inspire, MH eüt connu l’amour. 
Mes yeux baisses recelaient cette flamme, 
Dans leur pudeur n’a-t- il rien apergu? 
Un tel secret valait toute son äme, 

S’il lavait su. 





— 132 


O hätt’ ich felöft gewußt, wie feine Augen 
Beherrfhen, wenn fie einmal faßt der Blick; 
Statt ihn zu fuchen wie die Luft des Himmels, 
In and’re Länder trüg’ ich mein Geſchick. 

Es ift zu fpät, mein Dafeyn zu ernenen, 

Das Leben Eoftet mich die füße Luft. 

Doc) er, der mir es raubt, wird ſeufzend klagen: 
Haͤtt' ich 8 gewußt! 


Ich weiß nihe mehbr.*) 


Ich weiß nicht mehr, was meinen Zorn erregte, 
Er ſprach zu mir — fein ganzes Unrecht floh, 
Sein Auge fleht, ſein Mund ſtrebt zu gefallen. — 
Wohin mein Zorn anni du fchächtern fo? 

Sch weiß nicht mehr. — 


Sch will nicht mehr betrachten, was ich liebe, | 
Denn lächelt er, vergeblich wird mein Schmerz. 


Si j’avais su, moi- meme, & quel empire 
On s’abandonne en regardant ses yeux, 
Sans le chercher comme l’air.qu’on respire, 
J’aurais porte mes jours sous d’autres cieux. 
Il est trop tard pour renouer ma vie, | 
Ma vie ötait un doux espoir decn: 

Diras-tu pas, toi qui me l’as ravie, 
Si j’avais su! 


) Je ne sais plus, je ne veux plus. 


Je ne sais plus d’oü naissait ma colöre; 
Il a parle.... Ses torts sons disparus, 
Ses yeux priaient, sa bouche voulait plaire; 
Oü fuyais-tu ma timide colere? 
Je ne sais plus. 


Je ne veux plus regarder ce que j’aime; 
. Des qu'il sourit, tous mes pleurs sont perdus: 


— 13 — 


Er zwingt durch Himmelsſanftmuth mich zur Liebe 
Und thut er's nicht, ſo thut's das eig'ne Herz. 
Ich will's nicht mehr. 


Ich kann ihm nicht entfliehen, wenn er ferne 
Und mein Geluͤbde iſt umſonſt, ich blieb, 
Als er zugegen, hindernd daß er's lerne. — 
Doch fern von ihm ſeyn, der allein mir lieb, 
Ich kann's nicht mehr. 





Des Contraſtes wegen, moͤgen hier einige Worte uͤber 
den groͤßten Schalk folgen, der je in den Gebieten der Poeſie 
herumſtreift, und ſeine Luſt darein ſetzt, ſchaffend zu zerſtoͤren. — 
Er heißt Merrimée, iſt eine Art von poetiſchem Mephiſto⸗ 
pheled und hat feine Freude daran, die Leute zu myſtificiren, 
was ihm auch felten mißlingt, da er e& mit vieler Gewandt⸗ 
heit, Weltfiugheit und Phantafie bewerkftelligt, — Dabei 
weiß Keiner beffer ald er, was Noth thut im Leben, wie in’ 
der Dichtkunft, und jo hat Alles was er bringt, zwiefachen 
Gewinn für Jeden, der ed fich anzueignen weiß: das Wohl⸗ 
gefallen am Gelungenen und die Freude, durch eigenen Scharfs 
finn Hinter feine Schliche und Abfichten zu kommen. Sin al 
Ien feinen Reiftungen ift fo viel natürlicher Verſtand, fo viel 
echter fchlagender Wi, neben einem fo reichen Vorrath von 
Phantafie und Tiefe der Empfindungen, daß man ihn fehr 
ba Tieb gewinnen muß, jobald man nur einigermaßen mit 
ihm bekannt wird. Sein vorzüglichftes Werk, mit welchem 


En vain par force on par douceur supr&me, 
L’amour et Jui veulent encor que j’aime. 
Je ne veux plus. 


Je ne sais plus le fuir en son absence, 
Tous mes sermens alors sont superflus. 
Sans me trahir j’ai brav& sa presence; 
Mais sans mourir supporter son absence, 

Je ne sais plus! 


— 


154 .— 


er lange das Publitum bei der Nafe ‚herumführte, ift das 
Theatre de Clara Gazul, Comedienne Espagnole; Komoͤ⸗ 
dien in ber Urt der fpanifchen Zwifchenfpiele, angeblich von 
einer freifinnigen ſpaniſchen Schaufpielerin verfaßt; kurze, keck 
bingeworfene Skizzen, aber mit einer Kraft und Wahrheit und 
mit einer Verachtung alles Prunfes, wie man ed in unferen 
überladenen und manierirten Zeiten nicht leicht, vorzüglich nicht 
bei unferen überrheinifchen Nachbaren findet. — Er bat fich 
in denſelben aller Eigenthümlichkeit der fpanifchen Lebensanfich- 
ten bemächtigt, und behandelt und geißelt die Gebrechen der 
gefellfchaftlichen Verhältniffe auf eine faft verwegene Art, aber 
es lebt dafür auch Alles bei ihm mit außerordentlicher überra= 
fehender Wahrheit. Wie jener Maler des Alterthums, nimmt _ 
er eine gemeine Kohle vom Boden auf und zeichnet den böfen 
Gefellen, der ihn neckte und ärgerte, mit wenigen Strichen 
fo treffend an die Wand, daß zu des Schuftes Befchämung 
der geringfte Tafeldecker am Hofe des Königs ihn erkennen 
muß. — Dabei ift Alles wohl erfunden, gut in einander ges 
paßt, und trog manchem Sprunge doch natürlich herbeis und 
confequent durchgeführt. Freilich muß man nirgends vergeffen, 
daß er fpanifche Entremefes liefert, und ihm die Freiheiten, 
die er fich geftattet, verzeihen, was aber um fo leichter wird, 
weil feine Zwecke —* als hoͤchſt ehrenwerth in die Augen 
ſpringen. — Eine zweite Myſtification erlaubte er ſich durch 
ſeine Guzla, eine Sammlung von Ueberſetzungen angeblich 
ſerbiſcher Lieder, deren Vaterland aber allein in ſeinem Kopfe 
zu ſuchen iſt. Er hat den Ton derſelben wohl getroffen, und 

wenn man nur uͤber den Betrug hinaus iſt, wird man ſich 
an den vielen poetiſchen Schoͤnheiten, die ſie, abgeſehen von 
Allem, enthalten, wohl ergetzen koͤnnen. — Vortrefflich iſt 
endlich fein hiſtoriſcher Roman Chronique de 1572, in wel- 
chem er die Raflines des franzöfifchen Hofes jener Zeit treu‘ 
und lebendig fehildert; überhaupt hat er ein jehr großes Talent 
für poetifche Genremalerei, was fich befonderd in feinen hier 
und da verftreuten Fleinen Erzählungen, von denen unter den 





mir. befannten, Mateo Falcone und das kecke Mährchen 
Federigo, die gelungenften find, offenbart. — 


Die Gebrechen der gefellfchaftlichen Verhaͤltniſſe unferer 
Zeit wurden ebenfalls auf eine edle Meife gefchildert und ans 
gegriffen von einer vortrefflichen und geiftreichen Frau, ber 
Herzogin von Duras, in zwei Hleineren Erzählungen Ourika 
und Eduard, welche großen Beifall fanden und fich ein gros 
ßes Publicum erwarben. — Zartheit der Empfindungen, 
Kenntnig des -menfchlichen Herzens und inniges echtes Mit⸗ 
leid mit den Quaalen und Leiden deffelben, characterifiren dieſe 
Leiſtungen. Es war ihre Abficht, die gefellfchaftlichen Nuan⸗ 
cirungen und den Einfluß der Verhältniffe der großen Welt 
auf Herz und Gemuͤth des Einzelnen zu geben, ohne die laͤ⸗ 
cherlichen Seiten darftellen oder eine Schiiverung der Sitten 
liefern zu wollen, und das ift ihr meifterhaft gelungen. Mit 
weiblich feiner, aber doch ficherer Hand, zeigt fie ohne Bitter: 
feit, die Schranfen, in welche die Gefeße der Convenienz die 
Natur einengen, fo wie den großen Schaden, der dadurch der 
reinen Entwickelung ber menfchlichen Seele, in ihren natürs 
Tichften Empfindungen erwächft, — Ihr Styi ift fließend, 
und offenbart in feiner ſchmuckloſen, aber edeln Einfachheit, 
fchon von vorn herein das Wohlwollen eines Tiebreichen Ge: 
müthes. — Die Herzogin von Durad ſtarb am 16. Januar 
1829 zu Nizza nach Tangen Leiden. 


Eine ähnliche Aufgabe fucht Balzac in feinen Leiſtungen: 
Scenes privees und La peau de chagrin, Roman in zwei 
Bänden, zu Iöfen, aber er fihilbert nur die Verderbtheit ver 
großen Welt, und zerftört vorzüglich in dem letzteren Romane, 
der eine Art von modernem Fauft enthält, alle edlere An 
ficht vom Leben und der menfchlichen Gefinnung, indem er 
wie ein graufamer Anatom, jede Fiber zerlegt und die Ver⸗ 
gänglichkeit und Nichtigkeit derfelben nachweift, um die Nich- 
tigkeit des ganzen menfchlichen Strebend dadurch zu beurfun- 
den, ohne daß er irgend etwas, woran man fich wieder auf- 


— 156 — 


richten und erquiden koͤnnte, dagegenſtellt. Es ift allerdings 
viel Wahrheit in feinen Schilderungen, aber auch eben fo viel 
fpisfindiges Raifonnement und grundlofe Webertreibung, und 
es ift unbegreiflich,, wie ein Mann von Gefchmad, mit Ges 
fühl für fittliche Schönheit begabt, auf ſolche Irrwege gera= 
then und fich folche Stoffe auswählen konnte. — Doch trifft 
ihn diefer Vorwurf nicht allein; in neuefter Zeit haben vor: 
züglich ‚die Romantiker fehr oft und wohl aus Oppofition zu 
der freilich etwas altjüngferlichen Keufchheit der Klaſſiker, die 
Verderbtheit der menfchlichen Gefellfchaft und die daraus ent= 
fpringenden Folgen, ald einen paſſenden Gegenfland für die 


Poefie betrachtet, und fich ihre Stoffe in den Spelunfen des 


Lafterd und der Sünde aufgefucht. Ihre Mufe liebt es nicht 
mehr, allein mit großartigen Menfchen zu wandeln, Spitzbu⸗ 
ben und Lumpen find ihr auch recht, und fie befucht eben fo 
gern Spielz und andere verrufene Haufer, als den Pallaft 
der Großen oder die Hütte der Unſchuld, um fich ihre Helden 
auszuwaͤhlen. Leider haben nicht unbedeutende Dichter daran 
Gefallen gefunden, und die Menge der Nachahmer folgt ih—⸗ 
nen gierig nach, in anekelnder Webertreibung. Misverftande- 
ned pfochologifches Intereſſe mag bei jenen wohl eine der 
Haupturfachen feyn, und wie immer ‚geben die Juͤnger leider 
über die Grenzen hinaus, wie 3. B. Janin in feinem Ane 
mort et la Femme ’'guillotinee, wo er den gänzlichen Ruin 
eined jungen Maͤdchens durch alle Stufen hindurch bis zur 
niedrigften Entartung, ausgeſpickt mit fogenannten Phiofophis 
fehen Raifonnements, fehildert. — 


Sehr gluͤcklich in ſolcher Genremalerei iſt dagegen Paul 
de Kock mit ſeinen Romanen, welche ſich jedoch faſt Alle 
nur in der Sphäre des niederen Lebens bewegen. Cine un: 
gemein glücliche Laune und eine gefunde Heiterkeit find höchft 
angenehme Eigenfchaften, bei denen man manches Störende 
in de Kock's Arbeiten überfieht. — La maison blanche, 
La Femme , le Mari ‘et ’Amant, und vorzüglich le 


— 157 — 


Coeu, *) find die gelnngenften Romane dieſes fruchtbaren 
Erzaͤhlers. 

‚ Der biftorifchen Erzählung ſcheint ſich Paul Lacroix, 
der unter dem Namen und der Maslke eines ſehr bejahrten 
Bihliophilen, Dr. Jacob fehreibt, vorzugsweife gewidmet zu 
haben. — Er behandelt nur Stoffe aus der franzöfiichen 
Gefchichte, und diefe meift mit großem Erfolg, wozu feine au⸗ 
erordentliche Kenntniß der Sitten und Begebenheiten früherer 
Sahrhunderte nicht wenig beiträgt. Es fehlt ihm keinesweges 
an Phantafie und Talent, doch verfieht er nicht feinen Cha⸗ 
racteren die gehörige Haltung zu geben und fie confequent 
durchzuführen, auch erfchwert fein Eigenfinn, die Perfonen in 
dem Jargon ihrer Zeiten reden zu laffen, die Lecture feiner 
Arbeiten und giebt feinem Styl etwas ftörend Buntfchediges. 
— Sein Roman Les mauvais garcons ift wohl das Befte, 
was er gefchrieben hat; auch enthält eine Sammlung Erzaͤh⸗ 
lungen unter dem Titel Soirees de Walter Scott, manches 
Angenehme. Sein anderer Roman Les deux Fous ift in 
der Anlage glücklicher als in der Ausführung; fein letztes 
Wert aber, Le Roi des Ribands, obwohl in gefchichtlicher 
Hinfiht das treuefte, beruht auf einer fo) unanfländigen 
Grundlage, daß man erröthen müßte, wollte man ed em= 
pfehlen. 

Das hiſtoriſche Drama ward nicht ohne Glüc mit firens 
gerer Nüdficht auf die Form von Nlerandre Dumas, 
dem Sohn des befannten Generald gleichen Namens, in feis 
nen Henri III. et sa cour, und Stockholm, Fontaine- 


*), Man nehme feinen Anſtoß an dem Titel dieſes Buches, des 
fruchtbaren Verfaſſers neuefter Arbeit, — Tiefe Kenntniß des 
menſchlichen Herzens, wie der Welt, geiftreiche Auffaflung und 
Darftelung der einzelnen Charactere, und ein höchft angenehmer 
Styl find nicht die geringften Bierden derfelben, umgeben von 
einer Menge fcharflinniger Bemerkungen und glüdlicher Einfälle. 





— 158 


bleau et Rome, und ohne Rüdficht auf dad Aeußere von 
Vitet in feinen Barricaden u. ſ. w. behandelt. — — 

Es wäre noch manches Anziehende bier zu erwähnen, 
aber ich darf, ohne den anderen Nationen Eintrag zu thun, 
bei der mir gewährten Zeit mich nicht Iänger mit den Franzo⸗ 
fen befchaftigen, und erlaube mir daher, Sie, indem ich 
manche Bemerkung über den Geift der jetzigen franzöfifchen 
Nationallitteratur im Allgemeinen, die fich wohl aufbringen 
möchte, unterdrüce, zu dem benachbarten Juſelvolke zu führen. 





Sehfte Borlefung. 


England. 


Blidck auf die Gefchichte der englifchen Sprache und Litteratur. — Lord 
Byron. — Sein Leben. — Characteriftif deffelben als Dichter 
und ald Menſch. — Seine Meineren Igrifchen Gedichte, — He- 
brew Melodies. — Miscellaneous poems. — Proben. — Childe 


Harold. — 


De englifche Sprache, wie fie jetzt gefprochen wird, ift eine 
Mifchung germanifcher und romanifcher Mundarten, Fremder 
Einfluß wirkte von jeher nachtheilig auf fie, und es dauerte 
lange, ehe fie zu einiger Serbftftandigkeit, die doch immer Feine 
urfprüngliche ift, gelangen konnte. Das feit Hengiſt's und 
Horſt's Niederlaffung vorherrfchende Sachfifche wurde, obwohl 
‚nur mühfen und niemals gänzlich, durch das Franzöfifche, wel- 
ches die Normannen mitbrachten (feit 1066) unterdruͤckt. Im Vers 
fluß mehrerer Jahrhunderte verfchmolzen die beiden Sprachen end- 
lich zu einer einzigen, welche während der Regierung Eduard’ III. 
(1327 — 3350) ald Hof⸗ und Landesfprache angenommen 
. wurde, und ihre Herrſchaft feitdem vollgültig behauptete. — 


— 160 


Aus fo wiberftrebenden Etoffen zufammengefegt, hatte fie fehr 
lange mit der Willführ Einzelner zu kaͤmpfen, und erfreute 
fich erft eines Anfangs zu grammatifcher Negelmaßigfeit in 
den Zeiten der Reformation, vorzüglich durch die 1535 zuerft 
erfchienene Weberfeßung der Bibel, und die in derfelben Pe: 
riode fich verbreitende größere Kenntniß der Schriftfteller des 
Alterthums, welche im fechözehnten Sahrhundert vielfach über: 
tragen wurden. Für ihre Ausbildung ward dann viel durch 
einzelne Dichter gethan, doch erft im achtzehnten Sahrhundert 
begann fie Durch dad Bemuͤhen geiftreicher Männer fich zu eis 
ner feften Regelmaͤßigkeit zu erheben, und ift feitden, da aus⸗ 
gezeichnete Forfcher fich eifrig mit ihr befchäftigten, immer 
mehr und mehr zu einer feften Ausbildung gelangt. — Will 
man erborgte Schäße gelten Iaffen, fo kann man ihr einen 
umfaffenden Reichthum des Ausdruckes nicht abfprechen, wo: 
gegen es ihr, fireng genommen, an Wohllaut und an Wech- 
fel des Klanges fehlt. Im Ganzen iſt fie mir immer als ein 
eigenfinniged Kind vorgekommen, dad in der Schule nichts 
gelernt hat, und fich erft fpäter, durch die Verhältniffe des Le⸗ 
bens gezwungen, obgleich immer mit Widerſtreben, und wann 
und wo ed Tann, fich gehen laſſend, firengen allgemein guͤl⸗ 
tigen Geſetzen und Regeln fuͤgt. — 

Die Poeſie eines Volkes unterliegt immer denſelben Ein⸗ 





fluͤſſen wie ſeine Sprache, und Beide gehen in ihrer Bildung 


Hand in Hand. — Wie bei dieſer verſchmolzen auch in der 
engliſchen Nationallitteratur zwei Stoffe mit einander, der ger⸗ 
maniſche, reich an Heldenſagen einer ſchoͤnen Zeit, und die 
nordfranzoͤſiſche Ritterpoeſie. Beide bewegten ſich aber eine 
Zeitlang neben einander, dieſer bei den Großen, jener im 
Volke, bis auch ſie ſich einander immer mehr naͤherten und 
endlich mit einander verbanden, wozu ſich denn noch ein drit⸗ 
tes, aus dem Studium der Dichter des Alterthums geſchoͤpf⸗ 
tes Element geſellte. Aus dieſem Vereine entwickelte ſich 
eine Nationalpoeſie, welche, da ſie gleiches Gedeihen mit dem 
Volke ſelbſt fand, bald in ſchoͤnſter Bluͤthe ſtand, und vor⸗ 


— 11 — 


züglich zu Ende. des fechszehnten Jahrhundert's auf der Bühne, 
eine bewunderndwürdige Höhe durch Shakeſpear und feine Zeits 
genoffen erreichte. — Auch in den übrigen Dichtungsarten 
verfuchten fich die Britten jener Tage nicht ohne Erfolg, doch 
mangelte ed im Ganzen an Beherrfchung des Stoffes, an 

Eorrectheit und Anmuth. — Schädlich wie überall wirkten 
bie inneren Unruhen, obwohl auch fie zur Bildung bedeutens 
der Geifter, wie 3. B. Milton’s, nicht wenig beitrugen. — 
In den darauf folgenden Zeiten ftrebte man immer mehr nach 
Vollendung, aber diefe ward eifriger im Aeußeren ald im In⸗ 
neren gejucht, und die echte Poefie litt ſchwer dabei, ja fie 
mußte endlich faft ganz dem poetifchen Handwerkstreiben weis 
chen, da vorzüglich in der zweiten Hälfte des achtzehnten jahr: 
hunderts die befchreibende und didactifche Dichtungsart fich 
den Vorrang anmaaßte und höchftens nur Lyrik und Satyre 
neben ihr einen befcheidenen Raum einzunehmen wagten. — 
Indeffen fcheinen die wahren geifligen Krafte der Nation nur 
eine Weile gefchlummert zu haben, denn in unferen Tagen 
ftreifte der Genius der Poefie in Britannien umwillig die Sefz 
fein, in welche falfchverftandened Raifonnement der Schulen 
ihn gefchlagen hatte, ab, und obwohl er bei dem Hange zum 
Excentrifchen in der Phantafie wie im Gebiete der Pfychologie, 
mitunter dahin brauft, gleich einem wilden Roſſe, das jeden 
hemmenden Zügel im Gefühl feiner Kraft zerfprengte, fo ift doch 
Außerordentliched geleiftet worden, und mit Bewunderung fe: 
hen die anderen Nationen auf England hin. — 

Unter jenen großen Männern unferer Tage flrahlt nun 
vor Allen Lord Byron hervor nnd feflelt zuerft unfere Blicke, 
nicht wie ein Stern unter Sternen, aber wie ein Meteor, das 
rafch und wild über den nächtlichen beftirnten Himmel dahin 
zieht, und von dem man nicht weiß, ob man fich an feiner 
gewaltigen Schönheit freuen, oder von innerem Schauer ers 
griffen, diefelbe fürchten folle. Bei Feinem Dichter iſt es fo 
nothwendig, von dem allgemein angenommenen Verfahren kri⸗ 
tifcher Würdigung, welches firenge Trennung der Schickſale 

11 





— 162 
und der Leiftungen vorfchreibt, abzmmeichen, ald eben bei ihm, 
denn Beide bilden nır eine Erfeheinung: Beide find die Zwil⸗ 
fingöfrucht deffelben Baumes, der fie aus innerer Nothwen⸗ 
digkeit zugleich hervorbringen mußte, eine ohne die andere wäre 
nicht denkbar auf folhem Stamme. 

George Gordon Byron, aus altem normannifch- 
engliſchem edelm Gefchlecht, war der Enfel des berühmten 
Weltumſeglers Byron und der Sohn eined der fchönften, aber 
herz⸗ und gewiffenlofeften Männer in England, Sohn Byron’s, 
gewöhnlich der tolle Jack genannt. — Nachdem diefer die 
Marquife von Carmarthen auf fträflichem Wege zu feiner Gat⸗ 
tin gemacht, und nach der Geburt einer Tochter Wittwer von 
ihr geworden war, heirathete er im Jahr 1785 Miß Gordon, 
eine vornehme und reiche Schottin, die er auch bald grenzen: 
108 elend machte. Als er den größten Theil ihres Vermögens 
verfchwendet, entfloh er den ihm verfolgenden Gläubigern und 
begab fich nach Valenciennes, wo am 2. Auguſt 1791 fein 
ruchlofed Leben ein Ende fand. — 

Die einzige Frucht der zweiten unglücklichen Ehe war une 
fer Dichter, der am 22. Januar 1788 zu London geboren 
wurde. Die Mutter reifte mit dem Kinde gleich darauf nach 
Schottland und Tieß ſich im Jahre 1790 in Aberdeen nieder, 
wo fie auch blieb, nachdem ihr Gatte, der eine Zeitlang mit 
ihr zuſammen, dann von ihr getrennt, an bemfelben Orte 
wohnte, fie verlaffen. — George Byron (den Namen Gor⸗ 
don führte er von feiner Mutter) war ein eigenfinniges Kind, 
wozu die Miögeftaltung eines feiner Füße, der bei der Geburt 
verlegt worden war, wohl das Ihrige beitrug. Auch verftand 
die Mutter durchaus nicht, ihm zu behandeln, da fie einerfeits 
zu nachfichtig gegen ihn war, andererfeitd ihrer eigenen Hef⸗ 
tigkeit zu oft den Zügel fchießen ließ; zudem war der junge 
Byron ſchwaͤchlich; er befuchte deshalb nicht fo früh, wie man 
es in England gewöhnt ift, eine Schule mit anhaltendem Fleiße, 
‚ obwohl er fchon in feinem fünften Jahre zu einem Herrn Bow⸗ 

ers, der ein Inflitut für Knaben hatte, gethan wurde. — 





168 °—— 


Nachdem er in feinem achten Jahre dad Scharlachfieber über: 
flanden, zog Miftreß Byron mit ihm auf das Land, um ihn 
bie heilfame Luft der Hochlande genießen zu laſſen. Sie bes 
wohnten ein Pächterhaus in Ballatar am Ufer des Dee, und 
bie romantifchen und fchauerlich erhabenen Umgegenden mach- 
ten einen tiefen Eindrud auf die empfängliche Seele des jun: 
gen Knaben. — Der düflere Gipfel des Loch⸗na⸗gar, der 
füch vor feinen Blicken in geringer Entfernung erhob, regte 
damald mächtig feine Phantafie an, und die erften poetifchen 
Einprüde haben ohne Zweifel fich fchon hier feines Gemüthes 
bemächtigt, obwohl er fich ihrer damals noch nicht Kar bes 
mußt wurde. — Dazu kam noch der Einfluß, den die wuns 
derbaren Lieder und Sagen der fchottifchen Hochlande auf ihn 
ausübten, fo wie Die erfien Gefühle zu einem ihm nicht durch 
Bande des Bluted verwandten Weſen, Die durchaus den Stem⸗ 
pel der Liebe trugen, *) denn er bat diefe Gefühle mit allen 
ihren Nebenumftänden feft fein ganzes Leben hindurch in ber 
Seele bewahrt, und fie weit fpäter in einem Gedichte ges 
feiert. *) — Nach Aberdeen zurücgekehrt, befuchte er von 
Neuem die Schule, in der er fich jedoch nicht eben durch Eis 


*% Es fey mir erlaubt, folgende treffende Bemerkung, welche 
Moore in feinen Letters and Journals of Lord Byron bei die: 
fer Oelegenheit macht, zu entlehnen. „Dante war neun Jahre 
alt, als er fih bei einem Maifefte in feine Beatrice verliebte, 
und Alfieri, felbft früßreif in ber Liebe, betrachtet dieſe frühe 
Reizbarkeit des Gefühls als ein ficheres unfehlbares Zeichen einer 
für die fchönen Künfte gebildeten Seele.”  Effetti (fagt er, die 
Empfindungen feiner erften Liebe ſchildernd) che poche persone 
intendono, e pochissime provano; ma a quei soli pochissimi & con- 
cesso J’uscir della folla volgare in tutte le umane arti. Ca: 
nova pflegte zu erzühlen, wie er fich vollkommen erinnere, in 
feinem fünften Jahre verliebt gewefen zu ſeyn. — 

**) 6, feine eigenen Aeuferungen darüber in Moore?3 Letters and 


Journals of Lord Byron, Frankf. Ausg. ©. 8. und das Gedicht: 
Song: When Iroved, a young Highlander o’er the dark Heath. 


11* 


— 164 — 


genfchaften, welche einen fogenannten guten Schüler characte- 
rifiren, auszeichnete, doch war er troß feinem ſchwaͤchlichen 
Körper ein tüchtiger, muthiger und braver Junge, womit ein 
eigenthümlicher Hang zur Einſamkeit und Empfindſamkeit, ber 
fich zu Zeiten mächtig: offenbarte, feltfam contraftirte. — In 
feinem zehnten Jahre ward er durch den Tod feines Großon- 
feld, eines höchft wunderlichen Mannes, Lord Byron und 
Herr von Newftend. — Seine Mutter verließ nun Schott- 
land mit ihm, und begab fich dorthin. — Der Knabe kam 
unter die Vormundfchaft von Lord Carlisle, und ward, nach: 
dem man vergeblich verfucht, feinen Fuß zu heilen, und er 
eine Zeitlang in dem Erziehungsinftitute eined Dr. Glennie 
verweilt hatte, auf die gelehrte Schule riach Harr ow geſen⸗ 
det. Hier blieb er fech® Jahre, während welcher fich fein ges 
waltiger Geift mit Riefenfchritten entwidelte, während feine 
feurige Seele nur fehwer den pedantifchen Zwang englifcher 
Schulerziehung trug; auch gefiel ihm Harrow erft in der 
leßten Zeit feined dortigen Aufenthaltes. — Wie er dachte, 
mögen folgende Zeilen, die er als funfzehnjähriger Knabe ver- 
faßte, und die mehr enthalten, als jede umftändliche Entwif- 
kelung zu geben im Stande ift, bezeugen. 
Die Srabfchrift fey mein Name nur allein, 

Wenn der mit Ehre meinen Staub nicht frönt, 

Werd' er durch keinen andern Ruhm verfchönt. 

Er ganz allein foll jene Stätte weih'n, 

Und fie durch ihn genannt, wo nicht, mit ihm vergeffen feyn. ) 


Fu diefe Zeit fällt auch feine erfte Neigung, mit vollem 
Bewußtſeyn, daß fie das Gefühl der Liebe fey, welche, da 
- fie unerwiebert blieb, fich fo tief in feine Seele prägte, daß 


*) My epitaph shall be my name alone: — 
If that with honour fail to crown my clay 
Oh may no other fame my dceds repay! 

“That, only that, shall single out the spot 
By that remember’d, or. with that forgot. — 





— 165 — 


fie diefer für dad ganze Leben eine däft’re Farbung gab. — 
Er befuchte während der Schulferien im Jahre 1804 feine 
Mutter in Nottingham, und lernte hier Miß Anna Chaworth 
kennen, der fein Herz fich mit ganzer Kraft zumandte; fie 
war zwei Jahre dlter ald er, und betrachtete ihn mehr als 
einen Knaben; auch hatte fie ihre Liebe einem anderen Manne, 
Herrn Sohn Mufters geſchenkt, mit dem fie fich 1805 
vermählte. Er bat died Gefühl in dem fchönen Gedichte The 
dream befungen. Wer würde fich vermeffen, dem Dichter 
bier vorzugreifen und nach ihm noch eine Darftellung zu uns 
ternehmen? *) 

Sm October 1805 fehied er von Harrow, und bezog die 
Univerfität . Cambridge, wo er fich auch nicht eigentlich wohl 
befand, und wie immer feinen eigenen Weg ging, anders 
als die Anderen. Er verließ die Univerfität im 19. Sahre 
feines Alters und brachte die nachfte Zeit abwechjelnd auf feis 
nem Familienfige und in London zu. Seine Freunde drangen 
jet in ihn, eine Sammlung feiner Gedichte zu veranftalten, 
nachdem er eine frühere unterdrüdt hatte, Er gab nach, und 
die Stunden der Muffe (Hours of Idleness) erfchienen im 
Jahre 1806. — Kaum hatte diefe anfpruchslofe Sammlung 
das Kicht der Welt erblidt, als fich eine Eritifche Zeitfchrift 
(The Edinburgh Review) darüber hermachte, und in einer 


*) The dream. Deutfch von P. A, G. von Meyer. ©. Lord By: 
ron's ſämmtliche Werke, herausgegeben von Adrian. T. XI. ©. 
49. — Interefiante Süge dieſes WBerhältniffes liefert Moore Let 
ters and Journals ©, 25 fgde. — Zu vergleichen ferner Dom 
Juan, Canto V. St. 4. — Ct. VI. St. 5. Später wurde fie, 
nach kurzer unglüdlichee Ehe, von ihrem Manne gefchieden, und 
wünfchte eine Sufammenkunft mit Lord Byron, Die biefer aber 
auf den Math feiner Schwefter ablehnte. Nach feiner Rückkehr 
von Griechenland fah er fie, wie er felbft gefteht, troß feinem 
Stolze, nicht mit voller Gleihgültigleit wieder. Das Lied: O had 
my fate been join’d to thine in den Fugitive pieces ift eins Selbft: 
beichte Byron’s. 





— 166: 


der galfigften, und was ihren groben Ton betraf, impertinens 
teften Necenfionen, dem jungen Lord jedes Fünkchen Talent 
abfprach, ihm zugleich weder Willen, noch Gefchmad zuges 
ftehend. Diefe Behandlung mußte den ganzen Zorn des juns 
gen Löwen aufreizen; er rächte fich blutig auf feine Weiſe, 
und fhlug wie mit einer rundum mit Stacheln befeßten Keule, 
die, ehe fie zerfchmettert, erft durchbohrt, Die ganze Clique 
zu Boden. — Go hatte namlich Iange nichts getroffen, wie 
“ die Satyre English Bards and Scoteh Reviewers, die er 
nun entgegenfchleuderte, und die in mehr ald einer Hinficht, 
obwohl von der gereizteften Keidenfchaft eingegeben, ein Kunfts 
werf genannt werden kann. — Seine Oppoſition war männe 
lich und großartig im vollften Sinne des Wortes, und erregte 
daher die Theilnahme von ganz England, denn er griff nicht 
bloß Einzelne an, fondern das ganze verfehlte Streben einer 
veralteten Schule. — 

Bis zu feiner erften Reife führte Byron abwechfelnd auf 
feinem Gute und in London, ein eigened wunderliches Leben, 
an welchem eine gewiſſe Eitelfeit, die aus falfch verſtandenem 
Streben entftand, im Verein mit den Schmerzen ungluͤcklicher 
Liebe, wohl vorzüglich Schuld waren, und das von den Mes 
nigften gut geheißen werden konnte. — Er ſchildert fich felbft, 
jedoch mit fehr ſtark aufgetragenen Farben, in de einleitenden 
Stanzen zu Childe Harold (Canto I. St. 3, fgbe.) 

Anfangs war es feine Abficht, Indien und Perfien zu 
befuchen, doch aͤnderte er diefen Entfchluß und verließ Eng- 
Ind den 10. Juni 1809, gleich nachdem er mündig geworden, 
um feine große Reife nach Griechenland anzutreten. Er befuchte 
auf derfelben, in Gefellfchaft feines Freundes Hobhoufe, Porz 
tugal, Spanien und Griechenland, und Fehrte, nachdem fein 
Begleiter fich fchon zu Ende des Jahres 1810 von ihm ges 
trennt hatte, 1811 in die Heimath zurüd. Im folgenden 
Jahre gab er die beiden erfien Gefänge des Childe Harold 
herans, die Hauptfrucht feiner Reifen, die, kaum erfchienen, 
die Bewunderung der Einzelnen wie der Menge mächtig ans 





— 1697 — 


zogen unb dauernd erhielten. — Ihnen folgten bald und 
rafch The Giaour, The Bride of Abydos, The Corsair, 
Lara, The Siege of Corinth und Parisina (von 1813 — 
1815), ſaͤmmtlich poetifche Erzählungen, in der ihm eigens 
thümlichen Weiſe. — In diefelbe Periode fallen auch mehs 
rere feiner Fleineren Gedichte, 


Des Dichter Ruhm hatte jetzt feinen Culminationspunkt 
in jenem WBaterlande erreicht, aber er wußte fich in feine 
Landsleute eben fo wenig zu ſchicken, als fie fich inihn, und da 
die gewöhnlichen Menfchen, ich glaube aus geheimem Neid, 
den fie aber nur fühlen, ohne fich deffen bewußt zu feyn, 
Originalität und Genialität, die fich nun einmal nicht im Ges 
wande ded Alltags zu beivegen Iernen, durchaus nicht vertras 
gen Tünnen, fo mußte er fich bald geifteeinfem finden im 
Gedraͤnge. Das aber iſt ein großer Fluch, und leider nur zu 
oft der innerfte bittere Kern der Weihgeſchenke der Muſe; 
denn ein begabter Menſch wehrt fich fchlecht oder verfteht 
gar nicht, fich derfelben Waffen, wie fie der Ialirte Poͤbel 
führt, zu bedienen, weil diefer eben Teine anderen hat, als 
Gemeinheit in allen ihren Gattungen. — . 


Byron fühlte ſich um fo einfamer nach feiner Heimkehr, 
ald während feiner Neife auch feine Mutter geftorben war, 
an der, fo fehroff ihre Charactere fich auch entgegenftanden, 
feine Seele doch während feined ganzen Lebens unveranderlich 
hing, — War ed ein Wunder, daß er mit dem verwaiften 
Herzen ſich fehnte, diefe Lücke audzufüllen, und ſich ein We⸗ 
fen fuchte, das, durch heilige Gelübde für immer mit ihm 
verbunden, alle Sreuden wie alle Leiden feiner reichen Bruft 
gern und freudig mit ihm zu theilen, wie zu tragen, übernähme. 
Seine Wahl fiel auf Anna Iſabella, die einzige Tochter des 
Baronet Ralph Mirbante Noel. Er vermählte fich mit ihr 
am 2. Januar 1845. Was er bei der Trauung empfand, 
fehildert er ſelbſt in dem Gedichte „der Traum“ mit folgen 
den Worten: 





168 
H Ih ſah ihn ſtehn 


Vor einem Altar — mit der holden Braut, 
Schoͤn war ihr Antlitz — aber jenes nicht 
Das ſeiner Jugend Sternlicht war — als er 
Selbſt vor dem Altar ſtand, kam uͤber ihn 
Derſelbe Anblick, die Erſchuͤtterung 

Die in dem alten Bethaus ihm die Bruſt 
Ergreifend faßte — wie in jener Stunde 

Zeigt ſich ſein Antlitz von Gedanken voll, 

Die unausſprechlich — ſchwindend wie ſie kamen. 
Dann ſtand er ſtill und ruhig, und ſprach aus 
Das paſſende Geluͤbde, aber hoͤrte 

Die eig'nen Worte nicht, und Alles drehte 

Sich rings um ihn — er ſah nicht, was geweſen, 
Und nicht, was haͤtte ſollen ſeyn; nur bloß 

Die alte Wohnung, die gewohnte Halle, 

Die wohlbekannten Zimmer und den Ort, 

Den Tag, die Stunde, Sonnenſchein und Schatten. 





*) — — I saw him stand 
Before an altar — with a gentle bride; 
Her face was fair, but was not that which made 
The Starlight of his Boyhood: — as he stood 
Even at the altar, o’er his brow there came 
The selfsame aspect, and the quivering shock 
That in the antique Oratory shook | 
His bosom in its solitude; and then — 
As in that hour — a moment o’er his face 
The tablet of unutterabie thoughts \ 
Was traced; — and then it faded as it came 
And he stood calm and quiet, and he spoke 
The fitting vows, buf heard not his own words 
And all things reeld around him; he could sce 
Not that which was, nor that which should have been 
But the old mansion, and the accustom’d hall 
And the remember’d chambers and the place 
The day, the hour, the sunshine and the shade. 











Was zu bem Ort und zu der Zeit gehörte, 

Zu ihr, die fein Verhängniß war, es kehrte 
Und warf ſich zwifchen ihn Hin und das Licht. _ 
Mas hatten fie zu der Zeit dort zu thun? 


Ihm ahnte, daß er fich namenlofes Weh bereite, denn 
übereilt, augenblidticher Aufwallung folgend, hatte er diefen 
Schritt gethan, bei dem die Wenigften bedenken, daß er für 
das ganze Leben gilt, noch Wenigere aber, welchen Inhalt 
von Sammer und Weh, von Freude und Gluͤck die drei klei⸗ 
nen Worte „das ganze Leben’ umichließen, — und 
feine Ahnung täufchte ihm leider nicht. — Die Ehe wurde 
nach einem Jahre wieder getrennt, nachdem Lady Byron am 
10. December 1815 einer Tochter (Auguſta Ada) das Dafeyn 
gegeben hatte. — Sie verließ ihren Gatten Ende Januar's 
1816, angeblich im beften Veruehmen, um ihre Eltern zu 
befuchen. Saum auf dem Landfige derfelben angekommen, 
ließ fie ihm durch ihren Water melden, daß fie nie wieder zu 
ihm zuruͤckkehren würde, und beftätigte diefen Entfchluß einen 
Pofttag ſpaͤter durch einen eigenhändigen Brief. — Wer von 
Beiden die Schuld getragen, laßt fich nicht entfcheiden; bie 
Urfachen der Trennung waren Lord Byron’d zerrüttete Ders 
mögensumftande,, mit deren Folgen auf feine Laune, Laby 
Byron’s Eiferfucht und die Einfläfterungen ihrer Mutter und eis 
ner Vertrauten, vorzüglich aber wohl der Umfland, daß Feine 
von den drei Frauen eine folche Seele zu verfiehen und. zu 
begreifen vermochte, und daß Byron felbft nicht eingefehen, 
ald es noch Zeit war, wie weder er für eine Ehe, noch die 
‚Ehe für ihn paffe, vorzüglich in den Verhältniffen, welche 
fein Rang und Stand in der Welt ihm auferlegten. Er felbft 
äußert fich auf eine Höchft edle Weile in einem Briefe an 


AU things pertaining to that place and hour 

And her who was his destiny, came back 

And thrust themselves between him and the light: 
What business had they there at such a time. 


— 170 — 


Moore mit folgenden Worten über feine Gattin: „J must set 
you right in one point however. The fault was not — 
no, nor even the misfortune — in my choice (unless 
in chusing at all) — for I do not helieve — and I_ must 
say it, in the very dregs of all this hitter business — 
that there ever was a better, or even a brighter, a kın- 
der, or amore amiable and agreeable being than Lady B. 
I never had, nor ean have, any reproach to make her, 
while with me. Where there is blame, it belongs to 
myself, and if J cannot redeem, I must bear it.‘“*) Daß 
er fie wahrhaft und innig Tiebte, davon fpricht am Ruͤhrend⸗ 
ften fein fehönes Gedicht Farewell, denn eine folche Tiefe 
des Gefühls iſt unmöglich Lüge — und Byron hat die 
große ımd fchöne Eigenfchaft, in Allem, was er rebet, fubs 
jectio wahr zu feyn. — Wie fehmerzlich mußte ihn alfo diefe 
Trennung kraͤnken, da Alles, was einem Manne heilig ift in 
feiner Seele, dadurch unheilbar verwundet wurde, Ehre, Liebe 
und Vertrauen. Die ganze Heftigkeit feines leivenfchaftlichen 
Characters bliste in ihm auf, und die Flammen fchlugen über 
feinem Haupte zufammen; er ließ das Farewell und ein aus 
dered Gedicht gegen die oben erwähnte Vertraute in öffentlis 
chen Blättern abdruden, und übergab durch diefen Misgriff 
feine Berhättniffe der Deffentlichleit. — Alles was nur Odem 
hatte, fiel jetzt über ihm her, ganz England bildete nur eine 
Parthei gegen ihn. — „In jeder Geſtalt,“ fagt Moore, 


*) In einem Punkte muß ich Sie indeffen belehren. — Der Fehler 
lag nicht, nein, nicht einmal das Unglüd — in meiner Wahl 
(wenn nicht darin, Daß ich Überhaupt wählte) denn ich glaube, 
nicht — und ich muß ed fagen mitten in dem Schlimmften die: 
fer bitteren Angelegenheit — daß es nie ein beſſeres, oder hole: 
res, lieberes, Tliebenswürdigeres und angenehmeres Wefen gab, 
als Lady B. — Ich Hatte ihre niemals oder kann ihr nie einen 
Borwurf zu machen haben, fo lange fie mit mir lebte. Wo Bier 
Tadel ift, da trifft er mich, und kaun ich's nicht ändern, fo 
muß ich’ tragen. j 


s 





— 171 





„wurde dee Haß gegen ihn aufgeregt, und obwohl einige wes 
nige Freunde ihm unveränderlich treu blieben, fo fühlte er doch 
ſelbſt, daB es unmöglich fey, den Strom der Verfolgungen 
zu hemmen.“ — Er hatte noch eine kurze Zuſammenkunft mit 
feiner geliebten Schwefter,, von deren ummwanbelbarer Neigung 
zu ihm das fchöne Gedicht Though the day of my destiny’s 
over ein herrlicher Zeuge ift, und verließ dann England am 
25. April 1816, um ed nie wieder zu fehen. Newſtead, feis 
nen Familienſitz, hatte er fchon vorher verkauft. — Was: er 
fühlte, als er von den heimathlichen Kuͤſten fchied, ſchildert 
er ſelbſt in den erflen Verſen des dritten Gefanges von Childe 
Harold. Wer nur ein Füntchen Gefühl und Mitleid im Bus 
fen trägt, dem muß das Herz bluten bei Lefung derfelben, 
denn tiefered Leib hat nicht leicht eine edle Seele ausgefprochen. — 

Er durcheilte Frankreich und begab fich nach dem Genfers 
fee, wo er im Juni 1816 feine Wohnung in der Campagne 
Diodati aufſchlug. — Hier lebte er fehr eingezogen, und 
machte in Begleitung bed von feinen Landsleuten und Zeitges 
noffen ſehr verkannten Dichters Percy Byſſhe Shelley 
mehrere Reiſen in der Schweiz. Der dritte Geſang des Childe 
Harold verdankt dieſem Zeitraume ſein Daſeyn, eben ſo wie 
das dramatiſche Gedicht Manfred und der Gefangene von Chil⸗ 
Ion (The Prisoner of Chillon) unbedingt als die Frucht von 
Byron's Aufenthalt in Helvetien zu betrachten find. *) — Zu 
Ende deſſelben Jahres begab er ſich nach Venedig, wo er bis 
Ende 1819 blieb, und ein Leben führte, das er zulegt ſelbſt 
nicht billigen konnte; es war ganz venetianifch und wurde nur 
durch einen Furzen Ausflug nach Rom unterbrochen. Im letz⸗ 
ten Jahre feines dortigen Aufenthaltes fefjelte ihn jedoch ein 
ernſtes und zartes Verhaͤltniß zur Gräfin Guiccioli, einer ſchoͤ⸗ 
nen und edeln Frau, bie mit einem alten Manne vermählt. 


*) Ein vortrefflihes, ebenfalls in der Schweiz gefchriebenes Gedicht 
an feine Schwefter, das in der Sammlung feiner Werke fehle, 
theile Moore mit in den Letters and Journals etc. 1816. ©. 302. 


— 1711 — 


war. Beſſer ald mit ihren eigenen Worten laßt fich ihr erftes 
Zufammentreffen nicht fchildern: mögen fie bier folgen, wie 
Moore fie aus einer Privatmittheilung der Gräfin giebt. 
„„Nell’ Aprile dell’ anno 41819 io feci la conoseenza di 
Lord Byron, e mi fu presentato a Venezia dalla Contessa 
Benzoni.nella di lei societa. (Juesta presentazione 'che 
ebbe tante conseguenze per tutti e due fu fatta contro 
la volonta d’entrambi,- e solo per condiscendenza V’ab- 
biamo permessa. — Jo stanca piü che mai quella sera 
per le ore tarde che si costuma fare in Venezia, andai 
con molta ripugnanza e:solo per ubhbidire al Conte 
Guicecioli in quella societa. — Lord Byron che scansava 
di.far nuove conoscenze, dicendo sempre che aveva in- 
teramente rinunciato alle passioni e che non voleva es- 
porsi piü alle loro conseguenze, quando la Gontessa Ben- 
zoni lo pregö di volersi far presentare a me, eglı ricuso, 
e solo per compiacenza glielo permise. La nobile e 
bellissima sua fisonomia, il suono della sua voce, le sue 
maniere, ı mille incantı che lo circondavano lo rende- 
vano un essere cosi differente, cosi superiore a tuttı 
quelli che io aveva fino allora veduti che non potei a 
meno di non. provarne la piü profonde impressione. Da 
quella sera in poi in tuttı i giormi ‚che mi fermai in Ve- 
nezia. ci siamo,sempre- veduti. °° *) 


*) Im April 1819 machte ich Lord Byron's Bekanntſchaft; er ward 
mir zu Venedig von der Gräfin Benzoni in ihrem Cirkel vorge: 
ſtellt. Diefe Vorſtellung, welche fo viele Folgen für Beide hatte, 
wurde gegen den Willen Beider bewerkfielligt, und wir erlaubten 
fie nur aus Gefälligleit. Ich, mehr. ald je müde an jenem Abende, 
wegen der fpäten Stunden, weldye in Venedig Sitte find (für 
Zufammenfünfte) ging mit großem Widerwillen und nur Dem 
Grafen Guiccioli zu Gefallen, in jene Gefellichaft. Lord Byron, 
der es vermied, neue Bekanntſchaften anzulnüpfen, immer rrklä⸗ 
rend, er habe ganz den Leidenſchaften entſagt, und wolle ſich ih: 
ren Folgen nicht mehn ausfehen, weigerte fih, als ihn die Ben: 














— 173 — 

Lord Byron erwarb fich die innige Freundſchaft ihres Va⸗ 
ter8 und Bruders, und folgte ihr Ende 1819 nach Ravenna. 
Sein Aufenthalt in Venedig war nicht unfruchtbar geweſen, 
er vollendete den vierten Gefang des Childe Harold, und mit 
dieſem das ganze Gedicht, ſchrieb die Klage Taſſo's, das ve⸗ 
netianifche Trauerfpiel Marino Faliero; das Tomifche Ges 
dicht Beppo; den Mazeppa, und entwarf den Plan uud 
eine Reihe Stanzen zu Don Juan. — In Ravenna brachte 
er ein herrliches und reiches Jahr zu, der Liebe lebend, und 
wenn auch nicht direct, doch mit ganzem Herzen Theil nehs 
mend an den Verfuchen zur Befreiung Italiens vom Joche 
des Despotismus, die fi) in den einzelnen Provinzen geftals 
teten. — Leider Gef der Verfuch im Oberstalien, wie bes 
kannt, unglädlich ab; die Gamba's wurden aus Ravenna 
verbannt; Byron folgte ihnen im Späatherbfte 1821 nach Pifa, 
mit fchwerem Herzen, denn er ahnte nichts Gutes von der 
Zukunft für die Geliebte. — Der NUufenthalt in der Stabt, 
wo Dante Aſche ruht, war in jeder Hinficht reich für ihn. 
Don Juan wurde weiter außgeführt, Sarbanapalus und 
Cain, zwei Dramen, gefchrieben, und mehrere litterärifche 
Gefechte mit Bowles und Southey geliefert. — In Pifa 
wohnte er mit der Familie Samba, zu welcher die von ihrem 
Gatten getrennte Grafin Guiecioli fich wieder gefellt hatte, zu⸗ 
fammen. — Auch von Piſa wırden die Gamba's fortgetrie- 
ben, und ihr edler Freund verließ fie nicht. Bevor er ihnen 
nach Genua folgte, hatte er jedoch ben Schmerz, feinen 


zoni Bat, ſich mir vorſtellen zu Taffen, und erlaubte es ihre nur 
aus Gefälligkeit. Sein edles und überaus ſchönes Antlig, der Ton 
feiner Stimme, feine Art unb Weife, und taufend Neize, die ihn 
fhmüdten, machten ihn zu einem Weſen, fo verjchieden und fo 
erhaben tiber Alle Diejenigen, welche ich bisher geſehen, daß ich 
nicht anders Fonnte, ich mußte den tieffien Eindeud dadurch ein: 
pfinden. — Seit jenem Abende Haben wir und alle Tage, fo 
lange ich mich in Venedig aufhielt, immer gefehen. — 


1 





— 174 — 


Freund Shelley zu verlieren. — Er feierte deſſen Leichenbes 
- gängniß auf eine eigenthümliche Weife, und ging dann im 
Herbſt nach Genua, wo er bis zum Herbſte 1823 blieb. — 
Heaven and Earth, The Island, Werner und The De- 

formed transformed wurden hier verfaßt. — ' 


Im Zuli 1823 verließ Lord Byron, in Begleitung des 
‚jungen Grafen Samba, Italien und fchiffte fich nach Gries 
chenland ein, um ein thätiger Theilnehmer am Freiheitäfampfe 
der Hellenen zu werden. — Er that Großes für das vers 
waifte Land. — Eine aus einem rheumatifchem Fieber ents 
forungene Hirmentzundung machte am 19. April 1824 feinem 
bewegten Leben ein Ende. Seine ihm in Italien geborene 
natürliche Tochter Allegra hat der Tod ebenfalls hingerafft, 
Lady Byron und feine Tochter Ada haben ihn überlebt. — 


Byron war ein Märtyrer des Genius. — Sein Cha⸗ 
racter ift feine Poeſie, feine Poefie fein Character, fubjective 
Wahrheit der Hauptzug feines Lebens wie feiner Werke. Was 
nur von einem Dichter gefordert werden Tann, das befaß er; 
die glühendfle Phantafie, Fülle der Gedanken, das tieffie Ge⸗ 
fühl und eine Kraft der Rede, die unmittelbar ohne alle vor: 
hergegangene Beichwörung aus der Seele firömte, ein raus 
fchender Bergſtrom, nie verfiegend und ftetd zum Dienfte be⸗ 
seit, fobald fein Herz angeregt wurde, eine Kraft, wie fie nur 
ſelten Sterblichen vergönnt iſt. Ich möchte fagen, er war 
der ausgebildetſte Menfch, ven es je gegeben, denn in ihm 
vereinten fich alle Tugenden wie alle Fehler, welche das Men: 
fehengefchlecht befigt, und beftanden neben einander, Haß und 
Liebe, Freiheitsdrang und Herrfchfucht, Güte und Härte, kurz 
Alles, nur Feine Gemeinheit, denn über Allen ſchwebte fieg- 
reich feine edle Natur. — Mir dürfen ihn nicht abfchäßen 
und abwaͤgen wollen, denn wo wäre der Maaßſtab, den wir 
an ihn legen Fönnten, zu finden? Er war bei aller Seelen: 
größe zu fehr Menfch, und wiederum mit feinen menfchlichen 
Gebrechen zu groß. = Er ift einer von den wenigen Geis 











175 


fiern, die wir als Culminationspunkte unſeres ganzen Gefchlech- 
tes betrachten können, und darum muͤſſen wir ihn nehmen, 
wie er ift, und von ihm aneignen, was und frommt zur 
Freude wie zur Beſſerung. Bei feinem großen Neichthume 
wird fein Unbefangener leer ausgehen, denn für alle Gemuͤ⸗ 
ther, wie für alle Sahreözeiten des Lebens liegen Schäße dort 
verwahrt, und eben weil er fich in Allem fo gang gab, wie 
er war, wird er in jeder Bruft vermandte Anklaͤnge erwecken, 
denn Alles, wie ed den Einzelnen trifft, hat auch er erfahren 
und zwiefach Durchgelebt, im wirklichen wie im poctifchen Das 
feyn; und wie der Pelican aus innerem freiem Antrieb die 
blutende Bruft den Jungen, fo reicht er fein blutend Herz der 
ganzen Menfchheit Hinz; warum? er weiß es nicht, wie e&nie 
ein Dichter wußte, aber er muß ed, und wie er es giebt, fo 
müffen wir ed empfangen, mit dem Herzen, ja nicht mit dem 
Verſtande allein, oder wir verfündigen ıumd an den. Genien der 
Menschheit und der Poefie. — Deshalb, wenn wir ihn auch 
im Ganzen nicht lieben können, denn wer vermag feinen Ges 
fühlen zu gebieten, daß fie den Raum in der Bruft abmeffen 
für Liebe und Haß, wenn wir ihm auch mitunter zuͤrnen moͤch⸗ 
ten, weil er und mehr ald einmal verlegt und weh thut, fo 
müffen wir doch immer den del des Menfchengefchlechtes, 
wie er ſich in reichfter Kraft und im Schaffen des Genius of: 
fenbart, in ihm bewundern und verehren; und das ift Fein ges 
singer Gewinn, fondern ein herrlicher und fchöner Troſt für 
truͤbe und fehwere Stunden. Einen Menfchen aber, dem man 
eine folche Erkenntniß verbankt, den fol man hoch halten vor 
Allen. — 

Lord Byron iſt vielfach angegriffen worden und von vle⸗ 
ien Seiten; man hat ihn einen fchlechten Chriften, einen 
fchlechten Patrioten, kurz fehlecht in Allem, was die bürger- 
liche Gefellfchaft von ihren einzelnen Mitgliedern verlangt, nur 
nicht einen fchlechten Dichter genannt (einen gottlofen, fres 
chen, verruchten u. |. w. allerdings) denn vor feiner Größe 
als foicher mußten: jelbft der Neid und die Gemeinheit verſtum⸗ 





16 — 





mend fich beugen..*) — Sie werben nicht von mir verlan- 
gen, daß ich ihn gegen folche Vorwürfe vertheidige, und thaͤ⸗ 
ten Sie ed auch, fo würde ich auf Feinen Fall. darauf. einge: 
ben. — Das Buch feines Lebens Tiegt wie feine übrigen 
Werke aufgefchlagen vor und da; vertiefe fich ein Jeder feibft 


darin, es ift eine gute Schule zur Selbſterkenntniß; denn, 


rufe ich mit Rogers, in feiner fchönen Schiderung ihrer letz⸗ 
ten Zuſammenkunft: 


*) Er iſt nun zur Ruh’ 
Und Lob und Tadel treffen gleich fein Ohr 
Jetzt taub im Tod. — Sa Byron, Du bift Hin, 
Hin wie ein Stern, der durch das Firmament 
Schoß und erlofch, in regellofer Bahn, 
Strahlend und blendend. — Doch Dein Herz, bäucht mir, 
War groß und edel; edel im Verachten 
on allem Niedrigen, und nichts war d’rin 
Schmugig und Enechtifh. — Wenn erdachtes Unrecht 


*) So ift 5. B. nichts Tächerliher, als De Lamartynne’s affee⸗ 
tirte Srommthuerei in feinem Gedichte L’homme, à Lord Byron, 
in welchem er ihn zuleßt auffordert, :fih als Chorfchüler bei den 
Engeln und andern Kammerfängern des lieben Gottes einfchreiben 
zu laffen. Als Pendant mag Fr. Schlegel’s Claſſificirung Byron's, 
durch welche er ihn ald das Haupt der antichriftlichen Poefie ein: 
rangirt, dienen; eine wahre Schufteridee. — Wie edel und 
groß ift Dagegen Walter Scor’s Characteriftit Byron's. — „So 
reb’t ein Geift zum andern Geiſt.“ — 


**) He is now at rest 
And praise and blame fall on his car alike 
Now dull in death. Yes Byron thou art gone 
Gone like a star that thro’ the firmament ı 
Shot and was lost, in its eccentric course 
Dazzling, perplexing. — Yet thy heart methinks 
Was generous, noble — noble in its scorn 
Of all things low or little; nothing there 
Sordid or servile. — If imagined wrongs 





” — 147 


Dir folgte und Dich trieb, etwas zu than, 
Was lang’: bereuet — baute oftmals auch, 
Mas Diele willen und am Meiften ich, 
Auf leihtem Grunde Deine Dankbarkeit, 
War'ſt Du gleich nicht in Deinem Leben glücklich, 
In Deinem Tode warft Du es gewiß. 
Dir ward Dein Wunſch erfüllt, in jenem Lande, 
Wo Deine Jugend Aethergluth empfing, 
In Griehenland, auf fo ruhmvoller Bahn 
Zu enden. 


Was Sie dagegen mit vollem Nechte von mir fordern 
koͤnnen, ift eine Characteriftit und Entwidelung feiner poetis 
ſchen Keiftungen, die unbedingt in den Bereich diefer Vorträge 
gehören. Ehe ich jedoch diefelben beginne, erlaube ich mir 
zu bemerfen, daß ich dabei faft immer nur berichtend verfahs 
ren werde, und mir nur bin und wieder einige kritiſche Winke 
verſtatte. — Die Gründe, die mich dazu bewegen, brauche 
ich nach dem Worhergegangenen wohl nicht darzulegen; fie 
fpringen von fer*® in die Augen. Ich überlaffe ed ebenfalls 
Ihrem Scharffinn, den Faden, an welchen ich die einzelnen 
Gedichte reihe, aufzufinden. — 

Am Liebendwürdigften erfcheint und der Dichter in feinen 
Heineren Iyrifchen Poefieen, vorzüglich in denen, welche ſpaͤ⸗ 
terer Zeit, ald die Stunden der Muffe, die neben man 
chem Schönen doch zu fehr den Stempel jugendlichen Schwan: 
tens tragen, angehören. Sie find (einige wenige Lieder aus⸗ 
genommen, die fich hier und da in feinen größeren Dichtun- 





Pursued thee, urging thee sometimes to do 
' Things long regretted, oft, as many know, 
None more than I, thy gratitude would build 
On slight foundations; and, if in thy life 
Not happy, in thy death thou surely wert. 
Thy wish accomplished ; dying in the land 
Where thy young mind had caught ethereal fire, 
“Dying in Greece and in a course so glorious. ! 


12 


— 41715 — 


gen verſtreut finden) in zwei Sammlungen Hebrew Melodies 
und Miscellaneous poems enthalten. — Die Erfteren fchrieb 
Byron auf Anregung zweier Künftler jüdifchen Glaubens, und 
paßte den Text hebräifchen, uralten Nationalmelodieen , wie 
fie fih in den Synagogen erhalten haben, an. — Sie find 
im orientalifchen Geilte gehalten und berühren meift biblifche 
Gegenftände, oder Gedanken, vorzüglich in letzterer Hinficht 
den Schmerz ded ganzen Volles, verwaift ohne Vaterland 
auf der weiten Erbe herumirren zu müffen. — Es iſt ein reicher 
Stoff, über den Byron ebenfalld den ganzen Reichthum feiner 
Poefie audgegoflen bat, und was noch mehr gilt, den ganzen 
Reichthum des Gefühle, — Was in feinem Jammer den 
von feiner heimathlichen Erde Verbannten nur intereffiren kaun, 
was ihm Freude macht oder feine Schmerzen vermehrt, das 
hat er bier mit glänzenden Farben, im vollften Sonnenfchein 
der Wahrheit, mit feltenem Wohllaut der Rede’, mit dem 
einfchmeichelndften Klange des Rythmus, und mit unerfchöpf- 
licher Fülle glühender Bilder, wieder gegeben. — Alles 
Iebt, Alles bewegt fich, alle Saiten ded Herzens klingen an; 
die Sreude über die Schönheit der Töchter Judas, wie der 
Gram um ihren Tod, der Schmerz über die Verbannung und 
die zertretene erftorbene Größe des ungluͤcklichen Volkes, wie 
die Luft an feiner ehemaligen Größe und die Hoffnung auf 

eine beffere Zukunft. Wir fehn die Verbannten wandeln an 
den Ufern von Babylon; Jephtha's Tochter nimmt vor unfern 
Blicken Abfchied vom Vater, Saul erfcheint im Zwieſpalt ſei⸗ 
ner Seele, der Prediger Salomo predigt die Nichtigkeit des 
irdifchen Dafeyn’s, und Alle ohne Ausnahme reden aus dem 
Herzen zum Herzen. — Sch wüßte nicht zu fagen, welchem 
von den drei und zwanzig Xiedern, die diefe Heine Sammlung 
umfaßt, der Vorzug zu geben wäre; am Meiften haben mich, 
jedoch nur nach individuellem Gefühl, bei dem ich Ihnen das 
Warum fchuldig bleiben muß, folgende angefprochen: She 
walks in beauty; In that high world; Jephtha’s daugh- 
ter; Oh, snateh’d away in beauty’s bloom; I saw thee 








— 479 


weep; Sun of the sleepless; We sat down and wept 
by the waters; From Job. — 

Die Miscellaneous poems find Funken der Flammen 
feines Herzens, faft ſaͤmmtlich Ergüffe des Gefühls, und um 
fo anziehender, als fie meiſt alle Kinder des Augenblids, in 
. welchen die gepreßte Seele fich ausftrömen mußte, zu ſeyn 
feheinen. — In ifmen zeigt fich feine hoͤchſte Liebenswuͤrdig⸗ 
feit, und felbft da, wo er haßt, haßt er großartig. — Eine 
düftere Melancholie breitet ihren Schleier über die meiften ders 
felben aus, aber troß diefem bricht die innere Wahrheit der 
Empfindungen fiegreih hervor. — Sie berühren faft alle 
Momente feines dußeren und inneren Lebens, und tragen eis 
nen feltiamen Zauber in fich, der von ihnen in die Seele des 
Leſers übergeht: daß fie namlich noch lange nachher Alles indem 
Kichte erfcheinen Iaffen, in dem fie es dargeftellt haben. Bewun⸗ 
derndwurdig ift ihre Wohllaut und bie dußere Biegſamkeit der 
Sprache; und noch mehr, troß der Gewandtheit derfelben 
nirgends Leere, Gedanke reiht ſich an Gedanke, jeder den 
Anderen fortdrängend, und doch Keiner unklar oder halb, — 
Alle diefe Eigenfchaften theilen fie freilich mit allen Poefieen 
Byron's, aber nirgends treten biefelben fo heil hervor, als 
eben in den Heineren Gedichten, deren großer Neiz noch darin 
liegt, daß der Dichter eben fo viel verfchweigt als er fagt, 
wodurch die Fähigkeiten der Seele wie des Gemüthes noch 
mehr aufgeregt werben, und die Saiten, die im Herzen anges 
fchlagen wurden, - lange, lange nachklingen. Diele diefer Lies 
ber zwingen wirklich bazu, den Mann, ber fie dichtete, nicht 
bloß zu bewundern, fondern zu Heben, vorzüglich Diejenigen, 
in welchen er fich ganz ber Begeifterung, wenn auch des 
Schmerzed, überläßt. — Auch hier kann ich Ihnen nur 
meine Lieblinge nennen, ohne Angabe der Urfachen, warum 
fie es find; ich fpreche dadurch Fein Urtheil, fondern nur die 
Richtung meined Gefühl aus, und muß Sie bitten, daß 
wohl zu bebenfen, wenn ich Ihnen als jene anführe: To 
Thyrza: Without a stone to mark the spot; Away, away 

12* 


— 10 — 


ve notes of woe; One struggle more and I am free; 
And thou art dead; If sometimes in the haunts of men; 
Well thou art happy; Remember him; Bright be the 
place of thy soul; When we two parted; Fare thee 
well, and if for ever; When all around grew drear 
and dark; On the star of the legion of the honour; Na- 
poleons Farewell; Though the day ofmy destiny’s over; 
Drinking song. | 
Sch wahle von beiden Sammlungen faft aufs Gerathewoht. 
1. *) 
Sie wandelt hin in Schönheit, gleich 
Sternhimmels und Glanzklima's Nacht; 
Das Beſt in Lichts nnd Dunkels Reich 
Vereint aus Aug und Mien’ ihr lacht; 
Ein Schein, fo mild, fo fanft und weich, 
Himmel verſagt's der Tagespracht. 


Ein Schatten mehr, Ein Strahl verhält, 
Würd’ halb den Himmelsreiz entweih'n, 
Der jede Rabenlock umquillt, 
Und fanft ihr Antlig hellt mit Schein, 





*) Die drei Gedichte aus den Kebräifchen Melobieen find von Kan- 
negießer, die übrigen von dem Verfaſſer diefer Vorlefungen über: 
ſetzt. 


1. 
She walks in beauty, like the night 
Of cioudless climes and starry skies; 
And all that's best of dark and bright 
Meet in her aspect and her eyes: 
Thus mellow’d to that tender light 
Which heaven to gaudy day denies. 


One shade the more, one ray the less, 
Had half impair’d the nameless grace 

Which waves in every raven tress, 

Or softly lightens o’er her face; 





— ——— 





— 181 


Wo Seele heiter fpricht und mild, 
Wie lied die Wohnung fey und rein, 


Und auf der Wang’ und Stirn ergläht, 
Die fo bered’t und ungeträbt, 

In Lächelns Huld, in Farbenbluͤth 
Nur eine Zeit, Die Heil geübt, 

Ein Sinn mit aller Welt in Fried’, 
Ein Herz nur, das mit Unfchuld liebt. 





2. 


Der Huld bei Gott mit Herrſchaft einte, 
Des Königminftrel® Harf erflang 
Der Tontunft Ehr’, indeß fie weinte 
Um den durch fie erzeugten Klang — 
Sie wein aufs Neu’, das Saitenfpiel gerfprang. 


Weich wurden Herzen feldft von Eifen, 
Tugend entfproß und Lafter flohn, 


Where thoughts serenely sweet express 
How pure, how dear their dwelling -place. 


And on that cheek, and o’er that brow, 
So soft, so calm, yet eloquent, 

The smiles that win, the tints that glow, 
But tell of days in goodness spent, 

A mind at peace with all below, 
A heart whose lave is innocent! 


The Harp the Monarch - Minstrel swept, 
The King of men, the loved of Heaven, 
Which Music hallow’d while she wept 
O’er tones her heart of hearts had given, 
Redoubled be her tears, its chords are riven! 


it soften’d men of iron mould, 
It gave them virtues not their own; 








182 


Das taubſte Ohr vernahm die Weifen, 
Die Seele flammte bei dem Ton, 
Bis David’s Harfe mehr warb als fein Thron. 


Sie ließ der Fürften Sieg erfchallen, 
Sie ſuchte Gottes Ruhm zu Höhn, 
Die Thäler mußten fröhlic, halfen, 
Die Eedern horchten und die Höhn, 
Zum Himmel drang, dort wohnt jest ihr Getoͤn. 


Auf Erden wird fie nicht mehr Elingen, 
Doch Andacht pflegt und Lieb’, ihr Kind, 
Den Geift zu Tönen aufzufchwingen, 
Die wie es ſcheint von jenfeits find, 
Sm Traum, der feldft am Tag fid, weiter fpinnt. 





5. 
Beweint fie, die geweint an Babels Fluthen, 
Ihr Land ift Traum, ihre Tempel ſank in Sluthen! 


No ear so dull, no soul so cold, 
That felt not, fired not to the tone, 
Til David’s Iyre grew mightier than bis throne! 


It told the triumphs of our King, 
It wafted glory te our God; 
It made our gladden’d valleys ring, 
The cedars bow, the mountains nod; 
Its sound aspire@ to Heaven and there abode! 


Since then, though heard on earth no more. 
Devotion and her daughter Love 

Still bid the bursting spirit soar 
To sounds that seem as from above, 
In dreams that day’s broad light can not remove. 


B. 
Oh! weep for those that wept by Babel’s stream, 
Whose shrines are desolate, whose land a dream: 


’ 


— 183 — 


Weint, Juda’s Harfe ſelbſt ward nicht verſchont, 
Gottloſe wohnen, ach, wo Gott gewohnt. 


Wo ſollen waſchen wir die blut'gen Fuͤße, 

Wann toͤnen wieder Sion's Harfengruͤße, 
Wann ſchwelgt auf's Neu’ bei Juda's Liederflug 
Das Herz, das einſt ihm froh entgegenſchlug? 


Geaͤngſtet Herz und Fuß im Pilgerſchuhe, 

Wie ſollt ihr fliehen, und wie finden Ruhe? 
Die Taube hat ide Meft, der Fuchs die Kluft, 
Der Menſch die Heimath — Juda nur die Gruft. 





Stanzyen.®) 


Hinweg, hinwegt Ihr Trauertöne! 
Verftumme, füßer Saitenklang; 
Did) muß ich fliehen; Deinem Raufchen 
Erzittert tief mein Herz und bang. — 


Weep for the harp of Judah’s broken shell; 
Mourn; — wbere their God hath dwelt the Godless dwell! 


And where shall Israel lave her blecding feet? 
And when shall Sion’s songs again scem sweet? 
And Judah’s melody once more rejoice 
The hearts that leap'd before its heavenly voice? 


Tribes of ihe wandering foot and wpary brecast, 
How shall ye flee away and be at rest! 
The wild dove hath her nest, the fox his cave, 
Mankind their country — Israel but the grave! 


)Stanzas. 


Away, away, ye notcs of woe! 

Be silent, thou once soothing strain, 
Or I must flie from hence, for, oh! 

I dare not trust those sounds again. 


— 14 — 
Du redeſt mir von ſchoͤnen Tagen, 


O halle nicht fo laut und klar; 


Ich darf nicht denken, darf nicht ſagen, 
Was jetzt ich bin, und was ich war. 


Die Stimme, die Dich einſt begleitet, 
Verſtummt, Dein ſchoͤnſter Zauber flieht, 
Jetzt wiederholen Deine Toͤne 
Nichts, als ein ſchaurig Todtenlied! 
Sie hallen, Thyrza, von Dir wieder, 
Doch Du biſt Staub, Du biſt dahin, 
Und was einſt Harmonie mir daͤuchte, 
Iſt jetzt nur Misklang meinem Sinn. 

Rund um mich her des Grabes Stille, 
Das Echo nur erreicht mein Ohl, 
Es ruft mir eine dumpfe Stimme, 


Die ich nicht hören will, hervor. 


Noch oftmals wird fie mich erfchättern, 
Sie leiht dem Schlummer ihren Ton, 





To me they speak of brighter days — 
But lull the chords, for now, alas! 

I must not thiok, I may not gaze, 
On what I am, on what I was. 


The voice that made those sounds more sweet 
Is hush’d, and all their charms are fled ; 
And now their softest notes repeat 
A dirge, an anthem o’er the dead! 
Yes, Thyrza! Yes, they breathe of thee, 
Beloved dust! since dust thou art; 
And all that once was harmony 
Is worse than discord to my heart! 


"Tis silent all! — but on my ear 
The well-remember’d echo’s thrill; 
I bear a voice I would not hear, 
A voice that now might well he still; 
Yes oft my doubting soul ’t will shake: 
Even slumber own its gentle tone, 








— 185 — 


Bis das Bewußtſeyn wacht, vergebens 
Ihm lauſcht, obgleich der Traum entflohn. 


Du, meine Thyrza, biſt im Schlummer, 
So wie im Wachen nur ein Traum; 
Ein Sternbild, das ſich abgewendet, 
Als es der Erde ſtrahlte kaum. 
Er aber, der durch's Leben ſchreitet, 
Da ſich in Zorn der Himmel huͤllt, 
Wird lange noch den Strahl beweinen, 
Der ſeinen Pfad mit Licht erfuͤllt. 


Euthanafta.®) 


Dein Fittig ſey's, Vergeſſenheit, 

Der über meinem Todesbett' fi fchwingt, 
Wenn fräher oder fpäter mir die Zeit 

Den träumelofen Schlummer bringt. 


TIL consciousness will vainiy wake 
To listen, though the dream be flown. 


Sweet Thyrza! waking as in sleep, 

Thou art but now a lovely dream; 
A star that trembled o’er the deep, 

Then turn’d from earth its tender beam. 
But he, who through life’s dreary way 

Must pass, when heaven is veil’d in wrath, 
Will long lament the vanish’d ray 

That scatter’d gladness o’er his path. 


S )Euthanasia. 


. When Time, 6r soon or late, shall bring 
The dreamless sleep that lulls the dead, 
Oblivion! may fhy languid wing 
Wave gentiy o’er my dying bed! 





1866 — 


Es ſey kein Freund, kein Erbe da, 
Der es erwuͤnſchet, es beweint, 
Kein troſtlos Weib ſey dann mir nah, 
Das trauert, oder auch zu trauern fcheint. 


Still laßt mich in die Erde ſenken, 
Ohne beftelltes Trauerleid; 
Sch möchte nicht die Freunde kraͤnken, 
Nicht ſtoͤren, was der Luft geweiht. 


Doch mög’ in folhen Augenbliden, 
Wenn fie's mit ihrer Kraft erftrebt, 
Die Seufzer Liebe unterdrücken, 

Um ihn, der ftirht, bei ihr die lebt. 


Suͤß wär’ es, Pfyche, in den Stunden 
Dein Antlig heiter noch zu fehn, 
Vergeffend die verharfchten Wunden, - 
Muß lächelnd feldft der Schmerz vergehn. 


No band of friends or heirs be there, 
To weep, or wish, the coming hlow; 
No maiden, with diahevell’d hair, 
To feel, or feign, decorous woe. 


But silent let me sink to Earth, 
With no oflicious mourners near: 

I would not mar one hour of mirth, 
Nor startle friendship with a fear. 


Yet Love, if Love in such an hour 
Could nobly check its uscless sighs, 
Might tben exert its latest power 
In her who lives and bim who dics. 


’Twere sweet, my Psyche! to the last 
Thy features still serene to sce; 
Forgetful of its struggles past, 
E’en Pain itself should smile on thee. 





187 


Umfonft der Wunſch — bie Schönheit ſchwindet, 
&o wie bes Bufens legter Hauch; 
Des Weibes Zähre, die uns lebend - 
Getaͤuſcht, entmannt im Tode aud). 





Seyd einfam denn, ihr legten Stunden, 
Bon Sehnfucht, wie von Seufjern frei; 
Die taufend Tode find verfchwunden, 

Der Schmerz zog unbewußt vorbei. 


Zu fterben und zu gehn, wie ſchwer, 
Den Alle wandelten, den Pfad; 
Das Nichts zu werden von vorher, 
Eh’ ic) zum Leid in's Leben trat. 


Die Freuden zähle Deiner Stunden, 
Die Tage zähle, frei von Dein 
Und wiſſe, was Du aud gefunden, 
Es ift doch beſſer, nicht zu ſeyn. 


But vain the wish — for Beauty still 
Will shrink, as shrinks the ebbing breath ; 
And woman’s tears, produced at will, 
Deceive in life, unman in death. 


Then lonely be my latest hour, 
Without regret, without a groan! 

For thousands Death hath ceased to lower, 
And pain been transient or unknown. 


»Ay, but to die and go,« alas! 

Where all have gone, and all must go! 
To be the nothing that I was 

Ere born to life and living woe! 


Count o’er the joys thine hours have seen, 
Count o’er thy days from anguish free, 
And know, whatever thou hast been, 
Tis something better not to be. 


— 188 — 
Inſchrift 


auf dem Grabe eines Neufoundland- Hundes. *) 


Wenn flolz ein Menfchenfohn zur Erde kehrt, 
Hoch durch Geburt, doch nicht durch Ruhm geehrt: 
Erichöpft des Bildners Hand des Leides Pracht, 
Die Urne fündet, wer zur Ruh’ gebracht, 

Und ift es fertig, zeigt ber Srabesftein, 
Nicht wie er war, doc, wie er follte ſeyn. 
Allein der arme Hund, der Treu’fte weit, 

Der Erf’ im Gruß, der Vorderfte im Streit, 
Dep ehrlid Herz ganz feinem Herren gehört, 

Für den er lebt und kämpft, auf den allein er hört, 
Stirbt ungepriefen; unbemerkt fein Werth, 

Da feine Erdenfeel! den Himmel ihm verwehrt: 
Doc das Infeet, der Menſch, hofft auf Verzeihn, 
Und will den Himmel nur für. fich allein. - 

O Menſch, — kaum eine Stunde haft Du frei, 
Denn Macht verdirbt Did, oder Sklaverei; 





)Inseription 
on the monument of a newfoundland- dog. 
When some proud son of man returns to earth 
Unknown to glory, but upheld by birth, 
The sculptor’s art. exhausts the pomp of woe, 
And storied urns record who rests helow; 
When all is done, upon the tomb is seen, 
Not what he was but what he should have been: 
But the, poor dog, in life the firmest friend, 
The first to welcome, foremost to defend, 
Whose honest heart is still his master’s own, 
Who labours, fights, lives, breathes for him alone, 
Unhonour’d falls, unnoticed all his worth, 
Denied in heaven the soul he held en earth: 
While man, vain insect! hopes to be forgiven, 
And claims himself, a sole exclusive heaven. 
Ob man! thou feeble tenant of an hour, 
Debased by slavery, or corrupt by power, 














— 189 — 


Wer wohl Dich kennt, der wird des Ekels Raub, 
Gemeine Maſſe von befebtem Staub! 

Wolluft ift Liebe Dir, und Freundfchaft Trug, 
Dein Lächeln Heucheln, Deine Worte Lug. 
Niedrig geboren, edel nur genannt, ' 
Das Thier beihämt Did, wenn Du es erfannt, — 
Die Zhr vielleicht die ſtille Urne feht, 

Sie ehrt Niemand, um den Ahr weintet. — Geht! 
Für einen Freund erhebt fi diefer Stein: 

Nur einen Fannt ich, der hier ruht — allein. 


tebemwohl.®) 
Leb' wohl! — Wenn jemals fromme Vitte 
Tür And'rer Wohl gen Himmel flug, 
Wird meine nicht verloren werden, 
Die Deinen Namen mit ſich trug. 
Umfonft wär! Reden, Seufgen, Weinen, — 
Entpreft dem Aug’ der Schuld fo Hohl, 


Who knows thee well must quit ihee with disgust, 
Degraded masse of animated dust! 
Thy love is lust, thy friendship all a cheat, 
Thy smiles hypocrisy, thy words deceit! 
By nature vile, ennobled but by name 
Each kindred brute might bid ihee blash for same. 
Ye! who perchance behold this simple urn, 
Pass on — it honours none you wish to mourn: 
To mark a friend’s remains these stones arise, 
I newer knew but one, and here he lies, 
) 


) Farewell. 
Farewell! if ever fondest prayer 
For other’s weal avail’d on high, 
Mine will not all be lost in air, $ 
But waft thy name beyond the sky. 
’Twere vain to speak, te weep, to sigh: 
Oh! more than tears ef blood cam tell, 








190 — 


Vermochten Thränen nicht zu fagen, 
Was diefes Wort fagt: Lebewohl! 


Stumm iſt der Mund, das Ange troden, 
Doc in der Bruft, des Hauptes Gluth, 
Erwachen Schmerzen, die nie fchwinden, 
Und der Gedanke, ber nie ruht. 

Ih will nicht, darf nicht, mag nicht Elagen, 
Ob es auch gleich des Kummers Zoll, 

Ich weiß nur, daß umfonft wir liebten, 
Und fühle nichts, als — Lebewohl! 





Kell fey der Platz Deiner Seele, 
Kein holderer Geift ald der Deine, 
Entfchwang ſich irdifchen Schranfen, 
Zu leuchten in himmliſchem Scheine. 
Du warft Alles, nur göttlich nicht hier; 
Allein, da unſterblich Dein Geift, 


When wrung from guilt’s expiring eye, 
Are in that word — Farewell! — Farewell!. 


These lips are mute, these eyes are dry; 
But in my breast, and in my brain, 
Awake the pangs that pass not by, 

The thought that ne’er shall sleep again. 
My soul ner deigns nor dares complain, .. 
Though grief and passion there rebel; 

I only know we loved in vVein — 
I only feel — Farewell! — Farewell! 





Bright be the place of thy soul! 

No lovelier spirit than thine 
E’er burst from its mortal control, 

In the orbs of the blessed to shine. 
On earth thou wert all bat divine, 

As thy soul shall immortally be; 


— 11° — 


So ende der Kummer um Dich; 
Wir willen, Dein Gott ift.mit Die. 


Leicht fey Dir die Erde des Grabes, 
Der Rafen, Smaragden gleich. 
In dem, was an Did) uns erinnert, 
Sey Nichts, das dunkel und bleich 
Nur Blüthe und Immergruͤn 
Soll Deinem Grabmal enthlähn; 
Nicht werde Dir dunkle Eyprefle geweiht. 
Wozu um Gluͤckſelige Trauer und Leid? 


As wir geſchieden 
Schweigend voll Schmerz; 
Weinend das Auge, 
Gebrochen das Herz. 

Kalt Deine Yang’ und bleich, 
Kalter Dein Mund; 


And our sorrow may cease to repine, 
When we know that ihy God is with thee. 


Light be the turf of thy tomb! 
May its verdure like emeralds be: 
There should not be the shadew of gloom, 
In aught ihat reminds us of thee. 
Young flowers and an evergreen tree. 
May spring from ihe spot of thy rest: 
But nor cypress nor yew let us see; 
- For why should we moum for the biest? 


When we two perted 

: In silence and tears, 

Half broken - hearted 
To sever for years, 

Pale grew thy ehsek and cold, 
Colder thy kiss; 





' 





192°—— 


Leiden für diefe Zeit, 
Sad jene fund. 


Es hatte des Morgens 
Thau kalt mich benetzt; 
Es war gleich der Ahnung 
Dy Empfindungen jegt. 
Deine Schwüre gebrochen; 
Dein Name wird bier 
Mit Tadel geſprochen; 
Ich theil! es mit Dir. 


Sie nennen Dich vor mir, 
Ein Klang, ah! fo trüb’; 
Dich überläuft es; 

Warum einft fo lich? 

Ich kannte fo wohl Did, 
Sie wußten es nicht; - 
Ich werd’ um Did, lagen, 
Wie's nimmer ſich ſpricht. 


Truly that hour foretold 
Sorrow to this. 


The dew of the morning 
Sunk chill on my brow — 
It felt like the warning 
Of what I feel now. 
Thy vows are all broken, 
And light is My fame; 
I hear.thy name spoken 
And share in its slıame. 


They name thec before me, 
A knell to mine ear; 
A shudder comes o’er me — 
Why wert thou so dear? 
They know not I knew thee, 
Who knew thee too well: — 
Long, long shall I rue thee, 
. Too deeply to tell. 


— 13 — 


Heimlich vereint — 
Klagt jegt mein Schmerz: 
Dein Sinn fonnte trägen, 
Vergeſſen Dein Kerz. 
Treff ih nah Jahren 
Did wiederum, 6 
Wie Dich begrüßen? 
Weinend und ſtumm. 





An den Stern der Ehrenlegion. *) 


Der Tapfern Stern, deß heller Schein 
Selbſt Todten koͤnnte Ruhm verleih'n; 
Geehrter ſtrahlender Betrug, 

Dem jedes Herz entgegenſchlug; 
Unſterblich Meteor! Du ſankſt 
Auf Erden, da Du oben prangſt. 


Erſchlag'ne Helden ſind Dein Strahl, 
Von Ewigkeit durchblitzt zumal; 


In secret we met — 
In silence I grieve, 

That thy heart could forget, 
Thy spirit deceive. 

I£ I should meet thee 
After long years, 

How should I greet thee? — 
Will alence and tears. 


) On the star of the legion of honour. 


Star of the brave!l — whose beam hath shed 
Such glory o’er the quick and dead ’— 
Thou radiant and adered deceit! 
Which millions rush’d in arms to greet, — 
Wild meteor of immertal birth ! 
Why fise in Heaven to set on Earth? 


Souls of slain heroes form’d thy rays; 
Eternity flash’d through thy hlaze; 


13 











— 194 


Und Deiner Krieger; Sphäre Ton, 
War droben Ruhe, hier Ehre fchon, 
Dein Licht brach ied’fhen Augen an, 
Hell, wie ein himmliſcher Vulkan. 


Mie Lava rollt Dein Strom von Blut 
Und Nice niederriß die Fluth; 
Die Erde wanft im Grunde bang, 
Als jeden Raum dein Blitz durchdrang; 
Die Sonne wurde dunkel, trüb’, 
Und ſank, fo lang’ Dein Strahl dort blieb. 


Vor Dir erhob füh, mit Dir ward 
Ein Regenbogen fchönfter Art; 
Drei Farben göttlich heller Pracht, 
Ganz für das Himmelsbild gemacht, 
Denn, wie im rveinften Diamant, 
Hat fie gemifche der Freiheit Hand. 


Die eine Farbe, Sonnenroth, 
Die And’re, Seraphsauge bat; 





The music of thy martial sphere 
Was fame on high and hononr here; 
And hy light broke on human eyes 
Like a Volcano of the skies, 


Like lava rell’d {hy stream of blood, 
And swept down empires with ils flood; 
Earth rock’d beneath thee to ber hase, 

As thou didst lighten through all space; 
And the shorn Sun grew dim in air, 
And set while thou wert dwelling there. 


Before thee rose, amd with 'tlse grew, : 
A rainbow of the loreliest'hue 
Of three bright colsurs, eaeh divine,- - 
And fit for that celestial Aen; ' “ 
For Freedom’s hand had biendedt them: -- 
Like lints in an immertal gem. * 


One tint was of ihe aunbeams dyes; 
One, the blue depih of Seraph’s eyes; 





— 15 — 


Die dritte reinen Geiſtes Licht, 

Wie es, in weißem Strahl, durch bricht; 
So ſchien's, als 05 die heil’ge Drei 
Himmliſchen Traum’s Gewebe fey. 


Der Tapfern Stern, Dein Strahl ift bleich, 
Die Dunkelheit beginnt ihr Reid; +» 
Fuͤr Did), der Freien Himmelsgluth, 
Fließt unfre Thraͤne, unfer Blut: 
Jetzt, da Dein heller Schein erblaßt, 
Iſt uns das Leben Staubeslaft. 


Es heilige Freiheit, wenn fie naht, 
Der Todtenftile Ruheſtatt, 
Denn, wunderſchoͤn find die im Tod, 
Die zu fich Freiheitsruf entbot; 
Und mögen wir, o Göttin, feyn 
Mit ihnen bald auf immer Dein. 


— —————————— — — 


One, ihe pure Spirits veil of white 
Had robed in radiance of its light: 
The three so mingled did bescem 
The texture of a heaveniy dream. 


Stare of ihe brave! {hy ray is pule, 
And darkness must again prevail! 
But, oh thou Rainbow of the frer! 
Our tears and Llood must flow for Ihre. 
When ihy bright promise fades away, 
Our life is but a lond of clay. 


And Freedom hallaws with her tread 
The silent cities of the dead; 
For beautiful in death are thcy 
Who proudly fall in her array; 
And soon, oh Goddess! may we be 
For evermore with them or thee! 





413* 





— 196 — 
Stanz'en an ..°) 


Wiewohl fchon mein Daſeyn geendet 
Und der Stern meines Schickſals entſchwand; 
Du. weigerteft: Di, zu entdecken 
Die Fehler, die Mancher erfand. 
Wiewohl meinen Kummer Du kannteſt, 
Du theilteft ihn dennoch mit mir, 
Und die Liebe, die oft ich gefchildert, 
Ich fand fie allein nur bei Dir. 


Wenn ringsum die Schöpfung mir lächelt, , 
As Antwort dem lächelnden Blick, 
So kann ichs für Taͤuſchung nicht halten, 
Es ruft mir Dein Lächeln zuruͤck. 
Wenn die Stürme kaͤmpfen mit Wogen, 
Wie manch’ Herz, dem ich traute, mit mir, 
So bewegen mic, dody nur die Wellen, 
Weil fie weit mich entfernen von Dir. 


Bekanntlich an feine Stiefſchweſter, Mrd Leig, gerichtet. 
Stanzas to .... 


 Thongk he day of my destiny’s ovex, 
And the star of.my fate hath declined, 
Thy soft heart refused to discover 
The faultse which se many could find; 
Though thy seul with my grief was acquainted, 
” It shrunk not to share it with me, 
And the love, which ıny spirit had painted 
It never hath found but in ee. 


Then when nature around me is smiling 
The last smile which answers to mine, 
I do not believe it beguiling 
Because it rominds me of thine; 
And when winds are at war with ihe occan, 
As the breasts I belicved in with me, 
If their billows excite an emotion, 
If is that they bear from me from fäce. 





— 197 — 


Iſt der Fels gleich der Hoffnung gertrümmert 
Und ſank in die Fluthen hinein; 
Bin ich auch: bem Sram übergeben, 
Sch will doch fein Sklave nicht ſeyn. 
Mic verfolgen unendlihe Quaalen: 
Vernichten mögen fie mic, 
Verachten nicht — nimmer bezwingen. — 
Nicht an fie denk ich, einzig an Did. 


Ob menſchlich, Haft nie mic, betrogen; 
Wenn auch Weib, Du verließeft mich nicht ; 
Ob geliebt auch, Haft nie mid) gepeinigt; 
Ob verläftert auch, wankteſt doch nicht; 

Ob vertraut auch, haft nie mich verläugnet ; 
Ob gefchieden auch, biſt nicht gefloh'n; 

Ob auch wachſam, haſt nie mich verrathen, 
Ob auch ſtumm, nie bei Anderer Hohn. 


Ich tadle die Welt nicht; — verachte 
Nicht der Vielen mit Einzelnem Streit, 


Thongh the rock of my last hope is shiver’d, 

And its fragments are sunk in the wave, 
Though I feel that my soul is deliver’d 

To pain — it shall not be its slave. ' 
There is many a pang to pursue me: 

They may crush, bat they sialt not conteran’ — 
They may torture, but shall net 'subdue me — 

’Tis of ikee that I think — not’ of tem. 


Though human, thou didat not deeeive me, 
Thougk woman, thon didst not forsake, 

Though loved, thou forborest te grieve me, 
Though slander’d, hou never coukdst shake, — 

Though trusted mou 'didst not disclaim me; 
Though parted, it was not to fiy, 

Though watchful, ’twas not to"üchme me 
Nor, mute, that the world might belie. 


Yet I blame not the world, nor despise it, 
Nor the war of the many with one — 





— 18 — 


War ich nicht geſchaffen zum Lobe, 
Warum war ich zur Flucht nicht bereit? 
Hat auch viel mich der Irrthum gekoſtet, 
Und mehr, als ich felber geglaubt; 

Doch fand ih, — fo viel ih auch immer 
Verlor, daß er Dich nicht geraubt. 


Von den Träumen vergangener Tage 
Sey dies Einzige wenigftens mein: 
Es lehrt mich, daß, was ich verehrte, 
Aud am Meiften verdient es zu feyn. 
Es fprudelt ein Quell in der Wuͤſte; 
Es winket ein Baum dorr mir, 
Es finget dorten ein Vogel, 
Sie reden Alle — von Dir. 


Diefen Liedern fchließt fih Childe Harold's Pilgri- ° 
mage zunächft an, denn es fehildert des Dichterd innerfte 
Empfindungen, wie fie fich im Laufe feiner Reifen und feines 
Lebens erzeugten, obwohl unter erborgter Perfönlichkeit eines 
jungen wilden wuͤſten Mannes, die jedoch große, wenn auch 
übertriebene Aehnlichteit mit dem Dichter hat, der fein eiges 


if my soul was not filted to prize it, 
’T was folly not sooner to shun: - 

And if dearly that errer hath cost me, 
And more than I once .could foresee, 

I have found that, whatever it lost me, 
It could not deprive me of thee. 


From the wreck of the past, which hath perish’d, 
Thus much I at least may recal, 

It hath taught me that what I most cherieh'd, 
Deserved to be dearest of allı 

In the desert a fountain is springing, 
In the wide waste there still is a tree, 

And a bird in the solitude singing, _ 
Which speaks to my spirit of thee. 


— 19 — 


nes Bild aus einem Hohlſpiegel copirte. Das ganze hoͤchſt 
eigenthuͤmliche Gedicht, das ſich ſchwer in eine der bekannten 
Formen einordnen laͤßt, iſt eigentlich nur eine Art poetiſchen 
Reiſetagebuches, und ermangelt, von dieſem Geſichtspunkte aus 
betrachtet, gaͤnzlich der Fehler, die ihm gewoͤhnlich zur Laſt 
gelegt werden, weil man eben von einem ſolchen die Subjec⸗ 
tivitaͤt des Verfaſſers durchaus nicht trennen darf. Die bei⸗ 
den erſten Geſaͤnge des Childe Harold, welche Portugal, Spa⸗ 
nien und Griechenland berühren, ſchrieb Lord Byron während 
feiner erften Reife, die beiden letzteren, in denen der Rhein, 
die. Schweiz und Stalien behandelt find, nach feiner Trennung 
von Gattin, Kind und Vaterland. — Wollte man den In⸗ 
halt ausführlicher darftellen, fo würde man eine Sünde gegen 
die Poefie begehen, denn eine klare Idee Tann man fich nur 
von diefem Meiſterwerke biden, wenn man es fich nach wie 
derholtem Lefen aneignete; jede projaifche Zergliederung würde 
hier zerftörend wirken, zumal bei einen folchen Werke, das 
Feiner Regel der Kunft, ald nur dem allgemeinen Gefeße bes 
Schönen unterliegen kann, weil ed durchaus ein freied Erzeuge 
niß der dichterifchen Laune in allen ihren Nuancen ift, die freis 
lich einen anderen und tieferen Grund hat, ald das, was man 
gewöhnlich Laune zu nennen pflegt. — Die fehönfte Wuͤrdi⸗ 
gung hat Walter Scott den beiden erſten Gefängen angebeis 
ben laſſen; da fie überhaupt das Geiftreichfte ift, was über 
Childe Harold gefchrieben wurde, fo theile ich Ihnen dieſelbe 
im Auszuge mit, *) mich ſelbſt, wo folche Kräfte walten, 
jedes weiteren Urtheild enthaltend. 
„Originalitaͤt ift das feltenfte und höchfte Eigenthum des 
Genies und auch dasjenige, welches für das Publicum ben 


) Nach der Verdeutſchung von Wilhelm Müller, in deſſen Leben 
Byron’. (©. W. Müller’ vermifchte Schriften, Leipzig 1830. 
Th. UT ©, 341 fode) Die hier angezogene Beurtheilung Vy⸗ 
ron's von Seott erſchien im Quarterly review. — 


— 000 0 — 


größten Reiz hat. Driginalität ift inbeffen nicht immer noths 
wendig, denn die Welt ift in der Armuth ihrer geifligen Huͤlfs⸗ 
quellen mit bloßer Neuheit oder Eigenheit zufrieden und. muß 
Daher von einem Werke entzuͤckt werben, welches beide Eigen: 
fhaften in fich vereinigt. Der gewöhnliche Schriftfteller zeich- 
net fich nur dadurch aus, daß er in die Zußtapfen der herr⸗ 
fhendeg Lieblinge deö Tages tritt. Der wahre Dichter ver 
fucht gerade das Gegentheil. Er fürzt fich in die Sluth der 
Öffentlichen Meinung, felbft wenn der Strom berfelben am 
Stärkften gegen ihn wogt, arbeitet fich durch und halt fee 
Lorbeerkrone, wie Julius Cafar feinen Mantel, triumphirend 
über die Wogen. Selten verfehlt eine folche Erfcheinung ben 
herrfchenden Gefchmac des Zeitalters zu zestheilen und endlich 
zu ändern, und hat der fühne Wager mit-Exrfolg die ebbende 
Fluth befiegt, in der fein Nebenbuhler fortſchwamm, fo it 
von jeßt an der Zeitfirom ihm günftig. Indem wir diefe all 
gemeine Bemerkung auf Lord Byron's Gedichte anwenden, 
erinnern wir daran, daß feit Cowper fein engliicher Dichter, 
weder in feiner eigenen Perfon, noch auf irgend eine Weiſe 
verfchleiert, um errathen zu werben, ed gewagt hat, vor dem 
Publicum als ein Iebendes und handelndes Weſen zu erfchei- 
nen, und al& ſolches feine eigenen Empfindungen, Gedanken 
und Hoffnungen auszubrüden. Chide Harold ift nicht Lord 
Byron jelbft, allein er ift Lord Byron's Ebenbild, von ihm 
ſelbſt entworfen, in eine Phantafletracht gehülkt und dem Ori⸗ 
ginal fo ahnlich, daß wir von dem Einen auf das Andere 
ſchließen Eönnen. Außer dem gefälligen Neuen, daß ein Reis 
fender und ein Dichter ſich dem Lefer gleichfam entgegenwirft, 
mit feinen Anfichten umd feinen Meinungen, feiner Liebe, fei- 
nem Kaffe, feinem Entzuͤcken und feinem Kummer; außer 
dem Stolze, welchen der Lefer empfinden muß bei dem eins 
Iadenden Aufrufe, mit einem Geifte von diefer Macht vertraut 
ſeyn zu dürfen, feine tiefen Rührungen zu bezeugen und zu 
theilen, find die Gefühle des Dichters an fich felbft von einer 
Beſchaffenheit, die denjenigen mit Ehrfurcht ergreift , welchem . 





— 20 — 


der edle Pilger auf diefe Weife das Heiligthum feines Bufens 
aufgefchloffen hat. Die Leſer werden im Fein anakreontifches 
Paradies vol Myrthenlauben geführt, fie werden in feine 
iange Halle gebracht, die von Harmonieen ertönt und mit 
bunten Lichtern biendet, und fie werden nicht aufgefordert, 
bie frohen Geſtalten anzuftaunen, welche in dem Zauberfcheine 
der Muſe voräberflattern. Das Gaftmahl ift geendigt, und 
ed ift dad Vergnügen feines melancholifchen Gebers, daß feine 
Gaͤſte die Düfternheit Tennen Iernen follen, welche am Schauers 
lichſten erfcheint, wenn fie auf üppige und zügellofe Freuden 
folgt. Die geleerten Becher liegen auf dem Boden, die vers 
welkten Kraͤnze find abgeriffen und unter die Füße getreten; 
Die Fufiramente ſchweigen ober geben nur wenige emphatifche 
Aecorde an, um die Gefühle der Angft andzubrüden, während 
‚Der finftese Pilger unter den Rumen befien, was einft ber 
Pallaſt der Freude war, über Zerfiörung zu Zerftörung fchreis 
tet, und die Gefäße des früheren Lurus von fich fchleubernd, 
mwmit gleichem Unwillen de ſchaͤtzbare Aushuͤlfe verfchmäht, 
welche die Weisheit ihm zum Erſatze anbietet. Der Leſer 
fuͤhlt ſich alſo wie in der Gegenwart eines hoͤheren Weſens: 
anſtatt daß ſeine VBerftandestraft in Anfpruch genommen werde, 
wird feine Phantaſie entflammt und gebämpft, feinem Ges 
ſchmacke geichmeichelt oder widerfprochen. Um feinen Beifall 
zu erwerbew, wird ihm im Strome der erhabenften Poefie ges 
jagt, daß weder er, der gefällige Leſer, noch irgend etwas, 
Das die Erde aufzuweiſen vermag, der Aufmerkſamkeit des 
edeln Reiſenden werth fey. Alle Zander durchftreift er, die 
Schönheiten ver Natur aufzufaffen und die Verbrechen und 
Xhorheiten der Wenfchen zu eripähen, ımb von Allem ent= 
Iehnt er Stoff zu Sorge, Unwillen und Verachtung. Von 
Dan bis gen Berſeba ift Alles kahl. Die gewöhnlichen Quel- 
Ten des Gluͤckes zu verachten, fich mit Unmwillen von den Ver: 
gnuͤgungen, die Andere feffeln, Ioszureißen, und, als gefchähe 
es abfichtlich, Mebel zu erdulden, die Andere ängftlich vermei⸗ 
den, ift auch ein Pfad des Ehrgeizes; denn kaum wird ber 


— 202 — 


Monarch mehr wegen des Beſitzes geachtet, als der Anachoret 
wegen Verachtung Alles deflen, was zum Vergnuͤgen führt.‘ 

„Jedoch nicht allein die Originalität der Perſoͤulichkeit 
des Pilgerd ift e&, welcher Childe Harold feinen glaͤnzenden 
Beifall verdankt; dies war nur die Spige oder bie fiharfe 
Ecite des Keild, wodurch das Werk in das Publikum eindrang. 
Das ‚hohe Unternehmen, welches die allgemeine Aufmerkſam⸗ 
feit in Anfpruch nahm, und das allgemeine Gefühl verachtete, 
‚ward durch Talente unterfiußt, die einem folchen Unternehmen 
gewachfen waren. Er, der die ganze Welt verachtete, Tieß es 
durchbliden, daß er Talent und Genie genug habe, fie zu ge 
winnen, wenn er es der Mühe werth hielte. In dem Stunme 
feiner enthufiaftifchen Dichtkunſt ift der Sinn herrſchend über 
den Klang, fein Auge ſcharf genug, die Natur in ihren groͤß⸗ 
ten Tiefen zu erfpahen,, fein Pinfel mächtig gemig, die ab⸗ 
wecdhfelnden Bilder von Schönheit und Schredien vollendet dar⸗ 
zuftelen, und fein Herz, entflammt bei dem Rufe der Trek 
heit, voll edler Gefühle, jeden Augenblick bereit, die gefrorene 
Blende zu durchbrechen, in welche eine falſche Philoſophie es 
eingeengt hat, glühend wie der verdichtete und zufammenges 
preßte Alkohol, der ein einziger brennemder Tropfen in. einer 
Eisrinde bleibt, die feine wäflerigen Theile gebildet haben. 
Trotz dem Character, welchen er fich angerignet bat, iſt eß 
unmöglich, in dem Pilger nicht das zu erblichen, wozu: ihm die 
Natur gebifvet hat, und was er, troß einer fchlechten Meta⸗ 
phyſik und einer fshlechten Politit noch immer feyn kann: ein 
Mann, defien erhabenen Talenten der Weile und der Tugend⸗ 
hafte fich mit Ehrfurcht und Liebe naht, ohne einen Seufzer 
oder ein Zürnen unterdrüden zu koͤnnen.“ 

So weit Walter Scott. — Es fey mir nun noch geftat- 
tet hinzuzufügen, daß bie beiden letzten Gefänge des Chilbe Ha⸗ 
told um fo viel höher ald die beiden Erſteren fiehen, als fich 
des Dichters Seele felbft weit reicher ausgebildet und wie ein 
edter Stahl im Feuer der Leidenfchaften und Schickſale gehärs 
tet hatte. — Eine tiefere aber edlere Melancholie durchzieht 


= 


fie; die Gedanken find gebrängter und gewichtiger, die Lebens: 
anfichten, obwohl eben fo eigenthümlich, doch keinesweges fo 
ſchroff und bizarr, und die Phantafie ift troß Allem dem noch 
eben fo gewaltig vorberrichend, aber ihre Farben find tiefer 
glübend und feuerfefter; kurz das Herz bed Leſers wird tiefer 
ergriffen und mächtiger gefeffelt ald zuvor. 

Die fchönften Stellen in dem ganzen Gedichte find nach 
meinem individuellen Gefühle, das freilich immer nur ald ein 
beftochener Richter zu betrachten ift, folgende: Im erften Ges 
fange: die Schilderung des Childe Harold, und deffen Abſchied 
vom Baterlande (St. 2— 12 nebit dem Liebe); die Beichreis 
bung der Spanierin (St. 51—55); die Schilderung bed Stier⸗ 
gefechtes (St. 69 — 77); die Klage um den verlorenen Freund 
(die beiden Stangen vor der letzten). Im zweiten Gefange: 
die erften zehn Stanzen; die Schilderung Ali Paſcha's und der 
Albanier (St. 56 bis zum Schluß des Liedes); die lebten fünf 
Stanzen. — Im dritten Gefange: die erften zehn Stangen; 
das Lied the castle erag of Drachenfels; die Stangen über 
Rouffeau (St. 77 fgde.) und Voltaire; die ſechs letzten Stans 
zen. — Im vierten Gefange: die Betrachtungen über Peye⸗ 
dig (St. 1 fgde.); über Rom (St. 79 fgde.), vorzüglich über 
Egeria (St. 115 fode.); die Anrede an den Dcean und ber 
- Schluß ded Ganzen ; (die letzten acht Stauzen). — Die Ans 
merkungen zum vierten Geſange find won Hobhouſe. 


Siebente Borlefung. 





Don Juan — Aeußerung Wilhelm Müllers über dies 
Gedicht. Byron's kleinere erzählende Gedichte, — Cain. — 
Manfred. — The Deformed Transformed. Heaven and Earth. 
Marino Faliero. — The two Foscari. Sardanapal, — Werner. — 
Byron's Satyren. — 


Durchaus als Gegenſtaͤck zu Childe Harold iſt ber vielver⸗ 
ſchrieene Don Juan zu betrachten, der ſogar in der Londoner 
Damenauögabe der ſaͤmmtlichen Werke Byron's ganz fehlt, 
und ben Murray, der Verleger, nicht wagte unter feiner Firma 
erfcheinen. za laſſen. Hoͤchſt geiſtreich iſt bie Zufeenmenflelling 
beider Gedichte, wie fie der leider viel zu früh geſtorbene Wit 
beim Müller (Bermifchte Schriften Th. HI. ©. 414) ums 
gegeben; möge fie hier folgen, ehe ich Sie mit dem Suhalte 
des fo vielfach getadelten Werkes ſelbſt befannt mache: 
„Childe Harold und Don Tuan, die eigenthuͤmlichſten 
und umfaſſendſten Werke unſeres Dichters, ſind zwei Antipo⸗ 
den, welche jedech, eben wie bie Bewohner der Lichts und 
Schattenfeite der Welt, einen Mittelpunkt haben, um den 
fie fich drehen und von dem fie gehalten werden. Diefer 
Mittelpunkt ift die geiflige Individualitaͤt Ihres Dichters, wels 
che fich durch dad Medium, bier eines miſanthropiſchen Pils 


— 205 — 


gers, dert eined lebensluſtigen Weltſings, nach zwei verſchie⸗ 
denen Seiten hin ausfpricht. Der Pilger wandelt auf der 
Rachtfeite der Welt und fieht daher Alles ſchwarz und düfter, 
aber deöwegen auch. im großartigen Formen und in romanti⸗ 
fchen Gruppen. Das Leben und die Menfchen fliehend, ſchaut 
ex in der Gegenwart nur bie todte Natur an und legt ihr feine 
eigene Seele unter; befto bedeutender aber regen ihn die Vers 
gangenheit und bie Zukunft: an; denn bie Nacht, der Schlaf 
und der Traum fehweben immer zwifchen diejen beiden in der 
Mitte. So fühlt er fich überall aufgerufen zur Trauer, zur 
Selmfucht, zum Zorne, zur Empörung: denn das Leben und 
die Wett wie fie find, oder vielmehr, wie er fte ſieht, ſchei⸗ 
nen ihm nur matte Fraßen ber Ideale, welche vor und hin⸗ 
ter der Nacht Tiegen, die ihn umfängt. Eine folche Anficht 
ift romantiſch, und ihre melancholifche Farbe fteht der Jugend 
wohl an. Nach feinem vreißigften Fahre aber wurde unfernt 
Dichter die finftere Maske feines Pilgers eine druͤckende Laſt, 
und er warf ſie ab und nahm dafür dad Schaffögeficht eines 
Don Juan über, welches ſich natürlich der Lichtfeite der Welt 
zutelnte. Was früher beweint wurde, wird nım belächelt oder 
wir einem Achſelzucken abgefertigt; der Zorn ift in Spott übers 
.. gegangen; die Weit: und das Leben werben genommen und ges 
woffen wie fie find. Die Gegenwart iſt das Licht des Erden⸗ 
tages, fie ergreift den Lebenstufligen und wird son ihm ers 
griffen; die tobte Natur ift nur Einfaſſung des Menfchlichen, 
und Vergangenheit und Zukunft find. nur- zulaͤſſi ig, wenn ſie 
den Augenblick verfuͤßen und verherrlichen koͤnnen. Dieſe Ans 
ſicht gehört dem erfahrenen Mannesalter an, und ſteht wenig⸗ 
ſtens in Bezug auf die hier charasterifirten Gedichte, in keinem 
anbern Widerſpruche mit der erfien, als der Juͤngling mit 
dem Manne.“ 

„In der Ausführung. fcheinen une beide Gedichte in ih- 
von: Character gleich. gelungen; dert die tiefe innige Kraft des 
Gemuͤthes und. die kuͤhne Erhebung der Phantaſie in A fich 
vo eine alterthaͤmliche Form ringenden Sprache; hier ein 


behagliches Geſchwaͤtz, eine Poefie im leichteften Negligẽ, die 
der Form gleichſam nur zum Scherze huldigt, und beren De 
. sife iſt: erlaubt ift, was gefällt. Warum man die Moral 
des Don Juan gefährlicher verfchrieen yat, ald die des Ehilde 
Harold, begreifen wir nicht. Don Suan it überhaupt Tein 
Buch, welches das jüngere verführbare Alter anfprechen kann, und 
wer ben Geift deffelben zu faſſen verniag, der wird ihm auch 
widerftehen können, wenn hier denn einmal von einem gefähre - 
fichen Angriffe die Rede feyn fol. — Die Phantafie und - 
das Gefühl find leichter zu verführen, als der Berftand; das 
her fcheint mis Die wißige Immoralitaͤt des Dow Juan eine 
weit weniger gefährliche Speife des litterariichen - Geſchmacks 
zu ſeyn, als die fentimentale Miſanthrophie des romantiſchen 
. U om . . 
Byron hat durchaus Recht, wenn er diefes Gedicht ‚ein 
moberned Heldengedicht nennt, das iſt es wirklich, nur. begeis 
fiert die Mufe den Verfaffer feltener als die Laune, der er, 
welche Farbe fie auch trage, immer volle Freiheit laͤßt. — 
Das Hauptthema deffelben ift natürlich Don Juan und defs 
fen Abentheuer in Spanien, Griechenland, Rußland, Eng- 
Iand; doch wird die Erzählung jeden Augenblick durch epiſodi⸗ 
ſche Abfchweifungen unterbrochen, die bald ſatyriſch bitter, 
bald heiter ſpoͤttiſch, bald auch tiefen Ernſtes ſind. An wahr⸗ 
haft ſchoͤnen Stellen, gluͤcklichen Witzworten, gelungenen Spaͤ⸗ 
Pen ift kein Geſang arm; Genialitaͤt begrüßt uns aus jeder 
Stanze — aber dem Leſer wird nur ſelten wohl und das Herz 
nimmt faſt nie Autheil. — Ich bin ebenfalls der Meinung, 
daß der Don Juan durchaus kein gefaͤhrüches Werl ſey, denn 
es ift zu viel Kalte der Seele darin, aber ich möchte es bach 
nicht in den Handen von Perfonen ſehen, die noch die gute 
Eigenfchaft haben, welche fich leider fo früh verliert, bei. eis 
nem Buche mit ihm und in ihm zu leben, weil ich es als eis 
nen Diebftahl an ihrer Zeit und ihren. Empfindungen, die noch 
immer neue und würdige. Nahrımg vertragen, betrachten. wuͤre 
be, —. eben jo menig, als ich folchen Goethe’ ‚unübertneffe 


fiche . Wahlverwandtſchaften, deren: Grundlage auf der Ver⸗ 
derbtheit der gefellichaftlichen Verhaͤltniſſe beruhet, als Lecture 
anempfehlen würde. — 

Sehr ſchoͤn ift im Don Juan der Brief Juliems, und 
mehrere Reihen von Stanzen aus der Epiſode, welche die 
Liebe Don Juan's und Haidee's beſchreibt; dieſe werben hin⸗ 
reichen, Ihnen einen Begriff von der Art und Beil der 
Behaudlung zu geben. — 

Die Heineren poetifchen. Erzählungen The Giaour, The 
Bride. of Abydos, The. Corsair, Lara, The Siege. of 
Cerinth, Parisina , The Prisoner of Chillen, Mazeppa, 
Thie Island, find eben fo viel leuchtende Edelſteine in der 
Dichterkrone Byron’s, doch finb fie zu bekannt umd durch. les 
berfeßungen fo einheimifch bei und geworden, daß ich den Ein⸗ 
zeinen, bei der. großen Bahr, die wir noch zu Durchfehreiten 
haben, keine Zeit widmen darf. Cie tragen Alle dem. fiharf 
ausgeprägten Character des Dichterö, wie er. fich in Chile 
Harold offenbarte, doch: haben fie vor diefem:.noch den Vor⸗ 
theil, daß das freie, raſch fortichreitende Bersmaaß ihrem 
Verfaſſer noch weniger Feſſeln anlegte. — Es iſt ſchwer, 
weicher von ihnen der Preis zuzuerkennen ſey, da ſie Alle 
reich an Schönheit: find; mein Liebling iſt der Corſar und 
Zara, doch halte ich. den unter uns am Wenigſten bekannt 
geworbenen Mazeppa für Dad größte. Kunſtwerk dieſer Reihe, 
denn nirgends hat ber: Dichter folche Fuͤlle und: ſolchen Wech⸗ 
ſel der Phantaſie aufgeboten, und doch auch wiederum nichends 
ſich fo zu beſchraͤnken gewußt, als eben hier. 

Ich uͤbergehe mehrere der kleineren Gedichte, verziglich 
diejenigen, welche aus litteraͤriſchem oder politiſchem Aergey 
entſtanden, und Ihr Jutereſſe eben nicht ſehr anregen wuͤr⸗ 
den, und mache Sie ebenfalls nur beilauftg auf die herrliche 
Klage Taſſo's, und auf die ſchoͤne Jeider unerfuͤllte Prophe⸗ 
zeihung Dantes aufmerkſam, wm deſto laͤnger bei: den. dra⸗ 
matiſchen Werken anſere a Dehterz verweilen » koͤn⸗ 
en — ... 


e ain 
ich bier folgen laffe, ehe ich mir erlaube, meine Anſicht dar. 
ber ubzufprechen. — In der Einleitungs Scene find ı 
die Zeit des Sonnenaufgangs die erften Menfchen verſammelt 
ſie feiern Gott mit Gebeten > UM dann ihr Tagewert zu be: 
ginnen. Kain nur ſtimmt gi i i 


u 
Cain zuruͤckhalten dem Geiſte 34 folgen » aber umfonf, _ 
Er reißt ſich los und durchſtreift mit Lucifer den Abgrund des 
ums und de Hades, um ur Erkenntni > BA) der ihn . 
Dürftet, zu gelangen. Zur Erde zuruͤckgekehrt, quaͤlt dag 
große Raͤthſel „Tod⸗ ſeine Seele, er vertraut ſeiner Ada 
den inneren Kampf; Aber tritt zu ihnen, um m; 


tin, 3 
fie ſieht, was vorgefallen und ruft die Eltern + Diefe nebſt 
a kommen 3Adam befiehlt dem Cain > feinen Anblick 





urze Fabel des inhaltſchweren Gedich⸗ 
tes, in weichen Byron alle Kraft feines gewaltigen, Geiftes 








—— 209 j 


daß er fiegreich über Allen ſchwebt und mit geivandter Hand, 
wie in leichter Bewegung, die Elemente des pofitiven Glau⸗ 
bens fo zerftört, daß fich aus ihren Trümmern, wie aus dem 
Schutt verbrannter Gebäude, nie wieder ein Ganzes, das in⸗ 
neren Halt hätte, bilden laͤßt. — Diefer letztere Umſtand 
macht das ganze Werk fo gefährlich und verderblich, denn es 
vernichtet, ohne von anderer Seite Erfaß zu geben. — Das 
Gefchrei, das fich vorzüglich in England darüber erhob, war 
wohl natürlich, und Byron’s Nuchlofigkeit mußte Allen denen, 
die bei dem Glauben die Vernunft aus dem Spiele Iaffen, 
als ein graßliches Ungeheuer ericheinen. Der Cain ift nur 
für ſtarke Geifter gefchrieben, und nur des Lucifers wegen, 
wie aus Allem hervorgeht, verfaßt; darin liegt aber, wenn 
man das Ganze als Kunſtwerk betrachtet, der große Fehler 
des Stuͤckes; denn durch die rechtgläubige Beſtrafung, welche 
Cain erfährt, wird die innere geiftige Confequenz aufgehoben; 
die Idee wechfelt, wie ein Sprung von einer Diffonanz zu 
Accorden in ganz anderer Tonart, ohne vermittelnden Webers 
gang, und der Alles aufldiende Dreiklang bleibt aus, denn 
Ada's Treue, fo tief und fchön fie auch immer ift, Tann hier 
nicht genuͤgen, und man folgt dem Cain mit Intereffe und 
Theilnahme in die Wüfte. Die Urfache feiner Strafe, feine 
Schub, obwohl ein Mord, und noch dazu der erfte Mord 
auf der Erde, erfcheint, von höherem Standpunkte aus bes 
trachtet, auf dem die Motive einzeln und genau geprüft wer 
den, fo gewichtig nicht. — Die drei Hauptcharactere Lucifer, 
Cain und Ada find bewundernswürdig fchön; in den Scenen 
zwifchen den beiden Erfteren ift eine Erhabenheit des Gedan⸗ 
kens und der Phantafie, in denen zwifchen den beiden Letzte⸗ 
ren eine Tiefe, Srifche und Wärme des Gefühls, wie fie nur 
felten offenbart werden; fie zwingen zur Verehrung der Größe 
des Geiſtes, welcher fie ſchuf. 

An Cain fchließt ſich Manfred, obwohl früher gefchries 
ben und in mancher Hinficht eine Frucht von Byron's Auf: 
enthalt in der Schweiz, zundchft an; fie find Kinder einer 

14 


— 210 — 


Mutter, der Idee des Kampfes mit den Schranfen, welche 
der Menfchheit gezogen find. — Der Schauplag des Stüf: 
tes ift in die Alpen verlegt. Es beginnt mit einem Mono⸗ 
loge ded Manfred; er hat die Tiefen der Wiffenfchaft durch: 
forfcht, aber alle Srucht, die ihm fein Leben trug, gemügt 
ihm nicht: mit folgenden Worten fchildert er feinen Zuſtand: 
Ich that den Menſchen Gutes 

Und Gutes widerfuhr mir feldft von Menfchen, 

Doch, frommt' es nicht: ich Hatte Feinde, — und 

Befiegt von Keinem fah ih Manchen fallen — 

Doch frommt’ es nicht — Gutes und Boͤſes, Leben, 

Kraft, Leidenihaft — was ich an Andern fehe, 

Mar Alles nur wie Negen auf den Sand, 

Seit jener Schreckensſtunde. Ich zitt're nicht 

Und fühle mic verflucht vor nichts zu bangen, 

Der Hoffnung Füße Schauer nicht zu fennen, 

Und nichts auf Erden liebend zu umfaflen.”) 

Ueberjegt von Adrian. 

Er befchwört nun die Geifter, fie erfcheinen, fieben an der 
Zahl; der Geift der Erde, der Meere, der Luft, der Nacht, 
der Berge, der Stürme und feines Sterns, und fragen ihn, 
was er begehre; er fordert Vergeffen des, mas in ihm ift, 
fie aber fünnen nur gewähren, was fie felbft befisen, und 
diefe Gabe Tiegt nicht in ihrer Macht. — Doch, ruft ihm 
ein Geift zu: 


*) I have done men good 

And I have met with good even among men — 
“ But this avail’d not: I have had my foes 

And none have baffled, many fallen before me — 
But this avail’d not: — Good or wil, life 
Powers, passions, all I see in other beings 
Have been to me as rain unto the sands 
Since that all nameless hour. I have no dread 
And feel ihe curse to have no natural fear 
Nor fluttering throb, that beats with hopes or wishes 
Or lurking love of something on the earth. 











211 — 


Doch — ſterben kannſt Du. 
Manfred. 
Wird der Tod mir helfen? 
Geiſt. 
Wir ſind unſterblich und vergeſſen nicht; 
Und ewig ſind wir, und Vergang'nes iſt uns 
Wie Kuͤnft'ges gegenwärtig. — Gnuͤgt Die dies?) 
A. 


Manfred ſieht ein, daß er ſie umſonſt beſchworen habe an 
das Licht, doch will er ſie mit leiblichen Augen gewahren; 
der ſiebente Geiſt zeigt ſich ihm in ſchoͤner weiblicher Geſtalt; 
Manfred ruft aus: 
Gott! O ſeh' ich recht und biſt Du nicht 
Ein toller Spuk und eitles Blendwerk nur, 
Könnt ich noch gluͤcklich ſeyn. Laß Dich umfaſſen, 
Noch einmal wollen wir — 
(Die Geſtait verſchwindet.) 
Mir bricht das Herz. 
(Manfred fäaͤllt befinnungstos Hin, .)**) 


Eine Stimme laßt fich in einem Bannfluche hören; der Geift, 
der zu ihm ſpricht, wird zu ſeiner furchtbarſten Quaal ihn nie 


) Thou may'st die. 
Manfred. 
Will death bestow it on me? 
Spirit. 
We are immortal and do not forget; 
We are eternal; and to us the past 
Is, as the future, present. — Art thou answer’d? 


**) Oh God! if it be thus and thou 
Art not a maduess and a mockery 
I yet might be most happy — I will elasp thee 
Aud we again will be — 
(The figure vanishes.) 
My heart is erush’d! — 
(Manfred. falls yenseless.) 
14* 





— 212 — 


verlaſſen. — Wunderſchoͤn ſind die Strophen, in denen das 
Urtheil uͤber ihn geſprochen wird. 

Die Scene aͤndert ſich. — Es iſt Morgen, auf dem 
Gipfel der Jungfrau. — Manfred findet ſich allein auf dem 
Felſen; nichts macht ihm mehr Freude auf Erden; er koͤnnte 
ſein Leben enden, aber ein inneres Verhaͤngniß zwingt ihn, es 
zu tragen. — Ungeſehen von ihm tritt ein alter Gemſenjaͤger 
auf und will ihn warnen, daß er am Rande des Abgrundes 
ſtehe; Manfred hoͤrt aber nicht auf ihn, und will hinabſprin⸗ 
gen; der Jaͤger reißt ihn zuruͤck und fuͤhrt ihn in ſeine Huͤtte. 
Die ſchwere namenloſe Stunde laſtet gewaltig auf ihm, doch 
kann er das Leben dennoch tragen, ja auch des Alten Mit⸗ 
leid. — Er verbietet dieſem, ihm zu folgen, und verlaͤßt die 
gaſtfreie Wohnung. — Die Scene verwandelt ſich in ein 
Thal, in welches ein Waſſerfall hinabbrauft. — Manfred 
tritt auf und beſchwoͤrt die Nixe der Alpen; ſie erhebt ſich 
uͤber dem Bergſtrom; er will weiter nichts von ihr, als ſich 
an ihrer Schoͤnheit weiden. — Dann erzaͤhlt er ihr, wie er 
immer allein geweſen, umbergefehweift und endlich fich der 
Magie ergeben habe und in deren Tiefen eingedrungen fey. — 
Er habe, fährt er fort, weder Vater, Mutter oder Bruder 
gehabt, die ihm theuer waren, aber ein Weſen — es war 
oder vielmehr fie war ihm koͤrperlich und geiſtig ahnlich, nur 
hatte fie Tugenden, die er nicht befaß — fein Herz brach 
dad ihre — feit diefer Stunde mied ihn alle Ruhe; er fucht 
— Vergeffen. — Die Nire verfpricht ihm zu helfen, wenn 
er ihr unbedingten Gehorfam gelobt; er verweigert ed, denn 
er will nicht Geiftern gehorchen, die er beherrfcht; fie ver 
ſchwindet; nach einen: Monolog, \in welchem er befchließt,- 
die Todten zu befragen, verläßt auch Manfred das Thal. 

Auf dem Gipfel der Jungfrau verfammeln fich Die Goͤt⸗ 
tinnen des Schickſals, um ein großes Feſt in Ahriman’s Halle 
zu begehen; Nemeſis gefellt fich zu ihnen, nachdem fie fich 
mittheilten, was fie vollbrachten, und fie begeben fi) nun 
dorthin. Manfred tritt unter fie waͤhrend der Geier; er will 


ſich 


— 2113 — 


nicht vor dem Herrſcher der boͤſen Geiſter beugen; die 


erſte Schickſalsgoͤttin vertheidigt ihn, ihn alſo characteriſirend: 


) 


*) Der Mann 
Iſt feiner der gewöhnlichen Geſchoͤpfe, 
Das fagt fchon fein Erſcheinen hier; fein Leiden 
War von unfterbliher Natur, fo wie 
Das Unfrige; fein Können, Willen, Wollen, 
So weit es mit bem Thon, der Geiſtiges 
Nur hemmt, vereinbar iſt, war fo, wie felten 
Ein Sterbliher es zeigte, und fein Streben 
Schwang fühn fid) Über das ber Erdbewohner; 
Es hat ihn nur gelehret, was wir willen — 
Daß Wilfen nicht begluͤckt, Gelehrſamkeit 
Uns nur Unwiſſenheit vertauſchen laͤßt 
Mit einer andern Art Unwiſſenheit. 
Das iſt nicht "Alles — Leidenfchaften, die 
Dem Himmel wie der Erde eigen, denen 
Vom Wurme aufwaͤrts Nichts, Nichts ſich entzieht, 
Durchgluͤhten feine Bruſt und machten ih 
Zu etwas, das ich, die nie Mitleid fuͤhlt, 


— — — This man 
Is of no common order, 'as his port 
And presence here denote; his sufferings 
Havo been af un immortal nature, like 
Our owa, his knowiedge and his powers amd will 
As far as is compatible of clay 
Which clogs the ethereal esscnce, have been such 
As clay hath sellom borne; his aspirations 
Have been beyond the dwellers of the carth 
And they have only taught him what we know; 
That knowledge is not happiness and science 
But an exchenge of ignorance for that 
Which is another kind of ignorance. 
This is not all, the passions,, attributes. 
Of earth and heaven, from which no power, nor being 
Not hreath from the worm upwands is exempt 
Have pierced his heart; and in their consequenee 
Made him a thing, which I, who pity not 


— 14 — 


Von Andern gern bedauert feh. Mein iſt er 
Und Dein vielleicht — dies fey nun oder -nicht, 
Es hat fein and’rer Geift hier feine Seele 

- Und Keiner übt Gewalt aus über diefe. 


Adrian. 


Manfred verlangt nun, daß Aſtarte aus dem Grabe gerufen 
werde; fie erfcheint, er befchwort fie, mit ihm zu reden, 
nachdem fie lange fchweigt, ruft fie ihm endlich zu: Man- 
fred! To morrow end thy earthiy ills (Manfred! Morgen 
enden Deine Erdenleiden) und verfehwindet. Er bemeiitert 
feine Quaal und entfernt fich. 


Der. Abt von St. Maurice ermahnt in der folgenden 
Scene Manfred vergeblich, vom Boͤſen abzulaffen, aber. die- 
fer giebt ihm Fein Gehör und verläßt ihn; der wirdige Greis 
befchließt, es noch einmal zu verfuchen. — Sn der folgen: 
den Scene nimmt Manfred Abfchied von der Sonne. Die 
Bühne verändert fich und zeigt die Terraſſe vor Manfred’s 
Schloß. — Seine Vaſallen find vor dem Thurm verfam- 
melt, in welchem er feine nächtlichen Studien treibt und wa: 
gen nicht, ihn zu flören. — Der Abt begiebt fich zu ihm 
in den Thurm. Die Damonen wollen Manfred mit fich fort: 
reißen; der Priefter will fie beſchwoͤren, aber Manfred fcheucht 
fie weg, fie haben Teine Gewalt, denn, ruft er, eine mäch- 
tigere Hand Tiegt auf ihm, die Hand des Todes. Sie ver: 
ſchwinden, fein Auge bricht; der Geiftliche ermahnt ihn, zu 
beten, aber er ftirbt mit dem Ausrufe: Old man, tis not so 
difieult to die, *) und die Worte des Abtes: 


Yet pardon those who pity. He is mine 

And thine, it may be — be it so, or not 
. No other spirit in this region, hath 

A soul like his — or power upon his soul. 


) O alter Mann! So fchwer ift’s nicht zu fterben. 








— 2345 — 


Abt. 
Er ift dahin — fein Seift entfloh’ der Erde — 
Wohin? id, denk's mit Grau'n! doch — er ift hin. — 
A. 


enden das Ganze. — 

Wollte man die gewoͤhnlichen Regeln der Dramaturgie 
auf dieſes Werk anwenden, ſo wuͤrde es durchaus nicht vor 
dem Richterſtuhle der Kritik beſtehen koͤnnen, denn es iſt faſt 
durchgängig nur als ein Monodrama zu betrachten. Abſtra⸗ 
hirt man aber von jenen und nimmt dies Gebilde vein wie 
Byron ed gab, fo wird man bald dazu veranlaßt werden, 
ed als eine feiner eigenthümlichften Schöpfungen zu betrachten. 
Obwohl nicht zu laͤugnen ift, daß die Idee des Göthe’fchen 
Fauſt nicht ohne großen Einfluß auf ihn geblieben, fo ift der 
Manfred doch nur ald ein fehwacher Nefler verfelben zu be: 
trachten, indem Byron fo viel Eigenthümliches hineinlegte, 
daß er durchaus ald feine echtefte Schöpfung zu betrachten 
iſt. Das Einzige, welches Beide, Fauft wie Manfred, ge: 
mein mit einander haben, ift das Streben, über die Schran- 
fen der Erde hinauszudringen, und der dadurch fich erzeugende 
Kampf zwifchen Wollen und Kraft; Fauft verlangt aber nach 
einem unmittelbar verwandtfchaftlichen Verhaltniß mit der Gott: 
beit, denn er betrachtet fich ald Herr der Erde durch feine in: 
neren Vorzüge; Manfred dagegen tritt von furchtbarer Schuld 
getrieben, deren unausbleibliche Folgen er vernichten möchte, 
im Kampfe gegen die Allmacht auf, und darin liegt die un: 
gehenere Kluft, welche die Grundideen Beider trennt. — By⸗ 
von bat wieder feine ganze Eigenthümlichkeit in diefen Chara⸗ 
cter hineingelegt, da fich alle Annalen, welche der Seele des 
Dichters eigenthümlich find, in ihm offenbaren. Seine ſchoͤ⸗ 
pferifche Kraft, fo gigantifch fie auch Hervortritt, ift hier aber— 


*) He’s gone — his soul hatlı ta’en ils carthless flight — 
Whither? I dread to think — but he is gone. 


— 16 — 


mald nur eine negative, denn er fehafft wiederum nur um zu 
zerftören. Er läßt das Herrlichfte und Erhabenſte entfichen, 
um durch daffelbe die Nichtigkeit und Erbarmlichkeit des Men- 
ſchen in feiner Beſchraͤnktheit und Ohnmacht dagegen, in eis 
nem fichte, bei dem Einem die Augen vor Schmerzen über: 
gehen, hervor zu heben; der Menfch fühlt bei diefen großarti⸗ 
gen, coloffalen Naturerfcheinungen nicht, wie Elein, fondern 
wie jämmerlich er ihnen gegenüber da ſteht, und das ift ein 
gräßliched vernichtendes Gefühl bei dem Herrn der Erde, wel 
ches hervorzurufen aber dem Dichter Treude macht. — Er⸗ 
höht wird der fchauerlihe Reiz, der und zu Manfred zieht, 
noch durch das Geheinmißvolle feiner Schuß, die Byron faft 
nur ahnen laͤßt; fie ruht wie hmter dunfeln Wolfen, welche 
für Augenblicke der Sturm zerreißt, um fie deſto dichter und 
fchwerer wieder zufammen zu treiben. — Die einzelnen Schil- 
derungen der Gegend find wunderbar groß; eben fo fchön und 
erhaben in der Confequenz, mit. der fie durchgeführt wurden, 
find die Geifter dargeftelft, und ber Glanz der unäbertrefflich 
herrlichen Diction, der über dad Ganze ausgebreitet iſt, reißt 
“zur tiefften Bewunderung hin, obwohl ber Inhalt das Gemüth 
verwundet und verletzt. Die Scene, in welcher fiche die Schick⸗ 
falögöttinnen verfammeln, hat, was die Anlage betrifft, große 
Yehnlichkeit mit der bekannten Hexenſcene in Macheth; es 
wäre jedoch thöricht, fie eine Nachahmung nennen zu wollen, 
denn die Idee entfprang dort wie hier aus gleichen natuͤrlichen 
Verhältniffen. — 

The Deformed Transformed fchließt die Reihenfolge 
diefer Dramen, auch ihm Tiegt eine mit dem Hauptgedanken 
der beiden vorhergehenden Stüce, verwandte Idee zu Grunde, 
Es ift nur ein Fragment, deſſen Stoff theild der Sage vom 
Fauft, theild den Wood-Demon- von Lewis entlehnt wurde, 
und wohl das ſchwaͤchſte von Byron's Werken, obgleich es 
ihm auch nicht am großen ‚Schönheiten fehlt. — Characteris 
ſtiſch ift folgender Monolog des beſen Geiſtes, der hier den 
Namen Caeſar fuͤhrt: 








Und’ dies find Menſchen, wahrlich 

Helden und Fuͤhrer, Adam's Baftarbblüthe, 

Das ift die Folge, wenn des Denkens Macht 

Der Mafle wird. — Sift unbildfamer Stoff, 

Chaotiſch dentend wie er handelt, ftets 

In's erfte Element zuruͤck verfallend. 

Wohl! Ich muß mit den armen Puppen fpielen, 

Des Geiſtes Zeitvertreib in mäß’gen Stunden ; 

Werd' ich es müde, Hab’ ich fhon zu thun 

Bei den Geſtirnen, die die armen Weſen 
Gecſchaffen meinen, um fie anzufchauen. 

Ein Spaß wär's, wuͤrfe Eins man unter fie 

Und brachte Feuer in den Ameifenbaufen, 

Wie würde das Gewuͤrm bie Flucht ergreifen 

Und nicht mehr Eins des Andern Meft zerfthrend 

Ausbrehen in ein allgemein Gebet. Ha! hal *) 


Heaven and Earth, en Myſter wie Cain, hat große Aehn⸗ 
Ichleit mit dieſem, ſteht ihm aber fehr nach. — Es behandelt die 
Liebe der Engel zu den Menfchen, und Vie Suͤndfluth. Dieſes Dras 
ma erfuhr dieſelbe Berdanmnung mit dem eben genannten Drama, 





“ 


*) — — — And these are Men, forsooth 
Heroes and chiefs, the flower of Adam’s bastards ! 
This is the consequence of giving Matter 
The power of Thought. It is a stabborn substance 
And thinks chaotically, as it acts 
Erer relapsing into Ms first elements. 

Well! I must play with these poor puppets; "ls 
The Spirit’s pastime in his idler hours. 

When I grow weary of it, I have business 
Amongst the stars which these poor creatures deem 
Werd made for them to look at. "Twere a jest now 
To bring one down amongst them, and set fire 
Unto their ant-hill; how the pismires there 

Would scamper o’er the scalding soil, and, cgasing 
From tearing down each other’s nest, pipe forth 
One universal orison! Ha! hal 





— 218 — 


da einer von Cain's Töchtern gleiche Anfichten in den Mund 
gelegt werden. Die Schilderung der Sundflurh ift fchön. — 

Marino Faliero und die beiden Foscari find der ve⸗ 
netianijchen Gefchichte entnommen. Das Erftere, fireng auf 
hiftorifchem Grunde fußend;, behandelt die bekannte Verſchwoͤ⸗ 
vung und dad Ende des Dogen Marino Faliero im Sahre 
1355. — Michael Steno, ein junger übermüthiger Nobile, 
hatte beleidigende Worte gegen den Dogen und deſſen jugend- 
liche Gattin auf den Stuhl gefchrieben, auf welchem jener im 
Audienzſaal zu fißen pflegte. Marino Faliero fuchte Genug- 
thuung für die Schmach wor Gericht, aber die Aoogadori wie: 
fen die Klage an den Rath der Vierzig. — Hier beginnt das 
Drama. — Marino wartet ungeduldig auf das Urtheilz es 
wird ihm überbracht: Steno ift nur zu einmonatlicher Haft 
verdammt. — Der Doge bricht in die ungezähmtefte Wuth 
aus, fein Neffe Bertuccio fucht ihn zu befchwichtigen, und 
verläßt ihn Rache finnend, — Ifrael Bertuccio, ver Admi⸗ 
vol des Arfenald, wird gemeldet. — Er fucht Gerechtigkeit 
bei dem Dogen, denn ein Nobile hat ihn, den gedienten Krie⸗ 
ger, ſchwer beleidigt und blutrünftig gefchlagen. — Marino 
verweigert ihm diefe, weil ihm felber Genugthuung verfagt 
worden fey, und jeßt gefteht ihm Bertuccio, dag in Venedig 
ein geheimer Bund gegen die Nobili beſtehe; der Doge bes 
ſchließt, fich mit ihm zu vereinigen, und bei der Zuſammen⸗ 
Zunft der Verſchwor'nen fich einzufinden. — Folgender Mo: 
nolog Faliero's endet den Act: 


*) Um Mitternacht bei St. Johann und Paul, 
Mo meine edeln Väter fchlafen, werd” ich — 
Und was? Im Dunkeln mid mit rohen Burfchen 
Berathen, die zum Sturz des Staats vereint find. 


*) At midnight by the church Saiut's John and Paul 
Where sleep my noble fathers I repair — 
To what? to hold a council in the dark 
With common ruffians leagned to rnin states! 


x 


— 20 — 


Entjteigen meine Ahnen nicht der Gruft, 

Die fhon zwei Dogen birgt aus meinem Haufe, 

Hinab mich zieh'nd zu ihnen? — Könnten fie's! 

In Ehren ruht! ich dann bei den. Geehrten. 

Dod nicht an fie, an die nur darf ich denken, 

Die mid, fo unwerth machten eines Namens, 

Edel und groß, wie nur ein Confulsname 

Auf röm’fhem Marmor. Doch ich gebe wieder 

Den alten Glanz in unferer Geſchicht' Ihm 

Durch Rach' an jedem Schurfen in Venedig, 

Umd Freiheit allen Andern, oder ſchwarz 

Seh” ich ihn den Verlaͤumdungen ber ‚Zeit Preis, 

Die defien Ruf nie fhonen, der da fehlte, 

Eaefar wie Catilina vichtend, nad) 

Dem echten Prüfitein des Verdienſt's — dem Gluͤcke. 

Adrian, 

Eine Scene zwifchen der Dogareffe Angiolina und ihrer 
Vertrauten Mariang eröffnet den zweiten Aufzug. — Angio⸗ 
Ina fühlt fih frei von jeder Schuld und erhaben über alle 
Beleidigung; fie hätte gern.gefehen, daß die Richter gar Teine 
Strafe über Steno verhängt, fondern ihn feiner Scham und 
Srechheit überlaffen hatten; ihre ganze Liebe, bemerkt fie fers 
ner, gehört ihrem Gatten. Der Doge, tritt tieffinnend ein, 
Angiolina gefteht ihm, fie wünfche ihn ruhiger; er aber zürnt 


And will not'my great sires leap from the vault 
Ant plack me dewn ampngst them. — Would tkey could! 
For I should rest in honour with the honour’d. 
Alas, I must not think of them but those 

Whe have made me thus unworthy of a name, 
Noble and brave as aught of consular 

On Roman marbles; but I will redeem it 

Back to its antique lustre in our annals, 

By sweet revenge on all-that’s base in Venice 
And freedom to the rest and leave it black 

To all the growing calumnies of time, 

"Which never spare the fame of whim wlıo fails, 
But try the Caesar or the Catiline 

By the true touchstone of desert — suceess. 





— 1220 — 


ſchwer über die geringe Strafe Steno's; fie bittet ihm, ſich 
Nuhe zu vergoͤnnen und ihr zu erlauben, ihm zu folgen. — 
Er geftattet es. — Die Scene verwandelt fich in einen eins 
famen Plaß in der Nahe des Arfenals; Iſrael Bertuccio be⸗ 
raͤth mit Ealendaro, einem der Verbündeten, dad Nähere über 
die Verfchwörung, und theilt ihm mit, baß er einen Fremden 
in die Verſammlung führen werde, doch verfchweigt er deffen 
Namen. — Sie trennen fich mit dem Derfprechen, fih um 
Mitternacht wieder zu treffen. - 

Der Doge erfcheint zu Anfange des dritten Aufzuged vers 
Heidet an dem bezeichneten Orte. — Er ruft in einem Selbſt⸗ 
gefpräche die Geiſter jeiner Ahnen an, ihm zu feinem Vorha⸗ 
ben hold zu ſeyn. — Iſrael Vertuccio kommt zu ihm, und 
führt ihn nach furzem Geſpraͤch zu den Verſchworenen, die 
gewaltig erſtaunen , als fie in dem Verhuͤllten den Dogen er⸗ 
kennen, den ſie im erſten Augenblick toͤdten wollen. Er ent⸗ 
wickelt ihnen dann die Gruͤnde ſeines Betragens; ſie entwer⸗ 
fen nun den Plan des Ausbruchs der Verſchwoͤrung und be⸗ 
ſchließen, ohne Ausnahme jeden Nobile zu toͤdten. — Die 
Verſchworenen entfernen ſich darauf, nur Faliero und Bertuc⸗ 
cio bleiben zuruͤck, der Doge ſinnt über feine That nach und 
vertraut dem Genoffen feine Gefühle, biefer erinnert ihn. an 
Steno, , und entichloffen trennen fie ſich. — 

Die erfte Scene bed vierten Actes zeigt den Pallaſt des 
Nobile Lioni, welcher von beangftigenden Gedanken beunruhigt; 
dad Feft, an dem er Theil nahm, verlaffen hat. — In eis 
nem auögezeichnet fchönen Monolog fchildert er die Stille der 
Nacht, da wird. er durch einen verhülften Fremden geftört, 
Es ift Bertram, einer der Verfchworenen, deſſen Mohlthäter 
er war, und der ihn aus Dankbarkeit warnt. und ihn bittet, 
am morgenden Tage dad: Haus nicht zu verkaffen. — Lioni 
befiehtt feinen Dienern, ihn feft zu nehmen und will ihn ſelbſt 
zu dem Rath der Zehn und zum Dogen bringen. Die Scene 
verwandelt fich in dad Zimmer Faliero's; er ift mit feinem 
Neffen allein, giebt dieſem deu Befehl zur Ausführung des. 








— 2211 — 


Vorhabens, und harrt dann einfam auf den Erfolg der naͤch⸗ 
fien Augenblide. Da tritt plößlich der Signore di notte ein 
und verhaftet ihn wegen Dochverrathes, auf Befehl des Raths 
der Zehn. — Bertuccio Faliero wird ebenfalls gefangen hers 
eingebracht, und erzählt, daß Bertram ber Berräther ſey. — 
Bertuccio wird fortgeführt. — 

Mit der Verfammiung des Senates von Venedig beginnt 
der leigte Act. — Iſrael Bertuccio und Calendaro werden 
verdammt und zum Tode gefuͤhrt, nachdem ſie auf die Folter 
gebracht waren. Dann erſcheint der Doge vor dem Gericht; 
er hat den Schmerz, jenen Steno unter feinen Richtern ſitzen 
zu fehen. Angiolina fordert Einlaß, er wird ihr geflattet. Als 
fie ihres Gatten Verurtheilung erfährt, ruft fie ihm zu, ſich 
im fein Schickſal zu ergeben, denn Anderes geyieme weder ihr 
noch dem Fürften. — Steno bittet fie gerährt um Verzei⸗ 
hung wegen der Beleidigung ; fie weiſt ihm in hochherziger Rede 
ab. Nachdem dad Verdammungsurtheil über Marino Faliero 
geſprochen iſt, wird er auf fein Zunmer geführt. — In der 
folgenden Some nimmt er, ‚nis der Prieſter ihn verlaffen, 
Abichied von feiner Gattin, die ohnmaͤchtig nieberfinft. — 
Auf der oberften Stufe der Riefentreppe erwarten ihn die Pas 
teigier mit dem Nachrichter; prophetifch fpricht er einen Bann⸗ 
fluch über Venedig aus, dann wendet er fich zum Scharfrich⸗ 
ter und befiehlt ihm, nur einmal, aber ficher, wie fein (Falie⸗ 
:0’8) Fluch zu treffen. Als er fich auf die Kniee wirft, fchließt 
die Scene. — Die folgende zeigt venetianifche Bürger, welche 
ſich vor dem herzoglichen Pallafte verfammelt haben, und aͤngſt⸗ 
lich des Erfolges harren. — Ploͤtzlich wird das Gitter geöffs 
net, der Oberft der Zehn erſcheint mit dem blutigen Schwerdte 
und verfimder dem Wolle, was gefchehen fl. Bei dem Rufe 
„he gory head rolls dewn tke Giants steps‘‘ (das biut’ge 
Haupt vollt von der Niefentreppe) fallt der Vorhang. — 

Der Hauptfehler dieſes Drama’s ift der aller Byrou'ſchen 
Dramen; der Dichter hatte nicht die Kraft, fich feiner Subs 
jectivität fo ganz zu entäußern, daß er im Stande geweſen 


— m — 


wäre, einen feiner Perfünlichkeit gänzlich fremden Character zu 
erichaffen und dieſen confequent durchzuführen; an Reinheit 
der Elemente eines folchen ift daher nicht zu denken, und da 
durch Die Situationen und die Anlage oft etwas mit den 
Grundzügen Unerträgliches entfpringt, fo geräth er in ein ges 
wiſſes Schwanfen und fucht die dadurch entſtandenen Bloͤßen 
mit rhetoriſchen Schönheiten 'zu decken, was freilich mitunter 
nur intuitiv, im Gefühl eines folchen Mangels, nicht im kla⸗ 
ven Bewußtſeyn geichieht. — Das ift auch hier wiederholt 
der Hall, doch wird glüdlicher Weile dem durch Inconſequen⸗ 
zen. gefchwächten Intereſſe dad Gleichgewicht wieder gegeben, 
indem das Locale des ganzen Stuͤckes mit außerordentlicher 
Treue, und gewandter und reicher Farbenmifchung dargeftellt 
ward. —  Merkwürdig ift der Haß gegen ben Ariſtokratismus, 
welchen Byron hier ausfpricht, er, ber bis zum Ießten Au⸗ 
genblide mit ganzer Seele Ariftofrat war; doch wird er leisht 
erflarlich, wenn man bedenkt, daß Marino Faliero in Venedig 
entworfen wurde, und daß Englands Ariſtokraten des edeln 
Lords bitterfte Verfolger waren. — Died ift wieder ein Bes 
weis für die oben ausgeſprochene Meinung, daß alle Leiden- 
fchaften und. Empfindungen, felbft die widerſprechendſten, in 
feiner Seele beftehen konnten und neben einander Raum hatten. 

Marino Fallero wurde bald nach feinem Erfcheinen im 
Drud auf der englifchen Bühne, obwohl entfchieden gegen By⸗ 
ron's Willen dargeftellt, und misfiel natürlich, troß feinen vie⸗ 
len und großen Schönheiten, denn er ift eben fo wenig buͤh⸗ 
nengerecht, als alle andern Dramen deſſelben Verfaſſers, was 
diefer übrigens felbft wiederholt in feinen Briefen . erflärte; der 
Dialog war ihm bequem, doch geht er, wo es ihm paßt, gern 
in die hiftorifche und fchildernde Darftellung uber und hebt auf 
diefe Weife die Dramatifche Norm auf, obgleich er wieder von 
anderer Seite, in eigenem Widerſpruch, fich ſtreng an die brei 
Einheiten des Ariſtoteles bindet, um welche feine: Landsleute, 
fo. lange die engliiche Bühne befteht, ſich gerabe von jeher am 
Wenigſten künunerten. 














— 123 — 


Die beiden Foscari ift der Titel des zweiten von Byron 
verfaßten Drama's, deſſen Schauplatz ebenfalls Venedig iſt. 
Es behandelt das Schickſal des Dogen Foscari, (dem noch 
bei ſeinen Lebzeiten ein Nachfolger gewaͤhlt wurde, ein Um⸗ 
ſtand, der ihm das Herz brach,) und ſeines Sohnes, welcher 
als ein Opfer der Politik des venetianiſchen Ariſtokratismus 
endete. Es hat große Schoͤnheiten, leidet aber an denſelben 

Schwaͤchen, wie Byron's uͤbrige Trauerſpiele. 

Sardanapal und Werner ſind als die beiden mislungen⸗ 
ſten Producte des genialen Dichters zu betrachten. Das Letz⸗ 
tere ſpielt zwar in Deutſchland, hat aber wenig oder gar nichts 
Deutſches, nicht einmal in ſeiner Localitaͤt. 

Byron's Satyren, vorzuͤglich die gegen Southey gerichte⸗ 
ten, haben zu wenig allgemeines Intereſſe, und es gehoͤrt 
eine zu genaue Kenntniß der Verhaͤltniſſe zu dem richtigen 
Verſtaͤndniß derfelben, um bier ihr Weſen naher zu entwickeln, 
Weberhaupt war ed bei diefen Vorträgen nicht meine Abficht, 
zu genau die einzelnen Werke ohne Ausnahme zu behandeln, 
da ich im Ganzen nur Zingerzeige und Huͤlfsmittel zur befferen 
Auffaffung ded Characterd und der Gefammtleiftungen eines 
Dichters zu geben beabfichtige, und deshalb nur da in dad 
Einzelne gehen darf, wo der Plan, der mid) leitet, ed noth⸗ 
wendig bedingt, dieſer aber umfchließt nur dad Bedeutendſie. 








Achte BVorlefung. 





Thomas Moore. — Bisgraphifche Notizen. Characteriſtik Moo⸗ 
red als Dichter. — Lalla Rookh. — Das Paradies und die 





Deri ald Probe. — Loves of the Angels. — Irish Meledis.— -·- 


Andere Iyrifche Poefieen. — Moore's fatyrifhe Gedichte. — Pro: 
ben aus den Briefen der Familie Fudge. — M. P. or the blue 
stocking. — Proſaiſche Schriften Moore's. 


Neben Byron iſt unbedingt ſein vertrauter Freund und Bio⸗ 

graph Thomas Moore, als der ausgezeichnetſte engliſche 
" Dichter neuefter Zeit zu betrachten, infofern wir nämlich Walz 
ter Scott, nach Maaßgabe der größeren Anzahl und des groͤ⸗ 
Beren Werthed feiner in ungebundener Rede verfaßten Werke 
an die Spite der jet lebenden brittifchen Profaiften ftelfen. 
Moore erblidte das Licht der Welt zuerft zu Dublin am 
28. Mai 1780. Schon früh entwickelten fich feine geiftigen 
Fähigkeiten, fo daß er bereits in feinem -vierzehnten Jahre die 
Univerfität zu Dublin beſuchen Tonnte. Später widmete er 
fih in London der Jurisprudenz, und wurde im Fahre 1803 
ald Regiftrator bei dem Abmiralitätögerichte in Bermuda ans 
geſtellt, Tieß jedoch fein Amt durch einen Stellvertreter verfes 
ben, und benußte die ihm gewordene Muße zu Reifen in 





— 253 — 


. Amerita. 1806 kehrte er nach England zurüd, vermählte fich 
mit Miß Dife, und Iebt feit diefer Zeit in ungeflörter Ruhe 
den MWiffenfchaften, den größten Theil feiner Tage auf dem 
Lande (zu Bowwood in Wiltfhire) zubringend. — 

Moore hat fich vorzugsweiſe in drei Gattungen der Poe⸗ 
fie ausgezeichnet, im Lyriſchen, Epifchen und Satyrifchen ; 
wo ihm in diefen der Preis zukomme, ift ſchwer zu enticheis 
den. Die glänzendfte Phantafie in ihrem üppigften Neich- 
thume, eine faft fchmeidende Schärfe des Verſtandes und der 
Auffaffungskraft, und die herzentfprungenfte Tiefe des Gefühle 
find Eigenfchaften, die ihn nie verlaflen, fondern beftändig, 
ald die treueften und bereitwilligften Dienerinnen feiner Mufe . 
zur Seite wandeln. Ganz im Gegenfate zu Byron's melans 
choliichen Faͤrbungen, weiß er über faft alle Gebilde feiner 
Schöpfung einen beinahe blendenden Schimmer freudigen, ges 
waltig ftrömenden Lebens auszugießen, und doch herricht wies 
derum eine Zartheit und Innigkeit überall vor, wie man fie 
nur felten mit folcher Kraft vermählt findet. Dabei beberrfcht 
er einen ungeheuern Schag von Kenntniffen, der ihm aber 
nie zur Laſt wird; denn wie ımter ded Midas Berührung fich 
Alles vor diefem in Gold verwandelte, fo wird vor ihm, dem 
echten Dichter, Alles zur Poefie, und ſelbſt dem. fprödeften 
und widerftrebendften Stoffe vermag er eine Seite abzugewinnen, 
die ihn gefällig darſtellt. Ans Allem aber bricht die Liebens⸗ 
- würdigfeit und Redlichkeit feiner Gefinnungen fiegreich hervor 
und erhöht unendlich den Werth feiner Gaben. Als Dichter 
ift er ein Proteus, aber als Menſch immer echt, und man 
muß ihn daher lieben, felbft dann wenn es ihm gefällt, fris 
sol und leichtfertig, oder farkaftifch und verlegend vor und zu 
ericheinen, denn fein Genius verläßt ihn auch in folchen Au⸗ 
genblicken nicht, und ſeine Grazie hindert uns, ihm ernſtüch 
zu zuͤrnen. 

Moses bedeutendſtes Bert, ft Lalla Rookh, ein 
orientelifches Gedicht, das theild in Profa, theild in gebundes 
ner Rede verfaßt ift. Der yrofaifche Theil bildet gleichſam 

15 





— 26 — 


den Faden, an welchem bie einzelnen Perlen aufgereiht find. 
Er umfaßt Folgendes: Lalla Rookh, die Tochter des Aureng- 
zebe, ift mit einem Fürften von Cafchemir verlobt. Ein zahl: 
reiches und glänzendes Gefolge kommt nach Delhi, um fie 
feierlich zu ihrem Gemahl zu geleiten. Die Reife geht vor 
fih. — Ueberall, wo fie raften, unterhält fie ein junger 
Dichter mit poetifchen Gebilden. Er gewinnt ihr Herz und 
zieht fich den Haß des pedantifchen, etwas europäifch gefchil: 
derten Oberfämmererd zu. — Um 3iel der Reife zeigt ed 
fih, daß der Dichter und der Fuͤrſt, Lalla Ropkh's Gatte, 
dieſelbe Perfon find, und Alles Töft fich in Wohlgefallen auf. — 
Man muß geftehen, daß der Nahmen in feiner Art eben 
fo bedeutend ift, als die vier Gemälde, die vier poetifchen. 
Erzählungen nämlich, welche Feramorz, diefen Namen giebt 
fich der Fürft, der erwählten Braut vorträgt. Sch werde 
fpäter auf denfelben zuruͤckkommen, nachdem ich Ihnen vorher 
den Inhalt jener Vorträge in der Kürze mitgetheilt habe. 
Sie heißen: The veiled Prophet of Khorassan; Paradise 
and the Peri; The Fireworshippers; The Light of the 
Haram. j 
Das Erftere, der verfchleierte Prophet von Kho- 
raffan, behandelt die letzten Schickſale diefed Sanatikers, der 
feine abſtoßenden Züge unter einem Sirberfchleier verbarg, an- 
geblich, weil feine Anhänger den Glanz feines Antliged wicht: 
aushalten Fünnten, Sein Vorhaben ift, wie er verfichert, al 
Ien falichen. Gottesdienft auszurotten, allen Despotismus zu 
vernichten, und wenn er das vollbracht und eine goldene Zeit 
herbeigeführt hat, fich den gebefferten Erdenfühnen in feiner 
wahren Geftalt zu offenbaren. In feinem Harem befindet 
ſich, vom falfchen Wahn verleitet, ein dem Himmel wohlge- 
fällige Werk zu thun, Zelica, deren Geliebter Azim "in den 
Kampf wider die Griechen zog, und wie fie wahnt, ben Tod 
auf dem Schlachtfelde fand. Sie ift eine Beute des Verfuͤh⸗ 
rers Mokanna geworden, durch einen furchtbaren Eid an ihn 
gefeſſelt. Moͤtzlich fieht fie den todt geglaubten Azim als eis 


y 








— 227 — 


nen Neubefehrten vor dem falfchen Propheten knieen, und 
Molanna trägt ihr auf, für ihn den Juͤngling ganz zu gewin⸗ 
nen. Gie entdedt nun dem Geliebten das höllifche Ges 
webe und diefer flieht zu dem Kalifen, welcher fich zum Kam⸗ 
pfe gegen den verfchleierten Verbrecher ruͤſtet. — Azim leitet 
die Schlacht und bleibt Sieger. Mokanna fchließt fich in der 
Feſtung ein, vergiftet die wenigen ihm gebliebenen Anhänger 
und endet fein Leben durch einen Sturz in einen Brunnen voll 
Drennenden Weingeiftes. — Zelica hat fich des Schleierd bes 
mächtigt, zeigt fich damit auf den Willen, und fällt von 
Azim's Hand. Er verzeiht der Sterbenden, und befchließt fein 
Leben unter Gebet und frommen Beſchauungen, in der Wuͤſte, 
nach Langer Zeit: 
‘ His soul had seen a Vision, while he slept; 
. She for whose spirit he had pray’d and wept 

So many years, had come to him, all drest 

In angel smiles and told him she was blest! 

For this the old man breath’d his thanks, and died — 

And there, upon the banks of that loud tide 

He and his Zelica sleep side by side. ‘) 


Das zweite, das Paradies und die Peri, enthält 
eine perfiiche Sage. — Eine Peri, ein Wefen zwifchen Menfch 
und Engel, der der Genuß des Paradiefes verfagt ift, bittet 
um Einlaß in Eden. Der Engel verfpricht ihr Gewährung, 
wenn fie die Gabe bringt, die dem Himmel am Liebften iſt. — 
Sie eilt zur Erde hinab, und bringt nach einander von dort, 
dad Blut eined für fein Vaterland gefallenen Kriegerö, den 
legten Seufzer treu. fich opfernder Liebe, die Thräne des reui⸗ 


*) Seiner Seele war eine Viſion während feines Echlummers ge 
worden; fie, um deren Geift er fo lange Jahre gebetet und ge: 
weint hatte, war zu ihm gelommen, geſchmückt mit Engels:2ä- 
cheln und hatte ihm erzählt, dag fie felig fen; dafür Hauchte der 
Greis feinen Danf aus und farb; und dort an dem Etrande ber 
raufhenden Fluch fchlummert ex neben feiner Selica. 

15* 








— 228 


gen Suͤnders. — Die erſten beiden Gaben genuͤgen nicht, 
aber die letzte oͤffnet ihr die Thore des Himmels und ver: 
gönnt ihr, ſich zu den Seligen zu geſellen. — 

Der Fireworshipper (Feueranbeter) ftellt den letzten 
Kampf der Ghebern fuͤr die Unabhaͤngigkeit ihres Vaterlandes, 
Perſien, gegen arabiſche Unterjochung und gegen die Ausbrei⸗ 
tung des muhamedaniſchen Glaubens dar. — Die Scene 
liegt an der perſiſchen Seite des Meerbuſens, welcher dieſes 
Land von Arabien trennt. Die Feueranbeter ſind zuletzt in 
ein unzugaͤngliches Felſengebirge an dem Meerbuſen getrieben. 
— Von hier aus trotzen ſie dem Emir Alhaſſan, und ihr An⸗ 
führer Hafed, die letzte Hoffnung von Iran, iſt in der Eins 
biſdung der erfchrodenen Muhamedaner mit allen Attributen 
eined höllifchen Geiftes bekleidet. — Seine Landsleute aber 
verehren ihn wegen feiner Schönheit, Tapferkeit, Vaterlands⸗ 
liebe und Frömmigkeit. — Das heilige Feuer der Ghebern 
lodert beftändig auf dem Gipfel einer Klippe; alle Hoffnung, 
ed zu erhalten, ſchwindet endlich; Hafed aber und feine Ges 
fährten haben gefchworen, in den Flammen dieſes Urfeuers ih: 
rer Väter lieber zu fterben, als fich den Arabern zu unterwer- 
fen. — Ein Horm hängt an der höchften Baftion, ımd wenn 
es durch die einfamen Kfippen ertönen wird, fo ift der Augen⸗ 
bii® der Weihe da, in welchem die Ießten Feueranbeter fich 
- auf ewig mit dem heiligen und fombolifchen Element ihrer 
Verehrung vermifchen wollen. Einft in diefer verhaͤngnißvollen 
Zeit hat Hafed einen einfamen Felfen, auf dem eine Burg des 
Emirs fteht, erflommen, um den Feind feined Vaterlandes, 
‚ feines Volkes und feined Glaubens zu tödten. - Statt feiner 
findet er Hinda, ein junges, argloſes, unfchuldiges, fchönes 
arabifches Mädchen, deffen Herz, Sinn und Seele auf ein- 
mal durch den verwegenen Sremdling gefeffelt werden. — Sie 
fehen fich nachtlich oft, ohne daß Hinda weiß, woher er 
fommt, wohin er geht, aus welchem Lande er iſt; und fie 
hilft ihm die letzte Höhe der jahen Klippe dadurch hinauf, daß 
fie ihr langes fchönes Haar den Felſen hinunter Hängen läßt. — 





— 29 — 


Einſt verraͤth er feine Herkunft; fie ſieht, daß er das Zeichen 
der Feinde ihres Volkes, den Gürtel der Ghebern trägt, und 
ihr Friede ift auf ewig entflohen. Ihre Gejundheit ſchwindet 
ſtuͤndlich. Ihr Vater, der die Urfache nicht ahndet, will fie 
nach Arabien zurücienden, und aͤußert ihr den Tag vor ihrer 
Abreife, daß er durch Verrath den Zugang zu dem Zufluchtds 
winkel der Ghebern erfahren, und fie in der Nacht überfallen 
und vertilgen wolle, Ein Sturm uberfällt die Barke, in wels 
cher Hinda nach Arabien fehifft, und die Ghebern erobern das 
Sahrzeug. Hinda erkennt in ihrem Geliebten den Anführer 
der Ghebern, den fie von Kindheit au gelernt hatte zu fuͤrch⸗ 
ten, zu verwünfchen und zu verabſcheuen, ver jetzt aber ihre 
Seele in aller Glorie des Heldenthums und des Glaubens, 
von feinen geweihten Kriegern umringt, anſtrahlt. Sie ents 
det ihm den Verrath und befchmwört ihn, mit ihr zu fliehen, 
da aller Widerſtand bei den zahllofen Schaaren ihres Vaters 
vergebens fey. — In dem größten Seelenfampf, ben ber 
Dichter meifterhaft geſchildert, veißt er fich von der Liebe los, 
fendet die Geliebte nach ihrer Barke zuruͤck, ergreift das Horn 
des Schickſals, laͤßt ed durch die Oede ertünen. Wie die 
Araber den entdediten Eingang flürmen, ficht die Verzweiflung 
einen langen Kampf; mit Wunden bedeckt ftürzen die Ghebern 
ſich auf ihr heiliges Feuer zuruͤck. Hafed lege feinen vor dem 
Altar todt dahin gefunkenen Bruder auf den Holzftoß neben 
dem Altar, zundet ihn au und giebt fich durch die Flamme 
gleichfalls den Tod. Felfen und Sluthen werden von dem 
furchtbaren Feuerglanz erhellt. Hinda fieht ihn, an den Maft 
gelehnt, von ihrem Schiffe aus, erkennt die Geftalt Hafed's, 
wie er fich in die Flammen flürzt, und mit dem Schrei ded 
Eutſetzens: „Er iſt's!“ wirft fie fich in die vom Winde bes 
wegten, Rlammtenerhellten Fluthen. — in wunderfchöneg 
Todtenlied einer Peri fchließt dad Ganze. | 

Das Licht des Harem's, die vierte von Feramoız 
vorgetragene poetiiche Erzählung , iſt mehr als eine Einfaffung 
für lyriſche Poefieen zu betrachten. Der Fürft des ‚Landes 





— 230 — 


feiert dad Rofenfeft im Thale von Kaſchemir. Die Sultanin 
Nourmahal (das Licht des Harem's) hat fich mit ihm’. ents 
zweit. Sie befragt, da des Gatten Kälte fie fchmerzt, einen 
Zauberer, auf welche Weile fie feine Gunft wieder . erlangen 
koͤnne. — Diefer bewegt einen Geiſt, der Nourmahal ein 
Lied zu lehren, das umwiderftehlich iſt. Sie trägt daflelbe 
nach dem Fefle verlarvt dem Sultan vor, nnd dieſer eilt m 
ihre Arme. *) 

So verfchieden der Inhalt diefer vier Gedichte ift, fo vers 
fhieden ift auch ihr innerer Werth, doch bat jedes wiederum 
fo viel Eigenthümliches und Großartiges , daß ed, wen auch 
nicht umbedingt ald ein Meifterftüct, doch ſelbſtſtaͤndig als das 
Wert eines wirffichen Meiſters der Kunft fich zeigt. Jenes 
Eigenthuͤmliche Tiegt aber nicht in der Form und dem Inhalte, 
jondern in der Individualität des Dichterd, der troß dem Reichs 
thum feiner Phantafie und dem Zauber feiner Darſtellungs⸗ 
weife doch feine fubjectiven Eigenfchaften,, feine Natur überall 
durchfchimmern Iaßt, wodurch jener Farbenglanz bes Orientes, 
den er über dad Ganze verbreitete, eine ganz befondere Bes 
leuchtung und Färbung erhält, und und durch .eine eigene Ges 
muͤthlichkeit, die gleichfam als der Kern alles Lichtes, da 
aus dem Gemälde firahlt, zu betrachten iſt, anzieht und feſ⸗ 
fell. — Wir werden wie durch einen Zauberfiab mitten in 
den Orient verfebt, alles Grauſenvolle, wie alles Schöne ums 
giebt uns, aber der Geift, der ed in Bewegung ſetzt, ift abend⸗ 
laͤndiſch wie wir felbft, und fo fühlen wir und bald heimlich 
und vertraut. Mitten in der Gluth der Leidenfchaften, im 
Mechfel der Erfeheinungen, im Jubel der Luft, wie im Stöhs 
nen der Trauer, ſchlagen Klänge an unfer Ohr, die unferem 
eigenen Herzen entlodt zu feyn fcheinen, und die, obwohl wir 
fühlen, daß fie Fremdlinge find in jenen Regionen, wie wir 
ſelbſt, doch fchnell mit und dort heimifch werben... Das aber 


*) Bol. F. J. Jacobſen, Briefe an eine deutſche Edelfrau über bie 
neueften englifchen Dichter. Altona 4820, 2ter und Iter Brief, . 














— 231 
eben ift der Beweis für die Größe von Moore's Genius; wis 
ren feine Empfindungen, feine Gefühle und Anfichten nicht fo 
rein menfchlich und fo allgemein wahr, fo würde ber Zwiefpalt 
zwifchen dem Aeußeren und Inneren diefes Gedichted um befte 
Iebhafter und fchneidender fich offenbaren und alle Illuſion uns 
barmberzig vernichtend, uns durchaus Falt und theilnahmlos 
Iaflen. — Moore hat in allen fenen Werken nie aufgehört, 
die Hauptperfon, der erfte Hebel zu feyn und fich als folcher, 
wenn auch gleich faft nie fubjectio, fondern fich immer in das 
Objective kleidend, zu zeigen, aber er ift nicht, wie Lord By⸗ 
ron, ber Einzelne mit feinem Haß und feiner Kiebe, fondern 
er tritt auf als der Neprafentant der beffeven Hälfte des Men⸗ 
fchengefchlechtes, als ber Meprajentant der Unterdruͤckten, des 
ren Gefinuungen er in fich concentrirt, und deren edle Sprache 
er geläufig und berebt fpricht, da er fie in das Idiom feines 
Vaterlandes Irland übertragen, und aus diefem wieder in die 
Sprache der Poeſie überfeht hat. Er ift daher am Berebte: 
ften und Reichften, wo fich ihm am MMeiften Gelegenheit bar: 
bietet, was vor Allem fein Herz bewegt, zu offenbaren; dies 
findet bier in den Feueranbetern Statt, denn hier ergießt fich 
aus einem Quell, dem der Vaterlandsliebe im fchönften und 
edelſten Sinne, Alles was nur ein Menfchenherz zu erfüllen, 
zu erheben und zu begeiftern vermag. Kein Wunder, daß er 
fich ſelbſt von dem gewaltigen Strome mit fortreißen laßt, 
aber er bleibt doch immer Herr in demſelben, es ift das Eles 
ment feineö Lebens, in welchen er fich befindet, was kuͤmmern 
ihn Sorm und Plan, dafür forgt unbewußt fein Genius, der 
intmer zur rechten Zeit einzulenten weiß, wahrend er felbft fich 
gar zu gern dem Iprifchen Strome der Empfindungen willig 
überlaͤßt. — 

Jene vier Gedichte laſſen ſich mit wenig Worten charac⸗ 
teriſiren. Der Prophet von Khoraſſan iſt das Werk poeti⸗ 
ſcher Leidenſchaft, die aber nicht immer klar und ſelbſtbewußt 
bleibt; das Paradies und die Peri erſcheint als die religioͤſe 
Buße eines Dichters; die Feueranbeter find die Frucht eines 





—— 232 — 

reichen inneren Lebens; Nourmahal ift ein Kind feiner ſpielen⸗ 
den Phantafie, welches fie wohlgefällig mit Allem ſchmuͤckt, 
was ihr felbft Vergnügen macht. Als Kunſtwerk betrachtet, 
muß man den Feueranbetern wohl den Preis zuerfennen; der 
verfchleierte Prophet ift zu ungeſtuͤm, und es fehlt mitunter 
diehterifche Befonnenheit, auch enthüllt Moore zu früh das 
ſcheußliche Haupt, das der Silberfchleier bededt und raubt 
“ihm den zauberifchen Reiz des Geheimniſſes. Am Paradies 
und der Peri haben ferner firenge Moraliften die Stufenfolge 
getadelt, und die Thrane des renigen Suͤnders nicht ald die 
gottgefälligfte Gabe anerlennen wollen; wer darf aber hier 
entfcheidend fprechen, wo allein das Gefühl ein Recht zum 
Urtheil hat; nur mit dem Herzen, nicht mit dem Verftande 
laßt ſich abwägen, was der Gottheit wohlgefällig fey; der 
Werth der Gabe liegt in der Mühe des Erringens, nicht in _ 
ihr felbft; wer von feiner Armuth giebt, giebt am Meiften. — 
Uebrigens foll man: dad ganze Gedicht durchaus nicht alb eine 
Allegorie, welche beftimmte Zwecke in fich tragt, betrachten, 
dann wäre es allerdings verfehlt, wenn man anders nicht ans 
nehmen will, daß die Peri deshalb fchon den Himmel ver: 
diente, weil fie erfannte, was die ihm wohlgefälligfie Gabe 
fey. — Verlangt man aber nicht mehr als von jeder anderen 
Mythe, die man nur ald eine rein poetiſche Erfindung gelten 
laͤßt, fo muß durchaus aller Tadel dieſer Art wegfallen, und 
der Genuß, den die Aneignung diefer Dichtung jedem Unbe⸗ 
fangenen bringt, wird unverfümmert bleiben. Das ganze 
Gedicht möge hier folgen. 


Das Paradies und die Peri.*) 


"Eines Morgens am Himmelsthor 
Stand eine Peri mit laufchendem Ohr, 


) Paradise and the Peri. 


One morn a Peri at the gate 
Of Eden stood, disconsolate ; 


— 233 


Und wie fie horchte den tönenden Wellen, 
Die d’rinnen fließen in Lebensquellen, 

Und fing den Strahl auf ihren Schwingen, 
Den fie durch ewige Pforten fah dringen ; 
Da weinte fie traurend, daß ihr Gefchlecht 
Verloren hätte ſolch' glorreich Hecht, 

Zur immer verloren den heiligen Ort. 


Wie glücklich, rief das Iuftige Kind, 
Die Geiſter, die droben wandeln, find 
Unter Blumen, die nimmer trifft welfender Fall. 
Sind mein auch die Särten in Erd’ und Meer 
Und bringen die Sterne mir Blumen ber, 
Eine Blüthe des Himmels verduntelt fie al, 
Iſt fonnig der See bon Caſchemir gleich 
Mit feinem fchattigen Inſelreich, 
Sind Singfuhay’s Waſſer auch noch fo helfe, 
Eilt perlend hinunter die goldene Welle 
Und rauſchen die Quellen fo lieblih im Thal; 





And as she listen’d to ihe Springs 
Of live within, like musik flowing, 
And caught tbe light upen her wings 
Through the half-open portal glowing, 
She wept to think her recreant race 
Should e’er have lost that glorious place. 


„How happy,« exclaim’d this child of air, 
»Are the holy Spirits who wander there, 

Mid flowers that never shall fade or full; 
»Though mine are the gardens on earth and sca 
»And the stars themselves have flowers for me, 

One blossom ef heaven aut-bleoms then all! 
»Though sunny the Lake of cool Cashmere, 
„With its plane-tree Isle reflected clear 

„And sweetly the founts of that Valley fall; 
»Though bright are the waters of Sing-su-hay, 
»And the golden floods that thitherward siray, 











234 — 


Es wiſſen es die nur an himmliſcher Stelle, 
Wie die Wellen des Himmels viel klarer zumal. 


Geh'! ſchwinge Dich von Stern zu Stern, 
Von Lichtball zu Lichtball noch ſo fern, 
Wohin des Weltall's Feuer dringt. 

Nimm Dir die Freuden aller Sphaͤren, 
Du magſt ſie durch endloſe Jahre vermehren, 
Eine Himmelsminute ſie uͤberſchwingt. 


Der Strahlenengel an der Pforte 
Des ew'gen Lichtes, hoͤrt die Worte, 
Und als er lauſchend naͤher kam, 
Und ſtill ihr Trauerlied vernahm, 
Da glaͤnzt ſein Auge thraͤnenhell 
Gleich Silberthau aus Edensquell, 
Der auf der blauen Blume gluͤht, 
Die, wie Braminen uns erzaͤhlen, 
Allein im Paradieſe bluͤht. | 
„Du Tochter irrenden Geſchlechts,“ 


»Yet— oh ’tis only the Blest can say, 
»How the waters of Heaven outshine them alkf 


Geo, wing thy flight from star te star, 
»From world to luminous world, as far 
»As the universe spreads its flaming wall: 
»Take all the pleasurcs of all the spheres, 
»And multiply each through .endless years, 
»One minute of Hcaven is worth them all!« 


The glorious Angel, who was keeping 
The gates of Light, beheld her weeping; 
And as he nearer drew and listem’d 
To her sad song, a tear-drep glisten’d 
Within his eyelids, like the spray’ 
From Eden’s fountain, when it lies 
On the blue flow’r, which'— Bramins say — 
Blooms no where. but im Paradise ! 
»Nymph of a fair but ezring line!« 


=— 1235 — 


So ſprach er fanft; — „Dir ift geblichen — 
„Noch eine Hoffnung, denn geichrieben 
„Steht in dem Bud) des ew’gen Rechts: — 
„Der Peri werbe noch vergeben, 

„Die einft das koͤſtlichſte Geſchenk, 

„Dem Himmel kann erftredben. — 

„Seht — ſuch' es — Deine Sünde buͤße, 
„Bring', was bie KHimmlifchen verlangen; 
„Ach, den Verzieh'nen iſt's fo füße 

„An Himmelsthoren zu empfangen. — 


Schnell mie Kometen eilen, 
Der Sonne Feuerkuß zu theilen, 
Raſcher ale Sternenbrände, 
Geſchleudert bei Machtzeit durch Engelshände 
Auf den finftern Geift, der in fruchtlofem Grimme 
Stredt, daß er ewige Höhen erglimme; 
Eilet die Peri in’s Erbenthal, 
Geleitet von leuchtendem Himmelsſtrahl. 


Genüly he said — -One hope is thine 
»Tis written in the Book of Fate, 
» The Peri yet may be forgiven 
»Who brings to this Eternal gaie 
» The gift ihat is most dear to Heawen! 
»Go, seek it, and redecm thy sin — 
»Tis sweet to led the Pardon’d in!« 


Rapidly as comets run 
To th’ embraces of the Sanı — 
Fleeter than the starry brands, 
Flung at night from angel hands 
At (hose dark and daring sprites, 
Who would climb the empyrial heights, 
Down the blue vault the Peri fies, 
And, lighted oarthward by a glance 
That just then broke-frem merning’s eyes, 
Hung hovering o’er our werld’s expanse. 











— 1236 — 


Doch wohin iſt's, daß den Fuß fie wende, 
Zu finden diefe Himmelsfpende ? 
Das weiß ich, fpricht fie, wo Rubinen gluͤh'n, 
Dort unter den Pfeilern von Chilminar, 
Und jeder Urne Schag ift mir bekannt, 
Ach weiß, wo des Wohlgeruch's Inſeln bluͤh'n, 
Dort bei Arabiens fonnigem Land, 
So viele Faden tief unten im Meer; 
Ich Hole König Jamſchid's Becher her, 
In dem ber Trunf.des Lebens wallt, 
Wohin ihn Genien auch verfentt. 
Doch ift das nimmer des Himmels Gefchent. — 
Wo war je ein leuchtender Edelftein, 
Der heller ftrahlet als der Schein 
Bon Allah’s Thron — und des Lebens Seift, 
Mas gegen der Ewigkeit Tiefen er beißt. 


Da fo, im Nachdenken weilend, fie ſinnt, 
Da wehen die leicht beiwegeten Schwingen 
Ueber Indien lieblid, Eühlenden Wind; 


But whither shall the Spirit go 
To find this gift for heav’ia? — »I know 
»The wealth,« she eries, »of every urn, 
»In wlich unnumber’d rubies burn, 
» Bencath the pillars of Chilminar; — 
»I know where the Isles of Perfiune are 
»Many a fathom down in the sen, 
» To the south of sun-bright Araby ; 
»1I know too where the Genü hid 
» The jewell’d cup of their King Jamshid, 
»With Life’s elixir sparkling high — 
» But gifts like these are not for Ihe sky. 
»Where was there ever a gem that shone 
»Like steps of Allah’s wonderful Throne? 
„And the Drops of Life — oh! what would ihey be 
‚In the boundless Deep of Etemity? « 


While thus she mus’d, her pinion's fann’d 
The air of that sweet Indian land, 


Da wo die Luft wie Balfam fo lind, 

Wo die Fluthen von Ambralagern dringen, 
Und durch der Korallen verwicelt Gezweige, 
Wo der Berg empfänget vom Sonnenftrahl, 
Daß funkelndes Edelftein er erzeuge; 

Und wo mandy' fchattiges grünes Thal 
Einer Peri würdiger Aufenthalt. 


Do ach! die Mare Welle wallt, 
Sefärbt von Blut. — Geruch der Gruft 
Dringt jest aus Deinen Släthenhainen, 
Und mit der Blumen füßem Duft 
Muß der Sefalfinen Todeshauch ſich einen. 


Du Land der Sonne, wer entweihte frevelnd 
Dir Deiner Tempel hohe Säulen, wer 
Die Goͤtterbilder und die heil'gen Höhlen, 
Und ſtuͤrzte Deine taufend Throne um? 


Whose air is balm; whose ocean spreads 
O’er ceral rocks and amber heds; 
Whose mountains , pregnant by the beam 
Of the warm sun, with diamonds teem; 
Whose rivulets are like rich brides, 
Lovely, with gold bencath their tides ; 
Whose sandal groves and bowers of spice 
Might be a Perä’s Paradise | 
But crimson now her rivers ran 

With human blood — the smell of death 
Came reeking from those spicy bowers, 
And man, the sacrifice of man, 

Mingled his taint with every breath 
Upwafted from the innocent flowers! 
Land of the Sun! what foot invades 
Thy Pagods and thy pillar’d shades! 
Thy cavern shrines, and Idol stones, 
Thy Monarchs and their thousand Thrones? 








4 


— 1238 


eh, er von Gazna iſt's, im Zorne wäthend; 
Er kommt, und Indien's Herrfcherbiademe 
Tritt er mit räuberifhem Fuß zu Boden; 

Die Kunde zieret er mit Edelfteinen, 

Die von dem keufchen Bufen mancher Fürftin 
Er mit entweihender Gewalt geriffen. — 

Die Jungfrau'n tödtet er in ihren. Zellen, 

Die Priefter betend für des Landes Ehre, 

Und daͤmmt mit Trümmern goldener Altäre 
Aus ihrem Bette die geweihten Wellen. — 





Die Peri fchauet nieder dort, 
Durch des Schlachtfeld's blut'gen dunklen Ort, 
Wo an dem väterlihen Strand 
Ein jugendlicher Krieger ftand, 
Das Schwerdt gerbrochen in feiner Hand, 
Im Köcher den legten von allen Pfeilen. — 
„Es fey das Leben Dir gefchentt,” 
Sprady der Eroberer — „das Loos zu eheifen “ 


— — 


’Tis he of Gazua — fierce in wrath 
He comes, and India’s diadems 
Lie scatter’d in his ruinous path. — 
His blood-hounds he adorns with gems 
Torn from the violated necks 
Of many a young and lov’d Sultana; — 
Maidens, with 1heir pure Zenana, 
Priests in the very faue he slaughters, 
And choaks up with the glittering wrecks 
Of golden shrines the sacred waters! 


Downward the Peri turns her gaze, 
And, through the war-field’s bloody haze 
Beholds a youthful warrior stand, 

Alone, beside his native river, — 
The red blade broken in his hand 

An the last arrow in his quiver. 
»Live,« said. the Conqueror, »live to share 
»The trophies and the crowns I hbear!« 








— 239 — 
„Der Beute geführt aus Deinem Land.” — 


Doch unbeweglich ftand der Juͤngling, ſchweigend 


Auf die dunkel wallenden Wellen, 

Gefaͤrbt von ſeiner Bruͤder Herzblut, zeigend, 
Dann ſandt' er den einz'gen aller Pfeile, 

Auf des Wuͤthrichs Herz mit Sturmeseile. — 
Doch ach! der Schaft verfehlt das Ziel, . 
Der Räuber lebte, der Sjüngling fiel. 

’ Da merkte die Deri, wohin er fan, 

Und als des Krieges Getuͤmmel fern, 

Auf einem Strahl, den der Morgenftern 
Sefendet, fie ſich herniederſchwang 

Und den legten glorreihen Tropfen Blut, 

Der aus dem brechenden Kerzen dringt, 
Nimmt fie — eh’ der freigebor'ne Geiſt 

Sich irdifchen Banden auf immer entreißt. — 
Und als fie eilend die Flügel fchwingt, 

Da ruft fies — Sey das die willkommene Gabe, 
Die für die Thore des Lichts ich habe; 

Sind oft die Tropfen, die Lebensgquellen 
Entrinnen auf weitem Schladhtrevier, 

Auch unrein: Blut, wie diefes Bier 


Silent that youthfal warrior stood — 
Silent he pointed to the flood 
All crimson with his cowmtry’s blood 
Then sent his last remaining dart, 
For answer, to the Invader’s heart. 
False flew the shaft, though pointed well; 
The Tyrant liv’d, the Hero fell! 
Yet mark’d the Peri where he lay, 

And, when the rush of war was past, 
Swiftiy deseending en a ray 

Of morning light, she caught the Iast, — 
Last glorious drop his heart had ahed, 
Before its free-born spirit fled! ' 
»Be this,« she cried, as she wing’d her flight, 
»My welcome gift at the Gates of Light. 
»Theugh foul are the drops that oft distil 

»On the field of warfare, blood like this, 


- 





— 120 


Befudelt nicht die klareſten Wellen, 

Die taufchen in feeligem Aufenthalt. — 

O, wenn auf weitem Erbdenrunde, 

Eine Gabe dem- Himmel wohl gefällt, 

So find es die Tropfen der blutenden Bunde 
Des Herzens, das für die Freiheit fällt. 


„Suͤß,“ ſprach der Engel, als die Gabe 
Sie legt in feine Strahlenhand; | 
„Iſt unfer Gruß dem tapfern Helden, 
„Der muthig flach für's Vaterland, — 
„Doc ſieh' — es vegt ſich nicht das Thor, 
„Und was Du wieder bringft hervor, 
„Noch heil'ger muß das Opfer feyn, 

„Das Dich führt in den Himmel ein. 


Die fchönfte Hoffnung zum ew’gen Frieden 
Bluͤht jegt auf Africa's Mondgebirgen; 


»For Liberty shed, so holy is. 
»It would not stain the purest rill, 
»That sparkles among the Bowers of Bliss! 
»Oh! if there be, on this earthly sphere, 
»A boon, an oflering, Heaven holds dear, 
Tis the last libation Liberty draws 
«From the heart thaat bleeds and breaks in her cause!« 


»Sweet,« said the Angel, as she gave 

The gift into his radiant hand, 
»Sweet is our welcome of the Brave 

Who die thus for their native Land — 
But see — alas! — the crystal bar 
‚Of Eden moves not — holier far 
» Than ev’n this drop the boon must be, 
»That opens the Gates of Heaven for thee!. 


Her first fond hope of Eden blighted 
Now among Afrie's Lunar Mountains, 





—M — 


Sie ſenkt den Flug hinunter nah Süden; 
Nach des egyntifhen Stromes Wellen, 
Tief in die einfam düftern Schatten, 
Wo dem Sterblihen fremd die entfpringenden Quellen, 
Und wo auf waldumgränzten Matten 
So oft die Senien der Fluth 
Des jungen Riefen Wiege grüßen ; 
Dort über Egyptens Palmenhut, 
Wo Königsgräfte zu ihren Füßen, 
Die fireng verbannte Peri eilt; 
Hier bei der Tauben Kofen weilt , 
Im Thal Rofetta’s, und belaufcht 
Das Mondliht auf den weißen Schwingen 
Des Delican’s, — der durch Moeris raufcht. 
Mie konnt’ ein ſterblich Auge dringen 
“Sn fchöneres Land, wer biefe Nacht 
Erſchaut, der hätte nie gedacht, — 
Wenn biefe Thäler er je gefehn 





Far to the South, the Peri lighted; 
And sleeked her plumage at Ihe fountains 

Of that Egyptian tide — whose birth _ 

Is hidden from the sons of earth; , 

Deep in those solitary woods, 

Where oft the Genii of the Floods 

Dance round the cradle of their Nile, 

And hail the new-born Giants smile! 

Thence, over Egypt’s palmy groves, 
Her grots, and sepulchres of King's 

The exil’d Spirit sighing roves; 

And now hangs listening to ihe deves 

In warm Rosetta’s vale — now loves 
To watch the moonlight on the wings 

Of the white pelicans that break 

The azure calm of Moeris’ Lake. 

’Twas a fair scene — a Land more bright 
Never did mortal eye behold! 

Who could have thought, that saw this night 
Those valleys and their fruits of gold 

16 





— 11 — 


Mit ihren gold’nen Früchten fo fchön; 

Und dieſe Dattelgweige beugend 

Den matten Palmengekrönten Aft, 

Gleich Jungfrau'n, die der Schlaf, ſich neigend 
Auf ihre Wimpern — in Träumen umfaßt; 
Die reinen Lilien, fchaamhaft badend 

Die Blüthen in der kühlen Fluch, 

Daß — wenn der Sonne Strahlen Iadend 
Erſcheinen, — fie prangen in hoher Gluth, 
Und wenn er gefehn die geftärzten Palläfte 
Eines prachtvollen Traumes einzige Reſte, 
Sin deren feenhafter Einfamkeit 

Kein Laut zu hören weit und breit — — 
Wie hätt’ er geglaubt, daß dort, ja dort, 
An diefem fchönen einfamen Ort 


Der Dämon ber Krankheit auf heißen Schwingen 


Konnte verderblihen Todeshauch bringen. 


Basking in heav'n's serenest light; — 

Those groups of lovely date-trees bending 
Languidly their leaf- crown’d heads, 
Like youthful maids, when sleep descending 
Warns them to their silken beds; — 

Those virgin lilies, all the night 
Bathing their beauties in the lake, 
That ihey may rise more fresh and bright, 
When their beloved Sun’s awake; — 
Those ruin’d shrines and towers that secm 
The relics of a splendid dream; 
Amid whose fairy loneliness 
Nought but the lap- wing’s cry is heard, 

. Nought seen but (when the shadows, fJlitting 
Fast from the moon, unsheath its gleam) 
Some purple-wing’d Sultana sitting 

Upon a column, motionless 
And glittering, like an Idol bird! — 
Who could have thought, ‘that there, ev’n there, 
Amid those scenes so still and fair, 
The Demon of the’ Plague hath cast 
From his hot wing a deadlier blast, 





N 
— 2113 — 


Sefährlicher als je er Fam 

Aus dem heißen Sande der rothen Wuͤſte, 
Daß er jedem Wefen das Dafeyn nahm, 
Das mit giftigem Hauch er verzehrend Lüfte, 
Und was fein Fittig nur berührt, 

Wird zu des Todes Pforten geführt, 

Wie die Pflanze, die der Smum ummeht, 
Danieder finke und welkend vergeht. 


Die Sonne manchen freundlich grüße, 
Der damals nody in Blüthe prangt, 
Und jest, wenn ihn der Peſthauch kuͤßte, 
Matt zu dem Tobdeslager wanft, 
Und nimmer wieder fieht das Licht. — 
Der Mondihein nur ummandert fchweigend 
Die Todten; keiner gräbt ein Stab, 
Den legten Ehrendienft erzeigend. 
Die Geier wenden febft ſich ab, 
Denn undeilbringend fcheint foldy Futter ihnen. 
Nur die Hyaͤne fchreitet noch mit kühnen 
Und gier’gen Schritten durch die leeren Gaffen, 


More mortal far than ever came 

From the red Desert’s sands of flame! 

So quick, that every living thing 

Of human shape, touch’d by his wing, 
Like plants, where the Simoom hath past, 
At once falls black and withering. 


The sun went down on many a brow, 
Which, full of bloom and freshness then, 
Is rankling in the pest- house now, 
And ne’er will feel that sun again! 
And oh! to see the unburied heaps 
On which the lonely moonlight sleepe — 
The very vultures turn away, 
And sicken at so foul a prey! 
Only the fierce hyaena stalks 
Throughout the city’s desolate walls 


16* 








— 244 — 


Um Mitternacht den gift'gen Raub zu faſſen. 
Weh dem Ungluͤcklichen, dem ihre blauen, 
Weit offenen Augen dort entgegenblitzen, 
Wenn er ſie antrifft unter Todesgrauen. 


In tiefer Wehmuth ſprach der Geiſt: 
„Beklagenswerthes Geſchlecht der Erden, 
„Wie theuer bezahlſt Du den erſten Fall; 
„Wohl moͤgen Bluͤthen Eden's Dir werden, 
„Doch die Spuren der Schlange find uͤberall.“ 


Sie weinte, die Luft ward Elar ringsum, 
Als die reinen Tropfen den Augen entflohn. 
Denn magifhe Kraft weilt in den Thränen, 
Die das Mitleid vergießt um den Erdenfohn. 


Da hört fie unter Orangenzweigen, 
Wo Bluͤth' und Frucht im Abendwind fid, Fühlen 
Und fchergend mit einander fpielen, 
Wie Alter pflegt zur Jugend ſich neigen — 


— — 


At midnight, and his carnage pes . 
Woe ta the half-dead wretch, who meets 
The glaring of those large blue eyes 
Amid the darkness of the streets! 


»Poor race of Men!« said ihe pitying Spirit, 
»Dearly ye pay for your primal Fall — 
Some flow’rets of Eden ye still inherit, | 
»But the trail of the Serpent is over them all: « 
She wept — &he air grew pure and clear 
Around her, as the bright drops ran 
For there’s a magic in each tear, 
Such kindly Spirits weep for man! 


Just {hen beneath some orange trees, 
Whose fruit and blossoms in the breeze 
Were wantoning together, free, 

Like age at play with infaney — 











— 24 


Den Seufzer eines Menſchen, der gefchieden 

Bon andern, in den ftillen Hain 

Sefchlihen war, um dort bei klarem Quell, allein 
Zu enden unter ftillem Frieden, 

Für den im Leben, wohin er fid, wandte 

So mandyes holde Herz entbrannte, — 

Der nun, als fey er nie geliebt, 

Sich Todesqualen einfam übergiebt. 

Ihm nahte Niemand, der ihm theuer; 

Es lindert feine Hand das Feuer, 

Das ihm im Bufen zehrend wählt; 

Die heiße Stirne feiner Eühlt, 

Der auch nur einen Tropfen auf die Stirne gießt, 
Aus dem hellen See, der zu Füßen ihm fließt. 
Und feine Stimme hört er lagen, 

Das legte Lebewohl zu fagen; 

Das, wenn aud) alle Töne fchwinden, 

Gleich Engelslauten kann den Weg zum Kerzen finden. 


Beneath that fresh and springing bower 
Close by the Lake, she heard the moan 
Of one who, at this silent hour, 
Had thither stol’n to die alone. 
One who in life, where’er he mov’d, 
Drew after him the hearts of many; 
Yet now, as though he ne’er was lov’d, 
Dies here, unseen, unwept by any! 
None to watch near him — none to slake 
The fire that in his bosom lies, 
With ev'n a sprinkle from that lake, 
Which shines so cool before his eyes. 
No voice, well-known through many a day, 
- To speak the last, the parting word, 
“ Which, when all other sounds decay 
Is still like distant music heard. 
That tender farewell on the shore 
Of this rude world, when all is o'er. 


— 246 — 


Und liebevoll den Geiſt erhellt, 
Eh' er in's Dunkel ſcheidet von der Welt. 


Verlaß'ner Juͤngling, ein Gedanke goß 
Jetzt Wolluſt uͤber Dich im Todesringen, 
Daß ſie, die Du ſchon Jahre lang gekannt, 
Die Du geliebt, die Deine bald genannt, 
Geſichert vor des Peſthauch's gift'gen Schwingen, 
In ihrer Vaͤter Hallen ſicher wallte. — 
Wo Quellen reinigen die Luft 
Und mancher hellen Flamme Brand, 

Von Roſenholz aus India's Land, 
Verbreitet reinen Duft, 
So rein wie ſie, die ihn empfand. 


Doch halt, wer ſchlich mit leiſem Tritte 
Sich in den duͤſtern Bluͤthenhain? 
Ein Bote, den Geſundheit ſendet, 
Auf bluͤh'nden Wangen, Purpurſchein. 
Sie iſt es — durch des Mondlicht's Schimmer 
Erkennt er die geliebte Maid, 


Which cheers the spirit, ere its bark 
Puts off into the unknown Dark. 


Deserted youth! one thought alone 
Shed joy around his soul in death — 
That she, whom he for ycars had known, 
And lov’d, and might have call’d his own, 
Was safe from this foul midnights breath; — 
Safe in her father’s princely halls, 
Where the cool airs from fountain falls, 
Freshly perfum’d by many a brand 
Of ihe sweet wood from India’s land, 
Were pure as she whose brow they fann’d. 


But see — who yonder comes by stealih, 
This melancholy bower to seck, 

Like a young envoy, sent by Health, 
With rosy gifts upon her cheek ? 

"This she — far off, through moonlight dim, 
He knew his own betrothed bride, 











247 


Die nimmer ohne ihn mag leben, , 
Mit ihm zu fterben ftets bereit. — 

"An feinem bleihen Mund der Ihre, 

Sie achtet nimmer die Gefahr, 

Und taucht, um feine Gluth zu dämpfen, 
Dort in den Quell ihr Lockenhaar. 





O! nimmer hätt" er es geglaubt, 
Doß je im Leben eine Stunde 
In ihrem’ Kreis es mit ſich bringe; 
Wo, fchrederfüllt fein müdes Haupt 
Er wende, wenn fie ihn umfchlinge 
Und ſchaud're vor dem Roſenmunde; 
Und vor ihm einft erftarren werde, 
Als wenn das Gift der ganzen Erbe 
Auf diefer roſ gen Lippe fey, 
Die jest fo furchtlos und fo frei 
Der feinen liebend nahe kam, 
Sonft ungebeten nie und ſtets in holder Schaam. 


She, who would rather die with him, 

Than live to gain the world beside! — 
Her arms are round her lover now, 

His livid cheek to her’s she presses, 
And dips, to bind his burning brow, 

In thee cool lake her loosen’d tresses. 


Ah! once, how little did he think 
An hour would come when he should slırink 
With horror from ihat dear embrace, 
Those gentle arms, that were to him 
Holy as is the eradling place 
Of Eden’s infant cherubim! 
And now he yields — now turns away, 
Shuddering as if ihe venom lay 
All in those proffer’d lips alone — 
Those lips that, then so fearless grown, 
Never until that instant came 
Near his, unask’d or without shame. 








— 249 — 


Wenn ſtirbt der Stamm, fo wird das Laub 
Seinem Herzen entfproffen, ſelbſt Todes Raub. 
D wende Dich zu mir, Geliebter, wende, 
Eh’ ich gleih Dir verwell und ende, 

D dräde noch an meinen Mund 

Den Deinen, bamit zulegt er theile 

Das reine Leben, fo mild und gefund, 

Das nody auf meinen Lippen weilt; 

Sie ſinkt — fie ſtirbt; — 0 fo verlifcht 
Der Lampe Licht — von Grabesduft 
Umweht in bumpfer Todesgruft; 

Und feine pefthauchenden Seufzer faugen 
Ertödtend die Strahlen aus ihren Augen. 
Ein Kampf noch — und er iſt bahin, 

Der Theure ift nicht mehr am Leben, 

Sie ſtirbt im Kuß, den im Entflieh'n 

Der Seele fie ihn liebevoll gegeben. — 


„Schlaf ,’ ſprach die Peri, als leife fie nahm 
Den Abſchiedsſeufzer — dem fehwindenden Leben, 


»When the stem dies, the leaf that grew 

»Out of its heart must perish 100 | 

» Then turn te me, my own love, turn, 

‚Before like thee I fade and burn; 

»Cling to these yet cool lips and share 

»The last pure life that lingers therel« 

She fails — she sinks — as dies the lamp 

In charnel airs or cavern — damp, 

So quickly do his baleful sighs 

Quench all the sweet light of her eyes! 

One struggle — and his pain is past — 
Her lover is no longer living! 

One kiss the maiden gives, one hast, 
Long kiss, which she expires in giving! 


„Sleep, « said the Peri, as softiy the’ stole 
The farewell sigh of that vanishing soul, 





— 250 — 


So herzlich und warm, als jemals es kam 

Aus Weibes Bruft — „von Düften umgeben 

Schlaf ein — von füßerem Hauch ummeht, 

Als er jemals dem Grabe des Vogels enifchwebt, 

Der auf flammender Bahre fein Todtenlied fingt, 

Das in Wohllaut und Düften gen Himmel ſich ſchwingt, 
Und in Düften und Wohllaut der Erde entſtrebt.“ — 


Da haucht die Peri Himmelsluft 
Aus ihren Lippen auf den Ort. 
Vom Antlig weicht der Schein der Gruft, 
Sie bluͤhn in Moſenglanz hinfort. 
Wie Heilige ſtrahlet ihr Angeſicht, 
Die aus der Erde ſind genommen 
Am Abend des Tages, wo das Gericht 
Wird uͤber die ganze Erde kommen. — 
Und die wohlwollende Peri glich 
Ihrem guten Engel, der ſie bewacht, 
Bis ſie Allah erweckt aus der Todesnacht. 


Der Morgen erroͤthet in himmliſchen Hoͤhn; 
Die Peri wendet nach oben den Flug, 


As true as e’er warm’d a woman’s breast — 
»Sleep on, in visions of odour rest, 

»In balmier airs than ever yet stirr’d 

»The enchanted pile of that lonely bird, 
Who sings at the last his own death lay, 
»And in music and perfume dies away. 


Thus saying from her lips she spread 
Unearthly breathings trough the place, 
And shook her sparkling wreath, and shed 
Such lustre o’er each paly face, 
That like two lovely saints they scem’d 
Upon the eve of doomsday taken 
From their dim graves, in odour sleeping; — 
While that benevolent Peri beam’d 
Like their good angel, calmly keeping 
Watch o’er them, till their souls would waken! 
But morn is blushing in the sky; 
Again the Peri soars above, - 








— 23531 — 


‚Da fie den koͤſtlichen Seufzer, der fchön 
Sich opfernden Liebe, zum Himmel trug. 
Hoc fchlug ihr Herz von Hoffnung geſchwellt, 
Sie werde elufifhe Palmen erringen, 

Da der wachende Seift der ewigen Welt, 

Als er fie die koͤſtliche Gabe fah bringen, 

Ihr lächelt: — fie Hört fchon in den Lüften 
Der Eryftallenen Glocken Geläut’ in den Zweigen, 
Ummwallet von ambrofifchen Düften, 

Die fih von Allah's Throne neigen, 

Sie fieht ſchon die firahlenden Becher erlefen, 
Die an der fildernen Duelle prangen, 

An deren Ufer die feeligen Weſen 

Der Ewigkeit läuternden Trank empfangen. 


Doc ach — Schnell ſenkt ſich die Hoffnung nieder, 
Schon wieder verfagt es das Schickſal; — ſchon wieder 
Verſchließt fih die Himmlifhe Pforte. — „Noch 

nicht!“ — 
Der Engel mit traurenden Toͤnen ſpricht, 


Bearing to Heav'n that precious sigh 
Of pure, self — sacrificing love. 
High throbb’d her heart, with hope elate, 
The Elysian beim she soon shall win, 
For the bright Spirit at the gate 
Smil’d as she gave tbat offering in; 
And she already hears the trees 
| Of Eden, with their crystall bells 
Ringing in that ambrosial breeze 
That from the throne of Alla swells; 
And she can see the starry bowis 
That lie around that lucid lake, 
Upon whose banks admitted Souls 
Their first sweet draugkt ef glery take! 


But ah! even Peris’ hopes are vain — 
Again ihe Fates forbade, again 

The’ immortial barrier clos’d — »mot yet,“ . 
The Angel said, as wilh regret, 


— 12352 — 


Als er die Ausficht von Neuem ihr fchloß, 

„Treu war das Mädchen, die That fo groß 

Prangt ftrahlend über Allah's Haupt. — 
Doc Peri es regt fi nicht das Thor, 

Und was Du wieder bringft hervor: 

Noch Heiliger muß die Gabe fenn, 

Die Dich fährt in den Himmel ein.“ 


Leber Syrien weilt das Abenblicht, 
Wo in dem herrlichen Land der Roſen 
Die fanften Lüfte fpielend koſen; 
Da der Sonnenftrahl fengend die Zinnen flicht 
Des Libanon — deflen eifig Haupt 
Don ewig flarrendem Schnee umgeben; 
Deffen Fuß von Kindern des Sommers umlaubt 
Eich fühle von rofigen Bläthen umweben. 


Mer hoch aus oberer Lüfte Zinnen 
Geſchaut in das Land vom Zauber umkraͤnzt, 





He shut from her that glimpse of glory — 

‚True was (he maiden, and her story, 

‚Written in light o’er Allah’s head, 

»By seraph eyes shall long be read. 

»But, Peri, see — the crystal bar 

»Of Eden moves not — holier far 

» Than ev’n this sigh the boon must be 

„That opes the Gates of Heaven for thee!.« 


Now, upon Syria’s land of roses 
Softly the light of Eve reposes, . 
And, like a glory, the hroad sun 
Hangs over sainted Lebanon ; 

Whose head in wintry grandeur towers 

And whitens wilh eternal sheet, 
While summer, in a vale of flowers. 

Is sleeping rosy at his feet. 


To one, who look’d from upper air 
O’cr all the cnchänted regions there, 








\ - 





—— 253 


Wie wundervoll daͤucht feinen Sinnen 
Das Leben, das dort unten erglängt. 
Die blühenden Gärten, die blinkenden Wellen, 

Bon gold’'nen Melonenranten umgeben, 

Die funtelnder noch durch den Sonnenftrahl ſchwellen; 
Und der Eidechfen gefchäftiges Weben 

In geftürzten Mauern, ſo klar fie und rein, 

Als lebten fie nur vom Sonnenfdein. 

Weit lebendiger ftrahlend unzählige Schaaren 

Bon flatternden Tauben auf Felsgeſtein, 

Mit ihren raftlos fchimmernden Schwingen, 
Unendlich ſchillernd im Morgenfchein, 

Als wären fie mit Demanten umzogen, 

Oder mit Farben angethan, 

Wie fie der leuchtende Regenbogen 

Zeiget am Himmel von Periftan. 

Und dann das Tönen der Kirtenflöte 

Uralter Zeit aus klingendem Rohr, 





— 


How beauteous must have heen the glow, 
The life, the sparkling from below’! 

Fair gardens, shining streams, with ranks 
Of golden melons, on their banks, 

More golden where the sunlight falls; — 
Gay lizards, glittering on ihe walls 

Of ruin’d shrines, busy and bright 

As they were all alive with light; — 
And yet more splendid, numerous flocks 
Of pigeons, settling on the rocks, 

With their rich restless wings that gleam 
Variously in ihe crimson beam 

Of the warm west, — as if inlaid 

With brilliants from the mine, or made 
Of tearless rainbows, such as span 

The’ unclouded skies of Peristan! 

And then the mingling sounds that come, 
Of shepherd’s ancient reed, with hum 








254 °— 


Das mit dem Summen fchmaufender Bienen 
Von Paldftina trifft das Ohr. — 

Und Jordan, deiner Fluthen Wallen, 

Mit deinen Hainen voll Nachtigallen! 


Doc nichts für die Peri Zauber hat, 
Ihr Herz iſt traurig: — die Flügel matt, 
Und freudenlos fieht fie die Sonne neigen 
Sic, jenem großen Tempel, einft ihr eigen. — 
Von oben herab die verlaffenen Säulen 
Gleich Zeigern ihren‘ Schatten fenden, _ 
Die die Zeit fich errichtet, in raſtloſem Eilen, 
Zu zeigen, wenn Weltalter enden. 


Doch liegt vielleicht zur guten Stunde 
Dort in der Sonne Zellen tief 
Ein Amulet, das Menfchenktunde 
Nie zum Gebrauch in's Dafeyn rief; 
Ein Taͤfelchen, vielleicht verfchloffen, 
Mit dem Namen des großen Salomo; 


Of the wild bees of Palestine 
Banqueting through the flowery vales; 
And, Jordan, those sweet banks of thine, 
And woeds, so full of nightingales! 


But nought can charm the luckless Peri; 
Her soul is sad — her wings are weary — 
Joyless she sees the sun look down 
On that great Temple, once his own 
Whose lonely columns stand sublime, 
Flinging their shadows from on high, J 
Like dials which the wizard, Time, 
Had rais’d to count his ages by! 


Yet haply there may lie conceal’4 
Beneath those Chambers of the Sun, 
Some amulct of gems, anneal’d 
In upper fires, some tablet seal’d 
With the great name of Solomon, 


— 2535 — 


Das nicht der Peri Auge verichloffen 

Ihr zeige, wo in Erd’ und Meer 

Die Sabe ruhe, der Zauber, der ſchon 
Sobald dem raftlos wandernden Geiſt 

Die himmliſchen Pforten für immer erfchleuft. 


Sie eilt, von Hoffnung geflügelt, dahin, 
Und milde ſtrahlet das Auge der Welt, 
Da ber weftlihe Himmel nody nicht erhellt 
Bon abendlihem Strahlenrubin. — 
Da über Balbec's Thälern ſchwebend 
Sieht fie, wie ein fchuldlofes Kind dort fpielt, 
Die wilden Blüthen mit Liedern belebend ; 
Wie die Blumen fo frei, fo bluͤhend und wild. 
Jagend mit gierigen Händen und Augen 
Die Libellen, die dort auf Jasminenftämmen 
. Aus den duftenden Bläthen Balfam faugen, 
Wie befhwingte Blumen, gleich geflügelten Gemmen. 
Dicht bei dem Knaben, ber müde vom Kofen 
Sich lagert unter duftenden Zweigen, 





Which, spell’d by her illumin’d eyes, 
May teach her where, beneath the moon, 
In earth or ocean lies the boon, 

The charm that can restore so soon, 
‚ An erring Spirit to the skies! 


Checr’d by this hope she bends her thither; — 
Still laughs the radiant eye of Heaven, 
Nor have the golden bowers of Even 

In the rich West begun to wither; — 

When, o’er the vale of Balbec winging 
Slowiy, she sees a child at play, 

Among the rosy wild -flowers singing, 

As rosy and as wild as they; 

Chasing, with eager hands and eyes, 

The beautiful blue damsel — flies, 

That flutter’d round the jasmine stems, 

Like winged flowers or fiying gems: — 

And, near the boy, who, tir’d with play, 


— 2356 — 


Und harmlos ſich bettet unter den Roſen, 
Gewahrt einen Krieger vom Roß ſie ſteigen, 
Das neben ihm ſchweißtriefend ſtand; 

Er eilet mit lechzend begieriger Schnelle 

Und trinkt am ſchmalen laͤndlichen Rand 

Von eines Imarets ſprudelnder Quelle; 

Dann wendet er die duͤſtere Braue 

In's bluͤhende Thal, 

Damit das holde Kind er erſchaue; 

Nie traf duͤſt rer Auge der Sonnenſtrahl; 
Vermiſcht war in ihm Schrecken und Gluth; 
Der finft're Abglanz alles Boͤſen, 

Und deutlich konnt' die Peri leſen 

D’rin düftere Thaten unmenfchlicher Wuth; 

Den entweihten Altar — die gefchändete Maid; 
Leichtfinnig nimmer gehaltenen Eid; 

Die Schwelle befleckt von des Gaſtfreund's Blut; 
Dort war es gefchrieben mit flammender Gluth. — 


Now nestling ’mid the roses lay, 
She saw a wearied man dismount 

From his hot steed, and on the brink 
Of a small imaret’s rustic fount 

Impatient fling him down to drink. 
Then swift his haggard brow he turn’d 

To the fair child, who fearless sat, 
Though never yet hath daybeam burn’d 

Upon a brow more fierce than that, — 
Sullenly fierce — a mixture dire, 
Like thunder-clouds, of gloom and fire! 
In which the Peri’s eye could read 
Dark tales of many a ruthless deed; 
The ruin’d maid — the shrine profan’d — 
Osths broken — and the threshold stain’d 
With blood _of guests! — there written all, 
Black as the damning dröps that fall 











— 237 — 


So lodernd, wie des Engels Bud), 
Worin er die Thaten der Menfchen trug, 
Bis Snadenthräne loͤſcht den Fluch. 


Doch ruhig lag dee Mann der Sünde, 
Als wenn des Abends mildes Weben 
Den Frieden feiner Bruft gegeben, 
Zufhauend dem fchuldlos fpielenden Kinde. — 
Doch wenn fein Bli zufällig traf 
Des rofigen Knaben freies Geficht, 
So war es, als wenn eine Zackel, verglimmt, 
Unpheiligem Goͤtzendienſt beftimmt, 
Begegnet der Sonne belebendem Licht. 


Dod fie", die Vefper ruft zum Beten, 
Da leife nieder die Sonne fintt, 
Und lieblich durch die Lüfte Klingt 
Der Ruf aus Syriens taufend Minareten. 
Der Knabe fpringt auf zur felden Stunde 
Empor fi wendend zu Süden’s Stern 





From the denouncing Angel’s pen, 
Ere Mercy weeps them out again! 


Yet tranquil now that man of crime, 
(As if the balmy evening time 
Soften’d his spirit,) look'd and lay, 
Watching the rosy infant’s play: — 
Though still, whene’er his eye by chauce 
Fell on the boy’s, its lurid glance 
Met that unclouded, joyous gaze, 
As torches, that have burnt all night 
Through some impure and godless rite, 
Encounter morning’s glorious rays. 


But hark! the vesper call to prayer, 

As slow the orb of day- light sets, 
Is rising sweetly on the air, 

From Syria’s thousand minarets! 
The boy has started from the bed 
Of fiowers, where he had laid his head, 


17 





— 258 


Und fifpelt mit unfhuldigem Munde 

Ein Cherub, den ewigen Namen des Herrn, 
Und ſchaut' mit hochgehob'nen Händen 

Hinauf in’s reine Himmelsblau, 

Wie Edensengel, der vom Erdenthau 

Sich wieder will zu ew'ger Wohnung wenden. 
Das war ein Anblid, der Himmel — das Kind, 
Es hätte ſelbſt, wenn aud) noch fo verftoct, 
Einen Seufzer verlorener Zeiten entloct 

Dem Eblis ſtolz und boͤs gefinnt. 

Mas fühlt er wohl, der finft're Mann, 

Da der Erinn’rung Welle rann, 

Ueber mandyes Jahr voll Zorn und Wuth 

Aus feines Lebens dunkler Fluth, 

Worin er keine Stelle fand, * 
Die Ruh’ und Frieden ihm geſandt? 

„Es gab eine Zeit" — ſo ſprach er in Teilen, 
Herzrührenden Tönen — „du Harmlofes Kind, 





And down upon the fragrant sod 
Kneels, with his forehcad to the south, 
Lisping the’ cternal name of God 
From purity’s own cherub mouth, 
And looling, while his hands and eyes 
Are lifted to the glowing slies, 
Like a stray babe of Paradise, 
Just lighted on that flowery plain 
And secking for its home again! 
Ob ’twas a sight — that Heav'n — that Child — 
A scene, which might have well beguil’d 
Ev’n haughty Eblis of a sigh 
For glories lost and peace gone by! 
And how felt he, the wretched Man 
Reclining there — while memory ran 
O’er many a year of guilt and srife, 
Flew o’er the dark fieod of his life 
Nor found one sunny resting - pace, 
Nor brought him back one branch of graee! 
»There was a fime,« he said, in mild, 
Heart-humbled tenes — »tlou biessod child ! 








2339 — 


Wo ih, wie Du, in heiligen Weiſen 

Gebetet, unfhuldig, wie Du geſinnt.“ 

Er fenkte das Haupt; es naht vereint 

Gefühl und Hoffnung, was fo tief 

©eit feiner Kindheit in ihm ſchlief, 

Es kehrte wieder; er weint; er weint! 

D tiefer Reue gefegnete Thränen, 

In deren milder verföhnender Fluth 

Gefuͤhlt wird das erfte göttliche Sehnen, 

Nach fchuldlofer Freude, des Himmels Gut. 
„Es giebt einen Tropfen, der von dem Mond,“ 
— Die Peri ſprach's, — „in des Junius Luft, 
„Faͤllt auf Egypten, darinnen wohnt 
„Unſchaͤtzbarer Zauber; es fchließe fid) die Gruft 
„Verpeſtender Seuche, wenn er fie beruͤhrt, 
„Und alles Elend wird fortgeführt. — 

„O teiffe nicht fo der Neue Thau, 

„Du Wann ber Sünde, im fanften Kal 


»When young and haply pure as {hou, 
»I look’d and pray’d like thcee — but now — 
He hung his head — cach nobler aim 

And hope and feeling, which had slcpt 
From boyhood’s hour, that instant came 

Fresh o’er him, and he wept — he wepf. 


Blest tears of soul-felt penitence! 
In whose benign, redeeming flow 
Is felt the first, the only sense 
Of guiltless joy that guilt can know. 
»There’s a drop,« said the Peri, »that down from the moon 
»Fall through the withering airs of June 
»Upon Egypt’s land, of sa healing a power, 
»So balmy a virtue, that ev’n in the hour 
»That drop descends, contagion dies, 
»And health reanimales earth and skies! 
»Oh, is it not thus, thon men of sin 
»’The preciaus tcaxs of repentance fall? 
| 17* 





2600 — 


„Dein Herz, von Fiuch und Gosheit grau; 
„Verſcheucht nicht der Tropfen das Wöfe al.“ 


Wie er num dort bemäthig nieder 
Sich betend bei dem Kinde bettet; 

Und es fällt derfelden Sonne Huld 

Auf den Schuldlofen wie auf die Schuld, 
Da tönen es Engelhymnen wieder, 

Wie eine irrende Seele gerettet. 


Die Some ſenkt ſich in der Ferne, 
Als dort andaͤchtig die Beiden knieen; 
Da fieht man ein heller Licht umzichen, 
Als je es geſtrahlet funkelnde Sterne, 
Des Suͤnders Thräne wie fie mild 
Hervor aus reuigem Auge quillt. 
Dem Auge Sterbliher duͤnkt's zu Teyn 
Strahlenden Nordlicht's heller Schein. — 
Wohl Hat es die freudige Peri gekannt; 
Es war ein Lächeln von himmlifhem unbe, 





»Though foul thy fiery plagues within, 
»One heavenly drop hath dispell’d them aB !« 
And now — behold him knceling there 
By the child’s side, in humble prayer, 
While the same sun-beam shines upon 
The guilty and the guiltless one, 
And hymns of joy proclaim through Hcaven 
The triumph of a Soul forgiven! 
’Twas when the golden orb had set, 
While on their knees they linger’d yet, 
There fdl a light, more lovely far 
Than ever came from sun or star, 
Upon the tear that, warm and meek, 
Dew’d at repentant sinners chech: - 
To mortal eye this light might seem 
A northern flash or meteor beam — 
But well the enraptar’d Peri knew 
’Twas a bright smile the Angel Ihrew 


{ 


261 — 





Zu weihen die Thraͤnen zur felben Stunde, 


Aus paradieſiſchen Höhen gefandt. — 
„O Freude für immer! — ich habe vollendet, 
„Willkommene Mitgift dem Himmel gefpendet, 


„Wie gluͤcklich iſt fie, die errungen es hat, 


„Gegen did, holdes Eben, voll Kummer und Gram 
„Sind die Diamantthärme von Schadukiam, 
„Und die blühenden Haine von. Amberabad. 


„Lebet wohl, ihr lieblihen Düfte der Erden, 


„Verſchwebend, gleich Liebender Seufzer. im Werden. 


„Ich weide mich jegt an dem Tubazweig, 
„Deſſen Duft unvergänglich wie Gottes Neid. — 
„Lebt wohl, ihr welkenden Blumen, die ſchon 
„Im kurzen Entknoſpen dahin, verbluͤht. 

„O was find die ſchoͤnſten, die je gebluͤht, 
„Gegen Lotosbluͤthen an Allah's Thron, 

„Wo in jedem Blatt ein beſeeltes Leben. 

„Ich hab’ es für immer, für immer erſchwungen, 


„Die Thare find offen, ber Himmel errungen.“ 


From Heaven’s gate, to hail ihat tear 
Her harbinger of glory near! 


»Joy, joy for ever! my task is done — 
»The Gates are pass’d, and Heaven is won? 
Oh! am I not happy? Fam, Iam — 

»To ihee, sweet Eden! how dark and sad 
..»Are the diamond turrets of Shadukiam, 
»And. the fragrant bowers of Amberabad! 
»Farewell ye odours of Earth, that die, _ 
»Passing away like a lover’s sich; — 
»My feast is now of the Tooba Trec, 
»Whose scent is the breafk of Eternity? 


»Farewell ye vanishing flower’s, that skone 
»In my fairy wreath, so bright and brief, — 
»Oh! what are the bwightest that e’er have, blowm, 
»To the lote-tree, springing by Alla’s Throns, 
»Whose flowers have a soul in every Icaf! 
»Joy, joy for ever! — my task is done — 
»The Gates are pass’d, and Heav’ır is won!« 





— 2162 — 


Die Einfaffung, welche er ben vier Gedichten. gegeben, 
Lalla Rookh's Reife und Vermaͤhlung, iſt originell und ge⸗ 
wandt, und laͤßt, vorzüglich durch die huͤbſche Zeichnung der 
einzelnen Scenen und Charactere, einen höchft angenehmen 
Eindruck zuruͤck, welcher fich neben der großartigen Wirkung, 
die da8 Ganze hervorbringt, ungefchwächt und frifch zu erhals 
ten weiß. 
| The loves of the Angels heißt Moore's zweites größes 
red Gedicht, das er freilich felbft nur für. ein Fragment aus: 
giebt, das aber durchaus als ein abgefihloffenes Ganze: zu 
betrachten ift. Die folgende Stelle aus dem Apocryphen Enoch 
giebt das Thema zum Gedichte: „Es gefchah, nachdem die 
Söhne der Menſchen fich vermehrt hatten in jenen Tagen, 
daß ihnen Töchter geboren wurden gefällig und fchön; und als 
die Engel, die Söhne des Himmels fie jahen, verliebten fie 
fich in dieſelben.“ — In der erflen Bluͤthenzeit der. Erbe 
geſchah es, erzählt‘ ver Dichter, daß ſich emes Abends drei 
Engel auf einem Hügel trafen. Alle Drei liebten Toͤchter ber 
Erde, und dies Gefühl hat ihrem himmliſchen Wefen fo viel 
Erdgebor’nes zugeſetzt, daß fie fich jest in einem Zuflande 
reinigender Buße gleichfam befinden. Sehnfüchtig bliden fie 
zum Himmel empor, je tiefer aber der Abend fich fenkt, defto 
öfterer gedenken fie jener feligen Empfindungen, Die beiden 
Erſteren erzählen ſelbſt die Gefchichte ihrer Liebe, die des Drit⸗ 
ten fuͤgt der Dichter hinzu. — 

Daß dieſes Werk vom Verfäffer der Lalla Rookh ſey, 
iſt nicht zu verkennen, denn alle Eigenthuͤmlichkeit Moore's 
offenbart ſich gleichfalls in ihm, aber es ſteht jenem Gedichte 
wie an aͤußerem Reichthum, ſo auch an innerem nach. — 
Der Stoff war nicht ergiebig genug fuͤr die glaͤnzende, nur im 
Wechſel reiche Phantaſie des Dichters, er erſetzt alſo dieſen 
ſcheinbaren Mangel durch Lyrik und Raiſonnement, und da 
noch obendrein das Ganze ſchon durch den vorher zu ſehenden 
ſchmerzlichen Schluß jeder einzelnen Erzaͤhlung einen vorherr⸗ 
ſchenden Ton der Wehmuth erhalten muß, ſo bekommt es 


— 263 — 


eine elegiſche Richtung, die dem Eindrucke nıchr ſchadet, als 
daß ſie ihn befoͤrderte und hoͤbe. Trotz der Waͤrme und Ju⸗ 
nigkeit der Empfindungen, dem Glanze der Diction, und dem 
Feuer der einzelnen Schilderungen, welche er durch das Werk 
verbreitet, iſt Moore doch nicht genug Herr geblieben, um 
über demfelben zu ftehn, und es mangelt daher, indem feine 
Subjectivität vorherrfchend wird, der Dichtung an der wah⸗ 
ven, durch fich felbft wirkenden Kraft. Diefer Hauptfeh⸗ 
ler wird num noch dadurch verftärkt, daß das Liebesverhilmiß 
ſaͤmmtlicher drei Engel, in feiner innerſten Haltung, viel zu 
modern, und alfo unwahr und inconfequent iſt. — Der Erfte 
liebt gu irdiſch und hat fehr menfchliche fehrwache Stunden; in 
einer folchen wird er von der fehr atheriich Liebenden Erkohr⸗ 
nen um feine Engelfchaft gebracht, und bleibt, natürlich wis 
der feinen Willen, ald Meuſch im Staube zuruͤck, wahrend 
fie als Engel gen Himmel fliegt. — Der Miögriff, den hier 
moderne Sentimentalität gethan, wiirde die ganze Erzählung, 
fcharf beleuchtet, beinahe in ein Lächerliches. Kicht ftellen, hätte 
nicht Moore's großes und reiches Talent zu viel Einfchmeis 
chelndes, fo daß er uns wenigftens fo lange bethoͤrt, ald er 
und feſthaͤlt. — 

Die Gefchichte des zweiten Engeld erinnert an die My⸗ 
the von der Semele. — Die Gelichte ded Engels iſt chrgeis 
zig, und will ihn, nachdem fie ihn gut irdiſch beglücht, num 
auch in feiner ganzen Engeldös Herrlichleit umfangen. Es ge: 
ſchieht, und fie wird von der von ihm audftrömenden himm⸗ 
lichen Flamme verzchrt. — Doppelte Quaal verfolgt nach 
ihrem Tode den Engel, die Neue über feinen Tall und über 
den durch ihn verurfachten Tod der Geliebten. — Die ganze 
Erzählung iſt mit Kraft und Gluth durchgeführt, und wohl 
die bedeutendfte zu nennen. 

Die Mittheilung des dritten Engeld ermangelt faft allen 
Haltd. — Er liebt eine fromme Sterbliche, Die in herrlichen 
Gefangen Gottes Liebe und Größe preift; fie erwiedert fein 
Gefühl, und ihre Zuneigung zu einander wird jo gewaltig, 


— 14 — 


daß ihre pflichtgemaße Liebe zur Gottheit Darunter leidet. — 
Gott verdammt fie, getrennt, nach oben blidend, fo lange 
auf der Erde zu weilen, als diefe ſelbſt befteht; mitunter bes 
gegnen fie fich, und folche Momente find Momente der höch- 
fen Seligkeit; fromm ertragen fie den Bannfluch, denn ders 
einft werden fie im Himmel unzertrennlich feyn. Nur Gott 
und die Engel wiffen, fo fihließt Moore diefe Erzählung und 
mit ihr das ganze Gedicht, wo die beiden Pilger jet wallen 
oder weilen, begegnen wir aber einem jungen Liebespaar, das 
alle möglichen himmlifchen und irdifchen Vortrefflichfeiten bes 
fit, fo ‚Eönnen ‚wir gewiß feyn, Daß es hienieden nur ein 
‚ folches Paar gebe, und mögen, wenn wir fie fegnen auf 
ihrem Wege durch die Wildniß der Welt, fagen: „da geht Zar 
raph und feine Nama.“ Zur beliebigen Nußanweudung ers 
Taube ich mir, Ihnen die Beſchreibung dieſes Paares mitzus 
theilen, es ift wirklich fo über alle Maaßen vortrefflich, daß 
ed und maffiver gebildeten Ervenfindern ſaſt wie ich fuͤrchte, 
langweilig erſcheint. 


But should we in our wanderings, 
Meet a young pair, whose beauty wants 
But the adornment of: bright wings, 
To look like heaven’s inhabitants — 
Who shine wherever they tread, and yet 
* Are humble in their earthly lot, 
As is the wayside violet 
That shines unseen, and were it not 
For its sweet breath would be forgot. — ' 
Whose hearts, in every thought are one 
Whose voices utter the same wills, 
Answering, as Echo doth some tone, 
Of fairy music, ’mong the hills, 
So like itself, we seek in vain 
Which is the echo, which the strain — 
Whose piety is love, whose love, 
Though close as ’twere their soul’s embrace 
Is not of earth but from above — 





— 265 


Like two fair mirrors, face to face 
Whose light from one to the other thrown, 


. Is heaven’s reflection, not their own. — *) 


Ueber die Allegorie, welche fich durch das Ganze windet, 
ſpricht fich Moore felbft in der Vorrede mit folgenden Worten 
aus: In addition to the fitness of the subject for poetry, 
it struck me also as capable of affording an allegorical 
medium, through which might be shadowed out (as I 
have endeavoured to do in the following stories) the fall 
of the soul from its original purity — the loss of light 
and happiness which it suffers, in the pursuit of this 
world’s perishable pleasures — and the punishment both 
from conseience and Divine justice, with wlich impurity, 
pride and presumptuous inquiry into the awful secrets 
of God, are sure to be visited. — The beautiful story 
of Cupid and Psyche owes its chief charm to this sort 
of ,‚veiled meaning“‘ and it has been my wish (howe- 
ver I may have failed in the attempt) to communicate 
the same moral interest to the following pages. — **) 





*) Aber follten wir auf unferen Wanderungen einem jungen Paare 
begegnen, deſſen Schönheit nur der Schmud leuchtender Fittige 
fehle, um den Bewohnern des Himmels zu gleichen; — das 
ſtrahlt, wohin es triee, und doch demüthig ift in feinem Erden: 
Ioofe, wie das Veilchen am Wege, welches ungeſehen glänzt und 
vergeflen würde, befäße es nicht dem füßen Duft; — defien Her: 
zen in jedem Gedanten Eins find, deflen Stimmen denfelben 
Willen äußern, antwortend wie das Echo irgend einem Tone von 
Elfenklängen zwifchen den Hügeln, ſich fo ähnlih, Daß wir ums 
fonft forfchen, was das Echo, was der Klang ſey; — deflen 
Frömmigkeit Liebe ift, deſſen Liebe, obgleich verſchlungen, als fey 
fie ihrer Seelen Umarmung , nicht irdiſch ift, fondern von oben 
flammt — wie zwei fchöne gegen einander gefehrte Epiegel, de: 
ren Licht von Einem dem Anderen zugeworfen, des Himmels 

Wiederſchein, nicht ihr eigner if. — 

. ++) Außer dem, daß der Gegenftand fo paffend für eine poetifche 
Behandlung ift, frappirte e8 mich auch infofern ald es ein allegos 


66 — 


Am Bedeutendften und Erhabenften zeigt fi) Moore in 
der Mehrzahl feiner Inrifchen Dichtungen, unter denen bie 
Irish melodies den erften Rang einnehmen. Sie find ſaͤmmt⸗ 
lich untergelegte Texte zu alten irlandifchen Volksweiſen, aber 
ihr Inhalt ift eben fo national, ald die Melodieen, denen fie 
angepaßt wurden. — Erin's fonftige Größe und jeßige 
Schmach befingt in ihnen feines Landes treuefter Sohn, 
mit dem innigften Gefühle und mit feltener Kraft und Lebens 
digkeit, geſchmuͤckt von dent glänzenden Gewande der anmu⸗ 
- thigften und reichften Dietion. Der Dichter concentrirt hier 
feine fonft fo leicht über die Grenzen hinaus fehweifende Phan⸗ 
tafie in feinen Empfindungen, er fucht nicht nach Bildern, fie 
firömen mit jenen zugleich aus dem Herzen, nnd reißen unwi⸗ 
derftehlich in ihre Kreife hinüber. — Vorzüglich gelungen find 
alle Kieder, die Erin’d Fall und Leid beweinen, denn in ihnen 
offenbart fich am Glänzendften und Kraftigften, wie heilig und 
ernjt dem Sänger die Sache feines Landes ift, für das er fo 
tief und glühend fühlt. — Aber auch die anderen Gefänge 
find vortrefflich, und ich wüßte Fein einziges Lied in der gans 
zon Sammlung, von dem ich wiünfchen könnte, es möchte 
nicht darin feyn. — Es fey’ mir geftattet, Ste vorzüglich auf 
folgende aufmerkfam zu machen: Go, where glory waits 





riſches Medium darzubieten ſchien, Durch welches angedeutet wer: 
den fönnte (was ich mich auch bemühte, in den folgenden Erzäh— 
Inngen zu thun) der Fall der Seele von ihrer urfprünglicdhen Nein: 
heit; — der Verluft des Lichts und der Glüdfeligfeit, welchen fie‘ 
erduldet, indem fie den vergänglichen Freuden der Erde nachſtellt, 

und die zwiefache Veftrafung, fowohl von Seiten des Gewiffens, 

ald der gättlichen Gerechtigkeit, mit welcher Beflecktheit, Stolz 

und vorwigiges Forſchen nach den verhängnifvollen Geheimniften 

Gottes, ficher heimgefucht werden. — Die fchüne Erzählung von 

Amor und Pfyche verdankt ihren hauptſächlichſten Metz Diefer Art 

von „‚‚verfchleierter Bedeutung, und ed war mein Wunfch (ob- 

wohl mir der Verfuch misglückt feyn fann), den folgenden Blät- 

tern daſſelbe moraliſche Intereſſe zu verleihen. — 


— 17 — 


ihee; Erin the tear and tbe smile in thine eyes; When 
ke, who adores tee; Tho' the last glimpse of Erin with 
sorrow I see; We may roam thro’ this world; Olı blame 
not the bard; It is not the tear; Wecp on, weep on; 
She is far from the land; ’Tis the last rose of summer; 
Farewell — but whenever you welcome the hour; Has 
sorrow thy young days shaded; While History’s muse 
ete.; Where is the slave; Dear Harp of my country; 
When cold in the earth, Shall the harp thien be silent 
u. ſ. w. 

In ſeinen uͤbrigen lyriſchen Dichtungen, vorzuͤglich in der 
Sammlung, welche er unter dem erborgten Namen Thomas 
Little herausgab, herrſchen jene oben geruͤgten Fehler mitun⸗ 
ter vor. — Der Haupttadel, der ihn hier trifft, liegt darin, 
daß er ſich zu ſehr gehen laͤßt, ohne doch eigentlich klar uͤber 
die Richtung zu ſeyn, welche ein Geiſt wie der ſeine einſchla⸗ 
gen muͤßte. — Er ſchwankt, einerſeits von dem Einfluß ſei⸗ 
ver Studien der lyriſchen ‚Dichter des Alterthums, andererſeits 
von der Neigung feines eigenen Genius, der fich gern und oft 
dem Frivolen zumendet, beberricht, bin und her. — Anmuth 
der Rede, Glanz der Bilder, Tiefe und Innigkeit fchmüden 
jedoch auch den größten Theil diefer Gedichte, unter denen 
befonderd die Lieder an Nea, und mehrere poetifche Epilteln 
höchft ausgezeichnet find. — 

Als Satyriler ift Moore zwar ergehlich, aber gefährlich, 
denn fein Witz ift fchlagend, fein Spott haarfcharf und fein 
Haß zweifchneidig. Seine von den Englandern nicht eben fehr 
gebilligten Letters of the Fudge family erfchienen unter dem 
Samen eined Thomas Brown the younger, doch errieth man 
bald den Verfaſſer. Sie enthalten zwölf Briefe einer irlaͤndi⸗ 
fchen Familie, welche Paris befucht, und von der jedes Mit: 
glied auf feine Weiſe, Freunden Nachricht über das Erlebte 
giebt. — Die verfchiedenen Charactere find, obwohl mitun⸗ 
ter poffenhaft, doch vortreffiich gehalten; der Papa, eine Art 
Emiffair des Lord Caſtlereagh, repräfentirt die ganze Secte 


- 





| — 268 — 

ver ſervilen Dummen, oder richtiger der Servilen aus Dunmi⸗ 
heit in ihrem fchönften Stanz; fein hoffnungsvoller Sohn ift 
ein jünger Bär, der fich von der Mode glatt lecken laßt mb 
die franzöfifche Küche zu ſeinem Hauptſtudium macht; vie 
Tochter, eine ſentimentale Naͤrrin, verfebt fich in einen Keis 
nenhändler, der einen Schnurrbart trägt, und welchen fie für 
den König von Preußen halt, der ſich damals incognito als 
Graf Ruppin in Paris befand, bis fie endlich ſchmaͤhlich ent⸗ 
täufcht wird. — Zwiſchen diefen Narrenfpielen wandelt ein 
ernfter tiefer Geift umher, perfonificirt als ein junger länder 
aus altem edeln Gefchlecht, den das Verhaͤltniß zwang, als 
eine Art von Informator fich der Familie beizugefellen. — 
Seine Briefe, würdig und fehön gehalten ,. athmen die gluͤ— 
hendfte Vaterlandsliebe und das lebendigſte Gefühl für Sreis 
heit ımd Recht, und verrathen den Verfaſſer in jeder Zeile, 
wollte er fich auch noch fo fehr verbergen. — Hoͤchſt ergetz⸗ 
Uch find des Papa Auszüge aus feinem Journal; des Sohnes 
Befchreibung eined Dejeuner's, und der Tochter Schilderung 
ihre& Bruders, jo wie ihre Exrtafe über die Parifer Tanzerins 
nen. Wahrhaft fchön und leider zu wahr ift des. jungen Ir⸗ 
laͤnders Dorftellung der Folgen von Napoleons Fall, — Ich 
laſſe hier zwei komiſche Bruchſtuͤcke als Probe ſolzen zu er⸗ 
heiternder Abwechſelumg. 


Beſchreibung ihres Bruders, von Betty Fubge. 


Wir ſind in einer behaglichen Kutſche 

Nebſt Herrn Connor die ſaͤmmtlichen Futſche; 

Robert, mein Bruder, ſolch' Schaaf zu Kilrandy, 
Der iſt ganz veraͤndert, man macht ihn zum Dandy, 


*) Our party consists, in a neat Calais job. 
Of Papa and myself, Mr. Connor and Bob. 
"You remember how sheepish Bob look’d at Kilrandy, 
But, Lord! he's quite alter’& — they’ve made him a Dandy; 


— 2169 — 


Ein Ding, wie Das weißt, ſchnurrbaͤrtig, gefchnärt. 

Wie ein Sandglas fo ſchmal, das nur Oberroͤck führt; 
Eine neue Art, nicht den Gelehrten bekannt, 

Den Kopf unbeweglich in den Kragen gebannt, ’ 
So daß man muß neue Stähle erdenten, 

Die, wenn fie fih umſeh'n, ſich mit ihnen ſchwenken; 
Kurz, Dandy nennt,man das Ding, das id) meine, 
Und Bob ift der befte, den je ich gefeh'n; 

Ein Juͤngling, vol Hoffnung; franzöfifche Speifen 

In Paris zu ſtudiren, thut mit uns er gehn. 

Die Namen, die kennt er fchon, denk’, wie zum Spaß 
A la hraise, petits pätes — und wie nennt man body dag, — 
Ach ich weiß fchon — man heifit eg — maitre d’hötel — 
Kurz, all! diefe Dinge, die lernt er fo fchnell, 

Als hätt! er fih nie von was Ander'm genährt, 

‚ Und hat Die woch keinen Biffen verzehrt. 


Aus den erften Briefe. 





A thing, you know, wlisker’d, great-coated, and lac’d 
Like an hour-glass, exceedingly small in the waist; 

Quite a new sort of ereatures, unknown yet to scholars, 
With heads, so immoveably stuck in shirt-cellars, 

That seats like our music-stools seon must be found them 
To twirl, when the creatures may wish to look round them | 
In short, dear, a »Dandy« describes what I mean, 

And Bob's far the best of the genus, I’ve scen; 

‘An impreving young man, fond of learning, ambitious, 

And goes now te Paris te study French dishes, 

Whose zames — think how quick! — he already knows pat 
A la braise, petits pätes, and — what d’ye call that 

They inflict on potatoes? — oh mairse d’hötel — 

I assure you, dear Dolly, he knows them as well. 

As if neiking hut these all his life he had eat 

Though a bit of them Babhy has never touch’d yet. 


ee 


— 70 — 


Schilderung des Tanzens, von berfelben. *) 


Doc) das Tanzen — ah, parlez moi, Dolly de ga 
Das entzuͤckt ung Alle bis auf den Papa. 


Die Schönheit — Gewandtheit — O Sylph ber Romanze, 


Flieh' Hin zu Titania — und frage, ob fie das 
Sieht bei einer Nymphe, leihtfüßig im Tanze, 
Gleich Dir Bigottini und Dir Fanny Bias. 
Fanny Bias als Flora — man möchte befhwören, 
Wenn ihr zarter Fuß in dem Tanz wirbelt rund, - 
Daß fie muß in. den Lüften zu Haufe gehören, 

Und par complaisance einzig berähret den Grund, 
Und wenn Bigottini, als Pſyche, läßt wallen 

Ihre Locken, verfolgt von Dämonengewimmel, 

So fühlet man Neid bei den Teufelhen Allen, 

Die fie halten und zieh'n, und abhalten vom Himmel. 
Ind dann die Muſik — fo ſchmachtend, befeelt, 
So himmliſch — Dir fey’s im Vertrauen erzählt — 
ie gut iſt's für mich, daß dann Niemand bei mir, 
Der von Liebe mir fpriht — eine Seele ward Dir 





) But the daneing — ah! parlez moi, Dolly, de.ca — 

There indeed is a treat’that charms all but Papa. 

Such beauty — such graee — oh ye sylpbs of romance 
Fly, fly, to Titania, and ask her if ske has 

One light footed nymph in her tfain, that can dance 
Like divine Bigottini and sweet Fanny Bias. 

Fanny Bias in Flora — dear crenture! — you’d swear, 
When her delicate- feet in the dance twinkle round, 

That her steps are of light, that her home is the air 
And she only per eomplaisance touches the ground. 

And when Bigoftini in Psyche dishevels 
Her black flowing huir and by daemons is driven 

Oh! who does not envy those rude little devils, 


That hold her and hug her and keep her from henven. 


Then the musie — so softly its cadences die 
So divinely — oh Dolly between you and I, 
Its as well for ıny peace that there’s nobody nigh 


» 








—— 271 


Und Du fannft es fühlen — er bezwänge im Rutſch 
"Das zärtlidye Herz Deiner treuen Betty Futſch. 


So harmlos die Briefe der Tochter und des Sohnes ſind, 
ſo ſchneidend und ſpoͤttiſch ſind dagegen, in ihrer Einfalt, die 
Briefe des Vaters, in welchen die engliſchen Ariſtokraten mit 
Neſſeln gepeitſcht werden. — Weit giftiger jedoch ſtellen ſich 
Moore's andere ſatyriſche Werke dar; die aufgefangenen Briefe 
oder dad Stadtpoftfelleifen (Intercepted lotters or the two- 
penny post-bag) und die Fabeln auf die heilige Allianz find 
Behälter vol der fchärfften und Atendften Lauge, wie fie nur 
je politifche Satyre über ihre erbarmenswerthen Opfer ausgoß. 
Mag man jedoch noch fo fehr dem Gehaͤſſigen abgeneigt feyn, 
Iange zürnen kann man dem Verfaſſer nicht; feine Liebe für 
Freiheit und Necht, fein glänzender Wig und feine außeror⸗ 
dentliche Gewandtheit haben eine Kraft der Verföhnung, weiche 
fchnell jeden auffleigenden Groll bezwingt. 

Mech im dramatifchen Fache hat ſich Moore verfucht, 
mit einer Oper im engfifihen Geſchmack, MI. P. or the blue 
Stocking; fie enthält viel Wig und Leben, doch auch viele 
Vebertreibungen und ift wohl fein fcehwächftes Product. — 

Außer feinen vortrefflichen Biographieen Sheridan’s und 
Lord Byron’d bat er noch in Profa die (fingirten) Memoiren 
des Capitain Kock (zur Enthällung und Bekämpfung der Miss 
Bräuche in Irland) und einen Roman, ber Epikurder, gefchries 
ben, in welchem Letzteren jedoch die ihm eigenthümliche Gens 
timentalität zu fehr vorherrſcht. 


To malıe love te me then — you’ ve a soul nnd can jadge 
What a crisis ’twould be for your friend Biddy Fudge. 


} 


Keunte Vorleſung. 


Walter Scott. — Biographifche Notizen. — Characteriftik feiner Lei: 
Ä lungen; Urtheil Hazliers. Robert Southen; kurze Nachricht 
über fein Leben. Characteriftif deffelben ald Dichter. — Roderich. — 
Die Roſe. — Sein Werth als Profaifer. — Thomas Campbelt. 
Biographifche Notizen. Würdigung feiner poetiichen Arbeiten, 
O’Connors Child. — Pleasures of Hope. — Gertrude og Wyo- 
ming. — Theodrie. ' 


Der Dritte in jenem Kleeblatte großer Geifter, das eine 
neue Epoche in der Gefchichte der englifchen Dichtkunft bes 
gann, und nach dem Alter feiner Werke der Erfte, ift der 
mit Recht fo vielfach gefeierte Walter Scott. Er ward 
den 15. Auguft 1771 in Edinburg geboren, ftudirte die Nechte, 
ward, 21 Jahr alt, Advocat in feiner Vaterſtadt, verheira 
thete fich 1798 mit Miß Carpenter und wurde 1806 princi- 
pal Clerk of the Session of Scotland. Später zog er ſich 
ganz von den Ötaatögefchäften zuruͤck und Iebte den Mufen. 
— Das find die Grundzüge feines außeren Lebens, zu bes 
kannt, ald daß fie einer ausführlicheren Angabe beduͤrften. 
Seine fchriftftellerifche Laufbahn begann er erft in diefem Jahr⸗ 
- hundert mit Weberfeßungen deuticher Poefieen. Dann erfchies 
nen feit 1802, fehnell nach einander The Minstrelsy of the 





2173 — 


Scotch Border; Sir Tristam; The lay of the last Min- 
strel; Marmion; The lady of the lake; The vision of 
Don Roderick; Rokeby, the Lord of the Isles, fämmts 
lich erzählende Dichtungen, bi8 zum Jahre 1814. Don diefer 
Zeit an fchrieb er eben fo fchnell nach einander die weltbes 
Tannte Reihe von hiftorifchen Romanen, welche ben größten 
Einfluß auf den Geſchmack von ganz Europa ausübten, und 
in dieſem Genre eine neue Bahn brachen, die fich noch Tange 
erhalten wird, da bie erften Geifter faft aller civilifirten Natio⸗ 
nen wetteiferten, hier feine Nachahmer zu werden. 

Walter Scott's poetifche Werke find fo allgemein bes 
kannt und verbreitet, daß es beinahe unbefcheiden feyn würde, 
wollte ich Ihnen hier eine ausführlichere Darftellung derſelben, 
wie fie den Werken anderer Dichter zu Theil wurde, folgen 
laſſen. — Es fey mir daher, damit Feine Luͤcke entftche, mur 
geftattet, den großen Unbefannten ald Dichter im All 
gemein zu characterifiren, und den ehrenvollen Rang, wels 
chen er unter den erften Geiftern aller Nationen einnimmt, 
näher zu beftimmen. 

Scott ift als Dichter, fo viel er auch mit feinen beiden 
großen Landoͤleuten gemein hat, dieſen doch ganz entgegenges 
ſetzt darin, daß er in feinen Merken nichts von feinem eiges 
nen Inneren mittheilt, fondern fich ſtreng darauf befchränft, 
bie Welt rings um ihn her, mie aber die Welt in ihm, zu 
ſchildern. Er befist eine Beobachtungsgabe und ein Talent 
ber Auffaffung, die ihres Gleichen fuchen, aber er ift wie ein 
Spiegel, was er giebt, hat er erft von Außen empfangen. — 
Als objectiver Dichter fteht er neben Homer, ald fubjectiver 
bedeutet er wenig; nur das Fremde zu fchildern, gelingt ihm, 
und ed fcheint, er habe deffen fo viel aufgehäuft, daß er we⸗ 
ber Pla noch Zeit fand, das Eigene zu bewahren. Dabei 
befißt er poetifche Eigenthümlichkeit im hohen Grade, doch ift 
diefe mehr in einer gewiffen Elaſticitaͤt feines Geiſtes, der in 
den Formen wie im Inneren, der Nothwendigkeit genau nach⸗ 
zugeben weiß, "und biegfam ift, wie eine Springfeder, ohne 

18 





_— 74 — 


jeboch an feiner Kraft zu verlieren, als in intenfivem Schoͤ⸗ 
pfungdvermögen zu fuchen. Walter Scott gleicht einen vor⸗ 
trefflichen Portraitmaler, ihm entgeht fein Zug, Feine Falte, 
feine Runzel, und man möchte mitunter bei feinen Gemälden 
ausrufen wie jener Irlaͤnder, fie ſeyen ahnlicher als die Ori⸗ 
ginale felhft, fo wahr. fchauen fie und aus ihrem Rahmen an, 
aber wir vermiffen überall den innerfien Kern, ohne den ein 
Merk vichterifcher Schöpfung und nicht zu feffeln und zu hals 
ten vermag, denn nirgendd blickt Die Begeifterung und das ei⸗ 
gene Weſen des Dichterd hervor, und feine Geftalten wandeln 
vor uns einher, ohne daß ed und möglich wird, den Prome⸗ 
theusfunfen zu entdeden, der fie belebt. — Treffend iſt da⸗ 
gegen die große Wahrheit aller feiner Gebilde; die Natur figt 
feinem Pinfel, wann es ihm gefällt, und feine Hand ift fo 
feß, fein Auge fo ficher, daß er nirgends verfchönt, weil er 
fühlt, daß er das nicht, gleich Anderen, um Sehler zu deden, 
nöthig. hat. — Der Reichthum feiner Bilder, die Natürliche 
feit und Anmuth feiner Sprache, deren Klang immer in gleir 
chem Tonverhaͤltniß zu der Wahl feines Stoffes fteht, der nie 
verfiegende Fluß feiner Rede, feine Herrfchaft über die Form, 
find Eigenfchaften, die außerordentlich dazu beitragen, den 
Ruhm und Werth feiner Dichtungen zu erhöhen. — Mas 
vorzüglich noch den großen Reiz feiner Poefieen fteigert, ift der 
Umftand, daß fie auch im Kleinften national find, und daß 
W. Scott ſowohl dadurch, ald durch feine eigenthuͤmliche Be⸗ 
handlungsweiſe der erzaͤhlenden Dichtkunſt in England eine 
neue Bahn brach, auf welcher er bisher keine Nebenbuhler, 
ſondern, wenn auch hoͤchſt talentvolle, doch ſtets ihm unter⸗ 
geordnete Nacheiferer fand. 

Eins der geiſtreichſten Urtheile uͤber ſeine Romane hat der 
ſcharfſinnige Hazlitt in feinen Lectures on the English co- 
mic writers, London 1819, ©. 255 fgde. ausgefprochen; da 
daſſelbe nicht bis zu und durchgedrungen zu feyn fcheint, in⸗ 
dem fein Verfaſſer überhaupt nur wenig in Deutfchland bes 
kannt wurde, fo eile ich, es Ihnen mitzutheilen, in ber feften 


— 1 — 


Vorausſetzung, daß ihm bei feiner Wahrheit auch Ihr Beifall 
nicht auöbleiben wird. 


„Dieſe Romane,’ fagt er, „haben den höchften Ans 
foruch auf Bewunderung, durch den Reichtum an Wiſſen, 
die Mannichfaltigkeit, Leichtigkeit, Wahrheit der Schilderungen, 
im Coftume wie in den Scenen, die Srifche des Gegenftans 
des und das ungefchwächte Intereffe, die Lichtbiide umd die _ 
Grazie ded Styls, der nach des Dichters Wohlgefallen vom 
Ernft zum Scherz, von der Leichtigkeit zur Strenge übergeht, 
mit außerfter Kraft der Nachahmung und anfcheinender Sreis 
heit in der Erfindung, deren fie fich erfreuen. — Was fehlt 
ihnen noch? Der Verfaſſer beſitzt alle Kraft, die ihm von 
Außen kommt — aber vielleicht nicht gleiche Gewalt von Sins 
nen. — Die Intenfität des Gefühld ift nicht der Deutlichs 
feit der Bilder gleich. — Wie ein Zauberer fit er in feiner 
Zelle und beſchwoͤrt alle Geftalten und alle Erfcheinungen den 
Blicken herauf, und mit geringer Veränderung können wir auf 
ihn anwenden, was Spenfer von der Phantafie fagt: 


His chamber was dispainted all within, 

With sundry colours, in the which were writ 

Infinite shapes of things dispersed thin; 

Some such as in the world were never yet; 

Some daily seen and knowen by their names 

Such as m idle fantasies do flit, 

Infernal hags, centaurs, fiends, hippodames, 

Apes, lions, eagles, owlis, fools, lovers, children, 
dames. ‘*) 


*) Sein Zimmer war inwendig bemalt mit verfchiedenen Farben, 
in welchen bargeftellt waren unendliche Geftalten von Dingen 
dünn verftreut; einige, fo wie fie noch nie in der Welt waren, 
einige, wie fie täglich gefehen werden und belannt find nach 
dem Namen, fo wie fie in müfigen Phantafieen auffteigen, He: 
xen der Hölle, Sentauren, Teufel, Hippodamen, Affen, Löwen, 
Adler, Eulen, Nareen, Liebende, Kinder, Frauen. 


18* 


— 176 — 


Mitten unter allen dieſen Phantasmagorieen fcheint ber 
Verfaſſer ſelbſt nie Theil zu nehmen an feinen Characteren, 
“ weder um unfere Neigung zum Guten zu befördern, noch um 
unferen Abfchen vor dem Schlechten zu verſtaͤrken. Es iſt 
die Vollendung der Kunſt, die Kunſt zu verbergen, und das 
gefchieht hier fo volllommen, daß ed dem Autor fein Verdienſt 
zu rauben fcheint, wahrend ed unſere Freude an dem Merk 
vermehrt. Da er fich nicht ſelbſt in den Vordergrund fellt, 
fo verliert .er den Gewinnft der Darſtellung. Die Copieen find 
der Natur fo treu, daß fie wie QTapetenfiguren -erfcheinen, die 
nach der Patrone gemacht find. . Seine Charactere find mit 
einem Mal von ihrem Heimathsboden auf die Seite, die wir 
leſen, verfeßt, ohne irgend Spuren eined Durchganged ‚Durch 
das Treibhaus des Genius oder der Eitelfeit des Verfaſſers an 
ſich zu tragen. Er verläßt fie, wie er fie fand, aber gerade 
dadurch thut er Wunder. Der Laird und der Baillie von 
Bradwardine, der. einfaltige Neimer David Gellaty, Miß 
Roſa Bradwardine und Miß Flora Mac Ivor, ihr Bruder, 
der hochländifche SFacobitenhäuptling, Vich San Bohr, der 
hochlandifche Raͤuber, Donald Bean Tem und der würdige 
Page Eallum IBeg, Bothwell und Balfour von Burley, 
Caverhouſe und Machriar, Elſhie, der fchwarze Zwerg und 
„ver Ned Reever von Weltburn Flat, KHobbie und Grace 
Armftrong, Ellen Gowan und Dominte Samſon, Di 
Hatteraid und Meg Merrilies find uns jest befannt, wie 
die Namen unferer nächften Umgebungen; ob fie wirkliche 
Perfonen oder Gefthöpfe der Feder des Verfaffers find, dar⸗ 
auf kommt ed nicht an. Die pittoreöfen und localen Scenen 
find fo frifch wie dad Moos auf den Helfen; die Charactere 
machen einen Theil der Scenen aus. Werden fie in Bewer 
gung gefeßt, fo find es lebende Bilder, reden fie, fo hüren 
wir ihren Dialect und den Ton ihrer Stimmen. Macht der 
Dialect den Humor, die Kleidung den Character, bringen die 
Facta und Documente in des Autors Befiß das Jutereſſe bers 
vor, fo haben wir Fein Necht, uns zu beflagen, wenn Alles 





— 277 — 


diefed wirklich dadurch erreicht wird; mitunter gefchieht das aber 
kaum und dann haben wir dad Necht, fo zu fprechen.. In 
den Tales of my Landlord ift z. B. Canny Elſhie durch 
fich ſelbſt kein fo fehrecliches Weſen, wie der wahre ſchwarze 
Zwerg David Ritchie, noch regen ihre Worte und Thaten 
die Einbildungsfraft fo gewaltfam auf. — Dagegen ift die 
erfte Einführung dieſes außergewöhnlichen Gefchöpfes, wie er: 
in den dunkeln Ruinen der Here von Midleflane Moor und 
ihrer grauen Gaͤnſe herum fleist, fo reich am übernatürlicher 
Kraft und Granfen erregender Wirkung (ganz nach ber Lan⸗ 
desſage) ald es nur immer möglich ift, wahrend die letzte ent⸗ 
fiheidende Scene, wo: der Zwerg, in feinem wieder angenom⸗ 
menen Character ald Sir Edward: Manley, aus der Gruft 
in die Kapelle kommt, um: die erzwungene Heirath der Toch⸗ 
ter feiner früheren Verlobten mit dem Manne, den fie verab- 
fiheut, zu hindern, ganz kraftlos und zahm dagegen erfcheint. 
Keine Situation läßt fich erfinden, die beffer berechnet wäre, 
eined Dichterd Kräfte der Einbilbung und Leidenfchaft hervor⸗ 
zurufen, aber es gefchieht nichts dergleichen. — Die Vers 
fammlung zerflreut fich unter Umftänden, welche die ſtaͤrkſten 
natürlichen Gefühle und die erfchredtich übernatürliche Erfeheis 
nungen: hervorrufen, gerade fo, als ob ein Polizeibeamter zu 
demfelben Zwecke eingetreten ſey. — Dieſe Beiſpiele des 
Fallenlaſſens find indeſſen ſelten; und wenn auch) eigenſinnige 
Kritiker dem Verfaſſer den hoͤchſten Grad der Originalitaͤt des 
Genius nicht einraͤumen wollen, ſo beſitzt er doch andere Ei⸗ 
genſchaften, welche deren Stelle fo wohl erſetzen, fo find fer⸗ 
ner feine Materialien: fo reich. und mannichfaltig,. und er geht 
fo verfchwenberifch damit um, daß der Leſer bei dem Tauſche 
nichts einbuͤßt. — Wir fürchten nicht, daß er, bei neuen 
Romanen, fich erfchöpfe, denn er hat bewiefen, daß er uners 
ſchoͤpflich iſt.“ — 

Dies wurde 1819 geſchrieben, der Scharfblick des engli⸗ 
ſchen Kritikers hat ſich bei den nach- diefer Zeit erſchienenen 
Romanen bewährt, — Als eine - merkwürdige Erfcheinung 





— 278 — 

bleibt und noch der Umſtand zu berühren, daß alle dramati⸗ 
ſchen Verfuche Walter Scott, wie Halidon Hill, The 
- doom of Devorgoil, Auchindrane, durchaus miögludt find, 
was um fo auffallender ift, da fich in feinen Romanen fo gro⸗ 
es dramatifched Talent offenbart. — Das Rathfel iſt aber 
leicht gelöft, er muß in feinen Werken ſich bequem rühren 
koͤnnen, denn Breite ift das Element, in dem allein er fich 
wohl befindet; der enge Rahmen eined Drama legt ihm daher 
zu viel Zwang an, er wird unbeholfen, vernachläffigt über 
Nebendingen die Hauptſache und alle Wirkung geht Dadurch 
verloren. — 

In feinen übrigen Schriften, welche nicht dem Weiche 
der Phantafie allein zufallen, fondern dem Leben und ver 
Miffenfchaft gehören, und wo es darauf ankommt, feine Pers 
fönlichkeit zu offenbaren, erfcheine W. Scott zwar ald ein 
höchft kenntniß⸗ und geiftreicher, wohlmollender und reblicher 
Mann, aber durchaus einfeitig, befangen, an Worurtheilen 
lebend, und Werke wie Pauls Letters to his Kinsfolk, und 
vorzüglich "The life of Napoleon, - von dem man fo viel er= 
wertete, haben feinem europdifchen Rufe mehr gefchadet als 
genügt, denn in allen Dingen, welche die Verhaͤltniſſe des 
Staates, der bürgerlichen Gefellfchaft und der Voͤlker unter 
fh und zu einander betreffen, verläßt ihn fein gewohnter 
Scharfblick, und er fieht die Gegenftände nur durch die Brille 
feiner Parthey; immer aber bleibt-er rechtlich, redlich, wohl 
gefinnt, das Befte wollend und fubjectio wahr. 

Hinſichtlich des Reichthums fchöpferifcher Phantafie ſteht 
Southey jenem Kleeblatte großer Dichter wenig nach, und 
er verdient daher unbedingt, vor allen Anderen', den naͤchſten 
Platz nach ihnen, ja er waͤre wuͤrdig, ihnen zugeſellt zu wer⸗ 
den, wenn es ihm nicht an Ruhe, Klarheit und Beſonnenheit 
fehlte. Ehe ich jedoch ſeinen Character als Dichter zu ent⸗ 
wickeln verſuche, moͤgen einige biographiſche Notizen uͤber ihn 
hier ihre Stelle finden. Robert Southey ward 1774 den 
12. Auguſt zu Briſtol geboren. — Er genoß, da ſeine El⸗ 





— 179° — 


tern fich wirklichen Wohlfiandes erfreuten , eine fehr gute Er- 
ziehung, und bezog, nachdem er 1787 die Echule von Wefts 
minfter befucht hatte, 1792 die Univerfitäat Orford, im der 
Adficht, Theologie zu ſtudiren. Unitarifche Grundfäße, fo 
wie der Einfluß der franzöfiichen Revolution, welcher in Engs 
Iand feine Herrfchaft vorzüglich über jugendliche Gemüther aus: 
übte, hinderte ihm jedoch daran, indem er mit feinen Freunden 
Lovell und Eoleridge den Plan entwarf, nach Amerika zu 
gehen, fich an den Ufern des Susquehanna anzufiedeln und 
dort eine Pantifocracy, wie fie fpater von einer Wuͤrtem⸗ 
bergifchen Eolonie in der nordamerikanifchen Stadt Harmony 
ausgeführt wurde, zu gründen. Die drei Enthufiaften reiften 
“auch wirklich 1794 von Oxford ab, kamen aber nur bid Bri⸗ 
ftol, wo fie fich in drei Schweftern verliebten, die fie als 
Gattinnen in Begleitung der Mutter mitzunehmen gedachten. 
Gluͤcklicherweiſe traf ein Onkel Southey’3, Dr. Hill aus Liſ⸗ 
fabon, zu dieſer Zeit in Briftol ein, und beredete den jungen 
Dichter, ihm nach Portugal zu folgen. Dies geſchah; jedoch 
wicht eher, als bis Southey mit feiner Geliebten vermahlt 
war, die er gleich nach der Trauung verließ, doch Tehrte er 
nach fechd Monaten, genau an dem feftgefeßten Tage zurüd, 
und befchaftigte fich von nun an während feines Aufenthaltes 
im Vaterlande mit poetifchen Arbeiten, In den Jahren 1800 
und 1804 bereifte er mit feiner Gattin Spanien und Portu⸗ 
gal. — Mach feiner Heimkehr ward er Secretair ded Kanz⸗ 
lers der irländiichen Schatzkammer. Später legte er dieſe 
Stelle nieder und zog fich nach Keswid in Cumberland, wo 
er feinen feften Wohnfig auffchlug und fortan allein den Wiſ—⸗ 
fenfchaften Iebte, zurüd, — Im Jahre 1813 ward er nach 
Py e's Tode Hofdichter (poet laureat), doch dipenfirte man 
ihn von den üblichen Gelegenheitögedichten. Poetiſche Beſtre⸗ 
bungen und wiffenfchaftliche Arbeiten befchäftigen ihn, und fein 
Leben verfließt ruhig in Iandlicher Abgefchiedenheit. 

Seine poetifchen Werke erfchienen gefammelt in vierzehn 
Banden, 1820, zu London, — Sie enthalten ‘außer vielen 


kleineren, vorzüglich erzahlenden Poefieen, vier größere Gedichte, 
Kehanna und Thalaba, deren Scene nach Indien verlegt ift, 
Madoc, altbrittifch und Roderie, eine fpanijch=gothifche Ges 
ſchichte. — Hinfichtlich des moralifchen Wertheö feiner poe⸗ 
tifchen Leiftungen, gehört Southey zu den auögezeichnetften 
Schriftftellern; er würde der Erften einer überhaupt feyn, 
wenn feine übrigen Eigenfchaften als Dichter fich auf gleicher 
Stufe befanden. — Turner begrüßt ihn mit folgenden Worten: 

Hail to thy moral soul; thy light-glanc’d aim. 

The noblest feelings in thy bosom glow, 

And from thy lips the virtues love to flow. ‘) 
Dieſes Lob verdient der Dichter unbedingt, und wenn ed allein 
bier auf die moralifche Gefinnung anfame, fo würde er unbes 
flritten den erften Rang auf dem englifchen Parnaffe einnehs 
men, troß dem, daß er in fpäteren Jahren feine politiiche. 
Gefinnung veränderte und, wie einer feiner Landsleute geifls 
reich bemerkt, nachdem er ald Juͤngling die Freiheit zur Ges 
liebten erkohren, fich nachher mit einer altlichen, eben nicht 
fehr im beften Ruf ftehenden Dame, Frau Legitimität, ver⸗ 
maͤhlte. — 
Die Eigenfchaften, welche Southey als Dichter auszeich⸗ 

nen, find Reichthum der Phantafie, Geift, Lebendigkeit, Witz 

“und Gefühl, aber es fehlt ihm, wie ſchon früher bemerft 
ward, an Ruhe und Befonnenheit; er laßt fich zu fehr vom 
Augenblicke hinreißen, und giebt zu viel auf den erften Ein- 
druck. Er glänzt zu oft auf Koften der Wahrheit, und blei⸗ 
bend ift daher faft Feine feiner Geflalten. Mit großem Ges 
ſchick weiß er Alles zu behandeln, aber da er, gleich manchem 
Schaufpieler, mehr auf den Effect hinzuarbeiten, ald der Na⸗ 
tur zu folgen fucht, fo opfert er Leicht Einfachheit und Klarheit 
auf, um zu feinen Zwecen zu gelangen. Zwar find ihm Ge⸗ 
ſchmack, Erfindungstraft, Gabe der Ueberredung nicht abzus 


) Heil Deiner moralifhen Seele, Deimem lichtumftrahlten Siel, 
in Deinem Buſen glühen Die ebelften Gefühle, und die Tugen⸗ 
den lieben ed, von Deinen Lippen zu fließen. 


— 231 — 


fprechen, doch weiß er fie nicht immer recht anzuwenden, und 
meint oft, da nur Fühn zu feyn, wo er ohne Gluͤck verwegen 
iſt. — Dadurch Bringt er ſehr Häufig bloß rhetoriſche Schöns 
heiten flatt poetifcher, und glaubt zu genügen, wenn er die 
nadten Seiten feiner Stoffe durch fehimmernden Slitter vers 
huͤllt. Befonders gefällt er fich im Ungewoͤhnlichen, Excen⸗ 
triſchen, Außernatuͤrlichen, und benutzt ſeine Gaben gern, um 
Grauſen und Schrecken zu erregen; da ihm aber die wahre 
dichteriſche Tiefe abgeht, indem er zu ſehr dem Moment hul⸗ 
digt, fo erſcheinen feine kleineren Gedichte, vorzüglich die er- 
zählenden, in dem phantaftifchen Schmude, mit welchem er 
fie gar zu gern auöftattet, mehr ald Meteore, nur von flüchs 
tiger, vorüberraufchender, felten, ja faft nie wohlthätiger Wirs 
fung. — Ueberhaupt ift Southey eigentlich mehr ein Zalent, 
als ein Genie zu nennen, obwohl es ihm nicht ganz an fchöpferis 
feer Kraft fehlt. — Er ift vollfommener Herr der Sprache, 
aber mehr ihr Iaunenhafter Tyrann, ald ihr wohlwollender 
Gebieter. 

Unter feinen größeren Gedichten ift fen Roderich, der 
Ießte Gothe (Roderic, the last of the Goth’s) wohl das 
gelungenſte, denn er zeigt die meifte Tiefe in demfelben. — 


Roderich, König der Gothen, in unglüdticher Ehe lebend, ent⸗ 


ehrt Slorinda, die Tochter des Grafen Julian. Diefer ruft 
aus Rache die Mauren in das Land, ftellt ſich an ihre Spike 
und befiegt feinen Herrn in einer acht Tage langen Schlacht, 
— Der vertriebene König flieht als Bauer verkleidet in bie 
Einöde, und wird todt geglaubt; aber nach einem Jahre kehrt 
er zuruͤck, bezwingt in glorreichem Kampf feine Feinde und — 
verbirgt fich dann wieder in der Einöde, wo er fein Leben in 
freiwilliger Selbftverbannung endet. — Un diefen Faden rei: 
hen fich eine Menge erhabener und glücklicher Schilderungen 
vol tiefen und echten Gefühls, und obwohl der Dichter fich 
zu oft von den Einzelnheiten fortreißen laßt, fo verdient das 
ganze Werk doch, ald ein hüchft gelungenes, weit verbreiteter 
zu jeyn, als es felbft in feinem Vaterlande ift. 


+. 








— 18) 


Unter den Tleineren Gedichten find befonderd diejenigen 
die vorzüglichften, in welchen ihr Verfaſſer feine Gemuͤthlich⸗ 
feit vorherrfchen laßt, und fich bemüht, fo einfach wie mög- 
lich zu feyn. — Möge folgendes als Probe dienen. 


Die Rofe 
Nicht doch, Editha, fehone mir die Rofe, 
Sie lebt vielleicht und fühlt der Sonne Strahl 
Und trinkt erfrifcht den Thau der Nacht. — Zerreiße 
Mit zarter Hand nicht ihres Lebens Fäden, . 
Zerftöre nicht ihr das Gefühl des Seyns. — 
Ungläubig lächelt Du. — Laß Dicy erbitten 
Und ich erzähle von vergang'ner Zeit, 
(In alten Sagen bin ich wohl bewandert ;) 
Wenn Du fie leben läßt. Es gab einft Tage, 
Eh’ diefe frifchefte von allen Blumen 
Der Erde Lauben deckte. — Du Hörteft nicht, 
Wie durch ein Wunder erjt die duft'gen Blätter . 
Erröthend fih dem Sonnenftrahl entfaltet. 


Es wohnt’ zu Bethlehem ein jüdifch, Mägdlein, 
Zillah ward fie genannt, ſie war jo fchön, 


) The Rose. 
Nay, Edith! spare the Rose; — perhaps it lives, 
And feels the noon-tide sun, and drinks xefresh’d 
The dews of night; let not thy gentlc hand 
Tear its life-strings asunder, and destroy 
The sense of being! — Why that infidel smile ? 
Come, I will bribe thee to be merciful; 
And thou shalt have a tale of other days, 
For I am skill’d ia legendary lore, 
So thou wilt let it live. There was a time 
Ere this, the freshest, sweetest flower that blooms, 
Bedeck’d the bowers of earth. Thou hast not heard 
How first by miracle its fragrant leaves 
Spread to the sun their blushing loveliness. 


There dwelt at Bethlehem a Jewish maid, 
And Zillah was her name, so passiug fair 





— 283 — 


Daß ganz Judaͤa Ihres Lobes voll. 

Wer ihrer Augen dunkeln Glanz gefehn, 

Der ihre Seele zeigt‘, und welche Seele 

Strahlt in dem milden Feuer, dem ward weh; 

Nicht in der Einfamkeit, noch in der Menge 

Entging er der Erinn’rung, noch vermied er, 

Daß überall ihr Bildniß nicht ihm folge, 

Die Blicke feſſelnd und das Herz erfüllend. 

Dody, weh warb Ihm, fie kannte Feine Liebe, 

Als nur des frommen Eifers tiefe Gluth, 

Denn alle Neigung ihres Seiftes einte 

Sie in der Liebe nur zu ihrem Schöpfer. 

Die Männer ihres Stammes feufzten ftets 

Vergebene nach ihr, doc, verehrten fie 

Die ſtarre Tugend, ihrer Hoffnung Tod. 

Nur Einer war dort, eitel, ſchlecht, verberbt, 

Der fie erblickt, begehrt, und dann verzweifelnd 

Sie Hafte. Starr auf ihrer Wange haftet 

Sein finnlih Auge, bis des Zorn's Erröthen 
hr neue Schönheit gab, er wilder glähte. — 


That all Juden spake the virgin’s praise. 

He who had seen her eyes’ dark radiance 

How it reveal’d her soul, and what a soul 
Beam’d in the mild effulgence, woe was he, 

For not in solitude, for not im erowds, 

Might he escape remembrance, nor avoid 

Her imaged form which followed every where, 
And fill’d the heart, and fix’d the absent eye. 
Woe was he, for her bosom own’d no leve 

Save the strong ardours of religious zeal, 

For Zillak on her God had center’d all 

Her spirit’s deep affections. Se for her 

Her tribes-men sigh’d in vain, yet reverenced 
The obdurate virtue that destroy’d their hopes. 
One man there was, a vain and wretched man, 
Who saw, desired, despair’d, and hated her. 

His sensual eye had gloated on her cheek 

Even till the flush of angry modesty 

Gave it new charms, and made him gloat the more. 





— 12334 — 


Sie ſcheute ſich vor ihm, ſein Blick war frech, 
Und feine Züge trugen das Gepräge ' 
Selbſtſuͤcht'ger Wildheit; noch mehr fürchtet” fie 
Den bittern Groll verlegter Eitelkeit, 

Der feiner Mienen fchwaches, falfches Lächeln. 
Mit wilden Feuer uͤbergoß. — Sie fürchtet’ 
Ihn nicht umfonft, denn Hamuel ſchwur Rache 
Und legte Fallen ihrem teufhen Ruf. — 
Geſchickt verbreitete er böfe Kunde, 

Die fchnell fih weiter pflanzt' und Glauben fand, 
Wie Zillah's Blick im Tempel himmelwaͤrts 
Gerichtet, nur entzäckten Eifers ſtrahle, 

Doch daß es Manchen gebe, der ihn auch 

Don anderem Gefühl befeelt, erfchaut: 

Wie es ein leichtes Werk fey, vor der Menge 
Am hellen Tag die Heilige zu foielen, , 
Allein daß alle Augen Nachts füch fchlöffen: — 
Sa daß ihr Leben fchleht und firafbar fey. — 
Es fchäme ſich der Menſch, daß er fo leicht 

Der böfen Zunge willig Glauben leiht, 


She loath’d the man, for Hamuel’s eye was. bold, . 
And the strong workings of brute selfishness. 

Had moulded his broad features; and she fear'& 
The bitterness of wounded vanity 

That with a fiendish hue would owercast - 

His faint and Iying smile. Nor vain her fear, 

For Hamuel vow’d revenge, and laid a plet 
Against her virgin fame. He spread abroad. 
Wbispers that travel fost, and ill reports, 

Which soon obtain belief; how Zillah’s eye, 

When in the temple heaven- ward it was raised, - 
Did swim with rapturous zeal; but there were those 
Who had beheld the enthusiast's melting: glance 
With other feelings fill’d; — that 'twas a task 
Of easy sort to play tke saint by day 

Before the puhlie eye,. but that all eyes 

Were closed at night; — that Zillah’s life was foul, 
Yea forfeit to the law. - Shame — shame to man . 
That he should trust so. easily the tongue 


— 235 — 


Die eines Andern guten Ruf vernichtet. 

Die Höfe Kunde wurde, kaum gehört, 

Auch wiederholt ımid Glauben ihr gefchentt, 

Denn Hamuel erfand durch fchnöden Kunftgriff 

So fhweren Schein der Schuld — daß zu dem Tode 

Der tiefiten Schmach die Sjungfrau ward verdammt. 

Sjenfeits der Mauern war ein wuͤſtes Feld, 

Ein fhwer verhaßter Platz, denn dort erlitten 

Verbrecher ihren Tod — dort Haute man 

Den Scheiterhaufen, thürmte rings den Brennſtoff, 

Der die gekraͤnkte Jungfrau tödten fellte, 

Verlaffen fehien von Gott und Menfchen fie. 

Verſammelt fahen die Bethlehemiten 

Dem Schaufpiel ga, und als fie Zilfah num 

Gefeſſelt fehauten, an dem Pfahl, wie fie 

Sin ftillee Froͤmmigkeit den fanften Blick 

Zum Himmel hob, begannen fie zu zweifeln 

An ihrer Schuld. — Won anderen Gedanken 

Erfüllt, fand Hamuel bei dem Pfahl, ihn hatte 

Die wilde Luft dahin gefuͤhrt, doch regten 
Gefuͤhle, ungewohnt, ſich jeßt in ihm, 


Which stabs another’s fame! The ill report 

Was heard, repeated, and believed, — and soon, 
For Hamuel by his damned artiſioe 

Produced such semblanees of guilt, the Maid 

Was judged to shameful deafı. Without he walls 
There was a barren field; a place abhorr'd, 

For it was there where wreiched criminals 
Received their death; and there they built the stnke, 
And piled the fuel round, which should consume 
The injured Maid, abanden’d, as it seem’d, 

By God and man. The assembled Bethlemites 
Beheld the scene, and when ihey saw the Maid 
Bound to the stake, with what calm holiness 

She lifted wp her patient looks to Heaven, 

They deubted of her gilt. With other thoughts 
Stood Hamuel near the pilc; him savage joy 

Led thitherward, but new within his heart 
Unwonted feelings ster’d, and the first pango 





236 — 


Die erften Quaalen der erwachten Sünde, 

Der Hölle Boten kuͤndeten ih an. 

Das Auge Zilfah’s, als fie rund um fchante, 

Fiel auf den Mörder plöglid und. verweilte 

Dort einen Augenblid; es. drang ihre Blick 

Sin feine Seele wie ein Doldy, und ließ 

Dein tiefe Wunden, unheilbar zurüd. 

Gewiſſen! Gott in uns! nicht in der Stunde 

Des Ruhmes fchoneft den Verbrecher Du, 

Nicht in des Todes Stunde, noch der Schmach 

. Sliehft Du den Frommen. — Seht, die Fackel dort, 
Sie nähern ſich dem Pfahl — o haltet ein, 
Erftidt die Flammen — weh! fie fleigen auf, 
Erreichen die Unfchuldige. — D Gott 

Beſchuͤtze die Gequälte — weh, bie Gluth 
Verbreitet fich, fie wirbelt auf und wuͤthet. — — 
— Gott fendet feinen Hauch — vor feinem Wehen 
Beugt fi) die Brunft — und alle ihre Flammen, 
Sin einem langen Blige ſich vereinend, 

Ergreifen und vernichten Hamuel, 


Of wakeniug guilt, anticipating Hell. 

The eye of Zillah as it glanced around 

Fell on the murderer once, and rested there 

A moment; like a dagger did it pierce, 

And struck into his soul a cureless wound. 

Conscience! thou God within us! not in the hour 

Of triumph dost thou spare the guilty wreich, 

Not in the hour of infamy and death 

Forsake the virtuons! They draw near the stake, — 
And lo! the torch! — hold, hold your erring hands! 
Yet quench the rising flames! — they rise! they spread! 
They rcach the suffering Maid! oh God protect 

The innocent one! They rose, they spread, they raged ; — 
The breath of God went forth; the ascending fire 
Beneath its influence bent, and all its flames 

In one long lightuing- flash concentrating, 

Darted and blasted Hamuel, — him alone. 





— 287 — 


Ihn ganz allein — hoͤrt ihr das Angſtgeſchrei 

Der Menge — doch mehr Wunder noch — der Pfahl 
Entſproßt — und breitet ſeine Zweige rings 

Als eine Laube um die fromme Maid 

Und Roſen bluͤhen rings — zum erſten Mal 
Erblickt, ſeitdem das Paradies verloren — — 

Und füllen rings die Luft mit Edens Düften. 

Als Proſaiker hat fich Southey vorzüglich durch mehrere 
Hiftorifche Werke verdient gemacht. — Sein gebildeter und 
eleganter Styl Tann, wie ein englifcher Schriftfteller bemerkt, 
kaum genug gepriefen werden. Man hält ihn in diefer Hinz 
ficht für den Erften unter den jeßt Iebenden Dichtern. 

So wild und unregelmäßig Southey erfcheint, fo aͤngſt⸗ 
Tich befonnen zeigt fich Dagegen Campbell, der mit ihm auf 
gleicher Bahn des Ruhmes wandelt, und es in mehr als eis 
ner Hinficht verdient, neben feinen großen Landsleuten genannt 
zu werden, da er. fih würdig in dem erworbenen Range zu 
behaupten weiß, — Thomas Campbell, geboren 1777, 
ſtammt aus Schottland. Geine Fähigkeiten entwidelten fich 
fo raſch, daß er fchon im zwölften Jahre feines Alters die 
Univerfität Glasgow bezog, wo er fich in vielfacher Hinficht 
andzeichnete, und mehrere Male den Preis, vorzüglich für 
höchft gelungene Webertragungen aus griechiichen Klaſſikern, 
über weit ältere Mitbewerber davon trug. — Er febte feine 
Studien fpäter in Edinburg fort, machte dann 1800 eine Reije 
nach dem Eontinent, verheirathete fich nach feiner Rückkehr im 
Fahre 1803 und fihlug darauf feinen Wohnfig in Sydenham 
auf; 1809 ward er Profeffor der Poefie am koͤniglichen In⸗ 
ſtitute. 


t 
Hark! — what a fearfal scream the multitade 
Pour ferth! — and yet more miracles! the stake 
Buds out, and spreads its light green leaves, and bowers 
The innocent Maid, and Roses bloom around, 
Now first beheld since Paradise was lost, 
And fill with Eden odours all the air. 








288 


Reichthum der Phantafie, Tiefe und Wahrheit des Ge: 
fühls, Wärme der Seele für alles Gute und Große, und 
der höchfte Glanz der Dietion, find die fchönften Bluͤthen in 
Sampbel’8 Dichterfranze, doch trifft ihn ein Tadel, der bei 
manchen Anderen als Lob erfcheinen würde, er ftrebt zu ängfts 
Tich nach Correctheit, und giebt fich Daher nie dem Drange - 
feines Genius hin, fondern feffelt diefen nur zu oft mit den 
Ketten der eigenfinnigen Negel. — Wie und im gefellfchaft- 
lichen Leben fchon ein Mann nicht angenehm feyn kann, der 
ſelbſt im Freundeskreiſe fich nie ganz hingiebt, nie fich gehen 
laßt, fondern ängftlich jedes Wort abwägt, ob ed ihm auch 
auf Feiner Seite Schaden bringe, alfo einen Character zeigt, 
bei dem und nicht warm werden kann, weil er felbft nie warm 
wird, fo flört und das noch mehr bei einem Dichter, denn 
wir begreifen fchwer, wie es möglich ift, in geweihten 
Stunden, in welchen der Genius feine ganze Herrfchaft aus: 
zuüben ftrebt, fich noch der Schule ängftlich zu erinnern, und 
die Begeifterung ſtets in gewiffer Entfernung von fich zu hal 
ten, fo daß fie nie fich der Seele ganz zu bemeiftern vermag. — 
Dies ift nur zu oft der Tall bei Campbell; feine Leiftungen 
ergeßen und daher, erfreuen und rühren und, aber wenn wir 
glauben, noch tiefer angeregt, noch gewaltfamer erfchüttert 
zu werden, da, wo die Phantafie Alles gethan hat dafuͤr, 
und fich die Schwingen zum Fluge in das gelobte Land fchon 
entfalten, da legt er fich und uns Feſſeln an, und führt uns 
Ungedulige nur langſam nnd mit Beionnenheit zum Ziele, 
fo daß unfere Gluth bin ift, wenn wir endlich zu dem⸗ 
felben gelangen, — Er feilt zu fehr, ein Vorwurf, den ihm 
feldft die ftrengften und genaueften Kritifer machen. — 

Campbell hat außer vielen Eleineren Gedichten drei groͤ⸗ 
Bere poetifche Werfe: The pleasures of Hope (die Freuden 
der Hoffnung) ein didactifches Gedicht, Gertrude of Wyo- 
ming , eine poetifche Erzählung und Theodrie, ebenfalls eine 
poetifche Erzählung, geliefert. — Unter den Erfteren find die 
vorzüglichften: Hohenlinden, The Exile of Erin, O’Con- 





nors child, or the. flower of love lies bleeding, Ab- 
sence. — Sch eile, Sie mit dem vorleßten bekannt zu 
machen, ehe ich zu einer ausführlicheren Darftellung der grö- 


Beren dichterifchen Arbeiten Campbell's übergehe. “ 
S’EConnor’s Kind 
oder 


die Blume der Kiebe blutet. *) 


Ah! es rauſchte Irland's Harfe 
Einſt in freud'gen Toͤnen laut; 
Doch oft ward auch ihren Saiten 
Bange Klage anvertraut. 
Dumpf war der Ton und wild ſein Fall, 
Gleich Windes Rauſchen in der Nacht, 
Am Felsgeſtad von Fiongall, 
Wenn er O'Connor's Kind beklagt. — 
Der Harfner kuͤndet wie allein, 
Fern von der Halle hellem Schein, 
Fern von gefell'ger Dienfchen Pfad, 
Wo nur des Forſtes Thier fich naht, 


) O’CGonnor’s child, 
or 


the flower of love lies bleeding. 


Oh! once ihe harp of Inniafail 

Was strung full high to notes of gladness; j 
But yet it often told a tale 

Of more prevailing sadness. 

Sad was the note, and wild its fall; 

As winds that moan at night forlorn 
Along the isles of Fion - Gall, 

When, for O’Connor’s child to mourn, 
The harper told, how lone, how far 
From any mansion’s twinkling star 
From any path of social men, 

Or voice, but from the fox’s den 


19 











In wäften Ort das Fräulein weilte, 

Und fle nicht Angft noch Furcht ereilte. — 

O warum wohnet dert, fo träbgefinnt, | . 
O'Connor's bleicyes holdes Kind ? 


Die füße Maid! Micht mehr erfchallen 
Loblieder ihr in Erin’s grünen Reichen, 
Als vormals, da fie in der Väter Hallen 
Bluͤht', eine Blume fonder Sleichen. 
Denn Hand und Bufen nicht mehr Eränzt 
Das königliche Band, der Wing, 

Der einft hellſchmuͤckend fie umfing 
Wie Thau auf weißer Lilie glänzt. 
Wich auch de Burgo’s feſter Macht 
Der Brüder Heer in wilder Schlacht, 
Sind gleich in Leinfter ohne Sorgen 
Vor Englands Schwerdt, die Freunde tief verborgen — 
Warum weilt fern vom: Heerverband 

An Salway’s Elippenreichem Strand 


The lady in the desert dwelt; 

And yet no wrongs, no fear she felt; 

Say, why should dwell in place so wild. 
. O’Conner’s pale and lovely child? 


‘Sweet lady! she no more ingpires- 
Green Erin’s hearts wilh beauty’s power, 
As, in the palace of her sixes, 
She bloomed a peerless. flewer. | 
Gone from her hand and besom, gene, - ‘ 
The reyal broche, the jewelled ring, 
That o’er her dazzling whiteness shone 
Like dews on lilies of the spring. 
Yet why, though fall’n her hroiher’s kerne 
Beneath de Bourge’s hattle stern, 
While yet in Leinster unexplored 
Her friends survive the English sword ; 
Why lingers she from Erin’s host 
So far on Galways shipwrecked coast? 


— 291 —' 


Sie, eine Jägerin wild gefinne, 
-D’Eonnor’s holdes, bleiches Kind? 


Starr hin auf die Fläche fchauend, 
Warum glüht ihr Auge wild ? 
Warum wird der Blick dann wieder 
Jungfraͤulich fanft und mild? 
Ungeordnet find die Loden. — 
Connocht Moran tönt es wieder 
Ihrem Ruf in jenen Felfen. — 
Einfam fingt fie Liebeslieder. 

Der Zäger ruht im Erdenfchooß, 
Dort unter Blumen, unter Moos — 
Dort iſt's, wo fie ſich Herzlich freut, 
Wenn fi) das fefte Band erneut; 
Wo fie von ihrer Huͤtte fieht, 

Wie Hin der Tod zum Leben zieht, 
Denn nah’ ift in der Liebe Schmerzen 
Dft der Geliebte ihrem Kerzen. 


Why wanders she a huntress wild, 
O’Connor’s pale and lovely child? 


And fix’d on empty space, why burn 
Her eyes with mementary wildness; 
And wherefore do they then refturı 
\ To more than woman’s mildness? 
Dishevell’d are her raven-locks;. 
On Connocht Moran’s name she ealls; 
And oft amidst Uıe lomely rocks 
She sings sweet madrigals. 
Plac’d in the foxglore and the moss, 
Behold a parted warrior’s eröss! 
That is the spot where, evermore, 
The lady, at her shieling door 
Enjoys that, in communion sweet, 
The living and the dead can meet: 
For lo! to love-lorn fantaey, 
The hero of her heart is wigh. 


19* 





192 — 


Starf, wie ber flurmgefpannte Bogen, 
Geſchmuͤckt in Erin’s gelber Tracht, 
Kommt er, ein Sohn des Lichts, gezogen, 
Sie zu erfreu'n in feiner Pracht. 
Sißt bei ihr auf dem Raſen nieder 
Legt Hin das Horn auf grüne Matten; 
Und jagt dann in den Huͤgein wieder, 
Der Waldmann, wie das Wild, ein Schatten. — 
Es find nur Schatten, Hulde Maid, 
Die Deinen trüben Sinn entzäden; 
Doc fpricht fie Euch von Seeligkeit, 
Vermag fie nur fein Grab zu ſchmuͤcken. 
Sie duͤnkt ſich reicher als in Aghrim's Kreifen, 
Wo die Sänger ftrebten, fie zu preiſen, 
Pagen ihr, knieend, im Saale 
Morat boten, in goldener Schaale. 


Heldenbraut! nicht ziemt die Wuͤſte 
Die, nicht dieſer oͤe Ort. — 


Bright as the how that spans the ‚storm, 
In Ein’s yellow vesture elad, 
A son of light — a lovely form, 
He comes and mahes her gind; 
Now on the grass- green turf he site, 
His tassel’d horn beside him leid; 
Now o’er the hills in :chase he flits, 
The hunter and the deer a shade! 
Sweet mourner! those are shadows vein 
That cross the twilight of her hraia 
Yet she will tell you she is biest, * 
Of Connocht Moran's tomb possessed, 
More richly than in Aghrim's hower 
When bards high praised her beauty’s power 
And kneeling pages offer’d up 
The morat in a golden cup. 


A hero’s bride! this desert hower, 
It ill befits thy gentle hreeding: 


— 293 — 


Warum nennf Du jene Blume 

„Meine Lieb’ liegt blutig““ dort? 

Meine Thräne macht fie grünen, 

Dunkles Roth fein Blut ihr gab: 

Darum lieb’ ich fie; fie war bie erfte, 

Die erbläht" auf Connocht Moran's Grab. 
Laufche meiner. Klage — bier 

Diefe Wohnung wählt ih mir — 
Gebenedeit fey mir der Stern, 

Der mid zur Wilbniß führte, fern 

Den hoben fteilen Berg hinab, 

Der uns ein fiher Obdach gab, 

Denn jeder Felſen, jeder Stein, 

Bezeugen laut Dir — Er war mein.“ —  \ 


„O Connor's Kind war ich, die Knospe 
Bon Erin’s Eöniglihem Haus: | 
Doch, Wehe denen, bie verbüftert 

Mit Blut mein Seyn, in Angft und Graus! 


And wherefore dest ihon leve this flower 
To call: — »My love lies bieeding.» 

»Tbis purple flower my teass have nursed; 
A hero’s blood supplied its hloom : 

1 loved it, for it was the first 
That grew on Connocht Moran’s tomb. 

Oh! hearken, stranger te my veice! 

This desert mansion is my cheicel 

And blest, though fatal, be the star 

That led me to its wilds afar : 

For here this pathless mountains frce 

Gave shelter to my love and me; 

And every rock and every stone 

Bare witness ihat he was my owm.« 


«O’Connor’s child, I was the bud 
Of Erin’s royal tree of glory 

But woe to them, that wrapt in blood 
The tissue of my story. 


— 14 — 


Wenn ich an meine Stine falle, 

Steigt die vergang’'ne Zeit mir auf, 

Und führt das Schreddlichfte bes Lebens, 

Die blut’ge That, mit ſich Herauf, 

Als meine Brüder in der bangen lacht 
Stolz Connocht Moran's Zorn verlacht, 

. Shn baten, fidy ein and'res Lieb’ zu wählen, - 
Denn aus O Connor's Hohen Sälen. 

Ihr Stamm fey alt und wohlbefannt, 

In Tara’s Liedern hochgeehrt, 

Ein gült’ger Zeuge fey Eath's fiegreich Sqhwerdt, 
Uud Cathal mit der blut'gen Hand. 

Sie ſprachen, Macht und Ehre ſey 

In unſern Hallen hoch und frei; 

Mein Trauter aber trug im Schlachtgefild’ 
Sering’res Wappen nur auf Teinem Schild.’ 


„O Brüder, fagt, was follt' es mir, 
Daß Ihr mit Stolz und Siegsgeſchrei 


Still as I clasp my burning brain 

A death-scone ruskes on my sight; 
And rises o’cr and o’er agam, 

The bloody feud — the fatal night, 
When, chafing Connocht Moran’s scorn, 
They call’d my hero hasely born 
And bade him choose a meaner bride 
Than from O’Connor’s heuse af bride. 
Their tribe, they said, their high degree 
Was sung in Tara’s psalterv ; 

Wituess their Eath’s victorious brand, 
And Cathal of the bloody hand: 

Glory (they said) and power and honsur 
Were in the mansion of O’Connor; 

But he, my loved one, bore in field 

A meaner crest upon his shield.» 


»Ah, brothers! what did it avail 
That fiercely and triumphantiy 


Am Kampf die Britten Habt begwungen, 
Geſtuͤrzt de Bourgos Reiterei. 

Was nügt es meiner Liebe denn, 

Daß Eure Banner Freiherrn trugen, 
Daß Jubelfeuer Euch zum Preife 
Hellodernd auf gen Himmel ſchlugen, — 
Glaubt Ihr, weil Ihr vom Shannon herrſcht, 
Bis wo der Nordiee Wogen drängen, 
Daß Eure folge Eiſenhand 

Der Liebe Feſſeln könnte ſprengen? 

Eh’ mag der Adler fein Sefieder, 

Die Blume ihre Bluͤthe miflen, — 

Die Fäden, die um's Herz gefponnen, 
Sie werden nimmermehr zerriſſen.“ 


„Mein Trauter rief, in fpäten. Stunden: 
Licht meines Lebens! folge mir, 
Es liegt mein Schiff am Ufer bier, 
Dort find die Pferde feft gebunden. — 


— — — — 


Ye fought the English of the pnle 

And stemmed De Bearge’s chivalry ? 
And what was it to love and me 

That barons by our standard rode, 
Or heal-fires for yowr jahnlce 

Upon an hundred monntains glowed? 
What though the lords of tower and dome, 
From Shannon to ihe North-sea - foam, — 
Thought ye your iron hands of pride 
Could break the knot that love had tied? 
No: — let the eagle change his plame, 
The leaf its hue, the flower its bioom ; 
But ties around this heart were spun, 
That could not, would not, be undone!« 


»At bleating of the wild watch - fold 

Thus sang my love — »Oh, eome with me: 
Our bark is on the lakc, hehold 

Our steeds are fasten’d te the tree 





296 — 


Komm’ ferne von Burg Connor’s Reichen 2 





Mit Deinem Säger, Jungfrau mild, ut 
Dann jag' ich dort, am See der Schwäne, | 
Dein Waidmann, Dir des Waldes Wild, 2 


Bau’ Deine Hütte, bringe heim 

Gefluͤgel Dir und Honigfeim, 
Such' Dir im dunklen Forſte Beeren, 

Spiel' meine Harfe Dir zu Ehren. — 

O komm Geliebte!“ Durft' ich weilen? 

Ich ſah' die Hunde vorwaͤrts eilen, — 

Durch dunkle Nacht folgt' ich in's Thal 

Schnell Connocht Moran's Augen Strahl.“ 


„Und fort ging's; ehe noch der Stern 
Des Tag's begann zu glimmen, 
Sah'n wir O' Connor's Hallen fern 
In dunkeln Nebeln ſchwimmen. 
Lieb war uns die Einſiedelei 
Am oͤden unbebauten Strand, 


— — 


Come far from Castle-Connor's clans— 

Come with thy belted forestere, 

And I, beside the lakc of swans, 

Shall hunt for thee the fallow - deer; 
And built thy hut, and bring ihee home 
The wild-fowl and the honey comb; 
And berries from the wood provide, 

And play my clarshech by thy side. 

Then come‘, my love!« — How could I stay? 
Our nimble stag-hounds tracked the way, 

And I pursued, by moonless skies, _ 

The light of Connocht Moran’s eyes.» 


»And fast and far, before the star 

Of day-spring rushed we trough the lade, 
And saw at dawn the lofty bawn 

Of Castle - Connor fade! 
Sweet was to us the hermitage 

Of this unplough’d, untrodden sbore; 


— 117 — 


Wir waren hier, wie Vögel frei, 

Don Menfhen weit und unerkannt. 

Und wohl verftand mein Waidmann fehr 
Die hohe Jagd mit Falk und Speer; 

Dis ic) das Abendmahl bereitet 

Und es mit frohem Lied begleitet. — 

Da nahte einft die dunkle Nacht, 

Die wild mid, zur Verzweiflung bracht’: 
Die Nacht mir voller Angſt und Sorgen, 
Die Nacht, ihm — ohne lichten Deorgen. 


„As Schlaf am Abend letzt' die Muͤden, 
Hoͤrt ich das Heulen ihrer Rüden. — 
Sey Til, mein Connocht Moran ruft, 
Der Adler nur raufcht in der Luft, — 
Ad) es war nicht des Vogels Gruß; — 
Der Jagdhund fpigte wach das Ohr; — 
Koch, hoͤrſt Du wohl den nahen Schuß ? 
Die Mörder dringen weiter vor. — 


Like birds all joyous from the cage, 

For man’s neglect we loved it more. 
And well he knew, my huntsman dcar, 
To search the game with hawk and spear; 
While I, his evening-food to dress, 
Would sing to him in happincss. 

But, oh, that midnight of despair! 

When I was doom’d to rend my hair: 
The night, to me, of shricking sorrow ! 
The night, to him, that had no morrow!« 


»When all was hushed, at even-tide, 

I heard the baying of their beagle, 
Be hushed, my Connocht Moran cried, 

Tis but the screaming of the eagle. 
Alas! 't was not the eyrie’s sound 

Their bloody bands had track’d us out; 
Up listening starts our couchant hound — 

And, hark! again that nearer shout 
Brings faster on the murderers. 


* 





2985 — 


O! ſchont ihn! — ruft ich tief erſchreckt; — 
— Doc feine Stimme zähmt die Schlange, 
Nicht ſchuͤtzt's ihn, daß ich ihn umfange, 
Da fchon ein and'res Schwerdt ihn hingeſtreckt. 
Ein and'res, noch ein and’res Schwerdt, 
Und jedes, das ihn'fo verfehrt, 

Bon dem fein Blut herunterrann, 

Gefuͤhllos d’rinn getaucht, 

Sehörte einem Bruder an. — 

Al3 er den Odem ausgehaudıt, 

Da gruben fie mit Eifenhand 

Sein Lager ihm in leihtem Sand. — 
Dann warfen Palt fie ihn hinab 

And traten graufam auf fein Grab; 

Da fah’ ih — Gott, wie ward mir bang, 
Wie's Herzblut durch den Raſen drang.’ 


„Noch binteten die Todeswunden, 
Sie fenften, warm noch, ihn hinab, 
Nicht Todtenlied, noch Meſſe tönte 
Bei des geliebten Juͤnglings Grab. 





Spare, spare him — Brazil, Desmond ficrce! 

In vain — no voiee the adder charms. 

Their weapons crossed my sheltering arms: 

Another’s sword had kaid him low — 
Another’s and another’s; 

And every hand that dealt the biow — 
Ah me! it was a brother’s. 

Yes, when his moanings died away 

Their iron hands had dug the clay, 

And o’er his burial-turf they trod, 

And I beheld — oh God! oh God! 

His life-blood oozing from the sod!« 


»Warm in his death - wounds sepulchred, 
Alas! my warrior’s spirit brave. 

Nor mass, nor ulla-Äulla heard 
Lamenting soothe his grave. 


— 100 — 


D’ranf fchleppten fie mich mit zur Burg, 
Wie lang’ in Ohnmacht dort ich lag, 
Das weiß ich nicht, bewußlos war ich 
Und unterfchied nicht Nacht noch Tag. 
Um mid ſchwebt dunkle Tobesnacht, 
Und dann nur war Ich aufgewacht, 
Wenn graufen Bli’s, die wilden Bräder 
Sah'n auf die arme Schwefter nieder, 
Ob auch ihr Auge ſchon gebrochen. — 
Ihr Anblick trieb mein Blut hervor, 
Zwang das beengte Herz zu pochen, 
Gleich Todesbotfchaft an mein Ohr,’ 


„Der Himmel rief mir die erloſch'ne Seele 
Mit heller Viſion zuruͤck; 
Sc wachte, meine Lippen tönten, 
Nas prophezeihend ſchaut' mein Blick, 
"Dreimal erfcholl die Kriegsdrommete, . 
Der Sachſen Banner ſah' ich nahn; 


Dragged to their hated mansion back, 
How long in thraldom’s grasp I lay, 
1 kncw not, for my soul was black 
And knew no chance of night or day. 
One night of horror round me grew; 
Or if I saw, or felt, or knew, 
"Twas but when those grim visages, 
The angry brother’s of my raco, 
Glared on each eye-ball’s aching throb, 
And check’d my bosom’s power to sob; 
Or when my heart with pulses drear 
Beat like a death-watch to my ear.« 


But Heaven, at last, my soul’s eclipse 
Did with a vision bright inspire: 
I woke, and felt upon my lips 
| A prophetess’s fire. 
Thrice in the east a: war-drum beat, 
I heard Ihe Saxon’s trumpet sound 








— 300 


Die Brüder kamen jegt, als follten 

Ihr Todesurtheil fie empfahn, 

Gerüftet an, mit Helm und Schild. — 

De Bourgo's Mannen hatten wild 

Die Graͤnzen Ulfters wild verbeert; 

Es folgte Schritt vor Schritt dem Schwerdt 
Der Flamme lodernd Wuͤthen nad). 

O' Connor's edles Banner lag 

Bei mir im Thurme, hochgeehrt. 

Sch gab — der Mond fchien bleich und kalt — 
"Die Fahne, die Hoch flatternd wallt, 

Mit wilden Blick, dag jedes Herz 
Erſchuͤttert Flopfte unterm Erz.“ 


„zieht Hin, rief ich; das Schlachtfeld ſucht, 
Die kalt und herzlos Ihr gehört 
Der armen Schwefier tiefe Klage, 
Zieht hin, und — nimmer kehrt, — 
Eh’ werde Gottes Vrtheit Trug, 
As Ihr das Banner fiegreich haltet, 





And ranged, as to the judgment - seat, 
My guilty, trembling brothers round. 

Clad in ihe helm and shield they came; 

For now De Bourgo’s sword: and flame 

Had ravaged Ulster’s boundaries, 

And lighted up the midnight-skies. 

That standard of O’Connor’s sway 

Was in the turret where I lay; 

That standard, with so dire a look, 

As ghastly shone the moon and pale, 

I gave, that every bosom shook 

Beneath its iron mail. 





And go! (I cried) the comhat seck 
Ye hearts that unappalled bore 
The anguish of a sister’s shriek; 
Go! — and return no: more! 
For sooner guilt the ordeal- brand 
Shall grasp unhurt, than ye shall hold 
The banner with 'victerious hand, ‚ 








Hl — 


Das umter meinem wilden Fluch 

Zum letzten Kampf ich Euch entfaltet. 

D fremder Mann, bei meinem kieben, 
Bei meines Vaterland's Verluſt, 

Ich ſprach, vom böfen Geift getrieben, 
Sinnlos den Bann und unbewußt, 

Und Wahnſinn fühlt" ich mich umweh'n, 
Den Zorn des Himmels zu erfleh'n.“ 


„Sie wollten ſtumm fid) mit dem Kreuze fegnen, 
Und löfen mit Gebet das Zauberband, 
Doc als ich wüthend mit dem Fuße ftampfte, 
Sant kraftlos nieder bie erhob’ne Hand. 
„So mögt, rief ih, „nach Athunree Ss gehn, 
Laßt hoch das ſtolze Banner weh'n, 
Doc wißt, mo Ihr die Fahne ſchwingt, 
Blutſchuld auf Eure Seele ſinkt; 
Seht hin, feht Eure Macht zerträmmern, 
Se weit die hohen Berge ſchimmern. 





Beneath a aister's curse unroll’d. — 

O stranger, by my country’s loss! 

And by my love! and by the cross! 

I swcar I never could have spoke 

The curse that severed nafure’s yoke 
But that a spirit o’er me stood, 

And fired me with ihe wrathful mood; 
And frenzy to my heart was given 

To speak the malison of heaven. « 


» They would have cross’d themselves; all mate, 
They would have pray’d to burst the spell; 

But, at fhe stamping ef my foot’ 
Each hand down pow’rless fell! 

-And go to Athunzree! (I cried) 

High lift the banner of your pride! 

But know, that where its sheet unrells, 

The weight ef blood is on your souls. 

Go, where the havoc of ypur kerne 

Shall float as high as mountain - fern! 


— 302 — 


Der Ort, wo Eure Halle ſtand, 

Sey nicht gekannt mehr auf der Erde, 
Wenn eingeſunken jede Wand 

Und Neſſeln ſproſſen auf dem Heerde. 
Wenn ſich die Sonne birgt in Kluͤften, 
Umwehe Rabenfittig Euch, 

Kein Lehnsmann ſoll den Helm Euch lüften 
Auf Eurer Stirne, kalt und bleich.“ 


„Dis ich den graufen Fluch geendet, 
Schwebt ein Gewitter über unſ'rer Flur, 
Das, als die Lippe fich gefchloffen, 
Raſch durch den rothen Himmel fuhr. 
Wild war der Blick, den meine Brüder 
Zum legten Lebewohl mir fandten, 

Als ſchnell von allen Hügeln nieder 
O'Connor's tapfre Krieger rannten. 
Dreißig von Kilnagorvens Stämmen, 





Men shall no more your mansion know; 
The nettles on your hearth shall grow! 
Dead, as thee green oblivious flood 

That mantles by your walls, shall be 
The glory of O’Conner’s blood! 

Away, away to Athunree ! » 
Where downward, when the sun shall fall, 
The raven’s wing shall be your pall! 

And not a vasall shall unlace 
The vizor from your dying face!« 


»A bolt that overhung our dome, 
Suspended till ıny curse was given, 
Soon as it pass’d these lips ef foam 
Pealed in the blood-red heaven 
Dire was the look, that o’er their backs 
The angry parting brothers threw: 
But now, behold! like cataraets 
Come down the hills in view 
O’Connor’s plumed partizans. 
Thrice ten Kilnagorvian elans 





— 303 — 


Sah' in gewillen Tod ich ziehn; 

Ein ſchneller Sturm raufcht in der Helme Buͤſchen, 
Bligftrahlen über ihre Haͤupter ziſchen, | 
Und eine Gluth der ganze Himmel ſchien.“ 


„Bei Connocht Moran’s Grab zu fterben, 
Floh, Fremdling, ich das Haus der Trauer; 
Ich fand den Helmſchmuck des Geliebten, 
Noch hing fein Bogen an der Mauer, 

Als eine Jaͤgerin hier zu weilen, 
Gelobt' ich mir und nahm ihn ab; 
Nichte um das Herrlichfte des Lebens 
Laß ich des hohen Helden Grab. 

Dies Hans foll meine Wohnung bleiben, 
Da vfleg’ ich zu des Kriegers Ruhme, 
Sern von der Menfchen wuͤſtem Treiben, 
Der Liebe blutende Blume. 





Were marching to their doom: 

A sudden storm their plumage tossed, 
A flash of lightning o’er them crossed, 
And all again was gloom.» 


»Stranger! I fled the home of gricf, 
At Connocht Moran’s tomb to fall; 
1 found the heimet of my chief 
His how still hanging on our wall, 
And took it down, and vowed to rove 
This desert place a huntress hold; 
Nor would I change my buried love 
For any heart of living mould. 
No! for I am a hero’s child, 
FH kunt my quarry in the wild: 
And still my home this mansion make, 
Of all unheeded and unbeeding, 
And cherish, for my warrior’s sake 
The flower of love lies bleeding.« 


— 304 — 


Die Freuden ber Hoffnung find mehr ein fchilderndes 
Gedicht, als ein didactiſches zu nennen; einen eigentlichen Plan 
fheint der Dichter fich dabei nicht vorgefchrieben zu haben; 
er überläßt ſich feiner Phantafie, und findet fich am Ziel 
feiner Aufgabe, fobald fein Vorrath erfchöpft if. — Darin 
Tiegt einerfeitö ein großer Reiz, denn ed gewährt reiche Sreude, 
der Begeifterung des Genius auf ihren Pfaden zu folgen, an= 
Dererjeitd aber auch ein großer Fehler. — Der erfte Gefang 
beginnt mit einem Gleichniß : wie eine Landfchaft in der Ferne 
fchöner erfcheint, fo auch die Scenen Fünftigen Glüces, welche 
die Einbildungskraft im Voraus herruft. — Der Einfluß der 
Hoffnung auf die anderen Empfindungen wird nun befchrieben,- 
und auf die befannte Mythe, nach welcher, als alle Götter 
son der Erde flohen, jene allein zurüd blieb, angefpielt. 
Der Dichter geht darauf zu den Troͤſtungen über, welche fie in 
Gefahr und Kummer beut. Es folgt eine Schilderung des 
Schiffer bei feiner Nachtwache, des Kriegers, der in bie 
Schlacht zieht, nebft einer Andeutung der Thaten des kühnen 
Seefahrers Byron. 

Dann geht der Dichter zu der Begeifterung uber, welche 
die Hoffnung bei Werfen des Genius verleiht. — Bon eben 
fo großem Einfluß ift diefe fehüßende Gottheit auf haͤusliches 
Stud. Die Schiderung einer Mutter, welche ihr fchlafendes 
Kind bewacht, eines Gefangenen in feinem Kerker, einer wahn⸗ 
finnigen Liebenden, eines verlaffenen Wanderers fchließen fich 
daranz ihnen allen bringt die Hoffnung Frieden und Luſt. — 
Aber nicht allein bei den Leiden Einzelner ift fie wirffam, fon= 
dern auch auf das Schidfal.der Staaten übt fie ihren Einfluß aus, 
— Der Dichter betrachtet nun, was fich von der Verbefferung der 
wilderen Völker durch die Fortfchritte der Civiliſation hoffen Iaffe, 
und erwartet Großes; da wenden fich feine Gedanten zu einem 
trüben Contrafte mit jenen glänzenden Ausfichten; er denkt 
an das Schickſal des tapfern polnischen Volkes; feine Mufe 
verliert fich in Erinnerungen an vergangene Zeiten; fie be⸗ 
fchreibt den Fall von Warfchau, den legten Kampf der Uns 


X 








— 305 


terdruͤckten mit den Unterbrüdern, das Blutbad auf der Brüde 
von Praga. Eine Unrede an die Tyrannen folgt, dann fehils 
dert der Sänger die Leiden der Söhne Afrita’s, und die graus 
fame Poltit der Europäer in Indien. Die Prophezeihung in 
- der Mythologie der Hindu's, daß die Gottheit wieder vom 
Simmel herabfteigen, ſich ihrer unglüdlichen Verehrer erbars 
men, und Rache an den Unterbrüdern nehmen werde, endet 
den Gefang. — 

Eine Anrede an die Liebe beginnt den zweiten Canto. 
Der Dichter erzählt, wie die Freuden des Paradiefes felbft uns 
vollkommen waren, bis fich Liebe zu ihnen gefellte. — Hoff⸗ 
nung aber erhöht noch die Freuden der Liebe, indem fie alles 
Kiebliche zufammenfaßt, wie jener Künftler des Alterthums in 
dem Gemälde der Benus alle fehönen Züge, die je feinen Blick 
angezogen hatten. — Hoffnung und Einbilbungskraft find 
unzertrennlich; ſelbſt in folchen Augenbliden, wo unfere Phans 
tafie über die Grenzen diefer Welt hinausfchweift, verläßt uns 
das Gefühl nicht, daß wir einft zu einem Klaren und allgemeis 

nen Auffchauen des AUS gelangen werden. 
Dreer letzte und erhabenfte Einfluß der Hoffnung bildet nun 
den Schlußpunft des Gedichts, der vorherrichende Glaube naͤm⸗ 
lich an eine künftige Fortdauer jenfeitö der irdifchen Auflöfung. 
— Der Dichter wirft noch einen Seitenblid auf die fchädliche 
‚Gewalt des Skepticismus; eine Anfpielung auf einen Selbſt⸗ 
mörder , eine Epifode, welche das Schidfal eines Vaters und 
feiner Tochter enthält, und ein nochmaliger Anruf an die Hoff: 
nung fchließen das ganze Werk. 
Das Gedicht erfreut fih, in KHinficht auf feine äußere 

Geftaltung, einer feltenen Vollendung. Harmoniſcher Finnen 
nicht leicht Verſe gebaut feyn, aber man merkt bei Allem die 
-Angftliche Seile, und wird daher nicht fortgeriffen, weil man 
nur zu deutlich fieht, wie Jedes genau berechnet if, — Trotz 
dem liegt eben der Hauptfehler ded Ganzen in dem fchwans 
-Tenden Plane und in bem Mangel an richtiger Motivirung der 
Uebergänge. Der Verfaffer wollte ein dibactifches Gedicht Ties 

20 





— 3106 — 


fern, ba feine mmere Richtung aber fich weit mehr dem Lyri⸗ 
ſchen zuneigte, fo theilte er diefe unbewußt feinem Werke mit, 
und hat ihm dadurch wefentlich geſchadet, denn auf Koſten des 
Verſtandes ift dad Gefühl befchäftigt, aber nicht hinreichend 
für feine Forderungen, und fo muͤſſen denn Beide eine Luͤcke 
fpüren, weiche ver Dichter nicht das Vermögen hat, aus⸗ 
zufuͤllen. — 

Einzelne Stellen in den Pleasures of Hope find von 
großer Schönheit, vorzüglich im erfien Gefange die Schilderung 
des Kampfes der Polen (V. 349 — 464, fo wie V. 225 
— 262); im zweiten Gefauge die Epifode von Conrad und 
Eleonore (V. 407-456) mad die Schlußverſe bed Ganzen. 

Gertrude von Wyoming ift der Titel von Camp⸗ 
bells zweiten größerem Gedichte, das eigentlich eine Art vom 
Epos feyn folk, aber im diefer Hinficht an großen Sehlern lei⸗ 

— Der Gefchichtsfaden, der fich durch dad Game fchlingt, 
iſt hoͤchſt einfach, ja Armfich gefponnen. — Der erfte Geſang 
enthält den Umſtand, daB ein nordamerifanifcher Haͤuptling 
dem Anfiebler Albert in ber Colonie Wyoming einen Knaben, 
den Sohn europäifcher Eltern, bringt, den er gerettet. — Im 
zweiten Canto kehrt der Knabe, zum Wanne gereift, von lau⸗ 
gen Reifen zuruͤck, und vermaͤhlt fich mit Alberts Tieblicher 
Tochter Gertrude. Im dritten wird die Colonie überfallen, 
Sertrude und ihr Vater getoͤdtet und der zurückgefehrte bejahrte 
Wildenhaͤuptling ſchließt das Ganze mit einem fehr fehönen 
Kodtengefange. Sehe richtig bemerkt ein engfifcher Kritiker 
von dem ganzen Werke: „Der Veröban und die Einzeinheiten 
dieſes Gedichtes zeigen bie größere Reife von Campbells Talent, 
aber analyfirt man bie Fabel, fo wid man geneigt, anzu⸗ 
nehmen, daß Alles dem Wunfche geopfert wırde, vie Kritik 
durch die fortdauernde Eleganz des Styls zu entwaffnen, wel⸗ 
cher alle Harmonie befigt, die Golbfmith eigenthämtich ift, fo 
wie die Kraft Sohnfons, verbumden mit dem Glanze, welcher 
an Spenſers reiche Einbildungsfraft erinnert. Die Handlung 
ift in eben dem Grabe vernachläffigt, al& die Diction geglättet 





— 307 — 


iſtz jede Idee ſteht vollſtaͤndig ba, erfcheint aber ifolirt. — 
Wie dem aber auch ſey, Campbells Gedicht bietet bewunderns⸗ 
würdige Contrafte dar. Die erhabenen Scenen amerikanifcher 
Landſchaft find hoͤchſt gludlich mit dem patriarchaliichen Leben 
der Coloniſten zufammengeftellt, die majeflätiiche Skizze des 
alten Oneyda und feine wilde Beredſamkeit ftehen in harmoni⸗ 
ſchem Rerhältniffe zu den Bergen, den Urmwäldern und den 
Seen ſeines vaterlaͤndiſchen Bodens.“ 

Das dritte groͤßere Gedicht Campbells, Theodrie, ſpielt 
in der Schweiz. Es umfaßt das Schickſal einer Jungfrau, 
deren Herz 

— — te martyr of its fondness hurut 
Awl died af love that could not be returned. *) 
Udolph, ihr Bruder, dient unter den Defterreichern im Felds 
zuge am Rheine; fein Chef, Theodrie, zeichnet ihn vor Allen 
aus, und rettet ihm im Kampfe mit eigener Gefahr das Les 
ben, — Als endlich der Frieden gefchloffen ift, kehrt Udolph 
zur Heimath zurücd, und bringt das Portrait feines Freundes 
und Hauptmanns mit, dad Julia fogleich- erfennt. — Theo⸗ 
dric ift mittlerweile nach England gegangen, und hat bort die 
Liebe einer fehönen Brittin gewonnen. Ehe er fich für im⸗ 
mer mit ihr verbindet, führen ihn feine Angelegenheiten nach 
Defterreich zurüd; auf der Reife befucht er feinen jungen 
Freund; er verweilt einen Monat.bort, und Julia ſchenkt ihm 
ihre heißefte Neigung, aber er theilt ihr feine Verbindung in 
England mit, reift fort und vermahlt fich mit Conftanze. Sie 
leben glüdlich, nur daß boͤſe Verwandten fie flören. — Der 
Krieg bricht von Neuem in Deutfchland aus und Theodric eilt 
dahin, um für die Sache feines Landes zu kaͤmpfen. Er bes 
ſchwoͤrt feine Gattin, in England zu bleiben, fie verfpricht es. 
— Unterdeß ift Udolph zu ihm gekommen, und erzählt ihm, 
daß Julia, ſich in Liebe verzehrend, ihrem Ende entgegengehe 


*) — old Märtyrer feiner Zärtlichkeit brannte, und an Liebe flach, 
Die nicht erwiedert werden konnte. 
20* 


— 308 — 


und Theodric vor ihrem Tode nur noch einmal zu fehen wuͤn⸗ 
fche. Conſtanze redet ferbft ihm zu, das Begehren der armen 
Leidenden zu erfüllen, und dann zuruͤckzukehren und mit ihr 
(Sonftanzen) fich auf dem Eontinent niederzulaffen. — Theo⸗ 
drie geht nach der Schweiz und bleibt bei Julien bis zu ihrem 
Tode; da bekommt er die Nachricht, daß Conftanze gefährlich 
trank ſey. — Er eilt nach England zurüd, aber findet fie 
nicht mehr am Leben; Gram über die Mishandlungen von 
Seiten ihrer Verwandten, welche nicht haben wollten, daß 
fie England verlaffe, hatten das zarte Weſen getödtet; Theo⸗ 
dric findet flatt ihrer nur einen Abſchiedsbrief von ihr; die Zeit 
Iimdert feinen Kummer, and, fchließt der Dichter das Ganze 
And though he mourned her long, ’twas with such woe 
As if her spirit watched him still below. 

Theodric ift eigentlich nur eine verfifiäirte Novelle; wohl 
möglich , daß ihr eine wahre Begebenheit zu Grunde liegt. — 
Sein Werth fleht dem der Gertrude von Wyoming bedeutend 
nach und die Iprifche Richtung herrfcht auch Hier zu fehr vor. 

Als Proſaiker hat fich Campbell durch höchft gefchmad- 
solle und geiftreiche Abhandlungen und Auffäße anderer Art 
audgezeichnet, und den wohl erworbenen guten Klang feines 
Namens in der Titterärifchen Welt auch nach diefer Seite hin 
würdig zu erhalten gewußt. — 





Zehnte Borlefung. 


George Crabbe. — Samuel Rogers. — Autzüge aus fei: 
nen Dichtungen. — Henry Hart Milman. Hymne aus 
defien Belfazar. — James Montgomery. — Proben ans 
feinen Gedichten. — Bernard Barton. Sein Daheim. 
Samuel Taylor Eoleridge. — Defien Dichtung, Liebe. 
— Billiam Wordsworth. Wir find Sieben — 


Ganʒ im Gegenſatze zu Campbell, durch ſeine Einfachheit 
und Prunkloſigkeit, erfcheint George Crabbe, den man 
mit Recht den Genremaler unter den jetzt lebenden engliſchen 
Dichtern nennen kann. Crabbe, urtheilte Moore öffentlich von 
ihm, der gezeigt hat, was die mehr als galvaniſche Kraft des 
Talentes vermag, dadurch, daß er nicht bloß Bewegung, ſon⸗ 
dern auch Leben und Seele Gegenſtaͤnden verleiht, die deren 
unfähig zu ſeyn ſcheinen. — *) 

George Erabbe Ift den 24. December 1754 in Alt: 
borough in Suffolk, wo fein Vater ald Zollbeaniter diente, 
geboren. Er ward zum Wundarzte beftimmt, feine poetifche 


*) e. Jacobſen's Briefe, ©. 11. ’ 





— 310 — 


Neigung ließ ihn dieſen Stand jedoch nur mit Widerwillen be⸗ 
trachten, und ermuthigt durch das Gewinnen eines Preiſes fuͤr 
das gelungenſte Gedicht auf die Hoffnung, ging er 1778 nach 
London, aufs Gerathewohl, mit dem beften Willen, aber nur 
mit höchft geringen Huͤlfsmitteln ausgerüftet. — Als es ihm 
hier jedoch nicht nach Wunſche gluͤckte, wandte er fich ver- 
trauensvoll an den berühmten Edward Burke, der fich feis 
ner väterlich annahm. — Crabbe widmete fich nun der Theo⸗ 
logie, wurde 1781 ordinirt, und bekleidete feitdem nach einan- 
der mehrere geiftliche Würden; feit 4813 dad Nectorat zu 
Trowbridge, wo er 1819, als er zuerft feine Tales of the 
Hall, eine Sammlung feiner beften Gedichte, zu einem Gan⸗ 
zen vereinigt herausgab, noch lebte. — Ich erinnere mich 
nicht, feinen Tod irgendwo angezeigt gefunden zu haben; viel 
leicht erfreut fich der windige Mann in hohem Alter noch 
dauernder Gefundheit. *) 

Scharfe Beobachtungdgabe, naturgetreue Darftelflung, ges 
naue Kenntniß des menfchlichen Herzens, tiefes Gefuͤhl und 
Liebe zum Edeln und Wahren, ſind die Hauptzuͤge von Crab⸗ 
be’3 Muſe. Dazu geſellt ſich eine hoͤchſt weltkluge, aber ſtets 
wohlwollende Ironie, die ſich mitunter gern der Satyre ver⸗ 
ſchwiſtert. Der Dichter gefaͤllt ſich nur in Gegenſtaͤnden aus 
den unteren Kreiſen des Lebens, aber er behandelt Alles, was 
er nur beruͤhrt, mit einer ſolchen Zartheit und Feinheit, ohne 
je ins Schöne malen zu wollen, daß er zwar nicht den Le⸗ 
fer hinreißt, hingegen allmählig und dauernd deffen Neigung zu 
gewinnen verfieht. Dabei ift Alles echt und gefund, dem Le⸗ 
ben bis auf die Heinften Züge entlehnt, und doch, fo gern er 
auch das Geringſte ausmalt, nie langweilig oder ermuͤdend, 
- indem er felbft dem Unbedeutendften einen eigenthümfichen Reiz 
zu verleihen weiß, was um fo mehr zu bewundern ift, als er 
immer in gleicher Ruhe bleibt und ſtets objectiv verfährt. — 


*, Er ift erft zu Anfange des Jahres 4832 geſtorben. — Spätere 
Anmerkung, während des Drucks dieſer Vorleſungen. 





— 311 — 


Seine Tales of the Hall enthalten, wie fchen bemerkt 
wurbe, eine von ihm ſelbſt veranflaltete Sammlung feiner bes 
fien Gedichte. — Der Faden, an dem er biefelben aufreiht, 
ift einfach und prunklos, wie Crabbe's ganzes Weſen. — 
Zwei Brüder, die lange von einander fern lebten, kommen 
auf eine Zeitlang wieder zufammen, und theilen fich Erlebtes 
und Erfahrenes, größtentheils in Heinen Erzählungen, mit. — 
Das ganze Werk befteht aus zwei und zwanzig Büchern , des 
ren jedes wieder in Unterabtheilungen zerfällt; es ift in ‚ges 
reimten Alexandrinern gefchrieben. — 

Außer den Tales of the Hall hat Erabbe noch mehrere 
befchreibende und erzahlende Gedichte, wie 3. 3. "The libra- 
ry, Edward Shore, The Hall of Justice u. ſ. w. gelie 
fert. — In allen if feine Eigenthuͤmlichkeit fich gleich ger 
blieben. 

Als didactifcher Dichter nimmt Samuel Rogers wohl 
ben erften Rang unter ven jet lebenden brittiichen Barden 
ein. Bon wohlhabenden Eltern in London geboren, erfreute 
er fich einer ausgezeichneten Erziehung, welche burch Reifen 
auf dem Continente vollendet wurde. — Rogers hat ſtets in 
ben erfien Kreifen und in den glüdlichften Verhältniffen ges 
Iebt, frei von aller Iaftenden Sorge, und biefe ungeftörte Ruhe 
feiner Außenwelt war von nicht geringem Einfluffe auf feine 
innere Ausbildung. — Schon 1786 machte eine von ihm 
erfchienene Ode auf den Aberglauben großes Aufſehen; fein di⸗ 
dactifches Gedicht Pleasures of Memory befeftigte feinen 
Ruf, der, wohl erworben, fich durch alle fpateren Leiftungen 
Roger’ (Human life 4849, Italy, a Poem ste Aufl. 1830, 
Poems of Samuel Rogers 4845) ungefchwächt erhalten hat. 

Das poetifche Urtheil feines geiftreichen Landsmannes S ha= 
ron Zurner fpricht in feiner Nichtigkeit zum Herzen wie zum 
Verfiande, indem es in feinen Werken zugleich den Verfafler 
würdigt. — Es lautet: 

Calm, elegant, correct, with finish’d touch 
That never leaves too little, nor too much; 


— 312 — 


Attractive pietares and at times a gem 

The Bard of Memory scatters round his stem, 
A moral taste his graceful fiower improves, 
And strains melodious murmur as it moves; 
Again thro’ human life the music roves 

And sweetly draws us to its ethic groves.") 

Diefe Aeußerungen find vollkommen wahr, die größte 
Nuhe, Eleganz und Eorrectheit machen die Hauptzierden yon 
Rogerd Dichtungen aus. — Er feilt vielleicht noch aͤngſtli⸗ 
cher als Campbell, aber nicht, um die Stimme überftrenger 
Kritit zum Schweigen zu bringen, fondern um fich felbft zu 
genügen, und das Gewand, in-dad er fein tiefes Gefühl 
huͤllt, in ein wuͤrdiges harmoniſches Verhaͤltniß zu biefem zu 
fielen. Rogers Huldigt nirgends der Mode und den Göben 
des Tags, fondern wandelt unbetümmert auf der Bahn, die 
ihm fein Genius vorzeichnet, fort; aber. diefe It eine Bahn des 
Lichtes, und die Werke, die er auf derfelben hinterläßt, wer: 
den noch Tange manches Herz beruhigen, erfreuen und tröften, 
wenn auch der Dichter nicht mehr unter den Sterblichen wan- 
delt. — | | 

Inhaltsanzeigen aus divactifchen Gedichten find zu ermüs 
dend, da fie bloß für den Verſtand und ferbft auch für dieſen 
wenig Intereffe haben können. — ch zergliederte in biefer 
Hinſicht nur Campbelld Freuden der Hoffnung, um Sie mit 
der Art und WMeife bekannt zu machen, wie bie brittifchen 
Dichter diefe Gegenftände zu behandeln pflegen. Mögen da: 
für Tieber folgende fchöne Stellen aus dem Human life be⸗ 
fiätigen, was ich über den Dichter fagte. — | 


*) Ruhig, elegant, correct mit veollendeter Berührung, bie nie zu 
wenig, nie zu viel zurüdläßt, freut der Barde der Erinnerung 
um feinen Stamm anziehende Bilder und mitunter einen Edel: 
flein. Ein moralifcher Geſchmack veredelt feine Tiebliche Brüche, 
und melodifche Klänge tönen, wie fie fich bewegt. — Von Neuem 
ſchweift fein Gefang durch Das menschliche Lehen und zieht uns 
fanft zu feinen ethifchen Hainen. — 











— 313 — 


Diefe Auszuͤge, ſo wie .die.wörtliche Ueberſetzung, find 
Jacobſens Briefen entlehnt. — 

*) . And soon again shall music swell the breeze; 
Soon, issuing forth, shall glitter through the trecs 
Vestures of nuptial white; and hymns be sung 
And violets scattered round; and old and yeung, 
In every cottage-porch with garlands green, 
Stand still to gaze, and gazing, bless the scene; 
While her dark eyes declining, by bis side 
Moves in her virgin-veil the gentle Bride. 


‚ And once, alas, nor in a distant hour, 

Another veice shall come from yonder tower; 
When in disa chambers long black weeds are seen, 
And weepings heard where only joy had heen; 
When by his children borne, and from his door 
Slowly departing to return no more, 

He rests in holy earth with them that went before. 


And such is Human Life; so gliding on, 
It glimmers like a meteor, and is gone! 


”) Und bald wird wieder Muſik den Wind befligeln, 
Bald werben wieder hervorgehend fchimmern durch die Bäume 
Gurtel von bräutlicden Weiß, und Hyumen gefungen 
Und Veilchen umher geſtreut werben; und Alt und Jung 
In jedem Hütten:Cingang mit grünen Kränzen 
Still ftehen zu flaumen, und flaunend Die Scene fegnen; 
Während, ihre ſchwarzen Augen nieberfchlagend, an feiner Seite 
In ihrem jungfräulichen Schleier die fanfte Braut einherfchreitet. 


Und einft, ad), und nicht in einer entfernten Stunde, 
Wird eine andere Stimme aus jenem Thurm hervorkommen; 
Wenn in düftern Simmern lange ſchwarze Trauergemände gefehen 
Und Weinen gehört wird, wo nur Freude geweien war. 
Wenn von feinen Kindern getragen, und von feiner Thür 
Langſam ſcheidend, um nie wiederzukehren 
Er in heiliger Erde ruhen geht, mit denen, die vorangingen. 


Und ſo iſt das menſchliche Leben; ſo dahingleitend 
Schimmert es wie ein Meteor und iſt verſchwunden! 


— 314 — 


Den Augenblck, wo dad Kind das Licht der Welt erblidt, 
befchreibt der Dichter in diefen Strophen: 
The hour arrives, the. moment wished and feared; 
The child is barn, by many a pang endeared. 
And now the mother's ear has caught his cry; 
Oh grant the cherub to her asking eye! 
He comes — — — she clasps him. To her bosom pressed, 
He drinks the balm of life, and drops to rest. 


Her by her smile how soon the Stranger knows; 
How soon by his the glad discovery shows! 
As to her lips she lifts the lovely boy, 
What answering looks of sympathy and joy! 
He walks, he speaks. In many a broken word . 
His wants, his wishes, and his griefs are heard. 
And ever, ever to her lap he flies, 
When rosy sleep comes on with sweet surprise. 
Locked in her arms, his arms across her flung, 
(That name most dear for ever on his tongue) 
As with soft accents round her neck he clings, 


Die Stunde erſcheint; dee gewunſchte und gefücchtete Augenblid, 
Das Kind iſt geboren, durch viele Schmerzen nur um fo theurer. 
Und nun har der Mutter Ohr fein Schreien gehört. 
D gewährt ihrem fpähenden Auge den Cherub! 
Es komme — — — fie umfchlinge es. An ihren Buſen gebrüdt, 
Schlürft es den Balſam des Lebens, und ſinkt zur Ruhe. 

Daß es ihre gehöre, wie: bald weiß dieß der Fremdling durch ihr 

r Lächeln, 

Wie bald zeigt durch das. feinige ſich bie frohe Entdedung ! 
Wenn fie zu ihren Lippen den Tieblichen Knaben erhebt. 
Welche ensiprechende Blide von Wechfelgefühl und Freude. 
Er geht; er ſpricht. In manchem gebrochenen Worte Ä 
Hört man feinen Mangel, feine Wünſche und feinen Kummer! 
Und immer, immer flieht er zu ihrem Schooß, 
Wenn der rofige Schlaf mit lieblicher Ueberraſchung kommt. 
In ihre Arme gefchloffen, die feinigen um fie gefchlungen, 
(Iener theuerfte Name beftändig auf feiner Zunge) 
Die mit fanften Tönen er ihren Natken umfchlingt, 

















— 315 


And, cheek to cheek, her lullmg song she sings, 
How blest to feel the beatings of his heart, 
Breath his sweet breath, and kiss for kiss impart; 
Watch o’er his slambers like the brooding dove, 
And, if she can, exhaust a mother’s love!* 


Don der Jugend ſagt er: 

Then is the age of admiration — Then 

Gods walk ihe earth, or beings more than men! 
Ha! then eomes ihronging many a wild desire, 
And high imagining aud thought of fire! - 

Then from within a voice exclaims ‚, Aspire!“ 
Phantoms, that upwards peint, before him pass, 
As in the Cave athward the Winard’s glass. 


Der Hochzeitfeier find diefe Zeilen gewidmet: 
Then are they blest indeed; and swift the hours 
Till her young Sisters wreathe her hair in flowers, 
Kindling her beauty — while, unseen, the last 
Twitches her robe, then runs behind the rest, 


J 


Und Wange an Wange fie ihren lullenden Sefang ſingt, 

Wie gi, das Mopfen feines Herzens zu fühlen, 

Seinen fügen Athem einzufangen und Kuß für Kuß zu geben; 

Ueber feinem Schlummer zu wachen wie die beütende Taube 

Und, wenn fie kann, bie Liebe einer Mutter zu erfchöpfen! 

Dann ift das Wire der Bewunderung da. — Dann 

Wandeln Götter auf Erben, oder Weſen, die mehr find als 
Menichen ! 

Ha! dann kommt drängend mandhe wilde Begierde 

Und Hohe Einbildung und Feuergedanken! 

Dann ruft eine innere Stimme: „Steebe empor!” 

Phantome, die nach oben zeigen, ziehen vor ihm vorüber, 

Wie in der Höhle läugd des Zauberers Spiegel. 


Dann find fie wahrhaft glücklich, und Beflligelt die Stunden, 

Bis ihre jüngeren Schweftern ihre Haare mit Blumen 
burchflechten, 

Ihre Schönheit erhellend, während, ungefehen, die Heinfte 

Ihr Gewand faltet, und dann den übrigen nadhrennt, 





——. 346 


Known by her laugh {hat will not be suppressed. 
Then before All they stand — the holy vow - 
And rings of gold, no fond illusions now, 
Bind her as his. Across the threshold led 

And every tear kissed ofi as soon as shed, 

His house she enters, there to be a light‘ 
Shining within, when all without is night, 

A guardian angel o’er his life presiding, 
Doubling his pleasures, and his cares dividing! 
How oft her eyes read his; her gentle mind 

To all his wishes, all his thoughts inclined ; 
Still sabjeet — ever on ihe watch to borrow 
Mirth of his mirth, and sorrow of his sorrow. 


Säön ift, wie der Dichter dad Gluͤck der Ehe ſchildert: 
And laughing eyes and laughing voices fill 
Their halls with gladness. She, when all are still, 
Comes and undraws the curtain as they lie, 
In sleep how beautiful! He, when the sky 
Gleams, and the wood sends up its harmony, 





Erkannt durch ihr Lachen, das ſich nicht unterdräden läßt. 
Dann ſtehen ſie vor Allen — das heilige Gelübde 

Und der gold'ne Ring nun Leine liebliche Täuſchung, 
Verbinden fie ald die feinige, Ueber die Schwelle geführt 
Und jede Thräne hinweggekuüßt, ſobald fie nur vergoſſen ift, 
Betritt fie fein Haus, daſelbſt ein Licht zu feym, 

Das im Innern leuchtet, wenn Alles draußen Nacht iſt; 
Ein Schutzengel, der über fein Leben wacht, 

Seine Freuden verdoppelt, und feine Sorgen theilt ! 

Wie oft lefen ihre Augen in den feinigen; ihr liebliches Gemüth 
Allen feinen Wünfchen, allen feinen Gedanken zugewandt. 
Immer bemüht, Freude von feines Freude 

‚Und Sorge von. feiner Sorge zu bergen. 


Und lachende Augen und Tachende Stimmen füllen 

Ihre Hallen mie Freude. Sie, wenn Alles ftill ift, 

Komme und zieht den Vorhang von den Kindern weg, wie fe 
Daliegen, 

Im Schlafe wie fhön! Er, wenn der Himmel 

Tagt, und der Wald feine Harmonie emporfendet, 








— 317 — \ 


When, gathering round his bed, they eliml te share 
His kisses, and with gentle violence there 

Break in upon a dream not half so fair, 

Up to the hill-top leads their little feet; 

Or by the forest-lodge, perchance to meet . 

The stag-herd on its march, perchance to hear 
The etter rustling m the sedgy merc; 

Or to the echo near the Abbot’s tree, 

That gave him back his words of pleasantry — 
When tke House stood no merrier man than he! 
And as they wander with a keen delight, 

If but a leveret eatch their quicker sight 

Down: a green alley, or a squirrel then 

Climb the gnarled oak, and look and climb again, , 
If but a moth flit by, an acorn fall, 

He turns their thoughts to Him who made them all! 


But Man is born to sufer. On the door 
Sickness has set her mark; and now ne more 


Wenn, um fein Bett fi fammelnd, fie emporklimmen, a 

Seine Küffe zu theilen, und mit lieblichee Gewalt 

Auf einen Traum einbrechen, der nicht halb To ſchön war, 

Leitet ihre Heinen Füße nach dem Gipfel des Hügels; 

Dder nad dem Waldhauſe, vielleicht 

Dem Hirfchrudel auf feinem Marfche zu begegnen, vielleicht 

Die Dtter in dem ſchilfigen Moor rafcheln zu hören, 

Dder nach dem Echo bei dem Baume der Abtei, 

Welches ihm feine Scherzworte zurüdgab — 

Als das Haus fiand, war fein froherer Menſch als er! 

Und wie fie mis gefchärften Vergnügen einherwarideln, 

Wenn ihr ſchnellerer Blick nur ein Häschen, 

Eine grüne Allee hinunter gewahr wird, oder ein Eichhörnchen, 

Welches die Inotige Eiche hinanklimmt, umherſieht und dann wieber 
klimmt, 

Wenn nur ein Käfer vorbeifliegt, eine Eichel fällt, 

Leitet er ihre Gedanken auf den, der fie Alle erfchuf. 


Aber der Menfch ift zum Leiden geboren. 
An die Thür hat die Krankheit ihe Zeichen gefeßt, und nun 


— 318 — 


Laughter within we, hear, or woed-notes wild 
As of a mother singing to her child, 
All now in anguish from that room retire, 
Where a young cheek glows with consuming fire, 
- And Innocence breathes contagion — all but one, 
But she who gave it birth — from her alone 
The medicine-cup is taken. Through tbe night, 

And through ihe day, that with its dreary light 

_ Comes unregarded, she sits silent by, 
Watehing tbe changes with her anxions eye: 
While they without, listening below, above, 
(Who but in soreow know how much they .leve) 
From every little noise eatch hope and fear, 

\ Exchanging, still, still as they turn to hear, 
Whispers and sighs and smiles all tenderness 
That would in vain the starting tear repress. 


Roger's Italy ift mehr eine poetifche Neifebefchreibung 
durch einen Theil der Schweiz und Italiens. — Sie ift in 
den fogenannten blank verse (fünffüßige ungereimte Samben) 





Hiren wir nicht mehr Gelächter darin, oder wilde Waldgefünge, 
Wie von einer Mutter, die ihrem Kinde vorfingt. 

Alle verlaffen nun angftvoll das Zimmer, 

In welchem eine junge Wange in verzehrendem Feuer glüht, 
Und die Unſchuld Anſteckung athmet — Alle bis auf eine, 

Bis auf ſie, die ihn gebar — von ihr allein 

Wird die Medicinſchaale genommen. Die Nacht hindurch 

Und den Tag, der mit ſeinem traurigen Lichte 

Unbemerkt kommt, ſitzt ſie ſchweigend bei ihm, 

Die Wandlungen mit ihrem ängſtlichen Auge bewachend, 
Während diejenigen, die Draußen find, unten und oben Horchend, 
(Die nur im Kummer wiffen, wie fehr fie Tieben) 
Bon jedem Eleinen Geräufh Hoffnung und Furcht entnehmen, 
Immer audtaufchend, immer fo. wie fie hören, 

Lispeln und Seufzer, und in Zärtlichkeit zerſchmelzendes Lächeln, 
Das umfonft die rinnende Thräne zurückzuhalten fucht. 











— 319 — 


gefehrieben und enthält in buntem Wechfel Cchiiderungen, Bes 
trachtungen und Erzählungen. — Hier ald Probe die fchon 
erwähnte Zuſammenkunft mit Korb Byron. 


*) Er hatte viel erlebt, 
Seit wir zuletzt ums ſah'n. Bünf kurze Jahre, 
Viel Hatten fie gethan. Die diden Loden 
Sau, keine Spur von jenem Juͤngling mebe, 
Der nad Abybos ſchwamm won Seſtos. Aber 
Noch ſuͤß klaug feine Stimm’, und wie ein Blitz 
Zuckt' aus den Augen der Gedank' ihm, harrend 
Auf Worte nit. So faßen wir und ſprachen 
Tief indie Nacht hinein — willkommne Stunde, 
Die und vereint! — und mit der Morgenräehe 
Erklommen wir den rauhen Apennin. 


Noch ſeh' ich's vor mir, wie die gold’ne Sonne 
Mit ihrem Strahl bie tiefen Schlünde fülfte 
An unferm Weg, und wie ben Berg entlang 
Durch Eiftus, welfhe Eichen, wilde Feigen 
Sein bunt Gefolge zog. Der erften einer 


*) Much had passed 
Since last we parted; and those five years, 
Much had they told! His clustering locks were turn'd 
Grey, nor did aught recall the youth that swam 
From Sestos to Abydos. Yet his voice, 
Süll it was sweet, still from his eye the thought 
Flashed lightning- like nor lingered on the way, 
Waiting for words.’ Far, far into the night 
We sat, conversing — no unwelcome hour, 
The hour we met; and, when Aurora rose, 
Rising, we climbed the rugged Apennine. 


Well I remember how the golden sun 
Filled, with its beams, the unfathomable gulphs, 
As on we travelled, and along the ridge, 
Mid groves of cork and cistus and wild fig, 
His motley household came. Not last nor least, 


— 312% — 


Battiſt, der auf der mondbeglänzten See 
Venedigs ihm fo eifrig, fo gefchickt 
Sedient hatt! und fein Ruder weggeworfen, 
Ihm durch die Welt zu folgen; der fo lange 
Das Ehrenzeichen eines Sondoliers 
Sm Haufe eines Nobile getragen, 
Werth unbegrenzten Zutrauens. Daun auch Du, 
Wenn fchen nicht mehr in voller Kraft und Schönheit, 
Setreuer Mohr, Du His zur legten Stunde 
Der Wächter feiner Kammerthär, und nun 
Durd Miffolunghi's bde, finſt re Gaſſen 
Heulend vor Schmerz! 

Verlaſſen hatt’ er eben 
Die Stadt bes alten Ruhms am Mireresfirand, 
Ravenna, wo. von Dante’s heil'gem Grabe 
So oft er, wie es mandyer Vers bezeugt, 
Begeift'rung eingefogen, wo im Zwielicht 
Mit fchlaffem Zügel durch den Pinienwald 
Er ritt und fi verlor; da erfah er oft — 


Battista, who upon the moonlight-sen 
Of Venice, had so ably, zealousiy 
Served, and, at parting, flung his oar away, 
To follow thro’ the world; who without stain 
Had worn so long that honourable badge, 
The gondolier’s, in a patrician house, 
Arguing unlimited trust. — Not last nor least, 
Thou, tho’ declining in thy beauty and strength, 
Faithful Moretto, to the latest hour 
Guarding his chamber-door, and now along 
The silent, sullen strand of Missolunghi 
Howling in grief. 

He had just left that place 
Of old renown, once in the Adrian sea, 
Ravenna; where, from Dante’s sacred tomb 
He had so oft, as many a verse declares, 
Drawn inspiration; where at twilight-time 
Thro’ the pine-forest wandering with loose rein 
Wanderiug and lest, he had so oft beheld 











321 — 


Denn was fieht eines Dichters Auge nicht? — 
Des Ritters Geift, ber Hoͤllenhunde Jagd, 

Die Beute, bie Zerfleifchung und die Feftluft 

In Graun verwandelt. Diefes Thema liebt‘ er, 
Doch And’re traf die Reihe. Mancher Thurm, 
Zertrümmert von dem Felfen weggetiffen, 

Einft eines KHeldenalters Stolz und Hort, 

Erſchien und fhwand, und mand ein Stier gejocht 
Und ungejocht, indeß fein Geift hinaus 

In fhön’re Tage fchweifte. Alles Freude, 
Vergangenheit vergeflen, wolkenlos 

Die Gegenwart und Zukunft! | 
Und nun ruht er. 
Und Preis und Tadel fällt ihm gleich in’s Dhr, 
Das taub im Tode. Byron, ja Du bift 
Dahingegangen, wie ein Stern am Simmel 
Herabſchießt und verfinkt, in feinem Sturze 
Verblendend und verwirrend. Doch Dein Herz’ 
War groß und. edel — edel in dem Hohn 


(What is not visible to a poef’s eye?) 
The spectre-knight, the hell-hounds and their prey, 
The chase, the slaughter, and the festal mirth 
Suddeniy blasted. "Twas a theme he loved, 
But others claimed their turn; and many a tower, 
Shattered, uprooted from its nalive rock, 
Its strength the pride ‘of some heroic age, 
Appeared and vanished (many a sturdy sieer 
Yoked and unyoked) while as in happier days 
He poured his spirit forth. The past forgot, 
All was enjoyment. Not a cleud obscured 
Present or future. . 

He is now at rest, 
And praise and blame fall on his ear alike, 
Now dull in death, Yes, Byron, thou art gone, 
Gone like a star that thro’ the firmament 
Shot and was lost, in its eccentric course 
Dazzling, perplexing. Yet ihy heart, methinks, . 
Was generous, noble — noble in its scorn 


21 


—— 322 — 


Der Eeinen niedern Dinge; nichts in ihm 

Gemein und knechtiſch. Wenn die Einbildung 
Erlitt'ner Unbill Dich verfolgt und drang, 

Zu thun, was lange ward von Dir bereut, 

Mer weiß nicht — Keiner fo wie ih — wie gern 
Auf leihtem Grund Dein dankbar Herz gebaut? 
Sm Leben glücklich nicht, bift Du’s im Tode! 

Du haſt's erreicht, bift in dem Land geftorben, 
Wo einft entzündet ward Dein junger Geift, . 
Sn Hellas, und in wie glorreiher Sache! — 


Ad, Keiner des Gefolges um Dich her 
Gedachte damals, daß, fobald fie fäßen 
In Trauer bei Dir und ein Volk in Trauer 
Um Did fein Freudenfeft in Leichenjammer 
Verwanbdelte, und des Geſchuͤtzes Donner 
Am Morgen, der befchien, was Srdifches 
Don Dir geblieben, über See und Land 
Ausfpräcd die Zahl der Jehre Deiner Freuden 
Und Leiden! 


Of all things low ar little; nothing there 
Sordid or servile. If imagined wrongs 

Pursued thee, urging thee sometimes to do 
Things long regretted, oft, as many know, 
None more than I, thy gratitude would build 
On slight foundations: and, if in thy life 

Not happy, in ihy death theu surely wert. 

Thy wish aecomplished; dying in the land, 
Where thy young mind had caught ethezeal fire, 
Dying in Greece and in a cause so glorious! 


They in thy train — ah, little did they think, 
As round we went, that they so soon should sit 
Mourning beside thee, while a nation mourned, 
Changing her festal for her funeral song; 

_ That they so soon should hear the minute-gun, 
As morning gleamed on what remained of thee, 
Roll o’er the sea, the mountains, numbering 
Thy years of joy and sorrow. 











=— 323 — 


Sa, Du Hift dahingegangen! 
Laßt ruhen ihn und greifet ihn nicht an 
Im Grabe! denn, wer von uns Allen, wer 
Verſucht, wie er, ſchon von den erflen Jahren, 
Als er, ein unverdorb'ner Hochlandsknabe 
Umherzog, wer, wie er, ein Feuergeift, 
Dem ihren Zauberbecher an die Lippen 
Die Luft gedruͤckt, als Flaum fein Kind noch deckte, 
Wer von uns Allen mag von fid) wohl fagen, 
Er hätte nicht fo viel geirrt? — und mehr? 
W. Müller 


Crabbe iſt nicht der einzige englifche Geiftliche unter den 
jetst Lebenden, der mit Erfolg fich der Poefie gewidmet hätte; 
neben ihm zeichnete fich noch der würdige Henry Hart Mils 
man, Profeffor an der Univerfität zu Orford, vortheilhaft aus. 
— Milman ift der Verfaffer mehrerer bibliichen Dramen, einer 
Tragddie, Fazio, eined Heldengedichtes u. f. m. — Wenn 
er nicht zu fehr danach ftrebte, correct und Hafjifch zu ſeyn, 
fo würde er ficherlich noch Bedeutenderes leiften, jo aber legt 
er fich ſelbſt zu aͤngſtlich Feſſeln an und hemmt den Flug fei- 
ned Genius. — Als fein vorzüglichftes Werk ift wohl fein 
dramatifched Gedicht, der Fall Belſazars, *) zu betrachten, 


Thou art gone; 
And he who would assail thee in thy grave, 

Oh, let him pause! For who ameon; us all, 

Tried as thou wert — even from thine earliest years, 
When wandering, yet unspoilt, a highland- boy — 
Tried as thou wert, and with thy soul of flame, 
Pleasure, while yet the down was on thy check, 
Uplifing, pressing, and to lips like thine 

Her charmed cup — ah, who among us all 

Could say he had not erred as much and more? 


*) Belshazzar, a dramatic poem by tbe rev. H. H. Milman, 
London, 4822. 
21* 


— 34 — 


doch trifft auch ihn der bei Campbell ausgefprochene Tadel, 
die vorherrfcehende Nichtung zum Lyriſchen. — Den Stoff 
des Drama giebt das befannte Ende Belſazar's her, doch hat 
Milman noch das Schifal einer fchönen judifchen Jungfrau, 
welche von den Prieftern des Baal geraubt, nachher aber be= 
freit und den Ihrigen wiedergegeben wird, damit verflochten, 
und das Intereſſe der Handlung dadurch vergrößert. Ueber⸗ 
haupt find die Leiden der verbannten Sfraeliten und ihre from 
me Denkart vortrefflich geſchildert. — Bühnengerecht ift das 
Stück jedoch nicht. — Für die Perle des Ganzen halte ich 
folgende Hymne der Juden: | 


) Des Donners Gott! von deſſen Wolkenfis 
Laut der Verheerung Sturmeswehen eilt; 
Dater der Rache, deflen blut’ger Fuß, 
ie auf der Kelter, auf den Welten weilt. 
Die Heere harren Deines Winks zur Schlacht; 

Nicht eher packt das Raubthier feine Jagd, 
Nicht eher vaft des Hungers grimme Macht, 
Bis Du dem Land das „Schuldig“ zugetheilt. 

Du Sott des Regenbogens! beffen Ruf 
Befänftigt wilden Sturmes ratlos Toben; 
Vater der Gnade! der ein Eden ſchuf, 
Wo vormals wäfte Wildniß ſich erhoben. 
Dir raufhen Auellen in dem duͤrren Sand; 
Es tönen Eymbeln in der Jungfrau'n Hand: 
Marmor’ne Städte Erönen rings das Land, 
Und Tempel. heben fih, um Dich zu loben. 
Auf Zuda, Herr! fchoß Deiner Blitze Strahl; 
Streitwagen raſſeln durch geftürzte Hallen. 
Die Jugend mordet des Affyrer's Stahl; 
Es klagt der Feind feldft, ihrer, die gefallen, 


*) Diefer Schöne Gefang wurde bereits 1822 von mir überfekt, ich 
bin nicht im Stande, den Urtert mitzutheilen, da es mir an 
meinem gegenwärtigen Wohnorte nicht gelang, das Original wie: 
der zu bekommen. 


4 


— 323 — 


Pallaͤſte ſanken da in Schutt zufammen; 

Es wurden Sklaven, die von Fürften ſtammen; 
An Deinen Tempeln zehrten gier'ge Flammen, 
Did) ſah man in des Schickſals Wolken wallen. 


Dein Bogen, Herr! wird Juda wieder ftrahlen. 

Es hebt ihr Haupt die kronenloſe Stadt; 

Dir merden Lieder wiederum erfchallen, 

Wo Srabesftille dumpf gebrütet hat. — 

Auf Salems Zinnen wird Dein Sonnftrahl blicken, 

An Earmels Fuß die Jungfrau Bläthen pfluͤcken, 

Im Abendwehn den Brauthain fi zu ſchmuͤcken; 
Und Engelsfuß durch Zion’ wieder wahen. 


Es gab Dein Zorn uns in des Fremdlings Hand, 
Und’ Sklaven mußten wir die Heimath meiden, 
In Feſſeln ließen wir das holde Land; 
Die Väter will in ſtiller Gruft beneiden, 
Mer unter Thränen fremdes Brod genießt; 
Dem nicht das truͤbe Auge matt fich ſchließt; 
In ſtiller Mitternacht die Zähre fließt, 
Wo Euphrat's Fluth umfchatten bleiche Weiden. 


Der Schmerzempfang'ne wird in Luft geboren, 

Und Deine Snade, Herr, wird heim uns leiten; 

Mer als ein zartes Kind entfloh, verloren, 

Wird, eh’ er ftirdt, duch Salems Straßen fchreiten. 

Sanaans Traube wird uns wieder blinken; 

Wir Hermons Bienen füßen Honig trinken, 

Wir werden dort andäcdhtig niederfinfen, 

"Wo, Herr! um Deinen Cherubsthron ſich Strahlen breiten. 


Diefer geiftichen Richtung ift auch Sames Montgo⸗ 
mery gefolgt, obgleich er fich feiner ihm urfprünglich aufge⸗ 
drungenen Beftimmung zum herrnhutiſchen Prediger ausdruͤck⸗ 
lich widerfeßte, bid ed ihm. endlich gelang, fich derfelben ganz 
zu entziehen. Zu Irvine in Ayrfhire am 4. November 1774 
geboren, hatte er das Ungluͤck, fchon früh feine beiden Eltern, 
die als Miffionaire nach Weſtindien gegangen waren, und. ihre 


— 34 — 


drei unmündigen Kinder der Obhut fremder Menfchen überlafe 
fen hatten, zu verlieren. — Der Dichter erwähnt biefes 
Mißgefchick in folgenden Verſen feiner Departed days: 

The loud Atlantic Ocean 

On Seotlands rugged breast 

Rocks with harmonious motion 

His weary waves to rest; \. 

And gleaming round her emerald isles, 

In all the pomp of sunset smiles: — 

On that romantic shore 

My parents hailed their first born boy: 

A mother’s pangs my mother bore, 

My father felt a fathers joy: 

My father — mother — parents — are no mare! 

Beneath the Lion-star they sleep 

Beyond the western deep: 

And when the Sun’s noon glory crests the waves, 

He shines without a shadow on their graves. *) 

Er ward in einer Herrnhuter Anftalt zu Fulneck in Vork⸗ 
fhire erzogen, und von den Vorftehern derfelben zum Geiſtli⸗ 
chen beftimmt, da er fich aber ausdruͤcklich gegen diefen Be⸗ 
ruf erklärte, und feine Gefundheit vor Gram darüber litt, fo 
gaben feine Vorgeſetzten endlich nach, und brachten ihn als 
Lehrling in einem Laden unter. — Er verließ jedoch dieſe 
Stelle, und machte ſich ohne Huͤlfsmittel auf den Weg nach 
London. — 7 Mangel an Unterhalt zwang ihn aber, unter⸗ 


*), Der laute Atlantiſche Ocean wiegt an Schottlands rauher Bruſt 
mit harmonifcher Bewegung feine müden Wellen zur Ruhe, und 
fhimmernd um die Smaragbinfeln,. lächelt er in aller Pracht des 
Sonnenuntergangs. An jenem romantifchen Ufer begrüßten meine 
Eltern ihren Erfigebornen, litt meine Mutter einer Mutter Schmer: 
zen, fühlte mein Vater eines Vaters Freuden. Mein Vater, Mut: 
ter, meine Eltern find nicht mehr; fie fchlummern unter dem Lö⸗ 
wengeftirn (dem Hundöftern) jenfeitd der weſtlichen Tiefe, und 
wenn der Sonne Mittagtglorie die Wogenhaupter farbt, ſo Keine 
fie ohne Schatten. auf ihre Gräber. 


— 37 — 


weged fürd Erſte dies Vorhaben aufzugeben. und eine Stelle 
anzunehmen. Endlich gelang es ihm, Commid bei einem Lon⸗ 
doner Buchhändler und fpater Theilnehmer an einen Journal 
in Sheffield zu werden. Hier mußte er, feiner Gefinnungen 
wegen, wiederholt Verfolgungen erleiden, und fogar zweima⸗ 
lige Gefängnißftrafe, angeblich wegen Pasquille, erdulden. — 
Montgomery’ Unfchuld ward jedoch fpäter anerlaunt, und 
fein Unglüc vergrößerte die Achtung, welche feine Landsleute 
vor ihm hegten. — Seine poetifchen Werke wırden mit Ent: 
zuden aufgenommen und fanden, bei der in England vorherrs 
fehenden freng orthodoxen Richtung, großen Beifall; — 


Als die vorzüglichften poetischen Erzeuguiffe Montgomery’s 
werben The West-Indies, The Wanderer of Switzerland, 
Greenland, und The world before the flood genamt. — 
Die erfteren find mehr didactifch = deſcriptive Poefieen, das Letz⸗ 
tere, von Allen das größte, ift eine Art von biblifchem Epos. 
— Unter feinen kleineren Gedichten haben fich befonders die 
Strophen auf das Bild einer Unbelannten einer höchft Tobens 
den Anerkennung zu erfreuen gehabt; fie werden noch fortwähs 
rend mit Vergnügen von den Engländern gelefen. — 


Montgomery’8 bdichterifche Arbeiten zeichnen fich durch 
Warme des Gefühle, tiefe Frömmigkeit, Reichthum der An⸗ 
ſchauungen und elegante Dicfion vortheilhaft aus; aber des 
Dichterd melancholifche Stimmung, wohl die Srucht der Kaͤm⸗ 
pfe feines Lebens, drangt fich zu haufig und zu fehr auf, 
und feine Neigung zu moralifirender Reflexion ftört den Ein- 
drud und ermüder durch zu öftere Wiederkehr. — Anderer⸗ 
feitö thut feine große Ruhe und bie echte, aus göttlichem 
Quell gefchöpfte, Begeiſterung des würdigen Saͤngers wieder 
dem Gemüthe außerordentlich wohl, und macht die Seele des 
Leſers des tiefen Friedens theilhaftig, weicher den Dichter auf 
allen feinen Pfaden begleitet. ' 


Folgende Bruchſtuͤcke ans Montgomery’s Werken mögen 
zur DBeftätigung des eben Gefagten dienen. — 


— 328 


*) Ich liebe, Damm’rung! dich; in deinen Schatten 
Befchleicht des Abends Ruhe meine Seele, 
Erhaben zärtlich, heiter feierlich 
Still wie die Zeit, erhaben wie die Gegend. 
Ich liebe dich, o Dämmerung, dein Licht 
Uebt feinen theuren Einfluß auf mein Herz, 
Wenn deines Windes Haud der Seele Klänge 
Auf der Gedanken Harfe ſchmeichelnd weckt 
Und Luft und Schmerz, wie nur der Geift entbrennt, 
Und Hoffnung und Erinnerung im Wechſel, 
Vorüberziehend, feine Saiten [hwingen; 
Indeß Beſchauung auf den Seraphaflügeln 
Sich mit der Opferflamm’ erhebt und fingt. 
Ich liebe, Damm’rung, did. — D laß dein Dunkel 
Sich mehren, bis ein jegliches Gefühl, 
Bis jeder Pulsichlag feldft zum Frieden wird: 
Am Himmel fhywindet fanft des Tages Licht, 
Doch heller frahlt des Ruhmes Dämmerung 





* I love thee, Twilight! as thy shadows roll, 
The calm of evening steals upon my soul 
Sublimely tender, solemnly serene, 

Still as the hour, enchanting as the scene, 

I love thee, Twilight! for thy gleams imparf 
Their dear, their dying influence to my heart, 
When o’er the harp of thought thy passing wind 
Awakens of all the music of the mind, 

And joy and sorrow,' as the spirit burns, 

And hope and memory sweep the chords by turns; 
While Contemplation, and sceraphic wings, 
Mount with the flame of sacrifiee, and sings, 
Twilight! I love thee; let thy glooms increase 
Till every feeling, every pulse is pcace; 

Slow from ihe sky the light of day declines, 
Clearer within the dawn of glory shines, 
Revealing, in the hour of Nature’s rest, 

A world of wonders in the Poct’s breast. 


Sm Innern, dei der Ruhe der Natur, 
Auf eine Wunderwelt der Dichterbruft. — 


Die Welt vor der Eiindfluch. — Gter Geſang. 


+) Ya, ein lebend'ger Geif weht in der Lyra, 


*) 


Ein Hauch der Tonfunft, eine Flammenfeele: 
Die Welt kennt nicht die Sprache, die fie redet, 
Denn diefe fpricht fie zu dem Sänger nur. — 
Wenn Symphonieenklang fein Ohr entzück, 
Hört er in jedem. Ton des Geiltes Stimme; 
Sein ift die Pflicht, den Zauberfpruch zu deuten, 
In Liedes Gluth Orakel hinzuſtroͤmen, 

Der Helden That auf Jahre zu verlaͤngern, 
Und denen, die in der Natur geſtorben, 

In dem Geſange Leben zu verleihn, 

Ob Felſen auch des Kriegers That verkünden, 
Ob Berge, zu Geſtalten ausgehauen. 

Gleich ſeinen Namen tragen, ob auch immer 
In Demantſchreinen lieget ſein Gebein, 

Bedeckt von Pyramiden, himmelhoch: 

Was Haͤnde modelten, es wird zerfallen, 


There is a living spirit in the Lyre, 
A breatlı of Music, and a soul of fire; 
It speaks a language, to the world unknown; 
it speaks that language to the Bard alone; 
While warbled symphonies entrance his cars 
That Spirits voice in every tone he hears; 
’Tis his the mystic meaning to rehearse, 
To utter oracles in glowing verse, - 
Heroie themes from age to age prolomg, 
And make the dead in nature live in song. 
Though graven rocks ihe Warrior's deeds preclaim, 
And mountains, hewn to stafues, wear his name; 
Though, shrined in adamant, his relics lie 
Beneath a pyramid, that scales the sky; 
All that the hand hath fashion’d shall decay; 


30 — 


Verfchwinden wird einſt, mas den Blick entzädte; 
Der Fels, des Helden Hoffnung, bricht zufammen, 
Erdbeben gleihen Berg’ und TIhäler aus, 
Der Demantichrein verräth,, was ihm vertraut ward, 
Zu Staub zerfällt die ſtolze Pyramide; 
Allein die Lyra fichert ew’gen Ruhm, 
Geſang nur hält der Dinge Wechſel aus, 
Bon Bruft zu Bruſt ergofien, wie das Leben 
Erglühet er, und geht, ein fih’res Erbe, . 
Dom Vater zu dem Sohn; beſchwingt den Flug 
Bon Land zu Land, und fireift den Tod von ſich, 
Getragen auf der Zeiten rafhen Schwingen. — 

Die Welt vor der Sündflurh. Be Gel. V. 1. fgde. 





Das allgemeine 008° 
In Jahren, die ſchon längft vorbei, 
Lebt’ einft ein Menſch — und Wer war Er, 
Wie auch Dein Loos gefallen fy,  - 
Der Menſch glich Dir, Du Sterblicher. 


All that the eye admires shall pass away, 

The mouldering rocks, the Hero’s hope shall fail, 
Earthquakes shall heave the mountains to the vale, 
The shrine of adamant betray its trust, 

And the proud Pyramid resolve to dust; 

The Lyre alone immortal fame secures, 

For song alone through Nature’s change endures; — 
Transfused like life, from breast' to breast it glews, 
From Sir to Son hy sure succession. flows 

Speeds its unceasing flight from clime to clime, 
Outstripping Death upon the wings of Time. 


) The common lot, 
Once in the flight of ages past, 
There lived a man: — and WHO was HE? 
— Mortal! howe’er thy lot be cast, 
That Man resemhbled Thee. 





— 31 — 


Dan weiß nicht, wo er ward geboren, 
Und wo er flarb, tft unbekannt; 
Sein Name ging fchon längft verloren, — 
Nur diefe Wahrheit Hat Beſtand: 

Daß Freude — Hoffnung — Kummer — Sehnen 
Sm Wechfel feine Bruft beſiegt; 
Daß Luft und Weh ihm, Lächeln, Thränen — 
Das Andre Tängft vergeflen liegt. 


Der Dulfe Schwung — die Kraft gebunden, 
Des Seiftes Steigen und fein Fallen, 
Wir willen, daß er das empfunden, 
Weil es empfunden ward von Allen. 


Er litt — vorbei ift nun fein Leiden, 
Vorbei ift, was ihm Freude bot, 
Es mußten ‚feine Freunde fdyeiden 
&ie find, wie feine Feinde, todt. 


Er liebte — doch der Tod enträdte 
Die Holde — auch fie ſank hinab 





Unknown the region of his birth, 
The land in which he died unknown : 
His name has perish’d from the carth, 
This truth survives alone: — 

That joy and grief, and hope and fcar, 
Alternate triumph’d in his breast; 

His blies and woe, — a smile, a tear! 
— Oblivion hides the rest. 

The bomnding pulse, the languid limb, 
The changing spirits’ rise and fall; 

Whe know that these were felt by him, 
For these are felt by all. 

He suffer’d, — but his pangs are o’er; 
Enjoy’d, — but his delights are fled; 
Had friends, — his friends are now no more; 
And foes, — his foes are dead. 


He loved, — hut whom he loved, the grave 
Hath lost in its unconscious womb : 


— 332 — 


Die Schoͤnheit, die ihn ſo entzuͤckte, 
Verſchonte nicht das Grab. 

Sein Auge hat wie Dein's geleſen, 
Sein Herz erlitt wie Deines Pein; 

Er war, was immer Du geweſen, 
Er iſt, was Du wirſt ſeyn. 

Die Jahreszeiten, Tag und Nacht, 
Und Sonne, Mond, der Sterne Heer; 
Was Licht und Leben einſt gebracht, 
Das iſt fuͤr ihn nicht mehr. 

Die Wolken und der Sonne Licht, 
Die ihn beſchattet und erhellt, 

Sie flohn und ließen Spuren nicht 
Zuruͤck auf dieſer Welt. 

Willſt gleich Du die Geſchichte fragen, 
Die Truͤmmer, ſeit die Welt begann; 
Sie koͤnnen nichts mehr von ihm ſagen, 
As nur — Einſt lebt! ein Mann. — 





O she was fair! — but nought..could sare 
Her beauty from ‘the tomb. 


He saw whatever thou hast seen; 
Encounter’d all that troubles thce: , 
He was, whatever thou hast been; 

He is — what thou shalt be. 

The rolling seasons, day and night, 
Sun, moon, and stars, the earth and main, 
Erewhile his portion, life and light, 

To him exist in vain. 

The clouds and sunbeams, o’er his eye 
That once their shades and glory threw, 
Have left in yonder silent sky 
No vestige where they flew. 


The annals of the human race, 
Their ruins, since the world began, 
Of HIM afford no other trace 
Than this, — TMERE LIVED A MAN! 


— 333 — 


In vielfacher Hinſicht verwandt mit Montgomery iſt Ber⸗ 
nard Barton, der gewiſſermaaßen als auch deſſen Glau⸗ 
bensverwandter betrachtet werden kann, da er zu der Secte 
der Freunde, oder, wie diefe gewöhnlich genannt werden, der 
Quaͤker, gehört. Ein Dichter unter den Quälern iſt eine 
große Seltenheit, und Barton wäre ſchon deswegen an und 
für fich eine merkwürdige Erſcheinung; feine poetifchen Leiſtun⸗ 
gen geben ihm aber, wenn fie ihm auch gleich Feine Anfprüche 
auf eine Stelle unter den erſten Sängern feiner Nation ver 
leihen koͤnnen, ein Necht auf unfere Aufmerkſamkeit. — Er 
ift 4784 geboren, in einer Lehranſtalt der Quaͤker erzogen, 
und hat fich fpater einem bürgerlichen Gefchäfte ‚gewidmet. 
4812 gab er, ohne’ feinen Namen, einen Band Iyrifcher Ges 
dichte unter dem Titel Metrical Effusions heraus, dem er 
41818 ein zweites Bandchen, gleichfalld anonym, Poems of 
an Amateur, folgen ließ. Die gute Aufnahme, welche biefe 
Berfuche, vorzüglich bei feinen Freunden und Geiftesgenoffen, 
fanden, ermuthigte ihn endlich, mit einer dritten Sammlung, 
der er feinen Namen vorfeßte, (Poems by Bernard Barton) 
hervorzutreten. — | 

Tiefes und warmes Gefühl, echte Frömmigkeit und Teichs 
ter und gefälliger Fluß der Rede zeichnen Bartons Igrifche Erz 
gießungen aus, — Seine Bilder find immer glüdlich, doch 
felten erhaben und außergewöhnlich; er bleibt gern auf ber 
heimathlichen Erde und der Drang ded Genius treibt ihn nie 
wider jeinen Willen zu den höheren Regionen der Phantafie 
hinaus; man Tann, wie ein englifcher Kritifer fehr richtig bes 
hauptet, den Gedichten Teicht abmerfen, welchem Glaubens⸗ 
befenntniffe ihr Verfaſſer zugethan if. — Schilderung und 
Reflerion find die einzigen Gegenftände, die ihm zufagen; in 
beiden "bewegt er fich ruhig, wie fein Gemüth es ift, ein ſanf⸗ 
ter Fluß, der fich durch freundliche Gegenden hinfchlängelt, 
und nur die friedlichen Scenen feiner Ufer miederfpiegelt. 
Gottesverehrung ift das Hauptziel feines Strebend; dadurch 
berrfcht aber eine gewifle Einformigfeit in allen feinen poetis 


— 334 — 


fchen Arbeiten vor, die durch eine gewiffe Breite eher ver- 
mehrt, als vermindert wird. — Seine Poefleen enthalten 
aber troß dem die große Zaubergabe, Daß wir durch fie und 
in ihnen ben Dichter lieb gewinnen müffen. — 


Folgende etwas freie Bearbeitung eines feiner glüclichften 
Gedichte möge das hier auögefprochene Urtheit beurkunden. 


Dabeim 


Wo brennt der Heerd am hellften, 
Sreuend gefellige Bruft; 
Mo fchlägt das Herz am ſchnellſten, 
Erfuͤllter Hoffnung Luſt? 
Wo blickt der Trauer Zuͤgen 
Mild laͤchelnd die Geduld, 
Theurer als das Vergnuͤgen, 
Auf rofger Wangen Huld? — 
Die Luſt muß fliehend ſcheiden, 
Entſproſſen kaum dem Keim; 
Doch Trauer ſelbſt hat Freuden, 
Hat ſanfte Luſt — dah eim. — 


) Home. 


Where burns the lov’4 hearth brightest, 
Cheering the social hreast? 
Where beats the fond heart lightest, 
Its humble hopes possess’4? 
Where is the smile of sadncss, 
Of meck-eyed patience born, 
Worth more than those of giadness, 
Which Mirth's bright cheek adom? — 
Pleasure is mark’d by fleetness, 
. To those who ever roam; 
While grief itself has sweetness 
At Homc! dear Home! 








— 835 


Dort Enüpfen fi) die Bande, 
Im Sram, Troft für das Herz, 
Sm theuern Heimathlande 
eilt länger flächt'ger Scherz. 
Die Augen reden innig, 

Was dem Gefühl geweiht, 
Und Blicke, froh und finnig, 
Verleihn Beredfamteit. 

Du feufzeft nach Vergnügen 
— Des Vogels Ruthenleim — 
Du darfft Dich nicht Beträgen, 
Du findeft es daheim. 


Bringt mehr als Luft der Erden 
Genuß der Froͤmmigkeit, 
Und fol fie Schutz Dir werden, 
Wenn Trauer naht und Leid; 
D glaube mir, fie weilet 
In Kirchen nicht allein; 





There blend the Ges that strengihen 
Our hearts in hours of grief, 

The silver links that lengthen 
Joy’s visits when most brief: 

There eyes, in all their spleadeur, 
Are vocal te the heart, 

And glances, gay or tender, - 
Fresh eloquence impart: 

Then, dost thou sigh for pleasure? 
O! do net widely roam; 

But seck that hidden treasure 
At Home! dear Home! 


Does pure Religien charm thee 
Far mere than aught below? 
Wouldst ihou that she sheuld arın thoe 
Against ihe hour of woe? 
Think not she dwelleth only 


In temples built for peayer; 


36 — 





Sie will auch zugetheilet 

Dem eignen Haufe feyn. — 
Im Frommfeyn liegt verborgen 
Bon Frömmelei der Keim, 
Begruͤßt Dich nicht der Morgen 
Am Hausaltar daheim. 


Am Hausaltare waltet 
Die Liebe forgfam, mild, 
Die das Geſetz entfaltet 
Und al Dein Sehnen ftillt. 
Wenn von der heiligen Stätte 
Der wahre Slaube fern, 
Was nügen denn Gebete 
Sm Tempel Dir des Herrn. — 
Dort brauchſt Du nicht zu weihen 
Des Opfers Frucht und Keim: 
Die erften Früchte feyen 
Von Dir gebraht daheim. 


For Home itself is lonely 
Unless her smiles be there: 
The devotee may falter, 
The bigot blindly roam ; 
If worshipless her altar 
At Home! dear Home! 


Love over it presideth, 

Which mcek and watchful awe, 
Its daily service. guideth, 

And shows its perfect law; 

If there thy faith shall fail thee, 
If there no shrine be found, 
What can thy prayers avail thee 

With kneeling crowds around? 
Go! leave thy gift unoffer’d, 
Beneath Religion’s dome, 
And be her first fruits profler’d 
At Home! dear Home! 





— — 337 — 


Da Gegenſaͤtze, wenn ſie nicht fehlerhaft aufgeſtellt ſind, 
in den ſchoͤnen Kuͤnſten immer dazu dienen, die bedeutenden 
Seiten in ein helleres Licht zu ſtellen, ſo moͤge auf den ruhi⸗ 
gen, faſt durchgaͤngig elegiſch geſtimmten, Barton hier unmit⸗ 
telbar der wilde, phantaſtiſche, und doch wieder zu Zeiten ſo 
zarte und einfache Coleridge folgen, der, trotz ſeiner Unregel⸗ 
maͤßigkeit, dennoch von ſeinen Landsleuten fuͤr ihren beſten jetzt 
lebenden Lyriker, nach Moore, gehalten wird. — Samuel 
Taylor Coleridge ift, wie Ihnen das noch erinnerlich feyn 
wird, der Schwager, Freund und Studiengenoffe Southey’s, 
mit welchem er damals den abentheuerlichen Plan faßte, nach 
Amerika zu gehen. — Später bereifte er Deutfchland und 
fludirte dort Kantiſche Philofophie; bei feiner Ruͤckkehr wurde 
er der Herausgeber einer Zeitfchrift: The Watchman. — 
Seine Freunde fehägen ihn fehr, und felbft feine Gegner muͤſ⸗ 
fen, fo viel fie auch an ihm zu tadeln finden, feiner Origina- 
lität und dem Reichthume feiner Poefie Gerechtigfeit wiederfah⸗ 
ren laſſen, troß dem hat er aber eine Furcht vor dem Kritie 
Fern, wie. nicht leicht em Dichter, was er auch in feiner Au⸗ 
tobiographie (Biographical Sketches of my literary life and 
opinions by S. T. C. London 41817, 2 Bde.) wiederho: 
Ientlich äußert. — Die ausgezeichnetfte Eigenthümlichkeit die 
fed Dichters ift die Zartheit und Xiefe feiner Empfindungen ; 
keiner hat wie er die Falten des menfchlichen Herzens durch» 
fpaht und die Stimme der Natur belaufcht; er bezaubert da- 
her durch die Wahrheit feiner Gefühle überall da, wo er fich 
nicht feiner Phantafie überläßt. — Selbſt die Unregelmäßig- 
Feit und abfichtliche Nachläffigkeit der Dietion und des Ryth⸗ 
‚mus geben feinen Poefieen einen zauberhaften Reiz, denn al: 
Yer Orten blid!t der echte Genius hindurch. — Hat er filh 
aber einmal den wilden Träumen feiner Mufe hingegeben, fo 
ift Fein Halt mehr; wie ein ungezügelted Roß, dad der Reiter 
nicht zu beherrfchen vermag, reißt fie ihn mehr, als daß fie 
ihn trägt durch die Reiche der Phantafie, und was er fich 
auf ſolchem Zuge aneignet und und darbringt, flreift oft nahe 

22 


\ — 333 — 


an die Ansgeburten des Wahnſinns. — Er gefällt fich dann 
nur zu fehr mit den wunderlichiten und feltiamften Bildern auf 
den Lefer einzuflürmen, und laßt diefem Feine Ruhe, weil er 
ferbft Feine Ruhe hat. — Wenn man feine Gedichte lieſt, 
fo follte man glauben, fie rührten von zwei Verfaſſern ber, 
welche beide zwar gleich große Gaben befißen, von denen der 
Eine aber im wildeften Raufche, der Andere dagegen nur 
in Momenten der tiefften und ruhigften Empfindung dichtet, 
und die fich mitunter darin gefallen, gemeinfchaftlich an dem⸗ 
felben Werke zu arbeiten. — Beide find indeffen Meifter defe 
felben großen Geheimniffes, fie verftehen das Gefühl mit dem 
Schmude der Einbildungskraft auszuflatten. — So enthält 
u. A. Coleridge's größeres Gedicht, Chriftabel, eine verwor⸗ 
rene Schöpfung, neben den bizarreften Gebilden Stellen von 
ausgezeichnetfter Zartheit, die Niemand wird ohne Rührung les 
fen koͤnnen. — Was er aber befonders darzuftellen verfteht, 
ift, wie die Engländer fich ausdrüden, die Metaphyſik der 
Liebe. — Sie mögen felbft nach folgender Mittheilung, die 
für Coleridge's fchönftes Gedicht gehalten wird, darüber ur: 
tbeilen. 
yiebe® 
Gedanken, Leidenfchaft, Entzäden, 

Mas immer audy bewegt das Ylus, 

Sind fimmtlih nur der Liebe Diener 

Und nähren ihre heil'ge Gluth. 

In meinen wachen Träumen leb' ich 
Die felge Stunde oftmals durch, 


)Love. 


AU thoughts, all passions, all delights 
Whatever slirs this mortal frame, 
All are but ministers of Love, 

And feed his sacred flame. 


Oft in my waking dreams do I 
Live o’er again that happy hour, 











— 339 


Bo mitten auf dem Bergespfahe 
Ich lag bei der bemooften Burg. 


Sid, mit des Abends Licht vermiſchend, 
Beſtrahlt uns fanft ber Mondenfchein; 
Und fie war dort, die Heißgeliebte, 

Die mir ganz eigen, völlig mein. 

Sie lehnte fih, mir gegenäßer, 
Dort an bas alte Ritterbilb, 

Und horchte dann auf-meine Weifen, 
Im Abendfcheine, ftill und mild. 


Sie hatte wenig eis'ne Sorgen, — 
Sie, meine Hoffnung, meine Luſt, 
Liebt mih am Meiften, wenn mein Singen 
Mit Trauer füllte ihre Bruſt. 


Sc ſpielte fanfte Trauerweiſen; 
Und fang ein alt und rüßrend Lieb, 
Das gut zu jenen Trümmern flimmte, 
Die Epheu rings und Moos umzieht. 


When midway on the mount I lay, 
Beside the ruin’d tower. 

The Meoenshine , stealing e’er (he secme, 

Had blended with the Kghts ef eve 

And she was there, my hope, my joy, 
My own dear Gencvicze! 

She leaat against the armed mean 

The statue of the armed kuigkt; 

She stood and listen’d to my lay 
Amid the lingering light. 

Few sorrows hath she of her own, 

My hope, my joy, my Geneviere! 

She loves me heat, whene'er | sing 
The songs that make her grieve. 

I play’d a seft and deleful air, 

. 1 sang an old and-meying stesy — 

An old rude song, that swited well 

That run wild and hoary. 


— 3410 ° — 


Sie horcht mit wechfelndem Erröthen 
Und blickt Hefcheiden vor fich Hin, 
Sie wußte wohl, ihr in das Antlie 
Dabei zu fehn, trieb mich mein Sinn. 


Ich fang ihr dann von jenem Ritter, 
Auf deffen Schild ein Feuerbrand; 
Und der einft.warb zehn lange Sabre 
Dort, um die Herrin von dem. Land. 


Ich fang ihr, wie er litt — die Töne, 
Mit denen ich des Andern Schmerz | 
Ihr ſchilderte — fo tief, fo klagend, 
Erklärten ihr mein eignes Herz. | 

Sie horcht' mit fliegendem Erroͤthen, 
Und fah befcheiden vor fih Bin, - 
Verzieh mir, daß mid, gar zu zärtlich, 
Sie anzuſchauen trieb mein Sinn. 


Doc als ich fang, wie ſchwer Verachtung 
Den kühnen Nitter fortgebannt, 


She listen’d with a floafing biush, 

With downcast eyes and modest grace, 

For ‚well-she kaew, I could net chuse 
But gaze. upon hex faee. 

I told -her of the knight that wore 

‚Upon his shield a barning "brand; 

And that for then long years he woo’d 
The Lady of the Land. 


1 told her how he pined; and ah! 
The deep, the low, the pleading tone 
With which I sang another's love, 
Interpreted my own. , 
She listen’d with a flltting blush, 
With downcast eyes and modest grace, 
And she forgave me, that I gazed 
To fondly en her face! 
But when I told the eruel scorn 
That craz’d that bold and lovely knight, 





— 341 — 


Wie er die Berge uͤberſtiegen, 

Bei Tag und Nacht nicht Ruhe fand; 
Daß oftmals aus den wilden Schluchten, 

Im dunkeln Schatten viele Mal, 

Und oftmals ploͤtzlich ihm erſcheinend 

Im gruͤnen und beſonnten Thal, 


Ihm in das truͤbe Antlitz ſchaute 
Ein Engel wundervoll und licht; 
Und daß er wußt', es ſey ein Weſen 
Von boͤſer Art, der arme Wicht; 


Und daß, nicht wiſſend, was er thue, 
Er mitten unter eine Bande 
Sich ſtuͤrzte, und von Sehmach errettet 
Die Herrin von dem Lande. 


Und wie fie weint’ und vor ihm kniete; 
Wie fie vergebens ihn gepflegt, 
Um die Verachtung mild zu fühnen, 
Die feinen Wahnſinn aufgeregt. 


And that he eross’d the mountain - woods, 
Nor rested day nor night, 

That sometimes from the savage den 

And sometimes from the darksonte shade, 

And sometimes slarling up al once 
In green and sunny glade, 

There eame and look’d kim in the face 

An angel beautiful-and bright; 

And that he kuew, it was ‘a Fiend, 
This miserahle knight! 

And that unknowing what he did, 

‘ He leap’d amid a murderous band 

And sav’d from eutrage worse than death 

The Lady of the Land! 


And how she wept, and elaspt his knees; 
And how she tended him in vain, 
And ever strove fo expiate " 

The scom that crazed his hrain. 








— 312 — — 


Wie in der Höhle fle ihn wartet 
Und wie fein Toben ſich gelegt, 

Als er auf's gelbe Laub des Waldes, 
Ein Sterbender,, ſich hingelegt. 

Die legten Worte — doch erreicht” ich 
Das Zartefte im ganzen Sarg, 
Dann ftört das Mitleid ihre Ruhe, 
Denn zitternd war mein Ton und bang. 

Und was das Herz nur und die Seele 
Bewegt, durchſchauerte fie au, 

Das Trauerlied, die Saitenflänge, 
Des Abends balfamreicher Hauch: 


Hoffnung, und Sucht, die Hoffnung nähret, 
Wie fi das unerkenntlich regt, 
Und holde Wünfche, lang’ bezwungen, 
Bezwungen und doc) fang’ gepflegt. — 


Sie weint aus Mitleid und Vergnügen : 
Erröthete vor Lied’ und Schaam, 


And that she nursed him in a cave; 
And how his madness went away, 
When on the yellow forest - leaves - 
A dying man he lay. 


His dying words — but when I reach’@ 
That tenderest strain of all the ditty, 
My faultering voice and peusing harp 
Disturb’d her soal with pity ! 
All impulses of soul and sense 
Had thrill’d my guwileless Genevieve? 
The musie and the doleful tale, 
The rich and balmy eve; 


And hopes and fears that kindle hope, 

And undistinguishable threng 

And gentie wishes long subdued ; 
Subdu’d and cherish’d long! 


She wept with pity and delight, 
She blush’4 with love and virgin- shame; 











— 343 — 


Und hauchte leiſe meinen Namen, 
Den wie im Traum mein Ohr vernahm. 


Ihr Buſen wallt' — ſie ging bei Seite, 
Indeß mein Blick auf ihr verweilt — 
Dann iſt ſie ploͤtzlich, ſchuͤchtern weinend, 
Und zaghaft zu mir hingeeilt. 
Sie ſchließt mich halb in ihre Arme, 
Umfaßt mich, drückt mid) am fich dicht, 
. Und lehnt zuruͤck ihr Haupt, aufblickend 
Und fchaut mir in das Angeficht. 


Halb war es Furcht, Halb war es Liebe 
Und Halb war es verfhämte Lift, 
Damit ich lieber fühl’ als fähe, 
Wie tief ihr Herz erfchättert ift. 

Sch ſtillt die Furcht, da ward fie ruhig, 
Hat ihre Liebe ftolz vertraut. — 
Und fo gewann id, die erkohr'ne, 
Die herrlihe, die fhöne Braut, 


And like the murmur of a dream, 
I heard her breathe my name. 


Her bosom heay’d — she stept aside, 

As conscieus of my look she stept — 

Then suddenly, with timorous eye, 
She fled to me and wept. 


She half enelosed me with her arms, 

She press’d me with a meek embrace ; 

And bending back her head, look'd up, 
And gazced upon my face. 


’Twas partly Love and paxtly Fcar, 

And parily ’twas a hashful art 

That I might rather fecl than see 
The swelling of her heart. 


1 calm’d her fears, and she was calım, 
And told her love with virgin - pride 
And se I won my Genevieve, 

My bright and heanteous Bride. 





— 344 — — 


Zu den gelungenſten Poeſieen dieſes genialen Mannes ge⸗ 
hoͤren nach meinem Gefuͤhle noch: To an unfortunate wo- 
man at the theatre. — Lines composed in a concert- 
room; the happy husband; The Eolian harps; Frost at 
‚midnight. — Sein berühmter. Romanzencyclus The rime 
of the ancient mariner ift mir Dagegen immer al3 eine Aus⸗ 
geburt der Phantafie vorgekommen. — Als glüdlicher Ue⸗ 
berfeger hat Coleridge fich ebenfalld vielen Ruhm erworben, 
vorzüglich durch Webertragung einiger Meifterwerke Schillers. 

Sehr gefeiert von feinen Landsleuten als Lyriker wird fere 
ner William Wordsworth, den die Engländer gemöhnlich 
ald dad Haupt der Lake-School betrachten. Er ift ven 
7. April 1770 in Cockesmouth geboren, zeichnete fich ſchon 
als Knabe durch Fleiß und Fähigkeiten aus und bezog. im Jahre 
17788 die Univerfität Cambridge. Als Student machte er meh⸗ 
rere Fußtouren durch Frankreich, die Schweiz, Savoyen und 
Stalien, welche er in Verfen befchrieb und 1793 unter dem 
Titel Descriptive sketches *) herausgab. — Nachdem er 
feine Studien vollendet, zog er die Iandliche Abgefchiedenheit 
dem Gefchäftsleben vor, und fchlug mit feinem Freunde Cole⸗ 
ridge- feine Wohnung zu Alfaxrden bei Bridgewater in 
Somerfetfhire auf. — Im Jahre 1798 erfchienen feine Iy- 
rical ballads; zu verfelben Zeit machte er eine Reife durch 
Deutfchland, und ließ fich dann, bald nach feiner Nüctehr, 
in Rydale nieder, wo er feitdem von feinem Vermoͤgen und 
dem Einfommen einer Fleinen Beamtenftelle in ftilem Frieden 
lebt. — Im Sahre 1803 vermählte er fich mit Mi Mary 
Hutchinſon, mit welcher er eine fehr glücliche, Tinderreiche 
Ehe führt. | 

Wordsworth ift als Menfch mehr werth, denn ald Dich- 
ter, obwohl er durchaus nicht zu den unbedeutenden oder all⸗ 
täglichen Poeten gerechnet werden Fann. — Seine Gefinnuns 
gen und Gefühle find echt, fchön und wahr, Alles kommt bei 


*) Descriptive sketches taken during a pedcstrian tour in the Alps. — 


— 35 — 


ihm aus dem Kerzen, und erfüllt den Lefer mit großer Ach- 
tung und Verehrung für den befcheidenen Mann, der folche 
Empfindungen fo warm und lebendig aͤußert und fchilbert, 
weil er fie wirklich ſelbſt befist, aber es fehlt ihm durchaus 
an Tiefe der Anfchauung, wie an Reichthum und Kraft der 
Phantafie. — Er ift zu einfeitig, zu monoton, und da er zu 
fehr danach firebt, fremde Gemüther nach dem feinigen zu 
ſtimmen, in diefem aͤngſtlichen Bemühen mitunter faft triviat, 
fehr haufig aber gefucht und manierirt. Daher erhebt er fich 
eigentlich nicht über eine gewiſſe gluͤckliche Mittelmäßigkeit, 
und findet demzufolge auch feine meiften Freunde unter der 
großen Menge der Mittelmäßign. — Seine Sprache ift fehr 
cultivirt; feine Bilder find glücklich und anmuthig, feine Verfe 
fließend und gewählt. — Sein echtes religiöfes Gefühl, fein 
herzentfprungened Wohlwollen für die ganze Schöpfung, und 
feine Liebe zum Wahren und Guten, find endlich nicht geringe 
Zierden des wadern Mannes — aber alle diefe vortrefflichen 
Eigenfchaften reichen doch nicht hin, um einen großen Dichter 
zu ſchaffen. 


Wordsworths bedeutendſtes und gelungenftes Gedicht ift 
dad weiße Reh von Rylſtone. Sein zweites größeres Gedicht, 
The excursion, die Streifzüge eined englifchen Haufirerd und 
defien Unterhaltungen über Gegenftände des Lebend mit den 
verfchiedenartigften Perfonen enthaltend, leidet, troß manchen 
Schönheiten, doch fehr an Trivialitaͤt; es iſt dem Dichter 
hier mehr darum zu thun, feine Anfichten zu entwideln, als 
und durch die Wahl und die Behandlung feines Stoffes zu 
unterhalten, und fo verfällt er nur gar zu häufig in eine Art 
von füßlichem Predigerton, der und fehr bald ermüdet und 
vom weiteren Leſen abfehredt. 


Unter feinen Heineren Inrifchen Gedichten find im Gan⸗ 
zen nur wenig vollkommen gelungene; er wird ſelbſt hier faft 
immer zu breit. Als eins der gluͤcklichſten ift mir immer fols 
gendes erfchienen. 


— 346 — 


Wir find Sieben.) 


— — Ein einfah Kind 

- Das athmet ohne Schmerz und Noth; 

Sein Leben fühlt in jedem Glied, . 
Mas weiß das wohl vom Tod? 


Ein kleines Mädchen traf ich an, 
Sie wäre, ſprach fie, acht Jahr alt: 
An Locken reich war recht ihr Haar, 
Das dicht fih um ihr Köpfchen ballt. 

Ein baͤuriſch Wefen hatte fie, 
Gekleidet war fie auch nur voh, 

Doch ihre Augen waren’ hold, 
Und ihre Schönheit macht mid) froh. 

Wie viel der Kinder feyb Ihr wohl, 
Schweftern und Brüder, fag’ an. — 
ie viel? in Allem fieben, ſprach fie, 
Sah ganz erflaunt mich an. 





) We are seven. 


— — A simple child 
That lightly draws its breath, 
And feels its life in every limb, 
What should it know of death? 


I met a little cottage- girl: 
She was eight years old, she said; 
Her hair was thick with many a curl 
That clustered round her head. 


She had a rustic woodland-air, ' 
And she was wildly clad;_ 
Her eyes were fair, and very fair; 
Her beauty made me glad. 


Sisters and brothers, little Maid, 
How many may you be? 
How many? Seven in all, she said 
And wondering looked at me. 





— 347 — 


Bo find. fie denn? — Komm, fag’ mir das: 
Nur fieben, und nicht mehr; 
zu Conway wohnen zwei von uns, 
Und zwei find auf dem Meer. 


zwei von uns auf dem Kirchhof find, 
Eine Schweiter,, ein Bruͤderlein; 
Und in der Kirhhofshätte nah Hei 
Wohn’ ich mit der Mutter mein, 


Du fprichft, zu Conway wohnen zwei, 
Zwei find zur See — fag’ an, 
Doc fend Ihr fieben — mein liebes Kind, 
Wie geht denn das nur an? 


Da ſprach das kleine Ding: Nun ja, 
Sieben Knaben und Mädchen find wir; 
Zwei von und unter dem Banme ruhn, 
Da, auf dem Kirchhof hier. 





And where are they? I pray you, tell. 
She answered: Seven are we. 
And two of us at Conway dwell, 
And two are gone to sea. 


Two of us in the church- yard lie 
My sister and my brother; , 
And in the church-yard -cottage, I 
Dwell near them with my niother. 


Yon said that two at Conway dwell, 
And two are gone to sen, 
Yet ye are seven!— I pray you, tell, 
Sweet Maid, how this may he? 


Then did the little Maid reply: 
Seven boys and girls are we; 
Two of us in the church-yard lie, 
Beneath the church -yard-tree. 


— du — 


Du laͤufſt herum, Du kleines Ding, 
Du lebft, das feh’ ich ein: 
Doc liegen auf dem Kirchhof zwei, 
Könnt Ihr nur fünf noch ſeyn. 


Ihre Gräber find grän, man kann fie ſehn, 
Sprach fie mit Luſtigkeit, | 
Zwölf Schritt oder mehr von unfrer Thür, 
Da liegen fie Seit au Seit. — 


Meine Steämpfe ſtrick' ich Öfters dort, 
Und hole mein Nähzeng vor, 
Und fiße auf dem Boden dort, 
Und finge ihnen was vor. 


Und oft nad, Sonnenmtergang, ' 
Wenn der Himmel heil und roch, 
Trag' ich mir meinen Napf dorthin 
Und efle mein Abendbrod. | 


You run aboat, my Httle Maid, 
Your limbs they are alive; 
If two are in the chureh- yard laid, 
Then ye are only five. 


Their graves are green, they may be secır, 
The little Maid replied, 
Twelve steps or mere from my mothers door 
And they are side by side. 


My stockings there 1 often knit, 
My kerchief there I hem; 
And there upon the ground I sit — 
I sit and sing to them. 


And often after sunset, Sir 
When it is light and fair, 
I take my little. porringer, 
And eat my supper there. 





— 349 — 


Das Meine Hannchen ſtarb zuerft, 
Sie Sag auf dem Bettchen dort 
Und ftöhnt, bis Sort fie hat erloͤſt 
Bom Schmerz, dann ging fie fort. 


Sie legten fie auf den Kirchhof hin, 
Und den ganzen Sommer, Maun, 
Da fpielten bei ihrem Grabe wir, 

Ich und mein Bruder Johann. 


Und als dee Boden weiß von Schnee, - 
Und ich lief und gleitete bier, 
Da mußte Bruder Hans auch fort; 

Der liegt nun neben ihr. 


Wie viele feyd Ihr denn, ſprach ich, 
Wenn zwei im Himmel find; 
Herr, fieben find wir, wir find ſieben, 
Antwortete das Kind. 





The first that,died was little Jane; 
In bed she moaning lay 
‚Till God released her of her pain; 
‘And then she went away. 


So im the church-yard she was laid; . 
And all the summer dıy 
Together round her grave we played, 
My brother John and I. 


And :when the ground was white with snow, 
And I could run and slide, 
My brother John was forced to go, 
And he lies by her side. 


How many are you then, said I, 
If they two are in Heaven? 
The little Maiden did reply: 
O Master, we are seven. 








. 350 


Doch zwei find todt; die zwei find todt, 
Im Himmel find die Lieben. — 
Ich ſprach vergeblich — fie blieb dabei, 
Und ließ nicht ab, daß dem fo fey; 
Mein, fagte fie, Wir find fieben. 


Ueber Wordsworths Sonette (eine Form, die in neue 
fier Zeit wieder eine fehr günftige Aufnahme bei den Englän- 
dern gefunden hat) finden fich viel gelungene, vorzüglich dieje⸗ 
nigen, welche dad Interefle feines Baterkandes berühren. — 


. But they are dead; these two are dead! 
Their spirits are in Heaven! 
’Twas throwing words away: for still 
The little Maid would have her will, .- 
And said: Nay, we are seven. . 








Eilfte Borlefung. 


Glaubensſtrenge der Engländer. — Percy Byſſhe Shellen — 
Proben aus feinen Dichtungen. — Wilſon. — Hogg. — 
Barry Cornwall. — Joanna Baillie — Ecene aus 
de Montfort und Analyſe dieſes Trauerſpiels. — Laetitia 
Landon. Deren Nolands Thurm. — Lady Morgan. 
— Cooper. — Bemerfungen über einige andere Romane. — 
Die dramasifchen Leiftungen der Engländer in neuefter Seit. — — 


In keinem Lande traͤgt die religioͤſe Geſinnung mehr dazu bei, 
einem Dichter Ruf zu bringen, oder ihm zu ſchaden, als ge⸗ 
rade in dem ſonſt ſo gedankenfreien England. Es herrſcht 
eine gewiſſe ſtreng ausgeſprochene Orthodoxie, trotz den vielen 
Secten, ſo beſtimmt ausgepraͤgt in allen Staͤnden vor, daß 
auch die ſchaͤrfſten Waffen des geuͤbteſten und kampfruͤſtigſten 
Gegners daran zerſchellen, und er nach vielen vergeblichen 
Verſuchen, ſich am Ende genoͤthigt ſieht, den Kampfplatz, 
wenn auch nicht beſiegt, doch keinesweges als Sieger, zu 
raͤumen, mit dem Haſſe der Menge belaſtet. — Dieſes ſtrenge 
Feſthalten an der einmal als wahr angenommenen Lehre iſt 
aber nicht, wie in anderen Laͤndern, die Frucht hierarchiſcher oder 
ſerviler Umtriebe, ſondern rein aus dem Geiſte eines Volkes 
entſprungen, das fich jegliches geiſtige Beſitzthum durch ſchwere 


— 3512 — 


Kämpfe und eine eiferne, beharrliche Oppofition erwarb, das 
aber auch daher eiferfüchtig über der Erhaltung diefer Güter 
wacht, und gemeinfchaftliche Sache, oft im biindeften Treiben 
gegen jeden Feind macht. So tolerant der Engländer in Glau⸗ 
bensanfichten auch einerfeits ift, indem er Jedem gern die Art 
und Weile feiner Gotteöverehrung laßt, fo intolerant ift er da⸗ 
gegen wiederum gegen Alle, welche es wagen jollten, vie 
Hauptwahrheiten und Lehren der geoffenbarten Religion anzugreis 
fen und zerflören zu wollen, und wehe demjenigen, der feine 
geiftigen Fähigkeiten, mögen diefe auch noch fo groß feyn, zu 
ſolchem Zwecke zu verwenden firebt. — Um diefen Umftand 
recht deutlich hervorzuheben, habe ich erft eine Reihe von Dich- 
tern vor Ihren Blicken vorübergeführt, welche fich Alle, mehr 
oder weniger, durch ihre frommen Gefinnungen, neben ihren 
poetifchen Leiftungen, bei ihren Landöleuten beliebt machten, 
und ftelle ihnen jegt einen Mann hin, der an Genialität, 
Tiefe und Originalität Alle diefe überragte, und doch den 
Haß feiner Nation, die ſelbſt noch nach feinem Tode nicht 
gerecht gegen ihm ift, auf fich Ind. 

Es ift Ihnen aus dem hier Gefagten wohl fchon deutlich 
geworben, daß ich feinen Anderen, ald den auögezeichneten 
Freund Byron's, Percy Byſſhe Shelley, meine. Er 
war im Sahre 1793 geboren, hatte in Oxford fludirt und es 
dorf. gewagt, eine Flugſchrift unter dem Titel: die Noth: 
wendigfeit des Atheismus, erfcheinen zu laffen, welche 
ihm von allen Seiten die heftigfte Verfolgung zuzog. — Bon 
feinem Vater deshalb verfioßen, aus Oxford verwiefen, führte 
er lange ein wechfelnded Leben, in, fletem Kampfe mit den 
Verhältniffen. — Endlich gelang es ihm, in einer zweiten 
Ehe fich mit einer geiftreichen und liebenswürdigen Landsman⸗ 
nin zu verbinden, und, von aller Deffentlichkeit entfernt, fich 
einen ruhigen Aufenthalt in Toscana zu gründen, um ganz 
der Ausbildung feines eigenen Geiftes und feinen gluͤcklichen 
häuslichen Verhältniffen zu leben, da raubte ihm unbarmher⸗ 
zig der Tod, auf einer Fleinen Luftfahrt im mittellaͤndiſchen 





— 333 — 


Meere, während welcher er in ben Fluthen verunglüdte, im 
neun und zwanzigſten Fahre feines Alters (im Juli 1822.) — 
Byron Tieß den Leichnam feines Zreundes feierlich verbrennen 
und die Afche zu Rom, neben ber Pyramide des Ceſtius, 
beifegen. 

Shelley befaß ungemeine Kenntniffe, faft in allen Fächern 
des menfchlichen Wiſſens, dabei tiefen Scharffinn und großen 
Geſchmack, ‚aber das Schwanken feines Geiftes, und der Kampf 
- feiner Philofophie mit der Poefie um die Oberherrfchaft in den 
Leiſtungen des Dichters, geftattete nicht, feinen Gedichten durch 
innere Ruhe die Vollendung, deren fie bedurften, zu geben. 
Das glühendfte Gefühl für alles Edle und Große waltete in 
ihm; fein Atheismus war eigentlich nur eine Art Pantheiss 
mus, und wurde von feinen Feinden falfch verftanden und 
mit Unrecht verfchrieen; aber der Wunfch, feinen Anfıchten 
Bahn zu brechen und ihnen den Vorrang zu verfchaffen, ließ 
ihm oft zu weit gehen, und er mußte der Menge unzugänglich 
und unverfländlich werden, ba er felber nicht Har und ruhig 
genug war. Seine Richtung ift mehr elegifch zu nennen ; fein 
Beftreben trieb ihn aber nur zu oft fpeculativen Meditationen 
zu, in welchen er fich zu fehr verwirrte. — Unter feinen poe⸗ 
tifchen Werken erfcheint mir die Eiegie Adonais, auf ben 
Tod eines Freundes, dem in der Bluͤthe der Jahre die Parze 
den Lebensfaden zerfchnitt, dad gelungenfte. — Mit feiner 
Art und Weile möge Sie folgendes Bruchftüd aus einem grös 
Beren Gedichte, Alastor or the spirit of solitude, belannt 
machen: — 

*)' 8 war ein Dichter, deffen frühes Grab 

Nicht Fromme Menſchenhaͤnde aufgerichtet; 
Die Zauberwirbel nur herdftlicher Winde 
Erbauten über feinem modernden Gebein 


*) There was a poet, whose untimely tomb 
No human hands with pious reverence zearod, 
But the charmed eddies ef autumnal wiads 
Bailt o’er his mouldering hones a pyramid 
23 


— 354 — 


‚Ben tobtem Laube eine Pyramide 


Sn: wilder Dede, — Liebenswuͤrdig war er, 


- ..Mlein:tein trauernd Mädchen deckte ihm 
., Mit dunkeln Blumen und Cypreſſenkraͤnzen 


Des ew’gen Schlummers einfam Ruhebett. — 


. .. Gut war- er, edel — kein verivrter Barde 


Ä 


“ 


Seiert’ fein dunkles Loos mit Liebesſeufzer: 


Er lebt', er flarb, er fang in Einſamkeit, 


Es weinten Fremde nur bei feinen- Klängen, 


Und wenn er unbekannt voräberfchritt, 
So ſeufzten Jungfrauen nad) ihm und fehnten - 


Nach ‚Liebe ſich aus ſeinen wilden Blicken. — 


:. Die Flamme diefer Augen breunt nicht mehr, 


Und Schweigen, von der Stimme bingeriflen, 
Schließt ihren dumpfen Klang in feine Zee. 
Bon hehrer Viſion, von hellen Träumen 
Ward feine Kindheit aufgefäugt. — Es fandte 
Stedweder Anblick, jeder Ton der Erde, 


Wie auch der Luft, ihm herrlihfte Gefühle, 
Die Quellen göttliher Philoſophie 


AOf mouldering leaves in the waste wilderness; 
‚A lovely youth,.— no mourning maiden decked 


With weeping flowers, or white cypress - -wreath, 
The lone conch of his everlasting sleep: — 


'Gentle, and’ brave, and generens — no lora bard - 


Breathed o’er his dark fate one melodious sigh: 


‚Me. lived, he died, he sang in solitude. 


Strangers have wept to hear his passionate notes, 
And virgins, as unknown he past, have pined 
And wasted for ford love ‘of his: wild eyes. 

The fire of those orbs has ceased to burn, 

And silence, 100 enamoured of that voice, 
Locks its mute music-in her .yagged edil. . 1 
By solemn vision and bright ‘silver dream. 

His infancy was mürtuired. . Every ‚sight. i 
And sound fom.the.vast earth and ambient air, . . 
Sent to his heart is.choisest impulsesn  « .- 

The fountains of divine. philesephy 








— 35 — 


Flohn feine Lippen nicht, die duͤrſtenden, 

Und alles Große, Gute, Liebenswerthe, 

Das die geheiligte Vergangenheit 

Sn Wahrheit oder Mythe weiht, er fühlt es, 

Er hat's gekannt. — Als feine frühe Jugend 
Dahin, verließ er feinen Falten Heerd 

Und feine fremd geworb'ne Heimath, fuchte 

In unentdeckten Landen felt'ne Wahrheit. 

So manche wäre, weite, dunkle Wildniß 
Belaufchte feinen furchterfüllten Schritt ; 

Bon wilden Menſchen kauft’ er Ruh’ und Nahrung 
Mit feinen füßen Blicken, fanften Tönen. 

Die tief geheimen Schritte der Natur 

Verfolge er, wie ihr Schatten, wo nur immer 
Der glühende Vulcan mit Flammenrauch 

Beichneite Felder, übereifte Zinnen, 

Belege, wo Erdpech⸗Seen mit trägem Bogen 
Der ſchwarzen Inſeln nackte Klippen fchlagen; 

Wo dunkle, wilde Höhlen fich geheim 

Durch Quellen vol von Gift und Flammen twinden, 


Filed not his thirsfiag lips, and all of great, 
Or good, or lovely, which the sacred past 
In truth or fable consecrates, he felt 
And knew. When early youth had past, he left 
His cold fireside amd alienated home 
To seck strange truths im undiscovered lands, 
Many a wide wast and taugled wilderness 
Has lured his fearfal steps: and ho has bought 
With his sweet veice and eyes, from savage men, 
His rest and food. Nature’s most secret sieps 
He like her shadow has pursucd, where'er. 
The red volcano over- eanopies 
Its fields of snow and pinnacles of ice 
With burning smeke or wherc bitumen - lakes 
On black bare pointed islets ever beat 
With sluggish surge, or whexe the secret caves, 
Rugged and dark, winding ameng the springs 
Of fire and poison, inaocessible 

23* 


N 





— 356 — 


Der Habſucht unzugaͤnglich, wie dem Stolz, 
Und ihre demantreiche, gold'ne Wölhung 
Ausbreiten über ungemeſſ'nen Hallen, 

Reich an Erpftallnen Säulen, Haren Schreinen 
Bon Perlen, Thronen hell von Chryſolithen. 
Doc hatte jener Anblick, weit erhab'ner 

Als Gold und Gemme, von des Himmels Wechſe 
Die grüne Erde, ihm in feinem Herzen 

Die Luft an Lieb’ und Wundern nicht zerftört. — 
Er weilte zögernd in der Einfamteit, | 
Zur Heimath fi) die Wildniß gern geftaltend, 
Bis, angelockt von feinen fanften Blicken, 

Des Waldes Thiere und die zarten Tauben 
Aus feiner Hand die Nahrung gern empfingen 
Und fein unblutig Mahl mit ihm getheilt; 

Die wilde Antelope, die, wenn nur 

Das trock ne Laub im Wege rafchelt, auffpringt, 
Hemmt' ihre ſcheuen Schräte, um ein Wefen 
Zu fehn, das lieblicher noch war als fie. 

Sein Fuß, gehorchend frinem hohen Sinnen, 


To avarice or pride, their starry domes 

Of diamond and of gold expand above 
Numberless and immeasurable halls, 

Frequent with crystal column, and clear shrines 
Of pearl, and thrones radiant with chryselite. 
Nor had that scene of ampler 'majesty 

Than gems or gold, the varying of heaven 

And the green earth lost in his heart its claims 
To love and wonder; he would linger long 

In lonesome vales, making the wild his home, 
Until the doves and squirrels would partake 
From his innocuous hand his bloodiess food, 

“ Lured by the gentle meaning of his looks; 

And the wild antelope, that starts whene’er 

The dry leaf rustles in the brake, suspemd 

Her timid steps to gaze upon a form 

More gracefal than her ewn. His wandering step 
Obedient to high thoughts, has visited 








— 37 — 


Befuchte die verhängnißvollen Trümmer 
Vergang'ner Tage, Tyrus und Athen, 

Und Balbec, Babylon’s geftürgte Thuͤrme, 
Die Wuͤſte, wo Serufalem geftanden, 
Memphis und Thebens ew’ge Pyramiden, 

Und was nur immer Aethiopien 

Sn feinen wuͤſten Hügeln hält verborgen 

An Marmor, Obelisten, Jaspisgraͤbern 

Und Sphinrgebilden. — Bei den Trümmern dort, 
Den rief gen Säulen, wilden Gößenbildern, 
Wo fleinerne Dämonen das Geheimniß, 

Das eherne des Thierkreiſes bewachen 

Und Todte an die fiummern Mauern bort 
Stumme Gedanken hängten, weilet er 
Vertiefend ſich in die Gedaͤchtnißſchriften 

Der Welt in ihrer Sugendblüthe noch. — 

Auf jene ſtummen Weſen blicke er, 
Den ganzen heißen Tag, noch wollt’ er enden, 
Henn feines Lichtes wechlelnde Seftalten 

Der Mond durch die geheimnißvallen Hallen 


The awful ruins of the days of old: 

Athens, and Tyre, and Balbec, aud tlie waste 
Where stood Jerusalem, the falleu towers 

Of Babylon, the eternal pyramids, 

Memphis and Thebcs, and whatsor’er of strange 
Sculptured on alabaster ohelisk, 

Or jasper tomh, or mutilated sphinx, 

Dark Aethiopia in her desert hills 

Conceals. Among the ruined temples there, 
Stupendous columns and wild images 

Of more than man, where marble daemons watch 
The zodiac’s brazen mystery, and dead men 

Hang their mute thoughts on the mute walls around, 
He lingered, poring in memorials 

Of the world’s youth; through the long burning day 
Gazed an those speechless shapes, nor when the moon 
Filled the mysterious halls with floating slapes 








— 358 — 


Entfendetes er fchaute, ſchaute ſtets, 

Bis wie Begeifterung ihm der Gedanke 

Durch feine Seele zuckte und er fah 

Das fchaurige Geheimniß von der Zeit Geburt. 


Selbſt in feinen’ Fleineren Gedichten laßt er nicht von 
folchen abftracten Betrachtungen, die dann nur zu oft als 
Spielereien erfcheinen, ab, wie z. B. in folgendem Liedchen, 
das ich für unüberfegbar halte, wenn man anders ben Ge: 
danken nicht verflümmeln will. — 


Love’s Philosophy.‘) 


' The fountains mingle with the river, 
And the river with the ocean; 

The winds of heaven mix for ever 
With a sweet emotion: 

Nothing in the world is single, 

Al things by a law divine 

In one another’s being mingle — 
Why not I with thine? 


See the tnountains kiss high heaven 
And the waves clasp one another, 


Suspended he that task, but ever gazed 
And gazed till meaning on his vacant mind 
Flashed like strong inspiration and he saw 
The thrilling secrets of the birth of time. 


*%) In wörtliher Ueberſetzung: Philofophie der Liebe. — 
Die Quellen mifchen, fih mit dem Sluffe, und der Fluß mit dem 
Meere. Die Winde des Himmels mifchen fih auf immer mit 
füßer Bewegung. Nichts in der Welt ift allein; alle Dinge mi- 
ſchen fich durch göttliches Gefeb mit eined Anderen Weſen, wars 
um ich mich nicht mit dem Deinigen ? 


| Sieh, die Berge küffen den hohen Himmel, und die Wogen 
umfangen ſich wechfelfeitig; feiner Schwefterblüthe würde verzie⸗ 








39 — 


MNo sister flower would be forgiven, _ 
I it disdain’d its brother: 
And the sunlight clasps the earth, . 
And ihe moonbeams kiss the sea; 
What are all these kissings worth 
If thou kiss not me? | 


Waͤre dem armen Shelley ein laͤngeres Leben vergoͤnnt 
gervefen, er wiirde gewiß durch feine fpdteren Werfe, ſobald 
er die Ruhe, die ihm fehlte, erlangt hätte, über alle feine 
Gegner gefiegt haben. Sch ſchließe diefe kurze Schilderung 
mit Byron's Worten über ihn: „Shelley hat mehr Poeſie in 
ſich, als irgend einer der Lebenden, und wäre er nicht fo my⸗ 
ſtiſch, und wollte er nicht Utopia's fchreiben und fich zum Re⸗ 
formator aufwwerfen, fo müßte fen Recht, eine hohe Stelle 
unter den Dichtern einzunehmen, nothwendig anerfannt wers 
den. — Aber wenig Dichter find fo ſchaͤndlich behandelt wors 
den, wie er.“ on: 

Unter den Nachahmern jener großen. Heroen brittifcher 
Poeſie zeichnen fich vorzüglih Wilfon, Hogg und Barry 
Cornwall aus. — Der Erſtere, ausübender Rechtsgelehr⸗ 
ter in Edinburg, feheint fich nach Byron gebilbet zu haben, 
ohne jedoch deffen finftere Weltanficht zu theilen, oder ſtklavi⸗ 
fcher Nachahmer des gewaltigen Dichterd zu ſeyn; feine ins 
nerfte Gefinnung ift im Gegentheile gerade entgegengeſetzt, 
denn er fucht in feinen Werken dad Edle und Schöne der 
Menfchennatur hervorzuheben und zu feiern; doch geht er in 
diefem redlichen Bemühen, vom Enthufiasmus fortgerifen, oft 
zu weit, und wendet nicht felten falfche Mittel an, um feis 
nen Zweck zu erreichen. — Innigkeit, tiefes Gefühl, Reich 
thum der Phantafie und ein warmes und lebendiged Colorit 


| 
hen, verachtete fie ihren Bruder. Und das Sonnenlicht umfängt 
die Erde und die Mondſtrahlen küſſen bie Ser; was nüutzen alle 
dieſe Küffe, wenn Du mich nicht kuſſeſt? — | 





— 360 — 


zeichnen feine Werke aus. Seine Palmeninſel (the Isle of 
Palms), ein Gedicht in vier Gefangen, ift eine feltfame, aber 
faft üppig reiche Schöpfung. Zwei Liebende leiden Schiffbruch 
auf dem indifchen Dcean, und werben auf eine wüfte Inſel 
geworfen, auf welcher fie fieben Jahre verweilen müffen und 
mit einem Kinde in ihrer Einſamkeit beglüdt werden. Cudixh 
Iandet dort ein Kriegsſchiff. Es erlöft und bringt fie in ihre 
Heimath zurüd. — Sie werden von ber Mutter deö jungen 
Weibes, die täglich, fo lange die geliebte Tochter abweſend 
wor, an den Strand ging, und nach Schiffen in die Ferne 
ſpaͤhte, empfangen. — Es laͤßt ſich leicht denken, welche 
Reihe von Gemälden ſich mir diefem Faden verknuͤpfen ließ, 
und man muß Wilfon die Gerechtigkeit wieberfahren laſſen, 
daß er ſolches mit großer Gewandtheit gethan. — Einzelne 
Schilderungen find von audgefuchter Schönheit, im Ganzen 
wird man aber doch, da die Handlung weder reich noch rafch 
genug iſt, ermüdet. — 

Noch bedeutender ift fein größeres bramatifches Merk, 
The city of the plague, in weichen er ebenfalld, an einen 
unbedeutenden hiftorifchen Faden geknüpft, das Leben und 
Treiben, ober richtiger, Leben uud Sterben einer von der 
Peſt ergriffenen Stadt darftellt. — Diefes Drama enthaͤtt 
reichen Wechfel an ergreifenden Scenen und erhabene Schilbes 
rungen; ed würde indeffen noch weit wirkſamer feyn, wenn 
es ihm nicht eigentlich an der einem Kunſtwerke fo nöthigen 
Einheit fehlte. — Auch wird Niemand Idugnen koͤnnen, daß 
die Wahl eines folchen Stoffes, und wenn er auch von ber 
. Hand des größten Meifters bearbeitet würde, immer ein Mis⸗ 
griff bleibt. — 

Wilſon's größte Stärke befteht eigentlich in Schilderun- 
gen des ruhigen Lebens; dies offenbart fich hauptſaͤchlich in 
feinem defcripriven Gedichte "The Anglers Tent, was ven 
beften diefer Gattung den Rang ftreitig macht. — 

Unter feinen kleineren Gedichten find mehrere überaus 
gluͤcküche, vorzüglich To a sleeping, child. — Höchft ruͤh⸗ 





— 31 — 


send und ergreifend iſt ferner auch fein Leichenbegaͤngniß eines 
Schülers (The Scholar’s Funeral), eine größere Poeſie in 
Spenferfiangen. — 

James Hogg, der zweite ber Obengenannten, ift 
durchaus Nachahmer alter Sctott's, jeboch nicht ohne Selbſt⸗ 
ſtaͤndigkeit und mit Gluͤck und Erfolg, was um fo mehr zu 
bewundern ift,; als er nur darch eigene Kraft fich feine Bil⸗ 
bung verfchaffte. Er ift urſpruͤnglich ein Schäfer, und brachte 
bie größte Zeit ſeines Lebens mit dieſer Beichäftigung in der 
Einſamkeit von Ettrid zu, weshalb er auch vom feinen Laube: 
Ieuten gevobhalich The Ettrick Shepherd genaunnt wird. Die 
reihen Sagen und die pittoredlen Gegenben feines Waterlans 
des hatten. wicht geringen Einfluß auf fein poetiſches Talent; 
Walter Seotts frühere Werte, mit deren Lecture er fich eifrig 
befaßte, weckten bie Luft in ihm, Aehnliches zu verfuchen, 
und fo wagte er es, im Jahre 1805 mit einer Sammlung 
Balladen (Border Ballads) heruorzutreten, welche durch Wal⸗ 
ter. Sestt’8 wohlwollende Empfehlung: eime ſreundlichere Auf⸗ 
nahme fanden, ald fie eigentlich verdienten. Hogg's ſpaͤteres 
Wert (The (ueen’s veake) beivied indefien, daß fein großer 
Laudsmann wicht zu viel von ihm erwartet habe. Es enthält 
Die. Beſchreibung eines Feſtes, am Dorabende der Einweihung 
einer Kirche, bei welchen Marie Stuart mit ihrem Gefolge 
zugegen iſt. ine Anrede des Dichters au feine Harfe bes 
gitmt dad Ganze, — Dann geht er zu dem Gegenſtande feis 
ner Schilderungen Aber. Maria Stuart hat alle Minſtrels 
und Sänger ihres Reiches zu einer Wache eingeladen, wähs 
rend dev drei Weihnachtstage. Sie follen in Gefängen mit 
einander wetteifern und eine reich geſchmuͤckte Harfe ift der 
Kohn des Siegerd. — Unter ben Bewerbern iſt auch Rizzio, 
doch Gardyne, ein Eingeberener, erringt den Preis. — Die 
englifchen Kritiker find hier nicht der Meinung des Dichters, 
fie fprechen die Krone dem Kilmeny, einer mährchenhaften 
Poefie des Barden von En zu. — Es fcheine überhaupt, 
ald wenn Hogg ſolche Gegenſtaͤnde am Liebſten behandelte, 


— 362 — 


weshalb er auch den Titel bed Hoſdichters der Feen von feis 
nen Laxböleuten erhalten hat, — Lebendige Schilderungen, 
Wärme des Gefühls und eine höchft behagliche und angeneh⸗ 
me Laune zeichnen Hogg’s Leiflungen aus; er kann mit Necht 
für einen nationalen Dichter gelten, — Seine übrigen Ge 
Dichte erreichen das eben erwähnte nicht, doch beruht fein Pil- 
grim of the Sun (Edinburgh 4815) auf einer. fehönen Idee, 
die nicht ohne Talent durchgeführt iſt. Es erzählt dad Schick⸗ 
fal eines lebendig begrabenen Mädchens, deſſen Geift während 
feiner Lethargie in der Sonne ifl. — 

Barry Cornwall, oder, wie er eigentlich heißt, Proc 
ter, fleht an Originalität bei Weiten den vorigen Beiden 
nach, doch befigt er viel: glückliches Talent. — Er hat fick 
an den größten Dichtern feiner Nation heraufgebildet, und feine 
Mufter mit Gefchmad nachgeahmt, auch weiß er die Sprache 
mit Geſchick zu behandeln, nur fchreibt er zu viel. — Unter‘ 
feinen biöherigen Leiftungen möchte wohl feine poetiſche Erzaͤh⸗ 
Yung A Sicilian Story als die gelungenfte zu betrachten. feyn. 

.Dem Bereine. von Diehtern, welcher ber faft erlahmten 
Poeſie Englands im neunzehnten Fahrhunderte wieder einen fo 
hohen Schwung gab, haben fich mehrere Frauen wuͤrdig zuge⸗ 
felt, die mit großem Erfolge fich dem Dienfte der Muſen 
widmeten. — Unter ihnen find befonders Johanna Bail⸗ 
lie, als dramatifche Dichterin, Miß L. E. Landon, wegen 
ihrer reichen poetifchen Erzählungen, und Lady Morgan als 
Romanfchriftftellerin hervorzuheben, indem fie gleichſam als 
Repraͤſentantinnen fuͤr die verſchiedenen Faͤcher, in denen ſie 
ſich verſuchten, gelten koͤnnen. — Zwar verdienten die ſchoͤ⸗ 
nen Gaben der Damen Edgeworth, Inchbald, Porter, 
Radeliffe, Hemans, Grant-Laggan u. ſ. w. eigentlich | 
nicht minder Erwähnung, aber Zeit und Raum. geftatten mie 
nicht, bei ihmen zu verweilen, und ich darf Sie nur. auf die 
Namen derſelben aufmerkſam machen. 

Die ſchwerſte Aufgabe ſetzte ſich unſtreitig Joanna Bail⸗ 
lie, als ſie ſich vornahm, die Leidenſchaften des menſchlichen 








— 363 — 


Herzens in einer Neihe bramatifcher Gemälde, und zwar fb 
darzuſtellen, daß fie dieſelbe Leidenfchaft immer von zwei Sek 
ten auffaßte und fie’ erft im einem Trauerſpiele, dann in einer 
Komödie, vorüberführte, — Trotz dem, daß fie biefem Uns 
ternehmen, dem kaum ein Shakſpeare genügt hätte, nicht ges 
wachien war, muß man ihr doch einräumen, bie von ihr ers 
wählten Stoffe mit großem Talente behandelt zu haben. — 
Eine faſt männliche Kraft iſt überall vorherrfchend; fie verfteht 
ihre Charactere wohl zu entwickeln, und fie handelnd in lebens 
Dige Bewegung zu feßen; ber Plan der einzelnen Stuͤcke ift 
kunſtreich angelegt, die Situationen find geſchickt herbeigeführt, 
aber Alles ift zu fehr aus dem Rohen gehauen; bie Pinfels 
ſtriche erfcheinen zu grob; es gilt ihr nur ber Haupteindruck, 
und fie vernachläffigt die feineren Nuancen und leiſen Webers 
gänge, welche allein jedem Kunſtwerke erſt Rundung und 
Vollendung geben. — An Klarheit und Tiefe fehlte es ihr 
jedoch nicht, und wäre fie weniger gewaltfam, fo winde fie 
mehr wirken. Ihre Sprache ift beredt, bilderreich und wahr, 
doch mangelt ed ihr an dem zauberifchen Schmelze ber Farben, 
den man ungern, vorzüglich da, wo die milderen Empfinduns 
. gen des Herzend gefchilvert werden follen, vermißt. — Zur 
Betätigung des eben Aufgeftellten möge die nachfolgende Ana⸗ 
Infe des Trauerfpield, in welchem fie den Haß barftellt, dienen. 

Graf Montfort, von blindem Haffe gegen einen verdienfts 
vollen Edelmann, Rezenvelt, getrieben, hat fein Stammfchlog 
verlaffen und fich nach der Stadt Amberg begeben, wo ihn 
batd nach feiner Ankunft der Graf und die Gräfin Freberg 
freundfich bewillkommnen, und der Letztere ihm verfpricht, ihn 
mit einem fehr liebenswuͤrdigen Manne bekannt zu machen, 
Diefer ift aber Fein Anderer, ald eben Rezenvelt, der in einer 
darauf folgenden Scene eintritt und nur mit großem Kampfe 
von Monfort geduldet wird. — Bei einem Feſte, das der 
Graf und die Gräfin veranftaltet haben, erfcheint ploͤtzlich 
Montfort's herrliche Schwefter, Johanna, bie in großer Sorge 
ihrem Bruder nachgefolgt ift, fie wohnt verſchleiert ber Geſell⸗ 


% 


— 36 — 


ſchaft bei; Montfort, ohne zu ahnen, daß ſie es ſey, bricht 
begeiſtert in ihr Lob aus, und ſie giebt ſich zu erkennen, als 
er eben ihren Schleier luͤften will und Rezenvelt im Begriffe 
iſt, ihn daran zu hindern. — In der hier mitgetheilten Scene 
nun bekennt Montfort der Schweſter die Urſache und die Fol⸗ 
gen ſeines Haſſes mit folgenden Worten: 


De Montfort.*) 
Zu Deinen theuren Füßen laß Bekenntniß 
Mich ablegen! Doch, ad, verachten wirft Du 
Mih! Denn es wüther wild mir in ber Bruft, 
Ha, einer Leidenfchaft Gluth, der Dein Herz 
Verfagen jedes Mitgefähl muß; eine — 
Die mir mein nächtlid) Lager macht zur Quaal! 
‚Den Tag zur Peſt; zur Folter Menſchenanblick! 
Ach, Jane, Du wirft mich verachten! 
Sane. 
Sag’ 

Das nit! Ich kann Dich nie verachten, theurer 
Bruder! Kein mildes Herz verweigert Mitleid 
Der Liebe fcharfen Stichen, grauſer Pein 
Der Eiferſucht ... 

De Montfort. 

Der Liebe? ſagſt Du? Sprich: 
Des Haſſes! ſchwarzes, dauerndes, unnach⸗ 
laſſendes Todeshaſſes! ... Der, der war's; 
Der trieb aus ſtiller Friedenswohnung, aus 
Geſell ger Heimath, von der Menſchen Antlitz 
Mich weg, unſteter Wanderer zu ſeyn; 
Verfluchend „.. und „.. verflucht! 
Jane. 
De Montfort, ich 

Erſchrecke! Ja, furchtbar iſt das! entſetzlich! — 
Welch Weſen denn, das der Allguͤtige 
Aus Fleiſch und Blut wie Dich gebildet, konnte 


) Da ich das Original nicht bei der Hand habe, fo kann id Th: 
nen nur die Cramer'ſche (Amſterdam und Leipzig, 1806) Ueber: 
feßung mittheilen. 








365 — 


In Deiner Bruſt foldy wilden Sturm erwedien? 
Haß gegen Deines .... Gleichen! Menſchenhaß! — 
O, runzle nicht die Stirn fo! Valle nicht 
Die Zauft fo Erampfiche! Welcher böfe Feind 
Fuhr in die Bruft Dir, ach, Dich zu verderben? 
Bekämpf’ ihn, edler Bruder, ringe, ringe mit 
Dem fhwarzen Widerſacher! treib’ ihn aus! 
Fluch' ihm ... und er wird weichen! 
De Montfort. 
Mein, er weicht 


Nicht! 
(tegt feine Sand auf die Brut). 
Allzulange hab’ ich ihn genährt 
Hier! Fuͤhlte feine Klauen mich umtaften 
Seit früher Jugend .... Ja, gehaßt dab’ ich 
Ihn ſchon als Kmabe! 
Lane. 
Wen? wen meineft Du? 
De Montfort. 
Ben? — Ha, den verabfcheuten Rezenvelt! — 
Ya, da wir, Kinder noch, zuſammen fpielten, 
Anfeindeten, gleich einem jungen Wolfspaar, 
Wir uns einander; mistraunvoll grinft' er 
Mid da Shen an, und wohl vergalt' ich's ihm! — 
Und als dem reifern Alter Beid' entgegen 
Wuchſen ... wie ward mir ſtets verhaßter da 
Des Niederträcht'gen fchlaue Tuͤcke, feine 
Bosheit, verhält in den gezierten Leichtfinn, 
Der giftigen Spötteleit ... 
Hein, nein, auf Erden lebt kein Wefen, das 
DBegreifen feiner Seele Schwärze kann; 
Sein Waulwurfsgraben gegen jeden Edlen, 
Den über feine Nichtigkeit Verdienſt 
Erhebt. Als einft noch nicht das Gluͤck ihm lachte, . 
Und er auf And'rer Habe nur binfchielte, 
Wie Nachtgevögel kraͤchzend auffliegt gegen 
Der Sonne Licht aus dunkler Höhle ... da 
Konnte’ ich's noch dulden; wie man wohl des Wurms, 
Auf den man tritt, ohnmaͤcht'gen Stich erträgt; 


- 366 


Doch, da er auf zu Ehr’ und Würden klomm, 
Der Kamm ihm wuchs vom neugebadnen Adel, 
Und Sott, ihm Muth erweckend, feinen Sinn 
Mit ... Gott weiß was, für Einbildungen fchwellte; 
Schmeichler auf jedem Schritt fein Lob pofaunten: 
Ah! .... Nein, das war nicht länger auszuhalten! 
Es machte mic wie rafend! ... Was gäb’ ich 
Darum, die aufgeblasne Kroͤte zu | 
Zermalmen .... ja, fo. herzlich Haß’ ich ihn. 

Jane. 
Was hoͤr' ich? Ihn zermalmen moͤchteſt Du, 
Der Dir — erinnerſt Du Dich nicht des Kampfes mehr? — 
Das Leben ſchenkte, da er's nehmen Dir 
Gekonnt! das Du, jachzornig, ſo aufs Spiel 
Geſetzt, ihm ſein's zu rauben? O 's iſt ſchrecklich! 

De Montfort. 

So haſt Du von dem Zweikampf denn gehoͤrt? — 
Ich glaubt', er ſey vor aller Welt verborgen, 
Der Handel ... Die am meiſten! 

Jane. 








Ja, man hat 

Mir's zugefluͤſtert. Und ſogleich beſchloß ich, heim⸗ 
zukehren. Haſt Du meinen Brief denn nicht 
Empfangen? 

De Montfort. 

| Sa, ich hab’ es. Ehen das 
Trieb mid) hieher. Sch konnt” es nicht vertragen, 
Dir wieder vor den Blick zu kommen. 
Jane. 
Ach, 

Wie ſehr bereu' ich's, daß, durch meiner Schweſter 
Dringen vermocht, ich je Dein Haus verließ! 
Die wenigen vergang'nen Monden von 
Abweſenheit, die haben, leider! all 
Das Ungluͤck uͤber unſer Beider Haupt gebracht. — 
Waͤr' ich geblieben, es waͤr' nicht geſchehn! 
Und dennoch, daͤucht mich, ſollte Dich der Unfall 
Nicht ſo bewegen. Wareſt Du's nicht ſelbſt, 
Der auf den Platz ihn forderte? Ihr fochtet 





— 367 — 
. Beide muthvoll; ihm ward das Gluͤck, Dich zu . 
Entwaffnen; hoͤflichſt, reicht” er, jagt man, 
Das Wehr Dir wieder; Du. verweigerteft, 
Didy mehr mit ihm zu fchlagen; und ihr fchiedet, 
Erzähle man auch, als Freunde drauf. 
De Montfort. 
| Da er 

— &o wollt’ es der heiflofefte Zufall — 
Sa! — bie verdammte Klinge mir entftreifte, 
Sreilih, da ſchont' er meiner! aber nur 
Teuflifher Hochmuth war es, ber ihn trieb! 
Daß feine volle Weid' er haben möchte, 
Auf immer mich befhämt zu fehn; gebunden, 
Dantpflihtig ihm für folhes Edelmuchs, 
Verwuͤnſchte Gunſt. Wie brüfter er fich jetzt 
Damit; und hoͤhnt mid ungeftraft; 
Wie einen Hund man fchlüge, dem ein Maulkorb 
Das Beißen wehrte! ... Ha, verfluchter Tag! 
Bis dahin kannt' ich nicht die Hoͤllenquaal, 
Die jegt in meinem Bufen lodert!. Nein! 
O, daß auf ihn des Himmels Blige ſtuͤrzten! 

Jane. 
Maͤßige Di, mein Bruder. Schauder faßt, 
Bei ſolcher Heftigkeit Verwünfchung, mid. 
Hoͤr' auf, Hör’ auf; und fürchte, daß Dich feldft 
Der Zorn des Himmels treffe... 

De Montfo rt. 
Mög ers! Kann er 

Zufegen meiner Auaal? Endlog iſt fie! 
Vernichtung, der des Menfchen Herz erbebt, 
ir Segnung mir, wär Ende meiner Schmerzen! 

Sane. 
BAR Du durch ſolche Worte denn mich tödten? 

De Montfort (feine Hände aufhebend.) 
Moͤcht' ich feinen Untergang nur ſchau'n! 
So lange nur noch leben; dann auf ewig 
Mein Auge fchließen! 


— — — 


— 38 — 


Umſenſt ſucht fie ihn zu beruhigen, und führt ihn auf 
ihr Zimmer. Im dritten Aufzuge befchließt die Gräfin Fre⸗ 
berg, eiferfüchtig auf das Lob, das von allen Seiten und bes 
ſonders von ihrem Gemahle der edeln Johanna gefpendet wird, 
auszubreiten, fie fey eigentlich nicht ihres Bruders, fondern 
Rezenvelt’3 wegen, den fie heimlich Tiebe, nach Amberg ges 
tommen, — Johanna verfucht eine Ausföhnung zwifchen Res 
zenvelt und ihrem Bruder, welche ihr aber nicht ganz gelingt. 
— Das Gerücht, das die Freberg .erfonnen, wird auch Mont⸗ 
fort hinterbracht; er zwingt Rezenvelt zum Kampfe, wird aber 
von ihm entwaffnet und auf höchft edle Weile behandelt; da⸗ 
durch erreicht fein Haß die höchfte Spige, er lauert feinem 
Feinde im Walde auf und ermordet ihn. — Die Leiche des 
Getödteten wird nach einem nahen Klofter gebracht, Montfort 
ebenfalls im Walde gefangen und dorthin geführt, befennt feine 
That. — Es folgt nun eine Reihe von mächtig ergreifenden 
Scenen, in welchen die Gewiſſensbiſſe, die den Mörder quaͤ⸗ 
len, verfinnficht werden; endlich führt die gewaltfame Erfchüts 
terung feiner Seele auch feinen Tod herbei. — 

Diefed Trauerſpiel machte, bei geringer Abänderung, gros 
ßes Gluͤck auf der englifchen Bühne, wozu das meifterhafte 
Spiel Kembled und der Miß Siddons, ald Montfort und 
Johanna, nicht wenig beitrugen. — Demungeachtet iſt nicht 
zu verkennen, daß ed bei bedeutenden Schönheiten auch an 
bedeutenden Fehlern leidet, welche hauptfächlich in den bereits 
bei der allgemeinen Characteriftiif von Johanna Baillies Werken 
erwähnten Umftänden ihren Grund haben. — Es wäre nur 
Wiederholung, wenn ich diefelben noch befonderö hier nachwei⸗ 
fen wollte, da fie zu deutlich in die Augen fpringen. — 

Der Haß, der Ehrgeiz und die Liebe find die drei Leiden- 
fchaften, welche die Verfaflerin in vier Trauer⸗ und drei Luſt⸗ 
fpielen darzuftellen verfuchte., — Die Luftfpiele leiden, fo 
trefflich die geniale Frau auch die allgemeinen Züge und das 
Leben aufzufaflen verfteht, doch befonderd daran, daß fie bes 
ſtaͤndig mit zu flarken Farben auftrigt und ihr die eigentliche 





— 369 — 
fomifche Kraft, vorzüglich in der Ausführung der Einzelnheis 
ten, im hohen ©rade fehlt. — 

Was ich eben ald Mangel an den Werken der Johanna 
Baillie rügte, das befigt Miß L. E. Landon, eine fehr ges 
feierte und talentvolle Dichterin der neueften Zeit, wieder zu 
ſehr, weshalb ich fie eigentlich eine poetifche Miniaturmalerin 
nennen möchte. Sie ift befonders ein Günftling der englifchen 
Damen, und verdient diefe Vorliebe mit Rechte. Geſchmack, 
Reichthum der Phantafie, Eleganz der Sprache und Harmo, 
nie des Verfed find die Hauptzierden ihrer Leitungen, welche 
fehr an Moore's Meiſterwerke erinnern, die auch wohl ihre 
Vorbilder find. — Tiefe geht ihr jedoch durchaus ab, fie 
fpielt gewandt auf der Oberfläche der Fluthen des Lebens, und 
die Wunder und Schrecken des Grundes kümmern fie nicht. 
ihre drei größeren Gedichte, the Improvisatrice, the gol- 
den violet und the Troubadour, find eigentlich nur als 
Mahmen für eben fo viel Sammlungen von romantifchen und 
hiftorifchen Bildern zu betrachten. — Grazie ift der Haupt: 
reis der alle ziert. — Sie liebt indeffen, mehr die Situatios 
nen, als die Begebenheiten zu fehildern, denn fie weiß nur 
zu wohl, daß fie nicht die Kraft befikt, die letzteren Aufga⸗ 
ben mit eben dem Erfolge zu loͤſen. — Unter ihren kleineren 
Gedichten ift manches fehr Gelungene, vorzüglich in den Be⸗ 
fchreibungen der Werke neuerer Malerei, mit welchen fie fich 
vorzugsweiſe befchäftigt, und bie fie mit großem Geſchick poes 
tifch zu reproduziren weiß, — Ich laſſe folgendes Fleinere 
Gedicht zur näheren Kenntniß folgen. 

Roland's Thurm.) 


Eine Sage vom Rhein. 
Simmel! der Liebe tiefe Treue! 


Wo gleich dem Roß, das vor dem Sporn fich bäumt, 


”)Roland’s Tower. 

O heaven, the deep fidelity of love! 

Where, like a courser starting from the spur; 
Rushes the deep-hiue curzent of the Rhine, 


24 


—— 370 — 


Der dunkelblaue Strom des Rheins dbabinraufcht, 

Ruht eine Kleine Inſel; größtentheils 

Entfpringen nur Cypreſſen dort dem Boden, 

Die ſchweren Zweige über Steine fenkend, 

Die Gräber, lang vergeflene, bezeichnen. 

Einf ftand ein Klofter hier; es finden ſich 

Noch Trümmer and’rer Tage, Pfeiler, Mauern, 

Bermittert und entfärbt, doch fo bedeckt 

Mit Epheukraͤnzen, daß der Zahn der Zeit 

. Raum fihtdar wird; wie ähnlich find fie doch 
Dem überfalfchen Aeußeren der Welt: Ä 

Die Außenfeite zeigt ſich frifch und fchön, 

Doch Brand und Wurm und Faͤulniß wirken d’runter, 

Bis endlich ganz zu Trümmern wird das Herz. 

Dort zeichnet ſich ein Grab vor Allen aus, 

Nur durch ein ganz natuͤrlich Monument; 

Es wuchſen taufend dunkelblaue Weilhen 

Ueber der Stätte. — Veilchen lieb’ ich fehr. 

Sie fünden ung die Maͤhr von Frauenliebe; 

Sie oͤffnen fid) dem erften Fruͤhlingshauch, 


A little island rests; green cypresses 
Are its chief growth, bending their heavy boughs 
O’er gray stones marking long-forgotten graves. 
A convent once stood here; and yet remain 
Relics of other times, pillars and walls, 
Worn away and discoloured, yet so hung 
With wreaths of ivy that the work of rain 
Is scarcely visible. How like this is 
To the so false exterior of the world! 
Outside all looks so fresh and beautiful ; 
But mildew, rot and worm, .work on beneath, 
Until the heart is utterly decayed. 
There is one grave distingnished from the rest, 
But only by a natural monument: 
A thousand deep-hlue violets have grown 
Over the sod. — 1 do love violets: 
‚ They tell the history of woman’s love; 
They open with the earliest breath of spring; 








— 371 — 


Aus Düften, Licht und Thau webt fi ihr Daſeyn, 
Und fterben fie, fo enden fie mit Seufzern, 
Schön wie ihr Leben; — in des Juni Hige 
Verfenden keine Wohlgeruͤche fie, 

Die Blumen mögen bleiben, doch ber Duft, 
Der reihe Duft der Blätter ift dahin; 

Das Köjtlichfte verloren fie, gleih Frauen, 
Die fid) der. wilden Gluth der Leidenfchaft 
Hingaben in verhängnißvollee Stunde: — 
Die Reinheit ift der Liebe Veilchenhauch. — 


Am Ufer gegenüber fteht ein Thurm 
An Trümmern, mit dem Trauerkleid von Moog, 
Das auf den eingeftärzten Mauern hängt, 
Die ihren Schatten auf die Fluthen werfen; 
Er überzieht die fonnenhellen Wogen 
Gleich jenem Dunkel, das ein traurig Schickſal 
Wirft auf des Herzens junge Fröhlichkeit. 


Ich fah den Fluß an einem Sommerabend, 
Die Sonne ging In Korngefilden unter — 





Lead a sweet life of perfume, dew and light; 
And, if they perish, perish with a sigh 
Delicious as that life; on the hot June 
- They shed no perfume: the flowers may remain, 
But the rich breathing of their leaves is past; — 
Like woman, they have lost their loveliest gift, 
When yielding to the fiery hour of passion : 
The violet-breath of love is purity. 


On the shore opposile a tower stands 
In ruins, with a mourning-robe of moss 
Hung on tie gray and shattered walls, which fing 
A shadow on the waters; it comes o'er 
The waves, all bright wifh sunshine , like the gloom 
Adversity throws on fhe heart's young giadnem. 


I saw the river on a summer -eves 
The sun was selling over. helds of com, — 


24* 


— 372 — 


Sie glichen einer goldnen See; zur Linken 

Sah man Weinberge; ihre Trauben glaͤnzten 
Rubinen gleich — und jenſeits breitete 

Sich eine weite Haide, dicht bedeckt 

Mit Ginſter, deſſen helle Bluͤthen gleichen 

Den Freuden dieſer Welt, ſchoͤn in der Ferne, 
Doch, wenn erreicht, nur von geringem Werth, 
Und durch die feſten Dornen ringsum dringend. 
Es zeigte wilder noch und ſteiler ſich 

Das Ufer an des Fluſſes and'rer Seite; 

Gleich Kriegern hoben hohe Fichten ſich. 

In ihrer Bluͤthe ganzer Ueppigkeit 

Wuchs dort die wilde Roſe, ausgeſaͤt 

Vom Wind, vom Thau genaͤhrt und von der Sonne, 
Am Wege flanden Kreuze grau und alt, 

Die armer Wand'rer Schickſal Fündeten. 
Zwergeichen füllten, Fähren rings die Schluchten, 
Und auf den Höhen, die das Hebrige 
Beherrfchten, vagten Burgen hoch empor, 

Bon Eulen jegt und Spinnen nur bewohnt, 


Twas like a golden sea; — and on the left 

Were vineyards, whence the grapes shone forth like gems, 
Rubies, and lighted amber; and thence spread 

A wide heath covered with thick futze, whose flowers, 
So bright, are Kke the pleasures of this world, 
Beautiful in the distance, but, onte gained, 
Little worth, piercing through the thorns which grow 
Around them ever. Wilder and more steep 

The banks upen the river’s other'side: 

Tall pines rose üp like warriors; the wild rose 

Was there in all its luxury of bloom, 

Sown by the wind, nursed by the dew and sun: 
And on the steeps were crosses gray and old, 

Which told the fate of some poor traveller. 

The dells were filled with dwarfed oaks and firs; 

And on the heights, which mastered all the rest, 
Were castles, tenanted now by the owl, 

The spider’s garrison: there is not one 





=— 373 — 


Doch keine ohne alte Wunderſage 

Aus jener Zeit, wo Liebe, Tod und Leben, 
Als Frauenhandſchuh oder gold'ne Locke 
Zum Banner dienten in der wilden Schlacht. 
Bon jenem Thurme auf der Meinen Inſel 
Verichtet meine Oage. — 


In feiner Halle Herbert ſaß; das Feuer 
Des Heerdes flammt’, als ſpottet' es des Sturms 
In feiner Gluthen Luftigkeit; es ſtreckten 
Ringsum die Rüben fih; der alte Herr 

FEntledigte fi) feines SJagdgewandes, 
Und horchte auf die Laute und den Gang 
Der Jungfrau, die zu feinen Füßen fa — 
In jener erften Frühlingszeit des Lebens, 
Wo Megenbogen Regenfchauer bringen, 
Und wo das Herz in voller Kraft und Bluͤthe, 
War Sfabelle; eine Neihe Perlen, 
Weiß wie die holde Stirne, die fie ſchmuͤckten, 
Hielt ihre Loden ab vom Antlitz; doc) 
Die wallten bis zu ihren Füßen nieder. 


Without some strange old legend of the days, 

When love was life and deatä, — when lady’s glove 
Or sunny curl were banners of the battle. — 

My history is of he tower which looks 

Upon the little island. 


Lord Herbert sat him in his hallı the. hearth 
Was blazing as it mecked the storm wilhout 
With its red cheerfulness: the dark hounds lay 
Around the fire; and the old kaight had doflcd 
His hunting-cloak, and listened te the lute 
And song of ihe fair girl who at his knce 
Was seated. In the April-hour of life, 
When showers are led by raiabows and the heart 
Is all bloom and green leaves, was Isabelle ; 
A band of pearls, white like ihe brow o’er which 
They past, kept the bright curls fram of the forchead ; theace 
They wandered to ber feet — a golden shower. 


— 3174 — 


Ein gold’ner Guß; die Farbe wechfelte 

Huf ihrer Wange, die fo deutlich zeigt, 

as fi) im Herzen regt; die blauen Augen, 

So dunkel wie der Sonnenhimmel, waren 
Jedoch fo fröhlich nicht; zu feidenfchaftlich 
Erfchienen fie, um reines Gluͤck zu zeigen. 

Es ſtrahlt' ihr Blick, und ihre Wange blähte; 
Ihr Lied erweckte ihres Stammes Geift 

Auf ihrer Stirn; des jungen Roland’s Thaten 
Beendigte fie eben, wie ein Heer . 

Er ganz allein befämpft’ und Äberwand. 

Da trat ein Pilger in die Halle — nie 

Bat dort ein Fremder um den Schuß vergebens ! 
Man fpreitete das Mahl; der Rheinweinbecher 
Ward froh geleert; dann fammelten fie wieder 
Sid um den Heerd; die Sungfrau fang von Neuem, 
Und als das Lied geendet, vief fie aus: 

„Ich gäbe Welten d'rum, den Held zu fehn, 
Den tapfern Roland; er vereint in fich, 

Was Männer ehren, Frauen lieben muͤſſen.“ 





She had that changing colour on the check 
Which speaks the heart so well; those deep-blue eyes, 
Like summer’s darkest sky, .but nat so glad — 

They were to passionate for happiness. 

Light was within her eyes, bloom on her check, 

Her song had’ raised the spirit of her race 

Upon her eloquent brow. She had just told 

Of the young Roland’s deeds, — how he had stood 
Against a host and conquered; when there came 

A pilgrim to the hall — and never yet 

Had stranger asked for shelter and in vain! 

The board was spread, the Rhenish flask was drained; 
Again they gathered round the hearth, again 

The maiden raised her song; and at its close, — 

»I would give worlds,« she said, »to see this chief, 
This gallant Roland! I could deem him all 

A man must honour and a woman’ love!» 








— 375 — 


„O Herrin, nimm bie Rede nicht zuruͤck, 

Denn ich bin Roland — und von feinem Autlitz 
Riß er die Kappe, warf das Kleid von ſich, 

Bor Iſabelle niet ein junger Ritter. 


Sie Tiebten, mit Erwiederung der Liebe, — 
Mas man Gluͤck nennen kann, id, ſprach es aus, 
Das junge Herz in feinen wilden Schlägen 
Hat folhen Reichthum, und die Liebe bringt 
Der Liebe Schäge an das Licht. — Einſt liebt” ich 
Wie Jugend, Frauen, Genius lieben — jest 
Iſt kalt und wuͤſt mein Herz, und hat gelernt, 
Der falfhen Dinge falfcheftes zu tragen. 
Ein lächelnd Antlitz — eine Larve nur, 
Doc jeder Puls ftürmt bei dem Angedenken 
Vergang'ner Zeiten, Lieb’ ift wie ein Glas, 
Das Alles nur in feiner Farbe zeigt 
Und es verfhönt. — Am herrlichſten, des Morgens, 
Wenn Hold fein frifcher Hauch die Wange färbte, 


»Lady, I pray thee, not recall those words, 

For I am Roland!« From his face he threw 

The hood and pilgrim’s cloak, — and a young kaight 
Knelt before Isabelle ! 


They loved; — they were belored. Oh, happiness | 
I have said all that can be said of hliss, 
In saying that they loved. The young heart has 
Such store of wealth in its own fresh wild pulse; 
And it is love that works ihe mind, and brings 
Its treasure to the light. I did love once — 
Loved as youth — woman — genins leves; though now 
My heart is chilled and fear, and taught to wear 
‚ That falsest of false things — a mask of smiles; 
Yet every pulse throbs at the memory 
Of that which has been! Love is like the glass, 
That throws its own rich colour over all, 
And makes all beautiful, The morning looks 
Its very loveliest, when the fresh air 
Has tinged the check we love with its glad red; 


— 376 — 


Die uns entzücts der heiße Mittag flieht 

So fchnell vorüber, wenn geliebte Augen 

Mit uns die Diätter Äberfliegen, bie 

Des Dichters Liebesgruß enthalten: dann 

Das Wandeln in der ftilen Dämmerung,' 

Wenn der verſchlung'ne Arm des Herzens Schlagen 
Kann fühlen; dann ruhn Klänge in der Luft, 

Die man nod) nie vorher vernahm, ein Licht, 


Ein Licht, das nimmer wieder unfre Augen fchauen: 


Ein jeder Stern bringt füße Hoffnungsbotſchaft, 
Und jede Sage, jedes Lied, die uns 
Bon Liebe reden, fheinen nur ein Echo 
Des eig'nen Inneren. — 

Die Zelt verfloß, 
& wie fie ſtets verfließt, wenn ihr die Liebe 
Die bunten Fluͤgel leiht — es hatte Fruͤhling 
Mit Sommer ſich vermaͤhlet — als ein Roß 
Vor Herbert's Pforte ſtand — und Iſabelle 
Ihr Lebewohl in Thraͤnen Roland ſagte 
Und eine blaue Schaͤrpe ihm geſchenkt. — 





And the hot noon flits by most rapidly, 
When dearest eyes gaze with us on the page 


Bearing the poet’s words of love: and then . 


The twilight-walk, when the linked arms can feel 
‘The beating of the heart; upon the air 
„Ihere i is a musie never heard but once, — 
y\ light the eyes can never see again; 
Each star has its own prophecy of hope, 
And every song and tale that breathe of love 
Scem echoes of the heart. | 

And time past by — 
As time will ever pass, when Leve has lent 
His rainbow-plumes te aid his flight — and spring 
Had wedded with the summer, when a steed 
Stood at Lord Herbert’s gate, — und Isabelle 
Had wept farewell to Roland, and had given 
Her blue scarf for his colours. He was gone 





— 377 


Fort zog er, die Bafallen aufzubieten, 
Denn Herbert's Thürmen droht Belagerung, 
Und Roland fhwur bei Iſabellen's Hand, 
Als Sieger nur, um fie fid zu bewerben. 
Der Herbft lag auf den Feldern, als der Rhein 
Mit Blut fih färbte. — Herbert's Banner wallt, 
Und tapfer halten feine Mannen fich. 
Doch wo weilt er, der ihm zur Rechten wolite 
Sm Felde kämpfen — Roland? 
Iſabelle 

Wacht Tag fuͤr Tag, wacht Nacht auf Nacht vergebens, 
Bis hoffnungslos ſie bittre Thraͤnen weinte, 
An alte Sagen dachte, rief mit ihnen: — 
Auf Mannes Treue baut ſich eine Hoffnung! 
Sie ftand allein auf ihrem boden Thurm, 
Und fah, als ſich der Abenbdftern erhob, 
Ein fiegreih Banner räden in die Burg. 
Sie eilt hinab, die Kämpfer zu begrüßen, 

Die Krieger waren in der Kalle fchon — 


To raise his vassals, for Lord Herbert’s towers 
Were wmenaced with a siege; and he had sworn 
By Isabelle’s white hand, that he would claim 
Its beauty only as a eonqueror’s prize. 
Autumn was on ihe woods, when ihe blae Rhine 
Grew red with blood: — Lord Herbert's banner flies, 
And gallant is the bearing of his sanhs. 
But where is he who said that he would ride 
At his right hand to battle? — Roland! where — 
O where is Roland? 

Isabelle has watched 
Day after day, night after night, in vain, 
Till sbe has wept in hopelessness and thought 
Upon old histories, and said with them, 
» There is no hope in man’s fidelity!« 
Isabelle stood upon her lonely tewer; 
And as the evening-star rose up, she saw 
An armed train bearing her father's banner 
In triumph to the eastle. Dovwm she flew 
To greet the victors: — they had reached the hall 


Doch was erblickt fie dort? — weh, eine Bahre, 
Und auf der Bahre lag ihr theurer Water. 
An feiner Seite Eniete Roland nieder. 

Das Angeficht verhülfend mit den Händen — 
Doch Sfabelle kennt fein Lockenhaupt, 

Die ftattliche Seftaft, und warf in Trauer 
Sich an fein Herz — er aber wich zurüd, 
Als braͤchte fie Verzweiflung, Krankheit, Tod. 
„Ich war es, der den Vater Dir erfchlug. 
Ohnmaͤchtig ſank fie auf den Leichnam hin. 
Ad, es war nur zu wahr! — In Liebeshaſt 
Stürzt Roland ſich in’s dichtefte Gefecht, - 
Das Feld erreihend, als der Kampf begann, 
Und feine Farben nicht erfennend, traf 

Sein wildes Schwert den Water Iſabellen's. 


Sie fahen fih noch ein Mal — Sfabelle 
Erfchien, als wäre lange Zeit vergangen, . 
Sie war fo bleich, fo hager, ihre ‚Thränen 
Verwifchten ihrer Augen reihen Glanz. 


Before herself. What saw the maiden there? 
A bier! — her father laid upon that bier! 
Roland was kneeling by the side, his face 
Bowed on his hands and hid; — but Isabelle 
Knew the dark curling hair and stately form, 
And threw her on his breast, He shrank away. 
As she were death, or sickness, or despair. 
»Isabelle! it was I who slew thy father!« 

She fell almost a corpse upon the body. 

It was too true! With all a lover’s speed, 
Roland had sought the thickest of the fight; 

He gained the field just as the crush began; — 
Unwitting of his colours, he had slain 

The father of bis worshipped Isabelle! 


They met once more; — and Isabelle was ekanged 
As much, as if a lapse of years had past: 
She was so thin, so pale and her dim ae 
Had wept away its laxury of blue. 








— 379 — 


Sie hatte ihre Locken abgeſchnitten,“ 

Und trug ein ſchwarzes, finſteres Gewand 

Mit einem weißen Kreuz; es kuͤndete 

Ahr Loos; dem Himmel weiht fie ihre Jugend. 
An diefem Tage trat fie in das Kloſter. 

ie Marmor Falt und bleich und regungslos 
Stand Roland, dort — des Lebens einzig Zeichen 
War nur der kalte Schweiß auf feiner Stirn. — 
Endlich ergriff er die geliebte Schärpe, 
Die Iſabelle einft um feinen Nacken fchlang, 
Und gab fie ihr — und bat fie, hinter'm Gitter 
Der Zelle jeden Abend fie zu ſchwingen, | 

- Damit er wife, daß fie noch am Leben. 

Dann fchieden fie, und kamen nimmermehr 
Zuſammen. — Roland bante einen Thurm 
Jenſeits des Rheins, und wohnte dort und fah 
Die weiße Binde jeden Abend flattern, 

Und hörte Sfabellen’s Abendhymnus 

Im füßen Ton zu Ihm heräber dringen. — 





She had cut off her sunny hair, and wore 

A xobe of black, with a white ercifix: — 

It told her destiny — her youth was vowed 

To Heaven. And in the convent of the isle 

That day she was to enter, Roland stood 

Like marble, cold and pale, and motionless : 

The heavy sweat upon his brow was all 
His sigu of life. At length he snatched the scarf 
"That Isabelle had tied around his neck, 

And gave it her, — and prayed that she would wave 
Its white folds from the lattice of her cell 

At each pale rising of the evening star, 

That he might know she lived. They parted: — Never 
Those lovers met again! But Roland built 

A tower beside the Rhine, and there he dwelt. 

And every evening saw the white scarf waved, 

And heard the vesper-hymn of Isabelle 

Float in deep sweetness o’er the silent river. 


380 — 


Doch — eines Abends ſah er nicht die Sgarre, 
Er wartete vergebens, bis zuletzt. 

Sich feine Hoffnung in Verzweiflung wandelt. 
Er flehte, daß ihn Iſabelle möchte 

Vergefien Haben — es ward Mitternacht, 

Und mit Ihe kam des Klofters dumpfe Glocke, 
Fuͤr eine Adgefchiedene geläutet. — 

Da wußt' er, Iſabelle fen geftorben, 

Am andern Tage fenkt man fie in's Grab. — 
Der Mond befchien, als er am Himmel aufging 
Mit feinem bieihen Strahl, auf jener Stätte 
Dort einen Trauernden — und jenes Grab 
War Roland's Todesbett. — 


Als die geiftreichfte und fcharfimnigfte englifche Schrift: 
ftellerin ift wohl Lady Morgan zu betrachten. — Gie ver= 
eint in ihren Werken Originalität, Warme bed Gefühld, Wahr- 
heit der Empfindungen, und Tiefe mit einer höchft lebendigen 
Darftellung. Ihr Vater, ein Mr. Owenſon, hatte feine 
Vermögensumftände durch zu große Neigung für das Theater 
zerrüttet; er lebte abwechfeind mit den Seinigen in verfchiedes 
nen Gegenden Irlands, und fchon fehr früh mußte feine, 
durch ihre Talente für Muſik, Malerei und Dichtkunft gleich 
fehr ausgezeichnete Tochter ihre Kräfte anftrengen, um für 
die Subfiftenz der Ihrigen zu forgen, noch ehe fie den 
Grad der Reife und Ausbildung erlangt hatte, der zur Volls 





One evening, and he did not sec the scarf, — 

He watched and watched in vain; at length his hope 
Grew desperate, and he prayed his Isabelle 

Might have forgotten him: — but midaight came, 
And with it came the convent’s heavy bell, 

Tolling for a departed soul; and then 

He knew that Isabelle was dead! Next day 

They laid her im her grave; and the moon rose 
Upon a meurner weeping there: — that tomlı 

Was Roland’s death - bed! 











— 38 


bringung von Reiftungen im Fache der Kunſt unumgaͤnglich ers 

fordertich iſt. — Ihr erfter Roman, eine ſimple Nachaͤh⸗ 
mung beliebter Vorbilder, fand daher nur fehr geringen Bei⸗ 
fol; auch ihre darauf folgenden Arbeiten erfuhren manchen 
- gerechten Tadel, denn die in der Einfamfeit aufgewachfene 
Verfafferin hatte wohl den Character der fie umgebenden ros 
Mantifchen Naturfcenen aufzufaffen gewußt, aber das Leben 
und die Melt mit ihren wechfelnden Erftheinungen waren ihr 
ganz fremd geblieben, und alle ihre Werke mußten in dieſer 
KHinficht, da fie nur aus fich ſelbſt fehöpfen Tonnte, als vers 
fehlt erſcheinen, indem es ihnen an jener Wahrheit und Niche 
tigkeit fehlte, die ſich nur durch die genauere Kenntniß ber 
Geſellſchaft und ihrer Verhättniffe erwerben und aneignen laſ⸗ 
fen. — €8 hatte der genialen Frau jedoch nur an Gelegen- 
heit, nicht an Kraft gemangelt; denn kaum nahmen ſich Vere 
wandte ihrer an, als fie auch fehon jenen Grad der Meiftere 
ſchaft fich fchnell zu erwerben wußte, der fie fo rühmlich vor 
allen ihren Mitbemwerberinnen auszeichnet. — Im Fahre 1811 
machte fie die Befanntfchaft des Eir Charled Morgan, 
eined ausgezeichneten Arztes, mit welchem fie ſich bald darauf 
vermählte. Seit diefer Zeit Tebt fie in Dublin, troß den vie⸗ 
Ien Seinden, welche fte fich unter den Ultra's, vorzüglich durch 
ihre Schrift über Frankreich, zuzog, fehr geehrt. — 

Ihre vorzüglichften Werfe find: The wild Irish pirl, 
Ida, Odonel, Florence Macarthy; fammtlih Romane; 
France und France in 1829 and 1850; Italy; Reife und 
Sittenfchifderungen, und The life and times uf Salvator 
Rosa; dieſes Letztere, eine hiftorifche Arbeit, ziehe ich alten 
Mebrigen vor. 

Das lebte Werk ber Rady Morgan, France in 1829 
and 1850, ift reich an geiftoollen und Tebendigen Schilderun⸗ 
gen, und, was fehr zu feinem Gunſten fpricht, nicht fo voll 
von fihroffen und abftoßenden Urtheilen und Aeußerängen, wie 
man fie font wohl an ihr gewohnt iſt. — Zwar giebt fie 
eigentlich nur ein Gemälde von Paris, aber man kann nicht 


— 32 — 


angenehmer und erfprießlicher, noch in befferer Gefellichaft ſei⸗ 
‚nen Einzug halten ; die feinfte Sitte, auögezeichnete Kiugheit, 
und das Iebhaftefte Colorit beleben jedes Wort, und ver Leſer 
bat fich. den größten Genuß davon zu verfprechen, wenn er 
nicht ganz ohne Sinn dafür iſt. — ’ 

Unter den Nachahmern Walter Scott’s im: Sache der hie 
ftorifchen Romane, welche fich bekanntlich wie eine Epidemie 
über ganz Europa verbreitet haben, fteht wohl Keiner jo ſelbſt⸗ 
ſtaͤndig und glüdlich da, wie der Amerikaner Cooper, der mit 
dem größten Geſchicke die romantifchen Scenen feines: Bater- 
Inndes ald Hintergrund feiner Gemälde zu benußen weiß. — 
Er ift ganz der Sohn feiner Nation, eines Volles, das ei» 
gentlich nie eine Tugend gehabt hat, fondern gleich mit ten 
reifen Erfahrungen des Mannesalterö, mit jenem flillen En: 
thufiasmus und jener Thatkraft, welche die. Ruhe der Ueber⸗ 
zeugung giebt, den Schauplaß feiner Handlungen betrat, und 
daher mehr für eine fichere Ausbreitung auf der Oberfläche, 
als für ein Wurzel: Schlagen in der Tiefe forgte. Diefe Ei- 
genthümlichkeit zeigen daher auch alle: von Cooper in feinen 
Romanen gefchilderten Charactere, fie bewegen fich wahr, aber. 
durchaus ohne dichterifchen, von der Umgebung entlehnten, 
Schmud einher, was und an ihnen freut oder flört, ift daß 
wohl erworbene und erhaltene Befisthum ihrer Natur, ber 
Dichter hat nichts dazu gegeben; ja, der poetifche Eindrud, - 
‚den die romantifche Umgebung, in der fie fich befinden, auf 
den Lefer macht, bleibt durchaus ohne eigentlichen Einfluß auf 
fie, und jene dient nicht, wie in anderen ähnlichen Romanen, 
dazu, den Helden fchärfer und verfchönernder hervorzuheben, 
weil fie diefem fo ganz gewöhnlich ift, daß er fich gar nicht 
um fie zu bekuͤmmern feheint, — Gerade diefe Naturfchifves 
rungen find aber höchft bedeutend und glücklich bei Conper, er 
flellt den LXefer nicht auf einen Punkt, von wo er fie bequem 
außerhatb betrachten Tann, fondern er führt ihn mitten hinein, 
umgiebt ihn ‚mit den Schredien des Sturmes, des Waldbran⸗ 
des u. |. w., zwingt ihn, Theil zu nehmen, und erreicht nun, 








indem er feine handelnden Perfonen nur in fo fern damit in 
Verbindung bringt, ald es gerade in ihrer Tage nöthig iſt, ges 
rade dad, was ihm dad Wichtigſte fchien, die Harfte und 
deutlichfte, bis in das Kleinfte genaue und ſtets unbefangene 
Darftellung ihrer Eigenfchaften und ihrer Handlungsweiſe; Als 
les bleibt daher ſtets bei ihm in einem richtigen Verhältniffe zu 
feiner Umgebung. — Während z. B. der Leſer erfchredt und 
hingeriffen wird von dem Wuͤthen .eined wunderſchoͤn geſchilder⸗ 
ten Sturmes, fehlendert der junge Seemann, dem wir mit 
Sintereffe folgen, ruhig pfeifend auf dem Verdecke einher, bes 
obachtet kaltbluͤtig die Fortſchritte des Unwetters, denkt nur 
an die Schiffsmanoeuvres, und dieſer wuͤthende Orkan, voll 
erhabener Schoͤnheit, iſt fuͤr ihn weiter nichts, als ein etwas 
unverſchaͤmter Suͤdweſt, dem man zu Zeiten die Spitze bieten 
muß. — Das erzählt und aber der Verfaſſer nicht mit ges 
fuchten Worten, die zur WVerherrlichung feines Helden dienen 
follen, fondern das trägt fich Alles wirklich vor unferen Blik⸗ 
ten zu, und die Bemerkungen darüber bringen fich und von 
feibft auf. — Mit großer Gewandtheit, und das iſt eine der 
Gtanzfeiten von Cooper’d Talent, weiß er die Heinen Züge und 
Eigenheiten, die Nuancen und Schattirungen der Charactere 
heroortreten zu laſſen, und wir werden Daher nie einen feiner 
- Romane aus der Hand legen, ohne ein vollkommen deutliches 
Bild von jeder darin auftretenden Perfon erhalten zu haben. 

Der Hauptfehler Cooper's ift feine. übertriebene, nur zu 
oft ermuͤdende Umſtaͤndlichkeit; er befchreibt Alles, felbft die 
fupfernen Knöpfe auf den Roͤcken feiner Vorfahren, und ſcha⸗ 
det Dadurch, ‚weil er, indem er nichtd übergeht, das rafche 
Fortfchreiten hemmt, dem Suterefle fehr. — Die Lerture eis 
ned Cooperſchen Romand macht im erſten. Theile oft große 
Arbeit und felten Vergnügen, dad aber iſt die Hauptforderung 
bei einem Kunftwerfe, eine ſolche Harmonie in allen feinen 
Theilen, daß wir ed und mit, der größten Leichtigfeit aneignen 
koͤnnen, und gar nicht zu begreifen im Stande find, wie es 
nur Schwierigkeiten dabei geben Tonne. | 


/ 





33 — 


Was Eooper’s Leitungen endlich einen fo großen Werth 
verleiht, ift die - gefunde Sittlichfeit, welche in denfelben vor= 
herrſcht. — Im diefer Hinficht ſteht er noch über Scott. 
Seine (Cooper's) Menfchen find Menfchen wie wir, mit Tu⸗ 
genden und Laftern, mit Schwächen und Krankheiten, aber fie 
zeigen fich, wie fie einmal find, und ihr Schöpfer ftellt fie fo 
vor und hin, ohne fich Mühe zu geben, fie durch romantiſchen 
Aufpug und fchimmernde Reden glanzender erfcheinen laffen zu 
wollen, oder da Theilnahme zu erichleichen, we ein, nicht 
von der Krankheit der Zeit ergriffenes, Herz diefelbe auf das 
Entfchiedenfte verweigern muß. — Freiheit, im edelften 
Sinne des Wortes, ift dad Element, in welchem fich der ge: 
niale Amerilaner herum bewegt, wie der Vogel in der Luft, 
der Fifch im Meere. — 

Eine eigene Battung von Romanen ift in den letzteren 
Jahren, nachdem ſchon eine gewiſſe Ueberſaͤttigung in Hinſicht 
auf das hiſtoriſch⸗ romantiſche Genre eintrat, von den Englaͤn⸗ 
dern behandelt worden; ich moͤchte ſie die Klatſchromane nen⸗ 
nen, denn ſie enthalten weiter nichts, als Begebenheiten und 
Schilderungen aus dem geſelligen Leben der hoͤheren Staͤnde, 
meift von Mitgliedern dieſer Letzteren herruͤhrend. — Da fie 
fehr oft wirkliche Perfonen und Erfebniffe vorführen, fo find 
fie eigentlich, weil in den meiften Feine höheren Zwecke zu Grun⸗ 
de liegen, größtentheild nichts als verfeinerte hiftorifche Pas⸗ 
quille, deren Interefie nur von eben fo langer Dauer feyn 
Kann, ald der Strom der Zeit ihnen erlaubt, fich im Gedaͤcht⸗ 
niffe der- Dienge zu erhalten. — Almacks, Granby, Eng- 
lish abroad u. f. w. find die Namen einiger von diefer Gat⸗ 
tung, die ich eben nicht zur Lecture empfehlen möchte, fo 
lange man noch an Beſſerem Gefchmad zu finden weiß, — 
Eine fehr rühmliche Ausnahme macht jedoch: Mathilda, a 
tale of the day, von Lord Normanby, ein Roman, der fich 
durch tiefe Welt= und Menfchenkenntniß, einen glänzenden 
Styl und eine fehr gefunde Moral auf das Ruͤhmlichſte aus⸗ 
zeichnet. 


— 335 — 


Obgleich Fein Land fo bedeutende und große Vorbilder in 
der dramatifchen Poefte aufzuweifen hat, ald eben England, 
fo liegt doch Fein Zweig der Dichtkunft gegenwärtig fo in Bris 
tannien darnieder, ald gerade diefer. — Die Werke der beſ⸗ 
feren Dichter find faft nie bühnengerecht, und die buͤhnenge⸗ 
rechten Arbeiten der Schriftfteller zweiten Ranges find meift 
verunglücdte, nur auf den Effect berechnete Ausgeburten der - 
Phantafie, wie 3. B. Herbert’s weird wanderer of Jut- 
land und Maturin’d Bertrand. — Auch im Luftfpiele iſt feit 
der neueften Zeit nichts Vernuͤnftiges zu Tage gefördert wors 
den, und die beiden gefeierten Komödien Pride shall have a 
‚ fall und A school for grown children reichen ähnlichen Ars 
beiten von Sheridan, Goldſmith, Cumberland ꝛc. 
nicht das Waſſer. 


25 


ZzwdÖlfte Vorlefung. 


Holland. 


Veberficht der Gefchichte der Sprache und Litteratur der Niederlande. 
Hooft, Cats. Vondel. — Bilderdyk, Tollend, Feith, 
Kinker, nebſt Proben aus ihren Dichtungen. — Einige an⸗ 
dere neuere Dichter. 


Die hollaͤndiſche Sprache, eine Tochter der nordiſchen Sprach⸗ 
flämme, ward im dreigehnten Sahrbunderte zuerſt von den Ein- 
geborenen zu fchriftfielferifchen und dichterifchen Zwecken benußt, 
doch war ihr das Lateinifche Lange hinderlich, bis im ſechszehn⸗ 
ten Sahrhunderte, nach Erringung politifcher und religiöfer Frei⸗ 
heit, auch fie fich allgemeinerer Theilnahme erfreute. Seit die⸗ 
fer Zeit wurde, durch die Bemuͤhungen geiftreicher und gelehr⸗ 
ter Männer, eifrig an ihrer Ausbildung gearbeitet, und wiſſen⸗ 
ſchaftliche Vereine laſſen es fich in unferen Tagen befonders 
. ongelegen feyn, fie nach erprobten Grundfägen feft zu flellen 
und zu berichtigen, vorzüglich aber von allem Fremdartigen und 
Antinationalen, das fich im Laufe bewegter Jahre eindrängte, 
zu reinigen. — Deutſchem Ohre wird das nieberlandifche Idiom, 
wegen feiner nahen Verwandtichaft mit dem Plattdeutſcheu, 


— 397 — 


noch mehr aber durch den Umſtand, daß Worte und Ausdruͤcke, 
welche bei uns als Idiotismen gelten, dort ein volllommenes 
Bürgerrecht erlangt haben, und zur Bezeichnung und Darftels 
Iung der erhabenften Gedanken gebraucht werden, immer fremd⸗ 
artig erfcheinen , und mie ohne Fomifchen Eindruck für daffelbe 
ſeyn, denn der eben erwähnte letztere Umftand ift hauptſaͤch⸗ 
lich immer ungefähr der Wirkung zu vergleichen, die fich in 
und Außern würde, wenn wir einen ernften Mann fich ans 
ſchicken ſehen, in großblümigem Schlafrode, Pantoffeln und 
Nachtmüge eine Rede über Dinge von großem, allgemein 
menfchlichem Sinterefie zu halten. — Nachdem freilich ber 
erfte Smpuld überwunden, werden und allerdings feine Gedan⸗ 
ten und Meinungen fo zu fefleln im Stande feyn, daß wir 
alle ftörenden Nebendinge darüber vergeffen, und aufmerkſam 
feinem Sdeengange folgen, doch wird ed dem Redner nicht wes 
nig Muͤhe often, und dahin zu bringen. — Hierin mag wohl 
eine der Haupturfachen zu fuchen feyn, weshalb eben unſere 
Nation, die fich doch mit fo vielem Eifer die poetifchen und 
wiffenfchaftlichen Schäte fremder Völker anzueignen fucht, fich 
fo wenig um die Litteratur eined in vielfacher Hinſicht vers 
wandten Nachbarlandes befümmert, fo daß diefe faft ald ein 
"ganz unbelanntes Gebiet bei uns zu betsachten iſt. Zu unfes 
rer Entfchuldigung möge indeffen dienen, daß fich eigentlich 
nie ein poetifcher Genius erften Ranges unter den Holländern 
zeigte, und daß ihr ganzer poetifcher Vorrath, troß manchem 
in feiner Sphäre Gelungenen, nicht über das Mittelmäßige 
hinausragt. — Um Sie von der Wahrheit dieſes Urtheild zu 
überzeugen, erlaube ich mir, zumal da der Mehrzahl von Ihnen 
diefer Zweig der Litteratur gewiß ganz fern blieb, von dem 
gewöhnlichen Gange diefer Vorträge abzumweichen, und Cie, 
ehe ich bei der neueften Zeit: ausführlicher verweile, vorher in. 
möglichft gedrängter Darftellung mit den berühmteften Namen 
und Leiftungen holländifcher Dichtkunft bekannt zu machen. 
Der Character hollanvifcher Poeſie gleicht, wie überall, 
dem Character des Volles, welchem .fie angehört. — Em⸗ 
25* 


— 388 — 


pfaͤnglichkeit für das Wahre und Gute, beharrlicher Eifer in 
allem einmal Unternommenen, Wohlvollen gegen geiftiges 
Streben, Luft zur Arbeit find Eigenfchaften, die den Nieder- 
länder vollfommen auszeichnen; ſie reichen indeffen nur hin, 
um einen ruhigen guten Bürger im gewöhnlichen Sinne des 
Wortes, nicht aber, um einen Dichter zu bilden, und was 
‚gerade hier gefordert wird, Phantafie und Tiefe, ift ihm am 
Wenigſten eigenthümlich. An Neigung zu Werken der fehönen 
Künfte fehlt es ihm nicht, eben fo wenig an Talent zur 
Nachahmung, doch ift Alles fehr befchränft, und erhebt fich 
felten über die Sphäre des niedrigen Alltagslebens. Fruͤhzei⸗ 
tig jedoch fich in gewiſſer Hinficht an den Werken des klaſſi— 
fchen Alterthums, wie an feinem eigenen Patriotismus bildend, 
war dem Holländer eine Nationalpvefie ald etwas höchft Wuͤn⸗ 
fchenswerthes erfchienen, und jeder Verfuch, der nur einiger= 
maaßen glücte, wurde daher ebenfalld mit einem gewiffen Na= 
tional-Enthufiasmus aufgenommen und über die Gebühr gefchäßt 
und gepriefen, ja nicht felten den erſten Meifterwerken anderer 
Voͤlker an die Seite geftellt, wenn nicht gar vorgezogen. — 
Veberdieß ging eine Gattung von Mittelbiſdung, wie fie 
durch Schule und Fleiß gegeben werden kann, durch alle 
Stände und Geſchlechter durch, und fo kam es, daß die Nie: 
derkande mit einer Fluth von mittelmaͤßigen poetifchen Produ⸗ 
cten uͤberſchwemmt wurden, welche bei dem Wolfe großen Bei⸗ 
fall fanden, weil fie theils den ihnen befannten und Tieben 
Alltag feierten, theild bedeutenden antifen oder neueren aus⸗ 
laͤndiſchen Muftern nachgebildet waren. Es fehlte neben je= 
nen großen Eigenfchaften, die ein Dichter unausbleiblich be⸗ 
figen muß, noch im Allgemeinen an einer gefimden und un⸗ 
beftochenen Kritik. — Go kam es denn, daß man ſtets auf 
der einmal eingefchlagenen Bahn des Mittelmäßigen fortwan- 
delte, die wenigen bedeutenderen Dichter überfchätte, Reime: 
reien für Poefieen dankbar empfing und Seven, der den Mus 
fen in gemeflenen Zeilen huldigte, für einen begeifierten Prie⸗ 
fier des Apollo hielt, — 











— 389 


Einige wenige Dichter ragen jedoch unter jenem Haufen 
bedeutend. hervor; fie würden indeſſen noch mehr geleiftet ha⸗ 
ben, hatte ihr Land irgend einen großen genialen Dann auf: 
zuweifen, welcher ihnen auf der Bahn der Poefie mit heller 
Fackel vorleuchten Tonnte, und ed verftand, die Schwierig⸗ 
keiten, welche eine ungelenke und unzierliche Sprache, fo wie 
manche Nationalfehler ihm in den Weg warfen, zu uͤberwin⸗ 
den und fortzuräunen. — Go aber folgten Alle dem einge: 
bornen Hange zum SPractifchen, und die didactifche Poefie 
wurde und blieb die herrfchende, ja fie wußte fich dermaßen 
auf ihrem Throne zu behaupten, daß alle anderen Dichtungs⸗ 
arten ihr dienten, und felten mehr ald Formen waren, Ges 
wänder, in welche es ihr beliebte, fich gelegentlich zu Hüllen. 
Erft in den neueften Zeiten hat die Lyrik fich einigermaaßen 
von diefer Tyrannei zu befreien gewußt, dad Epos, die Fa⸗ 
bei, ja felbft dad Drama fehmachten noch immer in folchen 
Banden; vor Allem aber der Roma. 

Die ansgezeichnetften Namen in der Gefchichte der hollaͤn⸗ 
difchen Nationallitteratur, welche fich. auch einigen, jedoch mehr 
durch die Lobpreifungen der Holländer ſelbſt errungenen Eins 
gang bei anderen Nationen zu verfchaffen wußten, find Hooft, 
Cats, Vondel, fo wie aus der neuefien Zeit, Tollens, 
Seith, Bilderdyk und Kinker. 

Pieter Cornelis Hooft wurde den 16. März 1581 
geboren, und zeichnete fich, da er eine fehr gute Bildung ge⸗ 
noß, ſchon früh durch Kenntniffe und Fähigkeiten aus. Schon . 
in feinem neungehnten jahre war er Mitglied der „„Amster-, 
damsche Kamer in Liefde bloeijende‘“ einer Art litteraͤriſcher 
Gefeltfchaft, wie fie damals faft in jeder Stadt, ja in jedem 
größeren Flecken Hollands, fich gebildet hatten. Hooft machte 
große Reifen durch Frankreich und Italien, wurde nach feiner 
Ruͤckkehr Bürgerniifter von Muiden, und ſtarb, von feinen 
Landsleuten hoch geehrt, am 21. Mai 1647. — Er bildete 
ſich vorzüglich nach griechiſchen, römifchen und italienifchen 
Dichtern, und ſtrebte befonders darnach, die Sprache und bie 


S 


30 — 


Doch — eines Abende fah er nicht bie Saiıpe, 
Er wartete vergebens, bis zulst = 

Sich feine Hoffnung in Verzweiflung wandelt’. 
Er fiehte, daß ihn Iſabelle möchte 

Vergefien haben — es ward Mitternacht, 

Und mit ihr fam des Klofters dumpfe Glocke, 
Fuͤr eine Abgeſchiedene geläutet. — 

Da wußt' er, Sfabelle fen geftorben, 

Am andern Tage ſenkt man fie in's Grab. — 
Der Mond beſchien, als er am Himmel aufging 
Mit feinem bleichen Strahl, auf jener Stätte 
Dort einen Trauernden — und jenes Grab 
War Roland's Todesbett. — 


Als die geiftreichfte und fcharfiimnigfte englifche Schrift- 
ftellerin ift wohl Lady Morgan zu betrachten. — Sie ver- 
eint in ihren Werken Originalität, Wärme bed Gefühle, Wahr- 
heit der Empfindungen, und Tiefe mit einer höchft lebendigen 
Darftelung. Ihr Vater, ein Mr. Dwenfon, hatte feine 
Vermögensumftände durch zu große Neigung für das Theater 
zerrüttet; er lebte abwechfelnd mit den Seinigen in verfchiedes 
nen Gegenden Irlands, und fchon fehr früh mußte feine, 
durch ihre Talente für Mufit, Malerei und Dichtkunft gleich 
fehr audgezeichnete Tochter ihre Kräfte anftrengen, um für 
die Subfiftenz der Ihrigen zu forgen, noch ehe fie den 
Grad der Reife und Ausbildung erlangt hatte, der zur Volls 





One evening, and he did not sec the scarf, — 

He watched and watched in vain; at length his hope 
Grew desperate, and he prayed his Isabelle 

Might have forgotten him: — but midnight came, 
And with it came the convent’s heavy bell, 

Tolling for a departed soul; and then 

He knew that Isabelle was dead! Next day 

They laid her im her grave; and ihe moon rose 
Upon a mourner weeping there: — that tomh 

Was Roland’s death bed! 


— 3831 — 


bringung von Leiſtungen im Fache der Kunſt unumgaͤngüch ers 
forderlich iſt. — Ihe erſter Roman, eine ſimple Nachih- 
mung beliebter Vorbilder, fand daher nur fehr geringen Bei⸗ 
fall; auch ihre darauf folgenden Arbeiten erfuhren manchen 
- gerechten Tadel, denn die in der Einſamkeit aufgewachiene 
Verfaflern hatte wohl den Character der fie umgebenden ros 
mantifchen Naturfcenen aufzufaflen gewußt, aber das Leben 
und die Welt mit ihren wechfelnden Erfcheinungen waren Ihe 
ganz fremd geblieben, und alle ihre Werke mußten in diefer 
Hinficht, da fie nur aus fich ſelbſt fehöpfen konnte, als vers 
fehlt erfcheinen , indem es ihnen an jener Wahrheit und Rich⸗ 
tigkeit fehlte, die fich nur durch die genauere Kenntniß der 
Gefellfchaft und ihrer Verhättniffe erwerben und aneignen laſ⸗ 
fen. — Es hatte der genialen Frau jedoch nur an Gelegen- 
heit, nicht an Kraft gemangelt; denn kaum nahmen fich Were 
wandte ihrer an, als fie auch fchon jenen Grad der Meiftere 
fchaft fich fchnell zu erwerben wußte, der fie fo rühmlich vor 
allen ihren Mitbewerberinnen auszeichnet. — Im Jahre 1811 
machte fie die Belanntfchaft des Eir Charles Morgan, 
eined ausgezeichneten Arztes, mit welchem fie ſich bald darauf 
vermählte. Seit diefer Zeit Tebt fie in Dublin, troß den vie⸗ 
Ien Feinden, welche fie fich unter den Ultra’, vorzuͤglich durch 
ihre Schrift über Frankreich, zuzog, fehr geehrt. — 

Ihre vorzüglichften Werte find: The wild Irish girl, 
Ida, Odonel, Florence Macarthy; ſaͤmmtlich Romane; 
France und France in 4829 and 4850; Italy; Reife und 
Sittenfchifderungen, und The life and times uf Salvator 
Rosa; dieſes Letztere, eine hiſtoriſche Atbeit, ziehe Ich allen 
Uebrigen vor. 

Das letzte Werk der Lady Morgan, France in 41829 
and 1850, ift reich an geiftvollen und lebendigen Schilderun⸗ 
gen, und, was fehr zu feinem Gunften fpricht, nicht fo voll 
von ſchroffen und abftoßenden Urtheilen und Aeußeruͤngen, wie 
man fie fonft wohl an ihr gewohnt iſt. — Zwar giebt fie 
eigentlich nur ein Gemälde von Paris, aber man kann nicht 





392 — 


Und mir daͤucht, daß bei euerem Funkeln 
Selbſt des Himmels Geſtirne ſich dunkeln. 


Holdes Muͤndchen, bei deſſen Beruͤhren 
Selbſt die Roſen die Farben verlieren: 
Wenn du ſogar mit bezaubernden Klaͤngen 
Kannſt aus den Banden die Seelen verdraͤngen, 
Wie dann wundert es mich, daß das Kuͤſſen 
Deiner Lippen auch mir ſie entriſſen? 





Ach! Du wandelſt die Trauer in Freuden, 

Und Dir weichet mein Gram und mein Leiden; 
Liebliches Aeugeln und Lispeln der Liebe 
Loͤſchen — und naͤhren die gluͤhenden Triebe, 

Die mich wechſelnd bedrohn und begluͤcken, 
Und mid) theilen in Quaal und Entzuͤcken. 


Edle Augen, geſegnete Sterne, 
Ach, wie ſeh' ich euch blinken ſo gerne! 
Quellen der Freude, ihr winket zur Liebe; 
Aber in Feuer erglühn meine Triebe, 
Und verfengt durch die Gluth euer Flammen, 
Sink' ich ſchmachtend und ſchwindelnd zufammen. 


Ad! ich würde das Lehen verfieren, 
Wenn nicht labender Lippen Berühren, 
Eh’ ein verfengender Tod mid ereilte, 
Wieder durch faugende Küffe mich heilte! 
Und den Brand, der den Buſen durchglühte, 
Wieder Löfchte mit himmliſcher Güte. 


Doch wie fehr auch die füßen Gewalten 
Deiner Augen gefeflelt mich halten ; 
Wie auch entzücdendes Lispeln und Kiffen 
Unwiderſtehlich zu Dir mid) geriffen: 
Mehr als blendende Schönheit und Jugend, 
Hält mich feſt der Werth Deiner Tugend. 
Ueberſetzt von v. Eichftorff. *) 


) ©. v. Eichſtorff's deutſche Blumenleſe aus niederländiſchen Di: 
tern. Namur, 1826. 


Morgengefpräch zweier Liebenden. 


Liebhaber. ' 
Galathea, ſieh'! es wird fehon licht. 
Salathen. 
Bleibe noch! Der Sterne Schimmer 
Slänzt in’s Zimmer. 
Bleib'! es ift der Mond, der durch das Fenfter bricht. 


Liebhaber. 
Galathéè! heut' iſt fein Mondenſchein. 
Galathea. 
Wie? es hat nicht Eins geſchlagen; 
Wie koͤnnt's tagen? 
Lieber! bleibe noch! es kann der Tag nicht ſeyn. 
Liebhaber. 
Sieh' doch, Galathé! es wird fo hell!. 
Galathea. 
Ha, fuͤrwahr! ich ſeh' die bleichen 
Schatten weichen. 
Ach! ich ſeh' das Morgenroth! Die Zeit iſt ſchnell! — 
Warum waͤhrt die Nacht bis Abend nicht? 
Warum koͤnnen, ach! wir Beiden, 
Ohne Scheiden, 
Hier nicht bleiben, bis der Tod die Seelen bricht? 
Liebhaber. 
Lebe wohl, Sehieste! bleib" gefund. 


©alathea. 

Wo, ah! einen Kuß noch geben, 

O mein Leben! 

Nur noch einen Kuß von Deinem ſuͤßen Mund! 

Ach, mein Leben! kommſt heut' Abend noch? 
Liebhaber. 

Deine Mutter moͤcht's vernehmen, 

Und ſich graͤmen. 

Doch, wenn Du nicht bang' biſt, Liebe! komm’ ich doch, 
Galathea. 

Ach! ich kann nicht fort von Deiner Bruſt!! — 


% 


— 304 — 


Liebhaber. 
Sieh’! der Morgen will nicht leiden 
Läng’re Freuden. 
Engel! fey gedankt für alle Goͤtterluſt! 
| v. Eichſtorff. 


Der gefeiertſte, von jedem treuen Sohne ſeines Landes 
faſt wie fein UBE gekannte Dichter der Niederlande iſt Ja: 
cob Cats, geboren 1577 den 10. November zu Brouwerd 
haven, einer Beinen Stadt in Zeeland. Er ward, da er 
feine Mutter früh verloren, von feinem Vater, als fich die⸗ 
fer wieder vermählte, einem Verwandten mütterlicher Geite 
zur Erziehung anvertraut. Nachdem er feine Studien in Ley 
den und Orleans vollendet hatte, und in der Ießteren Stadt 
Doctor der Rechte geworden war, begab er fich zu feiner 
ferneren Ausbildung nach Paris, wo es ihm jedoch nicht 
fonderlich behagt zu haben fcheint, weil er dort nach feiner 
eigenen Aeußerung überall „de distel bij de roos vond.‘“ 
— Nachdem er in feine Heimath zuruͤckgekehrt, Tieß er fich in 
der Vaterſtadt ald Advocat nieder, und erfreute fich bald eis 
ner auögebreiteten Praxis. — Es ging ihm hier fo wohl, 
daß er fich fchon nach einer Lebensgenoffin umfah, als ein 
hartnädiged dreitägiges Fieber, das aller Heilfunft Trotz bot, 
ihn zwang, ein anderes Klima aufzufuchen. — In dieſer 
Abficht veifte er nach England, und zog dort die erfahrenften 
Aerzte zu Nathe, doch vergebens; er Tehrte, von dem hart: 
nädigen Feinde geplagt, nach Holland zurüd, und ließ fich, 


da fein Ruf durch die glüdliche Vertheidigung eined wegen. 


Mordes angeklagten Sünglingd außerordentlich gewonnen hatte, 
auf den Rath feines Freundes Apollonius Schotte, Penfio- 
nairs von Middelburg, in diefer Stadt nieder. — Bald dar: 
auf vermählte er fich dafelbft mit Elizabeth van Val: 
tenburg, mit der er eine glücliche Einderreiche Ehe führte. 
In behaglicher Ruhe lebte er auf feinem Landgute zu Gryps⸗ 
terke bei Middelburg, bis ihn 1624 der foanifche Krieg 


zwang, fih, um fein gutes Mecht zu wahren, nach dem 
Hang zu verfügen. Von hier ging er, zum Penfionair ernannt, 
nach Middelburg zurüd, das er nach zwei Jahren verließ, um 
ſich in gleicher Eigenfchaft nach Dortrecht zu begeben. Im 
fahre 1625 ward er Curator der Univerfität Leyden. 1627 
ging er ald Gefandter nach England, und bekleidete num nach 
feiner Zurüdfunft ein wichtiges Staatdamt nach dem andern, 
bis er 1645 Groß = Siegelbeiwahrer und Kehns = Statthalter 
warb, welchen wichtigen Poften er nach fiebenjähriger Fuͤh⸗ 
rung aufgab, um in Ruhe fein Leben zu befchließen, nach: 
dem er noch ein Mal als außerordentlicher Gefandter England 
befucht hatte. Dann zog er fich auf fein Landhaus Sorg⸗ 
vliet zuruͤck, und endete hier fein Leben, mir wiffenfchaftlichen 
und poetifchen Arbeiten befchäftigt, am 12. Sept. 1680. — 

Cats hat vorzugsweife die didactifche Poeſie cultivirt, hins 
fichtlich des Divactifchen mit großem, hinfichtlich der Poeſie 
aber mit wenigem Erfolge; er’ hat nur einen Zweck, den mo⸗ 
ralifchen Nuten; alles Andere ift ihm jedoch fremb, und davon, 
daß ein Dichter noch ganz andere Aufgaben loͤſen muͤſſe, fcheint 
er gar Feinen Begriff zu haben. — Beine Poefie ift weiter 
nichts, als guter Nath in Heimen, gelegentlich mit allerlei 
ergetzlichen Zierrathen aus den verfchiedenen Gebieten des 
menfchlichen Wiffend und Erkennens aufgepußt, und in einer 
angenehmen und fließenden Sprache vorgetragen. — Zu den 
höheren Regionen ber Leibenichaften und Gefühle erhebt er fich 
nie, fondern bleibt fein auf der Erde, und gefällt fich, hier 
rechts und links zu rathen, zu helfen und zu nügen. — Ben 
ber Liebe weiß er, wie Bowring fehr richtig bemerkt, weiter 
nichts, ald daß fie da fey, um gute Eheleute zu bilden und 
gehorfame Kinder zu zeugen.*) Seine Bilder find oft gefucht 


*) He has no other notion of love than that. it is meant to make 
good husbands and wives, and to produce pains - taking and 
obedient children. — Bowring, Sketch of the langtage and 
litteratare of Holland. Amsterdam, 48829. 





— 396 — 


und zuweilen unrichtig. — Uber er meint ed gut und ehrlich 
mit Gott und der Welt, er ift ein gottesfürchtiger,, redlicher, 
wohlwollender Bürger, Vater und Freund, ſtets bemüht, Ord⸗ 
nung, Ruhe und Familiengluͤck zu bewahren und zu erhalten, 
und auf gute, obwohl mitunter befchränfte, Weife zu tröften 
und zu ermuthigen; Ten Wunder daher, daß ihn feine Lands⸗ 
Iente fo verehren, er hat ald Menfch durch feine Schriften 
wie durch feine Thaten den höchften und gerechteiten Anſpruch 
an ihre Liebe; fein Leben war in jeder Hinficht fegensreich. 
Seine Gedichte find meiſt didactifch und befchreibend, 
und berühren faft alle Gegenftände des gewöhnlichen Lebens, 
die er behaglich breit zu behandeln pflegt. Unter der großen 
Menge, welche er hinterlaffen, de Ouderdom, Buyten Le- 
ven, Hofgedachten, Gedachten op slapelooze Nachten, 
Sinne en Minne Beelden, werden fein Trauring und die 
Ehe von feinen Landöleuten für die bedeutendften gehalten. 
Mir erfcheint feine Autobiographie in ihrer beſchraͤnkten Naive⸗ 
tät immer als feine gelungenfte Arbeit; rührend tft neben vie 
lem Andern die Schilderung feiner Frau, fo wie die Gefchichte 
feiner haͤuslichen Leiden and Freunden in derfelben, und ich bin. 
feft Sberzeugt, daß Niemand died Buch aus der Hand legt, 
ohne den Verfaffer, feiner vielen ehrenwerthen Eigenfchaften 
wegen, herzlich fieb gewonnen zu haben. — Folgendes möge. 
noch zur näheren Kenntniß feiner Art und Weiſe dienen. 


Aus. Cats gereimter Autobiographie. *) | 


Doch mir kommt in den Sinn jest, daß ich muß erzählen, 
Woraus man lernen kann, wie junge Leute fehlen. 
Zu Middelburg ich einft in die franzöfifche Kirche ging, 
Und ıda entftand in mir ein munderfeltfam Ding. 


*)Doch my sehiet in den zin ict dat ick moct verbalen, 
Daer uyt men leeren kan hoe jonge ziuneu dwalen: 

Ick quam te Middelburg eeus in de Fransche kerck, 

En daer ontstont in my een wonder seldsacm werck. 





3977 — 


Ich fah ein Mädchen dort, als ich die Predigt "hörte; 
Der Minne Brand alsbald ſich wild in mir empärte, 
Sie fhien mir wunderfchön, über die Maaßen fein, 
Ich fühle es, wie ein Feuer, «8 drang durch Mark und Bein. 


Sich war num aus ber Kirch zurück nach Haus gefommen, 

Wo diefe Jungfrau wohnt‘, das: hatt’ ich fehnell vernommen. 
Nun ſchrieb ich ihr ſogleich einen huͤbſchen Deinnebrief 
Und ſandt' ihn in der Eil dem neuerwählten Lieb, 


Ich Bat fie ſchriftlich nun, ließ es der Jungfrau willen, 
Bor ihrer Thür zu feyn des Abends nad) dem Effen, 
Denn fie zu fehen dort, war ich fo voll Begier, 
Um huldvoll meinen Dienft dort anzutragen ihr. 
Die Jungfrau that auch fo, wie ich's ihr angegeben, 
Und hat zu rechter Zeit fih vor die Thür begeben. 
O welche Freude ich, als ich fie fah, empfand, 
Es war mir, als ob mir der Himmel offen fand. 
Da bracht‘ ich an den Tag nichts als gar ſchoͤne Worte, 
Befetzt an jedem Rand mit Gold und Seidenborte, 








Ick sag een jonge maegt, terwijl ick hoorde preken, 

En stracx is in mijn hart een minnebraut ontstcken ; 
Sy docht wy wonder schoon en uyiter maten soct, 
Dies voeld’ ick als een vier tot in mijn innig bloet. 


Ick was naau nyt de Kerck in mijn vertreck gekomen, 

Waar dat de Juffrou woont dat had ick haest vernomen, 
Dies schreef ick met ’er daet een hupsen minne - brief, 
Die sond ick in der haest mijn nicugekooren lief. 


Ick bad 'haer door de pen en Iiet de vrijsier weten, 
Om voor haer deur fe zijn des avonts na den eten, 
Mits ick begerig was haer daer te mogen sien, 
Om mijn genegen dienst Aaer aen ts komen bien, 
De jonckvrouw Aede soo gelijck ick had gesehreven, 
En heeft te rechter tijt haer voor de deur begeven: 
’t' Is vremt als ick hner sag wat vreugt dat ick ontfing, 
My docht dat voor mijn ziel den Hemel open ging 
Daer bragt ick aen den dag niet dan fluecle woorden, 
Geboort aen alle kant met goud en sijde koorden : 


— 38 — 
Und kurz, mit einem Wort, ich habe fie geehrt 
Mit Allem, was die Kunft vor diefem mich gelehrt. — 


Sie fah mich an, verfhämt, erröthend auf den Wangen, 
Mit günftigem Geſicht, und flillte mein Verlangen, 
Zwar ſprach fie anfangs nichts, doch als ich von ihr ging, 
Vernahm ich etwas, das mir über Alles ging. 


In größer'm Ernſt nachher ich meinen Gruß ihr fagte, 
Und fand an Allem, daß mein Lieben ihr behagte. 
Sp daß ih Hoffnung faßt', und zu gewinnen fand, 
Zuerft ein liebend Herz, dann feften Eheſtand. 
Doch als ich einem Freund den Plan hatt' mitgetheilet, 
Und mich zur Heirath nun in vollem Ernſt beeilet, 
Geſchieht es, daß der Mann, mir widerrathend, ſpricht: 
Die Heirath paßt durchaus fuͤr Euch, o Freund, ſich nicht. 
Ihr muͤßt in dieſer Stadt Euch Achtung nur erwerben, 
Und wuͤrdet's Euch gewiß auf dieſe Art verderben, 
Der Vater von dem Kind, das Ihr Euch zugedacht, 
Iſt an der Börf veracht't, weil er Bank'rott noch mad. 





+ 
. 


En, met &&n woord geseyt, ick heb’er toen vereert 
Met al dat my de kunst voor desen had geleert. 


Sy met een eerbaer root in haer gelaet ontsteecken, 
Sy sag my gunstig aen oock sonder jet te spreecken ; 
Maer eer ick van haer ging. vernam ick echter wat 
Dat voor my, naer my docht, was waerd te zijn gerat. 


Ick quam in meerder ernst haer naderhant begroeten, 
En vond dat sy in al’s mijn liefde quam gemoeten ; 
Soo dat ick hoope kreeg dat ick wel winnen son, 

Voor eerst een liefdens hart en dan een vaste tron. 


Maer als ick seecker vrint van desen aenslag seyde, 
En my tot echte trou in volle daet bereyde, 
Toen was het dat de man my dit geheel ontriedt, 
En seyde: »Dese trou en dient uw saecken niet: 


Gy moet in dese Stadt uw naem gansch achthaer maeken, 
En daer toe sult gy noyt door desen weg geraeken; 

De vader van het dier dat in uw zinnen speelt, 

Is hier ter beurs veracht en banckqueroet gespeelt.« 





— 39 — 


Wie mich dies Wort erſchreckt, braucht man wohl nicht zu fragen; 


Mir ward zu Muth, als wenn der Donner mich erſchlagen, 
Und das, weil jenes Kind in meinem wilden Sinn 
Vor Allem mir gefiel, und riß mein Herz ganz hin. 


Da fühle ich großen Streit in den beträbten Sinnen, 

Und gänzlich zweifelhaft warb mir, was zu beginnen, 
Sie war gewaltig feft in meines Herzens Wahn, 
Doc ihres Vaters Fall, der trieb fie aus ber Bahn. 


Sch war ihre fehr geneigt, mir däuche', es fey gelegen 
Für mich in ihrer Hand ein übergroßer Segen, 

Fuͤr fie hätt‘ ich gewiß und ohne große Noth 

Mit freudigem Gemüth gegeben mir den Tod. 


Allein das Ungluͤck, das den Water überfommen, 

Hat ploͤtzlich alle Lieb von mir hinweg genommen, 
&o daß ich fpäterhin, obwohl nicht ohne Streit, 
Strebt', von der Liebesgluch und ihr zu feyn befreit. 


Nach diefem Fall kam ich auf vielerlei Gedanken, 
Die von mir Tag und Nacht nicht weichen und nicht wanfen, 


en. 

Hoe my dit woerd beviel, en hoeft men niet de vragen, 
Het scheen my anders niet dan fclle donderslagen, 

En dat vermits de maegt in mijn verdwaelde ziel 

Ten diepsten was geplaatst, ten hoogsten wel gevicl. 
Daer voeld ick groote strijt in mijn bedroeflde zinnen, 
Ick stont geheel ontstelt onseecker wat beginnen: 

Zy wes stadg in mijn hert cn drong geweldig aen, 

Maer siet haer’s vaders val die sloeg haer uit de baen. . 


Ick was tet dese maegt ten hoogsten wel genegen, 

My docht in haer gelaet lag my en hoogen zegen: 
Ick had om harent wil, oock sonder grooten noot, 
My met een bly gemoet gegeven aen de doet. 


Maer siet, het ongelack, hacr Vader overkomen, 
Hceft van my V’eenemael haer liefde weg genomen; 
So dat ick naderhant, hoewel niet sonder strijt, 
Socht van de minnebrandt en haer te zijn bevrijdt. 
Ick viel op dit geval in veelderley gedachten, 
By daegen niet alleen, maer dickmaels gantsche nachten : 


— 400 — 


Doch ſieh, die Jungfrau zog ganz fort nach Amſterdam, 
Und darauf fand ich's ganz nun wie ich Abſchied nahm. 


Ich klagte nicht mehr ſo, als ſie nun fortgezogen, 

Der Liebe ſtaͤrkſte Gluth, die war bereits verflogen; 
Ach, was iſt doch der Menſch! und was er hier beginnt, 
Wie ſchnell verlaͤßt er doch, was er zuvor geminnt. 


Nun ſprach ich zu mir ſelbſt, doch mit geſtillten Trieben, 

Was hat denn wohl die Welt, das Jemand koͤnne lieben? 
Was iſt es, das dem Menſchen, der noch auf Erden weilt, 
Außer der Fleiſchesluſt, Vergnuͤgen zuertheilt? 


Worein ſoll er ſich ganz in ſeinem Sinne fuͤgen; 

Ein Weſen nur allein kann uns ſo ganz vergnuͤgen, 
Was hier ſich das Gemuͤth zu ſeiner Luſt erkohr, 
Iſt wie ein Wind dahin, der ſich alsbald verlor. 


Doch fragt Ihr, was als Kern der Freuden ich erwaͤhle, 
Des Geiſtes feſten Grund und aller Tugend Seele. 
Des Herzens ſchoͤnſte Luſt, die Luſt von dem Verſtand, 
Wodurch man hier ſchon knuͤpft mit ſeinem Gott das Band. 


Maer siet, de jonge mnegt die trock naer Amsterdam, 
En sict her vond ick kans dat ick mijn afscheyt nam: 





Ick dorst op haer vertreck nict soo als eerlijts spreken, 
_ Het heetste van de min dat was alrce geweken. 
Ach wat is van de mensch! en wat hy hier begint! 
Hoe hacst vervalt'er iet dat eertijts was bemint! 


Nu spreeck ick tot mijn self, doch met bedaerde zinnen: 

Wat heeft de werelt in dat iemant kan beminnen ? 

Wat is t dat nen den mensch die noch op aerde lecft, 
Wat is t dat ayt het vieesch oyt soet vernoegen gceeft? 


Waer toe sal eenig mensch sijn gantsche zinnen voegen? 
’t Is maer een ding alleen dat ons kan vergenoegen: 
Al wat hier ons gemoet tot sijn vermack erkiest, 

Is alls cen schrale wint die hy terstond verliest. 


Maer vracgt ge water is de keest van alle vreugden, 

Het grontstuck voor den geest, een ziel van alle deugden, 
De lust van ons gemoet en van ons innig hert, 
Waer door men even hier aen Godt versegelt wert? 








— 401 — 


Die Liebe iſt's, die wir Gott hier entgegen bringen, 
Worin verborgen liegt, was man nur kann erringen, 
Denn wer in ſeiner Bruſt den Segen recht gefuͤhlt, 
Iſt ſtill und ruhevoll, wie Fleiſch und Welt auch wuͤhlt. 


Kein Ding, ſo groß es iſt, von allen ird'ſchen Sachen 

Kann uns ſo wohlgeſtellt und wirklich gluͤcklich machen, 

Als Gottes Lieb’ allein, denn ohne dieſes Kleinod 
Iſt alles Fleifh nur Heu, find alle Lüfte rein todt. | 


Das hab’ ich wohl gemerkt, wie auch bie Menfchen wählen, 
Daß Sort läßt feine Macht allüheralf uns fühlen, 

As ic, es nicht gefucht, und nicht daran gedacht, - 

Hat mir ein liebes Weib mein Schöpfer zugebracht. 


An Seeland Hatte ich zu biefer Zeit geſeſſen, 

Was Holland nur betraf, das hatt' ich ganz vergeflen, 

Und doch in Holland ſelbſt, fogar in Amflerdam, 

War's, daß ich mir zur Huͤlf ein trefflich Weibchen nahm. 


Ein Weibchen voll Verftand und lieblichen Manieren, 
Sie konnt‘ das Hausgeſind' mit rechter Art regieren, 
. U 
Het is de liefde, wrient, die wij den Schepper dragen, 
Waer in verholen leyt al wat men kan bejagen ; 


Want die in sijn gemoet dien zegen regt gevoelt, 
Is stil en wel gerust hoe vleesch en werelt woelt. 


Geen dinck, hoe groot het is, van al des werelts saeken, 
Dat ons kan wel gestelt en regt geluckig maeken, 

Als Godes liefd’ alleen: want sonder dat kleyuoot 

Is alle vleesch ontstelt, zijn alle lusten doot. . 


Wel dit heb ick gemerckt, ofschoon de menschen woelen, 
Dat Godt sijn hooge magt laet overal gevoelen: 
Daer ick het niet en sogt en niet en had gedagt, 
Wird my een lieve Vrouw van Gode toegebragt. 
Ick was om desen tijt in Zeeland vast geseten, 
En al wat Hollaut raeckt dat had ick schier vergeten. 
In Hollant evenselfs, ja binnen Amsterdam, 
Was ’t dat ick my ter hulp een echte Vrouwe nam: 


Een vrouw vau sneig vernuft en geestig in manieren, 
Sy kon een huysgesin naer rechten eysch bestieren. 


26 





—— 40 


Statt daß Romane las das gute theure Weib, 

War felbit Plutarch, Plutarch! ihr wahrer Zeitvertreib, 
Doc Gottes heilig Wort, das ſtets ihr Heil gewefen, 
Das liebte fie zuerft vor Anderem zu lefen; 

Wozu noch mehr geſagt — fie war ein werthes Weib, 

Ein Schat fuͤr's Haus, und treu und echt an Seel’ und Leib. 


Mit einem gewiffen Stolze, der jeboch im Vergleiche zu 
den großen Tragoͤden anderer Nationen etwas laͤcherlich er⸗ 
fcheint, betrachten die Niederländer Fooft van den Von: 
del ald ihren größten dramatischen Dichter. Er war tm Jahre 
1587 zu Cöln am Rheine geboren, Tam aber fchon als Kind 
nach Amfterdam, — Seine Erziehung war fihlecht; erft im 
26ften Jahre feines Alters konnte er fich den Studien wid: 
men, doch überwanden fein Eifer und feine Beharrlichkeit alle 
Schwierigkeiten, welche fich ihm entgegenftellten, und es ges 
lang ihm, fich einen bedeutenden Echag von Keuntniffen ane 
zueiguen. Seine poetifchen Leiftungen erwarben ihm bald eis 
nen bedeutenden Namen, und er zeichnete fich als dramatie 
ſcher, Igrifcher und fatyrijcher Dichter aus. — So fehr man 
auch noch bei feinen Lebzeiten ftrebte, feinen Ruhm zu ſchmaͤ⸗ 
lern, fo konnte man doch eigentlich nur feine Lebensweije und 
vorzüglich den Umftand, daß er früher ein eifriger Arminianer, 
fpäter ein eben fo eifriger Katholif wurde, und feinen vorigen 
Glaubensgenoffen entfchieden feindfelig entgegen trat, angreis 
fen; den Ruhm, der größte Dichter der Niederlande zu feyn, 
mußte man ihm ungeichmälert laſſen. — Unter anderen Vers 


In plaelse dat de jeugt romansche grillen leest, 
Soo is Plutarchus selfs haer Gjdverdrüf geweest. 


Maer Godes Heilig woort, als meest by haer gepresen, 
Dat was se boven al genegen om te lesen, 
En waerom meer peseyt? sy was cen weerde vrouw 
Eeen gronistuck van het huys, een spiegel van de trouw. 





t 





häftniffen und Umgebungen, und bei einem forgenloferen und 
weniger ftürmifchen Leben, würde Wonder gewiß Außerordent= 
liches geleiftet haben. ) Eine fehr geiftreiche Characteriftit 
diefed Dichters hat Eichflorff In der Einleitung zu feiner Blu⸗ 
menlefe geliefert; ich kann mir dad Vergnügen nicht verfagen, 
Ihnen diefelde mitzutheilen, unb erlaube mir nur, Ciniges 
hinzuzufügen. 

„In Vondel, der fowohl in wiſſenſchaftlicher als pſycho⸗ 
logiſcher Hinſicht eine merkwuͤrdige Erſcheinung iſt, wird es 
abermals deutlich, was der Menſch vermag, der, mit ur⸗ 
ſpruͤnglicher Kraft geruͤſtet, den Goͤttern in ſeinem Buſen ver⸗ 
traut und auf eigenen Schwingen eine Höhe erfliegt, zu der 
ihn das Schiefat nicht beftimmt zu Haben fchien. Won ges 
ringen Eltern geboren, entbehrte er in feiner Jugend jene Bils 
dung, welche feine großen Talente entwidelt haben wuͤrde, 
daher auch haben feine Jugendarbeiten alle die eigenartigen 

Schönheiten und Sehler derjenigen Kunftproducte, welche das 
Genie erzeugt, wenn es der Negel des Geſchmacks entbehrt; 
feine fpäteren Arbeiten hingegen, von denen wir jeßt nur feine 
Zragödien herausheben , beutfunden jene Feuerkraft, jene gei⸗ 
flige Unabhängigkeit, welche den Dichter in der moralifchen 
Welt auf jene hohe Stufe ftellen, die Schiller vor Augen 
hatte, als er den Känftiern zurief: „Der Menfchheit 
Würde ift in Eure Hand gegeben. Freilich find auch 
dieſe Tragoͤdien nicht in jeder Hinſicht als Muſter zu betrach⸗ 
ten. Sie thellen mit den Schoͤnheiten Shakeſpeare's auch die 
Verſtoͤße dieſes großen Dichters gegen den Geſchmack. Der 


*) My is niet onbekend (bemerkt Willems in feiner Verbandeling 
over de Nederduytsche Taal en Letterkunde; Antwerpen, 1819, 
Th. 2. S. 11.) dat Vondel te Reulen gebooren is, doch, gelyk 
Brandt van hem zegt: »Hy was wel buiten Hollandt gebooren, 
maar met hollandsch melk opgevoed, en door geduurige inwoo- 
ninge een Hollander en Amsterdammer geworden.« Leven van 
Vondel BI. 5. Da ftedt es eben, ſollte ich denken. — 

26* 


— 404 — 


Zeitraum , in welchem Beide blähten, Tonnte nicht ohne Ein⸗ 
fluß auf ihre Kunftproducte ſeyn. In Bondel findet man noch 
dieſelben allegorifchen Perfonen, dieſelben langen Monologe, 
die man in den erften dramatifchen Verſuchen einer jeden Nas 
tion antrifft. Es gehört eine lange Uebung dazu, um die 
Phantafie zu zůgeln und die dramatifche Wahrheit zu beobach- 
ten, weil der Dichter immer fo gern feine eigene Individuali⸗ 
tät mit feinem Kunſtwerke vereinigt. Uber auf der andern 
Seite, welche Kraft, weiche Drigmalität, welche reine, herr: 
Ihe Sprache! 

„Die Trauerfpiele Vondel's find, nach Art der griechi⸗ 
ſchen, mit Chören durchflochten, die, frei von leidenſchaftlicher 
Theilnahme, das Gemüth des Zufthauers befanftigen und ihm 
anf einen höheren Standpunkt freier Beurtheilung erheben. 
Obgleich diefelben oft zu locker mit der Handlung verbunden 
ſind, fo find: fie dennoch, einzeln betrachtet, vielleicht Die ſchoͤn⸗ 
fien Muster poetiicher Begeifterung, welche Holland aufzumei- 
fen hat; in ihmen zeigt fich Der herrliche Genius des Dichters 
in feiner ganzen Würde, bald fchmelzenn, wie im Hymnus 
auf die eheliche Treue, bald feelenerhebend im Wechſelgeſange 
der Engel, und dann wieder grell und graßlich in der Raſerei 
der Mutter auf dem Schutte des vermwüfteten Serufalem. Es 
würde mich zu weit führen, wenn ich eine völlige Angabe, ge⸗ 
fehweige eine Analyſis aller feiner Ziragödien Kiefern wollte, 
Der Gegenſtand derſelben ift meiftentheild aus ber bibliſchen 
Gefchichte entlehnt. Zu den ſchoͤnſten gehören unfleeitig: % us 
cifer, Jephtha, Palamedes, und dad Nationalfchaus 
fpiel Gysbrecht van Amftel, welches jährlich in Amſter⸗ 
dam mit hoher Begeiſterung bargeftellt und angefchaut wird.” 

Sp weit Eichftorff,, defien Characteriſtik ich eine kurze 
Inhaltsanzeige des eben erwähnten Trauerſpiels, Gysbrecht 
van Amſtel, hinzufuͤge. Das Stuͤck beginnt am Tage vor 
dem Chriſtfeſte, Nachmittags um drei Uhr, und endigt am 
Morgen des folgenden Tages. — Die Scene ift in einer 
Vorſtadt son Amfterdam, in der Naͤhe eines Karthaͤuſerklo⸗ 


— 405 — 


ſters. — Gyöbrecht, ber Selb bed Stuͤckes, Oheim Gers 
hard's van Velzen, der den Grafen Floris V. von Holland 
getödtet hat, beginnt den erften Act mit einem Monologe, in 
welchens er fich über die Hartnädigleit des Feindes beklagt, weis 
eher den Tod des Grafen durchaus Am ihm und der Stadt Am⸗ 
ſterdam rächen will, yplöglich aber, zu Gysbrecht's großer 
Verwunderung, die Belagerung aufgegeben hat und abgezogen 
ift. — Der Prior des Kloſters tritt zu ihm, um ihm Gluͤck 
zu wünfchen, wobei er ihm die Urfache des fehnellen Abzugs 
der Zeinde- mittheilt. Mittlerweile bringe Arent van Amſtel 
einen feindlichen Bauern Namens Vosmaar; diefer, ein vers 
mummter Spien, giebt fich für einen Meberläufer aus, und 
erzählt, wie er dem Feinde treu gedient, aber von dem Selb: 
bern Egmont mit Undank belohnt worden fen. — Gysbrecht 
Laßt ihm voll Vertrauen die Feſſeln abnehmen, und Bosmaar, in 
erkünftelter Dankbarkeit, entdedit ihm, daß er dem feindlichen 
Feldherrn gerathen, die Graͤben mit Reisbuͤndeln zu füllen, 
um auf biefe Weife den Sturm gegen bie Stabt unternehmen 
zu Tönnen, aber diefer Plan ſey durch ein Misverftändniß nicht 
zur Ausführung gefommen, und man habe fich deshalb an ihm 
rächen ımd ihn mit dem ‘Tode betrafen wollen; diefer Gefahr 
ſey er durch die Unterſtuͤtzung eines Freundes entgangen, habe 
ſich während der Nacht in einem Sumpfe verborgen, und dar⸗ 
auf, ald er eine Abtheilung ‚von Gysbrecht's Kriegern in der 
Nähe geliehen, fie um Huülfe angerufen. — Gysbrecht glaubt 
ihm Alles und verzeiht ihm; dann befiehlt er, das mit Reis⸗ 
bündeln beladene Schiff, das noch, vor der Stadt Liegt, herz 
einzufchaffen und auszuladen. Hier endet der erfle Act mit 
einem Wechfelgefange Amſterdamer Sungfrauen, nach Art des 
griechifchen Eher, im welchem fie die Slucht ber Feinde bes 
fi ingen. 

Sm zweiten Aufzuge treffen bie feindlichen Anführer ihre 
Manpregeln, und machen die Hauptleute mit Vosmaar's liſti⸗ 
gem Plane bekannt; bet diefer Gelegenheit erfährt man, daß 
in bem Schiffe mit Reisbündeln Krieger verborgen find, welche 


— 406 — 


fich in der Nacht nach dem Chriftfefle der Stadt bemächtigen 
follen, — Einem der Bannerführer wird der Befehl ertheilt, 
fich mit feiner Mannfchaft in das nahe gelegene Kloſter zu 
begeben, und von dort aus Dad Beginnen zu unterſtuͤtzen. Er 
richtet feinen Auftrag auf eine Weife, die noch jeßt jedem 
Krieger Ehre machen wuͤrde, in folgender Scene, die zugleich 
ald Probe ded Dialogs dienen mag, aus. 


*) MWillebord, Prior des Kiofters. 
Herr Hauptmann nım, was giebt's? 
Dietrih von Haarlem. 
Ich fomm’ als Gaft zu Euch. 
MWillebord. 
Willkommen mir, naht Shr gleid, ungebeten; 
Heut' Abend hab’ ich Euch nicht mehr ermartet, 
Und ſeh' aus Euren Reden und darans, 
Daß Ihr fo plöglich kehrt, es fey etwas 
im Werke. Ä 
Dietric. 
Meine Bitte geht an Euch), 
Nach Egmont's Willen, od ich heute Nacht 
Wohl ein’ge Krieger darf in’s Klofter legen: 
Soldatenbitte; — Ihr müßt fie gewähren. 
MWillebord. 
Ich glaub’, Ihr ſcherzt. 


*) Willehord. 
Heer maerschall, wel, wat nu? 
Dicderik van Haerlem. 
Ik koom bij u te gast. 
Willebord.' 
Gij zijt mij wellekom, al komt gij ongebeden, 
’k Verwachte u favond niet, em luister naer de reden 
Dat gij dus schichügh keert: daer is wat meer acn vast. 
Diederik van Haerlem. 
’k Verzoek alleen op u, en dat door Egmonts last, 
Of ik wat krijsvolk magh te nacht in 't kloster leggen. 
Het is een krijgsmans bee, gij mooght ze niet ontzeggen. 
.Willebord. 
K ‚Geloof gij deunt met mij. 


—— 407 — 


Dietrich. 
Mein, es it baarer Ernft, 
Und Egmont's Wille, er gab den Befehl. 
| Willebord. 
Wie ſoll man das verfiehn? Befahl es Egmont? 
Er zündete noch nie ein Kloſter an, 
Noch ſucht' er an dem euer fih zu wärmen. 
Ich meine doch, es fey nur Misverſtaͤndniß. 
Ihr feyd willtommen, Kerr, hier meine Hand. 
Euch und die Diener la ich willig ein, 
Allein das Klofter wuͤthenden Soldaten 
Zu öffnen, duld’ ich nichts ich thu' es nicht, 
Und koftet es mich auch das eig'ne Blut; 
Mer unfer'm Kloſter fchadet, ſchadet uns; 
Glaubt mir, Herr Dbrift, wir vermögen’s nicht. 
- Dietrid. 
Nur auf ein Ständehen hoͤchſtens, oder zwei; 
Ich buͤrge Euch, und ſchuͤtze Kirch' und Kloſter 
Vor Schaden, alle Bosheit ſtreng beſtrafend. 


Diederik van Haerlem. 
t ILs erronst, en geen spel. 
En Egmonts eigen last: hij gaf me dit bevel. 
Willebord. 
Hoe zal men dit verstaen? heeft Egmont dat bevolen? 
Hij stak noit klooster acn, noch zocht zich bij de kolen 
Te warmen van dat vier. 't Is enkel misverstant. 
Gij zijt mij wellekom, mijn ler; dacr is mijn hant. 
’k Zal u en uwen staet gewilligh innelaeten, 
Maer 't klooster op te doen baldacdige soldaeten, 
Of ruitren, ’k lij het niet: K vermagh’t met geen gemocedt. 
Ja, eer ik zulks gedooge, ik stort veel eer mijn bloct. 
Wie ’t klooster rackt, die rackt den appel van onze oogen. 
Heer overste, geloof, 't is huilen ons vermogen. 
Diederik van Hacrlem. 
*t Is om con uur af twee.te doen, ten hoogsten drij. 
Ik blijf u borgh, en hou uw kerk. en klooster vrij 
Van overlast en scha, en zal de boosheit stralfen. 


— 48 — 


Ä Willeborb. 
Mit Kriegsmann’s Buͤrgſchaft Hab’ ich nichts zu fchaffen. 

Und wär's der Feldherr auch, ich ſagt's ihm feldft : 

Denn eine alte Fuͤrſtenſtiftung is, 

Mit Brief und Siegel wohl und feft verforgt 

Fuͤr Krieg und Frieden, und wer fie verlegt, 

Beleidiget den Fürften, ber da fpricht: 

Wer jemals an dem Klofter fich vergeht, 

ergreift an meiner Krone fih. — Geweiht 

Iſt es dem heiligen Andreas; nimmer 

Gewaͤhrt es Kriegern Zutritt. — Ferne fey’s, 

Daß Dietrich werde der Karthäufer Feind. 

Zwei Alerander felbft, der viert’ und dritte, 

So wie Urban der Zweite haben ung 

Des Sottesdienftes Weife, deren Ehre 

Dem heifgen Bruno wohl gebührt, beftätigt. — 

Ja, dag uns Fein Gerichtshof Steuern auflege, | 

Darf Niemand diefen Plag auf hundert Ruthen 

Senfeits bebauen, und noch, weniger 

Beſchweren mit des Kriegs gewohnter Laft 

Und Kriegesgäften. Dafür haben wir 

Geſetze, Herr, des Pabſtes wie des Kaiſers. 





Willebord. 
Met krijgsmans borreghtoght en heb ik niet te schaffen. 
Al waer ’t de veldheer zelf, ik zeij’t hem in ’t gezicht: 
Dit is een overont en vorstelijk gesticht, 
Verzorght in vrede en krijgh met zegelen en brieven, 
Dat wie het quetst, gedenke een vorst des rijx te grieven, 
Die zeght: hij raekt mijn kroon die 't klooster ijet misdoet. 
Sin Andries is 't gewijt: het past geen krijghsmans voet: 
t Zij verr’ dat Diedrik nu’s Katuizers vijant werde. 
Twee Alexanders zelfs, de vierde en ook de derde, 
Gelijk de tweede Urbaen, bevestighden dit flagh 
Van kerkdienst, daer men Bruin wel d’eer van geven magh. 
Ja op dat geen gerucht zou steuren ons gemoeden, 
Magh niemant deze plaets, beneden hondert roeden, 
Betimmeren, veel min bezwaeren met den last, 
Dien d’oorlogh naer zich sleept, of eenigh oorloghsgast. 
Wij staen op keizerlijke en pauzelijke wetten. 





— 400 — 


Dietrich. 
Sie ſchweigen aber vor Trompetenklang. 
Willebord. 
Sey dem nun wie ihm wills das Kiofter öffnet 
Jetzt keine Pforte, es ift Weihnachtszeit, 
Des Jahres höchftes Feft wird nun gefeiert, 
Die fröhliche Geburt; d’rum gebt es auf. 
Dietrich, 
Karthäufermönd, Dein Reden hilft hier nicht, 
Bewillige mir meine Bitte jett, 
Und willſt Du nicht, gefchieht e8 ungebeten. — 
Die Zeit verftreihet — es wird fpät; dort kommen 
Schon meine Krieger. — 
Willebord. 
Eher mir den Tod, 
Als daß ich es geſtatte. — Wollt Ihr denn 
Der Höfe Gluth auf Eure Seele laden? 
Dietrich. 
Ahr Leute, frifch, ſteckt mir das Klofter an, 
Kalt iſt's, wir können an der Gluth uns waͤrmen. 





Diederik van Haerlem. 
De wetten zwijgen stil voor wapens en trompetten. 
Willebord. 
Het zij daer meê zoo’t wil, men opent nu geen poort. 
’t Is kersmis, 't klooster viert de vrolijke geboort; 
De hooghste feest van’t jaer; dus laet dit werrek stecken. 
| Diederik van Haerlem. 
Katuizerbroer, hier gelt geen prevelen, noch preeken. 
Bewilligh mijn verzoek, en sta mijn bede toe, 
Of anders lij dat ik het ongebeden doe. 
De tijd verloopt, 't is spa: daer komen mijn soldaeten. 
Willebord. 
’k Getroost mi) eer den doot, dan ik dit toe zal laaten. 
Wat, wilt gij ’t heische vier op uwe halzen lan? 
Diederik van Haerlem. 
Voort mannen, vaert vrij voort, en steekt het klooster aen: 
't Is kout, 200 mogen wij ons bij de kolen warmen, 


— 40 — 


Willeborb. 
Gemach, Herr Hauptmann, babet dad, Erbarmen, ' 
Kein Tugendhafter zündet Klöiter an. 
Mas es befiget, Wohnung, Feuer, Licht, 
Und Speis und Trank, das Beſte follt Ihr haben. 
Dietrich. 
Nun Leute, nur voran, ich bin der Letzte. 


In der folgenden Ecene theilt Vosmaar dem feindlichen 


Seldherrn den Erfolg feiner Lift mit: 

Die Bürger holten felbit das Seepferd ein 

Mit Siegsgefang, wie die von Troja thaten; 

Ich fand am Steuer, doch die Krieger d’runten 

Im Schiff, bedrohte ſchreckliche Gefahr. 

Der Boden ließ, durch einen ſtarken Stoß 

An einen Pfahl, das Wafler ein, und Jeder 

War bis an's Knie darin und fürchtete 

Drob zu erftiden; weldy ein großes Unglück, 

Da Keiner wagen durfte, laut zu athmen; 

Bis plöglic wunderbar das Leck von felbit 

Sich ſtopfte. — 
Er endet dieſen Bericht mit einem Zuge, welchen Vondel aus 
der Geſchichte der niederlaͤndiſchen Revolution entlehnt hat. 
Einer von den Hauptleuten, der an einer ſtarken Erkaͤltung 
leidet, fuͤrchtet, ſein Huſten koͤnne den ganzen Anſchlag ver⸗ 
rathen, er zieht alſo ſeinen Dolch, um ſich zu ermorden, wird 
aber von ſeinen Genoſſen daran verhindert. — Egmont be⸗ 
ſchließt jetzt, um Mitternacht einen Sturm zu wagen. 


Willebord. 

Och maerschalk, hou gemak: och wil u foch ontfarmen. 

Het is geen deughtsaem mensch die brand in klosters sticht. 

Al wat het klooster hecft, huisvesting, vier en licht, 

En spijs, en drank, het is voor’t krijgsvolk al ten beste. 
Diederik van Haerlem. 

Nu maunen, trekt vrij in: trekt voor, ik blijf de leste: 





— 411 


Der dritte Act beginnt mit einer hauslichen Scene, in 
weicher Gysbrecht, der durchaus die Lift des Feindes nicht 
ahnt, feine Gattin über ihre ängftlichen Gefühle, die ein bös 
fer Zraum in ihr erwedt hat, zu beruhigen fucht, aber nur 
zu bald werden ihre Beforgniffe gerechtfertigt. — Beſtuͤrzt 
tritt der Kaplan des Schloffes zu ihnen und berichtet, daß 
der Feind Amſterdam erobert und in Brand geſteckt habe. 
Gysbrecht begiebt fich auf den Thurm und überzeugt fich von 
der Wahrheit des Mitgetheilten. Dann Iegt er die Ruͤſtung 
an und ſieht fich nach feinen Freunden um; nur wenige tas 
pfere Kriegsleute, unter denen Teilingen, Waermont 
und Hemskerk, erbieten fich, ihm beizuftehn. 

Der vierte Act zeigt den Chor des Kloſters, wo der Bi: 
ſchof von Utrecht und die Nonnen einen feierlichen Gefang aufs 
führen, und ſich über die herannahende Gefahr fehr erbaulich 
unterreden. — Der Bilchof erklärt, er wolle mit dem Staate 
untergehen, er legt feinen geiftlichen Ornat an und beginnt 
mit der Webtiffin den Gefang Simeon’s, der von großer Wirs 
fung ift. Gysbrecht kommt dazu und fordert ihn und bie 
Aebtiſſin zur Flucht auf, aber der Biſchof bleibt unerſchuͤtter⸗ 
lich, und er muß unverrichteter Sache wieder fort. — Gleich 
darauf dringt der Feind ein, Alles 'ermordend, was ihm in 
den Weg kommt. Der Vorhang fällt, fo wie die Krieger ‚die 
Bühne betreten, wird aber gleich wieder aufgezogen , und in 
einem lebenden Bilde, bei dem durchaus nichts gefprochen wird, 
‚erblickt jeßt der Zufchauer die Graufamleit der Soldaten und 
das unglüdliche Loos der armen Bewohner des Kloſters. — 

Die folgende Scene fpielt in dem Zimmer von Gysbrecht's 
Gemahlin. Ihr Bruder berichtet ihr den Leberfall der Sende: 

Wer Hört die. Trauerkunde ohne Thränen! 


Er beſchließt feine Erzählung mit der Kunde vom Untergange 
aller feiner Freunde und Brüder. — Gysbrecht's Gattin wird 
von Todesangft um ihren Gemahl ergriffen, und flieht mit ihren 
Kindern nach einem feften Schloffe in ver Nähe von Amſterdam. 





— 412 





Sm fünften Aufzuge kommt Gysbrecht zu feiner Gattin 
und endigt den Bericht von der Eroberung von Amfterdam ; 
er hat fich fo lange wie möglich vertheidigt, aber feine Freunde 
verließen ihn, und er mußte der Uebermacht weichen. — Trotz 
dem befchließt er, fich bis auf den letzten Blutötropfen zu 
wehren, und feine Gemahlin zu Schiffe fortzufenden, Sie 
weigert fich auf das Entfchiedenfte, und will mit ihm flerben, 
da erfcheint der Engel Raphael auf einer Wolfe umd raͤth der 
unglüclichen Hausgenoffenfchaft, ſich nach Preußen zu beges 
ben, und dort eine neue Colonie zu füften. Er endet. feine 
Anrede mit einer prachtvollen Schiderung der Tunftigen Größe 
Amſterdam's. — 

Dies Trauerfpiel hat bei großen Sehlern auch wahrhaft 
große Schönheiten. — Störend ift bie zu genaue Nachah⸗ 
mung des zweiten Buchs ber Aeneide, die jedoch nach Von⸗ 
del's eigenem Belenntuifle durchaus in feinem Plane Ing. 

Der vorherrfchenden Neigung zur didactifchen und. befchrei- 
benden Poefie find die Holländer auch in der neueften Zeit - 
treu geblieben, da fie, wie fchon oben bemerkt, dem Volks⸗ 
character am Meiften zufagt. — In der Lil folgten fie zu 
fehr deutſchen, in ber epifchen und bramatifchen Poefie zu 
angfttich franzöfiichen Muftern, und felbft ihre bedeutendſten 
Talente haben, im Vergleiche zu den Fortfchritten der neues 
fien Zeit bei anderen Völkern, wenig geleiftet, und find im 
Ganzen noch weit zurud, — 

Unter den gefeierten niederländifchen Dichtern unſerer Tage 
tagt Bilderdyk (geb. 1756) gewaltig hervor. — Sein Leben 
war ſtuͤrmiſch; er verließ ſein Vaterland mit Wilhelm V., und 
brachte Iangere Zeit in England und Deutfchland, vorzüglich 
in Braunfchweig zu. Als er 1806 nach Holland zurüdfehrte, 
wurde er von dem Könige Ludwig fehr begünftigte, und zum 
Prafidenten der zweiten Klaffe des Inſtituts der fchönen Kuͤnſte 
und MWiffenfchaften ernannt. — Er verlor jedoch feine Ein⸗ 
fünfte, ald Napoleon Holland zu Frankreich ſchlug, und fah 
fich genoͤthigt, fein Leben durch abfpannende fchriftftelterifche 


— 43 — 


Arbeiten zu friften. — Jetzt Iebt er im hohen After, ſchwach 
und binfallig zu Leyden von einer ſehr mäßigen Penſion, bie 
er der Gnade des regierenden Königs verdankt. *) — 
Bilderdyk befißt große Talente und vielfeitige Gelehrſam⸗ 
feit neben raftlofem Fleiße, aber er ift zu heftig und eigenfins 
nig, und es fehlt Daher dem größten Theile feiner zahlreichen 
Werke, wie ihm felbit,. an jener Ruhe, die das eigentliche 
Element des wahren Dichter ift, und ohne welche der poe⸗ 
tifche Enthuſiasmus nie die rechte Tiefe, Klarheit und Gröfe 
erreichen kann. Er bat fih, wie in allen Fächern des Wie 
fens, fo auch in allen Gattungen der Poefie verfucht, und 
feine fammtlichen Merfe füllen fat hundert Bande, ein 
Geiſt iſt gewaltig reich; feine Gefühle braufen dahin in nie 
verfiegendem Strome, aber fie neigen fich eher dem Haffe, als 
der Liebe zu, denn er giebt feinen Leidenfchaften zu willig nach, 
und bfeibt fich daher felten gleich. Die Sprache weiß er mit 
Kraft und Gewandtheit zu beherrſchen. — Seine dramatis 
fchen Arbeiten find ſaͤmmtlieh misgluͤckt. — Als fein beden⸗ 
tendſtes Werk wird fein Kehrgedicht De Ziekten der Geleer- 
den (die Krankheiten der Gelehrten) in ſechs Gefangen betrach⸗ 
tet; es ift, fo undankbar auch der Stoff erfcheint, reich an 
tühnen und fchönen Biden, voll Kraft und Wahrheit, und 
er hat lebhaft darin beiviefen, wie der Genius auch den un- 
dankbarſten Gegenftand zu beberrichen weiß. — Seine freie 
Nachbildung von Delille’s homme des champs, in wels 
chem er das hollaͤndiſche Bandieben fchilderte, wird dem Origi⸗ 
nafe vorgezogen. — Eben fo wird ein Fragment von ihm, 
der Untergang der erftien Welt (Ondergang der Eerste Wae- 
reld) hochgefchäßt. — Seine Ode an Napoleon, den er fps 
ter eben fo inmig haßte, als er ihn früher verehrte, ift ein 
Meiſterwerk Inrifcher Poefie. — Bilderdyk würde von großem 
und fegendreichem Einfluffe gewefen feyn, wenn feine Heftig⸗ 


) Anmerkung während des Drudes, — Er ift ganz vor Kurzem 
geſtorben. 


— 44 — 


feit, feine Lebend=Anfichten und die nicht immer lobenswer⸗ 
then Mittel, die er mitunter zur Erreichung feiner Zwecke ans 
wendet, ihm nicht zu fehr im Wege ſtaͤnden. — Er ift Pas - 
triot im vollften Sinne des Wortes, und als folcher höchit 
achtungswerth. — Größere Auszüge aus feinen Gedichten zu 
machen, geflatten die mir gezogenen Grenzen nicht, ich theile 
Ihunen daher nur folgende gelungene Nachbildung, die wir 
Eichſtorff's Bemühungen verdanken, mit. 


Abend: Einfamfeie, 


So bift du denn dahin, 0 Tag der Wonne! 
Umfonft, ach! ruft die Sehnfucht dich zuräd, 
In's ferne Meer entfchwand fchon deine Sonne; 
Mit ide zugleich ſchwand meiner Liebe Gluͤck. 
Schon hat die Flur in Dunkel ſich gekleidet, 
Und rauh und Falt erfcheint die Winternacht, 
Die, ad! das Herz der Liebesfehnfucht leidet, 
Nur truͤber noch, noch ungluͤckſel'ger macht. 
O Schreckensnacht! dein eitler Sternenſchimmer 
Wird, ach! von mir nur zuͤrnend angeblickt. 
Warum haſt du mit deinem falſchen Flimmer 
Dein dunkles Kleid, dein Trauerkleid geſchmuͤckt? 
Die Sterne dort, die deinen Himmel ſchmuͤcken, 
Die hab' ich nie verlangend angeſehn. 
Mein Lebensſtern glaͤnzt in Melinda's Blicken, 
Und ſelig der, auf den ſie guͤnſtig ſehn. 
Ja! ſelig der, dem dieſes Sternes Strahlen 
In Wolken nie und nie in Nebel fliehn; 
Ihm Troft verleihn in feiner Liebe Qualen, 
Und durch die Nacht von feinem Sammer glähn. 
O glühend Herz! das du in deinen Leiden 
Nicht Frieden fennft, als wenn dein Stern dir tagt: 
Wie Schnell, ah! ſchwand dir jener Tag der Freuden, 
Wie lang’, ach! haft du feine Flucht beklagt! 
Der füße Tag, als du fie an did, dräckteft, 
Und ihre Hand umfingft mit deiner Hand, 
Und einen Kuß dem füßen Mund enträckteft, 
So glühend, als auf Lippen je gebrannt! 





— .415 


Der Tag, da du ans ihrer Augen Strahlen 
Dein künftig Loos, dein Keil, dein Leben ſogſt, 
Und da du fie, erweicht durch deine Qualen, 
zum Mitgefühl der füRen Pein bewogft. 
D mäßige der langen Treunung Trauer, 
Bis durch die Nacht die Morgenröthe bricht. 
Ertrag’ die Nacht und ihre lange Dauer; 
Bald ſchimmert bir ein freudebringend Licht, 
Ein Morgen naht, ein Morgen voll Erbarmen, 
Der deinem Schmerz die hoͤchſte Wonne ſchenkt; 
Der deine Braut begrüßt in Deinen Arnıen, 
Und deine Auaal in's Wonnemeer verfentt! — 


Der Lieblingsdichter der Holländer ift der Lyriker Tollens, 
geboren 1780 zu Rotterdam. Er bildete fich befonders nach 
neueren Muftern. — Tiefe, innige Empfindung, Warme des 
Gefühls, Zartheit uud Eleganz zeichnen feine durch ganz Hol⸗ 
Iand verbreiteten Gedichte yortheilhaft aus. — Er weiß die 
Sprache mit eigenthimlicher Leichtigkeit zu behandeln, und 
mit Herzlichfeit zu beleben. Unter feinen Poeſieen werden als 
die vorzüglichften gelobt: Het pevallen Meisje; (An ein ges 
fallenes Mädchen) Blandine; De Moeder (die Mutter); Ke- 
nau Hasselaar u. f. w. — Folgendes ift eins feiner neue⸗ 
fen Lieder, dad wir Bowring's Mittheilung *) verdanken, 


0) MWinterabenpdlieb. 


Der Oſtwind blaͤſt fo Falt und Hohl, 
Es friert gewaltig aus, 
Wir haben Torf und Holz im Haus, 
Und figen warm und wohl. 


*) Bowring’s Sketch etc. ©. 104 fgde. 


*“) Het Oosten blaast, het wintert fel, 
’t Is buiten vienig koud: 
God dank! wij hebben turf en heut; 
Wij zitten warm en wel. 


416 — 


Die Bäume find wie Flaum fo weiß, 

Die Gräben feft wie Blei; 

Was kümmert uns Frau, Schnee und Eis, 
Wir haben Wein und Punfch recht heiß, 
Und Dad und Brod dabei. 


Und nöth’gen wir den Freund als Gaſt, 
So giebt es Fleifh und Fifch, 
Mitunter Wildprett auf dem Tiſch, 
Und was dazu nod) paßt. — 
Wenn gar uns ein Geburtstag fehrt, 
Wie jung das Kind auch fey, 
Wird eine Torte ihm befcheert, 
Wir eflen Waffeln an dem Heerd 
Und trinken allerlei. 


Das kann der arme Bettler nicht, 
Der durch die Straßen irrt, 
Gleichviel, ob's thaut und ob es friert, 
Hunger auf dem Seficht. — 








Al zijn de boomen wit als dons, 

De gragten hard als lood. 
Wat, wijfjelief! wat deert het ons — 
Wij hebben warmen wijn en pons, 


Wij hebben dek en brood. 


En nooden wy eens een vriend te gast, 
Wij zetten vleesch en visch — 
En somtijds wildbraad op den disch, 
Met wat daarneven past. 
En als er een van’t huis verjaart, 
Hoe jong de kleene zij, 
Wij bakken, hem ter eer’, een taart, 
Of eten wafels aan den haard, 
En drinken slemp er bij. 


Dat kan die arme stumpert nict, 
Die langs de straten schoeit, 
En, of het vriest, en of het dooit, 

Verbleekt van honger ziet. 





47 — 


Ob Frau und Kind Gehurtstag hat, 
Kein Saft kommt ihm heraus; 

Nur Froft und Kummer ſich ihm naht, 
Kein Feuer er im Dfen hat, 

Geſchenk kommt nicht in’s Haus. 


ie muͤſſen wir nicht beffer feyn, 
Verfehn mit ſolchem Gut, 
Den Winterheerd in voller Gluth, 
Den Becher voll mit Wein, 
Wir find aus ander'm Stoff gemacht 
Als er, aus beffer'm Then, 
Und Gott, der Alles wohl bedacht, 
Gab uns mit Recht die Kleiderpracht, 
Und ihm den Kittel ſchon. 


Ich, beſſer ſeyn? — KBermell'ner Sang; 
Iſt's Wahrheit, ſagt es frei, 
Ich wänfchte wohl, daß wahr es fey, 
Denn mir wird wahrlic bang’. 





Verjaar’ zijn kind, verjaar zijn vrouw, 
Geen gast betreedt zijn kluis; 

Hij lijdt altijd gebrek eu kou, 

Hij stookt geen vuurtjen in zijn schouw, 
Hij krijgt geen tulband thuis! 

Wat moeten wij nict beter xiju, 
Bedceld met zoo veel goed; 

Den winterhaard in vollen gloed, 
Den beker vol van wijn! 

Wij zijn wit andre klei gekneed, 
Uit beter leem dan hij, 

En God, die alle dingen wett, 

Gaf ons met regt cen fraaijer kleed, 
En hem cen ruwer pij. 


Ik beter zijn....? Vermetel lied, 
Is ’t waarheid, wat gij slaakt? 
Ik: wenschte dat gij waarheid spraakt, 
Ik vrces dat doet gij niet! 
27 


— 48 — 


Wer weiß, ob unterm Ro fo fchlecht 
Bon Lumpen angereibt, 

Sich nicht ein beſſer Herz noch regt, 
Biel Heffer noch und minder fchlecht, 
As unter diefem Kleid. 


Sollt's moͤglich ſeyn! — D Gott, fo groß! 
Koͤnnt's wirklid möglich ſeyn? 
Barum denn ihm nur Leid und Dein, 
Und mir ein befler Loos? 
Ich ſitz' und den! und quäle mich, 
Und fpär’ dem Räthiel nad). 
Doc dunkel bleibt mir ficherlich 
Das, was ich felber habe, ich 
Und was mir fehlet, ach. 


Dod) wie fo blind auch immer ich, 
Begreif ich doch daran, 
Daß ich dem Armen geben kann, 
Wo er nichts hat für mich. 


Wie weet, oF onder ’t slecht gewaad, _ 
Genaaid uit stuk en brok, 

Geen minbedorven harte slaat, 

Met meerder goed en minder kwaad, 
Dan onder dezen rok! 


Zou ’t mooglijk wezen ...? Gocde God, 
Zoo ’t mooglijk wezen mogt, 
Waarom dan hem zeo bang hbezecht 
En mij dat blijder lot? 
Ik zit en mijmer, peins en gis 
En dring het raadsel in, 
Maar wat mij vreeind en duister is, 
Ook mijn bezit en mijn gemis 
Heeft mij te diep een’ zin. 
Doch dat voor. ’t minst, hoe blind ik zijn 
Begrijp ik toch her van, 
Dat ik den arme geven kan, 
Wat hij niet kan aan mij; 





— 49 — 


Was Gott im Ueberfluß beſcheert, 
Gebuͤhrt ihm in der Noth. 

Ein Fuͤnkchen noch von unſer'm Heerd, 
Ein Tropfen Wein ſey ihm gewaͤhrt, 
Ein Biſſen von dem Brod. 


Gethan ſey darum unſ're Pflicht, 
Wie es das Herz gebeut, 
Das Raͤthſel laßt nur fort mir heut', 
Die Thraͤnen trocknet's nicht. 
Der Oſtwind ſtuͤrmt voll Käle und Graus, 
D’rum werd’ dem armen Mann, 
Der jest nicht weiß, wo ein noch au, 
Ein Biffen gern von unferm Schmaus, 
Bon unferem Holz; ein Span. 


Drum, Magd und Knecht, wie fpät es ſey, 
Das Haus laßt offen .feyn, 
Laßt Alt und Jung mir gern herein, 
Und Keinen mir vorbei. 





Dat, van wat God ons ruimer schonk, 
Hem hulp behoort in nood; 
Van onzen haard een enkle vonk, 
Een enkle drop van onzen dronk, 
Een kruimel van ons hrood. 


En daarom dan den pligt voldaan. 
Dien 't hart zoo luid gebiedt! 

Verdicpen we ons in raadsels nict: 
Dat droogt geen enklen traan. 

Het Osten blaast, het wintert wreed, 
’t Is buiten bitter koud; 

Den stumpert, die geen uitkomst weet, 

Behoort een vlokje van ons kleed, 
Een spaander van ons hout, 


Hoort, magd en knaap! hoe lnat het zij, 
Wie kloppen mogt, ontsluit! 

Dringt oud noch jong de huisdeur uit 
En zendt geen mensch voorbij.... 


27* 





—— 4210 — 


Horch! eilt und oͤffnet mir geſchwind, 
Wie's draußen friert und fchneit, 

Behuͤt' uns Gott! durch Wetter und Wind, 
Eine arme Mutter mit ihrem Kind, 

Sie fam zu rechter Zeit. 


Dank Dir, Du Brunnen aller Sur, 
Für alle Saben Dant, 
Befonders für den Liebedrang, 
Gepflanzt in mein Gemäth. 
Doc dreifach fey aus vollfter Bruſt 
Dir, Vater! Dank geweidt. 
Sch Hab’ es erſt durch Dich gewußt, 
Daß Dir genügen, höchfte Luft, 
Daß Wohlthun — Seligkeit. 


Tollens Gedicht: die Weberwinterung auf Nova Zembla, 
gehört zu den glüdlichften bibactifchen Poeſieen der Hollander 
neueſter Zeit. — Ich Taffe hier noch ein Lied dieſes liebens⸗ 
würdigen Mannes, welches von Eichftorff bearbeitete, folgen, 
doch habe ich mir geftattet, hier und da Heine Flecken, die zu 
fehr an das niederländifche Driginal erinnern, auszumerzen. — 





Wat hoor ik? vliegt! doet op, gezwind! 
”t Is buiten ruw en guur! 
O zond ons God, door weer en wind, 
Bene arme moeder met haar kind, 
Zij kwam ter gocder uur! 


Ik dank u, bron van alle gocd! 
Voor wat uw gunst mij schonk; 
Ik dank u voor de liefdevonk, 
Mi) tintlende in ’t gemoed; 
Maar driewerf dank, algocde God! 
Voor cike ervarcnis, 
Dat uw bevel ons reinst genot — 
Ons zoetst genoegen uw gebod — 
Dat weldoen zalig is. 


Blandine.r. 


An des Blumenbaches Rand 
Sitzt Blandine bleich und truͤbe; 
Und die Thraͤnen ihrer Liebe 

Rollen nieder in den Sand, 

An des Blumenbaches Rand. 


An des Blumenbaches Rand 
Fragt' fie truͤb die ſtillen Wogen, 
Wo ihr Gluͤck ſey hingezogen, 

Seit ſie Damon untreu fand, 

An des Blumenbaches Rand. 


An des Blumenbaches Rand 

Hielt er Lina juͤngſt umfangen; 

Kuͤßte Lippen ihr und Wangen 
Bis ihm Ehr' und Treue ſchwand, 
An des Blumenbaches Rand, 


An bes Blumenbaches Rand 
Sinkt Blandine kraftlos nieder: 
Ruft den Schäfer zärtlich wieder, 

Deſſen Herz fid ihr entwandt 

An des Blumenbahes Rand. 


An des Blumenbaches Rand, 

Wo die Trauerpappel zittert, 

Ruft fie, wie vom Tod durchzittert: 
„Deck' mic, bald, o Fühler Sand, 
„An des. Blumenbaches Rand!“ 


Von nicht geringem Einfluſſe auf den Geſchmack ſeiner 
Landsleute, jedoch mehr durch ſeine kritiſchen, als durch ſeine 
poetiſchen Arbeiten, war Rhynvis Feith, geboren zu Zwolle 
im Jahre 1753. Er bekleidete nach einander mehrere Aemter 
in feiner Vaterſtadt, und farb, nachdem er fich im Alter von 
allen öffentlichen Gefchäften zuruͤckgezogen hatte, und nur ben 


— 412 — 


Muſen lebte, im Jahre 1823. Feith bildete ſich nach Aus⸗ 
laͤndern, vorzüglich nach Deutſchen, beſonders war Goethe's 
Werther von großem Einfluſſe auf ihn, und er betrat zuerſt 
mit mehreren ſentimentalen Romanen, Julia, Ferdinand 
und Conſtantia, welche aber von ſeinen Landsleuten nicht 
eben mit großer Theilnahme aufgenommen wurden, die litte⸗ 
raͤriſche Laufbahn. Spaͤter wandte er ſich, ſeine Irrthuͤmer 
einſehend, und die Richtung ſeines Talentes erkennend, vor⸗ 
zugsweiſe der lyriſchen und didactiſchen, in ſeinen letzten Jah⸗ 
ren ausſchließlich der religioͤſen Dichtkunſt zu. — Feith iſt 
ein reiner und angenehmer, aber hoͤchſt ſelten, faſt nie begei⸗ 
ſterter und uͤber das Gewoͤhnliche ſich hinausſchwingender Dich⸗ 
ter, ſelbſt feinen patriotiſchen Poeſieen fehlt ed an der eigent⸗ 
Tichen hinreißenden Begeifterung, er veflectirt zu viel. Sein 
bedeutendftes Werk ift das Gedicht Het graf (dad Grab), fo 
wie er am Liebenswuͤrdigſten in einer anderen poetifchen Ar⸗ 
beit, Het Ouderdom, fich zeigt. — Unter feinen Sven 
werden die beiden „an Gott‘ und „an die Borfehung‘/ als 
die vorzüglichften betrachtet. — Troß feinen Bemühungen, 
die Theorie der fchönen Künfte unter dem Volke zu verbrei- 
ten, und fie in populärer Sprache, frei von den Ausdruͤcken 
der Schule, vorzutragen, hat er doch ſelbſt fich nie den rech- 
ten Geſchmack anzueignen gewußt, wie würde er fonft auf 
den geiſtloſen Einfall gefommen feyn, die Kantifche Philoſo⸗ 
phie in einem Lehrgedichte zu widerlegen, und dieſes Gedicht 
in der Form einer poetifchen Epiftel an eine Dame zu richten, 
welche er warnt, fich ja nicht mit dem Studium der Kritik 
der reinen Vernunft zu befchäftigen. — Obendrein behandelte 
er dad Ganze höchft oberflächlich und wiffenfchaftstos, fo daß es - 
dem gewandten und gelehrten Kinker fehr Leicht wurde, ihn 
durch Ironie und Gründlichleit, in einer Antwort, welche 
derfelbe eben der Dame in den Mund legte, völlig aus dem 
Felde zu fchlagen. — 
Sch Iaffe hier ein Gedicht von Feith, das wir Eichftorfs 

ehrenmwerthein Streben verbanfen , folgen. 


— 43 — 


De Ruhter. 


Mer ift es, deſſen Muth und Treue 
Ein Volk fein Schickfal anvertraut? 
Der nicht auf feiner Ahnen Reihe, 

Auf Tugend feine Würde baut? — 

Der dreimal, eh’ ein Jahrkreis endet, 
Sich gegen feine Feinde wendet 

Und ihre Flottenmacht bezwingt? 

Und, von Gefahr und Tod umzogen, 
Den fihern KHerrfcherftab der Wogen 
Schnell Englands Uebermuth entringt ? 


Wohin fein kuͤhner Geift Ihn leitet, 
Da glänzt der Sieg um feinen Kiel; 
Und wie das Loos auch drängt: er fehreitet 
Mit feinen Donnern doch zum Ziel. 
Von edlem Stolz, von kuͤhnem Streben 
Schwellt feine Bruft; fein ganzes Leben 
Treue und Gerechtigkeit, | 
Micht nur im Land, das wir bewohnen: 
Hein! überall, wo Menfchen wohnen, 
Wird Ihm Bewunderung geweiht. 

Hier feftigt fich, auf Karten Stuͤtzen, 
Ein Thron, gebaut durch Seine Hand; 
Und dort erhebt vor feinen Bligen 
Ein and’rer, der anf Felfen ftand; 
Durch Fuͤrſtenmacht und Gunſt erhoͤhen 
Die Fuͤrſten ſeinen Ruhm, und ſehen, 
Wie ſehr er ihre Wuͤrden ſchmuͤckt; 

Und von Bewund'rung hingeriſſen, 
Sinkt Africa zu ſeinen Fuͤßen, 
Und kaͤßt die Feſſel, die es druͤckt. 


Sein Name ſchwebt auf allen Zungen! 
So weit das Meer die Welt umfpannt, 
So weit auch ift fein Ruf erflungen, 
So weit ift feine Kraft bekannt. 
Die Wahrheit darf fein Lob frei melden, 
Denn an der Spige aller Helden 





— 424 — 


Entfliegt er zur Unſterblichkeit; 


Und mit dem ſchoͤnſten von den Kraͤnzen, 


Die fuͤr der Tugend Juͤnger glaͤnzen, 
Belohnt ſie ſeine Heiligkeit. 


O Vaterland! mit Recht vermeſſen 
Auf Deines Flottenruhms Gewicht: 
Wie koͤnnteſt Du ihn je vergeſſen? 
Nennt — nennt Dein Herz de Ruyter nicht? 
Ja, ja! ſchon fließen Eure Zaͤhren; 
Und beſſer, als des Liedes Ehren 
Beſtimmen fie des Helden Rang; 
Ja, diefe Thränen, diefe Schmerzen, 
Und diefer Laut aus wundem Kerzen, 
Sie find fein fhönfter Lobgeſang! 


Ihr duͤrft mit Recht das Haupt erheben! 
Durchfliegt das ganze Alterthum; 
Und Rom's und Hellas Helden fchweben 
Wie Schatten weg bei feinem Ruhm. 
Wo iſt ein Krieger, der fein Leben 
So herrlich je dahingegeben? 
Ein Held, der folhen Ruhm erwarb? 
Der für des Landes Heil gezittert, 
Doch freudevoll und unerſchuͤttert 
Den ſchoͤnen Tod der Helden ſtarb? 


Wenn je der Neid der Nationen 
Das Haupt erhebt, und ſpricht: daß Muth 
Und Kraft in dieſem Land nicht wohnen: 
Dann zeigt das Land, wo Ruyter ruht: 
De Ruyter, den Batavien zeugte, 
Bor dem ſich einſt die Erde beugte, 
Seblendet wie vom Goͤtterſchein; 
Und der durch tauſend Heldenthaten 
Der ganzen Erde hat verrathen, 
Wie groß ſein Vaterland kann ſeyn! 


Laßt And're Caͤſar's Ruhm erhoͤhen! 
Mich blendet nicht der Goͤtterſchein; 


— 425 


Ich feh’ in feinen Kriegstrophaͤen 

Die Blindheit feines Gluͤcks allein. 

Das Gluͤck, vor deffen Tempelhallen 
Die Menſchen flehend niederfallen, 

Das blinde Gluͤck erhöht uns nidt: 
Denn blindlings reicht es feine Krone, 
Und führt zum Blutgeruͤſt', zum Throne 
Den Helden — und den Boͤſewicht. 





De Ruyter flrahlt in hoͤherm Glanze, 
Weil nicht des Stückes feile Hand 
Ihn ſchmuͤckte mit dem Siegerkranze, 
Den Er um ſeine Schlaͤfe wand. 
Die Abkunft gab ihm keine Rechte; 
Sein Reichthum warb ihm keine Knechte; 
Allein geſtuͤtzt auf ſeinen Muth: 
So ſchreitet Er, auf ſteilen Wegen, 
Dem rauhen Schickſal keck entgegen, 
Und adelt durch Verdienſt ſein Blut. 


Hieher die Kraft, die nie entſchwunden, 
Selbſt wenn er ſeinen Plan verfehlt; 
Verdienſt iſt nicht dem Gluͤck verbunden: 
Es wird durch Ungluͤck ſelbſt geſtaͤhlt. 

Ein Marius, vom Gluͤck verlaſſen, 
Auf jenem Schutt' in's Aug' zu faſſen, 
Hat immer mehr mein Herz geruͤhrt, 
Als Marius in guͤnſt'gen Tagen, — 
Auf Schön befränztem Siegeswagen 
In Roma's Mauern umgeführt. 


So wird, ſelbſt von des Ungluͤcks Streichen, 
Des Helden wahre Groͤße wach; 
Die See ſieht ihren Helden weichen: 
Sein Ruhm folgt ihrem Helden nach. 
Der Feind ſelbſt zweifelt, daß ſein Siegen 
Solch' einen Ruͤckzug auf kann wiegen, 
Und Alles ſtimmt verneinend ein: 
So weicht des Donners rauhe Stimme. 


— 


— 416 — 


Doch nod) erhebt von feinem Grimme 
Die Zelfenwand , das Feld, der Hain. 


D herrlich Vorbild meiner Lieder! 
Kaum tret’ ich meine Laufbahn an, 
So knie ich ſtaunend vor Dir nieder, 
Und fühl, daß ich nur loben kann. 
Ich feh’, wohin mein. Blick ſich wendet, 
Bis dorten, wo die Erde endet, 
Die Säulen Deines Ruhmes ftehn! 
O Holland’s Held! o Held der Helden! 
Wer kann Dein Lob nad) Würde melden? 
Wer Deine Thaten überfehn? 


Vergebens will ic mic bezwingen! 
Dhnmächtig ſinkt die Hand zuruͤck. 
Heroen kann die Hymne fingen: 
Sein Bild verblindet meinen Blick. 
In demi geringften Stand geboren, 
Erfcheint er bei des Ruhmes Thoren, 
Und alle Riegel ftärgen ld. 
Als Freund und Vater, Held und Weifen, 
Hoͤr' ic) ihn überall lobpreiſen, 
Und immer Rupter — immer groß! 


O Du! fo dankbar ihm verbunden, 
O Niederland! beend’ mein Lied! 
Lobſing' ihm laut ans taufend Munden, 
So weit man Deine Wimpel fieht! 
Klein! edlern Ruhm foll er erwerben! — 
Er glaubte, für ein Volt zu fterben, 
Das unter fremdes Joches Zwang, 
Nie feine Stirne beugen würde! 
Erwerbt, erhaltet diefe Würde! 
Sie ift fein ſchoͤnſter Lobgeſang! 





Der gewiegteſte Denker unter den jetzt lebenden hollaͤn⸗ 
diſchen Dichtern iſt unſtreitig Kinker, geboren 1764 in der 
Nähe von Amferdam, gleich ſehr ausgezeichnet durch feine 








— 47 — 


mediciniſchen, juriftiichen und philofophifchen Kenntniſſe, feit 
1818 Profeffor der holländifchen Zitteratur zu Lüttich. — 
Kinker ift ein erflärter Anhänger Kant's, ein Umfland, der 
von dem größten Einfluffe auf feine poetiſchen Leiftungen ift, 
ja diefe mitunter dunkel und verworren macht, da ihr Ver: 
faſſer die Grenzen zwifchen Philofophie und Poeſie nicht im⸗ 
mer fiharf zu ziehen weiß, und fich hier nicht felten verirrt. 
— Energie und Gedanfenreichthum zeichnen ihm vortheilhaft 
aus; feine Sprache ift indeffen, vorzüglich in feinen didacti⸗ 
fchen Poefieen, die fich oft dem Iyrifchen Elemente zuneigen, 
nicht harmoniſch und gefällig; gelungener erfcheint fie in eini- 
gen kleineren Inrifchen Arbeiten, vorzüglich in feinen Verſen 
an Haydn, und dem Lebewohl an das Y und die Amftel. — 
Seine bedeutendften philofophifchen Poefteen find „der Geift 
des Loyola im 19ten Jahrhunderte,“ eine Art von politifchem 
Gedicht, vol Kühnheit und Patriotismus, und fein Allleben. 
Aus dem Lebteren möge bier em Fragment folgen. — Als 
Profaiker hat er fich befonders durch vortreffliche politifche und 
kritiſche Schriften einen bedeutenden Muf erworben. — 


Fragment aus Kinker's Gedicht: 
Das Allleben 


oder 


die Weltſeele. 


Schwacher und doc fo verwegener Sohn der Erbe, des 

Staubes 

Sklave! Du träumft von urfprüngliher Kraft und Befeelung? 
Befrage 

Jene Natur, die einſt zum Leben Dich rief, um das Raͤthſel 

Deiner Belebung — und fuͤrchte die Schrecken des ewigen Todes! 

Oder umklamm're den Stoff, der jeglichen Keim der Belebung, 

Der den Verſtand, das Gefuͤhl und das Wiſſen umfchließt; — 
und befrage 

Dann das fremde Geſchoͤpf um des eigenen Lebens Beſtimmung. 


— 4285 — 


Oder verlangſt Du ein hoͤh'res, ein Alles regierendes Weſen, 
Dem Du entſtroͤmt biſt? dem Du Dich wieder vereineſt? — 
und dieſen 

Nimmer Geſchaffenen ſoll der Verſtand bes Geſchoͤpfes ergruͤnden? 
Gerne ließeſt Du dort, in dem ewigen Chore der Schoͤpfung, 
Alle die Ketten erklirren, an denen Du ſchmachteſt, um aͤngſtlich 
Dann nad) ihrem Accord mit des Daſeyns unendlichem Chorlied 
Deine Nichtheit oder ein ebleres Seldft zu erkennen. 


Aber wenn die Natur Die ſtumm ift, oder Dir Unfinn 
Prediget; wenn fie im Schleier der Nacht ihr heimliches Wirken 
Deiner Betrachtung entziebt; vielleicht auch Wahrheit Dir gaukelt, 
Welche die Quelle verläugnet, aus ber fie entfloß, und als 

Ruͤckglanz 
Fruͤherer Zweifel am Ende verſchwindet in Luͤgen und Irrthum: — 
Wo dann willſt Du das Licht, zu dem Du Dich ſehneſt, ent⸗ 
zuͤnden? 


Soll die verfloſſene Zeit, das Grab der Jahrhunderte 
reden? 

Sollen die Fabeln unmuͤndiger Kindheit des Menſchengeſchlechtes 

Heilige Kunde Dir ſeyn, von denen Du Wahrheit erwarteſt? — 

Immer vergebens! — wie weit auch, wohin auch die Blicke 

ſich wenden: — 
Niemals leuchtet ein Strahl Dir, welcher nicht endlich im 
Irrgang 

Deiner Vermuthungen ſchwindet, noch che Du Wahrheit er; 
kannt haft. 

Miemals kennſt Du Dein eigenes Ich; das Ziel, das erhabne, 

Welches von ferne Dir winket, zu dem Du in ewigen Kämpfen 

- Raftlos auf follft ſtreben, it fremd in diefem Gebiete, 

Wo Du beftändig es fuchft, und nimmer erhaſcheſt; Dich trügen 

Tönende Worte; es trägt Dich der Schimmer, das Bildniß, 
j die Hülle, 

Der es an Worten gebricht, den ſchwellenden Keim zu benennen. 

Vildlihe Sprache nur üt es, erkannt im gefchmeidigen Stoffe, 

Der von dem funkelnden Strahl eines Höheren Geiftes durchzuͤckt 


iſt; 
Aber der freieren Denkkraft inniges, ewiges Weſen, 


— 429 — 


Jenes erhabene Leben, das niemals ſtirbt, und bei welchem 

Dieſes vergaͤngliche Seyn nur ein Schatten, ein fluͤchtiger 
Traum iſt; 

Ewig verbirgt es ſich uns in naͤchtliches Dunkel. 


Wir moͤgen 
Bald mit geſpannter Erwartung die leiſeſten Spuren der Denkkraft 
Raſtlos folgen; oder gedraͤngt durch des Wiſſens Begierde, 
Nimmer ermuͤdet das große, das immer wechſelnde Schauſpiel 
Ewig verjuͤngter Geburt und ewig erneueten Todes, 
(Jenes unendliche Kämpfen der Schöpfung) pruͤfend beſchauen; 
Oder den Umfang der Welten, die Dauer derfelben berechnen, 
Und mit Behälfi des Quadrants und des fcharf abnieffenden 
Zirkele 
Unferem Auge das ewige Nichts der Zeit und des Raumes 
Sinnlich begreifbar machen duch Zahlen, durch Züge und 
Bilder: — 
Nimmer erbliden wir wirkliche Dinge; nur Schatten ber 
Schatten; 
Unvollkomm'ne Geburten des flüchtig entihwindbenden Dafeyns, 
Welche den dentenden Geijt in demfelden Betruge verwickeln. 


Spart die vergeblihe Mühet — Ihr werdet doc ewig 
Euch ſelbſt nie 
In den Geſchdpfen erkennen, mit denen ihr fortſchwebt. — 
Waͤhnt ihr 
Jenes erhabene Feuer, von welchem der Buſen entgluͤht if, 
Durch [die Erkenntniß genähre, an dem Licht des Verſtandes 
entzündet? 
Waͤhnt ihr die geiffige Schöpfung in Farben, In Haltung und 
Zügen, | 
Und die unendliche Einheit in Vielheit, in Maaß und in Zahlen 
Eurem Geiſt zu verffändigen? — Ordnung im Stoff zu erfennen, 
Und in dem Staube die Seele, im Tode das Leben zu finden? 
Alles, was je die allmächtige Kraft in's Dafeyn rief, was 
Jemals war, was ift und feyn wird, ftrebt nach Belebung. 
Liebend umarmt fich die ganze Natur, und in ewiger Gährung 
Strömen belebende Gluthen von Himmel zu Himmel, Im 
Staube 


— 430 — 


Wimmelt die niebrigfte Stufe des Lebens; als Pflanze und 
Thier ftrebt 

Alfes zum Leben; es fehläft — und erwacht; es keimet und 

waͤchſt. Nichts 

Wurde fo innig umgarnt von den eifernen Armen des Schlafs, fo 

Machtlos gebannt in die Formen ber trägen und gröberen 
Stoffheit; 

Nichts ſo muͤde verſenkt in die Kluft der Verweſung: — das 
nicht, wenn 

Streitende Kraͤfte ſich aͤußern, aus muͤder Erſchlaffung erweckt 
wird, | 

Lebt und entsläht, empfängt und gebäret. Ein nemlicher Grund: 


geift 
Webt in den Adern des Weltals! — Aber das höhere Lehen 
Eigener Willenskraft und feldft ſich erkennender Wuͤrde, 
Sener fo fih’re Begriff von Pflicht und eigener Thatkraft; 
Iener Wille, vor weldhem die Luft und Begierde und Tugend 
Weichen; mit welchem fogar das Gewiſſen im Kampf nicht 
beſtehn kann, 
Wenn er mit Rieſengewalt in ſelbſterkohrener Richtung 
Schreitet, und Hoffnung und Furcht, und Freuden und Jammer 
verachtet: 
Dieſes urſpruͤngliche Leben erkennt den ſchoͤneren Funken 
Goͤttlicher Weihe, durch den es, entfuͤhrt den Geſetzen des Staubes, 
Selbſt ſich wählt die erhabenen Kreife des Wirkens und kraͤftig 
Aufdringt hin zu dem kuͤhneren Ziel in der Ferne. Ein Gott, der 
Unſere Seele erfuͤllt, zernichtet die Lehre des Fatums, 
Laͤßt uns das ſchoͤnere Land der Freiheit erkennen und windet, 
Trotz des Betrugs der Natur, des Todes und der Verweſung, 
Wie auch die Sinne ſich ſtraͤuben, uns los von der Sinne 
Umkettung. 


Aber vergebens erforſchen wir dieſe unlaͤugbare Wahrheit 
Am ſyſtematiſchen Reiche ber Wiſſenſchaften; bie Einheit‘ 
Diefer Erkenntniß durchgläht die Seele in reinerem Aether; 
Hehr durchſtrahlt fie die Woͤlbung der Höheren Himmel; fie 

ſchwindet 
Aber dahin in jeder Erſcheinung der Sinne; wer's waget, 
Mathematiſch dies heil'ge Syſtem zu begruͤnden, vertraut ſich 


431 — 


Mit baufälligem Nachen dem nimmer ergrändeten Meere, 

Schwindelt mit feinem Betruge hinunter in klaffende Schluͤnde; 

Und es empfängt ihn zulegt, ein Lohn der trogigen Kuͤhnheit, 

Eine unendliche Kluft von nie erleuchtetem Dunkel; 

Denn fie fliehet, die Freiheit, das Eis des falten Verſtandes; 

Schoͤnere Zonen durchgläht fie; fie ift das unendliche Streben 

Im idealifhen Reich der höchften fittlichen Würde, 

Wille und That ift fie; Fein Wefen und feine Ergebniß; 

Kein Gefolg, dem Grunde, aus dem er entwickelt, verbunden ; 

Keine Dauer der Zeit! — Sie ift das ewige Heute: 

Jene erhabene Gottheit, welche das ewig Vergang'ne 

Aufwärts leitet in's Reich der nie beendeten Zukunft, 

Und die Jahrhunderte führt in ewig erneuetem Ringtanz: 

Jener ätherifche Geiſt, der Überall. in der Schöpfung 

Herrlichſten Schöne verkörpert den irdifchen Blicken fich darbeut. 

Ihre Umhällung nur ift die Natur; die Bekleidung, in der fie 

Keimet und glänzt; der Schleier, duch welchen fie funkelt, 
und wo fie, 

Wechſelnd in Farben und Formen den Mienfchen zum Künftler 
begeiftert. 





von Eichſtorff. 


eben jenen Männern werden Staring van den 
MWildenbofh, Spandaw, Withuis, Mesfchert, 
Stryd van Linfchoten, der fich auch in deutfcher Sprache 
verfuchte, Da Cofta, de Elercg u. f. w. von ihren Lands⸗ 
leuten mit Achtung genannt; fie find mehr oder weniger doch 
‚weiter nichts als Mitglieder einer Maffe von Poeten, die ich 
nicht beffer, als mit dem Namen der hausbadenen Poeten 
zu bezeichnen weiß, und zu denen man fich auf einem fo reis 
chen Felde fchwerlich verirren wird, wenn Studium und Bes 
ruf es nicht zur Pflicht machen. — 

Der Roman wurde zwar nicht ohne Vorliebe von den 
Hollandern cultivirt, doch haben fie auch hier nichts Beben: 
tendes, Urfprüngliches geliefert, fondern fich meift mit Ueber⸗ 
fegungen und Nachahmungen beholfen. — In den leiten 
Decennien des vorigen Sahrhunderts erwarben fich die Damen 


Wolf und Deken einigen Ruf durch mehrere ziemlich breite 
FSamitiengefchichten, deren eine, Willem Leevend, von dem 
bekannten Verfaſſer des Siegfried von Lindenberg, 
Müller, in das Deutfche übertragen worden ift, nicht ohne 
Nutzen für die Kenntniß hollandifcher Sitte. Seit der neue⸗ 
fien Zeit haben fich die Nachkommen der großen Malter 
Scott’8 Familie in den Niederlanden einzubürgern verfucht, 
doch nicht eben mit großem Erfolge. 

Die dramatifche Poefie liegt fehr im Argen und befchränft 
ſich meift auf Nachahmungen und Weberfeßungen. In den 
erfteren wird die ſteife franzöfifche Schule ald genau zu befolz 
gendes Vorbild betrachtet, und die Verſuche einſichtsvoller 
Männer, beide Gattungen, die romantifche und die klaſſiſche, 
zu vereinigen, find ohne bedeutende Wirkung geblieben, — 


Dreisehnte Vorleſung. 


— — — — 


Spanien. 


Blicke auf die Geſchichte der Sprache und Poeſie in Spanien; Me⸗ 
lendez Valdes, Cienfuegos, Moratin, Martinez 
deln Roſa. 


Vor der Ankunft der Roͤmer erfreuten ſich die Turditaner und 
die Gallicier einer ziemlich ausgebildeten Poeſie, aber man weiß 
nicht genau, welcher Sprache fie ſich bedienten. Als die la⸗ 
teinifche in der Hauptinſel fich verbreitete, nahm fie unter dem 
foanifchen Himmel einen eigenthümlichen Iebhaften Schwung 
an. — Nun kamen die Gothen; fie behielten zwar die Sprache 
der alten MWertherrfcher bei, geftatteten fich jedoch viele Ver⸗ 
änderungen. Ihre Geſetze find Iateinifch gefchrieben, und als 
das einzige litterarifche Denkmal jener barbarifchen Zeit bewahrt 
worden. — Die Araber, die darauf dad Land überfchwennts 
ten, übten zweifachen Einfluß aus, fowohl durch ihre Herr⸗ 
ſchaft, als durch den Vorfprung in der Kitteratur, deſſen fie 
fih mit Necht rühmen konnten. — Mauren und Chriften 
waren durch eine zu ſtarke Scheidewand getrennt, ald daß die 
Wermiſchung der Sprachen hätte vollftändig werben koͤnnen. 
Da aber die Sprache der Sieger feit langer Zeit größere Voll⸗ 
kommenheit erreicht hatte, fo zögerte mancher chriftliche :Dichz - 

23 








434 — 


ter nicht, fie zu benutzen, wenn er fih dem Einfluffe feiner 
Begeifterung hingab. — Das Latein war fat außer Gchrauch; 
aber die Vulgärfprache fing an, fich zu bilden. Die Trou⸗ 
badourd des fühlichen Frankreich führten damals die Formen 
der romanifchen Sprache in Spanien ein. — Noch jetzt 
tiefert dad Spanifche einen Beweid, welche Umwaͤlzungen fich 
in feinem Vaterlande ereigneten. Theilt man die Sprache in 
hundert Theile, fo fallen ſechszig dem Lateiniſchen, zehn 
dem Griechifchen,, zehn dem Gothifchen, zehn. dem Vrabiſchen 
und zehn dem Deutichen, dem Italieniichen, dem Franzoͤſi⸗ 
fchen umd den aus beiden Indien eingeführten Wörtern, ans 
heim, — 

Nachdem Spanien. den: Römern wiehrere große Dichter 
und Gefchichtfchreiber, Aaudgezeichnet durch ihre Feuer und ihre 
Beredſamkeit, gegeben hatte, wurde e8 von ben Gothen er⸗ 
ober. — Die Iateinifche Literatur ward von nun an faft 
gar nicht mehr cultivirt, und nur die Iateinifche Sprache er- 
hielt fich noch in diefen Gegenden. Die ungeftalten Verfuche 
der barbarifchen Eroberer der Pyrenaͤenhalbiuſel verdienen nicht 
angeführt zu werden. Roderich, der legte Gothenkönig, defs 
fen zügellofe Leidenfchaften dem chräftichen Spanien den Eins 
fall der Mauren zuzogen, war, wie es heißt, Dichter, und 
nahm das burch ihn, bereitete Ungluͤck zum Gegenftande ſeiner 
Poeſieen. — 

Unter dem ſchoͤnen Himmel Iberien' verfeinerten ſich 
die Sitten der Araber: ſie ſtanden beinahe hoͤher, als die 
übrigen Bewohner Europa's, und die lebhaften, aber verwor⸗ 
renen Anſichten, welche fie aus dem Morgenlande mitbrach⸗ 
ten, bedurften nur der Muße des Friedens zu ihrer Entwicke⸗ 
lung und zur Ausuͤbung ihres ganzen Einfluſſes. Seit dem 
zwölften Jahrhunderte erfreuten ſith die Mauren in Spanien 
oͤſſentlicher Schulen, beruͤhmt durch die ausgezeichnetſten Leh⸗ 
rer und durch Bibliotheken, in denen ſich an hunderttauſend 
Bände fanden. — Die Abulfeda, Averroes, Avi⸗ 
cenna lieferten vortreffliche wiffenkbaftliche Abhandlungen. — 


—3 





— 435 


Nichts kam den prächtigen Monumenten und Gebäuden gleich, 
welche die Kalifen hatten mit großem Koftenaufiwande errichs 
ten laffen, und bie dem ganzen übrigen Europa als Mufter 
dienten. — Der Aderbau war bamald in jenen fruchtbaren 
Provinzen blühender, als er es je ſeitdem geweſen if. — 
Selbſt die Ehriften verachteten das barburifche Latein der vors 
hergehenden Jahrhunderte. — Die Beſiegten bedienten fich 
der Sprache ihrer Sieger (ded Arabifchen), wenn fie fich dich⸗ 
terifcher Begeifterung hingaben. — Hatten fie von den Maus 
ven die Ideen chevalereöfer Galanterie angenommen, fo fühls 
ten dagegen die Spanier nicht minder das Erwachen eines 
glühenden Eiferd für die chriftfiche Neligion in fih. — Die 
theologiſchen Abhandlungen , die Nitterromane und mehrere 
ähnliche Werke zeigten, indem fie bie Altgläubigen, welche mit 
den durch jene Merle verbreiteten Ideen noch einige mytholo⸗ 
gifche Anfichten vermählten, begeifterten, fchon den Charakter, 
den einft die fpanifche Kitteratur annehmen würde, ba man 
den glänzenden orientalifchen Stel, dem chriſtlichen Myſticis⸗ 
müs und das Feuer der Mythologie der Alten in ihr wieders 

findet. “ 
Während nun die Mauren und Epriften mit Erfolge ben 
Miffenfchaften oblagen, blieben Die Israeliten auf der Pyre⸗ 
naͤenhalbinſel wicht mäßig, fondern lieferten einige vortreffliche 
Werke; kurz, Alles weiffegte eine glänzende Zeit. NWorbereitet 
durch Alphons den zehnten, ben Warques de Sautil- 
Iana, den Eonde de Villena und Don Juan de Mena 
trat diefe Umwaͤlzung ein in der zweiten Hälfte bed fechöyehn: 
ten Jahrhunderts. 

Seit Iſabella und Ferdinand, fo wie unter Carl's V., 
ihres Nachfolgers, Regierung , war der litterarifche Ruhm ber 
Spanier durch eine Reihe glorreicher Thaten verbreitet worden. 
Alles vereinigte fich, diefes Volk auf edle Weiſe zu begeiftern, 
fowohl die Niederlage der Mauren, als auch die Eroberung 
der neuen Welt. Noch einige Fahre, und die kaſtüiſchen Dichs 
tes beburften nur des Gefchichte ihred eigenen Landes, um die 

28* 











436 


herrlichſten Stoffe zu ſinden. So iſt es faſt immer: die Zeit⸗ 
genoſſen jener großen Begebenheiten hatten dieſelben nicht ge⸗ 
feiert: man mußte warten, bi ihr Eindruck auch feine Wir: 
fung auf das gefammte Volk erfiredte. — 

Zu Anfange des fechözehnten Jahrhunderts erfchtenen ei- 
nige Dichter, die die reiche Periode der drei Philippe 
verfimden. Was den StyI betrifft, fo bleiben eben diefe un- 
nachahmliche Mufter aller übrigen ‚Epochen. Der Zufall 
Hatte ihnen ihre Stelle im Kofler, im Kriege, im Cabinette 
angerwiefen; auch zeichneten fie ſich durch einen fehr verſchie⸗ 
denen poetifchen Charakter aus. — Boscan brachte aus 
Italien neue Rhythmen: mit (Hendekaſyllaben) und ſchoͤpfte 
feine Begeifterung aus Dane und Petrarka. Garcilaſo 
de la Vega (der Dichter), fo jung feinem Baterlande und 
den Mufen entriffen, hinterließ den Spantern Muſter erofifcher 
Dichtkunſt: Ponce de Leon, dieſer Geiftliche mit glühender 
Seele, der die Kraft ded Gedankens ‚mit wärmfter Empfins 
dung vermäßlte, zeigte, weiches Sthwunges die kaſtiliſche 
Sprache in erhabenen Gegenftänden fähig war. Er ift es, 
den bad Tribunal der Inquiſition beftrafte, die heiligen Bücher 
überfegt zu Haben. — Während aber dieſe auägezeichneten 
Männer vom Neide und der Dummheit verfolgt wurden, diente 
ein Schriftſteller, den alle Verhältniffe gleich fehr begünftigten, 
ſowohl ſeinem Vaterlande wie den Wiffenfchaften, mit dem⸗ 
ſelben Erfolge. Hurtado de Mendoza, correkter und ele⸗ 
ganter Dichter, ſo wie geſchickter Hiſtoriker und geiftreicher 
NRomanfchreiber, ließ die Schätze der italienifchen Litteratur in 
feiner Mutterſprache und in nationalen Stoffen wieder erftes 
ben. Spanien zählte damals noch mehrere große Männer, 
aber ‘fie befanden fich im Ausland. — Ercilla verherr- 
lichte die Kämpfe mit den Araucanern; auf dem Schlachtfelde 
felbft warb er infpirirt. — Der größte Mann einer Nation 
iſt gar oft der uuglüclichfte. Die Gluth der Seele, die zu 
einem Meiſterwerke begeiftert, zieht auch haufig vom viel be⸗ 
tretenen Pfade der Menge ab. Ungeduldig über ben Lebens: 


% 


zwang, fern von femem Vaterlande umherirrend, Oefangener 
der Mauren, und bei feiner Ruͤckkehr verfolgt, fchrieb Mi: 
guel Cervantes, mitten unter den Unruhen des bewegtes 
fien Lebens, fein unfterbliches Werk, und gab es in der Bits 
terften Dürftigleit 1604 heraus. Diefer Mann, der ganz 
Europa erleuchtete, und. feinem Vaterlande einen bleibenden 
Pla in den Annalen der Kitteratur erwarb, bezog kaum fo 
viel von demſelben, um fein Leben nothbürftig zu: friften. Als 
das zoͤgernde Mitleid feiner Nation fich feines Schickſals ers 
barmte, war es zu ſpaͤt. — Er hatte im Elende geendet. — 
Das Schickſal feiner Nachfolger war glänzende, — Die 
Nation hatte warfcheinlich einfehen gelernt, was ein großer 
Mann galt. Loge de Vega's Leben war unruhig, aber 
sicht ungluͤcklich; die lebten Tage dieſes Dichters wurden von 
glorreichem Erfolge begleitet. Diefer Mann, der einen ſo gro⸗ 
Ben Einfluß auf feine Nation ausübte, war der fruchtbarfte 
Dichter Europas; feine Leichtigkeit im Arbeiten gränzt an das 
Gabelhafte; der Reichthum feiner Phantafie erhielt Spanien in 
beftändigem. Zauber, — Er war fo fehr der Dichter des Volks 
geworden, daß man, um die hohe WVortrefflichleit einer, felbit 
der Litteratur ganz fremden Sache zu. bezeichnen, fich des 
Ausdrucks bediente: Es ift son Lope. (Es de Lope.) 
Aber ſchon hatte die ſpaniſche Literatur ihre urfprüngliche 
Reinheit verloren. Ein talentvoller, genialer, aber geſchmack⸗ 
loſer Dann führte die Gemüther durch Iacherlichen Schwulft 
und uͤbertriebene Gefuchtheit ire. Gongora, der Schöpfer 
des Estilo eulto (gefchmüdten Styles), Taan deu Anfang eis 
wer neuen Periode bezeichnen. Einige bedeutende Geiſter, die 
nach ihm auftraten und ben größten ‘Theil des fiebzehnten 
Jahrhunderts mit Glanz erfüllten, hindern und, diefe Periode 
in zwei fcharf gefonderte Abtheilungen zerfallen zu laſſen. Guil⸗ 
lem de Caftro, Quevedo, Solid, Calderon und viele 
Andere find der fchönften Zeiten wuͤrdig. De Caſtro, aus: 
gezeichneter Tragifer.: Que vedo, der geiſtreichſte und wißigfte 
Dichter feiner Zeit: Solis, eben fo vortrefflicher Hiſtoriker, 


— 48 — 


als Poet; Calderon, den auch die Auslaͤnder mit Freuden 
anerkennen, und viele andere geniale Dichter und vorzuͤgliche 
Proſaiſten, beſchuͤtzt von einem Koͤnige, der ſelbſt ſtolz darauf 
war, einen Platz unter den Schriftſtellern ſeiner Nation ein⸗ 
zunehmen: alle dieſe beurkunden, daß die Periode ber drei 
Philippe nicht auf eine abfolute Weile eingetheilt wer⸗ 
den kann. 

Nachdem Frankreich Spanien einen König gegeben hatte, 
und die Herrfchaft der franzoͤſiſchen Schriftfteller aus dem 
Fahrhunderte Ludwig’ XIV. ihren Scepter weithin erſtreckte, 
brachte Spanien anfangs (man muß ed geftehen) nur Dichter 
von verdorbenem Geſchmacke, oder ſchwache Nachahmer der Frau⸗ 
zofen hervor. — Diefe Leuteren, die Galliziften, trugen anfangs 
den Sieg ber die Gongoriften davon. Doch regte fich übers 
haupt auch bebeutendere Kritif. Luzan Heferte feine Poectik; 
Feyjo o' feine unterhaltenden und belehrenden Traͤumereien. 
Gegen die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts ſtand ein Mann 
auf, der Pater Isla, der für die ichlechten Prediger feiner 
Zeit dad wurde, was Cervantes für die geifllofen Verfaſſer 
abenthenerlicher Rittergefchichten geweſen war. 

Nachdem man fich von den guten Muftern Iange entfernt 
gehalten hatte, näherte man fich ihnen wieder anhaltender. 
Zwar fuhr man fort, die Franzofen nachzuahmen, aber man 
ftudierte auch den Styl der caflilifchen Autoren des fechözehnten 
Sahrhundertd. Es traten ſelbſt Schriftfteller auf, die originell 
feyn wollten, und darnach firebten, fich von dem Zwange der 
franzöfiichen Regeln zu befreien. — Ganz gelang es ihnen 
jedoch nicht. — Der Schluß des achtzehnten Jahrhunderts 
zählt mehrere fchäßenswerthe Dichter, die, größtentheild vers 
folgt, einen momentanen Aufenthalt in Frankreich fuchten. 
Melendez VBaldes rief in feinen Oden die elegante Rein⸗ 
heit der Zeit Garcilafo de la Vega's wieber in das Le⸗ 
ben. PDriarte zeichnete fih als Fabeldichter, Moratin, 
der Sohn, durch feine ‚vortrefflichen Luftfpiele aus. Die Na: 
tion betrauert noch den neneften Verluſt einiger bebeutenber 


— 439 0° — 

Keifenden und Schriftfteller, vie 3. B. ber beiben Ulloa, 
der beiden Azara, Jovellanos, Llorente, Eonte x. 
Einige Dichter glänzten feit dem Anfange dieſes Jahrhunderts 
in Spanten, vorzuͤglich Martinez de la Roſa und Cien⸗ 
fnegos. Das Ungluͤck der Zeit aber hat zum Schweigen ge: 
bracht, wen die polttifcden Stürme nicht aus feinem Bater⸗ 
lande vertrieben. 7) — 

Die vier lebten, eben genannten Dichter find es, mit 
deren Reiftungen ich Sie udher bekannt zu machen wünfche, 
da fie diefe Auszeichnung zu jeder Zeit verdient haben würden, 
indem fie fietd einen ehrenvollen P laß in der Gefchichte der 
feanifchen Ratiemallitteratur einnehmen müffen. — Der Erfte 
anter ihnen, ber Teichte und gefällige Juan de Melendez 
Baldez, gehört eigentlich noch Dem achtzehnten Jahrhunderte, 
in deffen Eude feine Bluͤthe fiel, an, doch koͤnnen auch un⸗ 
fere Tage Anfprüche an ihn sachen, weil er fie noch mit vols 
ter Kraft begruͤßte. Er ward im Sabre 1754 zu Nibera ge 
boren, ſtudirte zu Salamanca, und befleivete erft hier die 
Profeffür der fchönen Wiſſenſchaften, dann unter Joſeph's Res 
gierung die Stelle eines Directors der Unterichtönnftalten. — 
Während der fpiteren Ereigniffe genöthigt, feine Zuflucht in 
Frankreich zu fuchen, endete er fein Leben zu Montpellier im 
Fahre 1817. — Schon 1785 haste er feinen poetiichen Ruf 
durch ein Baͤndchen Gedichte (Poecias de D. Juan Melen- 
dez Valdez. — Madrid, 1785. 1. Bd. in 800) gegründet. 
Seine Mrbeiten gehören größtentheild der Igriichen Gattung an. 
‚Eine frifche und lebendige Phantaſie, die fich immer naturges 
ren und zart bewegt, Tiefe und Warme des Gefühld, Fein⸗ 
heit des Ausdrucks, Glanz der Faͤrbung, und Eleganz und 
Eorrectheit find nicht geringe Eigenfchaften derfelben. — „Me: 


+) Diefe kurze Ueberſicht bis Hicher, iſt der von mie bearbeiteten 
Jarry de Mancy’fchen Charte der Litteratur Spaniens (Weimar 
4830, rin Blatt in Folio) entlehnt. 


lendez,“ ſagt Bouterweck von ihm,*) „trat fchon als Juͤng⸗ 

ling in die Fußſtapfen des Horaz, Tibull, Anakreon und des 
Villegas; und da er die wolluͤſtige Anmuth des Villegas zu 
uͤbertreffen nicht wohl hoffen durfte, ſcheint feine Phantafie 
von ſelbſt die Nichtung auf eine feinere Ausführung der lieb: 
lichen Gedanken und Bilder, und auf eine Veredelung dieſer 
Art von Poeſie durch eine moraliſche Zartheit gewonnen zu 
haben, an der dem Villegas weniger gelegen war. Die Freu⸗ 
den, Leiden und Scherze der Liebe auf dem Lande laͤnd⸗ 
liche Feſte, laͤndliche Genuͤgſamkeit ſind der Stoff, der den 
anakreontiſchen Liedern des Melendez einen eigenen Ton giebt. 
Wenn man nicht in den maleriſchen Stellen dieſer Lieder den 
Spanier erkennte, wuͤrde man zuweilen einen engliſchen oder 
deutſchen Dichter in ſpaniſcher Sprache zu leſen glauben. 
Seine Beſchreibungen im Colorit der anmuthigſten Schwaͤr⸗ 
merei ſind zum Theile unuͤbertrefflich. Außer feinen anakreon- 
tifchen Liedern gehören feine Igrifchen Romanzen, feine Volks⸗ 
lieder im alten Nationalfiyle mit moderner Eleganz, feine ro⸗ 
mantifchen Oden und feine, Elegieen. und Sonette zu den vor⸗ 
trefflichften in der fpanifchen Kitteratur, Sch theile Ihnen 
folgendes niedliche anakreontifche Liedchen mit: 


Der flüheige Amor, 9) 


Um in meiner Bruft zu wohnen, 
Iſt Eupid’chen, ber Verraͤther, 
Von dem Herzen ſeiner Muͤtter, 
Und aus Gnidos fortgeflohen. . 





*) Gefchichte der fchönen Wiflenfhaften, Bd. IH. S. 603. 
") El amor fugitivo. 
Por morar en mi pecho 
El traider Cupidillo, 
Del scno de su Madre 
Se ha escapado de Guido. 


— 444 — 


Seine Bruͤder ihn beweinen, 

Und drei goͤttlich ſuͤße Kuͤſſe, 
Will Dione Jedem geben, 

Der den Sohn ihr wieder bringet. 
Tauſend Liebende ihn ſuchen, 

Aber Keiner konnt‘ erfahren, 
Schöne Doris, wo ber Flüchtling 
Sich fo liſtig Hat verborgen. 

Soll ich ihn Cytheren bringen ? 
Soll ich ihn in Ruhe laflen? 

Dder fol ich die Belohnung 

Der gebot'nen Küffe ſchmecken? 
Ah Du, den für feine Mutter 
Hält der Fluͤchtling mit den Fluͤgeln, 
Sieh mir, gieb mir einen Einz'gen, 
Und nimm Du ihn, füßes Leben. 


Melendez Waldes verfuchte fich auch auf dem Gebiete 
der Tomifchen Mufe, indem er die befannte Epiſode aus dem 
Don Quijote, die Hochzeit des Camacho, zu einem Luftfpiele 
bearbeitete. — Die Wahl an und fir fich war aber fchon 


Sus kermanos le lloran, 

Y tres hesos divinos 

Dar promete Dione, 

Si le entregan al hijo. 

Mil samantes le buscan; 

Pero nadie ha podido 

Saber, Dorila, en dondc 
Se esconde el fugitivo. 

; Darele yo & Citere? 

i Le dejar€ en su asilo? 

; O ire ä gozar el premio 

Be hesos ofrecidos? 

; Ay! ta à guien por su Madre 

Tendrä el alado nino, 

Dame, dame uno solo, 

Y tömale, bien mio. 


— 41411 — 


unglüdlich, indem die vielen Unwahrſcheinlichkeiten, auf der 
Bühne dargeftellt, noch weit fihärfer hervortraten. — Auch 
feheint es ihm durchaus an Talent für dad Drama gefehlt 
zu haben, denn der Plan des Stüdes ift mangelhaft, die 
Monologe find enmidend, die Scenen fchlecht verbunden und 
die Löfung der Intrigue erfcheint zu gewaltſam herbeigeführt. — 
Dazu häunfte der Dichter noch eine ya große Ynyapı komiſcher 
Figuren in zu engem Raume, fo daß keine deistlich und bes 
ſtimmt hervortritt, ja ſelbſt die Perſon des Don Quijote wes 
der Mitleid, noch überhaupt Theilnahme erregt. — uch 
ſcheint diefe erftle durchaus mislungene Arbeit den Dichter von 
fernerem Streben auf diefer Bahn abgefchredt zu haben. 
Die Verfification ift, wie im allen Werten Melendez, vor 
trefflich. 

Auf den Gefiden der tragiichen Mufe verfuchte fich in 
wenefter Zeit, nicht ohne Erfolg, obwohl nicht mit demielben 
Städte wie in feinen Igeifchen , von reinem Patriotismus bes 
feelten Arbeiten, Don Nicafio Alvarez de Cienfnegos, 
angeſtellt im Bureau der auswärtigen Angelegenheiten zu Mas 
drid, wo er im Jahre 1812 ſtarb. Er war ein liebenswuͤrdi⸗ 
ger, ehremverther Mann, ausgezeichnet in vielen Bächern des 
menſchlichen Wiſſens, ein warmer Feeund feined Waterlandes 
und ein wuͤrdiger Schüler des Melendez. In den vier Trauers 
fpielen, die er hinterlaffen hat (Pittaco, Idomeneo, Zorayda 
und La Comdesa de Castilla), halt er fich genau an bie 
firengen Formen der frangsfifchen Schule. — Eleganz ber 
Diction, Kraft des Ausdrucks und Wärme des Gefühle find 
Iobenswerthe Eigenfchaften derfelben, Die zedoch oft durch über- 
triebene Metaphern, Empfindſamkeit und irre geleitete Einbils 
dungskraft verdunkelt werden, jo daß der Dichter nicht felten 
da in leere Declamationen ausbricht und nur fehildert, wo er 
gerade die Leidenſchaften nicht befchreiben, fonbern in Hand⸗ 
lung ſetzen follte. Idomeneo und Pittaco, obwohl vortrefflich 
verfificirt, find nie auf der Bühne erfchienen, da ber ſchlep⸗ 
pende Gang der Handlung und ber flerile Plan Beider un: 


— 43 — 


möglich die Theilnahme der Zuſchauer anregen kann. — Zo⸗ 
rayda und die Gräfin von Eaflifien wurden dagegen nicht ohne 
Beifall dargeftelit, und werben felbft jeßt noch mitunter aufs 
geführt. — Das Erftere wird gewöhnlich für Eienfuegos ges 
Iungenftes Zrauerfpiel gehalten, meinem Gefühle nach muß ich 
jedoch, troß ihrer großen Fehler, der Gräfin von Caſtilien den 
Vorzug einräumen, weil fie fich ſtellenweiſe wahrhafter Schöns 
heiten erfreut. Ich Iaffe den Inhalt Beider folgen. Zerayde, 
verlobt mit. Aben Hamet, verfpricht, um dieſen von fchmachs 
vollem Tode zu erretien, ihre Dand dem Tyrannen Boabs 
dil. — Bei einer Zuſammenkunft der unglücklichen Liebenden 
werben fie von diefem überrafcht. Aben Hamet erfticht fich und 
reicht den blutigen Dolch Zorayden mit den aus der roͤmiſchen 
Gefchichte fo berühmt gewordenen Worten: Es fchmerzt nicht 
(no duele), fie gehorcht ihm und endet freiwillig ihr Leben. 
Dann wird poetiiche Gerechtigkeit an Boabdil geübt, und er 
in denfelben Thurm geworfen, in weichem er den ungluͤckli⸗ 
chen Aben Hamet gefangen hielt. Dies iſt die einfache Fabel 
des Stuͤckes, welche allerdings tragiſches Intereſſe zu haben 
fcheint, viefes aber durch die Behandlung des Dichters in 
großem Manage verliert. Der Zufchaner fühlt von vorm hers 
ein eine Leere, von ber er bald bemerkt, daß fie auf der 
fchwachen Zeichnung der Charactere, dem geichraubten Dialog 
und dem langfamen, zu fehr durch Bteden gehemniten Gange 
der Handinug beruht. Obeundrein ift die Kataſtrophe nicht 
überrafcehend noch ergreifend, amd fehon vom Aufange vors 
auszuſehen. 

Weit intereſſanter iſt der Gang der Begebenheiten in der 
Graͤfin von Caſtilien, obwohl auch hier die Expoſition nur ſehr 
langſam fortſchreitet. Almanzor, der Feldherr des mauriſchen 
Heeres, iſt unter dem Namen Zayde als Haupt einer Ge⸗ 
ſandtſchaft nach Burgos gekommen, um mit dem Grafen we⸗ 
gen des Friedens zu unterhandeln. Er iſt nicht zum erſten 
Male in der Hauptſtadt des Feindes, doch — laſſen wir ihn 
ſelbſt reden: 


*) Du weißt, daß ich ſchon in ber erſten Schlacht 
Seit uns Eajtilien den Krieg erklärt, 

Geſiegt; der Graf, von mir verfolgt, verwundet, ' 
Starb; ich erlangte Waffenftillitand , wünfchte 

Den Frieden. Um ihn beffer zu erreichen, 

Sandt’ ich mit Fönigliher Pracht den Leichnam 
Garcias, ihr in’s Trauerhaus. — Ic, führte 

Die Reihen felbft, um leichter fie zu fprechen, 

Und um die Stärte Burgos zu erkunden, 

Weil mir d'rau lag, zu willen, ob Eaftilien 
Hartnaͤckig auf den Krieg beftehen wuͤrde. | 
Die Tracht des Sarceran, der mein Gefang'ner, 
Und ein Leoner Edelmann, verkappt mich, 

So komm’ ich an, die Leiche des Gemahls 

Der Gattin überliefernd. Sie verging 

Vor Kummer. — D!nod weiß ich nicht, was fich 
Seit diefem Augenblick in meinem Herzen 

Begab. Warum kann id Dir nicht befchreiben, 
Was ich gefehn, gefühlt — nicht Worte ſchildern 
Den Sturm der Leidenfchaft, der tief im Innern 
Mir wuͤthete. Verſenkt in Schweigen lag 

Die Traurige und — ich mit ihr; — fie feufjte, — 
Mit ihr entquollen Seufzer meiner Bruſt. 

Sie warf fi auf den Todten nieder, Füßte 

Die kalten Lippen; — mit ihm todt feyn, war 
Ihr einz'ger Wunſch — und ich beneidet’ ihn. — 
Mit fchrecdlihen Geberden, wilden Augen, 

Die tief gefühlter Rache Strahl entflammte, 
Verſandte fie der Fläche fchrecklichite 

Auf den unfel'gen, gottverlaff'nen Mörder: 

Ich flucht' ihm mit ihe — und ich war es ſelbſt! 
Im Schmerze fhön, erhaben, hehr im Zorne 
Erſchien fie mir; — ich liebte fie — ergriffen 

Von meinem tiefgefühlten Mitleid, nannte 


») Da ich das Original nicht zur Hand habe, fo kann ich nur bie 
bereitö 1823 won mir geinachte Ueberfeßung diefer und der fpüter 
folgenden Scenen mittheilen. 


445 


Sie mid) den einz’gen Freund auf diefer Belt — 
So nannte fie mid erſt — in kurzer Zeit .... 
Ah, Muley! wenn zwei Seelen fich begesnen, 
Wird nur geringer Widerſtand geleiftet, 
Ein maͤchtig Band Enäpft bald fie an einander — 
Ich ward von Ihr geliebt; an meinem Bufen 
Vergaß fie ihren Schmerz, dod nicht den Gatten. 
An feinem Grabe ſchwur fie jeden Tag 
Dem Mörder ew’ge Nahe. — Taufendmal 
Beſchloß ich da — zu ihren Füßen mich, 
Trog ihrem Zorne, duldend hinzumerfen, 
Und ihr zu fagen: räche Di, ich bin's! — 
Da brach Don Sancho unfern Waffenftillftand 
Und überfiel mein Heer in dunkler Nacht. 
Ich mußte fort, fort, mit dem Feind zu kämpfen, 
Ich kam und fiegte, kaͤmpfte, fiegte wieder; 
Die Feften Burgen griff ih an; — die Städte, 
Sie fanten meinem Schwert — das ftolge Burgos 
Selbſt ift dem Sturze nah’. — Es winfet mir 
Ein Hoffnungsftrahl zu Tegensreihem Zrieden. 
Ich führe felber darum die Geſandtſchaft. — 

“ Vielleicht gefchieht es, daß der Gräfin Liebe 
Im Kampf mit ihrer heißen Rache fiegt. — 








In einer der folgenden Scenen giebt er fich der Gräfin zu er⸗ 
fennen, doch verfchweigt er ihr, DaB er Almanzor fey; fie 
fordert nım son ihm, er folle als Kohn für ihre Liebe Alman⸗ 
zor tödten. — Das fireng bewahrte Geheinmiß feines In⸗ 
cognito wird verrathen, und der Graf laßt ihn und feinen Be: 
‚ gleiter in den Kerker werfen, und die Grdfin erfährt jetzt auch, 
dag Almanzor und Zayde eine und diefelbe Perfon find. Im 
der Angft ihres Herzens fchreibt fie einen Brief an ihn, der 
aufgefangen und dem Grafen überliefert wird. — Diefer, 
der fehon laͤngſt nach der Alleinherrfchaft ſtrebte, ergreift Die 
Gelegenheit, um die Stiefmutter zu verbannen. — Da bes 
fehließt fie, fich zu rächen, und wirft Gift in einen Be⸗ 
eher, der auf einem Seitentifche ſteht. Unterdeſſen hat Ro⸗ 


— 446 — 


drigo, ein alter treuer Diener, ben Grafen umzuſtimmen ge- 
wußt; die beiden gefangenen Mauren follen frei gelafien wer: 
den, und die Gräfin nur auf kurze Zeit in ein Klofter gehen. 
Der Graf kommt jest, man feßt fich zu Tiſche, er will den 
Becher leeren; fie entreißt ihm denfelben, leert ihn und flirbt 
bald darauf, nachdem fie den Sohne fein Unrecht verziehen 
hat. — Bel ihrer Leiche verfühnen fich Almanzor und Don 
Sanchez. 

Die großen Fehler und Unwahrſcheinlichkeiten des Plans 
fiegen deutlich vor, auch find die Charactere verfehlt und 
unnatürlich, Die Entwickelung fehreitet zu langſam fort, 
und die Schlußfcenen werben ſchleppend. Zu den ärgften 
Misgriffen gehört das Herbeiführen der Kataftrophe an der 
Mittagstafel. — Der Dialog und die Verfification find da⸗ 
gegen vortrefflich, und einzelne Scenen, wie z. B. die fol 
genden, meilterhaft. 


Sancho, Gräfin. 


Sando. 
So haft Du endlid) mich dahin gebracht, 
Daß alle Liebe ich erſticken muß, 
Vergeffen, daß Du meines Baters Witwe! 
Denn fo verlangt es meine Ehre, Deine, 
Des Volkes Ehre, und Gerechtigkeit. 
ze Sräfin. 
So fage, was Dein Herz belaftet,, ende 
Mit einem Male die Miyfterien. 
Sande, 
Geh’ in Did) felbft zuruͤck und frag’ Dein Herz; 
Es wird Dir rufen: Wo ift deine Trene, 
Die unverkeglih Da dem Gatten ſchwurſt? 
Schon der Gedanke madıt mich fchaudern: Du, 
Garcias Weib, des heben Helden Gattin, 
Liebſt einen Mauren, feinen Mörder? 
Gräfin | 
Ich? 


— 47 — 


| Sande. 
Du bit beſtuͤrzt — 
Sräfin, 
Beſtuͤrzt. — Ya wohl, id bin's; 
Du, weide Dich daran. Ich bin beftürzt, 
Statt meines Sohnes, wie ich ſchoͤn geträumt, 
Ein graͤßlich Ungeheu'r mit meiner Liebe 
Genaͤhrt zu haben, das zu meiner Quaal, 
Zu meiner Schande lebt. Er, der mid) ſtreng bewahren 
Bor der Verleumdung gift'gem Hauche follte, 
Leiht gern und willig ihr fein boshaft Ohr. 
Elender,, wo ift Dein Beweis? was haft * 
Das mich beſchuldigt, was? 
Sancho. 
Sieh' dieſen Brief. 
- Graͤfin. 
Der Brief ... Almächt'ger Gott! — fort, fort mit ihm; 
Zerreiß ihn, wirf ihn weg, Du Schaͤndlicher! 
Mag ihn das Feu’r für immerdar verzehren, 
Und niemals follen meine Augen wieder 
So fhhauderhafte Zeugen fehn. Wenn ich 
Auch nie im Leben diefen Brief gefchrieben, 
Nie diefes Blatt, entehrend, meine Schande 
Verkuͤndete, — Du haſſeſt dennoch mich. — 
Es Haben Erd’ und Himmel fich verfhworen, 
Um mir zu ſchaden; ja, ich ſelbſt, ich fluche 
Dem Leben, und mein einz'ger Wunſch it Tod, 
Sancho. 
Du leugneſt dennoch, daß der Brief von Dir? 
Graͤfin. 
Ich leugn' es dennoch, und geſetzt, er wär’ eg, 
So würde mich ein zärtlich Herz vertheid'gen. 
Iſt's meine Schuld, daß ich gefühlvoll ward ? 
D daß mich doch die ſchreckensvolle Flamme, 
Die in der Bruft die Liebe mir entzündet, 
Urploͤtzlich toͤdtete; ich wäre gluͤcklich! 
Sancho. 
Allein — — 


— 48 — 


Graͤfin. 
Ich lieb’ ihn, hoͤrſt Du's? es iſt wahr. 
Ich bin ſein eigen und ich bin es ganz. 
Erbrich, Du Frecher, dieſen Brief: Du wirſt 
In jeder Sylbe treue Liebe finden, 
So unzerſtoͤrbar dort, wie hier im Herzen. 
Sancho. | 
So liebft Du Zayden? 
Sräfin. 
Sa, es freuet ſich 
Mein Herz, es laut zu wiederholen; bis 
Zum legten Odemzuge lieb’ ich ihn, 
Und ſtolz bin ich, dem ganzen Weltall es 
Zu fagen. 
Sancho. 


Wohnt denn keine Schaam in Dir? 

Graͤfin. 

Ihn nicht zu lieben, wuͤrd' ich ſtets mich ſchaͤmen; 

Ich haſſe den, der nicht, wie ich, ihn liebt. 

Er, der Elende, kennet nicht den Werth, 

Den hohen Werth der reinen, ſchoͤnen Seele. 
Sancho. 

So hoͤhneſt Du des Vaters Schatten frech? 
Graͤfin. 

Des Vaters, Deines Vaters? Schied er nicht 

Hinunter zu der Todten traur'gem Reich? 

O Sancho, Sancho! wüßr er meinen Schmerz, 

Was würd’ er fagen? — Warum hab' ich nicht 

Mit ihm den legten Seufzer ausgehaucht! 

Es würde Beider Leben, Beiber Liebe 

Diefelbe Gruft in Segnungen umfchliefen : 

Da jetzt, o Gott! — ich liebt’ ihn, lieb’ ihn noch, 

Seh ihn, wohin ſich meine Schritte wenden, 

Und trage ſtets im Herzen ihn mit mir. 

Ich liebe ihn allein — ihn mehr, als Zayden. 

O Gott! — geblendet bin id — unwillführlich 

Spricht meine Lippe fremde Worte: ic) 

Verſtehe nicht, was laut in mir fich regt 

Und in ein Meer von Quaalen mic) verfenft; 





Verzehrt von Liebe werd’ ih — fiebe Dich, 
Did, Sancho, ohne Ende; meine Thaten, 
Die Freunde, meinen Gatten, Alles, Alles, 
Was fegensreih der Erdkreis in fich fchließt, 
Sogar die ftarren Felfen meines Landes; 
Nur mic, allein haft“ ich auf diefer Welt. — 
D Sancho, flehe laut und oft zum Himmel, 
Daß mitleidsvoll auf Dich herab er fchaue, 
Damit Du nie, wie ih, im Kummer weineft, 
Daß Deine Seele zu gefühlvoll ward.: 
Sando. 
In eines Klofters friedensreicher Zelle 
Wird Deinem Herzen Ruhe wiederkehren. 
Sräfin, 
Mas redet Du von Frieden mir, vom Klofter? 
Sand. 
Wenn fih die Sterne hell am Himmel zeigen, 
Und tiefes Schweigen auf der Erde ruht, 
Wird in ein ftilles Klofter man Dich leiten, 
Damit auch Dir des Himmels Friebe werde, 
Und Deiner Wänfche fchönfter ſich erfuͤlle. 
Gräfin. 
Das wagft Du mir zu bieten, nur zu denken? 
Sando. 
As Fuͤrſt erkenn' ich nur Gerechtigkeit, 
Und ftrafen muß ich den Verbrecher. Fremd 
Iſt Kindespflicht und Liebe mir. Du haft 
Des Hochverrathes fchuldig Dich gemacht. 
Graͤfin. 
Des Hochverrathes? Da ich meine Liebe 
Tief in des Buſens Innerſtem verwahrt, 
Und Niemanden beleidigt — Frage Dich, 
Die Freunde frage und das ganze Volk, 
Ob d'raus Verderben uͤber ſie gekommen? 
Nur mir allein hab' ich geſchadet, mir, 
Nur weh gethan, mit Schmerzen ohne Ende 
Die wunde Bruſt erfuͤllt, und dennoch willſt Du 
Dafuͤr mich neuen Martern uͤbergeben? — 
29 





450 


Als Du rebellifch gegen Deinen Vater 
Das Schwert gezuckt, den Scepter ihm zu rauben, 
Und überwunden fielft in feine Hände; 
Da blieb zur Neue Dir allein die Zeit, 
Bis zur Befteigung Deines Blutgeruͤſtes. 
Erinn're Did; — da fiel id) vor ihm nieder, 
Umklammerte fein Knie mit wunden Händen; 
Warf mich vor feine Schritte hin; die Liebe 
Zu mir obfiegte, und Du waͤrſt gerettet. 
Sancho. 
Mit Freuden, Graͤfin, will ih Dir geſtehn, 
Daß zweimal ich mein Leben Dir verdante, 
Und deshalb werd’ ich, flatt gerechter Strafe, 
Den Frieden Dir aus Müde wiedergeben, 
Der auf dem hohen Throne von Dir floh. 
Das Gluͤck, das Du verloren, foll die Stille 
Des Kloſters Dir in vollem Maaß erfegen. 
Gräfin (ironiſch). 
Ich nehme dankend Ruh’ und Frieden an, 
Die Du mir liebevoll und gütig bieteft. 
Mein Süd ift, ah! mein Ungluͤck — mad’ mich glädlich, 
In meinen Qualen — (win) Ha, allmaͤcht'ger Gott! 
Sich flehe hier, wo ich befehlen kann? 
ie tief fol ich mich noch erniedrigen ? 
Eaftilien gehorchet augenblicklich — 
Vergiß das nimmer, Sancho, — meinen Winken. 
Du herrfcheft nur, weil ich Dich Herrfchen laſſe, 
Und wenn ich's ford’re, mußt vom Thron Du fleigen. 
Sande. 
Vom Throne fleigen? ‚Meinem Vater dank’ ic) 
Den Thron, nicht Dir; Dir danf ih Schmach und Schande, 
Die auch mich trifft, weil Du des Vaters Wittwe. j 
Du haft das Volk, das treue, abgemenbet, 
Denn zuͤrnend fieht es jegt zu Dir hinauf, 
Und Haft die ſchaͤndlich, greulich Liebende. 
Das ganze Land halt von Vermänfhung wieder, 
Die Du anf Dein unfelig Haupt geladen. 
Ein Wunſch befeelt das Allgemeine: Dich 








— 451 — 


In eines Klofterd Mauern eingefperrt 

Zu fehn. Noch Heute ſoll erfüllt er werden; 
Du wirft noch heute gehn. 

Sräfin. 

Ich gehn, Elender! 
Menfch meines Fluches, gehn! Ka, ich verftehe, 
ch werde gehn und Deinen Wunſch erfüllen 
Auf Koſten meiner Ehre. — Wie die Erde 
Umbhället wird vom dunklen Schleier der Nacht, 
War meine Liebe tief in mir verborgen. 

Du haft fie an das Tageslicht gezogen, 

Mit Bligesftrahl das Dunkel aufgehellt. 

Mer konnt’ es ahnen, wenn Du kindlich ſchwiegſt? 

Für lange Zeiten haft Du ausgefprochen 

Mit meiner Schwahheit meine ew’ge Schande. 

Nur fluchend wird man meinen Namen nennen. — 

Ich werde gehn; doc, hoffe nimmer Du, 

Mic zu bezwingen. Wenn das ganze Volk 

Zu Deinem Belten auch das Schwert erhebt, 

Mich ſchuͤtzet Zayde; an ber Diauren Spige 

Wird er erfcheinen, fiegen, Didy verderben; 

Dein Thron wird fallen; ich werd’ ihn befleigen ; 

In Zayde’s Armen felig leben — fterben, 

Und tief vor mir wird ſich Don Sancho neigen. 
Sando. 

So hoffe nur — doch unterdeß will ich 

Sogleich in feinen Kerker gehn; der Henker 

Soll augenblicklich ihn zum Tode führen. 


— 


Waͤre Cienfuegos ein laͤngeres Leben vergoͤnnt geweſen, 
ſo haͤtte er ohne Zweifel Bedeutendes geleiſtet, aber die ſtuͤr⸗ 
miſchen Bewegungen des Jahres 1808 fuͤr Spanien, die den 
eifrigen Patrioten in ihren Strudel riſſen und in gewiſſer Hin⸗ 
ſicht ſein Daſeyn verkuͤrzten, hinderten ihn auch, ſeine Werke 
mit Beſonnenheit zu pruͤfen, und ſich jene ſtrenge Selbſtſchaͤz⸗ 
zung anzueignen, die bei Erzeugniſſen im Gebiete der ſchoͤnen 
Künfte unumgänglich erforderlich ift. — 

29* 


— 41 — 


Als ihren audgezeichnetften Luſtſpieldichter betrachten bie 
Spanier Don Leandro Fernandez Moratin. Er ward 
zu Madrid geboren, reifte fpäter auf Koften ded Königs, und 
309 fich im Sahre 1827 nach Bordeaur zurüd, Geine erfte 
Arbeit war ein Luftfpiel unter dem Titel: El viejo y la nina, 
in welchem er mit vieler Kraft Das unglüctiche Weſen einer 
Ehe fchiderte, wo zwifchen beiden Theilen eine zu große Un⸗ 
gleichheit des Alters Statt findet. — Diefes Stüd, das un: 
geachtet vieler Fehler eine glüdliche und gewandte Character- 
zeichnung enthält, wurde nur mit zweifelhaften Erfolge aufe 
genommen. Moratin ließ fich aber nicht dadurch entmuthigen, 
fondern begann im Gegentheile offenfio zu verfahren, indem er 
die herrſchende Parthey auf der Bühne der Spanier, an deren 
Spike damals ein fruchtbarer, aber talentlofer Dichter, Co⸗ 
mella, fand, in dieſem letzteren mit einem zweiactigen Luſt⸗ 
fpiele, das Kaffeehaus oder die neue Komödie (EI cafe, in 
der neueften Ausgabe der Comedias de L. F. Moratin, Pa- 
vis, 4826, nur La comedia nueva benannt), welches in 
Profa gefchrieben war, angriff. — Der Plan dieſes Stüdes 
ift fehr einfach. — Ein armer Schelm, der eine große Fa⸗ 
milie und kein Brod für diefelbe hat, verſucht plöglich, fich 
zum Dichter zu machen. Er fchreibt ‘eine Komödie und laͤßt 
fih von feiner Frau dabei helfen. — Das Stud wird von 
emem gelehrten Pedanten fehr gepriefen; von dem Gelbe, das 
der gute Erfolg deflelben bringt, foll ded Dichters Schwefter, 
ein hübfches, aber fehr unwiffendes Mädchen, das eben Fein 
großes Vertrauen in ihres Bruders poetifche Faͤhigkeiten feßt, 
audgeftattet werden. Der erfie nnd ein großer Theil des zwei⸗ 
ten Actes werden meift durch die glänzenden Projecte des Poe⸗ 
ten und feiner Sippfchaft, die weifen Vorträge des Pedanten 
und die Einfälle und Scherze zweier Befucher des Kaffeehau⸗ 
ſes, in welchem die Dichterfamilie wohnt, Don Antonio und 
Don Pedro, ausgefüllt. — In den letzten Scenen gehen fie 
fort, der Aufführung des Stuͤckes beizumohnen. — Es fällt 
durch und reißt den armen Verfifer graufem aus feinem Him⸗ 


mel herab; der gelehrte Freund ſchmaͤht und verläßt ihn im 
Unglüde, und die arme Familie befindet fich ſchrecklich in ber 
Klemme, bis der großmüthige Don Pedro fich ihrer annimmt, 
und ihr Verforgung zufagt, unter der Bedingung, daB der 
verunglüdtte Poetafter auf immer von feiner Reimwuth ablaffe. 


Auch wenn man ed nicht wüßte, würde fich die Vermu⸗ 
thung während ber Darfiellung oder bes Lefend aufbringen, 
daß Moratin hier die Hauptcharactere nach dem Leben zeichs 
nete. Es ift wirflich Comella unter der Maske des armen 
Poeten gemeint, was um fo deutlicher hervortritt, da die ans 
gezogenen Stellen aus der Komödie bed Letzteren Parodieen 
von Bruchſtuͤcken aus Comella’s Werken find; die anderen Pers 
fonen waren theild Mitglieder feiner Familie, theild bekannte 
Perfonen jener Zeit zu Madrid; in der Rolle des Don Pedro 
fol fogar Moratin fich ſelbſt dargeftellt Haben. — Der Er: 
folg war glänzend, Comella ward vernichtet, und Moratin 
erwarb fich durch dieſes Stüd den Ruf des erften Tomifchen 
dramatifchen Dichters der Spanier, ben er ſeit dieſer Zeit uns 
gefchwächt zu erhalten wußte. — Obgleich die localen und 
perſoͤnlichen Anſpielungen Iängft ihr Intereſſe verloren, Blieb 
doch die Nueva Comedia bis auf den heutigen Tag ein Lieb- 
fing des fpanifchen Publikums, und wird noch Immer gern ges 
fehen. Allerdings wird eine ſtrenge kritiſche Unterfuchung fehr 
viel daran auszufeken haben, denn es fehlt durchaus an eis 
gentlicher Handlung, dem wefentlichfien Erforberniffe eines gu- 
ten Luſtſpiels, darin, und es’ ift, bei Lichte betrachtet, weiter 
nichtö, als eine ſcherzhafte dramatifirte Abhandlung über die 
dramatifche Kunft; aber es wimmelt dagegen von ghädlichen 
und fchlagenden Einfälfen, fehelmifchen Anfpielungen, und die 
Ehnractere find, wenn auch etwas groß, doch mit Meifter: 
hand gezeichnet, fo daß es Leuten von Geift, mögen fie eö 
leſen oder fehen, immer Freude machen muß. 


Unter den übrigen bramatifchen Arbeiten Moratin's ift bie 
Komödie EI si de las ninas (dad Ja der jungen Mädchen) 








— 454 


die berühmtefte und gefeiertfte. Ein junges Maͤdchen, die 
Tochter einer armen fchwaßhaften alten Dame, hat feine Er- 
ziehung im einen Klofter genoffen, wo ed Gelegenheit fand, 
die Belannsfchaft eines liebenswuͤrdigen jungen Offiziers zu 
machen. Beide geloben fich gegenfeitige Liebe. — Da holt 
plöglich die Mutter ihre Tochter aus dem Kloſter ab, um bie 
felbe in Madrid an einen fehr reichen und vortrefflichen,, aber 
fehr alten Herrn zu vermählen. — Diefer hat die alte Dame 
begleitet, und auf der Ruͤckkehr übernachten die Neifenden in 
einem Wirthshauſe zu Alcala, wo der Lffizier ebenfallö ein: 
trifft, um feine Geliebte wo möglich zu retten. Zu feinem 
größten Verdruffe entdeckt der Letztere, daß der alte Verlobte 
ded jungen Mädchens fein Oheim und Wohlthäter ift; mit 
zerriſſenem Herzen, aber aus Pflichtgefühl dazu getrieben, ent⸗ 
fügt er feiner Liebe, ohne das Geheimniß zu enthillen, ba 
macht ein anfangs ungluͤcklich feheinender Umfiand den heim 
. damit belannt, er bat nicht allem Mitleid mit den armen 

jungen Leuten, fondern fucht ihre Verbindung bei ver Mutter 
zu bewerkftelligen und fegt fie zu fernen Erben ein. — 

Den Titel befam das Stud, weil die Heldin deffelben, 
troß ihrer Kiebe zu dem Offizier, aus Gehorjam gegen die 
Mutter, immer zu Allem, was diefe m Hinficht auf ihre Ver: 
mählung beftimmt, ihr Jawort giebt. — Das Ganze ift ein 
Meiſterwerk; die Charactere find vortrefflich gezeichnet, und 
beurfunden Moratin’s tiefe Kenntniß des menfchlichen Her: 
gend; die Situationen find geſchickt angelegt, und das unter: 
efie wird bis an das Ende geſteigert. Moratin hat in diefem 
Luſtſpiele Wi und Gefühl Höchft glüctich zu verbinden ges 
wußt; der Dialog gefällt durch Natürlichkeit und Lebendigkeit. 
— Einzelne Scenen, wie 3. B. die des Abichieded der beiden 
Liebenden ‚ diejenige der Zuſammenkuuft zwifchen Oheim und 
Neffen, und die Unterredung zwiſchen dem Erſteren und Pa⸗ 
quita (dem jungen Maͤdchen), in welcher er ihr das lang 
bewahrte Geheimniß entlockt, gehoͤren zu den bedeutendſten 
in der geſammten komiſchen dramatiſchen Litteratur. 


⸗ 


— 455 — 


Moratin kann ald-der Schöpfer einer neuen Epoche in 
der dramatiichen Poeſie der Spanier betrachtet werden, indem 
er zuerft die Zeichnung und Entwidelung der Charactere nach 
den Gefeßen der Wahrheit auf der Bühne würdig einzuführen 
wußte, und einfache, aber naturgetreue Schilderungen aus 
tem wirklichen Xeben an die Stelle der romantifchen nationas 
fen Intriguenſtuͤcke brachte, weiche fich, fo Vortreffliches auch 
frühere Dichter darin leiſteten, uͤberlebt hatten. — 

Als talentvoller Dichter, und vorzüglich als geſchmackvol⸗ 
fer und geiftreicher Kritifer und Litterat verdient einen hohen 
Platz in der Gefchichte der fpanifchen fchönen Litteratur Don 
Francisco Martinez de Ia Roſa, von deffen Lebens: 
umftanden ich Ihnen jedoch Weiter nichts zu berichten weiß, 
als daß er von fehr guter Familie war, den Poften eines Mis 
nifterd bekleidete, fpater zu Parts lebte und, wenn ich nicht 
irre, im Laufe der letzten Jahre ſtarb. — Seine geſammel⸗ 
ten Werke find 1830 zu Paris in finf Bänden erfchienen 
(Obras literarias de D. F. M. d. 1. R., Paris, Didot 
1830, 5 Bde. in 8.), und enthalten zwei bikorifche Dramen 
(Aben Humeya, von dem Verfaffer felbft in das Franzofis 
fche uͤberſetzt, La Conjuracion de Venecia), drei regelmäs 
ßige Trauerjpiele (La viuda de Padilla, Morayma, Edipo), 
eine Poetik in Verfen, fo wie eine UWeberfeßung der Poetik 
des Horaz; ein Luſtſpiel (La Nina en casa y la Madre en 
la mascara), ein elegiiches Gebicht auf die Uebergabe von 
Saragoffa im Jahre 1809, und endlich mehrere kritiſche und 
zur Gefchichte der fpanifchen Litteratur gehörige Abhandlungen. 
— Martinez de la Rofa ift eigentlich mehr ein angelernter ald 
ein geborener Dichter, wie fie die neuefte Zeit mehr aufzuweiſen 
hat, aber er befißt ein fehönes Talent, und weiß das Gute, 
das er fich nach fpanifchen und auslaͤndiſchen Muftern anzu⸗ 
eignen verftand, mit Gefchmad und mit Tact zu benußen 
und zu behandeln. Seine Sprache ift gebildet und wohlklins 
gend, feine Bilder find gefällig und glüdlich, allein er ift nur 
wenig Original, und der Einfluß fremder Einwirkung tritt zu 


— 456 — 


deutlich in allen feinen poetifchen Leiſtungen hervor. — Da 
er jedoch ald der. neuefte Reprafentant der fpanifchen Poefie 
erfcheint, und die Abtheilung, welche die Litteratur dieſes Lan- 
des berührt, mit.ihm gefchloffen werden foll, fo geftatte ich 
mir, etwas langer bei ihm zu verweilen, und feine Gaben 
ausführlicher zu beleuchten. — 

Die Gattung der hiftorifchen Dramen war wohl vor ihm 
den Spaniern ziemlich fremd, der Umſtand, daß Martinez de 
la Rofa lebhaft eine Darftellung eines feiner Trauerfpiele auf 
der franzöfifchen Bühne wünfchte, und bei näherer Betrach- 
tung fand, daß diefelben den jet üblichen Anfprüchen nicht 
genügen würden, trieb ihn an, fich in diefer Weiſe zu ver⸗ 
fuchen, und fo entfland fein Aben Humeya, den er ur 
fprüngtich franzoͤſiſch fchrieb und dann ſelbſt in dad Spanifche 
uͤberſetzte. Dieſes hiftprifche Drama behandelt den Auffland 
der Mauren unter Philipp IL von Spanien, oder richtiger 
eine Epifode daraus, in drei Aufzuͤgen. — Der Held deſſel⸗ 
ben, Aben Humeya, lebt in Iändlicher Zuruͤckgezogenheit mit 
den Seinen, in den Ulpujarras zu Cadiar. Die erfte Scene 
ftelit feine Wohnung dar. — Zulema, feine Gattin, macht 
ihm Vorwürfe, daß er ihr verfchweige, was feine Seele be= 
unrubigt; es iſt das Schickſal der unterdruͤckten Mauren, das 
ſein Herz mit Gram und Bitterkeit erfuͤllt; da ſtuͤrzt ſeine ein⸗ 
zige Tochter herein, ſie und ihre Geſpielinnen ſind zu Cadiar 
von kaſtiliſchen Soldaten beleidigt worden, die ihnen den 
Schleier entriſſen; nur mit Muͤhe entzog Muley Carime, 
Aben Humeya's Schwiegervater, die Jungfrauen der Gewalt⸗ 
thaͤtigkeit. — Nach einander treten mehrere, über die Ty⸗ 
ranney der Spanier empörte Maurenhäuptlinge auf, fie be 
nachrichtigen Aben, daß fein Vater in, den Kerker geworfen 
fey, und jeßt bricht fein. lange verhaltener Zorn endlich aus, 
obwohl Muley Carime ihn zu befchwichtigen fucht. — Die 

Anweſenden befchließen, fich zu empören, und verlaffen die 
Bühne, um ihre Anhänger zu ſammeln. Die Scene verwan⸗ 
delt ſich in eine Grotte, wo der Alfaqui oder Hoheprieſter 





— 147 — 


der Mauren feinen verborgenen Aufenthalt hat. — Die Maus 
ren verfammeln fich bei ihm, und theilen ihm ihren Plan mir; 
der Alfaqui übergiebt ihnen das heimlich Bewahrte; Aben Hu= 
meya wird, troß dem Widerſtande zweier Häuptlinge, Aben 
Abo und Aben Farar, aus dem Gefchlechte der Zegri, zum 
Anführer gewählt, und nach einem feierlichen Gefange eilen 
Alle ab, das Werk der Rache zu beginnen. 

Der zweite Act ftellt den Marktplatz der Kleinen Stabt 
Cadiar vor; Frendenfeuer find angezündet; Hirten und Hir⸗ 
tinnen feiern dad Weihnachtöfefl. — Der Gottesdienft bes 
ginnt. — Alle begeben fich in die Kirche, Die verfchwores. 
nen Mauren fammeln fich, ein furchtbares Blutbad beginnt ; 
Muley Carime fucht mehrere Wehrlofe der Rache feiner Glau⸗ 
bensgenoffen zu entziehen, zum Aerger ber Letzteren. Aben 
Abo und Aben Farar kommen dazu und theilen fich ihre Ge⸗ 
finsungen und ihren Haß gegen Aben Humeya mit. — Da 
erfcheint Muley Carime in Begleitung eined fpanifchen Ritters, 
den der Gouverneur Mondejar abfendet, um zu unterhandeln; 
biefer ftellt dem Muley, feinem Freunde, dad Gefährliche der 
ganzen Unternehmung vor. — Die Maurenhäuptlinge finden 
ſich ein; Lara wird mit Hohn zurüdigewiefen, und die chrifts 
liche Kirche, um ihm den Weg zu erhellen, von den Rebel 
ten angezündet. — Muley Carime giebt ihm das Geleit; 
Aben Farar folgt ihnen heimlich nach. — Aben Humeya eilt 
mit feinen Kriegern in den Kampf. Während bes vollen 
Brandes der Kirche fallt der Vorhang. 

Im folgenden Ucte befindet fich Aben Humeya mit den 
Seinen auf dem eroberten Schloſſe. — Gattin und Tochter 
finden den Aufenthalt unheimlich und wünfchen ihn bald zu 
verlafien. — Aben Abo und Aben Farar treten auf; Aben 
Humeya entläaßt Frau und Tochter, um die Beiden anzuhoͤ⸗ 
ren. Sie theilen ihm mit, daß fein Schwiegervater ein Ein: 
verfiändniß mit den Spaniern angeknuͤpft habe, und liefern 
den Beweis in einem aufgefangenen Briefe des Letzteren. — 
Aben Humeya befiehlt ihnen, fich zu entfernen; fie eilen ab, 





_— 458 — 


um ihre Freunde zu fammeln und dad Schloß zu befeßen. In 
einem langen Monologe erwägt Aben Humeya feine peinliche 
Lage; dann trifft er mit einem treuen SHaven feine Maaßre⸗ 
geln nnd befiehlt, feinen Schwiegervater zu rufen. — Dies 
fer erfcheint, gefteht, empfängt Gift aus Aben Humeya’s 
Hand, trinkt ed und nimmt ihm das Berfprechen ab, Gattin 
und Tochter nach Afrika zu fenden. — Maurenhäuptlinge uns 
terbrechen fie, und verkünden die Annäherung des Feindes zu- 
gleich mit der Verfchwörung eined großen Theils der Verbuͤn⸗ 
deten, und die Gefahren, welche von diefen drohen. Aben 
Humeya eilt fort. — Muley Carime nimmt Abfchied von 
Zulema und ſtirbt. Die Empörung ift ausgebrochen; Aben 
Humeya Tehrt zuruͤck; er wird von Aben Abo angegriffen; Zus 
lema ftürzt fich zwiſchen die Kampfenden und finft verwundet 
zu Bodenz ein Schuß tödtet ihren Gatten; fie flirbt, als man 
den Leichnam deffelden fortfchleppt. — ben Abo wird zum 
Könige ausgerufen und die Worte des Aben Farar: Aben 
Abo! mira; ves este reguero de sangre? ... Ese es el 
camino del trono, fchließen den dritten Act und mit ihm 
dad ganze Drama. 

Was nur die Phantafie reizen und befchaftigen kann, ift 
von Martinez de la Rofa in diefem Drama alıfgeboten, und 
wird faft ohne ihm Ruhe zu gönnen, dem Zufchauer vorüber: 
geführt, geiftliche und weltliche Geſaͤnge, Taͤnze, Gefechte, 
eine brennende Kirche, kurz alle Anforderungen, die das ſchau⸗ 
Iuftigfte Publikum zu machen im Stande wäre, finden hier 
volle Befriedigung. Aben Humeya ift, wie das hiftorifche 
Drama überhaupt, ein Kind der Zeit, und in diefer Hinficht 
eben fo fchadlich, wie alfe feine Gefchwifter für die echte dra⸗ 
matifche Kunft; denn zu viel wird in folchen engen Nahmen 
gedrängt, und fo poetiſch die Anlage auch. immer erfcheinen 
mag, die Ausführung Tann dem wahren Gefchmade nie genuͤ⸗ 
gen, weil dem Dichter Feine Zeit gelaffen wird zu gehüriger 
Entwicdelung der Situationen und Charactere. Alle Handlung 
raufcht vorüber, und es fcheint faft, als follte der Dialog 


— 459 — 


weiter nichts feyn, als eine bramatifche Erflärung lebender 
Bilder, welche auf der Bühne in einer gewilfen zufannnenhan- 
genden Folgereihe dargeftellt werden und unter fich ein Gan⸗ 
zes bilden. — Es iſt nicht zu laͤugnen, daß mehrere Scenen 
des Aben Humeya von großem, wahrem ntereffe find, und 
bei der gervandten Anlage, deren fie fich erfreuen, erhebend 
und begeifternd wirfen würden, waren fie eben fo forgfam in 
ihren Heinften Theilen durchgeführt; dahin rechne ich befonders 
die ganze Epifode vom Tode ded Muley Carime, von welcher 
ich die Hauptſcene hier folgen laſſe. 


) Aben Humeya — Muley Carime. 


Muley Carime. 

Welche dringende Urſache hat Dich gezwungen, mich zu 
dieſer Stunde zu rufen? 

Aben Humeya. 

Eine wichtige Angelegenheit, uͤber welche ich Deinen Rath 
wuͤnſche. 

Muley Carime. 

Und Du Haft die Stille und das Schweigen der Nacht bes 
nußen wollen — oder muß dieſe wichtige Angelegenheit vor Ta; 
gesanbruch entfchieden ſeyn? ... 

Aben Humeya (sist auf die im Saale beſindtiche uhr). 

Blick' dorthin ! 


*) Aben Humeya, Muley Carime. 


Muley Carime. 
. Que motivo fan urgente te ha obligado Allamarme a estas horas?... 
Aben Humeya. 
Un asunto muy grave que tengo precision de consultaros. 
Muley Carime. 
- Y has querido aprovechar el silencio y la soledad de la noche.... 
6 tal vez ese asunto imporlante debe estar rcsuelio autes que raye 
el dia... 
Aben Humeya (seialando el relox de la sala). 
Mirad alli, mirad! 


— 40 — 


Muley Carime. 
Es Hat eben Eins gefchlagen. 


Aben Humeya. 
Ehe die nächfte Stunde ſchlaͤgt, wird diefe wichtige Ans 
gelegenheit beendet ſeyn. 


Muley Carime. 
Beendet! zu... | 

Aben Humeya. 
Und auf immer. 


(Kurzes Schweigen von beiden Seiten). 


Muley Carime. 

Du fcheinft ſehr nachdenkend zn feyn, Aben Humeya. — 
Aus Deinem Weſen ſehe ich deutlich, daß Dich ein ernſter 
Gram betruͤbt. 

Aben Humeya. 

Es iſt ein verderbliches Geheimniß..... 


Muley Carime. 
Und warum zoͤgerſt Du, es mir anzuvertrauen? ..... 


Muley Carime. 
Acaba de dar la uma ... 
Aben Humeya. 
Pues antes que de otra hora, ya cse grave asunfo Se ver& ter- 
minado, 
Muley Carime. 


Aben Humeya | 
Y para siempre ..... 
(Quedanse en silencio unos. instantes). 
Muley Carime. 
Me palece que estäs muy pensativo, Aben Humeya ... A pesar 
de tus conatos, veo claramente que te aflige una grave pena. 
Abcn Humeya, 
Es un scereto fatal . 
Muley Carime. 
; Y porque tardas en conßarmclo? .,. 





— 461 


Aben Humeya. 

Quaͤle Dich nicht zu ſehr, es zu erfahren..... Es laſtet 
immer auf meiner Seele, und iſt vielleicht zu ſchwer fuͤr Dich. 
| Muley Carime. 

Aber, welch” Seheimniß iſt es? 2... Ach, Ich Hatte 
Dir es wohl gefagt; weder Größe noch Macht können uns auf 
Erden einen einzigen glücklichen Tag geben; Du haft Deinen 
Seelenfrieden verloren, haft Dein Schidfal aufs Spiel gefept, 
haft Alles geopfert für ein unbeftändiges Vol, das Dip vers 
läßt zur Zeit der Gefahr. 

Aben Humeya. 

Und das ich ſchwur zu vertheibigen auf Koften meines Les 
bend..... Du haft es gehört, Muley Carime? — Selöf 
auf Kofen meines Lebens..... 

Muley Carime. 
Und weshalb richte Du biefe Worte an mich? 
Aben Humeya, 
Ich Hitte Di nur, daß Du fie wohl erwägeft. 
Muley Earime, 
Ich verfiche Dich nicht... + 





Aben Humeya. 

No tengais tsmto afau por saberlo. . Siompre Tiene tue pesar 
sobre mi corazon, y no vais & poder con dl. 

“ Muley Tarime. 

Mas, ; que secreto es ese?... ;Ah! bien te lo habia yo dicho: 
ni el engrandecimienio ni el poder alcanzan & darnos cn el mundo 
un selo dia felix; has perdido la paz del änimo; has "comprometido 
tu suerte; lo has sacrificado todo por un puchlo inconstante, que le 
abundona cuando apremie el peligro.. 

Aben Humoya. 
‘ Y al que he jurado defender aun a costa de mi vida... ; Lo 
habeis oido, Muley Carime? .... aun d costa de mi vida.. 
Muley Carime. 
; Y & que fin me diriges esas palahras? ... 
Aben Humcya. 
‘ Os ruego meramente que las peseis. 
Muley Carime. 
No te comprendo. ... 


Aben Humeya. 
Du wirſt mid) gleich verfiehen. — Ich habe Alles geopfert, 
um dies Volk vom Joche zu befreien ..... Du felbft haft es 
mir eben gefagt; es hat feinerfeits fein ganzes Vertrauen, feine 
Macht, feine Zukunft auf mich übertragen. .... Wird es fein 
Verfprechen erfüllen? Das weiß Gott! — Ich weiß, daß ich 
dag meinige halten werde. 
Muley Carime. 
Und wer ſagt Dir .... 
Aben Humeya. - . 
Unterbrich mich nicht. — Ich habe einen alten Water, an 
deffen Leben mir mehr liegt, als an dem meinigen — er iſt in 
den Banden meiner Feinde, mit Ketten belafter, das Schwert 
über feinem Haupte. — Ich weiß es, ich wußte es, als ich 
das Signal gegen feine Henker gab, und jene kennen dag Mits 
tel, fi) an mir zu rächen, wohl. 
Muley Carime. 
Aber wozu fuͤhlſt Du das Ungluͤck vorher, che et es fich er; 
eignet? ... 


x 





Aben Humeya. 

Pues ahora vais ä comprenderme. Todo lo he sacrificado por 
redimir del yugo & cstos puchlos .... vos mismo acabais de decirlo; 
y ellos, & su vez, han depositndo en mi su-confianza, su poder, su 
fulura suerle .... ; Cumpliran sus promesas? .. Dios lo sabe! .... 
Yo se que cumplire las mias. 

Muley Carime, 

ı Y quien te dice? ..... 

Aben Humeya., 

No me interrumpais., — Yo tenge un padre anciano, euya vida 
me importa mucho mas que mi vida .... estä entre las garras de mis 
enemigos, cargado de cadenas, com la cuchilla ä la garganta ... le 
se, lo sabia cuando di Ia seũal contra sus verdugos; y ellos saben 
tambien el medio de vengarse de mi! 

Muley Carime. 

; Mas porque te anticipas à sentir las desgracias, antes de que 

sucedan? ... 





— 463 — 


Aben Humeya. 

Sieb mir nur einen Augenblid Gehör, ich bin gleich zu 
Ende. Ich habe die Gefahr, in der ſich mein Water befindet, 
erhöht, jeder Streich, dem id) führe, kann feinen Tod befchleu: 
nigen, und doch habe ich keinen Augenblick geſchwankt. Bedenke 
nun Du felbft, ob es etwas auf der Welt giebt, das mich hem⸗ 
men koͤnnte. 

Muley Tarime, 

Warum wirfit Du mir diefe Blicke zu, was willſt Du mir 
damit jagen? 

Aben Humeya. 

est, da ih Dir den Grund meines Herzens dargelegt 
babe, will ih Dich zu Rathe ziehen fiber jene wichtige Angele; 
genheit — und Du wirft glei willen, woran Du biſt. — 
Mitten unter ung ift ein Verraͤther. 

Muley Earime 
Ein Berräther..... Weißt Du das gewiß? 
Aben Humeya. 

Gewiß, und Du wirft Dich ſelbſt davon überzeugen. — 

Welche Strafe verdient ..... 


Aben Humeya. 

Escuchadme un instante; voy & concluir. Yo he agrarado el 
peligro en que se halla mi padre; cada golpe que descargo, pucde 
acelerar su muerte; y sin emhargo, no he vacilado un punto. Pen- 
sad, pensad vos misme si halırü algo en cl mundo que pueda con- 
teuerme! 

Muley Carime. 

i Porqu& me cchas esas miradas? .... ; Que quieres decirme 
con ellas? 

Aben Humeya. 

Ya que os he mostrado hasla el fondo de mi corazon, voy % con- 
sultaros sobre aquel grave asunto ... y adirinareis desde luego cuäles 
puedcen ser las resultas. — En nucstro misıno seno hay an treidor... 

Muley Carime. 
; Un traidor! ... z Lo sabes de cierto? 
Aben Humeya. 

De cierto. Vos mismo vais tambien à quedar convencido. — 

x 2 Que castigo merece? .... 








464 °—— 


’ Muley Carime. 
Kat er Kinder? 
(Aben Humeya ſchweigt.) 
Du antworteſt mir nicht, Aben Humeya? 
Aben Humeya. 
Morgen wird er ſie nicht mehr haben. 
Muley Carime (bei Seite). 

Welche Erinn'rung, großer Gott! 

Aben Humeya. 
Du ſcheinſt beſtuͤrzt zu ſeyn. 

Muley Carime. 
Mein, nicht doch.... Sc beklage den uUngldfhichen, ich 


bin Vater, wie er. 





Aben Humeya. | 
Man fiehe wohl, daß er Dir großes Mitleid einfloͤßt. — 


Weißt Du vielleicht, wer es iſt? 


Muley Carime. 
Wie ſollt' ich das wiſſen? 


Muley Carime. 
; Tiene hijos? .. 
(Aben Humeya se queda collado). 
; No me contestas, Aben Humeya? .... 
Aben Humeya. \ 
No los tendrä manana. 
Muley Carime (ä parte). 
i Que recuerdo, Dios mio! ..... 
Aben Humeya. 
Parece que os turbais.... 
Muley Carime. 
‘No, por cierto .... compadezco ä ese desdichado; soy padre 


como el! 


Aben Humeya. .. 
Bien se echa de ver que os inspira mucha compasion ... 3 Sa- 


beis por ventura quien sea? 


Muley Carime. 
; Y como quieres que lo sepa? .... 








n 


Aben Humeya. 
f Denke baräber nach; befinne Dich; vielleicht hilfe Dir das 
erz..... 
Muley Carime. 
Viel leichter koͤnnteſt Du mir es ſagen. 
Aben Humeya. 
Willſt Du mich dazu zwingen? 
Muley Carime. 
Ich zwinge Dich nicht, ich bitte Dich vielmehr. 
Aben Humeya. 
Und ich wuͤrde gern das groͤßte Opfer bringen, koͤnnte ich 
es vermeiden. 
Muley Carime. 
Warum faͤllt es Dir aber ſo ſchwer, den Namen des 
Schuldigen auszuſprechen? 
Aben Humeya. 
Weil ihm, ſobald er uͤber meine Lippen tritt, das Todes⸗ 
urtheil folgt. 
Muley Carime. 
Das Todesurtheil! ... 


Aben Humeya. 
Recapacitad un poco ... recorred vuesira memorin .... tal vez 
el corazon os ayudara tambien.... 
Muley Carime. 
Mas fäcil seria que tu me lo dijeses.... 
Aben Humeya. 
; Quereis forzarme & ello? 
Muley Carime. 
Yo no te fuerzo, antes te lo suplico. 
Aben Humeya. 
Y por mi parte haria el mayor sacrificio, a trueque de evitarlo. 
Muley Carime. 
4 Y porqué te cuesta tanto pronunciar el nombre del reo? 
Aben Humeya. 
Porque al salir de mi boca, lleva consigo la sentencia de muerte! 
Muley Carime. 
"; La sentencia de muerte! 


% 


30 





— 466 — 


Aben Humeya. 

Ya, und augenblicklich). 

| Muley Earime (mit veränderter Stimme), 

Wie dauert mic) diefer Ungluͤckliche, ich muß es Dir gefte: 
ben; — aber da Du darauf beftehft, mir feinen Namen zu 
nennen. 

Aben Humeya. | 

Im Gegentheil, Du wirft ihn nicht hören. 

Muley Sarime, 

Nicht? 

Aben Humeya. 

Du wirſt ihn mit eigenen Augen ſehn. 

(Er zeigt ihm den geöffneten Brief. Muley Carime wehrt ihn mit der 
Sand ab.) 
Muley Carime. 

Es ift hinreichend. (Nad einer kurzen Paufe, während er Aben 

Humeya anblidt und nah dem Gemadye von deſſen Gemahlin zeigt.) 


Biſt Du allein im Beſitze dieſes Geheimniſſes? 


Aben Humeya. 
Y en el mismo instante. — 
Muley Carime (con voz alterada). 
Mucho me compadece ese desgraciado; te lo confieso .... mas 
puesto que estäs empenado en decirme su nombhre... 


Aben Humeya. 
Al contrario; no vais ä oirle. 
Muley Carime. 
; No? ... 
Aben Humeya. 
Vais a verle con vuestros propios 0jos. 
(Aben Humeya le muestra abierta la carta; Muley Carime la aparta 
con la mano.) 
Muley Carime. . 
Basta. 
(Despues de un corto intervalo, y al mismo tiempo que mira ü Aben 
Humeya, seüaländole el aposento de su muger.) 
; Eres tu el ünico depositario de este secreto ? 





— 467 — 


Aben Humeya. 
Auch Andere willen darum. 
Muley Earime. 
Wer? 
Aben Humeya. 
Aben Abo und Farar. 
Muley Carime. 
Jetzt kenn’ ich das Schickſal, das mich erwartet. 
Aben Humeya. 
Du kennſt e8? 
Muley Earime. 
Und betrachte es ruhig. 
Aben Humeya (wirft einen Blick durch den Saal; dann zieht er 
eine goldne Phiole and dem Buſen, Öffnet fie und giebt fie ihm). 
Nimm und rette Dich. 
(Er wendet das Antiig ab und wirft fi auf die Kiffen.) 
Muley Carime (nimmt die Phiole und trinkt das Gift, dann richtet 
er flarr die Augen auf Aben Humeya und nähert ſich ihm). 


Du wirft herrfchen. 


Aben Humeya. 
Tambien lo saben otros. 
Muley Carime. 


; Quien? 
Aben Humeya. 


Aben Ab6ö y Farax. 
Muley Carime. 
Ya se la suerte que me espera. 
Aben Humeya. 
3 La sabeis? 
Muley Carime. 
Y la aguardo tranquilo. 
Aben Humeya. 
(Echa una ojeada al rededor de la sala, saca del seno un pomo de 
oro, le abre y se le da.) 
Tomad, y salvaos. 
(Vuelve ä otro lado el rostro, y se arroja sobres les almohadoncs.) 
Muley Carime. 
(Toma el pomo, bebe el veneno, y clava los ojos en Aben Humeya; 
despues se acerca ä el, y le dice:) 
Tu reinaräs. 


30* 


— 468 — 


(Beide bleiben einige Augenblide in derfelten Stellung.) 
Muley Carime. | 

Höre mich, Aben Humeya, höre. — Du lernft mich fpät 
fennen, viel zu fpät. — Du hatteft Dich getäufcht in der Ans 
fiht, die Du von mir hegteft, aber in diefem Augenblicke läßt 
mir Dein Herz volltommene Gerechtigkeit widerfahren; es rächt 
mich felbft und demäthigt Dich vor mir; Deine Hand gitterte 
ftärfer als die meine im Ergreifen des Giftes. — Ich war 
weit entfernt, unfere Unterdruͤcker zu lieben; ich haßte fie aus 
ganzer Seele wie Du, vielleicht noch mehr als Du; fie hatten 
mich länger unglädlich gemacht. — Aber ich war Water, Aben 
Humeya, ich war Vater, und fah meine Kinder in Gefahr. — 
Ungluͤcklicher, ich zitterte für Dein Weib und Dein Kind, als 
Du mid) der Schwäche befchuldigteft. (Seine Rüsrung unterdrüdend.) 
Die Liebe zu meinen Kindern Foftet mir das Leben, Du fiehft 
es, Aben Humeya, ich fterbe, um fie zu retten; aber ich möchte 
nicht die Sorge mit in die Gruft nehmen, ein folches Opfer 
vergeblich gebracht zu haben. 

Aben Humeya (auffiehen), 
Doch ih .... was kann ich dabei thun? 


(Ambos permanecen, durante unos instantes, en la misma actilud.) 
Muley Carime. 

Escuchame, Aben Humeya, escucha .... me conoces muy tarde 
... demasiado tarde: .... Te habias equivocado en el concepto 
que de mi tenias; pero fu corazon me estä haciendo en este instante 
plena justicia; El propio me venga, y te humilla ante mi ... tu mano 
temblaba mas que la mia al coger el veneno! Muy lejos estaba yo 
de querer ä nuestros opresores ... los aborrecia con toda mi alma, 
tanto como tü, aun mas todavia ... me han hecho mas tiempo infe- 
liz! pero era padre, Aben Humeya, era padre, y veia en riesgo & 
mis hijos.... Desventurado! por tu esposa y por tu hija temblaba, 
cuando tu me acusabas de flaqueza! .... (Reprimiendo su enterne- 
eimiento.) EI amor & mis hijos me cuesta la vida: ya lo ves, Aben 
Humeya; muero por salvarlas ... mas no quisiera llevar al sepulero ' 
el pesar de haber hecho en balde tamaüo sacrificio .... ; quieres 
prometermelo? ... 

Aben Humeya (levantändose). 

Y yo... ; que puedo hacer en eso? ... 


— 469 — 


Muley Earime. 
Verpfände mir Dein Wort — und ich werbe ruhiger meis 
ner legten Stunde entgegenfehen. 
Aben Humeya. 
Wenn es von mir abhängt..... 
Muley Carime. 
Das thut ee. 
Aben Humeya. 
Dann verfpreche ich es Dir. 
Muley Carime. | 
Schwoͤre es in meine Hände. — Wozu die Erfchätterung ? 
— Ich reihe Dir zuerft die Hand; umfaffe fie, Aben Humeya, 
umfafle fie ohne Furcht; noch ift fie nicht kalt. 
(Er ergreift feine Sand.) 
Höre nur; zittre nicht und höre mich. —, Der Lärm der Waf—⸗ 
fen wird bald in biefe Berge dringen — die Tapfern werden 
kämpfen, ich zweifle nicht daran — aber die ungluͤcklichen Ihri⸗ 
gen. — Um Gott, gieb meine, gieb Deine Tochter nicht ben 
Schrecken eines Wertilgungskrieges Preis; was würde ihr Loos 


Muley Carime. 
Empehame ta palabra ... y ver& mas tranquilo acercarse mi 
ultima hora. 
Aben Humeya. 
Si depende de mi .... 
Muley Carime. 


De ti depende. 
Aben Humeya. 


Pues promcto hacerlo .... . 
Muley Carime. 

Y vas a jurarlo en mis manos. ; Mas que movimiento es cse?... 
Sey yo quien te In presento primero .... estrechala, Aben Humeya, 
eströchala sin temor ... aun no esta fria! — 

(Cögele la mano.) 

Escüchame ahora .... no tiembles, y escucha! EI estruendo de 
las armas va ü penetrar muy laego en estas sierras ... los guerreros 
pelearän, no lo dude; pero sus infelices familias! .... Por Dias no 
expongas & mi hija, no expongas a la tuya & todos los horrores de 
una guerra de exterminio .... cuäl seria su suerte, si tü llegaras ä 





— 470 


feyn, wenn Du erlägefi? — Bedenke mein Schiefal, Aben 
Humeya, immer mein Schieffal; ſelbſt jegt zittere ich für Dich. 
— Aber in Deiner Hand ruht die Macht, meine Sorge zu 
mildern, wenn ich mit mir die Hoffnung nehme, daß mein 
Zweck erreicht wird. — Sch hatte, als ich diefe Stürme ſich 
nähern fah, ein tunififches Schiff ausräften laffen, das im Ha⸗ 
fen von Adra liegt ... In wenig Stunden kann man es .errei 
hen, in wenig Stunden fann es Dein Weib und Dein Kind 
nad) Tanger dringen. 
Aben Humeya. 
Gut, id werde es thun. 
Muley Carime. 
Sch vertraue Deinem Worte. est trage ich die Ueberzeu⸗ 
gung in mir, daß Du nicht wagen würdeft, mich zu bintergehn. 


Wie dad Stud aber jebt ift, verdankt es feinen Erfolg 
auf der Bühne in eben dem Maaße dem Theatermafchiniften 
und dem Decorationsmaler, wie dem Dichter, und der ruhige 
nachdenkende Lefer wird daffelbe, nachdem er ed vollendet hat, 
zwar nicht ohne Wohlgefallen, aber doch eigentlich unbefriedigt 
aus der Hand legen. 


Martinez de Ia Rofa zweites hiftorifches Drama behandelt 
die Verſchwoͤrung zu Venedig im Jahre 1310; zwar hat er 
ſich hier, ſo zu ſagen, mehr Zeit gelaſſen, iſt dagegen aber in 
den Fehler verfallen, die Epiſode, das Schickſal zweier heim⸗ 


faltar! .... Mira mi destino, Aben Humeya, siempre mi destino: 
ahora mismo temo y tiemblo por ti! .... Mas en tu mano estä tem- 
plar mi amargura, si llevo commigo la esperanza de haber logrado 
‚mi intento... Yo habia cuidado de fletar, en cuanto vi que amenaza; 
ban estas revucltas, un barco tunccino que se halla surto en el puerto 
de Adra ... en pocas horas puede llegarse a el, y en otras pocas 
puede llevar 4 Tänger & tu muger y ä ta hija.... 


Aben Humeya. 
Bien cstä; lo hare. 


Muley Carime.' 
Y yo confio en tu palabra. Dentro de mi mismo llievo el con 
vencimiento de que no te atreverias ä enganarme! 











471 — 


lich Vermaͤhlten, von denen der Gemahl in die Verſchwoͤrung 
verwickelt iſt, zu ſehr hervorgehoben zu haben, auf Koſten des 
geſchichtlichen Stoffes, der dadurch nicht großartig genug 
aufgefaßt und durchgeführt wurde. — An Spielzeug für große 
Kinder fehlt ed übrigens hier auch nicht, denn im vierten Aete 
zeigt ſich das Carneval mit allen feinen Masken und feinem 
ganzen Jubel auf dem erleuchteten Marcusplatze. — 

In feinen regelmaͤßigen Tragddien folgt unfer Verfaffer 
fireng der franzöfiichen Schule. — Seine erfte Arbeit biefer 
Art, „die Wittwe des Padilla,’ war ein Jugendver⸗ 
ſuch, und leidet an großen Webertreibungen ; doch find ein- 
zelne Scenen und Stellen nicht ohne Schönheit. Gelungener 
ift die zweite, Zorayda, allein für unfere Forderungen zu 
arm. — Die dritte, Edipo, mag ald ein nicht misglüdter 
Verſuch, das bekannte Drama bed Sophocled der fpanifchen 
Bühne anzupaflen, betrachtet werden. — Das Luftfpiel, die 
Mutter auf dem Balle und die Tochter zu Haufe, iſt eine 
Nachahmung der Stude Moratin’d. — Der moralifche Zweck 
erfcheint zu hervorftechend, und laͤhmt das innere Leben der 
Handlung. Die Charactere find gut gezeichnet. 

Das elegiiche Gedicht, Zaragoza, befchreibt in fehöner 
Sprache und in Canzonenform, doch mehr rhetorifch als eis 
gentlich dichteriich, alle Schredden und Greuel des Falles von 
Saragofla. — Man fieht zu deutlich, daß der Dichter, feis 
nem Talente nach, diefer Aufgabe nicht gewachſen war, und 
daher, im Verhaͤltniſſe zu feinen Kräften, feine Begeifterung 
immer nur eine gemachte ift. 

Vortrefflich ift als didactifches Gedicht die Poetik des 
Martinez de la Rofa, jedoch wie alle didactifchen Gedichte die: 
fer Urt, welche das Syſtem irgend einer poſitiven Wiffenfchaft 
umfaffen follen, immer an und für fich ein Unding; dem Sy: 
fteme jchadet die Poefie und hindert die klare und gründliche 
Entwidelung, der Poefie thut wiederum der Lehrvortrag der 
Wiffenfchaft zu großen Eintrag — und Beide, anftatt fich 
gegenfeitig zu fürdern, ſtehn fich durchaus im Wege, 


— 4712 — 


In jeder Hinficht ausgezeichnet find die wiffenfchaftlichen 
Abhandlungen, welche Martinez de la Roſa den verfchiedenen 
Arbeiten ald Begleiter mitgab; vorzüglich verdiente der Abriß 
der Gefchichte der fpanifchen Tragödie und Komödie weit grö- 
Bere Verbreitung. — Daß unter glüdlicheren Nationalverhält- 
niffen Martinez von dem größten Einfluffe auf die fchöne Lit: 
teratur feines Vaterlandes gewefen ſeyn würde, leidet Feinen 
Zweifel, und wird durch das Urtheil, welches ber befcheidene 
Mann am Schluffe feiner Poetik über fich ſelbſt fält, noch 
mehr beftätigt. Dichoso, fagt er, 

Dichoso aquel a quien las sacras Musas 

La cura remecieron, 

Y lauro peregrino 

Para cenir su freute apercibieron! 

Ya empero que & mi anhelo generoso 

Ingratas niegan su favor divino, 

Al pie del Helicon, la estrecha via 
‚ Que por su cumbre guia 

De la Gloria immortal al sacro templo 

Mostrar€ con mi voz, no con mi ejemplo. 


Vierzehnte Vorleſung. 





Italien. 


Kurzer Ueberblick bee Seſchichte der italieniſchen Sprache und Littera⸗ 
tur bis auf unſere Seiten. — Alfieri, Monti, Nicolini, 
PDindemonte, Manzoni, Cafti u. f. w. 


Später als eine der übrigen romanifchen Mundarten bildete 
fich die italienifche Sprache, obwohl die echtefte Tochter des 
Lateiniſchen, zur Schriftfprache aus, aber ihr warb das große 
Gluͤck, daß fich ausgezeichnete Geifter, wie fie jedes Rolf 
und jede Zeit nur hoͤchſt fpdrlich Hervorbringt, derfelben bes 
mächtigten, und dem rohen Stoffe eine Vollendung zu geben 
wußten, die ihn bald auf eine bewundernswerthe Höhe brachte. 
Nachdem einige mehr geifts als talentvolle Dichter fie mit 
Liebe zu ihrem Eigenthume gemacht, folgten kurz auf einan- 
der drei Männer, Dante, Petrarca, Boccaccio, Des 
ren Leiſtungen in den Gebieten der Poefie ſtets unerreichbar 
daſtehen werden, und bildeten dad Kind (denn als folches 
fann man das Stalienifche mit Recht betrachten, wie ed Guido 
Guinicelli, Guittone von Arezzo, Brunetto Latini, der fogar 
fein größeres Werk franzöfifch fchrieb, behandelten) zu einer 
herrlichen Jungfrau aus, die fie mit dem ganzen Reichthume 


— 44 — 


ihres feltenen Willens, ihrer ſchrankenloſen Phantafie und ih: 
red tiefen Gefühls fchmüdten. Die große Menge ihrer Nach: 
ahmer bemühte ſich, ihnen in Allem ahnlich zu feyn, und die 
Eultur der Sprache Tonnte dabei nur gewinnen, zumal ba 
ſelbſt in den bewegteften Zeiten Fürften es fich zur Freude 
gereichen ließen, die Poefie und ihre Juͤnger zu befördern und 
zu unterflügen. — Die Sprache gewann daher immer mehr 
an Umfang, Kraft und Negelmaßigkeit, wozu die vielen Ue⸗ 
berfeßungen der Klaflifer und die große Menge von Ge: 
fellfchaften geiftreicher und gelehrter Männer, welche zu wiſ⸗ 
fenfchaftlichen Zweden in faft allen Städten Italiens zufam- 
mentraten, nicht Geringed wirkten. So erwarb fich das Ita⸗ 
lieniſche, das ſechs Sahrhunderte hindurch beftändig angebaut 
und bereichert wurde, die volllommenften Rechte auf das Lob, 
die ausgebildetfte Sprache Europa’s zu feyn, ſowohl in Hin- 
ficht auf den Wohlflang, wie auf den Wortreichthum und 
auf grammatifche Negelmäßigkeit, ein Lob, das ihr jeder un: 
befangene Sprachtenner willig zugeftehen wird. 

Der große Meichthum der italienifchen fchönen Literatur, 
dem ber enge Raum, welchen ich dem Ueberblicke derſelben 
würde gewähren dürfen, unmöglich genügen koͤnnte, und ber 
Umftand, daß wir die Meifterwerfe italienifcher Dichter faſt 
alle in Ueberfegungen befigen, deren hohe Vortrefflichkeit diefe 
urfprünglich fremden Werke faft zu einem National= Eigenthum 
machte, *) veranlaßt mich, die entfernteren Perioden der ita⸗ 


) Welchen Freund der Poefie brauche ich noch an Schlegel’d, Gries 
und Stredfuß Leiftungen zu erinnern? — Wahrlih, wenn alle 
Denkmäler dee Sprache unferer Zeit verloren gingen, und nichts 

. geblieben wäre, als die Ueberfegungen dieſer Männer, die Nach: 
welt müßte, bei der Vergleichung mit den Originalen, erftaunen, 
welche Herrfchaft über Die Sprache von jenen Heroen errungen 
ward — Kein Gerechter wird mich Hier der Uebertreibung züch— 
tigen wollen, und — ift ed nicht Pflicht, in Diefer Zeit der Ver: 
Heinerungsfucht dad Gute und Große, dad wir befiten, aus vol: 
lee Seele anzuerkennen und zu preifen? — 





475 


tienifchen Litteratur hier zu überfpringen (zumal da wir fo vor: 
treffliche Arbeiten darüber befisen), denn was ich Ihnen bier 
geben Fönnte, würde doch wenig mehr, als eine Aufzählung 
berühmter Namen und Büchertitel ſeyn. — Ich beginne bas 
her fogleich mit ben gefeiertfien Namen und den merkwürdig 
ften Erfcheinungen unferer Tage. 

Während des fiebenzehnten Jahrhunderts hatte fich ein 
höchft verderbter Gefchmad der Poefie Italiens bemächtigt; 
Künftelei war an die Stelle der Natürlichkeit, Sinnlichkeit an 
die Stelle des Gefühld getreten, ein hohler Wortprunk hatte 
den Plaß edler und großartiger Einfachheit eingenommen. Ein 
höchft talentvoller, aber durchaus befangener Kopf, Marini, 
ging auf dieſem Irrwege voran; fein Zweck war, Erftaunen 
und Bewunderung zu erregen, und Fein Mittel warb von ihm 
verfchmaht, um benfelben zu erreichen. Cine große Menge 
von Nachahmern folgte ihm begierig, und jene Periode wirkte 
nicht blos auf die Litteratur Italiens fchädlich ein; viele ans 
dere Länder fpürten ihren gefährlichen Emfluß, und felbft un⸗ 
fere deutiche Kitteratur, die fich eben zu entwideln begann, 
befam, fo zu fagen, kaum aus dem Ei gefrochen, burch dies 
felde eine falfche Richtung, welche fich in den Leiftungen Hoffe 
mannswaldbau’d und feiner, der fogenannten zweiten fchlefifchen 
Dichterfchule, offenbart. 

As die Wirkung des Strebens der Mariniften ihrem Ende 
nahte, verfiel die italienifche Litteratur in einen Schlummer, 
aus dem fie eigentlich noch nicht wieder aufgerüttelt worden 
ift, obwohl einige bedeutende Männer, voll Reichtum und 
edlem Willen, derfelben ihre ganze Kraft widmeten. Zwar 
fuchten fchon zwei gegen das Ende des fiebenzehnten Jahr⸗ 
hunderts geborene Männer, Metaftafio und Trugent, den ges 
ſunkenen Gefchmac wieder zu heben, und noch. kraͤftiger wirk⸗ 
ten zu Ende des achtzehnten und zu Unfange des neunzehn- 
ten Jahrhunderts große und bedeutende Talente, aber der 
Fluch der Mittelmäßigkeit hat fich zu fehr der Menge bemäch: 
tigt, und gewaltige Geifter wie gewaltige Begebenheiten find 








— 476 


nöthig, um die Poefie biefes herrlichen Landes wieber auf eine 
Stufe zu.heben, welche würdig wäre, dem hohen Standpunkte, 
auf welchem fie fich zur Zeit des Dante, Petrarca, Boccaz, 
und fpäter unter Arioft und Taffo befand, an die Seite ge: 
ſtellt zu werden. — 

Als Markftein an der Grenze der beiden Jahrhunderte, 
und ald Stifter einer neuen Schule in der dramatifchen Poe⸗ 
fie Italiens zeigt fich Alfieri ald eine der bedeutendſten Er⸗ 
fiheinungen neuerer Zeit. — Er war es, der ber italisnifchen 
Tragödie, welche bisher hinter den derartigen Leiftungen faſt 
aller übrigen Völfer Europa's zuruͤckgeblieben war, neuen Auf: 
ſchwung und eigenthümliche Richtung gab. — Indem er dei 
Plan des Trauerfpield auf bie firengfie Einfachheit der Hand⸗ 
kung zurüdführte, riß er allen vermummenden, erborgten und 
falfchen Prunk herab, und brachte die wahren Intereffen des 
Menfchengefchlechted, Freiheit und Sittlichkeit, als Haupthe⸗ 





bet auf die Bühne: — Veredelung der Denkweiſe und des 


Volkscharacters, Erwedung großartiger Gefinnungen, Kürze 
und Kraft ded Ausdrucks, waren die Hauptzwecke, denen er 
nachfirebte. Alfieri ift ganz Italiener, im vollften und ſchoͤn⸗ 
ſten Sinne des Wortes; aber eben dieſe ſtreng bewahrte Na⸗ 
tionalität ließ ihn in eine gewiſſe Einſeitigkeit verfallen, die ihn 
doch vom rechten Wege abführte; indem er zu eifern nach Na⸗ 
tuͤrlichkeit flrebte, und daher der Poeſie, vorzüglich da, wo er 
weichere, zarte, beſonders weibliche Empfindungen zu ſchildern 
hatte, zu nahe trat. „Er hatte fich, bemerkt Sismondi 
fehr treffend, ‚eine ideale Welt nach den Eigenthuͤmlichkeiten 
feined Characterd gebildet; er blieb immer gefpannt, immer 
auf dad Erhabene gerichtet und feine erzwungene Einfachheit, 
fein Lakonismus, feine zu fehr zur Schau geftellten, zu fehr 
fundgemachten Geſinnungen find nicht mehr die Sprache ver 
Natur.“ *) | 


*) Siömondi, Litteratur des füdlichen Europa; beutfch von 2. Hain. 
Bd. 1. Th. 2. S. 662. 


— 41 — 


Sein würdigfter Nachfolger im tragifchen Fache, jedoch 
auch als Lyriker und Elegiker höchft bedeutend, iſt Vincenzo 
Monti von Ferrara, den Italien ohne Widerfpruch als feinen 
größten Dichter unferer Tage betrachtet, und defien Ruhm 
auch bei den anderen Nationen weit verbreiteter ſeyn würde, 
wäre Monti nicht während eines langen, und ben dußeren 
Umftänden nach glüdlichen Lebens durchaus ein politifcher Wets 
terhahn und beftändig der Sänger und Lobredner der Sieger, 
deren Beute immer fein unglüdliches zerriffened Vaterland war, 
gewefen. — Allerdings laßt ſich Manches durch feine reizbare 
und leicht empfängliche Dichternatur entfchuldigen ; dad Neue, 
Glaͤnzende ergriff ihn und riß ihn mit fich fort, und da, wo 
fein befferer Sinn auch biefem beftändigen Wechfel der Farbe 
fich entgegenſtemmte, thaten Egoismus und Eitelkeit, die aus 
allen Handlungen feined Lebens deutlich hervortreten, nur zu 
entfcheidend dad Ihrige. — Abgeſehen davon, abgerechnet 
ferner die Einfeitigfeit itaienifcher Richtung in den fchönen 
Künften und Wiffenfchaften, erfcheint Monti als ein höchft 
begabter, mit herrlichen Kräften ausgerüfteter Dichter. Bes 
geifterung, Gluth der Phantafie, Reichthum und Beweglichkeit 
des Gefühld, warme und Iebendige Anfchauung, ein nie vers 
fiegender Fluß der Bilder, Würde und Kuͤhnheit, find feine 
bervorftechendften Eigenfchaften, begleitet und offenbart von eis 
ner glanzvollen Diction und tiefer und gründlicher Gelehrfamteit. 

Monti's beruhmtefles und am Weiteften verbreitetes Ge: 
dicht ift die Basvigliana, gefchrieben im Intereſſe des Pabftes, 
auf den Tod bed Abgeordneten der franzöfifchen Republik, der 
zu Rom in einem Bolldaufftande ermordet wurde. Es ift 
durchaus eine Nachahmung der göttlichen Komödie des Dante, 
fogar in derfelben Form und fehr oft mit wörtlich dem großen 
florentinifchen Verbannten entiehnten Ausdrüden und Wenduns 
gen. In Begleitung eines Engeld durchzieht Basville's Seele 
die Erde. — Beide Reifende benehmen fich durchaus eben fo, 
wie dort ber ſtets tröftende und ruhige Virgil und der ſtets 
zagende und angfierfüllte Dante. — Daß Monti übrigens 





— 478 
ven Character Basville's ganz vergriffen hat, und aus ihm 
ein Gefchöpf feiner Phantafie machte, Tiegt am Tage, aber 
es Tonnte auch nicht anders feyn, denn Monti fchrieb für ei⸗ 
nen Zweck, der dem, nach welchem der Gefandte der franz: 
fifchen Republik gehandelt hatte, fchnurftrad’s entgegengefekt 
war, — Trotz diefen Umftänden. enthält. dad Gedicht aber 
große, eigenthuͤmliche Schönheiten, und jede Zeile beurkundet, 
daß fie einem wahrhaft poetifchen Gemüthe entfirömte. — 
Die Dietion ift hinreißend, die Bilder find großartig und tref⸗ 
fend, und das Ganze reißt durch feine Erhabenheit und die 
Gluth feines Colorits unwiderftehlich mit fich fort. — Als 
eine der fchönften Stellen iſt mir immer die Befchreibung des 
Momentes .erfchienen, wo der Geift des Abgefchiedenen mit 
feinem Führer ‚gerade zu der Hinrichtung des unglüdlichen Kö: 
nigs in Paris eintrifft. Sie lautet in möglichft treuer Ue⸗ 
berfeßung : 

*) Und es erftarrt der Schatten nun im Schauen, 
Der Führer weinend, und der Straßen Enge 
Belaftet von des Schweigens tiefem Grauen. 

Verſtummet find der Glocken heil’ge Klänge, 
Verftummet ift das Tagewerk, das Lärmen 
Des Amboß und der Säge. Im Gedränge 
Yrur überall Gefläfter, Schreden, Haͤrmen, 
Argwöhnifch Umſichſchauen, aͤngſtlich Fragen, 
Bedeckter Stimmen wirres, wuͤſtes Schwärmen, 


*) E Tombra si stupia quinci vedendo 
Lagrimoso il suo duca, e possedute 
Quindi le strade da silenzio orrendo. 

Muto de’ bronzi il sacro squillo, e mute 

“ L’opre del giorno, e muto lo stridore 
Dell’ aspre incudi, e delle seghe argute 

Sol per tutto un bisbiglio ed un terrore 
Un domandare, un sogguardar sospetto, 
Una mestizia, che ti piomba al cuore, 


— 49 — 


Und Zrauer, die kaum kann das Herz ertragen. 
Beforgter Mütter Stimmen, die die Kleinen 
Feſt drüden an das Herz, in bangem Schlagen, 

Der Frauen Stimmen, die mit heißem Weinen 
Den Weg den Gatten auf der Schwelle wehren 
Und Thränen dort mit Trauerruf vereinen; 

Doc) ihre Zärtlichkeit und ihre Zähren 
Beſiegen wild des Zorns gewaltige Mächte, 

So daß fie fi der Trennung nicht erwehren. 


Ganz in Alfier’s Sußftapfen trat Monti mit feinen Trauer: 
foielen, unter welchen Ariſtodem, Galeotto Manfredi und Ca⸗ 
ius Grachus als die vorzüglichften zu betrachten find. Der 
erfteren Tragoͤdie fehlt es eigentlich an Handlung, ein Tadel, 
welcher auch den Manfredi trifft; dagegen find wie bei Alfieri 
die Charactere fireng und confequent gezeichnet und durchge⸗ 
fuͤhrt. Der gaͤnzliche Mangel an localen Schilderungen und 
Farben giebt indeſſen allen Dramen Monti's, wie uͤberhaupt 
denen der Alfieriſchen Schule, etwas fo Nacktes und Duͤrres, 
indem fie nur die Thaͤtigkeit des Verſtandes, nicht aber ber 
Phantafie anreizen und befchäftigen, daß fih Andere als Sta: 
tiener ſchwerlich damit befreunden werden. Die frengere Kritik 
wird, wenn man bie eben gemachten Auäftellungen auf fich 
beruhen läßt, zufriedener, vorzüglich was den Reichtum und 
Gang der Handlung betrifft, mit dem Trauerfpiele Gracchus 
feyn; die Behandlung ift fireng hiftorifch, doch geben die grö- 
Bere Eleganz der Dietion, und ber Zauber bed Klanges dem 





E cupe voci di confuso affetto 
Voci di madrie pie, che gl’ innocenti 
Figli si serran,. trepitando al petto; 
Voci di spose, che ai mariti ardenti 
Contrastano l’uscito, e sulle soglie 
Fan di lagrime intoppo e di lamenti. 
Ma tenerezza e carita di moglie 
Viuta & da furia di maggior possanza 
Che dall’ amplesso conjugal li scioglie. 


— 40 — 


leßtgenannten Merle noch einen bedeutenden Vorzug vor den 
Alfer’fchen Dramen. — 

Monti hat fich durch vielfache wiffenfchaftliche Arbeiten, 
fo wie durch eine Leberfeßung des Homer in versi sciolti, 
um die Litteratur feined Landes verdient gemacht, doch würde er 
unter anderen Verhältniffen und bei fefter Gefinnung von grö- 
Berer, weiter hinaus veichender Einwirkung gewefen feyn. 

Zu den Unhängern der Schule Alfieri’8 gehört befonders 
der Slorentinee Giambattifta Nicolini, der durch fein 
1811 erfchienenes Zrauerfpiel Polyrena großen Ruhm er- 
warb und zu bedeutenden Hoffnungen berechtigte. Folgendes 
berichtet der feinblidende Siömondi (l. c. I, 2, 704 fgde.) 
darüber: „Polyrxena, des Priamus Tochter, erfcheint in der 
Fabel nur ald die verlobte Braut ded Achilles in dem Augen: 
blicke feiner Ermordung und ald das von Pyrrhus auf dem 
Grabe feined Vaters nach der Einnahme von Troja darges 
brachte Schlachtopfer; aber Nicolini hat erdichtet, daB Po⸗ 
Inrena bei der Vertheilung der Gefangenen dem Pyrrhus, wie 
Kaffandra dem Agamemnon zu Theil geworden; daß fie von 
ihm gellebt wurde, daß fie felbft ihn mit Schaamröthe liebte, 
und daß die Götter den Griechen die Rückkehr in ihr Vater: 
land verfagten, bis der Tod einer Tochter des Priamus, ge⸗ 
opfert von geliebter Hand, den Schatten Achill's befänftigt 
‚habe. Die Macht ded Fanatismus, der in dem ganzen Stüde 
mit Gefchieflichfeit behandelt wird, verfeßte Pyrrhus in die ges 
waltfamfte Lage zwifchen Liebe und kindlicher Zärtlichkeit. Po⸗ 
Inrena ftirbt endlich von feiner Hand, aber indem fie fich in 
das Schwerdt flürzt, womit er Kalchas zu treffen gedachte, — 
Man erkennt vielleicht in diefer Liebe und diefem Opfer die 
Schule der franzöfifchen Trauerfpieldichter und des Metaftafio ; 
aber würdig eines Schülers Alfier’s ift die Neinheit der Zeich- 
nung, die Einfachheit des Ganges, die Größe der Charactere, 
die alle vom erften Range find, ohne Vertraute oder müßige 
Perfonen, die Kraft und Erhabenheit der an Gedanken und 
energifchen, mit Genauigkeit ausgedruͤckten Gefühlen reichen 








— 481 — 


Sprache, Eigen ſind dem neuern Dichter die Farbe des Van⸗ 
des und Zeitalters, das Oertliche der Poeſie, die Fuͤlle von 
Erinnerungen an Griechenland. Man fieht, daß Nicolini ſich 
genaͤhrt hat durch die Lecture Homer's und Virgiles; er behält 
bie Sitten und Memungen der Sieger von Troja vielleicht fo 
viel bei, als wir ed auf einem anderen Theater geftatten koͤn⸗ 
nen; alle dichterifchen Heberlieferungen, die wir aus den Klaſ⸗ 
fitern gefchöpft haben, fammelt er vor unferer Einbildungs: 
kraft, laͤßt fie zu feinem Zwede zuſammenwirken und flattet 
fein Gedicht mit der ganzen Herrlichkeit der Trümmer von 
Troja aus; denn mitten unter diefen noch räuchenden Weber: . 
reften, an welche Alles bie Perfonen wie die Zufchauer erin- 
niert, geht die Handlung vor fich, 

Nicolini's neueftes Werk, das Trauerfpiel Nabucco, 
ſcheint, da es in erdichtetem Gewande die Intereffen der Zeit 
berührt, in feinem Vaterlande wenig Verbreitung gefunden zu 
haben und, ob aus guten oder fehlechten Gründen, muͤſſen 
wir dahin geftellt ſeyn laſſen, gewiſſermaaßen unterdruͤckt wors 
den zu ſeyn. — Ein Abdruck des Originals im Manuſcripte, 
mit gegenuͤberſtehender Verdeutſchung, jedoch ohne Namen des 
Verfaſſers, wie des Ueberſetzers, welcher 1826 zu Ronneburg 
erſchien, hat auch in Deutſchland keine ſonderliche Aufnahme 
erfahren, und doch verdient es wohl kein Werk der Afiert’fchen 
Schule mehr, den’ Freunden der Litteratur befannt zu werden. 
Leider if im der mir zur Hand Legenden beutfchen Ausgabe 
der Abdruck des Tertes fehr mangelhaft, und die Veberfegung 
etwad holpericht gerathen. — Nabuch, ein kuͤhner Krieger, 
bat ſich auf den Thron Aſſyriens gefchwungen, nachdem Sa⸗ 
rar, der vechtmaßige König, dem Wolfe durch Weichlichkeit 
und Nachlälfigkeit verhaßt, in einer Empörung geftürzt wor⸗ 
den. — Die Siege Nabuch’3 haben ihm faft alle Völker 
Aſiens unterjocht; um die Stüßen feines Thrones noch mehr 
zu befeftigen, vermaͤhlt er fich mit einer Tochter des Herrfchers 
der. Meder. Endlich aber verläßt ihn das Kriegsgluͤck in einem 
Feldzuge gegen die Scythen; alle unterjochten Fürften fallen 

31 





482 








von ihm ab und verbinden fich mit dem Beinde, feibft fein 
Schwiegervater, troß dem, daß berfelbe die eigene Tochter in 
der vom Feinde bedrohten Hauptſtadt weiß. — Nabneco wird 
mehr durch Verrath, als durch die Tapferkeit befiegt; er en: 
det fein Leben freiwillig und großartig, ohne ſich der Krone zu 
entfleiden, im Euphrat. — Das ift die Fabel des Stuͤcks; 
die Verhaftniffe und Die Umgebungen offenbaren fo deutlich die 
eigentliche Meinumg des Dichterd, daß es überflüffig were, 
diefelbe naher zu entwickeln; man braucht nur die Namen zu 
verändern, fo wird ein großer Act aus der Gefchichte unferer 
Zeit vor und dargeftellt. — Obwohl aber das Intereſſe fo 
nahe liegt amd dem Dichter fo fehr Die Hand bietet zu Bedeu⸗ 
tendem, fo ift doch hier nur wenig erreicht worden, gerade 
weil die Eigenheiten der Alftervfchen Schule zu flörend in den 
Weg traten; denn «8 fehlt vor Allem an eigentlicher Hand⸗ 
lung, nur Erzählung und Neflertionen treten dem Zufchauer 
bis zum Echluffe entgegen, und er fieht zu deutlich die Künfte 
lichkeit ded ganzen Baues. — Obendrein ift der Mangel an 
localer Färbung und das Entkleiden von allem äußeren Schmude, 
außer dem der Rede, zu fühlbar; ſelbſt im gewaltigften Mo— 
mente fpricht nur der Verfland zum Werftande, und das Herz 
geht faft immer Teer aus. — Dagegen find die einzelnen Cha⸗ 
ractere, bis auf Vafthi, Nabucco's Mutter, confequent und 
beftimmt durchgeführt; jeder tritt ald Neprafentant ciner geis 
fligen Richtung auf und vertritt als folcher dieſe vollkommen. 
Die Sprache ift vortrefflich, kurz, kraͤftig und enticheidend; 
nirgends ift etwad überfläffig, weder in der Diction, noch 
überhaupt im Ganzen, und der Verfaffer hat, in fofern es 
nur die Aeußerung fittliher Anfichten auf poetifchem Wege 
galt, Vortreffliches geleitet, aber ald Trauerfpiel ift das Werk 
"durchaus verfehlt. — Allerdingd war die Meile der Alfieri's 
ſchen Schule die einzig paffende, um die große Frage, die fich 
den Nationen bei Napoleon’ Sturze darbot, ob er nach ihm 
noch das Leben tragen, oder mit feinem Ruhme freiwillig ens 
den. folle, in welcher ein dramatifcher Verſuch der Loͤſung un⸗ 


— 43 — 


ternommen werben durfte, aber ſelbſt dieſe zeigt deutlich, wie 
verfehlt ein ſolches Unternehmen ift, denn alles Iutereffe, das 
nur durch Das Leben in feinem ganzen Wechſelſpiele erhalten 
und befeftigt wird, geht bei diefer Behandlung verloren, umd 
es bleibt am Ende nichts, als ein Schatten abftracten. Rai. 
- fonnementö, flatt der gewaltigen Geſtalten, die wir mit Recht 
fordern koͤnnen, zurüd, — Nehmen wir indeſſen dad Drama 
wie es ift, uns aller Kritik enthaltend, und nur dem Eindrucke 
auf unfer Gefühl folgeud, fo können wir. folgenden an großen 
Schoͤnheiten reichen Scenen unfern Beifall nicht verjagen. 

*) (Nabuqh, gleichſam fortgesonen von Goldaten iA andern ARaffen und 


amgelihre von einen Krieger, in weichen um uach geöffnete 
Bifire den Arfaces erleunt. 


Nabuch. 

Wohin fuͤhrſt Du mich, 
Du unbekannter Held? Mit welcher eitlen Hoffnung 
Willſt Du mich taͤuſchen? Oder welches Koͤnigs Rache, 
Verraͤther, willſt Du mich erhalten, ſeinem Mitleid 
Mich ſparen, das mich toͤdten oder beugen ſoll? | 
Umſonſt bild'ſt Du Dir dies, Aſſyrer, ein: noch bleibt 
Ein treuer Freund mir diefes Schwerdt. 


Arſaces. Steh‘, ich enthül 
eh', ich enthuͤlle 
Die mein Geſicht .... nun weiter! * 





*) (Nabucco quasi ftrasportato da soldati vestiti di altre armi e co- 
mandafi da un guerriero il quale sellevandosi In visiera si 
manifesta per Arsace), 
Nabucco. 
Ove mi guidi 
Campione ignoto? e con qual speme incerta 
Tenti inganarmi? O di qunl re memice, 
Perfido, all’ ire, o alla pielä mi serki, 
Ond’ ei m’ uccida, o m’avrilisen? Assiro, 
Tu ten lusinghi invano: a me rimane 
Non dubbio amieo, il ferro. 
Arsace. 
Eceo la fronte 
Svelo ... prosegui! J 
31* 


u 


— 4 — 


Nabuch. — 
Arſaces, Du haſt 
Ein'n ehrenvollen Kampf mit mir. gewagt: Nabuch 
Iſt heut' von Dir beſiegt: doch warum willſt Du, daß 
Mein Gluͤck ich uͤberlebe? Wo, wo anders 
Als in dem Feindeslager, kann den Tod, wie er 
Dem Kön’ge ziemt, ich hoffen? Mein Asphenes, 
An Deiner Seite wär” ich gern gefallen! ... 
Arfares, 
Ein edler Endzweck war's, der mic, bewog; in Die 
Hoff ich das Vaterland, die Freiheit zu vertheibigen, 
Groß ift die Burg, ein unbefannter Zufluchtsort ; 
Lift und das Schwerdt bahnt Dir daraus den Weg, zur Sucht, 
Und dann ...« 
| Nabuch. 
Was ſprichſt Du? Eh' ſeh' Aſien, 
Von Koͤnigen verrathen und von euch, mich dem 
Verhaͤngniß weichen: haſſe, aber nicht verachte 
Nabuch! 





Nabuccso. 
.  Arsacel: hai meco impresa 

Magnanlina tenzone: oggi & Nabucco 
Vinto da te: ma perch& voi ch’ io viva 
Piü della mia fortuna? Ove poss’ io 
Degna di re, faerch® nel campo estile 
Sperar ia morte? Ah col trafifto amico 
Jo ben cadeva... Asfene mio! 

Arsace. 

Sublime 
Cagion mi spinse, e in te difender. spero 
E patria e libertä. Vasta & la reggia, 
Questo recesso ignoto« il ferro e l’arte 
N’apre la via di fuga, e poi ..... 

Nabucco. 

Che parli? . 

Me I’ Asia vegga pria dai re tradito, 
E or da voi, cedere ai fati: aborra, 
Ma non spregi Nabucco ! 





— 485 — 


Arſaces. 

Vetrug zerſtreute Deine Krieger, 
Vernichtete ſie nicht: noch bleibt ein Schrecken 
Dein Name: pflanz' das heilige Panier 
Der Freiheit auf, und taufend Helden folgen- 
Dir nah; Du biſt zu groß für einen König: 
Zwar raubten ſcythiſcher Froſt und des Araxes Fluthen 
Dir Gluͤck und Waffen, doch den wahren Ruhm 
Verlorſt Du da, als Du den Thron beſtiegen, 
Du wurdeſt da, als Du den Koͤnigen 
Dich gleich gemacht, geringer, als Du je es war'ſt. 
Jetzt fiehft Du dieſes Thrones Frucht: der ärger 
Verabſcheut Di, weil Du ein König bit: Die haßt 
Der König, Dich verachtet ev, weil Du Privatmann war’it; 
Da Did das Gluͤck verläßt, nennt er Did Räuber 
Und jener Di) Tyrann; doch Hi es feicht, 
Des erftern Gunſt Dir wieder zu erwerben. 
Das Volk verzeiht; der König nie. Ganz Alten weiß, 
Daß Arfaces dem Throne ew'gen Haß 


Ärsace. . 
I tuoi guerrieri 

Sparse la frode, non distrusse; e resta 
il terror del tuo nome: il sacro inalza 
Di libertä vessillo, c mille eroi 
In l’orme tue verrano: alı troppe grande 
Per esser re tu sei; di Scizia il gelo, 
E dell’ Arassc l’onde a tc seemaro 
Armi e fortuna : ma la gloria vera 
Allor perdesti che premesti il soglio; 
Allor Nabacco in farsi uguale ai regi 
Minor di se divenne. Or vedi il frutto 
Di questo trono: il cittadin ti aborre 
Perche sei re, t' odia e ti sprezza il zege, 
Perche privato fosti; or che ia sorte 
Ti lascia, questi usurpator ti chiama, 
Quegli tiranno: ma cangiar di affetti \ 
E lieve al primo: il popolo perdona . 
Jl re non mai. Per tutta l’Asia & noto 
Che serba Arsace al trono un odio eferno, 





—— 486 


Geſchworen und für Könige nicht fireitet; 

Jetzt fhwör” mir Freiheit ... ſchwoͤr und diefe Tapfern 

Und ich, find Deme Krieger: aber vorher reife, 

Als Zeichen Deiner Reue, dieſe Kron’ herunter, 

zertrete fie, die Deinen Befm-befyimpfte,  - 

Und laß auf einmat Reid und Schuld: alsdann 

Wird Deine Rechte nübefiegbar , heilig ſeyn: 

Reich" fie mir her, deg’ fie auf dieſes Herz: ach nie” 

Schlug fo das Herz der Sklaven! | 
Nabnch. 
Was verlangſt 

Du, Arſaces? Ich werde ſterben, aber taͤuſchen, 

Das kann ich nicht: ich bin zum Herrſcher, = 

Und der Affyrier zum Knecht geboten cu. 

Du miffeft And’rer Herz (ein großer Fehler) nach 

Dem Deinigen; Du fuͤhlſt, und denkeſt nicht. Ich, ber 

Die Menſchen kennt und diefe Zeit und ſie verachtet, 

Ich weiß, ich mußte Zwingherr ſeyn, der Einz'ge, dem 

Mit wen'ger Schmach die Welt gehorchen konnte. 








E che pei r& non puna: or {a mi giura 

Liberlä ... giura; e questi forli, ed io 

Siam tuo} guerrieri: ma tu pria pentifo 

Strappa, calpesta quelle regie bende 

Che a te profanar I’clmo, c laseia x un tempo 

E regno e colpa: allor sara tua destra 

Invitta e saera: a me la porgi, a questo 

Petto l’accosta: ah degli schiavi il core 

Mai palpitö cosi! u 

Nabucco. 

Che chicdi, Arsaec? 

Morrö, ma non inganno: jo nacqui at regno, 

ET Assiro al servigio .... il core d’altrui 

(Error sublime) dal tuo cor misui; 

Senti, non pensi: jo che i mortali ec questa 

Età conoseo, e sprezzo, io so che ſui 

Neecssario tiranno, il sol, eui possa 

Servir ia terra, con minor vergogna N 











487 — 


Ruhm, glaube mir, und Freiheit ſind fuͤr dieſen 
Gemeinen Haufen nicht: man haßt in mir 
Den Helden, nicht den Zwingheren: darin fehlte ich, 
Daß groß ich meine Sklaven wollte: Ketten, 
Nur Ketten, nicht Trophä’n: das Joch wird füß 
Sin ruh'ger Sklaverei. Dem Erbe wen'gen Ruhm's 
Und vieler Sünden, die die Zeit gebeiligt, 
Verdanken meine Gegner ihre Throne, 
Und alle Anmaaßungen fehrte Afien 
In Rechte um. Mich, König in der That, 
Denn Keiner koͤmmt mir gleich, mich wärden wohl 
Die funfzig Siege und die Werke, 
Bon welchen Afien zeugt, nicht gegen biefe 
Sereizten Sklaven fügen, wenn ich auch 
Mic zu erniedrigen, zu bitten, mich entfchlöfle: 
Der Poͤbel (und wie viele find nicht Poͤbel!) 
Seftattet alten Ruhms nur einen ſchwachen Strahl, 
Den bei den Königen man noch verdunkelt; 
Jedoch der Glanz, der mid) verklärt, er blendet 
Das Aug’ der Sterblidhen. 
Credimi: e gloria, e libertä non sono 

Per questa gregge vile: in me.l’croe, 

Non il tiranno s’odia: io pur errai 

Nel voler grandi i servi mei: calene, 

Catene solo, e non trefei: il giogo 

Caro diviene in servitü tranquilla. 

A poche glorie e a molte colpe avite, 

Che il tempo cossacrö dehbon lo scellro. 

I miei nemici, e le ritorte auliche 

L’Asia converse in dritto. Io re verace 

Perche non trovo uguali, in mia difösa 

E cinquanta vitterie, e l’Asia piena 

Del opre mie, con questi schiavi irali 

Inderno invocherei, s’io pur sapessi 

Avwvilirmi pregando: il volgo (c volgo 

Son molti) soflre della glgria anlica 

Un debil raggio, che nei re s’oflusen, 

Ma questa luce, e viva e mia, confonde 

GI’ oechi mortali. 


— 488 — 


Arfaces,. . 

Erzogen in den Waffen, 
(Wo Willkuͤhr und Gehorſam, wo Geſetze 
Und Schwerdt vermengt iſt, wo die Feinde 
Des Feldherrn Haß und nicht der eig'ne zeigt) 
Scheint eine Heerde Dir das menſchliche Geſchlecht, 
Stets feig, veraͤnderlich, die Beute weniger 
Verſchmitzter, oder ihres Spottes Ziel; glanb' mir, 
Der Menſch iſt nicht ſo groß, als ich ihn wuͤnſche, 
Jedoch auch nicht ſo niedrig, als die Koͤnige 
Es moͤchten: Deinen Feinden nimmt entweder, oder 
Verhuͤllt die Zeit, die Furcht, die Klugheit, 
Der koͤniglichen Klauen Allgewalt; Du haſt 
Sie ganz gezeigt; es ſchwieg die Welt, bewunderte 
Und haßte Dich; bei- Deinem Sturz erhebt 
Sie ihre ernfte Stimme, ruft: Dein Lichtglang war’ 
Mir ein verzehrend Feuer, von den Göttern . 
Haft Du die Bliße nur, den Schrecken; 
Du irreſt, wenn Du glaubeft, Gott vegiere ' 
Mur wenn es donnert; mit Gewalt will Du - 


Arsace 
A te, fra l’armi avyvezzo 
(Ove licenza all’ ubbidir si mesce 
Ed alle leggi it brando, ove i nemici 
L’ira del duce e non la prepria insegna, 


Sembra l’umana stirpe errante gregge 


Sempre vil, spcsso muta e a pochi asteti ' 
O vittima, o Iudibrio; e Imom, io credi, 
Grande non & quanf io vorrei, nö ville, + > 
Quanto dai re si-spera: ai iuoi nemiei 
Tempo, timore e senno, o tronca, o cela - 
L’onnipotenza der regali ärtighi ; 

Tu la spiegavi intera: ib mondo tacque 

E ammirando t’odiö:. voce severa 

Or dalle tue ruine inalza, e grida: 

La luce tua m’ardevra, hai sel dei Nami 

I fulmini, il terrore, e mal credesti, 

Che regni, solo allor che tuona, Iddio. 











’‘» 


Zum wenigften geforgt: vor Die: wird's heißen: 
Zur Ueberzeugung bringen, und zum Ruhm‘ 
Dur) Knechtſchaft. 

Nabuch. 


Nun, ſo werfe Aſien 
Sich in die Arme ſeiner Herrſcher! Das Verhaͤngniß 
Und ich verdammen es zu neuem Sqhlafe. 

Arſaces. 
Schuldig 

Si Su, ob Du es unterdruͤctſt, ob Du's verlaſſeſt, 
Ruchloſe Rechte ſehe ich aus Deinen 
Verbrechen ſich erzeugen, zur Entſchuldigung, _ 
Zum Mufter wirft Du Kön’gen dienen; 07.7" 
Der Sterbliche geht unter, doch fein Beifpief’ lebt, 
Der Tugend, aber nicht dem Laſter fehlt der Erbe 
Betrete, großer Mann, betrete einen Pfad, u 
Auf welchem Dir kein König folgen kann: = U" 
Zerreifi der Menfchheit Sklavenketten, aͤbertreffe 
Du ihre Unterdrüder, aber ahme fie "© “ 
Nicht nach: und wenn das Gluͤck das Hohe netetndalen— 
Vereitelt, wenn Du faͤllſt, fo iſt für Deinen Namen 


Vuoi..colla forza alla rigien sondere, 0 2 
Col servaggio alle gloria. 
Nabucto. , 
- E: P’Asia torni 
Ai suoi monarchi: in :braecio :: a nuoro sonne 
lo la condanno e il fate. et 
Arsace.- - : 00. ch 
— Al par dein ne. ER 
Be-n’epprinb, o ne lasci: infami Ära  n- .. .. wei 
Nascer vegg’ io dalle tue colpe,. € scusa 
E norma ai r& sarai: peri: il mortale, 
Vivon gl’ esempi, e alla-wietu Lerede, Pr 


Non al delitto mamen: ‚ale calca, o grande, ui 
Calca una via su cwi-miun re:ti segwas run rn 
Tronca del mondo ä lueci: 'i suei:Gramni :- -» BE 


Vinei, non imiter: & se fortunma : m. 00. 
Contrasta all’ alta impresa , etu chdesli,, ..: +. 
Almen provedi' 'i-pome.;tuos diranmo.: ..;.;: - eo. 


— 40 — 


Wer war wohl größer! Hat die Menſchheit er 
Auch unterdruͤckt, fo flarb er auch mit ihr; 
Mit feinem Blut verföhnte er die zürnenden 
Geſchlechter, und in ihm verſchwieg die Fama 
Den Zwingheren und gedachte nur bes Helden. 
Gefolge des Arfaces. 
D Freiheit! Freiheit! 
(Nabuch fcheint von dieſen Worten des Arfaced ergriffen, fein Gefolge nä⸗ 


here ſich ihm und ruft: Freiheit, aber eingedent feines vorigen Glückes 
und feines Löniglihen Stotzes ſtößt er fie zurück, und fie gehen ab.) 


Nabuch. 

Geht! Vom Throne wird Nabuch 
Als Sieger ſteigen, doch beſiegt muß er auf ihm 
Sein Leben enden.... Ehrenvoll koͤnnt', Arſaces, 
Ich leben: zwiſchen Aſien und mir erbraußt 
Ein weites Meer, dehnt ungemeſſ'ne Blaͤue 
Sich aus. Nicht nach den alten Koͤnigsburgen, 
Die meiner Feinde gluͤckliche Gemeinheit 
Verborgen halten, nein nach jenem Felſen, 
Der mein Gefaͤngniß iſt, wird dann die Welt 


Chi fü pia grande? Se i mortali oppresse, 
Seppc morir fra loro: ei col sus sangue 
Pincö l'età sdegnate e in Ini la fama 
Taeque il tiranno, e ramentö l’eroe. 

I seguaci d’Arsacc. 

Libertä , libertate!! 
(Nabucco sembra commosso da queste parole d’ Arsace ei suol seguach 
gli s’accostano gridande liberta, ma egli memere della sua "antica 
fortuna e del sua regie orjoglie, li’ rispinge cd: cssi-partono.) 
Nabucco. ‘ 

Ite! Nabuceo 
Scender dal trono, vincitor saprebbe 
Vinto perirvi deo .., Con gloria, Arsace, 
Viver potrei: fra PAsin c me vi freme 
Un ampio mare, e melto eicl si stende. 
Non alle reggie antiche, ove si cela 
Dei miei nemici la wilta be oo 
Ma ver lo scoglio a me prigion gli 8* J 








— 491 — 


Die Blicke richten, wird mit leiſen Wuͤnſchen 
Mehr zu Nabuch, als zu den Goͤttern Reben... 
Mas it es, ob ich lebe, oder ob 
Mein Sciefal blutig ende, und ein neues 
Geſchlecht erftehe? Muͤſſen meine Feinde doch 
Aus meinem Schutt erbauen: auf mir laftet, 
Ich feh’s, der Haß ber Welt; euch Kön’gen laſſe ich 
Die Sorge, mid) als ſchuldlos darzuftellen. 
Nun, du mein Schwerdt, das Schrecken Afiens, gieb mir 
Die Ruhe der Unfterblichkeit! 
Arfaces, 
O hoͤre mid, halt ein! 
Nabuch. 
Will man dem ſonſt'gen Herrſcher Aſiens den Tod 
Auch noch verwehren? 
Arſaces. 
Wenn Du ſtirbſt, wer ſoll 
Die Menſchheit ſchuͤtzen gegen ihre Unterdruͤcker? 


abuch. 
Mein Beiſpiel, Arſaces! 


Volgera l'universo, & piü che i numi 
Con tardi voti invochera Nnbucco .... 
Che val ch’ io viva, o che nel sanguc i miei 
Fati periro, e nuova età vi sorge? 
Ma i miei ncmici edificar dovranno 
Colle ruine mie: me preme, il veggo, 
L’odio del mondo: io delle mie disculpe 
Vi lascio, o r&, la cura: or dammi, oh hraudo, 
Terror dell’ Asia, un immortal riposo | 

Arsace. 
Mi odi, Carresta! 

Nabucco. 

Al già signor del mondo 

Anehe ıl morir si toglie? 

Arsuce. 

Ah sc perisci, 

Chi sta fra ’uomo e i suoi tiranni? 


Nabucco. 
Arsace, 
L’esempio mio. “ 





— 412 — 


. Arfaces. 
an. Ans Deinem Blute 

Seh Taufende von Zwingheren ich erfichen. 

Nabuch. 
Ich gebe Deinen Bitten nach: ich waͤhlte 
Mir and'res Ende. Hoͤre: nimm mein Schwerdt: 
Das Einzige, was von ſo vielen Reichen mir 
Geblieben: wenn ein guͤnſtiges Geſchick 
Se meinem Sohn das Leben friſtet und 
Ihm Muth verleiht, fo übergieb es ihm; 
Verfteht er es zu führen, fo wie ich, dann iſt 
Sein Erbtheil groß und hexrlich: mög’ er einft 
Den Vater rächen, aber feine: Feinde 
Halt’ er nicht werth, mit diefem Schwerdte. zu 
Verlegen. Kalte meinen Tod geheim: der Eupbrat. wäh. 
Durch diefe Daͤmme feine Fluthen, wählt 
Sich in der Erde finft’re Eingeweide: 
So mögen memen Leichnam feine Wellen 
Behalten, und die Koͤn'ge, mich erwartend, zittern. *) 





Arsace. 
Dal tao sanguc io veggo 
Naseerr tiranıi a mille, a mille. 
' . Nabucco. 
"bo cedo 
Ai prieghi tuoi: scelsf ultro fato. Ascolta: 
Prendi il mio ferre: a me sol quesfo avanza 
Di tanti regni: se destin henigno 
Anni e valore al figlio mio eonceda, 
A lui lo reca; ove traltar lo sappia 
Al par di mc, molto io gli lascie: il padre 
Vendich un di, ma di ferir non degni 
Con questo brando i suoi nemici. Ascondi 
A tatti il morir mio‘: 'volge I’ Eufrate 
Fra queste moli i flutti, e della terra 
Nelle piü cupe viscere s’interna: - 
Il cadavere mio ritengan I!” onde, 
Ed ogni re sempre m’aspetti e tremi. 


*) Dieſes Bruchſtück iſt fammt der Ueberfehung t der bereits ange⸗ 
führten deutſchen Ausgabe entlehnt. 





— 493 — 


Jene große Nadicheit in den Werken Aifierl’s und feiner 
Schüler wurde Ichhaft von Giovanni Pinbemonte ans Verona 
gefählt, er ſuchte fie im feinen Dramen zu vermeiben, fiel 
aber in entgegengeießte Fehler und konnte daher nicht einmal 
fo wirken, wie er ed gehofft hatte. Von den näheren Um⸗ 
ſtaͤnden feines Kebens ift mir weiter nichts bekannt, als daß er 
zu deu venetinnifchen Patriziern gehört, ſich mit einer - Grafiu 
Vittoria Vidman vermählte, fpäter feinen Wohnſitz iu 
Mailand aufſchlug und im Jahre 1804 vier Binde dramati⸗ 
ſcher Dichtungen herausgab. Eine reiche Phantaſie, Kenntrig 
deſſen, was Effect macht, echtes Gefühl und gluͤhende Liebe 
für Freiheit, Wahrheit und Gerechtigkeit, weiten feinen poeti⸗ 
ſchen Arbeiten feinen geringen Bang an, und wirben ihren 
Verfaſſer wohlbegründete Anfprüche auf die Anerlennung, nach 
weicher er eifrig firebt, gewähren, wenn er nicht mitunter 
dunkel ımd unperfiändlich würde, da, wo er kurz und, proͤcis 
ſeyn will, oder in deelamatoriiche Tiraden verfiele, gerade 
wo es anf kraftreiche Aeußerung ded Gefühle beſonders ans 
kommt. So viel es ihm moͤglich war, hat er fich der ſtreu⸗ 
gen Ariſtoteliſchen Schule zu entziehen geſucht, ift aber dabei 
ſehr oft auf Abwege gerathen, und mitunter. fahr ungluͤcküch 
in der Wahl ſeiner Stoffe geweſen. — Seine Diction iſt fer⸗ 
wer nicht immer die reinſte und gediegenſte. — Trotz allen 
dieſen Mängeln verdienen feine Werke aber mit großer Auf⸗ 
‚merfiamleit gelefen zu werben, den er ſtrebte zuerſt darnach, 
natürliche Bilder des Lebens über die Bühne zu führen, und 
durch Wechfel der Farben, Lebhaftigfeit und Mannichfaltigkeit 
der Scenen und Situationen, fo wie durch Neichthum der 
Handlung, allen Anforderungen nicht bloß des firengeren Ken⸗ 
ners, ſoudern auch der ſchauluſtigen Menge zu entſprechen. 


Unter feinen Trauerſpielen ift Ginevra di Scozia 08 
berühmtefte. Er entlehnte den Stoff vom Arioſt (Orlando 
furioso. C. V ce VI.). Die Intrigue, wie Pindemonte fie 
durchführte, Bat. auffallende Aehnlichkeit mit Boltaire'd Tan⸗ 








494 


ered und mit Sihalefpear’s Muck ado alomt netking. ‘) 
Arioſts ſchoͤne Epiſode ift zu belaunt, als daß es nöthig ware, 
die Fabel des Scuͤckes hier noch einmal vorzutragen. Daß 
dieſe zu nuwahrſcheiulich wäre, wie Sismondi behauptet, finde 
ich nicht, ſobald man der Eiſerſucht und dem Mistrauen nicht 
die Herrſchaft beſtreitet, die dieſe Daͤmonen nur zu oft auf 
bie Gemuͤther der Menſchen auönben; darin flinume, ich. aber 
mit ihm überein, daß die Eutwidelung bei Pindemoute ver 
fehlt ift, und durch die langen überflufligen Reden. Rinatdo’s 
ſchleppend und unerträglich wird. — Ich muß ferner mit ihm 
der vortrefliehen Durchführung von Ginevras Character das 
größte Lob ertbeilen, und halte, wie er, die neunte Sceue des 
vierten Actes, welche er eigends mittheilt, für ein Meiſterwerk. 

Unter allen dramatiichen Arbeiten Pindenonte’s ift mir, 
meinem individuellen &efühle nach, fen Cincinnatus im⸗ 
mer die liebſte geweſen, weil fie das fehönfte Bemyuiß von. dem 
Herzen und ben Geſinnungen des Dichters ablegt. — Pins 
demonte hat es wicht gewagt, dieſem Side den Mamen eis 
ms Drama zu geben ,. da er ſich durchaus von dem Zwange 
ber: Lehren bes Ariſtoteles losſagte, und Die brei Einheiten kuͤhn 
verlegte; er nannte ed, um durch dieſen Runflariff den An⸗ 
feindungen der fIrengen iralieniichen Kritifer auszuweichen, eine 
Iönblicheheroifche Schaubarfiellung (Rapprosentasiene rustico- 
eroica-spettaeolesa), nach umferen Begriffen, die freilich bes 
nen unferer trandalpinifchen Nachbar ſchnunſtracks entgegen: 
laufen, iſt e& ein durchaus regelmäßiges Drama, denn bie 
Grundidee warb darin in vollfommener Einheit bed Planes 
durchgeführt. Es behandelt die befannte Gefchichte: deö Lucius 
Encinnatus, der im Jahre Rom’s 296 feinen Pflug verließ, 
und als Dietator dad Heer des von dem Feinde eingefchloffes 
nen Conſuls Minutius rettete, feinen Triumphzug in Nom 
hielt und dann wieder zu feinen Iändlichen Beſchaͤftigungen zu: 





*) Nach der Meinung Farmer’s entlehntee Shakeſpear feinen 
Stoff ebenfalls vom Arioſt, jedoch aus der beissen Haud. 





40 — 


ruͤckkehrte. Der erſte und zweite Act ſchildern das ammuchige 
Leben auf dem Landgute des Cincinnatus; im dritten wird 
ums das bewegte Treiben auf dem roͤmiſchen Forum in Zeiten 
der Gefahr vorgeftellt; der vierte enthält den Kampf mit den 
Feinden und des Dictatord Sieg über dieſelben; im finften 
kehrt der gepriefene Held zu feinen Penaten zurüd, — Den 
Mangel einer eigentlichen Intrigue bat der Dichter durch eine 
Menge Herz und Verſtand gleich ſehr anfprechender Nebenzüge 
zu erfeen gewußt; bis auf deu erſten Aufzag, der au einigen 
Längen leider, ift Alles voll Leben, und die Aufmerkfamteit 
wird bis zum letzten Augenblicke, wenn auch nicht in beſtaͤu⸗ 
diger Spannung, doch ſtets rege erhalten. — Die Diction ift 
durchaus dem Sujet angemefien, und der Tadel, mit dem bie 
firengen Jünger der Erusca überhaupt den Styl Pinbemonte’s; 
* vorzüglich aber bier, belegen, daß fich zu viel Inteiniiche Wens 
dungen und neue Wörter vorfinden, erfcheint uns nicht von 
großer Bedeutung, — Mit großer Vorliebe warb der Char 
racter des Cincinnatus von Pindemoute gezeichnet, man. folgt 
ihem durch alle Acte hindurch mit Liebe uud Verehrung; daß 
er in ihm das Bild eines echten Buͤrgers einer Mepubkl zeich⸗ 
nen wollte, bedarf wohl kaum der Erwaͤhnung. — J 

Waͤre Pindemonte bei der Wahl feiner Stoffe immer fo 
gluͤcklkeh gewefen, ald er «8 im Allgemeinen bei ihrer Bearbeis 
tung ift, fo wuͤrde er, wie ich ſchon oben bemerlte, der. erfte 
dramatische Dichter Italiens unter ben Zeitgenoſſen ſeyn. — 
Aber hier befindet ſich der geniale Berfafler, merkwuͤrdig ges 
ing, nur zu oft auf Irrwegen; unglüdlicher faun z. B. nichts 
ſeyn, als die Idee, Die Schuld und dad Ende des Cyanippus*) 


*) Cyanippus Syracusanus omnibus Djis saorilicahat, praelergnam 
uni Baccho. Hinc iufestus Deus erapulam ci incussit. Ilie in 
loco tenebricoso filiam suam Cyanem compressit, quae detractum 
ei annulum nutriei suae dedit, ut meta esset ad noscendum cor- 
raptorem. Quum vere peslilentia laboraretur, ao respendisset 
Pythius Apollo, opertere nefarium immolari Diis Avchruneis, cne- 





— 496 — 


in. einem Trauerſpiele zu behandeln; am nngluͤcttcchſten iſt Aber 
noch der Einſall, die blutſchaͤnderiſche That des wahnwitzigen 
Baters in: bloße Begierde zu verwandeln, und die. Tochter gu 
gingen, ihn zu töbten, indem er ihr das Opfermeſſer in die 
Hand druͤckt, diefe mit feinen beiden Kanten ergreift, und ſo 
ſich den Stahl. in die. Bruſt ſtoͤßt. Mit Recht: frage man 
bier, wie ed nur möglich iſt, Daß ein fo reichen Talent fich 
auf eine fo abgeſchmackte und widerſiunige Weile. vergreifen 
koͤnne. Fuͤr beinahe eben: ſo verfehlt halte ich, gleichfalls; Pine 
demonte's Drama, Robert. und Adeline, trotz dem. Lobe, 
das ihm Sismondi zollt; der hohe moraliſche Zweck, der den Ver⸗ 
faſſer leitete, vermag und allerdings die hoͤchſte Achtung vor 
demſelben einzuflößen, aber er wird und. nie beſtimmen toſmev⸗ 
bie. Schtgriffe des Dichters zu entſchuldigen. — — 

Am bekaunteſten im. Auslande ward in. neuefter Zeit 
Aiteffandro Manzoni aus Mailand, - weicher ebenfalls 
in der dramatiſchen Poeſie ſich ſeinen eigenem. Weg bahnte, 
und denſelben mit beharrlichem Eifer verſoigte. Judem er 
auch die firenge Zeichnung ber Charactere als. muerläßich 
norhwendig anerbeunt, -fagt er fich zugleich von den ‚beeugens 
den Grundſaͤtzen der Lehre des Ariſtoteles, hinſichtlich der Zeit 
und des Ortes, los, und. unterwirft ſich nur. den genauen 
Gefetzen, weldye die: ikelienifche Poetik für die Dietion vor⸗ 
fehreibt, hier nach grüßter Eleganz: firebend. — Es iſt nicht 
zu: Iäugnen, daß Manzoni von mehr als einer Seite die Mit- 
tel beſitzt, durch fein Beiſpiel und fein Vorbild die Herrſchaft 
der für Dad Trauerfpiel in Italien beftehenden Vorſchriften 
umzuſtuͤrzen, aber ed; fehlt ihm doch. eigentlich au. poetiichem 
Neichthume und innerer Kraft, um entfchieden ald Vorkaͤm⸗ 
pfer einer neuen Parthey aufzutreten und zu wirken, und feine 
Leiſtungen erfiheinen daher nur, zumal da ihn eine gewiſſe 





teris ignorantibus quid oraculum vellet, Cyane id.intelligens cor- 
reptum capillis patrem :mactevit, mern. se ipsamı super eum 
Jugulavit. — 





Aengftlichkeit verhindert, fich völlig frei und unabhängig zu 
machen, als ein Verfuch, beide Extreme auf einem Mittel: 
wege zu vereinen, — Go wagt er 3. B. mır felten, große 
Maffen auf der Bühne gegen einander wirken zu Iaffen; da 
died aber mitunter zur Vervollftändigung des Ganzen in feinen 
Stüden erforderlich ift, und er die daraus entipringenden Bil⸗ 
der und die Wirkung nicht gern einbüßen möchte, fo hilft er 
fih, um die Luͤcke auszufüllen, mit einem halb befchreibens 
ben, halb erzählenden, mitunter reflectirenden Chor, der dann 
ben Uebergang bildet und den Sprung in der Handlung ausglei⸗ 
chen ſoll. Diefe poetifche Nothbrüde halte ich für ganz verfehlt, 
indem ber Chor, zu unferer Zeit, ftetd als etwas Fremdartiges 
erfcheint, und auf der Bühne immer nur flörend wirken kann. 
— Wollte Manzoni die Maflen in gewaltiger Bewegung nicht 
den Blicken des Zufchauerd vorüberführen, fo’ konnte er ben 
Act unmittelbar vor der Handlung fehließen, und den nächften 
gleich nach derfelben, wozu ed nur der Andentung weniger 
Worte bedurfte, wieder angehen laſſen. Schiebt er aber gar, 
wie im Adelchi, den Chor befchreibend und reflectirend dazwi⸗ 
fchen, um ben Tod einer einzelnen handelnden Perfon zu fchils 
bern, fo greift er dem Zufchauer noch mehr in deſſen Rechte 
ein, indem er gleichfam für ihn reflectirt und ihm feine Res 
flerionen aufdringt; jedenfalls bringt er aber fich ſelbſt um be⸗ 
beutende Hebel, da er wichtige Momente der Handlung in 
Morte auflöftl. Sch weiß fehr wohl, daß man mir hier Mans 
ches, durch den antiken Chor der griechifchen Tragiker verans 
laßt, einwerfen kam, ich darf mich aber nicht darauf einlafs 
fen, indem ich bemerfe, daß das Publikum unferer Zeit ein 
ganz anderes ift, ald das Publifum jener Tage, und eile, um 
mich nicht in Unterfuchungen zu verlieren, die außer dem Be⸗ 
reich diefer Vorträge liegen, und zu weit vom vorgezeichneten 
Wege abführen würden, Sie durch eine nähere Entwidelung 
mit dem Suhalte der beiden Tragoͤdien Manzoni's bekannt zu 
machen; mögen Sie dann felbft entfcheiden, ob ich in meinen 
Andeutungen Recht hatte, 
32 





498 — 


Il Conte di Carmagnola ift der Titel des erſten Trauer: 
fpiels, mit welchem Manzoni feine Laufbahn begann. — Graf 
Carmagnola, früher Feldherr des Herzogs von Mailand, ein 
friegerifcher, tapferer Mann, hat fich mit feinem Fürften ent= 
zweit und nach Venedig zurüdgezogen. Die Slorentiner haben 
diefe letztere Republik zu einem Buͤndniß gegen Mailand, defs 
fen Gefandten fich auch noch in der Lagunenftadt befinden, 
und auf beren Betrieb Carmagnola meuchlerifch angegriffen 
wurde, eingeladen. Mit der Erpofition diefer Verhaͤltniſſe 
durch den Dogen im venetianifchen Senate, beginnt die Hand: 
fung. Der Graf wird vorgefordert, und entwicelt in der fols 
genden Scene feine Anfichten; nachdem er fich wieder fortbe⸗ 
geben, berathfchlagen die verfammelten Senatoren, ob man 
ihm die Führung ded Heeres anvertrauen folle; nach gewech⸗ 
felter Meinung einzelner Mitglieder wird zum Etimmen ges 
fehritten; hier fehließt die Scene. — Die folgende zeigt den 
Grafen in feiner Behaufung; er erwägt, was bie Zukunft 
bringen werde, da tritt Marco, derfelbe Senator, der in der 
VBerfammlung für ihn votirte, zu ihm und theilt ihm die Krieges 
erflärung des Senates gegen Mailand, fo wie des Grafen 
Erwählung zum Feldherrn mit. Schließlich bittet er ihn drin- 
gend, feinen ftotzen, ftömifchen Eigenfinn, mit dem er fich 
fchon fo Manchen zum Feinde gemacht, zu bezwingen. — 
Der Graf verfpricht ed mit folgenden edeln Worten: 


*) Ja, Du haft Recht. Es trägt der Himmel Sorge 
Gewiß für mich, da er mir ſolchen Freund 
Gegeben hat. Vernimm, der gute Ausgang 
Kann, hoff ich, die verföhnen, die mir feindlich: 
Und Alles endet gut. — Wenn Du indeffen 


*) Tu hai ragione. Il ciel si piglia al certo 
Qurlche cura di me, poicht m’ ha dato 
Un tale amico. Ascolta, il buon successo 
Poträ, spero, placar chi mi disama: 
Tutto in letizia ſinirà. Tu intanto 








— 499 — 


Etwas von mir erfaͤhrſt, das Dir miefallt, 
So klage meine Neigung an, den erſten 
Und unerwarteten Antrieb, doch nie 
Vergeſſen Deiner Worte. 


Im zweiten Acte werben wir nach dem Lager der Mailänder 
verfegt. — Die Condottieri, an ihrer Spike ein Malateſta, 
berathichlagen, was zu thun fey; fie befinden fich in vortheils 
hafter Stellung, und Carmagnola, der ihnen bier nicht8 ans 
haben Tann, fucht fie durch Neckereien hervorzulocken. — Die 
Jüngeren, Unbefonneneren wollen ihn durchaus angreifen, fie 
ſetzen nach heftigem Wortwechfel ihren Willen durch, und ber 
‚Kampf wird befchloffen. — Die Bühne verwandelt fih und 
zeigt den Grafen in feinem Zelte. — Man berichtet ihm die 
Bewegung der Feinde; ſchnell verfaumelt er die Anführer, 
und trifft rafch und befonnen feine Maaßregeln. — Am 
Schluffe des zweiten Acts befchreibt ein auftretender Chor 
den Kampf, und fchließt feine Betrachtungen daran. 

Der dritte Aufzug beginnt im Zelte des Grafen; ein Bes 
auftragter der Republik wünfcht ihm Gtüd zu dem Siege, 
und verlangt, er folle die Vortheile, die ihm derſelbe bringe, 
benußen; der Graf antwortet ablehnend, da tritt ein weiter 
Beauftragter dazu, fich beflagend, daß die Gondottieri ihre Ges 
fangenen Ioslaffen, und fordert Carmagnola auf, diefem Uns 
fuge zu wehren. Der Graf entgegnet ihm, daß das einmal 
Kriegdfitte fey und er es nicht hindern koͤnne. — Als die 
Commiffarien in ihn dringen, wird er heftig und erflärt: - 
*) Ich fagte, 

Daß ich nicht könnte, beffer nun, ich will nicht. 


Se cosa odi di me che ti dispiaceia, 
L’indole mia ne incolpa, un improvviso 
Impeto primo, ma non mai l’obblio 
Di tue parole. 
*) Jo dissä 
Ch’ io non potea: meglie or dirö, nol voglio, 
32* 








— 502 ⁊ 


*) Mitleid'ger Gott, Du fuͤhrſt fie fort von dieſem 
Grauſamen Augenblick. — Ich danke Dir. 
Steh' ihnen bei, mein Freund, entferne fie 
. Aus diefem Ungluͤcksort — wenn fie das Licht 
Von Menem wiederfehn, fo fage ihnen, 
Es Bleibe nichts für. fie zu fürchten mehr, 

Mit wie großem Lobe Goethe, der zuerft auf diefes Wert 
in Deutfchland aufmerffam machte, daffelbe auch belegte, und 
wie eifrig er auch bemüht war, es gegen nicht ungegründete 
Angriffe zu vertheidigen, indem er alle Seiten deffelben hervor: 
bob und im vortheilhafteften Lichte zu zeigen fuchte, fo daucht 
mir doch, abgefehen von aller Ehrfurcht vor dem Urtheil eines 
ſolchen Meifterd, dag es diefe großen Lobpreifungen nicht vers 
diene, und ich muß, nach eigener Meberzeugung, die ich jedoch 
weit entfernt bin, als unfehlbar aufbringen zu wollen, der 
Meinung des englifchen Krititers beiftinnnen, welcher folgen: 
bermaaßen von dieſem Trauerſpiele urtheilt: We fear how- 
ever that the Italians will require a more splendid viola- 
tion of their old established laws, before they are let 
to abandon them. Carmagnola wants poetry; the part- 
ing scene between the unhappy Count and his family, 
is indeell affecting but with this praise and that of oc- 
casional simple and manly eloquence the drama itself 


might be dismissed. “) Das ift auch wirklich der Gall, 


*, O Dio pietoso, tu le involi a questo 
Crudel momento; io ti ringrazie. — Amico 
Tu le soccorri, a questo infausto loco 
Le togli; e quando rivedran la luce 
Di lor — che nulla da temer piü resta. N 
*+) Mir befürchten indeß, Daß die Italiener eine glängendere Ver⸗ 
letzung ihrer alten eingeführten Gefeße verlangen, che fie geneigt 
werden, diefelben aufzugeben. Dem Carmagnola fehlt es an Poe- 
fie; die Scheideſeene zwifchen dem unglüdlichen Grafen und den 
Eeinen ift in der That ergreifend, aber mit dieſem Lobe und 
dem gelegentlich einfacher und männlicher Beredtſamkeit, Tann 
man das Dranın felbft entlaffen. 


503 — 

und der Mangel an Poeſie liegt nicht in der Behandlung, 
ſondern im der Wahl des Stoffes und in der Auffaſſung deſ⸗ 
felben; unfer Intereffe wirb durchaus nicht gewedt, hoͤchſtens 
vorübergehend für Marco, und in den lebten Scenen für die 
unglüdlichen Verwandten des Grafen, weil wir fie hier in eis 
nem allgemein rührenden Verhaͤltniſſe, das rein menfchlich 
jedes Herz ergreifen muß, dem der Trennung für die Erde 
namlich, erblicken. — Die Hauptivee des Ganzen, wie Goes 
the fich ausprüdt, der Kampf des Schwerdtes mit der Toga, 
tritt als folche nicht beteutend genug hervor, um unfere Theils 
. nahme wirflich anzuregen; für einen Kampf ift ed zu wenig, 
denn der Graf ahnet nicht einmal, daß er in einen folchen 
verwidelt werde; und dad Ende wird durch ganz gemeine 
Kunftgriffe des Berrathed herbeigeführt, — Wir fehen nir⸗ 
gends die entgegengefeßten Gefinnungen im Streit einander 
entgegentreten,, fie gehen neben einander her, und die Eine 
fallt am Ende der Anderen nur zum Opfer, weil fie die we⸗ 
niger Fuge oder fchlaue ift; wo foll fich aber unfer Intereſſe 
da hinwenden? 

Die einzelnen Charactere find, in fofern fe Richtungen 
und Gefinnungen perfonificiren, im Allgemeinen mit wenigen 
Strichen deutlich gezeichnet, d. h. man kann ohne großen 
Scharffinn bald merken, was der Dichter durch fie ausdrüf: 
fen wollte, doch genügt das, hinfichtlich der Forderungen, bie 
wir an die Hauptgeſtalten eined Trauerfpield mit Recht ma⸗ 
chen dürfen, nicht. Der Dichter indioidualifirte fie viel zu 
wenig, und fo reden fie nur, gerade da, wo cd am Meiſten 
darauf anfäme, daß fie handelten. — Was Goethe, die 
Einzelnen entwidelnd, an ihnen lobt, tit allerdings an und 
für fich auch Iobenswerth, aber es gehört zu den erfien Bes 
dingungen, daß jede Perfon den Platz, auf den fie der 
Dichter hinſtellt, auf eine vernünftige, fachgerechte Weiſe 
ausfülle, dadurch aber, daß der Dichter nun weiter nichts 
Perfönliches, Eigenthuͤmliches hinzuthat, und fle nur objectiv, 
wicht fubjectio, nicht befonderd und individuell characterifirte, 





504 ur. 


geht alle Localifirung, und fomit einer der größten Neize für 
den Zufchauer verloren, und eben hierin hat Manzoni bewies 
fen, daß der englifche Kritiker Recht habe, es fehlt ihm, wie 
ſich das deutlich zeigt, völlig an Kraft, fich von dem italieni- 
fehen Zwange zu befreien und Neues, das in jeder Hinficht 
als Vorbild dienen koͤnne, zu erfchaffen. — Alle diefe Cha: 
ractere, der Doge, Marco, Marino, find perfonificirte Ideen, 
die mit wenigen Abanderungen in alle Formen bineingepaßt 
werden koͤnnen; damit ift uns aber nicht genügt, wir wollen 
Menfchen, die nebenbei Dogen, Senatoren u. ſ. w., nicht 
aber Dogen und Senatoren, die nebenbei Menfchen find; diefe 
Leßteren können und nur als Puppen erfcheinen, nicht aber 
die Taͤuſchung in und hervorbringen, fie feyen wirkliche Wefen, 
bie ihr Verhangniß vor und ereilt, im wahren Mechfel des 
Glüdes und der Dinge. — Eben dag Manzoni den gefchicht- 
lichen Stoff fo abftract behandelte und in das Allgemeine hin⸗ 
überzog, hat ihm den größten Schaden gebracht; hätte er fich 
mehr an den biftorifchen Faden gehalten, der ihm in feinem 
reinen Zufammenhange die bedeutendften Motive darbot, *) fo 
würde er weit bedeutender haben wirfen koͤnnen, da er nun die 
Leere durch deelamatorifche Luͤckenbuͤßer auszufüllen ſtrebt. 


*) So war 5. B. der Doge, jener Franz Foscari, der fpäter felbft 
fo ſchmählich endete, das Opfer einer greulichen Politif.— Gar: 
magnola wurde feierlich in den Sonat geführt, und wartete dort 
vergeblich den ganzen Tag auf den Dogen. Auf feinem Heim: 
wege nahm man ihn gefangen, Drei Tage brachte er im Kerfer 
zu. — Endlich ward er in tiefer Nacht vor den Nath der Zehn 
geführt; er geftand nichts; man wollte ihn auf Die Kolter fpan- 
nen, da entdedte ſich's, daß fein Arm im Kampfe für Venedig 
zerfchmettert worden; nun wurde er auf glühende Kohlen gelegt, 
und endli) am 5. Mai 1432, mit gelnebeltem Munde, durch 
das Schwerdt mit drei Hieben hingerichtet. — Carmagnola war 
von Geburt der Sohn eines Bauern, und: ward fpäter durch feine 
Tapferkeit der Echwiegerfohn des Herzogs von Mailand, — 


— 500 — 


Um noch einmal auf den Chor zuruͤckzukommen, ſo muß 
ihm allerdings zugeſtanden werden, daß dieſer an und fuͤr ſich 
betrachtet, als eine der ſchoͤnſten lyriſchen italieniſchen Poeſieen 
gelten kann; aber abgeſehen davon, daß er immer ein hors 
d'oeuvre bleiben wird, gehoͤrt er auch ſeinem Inhalte nach 
nicht genau dem Stuͤcke an, denn er ſchildert nicht den hier 
Statt findenden Kampf zwiſchen den Mailaͤndern und Vene⸗ 
tianern, ſondern nur ganz allgemein ein Treffen zwiſchen Ein⸗ 
gebornen deſſelben Landes, und die Reflectionen, die ſich an 
dieſe Schilderung knuͤpfen, ſind eben ſo allgemein. — Die 
Diction des ganzen Trauerſpiels iſt allerdings vorzuͤglich, doch 
kann ich nicht mit Goethe in das Lob der eigenthuͤmlichen 
Wortſtellung, die zwar dem ganzen Vortrage etwas Recitativ⸗ 
maͤßiges giebt, aber immer etwas Kuͤnſtelndes und Geziertes 
an ſich hat, einſtimmen. 

Manzoni bewies in ſeinem zweitem Trauerſpiele Adel⸗ 
gis, daß es ihm Ernſt ſey, auf der einmal betretenen Bahn 
fortzuſchreiten. Dieſe Tragoͤdie iſt ebenfalls der Geſchichte ent⸗ 
lehnt; der Dichter entkleidete aber hier feinen Stoff nicht fo 
fireng von dem örtlichen und zeitlichen Gewande, und iſt das 
her weit reicher an Mitteln, um die Aufmerkſamkeit zu fpans 
nen und das Intereffe des Zufchauers rege zu erhalten, Karl 
der Große hat ded Lombardenfürften Deſiderius Tochter, Ers 
mengarda, mit welcher er vermählt war, verfloßen, und fie 
dem Vater zurücigefandt. Deſiderius empfindet tief die ihm 
zugefügte Schmach, und befchließt, fie in offener Fehde gegen 
Karl zu rachen; fein Sohn Adelgis widerrath ihm, aber Des 
ſiderius erwiedert heftig auf die Einwendungen des Sohnes: 

7) Sterben, 
Sey's auf dem Throne, fey’s im Staube, eher 
als folhe Schande dulden. — Diefer Rathſchlag 


*) Perire 
Perir sul trono, o nella polve, in pria 
Che tanta ont soffrir. Questo consiglio 





—— 506 


Entfliche nimmer Deinen Lippen wieder. 
Es iſt Dein Vater, der es Dir befiehlt. 


Jetzt naht die verftoßene Irmengard, und wird liebevoll und 
tröftend vom Vater und Bruder empfangen; fie bittet um die 
Erlaubniß, fich in die Einfamleit eines Kiofterd zuruͤckziehn zu 
dürfen, denn im Innerſten ihres Herzens liebt fie ihren Ge⸗ 
mahl noch, und erwiedert auf die rauhe Frage ihres Vaters: 
| Was willft Du 

Sn diefes Herzens Grunde fuhen, Qater? 

Nichts kann aus ihm hervorgehn, das Dich freue, 

Sch felber fcheue mich es zu befragen. *) 
Ein Gejandter Karl's wird angekündigt. Deſiderius laßt feine 
GSetreuen fich verfammeln und erlaubt der Tochter, fich zu 
entfernen. Der Abgefandte naht und tragt im Namen Karl’s 
des Großen feine Botſchaft vor; ald der Kombardenfürft ſich 
weigert, dad Begehrte zu erfüllen, erklärt Jener ihm den 
Krieg. Deſiderius ertheilt feinen Fürften den Befehl, die Ih⸗ 
rigen zu fammeln, und verläßt dann mit feinem Sohne die 
Bühne. — Die zurücbleibenden unzufriedenen Hauptlinge der 
Longobarden befchließen, fich bei Swarto, einem gemeinen Krie⸗ 
ger, zu verfammeln. Die Scene verwandelt fich in des Letz⸗ 
teren Wohnung; er tritt auf und hält folgendes von Goethe 
überfegte **) Selbftgefprach : | 

Vom Franken ein Gefandter! Groß Ereigniß, 

Was es auch fen, tritt ein. — Im Grund der Urne 





Piü dalle labbra non ti sfugga: il padre 
Te lo comandas 


*). “ .Padre, nel fondo 
Di questo cor che vai cercando? Ah! nulla 
Useir ne puö che ti rallegri: io stessa 
Temo d’interrogerlo: — 


++) ©, die Einleitung zu der von 8: Frommann beforgten Ausgabe 
der Poefieen Manzoni's. (Jena, 1827.) S. XLIX. 





507 — 


Bon taufend Namen überdeckt, liegt tief 

Der meine; bleibt fie ungefchättelt, immer 

Liegt er im Stunde. So in meiner 

Verdäftrung fterb’ ich, ohne daf nur Jemand 

Erführe, welch' Beftreben mich durchgluͤht. 

Nichts bin ih. Sammelt auch dies nied’re Dach 

Die Großen bald, die ſich's erlauben dürfen, 

Dem König feind zu feyn; ward ihr Geheimniß 

Nur eben weil ich nichts bin, mir vertraut. 

Wer denkt an Swarto? Wen befümmert's wohl, 

Mas für ein Fuß zu diefer Schwelle tritt? 

Mer haft? Wer fürchtet mich? Ob, wenn Erfühnen 

Den hohen Stand verlieh, den die Geburt 

Voreilig zutheile, wenn um Serrfchaft man 

Mit Schwerdtern würde, fehen folltet Ihr, 

Hochmuͤth'ge Fürften, wem's von uns gelänge — 

Dem Klügften könnt’ es werden. Euch zufammen 

Lef’ ich im Herzen; mein’s verſchloß ich, Welches 

Entfegen würd’ Euch fallen, welch' Exrgrimmen, 

Gewahrtet Ihr, daß einzig Ein Begehren, 

Euch Allen mid) verbünder: Eine Hoffnung .... 

Mic einft Euch glei zu ftellen. — Jetzt mit Golde 

Glaubt Ihr mich zu befchwichtigen. Gold! zu Füßen 

Seringern hinzumerfen, es gefchieht, 

Doch ſchwach, demäthig Hände hinzureichen, 

Wie Bettler es zu haſchen — 

Fuͤrſt Ild echi. 
Heil Die, Swarto. 
Die misvergnuͤgten Fuͤrſten verſammeln ſich und beſchließen, 
insgeheim einen Abgeſandten zu Karl zu ſchicken, um mit die⸗ 
ſem ein Buͤndniß zu ſchließen. Swarto erbietet ſich dazu, ſie 
nehmen es an. — 

Zu Anfange des zweiten Aetes ſtehn die beiden Heere ſich 
bereits gegenuͤber. Swarto iſt bereits angekommen und freund⸗ 
ſich von dem Herrſcher der Frauken aufgenommen worden; 
aber die Lombarden, von Felſen und Thuͤrmen beichüßt ‚ bas 
ben die Zugänge und Paͤſſe befeßt, und Karl, in der Mei: 





— 508 
nung, es fey ihm unmöglich, in Italien einzubringen und ben 
Feind zu befämpfen, ift fchon Willens, den ganzen Feldzug 
aufzugeben und nach der Heimath umzukehren. Da wird plöß- 
lich ein Priefter zu ihm gebracht, der fich durchgefchlichen hat 
und bereit ift, ihm einen Weg zu zeigen, auf welchem er dem 
Adelgis in die Flanke fallen kaun. — Jetzt ift eine Schlacht 
möglich, und der Sieg wird num zwifchen den Kaͤmpfern ents 
feheiden. — Wortrefflich iſt die Beichreibung des Priefters, 
die er von feiner Wanderung entwirft. 

Nach einem etwas fehleppenden Monologe Karl's, wel 
cher dazu dienen foll, dieſen zu characterifiren, ertheilt ber 
Monarch den Hauptleuten feine Befehle und fchließt damit 
den zweiten Aufzug. 


Der dritte Act zeigt dad Lager der Longobarden. Sie 
werden ploͤtzlich von Karl uͤberfallen; Verrath bricht von allen 
Seiten hervor, und Deſiderius ſelbſt iſt gezwungen, ſich den 
Fluͤchtigen beizugeſellen. Die Scene verwandelt ſich und zeigt 
einen andern Theil des Lombardiſchen Lagers bei den Engpäf- 
fen. — Karl hat fich deffelben bemächtigt, und tritt mit ſei⸗ 
nen Kriegen, von Swarto begleitet, auf. Die abgefallenen 
Longobardenführer nahen fich und werden freundlich von dem 
Monarchen empfangen, welcher Swarte zum Grafen von 
Suſa erhebt. — In der folgenden Scene, welche in einer 
abgelegenen Gegend fpielt, erblidden wir den flüchtigen Defides 
rind mit wenigen Getreuen; Adelgis ftößt zu ihnen; fie bes 
fchließen, fich in bie feften Städte zu werfen. — Am Schluffe 
des Actes tritt ein Chor auf, ver das traurige Loos ber Flie⸗ 
henden und des befiegten Landes ſchildert. 


Die erfte Scene des vierten Actes führt und in das 
Ktofter dı San Salvadore in Brescia, wohin fich Ermens 
garda zuruͤckzog. — Die Unglüdliche tritt auf, krank und 
ſchwach; ihre Schweſter Ansberga, Aebtiſſin des Kloſters, ift 
bei ihr; ſie ſpricht von ihrem nahen Tode, und wuͤnſcht, 
doch laſſen wir ſie ſelbſt reden. 


Schweſter, dies 
Verweig're nicht; ſuch einen Treuen, der, 
Wann es aud fey und wo, fich nähern könne 
Dem wilden Geinde unferes Geſchlechtes. 
Ansberga. 
Karl! 
Ermengarda. 
Du haſt ihn genannt; er finde ihm, 
Daß Irmgard ohne Haß fchied von der Erde, 
Und daß fie Sott beſchwoͤrt, er möge nimmer 
Fuͤr Alles, was hienieden fie gelitten, 
Zur Rechenſchaft ziehn, wer es fey, da fie 
Aus feinen Händen Alles doch empfing. 
Das fag’ er ihm und — wenn dem ftolgen Ohr 
Zu herbe nicht das Wort erklingt — ich hatt’ ihm 
Verziehen. — Willſt Di’s hun? 
Ansberga. 

Ä So empfange 
Der Himmel meine legten Worte einft, 
Als mir die Deinen werden beilig feyn. *) 


*) — — Sorella..... oh! queste 
Noa mi negar ..... trova un Fedel che possa 
Quando che sia, dovunque, a quel feroce 
Di mia gente nemico npprossimarsi ...» 


Ansberga. 
Carlo! 
Ermengarda. 


Tu Y’hai nomato: e si gli dioa: 
Senza rancor passa Ermengarda : oggeito 
D’odio in terra nen lascia, e di quel tanto 
Ch’ ella seffersc, Iddio scongiura, e spera 
Ch’ egli a ncssun conto ne chiegga, poi 
Che dalle mani sue tutto ella prese. 
Questo gli dien, e .... se all’ ercechio altero 
Troppe acerbo non giunga esta parela ..... 
Ch’ io gli perdona. — Lo farai? 
Ansberga. 

Le estreme 
Parole mie riceva il ciel, siecome 
Queste tue mi son sacre. 





— 510 


Ars aber Ansberga ihr erzählt, Karl habe ihre Nachfolgerin 
Hildegard im Lager bei fich, wird fie ohnmaächtig und verfällt, 
wieder zu fich Fommend, in Wahnſinn; dann finft fie von 
Neuem in Ohnmacht, und in vollem Bewußtfenn, Daraus 
noch einmal erwachend, fühlt fie den Tod nahe und laͤßt fich 
auf ihr Lager bringen. — Ein auftretender Chor befchreibt 
ihr Ende und beklagt fie. In der folgenden Scene erfcheint 
auf dem Wale von Pavia Guntigi, der Die Stadt befehligt ; 
er erwartet in der Mitte der Nacht Swarto, welcher fich bald 
darauf einfindet; der Verrath und demzufolge die Uebergabe 
der Stadt und die Auslieferung des Defiderius, wird bes 
ſchloſſen. — 

Zu. YAnfange des fünften Aufzugs hat fich Karl der Stadt 
Pavia bemächtigt, Defiderins ift gefangen, — Adeilgis, der 
fih nach Verona warf, ‚halt hier noch Stand; doch feine 
Soldaten find unzufrieden und erwarten, um fich zu ergeben, 
nur Karl's Aufforderung, welcher in Perfon die Belagerung 
leitet. Adelgis fucht fich durchzufchlagen, aber er wird toͤdt⸗ 
lich verwundet und gefangen zu Karl gebracht, in deſſen Zelte 
er, in den Armen feined Vaters, feine edle Seele aushaucht, 
nachdem er von dem Sieger dad Verfprechen erlangt, die Ge⸗ 
fangenfchaft des ungluͤcklichen Greifes zu mildern. — 

Diefer ningere Auszug würde fehon hinreichend ſeyn, zu 
zeigen, daß Manzoni in diefem zweiten Trauerſpiele bedeutende 
Fortfchritte gemacht. — Die Handlung fehreitet rafch vor- 
wärts, und wir wüßten an ihr nichts weiter zu tadeln, als 
die Menge von Epifoden, welche zur Rundung des Ganzen 
nichts beitragen und eigentlich den Gang hemmen, wie 3. B. 
Swarto's Fit und Gil und Aufrids, Adelgis Freund, Hels 
dentod, oder Roland's Aerger; allerdings greifen diefe Neben⸗ 
handlungen in die Haupthandlung ein, oder richtiger , fie find 
mit ihr verknüpft, aber fie bangen fo loſe mit derſelben zus 
fommen, daß fie, faſt ohne eine Lüde zu machen, daraus 
entfernt werden koͤnnten, auch dienen fie nicht zur Entwicke⸗ 
lung der Hauptcharactere. Hierin liegt, meiner Meinung 


— 51 — 


nach, eim großer Fehler, ba bie Aufmerkfamteit Dadurch zer- 
fireut und getheilt wird. — Soiche Epifoden find .der 
Staffage in einem Gemälde zu vergleichen, aber fie muͤſ⸗ 
fen begründet ſeyn in ber Natur des Ganzen. — Die, Cha⸗ 
raetere find dagegen vortrefflich gezeichnet, voll Wahrheit und 
Leben, jeder eigenthmlich. — Zwar erblicken wir Karl den 
Großen nicht, wie wir und ihn zu denken gewohnt find, er 
ift, wie Fauriel richtig bemerkt, weder der Held des Sagens 
freifes, noch der Heilige der römifchen Kirche, oder der Grüns 
der eined gewaltigen Reichs, aber er ift, wie ihu Manzoni 
pinftellte, ein ganzes Gebilde, und es hing von dem Dichter 
allein ab, ihn zu fchaffen, wie er ihn brauchte, fobald er feine 
Schöpfung nur conſequent durchführte, und das ift hier. ber 
Sell. — Geftalten, wie Adelgis und Irmengard, niffen 
Theilnahme und Mitleid erwecken; felbft die untergeordneten 
Perfonen erfcheinen in fi) abgerundet und repräfentiren wirk⸗ 
lich, was fie darftellen follen. — Die Dietion ded Stüdes 
ift Iobenswerth, und will man einmal die Chöre in ihrer Stel⸗ 
Inng gelten laſſen, fo darf man ihnen, als lyriſchen gelunges 
nen Poefieen, dad ihnen gebührende Lob nicht verfagen. — 
Endlich hat der Dichter wohl verfianden, bie Maffen Har und 
deutlich in Bewegung zu ſetzen. 

Manzonis Iyrifche Poefieen erfcheinen mir, troß manchem 
Vortrefflichen, das fie enthalten, doch zu geledt und gegiert, 
und man fieht ifmen nicht an, daß fie aus begeifterter Bruft 
firömten, wohl aber, daß fie muͤhſam zufammengefeßt wur⸗ 
den. — Die vier heiligen Hymnen find, unſerer Meinung 
nach, für einen Tatholifchen Dichter viel zu kalt und gemeffen, 
und das einzige berühmte Sonnett Menzoni’s *) iſt uns weit 
fieber, als dieſe fünf gefünftelten frommen Geſaͤnge. — An 
wahrer Begeiſterung fehlt es ferner auch der durch Goethe's 
leider verunglüchte Bemuͤhung ziemlich bekannten Ode auf Nas 
poleons Tod; II einque Maggio. — Wie nuͤchtern iſt nicht 


*) Quando Gesü con l’ultimo lamento ete. 





512 — 


die Neflection, bie fich durch das Ganze zieht. Er war, und 
ſtarr wie feine Leiche flieht die Erde bei der Botſchaft; ich 
babe ihn weder gehöhnt, als er ſank, noch gepriefen, als er 
flieg, jetzt foll meine jungfrauliche Muſe ihn feiern, in einem 
Geſange, der vielleicht nicht fterben wird. — Er herrichte von 
Dft nach Welt, von Sud nach Nord, mit wahrem Ruhme? 
bad fieht dahin. — Die Zukunft mag richten. Wir beugen 
uns vor Gott, deſſen Vaterhand ihn nach jo vielen Schickſa⸗ 
Ien freundlich hinuberführte in die Gefilde des Friedens. — 
Freue dich, Glaube, daß ein fo Stolzer ſich dir beugte, und 
entferne jedes ſchmaͤhende Wort. — . 

Eben fo verunglücdt fcheint mir Manzoni’d hiſtoriſcher 
Roman Gli sposi promessi, in welchem man deutlich fieht, daß 
er gar nicht Herr der Idee eined ſolchen Kunſtwerkes war. 
Wie ermuͤdend und fchleppend zieht fich der ganze Faden, durch 
geichichtliche Gelehrſamkeit zur Ungebuͤhr ausgefponnen, fort. — 
„Die Verlobten‘ find durch von Buͤlow's und Leßmann's 
Bemühungen fo verbreitet und befannt worden, daß Sie mir 
gewiß jedes längere Verweilen bei denfelben als überflüffig‘ 
gern erlaffen werben. 

Das italieniſche Luſtſpiel, das durch Goldoni einen fo ho: 
hen Schwung bekam, ift feit diefer Zeit von bedeutenden Tas 
Ienten mit Erfolg cultioirt worden. — Als geſchaͤtzte Dichter 
in diefer Gattung gelten in neuerer und neuefter Zeit Fede⸗ 
rici, de Roffi, Sografi, Nota und der Graf Giraud, 
ich darf jedoch, um unferem Plane treu zu bleiben, nur bei 
den beiden Letzteren verweilen. 

Alberto Nota, jemem Stande nach ein Advocat aus Pie⸗ 
mont, hat ſich unbezweifelt nach deutſchen, vorzüglich Ifflan⸗ 
diſchen Muſtern gebildet.“) Er iſt ein genauer und ſcharfſinni⸗ 
ger Beobachter der Natur, und enthuͤllt mit ſicherem Scharf⸗ 
blicke die unſerer Zeit eigenthuͤmlichen Laſter und Gebrechen; 





*) Die beſte Ausgabe feiner Komödien iſt diejenige, welche in vier 
Bünden in &., Turin 1848, bei Domenico Pane erfchien. 


* 
— 513 — 


ſeine Gemaͤlde ſind treue Copieen Alles deſſen, was ſich taͤg⸗ 
lich im Leben ereignet. Seine Diction iſt elegant und rein; 
feine Charactere find vortreffüch und wahr gezeichnet; er weiß 
das Interefle durch geſchickte Anlage der Situationen zu ſpan⸗ 
nen und rege zu erhalten; aber er moralifirt zu fehr, und es 
fehlt ihm durchgängig an wahrer komiſcher Kraft; ich verweile 
deshalb nicht Tänger bei ihm, da dad Genre der Comedie lar- 
moyante, dem er fich widmete, fich bei und fchon ange uͤber⸗ 
lebt hat, und wir doch endlich mehr und mehr davon zuruͤck⸗ 
kommen, bie Bühne mit Darftellungen der alltäglichiien Mi⸗ 
fere ausgefüllt zu fchen, wie fie uns Iffland in feinen in 
mancher anderen Hinſicht durchaus werthvollen Stüden 
brachte, wo 

Der Poet it der Wirth und der letzte Actus die Zeche, 

Wenn fich das Lafter erbricht, fegt ſich die Tugend zu Tiſch; 
und fchieben wir dazwiſchen ein, 
Wo nothwendig das Städt im Meinften Ländchen ſich abfpielt, 
Daß man den Fuͤrſten ale Sort habe bequem bei der Hand; 
Ward des Morgens der Rath vom Präfidenten gemartert, 
Seht er des Mittags auf's Schloß, und nach dem Kaffee wird's gut. 

Anfängern in der italienifchen Sprache find Nota’s Luft: 
fpiele als Lecture, und unter biefen befonders Ja Pace dom- 
mestica (der Hausfrieden) vorzüglich zu empfehlen; die etwa⸗ 
nige Langeweile, welche fie dabei fpüren, da fie noch nicht 
fo weit find, fich au der Eleganz und Reinheit der Sprache 
freuen zu können, mögen fie auf Nechnung des Lernens einer 
fremden Sprache, die im Anfange immer etwas Langemeile 
verurſacht, fchieben. Nota's vorzuͤglichſtes Stud ift wohl 
La donna ambiziosa (die ehrgeisige Frau). — In der letz⸗ 
ten Zeit hat der Verfafler, ſeitdem er Unterintendant von Nizza 
wurde, wenig mehr für die Bühne gethan. 

Mir wahrem Beruf und mit großem Erfolg nahm fich in 
neueſter Zeit ein römifcher Edelmann von franzöfifcher Abkunft, 
der Conte Giraud, des italienischen Luſtſpiels an. Seine 
Arbeiten zeichnen fich vorzüglich durch glüdlich erfundene Jn⸗ 

33 | 


— 514 — 


trigue, rege Lebendigkeit, einen wortrefflichen und wißigen Dia⸗ 
log, fchlagend komiſche Situationen und eine ihm ganz eigen- 
thümliche Gutmüthigkeit aus, Giraud verfpettet die Thorheit, 
aber ohne zu beleidigen, und felbft da, wo er die poflenhaftes 
fien Verhättniffe herbeiführt, verleßt er nie die Achtung, wels 
che man dem Hergebrachten fchuldig tft; ja, was noch mehr 
gilt, er weiß faſt in derfelben Zeit das Zwerchfell durch Die Fos 
mifcheften Einfälle zu erfchättern und das Herz zu rühren, 
und aus Allem leuchtet wirklicher Gefchmad hervor. — Der 
einzige, freilich erhebliche Tadel, ver ihn trifft, ift der, daß er 
zu weit gebt in der Freiheit, welche die Bühne geſtattet, und 
mitunter Situationen, ja ganze Intriguen bringt, welche an 
das Unſchicliche ſtreifen. 

In der Sammlung feiner Luſtſpiele *) zeichnen fi fi ch vor⸗ 
züglih L'ajo nell’ imbarazzo (der Erzieher in Verlegenheit), 
N Figlio del Signor Padre (der Sohn des Herrn Vaters) 
und La capricciosa confusa (die verwirrte Eigenfinnige) als 
die gelungenften aus. — Die Fleinen Stüde feines Privatz 
theaters find voll der feinften Menfchentenntniß und der glüd- 
lichſten Erfindung, — Um Sie mit feiner Art und Weife bes 
kannt zu machen, erlaube ich mir, Ihnen den Inhalt und eis 
nige Scenen feines Ajo nell’ imbarazzo, weichen Ch. Hell 
unter dem Titel: der Hofmeifter in taufend Aengſten, vers 
ftümmelt auf die deutfche Bühne brachte, mitzutheilen. Don 
Gregorio Cordebono, der Erzieher zweier Söhne des Marchefe 
Giulio Antiquati, wird vom Vater beauftragt, den Grund der 
Melancholie des älteften Sohnes, Marchefe Enrico, zu erfors 
fihen. — Diefer macht ihn zum Vertrauten, nachdem Don 
Gregorio ihm feinen Beiftand gelobt, — Der junge Mann, 
feit einem Jahre heimlich verheirathet, hat Weib und Kind. — 
Gregorio muß diefe Leßteren in feinem eigenen Zimmer vers 
bergen vor dem alten Marchefe, und kommt dadurch in tau⸗ 


*) Commedie del Conte Giovanni Giraud. Milano 1825. 5 T. 
in 8. — Teatro domestico d. C. G. &. Milano 18922. 2 Bde. in 8. 


— 515 — 


fend Verlegenheiten, von denen eime noch Tomifcher als die an- 
dere ift, ohne jedoch den guten Lehrer ſelbſt Tächerlich zu ma⸗ 
hen; feine Gutmüthigfeit erweckt vielmehr die innigfte Theil⸗ 
nahme. Endlich wird Alles entdeckt und loͤſt fich zu allgemei- 
ner Zufriedenheit auf. 

In der lyriſchen Poefie, welche früher fo hoch in Italien 
verehrt wurde, haben fich in neueſter Zeit nur fehr Wenige 
auögezeichnet. — Zu dieſen gehören vorzüglich, außer dem 
bereitö erwähnten Monti, Hippolyt Pindemonte, der Bruder 
des Tragikers; Roſini, der Berfaffer der Fortſetzung des Mans 
zoniſchen Romans, ber Abate Caſti, Ugo Foscolo. Da fich 
die beiden Letzteren auch in anderen Fächern ausgezeichnet has 
ben, fo geftatte ich mir, ihrer ausführlicher Erwähnung 
zu thım. . 

Giambattiſta Eafti ward Chöchft wahrfcheinlich im Sahre 
4724) zu Montefinscone geboren und genoß im dortigen Se⸗ 
minar eine gelehrte Erziehung. Er zeichnete ſich früh durch 
feine Talente aus, und wurde ſchon im fechszehnten Fahre _ 
feines Alters als Profeffor der Kitteratur an derſelben Lehran⸗ 
ſtalt angeftellt. Hier verweilte er bis 1764, boch begab er 
fich dann, zu feiner eigenen Ausbildung, nach Nom, wo er fich 
durch 216 komiſche Sonnette auf einen und denfelben Gegenftanb 
emen nicht unbedentenden Ruf erwarb; dann verließ er feine 
. Baterftadt und reifte in Gefellfchaft eined Landsmannes, des 
Tonkuͤnſtlers Guardugci, nach Florenz, zur Zeit der Vers 
mählung des Großherzogd Leopold. — Einige Gedichte, wel- 
che er dieſem Fürften widmete, und welche beſonders der Ges 
mahlin beffelben gefielen, verfchafften ihm die Stelle eines 
Spofvichterd mit 300 Scudi Gehalt. — Als bald darauf Jo⸗ 
feph IE. zum Befuch nach Florenz kam, wußte Caſti den 
Monarchen fo für fih einzunehmen, daß er ihn nach Wien 
einlud. — Don hier aus befuchte er, den Sohn des Grafen 
Kaunig begleitend, die vorzüglichfien Höfe und Hauptſtaͤdte 
Europa’d, und begab fich dann nach Peteröburg, wo ihn Ka⸗ 
tharina II. ebenfalls ſehr Hufpreich aufnahm. — Zum Dank 

_ 33%* 


516 


beleuchtete er dad Leben diefer Semiramid des Nordens, wie 
fie Voltaire fehmeichelnd und boshaft nennt, mit einer fatyrie 
fchen Tadel, in einem Gedichte Tartaro, welches er freilich 
erft nach feiner Ruͤckkehr in Wien herausgab, und das ihm 
nicht nur keinen Beifall, fondern eine Menge Verdrießlichkeiten 
zuzog. Sofeph II. rierh ihm ſelbſt, eine Reife nach Eonftan- 
tinopel zu machen, und fchenkte ihm das Reiſegeld dazu. Caſti 
ermangelte nicht, feinem großen Befchüger zu folgen; er fchiffte 
ſich demzufolge in Venedig ein, verweilte über ein Jahr in 
der Türkei, und kehrte erft wieder zuruͤck, als fich ber Larım 
über fein Gedicht mehr und mehr gelegt hatte. — Won num 
an veriweilte er bis zum Jahre 1796 in Wien, wurde unter 
dem jeßigen Kaiſer Hofpoet, und ging dann erſt auf ein Jahr 
nach Italien, dann 1798 nach Paris, wo er im Jahre 1804 
den 46. Februar in hohem Alter eines plüglichen Todes ftarb, 

Caſti war in jeder Hinficht ein ausgezeichneter Menſch, 
ber weit Bedeutenderes geliefert haben würde, wenn ihm das 
Schaffen nicht zu leicht und er daher nachkaffig geworben 
wire, — Herrſchaft über Gedanken und Sprache, glängen- 
der und gefälliger Wis, Reichthum der Phantafie, die indeffen 
gar zu willig Abwege einfchlagt, Anmuth und Mechfel der 
Sarbengebung, zeichnen feine Leiſtungen aus, nur behandelt er 
Alles zu fpielend, and fein Hang zur Satyre, dem er oft zu 
gefällig den Zügel fchießen laͤßt, verleitet ihn zu häufig, Sitt⸗ 
ichkeit und Anftand zu verlegen. — Er verſuchte ſich in faſt 
allen Gattungen der Poefie. — Am berühmteften ward er. 
durch fein komiſches Epos Gli animali parlanti (die redenden - 
There) und feine mit Recht verrufenen Novelle galanti. — 
In dem erfteren geißelt er, die Thiere als Neprafentanten ber 
Menfchen hinſtellend, und in deren Thun das Thun ber Letz⸗ 
teren parodirend, die Gebrechen und Laſter der Gefellfthaft; 
daß er dabei mitunter nach dem Leben malte, leidet Teinen 
Zweifel, diefer Umftand ranbt aber jetzt, wo der Mehrzahl der 
Leſer Zeit und Rocalität zu fern Liegen oder ganz. unbekanut 
bleiben, diefem Gedichte einen großen Theil des. eigentlichen 








— 517 — 


Intereſſe; und fo ſehr auch Einzelnes gefällt, fo reicht dieſes 
boch nicht hin, um während der Lecture von ſechs und zwan- 
39 Gefängen vor Ermübung und Langeweile zu bewahren. — 

'Die Novelle galanti, zwei und vierzig an ber Zahl, find 
eine Reihe Tasciver Erzählungen in Oltave rime, unfittlich in 
jedem Worte, .aber unbedingt das Gefälligfte und Witzigſte, 
was je in diefer Art gefchrieben wurde. — Die Xrioftifche 
Bonhommie, welche fich Caſti anzueignen wußte, giebt diefen 
Gedichten ohne Zweifel einen befonderen Reiz und macht fie 
defto gefährlicher; fie gleichen Erzählungen eines gebildeten 
Wuͤſtlings, der in feinen alten Tagen behaglich von ben Suͤn⸗ 
den feiner Jugend ſchwatzt und fie im Bortrage noch einmal 
durchlebt. Sch würbe fie gar nicht berührt haben, wenn fie 
nicht zu allgemein bekannt wären. — 

Seine lyriſchen Poefieen erfreuen fich ausgezeichneter Ele⸗ 
ganz; fie find faft alle taͤndelnd, vorziglich die fogenannten 
Oden, and enthalten daher Feine großen Gedanken; aber der 
feltene Wohllaut der Sprache, die glänzenden Bilder, bie Ge⸗ 
wandtheit des Ausdrucks, welche fie beſitzen, fehe fie den er= 
fen Gedichten diefer Art gleich. — 


Die Reihe von Sonnetten, deren ich ſchon krüßer Erwaͤh⸗ 
nung that, kann, da Alle denſelben Gegenſtand behandeln, 
die Quaalen, welche der Dichter von einem ungeſtuͤmen 
Glaͤubiger, dem er drei Giuli, ungefaͤhr neun Groſchen ſchul⸗ 
dig iſt, erleiden muß, auf die Laͤnge nicht gefallen, man 
muͤßte denn, wie ſo mancher Italiener, nur ſeine Freude am 
Bau der einzelnen Sonnette und an der Verſchraͤnkung der 
Reime finden. Fuͤr eine Spielerei iſt die Sache zu ſehr aus⸗ 
gedehnt, und einer Citrone zu vergleichen, welche bis auf den 
letzten Tropfen auögepreft wurde. Einzelne Sonnette find als 
lerdiugs voll glücklicher Einfälle, aber die Mehrzaht ift fade 
und platt, was auch nicht anders ſeyn konnte, da der Grund: 
gedanke zu aͤrmlich und einfeitig if. — Das Gelungenfte 
fcheint mir Folgendes zu ſeyn. 


— 518 — 


Dicht bei dem Nordpol, in den kuͤrzeſten Tagen, 
Wenn recht in voller Kraft des Winters Drang, 
Erftarret in der Luft, fo hört’ ich fagen, - 

Ein jegli Wort und ift ohn’ allen Klang. 

Doc endet diefe Zeit fo trüb’ und bang, 

Und kann die Sonne erft fi) näher wagen, 
Daß fie die Luft aufthaut, das Eis zerfprang, 
Bald hier bald da an’s Ohr uns Worte fchlagen. 

Wär’ ic mit Dir, mein Manichaͤer, dort 
Sewefen in der Winterszeit, fofort 
Als nur der Froſt aufhört mit feinem Grimme, 

en fid) ein Jeder, eine Stimme 

zu hoͤren, und doch Nichts zu fehn, die Schulen. 
Eintreibend, unfichtbar laut ruft: Mein Gulden! *) 


Cafti hat ferner mehrere Dramen für Muſik gefchrieben, 
denen ed nicht an Intereſſe fehlt. — Unter dieſen ift I Cu- 
blai das Poffenhaftefte und Ergöglichfte. — 

Ganz ald Gegenfag zu Caſti erfcheint der Mann, mit 
welchem ich abfichtlich zögerte, ehe ich Ihnen denfelben vor⸗ 
führte: theils um durch den Contraft, den er bier’ zu feinem 
ſchmiegſamen, lasciven Vorgänger bildet ; feine großen Eigen- 





*) Lä presso il polo nei piü eorti di 
Allorche il verno imperversando va, 
Dieon che m aria stringa il gel cosi 
‘La parola talor, che suon non fa; 

E quando poi Ia ria stagion fin), 
E piü d’appresso il sol seioglie e disfa 
L’aere addensato che giä il ghiaccio uni 
: S’odon suonar parole or qua or la. 
Or se ivi, o Greditor, per alcun po 
Nella fredda stagion stess’ io con te 
Credo che: quando il crudo gel cessö * 
Ben stupiria talun, che intorno a se 
Udria senza veder chi la formò 
Voce che chiederebbe i Ginlj tre 


—— 51) — 


fehaften in ein defto helleres Licht zu fellen, theils aber auch, 
um dieſen Abfchnitt mit einem würdigen Sohn des fchönen 
Landes che il mar circonda e Palpe, zu ſchließen. — Es 
ift der in Dentfchland durch feinen halb poetifchen, halb fen= 
timentalen Roman fchon fehr bekannte Hugo Foscolo. Er 
wurde im Jahr 1773 zu Zante geboren, ftudierte zu Padua 
unter Ceſarotti's Leitung, und trat zuerft ald Trauerſpieldich⸗ 
ter zu Venedig mit feiner Tragoͤdie Thyeſtes auf, welche das 
mald mehr Beifall fand, als fie eigentlich verdient, und 
fpäter in Vergeffenheit gerieth. — Sein neueftes Werk wa⸗ 
ven die durch das Schickſal und den Selbfimord feines ungläds 
lichen Bruders veranlaßten Briefe zweier Liebenden (Lettere 
di due amanti), welche er fpdter umarbeitete und unter dem 
Zitel Ultime Lettere di Jacopo Ortis herauögab. In dies 
- felbe Zeit fallen zwei Oden, die eine an Pallavicino, die ans 
dere an eine genefene Sreundin; die glüdlichften Arbeiten Hugo 
Foscolo's in diefer Gattung. — Er hatte damals Kriegädienfte 
genommen und die Belagerung von Genua durch Maffene, in 
diefer Ieteren Stadt, mitgemacht. Im Jahre 1805 ging er 
mit einem italienifchen Negimente ald Capitain nach Calais; 
fpäter wurde er Adjutant des Generals Caffarelli, dem er feine 
1808 und 1809 beforgte Ausgabe der Werke Montecuculi's 
widmete, Bald darauf vertaufchte er die Waffen mit der Fe⸗ 
der, indem er an Monti’ Stelle Profeffor der Litteratur zu 
Pavia wurde, - Er eröffnete feinen Eurfus mit einer Nede über 
Urfprung und Zweck der Litteratur; doch bekleidete er diefe 
Wuͤrde nicht Länger als zwei Monate, da die Vorlefungen auf 
den AUniverfitäten zu Pavia, Bologna und Padua durch höhes 
ren Machtipruch gefchloffen wurden. Bald darauf erfchien fein - 
beruͤhmtes Gedicht „die Graͤber,“ welches ungeheuered Auf: 
fehn in Italien machte, und eine Menge Nachahmer aufregte. 
Nach dem Sturze Napoleon's begab er fich nach der Schweiz 
und von dort nach England, wo er fich mit litterärifchen Ar⸗ 
beiten, befonderd mit englifch gefchriebenen Commentaren über 
Dante und Petrarca, beſchaͤftigte. — Er farb am fünften 


— 510 0 — 


Dctober 1827 zu Turnhamgreen in ärmlichen Verhaͤlt⸗ 
niſſen. *) 


Hugo Foscolo war ein in jeder Hinſicht hoͤchſt ausgezeich⸗ 
neter Menſch, doch fehlte ihm noch viel zu einem bedeutenden 
Dichter; ſein Verſtand herrſcht zu ſehr vor in allen ſeinen Wer⸗ 
ken, und Raiſonnement vertritt faſt durchgaͤngig die Stelle der 
poetiſchen Begeiſterung. — Gluͤhende Freiheitsliebe, Streben 
fuͤr Wahrheit und Recht, und maͤnnliche Kraft beſeelen ihn; 
er iſt einer der wenigen wuͤrdigen Italiener neueſter Zeit, deren 
eifriges Streben dahin geht, ihre erſchlafften Landsleute aus 
ihrer Lethargie aufzurütten, und jene ſchoͤnen Eigenfchaften, 
bie einft den tapferen Sohn jenes herrlichen Landes ſchmuͤck⸗ 
ten, wieder zu beleben und auszubifden. Geift und Willen 
find nicht geringe Zierden feiner fchriftftellerifchen Leiftungen, 
doch verfehmaht er theils, im raftlofen Verfolgen feines Zwek⸗ 
kes, die taufend kleinen Mittel, welche als gefälfige Diener 
des Dichters dazu beitragen müffen, Herz und Einn des fee 
ſers zu gewinnen, theils befißt er fie nicht, vorzüglich Teine 
Phantafie. 


Sein Roman ift durch zwei vortreffliche Weberfeßungen 
und mehrere in Deutichland beforgte Ausgaben des Originals 
fo fehr befannt, daß es überflüffig wäre, denfelben noch ge⸗ 
nauer charasterifiren zu wollen, zumal da ein eigenes Zuſaͤm⸗ 
mentreffen im Plan mit den Leiden Wertherd von Goethe, . 
ihm noch größeren Reiz verlieh, und unnüge kritiſche For⸗ 
fehungen veranlaßte. Hugo Foscolo's Werk har vor dem 
Goethe'ſchen die politiiche Tendenz und das daraus entfprin= 
gende Jutereſſe voraus, wogegen Werthers Leiden ein unend⸗ 
lich bedeutenderes Kunftwerk find, was füch bei einer felbft 
oberflächlichen Vergleichung alöbald offenbart. — Im feinen 
Trauerfpielen folgt Hugo Foscolo fireng der Alſieri ſchen Schule, 


*) Giuseppe Pecehio, Vita di Uge Fescolo. Lugano, 1830. 


ja er ſtrebt faft in der Einfachheit der Handlung und in der 
Glanzloſigkeit der Diction noch weiter zu gehn, und legt fich 
beinahe ſtlaviſche Feffeln auf. — In feinem didactifchen Ges 
dichte die Gräber ift fein Ideengang zu ſtreng und kalt; 
ber gerechte Zorn befeelt ihn zwar, aber er begeiftert ihn 
nicht, und ed fehlt feinem Erguffe daher durchaus an eigent= 
lichem poetiſchem Schmuck; denn was er in diefer Hinficht 
binzuthut, ift mehr erborgt und nachgebildet, als eigenthüms 
ich. — Das Gedicht mußte großes Aufſehn machen, weil 
es den Italienern in einem ernften und gediegenen Tone ihre 
Erbaͤrmlichkeit vorhaͤlt; die wahren Patrioten traten daher ent= 
zudt auf des Verfaſſers Seite; Andere, wie 3. B. Hippolyt 
Pindemonte, fuchten zu vermitteln, indem fie daſſelbe Sujet 
behandelten und die Dinge in ein milderes Licht ftellten ; wies 
der Andere, verlegt, weil fie fich heimlich getroffen fühlten, 
ftanden entfchieden dagegen auf. — Foscolo's Inrifche Poe⸗ 
fieen find nicht bedeutend; feine wiffenfchaftlichen Abhandlun⸗ 
gen dagegen haben die gerechteften Anfprüche auf großes 
Lob. — Er war ein Mann, wie fie jeder Bürger, dem fein 
Daterland am Herzen liegt, diefem wünfchen wird, und der 
Gedanke, daß er in der Fremde fein Leben endete, muß jeg: 
liches fühlende Herz mit Trauer erfüllen. 

ch erlaube mir, Sie noch ſchließlich auf einige Namen 
aufmerkffam zu machen, die zwar nicht Anfpruch auf großen 
Dichterruhm machen Tönnen, aber doch verdienen, genannt zu 
werden. — Zu diefen gehören Angelo d' Elci als Saty⸗ 
riker; Dan. Florio und Eefare Arici ald epifcher, Meli 
und Genonio al lyriſche Dichters Le Bon und Carlo 
Federici wegen gelnngener Luftfpiele, Ruffa als Tragi⸗ 
ter. — Der hiftorifhe Roman fand ebenfalls in der letzten 
Zeit Eingang in Italien; der füßliche und gezierte Berto⸗ 
Lotti trat zuerft in dieſer Gattung auf; fpäter zeichneten fich 
Manzoni (Sposi promessi) und Rofini (Monaca di 
Monza) darin aus; eigentlich Bedeutendes wurde aber nicht 
geliefert, und es blieb nur bei der Nachahmung der Vorbilder 





— 522 — 


des großen Unbefamten. — Die Italiener haben nie etwas 
Vorzügliches auf diefem Felde geleiftet, fo bedeutend fie fich 
auch auf dem verwandten Gebiete der Novelle bewährten. — 
Auf diefem letzteren erfcheinen die vier Novellen eines Schuls 
meifterd (Quattro novelle di un maestro di scuola, deutſch 
in dem 1830 bei Barth erfchienenen Proteus) als das Ges 
Inngenfte neuefter Zeit. — Dagegen ift Pananti’s verfifis 
cirter. Roman, Il poeta di teatro, nicht viel beifer, als 
ein Pasquill. — 





Sunfsehnte Borlefung 





Portugal 
Ueberblick der Gefchichte der portugiefifchen Sprache und Litteratur. 


Pie yortugiefifche Sprache ſtammt, wie die ſpaniſche, aus 
dem Lateinifchen. Unter der Herrfchaft der Gothen war im 
Gefchäftsgange, wie unter den Kitteraten, in den Ländern, die 
feitdem den Namen Portugal erhielten, allgemein bie lateini⸗ 
fhe Sprache im Gebrauch. Durch Vermifchung mit germa- 
nifchen Idiomen wurde aber dad Latein verdorben und kam 
allmaͤhlig, feit dem Einfall der Araber in diefe Kinder, ab. 
Bon biefer Zeit bis auf die Entflehung einer yortugiefifchen 
Sprache werden: mehrere chriftliche Dichter und. Ritter genannt, 
die in der Sprache der neuen Sieger dichteten, während man 
kaum noch bier und da in Eiöfterlicher Abgeſchiedenheit einige 
Geiftliche fand, die im Stande waren, Virgil's Sprache rein 
und richtig zu fchreiben. Zur Zeit des Kampfes, der die Ver⸗ 
treibung der Mauren herbeiführte, kam die Iateinifch = romani- 
fche Sprache zu Ehren. NRaynouard hat auf unbeftreitbare 
Weiſe dargethan, daß die Sprache der erſten Troubadours 





— U — 


beinahe die Sprache der Dichter war, die nad) dem Siege 
des Alfons Henriquez bei Durique auftraten. Bis zu 
diefer Epoche läßt man den Urfprung der portugiefiichen Spra⸗ 
che hinauffteigen. Das Portugiefifche hat eine große Zahl aras 
bifcher Wörter behalten, ohne von feiner Lieblichkeit zu verlie⸗ 
ven. Es hat nicht die ſtarken Kehlafpirationen, die im Spas 
nifchen vorberrfchen, und ihm einen Klang von Majeflät ges 
ben; wiewohl auch Camoens in einer Sprache fchrieb, die 
feft und nachdrüdlich feyn konnte. Dabei ähnelt es dem La⸗ 
tein fo fehr, daß mehrere Autoren fich übten, Stuͤcke in Poe⸗ 
fie und Profa Iateinifch und yportugiefifch zugleich zu Tiefern. 
Eden fo kennt man ein Sonnett von Montemayor, das 
zugleich cafülianiich und portugieſiſch ift. 

Im AV. Jahrhundert gefchah die Seftftellung der portu⸗ 
gieſiſchen Nationalfprache. Jetzt ift das Portugiefifche eine 
der ausgebreitetfien Sprachen in Europa; es ift die Sprache, 
die von den portugieſiſchen Juden nach Amfterdam, nach Ham⸗ 
burg, nach Tyrol getragen wurbe, die Sprache, die in Bra- 
ſilien, im Azoren⸗Archipel, an den afrieanifchen Hüften, in 
Indien und in China gefprochen wird. Wie bie andern Spra⸗ 
chen. des füdlichen Europa, hat das VPertugiefiiche mehrere 
Ausdrüde aus dem Franzoͤſiſchen berübergenommen und an 
Driginalität verloren. 

Die yportugiefifche Kitteratur iſt in Europa wenig bekannt: 
mon glaubt allgemein, daß fie eind mit dem Spanifchen 
ift, und mit Unrecht. Was diefe, die jetzt der Gegenſtand 
unferer Unterfuchungen ift, befonders characterifirt, find. die 
epifchen Gedichte, . und die nationalen Geſchichtswerke, bie 
man in fo reicher Zahl darin antrifft. Die portugieftiche Kits 
teratur kann in fünf fehr getrennte Perioden getheilt werben. 

Die Pertugiefen entzogen fich dem mausifchen Sache eher, 
als die Spanier. Ein frangöfifcher Prinz and dem Stamme 
der Kapetinger, Heinrich von Burgund, giebt. ber. Macht 
der Eroberer den erfien Stoß. Sein Sohn Alfons Hen: 
riquez ſtuͤrzt fie. gänzlich in der berühmten Schlacht bei Ous 


rique und gründet bie portugiefifche Monarchie. Der erfte 
König von Portugal war auch einer feiner erften Schriftfteller. 
Bald fah man mehrere Dichter aufblühen, einen Egaz Mo: 
nis, Soncalo Hermiguiez. Es errichtet Macias, der 
den Beinamen der Verliebte (emamorado) führt, feiner 
Liebe und feinen Leiden durch fein Genie ein bleibendes Mo⸗ 
nument. Er fchreibt in galiciicher Mundart, und gründet eine 
zahlreiche Schule, die feinen Einfluß weiter über die ganze 
Halbinſel verbreitet hat. Bemerkenswerth ift, daB man bei 
teiner Nation fo viel Könige und Fuͤrſten ſieht, die die Litte⸗ 
ratur begünftigt oder ferbft angebaut haben. Aufgeklaͤrter als 
die andern Fürften Europa’s, geftatteten Portugal's Fuͤrſten 
ihren Völkern eine Freiheit, Die andern Nationen unbelannt 
war, und die Einführung der Cortes in Portugal ſtammt aus 
diefer Zeit. In eben diefer Periode preift man den Namen 
Dionys ald den Bründer der Univerfität Eoimbra, als 
Randesverbefferer und als Triegerifchen König. Er war Dichter 
nach der Weiſe unferer Troubadours, und trug viel zu dem 
Aufgehn der heileren Sterne Portugal’ bei. Unter dieſem 
Monarchen, fagt man, lebte Wasco de Lobeira, der Bas 
ter der Nitters Romane. Endlich wurden zur Zeit Don Pes 
dro’8 die Archive von Lisboa (Torre de Tombo) gefliftet. 
Fernando Lopez erfcheint und geht einige Zeit dem fran⸗ 
zöfifchen Zroiffart vorauf, mit dem man ihn vergleichen . 
kann, In der durch Entdeckungen und Eroberungen glorreis 
chen Periode Emanuel’3 werben der Litteratur ‚die größten 
Aufmunterungen zu Theil: einheimifche und fremde Gelehrte 
nach Coimbra berufen, um die Studien zu ordnen. Einige 
fendet die parifer Univerfität. Bernarbin Ribeyro, ein 
Dichter voll Zauber in der Eclogen- Manier, tritt in feiner 
Menina y Moca ald gewandter Profaift auf, und Camoens 
legte ihm fpdter den Namen Ennius der Portugiefen bei. 
Emanuel ſtirbt; die Eroberungen in Indien haben Schaͤtze 

in Portugal aufgehäuft, aber die Einführung der Zefiten halt 
die Bildung der Portugiefen zurüd. Die Litteratur hat eine 


— 55 — 


Zeit der Schwäche: Joa õ IH. aber, feinem Vorfahren nachs 
firebend, richtet fie wieder auf, und die glänzendfie Periode, 
beginnt. 

Das fechözehnte Jahrhundert ift für die Pertugiefen, was 
das Zeitalter Ludwig's des XIV. für die Franzofen war. Die 
Sprache fteht auf der höchften Stufe ihrer Ausbildung. Der 
eilfſylbige Vers (Hendecafpllabus) ift der allgemein angenom⸗ 
mere. Saa e Miranda reift nach Stalien und bringt von 
ort Gefchmad für die Litteratur mit, die Dante und Petraren 
berübmt gemacht. Dann bildet er feinen Styl zum Mufter 
harmoniſch vereinter Kraft und Naivetät. Antonio Ser 
reira wird ald der zweite Gefeßgeber des portugiefifchen Pars 
nafles angefehn: auf die gludlichfte Meile ahmt er bie Gries 
chen und die Schriftfieller des Auguſteiſchen Jahrhunderts 
nad. Er giebt Europa die erſte Character⸗Comoͤdie: der 
Eiferſuͤchtige, und. bie erſte regelmäßige Tragoͤdie: Inez 
de Castro, die fpater die Spanier fich zueignen wollten. Noch 
im Anfange des ſechszehnten Sahrhunderts war ed, daß fich 
Gil Vicente feinem Genie für dramatiſche Poefie überließ. 
Er hört auf keinen Führer, gewinnt aber den Enthuſiasmus 
der Nation für fich amd heißt ihr Plautus. Ohngefaͤhr ein 
Jahrhundert geht er vor den ſpaniſchen Dramatifern voraus, 
denen wieder nun die Franzoſen folgten. Er ift in Portugal 
der erfte Schriftfieller, deffen Genie das Volk ergriff. Diego 
Bernardes, Andres de Caminha, Alvares de 
Driente trugen mit zur Vervollkommnung der Sprache bei 
und vermehrten den litterariichen Ruhm der Nation. Wie 
ihre Vorgänger neigen fie fich zur Schaferpoefie, eine Vor⸗ 
fiebe ,. die fich durch Die Schönheit der Natur, die ihnen vor 
Augen lag, leicht erklärt. 

Aber wahrend dieſe Dichter der Gunft des Gluͤckes genoſ⸗ 
fen, während fie im Schuß des Hofes ihre Verſuche durchſetz⸗ 
ten, die die Bewunderung der Nation erregen, irrt ein Dann, 
von Niemandem gekannt, in Armuth, nur fenem Muthe vers 
trauend , umber,. befteht Gefahren, deren Andenfen er verewi⸗ 


— 3517. — 


gen konnte; unaufhaltſam von einer Leidenſchaft getrieben, die 
das Schickſal ſeines Lebens iſt, verleugnet er ſeine Liebe nur, 
wenn er die Siege feines Volks beſingt: denkt er einen Aus 
genblid an fein Elend, fo bat er doch den Ruhm vor Aus 
gen: die Liebe zum Vaterlande macht ihn Alles vergeffen: 
er verlangt von den Königen nur, daß fie ihn hören, damit 
fie Theil an den hohen Empfindungen haben, von denen feine 
edle Bruft erfüllt if, — das iſt Camoens. Den Stürmen 
entgeht er, damit er feine Lufinden in's . Vaterland bringen 
ann, und verbaucht fein Leben im Hospital zu Kiffabon, an 
bem Tage, da bie Kraͤfte des portugiefifchen Reichs auf afris 
kaniſchem Sandfelde verrinnen. Immer nur Wahrheit reden, 
wie der Macht fehmeicheln, war ber Wahlſpruch des großen 
Mannes. Mer den Camoens left, wird dies Muth und 
Tugend» Gefühl, das feine Poefie belebt, anflaunen, und ers 
kennen, wie fehr er der Dichter feines Volles werden mußte, 
deſſen Gefänge bis nach Afien wieberhallten, wenn die Nach⸗ 
kommen der Albuquerque fich zum Kampf rüfteten. Dann 
wird ihm begreiflih werden, warum ein Portugiefe. nie ohne 
fichtfiche Rührung den Namen Camoens ausfpricht. 

Zu der Zahl berühmter Dichter, die Portugal aufzählt, 
hat es fich auch ausgezeichneter Proſaiſten zu ruͤhmen: biefen 
Allen geht in Rudficht auf den Styl Joäo de Barros 
voran: wenn er aber gleich den Europaͤer über die Verhaͤlt⸗ 
niffe Indiens aufzuklären vermag, fo laßt er fich doch zu oft 
vom Feuer feiner Imagination beftiimmen, und ale Vorur⸗ 
theife feiner Zeit finden fich wieder in feinen Werken. Oſo⸗ 
rio verdient viel weniger dieſen letzten Vorwurf; er. ift durch 
feine klaren philofophifchen Ideen uber fein Zeitalter erhaben, 
Luce na's fließende durchgearbeitete Sprache iſt mufterhaft: 
Damien von Goes weiß lebhaft einzunehmen: Couto Ca- 
fianheda, Albuquerque traten in Barros Fußtapfen, 


und die mitgetheilten Bemerkungen find um fo werthuoller, 


da fie am Schauplatz ſelbſt gefammelt find, Unter ven Rei⸗ 
fenden diefer Zeit zeichnet fih Mendez Pinto .aus, . deffen 





3235 — 


beiwundberndwürbige Sprache phantaflifche Borftellungen ent: 
fchuldigen muß. Portugal hat im fechözehnten Sahrhunderte 
auch einen berühmten Antiquar, den Reſende, aufzus 
weilen. 

Den größten Theil des fechözcehnten Jahrhunderts hindurch 
hatten die drei einander folgenden Monarchen die Litteratur bes 
ſchuͤtzt, die fie ſelbſt cultiviren halfen: als nach dem Ungluͤcks⸗ 
tage von Alcaffar Kehis, wo mehrere große Dichter mit=z 
fampften, das Scepter in die Hand eined fchwachen Geiftli- 
hen, des Karbinald Heinrich, fiel: fein Regiment ließ das 
Unheil errathen, was auf Portugal wartete. Inzwiſchen hatte 
Camoens den Impuls gegeben: ihn nachzuahmen, ſtrengten 
mehrere Dichter ihre Kräfte an. Eortereal und Nodris 
guez Lobo Tann man als die Männer auſehn, die einen 
Mebergang zwiichen den beiden Perioden herſtellen. Erſterer, 
der ein Krieger war, wie der Verfaſſer der Lufiaden, firebt eis 
ner glühenden Phantafie nach, mit einem verborbenen Ge⸗ 
ſchmack: der Andere führt den Namen des portugieftfchen 
Theocrit, und ift der anziehendfte unter den bucolifchen Dich⸗ 
tern feined Volks: auch ein epifches Gedicht hat er geliefert, 
das aber in geringem Anfehn flieht. Faſt alle folgenden Dich: 
ter haben im epifchen Sache gearbeitet. Mauzinho Que⸗ 
bedo ſteht als kraͤftiger Dichter da in feinem Alfons dem 
Africaner: Pereira de Caftro hat wohl dem Homer bie 
antike Würde abgeborgt, die in feinem Gedichte von der Grüns 
dung Liffabons bemerkbar wird. Von Sa e Menezes ill 
die Eroberung von Malacca, in der noch ein ritterlicher Schwung 
fortwirft, ganz im Contraft mit feiner Zeit, die die Nation 
ſchon unter fremdem Joche gebeugt fah. In diefer Periode 
nehmen die Profaiften einen Character an, der fie von den 
Autoren aus dem Zeitalter Sons TIL ganz und gar getrennt 
halt. Wie es bei den Dichtern der Zall war, fehlt auch ih⸗ 
ser Sprache die Rundung und Ausglättung der verfloffenen 
Litteratur⸗ Periode: fie treten geraufchvoller auf und entfagen 
der natürlichen Haltung. Brito, Munoz de Liaad, Luiz 


— 529 


de Sufa ımd Freyre d'Andrade haben noch große Schöns 
heiten: aber auch fie macht die Uebertreibung kennbar. 

In den Ießten Jahren der fpanifchen Oberherrfchaft fehien 
Alles zufammenzuwirken, den eignen Geift der Nation zu uns 
terdruͤcken. Keira, der einzige große Mann dieſer Zeit, trug 
fein Gefühl „für Menfchenwohl in die amerifanifchen Wälder ; 
die Inquiſition hatte ihn verfolgt. — Im der Poeſie zog man 
des Gongora laͤcherliche Geſchmacksregeln an, und viele ber 
berühmteften Autoren diefer Zeit fehrieben nur ſpaniſch; ein 
Biolante do Een, ein Vascomelhos verdienen in uns 
fern Tagen kaum erwahnt zu werben. 

Dos Haus Braganza flieg auf den Thron; aber noch 
lange vermochte die portugieſiſche Nation nicht, ſich von dem 
gewaltſamen Stoß zu erholen, den ſie am Anfang des ſieben⸗ 
zehnten Jahrhunderts erlitten. Eine nuͤtzliche Reform brachte 
Boilean’s Freund, der Graf von Ericeira, in die Litte⸗ 
ratur, indem er die Geſchmackslehre der Franzoſen einführte, 
und um biefelbe Zeit entſtehn durch die Regierung zwei Aka⸗ 
demien amd genießen ihren Schuß. Mit der Einfeßung der 
Akademie der Urcadier (1751) werden vernünftige Lehren 
wirffamer in der Literatur: Garcao, Diniz, Manoel zeich- 
ven fich aus als Nachahmer ber Alten. Zu Anfange des Jahre 
hunderts fteht ein junger Dichter auf, Bocage, der ein faft 
eben fo unruhiged Leben ald Camoens führte, und wie er 
der Dichter des Volles geworden if. Im Jahr 1778 trat 
die Königl, Akademie der Wiffenfchaften an die Stelle der Ar: 
kader, und von ihren müßlichen Arbeiten ftanden die glückliche 
ſten Refultate zu erwarten, aber die traurigen politifchen Ers 
eigniffe und die grenzenlofe Tyrannei, welcher Portugal erlag, 
haben in unferen Tagen alles freiere geiftige Streben unters 
drückt, *) 





*) Bis hieher ift dieſe Ueberſicht der gleichfalls von mir bearbeiteten 
aber noch nicht im Drud erfchienenen portugiefifchen Litteratur⸗ 
Karte von Jarry de Mancy und F. Denis entlehnt, 


34 


—— 530 — 


Unter den wenigen Dichtern, weiche das neunzehnte Jahr⸗ 
. hundert verherrichten , zeichnet fich befonderd Manoel Maria 
Barbofa du Bocage aus. Seine Schidfale haben große 
Aehnlichkeit mit denen feines unfterblichen Landömannes Ca⸗ 
moend. Mie diefer, befuchte er ald Krieger Indien und China, 
und ward wie er durch eine Satyre auf den Ouvider gend- 
thigt, zu fliehn. — Er flarb zu Liffabon zu Anfange vieles 
Jahrhunderts im fünf und dreißigften Jahre feines Miters. 

Bocage ift voll eines genialen Enthuſiasmus, der ihn 
mitunter zu weit treibt; man fühlt lebhaft bei Lefung feiner 
Schriften, wie durd) feine wechfelnden Lebensverhaͤltniſſe das 
Beduͤrfniß, feine Gefühle in Gefängen auszuftrömen, in ihm 
entftand. Tiefes Gefühl, Reichthum der Phantafie, Gluth 
der Empfindungen, find ihm eigenthumlich; aber er giebt fich 
zu ſehr dem erften Eindrucke Hin, um fo mehr, ald er eine 
außerorbentliche Leichtigfeit der Rede befist. Dies iſt vorzuͤg⸗ 
lich in feinen Sonnetten bemerkbar, in weichen er zugleich ei= 
sen unnachahmlichen Wohlklang und Zauber der Rede offen- 
bart. — Seine Gedichte fallen größtentheils dem Gebiete der 
Igrifchen Poefie zu; ansgezeichnet find feine Fiſcheridyllen, doch 
hat er fih auch in anderen Gattungen verſucht. — Drei 
Tragödien, welche den Viriatus, Vasco de Gama und Ak 
fonds Henriquez zum Gegenfiande hatten, Tieß er leider un⸗ 
vollendet, 

Folgended Sonnett, eins ber fhönften des Dichters, 
möge Ihnen als eine kleine Probe dienen, doch kann ich es 
leider nur in freier Bearbeitung (aus fruͤherer Zeit), und ohne 
das Original, das mir herbeizuſchaffen in Jena unmöglich 
fiel, mittheilen. 

Unſchuld ge reine Seele, Du enteilteſt 

Zu rein'rer Sonne, wie ein Traum verrauſcht; 

Des Daſeyn's Gut, bei dem ſo kurz Du weilteſt, 

Haſt Du mit ew'gen Lebens Gluͤck vertauſcht. 

Zu Gottes Dienſt von Gott ſelbſt hingerufen, 

Biſt Du von leerer Taͤuſchung ſchon befreit. 


—— 


⸗ 





— 531 


Dir winkt das Heil an ſeines Thrones Stufen, 
Uns ſchmerzt des Angedenkens ſchweres Leid. 


Ungluͤcklicher, Du weinſt um die Verklaͤrte, 
Die ew'ge Luſt bei ihrem Schoͤpfer fand, 
Und klagſt um ſie in bangem Herzens⸗Sehnen. 
Vergieb Anarda, ihm, der tief Dich ehrte; 
Er ſoll ſich freuen, fordert ſein Verſtand, 
Allein die Liebe will nur ſeine Thraͤnen. 


Von den Werken der jetzt lebenden portugieſiſchen Dich⸗ 
ter . wird vorzüglich Joze Agoſtinho de Macedo’d Epos (O 
Oriente) der Orient, als ſehr bedeutend gepriefen; es ift als 
Ierdings nicht ohne fchöne Stellen, ſchmiegt fich aber zu fehr 
in die Regeln der franzöfifchen Schule. Derfelbe Tadel trifft 
ein didnetifches Gedicht dieſes Verfaſſers, Newton betitelt. — 
Mit Auszeichnung genannt werben ferner La Zargueida von 
Medina e VBasconcellos, einem Eingebornen der Inſel 
Madera und La Braganceida von M. Rogue Car: 
valho Moreira. Gefeierte Dichternamen find endlich noch 
Stodler, Caſtilho Pimentel, M. U Correa u. f. w. 
fo wie. die Damen Pezzolo da Cofta und Balfamao, — 
In der dramatiſchen Poefie ward wenig Erhebliches geliefert, 
doch ift es ſchwer, ein beſtimmtes Urtheil zu fällen, da befons 
ders jet die Huͤlfsmittel fo unzugänglich geworben find. 


34* 


Sechszehnte Vorlefung. 


Rußland. 
Ueberblick der Geſchichte Der ruſſiſchen Sprache und Litteratur. 


Die ruffifche Sprache iſt eine Tochter des Slawiſchen, inſofern 
dieſes, urfprünglich auch nur eine Mundart, von zwei griechi- 
ſchen Mönchen, weiche in Mähren Dad Evangelium predigten, 
benußt wurde, um die Bibel darin zu übertragen, nachdem fie 
ein eigenes Alphabet für daſſelbe erfunden hatten. — Da 
fpäter die griechifch = Fathofifche Kirche die vorherrſchende in 
Rußland wurde, fo verdankte die Landesſprache einen großen 
het ihrer inneren Ausbildung dieſem Verhäftniffe, doch bes 
gann die eigentliche Veredelung Derfelben durch ſchriftſtelleriſche 
Bemühungen erft im achtzehnten Jahrhundert mit Kantemir 
(geft. 1744) und vorzüglich wit Lomonoffow (geft. 1765). 
Seit diefer Zeit wurde fie immer forgfamer gepflegt; Bemuͤ⸗ 
hungen der Sprachforfcher,, Weberfeßungen von Klaſſikern und 
auslandifchen Schriftftellern, und der befonders in diefem Jahr: 
hundert fich immer weiter werbreitende Geſchmack an Werken 
der fchönen Litteratur, begünftigten ihr Gedeihen., — Reich⸗ 
thum und Bildfamteit find ihr eigenthuͤmlich. — 


— 533 — 


Die Geſchichte der ruſſiſchen ſchoͤnen Litteratur kann man 
fuͤglich in zwei Perioden zerfallen laſſen, von denen die erſtere 
die Zeit von Erfindung der ſlawoniſchen Kirchenſchrift bis auf 
die Einfuͤhrung der ruſſiſchen Buchſtaben, oder beſſer bis auf 
Peter den Großen umfaßt, die zweite aber ſich von Peter dem 
Großen bis auf die neueſten Tage erſtreckt. — Als Denk⸗ 
male aus jenem erſten Zeitraume ſind nur Lieder uͤbrig, die 
fich, obwohl mit manchen Veraͤnderungen, im Munde des 
Volks erhalten haben. — Ein eigenthuͤmlicher Ton der Weh⸗ 
muth offenbart ſich in vielen und gewinnt das Herz; andere, 
vorzuͤglich die Heldenlieder, feiern beſonders den ritterlichen 
Wladimir und feine Helden, bie den tapfern Rittern der Ta⸗ 
felrunde und den Paladinen Kar des Großen wenig. nach- 
geben, und eine gewiffe, obwohl noch immer fehr problematis 
ſche Verwandtichaft mit jenen Sagenkreiſen beurkunden. — 
Bon großem Intereſſe ift in diefer Hinficht befonderd das Epos 
vom Kriegszuge Igor's gegen die Polowzer, als das aͤlteſte 
ruſſiſche Denkmal dieſer Gattung. — Die ruͤhrenden und ei⸗ 
genthuͤmlichen Weiſen der ruſſiſchen Volkslieder erhoͤhen bedeu⸗ 
tend ihren Werth, und legen ihnen auch in dieſer Hinſicht große 
Wichtigkeit für ben Zreund des Volksgeſanges bei, 

Als Vater und Gründer der ruffifchen Dichtkunft der zwei⸗ 
ten Periode muß Lomonoſſow betrachtet werdem Obwohl die 
Bemühungen feined Vorgängers, des Zürften Kantemir, nicht 
für unbedeutend zu halten find, fo haben doch nur deſſen Sa⸗ 
tyren, gewandte Nachahmungen des Horaz und Boileau, it 
einer umbeholfenen Sprache, einigen Werth. Trediakofsky 
darf hier nur infofern genannt werben, als er in ber technis 
fchen Behandlung einen Schritt weiter ging, und die antiken 
Versmaaße einführte, da hingegen Kantemir ſich mit Zählung 
der Sylben begnügt hatte; feine (Trediakofsky's) Verfuche find 
indeffen rauh und ohne alles Talent. Diefe Beiden überflügelte 
gänzlich des eben genannten Lomoneffow’s Geiſt; er verdient 
in jeber Hinſicht, daß wir einige Augenblicke bei ihm ver: 
weilen. — 


— 534 


Michael Waſſiljewitſch Lomonoffow ward im 
Jahre 1711 in dem Dörfchen Deniſſowskaja, im Archangel'⸗ 
ſchen Gonvernenent, wo fein Vater Kronbauer und Fiſcher 
war, geboren. Während des Sommers Ieiftete er dieſem 
hülfreiche Hand, im Winter aber ließ er fich von einem Kir- 
chendiener im Lefen und Schreiben unterrichten, und wandte 
bier feine Zeit fo gut an, daß er bald alle Buͤcher, die im 
Dörfchen aufzutreiben waren, burchftubiert hatte. Je mehr er 
fich hier auf diefe Weife befchäftigte, defto ſtaͤrker wurde fein 
Trieb nach Wiffen, und er ruhte nicht eher, als bis es ihm 
vergönnt wurde, mit einer Fuhre, welche gefalzene Fifche nach 
Moskau brachte, diefe alte Refivenz der Czaaren zu befuchen. 
Hier angelommen, trat er aldbald in eine Schule, wo er fich 
durch, raftlofen Fleiß und Eifer auszeichnete ; dann ging er nach 
Kiem und von da nach Petersburg, wo er Mathematik, Phy⸗ 
fit, Chemie und Mineralogie ftudierte. 1736 wurbe er nach 
Marburg zu dem damald beruͤhmten Philofophen Chriftian 
Wolf gefandt, um fich unter deffen Leitung in feiner Berufs⸗ 
wiffenfchaft, der Bergwerkskunde, auszubilden, — Lomonof« 
ſow wandte feine Zeit ſowohl hier wie zu Freyberg, vortreffs 
lich an, benußte aber die Erholungsftunden in Marburg, fich 
zu verlieben und zu vermählen, und Fam dadurch in allerlei 
unangenehme DVerlegenheiten, die ihn zwangen, nach Rußland 
zurüchzufehren. Nach feiner Heimkunft flieg er in Rußland 
von Mürde zu Würde, bis zum Staatsrath. Er farb im 
Sahre 1765 am 4. April, Seine Verdienfte um Wiſſenſchaft 
und Sprache der Ruſſen find unfchägbar; er war es zuerſt, 
der durch den Entwurf einer Grammatik das Idiom feines 
Landes feftzuftellen und firengen Regeln zu unterwerfen fuchte, 
und die angenommenen Gefeße durch eigene Werke in gebun: 
dener und ungebundener Rede in das Leben treten Keß. — 
Unter feinen Dichtungen find feine Iyrifchen Arbeiten ausge⸗ 
zeichnet; fo fehr er fich auch nach fremden Muftern bildete, 
fo leuchtet doch überall feine Originalität hervor, befonders hat 
feine Naturanfchauung viel Anziehendes. Seine epifchen und 





— 535 — 


tragischen Verſuche find mcht fo gelungen, manche Sabeln 
von ihm aber höchft gluͤcklich erzaͤhlt. *) 


Lomonoſſow's Bemühungen blieben nicht ohne Erfolg, fo 
wenig Yufmunterung auch belletriftifche Arbeiten bis auf die 
neuefte Zeit in Rußland fanden; doch kann man nicht fagen, 
daß diefed große Reich fich bisher einer ihm eigenthümlichen 
Litteratur zu erfreuen gehabt hätte, da alle feine Dichter mehr 
oder weniger Nachahmer auslandifcher Vorbilder find und noch 
fein fo großer Genius unter ihnen auftrat, welcher der ruſſi⸗ 
fehen Poefie durch die Originalität feiner Werke eine befondere 
nationale Richtung geben konnte. — Die früheren Schrift: 
fteller bildeten fich mehr nach franzöfifchen,, die der neueren 
Zeit mehr nach deutfchen und englifchen Muftern, und fo vers 
ächtlich der Nuffe auch in feinem Nationalſtolze auf das Aus⸗ 
land, befonderd auf Deutfchland, herabſieht, fo hat er doch 
in Sachen des Gefchmads ftilffchweigend deffen Oberherrfchaft 
anerkennen müffen. — Auch bier. wird dereinft die Zeit mit 
ihren großen Ummalzungen, denen fih jeded Volk und noch 
mehr jede Regierung vergeblich entgegenftemmt, dad Ihrige 
thun; einen Beweis dafür Iiefern mehrere auch in Deutfchland 
befannt gewordene Erfcheinungen neuefter Tage im Gebiete 
bes Romans, welche die Zerrüttung ded inneren Staatshauss 
haltes in dieſem Foloffalen Reiche ſchonungslos aufdecken, und 
in poetifchem Gewande die nackteſte und bitterfie Wahrheit 
vorführen. Daß ed übrigens leicht fen, eine dem Nationalcha⸗ 
racter angemeffene Bahn einzufchlagen, haben mehrere Pa⸗ 
trioten bewiefen, bie während des gewaltigen Krieges. von 
1812 fich zu Dichtungen im Volkstone begeiftert fühlten, 
welche echt ruffifch, in der Form wie im inneren Gehalte, fich 
auch bald von Munde zu Munde verbreiteten, und ein eben 
fo allgemeines Cigenthum der Nation wurden, ald es die un: 


— — 


+), S. K. F. von der Borg: Poetiſche Erzeugniſſe der Ruſſen. Riga, 
4823. 1, 3, 78, 81. U, 113. 


— 53 — 
ter ihr fich ſtets fortpflangenden oben erwähnten Heldenlieder 
von Wladimir je gewefen find. — 

‚Unter den ruffifchen Dichtern neuerer und neuefter Zeit 
haben fich vorzüglich Folgende ausgezeichnet: Mlerander Petros 
witfch Sumarokoff (geboren 1718, farb zu Mosfau am er= 
ften October 1777.) — Er wird als der Vater der drama⸗ 
tifchen Poeſie betrachtet; feine Stuͤcke, meift nationale Stoffe 
behandelnd, find ftrenge Nachahmungen der franzöfifchen Schule. 
Sumarofoff verfuchte fich in fat allen Zweigen der Dichtkunft, 
mit dem meiflen Erfolge jedoch in Fabeln und Epigrammen. *) 
Waſſily Petrowitfch Petroff, geboren 1736 in Mos⸗ 
kau, ſtudierte daferdft und zeichnete fich fchon früh als Kan⸗ 
zelvebner aus; 1769 wurde er Zransiateur im Cabinet und 
Vorlefer bei Catharina II., und erhielt 1772 die Erlaubniß, 
eine größere Reife, vorzüglich nach England, zu machen. Bei 
feiner Zuruͤckkunft ward er Bibliothekar der Kaiferin; entfagte 
jedoch aus Kraͤnklichkeit ſchon 1780 allen Sefchäften, und zog 
fich auf fein Landgut zurüd. — Er flarb am 4. December 
4799. — Detroff hat fich vorzüglich als Odendichter bekannt 
gemacht, und obwohl er den Vers nicht fo gewandt zu behanz 
dein verſtand wie Lomonoffow, fo überflügelt er Diefen jedoch 
durch Mannichfaltigfeit, Neichthum der Gedanken, Kraft und 
Igrifchen Schwung, welchen feine innige Vaterlandsliebe, die 
von den reinften Abfichten befeelt wird, hohen Werth ver: 
leiht. *) 

Weit bedeutender als Igrifcher Dichter tft der von dem 
Ruſſen mit Recht hochgefeierte Gawriil NRomanowitfch 
Derfchawin, geboren zu Kafan am 3. Juli 1743. Nach⸗ 
dem er auf dem Gymnaſium feiner Vaterfladt erzogen worden, 
widmete er fich dem Soldatenftande im Jahre 1760, diente 
von ber Pike auf bis zum Lieutenant, und zeichnete fich vor⸗ 
züglich in dem Zuge gegen Pugatfcheff durch Tapferkeit und 


———n 





*) S. v. d. Borg, Poet. Er. d. R. I, 123. 
*) S. v. d. Borg, a. ang. O. 1,2% - 


— 537 — 


Kugheit aus. — Er trat dann (1777) in das Eivilfach über, 
flieg von Würde zu Würde bis zum Juſtizminiſter (1802) und 
nahm endlich feine Entlaſſung. — Sein Todestag ift der 
6. Juli 1816, er erwartete ihn im fliller Zuruͤckgezogenheit auf 
feinem Landgute. Faſt übermäßiger Reichthum der Phantafie, 
Kühnheit und Kraft find die characterifirenden Eigenthümliche 
teiten feiner Mufe, und geben ihm unbezweifelt die Anfprüche 
auf den Namen des erften Dichters aus bem Zeitalter Catha= 
rina’8 der Großen, mit welchem die Ruffen ihn zu ehren pfle⸗ 
gen. Gefiele Derſchawin fich nicht zu fehr darin, Alles in die 
didactifche Gattung hinüber zu fpielen, und wäre er mehr Herr 
feiner oft zügellofen und vom Wege zu fehr abfchmweifenden 
Einbildungskraft, fo würde er nicht bloß als ein bedeutender 
Dichter feiner Nation und Zeit, fondern aller Zeiten und Voͤl⸗ 
ter daftehn. Cr ift wirklich Original, was, wie ich bereits 
bemerkte, als eine Seltenheit in der ruffifchen Litteratur zu 
betrachten iſt. *) | 
In Derſchawin's Tußftapfen verfuchte fein Freund und 
Verwandter, der Iprifche Dichter Waſſily Waffiljewitfch 
Kapniſt (gef. 1813 als Staatsrath und Mitglied der ruffis 
fehen Academie auf feinem Gute in Kleinrußland) zu treten, 
aber es fehlt ihm durchaus an Kraft und Gedankenfuͤlle; er 
iſt eigentlich nur ein angelernter Dichter; Mohlklang und ein 
fanfter Ton der Wehmuth ſchmuͤcken dagegen feine poetifchen 
Leiſtungen. Er verfuchte fich auch im dramatifchen Fache, 
war jedoch glücklicher im Luftfpiel, als in der Tragoͤdie. *) 
Was ein talentvoller Nachahmer Ieiften Tann, wenn er 
gluͤcklich feine Nationalität zu bewahren und zu rechter Zeit 
hervortreten zu laſſen ober umzuändern verfteht, das bewies 
Hippolyt Fedorowitfch Bogdanowitfch (geb. 1743 
in Perewolotſchna, geft. am 6. Januar 1803 als Prafident 
des Reichsarchivs, auf feinem Landgute.) — Eine forgfäle 


*) ©. v. d. Borg, a. a. O. I, 9, 84, 119, 124, 133, 145, 165, 236. 
”) S. v. d. Borg, a. 0. O. I, 422, 425, 327. 





— 538 — 


tige Erziehung, Reifen in bad Ausland und vorzuͤglich cin 
fechöjähriger Aufenthalt als ruſſiſcher Gefanbtichaftöfessetair in 
Dresven, hatten deu angebornen feinen Gefchmad vieles ta- 
lentvollen und geiflreichen Mannes ausgebildet. — Sein fo: 
miſches Epos, Dufchenta, eine freie Nachbildung der Pſyche 
des Jean de Lafontaine, ift voll lieblicher und anmuthi- 
ger Naivetät, deren Reiz durch die ganz eigenthiumliche Ver⸗ 
mifchung ber Bilder antiker Mythologie und ruffifcher Mähr- 
chenwelt eine einfchmeichelnde Zauberkraft erhält. Died Ge 
dicht erwarb ihm einen bedeutenden Ruf, welchen Bogdano- 
witſch fich durch gludliche Verſuche in anderen Gattungen der 
Poefie, vorzuͤglich im lyriſchen und divactifchen Fache, zu ere 
halten und zu befeftigen wußte. *) 

Jurv Alerandrowitfch Neledinsky Meletzky, 
geboren 1751, fruͤher Obriſt im ruſſiſchen Heere, ſeit 1800 
Senator, geſtorben im Jahr —, verdient ebenfalls ats Lyri⸗ 
fer genannt zu werden. — Seine Lieder und Remanzen find 
leicht und gefällig, voll Wobllant und Zartheit, aber felten 
tief und ergreifend. **) 

Gegen dad Ende des achtzehnten Jahrhunderts ſchlich fich 
eine falfehe Richtung in dem Streben der ruſſiſchen Dichter 
ein. Eine gefuchte Empfindfamleit trat an die Stelle des na⸗ 
türlichen Gefühls, ein geziertes Suchen und Haſchen nach 
fremden Ausdruͤcken und Wendungen an die Stelle der einfa- 
chen nationalen Schreibart, und diefer auögeartete Geſchmack 
bemächtigte fich der meiften Sehriftfieller aus jener Pertode, 
fo daß eigentlich nur Wenige eö verdienen, dem Auslande be- 
fannt zu werden. — Unter diefen ragen vorzüglich die fol- 
genden als Männer von Geift und Talent hervor. 

Nicolai Michailowitfch Karamſin, geboren 1765, 
feit 1793 Reichs = Hiftoriograph , feit 1816 Staatörath, ift eis 
ner der thaͤtigſten und fruchtbarften ruſſiſchen Schriftſteller, und 


*) S. v. d. Borg, a. a. O. 1, 176. TI, 307. 
>) &, v. d, Borg, a. a. D. I, 166, 187, 22% 





339. — 


vorzůglich als Proſaiker ausgezeichnet; feine Verdienſte als Ges 
fchichtfchreiber find auch im Auslande befannt und gefeiert. 
As Dichter zeichnet er fich mehr durch gefällige und leichte 
Behandlung ded von ihm erwählten Gegenftandes, und burch 
harmonischen Bau des Verſes aus; dagegen ift er unbedingt 
als Gründer des guten profaifchen Styld in Rußland zu bes 
trachten. *) 

Sehr gluͤcklich als Nachahmer von Voltaire und Lafons 
taine war in der ebenerwaͤhnten Periode Swan Iwano⸗ 
witfch Dmitriew, geboren 1760 auf dem Landgute feines 
Vaters im Gouvernement Simbirsk. — Nachdem er eine 
forgfältige Erziehung genoffen, trat er in bad Semenomw’fche 
Garderegiment, avancirte bis zum Kapitain, worauf er feinen 
Abfchied als Obrift bei der Armee nahm. — Später ging er 
in den Eivildienft über, und warb unter Alexanders Regiernng 
Juſtizminiſter, befleivete dieſes Amt jedoch nur vier Jahre, 
und zog fich darauf nach Moskau zurüd. Er ift vorzüglich 
ſchaͤtzenswerth wegen feines guten Geſchmacks und feines reis 
nen, einfachen und gefälligen Styls; feine Verdienſte in letz⸗ 
terer Hinſicht um die ruffifche Sprache find nicht gering. — 
Dmitriew bat fich faft in allen Gattungen der Poefie mit Er: 
folg verfucht. 9) 

Alls Fabeldichter verdient aus jener Periode vorzüglich 
Iwan Anpdrejewitfch Kryloff (geboren am 2. Februar 
4768 zu Moskau), Bibliothekar der Kaijerlichen öffentlichen 
Bibliothek, berüudfichtigt zu werden. Er übertrifft feinen Vor⸗ 
gänger Chemnitzer (geft. 1784) durch eine reinete und gez 
falligere Schreibert. Eine gluͤckliche Erfindungdgabe, lebendige 
Schilderungen, Wahrheit, Wis und Correctheit find ihm eigen= 


) S. v. d. Borg, a. a. O. I, 45, 134, 149, 163, 198, 246, 290, 
395. IE, 204 


7) © vd. Borg, a. a. O. 5, 15, 89, 127, 137, 161, 178, 200, 
218, 237. IL, 145, 126, 139, 177, 220, 239, 261. 


540 — 


thuͤmlich, nur geraͤth er zu oft in Schwulſt und. zieht: die 
Moral mitunter bei den Haaren herbei. *) 

Wladislaw Ulerandrowitfch Oſerow, geb. am 
29. Sept. 1770, geft. als Generalmajor 1816, ift als ver 
bedeutendfte ruffifche Trauerſpieldichter zu betrachten, doch iſt 
auch er nicht Original genugs An Tiefe fehlt es ihm. übri- 
gens nicht. — Sein Dmitrii Donskoi ift feine bedeus 
tendfte Leiſtung. ) — Bon feinen Rachfolgern und Nachah⸗ 
mern hat ihn Keiner erreicht. ***) 

Zu eigentlicher Serbftftändigkeit hat fich die ruffifche Lit⸗ 
teratur nie aufgefchwungen, nur erweiterte fich das Feld der 
Nachahmungen, da man in neuefter Zeit auch die romantifche 
Poeſie, vorzüglich der Deutfchen und Engländer, zum Mufter 
nahm. — Waffily Andrejewitfch Shukowsky war 
der Erſte, welcher auf diefer Bahn mit Geſchick und Gluͤck 
fortwandelte, weshalb er als der Stifter diefer neuen poeti⸗ 
ſchen Schule zu betrachten iſt. Er ward im Jahre 1783 ges 
boren, findierte zu Moskau, machte 1812 im Landflurm den 
Feldzug mit, bis zu jener Periode, wo das ruffifche Heer bie 
Grenzen feined Landes überfchritt, und trat dann wieder in 
den Civildienſt zuruͤck. Nach Iängerem Aufenshalt im Gouvers 
nement Zula und zu Dorpat, warb er Kector der damaligen 
Großfürftin Alexandra Feodorowna und trat im Gefolge ber- 
felben eine Reife nach Deutſchland an. — Shukowsky hul- 
digte fchon als fehr junger Mann den Mufen, und ward be⸗ 
reitö bei feinem erften Auftreten mit großem Beifall begrüßt. 
Er. ift vorzüglich als Inrifcher Dichter ausgezeichnet; tiefes Ge⸗ 
fühl, wahre Begeifterung für alles Gute und Echöne, gebils 
beter Geſchmack und ein feltener Wohllaut der Sprache find 
ihm eigenthümlich, — Mit großer Gewandtheit hat er meh: 





*) S. v. d Borg, a. a. O. IE 118, 144, 148, 160, 163, 166, 168, 
4169, 171, 173. 

**) Deutſch von D. 3. Th. Wideburg. St. Petersburg, 1815. — 

*#) ©, v. d. Borg, a. a. DO. HL, 325. 








541 — 


rere Meifterwerfe auslaͤndiſcher Dichtkunſt in das Idiom feines 
Landes übertragen. *) 

In Shufowsty’s Fußſtapfen trat wicht ohne Erfolg Con⸗ 
ffantin Nikolajewitſch Batjuſchkow, geboren am 
48. Mai 1787 zu Wologda. Er ward in Petersburg erzogen, _ 
machte 1806 den Feldzug mit, trat nach Beendigung .deffelben 
in das Gardejäger- Regiment, mit dem er dem Kriege in Finn: 
Iand beimohnte, und ward darauf Faiferlicher Bibliothekar in 
Peteröburg, verließ aber diefe Anftellung 1812 ‚wieder, um 
von Neuem ald Krieger feinem Baterlande zu dienen. — 1816 
ward er der ruffifchen Gefandtfchaft in Neapel als Hofrath 
attachirt. — Batjuſchkow's Gedichte (B. Werke, Petersburg 
1817. 2 Bde.) erfreuen fich feltenen Wohllauteö, tiefen und 
innigen Gefühles und fanfter, warmer Empfindung, doch ift 
er nicht fo originell wie Shukowsky. **) 

Der beveutendfte lyriſche Dichter, welchen Rußland je 
herverbrachte, ift Alerander Sergejewitfch Pufchtin, 
geboren am 26. Mai 1799 zu Petersburg. Er erhielt feine 
Bildung im Lyceum zu Zarsko⸗Selo und ward 1817 in Col⸗ 
Tegie der auswärtigen Angelegenheiten angeſtellt, ſpaͤter jedoch 
som Katfer Alexander gewiffernmaßen ins Eril nach Bellaras 
dien gefandt. — Pufchtin ift voll Talent; glüdliche Naturs 
anfchauung, Harmonie des Versbaues, lebhafte Darftellimg 
und eine anmurhige Sprache, find ihm in reichem Maaße eis 
gen, doch würde er weit bedeutender ſeyn, wenn er fich mehr 
beftrebte, national zu werden. — Er hat mehrere größere 
Gedichte gefchrieben, von denen der Gefangene am Kau⸗ 
kaſus, Rußlan und Ludmilla) (nach franzöfiichen 


N 


68.08 Borg, a. a. O. J, 48, 103, 169, 182, 202, 273, 293, 
318. II, 3, 197, 231. Blätter fi litterarifche Unterhaltung, Jahrg. 
1830. ©. 235. 

**) Vgl. v. d. Borg, a. a. O. I, 93, 208, 243, 329, 333. I, 183. 


“) v. d. B. I, 364. Blätt. 2 liter. Unterh. 1829 ©, 950; 1830 
No. 419. No. 319, 


— HT — 
Vorbildern) und der verfifiirte Roman Onegin, eine Nach: 


ahmung des Byron’fchen Don Juan, wohl die bedeutendften 


find. — Unter feinen kleineren Gedichten find viele fehr ge⸗ 
Iungene. — Schade, daß er fich zu fehr in Byron verliert. 


Zu den gefeierten Namen in der neueften ruffiichen Lit⸗ 
teratur gehören noch: Fürft Peter Andrejewitfch Wa- 
ſemsky, geboren den 12. Juli 1792, ausgezeichnet in der 
Epiftel und Satyre, durch fprudelnden Wiß;*) der General: 
Major Denis Waffiljewitfch Davidow, geboren zu 
Moskau am 16. Juli 1784, ein glücklicher Humoriſt; *) 
Baron Delwig, mit Achtung genannt ald dramatifcher Dich- 
ter; Alexander Kriloff (der Juͤngere) als Lyriker (ftarb 
am 26ften Juli 1829), Baratinskij als Elegiker 
u. ſ. w. — 


Mit großer Vorliebe wurde in den neueſten Tagen der 


hiſtoriſche Roman, vorzüglich durch Bulgarin, behandelt. ***) 
Als geſchmackvolle und geiftreiche Kritifer erwarben fih Mers⸗ 
lakoff und Gretfch wohl verbientes Lob. — Weberhaupt of- 
fenbart fich feit den leuten Jahren ein reges gedeihliches Trei⸗ 
ben in der ruffifchen fchönen Litteratur; nur ift lebhaft zu 
wünfchen, daß dieſe nicht bloß eine exotifche Zreibhauspflanze 
der Großen bleiben möge, ſondern bei verbreiteter Cultur im 
Volke ſelbſt, aus deffen Eigenthümlichkeit entipringend und fich 
fortbildend, fefte Wurzel fchlage; dazu gehört indeſſen noch 
gar viel, deſſen Entwidelung und Aufzählung hier am unrech- 
ten Orte feyn würde, 


Ich laſſe Hier Proben ruffifcher Poefie, von v. d. Borg 
übertragen, folgen. 





»,6.0.d. Borg, a. 0. O. I, 140, 184, 220. I, 303. 
*x) v. d. B. J, 234. 


++) S. Bläit. f. litt. Unterhalt, Jahrg. 1828. ©. 1100; 1829 
©. 1159; 1830 ©, 983, 1155. 





— 5445 — 


Mich zu den Hoͤhen ſonder Ruh'; 
Und daß Du ſeyſt, die Seele mahnet, 
Erkennet, denket, hoffet, ahnet: 

Ich bin — und darum biſt auch Du. 


3. 

Du biſt! die Weltenordnung predigt's, 
Mein eignes Herz im Bufen fpricht's, 
Mein Geift und mein Verftand beſtaͤtigt's, — 
Du biſt — und ich bin nicht. mehr Nichts! 
Sch bin ein Theil. der Welt, ic) ftehe 
Auf jener ehrenvollen Höhe, 

Dem Mittelpunkt des Seyns, wo fich 
Die Lörperlihen Weſen fchließen, 

Und wo die KHimmelsgeifter fprießen, — 
Du Enüpfft der Wefen Ring durch mid). 


Ich bin das Band der Creaturen, 
Der hoͤchſte Punkt der Sterblichkeit, 
Das Mittel hoͤh'rer Weltnaturen, 
Ein ſchwaches Bild der Goͤttlichkeit! 
Mein Koͤrper wird in Staub vermodern, 
Mein Geiſt beherrſcht des Blitzes Lodern, — 
Knecht, — Koͤnig, — Wurm — und Gott bin ich! 
So wunderbar und unergruͤndet, — 
Wo ſtamm' ich her? — Wann ward's verkündet? 
Doch konnt' ich nicht entſteh'n durch mich. 


Dein Werk bin ich, o Himmelsvater! 
Erzeugt durch Deiner Weisheit Wort, 
Du Quell des Lebens, milder Rather, 
Du meiner Seele Seel' und Hort! 
Nothwendig war's zu Deinen Zwecken, 
Daß mein unſterblich Seyn durch Schrecken 
Des Todes wandle; daß in's Kleid 
Der Sterblichkeit mein Geiſt ſich berge, 
Und aufſteig' uͤber Tod und Saͤrge, 
O Gott, zu Deiner Ewigkeit! 


O Unerforſchter, Unerreichter! 
Ach! meine Denkkraft iſt fo ſchwach, 
35 


— 514 — 


Belebend halten Deine Hände 
Die Kette aller Weſen, Gott! 
Du knuͤpfſt den Anfang an das Ende, 
Beſchenkſt das Leben mit dem Tod, 
Wie Funken ſpruͤh'n und aufwärts ftreben, 
Der Sonnen Heere Dir entſchweben; 
Wie Stäubchen Reifs im Winter wir 
An einem bellen Frofttag flimmern 
Und kreiſen ſeh'n, und gläh'n und fchimmern: 
So Stern’ in Kläften unter Dir, 


Die Millionen Lichter wandeln 
Durd die Unendlichkeit dahin, 
Nach Deinem Willen Alle Handeln, 
Und lebensſchwang're Strahlen ſpruͤh'n. 
Doch diefer Lampen Flammenhelle, 
Die röthlichen, kryſtall nen Bälle, 
Der brennend gold'nen Wogen Tanz, — 
Die gläh’nden Aether — all bie reinen 
Lichthellen Welten — fie erfcheinen 
Vor Dir, wie Nacht vor Tagesglanz. 


Bor Dir find alle Weltenfchaaren 
Gleich einem Tropfen in dem Meer. 
Was ift die Welt, die wir gewahren? 
Und was bin idy vor Dir, o Herr? — 
Und ob ich aller Welten Heere 
Mit Hundert Millionen mehre, 

Sm luft'gen Dcean des Lichts, — 

Auch dieß, wenn id mit Dir es mäße, 
Mär nur ein Punkt vor Deiner Größe; 
Doc ich Bin gegen Dig — ein Nichts. 


Ein Nichts! — doch mein Gemuͤth durchſtr ahlet 
Der Schimmer Deiner Huld und Macht; 
Du biſt es, der in mir ſich malet, 
Wie Sonn im Waflertropfen lacht. 
Ein Nichts! — doch id, empfinde Leben, 
Es trägt ein unerfättlih Streben - 





— 545 — 


Mich zu den Hoͤhen ſonder Ruh'; 

Und daß Du ſeyſt, die Seele mahnet, 

Erkennet, denket, hoffet, ahnet: 

Ich bin — und darum biſt auch Du. 
3 


Du biſt! die Weltenordnung predigt's, 
Mein eignes Herz im Buſen ſpricht's, 
Mein Geiſt und mein Verſtand beſtaͤtigt's, — 
Du biſt — und ich bin nicht mehr Nichts! 
Ich bin ein Theil der Welt, ich ſtehe 
Auf jener ehrenvollen Hoͤhe, 
Dem Mittelpunkt des Seyns, wo ſich 
Die koͤrperlichen Weſen ſchließen, 
Und wo die Himmelsgeiſter ſprießen, — 
Du knuͤpfſt der Weſen Ring durch mich. 


Ich bin das Band der Creaturen, 
Der hoͤchſte Punkt der Sterblichkeit, 
Das Mittel hoͤh'rer Weltnaturen, 
Ein ſchwaches Bild der Goͤttlichkeit! 
Mein Koͤrper wird in Staub vermodern, 
Mein Geiſt beherrſcht des Blitzes Lodern, — 
Knecht, — Koͤnig, — Wurm — und Gott bin ich! 
So wunderbar und unergruͤndet, — 
Wo ſtamm' ich her? — Wann ward's verkuͤndet? 
Doch konnt’ ich nicht entſteh'n durch mich. 


Dein Werk bin ich, o Himmelsvater! 
Erzeugt durch Deiner Weisheit Wort, 
Du Quell des Lebens, milder Rather, 
Du meiner Seele Seel' und Hort! 
Nothwendig war's zu Deinen Zwecken, 
Daß mein unſterblich Seyn durch Schrecken 
Des Todes wandle; daß in's Kleid 
Der Sterblichkeit mein Geiſt ſich berge, 
Und aufſteig' uͤber Tod und Saͤrge, 
O Gott, zu Deiner Ewigkeit! 


O Unerforſchter, Unerreichter! 
Ach! meine Denkkraft iſt ſo ſchwach, 
35 


— 5469 — 


Daf fie von Dir, Du Allerleuchter, 
Sich nicht den Schatten zeichnen mag! 
Doc follen wir Dir Ehr' erweifen, 

Wir können Dich nicht anders preifen, 
Wir Sterblihen, fo ſchwach und Klein, 
Als wenn wir ſchau'n zu Deinen Höhen, 
Und in des Abſtands Kluft vergehen, 
Und Dir des Dankes Thräne weih'n. 


Der Sänger im ruffifchen Kriegslager, 
von 


Shukowsky. 


Der Sänger. 

In Stille ruht das Schlachtgefild’! 
Sm Lager — Lichtgewimmel! 

Hier, Freunde, glänzt der Mond ung mild, 
Hier decket uns der Himmel! 

Den Rundebecher vollgefchenft! 
Die Hand der Hand geboten! 

Im Wein die blut'ge Schlacht ertränft, 
Die Trauer um die Todten! 

Wer gern den Boden ſchaut im lag, 
Der trachtet kuͤhn nach Kriegen! 

O Wein, o du allmächt’ges Naß, 
Des Helden ſuͤß Vergnügen! 


Die Krieger. 
Wer gern den Boden fchaut im Glas, 
Der trachtet Fühn nad Kriegen! 
O Wein, o du allmaͤcht'ges Naß, 
Des Helden ſuͤß Vergnügen. 
Der Sänger. 
Dies Glas den Helden alter Zeit! 
Heil euch, der Vorzeit Krieger! — 
Hin find die Helden, ſtark im Streit, 
Dahin die Schlachtenfieger ! 


— 547 — 


Die Käufer find vom Sturm zerſtoͤrt, 
Ahr Grab vom Pflug zerfpalten; 
Die Helm’ und Köcher find verzehrt 
Bon Roſt und Feuers Walten! — 
Doch lebt ihr Geiſt in Enkelin fort: 
Wir gehn auf ihren Bahnen! 
Der Ahnen Schatten winken bort, 
Dort winkt der Ruhm ber Ahnen! 
Schaut auf: in graufer Schöne ziehn 
Die Schatten jener Kehren 
Hoch über eure Zelte hin, 
In luft'gen Kriegesheeren! 
O Swätoflamw, der Vorzeit Pein! 
Dein Flug — der Flug der Aaren! 
„Im Tod iſt keine Schmach!. hinein!“ 
So donnert er den Schaaren. — 
Auch Du Donskoi, der Heiden Graus! 
Mit Zweien, die Dir gleichen, 
Fleugſt Du in Kampf mit Sturmesbraus — 
Und hinter Dir — Erbleichen. 


Du, Peter, auch im Heldenhauf'! 
Sir ihr's „Poltawa!“ ſchallen? 

Die Fremden zehrt der Saͤbel auf, 
Und „Heil!“ die Welten hallen! 

Verſchlangſt Du, Raͤuber, mit dem Blick 
Schon unſ're Staͤdt' und Fluren? 

Dein Roß und Reiter fiel! zuruͤck! 
Gebeine — Deine Spuren! 

Zuruͤck! und birg im Forſt die Schmach, 
Sammt Deinen Kampfgeſellen! 

Der Feind der Heimath folgt Dir nach, — 
Du — Bruder des Rebellen! — 


Doch wer iſt dieſer Rieſe? wer 
Dieß Heldenbild aus Norden? 

Mit ſeinem Blick durchbohret er 
Des Feindes ruh'nde Horden! 

Ihn ſchauend auf der Wolken Hoͤh', 
Ein irrer Schwarm, erſcheinen 


— 548 — 


Die Schatten auf der Alpen Schnee, 
Und heulen laut und weinen! 

Sarmat' und Franke werden bleich 
Bor feines Blicks Geſchoſſe! 

O Feinde, wehe, wehe euch! 
Suworow iſts, der Große! 


Heil euch, ihr Soͤhne alter Zeit! 
Heil euch, ihr Ruhmesſoͤhne! 

Wir zieh'n mit Schaaren kuͤhn im Streit 
Euch nach zur blut'gen Scene! 

Es wirble euer Siegesreihn 
Vor unſern Schaaren ſtreitend! 

Tod muͤſſ er in die Feinde ſtreu'n, 
Uns hin zum Kampfe leitend ! 

Das Schwert zur Hand! und füllt das Glas! 
Vernimm es, ew'ger Richter! ..... 

„VFuͤr Tod den Tod, und Haß für Haß! 
„Und Strafe Dir, Vernichter!“ — 


Die Krieger. | 
Das Schwert zur Hand! und füllt das Glas! | 
Vernimm es, ew’ger Richter! „.... 
„Fuͤr Tod den Tod, und Haß für Haß! 
„Und Strafe Dir, Vernichter!“ — 


Der Sänger. 
Dies Glas dem theuren Vaterland! 
Wo diefes Lebens Milde 
Der Knaben Herz zuerft empfand! 
O Baterlandögefilde, 
Des Heimathhimmels liebes Licht, 
Ihr heimathlichen Fluͤſſe, 
Der erſten Jahre Unterricht, — 
Der Jugendzeit Genuͤſſe! 
Ach! was erſetzt uns eure Luſt? 
Du theure Heimathgegend! 
Wem bebet nicht die volle Bruſt, 
Dein Bild im Herzen hegend? 











— 549 — 


Dort iſt der theure Heimathheerb, 
Dort unfre Kinder, Frauen! 

Sie fleh'n zum Himmel, grambefchwert, 
Für uns, auf die fie bauen! 

Dort Mägdlein, unfers Lebens Lohn, 
Dort al die trauten Seelen — 

Der Herrfher Staub, der Herricher Thron, — 
Der Väter Tobtenhöhlen ! 

Fuͤr fie, o Freunde, Blut und Gut! 
Friſch in das Pfeilgeſtiebe! 

In Kindern wede unfer Blut 
Die Vaterlandesliebe. 


Die Krieger. 


Sir fie, o Freunde, Blut und Gut! 
Friſch in das Pfeilgeftiebe! 

In Kindern wecke unfer Blut 
Die Vaterlandesliche ! 


Der Sänger. 


Dir diefes Glas, der Ruffen Zart 
Dein Scepter blüh’ in Ehren! 

Dein heil'iger Thron tft uns Altar, | 
Und „ Ruhm!’ ift, was wir fchwören. 

Wir wanten nicht! Die Treue ward 

Uns in dem Blut verliehen! 
Sieh’ Deine Kinder, F uͤrſt, gefchaart, 
Die liebend für Dich glähen! 

Ein Ruff’ iſt jeder Krieger hier, 
Gehorſam feinen Pflichten! 

Werräther meiden fein Revier, — 
Er kennt nicht feiges Flüchten! 


Die Krieger. 

Ein Ruf’ ift jeder Krieger hier, 
Gehorſam feinen Pflichten! 

Verräther meiden fein Revier, — 

Er kennt nicht feiges Flüchten! 


⁊ 


— 550 —— 


Der Sänger. 


Den Kriegesführern diefes Glas! 
Im Zelt, im Schladhtgetüämmel, 

Vereine im Leben, Tod und Haß! 
Dort ift der Freundfchaft Himmel! 

Dort wohnet Muth, Gerechtigkeit, 
Und Einfalt, Sittenreine, 

Und Treue und Ergebenheit, 
Mit Mannfinn im Vereine! 

Uns ift das Nied’re unbekannt! 
Uns kroͤnt nur ‚edles Mühen! 

Gefahr ift unfer feſtes Band, — 
Ein Ruhm, für den wir glühen. 


! 


Der ift der Unfre, der voran 
Sin Feindesfchaaren fiürmet, 

Gefall'ner fchont als Biedermann, 
Den Bruder rät und fchirmet! 
Much ftrahlt fein Blick den Kriegerreih’n, 
Und feine fiarfe Rechte 

Treibt fie in Feindesſchwarm hinein, 
In's tobende Gefechte! 

Ihm ift der Schladhtendonner Luft, 
Und Luft der Pfeile Regen: 

Er geht dem Tod mit fefter Bruft, 
Mit feftem Muth entgegen! 

Heil Dir, 9 wack'rer Feldherr, Heil! 
Du Held mit grauen Haaren! 

Als junger Adler nimmft Du Theil 
An Stärmen und Gefahren! — 

Mit der benardten Stirn’ erfcheint 
Er herrlich vor den Reihen! 

Wie Falt und ruhig vor dem Feind! 
ie graufenvoll fein Dräuen! 

O Wunder! über ihm durchfleugt 
Ein Aar des Himmels Hallen! 

Das Haupt der mächt’ge Feldherr neigt, — 
„Hurrah!“ hört man’s erfchallen. 








551 — 


Sleug zu den Ahnen, Aar, hinan, 
Der heil’'gen Rache Bote! 

Wir ſtehen feſt! Er geht voran 
Zum Ruhm uns und zum Tode! 

In ihm iſt Weisheit, kluger Rath, 
Und Kraft bei Alters Eife! 

Ihm iſt bekannt des Sieges Pfad! 
Vertrau’n dem Heldengreife! 

Nein, Mostwa wurde nicht zerflört 
Im wilden Kriegsgetümmel, 

Hier lebt fie, in der Ruſſen Werth! 
Wir fteh’n noch, und der Himmel! 





Heil euch, ihr Kriegesführer al! 
Jermolow, junger Neden! 

Der Krieger Freund, des Heeres Wall! 
Sein Blig — der Feinde Schreden! 

Rajewsky, unfrer Tage Preis! 
Heil Dir! in Kampfesftöhnen 

Giebſt Du die Bruft den Schwertern preis, 
Sammt Deinen zarten Söhnen! — 

Seil, Miloradowitſch, auch Die! 
Du ſtuͤrmeſt in’s Gefechte, 

Und ſchau'! es ſchwingt im Kampfrevier 
Der Tod die graufe Rechte! 


Und Wittgenftein, fo hehr und mild, 
Petropolis Erretter, — 

Heil ihm! des Waterlandes Sdild, - 

Des Raͤuberhauf's Zertreter! 

Wie ihm das Aug' erhaben blitzt, 
Wenn er vor feinen Leuen 

Allein, auf feinen Schild geflüßt, 
Hin zu der Feinde Reihen 

Den furchtbar kühnen Blick gewandt, 
Verderben ihnen dräuet, — 

Und plöglic mit dem Schwung der Hand 
Die Schaaren all? zerftxeuet. 








352 — 


Dem kühnen Konownigyn Keil! 
Heil ihm, der Ruffen Freude! 

Ihm find des Feindes Schwert und Pfeil 
Nur eine Augenweide! 

Bor ihm und hinter ihm, da bruͤllt 
Der Donner, Flammen ſauſen: 

Mit Heldenruhe, Iufterfüllt 
Sieht er des Todes Sraufen, 

Vergißt füch felbft, und finnet nur, 
Der Zeinde Trog su frafen, 

Weift Kriegern zu dem Ruhm die Spur, 
Ein Wunder allen Brave! 


Heil, Platow, Dir, Du Sturm der Schlacht, 
Du Atamon der Leuen! 

Ha! Deiner Schlinge Zaubermacht 
Bringt Graus in Feindesreihen! 

Als Wolf durchirrſt Du Feld und Moor, 
Als Aar des Himmels Bogen; 

Du pfeifſt dem Feinde Tod in's Ohr, 
Kommſt wild ihm nachgeflogen! 

Er ſteht am Hain, — es brennt der Hain, 
Die Baͤume Pfeile ſpruͤhen; 

Sieht Bruͤcken, — Bruͤcken ſtuͤrzen ein; 
Sieht Doͤrfer, — Doͤrfer gluͤhen! — 


Heil, Neſtor Bennigſen, auch Dir! 
Bewachſt auf jedem Gange, — 

Ein Held und Weiſer, — fuͤr und fuͤr 
Den Feind, als Aar und Schlange! — 

Heil Dir, Woronzom, fühner Held! 
Noch jung, doc) viel-esfahren ! 

Und Tormaffow, ergraut im Feld, 
Ein Staus den Feindesfchaaren! 

Und Baggowuth, der Schwerterdräu’n 
Nicht fheut, noch Schlachtenblige! — 

Heil Dir, Du hoher Heldenreih’n, - 
Des Vaterlandes Stäße, 


| — 555 
Und euer Name wird den Stun 
Des Helden mädtig mahnen ; 
Er ſtuͤrmt mit Ihm zur Feſte hin, 
Laͤßt flattern dort die Fahnen! 





Die Krieger. 
Und euer Name wird den Sinn 
Des Helden mächtig mahnen; 
Er ſtuͤrmt mit ihm zur Sefte hin, 
Laͤßt flattern dort die Fahnen. 


- Der Sänger. 

Dieß Glas der Rache! in.den Streit! 

Sen Himmel hebt die Rechte! 
„Sieg oder Tod!“ fen unfer Eid 

Vor'm Gotte der Gefechte! 
Vergeben, Feind, erwarteft du 

Vom Voͤlkerſchwarm Erhebung! 
Sie fliehen unſern Fahnen zu, 

Und ſchmachten nach Ergebung! 
Wir haben Schaͤtze nicht zu Haus, 

Nur Schild und Pfeil zum Kriege! 
Wir wandeln Staͤdt' in Schutt und Graus, 

An Schwerter unfre Pfluͤge! 


Der Bäfewicht! er Foxft fein Heer 
Mit Liſt in Mostwa’s Nähe! 
Mit nied’rem Frieden drohet er 
Uns von des Kremmels Höhe! 
„Ich ſchreite im Triumph hinan 
„Die Stufen, froh empfangen; 
„In Staub fällt Fuͤrſt und Unterthan!“ ..... 
Er kam — und bebt voll Bangen! | 
Und Moskwa regt ber Rache Stahl, — 
Sie flammt vor Feindes Blicken, 
Und tödtend donnert Mau'r und Wall 
Auf fie mit Bliges Zuͤcken! 


Bring’ deine Stlaven s Färften dann 
In's Forftreich, fammt den Heerden, 





556 — 


Und fchlage durch den Schnee bir Bahn — 
Zu Hunger und Beichwerben ! 

Auf, Winter, unfer Bund’sgenoß! 
Den Rüdweg fperre ihnen! 

Ha! voran Krieger und Geſchoß! 
Sm Rüden — Raubruinen! 

Was hält, o Räuber, länger Stand, 
Die Habgier, oder Rache? 

Wir, Fremdling, find im Vaterland, 
Gott kämpft für unfre Sache. 


Die Krieger. 
Was Hält, o Räuber, länger Stand, 
Die Habgier, oder Rache? 
Wir, Frembdling, find im Vaterland! 
Gott kaͤmpft für unſre Sache. 


Der Saͤnger. 
Dies Glas, o Bruͤder treuvereint, 
Der Bruͤderſchaft geweihet! 
O ſelig der, dem einen Freund 
Als Labung Gott verleihet! 
Er theilet unſer Gluͤck, verſuͤßt 
Das Leiden und Beſchwerden; 
Gewiſſen iſt er uns, er iſt 
Uns Fuͤrſehung auf Erden! 
Uns ſey der Bande Heiligkeit 
Geſetz in Kampfesgluthen! 
Durch Blut iſt unſer Bund geweiht: 
Fuͤr Freunde leben, bluten! 


Die Krieger. 
Uns ſey der Bande Heiligkeit 
Geſetz in Kampfesgluthen! 
Durch Blut iſt unſer Bund geweiht: 
Fuͤr Freunde leben, bluten. 


Der Saͤnger. 
Dies Glas, — der Liebe ſey's gebracht! 
O naͤhrt die heil'gen Flammen, 





—— 555 


Und eier Name wird den Stun 
Des Helden mädıtig mahnen ; 
Er ſtuͤrmt mit Ihm zur Feſte hin, 
Laͤßt flattern dort die Fahnen! 


Die Krieger. 
Und euer Name wird den Sinn 
Des Helden mädtig mahnen; 
Er ſtuͤrmt mit ihm zur Sefte hin, 
Laͤßt flattern dort die Fahnen. 


Der Sänger. 

Dieß Glas der Rache! in den Streit! 

Sen Himmel hebt die Rechte! 
„Sieg oder Tod!’ fen unfer Eid 

Vor'm Gotte der Gefechte! 
Vergebens, Feind, erwarteft du 

Vom Voͤlkerſchwarm Erhebung ! 
Sie fliehen unfern Fahnen zu, 

Und ſchmachten nach Ergebung! 
Wir haben Schäge nicht zu Haus, 

Pur Schild und Pfeil zum Kriege! 
Wir wandeln Städt in Schutt und Graus, 

An Schwerter unfre Pflüge! 


Der Böfewicht! er lockt fein Heer 
Mit Lift in Mostwa’s Nähe! 

Mit nied’rem Frieden drohet er 
Uns von des Kremmels Höhe! 





„Ich ſchreite im Triumph hinan 


„Die Stufen, froh empfangen; 


„In Staub fällt Fuͤrſt und Unterthan!“ ..... 


Er kam — und bebt voll Bangen! 
Und Moskwa regt der Rache Strahl, — 
Sie flammt vor Feindes Blicken, 
Und toͤdtend donnert Mau'r und Wall 
Auf fie mit Blitzes Zuͤcken! 


Bring’ deine Slaven-VFuͤrſten dann 
In's Forſtreich, fammt den Heerden, 








556 


Und ſchlage durdy den Schnee bir Bahn — 
Zu Hunger und Befchwerden ! 
Auf, Winter, unfer Bund'sgenoß! 
Den Rüdweg fperre ihnen! 
Ha! voran Krieger und Geſchoß! 
Im Ruͤcken — Raubruinen! 
Was hält, o Räuber, länger Stand, 
Die Habgier, oder Rache? 
Bir, Fremdling, find im Vaterland, 
Gott kämpft für unfre Sache. 


Die Krieger. 
Was Hält, o Räuber, länger Stand, 
Die Habgier, oder Rache? 
Wir, Frembdling, find im Vaterland! 
Gott kämpft für unfte Sache. 


Der Sänger. 
Dies Glas, 0 Brüder treuvereint, 
Der Brüderfchaft geweihet! 
O felig der, dem einen Freund 
Als Labung Gott verleihet! 
Er theilet unfer Gluͤck, verfüßt 
Das Leiden und Befchwerden; 
Gewiſſen ift er ung, er ift 
Uns Fürfehung auf Erden! 
Uns fy der Bande Heiligkeit 
Sefes in Kampfesgluthen ! 
Durch Blut it unfer Bund geweiht: 
Fir Freunde leben, biuten! 


Die Krieger. 
Uns fey der Bande Heiligkeit 
Geſetz in Kampfesgluthen! 
Durch Blut ift unfer Bund geweiht: 
Für Freunde leben, bluten. 


Der Sänger. 
Dies Glas, — der Liebe fey’s gebracht! 
O nährt die heil'gen Flammen, 


— 557 — 


Ihr Freunde, ſelbſt in blut'ger Schlacht! 
Ruhm — Liebe. — gleiche Namen ! 
Und über wen es Gott verhängt, 
Der Minne Huld zu kennen, 
er liebend Herz um Herz verfhenft, — 
Mit mutbigem Entbrennen 
Fleugt der nach allem Großen hin! 
Es ſchwinden Furcht und Graͤnzen! 
Was mag, was mag er nicht vollzieh'n, 
Wenn theure Hand’ ihn kraͤnzen? 


Ach! du biſt unfer treu’fter Freund, 
Gedanke an die Traute! u 

Alluͤberall ihr Bild -erfcheint, 
Ertönen theure Laute! 

Sie ift, wo Kriegesfahnen weh’n, 
Sie ift in Lagers Räumen; 

Sie fehn im Schlachtenblitz wir ſteh'n, 
Und fie in frohen Träumen! 

D Feind! entreiße, — wag’ es nur! 
Den Schild, der Trauten Gabe! 

Es glüht darauf der heil'ge Schwur: 
„Die Deine nodh im Grabe!” 


O Wonne ſtiller Phantaſie! 
Dort hinter fernen Haiden 

Weilt deine Traute, weilet ſie, 
Allein mit ihrem Leiden! 

Sie haͤrmt ſich, klagt um ihren Freund, 
Zu Gott die Seel’ erhebend; 

Sie hofft und fürdtet Kund', und weint: 
„Ah! ift er auch noch lebend ?’‘ 

Und denkt: „Du traute Stimme, ad)! 
Wann laufch” ich deinen Klängen ? 

O fleug, des Wiederſehens Tag, 
Die Trauer zu verdrängen!” 


D Freunde! welche Seeligkeit; 
Den Tod für Theure leiden! . 


— 558 — 


Drum, fallen wir im blut’gen Streit, 
So fterben wir mit Freuden! 
Den beil'gen Namen nennen wir, 
Wann Todeswunden brennen ..... 
Die wir geliebt auf Erden bier, 
Bon der mag Nichts uns trennen! 
Die Liebe und der Trauten Bild 
Wird mit hinüber fchweben ! 
Nicht Alles raubt das Grabgefild', — 
Auch jenfeits giebt's ein Leben! 


Die Krieger. 
Die Liebe und der Trauten Bild 
Wird mit hinüber ſchweben. 
Nicht Alles raubt das Srabgefild’, 
Auch jenfeits giebt's ein Leben. 


Der Sänger. 

Den reinen Mufen diefes Glas! 
Sie gießen Ruhmestrachten 

In's Heldenherz, und Feindeshaß, 

' Und Kraft, und Durſt nah Schlachten! 
- Die Saiten raufhen, — Alt und Jung 
Starrt fühn mit Schild und Degen! 

Nichts duͤnkt fie Wallbefeftigung, 

Und Nichts der Pfeile Regen! 

Der Sänger ift des Helden Preis, 
Sein Lied giebt Siegen Leben! 

Ihm lauſcht der Enkel, fill und heiß, 
Ind weint in Wonnebeben! 


O Du, der Vorzeit Luft, Bojan! 
Mit Deiner Harf' umhangen, 
Flogſt Du dem Slavenheer voran, 
Und heilige Hymnen klangen! 
Dir, Peter, ging hervor aus Eis 
Dein Bard' und Thatenmelder! 
Petroff iſt Sadunaisty’s Preis! — 
Der Kama Eichenwälder, 





Seyd ſtolz, Derſhawin zeugtet ihr! 
Laß bligen Deine Feuer, 

Suwarow, Wander-Rieſe! Dir 
Erklingt Derſhawin's Leier! 


O Greis! ach hoͤrten jetzo wir 
Doch Deine Schwanentoͤne! 

Nicht eitler Ruhm erſcheint vor Dir, — 
Du ſiehſt der Rache Söhne! 

Sie ſtrecken nicht die Hand nach Bent, 
Um Kränge zu erfechten: 

Ihr Werk ift heilig! iſt der Streit 
Der Guten mit den Schlechten! 

Sieg’, Schwan! Hat bald entringt ihr Speer 
Den Voͤlkern ihre Ketten! 

Des Würgers eig'nes Sklavenheer 
Wird dann ihr Sieg erretten! — 


Den Muſenſoͤhnen, Brüder, Preis! 
Doch mir, — dem Kaumgemweidten ..... 
Mas gab mir des Geſchicks Geheiß 
Nicht tönevolfe Saiten! 
Es Hang in Thales Einfamkeit 
Bis hiezu meine Laute; 
Doch plöglich fiel das Loos: zum Streit! 
O Heimathflur, du Traute! 
Leb' wohl! O Friede, — holder Reih'n 
Der Freunde, — ſtille Muͤhen, — 
Lebt wohl! .... Sch bin, wo Schwerter draͤu'n, 
Wo Schlachtenblitze glühen ! 


Doc werd’ ich nicht der Räuber Fall 
Und eure Thaten fingen? 

Schon fauft vielleiht im Kampfesthal 
Der Pfeil, mir Tod zu bringen! 

Doch wie, verweht mein Todestag 
Al’ meine Lebenslaute? 

Die alten Klänge hallen nad) 
Sin der verwaiften Laute! 


— 560 0 — 


Den Würger ſtuͤrze Immerhin 
Sn Staub das blut'ge Eifen: 
Ein Leben wird in ihr entgläh'n, 
Und Ruhmesthaten preifen! 


Die Krieger. 
Den hohen Sängern Heil und Preis! 
Ihr Lied giebt Siegen Leben! 
Ihm lauſcht der Enkel ftill und heiß, 
Und weint in Wonnebeben. 


Der Sänger. 
Das Glas empor! — dem Gott der Macht! 
D Brüder, auf die Kniee! 
Er hat den Ruſſen Heil gebracht, 
Und Seegen ihrer Mühe! 
Der Schwahen Schild ift Sein Gebot, 
Der Fallenden Erretter! - 
Der Guten Bund’sgenoff” ift Sott, 
Der Stolgen Niedertreter! 
Den Bli empor zum Himmelslicht! 
Dort trocknet jede Thräne! 
„Bon dort der ew’ge Vater fpricht: 
„Ermannet euch, o Söhne!” 


Unſterblichkeit! du ſtiller Strand! 
Du biſt das Endziel Aller! 

Drum gluͤcklich, wer fein Ende fand! 
Geduld, ihr Erdenmwaller! 

D feelig, wen die Schlacht gefält! 
Mag lang’, gebuͤckt am Stabe, 

Der fiehe Greis ſich durd) die Welt 
Kinfchleppen über'm Grabe, — 

Der Sohn der Schlaht — er wirft im Nu 
Die Laft vom ftarfen Rücken, 

Und fleugt den beffern Welten zu, 
Gleich wie mit Bligeszücden. 


Doch wir! — — Vertrau'n auf Sottes Rath! - 
Wie's ſey, — des Ew'gen Hände, - 





Sie leiten uns auf dunklem Pfad 
Gewiß zum beiten Ende! 

Ihm folgt, o Freunde, muthig nad ! 
Fort alles Nied're, Schlechte! 

Ein wad'rer Sinn im Ungemach 
Bis in des Todes Nächte! 

Sm hohen Loofe — Einfachheit, 
Und Maag im Urglücksfalle ! 

In der Gewalt — Gelindigkeit! 
Ein fühlend Herz — für Alle! 


Gehorſam der gerechten Macht, 
Und Ewigkeit den Eiden! 
Der Liebe — Alles dargebracht ! 
Für Freundfhaft — Alles leiden! 
Dem Unterfinfenden — bie Hand, 
Und Troft der Sramumnachtung ! 
Dem maͤcht'gen Lafter — Widerftand ! 
Ehrlofem Sinn — Verachtung! 
Der Lüge — maͤcht'ger Wahrheit Gluth, 
Und dem Verbienft — Belohnung ! 
Sm Todestampfe — froher Muth! 
Im Stade — flille Wohnung! 


Sey unfer Schild, Du Gott der Madıt! 
Du frei die Hand zur Erden — 

Und Roß und Reiter fällt, zerkracht, 
Und muß zu Afche werden! 

Bor ung zerihmilzt der Feinde Heer, 
Wie Wachs vor Feuers Gluthen! 

Schwer bift du, Tag der Rache, fchwer! 
Es ſchaut auf Feld und Fluthen | 

Der Fremdling, fpricht: „wie Meeresfand 
Seh’ ich die Feinde ſtehen! 

Bon Mordfucht war ihr- Blick entbrannt ! 
Im Nu — war Nichts zu fehen!’ 

Die Krieger. 
Der Frembling fpricht: „wie Meeresfand 
Sah' ich die Feinde ftehen! 
36 


— 562 — 


Don Mordfuht war ihr Blick entbrannt! 
Im Nu war Nichts zu ſehen!“ 


Der Sänger. 

Doch Shan! der hellen Wolfen Gang 
Verheißt des Tages Schimmer; 

Schon fpielet über Bergeshang 
Des Morgenfterns Seflimmer; 

Die Daͤmm'rung weicht; durch Nebelflor 
Die fernen Wälder fchauen, 

Der ruh’nden Krieger dichter Chor, 
Das Lager und die Auen! — — — 

D Freunde, bald! — — — Der Morgen glimmt; 
Das Heer, das regungslofe, 

Es fchläft; doch aus der Urne nimmt 
Das Schickſal ſtill die Looſe. 


Senkt einſt, o junger Tag, dein Licht 
Sich hinter Huͤgel nieder, 

Wie viele wird das Auge nicht 
Vermiſſen unſrer Brüder! — — — — 

Es blitzte! — — — laͤngs den Huͤgeln bruͤllt 
Der Donner, — giebt das Zeichen! 

Horch! dumpfes Laͤrmen im Gefild'! 
Sieh' da! die Zelte weichen! 

Die Roſſe ſtampfen, wiehern d'rein; 
Es ruͤckt das Heer zuſammen; 

Der Fuͤhrer fleugt vor ſeinen Reih'n; 
Die Herzen ſchlachthell flammen! 


Dem Abſchied dieſen Becher Wein! 
Laßt kuͤhn zur Schlacht uns fliegen! 

Geſchoſſe ſchwirren, Schwerter draͤu'n! 
Tod gilt es, oder Siegen! 

O ihr, an die wir liebevoll 
Auch in der Ferne denken! 

Euch Alles, alles Erdenwohl! 
Wollſt ihre Tage lenken, 

Du Herr der Herren! ſey ihr Hort! 
Euch dieſen Kuß, ihr Lieben: 


— 








565° — 
Pflanze Trauereiden nun an ihrem Grabe, 
Und Eypreflenreifert 


Thränen weih' die Jugend, als die veinfte Gabe, 
Ihr — und Blumenfträußer ! | 


Alles rings iſt traurig! Mit dem Denkmal £ofen 
Zephyrs finde Schauer, 

Und ein ſtiller Geift entblättert hier die Roſen 
Sin dem Sig der Trauert 


Hier ſteht Hymen, angefeffelt , bleich und fhmeigend, 
Ad, in ew'gem Aarme! 

Löfcht die helle Fackel an der Gruft, le neigend 
Mit erfchlafftem Arme. 








Der Bad, 
von. 
Kapnif. 


Der du dich ſchlingſt durch Thales Weite, 
In Vielem gleich' ich dir, o Bach! 
Du rinneſt ſtets nach Einer Seite, 
Ich geh' ſtets Einer Neigung nach. 


Wenn Steinchen deine Stroͤmung hemmen, 
Dann rieſelſt du ſo klagend hin: 
Wenn Schranken meine Liebe daͤmmen, 
Ich kaum zu ſeufzen faͤhig bin. 


Wie deine lichte Silberwelle, 
Kryſtallenrein und fpiegelklar: 
So ift mein liebend Herz auch helle, 
So it mein Sinn getreu und wahr. 


Vor Ungewitter, Sturm-und Regen 
Birgft du in dichte Zweige did): 
Vor des Gefchickes graufen Schlägen 
Rett' ich in meine Hätte mich. 


Wie deine Welle. unaufhörend- 
Zum Thal ſich dränget niederwaͤrts: 





— 564. 


Befreiet von dem mächt’gen rauen 
Sind Meer’ und Wälder und Gefild', 
Und laffen unf’rem Blick fich ſchauen, 
Mit Deinen Wundern angefüllt. 

Don jedem Wefen tönt es dort: 
Groß iſt der Schöpfer, unfer Hort! 


Des Tages Strahlen, fie umglänzen 
Die Oberflächen nur allein: 

Dein Auge dringet, fonder Gränzen, 
Tief in der Wefen Grund hinein, 
Der Schimmer Deiner Augen flreut 
In alles Leben Freudigkeit. 

Erfeucht‘, o Sott, midy naͤchtlich Trüben 
Mit Deiner Weisheit für und für, 
Und lehre Du mid, immer üben, 

Was wohlgefällig ift vor Dir, 
Und ſchauend Deine Schöpfung, Kerr! 
zu preifen Dich, Unſterblicher! 


An Kokoſchkin 
auf den Tod ſeiner Gattin, 
von, 


Batiufchlom, 


Nell’ età piü bella, e piü Horita .... 
— — — E viva, c bella al Ciel salita .. .* 
Petrarca. 


Hin ift die Geliebte, Hin die Holde, Reine! 
Jedes Gluͤck getoͤdtet! 

Wein', o Lieb' und Freundſchaft! weine, Hymen, weine: 
Alles iſt veroͤdet! 


Freundſchaft! haft mie Wonnen in verblich’nen Tagen 
Stuͤndlich fie beſchenket; 

Deine Goͤttin haſt du weinend und mit Klagen 
In die Gruft geſenket! 





— 565 — 


Pflanze Trauereiben nun an ihrem Grabe, 
Und Cyypreſſenreiſer! 

Thränen weih’ die Jugend, als die reinfte Gabe, 
hr — und Blumenfträußer! 


Alles rings iſt traurig! Mitt dem Denkmal ofen 
Zephyrs finde Schauer, 

Und ein flillee Geift entblättere hier die Roſen 
In dem Sig der Trauer 


Hier fteht Hymen, angefeffelt,, bleich und ſchweigend, 
Ach, in ew'gem Harme! 

Loͤſcht die helle Fackel an der Gruft, ſie neigend 
Mit erſchlafftem Arme. 


Der Bad, 
von. 
Kapnif 
Der du dich fchlingft durch Thales Weite, 
In Vielem gleich’ ich dir, o Bad! 
Du rinneft ftets nach Einer Seite, 
Ich geh' ftets Einer Neigung nad). 


Wenn Steinchen beine Strömung hemmen, 
Dann riefelft du fo Elagend hin: 
Wenn Schranken meine Liebe dämmen, 
Ich kaum zu feufzen. fähig bin. 


ie deine lichte Silbermwelle, 
Kryſtallenrein und fpiegelklar: 
So ift mein liebend Herz auch belle, 
So it mein Sinn getreu und wahr. 


Bor Ungemwitter, Sturm: und Regen 
Birgft du in dichte Zweige dich: 
Vor des Geſchickes graufen Schlägen 
Rett' ich in meine Hätte mich. 


Wie deine Welle unaufhörend- 
zum Thal ſich dränget niederwaͤrts: 


— 566 — 


So minnt und minnet immerwährend 
. Die holde Nina diefes Herz. 


Bann Sie fidy ſchaut in deinem Schimmer, 
Dann nimmft du auf Ihr reigend Bild: 
So ruht's in meinem Herzen immer, 
So ift von ihr es flets erfüllt. 


Ich weiß nicht heuchelnd zu berüden, — 
Auch dir ift Falfhheit unbewußt; 
Dein Grund läßt Alles klar erblicen, 
Und Jeder lieſ't in meiner Bruft. 


Gehorfam der Natur Geheiße, 
Rinnft du zur Mündung ftets, o Fluß! 
Bis in des rauhen Winters Eife, 

Auch deine Fluth erfiarren muß. 


Mid martert ohne Sie das Leben: 
Und nie erlifcht in mir die Gluth, 
Bis mit dem legten Todesheben 
In diefer Bruft gerinnt das Blut. 


Das Ufer 
Von 
Karamſin. 


Nach dem Sturm und nach der Brandung, 
Lang' verfolgt vom rauhen Nord, 
Wird dem Schiffer endlich Landung 
In dem ſtillen Friedensport. 

Sey er unbekannt auch immer, 
Zeig' ihn keine Charte an; 
Iſt doch ſchoͤn der Hoffnung Schimmer: 
Daß er endlich ruhen kann. 

Sieht ſein Auge der Verwandten 
Und der Freunde frohen Schwarm: 
Wonne! — ruft er, — ſeelig Landen! 
Und er fliegt in ihren Arm. — 





— 567 — 


Leben! du Hifk Meer und Brandung!” 
Tod! du biſt der Friedensport! 
Jenſeits winkt uns frohe Landung, 
Wiederſehen winkt uns dort. 


Ja, ich feh’, ich ſeh' euch winken 
Zum geheimnißvollen ‘Port! 
O bewahrt uns, euch zur Linken, 
Traute Schatten, einen Ort. 


Lieder und Romanzen. , 


Das Lied vom guten Zaren, 
von 
Karamſin. 


War einmal ein guter Zar, 
Ein Gebieter hoch und klar. 
Liebten Alle ihn als Vater, 
Ehrten ihn als Freund und Rather. 


Liebt die Kinder auch der Zar, 
Und ihr Gluͤck ſein Streben war: 
Er vergißt des Thrones Schimmer, 
Er verläßt die gold’nen Zimmer. 


Als ein Wand'rer reif’t der Held, 
Er durcheilt die ganze Welt, — 
Stab und Ranzen fein Gefchmeide, 
Und Gefahren feine Freude. 


Und warum verließ er Land, 
Thronesglanz und Färftenftand ? 
Und was war's, daß er fich quälte, 
Und erduldet Hitz' und Kälte? 


Das er Gutes alferwärts 
Sammeln möge, Geift und Herz 





— 568 — 


Durch bie Wiſſenſchaften lichten, 
Fuͤllen mit des Fleißes Früchten: 


Um mit feiner Weisheit dann 
Zu erleuchten Jedermann, 
Seiner Kinder Ruhm zu mehren, 
Sie des Lebens Kunft zu lehren. 


D Du großer Zar und Held, 
Erfter, erfter Fuͤrſt der Welt! 
Mög't die ganze Welt durchgruͤnden, 
Werbet feinen Zweiten finden, 





Zu des Flaren Bades Fluthen ꝛc., 


von 


Neledinsky⸗Melezky. 


Zu des klaren Baches Fluthen 
Komm’ ich, ſeh' die ſchnellen flieh'n: 
Nimm mir meines Schmerzes Gluthen, 
Schnelles Baͤchlein, nimm ſie hin! 


Nein, du kannſt fie mir nicht nehmen, 
Meines Herzens herbe Pein; 
Mehren kannt du nur mein Grämen, 
Kannft dem Schmerz nur Nahrung leih'n. 


Well' auf Welle ſeh ich rollen 
Nach der aften Richtung fort: 
Die Gedanken alle wollen 
Immer nur nah Einem Ort. 


Dunkel ift mein Sinn und trüße, 
Doch bem Auäfer bleibt's verhehft; 
Den ich meine, den ich liche, 

Weiß nicht, wie dieß Herz fich quält. 


Womit lindern diefe Schmerzen, 
Und der Seele Ruh’ verleih'n? — 
Acht ich will und mag dem Kerzen 
Nimmermehr Gebieter feyn. 





— 59 — 


Ihm gebietet nur mein Lieber; 
Ein Geſetz ift mir fein Blick. 
Wird mein Geift auch trüb’ und truͤber, 
Nur ihn lieben ift mie Stück. 


Lieber ewig mich betrüben, 
Als vergeffen jemals ihn! 
Soft" id meinen Freund nicht lieben, 
Muͤßt' ich ja das Leben flieh'n. 


Meiner Seele Luft und Schmerzen 
Sind ein Opfer ihm allein; 
Seden Schlag in meinem Kerzen 
Mag ih nur dem Trauten weih’n. 


Du, ben nie die Lippe nennet, 
Der mir tief in’d Herz geſenkt; 
Du, durch den das Mädchen brenner, 
Athmet, ſchauet, fühle und denkt. 


Aller Unmuth fey Dir ferne, 
Hörft Du meiner Klage Ton: 
Meinem Schickfal weich' ich gerne, 
Ich erwarte keinen Lohn. 


Kannft Dem Her; Du überwinden, - 
Drüfe meines Fühlens Macht } 
Durch geheucdyeltes Empfinden 
Miß fie, meiner Seele Nacht! 


Der Shiffer, 
von | 


Shukowsky. 


Wild verfolgt vom Mißgeſchicke, 
Ohne Steuer, ward mein Kahn 
dortgefuͤhrt von Sturmestuͤcke 
In den weiten Ocean. 
Durch's Gewoͤlk' ein Sternchen flimmert: 
Sternchen! — fleht' ich, — birg' dich nicht! 


— 5710 — 


Sternchen barg fi unbefümmer — 
Und der legte Anker bricht. 


Dunkle Nebel rings fich dehnen; 
Wogend kocht das wilde Meer; 
Bor mir ſchwarze Sclünde gähnen, — 
Sraufe Klippen um mich her! 
„, Keine Rettung im Setüämmel! 
Murrt' ich im Verzweiflungswahn ....« 
Thor! der Lenker dort im Himmel 
War dein fliller Steuermann, 


Durch empörte Meeresgrände, 
Durch die graufe Klippenwand, 
Durd die nahtumhällten Schluͤnde — 
Trug mit unfidhtbarer Hand 
Mid) des maͤcht'gen Schirmers Milde ! 
Dunkel ſchwand ..... es ſchwieg der Nord! 
Bor mir — Edens Luftgefilde; 
Und drei Engel weilen dort, 


D Du ew’ger Gnadenbronnen! 
Nicht mehr murr' ic) unbedacht; 
Auf den Knien, in Himmelswonnen, 
Schau’ ich ihres Bildes Pracht! 
Wer befchreidet ihre Schöne? 
Ihren Seelenzauber, wer? 
Himmelsodem, Himmelstöne, 
Heilige Unfhuld um fie her! 


O unnennbares Entzüden: 
Ihnen athmen, ihnen gluͤh'n! - 
Ihr Gekoſ', ihr ſuͤßes Blicken 
Tief in Herz und Seele zieh'n! 
Einen Wunfh nur, o Verhängnig! 
Ihnen laͤch'le mild und licht! 
Ahnen Wonne, mir — Bedrängniß! 
Pur .... fie überleben nicht. 








— 571 — 
Ich bin ſchon funfzehn Sommer alt ꝛc., 


von 
Bogdan4witſch. 


Ich bin ſchon funfzehn Sommer alt, 
Ich muß die Welt nun ſehen bald! 
Die Maͤdchen all' im Dorfe drinnen 
Sind ſchon verſtaͤnd'ge Schaͤferinnen: 
Ich muß die Welt nun ſehen bald! 


Man nennt mich nur das ſchoͤne Kind; 
Da muß ich danken fein geſchwind: 
Wie ich mich auf der Flur benehme, 
Wenn nun ein Hirt zum Freien kaͤme, — 
Da muß ich danken fein geſchwind. 

Er ſpricht zu mir: ich liebe Dich! 
Und Liebe ſchwoͤre dann auch ich, 
Und ſag' ihm das, was er geſprochen, — 
Damit iſt wahrlich Nichts verbrochen, 
Und Liebe ſchwoͤre dann auch ich. 


Ich kenne dieſen Fall noch nicht, 
Ich weiß nicht, wie der Freier ſpricht; 
Verlangt er nun ein Pfand der Minne: 
Dann weiß ich nicht, was ich beginne, — 
Ich weiß nicht, wie der Freier ſpricht. 

Wollt' ich ihm geben meinen Btab: 
Den Stab ich ſelber noͤthig hab’; 
Mein Huͤndchen kann ich auch nicht miſſen, 
Sonſt wird die Heerde mir zerriſſen; — 
Den Stab ich ſelber noͤthig hab'. 

In einer Gegend oͤd' und todt, 
Thut mir die Floͤte gleichfalls Noth; 
Ein Schaͤfchen koͤnnt' ich ihm verehren, 
Wenn nicht gezaͤhlt die Schaafe waͤren; 
Die Floͤte thut mir gleichfalls Noth. 


Ich ſah' als Kind, wenn recht mir iſt, 
Daß eine Schaͤferin gekuͤßt: 


572 — 


Geſchah es, um dem Schäfer eben 
Zu lohnen, was er ihr gegeben, 

Daß ihn die Schäferin gekuͤßt? — 
Die Liebe, die das Herz regiert, 
Sie fagt mir wohl, was fid gebührt; 

Mit eignem Lohne zahlt die Liebe, 

Sie weiß zu lenken unf're Triebe: 

Sie fagt mir wohl, was ſich gebührt. 
D’rauf ſprach die Schäferin zulest: 

Der Schäfer mag nur kommen jeßt! 

Damit ich meiner Heerde fchone, 

So geb’ ich ihm mein Herz zum Lohne: 

Der Schäfer mag nur kommen jetzt! 





Kalt, beßehlſt Du, foll ich ſtehen xc., 
von 


Neledinsky⸗Melezky. 


Kalt, befiehlſt Du, ſoll ich ſtehen, 
O Du Reizende, vor Dir!“ 

Willſt Du mich gehorſam ſehen, 
Gieb ein and'res Herze mir: 

Gieb ein Herz mir, das verſtaͤnde, 
Dich erkennend, frei zu ſeyn; 

Sieh ne eins, das Muth empfaͤnde, 
Nicht zu leben Dir allein. 


Jenes Herz, in das fich ſenket 
Deine lieblihe Geftalt, 
Senes, das um Dich fi kraͤnket, 
Auch für Did nur fchlägt und wallt; 
Fremd ift and're Quaal und Wonne, 
Jedes and’re Leben ihm; 
Du bift Luft mir, Leben, Sonne | 
Sin des Leidens Ungeftäm! 


Soll ich mich der Treu’ entbinden? 
Du empfingft mein erſtes Gluͤh'n! 











—— 575 


Du nur ließeſt mic) empfinden, 
Daß mir Seele ward verlieh’n. 
Seele dank’ ih Deinen Hulden, 
Deine Gabe bring’ ih Dir .... 
Doch Du willft fein Opfer dulden, 
Nicht erlauben darf ichs mir! 


Heiße mir nur nicht, Dich meiden, 
Dein Begehren macht mir Schmerz! 
Kann mein flilles, ſtummes Leiden, 
Kann’s beleidigen Dein Herz? 
Scheint's Verbrechen Dir, zu fehen 
In Dein Auge himmliſchklar, 

Zu ergluͤh'n in Sehnfuchtswehen, 
Und zu dulden, Troftes baar? 





Ballade 


Boleslaw, Polens König, 
‘ von 
Murawjtw. 


Wohl verblic der Ruhmesſchimmer 
Wieler Helden, kühn und brav: 
Du, 0 Polen, denkſt noch immeg 
Deines Königs Boleslam! 


In dem Purpur treu der Liebe, 
Tren.der Freundfchaft Tein Gemuͤth, 
Naͤhrt' er ungeſtuͤme Triebe, 

In dem kochenden Geblüt. 


Gluͤcklich, gluͤcklich! wäre Bruder 
Sbignei nicht geweien ihm, 
Welcher auf fein Herrfcherruder 
Sah' mit Feindesungeftüm. 


Rache nie der König übte, 
Liebt den Schuld'gen bruͤderlich; 


— 5714 — 


Du, des Sbignei Heißgeliebte! 
Ad, warum erblidt' er Dich! 


Wie die Lilie in dem Haine 
Still erbläht bei Lenzes Weh’n, 
Bluͤhteſt Du mit flillem Scheine, 
Zürftin von Wolhynien. 


Sie erſchau'n, und ſich entzuͤnden 
War bei Sbignei nur ein Nu. 
Hymen's ſuͤßes Band zu binden, 
Schworen ſie einander zu. 


Ploͤtzlich die Trommeten hallen, 
Staub empor in Säulen ſteigt; 
Roßgewieher hört man fchallen, — 
Kampf im Feldel — Sbignei weicht. 


Und als Schußgeift, nicht ald Krieger, 
Zog der König in die Stadt, 

Sah' die Fürftin — und der Sieger 
Knieend fie um $effeln bat. 


Doch fie läßt den Shignei nimmer, 
Weinend ruft fie aus voll Schmerz: 
„Iſt er mir geraubt auf immer, 
Immer bleibt ihm treu mein Herz!’ 


Und zwes Monde d’rauf entfliehen, 
Liebekrank ift Boleslaw, 
Er vergißt die Herrſchermuͤhen 
Und ſein Heer, ſo treu und brav. 


Aber Sbignei unterdeſſen 
Sinnt auf feindlich boͤſe That, 
Fuͤhrt ein Boͤhmenheer vermeſſen 
Vor Wolhynien's Fuͤrſtenſtadt. 


Doch umſonſt! es flieht voll Bangen 
Schnell vor Boleslaw der Hauf'; 
Selbſt der Feldherr wird gefangen, — 
Seinen Helm behaͤlt er auf. 


573 


Siehe, und der König findet 
An der Fuͤrſtin Knie ihn ruh'n, — 
Er durchbohrt ihn, wuthentzündet, . 
Und erkennt — den Bruder nun! 








O, wer malet, wer Hefchreibet | 
Hier des Mörders dumpfen' Schmerz! 
Wie er leblos ftehen bleibet, 
Schweigend ftarret bodenwaͤrts! 


In die eig'ne Bruſt das Eiſen 
Tauchen will ſein Ungeſtuͤm; 
Aber ſeine Freund' entreißen 
Mitleidsvoll das Eiſen ihm. 


Er verlaͤßt die Koͤnigshallen, 
Huͤllet ſich in Lumpen ein; 
Zu den heil'gen Staͤdten allen 
Wandelt er in duͤſt'rer Pein. 


Und an allen, allen Staͤtten 
Beichtet er, was er gethan; 
Fuͤr ſein Seelenheil zu beten, 
Fleht er weinend Jeden an. 

O, ich hoff' es! ſeine Reue 
Gab den Frieden ihm zuruͤck! 
Ach! nicht Ruhm, noch Heldenweihe 
Sichert vor dem Mißgeſchick! 


An die Nachtigall, 
von. 
Karamſin. 

Sing’ im Dunkel ſtiller Haine, 
Zarte, ſanfte Nachtigall! 
Sing' in Lunens Silberſcheine — 
Lieblich toͤnt dein Klageſchall! 

Doch was rinnen mir die Thraͤnen 
Aus dem Auge, wie ein Bach? 


— 576 — 


- Barum wird ein trauremd Sehnen 
Mir bei deinen Tönen wa? — 
Ach! der Theuren denkt mein Kummer, 
Weihe In der Erde Schooß 
Ruh'n, im tiefen Todesſchlummer! 
Ach! es decket Hohes Moos 
All' die Graͤber meiner Lieben, 

Sch Hin einſam nachgeblieben! .... 
Trauer wird im Buſen wach, 

Und es rinnt der Thraͤnen Bach! — 
Sprich, mit wem ſoll ich genießen 
Deine ſuͤßen Lieder jetzt? 

Die Natur mit wen begruͤßen? 
Ohne Freund mid, nichts ergögt! 

Meine Seele muß erliegen 
Und des Lebens Luft verfiegen! 
Ah! das Herz it mir fo fchwer, 
Und die Erde — wuͤſt' und leer! 

Wirft du bald, o Philomele, 
Jedes Wanderers Gemüth 
Ueber meiner Grabeshoͤhle 
Rühren durch dein klagend Lied? 


Fragment 
aus dem erſten Geſange des Gedichts: 
Rußlan und Ludmilla, 
von 
Alexander Puſchkin. 


(Kuflen, dem die neuivermäßtte Gattin, die Tochter des Großfürſten Wladimir, 
in der Hochzeitnacdht durch magifche Gewalt entriffen worden, und der nun in 
der Welt umberirrt, um die Geliebte aufzufuchen, — gelangt auf feiner Fahrt 
eines Abends zu der Höhle eines alten Einfiediers, der ihn gaſtlich empfängt 
und die Nacht über beherbergt.) 


Bor dem vergläh’nden Flammenkreiſe 
Streit fih Rußlan auf weiches Moos, 





— 57 — 


Er ſeufzet, kehrt und dreht ſich leiſe, 
Ruh' ſuchend in des Schlummers Schoos — 
Umſonſt! da ſpricht zuletzt der Ritter: 
O Vater, Schlaf mich heute flieht! 

Was thun? krank bin ih am Gemuͤth, 
Kein Schlaf für den, dem’s Leben bitter ! 
Erlaub’, daß meine Seele fi 

An Deiner heifgen Red’ erfreue. 

Die kühne Frage mir verzeihe: 

Wer bit Du, Schickſalsliebling, fprich, 
Verhuͤllter Du, voll Huld und Weihe? 

. Wer führt” in diefe Wuͤſte Dich? 

Der Alte feufzt und lächelt traurig: 
„Sohn!“ ſpricht er, „kaum geden® ich mehr 
Der fernen Heimath, oͤd' und ſchaurig. 
Vom Volk der Finnen ſtamm' ich her: 
Die Heerden weidend auf den Matten, 
Von denen wir nur Kunde hatten, 
Kannt' ich in froher Jugendzeit 
Nur unſ're Felſenkluͤft' und Fluͤſſe, 

Nur dichter Waͤlder Einſamkeit 

Und rauher Duͤrftigkeit Genuͤſſe. 

Doch bald — ſo wollt' es das Geſchick — 
Entfloh mein harmlos ſtilles Gluͤck. 


Nicht weit von unſerm Dorfgebiete, 
Gleich einer Blum', im Stillen bluͤhte 
Naiĩina. In der Mädchen Zahl 
Pries als die Schönfte fie die Kunde. 
Einft trieb ich in der Morgenftunde 
Die Heerden in ein dunkles Thal 
Und ließ die Sackpfeif' Heil erklingen ; 
Dicht vor mir rauſcht' ein Bächlein lind. 
Da fah’ ih Blumenkraͤnze fihlingen 
An Ufers Rand ein Ichönes Kind. 
Mein Schiekfal rief! nicht widerftand ich .... 
Ad, Held! fie felbft, Nainen fand ich! 
Ich naht‘, und Gluth — fo ſollt' es feyn! — 
Gluth lohnte dem vermefi'nen Blicke, 

37 


— 578 — 


Und Liebe nahm das Herz mir ein 
Mit ihrem himmelvollen Stücke, 
Und ihrer namenlofen Pein. 


Ein Halbjahr floh; mit banger Miene 
Entdeckt' ich zitternd ihr mein Herz 
Und fprach: ich liebe Did, Naine! 
Doch meinen fhächtern flillen Schmerz 
Vernahm fie nur mit flolgem Hohne, 
Sie liebte nur ihr ſchoͤn Geſicht 
Und ſprach mit gleihmuthsvollem Tone; 
D Hirt! Naine liebt Di nicht! — 

Da huͤllten Huͤtt' und Wald und Haiden, 
Der Hirten frohe Feſtesreih'n, 
Und Alles fi in Nacht mir ein — 
Nichts konnte mich vom Kummer fcheiden. 
Mein Herz verdorrt’ und welkt' in Leiden, 
Und endlid mir’s am beften fchien, 
Bon Finnlands Auen fort zu zieh’n. 
Des Meeres ungetreue Weiten 
Durchſchwimmend mit der Freunde Schaar, 
Wollt ich durch rähmliche Gefahr 
Nainens ſtolzes Herz erftreiten. 
Zu ſuchen Gold und Schlachten, Ind 
Ich ein der kühnen Fiſcher Menge; 
Sm Land, das friedlich fonft geruht, 
Erwachten jeßt der Waffen Klänge, 
Kriegskaͤhne rauſchten durch die Fluth, 
Und mit den wackeren Geſellen 
Fortſchifft' ich, hoffend und voll Muth; 
Zehn Jahre faͤrbten Schnee und Wellen 
Wir purpurn mit der Feinde Blut. 
Der Ruf erſcholl, — den kuͤhnen Sieger — 
Es ſcheuten fremde Fuͤrſten ihn; 
Die Schaaren ihrer ſtolzen Krieger 
Sah' vor dem Nordenſchwert' ich flieh'n; 
Und grimm und froͤhlich ward geſtritten, 
Wir theilten Gaben und Gewinn, 
Und ſetzten uns, nach Freundesſitten, 


— 519° — 


Zum Mahl mit den Beſiegten hin. 

Doch bei der Kämpf’ und Fefte Tönen 
Nur für Nainen fchlug mein Herz, 

Nach Finnlands Kuͤſten flog’s im Sehnen 
Und härmte fih in ſtillem Schmerz. 
Wohlauf! nah Haufe, rief ih, Brüder! 
Laßt uns die muͤß'gen Köcher wieder 
Aufhängen unter heim’fhem Dad! — 
Ich ſprach es, und bie Ruder hallten, 
Und — Schreden laffend ringsum nach, — 
Zum theuren Heimathsporte jach 

Wir hin, voll ſtolzer Freude, wallten, 
Erfüllt der Traum der Jugendzeit, 

Erfüllt das glühende Verlangen! 

Auch mir nun flrahlend aufgegangen 

Des Wiederfehens Seeligkeit! 

Sch legte zu der Stolgen Füßen 

Mein blutig Schwert, ich bot der Süßen 
Corallen, Gold und Perlen dar; 

Ich ftand mit Tiebestrunf'nen Sinnen, 
Umringt von der Begleiterinnen 

Lautlofer, neiderfuͤllter Schaar, 

Als ein Gefang'ner vor Nainen; 

Alfein — fie barg mir ihr Geſicht 

Und ſprach mit gleihmuchsvollen Mienen: 
D Held! Naine liebt Did) nicht! 


Der fiets verfchmähten Liebe Plagen — 
Du fühlteft nimmer fie, Rußlan! 
Du haft Verachtung nicht ertragen.’ 
Und wie denn, wunderliher Dann, 
Daß Sram auch Deine Seele trüber? 
Beglückter! liebſt und wirft geliebet. 


Wozu, o Sohn, dem Worte leih'n, 
Mas doch fih nie ausſagt mit Worten? 
Ad jest fogar, allein, allein, 
Entſchlaf'nen Sinn’s, an Srabes Pforten — 
Hab’ ich den alten Schmerz bewahrt; 
Dft denk! id) der vergang’nen Zeiten 
37* 


— 580 — 
Und fühl an meinem grauen Bart 
Die ſchweren TIhränen niedergleiten. 
Doch Hör’: in meinem Vaterland 
Ward manch’ geheime Kunft bekannt 
Den Zifhern in den Einfamfeiten. 
Im Schug der ew'gen Stille dort, 
. in Waldesnacht, in sden Fernen — 
Iſt graner Zaub rer Wohnungsort; 
Die hohe Weisheit zu erlernen, 
Iſt ihr Beſtreben fort und fort; 
Was war und was noch wird geſchehen, 
Erwacht, wenn ihre Zunge ſpricht, — 
Dem furchtbar'n Willen widerſtehen 
Das Grab und ſelbſt die Liebe nicht. 


Auch ich — ſehnſuͤcht'ger Knecht der Minnen — 
Belhloß im Harme, zu gewinnen 
Mainen mir, durdy Herenkunft, 
zu weden in den falten Sinnen 
Durch Zauberei der Liebe Brunfk. 
Dahin, wo freie Mächte haufen, 
Zur dden Waldnacht wandte’ ich mich, 
And unbemerkt manch' Sahr verftrich 
Beim Unterricht in Zauberklauſen. 
Es nahte die erfehnte Zeit, 
Und der Natur geheimes Staufen 
Durddrang mein Sinn mit Fröhlichkeit, 
Und mächtig wirkt’ ich durch Beſchwoͤrung. 
— Triumph! nun fahre hin, Entbehrung ! 
Naina mein! die Liebe fliegt! 
So ſprach ich zu mir ſelbſt vergnügt. 
Doch war mein Sieger das Verbängnifi, 
Mic vaftlos prüfend durch Bedrängniß. 


In kecker Hoffnung füßer Huld, 
Und in der heißen Sehnſucht Wonnen 
Wird die Befhwörung fehnell begonnen — 
Die Seifter nah'n und — 0 der Schuld, 
Nicht unwerth Tſchernomor's, des Kühnen, 
Bon meines Wahnfinns Ungeduld 


— 581 — 


Beſiegt, entfuͤhrte ich Namen. 
Und ſieh' in Waldes Dunkel jach 
Des Blitzes Pfeile nieder zuͤcken, 
Ein zaub'riſch Wind'sgeheul wird wach, 
Die Erd’ erzittert mit Gekrach .... 
Und — eine Alte, grau und ſchwach, 
Saß bebend da vor meinen Blicken, 

dit einem Hoͤcker auf dem Ruͤcken, — 
Ein Bild von Alters Ungemach, 
Das hohlen Auges nach mir ſchaute, — 
Ach, Ritter! dies war meine Traute! .... 
Ich ſchwieg voll Schreefen und voll Graus, 
Und maß die gräuliche Erfcheinung, 
Mod) zweifelhaft in meiner Meinung, — 
Und endlich weinend rief ich aus: 
Iſt's möglich?! acht biſt Du's? — fo ploͤtzlich 
Wohin, Naina, ſchwand Dein Reiz? 
Und hat der Himmel denn bereits 
Did) umgewandelt fo entſetzlich? 
Iſt's fang’, daß id) mein Lieb im Groll 
Verließ, der Einfamkeit mich weihte? 
Iſt's lange? — „Vierzig Jahre voll!‘ 
Die ſchickſalsſchwere Antwort ſcholl: 
„Und fiebzig Jahre warb ich heute. 
Was mahen!’‘ Ereifchet fie zu mir, 
„Gar viele Jahre find entfchwunden, 
Uns floh der Lenz, bei mir und Dir 
Hat fic) das Alter eingefunden. 
Doc was! Fein Unglück iſt fuͤrwahr 
Der flauͤcht'gen Jugendzeit Entfchweben! 
Nun ja, jetzt hab' ich graues Haar, 
Vielleicht ein Hoͤckerchen daneben; 
Bin nicht, was ich vor Alters war, 
Mein Blick ſo feurig nicht und klar; 
Doch — (fuͤgt hinzu die Planderſchweſter) 
Bin dafuͤr eine Here, Beſter.“ 


Und alfo war es wirklich: ſtarr 
Bor ihr daftehend, und im Schweigen, 





582°— 


War ich ein audgemachter Narr 
Mit aller Weisheit, die mir eigen. 


Doch artig war's, daß meine Kunft, 
Mir zum Verbruß, gewirkt volllommen, 
Und daß für mich in Liebesbrunft 
Mein graues Götterbild entglommen. 

Es murmelt, wie aus Grabes Grund, — 
Zum Lächeln ihren graufen Mund 
Verzerrt, — das Scheufal Liebesklagen. 
Nun denke Du Dir meine Plagen! 

Ich zitterte und blickte weg; 

Sie aber hört’ ich weiter fpinnen, 
Aufhuftend, ihr verliebt Geſpraͤch! 

„Ja, jegt erkenn' ich Heiz und Sinnen, 
Sch feh’, o Freund, daß diefe Bruft 
Erſchaffen für der Liebe Luft: 

Sc brenne, mein Gefühl erwachte, 
Mid, zehrt der Sehnſucht ſuͤßer Harm .... 
Geſchwinde komm’ in meinen Arm . 

D Lieber, Lieber! ich verfchmachte” .... 


Und unterdeß — fie nad mir fchielt 
Mit Blicken fehnfuchtsvollen Leides; 
Und unterdeß — fie feft mich hielt, 
Mit därrer Hand, am Saum des Kleides, 
Und unterdeß — ich fchier verblich,. 
Bor Grau'n ſich meine Augen fchließen, 
Und jegt — die Kräfte mich verließen, 
Ich riß mic fchreiend los, entwich, 
Doc fie mir nah: „O Du Verräther, 
Du meines ftillen Gluͤck's Zertreter! 
Du trädteft mein unfchuldig Herz! 
Errangeſt Dir Nainens Liebe, 
Und jetzt — verſchmaͤhſt Du ihre Triebe — 
O Maͤnner! Lieb' iſt euch nur Scherz! 
Ad! ſelber ſchufſt Da Die den Schmerz; 
Verlocket hat er meine Sinne! 
Sch gab mich Hin der füßen DWeinne .. 











— 583 — 


O Schmach! — Du Auswurf der Matur ! 
Dod — Mädchenräuber, zittre nur.” 


So fchied ih. Seitdem im Gebiet 
Der Einfamfeit leb' ich in Frieden, 
Mit ganz entzaubertem Gemuͤth, 
Und Freud’ und Troft dem Greis hienieden 
Aus Ruh’, Natur und Weisheit bluͤh't. 


Scene aus dem Zrauerfpiel: 


Dimiterery vom Don, 
von 
Dferomw. 


Kenia. Isbrana, ihre Vertraute. Ein Moölowilher Bojar mit einigen 
Kriegern. 
Kenia. 
Sprich, tapferer Bojar! naht jegt gewiſſes 
Verderben uns? und wird der grimme Mamai 
Das unglädfel'ge Rußland unterjochen ? 
Bojar. 

Sey ruhig, Fuͤrſtin! unfer ift der Sieg! 
Sefchlagen flieht der Chan, befreit ift Rußland. 

v Kenia. 
Barmherz'ger Gott! Du Hörteft unfre Stimme, 
Es ruht Dein Zorn für ewig nicht auf ung, 
Du fchatteteft mit Deiner Macht die Ruffen! 
Ah! in der Wonne wag' id) es zu Boffen, 
Daß Du Dimitry in der Schladht erhalten: 
Damit er ſchau' der Hordenföhne Fall, 
Das Vaterland ſich aus der Rnechtfchaft hebend. 

(Zu dem Boiaren.) 

Alfein erzähle Du mir, welch” ein Wechſel 
Hat zu der Ruſſen Rettung fich ereignet? 

_ Bojar. 
Die Hand des Hoͤchſten hat das Land gerettet! 
Ya, welcher Mächt'ge widerftehet ihr? 


— 554 — 


Sie reißt herab vom Wagen des Triumphs 

Den Eiteln, ſelbſt in Mitten ſeiner Siege, 

Und wie ein Felſen, ſtuͤrzt der Stolze nieber: 

So find Mamai's Entwuͤrfe umgeſtuͤrzt. — 

Die Ruſſenſchaaren eilten, rachegluͤhend, 

Nach jenen Orten, wo die Feinde fanden : 

Sie faum erfchhauend , doppeln fie die Schritte: 
Da fliegt uns pfeifend gleich ein Pfeilgewölt’, 
Des Kampf's Vorbot', entgegen, wie der Kagel 
Im Sommer. Lautlos fchreiten vor die Krieger; 
Mur das Geraͤuſch der Tritte hallt im Selb, 

Die Reih'n gedrängt, und Schild an Schild gefchloffen, 
Gleich einer Geltung, die ſich regt, das Seer. 
Wir fchreiten, — jegt erreichen uns die Horden, 
Und Schlachtenf tönt, und jet beginnt das Metzeln. 
Da zeigt fich ploͤtzlich ein Tartarenfchwarm, — 
Die Unfrigen verwirrt ber Riefen Anblick. 

Wie Wirbelſtuͤrm', erzenget im Gebirg', 

Zum Forſt hinfahren durch die weiten Wuͤſten, — 
Vor ihren Stoͤßen krachen ſchwache Baͤume, 
Entwurzelt ſtůrzen ſtarke Fichten hin: 

So ſtuͤrzen jetzt auf uns durch tauſend Schwerter 
Zwei Helden ſich: Temir und Tſchalubei. 

Turcht zieht vor ihnen her, Tod hinter ihnen, 
Ein Leichenbeet zeigt ihres Laufes Spur. 

Schon lag gleich einem umgeworfinen Zaun, 

Auf rings verſtreuten · Leibern eine Menge 
Bojaren, tapf're Fuͤrſten da im Blut, 

Und Alles floh, vor dieſen Helden bebend. 

Die Furcht zu hemmen, ſtrahlt umfonft der Fuͤrſt 
Delefero’s den Kriegern vor in Kuͤhnheit: 
Ad! feine Söhne fielen alte fochs | 
Bor feinem Blick — ſechs Tod’ auf's Vaterherz! 
Doch er ſteht feſt, kein Seufzer, keine Thraͤne. 
Mit will er fallen — und er wär’ gefallen, 

Wenn nicht zwei Auffenkrieger ſich gezeigt, 

Den Tod entreißend jener Helden Armen. 

Ein Moͤnch der Eine, jener Perefwät, 

Der in dem Frieden diefe laute Melt 











585 .— 


Verließ, den hohen Stand im Klofter bergend, 

Doc rief aus tiefer Ruh’ das Vaterland 

Und früh’rer Ihaten Ruhm ihn jet in's Feld. 
Stark, breit von. Schultern, kuͤhnen Herzens, ruft er 
Temir zum Zweifampf, fchlägt fih mit Temir 

Und fürzt mit ihm, wie von dem Berg die Schoffe. 
Doch in der NAH tönt wilder Kampf indeß: 

Der riefge Tſchelubei und jener And’re, 

Der wie von Gott gefandt, uns nahte — feſſeln 

Die Augen Aller durch feltfamen Kampf. 


Kenia, 

Doch wer war biefer Krieger? warum ſchwieg 
Bis jeßt der Ruf von feiner Tapferkeit? 

Bojar. 
Ihn kennet Niemand. Das gefchloffene 
Vifier verbarg den Blicken feine Züge: 
Der nadte Schild, der ungeſchmuͤckte Helm 
Ließ einen fchlichten Krieger in ihm ahnen: 
Nur durd ein Armband zeichnet” er fich aus: 
Allein fein Gang verriet des Standes Hoheit. 
Des Kriegers Kunft bewundert Tfchelubei, 
Er fpärt zum erften Male Furcht im Herzen. 
Des Ruffenfchwertes kraͤft'ge Streich’ entlocken 
Dem Panzer Funken, wo fle nicht verwunden. 
Des Heiden Arm, bereit den Helm zu ſpalten, 
Stoͤßt auf das Schild und anf das flinke Schwert. 
In wilder Wuth, wie ein gereistes Thier, 
Sinfchleudert der Tartar den fchweren Schild, 
Und, ruͤckwaͤrts fchreitend und mit beiden Händen 
Das lange Schwert anfaffend,, denket er 
Durch hurt'gen Anlauf ohne Kriegesliſt, 
Mit Riefenkraͤften ſeinen Feind zu ſpalten. 
Er rennt ihn an, der ſieht ihn droh'n und harrt; 
Schon uͤber'm Haupte ſchwebt der Streich, ſchon faͤllt er — 
Doch Jener weicht, — das Schwert trifft nur die Luft; 
Den Hordenſohn ſtuͤrzt nieder fein Gewicht, 
Und ewig feilelt Tod ihn an die Erde. 
Geſchrei erhub im Feld ſich, als er ſtuͤrzte. 





586 — 


Bon fern erblidte Mamai feinen Fall 

Und drob beftürzt, vor Schrecken zitternd , wußt er 

Sich keinen Rath, Furcht raubt' ihm den Verſtand. 

Jetzt fälle mit Kriegsvoll aus dem nahen Wald 

Dimitry's Bruder fchnell dem Feind in Rüden: 

Da decket fih mit fluͤcht gen Hordenſoͤhnen 

Die Steppe; Mamai und die Helden flieh'n 

Sm wirren Lauf, die Warfen von fich werfend; 

Die weite Stepp' ift ihnen enger Pfad, — 

Der Ruffe bleibt im Feld, den Ew'gen preifend. 
Kenia. 

Allein Du ſprichſt mir von Dimitry nit! 

O Grau'n! verhehlſt du Kenien ein Ungläd? 
Bojar. 

Bon feinem Loos weiß Niemand noch; und dief — 

Nichtwiſſen fchlägt das ganze Kriegsheer nieder. 

Nicht findet er fid noch, der tapfrre Krieger, 

Durch den der: Hauptwall ber Tartaren fiel. 

Hier vor dem Schlachtfeld hießen uns bie Färften — 

Uns fammeln,, um uns zu berathen, wie 

Dimitry fey zu finden und der Krieger. 

Sie zu erſchauen hoffend, eilt‘ ich her. 
Kenia. 

Ihr Lühles Streben, ach! was läßt es hoffen? 

Ich aber kann des Zweifel Dein nicht tragen. 

Laß uns in’s Lager eilen, mein Bojar! 

Die Krieger Mostwa’s und der Nied’rung fammeln: 

Sie follen ringsum flreifend fich verbreiten 

Und feinen Leichenhaufen uͤbergeh'n, 

Daß nach dem Feldheren nicht ihr Scharfblick ſpaͤh'te. 

Er liegt vielleicht verwundet unter Todten, 

Und harrt auf Rettung, auf die nöth’ge Huͤlfe. 

(Zu Sohrana.) 
Ad), feine Seele ruft vielleicht nach mir ! 
(Kenia geht ab und Alle folgen ihr.) 





Siebenzehnte Borlefung. 


Ungarn. 


Ueberblid der Gefchichte der ungarifchen Sprache und Literatur, 


Die Sprache der Ungarn, oder wie ſie ſich lieber nennen 
hoͤren, der Magyaren bietet eine ganz eigenthuͤmliche Erſchei⸗ 
nung auf dem Felde der Linguiſtik dar. Sie iſt unter den aus 
Aſien nach Europa gewanderten Mundarten eine der juͤngſten, 
erhielt ſich aber Jahrhunderte hindurch am freieſten von allem 
aͤußeren Einfluß, und ſteht unter den Idiomen der uͤbrigen eu⸗ 
ropaͤiſchen Voͤlker unbedingt als die ſelbſtſtaͤndigſte da. Was 
gerade andere Sprachen verfaͤlſchte, die Oberherrſchaft des La⸗ 
teiniſchen in Kirche und Gericht, das diente bei ihr im Gegen⸗ 
theil dazu, ihre Reinheit zu befeſtigen, und ſie benutzte jenen 
Uſurpator auf linguiſtiſchem Gebiete nur in einem Punkte, der ihr 
zum wahrhaften Nutzen gereichte, indem fie ſich feiner Schrift⸗ 
zeichen bediente, um ihre Laute zu firiren. Sie unterfcheidet 
fich durchaus von allen anderen europäifchen Sprachen, der 
Finnifchen ausgenommen, und hat vor vielen fehr reiche gram⸗ 
matiſche Formen und Sügungen voraus, dagegen iſt jedoch ihr 


— 588 — 


MWortreichthum geringer. Seit Joſeph II. ift fie durch die pa⸗ 
triotiichen Bemühungen der Eingebornen, welche fich eifrig der 
von diefem Monarchen beabfichtigten Einführung des Deut 
fehen in Gefchäftöverhandlungen widerfeßten, mit Vorliebe ge⸗ 
pflegt worden, und beginnt fich herrlich zu entfalten, 

Die alteften Denkmale magyarifcher Litteratur ſtammen 
aus dem funfzchnten Sahrhumderte, doch find dieſe mehr in 
dad Gebiet der Neimereien zu verweilen. Unter ber Regie= 
rung der Könige aus dem Haufe der Anjou zeigte fich eine 
günftigere Zeit für dieſelbe, da das Ungarifche unter diefen 
Sürften Hoffprache geworden ; noch mehr trug aber die Nefor- 
mation, welche fich Eingang zu verfchaffen wußte, durch eine 
größere Verbreitung der Cultur unter dem Volke, zu ihrem 
Werden bei. — Die Poefte wurde von talentwollen Männern 
mit Erfolg cultivirt, von denen aus dem fechözehnten Jahr⸗ 
hundert Seb. Tinoͤdi, Balaffa, als Lyriker, Szegedi 
ald dramatifcher Dichter, Rimai als Didactiker, Erdoji, 
der den Verfuch machte, die Hexameter einzuführen; aus dem 
fiedzehnten Sahrhundert Zrinyi und Liszti als epifche Dich: 
ter, Beniczky und Gyongyöfi als Lyriker Erwähnung 
verdienen. — Darauf trat eine Zeit der Duͤrre ein, bis in 
den letzten Decennien des achtzehnten Jahrhunderts die fchöne 
Litteratur einen neuen Aufſchwung nahm; mir war Die Alnfis 
cherheit der Schriftfteller, welche Richtung fie einfehlagen foll- 
ten und der Umſtaud, daß bedeutende Männer die franzöfifche 
Schule einführten, zu welcher un Gegenſatz fich bald nachher 
die Inteinifche bildete, im Ganzen fehadlich, doch Teuchten auch 
bier gefeierte Namen, wie Saludi, Ouadanyi, Beſſe— 
nyei, Anyos, Horvath, Molnar, Revai, Dayka, 
Virag u. ſ. w. glangend hervor. — 

Mit dem Beginue unferes Sahrhundertö. geflaltete fich 
eine neue und fchöne Epoche in der ungarifchen Literatur, 
welche feit dieſer Zeit begann, einen Nasionalcharacter anzu= 
nehmen. — Alexander Kisfaludy, geboren zu Sümeg den 
27. September 4772, war ed, der dieſe neue Aera herbeis 





— 589 — 


führte. — Er trat zuerft im Jahre 1801 mit einer Samm⸗ 
tung lyriſcher Gedichte unter dem Titel Himfy, die er anonym 
berausgab, auf, und erwarb fich durch diefelben, fo wie durch 
deren Sortfeßung, welche 1807 erkchien, allgemeine Bewun⸗ 
derung und Anerkennung. Seine fpäteren poetifchen Arbeiten 
hatten fich gleicher Theilnahme zu erfreuen. — Ihr Verfafler 
ift als Krieger und Patriot ebenfald ausgezeichnet. — Er 
nahm in feinem zwanzigften Jahre Kriegsdienſte, machte den 
italienifchen Feldzug mit und wurde 1796 als Kriegsgefange⸗ 
ner nach Avignon gebracht. Nach feiner Rückkehr, im Jahre 
1800, vermählte er fich mit der Liſa feiner Lieder. — Im 
Fahre 1809 trat er in die adelige Infurrection und fchrieb die 
Gefchichte dieſes Feldzuges. — Später zog er fich nach feis 
nem Geburtsorte Suͤmeg zurüd, und lebt hier mit poetifchen 
und wiffenfchaftlichen Arbeiten befchäftigt. 

Kisfaludy ift ein fo bedeutender echt nationaler Dich⸗ 
ter, daß er die gerechteften Anfprüche auf unfere Aufmerkſam⸗ 
feit hat; es würde mir, dem Auslaͤnder, aber fehwerlich gelin= 
gen, ihn fo treffend und trefflich zu characterifiren, als dies 
von feinem Landmann, dem geiftreichen Schedel, in deſſen 
unter dem Namen Franz Toldy 1823 zu Pefth und Wien er- 
fehienener Blumenlefe aus ungariſchen Dichtern, geſchehen ift. 
Sch Iaffe daher die Darftellung dieſes geſchmackvollen Kritifers 
bier folgen. *) | 

„Das erfte Werk, das feinen Ruhm begründete, und 
fich eben fo in die Hallen der gelehrteften Männer, wie in 
die Toiletten der, fremder Rectüre hingegebnen, Damen hinein⸗ 
fehmeichelte, war Himfy’3 Liebe; eine Neihe Iyrifcher Dar⸗ 
ftelungen jener Situationen, in welche die Liebe Himfy — 
ob wir nun under diefem Namen den Dichter felbft denken 
oder nicht, — gebracht hat. Wir halten dieſes Werk, der 
Situationdverbindung, und dem ftch diefer gemaß jedes Mat 


*) Frz. Toldy, Blumenlefe aus ungarifhen Dichtern, Wien und 
Peſth, 1828. S. LVI. 


— 590 — 


entwidlelnden Seelenzuftande zufolge, für ein organifches Gan⸗ 
zes: ohne zu beftreiten, Daß fehr viele der einzelnen Beſtand⸗ 
theile — 28 Gefänge und 400 Rieder — nicht auch eine an⸗ 
dere Stellung zum Ganzen erlaubten; da viele berfelben in 
der naͤmlichen Stimmung entfprungen, unter fich durchaus 
feine gewiſſe Folgereihe nöthig machen, was fich insbeſondere 
auf die Poefieen der „gluͤcklichen Liebe“ bezieht. Die Fabel 
ded Ganzen dürfte fich folgendermanßen geben laſſen. Erſter 
Theil, die unglüdliche Liebe. Himfy erblickt Liſa und liebt fie. 
Keine Gegenliebe erringend, flieht er ihren Anblick, ja das 
Vaterland, in der Gerne, im Sturm des Kriege Ruhe oder 
fein Ende zu finden. Beides vergebens. Sie weiß fein Lei⸗ 
den, und bleibt ımbewegt ; fo wechfeln die Jahreszeiten, feine 
Noth bleibt. Er geht fehon mit dem Gedanken um, fein Le 
ben zu befchließen; er hängt aber eben durch Sie zu fehr dar⸗ 
anz ja eine dunkle Ahnung laͤßt ihn manchmal fogar noch 
hoffen: da weidet er fich wiederum an Erinnerungen. Der 
Krieg endet, aber nicht der feiner Bruſt. Er entſchließt fich, 
Sie zu fehen, und Tommt in feine Heimath, fieht die Einzige, 
fie ift noch fchöner ald je: feine Quaal erneuert, gefteigert. 
Den peinlichen Gedanten, er werde durch einen Nebenbuhler 
verdrängt, findet er nun ungegründet; fogar Zeichen von Lies 
besregung lieſt er in ihrem Weſen, er fängt, obwohl fürch- 
tend, zu hoffen an, als fich ihm das Meiftgefcheute doch be: 
ftätigt, Sie liebt — einen Anderen, Seine Seele fühlt lei⸗ 
fen Tod. Jin zweiten Theile jubelt und der begluͤckte Liebende 
entgegen: die Erwählte liebt ihn ſtets, Verleumdung bieß fie, 
ihm won fich zu entfernen. Nun verbindet fie beide Hymen, 
und Himfy Tebt das feligfte Leben, das ein freigeborner Mann, 
häustich beglüdt, auf feinem friedlichen Landgute dahin Ieben 
kann. Dieſes beiläufig der Faden, auf welchem bie Lieder 
gleich Perlen aufgefaßt find. So bildet dieſe Liederfammlung 
in der That ein Ganzes; und daß diefes der Dichter auch bez 
abfichtigte, bezeugen mehrere Dald, welche ald Einleitungö⸗ 
und Schlußſtuͤcke hinzugedichtet find, um eine gewiſſe Abrun⸗ 


dung zu bezwecken. Wenn der Werth beider Theile gegen eins 
ander beftimmt werden fol, dürfte der höhere Preid dem ers 
ſten gugeftanden werden. Er hat mehr Abwechslungen der 
Situationen, dabei mehr inneren Zufammenhang; die einzelnen 
Theile zum Ganzen mehr Nothwendigkeit; Phantafie und Em⸗ 
pfindung find bei weitem die vorwaltenden Beftandtheile ; im 
zweiten Theile herrfcht größtentheild Divaris, die Sprache hierin 
ift nicht fo blühend. Man wollte Ießterem den Vorzug ein⸗ 
räumen, weil fie poetifcher feyen — hierauf wäre fo eben er 
widert; und weil eine größere Probuctivität dazu gehöre, das 
befeffene Gluͤck zu befingen, ald um ein entbehrtes zu Klagen. 
Dieß dürfte im Allgemeinen zugelaffen werden; allein eine fehr 
bedeutende Anzahl der Lieder der gluͤcklichen Liebe dürfte nicht 
einmal dem Titel des Werkes entfprechen, da fie nicht das 
befeffene Gluͤck befingen, fondern fich mit Neflerionen über’s 
Leben, welche noch dazu ein philofophifcher Geift beinahe in 
jeder Situation anftellen kann, befaffen; viele nur Wiederhos 
fungen anderer find, Uebrigens duͤrfte Manche der zweite 
Theil durch feinen heiteren Character mehr anfprethen; zumal, 
wer über die Zeit jugendlicher Schwärmerei hinaus ift; diefe 
individuellen Beziehungen jedoch entfcheiden in der beftmöglich- 
ſten Beftimmung des abjoluten Werthes nur wenig. Daß 
übrigend das Ganze durch Hinmweglaffung mehrerer Lieder, 
welche nicht immer genug intereffante Wiederholungen anderer 
find, gewonnen hätte, glauben wir feft. 

Was num diefe Canzonen und Sonette, wie die lisfalu— 
by’fchen Dals ihrer inneren Form nach fuͤglich zu nennen waͤ⸗ 
ren — einzeln betrachtet betrifft, koͤnnen wir ſie nicht anders 
als guͤnſtig beurtheilen. Theile des Ganzen, iſt doch jedes für 
ſich ein kleines abgerundetes Ganzes; nur einige trifft der Tas 
dei, erft mit ihrem Nachbar Eins auszumachen. Die Dals 
characterifirt ein gewiffes Streben, die Aufmerkſamkeit des Le⸗ 
ferd immer gegen einen einzigen Punkt zu lenken, Bis fie im 
legten Quadrain, oder gar erft im letzten Vers meift durch 
eine fehnelle Wendung, welche nicht felten eine Antitheſe zum 


— 592 — 


Vorhergegangenen bildet, mit mehr oder weniger Neberrafchung 
befriedigt wird. Es ift ſtets, als ob alles Frühe wegen dieſer 
Point da wäre; und felbft wo die Wendung nicht feharf, oder 
gar Feine if, concentrirt fich durchaus aller Effect gegen das 
Ende des Dals. Kazinczy nennt fie, in mancher Hinficht mit 
Necht, Epigramme der Liebe. Diefem inneren Bau ſchmiegt 
fich die von Kisfaludy felbft erfundene Form trefflich an. Die 
beiden erften Quadrains (worin ein acht= und ein fieben- 
fuldiger Vers abwechfelt und jedesmal die gleichlangen fich rei⸗ 
men) enthalten die Erpofition; der letzte (aus zwei neben ein- 
ander ftehenden achte und zwei darauf folgenden fiebenfylbigen 
beftehend, gleichfalld die gleichlangen gereimt) die Point; wels 
che jedoch oft mit vielem Gluͤck ganz in den letzten Vers hin- 
auögeichoben if. Harmonie und eine ganz eigene Abrundung 
find diefem Schema nicht abzufprechen. 

Die Wefenheit der ap hen kLyrik ift jene hell aufs 
Iodernde Flamme des Gefühld, die zündend um fich fchlägt 
und Alles bededit; eine fruchtbare höchft lebendige Phantafie, 
die rafllo8 in der ganzen Natur umherfchweift, Alles in den 
Kreis ihrer Individualität hineinfpielt, um hier ihm feine Deu: 
tung zu geben; daher ift Kisfaludy voll mit Vildern und Der: 
gleichen, Außerft gewagt und echt poetifch; feine Malereien 
voll der Fühnften Farbenmifchungen. Characteriftifch ift feine 
Kiebe zu Antithefen, wodurch er dad Gefühl in fteter Bewe⸗ 
gung erhält, Schmelz und Leidenfchaft wechfeln laßt, In der 
glüdlichen Liebe herrſcht weniger Phantaſie; hingegen die heis 
terfte Lebensphiloſophie, und oft ein gewiffer Trog vor Luft 
und Zufriedenheit. Al dieſem zufolge ift fein Vortrag, der 
nichts weniger als ein ſtudirter Vortrag ift, fehr poetifch, er 
fpricht meift uneigentlich, hoͤchſt anfchaulich durch die Ueppig⸗ 
feit an Beiwoͤrtern und grelle Verbindungen; babei unendlich 
gewandt. Die Sprache hat durch ungewöhnliche Wörter, Zu: 
fammenfegungen, Inverfionen Reiz der Neuheit; dabei ift fie 
ungemein leicht und fließend; andererſeits trifft fie der Tadel 
der Uncorrectheit, häufigen Mangeld an Pracifion und Ges 


— 593 — 


wähltheit des Ausdruckes. In der Verfifieation ift er vollends 
Meifter; er hat ber Zriny’fchen Zeile einen Tact zu geben ges 
wußt, daß ein fehr gelehrter deutfcher Recenfent keinen An⸗ 
ftand nahm, felbe für trochäifch zu erklären. 


Kiöfaludy’8 Sagen aus der ungarifchen Vorzeit (Rege) 
wurden gleichfalls eine allgemeine Lieblingslectuͤre. Die Bege⸗ 
benheiten find nicht immer ganz feine Erfindung: deſto mehr 
ift e8 aber die Darftellung. Es Tann einmal nichts ungari- 
ſcher feyn, als diefe. Charactere, Gefühle, die herrſchenden 
Motive, Sitten, das ganze Haus: und Volks⸗Leben unferer 
Ahnen, Bewegung, Ausdruck, Alles fo heimiſch; die Sprache 
ſelbſt fo bezeichnend und mit der ungarifchen Weſenheit ver- 
ſchmolzen, daß und der Totaleffect felbft unter der Hand des 
gervandteften Ueberſetzers, fehon durch die bloße Veränderung 
der Sprache, verloren gehen muß. Uebrigens find diefe Ge: 
dichte auch durch finnige Benutzung Hiftorifcher Winfe, durch 
die ſtete Verwebung mit der vaterlandifchen Gefchichte fo be: 
deutungsvoll; durch die beziehungsreichen lyriſchen Digreffionen, 
welche und die intereffante Individualität des patriotifchen Er⸗ 
zaͤhlers wiedergeben, fo anziehend; durch die Traftige, klare, 
höchft lebhafte Darftelung fo anſchaulich und wirkſam; durch 
einen reizend nachläffigen Styl, eine leichte, gefallige Verſifi⸗ 
cation fich fo in’d Gedachtniß einprägend, daß wohl nie bie 
Zeit kommen dürfte, welche diefen Gemälden nicht ausgezeich⸗ 
neten Beifall angedeihen ließe. Daß Risfaludy auch in den 
Sagen oft breit, mitunter profaifch wird, ift nicht zu leugnen ; 
jedoch hier ein bei weitem weniger fühlbarer Mangel, als im 
Himfſy: denn nicht der Dichter daucht uns bier zu fprechen, 
fondern ein und an Gefinnung und Gefühl verwandter Augen: 
zeuge, im trauten handlichen Kreife, beim wärmenden Fener 
des Kamines. Das epiſch⸗lyriſche Gedicht: „Gyula' ſze⸗ 
relme“ in zehn Geſaͤngen, nennt der Dichter auch eine Rege. 
Wir ſehen es fuͤr ein Mittel an, das er, nach laͤngerer Pauſe, 
wieder zur Ableitung ſeiner lyriſchen Ader beſtimmt hat. Es 

38 


x 


— 54 — 


hat viel Weberrafchended, ift aber im Ganzen zu gebehnt, und 
reich an NReminifcenzen aus Himfy. 

Man hat von Kisfaludy auch eine Sammlung Dramas 
tifcher Werke, theils hiftorifche Trauerſpiele, theild Familien 
gemälde enthaltend. In der Schilderung der neuen Zeit fcheint 
er nicht fo gewandt, Webrigens find feine Dramen nichts als 
dialogifirte Epopeen mit häufigen Iyrifchen Einfchiebfeln. Die 
Charastere werden befchrieben, nicht entwidelt; ftatt Hands 
lungen finden wir Begebenheiten, und dad Geſpraͤch ift nichts 
weniger ald dramatifch. Der Dichter verfteht fich nicht aus 
dem Spiel zu ziehen. 

Das Aufblühen der ungarifchen Litteratur warb um bie 
Periode, wo Mlerander Kisfaludy zuerft auftrat, durch die ver⸗ 
dienftlichen und eifrigen Bemühungen geiftreicher und geſchmack⸗ 
voller Männer vorzüglich beguͤnſtigt. Zwar fanden fie eine 
Menge von Widerfachern, welche pebantifch dem älteren For: 
menweſen anbingen , aber fie wußten alle ihnen in ben Weg 
geſtellten Hinderniffe zu überwinden, und den begabten Talen⸗ 
ten fpäterer Zeit eine Bahn des Ruhms und Lichtes zu ebnen, 
auf welcher diefe um deſto fiegreicher weiter fchreiten konnten. 
Vorzügliche Nennung in dDiefer Hinficht verdienen: Franz 
Kazinczy, geboren 1759, ausgezeichnet in faft allen Fächern 
der Nationallitteratur feines Vaterlandes, von befonderen Ver⸗ 
dienften um dieſelbe Durch die Beförderung und Ausbildung der 
ungarifchen Sprache zu voiflenfchaftlichen und poetifchen Zwek⸗ 
fen. US Dichter ift er gewandt und correct, aber nicht ge⸗ 
nial und tief, fondern mehr angelernt; die Form weiß er mit 
befonderem Gefchi® zu behandeln; ) Daniel Berzsenyi, 
geboren 1776 zu Hetyn, einer ver begabteften ungarifchen Ly⸗ 
vifer, voll Gluth des Gefühld, Begeifterung und reicher Phan⸗ 
tafie, mit allem Zauber des Wohlklangs fchaffend; *) Anz 
breas Horvat, geboren 1778, feit 1806 Pfarrer zu Tet, 


*) Toldy a. a. D. ©. 53. 
++) Derſ. a. a. O. ©, 62. 


— 





595 — 


verdienſtlich durch ein gelungenes didactiſches Gedicht, Zirez 
Emilekezete (Erinnerung an Zirez), in Hexametern; ) — 
Aloys Szentmilloffy, geboren 1793, glüdlich in Lie⸗ 
dern und Epigrammen; **) — Ladislaw Toth, geboren 
zu Kis-Tokay den 17. Februar 1788, geftorben zu Wien 
als Dd. Med. den 34. Auguft 1820, mehr talentvoll als 
genial, aber nicht ohne Erfolg in der pindarifchen Ode; ***) 
Gabriel Döbrentei, geboren 1768, mit Necht gerühmt 
als erfolgreicher Igrifcher Dichter im Vollston und gewandter 
Meberfeßer; Michael Vitkovies, F) geboren zu Erlau den 
28. Auguft 1778, geftorben den 9. September 1829 zu 
Peſth, befonders gluͤcklich in Fabeln, Epifteln und Heinen Iy- 
rifchen Poeſieen. 

Die dramatifche Poefie, welche bisher nicht eben mit ſon⸗ 
derlichem Gluͤcke bei den Magyaren war cultivirt worden, fand 
einen eifrigen Beförderer an Karl, dem jüngeren Bruder 
Alexanders Kisfaludy, welcher mit großem Talent und 
noch größerer Luft auf der Bahn fortichritt, die fein ges 
ninler Bruder faft zwei Decennien früher fo ruhmvoll geöffnet 
hatte. Er ward am 49. März 1790 zu Tet geboren; trat, 
als er fein funfzehntes Jahr erreicht Hatte, in Kriegödienfte 
nnd machte dem italienifchen Feldzug von 1805, fo wie den 
deutfchen von 1809 mit. Als er in fein Vaterland zuruͤck⸗ 
fehrte, fand er die National = Ungarifche Stuhlweißenburger 
Geſellſchaft in Peſth vor, und ſah fih, aufgemuntert durch 
die große Theilnahme, welche fich überall für die magyariſche 
Kitteratur Fund that, veranlaßt, mehrere Dramen für biefelbe 
zu verfaffen. — Das Erfte, Tartäarok, wurde mit dem_ent- 
fehiedenften Beifalle aufgenommen, und feine folgenden Stuͤcke 
fanden diefelbe Bewunderung und baffelbe rege Interefle vor. — 


*) Bowrings Poetry of the Magyars. Lond. 1850. ©, 166. 
**) Toldy. ©. 68. 

*+#) Bowring 1. c. 136 fgde. 

+) Toldy a. a. O. 68,7. — 


38* 


— 596 — 


Karl Kisfaludy ging nun auf der gluͤcklich betretenen Bahn 
mit regem Eifer und gewiſſenhafter Umſicht weiter, lieferte 
mehrere durch Witz und Characterzeichnung, ſo wie durch gluͤck⸗ 
lich erfundene Situationen ausgezeichnete Luſtſpiele, und ſtif⸗ 
tete 1820 den Muſenalmanach Aurora, der als ein Verei⸗ 


nigungspunkt der bedeutendſten poetiſchen Talente zu betrach⸗ 


ten iſt, in dem aber ſeine Beitraͤge, welche faſt alle Gebiete 


der Poeſie beruͤhren, immer zu den vorzuͤglichſten gerechnet 


werden muͤſſen. — Hoͤren wir uͤber ſeine Leiſtungen uͤberhaupt 


dad Urtheil feines geiſtreichen Landsmannes. *) 

„Was die hiftorifchen Schauſpiele betrifft: zeugen die 
Schwächen im Bau, die Characteriflif, welche außer den treff⸗ 
lich gedachten und durchgeführten und hohen Beruf bewähren: 
den Hofnarren Beczko im Stibr, Mohamed und Zagae in 
der Irene, wenig Neues, Intereffantes., Ausgeführtes bietet, 
dann die forglofe Behandlung der Sprache und des Verſes, 
von Mangel an Studium und jener ‚flüchtigen Hand, welche 
feinen Anftand trug, in wenigen Tagen ‚oft ein Stuͤck auszu⸗ 
fertigen. Zudem gefiel er fich fehr im Sentenzenfchwall, amd 
in Inrifchen Ergießungen. Obwohl mit -derfelben Sorgloftgkeit 
gearbeitet , ſind dennoch feine Fomifchen Stüde diefer Periode 
fchon die günftigfien Vorboten jener Trefflichkeit, die er ſpaͤ⸗ 
ter im Luftfpiel erreichte. Das Entzuͤcken, womit fie aufge: 
nommen wurben., wird uns nicht befremden, ſobald wir erwaͤ⸗ 
gen, daß vor ihm auf dem umngariichen Repertoir nichts als 
nationalifirte Komödien ver Franzofen und Deutfchen vorkamen, 
welche ben Mebelftand mir fich führten, den die Charactere, 
in eine ihnen fremde amd ihrer "Entwidelung ‚nicht entfpre= 


chende Welt verfeßt,, erregen mußten. Da fihrieb Kisfaludy . 


feine „Rebellen“ und „VBrautwerber.“ Erſteres durd) eine 
clauren’fche Erzählung veranlaßt, in der Ausführung aber ganz 
originell, Töft mit audgezeichnetem Gluͤcke die Aufgabe, das 
Komifche der Meinungen und Handlungsweiſe der ungarischen 


*) Toldy a. a. O. S. LXX. und S. 90. — 











-—_ 


— 597 — u 


gandbewohner zu ſchildern. Das zweite bildet ein Gegenſtuͤck 
dazu, und iſt aus dem ungarifchen Stadtleben herausgegriffen; 
Mannichfaltigkeit der Charactere, Wahrheit in den Beziehun: 
gen der Zeitverhäftniffe bezeichnen es; beide find voll nationas 
ler Eigenthuͤmlichkeit (beinahe unuberfeßbar), gefunden Scher: 
zes, leicht hingeworfener, jedoch brennender Satyre. Eine 
Poſſe fallt noch in diefe Zeit: „Als es knallte, haͤtt' ich's 
nicht geglaubt,’ nen in der Fdee, nicht in den Mitteln, durch⸗ 
gehends fehr rafch, und überaus ſpaßig.“ 

„Kisfaludy ferbft glänzt in Hinficht auf Vielſeitigkeit 
vor den übrigen Choryphaͤen der Aurora. Seine Luftfpiele 
(größtentheild in diefer abgedruckt) insgefammt, nicht nur jene, 
die insbeſondere dem Namen eines Intriguenſtuͤckes entfprechen, 
fondern auch die Characterſtuͤcke zeichnen fich durch einen ra⸗ 
fehen Gang der Handlımg — Teßtere wenigſtens der phyſiſchen 
Handlung — and. Sein Situationggewebe, immer intereffant 
und ſpannend, hat die firengfte Wahrfheinlichkeitz feine Chas 
ractere find- fcharf und confequent gezeichnet und durchgeführt; 
der höchft wißige Sziklaͤſi, der Iebeluflige Moͤricz (Mad: 
chenhüter), der aus Humor zufammengefeßte Hofnarr des Koͤ⸗ 
nigs (der Treue Probe), der Planmacher Lombai (Taͤuſchun⸗ 
gen), find ohne Zweifel Gebilde erften Ranges; doch neben 
diefen noch welche Fülle trefflicher Charactere, und welche 
Mannichfaltigkeit. Nur alte, gezierte, gefchäftige- Sungfern 
bat er ſehr oft, welche im Genus fich gleichen, und nicht 
nen find: im der Art jedoch ımterfehieden und mit. einem gro= 
Ben Aufwand von Komik ausgeftatte. In der Kunſt der 
Dialoge ift er unendlich gewandt, felbft wo es ihm gefällt, 
feiner Satyre, feinem Wig in Reflerionen, Sarkasmen, Verz 
gleichen, Bonmots Lauf zu laſſen, gefchieht dieß mit Blitzes⸗ 
ſchnelle, ohne Schaden bes dramasifehen Vortragss. Den 
Mädchenhäter, eines feiner geiftreichften Stüde, trifft der Ta: 
del, zwei Haupthandlungen zu umfaſſen: dieſes febien der 
Dichter gefühlt zu haben; daher die Eile in der Kataftrophe 
von Sziklaͤſi's Liebesverhaͤltniß. Manche werfen ihm Mangel 


— 53938 — 


an Nationalität vor. Die Stüde, welche in König Matthias 
Zeit handeln (als Matyas hedf; ber Treue Probe), können 
hier durchaus nicht gemeint ſeyn; Charactere, Sitten, Ton 
und Ausdrud tragen unverlennbar das Gepräge der Nationa- 
Ntät und der Eigenthümlichkeit jener Zeit. Was die übrigen 
betrifft, welche in unferer heutigen Welt fpielen; da fragen 
wir, ob fie nicht unferem heutigen Converfationston ganz ent- 
fprechen? Und das follen fie. Leider muͤſſen wir befennen, 
daß der Ton unfrer gebilveteren Cirkel Teine nationelle Eigen: 
thümlichkeit mehr hat; die Vermifchung mit den fremden Ein- 
wohnern und die Nachahmungsfucht hat fie verwilcht: und ber 
Zuftfpieichter wird nur auf die Koften der Wahrheit eine folche 
in feine Darftellungen bringen. Uebrigens dürfte dad Weſent⸗ 
liche auch nicht im Ton bed Gefpräched Tiegen — hierin nd= 
bern fich gegenwärtig bie gebildeteren Stände alfer Nationen 
bedeutend — fondern in der Beichaffenheit der Eharactere und 
der Handlung. Würde Kisfaludy demnach feine Stoffe zu 
Luſtſpielen aus der heutigen Zeit hinführo dem engen, und 
feinen einfachen Verhaͤltniſſen nach leicht zu erfchöpfenden 
Kreife ded niederen Standes entnehmen, würden wir gewiß 
diefelbe ungarifche Welt auffinden, die er und in den Rebellen 
bietet. Zwar giebt ed auch in unferem mittleren Stande 
Gattungen Menfchen, denen ber deutiche Ton fremd blieb 
(Perföidi in den Brautwerben, Mokaͤny in den Täufchungen), 
diefe find aber eben wegen ihrer fcharfen und fehr beſtimmten 
Züge nur zu bald erfchöpft; uberdieß fragt ſich's, ob eine 
dritte Art ungarifcher Charactere und Verhältniffe, welche ei⸗ 
nem wißigen Kopf das fruchtbarfte Feld öffnen würde, aus 
— — — +. Gründen dem Dichter nicht etwa auf immer 
unbenußbar bleiben wird. 

Verdient Kisfaludy einerfeits den Namen unferes gewand: 
teften und eines wirklich vorzüglichen Bühnendichterd; muß ihm 
andererfeitd zugeftanden werden, daß feine Elegien und Kieder, 
Romanzen und Epigramme, epifchen und didactifchen, ſatyri⸗ 
fchen und allegorifchen Gedichte, feine Novellen und Tomifchen 


— 599. — 


Erzählungen, welche die Bände der Aurora ſchmuͤcken, jedes 
in feiner Gattung zum Trefflichften der ungarifchen Litteratur 
gehört. Als Iprifcher Dichter gemüthlich, als philofophifcher 
tief, überall reich an Bildern, als Satyriker wißig und trefs 
fend; ift er in feinen objectiven Darftellungen ein gewanbter 
Characterzeichner, an Situationen reich, in Ton und Farbe 
von jeder Manier weit entfernt. Sein Verd wird an Correctz 
heit, Leichtigkeit und Wohlklang von Feinem ungarifchen Dich“ 
ter übertroffen. ” 

Neben Karl Kisfaludy zeichneten fich in neuefter Zeit höchft 
vortheühaft aus: Franz von Kölcsey, geboren den 8. Au: 
guft 1790, eben fo rühmlichft befannt als bedeutender Theo⸗ 
vetifer, wie als genialer Iprifcher Dichter. — Er war ed, ber 
die Ballade und die Romanze in ber fchönen Kitteratur der 
Magyaren einführte;*) Baiza, geboren 1804, ebenfalls als 
Lyriker von großem Werth, Bartfay, glüdlich ald Sonnet- 
- tendichter ; vor Allen aber Michael Voͤroͤsmarty, geboren 
den 4. December 1800 zu Nyek, feit 1824 Adoocat in Pefth; 
er verfuchte fich faft in allen Gattungen der Poefie, und er⸗ 
ſcheint als einer der reich begabteften Dichter der neueften Zeit. 
Sein hiftorifches Drama „Koͤnig Salamon’ wird ale 
vorzüglich anerfannt. *) — 

Es ift höchlichft zu bedauern, daß die magyarifche Sprache 
fo allein und verlaffen gleichfam daſteht, und daß das Volk, 
welches diefelbe redet, fo geringen politifchen Einfluß hat, um 
durch denfelben ihre Verbreitung eindringlich zu befördern. — 
Die Menge bedeutender Talente, die während unferer Tage 
in dem fehönen Lande Ungarn hervortraten, die echte und her: 
zendentfprungene Begeifterung, welche fich dort für die Him⸗ 
melötochter Poefie regt, und die bedeutenden Werke, welche 
bereitö geliefert worden und noch zu erwarten find, würden 
von nicht geringem Einfluß auf die poetifche Sortbildung der 


*) Toldy a. 0. O. ©. 80. 
*) Ebend. S. 157. 


„ anderen europälfchen Voͤller feyn, zumal in unferen Tagen, 
wo eine Weltlitteratur fich zu geflalten beginnt, und der Dich- 
ter, aufhörend das Eigenthum nur feines Volles zu feyn, das Ei: 
genthum der ganzen cultivirten Menfchheit wird. — Leider reichen 
die Bemühungen Mailath's, Zeftetic’s, Tretters, Pa— 
zyazy's, Schedels, Stettner’s, Bowring’s, Sau 
nazar's, fo. verdienſtvoll und bedeutend fie auch find, noch nicht 
bis, es muß bier noch weit mehr gefchchen. Dem Freund der 
Dichtkunft wird jedoch auch fchon der von dieſen trefflichen 
Männern gemachte Anfang zu wahrer Freude gereichen. — 
Mögen folgende Ueberſetzungen ald angenehme Zugabe dienen. 


Yu 8 
Himfy's Liebesliedeen. 


Ungluͤckliche Liebe. 


Wie der Hirſch, der ſchwer getroffen 
Von des Jaͤgers ſicherm Pfeil, 

Flieht — zu ſpaͤt — die Wund' iſt offen, 
Und er findet nirgends Heil; 

So hab? ich mic, abgewendet, 
Als ihr Aug' in meines ſah; 

Doch ſchon war der Pfeil geſendet, 
Schon das Weh' im Buſen da. 

Aber ach, mein ſcheues Rennen 

Mehrt des Giftes toͤdtlich Brennen? 
Weh, du armes truͤbes Herz, 
Nie enteilſt du deinem Schmerz. 








Bunter Vogel, den ich neide, 
Singft. der Liebe füßes Joch, 
Du entbehrft Verftand mit Freude, 
Denn dein Pärchen ruͤhrſt du doc). 
In den Adern heißes Wallen, 
Sing’ ich kunſtvoll Amors Made: 
Aber unerhört verhallen 
Lieder, wunderfchön erdacht. 


— 601 — 


Gluͤcklicher! der Liebe Freuden 

Singft du, id) nur ihre Leiden: 
Komm, ic) gebe für dein Gluͤck 
Serne den Verftand zuräd. 


Wie das Reh von hurt'gen Hunden 

Aufgefchrecket, flieht und flieht, 
Dis e8 eine Schlucht gefunden, 

Die den Drängern es entzieht: 
So will Amor'n ich enteilen, 

Ad, und bin doch ſtets mit ihm! 
Denn in meinem Buſen weilen 

Fuͤhl' den Gott ih, wild und grimm. 
Amor feine Beute faßt, j 
Wie der Luchs, der ohne Raſt 

Aufgekauert nagt und quält, 

Bis das Opfer ſtuͤrzt, entfeelt. 


Wie zwei helfe Feuerfonnen, 
So ihr Augenpaar ergluͤht, 
Gleich der oben, blanumfponnen, 
Die den Weſen Leben Tprüht. 
Staunenswerth ift im Vollbringen 
Die, wie jene und bie Gluth, 
Die in beider Zauberringen 
Glaͤnzet, ftrahfet, Wunder tut. 


Mas im Lenz, kehrt er zuruͤcke, 
Mit der Erd’ die Sonne fchafft, 

Uebt im Herz, bei jedem Blicke, 
Ihres Auges Schöpferkraft: 

Jene fchmelzt des Eifes Bande, 
Dringet in der Erde Schooß, 

Dieß entflammt das Herz zum Brande, 
Schnelft darein fein tief Geſchoß. 


Wenn fich jene ſtolz erhebet, 
Weckt fie auf die weite Welt; 
Dieß erleuchtet und belebet 
Jeden Kreis, auf den es fällt; 








602 — 


Aus dem Blau des Himmels ſpendet 
Jene Strahlen gluͤhend heiß; 

Sich're Pfeile dieſes ſendet 
Aus dem fchön’ren Schwarz und Weiß. 


Spurlos ift die Kält’ verloren, 
Wenn die Sonne näher gluͤht, 
Alles ift dann neu geboren, 
Gras und Blumen neu erblüht; 
So ihr Auge, wenn es näher 
Schöpferifhe Funken ftäubt, 
In der Bruſt entzüdter Seher 
Neue Luſt in's Leben treibt. 


Vor der Sonne Feuerkraͤften 
Schmilzet ein der Baͤche Naß, 
Duͤrſtend nach verſiegten Saͤften, 
Dort der Baum, verwelkt das Gras: 
Auch die Flamme dieſer beiden 
Augen zehrt der Seele Luſt, 
Trocknet aus den Quell der Freuden, 
Und zerſpaltet jede Bruſt. 


Seit der Himmel den Gefilden 
Ew'ger Nacht entſchwunden war, 
Kam aus Gottes Hand, der milden, 

Noch kein aͤhnlich Augenpaar. 
Meines Lebens Weh und Wonne 
Haͤngt von dieſen Augen ab, 
&o wie von dem Lauf der Sonne 
Aller Wefen Seyn und Stab. 


Gluͤckliche Siebe 


Anders ift der Welt Seftaltung, 
Anders nun mein Auge fieht, 

Anders ift der Dinge Waltung, 
Anders nun ertönt mein Lied: 

Anders fühl” ich nun das Leben, 
Und ein fremd’ Geberdenfpiel, 





—— 0603 


Anders will der Geiſt fich heben, 
Und das Seyn zu and’rem Ziel! 





Von ihr kommet, zu ihr fchwebet, 
Mas im Geift fich denkend regt; 
Von ihr ſtammet, zu ihr ftrebet, 
Nas den Bufen mir bewegt. 
Was das Schickſal loͤſt und bindet, 
Mas es baut, und was es bricht, 
Fuͤhl' ich nur, wie fies empfindet, 
Wie's ihr recht iſt oder nicht; 
as zum Jubel mic, begeiftert, 
ie der Kummer, der mich meiftert, 
Meines Lebens Freud’ und Schmerzen, 
Alles keimt in ihrem Kerzen. 


Einem Gott nur, einer Vaterſtaͤtte, 
Gluͤhte einftens treu, voll rauher Luft — 
Einer Braut nur, einem Ehebette 
Kräftig treu die echte Ungarbruft. 
Doch zu Gott nicht, nicht zum Waterlande 
Iſt ſich manche hohle Ungarbruft, 
Nicht zum Worte, nicht zum Liebesbande, 
Zu ſich ſelbſt nicht jetzt der Treu' bewußt! 
Einen Gott nur, und ein heimiſch Rund 
Fuͤhlt mein Buſen und bekennt mein Mund, 
Und im Herzen iſt nur eine Liebe, 
Wie nur ein Herz fuͤr des Buſens Triebe. 


Kaum ergreift ein Menſch zur Reiſe 
In der Welt den Pilgerſtab, 

Freut ſich kaum des Daſeyns leiſe — 
Und ſchon gaͤhnt fein duͤſt res Grab. 

An der Lebensbluͤthe naget 
Anfangs ſchon die Sterblichkeit; 

Jedes Staͤubchen Erde traget 
In ſich die Vergaͤnglichkeit: 

Freunde! ſeyd der Eil befliſſen, 
Viel aus Wen'gen zu genießen, 





— 604 — 


Bis das Grab ung fahet ein — 
Wie dies Lied, tft kurz das Seyn. 


Staudeswahl, 
von 
Szemere. 


Könnt‘ ic ein Sachwalter werden, 
Wuͤrde ich nur ſolchen Streiten 
Meine Aufmerkfamkeit ſchenken; 
Würde nur in folden Fällen 
Huͤlfe bieten und Verwendung, 
Wenn der holden lieben Mädchen 
_ Namen mit Sefahr bedropt. 


Könnte ich Profeffor werden, 
Würd ih nur die Schäfer lehren, 
Wie der zarten füßen Mädchen 
Bruſt zur Liebe zu entflammen : 
Wie der Mädchen Gegentiebe, 
Ihre Gunft, wie gu gewinnen. 


Ah! wenn ich ein Dichter wäre, 
Wird’ id) immer nur der milden, 
Guten Mädchen Treue preifen, 
Und der Juͤngling' wildes Wefen 
Durd) der Lieder. Zander fänften. 


Auch ein Arzt kann ich noch werden, 
Und ich Hoff, nicht unverdienftlich 
Wäre meine Sorg und Mühe; 

Denn zum Arzt der Tiebeglüäh'nden 
Mädchen wuͤrd' ich mich erklären; 
Allen meinen Patienten 

Wuͤrd' ich Liebe nur verordnen. 


Dichter, Arzt, Profeſſor, Anwald 
Möcht ich für euch werden, Mädchen ! 
Doc für eins nur reicht die Zeit bin: 
D’rum entfcheider ſelbſt ihr Theuern, 











—— 605 


Welchen Stand foll id erwaͤhlen, 
Daß ih euch am meiſten nüße? 


Die Tianyıe, 
von 
Berzfenpi. 


Schau, wie des Tanzes verfchiedene Weife in fpielendem Wechſel 
Mahlet den Geift des Volks, feiner Empfindungen Kreis. 
Mit drei Schritten walzet der Deutfche und dreht fi) im Kreife, 

Hält die Sefährtin im Arm, führt fie die fhwebende Bahn. 

Einfach üft der Deutfche in Allem, und frenet ſich ruhig, 

Eine umarmet er nur, liebt er, fo ift er auch treu. 

Fluͤchtig und kuͤnſtlich tanzt der Franzoſe, Tiebängelt und fcherzet, 
Wechſelt die Tänzerin, beut diefer, bald jener die Hand. 
Feurig ift er und raſch, in der Freude hingaukelnd wie Kinder ; 

Stets doch gefällt er füch ſelbſt, wechſelt das Liebchen gar oft. 

Pindar ift der Magyare, fort reißt der Begeifterung Sturm ihn, 
Drückt der Empfindungen Gluth aus im entflammenden Tanz; 

Liebebewegt ſchwebt ſchmachtend er hin, wie ein zärtliches Küftchen, 
Webet im zierlihen Schritt, was ihm das Inn're bewegt; 

Kell auflodernd fährt er nun auf, verfehmähet das Mädchen, 
Tanzet allein voll Muth, bebend dröhnet die Erd’ ! 

Dieß ift der Krieger Tanz, Kinizfi fprang biutigen Armes, 
Und feine Krieger fo, Leichen der Feinde umber. 

Seine geheimen Regeln find nicht von Meiftern gefammelt; 
Er ift fi) felber Geſetz, bändigt die eigene Gluth. 

Der ift ein Mann, der zum ung'rifchen Tanz ift geboren, er juble! 
Männliche Stärke und Gluth fpannen die Nerven ihm an. 


Das Verfpredhen, 
von. 
Kazinczy. 

Welch' einen Tag des Gluͤcks hab' ich geſehen! 
Von zweier ſchoͤner Schweſtern Arm umfangen, 
Wallt' ich durch' Feld mit lieberregtem Bangen, 
Hin, wo am Bach die ſchlanken Pappeln ſtehen. 


— 606 — 


Wo uͤppig ſich die duft'gen Kraͤuter blaͤhen, 
Saß ich bei ihr, die ewig mich gefangen: 
Sie ſang. Im Ton, im Bluͤhen ihrer Wangen 
Umwallte mich entzuͤckend Himmelswehen. 
Der Zauber, der in ihrem Sange lebt, 
In ihrer weichen Silberſtimme bebt, 
Schmuͤckt der gepriefnen Sängerinnen keine. 


Doch ſuͤßer nody als alle Lieder flötend, 
Durchbebt's mich, als an mid, gefchmiegt, erräthend, 
Das zarte Mädchen haucht': ich bin die Deine. 


Mein Beglüder, 
Von demfelben. 

Bon Millionen, die die Erbe zählt, 
Verfolgt, wie mid, die blinde Ate Keinen: 
Sreift würhend manchmal fie der Andern Einen, 
Gleich ift fein Gott ihm ſchuͤtzend zugefellt. . 

Mid ſchuͤtzt der Himmel nicht, und nicht die Welt, 
Aufzehrt der Kampf das Mark in den Gebeinen; 
Ohnmaͤchtig, ach! erfchöpft kann ich nur weinen; 
Wo Balfam für die Wunde, die mich quält? 
Und Eros dauert meines Lebens Leiden: 
„Der Ate Zürnen fänften meine Freuden. 
Er ſprach's; im Arme ruhet mir Sophie. — 
©eit fie die Leuchte meines Lebens Nächten, 
Seit ich umfchirmt von Amors heil’gen Mächten 
Schmerzt mich der wilden Ate Raſen nie. 


3 br Bid 


Von demfelben. 


Der Morgen wedket mid; mein hoͤchſtes Gut, 
Ihr göttlih Bild, tritt meinem Aug’ entgegen. 
Wie bebt mein Herz in füßen Liebesfchlägen, 
Auflodert flammenhell die alte Gluth. 

„Sie is, fie iſts!“ fo ruft mein wallend Blut. 
Ich kuͤß die Luft, ald wäre fie zugegen, 





607 — 


So ſprach, fo ging fie, fo war ihr Bewegen, 
So ſank an’s Herz fie mir voll’ Liebesmuth. 


Wie einft mit ihr, beginn’ ein Flüftern ich 
Jetzt mit dem Bild; verborgen, neckend, ſuͤß; 
Nun Holden Streit, nun Worte lieb und mild. 
Bis ich dieß treibe, hebt die Sonne ſich, 
Schickt durch die Jalouſieen ihre Gruͤß', 
Umſtrahlt mit Himmelsglorie das Bild. 





Das Epigramm. 
Bon demfelben. 
Flieg, Epigramm, doc nicht wie ein Pfeil, der eilet und tödtet; 
Gleiche dem Kuß, den ſich bebend der Liebende raubt. 
Riff’, er tönt und verhallt; doch vom euer bes würzigen 
Mädchens 
Flammt mir die Lippe, Gluth athmet die wogende Bruſt. 


E  yigraınm e 
von 
Bitfovich. 


An 8idi. 
Verfe verlangft Du von mir? ich bin nur die Saite; der Harfner 
Iſt Eros. Willſt Du DVerfe, fo liebe mid, erft. 


An tidi, 


Wie fo oft doch ſchwebeſt Du Lidi! vor mir im Traume! 
Aber Du fliehft auch im Traum meiner Umarmungen Gluth. 
Wachend verließeft Du mich, und verläffeft auch wieder im 
Traum mid); 
D'rum wenn wachend nicht, fey doch mein Engel im Traum. 


An Cenzi 


Schwindet die Sonne hinab, fo decket Than die Gefilde; 
Cenzi! gehft Du von mir, netzen mir Thränen das Aug”. 


— 608 — 


Bitte 
Wenn Du mid) liebeft, o Gattin, beweine mich nicht an dem 
Grabe; 


Thraͤnen bringen mich nicht, Dir, o Geliebte zuruͤck, 
Und ſie entreißen, zu mir eindringend, dem ewigen Schlaf mich. 
Freudenvoll lebt' ich mit Dir, ſoll ich weinen im Grab? 


An Cenzi. 


Trifft mich Dein Aug’, fo brenn' ich; und friere, wenn Du es 
fchließeft; 
Cenzi! Du wandelſt zu Eis, wandelſt zu Afche mich noch. 


Liebe und Freundſchaft. 


Liebe, theuere Libi! fie gleichet dem Schatten des Morgens; 
Immermehr ſchwindet er ein, bis er am Ende verfchand. 

Doch dem Adendfchatten vergleichet ſich unfere Freundſchaft: 
Wachſend wachſet fie fort, bis uns das Leben verglüht. 


Achtzehute Vorlefu 19. 


Dänemar ll, 
Meberblid ber Geſchichte der däniſchen Sprache und Nationaflitteratur. 





Sporache und Litteratur wurden in Daͤnemark erſt ſehr ſpaͤt 
mit Vorliebe und Erfolg angebaut. Der glaͤnzenden Periode 
der Waldemare, in welcher ſo bedeutende Maͤnner, wie Saxo 
Grammatikus, Aageſen, Suneſen gebluͤht hatten, folgte eine 
lange Zeit der Unwiſſenheit und Barbarei. Erſt gegen die 
Mitte des funfzehnten Jahrhunderts begannen die dichten Ne⸗ 
bei, welche fich über dieſes Land gelagert hatten, allmählig, 
jedoch fehr langſam, fich zu vertheilen. Da die Reformation nicht 
ſo Volksbeduͤrfniß in Dänemark wie in anderen Ländern war, 
fo konnte ihr Eindringen auch nicht von fo großer Wirkung 
feyn. In der Dichtkunft -begnügte man ſich Tange mit dem 
allerdings bedeutenden Schatz der Heldenlieber (Kiaempe- Bis 
feo) und erft zu Ende des fechözehnten und Anfange des fiebens 
zehnten Sahrhunderts wurden Verfuche in der Poefie gemacht, 
welche indeffen noch fehr armlich und fparlicdy waren, und 
meift in Neimfprüchen oder geiftlichen Liedern beſtanden. — 
39 


— 610 — 


Anders Chriſtenſen Arreboe, geboren 1587 in Arresfisping auf 
Aaroͤe, 1616 Prediger zu Copenhagen, 1617 Bifchof zu Dronts 
heim, jeboch feines Amtes entfeßt 1622, wird ald der Water der 
neueren dänifchen Poefie betrachtet (fl. 1637). Er fchrieb ein 
didactifches Gedicht unter dem Titel Heraemeron in bes 
roiſchem Versmaaße, dad aber weiter Teinen dichteriſchen 
Werth bat. Ihm folgten Anders Bording, der eine verffis 
cirte Zeitung und geiftliche Gedichte, der Biſchof Thomas 
Kinge, welcher ebenfalls geiftliche Lieder fchrieb, bie noch 
jest gefchäßt werben, aber in dichterifcher Hinſicht ebenfalls 
nicht viel bedeuten. — Nach diefen Beftrebungen trat wieder 
ein Zeitraum der Dürre unter der Regierung Frieriche IV. 
(1700 — 17730) ein, bis endlich en Mann aufftand, welcher 
eben fo originell als genial, durch feine vielfachen Beftrebuns 
gen die erften Keime zur Selbſtſtaͤndigkeit in der fchönen Kite 
teratur legte, und von dem bebdeutendften Einfluß auf feine 
Zeit war. — Es iſt dies der nicht genug zu feiernde Ludwig 
Holberg, der es im höchften Grade verdient, daß wir einige 
Augenblidle bei ihm verweilen. — 

Ludwig Holberg warb zu Bergen in Norwegen im Jehre 
1684 geboren. — Nachdem er bedeutende Reifen durch einen 
großen Theil Europg’8 gemacht, ward er 1718 Profeffor der 
Metaphyſik an —— Univerſitaͤt. Im Jahre 1720 
wurde er Aſſeſſor bei dem Conſiſtorium, darauf Profeſſor der 
Geſchichte und 1737 Quaeſtor der Univerſitaͤt. 1747 wurde 
er in deu Freiherenfiand erhoben. — Er endete fein thäatiges 
Leben im Jahre 1754. — Holberg verfuchte fich in vielen 
Fächern der Poefie, feine glaͤnzendſte und lichtvollſte Seite ift 
aber die Satyre in ihren verfchiedenen Formen. — Im Yuss 
lande gebildet, voll Kenntniffe und Gelehrfamleit, mußte er 
fich alles Gute fremder Nationen, das zu der Bildung ſeines 
Volles und feiner Zeit beitragen konnte, anzueignen. Cr Tann 
als der Vater des danifchen Luftfpield, als der Gründer der 
banifchen Profa betrachtet werden, denn in Beiden brach er 
neue Bahnen, und feine Werdienfte in dieſer Hinficht ind bis⸗ 


— 611 — 


her noch immer unerreicht geblieben, fo vortrefflihe Männer 


Daͤnemark auch außzuweiſen hat. — Holbergs komiſches Hel⸗ 
dengedicht, Peter Paars, iſt ein Meiſterwerk des Witzes und 
der Satyre; am Glaͤnzendſten erſcheint er aber in ſeinen Dra⸗ 
men, um ſo mehr, als die Verſuche in dieſer Gattung vor 
ihm hoͤchſt unbedeutend waren, und er durch ſeine Werke dem 
— des daͤniſchen Volkes zuerſt eine bildende Richtung 
gab. Er ſchilderte das Thun und Treiben vorzuͤglich des 


Buͤrger⸗ und Handwerkerſtandes mit ſchlagender Wahrheit, 


und geißelte die Thorheiten und Laſter jener Tage um ſo 
ſchaͤrfer, als er ihre Laͤcherlichkeiten um deſto lebhafter hervor⸗ 
zuhehen verſtand. — „In dieſen Darſtellungen,“ ſagt ſein 
genialer Landsmann und Ueberſetzer Oehleuſchlaͤger von ihm, *) 
„iſt Holberg unerfchöpflich, und ſich jelber mehr gleich, als 
Moliere, der mitunter zu poflenhaft, mitunter zu Iehrdichterifch 
ward. An Reichthum des Wites, au Ironie und komiſcher 
Stärke, fieht Holberg, der Qualität nach, ‚gewiß nicht hinter 
Moliere; der Quantität nach aber ſteht er über ihm, benn er 
bat doppelt fo viel gute Komödien gebichtet als Moliere, das 
Pathetifche und das Erotifche war ihnen Beiden fremd. An 
Bravheit der Gefinnung aber, an tiefem Verftande, an Ges - 
vechtigleitöliebe, waren fie einander fehr verwandt. Nie hat 
KHolberg die Geißel der Satyre gemisbraucht, nie artet fein 
Spaß in Perfiflage oder ſcurrile Sarkasmen aus. Er ift der 
beitern Ironie, dem Iufligen Humor weit mehr als der Sas 
tyre ergeben, und zeigt fich in folchen freien, genialifch= fomis 
ſchen Schöpfungen den unfterblichen Dichtern des Falftaff und 
des Sancho Panfa ebenbürtig., Nie ift er eitel, nie Eleinlich, 
wie bitter. Er behandelt immer feine Fomifchen Charactere mit 
fo viel väterlicher Schonung, wenn ich fo fagen darf, als 
möglich; er giebt ihnen, wo es zuträglich iſt, einen angeneh⸗ 
men Zuſatz von Gutmüthigkeit u. ſ. w.“ — Auch ald His 


*) Holbergs Luftfpiele. Weberfeßt son Dehlenfchläger. Leipzig 1822. 
. 4 Bde, — ir Bd. ©, XXL. 
39 * 





— 612 — 


ſtoriker Hat fich Holberg verdient gemacht, und feine hicher 
gehörigen Schriften werben noch immer mit Hecht gefchitt. 

Als Satyriker aus Holbergd Zeit verdient noch Chriſtiau 
Zalfter (geboren 1690, geftorben 1752) genannt zu werben. 
Er wußte Sprache und Vers mit Leichtigkeit und Gefaͤlligkeit 
zu behandeln; ift aber plump und derb. — Toͤger Reen⸗ 
berg fuchte durch Weberfeßungen englifcher, vorzüglich 'rehgibfer 
Werke, die Aufmerkfamkeit auf die Literatur Albion's zu ˖len⸗ 
ten, und erfreute ſich auch gluͤcklichen Erfolge. — - Ueber: 
haupt regte fich um diefe Zeit ein Ichhafterer Sinn für Künfte 
und Wiffenfchaften, obwohl von oben herab noch micht fo be- 
guͤnſtigt, wie dies fpdter von Dänemarks Negenten geſchah. 
Gram, Langebed, Pontoppidan und Suhm traten ald Ger 
fchichtfchreiber auf, und benutzten eifrig jede Gelegenheit, um 
den Titterarifchen Ruf ihres WBaterlandes zu fördern. Mehrere 
wiffenfchaftliche Vereine wurden geftiftet, und die Berinihungen 
geiftreicher nnd patriotifcher Männer begannen immer mehr 
und mehr gefunde Früchte zu tragen. — 

Der nusgezeichnetfte Dichter jener Tage iſt Chriffian 
Braumann Tullin (geboren 1728, geftorben 1765). Er 
war befonders gluͤcklich als Lyriker und Elegiker, nur wird ihm 
von einigen danifchen Kritikern nicht ganz: mit Unrecht vorge⸗ 
worfen, daß er die Sprache vernachläffigte und fich zu fehr 
nach franzöfiichen Muſtern bildete. Wielfeitigkeit ift ihm uͤbri⸗ 
gend nicht abzufprechen. — Sein Nachfolger der Zeit nach, I os 
hannes Ewald, uͤberglaͤnzte ihn aber bald, als ein wirklich 
originaler und fchöpferifcher Geiſt, voll Reichthum des Gefühls 
und der Phantafie, Tiefe der Empfindungen und Anmuth und 
Glanz der Bilder. — Ewald (geboren zu Copenhagen 1743, 
geftorben 1781) unterlag dem Kampf mit ben Verhaltniffen ; 
wunderbare Schickſale ſchleuderten ihn hin und her, und hin- 
derten ihn, fich jenen Neichthum an Wiſſen zu verfchaffen, 
welcher einem Dichter unferer Tage unentbehrlich ift. Als 
dramatifcher Dichter erreichte er eine Stufe, :auf- die fich 
vor ihm noch Niemand im Vaterlande gefchwungen hatte. — 


-— 613 — 


Sein Trauerſpiel Rolf Krage, fein Tod Balders, fein Sing: 
fpiel die Fiſcher find Meiſterwerke in ihrer Art. Seine At: 
legorie, der Tempel des Gluͤcks, fand damals, wo dergleichen 
im Gefchmade der Zeit Ing, größeren Beifall, als fie eigent- 
lich verdient, doch beurkundet fie ebenfalld den genialen Dich: 
ker; feine Iprifchen und elegiichen Poeſieen verdienen, Das 
größte Lob. . 

Aus jener. und ber nächftfofgeuben Zeit fi nd noch der An⸗ 
führung werth: Joh. Herm. Weſſel (geboren 1742, geſtor⸗ 
ben 1783) ein geborener Norweger, vortrefflich als komiſcher 
Erzaͤhler und Verfaſſer dramatiſcher Schwaͤnke. — Seine 
Poſſe, (CKioerligheden uden strömper) Liebe ohne Struͤm⸗ 
pfe, wird noch immer ſehr von feinen Landsleuten geſchaͤtzt; 
Edward Storm, geboren 1749, geſtorben 1792, als talent⸗ 
voller Balladen⸗ und gluͤcklicher Fabeldichter mit Recht geprie⸗ 
ſen; J. Clemens Tode, aus Hamburg (geboren 1736, ge⸗ 
ſterben 1806) verdient um die litterariſche Cultur Daͤnemarks 
durch eine Menge von Schriſten und nicht ohne Geſchick als 
Liederdichte. 

Weit groͤßeren Ruhm in dieſer Hinſicht erwarb ſich jedoch 
der auch in Deutſchland wohlbekannte und mit Recht gefeierte 
Kund Lyne Rahbeck. Er. vollendete feine Bildung auf 
deutichen Univerfiräten, und war fein ganzes thätiges Leben 
hindurch unablaͤſſig bemüht, dem Gefchmad feiner Landsleute 
die rechte Nichtung zu geben. Seine nationalen Dramen, fo 
wie feine Inrifchen Poeſieen, find ausgezeichnet, als Kritiker 
bewied sr ſich hoͤchſt ſcharfſinnig und geiftveich, als Profaift 
fieht er, ein. klaſſiſches Vorbid da. — Mit. ihm wetteifers. 
sen auf dem Gebiete der Poeſie Thomas Thaarup (geboren 
4749, ‚geft. 1824), ein ausgezeichneter Lyriker, gluͤcklich als 
Veberfeßer und al. Dpereitendichter ; ; Nordahl Bruun (ges 
forben 1816), erfolgreich im Iprifchen Poeſieen; Chriſtoffer 
Brunn, bedeutend als Satyriker; Hoegh Guldberg, gluͤck⸗ 
lich in der Elegie und Satyre, und vor Allen Claus Fri⸗ 
mann, hoͤchſt bedeutend als Balladendichter und durch Volks⸗ 


_— 614 — 


fiedber. — Im Gebiete der trasifchen Mufe verbieten Die 
Johann Samfde, geboren 1759, geftorben 1796 und 2. €, 
Sander, höchft rühmliche Erwähnung. — 

Die beventendften Erfcheinungen der neueften Zeit in. der 
dänifchen fchönen Litteratur find Iend Baggefen, Adam 
Dehlenfchläger und B. ©. Ingemann. — Auf die 
beiden Erfieren bat Deutfchland faft eben fo viel Anfpruch als 
Daͤnemark, da fie ſelbſt einen großen Theil ihrer Werke in 
unfere Sprache übertrugen oder gleich urfpränglich deutſch vers 
faßten. Unter diefen drei begabten Geiftern ragt Oehlenſchlaͤ⸗ 
ger, als ein Stern erſter Groͤße hervor. — 

Jens Baggeſen, geboren 1764 den 15. Februar zu Kor⸗ 
for in Seeland, geſtorben 1826 den 3. October zu Hamburg 
auf der Heimkehr in fein Vaterland, ift einer der fruchtbarften 
und gefälligften dänifchen Dichter, doch nicht gleich glüdlich 
in fänmtlichen Verfuchen. — Die leichtere Lyrik, die Epiftel, 
die Satyre und die komiſche Erzählung, waren vorzüglich bie 
Felder, auf welchen er fich mit Gewandtheit und Anmuth bes 
wegte. — Glaͤnzender Witz, eine fcharfe und trefiende Bes 
obachtungsgabe, ausgebildet durch feine vielen Reifen und fein 
unftetes Leben, und ein harmonifcher Versbau in einer wohl⸗ 
Emgenden und gebildeten Sprache, characterifiren feine Leis 
flungen vorzüglich; fein flüchtige6 Weberfpringen von emem 
Gegenftande zum anderen aber, feine faft unbegrenzte Eiteffeit 
und die daraus entforingende Neizbarkeit hinderten ihn, tief zu 
feyn, und fo hatten feine Werke nicht jene Emwirfung auf vie 
Litteratur feines Landes, weiche man von feinen Talenten mit 
Hecht erwarten Fonnte. Als Profaift erfcheint er mufterhaft. 
Er yerſuchte, die italienifche Oper in Daͤnemark heimifch zu 
machen, und wetteiferte überhaupt in der Poefie mit Oehlen⸗ 
fehläger, den er heimtuͤckiſch Angriff und zuletzt in witzigen 
Briefen an denfelben Tächerlich zu machen fuchte; aber vie 
Stimme der Nation erhob fich für den Letzteren ımd bie Pfeile 
prallten ab und verwundend auf Baggefen zurud. “Mehrere 
Lieder von Baggefen, der faft eben fo haufig daͤniſch als deutſch 





_— 615 — 


dichtete, haben in beiden Ländern das Bürgerrecht erlangt; 
feine beiden epifchen Gedichte hingegen Parthenais, ein 
idylliſches, und Adam und-Eoa, Br's Iehtes Werk, ein ko⸗ 
mifches Epos, erfreuten fich Feines dauernden Beifalls, Das 
Erftere ift bereits verfchollen, das Zweite fand eine unbeden⸗ 
tende und laue Aufnahme. — Unter den dänifchen Gaben 
feiner Muſe find wohl feine Eomifchen Erzählungen und deren 
Bortfeßungen (Kom, Fortaellinger 1785; Eventyrer og Tom. 
Sort. 18075 zuſ. 3 Bde.) die gelungenfien. — Ein Theil 
feines Briefwechfeld, aus welchem man Baggefen’s Individua⸗ 
litaͤt ini hellſten, wenn. auch nicht immer vortheilhafteften 
Richte kennen lernen kann, erfchien vor Kurzem. — 

Adam Dechlenfchläger verdient mit Necht einer der 
vorzüglichften dramatiſchen Dichter, nicht allein feines Waters 
landes, fondem des ganzen jeßigen Earopa's, genannt zu 
werben. Er ward am 44. November 1779 zu Copenhagen 
geboren, beftimmte fich anfangs zum Schauſpleler, entfagte 
ber. biefem Stande und ſtudierte die Nechte in feiner Vaters 
ſtadt. Dann ‚machte er, von ber miftlichenben Regierung uns 
terſtuͤtzt, eine größere .Meife durch Deutfchland, Frankreich und 
Stalin, und ward nach feiner Ruͤckkehr als Profeflor ber Aeſt⸗ 
hetik an der AUniverfität .zu Copenhagen angeflellt. — Eine 
Geſammtausgabe . feiner deutfch. ‚geichriebeiten oder von ihm 
ish aus dem Danifehen überfegten Werke, veranftaltete er 
4879. in 48 Banden, von denen die beiden erſten feine Autos 
biographie enthalten, und Die Lebenswuͤꝛrdiglet ſeines Charac⸗ 
ters im hellſten Lichte zeigen. 

Ueber Oehlenſchlaͤger als Dichter äußert f ch em aritiler 
in den Blaͤttern fuͤr litteraͤriſche Unterhaltung *) ‚sehr geiftreich 
und treffend mit folgenden Worten. ,, Dehlenfehläger's Vers 
dienſt fpringt in den Stüdfen am. Klarfien in die Augen, Deren 
Quelle . flandinavifche Gefchichte und Mythologie ift. Er ift 
in Odin's Myſterien enigeweiht, die Saiten feiner Harfe tönen 
- *) Jahrg. 1630 ©. 034 fgbe: 


—— 616 


bin und wieder Klänge aus Walhalla, und mit Chor’s Ham⸗ 
mer klopft er an die Pforten gefelliger Sympathie. Ewald, 
Frimann, Thaarap und. Andere tranten aus demfelben Quell 
der Begeiſterung, ihm aber war ed vorbehalten, das Feier 
und die Kraft ver alten Romanze zu läutern und zu verfeinert. 
Er eint die Phantafie eines Minftrel’3 mit der Sentimentalität 
eined hochbegabten Sängerd unferer Tage. Seine Gemälde 
thun durch feine Sarbenverichmelzung dem Auge wehl und in 
feinen religiöfen Gaben hebt er. dad Gefühl im die Regionen 
des Unfichtbaren, ohne den Verſtand zu betaͤuben.“ —¶— 
Ein gemüthlicher Eindlicher Geift weht burch alle Poefieen 
Oehlenſchlaͤger's und feſſelt das Herz des Leſers gar ſchnell, 
indem man bald gewahr wird, daß er dem Dichter durchaus 
eigenthuͤmlich und in deſſen innerſter Natur begruͤndet iſt. — 
Seine hauptſaͤchlichſte Neigung iſt dem lyriſchen Element zu⸗ 
gewandt, und dies thut einigermaaßen ſeinen dramatiſchen Ar⸗ 
beiten Abbruch, indem es ihm mitunter die objective Klarheit 
in der Darſtellung und Entwickelung ſeiner Charactere raubt, 
oder dieſelbe doch ſchwaͤcht. Fuͤr ſein vorzuͤglichſtes Drama 
halte ich neben dem Aladdin, welcher ein Werk des Genius in 
sollfter Sugendfrifche ift, vor Allem feinen Hakon Jarl, ein’s 
der großartigften Erzeugniſſe auf den Gefilden nerbiicher Poe⸗ 
fie; Hakon ſelbſt und Thora find wahrhaft: Ekaffifche Geftal- 
ten. — Seinem Eorreggio fehlt ed bei vielem Schönen, 
fo eifrig auch der Verfaſſer ihn vertheidigt, doch eigentlich an 
innerem Gehalt, die zu moderne Sentimentalität: des großen 
Malerd der Nacht ftößt uns cher ab, als daB fie ums an⸗ 
zieht, und die übrigen Figuren, welche der Dichter um ihn her 
gruppirte, find weder bedeutend genug, um das Intereſſe für 
die Hauptperfon zu erhöhen, noch binlänglich hervortretend und 
markirt, um es für fie ſelbſt zu gewinnen. — Im Luſtſpiel 
ift Oehlenſchlaͤger nicht ganz gluͤcklich, da ihm der eigentliche 
Wit fremd ift amd die Naivetät an deffen Stelle nicht genügt; 
wo es bier darauf ankommt, dad Herz zu rühren, ba wird er 
nie. feinen Zweck verfehlen, aber den Verfiand vermag er nicht 





— 617 — 


genügenb und anf die Dauer zu befchäftigen. — Seine pro= 
ſaiſchen Erzählungen, vorzüglich der Heine Roman König 
Hroar in Leire find vortrefflich, und unter feinen lyriſchen 
Dichtungen findet fich viel Herrliche. — Eins feiner genial 
fien Erzeugniffe iſt hier fen Cyclus Iyrifch = epifcher Poefieen, 
die Götter Nordens; deutfch von G. Thormod⸗Legis. 

B. ©. Ingemann erfüllte fpäter die Erwartungen nicht, 
welche man nach feinen erften Leiftungen von ihm hegte. 
Reichthum der Phantafie, inniges Gefühl, Wohlklang der 
Sprache und des Verfes find ihm eigen, aber es fehlt ihm 
Dagegen an eigentlicher fchöpferifcher Kraft. — Sein roman⸗ 
tifches Epos ,‚,die ſchwarzen Ritter“ ift nicht ohne Verdienſt. 
— In der letzten Zeit hat er vorziglih E. T. A. Hoffmann 
und Walter Scott nachgeahmt; die Verfuche in der Manier 
des Erfteren misgluͤckten ganz; feine hiſtoriſchen Romane, vors 
züglich fein Waldemar, find nicht ohne Talent, doch fehlt es 
ihnen an Tiefe. — Mehrere feiner Werke find mit Geſchick 
in's Deutiche übertragen. 





Neunzehnte VBorlefung, 


————— — ——— 


Schwed en 


Ucherbd der Geſchichte ber ſchwediſchen Sprache und National⸗ 
litteratur. | 


Zu der eigentlichen Ausbildung der ſchwediſchen Sprache legte 
vorzuͤglich die Reformation durch den vervollkommneten Volks⸗ 
unterricht und die Ueberſetzung der Bibel den Grund. Dieſer 
letzteren folgten bald Uebertragungen der Klaſſiker des Alters 
thums, welche ebenfalls bedeutend wirkten, doch Außerte auch 
bier, wie in Dänemark, fremdartiger Einfluß feine Wirkung, 
vorzüglich die nähere Verbindung mit den Deutfchen durch 
Kirche und Handel, und unter Chriſtinens Herrichaft die Nachs 
ahmung franzöfifcher Sitte, welche das Eindringen franzöfifcher 
Ausdrüde und Wendungen begünftigte. — Die Gegenwir⸗ 
fung eines faft aufgezwungenen Purismus fchadete indeflen faft 
mehr als fie nüßte, indem: man hierin, wie das überall ge⸗ 
fehah, zu weit ging und dem Genius der Sprache Gewalt aus 
that. — Die 1786 von Guſtav III. geftiftete Academie ver: 
fuhr zu ſehr nach dem Vorbilde der franzöfiichen, und zeigte 
fich zu einfeitig in ihren Unternehmungen, — Erſt in ber 





' — 619) — 


neneften Zeit, wo fich eime bedeutende Oppoſition in ber ſchwe⸗ 
difchen Nationalfitteratur regte, begann man die Selbſtſtaͤndig⸗ 
feit der Sprache einzufehen und demgemäß zu verfahren. — 
Uebrigens ſteht das Schwediſche an innerem Wohlklang auf 
ſehr hoher Stufe, und eignet ſich hoͤchſt vortheilhaft fuͤr den 
Gefang. — 

Sp reich die ſchwediſche Litteratur auch an Volkspoeſieen 
ift, fo wurde die eigentliche Dichtkunft doch erft fpat mit eis 
nigem Erfolge behandelt. — Die erfien Dichter von der 
Mitte des fechözehnten bis gegen die Mitte des achtzehnten 
Jahrhunderts waren nicht viel mehr als Reimer mb Nachah⸗ 
mer, und nur einige wenige Namen, wie Stiernhielm (geb. 
4598, geft. 1672), Roſenhane (geb. 1619, geil, 1684), 
Spegel (geb. 1645, geft. 1744) und Triewald (geb. 1688, 
geft. 1733) verkienen Erwähnung, jedoch mehr in litteraͤrhi⸗ 
ſtoriſcher Hinficht, als wegen wirklichen bichteriichen. Werthes 
ihrer Leiftungen. — Bedeutender flieht ©. v. Dalin, geb. 
4708, geft. 1763, da; indeffen find ed mehr feine verdienſtli⸗ 
ben Bemühungen für die Sprache und Litteratur feines Lars 
des, weiche ihm einen höheren Rang einraͤumen, : al6- feine 
poetifchen Werke, denen jedoch eine gewiſſe Leichtigkeit und 
Gefaͤlligkeit nicht abzufprechen iſt. — Mit ihm beginnt bie 
franzoͤſirende Richtung, welche lange; als die einig wahre in 
der Dichtkunft von den Schweden betrachtet wurde, und erſt 
in der neueſten Zeit eineh heftigen Stoß durch wahrhaft ges 
niale Beſtrebungen erlitt. — Unter feinen Nachfolgern, wels 
che alle eifrig auf der von ihm eingefchlagenen franzoͤſiſchen 
Bahn fortivandelten, Tönnen nur fehr Wenige mit Recht Ans 
fprüche auf nähere Beachtung machen. — Die bedeutendften 
Namen aus jener Periode bis gegen das Ende des achtzehnten 
Jahrhunderts find Hedwig von Nordenflycht (geft. 1763), 
glücklich im leichten Gedichten; Graf Creuz (geft. 1785), aus⸗ 
gezeichnet in der poetifchen Erzählung; Libner (geſt. 1793), 
gefuͤhlvoll und nicht ohne Eigenthimlichleit als Lyriler. — 
Weit über allen dieſen ftehn, Joh. Henr. Kellgren, national 





- 20 — 


in allen feinen Leitungen, geiflreich als Bekaͤmpfer des frans 
zöfirenden Treibens, und ald Lyriker, Satyriler und Tragiker 
höchft bedeutend, und ber geniale lyriſche Vollsdichter €. M. 
Bellman (geb. 1745, gefl. 17002, ein echter Sohn feines 
Landes. — 


Das neunzehnte Jahrhundert, P wenig Decennien es 
enthäft, umfaßt doch in der Geſchichte der ſchwediſchen Na⸗ 
fionafitteratur zwei Perioden, von denen die Erftere fich mit 
1810 fehießt. Die Schwäche und Zurcht des ſpaͤter entthrons 
ten Königs unterdruͤckte faft allen wiffenfchaftlicher Verkehr, _ 
and eine eiferne Tyrannei Taftete auf den freieren geiſtigen Be⸗ 
firebungen in Schweden. Die beften Schriftfteller fchwiegen, 
um fich dem Drucke zu entziehen und nicht Taftigen Verfolgun⸗ 
gen ausgeſetzt zu ſeyn. — Mit der neuen Dynaſtie geftaltete 
fich jedoch Alles anderö; ein reges Leben offenbarte fich in als 
fen Sächern bes Willens, und obwohl man noch ziemlich lange 
in der Poefie, der franzoͤſiſchen Schule hartnaͤckig treu blieb, fo 
waren doch die Beſtrebungen in ber Nationallitteratur geiftreis 
eher, nicht verwerflicher Art. — In den Testen Jahren tras 
ven nun die Anhänger der romantifchen Poefie, von ihren Geg⸗ 
nern Die Phosphoriften genannt, weil fie vorzuͤglich die Zeits 
ſchrift Phosphorus zu ihrem Organe machten, auf, und 
em ſolcher Conflict konnte nur fürderlich und erfprießfich ſeyn. 


Zu den vorzůglichſten Dichtern, welche waͤhrend dieſes 
Jahrhunderts hervorträten, gehören Tegner, Atterbom, 
Nicander, der Teider zu früh verftorbene Stagnelius und 
Sranzenz.da der Erftere fich ſchon feſtgeſtellt zu haben ſcheint 
und Stagnelius feine Laufbahn vollendete, die Anderen aber 
im Werden einer neuen Schule felbft noch in der Entwickelung 
begriffen find, fo darf ich nur, ‚von ber Zeit gedrängt, vers 
ſuchen , dieſe Zwei zu characteriſiren. 

Eſalas Tegnér, Bifchof vom Werio, fruͤher Profeſſor 
der griechiſchen Litteratur zu Lund in Schonen, war der Erſten 
Eiuer, wehhe die Bande der franzoͤſiſchen Schnle, hie bisher 





— 61 — 


vie alleinherrfchende in Schweden geweſen, fprengten. Eigent⸗ 
lich begann er ſchon in feinen früheften Leiftungen ganz ımabs 
hängig von derſelben fich zu zeigen, doc) fand er anfangs nicht 
ben erwarteten Beifall bei feiner Nation, da diefe noch zu bes 
fangen in den alten Formen, den freien Igrifchen Schwung, 
den er genommen, wicht zu würdigen wußte. — Tegner 
fchritt aber muthig und forglos weiter, jedes neue yoetijche 
Erzeugniß, das er brachte, übertraf das Vorige an Werth, 
und fo konnte es nicht fehlen, daß er bald Aller Herzen für 
fich gewann, umterftüßt von einer neuen aufblühenden Genes 
sation, welche, mit jugendlichen Kraften begabt, fich den als 
ten Meiftern einer pedantifchen Schule kuͤhn entgegenftellte 
und bald den Sieg davon. trug. — Jetzt ift nur eme Stimme 
über ihn in ganz Schweden, wo man ihm mit Stolz ald den 
erften Dichter des Landes betrachtet. — Eine fpielende, gläns 
zende Phantafie, die jedoch fich mehr auf der Oberfläche gaus 
kelnd gefällt, als daß fie in die Geheimniffe der Tiefen des 
Lebens dringt, gluͤcklicher, gefalliger Wi, eine bilderreiche 
Sprache und harmonifcher Wohlklang zeigt ſich in allen Ges 
dichten Teguer’s, aber troß diefen fchönen Gaben fehlt ihm 
doch die höchfte, der Cytherenguͤrtel des Dichters, reiches und 
‚warmes Gefühl, und die von diefem unzertrennliche warme 
Begeifterung des Herzens. — Seine Poeſie biendet ımd ers 
gößt daher mehr als fie ergreift und rührt; ihre Wirkung ift 
momentan und angenehnt, aber nicht dauernd und gewaltig. 
Tegner hat in mancher Hinficht, vorzüglich was die Iyrifche Be⸗ 
weglichleit betrifft, große Aehnlichkeit mit Thomas Moore, 
aber die Innigkeit der Empfindung des Letzteren geht ihn aanz 
ab, und es ift nicht wahrfcheinlich, daß er den hohen Nang, 
den ihm feine Landsleute fo willig einraͤumten, lange behalten 
werde; er ift-ein fchönes Meteor anı Himmel: der fchwediichen 
Poefie, Fein Stern unmandelbaren Lichtes. — 
Tegner’8 bedentendfte Gaben find, die Abendmahls⸗Kinder 
(Confirmanden) (Nattwardsbarnen. 'Lund, 1821. 8.), eine 
Art voffifcher Idylle, Axel, ein Gedicht in Romanzenform 


— 12 — 


unb Fritkiof. *) — Wir befigen von den meiflen feiner 
Merle gelungene, leicht zugängliche Ueberſetzungen, und ich 
erlaube mir Daher nur, Ihnen aus dem Lehteren, als dem 
bedeutendften, das fchönfte Bruchſtuͤck mitzutheilen. 


Der Abfdhien. 


Ingeborg. 

Schon graut der Tag und Frithiof kommt noch nicht! 
Gleichwohl berufen geſtern war der Ting 
Auf Bele's Huͤgel; paſſend war der Ort, 
Dort zu entſcheiden ſeiner Tochter Schickſal. 

Wie viele Bitten hat es mich gekoſtet, 
Wie viel der Thraͤnen (Freia zaͤhlte ſie) 
Des Haſſes Eis um Frithiofs Bruſt zu ſchmelzen, 
Dem Stolzen das Verſprechen abzuſchmeicheln, 
Noch eins die Hand zu bieten zur Verföhnung! 
Ad, hart ift dach der Mann, und für die Ehre 
(So nennt er feinen Stoß) nimmt fo genau 
Er’s eben nicht, ein treues Herz zu brechen. 
Gleicht doc, das arme Weib an feiner Bruft 
Dem Moofe, das auf fchroffer Klippe Stirn 
Mit bleihen Farben blüht; nur muͤhſam Hält es, 
Ein unbemerkt Gewaͤchs, fi am Geftein, | 
Und feine Nahrung find des Nachtthau's Thränen. 

&o ward denn geſtern mein Geſchick entfchieden, 
Und drüber nieder fan die Sonne fchon, 
Doch Frithiof kommt noch nicht — die bleiben Sterne 

Erloͤſchen droben, einer nad) dem andern, 

Und ady! mit jeglichem, der dort verfchwindet, 
Stirbt eine Hoffnung auch mir in der Bruft. 
Doch warum hoffen auh? — Walhalla’s Goͤtter 
Sind mir nicht Hold, erzuͤrnet hab’ ich fie; 
Der Hohe Baldur, in deß' Schuß ich wohne, 
Verunglimpft iſt er, denn ein menfchlich Lieben, 
Nicht heilig g'nug iſt's für der Götter Blick, 


*) Frithiofs-Saga af Esaias Tegner: Stockholm, 1825. 





— 61 — 


Und ungeſtraft barf-ich'iche Freude nid © 
Der Halle nahn, worin bie ernften Maͤchte, 

Die Himmliſchen, den Throm ich hier befeſtigt. 
Und doch, was iſt mein, Fehler? — Warum zuͤrnet 
Der fromme Gott ber jungfräulichen Liebe? 

Iſt fie nicht rein, wie Urda's klare Fluth, 

Nicht unſchuldsvoll, wie Gefions Morgenträume? — 
Die hohe Sonne wendet abwärts nicht 

Von gluͤcklich Liebenden ihr reines Auge; 

Des Tages Wittwe, die geftirnte Nacht, 

Hört, trauernd feld, der Liebe Schwur mit Freuden. 
Was fchuldlos unter dem Gewoͤlb' des Himmels, 
Wird's unter Tempelwölbung ftrafbar denn? 

Ich liebe Frithiof. Ach, fo weit zuruͤck mir 
Erinn’rung reichen kann, liebe idy nur ihn. 

Mit mir geboren ja ward dies Gefuͤhl, 

Nicht kenn’ ich feinen Anfang, noch vermag ich 
Zu denken, baß es jemald anders war. 

Sleichwie die Frucht fih anfegt um den Kern, 
Und fih um ihn in reifem Wachthum rundet, 
Beim Sommer s Sonnenfhein,, ein gold’ner Ball: 
So wuchs auch ich empor, und reifte fo 

Um diefen Kern bisher, es iſt mein Weſen 

Die auß're Schaale meiner Liebe nur. 

Vergich mir, Baldur! mit getreuem Kerzen 
Betrat ih Deinen Saal, mit treuem Kerzen 

Will ich von dannen gehn: ich nehm’ es mit 

Einft über Bifeof’s Bogen, ftelle kuͤhn 

Mit meiner Liebe mid vor Walhall's Götter, 
Dort wird, ein Aſakind, ‚fie ftehn, wie jene, 

In Schildern blank fid fpiegeln und befreit 


Mit Taubenſchwingen fliegen durch die Räume, 


Die ungemefl’nen, in Allvaters Schooß, 

Moher fie am. — Warum denn runzelft Du 
An Morgendämm’rungsfchein die helle Stirne? — 
Sin meinen Adern frömt, wie in den Deinen, 


Des alten Odin’s Blunt. — Was will Du, Ohm? — 


Kann ic doch nicht Dir meine Liebe opfern, 
Noch will ichs — wie fie Deines Himmels würdig. 


a 
! 


, 


624 — 


Mein gebensgläe Hinopfern kann ich wohl, 
Kann's von mir werfen, wie die Königin 
Den Fuͤrſtenmantel von fidh wirft und doch 
Was fie gewefen, bleibt. — Es iſt beſchloſſen! 
Nicht foll Walhall der Enkelin ſich fchämen, 
Entgegen gehen will id; meinem Schickſal, 
Wie ihm der Held begegnet. — : Dort koͤmmt Frithiof, 
Wie wild, wie bleih! Sch ſeh's, es iſt gefhehn! — 
Mir naht zugleich mit ihm die grimme Norne, 
Sey ſtark, mein Herz! — Willfommen, wenn: audı it! 
Beſtimmt iſt unſer Schickfal,, lesbar fieht es 
Auf Deiner Stirne. 
Frithiof. ⸗ 


Stehen dort nicht auch 
Blutrothe Runen, ſagend Dir von Schimpf 
Und Hohn und Landflucht! 
Ingeborg. 
Frithiof, faſſe Dich! 
Erzähle, was geſchah; das Schlimmſte ahnet 
Mir lange ſchon, bereit bin ich auf Alles. 
Frithiof. 
Ich kam zum Ting dort auf den Grabeshuͤgel, 
Um deſſen gruͤne Seiten, Schild an Schild, 
Die Fauſt am Schwert, des Nordens Maͤnner ſtanden, 
In immer engern Kreiſen, dicht gedraͤngt 
Bis hoch zum Gipfel, auf dem Tingſtein aber 
Gewitterdunkel ſaß Dein Bruder Helge, 
Der bleiche Blutmann mit dem duͤſtern Blick; 
Und neben ihm dort ein erwachsnes Kind, 
Saß Halfdan, mit dem Schwert. gebanklos fpielend. 
Da trat ich vor und fprach: „Es ſteht der Krieg 
Und fchlägt den Heerſchild an des Landes Graͤnzen; 
Dein Reich ift, König Helge, in Gefahr; 
D'rum gieb mir Deine Schweſter, und ‚ich leihe 
Die meinen. Arm im Streit, er kann Dir nuͤtzen. 
Vergeflen zwifchen uns fey denn der Groll, 
Ich nähe’ ihn ungern gegen Ing'borgs Bruder. 
Sey billig, König, rette fo zugleich 
Die gold'ne Kron' und -Deiner Schwefter Herz. 


Hier meine Hand, bei Afa Thor, ich biete 

Zum legten Mal fie Heut’ Dir zur Verſohnung.“ — 
Da laut erbrauft's im Ting — mit taufend Schwertern 
Hört Beifall man auf taufend Schilde fchlagen, 

Der Stahlklang flieg zum Himmel auf, der froh 

Der freien Männer Rechtgefuͤhl empfing. 

„Sieb: rief's — „ihm Ingeborg, die ſchlanke Lifte, 
Die fhönfte, die in unfern Thälern aufwuchs: 

Iſt er die befte Klinge doch im Land! — 

D'rum gieb ihm Ingeborg! — Mein Dflegevater, 
Der alte Hilding mit dem Sifberbart, 

Trat vor und hielt die weisheitsvolle Rebe 

Mit kurzem Kernfpruch, treffend fcharf wie Schwertfchlag, 
Und Halfdan feldft erhob vom Koͤnigsſitz 

Zum Bruder flehend fih mit Wort und Blick. 
Vergebens war's, verloren jede Bitte; u 
Gleich wie auf nadtem Fels der Sonne Strahl; 

Aus ftarrer Bruſt entlockt er keinen Keim, 

Und König Helge's Antlitz blieb ſich gleich, 

Ein kaltes Nein auf menfchlih warme Bitte, 

„Dem Bauernfohn vielleicht — (ſprach er mit Nachdruck) 
Gaͤb' ich die Schwefter — doch der Tempelfchänder, 
Nicht paßt er, wie mic dänke, für Walhall's Tochter, 
Und brachſt Du, Frithiof, Baldur's Frieden nicht? 
Sahſt Du nicht Ingeborg in feinem Tempel, | 
Als fid) der Tag vor Eurem Frevel barg? — 

‘a oder Nein?’ — Laut aus der Männer Kreife 
Da fallt der Auf: ‚, Sag’ nein nur, fage nein! 
Wir trauen Deinem Wort, wir freiin für Dich, 

Du Thorftens Sohn — wie er, der Königsfohn, 
Sprid nein, fprich nein, und Dein ift Ingeborg. 


‚‚ An einem Wort hängt meines Lebens Gluͤck,“ 
(So ſprach ich) doch nichts fürchte d'rum, Fuͤrſt Helge, 
Nicht lügen will ich mich zu Walhalls Wonnen, 
Noch zu den ird’fchen; — Deine Schwerter ſah ich, 
Hab’ in des Tempels Macht mit ihr gefprochen, 
Doc darum brach ich Baldur’s Frieden nicht.” — 
Nicht weiter fprach ich. Des Entſetzens Murmeln 

40 





— 626 


Durchflog den Kreis; bie mir zunächft geflanben, 

Scheu wichen, wie vorm Peſthauch, fie zuruͤck — 

Und als ich um mid fah’, vom dummen Wahn 

Selähmt war jede Zung’ und weiß getändht 

Die Wangen, jüngft von Hoffnung froh erglüht. 

Da fiegte König Helge. Düfern Lautes, 

So dumpf und hohl, gleich dem der todten Wala 

An Wegſtams Auida, als fie fang für Odin 

Der Afen Untergang und Hela’s Sieg, 

So redet! er: „‚ Verbannung oder Tob, 

Ausfprechen könnt’ ich's nach der Väter Satzung 

Für Dein Vergehn, doch zeig’ ich gern mich mild, 

Dem Gotte gleich, def Heiligthum Du ſchmaͤhteſt. — 

Im Meer des Weſtens liegt es wie ein Kranz 

Bon Snieln, die Jarl Aganthyr beherrſchet: 

So lang’ Fürft Bele lebte, gab der Jarl 

Alljaͤhrlich Schasumg ihm, Uns blieb fie ang: 

Zieh” denn zu Sciffe bin, fie einzutreiben ; 

Die Buße fordr” ich nur für Deine Keckheit. 

Es heißt (ſo fügt er hoͤhniſch noch hinzu) 

Harthaͤndig fey der Aganthyr und liege 

Dem Fofnir glei anf feinem Gold, doch wer 

Mag unferm neuen Sigurd widerfiehen? 

Ein maͤnnlich kühn’res Abentheu'r it dieß, 

Als eine Maid in Baldur's Hain bethoͤren. 

. Zum nädılien Sommer warten Dein wir bier 

Mit Deinem Ruhm, vor Allen mit der Schagung. 

Mo nicht, biſt, Frithiof, Du der Ehre baar, 

Dazu in unferm Land zeitlebens friedlos.“ — 
Dies war fein Spruch und fo der Ting gelöf. - 


Ingeborg. 

Und Dein Beſchluß? 
Frithiof. 

Bleibt ſonſt mir eine Wahl? 
Haͤngt nicht an feiner Ford rung meine Ehre? — 
Ich will fie löfen, ob. auch Aganthyr 
Sein nicht'ges Gold in Naſtrand's Fluch verborgen ! 
Noch heute feegl’ ih — | 





— 627 — 


Ingeborg. 
Und verlaͤſſeſt mich? 
Frithiof. 
Nein, nicht verlaß ich Dich, Du kommſt mit mir. 
Ingeborg. 


Frithiof. 
Hoͤr' mich, hör’, eh’ Du erwiederſt! 

Dein weiler Bruder, ſcheint es fat, vergaß, 
Daß Aganhyr auch Thorftens Freund gewefen, 
Gleichwie Fuͤrſt Bele's; fo giebt er vielleicht 
Mit Gutem, was ich ford're: thut er's nicht, 
Fuͤhr' ich zu meiner Ueberrebung fcharf und bündig 
An meiner Linken den Gefährten bier. 
Dann fend’ ich Helge fein geliehtes Gold, 
Und loͤſ' auf immerdar fomit une Beide 
Bon des gefrönten Heuchlers Opferftahl. 
Wir aber, füße Ingborg, hiffen froh 
Auf undelanntem Meer Ellida's Seegel. 
Sie trägt uns an ein gaftliches Geſtade, 
Das eine Freiftatt deut verbannter Liebe. 
Was ift der Norden mir, was ift ein Voll, 
Das bang vor feiner Priefler Wort erbleichet, 
Und fühllos mir des Herzens Heilisthum 
Antaften darf, den Bluͤthenkelch des Dafeyns? 
Bei Freia! nein, dieß fol Euch nicht gelingen! 
Gebunden an die Scholl ift nur ein Knecht, 
D’rauf er geboren ward — doc) ich bin frei, 
Frei wie der Berge Luft — die Hand voll Staub 
Bon meines Vaters und von Bele's Huͤgel 
Hat auf dem Schiff noch Raum, und dieß iſt alles, 
Was wir bedürfen von der Heimath Erde. 
Geliebte! eine and’re Sonne giebt es, 
Als die auf Schneegebiegen bleich bier fcheint. 
Ein and’rer Himmel glänzt in tieferm Blau, 
Und milde Stern’, in göttlich warmem Glanz, 
Schau’n bei den lauen Sommernächten nieber 
In Lorbeerhainen auf ein zärtlih Paar. 
Weit fuhr mein Vater, Thorftens Wikingsſohn, 

. . 40 * 


Unmoͤglich! 


62338 — 


zur See umher, und oft erzählt” er uns 

Beim Heerdesfchein in fangen Winternächten, 
Dom Meer der Griechen und den Inſeln d’rin,' 
Den Hainen, grünend in der füllen Fluch. 
Dort wohnte fonft ein maͤchtiges Geſchlecht 

Und hohe Götter ftolz in Diarmortempeln. 
Berlaffen ftehn fie nun, — es wuchert Gras 
Auf dden Pfaden, bluͤhend Moos bedeckt 

Die Runen, die der Vorwelt Weisheit gründen, 
Und ſchlanke Säulenfchäfte grünen dort, 

Bon Südens uͤpp'gen Pflanzen rings umſtrickt. 
Doc weit umher freigebig trägt die Erde 

Frucht ohne Saat, was nur der Menfc bedarf; 
Die gold’nen Aepfel gluͤh'n im faft’gen Laube 
Und Trauben hängen fhwer von jedem Zweig, 
Wie Deine Lippen, purpurroth geruͤndet. 

Dort, Ingeborg, dort bau'n wir in die Wogen 
Ein kleines Nordland, fchöner noch als hier: 
Mit unſ'rer treuen Liebe fuͤllen wir 

Die heitern Tempelhallen und erfreu'n 

Mit unſ'rer Liebe die vergeßnen Goͤtter. 

Treibt dann mit ſchlaffem Seegel wohl ein Schiffer 
(Denn dort verſtummt der Sturm) vorbei dem Eiland 
Sin Abendfonnen s Stuth und blicfet freudig 

Bon rofenrother Fluch empor zum Strand, 

Da auf des Tempels Schwelle [haut er ſtaunend 
Die neue Freia (Afroditaͤ mein’ ich, 

Nennt jene Sprache fie) verwundert fieht er 
Die gelben Locken reih im Winde flattern, 

Und Augen, lichter als des Himmels Blau. 

Und allgemach wählt, wie der Alfen Schaar, 
Um fie ein Elein Sefchlecht von Tempeldienern 
Mit Wangen, wie wenn in des Nordens Schnee 
Ar feine Rofenpracht der Suͤd geſtreuet. — 


Ad! Ingeborg, wie fchön, wie nahe ſteht 
Der Erde beſtes Gluͤck zwei treuen Herzen; 
Nur daß fie muthig es zu faffen wagen. 
Denn willig folgt es Liebenden und baut 








629 — 


Ein Wingolf hier ſchon unter Wolken auf. 
Komm, eile, jedes Wort, das mehr wir ſprechen, 
Raubt einen Augenblick von unſerm Gluͤck. 
Bereit iſt Alles, ſchau, Ellida fpannt, 
Die dunklen Adlerſchwingen ſchon zum Flug, 
Und friſche Winde weiſen uns den Weg 
Auf ewig von dem wahnerfuͤllen Strande. 
Was zoͤgerſt Du? — 

Ingeborg. 

Weh mir, ich kann nicht folgen! 
Frithiof. 


Ingeborg. 

Ach, Frithiof, Du biſt gluͤcklich, 
Du folgeſt Niemand, ſelbſt gehſt Du voran, 
Gleichwie Dein ſchnelles Drachſchiff, doch am Steuer 
Steht nur ˖ Dein eig'ner Will', und lenkt die Fahrt 
Mit feſter Hand durch die erzuͤrnten Wogen. 

O wie ganz anders iſt es doch mit mir! 
In andern Haͤnden ruhet mein Geſchick, 
Die laſſen nicht den Raub, ob er auch blutet. — 
Ein Opfer, ſich leiſ' Elagend zu. verzehren, 
Dies ift der Königstochter, iſt mein Loos. 
Frithiof. 
Biſt Du nicht frei, ſobald Du willſt? — Dein Vater 
Sitzt in dem Huͤgel — 
Ingeborg. 
Helge iſt mein Vater, 
Iſt mir's an ſeiner Statt; nicht ohn' ihn kann ich 
Vergeben meine Hand. Und Bele's Tochter 
Stiehlt nicht ihr Gluͤck ſich, laͤg' es noch fo nahe. 
Was waͤr' das Weib, riß eigenmaͤchtig ſie 
Sich von den Banden los, womit Allvater 
Ahr ſchwaches Weſen an den Starken knuͤpfte? — 
Der bleichen Waſſerlilie gleichet fie, 
Die mit der Woge fleigt und mit ihr ſinket; 
- Des Schiffers Kiel geht Aber fie dahin, 
Merkt nicht, daß er den Stengel Ihr durchſchnitt. 
Das iſt nun ihr Geſchick; jedoch ſo lange 


Nicht folgen, mir? — 


Die Wurzel feft im tiefen Sande hängt, 

Behält fie Werth und Dafenn, leiht die Barden 
Bon ihren bleihen Brüdern fi, den Sternen, 
Auf blauer Tiefe ſchwimmend, felbit ein Stern; 
Heißt fie jedoch fih los — dann treiber fie, 

Ein welfend Blatt, umher auf oͤder Fluth. 
Verwich'ne Nacht — 0 biefe Nacht war ſchrecklich! — 
Dein wartet’ ich voll Angft und Du biiebft aus — 
Und nächtlihe Gedanken‘, ernft und ſtreng, 

Sie zogen ſchwarzgelockt und bleich voruͤber 

Dem wachen Aug’, dem brennend thränenlofen; 
Selbſt Baldur dort, der bleihe Gott, er ſah 

Auf mich herab mit drohend finkerm Blick. — 
Verwich'ne Nacht erwog ich mein Geſchick, 

Gefaßt ift mein Entſchluß, ich bleibe bier, 

Ein folgfam Opfer beim Altar des Brubers. 

Dod war es gut, daß ich nicht da Dich hörte 
Mit Deinen Inſeln, in die Luft gebaut, 
Umfluthet rings von ew'gem Abendroth, 

Ein ftilles Bluͤthenland voll Lich’ und Frieden. 
Wer weiß, wie fchmac man iſt? — Der Kindheit Träume, 
Die lang’ entfchlafnen, neu erftehen fie, 

Und fläftern mir in’s Ohr mit einer Stimme, 

So wohl bekannt, als wär's ein Schwefterlaut, 
So zaͤrtlich, wie des Kiebften Schmeicheltäne. 

Ich Hör’ euch nicht, nein, ich will euch nicht hören, 
Ihr lockenden, ihr einft fo theuren Stimmen! _ 
Was ſollt' im Süden ich, des Nordens Kind? 
Ich bin zu bleich für jene Roſen dort, 

Zu farblos ift mein Sinn für feine Gluth, 
Verfengt nur würd’ er von-der heißen Sonne, 
Und aufwärts blickte fehnfuchtsvon mein Auge 
Zum Stern des Nordens, der unwandelbar 

Am Himmel Wacht Hält uͤber'm Grab der Väter. 
Mein edler Frithiof fol das Land nicht meiden, 
Dirin er geboren ward, es zu befchiemen. 
Wegwerfen foll er nimmer feinen Ruhm 

Um fo Geringes, als ein liebend Maͤgdlein. 

Ein Leben, d’ran die Sonne Jahr für Jahr 


Den einen Tag ftets ähnlich fpinnt dem andern, 
Iſt zwar ein fchön, doch ewig Einerfel, 
Nur für das Weib — doch für des Mannes Geitt, 
Zumal den Deinen, wär’ der Stillkand läftig. 
Du liebt es, wenn der Sturm herum ſich tummelt, 
Ein fhäumend Roß, hoch über Abgrunds Tiefen; 
Auf Tod und Leben bort auf ſchwankem Brett 
Kämpfit um die Ehre Du mit der Gefahr. — 
Die fhöne Wäfte, die Du mahlteſt, würde 
Für ungebor'ne Thaten Dir ein Grab, 
Und mit dem Schild verroftete zugleich 
Der freie Sinn Dir — fo fol’s nimmer werden! 
Nicht ftehlen will ich meines Frithiofs Namen 
Aus kuͤnft'gen Heldenliedern, nicht verlöfchen 
Des Tapfern Ruhm im erflen Morgenroth. 
Sey weife, Frithiof, aß den Hohen Nornen 
Uns weichen, laß aus des Geſchickes Schiffbruch 
Die Ehre doc uns retten und deu Ruhm, 
Da rettungstos des Lebens Gluͤck zerſchellte. 
Wir muͤſſen fcheiden. 

TFrithiof. 


Warum muͤſſen wir's? — 
Weil ſchlaflios eine Nacht den Sinn Dir truͤbte? — 


Ingeborg. 
Weil meinen Werth ich retten will und Deinen, — 
Frithiof. 
Der Frauen Werth beſtimmt des Mannes Liebe. 
Ingeborg. 
Nicht lange liebt er, die er nicht mehr achtet. 
Frithiof. 
Mit Eigenſinn gewinnt man Achtung nicht. 
Ingeborg. 
Ein edler Eigenſinn iſt Pflichtgefuͤhl. 
Frithiof. 
Mit unf'rer Liebe ſtritt es geſtern nicht — 
Ingeborg. 
Auch heut' nicht, deſto mehr mit unf'rer Flucht — 
Frithiof. 


Nothwendigkeit gebietet dieſe, komm! 


= 


— 632 — 


Ingeborg. 
Nothwendig iſt allein, was recht und edel! 
Frithiof. 
Hoch zieht die Sonne, ſchnell verſtreicht die Zeit. 
Ingeborg. 
Weh mir, vorüber iſt fie ſchon für immer! 
Frithiof. 
Bedenk' es wohl, iſt dies Dein letztes Wort? 
Ingeborg. 
Bedacht iſt Alles ſchon, es iſt mein letztes. 
Frithiof. 
Wohl — König Helge's Schweſter, lebe wohl! 
Sngeborg. 


O Frithiof, Frithiof! muͤſſen fo wir fcheiden — 
Haft Dir nicht einen Blick für die. Gefpielin 

Der Kindheit übrig, keine Hand zu bieten 

Der Unglüdfeel'gen, die Du fonft geliebt? — 
Glaubſt Du, ich ſteh' auf Rofen hier und weife 
Mit Lächeln Ealt von mir mein beftes Gluͤck, 

Und veiße fchmerzlos aus der Bruft die Hoffnung, 
Die mit den Wurzeln meines Seyns verwuhs? — 
Warſt Du nicht meines Herzens Morgentraum? — 
Was ich von Freude je gekannt, hieß Frithiof; 
Und was das Leben Edles bat und Großes, 

Lieb Deine Züge ſtets vor meinem Blick. 
Verdunkle diefes Bild mir nicht, begegne 

Mit Härte nicht der Schwachen, wenn fie opfert, 
Was ihr das Liedfte auf dem Erdenrund, 

Was dort in Walhall ihr das LKiebfte bleibt. — 
Dieß Opfer, Frithiof, ſchwer ift ed genug; 

Ein Wort des Troftes dürft” es wohl verdienen. 
Ich weiß, Du liebeft mich, ich wußt' es ſchon, 
Seitdem in meinem Wefen es getaget, 

Und Ingborg’s Angedenken folget Dit 

Noch manches Jahr, wohin Du immer ziehft. 
Doc übertäubt den Sram der Waffenklang, 

Die Winde wehn ihn fort-auf wilden Wogen; 
Nicht darf er fisen auf der Kämpen Bank, 





633 — 


Wo fie beim Trinkhorn feiern ihren Sieg. 
Nur dann und wann, wenn in der Mächte Frieden 
Vergang’ne Tage Dis voräber zieh'n, 
Da bämmert wohl ein bleiches Bild dazwiſchen; 
Du kennſt es wohl, es gruͤßet Dich zugleich 
Vom theuren Jugendland', es iſt das Bild 
Der bleichen Jungfrau, fern in Baldur's Haine. 
Nicht von Dir weiſen wirſt Du es, obſchon 
Es ſorglich blicket, magſt ein freundlich Wort 
In's Ohr ihm fluͤſtern — und die naͤcht'gen Winde 
Auf treuen Schwingen fuͤhren mir es zu. | 
Mir bleibt ein Troft, ich habe Keinen andern! 
Nichts lebt um mich, was meinen Sram zerftrent, 
Denn Alles mahnt an ihn, was mid) umgieht. 
Don Dir nur fprechen diefe Tempelhalfen, 
Und flatt zu drohen, nimmt des Gottes Bild 
Die Züge Deines Angefichts im Mondfchein, 
Blick' ich auf's Meer — dort ſchwamm Dein Kiel und ſchnitt 
Im Schaum den Weg zur Harrenden am Strande; 
Seh’ ich zum Hain — dort fteht fo mander Stamm 
Mit Ingborg Runen in der frifchen Rinde; 
Doch wie die Rinde wächft, vergeht mein Name, 
Und das bedeutet Tod, fo geht die Sage. 
Ich frag’ den Tod, wo er zulest Dich fah, . 
Die Nacht auch frag' ich, doch fie fhweigen ſtill, 
Und felbft das Dieer,, wie es Dich trägt, erwiedert 
Auf meine Tragen Seufzer nur am Strand. 
Dir fend’ ih Grüße mit der Abendroͤthe, 
Wenn fie in Deinen Fluthen fern erfifcht, 
Und des Gewoͤlkes fchnelle Seegler nehmen 
Am Bord. die Klage der Verlaß’nen mit. 
So fiß’ ich in der Jungfrau'n Kammer — ſchwarz 
Umhuͤllte Wittwe nach des Lebens Luft, 
Und naͤh' gebroch'ne Lilien in das Tuch, 
Bis Lenz einmal den frifch gewob’nen Teppich) 
Mit fchönern Lilien ftieft auf meinem Grab. 

Doch nehm’ die Harf' ich, mein unendlid Weh 
An tiefen Schmergenstönen auszuhauchen, 
Brech' ich in Thränen aus, wie jet — — 


— 64 — 


Frithiof. 
Du ſiegeſt, Beles Kind, nicht weine mehr! 
Verzeih’ mein Zürnen, nur mein Kummer war's, 
Der kurz vom Unmuth das Gewand entlehnte: 
Die Hülle kann er lange nicht ertragen. 
Du, Ingeborg, bift meine gute Norne: 
Was edel ift, lehrt uns ein edler Sinn; 
Die Weisheit fpricht, Nothwendigkeit aus Dir, 
Du fhöne Wala mit den Rofenlippen ! 
— Ja, weichen will ich der Nothwendigfeit, 
Bil von Dir fcheiden, nicht doch von der Hoffnung: 
Die nehm ich mit mir über Weſtmeer's Fluthen, 
Bis zu des Grabes Pforten folgt fie mir. 
Bei'm naͤchſten Lenztag bin ich hier zuruͤck, 
Fuͤrſt Helge, Hoff ich, fol mich wiederfehn. 
Geloͤſt ift mein Geluͤbd', erfüllt die Ford’rung, 
Zugleich die Schuld verfähnt dann, die mich anflagt ! 
Alsdann erbitt’ ih, — nein, ich forb’re Dich 
Auf offnem Ting, in Mitten blanker Waffen, 
Von König. Helge nicht, von Nordens Wolf; 
Dein rechter Vormund iſt's, Du Königstochter ! 
Ein Wort hab’ ich für ihn, der es verweigert, 


eb’ wohl indeß, bleib’ treu, vergiß nicht mein, 
Und nimm als unf’rer Kindheitsliche Pfand 
Den Armeing hier, ein ſchoͤn Waulunder s Werk, 
Mit Himmelswundern in dem Gold gezeichnet: 
Das befte Wunder ift ein treues Herz. 
Wie ſchoͤn umfchließt er Deinen weißen Arm, 
Ein Leuchtwurm, der am Lilienftängel glänget! 
Leb’ wohl, Seliebte, meine Braut, eb’ wohl! — 
In wenig Monden muß es anders werden. 


Angeborg. 
Er geht, wie trogig, wie fo voll von Hoffnung! — 
Er ſetzt die Spige feines guten Schwertes 
Der Norn’ aufs Herz und faget: Du ſollſt weichen ! 
Du armer Freund, die Norne weicher nicht, 
Sie wandelt ihren Gang und lacht der Drohung. 


635 


ie wenig kennſt Du meinen finftern Bruder! 
Faßt nimmer doch Dein off ner Heldenſinn 
Des Seinen duͤſt're Tiefe, noch den Haß, 
Der heiß in neiderkrankter Bruſt ihm gluͤht. 
Er giebt Dir niemals ſeiner Schweſter Hand, 
Eh’ giebt die Kran’ er, eh’ fein Leben hin, 
Und opfert mich dem alten Odin, oder 
Dem alten Ring, mit: dem er jego kaͤmpfet. 


Wohin ich feh’, ift Hoffnung nicht für mic, 
Doc Hin ich froh, fie Tebt in Deinem Kerzen; 
Für mich behalten will ih meine Schmerzen, 
Der guten: Götter Schu& geleite Dich! — 
Dein Armring hier fol mid) fie zählen lehren, 
Die langen Monden trüb” und kummerſchwer: 
Eins, zwei, vier, ſechs — da kannt Dir wiederfehren, 
Doc findeft Deine Ingeborg nicht mehr. 

Ueberfeße von A. von Helwig. 








€. 3. Stagnelius, geboren 17%, flarb im Frühjahr 
1823, viel zu früh ‚für feine Freunde und fein Vaterland, 
denn er verfprach einer der bedeutendſten Dichter zu werben, 
weiche Schweden je hervorgebracht hatte. — Tiefes, gluͤ⸗ 
hended Gefühl, das ſich, wahrſcheinlich durch feine längere 
Kraͤnklichkeit beherrfcht, mitunter nur zu ſehr dem duͤſteren 
Trübfinne zuneigt, ein reiches Gemüth, flammende Phantafie, 
Wohlklang der Sprache und ded Versbaues, Beweglichkeit der 
Anfchauung und Kraft und Wahrheit der Gedanken, find nicht 
geringe Zierden feiner Leiftungen. — Vorzüglich zeichnen fich 
feine dramatifchen Dichtungen durch ihre Tiefe und Die dichtes 
rifche Begeiſterung, welche fie fchuf, vor Allem aus. — Sn 
feinen epifchen Arbeiten, befonders in feinem Wladimir, ift er 
noch nicht bis zu der Höhe gelangt, welche ber epifche Dich- 
ter erreicht haben muß, um ein vollendeted Kunſtwerk zu fchaf- 
fen; in feinen lyriſchen Poefieen, vorzüglich aber in feinen Li⸗ 
tien in Saron, hat er es bis zu bedeutender Vollendung 
gebracht, die feinen Verluſt um deſto fehmerzlicher macht. — 


— 636 — 


Wäre Staguelius ein laͤngeres Leben ‚und. bie ruhige reife Klar- 
heit des Alters vergönnt worden, fo ftände er jetzt unbedingt 
auf gleicher Stufe mit den gefeiertfien Dichtern unferer Tage. — 

Die Leiſtungen der oben erwähnten anderen fchwebifchen 
Dichter, wie 3. B. Atterbom's, des geiftreichen Hauptes der 
Phosphoriften, Infeln der Glüdfeligkeit (Lycksalighe- 
tens Ö, deutich in gezwungener Weberfegung von Neuß), Ni- 
cander’s Runen, Tranzen’s Iyrifche Gedichte voll Zartheit 
und Liebe u. ſ. w. enthalten viel Schönes, doch find die Ver- 
faſſer, obwohl der heftige Kampf ber Gegenparthei, befonders 
Wallmark's, des fchmedifchen Gottſched's, in neuerer 
Zeit erlahmte, noch zu fehr im Schwanken über die eigent- 
tiche Richtung, welche fie einzufchlagen haben, und geben fich 
mitunter zu willig der Allegorie, vie faft immer auf Abwege 
führt, wenn ein gewaltiger Genius fie nicht beherrfcht, bin. — 
Bei dem regen Eifer aber, der fich jetzt überall in Schweden 
beurfundet, und bei der Aufmunterung, die der Poefie dort 
von allen Seiten zu Theil wird, laßt fich viel Herrliches er- 
warten. Sür die dramatifche Dichtkunft und den Roman ift 
ebenfalls im neuerer Zeit Erfreuliches gefchehen, doch muß hier 
das Nationale noch Iebhafter durchdringen, nm dem Zreiben 
der Nachahmer und Ueberſetzer, die fehr oft Katzengold für 
echtes Metall einzufehwärzen ſuchen, einen feſten Damm entz. 
gegen zu ftellen. — | 


Zwanzigſte Vorlefuns. 


Ueberblick der Gefchichte der Sprache und Litteratur Polens. 


Die polniſche Sprache iſt die vorzuͤgſichſte unter den fuͤnf 
ſlawiſchen Mundarten der nordweſtlichen Ordnung. — Sie 
erlitt vortheilhafte Veraͤnderungen durch fremden Einfluß, und 
gelangte bald zu eigenthuͤmlicher Selbſtſtaͤndigkeit, welche durch 
ihre Bildſamkeit und ihren Wohllaut nicht wenig beguͤnſtigt 
wurde; beſonders wirkte das Italieniſche mit gutem Erfolge 
auf ſie ein. Dazu kam noch, daß die Mehrzahl der juͤngeren 
Männer höheren Standes "ihre Bildung dem Auslande ver⸗ 
dankten, jedoch mit glühendem Patriotismus aus fremden Laͤn⸗ 
dern heimfehrten, und die ganze Liebe ihres Herzens, welche 
die Ferne nur noch verftdrft hatte, den heimifchen Laren zu⸗ 
wandten. — Zwar blieb dad gemeine Volk noch Iange in ſei⸗ 
vier Nohheit, und die Gefchichte der geifligen Bildung Polens 
zeichnet fich durch den Umſtand aus, daß alle Beförderung 
der Eultur und der Wiffenfchaften nicht wie in anderen Lanz 
dern durch den Bürgerfiand, fondern hier faft ausfchließlich 


— 06383 — 


durch den Adel bewirkt wurde, und fich daher faft auch nur 
in feinen Kreifen einheimifch fand. — 

Die fchöne Kitteratur Polens ift deshalb nicht im ei⸗ 
gentlichen Sinne eine Nationallitteratur zu nennen, indem 
nur der Fleinfte Theil der Nation fie bildete und fich ihrer er- 
freute, obwohl fie fich einiger glänzenden Perioden zu rühmen 
bat. — Die vielen politiichen Unruhen, an denen das Land 
litt, der Kampf des Obfcurantiemus, die Iwietracht der reli- 
giofen Partheien, und wie alle diefe Dämonen weiter heißen 
mögen, welche vor Allem dem edelſten Streben eines Volkes, 
feiner geiftigen und fittlichen Ausbildung mit giftgefchwängerten 
Hinderniffen in den Weg treten umd jede Blüthe im Keime 
tödten, außerten zu oft und zu lange ihren verderblichen Ein- 
fluß, und flörten vor Allem den inneren Frieden, deſſen ein 
Land vorzüglich bedarf, damit ber oft durch blutige Anfiren- 
gungen Igefäete Saame auffprießen und gedeihen koͤnne. — 
Berfolgt man den Gang der Geſchichte polniicher Poefie und 
Kitteratur, fo wird man im Ganzen nur einige vereinzelte be⸗ 
deutende Namen finden , die fich durch originale Beftrebungen 
auözeichneten, und die Luden durch Nachahmer fremder Schule 
und Lehre, oder, was allerdings nicht unbedeutend iſt, durch 
glücliche Weberfeger der Meifterwerle des Auslandes ausge⸗ 
füllt ſehn. 

Die eigentliche Gefchichte der Nationallitteratur Polens. 
beginnt erft mit Siegmund I.; das Jahrhundert, von dem 
Regierungsantritte dieſes Fürften bis zur Eröffnung der Jeſui⸗ 
tenfchulen in Krakau (von 1506 »— 1622) kann mit Recht 
als bie goldene Zeit in derfelben betrachtet werden, — Die 
gefeiertften Namen diefer Periode find vorzüglih: Johann 
Kochanowsky aus Syn, geboren 1530. Er bereifte 
Stanfreich,, SStalien und Deutfchland , fiudierte zu Padua, bes 
Heidete in feinem Waterlande nach feiner Heimkehr mehrere 
weltliche und geiftliche Aemter und ftarb als Woysli des Di⸗ 
firctes von Sendemir in Jahre 1584. — Kochanowsky iſt 
beſonders gluͤcklich als Igrifcher Dichter; feme Poefieen, in‘ 


gewiſſer Hinficht als Nachbiſdungen antiter Mufter zu betrach- 
ten, atmen eine feltene Innigkeit und Zartheit, und find 
reich an gefaͤlligem Wohllaut, vor Allen werben feine Pfalz 
men ald Meifterwerle gepriefen. — Sein Bruder Andreas 
und fein Neffe Peter Kochanowäly, haben fich befonders als 
glädliche Ueberſetzer, der Erftere des Virgil, der Letztere des 
Taſſo, hervorgethan. — Der aͤltere Kochanowsky verſuchte 
bereits die Versmaaße der Alten in der ſarmatiſchen Dichtkunſt 
einzufuͤhren, ſeine Bemuͤhungen blieben jedoch ohne Erfolg, 
und der Reim behauptete nach wie vor allein die Oberherr⸗ 
ſchaft; Simon Scymonowicz, geboren 1558, geſtorben 
1629, hoͤchſt erfolgreich als Idyllendichter, doch ſchrieb er lei⸗ 
der faſt nur in lateiniſcher Sprache; Stanislas Gros 
chowsky, Erzbiſchof von Lemberg, geſtorben 1644, gefällig 
and anmuthig in feinen poetiſchen Verſuchen, und Stanis⸗ 
laus Orzechowsky, geſtorben nach 1570, ruhmvoll zu er⸗ 
waͤhnen als erſter polniſcher Geſchichtsſchreiber und nicht ohne 
Verdienſt als Satyriker. 

Die naͤchſte Periode (von 1622 — 1760) wid von einem 
erfahrenen Litterärhiftorifer mit folgenden Worten characterifirt: 
„Dieſes Zeitalter kann man das theologiich= panegyriiche nen⸗ 
nen. Seine Kennzeichen find: Berfälfchung der Sprache durch 
Beimengung ded Latein, Polemik unter Johann Kafimierz, 
yanegprifcher Schwulft unter Johann Sobiesky, und litteräris 
ſche Lethargie unter Auguft II. und Auguſt IH. Wohl ber 
gegnet man, bejonbers im Anfauge biejer Periode, einzelnen. 
auögezeichneten, gegen dene aufichwellenden Strom muthig ans 
kaͤmpfenden Nationalfchriftftellern, aber felbft diefe gleichen deu 
auslaͤndiſchen Pflanzen, die auf fremdem Boden nicht gedei⸗ 
ben koͤnnen, weil fie die Menge des rings auffchießenden. Uns 
krautes aller Lebensfäfte beraubt.” *) Als bie bedeutendſten 





*) Sartori, hHiftorifch = ethnographifche Weberficht der wiffenfchaftliz 
den Cultur u. ſ. w. des öfterreichifchen Kaiſerthums. Wien, 
41830. I, ©. 51. | 


— 60 — 


Schriftfteller anf poetiſchem Gebiete aus dieſer Zelt werben 

genannt: Samuel Zwardowsty aus Szkrzypea ımd 

Vespaſian Kochomsty, Woysli von Krakau, nicht 

ohne Erfolg als Igriihe, fo wie Wadaw Potody glüdlich 
ald Epigrammen⸗ Dichter. — — 

Die folgende Periode, von 1760 bie jett, iſt als die Zeit 
der Wiedergeburt bed beſſeren Geſchmacks in ber polniſchen 
ſchoͤnen Litteratur zu betrachten. — Unter Stanislaus Au⸗ 
guſt wurden Kuͤnſte und Wiſſenſchaften mit reger Liebe be⸗ 
guͤnſtigt, und viele geiſtreiche Maͤnner nahmen ſich thaͤtig der⸗ 
ſelben an, bis endlich in der Folge die ungluͤcklichen politiſchen 
Ereigniſſe allen geiſtigen Verkehr hemmten. Cine neue, viel⸗ 
leicht glaͤnzende, Zeit ſteht der polniſchen ſchoͤnen Litteratur 
bevor, aber ſie wird nur die Fruͤchte einer unter Thraͤnen und 
Blut geſaͤeten Saat, die auf dem Boden der Verbannung 
aufſprießt, tragen, wenn uͤberhaupt jenen Maͤnnern, die ſich, 
jetzt fern vom Heimathsboden, verbuͤndeten, die Nationallitte⸗ 
ratur ihres Landes zu pflegen und zu warten, nicht ein uner⸗ 
bittliches Geſchick in unabwendbarem Jammer ein ſchmerz⸗ 
erfuͤlltes Stillſchweigen auferlegt. — 

Den Vorraug in den letzten Decennien des achtzehnten 
und den drei erſten des neunzehnten Jahrhunderts fuͤhren als 
Dichter: Julian Urſin Niemcewicz und Adam Mi⸗ 
kiewicz. — Ich geſtatte mir, bei Beiden einige Augenblicke 
zu verweilen. — Der Erſtere zeichnete ſich als Dramatiker 
und Lyriker hoͤchſt vortheilhaft aus, beſonders durch ſeine ge⸗ 
ſchichtlichen Lieder, in denen er die hohen Thaten der Helden 
ſeines Vaterlandes feierte, und welche, von Mund zu Mund 
gehend, bald Volkseigenthum wurden. Gluͤhender Patriotis⸗ 
mus, ODriginalitaͤt, glüdliche Behandlung des Stoffes und 
glaͤnzender Witz find die Hauptcharacterzüge feiner Leiflungen. 
— Er ift nicht minder glüdlich in Fabeln und Oden, und bes 
deutend als Hiftorifer und Redner. Eiftigen Antheil an dem 
letzten Freiheitskampfe nehmend, fah er fish bei deffen unglüd: 
lichem Erfolge genöthigt, fein Vaterland in hohem Alter zu 


fliehen und eine Zufluchtöftätte in England zu fuchen. — Niem⸗ 
cewicz hat.fich in vielfacher Hinficht verdient gemacht um die 
wiffenfchaftliche Bildung Polens, — Ein hiftorifcher Roman 
deſſelben, Johann von Tenczyn, warb auch in das Deuts 
ſche überfest (Berlin, 1828. 3 Bde. in 8), trägt aber 
eben nicht zu feinem Ruhme bei, da er wohl als fein fchwächftes 
und als ein mißlungenes Product überhaupt zu betrachten ift. — 

Hinfichtlich des Reichthums der Phantafie und productis 
ver Genialitdt ift Adam Midiewicz wohl dem eben. Erz 
wähnten vorzuziehen, — Einftimmig wird er für den bebeus 
tendften neueren polnifchen Dichter gehalten, Er befreite fich 
zuerft von den firengen Feſſeln der franzöfifchen Schule, wels 
cher man in Polen felbft dann noch eifrig anhing, als die 
Sranzofen felbft bereitö begannen, diefelbe nicht mehr für uns 
fehlbar zu halten. Eine große Schaar von Gegnern erhob fich 
und fuchte ihn mit allen möglichen Waffen zu befampfen, ja 
man behauptet fogar, daß feine Neigung zur romantifchen 
Poefie mehr ald feine freien Aeußerungen die Urfache feiner 
Verbannung in die Krimm, unter Alexander's Herrfchaft, gewe⸗ 
fen feyen. Er befiegte dieſe Widerfarher jedoch größtentheils 
durch die Vortrefflichkeit feiner poetifchen Gebilde, in welchen 
er, tro den ausländifchen Muftern, welche ihm vorfchwebten, 
fich beftrebte, fo national wie möglich zu feyn; auch gelang 
es ihm bald, viele Anhänger um fich zu verfammeln und mit 
diefen eine neue Dichterfchule zu gründen. Eine Sammlung 
feiner Gedichte, von einer Funftfinnigen polnifchen Dame vers 
anftaltet, erfchten im Jahre 1829 zu Paris (Poezye Adama 
Mickiewieza. 2 Bde.), Zartgefühl, Innigkeit ‚ver Empfinduns 
gen, glückliche Naturanfchauung und reichen Zauber der Phanta⸗ 
fie offenbarend. — Seine Landsleute werfen ihm vor, daß feine 
Dietion nicht immer die reinfte fey, ob er aber die Sprache 
nicht eben dadurch bereichere, ſteht dahin. Unter feinen groͤ⸗ 
ßeren Poefteen verdient vorzüglich fen Konrad Wallenrod 
(Krakau und Petersburg 1828) befondere Erwähnung. — Ich 
Iaffe hier al& Probe einige Gedichte von Mickiewicz folgen, des 

4 


— 612 — 


ven Verbentfchung wir dem Fleiße eines geiftreichen Recenſen⸗ 
ten feiner Poefien, fo wie dem Eifer des Dr. Spazier ver- 
danken. ) — 


Morgen und Abend. 


Die Sonne ſtrahlt aus Oſt im gluͤh'nden Wolkenkranze, 
Im Weſten truͤbt der Mond das blaſſe Angeſicht, 
Die Roſe kehrt entfaltet ſich zum Sonnenlicht, 
Das Veilchen kniet gebeugt in Thauesglanze. 


Vom Fenſter glaͤnzte Laura mir heruͤber;! | 
Ich Eniete Hin; und fie, ihr Goldhaar flechtend, ſpricht: 
Warum habt Ihr fo früh ein trauriges Seficht, 

Du Mond, du Veilhen, und auch Du, mein Lieber? 


Zu neuer Augenluſt kam ich am Abend wieder; 
Mit rothem Antlitz kehrte voll der Mond zuruͤck, 
Das Veilchen hob erfriſcht vom Abend ſein Gefieder. 


Auch die Geliebte blieb am Fenſter nicht verborgen, 
Sie ſtand im ſchoͤnern Kleide noch, und heitrem Blick; 
Ich kniete wieder hin — ſo traurig wie am Morgen. 





Anſicht der Berge aus der kozlower Steppe. 
Pilger und Mirza. 


Pilger. 
Kat Allah dort ein Eismeer hingeſtellt die Queere? 
Hat er von Wolken Engeln einen Thron gewoben? 
Iſt es ein Wall, von Diwen rieſengroß erhoben, 
Daß er der Sternenkaravan' den Weſten wehre? 
Es brennet Stambul! Ha!. die Flammengluth dort oben! 
Hat Allah ſie am Himmel ausgeſtellt als Faͤhre, 
Für Welten ſegelnd in des Raumes Meere, 
Wenn ausgedehnt die Nacht ihr Kleid in Sturmestoben ? 





*) Bel. Blütt. für litt. Unterhaltung, 1830. No. 194, 195. 


— 643 — 


Mirza. 
Dort? — dort war ich; der ſtarre Winter ſitzt alldort, 
Ich ſah aus ſeinem Neſt den Mund der Fluͤſſe trinken. 
Mein Athem flog als Schnee vom Mund, ich eilte fort, 
Wo nicht der Adler fliegt und Wolkenzug ſchon fern, 
Wo ich den Donner ſchlafend ſah in Wolken ſinken, 
Bis dort, wo uͤber meinem Turban nur noch war der Stern! 
Das iſt der Czatyrdah! 


Der Faris. 


O wie gluͤcklich der Araber! — ſprengt auf dem Roß 
Vom Fels in die Wuͤſte, fo weit und fo groß! 
Vom Hufſchlag im Sande der Schall erzifcht, 
Wie wenn glühendes Eifen im Waffer erlifcht. 
In das Gluthmeer dringt er, die Sandwog’ hinaus, 
Wie die Bruft des Delphins durch des Meeres Staus. 
Und ſchneller und fchneller er fchwimmt wie der Wind, 
Den Sarıd kaum berährend, der unter ihm rinnt. 
Schwarz ift mein Roß, ſchwarz wie der Orkan, 
Ein Morgenftern hat auf der Stirn den Sig; 
Es flattert die Mähn’ auf der Sturmesbahn, 
Es glaͤnzet der Fuß wie ein leuchtender Blitz. 
Fleuch an! Fleuc an! mein weißfüßig Thier ! 
Pag macht, ihr Wälder, ihr Berge, mir! 


Ein Palmbanm mir fo fehattig winkt, 
Zum Haupt die Frucht herniederſinkt — 
Ich flieh” feinen Schug — er birgt voll Schaam 
Sich in die Dafe, — des Wegs, den ich nahm, 
. Des verweg'nen, fpottet fein rauſchend Blatt: 
Der Fels, der die Grenzwacht der Wäfte hat, 
Er wendet mir zu fein duͤſter Geſicht — 
Und giebt zurück meiner Hufe Schall, 
Wie wenn er drohend zu mir fpricht: 
Ä 4i* 


— 64 


„Wohin Du Toller? Ken Palmenbaum, 
Noch ein Zelt iſt dort im weiten Raum! 
Der brennende Pfeil aus dem Sonnenball 
Berfengt Dein Haupt dort überall! 
Nichts ſchuͤtzet Dich als des Himmels Zeit, 
Es fchläft nur der Fels im wuͤſten Feld, 
‚Und Sterne nur wandern in einfamer Welt!’ 
Fleuch an! Fleuch an! Ich wende den Blick; 
Es fliehen die Felſen beſchaͤmt zuruͤck, 
Und Einer hinter den Andern fich buͤckt, 
Daß nicht mein flächtig Aug’ ihn erblickt! — 





Ein Geier ihr Drohn vernimmt, und ſich müht, 

Daß er mic ſchnell ergreif, 

Durchſchifft die Lüfte mir nach, und zieht 

Dreimal um mein Haupt einen dunklen Reif. 

„Ich witt're, ich wittre Leichengeruch, 

O wilder Reiter, laß ab, genug! 

Suchſt Du hier, wilder Reiter, die Bahn, 

Glaubt hier Dein Roß, daß es weiden kann? 

Hier ſucht nur der Samum ſeinen Pfad, 

Fuͤr Schlangen die Wuͤſte nur Speiſe hat, 

Nur Leichen hier ſchlummern den Todestraum, 

Nur Geier durchwandern den oͤen Raum!“ 

Er ſchrie's und ſtreckt die Krallen nach mir, 
Und dreimal uns ſchau'n in's Auge wir — 
Und wer von uns war's, der erſchrak? 

Es war der Geier, der erſchrak! | 
Fleuch an! Fleuch an! Ich hehe den. Blick — 
Weit war ſchon der Geier zum Himmel zurüd. 
Schwarz wie ein Voͤglein — ein Schmetterling, — 
Dann wie eine Muͤcke im Blau er hing! 

Fleuch an! Fleuch an! mein weißfüßig hier! 

Macht Pag, ihr Felſen, ihr Geier, mir! 


Des Geiers Drohn eine Wolfe vernahm: 

Und, entfaltend die weißen Flügel, fie kam; 

Am Himmel will fie — darnach fteht ihr Sinn — 
Ein Renner fo feyn, wie auf Erden ich Bin. 


615s — 


Und ſchwebt dann um das Haupt mir auch, 

Und fluͤſtert mir zu auf des Windes Hauch: 
„Unſinniger, wohin? Wo die Hitze zerbirſt 
Deine heiße Bruſt, mo verſchmachten Du wirft? 

"Keine Wolke Dir wäfcht Dein brennend Haupt 
Mit ihrem Naß, wenn es heiß beftaubt, 

Kein Bad Dich lockt mit Silberkflang, 
Keinen Tropfen je. der Wand’rer trank: 
Denn eh’ der Thau fich niederſenkt, | 
Hat Schon ihn der lechzende Wind verfengt!“ — 

Umfanft fie mir droht. Fleuch an! gefchwind! 

Die Wolke, erfchöpft, fchon zu ſchwanken beginnt, 

Schon neigt fie das Haupt und hält fih an 

Am Feld, — ich wende den Blick, docd dann 

Schon trennt uns ein Horizont! — Und bald 

Schau’ ich die Wolfe wie ihre Geſtalt 

Ihr innerftes Herzgefuͤhl mir mahlt: 

Zorn macht fie erft roth, dann gelb der Neid, 

D’rauf nimmt fie em ſchwarzes Todtenkleid, 

Und hinter den Felſen hinab 

Sinkt fie in ihr Grab. 
Fleuch an! Fleuch an! mein weißfäßig Thier 
Platz machet, ihr Geier, ihr Wolken, mir! 
Als waͤr' ich die Sonne, ſo ſchaut' ich umher, 
Sah Niemand als mich am Geſichtskreis mehr! 





Hier hat die Natur im Schlaf die Augen zu, 
Die Elemente bleiben um mich her in Ruh', 
Wiewohl im neu entdeckten Inſelland 
Furchtlos das Thier dem Menſchenblicke ſtand. — 
Doch Gott, bin allein nicht, der Erſte nicht hier — 
Eine Schaar glänzt vom Sandlager her zu mir. 
Sind es Reifende wohl, find es Räuber gar, 
Iſt's eine auf Neifende lauernde Schaar? 
Wie find die Reiter doch fo bleich, 
So ſchrecklich weiß die Roſſe zugleich! 
Ich eile Hinzu — fie vegen ſich nicht; 
Ich ruf ihnen zu; — doch Keiner fpricht ! 


646 °—— 


O! Sorte! Es find Leihen — vom Sturm einft verweht, 

Im Sand eine Karavane fteht! 

Es reitet noch auf der Kameele Gebein 

Das Gerippe des Mauren im graufigen Reih'n. 

Durch die Höhle, in der einft das Aug’ geglüht, 

Durch die Kinnbaden, wo einft die Lippe bluͤht', 

Rinnt heißer Sand feit Jahren fchon, 

Und murmelnd fcheint alfo mir zu drohn: 
„Unſinn'ger, wohin? Bald kommt der Orkan, 
Und faßt Dich mit Riefenarmen an!” 

Fleuch an! Fleuch an! mein weißfüßig Thier, 
Platz machet, ihr Leihen, Orkane mir! 


Und Afrika's entfeglichfter Orkan, 
Der je die Wuͤſt durchbraufet mit Gebruͤll, 
Seht einfam um Im fand’gen Ocean. 
Bon weiten fehaut’ er mich, und ftaunt, fteht fill — 
Rollt um füch ſelbſt und fpricht ſodann: 
„Was iſt das für ein elend Läftchen nur, 
So hin fich fchleppend,, winziger Natur, 
Das, ſolch' ein Abentheurer, unverzagt, 
Hier in mein Wüftenerbtheil her fi wagt?” 
Roth werdend dringt er dann auf mid) ein, 
Wie ein wandernder Pyramibdenftein, 
Und fehend, daß ich ein Sterblicher Hin, 
Und weichen nicht will — da wüthet er hin, 
Da ſtampft mit dem Fuß die Erde er, 
Daß Halb Arabien ſich wälzt umher. 
Wie ein Geier wohl nad dem Sperling hackt, 
So er mich mit Wirbelfluͤgeln packt. 
Es gluͤht mich ſein Feuerathem an, 
Wirft mich in die Luft, zur Erde dann. 
Da ſpring' ich auf und kaͤmpf' — und in Eil 
Durchbrech' Ich der Rieſenwirbel Knaͤu'l, 
Zerreiß' ihn, zermalm' ihn, es knirſcht der Zahn 
Auf des Sandkoͤrpers Stuͤcke. Es will der Orkan 
Entwinden ſich meines Arms Gewalt 
In einer Saͤule Rieſengeſtalt. 
Doch kommt er nicht los, er zerbricht dabei, 








647 


Das Haupt finkt in Staubregen morſch entzwei. 
Zu den Füßen bie Leiche geftreckt ſich ſchon Hat, 
Die gewaltige, wie ber Wall einer Stadt! — 
Da athm' ich frei und ſchau' empor 
Mit Stolz zu der Sterne leuchtendem Chor. 
Sie ſchau'n mit den gold'nen Augen mic an, 
Als mid) fie nur fehn in der Wuͤſte alsdann. 
O! iſt's doch fo füß, hier zu athmen, fo weit 
Die Bruft fi Sffnet — wie athm' ich erfreut 
So frei und fo vol! Kaum genigen kann 
Meiner Lunge die Luft von Arabiftan ! 
Wie füß iſts, zu fchauen fo weit umher! 
Mein Aug’ ſich erweitert, erftarkt fo fehr: 
Dringt über den Horizont hinaus. 
Wie ſtreckt ſich's fo füß hier die Arme aus, 
&o frank und fo frei und fo weit in das AI, 
As umfaßt’ ich den ganzen Weltenball! 
Mein Gedanke fliegt Höher in Pfeileslauf 
Und Höher und höher zum Himmel hinauf. 
Und wie die Biene ſich ſenkt in’s Grab 
Zugleich mit ihrem Stachel hinab: 
&o taucht mein Gedanke die Seele fo rein 
Tief in den Blumenhimmel hinein. 
Ueberfegt von Dr. R. Epajier. 





Neben diefen beiden Herven verdienen noch mit Auszeich- 
nung folgende Dichter der neueren und neueften Zeit genannt 
zu werden: Valentin Gursfi, glüdlich in Oden und Idyl⸗ 
ln; Dyzma Boncza Tomaszewsky, befannt als Epi— 
fer und Didactiker, nicht. ohne Erfolg im Luſtſpiel; Alois 
Felinsky, (geftorben 1826) berühmt als Verskünftler, nicht 
ohne Geſchick als Tragiker, doch in franzöfifchen Feſſeln; 
Fürft Adam Czartoryski (geb. 4733, gefl. 1823) ein 
origineller Luftfpieldichter, bhöchft verdient außerdem um die 
litterarifche Cultur feines Vaterlandes; feine Tochter, eine 
gefchiedene Herzogin von Wuͤrtemberg, wird ald die Verfaſſe⸗ 


— 648 — 


rin des beſten polniſchen Romans (Malwina, 3%. W., 
18215 2 Bde. in 8.) geprieſen. — 


Das fchmerzlichfte Gefühl muß jedes theilnehmende Ge- 
muͤth ergreifen, wenn ed bedenkt, welches fchwere Schickſal 
diefe glücklichen Beftrebungen mit gewaltigem Schlage bemmte, 
denn was die nächfte Zukunft bringt, Tann nichts anders feyn, 
ald Bluͤthen, die einem ungeheuern mit Blut gebüngten Grabe 
entfprießen. — Wozu noch mehr Worte darüber? — 


Ein und zwanzigſte Vorleſung. 





Deutſchland. 


ır . 


Nach langer Wanderung begruͤße ich Sie denn endlich auf 
unſeren reichen heimiſchen Auen; meiner Meinung nach kann 
das viele Schoͤne, das wir auf den Feldern des Auslandes 
fanden, doch nur dazu dienen, uns recht lebhaft den Werth 
umferer eigenen Leiftungen und Beſtrebungen fühlbar zu machen, 
denn in Hinficht auf feine geiftigen Früchte, ringt das deut⸗ 
ſche Land gewiß mit allen Andern fiegreich um den Preis, 
und fteht Keinem nach; es wuͤrde aber unbedingt das Erfte 


ſeyn, wenn wir, wie ein Voll, fo auch nur einen Staat’ 


bifdeten, und ſich alle unfere Kräfte in einem Streben con⸗ 
centrirten, nicht aber, von taufend Einfluͤſſen beherrfcht, nach 
allen Seiten hin verfplitterten. — So lange wir Oeſterrei⸗ 
cher, Baiern, Preußen w. ſ. w. find, ſo lange werden wir 
auch eine Öfterreichifche,, baierifche, preußifche u. ſ. w. Poefie 
haben, denn es fehlt und an einem gemeinſamen begeiſtern⸗ 
den Mittelpunkte. — 





— 0650 


Sch befürchte hier nicht, von Ihnen miöverfianden zu 
werden, als fen ich gefonnen, diefe Darftellungen in das un: 
fruchtbare Feld der Politit hinüber zu fpielen, wo jegt nur zu 
Viele ſich zum Saͤen berufen glauben, und mit läppifcher 
Hand vielleicht noch mehr Schwindelhafer, als gutes Korn 
verftreuen; ich rede mur davon, infofern es unfere National: 
fitteratur berührt, und hoffe, Sie werben im Kaufe diefer Ue⸗ 
berficht Ear von dem überzeugt feyn, was ich fo eben, nur 
kurz hingeworfen, andentete. Meine Hauptſorge ſey es, Sie 
aufmerkfam auf fo manches Schöne zu machen, das vielleicht 
bei unferem Neichthume Ihren Blicken entging, und in kur⸗ 
zen, aber moͤglichſt beſtimmten Zügen die verfchievenen Nich- 
tungen zu bezeichnen, welcher deutfche Dichtkunft in den letz⸗ 
ten drei Decennien fich vorzugsweiſe zumandte, — So hoch 
ich auch ein freimuͤthiges Urtheil fehäge, und fo fehr ich es 
für Pflicht halte, daſſelbe ftetd ohne Scheu auszufprechen, 
fo erwarten Sie doch von mir weit weniger Tadel ald Lob 
über die einzelnen Leiftungen zu hören; theild ziemt ed mir 
nicht, als einem Jüngeren unter den Strebenden ſelbſt, theild 
ift jet eine folche Zeit ded Haſſes und Laͤſterns, der Parthei⸗ 
lͤchkeit und des Egoismus in unſerem litteraͤriſchen Leben, daß 
man nicht wohlwollend genug verfahren kann, um den unver⸗ 
dieuten Kraͤnkungen, welche ſo mancher ehrenwerthe Mann, 
auf den wir mit Recht ſtolz ſeyn koͤnnen, von Seiten böswil- 
iger oft unreifer Kritik erlitt, entgegen zu arbeiten. — Un⸗ 
fere belletriftifche Kritik iſt wirffich die partie honteuse unfe- 
ver deutfchen Litteratur; meift won eigenfüchtigen Buchhändlern 
beherrſcht, und von beftochenen und feilen Schriftſtellern, die 
nur zu haͤufig im Solde der Erſteren ſtehen, angebaut, bringt 
fie täglich Dinge an das Licht, ‚deren fich jeder Deutſche, der 
es mit feinem Volle gut meint, vorzüglich dem Auslande ge⸗ 
genüber, aufrichtig fehämen muß. — Verzeihen Sie diefe 
Diatribe, aber wer fo wie ich, von Vernfs wegen, dieſem all⸗ 
täglichen Treiben aufmerkſam folgen muß, um bie wenigen 
Goldkoͤrner, die fich darin finden, nicht einzubuͤßen, dem geht 











— 651 — 


nur zu oft das Herz Über, wenn er daran denkt. — Nicht 
genug kann man jenen falfchen Propheten Uhland's herrliche 
Worte zurufen: 

Was unfre Väter ſchufen, 

Zerträmmern ohne Scheu, 

Um dann hervorzurufen 

Das eig'ne Luftgebäu; 

Fuͤhllos die Maͤnner laͤſtern, 

Die wir uns ausgewaͤhlt, 

Weil ſie dem Plan von geſtern 

Zu huldigen verfehlt; 

Die alten Namen nennen 

Nicht anders, als zum Scherz, 

Das heißt, ich darf's bekennen, 

Fuͤr unſer Volk kein Herz. — 





Die Geſchichte deutſcher Nationallitteratur waͤhrend des 
neunzehnten Jahrhunderts, zerfaͤllt, theilweiſe durch aͤußere 
Einwirkung beherrſcht, in drei Perioden; ich moͤchte ſie die 
Periode des Drucks (von 1800 — 1813), des Kampfes (von 
1813 — 1816) und des Misvergnuͤgens und Haſſes (von 1816 
bis jetzt) nennen. — Beſtrebungen in einer neuen, deutſchem 
Sinne wohl in mancher Hinſicht fremden Richtung, be⸗ 
gruͤßten das neue Jahrhundert. Geiſtreiche Maͤnner hatten 
ſich dem Mittelalter zugewandt, und den eigentlichen epiſchen 
Reichthum deſſelben, der erſt ſpaͤter richtig gewuͤrdigt wurde, 
verkennend, in den Elementen ſeiner lyriſchen Poeſie eine neue 
Quelle fuͤr deutſche Dichtkunſt gefunden. Der Druck fremder 
Zwingherrſchaft, welcher ſich immer laſtender uͤber Deutſchland 
lagerte, wies die Gemuͤther, vorzuͤglich der Juͤngeren, in ihrem 
Eifer zu ſchaffen und zu gruͤnden, darauf hin, und ſie ergrif⸗ 
fen begierig das Fuͤllhorn, das ihnen hier dargeboten wurde, 
denn jedes, auch das mittelmaͤßigſte Talent, das vielleicht nur 
Geſchicklichkeit und Gewandtheit in der Form beſaß, fand hier 
Stoffs die Fuͤlle, an dem es ſeine Kraͤfte uͤben und erproben 
konnte. — Die deutſche Poeſie mit ihren Gaben bis zu dieſer 


— 61 — 


Zeit, befiiedigte die Menge, bie ſtets nur heißhungrig das 
Neue will, nicht mehr; auch war der ernfle Siun, der an 
Gebiegenem allein feine Freude findet, in einer langen Zeit der 
Ruhe almählig ermattet, und beburfte einer gewaltigen Auf⸗ 
regung von Außen, um mit ganzer Kraft zu wirken. — Die 
beiden großen Heroen deutfcher Dichtkunft, Goethe und Schils 
ler, flanden zu vereinzelt da; fie waren theils zu gewaltig, 
theild zu eigenthümlich in ihrer Manier in einer, oder zu frei 
von einer folhen, in anderer Hinficht, als daß fich Nachah⸗ 
mer ihnen leicht anfchließen koͤnnten, zumal da fie dieſelben 
auch ſtets von fich fern hielten. Klopſtock dagegen erfchien 
der Maſſe bereitd unverftändlich, indem es ihr zu mühfam 
ward, fich ihn anzueignen, und er fich vorzüglich in der letz⸗ 

ten Zeit, wo fie ihre Stimme anſpruchsvoller erhob, nicht 
nach ihrem Gefchmade bequemen wollte, und Wieland war 
nie deutſch genug, um dauernd auf die Nation zu wirken, die, 
ob noch fo irre geleitet nom Einfluß der Ausländerei, doch 
ſtets im Innerſten ihre felbftftändige Eigenthuͤmlichkeit bewahrte. 
Daher fanden denn jene juͤngeren Maͤnner, die Stifter der ſo⸗ 
genannten romantiſchen Schule (eine Benennung, die ei⸗ 
gentlich grundfalſch fuͤr uns iſt, da die deutſche Poeſie von je⸗ 
her ihrem Character nach romantiſch war) freundliches Entge⸗ 
genkommen und großen Anhang, um ſo mehr, als ſie die rei⸗ 
chen Schaͤtze des Wiſſens vor der Menge aufthaten, und in 
wirklich geſchmackvoller und geiſtreicher Behandlung, wie ſie 
bisher unſerem Vaterlande eigentlich fremd geblieben die koſt⸗ 

baren Edelſteine des Auslandes, in edles Metall deutſcher 
Sprache gefaßt, darlegten und allgemein zugaͤnglich machten. 
Man hatte das Auge an den Umſturz des Beſtehenden ge⸗ 
wöhnt im Leben; er war daher in der Kunſt, die ein verſchoͤ⸗ 
neruder Spiegel deſſelben iſt, nicht ſo befremdend, und mußte 
um ſo mehr ſich die Geſinnungen befreunden, als man neben 
dem Alten und ohne dieſes zu verlieren, ploͤtzlich ſeinen Schatz 
durch einen unabſehbaren Vorrath geiſtigen Beſitzthums ver⸗ 
mehrt und vergroͤßert ſah. — In den eigenen Beſtrebungen, 


653 


die ſich nun nach den Muftern des Neu⸗Erworbenen bildeten, 
ging dad Gemuͤth auch nicht Teer and, vorzüglich als fich eine 
neue philoſophiſche Schule (die der Schelling’fchen Lehre) mit 
ihr verbündete; denn dadurch wurde ihm eine neue Bahn ges 
brochen; für das Vaterland konnte unter den druͤckenden obs 
waltenden Verhältniffen nicht gefchwärmt werben, für die Liebe 
fchwärmte der Einzelne nur allen, und feine Empfindungen 
waren zu fubiectio, um allgemein dauernde Theilnahme zu ers 
wecken; nun aber wandte man fich zu den Geheimniſſen des 
Glaubens, der jeßt fchon Iange (amd eigentlich immer) der 
Zufluchtöort der gebrüdten Menge war, und fo fanden die 
Dichter ald Herolde des Volkes das tieffte Mitgefühl, als fie 
die Wunder der geoffenbarten Religion in ihre Kreiſe zo⸗ 
gen und biefe, wie im Mittelalter, wo fie das einzige Palla⸗ 
dium der Nationen, verherrlichten und prieſen. — Obendrein 
war die vorhergehende Zeit eine Zeit‘ der religidien Kälte geives 
fen, und der Menfch ift nirgends eifriger, als im Ergreifen 
der Extreme. — Die Myſtik mußte jeßt Alles in der Poefie 
erfegen, denn jede Gefühlöweife konnte von ihr gefättigt wer⸗ 
den; die Dichter fehmüdten fie obendrein mit dem bunten 
Sarbenfpiele des Südens und Weſtens, welches die Menge noch 
mehr biendete — und fo fehien fiir eine Zeit lang Alles ges 
funden zu feyn, was dem Streben der Menge Bebürfniß er- 
fehien. — Doch dauerte dies nur eine Zeit Fang — denn die 
größten Dichter der Nation fanden auf der anderen Eeite, 
und obwohl fie nicht feindfich entgegentraten, fo begünftigten 
fie doch auch nicht; an ihrer Flaren Tiefe bitdete fich aber die 
Jugend vertrauensvoll herauf, und Tehrte nach furzen Verir⸗ 
rungen immer wieder mit vergrößerter Liebe zu ihnen zuruͤck. — 
Andererfeitd fchadeten die wirklichen Gegner der romantifchen 
Schule diefer nicht, fo großes Gefchrei fie auch erhuben, denn 
fie waren in jeder Hinficht zu mittelmapig, und die Vorkaͤm⸗ 
pfer, welche fich ihnen ſtellten, befaßen die herrlichften Waf: 
fen des Geiftes, die fie nur zu gefchickt zu führen wußten, fo 
daß Jene bald in ihrer ganzen Blöße und Lacherlichkeit daſtan⸗ 











— 654 — 


den. — Doch dauerte der Kampf noch immer fort, bis end⸗ 
lich der große Kampf für die Freiheit, ald das höchfte geiftige 
Gut, auf das fich jedes andere Beſitzthum des Gemüthes 
gründet, Alle zu einem Streben vereinigte. — 

Die leider zu kurze Periode des Kampfes ſteht ald der 
glänzendfte Punkt in der Gefchichte unferer Literatur da. — 
Alle Kräfte verbündeten fich zu einem Zwecke, den, zu begeis 
fiern, zu entflammen für bad Heiligfte; aller Zwiſt verfchwand 
und der Boden, auf dem damals die Poefie entjproß, war 
der reichte und würdigfte, denn alle even Gefühle der Menſch⸗ 
heit, Glaube und Liebe, legten ihre Saat in dieſe geweihte 
Erde der Vaterlandsliebe, — und die Saat fproßte herrlich 
empor, gebüngt vom Blut, dad für die Freiheit mit Freuden 
vergoffen wurde, — 

Der Kampf endete glorreich, die Begeiſterung bauerte bei 
Dielen fort, denn fie war zu groß und ruhte auf zu edeim 
Grunde, aber — —. Der reinfte, und darum auch der erfte 
jest lebende deutfche Dichter, Ludwig Uhland, fang fchon: 


Am ahtzehnten October 1816. 


Wenn heut ein Geift herniederftiege, 
Zugleich ein Sänger und ein Held, 
Ein folcher, der im heil'gen Kriege 
Gefallen auf dem Siegesfeld, 

Der fänge wohl auf deutfcher Erde 
Ein fcharfes Lied wie Schwerdtesitreich, 
Nicht fo, wie ich es fünden werde, 
Nein, himmelsträftig, donnergleich: 


„Man fprady einmal von Feſtgelaͤute, 
Man ſprach von einem Fenermeer, 
Doch was das große. Feft bedeute, 

Weiß es denn jegt noch irgend wer? 
Wohl müffen Geiſter niederfteigen, 
Bon heil'gem Eifer aufgeregt, 

Und ihre Wundenmale zeigen, _ 
Daß Ihr darein die Finger legt.’ 


65 — 


Ihr Färften ſeyd zuerſt befraget: 
Vergaßt ihr jenen Tag der Schlacht, 
Auf dem Ihr auf den Knieen laget, 
Und huldigtet der hoͤhern Macht? 
Wenn Eure Schmach die Voͤlker loͤſten, 
Wenn ihre Treue ſie erprobt, 

So iſt's an Euch, nicht zu vertroͤſten, 
Zu leiſten, was Ihr jetzt gelobt. 


Ihr Voͤlker, die ihr viel gelitten, 
Vergaßt auch ihr den ſchwuͤlen Tag, 
Das Herrlichſte, was Ihr erſtritten, 
Wie kommt's, daß es nicht frommen mag? 
Zermalmt habt Ihr die fremden Horden, 
Doch innen hat ſich nichts gehellt, 
Und Freie ſeyd Ihr nicht geworden, 
Wenn Ihr das Recht nicht feſtgeſtellt.“ 


„Ihr Weiſen! muf man Euch berichten, 
Die Ihr doch Alles wiſſen wollt, 
Wie die Einfaͤltigen und Schlichten 
Fuͤr klares Recht ihr Blut gezollt? 
Meint Ihr, daß in den heißen Gluthen 
Die Zeit, ein Phönir, ſich erneut, ' 
Nur um bie Eier auszubruten, 
Die Ihr gefchäftig unterſtreut?“ 


„Ihr Fürftenräth’ und Hofmarſchaͤlle 
Mit träbem Stern auf Falter Bruft, 
Die Ihr vom Kampf um Leipzigs Wälle 
Wohl gar bis heute nichts gewußt; 
Vernehmt! an biefem heut'gen Tage 
Hielt Sott der Herr ein groß Gericht. 
— Shr aber hört nicht, was ich fage, 
Ihr glaubt an Seifterfiimmen nicht. 


„Was ich geſollt, Hab’ ich gefungen, 
Und wieder fchwing’ ich mich empor, 
Was meinem Blick ſich aufgedrungen, 
Verkuͤnd' ich dort bem fel'gen Chor. 





— 656 — 


Nicht ruͤhmen kann ich, nicht verbammen, 
Untroͤſtlich iſt's noch allerwärts,' 

Doch ſah ich manches Auge flammen, 
Und klopfen hoͤrt' ich manches Herz. — 


Das ſchrieb Uhland 1816 und mit noch groͤßerem Rechte 
kann man 16 Jahre ſpaͤter wiederholen: Untröftlich iſt's 
noch allerwaͤrts. — Ich geſtatte mir jedoch nicht, die 
vorgeſchriebenen Schranken zu uͤberſchreiten, und wende mich 
daher, alles Andere bei Seite laſſend, zu dem Stande unſe⸗ 
rer Poeſie in neueſter Zeit, indem ich verſuche, ſi ie in den 
einzelnen Gattungen zu characterifiren. — 

1. Die Igrifche Poeſie ift ein Element, in welchem fich 
der Deutfche von jeher mit vorberrfchender Neigung und bes 
deutendem Glüc bewegte; die ernfte und tiefe Gemuͤthlichkeit, 
welche unferer Nation eigen ift, fo.wie der Hang, über die 
Empfindung zu reflectiren, der fich befonders thätig bei uns 
ausipricht, die Freude an den Schönheiten der Umgebungen 
in der Natur, die fich durch alle Stande in Deutfchland vers 
breitet, vor allen Dingen aber die auf dem Gefühl mehr als 
auf dem Verſtande beruhende hohe Achtung vor ben Frauen, 
und die leicht anzuregende Gefelligkeit, die fich befonderd in 
der Mittheilung gefällt, find Eigenthümlichleiten, welche un⸗ 
ter allen Verhältniffen die Iprifche Richtung begünftigen muͤſ⸗ 
fen, und ed auch von jeher bei uns gethan haben. — Wels 
chen Schag an fubjectiven Volksliedern befigen wir nicht im 
Verhältniß zu andern, in diefer Hinficht nicht minder begab- 
ten Völkern, wie 3. B. den Spaniern und Engländern, die 
weit mehr objectiv auffaflen und darftellen, aber die Empfin= 
dungen und Neflerionen für fich behalten; wir Deutiche bins 
gegen behalten das Hiftorifche meift für und, und geben nur 
dad Subjective im Liede, oder ſchließen jenes doch wo mög: 
lich diefem an. — 

Die Iprifche Poefie war daher ſchon mit großem Erfolge 
angebaut, und das neunzehnte Tahrhundert fand einen bedeu- 
tenden Reichthum ‚vor, — Die Veftrebungen der Romantifer 








— 657 — 


bereicherten einerſeits die Form, indem ſie mehrere ſuͤdweſtliche 
Weiſen, wie z. B. die Canzone, die Gloſſe, und vorzuͤglich 
das Sonnett, welches indeſſen ſchon zur Zeit der ſchleſiſchen 
Schule in Deutſchland eingefuͤhrt worden, anbauten und aus⸗ 
biſdeten; andererſeits wirkten fie hoͤchſt gluͤcklich auf die geiſt⸗ 
liche Liederpoeſie, da ſie das Gebiet religioͤſer Geſaͤnge, wel⸗ 
chem vorher nur ein enger Kreis angewieſen worden, ausdehn⸗ 
ten, und ſie nicht blos zum Organ kindlicher Dankbarkeit, ſon⸗ 
dern der ganzen reichen Liebe des Glaubens mit allen ihren 
Attributen machten. — Leider kam nur zu bald ein gewiſſes 
Modeweſen hinein, und da es im Ganzen leicht war, hier 
durch aͤußeren Schein zu blenden, ohne eigentlich die wahre, 
aus dem Innerſten entquillende Begeiſterung zu beſitzen, da 
ferner die Poeſieen der katholiſchen Kirche und ihrer Anhaͤnger 
zu viel glaͤnzende und damals noch wenig bekannte, und alſo 
fuͤr die Menge neue Vorbilder darboten, ſo bemaͤchtigte ſich 
bald ein Schwarm von Nachahmern derſelben, die das arme 
deutſche Land mit kirchlichen Geſaͤngen uͤberſchwemmten. — 
Es wurde ſo hyperkatholiſch in unſerer Poeſie, daß eine ge⸗ 
ſunde Bruſt Gefahr lief, an der Ueberfuͤlle von Weihrauch zu 
erſticken, und ein geſundes Ohr, taub zu werden vor dem ewi⸗ 
gen Klingeln der Meßgloͤcklein, die auf allen Seiten ertoͤn⸗ 
ten. — Spaͤter, zur Zeit des Befreiungskrieges, wo es vor 
Allem Beduͤrfniß war, ſich zu Gott zu wenden und durch ihn 
zu begeiſtern, trat ein geſunderer Sinn ein, und verdraͤngte 
die Afterfroͤmmigkeit und das Scheinweſen, ohne daß die Lei⸗ 
ſtungen an Tiefe und Gehalt verloren; im Gegentheil, fie 
ſchwebten fiegreich über allen früheren Beftrebungen dieſer Art, 
‚die herrlichen Gefänge Luthers ausgenommen, denn fie wurden 
von zwei wunderbar mächtigen Mufen befeelt, der Wahrheit 
und ber Allgemeinheit der Empfindungen. — In neuefter 
Zeit hörten diefe freilich auf zu wirken, und die religisfe Poes 
fie wurde weniger angebaut, weil das Bebürfniß nach ihr im⸗ 
mer mehr abnahm, je, als fich die Deutfchen in Hinficht auf 
den Glauben in zwei entgegengefegte Partheien fehieden, ward . 

42 


— 85 — 


fie von Beiden nur Demut, um ihre Lehren zu verbreiten, 
und verlor durch Beide, denn große berufene Dichter nahmen 
fich nur noch felten ihrer an; man ging bei beiden Partheien 
zu weit, bad verdbammend, was nicht ganz mit dem ausge⸗ 
fprochenen und erklärten Bekenntniſſe übereinftunmte, machte 
ed auch noch fo fchön fen. — Beide Theile fühlten nun die 
Nothwendigkeit, die Luͤcken auszufüllen, aber fie verführen 
auch hier wie faft immer polemifch, obwohl hier indirect, und 
dem myſtiſchen Dunkel warb nun die nüchterafte profaifche 
Verftändlichkeit, oder jenes dieſer entgegengeftellt. 


Hinſichtlich ihrer Leiftungen auf diefen Gebiete während 
bed neunzehnten Jahrhunderts, verdienen wohl folgende Dich: 
ter vorzüglich Erwähnung: Novalis (Sr. von Hardenberg), 
von Weſſemberg, Witfchel, Krummacher, Nie: 
meyer, Elifa von ber Rede, Mar von Schenken 
borf, Stra, Sreudentheit, Heſekiel. — Das Bee 
beutendfte haben, meinem Gefühle nach, Novalis, Mar von 
Schenfenvorf im Liede, Strack in der religiöfen Betrachtung, 
und Freudentheil in der Cantate geliefert. Einzelne vortreff⸗ 
liche Arbeiten dieſer Gattung finden fih bei Mahlmann, 
Schmidt von Lübel, Rochlitz, Chriftian Schrei- 
ber, G. W. Fink u. A. — Sehr gluͤcklich find mehrere 
firchliche lateiniſche Lieder von Follen und Menzel deutſch 
wiedergegeben worden. — 


In der weltlichen Lyrik blieben vorzüglich drei Richtungen 
beſtehend, und ſcheinen ſich auch noch lange erhalten zu wol⸗ 
len, da fie jede durchaus eigenthümlich der Stimmung des 
Zeitgeiſtes zuſagen. Es ſind dieſe, die von Goethe, von 
Uhland und von Heine eingeſchlagene Richtung; mit kur⸗ 
zem Ausdruck koͤnnte man die. Goethe'ſche die welt⸗lyriſche, 
die Uhland'ſche die deutſch⸗ lyriſche, die Heine'ſche die Conven⸗ 
tions = Igrifche Weiſe nennen: ich werde fie am Beſten charac- 
terifiren Tönnen, indem ich die Leiftungen dieſer drei Dichter 
einzeln der Betrachtung voruͤberfuͤhre. — 





Ars Lyriker fieht Goethe unendlich Hoch, und ift wohl 
als dad Vorbild der Dichter aller Nationen zu betrachten, we⸗ 
nigſtens Fönnte er e& feyn, und wird ed gewiß immer mehr, 
je mehr fich die Kenntmiß feiner Fleineren Gedichte im Aus: 
Iande verbreitet. Sein eigenthuͤmlichſtes Talent, das Schöne 
aufzufaffen und es fo, wie es ift, ohne daß es in feinem In⸗ 
neren, oder durch die Darftellung Veränderung erleidet, hinzu⸗ 
ftellen, beurkundet fich nirgends fo, wie hier. — In allen diefen 
Gedichten iftı Goethe immer, was er feyn will, nur nicht er 
ſelbſt, oder vielmehr er ift ein Proteus, der fich nie in feiner 
angebornen Geftalt zeigt, weil er eine beffere, fchönere, uns 
ſchuldigere im Reiche der Poefie fand. — Uber eben died ge: 
waltige Talent, dad Einzelne fo aufzufaffen und darzuftellen, 
wie es fich durchaus allgemein offenbart, und ihm nun durch 
bie Igrifche Weife den Weiz der fubjectiven Empfindung zu ges 
ben, die fietd eine Zäufchung bei dem Leſer hervorbringt, 
nimmt alle Gemüther fo mächtig für ihn ein, jebes findet 
fein Selbft oder Theile feines Selbſt dort wie in einem Spies 
gel wieder. Dazu gelellt fich num der herrliche Blick in die 
Natur, der ihm eigen ift, wie Keinem; er wählt nicht aͤngſt⸗ 
Tich die Farben aus zum Gemälde, fondern indem er die Em: 
pfindungen hinftellt, gefellt ex. auch fchon, in richtigem Ges 
fühl, die Umgebungen zu ihnen, in welchen fie fich am Vor⸗ 
theilhafteſten ausnehmen, und in denen fich eine folche Ge: 
müthöftimmung vor Allem gefällt. — Andere Dichter be: 
ſchwoͤren gewaltig bie Phantafie des Leſers durch ihre eigene 
herauf, damit fie ihnen diene, er thut das nicht, weil er es 
nicht nöthig hat, und doch wird fie bei feinen Gedichten un⸗ 
zertrennlich von dem Lefenden ſeyn, und fich bei der erften 
Zeile, ja ich möchte fagen, fehon bei dem erften Worte als 
Begleiterin durch das Ganze einfiellen. Nirgends vergißt man 
fich fo gänzlich und fühlt und denkt, wie ber Dichter es haben 
voll, ald bei Goethe, — Wir finden in feinen Liedern das 
Edelſte und Eigenthümlichfle des deutfchen Characterd wieder, 
und nirgends tritt Die veine und füße Jungfraͤulichkeit unferer 

42 * 


— 660 — 


Sprache ſo hervor, als bei ihm. Alles aber, was er bringt, 
zeigt ſich in ſchoͤner Geſtaltung, im vollendetſten Ebenmaaß, 
im einſchmeichelndſten Wohllaut. — In ſeinen ſpaͤteren und 
ſpaͤteſten Gedichten wurde Goethe leider theils zu conventio⸗ 
nell, theils allegoriſirte er zu ſehr (dies Letztere aus Alters⸗ 
ſchwaͤche, die fchaffende Kraft erlahmte, und er glaubte fie, 
in Serbfttäufchung, auf diefe Weife zu erfegen) und zerftörte 
daher die Iyriichen Elemente, indem er befonders von der ihm 
eigenthuͤmlichen Klarheit fich ganz abwandte. 

Uhland ift dagegen durchgängig ſubjectiv, ferbft ba, wo 
er erzählend verfährt, denn aus feiner Vortragsweiſe blickt 
feine innerfte eigenthümliche Gefinnung ſtets fiegreich hervor. 
In Allem, was er bringt, offenbart fich die edelſte, reinfte 
Natur, das redlichfte Gemuͤth. — 

Wie wir in Goethe's Liedern das Schönfte und Eigen: 
thümlichfte des deutfchen Characters herausfühlen, fo finden 
wir bei ihm den deutfchen Character ganz, in vollſter Wahr: 
heit, und darin ſteht er höher, ald Goethe, Er fchilbert nicht 
fremde Gefühle als feine eigenen, fondern nur feine eigenen 
felbft, aber diefe find fo echt, daß fie jebem Alter, jedem 
Stande ald ein gemeinfames fchöned Gut entgegentreten, — 
Dabei ift in Uhland fo viel jungfräuliche Zartheit, neben gro⸗ 
ger Würde und inniger Tiefe der Leidenſchaft, und Alles dies 
ſes fo wahr bargeftellt, daß es nie möglich wird, fich den 
Dichter von dem Menfchen getrennt zu denken. — Eine 
reiche, doch ruhige und eben dadurch ſtets die Oberherrfchaft 
behaltende Phantafie, lebendige Auffaflung der Schönpeiten 
des AN, die fich Eindlich auch am Kleinften freut, und in Al⸗ 
lem den großen Gedanken fieht, ver fich ein feſtes Band 
durch Alles hindurchichlingt, unenblicher Zauber der Sprache, 
Anmuth der Bilder, Wohlwollen im Ernft und Scherz, find 
Eigenfchaften, die die feſte Grundlage bilden, aus welcher fich 
Uhland’8 Schöpfungen entwickeln. — Er bleibt nicht bloß bei 
der Gegenwart ftehen, wie Goethe, Vergangenheit und Zu: 
Funft müffen ihre Schäge vor ihm eröffnen, damit er fie ges 





661 — 


genfeitig ſchmuͤcke, und durch fie den Adel des Menfchenge: 
fchlechteö hervorhebe, zur Sreude, zur Ermahnung, wie zum 
Beiſpiel. — Ueber Allem aber fchwebt eine wahre antike 
Ruhe, und eine feltene Einfachheit, die Feines andern Schmuf- 
kes bedarf, als des ihr angeborenen. Weflectirend verfährt er 
nur felten, und nur da, mo ed nothwendig ift, füch beftimmt 
auözufprechen, wie 3. B. in feinen vaterländifchen Liebern ; 
oft dagegen, faft immer, giebt er für den Gedanken nur ein 
Bild, doch.diefes fellt er fo hin, "daß der Gedanke, den ed 
umfaßt, zugleich mit ihm bei dem Leſer in dad Bewußtſeyn 
treten muß. — 

Heine fchlug einen ganz anderen Weg ein, inbem er ben 
Humor *) zu dem Hauptelemente feiner Lyrik machte, im Ge: 
fühl der Sammerlichkeit der Verhaͤltniſſe um ihn her, und ſei⸗ 
ner Stellung zu diefen. — Im diefem Gefühl aber mußte er 
fie) als die Hauptperfon betrachten, und daher Alles nur in 
der Stellung zu feinem Serbft behandeln. — Seit Leben ift 
ihm Vergangenheit und Gegenwart, feine Umgebung feine 
Melt. — Die Zukunft gilt ihm nicht, denn er faßt nur den 
Tag auf; was vor ihm da war, ift nicht für ihn da, theils 
weil er Viel davon felbft zerfiörte, indem er nur reude bat 





an feinem Leid, theils auch, weil ihm nach und bei dem Uns 


*%) Zu beflerem Verftänbniß für meine Suhörerinnen fchalte ich die 
geiftreiche Definition, welche. Menzel (deutfche Litteratur Th, IIs 
©. 232) vom Humor giebt, hier ein. „Der Humor ift das Bez 
wußtfeyn um die irdifche Unvolllommenheit, und feine aeſthetiſche 
Wirkung das Tragikomiſche. — Das Tragiſche des Humors geht 
aus dem ſchmerzlichen Gefühl hervor, daß wir ſelbſt mitten in 
der. Umnwollkommienheit leben, in die Schraufen des Irdiſchen ge: 
bannt find, felbft au den: Krankheiten der Seit leiden. - Das Ko: 
mifche des Humors entfpringt aber aus dem Gefühl, daß wir zu: 
gleich auch über dieſer Unvolllommenheit und fiber diefen Schran: 
ten fichen. Beide Gefühle wechjeln oder durchdringen ſich beitän- 

dig mad find ungertrennlich von einander. Wir beflagen und ver: 
fpotten und zugleich, unfere Luſt iſt unfer Schmerz.” 


1? 








662° — 


gluͤck, das ihn traf, Fein fremdes Gluͤck denkbar ift. — Dies 
fer Gram aber Argert ihn zugleich, und im Haß über und ge⸗ 
gen denfelben wüthet er nun gegen fich felbft, und fucht durch 
berben Spott die Wirkung feiner tiefften Gefühle zu zerftören - 
oder zu neutralifiren. — Heine einen deutfchen Byron zu nen⸗ 
nen, wie es Einige gethan, ift beinahe Idcherlich, weil es 
dumm iſt; Beide find ganz verfchiedene Naturen, und wären 
fie auch noch fo ahnlich, fo waltete doch noch ein großer Un⸗ 
terfchied, denn Byron's Empfindungen find wahr, das Tann 
Niemand, der em Herz hat, verlennen; ob dagegen die Hei⸗ 
ne’fchen nicht gemacht find, fo wie überhaupt fein ganzes Leid 
fingirt, dad wird man oft geneigt zu vermuthen, und dieſe 
Vermuthung befommt Wahrfcheinlichkeit, wenn man beobach- 
tet, wie er oft mit dem Heiligften fpielt, und ungeftraft fpielt; 
lebte dies wirklich fo in feiner Bruft, oder wäre je darin gewe⸗ 
fen, fo könnte er ed nicht thun, ohne die bitterfle, tieffte Neue 
zu empfinden und diefe in Selbftbuße auszufprechen, aber felbft 
dann und damit Fofettirt er. — 

Daß Heine übrigens einer der reichften Dichter fey, iſt 
feine Srage; feine Phantafte hat eine unendliche Kraft, einen 
wunderbaren Zauber und mitunter eine feltene Zartheit; fein 
Witz ift glänzend und fchlagend, feine Sprache erfreut fich, 
wenn er will, des anmuthigften Wohllautes, aber alle diefe 
Gaben achtet er nicht; fie find ihm nicht jungfräuliche Beglei⸗ 
terinnen feiner Mufe, ſondern gefeflelte Sklavinnen feines Hoh⸗ 
ned, die diefer ſelbſt mishandelt, wo es gilt, dem Leben wehe 
zu thun, weil ed dem Dichter weh that, und biefer fich rd= 
chen will. — Zerftören ift feine Luft, und feine Dichtungen 
haben daher nie etwas Erhebendes, Begeifternded und Verſoͤh⸗ 
nendes, weil fie ftetd nur feinen Imiefpalt mit dem Leben 
fchidern — und das Leben ift ihm Alles. — Diefe Grunds 
empfindungen feines Seyns weiß er übrigens, wie ein geſchick⸗ 
ter Tonkuͤnſtler, unendlich zu variren, indem er den Misklang 
feines Mefens bald in Grauen, bald in flarre Verzweiflung, 
bald in wilde Siunlichkeit, oder in fraßenhaften Spott Heidet — 





63 — 


überall Aber die Diffünanzen nicht aufloͤſt, weil feinem ganzen 
Weſen der verfühnenbe Dreitlang , Slauben, Liebe und Hoffe 
nung fehlt, 

Heine ift zu fehr Kind der Zeit, und der harte Label, den 
er in mehr ald einer Hinſicht verdient, trifft dieſe mehr, als 
ihn. — So iſt die Frechheit, die er dem Gemeinen entgegen⸗ 
fett als Zuchtruthe, nieht fein urfprängliches Eigenthum, er 
bat fie dem Leben um ihn ber abgeborgt, und ftellt fie um 
fo treuer.dar, als er fie ftetd in den curſirenden Wendungen 
und Ausdrüden des Tages reden laßt. Eben deshalb fcheint 
dieſe Weile Manier, fie ift eö aber nicht, es ift der eigen: 
thuͤmlichſte Ausorud feines Haſſes, wie der Menfch im Zorn 
überhaupt leicht das, was ihn ärgert, übertreibend nachäfft, 
um badurch recht bitter den zu Franken, der es ſeiner Meinung 
nach verdient, weil er die Urfache des Aergers if. — - Daher 
auch feine innere Geſetzloſigkeit, die fen größter Feind ift, da 
fie feinen Leiſtungen möglichfte Vollendung, nach der. doch jes 
der Dichter fireben muß, verwehrt. — Hieraus nun erklärt 
fich auch die anſcheinend leichte Kunſt, in feiner Denk⸗ und 
Sinnesweife zu dichten, welche fo viele Nachahmer hervor⸗ 
lockte. — 

In dieſen drei Richtungen nun bewegten und bewegen ſich 
in neuerer und neueſter Zeit unſere meiſten und vorzuͤglichſten 
deutſchen Lyriker fort, ohne daß man fie Nachahmer nennen 
koͤnnte, indem Sinnesart, Local⸗ und Lebensverhaͤltniſſe, innere 
Neigung, Studien u. ſ. w. von nicht geringem Einfluſſe bei 
einer ſo ſubjectiven Gattung der Poeſie waren; daher kann es 
Niemanden einfallen wollen, ſtreng jene Dichter nach den obi⸗ 
gen Beſtimmungen einzuordnen, indem Mehrere gleichſam als 
Mebergänge von einer zu ber anderen Richtung daftehen, An⸗ 
dere fich mehr oder weniger bald hier= bald dorthin wandten, 
und endlich noch Viele den Weg ber romantifchen Schule ein: 
ſchlugen, oder die antite oder hauswäterlich = bürgerliche Moral: 
lyrik der letzten Decennien des vorigen Jahrhunderts cultinir- 
ten. — Im Ganzen wird. nur zu bemerken feyn, daß bie 





* 


— 664 — 


Norddentſchen mehr in Goethe ſcher Richtung, die Suͤddeut⸗ 
ſchen in Uhland'ſcher Weiſe dichteten, und daß bie Juͤnger 
Heine's, groͤßtentheils Jüngere, viehr Nachahmer find, welche 
wie er Auſſehen zu machen hoffen. — Schiller's lyriſche Dich⸗ 
tungen blieben im Ganzen ohne activen Einfluß, fo ſehr fie 
auch die Menge entzuͤcken, und ein. reiches Eigenthum des ges 
fanunten deutfchen Volls geworden find. — Seine ibenlifis 
rende, zu oft und zu fehe auf philoſophiſcher Reflection berus 
bende Lyrik, fprach die Menge nicht mehr au, ſobald nicht 
ein fo gewaltiger Geiſt, wie der feine, fie beberrichte, und 
diefe erhabene Kraft, die. oft abfiracte Reflection mit den glaͤu⸗ 
zenditen Farben der reichften Phantafie zu fchmüden, war Keis 
nem feiner Nachahmer gegeben; deshalb ließen fie bald davon 
ab. — Unter ihnen ift Chriſtian Schreiber der Bebeutendfte. — 

Mollte ich die einzelnen Dichter zur Muſterung Ihnen 
vorüberführen, fo würde ich mehr Zeit bei unferem Vaterlaude 
verwenden müflen, als mir bei dein geſammten Europa vers 
‚ gönnt wende. Ich bin daher darauf beſchraͤnkt, Ihnen die 
Namen derjenigen zu nennen, welche neben jenen drei Dichz 
tern bad Berzüglichite in den einzelnen Gattungen der Inrifchen 
Poefie Ieifteten, und kann nur hier und da einige characteriftis 
ſche Züge hervorheben; da diefer Theil der Litteratur aber fo 
leicht zugänglich ift, fo möchte dies auch ſchon zu dem vorges 
ſetzten Zwece diefer Worlefangen genügen, Cie auf das Des 
deutendſte aufmerkfam zu machen. 

Im patriotiſchen Liede zeichneten fi Pr befonderd aus; 
Arndt, Körner, vom Stägemann, 5 Rüdert, Schentenborf, 
Ludwig Follenins, Pfiger; Lieder der Liebe wurden meis 
ſterhaft gefangen von Wilhelm Müller, Nüdert, Kerner, 
Helmina von Chezy, Ernſt Schulze; treffliche Lieder gefellis 
ger Luſt brachten Wilhelm Müller und Friedrich Ruͤckert; 
haͤusliche Lieder, denn dieſe bilden in Deutſchland eine 
ganze Gattung, deren Verehrer meiſt der alten Schule zugethan 
find, und zur Gemuͤths⸗Ergoͤtzlichkeit und Verdauung mit 
der Pieride dahlen, wie Voß fich einmal in feinen Brie⸗ 


— 66 — 


fen ansdruͤckt (eb wird Einem ſchon ſchmm, wenn mean nur 
diefe fchöne Metapher hört) Prabel, Voß, Winter (Theodor 
Hi), Schmidt von Luͤbeck, der bebeutendfte und gefuͤhlvollſte 
unter ihnen, Schmidt von WWerneuchen, den Goethe fo erha⸗ 
ben feierte, in dem Liede „Muſen und Gragien in der Marl‘‘ 
u. f. w.; in neueſter Zeit haben fich nur Wenige damit bes 
fhaftigt. — 

Für Lieder antiker Form find Gries ımb Platen wohl 
als die Erften zu betrachten; in romantifcher haben Riemer 
und v. Zedlitz Vorzügliches gebracht. — Das Sonnett fand, 
ſelbſt als die Einwirkung der Schlegel’fchen Schule nachließ, 
große Sreunde, die in dieſer Gattung Bedeutendes Teifteten ; 
wie Ruͤckert, W. Müller, Immermann, G. Schwab, Fou⸗ 
que, von Kalkreuth, Stredfuß, Ernft Schuhe u. f. w. — 
In der Elegie wurde hingegen nur wenig Erfreuliches ges 
bracht; doch find A. W. v. Schlegel, Humboldt (W. v.), 
Ernft Schulze, Hölderlin, Immermann, mit Auszeichnung zu 
nennen. — 


Die Tomifche Lyrik fand gewandte Freunde, wie 3. B. 
Praͤtzel, Kind, Eaftelli, Gries, Riemer, St. Schuͤtze, Bärs 
mann u. U. Die den Deutfchen eigenthümliche Behaglichkeit 
und Gemüthlichkeit ‚trug nicht wenig zum Gelingen bei, — 


Den Glanzpunkt unferer Lyrik bildet aber in neuerer Zeit 
die Romanze und Ballade, weiche als Uebergang von der Ins 
rifchen zur epifchen Dichtung zu betrachten iſt. — Hier 
kommt ımd Fein anderes Volk gleich, und: unfere Leiflungen 
auf diefem Gebiete Tönnen, wegen ihrer. inneren und aͤußeren 
Vollkommenheit, allen anderen Nationen als Vorbilder dienen, 
ſelbſt Engläudern und Spaniern, als deren Schüler wir uns 
zu betrachten haben, die wir aber überflügelten und in dieſem 
Jahrhundert weit hinter und ließen. — Unſere erften Dichter 
haben ſich dieſer Gattung mit auögezeichneter Vorliebe zuge: 
wandt, und neben fo gefeierten Namen, wie G. Schwab, 
Wihelm Müller, Kerner, Immermann, Chamiffo, Kind, 


— 66 — 


verdienen noch Halicſch, Zimmermann, Vechſtein, wit großem 
Lobe erwähnt zu werben. — 

Eine eigene Gattung von lyriſchen Gedichten, welche auf 
politiichem Boden entfproßten, und meift Zorn und Unwillen 
über das ungluͤckliche Schickſal der Voͤller in begeiſtertem 
Schwunge offenbarten, that ſich erſt im letzten Decennium 
hervor; doch iſt hier Herrliches geleiſtet worden, wie es vor⸗ 
zuͤglich W. Müllers ſiegreiche Griechenlieder beurkunden. — 

Durch Goethe veranlaßt, wandten ſich mehrere lyriſche 
Dichter der Weiſe des Orients zu; mit beſonderem Gluͤcke ver⸗ 
ſuchten ſich hier der geniale Ruͤckert und L. Stieglitz, deſſen 
Bilder des Orients Freunden der Poeſie nicht genug empfoh⸗ 
len werden koͤnnen. — 

I. Die dramatiſche Dicht kunſt ward in Deutſch⸗ 
land mit großem Eifer, aber nicht mit eben ſolchem Erfolge 
cultivirt; ſie hatte mit Schiller ihren Glanzpunkt erreicht, ſich 
aber nicht auf der Hoͤhe erhalten, auf welcher ſie ſich zu je— 
ner Zeit befand, und da jeder Stillſtand Ruͤckſchritt iſt, durch⸗ 
aus von ihrem Werthe verloren. — Die Urſache davon iſt in 
mehr als einem Umſtande zu ſuchen, und ſchon vielfach aus⸗ 
geſprochen worden, theils iſt die Menge noch immer zu unge⸗ 
biſdet, um die Wuͤrde des Drama einzuſehen und mehr als 
Zeitvertreib davon zu verlangen, theils ſind die Verwalter der 
Bühne zu ſehr in ſelbſtiſchen Zwecken befangen, oder auch zu 
unwiſſend, theild aber auch, und bied möchte wohl der Haupt: 
grund ſeyn, ift feit Schiller noch kein wahrhaft großer drama⸗ 
tifcher Dichter aufgeflanden, der dieſen überflügelte, und 
Bühne und Menge, indem er fie durch feine gewaltigen 
Schöpfungen hinriffe, ſelbſt wider ihren Willen beherrſchte. — 
Im Allgemeinen möchte aber wohl der Stimmung der Zeit 
viel vorzumwerfen ſeyn; die Neigung hat fich von der dramatis 
ſchen Dichtkunft der erzählenden zugewendet; und unfere erften 
Dichter, ihr huldigend, ließen von jener ab, oder ſchrieben, 
wenn fie Dramen verfaßten, dieſe nicht bühnengerecht, weil 
eö fie anwiberte, mit Inſtituten in Werbindung zu treten, die - 


— 67 — 


mit größter Geſetzloſigkeit entweder poetifches Eigenthum gar 
nicht refpectirten, oder doch den Dichter als einen Handwerker 
betrachteten, deſſen Arbeit fie nach eigenem Gutduͤnken für ihre 
Zwecke zurechtfiußen und nach ihrer jämmerlichen Sinnesart 
Tärglich bezahlen Tonnnten. — Es war da weder Ehre noch 
Gewinnſt zu holen, und wenn am Ende auch das Eine oder 
dad Andere wäre ſpaͤrlich zugemeſſen worden, fo blieb doch 
ganz gewiß die Dankbarkeit des Wolfed aus, auf die ein Dich⸗ 
ter fo gerechten Anfpruch hat, und die vor Allem fein ‚Herz 
erfreut und feine Seele zu neuen Werken begeiftert. — Es 
ift noch immer fo, wie der weltfiuge Director im Fauſt ſagt: 

. — Seht nur: bin, für wen ihr ſchreibt. 

. Wenn Diefen lange Weile treibt, 
Kommt Jener fatt vom übertifchten Mahle, 
Und was das Allerfchlimmfte bleibt, 
Gar Dancer kommt vom Lefen der Sjournale. 
Man eilt zerftveut zu uns, wie zu den Maskenfeſten, 
Und Neugier nur beflügelt jeden Schritt, 
Die Damen geben fich und ihren Putz zum Beften, 
Und fpielen ohne Sage mit. 
Was träumet Ihr auf Eurer Dichterhöhe, 
Was macht ein volles Haus Euch froh, 
Beſeht die Gönner in der Nähe, 
Kalb find fie kalt, Halb find fie roh. — 

Für das Trauerfpiel find, wie in der Inrifchen Poeſie, 
ebenfalls drei Richtungen anzunehmen: die idealifirende, 
Die fataliftifche und die reflectirende Behandlungsweiſe. 
Es wird nöthig feyn, jede einzeln zu beieuchten, che ich zw 
entwickeln -verfuche, was in ihr geleiftet wurde. — Es würde 
mir fihwerlich gelingen, dies beffer und klarer darzulegen, als 
es der geiftreiche Menzel gethan, ich Taffe daher deffen eigene 
Worte folgen: | 

„Dieſe Poeſie“ (die idealifirende) „ſtellt Ideale der - 
menſchlichen Groͤße und Schoͤnheit als hellleuchtende Muſter 
auf; ſie denkt ſich das Vollkommenſte, deſſen die menſchliche 
Natur faͤhig iſt, als wirklich erreicht; ſie bringt jede ſchoͤne 


— 6068 — 


Seite der Menfchen zur Erfcheinung, jeden Keim des Edeln 
zur Entwidelung. Aber fie dichtet nicht nur, was nicht wirk⸗ 
uch if, fie nimmt ihre Bilder auch aus der wirklichen Ges 
fhichte, umd verewigt die Helden, die eine höhere Natur in 
ſich ausgeboren, die Schranfen. der Gemeinheit durchbrochen 
und die Menfchen weiter geführt haben. - Hier geräth aber 
diefe Poefie zwifchen eine Scylla und Charybdis, welche viele 
Dichter nicht zu vermeiden gewußt haben. — Das Idealiſi⸗ 
ven erdichteter Perfonen führt leicht von der Natur ab ins 
abfiracte Phüofophiren und Moralifiren. Statt eines Men 
fshen giebt und der Dichter mir ein trockenes angewandtes 
Tugendſyſtem. Sein Held handelt nicht mehr wie ein Menfch, 
fondern wie eine moraliiche Mafchine, und handelt nicht. frei 
nach feinem edeln Naturtriebe und freiem Willen, fondern ſtla⸗ 
viich und mechanifch nach feſtgeſetzten Begriffen. Auf der ans 
dern Seite führen die hiftorifchen Helden, vie nıan aus ber 
Mirktichkeit entiehnt, wieder vom Ideal ab, und man vers 
mengt leicht die gemeine irdifche Größe mit der inneren Würde 
und Humanität des Character, — Weil alle Größe und 
Schönheit der menfchlichen Seele fich in Handlungen offenba⸗ 
ven muß, fo ift biefe wealifirende Poeſie vorzugsweiſe drama⸗ 
tiſch, und weil jene Groͤße ſich im Kampf, jene Schoͤnheit 
ſich im Gegenſatz am Glaͤnzendſten offenbart, ſo iſt biefe Poe⸗ 
fie wieder vorzugsweiſe tragiſch.“ *) — 

Auf dieſer Bahn num ſteht Schiller, nicht allein als ber 
erſte deutſche Dichter, ſondern auch ſubjectiv als die edelſte 
und reinſte Natur, bis jetzt unerreicht da. In ſeinen Cha⸗ 
racteren offenbart ſich die hoͤchſte ſittliche Schönheit, die aber 
nicht bloß als perſonificirte Idee hingeſtellt iſt, ſondern in das 
wirkliche Leben tritt, und ſich wie in der wirklichen Welt be⸗ 
wegt, im Kampf gegen die Gemeinheit, wenn auch unterge⸗ 
hend, doch ſiegreich. Dazu tragen Phantaſie und Sprache, 
Beide bisher noch immer unerreicht und einzig, die erſtere, weil 





) ©. Wenzers beutfche Literatur. Bd. M. ©, 415. 


— 669 — 


fie fo rein, die zweite, weil fie fo vol wahren inneren Gehaltes 
ift, nicht Geringes bei. — Schiller wurde uns ſchon zu Anz 
fange dieſes Jahrhunderts entriffen, und feine unfterblichen 
Reiftungen gehören faft Alle dem vorigen Jahrhundert an, ſo 
daß ich, fo ungern es auch gefchieht, nicht bei ihm Tänger 
verweilen kann, indem .und noch ſo viel zu betrachten uͤbrig 
bleibt. *) 

Schiller’ genanefter Nachahmer m Theodor Körner, 
deffen Name und Deutichen immer lieb bleiben muß, wenn 
wir ihm auch nicht jenen Ruhm zugefichen Finnen, mit wels 
chem er, vorzüglich um die Zeit feines ‘Todes, in der Aufres 
gung jener Tage überfchüttet wırde, Aber ihm fehlt Tiefe, 
and alle feine Gebilde find gefchicfte, wie nach dem Net ges 
machte Copieen, denen der innere befeelende Hauch völlig ab⸗ 
geht. — So erfcheint fein Zriny an vielen Orten 3. B. -faft 
nur wie eine Weberfegung des Wallenftein in eine andere we⸗ 
niger reiche Sprache. Ihm fchließt ſich zunachft Klinges 
mann an, fieht aber noch mehr unter ihm, da er eigentlich 
feine Ahnung von wahrer dramatifcher Poeſie, ‚fondern nur 
Kenntniß deffen, was Effect auf der Bühne macht, hat, und 
feine Geftalten außerlich wohl aufzuputzen, aber ihre innere 
Leere nicht zu füllen verfteht. Seine dramatifchen Arbeiten 
haben fich daher nie lange gehalten, wenn ſich auch Anfangs 
die Menge durch ihren Pomp fowohl im der Handlung, als 
in der Diction bienden ließ. — Bon Auffenberg, in der 
neueften Zeit faft nur mit dramatiichen Umgeftaltungen Walz 
ter Scottfcher Romane befchaftigt, hat ein fchönes rhetoris 
ſches Talent, das ift aber auch faft Alles; wäre mmeis echter 
dramatifcher Dichter, fo würde er fich nicht an Remaren ver: 


) Die ſchönſte Würdigung Schiller's finder ſich bei Menzel a. a. 
O. II, 117 fode., überhaupt kann man auf Menzel’s treffliches 
Werk, obwohl er mitunter ſubjectiv befangen erſcheint, nicht ges. 
nug Binweifen, es ift das anregendfte, bad wir in dieſer Pin: 
fi it befißen. . 


+‘ 


— 60 — 


greifen uud fühlen, daB das Grund⸗ Element des Trauerſpiels 
himmelweit vom Roman verfchieden ifl. — So geht es auch 
Uechtritz, der, im Schwanken begriffen, nicht das Rechte 
zu finden weiß, uud vom Antiken in rommmtifcher Behandlung 
zur Dramatifirung idealiſirter Novellenſtoffe überfpringt, wie 
Died nach feinem Darius im Ehrenichwerbt der Fall war, 

Obgleich als Schiller’ Nachfolger auf der idealiſirenden 
Bahn zu betrachten, fiehen Doch mehrere dramatiſche Dichter 
nenefter Zeit hoͤchſt bedentend und ſelbſtſtaͤndig da, die aus ins 
nerem Drange nnd inniger Veberzeugung dieſelbe Richtung eins 
ſchlugen, aber felbft reich genug waren, um aus füch zu fchö= 
pfen, ohne Rachahmer zu werden, oder es fen zu wollen. — 
Der bedentendſte unter diefen, und in jeder Hinficht wohl der 
vorzüglichfte beutiche Tragiler unſeres Jahrhunderts ift der ges 
nice Heinrich vdn Kleifl, der leider in jeder Hinficht zu 
fruͤh, im ſechs und breißigften Jahre feines Alters, niederge⸗ 
druckt vom farblofen Sammer feiner Zeit, feinem Leben em 
Ende machte. — Eine reiche und kuͤhne Phantafie, Kraft 
md Tiefe, geben feinen dramatifchen Werfen hoben, bleiben⸗ 
den Werth, und fein fchönes Streben, die Schwäche im Mens 
ſchen verföhnend in Einklang mit deffen Stärke und dem Adel 
ver Seele zu bringen, und Beide ohne Tadel neben einander 
beſtehen zu laſſen, indem ex Beide im wahren Lichte zeigt, iſt 
wicht dankbar genug anzuerlennen. — Freilich verirrt er fich 
bier wohl mitunter, aber jeder Irrthum diefer Art ift ein lo⸗ 
benswerther Beweis feines Herzens und feiner Gefinnung. — 
In ihm verlor Deutfchland einen feiner ebeiften Söhne, was 
würbe > grleiſtet haben, wenn er ven Muth befeffen, jene 
Tage, dienihn zu Boden warfen, zu ertragen! — 

Ihm zunächft fieht Smmermann, der von der Menge 
verfannt wird, weil er die Menge verlennt. — Wie und aus 
Heimich von Kleiſt's Dichtungen ein büfl’rer Geift der Schwers 
muth entgegentritt,, der alle Freude erftorben wähnt, weil er 
Glauben und Hoffnung im Druck des Lebens verlor, fo faßt 
und aus Immermann’d Merken ein zuͤrnender Hohn ber Er⸗ 





— 671 — 


bitterung an, ber von keiner Verſoͤhnmg wiſſen will, weil 
ihm der Gegner erbaͤrmlich erſcheint. Immermann dichtet, 
weil er muß, wie jeder echte Dichter, aber es macht ihm 
feine Freude, bie Gefchente der Muſe feinem Wolf zu ſpen⸗ 
den, er wirft fie ihm bin, bamit eö feinen Haß fühle, nicht 
aber fich au feinem Talente freue, und er bedenkt dabei nicht, 
daß fich die Menge durch Kaltbluͤtigkeit racht, ‚denn fie hat 
feinen Grund, fich für einen Dichter zu intereffiren, ber ihr 
mir trogigem Hohne entgegentritt. — Daher feine Erbitte⸗ 
rung, von der befangen, er nicht fühlt, wie er es felbft vers 
fehuldet habe. Die Nachwelt wird gerechter feyn gegen ihm, 
aber ich fürchte, daß er im Kampfe mit der Mitwelt zuletzt 
einfeitig ımtergeht. — In ihm ruht eine großartige Natur, 
md Heine hat wahrlich nicht Unrecht, wenn er ihn einen Ads 
jer nennt; es ift ein edler Geiſt, voll Kraft, Tiefe und Sarts 
beit, und Platend Angriffe im König Dedip erfcheinen um 
fo jämmerlicher, als mau deutlich fieht, daß dieſer gar Feine 
Ahnung von echter deutfcher Dichtlunft hat, fonft würbe er 
fich. nicht. fo an einem fo ehrenmwerthen Talente vergangen has 
ben, gegen weiches er eigentlich nichts weiter aufzubringen hat, 
als daß es einer anderen Echule huldigt. — Weihe Wärme 
bed Gefühls, weiche würbige Geſinnung fpricht und nicht aus 
dem Trauerfpiel in Tyrol und bem Kaifer Sriedrich 
an, und wie reblich meint es der Dichter nicht, troß feinem 
Aerger über fein Volk, mit diefem. — Immermann krankt, 
wie jo Mancher, durch die Erbärmlichkeit unferer Zeit, und 
man muß lebhaft wünfchen, daß es feiner gefunden Natur 
gelinge, bie Galle, die fich auf feine poetifchen Nerven warf, 
heraus zu arbeiten, dann wird er Großes fchaffen. 

Ganz anders ericheint dagegen Raupach, deſſen Trauers 
fpiele, durch Umflände und Verhaͤltniſſe begünftigt, in neues 
ſter Zeit am Meiften Gtül auf der Bühne gemacht haben. — 
Es fehlt feiner Poefie durchaus an Ziefe und Innigkeit des 
Gefuͤhls, welche fein nicht unbedeutendes Talent in den fruͤ⸗ 
heren Arbeiten durch Igrifche Ausweichungen gleichſam zu vers 


— (71 — 


decken ſtrebt, um ihren Mangel. nicht fühlbar zumachen; ſpa⸗ 
ter aber, als das Naifonnement über bie Verhaͤltniſſe der 
menfchlichen Geſellſchaft auögefprochener in das allgemeine 
Leben trat, und von der Menge aufgefaßt und mehr oder we⸗ 
niger Hug oder dumm zu ihrem Eigenthum gemacht wurbe, 
fühlte er fich in feinem eigentlichen Elemente, und gab nur 
feine politifchen und phifofophifchen Ideen, in dramatiſchen 
Formen verſinnlicht. Wenn ſich mit dem Verſtande allein 
dichten Tieße, fo wäre Raupach unbedingt einer der erfien 
Tragiker; denn fein Verſtand ift haarſcharf und beherrſcht ſo⸗ 
gar die Phantaſie als feine Sklavin; aber, ba eben Alles, 
was das Gemüth bringt, bei ihm nicht aus fich ſelbſt ges 
ſchoͤpft, fondern nur angelernt ift, fo laſſen feine Leitungen, 
fo fehr fie auch das Dentvermögen beichäftigen, dad Herz 
immer Talt, und find weiter nichts, als poetifche Rechnen⸗ 
exempel, denen Aufloͤſung und Proberechnung beigeſellt iſt. — 
So find z. B. ſeine ſchlechten Charactere, welche Neid, Haß, 
Verfolgung u. ſ. w. darſtellen, meiſt immer vortrefflich und 
wenigftend zwanzig Mal beſſer gezeichnet, als feine Helden, 
Liebenden u. ſ. w., weil er bei jenen mit dem Verſtande 
ausreicht, bei biefen nicht. — 0 

Weber Dehlenfchläger, der gerade dad Gegentheil von 
Naupach ift, und eigentlich auch hieher gehört, habe ich ſchon 
bei Gelegenheit der. daͤniſchen Litteratur, als deren hellſter 
Stern er erſcheint, gefprochen, und erlaube mir, Sie darauf 
zu verweilen. — ⸗ Zr 

Griltparzer gehört durch feine erfte Leiftung „die Ahn⸗ 
frau“ der fataliſtiſchen Schule an, wandte ſich aber ſpaͤter 
ganz son derſelben ab und ber idealiſtiſchen zu. — Er gefellt 
fich zu den Bedeutenderen, ift aber eigentlich ein lyriſcher Dich- 
ter und huͤllt, fich misverſtehend, feine poetifchen Gebilde in 
bie bramatifche Form. Tiefe und Wärme ded Gefühl, 

Reichthum der Phantaſie, doch ohne Vielſeitigkeit, und ſchoͤ⸗ 

ner Ausdruck der Rede, find hoͤchſt ſchaͤtzenswerthe Eigen⸗ 
ſchaften ſeiner Muſe. — 


— 673 — 


Uhland’s zwei dramatifche Arbeiten, Ernft von 
Schwaben und Ludwig der Baier, find tiefgefühlte 
Meifterwerle, wie Alles, was dieſer große Dichter aus ber 
Fuͤlle feines Reichthums bringt. Es iſt Iebhaft zu bedauern, 
daß er nicht weiter drang auf diefer Bahn, von ihm wäre 
das Heil zu hoffen, auf das wir feit Schiller vergeblich harz 
ven — und doch — find jene eben angeführten Dichtungen 
der Menge kaum dem Namen nach befannt — weil fich die 
Menge nberhaupt nicht auf ſtille Größe verfteht. — 

Der genialfte dbramatifche Dichter der jüngften Zeit ift ohne 
Zweifel Grabbe; er hat in jedem neuen Werke Niefenforts 
fehritte gemacht, allein er ift nicht zur Klarheit und zum Bes 
wußtfeyn gelangt, und wüthet im poetifchen Wahnſinn noch 
immer gegen fein eigenes Sleifch und Bein. — Uber welche 
reiche poetifche Natur offenbart fich in allen feinen Leiftungen, 
welcher Drang bes Genius, welche Gluth und Fülle der Phan⸗ 
tafie; wie tritt Alles bei ihm in das Leben; feine Geiftes- 
blige find nie Falte Schläge, fie treffen und zuͤnden immer, 
nur weiß er den Donner nicht zu regieren und fulminirt zu oft 
am unrechten Orte und zur unrechten Zeit. Dabei ift er noch 
fo ganz ein poetifches Kind, das fich immer bei feinen Spies 
len vergißt, und hingeriffen, fie nicht zu fpielen, fondern als 
ernfte Begebenheiten zu durchleben meint. 9) — Menn ihm 
das Geſchick vergönnt, fich auszutoben, wenn der branfende, 
gährende, zſchende Moſt in ihm ausgegohren, ausgebrauſt und 


*) Muß man nicht zugleich fich freuen und lächeln über die Kind⸗ 
Tichkeit feiner Begriffe, wie fie Einem tiberall entgegentritt? — 
Es 3. B. fein Richard Löwenherz in Heinrich VI., ber fi mit, 
den Bauern "prügelt, und während er Püffe rechts und Yinfs aus: 
theilt, das Lied an Die Geliebte Dabei fingt; oder in den hun⸗ 
dert Tagen, ‚wo in der Schlacht bei Waterloo ber franzöfifche 
Feldherr Feuer eommandirt, und der Gegner, unter dem Donner 
Der Kanonen, dies Commando mit Gleichfalls beantwortet, — 
Kann die Phantafie wohl feifcher und jugendlicher feyn? — 

.43 


_— 0674 — 


auögezifcht hat, fo muß ed einen Wein geben, wie ihn noch 
Fein poetifched Kometenjaht im Deutfchland zur Reife brachte. — 

Als talentvolle Dichter zweiten Ranges, die fich in diefer 
Richtung nicht ohne Gluͤck bewegen, find bier noch: M. Beer, 
Gehe, Eollin, Eichendorff, ©. U. von Maltis, 5. 
5. von Maltit (der Ergänzer des Schillerfchen Demetrius), 
E. von Schen? u. A. zu erwähnen. — 

Die fataliftifche Richtung nennt Menzel mit großem Recht 
eine Krankheit der Zeit, eine Folge des hypochondriſchen Stu⸗ 
benfitens, fie ift, Gottlob ſchon vorüber und war nur von 
kurzer Dauer, — Sie ift die untröftlichfte poetiſche Ausge⸗ 
burt, die fich denken laͤßt, denn fie raubt dem Menfchen fei- 
nen ganzen Adel, den freien Willen, indem fie ihn als praͤde⸗ 
flinirt der Gewalt geheimer Mächte unterwirft, die ihn zum 
Boͤſen zwingen, ohne daß er dafür kann, und ihn nachher im 
Sammer über fein Verbrechen untergehen laſſen. — Alle 
Würde des Menfchengefchlechtes geht Dadurch verloren; und 
am Schlimmften iſt der Zufchauer daran, benn, entweder ift 
er fchwach genug, an dergleichen Wahnfinn zu glauben und 
fih, wenn er es auf fein eigenes befchränftes Leben anwen- 
det, einzubiiden,, er fey auch praͤdeſtinirt, einmal filberne Loͤf⸗ 
fel zu fehlen, oder den Königlich Preußiſchen oder Kurfürftlich. 
Heſſiſchen Zoll zu defraudiren und dergleichen mehr, oder wenn er 
hell und klar fieht, unglücklich genug, fich verdammt zu wiſſen, eine 
efelhafte Speife, von geſchickter Hand Funftreich gekocht und zu⸗ 
gerichtet, hinunter wärgen zu müffen ; denn ſchon von vorn herein 
tritt die Rüge der jämmerlichften moralifchen Schwäche in der Ex⸗ 
pofition des Stuͤckes auf, und fchreitet wie ein unheimliches 
Gefpenft durch das Haus, bis am Ende das ganze Gebäude 
zufammenbricht,, und Emem nur der Aerger über jo manches 
brauchbare Material, das zu fo nichtönußigem Baue verwen- 
det wurde, übrig bleibt. 

Und doch hat diefe poetifche Seuche viele unferer beften 
Talente angeftedt, denn die Menge ergriff fie und machte fie 
zur Mode, wie ein Schwächling ſich des aus Mift bereiteten 











— 675 — 


Salmiakgeiſtes bedient, um feine erfchlafften Nerven aufzures 
gen ünd zu fpannen, nicht bedenfend, daß frifche Luft und 
Bewegung im Freien ihm weit erfprießlicher nuͤtzen würden, 
oder diefe verfchmähend, weil ber Bauer fie ohne Erlaubniß 
mit ihm theilen kann und fich wohl dabei befindet. — Die 
gefunden Naturen unter jenen arbeiteten diefen pforifchen Stoff, 


der ſich auf die Nerven geworfen hatte, mit der Zeit wieder 


aus, aber die minder ſtarken Iaboriren noch immer daraıt, 
denn fie haben dad Bischen Kraft, das fie befaßen, ganz 
dadurch verloren. — AS Heerführer flehen hier Werner 
und Müllner, Beide große Talente, Beide untergegangen 
in und durch Gemeinheit, aber Jeder auf andere Weife, de. 
— Werner ift dadurch größer, daß er wenigftend den Kampf 
mit jenen Mächten beftehen Tieß, und verföhnend durch die 
Gnade Gottes, durch benfelben zu führen fuchte; dabei hat 
er ein wunderbar Igrifches Talent; der Hauptfehler ift jedoch, 
daß die Bahn zur Gnade nach dem Kampfe willenios betreten 
wird, und alfo alles Verdienſt wegfallt. — Müllner ift da- 
gegen weiter nichts, ald ein poetifcher Scharfrichter,, der ung 
das Ende des Progefies, zu dem der Unfchuldige durch eine 
unfichtbare Fury condemnirt wurde, noch einmal von dieſem 
felbft vorfpielen läßt, — Edles, Großes, die Menfchheit Er: 
hebendes findet fich nie bei ihm; alle Menfchenwürde ift ver- 
nichtet, denn Jeder ift zum Galgen reif ohne feine Schuld. — 
Er beftach aber die Menge durch das Neue diefer Erfcheinung, 
und biendete fie durch den Glanz der Diction und ben oft fal- 
fehen Sarbenprunk feiner Bilder. — Unter feinen Nachfolgern 
und Nachahmern finden fich nur kraͤnkliche Gemüther, fie ver: 
dienen, den einzigen Houwald audgenommen, ber fein 
eigentlich lyriſches, ſchoͤnes Talent ganz verfannte, nicht na⸗ 
mentlich erwähnt zu werben. — 

Die dritte Richtung, welche ich bie reflectirende nannte, 
ift im Ganzen nichts, als eine Abart der erften; fie hat jedoch 
das Befondere, daß fie nur Gemüthözuftände fehildert, und 
die Handlung ſo viel wie moͤglich vereinfacht und beſchraͤnkt. 

43 * 


— 6716 — 


Eigentlich befikt fie vom Dramatifchen nur die Form und ge: 
hört, fireng genommen, ber Igrifch=didactifchen Gattung an. — 
Sie fteht in genauer Verwandtfchaft zu der franzöfifchen Schule. 
Goethe brach hier gewiffermaaßen die Bahn mit feinem Taſſo 
und der natürlichen Tochter, wenn wir nicht Leffingd Nathan 
den Weiſen als erfted deutfches Gedicht diefer Art betrachten 
wollen; man tinnte fie füglich als die dramatifch =didactifche 
Meife aufführen. — Sie hat nur wenige und im Ganzen 
fehr unbedeutende Nachfolger und Freunde gefunden, da ein 
mächtiger Geift dazu gehört, in diefer Gattung etwas Großes 
zu liefern. Man könnte allenfald die Mehrzahl ver fogenann- 
"ten Malerbramen, von denen wir eine Zeit Yang heimgefucht 
wurden, in diefen Kreis ziehen, doch find die Meiften ſchon 
vergeflen. — 

Unfere -bedeutendften und genialften tragifchen, wenigſtens 
ernft dramatifchen Leiftungen, find eigentlich folche, welche 
durchaus nicht für die, Bühne gefchrieben wurden. — Hier 
ftehn vor Allen Goethes Arbeiten, befonders fein Fauſt und 
fein Goͤtz von Berlichingen, oben an, fo wie Goethe als dra⸗ 
matifcher Dichter überhaupt allein und einzig daſteht, indem 
er, nirgends idealifirend, fondern nur durch Hülfe der Phan⸗ 
tafie und Poefie in das günftigfte Licht ftellend, die menſch⸗ 
liche Natur und die geſellſchaftlichen Verhaͤltniſſe auffaßte, wie 
ſie wirklich ſind, aber mit einer ſolchen herzergreifenden Wahr⸗ 
heit, daß kein Gemuͤth ungeruͤhrt bleibt. — Schillers weib⸗ 
liche Charactere find allerdings fittlich=edler im Allgemeinen, 
aber ihre Natürlichkeit hat gelitten; Goethe's Frauen dagegen, 
mit alfen Ähren Schwächen und aller ihrer Liebenswuͤrdigleit, 
wandeln unter uns und bezaubern uns im Leben wie in der 
Dichtkunſt. — 

Es waͤre ordentlich laͤcherlich, wenn ich Ihnen die Schoͤn⸗ 
heit und Tiefe des groͤßten deutſchen dramatiſchen Gedichtes, 
des Fauſt, hier entwickeln wollte. — Wer die nicht fuͤhlt, 
und nicht in jedem Stande und jedem Alter Genuß und Freude 
darin findet und Belehrung und Selbſterkennen, der bleibe ganz 








—— 677 — 


davon und Iefe Ciaurewfche Romane oder die Correſpondenz⸗ 
klaͤtſchereien unferer meiften beietriflifchen Blätter, fie werden 
hinreichen, ihn zu bilden. — Dagegen Tann ich die Furcht 
nicht unterdruͤcken, daß der Schluß des Fauft, den wir jet 
zu erwarten haben, nachdem Goethe, diefer Culminationspunkt 
des menfchlichen Geiſtes, von ber Erde ſchied, die Wirkung 
des Ganzen beeinträchtige; ich kann nicht leugnen, daß die in 
den ſaͤmmtlichen Werfen bereitd mitgetheilten Proben mir biefe 
Beſorgniß einflößen. — 

In den eben erwähnten Kreid der außer: theatralifchen 
Dramen gehören auch Tieck's vortreffliche dramatiſirte Maͤhr⸗ 
chen, die ald wahre Kinder des echten Humors, zugleich durch- 
aus nationale Poefieen find in unferem eigenthümlichften Geifte. 
Sp wie Tied, hat wohl Keiner den romantifchen Character 
des Mittelalters aufzufaffen, und im glühendften und babei 
doch zarteften Sarbenfpiel wieder zu geben verftanden,. Es iſt, 
als wenn die alte echte Frömmigkeit, die tiefe Liebe, die Kraft 
und Ehrbarkeit jener entlegenen Tage wieder auferftanden waͤ⸗ 
ren und unter und herummwandelten in feinen Werken, um in 
edler Oppofition die Nichtigkeit, Leere und Hohlheit des All 
tags zu zeigen, ohne und dabei allen Zroft zu rauben, denn 
fie erhöhen die Luft und Freude an jenen Herrlichkeiten. Das 
bei zeigt fich nirgends falfcher Prunk, ferbft im Spott nicht, 
denn auch in dieſem herrfcht die wahre Bonhommie der Ge: 
muͤthlichkeit vor, mit welcher der Schalf, der das ganze Reich 
des Wied ſammt allen feinen Nebenprosinzen zu. commandiren 
verſteht, die Gemeinheit der Gefinnungen und ded Strebeng, 
die Alltäglichleit des Haufens verfpottet und geißelt. — Tieck 
ift deshalb ein fo echter deutfcher Dichter, weil er alles Schöne 
des Auslandes in fich aufgenommen ımd es fo mit feiner in⸗ 
nerften Eigenthuͤmlichkeit zu verfchmelzen gewußt hat, daß ein 
dritted originales Ganze daraus entfprang, und fich aus dieſem 
die beftimmtefte Selbſtſtaͤndigkeit in feinen Leiftungen offenbart. 

Unter feinen Nachfolgern find vorzüglich Ludwig Achim 
von Arnim, Fouqué, Eichendorf und Menzel herz 


— 653 — 


vorzuheben, doch ſtehen fie weit unter ihm, weil ihnen gerade 
Tiecks Vielfeitigkeit abgeht. — Arnim ift nie recht von fei- 
nen Landsleuten verfianden und aufgefaßt worden, auch ift er 
fich der rechten Klarheit nicht bewußt, und es fehlt ihm die 
Kraft, fich zu concentriren. — Fouque hat unbeftritten ein 
herrliches Talent, aber er machte fich felber zu viel weiß, und 
feine Manier fchlug ihm am Ende, wie ein Meer, das er nicht 
zu durchfchiffen verftand, über dem Kopf zufammen; mitunter 
guckt wohl noch hier und da em Arm oder eine Hand des al 
ten Sängerd der Undine und bed Sigurd heraus, im Ganzen 
fieht man aber nur noch die Surchen und Strudel, die er fich 
unter dem Waſſer abarbeitend, hervorbringt, und da er nicht 
der Zeit zu folgen verſtand, fo wird ihn der Strom berfelben 
wohl in dad Meer der Vergeffenheit hinabſpuͤlen, noch ehe. er 
felber aus dem Leben fchied. — Eichendorff fehlt es nicht 
an Gefühl, aber an Verſtand; fein „Krieg den Phitiftern 
ift eine zu unfichere Nachahmung der Tied’ichen Weife; er ift 
daher weit weniger befannt geworden, als er es vorzüglich 
durch feinen fragmentarifchen, aber genialen Roman „Ahnung 
und Gegenwart// zu feyn verdient. — Menzel endlich, ber 
an Kraft ded Geiftes Tieck fehr nahe ſteht, hat wieder für ei- 
nen. Dichter zu viel Verftand; er verirrte fich in feinen beiden 
Maͤhrchen, Nübezahl und Narciffus, indem er verfuchte, phi⸗ 
Iofophifche Probleme, ja Paradoren poetifch aufzulöfen und da⸗ 
durch ald möglich darzuftellen, was immer eine höchft misliche 
Sache ift, indem Phantafie und Wirklichkeit in einen zu gro= 
Ben Conflict gerathen; wobei der Lefer, der durch ein Gedicht 
nie überzeugt wird, Daß das, was möglich fey, auch wirklich 
ift, ſtets unbefriedigt daffelbe aus der Hand legen wird. — 
Sn den übrigen Gattungen der dramatifchen Poefie, dem 
Schaufpiel und dem Luftfpiel, ift in der neueren Zeit ‚wenig 
Erfreuliches geleijtet worden, vwoozu allerdings die Ueberſchwem⸗ 
mung franzöfifcher Melodramen, Luftfpiele u. f. w. nicht we⸗ 
nig beitrug, da hier die Fabrikarbeit mit fo geringem geifligen 
Aufwande herzuftellen war, und es troß des fchlechten Lohnes 





— 679 — 


nie an allzeit fertigen Handwerkern in dieſer Gattung gefehlt 
bat. — Dadurch wurde nun ber fehlechte Gefchmad ber 
fietö nur nach Neuem bungrigen und dabei doch überfättigten 
Menge vollends verborben, fie hat nicht einmal mehr die Ges 
duld, der Characterzeichnung und dem künftlichen Sortfchreiten 
eined guten Luftfpield aufmerkfam zu folgen, und nur was ihr 
die groben Nerven bis zum Zerreißen fpannt oder bis zum 
Krampf kitzelt, gefällt ihr. — Es Tann vielleicht einmal ans 
ders werben, wenn wir Deutichen einmal ein Gefammt = Ins 
tereffe befommen, und dann im Kampf wider die Gegner deſ⸗ 
felben die Angriffsweife nach allen Seiten hinwenden, aber bis 
das gefchieht, (und wer weiß, wann[?]) bleibt es im Argen. — 
Obendrein find wir fo durch den Opernflitter und Pomp, mit 
dem wir unfere Blöße und Schande decken, verwöhnt, daß 
ein dramatiicher Dichter allenfalls nur noch Gluͤck machen 
kann, wenn er die ganze Sundfluth, mit allem Specktakel, 
der dieſelbe doch nothwendig begleitet haben muß, auf die 
Bühne bringt, und femmtliche Bewohner der Arche Noah, 
zwei⸗ wie vierbeinige, in den verfchiedenften Situationen, re⸗ 
dend und fingend, einführt. 

Die Comedie larmoyante, welche einft durch Iffland fich 
fo breit auf unferen Bühnen machte, bat fich freilich allmählig 
. wieder empfohlen, aber ihr Haupt⸗Element, die Kleinftädterei, ift 
geblieben, und giebt. den Grundftoff zu unferen Luftipielen her. 
Melt::Thorheiten kommen nicht auf das Theater, dazu hat Fein 
‚Dichter den Muth, und ed Flingt hart, aber ift wahr, Fein Pu: 
blicum!den Verftand ; Alles geht in Schilda, Kraͤhwinkel, Unter: 
flachfenfingen, oder in einer Vorftadt unferer Nefidenzen vor, 
und die Lacherlichkeiten des Buͤrgermeiſters werden wohlgefällig 
vom Rathönpothefer oder umgekehrt angefehen oder befpöttelt; 
daß ed aber Narıheiten gebe, die der ganzen Menfchheit anhaͤn⸗ 
gen, und daß diefe die eigentlichen Erbftanten des Humors und 
der Komik find, das begreifen nur die Wenigſten, und wagt 
fich ein Dichter einmal damit hervor, fo kann er ficher ſeyn, 
daß das gefammte Publium den Operngucer umkehrt, und 





— 080 — 


daher Alles in Fünftlicher Gerne und in fo kleinem Maaßſtabe 
erblidt, daß es ihm wieder ganz leicht wird, das gefammte 
Gebilde in die allerkleinften und Beinftadtifcheften Dimenfionen 
hineingupaffen und den alten Maapftab anzulegen. — Wie 
würde man fpringen, wenn Tieck's geftiefelter Kater ober feine 
verfehrte Welt auf der Bühne erfchiene. — Bekommen wir 
denn ein Shafefpear’fches Luftfpiel anders, ald durch das Mes 
dium einer philifterhaften Bearbeitung (wie 3. B. das geniale 
Much ado about nothing, als Beck'ſche Aualgeifter) zu fehen ? 
— Immermann's hochlomifche Verkleidungen, an bie 
man, ſobald man fie emmal las, nur mit Lachen zuruͤckdenken 
Tann, miöftelen bei dem Verfuche, fie über die Bühne zu fuͤh⸗ 
ven, und werden feitdem nur von MWenigen geleſen. — 

Kotzebue, fo gemein er auch war, und fo fehr er auch 
rechts und links bald von Dänen, bald von Stalienern, Eng: 
landern oder Franzofen ftahl, ift dennoch noch immer nicht er⸗ 
fest, und alfo auch nicht vergeffen worden ; bedarf ed noch eis 
nes anderen Beweifes, wie fchlecht es ausſi eht mit unſerer 
komiſchen dramatiſchen Litteratur? — 

Einige aber wenige feinere Luſtſpiele lieferten in neueſter 
Zeit: H. von Kleiſt, Muͤllner, Conteſſa, Immermann, Raus 
pach, P. A. Wolff u. A. — Als die beſten und in man⸗ 
cher Hinſicht uͤber ihm ſtehenden Nachfolger Kotzebue's moͤch⸗ 
ten Julius von Voß, in ſeinen fruͤheren Leiſtungen, Toͤpfer 
und (der freilich zu oft gemeine) Elauren zu betrachten ſeyn. 
— Die dramatifche Satyre behandelten nicht ohne Gluͤck, doch 
auch nicht ohne Tadel, Mahlmanı, Robert, Wilibald Alexis, 
Paten, — Die Namen der Leiftungen jener Horde Luftipiel: 
und Poffenfchreiber, welche fich nach den Sranzofen bildeten, 
und alle acht Tage Neuigkeiten bringen, findet Jeder, der 
ſich dafür intereſſrt, im dem Verzeichniß der erſten beſten 
Leihbibliothek. 

Das Singſpiel, auch lange die partie honteuse unſerer 
dramatifchen Poefie, iſt in neuefter Zeit, da fich talentvollen 
Mufifern talentvolle Dichter zugeſellten, mehr zu Ehren ges 


* 











— 681 


fommen, und die Leiftungen Gehe's, Kind’, Roberts, Rau: 
pach's, Helminen von Chezy's u. A. find dankbar anerkannt 
worden. — | 

IH. Die erzählende Poefie wurde in allen den Gattungen, 
welche einer firengen Form unterworfen find, wahrend der 
drei letzten Jahrzehende eher vernachläffigt, al8 angebaut, und 
nur hier und da befümmerten fich einige Wenige, ihrer Nei⸗ 
gung folgend, mit Xiebe um diefelbe, doch ohne Großes und 
Bedentendes zu leiſten. — Das ernfie Epos war eine zu 
fehmwere Aufgabe, und die Löfung derfelben fprach nicht an, 
da fie weder dem Geift des Volks, noch dem Geift der Zeit 
recht zufagte. Ein befonders hindernder Umftand war auch 
der, daß weder die antife noch die romantifche Epopde in ih⸗ 
ren Geftaltungen, in welchen fie fich eigentlich in der Poefie 
Eingang verfchafft hatten, volksthuͤmlich deutfch waren, Al⸗ 
les, was daher unfere Dichter Tieferten, mußte in diefer Hin⸗ 
fiht immer Nachahmung bleiben, je freier wir und aber auf 
poetifchent Gebiete befanden, defto weniger konnten und folche 
Bande, die jede Bewegung feflelten, und dem Geifte immer 
Fremdartiged aufbrangen, gefallen, auch ftanden die Formen 
oft in keinem Verhältniß zu dem Gegenftande, und ed wird 
immer etwas Lächerliches an fich haben, wenn fich Perfonen 
unferer Welt in Herametern einher bewegen, oder ein ehrli⸗ 
ches deutfched Geficht aus dem Prunk der Stanzen hervor⸗ 
blickt; obendrein ift noch die ganze nach den Negeln nothwen- 
dige Mafchinerie, welche bei den Alten und theilweife auch bei 
den Neneren auf dem Volksglauben beruhte, bei und zum lee⸗ 
ven Aufputz herabgeſunken, der fehon bei dem erſten Anblick 
als ganz entbehrlich, näher betrachtet aber, als ftörend und 
widerfinnig erfcheint, und durch feine gezwungene Künftlichfeit 
die Mufe verfcheucht: — Unſer National Epos ift der Ro: 
man; in ihm warb Großes von den Deutfchen geleiftet, auf 
das ich fpater zuruͤckkommen werde. — 

Demungeschtet haben fich mehrere Diehter daran verfucht. 
Es wird genügen, die Namen berfelben und ihre Leiftungen 





682 °—— 


kurz anzuführen. In antiker Form leiftete das Lobenöwerthefte 
5. von Sonnenberg, deſſen unglüdliched Ende, das fich hier 
zu Jena ereignete, vielleicht noch Manchem unter Ihnen er: 
innerlich ift; fein Donatoa enthält großartige Gebilde, doch 
waltet feine Phantafie zu feſſellos, und er gelangt zu Feiner 
Klarheit darin, — Im romantischen Epos zeichneten fich 
Mehrere aus, und die Aufmerkfamleit der Menge ward vor= 
züglich wieder darauf hingelenft, als der Buchhändler Brock⸗ 
haus eine Preisbewerbung veranftaltete,, doch hatte auch Diele 
nur geringen Erfolg. Das Ausgezeichnetfte brachte in jeder Hin⸗ 
ficht Ernft Schulze in feiner bezauberten Rofe, die eis 
gentlich mehr ein Mährchen in epifch =romantifcher Form zu 
nennen ift, und wegen ihrer wohlklingenden und bilderreichen 
Sprache der ‚Liebling der Damen wurde. Männern Tann fie 
indeffen nicht genügen, denn fie hat, genau betrachtet, zu. 
wenig inneren Gehalt, und ihr reicher Farbenſchmuck gleicht: 
dem Staub auf Schmetterlingöflügeln. — Weit bedeutender 
wäre fene Caecilie, zu der ihn, wie Dante, die Verherr: 
chung der gefchiedenen Geliebten befeelte, mangelte es ihm 
bier nicht zu fehr an objectiver Schöpfungsfraft, und haͤufte 
er nicht die Wunder auf Koften der Wahrheit. Einzelne fchöne 
Stellen find indeifen nicht felten, und innige Zartheit und Lieb⸗ 
lichkeit, Würde der Gedanken und Reichthum der Phantafie,- 
fo wie Herrfchaft über Vers und Sprache, find Eigenfchaften, 
welche dem in voller Sugendblüthe geftorbenen Dichter einen 
ehrenvollen Rang einräumen. — Die Leiftungen von Fouqué, 
Louife Brachmann, Zeufcher GVerfaſſer ded Saladin), 
Ebert, Duller, Bechſtein, Anaſtaſius Grün, find: 
ferner mehr oder weniger immer der Erwähnung werth. In ber. 
komiſchen Epopoͤe verfuchte fich allein Praͤtzel mit Gluͤck, denn 
Kortum's Jobſiade, obwohl fie vor Kurzem eine neue 
umgearbeitete Auflage erlebte, ift doch eigentlich nur eine wiß- 
Iofe Farce, deren größter Werth auf einigen glüdlichen Stu⸗ 
dentenfpäßen beruht, — Goethe’ ‚,Reinele Fuchs“ ift be⸗ 
kanntlich Fein Original. | 





— 168 


Die poetiſche Erzählung warb weit forgfanıer gepflegt, 
wir Tonnen ums hier hoͤchſt gelungener Erzengniffe rühmen, 
doch finden fich diefe mehr in der naiven und komiſchen Gats 
tung. Stephan Schüße, Kind, Praͤtzel, find befonders in ber 
letzteren Hinficht mit großem Lobe zu erwähnen. — Etwas 
Gemüthlicheres ald Kind's Stieglitz, habe ich bei keiner Nation 
gefunden, und es wundert mich, daß diefe fo uͤberaus gluͤck⸗ 
liche Erzählung noch (fo viel ich weiß) in Seine fremde Spra⸗ 
the übertragen wurde. — 

In der Idylle wurde faft nichts gethan, wenn man nicht 
Goethe's Herrmann und Dorothea, Voſſens Louiſe, Eberhard's 
Hannchen und die Kuͤchlein, Koſegarten's Jucunde (von denen 
die beiden erſten noch dem vorigen Jahrhundert angehoͤren) hie⸗ 
her rechnen will, wohin ſie wenigſtens fuͤglicher gehoͤren, als 
zum Epos. — Wir beſitzen aber zwei Idyllen vom Maler 
Muͤller (die Schaafſchur und das Nußkernen), auf die wir, 
ihres echt deutſchen Characters wegen, ſtolz ſeyn koͤnnen, und 
auf welche man, wie uͤberhaupt auf viele Poeſieen dieſes ge⸗ 
nialen Dichters, da dieſelben ganz vergeſſen zu ſeyn ſcheinen, 
die Aufmerkſamkeit nicht genug hinlenken kann. — 

Von der Romanze und Ballade habe ich ſchon bei Gele⸗ 
genheit der lyriſchen Poeſie geſprochen. — In der Legende 
lieferten Fouque, Amalie von Helwig, Kind, Wyß u. A. mans 
ches Gute. — Die Fabel ſammt ihren Trabanten, der Pa⸗ 
rabel, Paramythie, dem Apolog u. ſ. w. wurde vorzuͤglich nur 
von Jugendſchriftſtellern eultivirt, und fo viel ſich dieſe Herrn 
auch abmuͤhten, ſo hat doch noch Keiner hier den alten Gel⸗ 
lert erreicht, an den gewiß Jeder von uns mit Vergnuͤgen zu⸗ 
ruͤckdenkt. — Eine ruͤhmliche Ausnahme machen die Fabeln 
des Schweizer Froͤhlich, welche indeſſen für große Kinder ge⸗ 
fehrieben find, und durch Difteli’s geniale Ausftattung zwie⸗ 
fachen Werth erhalten. 

Im Roman, dem Glanzpunkte unferer neneften Poefie, 
find befonderd folgende Uebergänge zu bemerken; durch welche 
er endlich dahin gelangte, das vollendetite Gefäß, in welches 








— 681 


wir unfere. ganze Eigenthümlichkeit fchütten, zu werden. Das 
Vorherrfchen der Lyrik zu Anfange diefes Jahrhunderts, wie 
in den Ießten Decennien des vorigen, äußerte noch feinen Ein- 
fluß, befonders da diefe fubjective Richtung durch Goethe mit 
fo großem Erfolg in den Leiden des jungen Werthers noch 
beftimmter hervorgehoben worden, und eine große Menge Nach⸗ 
folger fand. Die Liebe, ald die allgemeinfte Empfindung, in 
welcher ſich alle anderen wieder finden, fpielte hier die Haupt: 
rolle, und ed galt, fie nach den verfchiedenften Seiten hin zu 
beleuchten und darzuftellen, bald mit glüdlichem, bald mit uns 
gluͤcklichem Ende, bald entjagend, bald verlangend, zerfiörend 
oder aufbauend, — Allmählig genügte es nicht mehr, fie al- 
lein zu fchiwern, man wollte auch da, wo fie in den zeitlichen 
Verhältniffen dargeftellt wurde, diefe mit berühren, und fo 
bildete fich der Familienroman, der endlich in immer größerer 
Ausdehnung fich auf das ganze gefellichaftliche Treiben er: 
firedfte, und nun wieder in eine Menge Gattungen zerfiel, de⸗ 
nen die einzelnen Seiten und Theile des Gefammtwefend zur 
Aufgabe dienten. — Die Phitofophen fahen, welch’ herrliches 
Werkzeug zur Verbreitung ihrer Lehren und Anfichten ihnen 
fich hier von felbft darbot; fie benutzten es eifrig, und fo wur: 
den und bald von allen Seiten folche Romane dargebracht, in 
welche, wie in weltliche Gewaͤnder, fich die ‚verfchiedenen ‘Theo: 
rieen und Disciplinen hüllten. — Die Nation, bei ihrem 
Hange zu reflectiren, kam diefen Beftrebungen mit offenen 
Armen entgegen, und es begrüßten und von allen Seiten phi- 
tofophifche, pſychologiſche, paedagogiſche, politifche u. |. w. 
Romane. — Daß die echte Poefie darunter litt, duldet wohl 
keine Trage, denn das einzelne Gute verler fich zu leicht un: 
ter der Maffe, und vergebens fuchten die Romantiker, theild 
durch eigene Arbeiten dieſer Art, theild durch Spott Dagegen 
anzukaͤmpfen, aber fie wußten den Gefchmad der Nation noch 
nicht zu beherrfchen und die Neigung der Menge am ſich zu 
reißen, und fo blieben ihre Bemühungen. immer noch fehr uns 
fruchtbar, auch gefielen fie fich zu fehr in anderen Gattungen, 


— 685s — 


welche die Menge theils nicht nach ihrem Werthe erkannte, 
theils nicht verſtand; und was dieſer nicht bequem iſt, das 
laͤßt ſie liegen. 

Endlich trat uns, mit Goethe zu reden, die Beitgefcichte 
in das eigene Hans; fie hatte, als fie uns erfchien, einen 
biauen Rod an mit rothen Auffchlägen, kam ohne anzuklopfen 
in das Zimmer, febte fich ungeladen an unferen Tiich, 
und aß und ehrlichen Deutichen vie beften Speifen vor ber 
Naſe weg, ohne fi) einmal zu bedanken. Da gingen uns 
die Augen auf, wir fahen, daß es weit wichtigere Verhältniffe 
in der Welt giebt, als die zwifchen unſeren vier Pfählen, und 
daß es nur an und lage, unſeren Gefichtöfreis und mit ihm 
unfer ganzes Leben ungeheuer zu erweitern. — Es dauerte 
freilich eine ganze geraume Zeit, ehe wir fo weit famen, und 
wäre ber firenge ruffifche Winter nicht geweſen, wir hätten 
nimmer gemerkt, daß es in Deutfchland einen Zrühling geben 
fönne, aber wir merkten es doch endlich, und machten uns 
auf, zogen ihr die blausrothe Montirung aus, wobel wir uns 
freilich noch von allerlei anderen Leuten helfen ließen, und eis 
nen deutfchen Rod an, das heißt einen Allerweltsrock, dem 
wir aber in der Eile einen beutfchen Zufchnitt gaben, wie ihn 
nach unferer Meinung unfere Vorfahren getragen hatten, oder 
doch getragen haben Fönnten, und nun erfchien auch jeder 
Einzelne in dies weltgefchichtliche altdeutſche Habit gekleidet, 
‚ md nicht jeder Mann allein, fondern auch jedes Buch, vor 
züglich jedes poetifche und vor Allem der Roman. — Es 
war eine fchöne Wärme damals in allen Herzen, und fie ka⸗ 
men allem Verwandten mit Liebeseifer freudig entgegen; vers 
wandt war und Deutfchen aber dad ganze Mittelalter, denn 
wir fpiegelten uns mit Luft in feiner Tiefe, und fonnten uns 
an feiner Gluth, und freuten uns an feinen Farben. — Sekt 
war der rechte Wirkungskreis fin die romantifche Poefie da, 
die bisher der Zeit fremd geblieben, weil fie außer ihr geſtan⸗ 
den; fie wurde in ihren Söhnen mit Jubel begrüßt, und fiegs 
reich brachte Fouque, damals in aller Kraft geiftiger Jugend, 








686 — 


und die aus ihren Minen erbeuteten Schäe, bie mit Entzuͤk⸗ 
ken empfangen wurden. Die Wiſſenſchaft ſchloß ſich ihr an, 
lind foͤrderte emfig zu Tage. Eine neue reiche Melt warb 
der begluͤckten Menge aufgethan, 

Aber die Zeit trat tie immer erfältend dazwiſchen; bei 
gefpannten Nerven ward ihr gewöhnlicher Zuftand wieder ;s wenn - 
nicht gar Aerger und Haß darüber, daß Fein fchöner Traum 
früherer Tage in Erfüllung ging, fie in eine noch gefährlichere 
Spannung brachten. Die Neflection beftieg wieder den Ned: 
nerſtuhl, den fie auf einige Zeit dem Gefühl überlaffen; boch 
die Anfichten waren unermeßlich geworden, der Blick um⸗ 
“ faßte die ganze Welt und das Leben der gefammten Menfch- 
heit in allen Verhaͤltnifſen, und der Drang, fich gegenfeitig 
Rechenſchaft abzulegen und zur Rechenfchaft zu ziehen, wurde 
allgemein. Noch war dies Streben nicht in die Poefie über- 
getreten, da brach Walter Scott bie Bahn, indem er den Zu- 
fommenhang ded Einzelnen, auch des Geringften, mit dem 
Geſammtweſen feiner Zeit im Romane darftellte, und alles 
Menfchenwerk in deffen Kreife zog. — Siegreich durchſchritt 
er das ganze gebildete Europa, und da derfelbe Drang fich 
überall kund that, und daſſelbe Bebürfniß überall herbortrat, 
fo firömte Alles diefer Bahn zu, und der Roman wurde wie: 
der, was er in feinem erften Beginnen geweſen, das Melt: 
Epos in feiner freieften Form. — Daß er das fen, erfann- 
ten unſere erften Dichter, und bald fanden wir Deutfchen in 
diefen Leiftungen allen anderen Nationen gleich, ja durch Hilfe 
unferes elaftifchen Geiftes, über denſelben. — 

Aber diefe neue Geftaltung genügte uns nicht ganz; theils 
waren wir zu häußlich und zu fubjectin gefinnt, un die Freu⸗ 
den und Leiden des Einzelnen fo ganz im Gebiete der Poefie 
aufzugeben; theild Iag und auch daran, einzelne Verhaͤltniſſe 
und Anfichten über biefelben in poetifcher Form zu verbreiten, 
geriffe Wahrheiten des Lebens practifch durchzuführen, und fo 
wandten wir und diefen noch ferner mi Intereſſe zu. — Der 
ſubjective Liebesroman fiel mehr fehriftftelfernden Frauen ans 


— 0857 — 


heim, beren wir eine große Menge zaͤhlen, und bie wieder 
unter ihrem Gefchlechte die meiften Treundinnen fanden; ber 
philoſophiſche Roman mit allen feinen Abarten, wurde ferner 
noch, obgleich feitener, von einzelnen Denkern cultioirt, denen 
daran Ing, ihre Lehre in gefälligem Gewande bei der größeren 
Menge einzuführen, vorzüglich ward er während bes noch ims 
mer beftehenden Glaubenoͤſtreites, in welchem bie Mafle leb⸗ 
haft Theil nimmt, benutzt; befonders aber hat die Novelle, 
welche bei und freilich einen ganz anderen Begriff umfaßt, 
allgemeine Theilnahme zugleich mit der Fleineren Erzählung 
gefunden, und beguͤnſtigt durch äußere Umftände, hauptſaͤchlich 
durch die Tafchenbücher und Journale, fich in das Unendliche 
vervielfaͤltigt, zumal da unſere beſten Talente, leider nicht ganz 
ohne Nachtheil fuͤr ſie ſelbſt, ſich damit beſchaͤftigen. 

Es wuͤrde mich zu weit fuͤhren, wollte ich die Leiſtungen 
auf dieſem Gebiete in das Einzelne verfolgen, ich muß mich 
daher darauf beſchraͤnken, unſere drei jetzt lebenden erſten 
Schriftſteller in dieſem Fache, und durch ſie die herrſchenden 
Richtungen kurz zu characteriſiren, und dann Das Vorzügs 
fichfte, was wir in jeder Gattung befigen, dem Namen nach 
aufzuführen, um Ihrer Aufmerkſamkeit ‚einen feſten Punkt, 
von dem aus Sie fich felbft zu weiterer Bekanntſchaft helfen 
fönnen, zu geben. Ich übergehe aus biefem Grunde auch 
die Heroen Goethe und Sean Paul, weil fie theild zu weltbe⸗ 
kannt find und es nirgends an Hülfsmitteln zur Würdigung 
derſelben fehle, theils aber auch, weil fie, vorzüglich der Letz⸗ 
tere, im ihren Leiftungen allein da ftehen. Cine vortreffliche 
Characteriſtik Jean Paul's findet fich in Menzel's wiederholt 
angeführtem Buche über die deutfche Literatur. 


Jene drei Männer, welche ich anführte, find Tied, Stef⸗ 


fens und Spindler; fie können in der Vortrefflichkeit ihrer 
Leiftungen vollfommen als die Nepräfentanten jener oben ent 


wickelten Gattungen gelten. 
Nachdem Tieck ſich in anderen Faͤchern der Poeſie durch⸗ 


aus als ein Meiſter bewaͤhrt hatte, brach er in ſeinen ſpaͤte⸗ 


688 


ren Jahren der beutfchen Novelle eine eigenthuͤmliche neue 
Bahn, indem er, mochte er nun einen hiftorifchen Stoff bes 
handeln, oder die Zabel ſelbſt .erfchaffen, fich ſtets einer be⸗ 
fiimmten audgefprochenen Cricheinung des Beſtehenden bes 
mächtigt, und dieſe ſowohl erzählen als reflectirend von als 
Ien Seiten darzuftellen weiß. — Die große Kunft, welche er 
bier offenbart, liegt darin, daß er Alles, Charactere und Sis 
tuationen, fo verfchieden diefe auch in ihren Grundbeftandtheis 
Ien von einander find, in das beftimmtefte Verhaͤltniß zu je⸗ 
ner Hauptidee bringt, fo daß Alles, wie die Strahlen in eis 
nem Brennfpiegel, zuletzt in einem Punkte zufammentrifft, 
und troß dem, daß der Dichter gelegentlich nach allen Seiten 
ſchweift, fich doch wieder genau concentrirt, ohne daß der Le⸗ 
fer die Abfichtlichkeit bemerfe, oder durch jene Abfchweifungen 
geflört werde. — Das Eigenthümlichfte dabei ift feine ironi⸗ 
ſche Weltanficht, welche Alles fchildert, wie es eben ift, fo 
. daß wir leicht glauben, es fey auch fo im Gemüthe des Dich- 
ters, der fich nirgends fubjectio Außert, ſondern gerade jedes 
Object in feiner ausgebildetften Subjectivität vorführt, und 
und eben dadurch die Thorheit, Leere und Nichtigkeit der Er⸗ 
ſcheinungen in das heiffte Kicht ftellt. Hier offenbart fich der 
feinfte Spott, eben deshalb fo fein, weil nirgends fubjective 
Gereiztheit fichtbar iſt; der Dichter fleht über dem Ganzen, 
weil das Ganze außer ihm Tiegt, und nur indem wir das ihm. 
Verwandte durch die Gefammtdarftellung erkennen, ahnen wir 








feine Vortrefflichkeit, die und immer Flarer und deutlicher wird, 


je mehr wir die geiflige Kraft haben, feinen Standpunkt zu 
erreichen. Eben durch diefe Natürlichfeit fehen Tieck's Novel⸗ 


len fo leicht aus, und fanden fo viele Nachahmer, die jedoch. 
alle weit hinter ihrem Vorbilde zuruͤckblieben. — Der Einzige, 


der ihm einigermanßen nahe Fam, ift Posgaru in feinen Lie⸗ 
beögefchichten, einem in vielfacher Hinſicht fehr empfeh- 


Ienswerthen Buche, — Mas übrigens Tieck's Novellen fo. 


außerordentlichen Reiz verleiht, ift, außer jener Eigenthümlich- 
teit, die zarte Grazie, die ſich ihm ungertrennlich anſchmiegt, 


—— 0689 — 

und der Zauberreiz feiner melodiichen Sprache. — Sein vorzuͤg⸗ 
lichftes Werk diefer Art ift fein unübertrefflicher Cevennenkrieg, 
der, felbft wenn er, mas leider zu befürchten ift, ein Torſo 
bleiben follte, allen Gefchlechtern ein herrliches Muſterbild 
geben wird. — Wie hat in diefem Buche feine Dichternatur 
die Wahrheit der Gefchichte wie der Charactere, ich möchte 
fagen, herausgefühlt! — 

Steffens biwet in feinen Romanen den Uebergang von 
der Aufgabe, welche Tieck in feinen Novellen loͤſt, zu derfel: 
ben Aufgabe, wie fie im Romane zu Iöfen wäre. Er ſtrebt 
dad ganze Leben mit allen feinen phofifchen wie pfuchifchen 
Erfcheinungen zufammen zu faffen, und die großen Refultate, 
die ſich daraus geftalten müffen, darzuftellen. — Darum ers 
wählt er infofern den hiftorifchen Roman, als er fich genau 
der Gefchichte der Zeit anichließt, in welcher feine Charactere 
auftreten, und jene ihre Herrfchaft über diefe ausüben laßt. 
Er fteht aber weit unter Tieck in einem Punkte, er ift name 
lich viel zu fubjectiv, was fich auch fehon darin offenbart, 
daß feine Hauptcharactere Norweger, feine Landsleute find, 
und die Scene vorzugdweile von ihm nach Norwegen verlegt 
wird. Es gilt ihm vorzüglich, fich ferbft, feine Anfichten, 
feine Gefühle, feine Erfahrungen darzulegen, und da alle diefe 
Einzelnheiten zu dem Ganzen wirken und mit diefem im Eins 
ange ftehen follen, fo hauft er die Situationen und Bege⸗ 
benheiten, indem feine überreiche Phantafte ftetd zu fchaffen 
vermag. — Dadurch aber, indem ihm mehr um eine con= 
fequente Folge der Ideen, ald der Begebenheiten zu thun ift, 
verwidelt er fich Leicht, und wirft diefe Ieteren ohne Ruͤck⸗ 
ficht auf die Zeit durcheinander, wie Arioft, fo daß der Leſer 
die angeftrengtefte Aufmerkſamkeit gebraucht, um ihn zu fa: 
fen und ihm zu folgen, und bei einmaliger Lefung felten dahin 
kommt. In kuͤnſtleriſcher Hinſicht verdient dies allerdings 
ſtrengen Tadel, aber ſeine große, wunderbar reiche Genialitaͤt 
beſticht uns gar zu ſehr, und wir vergeſſen die Beſchwerden 
über dem Entzuͤcken, das er in und hervorbringt. Er befißt 

| | 44 


alle Schaͤtze der Poeſie und theilt verfchwenderiich in allen 
Richtungen feine fchönen Gaben aus, bleibt ihm doch immer 
ferbft genug, da fein. Reichthum unerfchöpflich if. — 
Spindler ift in Hinficht auf die Tiefe des Geiftes je- 
nen Beiden durchaus nicht gleich zu fielen, was indeflen 
durchaus nicht ald Vorwurf betrachtet werden Kann, indem 
ihm bei feiner Jugend weder das Leben, noch die Wiffenfchaft 
jene Ausbildung geben konnten, deren fich die beiden eben 
genannten großen Dichter erfreuen. — Gr hat fich vorzuͤg⸗ 
lich des Hiftorifchen Romans bemächtigt, und diefen in Deutfche 
land zu einer Höhe gebracht, welche ihn dem Streben Wal: 
ter Scott's ſehr nahe führt. — Eine reiche, oft uͤbermuͤ⸗ 
thige Phantafte, - eine vortreffliche objective Darftellung und 
eine genaue Auffaffung der Zeit, ‚welche er ſchildert, treten 
ihm in allen feinen Leiftungen an die Seite. In feinen Cha= 
vacteren weiß er beſonders durch gluͤckliche Intuition die na- 
tionalen Eigenthümlichleiten wieder zu geben; ganz fo glücklich 
ift er nicht in confequenter pfychologifcher Entwickelung. Hier 
verfährt er oft zu gewaltſam, indem er nicht durch Weber: 
gänge motivirt, fondern Alles wie hervorgefprungen, gleich 
fo entfiehen läßt, wie er es braucht und haben will, — 
Dies zeigt fich beſonders in feiner Darſtellung des Laſters; 
er handelt gleichfam mit dem Verbrechen en gros, und feine 
Sünder find fo verworfen, wie nur irgend möglich; dadurch 
raubt er ihnen aber das Intereſſe des Mitleid, und fchadet 
der Wahrheit, indem er zu unnatürliche Gebilde und Thaten 
- beraufbefchwört. — Seine Phantafie fcheint ihn hier zu ge: 
waltſam fort zu reißen, und ber poetifchen Ruhe, die über 
Allen herrfchen muß, die Kraft zu rauben. So lange man 
feine Werke tieft, fo folgt man ihm mit der gefpannteften 
Aufmerkſamkeit, denn er weiß den Leſer unauflöslich zu feſ⸗ 
fein durch. die Lebendigkeit und den Zarbenreichthum feiner 
Darftelung; hat man aber geendigt, fo wird man fich nie 
ganz befriedigt fühlen — Daß er aber in feiner großen 
Genialität die Mittel befiße, Alles das, was wir bis jetzt 


nen — — — —— — 


— 0691 — 


| an ihm vermiflen, zu bringen, leidet feinen Zweifel, auch be= 
weiſen und einzelne, oft geringe Umſtaͤnde die Tiefe feines 
Gefühle und die Richtigkeit feines Blicks nur zu deutlich. — 
Bis jetzt gefällt fich feine kräftige Natur noch zu fehr im 
Kampf der Eontrafte, auch flieht er noch nicht über feiner 
Zeit. Unter feinen Leiſtungen halte ih den Jeſuiten, troß 
der gehäuften Anmwahrfcheinlichleiten bes dritten Theils, für 
fein Beſtes; eine gelungenere Durchführung eines Characters, 
als die des Jeſuiten, findet fich in Keinem unferer vielen bis 
ftorifchen Romane, und der Abichieböbrief des armen Pater 
Münzner ift ein groß gedachtes und tiefgefühltes Meiſterwerk. 
— Sn feinen Heineren Novellen ift er durchaus nicht fo glück 
ich, weil er fich nicht zu concentriren verfteht, und feine 
Phantafie ihm oft täufcht, indem er felbftftändig zu fchaffen 
glaubt, wo er nur nachahmt. 

Es bleibt mir jet noch übrig, Ihnen Die Namen unfe- 
ver vorzuͤglichſten Schriftfieller und Schriftftellerinnen im Sache 
des Romans und der Novelle anzuführen; ich laſſe diefe nach 
den Gattungen, denen fie vorzüglich ihre Kräfte widmeten, 
folgen. 

Im eigentlichen Kiebesroman und in der Darftelung der 
Verhältmiffe des modernen Lebens, dem Familienroman, zeich- 
neten fich befonders aus: Kahler, Ernſt Wagner, A. ©. 
Eberhard, Rochlig, Stephan Schüge, Hegner, ©. Schil: 
ling, von Steigentefch, Brentano, Arnim, Georg Döring, 
Baumgarten s Erufius, Praͤtzel, Leßmann u. A., und die 
Damen Johanna Schopenhauer, von Fouque, Karoline von 
Woltmann, Karoline Pichler u. U. 

Im hiftorifchen Romane find befonderd zu nennen; Wi⸗ 
libald Alexis, Z3ſchokke, Bronikowsky, Hauff, G. Döring, 
F. Laun, W. von Chezy, Herloßſohn, Storch, von Luͤde⸗ 
mann u. ſ. w. Im didactiſchen Romane: St. Schuͤtze, 
de Wette, Wilhelmi, der Verfaſſer der „Proſelyten“ u. A. 

In der Novelle und Erzaͤhlung: Zfchoffe, Kind, Hou⸗ 
wald, Rochlitz, K. X. Conteffa, von Miltitz, Blumenhagen, 

44* 


— 692 — 


Wyß, Varnhagen von Enfe, ©. Döring, Moſengeil, L. 
Schefr, Hauff, Krufe, von Gerſtenbergt, W. -Atpris 
u. A. m., fo wie die Damen Pichler, Schopenhauer, Loh⸗ 
mann (Mutter und Tochter), Hanke, Chezy u. ſ. w. 

Eine eigene Erfcheinung bildete E. T. U. Hoffmann, 
welcher eine Zeit lang von bedeutendem Einfluß. war, - und 
eine Menge von Nachahmern hinter ſich ber 309; das Unne: 
türliche und Gezwungene in feinen Leiftungen vermochte je- 
doch nicht lange, fich in demfelben Anfehen zu erhalten, und 
der gefunde Sinn der Nation wandte fich fehnell wieder von 
ihm ab. — Jetzt haben fich Franzofen und Daͤnen feiner 
bemeiftert, und wetteifern darin, ihn nachzubiiden, “ref: 
fender, ald ed. Menzel thut, kann er nicht leicht characteriz 
firt werden, ich laſſe deshalb diefen mit feinen eigenen Mor: 
ten reden: „Hoffmann machte leibhaftig mit dem Teufel ein 
Buͤndniß, aber nur um ihn. -und-fich Dadurch in die Poeſie 
einzuführen. Dieſen etwas bizarren Geſchmack mußte die 
Originalität und der früher ſchaarenweis emigrirte, jetzt ſchaa⸗ 
renweis heimkehrende Aberglaube. befchönigen, und. zuletzt 
Eonnte der Dichter fich immer wie in eine unübenwindliche 
Feſtung auf den Spruch Hamlet's zurüdziehen: „Unter dem 
Monde giebt ed noch viel, wovon unfere Philofophen fich 
nichts träumen laſſen.“ Auch Hoffinann wear überfpannt, 
wie Werner und gemuͤthskrank. Seine ganze Poefte ift ‚von 
diefer Krankheit angeſteckt, und ihr Gegenftand felbft ift die 
Krankheit. Er vertiefte fich. in jene Nachtfeite der Natur, 
die Schubert wiflenichaftlich - Dargeftellt, und malte fie poe- 
tifch aus. Er machte den Menſchen zu einem Spielball 
der in ihm felber fchlummernden bamonifchen Gewalten; bes 
Wahnfinns, der Phantadmagorie, der magnetifchen und ſym⸗ 
pathetifchen.. oder. antipathetifchen Naturkraͤfte. So unfinnig 
und unwürdig er indeß ‚feine Helden - behandelte, indem er ih: 
nen alle Sreiheit und Vernunft raubt, fo daß fie fich oft wie 
tolle Schafe im Zirkel zu drehen ſcheinen, fo kann ihm boch 
ein großes Talent in der Schilderung des Grauenhaften und 


— 163 — 


befonderd der Seelenpein nicht abgefprochen werden, Der 
pſychologiſche Kampf feiner Helden, ihr Schwanten . zwilchen 
Vernunft md Wahnſinn, Humor und Todesangſt ift meifters 
haft dargeftellt, und die Dramatiter follten von ihm lernen, 
wie vom Hamlet. Damit verbindet fich auch fein muſikali⸗ 
ches Element; die Seele feines Helden wird. von dunkeln 
übernatärfichen Kräften bewegt und im Sturm aller Leiden: 
fchaften aufgerührt wie eine Aeolsharfe. In ber Kunſt der 
Diffonanzen und des Schredlichen kann er mit Mozart vers 
. glichen werden.‘ — Unter allen feinen Leiſtungen nehmen 
feine Phantaſieſtuͤcke in Callot's Manier doch wohl den erften 
Rang ein, denn als er diefe fchrieb, war eben feine Phan⸗ 
tafie noch am Friſcheſten und bedurfte noch Feiner kuͤnſtlichen 
Anreisungsmittel. — 

IV. Die didastifche Poefie warb. während der lebten 
Decennien faft gar nicht cultivirt, ein guter Beweis für un- 
feren gefunden Geſchmack; zwar beichäftigten fich einige We⸗ 
nige, wmeift aus der Schule des vorigen Jahrhunderts, mit 
derfelben, bahnten fich aber nur geringen Eingang, und find 
im Ganzen kaum dem Namen nach befannt. — Erwähnt zu wer: 
den verdienen indeß in mancher Hinficht: Chriftian Schrei- 
ber’ Religion und von Gerwing's Heilquellen am 
Taunus, ein Didactifch = defcriptined Gedicht, doch 
erreicht das Reitere nicht Neubed’8 Gefundbrunnen, wel: 
che noch immer ald das vorzüglichfte Werk diefer Art daftehen. — 
Für die poetifche Epiftel ward in neuefter Zeit, veranlaßt durch 
eine von Brocdhaus für die Urania ausgefchriebene Preisbewer⸗ 
bung, Manches gethan, indeffen kann Keiner der Kampfenden 
Goecking gleich, welcher noch bis jet als Mufterbild für vie- 
fen Zweig der Poefie erfcheint. — Für das Epigramm zeigt 
fich der unlängft verftorbene Haug noch immer ald der gluͤck⸗ 
tichfte Dichter, doch drifcht auch er gar zu oft leeres Stroh. — 
Die eigentliche Satyre fand gleichfalls nur fehr wenig Freunde, 
was vorzüglich wohl darin zu fuchen ift, daß fie dem beut: 
ſchen Geiſte und den deutfchen Verhältniffen zu fern liegt; 


dafür wurde bie fubjective, oder richtiger die humoriftifche Gat⸗ 
tung der Satyre mit entichiedenem Güde behandelt. — Als 
Stern erfter Größe leuchtet hier Jean Paul; Hauff, Börne 
und Seine bewegten fich ebenfalld mit großem Erfolge auf 
diefer Bahn fort, nur find der Erſtere und der Lebtere zu ſehr 
von ihrer Subjectivität befangen, und haben, befonderd Heine, 
ihre Eitelkeit noch nicht abzuftreifen vermocht, was der Humor 
vor allen Dingen muß, went er fiegen will. — Boͤrne hat 
es in letter Zeit mit dem Publicum verderben durch feine 
Briefe aus Paris, weil er den Spaß zu weit trieb und bie 
Menge zu befchränkt war, um einzufehen, daß jene Uebertrei⸗ 
bungen wirklich nichts find, als etwas grober und zu Zeiten 
ungiemlicher Spaß. — 

Sp hätten wir denn, freilich mitunter etwas flüchtigen 
Fußes, die fehönen Reiche der Poeſie "gemeinfchaftlich durch: 
wandert, und fiehen nun am Schluffe unferer Beftrebungen. 
Empfangen Sie meinen herzlichften Dank für die Theilnahme 
und Geduld, welche Sie fo freundlich und behamlch dieſen 
mangelhaften Vortraͤgen ſchenkten. — 





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